Festschrift 60 Jahre Bundesrechtsanwaltskammer: 1959-2019 9783504386580

Mit der Festschrift zum 60. Jahrestag der Gründung der Bundesrechtsanwaltskammer ist ein unprätentiöses Werk entstanden,

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German Pages 408 Year 2019

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Festschrift 60 Jahre Bundesrechtsanwaltskammer: 1959-2019
 9783504386580

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Festschrift 60 Jahre Bundesrechtsanwaltskammer

.

FESTSCHRIFT

60 JAHRE BUNDESRECHTSANWALTSKAMMER 1959-2019 Herausgegeben von

Professor Dr. Reinhard Gaier Richter am Bundesverfassungsgericht a.D.

Bearbeitet von

Dr. Frank L. Schäfer Professor an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

Dr. Reinhard Singer Professor an der Humboldt-Universität zu Berlin

Dr. Dres. h.c. Rolf Stürner Professor an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

Dr. Christian Wolf Professor an der Leibniz-Universität Hannover

2019

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 02 21/9 37 38-01, Fax 02 21/9 37 38-943 [email protected] www.otto-schmidt.de ISBN 978-3-504-06055-8 ©2019 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeiche­ rung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungs­ beständig und umweltfreundlich. Einbandgestaltung: Lichtenford, Mettmann Satz: WMTP, Birkenau Druck und Verarbeitung: Kösel, Krugzell Printed in Germany

Grußwort der BRAK-Präsidenten Mit der 1878 vom Reichstag verabschiedeten Rechtsanwaltsordnung wurde der Grund­ stein für eine freie, vom Staat unabhängige Selbstverwaltung der Anwaltschaft in Deutschland gelegt. Regionale Rechtsanwaltskammern, gebildet aus den im Bezirk eines Oberlandesgerichts zugelassenen Rechtsanwälten, erhielten die Aufgabe über­ tragen, selbständig und nur einer rechtlichen staatlichen Kontrolle unterworfen die Aufsicht über ihre Mitglieder auszuüben, bei Streitigkeiten untereinander oder mit Mandanten zu vermitteln und auf Aufforderung der Landesjustizverwaltung bzw. von Gerichten Rechtsgutachten zu erstellen. Bis heute gehört sie zum Kanon der den Rechtsanwaltskammern gesetzlich zugewiesenen Pflichten, allerdings um eine Viel­ zahl von zusätzlichen Aufgaben erweitert. Und sie hat sich bewährt: Die anwaltliche Selbstverwaltung steht nicht in Frage, sondern ist fester, ja notwendiger Bestandteil rechtsstaatlicher Ordnung. Nicht zuletzt beweist dies die schnelle Gründung regio­ naler Rechtsanwaltskammern in den neuen Ländern nach der Wiedervereinigung – ein Beleg für den dringenden Wunsch auch der in der Deutschen Demokratischen Republik tätigen Rechtsanwälte nach einer selbstverwalteten Anwaltschaft. Zunehmend seit der Jahrtausendwende hat die anwaltliche Fachliteratur in einzelnen Aufsätzen, in Monografien und in umfangreichen Büchern die Geschichte der deut­ schen Anwaltschaft aufgearbeitet. Wie sich das Berufsbild des Rechtsanwalts in mehr als hundert Jahren gewandelt hat, ohne seine Funktion als unabhängiger, verschwie­ gener und loyaler Berater und Vertreter in allen Rechtsangelegenheiten zu verlieren, wird an unterschiedlichsten Stellen eindrucksvoll beschrieben. Und welche Entwick­ lung die einzelnen Rechtsanwaltskammern dabei genommen haben, ist in einer Viel­ zahl von mehr oder minder umfangreichen Veröffentlichungen, regelmäßig von ih­ nen selbst aus Anlass von Jubiläen herausgegeben, dokumentiert. Was bisher fehlte, ist eine Geschichte der Bundesrechtsanwaltskammer, der Dach­ organisation der regionalen Kammern in Deutschland, gegründet erst 1959 mit der Verabschiedung der Bundesrechtsanwaltsordnung durch den Deutschen Bundestag. Wir, die ehemaligen Präsidenten der Bundesrechtsanwaltskammer und ihr amtieren­ der Präsident, sind dankbar, dass es gelungen ist, diese Lücke zu schließen. Wir wün­ schen dem Werk eine nachhaltige Verbreitung! Bremen, Berlin, Hamburg, Ravensburg und Münster, im Sommer 2019

Dr. Eberhard Haas Dr. Bernhard Dombek Axel C. Filges Ekkehart Schäfer Dr. Ulrich Wessels

V

Vorwort des Herausgebers Das Jubiläum einer öffentlichen Institution wie der Bundesrechtsanwaltskammer an­ gemessen zu begehen, ist ein heikles Unterfangen. Keine Alternative ist die Flucht in das schlichte Übergehen des Jahrestages; wer als Vertreter der Interessen seiner Mit­ glieder wahrgenommen werden will, muss sich zu einem solchen Anlass zeigen, muss auf das bisher Geleistete verweisen, muss sich auch kritischer Betrachtung stellen, muss aber vor allem seine Bedeutung im Gefüge des Staates in Erinnerung rufen. Ein aufwendiger Festakt mag das naheliegende Format sein, trägt dem Verantwortlichen aber schnell den Verdacht persönlicher Eitelkeit und den Vorwurf verschwendeter Mitgliederbeiträge ein. Als die Planungen zum 60. Jahrestag der Gründung der Bundesrechtsanwaltskammer anstanden, hat ihr damaliger Präsident, Rechtsanwalt Ekkehart Schäfer, eine kluge und unprätentiöse Entscheidung getroffen – so wie es seiner Persönlichkeit und sei­ nem engagierten, angenehm bescheidenen Wesen entspricht. Die nun vorliegende Festgabe war seine Idee, seine Initiative, seine Vision. Ein Werk, das nicht allein von den Ereignissen einer sechzigjährigen Geschichte erzählt, sondern das Wirken der Bundesrechtsanwaltskammer auch durchaus kritisch würdigt und Ausblicke auf die künftigen Herausforderungen wagt. Vier namhafte Autoren konnten gewonnen wer­ den. Sie zählen zu den Besten, die unser Land auf den Gebieten von Rechtsgeschichte und anwaltlichem Berufsrecht vorweisen kann. Präsident Schäfer sorgte dafür, dass die Autoren jeden gewünschten Zugriff auf das Archiv und die Unterlagen der Bun­ desrechtsanwaltskammer hatten, dass sie überhaupt jede benötigte Unterstützung er­ hielten. Selbstredend ist jeder Betrag unbeeinflusst, in völliger wissenschaftlicher Freiheit entstanden. Jeder der Autoren ist allein für den von ihm verfassten Beitrag verantwortlich. 60 Jahre Bundesrechtsanwaltskammer sind auch 60 Jahre der jüngsten deutschen Ge­ schichte. Die Beiträge der Festgabe zeigen, dass auch die Bundesrechtsanwaltskam­ mer, obgleich zehn Jahre jünger als die Bundesrepublik, zunächst noch Zeit brauchte, um das persönliche Versagen vieler – wenn auch nicht aller – Berufsträger im Un­ rechtssystem der Nationalsozialisten zu erkennen und sich der Verantwortung zu stellen. Auch das Verständnis für die Konsequenzen der Freiheitsgarantien des demo­ kratischen Verfassungsstaates für das anwaltliche Berufsrecht musste zunächst noch entstehen und sich durchsetzen. Bis zur Erkenntnis, dass nun kein Raum mehr für überkommenes Standesdenken blieb, dauerte es geraume Zeit. Das Zusammenwach­ sen der europäischen Staaten, das Entstehen der Europäischen Union, das Ende der Sowjetunion und des von ihr beherrschten „Ostblocks“ und schließlich die deutsche Einheit haben nicht nur den Kontinent verändert, sondern auch die Bundesrechtsan­ waltskammer beim Erhalt und bei der Verbreitung der Ideen von Rechtsstaatlichkeit und freier Advokatur gefordert. Hinzugekommen sind in den letzten Jahrzehnten die Herausforderungen der Globalisierung. Wie andere Professionen wurde auch der An­ waltsberuf in den Wettbewerb zunächst mit europäischen und dann auch mit welt­ weit agierenden Konkurrenten gestellt. VII

Vorwort des Herausgebers

Bei all dem hat die Bundesrechtsanwaltskammer die Interessen der deutschen An­ waltschaft erfolgreich gewahrt. Wie immer, wenn Menschen am Werk sind, gab es Irrwege, Fehler, Verzögerungen, Friktionen. Aber wer solche Defizite zum Anlass nehmen will, die Institutionen der anwaltlichen Selbstverwaltung und an ihrer Spitze die Bundesrechtsanwaltskammer in Frage zu stellen, mag seinen Blick auf das hohe Niveau lenken, das die Rechtsstaatlichkeit in Deutschland erreicht hat. Noch nie konnten die Menschen hier unter der Herrschaft des Rechts so frei und sicher, so selbstbestimmt und so geschützt leben wie heute. Dies ist keine Selbstverständlich­ keit. Auch unter den Ländern, die uns durch gemeinsame Werte oder den europä­ ischen Gedanken verbunden sind, finden sich bedauerlicherweise einige, die sich von solchem rechtsstaatlichen Standard deutlich entfernen. Der Erfolg der Rechtsstaat­ lichkeit in Deutschland ist auch ein Erfolg der selbstverwalteten Anwaltschaft und ihrer Institutionen. Ein funktionierender Rechtsstaat setzt starke, qualifizierte und unabhängige Vertreter der Interessen der Rechtsuchenden voraus. Dafür zu sorgen, dass die Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte diese Funktion uneingeschränkt er­ füllen können, ist die vornehmste Aufgabe der Bundesrechtsanwaltskammer – und sie ist dieser Pflicht noch immer mit Erfolg nachgekommen. Soweit der Blick zurück und der Blick auf die Gegenwart. Das vorliegende Werk will damit aber nicht zufrieden sein, sondern auch die Herausforderungen aufnehmen, die künftig die Bundesrechtsanwaltskammer zur starken Vertretung der Interessen der Anwaltschaft und zur verlässlichen Verteidigung der Rechtsstaatlichkeit in die Verant­ wortung nehmen werden. Das Thema der Globalisierung ist noch lange nicht abge­ schlossen und wird die Anwaltschaft letztlich in einen Wettbewerb der Rechtsordnun­ gen führen; auch die deutschen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte werden daran mitarbeiten müssen, dass die Grundlagen ihrer beruflichen Kompetenz, dass deutsches und europäisches Recht konkurrenzfähig bleiben. Im Bereich der Europäischen Union gilt es nicht nur einen Prozess fortschreitender Integration zu begleiten, sondern ge­ genläufig auch das erstmalige Ausscheiden eines Mitgliedstaates mit dem „Brexit“. Vor allem aber wird sich die Bundesrechtsanwaltskammer immer stärker und ent­ schlossener dem rasanten technischen Fortschritt stellen müssen. Der sinnvolle Ein­ satz von Informationstechnologie verlangt die Bündelung anwaltlicher Interessen auf nationaler Ebene und darüber hinaus. Dies gilt nicht nur beim Angebot eines elektro­ nischen Kommunikationsweges, sondern erfordert in Zeiten von Legal-Tech die inten­ sive Begleitung der Anwaltschaft bei der eigenen Nutzung moderner Technologien, aber auch beim Umgang mit nichtanwaltlicher „elektronischer Konkurrenz“. Weiterge­ hend wird es notwendig sein, auch den Gesetzgeber und die Justiz beim längst fälligen Übergang der Rechtsordnung und der Gerichtsbarkeit ins digitale Zeitalter zu unter­ stützen. Hierbei die Belange der Anwaltschaft sowie rechtsstaatliche Prinzipien zu wahren und damit auch die Interessen der Rechtsuchenden zu schützen, wird eine der künftigen großen Herausforderungen der Bundesrechtsanwaltskammer sein. Wem der Erhalt unseres Rechtsstaats und seiner Errungenschaften am Herzen liegt, der wird der Bundesrechtsanwaltskammer auch für die Zukunft jeden Erfolg wünschen. Karlsruhe, im Sommer 2019 VIII

Reinhard Gaier

Inhalt

Seite

Grußwort der BRAK-Präsidenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V Vorwort des Herausgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Frank L. Schäfer Geschichte der Bundesrechtsanwaltskammer in der Bonner Republik . . . . 1 Christian Wolf Die jüngere Geschichte der Bundesrechtsanwaltskammer – zwischen Autonomie, Fremdbestimmung und Deregulierung . . . . . . . . . . . . 63 Reinhard Singer Der weite Weg nach Europa: Grenzüberschreitende Rechtsdienst­ leistungen im Spannungsverhältnis zwischen Binnenmarktförderung und Rechtspflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 Rolf Stürner Der Einfluss internationaler Entwicklungen auf das Anwaltsrecht und die Arbeit der Bundesrechtsanwaltskammer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 Anhang: Die Präsidenten der Bundesrechtsanwaltskammer von 1947 bis heute 361 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393

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Frank L. Schäfer

Geschichte der Bundesrechtsanwaltskammer in der Bonner Republik Inhaltsübersicht A. Vorgeschichte im Deutschen Reich I. Versunkene Welten II. Erste Vorgängerin – Vereinigung der Vorstände (1909-33) III. Gegenentwurf – Reichs-Rechtsanwalts­ kammer (1933-45)

D. Erste Jahre der ,neuen‘ Bundesrechts­ anwaltskammer I. Interregnum I – Präsidium Waldeck (1959-60) II. Interregnum II – Präsidium Franke (1960-61)

B. Vorgeschichte in der frühen Nach­ kriegszeit

III. Konsolidierung – Präsidium Müller (1961-67)

I. Zweite Vorgängerin – Vereinigung der britischen Zone (1946-59) 1. Von der Privatgesellschaft zur öffent­ lich-rechtlichen Körperschaft 2. Standhafte Demokraten – Präsidenten Finck und Fischer 3. Weichenstellungen für die Zukunft – Standesrecht und Strauda

E. Bundesrechtsanwaltskammer in der ­sozialliberalen Ära I. Vorboten des Wandels – Präsidium ­Weber (1967-74) 1. Anschlussverwendung für einen Bundes­ justizminister 2. Professionalisierung und Digitalisierung 3. Kassandra im Standesrecht

II. Direkte Vorgängerinnen – Arbeitsge­ meinschaft und ,alte‘ BRAK (1949-59) 1. Gründung und Verbandsstruktur 2. Vorbereitung der Bundesrechtsanwalts­ ordnung 3. Institutionelle Konkurrenz – Verhältnis zum DAV 4. Berufliche Konkurrenz – Vergangen­ heitsbewältigung 5. Gegen Spezialisten und weitere ­Konkurrenten – Standesrecht 6. Einflussgrenzen – Rechtspolitik

II. Terror und Europa – Präsidium Vigano (1974-83) 1. Flüchtling und Syndikus als Präsident – Heinrich Vigano 2. Bewährungsproben für den Rechtsstaat 3. Gelebte Demokratie – Streit um Stimmen und Bohnen 4. Morgenröte einer neuen Zeit – ­Fachanwaltschaft 5. Über Europa in die Zukunft 6. Rückschläge im Standesrecht

C. Gründung der ,neuen‘ Bundesrechts­ anwaltskammer (1959)

I. Reformer wider Willen – Präsidium ­Schmalz (1983-91)

I. Kontinuität trotz neuer normativer Grundlage II. Florian Waldeck – Lichtgestalt als ­erster Präsident III. Hanns Dahn – völkischer Gegenpol

F. Umbruch in der späten Bonner ­Republik

II. Blick durch das Schlüsselloch – inter­ nationale Kontakte III. Präludium – Einführung der Fach­ anwaltschaft

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Frank L. Schäfer IV. Werbetour statt Reformen – Rechts­ anwalt 2000

II. Licht unter dem Scheffel – Werbeverbot als Dogma

V. Bastille-Beschlüsse und Europa – letztes Aufbäumen der alten Garde

H. Bilanz – Blick zurück, Blick nach ­vorne

G. Zeitlose Themen der Bonner Republik I. Juristenschwemme – Nachwuchs als Konkurrenz

A.  Vorgeschichte im Deutschen Reich Eine Geschichte will erzählt werden, ansonsten existiert sie nicht. Die Geschichte der Bundesrechtsanwaltskammer ist bislang ein weitgehend unbeschriebenes Blatt.1 Der erste Teil der Geschichte der Bundesrechtsanwaltskammer blickt zu deren Jubiläum auf die Gründung der Kammer als Körperschaft des öffentlichen Rechts, die Vorläu­ ferinstitutionen und die Jahrzehnte bis zum Ende des Präsidiums Klaus Schmalz zu­ rück, das mit der deutschen Wiedervereinigung und somit mit dem Ende der Bonner Republik zusammenfällt. Die Bastille-Beschlüsse des BVerfG aus dem Jahr 1987, ihre Folgen für das Standesrecht der Rechtsanwaltschaft sowie die Wiedervereinigung der Rechtsanwaltschaft von West- und Ostdeutschland werden in den folgenden Beiträ­ gen näher beleuchtet.

I. Versunkene Welten Die Bundesrechtsanwaltskammer trat in der Bonner Republik nicht nur als bundes­ weite Gewährsträgerin der freien Advokatur, sondern auch als Hüterin des anwaltli­ chen Standesrechts auf. Gerade das Standesrecht, heute Berufsrecht genannt, ist für die Geschichte der Bundesrechtsanwaltskammer essentiell, da die Kammer dieses Stan­ desrecht an vorderster Stelle mitprägte. Jüngeren Rechtsanwältinnen und Rechtsanwäl­ ten muss das Standesrecht der Bonner Republik als längst versunkene, archa­ische Welt erscheinen.2 Eine Welt, die das Idealbild des ehrenhaften, unbeschränkt haftenden, universal tätigen und regional beschränkten Einzelanwalts hochhielt. Das Standesrecht der Bonner Republik war von zahlreichen, heute außer Kraft getretenen Verboten durchzogen. Hervorzuheben sind das Werbeverbot (§§ 61 ff. RL 1957), das Verbot ei­ 1 Aus dem lückenhaften Forschungsstand: Baatz, BRAK-Mitt. 2008, 190, 193 ff.; Busse, Ge­ schichte der deutschen Anwaltschaft 1945-2009, 2010, 197 ff.; Dombek, BRAK-Mitt. 1999, 242 ff.; Gaier/Wolf/Göcken/Göcken, § 175 BRAO Rz. 1 ff.; Hummel, 25 Jahre BRAK, 1984, 1  ff.; Jansen, Funktionswandel der Rechtsanwaltskammern, 2011, 34  ff.; Ostler, Die deut­ schen Rechtsanwälte 1871-1971, 1971, 340 ff.; Feuerich/Weyland, § 175 BRAO Rz. 1 ff. – Ar­ chivalien: BArch, Sig. Z 38/27, Sig. B 141/49272, 66886  ff., 66891  ff., 84383  ff., 96322  ff.; BRAK-Archiv, Sig. A III 21. 2 Übersicht: Busse, Geschichte der deutschen Anwaltschaft 1945-2009, 2010, 243 ff.; Hettinger, FS 125 Jahre RAK München, 2004, 43 ff.; Quaas, in: DAV (Hrsg.), Anwälte und ihre Ge­ schichte, 2011, 753 ff. Zum Wandel statt aller Pahlow, FS Rüßmann, 2013, 141 ff.

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Geschichte der Bundesrechtsanwaltskammer in der Bonner Republik

nes Neben- oder Zweitberufs (§ 7 Nr. 8 BRAO 1959), das Verbot, Zweigstellen einer Kanzlei zu betreiben und auswärtige Sprechtage abzuhalten (§ 28 BRAO 1959, § 71 RL 1957) sowie das Verbot, sich mit Angehörigen anderer Berufe zu einer Sozietät oder einem Büro zusammenzuschließen (§ 21 Abs. 1 RL 1957). Hinzu kamen weitere stark regulierende Normen wie die Residenz- und Kanzleipflicht (§ 27 BRAO 1959) oder das Lokalisierungsgebot (§ 18 BRAO 1959). Der Anwalt erhielt seine Zulassung wahlweise am AG und LG (§ 23 BRAO 1959) oder an einem OLG (§ 25 BRAO 1959). Die Zulas­ sung an mehreren LG war grundsätzlich untersagt (§ 24 BRAO 1959). Nationale oder gar international agierende Großkanzleien waren in diesem Korsett ebenso wenig denkbar wie eine flexible Zusammenarbeit mit weiteren beratenden Berufen wie Steu­ erberatern oder Wirtschaftsprüfern im Rahmen einer Dienstleistungsgesellschaft. Die 1957 von der Bundesrechtsanwaltskammer aufgestellten und 1963 sowie 1973 nach § 177 Abs. 2 Nr. 2 BRAO überarbeiteten Richtlinien dokumentierten das Stan­ desrecht der Rechtsanwälte.3 Die Bundesrechtsanwaltskammer ließ in den frühen 1960er Jahren die genaue Rechtsquellenqualität der Richtlinien (Gewohnheitsrecht, communis opinio, bloße Standessitte oder Auslegungshilfe) zunächst offen.4 In den folgenden Jahrzehnten setzte sich die Auffassung durch, dass die Richtlinien keine verbindlichen Rechtsnormen, sondern eine bloße Sammlung von Grundsätzen seien. Sie seien nur „Erkenntnisquelle dafür, was im Einzelfalle nach der Auffassung angese­ hener und erfahrener Standesgenossen der Meinung aller anständig und gerecht den­ kenden Anwälte und der Würde des Anwaltsstandes entspricht“. Methodisch dienten die Richtlinien als Hilfsmittel zur Konkretisierung der Generalklausel §  43 BRAO, welche die allgemeine Berufspflicht der Rechtsanwälte normierte.5

II. Erste Vorgängerin – Vereinigung der Vorstände (1909-33) Für eine sehr lange Zeit musste die deutsche Rechtsanwaltschaft auf eine nationale Standesorganisation zur Selbstverwaltung verzichten. Nach der Reichsgründung 1871 sah die RAO von 1878/79 im Schlepptau der Reichsjustizgesetze zwar reichsweit regio­ nale Rechtsanwaltskammern, aber keine reichsweite Rechtsanwaltskammer vor.6 Die Rechtsanwaltskammern des Reiches schlossen sich nach vorbereitenden Zusammen­ künften in den Jahren 1886 und 1907 erst 1909 zu einer privatrechtlichen „Vereini­ gung der Vorstände der Deutschen Anwaltskammern“ zusammen, die aber ohne Ge­ 3 Zur Geschichte: Taupitz, Die Standesordnungen der freien Berufe, 1991, 352 ff. 4 Prot. 6. HV BRAK, 2./3.6.1961 in Travemünde, BRAK-Nr. 76/61, 6 ff.; siehe auch Prot. 7. HV BRAK, 5./6.10.1961 in Nürnberg, BRAK-Nr. 141/61, 14 f.; Prot. 10. HV BRAK, 12./13.11.1962 in Frankfurt a.M., BRAK-Nr.  121/62, 10  ff. Die Protokolle der BRAK werden grds. nach BRAK-Archiv, Sig. A III 21 zitiert. Zu weiteren Stimmen Gaier/Wolf/Göcken/Dahns, § 191a BRAO Rz. 2 Fn. 3. 5 BGH, Beschl. v. 1.10.1962 – St 18,17, BGHZ 38, 103 (Leitsätze) = BGHSt 18, 77; BGH, Urt. v. 17.2.1986  – II ZR 154/85, NJW-RR 1986, 797; ebenso BVerfG, Beschl. v. 28.11.1973  – 1 BvR 13/67, BVerfGE 36, 212, 217; BVerfG, Beschl. v. 13.5.1981 – 1 BvR 610/77, 451/80, BVerfGE 57, 121, 132 f.; BVerfG, Beschl. v. 8.3.1983 – 1 BvR 1078/80, BVerfGE 66, 337, 356. 6 Gesetz v. 1.7.1878, RGBl. 1878, 177.

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Frank L. Schäfer

setzesfundament lediglich als informelle Plattform zur nationalen Meinungsbildung sowie zur Koordinierung der Rechtsanwaltskammern diente.7 Satzungszweck waren erstens die „Aussprache über die den Vorständen nach der Rechtsanwaltsordnung obliegenden Pflichten und Befugnisse“, zweitens die „Vorbereitung gemeinsamer An­ träge an die Justizverwaltung“ und drittens die „Förderung der Interessen der deut­ schen Rechtsanwaltschaft“.8 Seit 1928 strebte die Vereinigung zusammen mit dem DAV die Errichtung einer gesetzlich verfassten „Reichsanwaltskammer“ an, der Dele­ gierte der einzelnen Anwaltskammern angehören sollten.9 Die Initiatoren hofften, das mangelnde politische und wirtschaftliche Gewicht der Anwaltschaft gegenüber ande­ ren Interessengruppen durch eine öffentlich-rechtliche Körperschaft auf Reichsebene ausgleichen zu können. Der DAV sah zwar bereits in diesem frühen Stadium das Konfliktpotential einer doppelten Interessenvertretung durch zwei Dachorganisatio­ nen, doch stellten dessen Vertreter die Bedenken zurück. Zu gewaltig schienen die Vorteile einer Reichsanwaltskammer zu sein.10

III. Gegenentwurf – Reichs-Rechtsanwaltskammer (1933-45) Der von der Anwaltschaft angestoßene „Entwurf eines Gesetzes über die Reichs-­ Rechtsanwaltskammer“ vom April 193211 wurde erst von den Nationalsozialisten um­ gesetzt.12 Sie übernahmen den Entwurf mit Verordnung vom 18. März 1933 und rich­ teten durch eine Änderung der RAO die rechtsfähige „Reichs-Rechtsanwaltskammer“ mit Sitz in Berlin ein.13 Die Regelung beschränkte sich mit dem neuen § 61a RAO 1933 auf einen einzigen Paragraphen; die Organisation der Reichs-Rechtsanwalts­ kammer blieb dem Satzungsrecht überlassen. Die formale Kontinuität zur späten Weimarer Republik kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die neue Organi­ sation anderen Zielen diente, als sie § 61a Abs. 1 RAO 1933 vordergründig mit der „Förderung der Interessen der Rechtsanwaltschaft“, der Herstellung einer „ständi­ ge[n] Verbindung unter den Vorständen der Anwaltskammern“ sowie mit der Ver­ pflichtung zur Erstattung von Gutachten vorsah. Die Reichs-Rechtsanwaltskammer fungierte von Anfang an nicht als Gewährsträgerin der freien Advokatur, sondern als Werkzeug der Diktatur zur Zentralisierung und Überwachung der Anwaltschaft so­ wie zur Ausschaltung aller Gegner des Nationalsozialismus. Daher sind die Mate­ rialien zur BRAO von 1959 missverständlich, die von einer „Ähnlichkeit zwischen 7 Näher Ostler, Die deutschen Rechtsanwälte 1871-1971, 1971, 57; siehe auch Rosenthal, JW 1907, 498 ff. 8 AnwBl 1929, 129. 9 Dix, AnwBl 1928, 174 ff.; AnwBl 1928, 290 ff. (mit Gesetzesvorschlag). 10 AnwBl 1928, 349 f. 11 RMJ, 26.4.1932, RT-Drs. 5/1930 Nr. 1447. 12 Überblicke zur Anwaltschaft im Nationalsozialismus: Busse, Geschichte der deutschen An­ waltschaft 1945-2009, 2010, 38 ff.; Douma, Deutsche Anwälte zwischen Demokratie und Diktatur 1933-1955, 1998; Königseder, Recht und nationalsozialistische Herrschaft, 2001; Löffelsender, Kölner Rechtsanwälte im Nationalsozialismus, 2015; Ostler, AnwBl 1983, 50 ff. 13 VO des Reichspräsidenten über Maßnahmen auf dem Gebiet der Finanzen, der Wirtschaft und der Rechtspflege v. 18.3.1933, RGBl. I 1933, 109, Kap. XIII Art. I Nr. 2 = § 61a RAO.

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Geschichte der Bundesrechtsanwaltskammer in der Bonner Republik

der Bundesrechtsanwaltskammer und der […] ersten Reichs-Rechtsanwaltskammer“ sprechen.14 Erster und einziger Präsident der Reichs-Rechtsanwaltskammer war von 1933 bis 1945 Reinhard Neubert.15 Sein Lebenslauf bedarf eines näheren Blickes, um den dia­ metralen Werdegang der demokratisch gewählten späteren Präsidenten der Bundes­ rechtsanwaltskammer besser zu verstehen. Neubert war am 25. Februar 1896 in Riga, also damals in den russischen Ostseeprovinzen, als Kaufmannssohn auf die Welt ­gekommen. Er zog später mit seinen Eltern nach Berlin und studierte dort Jura, Staatswissenschaft sowie Geschichte. Nach dem Ersten Weltkrieg und dem Dienst beim Schutzregiment Groß-Berlin des Garde-Kavallerie-Schützenkorps promovierte Neubert 1922 an der Universität Breslau über ein völkerrechtliches Thema16 und legte 1921 bzw. 1924 seine beiden juristischen Staatsexamina ab. 1924 erhielt Neubert die Zulassung als Rechtsanwalt beim LG Berlin, 1933 die zum Notar. Bereits seit 1921 hatte er als Referent der Hauptfahndungsstelle der Reichszollverwaltung gearbeitet. Nach der Anwaltszulassung schlug er sich als Justitiar der Zuckerkreditbank AG durch. Erst das politische Engagement für den Nationalsozialismus brachte Neubert den er­ hofften Karriereschub. Seit 1927 fungierte er als Rechtsberater der NSDAP im Gau Groß-Berlin sowie der Tageszeitung „Angriff “ der Deutschen Arbeiterfront und ver­ trat die Partei in zahlreichen politischen Prozessen. Ende 1929 trat Neubert von der nationalkonservativen DNVP zur NSDAP über.17 Daneben trat er in weitere NS-Or­ ganisationen (Rechtswahrerbund, Reichsluftschutzbund, Volkswohlfahrt) sowie wei­ tere gleichgeschaltete Organisationen (Reichskolonialbund, Reichskriegerbund, Volks­ bund für das Deutschtum im Ausland) ein.18 Der NS-Rechtswahrerbund und die NS-Volkswohlfahrt ernannten Neubert aufgrund seiner Verdienste für das Regime zu ihrem Ehrenmitglied.19 Neubert betrieb eine für viele Nationalsozialisten typische Ämterhäufung: 1932 wurde er Mitglied des erweiterten Gauwirtschaftsrats und im selben Jahr Leiter des Gaurechtsamts Berlin, 1933 Stadtverordneter in Berlin, 1936 Reichstagsabgeordneter. Die Nationalsozialisten setzten Neubert 1933 als Vorsitzen­ den des Vorstandes der Rechtsanwaltskammer Berlin, als Mitglied der Akademie für Deutsches Recht, als Mitglied des Preußischen Staatsrats sowie als Vorsitzenden des 14 BT-Drs. 3/120, 113. 15 Biographie: Kienast (Hrsg.), Der Großdeutsche Reichstag 1938, IV. Wahlperiode (nach dem 30. Januar 1933), 1938, 327; Schubert (Hrsg.), Quellen zur Reform des Straf- und Strafpro­ zessrechts, Abt. 3, Bd. II/1, 1991, XXV; Das deutsche Führerlexikon 1934/35, 1934, 328; Personalakten: BArch, Sig. R 9361 I/2455; R 9361 II/752687; R 55/23693; LHA Branden­ burg, Sig. 4A KG Pers 9951; Entnazifizierung: LA Berlin, Sig. B Rep. 031-02-01; Strafverfol­ gung: LA Berlin, Sig. B Rep. 58 Nr. 9834; Testament: LA Berlin, Sig. C Rep. 108. 16 Der völkerrechtliche Schutz der nationalen Minderheiten: unter besonderer Berücksichti­ gung der internationalen Verträge von 1919 und 1920, Diss. Breslau 1922, nur auszugswei­ se gedruckt. 17 Personalbogen, LHA Brandenburg, Sig. 4A KG Pers 9951; BArch, Sig. R 9361 I/2455, Sig. R 9361-IX KARTEI 30291478. 18 Parteistatistische Erhebung 1939, BArch, Sig. R 9361 I/2455. 19 Personalbogen, LHA Brandenburg, Sig. 4A KG Pers 9951.

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Verfassungsausschusses ein. Im nächsten Jahr folgte die Ernennung zum Präsidenten des Ehrengerichtshofs der Reichs-Rechtsanwaltskammer, zum Abteilungsleiter der Reichsleitung der NSDAP im Stab der Rechtsabteilung sowie zum Mitglied des Reichs­ justizprüfungsamtes, 1939 die zum Justizrat. Während des Zweiten Weltkrieges war er als Major der Reserve dem stellvertretenden Kommando III A.K. zugeteilt. Am Ende des Regimes starb Neubert am 27. April 1945 während des ,Endkampfes‘ um die Reichs­ hauptstadt Berlin als Major im Feldlazarett Potsdam.20 Da die Aktenlage sehr lückenhaft ist,21 muss es im Folgenden für die Reichs-Rechts­ anwaltskammer bei einem Überblick über die weitere Geschichte bis 1945 bleiben. Der DAV, der regimekritischen Rechtsanwälten als alternative Plattform hätte dienen können, wurde noch 1933 aufgelöst. Die Nationalsozialisten werteten die Reichs-­ Rechtsanwaltskammer im folgenden Jahr auf, indem sie den Ehrengerichtshof als zweite Instanz der Ehrengerichtsbarkeit vom Reichsgericht an die Reichs-Rechtsan­ waltskammer verlegten.22 Ende 1935 gestalteten die Nationalsozialisten die RAO vollkommen um und regelten die Reichs-Rechtsanwaltskammer, die zuvor nur ein Provisorium gewesen war, nun­ mehr ausführlich im dritten Abschnitt der RAO (§§  41  ff. RAO 1935, Neufassung 1936).23 Die ,neue‘ Reichs-Rechtsanwaltskammer war durch die vom Gesetzgeber jetzt ganz offiziell vorgegebene Zentralisierung und Gleichschaltung noch weitaus stärker ein Herrschaftsinstrument des Nationalsozialismus. Das stellen auch die Materialien zur BRAO von 1959 fest: „Die Bundesrechtsanwaltskammer ist weder in ihrer Struk­ tur noch in ihrem Aufgabenkreis mit der Reichs-Rechtsanwaltskammer der Reichs-­ Rechtsanwaltsordnung von 1936 zu vergleichen. Eine Anlehnung in dieser Richtung verbietet sich nach den nationalsozialistischen Gedankengängen, denen jene Reichs-­ Rechtsanwaltskammer ihre Entstehung und Ausgestaltung verdankte, von selbst. Da zwischen der Bundesrechtsanwaltskammer und der Reichs-­Rechtsanwaltskammer keine Verbindung besteht, kann sie auch nicht etwa in vermögensrechtlicher Hinsicht die Rechtsnachfolge antreten.“24 Wichtigstes Organ war der Präsident der Reichs-Rechtsanwaltskammer, da er nach dem Führerprinzip die Alleinentscheidungsgewalt hatte. Präsidium und Beirat übten nur eine beratende Funktion aus (§§ 47 f. RAO 1935). Die Reichs-Rechtsanwaltskam­ mer hatte folgende gesetzliche Aufgaben: die Mitwirkung bei der Ausbildung der As­ sessoren im Probe- und Anwärterdienst sowie die Sicherung der Bezügeauszahlung (§  42 RAO 1935), die Erstellung von Gutachten (§§  46 Abs.  3, 54 RAO 1935), die Disziplinargewalt über die Rechtsanwälte (§ 52 RAO 1935), die Vermittlung bei Strei­ 20 Mühleisen, Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 41 (1993) 419, 453, Fn.  224; Vermerk, 29.8.1958, LA Berlin, Sig. B Rep. 58 Nr. 9834, Bl. 16r. 21 Siehe Bestand R66 im BArch, der sich auf Steuersachen beschränkt. 22 Gesetz zur Änderung der Vorschriften Ehrengerichtsbarkeit der Rechtsanwaltschaft v. 28.3.1934, RGBl. I 1934, 252. 23 Zweites Gesetz zur Änderung der RAO v. 13.12.1935, RGBl. I 1470. Neubekanntmachung der RAO v. 21.2.1936, RGBl. I 1936, 107. 24 BT-Drs. 3/120, 113.

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tigkeiten (§  53 RAO 1935) sowie die Durchführung ehrengerichtlicher Verfahren (§§ 62 ff. RAO 1935). Auf Koordination oder Meinungsbildung als Aufgaben konnte der Gesetzgeber in der Diktatur verzichten. Die Rechtsanwaltskammern verloren ihre Rechtsfähigkeit und somit ihre Selbstständigkeit. Fortan fungierten die Kammern nur noch als weisungsgebundene Organe der Reichs-Rechtsanwaltskammer (§§ 44, 49 RAO 1935). Das erleichterte den Zugriff auf die einzelnen Rechtsanwälte, die im Gegensatz zur späteren Bundesrechtsanwaltskammer direkt der Reichs-Rechtsan­ waltskammer unterstanden. Auch schafften die Nationalsozialisten die freie Advoka­ tur ab. Nunmehr mussten Assessoren nach dem zweiten Staatsexamen vor der Zulas­ sung zum Anwaltsberuf ein zweistufiges Verfahren (Probedienst und Anwärterdienst) durchlaufen. Über den Dienstbeginn entschied der Reichsjustizminister jeweils allein (§§ 4, 9 RAO 1935), über die Zulassung zum Rechtsanwalt nach dem Ende des Verfah­ rens der Reichsjustizminister im Einvernehmen mit dem Reichsführer des NS-Rechts­ wahrerbundes sowie nach Anhörung des Präsidenten der Reichs-Rechtsanwaltskam­ mer (§ 16 RAO 1935). Ein Anspruch auf Zulassung bestand selbstverständlich nicht, vielmehr handelte es sich um eine freie Ermessensentscheidung.

B.  Vorgeschichte in der frühen Nachkriegszeit I. Zweite Vorgängerin – Vereinigung der britischen Zone (1946-59) Mit dem Ende des Großdeutschen Reiches endete auch die Herrschaft der Reichs-­ Rechtsanwaltskammer über die deutsche Anwaltschaft. Der frühere Schatzmeister der Reichs-Rechtsanwaltskammer gutachtete nach 1945, dass die Kontrollratsgesetze die Reichs-Rechtsanwaltskammer nicht de iure verboten hätten, sie aber de facto zu bestehen aufgehört habe. Im weiteren Verlauf habe eine Verordnung der britischen Zone die Reichs-Rechtsanwaltskammer aufgehoben,25 während Bayern und der Ober­ landesgerichtsbezirk Hamm eine Teilrechtsnachfolge angeordnet hätten.26 1. Von der Privatgesellschaft zur öffentlich-rechtlichen Körperschaft Der Aufbau neuer Strukturen im Kammerwesen folgte fortan demokratischen Grund­ sätzen und vollzog sich über rund eineinhalb Jahrzehnte von der Neugründung der regionalen Rechtsanwaltskammern bis hin zur Bundesrechtsanwaltskammer. In den Jahren 1945 bis 1948 setzten die alliierten Militärregierungen der drei westlichen Be­ satzungszonen zunächst wieder die regionalen Rechtsanwaltskammern ein. Zur Keimzelle der Bundesrechtsanwaltskammer wurde die britische Zone, die sich über die späteren Gebiete der Bundesländer Schleswig-Holstein, Hamburg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen erstreckte und somit bevölkerungsmäßig an erster Stelle lag.27 Am 1. Februar 1946 traten die Vorstände der Rechtsanwaltskammern Braun­ 25 Art II Nr. 1 VO zur Einführung der RAO für die Britische Zone v. 10.3.1949, VOB, 79. 26 ARGE an Ministerialrat Bülow im BMJ, 28.3.1951, BArch, Sig. B 141/66886, Bl. 16r/17r. 27 Dazu Busse, Geschichte der deutschen Anwaltschaft 1945-2009, 2010, 141 ff.; Finzel, Zur Geschichte der Rechtsanwaltskammer Hamm, FS 125 Jahre RAK Hamm 1879-2004, 2004,

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schweig, Celle, Düsseldorf, Hamburg, Hamm, Kiel, Köln und Oldenburg zusammen und gründeten die „Vereinigung der Vorstände der Anwaltskammern der britischen Zone“.28 Später kam die Anwaltskammer bei dem Obersten Gerichtshof in Köln dazu. Anders als bei der Reichs-Rechtsanwaltskammer waren nicht die einzelnen Rechtsan­ wälte, sondern die Kammern Mitglieder der neuen Dachorganisation. Die Vorstände wählten den Präsidenten der Kölner Rechtsanwaltskammer, Gustav Finck, den die Briten mit der Organisation der Vereinigung betraut hatten, zum Vor­ sitzenden und seinen Hamburger Kollegen Walther Fischer zu dessen Stellvertreter.29 Mit der Gründung des britischen Zentraljustizamts in Hamburg wechselten Fischer und Finck am 1. November 1946 ihre Ämter, da die Vereinigung der Errichtung des Zentraljustizamts nach Hamburg folgte.30 Zum 1. März 1948 legitimierte eine Ver­ ordnung die Vereinigung gesetzlich.31 Ihr wurde unter dem Namen „Vereinigung der Rechtsanwaltskammern der Britischen Zone“ der Status einer Körperschaft des öf­ fentlichen Rechts verliehen (§ 1 VO), Hamburg blieb der Sitz der Vereinigung (§ 4 Satzung).32 Die Aufgaben ähnelten denen für die Reichs-Rechtsanwaltskammer von 1933 (§ 2 VO): erstens, Behandlung und Förderung der Belange der Rechtsanwälte, zweitens Herstellung der ständigen Verbindung unter den Rechtsanwaltskammern und drittens, Erstattung von Gutachten. Anders als die Reichs-Rechtsanwaltskammer diente die neue Vereinigung aber nicht als Instrument einer Diktatur, sondern als Maßnahme der britischen Besatzungsverwaltung zur Stärkung der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit durch Selbstverwaltung der Rechtsanwaltschaft. 2. Standhafte Demokraten – Präsidenten Finck und Fischer Fincks und Fischers Karrierewege waren im Nationalsozialismus ganz anders als bei Neubert verlaufen. Wo letzterer den nationalsozialistischen Flügel der Rechtsanwalt­ schaft präsentierte, standen Finck und Fischer für den bürgerlichen Flügel, der nicht aktiv am Nationalsozialismus mitarbeiten wollte und ihm stattdessen kritisch gegen­ überstand. Gustav Fincks Geburtstag war der 17. Juli 1880, sein Geburtsort Overath im Bergischen Land. Sein Vater arbeitete als Postverwalter.33 Finck studierte an der Universität Bonn Jura und legte 1903 in Köln und 1908 in Berlin seine beiden juristi­ 49, 59 ff.; Mundt, 100 Jahre Rechtsanwaltskammer für den OLG-Bezirk Celle, 1979, 60 ff.; BArch, Sig. Z21/423, 443, 1307, Z38/26 f.; LA NRW, Sig. RW 0552 Nr. 88, 183, 187 ff. 28 Prot. 1. Vers. RAK BZ, 1.2.1946 in Bad Pyrmont, 1. Die Protokolle werden, soweit nicht anders angegeben, nach BArch Sig. Z21/1307 zitiert. 29 Prot. 1. Vers. RAK BZ, 1.2.1946 in Bad Pyrmont, 6. 30 Prot. 5. Vers. RAK BZ, 31.10./1.11.1946 in Bad Pyrmont, 5. 31 VO über den Zusammenschluss der Rechtsanwaltskammern in der Britischen Zone v. 25.2.1948, VOB, 45. 32 Satzung, BArch, Sig. Z 21/443, Bl. 60r. 33 Biographie: Heins, NJW 1960, 1288; Löffelsender, Kölner Rechtsanwälte im Nationalsozia­ lismus, 2015, 29; Privat, Anwaltschaft im Wandel, 2004, 145; Ehrengerichtsverfahren: LA NRW, Sig. Gerichte Rep. 231 Nr.  317 1949; Entnazifizierungsakte: a.a.O., Sig. NW 1049 Nr.  4549; PA: a.a.O., Sig. BR-PE Nr.  11550 und Sig. NW 0252 Nr.  911; Verdienstorden: a.a.O., Sig. NW O Nr. 2915 und 11249.

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schen Staatsexamina ab.34 Danach erhielt Finck am AG und LG Köln seine Rechtsan­ waltszulassung. Nach der Teilnahme am Ersten Weltkrieg praktizierte er wieder in Köln und war wohl zeitweise Mitglied der nationalliberalen DVP sowie der national­ konservativen DNVP.35 Nebenberuflich arbeitete Finck für einige Jahre als Syndikus der Darmstädter und Nationalbank.36 Nach der sog. Machtergreifung wurde er als Vertreter der bürgerlichen-nationalen Parteien auf der sog. schwarz-weiß-roten Liste in den Vorstand der Rechtsanwaltskammer Köln gewählt.37 In der Folgezeit trat Finck aber nur in den NS-Rechtswahrerbund und die NS-Volkswohlfahrt, nicht aber in die NSDAP ein.38 Das Gaupersonalamt berichtete über ihn: „Dem Nationalsozialismus steht F. ablehnend gegenüber. Aus dieser ablehnenden Einstellung machte F. auch bei einer Unterhaltung mit seinem früheren zuständigen Zellenleiter absolut keinen Hehl. Unter Bezugnahme auf die Vorgänge des 11.  November 1938 erklärte er wörtlich: ,Der 11. November 1938 ist der grösste Schandfleck auf dem Namen der deutschen Nation seit dem 30-jährigen Kriege.‘“39 Deshalb wurde Finck kurz vor dem Zweiten Weltkrieg auf eigenen Wunsch aus seinem Amt bei der Rechtsanwaltskammer entlas­ sen und musste einen erheblichen Rückgang seiner Mandate in Kauf nehmen.40 In der Folge erhielt Finck auch nicht den begehrten Titel eines Justizrats.41 Als politisch Unbelasteter übte er nach dem Zweiten Weltkrieg von 1945 bis 1963 das Amt des Kölner Kammerpräsidenten aus. 1953 erhielt er zusätzlich das Amt des Vor­ sitzenden des II. Senats des Ehrengerichtshofes, ein Jahr später stieg er zum Präsiden­ ten des Ehrengerichtshofs auf.42 Finck engagierte sich in vielfältiger Weise auch als Kölner Bürger. 1945/46 amtierte er als Beigeordneter der Stadt und leitete unter Kon­ rad Adenauer das Kulturdezernat.43 Daneben wirkte er über viele Jahre als Universi­ tätsrichter. Dafür wurde ihm 1954 die Ehrensenatorenwürde der Universität zu Köln

34 Abgangszeugnis Universität Bonn, LA NRW, Sig. BR-PE Nr. 11550, Bd. 2; PA, LA NRW, Sig. BR-PE Nr. 11550, Bd. 1. 35 Gaupersonalamt der Gauleitung Köln-Aachen, Politische Beurteilung, 15.6.1939, LA NRW, Sig. BR-PE Nr. 11550, Bd. 1, Bl. 44r; nur die DNVP nennt: Personal- und Befähigungsnach­ weis, LA NRW, Sig. BR-PE Nr. 11550, Bd. 1, Bl. 39r; Privat, Anwaltschaft im Wandel, 2004, 145; nur die DVP nennt: Löffelsender, Kölner Rechtsanwälte im Nationalsozialismus, 2015, 25.  Im Fragebogen zur Entnazifizierung, 14.10.1949, LA NRW, Sig. NW 1049 Nr.  4549, verneinte Finck eine Mitgliedschaft in allen Parteien vor 1933. 36 Vorschlagsliste über die Verleihung des Titels […] Justizrat, BR-PE Nr. 11550, Bd. 1, Bl. 38r. 37 Löffelsender, Kölner Rechtsanwälte im Nationalsozialismus, 2015, 25. 38 Fragebogen zur Entnazifizierung, 14.10.1949, LA NRW, Sig. NW 1049 Nr. 4549; Gauper­ sonalamt der Gauleitung Köln-Aachen, Politische Beurteilung, 15.6.1939, LA NRW, Sig. BR-PE Nr. 11550, Bd. 1, Bl. 44r. 39 Gaupersonalamt der Gauleitung Köln-Aachen, Politische Beurteilung, 15.6.1939, LA NRW, Sig. BR-PE Nr. 11550, Bd. 1, Bl. 44r; dazu Löffelsender, Kölner Rechtsanwälte im National­ sozialismus, 29; Privat, Anwaltschaft im Wandel, 2004, 145. 40 Huffmann, Geschichte der rheinischen Rechtsanwaltschaft, 1969, 195. 41 Stellungnahme an den Präsidenten des OLG Köln, 24.3.1939, BR-PE Nr.  11550, Bd. 1, Bl. 33. 42 Lebenslauf der RAK Köln, LA NRW, Sig. BR-PE Nr. 11550, Bd. 1. 43 Lebenslauf der RAK Köln, LA NRW, Sig. BR-PE Nr. 11550, Bd. 1.

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und 1960 die Ehrendoktorwürde der Juristischen Fakultät zu Köln verliehen. Finck verstarb am 1. August 1970 im hohen Alter von 90 Jahren. Fincks Hamburger Kollege Gustav Walther Fischer, Rufname Walther, erblickte am 27. Oktober 1883 als Sohn eines Kaufmanns und Wahlkonsuls im chinesischen Tian­ jin das Licht der Welt.44 Er studierte ab 1902 in Freiburg im Breisgau und Berlin Jura. Nach den Staatsexamina in Berlin und Hamburg sowie nach der Göttinger Promoti­ on im Jahr 1912 über „Eventualhäufungen in Klage, Widerklage und Rechtsmitteln“ eröffnete Fischer in Hamburg seine Anwaltskanzlei. Von 1922 bis 1933 saß Fischer im Vorstand der Hanseatischen Rechtsanwaltskammer, seit 1926 im Vorstand des DAV. Neben der Anwaltspraxis widmete sich Fischer nach dem Ersten Weltkrieg der Wis­ senschaft. Er habilitierte sich 1924 an der jungen Universität Hamburg und erlangte die Lehrbefugnis für Bürgerliches Recht und Zivilprozess. 1927 wurde Fischer dort zum nichtbeamteten außerordentlichen Professor ernannt; in der Folgezeit las er über Bürgerliches Recht, Zivilverfahrens- und Immaterialgüterrecht.45 Die Deutsche Ver­ einigung für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht ernannte ihn später zu ihrem Ehrenpräsidenten. Mit der ,Machtergreifung‘ musste Fischer 1933 seine Verbandsämter abgeben, da ihn die Nationalsozialisten als politisch unzuverlässig einstuften. Fischer hatte zu Weima­ rer Zeiten nicht nur der DVP, sondern auch den Freimaurern angehört.46 Freimau­ rern aber war die Mitgliedschaft in der NSDAP verwehrt, da sie nach Rosenbergs Thesen als ,künstliche Juden‘ galten. Doch damit nicht genug. Fischer hatte seine So­ zietät zusammen mit Martin Wassermann, einem renommierten Juristen jüdischer Herkunft, betrieben und im Frühjahr 1933 einen Aufsatz publiziert, der sich gegen­ über dem gegen Juden gerichteten Anwaltsgesetz sehr reserviert positionierte. Fischer wollte die Juristische Wochenschrift „von politischen Erörterungen vollständig“ frei­ halten. Ein endgültiges Urteil über das Gesetz sei erst möglich, „wenn sich überbli­ cken läßt, in welchem Umfange und in welchem Geiste die Justizverwaltungen von den ihnen gegeben Möglichkeiten Gebrauch machen.“47 Der Beitritt zu nationalsozi­ alistischen Organisationen (Altherrenbund, Bund Deutscher Technik, Lehrerbund, Rechtswahrerbund, Volkswohlfahrt)48 täuschte die neuen Machthaber nicht darüber hinweg, dass der prominente Rechtsanwalt im Gegensatz zu vielen anderen Juristen 44 Biographie: Bussmann, JZ 1954, 334 f.; Haack, Die Anwaltschaft in Hamburg während der Weimarer Republik, 1990, 180, 206; Heins, NJW 1954, 545; Stubbe-da Luz, Art. Fischer, Hamburgische Biografie, Bd. 5, 2010, 115  f.; ders., Von der „Arbeitsgemeinschaft“ zur Großstadtpartei, 1985, 259; Walters, Art. Fischer, NDB, Bd. 5, 1961, 208; PA: RAK Ham­ burg, ohne Sig.; StA Hamburg, Sig. 361-6, I 171 = UA Hamburg, dieselbe Sig.; StA Hamburg Sig. 361-6, IV 249 = UA Hamburg, dieselbe Sig.; ferner StA Hamburg, Sig. 113-5 B V 092 a UA 028; Sig. 241-2 A 2854; Sig. 731-8 A 756. 45 Antrag Fischer auf Ernennung zum außerplanmäßigen Professor, StA Hamburg, Sig. 361-6 IV 249; vgl. auch Vorstand der Hanseatischen RAK, Rundschreiben 2/54, PA Fischer, RAK Hamburg. 46 Personalbogen, PA Fischer, RAK Hamburg. 47 Fischer, JW 1933, 1049, 1051; dazu Ostler, Die deutschen Rechtsanwälte 1871-1971, 1971, 466 f. 48 Personalbogen, PA Fischer, RAK Hamburg.

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die Diktatur ablehnte. Die Nationalsozialisten fanden in einem deutsch-amerika­ nischen Wirtschaftsprozess, an dem Fischer gegen Ende der Weimarer Republik be­ teiligt gewesen war, für damalige Verhältnisse ausreichendes Belastungsmaterial. Die Anklage warf Fischer vor, er habe als Rechtsanwalt in einem Prozess durch seine Pro­ zessführung bzw. bei außergerichtlichen Verhandlungen die Hinterziehung von Ge­ winnen begünstigt sowie Beihilfe zum versuchten Betrug geleistet.49 Während das LG Hamburg Fischer 1935 im Strafverfahren freigesprochen hatte,50 verurteilte ihn der Ehrengerichtshof der Reichs-Rechtsanwaltskammer wegen mehrfachen Verstoßes ge­ gen die Standespflichten zu einem Verweis mit einer Geldstrafe von 100 Reichsmark.51 Der Ehrengerichtshof schärfte damit ganz erheblich die Strafe des Ehrengerichts ers­ ter Instanz,52 indem er Fischer als Exponenten der Hamburger Anwaltschaft im Ver­ gleich zu anderen Rechtsanwälten in freier Rechtsfortbildung qualifizierte Standes­ pflichten auferlegte. Es ist daher nicht von der Hand zu weisen, wenn die Literatur das Ehrengerichtsverfahren als Racheakt bewertet.53 Die Zeitgenossen mussten es genau­ so gesehen haben. Denn trotz dieser Verurteilung ernannte das Reichswissenschafts­ ministerium Fischer 1940 zum auf Widerruf beamteten außerplanmäßigen Professor an der Universität Hamburg.54 1943 und 1944 übernahm er vertretungsweise Vorle­ sungen in Göttingen.55 Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Verurteilung endgültig kein Thema mehr. Fi­ scher galt in jeder Hinsicht als Vorzeigeanwalt. So wurde er noch 1945 Präsident der Hanseatischen Rechtsanwaltskammer. Im Februar 1946 ordneten ihn die Briten als Vertreter der Universität in die Ernannte Bürgerschaft ab, wo er die Parteilosenfrak­ tion gründete und als erster Vizepräsident fungierte. Im Oktober 1946 zog Fischer nach dem Beitritt zur CDU als Abgeordneter in die erstmals wieder frei gewählte Hamburger Bürgerschaft ein und wurde zum CDU-Fraktionsvorsitzenden gewählt.56 Er gestaltete im Verfassungsausschuss die Vorläufige Verfassung vom Mai 1946 und die Verfassung von 1952 mit. Nach dem Ende der Abgeordnetentätigkeit zum No­ vember 1949 war es daher nur folgerichtig, dass Fischer seit 1951 auch als Richter am Hamburgischen Verfassungsgericht diente. Dieses Amt vermochte er aber nur kurze Zeit auszuüben. Fischer verstarb am 22. März 1954. 49 Abschrift Staatanwaltschaft in Hamburg an Landesunterrichtsbehörde, 19.12.1934, StA Hamburg, Sig. 361-6, IV 249, Dokument 2; Verfügung in Sachen Cordes, Hermann und Genossen, III b 5481/33, StA Hamburg, Sig. 361-6, I 171, Bl. 26. 50 Staatsanwaltschaft Hamburg an Syndikus der Hamburgischen Universität, 6.11.1935, StA Hamburg, Sig. 361-6, IV 249, Bl. 12. 51 Ehrengerichtshof der RRAK, Urt. v. 30.11.1937 – F. 90/37, BArch, Sig. R/3005/3564. 52 Ehrengericht der Hansischen RAK, Akte Nr. 7810, 25.3.1937, PA Fischer, RAK Hamburg. 53 Morisse, Rechtsanwälte im Nationalsozialismus, 1995, 110. 54 Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, Ernennung, 9.10.1940, StA Hamburg, Sig. 361-6, IV 249, Bl. 27. 55 Staatsverwaltung der Hansestadt Hamburg, Schul- und Hochschulabteilung an den Rektor der Hansischen Universität, 11.5.1944, StA Hamburg, Sig. 361-6, IV 249, Bl. 37. 56 Wahlleiter an Fischer, 15.10.1946, PA Fischer, RAK Hamburg; Lüth, Die Hamburger Bür­ gerschaft 1946-1971, 1971, 22, 200; Stubbe-da Luz, Von der „Arbeitsgemeinschaft“ zur Großstadtpartei, 1985, 259.

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3. Weichenstellungen für die Zukunft – Standesrecht und Strauda Mit Finck und Fischer an der Spitze setzte die Vereinigung ein klares Zeichen für ei­ nen Neubeginn des Kammerwesens und für den Bruch mit der nationalsozialisti­ schen Vergangenheit. Auch inhaltlich stellte die Vereinigung wichtige Weichen für die spätere Bundesrechtsanwaltskammer, indem sie für die Zukunft wegweisende Ent­ scheidungen der Weimarer Rechtsanwaltschaft restituierte. Die Vereinigung formu­ lierte 1947 in 66 Punkten neue Standesrichtlinien57 und erreichte zum 1. April 1949 eine einheitliche RAO für die britische Zone.58 Inhaltlich schritt die Vereinigung zum einen durch die Wiederherstellung der freien Advokatur voran.59 Die Nationalsozialisten hatten wie dargestellt zum Jahr 1936 die allgemeine Zulassungsbeschränkung eingeführt, nachdem sie bereits ab 1933 einzel­ ne Gruppen (besonders Juden) von der Neuzulassung ausgeschlossen hatten. Die RAO der britischen Zone gab die Advokatur mit einer Übergangsfrist zum Ablauf des Jahres 1950 wieder frei.60 Die letzten Zulassungsbeschränkungen in der ehemaligen französischen Zone fielen dagegen erst, nachdem das Bundesverfassungsgericht 1954 die Bedürfnisprüfung für Gaststätten für verfassungswidrig erklärt hatte.61 Zum anderen legte die Vereinigung langfristig betrachtet den Grundstein für die heu­ tige Fachanwaltschaft,62 indem sie 1947 den Fachanwalt für Steuerrecht reaktivierte und die „Arbeitsgemeinschaft der Fachanwälte für Steuerrecht“ gründete.63 Die Nati­ onalsozialisten hatten 1933 die in der Weimarer Republik etablierte breit gefächerte Fachanwaltschaft verboten und 1937 lediglich den Fachanwalt für Steuerrecht wieder­ eingeführt. 1941 hatten sie die Bezeichnung „Fachanwalt für Steuerrecht“ in „Steuer­ berater“ geändert.64 Ab dem Winter 1948 scheint es in der britischen Zone auch einen Fachanwalt für Verwaltungsrecht gegeben zu haben.65 Diese Fachanwaltschaft war aus dem Streit der Vereinigung mit den preußischen Verwaltungsrechtsräten hervor­ gegangen. Im Übrigen blieb die Vereinigung jedoch weit hinter dem Stand der Wei­ 57 RL für die Ausübung des Anwaltsberufs; Prot. VIII. Vers. RAK BZ, 27./28.3.1947 in Bad Pyrmont, 4; abgedruckt bei Cüppers, Rechtsanwaltsordnung für die britische Zone mit er­ gänzenden Vorschriften, 1949, 188 ff. 58 RAO für die Britische Zone v. 10.3.1949, VOB 80. 59 Übersicht: Busse, Geschichte der deutschen Anwaltschaft 1945-2009, 2010, 52  ff., 65  ff., 109 ff., 157 ff.; Douma, Deutsche Anwälte zwischen Demokratie und Diktatur 1933-1955, 1998, 58 f. 60 Art. VII VO zur Einführung der RAO für die Britische Zone v. 10.3.1949, VOB 79; dazu Busse, Geschichte der deutschen Anwaltschaft 1945-2009, 2010, 121. Gegen freie Advoka­ tur noch Prot. 5. Vers. RAK BZ, 31.10./1.11.1946 in Bad Pyrmont, 3. 61 BVerfG, Urt. v. 15.12.1953 – BVG I C 90/53, NJW 1954, 524; dazu Ostler, Die deutschen Rechtsanwälte 1871-1971, 1971, 322. 62 Geschichte: Busse, Geschichte der deutschen Anwaltschaft 1945-2009, 2010, 253  ff.; ­Clausen, FS 125 Jahre RAK München, 2004, 76 ff.; Hartstang, Anwaltsrecht, 1991, 118 ff.; Schardey, 25 Jahre BRAK, 194, 37 ff.; Stobbe, in: DAV (Hrsg.), Anwälte und ihre Geschichte, 2011, 843 ff.; Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 43c BRAO Rz. 1 ff. 63 Prot. XI. Vers. RAK BZ, 18.-20.9.1947 in Bad Pyrmont, 4. 64 Königseder, Recht und nationalsozialistische Herrschaft, 2001, 105 f. 65 Prot. XVIII. Vers. RAK BZ, 17./18.11.1948 in Einbeck, 6 und Anlage.

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marer Republik zurück. Sie stellte zunächst den Beschluss über weitere Fachanwalt­ schaften für gewerblichen Rechtsschutz, für Urheber- und Verlagsrecht sowie für Arbeitsrecht zurück.66 Mitte 1949 nahm die Vereinigung von weiteren Fachanwalt­ schaften neben Steuer- und Verwaltungsrecht endgültig Abstand. Die „Einführung einer Fachanwaltschaft für gewerblichen Rechtsschutz soll fallen gelassen werden“, die „Fachanwaltschaft für Arbeitsrecht wird abgelehnt“.67 Die wohl wichtigste Entscheidung traf die Vereinigung am 6. Februar 1947. An diesem Tag wurde die Einrichtung der „Generalkommission zur Ausarbeitung neuer Ent­ würfe des Strafgesetzbuches und der Strafprozessordnung“, kurz Strafrechtsausschuss, beschlossen.68 Diese Kommission besteht noch heute als „Strafrechtsausschuss der Bundesrechtsanwaltskammer“ (Strauda) und ist mit Abstand die in der Rechtspraxis einflussreichste Kommission der Bundesrechtsanwaltskammer. Josef Cüppers leitete das Gremium bis 1953, ihm folgte Hans Dahs senior bis 1971, um den „Großvater des Strafrechtsausschusses“ und dessen „Vater“69 namentlich zu nennen. Josef Cüppers, geboren am 9. Mai 1879 im rheinischen Ratingen und gestorben am 18. Mai 1953 in Düsseldorf, steht wie Fischer und Finck für die bürgerliche Facette der Rechtsanwaltschaft, die sich nicht dem Nationalsozialismus unterordnete.70 ­Cüppers hatte in München, Berlin und Bonn Jura studiert, 1902 in Bonn promoviert71 und erhielt 1906 die Rechtsanwaltszulassung.72 Er führte seinen Beruf offenbar so erfolgreich aus, dass ihn die Reichsregierung 1921 mit der Verteidigung in den Leip­ ziger Kriegsverbrecherprozessen mandatierte. Daneben fand Cüppers Zeit für die an­ waltliche Selbstverwaltung. Er gehörte von 1919 bis 1933 dem Vorstand der Rechts­ anwaltskammer Düsseldorf an. Nach der sog. Machtergreifung ließ er sich offenbar nicht auf das nationalsozialistische Regime ein, da keinerlei Aufzeichnungen zu Mit­ gliedschaften in der NSDAP oder ihren Organisationen überliefert sind. Cüppers galt daher nach Kriegsende als unbelastet und wurde 1945 zum neuen Präsidenten der Rechtsanwaltskammer Düsseldorf eingesetzt. Von ihm stammt der Kommentar zur RAO der britischen Zone. Ebenso unbelastet war sein Nachfolger Hans Dahs senior.73 Er war am 4.  Februar 1904 in Vilich-Rheindorf (später nach Bonn eingemeindet) als Sohn eines Betriebs­ 66 Prot. XVIII. Vers. RAK BZ, 17./18.11.1948 in Einbeck, 8 und Anlage. 67 Prot. XXIII. Tagung RAK BZ, 22.-25.6.1949 in Hamburg, 6. 68 Prot. 7. Vers. RAK BZ, 6./7.2.1947 in Bad Pyrmont, 2, LA NRW, Sig. RW 0552 Nr. 187. Dazu Dahs sen., in: Prot. 20. HV BRAK, 17./18.4.1967 in Bonn, BRAK-Nr. 35/67, 4 f. Zur Ge­ schichte: Dippel, FS Strafrechtsausschuss BRAK, 2006, 3 ff.; Lürken, 25 Jahre BRAK, 1984, 113 ff.; Rieß, FS Strafrechtsausschuss BRAK, 2006, 49 ff. 69 Ackermann, BRAK-Mitt. 1971, 22. 70 Biographie: Brandi, NJW 1952, 614; Josef Cüppers, NJW 1953, Ausgabe 5.6.1953, Titelblatt; Zum Gedenken an Rechtsanwalt Josef Cüppers, GS Josef Cüppers, 1955, 1 ff.; PA: LA NRW, Sig. NW-Pe 4107. 71 Beiträge zur Lehre von der Beweislast, Diss. Bonn 1902. 72 Rheinische Post v. 19.5.1953, Nr. 114. 73 Biographie: Isele, BRAK-Mitt. 1972, 81; Timm, Der Entwurf eines Strafgesetzbuches von 1962, 2016, 68 f., m.w.N.; PA: LA NRW, Sig. BR-Pe Nr. 10860, Sig. NW 252 Nr. 855.

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verwalters auf die Welt gekommen. Nach dem Jurastudium in Bonn74 und der 1925 vorgelegten strafrechtlichen Dissertation am gleichen Ort75 legte er in Köln und Ber­ lin seine beiden juristischen Staatsexamina ab. 1929 erhielt Dahs am AG und LG Bonn die Rechtsanwaltszulassung. 1930/31 soll er zeitweise Mitglied der DVP gewe­ sen sein.76 Dahs ließ sich nicht näher auf den Nationalsozialismus ein. Er trat nur dem NS-Rechtswahrerbund sowie der NS-Volkswohlfahrt bei und diente im Zweiten Weltkrieg als Unteroffizier.77 Der Präsident des LG Bonn stufte Dahs auch nach 1933 als besten und begabtesten Bonner Anwalt sowie als Mann „von grossem Ansehen und hoher Berufsauffassung“ ein. Dahs sei ein hervorragender Strafverteidiger.78 Sei­ ne Nähe zur Wissenschaft manifestierte sich nach dem Zweiten Weltkrieg 1953 in einer Honorarprofessur an der Universität Bonn und später in der Mitgliedschaft im Kuratorium des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Straf­ recht. Als Rechtsanwalt wirkte er in den 1950er Jahren in der Großen Strafrechtskom­ mission zur Reform des StGB, aus welcher der Entwurf eines neuen StGB von 1962 hervorging. Dahs verstarb am 1. Mai 1972.

II. Direkte Vorgängerinnen – Arbeitsgemeinschaft und ,alte‘ BRAK (1949-59) 1. Gründung und Verbandsstruktur Nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland am 23. Mai 1949 war die Ein­ richtung einer Bundesrechtsanwaltskammer nicht nur eine Frage nationaler Symbo­ lik, sondern eine sachliche Notwendigkeit. Die Rechtsanwaltschaft empfand die sehr disparate Regulierung des Rechtsanwaltsberufs in den drei ehemaligen westlichen Besatzungszonen zu Recht als sehr unbefriedigend. Der einheitlichen RAO und den einheitlichen Standesrichtlinien der ehemaligen britischen Zone standen in den an­ deren Bundesländern teils länderspezifische Neuregelungen, teils Rückgriffe auf die Ordnungen von 1878 bzw. 1936 gegenüber.79 Die Rechtsanwaltschaft strebte in der jungen Bundesrepublik daher eine bundeseinheitliche Regelung an, die ihrerseits ­organisatorisch eine Bundesvereinigung der Rechtsanwaltskammern zur besseren 74 Abgangszeugnis, 28.2.1925, LA NRW, Sig. BR-Pe Nr. 10860, Bd. 3, Bl. 6r. 75 Die Kommissivdelikte durch Unterlassung im Entwurf, Diss. Bonn 1925, als Auszug ge­ druckt. 76 Personal- und Befähigungsnachweis, 7.4.1938, LA NRW, Sig. BR-Pe Nr.  10860, Bd. 1, Bl. 166r. 77 Personalbogen, LA NRW, Sig. BR-Pe Nr. 10860, Bd. 3; Personal- und Befähigungsnachweis, 7.4.1938, LA NRW, Sig. BR-Pe Nr. 10860, Bd. 1, Bl. 166v. 78 Personal- und Befähigungsnachweis, 7.4.1938, LA NRW, Sig. BR-Pe Nr.  10860, Bd. 1, Bl. 167r. 79 Übersichten: Busse, Die Wiederbegründung der Anwaltsverbände nach der Befreiung, ­AnwBl 2015, 917 ff.; ders., Geschichte der deutschen Anwaltschaft 1945-2009, 2010, 43 ff.; Douma, Deutsche Anwälte zwischen Demokratie und Diktatur 1933-1955, 1998, 58  f.; ­Ostler, Die deutschen Rechtsanwälte 1871-1971, 1971, 312 ff.; BT-Drs. 3/120, 44 ff. (Einlei­ tung zur BRAO 1959).

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Durchsetzung der Standesinteressen gegenüber dem Bonner Gesetzgeber erforderte. Die Vereinigung der britischen Zone nahm die Vorreiterrolle ein, da sie bereits eine überregionale Plattform bot, die relativ größte Zahl an Rechtsanwaltskammern reprä­ sentierte und bereits über reiche Erfahrungen bei der Vereinheitlichung des Standes­ rechts verfügte. Ab dem Jahr 1947 stießen nach und nach die süddeutschen Rechtsanwaltskammern sowie die Berliner und Bremer Vertreter zu den Tagungen der Vereinigung der Rechtsanwaltskammern der Britischen Zone hinzu. Auf der 23. Tagung der Vereini­ gung in Hamburg vom 22. bis zum 25. Juni 1949 wurde die Gründung einer Bun­ desorganisation unter dem Punkt „Bundesrechtsanwaltschaft“ zunächst noch ver­ tagt.80 Der Durchbruch gelang auf der nächsten Tagung in Koblenz. Als Gäste waren die Präsidenten der Rechtsanwaltskammern Nord-Baden, Süd-Baden, Bamberg, Ber­ lin, Bremen, Frankfurt a.M., Kassel, Koblenz, München, Neustadt, Nürnberg, Nordund Süd-Württemberg anwesend. Die Delegierten fassten am 20.  September 1949 unter dem Tagesordnungspunkt „Die Rechtsanwaltschaft im Bund“ folgende Be­ schlüsse: erstens, die „Vorstände der Anwaltskammern im Bundesgebiet bilden eine Arbeitsgemeinschaft“ (Arbeitsgemeinschaft der Anwaltskammervorstände im Bun­ desgebiet),81 zweitens, Finck mit der Vertretung der Arbeitsgemeinschaft gegenüber der Bundesregierung in Bonn zu betrauen und drittens die Wahl einer Siebenerkom­ mission zur Vorbereitung einer BRAO.82 Die genaue Organisation der Arbeitsgemeinschaft blieb vorerst in der Schwebe. Fest stand nur, dass sie bis 1959 eine privatrechtliche Gesellschaft bürgerlichen Rechts blieb und die Rechtsnachfolge für die Reichs-Rechtsanwaltskammer ablehnte. Fischer und Finck teilten sich die Macht zunächst informell: Fischer übernahm im Innenver­ hältnis den Vorsitz der Tagungen der Arbeitsgemeinschaft, Finck vertrat die Arbeits­ gemeinschaft im Außenverhältnis gegenüber der Politik. Deshalb führte das Bundes­ justizministerium zunächst nicht Hamburg, sondern Köln, die Wirkungsstätte Fincks, als offiziellen Sitz der Arbeitsgemeinschaft.83 Die Rechtsanwaltskammern gaben der Arbeitsgemeinschaft erst auf der vierten Ta­ gung am 20. Juli 1950 in Hannover eine Struktur, die aber nur wenig über die Organi­ sation von Bundestreffen der Rechtsanwaltskammern hinausreichte. Die Delegierten lehnten Fincks Vorschlag ab, den Namen der neuen Organisation in „Vereinigung der Rechtsanwaltskammern im Bundesgebiet“ zu ändern, sondern beließen es beim ­bisherigen Titel. Bis zum Inkrafttreten der Bundesrechtsanwaltskammer fehlte eine umfassende rechtliche Grundlage und deshalb sollte bereits der Titel auf den proviso­ rischen Charakter der Dachorganisation hinweisen. Im Übrigen schloss sich die Ver­ sammlung aber Fincks Vorschlägen an: „1) Die Arbeitsgemeinschaft wird durch den Präsidenten und durch den Vizepräsidenten der Vereinigung der Rechtsanwaltskam­ mern der britischen Zone vertreten. 2) Die Geschäftsführung der Arbeitsgemein­ 80 Prot. XXIII. Tagung RAK BZ, 22.-25.6.1949 in Hamburg, 6. 81 Zum Titel die Überschrift des Protokolls ab der 2. Tagung, 8./9.12.1949 in Braunschweig, 1. 82 Prot. XXIV. Tagung RAK BZ, 18.-20.9.1949 in Koblenz, 2 (zugleich Prot. 1. Tagung ARGE). 83 BMJ, Vermerk, 14.10.1949, BArch, Sig. B 141/66886, Bl. 2r.

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schaft obliegt den Organen der Vereinigung der Rechtsanwaltskammern der britischen Zone, die eine Geschäftsstelle in Bonn errichtet.“84 In der sachlichen und personellen Infrastruktur blieb die Arbeitsgemeinschaft damit zunächst vollkommen von der fortbestehenden, in Hamburg angesiedelten Vereinigung der britischen Zone abhän­ gig. Fischer vereinte nunmehr den Vorsitz der Arbeitsgemeinschaft und das Präsiden­ tenamt der Vereinigung der britischen Zone, Finck diente als sein doppelter Vizeprä­ sident. Im September 1950 bestätigte der Bundesgesetzgeber die Arbeitsgemeinschaft, indem er ihr ein Anhörungsrecht bei der Zulassung der Rechtsanwälte beim BGH einräumte.85 Mit der Auflösung der Rechtsanwaltskammer beim OGH der britischen Zone nahm die Arbeitsgemeinschaft die Nachfolgeorganisation, die Rechtsanwalts­ kammer beim BGH, in ihre Reihen auf.86 1953 und 1957 folgten die Rechtsanwalts­ kammern Berlin und Saarbrücken.87 Auf der 22. Tagung der Arbeitsgemeinschaft, die am 8. und 9. Juli 1954 in Nürnberg stattfand, ordneten die Delegierten die Verhältnisse neu, nachdem Fischer am 22. März des Jahres verstorben war. Nach dem Beschluss der Bundesarbeitsgemeinschaft aus dem Jahr 1950 hatten ipso iure Finck als neuer Präsident der Vereinigung der Rechts­ anwaltskammern der Britischen Zone und dessen Stellvertreter Arthur Müller zum 30. April 1954 die Führung übernommen. Die Mehrheit der Delegierten setzen sich indessen mit ihrem Wunsch durch, den Personalwechsel für eine Reorganisation der Arbeitsgemeinschaft zu nutzen, anstatt auf das zeitlich ungewisse Inkrafttreten der BRAO zu warten.88 Vor allem sollte die Beteiligung der süddeutschen Kammern ge­ stärkt werden, die bislang in der Arbeitsgemeinschaft bei Führungsaufgaben unterre­ präsentiert geblieben waren.89 Die Delegierten beschlossen daher am 8. Juli 1954 die Einrichtung eines Präsidiums mit vier weiteren Mitgliedern. Finck wurde zum Präsi­ denten und der Mannheimer Rechtsanwalt Florian Waldeck zum Vizepräsidenten gewählt.90 Die folgende 23. Tagung gab der Arbeitsgemeinschaft erstmals eine Satzung und ver­ festigte damit ihre Strukturen von einer bloßen Tagungsreihe hin zu einer echten Standesorganisation.91 § 1 der Satzung verlegte den Sitz der Arbeitsgemeinschaft von Hamburg nach Bonn, so dass eine eigene Repräsentanz beim Bundesgesetzgeber hin­ fällig wurde. § 3 umriss die Aufgaben der Arbeitsgemeinschaft: erstens, die Verbin­ dung der Rechtsanwaltskammern und die Vereinheitlichung der Grundsätze, zweitens, Vertretung der Kammern gegenüber der Bundesrepublik und gegenüber Rechtsorga­ 84 Prot. IV. Tagung ARGE, 20./21.7.1950 in Hannover, 2 ff. 85 Art. 8 Nr. 89 Abs. 2 des Gesetzes zur Wiederherstellung der Rechtseinheit auf dem Gebiete der Gerichtsverfassung, der bürgerlichen Rechtspflege, des Strafverfahrens und des Kosten­ rechts v. 12.9.1950, BGBl. 455. 86 Siehe Bericht Ergebnisse der VI. Tagung ARGE, 5.-7.10.1950 in Düsseldorf, 2. 87 Prot. XX. Tagung ARGE, 11./12.12.1953 in Frankfurt a.M., 6; Prot. XXIX. Tagung BRAK (Vereinigung), 7./8.2.1957 in Berlin, 2 f. 88 Prot. XXII. Tagung ARGE, 8./9.7.1954 in Nürnberg, 3 ff. 89 Vgl. Vizepräsident RAK Frankfurt a.M., Cahn, Prot. XXII. Tagung ARGE, 8./9.7.1954 in Nürnberg, 5. 90 Prot. XXII. Tagung ARGE, 8./9.7.1954 in Nürnberg, 6. 91 Prot. XXIII. Tagung ARGE, 14./15.10.1954 in Hamburg, 2 f.

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nisationen im In- und Ausland, drittens, bei den „Aufgaben der Gesetzgebung“ und an der Gestaltung der Rechtspflege mitzuarbeiten, viertens, die Anfertigung von Gut­ achten in Standesangelegenheiten, fünftens Richtlinien für die Ausübung des Rechts­ anwaltsberufs aufzustellen, sechstens, Fürsorge- und Vorsorgeeinrichtungen vorzu­ bereiten und siebtens, die Fortbildung der Rechtsanwälte und des anwaltlichen Nachwuchses. Damit nannte die Arbeitsgemeinschaft anders als die früheren Vereini­ gungen erstmals explizit die Richtlinienerstellung als Aufgabe. 1955 änderte die Arbeitsgemeinschaft ihren Namen in „Arbeitsgemeinschaft der Rechtsanwaltskammern im Bundesgebiet“92 und dann in „Bundesrechtsanwaltskam­ mer (Vereinigung der Rechtsanwaltskammern im Bundesgebiet)“,93 um die Position der Rechtsanwaltschaft im Gesetzgebungsverfahren zur BRAO zu stärken.94 Im letz­ teren Fall spricht man in Abgrenzung zur ,neuen‘, 1959 etablierten Bundesrechtsan­ waltskammer auch von ,alter‘ Bundesrechtsanwaltskammer. Zur Vereinfachung wird im Folgenden für die Zeit von 1949 bis 1959 aber weiterhin von ,Arbeitsgemeinschaft‘ gesprochen. 2. Vorbereitung der Bundesrechtsanwaltsordnung Das legislative Hauptaugenmerk der Arbeitsgemeinschaft lag auf der BRAO, deren Entstehung sich viel länger als ursprünglich geplant bis 1959 hinzog.95 Die Siebener­ kommission legte bereits im Dezember 1949 einen ersten Entwurf vor, den die Ar­ beitsgemeinschaft im Folgejahr dem Bundesjustizministerium weiterleitete.96 Der sog. Münchener Entwurf der Arbeitsgemeinschaft fiel im Vergleich zu dem bereits in Weimarer Zeiten Erreichten geradezu reaktionär aus:97 befristete Zulassungsbeschrän­ kung, Anwärterdienst, keine Fachanwaltschaft, um nur einige Beispiele zu nennen. Der Entwurf war ohne substantielle Mitarbeit des DAV entstanden und schuf die Ba­ sis für ein tiefes Zerwürfnis mit dem DAV als zweiter Dachorganisation, der den Ent­ wurf in der Folgezeit bekämpfte.98 Nach § 100 Abs. 1 Buchst. e des Entwurfs sollte sich die Bundesrechtsanwaltskammer anders als die früheren Dachorganisationen (Verei­ nigung vor 1933, Reichs-Rechtsanwaltskammer von 1933, Vereinigung der britischen Zone) nicht auf die „Förderung der Interessen der Rechtsanwaltschaft“ beschränken, sondern „die Belange der Rechtsanwaltschaft im Bundesgebiet“ behandeln, wahrneh­ men und fördern. Nach § 100 Abs. 2 des Entwurfs sollte die Bundesrechtsanwalts­ kammer dazu die „Anwaltsvereinigungen, deren Aufgabenkreis unberührt bleibt“, 92 Prot. XXV. Tagung ARGE, 7./8.7.1955 in Bamberg, 3. 93 Prot. XXVI. Tagung ARGE, 27./28.10.1955 in Goslar, 11. 94 Prot. XXVI. Tagung ARGE, 27./28.10.1955 in Goslar, 11. 95 Zur Entstehung: Busse, Geschichte der deutschen Anwaltschaft 1945-2009, 2010, 202 ff.; ders., AnwBl 2009, 663 ff.; Krusche, Die Bundesrechtsanwaltsordnung vom 1. August 1959, 2011; Ostler, Die deutschen Rechtsanwälte 1871-1971, 1971, 340 ff. Speziell zur Beteiligung der ARGE Krusche, a.a.O., 111 ff., 143 f., 178 f., 181 f., 193 f., 196 f., 205 f. 96 Im Folgenden wird nach Krusche, Die Bundesrechtsanwaltsordnung vom 1. August 1959, 2011, 255 ff. der Entwurf v. 21.8.1950 zitiert. 97 Krusche, Die Bundesrechtsanwaltsordnung vom 1. August 1959, 2011, 111 ff. 98 Krusche, Die Bundesrechtsanwaltsordnung vom 1. August 1959, 2011, 123 ff.

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heranziehen. Die Bundesrechtsanwaltskammer beanspruchte damit nicht nur in Standesfragen, sondern auch für alle anderen Aspekte des Anwaltsberufs, insbeson­ dere bei wirtschaftlichen Fragen, gegenüber dem DAV das Primat. Der DAV musste diese Forderung als Kriegserklärung verstehen. Die Arbeitsgemeinschaft entsandte im Spätjahr 1950 unter der Führung Fischers elf Verbandsfunktionäre zu den Gesprächen mit dem Bundesjustizministerium und den Landesjustizministerien, nachdem der Münchener Entwurf politisch gescheitert war.99 Wie sehr die Arbeitsgemeinschaft auch in der Folgezeit die Hoheit über den Inhalt der BRAO als ureigenes Terrain beanspruchte, zeigte sich 1951 in der Diskus­ sion um den unabhängig von der Arbeitsgemeinschaft entstandenen Entwurf des Bundesjustizministeriums. Intern sprachen sich viele Kammervorstände für eine To­ talopposition aus; der ministerielle Entwurf sei in toto abzulehnen, man müsse am eigenen Entwurf der Arbeitsgemeinschaft festhalten.100 Im Verlauf der Diskussion einigten sich die Delegierten aber auf ein diplomatischeres, wenn auch in der Sache ebenso unerbittliches Vorgehen. Unter dem Hinweis auf die Selbstverwaltung der An­ waltschaft forderte die Versammlung den Bundesjustizminister auf, seinen eigenen Entwurf zurückzustellen und abzuwarten, bis die Bundesarbeitsgemeinschaft ihren eigenen Entwurf überarbeitet habe.101 Im übernächsten Jahr hatte sich das politische Klima etwas verbessert.102 Ein gewisses Misstrauen blieb allerdings. Die Arbeitsge­ meinschaft wollte den Regierungsentwurf „keinesfalls als eine Gemeinschaftsarbeit von Ministerium und Anwaltschaft“ ansehen.103 Bis zum endgültigen Beschluss durch den Bundestag schwankte die Stimmung zwischen Hoffnung und Resignation.104 An­ gesichts der großen Verzögerung sah die Arbeitsgemeinschaft ab 1955 von größeren Änderungsanträgen ab, um die Verabschiedung des Gesetzes nicht weiter hinauszu­ zögern.105 3. Institutionelle Konkurrenz – Verhältnis zum DAV Das Verhältnis zwischen der Arbeitsgemeinschaft bzw. späteren Bundesrechtsan­ waltskammer einerseits und dem DAV andererseits war stets schwierig, obwohl viele Funktionäre in beiden Organisationen gleichermaßen Ämter bekleideten.106 Konrad Redeker führt dazu beispielhaft aus: „In diesen ersten Jahrzehnten nach Kriegsende entsteht das mancherlei Miteinander, Nebeneinander und Gegeneinander von Kam­ mer und DAV, ein ,Konkurrenzverhältnis‘ eigener Art. […] [E]s bleibt diese Art Kon­ kurrenzverhältnis, das bis heute nicht ausgeräumt ist und der Weiterentwicklung un­ seres Berufs oft im Wege gestanden hat und wohl auch steht: der DAV als Vertretung fortschrittlicher Vorstellungen, die BRAK in mehr konservativer Zurückhaltung; ins­ 99 Bericht Ergebnisse der VI. Tagung ARGE, 5.-7.10.1950 in Düsseldorf, 3. 100 Prot. XI. Tagung (Sondertagung) ARGE, 10.-12.9.1951 in Hannover, 2 f. 101 Prot. XI. Tagung (Sondertagung) ARGE, 10.-12.9.1951 in Hannover, Anlage 1. 102 Prot. XX. Tagung ARGE, 11./12.12.1953 in Frankfurt a.M., 3. 103 Prot. XX. Tagung ARGE, 11./12.12.1953 in Frankfurt a.M., 6. 104 Statt aller Prot. XXVI. Tagung ARGE, 27./28.10.1955 in Goslar, 7 f. 105 Prot. XXVIII. Tagung BRAK (Vereinigung), 10.-12.10.1956 in Trier, 4 f. 106 Dazu Busse, Geschichte der deutschen Anwaltschaft 1945-2009, 2010, 202 ff., 241 f.

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besondere aber deshalb nicht selten in unterschiedlichen Meinungen und Äußerun­ gen gegenüber der Politik, was manchmal nützlich sein mag, oft aber eben nicht. Dass zwischen einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft mit Zwangsmitgliedschaft und einem privatrechtlichen Verein auf der Grundlage freiwilliger Mitgliedschaft generel­ le Unterschiede bestehen, wird oft übersehen.“107 Bereits die Vereinigung der britischen Zone hatte mit dem DAV um den Vertretungs­ anspruch für die Anwaltschaft gerungen.108 Phasen professioneller Zusammenarbeit wechselten sich mit Verteilungskämpfen ab, bei denen man aus heutiger Sicht wie bei einer schlechten Ehe nur noch von einem zerrütteten Verhältnis sprechen kann. Die frisch gegründete Arbeitsgemeinschaft zeigte sich zunächst von ihrer idealistischen Seite. Sie strebte nach ihren eigenen Worten mit dem DAV ein „funktionelles Zusam­ menwirken“ an, man wolle dem DAV „nicht feindlich“ gegenüberstehen.109 Zur Ver­ trauensbildung und besseren Koordinierung nahmen seit der dritten Tagung Ver­ treter des DAV als Gäste an den Zusammenkünften teil. Die Arbeitsgemeinschaft appellierte an den DAV im Jahr 1950 nach den ersten Konflikten um die Kompeten­ zen der künftigen Bundesrechtsanwaltskammer, „alle Meinungsverschiedenheiten beiseite zu lassen“, um nicht die „Geschlossenheit der Anwaltschaft nach außen“ zu gefährden. Die Arbeitsgemeinschaft argumentierte, sie vertrete im Gegensatz zum DAV alle Rechtsanwälte des Bundesgebietes und daher müsse das Gesamtvertre­ tungsrecht für die Anwaltschaft bei der Arbeitsgemeinschaft liegen.110 Im Verlauf des Jahres 1952 verbesserte sich das Verhältnis etwas. Die Arbeitsgemeinschaft beauftrag­ te ihren Vorsitzenden, mit dem DAV über eine gemeinschaftliche Vertretung in Bonn und über gemeinschaftliche Gesetzgebungsausschüsse zu verhandeln.111 Ebenso woll­ te sie sich mit dem DAV besser bei der Schaffung der BRAO koordinieren.112 Im Sep­ tember 1952 lobte der Präsident des DAV, Sauer, ausdrücklich die gute Entwicklung der Beziehungen zwischen den beiden Spitzenorganisationen. Für den DAV sei „die Zeit, in der es ernstere Meinungsverschiedenheiten gegeben habe, abgeschlossen“.113 Die Arbeitsgemeinschaft hatte ihre Niederlage eingestanden. Fortan beanspruchte sie das Primat allein in standesrechtlichen Fragen.114 4. Berufliche Konkurrenz – Vergangenheitsbewältigung Vor der deutschen Wiedervereinigung setzten sich die Arbeitsgemeinschaft und die spätere Bundesrechtsanwaltskammer mit dem von Rechtsanwälten und besonders von der Reichs-Rechtsanwaltskammer im Nationalsozialismus begangenen Taten nicht im Sinne einer Unrechtsaufarbeitung auseinander. Dabei bestand durchaus das Bedürfnis dafür. Im OLG-Bezirk Düsseldorf beispielsweise stellten alte Parteigenos­ 107 Redeker, NJW 2010, 1341, 1342. 108 Siehe die Beschlüsse im Prot. XIII. Vers. RAK BZ, 28.-30.1.1948 in Bad Pyrmont, 2 f. 109 Prot. II. Tagung ARGE, 8./9.12.1949 in Braunschweig, 3. 110 Prot. VII. Tagung ARGE, 7./8.12.1950 in Stuttgart, Anlage. 111 Prot. XIV. Tagung ARGE, 20.-22.3.1952 in Berlin, 3 f. 112 Siehe nur Prot. XVI. Tagung ARGE, 25./26.9.1952 in München, 3 f. 113 Prot. XVI. Tagung ARGE, 25./26.9.1952 in München, 8. 114 Prot. XXIV. Tagung ARGE, 24./25.3.1955 in Köln, 5.

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sen 1948 mehr als die Hälfte aller zugelassenen Rechtsanwälte (345 von 608).115 Die Sitzungen der Arbeitsgemeinschaft thematisierten in der frühen Nachkriegszeit ­weder die Teilnahme an Entnazifizierungsverfahren noch die Alternative, Ehren­ gerichtsverfahren gegen besonders belastete Rechtsanwälte durchzuführen. Die Ar­ beitsgemeinschaft lag damit auf der politischen Linie, denn 1951/52 endete in Westdeutschland die Entnazifizierung.116 Die mangelnde Reflexion der Vergangen­ heit war allerdings nicht nur dem berüchtigten ,Schlussstrich‘ unter die Vergangen­ heit oder einer zu hohen Täterzahl in den eigenen Reihen geschuldet. Einige in der Arbeitsgemeinschaft tätige prominente Rechtsanwälte – darunter Fischer und Wal­ deck – waren ja selbst Opfer des Nationalsozialismus geworden. Vielmehr hatten be­ reits die einzelnen Kammern sowie die Vereinigung für die britische Zone vor Grün­ dung der Arbeitsgemeinschaft die drängendsten praktischen Probleme abgearbeitet. Hervorzuheben sind Vorschläge zu den Entnazifizierungsverfahren117 und der Streit zwischen der Rechtsanwaltskammer Köln und den Verteidigern beim Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess.118 Die Kölner Kammer hatte im letzteren Fall politi­ sche Untersuchungen gegen die deutschen Verteidiger erwogen, weil zahlreiche an die Kammer gerichtete Zuschriften diesen Anwälten eine zu große Nähe zum Natio­ nalsozialismus vorgeworfen hatten.119 Für eine Erinnerungskultur, die heute im Zen­ trum der nationalsozialistischen Vergangenheitsbewältigung steht, war die Zeit noch nicht reif. Die Vergangenheitsbewältigung, wenn man das so überhaupt nennen mag, be­ schränkte sich für die Arbeitsgemeinschaft auf den Beitritt zur „Union Internationale des Avocats“, der vor 1933 bereits der DAV angehört hatte.120 Damit war in der frühen Nachkriegszeit das Höchstmaß für die Restitution erreicht. Im Übrigen konzentrierte sich die westdeutsche Anwaltschaft auf dem Boden der Trümmer des Zweiten Welt­ kriegs auf Raumgewinne bei gleichzeitiger Abwehr unliebsamer Konkurrenten. So forderte die Arbeitsgemeinschaft, die Betreuung der von ausländischen Gerichten verfolgten deutschen Kriegsverbrecher solle weiterhin deutschen Anwälten über­ lassen bleiben.121 Umgekehrt wollte die Arbeitsgemeinschaft aber keine aus Deutsch­ land vertriebenen Rechtsanwälte in Wiedergutmachungssachen zulassen, wie es die American Association of Former European Jurists in New York und die Association of Democratic Lawyers from Germany in London gefordert hatten. Die Arbeitsge­ 115 Douma, Deutsche Anwälte zwischen Demokratie und Diktatur 1933-1955, 1998, 88; ähn­ lich Rüping, in: DAV (Hrsg.), Anwälte und ihre Geschichte: Zum 140. Gründungsjahr des Deutschen Anwaltvereins, 2011, 339, 350: 66 % Parteigenossen im OLG-Bezirk Celle. 116 Dazu Busse, Geschichte der deutschen Anwaltschaft 1945-2009, 2010, 77 ff., 129 ff., 165 ff.; Douma, Deutsche Anwälte zwischen Demokratie und Diktatur 1933-1955, 1998, 85 ff. 117 Prot. 6.  Vers. RAK BZ, 19./20.12.1946 in Bad Pyrmont, 1; Prot. XIV. Vers. RAK BZ, 1./2.4.1948 in Bad Pyrmont, Anlage 1, LA NRW, Sig. RW 0552 Nr. 188; Prot. XV. Vers. RAK BZ, 26.-29.5.1948 in Braunschweig, 8. 118 Dazu Prot. 5. Vers. RAK BZ, 31.10./1.11.1946 in Bad Pyrmont, 1. 119 Rüping, Rechtsanwälte im Bezirk Celle während des Nationalsozialismus, 2010, 224 Fn. 70. 120 Prot. II. Tagung ARGE, 8./9.12.1949 in Braunschweig, 2. 121 Prot. II. Tagung ARGE, 8./9.12.1949 in Braunschweig, 5.

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meinschaft konnte dabei auf die Residenzpflicht für Rechtsanwälte verweisen, die eine Kanzlei in Deutschland erforderte.122 Die Arbeitsgemeinschaft hielt die dauer­ hafte Befreiung von der Residenzpflicht für untragbar,123 eine Bürogemeinschaft zwi­ schen deutschen und ausländischen Rechtsanwälten lehnte sie ebenso ab.124 Diese Ver­knüpfung bestätigt mit Nachdruck die These der Literatur, die westdeutsche Rechtsanwaltschaft habe sich wegen der lukrativen Wiedergutmachungsverfahren gegen die Zulassung jüdischer Emigranten gewehrt.125 Die Arbeitsgemeinschaft stufte die Gerechtigkeitsfrage der Wiedergutmachung formal zu einer Standesfrage herab, um gegen Konkurrenz vorzugehen. Oder anders formuliert: Der Gewinn durch Wie­ dergutmachungsverfahren war wichtiger als die Gerechtigkeit durch Wiedergutma­ chung selbst. Das war kein singuläres ethisches Versagen. Die Arbeitsgemeinschaft lehnte es ebenso aus formalen Gründen ab, den Bund der Opfer des Faschismus und des Krieges bei seinen Gesetzesanträgen zu Gunsten der nationalsozialistischen Op­ fer der Sterilisation und Euthanasie zu unterstützen.126 In der britischen Zone brach der Widerstand gegen ehemalige deutsche Rechtsanwälte erst anfangs der 1950er Jah­ re zusammen. Emigrierte jüdische Rechtsanwälte wurden seit 1953 von der Residenz­ pflicht befreit.127 § 213 BRAO überführte diese Praxis 1959 in Bundesrecht und somit in die bundesweite Praxis. Flüchtlingen aus Ostberlin, aus der sowjetischen Besatzungszone bzw. DDR und Ver­ triebenen aus den besetzten Ostgebieten erging es anfangs kaum besser, da nach 1945 die freie Advokatur zunächst noch nicht wiederhergestellt worden war.128 Das zeigt, wie sehr die westdeutsche Rechtsanwaltschaft auf die Abwehr von Konkurrenten fo­ kussiert war. Zulassungsbeschränkungen und das vage Kriterium der „Ortszugehö­ rigkeit“ sollten die Flüchtlinge abwehren. Die Vereinigung für die britische Zone setz­ te sich zwar zunächst für die möglichst breite Aufnahme von Flüchtlingen und Vertriebenen ein und setzte damit auch hier die Maßstäbe.129 Die Zulassungspraxis in den einzelnen Bezirken konterkarierte aber bis zur Rückkehr zur freien Advokatur die offizielle Verbandslinie. Besonders Flüchtlinge aus der sowjetischen Besatzungs­

122 Überblick: Douma, Deutsche Anwälte zwischen Demokratie und Diktatur 1933-1955, 1998, 78 ff. 123 Prot. XXIV. Tagung ARGE, 24./25.3.1955 in Köln, 4. 124 Prot. II. Tagung ARGE, 8./9.12.1949 in Braunschweig, 6. 125 Douma, Deutsche Anwälte zwischen Demokratie und Diktatur 1933-1955, 1998, 81. 126 Statt aller Prot. XXVI. Tagung ARGE, 27./28.10.1955 in Goslar, 15. 127 Douma, Deutsche Anwälte zwischen Demokratie und Diktatur 1933-1955, 1998, 80; an­ ders noch Prot. VIII. Vers. RAK BZ, 27./28.3.1947 in Bad Pyrmont, 6; differenzierend Prot. XIX. Vers. RAK BZ, 4.2.1949 in Braunschweig, 5. 128 Dazu Busse, Geschichte der deutschen Anwaltschaft 1945-2009, 2010, 66 f., 110 ff.; Douma, Deutsche Anwälte zwischen Demokratie und Diktatur 1933-1955, 1998, 63  ff. Zur Unterscheidung Flüchtlinge – Vertriebene Prot. VIII. Vers. RAK BZ, 27./28.3.1947 in Bad Pyrmont, 5. 129 1.  Vers. RAK BZ, 1.2.1945 in Bad Pyrmont, 3: numerus clausus als Mindestzahl; Prot. 6.  Vers. RAK BZ, 19./20.12.1946 in Bad Pyrmont, 8: mindestens 10% aller Mitglieder; X. Vers. RAK BZ, 15./16.7.1947 in Düsseldorf, 6: mindestens 10 %, höchstens 25 %.

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zone bzw. DDR waren betroffen.130 Sie sahen sich dem zynischen Einwand ausgesetzt, sie könnten wieder in die sowjetische Besatzungszone bzw. in die DDR zurückkehren und dort ihrem Beruf nachgehen.131 Ebenso setzte die Arbeitsgemeinschaft die Prio­ rität auf den Nachwuchs im Westen und wollte aus der DDR nur politisch Verfolgte, aber keine sog. Wirtschaftsflüchtlinge im Westen zulassen.132 5. Gegen Spezialisten und weitere Konkurrenten – Standesrecht Der Hauptgrund für die Gründung der Arbeitsgemeinschaft war die Vereinheitli­ chung des anwaltlichen Standesrechts gewesen. Zunächst beschränkte sich die Ar­ beitsgemeinschaft darauf, das partikulare Standesrecht punktuell anzugleichen. Dabei orientierte sie sich grundsätzlich an den Richtlinien der britischen Zone.133 In Einzel­ fällen, wie beispielsweise bei der Beratung von Vereinen bei einer Pauschalvergütung, gab sie aber dem Standesrecht anderer Kammerbezirke den Vorzug.134 Erst die von der Arbeitsgemeinschaft am 11.  Mai 1957 beschlossenen „Richtlinien für die Aus­ übung des Anwaltsberufs“, die 79 Punkte umfassten, beendeten den Partikularismus vollständig.135 Die Fachanwaltschaft sollte sich in der gesamten Nachkriegszeit als wichtigster Dis­ kussionspunkt des Standesrechts erweisen. Die Arbeitsgemeinschaft beanspruchte gegen §  54 Regierungsentwurf136 die exklusive Regelungskompetenz für die Fach­ anwaltschaft,137 die sie am Ende auch bekam. § 68 RL 1957 legte in der Durchführung die Kompetenz über die Gestattung der sog. Berufsbezeichnungen zunächst in die Hände der einzelnen Rechtsanwaltskammern, die sich aber ihrerseits den Beschlüs­ sen der Arbeitsgemeinschaft unterordnen mussten. § 67 RL 1963 sprach später die Kompetenz offen der Bundesrechtsanwaltskammer zu. Bei der Frage, wie mit der Kompetenz umzugehen sei, hatte die Vereinigung der ­britischen Zone den Takt vorgegeben. Die Arbeitsgemeinschaft stand der Spezialisie­ rung der Anwaltschaft sogar noch ablehnender gegenüber.138 Sie lehnte einen Ver­ 130 Details: Douma, Deutsche Anwälte zwischen Demokratie und Diktatur 1933-1955, 1998, 66. 131 Busse, Geschichte der deutschen Anwaltschaft 1945-2009, 2010, 113. 132 Prot. II. Tagung ARGE, 8./9.12.1949 in Braunschweig, 4. 133 Etwa Prot. XI. Tagung (Sondertagung) ARGE, 10.-12.9.1951 in Hannover, 6, zur Fachan­ waltschaft. 134 Prot. II. Tagung ARGE, 8./9.12.1949 in Braunschweig, 8, zu Nord-Württemberg Ausgabe 1949 Nr. 89 ff. und Britischer Zone Ausgabe 1949 Nr. 35. 135 Abgedruckt z.B. bei Kalsbach, Bundesrechtsanwaltsordnung und Richtlinien für die Aus­ übung des Rechtsanwaltsberufs, 1960, Nach § 43. 136 § 54 Regierungsentwurf 1952: Verbot des Fachhinweises; BT-Drs. 1/3650, 11.9.1952; dazu Krusche, Die Bundesrechtsanwaltsordnung vom 1. August 1959, 2011, 308. 137 Prot. XI. Tagung (Sondertagung) ARGE, 10.-12.9.1951 in Hannover, 6; Prot. XX. Tagung ARGE, 11./12.12.1953 in Frankfurt a.M., 8 f. 138 Prot. IV. Tagung ARGE, 20./21.7.1950 in Hannover, 6  f.; Prot. XX. Tagung ARGE, 11./12.12.1953 in Frankfurt a.M., 7 f.; Prot. XXV. Tagung ARGE, 7./8.7.1955 in Bamberg, 6.

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gleich des Fachanwalts mit der bewährten Institution des Facharztes ab und bestätigte damit den durch die Nationalsozialisten geschaffenen Status quo. Die Arbeitsgemein­ schaft setzte gegen den Willen der Interessenvereinigung der Fachanwälte für Ver­ waltungsrecht sogar durch, dass der bereits eingeführte Titel des Fachanwalts für Ver­ waltungsrecht nicht mehr neu vergeben werden durfte.139 Lediglich der Titel eines Fachanwalts für Steuerrecht sollte weiterhin neu vergeben werden dürfen.140 Zwar gestattete bereits §§ 107, 107a AO die anwaltliche Beratung und Vertretung in Steuer­ sachen, doch hatte sich der Fachanwalt für Steuerrecht bereits zu sehr etabliert, als dass man ihn hätte abschaffen können. Die Arbeitsgemeinschaft setze dem steuer­ rechtlichen Mandat der Rechtsanwälte aber enge Grenzen, indem sie die Bezeich­ nungen „Steuerberater“ oder „Helfer in Steuersachen“ für Rechtsanwälte als stan­ deswidrig erklärte.141 Der Rechtsanwalt sollte nicht unter die Disziplinargewalt der Finanzverwaltung, sondern nur unter die Ehrengerichtsbarkeit der Rechtsanwalts­ kammer fallen.142 Die seit langem eingeführte Institution des Syndikusanwalts geriet ebenfalls unter Be­ schuss.143 Einzelne Stimmen, darunter die Rechtsanwaltskammer München, wollten das Institut ganz verbieten.144 Die Mehrheit der Kammern setzte sich aber damit durch, den Syndikusanwalt beizubehalten. Allerdings sollte er in der künftigen BRAO restriktiv reguliert werden.145 Der Bundesgesetzgeber kam diesem Wunsch in §  46 BRAO 1959 aber nicht nach, er erwähnte den Syndikus nicht einmal namentlich. Die Arbeitsgemeinschaft setzte sich unter dem Stichwort Standesrecht auch mit un­ liebsamer Konkurrenz auseinander. Nachdem sie ihren Widerstand gegen die Tätig­ keit von Flüchtlingen und Vertriebenen als Rechtsanwälte aufgegeben hatte, schottete sie sich umso intensiver gegenüber anderen Berufen ab, die mit Rechtsanwälten um ertragreiche Mandate konkurrierten. Dabei waren besonders die Wirtschaftsprüfer der Arbeitsgemeinschaft ein Dorn im Auge. Die Kooperation mit Wirtschaftsprüfern versprach aus Sicht der Arbeitsgemeinschaft keine neuen Mandate, sondern die ­Bevormundung des Rechtsanwalts durch andere Berufe. Die Arbeitsgemeinschaft konnte zwar keinen konkurrierenden Beruf verbieten, aber die Zusammenarbeit mit 139 Prot. XXV. Tagung ARGE, 7./8.1955 in Bamberg, 6  f.; Prot. XXVI. Tagung ARGE, 27./28.10.1955 in Goslar, 9 f. 140 Statt aller Prot. XIV. Tagung (Sondertagung) ARGE, 20.-22.3.1952 in Berlin, 5; Prot. XX. Tagung ARGE, 11./12.12.1953 in Frankfurt a.M., 9. 141 Z.B. Prot. X. Tagung ARGE, 12./14.7.1951 in Freiburg im Breisgau, 6; Prot. XIX. Tagung ARGE, 1./2.10.1953 in Bad Dürkheim, 6; ebenso Prot. XX. Tagung ARGE, 11./12.12.1953 in Frankfurt a.M., 9. 142 Prot. XXXII. Tagung BRAK (Vereinigung), 10./11.10.1957 in Stuttgart, 21. 143 Zur Geschichte: Busse, Geschichte der deutschen Anwaltschaft 1945-2009, 2010, 284 f.; Hamacher, Der Syndikusanwalt, in: DAV (Hrsg.), Anwälte und ihre Geschichte: Zum 140.  Gründungsjahr des Deutschen Anwaltvereins, 2011, 913  ff.; Hellwig, AnwBl 2015, 2 ff. 144 Prot. XXVIII. Tagung BRAK (Vereinigung), 10.-12.10.1956 in Trier, 3; Prot. XXXIII. Ta­ gung BRAK (Vereinigung), 6./7.2.1958 in Ettlingen, 10. 145 Prot. XX. Tagung ARGE, 11./12.12.1953 in Frankfurt a.M., 9  f.; Prot. XXXIII. Tagung BRAK (Vereinigung), 6./7.2.1958 in Ettlingen, 10 ff.

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Rechtsanwälten deutlich erschweren oder sogar ganz untersagen. Rechtsanwälte soll­ ten zwar zugleich bei Erfüllung der notwendigen Anforderungen Wirtschaftsprüfer sein dürfen, jedoch sei die Sozietät, d.h. der gesellschaftsrechtliche Zusammenschluss, zwischen Anwalt und Wirtschaftsprüfer ebenso wie die Anstellung eines Anwalts bei einem Wirtschaftsprüfer abzulehnen.146 Die Arbeitsgemeinschaft verwies zur Orien­ tierung auf §  2 Abs.  4 VO des Wirtschaftsrats vom 20.12.1946, wonach nur Wirt­ schaftsprüfer Gesellschafter und Geschäftsführer von Treuhandgesellschaften sein dürfen. §  21 Abs.  1 RL 1957 bestimmte daher, dass Rechtsanwälte sich mit Wirt­ schaftsprüfern nur zu einer Bürogemeinschaft zusammenschließen dürfen. Ebenso wehrte die Arbeitsgemeinschaft den ersten Versuch in den 1950er Jahren ab, die Vertretung vor den Bundesgerichten im Namen einer kleinen Spezialanwaltschaft zu Lasten der allgemeinen Anwaltschaft zu monopolisieren. Obwohl einzelne Dele­ gierte qualitative Missstände bei der Vertretung an den Bundesgerichten beklagten, beließ es die Arbeitsgemeinschaft dabei, das Problem in eine Kommission zu ver­ schieben und damit faktisch zu vertagen.147 In der Folgezeit sprach sich die Arbeits­ gemeinschaft letztlich erfolgreich gegen eine gesetzliche Regulierung zu Lasten der allgemeinen Anwaltschaft aus und widersprach damit der Position des DAV sowie der Präsidenten des BAG und BVerwG.148 Die Spezialanwaltschaft blieb auf den BGH beschränkt. Auch die Bundesrechtsanwaltskammer versuchte ab 1959 bei den Bundesgerichten die Interessen der Anwaltschaft durchzusetzen.149 Sie forderte, wenn auch vergeblich (vgl. § 11 Abs. 4 S. 2 ArbGG), für das BAG das Anwaltsmonopol zu Lasten der Vertre­ ter von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden ein.150 Den bekannten Einwand, dem Großteil der dort auftretenden Rechtsanwälte fehle es an der nötigen Spezialisie­ rung und Erfahrung, wischte die Bundesrechtsanwaltskammer beiseite. Denn dieser Einwand kam mit dem unerwünschten Hinweis einher, mit dem Institut des Fachan­ walts für Arbeitsrecht existiere ein probates Mittel zur Fortbildung der Rechtsanwäl­ te.151 Der Einsatz der Bundesrechtsanwaltskammer für den allgemeinen anwaltlichen Zugang zu den Bundesgerichten ist daher auch als Teil des Abwehrkampfes gegen den Fachanwalt zu verstehen. 6. Einflussgrenzen – Rechtspolitik Ihrem Satzungszweck folgend, wirkte die Arbeitsgemeinschaft in Kommissionen, durch Gutachten, sonstige Stellungnahmen und Anhörungen an zahlreichen Gesetz­ gebungsverfahren mit, welche die Anwaltschaft unmittelbar oder mittelbar regelten. Für die Zeit bis 1959 sind neben der BRAO folgende Projekte zu nennen: das Gesetz 146 Siehe Bericht Ergebnisse der VI. Tagung ARGE, 5.-7.10.1950 in Düsseldorf, 7. 147 Prot. XXVIII. Tagung BRAK (Vereinigung), 10.-12.10.1956 in Trier, 8 f., 17 f. 148 Prot. XXXVI. Tagung BRAK (Vereinigung), 6.4.1959 in Frankfurt a.M., 3 f.; Prot. XXXVII. Tagung BRAK (Vereinigung), 29.6.1959 in Hannover, 2 f. 149 Prot. 2. HV BRAK am 4./5.3.1960 in Ettlingen, 8. 150 Prot. 3. HV BRAK am 23./24.6.1960 in München, BRAK-Nr. 106/60, 12. 151 Prot. 5. HV BRAK am 27./28.1.1961 in Frankfurt a.M., BRAK-Nr. 27/61, 6 ff.

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zur Wiederherstellung der Rechtseinheit auf dem Gebiete der Gerichtsverfassung, der bürgerlichen Rechtspflege, des Strafverfahrens und des Kostenrechts,152 die Novellie­ rung des Rechtsberatungsmissbrauchsgesetzes (ab 1964 Rechtsberatungsgesetz)153 und die Vorbereitungen zu einer nie umgesetzten grundlegenden Reform der Zivilge­ richtsbarkeit (ein Dauerbrenner bis heute).154 Das Rechtsberatungsmissbrauchsgesetz war der Arbeitsgemeinschaft ein besonderes Anliegen, da sie damit Konkurrenzberu­ fe wie Rechtsbeistände und Prozessagenten abwehren wollte.155 Wesentlich zurückhaltender agierte die Arbeitsgemeinschaft bei Reformen des mate­ riellen Privatrechts, da hier regelmäßig nur allgemeine Interessen der Anwaltschaft berührt wurden. Die Tagungen der Arbeitsgemeinschaft beschäftigten sich nur mit besonders bedeutsamen Reformen wie der Umsetzung des verfassungsrechtlichen Gebotes der Gleichberechtigung von Mann und Frau (Art. 3 Abs. 2 GG), das in die Eherechtsreform von 1957 einmündete.156 Dies blieb in der weiteren Bonner Re­publik die Linie der Bundesrechtsanwaltskammer, da die BRAO ihr kein allgemeinpolitisches Mandat gewährte. Sie übte bei den materiellrechtlichen Inhalten des Privatrechts deut­ liche Zurückhaltung157 und sorgte sich stattdessen um Ausbildungsangebote für die Rechtsanwälte, um auf die Reformen rechtsberatend reagieren zu können. Zu nennen ist an dieser Stelle beispielhaft das Erste Gesetz zur Reform des Ehe- und Familien­ rechts (1976).158 Umso stärker und hart an der Grenze ihrer Kompetenzen engagierte sich die Bundesrechtsanwaltskammer indessen bei der Reform des materiellen Straf­ rechts. Der Strafrechtsausschuss der Bundesrechtsanwaltskammer beteiligte sich seit Bestehen der Bundesrepublik bei fast allen Änderungen des StGB an der rechtspoliti­ schen Diskussion. Er wurde damit in Sachen Strafrecht zu einer Art Nebenausschuss des Deutschen Bundestages. Es kann daher nicht verwundern, dass das Bundesarchiv unter dem Suchwort „Bundesrechtsanwaltskammer“ nur drei Akten zur Reform des materiellen Privatrechts, aber ganze 187 Akten zum materiellen Strafrecht ver­ wahrt.159

C.  Gründung der ,neuen‘ Bundesrechtsanwaltskammer (1959) I. Kontinuität trotz neuer normativer Grundlage Das lange Warten auf die ,neue‘ Bundesrechtsanwaltskammer hatte ein Ende, als die BRAO zum 1. Oktober 1959 in Kraft trat (§ 237 Abs. 1 BRAO 1959). Die §§ 175-191 152 Prot. II. Tagung ARGE, 8./9.12.1949 in Braunschweig, 2. 153 Siehe nur Prot. XVIII. Tagung ARGE, 23./24.4.1953 in Heidelberg, 3. 154 Prot. XXXV. Tagung BRAK (Vereinigung), 13.-16.1.1959 in Münster, 25. 155 Prot. XIX. Tagung ARGE, 1./2.10.1953 in Bad Dürkheim, 6. 156 Siehe nur Prot. XVI. Tagung ARGE, 25./26.9.1952 in München, 8. 157 Siehe Prot. 6. HV BRAK am 2./3.6.1961 in Travemünde, BRAK-Nr. 76/61, 14; zur Kompe­ tenzüberschreitung bei der Einführung der Wehrgerichtsbarkeit BGH, Beschl. v. 13.5.1985 – AnwZ (B) 49/84, NJW 1986, 992, 994. 158 Prot. 40. HV BRAK, 15.10.1976 in Berlin, BRAK-Nr. 101/76, 4. 159 Suche über https://invenio.bundesarchiv.de/basys2-invenio/main.xhtml (1.4.2018).

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BRAO 1959 regelten die Bundesrechtsanwaltskammer. Die Materialien führen zum Zweck der neuen Organisation aus, der „Zusammenschluß soll einmal die einzelnen Rechtsanwaltskammern in ihrer gemeinsamen Arbeit verbinden; zum anderen eröff­ net er den Weg, auf dem die Organe des Bundes und die Gesamtheit der Rechtsan­ waltskammern auf dem Gebiete des Rechtswesens innerhalb der Zuständigkeiten des Bundes zusammenwirken können.“160 Strukturell sollte sich die ,neue‘ Bundesrechtsanwaltskammer möglichst eng an die ,alte‘ Bundesrechtsanwaltskammer anschließen. Von der Organisationsform (Körper­ schaft des öffentlichen Rechts) einmal abgesehen, entsprachen viele Vorschriften der BRAO weitgehend der Satzung von 1955. Die Richtlinien von 1957 galten unbestrit­ ten fort. Auch die gesetzlichen Aufgaben schlossen sich in § 177 Abs. 2 BRAO 1959 eng an die Vorgaben der Arbeitsgemeinschaft an. § 177 Abs. 2 BRAO 1959 veränder­ te die von der ,alten‘ Bundesrechtsanwaltskammer bekannten Aufgaben nur unwe­ sentlich. Bei § 177 Abs. 2 Nr. 1 BRAO 1959 wollte der Gesetzgeber klarstellen, „daß die Bundesrechtsanwaltskammer nur Fragen des Anwaltsstandes in der Rechtspflege behandeln darf und daß sie zur Wahrung der wirtschaftlichen Interessen der Rechts­ anwälte nicht berufen ist.“161 Damit hatte sich der DAV durchgesetzt, der die wirt­ schaftliche Interessenvertretung der Rechtsanwaltschaft für sich beanspruchte. Die genaue Abgrenzung der Kompetenzen zwischen Bundesrechtsanwaltskammer und DAV bei wirtschaftlichen Fragen ist allerdings bis heute umstritten.162 Die Materiali­ en zur BRAO stellen ferner klar, dass die Bundesrechtsanwaltskammer bei der Mit­ wirkung an der Gesetzgebung sowie bei der anwaltlichen Fortbildung kein Monopol haben sollte.163 Auch das war eine Konzession an den DAV. Die Delegierten der Rechtsanwaltskammern traten am 30. September und 1. Oktober 1959 im Hotel Russischer Hof in Würzburg auf der Doppeltagung der ,alten‘ und ,neuen‘ Bundesrechtsanwaltskammer zusammen. Mit der Gründung der ,neuen‘, durch die BRAO legitimierten Bundesrechtsanwaltskammer hatte das Provisorium einer privatrechtlichen Arbeitsgemeinschaft ein Ende. Letzter bedeutender Beschluss­ punkt der ,alten‘ Bundesrechtsanwaltskammer war die Übertragung ihres Vermögens auf ihre Nachfolgeorganisation.164 Damit hatte sich auch die Vereinigung für die Bri­ tische Zone erledigt, die am 29. September 1959 in Liquidation eintrat.165 Finck eröff­ nete für die ,neue‘ Bundesrechtsanwaltskammer nach Auftrag gem. § 220 BRAO die erste Hauptversammlung. Die anwesenden Delegierten verabschiedeten einstimmig die Satzung der Körperschaft, die in Art. I die Hauptstadt der Bundesrepublik als Sitz festlegte.166

160 BT-Drs. 3/120, 48. 161 BT-Drs. 3/120, 113. 162 Siehe Gaier/Wolf/Göcken/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, § 177 BRAO Rz. 20 m.w.N. 163 BT-Drs. 3/120, 114. 164 Prot. XXXVIII. Tagung BRAK (Vereinigung), 30.9.1959 in Würzburg, 3. 165 Prot. XXXVIII. Tagung BRAK (Vereinigung), 30.9.1959 in Würzburg, 3. 166 Prot. 1. HV BRAK, 1.10.1959 in Würzburg, 2.

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Die ,neue‘ Bundesrechtsanwaltskammer entschied sich auch bei den Ausschüssen für Kontinuität. Obwohl die Hanseatische Rechtsanwaltskammer rechtliche und finanzi­ elle Bedenken vortrug, entschied sich die überwältigende Mehrheit der Versammlung dafür, den Strafrechtsausschuss fortzuführen. Als entscheidend erwies sich das en­ gagierte Eintreten von Hans Dahs senior, seines Zeichens Vizepräsident der Rechts­ anwaltskammer Köln und Vorsitzender des Strafrechtsausschusses. Er rechtfertigte die Fortführung mit der bevorstehenden Reform der StPO, bei welcher „die Stellung des Verteidigers in Übereinstimmung mit der heutigen Auffassung vom Wesen des Rechtsstaates gebracht und verbessert“ werden müsse.167 Die Hanseatische Rechtsan­ waltskammer klagte vergeblich gegen den Beschluss der Hauptversammlung.168

II. Florian Waldeck – Lichtgestalt als erster Präsident Wesentlich spannender war die Führungsfrage. Wer sollte erster Präsident werden? Florian Waldeck, Präsident der Rechtsanwaltskammer Karlsruhe, erreichte im ersten Wahlgang nur 10 Stimmen, Keil (Präsident der Rechtsanwaltskammer beim BGH), Franke (Präsident der Rechtsanwaltskammer Düsseldorf) und Neuhäuser (Präsident der Rechtsanwaltskammer Hamburg) jeweils drei Stimmen, vier weitere Kammerprä­ sidenten jeweils eine Stimme. Im zweiten Wahlgang setzte sich Waldeck dann mit der absoluten Mehrheit von 13 Stimmen gegen fünf Stimmen für Keil, drei für Franke und zwei für Neuhäuser durch. Die Versammlung wählte in einem Wahlgang Hanns Dahn (Präsident Rechtsanwaltskammer München) mit 19 Stimmen, Müller (Rechts­ anwaltskammer Celle) mit 17 Stimmen und Franke mit 16 Stimmen zu Vizepräsiden­ ten.169 Florian Waldeck war nicht nur für die damals Anwesenden, sondern auch im Rück­ blick trotz des hohen Alters eine überaus glückliche Wahl. Neben Fischer ist er der einzige Präsident, dessen Lebenslauf sich mühelos und umfassend aus der Literatur nachvollziehen lässt.170 Der am 15.  Februar 1886 in Mannheim geborene Waldeck ragte in der frühen Nachkriegszeit als Lichtgestalt für ein besseres Deutschland he­ 167 Prot. 1. HV BRAK, 1.10.1959 in Würzburg, 5. 168 BGH, Beschl. v. 7.11.1960 – AnwZ (P) 1/60, BGHZ 33, 381, siehe auch Vorstand der Han­ seatischen RAK an BMJ, 23.11.1959, BArch, Sig. B141/49272. 169 Prot. 1. HV BRAK, 1.10.1959 in Würzburg, 2 ff. 170 Biographie: Koehler, Heidelberger Jahrbücher 1961, 11 ff.; Kuntz, Rhein-Neckar-Zeitung, 15.2.1956; Müller, NJW 1960, 2087; Parzer, Mannheimer Geschichtsblätter N.F. 17 (2009) 45 ff. (genaueste Angaben); Popp, in: Ulrich Nieß (Hrsg.), Die höchste Auszeichnung der Stadt, 2002, 123 ff.; Scherner, Advokaten, Revolutionäre, Anwälte, 1997, 287, 314, 324 ff., 335  ff.; Waldeck, Mannheimer Hefte 1954, 11  ff.; Watzinger, Geschichte der Juden in Mannheim 1650-1945 mit 52 Biographien, 1984, 142 ff.; ders., Badische Biographien, N.F., Bd. 3, 1990, 281; PA: RAK Karlsruhe; Personalblätter Landtagsabgeordneter: GLA Karls­ ruhe, Sig. 231 Nr. 10957; Orden: a.a.O., Sig. 233 Nr. 43171 und Nr. 45200; zweite Staatsprü­ fung: a.a.O., Sig. 234 Nr.  12501; Personal- und Prüfungsakten: a.a.O., Sig. 240 Zugang 1997-38 Nr. 2450; Zeitungsdokumentation: HSA Stuttgart, Sig. EA 1/107 Bü 283; Presse: a.a.O., Sig. EA 6/101 Bü 328; Nachlass: StadtA Mannheim, Sig. Nachlass Florian Waldeck.

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raus. Wo viele andere Juristen aus Überzeugung oder Opportunismus dem National­ sozialismus gedient und ihre Augen vor dem Bösen verschlossen hatten, stand er durch seine jüdische Herkunft stellvertretend für die Opfer des Regimes und zugleich für Versöhnung. Der Sohn eines Bankprokuristen und Mundartdichters hatte ab 1905 in München, Freiburg sowie Heidelberg studiert und 1913 bei Heinsheimer in Hei­ delberg promoviert.171 Nach den beiden durch den Ersten Weltkrieg unterbrochenen badischen Staatsexamina ergriff er den Rechtsanwaltsberuf am LG Mannheim und wurde in den Vorstand der Badischen Rechtsanwaltskammer gewählt.172 Auch poli­ tisch war Waldeck aktiv. 1912 war er in die Nationalliberale Partei eingetreten, nach deren Auflösung wechselte er 1919 in die Nachfolgepartei DVP. 1925 wurde er für die DVP zum Stadtverordneten im Mannheimer Bürgerausschuss und im Jahr darauf zum Fraktionsvorsitzenden seiner Partei gewählt. 1927 rückte Waldeck als Ersatz in den Badischen Landtag nach. Nach der Wahl von 1929 saß er erneut im Landtag und krönte seine parlamentarische Laufbahn als Zweiter Vizepräsident des hohen Hauses. 1931 errang er zusätzlich das Amt des Fraktionsvorsitzenden der DVP.173 Obwohl Waldeck 1916 zum Protestantismus konvertiert war,174 wurde er aufgrund seiner ­mosaischen Herkunft 1933 Opfer der nationalsozialistischen Rassenpolitik.175 Er ver­ lor 1933 alle politischen Ämter. 1938 nahm das Reichsjustizministerium aufgrund § 1 der fünften VO zum Reichsbürgergesetz seine Rechtsanwaltszulassung zurück, nach­ dem er zuvor noch unter das sog. Frontkämpferprivileg gefallen war.176 1939 floh Waldeck zusammen mit seiner Frau nach Belgien. Die deutschen Besatzer verhafteten ihn zwei Mal, doch es gelang ihm zusammen mit seiner Frau unterzutauchen. Das Ehepaar Waldeck entging damit dem Holocaust, doch seine Mutter und seine Schwes­ ter entzogen sich der drohenden Deportation durch Suizid, viele andere Verwandte wurden ermordet. Nach Kriegsende trat Waldeck seine alten Ämter wieder an: Er wurde 1947 zum Mannheimer Stadtrat177 und im Folgejahr zum Vorsitzenden des Vorstandes der wieder errichteten Rechtsanwaltskammer Nordbaden178 gewählt. In der Nachfolge der DVP entschied er sich aber für keine Mitgliedschaft in der FDP, sondern in der CDU.179 1949 wurde Waldeck zum Ehrenvorsitzenden des Mannhei­ 171 Publiziert 1918 als „Die Exemtionen der Landesherren und der Mitglieder der Landes­ herrlichen Familien im Zivilprozess“. Das oft zu lesende Datum 1912 für die Doktorprü­ fung ist unzutreffend. Siehe zur mündlichen Doktorprüfung am 12.12.1913 den Lebens­ lauf in der gedruckten Dissertation. 172 Personalbogen, 10.8.1950, PA RAK Karlsruhe. 173 PA RAK Karlsruhe; Parzer, Mannheimer Geschichtsblätter N.F. 17 (2009) 45, 46; Watzinger, Geschichte der Juden in Mannheim 1650-1945 mit 52 Biographien, 1984, 142, 142. 174 Parzer, Mannheimer Geschichtsblätter N.F. 17 (2009) 45, 46. 175 Königseder, Recht und nationalsozialistische Herrschaft: Berliner Anwälte 1933-1945, 2001, 20 ff., 110 ff. 176 OLG-Präsident, Präsidialabteilung an RAK Karlsruhe und Waldeck, 27.10.1938, zum 30.11.1938; anders noch Minister des Kultus, des Unterrichts und der Justiz an Waldeck und Vorstand der Badischen RAK, 22.5.1933, jeweils PA RAK Karlsruhe; dazu Scherner, Advokaten, Revolutionäre, Anwälte, 1997, 314. 177 BRAK Nr. 133/60, 7.10.1960, 1. 178 Personalbogen, 10.8.1950, PA RAK Karlsruhe. 179 Watzinger, Geschichte der Juden in Mannheim 1650-1945 mit 52 Biographien, 1984, 142, 143.

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mer Anwaltsvereins und 1954 zum Vizepräsidenten des DAV und im selben Jahr zum Vizepräsidenten der Arbeitsgemeinschaft gewählt. Die Stadt Mannheim ernannte Waldeck aufgrund seiner mannigfaltigen Verdienste 1954 zu ihrem Ehrenbürger. Er engagierte sich in vielfältiger Weise in herausragenden Positionen in der Mannheimer Kunst- und Kulturszene und gehörte zahlreichen Aufsichtsräten regionaler Unter­ nehmen an. Mit Waldecks Tod am 28. September 1960 erlitt die Stadt Mannheim ei­ nen großen Verlust.

III. Hanns Dahn – völkischer Gegenpol Es darf nicht verschwiegen werden, dass die erste Garnitur der ,neuen‘ Bundesrechts­ anwaltskammer nicht durchgehend aus Vorzeigedemokraten bestand. Die Belastung war zwar nicht so hoch wie bei Hans Merkel, dem ersten Nachkriegsvorsitzenden des DAV, ehemals SS-Mitglied und nationalsozialistischer Funktionär.180 Doch saß mit dem ersten Vizepräsidenten Hanns Dahn ein Rechtsanwalt im Präsidium der Bun­ desrechtsanwaltskammer, der in seinen jüngeren Jahren völkische Ideen vertreten und sich nach dem Zweiten Weltkrieg der Wiedergutmachung widersetzt hatte. Auf Franke, der in die NSDAP eingetreten war, ist später einzugehen. Von Dahns Lebensweg sind heute nur noch die Umrisse bekannt.181 Er wurde am 8. März 1888 in Landsberg am Lech als Enkel des juristischen Germanisten und Dich­ ters Felix Dahn geboren. Nach dem Jurastudium in München und Breslau wurde er kurz vor dem Ersten Weltkrieg an den LG München I und II als Rechtsanwalt zuge­ lassen. Nach dem Ersten Weltkrieg engagierte sich Dahn politisch in seiner Heimat­ stadt, der Ursuppe des Nationalsozialismus. Er scheiterte beim Versuch, die National­ liberale Partei fortzuführen.182 Hinter dieser bürgerlichen Fassade verbargen sich seine weitaus radikaleren politischen Ansichten. Dahn war der Thule-Gesellschaft beigetreten, einem völkisch-antisemitischen Geheimbund, der die nationalsozialisti­ sche Ideologie mit vorbereitete.183 Ihr Anführer Sebottendorf wollte Dahn zu seinem Nachfolger bestimmen, doch scheint dieses Vorhaben nach der dünnen Überliefe­ rung gescheitert zu sein.184 Trotz seiner völkischen Vergangenheit trat Dahn während des Nationalsozialismus aber nicht der NSDAP bei.185 Da er sich auch nicht auf an­ dere Weise in das NS-Unrecht verstrickt hatte und deshalb als unbelastet galt, er­ reichte er nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs sogleich wieder die Anwaltszulas­

180 Zu ihm Seliger, AnwBl 2015, 906 ff. 181 Biographie: Heinrich, 100 Jahre RAK München, 252  f.; PA: Staatsarchiv München, Sig. OLG München 3764; Bayerisches HSA, Sig. StK Bayer. Verdienstorden 46. 182 Gilbhard, Die Thule-Gesellschaft, 1994, 88. 183 Dazu allgemein Gilbhard, Die Thule-Gesellschaft, 1994; ferner Bronder, Bevor Hitler kam, 1964; Willing, Die Hitlerbewegung, 1962. 184 Gilbhard, Die Thule-Gesellschaft, 1994, 201 Fn. 227. 185 Negativ die Karteikarten im BArch; ebenso Möller, Regionalbanken im Dritten Reich, 2015, 190.

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sung.186 1946 wurde Dahn zum Vorsitzenden des Vorstandes der Rechtsanwaltskammer München gewählt. Dieses Amt sollte er 22 Jahre innehaben. In dieser Funktion stellte er sich dem jüdischen Emigranten Otto L. Walter in den Weg, der ehemals in Mün­ chen als Rechtsanwalt gewirkt hatte und dann nach seiner Vertreibung in New York City ein Büro für Steuerberatung und Wirtschaftsprüfung betrieb.187 Dahn pochte mit großem Nachdruck auf die Residenzpflicht und verhinderte damit, dass Walter in München wieder seine Dienste anbieten konnte.188 Erst § 213 BRAO löste 1959 den Fall zugunsten Walters. Dahn verstarb als Ehrenpräsident der Rechtsanwaltskammer München am 16. Oktober 1969 bei einem Autounfall.189

D.  Erste Jahre der ,neuen‘ Bundesrechtsanwaltskammer I. Interregnum I – Präsidium Waldeck (1959-60) Die Präsidentschaft Waldecks sollte weniger als ein Jahr dauern und setzte daher nur wenige Akzente. Das lag aber auch an der Art der Präsidentschaft. Sich selbst beschied Waldeck bei der Aufgabenverteilung zwischen Hauptversammlung und Präsidium, keine „Neigung zu autoritärer Herrschaft“ zu haben.190 Auf den drei von ihm geleite­ ten Hauptversammlungen unterblieb deshalb ganz bewusst die bundeseinheitliche Regelung der Geschäftsordnung für Ehrengerichte191 oder die Abfassung bundesein­ heitlicher Richtlinien für Syndikusanwälte.192 Waldeck verstand seine Präsidentschaft mehr als diplomatische Mission denn als Herrschaft. Er hatte die Absicht, „die Beziehungen zum Deutschen Anwaltverein und das Verhältnis der Anwaltschaft zur Richterschaft zu verbessern“.193 1960 rafften sich Bundesrechtsanwaltskammer und DAV zu einem gemeinsamen Besuch bei Bundes­ kanzler Adenauer auf, um die Altersversorgung zu besprechen.194 Ebenso betrieben Kammer und Verein gemeinsame Lobbyarbeit, beispielsweise bei den Rechtsanwalts­ gebühren195 oder bei der Abwehr bzw. Eindämmung der Wirtschaftsprüfer, Steuerbe­ rater und Steuerbevollmächtigten in der Rechtsberatung.196 186 Öffentliche Kläger der Spruchkammer München X, 28.3.1947; OLG-Präsident München, Bestätigung, 22.10.1946 für die Wiederzulassung zum 19.6.1945, jeweils StA München, Sig. OLG München 3764. 187 Weber, Das Schicksal der jüdischen Rechtsanwälte in Bayern nach 1933, 2006, 179 f.; Stiefel/Mecklenburg, Deutsche Juristen im amerikanischen Exil (1933-1950), 1991, 134 ff. 188 Siehe Weber, Das Schicksal der jüdischen Rechtsanwälte in Bayern nach 1933, 2006, 202 ff. 189 Vorstand der RAK im OLG-Bezirk München, 17.10.1969, StA München, Sig. OLG Mün­ chen 3764. 190 Prot. 2. HV BRAK am 4./5.3.1960 in Ettlingen, 3. 191 Prot. 2. HV BRAK am 4./5.3.1960 in Ettlingen, 4 f. 192 Prot. 3. HV BRAK, 23./24.6.1960 in München, BRAK-Nr. 106/60, 5. 193 Prot. 1. HV BRAK, 1.10.1959 in Würzburg, 4. 194 Prot. 3. HV BRAK, 23./24.6.1960 in München, BRAK-Nr. 106/60, 2. 195 Prot. 4. HV BRAK am 27./28.10.1960 in Offenburg, BRAK-Nr. 150/60, 3. 196 Prot. 10. HV BRAK, 12./13.11.1962 in Frankfurt a.M., BRAK-Nr. 121/62, 3 ff.

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Ebenso war das Verhältnis zur Bundesregierung keinesfalls konfliktfrei. Die lange Entstehungszeit der BRAO hatte deutliche Spuren hinterlassen. Vizepräsident Dahn kritisierte, die BRAO sei für die anwaltschaftliche Selbstverwaltung eher Rück- als Fortschritt. Deshalb sprachen er und die Vertreter der Kammern Schleswig, Freiburg und Hamburg sich gegen einen Festakt zum 80. Jubiläum der Reichsjustizgesetze aus, den die Bundesregierung für Oktober 1959 in Bonn vorgeschlagen hatte. Die Mehr­ heit setzte zwar durch, dass die Bundesrechtsanwaltskammer einen solchen Festakt ausrichten solle, stellte aber zwei Bedingungen: erstens die Teilnahme der Staatsspitze und zweitens den Verzicht auf ein Bankett.197 Dieses vergiftete Geschenk wollten die Adressaten wie zu erwarten nicht annehmen. Der Festakt fiel aus.198 Ebenso zerschlu­ gen sich die Pläne, am 13. November 1959 einen Festakt zum Inkrafttreten der BRAO in Bonn auszurichten.199 Die BRAO hatte damit rechtspolitisch betrachtet einen denkbar schlechten Start. Erst am 29. September 1979 hielt die Bundesrechtsanwalts­ kammer in Frankfurt am Main unter dem Motto „100 Jahre freie Advokatur“ einen Festakt zum Inkrafttreten der Reichsgebührenordnung für Rechtsanwälte ab.200

II. Interregnum II – Präsidium Franke (1960-61) Nach dem Tode Waldecks wählte die fünfte Hauptversammlung am 27. Januar 1961 in Frankfurt am Main den bisherigen Vizepräsidenten Heinrich Franke zum neuen Präsidenten. Franke setzte sich gegen die altbekannten Anwärter Dahn und Müller sowie gegen Riegler (Präsident RAK Saarbrücken) mit großer Mehrheit bereits im ersten Wahlgang durch.201 Die Präsidentschaft währte nicht einmal ein halbes Jahr, so dass sie wiederum bis auf einen Beschluss gegen die Einrichtung weiterer Fachanwalt­ schaften keine historischen Fußabdrücke hinterließ.202 Interessant für die Amtszeit Frankes erscheint allein sein Lebenslauf. Der am 24. März 1891 in Dessau geborene Pfarrersohn Friedrich Heinrich Otto Franke ist der Schat­ tenmann unter den Präsidenten der Bundesrechtsanwaltskammer, da die Quellen nur sehr wenig zu ihm preisgeben.203 Allein die teilweise erhaltene Entnazifizierungsakte enthält substantielle Daten zum Werdegang. Ob die Akten nach 1945 gesäubert ­wurden, lässt sich nicht mehr nachvollziehen. Jedenfalls studierte Franke in Freiburg und Münster Jura und legte 1912 bzw. 1920 seine beiden juristischen Staatsexamina in Hamm und Berlin ab. Ebenfalls im Jahr 1920 erwarb er in Münster den Doktorti­

197 Prot. 1. HV BRAK v. 1.10.1959 in Würzburg, 7. 198 Prot. 2. HV BRAK, 4./5.3.1960 in Ettlingen, 11. 199 Zur Korrespondenz BRAK mit BMJ: BArch, Sig. 141/49272, Bl. 1 ff. 200 Dazu BArch, Sig. B141/84383. 201 Prot. 5. HV BRAK am 27./28.1.1961 in Frankfurt a.M., BRAK-Nr. 27/61, 2. 202 Prot. 5. HV BRAK am 27./28.1.1961 in Frankfurt a.M., BRAK-Nr. 27/61, 9. 203 Biographie: Müller, NJW 1961, 1296; Roesen, AnwBl 1961, 161; PA: BArch, Sig. Pers 6/28845; LA NRW, Sig. NW Pe Nr. 4244; Entnazifizierungsakte (mit zahlreichen Persil­ scheinen): a.a.O., NW 1002-L Nr. 74352. Die weitere Entnazifizierungsakte LA NRW, Sig. NW 1002-L Nr. Nr. 2821 gilt als verschollen.

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tel.204 Nachdem Franke im Anschluss zunächst bei der Staatsanwaltschaft als Assessor gearbeitet hatte, ergriff er 1922 in Düsseldorf den Anwaltsberuf. Zum 1. Mai 1933 trat Franke in die NSDAP ein,205 obwohl er während der Weimarer Zeit der DVP nahe­ gestanden haben soll.206 Daneben gehörte er weiteren nationalsozialistischen bzw. gleichgeschalteten Organisationen (Zellenleiter beim Rechtswahrerbund, ferner Alt­ herrenbund, Reichskriegerbund, Reichsluftschutzbund und Volkswohlfahrt) an.207 Franke selbst gab im Entnazifizierungsverfahren an, er sei kein Parteigenosse, son­ dern nur Parteianwärter gewesen.208 Die alliierte Militärregierung hielt diese Einlas­ sung zu Recht für wenig glaubwürdig und stufte ihn gem. § 10 Abs. 2 b der Kontroll­ ratsdirektive Nr. 24 (frühes Mitglied der NSDAP) als Mitläufer der Kategorie 4 ein.209 Den Krieg erlebte Franke als Reserveoffizier beim Wehrbezirkskommando Düssel­ dorf.210 Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde er 1949 in den Vorstand der Rechtsan­ waltskammer Düsseldorf gewählt, 1953 stieg er zu deren Vizepräsidenten, 1957 zu deren Präsidenten auf. Franke war somit der erste Präsident der Bundesrechtsan­ waltskammer oder einer ihrer demokratischen Vorläuferinstitutionen, der Mitglied der NSDAP gewesen war.

III. Konsolidierung – Präsidium Müller (1961-67) Franke verstarb nach wenigen Monaten am 14. Juni 1961 in Düsseldorf mit gerade einmal 70 Jahren und blieb somit wie Waldeck nur ein Mann des Übergangs. Die Mitglieder der siebten Hauptversammlung wählten auf der auf den 5. und 6. Oktober 1961 in Nürnberg angesetzten Hauptversammlung den Präsidenten der Rechtsan­ waltskammer Celle, Arthur Müller, im ersten Wahlgang mit großer Mehrheit zum dritten Präsidenten der Bundesrechtsanwaltskammer.211 Seine Amtszeit sollte we­ sentlich länger als die seiner beiden Vorgänger, nämlich bis 1967, dauern. Die Aktenlage zu Arthur Müllers Lebenslauf ist wieder weitaus besser.212 Er war am 9. Februar 1886 im preußischen Hannover als Sohn eines Kaufmanns geboren wor­ den. Seine beiden Staatsexamina absolvierte er 1908 in Celle und 1912 Berlin.213 Da­ zwischen promovierte er 1910 in Göttingen über „Die Zulässigkeit der Veräußerung künftiger Mobilien“. 1913 ergriff Müller den Beruf des Rechtsanwalts beim OLG Cel­ 204 Fragebogen zur Entnazifizierung, 2 f., LA NRW, Sig. NW 1002-L Nr. 74352. 205 Mitgliedsnr. 2717602, NSDAP-Gaukartei, BArch, Sig. R 9361-IX KARTEI / 9361124. 206 Enquiries, 22.4.1947, LA NRW, Sig. NW 1002-L Nr. 74352. 207 Fragebogen zur Entnazifizierung, 6 f., LA NRW, Sig. NW 1002-L Nr. 74352. 208 Franke, Anlage zum Entnazifizierungsverfahren, 10.1.1947, 1, LA NRW, Sig. NW 1002-L Nr. 74352. 209 Case Summary, 25.3.1947/23.5.1947, LA NRW, Sig. NW 1002-L Nr. 74352. 210 Wehrstammbuch, 7, 42, BArch, Sig. Pers 6/28845. 211 Prot. 7. HV BRAK, 5./6.10.1961 in Nürnberg, BRAK-Nr. 141/61, 11.  212 Biographie: Personalbogen, BArch, Sig. R/3001/83724; vgl. auch Brand, Historisches und Persönliches aus der Rechtsanwaltskammer Celle, 2. Aufl. 2004, 17 ff.; Rüping, Rechtsan­ wälte im Bezirk Celle während des Nationalsozialismus, 2010, 203, Fn. 14; PA, Nds. LA, Sig. NLA HA Nds. 710 Acc. 2007/094 Nr. 210. 213 PA, 27.4.1944, Nds. LA, Sig. NLA HA Nds. 710 Acc. 2007/094 Nr. 210.

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le, 1924 wechselte er zum Notariat. Kurz vor Ende der Weimarer Republik trat Müller in die DNVP ein. Nach der „Machtergreifung“ wechselte er aber nicht zur NSDAP, sondern beließ es bei Mitgliedschaften im NS-Rechtswahrerbund, im Reichsluft­ schutzbund und im Verein für Deutsche Kulturbeziehungen im Ausland.214 Weiter scheint er sich nicht für den Nationalsozialismus engagiert zu haben. Denn der Präsi­ dent des OLG Celle gab zu Protokoll, Müller habe keine „besondere Einsatzbereit­ schaft für die Bewegung gezeigt“.215 Nach dem Zweiten Weltkrieg galt Müller als un­ belastet und wurde bereits im Sommer 1945 als Präsident der Rechtsanwaltskammer Celle eingesetzt. Er verstarb am 23. Januar 1974. Müllers Amtsantritt fiel mit dem Bau der Berliner Mauer und somit mit der heißesten Phase des Kalten Krieges zusammen. Dementsprechend misstrauisch agierte die Bun­ desrechtsanwaltskammer gegenüber Kontakten zwischen Rechtsanwälten „der Bun­ desrepublik und der SBZ“ (sic!). Vizepräsident Dahn fasste die Diskussion auf der Hauptversammlung mit den Worten zusammen: „Es kann weder empfohlen, noch abgelehnt werden, Einzeleinladungen zu folgen; die persönliche Kontaktpflege muß der Verantwortung des Einzelnen überlassen bleiben. Die Teilnahme an gelenkten Veranstaltungen ist abzulehnen. Bei der Einladung zu Veranstaltungen im Bundesge­ biet ist Vorsicht geboten. Damit gesteuerte Einzeleinladungen als solche erkannt wer­ den, soll eine gegenseitige Unterrichtung über die BRAK stattfinden.“216 In Müllers Amtszeit erneuerte die Bundesrechtsanwaltskammer 1963 mit 79 Num­ mern die Richtlinien als „Grundsätze des anwaltlichen Standesrechts“.217 Bei der Fachanwaltschaft für Steuerrecht entschloss sich die Bundesrechtsanwaltskammer zu einem Kompromiss: Einerseits sollten Anwälte im Anschluss an die Rechtsprechung218 zugleich als Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer tätig sein dürfen,219 anderseits sollte es Rechtsanwälten nunmehr verboten sein, zugleich den Titel eines Steuerberaters und Fachanwalts für Steuerrecht zu führen (§ 69 Abs. 2 RL 1963).220 Der Anstellung von Rechtsanwälten in Steuerberater- und Wirtschaftsprüfergesellschaften stand die Bundesrechtsanwaltskammer wie zuvor die Arbeitsgemeinschaft kritisch gegenüber. Sie konnte sich aber zu keinem Anstellungsverbot durchringen (vgl. § 30 RL 1963),221

214 Personalbogen, BArch, Sig. R/3001/83724. 215 Personalbogen, BArch, Sig. R/3001/83724. 216 Prot. 12. HV BRAK, 30.9/1.10.1963 in Saarbrücken, BRAK-Nr. 108/63, 7. 217 Prot. 11. HV BRAK, 2./3.5.1963 in Kassel, BRAK-Nr. 59/63, 3 ff.; abgedruckt z.B. bei Bun­ desrechtsanwaltsordnung mit amtlicher Begründung, 2. Aufl. 1973, 335 ff. (mit Änderun­ gen Stand 1.1.1970). 218 BGH, Beschl. v. 5.6.1961 – AnwZ (B) 16/60, BGHZ 35, 385.  219 Prot. 8.  HV BRAK, 15.-17.1.1962 in Bonn, BRAK-Nr.  18/62, 2  f.; Prot. 10.  HV BRAK, 12./13.11.1962 in Frankfurt a.M., BRAK-Nr. 121/62, 8. 220 Prot. 10. HV BRAK, 12./13.11.1962 in Frankfurt a.M., BRAK-Nr. 121/62, 26; Zusammen­ stellung der Beschlüsse der HV in Frankfurt a.M., 12./13.11.1962 zu den sog. „heißen Ei­ sen“, Nr. 9 Abs. 2. 221 Prot. 10. HV BRAK, 12./13.11.1962 in Frankfurt a.M., BRAK-Nr. 121/62, 9 f.

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obwohl die Rechtsprechung bei Weisungsgebundenheit die Rechtsanwaltseigenschaft ganz klar verneinte.222 Ferner erlaubte die Bundesrechtsanwaltskammer jetzt die Bürogemeinschaft aus­ drücklich nicht nur mit Wirtschaftsprüfern, sondern auch mit Patentanwälten und Steuerberatern. Allerdings durften diese nicht als Rechtsbeistand zugelassen sein (§ 23 RL 1963).223 1964 folgten erstmals einheitliche „Richtlinien für die Gestattung der Bezeichnung ,Fachanwalt für Steuerrecht‘“, welche die Voraussetzungen für den Erwerb des Titels detailliert regelten.224 1965 trat die Bundesrechtsanwaltskammer nach einer Kampfabstimmung dem Institut für Steuerrecht der Rechtsanwaltschaft e.V. in Bochum als ordentliches Mitglied bei225 und fand sich endgültig damit ab, dass der Fachanwalt für Steuerrecht ein Eigenleben im ansonsten sehr konservativen Stan­ desrecht führte. Damit war aber die institutionelle Konkurrenz zum DAV in der Aus­ bildung nicht beendet. 1978 wurde das Institut zum „Deutschen Anwaltsinstitut e.V.“ umgegründet und nahm eine Vorreiterrolle bei der Ausbildung von Fachanwälten ein. Doch musste das Institut kurze Zeit später zum Missfallen der Bundesrechtsan­ waltskammer mit der neuen „Deutschen Anwaltakademie“ des DAV konkurrieren.226

E.  Bundesrechtsanwaltskammer in der sozialliberalen Ära I. Vorboten des Wandels – Präsidium Weber (1967-74) Die Wahl Karl Webers am 30.  September 1967 zum neuen Präsidenten der BRAK (gleich im ersten Wahlgang)227 fiel mit dem ersten politischen Umbruch in der Bun­ desrepublik zusammen: Die große Koalition zwischen Union und SPD von 1967 lei­ tete auf Bundesebene den Machtverlust der CDU/CSU ein, zwei Jahre später zog die sozialliberale Koalition in die Bundesregierung ein. 1. Anschlussverwendung für einen Bundesjustizminister Johannes Adam Karl Weber, Rufname Karl, war am 8. März 1898 in einer Bauern­ familie in Arenberg, heute ein Stadtteil von Koblenz, zur Welt gekommen.228 Er stu­

222 BGH, Beschl. v. 10.7.1961 – AnwZ (B) 16/61, BGHZ 35, 287; BGH, Beschl. v. 19.11.1962 – AnwZ (B) 20/62, BGHZ 38, 241; BGH, Beschl. v. 13.7.1964 – AnwZ (B) 1/64, NJW 1964, 2063.  223 Prot. 11. HV BRAK, 2./3.5.1963 in Kassel, BRAK-Nr. 59/63, 9. 224 Prot. 13. HV BRAK, 4./5.5.1964 in Düsseldorf, BRAK-Nr. 50/64, 7 f. 225 Prot. 17. HV BRAK, 6./7.12.1965 in Bremen, BRAK-Nr. 98/65, 8 f. 226 Dazu Prot. 45. HV BRAK, 18./19.5.1979 in Kassel, BRAK-Nr. 57/79, 6 f. Zur Geschichte: Haas, 25 Jahre BRAK, 1984, 135 ff. 227 Prot. 21. HV BRAK, 29./30.9.1967 in Berlin, BRAK-Nr. 67/67, 9 f. 228 Biographie: Buschbell-Steeger, FS 50 Jahre RAK Koblenz, 1997, 231, 264 f.; Kempf, in: ders./ Merz (Hrsg.), Kanzler und Minister 1949-1998, 2001, 730 ff.; Ley, NJW 1985, 2181; Vigano, BRAK-Mitt. 1974, 24; ders., BRAK-Mitt. 1973, 115 f.; Vierhaus/Herbst (Hrsg.), Biogra­

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dierte nach seiner Teilnahme am Ersten Weltkrieg seit 1919 an den Universitäten Hamburg und Bonn zunächst Jura, später seit 1921 am letzteren Ort neben dem Rechtsreferendariat Philosophie. Im Anschluss promovierte Weber in Bonn 1924 bei keinem geringeren als Carl Schmitt 1924 über ein rechtshistorisches Thema.229 Als Katholik stand er der Zentrumspartei nahe.230 Nach den beiden Staatsexamina in Köln und Berlin sowie nach einem Intermezzo als Gerichtsassessor in einer Justizprü­ fungskommission ließ er sich Ende 1924 in Koblenz beim Amts- und Landgericht als Rechtsanwalt nieder.231 Er war während der Diktatur kein nationalsozialistischer Parteigenosse, sondern nur einfaches Mitglied in zwei nationalsozialistischen Organisationen (Rechtswahrer­ bund, Volkswohlfahrt) sowie im Verein für Deutsche Kulturbeziehungen im Ausland und im Reichskriegerbund.232 Das Wehrbezirkskommando Koblenz ernannte Weber 1940 nach kurzer Truppendienstzeit zum Kriegsverwaltungsinspektor bei der Wehr­ kreisverwaltung.233 Die Ernennung war keinesfalls ein Selbstläufer. Die Gestapo hatte ermittelt, dass Weber auch nach der ,Machtergreifung‘ jüdische Bürger vor Gericht vertreten und einen jüdischen Schneider aufgesucht hatte.234 Das Regime verfolgte in solchen Fällen zunächst Parteigenossen und Amtsträger des NS-Rechtswahrerbundes mit einem Ehrengerichtsverfahren. Die Reichs-Rechtsanwaltskammer weitete das Vertretungsverbot Ende 1938 auf alle ,arischen‘ Rechtsanwälte aus.235 Von Juni 1942 bis Januar 1943 wurde Weber wieder einberufen und zum Reservekriegslazarett nach Warschau verlegt.236 Danach diente er bei der Wehrkreisverwaltung als Oberzahl­ meister und kurze Zeit während der katastrophalen Kriegsendphase im Wehrmachts­ streifendienst.237 Weber hatte während des Nationalsozialismus nicht nur vom Re­ gime verpönte Kontakte zu Juden, er kritisierte in einem Schreiben an den Präsidenten der Reichs-Rechtsanwaltskammer 1943 ganz offen den Verlust der freien Advokatur: „Man gewinnt immer mehr den Eindruck, dass die Selbstverwaltungsorgane der An­ phisches Handbuch der Mitglieder des Deutschen Bundestages 1949-2002, 2002, 924 f.; PA: BArch, Sig. Pers 6/16647; RAK Koblenz; Nachlass: LHA Koblenz, Sig. 700, 324. 229 Die Geschichte der rheinischen Gemeindeordnung vom 23. Juli 1845, Diss. Bonn, Auszug 1924. 230 Gestapo Koblenz an Wehrbezirkskommando Koblenz, 7.11.1940, BArch, Sig. Pers 6/16647; Fragebogen, LHA Koblenz, Sig. 700, 324. 231 Weber, Lebenslauf, 8.3.1938, BArch, Sig. Pers 6/16647; Weber, Schreiben an Chef der Wehrkreisverwaltung XII, 15.9.1943, LHA Koblenz, Sig. 700, 324. 232 Fragebogen, 14.11.1939, und Erklärung über politische Vergangenheit und Einstellung, 15.6.1940; Präsident RAK Köln an Wehrbezirkskommando Koblenz, 10/13.8.1940, jeweils BArch, Sig. Pers 6/16647. Zusätzlicher Fragebogen für Richter u.a., Anhang, LHA Koblenz, Sig. 700, 324. 233 Korpsintendant beim stellvertretenden Generalkommando XII, 1.6.1940; Wehrkreisver­ waltung XIII, 3.6.1940, jeweils BArch Sig. Pers 6/16647. 234 Gestapo Koblenz an Wehrbezirkskommando Koblenz, 7.11.1940 und 8.10.1940, BArch, Sig. Pers 6/16647. 235 Morisse, Rechtsanwälte im Nationalsozialismus, 1995, 104. 236 Personal-Nachweis, BArch, Sig. Pers 6/16647; Weber, Schreiben an Chef der Wehrkreis­ verwaltung XII, 15.9.1943, LHA Koblenz, Sig. 700, 324. 237 Personal-Nachweis, LHA Koblenz, Sig. 700, 324.

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waltschaft weitgehend ausgeschaltet werden und dass damit der freien Anwaltschaft vieles von dem genommen wird, was gerade nach der nationalen Revolution als Er­ rungenschaft der neuen Zeit und der aus ihren Erfordernissen gebotenen Ausrich­ tung der Anwaltschaft gepriesen wird.“238 Nach dem Zweiten Weltkrieg erhielt er 1947 die Zulassung am OLG Koblenz. Im sel­ ben Jahr beauftragte ihn die Landesregierung Rheinland-Pfalz mit der Bildung der Rechtsanwaltskammer für seinen Oberlandesgerichtsbezirk. Weber wurde zum Prä­ sidenten der Rechtsanwaltskammer Koblenz gewählt und stieg 1960 zum Vizepräsi­ denten des DAV auf, zu dessen Ehrenmitglied er 1971 ernannt wurde.239 Auch poli­ tisch erreichte Weber höchste Ämter. Als ehemaliges Zentrumsmitglied begründete er die CDU in Rheinland-Pfalz mit und amtierte von 1950 bis 1965 als deren Bezirks­ vorsitzender im Regierungsbezirk Koblenz. Parlamentarisch gehörte Weber von 1949 bis 1965 für die CDU dem Deutschen Bundestag an und engagierte sich dort beson­ ders im Ausschuss für Rechtswesen sowie im Verfassungs- bzw. Rechtsausschuss. Seit 1957 zählte er als Vorsitzender des Arbeitskreises „Recht“ der CDU/CSU-Bundes­ tagsfraktion von Amts wegen zum Fraktionsvorstand.240 Im März 1965 erhielt Weber in der Bundesregierung eine neue Aufgabe, nachdem Egon Klepsch, damals Bundes­ vorsitzender der Jungen Union, ihn im Wahlkreis Koblenz-St. Goar als CDU-Direkt­ kandidaten für die nächste Bundestagswahl verdrängt hatte. Als Bundesminister der Justiz konnte der passionierte Rechtspolitiker Weber bis auf die Aktienrechtsreform kein nachhaltiges Vermächtnis hinterlassen und nahm verbittert zur Kenntnis, dass er mit dem Zusammentritt des 5. Deutschen Bundestages bereits im Oktober desselben Jahres auch als Minister auf das Abstellgleis geriet.241 Der Wechsel an die Spitze der BRAK verschaffte Weber daher eine willkommene Gelegenheit, weiter an vorderster Front in der Rechtspolitik mitzuwirken. Nach dem Ende der Präsidentschaft im Jahr 1974 verlieh Rheinland-Pfalz Weber den Titel eines Justizrates.242 Weber verschied am 21. Mai 1985 in seiner Heimat. 2. Professionalisierung und Digitalisierung Größte Neuerung in Webers Amtszeit war die Professionalisierung der Kommunika­ tion der Bundesrechtsanwaltskammer.243 Vizepräsident Heinrich Vigano wurde 1970 zum Pressesprecher bestimmt,244 im selben Jahr erschienen erstmals die „Mitteilun­ gen der Bundesrechtsanwaltskammer“.245 Ein solches Informationsorgan war 1959 im

238 Weber, Schreiben an den Präsidenten der Reichs-Rechtsanwaltskammer, 16.3.1943, LHA Koblenz, Sig. 700, 324. 239 Vigano, BRAK-Mitt. 1974, 24. 240 Vierhaus/Herbst (Hrsg.), Biographisches Handbuch der Mitglieder des Deutschen Bun­ destages 1949-2002, 2002, 925. 241 Kempf, in: ders./Merz (Hrsg.), Kanzler und Minister 1949-1998, 2001, 730, 731. 242 Urkunde, LHA Koblenz, Sig. 700, 324. 243 Dazu Prox, FS Scharf, 2008, 1, 2 f., allerdings mit falscher Jahresangabe. 244 Prot. 27. HV BRAK, 22./23.5.1970 in Hamburg, BRAK-Nr. 48/70, 15 ff. 245 Prot. 27. HV BRAK, 22./23.5.1970 in Hamburg, BRAK-Nr. 48/70, 20 ff.

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Geschichte der Bundesrechtsanwaltskammer in der Bonner Republik

Gründungsjahr der ,neuen‘ Bundesrechtsanwaltskammer noch gescheitert.246 Statt­ dessen begnügte sich die Bundesrechtsanwaltskammer vorläufig mit der Mitheraus­ gabe der NJW. Das war nicht unproblematisch:247 Die NJW wies 1947/48 zunächst die Vereinigung für die britische Zone, süddeutsche Kammern und den Anwaltverein Nord-West als Mitherausgeber aus, ab 1949 den DAV, die Vereinigung für die briti­ sche Zone und süddeutsche Kammern. Mit der Gründung der ,neuen‘ Bundesrechts­ anwaltskammer firmierte im Druckbild der DAV in großen Lettern oben und die Bundesrechtsanwaltskammer in kleinen Lettern unten als Mitherausgeber. Damit ist seitdem das editorische Herrschaftsverhältnis für die Leser klar zementiert. Der Bun­ desrechtsanwaltskammer gelang es weder 1959 noch 1963 durchzusetzen, dass die Wörter „Bundesrechtsanwaltskammer“ und „Deutscher Anwaltverein“ auf dem Titel­ blatt gleich groß geschrieben werden.248 Der Vertreter des DAV erklärte, „der DAV werde einer Angleichung niemals zustimmen“.249 Diese Episode verdeutlicht einmal mehr das schlechte Verhältnis zwischen Bundesrechtsanwaltskammer und DAV. Der Leidensdruck war für die Bundesrechtsanwaltskammer aber vorläufig nicht hoch ge­ nug, um sich von DAV und NJW zu emanzipieren. Erst persönliche Unstimmigkeiten zwischen der NJW-Redaktion und der Bundesrechtsanwaltskammer zwangen diese 1969 zum Umdenken.250 Gleichwohl wollte sich die Bundesrechtsanwaltskammer auch nach Gründung des eigenen Publikationsorgans nicht von der NJW trennen. Die Bundesrechtsanwaltskammer firmiert bis heute als Mitherausgeberin der Zeit­ schrift. Ebenfalls in Webers Amtszeit fallen der Beginn des Computerzeitalters im Büro und die Vorbereitungen zur Digitalisierung des Rechtswesens. Hier zeigte sich die Bun­ desrechtsanwaltskammer ganz klar gegenüber Neuerungen aufgeschlossen.251 Die Einsetzung eines Ausschusses „Juristisches Informationssystem (EDV)“ im Jahr 1972, aus dem später DATEV und die Datenbank der Juris GmbH hervorging, läutete nicht nur für die Bundesrechtsanwaltskammer ein neues Zeitalter ein.252 3. Kassandra im Standesrecht Auf dem Gebiet des Standesrechts sah nur eine Minderheit, darunter Karlheinz Quack, Präsident der Rechtsanwaltskammer Berlin und ausgewiesener Wettbewerbs­ rechtler, die großen wirtschaftlichen Probleme der Rechtsanwaltschaft am Horizont: „Die Anwaltschaft habe in den 20er Jahren und Anfang der 60er Jahre wegen ihres statischen Denkens den Anschluss an die Entwicklung verpasst. Alle wirtschaftlich 246 Prot. XXXVII. Tagung BRAK (Vereinigung), 29.6.1959 in Hannover, 6.  247 Siehe Flemming, NJW 1987, 2653 ff. 248 Prot. 1. HV BRAK, 1.10.1959 in Würzburg, 10 f.; Prot. 12. HV BRAK, 30.9/1.10.1963 in Saarbrücken, BRAK-Nr. 108/63, 6. 249 Prot. 12. HV BRAK, 30.9/1.10.1963 in Saarbrücken, BRAK-Nr. 108/63, 6; siehe auch Prot. 1. HV BRAK, 1.10.1959 in Würzburg, 10 f. 250 Prot. 24. HV BRAK, 6./7.6.1969 in Freudenstadt, BRAK-Nr. 46/69, 6. 251 Siehe Prot. 36. HV BRAK, 18./19.10.1974 in Karlsruhe, BRAK-Nr. 104/74, 16, mit einer Resolution zu den auszuwählenden Rechtsgebieten. 252 Ausführlich Prot. 36. HV BRAK, 18./19.10.1974 in Karlsruhe, BRAK-Nr. 104/74, 10.

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wesentlichen Verträge würden heute von den Wirtschaftsprüfern gemacht.“253 „Die Anwaltschaft müsse endlich einmal dazukommen, wegen der künftigen Entwicklung des Berufsstandes zu agieren und nicht nur zu reagieren.“254 Die Bundesrechtsanwaltskammer beschränkte sich auf die Politik der kleinen Schrit­ te. Die letzte grundlegende Neufassung der Richtlinien von 1973 entwickelte das Standesrecht in nunmehr 90 Punkte nur behutsam fort.255 Exemplarisch ist die Zu­ sammenarbeit der Anwaltschaft mit Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern, die lang­ sam aber stetig intensiver wurde. 1969 verhandelte die Bundesrechtsanwaltskammer mit den Vertretern der Steuerberater und der Wirtschaftsprüfer über die Zulässigkeit einer Sozietät mit diesen Berufsgruppen, nachdem die Rechtsprechung eine solche Sozietät für zulässig erklärt hatte.256 Die Totalopposition der Bundesrechtsanwalts­ kammer war einer pragmatischen Haltung gewichen, die nur Vorbehaltsaufgaben ge­ wahrt und die Berufsversicherung geklärt haben wollte. Die Hauptversammlung der Bundesrechtsanwaltskammer bat die Kammervorstände, interprofessionelle Gemein­ schaftspraxen bereits vor einer Änderung der Richtlinien zu dulden.257 1972 führte die Bundesrechtsanwaltskammer durch Nichtbeschluss die vorläufige Duldung für die Sozietät zwischen Rechtsanwälten und den gesetzlich zulässigen Steuerberatungsund/oder Wirtschaftsprüfergesellschaften fort.258 § 31 RL 1973 erlaubte dann die So­ zietät mit Angehörigen anderer Berufe unter Wahrung der Vorbehaltsaufgaben, der standesrechtlichen Grundsätze sowie der Berufshaftpflicht. Als problematisch emp­ funden wurde aber, dass die wirtschafts- und steuerberatenden Berufe sich um die Zulassung als Rechtsbeistände bemühten, um sich einen Anteil an der Rechtsbera­ tung zu sichern. Die Bundesrechtsanwaltskammer kritisierte, dadurch werde das Be­ rufsbild des Rechtsbeistandes verfälscht.259 § 30 RL 1973 sprach daher in Fortentwick­ lung von § 23 RL 1963 ein Kooperationsverbot aus, wenn die Angehörigen anderer Berufe als Rechtsbeistand zugelassen waren. Diese Haltung war aus damaliger Sicht konsequent, da die Bundesrechtsanwaltskammer hier anders als bei einer stärkeren Partizipation der Rechtsanwälte am Steuerberatungs- und Wirtschaftsprüfungsge­ schäft unliebsame Konkurrenten abwehrte. Die Bundesrechtsanwaltskammer locker­ te das Verbot erst 1983 für Rechtsbeistände auf, die Mitglieder einer Rechtsanwalts­ kammer waren.260 Vollkommen umstritten blieb indessen die Zulässigkeit einer Sozietät eines Rechtsan­ walts mit überörtlichen Steuerberater- und/oder Wirtschaftsprüfergesellschaften. Mit diesem Streit stand bereits 1973 der indirekte Einstieg in die Welt der nationalen und 253 Prot. 32. HV BRAK, 17./18.11.1972 in Düsseldorf, BRAK-Nr. 90/72, 16. 254 Prot. 33. HV BRAK, 21./22.6.1973 in Stuttgart, BRAK-Nr. 90/72, 19 f. 255 Prot. 33. HV BRAK, 21./22.6.1973 in Stuttgart, BRAK-Nr. 42/73, 3 ff.; abgedruckt z.B. bei Feuerich, Bundesrechtsanwaltsordnung mit den Grundsätzen des anwaltlichen Standes­ rechts, 1987, 757 ff. (Stand 10.10.1986). 256 BGH, Urt. v. 4.1.1968 – AnwZ (B) 10/67, BGHZ 49, 244. 257 Prot. 25. HV BRAK, 10./11.10.1969 in Koblenz, BRAK-Nr. 95/69, 6. 258 Prot. 32. HV BRAK, 17./18.11.1972 in Düsseldorf, BRAK-Nr. 90/72, 5. 259 Prot. 27. HV BRAK, 22./23.5.1970 in Hamburg, BRAK-Nr. 48/70, 6. 260 Prot. 53. HV BRAK, 27.5.1983 in Krefeld, BRAK-Nr. 54/73, 20.

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internationalen Großkanzleien in Form von Kapitalgesellschaften zur Debatte.261 Der zuständige Ausschuss der Bundesrechtsanwaltskammer sah die Gefahr, dass eine sol­ che Zusammenarbeit den ,heiligen‘ Lokalisierungsgrundsatz aushebeln könne und verlangte deshalb für die Sozietät Sicherungsmaßnahmen zur Wahrung der Lokalisie­ rung. Das war, unterstützt vom Vertreter des DAV, immerhin ein grundsätzlich posi­ tives Votum. Kritischen Stimmen auf der Hauptversammlung reichten solche Siche­ rungsmaßnahmen nicht aus. Sie befürchteten einen Missbrauch und wollten daher eine solche Zusammenarbeit ganz verbieten.262 Die Diskussion enthüllt weitere prak­ tizierte, wenn auch standesrechtlich sanktionierte Kooperationsformen wie die Zu­ sammenarbeit des Rechtsanwalts mit einer Beratungsgesellschaft in Form einer GmbH, deren Gesellschafter er ist.263 Im Ergebnis positionierte sich die Bundes­ rechtsanwaltskammer gegen die Sozietät mit überörtlichen Steuerberater- und Wirt­ schaftsprüfergesellschaften. Der Vizepräsident der Rechtsanwaltskammer Hamm fasste die Diskussion mit den Worten zusammen: „Solche Gesellschaften führten nur zur Abwanderung weiterer Tätigkeitsgebiete aus der Anwaltschaft. Das ganze System gerate ins Wanken, insbesondere das Gebührenrecht mit dem Verbot der Unterbie­ tung und des Erfolgshonorars. Die anonymen Kapitalgesellschaften seien dem an­ waltlichen Standesrecht nicht mehr unterworfen. Der erhoffte Fortschritt für das an­ waltliche Berufsbild führe letztlich zu einem absoluten Rückgang.“264

II. Terror und Europa – Präsidium Vigano (1974-83) Auf Präsident Weber folgte am 10. Mai 1974 der Kölner Kammerpräsident und bis­ herige Vizepräsident der Bundesrechtsanwaltskammer Heinrich Vigano. Er wurde gleich im ersten Wahlgang gewählt, Vizepräsident wurde Schmalz, der bei der Wahl zum Präsidenten ein beachtliches Ergebnis erzielt hatte.265 1. Flüchtling und Syndikus als Präsident – Heinrich Vigano In Siegen am 19. Februar 1905 als Sohn eines promovierten Syndikus geboren, stu­ dierte Vigano ab 1925 in Berlin, Bonn und zuletzt wiederum in Berlin Jura.266 Er 261 Prot. 33. HV BRAK, 21./22.6.1973 in Stuttgart, BRAK-Nr. 42/73, 19. Überblick zur Ge­ schichte: Busse, Geschichte der deutschen Anwaltschaft 1945-2009, 2010, 288 f.; Kempter/ Kopp, FS 125 Jahre RAK München, 2004, 84  ff.; Hartstang, Anwaltsrecht, 1991, 30  ff.; Henssler/Prütting/Hartung, § 59a BRAO Rz. 1 ff.; Müller, ZNR 35 (2013) 221 ff.; Rasor, in: RAK Frankfurt a.M. (Hrsg.), Rechtsanwälte und ihre Selbstverwaltung 1978-1998, 1998, 171 ff. 262 Prot. 32. HV BRAK, 17./18.11.1972 in Düsseldorf, BRAK-Nr. 90/72, 5 ff. 263 Prot. 32. HV BRAK, 17./18.11.1972 in Düsseldorf, BRAK-Nr. 90/72, 10. 264 Prot. 32. HV BRAK, 17./18.11.1972 in Düsseldorf, BRAK-Nr. 90/72, 10 f. 265 Prot. 35. HV BRAK, 10.5.1974, BRAK-Nr. 50/74, 17 f. 266 Biographie: Heyl, BRAK-Mitt. 1974, 25; Privat, Anwaltschaft im Wandel, 2004, 149  ff.; Koch, AnwBl 1985, 508; Schmalz, BRAK-Mitt. 1983, 176 f.; ders., NJW 1985, 2461; Vigano, Die Probleme des internationalen Privatrechts bei den Postglossatoren, 1948, Lebenslauf; PA: LA NRW, Sig. BR-PE Nr. 19562; Sig. NW 0252 Nr. 1760 1949-1985; Entnazifizierungs­

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legte in Berlin am Kammergericht in den Jahren 1929 und 1933 seine beiden Staats­ examina ab.267 Während des Rechtsreferendariats arbeitete Vigano als Assistent des Strafrechtlers Kohlrausch sowie des Honorarprofessors David an der Berliner juristi­ schen Fakultät, die damals als beste Rechtsfakultät im Reich galt. Nach der großen juristischen Staatsprüfung entschied er sich 1934 nach einer kurzen Tätigkeit als Syn­ dikus des Reichsverbandes Deutscher Heimstätten e.V. gegen die Richterlaufbahn und für die Karriere als Rechtsanwalt beim KG Berlin. Parallel dazu arbeitete er als Syndikus des Reichsverbandes des deutschen gemeinnützigen Wohnungsbauwesens. Vigano trat erst 1940 in die NSDAP ein268 und gehörte weiteren Organisationen des NS-Staates an (Kraftfahrkorps, Rechtswahrerbund, Reichsluftschutzbund, Volkswohl­ fahrt).269 Da die Alliierten einen Parteibeitritt nach 1937, insbesondere einen späten Beitritt zu Kriegszeiten, nur als geringfügiges Unrecht ansahen, wurde er später im Entnazifizierungsverfahren in die Kategorie 5 (unbelastet) eingestuft.270 1942 wurde er für die Rechtsabteilung der Organisation Todt dienstverpflichtet. Über seinen wei­ teren Weg während des Zweiten Weltkrieges ist nichts bekannt.271 Nach dem Krieg verschlug es Vigano zunächst als Syndikus der Gemeinnützigen AG für Angestellten-Heimstätten (Gagfah) und der Thüringischen Heimstätten AG (Thühag) in die sowjetische Besatzungszone nach Weimar.272 1948 promovierte er an der Universität Jena beim Privatrechtler Blomeyer über ein rechtshistorisches The­ ma.273 Danach flüchtete er in das spätere Westdeutschland und baute in Köln eine neue Anwaltspraxis auf, da er die Verfolgung durch die sowjetischen Besatzer befürch­ tete. Vigano setzte seinen Arbeitsschwerpunkt im Miet-, Arbeits- und Staatskirchen­ recht. Er engagierte sich als Mitglied und später als stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsrates der Aachener Gemeinnützigen Siedlungs- und Wohnungs-GmbH wei­ terhin im sozialen Wohnungsbau. 1959 begann mit der Wahl in den Vorstand der Rechtsanwaltskammer Köln seine Funktionärslaufbahn. 1963 stieg er in der Nachfol­ ge Fincks zum Präsidenten der Rechtsanwaltskammer Köln und 1969 zum Vizepräsi­ denten der Bundesrechtsanwaltskammer auf. Als Präsident der Bundesrechtsanwalts­ kammer nahm er regelmäßig an den Tagungen der Wiener Präsidentenkonferenz der Europäischen Anwaltsorganisationen in Wien teil und knüpfte dort Kontakte zu den Vertretern der Ostblockstaaten. Nach dem Ende seiner Amtszeit als Präsident der akte: a.a.O., NW 1005-G40 Nr. 710; Verdienstorden: a.a.O., Sig. NW OA Nr. 1203, NW O Nr. 7787, Nr. 47985 und Nr. 63553. 267 Angaben bis zur Promotion nach Vigano, Die Probleme des internationalen Privatrechts bei den Postglossatoren, 1948, Lebenslauf; danach nach BRAK, Vorschlag für den Ver­ dienstorden der BRD an BMJ, 1.3.1979, LA NRW, Sig. NW O Nr. 63553, Bl. 4 ff. 268 Mitgliedsnr. 8183727, NSDAP-Gaukartei, BArch, Sig. R 9361-IX KARTEI / 45910558. 269 Personalbogen, LA NRW, Sig. NW 0252 Nr. 1760. 270 Deutscher Entnazifizierungsausschuss, Abschrift, 19.2.1949, LA NRW, Sig. BR-PE Nr. 19562, Bd. 1, Bl. 15r. 271 Keine Belege im BArch, Abteilung Militärarchiv in Freiburg i. Br. 272 Alles nach Vigano, Die Probleme des internationalen Privatrechts bei den Postglossatoren, 1948, Lebenslauf. 273 Die Probleme des internationalen Privatrechts bei den Postglossatoren, Jena, Rechts- u. wirtschaftswissenschaftliche Fakultät, Dissertation, Diss. Jena, Mai 1948.

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Bundesrechtsanwaltskammer ernannte ihn die Hauptversammlung der Bundesrechts­ anwaltskammer zum Ehrenpräsidenten.274 Vigano verstarb am 8.  August 1985 in Köln. 2. Bewährungsproben für den Rechtsstaat In Webers Amtszeit hatte der Linksterrorismus begonnen, der in den größeren Kon­ text des gesellschaftlichen Umbruchs in der Bundesrepublik während der langen 1960er Jahre einzuordnen ist.275 Am 2. April 1968 hatten Baader und Ensslin, beides Kinder der 68er-Bewegung und spätere Mitbegründer der RAF als Protest gegen den Vietnamkrieg drei Brände in Frankfurter Kaufhäusern gelegt. 1970 konstituierte sich die RAF. Im Deutschen Herbst 1977 erreichte der Terror während der Präsidentschaft Viganos seinen Höhepunkt. 1978 bilanzierten die BRAK-Mitteilungen in der Rück­ schau 28 durch terroristische Gewalt getötete Personen, 106 Opfer von Mordversu­ chen, 92 verletzte Personen und 162 Geiseln, denen nur 15 ums Leben gekommene terroristische Gewalttäter gegenüberstanden.276 Für die Bundesrechtsanwaltskammer war der Linksterrorismus weitaus mehr als Rechtspolitik am Verhandlungstisch.277 Der Kampf gegen den Terrorismus wurde für die Bundesrechtsanwaltskammer wie für alle öffentlichen Organe zur rechtsstaatli­ chen Bewährungsprobe zwischen Staatsversagen einerseits und Polizeistaat anderer­ seits. Zur Hochzeit des Terrors galt für die Hauptversammlungen der Bundesrechts­ anwaltskammer die höchste Sicherheitsstufe. Ein Zeitzeuge berichtete anschaulich über die weitreichenden Sicherheitsmaßnahmen zur 42. Hauptversammlung 1977 in Bamberg.278 Nicht immer ließen sich terroristische Anschläge erfolgreich verhindern. Klaus Schmalz, Vizepräsident der Bundesrechtsanwaltskammer von 1975 bis 1983 und seit 1983 Präsident, wurde während der Hochphase des linksextremistischen Terrors Opfer der Revolutionären Zellen. Sie verübten 1977 in der Frankfurter Innen­ stadt einen Sprengstoffanschlag auf seine Wohnung. Schmalz und seine Ehefrau erlit­ ten bei diesem Anschlag leichte Verletzungen.279 Die Rechtsanwaltschaft stand aber nicht geschlossen hinter der Bundesrechtsanwalts­ kammer und den staatlichen Sicherheitsorganen in ihrem Kampf gegen den Terroris­ mus.280 Die erste sichtbare Dissonanz manifestierte sich in den späten 1960er Jahren 274 Privat, Anwaltschaft im Wandel, 2004, 149 f. 275 Zu dieser Epoche: Schäfer, in: Janicka (Hrsg.), Judiciary and Society between Privacy and Publicity, 2016, 175 ff., m.w.N., ferner Wohlstein, Alternative Privatrechtswissenschaft im Zeitgeist von 1968, Diss. Freiburg i.Br., in Vorbereitung; zur Periodisierung Agar, The Bri­ tish Journal for the History of Science 41 (2008) 567 ff. 276 BRAK-Mitt. 1978, 11, 11. 277 Dazu Jungfer, FS 125 Jahre RAK Berlin, 2006, 27, 31. 278 Brand, Historisches und Persönliches aus der Rechtsanwaltskammer Celle, 2. Aufl. 2004, 300 f. 279 Richter, Leben im Ausnahmezustand, 2014, 286; dpa 052 id, BArch 106/111240; DER SPIEGEL Nr. 17/1977, 17, 21 f. 280 Dazu Dirks, in: Jungfer/König (Hrsg.), FS 125 Jahre RAK Berlin, 2006, 293, 335 ff.

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beim Robenzwang, d.h. bei der Frage, ob Rechtsanwälte vor Gericht zum Auftritt in der traditionellen Berufskleidung verpflichtet waren.281 Während § 10 RL 1957 nur allgemein von der „Amtstracht“ sprach, setzte sich das Präsidium der Bundesrechts­ anwaltskammer mit großem Nachdruck für eine bestimmte Tracht ein: „Das Tragen der Robe ist Standespflicht.“282 Gleichwohl blieb es umstritten, ob die Bundesrechts­ anwaltskammer dazu eine allgemeine Erklärung abgeben und den Zwang in die Richtlinien aufnehmen solle.283 Das BVerfG erkannte 1970 zumindest bei den Land­ gerichten ein gerichtsverfassungsrechtliches Gewohnheitsrecht zum Robenzwang an.284 Nicht nur Roben gerieten ins Kreuzfeuer. Das wäre in der Tat nur eine formalistische Petitesse gewesen. Nein, der Riss innerhalb der Rechtsanwaltschaft reichte weitaus tiefer.285 In einem Rechtsstaat haben selbstverständlich auch beschuldigte Terroristen das Recht auf einen Rechtsanwalt und allgemein auf ein faires Verfahren. Viele Straf­ verteidiger hielten sich an die Gesetze. Eine beachtliche Anzahl aber überschritt be­ wusst Grenzen. Bis gegen Ende der 1970er Jahre hatten Justiz und Rechtsanwaltskam­ mern rund 40 linksgerichtete Anwälte straf- und standesrechtlich verfolgt.286 Das Misstrauen der Justiz gegenüber den Strafverteidigern reichte bis zum berüchtigten, vom BVerfG abgesegneten Hosenladen-Erlass im Stammheim-Prozess.287 Die Bundesrechtsanwaltskammer entschied sich für einen Mittelweg zwischen Frei­ heit und Repression. Präsident Vigano resümierte auf der einen Seite zugunsten der Freiheit im Herbst 1976, „die Errungenschaften der liberalen Strafprozeßreform von 1965“ seien „weitgehend wieder rückgängig gemacht worden […]. Es sei nicht zu verkennen, daß die Gesetzgebungsorgane sich bemüht hätten, mit dem Phänomen des Terrorismus fertig zu werden, und daß einige Anwälte durch ihr Verhalten gesetz­ geberische Maßnahmen geradezu herausgefordert hätten. Zum Teil sei die Reaktion des Gesetzgebers jedoch zu weit gegangen. Dies gelte z. B. insoweit, als in den unge­ hinderten Verkehr zwischen Verteidiger und inhaftiertem Mandanten eingegriffen und im Bereich der Delikte nach §§ 129 ff. StGB die Strafbarkeit weit in den Bereich der Vorbereitungshandlungen vorverlegt worden sei.“288 Auf der anderen Seite stand Präsident Vigano bedingungslos an der Seite der Sicherheitsbehörden. Als die franzö­ sischen und italienischen Gewerkschaften der Richter und Staatsanwälte in einem Rundschreiben die „Gewalttätigkeit des Staates“ beim Kampf gegen den Terrorismus scharf kritisierten, konterte Vigano mit folgenden Worten: „Besonders überraschend erscheint es, daß Sie acht Tage nach der Ermordung von Hanns Martin Schleyer und 281 Prot. 24. HV BRAK, 6./7.6.1969 in Freudenstadt, BRAK-Nr. 46/69, 10. 282 Prot. 25. HV BRAK, 10./11.10.1969 in Koblenz, BRAK-Nr. 95/69, 3. 283 Prot. 25. HV BRAK, 10./11.10.1969 in Koblenz, BRAK-Nr. 95/69, 8 f. 284 BVerfG, Beschl. v. 18.2.1970  – 1 BvR 226/69, BVerfGE 28, 21; ferner BGH, Urt. v. 25.10.1976 – AnwSt (R) 5/76, BGHZ 68, 339 (Leitsatz) = BGHSt 27, 34. 285 Aus der reichen Literatur stellvertretend: Lampe, in: DAV (Hrsg.), Anwälte und ihre Ge­ schichte, 2011, 431 ff.; v. Plottnitz, a.a.O., 459 ff. 286 Brunn/Kirn, Rechtsanwälte, Linksanwälte, 2004, 32. 287 BVerfG, Beschl. v. 7.4.1978 – 2 BvR 202/78, BVerfGE 48, 118. 288 Prot. 40. HV BRAK, 15.10.1976 in Berlin, BRAK-Nr. 101/76, 3.

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der Entführung der Lufthansa-Maschine nach Mogadischu die fortdauernden Ver­ brechen einer terroristischen Bande als marginal bezeichnen und daß Sie erklären, die zur Bekämpfung dieser Schwerkriminalität ergriffenen Maßnahmen des Staates sollten der Bekämpfung und Erdrosselung einer politischen Anfechtung dienen.“289 Nicht alle Mitglieder der Bundesrechtsanwaltskammer wollten der Linie der Bundes­ rechtsanwaltskammer folgen. Die BILD am SONNTAG hatte am 11. Juni 1972, also wenige Tage vor der Festnahme Meinhofs, aus einer Pressekonferenz berichtet, Gene­ ralbundesanwalt Martin habe „den schweren Verdacht gegen Rechtsanwälte der Ba­ der-Meinhof-Gruppe bestätigt. Er nannte in diesem Kontext ein Hamburger „An­ waltskollektiv“, das nicht durch „anwaltschaftliche Berufspflicht abgedeckt sei“.290 Die Rechtsanwaltskammer Celle sprach von einem ungeheuerlichen Vorwurf des Gene­ ralbundesanwalts und forderte die Einleitung eines Disziplinarverfahrens. Die Bun­ desrechtsanwaltskammer hingegen wollte den Vorfall nicht so hoch aufhängen. Sie begnügte sich nach einer Aussprache auf der Hauptversammlung damit, mit dem Ge­ neralbundesanwalt die Angelegenheit intern abzuklären.291 Der Mittelweg der Bundesrechtsanwaltskammer war angesichts zahlreicher neuer freiheitsbeschränkender Gesetze, von denen einige tief in die Verteidigerrechte ein­ griffen, im Rückblick ein schwieriger Balanceakt.292 Zu nennen sind die Lex Baader-­ Meinhof (1974), das Antiterrorgesetz (1976), das Kontaktsperregesetz (1977), das Razziengesetz (1978) und die Beschleunigungsnovelle (1979). Die Bundesrechtsan­ waltskammer verteidigte die Rechtsanwaltschaft, solange keine beweisbaren Strafta­ ten vorlagen. Sie nahm damit eine unpolitische, positivistische Position ein, welche die Freiheit der Advokatur schützte, solange die Rechtsanwälte sich nicht nachweis­ lich strafbar gemacht hatten. So stellte sich die Bundesrechtsanwaltskammer 1973 auf die Seite Otto Schilys, der als Wahlverteidiger Ensslins fungierte. Der Ermittlungs­ richter am BGH hatte Schily von der Verteidigung ausgeschlossen, da dieser im Ver­ dacht stehe, in einem Kassiber Informationen aus der Ensslin-Zelle an die flüchtige Meinhof geschmuggelt zu haben.293 Eine gesetzliche Grundlage für den Verteidiger­ ausschluss existierte damals noch nicht. Der Sachverhalt der einschlägigen Entschei­ dung des BVerfG hält dazu fest: „Die Bundesrechtsanwaltskammer hat die Ansicht vertreten, die Entziehung der Verteidigungsbefugnis finde im Gesetz keine Stütze. Auch einen vorkonstitutionellen Gewohnheitsrechtssatz, der den Eingriff decke, gebe es nicht.“294 Das Verfassungsgericht schloss sich dieser Ansicht an; der Ausschluss Schilys war verfassungswidrig. Bis heute ist Schily keine Straftat nachzuweisen, so dass sich die Bundesrechtsrechtsanwaltskammer in ihrer damaligen Position bestätigt sehen darf. Allerdings plädierte die Bundesrechtsanwaltskammer im Anschluss gleich­ 289 Vigano, BRAK-Mitt. 1978, 10. 290 Mehlich, Der Verteidiger in den Strafprozessen gegen die Rote Armee Fraktion, 2012, 272. 291 Prot. 32.  HV BRAK, 17./18.11.1972 in Düsseldorf, BRAK-Nr.  90/72, 12; ferner Prot. 63. Präsidiumssitzung BRAK, 1.8.1972, BRAK-Nr. 63/72, 5. 292 Zur Legislation: Böttger, Die Entwicklung des Strafprozesses in den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts, 2016, 59 ff. 293 Schueler, DIE ZEIT, 29.9.1972; DER SPIEGEL, 31.7.1972, 29. 294 BVerfG, Beschl. v. 14.2.1973 – 2 BvR 667/72, BVerfGE 34, 293.

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wohl für eine gesetzliche Regelung, Strafverteidiger auszuschließen. Sie wollte bei der folgenden Reformdiskussion den Verteidigerausschluss naturgemäß nicht in die Hän­ de der Justiz, sondern in die der Ehrengerichte legen, die Hauptversammlung konnte sich aber zu keinem klaren Votum durchringen.295 Am Ende schloss der Gesetzgeber zum Jahr 1975 die Lücke mit dem neuen § 138a StPO.296 Die standesrechtliche Sanktion blieb für die Bundesrechtsanwaltskammer auch bei den folgenden, gegen Verteidiger gerichteten Verschärfungen des Strafverfahrens­ rechts der Königsweg.297 Wo eine solche Ahndungsmöglichkeit durch Ehrengerichte nicht möglich schien, sprach sich die Bundesrechtsanwaltskammer wie im Fall der Verteidigerüberwachung dezidiert gegen prozessuale Verschärfungen aus.298 3. Gelebte Demokratie – Streit um Stimmen und Bohnen Wie der Zusammenprall zwischen der Rechtsanwaltskammer Celle und der Bundes­ rechtsanwaltskammer im Fall des Generalbundesanwalts beleuchtet, war verbandsin­ tern keinesfalls alles zum Besten bestellt. 1981 kochten die Emotionen beim Kampf um die Änderung des § 190 Abs. 1 BRAO (Stimmenanzahl pro Rechtsanwaltskam­ mer auf der Hauptversammlung) hoch.299 Die Rechtsanwaltskammer Hamm be­ schwerte sich, dass mitgliedsstarke Kammern auf der Hauptversammlung gegenüber kleineren Kammern benachteiligt seien. Die 12 kleineren Kammern mit 7.525 Rechts­ anwälten (ca. 20 %) könnten die 11 größeren Kammern mit 29.787 Rechtsanwälten (ca. 80 %) überstimmen. Die Kollegenschaft in den Großstädten werde bei der Fest­ stellung einer „communis opinio zu Standesfragen, die sich dort gerade durch speziel­ le Gesichtspunkte bedingt bilde, von einer Minderheit der Kollegen minorisiert“. Des­ halb müsse bei Abstimmungen zur Feststellung der allgemeinen Standesauffassung „jede Rechtsanwaltskammer, die mehr als 1.000 Mitglieder hat, für jedes angefangene weitere Tausend eine zusätzliche Stimme“ erhalten.300 Nachdem die Hauptversammlung der Bundesrechtsanwaltskammer das Ansinnen der Westfalen abgelehnt hatte, nahm die Kammer Hamm sechs Jahre später einen erneuten Anlauf, welcher den mitgliederreichen Kammern allgemein, d. h. nicht nur zur Feststellung der Standesauffassung, einen größeren Einfluss verschaffen sollte. Der Präsident der Rechtsanwaltskammer Hamm räsonierte, „die Westfalen seien ein 295 Prot. 34.  HV BRAK, 26./27.10.1973 in Freiburg, BRAK-Nr.  79/73, 11  f.; Prot. 36.  HV BRAK, 18./19.10.1974 in Karlsruhe, BRAK-Nr.  104/74, 9; siehe auch Prot. Präsidium, 18.7.1974, BRAK-Nr. 70/74, 5. 296 Gesetz zur Ergänzung des Ersten Gesetzes zur Reform des Strafverfahrensrechts v. 20.12.1974, BGBl. I 3686. 297 Prot. 37. HV BRAK, 25./26.4.1975 in Bad Aachen, BRAK-Nr. 60/75, 3. 298 Prot. 37.  HV BRAK, 25./26.4.1975 in Bad Aachen, BRAK-Nr.  60/75, 3; Prot. 39.  HV BRAK, 21.5.1976 in Saarbrücken, BRAK-Nr. 78/76, 18; Auszug aus der Stellungnahme des Strafrechtsausschusses der BRAK v. 3.11.1977 zum Entwurf eines Strafverfahrensände­ rungsgesetzes, BRAK-Mitt. 1978, 16 f. 299 Dazu Busse, Geschichte der deutschen Anwaltschaft 1945-2009, 2010, 236 f.; Finzel, An­ waltliche Berufsorganisationen, 2011, Rz. 211 ff. 300 Prot. 49. HV BRAK, 8./9.5.1981 in Lindau, BRAK-Nr. 67/81, 8.

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eigenartiger Menschenschlag; Hunger und Durst, Hitze und Kälte würden sie ebenso ertragen wie den Verzicht auf das Nationalgericht dicke Bohnen; nicht ertragen könn­ ten sie jedoch Ungerechtigkeiten. […] Der Antrag dürfe nicht als der eines macht­ hungrigen Regionalfürsten verstanden werden.“301 Die Kammer Hamm stützte sich für ihre Position auf ein Gutachten des Staatsrechtslehrers Papier, ein vor und nach seiner Amtszeit am Bundesverfassungsgericht äußerst gefragter Auftragsgutachter in Verfassungsfragen.302 Die Hauptversammlung der Bundesrechtsanwaltskammer lehn­ te nach einer vergleichsweise nüchternen Debatte den Antrag erneut gegen die Stim­ men der drei besonders mitgliederstarken Kammern Berlin, Hamburg und Hamm ab.303 1988 zog der BGH einen Schussstrich, indem er den Status quo bestätigte.304 4. Morgenröte einer neuen Zeit – Fachanwaltschaft Bereits das Facharzturteil des BVerfG aus dem Jahr 1972 hatte die Legalität aller von Standesorganisationen beschlossenen Normen in Frage gestellt, die auf keiner hin­ reichend konkreten gesetzlichen Ermächtigung basierten.305 Die Bundesrechtsan­ waltskammer hielt aber unbeirrt an ihrem Kurs fest; keine Kammer zog auf den Hauptversammlungen in Zweifel, dass die BRAO die Bundesrechtsanwaltskammer zur Abfassung von Standesrichtlinien ermächtige. Ganz sicher waren sich die Kam­ mern aber nicht. So wurde auf einer Hauptversammlung berichtet, es habe eine „gan­ ze Reihe von Fällen“ gegeben, „in denen gerade anläßlich ausgesprochener Verbote eine Änderung der Standesauffassungen festzustellen gewesen sei.“306 1980 schuf das BVerfG vorübergehend wieder Rechtssicherheit, als es für den Parallelfall der Allge­ meinen Richtlinien für die Berufsausübung der Notare deren Verfassungsmäßigkeit nicht in Frage stellte.307 Wie sehr ehemals eherne Positionen des Standesrechts unter Beschuss gerieten, ver­ deutlicht die Debatte um die Ausweitung der Fachanwaltschaft, die immer intensiver geführt wurde.308 Nicht nur der Vertreter des DAV („Spezialisierung bedeute auch Rationalisierung der Anwaltstätigkeit“),309 sondern auch die Rechtsanwaltskammer Köln sprach sich 1975 auf der Hauptversammlung der Bundesrechtsanwaltskammer mit Nachdruck für die Einführung der Fachanwaltschaft aus. Die Rechtsanwaltskam­ mer Stuttgart hielt dagegen und lehnte zumindest den Fachanwalt für Wirtschaftsund Strafrecht ab.310 Noch im selben Jahr empfahl ein Ausschuss der Bundesrechtsan­ 301 Prot. 62. HV BRAK, 2.10.1987 in Berlin, BRAK-Nr. 168/87, 12. 302 Papier, NJW 1987, 1308 ff. 303 Prot. 62. HV BRAK, 2.10.1987 in Berlin, BRAK-Nr. 168/87, 17, bei Enthaltung der Kam­ mern Celle und Köln. 304 BGH, Beschl. v. 31.10.1988 – AnwZ 53/87, AnwBl 1989, 45. 305 BVerfG, Beschl. v. 9.5.1972 – 1 BvR 518/62, 1 BvR 308/64, BVerfGE 33, 125. 306 Prot. 43. HV BRAK, 26./27.5.1978 in Münster, BRAK-Nr. 65/78, 19. 307 BVerfG, Urt. v. 1.7.1980 – 1 BvR 247/75, BVerfGE 54, 237. 308 Zum Meinungsbild innerhalb der BRAK: dafür Schardey, BRAK-Mitt. 1978, 66 ff.; dage­ gen Heinrich, BRAK-Mitt. 1978, 69 ff. 309 Prot. 37. HV BRAK, 25./26.4.1975 in Bad Aachen, BRAK-Nr. 60/75, 12. 310 Prot. 37. HV BRAK, 25./26.4.1975 in Bad Aachen, BRAK-Nr. 60/75, 11 f.

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waltskammer die Wiedereinführung des Fachanwalts für Verwaltungsrecht. Der Ausschuss wies darauf hin, dass sich die Parteien in 70 % der Prozesse vor den Ober­ verwaltungsgerichten durch Bevollmächtigte vertreten ließen, aber nur in 57 % der Fälle Rechtsanwälte wählten.311 Das war ein starkes Argument, um durch Spezialisie­ rung die Attraktivität gegenüber potentiellen Mandanten zu erhöhen. Die Behar­ rungskräfte waren allerdings noch sehr groß und vorläufig nicht zu überwinden. Die Mehrheit der Kammern (bes. Hamm und München, daneben Berlin, Braunschweig, Bremen, Düsseldorf, Freiburg, Hamburg, Kassel, Koblenz, Nürnberg, Saarbrücken, Tübingen und Zweibrücken) befürchtete eine „Gettoisierung“ der Spezialanwälte, eine unzulässige Werbung, und lehnten deshalb eine Reform zugunsten des Fachan­ walts für Verwaltungsrecht ab.312 Die großzügige Praxis vieler Kammern, stattdessen unter Umgehung des Werbeverbots Listen über Rechtsanwälte mit Spezialkenntnis­ sen zu führen, unterminierte aber zunehmend die offizielle Beschlusslinie der Bun­ desrechtsanwaltskammer.313 1976 lehnte die Bundesrechtsanwaltskammer eine bun­ deseinheitliche Liste über Tätigkeitsgebiete vorerst ab.314 Die Bundesliste wurde erst 1990 eingeführt.315 Der Meinungsumschwung war keinem Impuls aus der Bundesrechtsanwaltskammer, sondern dem Bundesjustizministerium zu verdanken, das erneut die anwaltliche Zu­ lassung für die Bundesgerichte beschränken wollte. Die Hauptversammlung der Bun­ desrechtsanwaltskammer reagierte 1978 mit dem Vorschlag, neben dem Steuerrecht weitere Fachanwaltschaften (damals „Fachgebietsbezeichnungen“ genannt) für Ver­ waltungs-, Arbeits- und Sozialrecht einzuführen. Damit wollte sie in Abkehr von der bisherigen Argumentation dem Einwand begegnen, Rechtsanwälte seien für einen Auftritt vor den Bundesgerichten nicht ausreichend qualifiziert.316 Der Widerstand war damit zusammengebrochen, obwohl das BVerfG das Verbot der Fachanwaltschaft kurze Zeit später für mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar erklärte.317 Die Bundesrechtsan­ waltskammer sprach sich drei Jahre später gegenüber dem Bundesjustizministerium für die Einführung von Fachgebietsbezeichnungen entsprechend den Gerichtszwei­ gen aus und nahm dabei von einem Junktim mit der Einführung einer besonderen Zulassung für die obersten Bundesgerichte Abstand.318 Die Hauptversammlung seg­ nete eine Pressemitteilung ab, die den schwarzen Peter für den Reformstau der Politik zuschob: „Das Recht wird immer komplizierter. Die Gerichtsbarkeit ist seit langem aufgeteilt und besteht neben der ordentlichen Gerichtsbarkeit aus Verwaltungsgerich­ ten, Arbeitsgerichten, Sozialgerichten und Finanzgerichten. Bei diesen sprechen spe­ zialisierte Richter Recht. Es muß daher dem Bürger erleichtert werden, für seinen Fall 311 Prot. 38. HV BRAK, 29.9.1975 in Norderney, BRAK-Nr. 142/75, 3, 6. 312 Prot. 38. HV BRAK, 29.9.1975 in Norderney, BRAK-Nr. 142/75, 4 f., 8, in Bestätigung äl­ terer Beschlüsse: 2. HV BRAK, 4./5.3.1960 in Ettlingen, 6; 5. HV BRAK, 27./28.1.1961 in Frankfurt a.M., BRAK-Nr. 27/61, 9. 313 Prot. 36. HV BRAK, 18./19.10.1974 in Karlsruhe, BRAK-Nr. 104/74, 4. 314 Prot. 40. HV BRAK, 15.10.1976 in Berlin, BRAK-Nr. 101/76, 11. 315 Prot. 67. HV BRAK, 18.5.1990 in Münster, BRAK-Nr. 133/90, 27 f. 316 Prot. 44. HV BRAK, 27.10.1978 in Bad Dürkheim, BRAK-Nr. 107/78, 9 ff. 317 BVerfG, Beschl. v. 13.5.1981 – 1 BvR 610/77, 451/80, BVerfGE 57, 121. 318 Prot. 49. HV BRAK, 8./9.5.1981 in Lindau, BRAK-Nr. 67/81, 3.

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auch einen spezialisierten Anwalt zu finden. Den Rechtsanwälten ist dafür die öffent­ liche Bekanntgabe einer Spezialisierung für einen besonderen Zweig der Gerichtsbar­ keit zu gestatten. Die Bundesrechtsanwaltskammer […] appelliert an den Gesetzge­ ber, die Einführung von Fachgebietsbezeichnungen nicht länger hinauszuschieben.“319 Die Zuständigkeit zur Benennung der Bezeichnungen sollte aber in die Kompetenz der Bundesrechtsanwaltskammer fallen.320 Bis zum Ende der Amtszeit Viganos unter­ nahm der Gesetzgeber jedoch nichts. Zu lange hatte die Bundesrechtsanwaltskammer eine Reform abgelehnt, so dass die Ausweitung der Fachanwaltschaft für die Politik zunächst keine Priorität hatte. 5. Über Europa in die Zukunft Weitaus stärker als die Diskussion um die Fachanwaltschaft befeuerten die Europä­ ischen Gemeinschaften die Modernisierung des Anwaltsberufs.321 1974 hatte der EuGH die Niederlassungsfreiheit nach Art. 52 EWGV zum in den Mitgliedstaaten unmittelbar anwendbaren Recht erklärt.322 Für Rechtsanwälte sollte selbst bei Vertre­ tung und Verteidigung in Strafsachen vor Gericht die Ausnahme von der Niederlas­ sungsfreiheit aus Art. 55 EWGV nicht gelten. Deshalb war es im zugrundeliegenden Fall europarechtswidrig, einem niederländischen Staatsangehörigen, der in Belgien lebte, dort studiert hatte und auch den belgischen Doktortitel für Rechtswissenschaft erworben hatte, die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu verweigern, weil er nicht die nach den belgischen Zulassungsbestimmungen erforderliche belgische Staatsange­ hörigkeit besaß. 1977 dehnte der EuGH die Niederlassungsfreiheit auf die Berufs­ prüfung aus.323 Das Prüfungszeugnis des Herkunftsstaates sei ausreichend, wenn die zuständige Stelle die Gleichwertigkeit nach dem Recht des Niederlassungsstaates an­ erkannt habe. Im selben Jahr folgte die EWG-Dienstleistungs-Richtlinie für Rechts­ anwälte.324 Die Richtlinie ordnete die gegenseitige Anerkennung von Rechtsanwälten an (Art. 2). Europäische Rechtsanwälte mussten im Aufnahmestaat keinen Wohnsitz haben und auch nicht der Berufsorganisation in diesem Staat angehören (Art.  4 Abs.  1), aber die Standesregeln des Aufnahmestaates zusätzlich zu den Regeln im Herkunftsstaat beachten (Art. 4 Abs.  2). Mit der Niederlassungs- und Dienstleis­ tungsfreiheit war es nur noch eine Frage der Zeit, bis das in anderen europäischen Staaten gebräuchliche Berufsbild des anwaltlichen Kaufmanns in einem großen Dienstleistungsunternehmen, in dem Rechtsanwälte, Steuerberater und Wirtschafts­ prüfer einträchtig nebeneinander arbeiteten, auch in Deutschland Einzug halten ­würde.

319 Prot. 49. HV BRAK, 8./9.5.1981 in Lindau, BRAK-Nr. 67/81, 8. 320 Prot. 50. HV BRAK, 25.9.1981 in Hamburg, BRAK-Nr. 126/81, 12. 321 Zur Geschichte: Hahndorf, 25 Jahre BRAK, 1984, 45 ff.; Hellwig, in: DAV (Hrsg.), Anwälte und ihre Geschichte, 2011, 1185, 1200 ff.; Westenberger, FS Karl Eichele, 2013, 421 ff. 322 EuGH, Urt. v. 21.6.1974 – 2/74, Slg. 1974, 631. 323 EuGH, Urt. v. 28.4.1977 – 71/76, Slg. 1977, 765. 324 RL des Rates v. 22.3.1977 zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienst­ leistungsverkehrs der Rechtsanwälte (77/249/EWG), ABl. L 78 v. 26.3.1977, 17.

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Der Bundesgesetzgeber setzte die Richtlinie 1980 um.325 § 1 Abs. 1 RADG ordnete an, dass der europäische Rechtsanwalt die Berufsbezeichnung seines Herkunftsstaates tragen musste; die deutsche Bezeichnung „Rechtsanwalt“ war untersagt. Der Bundes­ gesetzgeber machte ferner von der Option in Art. 5 der Richtlinie Gebrauch, in be­ stimmten Fällen die Berufsausübung einzuschränken. § 4 Abs. 1 RADG (sog. Gou­ vernantenklausel) ordnete deshalb an, dass europäische Anwälte in Deutschland in gerichtlichen Verfahren sowie in bestimmten behördlichen Verfahren nur im Einver­ nehmen mit einem deutschen Rechtsanwalt handeln dürfen, der selbst Bevollmäch­ tigter oder Verteidiger ist. Bei sonstigen, durchaus sehr wichtigen Dienstleistungen wie Rechtsberatung und Vertragsgestaltung galt diese Einschränkung nicht. Die Bundesrechtsanwaltskammer hatte unter dem Präsidium Müller in den frühen 1960er Jahren die Möglichkeit einer europäischen „Liberalisierung des Dienstleis­ tungsverkehrs auf dem Gebiete der Rechtsbesorgung“ noch begrüßt.326 In den 1970er Jahren änderte die Bundesrechtsanwaltskammer ihre Haltung und nahm eine euro­ paskeptische Position ein. Die Bedenken waren aus ihrer damaligen Sicht nicht unbe­ gründet. Denn die Niederlassungsfreiheit war in der Tat der Einstieg in internationa­ le Großkanzleien, die diametral zum Ideal des nationalen Einzelanwalts standen. Die Bundesrechtsanwaltskammer ging deswegen nach der EuGH-Entscheidung aus dem Jahr 1974 davon aus, dass das Lokalisierungsprinzip und das Erfordernis deutscher Staatsexamina als Bollwerk gegen eine allzu große europäische Konkurrenz dienen könnten.327 Deshalb verfolgte die Bundesrechtsanwaltskammer zunächst die Strate­ gie, den Zugang für die europäische Konkurrenz möglichst zu erschweren, umge­ kehrt aber deutschen Rechtsanwälten neue Berufsfelder im Ausland zu erschließen. Die geplante Dienstleistungs-Richtlinie solle so eng wie möglich ausfallen: „Die deut­ sche Delegation vertrete“ auf der europäischen Kommissionssitzung „die Auffassung, dass derjenige, der nicht die deutsche Ausbildung habe, nur Rechtsbeistand für sein Heimatrecht werden könne. Das Zweigstellenverbot sei aufrecht zu erhalten. Der Lo­ kalisierungszwang müsse auch für Ausländer gelten. Für das deutsche Berufsrecht gelte es umgekehrt, deutschen Anwälten die Arbeit im Ausland, etwa innerhalb einer Sozietät, zu erleichtern.“328 Als die Bundesrechtsanwaltskammer bald erkannte, dass eine Totalopposition der deutschen Anwaltschaft mehr schaden als nutzen würde, zeigte sie sich kooperations­ bereiter. Sie bestand nicht mehr darauf, ausländische Rechtsanwälte „auf den Status eines Rechtsbeistandes herabzudrücken“.329 Später sah die Bundesrechtsanwaltskam­ mer bei der Umsetzung der Richtlinie auch ein, dass sie durch eine allzu restriktive

325 Gesetz zur Durchführung der RL des Rates der Europäischen Gemeinschaften v. 22. März 1977 zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs der Rechtsanwälte v. 16.8.1980, BGBl. I 1453. 326 Vermerk BMJ über den Besuch des Präsidiums der BRAK und des Präsidenten des DAV beim Bundesjustizminister, 3, BArch, Sig. B 141/49272, Bl. 29. 327 Prot. 36. HV BRAK, 18./19.10.1974 in Karlsruhe, BRAK-Nr. 104/74, 4. 328 Prot. 36. HV BRAK, 18./19.10.1974 in Karlsruhe, BRAK-Nr. 104/74, 13. 329 Prot. 37. HV BRAK, 25./26.4.1975 in Bad Aachen, BRAK-Nr. 60/75, 7 f.

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Haltung die Tätigkeit deutscher Anwälte im Ausland gefährdete.330 Das führte zu wei­ terer Konzilianz. Die Bundesrechtsanwaltskammer forderte 1981 deshalb, die Resi­ denzpflicht in § 29 BRAO für deutsche Anwälte im Ausland aufzulockern.331 Dabei hatte sie auch den Fall der Doppeltätigkeit im In- und Ausland im Auge. Der Vorstoß sollte nicht nur für das EWG-Ausland, sondern global gelten. Ein Verstoß gegen das Zweigstellenverbot sei zu verneinen.332 Der Gesetzgeber kam diesem Wunsch in § 29a BRAO aber erst mit großer Verzögerung im Jahr 1989 nach.333 6. Rückschläge im Standesrecht Umso fester klammerte sich die Bundesrechtsanwaltskammer für rein deutsche An­ gelegenheiten an die Traditionen des Standesrechts. Vor allem hielt sie im innerdeut­ schen Raum eisern am Lokalitätsprinzip fest.334 Auch die Sozietät zwischen Rechtsan­ wälten und Steuerberatungsbevollmächtigten sollte nunmehr verboten werden,335 nachdem die Bundesrechtsanwaltskammer die Zusammenarbeit zuvor geduldet hat­ te. Wie wenig konsequent diese Position war, zeigt sich am gegenläufigen Beschluss für eine stärkere Position der Rechtsanwälte als Geschäftsführer einer Steuerbera­ tungsgesellschaft.336 Nicht einmal die Syndikusanwälte waren vor reaktionären Tendenzen sicher, obwohl sie § 40 Abs. 2 S. 2 RL 1973 bei der Wahrung der beruflichen Unabhängigkeit erstmals namentlich erwähnte. Die Bundesrechtsanwaltskammer wollte die voll­kommene Gleichstellung der Syndici mit Rechtsanwälten verhindern, da sie eine zu große Kon­ kurrenz auf dem Markt befürchtete. Nicht durchsetzen konnte sich aber die Rechts­ anwaltskammer Freiburg, die sich für die Schließung des Berufsstandes der Syndikus­ anwälte einsetzte. Die große Mehrheit der Delegierten lehnte dies ab.337 Wie sehr der Zeitgeist noch gegen Neuerungen eingestellt war, belegt auch der Entwurf eines Part­ nerschaftsgesellschaftsgesetzes. Die Bundesrechtsanwaltskammer brüstete sich damit, sie habe das Gesetz im Bundesrat zu Fall gebracht. Das geplante Gesetz sei mangels Haftungsbeschränkung für die Anwaltschaft uninteressant, auch habe es im Rechts­ ausschuss des Bundestages verbale Ausfälle gegen Kammerpräsidenten gegeben.338 Erst 1994 trat das Gesetz über Partnerschaftsgesellschaften Angehöriger Freier Berufe (Partnerschaftsgesellschaftsgesetz) in Kraft.339

330 Prot. 49. HV BRAK, 8./9.5.1981 in Lindau, BRAK-Nr. 67/81, 15 f. 331 Prot. 49. HV BRAK, 8./9.5.1981 in Lindau, BRAK-Nr. 67/81, 3. 332 Prot. 54. HV BRAK, 9.9.1983 in Lüneburg, BRAK-Nr. 105/83, 13 ff. 333 Gesetz zur Änderung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte v. 13.12.1989, BGBl. I 2135. 334 Prot. 54. HV BRAK, 9.9.1983 in Lüneburg, BRAK-Nr. 105/83, 14. 335 Prot. 38. HV BRAK, 29.9.1975 in Norderney, BRAK-Nr. 142/75, 8. 336 Prot. 42. HV BRAK, 1.10.1977 in Bamberg, BRAK-Nr. 110/77, 19. 337 Prot. 54. HV BRAK, 9.9.1983 in Lüneburg, BRAK-Nr. 105/83, 25 ff. 338 Prot. 40. HV BRAK, 15.10.1976 in Berlin, BRAK-Nr. 101/76, 4. 339 Gesetz v. 25.7.1994, BGBl. I 1744.

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F.  Umbruch in der späten Bonner Republik Mit dem Präsidium Schmalz endet die Geschichte der Bundesrechtsanwaltskammer in der Bonner Republik. Die Hauptversammlung wählte ihn am 9. September 1983 gleich im ersten Wahlgang mit überwältigender Mehrheit zum Nachfolger Viganos.340 Mit dem Hessen Klaus Schmalz beginnt die Reihe der Präsidenten der Bundesrechts­ anwaltskammer, welche die NS-Diktatur und den Zweiten Weltkrieg nicht mehr als Erwachsene erlebt hatten.

I. Reformer wider Willen – Präsidium Schmalz (1983-91) Von Klaus Schmalz war bereits im Rahmen der Terrorwelle der 1970er Jahre die Rede. Er hatte am 14.  April 1928 in Kronberg im Taunus das Licht der Welt erblickt.341 ­Schmalz studierte Rechtswissenschaft an der wiederbegründeten Universität Mainz sowie an der Universität Frankfurt am Main und während der Referendarzeit Philo­ sophie in Frankfurt am Main. 1951 promovierte Schmalz bei Schiedermair über „Die Zwangsvollstreckung in Blankowechsel“. 1957 erlangte er die Anwaltszulassung beim AG und LG Frankfurt am Main, 1965 wurde er zum Notar ernannt, seit 1975 war er als Rechtsanwalt beim OLG Frankfurt am Main zugelassen. Die Verbandskarriere be­ gann 1969 mit der Wahl in den Vorstand der Frankfurter Rechtsanwaltskammer, dem er bis 2001 angehörte. 1970 stieg Schmalz zum Vizepräsidenten seiner Kammer, 1972 zu deren Präsidenten sowie zum Mitglied des hessischen Richterwahlausschusses auf. Seit 1974 diente er in der Bundesrechtsanwaltskammer als Vizepräsident. Nach seiner Wahl zum Präsidenten stand er der Bundesrechtsanwaltskammer auch nach der deut­ schen Wiedervereinigung bis zum 19. September 1991 vor.342 Danach wurde er zum Ehrenpräsidenten ernannt und verstarb am 6. August 2012.

II. Blick durch das Schlüsselloch – internationale Kontakte Schmalz hat sich als Präsident der Bundesrechtsanwaltskammer seit 1983 in der Au­ ßenwahrnehmung besonders durch die Aussöhnung mit den Opfern der nationalso­ zialistischen Diktatur und durch die Öffnung der deutschen Anwaltschaft gegenüber dem Ausland bleibende Verdienste erworben. In Schmalz’ Amtszeit fielen 1983 der Besuch einer israelischen Anwaltsdelegation in Deutschland sowie der Gegenbesuch 1987. Damit trug er ebenso wie mit seiner späteren Mitherausgeberschaft beim Sam­ melband „Deutsche Juristen jüdischer Herkunft“ (1993) zur Aussöhnung zwischen Tätern und Opfern bei. Parallel zu Schmalz eröffnete Hans-Jürgen Rabe, Präsident des DAV, 1983 den 42. Deutschen Anwaltstag mit einer Rede über die ein halbes Jahr­ 340 Prot. 54. HV BRAK, 9.9.1983 in Lüneburg, BRAK-Nr. 105/83, 28. 341 Biographie: Haas, BRAK-Mitt. 1991, 211 f.; ders., BRAK-Mitt. 2012, 220 f.; Schmalz, Le­ benslauf, in: ders., Die Zwangsvollstreckung in Blankowechsel, Diss., 1951; Weigel, BRAKMitt. 1983, 178. 342 Prot. 70. HV BRAK, 20.9.1991 in Mainz, BRAK-Nr. 215/91, 47.

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hundert zuvor verabschiedeten Gesetze über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft und die Gleichschaltung des DAV.343 Des Weiteren sorgte Schmalz für die Einrichtung eines deutsch-französischen Verbindungsausschusses und veranlasste die Eröffnung eines Büros der Bundesrechtsanwaltskammer in Brüssel.344 Die Bundesrechtsanwalts­ kammer war endlich in Europa angekommen.

III. Präludium – Einführung der Fachanwaltschaft Innerhalb der Rechtsanwaltschaft steht der Name Schmalz für den beginnenden gro­ ßen Umbruch vom Standesrecht zum modernen Berufsrecht. Nachdem der Bundes­ tag sich 1985 in der Frage neuer Fachanwaltschaften zu keiner gesetzlichen Regelung hatte durchdringen können, nahm die Bundesrechtsanwaltskammer unter dem Prä­ sidium Schmalz die Angelegenheit selbst in die Hand.345 Die Hauptversammlung gab dem Präsidium auf, die Einführung der sog. Fachgebietsbezeichnungen für Verwal­ tungsrecht, Arbeitsrecht und Sozialrecht beschlussreif vorzubereiten.346 Trotz Beden­ ken einiger Kammern, ob die Bundesrechtsanwaltskammer zur Öffnung der Fachan­ waltschaft nach §  177 BRAO ermächtigt sei, beschlossen die Delegierten daher im Oktober 1986, die Fachanwaltschaft für Verwaltungs-, Arbeits- und Sozialrecht zu­ sätzlich zur Fachanwaltschaft für Steuerrecht durch Neufassung des § 76 der Richtli­ nien selbst einzuführen.347 Zusätzlich formulierte die Bundesrechtsanwaltskammer detaillierte „Richtlinien für die Gestattung der Bezeichnung Fachanwalt für Ver­ waltungsrecht/Steuerrecht/Arbeitsrecht/Sozialrecht“.348 Diese Fachanwaltsrichtlinien führten das traditionelle Richtlinienwesen ad absurdum und legten den Grundstein für die Bastille-Beschlüsse, da sie gerade kein gefestigtes Standesrecht dokumentier­ ten, sondern rechtsfortbildend vollkommen neue Normen schufen. Nachdem der BGH der Bundesrechtsanwaltskammer im Gefolge der Bastille-Beschlüsse die not­ wendige Regelungskompetenz für die Fachanwaltschaft absprach,349 schuf erst das Gesetz über Fachanwaltsbezeichnungen 1992 endgültig Rechtssicherheit zugunsten des Fortschrittes im Anwaltsberuf.

IV. Werbetour statt Reformen – Rechtsanwalt 2000 Am Vorabend der Bastille-Beschlüsse hatte die Bundesrechtsanwaltskammer das Projekt „Rechtsanwalt 2000“ aus der Taufe gehoben. Die Jahreszahl 2000 stand in den 1980er Jahren für eine bessere Zukunft. Auch die Bundesrechtsanwaltskammer wollte 343 Rabe, AnwBl 1983, 338, 338. 344 Haas, BRAK-Mitt. 2012, 220, 221; ferner BRAK-Mitt. 1986, 13 ff.; 1987, 64 ff. 345 Prot. 59. HV BRAK, 23.5.1986 in Köln, BRAK-Nr. 85/86, 12. 346 Prot. 59. HV BRAK, 23.5.1986 in Köln, BRAK-Nr. 85/86, 11. 347 Prot. 60. HV BRAK, 10.10.1986 in Freiburg, BRAK-Nr. 167/86, 5 ff.; bestätigt auf der fol­ genden HV, siehe Prot. 61. HV BRAK, 22.5.1987 in Wangerooge, BRAK-Nr. 86/87, 17 ff. 348 Abgedruckt bei Schmalz, NJW 1987, 307, 307 f. 349 BGH, Beschl. v. 14.5.1990 – AnwZ (B) 4/90, BGHZ 111, 229.

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zu neuen Ufern aufbrechen. Sie erhielt dabei tatkräftige Unterstützung der Rechtsan­ waltskammer Freiburg, die der 60. Hauptversammlung in Freiburg sechs Thesen vor­ legte, die sich im Schwerpunkt mit der Öffentlichkeitsarbeit befassten, um das Bild der Anwaltschaft aufzubessern.350 Die Reformpläne gingen aber wesentlich weiter. Die Bundesrechtsanwaltskammer sammelte nach der Bekanntgabe der Thesen Visio­ nen der einzelnen Rechtsanwaltskammern zur Fortentwicklung des Berufsbildes des Rechtsanwalts ein. Alles wurde in Frage gestellt: das Leitbild des nationalen Einzel­ anwalts, die Honorarordnung, das Lokalisierungsprinzip, die Singularzulassung, das Werbe- und Zweigstellenverbot. Der Reformstau war in der Tat gewaltig. Das An­ waltsmonopol, die deutsche Position im internationalen Wettbewerb der Rechtsan­ waltskanzleien standen auf dem Spiel. Die Beiträge der Rechtsanwaltskammern fielen sehr heterogen aus, soweit sie sich überhaupt an der Umfrage beteiligten. Während die Kammer Celle „revolutionäre Vorstellungen“ ankündigte, stand die Kammer München Reformen gewohnt skep­ tisch gegenüber. Die Kammer Frankfurt am Main verhielt sich abwartend und die Kammer Stuttgart bevorzugte die Politik der kleinen Schritte.351 Der Umgang der Bundesrechtsanwaltskammer mit all diesen divergierenden Positionen ist ein Lehr­ stück für die Schwierigkeit, in Großverbänden Reformen durchzusetzen. Auf der 61. Hauptversammlung der Bundesrechtsanwaltskammer im Mai 1987 verstand Prä­ sident Schmalz die Stellungnahmen als Aufruf, Reformen auf folgenden Feldern zu diskutieren, ohne aber konkrete Schritte wie die Einrichtung eines Ausschusses zu ergreifen: „Zugangssperren, Auslandstätigkeit, Einheitsjurist, Dienstleistungsunter­ nehmen, Gebührenfragen, Lokalisation, Satzungsrecht“.352 Der Präsident der Rechts­ anwaltskammer Berlin kommentierte deshalb mit gutem Recht, er „befürchte, daß das Thema unter großen Namen begraben werde.“353 Am Ende standen keine sub­ stantiellen Reformen, sondern auf neudeutsch nur Public-Relations-Maßnahmen zur Debatte, um das öffentliche Bild der Anwaltschaft zu modernisieren. Die Hauptver­ sammlung der Bundesrechtsanwaltskammer konnte sich aber nicht einmal zu dem Entschluss durchringen, Werbeagenturen für eine Kampagne zu beauftragen. Über­ haupt schien der Kontakt zur Politik wichtiger und im Hinterzimmer besser aufge­ hoben zu sein, wenn man einer Delegiertenstimme folgt: „Bei Bier und Wein ließen sich häufig Probleme lösen. Dies sei billiger und wirkungsvoller als jede andere Pub­ licity.“354 Der Strukturkonservatismus siegte vorläufig. Vizepräsident Eberhard Haas beklagte, die „Diskussion um den Anwalt 2000 sei im Grunde eine Reprise von Evergreens, von Diskussionsbeiträgen und Anregungen, die schon seit Jahrzehnten periodisch die 350 Prot. 59. HV, 9.6.1986 in Köln, BRAK-Nr. 85/86, 5 f.; Prot. 60 HV BRAK, 10.10.1986 in Freiburg, BRAK-Nr.  167/86, 16  ff.; zur Reformdiskussion vor den Bastille-Beschlüssen: Busse, Geschichte der deutschen Anwaltschaft 1945-2009, 2010, 531 ff.; Freiburger Thesen abgedruckt bei Hartstang, Anwaltsrecht, 1991, 13 f. 351 Prot. 61. HV BRAK, 22.5.1987 in Wangerooge, BRAK-Nr. 86/87, 7 ff. 352 Prot. 61. HV BRAK, 22.5.1987 in Wangerooge, BRAK-Nr. 86/87, 7 f. 353 Prot. 61. HV BRAK, 22.5.1987 in Wangerooge, BRAK-Nr. 86/87, 8. 354 Prot. 61. HV BRAK, 22.5.1987 in Wangerooge, BRAK-Nr. 86/87, 12.

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Runde machten, ohne das[sic!] sich überhaupt etwas bewegt hätte. Die Entwicklung des anwaltlichen Berufsrechts ginge nicht voran.“ Er machte für den Reformstau die Richtlinien verantwortlich, da diese nicht der Rechtsschöpfung dienten, sondern le­ diglich die Überzeugung der Mehrheit auf der Hauptversammlung der Bundesrechts­ anwaltskammer widerspiegelten. Glaubt man Haas, waren die Richtlinien nicht nur konservativer, sondern sogar reaktionärer Natur: „Richtlinien von heute formten nicht den Anwalt 2000, sondern reflektierten die Auffassung des Anwalts der 70er Jahre.“355

V. Bastille-Beschlüsse und Europa – letztes Aufbäumen der alten Garde Dann kamen am 14. Juli 1987 die Bastille-Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts. Der erste Beschluss fegte von einem Tag auf den anderen die Richtlinienkompetenz der Bundesrechtsanwaltskammer aus § 43 BRAO hinweg.356 Maßgebenden Anteil am Umsturz hatte der Freiburger Rechtsanwalt Michael Kleine-Cosack, der die Richtlini­ en zuvor in die Nähe des Faschismus gerückt hatte.357 Das BVerfG urteilte, nur eine Satzung aufgrund gesetzlicher Ermächtigung lasse weitreichende Eingriffe in die an­ waltliche Berufsfreiheit zu. Der Gesetzesvorbehalt hatte damit einen der letzten vor­ konstitutionellen Winkel erobert. Die Richtlinien der Bundesrechtsanwaltskammer verloren in weiten Teilen ihre quasi-normative Kraft. Das BVerfG wollte die Richtlini­ en bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber nur schützen, soweit sie zur „Auf­ rechterhaltung einer funktionsfähigen Rechtspflege“ notwendig seien.358 Die Auswir­ kungen waren gewaltig, wie eine Entscheidung des Stuttgarter Ehrengerichtshofs für Rechtsanwälte vom Ende des Jahres 1987 belegt:359 Der Ehrengerichtshof hatte auf der Basis der Bastille-Beschlüsse über die Zulässigkeit der Sozietät eines Rechtsanwalts mit einer Steuerberatungs- und/oder Wirtschaftsprüfergesellschaft in Form einer ju­ ristischen Person zu entscheiden. Der Ehrengerichtshof sah keine ausreichende Rechtsgrundlage für ein Verbot dieser Kooperationsform. Auf der Grundlage der Entscheidung durften sich Rechtsanwälte fortan ihrer unbeschränkten Haftung ent­ ziehen. Die Bundesrechtsanwaltskammer konnte de lege lata nicht gegensteuern; vor einer Umsetzung der in den Bastille-Beschlüssen angemahnten gesetzgeberischen Reformen waren ihr die Hände gebunden: „Das Haus brenne, durch die Entschei­ dung des BVerfG vom 14.7.1987 sei den Verantwortlichen die Pumpe gestohlen wor­ den.“360 Bis zu einem verfassungskonformen und vollständig ausformulierten Berufsrechts für Rechtsanwälte war es ein weiter Weg. Der Reformprozess dauerte nach den Bastille-­ Beschlüssen zehn Jahre, die im Rückblick trotz der vom BVerfG belassenen Schlupf­ 355 Prot. 62. HV BRAK, 2.10.1987 in Berlin, BRAK-Nr. 168/87, 17. 356 BVerfG, Beschl. v. 14.7.1987 – 1 BvR 537/81, BVerfGE 76, 171 (RL); BVerfG, Beschl. v. 14.7.1987 – 1 BvR 362/79, BVerfGE 76, 196 (Werbeverbot). 357 Kleine-Cosack, AnwBl 1986, 505 ff. 358 BVerfG, Beschl. v. 14.7.1987 – 1 BvR 537/81, BVerfGE 76, 171. 359 EGH Stuttgart, Beschl. v. 28.12.1987 – EGH 7/86 (I), AnwBl 1988, 245. 360 Prot. 66. HV BRAK, 13.10.1989 in Bonn, BRAK-Nr. 179/89, 12.

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löcher als Zeit großer Rechtsunsicherheit erschienen.361 Die Bundesrechtsanwalts­ kammer trug ihren Teil zur Verunsicherung bei, da sie zunächst nicht die volle Tragweite der Beschlüsse begreifen wollte. Präsident Schmalz übte sich zunächst in der Richterschelte, als er den Sinngehalt der Beschlüsse als dunkel bezeichnete und dem Bundesverfassungsgericht in einer diplomatischen Passivkonstruktion vorwarf, die Auswirkungen scheinen „jedenfalls nicht hinreichend überblickt worden zu sein“.362 Dementsprechend versah Schmalz, sekundiert von einem Aufsatz des Vorsit­ zenden des Richtlinienausschusses,363 das Titelwort „Richtliniendämmerung“ mit ei­ nem deutlichen Fragezeichen. Bereits in der nächsten Titelkolumne musste Schmalz zurückrudern und gestand offen ein, dass die „deutsche Anwaltschaft […] in ihrer ganz überwiegenden Mehrzahl die sich abzeichnende Entwicklung  – leider  – jahr­ zehntelang nicht zur Kenntnis nehmen“ wollte.364 Ganz praktisch und unabhängig von den Reformperspektiven drohte zunächst ein Rückfall in den Rechtspartikularis­ mus vor der Zeit der Richtlinien von 1957. Denn die verschiedenen Rechtsanwalts­ kammern hatten höchst unterschiedliche Vorstellungen darüber, wie das Standes­ recht de lege lata aussehe und wie man es de lege ferenda zum modernen Berufsrecht transformieren solle. Münchner Manifest, Düsseldorfer Regeln, das NJW-Sonderheft 1988: die Vorschläge fielen sehr unterschiedlich aus. Daher kann es nicht verwun­ dern, dass auf der 63. Hauptversammlung der Bundesrechtsanwaltskammer 1988 die Losung ausgegeben wurde, die Reihen geschlossen zu halten.365 Aus historischer Sicht darf man freilich nicht übergehen, dass der Druck auf die Rechtsanwaltsverbände, insbesondere auf die Bundesrechtsanwaltskammer, zu dieser Zeit gewaltig war. Präsi­ dent Schmalz sprach beispielsweise „die zur Stimmungsmache in die Welt gesetzte Behauptung“ an, „die Repräsentanten von BRAK und DAV besorgten das Geschäft der ,Großsozietäten‘“.366 Das Meinungsbild innerhalb der Rechtsanwaltschaft über den künftigen Weg war also gespalten. Großkanzleien, mittelständische Kanzleien und Einzelanwälte hatten und haben sehr verschiedene Interessen. Reformfreudige Stimmen konnten auf die Entwicklung des Europarechts verweisen. 1984 hatte der EuGH die Errichtung einer Zweigniederlassung in einem oder in meh­ reren Mitgliedstaaten nach Art. 52 EWGV für zulässig erklärt.367 1988 hielt der EuGH kurz nach den Bastille-Beschlüssen das Lokalisationsgebot für EWG-Rechtsanwälte sowie die Gouvernantenklausel im RADG für europarechtswidrig.368 Im selben Jahr erleichterte die Diplom-Anerkennungs-Richtlinie die Tätigkeit der EG-Rechtsanwäl­ te in Deutschland. Und die EWG-Verordnung über die Schaffung einer Europäischen

361 Übersichten: Busse, Geschichte der deutschen Anwaltschaft 1945-2009, 2010, 531 ff.; Hettinger, FS 125 Jahre RAK München, 2004, 43, 52 ff.; Prütting (Hrsg.), Die deutsche Anwalt­ schaft zwischen heute und morgen, 1990. 362 Schmalz, BRAK-Mitt. 1988, 1, 1. 363 Weigel, BRAK-Mitt. 1988, 2 ff. 364 Schmalz, BRAK-Mitt. 1988, Nr. 2, Titelblatt. 365 Prot. 63. HV BRAK, 13.5.1988 in München, BRAK-Nr. 115/88, 6. 366 Schmalz, BRAK-Mitt. 1988, Nr. 2, Titelblatt. 367 EuGH, Urt. v. 12.7.1984 – Rs 107/83, Slg. I 1984, 2971. 368 EuGH, Urt. v. 25.2.1988 – Rs 427/85, Slg. 1988, 1123.

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Wirtschaftlichen Interessenvereinigung (EWIV) ermöglichte zum 1. Juli 1989 unmit­ telbar die Errichtung europaweiter Großkanzleien.369 Hans-Jürgen Rabe, ehemals Präsident des DAV, schrieb vor dem Hintergrund des Eu­ roparechts 1989 in der NJW: „Fusions- und internationale Kooperationspartner wer­ den bereits durch NJW-Anzeige gesucht; Zweigniederlassungen von Sozietäten, die aus Wirtschaftsprüfern, Steuerberatern und Anwälten bestehen, werden gegründet; überörtliche und übernationale Sozietäten und Kooperationen werden begründet; der nach einer Entscheidung des EGH Karlsruhe zulässigen Sozietät von Anwälten mit Wirtschaftsprüfer- und Steuerberatungsgesellschaften wird die Rechtsberatungs-­ GmbH folgen; die Singularzulassung beim Oberlandesgericht wird durch – vom Eh­ rengericht der RAK Düsseldorf für zulässig gehaltene  – Vereinbarungen über Ar­ beits- und Gebührenteilung zwischen Landgerichts- und OLG-Anwälten relativiert; Sozietätsprofile und Rundbriefe mit Mandanteninformationen werden gedruckt, Se­ minare veranstaltet. Diesen und anderen Erscheinungen mehr sollte man nicht mit dem geltenden Berufs- und Standesrecht nachlaufen, sondern sie zum A ­ nlaß kriti­ scher Überprüfung des geltenden Rechts nehmen.“370 Rabes folgende Wunschliste erscheint aus heutiger Sicht banal, für viele Zeitgenossen aber war sie geradezu revo­ lutionär: Anwaltsberuf als Dienstleistung am Mandanten, insbesondere Stärkung der Rechtsberatung, Verbraucherschutz, erleichterte Gründung überörtlicher Sozietäten durch Abschaffung des Zweigstellenverbots, Zulassung in der Organisation der Sozi­ etät in anderen Formen als die der BGB-Gesellschaft, etwa in einer Rechtsberatungs-­ GmbH, Aufgabe der Lokalisation und der Singularzulassung, Anwaltsfirma als Kurz­ bezeichnung einer Sozietät, die Erlaubnis zur sachlichen Werbung, den Ausbau der Fachanwaltschaft sowie die Flexibilisierung des Gebührenrechts.371 Rabe lag mit seiner Agenda ganz auf der Linie des reformfreudigen DAV. Der Vertre­ ter des DAV warnte auf der 67. Hauptversammlung der Bundesrechtsanwaltskammer im Mai 1990, ohne Reformen „verarme die zahlenmäßig wachsende Anwaltschaft mit schrumpfendem Aufgabenbereich in verstaubten Kanzleien.“372 Die Bundesrechtsan­ waltskammer repräsentierte diejenigen Kräfte, die auf dem Status quo beharrten. Ein Zeitzeuge schildert im Rückblick den Dissens mit den Worten: „Die heftigen Ausein­ andersetzungen führten auch zu einer gewissen Polarisierung zwischen DAV, um den sich die Progressisten geschart hatten, und der BRAK, in der vorwiegend Traditiona­ listen arbeiteten.“373 Die Bundesrechtsanwaltskammer blendete die Entwicklungen des Europarechts aus, da sie nach wie vor von einer gewissen Grundskepsis gegenüber den europäischen Freiheiten geprägt war. Die bei der Bundesrechtsanwaltskammer eingebrachten Re­ formpunkte überörtliche und transnationale Sozietät, Lokalisierungsgebot und Zweig­ 369 Gesetz zur Ausführung der EWG-VO über die Europäische wirtschaftliche Interessenver­ einigung (EWIV-Ausführungsgesetz) v. 14.4.1988, BGBl I, 514. 370 Rabe, NJW 1989, 1113, 1115. 371 Rabe, NJW 1989, 1113, 1115 ff. 372 Prot. 67. HV BRAK, 18.5.1990 in Münster, BRAK-Nr. 133/90, 12. 373 Hettinger, FS 125 Jahre RAK München, 2004, 43, 55.

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stellenverbot, Rechtsbesorgungsgesellschaft und Singularzulassung374 scheiterten fast alle. Die überwältigende Mehrheit sprach sich auf der Hauptversammlung der Bun­ desrechtsanwaltskammer dafür aus, das Lokalisierungsgebot sowie das Zweigstellen­ verbot beizubehalten.375 Ebenso wurden bei der Abschaffung der Singularzulassung keine Fortschritte erzielt.376 Anders als der Stuttgarter Ehrengerichtshof wollte die Bundesrechtsanwaltskammer auch die Sozietät eines Rechtsanwalts mit einer Steuer­ beratungs- und/oder Wirtschaftsprüfergesellschaft in Form einer juristischen Person verbieten. Die Gegner des Fortschrittes befürchteten, das Lokalisationsgebot werde auf kaltem Wege umgangen. Außerdem werde der Anschein einer Haftungsbegren­ zung des Rechtsanwalts erweckt, was gegen § 2 BRAO verstoße.377 Ebenso wehrte die Mehrheit der Delegierten die Einführung der Rechtsberatungs-GmbH ab.378 Am Ende stand das Beiheft August 1990 zu den BRAK-Mitteilungen, das neben einem Entwurf zur Reform der BRAO auch das künftige Berufsrecht im Detail vorstellte. Das Potential für weitere Reformen blieb groß. Ein Hoffnungsschimmer blieb. Bei der Frage nach der Zulässigkeit überörtlicher An­ waltssozietäten drohte den konservativen Kräften in der Bundesrechtsanwaltskam­ mer nach den Bastille-Beschlüssen deutlicher als anderswo ihre Macht zu entgleiten. Casus belli waren fünf Großkanzleien mit insgesamt 180 Rechtsanwälten, welche um die Entscheidung über die Zulässigkeit überörtlicher Sozietäten gebeten hatten. Die Rechtsanwaltskammer Düsseldorf preschte voran. Nach ihrer Auffassung waren sol­ che Sozietäten bereits de lege lata zulässig. „Im übrigen könne ein Beschluß der BRAK nur Empfehlungscharakter gegenüber den RAKn haben. Einige RAKn hätten schon anders entschieden.“379 Bei der Mehrheit allerdings überwog der ständische Paterna­ lismus. Sie wollte einen Verteilungskampf innerhalb der Anwaltschaft vermeiden und mittelständische Kanzleien schützen. Am Ende setzen sich die Gegner der überörtli­ chen Sozietät gegen die Stimmen von Berlin, Düsseldorf und Hamburg bei Stuttgarter Enthaltung durch: Der Beschluss lautete, die überörtliche Sozietät sei de lege lata nicht mit der Standesauffassung im Sinne von § 177 Abs. 2 Nr. 1 BRAO vereinbar.380 Kurze Zeit später war freilich auch dieser Beschluss überholt. Der BGH entschied sich im September 1989 für die Zulässigkeit einer überörtlichen Sozietät zwischen einem Rechtsanwalt und einem Steuerberater.381 Im Folgejahr vollzogen die Delegierten der Bundesrechtsanwaltskammer diese Entscheidung trotz des fortbestehenden Lokali­ sierungsgebots und Zweigstellenverbots bei sieben Enthaltungen nach. Einschrän­ kend forderten sie, einer der am Ort tätigen Mitglieder müsse Gesellschafter der über­ örtlichen Sozietät sein.382 1992 gab der BGH dann auch der überörtlichen Sozietät

374 Prot. 65. HV BRAK, 2.6.1989 in Bamberg, BRAK-Nr. 113/89, 26. 375 Prot. 66. HV BRAK, 13.10.1989 in Bonn, BRAK-Nr. 179/89, 14. 376 Prot. 66. HV BRAK, 13.10.1989 in Bonn, BRAK-Nr. 179/89, 15. 377 Prot. 65. HV BRAK, 2.6.1989 in Bamberg, BRAK-Nr. 113/89, 19 f. 378 Prot. 67. HV BRAK, 18.5.1990 in Münster, BRAK-Nr. 133/90, 23. 379 Prot. 65. HV BRAK, 2.6.1989 in Bamberg, BRAK-Nr. 113/89, 22. 380 Prot. 65. HV BRAK, 2.6.1989 in Bamberg, BRAK-Nr. 113/89, 26. 381 BGH, Beschl. v. 18.9.1989 – AnwZ (B) 30/89, BGHZ 108, 290. 382 Prot. 67. HV BRAK, 18.5.1990 in Münster, BRAK-Nr. 133/90, 9 f.

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zwischen Rechtsanwälten seinen Segen.383 Zuletzt öffnete § 59a BRAO 1994 weit die Türen für interprofessionell agierende nationale und europäische Sozietäten.384

G.  Zeitlose Themen der Bonner Republik Wenn sich zwei Themen bei der Bundesrechtsanwaltskammer über alle Jahrzehnte der Bonner Republik unabhängig von rechtspolitischen Konjunkturen und ohne sicht­ bare Veränderungen bis zu den Bastille-Beschlüssen hinzogen, dann waren es die sog. Juristenschwemme und das Werbeverbot.

I. Juristenschwemme – Nachwuchs als Konkurrenz Die Schlagworte „Juristenschwemme“385 bzw. „Überfüllung des Anwaltsberufes“386 sind allgemein bekannt. Die Klagen über die Konkurrenzsituation wiederholen sich über die Jahrzehnte und stehen in engem Zusammenhang mit einem weiteren Dauer­ brenner, dem Thema Juristenausbildung.387 Ob der Anwaltsberuf tatsächlich überfüllt ist und dem einzelnen Anwalt kein ausreichendes Auskommen gewährt, ist eine sozi­ ale Frage, die hier nicht beantwortet werden muss. Jedenfalls verbergen sich hinter dem stets gepflegten Narrativ reale Zahlen: Hatte es im Jahr 1900 nur 6.174 Rechts­ anwälte gegeben, waren es ein halbes Jahrhundert später bereits 12.844, 1970 22.882, 1980 36.077 und 1990 56.638.388 Der stetige Anstieg ist die Konsequenz der freien Advokatur. Nach zwei bestandenen Staatsexamina hat grundsätzlich jeder Jurist ei­ nen Anspruch auf Zulassung zum Anwaltsberuf. Das Prinzip der freien Advokatur hielt die Delegierten der Arbeitsgemeinschaft bzw. Bundesrechtsanwaltskammer aber seit Gründung der Bundesrepublik nicht davon ab, über direkte oder indirekte Be­ schränkungen des Zugangs zum Anwaltsberuf zu beraten. Positiv gewendet lässt sich das als Qualitätssicherung im Anwaltsberuf interpretieren, negativ als Zunftdenken und Besitzstandwahrung. Die Rechtsanwaltskammer Düsseldorf verlangte in den 1950er Jahren trotz der aus heutiger Sicht niedrigen Anwaltszahl eine scharfe Regulierung des Berufszugangs. „Wir könnten uns der Konkurrenz nicht erwehren, wenn jeder aufgenommen werden müsste, weil er mal das grosse juristische Staatsexamen gemacht habe.“389 Die Mehr­ heit auf der Tagung der Arbeitsgemeinschaft wollte indessen keinen numerus clausus, nicht einmal auf der Grundlage der Examensnote. Vielmehr forderte sie vorgelagert während der Ausbildung eine Bestenauslese bzw. eine Verschärfung der Examensan­ 383 BGH, Urt. v. 23.9.1992 – I ZR 150/90, BGHZ 119, 225; bereits konsequent daher OLG München, Urt. v. 12.4.1990 – 6 U 5905/89, NJW 1990, 2134. 384 Gesetz zur Neuordnung des anwaltlichen Berufsrechts v. 2.9.1994, BGBl. I, 2278. 385 Vigano, BRAK-Mitt. 1982, Nr. 2, Titelblatt. 386 Prot. 2. HV BRAK am 4./5.3.1960 in Ettlingen, 5. 387 Aus der überreichen Literatur statt aller Warburg, 25 Jahre BRAK, 1984, 121 ff. 388 Kawamura, Die Geschichte der Rechtsberatungshilfe in Deutschland, 2014, 415. 389 Prot. XX. Tagung ARGE, 11./12.12.1953 in Frankfurt a.M., 4.

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forderungen.390 Als 1963 der NRW-Justizminister Sträter von einem Personalmangel in der Justiz sprach, sprangen bei der Bundesrechtsanwaltskammer sofort die Alarm­ glocken an. Denn Sträter gefährdete mit seiner Aussage das wohlgepflegte Narrativ von der Juristenschwemme. Präsident Müller forderte deshalb: „BRAK und DAV müssten energisch gegen derartige falsche Vorstellungen auftreten.“391 In der Folge­ zeit setzte die Bundesrechtsanwaltskammer einen Ausschuss zur Reform der Juristen­ ausbildung ein. Wie angespannt die Stimmung bei der Bundesrechtsanwaltskammer war, belegt ein Abstimmungsergebnis aus dem Jahr 1965. Nur eine knappe Mehrheit sprach sich gegen die Wiederbelebung des von den Nationalsozialisten eingeführten Anwaltsassessorates aus.392 Trotz dieses eindeutigen Beschlusses versuchte das Präsi­ dium der Bundesrechtsanwaltskammer in der Folgezeit, beim Bundesjustizministeri­ um die Wiedereinführung des Anwaltsassessorates zu erreichen. Das Präsidium hatte keinen Erfolg. Der Bundesjustizminister wollte nicht einsehen, „daß ein junger Jurist, der 6 bis 7 Jahre Ausbildung hinter sich gebracht habe, nach dem zweiten Examen immer noch nicht wisse, ob er den Beruf des Rechtsanwalts ergreifen wolle oder nicht.“393 In den 1970er und 80er Jahren konzentrierte sich die Bundesrechtsanwaltskammer auf das Rechtsstudium an der Universität nebst erstem juristischen Staatsexamen, um den Andrang auf den Rechtsanwaltsberuf abzuschwächen. In diese Phase fallen zahl­ reiche Experimente und Neuerungen in der Juristenausbildung, beispielsweise die Einführung von Arbeitsgemeinschaften in der Studieneingangsphase oder die Ein­ phasenausbildung an Reformfakultäten. Die pessimistische Stimmung auf den Haupt­ versammlungen der Bundesrechtsanwaltskammer wird ganz treffend vom Vertreter der Rechtsanwaltskammer Hamburg wiedergegeben: „Gründe für diese besorgniser­ regende Entwicklung sei die falsche Bildungspolitik der 60er Jahre. Angesichts eines befürchteten Akademikermangels habe man die Zahl der Hochschulen vermehrt, un­ ter dem Schlagwort „Chancengleichheit“ sei der Eindruck erweckt worden, daß der Mensch ohne Abitur und Studium weniger wert sei.“ Er forderte deshalb eine mehr­ fache Selektion durch „Auswahl zum Studium, eine Beschränkung der Zahl der Refe­ rendare, die Zulassung zum Vorbereitungsdienst und zum Assessorexamen nur ent­ sprechend dem Bedarf und eine zweijährige Tätigkeit in einer Rechtsanwaltspraxis als Zulassung zur Rechtsanwaltschaft“.394 Fast zynisch klingt ein Redebeitrag auf einer weiteren Hauptversammlung: „Der oft vorgebrachte Hinweis auf standesrechtliche Auffälligkeiten bei jungen Kollegen sei nicht konkretisierbar.“ So „könne z. B. nur der­ jenige Unterschlagungen begehen, der überhaupt etwas eingenommen habe.“395 Wie verzweifelt sich die Lage für die Delegierten der Bundesrechtsanwaltskammer dar­

390 Siehe Vizepräsident RAK Frankfurt a.M. Cahn und Präsident RAK Celle Müller, in: Prot. XXXI. Tagung BRAK (Vereinigung), 27./28.6.1957 in Oldenburg, 11 ff. 391 Prot. 12. HV BRAK, 30.9/1.10.1963 in Saarbrücken, BRAK-Nr. 108/63, 8. 392 Prot. 15. HV BRAK, 25.1.1965 in Baden-Baden, BRAK-Nr. 10/65, 8. 393 BMJ, Vermerk v. 20.12.1965, 2 f., BArch, Sig. B141/49272, Bl. 36 f. 394 Prot. 52. HV BRAK, 24.9.1982 in Nürnberg, BRAK-Nr. 94/83, 10 f. 395 Prot. 55. HV BRAK, 18.5.1984 in Frankfurt a.M., BRAK-Nr. 62/84, 5.

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stellte, enthüllt der weitere Vorschlag, Rechtsanwälte an den Zwischenprüfungen der Juristischen Fakultäten zu beteiligen, um mehr Studierende auszusieben.396 Bis zum Ende der Bonner Republik gelang es der Bundesrechtsanwaltskammer wegen der freien Advokatur nicht, den Anstieg der zugelassenen Rechtsanwälte zu stoppen oder zumindest abzuschwächen. Dafür erzielte sie auf lange Sicht betrachtet Fort­ schritte bei der Qualitätssicherung der anwaltlichen Berufsausbildung. Die bereits in den 1980er Jahren vorgetragene Forderung nach Vorlesungen mit Bezügen zur An­ waltschaft hat sich an vielen Universitäten spätestens nach der Jahrtausendwende mit der Bologna-Reform durchgesetzt.397 Schlüsselqualifikationen und auf den Anwalts­ beruf zugeschnittene Schwerpunktbereiche vermitteln den Studierenden grundlegen­ de Fertigkeiten für den späteren Anwaltsberuf.

II. Licht unter dem Scheffel – Werbeverbot als Dogma Das Werbeverbot für Rechtsanwälte (§§ 61 ff. RL 1957, §§ 60 ff. RL 1963, § 2 RL 1973) war die zweite Konstante der Bundesrechtsanwaltskammer der Bonner Republik.398 Hier lässt sich über die Jahrzehnte allenfalls ein Hauch Liberalisierung zugunsten der Anwaltschaft diagnostizieren. Die klassische Rechtsprechung formulierte dazu apo­ diktisch: „Gemäß § 43 BRAO hat der Rechtsanwalt, der einen freien Beruf und nicht ein Gewerbe ausübt (§ 3 BRAO), seinen Beruf gewissenhaft auszuüben und sich in­ nerhalb und außerhalb seines Berufs der Achtung und des Vertrauens, welche die Stellung des Rechtsanwalts erfordert, würdig zu erweisen. […] Zu den Pflichten eines Rechtsanwalts gehört es, nicht in unzulässiger Weise für seine Praxis zu werben und auch nicht einen solchen Anschein zu erwecken.“399 Wie die folgende Geschichte of­ fenbart, verfolgte die Bundesrechtsanwaltskammer auf dieser Grundlage fast alle Le­ benszeichen eines Rechtsanwalts mit standesrechtlichen Sanktionen, die über einen schlichten, informatorischen Telefonbucheintrag hinausgingen. 1954 saß das Misstrauen gegenüber Werbung so tief, dass die Delegierten der Arbeits­ gemeinschaft sogar Fachpublikationen der Rechtsanwälte in der Fachpresse unter dem Gesichtspunkt verbotener Werbung diskutierten. „Inhalt und Schreibweise“ dürften „den Anwalt nicht als besonders erfahren oder kenntnisreich empfehlen.“400 Später berieten die Delegierten unter dem Aspekt des Werbeverbots über die Zulässigkeit von Listen für fremdsprachlich korrespondierende Rechtsanwälte.401 Sogar die Mit­ wirkung eines Rechtsanwalts in der ZDF-Sendereihe „Wie würden Sie entscheiden?“ stieß 1974 auf ein geteiltes Echo. Einige Stimmen sahen darin eine unzulässige Wer­ 396 Prot. 56. HV BRAK, 12.10.1984 in Stuttgart, BRAK-Nr. 6/85, 4. 397 Prot. 57. HV BRAK, 10.5.1985 in Karlsruhe, BRAK-Nr. 116/85, 10. 398 Zur Geschichte: Breuer, Anwaltliche Werbung: Inhalt und Grenzen, 1994, 23 ff.; Winkler, FS Karl Peter Mailänder, 2006, 231 ff. 399 BGH, Urt. v. 12.5.1975 – AnwSt (R) 10/74, BGHZ 65, 147 (Leitsätze) = BGHSt 26, 131. 400 Stellungnahme der RAK München, Anlage zu Punkt 7, in: Prot. XXXI. Tagung ARGE, 8./9.1954 in Nürnberg. 401 Dazu Prot. 19. HV BRAK, 7./8.11.1966 in Bad Dürkheim, BRAK-Nr. 84/66, 8.

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bung, da der Anschein einer besonderen Qualifikation erweckt werde. Liberale Stim­ men wollten dagegen keine große Werbewirkung erkennen. „Öffentliches Auftreten von Rechtsanwälten sei im übrigen wünschenswert.“402 Streit brach auch um Brief­ köpfe und die Unterzeichnung bei interprofessionellen Sozitäten bei Vorbehaltsauf­ gaben aus.403 Noch 1978 verbot die Bundesrechtsanwaltskammer ausdrücklich die drucktechnische Hervorhebung von Rechtsanwälten im Namens- bzw. Ortsteil von Adress- und Fernsprechbüchern. 404 1983 hingegen hatten die Kammern Celle und Stuttgart gegen diese Praxis keine Be­ denken mehr.405 Auch sah die Bundesrechtsanwaltskammer in der Nennung von Rechts­anwälten in Werbeanzeigen (Firmenprospekten) kein standeswidriges Verhal­ ten mehr.406 Die Rechtsanwaltskammer Düsseldorf führte unter Zustimmung der Hauptversammlung aus: „Rechtsanwälte würden oft Gesellschaftsanteile, Kapital­ stimmrechte usw. halten und als solche auch nach außen in Erscheinung treten. Dies gelte ebenso für den Bereich der Testamentsvollstrecker und Nachlaßverwalter. […] Ein Werbeeffekt ließe sich nirgendwo vermeiden. Am größten sei dieser Effekt längst bei spektakulären Strafprozessen, von denen die Massenmedien immer wieder be­ richteten […].“407 Wie schwierig die Abgrenzung noch erlaubter Information und bereits unerlaubter Werbung tatsächlich war, bewies der Katalog des Richtlinienaus­ schusses, der für Rechtsanwälte die Nennung als Berater oder Verfasser von Verträ­ gen verbot.408 Erst der zweite Bastille-Beschluss des BVerfG machte 1987 mittelfristig den Weg für die Werbung frei.409 Das hinderte die Bundesrechtsanwaltskammer vorläufig nicht daran, noch 1989 im Vorzeitalter des Internet einen kommerziellen „Anwaltssuchser­ vice der Btx-Anwälte e.V.“ als unzulässig einzustufen, da er in Konflikt mit den über­ prüften Fachgebietsbezeichnungen gerate und als Anwaltsvermittlung nach dem Rechtsberatungsgesetz verboten sei. Im Kern wollte die Bundesrechtsanwaltskammer die Listen der Kammern zu spezialisierten Rechtsanwälten retten.410 Erst der Bundes­ gesetzgeber verkehrte 1994 dann das Werbeverbot mit § 43b BRAO in sein Gegenteil; fortan ist Werbung grundsätzlich erlaubt.411

402 Prot. 35. HV BRAK, 10.5.1974 in Braunschweig, BRAK-Nr. 50/74, 13. 403 Prot. 37. HV BRAK, 25./26.4.1975 in Bad Aachen, BRAK-Nr. 60/75, 8 f. 404 Prot. 43. HV BRAK, 26./27.5.1978 in Münster, BRAK-Nr. 65/78, 20 f. 405 Prot. 54. HV BRAK, 9.9.1983 in Lüneburg, BRAK-Nr. 105/83, 25. 406 Prot. 54. HV BRAK, 9.9.1983 in Lüneburg, BRAK-Nr. 105/83, 17. 407 Prot. 54. HV BRAK, 9.9.1983 in Lüneburg, BRAK-Nr. 105/83, 17. 408 Prot. 54. HV BRAK, 9.9.1983 in Lüneburg, BRAK-Nr. 105/83, 17. 409 BVerfG, Beschl. v. 14.7.1987 – 1 BvR 362/79, BVerfGE 76, 196. 410 Prot. 65. HV BRAK, 2.6.1989 in Bamberg, BRAK-Nr. 113/89, 27 f. 411 Gesetz zur Neuordnung des anwaltlichen Berufsrechts v. 2.9.1994, BGBl. I, 2278.

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Geschichte der Bundesrechtsanwaltskammer in der Bonner Republik

H.  Bilanz – Blick zurück, Blick nach vorne Im Blick auf die Vergangenheit entstand die Bundesrechtsanwaltskammer nicht aus dem Nichts, sondern in einem evolutionären Prozess, der weitaus länger dauerte als ursprünglich geplant. Nach dem Zweiten Weltkrieg war Deutschland in vier Besat­ zungszonen zersplittert, die Staatlichkeit und Souveränität kehrte über Städte, Regio­ nen und Länder nach Deutschland zurück. Ebenso wurde die Bundesrechtsanwalts­ kammer nach dem Demokratieprinzip von unten nach oben aufgebaut. 1946 schlossen sich die Rechtsanwaltskammer der britischen Zone zur „Vereinigung der Vorstände der Rechtsanwaltskammern der britischen Zone“ zusammen. 1949 vereinigten sich alle Kammern der Trizone zur „Arbeitsgemeinschaft der Anwaltskammervorstände im Bundesgebiet“, später kamen die saarländische und Berliner Kammer hinzu. Insti­ tutionell hing die neue Arbeitsgemeinschaft von der bis 1959 bestehenden Vereini­ gung der britischen Zone ab. Anders als erwartet konnte die BRAO erst zum 1. Okto­ ber 1959 in Kraft treten. Daher verzögerte sich die Überführung der privatrechtlich organisierten Arbeitsgemeinschaft in eine öffentlich-rechtliche Körperschaft bis ins Jahr 1959. Mit der Bundesrechtsanwaltskammer verfügte die deutsche Rechtsanwalt­ schaft erstmals über eine deutschlandweite, vom Staat mit weitreichenden Befugnis­ sen ausgestattete demokratische Dachorganisation zur Selbstverwaltung des Rechts­ anwaltsberufs. Die Bundesrechtsanwaltskammer knüpfte in ihrem Selbstverständnis nicht an die Reichs-Rechtsanwaltskammer von 1933/35 an, die ebenfalls im Gewand einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft daherkam. Denn die Reichs-Rechtsanwalts­ kammer blieb als Instrument zur Unterdrückung der freien Advokatur eine Ausnah­ meerscheinung in der Geschichte der überregionalen Standesorganisationen. Im Blick auf die Zukunft war die Bundesrechtsanwaltskammer während der Bonner Republik kein Motor des Fortschrittes für den Rechtsanwaltsberuf.412 Das von der Bundesrechtsanwaltskammer durch Richtlinien normierte Standesrecht glich einem Labyrinth an Verboten, beispielsweise für Werbung und Zweigstellen, dem man heu­ te jede betriebswirtschaftliche Funktionsfähigkeit absprechen müsste. Das hatte seine Gründe. Die Bundesrechtsanwaltskammer war nach ihrem gesetzlichen Auftrag und trotz ihrer gewichtigen Position zu keiner eigenen Willensbildung fähig, um das Stan­ desrecht zu gestalten. Vielmehr spiegelten sich in den Beschlüssen der Hauptver­ sammlung die Mehrheitsmeinung der Rechtsanwaltskammern. Es erstaunt heutige Betrachter, dass die Bundesrechtsanwaltskammer sich im Vergleich zum DAV deut­ lich konservativer positionierte, obwohl die Funktionärsriege der beiden Vereinigun­ gen sich überschnitt. Selbst Redeker kann dieses Rätsel nicht vollkommen lüften: „Worauf diese manchmal fruchtbare, oft aber recht mißliche Gegensätzlichkeit zwi­ schen DAV und BRAK beruht, ist schwer zu ergründen, werden doch in beiden Ein­ richtungen die Organe gewählt; wahrscheinlich liegt es daran, daß sich in den auf Zwangsmitgliedschaft aufgebauten Kammern der BRAK hoheitliche Aufsichtspflich­ ten mit dem Anspruch auf die Vertretung der Interessen des Berufsstands vermen­ gen.“413 412 Weitaus schärfer Kleine-Cosack, § 175 BRAO Rz. 1. 413 Redeker, NJW 1995, 1241, 1243.

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Hinzu kam die spezifische Eigenschaft des in Richtlinien formulierten Standesrechts. Nach älterer Auffassung bestand es aus schriftlich fixiertem Gewohnheitsrecht, nach neuerer Auffassung zählte die „Meinung aller anständig und gerecht denkenden An­ wälte“ und die „Würde des Anwaltsstandes“. Während die Deutung als Gewohnheits­ recht überhaupt jede Reform ausschloss, hing bei der neueren Deutung die Fähigkeit zur Reform von vagen Begriffen wie Anstand, Gerechtigkeit und Würde ab. Obwohl die Konkurrenz durch andere rechtsnahe Berufe sowie die stetig größer werdende Zahl der zugelassenen Rechtsanwälte die Rechtsanwaltschaft vor immer größere He­ rausforderungen stellten, verweigerte sich die Hauptversammlung der Bundesrechts­ anwaltskammer bis in die 1970er Jahre grundlegenden Reformen. Lediglich die Zu­ sammenarbeit mit Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern wurde liberalisiert, wenn auch bei der Bundesrechtsanwaltskammer immer die Angst vorherrschte, über die Hintertür nach anglo-amerikanischem Vorbild überörtliche, als juristische Personen organisierte Rechtsberatungsunternehmen zu legitimieren. Selbst die Wiedereinfüh­ rung der Fachanwaltschaft über den Steuerfachanwalt hinaus geriet zu einem quälen­ den Prozess, der sich bis in die 1990er Jahre hinzog. Um einmal den Maßstab für den Fortschritt zu verdeutlichen: Mit der Ausweitung der Fachanwaltschaft hatte der Rechtsanwaltsberuf gerade einmal den Stand der Weimarer Republik zurückgewon­ nen. Der Zwang zur Reform, er sollte von außen kommen. An erster Stelle sind die Bastille-­ Beschlüsse des BVerfG aus dem Jahr 1987 zu nennen, die für rund zehn Jahre das Standesrecht in eine Krise stürzten, aber auch das Tor für echte, weitreichende Refor­ men sperrangelweit aufstießen. Fast noch wichtiger erscheint im Rückblick aber das Europarecht. Seit den 1970er Jahren zeichnete sich ab, dass transnationale, europa­ weit agierende Großkanzleien auch in Deutschland nicht mehr aufzuhalten waren. Trotzdem stemmte sich die Bundesrechtsanwaltskammer bis in die 1980er Jahre ge­ gen überörtliche Sozietäten und gegen die Anwalts-GmbH. Erst in der Berliner Repu­ blik leitete die Bundesrechtsanwaltskammer die Wende vom Einzelanwalt als Organ der Rechtspflege hin zur hochspezialisierten und durchorganisierten Rechtsdienst­ leistung ein. Das ist die Geschichte der weiteren Kapitel dieser Festschrift.

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Die jüngere Geschichte der Bundesrechtsanwaltskammer – zwischen Autonomie, Fremdbestimmung und Deregulierung Inhaltsübersicht I. Die Bundesrechtsanwaltskammer im Wandel des Berufsrechts – ein Überblick 1. Ein Dach in Schwarz-Rot-Gold 2. Erweiterung des Tätigkeitsspektrums 3. Auseinandersetzung mit der Vergangen­ heit 4. Entwicklungen im Berufsrecht a) Herausbildung eines Berufsbildes b) Rechtsentwicklung c) Ethische Aspekte im Vergütungs­ system d) Selbstverwaltung der Anwaltschaft e) Logo der Bundesrechtsanwaltskammer II. Von BVerfGE zu BVerfGE – Der sich ­verändernde Blick auf das anwaltliche Berufsrecht 1. Das Umfeld der Bastille-Entscheidungen a) Legitimationsgrundlage b) Veränderte Rolle der Rechtsanwalt­ schaft c) Veränderungen im Vergütungssystem 2. Die Bastille-Entscheidungen 3. Deregulierung, anwaltliche Selbst­ kontrolle und Satzungsermächtigung in den Grenzen der Wesentlichkeitstheorie a) Die drei Entwicklungslinien im Über­ blick b) Größere Freiheit im Kampf ums Recht aa) Keine eindeutige Funktion des Rechtsanwalts bb) Rechtliches Gehör cc) Rechtserkenntnis c) Kommerzialisierung des Anwalts­ berufs aa) Rolle des Rechtsanwalts bei der Rechtsfindung bb) Singularzulassung cc) Masterpat-Entscheidung dd) Erfolgshonorar ee) Sozietätsverbot d) Anwaltliche Selbstverwaltung als rechtsstaatsverwirklichende Selbst­ verwaltung

aa) Wirtschaftsaufsicht bb) Funktionale und kommunale Selbstverwaltung (1) Grundrechtsverwirklichende Selbstverwaltung (2) Vergleichbarkeit mit der Richter­ stellung cc) Reichweite der Selbstverwaltung e) Rechtstheoretischer Hintergrund III. Die Satzungsversammlung – gelebte Selbstverwaltung 1. Auf dem Weg zur Satzungsversammlung a) Satzungsgebendes Organ b) Rechtliche Stellung der Satzungs­ versammlung c) Pluralistische Zusammensetzung der Kammerversammlung 2. Satzungskompetenz 3. Arbeitsweise der Satzungsversammlung 4. Leitentscheidungen der Satzungsver­ sammlung a) Fachanwaltsordnung b) Die Berufsordnung für Rechtsanwälte (BORA) aa) Einleitung bb) Zweigstellenproblematik cc) Werberegelung dd) Verbot der widerstreitenden ­Interessen ee) Non-Legal Outsourcing 5. Die Satzungsversammlung ein Erfolg?! IV. Arbeitsweise der Bundesrechtsanwalts­ kammer 1. Operative Funktionen der Bundesrechts­ anwaltskammer a) Wahl der Rechtsanwälte beim ­Bundesgerichtshof b) Vorschlagsliste Beisitzer BGH c) Schlichtungsstelle der Anwaltschaft d) beA und zentrales Anwaltsregister aa) Ursprünge des beA

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Christian Wolf bb) Phasenweise Entwicklung des beA cc) Pressestimmen zum beA dd) Nachbetrachtung des beA 2. Öffentlichkeitsarbeit der Bundesrechts­ anwaltskammer a) Aufgabenstellung und Organisation b) Ausgewählte Themen der Öffentlich­ keitsarbeit aa) Journalistenseminar und Presse­ arbeit bb) Rechtspolitische Positions­ bestimmungen cc) Kommunikation nach innen dd) In bester Verfassung?! ee) Anwalt ohne Recht – Lawyers ­without Rights ff) Karikaturpreis der deutschen ­Anwaltschaft gg) Nationale Konferenz der Bundes­ rechtsanwaltskammer hh) Soldan Moot Court

3. Die Gesetzgebungsausschüsse der ­Bundesrechtsanwaltskammer a) Funktion und Arbeitsweise der ­Gesetzgebungsausschüsse b) Die Arbeit des Strafrechtsausschusses, des ZPO/GVG-Ausschusses und des Verfassungsrechtsausschusses aa) Strafrechtsausschuss bb) ZPO/GVG-Ausschuss cc) Verfassungsrechtsausschuss c) Die Arbeit des Berufsrechtsausschus­ ses und des RDG-Ausschusses V. Zeitgemäß? Anwaltliches Gesellschafts­ recht – Quersubventionierung – Zugang zum Recht 1. Erster Diskussionsstrang: Kostensperre 2. Zweiter Diskussionsstrang: Perspektive des Rechtsanwalts 3. Dritter Diskussionsstrang: Organisations­ formen 4. Die BRAK in 32 Jahren

I. Die Bundesrechtsanwaltskammer im Wandel des Berufsrechts – ein Überblick 1. Ein Dach in Schwarz-Rot-Gold Ein Dach in Schwarz-Rot-Gold: Das Logo der Bundesrechtsanwaltskammer symboli­ siert ein Dach in den Farben Schwarz-Rot-Gold. Lange Zeit verfügte die Bundes­ rechtsanwaltskammer über kein Logo. Nach den Bastille-Entscheidungen,1 der Prog­ nos-Studie zum Image der Rechtsanwaltschaft in der Bevölkerung2 und den Thesen zum Anwalt 20003 verstärkte sich das Bewusstsein innerhalb der Bundesrechtsan­ waltschaft, dass das Bild des Rechtsanwalts4 und seine Bedeutung für den Rechtsstaat in der Öffentlichkeit professionalisiert werden muss. Systematisch entwickelte sich die BRAK zu einem modernen Dachverband der regionalen Rechtsanwaltskammern, welche die Aufgabenzuweisung in § 177 BRAO in seiner gesamten Breite wahrnimmt. Ursprünglich konzentrierte sich die BRAK vor allem auf die Begleitung der Gesetzes­ vorhaben und die Rechtsentwicklung auf dem Gebiet des Berufsrechts einschließlich 1 BVerfGE 76, 171; BVerfGE 76, 192. 2 AnwBl. Sonderheft März 1987. 3 Prot. 60. HV am 10.10.1986 in Freiburg, BRAK-Nr. 167/86 v. 2.12.1986, S. 16 f. 4 Im Folgenden werden keine geschlechtsspezifischen Personenbezeichnungen verwendet, insbesondere soweit sich die Begriffe auf den Gesetzeswortlaut beziehen. Sofern möglich, werden geschlechtsneutrale Bezeichnungen bevorzugt. Andernfalls schließt die gewählte männliche Form eine adäquate weibliche gleichberechtigt ein.

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der Juristenausbildung, des Strafprozessrechts und des Zivilprozessrechts, also Berei­ che, die unmittelbar die anwaltliche Tätigkeit steuern. Heute erarbeiten 221 Rechtsan­ wältinnen und Rechtsanwälte ehrenamtlich in 32 Fachausschüssen Stellungnahmen und Gutachten. 2018 wurden 42 Stellungnahmen zu unterschiedlichen Regelungs­ vorhaben auf nationaler und europäischer Ebene erarbeitet. (IV.3.) Die vor allem in den Hauptversammlungen der BRAK beschlossenen Positionen der Anwaltschaft zu den unterschiedlichen rechtspolitischen Belangen kommuniziert die BRAK durch vielfältige Öffentlichkeitsarbeit nach Außen und gegenüber den Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten. Man sucht Einfluss zu nehmen auf den politischen Willensbil­ dungsprozess u.a. durch Parlamentarische Abende, Journalisten-Seminare, Nationale Konferenzen der BRAK, Presseerklärungen, BRAK-Mitteilungen, Internetpräsenz, das Rundschreiben „Nachrichten aus Berlin“ und seit neuestem durch den beA-News­ letter. (IV. 1. d)) Als Dachverband pflegt die BRAK auch eine intensive Kommunikation mit den regi­ onalen Rechtsanwaltskammern. Die Hauptversammlung ist der Ort der Meinungsbil­ dung und Diskussion mit den Kammern. Vorbereitet durch umfangreiche Tätigkeits­ berichte findet dort die Meinungsbildung innerhalb der BRAK statt. Rundschreiben an die Kammern halten diese über neuste europapolitische und bundespolitische Entwicklungen auf dem laufenden. Abstimmungen finden in den Konferenzen der Gebührenreferenten und Berufsrechtsreferenten der Kammern statt. 2. Erweiterung des Tätigkeitsspektrums Mit der Satzungsversammlung wurde als Parlament der Anwaltschaft ein neues Or­ gan geschaffen. Formale Aufgabe der Satzungsversammlung ist es, nach § 191a BRAO eine Berufsordnung zu schaffen, welche die Ausübung des Anwaltsberufs nach den in § 59b BRAO aufgestellten Vorgaben regelt. In der Sache ist die Satzungsversammlung aber auch ein Forum des Dialogs unterschiedlicher Strömungen innerhalb der An­ waltschaft geworden. (III.) Gleichfalls erweitert wurde das Tätigkeitsspektrum der Bundesrechtsanwaltskammer durch die von der BRAK zwar unabhängige, aber dort angesiedelte Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft, § 191f BRAO. Mit dem besonderen Anwaltspostfach, § 31a BRAO, wurde gleichfalls der Aufgabenbereich der Bundesrechtsanwaltskammer deut­ lich erweitert. Bereits zuvor wurde die BRAK mit der administrativen Aufgabe der Führung eines Gesamtverzeichnisses der zugelassenen Rechtsanwälte betraut, §  31 BRAO. (IV 1.) 3. Auseinandersetzung mit der Vergangenheit Ein deutliches jakobinisch-republikanisches Bekenntnis der Bundesrechtsanwalts­ kammer sind nicht nur die Farben des Logos Schwarz-Rot-Gold,5 sondern auch das Gedenken an die Opfer des Unrechtsregimes des Dritten Reichs. Hierfür steht die 5 Art. 3 S. 1 Weimarer Verfassung, Art. 22 GG.

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Ausstellung „Rechtsanwalt ohne Recht“,6 welche als Wanderausstellung an das Schick­ sal jüdischer Anwälte in Deutschland zwischen 1933 und 1945 erinnert. Hierzu zählt auch, dass die Rechtsanwaltskammer Berlin und die Bundesrechtsanwaltskammer in Berlin ihren Sitz in der Littenstraße genommen und das Gebäude nach Hans Litten benannt haben: das Hans-Litten-Haus.7 Hans Litten, der sich selbst als proletarischen Anwalt bezeichnete,8 setzte sich in der Weimarer Republik als junger Strafverteidiger für die Opfer nationalsozialistischer Gewaltakte ein. Besondere Bedeutung kam dabei dem Edenpalast-Prozess von 1931 und dem „Felseneck“ – Prozess von 1932 zu. In beiden Prozessen demaskierte er die NSDAP sowie Hitler persönlich durch Vernah­ me des Letztgenannten als Zeugen im Edenpalast-Prozess. Die Rache des NS-Regi­ mes war barbarisch.9 Litten entzog sich den Folterungen der NS-Schergen nach ei­ nem mehrjährigen Martyrium am 5. Februar 1938 im KZ Dachau durch Suizid. Das Bekenntnis zu Hans Litten ist zugleich eine Distanzierung von einem Teil der Rechtsanwaltschaft, die in das Dritte Reich verstrickt war.10 Noch fehlt aber eine um­ fassende Aufarbeitung dieses Kapitels der Rechtsanwaltschaft, wie sie die Akte Rosen­ burg für das Bundesjustizministerium zwischenzeitlich darstellt.11 (IV. 2. b)) 4. Entwicklungen im Berufsrecht Die 32 Jahre, die seit den Bastille-Entscheidungen vergangen sind, lassen sich als eine Geschichte der kontinuierlichen Deregulierung des Berufsrechts beschreiben. Einen nicht unerheblichen Anteil an dieser Deregulierung kommt dem Bundesverfassungs­ gericht zu.12 Dies war für die Entwicklung des Berufsrechts nicht unproblematisch. Auch das Bundesverfassungsgericht kann sich nur äußern, wenn eine Verfassungsbe­ schwerde erhoben wurde. So ist die Frage, ob das Tätigkeitsverbot bei nichtanwaltli­ cher Vorbefassung nach § 45 BRAO mit Art. 12 GG vereinbar ist, ungeklärt geblieben, weil der Beschwerdeführer verstorben ist.13 Die pointilistischen Eingriffe des Bundes­ verfassungsgerichts mussten notgedrungen zu einer Fragmentierung des Berufsrechts führen.14 (II.)

6 www.anwalt-ohne-recht.de/. 7 Zu Hans Litten: Irmgard Litten, Eine Mutter kämpft gegen Hitler, 2017; Jungfer, BRAKMitt., 2003, 159 ff.; Baatz, NJW 2003, 1784. 8 Paech, DuR, 1988, 70 ff. 9 Die Schilderung seines Leidenswegs eindrucksvoll beschrieben in: Irmgard Litten, Eine Mutter kämpft gegen Hitler, 2017. 10 Kritisch zur fehlenden Täterperspektive: Püschel, KJ, 2013, 266 ff. 11 Dies mahnt auch Levi in: Deutscher Anwaltverein (Hrsg.), Anwälte und ihre Geschichte, 2011, 305 (313 f.). Schäfer griff den Gedanken in seiner Abschiedsrede auf der 155. Haupt­ versammlung auf und empfahl diesen Teil der Geschichte aufzuarbeiten, Prot. 155. HV am 14.9.2018, S. 29 12 Kilian/Koch, Anwaltliches Berufsrecht, 2. Aufl., Rz. 39; Stürner/Bormann, NJW 2004, 1481, 1482 f. 13 BVerfG, Entscheidung v. 24.10.2017 – 1 BvR 1312/16 –, juris. 14 Kilian/Koch, Anwaltliches Berufsrecht, 2. Aufl., Rz. 39.

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a) Herausbildung eines Berufsbildes Weitaus problematischer ist allerdings, dass es bislang nicht gelang, ein in sich schlüs­ siges Berufsbild des Rechtsanwalts zu entwickeln.15 Im Wesentlichen geht es dabei um die Fragen: (1) Gibt es eine ontologische Wahrheit, sprich richtige Entscheidung, die außerhalb des Prozesses feststeht und auf deren (pädagogische) Vermittlung und Ent­ deckung alle Verfahrensbeteiligten, einschließlich der Anwälte, verpflichtet werden können? Oder muss nicht im Prozess erst in einem dialogischen Verfahren das Ergeb­ nis erarbeitet werden?16 Kann dieses Verständnis anwaltlicher Tätigkeit noch tragen, wenn der nicht-forensische Anteil der anwaltlichen Tätigkeit immer größer wird?17 (2) Findet der Richter auch ohne Mitwirkung des Rechtsanwalts das richtige Ergeb­ nis? M.a.W. ist die Tätigkeit des Rechtsanwalts ergebnisneutral? Oder gilt nicht viel­ mehr „Good Lawyers matter?“. (3) Kann aber das anwaltliche Können das Prozesser­ gebnis entscheidend beeinflussen, muss dann nicht der Anwaltsmarkt so organisiert sein, dass sich Recht nicht erkaufen lässt? M.a.W. ist es mit dem Rechtsstaatsprinzip und Art.  3 Abs.  1 GG vereinbar, wenn die anwaltliche Dienstleistung einfach eine käufliche Ware wird und man damit für mehr Geld mehr Recht bekommt? (V.) Seit den Bastille-Entscheidungen ist alleine die BRAO 51-mal vom Gesetzgeber geän­ dert worden. Hierunter befindet sich eine ganze Reihe von grundlegenden gesetzge­ berischen Eingriffen in das Berufsrecht. Zu nennen sind hier u.a.: Gesetz zur Ände­ rung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und Patentanwälte vom 13.12.1989;18 Gesetz zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte vom 2.9.1994;19 Gesetz zur Änderung der Bundesrechtsanwaltsordnung, der Patentan­ waltsordnung und anderer Gesetze vom 31.8.1998;20 Gesetz zur Stärkung der Selbst­ verwaltung der Rechtsanwaltschaft vom 26.3.2007;21 Gesetz zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts vom 12.12.2007;22 Gesetz zur Neuregelung der Vereinbarung von Erfolgshonoraren vom 16.6.2008;23 Gesetz zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht, zur Errichtung einer Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft vom 30.7.2009;24 Gesetz zur Einführung einer Partnerschaftsge­ sellschaft mit beschränkter Berufshaftung vom 15.7.2013;25 Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Syndikusrechtsanwälte vom 21.12.2015;26 Gesetz zur Umsetzung der 15 So schon die Kritik von Krämer, BRAK-Mitt., Sonderheft 1988, 67, 69. Hieran hat sich im Wesentlichen nichts geändert, G´Giorgis, Die Liberalisierung des Anwaltsberufs, 2015, 80; vgl. aber Wolf in: Gaier/Wolf/Göcken, § 1 BRAO, Rz. 9 ff. 16 Hierzu bereits deutlich Krämer, BRAK-Mitt., Sonderheft 1988, 67, 69: Aus der These (Klä­ ger) und der Antithese (Beklagter) bildet sich die richterliche Synthese. 17 Vgl. zur Differenzierung Gaier, BRAK-Mitt., 2006, 2, 6 f. 18 BGBl. I 1989, S. 2135. 19 BGBl. I 1994, S. 2278, geändert durch G. v. 17.12.1999, BGBl. I 1999, S. 2448. 20 BGBl. I 1998, S. 2600. 21 BGBl. I 2007, S. 358. 22 BGBl. I 2007, S. 2840. 23 BGBl. I 2008, S. 1000. 24 BGBl. I 2009, S. 2449. 25 BGBl. I 2013, S. 2386. 26 BGBl. I 2015, S. 2517.

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Berufsrechtsanerkennungsrichtlinie vom 12.5.201727 sowie Gesetz zur Neuregelung des Schutzes von Geheimnissen bei der Mitwirkung Dritter an der Berufsausübung vom 30.10.2017.28 Vier Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts29 mussten nach § 31 BVerfGG im Bundesgesetzblatt veröffentlicht werden. Große gesetzgeberische Reformvorha­ ben außerhalb der BRAO waren das EuRAG,30 das RVG31 und das RDG,32 welche seit deren erstmaligem Inkrafttreten zahlreiche Änderungen erfuhren. Auf der Ebene der Selbstverwaltung wurde das autonome Softlaw (Standesrichtlinien) durch die staat­ liche Satzungsermächtigung abgelöst33 und so die BORA und die FAO geschaffen. Anwaltsrecht ist – um einen Modeausdruck zu benutzen – ein disruptives Rechtsge­ biet. b) Rechtsentwicklung Versucht man die Veränderungen einzuteilen, lassen sich drei Hauptbereiche der Rechtsentwicklung ausmachen: (1) Mehr oder weniger technische Entwicklungen, wie die Einführung der VwGO bei verwaltungsrechtlichen Anwaltssachen, welche durch die Ablösung des FGG durch das FamFG bewirkt wurde. (2) Eine Erweiterung des berufsrechtlichen Autonomiespielraums des Rechtsanwalts bei der inhaltlichen Berufsausübung. Im Kampf ums Recht darf sich der Rechtsanwalt auch starker ein­ dringlicher Aussagen bedienen.34 (3) Eine Ökonomisierung des anwaltlichen Dienst­ leistungsmarkts. Für die Ökonomisierung des Anwaltsmarkts waren dabei weniger die Bastille-Entscheidungen als vielmehr die Zulassung von überörtlichen Sozietäten durch den BGH 1989 entscheidend.35 Ein weiteres Beispiel für diese Entwicklung stellt auch die jüngste Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts dar, welche einen Zusammenschluss von Rechtsanwälten mit Ärzten und Apothekern ermöglicht.36 Im

27 BGBl. I 2017, S. 1121. 28 BGBl. I 2017, S. 3618. 29 BVerfGE 103, 1 (Singularzulassung); BVerfGE 117, 163 (Verbot des Erfolgshonorars); BVerfGE 135, 90 (Partielle Nichtigkeit von § 59a Abs. 2 S. 1 und § 59f Abs. 1 BRAO – Mehr­ heitserfordernis der Rechtsanwälte in einer Recht- und Patentanwalts-GmbH); BVerfGE 141, 82 (Partielle Verfassungswidrigkeit von § 59a Abs. 1 S. 1 BRAO – Partnerschaft von Rechtsanwälten mit Ärzten und Apothekern). 30 BGBl. I 2000, S. 182. 31 BGBl. I 2004, S. 718. 32 BGBl. I 2007, S. 2840. 33 Kilian in: Boon, International Perspectives on the Regulation of Lawyers and Legal ­Services, 2017, 185, 197 ff. 34 BVerfG, NJW-RR 2010, 204. 35 BGHZ 108, 290; die Entscheidung wird daher auch von den Wirtschaftskanzleien als Ur­ knall empfunden, vgl. Pöllath in: Pöllath/Saenger, Wirtschaftsanwälte in Deutschland, 2009, 18. 36 BVerfGE 141, 82.; vgl. zum Weiterdenken der Entscheidung Henssler, AnwBl Online 2018, 564 ff.

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Kern ist mit dieser Entscheidung der Zusammenschluss der Rechtsanwälte mit ganz unterschiedlichen berufsrechtlichen Kulturen eröffnet.37 (II.) Die Entwicklung führt zu einer sehr heterogenen Struktur der Anwaltschaft.38 Ver­ gleicht man die Einkommen der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, sind er­ hebliche Unterschiede zwischen Ost und West sowie Einzelanwalt, Sozietät und ­überörtlicher Sozietät festzustellen.39 Die Einheit der Rechtsanwaltschaft war der Bundesrechtsanwaltskammer vor diesem Hintergrund ein großes Anliegen. 2005 rief man den Dialog mit den Großkanzleien in das Leben,40 der später um einen Dialog mit Syndikusanwälten ergänzt wurde. c) Ethische Aspekte im Vergütungssystem Gleichfalls als Reaktion auf die zunehmende Deregulierung warf Henssler 2008 die Frage auf, ob eine selbstverfasste Anwaltschaft sich nicht ethische Richtlinien geben sollte, die zu einer ethischen Präzisierung der anwaltlichen Tätigkeit beitragen kön­ nen.41 Sowohl die Bundesrechtsanwaltskammer als auch der Deutsche Anwaltverein führten im Nachfolgenden eine Ethikdiskussion. Das Präsidium der Bundesrechtsan­ waltskammer setzte hierzu eine Ethikkommission des Präsidiums ein, welche sich aus Rechtsanwälten/-innen, Richtern/-innen und Rechtswissenschaftlern/-innen zusam­ mensetzte. Die Arbeit der Kommission mündete in einem Diskussionspapier zur An­ waltsethik, welches in den Kammern diskutiert wurde.42 Aus der Sicht von Henssler ist die Diskussion allerdings versandet.43 Die Schwierigkeiten der Ethikdebatte liegen sicherlich darin begründet, dass der Ge­ setzgeber trotz der vielen textlichen Änderungen der BRAO seit 1959 § 2 BRAO nicht verändert hat, jedoch das in der Gesetzesbegründung beschriebene Berufsbild, wel­ ches heute aber aus der Zeit gefallen wirkt. Wörtlich heißt es in der Gesetzesbegrün­ dung: „Vielmehr liegt die Eigenart des freien Berufes vornehmlich darin begründet, daß seine Angehörigen sich nicht vom Streben nach Gewinn bestimmen lassen dür­ fen (vgl. Feuchtwanger: Die freien Berufe, S. 17 ff.). So werden die Handlungen und Unterlassungen eines Anwalts, der von der ethischen Aufgabe seines Berufes erfüllt ist, von dem Motiv geleitet sein, das Recht zu verwirklichen.“44 Der archimedische Punkt der Ethikdiskussion ist, ob ein regulativer Rahmen besteht, welcher ein ethisches Verhalten erst ermöglicht und dem einzelnen Rechtsanwalt 37 Henssler, AnwBl Online 2018, 564 ff. Hiergegen Wolf, BRAK-Mitt., 2018, 162 ff. 38 Gruhl, BRAK-Mitt., 2017, 13, 18. 39 Gruhl, BRAK-Mitt., 2007, 13; Genitheim, Statistisches Berichtssystem für Rechtsanwälte, 2018. 40 Filges in: Prot. 117.  HV am 12.9.2008 in Nürnberg, BRAK-Nr.  53212008 v. 21.10.2008, S.  11; Filges in: Prot. 108.  HV am 19.5.2006 in Kassel, BRAK-Nr.  296/2006 v. 19.6.2006, S. 36 ff. 41 Henssler, AnwBl. 2008, 721 ff. 42 Das Diskussionspapier ist abgedruckt in BRAK-Mitt., 2011, 58 ff. 43 Henssler, AnwBl. 2018, 22 ff. 44 BT-Drs. 3/120, S. 49.

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nicht lediglich die Wahl zwischen heroischer Selbstaufopferung und rücksichtsloser Selbstsucht lässt.45 Will Ethik mehr sein als bloße Bindestrich-Ethik, muss sie sich der Strukturfrage der Vergütung und der Organisation der Kanzleien annehmen46 und so dem Einzelnen auch ein ethisches Verhalten ermöglichen47 (V.) Indirekt nimmt die Gesetzesbegründung von 1958 auf das Prinzip der Quersubven­ tionierung Bezug. Hierdurch wurde die Art der Erledigung und das Gewinnstreben, wie Stürner es ausdrückt, in gewisser Weise entkoppelt.48 Zwar baut die Wertgebühr des RVG nach wie vor auf dem Gedanken der Quersubventionierung auf,49 allerdings ist der Gedanke, als Organ der Rechtspflege hätten die Rechtsanwälte die Verpflich­ tung, durch Quersubventionierung den streitwertunabhängigen Zugang zum Recht sicherzustellen, nicht mehr sehr weit verbreitet.50 Insbesondere ist die Kommentarli­ teratur zum RVG hierzu eher amusikalisch.51 Für die Bundesrechtsanwaltskammer ist das Vergütungssystem ein zentrales Thema. Alle bisherigen Gebührenreformen wurden von der Bundesrechtsanwaltskammer in­ tensiv begleitet.52 Zwar hat sich die Struktur der Mandate – allerdings in Abhängigkeit zur Kanzleiform – verändert, jedoch sind insbesondere bei den Einzelkanzleien die Gerichtsmandate noch von erheblicher Bedeutung.53 Dabei spielt das Zeithonorar in gerichtlichen Verfahren eine deutlich geringere Rolle als die Honorarfindung nach dem Taxsystem des RVG.54 Da auch die Bearbeitung von Prozesskostenhilfemanda­ ten ungleich verteilt ist, hat sich hier eine nicht unerhebliche Gerechtigkeitslücke in­ nerhalb der Anwaltschaft entwickelt.55 (V. und II. 3.) d) Selbstverwaltung der Anwaltschaft Von zentraler Bedeutung für das Selbstverständnis der Bundesrechtsanwaltskammer ist die anwaltliche Selbstverwaltung. Ganz allgemein gesprochen benötigt Wirtschaft der Aufsicht. Wirtschaftsaufsicht dient dabei dem Rechtsgüterschutz. Wirtschafts­

45 Ulrich, Integrative Wirtschaftsethik, 1998, 86. 46 Hierzu Wolf in: Gaier/Wolf/Göcken, § 2 BRAO Rz. 46 ff. 47 Luhmann, Die Moral der Gesellschaft, 2008, S. 206; hierzu bereits Wolf, AnwBl. 2010, 725 (732). 48 Stürner, Markt und Wettbewerb über Alles?, 2007, S. 23. Zu dem Zusammenhang zwischen den Vergütungsmodellen auf der einen Seite und der aufwendigen Gestaltung des Verfah­ rens anderseits bereits einprägsam Junker, ZIP 1988, 411. 49 Schons in: Hartung/Schons/Enders, RVG, 3. Aufl. 2017, § 4a RVG, Rz. 54. 50 Vgl. zu dem Core Value der Sicherung des streitwertunabhängigen Zugangs zum Recht bereits Wolf in: Gaier/Wolf/Göcken, Einl. Rz. 93 ff. 51 In den meisten RVG-Kommentaren wird weder das Prinzip der Quersubventionierung dar- noch eine Verbindung zum Rechtsanwalt als Organ der Rechtspflege hergestellt. 52 Vgl. nur z.B. TB zur 94. HV am 16.5.2003 in Saarbrücken, BRAK-Nr. 2221/2003 v. 6.5.2003, S. 31 ff. 53 STAR-Bericht 2018, 5.1.3. 54 STAR-Bericht 2018, 7.5a. 55 Vgl. Kilian, AnwBl. 2014, 1004.

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recht steuert das Verhalten der Berufsträger gegen das normale Marktverhalten.56 Im Gegensatz zu anderen Gebieten der Wirtschaft liegt die Aufsicht über die Rechtsan­ wälte in weiten Bereichen57 bei den Rechtsanwaltskammern. Die Aufsicht durch die Rechtsanwaltskammern dient in erster Linie der Absicherung der Freiheit und Unab­ hängigkeit des einzelnen Rechtsanwalts.58 Die selbstverwaltete Rechtsanwaltschaft ist im 19. Jahrhundert entstanden, weil man die Rechtsanwälte von der Disziplinarge­ walt der Gerichte entbinden wollte.59 Bereits bei Gneist findet sich der Rechtsstaatsbe­ zug der Selbstverwaltung: Nur der vom Staat unabhängige Anwalt könne die Rechts­ pflege fördern.60 Im Grunde nichts anderes sagt heute das Bundesverfassungsgericht, wenn es formuliert, dass das Rechtsstaatsprinzip eine vom Staat unabhängige Rechts­ anwaltschaft erfordert.61 Die anwaltliche Unabhängigkeit auf der einen Seite und die notwendige begleitende Wirtschaftsaufsicht auf der anderen Seite müssen daher zum Ausgleich gebracht wer­ den.62 Dieser Ausgleich zwischen anwaltlicher Unabhängigkeit und notwendiger Wirt­ schaftsaufsicht wird durch die anwaltliche Selbstverwaltung vermittelt. Es scheint eine immerwährende Aufgabe der Bundesrechtsanwaltskammer zu sein, für dieses grund­ legende Verständnis der Selbstverwaltung zu kämpfen. Die Alternative zur Selbstver­ waltung wäre nämlich nicht keine Aufsicht, sondern eine Staatsaufsicht durch die Ge­ werbeaufsichtsämter. Diese Form der funktionalen Selbstverwaltung g­ ewinnt aus dem Rechtsstaatsprinzip eine besondere verfassungsrechtliche Fundierung.63 Die Bastille-Entscheidung hat die innere Willensbildung der Bundesrechtsanwalts­ kammer mit der Satzungsversammlung sicherlich demokratisiert, indem sie die legi­ timatorische Basis der Willensbildung erweiterte. Nicht mehr die Kammerpräsiden­ ten sollten die Standesüberzeugung der Berufsträger feststellen, sondern eine dafür gewählte Satzungsversammlung eine die BRAO ergänzende Berufsordnung erlassen. Gleichzeitig wurde damit aber auch der Spielraum für autonomes Softlaw einge­ schränkt. Nur in dem Rahmen, in dem die Satzungsermächtigung noch einen Spiel­ raum lässt, kann die Satzungsversammlung tätig werden.64 (II. 3. d) und III.) Bereits unmittelbar nach den Bastille-Entscheidungen wurde erkannt, dass die Bastil­ le-Entscheidungen daher auch die Gefahr einer vollständigen staatlichen Reglemen­ 56 Steindorff, Einführung in das Wirtschaftsrecht der BRD, 2. Aufl., 1985, S. 4 f. Hierzu und zur Übertragung des Ansatzes auf das Anwaltsrecht bereits Wolf in: Gaier/Wolf/Göcken, Einl. Rz. 2 f. 57 Nicht im Bereich der Selbstverwaltung ist z.B. die Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes ange­ siedelt. 58 Krenzler, BRAK-Mitt., 2008, 90. 59 Gneist, Freie Advocatur, 1867, 58 ff. 60 Gneist, Freie Advocatur, 1867, 77 ff. 61 BVerfGE 87, 287, 321. 62 Vgl. Wolf, NJW-Sonderheft zum 4. Hannoveraner ZPO-Symposion, 21 f. 63 Gaier, BRAK-Mitt., 2012, 142, 143 f. 64 BGH, NJW 2015, 3672 zur Regelung der Mitwirkungspflicht der Zustellung von Anwalt zu Anwalt in der BORA und der daraufhin erfolgten Änderung von § 59b Abs. 2 Nr. 8 BRAO, BGBl. I 2017, S. 1121. Vgl. auch BVerfGE 101, 312 zu § 13 BORA a.F.

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tierung des Berufsrechts hervorgerufen haben.65 Selbstverwaltung enthält typischer­ weise sowohl eine administrative als auch eine rechtsetzende Komponente. In Bezug auf die administrative Komponente hat Gaier die Parallele zur Wissenschaftsfreiheit gezogen. Wie die Wissenschaftsfreiheit die Selbstverwaltung in akademischen Ange­ legenheiten erfordere, erfordere der Rechtsstaatsbezug der anwaltlichen Tätigkeit gleichfalls die Selbstverwaltung. Würde die Selbstverwaltung durch eine staatliche Wirtschaftsaufsicht ersetzt, bestünde die Gefahr, dass der Rechtsanwalt nicht immer nur die Interessen seines Mandanten verträte, sondern sich auch an den u.U. gegen­ läufigen Interessen des Staates orientieren würde.66 Wie bei der akademischen Selbstverwaltung auch67 kann sich die Unabhängigkeit des Rechtsanwalts jedoch nicht nur auf die administrative Selbstverwaltung beschränken. Vielmehr muss es auch einen Kern der rechtsetzenden Autonomie geben. (II. 3. d)) Die Selbstverwaltung der Rechtsanwaltschaft ist untrennbar mit dem Rechtsstaats­ prinzip verbunden. Eine der Grundvoraussetzungen des Rechtsstaats ist eine selbst­ verwaltete Anwaltschaft. Es ist ein Paradoxon, dass die Rechtsanwaltschaft einerseits an der staatlichen Aufgabe teilnimmt, den gleichen Zugang zum Recht herzustellen, und anderseits staatsfern organisiert sein muss. Weil sich die Selbstverwaltung der Rechtsanwaltschaft nur aus dem Rechtsstaatsprinzip legitimiert, ist der Gemeinwohl­ bezug die Grund-DNA der Bundesrechtsanwaltskammer. e) Logo der Bundesrechtsanwaltskammer Anfang der 90er-Jahre des letzten Jahrhunderts dachte die Bundesrechtsanwaltskam­ mer darüber nach, sich ein Logo zu geben. Eine der Ideen war auch, den Bundesadler als Logo zu führen. Damit wäre zwar die Teilhabe an der staatlichen Aufgabe der Verwirklichung des Rechtsstaats symbolisiert worden, nicht jedoch die Notwendig­ keit, die Anwaltschaft staatsfern zu organisieren, damit die Rechtsanwaltschaft diese Aufgaben im Rechtsstaat erfüllen kann. Die Frage, ob das staatliche Hoheitssymbol – der Bundesadler – ein glückliches Logo gewesen wäre, stellt sich nicht. Eine entspre­ chende Anfrage, ob man den Bundesadler als Logo verwenden darf, wurde vom Bun­ desinnenministerium negativ beschieden. 68 Das nunmehr verwendete Logo verdeutlicht das Grundverständnis der anwaltlichen Selbstverwaltung weitaus besser. Mit den Farben Schwarz-Rot-Gold nimmt man die Farben der Republik, des demokratischen, sozialen Rechtsstaats auf. Man verweist auf die jakobinisch-republikanische Tradition und verdeutlicht so das Paradoxon an ei­ ner staatlichen Aufgabe, der Verwirklichung des Rechtsstaats, teilzunehmen und zu­ gleich vom Staat unabhängig zu sein. 65 So der Bamberg RAK Präsident Loewer, im Prot. 63. HV am 13.5.1988 in München, BRAKNr. 115/88 v. 29.6.1988, S. 24. 66 Gaier, BRAK-Mitt., 2012, 142, 144 f. 67 Knemeyer in: Flämig/Greller u.a. (Hrsg.), Handbuch des Wissenschaftsrechts, Bd. 1, 1982, 157 ff. 68 Prot. 74. HV am 24.9.1993 in Lübeck, BRAK-Nr. 257/93 v. 15.10.1993, S. 17.

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II. Von BVerfGE zu BVerfGE – Der sich verändernde Blick auf das anwaltliche Berufsrecht 1. Das Umfeld der Bastille-Entscheidungen Anfang 1988 erschien zum letzten Mal der Kommentar Lingenberg/Hummel/Zuck/ Eich zu den Grundsätzen des anwaltlichen Standesrechts. Das Erscheinen des Kom­ mentars fiel zeitlich zusammen mit den Bastille-Entscheidungen des Bundesverfas­ sungsgerichts.69 Namensgebend für die Entscheidungen wurde der Tag, an dem das Bundesverfassungsgericht die Beschlüsse fasste, der 14. Juli 1987.70 Den Beginn der französischen Revolution markiert der Sturm auf das Pariser Staatsgefängnis, die Bas­ tille, am 14. Juli 1789. Den Beginn der – wenn auch nicht revolutionären, so doch grundlegenden – Veränderung der Anwaltschaft markieren die Bastille-Entscheidun­ gen.71 Die Entscheidungen wurden allerdings erst am 19. November 1987 den Verfah­ rensbeteiligten zugestellt.72 Viel Zeit blieb den Autoren des bereits fertiggestellten Kommentars also nicht mehr, auf die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, welche dem Gegenstand des Kommentars den Boden entzogen, zu reagieren. In den Bastille-Entscheidungen hat das BVerfG entschieden, dass die Grundsätze des an­ waltlichen Standesrechts nicht mehr zur Konkretisierung der Generalklausel des § 43 BRAO herangezogen werden dürfen. Einschränkungen der Berufsfreiheit nach Art. 12 GG bedürften einer gesetzlichen Grundlage, die Standesrichtlinien würden gegen den Vorbehalt des Gesetzes verstoßen. Bis zu den Bastille-Entscheidungen wurden die von den Präsidenten der Rechtsanwaltskammern beschlossenen Standes­ richtlinien zur Interpretation und Konkretisierung der allgemeinen Berufspflichten des § 43 BRAO herangezogen. Die Kompetenz hieraus ergab sich aus § 177 Abs. 2 Nr. 2 BRAO a.F. Danach war es Aufgabe der Bundesrechtsanwaltskammer, „die allge­ meine Auffassung über Fragen der Ausübung des Anwaltsberufs in Richtlinien fest­ zustellen“. Die Bundesrechtsanwaltsordnung enthielt keine Vorschriften darüber, in welchem Verfahren diese allgemeine Auffassung festzustellen war.73 Beschlossen wur­ den die Standesrichtlinien von den Präsidenten der regionalen Kammern. a) Legitimationsgrundlage Bereits vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wurde die Frage auf­ geworfen, ob die Legitimationsgrundlage der Standesrichtlinien ausreichend ist oder ob es nicht vielmehr einer Ermächtigung zum Satzungserlass einer Berufsordnung bedarf.74 Auch die 62.  Hauptversammlung der Bundesrechtsanwaltskammer am 69 BVerfGE 76, 171 und BVerfGE 76, 196. 70 Kilian/Koch, Anwaltliches Berufsrecht, Rz. 15. 71 Stürner/Bormann, NJW 2004, 1481, 1483. 72 Zuck in: Lingenberg/Hummel/Zuck/Eich, S. N1. 73 Zuck in: Lingenberg/Hummel/Zuck/Eich, Kommentar zu den Grundsätzen des anwaltli­ chen Standesrechts, Einl. Rz. 9. 74 Z.B. Kleine-Cosack, AnwBl. 1986, 505 und Zuck, ZRP, 1987, 145 ff. mit unterschiedlichen Akzenten.

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2.10.1987 befasste sich bereits mit der Frage, ob nicht das Berufsrecht durch eine Sat­ zung näher ausgestaltet werden soll.75 Die Teilnehmer der 62.  Hauptversammlung konnten die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu diesem Zeitpunkt noch nicht kennen. Schon zuvor auf der 2. Präsidentenkonferenz am 13.12.1986 in Frank­ furt hat man beschlossen, eine Satzungskompetenz in das rechtspolitische Programm der BRAK für die 11. Legislaturperiode aufzunehmen.76 Drei Punkte prägten die Dis­ kussion auf der 62. Hauptversammlung: (1) Ist die Stimmgewichtung der regionalen Rechtsanwaltskammern auf der Hauptversammlung zu verändern? Nach § 190 Abs. 1 BRAO hat jede Kammer auf der Hauptversammlung eine Stimme. Die Kammer Hamm hat beantragt, gegenüber dem Bundesgesetzgeber auf eine Änderung von § 190 Abs. 1 BRAO zu drängen, sodass die Anzahl der in einem Kammerbezirk zuge­ lassenen Rechtsanwälte auch in der Stimmgewichtung zum Ausdruck kommt.77 Die Kammer Hamm stützte sich bei ihrem Antrag auf ein Rechtsgutachten von Hans-Jürgen Papier (damals noch Bielefeld).78 (2) Wird nicht, jedenfalls wenn die Hauptver­ sammlung über eine Satzung entscheidet, also eine veränderte Aufgabenzuweisung erhält, eine Stimmgewichtung notwendig? (3) Ist für eine in die Zukunft gerichtete Fortentwicklung des Berufsrechts nicht eine Satzungskompetenz erforderlich?79 Die Grundsätze des anwaltlichen Standesrechts seien, so der Vizepräsident der Bundes­ rechtsanwaltskammer Dr. Eberhard Haas, keine Rechtsschöpfungen, sondern ledig­ lich Feststellungen dessen, was nach der Überzeugung der hier Anwesenden Meinung der Mehrheit der vernunftbegabten Kollegenschaft sei. Daher seien Richtlinien not­ wendigerweise konservativ. Die Richtlinien von heute können nicht den Anwalt 2000 formen, sondern können nur das Anwaltsbild der 70er-Jahre reflektieren.80 Um die weitere Diskussion zu strukturieren, setzte die 62. Hauptversammlung einen ad-hoc Ausschuss zur Satzungskompetenz der BRAK ein.81 b) Veränderte Rolle der Rechtsanwaltschaft Zur Einordnung der Bastille-Entscheidungen gehört auch, dass die Rechtsanwalt­ schaft Ende der 80er-Jahre über ihre sich verändernde Rolle breit nachdachte. Einer der Vorwürfe, welcher dem Berufsrecht gemacht wurde, war, dass es zu einer Zeit entwickelt wurde, in der es 15.000 Rechtsanwälte gab, welche hauptsächlich foren­ sisch tätig waren.82 Insbesondere in Wirtschaftskanzleien trat die forensische Tätig­ keit aber zunehmend in den Hintergrund, nur noch ein kleiner Teil der Anwälte in den Kanzleien war vor Gericht tätig. Vornehmste Aufgabe eines guten Anwalts sei es, Prozesse zu verhindern, so Alfred Gleis.83 „Je älter der Anwalt, desto seltener geht er 75 Prot. 62. HV am 2.10.1987 in Berlin, BRAK-Nr. 168/87, S. 17 ff. 76 Prot. 2. PräsKonf. 13.12.1986 in Frankfurt, BRAK-Nr. 16/87 v. 9.2.1987, S. 6. 77 Prot. 62. HV am 2.10.1987 in Berlin, BRAK-Nr. 168/87, S. 17 ff. 78 Papier, NJW 1987, 1308. 79 TB zur 62. HV, am 23.5.1987 in Berlin, S. 7 f. 80 Prot. 62. HV am 2.10.1987 in Berlin, BRAK-Nr. 168/87, S. 17. 81 Prot. 62. HV am 2.10.1987 in Berlin, BRAK-Nr. 168/87, S. 26. 82 Rechtsanwalt Hahndorf, Freiburg, Prot. 60.  HV am 10.10.1986 in Freiburg, BRAKNr. 167/86 v. 2.12.1986, S. 17. 83 Gleis, Soll ich Rechtsanwalt werden, 2. Aufl., 1987, 110.

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vor Gericht“ lautet die griffige Überschrift bei Gleis.84 Tritt die gerichtliche Tätigkeit in den Hintergrund, entfällt für den Rechtsanwalt gleichzeitig die durch die Verfah­ rensordnungen85 vermittelte Monopolstellung. Im außerforensischen Bereich ist der Rechtsanwalt einer ganzen Reihe von Mitbewerbern am Dienstleistungsmarkt ausge­ setzt. Auf Initiative des Münchener Anwaltsvereins, begleitet von der Bundesrechts­ anwaltskammer und finanziert von der Selbsthilfe der Rechtsanwälte e.V., dem Mün­ chener Anwaltsverein, dem DAV sowie dem Bundesministerium der Justiz, haben die Prognos AG und Infratest 1987 eine Studie zur Inanspruchnahme anwaltlicher Leis­ tung erstellt.86 In dieser Studie werden u.a. Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Banken, Notare, Mieter- und Vermieterverbände als Beratungskonkurrenz benannt.87 Die Studie fordert mehr Transparenz des Leistungs­ angebots und der Kosten der Rechtsanwälte88 und eine stärkere Dienstleistungsorien­ tierung der Rechtsanwälte insbesondere im Verhältnis zu Mitbewerbern aus anderen Dienstleistungsbereichen.89 Auf dem Anwaltstag 1987 in Stuttgart stellte der Stuttgar­ ter Anwalt Wolfgang Schiefer die Prognos-Studie in seinem Hauptvortrag vor und for­ derte ein stärkeres Marketing der Rechtsanwälte als Dienstleister.90 Hierzu gehörte auch die Forderung nach zusätzlichen Fachanwaltschaften.91 Ein wesentlicher Treiber der Diskussion war die damals befürchtete Anwaltsschwemme mit den Wohnzim­ merkanzleien.92 Die Anwaltszahlen hatten sich zwischen 1975 und 1985 von 27.000 auf 49.000 fast verdoppelt und man befürchtete bis 1996 fast 100.000 zugelassene Rechtsanwälte.93 Kleine-Cosack bezweifelt sowohl die Existenz als auch die Steue­ rungsfunktion eines gemeinsamen Berufsethos der freien Berufe, welcher Grundlage von Standesrichtlinien sein könnte. Wörtlich schreibt Kleine-Cosack 1986: „In der heutigen Zeit ist dies aber auch deshalb mehr als fragwürdig geworden, weil die freien Berufe stärker denn je am materiellen Profit orientiert sind.“94 Verantwortlich dafür macht Kleine-Cosack u.a. den enormen Konkurrenzkampf. c) Veränderungen im Vergütungssystem Zur Zeit der Bastille-Entscheidungen wurde auch die Honorierung der anwaltlichen Tätigkeit nach der BRAGO95 aufgeweicht. Insbesondere Wirtschaftskanzleien rech­ neten in zunehmendem Umfang nach Stundensätzen ab.96 Damit einher geht die ­Aufgabe, die Quersubventionierung als gemeinsame Aufgabe der Anwaltschaft zu be­ 84 Gleis, Soll ich Rechtsanwalt werden, 2. Aufl., 1987, 110. 85 Z.B. § 78 ZPO und § 138 StPO. 86 AnwBl. Sonderheft März 1987. 87 AnwBl. Sonderheft März 1987, 13. 88 AnwBl. Sonderheft März 1987, 37, 18. 89 AnwBl. Sonderheft März 1987, 37. 90 Schiefer, AnwBl. 1987, 360. 91 AnwBl. Sonderheft März 1987, 42. 92 Ostler, NJW 1987, 281. 93 Ostler, NJW 1987, 281. 94 Kleine-Cosack, AnwBl. 1986, 505, 507. 95 Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte, später abgelöst durch das RVG. 96 Schiefer, AnwBl. 1987, 360, 366 f.; Knief, AnwBl. 1989, 258, 259.

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greifen.97 In der Diskussion spielte die Frage aber erstaunlicher Weise eher eine unter­ geordnete Rolle. Zwar war von der Fragestellung der Prognos-Studie die Kostenfrage als Zugangssperre zum Recht mit umfasst. Auch verdeutlichte die Studie, dass die Kostenschwelle ein erhebliches Zugangshindernis darstellt.98 Eine vernünftige Aufbe­ reitung der Frage, worin die gleichfalls beklagte Intransparenz der anwaltlichen Kos­ tenregelung liegt, wurde aber nicht geleistet. Immerhin war der Studie zu entnehmen, dass ein Verband die Frage aufwarf, ob nicht Stundenhonorare zu einer Klassenbil­ dung zwischen billigen und teuren Anwälten führten. Ob die Vereinbarung von Stun­ densätzen berufsrechtlich zulässig war, war umstritten.99 Dass die am Streitwert ge­ messene Gebühr eine zentrale Funktion für die Sicherung des gleichen Zugangs zum Recht und damit für die Rolle des Rechtsanwalts als Organ der Rechtspflege hat, war am Schwinden. Knief stellt zu den berufsrechtlichen Bedenken eines Stundenhono­ rars bei Hummer100 lapidar fest: „In der Praxis ist das [Stundenhonorar] nicht mehr streitig. Auch bei Anwälten ist mittlerweile das Stundenhonorar üblich.“101 2. Die Bastille-Entscheidungen Der Name ist bereits Programm:102 Die Bastille-Entscheidungen haben zu einer grundlegenden Veränderung des Anwaltsrechts geführt.103 Den Bastille-Entschei­ dungen lagen drei unterschiedliche Sachverhalte zugrunde. In den ersten beiden Fäl­ len, die verbunden wurden, ging es jeweils um das Sachlichkeitsgebot. In dem ersten Fall hat die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen einen Arzt eingestellt, der bei einer Patientin die Thrombosevorsorge nicht durchgeführt hatte. Die Patien­ tin verstarb an einem Herzinfarkt, den der Ehemann der verstorbenen Patientin auf die fehlende Thrombosevorsorge zurückführte. Der Beschwerdeführer vertrat als Rechtsanwalt den Ehemann als Anzeigenerstatter. Gegen die Einstellungsverfügung legte der Rechtsanwalt Beschwerde ein und führte bezüglich des ärztlichen Gut­ achtens, auf welches die Einstellung des Strafverfahrens gestützt wurde, u.a. aus: „Ich  habe in meinem langen Anwaltsleben schon manchen Unsinn gelesen. Dies übersteigt jedoch das übliche Maß.“ Die Rechtsanwaltskammer Hamm erteilte dem Rechtsanwalt wegen dieser Äußerung eine Rüge, welcher auch das Ehrengericht nicht abgeholfen hat. Der zweite Fall betraf einen Rechtsanwalt, der als Konkursverwalter die Festsetzung seiner Vergütung beantragte. Entgegen der Erwartung des Rechtsanwalts wurde die Vergütung nicht vom zuständigen Rechtspfleger, sondern vom Konkursrichter festge­ setzt. Gegen die nichtantragsgemäße Festsetzung der Vergütung legte der Rechtsan­ 97 Stürner, Markt und Wettbewerb über Alles?, 2007, S. 23. 98 AnwBl. Sonderheft März 1987, 18. 99 Hummel in: Lingenberg/Hummel/Zuck/Eich, Kommentar zu den Grundsätzen des an­ waltlichen Standesrechts, 2. Aufl., 1988, § 51 Rz. 5. 100 Hummel in: Lingenberg/Hummel/Zuck/Eich, Kommentar zu den Grundsätzen des an­ waltlichen Standesrechts, 2. Aufl., 1988, § 51 Rz. 5.  101 Knief, AnwBl. 1989, 258, 258, 259.  102 Zur Namensgebung, Hahndorf, AnwBl. 1989, S. 430; Teichmann, AnwBl. 1989, S. 361. 103 Stürner/Bormann, NJW 2004, 1481; Knauer/Wolf, BRAK-Mitt., 2007, 142 ff.

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walt sofortige Beschwerde ein und führte aus: „Es ist gerichts-, stadt- und in Fachkrei­ sen bundesweit bekannt, daß der erkennende Richter und der Unterzeichner, die bis vor zwei Jahren in einem freundschaftlichen Verhältnis zueinanderstanden, sich seit­ dem überworfen haben. Das Zerwürfnis geht soweit, daß der erkennende Richter sich nicht scheut, den Unterzeichner vor Dritten persönlich zu diskriminieren.“ Auch die­ se Ausführungen wurden von der zuständigen Rechtsanwaltskammer Köln mit einer Rüge mit Missbilligung geahndet. Das zuständige Ehrengericht in Köln hielt die Ent­ scheidung der Kammer aufrecht. Die dritte Bastille-Entscheidung betraf das Werbeverbot. Ein Rechtsanwalt wurde von Mitarbeitern des Landeskriminalamts unter Druck gesetzt, den Namen einer Mandantin preiszugeben, welche seine Kanzlei aufgesucht hatte. Hintergrund der Er­ mittlungen waren Fahndungsmaßnahmen in Zusammenhang mit der Entführung des Arbeitgeberpräsidenten Schleyer. Der Rechtsanwalt gab am Ende den Namen der Mandantin den Behörden bekannt und erstattete Selbstanzeige bei der Rechts­ anwaltskammer und Strafanzeige gegen die Beamten des LKAs wegen Nötigung. Selbstanzeige und Strafanzeige sandte der Rechtsanwalt ohne einen weiteren Kom­ mentar an die Presse. Die zuständige Kammer Stuttgart sprach eine Missbilligung aus, welche das Ehrengericht aufrechterhalten hat. Das Besondere an den Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts ist, dass nicht ein­ fach der Verstoß der ehrengerichtlichen Entscheidungen gegen Art. 12 GG festgestellt wurde, sondern dass der Umweg über die Richtlinien gewählt wurde. Zentrales Argu­ ment der Entscheidungen war, dass die Richtlinien als bloße Standesauffassung eine Beschränkung des Grundrechts der Berufsfreiheit nicht rechtfertigen könnten. Viel­ mehr müsse der Gesetzgeber, jedenfalls soweit es um statusbildende Normen gehe, die Eingriffe in die Berufsfreiheit selbst regeln. Zwar könne der Gesetzgeber auch in­ nerhalb bestimmter Grenzen zulassen, dass die Regelung der Berufsfreiheit durch mit Autonomie ausgestattete Körperschaften erfolgt. Jedoch sind die Anforderungen an die Bestimmtheit der gesetzlichen Ermächtigung umso höher je empfindlicher die Berufsangehörigen in ihrer freien beruflichen Betätigung beeinträchtigt werden.104 3. Deregulierung, anwaltliche Selbstkontrolle und Satzungsermächtigung in den Grenzen der Wesentlichkeitstheorie a) Die drei Entwicklungslinien im Überblick Die Bastille-Entscheidungen standen am Beginn einer weitreichenden Umgestaltung des Anwaltsrechts.105 Dabei lassen sich drei unterschiedliche Entwicklungsströme ausmachen. Zunächst eröffneten die Bastille-Entscheidungen und eine Reihe von nachfolgenden Entscheidungen106 dem Anwalt einen größeren Spielraum im verba­ len Kampf ums Recht. Im „Kampf um das Recht“ dürfen auch starke, eindringliche 104 BVerfGE 76, 171, 185. 105 Stürner/Bormann, NJW 2004, 1481, 1482 f. 106 BVerfG, NJW 1996, 3268; BVerfG, NJW 2008, 2424; BVerfG, NJW-RR 2010, 204; BVerfG, NJW 2013, 3021.

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Ausdrücke und sinnfällige Schlagworte benutzt werden. Hierbei handelt es sich um die emanzipatorisch-jakobinische Entwicklungslinie des Berufsrechts. Diese Ent­ wicklungslinie ist mit dem in § 2 BRAO gezeichneten Berufsbild eines Rechtsanwalts vereinbar, welcher intrinsisch motiviert primär für die Verwirklichung des Rechts eintritt. Neben die erste von den Bastille-Entscheidungen ausgehende Entwicklungslinie tritt aber eine zweite, die auf eine Kommerzialisierung der anwaltlichen Tätigkeit abzielt.107 Von den Vertretern der Großkanzleien108 wird als eigentlicher Startpunkt („Urknall“) dieser Entwicklung zwar weniger die Bastille-Entscheidung selbst, als vielmehr die Entscheidung des BGH zu überörtlichen Sozietäten109 angesehen. Allerdings beruft sich nicht nur der BGH in dieser Entscheidung auf die Aufhebung des anwaltlichen Standesrechts,110 auch hat das Bundesverfassungsgericht in einer ganzen Reihe von Entscheidungen dazu beigetragen, das Leitbild von § 2 BRAO zu marginalisieren und den Beruf des Rechtsanwalts als eine primär gewinnorientierte Berufstätigkeit neu zu positionieren.111 Die dritte Entwicklungslinie betrifft die anwaltliche Selbstverwaltung. Die Bastil­ le-Entscheidungen haben unmittelbar die anwaltliche Selbstverwaltung adressiert. Die Bastille-Entscheidungen forderten nicht nur eine andere demokratische Legiti­ mation des Standesrechts als die Verabschiedung durch die Hauptversammlung der BRAK ein. Vielmehr stellten sie die Regulierung des Berufsrechts durch die anwaltli­ che Selbstverwaltung auch unter den Vorbehalt der Wesentlichkeitstheorie.112 In wel­ chem Umfang die Selbstverwaltung die frei und unreglementierte anwaltliche Berufs­ ausübung abzusichern vermag, erschloss sich aus den Bastille-Entscheidungen nicht. Vielmehr wurde der Zusammenhang zwischen Selbstverwaltung und freier unregle­ mentierter Berufsausübung erst 2012 durch Gaier in einem Vortrag zu 25 Jahre Bas­ tille-Entscheidungen hergestellt.113 Vielleicht aber war auch der Gedanke, die selbst­ verwaltete Anwaltschaft als Instrument zur Absicherung der unreglementierten und freien Berufsausübung des Einzelnen zu betrachten, vor den Bastille-Entscheidungen nicht zwingend naheliegend. Heinrich Hannover hat die Ehrengerichtsbarkeit in den Jahren 1974 bis 1978 als den Hauklotz der anwaltlichen Redefreiheit bezeichnet.114 Zugleich beschrieb Hannover aber auch einen Wandel der Einstellung in der anwaltlichen Selbstverwaltung. So habe der damalige Präsident der Rechtsanwaltskammer Bremen und spätere Präsident der Bundesrechtsanwaltskammer Eberhard Haas die Einstellung eines ehrengerichtlichen Verfahrens gegen Hannover empfohlen. Wörtlich heißt es bei Hannover: „Aber zu 107 Hierzu bereits Knauer/Wolf, BRAK-Mitt., 2007, 142, 144 f. 108 Pöllath in: Saenger/Pöllath, 200 Jahre Wirtschaftsanwälte in Deutschland, 2009, S. 7, 18. 109 BGH, NJW 1989, 2890. 110 BGH, NJW 1989, 2890, 2891. 111 Hierzu die Übersicht bei Kilian/Koch, Anwaltliches Berufsrecht. 2. Aufl. 2018, Rz. 37. 112 Allgemein zum Wesentlichkeitsgrundsatz, Kloepfer, JZ 1984, S. 685, 689 ff. 113 Gaier, BRAK-Mitt., 2012, 142, 143 f. 114 Hannover, Die Republik vor Gericht 1954-1995, 1. Aufl., 2005, S. 397 ff.

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Ehren der Hanseatischen Rechtsanwaltskammer muß gesagt werden, daß sie mich seit Anfang der achtziger Jahre vor weiteren Ehrengerichtsverfahren geschützt hat. Wenn es nach dem Generalbundesanwalt gegangen wäre, mit dessen Sitzungsvertre­ tern ich in Stammheim bei der Verteidigung von Peter-Jürgen Boock hart aneinan­ dergeraten bin, hätte ich noch weiter an dieser ‚zweiten Front‘ kämpfen müssen.“115 Zugleich belegt Heinrich Hannover allerdings auch, dass die anwaltliche Redefreiheit bei den Rechtsanwaltskammern deutlich besser aufgehoben war als bei den Strafver­ folgungsbehörden im Allgemeinen und bei der Bundesanwaltschaft im Besonderen. Anwaltliche Selbstverwaltung als Garantin der Unabhängigkeit der anwaltlichen Tä­ tigkeit ist bis heute in ihrer Reichweite nicht völlig ausbuchstabiert.116 Zum Teil wird die Funktion der Selbstverwaltung durch die Kammern vehement verkannt.117 In der Sache üben die Kammern die begleitende Wirtschaftsaufsicht über die Tätigkeit der Rechtsanwälte aus. Die Alternative zur Selbstverwaltung wäre aber eine staatliche Wirtschaftsaufsicht durch die Gewerbeaufsichtsämter und nicht keine Aufsicht. Die drei unterschiedlichen Entwicklungslinien beruhen weder auf einer Verfassungs­ änderung noch auf einer Änderung von § 177 Abs. 2 Nr. 2 BRAO a.F. Bis zu den Bas­ tille-Entscheidungen konnten die Standesrichtlinien zur Interpretation der General­ klausel, § 43 BRAO, mit der Billigung des Bundesverfassungsgerichts herangezogen werden.118 Wie das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich in den Bastille-Entschei­ dungen festgehalten hat, wollte es an der ursprünglichen Beurteilung der Standes­ richtlinien nicht mehr festhalten.119 Der Wandel der Rechtsprechung beruht daher nicht auf einer bewussten Entscheidung des Gesetzgebers, sondern auf einem sich gewandelten Zeitgeist oder auf einer herrschenden politischen Ideologie.120 Insbeson­ dere die Umgestaltung des anwaltlichen Gesellschaftsrechts (hierzu V.) beruht auf einer Kombination von Neoliberalismus und emanzipatorischem Liberalismus. Reckwitz hat diese Strömung des postmodernen Liberalismus als apertistisch-differenziel­ len Liberalismus bezeichnet.121 Unter Anlehnung an Reckwitz soll am Ende eine Ein­ ordnung des Zeitgeistes der Umgestaltung des Anwaltsrechts vorgenommen werden (unter 3e)). b) Größere Freiheit im Kampf ums Recht Mit den Bastille-Entscheidungen hat das Bundesverfassungsgericht den Rechtsanwäl­ ten einen größeren Spielraum im verbalen Kampf ums Recht eingeräumt. So macht 115 Hannover, Die Republik vor Gericht 1954-1995, S. 409 f. 116 Hierzu besonders deutlich die Thesen der Bundesrechtsanwaltschaft, BRAK-Mitt., 2008, 91 unter II. und Krenzler, BRAK-Mitt., 2008, 90. 117 Kleine-Cosack, BRAO, § 177 Rz. 7.  118 BVerfGE 36, 212, 217; BVerfGE 57, 121, 132 f.; BVerfGE 60, 215, 230; BVerfGE 66, 337, 356. 119 BVerfGE 76, 171, 187. 120 Allgemein zum Recht als ideologisch geprägtes System, Rüthers, Ideologie und Recht im Systemwechsel, 1992, S. 97. 121 Reckwitz, Die Gesellschaft der Singularität, 6. Aufl., 2018, S. 374 ff.

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das Gericht deutlich, dass die anwaltliche Tätigkeit grundsätzlich der freien und ­unreglementierten Selbstbestimmung des Einzelnen unterliegt. Der Rechtsanwalt könne, um seinen Mandanten vor einem Rechtsverlust zu schützen, nicht immer so schonend mit den Verfahrensbeteiligten umgehen, dass diese sich nicht in ihrer Per­ sönlichkeit beeinträchtigt fühlten. Wörtlich heißt es in der Entscheidung: „Nach all­ gemeiner Auffassung darf er im „Kampf um das Recht“ auch starke, eindringliche Ausdrücke und sinnfällige Schlagworte benutzen, ferner Urteilsschelte üben oder „ad personam“ argumentieren, um beispielsweise eine mögliche Voreingenommenheit eines Richters oder die Sachkunde eines Sachverständigen zu kritisieren.“122 Eine be­ rufsrechtliche Sanktion könne nicht darauf aufbauen, ob die Äußerung des Rechtsan­ walts als stilwidrig, ungehörig oder als Verstoß gegen den guten Ton und das Taktge­ fühl anzusehen sei.123 Dieser Linie blieb das Bundesverfassungsgericht auch in späteren Entscheidungen treu. Im Kampf ums Recht ist es dem Rechtsanwalt erlaubt, auch starke und eindring­ liche Ausdrücke zu verwenden. Als Organ der Rechtspflege habe er zu einer sachge­ rechten Entscheidung beizutragen und das Gericht – ebenso Staatsanwaltschaft oder Behörden – vor Fehlentscheidungen zu bewahren. Die Wahrnehmung dieser Aufga­ ben erlaubt es dem Anwalt – ebenso wie dem Richter – nicht, immer so schonend mit den Verfahrensbeteiligten umzugehen, dass diese sich nicht in ihrer Persönlichkeit beeinträchtigt fühlen. Der Rechtsanwalt darf daher auch starke, eindringliche Aus­ drücke und sinnfällige Schlagworte benutzen. Es ist nicht entscheidend, ob der Rechtsanwalt seine Kritik auch anders hätte formulieren können. Wie der Rechtsan­ walt die ihm anvertrauten Mandanteninteressen vertritt, ist seiner freien Berufsaus­ übung überlassen.124 In diesem Verfahren hat die Bundesrechtsanwaltskammer in ihrer Stellungnahme gegenüber dem BVerfG die Verfassungsbeschwerde als begrün­ det angesehen.125 Das Bundesverfassungsgericht spricht davon, dass der Rechtsanwalt als Organ der Rechtspflege zur sachgerechten Entscheidung beitragen und das Gericht vor Fehlent­ scheidungen bewahren muss. Was hierunter zu verstehen ist, wird jedoch nicht weiter aufgelöst. Die dahinterstehende entscheidende Frage ist, ob der Rechtsanwalt nur ei­ nen Fehler des Richters zu korrigieren hat, der ansonsten alleine das richtige Ergebnis findet, oder ob nicht das richtige Ergebnis erst im Widerstreit der Argumente gefun­ den werden kann. Die Leerstelle in der Argumentation des Bundesverfassungsgerichts, welche Funktion dem Rechtsanwalt bei der Rechtsfindung zukommt, wurde bereits von Krämer 1988 kritisiert.126 Allerdings konnte das Bundesverfassungsgericht in den Bastille-Ent­ 122 BVerfGE 76, 171, 192. 123 BverfGE 76, 171, 192 f. 124 BVerfG, NJW 2008, 2424, Rz. 20, ähnliche Formulierungen verwendete das Bundesverfas­ sungsgericht häufiger, BVerfG, NJW 1996, 3268 ff.; BVerfG, NJW 2000, 199 ff.; BVerfG, NJW-RR 2010, 204 ff. 125 BRAK-Stellungnahme Nr. 43/2007, November 2017. 126 Krämer in: BRAK-Mitt., Sonderheft 1988, 67.

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scheidungen nicht auf eine durch die Verfassungsrechtsprechung oder die Literatur konturierte Funktion der Rechtsanwalts im Rechtsstaat zurückgreifen.127 Die Funk­ tion, welche der Rechtsanwalt für die Rechtsfindung hat, war weder in der Literatur noch in der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung ausbuchstabiert.128 Zwar wird die zentrale Rolle des Rechtsanwalts im Rahmen eines dialogisches Verfahrens der Rechtsfindung in dem Sondervotum von Helmut Simon, der auch der zuständige Be­ richterstatter für die Bastille-Entscheidungen war, in der Entscheidung im 63. Band der amtlichen Sammlung herausgearbeitet. Wörtlich schreibt Simon in dem Sonder­ votum: „In einem freiheitlichen Rechtsstaat liege es im Allgemeininteresse an richti­ gen und möglichst gerechten Entscheidungen, wenn auch Rechtsuchende, welche die verfassungsmäßige Ordnung ablehnen, Anwälte ihres Vertrauens auswählen könn­ ten. Es sei geradezu kennzeichnend für einen solchen Staat, daß dem Bürger auch Rechtsanwälte zur Verfügung stünden, welche im Streit um die richtige Entscheidung keine besondere politische Loyalität schuldeten, sondern das geltende Recht und sei­ ne Anwendung durch freie Meinungsäußerungen kritisch in Frage stellten. […] Die­ sen Prozeß des trial and error durch vermeidbare Reglementierungen für einen freien Beruf zu behindern, könnte geradezu gefährlich für eine Gesellschaft sein, welche mit ihren schwierigen Zukunftsproblemen ohne Fortentwicklungen auch ihrer Rechts­ ordnung nicht fertig werden wird.“129 aa) Keine eindeutige Funktion des Rechtsanwalts Aber auch diese Ausführungen von Simon machen nicht hinreichend deutlich, wel­ che zentrale Rolle der Rechtsanwalt für die Rechtsfindung hat. Die Kritik Krämers, dass weder das Bundesverfassungsgericht noch die Literatur ein klares Bild der Funk­ tion des Rechtsanwalts für die Rechtsfindung entwickelt haben, lässt sich noch heute aufrechterhalten. Auch wenn die nichtforensische Tätigkeit des Rechtsanwalts deut­ lich an Bedeutung gewonnen hat, ist die forensische Tätigkeit für das Verständnis der Aufgabe des Rechtsanwalts zentral. Welche Rolle der Rechtsanwalt allerdings für die gerichtliche Entscheidungsfindung spielt, ist immer noch umstritten.130 Verdeutli­ chen lässt sich dies bei der Frage, welche Funktion der Anwaltszwang im Zivilprozess hat.131 Allgemein ausgedrückt wird dem Anwaltszwang (vor allem oder lediglich auch) die Funktion zugesprochen, die Gerichte zu entlasten, indem der Prozessstoff für die Gerichte aufbereitet wird.132 Zum Teil wird sogar angenommen, dass der An­

127 Krämer in: BRAK-Mitt., Sonderheft 1988, 67. 128 Krämer in: BRAK-Mitt., Sonderheft 1988, 67, 69. 129 Sondervotum Helmut Simon, BVerfGE 63, 266, 302. 130 Ausführlich hierzu Wolf in: Gaier/Wolf/Göcken, § 1 BRAO Rz. 17 ff.; Stürner in: FS Busse, 2005, S. 297 ff. „Berufsstand ohne eigene Grundkonzeption“. 131 Vgl. einerseits Stürner, JZ 1986, 1089 ff. und anderseits Zuck, JZ 1993, 500 ff. Vgl. hierzu auch Braun, Lehrbuch des Zivilprozessrechts, 2014, S. 380. 132 Wieczorek/Schütze/Smid/Hartmann, ZPO und Nebengesetze, Großkommentar, 4. Aufl. 2015, § 78 Rz. 1; MüKo-ZPO/Toussaint, § 78 ZPO Rz. 2 m.w.N.

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waltszwang rechtspolitisch bedenklich sei,133 oder es wird die Abschaffung des An­ waltszwangs für die erste Instanz gefordert.134 bb) Rechtliches Gehör Auch die Diskussion über das rechtliche Gehör erhellte bislang die Rolle der Anwalt­ schaft für die Rechtsfindung kaum, weil aus der Sicht der h.M. die Wahrnehmung des rechtlichen Gehörs und die richterliche Entscheidungsfindung nicht unmittelbar auf­ einander bezogen sind.135 Zwar umfasse das rechtliche Gehör auch die Rechtsausfüh­ rungen der Parteien. Jedoch sei nach dem Grundsatz „iura novit curia“ allein das Gericht für die Rechtsauslegung und -anwendung zuständig, weshalb es, so das Bun­ desverfassungsgericht, auf den Vortrag der Prozessbeteiligten nicht ankomme.136 In einer Linie mit dieser Rechtsprechung liegt auch, dass die h.M. aus dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs noch immer nicht den Anspruch auf ein Rechtsgespräch ab­ leitet.137 Gegen das Rechtsgespräch wird vor allem vorgebracht, der Richter würde durch das Rechtsgespräch seine notwendige Neutralität nicht wahren und sich unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes selbst binden. Jedoch führt die h.M. die­ ses Argument in der Regel sogleich selbst ad absurdum. Denn aus der mangelnden Pflicht zum Rechtsgespräch könne, so die h.M., nicht geschlossen werden, dass dem Richter ein Rechtsgespräch verboten wäre und er sich mit dem Rechtsgespräch dem Vorwurf der Befangenheit aussetze.138 Nur folgerichtig ist es, wenn aus der Sicht des Bundesverfassungsgerichts bis heute rechtliches Gehör nicht zwingend rechtliches Gehör durch einen Rechtsanwalt be­ deutet.139 Aus diesem Rechtsanwendungsverständnis erklärt sich auch, dass nach An­ sicht des Bundesverfassungsgerichts der Schwerpunkt des rechtlichen Gehörs bei den Ausführungen der Parteien zum Sachverhalt140 nicht jedoch bei den Rechtsausfüh­ rungen zu liegen hat. Aber selbst den Äußerungen zu Tatsachenfragen räumt das Bundesverfassungsgericht nicht die entscheidende Bedeutung ein: „Die streng durch­ geführte Offizial- und Untersuchungsmaxime lässt schon an sich die Bedeutung der Vertretung durch einen Anwalt zurücktreten, zumal in verwaltungsmäßig weitge­ hend vorgeklärten Fällen.“141 Der Mitwirkung der Parteien bedürfe es für die richtige Ermittlung der Tatsachen folglich nicht zwingend.142 Indem das Bundesverfassungs­ gericht dem Gericht die alleinige Verantwortung für die Rechtsauslegung und -an­

133 Schlosser, Zivilprozessrecht, Bd. 1, Erkenntnisverfahren, 2. Aufl. 1991, Rz. 277. 134 Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht, 30. Aufl. 2011, § 16 I. 135 Hierzu bereits Wolf in: FS für Hans Peter Schneider, 2008, S. 414 (421 ff.). 136 BVerfG, NJW-RR 1993, 383 (383); BVerfG, WuM 1999, 383 (383). 137 BVerfGE 31, 364 (370); BVerfGE 86, 133 (145); BVerfGE 98, 218 (263). 138 Waldner, Der Anspruch auf rechtliches Gehör, 2. Aufl. 2000, Rz. 214. 139 BVerfGE 9, 124 (132); 31, 297 (301), 38, 105 (118); 39, 156 (168); 85, 337 (349). 140 BVerfGE 89, 381 (392); 67, 39 (41); 60, 1 (5); 22, 267 (273). 141 BVerfGE 9, 124 (134 f.) Hierzu vor allem Schneider, NJW 1977, 873 (875); Schneider, Der Rechtsanwalt, ein unabhängiges Organ der Rechtspflege, 1976, S. 48 ff. 142 In diesem Sinne auch BK/Rüping, Art. 103 GG 179. Ergänzungslieferung, 2016, Rz. 53. 

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wendung zuweist, entzieht es die eigentliche Rechtsanwendung einem diskursiven Prozess der Verfahrensbeteiligten.143 cc) Rechtserkenntnis Demgegenüber hat Arndt bereits darauf hingewiesen, dass Recht nicht einfach da ist, sondern ein immerwährendes Geschehen sei. Recht ist, so Arndt, nicht etwas dem Richter Vorgegebenes, dem Richter jederzeit Gewisses. Erst im Verfahren zeitige sich die Entfaltung der Rechtsfrage, welche eine Rechtserkenntnis ermögliche.144 Das Recht wird in der Regel erst in einem kontradiktorischen Verfahren im Streit um das Recht gewonnen.145 Die Rechtsausführungen der Parteien und die Diskussion der Rechtsfragen in der mündlichen Verhandlung führen zur Rechtsfindung. In diesem Sinne kann man von einer Arbeitsgemeinschaft der Parteien und des Gerichts spre­ chen.146 Die Rolle des Rechtsanwalts als Organ der Rechtspflege hängt entscheidend von der methodisch-theoretischen Position der Rechtserkenntnis ab. Wer von einem syllo­ gisch-deklaratorischen Rechtsanwendungsmodell ausgeht,147 kann dem Prozess kei­ ne eigenständige Bedeutung zuweisen. Die materielle Rechtslage hätte in diesem Mo­ dell bereits vor dem Prozess festgestellt werden können. Genauso könnte das materielle Recht dann aber auch nach dem Prozess, also zu einem späteren Zeitpunkt, festgestellt werden.148 In diesem Sinne könnte man einen Rechtsanwalt auch auf eine ontologisch feststehende Wahrheit (richtige Entscheidung) verpflichten, die ohne den Prozess feststünde. Richtig verstanden ist es aber Aufgabe des Rechtsanwalts, an der rechtsstaatlich-jus­ tizförmigen Konstituierung des Sachverhalts mitzuwirken, nicht jedoch einer von au­ ßen den Prozessbeteiligten vorgegebenen ontologischen Wahrheit verpflichtet zu sein.149 Ganz in diesem Sinne hat der damalige Vizepräsident der Bundesrechtsanwaltskam­ mer Krenzler bei der Vorstellung der Thesen der Ethikkommission der BRAK betont, dass die Rechtsanwälte bei der Wahrnehmung der Interessen ihrer Mandanten die Verfahrensregeln ausschöpfen dürfen. Gleichzeitig dürfen sie aber auch nicht die Fol­ gen dieser Verfahrensregeln durch einen bewusst wahrheitswidrigen Vortrag korri­ gieren.150 143 Hiergegen bereits treffend Arndt, NJW 1959, 6 (7). 144 Arndt, NJW 1959, 6, 7. 145 Arndt, NJW 1959, 6, 7. 146 Arndt, NJW 1959, 6, 7, mit dem Hinweis auf Rosenberg, Lehrbuch des Deutschen Zivilpro­ zessrechts, 5. Aufl. 1951, S. 271. 147 So z.B. Beling, Deutsches Reichsstrafprozessrecht mit Einschluss des Strafgerichtsverfas­ sungsrechts, 1928, S. 119, 235 ff., 277 ff., 414; Beling, Lehre vom Tatbestand, 1930, S. 20 ff. 148 Hierzu bereits Marxen, Straftatsystem und Strafprozess, 1983, S. 98 ff. 149 Paulus, NStZ 1992, 305, 309 f.; Paulus in: FS Spendel, 1992, S. 687 ff. Für den Strafprozess gilt dies durch die Beweisverwertungsverbote ebenso. 150 Krenzler, Prot. 125. HV am 1.10.2010 in Dresden, BRAK-Nr. 460/2010 v. 2.11.2010, S. 23.

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Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Bastille-Entscheidungen den Spielraum der Rechtsanwälte bei der Meinungsäußerung deutlich erweitert haben. Wort und Schrift, so das Bundesverfassungsgericht, sind die wichtigste Berufswaffe der Anwäl­ te. Eine Zurückhaltung der Kammervorstände und Ehrengerichte sei schon alleine deshalb geboten, um das Ungleichgewicht zwischen Sanktionen für richterliche und anwaltliche Entgleisungen einzuebnen.151 Im verbalen Kampf ums Recht wurden die Rechtsanwälte durch das Bundesverfassungsgericht deutlich gestärkt. Dieser Kultur­ wandel ist auch von der Bundesrechtsanwaltskammer akzeptiert worden. Zwar wurde das Bundesverfassungsgericht nur noch selten mit einem gerügten Verstoß gegen das Sachlichkeitsgebot konfrontiert.152 Meist stellte sich die BRAK auf die Seite des Be­ schwerdeführers.153 c) Kommerzialisierung des Anwaltsberufs Die Umgestaltung des Anwaltsmarktes und die faktische Entbindung der Rechtsan­ wälte von der Gemeinwohlbindung ging weniger vom Bundesverfassungsgericht selbst als vielmehr vom BayObLG und dem BGH aus. Die Zulassung von überörtlichen Sozietäten,154 der Anwalts-GmbH155 und der Anwalts-AG156 haben wesentlich dazu beigetragen, dass wir heute Großkanzleien haben, die sich ganz überwiegend nicht mehr verpflichtet fühlen, sich an der Quersubventionierung nach RVG, Prozesskos­ tenhilfemandaten und Beratungsscheinmandaten zu beteiligen.157 aa) Rolle des Rechtsanwalts bei der Rechtsfindung Gleichviel hängen die Entwicklungen unmittelbar mit der durch die Bastille-Ent­ scheidungen angestoßene Entwicklung zusammen.158 Der Schwachpunkt der Bastil­ le-Entscheidungen war, dass die Entscheidungen ausschließlich auf Art. 12 GG auf­ bauten und den Rechtsstaatsbezug nicht deutlich genug herausarbeiteten. Bereits unmittelbar nach den Bastille-Entscheidungen hat Krämer den fehlenden Rechts­ staatsbezug in den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts kritisiert. Wört­ lich heißt es bei Krämer:159 „Erst der Grundsatz der „freien Advokatur“ garantiert ein rechtsstaatliches, von Eingriffen in die Art und Weise des Procedere freies Verfahren. Aus der These (Kläger) und Antithese (Beklagter) bildet sich die richterliche Synthe­ se. Damit sind aber wiederum Art. 92 und 97 GG angesprochen. Deshalb ist es m.E. 151 BVerfGE 76, 171, 193. 152 BVerfG, NJW 1996, 3268; BVerfG, NJW 2008, 2424; BVerfG, NJW-RR 2010, 204. 153 Im Verfahren 1 BvR 873/94, NJW 1996, 3268, siehe TB zur 80. HV am 27.9.1996 in Dres­ den, S.  15; im Verfahren 1 BvR 1793/07 (NJW 2008), 2424, BRAK-Stellungnahme-­ Nr. 43/2007. 154 BGH, NJW 1989, 2890. 155 BayObLG, NJW 1995, 199. 156 BayObLG, NJW 2000, 1647. 157 Zur Entwicklung nur Henssler, ZZP 115 (2002), 321, 335; Madert, AnwBl. 1998, 436. 158 Der BGH, NJW 1989, 2890 bezieht sich ausdrücklich auf die Bastille-Entscheidung. 159 Krämer, BRAK-Mitt., 1988, 67, 69.

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zu eng, wenn Maunz-Dürig-Herzog die anwaltliche Tätigkeit ausschließlich unter Art. 12 Abs. 1 GG subsumieren.“160 Durchdenkt man aber das anwaltliche Berufsrecht primär aus der Perspektive der Berufsfreiheit des Rechtsanwalts und nicht aus deren Funktion für den Rechtsstaat, macht man sich selbst amusikalisch bezüglich des gleichen Zugangs zum Recht. Da­ bei hilft auch, dass die Erkenntnis von Krämer, das Verfahren sei ein dialogischer Prozess, welches These und Antithese erfordere, um zur richterlichen Synthese gelan­ gen zu können, nicht allgemein akzeptiert ist.161 Wer das Verfahren aus seinem Rechtsfindungsverständnis ausblendet, muss sich nicht der Frage stellen, dass bessere und teurere Anwälte größeren Einfluss auf die Rechtsfindung der Gerichte haben; am Ende muss die Entscheidung in jedem Fall der Richter verantworten, der diese dem Gesetz durch Subsumtion entnehmen kann. Ein völlig anderes Bild ergibt sich, wenn man den Prozess hingegen als dialogisches Verfahren begreift. Das Verfahren setzt, so gesehen, Parteien voraus, die mit den An­ forderungen des Verfahrens gleichermaßen zurechtkommen. In der Regel beruht die­ se Annahme aber auf einer Fiktion, weil die Parteien häufig nicht gleich kompetent sein dürften, den Rechtsfindungsdialog zu führen. Die Fiktion der gleich befähigten Parteien wird ausgeglichen, indem man den Parteien Rechtsanwälte zuordnet und so die unterschiedliche Befähigung kompensiert.162 Der Ausgleich bricht jedoch in sich zusammen, wenn die Anwaltschaft die faktische Ungleichheit der Parteien in der Per­ son des jeweiligen Anwalts fortsetzt. In den Worten von Crouch: „Unser Rechtssystem wiederum fußt auf der Gleichheit aller vor dem Gesetz, doch können sich manche Bürger und Unternehmen sehr, sehr teure Rechtsanwälte leisten. Und wenn das bei Strafsachen und vor Zivilgerichten keine Folgen hätte, müßten diese teuren Anwälte ja schon längst vom Markt verdrängt worden sein.“163 bb) Singularzulassung Bezogen auf die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit der Rechtsanwälte fokussierte sich das Bundesverfassungsgericht in seiner Argumentation vor allem auf die Sicht der Rechtsanwälte und nicht auf die Auswirkungen auf den Anwaltsmarkt. Die Entschei­ dung des Bundesverfassungsgerichts zur Singularzulassung zum OLG ist ein typi­ sches Beispiel. Noch 1993 hat das Bundesverfassungsgericht in einer Kammerent­ scheidung entschieden, dass die Singularzulassung in § 25 BRAO a.F. nicht gegen die Verfassung verstößt.164 Gemeinwohlbelange rechtfertigen das Vier-Augen-Prinzip, den Anwälten sei zum Schutz der Rechtspflege zumutbar, sich zwischen der Zulas­ sung am OLG und LG zu entscheiden.

160 Vgl. hierzu auch Wolf in: FS für Hans Peter Schneider, 2008, S. 414 ff. 161 Nur so lässt sich z.B. die Abschaffung des Anwaltszwangs in der ersten Instanz rechtferti­ gen, Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht, 30. Aufl. 2011, § 16 I. 162 Braun, Lehrbuch des Zivilprozessrechts, 2014, S. 380. 163 Colin Crouch, Die bezifferte Welt, 2017, S. 186. 164 BVerfG, NJW 1994, 184.

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Mit dem Gesetz zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patent­ anwälte165 hat der Gesetzgeber allerdings bereits den Grundstein für die Abschaffung der Singularzulassung gelegt, indem er die Verknüpfung zwischen Postulationsfähig­ keit und Lokalisationsprinzip aufgehoben hat. Auch hat der Gesetzgeber bereits ein später auch vom BVerfG verwendetes Argument gegen die Singularzulassung gegen das Lokalitätsprinzip verwendet. Das Lokalitätsprinzip sei für eine flächendeckende Verteilung der Rechtsanwaltschaft nicht mehr erforderlich. Die überörtlichen Sozie­ täten könnten ohnehin bereits überregional gerichtlich tätig werden, während die nur am Ort der eigenen Zulassung präsenten Kollegen diese Möglichkeit nicht hätten.166 Das Argument ist nicht besonders stimmig, weil auch vor der Aufhebung des Lokali­ sationsprinzips die überörtlichen Sozietäten nur an den Landgerichten postulations­ fähig waren, an dem ein Rechtsanwalt der Sozietät zugelassen war und auch dort nur durch den an diesem Landgericht zugelassenen Rechtsanwalt. Die Gesetzesänderung wurde vom Bundestag zur Überraschung der BRAK, die sich für eine Beibehaltung des Lokalisationsprinzips ausgesprochen hat, ohne rechtstatsächliche Grundlagen be­ schlossen. Das BMJ konnte dem Wunsch des Vorsitzenden der Arbeitsgruppe Recht der CDU/CSU-Fraktion Geis nicht entsprechen, rechtstatsächliche Angaben über das Für und Wider des Lokalisationsgebotes zu übermitteln.167 Es gab keine rechtstat­ sächlichen Forschungsergebnisse zu dieser Frage. Die Bundesrechtsanwaltskammer konnte auf die entsprechende Anfrage nur den Hinweis geben, dass mit der erweiter­ ten Simultanzulassung in Bayern168 innerhalb eines Jahres am OLG Bamberg 2/3 der dort auftretenden Rechtsanwälte nicht mehr aus Bamberg kamen.169 2000 gab das Bundesverfassungsgericht der Verfassungsbeschwerde eines Rechtsan­ walts aus Münster statt, der neben seiner Zulassung am Landgericht auch am OLG Hamm zugelassen werden wollte.170 Die BRAK war in ihrer Stellungnahme zu der Verfassungsbeschwerde der Ansicht, dass diese unbegründet sei.171 Das BVerfG hin­ gegen gab der Verfassungsbeschwerde statt und erklärte § 25 BRAO a.F. als mit Art. 12 Abs. 1 GG unvereinbar. Zur Begründung führte das BVerfG aus, dass § 25 BRAO a.F. die Berufsausübungsfreiheit des Beschwerdeführers beeinträchtige. Dies sei nur zu rechtfertigen, wenn Gründe des Gemeinwohls dies erfordern würden und die Maß­ nahme hierfür erforderlich und geeignet sei. Derartige Gründe konnte das BVerfG aber nicht mehr erkennen. Wörtlich heißt es in der Entscheidung: „Mandanten hin­ gegen gewinnen durch die Simultanzulassung eine größere Wahlfreiheit.“172 Der Fra­ ge, ob diese Wahlfreiheit tatsächlich besteht, geht das Bundesverfassungsgericht hin­ gegen nicht nach. Anlass dazu hätte allerdings bestanden. 1998 stellte Madert bereits fest, dass Großkanzleien nicht bereit seien, mit ihren Gewinnen aus Prozessen mit Streitwerten über 1 Million DM Prozesse mit einem Streitwert bis zu 10.000 DM zu 165 BGBl. I 1994, S. 2278. 166 BT-Drs. 12/4993, S. 23. 167 TB zur 75. HV am 27.5.1994 in Gera, S. 6. 168 BGBl. I 1972, S. 2013. 169 TB zur 75. HV am 27.5.1994 in Gera, S. 6. 170 BVerfGE 103, 1. 171 BVerfGE 103, 8, Rz. 18. 172 BVerfGE 103, 1, Rz. 18. 

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finanzieren. Das in der damaligen BRAGO und im heutigen RVG angelegte System der Mischkalkulation habe mit der Rechtswirklichkeit nichts zu tun.173 Eine Reflexion, dass durch die Zulassung der überörtlichen Sozietäten die Aufga­ be  des Lokalisationsprinzips, wogegen sich die BRAK gewandt hat,174 und die Ab­ schaffung der Singularzulassung zentrale Ordnungsprinzipien des anwaltlichen Be­ rufsrechts aufgegeben wurden, fand nicht statt. Das ist auch deshalb erstaunlich, weil ein Jahr zuvor das Bundesverfassungsgericht noch eine marktordnungsbezogene Ar­ gumentation herangezogen hat, um das Lokalisationsprinzip mit Art.  3 GG und Art. 12 GG für vereinbar zu halten. Wörtlich heißt es in der Entscheidung: „Mit dem Lokalisationsgebot soll weiter verhindert werden, daß sich eine kleine Zahl von An­ wälten die Mehrzahl der Mandate teilt.“175 cc) Masterpat-Entscheidung Wie die Masterpat-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts176 in diesem Zusam­ menhang einzuordnen ist, ist nicht völlig eindeutig. Zum einen wird in der Entschei­ dung betont, dass ein Konkurrenzschutz als solcher keinen Gemeinwohlbelang dar­ stellen könne. Gleichzeitig wird aber auch festgestellt, dass es zu Gemeinwohlbelangen im Zusammenhang mit einer ordnungsgemäßen Rechtspflege zählt, für die Leistungs­ fähigkeit einer Berufsgruppe, der spezielle Aufgaben vorbehalten sind, zu sorgen.177 Richtigerweise geht es bei dem Schutzzweck des RDG aber nicht um den Schutz vor Konkurrenz, sondern um den Ausgleich von spezifischen der Rechtsanwaltschaft auf­ gegebenen Belastungen.178 Der unmittelbare Gesetzeszweck – die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege sicherzustellen und den Zugang zu den Gerichten nicht an unver­ hältnismäßigen Anwaltskosten scheitern zu lassen – rechtfertigt damit den Erhalt ei­ ner leistungsfähigen Anwaltschaft.179 Wer gegen den Zusammenhang zwischen Erhalt einer leistungsfähigen Anwaltschaft, Quersubventionierung und Verpflichtung zur Prozessvertretung (§ 48 BRAO) und Beratungshilfe (§ 49a BRAO) die altruistische und karitative Rechtsberatung in Stellung bringt,180 macht den wirtschaftlich Schwa­ chen zum Almosenempfänger und verweigert ihm den effektiven Zugang zum Recht. dd) Erfolgshonorar Das ursprüngliche Verbot des Erfolgshonorars in § 49b Abs. 2 S. 1 BRAO a.F. hat das Bundesverfassungsgerichts insoweit mit Art. 12 Abs. 1 GG für unvereinbar gehalten, 173 Madert, AnwBl. 1998, 436. 174 TB zur 73. HV am 7.5.1993 in Konstanz, S. 4 f. 175 BVerfG, NJW 1989, 1033. 176 BVerfGE 97, 12.  177 BVerfGE 97, 12, 31. 178 Vgl. auch Deckenbrock in: Deckenbrock/Henssler, RDG, § 1 RDG, Rz. 13. 179 Wie hier: Prütting, Gutachten zum 65.  Deutschen Juristentag 2004, G 19; zustimmend auch Remmertz in: Krenzler, 2. Aufl., 2017 § 1 RDG Rz. 66; ähnlich Henssler in: Decken­ brock/Henssler, Einl. RDG Rz. 34. 180 So: Kramer, KJ 2000, 600 (606).

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als es keine Ausnahme für den Fall zulässt, dass der Rechtsanwalt mit der Vereinba­ rung einer erfolgsbasierten Vergütung besonderen Umständen in der Person des Auf­ traggebers Rechnung trägt, die diesen sonst davon abhielten, seine Rechte zu verfol­ gen.181 Auch wenn aus verfassungsrechtlichen Gründen ein Erfolgshonorar nur in eng begrenzten Fällen notwendig ist, hat die Entscheidung eine finanzielle Beteili­ gung des Rechtsanwalts an der streitigen Forderung des Mandanten, also im Kern einer unternehmerischen Beteiligung, eröffnet. Einen grundlegenden Widerspruch zur Rolle des Rechtsanwalts als freier Beruf sah das Gericht nicht. Kommerzielles Denken ist mit dem Anwaltsberuf nicht schlechthin unvereinbar, so das Bundesver­ fassungsgericht.182 Der Verfassungsrechtsausschuss hat sich in seiner Stellungnahme zu der Entschei­ dung strikt an den Fragekatalog des Gerichts gehalten.183 Da sich die gestellten Fragen nicht auf die Auswirkungen des Erfolgshonorars auf den Anwaltsmarkt insgesamt bezogen, konnte der Ausschuss anhand der Frage eine eindeutige Festlegung seiner Position vermeiden. Der Vorsitzende des Verfassungsrechtsausschusses der BRAK Kirchberg sprach sich aber für eine vollständige Freigabe des Erfolgshonorars aus.184 Stürner hat darauf hingewiesen, dass die Prozessvertreterin der Klägerin in der der Bundesverfassungsgerichtsentscheidung zugrundeliegenden Entscheidung ca. 1/3 der Klagsumme als Erfolgshonorar erhalten hat.185 Dies entspricht dem durchschnittli­ chen Anteil, welche Prozessfinanzierer fordern. Zugleich ist dies die Renditeerwar­ tung im Privat Equity Bereich. Der Vergleich mit der Prozessfinanzierung hat in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts jedoch nicht stattgefunden. Das Ge­ richt weist lediglich darauf hin, dass nach Schätzungen solcher Prozessfinanzierungs­ unternehmen das Volumen der aus finanziellen Gründen nicht geführten Prozesse jährlich insgesamt zwischen 2 und 6 Milliarden Euro beträgt.186 Eine genauere Aus­ einandersetzung mit der Prozessfinanzierung wäre auch deshalb aufschlussreich ­gewesen, um die Fälle näher einzugrenzen, in welchen Erfolgsbeteiligung unterneh­ merisch Sinn macht.187 Ohne 70 % Erfolgsaussicht finanzieren in der Regel Prozessfi­ nanzierer einen Prozess nicht. Prozesskostenhilfe und Prozessfinanzierung und wohl auch die unternehmerische Betätigung von Rechtsanwälten unterscheidet sich grund­ legend im Punkt Erfolgsaussichten. Für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe sind lediglich hinreichende Erfolgsaussichten erforderlich.

181 BVerfGE 117, 163. 182 BVerfGE 117, 163, 183. 183 September 2005, BRAK-Stellungnahme-Nr. 23/2005. 184 Kirchberg, NJW-Sonderheft zum 4. Hannoveraner ZPO-Symposion, 2007, 13, 16 f. 185 Stürner, NJW-Sonderheft zum 4. Hannoveraner ZPO-Symposion, 2007, 9, 10. 186 BVerfGE 117, 163, 195. 187 Zu solchen Überlegungen Stürner NJW-Sonderheft zum 4. Hannoveraner ZPO-Sympo­ sion, 2007, 9, 10.

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ee) Sozietätsverbot Die letzte hier zu referierende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts betrifft das Sozietätsverbot in §  59a Abs.  1 S.  1 BRAO.188 Nach dieser Vorschrift konnten Rechtsanwälte einer Sozietät sich nur mit Mitgliedern einer Rechtsanwaltskammer, Patentanwaltskammer, Steuerberatern, Steuerbevollmächtigten, Wirtschaftsprüfern und vereidigten Buchprüfern zu einer Berufsausübungsgemeinschaft zusammen­ schließen. Das Bundesverfassungsgericht hat nun entschieden, dass die Bestimmung gegen Art. 12 GG verstößt, soweit sie den Zusammenschluss mit Ärzten und Apothe­ kern zu einer Partnerschaft verhindert. Auch Ärzte und Apotheker unterliegen einer Verschwiegenheitspflicht. Das Schutzniveau bezüglich Zeugnisverweigerungsrecht und Beschlagnahmeverbot zwischen Ärzten und Apothekern und Rechtsanwälten ist daher vergleichbar. Bezüglich des Verbots der widerstreitenden Interessen, welches sich im Berufsrecht der Apotheker und Ärzte nicht widerspiegelt, verweist die Ent­ scheidung auf die Verpflichtung der Rechtsanwälte nach § 30 S. 1 und § 33 Abs. 2 BORA, sich mit anderen sozietätsfähigen Berufen nur zusammenschließen zu dür­ fen, wenn diese sich verpflichten, das anwaltliche Berufsrecht zu beachten. Unerörtert bleiben in der Entscheidung die Verpflichtung des Rechtsanwalts zur Prozesskosten­ hilfe (§ 48 BRAO), zur Pflichtverteidigung (§ 49 BRAO) und zur Beratungshilfe (§ 49a BRAO). Die Bundesrechtsanwaltskammer hat in ihrer Stellungnahme begründet, warum sie §  59a Abs.  1 BRAO, entgegen dem Vorlagebeschluss des BGH,189 nicht für verfas­ sungswidrig hält. Insbesondere ist die Bundesrechtsanwaltskammer dabei auch auf das Berufsrecht der Ärzte und Apotheker eingegangen. Eingang hat diese Argumen­ tationslinie in die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht gefunden. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass das Bundesverfassungsgericht zu­ sammen mit dem BayObLG und dem BGH nicht nur die Grenzen im verbalen Kampf ums Recht zugunsten der Rechtsanwaltschaft verschoben, sondern dieser seit den Bastille-Entscheidungen auch einen größeren wirtschaftlichen Freiraum verschafft haben. d) Anwaltliche Selbstverwaltung als rechtsstaatsverwirklichende Selbstverwaltung Die Frage, wie die anwaltliche Selbstverwaltung die anwaltliche Unabhängigkeit absi­ chert, wurde bislang vom Bundesverfassungsgericht allenfalls in den Bastille-Ent­ scheidungen thematisiert. Im Fokus der Entscheidungen stand die unreglementierte und freie Berufsausübung des Einzelnen.190 Dabei nimmt das Bundesverfassungsge­ richt sowohl in den Bastille-Entscheidungen als auch in den dort zitierten Entschei­ dungen auf das historisch entwickelte Leitbild der freien Advokatur Bezug. So führte das Bundesverfassungsgericht im 50. Band aus: „Die anwaltliche Berufsausübung wird 188 BVerfGE 141, 82. 189 BGH, NJW 2013, 2674. 190 BVerfGE 76, 171, 188.

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seit einem Jahrhundert durch den Grundsatz der freien Advokatur gekennzeichnet, der einer staatlichen Kontrolle und Bevormundung grundsätzlich entgegensteht.“191 Und im 63. Band heißt es:192 „Die Herauslösung des Anwaltsberufs aus beamtenähn­ lichen Bindungen und seine Anerkennung als ein vom Staat unabhängiger freier Beruf kann als ein wesentliches Element des Bemühens um rechtsstaatliche Begrenzung der staatlichen Macht angesehen werden, das der Verfassungsgeber vorgefunden und in seinen Willen aufgenommen hat. Es entspricht dem Rechtsstaatsgedanken und dient der Rechtspflege, daß dem Bürger schon aus Gründen der Chancen- und Waf­ fengleichheit Rechtskundige zur Verfügung stehen, zu denen er Vertrauen hat und die seine Interessen möglichst frei und unabhängig von staatlicher Einflußnahme wahr­ nehmen können. Damit steht die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung in Einklang damit, „daß der Anwalt einen freien Beruf ausübt, der staatliche Kontrolle und Bevor­ mundung prinzipiell ausschließt.“ Die Formulierung von der freien und unreglementierten Berufsausübung täuscht da­ rüber hinweg, dass auch die anwaltliche Tätigkeit, wie jede andere Form der wirt­ schaftlichen Betätigung auch, der Wirtschaftsaufsicht bedarf. Allgemein kommt dem Wirtschaftsrecht die Funktion zu, das Verhalten der Wirtschaftsteilnehmer gegen das normale Marktverhalten steuern.193 Die Wirtschaftsaufsicht dient dazu, den Rechts­ güterschutz gegen die reine Marktlogik sicherzustellen.194 Dabei bedient sich das Wirtschaftsaufsichtsrecht unterschiedlicher Instrumente. So kann die wirtschaftliche Tätigkeit lediglich angezeigt werden müssen oder einer Erlaubnis bedürfen. Die Ge­ nehmigung kann in Form der Personalkonzession oder der Sachkonzession erfolgen, denkbar ist auch eine Kombination aus Sach- und Personalkonzession.195 Mit der Konzession ist lediglich eine Momentaufnahme zum Zeitpunkt der Konzessionsertei­ lung verbunden. Um sicherzustellen, dass die Voraussetzungen für einen wirksamen Rechtsgüterschutz auch während der späteren Tätigkeit noch bestehen, ist eine be­ gleitende Überwachung notwendig.196 aa) Wirtschaftsaufsicht Die Bundesrechtsanwaltsordnung bedient sich sowohl des Mittels der Personalkon­ zession als auch des der laufenden Wirtschaftsüberwachung.197 §§ 4 ff. BRAO sind in der gewerberechtlichen Terminologie nichts anderes als die Normierung einer Perso­ nalkonzession, um als Rechtsanwalt tätig werden zu dürfen. Die anwaltlichen Grund­ pflichten, wie sie in §§ 43 ff. BRAO normiert sind, reglementieren die berufliche Tä­ tigkeit der Rechtsanwälte. Sie bilden den Kern des anwaltlichen Disziplinarrechts.198 Die in der BRAO geregelte Kammeraufsicht gem. § 73 Abs. 2 Nr. 4 BRAO sowie das 191 BVerfGE 50, 16, 29. 192 BVerfGE 63, 266, 283 f. 193 Steindorff, Einführung in das Wirtschaftsrecht der BRD, 2. Aufl. 1985, S. 4 f. 194 Ziekow, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 4. Aufl., 2016, § 5 Rz. 6. 195 Ziekow, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 4. Aufl., 2016, § 5 Rz. 12 ff. 196 Ziekow, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 4. Aufl., 2016, § 5 Rz. 17 ff. 197 Vgl. allgemein Ziekow, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 4. Aufl., 2016, § 5 Rz. 6 ff. 198 Prütting in: Henssler/Prütting, § 43, Rz. 18.

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anwaltsgerichtliche Verfahren im Sinne der §§ 119 ff. BRAO sind – in der Sprache des Wirtschaftsverwaltungsrechts  – begleitende Überwachungs- und Sanktionsinstru­ mentarien. Die Formulierung des Bundesverfassungsgerichts von der freien und unreglemen­ tierten Berufsausübung des Einzelnen zielt erkennbar nicht darauf ab, die in der BRAO verankerten Formen der präventiven und repressiven Wirtschaftsaufsicht zu beseitigen. Vielmehr hat das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich festgestellt, dass sich der Rechtsverkehr auf die Einhaltung des Pflichtenkanons des § 43a BRAO ver­ lassen können muss. Mit der Einhaltung des Pflichtenkanons wird die angestrebte Chancen- und Waffengleichheit der Bürger/-innen untereinander und gegenüber dem Staat sichergestellt und die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege gewährleistet.199 Zwischen der verfassungsrechtlich geforderten Unabhängigkeit des Rechtsanwalts vom Staat auf der einen Seite und der Notwendigkeit der begleitenden Wirtschafts­ aufsicht andererseits besteht ein aufzulösender Widerspruch. Die anwaltliche Unab­ hängigkeit auf der einen Seite und die notwendige begleitende Wirtschaftsaufsicht auf der anderen Seite müssen daher zum Ausgleich gebracht werden. 200 bb) Funktionale und kommunale Selbstverwaltung Den Bastille-Entscheidungen ist zu diesem Spannungsverhältnis allerdings nichts zu entnehmen. Die Bundesrechtsanwaltskammer hat immer wieder herausgearbeitet, dass anwaltliche Selbstverwaltung kein Selbstzweck ist, sondern dazu dient, die Un­ abhängigkeit und Freiheit der anwaltlichen Berufsausübung zu sichern.201 Allerdings fand bislang eine vertiefte Einordnung der anwaltlichen Selbstverwaltung in die un­ terschiedlichen Ausprägungen der Selbstverwaltung nicht statt. Allgemein gesprochen unterscheidet man die funktionale Selbstverwaltung von der kommunalen Selbstverwaltung. Die Zuordnungsfunktion der an der Selbstverwal­ tung Mitwirkenden und der Adressaten der Selbstverwaltung bestimmt sich nicht nach einem territorialen Kriterium. Eine bestimmte Funktion übernimmt vielmehr das Zuordnungskriterium der Adressaten und Mitwirkenden der Selbstverwaltungs­ einrichtung.202 In diesem Sinne sind die Rechtsanwaltskammern funktionale Selbst­ verwaltung. Die funktionale Selbstverwaltung ist dabei Teil der mittelbaren Staatsver­ waltung. Durch Körperschaften des öffentlichen Rechts werden staatliche Funktionen wahrgenommen.203 Ohne diese Form der mittelbaren Staatsverwaltung müssten die Aufgaben unmittelbar durch den Staat selbst erledigt werden.204 Mit der funktionalen

199 BVerfGE 108, 150, 161 f. 200 Vgl. Wolf, NJW-Sonderheft zum 4. Hannoveraner ZPO-Symposion, 21 f. 201 Krenzler, BRAK-Mitt., 2008, 90. 202 Grzeszick in: Maunz/Dürig, Art. 20, 79. EL. 2016, Rz. 173. 203 Baier-Treu, BeckOK HwO, 5. Ed. 2017, § 53 HwO Rz 10. 204 Günther in: Honig/Knörr/Thiel, Handwerksordnung, 5. Aufl. 2017, § 90, Rz. 6.

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Selbstverwaltung durch die Kammern soll eine Dezentralisierung, Deregulierung und Dekonzentration von Verwaltungsaufgaben erreicht werden.205 Kritisch diskutiert wird bei der funktionalen Selbstverwaltung deren demokratische Legitimation. 206 Auch in den Bastille-Entscheidungen war die Frage der demokrati­ schen Legitimation ein wesentlicher Punkt. Art. 20 Abs. 2 GG erfordert grundsätzlich auch eine demokratische Legitimation der vollziehenden Staatsgewalt. Paradigma dieser Legitimation bildet die Ministerialbürokratie.207 Im Gegensatz zur Ministerial­ bürokratie können sich die Organe der funktionalen Selbstverwaltung aber nicht auf eine ununterbrochene Legitimationskette durch Volkswahlen zurückführen.208 Auch die gegenüber der funktionalen Selbstverwaltung kritischen Stimmen in der Literatur erkennen allerdings die Notwendigkeit der funktionalen Selbstverwaltung an, soweit die Selbstverwaltung der Grundrechtsverwirklichung der von der Selbst­ verwaltung Betroffenen dient.209 Dieses trifft vor allem auf die Wissenschaftsfreiheit und die universitäre Selbstverwaltung zu.210 (1) Grundrechtsverwirklichende Selbstverwaltung Gaier hat nun erstmals eine Parallele zwischen der Wissenschaftsfreiheit und der an­ waltlichen Unabhängigkeit gezogen und somit die anwaltliche Selbstverwaltung als grundrechtsverwirklichende Selbstverwaltung ausgeformt.211 Bezogen auf die Wis­ senschaftsfreiheit ist anerkannt, dass die funktionale Selbstverwaltung ein komple­ mentäres Gewährleistungsrecht der Wissenschaftsfreiheit ist.212 Die durch Art.  5 Abs. 3 GG geschützte Wissenschaftsfreiheit beruht auf dem Gedanken, dass wissen­ schaftliche Erkenntnis ein nie abgeschlossener Prozess der Suche nach Wahrheit und Erkenntnis ist, der sich frei von staatlicher Fremdbestimmung vollziehen muss. Wis­ senschaft setzt einen grundsätzlich von Fremdbestimmung freien Bereich autonomer Verantwortung voraus.213 Diese Prozesshaftigkeit prägt den Wissenschaftsbegriff.214 Die so verstandene Wissenschaftsfreiheit wirkt sich auch auf die Organisation der Universität aus. Die akademische Selbstverwaltung dient der Absicherung der Wis­ senschaftsfreiheit. Sie ergänzt und sichert die individuelle Wissenschaftsfreiheit ab.215 205 Günther in: Honig/Knörr/Thiel, Handwerksordnung, 5. Aufl. 2017, § 90, Rz. 6. 206 Vgl. zu den unterschiedlichen Begründungsansätzen, Musil, Wettbewerb der staatlichen Verwaltung, 2005, S. 139 ff. 207 Grzeszick in: Maunz/Dürig, Art. 20, 79. EL 2016, Rz. 173. 208 Grzeszick in: Maunz/Dürig, Art. 20, 79. EL 2016, Rz. 176. 209 Musil, Wettbewerb der staatlichen Verwaltung, 2005, S. 139 ff. 210 Grzeszick in: Maunz/Dürig, Art. 20, 79. EL 2016, Rz. 176; Musil, Wettbewerb der staat­ lichen Verwaltung, 2005, S.  139 ff: Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S.  31  ff. ­Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 530 ff. 211 Gaier, BRAK-Mitt., 2012, 142, 144 f. 212 Scholz in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 79. EL Dezember 2016, Art. 5 Abs. 3 Rz. 133. 213 BVerfGE 111, 333, 354; BVerfGE 35, 79, 113. 214 Kempen in: BeckOK GG, Art. 5 Abs. 3 GG, 32 Ed 2017, Rz. 180. 215 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 532.

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Durch die akademische Selbstverwaltung soll die freie wissenschaftliche Betätigung geschützt werden.216 Die Willensbildung an den Universitäten muss so geregelt wer­ den, dass die Hochschule freie Wissenschaft ermöglicht.217 Aus der individuellen Wissenschaftsfreiheit folgt ein Anspruch auf Teilhabe an der Organisation des Wis­ senschaftsbetriebs. Durch diese Teilhabe (funktionale Selbstverwaltung) soll sicher­ gestellt werden, dass in der Universität freie wissenschaftliche Forschung möglich ist und ungefährdet betrieben werden kann.218 Akademische Selbstverwaltung bestimmt sich in ihrer freiheitssichernden Komponente durch die individuelle Wissenschafts­ freiheit. Maßstab der Auslegung muss die Wissenschaftsfreiheit des einzelnen For­ schers sein. Gegenüber dieser Wissenschaftsfreiheit ist die funktionale akademische Selbstverwaltung ein reines Annex-Grundrecht.219 Für die Frage der demokratischen Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung folgt hieraus, dass das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit auf organisationsrechtlicher Ebene einen staatsfreien und damit demokratiefreien Raum schafft. Soweit die akademische Selbstverwaltung zur Absicherung einer freien, von staatlicher Bevormundung unabhängigen Wissenschaft erforderlich ist, überspielt das Freiheitsrecht des Art. 5 Abs. 3 GG das Gebot der de­ mokratischen Legitimation.220 Das gewählte Verwaltungsmodell dient der Absiche­ rung der Freiheit der Wissenschaft. Die akademische Selbstverwaltung ist akzesso­ risch zur Wissenschaftsfreiheit.221 Die funktionale Selbstverwaltung der Anwaltschaft sichert die anwaltliche Unabhän­ gigkeit ab. Genauso wie die Wissenschaft ein staatsfreier Bereich ist, setzt die anwalt­ liche Tätigkeit staatliche Kontrolle und Bevormundung prinzipiell aus.222 Begreift man den richterlichen Erkenntnisprozess als dialogisches und kontradiktorisches Verfahren, also prozesshaft,223 drängt sich die Parallele förmlich auf. Allerdings ist die Wissenschaftsfreiheit auf der einen Seite und die anwaltliche Unabhängigkeit auf der anderen Seite konstruktiv unterschiedlich verfasst. Zunächst hat die anwaltliche Unabhängigkeit keinen wörtlichen Eingang in das Grundgesetz gefunden. Vielmehr muss das Konzept der anwaltlichen Unabhängig­ keit aus dem Rechtsstaatsprinzip entwickelt werden.224 Das Bundesverfassungsgericht hat die anwaltliche Unabhängigkeit schon früh als für den Rechtsstaat konstitutiv an­ erkannt. Die freie Advokatur hat eine fundamentale objektive Bedeutung für die Rechtspflege, so das Bundesverfassungsgericht. 225

216 BVerfGE 35, 79, 116 f. 217 BVerfGE 111, 333, 354. 218 BVerfGE 111, 333, 354. 219 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 532. 220 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 536 f. 221 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 537. 222 BVerfGE 34, 293, 302; Gaier, BRAK-Mitt., 2012, 142, 145. 223 Hierzu Wolf in: Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, § 1 BRAO Rz. 17 ff. 224 Hierzu Hellwig, Berufsrecht und Berufsethik, 2015, S. 11. 225 BVerfGE 15, 226, 234; BVerfGE 34, 293, 302.

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(2) Vergleichbarkeit mit der Richterstellung Die verfassungsrechtliche Notwendigkeit der anwaltlichen Unabhängigkeit ist struk­ turell mit der richterlichen Unabhängigkeit vergleichbar. Auch die richterliche Unab­ hängigkeit ist Funktionsvoraussetzung der richterlichen Tätigkeit.226 Verfassungs­ rechtlich wird Art. 97 GG nicht als Grundrecht im Sinne von § 90 BVerfGG begriffen.227 Der Richter, dessen Unabhängigkeit verletzt wird, kann daher nicht mit der Verfas­ sungsbeschwerde unmittelbar eine Verletzung von Art. 97 GG rügen.228 Allerdings nimmt die richterliche Unabhängigkeit an den hergebrachten Grundsätzen des rich­ terlichen Amtsrechts teil und damit am Berufsbeamtentum im Sinne von Art.  33 Abs. 5 GG.229 Über den Hebel des Art. 33 Abs. 5 GG besteht für den einzelnen Richter daher nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG mit der Verfassungsbeschwerde die Möglichkeit, eine Verletzung seiner richterlichen Unabhängigkeit geltend zu machen. Das richter­ liche Berufsrecht in Form von Art. 33 Abs. 5 GG wird also dazu benutzt, eine Verlet­ zung der richterlichen Unabhängigkeit einer Überprüfung mit Hilfe der Verfassungs­ beschwerde durch das Bundesverfassungsgericht zuzuführen. Den gleichen Weg geht das Bundesverfassungsgericht zur Absicherung der Unabhän­ gigkeit des Rechtsanwalts. Auch dieser kommt per se keine Grundrechtsqualität zu. Allerdings wird auch in Bezug auf den Rechtsanwalt das Berufsrecht dazu genutzt, um die durch das Rechtsstaatsprinzip gebotene anwaltliche Unabhängigkeit abzusichern. Die Berufsfreiheit des Rechtsanwalts nach Art. 12 Abs. 1 GG ist im Licht des rechts­ staatlichen Gebots der anwaltlichen Unabhängigkeit zu lesen und zu interpretieren.230 Logische Konsequenz dessen ist, dass auch die anwaltliche Selbstverwaltung, wie die akademische Selbstverwaltung, akzessorisch zur anwaltlichen Unabhängigkeit ist. Die anwaltliche Selbstverwaltung dient der Verwirklichung der anwaltlichen Unab­ hängigkeit und ist in dieser dienenden Funktion vom Rechtsstaat gefordert. Die an­ waltliche Unabhängigkeit bedarf zu ihrer Absicherung einer starken Selbstverwal­ tung. Nur durch diese über die Kammern organisierte Selbstverwaltung lässt sich die notwendige Staatsferne der Anwaltschaft sicherstellen.231 Im Gegensatz zur sonstigen funktionalen Selbstverwaltung der Wirtschaftsverwaltung wäre daher auch die an­ waltliche Selbstverwaltung nicht durch eine Staatsaufsicht substituierbar. Die anwalt­ liche Unabhängigkeit erzwingt eine selbstverwaltete Wirtschaftsaufsicht durch die Rechtsanwaltschaft. Es ist ein letztlich unmittelbar aus dem Rechtsstaatsprinzip flie­ ßendes Verfassungsgebot.

226 Vgl. Papier in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte, Bd. V, 2013, § 130 Rz. 10. 227 BVerfGE 27, 211, 217. 228 Schultze-Fielitz in: Dreier, Grundgesetz, Bd. III, 3. Aufl., 2018, Art. 97 Rz. 16. 229 BVerfGE 12, 81 ff; Schultze-Fielitz in: Dreier, Grundgesetz, Bd. III, 2. Aufl., 2008, Art. 97 Rz. 16; Papier in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte, Bd V, § 130, Rz. 4. 230 Gaier, BRAK-Mitt., 2012, 142 (145); ders., BRAK-Mitt., 2006, 1, 5 f. 231 Filges in: Hülshörster und Mirow, Deutsche Beratung bei Rechts- und Justizreformen im Ausland: 20 Jahre Deutsche Stiftung für Internationale Rechtliche Zusammenarbeit, 2012, S. 235, 237; Gaier, BRAK-Mitt., 2012, 142, 145.

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cc) Reichweite der Selbstverwaltung Damit ist aber noch nicht die Frage beantwortet, wie weit das Selbstverwaltungsrecht der Rechtsanwaltskammern reicht. Wiederum ganz allgemein gesprochen unterteilt sich die Selbstverwaltung in zwei Bereiche, nämlich in die Verwaltungsautonomie, also den Gesetzesvollzug, und in die Rechtsetzungsautonomie, also die Satzungsauto­ nomie. Ausgangspunkt der Bastille-Entscheidungen war die Frage, ob das Standesrecht auto­ nom geregelt werden kann oder ob es nicht einer demokratisch legitimierten, also abgeleiteten Satzungsermächtigung bedarf.232 Das Bundesverfassungsgericht hat in den Bastille-Entscheidungen die Frage in eine eindeutige Richtung hin beantwortet: Es bedarf einer Satzungsermächtigung durch den Gesetzgeber, welche der Wesent­ lichkeitstheorie Rechnung tragen muss. Im Sinne der Facharztentscheidung233 des Bundesverfassungsgerichts bedeutet der Wesentlichkeitsgrundsatz nicht nur, dass die Satzungsermächtigung auf einem Parlamentsgesetz beruhen muss. Vielmehr muss der Gesetzgeber auch alle wesentlichen Regelungen, welche der Satzungsgeber treffen kann, bereits vorgezeichnet haben.234 Die vom Bundesverfassungsgericht entwickelte Wesentlichkeitstheorie besagt, dass der Gesetzgeber alle wesentlichen Entscheidun­ gen selbst treffen müsse, dies folge aus dem Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip:235 „Rechtsstaatsprinzip und Demokratiegebot verpflichten den Gesetzgeber, die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen im Wesentlichen selbst zu treffen und diese nicht dem Handeln und der Entscheidungsmacht der Exekutive zu überlassen.“236 Die Standesrichtlinien als autonome Regelung wurden im Folgenden durch die Satzungsermächtigung in den durch die Wesentlichkeitstheorie gesetzten Grenzen abgelöst. Dabei hat das Bundesverfassungsgericht die autonomen berufsrechtlichen Regulie­ rungen der Anwaltschaft auf die gleiche Stufe gestellt wie die autonomen berufsrecht­ lichen Regulierungen anderer Berufsverbände auch. Die Rechtsetzung durch Berufs­ verbände, so das Bundesverfassungsgericht in den Bastille-Entscheidungen, könne besondere Gefahren für die Betroffenen und die Allgemeinheit mit sich bringen. Die berufsrechtlichen Regelungen der Berufsverbände können sich zum Nachteil der Be­ rufsanfänger und Außenseiter auswirken, weil ein verengtes Standesdenken oder ein Übergewicht der Verbandsinteressen die Regelungen bestimmen.237 Zwar könne der Gesetzgeber den Berufsverbänden auch eine Satzungskompetenz einräumen, so das BVerfG in den Bastille-Entscheidungen weiter. Allerdings müsse der Gesetzgeber die wesentlichen Entscheidungen selbst treffen.238 232 Vgl. hierzu Kilian in: Boon, International Perspectives on the Regulation of Lawyers and Legal Services, 2017, 185, 197 ff. 233 BVerfGE 33, 125 ff. 234 Kloepfer, JZ 1984, 685, 690 f. 235 BVerfGE 84, 212, 226. 236 BVerfGE 139, 19, 45. 237 BVerfGE 76, 171, 185. 238 BVerfGE 76, 171, 185.

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Die Bastille-Entscheidungen mobilisieren die anwaltliche Selbstverwaltung in Form der Satzungsautonomie, welche historisch gerade gegen die Dienstaufsicht der Ge­ richte entwickelt wurde, nicht zur Absicherung der unreglementierten und freien ­Berufsausübung des Einzelnen. Zwar ist die selbstverwaltete Rechtsanwaltschaft im 19. Jahrhundert entstanden, weil man die Rechtsanwälte von der Disziplinargewalt der Gerichte entbinden wollte.239 Bereits bei Gneist findet sich der Rechtsstaatsbezug der Selbstverwaltung: Nur der vom Staat unabhängige Anwalt könne die Rechtspflege fordern.240 Jedoch tragen die Bastille-Entscheidungen diesen Gedanken nicht in sich. Die Bastille-Entscheidungen forderten eben nicht nur eine demokratische Legitima­ tion des Satzungsgebers, welche mit der Satzungsversammlung erreicht wurde, son­ dern auch die nicht konturierte Anwendung des Wesentlichkeitsgrundsatzes241 auf die Satzungsregelungen der Satzungsversammlung. Ein Schutz vor einer staatlichen „Durchregulierung“ bietet die vom Bundesverfassungsgericht entwickelte Wesent­ lichkeitstheorie allerdings nicht. Im Gegensatz zu den Bastille-Entscheidungen wurde in der Anwaltschaft der Auto­ nomieverlust, welcher mit der unbeschränkten Anwendung der Wesentlichkeitstheo­ rie auf die Satzungsautonomie der Rechtsanwaltschaft verbunden war, sehr wohl ge­ sehen. So schrieb Krämer im Sonderheft der BRAK-Mitteilungen:242 „Der vorstehend aufgezeigte verfassungsrechtliche Befund hat m.E. zur Folge, daß der Gesetzgeber angesichts der hohen Bedeutung der „freien Advokatur“ sowie des anwaltlichen Selbstbestimmungsrechts gehindert wäre, ein voll durchreglementiertes anwaltliches Berufsrecht zu schaffen. Die Einräumung einer Satzungskompetenz ist nach meinem Dafürhalten verfassungsrechtlich geboten, zumal hierdurch auch eine größere Flexi­ bilität bei der Anpassung an veränderte Verhältnisse ermöglicht wird. Die Freiheit und Unabhängigkeit bleiben nur gewährleistet, wenn die Rechtsanwaltschaft – unge­ achtet gesetzlicher Vorgaben im Blick auf die sogenannten statusbildenden Normen – selbst das jeweils geltende Standesrecht fixiert.“ Und für Zuck scheidet eine Genehmi­ gung der Satzung wegen der grundsätzlichen Staatsferne der Anwaltschaft aus.243 Denkt man den Gedanken von Gaier aber zu Ende, kommt man zwangsläufig zur Reichweite der Satzungsautonomie der Universitäten. Aus dem Grundrecht der Wis­ senschaftsfreiheit wird nicht nur die grundrechtsaktivierende Sonderstellung der aka­ demischen Selbstverwaltung in Bezug auf die Verwaltungsautonomie abgeleitet, son­ dern auch die Besonderheit in Hinblick auf die Regelungsautonomie.244 In einem Kernbereich der akademischen Selbstverwaltung legitimiert sich diese nicht als eine vom Gesetzgeber abgeleitete – unter dem Parlamentsvorbehalt und der Wesentlich­

239 Gneist, Freie Advocatur, 1867, S. 58 ff. 240 Gneist, Freie Advocatur, 1867, S. 77 ff. 241 Allgemein zum Wesentlichkeitsgrundsatz, Kloepfer, JZ 1984, 685, 689 ff. 242 Krämer, BRAK-Mitt., Sonderheft 1988, 67, 69. 243 Zuck, ZRP, 1987, 145, 148 Fn. 14.  244 Kneymeyer in: Flämig/Greller/Kimminich u.a. (Hrsg.), Handbuch der Wissenschaftsfrei­ heit, 1982, S. 150, 157 f.; vgl. zum weiteren Literaturnachweis, Stumpf, Ungeschriebener Parlamentsvorbehalt und akademische Selbstverwaltungsgarantie, 2017, S. 61 ff.

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keitstheorie stehende  – Satzungsermächtigung, sondern als eine originäre verfas­ sungsunmittelbare Satzungsermächtigung.245 So gesehen war mit den Bastille-Entscheidungen nicht nur ein (persönlicher) Auto­ nomiegewinn verbunden, sondern auch ein kollektiver Autonomieverlust. An die Stelle von autonomen Regelungen trat eine dem Wesentlichkeitsgrundsatz folgende Satzungsermächtigung. Dieser Autonomieverlust war der Anwaltschaft unmittelbar nach den Bastille-Entscheidungen noch bewusst.246 Hierfür immer wieder den Blick zu schärfen bleibt Aufgabe der BRAK. e) Rechtstheoretischer Hintergrund Die Wandlung des anwaltlichen Berufsrechts, welche ihren Ausgangspunkt in den Bastille-Entscheidungen genommen hat, hat nichts mit einer Änderung der verfas­ sungsrechtlichen Grundlage der Entscheidungen, nämlich Art.  12 GG, zu tun. Die Norm blieb unverändert, nur der richterliche Blick auf die Norm hat sich verändert. Bereits im Leitsatz stellt das Bundesverfassungsgericht fest: „Es wird nicht daran fest­ gehalten, daß die Richtlinien des anwaltlichen Standesrechts als Hilfsmittel zur Aus­ legung und Konkretisierung der Generalsklausel über die anwaltlichen Berufspflich­ ten (§ 43 der Bundesrechtsanwaltsordnung) herangezogen werden können.“247 Die Verfassungsinterpretation hängt – gerade wenn man die Verfassung als einen ent­ wicklungsoffenen Normtext versteht248  – stark vom Vorverständnis des jeweiligen Senats ab.249 Welches Verständnis die jeweilige Entscheidung trägt, legt das Gericht aber häufig nicht offen. Für das Verständnis der Entscheidungen, aber auch für die Interpretation und die Auseinandersetzung mit den Entscheidungen ist der Zeitgeist, aus dem diese geboren sind, nicht unwesentlich. Art. 12 GG sagt nicht, dass Anwälte auch ein Erfolgshonorar vereinbaren müssen oder dürfen. Das ursprüngliche Verbot des Erfolgshonorars berührt sicherlich die Freiheit der beruflichen Tätigkeit, ob die­ ses aber durch das Gemeinwohl gerechtfertigt ist, hängt wesentlich von dem wirt­ schaftspolitischen Grundverständnis ab, von der Metaebene der Interpretation. Die ursprüngliche Idee der freien Berufe war, dass diese in erster Linie intrinsisch motiviert sind. Es also nicht primär um die Gewinnerzielungsabsicht geht, sondern um den inneren Ansporn, das Recht zu verwirklichen. In den Worten von Sigbert Feuchtwanger: „Das Streben, einen möglichst großen Preis zu erlangen, ist entgegen­ gesetzt dem Streben, einen möglichst großen ideellen Wert hinzugeben.“250

245 Stumpf, Ungeschriebener Parlamentsvorbehalt und akademische Selbstverwaltungsgaran­ tie, 2017, S. 611 ff. 246 Zuck, ZRP 1987, 148 Fn. 14 keine Genehmigung der Satzung und Krämer, BRAK-Mitt., Sonderheft 1988, 67, 69. 247 BVerfGE 76, 1721. 248 Rüthers, Die heimliche Revolution vom Rechtsstaat zum Richterstaat, 2014, 142. 249 Rüthers, Die heimliche Revolution vom Rechtsstaat zum Richterstaat, 2014, 141.  250 Feuchtwanger, Die freien Berufe, 1922, S. 67.

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Die Gesetzesbegründung der Bundesrechtsanwaltsordnung251 nahm ausdrücklich auf die Überlegungen von Feuchtwanger Bezug,252 nach dem sich die freien Berufe nicht vom Streben nach Gewinn bestimmen lassen dürfen. Dieser Konzeption des freien Berufs lag auch eine Entkoppelung von der Art der Er­ ledigung und der Honorierung durch ein pauschalisiertes System der Quersubven­ tionierung zu Grunde.253 Die Vorstellung und die Kritik daran, dass durch einen möglichst unbeschränkten Markt der effizienteste Zugang zum Recht ermöglicht werden kann, ist oft beschrieben worden.254 Hieraus alleine lässt sich die Wirkungs­ mächtigkeit der neoliberalen Marktideologie jedoch nicht erklären. Die Ursachen sind weitergehend. Der Hinweis, mit der Figur des freien Berufs solle das Paradoxon zwischen der Gemeinwohlverpflichtung des Rechtsanwalts einerseits und der funkti­ onal notwendigen Staatsferne andererseits überwunden werden, verfängt nicht, wenn sich der Staat selbst marktwirtschaftlich organisiert.255 Wer das Marktparadigma im Rahmen neuer Steuerungskonzepte auf den Staat selbst überträgt, vermag folgerich­ tig einer Umwandlung des freien Berufs in ein rein gewinnorientiertes Gewerbe nichts mehr entgegensetzen. Wer im öffentlichen Recht die Gemeinwohlfindung, die bislang jenseits ökonomischer Maßstäbe stattfand, durch eine Ökonomisierung der Gemeinwohlfindung und damit letztlich einer Gleichsetzung von wirtschaftlichen mit vernünftigen und gemeinwohlgerechten das Wort redet,256 macht sich im Grunde wehrlos, gegen eine Ökonomisierung der freien Berufe. Für die freien Berufe kann nicht falsch sein, was für den Staat als Leitidee richtig ist. Führt man sich die unterschiedlichen Rechtsprechungslinien des Bundesverfassungs­ gerichts noch einmal vor Augen, wird deutlich, dass das Gericht nicht nur den wirt­ schaftlichen Betätigungsraum der Rechtsanwälte vergrößert hat. (Stichwort: Abschaf­ fung der Singularzulassung, Ermöglichung eines Erfolgshonorars und des beruflichen Zusammenschlusses eines Rechtsanwalts mit einem Arzt und Apotheker.) Vielmehr hat das Gericht im gleichen Umfang den verbalen Spielraum im Kampf um das Recht erweitert. Das verbale Mäßigungsgebot hat im Kern seine Bedeutung verloren. Mit dieser Deregulierung wurden neue Spielräume im Kampf ums Recht eröffnet und die Anschlussfähigkeit zu dem Linksliberalismus hergestellt. Reckwitz bezeichnet diese Verbindung des Neoliberalismus mit einem gesellschaftspolitischen Liberalismus als apertistisch-differenziellen Liberalismus, der sich seit den 1990er Jahren zu einem umfassenden Governance entwickelt hat.257 Die Ablösung des sozialdemokratisch-­ korporatistischen Konsens durch den apertistisch-differenziellen Liberalismus er­ klärt beide Seiten der sich seit den Bastille-Entscheidungen vollzogenen Entwicklung. 251 BT-Drs. 3/120, S. 49. 252 Feuchtwanger, Die freien Berufe, 1922, S. 17 ff. 253 Stürner, Markt und Wettbewerb über Alles?, 2007, S. 23.  254 Vgl. hierzu nur Wolf in: Gaier/Wolf/Göcken, § 2 BRAO Rz. 16 ff. und IV. 255 Aus der Sicht der Neuen-Verwaltungswissenschaft, Voßkuhle, BayVBl. 2010, 581 ff.; deut­ lich in der Kritik, Gärditz in: Martin Burgi (Hrsg.), Zur Lage der Verwaltungsrechtswis­ senschaft, Beiheft 12 zu „Die Verwaltung“, Berlin 2017, S. 105 ff. 256 Schaefer, Die Umgestaltung des Verwaltungsrechts, 2016, S. 167. 257 Reckwitz, Die Gesellschaft der Singularität, S. 375 f.

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Die BRAK war in dieser Entwicklung nicht der Treiber, sondern der kluge und abwä­ gende Warner vor einer Aushöhlung eines freiberuflichen Berufsverständnisses,258 welcher sich letztlich aber doch der verfassungsrechtlichen Neuvermessung der Be­ rufsfreiheit unterordnen musste.

III. Die Satzungsversammlung – gelebte Selbstverwaltung 1. Auf dem Weg zur Satzungsversammlung Waren die Standesrichtlinien, welche der Auslegung von §  43 BRAO dienten, ur­ sprünglich autonomes Softlaw, wurde mit dem Gesetz zur Neuordnung des Berufs­ rechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte vom 2. September 1994259 die Grund­ lage für eine staatliche Satzungsermächtigung geschaffen.260 § 59b BRAO enthält eine Satzungsermächtigung, im Rahmen der Vorgaben der BRAO eine Berufsordnung zu schaffen. Zuständiges Organ für den Erlass ist nach § 191a ff. BRAO die Satzungsver­ sammlung. In jüngster Zeit wird die Satzungsversammlung von der BRAK gerne als Parlament der Anwaltschaft bezeichnet. Bereits die Bastille-Entscheidungen enthiel­ ten den Hinweis, dass bestimmte Einschränkungen der Berufsfreiheit auch durch Sat­ zungsrecht vorgenommen werden können.261 Gleichzeitig hat das Bundesverfas­ sungsgericht auch die Grenzen einer Satzungsregelung aufgezeigt. Statusbildende Normen seien dem Gesetzgeber vorbehalten.262 a) Satzungsgebendes Organ Wie und wo die satzungsgebende Kompetenz angesiedelt werden soll, wurde in der Bundesrechtsanwaltskammer zunächst uneinheitlich diskutiert. Bereits vor der Ver­ öffentlichung der Bastille-Entscheidungen bemühte man sich, die Fortentwicklung des Standesrechts durch eine Satzungsversammlung zu ermöglichen.263 Eng damit 258 Beeindruckend klar der Verfassungsrechtsausschuss erst jüngst in seiner Stellungnahme in dem Verfahren 1 BvR 1955/17: „Die schematische Regelung der Vergütung hat zur notwendigen Folge, dass das gleiche Maß an Arbeit, je nachdem, welche Vorschrift zur Anwendung kommt, unterschiedlich hoch belohnt wird. Diese „Ungerechtigkeiten“ sind nur vordergründig ungerecht. Sie gehören zu einem Vergütungssystem, das der Anwalt­ schaft insgesamt Integrität und Unabhängigkeit sichert und vor der Verführung bewahrt, wieder das frühere „System der Sonderbezahlung“ jeder einzelnen Tätigkeit zu etablieren. Eine Denkungsart, die unter dem Einfluss des in der Praxis vielfach omnipräsenten Stun­ denhonorars Ungerechtigkeiten nicht mehr an der Sache und dem Anliegen des Mandan­ ten festmacht, sondern allein an der verronnenen und nicht unmittelbar bezahlten Zeit, entspricht nicht dem System des in Deutschland hergebrachten und nach wie vor gelten­ den anwaltlichen Vergütungsrechts.“ BRAK-Stellungnahme Nr. 25/2018, Mai 2018, S. 5. 259 BGBl. I 1994, S. 2278. 260 Kilian in: Boon, International Perspectives on the Regulation of Lawyers and Legal Ser­ vices, 2017, 185, 197 ff. 261 BVerfGE 76, 171, 185. 262 BVerfGE 76, 171, 185. 263 TB zur 62. HV am 2.10.1987 in Berlin, S. 5.

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verknüpft war der Vorstoß der Rechtsanwaltskammer Hamm, entgegen § 190 BRAO eine Stimmgewichtung in der Hauptversammlung einzuführen. Der von der Kammer Hamm hierzu beauftragte Gutachter Hans-Jürgen Papier264 sah den Gleichheitssatz durch ein unterschiedsloses Stimmrecht der einzelnen Kammern auf der Hauptver­ sammlung nach § 190 Abs. 1 BRAO verletzt. Allerdings ging das Gutachten noch von der Prämisse aus, dass die Hauptversammlung dazu aufgerufen ist, die allgemeine Auffassung der Standesgenossen festzustellen. Auf der 62.  Hauptversammlung am 2.10.1987 in Berlin beantragte die Kammer Hamm, auf den Bundesgesetzgeber ein­ zuwirken, dass § 190 Abs. 1 BRAO eine Stimmgewichtung erhält. Danach sollte jede Kammer zwei Stimmen auf der Hauptversammlung haben. Für den Fall, dass die je­ weilige Kammer mehr als 1.000 Mitglieder umfasst, sollte sich die Stimmgewichtung je angefangene 1.000 Mitglieder zusätzlich um den Faktor eins erhöhen.265 Der An­ trag wurde mit 18 Gegenstimmen, 2 Enthaltungen (Celle und Köln) sowie drei Ja-­ Stimmen (Berlin, Hamburg und Hamm) abgelehnt. Im Anschluss an die Entschei­ dung der Hauptversammlung griff die Kammer Hamm diese Entscheidung und die Wahl des Präsidiums vor dem Bundesgerichtshof nach § 191 BRAO a.F. an.266 Durch die Bastille-Entscheidungen ist die Kompetenz der Hauptversammlung, die allgemei­ ne Auffassung über Fragen der Ausübung des Anwaltsberufs in Richtlinien festzustel­ len, § 177 Abs. 2 Nr. 2 BRAO a.F., entfallen. Da die Hauptversammlung nicht mehr über die Standesauffassung zu befinden hat, hielt der BGH es auch für hinnehmbar, dass die Stimmen der einzelnen Kammern auf der Hauptversammlung nicht gewich­ tet werden.267 Das Bundesverfassungsgericht lehnte mit denkbar knapper Begrün­ dung die Verfassungsbeschwerde ab, die Kammer als juristische Person des öffentli­ chen Rechts könne sich nicht auf materiell-rechtliche Grundrechte berufen.268 Für die Diskussion, ob die Hauptversammlung das satzungsgebende Organ sein soll, spielte die Stimmgewichtung in der Hauptversammlung aber eine nicht unerhebliche Rolle. Der damalige Präsident der Rechtsanwaltskammer Freiburg, Selbherr, hat be­ reits sehr früh den Zusammenhang zwischen Stimmgewichtung und Satzungskom­ petenz hergestellt.269 Die Alternative zu einer Stimmgewichtung in der Hauptver­ sammlung wäre die Schaffung eines neuen Organs der BRAK mit Satzungskompetenz und Stimmgewichtung. Im Wesentlichen stand bereits der 62. Hauptversammlung im Oktober 1987 in Berlin die Fragestellung, die mit der Entscheidung, wer satzungsge­ bendes Organ werden soll, verbunden war, klar vor Augen. Durch die Schaffung eines neuen Organs (Satzungsversammlung) würde sich die Tektur der BRAK verschieben. Man fürchtete eine Beschneidung der Autonomie der einzelnen Rechtsanwaltskam­ mern.270 Noch deutlicher werden die Probleme, die die Bundesrechtsanwaltskammer am Anfang mit der Idee der Satzungsversammlung hatte, von dem damaligen Präsi­ 264 Papier, NJW 1987, 1308 ff. 265 Prot. 62. HV am 2.10.1987 in Berlin, BRAK-Nr. 168/87 v. 4.12.1987, S. 12. 266 Nunmehr aufgegangen in § 112a Abs. 3 BRAO. 267 BGH, Beschluss v. 31.10.1988 – AnwZ 53/87, juris. 268 BVerfG, AnwBl. 1989, 572. 269 Prot. 62. HV am 2.10.1987 in Berlin, BRAK-Nr. 168/87 v. 4.12.1987, S. 19. 270 So der Präsident der Rechtsanwaltskammer Bamberg Loewer, Prot. 62. HV am 2.10.1987 in Berlin, BRAK-Nr. 168/87 v. 4.12.1987, S. 20.

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denten der Bam­berger Rechtsanwaltskammer Loewer auf der 63. Hauptversammlung 1988 in München adressiert.271 Loewer war Vorsitzender des Satzungsausschusses, den bereits die 62. Hauptversammlung am 2. Oktober 1987 in Berlin eingesetzt hatte und der nach der Veröffentlichung der Bastille-Entscheidungen auch prüfte, wie die Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts umgesetzt werden können.272 Man wollte an der Struktur der BRAK so wenig ändern wie möglich. Daher suchte man eine enge Verknüpfung zwischen der Satzungsversammlung und der Hauptversamm­ lung.273 Im Kern hat die Bundesrechtsanwaltskammer, wenngleich mit leichten Modi­ fikationen, ein Modell verfolgt, welches geborene und gekorene Mitglieder der Sat­ zungsversammlung kannte. Der Präsident der Bundesrechtsanwaltskammer und die Präsidenten der regionalen Kammern sollten dabei geborene Mitglieder der Sat­ zungsversammlung mit Stimmrecht sein. Hinzu sollten weitere Mitglieder treten, welche von den örtlichen Anwaltskammern auf den jeweiligen Kammerversammlun­ gen gewählt werden sollten.274 Die BRAK hatte gehofft, mit ihrem Vorschlag eine hin­ reichende Pluralität der Satzungsversammlung sichergestellt zu haben.275 Zur Bera­ tung der Neuordnung des Berufsrechts hat der DAV einen „Dreißiger-Ausschuss“ eingesetzt. Der Vorsitzende des Dreißiger-Ausschusses oder auch Ausschuss „Neues Berufsrecht“ war der Kölner Rechtsanwalt und frühere Präsident des DAV (1983 bis 1988) Ludwig Koch. Im Unterschied zur Position der BRAK sah der Entwurf des Deutschen Anwaltvereins vor, dass der Satzungsversammlung nur gewählte Mitglie­ der angehören. Die Wählbarkeit sollte dabei nicht von einer Mitgliedschaft im je­ weiligen Kammervorstand abhängig gemacht werden. Die Wahl sollte durch Kam­ merversammlung erfolgen.276 Im Nachfolgenden kam es zu einem intensiven Dialog zwischen dem Satzungsausschuss der BRAK und dem Dreißiger-Ausschuss des DAV.277 Auf der Hauptversammlung 1990 in Münster drückte der spätere Präsident des DAV Schardey den Wunsch des DAV nach einem abgestimmten Vorgehen von BRAK und DAV bei der Neuordnung des Berufsrechts aus.278 Im Nachfolgenden haben die beiden Arbeitsgruppen der BRAK und des DAV einen gemeinsamen Vorschlag zur Neuordnung des Anwaltlichen Berufsrechts erarbeitet, welcher mit Schreiben vom 8.7.1991 dem damaligen Justizminister Klaus Kinkel ge­ sendet wurde. Entgegen der ursprünglichen Forderung des DAV stimmte dieser in der gemeinsamen Stellungnahme dem geborenen Stimmrecht der Kammerpräsiden­ 271 Rechtsanwalt Jörn Loewer wurde auf der 70. HV in Mainz zum Vizepräsidenten der BRAK gewählt, Prot. 70. HV am 20.9.1991 in Mainz, BRAK-Nr. 215/91 v. 24.9.1991, S. 45 ff. Das Amt nahm Loewer zwei Jahre wahr, Prot. 75. HV am 27.5.1994 in Gera, BRAK-Nr. 139/94 v. 6.7.1994, S. 16. 272 Prot. 63. HV am 13.5.1988 in München, BRAK-Nr. 115/88 v. 29.6.1988, S. 23. 273 Hinweis von Loewer, Prot. 63.  HV am 13.5.1988 in München, BRAK-Nr.  115/88 v. 29.6.1988, S. 26. 274 § 190a Abs. 2 des Zuck Vorschlags von 1988, BRAK-Mitt., Sonderheft 1988, 75; § 190a BRAO-BRAK Vorschlag, MDR 1990, 756.  275 Loewer, Prot. 69. HV am 31.5.1991 in Hamburg, BRAK-Nr. 116/91 v. 20.6.1991, S. 34. 276 § 191b BRAO DAV-Entwurf, AnwBl. Beilage Heft 4 1990, 27 f. 277 TB zur 67. HV am 18.5.1990, S. 6 ff. 278 Prot. 67. HV am 18.5.1990 in Münster, BRAK-Nr. 133/90 v. 21.6.1990, S. 12.

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ten in der Satzungsversammlung zu. Der Kompromiss zwischen BRAK und DAV lag in einer Erhöhung der Anzahl der gewählten Mitglieder, sodass hierdurch der Ein­ fluss der geborenen stimmberechtigten Mitglieder reduziert werden sollte.279 Die Bundesregierung folgte den Vorstellungen und übernahm die Position von BRAK und DAV in den Gesetzentwurf zur Neureglung des Berufsrechts.280 Im laufenden Gesetzgebungsverfahren281 hat sich der DAV von dieser gemeinsamen Position wie­ der losgesagt.282 Im Ergebnis folgte der Rechtsausschuss nunmehr nicht mehr dem ursprünglich gemeinsamen Vorschlag von BRAK und DAV.283 Stimmberechtigte Mit­ glieder der Satzungsversammlung sind nun nur noch die gewählten Mitglieder. Die Präsidenten der regionalen Kammern und der Präsident der Bundesrechtsanwalts­ kammer gehören der Satzungsversammlung nur mit beratender Stimme an, § 191a Abs. 4 BRAO. Um die demokratische Legitimation zu erhöhen, erfolgt die Wahl nicht auf der Kammerversammlung, sondern durch Briefwahl. b) Rechtliche Stellung der Satzungsversammlung Trotz der vom Rechtsausschuss durchgesetzten Briefwahl warf die Satzungsversamm­ lung auch Fragen nach der legitimatorischen Basis auf. Die Rechtsanwälte sind nach § 60 Abs. 2 BRAO Mitglied einer Rechtsanwaltskammer und nicht der Bundesrechts­ anwaltskammer. Mitglied der Bundesrechtsanwaltskammer sind nur die regionalen Kammern, nicht die einzelnen Rechtsanwälte, § 175 Abs. 1 BRAO. Wie kann der Bun­ desrechtsanwaltskammer eine Satzungskompetenz zukommen, das Berufsrecht aller Rechtsanwälte zu regeln, welche nicht Mitglied der Bundesrechtsanwaltskammer sind? Für die Standesrichtlinien hat sich die Frage so nicht gestellt. Ganz im Sinne des Common Law haben die Präsidenten der Rechtsanwaltskammern nach § 177 Abs. 2 Nr.  2 BRAO a.F. die Standesrichtlinien nicht kreiert, sondern lediglich festgestellt, also gefunden.284 Die rechtliche Stellung der Satzungsversammlung, die am Ende des Reformprozesses geschaffen wurde, §  191a  ff. BRAO, ist bis heute mehr pragmatisch als theoretisch geklärt.285 Im Wesentlichen spielt heute die Frage eine Rolle, wer aktivlegitimiert ist, um gegen die Entscheidung des BMJV vorzugehen, einen Beschluss der Satzungsver­ sammlung aufzuheben.286 279 Busse, Deutsche Anwälte, 2010, S. 542 und TB zur 67. HV am 18.5.1990 in Münster, S. 7. 280 BT-Drs. 12/4993, S. 37. 281 Der Regierungsentwurf, BT-Drs. 12/4993, datiert v. 19.5.1993. 282 Busse, Deutsche Anwälte, 2010, S. 542 und TB zur 75. HV am 27.5.1994 in Gera, S. 6. 283 BT-Drs. 12/7656, S. 50 f. 284 Lingenberg in: Lingenberg/Hummel, Kommentar zu den Grundsätzen des anwaltlichen Standesrechts, 1981, Einl. Anm. 5.  Hierauf hat auch der Vorsitzende des Satzungsaus­ schusses, der Präsident der Bamberger Rechtsanwaltskammer Loewer, hingewiesen, Prot. 63. HV am 13.5.1988 in München, BRAK-Nr. 115/88 v. 29.6.1988, S. 25. 285 Hartung in: Henssler/Prütting, BRAO, 4. Aufl., § 191a Rz. 9.  286 Aktivlegitimiert muss wohl die Satzungsversammlung selbst sein, Dahns in: Gaier/Wolf/ Göcken, § 191e Rz. 19.

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Im Rahmen der Diskussion um die Satzungsversammlung wurde aber die Frage von dem damaligen Vizepräsidenten der Düsseldorfer Kammer Wolfgang Hartung aufge­ worfen, ob die Bundesrechtsanwaltskammer, welche sich aus den regionalen Kam­ mern zusammensetzt und nicht aus allen zugelassenen Rechtsanwälten, Inhaberin des Satzungsrechts sein könne.287 c) Pluralistische Zusammensetzung der Kammerversammlung Nach den Wahlen zur ersten Satzungsversammlung, welche sich fast über ein Jahr hinstreckten,288 trat diese vom 7. bis zum 9. September 1995 in Berlin zu ihrer 1. Sit­ zung zusammen. Das Spektrum der dort vertretenen Anwälte reichte und reicht deut­ lich über die „Kammerszene“ hinaus.289 Insbesondere wurde in die Satzungsver­ sammlung auch eine Reihe von Rechtsanwälten gewählt, die man zu Kritikern der Kammern zählen muss, wie Kleine-Cosack. Die Frage nach dem Stimmrecht der Prä­ sidenten der Rechtsanwaltskammern wurde zu Beginn der Arbeit der Satzungsver­ sammlung zwar noch thematisiert.290 Jedoch hat sich die breite Zusammensetzung der Mitglieder der Satzungsversammlung, die im „wesentlichen nur über ihren Beruf als ‚Rechtsanwalt‘ untereinander verbunden sind“,291 auch positiv auf die Arbeit der Satzungsversammlung ausgewirkt. In einer ersten Zwischenbilanz stellte Zuck fest: „Der latente Streit zwischen DAV und BRAK, wer denn nun der wahre und einzige Hüter des anwaltlichen Berufsrechts sei, konnte nicht ausgetragen werden, weil es dafür, wie erste Teilabstimmungen zeigten, keine Mehrheiten gab. Das hat die Sachar­ beit in der Satzungsversammlung außerordentlich erleichtert.“292 Wie echte Parla­ mentarier hätten die Mitglieder der Satzungsversammlung nach ihrem Verständnis beschlossen und nicht, was sie nach Ansicht der Fachleute beschließen sollten, so Zuck weiter.293 Die Befürchtungen, dass die BRAK versuchen könnte, die Satzungsversammlung zu dominieren, haben sich nicht bestätigt.294 Die Autonomie der Satzungsversammlung wurde von der Bundesrechtsanwaltskammer beachtet. Um nur ein Beispiel zu nennen: Das Normscreening der BORA unter wettbewerbsrechtlichen Gesichtspunkten, wel­ ches im Rahmen der Anforderung der Europäischen Kommission 2004 durchgeführt werden musste,295 sollte der Satzungsversammlung überlassen werden. Der damalige Vizepräsident der BRAK Justizrat Dr. Norbert Westenberger betonte auf der 100. HV 287 Hartung, NJW 1993, 2776, 2777. Hiergegen Zuck, NJW 1993, 2779. 288 Hartung in: Hartung/Scharmer, 6. Aufl., 2016, Einf. BORA, Rz. 30.  289 Zuck, NJW 1996, 3189. 290 Loewer, BRAK-Mitt., 1994, 186, 191.  291 Zuck, NJW 1996, 3189. 292 Zuck, NJW 1996, 3189. 293 Zuck, NJW 1996, 3189. 294 Zuck, NJW 1996, 3189. 295 Vgl. zum Hintergrund der HIS-Studie Henssler/Kilian, Positionspapier zur Studie des ­Instituts für Höhere Studien, Wien: „Economic Impact Of Regulation In The Field Of Li­ beral Professions in Different Member States“, http://www.brak.de/w/files/05_zur_rechts​ politik/ihs.

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am 7. Mai 2004 in Koblenz ausdrücklich die Bedeutung der Autonomie der Satzungs­ versammlung.296 Auch haben sich in sehr geringem Umfang die Präsidenten/-innen der regionalen Kammern um ein Wahlmandat bemüht. Der ersten Satzungsversamm­ lung gehörten nur zwei Präsidenten mit Stimmrecht an, der Präsident der Rechtsan­ waltskammer Hamburg, Dr. Klaus Landry und der Präsident der Rechtsanwaltskam­ mer Bremen, Rechtsanwalt und Notar Dr. Henning Hübner.297 Und auch heute gehören der 6.  Satzungsversammlung von den 28 Kammerpräsidenten/-innen nur zwei als gewählte Mitglieder an (Jan J. Kramer, Präsident der Rechtsanwaltskammer Olden­ burg und Herbert Schons, Präsident der Rechtsanwaltskammer Düsseldorf). Am Ende der Sitzungsperiode der Satzungsversammlung nahm der frühere Präsident des Deutschen Anwaltvereins Felix Busse den Vorwurf von Rüdiger Zuck noch einmal auf, dass die Mitglieder der Satzungsversammlung nur über ihren Beruf als Rechtsan­ walt verbunden sind: „Heute ist dies Geschichte. Wir haben uns kennen- und schät­ zen gelernt und sind uns heute vielfältig auch freundschaftlich verbunden. Das war die Basis für die erzielten Ergebnisse.“298 Eine Lager- oder Fraktionsbildung habe es nicht gegeben. Und Busse weiter: „Daß unsere Beratungen ohne Verwerfungen, Zer­ würfnisse, ohne Trickserei verlaufen sind und von wechselseitigem Vertrauen getra­ gen waren, lag ganz entscheidend auch an dem Präsidenten BRAK und Sitzungsleiter der Satzungsversammlung Eberhard Haas.“299 2. Satzungskompetenz Die Satzungskompetenz der Satzungsversammlung ist in § 59b BRAO festgelegt. Der Autonomiespielraum für berufsrechtliche Regelungen wurde durch das Bundesver­ fassungsgericht in den Bastille-Entscheidungen sehr eng gezogen. Das Bundesverfas­ sungsgericht hat zunächst zwischen statusbildenden Normen, die dem Gesetzgeber vorbehalten sind, und solchen Regelungen unterschieden, die in einer Satzung gere­ gelt werden können.300 Aber auch dort, wo ein Spielraum für eine Satzungsregelung besteht, hat der Gesetzgeber das Bestimmtheitsgebot der Ermächtigungsnorm zu be­ achten. Die Anforderungen hieran sind umso höher, je empfindlicher der Berufsan­ gehörige in seiner freien Berufsausübung beeinträchtigt wird und je stärker das Inte­ resse der Allgemeinheit an der Art und Weise der Tätigkeit berührt wird.301 Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts beruht auf einem inneren Wider­ spruch, welcher zwar in der Diskussion um die Satzungsversammlung und deren Kompetenz erkannt wurde, aber in der nachfolgenden Diskussion um die Satzungs­ versammlung nicht näher verfolgt wurde.302 In der Rechtsprechung des Bundesver­ fassungsgerichts ist die Unabhängigkeit des Rechtsanwalts vom Staat eine der zentra­ 296 Prot. 100. HV am 7.5.2004 in Koblenz, BRAK-Nr. 289/2004 v. 9.6.2004, S. 24. 297 Busse, Deutsche Anwälte, 2010, 543. 298 BRAK-Mitt., 1999, 135. 299 BRAK-Mitt., 1999, 135. 300 BVerfGE 76, 171, 185, 188. 301 BVerfGE 76, 171, 185. 302 Vgl. Zuck, ZRP, 1987, 145, 148 Fn. 14 und Krämer, BRAK-Mitt., 1988, 67, 69.

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len Funktionsbedingungen anwaltlicher Tätigkeit.303 Jene Unabhängigkeit vom Staat bezieht das Bundesverfassungsgericht jedoch nur auf die individuelle Berufsausübung des Einzelnen.304 Allerdings erstreckt sich die Autonomie der Berufsausübung in der Sicht des Bundesverfassungsgerichts nicht auf die kollektive Selbstregulierung, son­ dern beschränkt sich auf die individuelle Berufsausübung.305 Hierin liegt die entschei­ dende Schwäche der durch die Bastille-Entscheidungen vorgenommenen Weichen­ stellung. Bezogen auf die administrative Selbstverwaltung durch die Kammern hat Gaier erst­ mals die Parallele zwischen Wissenschaftsfreiheit und anwaltlicher Unabhängigkeit gezogen.306 Die funktionale Selbstverwaltung der Anwaltschaft sichert die anwaltliche Unabhängigkeit ab. Genauso wie die Wissenschaft ein staatsfreier Bereich ist, schließt die anwaltliche Tätigkeit staatliche Kontrolle und Bevormundung prinzipiell aus.307 Träte eine staatliche Wirtschaftsaufsicht an die Stelle der Selbstverwaltung der Kam­ mern, bestünde die Gefahr, dass sich der Anwalt nicht ausschließlich am Interesse seines Mandanten orientieren würde, sondern auch an gegenläufigen Interessen der die Aufsicht führenden Staatsverwaltung.308 So richtig dies ist, so richtig ist auch, dass die Wissenschaftsfreiheit nicht nur die Ver­ waltungsautonomie umschließt, sondern in einem Kernbereich der akademischen Angelegenheiten auch die Rechtsetzungsautonomie mitumfassen muss.309 In unmit­ telbar wissenschaftsrelevanten Bereichen wird aus Art. 5 Abs. 3 GG ein Anspruch auf Satzungsautonomie abgeleitet.310 Die individuelle Wissenschaftsfreiheit wird durch eine kollektive Autonomie ergänzt und abgesichert, welche eben nicht nur den reinen Gesetzesvollzug durch die Organe der akademischen Selbstverwaltung umfassen kann, sondern auch eine Selbstregulierung durch die Organe der akademischen Selbstverwaltung in einem Kernbereich mitumschließen muss. Insbesondere Krämer hat unmittelbar nach den Bastille-Entscheidungen festgehalten, dass der Gesetzgeber aufgrund der hohen Bedeutung der freien Advokatur sowie des anwaltlichen Selbstbestimmungsrechts gehindert ist, ein voll durchreglementiertes Berufsrecht zu schaffen.311 Bereits zuvor hat die 3. Präsidentenkonferenz am 23.1.1988 in diesem Sinne gefordert, dass der Gesetzgeber nur diejenigen Regelungen treffen soll, die dieser von Verfassungs wegen treffen muss, alles andere aber den Selbstver­ waltungsorganen überlassen werden soll, die hierbei einen größeren Spielraum haben 303 Nur BVerfGE 63, 266 ff.; BVerfG, JZ 1984, 1042. 304 BVerGE 76, 717, 188. 305 Zu diesem Wandel Kilian in: Boon, International Perspectives on the Regulation of ­Lawyers and Legal Services, 2017, 185, 197 ff. 306 Gaier, BRAK-Mitt., 2012, 142, 144. 307 BVerGE 34, 293, 302; Gaier, BRAK-Mitt., 2012, 142, 145. 308 Gaier, BRAK-Mitt., 2012, 142, 144. 309 Knemeyer, 7. Hochschulautonomie, S. 157 in: Flämig et al. (Hrsg.), Handbuch des Wissen­ schaftsrechts, 1982; Starck/Paulus in: von Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, 7. Aufl., 2018, Art. 5, Rz. 528. 310 Starck/Paulus in: von Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, 7. Aufl., 2018, Art. 5, Rz. 528. 311 Krämer, BRAK-Mitt., 1988, 67, 69.

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sollen, als dies Art. 80 GG ansonsten vorgibt.312 Schlagender Grund für die Satzungs­ ermächtigung in § 59b BRAO war aber für den Gesetzgeber die besondere Sachkun­ de  der Berufsangehörigen und nicht die Sicherung einer Regelungsautonomie der Rechtsanwaltschaft.313 Die Parallele, die Gaier mit der Wissenschaftsfreiheit gezogen hat, ist noch aus einem anderen Grund aufschlussreich. Wissenschaftsfreiheit sattelt im Grunde auf einer intrinsischen Motivation der Beteiligten auf. Hierfür sind aber Rahmenbedingungen erforderlich, eine intrinsische Motivation leben zu können. Selbstverwaltete Wissen­ schaftsfreiheit setzt im Kern voraus, dass die beteiligten Wissenschaftler die Autono­ mie dazu nutzen wollen, einen organisatorischen Rahmen zu schaffen, welcher größt­ mögliche Wissenschaftsfreiheit und damit Erkenntnis ermöglicht. Übertragen auf die Selbstverwaltung der Anwaltschaft bedeutet dies die innere Bereitschaft, an einer Re­ gelung mitzuwirken, die sich in den Dienst der Verwirklichung des Rechtsstaats stellt. Gemeint ist damit nicht die Verpflichtung der Rechtsanwaltschaft auf eine a priori feststehende Wahrheit, sondern ein Finden der prozessförmigen Wahrheit durch These (Kläger) und Antithese (Beklagter), welche dem Gericht erst die Synthese er­ möglicht.314 Völlig zutreffend und im Grunde wegweisend hat Krämer dann auch in dem Sonderheft der BRAK zu den Bastille-Entscheidungen ausgeführt: „Damit [mit der soeben beschriebenen anwaltlichen Tätigkeit] ist wiederum Art. 92 und 97 GG angesprochen. Deshalb ist es m.E. zu eng, wenn Maunz/Dürig/Herzog die anwaltliche Tätigkeit ausschließlich unter Art. 12 Abs. 1 GG subsumiert.“ Aus dem Rechtsstaatsbezug der anwaltlichen Tätigkeit als Doorkeeper des Access to Justice ergibt sich die Verpflichtung, den streitwertunabhängigen Zugang zum Recht sicherzustellen.315 Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Einzelnen darf nicht über den Zugang zum Recht bestimmen. Es ist ein Fundamentalsatz des Rechtsstaats, dass der Zugang zum Recht unabhängig von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Einzelnen sichergestellt sein muss. 316 Fraglich ist aber, in welchem Umfang dieses Verständnis die Satzungsversammlung trägt. Kleine-Cosack wirft in seiner Kommentierung der Satzungsautonomie vor, dass diese potentiell gemeinwohlgefährdend ist.317 Die Beispiele, die Kleine-Cosack für sei­ nen These nennt, sind allesamt wenig überzeugend. Die Facharztentscheidung betrifft nicht die Rechtsanwälte318 und mit den Bastille-Entscheidungen319 wurde erst die Grundlage der Satzungsversammlung gelegt. Auch die letzte von Kleine-Cosack ange­ 312 Prot. 3. PräsKonf. am 21.1.1988 in Frankfurt, BRAK-Nr. 175/88 v. 29.8.1988, S. 4 f. 313 BT-Drs. 12/4993, S. 34. 314 So die Formulierung bei Krämer, BRAK-Mitt., 1988, 67, 69. Im Kern ist bei Wolf in: Gaier/ Wolf/Göcken, § 1 BRAO Rz. 17 ff. nichts anderes gemeint, wenn in Anlehnung an Christensen/Kudlich, Theorie richterlichen Begründens, 2001, S. 55 ff., die Funktion des Rechts­ anwalts für die Rechtsfindung mit der thetischen Rede begründet wird. 315 Hierzu ausführlich Wolf in: Gaier/Wolf/Göcken, § 2 BRAO Rz. 25. 316 BVerfGE 85, 337, 347; BVerfGE 81, 347, 356; BVerfGE 50, 217, 231. 317 Kleine-Cosack, § 59b Rz. 3. 318 Und ist außerdem vor den Bastille-Entscheidungen ergangen, BVerfGE 33, 125. 319 BVerfGE 76, 176.

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führte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts320 lässt sich schwerlich als Beleg für seine These heranziehen. Denn der Diskussion um § 13 BORA321 (Versäumnisur­ teil bei anwaltlicher Vertretung der Gegenseite) lassen sich keine gemeinwohlgefähr­ denden Beweggründe entnehmen.322 Deutlich schwieriger zu beurteilen ist die Diskussion um § 16a BORA. § 16a BORA wurde in der 2. Sitzung der 4. Satzungsversammlung am 14.11.2008 eingeführt323 und sollte eine berufsrechtliche Unterstützung bieten, um in bestimmten Beratungshilfe­ fällen nicht tätig werden zu müssen. Ausgangspunkt der Überlegungen der Satzungs­ versammlung war die Praxis der Gerichte, Beratungsscheine mit deutlichem Zeitver­ zug zu erstellen und gebührenrechtlich getrennt zu behandelnde Angelegenheiten in einem Beratungsschein zusammenzufassen.324 Jedenfalls haben die damaligen Vize­ präsidenten der Bundesrechtsanwaltskammer Ekkehart Schäfer und Hans-Jörg Stähle in der Diskussion sehr deutlich gemacht, dass keine berufsrechtliche Notwendigkeit an einer Regelung über die in § 49b Abs. 1 S. 2 BRAO erfassten Fälle hinaus besteht.325 Im Übrigen stellt sowohl die Prüfung der Beschlüsse durch die Satzungsversammlung nach §  191e BRAO als auch die Möglichkeit der Überprüfung des Satzungsrechts durch den BGH und das Bundesverfassungsgericht sicher, dass die Satzungsver­ sammlung die Gemeinwohlbelange nicht aus den Augen verliert. So wurde z.B. § 16a BORA teilweise vom BMJ beanstandet.326 Auch § 21 BORA,327 welcher Erfolgskom­ ponenten bei einer höheren Gebühr als nach § 49b Abs. 2 a.F. BRAO zuließ, wurde damals auch noch vom BMJ beanstandet.328 Das gleiche gilt für die Entscheidung der Satzungsversammlung in §  9 Abs.  2 BORA Sach- und Fantasiebezeichnungen im Kanzleinamen zu untersagen.329 Auch diese Entscheidung wurde vom BMJ aufgeho­ ben.330 Aufgehoben wurde vom BMJ auch der Beschluss der Satzungsversammlung zur Zweigstellenregelung in § 5 BORA, allerdings obsiegte die Bundesrechtsanwalts­ kammer in dem Anfechtungsverfahren vor dem BGH.331 In einem anwaltsgerichtli­ chen Verfahren hat der BGH § 14 BORA a.F., der die Mitwirkungspflicht des Rechts­ anwalts bei der Zustellung von Anwalt zu Anwalt regelte, für unwirksam erklärt, weil der Satzungsversammlung insoweit die Ermächtigungsgrundlage fehle.332 Die ent­ 320 BVerfG, NJW 2000, 347 ff. 321 BRAK-Mitt., 1999, 125. 322 Prot. 4. Sitzung der 1. SV am 13. bis 15.6.1996 in Berlin, v. 25.6.1996, S. 6 und Prot. 5. Sit­ zung der 1. SV am 28. bis 29.11.1996 in Berlin, v. 16.12.1996, S. 8 ff. 323 BRAK-Mitt., 2009, 64. 324 Prot. 2.  Sitzung der 4.  SV am 14.11.2008 in Berlin, BRAK-Nr.  661/2008 v. 8.12.2008, S. 31 ff. Zur Problematik Rohn in: Mayer/Kroiß, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 7. Aufl. 2018, § 16, RVG, Rz. 23. 325 Prot. 2. Sitzung der 4. SV v. 14.11.2008 in Berlin, BRAK-Nr. 661/2008 v. 8.12.2008, S. 31 ff. 326 BRAK-Mitt., 2009, 65. 327 BRAK-Mitt., 1996, 243. 328 BRAK-Mitt., 1997, 81. 329 Prot. 5. Sitzung der 2. SV v. 7.11.2002 in Berlin, v. 16.12.2002, S. 13. 330 Bescheid v. 21.2.2003 BRAK-Mitt., 2003, 68. 331 BFG, NJW 2010, 3787. 332 BRAK-Mitt., 2016, 34.

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sprechende Ermächtigungsgrundlage hat der Gesetzgeber zwischenzeitlich in § 59b Abs. 2 Nr. 8 BRAO geschaffen. In Vorgriff und in Abstimmung mit dem BMJV hat die Satzungsversammlung erneut die Mitwirkungspflicht bei der Zustellung von Anwalt zu Anwalt in § 14 BORA n.F. bereits vor dem Inkrafttreten der Änderung der BRAO beschlossen.333 Auch das Bundesverfassungsgericht hat z.B. § 3 Abs. 2 BORA a.F. in der Sozietäts­ wechsler-Entscheidung für verfassungswidrig erklärt.334 Umstritten war die Frage, ob die Satzungsversammlung selbst oder nur die Bundes­ rechtsanwaltskammer gegen einen Bescheid des BMJ klagebefugt ist. Der BGH hat die Frage dahingehend beantwortet, dass nur die BRAK aktivlegitimiert ist. Die Sat­ zungsversammlung sei ein besonderes Organ der Bundesrechtsanwaltskammer und daher nicht selbst aktivlegitimiert.335 Beantwortet war damit lediglich die Frage, wem das Handeln zuzurechnen ist. Damit waren freilich nicht die Fragen beantwortet, wer innerhalb des Binnenrechtskreises der Bundesrechtsanwaltskammer mit den Orga­ nen Präsidium, Hauptversammlung, Satzungsversammlung die Entscheidung trifft und ob ein Bescheid des BMJ auf dem Klageweg anzugreifen ist. Als die Frage, ob man gegen einen Bescheid des BMJV gerichtlich vorgehen soll, erneut zur Diskussion stand, ging die Satzungsversammlung ohne nähere Diskussion zu Recht davon aus, dass sie die Entscheidung trifft. 336 Alles andere wäre wohl eine unzulässige Beschnei­ dung der Rechtsposition der Satzungsversammlung im Innenrechtskreis der BRAK. 3. Arbeitsweise der Satzungsversammlung Die erste Satzungsversammlung hat sich zur Strukturierung der Arbeit eine Ge­ schäftsordnung verabschiedet und darin u.a. geregelt, dass die Satzungsversammlung öffentlich tagt, nicht jedoch die Ausschüsse, welche der Erarbeitung der Beschluss­ vorlagen dienen.337 Die erste Satzungsversammlung hat dabei fünf Ausschüsse einge­ setzt, nämlich (a) den Ausschuss für Fachanwaltschaft und Fortbildung; (b) den Aus­ schuss für Werbung; (c) den Ausschuss für Fremdgeld, Gebühren, Honorar; (d) den Ausschuss für Allgemeine und Besondere Berufspflichten; sowie (e) den Ausschuss für Grenzüberschreitenden Rechtsverkehr.338 Diese Einteilung wurde im Laufe der Zeit leicht verändert, so ist z.B. in der 3.  Satzungsversammlung der Ausschuss für Aus- und Fortbildung gebildet worden. Thematisch wurde bislang das Thema Ausund Fortbildung im Ausschuss für Fachanwaltschaften mitbehandelt.339 Die 5.  Sat­ zungsversammlung nahm sich des Themas Verschwiegenheitspflicht und Daten­ schutz mit einem eigenen zusätzlichen Ausschuss an.340 Darüber hinaus wurde das 333 Prot. 3. Sitzung der 6. SV am 21.11.2016 in Berlin, BRAK-Nr. 12/2017 v. 10.1.2017, S. 41. 334 BVerfGE 108, 150. 335 BGH, NJW 2010, 3787. 336 Prot. 8. Sitzung der 5. SV am 16.3.2015 in Berlin, BRAK-Nr. 162/2015 v. 20.4.2015, S. 26. 337 BRAK-Mitt., 1995, 199. 338 Prot. 1. Sitzung der 1. SV am 7. bis. 9.9.1995 in Berlin, v. 13.10.1995, S. 38. 339 Prot. 1. Sitzung der 3. SV am 19.11.2003 in Berlin, v. 10.12.2003, S. 21. 340 Prot. 1. Sitzung der 5. SV am 14.10.2011 in Berlin, BRAK-Nr. 532/2011 v. 8.11.2011, S. 13.

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Thema Mediation beim Ausschuss Aus- und Fortbildung angehängt.341 Die 6.  Sat­ zungsversammlung hat auf ihrer 4. Sitzung eine neue Geschäftsordnung beschlossen und in dieser einen Versammlungsrat geschaffen. Darüber hinaus wurde in der Ge­ schäftsordnung eine aktuelle Stunde verortet. Damit hat die Satzungsversammlung auf den Umstand reagiert, dass sich die Aufgabenstellung der Satzungsversammlung gewandelt hat. Die 6. Satzungsversammlung übernahm in ihrer 1. Sitzung die Aus­ schusseinteilung unverändert.342 Mit den Veränderungen in der Geschäftsordnung reagierte die Satzungsversamm­ lung auch auf den Umstand, dass die „großen Themen“ abgearbeitet waren und es jetzt darauf ankam, die Vorschriften der Berufsordnung und der Fachanwaltsordnung sorgfältig zu justieren, für Klarstellungen zu sorgen oder zu reparieren, so der Präsi­ dent der Bundesrechtsanwaltskammer als Versammlungsleiter auf der 1. Sitzung der 5. Satzungsversammlung.343 Aufgrund des Gesetzes zur Stärkung der Selbstverwaltung der Rechtsanwaltschaft344 wurde die 5. Satzungsversammlung verkleinert. Die Änderung ging auf eine Initiative der BRAK zurück, um die Arbeitsfähigkeit der Satzungsversammlung sicherzustellen und die Kosten zu reduzieren. 2/3 der Mitglieder der 5. Satzungsversammlung gehör­ ten Einzelkanzleien oder kleinen Kanzleien an, wie Axel Filges zu Beginn der Sitzung betonte, jedoch waren auch in ausreichender Zahl Kolleginnen und Kollegen aus mit­ telständischen Kanzleien und Großkanzleien vertreten, so Filges weiter.345 Im Wesentlichen hat sich der Versammlungsrat mit verfahrensrechtlichen Fragen be­ fasst. Im Kern hat die Satzungsversammlung auch – später unter Mitwirkung des Ver­ sammlungsrats – weitgehend der Versuchung widerstanden, die Satzungsversamm­ lung zu einem allgemeinen rechtspolitischen Forum zu verwandeln, welches sich losgelöst von der Ermächtigungskompetenz mit berufsrechtlichen Fragen befasst. So hat es die 8. Sitzung der 5. Satzungsversammlung abgelehnt, sich vor einer gesetzli­ chen Grundlage mit dem Thema der Syndikusrechtsanwälte zu befassen.346 Allerdings hat die 2.  Sitzung der 2.  Satzungsversammlung in einer Resolution den Bundesgesetzgeber aufgefordert, für eine Harmonisierung der Berufsrechte der sozi­ etätsfähigen Berufe nach §  59a Abs.  1 BRAO (insbesondere Rechtsanwälte, Wirt­ schaftsprüfer und Steuerberater) Sorge zu tragen.347 Gleichfalls sprach sich die Sat­ zungsversammlung in einer Resolution gegen die 2002348 besonders umstrittene Große ZPO-Reform aus.349

341 Prot. 1. Sitzung der 5. SV am 14.10.2011 in Berlin, BRAK-Nr. 532/2011 v. 8.11.2011, S. 15. 342 Prot. 1. Sitzung der 6. SV am 9.11.2015 in Berlin, BRAK-Nr. 643/2015 v. 18.12.2015, S. 9. 343 Prot. 1. Sitzung der 5. SV am 14.10.2011 in Berlin, BRAK-Nr. 532/2011 v. 8.11.2011, S. 7. 344 BGBl. I 2007, S. 364. 345 Prot. 1. Sitzung der 5. SV am 14.10.2011 in Berlin, BRAK-Nr. 532/2011 v. 8.11.2011, S. 4. 346 Prot. 8. Sitzung der 5. SV am 16.3.2015 in Berlin, BRAK-Nr. 162/2015 v. 20.4.2015, S. 4. 347 Prot. 2. Sitzung der 2. SV am 15. bis 16.2.2001 in Berlin, v. 13.3.2001, S. 25. 348 MüKo/ZPO ZPO-Reform, 2. Aufl., 2002. 349 Prot. 2. Sitzung der 2. SV am 15. bis 16.2.2001 in Berlin, v. 13.3.2001, S. 4.

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Die 5. Sitzung der 5. Satzungsversammlung hat eine Resolution anlässlich des NSA-­ Skandals verabschiedet, in welcher die Satzungsversammlung die Bundesregierung aufforderte, sich mit Nachdruck dafür einzusetzen, dass die Abhörpraktiken anderer Staaten in Deutschland so rasch wie möglich beendet werden.350 Gleichfalls hat die 5. Satzungsversammlung in ihrer 6. Sitzung den Gesetzgeber auf­ gefordert, der Satzungsversammlung die Zuständigkeit einzuräumen, eine allgemeine Fortbildungspflicht für alle Rechtsanwälte und nicht nur für Fachanwälte zu regeln.351 Bereits zuvor hat die 3. Satzungsversammlung in ihrer 6. Sitzung an den Gesetzge­ ber appelliert, eine Regelungskompetenz für eine allgemeine Fortbildungspflicht zu schaffen.352 Die Bundesrechtsanwaltskammer bezeichnet die Satzungsversammlung gerne als „Parlament der Anwaltschaft“.353 Vergleicht man die Arbeitsweise der Satzungsver­ sammlung mit der des Bundestags, hinkt die Satzungsversammlung in Fragen des parlamentarischen Standards noch deutlich hinterher. Für den Bundestag sind über das DIP (Dokumentations- und Informationssystem für Parlamentarische Vorgänge) die Drucksachen des Bundestags, einschließlich der Wortprotokolle, online vollstän­ dig zugänglich. Die Protokolle der Satzungsversammlung werden nicht online veröf­ fentlicht und sind nur auf Anfrage bei einem berechtigten Interesse zugänglich.354 Weiter werden – im Gegensatz zu den Gepflogenheiten der Parlamentarischen Bera­ tung – jedenfalls in ersten Satzungsversammlungen größtenteils keine schriftlichen Beschlussvorlagen erarbeitet und auch heute noch nicht öffentlich dokumentiert. In der Kommentarliteratur hat dies dazu geführt, dass versucht wird, aus den unter­ schiedlichen Stimmen in der Satzungsversammlung einen historischen Willen zu destillieren.355 Die Kommentierung zu § 7 BORA in BeckOK BORA ist nachgerade­ zu  ein Muster, wie an die Stelle einer dogmatischen Aufbereitung einer Regelung ein kleinteiliges Referieren unterschiedlicher Diskussionsstände als eine Art von Was­ serstandsmeldungen der Satzungsversammlung tritt. Zum Teil gleicht die Kommen­ tierung mehr einer (eigenen) Vergangenheitsbewältigung als einer dogmatischen Kommentierung.356 Auf eine schriftlich einheitliche Begründung kann nicht zurück­ gegriffen werden. Im Grunde benötigt die Satzungsversammlung dringend die Unter­ stützung durch einen Gesetzgebungsdienst, um jeweils eine nachvollziehbare und leicht zugängliche Begründung für die Auslegung der einzelnen Satzungsbestimmun­ gen zu schaffen. 350 Prot. 5. Sitzung der 5. SV am 6. bis 7.12.2013 in Berlin, BRAK-Nr. 35/2014 v. 14.1.2014, S. 11. 351 Prot. 6. Sitzung der 5. SV am 5.5.2014 in Berlin, BRAK-Nr. 239/2014 v. 28.5.2014, S. 33. 352 Prot. 6. Sitzung der 3. SV am 3.4.2006 in Berlin, v. 27.4.2006, S. 12 f. 353 Vgl. nur Presserklärung vom 26.11.2018, https://www.brak.de/die-brak/satzungsversam​ mlung/amtszeit-der-6-satzungsversammlung/aktuelles/. 354 Vgl. hierzu bereits die Kritik von Deckenbrock, AnwBl. 2011, 705, 708 und Ahrens, AnwBl. 2013, 2. 355 Vgl. nur Scharmer in: Hartung/Scharmer, § 7 FAO Rz. 22 ff. oder Römermann in: BeckOK BORA, § 6 BORA, Rz. 5 ff. und Römermann in: BeckOK BORA, § 7 BORA, Rz. 15 ff. 356 Typisch hierfür Hartung in: Hartung/Scharmer, BORA/FAO, § 3 BORA Rz. 1 bis 68.

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4. Leitentscheidungen der Satzungsversammlung a) Fachanwaltsordnung Einen deutlichen Schwerpunkt in der Arbeit der Satzungsversammlung bildet die Fachanwaltsordnung. Bereits zu Beginn der Tätigkeit der 1.  Satzungsversammlung hat sich Rechtsanwalt Dr. Ulrich Stobbe, Hannover für einen hohen Qualitätsstandard der Fachanwaltschaft eingesetzt. Seine Forderungen waren: „(3) a) Der Fachanwalt muß durch eine weit überdurchschnittliche Qualifikation ausgewiesen sein. b) Der Zugang zur Fachanwaltschaft muß jeder Kollegin, jedem Kollegen offenstehen. Es darf keine Zulassungsregelung geben, die in der praktischen Auswirkung zu Abschottungen oder Ausgrenzungen führen kann. c) Der Fachanwalt ist kein auf Lebenszeit erworbener Titel. Der Fachanwalt muß seine Quali­ fikation, solange er sie aufrechterhalten will, in überprüfbarer Weise in zu bestimmenden Zeit­ intervallen nachweisen. (4) Die für die Zulassungs- und Bestätigungsprüfung zu erbringenden Nachweise sind nicht in einem geschlossenen Kriterienkatalog festzuschreiben. Es ist vielmehr eine flexible Regelung zu treffen, die offen ist für die Entwicklung der den Fachanwaltschaften zuzuordnenden Rechtsgebiete und die es dem Bewerber ermöglicht, z.B. eine für ihn nicht erfüllbare Voraus­ setzung durch andere Leistung zu ersetzen (Beispiel: Praktische Erfahrung im kollektiven Ar­ beitsrecht ist für einen in einem wirtschaftsschwachen Raum tätigen Kollegen kaum nachzu­ weisen; hier muß ein anderer Leistungsnachweis ermöglicht werden).“357

Damit waren im Grunde bereits alle Fragen angesprochen, auf die die Satzungsver­ sammlung seither zum Teil unterschiedliche Antwort sucht. Zum einen ging es in der Diskussion um die Frage, welche Anforderungen an den Nachweis der theoretischen Kenntnisse zu stellen sind. Nach gegenwärtiger Rechtslage dürfen die Vorprüfungs­ ausschüsse der Kammern nur eine rein formale Prüfung nach § 6 Abs. 2 FAO vorneh­ men, eine eigene Nachprüfung der Klausuren, so der BGH, ist ihnen untersagt.358 Gleichfalls hat der BGH die Fachgespräche nach § 7 FAO als Qualitätskontrollinstru­ ment weitgehend entwertet.359 Derzeit steht es daher im Ermessen der Lehrgangsan­ bieter, wie sie die Prüfungen gestalten und bewerten. Deshalb war die Frage, ob eine stärkere Kontrolle der Lehrgangsanbieter nicht erforderlich sei, immer wieder Gegen­ stand der Satzungsversammlung. So forderte z.B. die 3. Satzungsversammlung, § 43c Abs. 2 BRAO dahingehend abzuändern, den Rechtsanwaltskammern eine inhaltliche Prüfkompetenz der theoretischen Kenntnisse einzuräumen.360 Auch auf der 5.  Sit­ zung der 4. Satzungsversammlung im Juni 2010 wurden Modelle einer zentralen Auf­ gabenstellung und Korrektur diskutiert.361 Schließlich hat die Trilogrunde (Vertreter von BRAK, DAV und aus den Mitgliedern des Ausschusses 1 der Satzungsversamm­

357 Prot. 1. Sitzung der 1. SV am 13.10.1995 in Berlin, S. 21. 358 BGH, NJW 2008, 3496. 359 Scharmer in: Hartung/Scharmer, § 7 FAO Rz. 22 ff. 360 Prot. 7. Sitzung der 3. SV am 11.6.2007 in Berlin, v. 20.6.2007, S. 13. 361 Prot. 5. Sitzung der 4. SV v. 25. bis 26.6.2010 in Berlin, v. 8.7.2010, S. 7.

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lung) einen Vorschlag für ein Zertifizierungsmodell der Fachanwaltslehrgänge entwi­ ckelt.362 Der Vorschlag fand auf der 152. Hauptversammlung aber keine Mehrheit.363 Gleichfalls mit unterschiedlichen Ergebnissen wurde die Frage diskutiert, wie viele Fachanwaltschaften es geben soll und in welchen Rechtsgebieten. Ursprünglich war bei der Schaffung neuer Fachanwaltschaften noch eine deutliche Zurückhaltung zu erkennen. Die Satzungsversammlung entwickelte ein gestuftes Modell vom Interes­ senschwerpunkt über den Tätigkeitsschwerpunkt zum Fachanwalt. Hierzu wurde in § 7 BORA eine Regelung getroffen.364 2001 suchte die Satzungsversammlung die Entscheidung über neue Fachanwaltschaf­ ten zu systematisieren. Dabei wurden folgende Kriterien beschlossen:365 (1) Ist das Fachgebiet nach seinem Aufgabenspektrum hinreichend breit, vielfältig und als eigenständiges Rechtsgebiet von anderen Rechtsgebieten, insbesondere den bestehenden Fachanwaltschaften abgrenzbar? (2) Erfasst das Fachgebiet eine hinreichend breite Nachfrage potentieller Mandanten? (3) Erfordert das Fachgebiet aufgrund des rechtlichen Schwierigkeitsgrades und we­ gen der Komplexität der Lebenssachverhalte, etwa aufgrund interdisziplinärer Bear­ beitungsnotwendigkeit oder sonstiger „Querschnittsbereiche“ für eine sachgerechte Bearbeitung und Vertretung der Mandanten den Spezialisten? (4) Dient die Anerkennung des Fachgebiets der Erhaltung oder Ausweitung anwaltli­ cher Tätigkeitsfelder im Wettbewerb mit Dritten? Ergebnis dieses Kriterienkatalogs war, dass auf derselben Satzungsversammlung eine ganze Reihe neuer Fachanwaltschaften abgelehnt worden sind.366 Gleichzeitig wurde auf dieser Satzungsversammlung auch eine Änderung von §§ 6 und 7 BORA abge­ lehnt.367 Im Nachfolgenden hat die Satzungsversammlung ihre Kriterienkataloge noch modi­ fiziert.368 Im Kern war die weitere Entwicklung weitaus weniger von den Kriterien­ katalogen bestimmt als von der Spezialistenentscheidung des Bundesverfassungs­ gerichts.369 Das Bundesverfassungsgericht hat darin festgestellt: „Dem kundigen Rechtsuchenden ist zuzutrauen, dass er die im Gesetz gewählten Begriffe − Schwer­ punkt oder Fachanwalt − nicht mit anderen, wie etwa dem Spezialistenbegriff, gleich­ 362 TB zur 152. HV am 5.5.2017 in Saarbrücken, BRAK-Nr. 200/2017 v. 4.4.2017, S. 35 ff. 363 Prot. 152. HV am 5.5.2017 in Saarbrücken, BRAK-Nr. 361/2017 v. 21.6.2017, S. 46. 364 BRAK-Mitt., 1996, 242. 365 Prot. 2. Sitzung der 2. SV am 15. bis 16.2.2001 in Berlin, v. 13.3.2001, S. 14. 366 Prot. 2. Sitzung der 2. SV am 15. bis 16.2.2001 in Berlin, v. 13.3.2001, S. 19. 367 Zur Kritik Fischedick, AnwBl. 2001, 219. 368 Prot. 7.  Sitzung der 5.  SV v. 10.  bis 11.11.2014 in Berlin, S.  21  ff. Hierzu auch Offermann-Burckart in: Kilian/Offermann-Burckart/von Stein, Praxishandbuch Anwaltsrecht, 3. Aufl., 2018, § 8 Rz. 178 ff. 369 BVerfG, NJW 2004, 2656.

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setzt.“370 Die Einschränkung, die in § 6 Abs. 2 und § 7 BORA vorgenommen wurde, nämlich auf dem Briefkopf neben den Bezeichnungen Tätigkeitsschwerpunkt und Interessenschwerpunkt nicht auch die Bezeichnung Spezialist zu führen, sei mit dem Gemeinwohl nicht zu rechtfertigen. Eine Verwechslungsgefahr mit dem Fachanwalt für Verkehrsrecht, so das Bundesverfassungsgericht, bestünde schon deshalb nicht, weil es keinen Fachanwalt für Verkehrsrecht gäbe. Man mag durchaus die Frage aufwerfen, ob aus heutiger Sicht die Differenzierung zwischen Angaben auf dem Briefkopf und Angaben in Kanzleibroschüren, in denen nach damaliger Rechtslage auch auf Spezialisierungen hingewiesen werden durfte, nicht zu engherzig war. Das Problem der Bundesverfassungsgerichtsentscheidung war aber die Amusikalität hinsichtlich der nicht näher ausgeführten und begründeten Gemeinwohlbelange. Dem Bundesverfassungsgericht gelang es nicht, eine Verbin­ dung zwischen den Werberegelungen in §§ 6 und 7 BORA und §§ 1 und 2 BRAO herzustellen. Die Frage, wie muss anwaltlicher Wettbewerb ausgestaltet sein, damit Rechtsanwälte als Organ der Rechtspflege einen streitwertunabhängigen Zugang zum Recht gewährleisten können, stellte sich das Bundesverfassungsgericht noch nicht einmal. Eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Stufenmodell der Satzungsver­ sammlung fand durch das Bundesverfassungsgericht nicht statt. Ergebnis der Spezialistenentscheidung des Bundesverfassungsgerichts war im Grun­ de ein Aufruf, weitere Fachanwaltschaften zuzulassen.371 Zwar hat man sich seitens der BRAK mit der Umfrage des Instituts für Freie Berufe „Fachanwaltschaften 2013“ und den diversen Untersuchungen des Soldan Instituts372 um eine empirische Fun­ dierung der Diskussion bemüht. All dies hat aber nicht verhindern können und wohl auch wollen, dass derzeit 23 Fachanwaltschaften bestehen und – will man nicht auf lit. aa) ausweichen – nur noch drei Buchstaben (x, y und z) in § 5 Abs. 1 FAO zur Verfü­ gung stehen, um weitere Fachanwaltschaften zu schaffen. Von Anfang an ging es bei den Fachanwaltschaften wohl nicht um einen Professionalisierungsstreit. Man wollte keine Disziplin dogmatisch formen oder dogmatisch geformte Disziplinen widerspie­ geln. Neben der Qualitätssicherung durch eine Fortbildungsverpflichtung, § 15 FAO, ging es darum, den Rechtsuchenden eine Orientierungshilfe zu geben. Aus einer Reihe von Gründen ist das System heute wohl an seine Grenzen gestoßen. Ob ein Fall ein rechtliches Problem ist, kann nur aus der Gesamtschau der Rechtsord­ nungen ermittelt werden.373 Arbeitsrechtliche Fälle können strafrechtliche, steuer­ rechtliche, öffentlich-rechtliche, sozialrechtliche etc. Implikationen haben. Wie Kilian feststellte, findet eine Umorientierung der Spezialisierung von Fachgebieten zu Ziel­ gruppen statt.374 370 BVerfG, NJW 2004, 2656, 2658. 371 Vgl. Prot. 3. Sitzung der 3. SV am 22. bis 23.11.2004 in Berlin, v. 6.12.2004, S. 5 ff. Hierzu auch Offermann-Burckart in: Kilian/Offermann-Burckart/von Stein, Praxishandbuch An­ waltsrecht, 3. Aufl., 2018, § 8 Rz. 167. 372 Hommerich/Kilian, Fachanwälte, 2011. 373 Hierzu Wolf in: Gaier/Wolf/Göcken, § 4 BRAO Rz. 38 f. 374 Kilian/Koch, Anwaltliches Berufsrecht, 2. Aufl. Rz. 189.

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Diese Entwicklung spiegelt sich in der FAO nicht wider, entspricht aber dem Grund­ verständnis der Rechtswissenschaft. Zwar ist die Rechtswissenschaft anwendungsori­ entiert auf die rechtliche Lebenspraxis.375 Jedoch unterscheidet sich die Rechtswissen­ schaft grundlegend von einer, auf einen engen Anwendungsbereich bezogenen Rechtskunde. Rechtswissenschaft sucht den Rechtsstoff zu ordnen, zu systematisie­ ren, ihm eine gewisse innere Logik zu geben. Dies erfolgt zum einen aus Gerechtig­ keitsgründen, Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln.376 In diesem Sinne ist das System die innere Konsequenz des Rechts und erfordert gerade auch in der Praxis eine Gesamtschau aus unterschiedlichen Disziplinen auf den Fall. Gleichfalls wird es insbesondere in kleinen Fachanwaltschaften deutlich schwieriger, die notwendigen Fallzahlen für den Erwerb des Titels zu bekommen, weil die meisten Fälle in diesem Rechtsgebiet zu den Fachanwälten wandern.377 Um Fachanwalt zu bleiben, muss man außer der Fortbildung aber nicht eine praktische Tätigkeit auf diesem Gebiet nachweisen. Stobbe hat 2007 eine kritische Zwischenbilanz über die Fachanwaltschaften gezo­ gen.378 Besonders kritisierte er, dass der BGH den Fachausschüssen ein Prüferermes­ sen nicht eingeräumt hat, sondern die volle gerichtliche Überprüfung der Zulassung zur Fachanwaltschaft anhand starrer Kriterien vorgeschrieben hat. Die Aufgabe, mit den Interventionen der Rechtsprechung umzugehen, war für die Satzungsversamm­ lung sicherlich nicht einfach. Die Arbeitsweise der Satzungsversammlung, im Grunde ohne veröffentlichte und konsultierte Verordnungsbegründung zu arbeiten, hat aber auch dazu geführt, dass die Regelungsanliegen wenig erklärt wurden. Auch dürfte die Kritik von Stobbe, die Fachanwaltschaft müsse primär dem Rechtsuchenden und nicht dem Rechtsanwalt dienen, nicht völlig unberechtigt sein.379 b) Die Berufsordnung für Rechtsanwälte (BORA) aa) Einleitung Vieles von dem, was unter den Bedingungen der Standesrichtlinien in den Standes­ richtlinien zu regeln war, weil die BRAO dazu schwieg, ist mit dem Gesetz zur Neu­ ordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte380 in der BRAO geregelt worden. Der Regelungsspielraum für die Berufsordnung blieb daher denkbar gering und wurde von einer engmaschigen Auslegung der Ermächtigungsgrundlage vor allem durch die Gerichte und teilweise das BMJ weiter eingeschränkt.

375 Ernst in: Engel/Schön (Hrsg.), Das Proprium der Rechtswissenschaft, 2007, S. 22. 376 Canaris, Systemdenken und Systembegriff der Jurisprudenz, 2. Aufl. 1983, S. 16. 377 Kilian/Koch, Anwaltliches Berufsrecht, 2. Aufl. Rz. 189. 378 Stobbe, AnwBl. 2007, 187, 191. 379 Stobbe, AnwBl. 2007, 187, 191. 380 BGBl. I 1994, S. 2278.

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Ausgangspunkt für die Satzungsversammlung waren unterschiedliche Entwürfe einer Berufsordnung von BRAK381 und DAV.382 Bereits zuvor wurde in dem Sonderheft der BRAK-Mitteilungen ein wesentlich ausführlicherer, deutlich an den alten Standes­ richtlinien orientierter Entwurf von Zuck veröffentlicht.383 Bereits in der 1. Sitzung der 1. Satzungsversammlung stand die Frage, in welchem Umfang die Berufsordnung die Pflichten der Rechtsanwälte regeln soll, im Mittelpunkt der Diskussion.384 Dabei standen sich zwei Positionen gegenüber: Die eine Position, explizit vertreten von Ludwig Koch, dem vormaligen Präsidenten des DAV und Vorsitzenden des DAV Berufs­ rechtsausschusses, stritt für eine möglichst schlanke, auf das Notwendige beschränkte Regelung der Berufsordnung. Die Gegenposition wurde vertreten von dem Vorsit­ zenden des Berufsrechtsausschusses der BRAK, Weigel, der die Berufsordnung als Anleitung für die Tätigkeit des Rechtsanwalts verstehen wollte. Gerade weil kaum Kenntnisse des Berufsrechts im Rahmen der Ausbildung vermittelt werden, sei es notwendig, das Berufsrecht an einem zentralen Ort, der BORA, zusammenzufas­ sen.385 In welchem Umfang der Gemeinwohlbezug in der BORA verankert werden muss, war Gegenstand einer Grundsatzdiskussion in der 2.  Sitzung der 1.  Satzungsver­ sammlung. Dabei betonte der Vorsitzende des Berufsrechtsausschusses der BRAK, Weigel, dass die Verortung des Gemeinwohlgedankens in der BORA nicht als be­ fürchtete Zuchtpeitsche missverstanden werden könne. Vielmehr müsse offensiv gel­ tend gemacht werden, dass die Durchsetzung der Freiheitsrechte des Bürgers zwangs­ läufig zugleich auch dem Gemeinwohl diene.386 So berechtigt der Hinweis von Weigel auf der einen Seite war, so verständlich waren andererseits die Befürchtungen, der Gemeinwohlbezug könne als Zuchtpeitsche missbraucht werden.387 Die konstruktive Schwäche der Bastille-Entscheidungen ist, dass diesen kein klares Leitbild anwaltli­ cher Tätigkeit zugrunde lag. Die Diskussion um die Rügeverkümmerung und das Widerspruchserfordernis im Strafprozess388 zeigt noch heute, dass die Justiz nur allzu gerne den Anwalt als jemanden sieht, der mithelfen soll, die vom Gericht als richtig erkannte Entscheidung umzusetzen, und nicht als jemanden, der dem Gemeinwohl gerade durch seine einseitige Interessenvertretung dient, um in einem dialogischen Verfahren die richtige Entscheidung zu finden. Die Formulierung, welche die Sat­ zungsversammlung in § 1 BORA schließlich gefunden hat, sollte man nicht als Pa­ thoskatalog abtun.389 Sie macht vielmehr deutlich, dass mit dem Schutz vor Konkur­ renz durch das RDG gleichzeitig die Verpflichtung einhergeht, dem Gemeinwohl auch zu dienen.390 381 BRAK-Mitt., 1995, 12 ff. 382 AnwBl. Beilage 4/1990. 383 Entwurf Zuck, BORA-E in BRAK-Mitt., Sonderheft 1988, 81 ff. 384 Prot. 1. Sitzung der 1. SV am 7. bis 9.9.1995 in Berlin, v. 13.10.1995, S. 7 ff. 385 Prot. 1. Sitzung der 1. SV am 7. bis 9.9.1995 in Berlin, v. 13.10.1995, S. 9. 386 Prot. 3. Sitzung der 1. SV am 10. bis 21.4.1996 in Köln, v. 10.5.1996, S. 18. 387 Busse, AnwBl. 1996, 272, 273. 388 Hierzu Wolf in: Gaier/Wolf/Göcken, § 1 BRAO Rz. 37 ff. 389 So aber z.B. Römermann in: BeckOK BORA, § 1 BORA 1.12.2018, Rz. 1. 390 Prot. 3. Sitzung der 1. SV am 10. bis 21.4.1996 in Köln, v. 10.5.1996, S. 20.

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bb) Zweigstellenproblematik § 5 BORA hat weniger aufgrund seiner inhaltlichen Tragweite Bedeutung erlangt, als vielmehr wegen der sich darum entwickelnden Auseinandersetzung mit dem BMJ bezüglich der Genehmigung der Satzungsänderung. Ursprünglich verpflichtet §  5 BORA den Rechtsanwalt, die für seine Berufsausübung erforderlichen sachlichen, personellen und organisatorischen Voraussetzungen in seiner Kanzlei vorzuhalten. Eine weitergehende Regelung war nicht erforderlich, weil § 28 BRAO ein grundsätz­ liches Verbot enthielt, Zweigstellen zu unterhalten. 2007 gab der Gesetzgeber das Zweigstellenverbot auf, gleichzeitig erstreckte er die Meldepflicht in § 27 Abs. 2 BRAO auch auf die Zweigstelle.391 Hintergrund der Entscheidung des Gesetzgebers war, dass mit der Aufgabe des Lokalisationsgebots ein Verbot der Zweigstelle nicht mehr erfor­ derlich war, um eine Umgehung des Lokalisationsgebots zu verhindern.392 Die Sat­ zungsversammlung nahm dies zum Anlass, die Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Ausstattung der Kanzlei auch auf die Zweigstelle zu erstrecken.393 Die Satzungsände­ rung wurde vom BMJ mit Bescheid vom 6.10.2009 aufgehoben. Der Bescheid des BMJ wurde wiederum vom BGH mit Urteil vom 19.9.2010 aufgehoben.394 § 27 BRAO, so der BGH, verpflichte den Rechtsanwalt zwar nur, eine Kanzlei einzu­ richten, richte er jedoch eine Zweigstelle ein, müsse auch diese den Anforderungen an eine Kanzlei entsprechen. Dies folgert aus §  27 BRAO, daher war die Satzungsver­ sammlung nach § 59b Abs. 2 Nr. 1 lit. g BRAO berechtigt, auch die Anforderungen an die Zweigstellen zu regeln. Mit dem Gesetz zur Umsetzung der Berufsanerkennungs­ richtlinie und zur Änderung weiterer Vorschriften im Bereich der rechtsberatenden Berufe395 wurde nunmehr die Kompetenz in der Satzungsversammlung zur Regelung der Anforderungen an eine Zweigstelle in § 59b Abs. 2 Nr. 1 lit. g BRAO ausdrücklich festgehalten. Die Satzungsversammlung hat in diesem Fall dem BMJV einen Autono­ miespielraum abgetrotzt. cc) Werberegelung Besonders umstritten war die Regelung der zulässigen und nichtzulässigen anwaltli­ chen Werbung. Nach der letzten Reform von § 6 BORA durch die Satzungsversamm­ lung396 dürfte eine weitgehende Liberalisierung des Werberechts hergestellt worden sein. Nunmehr darf auch mit Erfolgs- und Umsatzzahlen geworben werden, wenn dies nicht irreführend ist. Die Liberalisierung auf diesem Gebiet steht in einem ge­ wissen Gegensatz zur zweiten Bastille-Entscheidung. Wörtlich heißt es in der Ent­ scheidung: „Auch kann die Abgrenzung von gewerblicher Tätigkeit durch das Verbot standeswidriger Werbung geeignet sein, einer rein geschäftsmäßigen Einstellung ent­ 391 BGBl. I 2007, S. 358. 392 BT-Drs. 16/513, S. 15. 393 Prot. 3. Sitzung der 4. SV am 15.6.2009 in Berlin, S. 56. 394 BGH, NJW 2010, 3787. 395 BGBl. I 2017, S. 1121. 396 Prot. 7. Sitzung der 5. SV am 10. bis 11.11.2014 in Berlin, BRAK-Nr. 538/2014 v. 15.12.2014, S. 42.

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gegenzuwirken und das Vertrauen der Rechtsuchenden darin zu stärken, daß Anwäl­ te nicht aus Gewinnstreben zu Prozessen raten oder die Sachbehandlung an Gebüh­ reninteressen ausrichten.“397 Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner zweiten Bastille-Entscheidung noch deutlich den Sinn und Zweck des Werbeverbots und des­ sen Verbindungslinie mit § 1 und § 2 BRAO herausgearbeitet. Allerdings ist dieser Bezug in der weiteren Entwicklung des Werbeverbots zunehmend in den Hinter­ grund getreten, obwohl § 43b BRAO nicht geändert wurde. Zwar kann heute die Ein­ schränkung des Werbeverbots nicht mehr mit der im 19. Jahrhundert verwendeten Begründung gerechtfertigt werden, die Justiz müsse vor unnötigen Prozessen ge­ schützt werden.398 Damit ist aber noch nichts darüber ausgesagt, wie ein Werberecht der Anwaltschaft ausgestattet sein müsste, um der Rechtsstellung des Anwalts als Organ der Rechtspflege gerecht zu werden. Am deutlichsten lassen sich die Problematik und der Wandel der Auffassung der Sat­ zungsversammlung anhand des Verbots, mit Umsatzzahlen zu werben, veranschauli­ chen. Das Verbot, mit Umsatz- und Erfolgszahlen zu werben, war in der 1. Satzungs­ versammlung noch unstrittig und wurde mit breiter Mehrheit angenommen.399 Man befürchtete, eine Werbung mit Umsatz- und Erfolgszahlen würde den Beruf dem Ge­ werbe weiter annähern.400 Aufgrund der Spezialistenentscheidung des Bundesverfas­ sungsgerichts401 sah sich die Satzungsversammlung gezwungen, § 6 Abs. 2 BORA in der Fassung vom 29.11.1996 zu streichen. Da durch das Medium (Briefbogen oder Kanzleibroschüre) die Grenzen der Außendarstellung insbesondere im Hinblick auf die Angaben Tätigkeits- und Interessenschwerpunkte des Rechtsanwalts kein Kriteri­ um mehr sein konnte, musste das, was in Praxisbroschüren nach § 6 Abs. 2 BORA a.F. erlaubt war, nun in jedem Medium erlaubt sein.402 Unstreitig hielt man aber an der Regelung fest, dass mit Umsatz- und Erfolgszahlen nicht geworben werden sollte. 2009 fügte man einen neuen Satz 2 in § 6 Abs. 2 BORA ein, wonach mit Mandaten geworben werden darf, wenn der Mandant damit einverstanden ist.403 Die Diskussion drehte sich in der Satzungsversammlung um die Frage, wie sich das Mandatsgeheim­ nis zu der Werbung mit dem Mandat verhält, die Rückwirkungen auf den Anwalts­ markt wurden in der Diskussion nicht in den Blick genommen. Schließlich wurde im November 2014 der Satz: „Die Angabe von Erfolgs- und Umsatzzahlen ist unzulässig.“ geändert in: „Die Angabe von Erfolgs- und Umsatzzahlen ist unzulässig, wenn sie irreführend ist.“404

397 BVerfGE 76, 196, 208. 398 Römermann in: BeckOK BORA § 6 Rz. 185 und Ahrens, ZZP 115 (2002), S. 281, 310. 399 Prot. 2. Sitzung der 1. SV am 1. bis 3.2.1996 in Bonn, v. 14.3.1996, S. 34. 400 Prot. 1. Sitzung der 1. SV am 7. bis 9.9.1995 in Berlin, v. 13.10.1995, S. 34. 401 BVerfG, NJW 2004, 2656 ff. 402 Prot. 4. Sitzung der 3. SV am 21.2.2005 in Berlin, BRAK-Nr. 115/2005 v. 7.3.2005, S. 28. 403 Prot. 4. Sitzung der 4. SV am 6. bis 7.11.2009 in Berlin, v. 25.11.2009, S. 40. 404 BRAK-Mitt., 2015, 83.

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Der Satzungsversammlung war die Problematik des Beschlusses durchaus noch be­ wusst.405 So wies der Präsident der Rechtsanwaltskammer Brandenburg, Dr. Engelmann, darauf hin, dass „viele kleinere Kanzleien i.d.R. nach RVG abrechnen würden und deshalb nicht mit hohen Umsatzzahlen „angeben“ könnten.“406 Damit war die zen­ trale Verbindung zwischen Werbebeschränkung und der Funktion des Rechtsanwalts als Organ der Rechtspflege angesprochen. Wer auf die Veröffentlichungen der Um­ satzzahlen, die regelmäßig in Heft 10 von JUVE für die Großkanzleien erfolgt, hin­ weist, will mit großen Umsätzen und nicht mit bescheidenen Umsätzen werben. Quersubventionierung nach RVG- und PKH-Mandaten passt in ein solches Schema nicht. Machen Werbebeschränkungen einen Sinn, dann nur, wenn Sie Anwälte dazu ermuntern können, sich der Aufgabe als Organ der Rechtspflege zu stellen und den streitwertunabhängigen Zugang zum Recht sicherzustellen. Mit dem Schielen nach möglichst großen Umsätzen lässt sich gerade dies nicht erreichen. Die Argumentation von Prütting, auf welche sich die Satzungsversammlung bezogen hat, vermag kaum zu überzeugen. Prütting hielt die alte Fassung von § 6 Abs. 2 S. 1 BORA für verfassungs­ widrig, weil § 325 HGB den Anwaltskapitalgesellschaften (GmbH und AG) eine Pub­ lizitätspflicht vorschreibe und daher gegen höherrangiges Recht verstoßen würde.407 Zunächst konkretisiere § 6 Abs. 2 BORA nur das allgemeine Werbeverbot nach § 43b BRAO. Wenn aber § 6 Abs. 2 BORA lediglich das allgemeine Werbeverbot konkreti­ siere, läge nicht ein Normverstoß von § 6 BORA gegen das höherrangige Recht des § 325 HGB vor, sondern eine Normkollision zwischen § 43b BRAO und § 325 HGB, welche es aufzulösen gegolten hätte. Indes dürfte noch nicht einmal eine Normkollisi­ on zwischen § 325 HGB und § 43b BRAO vorliegen. Die Informationen müssen im ­Unternehmensregister bekannt gemacht werden. Dort ist eine Anmeldung für die Einsicht der Bilanzen erforderlich. Zwischen der zu Werbezwecken erfolgten Veröf­ fentlichung von Umsatzzahlen à la JUVE und den erst mühsam aus dem Unterneh­ mensregister sich zu erschließenden Bilanzzahlen dürfte ein kategorialer Unterschied bestehen. Nun wäre es sicherlich eine Illusion anzunehmen, ohne Änderung von §  6 Abs.  2 BORA hätte sich der Anwaltsmarkt anders entwickelt. Insbesondere hätten die „Law Firms“ den Weg zum Finanzkapitalismus,408 der beruflichen Erfolg nur noch an der Ertragssteigerung misst und der weitgehend amusikalisch gegenüber nicht-ökonomi­ schen Zwecken ist, nicht bestritten, zumal diese Kanzleien diesen Finanzkapitalismus bei ihren Mandanten zu implementieren halfen und für ihre Mandanten mitentwi­ ckelt haben. Auch ist der Hinweis, der in der Satzungsversammlung gegeben wurde, richtig, dass eine Verletzung von § 6 Abs. 2 BORA a.F. von den Kammern wohl nie

405 Prot. 7. Sitzung der 5. SV am 10. bis 11.11.2014 in Berlin, BRAK-Nr. 538/2014 v. 15.12.2014, S. 38 ff. 406 Prot. 7. Sitzung der 5. SV am 10. bis 11.11.2014 in Berlin, BRAK-Nr. 538/2014 v. 15.12.2014, S. 39. 407 Prütting in: Henssler/Prütting, § 6 BORA, Rz. 7 ff. und ihm folgend von Lewinski in: Har­ tung/Scharmer, BORA/FAO, § 6 BORA, Rz. 191. 408 Kocka, Geschichte des Kapitalismus, 3. Aufl., 2017, S. 92 ff.

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verfolgt würde.409 Sicherlich wäre es für die Satzungsversammlung höchst problema­ tisch gewesen, gegen die nahezu gesamte Kommentarliteratur anders zu entscheiden. 410 Die Satzungsversammlung kann für sich jedenfalls in Anspruch nehmen, den Zu­ sammenhang zwischen Werbebeschränkung und dem streitwertunabhängigen Zu­ gang zum Recht gesehen zu haben, was die Kommentarliteratur nicht für sich in An­ spruch nehmen kann. dd) Verbot der widerstreitenden Interessen Probleme bereitet in der Satzungsversammlung auch die Frage der Vertretung wider­ streitender Interessen. Im Grundsatz ist die Vertretung widerstreitender Interessen bereits in § 43a Abs. 4 BRAO geregelt. Allerdings stellt § 43a Abs. 4 BRAO nur auf den Einzelanwalt ab. Eine Erstreckung des Verbots der Vertretung widerstreitender Inte­ ressen auf eine Sozietät oder Bürogemeinschaft mit anderen Rechtsanwälten oder so­ zietätsfähigen Berufen, wie dies für das Tätigkeitsverbot in § 45 Abs. 3 BRAO ange­ ordnet ist, fehlt bei § 43a Abs. 4 BRAO. Für die Satzungsversammlung haben sich von Anfang an zwei Fragen gestellt, nämlich zum einen, ob das Tätigkeitsverbot, welches nach § 43a Abs. 4 BRAO in der Person des jeweiligen Rechtsanwalts begründet ist, auch auf seine Partner, angestellten Rechtsanwälte und Mitglieder der Bürogemein­ schaft erstreckt werden kann. Zum anderen warf bereits die Satzungsversammlung die Frage auf, ob die Erstreckung des Tätigkeitsverbots auch aufrechterhalten werden soll, wenn ein Sozietätswechsel eintritt. Hier hat man insbesondere die Belastung für jüngere Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen gesehen.411 Im Ergebnis hat sich in der 1.  Satzungsversammlung zunächst die Auffassung durchgesetzt, die an dem Tätig­ keitsverbot auch bei jeder Konstellation des Kanzleiwechsels festhalten wollte.412 Noch die 1. Satzungsversammlung fügte in ihrer 7. Sitzung eine Regelung zugunsten von Kanzleiwechslern ein, die keine Partner/-innen waren. In § 3 BORA wurde ein neuer Absatz 3 eingefügt:413 „Die Verbote der Absätze 1 und 2 gelten nicht, wenn eine Verbindung zur gemeinsamen Be­ rufsausübung beendet ist und der Rechtsanwalt während der Zeit gemeinsamer Berufsaus­ übung weder Sozius war noch wie ein solcher nach außen hervorgetreten ist und auch selbst mit der Rechtssache nicht befaßt war.“

409 Prot. 7. Sitzung der 5. SV am 10. bis 11.11.2014 in Berlin, BRAK-Nr. 538/2015 v. 15.12.2014, S. 40 f. und Huff in: Gaier/Wolf/Göcken, 2. Aufl., § 6 BORA Rz. 9. 410 Huff in: Gaier/Wolf/Göcken, 2. Aufl., § 6 BORA Rz. 8 f.; Kleine-Cosack, BRAO, 5. Aufl., 2008, § 6 BORA Rz. 2; Prütting in: Henssler/Prütting, § 6 BORA, Rz. 7; nur leicht differen­ zierend Böhnlein in: Feuerich/Weyland, Bundesrechtsanwaltsordnung: BRAO, 8.  Aufl. 2012, § 6 BORA Rz. 36; von Lewinski in: Hartung/Scharmer BORA/FAO, 5. Aufl., 2012, § 6 BORA, Rz. 191. 411 Prot. 3. Sitzung der 1. SV am 20. bis 21.4.1996 in Köln, v. 10.5.1996, S. 23. 412 Zur ursprünglichen Formulierung von § 3 BORA, BRAK-Mitt., 1996, 242; Prot. 5. Sitzung der 1. SV am 28. bis 29.11.1996 in Berlin, v. 16.12.1996, S. 7 und S. 17. 413 Prot. 7. Sitzung der 1. SV am 21. bis 22.3.1999 in Köln, v. 24.8.1999, S. 17.

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Primär wurde die ursprüngliche Fassung von §  3 BORA Gegenstand einer Verfas­ sungsbeschwerde (Sozietätswechsler-Entscheidung).414 Ein Rechtsanwalt, der auf dem Briefkopf seiner alten Kanzlei geführt wurde, wechselte zu seiner neuen Kanzlei, die ihn ebenfalls auf dem Briefkopf führte. Die zuständige Rechtsanwaltskammer emp­ fahl der neuen Kanzlei, alle Mandate niederzulegen, bei denen die frühere Kanzlei auf der Gegenseite stehe. Dies müsse auch gelten, wenn der wechselnde Rechtsanwalt die  Mandate persönlich weder in der einen noch in der anderen Kanzlei bearbei­ tet habe.415 Der BGH teilte den Standpunkt der Rechtsanwaltskammer. Im Rahmen der hiergegen gerichteten Verfassungsbeschwerde nahm die Bundesrechtsanwalts­ kammer durch ihren damaligen Präsidenten Dombek Stellung.416 Der Verfassungs­ rechtsausschuss hat sich zuvor nicht einstimmig auf eine Stellungnahme verständigen können, die Mehrheit des Ausschusses sah aber – wie später das Bundesverfassungs­ gericht – in der Entscheidung des BGH eine Verletzung von Art. 12 GG.417 Im Ergeb­ nis hat sich auf der Hauptversammlung jedoch die von dem Schriftführer der Kam­ mer Düsseldorf, Hans Wilhelm Pannen, vorgetragene Auffassung durchgesetzt, welche eine Verletzung von Art. 12 GG ablehnte.418 Zentrales Argument war dabei das Haf­ tungsinteresse: „In der neuen Sozietät geht sein Haftungsinteresse dahin, dass seine neuen Sozien diesen Fehler der alten Sozietät zum Vorteil des jetzigen Mandanten ausnutzen; sein Haftungsinteresse bezüglich der alten Sozietät geht dahin, dass der Fehler unentdeckt bleibt und keine Konsequenzen hat.“419 Das Bundesverfassungsgericht420 folgte weder dieser Argumentation noch genügte ihm die 1999 vorgenommene Einschränkung in § 3 Abs. 3 BORA.421 Das Bundesver­ fassungsgericht hat sich dabei auch nicht damit begnügt, §  3 Abs.  2 BORA in der Fassung vom November 1996 zu beurteilen, welche der Entscheidung der Rechtsan­ waltskammer zugrunde lag. Vielmehr beanstandete das Bundesverfassungsgericht gleichzeitig § 3 Abs. 3 BORA in der Fassung von 1999. Dies ist durchaus mit einem Fragezeichen zu versehen. Denn von der 1999er Regelung war nicht betroffen, wer die Sache nicht persönlich bearbeitet hat und kein Sozius war. M.a.W. die Sozietätserstre­ ckung wurde für denjenigen aufgehoben, der angestellter Rechtsanwalt war, die Sache persönlich nicht bearbeitete und wechselte. Zugleich legte das Bundesverfassungsge­ richt die jetzige Lösung nahe. Wörtlich heißt es in der Entscheidung:422 414 BVerfG, NJW 2003, 2520. 415 BGH, NJW 2001, 1572. 416 Schreiben des Präsidenten Dombek an den Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts v. 23.1.2002, SV-Materialien 3/2002. 417 Vgl. den Bericht des Vorsitzenden des Verfassungsrechtsausschusses der BRAK, Kirchberg, auf der 90.  HV in München: Prot. 90.  HV am 26.10.2001 in München, BRAKNr. 384/2001 v. 7.11.2001, S. 56.  418 Prot. 90. HV am 26.10.2001 in München, BRAK-Nr. 384/2001 v. 7.11.2001, S. 57 ff. und Anlage 3 zum Protokoll. 419 Pannen, Anlage 3 zum Prot. 90. HV am 26.10.2001 in München, BRAK-Nr. 384/2001 v. 7.11.2001, S. 7. 420 BVerfG, NJW 2003, 2520. 421 Prot. 7. Sitzung der 1. SV am 21. bis 22.3.1999 in Köln, v. 24.8.1999, S. 17. 422 BVerfG, NJW 2003, 2522.

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Die jüngere Geschichte der Bundesrechtsanwaltskammer „Im Interesse der Rechtspflege sowie eindeutiger und geradliniger Rechtsbesorgung verlangt § 43a Abs. 4 BRAO lediglich, dass im konkreten Fall die Vertretung widerstreitender Interessen vermieden wird. Soweit die vom Kanzleiwechsel unterrichteten und beiderseits betroffenen Mandanten einen solchen Widerstreit nicht befürchten und Vertrauen in die getroffenen Vor­ kehrungen sowie die Verschwiegenheit ihrer Anwälte zeigen, besteht im Interesse der Rechts­ pflege nur Anlass zum Eingreifen, wenn hierfür sonstige Indizien sprechen, die den Mandan­ ten verborgen geblieben oder von ihnen unzutreffend eingeschätzt worden sind.“

Um diese Überlegungen umzusetzen, überlegte die Satzungsversammlung zunächst, zwischen Sozietätserstreckung und Kanzleiwechslerproblematik zu trennen.423 Der überaus komplexe Regelungsentwurf für den Sozietätswechselfall424 wurde in der Sat­ zungsversammlung nach mehrmaligem Vertagen erst in der 5.  Sitzung der 3.  Sat­ zungsversammlung überwunden. Grundsätzlich wurde an der Erstreckung des Inte­ ressenkonflikts auf Mitglieder der Sozietät festgehalten. Dies gilt auch im Fall des Kanzleiwechsels. Jedoch greift das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen nicht, wenn sich der Mandant damit einverstanden erklärt – insoweit folgte die Sat­ zungsversammlung der Linie des Bundesverfassungsgerichts  – und Belange der Rechtspflege nicht entgegenstehen.425 Wie bei der Spezialistenentscheidung kam auch bei der Kanzleiwechslerentscheidung der Satzungsversammlung die Aufgabe zu, die Entscheidungen des Bundesverfas­ sungsgerichts einzuhegen. Entgegen vielfachen Stimmen in der Literatur, die für eine weitergehende Deregulierung stritten, versuchte die Satzungsversammlung in beiden Fällen den anwaltlichen Grundwerten gerecht zu werden. ee) Non-Legal Outsourcing Musste die Satzungsversammlung in den beiden Beispielen auf eine Entwicklung re­ agieren, betrifft das dritte Beispiel einen Fall, in dem die Satzungsversammlung pro­ aktiv eine Lösung suchte. In zunehmendem Umfang schalten Anwaltskanzleien ­externe Dienstleister in die Mandatsbearbeitung ein und betrauen sie mit unter­ schiedlichen Aufgaben. Hierunter können u.a. die externe Wartung der IT-Anlage oder Cloud-Dienste fallen. Bereits auf der 2. Sitzung der 5. Satzungsversammlung hat der Ausschuss 6 (Verschwiegenheitspflicht und Datenschutz) über erste Überlegun­ gen berichtet, sich des Themas Non-Legal Outsourcing anzunehmen.426 Auf der 3. Sitzung der 5. Satzungsversammlung informierte man sich ausführlich über die mit dem Non-Legal Outsourcing verbundenen Fragestellungen,427 um dann in der 4. Sit­ zung den Ausschuss mit der Erarbeitung eines konkreten Normvorschlags zur Rege­ lung des Non-Legal Outsourcings zu beauftragen.428 Der Ausschuss hat eine ausführ­ 423 Prot. 2. Sitzung der 3. SV am 26.4.2004 in München, v. 11.5.2004, S. 16 ff. 424 Vgl. den Nachweis bei Hartung in Hartung/Scharmer, BORA/FAO § 3 BORA Rz. 27 ff. 425 Prot. 5. Sitzung der 3. SV am 7.11.2005 in Berlin, v. 8.12.2005, S. 15. 426 Prot. 2. Sitzung der 5. SV am 14.5.2012 in Berlin, BRAK-Nr. 250/2012 v. 31.5.2012, S. 21 ff. 427 Prot. 3.  Sitzung der 5.  SV am 13.11.2012 in Berlin, BRAK-Nr.  487/2012 v. 29.11.2012, S. 25 ff. 428 Prot. 4. Sitzung der 5. SV am 15.4.2013 in Berlin, BRAK-Nr. 199/2013 v. 15.5.2013, S. 33.

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liche Beschlussvorlage mit einer detaillierten Regelung erarbeitet.429 Die Vorlage wurde auf der 6. Sitzung der 5. Satzungsversammlung ausführlich diskutiert430 und schließlich auf der 7.  Sitzung der 5.  Satzungsversammlung verabschiedet.431 In der Ursprungsfassung von 1996 lautete § 2 Abs. 4 BORA: „Der Rechtsanwalt hat seine Mitarbeiter und alle sonstigen Personen, die bei seiner beruflichen Tätigkeit mitwir­ ken, zur Verschwiegenheit (§ 43a Abs. 2 Bundesrechtsanwaltsordnung) ausdrücklich zu verpflichten und anzuhalten.“432 Die entscheidende Bestimmung war § 2 Abs. 3 lit. c BORA: Demnach war ein Verstoß gegen die Verschwiegenheitspflicht nach § 43a Abs. 2 BRAO nicht gegeben, wenn die Einbeziehung Dritter in die Arbeitsabläufe der Kanzlei „objektiv einer üblichen, von der Allgemeinheit gebilligten Verhaltensweise im sozialen Leben entspricht (Sozialadäquanz)“.433 Unklar war, ob hierdurch nicht die Satzungskompetenz der Satzungsversammlung überschritten worden ist. In seinem ersten Bescheid vom 4.3.2015 hat das BMJV die Auffassung vertreten, dass durch die Satzung kein Rechtfertigungsgrund im Sinne von § 203 StGB geschaffen werden könne, insbesondere kenne § 203 StGB ein sozial­ adäquates Verhalten auch nicht als Rechtfertigungsgrund.434 Unmittelbar nach dem Bescheid des BMJV konnte sich die Satzungsversammlung mit dem Bescheid ausein­ andersetzen.435 Hier wurde noch einmal deutlich gemacht, dass man mit der Formu­ lierung der Sozialadäquanz nicht §  203 StGB normativ einschränken, sondern auf den in der strafrechtlichen Literatur anerkannten Begriff der Sozialadäquanz zurück­ greifen wollte, der entweder zum Tatbestandsausschluss führt oder einen Rechtferti­ gungsgrund darstellt.436 Sie Satzungsversammlung hat beschlossen, das Ministerium aufgrund der noch einmal übersandten Beschlussvorlage zu bitten, seine Entschei­ dung zu überdenken.437 Mit Bescheid vom 31.3.2015 gab das Ministerium seinen ur­ sprünglichen Bescheid auf und genehmigte die Satzungsänderung mit der Maßgabe, dass die Regelung in § 2 BORA keine Befugnisnorm im Sinne des § 203 StGB schaf­ fe.438 Gleichzeitig kündigte das Ministerium an, Gespräche über eine Neureglung des Geheimnisschutzes zu führen. Im Ergebnis mündete die Initiative der Satzungsversammlung in das Gesetz zur Neu­ regelung des Schutzes von Geheimnissen bei der Mitwirkung Dritter an der Berufs­

429 www.brak.de/w/files/01_ueber_die_brak/5sv/beschlussvorlage-as-6-zu-c-2-bora.pdf. 430 Prot. 6. Sitzung der 5. SV am 5.5.2014 in Berlin, BRAK-Nr. 239/2014 v. 28.5.2014, S. 33 ff. 431 Prot. 7. Sitzung der 5. SV am 10. bis 11.11.2014 in Berlin, BRAK-Nr. 538/2014 v. 15.12.2014, S. 12. 432 BRAK-Mitt. 1996 Beiheft, S. 2. 433 www.brak.de/w/files/01_ueber_die_brak/5sv/141117-beschluesse-7-sitzung-5-sv_fuer-­ internet-1.pdf. 434 www.brak.de/w/files/01_ueber_die_brak/5sv/bescheid-des-bundesministerium-fuerjustiz-­und-verbraucherschutz-vom-4.3.2015.pdf. 435 Prot. 8. Sitzung der 5. SV am 16.3.2015 in Berlin, BRAK-Nr. 162/2015 v. 20.4.2015, S. 22 ff. 436 Hierzu allgemein Roxin, Strafrecht AT I, 4. Aufl., 2006, § 10 Rz. 33 ff. 437 Prot. 8. Sitzung der 5. SV am 16.3.2015 in Berlin, BRAK-Nr. 162/2015 v. 20.4.2015, S. 26. 438 www.brak.de/w/files/01_ueber_die_brak/5sv/bescheid-des-bundesministerium-derjustiz-­und-fuer-verbraucherschutz-vom-31.03.2015.pdf.

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ausübung schweigepflichtiger Personen vom Oktober 2017.439 Im Nachgang zu der Gesetzesnovellierung wurde §  2 BORA von der Satzungsversammlung an die jetzt durch § 43e BRAO und § 203 StGB geschaffene Gesetzeslage angepasst.440 5. Die Satzungsversammlung ein Erfolg?! Die Satzungsversammlung ist in vielerlei Hinsicht ein voller Erfolg. Die Satzungsver­ sammlung musste  – insoweit ohne Vorbild in der anwaltlichen Selbstverwaltung  – einen eigenen Arbeitsstil entwickeln. Ohne Zweifel ist ihr das gelungen. Insbesondere hat es sich wohl als glücklich erwiesen, dass die Mitglieder der Satzungsversammlung nicht mehr verband als ihre Tätigkeit als Rechtsanwalt, wie Zuck es am Anfang der ersten Satzungsversammlung schrieb.441 Eine Lagerbildung hat sich bislang nicht er­ kennen lassen. Der berufliche Alltag der Rechtsanwälte und Rechtanwältinnen ist wohl auch zu vielfältig und individualistisch, als dass er sich leicht zu Lagerbildung eignen dürfte. Auch wird die Wahl zur Satzungsversammlung nicht bundesweit, son­ dern nach Kammerbezirken durchgeführt. Dieser Umstand sorgt mit dafür, dass die Satzungsversammlung die Rechtsanwaltschaft in ihrer Breite abbildet.442 Die Wahlbe­ teiligung lag bei der letzten Wahl der Satzungsversammlung zwar nur bei 27 %, bei der Bewertung der Zahl muss man aber wohl die weit verbreitete Agnostik des an­ waltlichen Berufsrechts unter Rechtsanwälten in Rechnung stellen.443 Innerhalb der Satzungsversammlung hat bei der 6. Satzungsversammlung ein Generationswechsel begonnen: 43 von den 95 stimmberechtigten Mitgliedern wurden in die 6. Satzungs­ versammlung neu gewählt. Bemerkenswert ist nicht nur, dass der Frauenanteil mit 38 % höher ist als der prozentuale Anteil der Rechtsanwältinnen insgesamt, sondern auch der Anteil der Syndikusrechtsanwälte überdurchschnittlich ist. 18 Syndikus­ rechtsanwälte gehören der Satzungsversammlung an, was einem Stimmanteil von 19 % entspricht. Nimmt man als Basis alle vom Bundesverband der Unternehmensju­ risten (BUJ) unterstützten Kandidaten, liegt der Stimmanteil bei 22 %. Demgegen­ über beträgt der prozentuale Anteil der Syndikusrechtsanwälte an allen Anwälten gerade einmal 10,1 %. Die 6. Satzungsversammlung hat die Frage der Syndikusrechts­ anwälte zwar intensiv diskutiert, jedoch bislang keine Modifikationen der BORA ­beschlossen. Die Organisation der Syndikusrechtsanwälte über den BUJ als Pressure­ group zeigt Wirkung, wenn auch noch nicht in der täglichen Arbeit der Satzungsver­ sammlung, wohl aber im Wahlverhalten. Wie schon in der 5. Satzungsversammlung sind auch in der 6. Satzungsversammlung sieben Mitglieder mit Großkanzleihintergrund vertreten.444 In welcher Beziehung 439 BGBl. I 2017, S. 3617. Hierzu auch die Stellungnahme der BRAK Nr. 18/2017, März 2017. 440 www.brak.de/w/files/01_ueber_die_brak/6-sv/180530-beschluesse-6.-sitzung-6.-sv_inter​ net_mit-genehmigung-bmjv.pdf. 441 Zuck, NJW 1996, 3189. 442 Zur Zusammensetzung der Satzungsversammlung, Aranowski, AnwBl. 2015, 762; ders., AnwBl. 2011, 736 ff.; ders., AnwBl. 2007, 755 ff. Die nachfolgende Darstellung beruht auf der Auswertung von Aranowski, AnwBl. 2015, 782 ff. 443 von Wedel, BRAK-Mitt., 2015, 210, 215. 444 Aranowski, AnwBl. 2011, 736, 738.

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dies misslich ist, ist allerdings durchaus eine noch zu klärende Frage. Man kann be­ klagen, dass damit der Querschnitt der Anwaltschaft nicht repräsentiert ist.445 Man kann aber auch die Frage aufwerfen, ob die betriebswirtschaftliche Steuerungsstruk­ tur der Großkanzleien446 es genauso wenig zulässt, PKH-Mandate zu führen und sich an der Quersubventionierung zu beteiligen, wie an der Satzungsversammlung mitzu­ wirken. Die Mitglieder der Satzungsversammlung erhalten nach der Entschädigungs­ satzung ihrer regionalen Kammern für die Teilnahme an der Satzungsversammlung pro Tag eine Entschädigung, die an Zif. 7005 Anlage 1 des RVG orientiert ist (75 Euro pro Tag). Die Kammer Düsseldorf liegt mit 200 Euro pro Sitzungstag sicherlich schon am oberen Rand. Dies sind dem Managing Partner in London oder New York schwie­ rig zu vermittelnde Zahlen. Das ehrenamtliche Engagement der Anwaltschaft in der Satzungsversammlung ist insgesamt aber in hohem Umfang beachtlich. Die Satzungsversammlung tagt zwei­ mal im Jahr im Plenum. Die Aufwandsentschädigung gleicht nicht nur bei Großkanz­ leien den Einkommensverlust nicht aus. Damit stellen die Mitglieder der Satzungs­ versammlung wie die Kammervorstände und Richter der Anwaltsgerichtsbarkeit eindrucksvoll unter Beweis, dass sie das Ideal eines freien Berufs, § 2 Abs. 1 BRAO, auch leben, dass es ihnen in erster Linie um die Sache, um die Verwirklichung des Rechts geht. Inhaltlich ist die Satzungsversammlung ein Kind ihrer Zeit gewesen. Man hatte ein Gespür für den Rechtsstaatsbezug der anwaltlichen Tätigkeit. Allerdings wird es im­ mer schwieriger, die Einsicht zu vermitteln, dass mit der Chiffre des „Freien Berufs“ das Paradoxon – einerseits der Gemeinwohlverpflichtung der anwaltlichen Tätigkeit und andererseits nicht der staatlichen Kontrolle und Bevormundung zu unterliegen, also nicht Teil des Staates zu sein – aufgelöst werden soll. Um nur ein Beispiel zu nen­ nen: Völlig zu Recht pochte die Satzungsversammlung unter ihrem Vorsitzenden Filges auf ihre Regelungsautonomie, als das BMJ den Beschluss der 4. Satzungsversamm­ lung zu § 5 BORA beanstandete. Es ist süffig zu schreiben: „Filges will es wissen“, und zu behaupten, der Satzungsversammlung ging es um Macht, als sie gegen die Ent­ scheidung des BMJ vorging.447 Man wähnt das BMJ auf der Seite der Freiheit und die Satzungsversammlung auf der Seite derer, die sich an so viel Freiheit stören. Dabei verkennt man, dass die Satzungsversammlung damit die Regelungsautonomie der Rechtsanwälte verteidigte, also die Freiheit der Anwaltschaft, ihre Angelegenheiten in einem kleinen Bereich noch selbst regulieren zu können. Ganz am Anfang des Wegs in die Satzungsversammlung stand die Erkenntnis von Krämer, dass man die anwaltliche Tätigkeit nicht nur über Art. 12 GG erfassen kann, sondern auch über die Funktion der Rechtsprechung erklären muss.448 Nicht die durch Art. 12 GG geschützte Berufsfreiheit des Rechtsanwalts vermag das anwaltliche

445 So Deckenbrock, AnwBl. 2011, 705, 706 f. 446 Hierzu Wolf in: Gaier/Wolf/Göcken, § 2 BRAO, Rz. 46. 447 Lührig, AnwBl. 2009, 831. 448 Krämer, BRAK-Mitt., Sonderheft 1988, 67, 69.

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Berufsrechts zu konturieren, sondern auch das Justizgrundrecht der Bürger.449 Diesen Blick sich zu erhalten ist für die Satzungsversammlung nicht einfach, zumal die Ge­ richte gerne – mit Unterstützung der Literatur – das anwaltliche Berufsrecht vor allem aus Art. 12 GG erklären. Einen ganz wesentlichen Anteil an dem Erfolg der Satzungsversammlung haben die jeweiligen Vorsitzenden der Satzungsversammlung, die jeweiligen Präsidenten der BRAK Eberhard Haas (1.  Satzungsversammlung bis September 1999), Bernhard Dombek (2. und 3. Satzungsversammlung von Ende 1999 bis Ende Mitte 2007), Axel Filges (4. und 5 Satzungsversammlung von Mitte 2007 bis Mitte 2015), Ekkehart Schäfer (6. Satzungsversammlung von Mitte 2015 bis September 2018) und Ulrich Wessels (6. Satzungsversammlung seit September 2018). Sie alle haben dafür gesorgt, dass sich die Satzungsversammlung als Parlament der gesamten Anwaltschaft verstehen konnte und nicht lediglich als verlängerter Arm des Präsidiums der BRAK oder der Haupt­ versammlung. Sie haben diese Eigenständigkeit ermöglicht und auch eingefordert. Treffend würdigte daher Wolfgang Ewer, der damalige Präsident des Deutschen An­ waltvereins und Mitglied der 5. Satzungsversammlung, den scheidenden Präsidenten der BRAK und Vorsitzenden der Satzungsversammlung Axel Filges mit folgenden Worten:450 „Sie haben stets darauf hingewirkt, dass es zu einem konstruktiven Aus­ tausch und sachgerechten Ablauf der Diskussionen kommt; […] Schließlich haben Sie bei der Zusammensetzung des Versammlungsrats dokumentiert, dass Ihnen viel an einem pluralistischen Miteinander sowie am Austausch und Ausgleich verschiede­ ner Meinungen gelegen ist, weil letztlich nur auf diesem Weg eine sachgerechte Auf­ gabenerfüllung erledigt werden kann. All dies hat dazu beigetragen, dass sich nicht nur der inhaltliche Fluss des Diskurses, sondern auch der Ton und die Atmosphäre der Mitglieder untereinander ausgesprochen positiv entwickelt haben. Auch bei höchst kontroversen Diskussionen ist es fast nie zu persönlichen Anwürfen gekom­ men. Auch dies ist maßgeblich das Verdienst des Vorsitzenden.“ Dies trifft wohl auf alle bisherigen Vorsitzenden der Satzungsversammlung gleicher­ maßen zu.

IV. Arbeitsweise der Bundesrechtsanwaltskammer 1. Operative Funktionen der Bundesrechtsanwaltskammer Als Dachverband kamen der Bundesrechtsanwaltskammer ursprünglich bis auf die Mitwirkung der Wahl der Rechtsanwälte beim Bundesgerichtshof keine operativen Aufgaben gegenüber den einzelnen Rechtsanwälten zu. Die Berufsaufsicht wird von den regionalen Rechtsanwaltskammern wahrgenommen, sodass der einzelne Anwalt kaum direkte Berührungspunkte mit der Arbeit der Bundesrechtsanwaltskammer als Dachverband hatte. Mit dem Anwaltsregister, § 31 BRAO, und dem besonderen An­ waltspostfach, § 31a BRAO, hat die Bundesrechtsanwaltskammer erstmals in die Brei­ 449 Hierzu Wolf in: FS für Hans-Peter Schneider, 2008, S. 414 ff. 450 Prot. 8. Sitzung der 5. SV am 16.3.2015 in Berlin, BRAK-Nr. 162/2015 v. 20.4.2015, S. 35.

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te wirkende, operative Aufgaben erhalten. Bei der BRAK nur angesiedelt ist die Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft, § 191f BRAO. Die Funktion als Meldestelle im Sinne des GWG wurde vom Gesetzgeber auf die regionalen Kammern verlagert, derzeit bemüht sich die BRAK um einen zentralen Datenschutzbeauftragten der Rechtsanwaltschaft. a) Wahl der Rechtsanwälte beim Bundesgerichtshof Nach § 168 Abs. 1 BRAO entscheidet der Wahlausschuss über eine Vorschlagsliste der zu Rechtsanwälten beim Bundesgerichtshof zu ernennenden Rechtsanwälte. Die Er­ nennung erfolgt durch das BMJV, § 170 BRAO. Dem Wahlausschuss gehören neben dem Präsidenten des Bundesgerichtshofs und den Senatspräsidenten der Zivilsenate des Bundesgerichtshofs die Mitglieder des Präsidiums der Bundesrechtsanwaltskam­ mer und das Präsidium der Rechtsanwaltskammer beim Bundesgerichtshof an, § 165 Abs. 1 BRAO. Nach derzeitigem Stand stehen sich daher 13 Richter/-innen (12 Vor­ sitzende der Zivilsenate und die Präsidentin) und 12 Vertreter/-innen der Rechtsan­ waltschaft (6 Präsidiumsmitglieder der Bundesrechtsanwaltskammer und 6 Präsidi­ umsmitglieder der Rechtsanwaltskammer beim BGH) gegenüber. Das Kräfteverhältnis ergibt sich jedoch nicht aus dem Gesetz. Werden neue Zivilsenate beim BGH ge­ schaffen, wie derzeit in Vorbereitung, verschiebt sich das Gewicht zugunsten der BGH-Richter; machen die Bundesrechtsanwaltskammer bzw. die beim BGH zuge­ lassenen Rechtsanwälte von der Möglichkeit Gebrauch, die Anzahl der Präsidiums­ mitglieder zu erhöhen, würde sich das Gewicht zugunsten der Rechtsanwaltschaft verschieben. § 178 Abs. 2 BRAO schreibt vor, dass das Präsidium der BRAK aus min­ destens fünf Personen bestehen muss, ermöglicht aber die Erweiterung des Präsidi­ ums, § 179 Abs. 4 BRAO. Für die Rechtsanwaltskammer beim Bundesgerichtshof gilt Vergleichbares, die Geschäftsordnung der Kammer legt die Anzahl der Vorstandsmit­ glieder fest, § 174 Abs. 2 ZPO. Der eigentlichen Wahl durch den Wahlausschuss und der Ernennung durch das BMJV vorgelagert ist die Erstellung einer Vorschlagsliste. Vorschlagsberechtigt sind dabei die Rechtsanwaltskammer beim Bundesgerichtshof und die Bundesrechtsan­ waltskammer.451 In den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts war die Wahl der Rechtsanwälte noch weitgehend eine Routineangelegenheit.452 Jedoch setzte bereits in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts das Bundesministerium der Justiz eine Kommission zur Frage ein, in welchem Umfang der Zugang zur Rechtsanwaltschaft am Bundesgerichtshof zu reformieren ist.453 Spätestens durch die Verfassungsbeschwerde eines beim OLG 451 Zur Frage, ob das Präsidium nur die Vorschläge der regionalen Kammern zu einer Vor­ schlagsliste bündeln darf und diese ohne eigene Entscheidungskompetenz weiterzurei­ chen hat, oder ob das Präsidium der BRAK oder die Hauptversammlung eine eigene Aus­ wahlentscheidung treffen können, Vorwerk in: Gaier/Wolf/Göcken, § 166 Rz. 2 ff. 452 Vgl. zum Beispiel TB zur 64. HV am 23.9.1988 in Saarbrücken, S. 1. 453 BMJ, Vorschläge zur Neuregelung des Rechts der Rechtsanwaltschaft bei dem Bundesge­ richtshof, Bericht der Kommission, 1998.

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Hamm zugelassenen Rechtsanwalts, der unter Aufrechterhaltung seiner OLG Zulas­ sung auch eine Zulassung als Rechtsanwalt beim BGH anstrebte, rückte das Thema auf die rechtspolitische Agenda. Sowohl der BGH454 als auch das Bundesverfassungsge­ richt455 sahen in der bisherigen Form der Rechtsanwaltschaft am Bundesgerichtshof keinen Verstoß gegen Art. 12 GG. Diese Position behielten der BGH und das BVerfG auch 2006 bzw. 2008 bei.456 An dieser Position änderten auch die jüngsten Wahlver­ fahren und die umfassende gerichtliche Auseinandersetzung darüber nichts.457 Das Meinungsbild in der Literatur ist überwiegend kritisch.458 Die Kritik am System der Rechtsanwälte am Bundesgerichtshof hat auch die Bundesrechtsanwaltskammer erreicht. Bereits 2005 wurde das Thema BGH-Anwaltschaft auf der Hauptversamm­ lung thematisiert.459 2012 wurde auf der Hauptversammlung in Augsburg erstmals intensiv über die Frage der BGH-Anwaltschaft aufgrund einer Initiative der Rechts­ anwaltskammer Düsseldorf diskutiert.460 2017 rückte die Diskussion um die BGH-An­ waltschaft deutlicher in den Fokus. Auf der 152. Hauptversammlung im Mai 2017 in Saarbrücken wurde der Antrag der Kammer Düsseldorf diskutiert, den Gesetzgeber eindringlich aufzufordern, die Zulassungsbeschränkungen für Rechtsanwälte beim BGH für Zivilsachen aufzuheben.461 Einige Monate später beschloss die 153. Haupt­ versammlung in Münster, einen Ausschuss einzusetzen, um das Wahlverfahren und die Notwendigkeit der Rechtsanwaltschaft am BGH zu überprüfen.462 Der Ausschuss, der mit Vertretern der Kammerpräsidenten und beim BGH zugelassenen Rechtsan­ wälten besetzt ist,463 legte der 155. Hauptversammlung in Bremen im September 2018 drei unterschiedliche Modelle vor,464 über die derzeit in den Kammern diskutiert wird. Das erste Modell sieht vor, dass im Grunde jeder Rechtsanwalt in Zivilsachen beim BGH auftreten darf (Fachanwaltschaftsmodell). Allerdings bedarf er hierfür ei­ ner gesonderten Zulassung durch seine regionale Rechtsanwaltskammer. Diese ist zu erteilen, wenn er mindestens 60 Stunden theoretische Ausbildung im Revisionsrecht mit anschließender Prüfung absolviert hat, in den letzten sieben Jahren fünf Jahre als Rechtsanwalt tätig war und nach der Zulassung jährlich mindestens 15 Stunden Fort­ bildung im Revisionsrecht absolviert hat. Das zweite Modell will das Verfahren voll­ ständig in die Hände der BRAK legen. Die Richter des BGH würden nur noch ange­ 454 BGH, NJW 2002, 1725. 455 BVerfGE 106, 216. 456 BGH, NJW 2007, 1136 und BVerfG, NJW 2008, 1293. 457 BGH, NJW 2017, 2670 und BVerfG, NJW 2017, 2670. 458 Vgl. nur jüngst Deckenbrock, ZRP, 2018, 106. 459 Prot. 104. HV als 29. PräsKonf. am 29.4.2005 in Bremen, BRAK-Nr. 249/2005 v. 11.5.2005, S. 30 ff. 460 Prot. 134. HV am 19.10.2012 in Augsburg, BRAK-Nr. 486/2012 v. 10.12.2012, S. 37 ff. 461 Prot. 152. HV am 5.5.2017 in Saarbrücken, BRAK-Nr. 361/2017 v. 21.6.2017, S. 33 ff. 462 Prot. 153. HV am 15.9.2017 in Münster, BRAK-Nr. 505/2017 v. 23.10.2017, S. 42. 463 Jan Büsing (Präsident der RAK Bremen), André Haug (Präsident der RAK Karlsruhe), Dr. Marcus Mollnau (Präsident der RAK Berlin), Dr. Christian Schmidt (Vizepräsident RAK Düsseldorf); den Rechtsanwälten beim BGH, Dr. Brunhilde Ackermann, Dr. Thomas von Plehwe, Prof. Dr. Volkert Vorwerk und Dr. Christian Zwade sowie dem Präsidenten der BRAK Dr. Ulrich Wessels und seinem Vorgänger Ekkehart Schäfer. 464 Prot. 155. HV am 14.9.2018 in Bremen, BRAK-Nr. 452/2018 v. 6.11.2018, S. 10.

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hört, hätten aber kein Wahlrecht mehr, die Anforderungen an die Bewerber seien im Gesetz zu präzisieren, wie überdurchschnittliche Rechtskenntnis, Befähigung zum wissenschaftlichen Arbeiten und Durchdringung des Rechtsstoffs. Das dritte Modell will schließlich die jetzige Lösung beibehalten und lediglich das Verwaltungsverfah­ ren verbessern. Offen ist derzeit, welche rechtspolitischen Impulse von der BRAK in der Frage der Reform der BGH-Anwaltschaft ausgehen. Die veröffentlichte Meinung in der Litera­ tur schreibt seit Jahren gegen die BGH-Anwaltschaft an und denjenigen, die diese verteidigen, werden gerne Eigeninteressen unterstellt.465 Die Diskussion um die BGH-­ Anwaltschaft wird wissenschaftlich derzeit wenig begleitet, dabei gäbe es genug zu tun. Das Revisionsverfahren bedient sich zwar des individuellen Interesses des Einzelnen, sein Zweck ist jedoch überindividueller Natur.466 Es geht um die grundsätzliche Be­ deutung der Sache, § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, um die Fortbildung des Rechts, § 543 Abs. 2 Nr. 2 1. Alt. ZPO, oder um die Sicherung der einheitlichen Rechtsprechung, welche nur durch das Revisionsgericht hergestellt werden kann. In den Worten des BGH: „Für die Aufstellung höchstrichterlicher Leitsätze besteht nur dann Anlass, wenn es für die rechtliche Beurteilung typischer oder verallgemeinerungsfähiger Le­ benssachverhalte an einer richtungweisenden Orientierungshilfe ganz oder teilweise fehlt.“467 M.a.W. hat der BGH einmal die Leitplanken in Richtung A gestellt, kann der Schalter nicht am nächsten Tag in Richtung B umgelegt werden, erst technischer Fort­ schritt oder eine Veränderung der rechtlichen Bezugspunkte ermöglichen eine erneu­ te Zulassung der Revision.468 Noch einmal anders ausgedrückt: Mit der Revision wird nicht nur der Einzelfall entschieden, sondern zugleich über eine Vielzahl gleichgela­ gerter Fälle. Nur wenn man einem plumpen Justizpaternalismus anhängt, der glaubt, richterliche Entscheidungen werden durch die Tätigkeiten der Rechtsanwälte nicht beeinflusst, kann einem die Qualität der beim BGH tätigen Anwälte egal sein. Allein ein Blick in die Examensstatistiken – auch ohne lineare Verknüpfung – verdeutlicht, dass es höchst unterschiedlich qualifizierte Juristen und damit auch Rechtsanwälte gibt. Wie würde sich das Fachanwaltschaftsmodell auf unser Rechtssystem auswir­ ken? Würde nicht die Gefahr bestehen, dass einseitig die Rechtsposition derjenigen bevorzugt würde, die sich am BGH die teuren und damit besseren Anwälte leisten können? Und wie würde sich eine solche Entwicklung mit dem Grundsatz der Gleich­ heit aller vor dem Gesetz vertragen?469 Zu welchen Ergebnissen führt das unbe­ schränkte Auftrittsrecht aller Rechtsanwälte an den anderen obersten Gerichtshöfen des Bundes?470 Sind schon einmal Fälle vorgekommen, in denen die Mehrheit der 465 Wiederum nur Deckenbrock, ZRP 2018, S.  106, 109, Fn.  42, dabei verschweigend, dass Römermann in eigener Sache schreibt. 466 Braun, Lehrbuch des Zivilprozessrechts, 2014, S. 1013. 467 BGH, NJW 2002, 3029, 3030. 468 Jacoby in: Stein/Jonas, 23. Aufl., 2018, § 543 Rz. 9. 469 Hierzu deutlich Crouch, Die bezifferte Welt, 2017, S. 186. 470 Vgl. zur strafrechtlichen Revision Knauer/Kudlich in: MüKo/StPO, Vorbem. §  333 Rz. 12 ff.

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Richter gegen die Anwaltschaft Rechtsanwälte bei der Auswahlentscheidung zum Rechtsanwalt beim BGH durchgesetzt hat, oder sind schon einmal Bewerber geschei­ tert, die nur die Unterstützung der Anwaltschaft hatten? Statt einer faktenfreien Deregulierungsideologie wären wissenschaftliche Untersu­ chen notwendig. b) Vorschlagsliste Beisitzer BGH Dem Senat für Anwaltssachen des BGH gehören neben dem Präsidenten/ der Präsi­ dentin des BGH als Vorsitzende/-n und zwei Mitgliedern des Bundesgerichtshofs, auch zwei Rechtsanwälte/-innen an, § 106 Abs. 2 BRAO. Bis zum Gesetz zur Moder­ nisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht471 gehörten dem Anwaltssenat neben dem jeweiligen Präsidenten/ der Präsidentin des BGH drei Mitglieder des Bundesgerichtshofs und drei Rechtsanwälte/-innen an. Die Bundes­ rechtsanwaltskammer hat nach § 107 Abs. 2 BRAO eine Vorschlagsliste für das BMJV aufgrund der Vorschläge der regionalen Kammern zu bilden. Die Liste muss dabei mindestens doppelt so viele Rechtsanwälte umfassen wie tatsächlich benötigt werden. Hierdurch soll sichergestellt werden, dass das BMJV eine echte Auswahlentscheidung treffen kann. Dies ist auch erforderlich, um den Charakter als staatliches Gericht zu wahren. Zwar kann das BMJV nicht einen Anwalt ernennen, der auf der Liste nicht gelistet ist, wohl aber eine Ergänzung der Vorschläge fordern, wenn sich aus der Sicht des Ministeriums nicht genügend qualifizierte Rechtsanwälte auf der Liste befin­ den.472 c) Schlichtungsstelle der Anwaltschaft Die Schlichtungsstelle der Anwaltschaft geht auf eine Initiative des BRAO-Ausschus­ ses der Bundesrechtsanwaltskammer zurück. Dieser hat 2007 einen Entwurf zur Ein­ führung eines Ombudsmanns bei der Bundesrechtsanwaltskammer erarbeitet, wel­ cher anschließend in den Kammern diskutiert wurde. Auf der 115. Hauptversammlung am 28.2.2008 wurde der Entwurf nunmehr diskutiert. Die Hauptversammlung be­ schloss, die Einführung einer entsprechenden Schlichtungsstelle in die BRAO einzu­ fügen.473 Das BMJ folgte dieser Anregung und übersandte der BRAK mit Schreiben vom 7.7.2008 einen ersten Entwurf zur Einführung einer Schlichtungsstelle in die BRAO. Die Idee wurde schließlich mit dem Gesetz zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht, zur Errichtung einer Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften474 umgesetzt. Dabei hat der Gesetzgeber ausdrücklich Wert darauf gelegt, dass die Schlichtungs­ stelle der Rechtsanwaltschaft kein Organ der Bundesrechtsanwaltskammer ist. Wie 471 BGBl. I 2009, S. 2449. 472 BVerfGE 26, 186, 196. 473 Prot. 115. HV als 37. PräsKonf. am 28.2.2008 in Berlin, BRAK-Nr. 161/2008 v. 27.3.2008, S. 5 ff. 474 BGBl. I 2009, S. 2449.

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die Satzungsversammlung ist auch die Schlichtungsstelle im neunten Teil der BRAO  „Bundesrechtsanwaltskammer“ geregelt. Die Satzungsversammlung ist aber im zweiten Abschnitt „Organe der Bundesrechtsanwaltskammer“ in einem eigenen Unterabschnitt geregelt. Bereits aus der Stellung der Regelung ergibt sich, dass die Satzungsversammlung ein Organ der Bundesrechtsanwaltskammer ist. Für die Schlichtungsstelle wurde ein eigener dritter Abschnitt im neunten Teil der BRAO geschaffen.475 Die organisatorische Trennung der Schlichtungsstelle von der BRAK soll der Name „Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft“ manifestieren.476 Um die Trennung von der BRAK zu verdeutlichen, wurde die Schlichtungsstelle auch räumlich unabhängig von der BRAK untergebracht. Sowohl der Beirat der Schlich­ tungsstelle als auch die Person des jeweiligen Schlichters stellen eine Unabhängigkeit der Schlichtungsstelle sicher. Zur ersten Schlichterin wurde Dr. Renate Jaeger ernannt. Renate Jaeger war von 1994 bis 2004 Mitglied des ersten Senats des Bundesverfas­ sungsgerichts. Anschließend wurde sie zur Richterin am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gewählt. Der Präsident der BRAK Filges betont auf der Vorstel­ lung von Renate Jaeger: „Die BRAK will sich von dem Verdacht „eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus“ befreien, wenn es um die Behandlung von Mandantenbeschwerden geht. Und über diesen Verdacht ist Frau Dr. Jaeger ohne Zweifel erhaben.“477 Vergleichbares gilt auch für die Nachfolgerin von Renate Jaeger, die ehemalige Präsidentin des Kammerge­ richts Monika Nöhre. 2018 wurden 1018 Anträge bei der Schlichtungsstelle eingereicht. Insgesamt sind in den acht Jahren des Bestehens der Schlichtungsstelle 8311 Schlichtungsanträge einge­ gangen.478 Im Jahr 2018 hat die Schlichtungsstelle 386 Schlichtungsvorschläge erar­ beitet.479 Ein Großteil der beantragten Schlichtungen musste die Schlichtungsstelle ablehnen (525 in 2018), die meisten Verfahren lehnte die Schlichtungsstelle wegen fehlenden Erfolgsaussichten ab (332 in 2018).480 Zu 89 % ist der Antragsgegner (meist Rechtsanwälte) bereit, am Schlichtungsverfahren teilzunehmen.481 d) beA und zentrales Anwaltsregister aa) Ursprünge des beA „Die Zukunft hat schon begonnen“ titelte der Präsident des Finanzgerichts Münster und Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der Finanzgerichtspräsidenten im Betriebsbe­ rater 2000.482 1999 ist am Finanzgericht Hamburg als Pilotgericht der elektronische 475 BT-Drs. 16/11385, S. 44. 476 BT-Drs. 16/11385, S. 44. 477 Prot. 124. HV am 7.5.2010 in Schwerin, BRAK-Nr. 225/2010 v. 3.6.2010, S. 14. 478 Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft, Tätigkeitsbericht, 2018, S. 19. 479 Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft, Tätigkeitsbericht, 2018, S. 23. 480 Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft, Tätigkeitsbericht, 2018, S. 25. 481 Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft, Tätigkeitsbericht, 2018, S. 50. 482 Reim, BB Die erste Seite 2000, Nr. 31.

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Rechtsverkehr angelaufen. Seit dem Gesetz zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts und anderer Vorschriften an den modernen Rechtsgeschäftsverkehr vom 13.7.2001,483 ermöglicht §  130a ZPO, Schriftsätze als elektronische Dokumente bei Gericht einzureichen. Die ersten Schritte des elektronischen Rechtsverkehrs wurden bereits Mitte der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts unternommen. Mit der Verein­ fachungsnovelle vom 3.12.1976 wurde erstmals in § 690 Abs. 3 ZPO die Möglichkeit geschaffen, den Mahnantrag in maschinell lesbarer Aufzeichnung bei Gericht ein­ zureichen, falls das Gericht die Aufzeichnung für seine maschinelle Bearbeitung für geeignet hielt.484 Treibende Kraft des elektronischen Rechtsverkehrs  – damals wie heute – war die Justiz. Das Verhältnis zwischen Investitionssumme und Rationalisie­ rungsgewinn ist bei der Justiz aufgrund der „großen Zahl“ deutlich günstiger als bei einzelnen Rechtsanwälten. Ausgangspunkt des beA bildete die Initiative der Justizministerkonferenz vom Mai 2011 in Halle. Dort nahm die Justizministerkonferenz das Ergebnis der Arbeitsgrup­ pe der JuMiKo „eJustice-Bundesratsinitiative“ zustimmend zur Kenntnis und beauf­ tragte die Arbeitsgruppe, zügig einen Gesetzentwurf vorzulegen.485 Zwar wurde in dem Konzept, welches auch auf dem EDV-Gerichtstag am 21. September 2011 vorge­ stellt wurde, ein Benutzerzwang für alle Rechtsanwälte vorgesehen, Gespräche und Konsultationen mit der organisierten Anwaltschaft fanden bislang jedoch nicht statt.486 Im Nachfolgenden hat das Präsidium der BRAK einen Ausschuss für elektro­ nischen Rechtsverkehr eingerichtet, der sich Mitte Dezember 2011 konstituiert hat. In seinem Bericht auf der 133. Hauptversammlung arbeitete der Ausschussvorsitzende Christoph Sandkühler die Alternative zwischen einem dezentralen föderalen Ver­ zeichnis der zur Teilnahme am elektronischen Rechtsverkehr berechtigten Personen und einem zentral geführten Verzeichnis heraus. In einem dezentralen System hätte sich ein Rechtsanwalt aus Bayern erst einen eigenen Zugang in Schleswig-Holstein besorgen müssen, wenn er dort eine Anwendung im Rahmen des elektronischen Rechtsverkehrs ausführen wollte. In einem zentralen System berechtigt hingegen die Eintragung im zentralen Verzeichnis aus sich heraus zur Ausführung einer bundes­ weiten Anwendung (Secure Access to Federated e-Justice – S.A.F.E.). Die 133. Hauptversammlung hat einstimmig einen bei der BRAK angesiedelten zen­ tralen Registrierungsdienst beschlossen, welcher in Zusammenarbeit mit der Bun­ desnotarkammer entwickelt werden soll.487 Damit waren die Weichen in Richtung beA gestellt, mit dem die Bundesrechtsanwaltskammer als Dachverband ein neues Kapitel aufgeschlagen hat. 483 BGBl. I 2001, S. 1542. 484 BGBl. I 1976, S. 3281. 485 Beschluss der JuMiKo v. 18./19.5.2011 zu Top I.4. 486 RA Sandkühler, Prot. 133.  HV als 51.  PräsKonf. am 11.5.2012 in Karlsruhe, BRAKNr. 246/2012 v. 11.6.2012, S. 19; BRAK-Stellungnahme Nr. 6/2012, Februar 2012, S. 3. 487 Prot. 133.  HV als 51.  PräsKonf. am 11.5.2012 in Karlsruhe, BRAK-Nr.  246/2012 v. 11.6.2012, S.  29.  Hierzu auch Prot. 134.  HV am 19.10.2012 in Augsburg, BRAKNr. 486/2012 v. 10.12.2012, S. 43, wo nochmal betont wird, dass mit dem Mandat für die BRAK ein Flickenteppich verhindert werden soll.

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Die hinter dem beA stehende Idee ist, dass nicht mehr das einzelne Dokument mit einer qualifizierten Signatur versehen sein muss, was nach § 130a Abs. 3 1. Alt ZPO immer noch möglich ist, sondern mit einer sogenannten Container Signatur versehen werden kann. Danach ist es ausreichend, wenn das eigentliche Dokument, z.B. die Klageschrift, mit nur einer elektronischen Signatur im Sinne von Art. 3 Nr. 10 eIDAS-­ VO versehen und das Dokument über einen sicheren Übermittlungsweg versendet wird. Die Authentizität und Integrität des elektronischen Dokumentes soll durch den  sicheren Übermittlungsweg gesichert werden.488 Die Ausgestaltung des beA ist großenteils gesetzlich vorgegeben, wie durch das Gesetz zur Förderung des elek­ tronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten489 und die Verordnung über die Rechts­ anwaltsverzeichnisse und die besonderen elektronischen Anwaltspostfächer (Rechts­ anwaltsverzeichnis- und -postfachverordnung − RAVPV) vorgegeben. Das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) ist dabei ein Teil der Architektur des elektroni­ schen Rechtsverkehrs der Justiz (EGVP-Infrastruktur), die diese systematisch weiter ausbaut. Gegenüber der qualifizierten elektronischen Signatur erhoffte sich der Ge­ setzgeber mit dem gesicherten Übermittlungsweg eine größere Akzeptanz des elek­ tronischen Rechtsverkehrs, da die qualifizierte Signatur nicht in dem erhofften Um­ fang angenommen wurde.490 Das besondere Anwaltspostfach soll den Sender und Empfänger eindeutig identifizieren und gleichzeitig sicherstellen, dass der Absender auch als Rechtsanwalt zugelassen ist. Mit dem Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerich­ ten491 wurde die Bundesrechtsanwaltskammer verpflichtet, ca. 165.000 Anwälte mit allen Gerichten 24 Stunden am Tag und 365 Tage im Jahr zu verbinden. Mit dem beA hat die Bundesrechtsanwaltskammer ihren operativen Tätigkeitsbereich deutlich ver­ ändert und erweitert und den klassischen Tätigkeitsbereich eines Dachverbands ver­ lassen. Das beA hat die Bundesrechtsanwaltskammer sicherlich an die Grenzen des­ jenigen geführt, was im Rahmen eines ehrenamtlich tätigen Dachverbands gerade noch leistbar ist. Das Projekt hatte mit nicht ganz unerheblichen IT-Problemen des von dem IT-Dienstleister Atos entwickelten elektronischen Postfachs zu kämpfen. Die geforderte Dimension des Projekts war aber auch singulär. Die BRAK hat auf der Basis von 3,2 Millionen Gerichtsverfahren ohne Strafverfahren mit durchschnitt­ lich 13 Schreiben pro Verfahren bei einer vollständigen Implementierung des elektro­ nischen Rechtverkehrs kalkuliert.492 Dies addiert sich auf 41,6 Millionen Brief­ sendungen auf Seiten der Anwälte und zusätzlich noch 28,8 Millionen Schreiben durch die Gerichte. Zusätzlich zu den außergerichtlichen Schreiben der Rechtsanwäl­ te kalkuliert die BRAK mit jährlich 87,7 Millionen Schreiben. In Terrabyte ausge­ drückt bedeutet dies, dass das beA mindestens 132 Terrabyte im Jahr bewegen ­können 488 von Selle in: Vorwerk/Wolf, BeckOK ZPO, 1.12.2018, § 130a Rz. 16 f. 489 BGBl. I 2013, S. 3786. 490 BT-Drs. 17/12634, S. 20. 491 BGBl. I 2013, S. 3786. 492 Abend, Prot. 137.  HV am 20.9.2013 in Freiburg, BRAK-Nr.  391/2013 v. 25.10.2013, S. 23. Die Zahlen beruhen auf einer Auswertung der Justizstatistik des Statistischen Bun­ desamts und auf Umfragen der BRAK.

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muss. Ein E-Mailprovider wie GMX bewegt laut Abend demgegenüber ca. 50 Terra­ byte.493 bb) Phasenweise Entwicklung des beA Das Projekt beA gliederte sich in drei Phasen. In der ersten Phase, der Konzeptphase, wurden Workshops mit ausgewählten Rechtsanwälten, Kammerpräsidenten und Ge­ schäftsführern durchgeführt. Darüber hinaus hat die BRAK drei Online-Befragungen durchgeführt494 und diese teilweise im BRAK-Magazin vorgestellt.495 Am Ende der Konzeptphase stand Kontextspezifikation, welches eine selbsterklärende und mög­ lichst vollständige Außensicht auf das Softwareprojekt darstellt. Dabei bediente sich die BRAK der Unterstützung durch die Fa. Adeso GmbH, einem führenden IT-Dienst­ leister.496 Über den Ausschreibungsprozess und die Entscheidungsfindung, die Fa. Atos IT-Solutions & Services GmbH mit der Entwicklung des beA zu beauftragen, wurde in der 141. Hauptversammlung der BRAK ausführlich berichtet.497 In ihrer ersten Stellungnahme zu der eJustice-Bundesratsinitiative hat die BRAK ei­ nen Anschluss- und Benutzungszwang für alle Rechtsanwälte abgelehnt: „Einem fak­ tischen Einrichtungszwang kann nur unterliegen, wer sich an Verfahren des elektro­ nischen Rechtsverkehrs beteiligen will oder muss.“498 Die ursprüngliche Idee der BRAK bzw. des Ausschusses für den elektronischen Rechtsverkehr war es, das beson­ dere elektronische Postfach nicht gesetzlich für alle Rechtsanwälte verbindlich vorzu­ schreiben, wie dies heute in § 31 BRAO erfolgte, sondern durch einen Benutzungs­ zwang in der Kommunikation mit den Gerichten durchzusetzen. Die BRAK hat im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens diese Position nicht mehr vertreten.499 Ein Pro­ blem für die BRAK und die Anwaltschaft blieb aber, dass die Anwälte mit dem beA seit 1.1.2016 empfangsbereit hätten sein müssen, während die Verpflichtung der Ge­ richte zur Empfangsbereitschaft erst ab dem 1.1.2018 bestand. Darüber hinaus kann aufgrund von Öffnungsklauseln für die Länder die flächendeckende Verpflichtung bis zum 1.1.2022 in den Ländern hinausgeschoben werden.500 Aus mehreren Gründen stellte das beA und dessen Inbetriebnahme die BRAK vor erhebliche Herausforderungen. So wurde die BRAK von zwei Anwälten verklagt, das beA ohne deren Zustimmung für sie nicht empfangsbereit zu stellen.501 § 31a BRAO 493 Abend, Prot. 137. HV am 20.9.2013 in Freiburg, BRAK-Nr. 391/2013 v. 25.10.2013, S. 24. 494 Erste Umfrage zur anwaltlichen Kommunikation, zweite Umfrage zu den technischen Kanzleieinrichtungen und dritte Umfrage zur Nutzungsführung, TB zur 145.  HV am 17.4.2015 in Berlin, BRAK-Nr. 108/2015 v. 9.3.2015, S. 57. 495 BRAK-Magazin 02/2014, 6 ff. 496 Abend, Prot. 56.  PräsKonf. als 139.  HV am 16.1.2014 in Berlin, BRAK-Nr.  43/2014 v. 30.1.2014, S. 11 ff. 497 Prot. 141. HV am 26.9.2014 in Köln, BRAK-Nr. 472/2014 v. 10.11.2014. 498 BRAK-Stellungnahme Nr. 6/2012, Februar 2012, S. 6. 499 BRAK-Stellungnahme Nr. 6/2013, April 2013.  500 https://bea.brak.de/bea-und-erv/zeitplan-nach-erv-gesetz/. 501 AGH Berlin, NJW 2016, 2195.

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a.F. lautete: „Die Bundesrechtsanwaltskammer richtet nach Überprüfung der Zulas­ sung und Durchführung eines Identifizierungsverfahrens in dem Gesamtverzeichnis nach § 31 für jeden eingetragenen Rechtsanwalt ein besonderes elektronisches An­ waltspostfach ein.“502 Rechtlich ging es in dem Verfahren vor dem Berliner Anwalts­ gerichtshof um die eigentlich semantisch anmutende Frage, ob aus der Formulierung auch geschlossen werden kann, dass man seinen Briefkasten auch leeren muss. Der AGH war im einstweiligen Rechtsschutzverfahren zunächst der Ansicht, dass keine Benutzungspflicht des beA Postfachs ohne Zustimmung des jeweiligen Rechtsanwalts bestehe. Eine Kommunikation über das beA dürfe nur stattfinden, wenn der Empfän­ ger dies auch wolle, so der AGH Berlin.503 Technisch war eine Inbetriebnahme nur einzelner Postfächer für die sich empfangs­ bereit erklärenden Rechtsanwälte nicht möglich.504 In Folge der Entscheidung des AGH Berlin wurde nicht nur zunächst die Inbetriebnahme des beA gestoppt, son­ dern auch die Verordnung über die Rechtsanwaltsverzeichnisse und die besonderen elek­tronischen Anwaltspostfächer (Rechtsanwaltsverzeichnis- und -postfachverord­ nung – RAVPV) erlassen.505 Die Übergangsvorschrift § 31 RAVPV löste das Problem dahingehend, dass bis zum 31.12.2017 der Rechtsanwalt nur dann Mitteilungen über das beA zur Kenntnis nehmen und gegen sich gelten lassen musste, wenn er zuvor seine Bereitschaft erklärt hatte, Erklärungen über das beA zu empfangen. Dies er­ möglichte dem AGH in seiner eigenen Logik, die einstweilige Anordnung aufzuhe­ ben. Zwar begründet § 31 Abs. 1 BRAO aus der Sicht des AGH nach wie vor keinen Benutzungszwang, ein Eingriff in die Berufsfreiheit sei jedoch durch §  31 RAVPV ausgeräumt.506 Eine Inbetriebnahme des beA zum 1.1.2018 scheiterte nunmehr nicht mehr an recht­ lichen Schwierigkeiten. Der BGH hat in mehreren Urteilen die Regelung in §  31 BRAO gehalten.507 Das Bundesverfassungsgericht hat eine Verfassungsbeschwerde gegen § 31a BRAO nicht zur Entscheidung angenommen.508 Allerdings hat sich die Inbetriebnahme nun aufgrund eines IT-Problems verzögert. Ein Mitglied des Chaos Computer Clubs hat kurz vor Weihnachten 2018 ein Sicher­ heitsproblem in der Client Security entdeckt. Aufgrund dessen wurde das Zertifikat, welches die Kommunikation zwischen dem Browser des Nutzers und einem lokalen Webserver auf dem Computer des Postfachinhabers absichert, von der Zertifizie­ rungsstelle gesperrt. Um eine Inbetriebnahme zum Zeitpunkt der gesetzlichen Nut­ zungspflicht am 1.1.2018 sicherzustellen, hat die Betreiberfirma des beA versucht, als Ersatz für das gesperrte Zertifikat ein eigenes Zertifikat zu entwickeln. Durch dieses 502 Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten BGBl. I 2013, S. 3786. 503 AGH Berlin, NJW 2016, 2195, 2196. 504 BRAK-Presseerklärung Nr. 11 v. 29.9.2016. 505 BGBl. I 2016, S. 2167. 506 AGH Berlin, BRAK-Mitt., 2016, 290 und AGH Berlin, BRAK-Mitt. 2016, 287. 507 BGH, NJW 2018, 2645; BGH, NJW 2018, 2644; sowie NJW 2016, 1025 zu den Kammer­ beiträgen. 508 BRAK-Mitt., 2018, 31.

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von Atos entwickelte neue Zertifikat hätten größere Sicherheitsprobleme auf den An­ waltsrechnern entstehen können.509 Die BRAK hat sich daher entschieden, das beA offline zu nehmen und erst nach einer genauen Sicherheitsüberprüfung wieder online zu gehen.510 Die BRAK hat die Fa. Secunet AG beauftragt, die Sicherheit des beA zu überprüfen. Das zweiundneunzigseitige Gutachten wurde im ersten Halbjahr 2018 vorgelegt, die Sicherheitsarchitektur des beA wurde in mehreren Schritten nachge­ bessert und von der Fa. Secunet AG als Gutachter jeweils bestätigt. Daher konnte, wie von der Hauptversammlung am 20.6.2018 verkündet, das beA am 3.9.2018 seinen Betrieb wieder aufnehmen.511 cc) Pressestimmen zum beA Neben den technischen und rechtlichen Herausforderungen war die BRAK vor allem mit einer öffentlichen Kritik in den sozialen Netzwerken, auf legal tribune online (lto) und FAZ Einspruch konfrontiert, die in der Heftigkeit der Sache vielfach nicht ange­ messen war. Zum Teil konnte man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass beA-Kritik ein Klickgarant des jeweiligen Internet-Mediums war. Die anonyme Diskussion in der Kommentarfunktion hat, zum Teil bei weitem, den Boden des noch tolerierbaren ver­ lassen. Die lto hat sich Mitte 2018 entschlossen, die online Kommentarfunktion zu schließen. Pia Lorenz, die Chefredakteurin der lto, begründete den Schritt: „Dieses Forum, das ursprünglich dem offenen fachlichen und gesellschaftlichen Diskurs diente, wurde unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit zunehmend missbraucht, um Hass zu verbreiten. Die Sprache verrohte. Mit einem echten Diskurs hatte das oft nichts mehr zu tun, Meinungsvielfalt fand sich nicht mehr wieder.“512 dd) Nachbetrachtung des beA In der Nachbetrachtung der beA-Einführung sind drei Punkte augenfällig: (1) Die zentrale Funktion innerhalb der Bundesrechtsanwaltskammer kommt der Hauptversammlung zu. Die Hauptversammlung hat die Richtlinien der Politik der BRAK vorzugeben, sie ist nicht lediglich Aufsichtsrat, sondern das Entscheidungsgre­ mium. Dieses Verständnis als Entscheidungsgremium wird von der Bundesrechtsan­ waltskammer gelebt. Ein häufig nicht einfaches Unterfangen. So hat der Präsident Schäfer in einem zehnseitigen Einladungsschreiben zur außerordentlichen Präsiden­ tenkonferenz am 27.6.2018 das Gutachten der Secunet AG und die Umsetzung der Monita bis zu kleinsten technischen Details zusammengefasst.513 Die Willensbildung findet in der Hauptversammlung statt. Selbst wenn nur die Präsidenten der Rechtsan­ 509 Abend, Prot. 154. HV am 27.4.2018 in Koblenz, BRAK-Nr. 221/2018 v. 4.6.2018, S. 30 ff. 510 https://bea.brak.de/2017/12/27/bea-muss-vorerst-offline-bleiben-sicherheit-und-daten​ schutz-haben-prioritaet/. 511 Abend, Prot. 155. HV am 14.9.2018 in Koblenz, BRAK-Nr. 452/2018 v. 6.11.2018, S. 20 ff. 512 https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/in-eigener-sache-lto-keine-kommentare-mehr-­ meinungsvielfalt-hass-hetze/. 513 BRAK-Nr. 259/2018 Schreiben des Präsidenten der Bundesrechtsanwaltskammer an die Präsidentinnen und Präsidenten der Rechtsanwaltskammern.

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waltskammern teilnehmen, sind dies mindestens 28 Teilnehmer zuzüglich des Präsi­ diums der BRAK. Die BRAK verfügt nicht über einen CEO, der anordnen kann, son­ dern über einen Präsidenten, der die Hauptversammlung leiten und einen Konsens herbeiführen muss. (2) Die Managementaufgaben, die sich mit dem beA für die BRAK gestellt haben, waren völlig neu. Zum ersten Mal war die BRAK für die Implementierung eines IT-Großprojekts für 165.000 Rechtsanwälte verantwortlich. Dies hat einen deutlichen Wandel in der Organisationsstruktur erfordert. Insbesondere mussten erst hauptamt­ liche IT-Spezialisten gewonnen werden, die den Prozess mit Atos begleiten konnten. Dennoch gelang es der Bundesrechtsanwaltskammer, den Gedanken der Selbstver­ waltung der Anwaltschaft durch die Anwälte für die Anwälte aufrechtzuerhalten und zu bewahren. So wurden die Grundüberlegungen des beA vom Ausschuss Elektro­ nischer Rechtsverkehr mit dem Vorsitzenden Rechtsanwalt Christoph Sandkühler, Hamm, und den weiteren fünf Mitgliedern514 entwickelt. Alle wesentlichen Entschei­ dungen wurden von der Hauptversammlung der Bundesrechtsanwaltskammer ge­ troffen. Dies hat in der Hochphase der beA-Problematik Ende 2017 und im ersten Halbjahr 2018 insgesamt fast sechs Hauptversammlungen erfordert, zwischen denen zum Teil bloß eine Woche Abstand lag: So fand die erste außerordentliche Präsiden­ tenkonferenz 2018 bereits am 9.1. statt. Eine Woche später, am 18.1.2018, traf man sich zur 70. Präsidentenkonferenz in Berlin wieder.515 Neben der regulären 154. Haupt­ versammlung am 27.4.2018 in Koblenz fanden am 15.4.2018, 28.5.2018 und 27.6.2018 außerordentliche Präsidentenkonferenzen in Berlin zum Thema „beA“ statt.516 Das Präsidium der BRAK tagte 2018 zum ersten Mal am 8.1.2018, weitere Sitzungen folgten am 17.1.2018, 14.2.2018, 9.3.2018,517 26.4.2018, 19.6.2018, 26.6.2018 und am 6. und 7.7.2018 in Bernried.518 Alleine die Auflistung der Tagungen zeigt, welche Belastung das beA für die ehren­ amtlich in der Selbstverwaltung der Rechtsanwaltschaft tätigen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte darstellte. (3) Vergegenwärtigt man sich den Umgang der GAFA (Google, Amazon, Facebook und Apple) oder, um das andere Akronym zu benutzen, MAGA (Microsoft, Apple, Google, Amazon) mit den Daten der Nutzer, stellt sich im Grunde die Frage nach den Alternativen zu einem von der BRAK verwalteten, besonderen Anwaltspostfach nicht. Wer das anwaltliche Berufsgeheimnis hochhalten will, kann die Kommunikati­ on weder einer staatlichen Institution, wie dem Bundesjustizamt, noch einem der In­ ternetgiganten anvertrauen. An der Administration des beA in der Verantwortung der BRAK führt kein Weg vorbei. Dies mag nicht perfekt sein und ist sicherlich 514 Rechtsanwalt Henning de Buhr, Bad Zwischenahn, Rechtsanwalt und Notar Andreas Kühnelt, Kiel, Rechtsanwalt Dr. Arnd-Christian Kulow, Herrenberg, Rechtsanwalt Dr. ­Alexander Siegmund, München, Rechtsanwalt und Notar Patrick Miedtank, Oldenburg. 515 TB zur 154. HV am 27.4.2018 in Koblenz, BRAK-Nr. 100/2018 v. 19.3.2018, S. 11. 516 TB zur 155. HV am 14.9.2018 in Bremen, BRAK-Nr. 328/2018 v. 10.8.2018, S. 11. 517 TB zur 154. HV am 27.4.2018 in Koblenz, BRAK-Nr. 100/2018 v. 19.3.2018, S. 11. 518 TB zur 155. HV am 14.9.2018 in Bremen, BRAK-Nr. 328/2018 v. 10.8.2018, S. 11.

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schwierig gewesen und hat an die Belastungsgrenzen geführt. Die Kritiker des beA haben aber allzu häufig von der BRAK in der dritten Person Singular gesprochen, statt in der ersten Person Plural. Die Bundesrechtsanwaltskammer ist die Selbstver­ waltung der Anwälte durch die Anwälte für die Anwälte. Häufig konnte man sich bei der vehement vorgetragenen Kritik des Eindrucks nicht erwehren, dass diese Ziele weniger auf das beA als auf die Selbstverwaltung als Institution abgehoben haben. Die Alternative zur Selbstverwaltung ist aber nicht keine Berufsaufsicht, sondern Staats­ aufsicht. Diese dürfte mit der freien Advokatur kaum vereinbar sein, worauf Filges bereits 2002 hingewiesen hat.519 2. Öffentlichkeitsarbeit der Bundesrechtsanwaltskammer Die BRAK ist über die Jahre vom Familienunternehmen zum modernen Dienstleister geworden.520 a) Aufgabenstellung und Organisation Anwälte hatten nicht immer den besten Ruf. Die Karikaturen von Honoré Daumier oder die Einstellung von Friedrich dem II. von Preußen zu den Advokaten stehen für den schlechten Ruf der Rechtsanwälte in der Vergangenheit. Aber auch heute muss sich die Anwaltschaft immer wieder mit dem Vorurteil auseinandersetzen, bei ihrer Tätigkeit mangele es an der notwendigen Seriosität. Die Entscheidung des Großen Senats521 in Strafsachen zur Rügeverkümmerung ist geprägt von solchen Vorurteilen gegenüber der Rechtsanwaltschaft.522 Die Ansicht des Großen Senats beruht auf einer generalverdachtsähnlichen Unterstellung.523 Aber auch Joachim Wagner nährt in sei­ nem Buch „Vorsicht Rechtsanwalt“ solche Vorurteile.524 Vor die Wahl gestellt, in den Verfahrensordnungen die Rechtspositionen der Verfahrensbeteiligten auszubauen oder einer größeren Effizienz des Verfahrens den Vorzug zu geben, entschied sich der Gesetzgeber zumeist für letzteres.525 Ein gutes Beispiel hierfür ist die Reform des Rechtsmittelrechts in der VwGO 1996.526 Die Zulassungsberufung wurde mit der Be­ gründung eingeführt, dass eine Tatsacheninstanz regelmäßig ausreichend wäre. „Die zunehmenden Rückstände bei den Verwaltungsgerichten und der Anstieg der Ver­ fahrensdauer gerade in den klassischen Verfahren erfordern es, die Möglichkeiten zu einer Vereinfachung und Straffung der Verfahren auszuschöpfen.“527 519 Filges, BRAK-Mitt., 2002, 11, 12. 520 Finzel, Prot. 128. HV als 47. PräsKonf. am 6.5.2011 in Rheinsberg, BRAK-Nr. 362/2011 v. 12.7.2011. 521 NStZ 2007, 661. 522 Wie hier Knauer/Kudlich in: MüKo/StPO, Vorbem. zu § 333, Rz. 36 ff. m.w.N. 523 Krause in: MAH Strafverteidigung, 2. Aufl., 2014, Rz. 192a und Knauer/Kudlich in: MüKo/ StPO, Vorbem. zu § 333, Rz. 40. 524 Wagner, Vorsicht Rechtsanwalt, 2014. Die Beschreibung auf S. 32 ff. fasst aber die Fehlent­ wicklung der letzten 35 Jahre durchaus zutreffend zusammen. 525 Vgl. nur zu den jüngsten Reformen im Strafprozessrecht, Kudlich, ZRP 2018, 9 ff. 526 BGBl. I 1996, S. 1626. 527 BT-Drs. 13/3993, S. 9. Hierzu die BRAK-Stellungnahme, BRAK-Nr. 60/96 v. 19.4.1996.

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Für die Bundesrechtsanwaltskammer gibt es folglich Gründe genug, als Dachverband für die Rolle des Rechtsanwalts im Rechtsstaat zu werben und die Position der Bun­ desrechtsanwaltskammer auch in der Öffentlichkeit darzulegen. Die Erkenntnis, die Öffentlichkeitsarbeit nicht nur auf eine Pressekonferenz anlässlich der BRAK Haupt­ versammlung und mit einzelnen Presseerklärungen beschränken zu können, wuchs mit den Bastille-Entscheidungen. Die Berichterstattung über die Bastille-Entschei­ dungen sei zum Teil von einer kammerfeindlichen Einstellung geprägt gewesen, so die Feststellung der Bundesrechtsanwaltskammer.528 Im Folgenden regte der damali­ ge Vorsitzende der RAK Celle, Brand, auf der 2. Präsidentenkonferenz eine deutliche Verbesserung der Öffentlichkeitsarbeit an. Zwei Zielrichtungen seien dabei zu verfol­ gen: Verbesserung des Anwaltsbildes in der Öffentlichkeit und Artikulation der be­ rufs- und rechtspolitischen Wünsche der Anwaltschaft.529 Diese Ziele sind im Grunde auch heute noch Maßstab der Öffentlichkeitsarbeit der BRAK. Die Öffentlichkeitsarbeit der Bundesrechtsanwaltskammer bedient sich der Grund­ struktur der BRAK, inhaltliche Themen in Ausschüssen aufbereiten zu lassen, welche mit ehrenamtlichen Rechtsanwälten besetzt sind. So entwickeln der Ausschuss Öf­ fentlichkeitsarbeit und das PR-Gremium, die beide in der Regel hochrangig besetzt sind, die Konzepte der Öffentlichkeitsarbeit. Derzeit gehören die Vizepräsidenten der Bundesrechtsanwaltskammer, Rechtsanwalt und Notar Dr. Thomas Remmers und Rechtsanwalt André Haug, dem Ausschuss an. Vor ihnen waren unter anderem der spätere Präsident der Bundesrechtsanwaltskammer, Rechtsanwalt und Notar Dr. Bernhard Dombek und der spätere Präsident der BRAK und damaliger Vizepräsident Ekkehart Schäfer Mitglied des Ausschusses und PR Gremiums. Unterstützt wurde die Öffentlichkeitsarbeit der Bundesrechtsanwaltskammer durch unterschiedlich beauftragte Agenturen und die hauptamtlichen Mitarbeiter der Ge­ schäftsführung der BRAK. Die Bundesrechtsanwaltskammer hat für ihre Öffentlich­ keitsarbeit unterschiedliche Instrumente entwickelt, zu denen u.a. die BRAK-Mittei­ lungen mit BRAK Magazin, das Journalistenseminar, Parlamentarische Abende, der Karikaturpreis der deutschen Anwaltschaft, die Nachrichten aus Berlin und die Nach­ richten aus Brüssel sowie seit neuestem der beA-Newsletter gehören. Die Homepage der BRAK stellt Informationen für Rechtsanwälte, Verbraucher, Presse und die Rechts­ politik zur Verfügung. b) Ausgewählte Themen der Öffentlichkeitsarbeit aa) Journalistenseminar und Pressearbeit Das erste Journalistenseminar der Bundesrechtsanwaltskammer wurde am 17./18.4.1997 in Bonn veranstaltet. Die Leitung des Seminars lag bei zwei Journalisten, nämlich Rechtsanwalt Martin W. Huff, damals FAZ, und Rechtsanwalt Stephan Detjen 528 TB zur 63. HV am 13.5.1988 in München, S. 45. 529 Prot. 2. PräsKonf. am 13.12.1986, BRAK-Nr. 16/87 v. 9.2.1987, S. 7.

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(DeutschlandRadio). Ziel des Seminars ist es, unter dem Dach der Bundesrechtsan­ waltskammer Fachwissen zu aktuellen juristischen Fragen zu vermitteln und einen Dialog zwischen den Journalisten und Experten aus der Anwaltschaft zu ermögli­ chen.530 Thematisch stehen im Mittelpunkt des Journalistenseminars keine berufs­ rechtlich spezifischen Themen, sondern aktuelle rechtspolitische Fragestellungen. Ursprüngliche Adressaten des Journalistenseminars waren junge Journalisten und Journalistinnen aus Rechts- und Wirtschaftsredaktionen von überregionalen Zeitun­ gen, Hörfunk und Fernsehen. Aufgrund der hohen Nachfrage wurde die ursprüng­ lich auf 15 Personen begrenzte Teilnehmerzahl auf 25 erweitert. Der Erfolg des ersten Journalistenseminars veranlasste die Bundesrechtsanwaltskammer, das Seminar jähr­ lich durchzuführen. Seit dem 12.  Journalistenseminar liegt die Leitung bei Gudula Geuther (DeutschlandRadio) und Dr. Wolfgang Janisch (vormals dpa jetzt Süd­ deutsche Zeitung, Karlsruhe). Thematisch wurde im Laufe der Jahre ein breites Spek­ trum von Themen behandelt, wie kollektiver Rechtsschutz (u.a. mit Astrid Stadler, Konstanz), Modellfunktion des Bundesverfassungsgerichts und des Grundgesetzes für ausländische Rechtsordnungen (Hans-Jürgen Papier, München/Karlsruhe); der Stuttgarter Ruanda-Prozess (Harald Range, Karlsruhe). Am ersten Abend des auf zwei Tage angelegten Journalistenseminars findet immer ein Abendessen mit Mitgliedern des Rechtsausschusses und dem Bundesminister/ der Bundesministerin der Justiz oder seinem/-r Staatssekretär/-in statt. Das Journalistenseminar hat sich zu einem festen und stark nachgefragten Bestandteil der Öffentlichkeitsarbeit der Bundesrechtsanwaltskammer entwickelt. Besondere Be­ deutung gewann das Journalistenseminar für die Bundesrechtsanwaltskammer im Jahr 2000. Im Juni 1999 wurde der „Bericht zur Rechtsmittelreform in Zivilsachen” einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe veröffentlicht. Darin war eine grundlegende Um­ gestaltung der Berufungsinstanz vorgesehen. Ursprüngliches Konzept der Berufung war, dass die Berufungsinstanz im Kern eine Wiederholung der ersten Instanz ist.531 Die Frage, ob die Berufungsinstanz zu einer reinen Kontrollinstanz umgestaltet wer­ den soll, hat die Bundesrechtsanwaltskammer intensiv und kritisch-ablehnend be­ gleitet.532 Unter anderem fand zu dem Thema eine Sondersitzung der Hauptversamm­ lung am 30.6.1999 in Frankfurt statt.533 Die Hauptversammlung hat auf dieser Sitzung einen umfangreichen Aktionsplan beschlossen, um ihre abgehende Position gegen­ über der geplanten Rechtsmittelreform im politischen Spektrum zu verdeutlichen. Hierzu zählte auch, das Journalistenseminar zu nutzen, um die rechtspolitische Positi­ on der BRAK zu verdeutlichen. Das eigentliche Journalistenseminar fand am 23.3.2000 in Berlin u.a. zu dem Thema der Produkthaftung in den USA statt. Am nächsten Tag nutzte man die Präsenz der Journalisten, um im Rahmen einer Podiumsdiskussion über die Rechtsmittelreform zu diskutieren. Auf dem Podium waren vertreten: Prof. Dr. Pick MdB (SPD), parlamentarischer Staatssekretär im BMJ, Prof. Dr. Goll MdL (FDP), Justizminister von Baden-Württemberg, Rechtsanwalt Bach­maier MdB (SPD), 530 Zur Zielsetzung den TB zur 81. HV am 23.5.1997, BRAK-Nr. 89/97 v. 5.5.1997, S. 47. 531 Rimmelspacher in: MüKo-ZPO Reform, 2002, Vor 511 Rz. 4. 532 Siehe Abschnitt Ausschussarbeit. 533 Prot. 14. PräsKonf. am 30.6.1999, BRAK-Nr. 146/99 v. 1.7.1999.

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stellvertretender Vorsitzender des Rechtsausschusses im Deutschen Bundestag, Hartenbach MdB, Obmann der SPD im Rechtsausschuss des BT, Rechtsanwalt Pofalla MdB, Obmann der CDU im Rechtsausschuss des BT, und der Präsident des OLG Braunschweig, Flotho.534 Über das Journalistenseminar hinaus ist die ZPO-Reform ein Beispiel für eine aktive Lobby-Arbeit der Bundesrechtsanwaltskammer. Man suchte den Schulterschluss mit den Präsidenten der OLGs und positionierte sich in Presseerklärungen und Konfe­ renzen gegen den ursprünglichen Gesetzentwurf.535 Nachdem das Gesetz im Bundes­ tag verabschiedet war, hat man noch versucht, über die Landesjustizminister Einfluss auf das Gesetzgebungsverfahren im Bundesrat zu nehmen.536 Neben dem Journalistenseminar, welches primär nicht der Platzierung eigener be­ rufspolitischer Themen der BRAK dient, arbeitet die Bundesrechtsanwaltskammer mit dem klassischen Instrument der Presseerklärung. Im Jahr veröffentlicht die Bun­ desrechtsanwaltskammer im Schnitt 20 Presseerklärungen. Die Berichterstattung in den Medien wird über einen Pressespiegel dokumentiert und ausgewertet. bb) Rechtspolitische Positionsbestimmungen Die Bundesrechtsanwaltskammer nimmt sowohl die Neuwahl des Präsidiums als auch eine neue Legislaturperiode zum Anlass, wesentliche rechtspolitische Anliegen für die Legislaturperiode bzw. Amtszeit des Präsidiums zu formulieren.537 So wurden auf der 121. Hauptversammlung zu Beginn der 17. Legislaturperiode538 die Einheit der An­ waltschaft, Stärkung der Selbstverwaltung und der Rechts- und -systemexport als ­besondere Schwerpunkte identifiziert.539 Zu Beginn der 18. Legislaturperiode540 sah man folgende rechtpolitische Themen: Regelungen zum Syndikusanwalt, Reform des anwaltlichen Gesellschaftsrechts, §§  59c  ff. BRAO, lnterprofessionelle Sozietäten, Regelungen zur allgemeinen Fortbildungspflicht, RVG (weitere Modifikationen), ­ Outsourcing von Schreib- und Telefondiensten/Cloud-Computing, Datenschutz und Datenschutzaufsicht bei Rechtsanwälten, Gegenseitigkeit beim elektronischen Rechts­ verkehr, Briefwahlen, § 88 Abs. 3 BRAO, Vermögensverfall/Auffangregelung. Als The­ men, die man in der Öffentlichkeit besonders adressieren wollte, wurden festgelegt: Regelungen zum Syndikusanwalt, Regelungen zur allgemeinen Fortbildungspflicht, RVG (weitere Modifikationen), Outsourcing von Schreib- und Telefondiensten/ Cloud-Computing, Gegenseitigkeit beim elektronischen Rechtsverkehr.

534 TB zur 87. HV am 12.5.2000 in Köln, BRAK-Nr. 87/2000 v. 2.5.2000, S. 96. 535 Vgl. hierzu Musielak, NJW 2000, 2769. 536 TB zur 90. HV am 26.10.2001 in München, BRAK-Nr. 348/2001 v. 11.10.2001, S. 18. 537 Vgl. z.B. Prot. 84. HV am 9.10.1998 in Potsdam, BRAK-Nr. 291/98 v. 21.10.1998, S. 7 f.; Prot. 106.  HV als 30.  PräsKonf. am 24.11.2005 in Bremen, BRAK-Nr.  623/2005 v. 21.12.2005, S. 4 ff.; Prot. 138. HV als 55. PräsKonf. am 5.12.2013, S. 4, 12. 538 Kabinett Merkel II mit Sabine Leutheusser-Schnarrenberger als Bundesjustizministerin. 539 Prot. 121. HV am 9.10.2009 in Stuttgart, BRAK-Nr. 468/2009 v. 25.11.2009, S. 6 f. 540 Kabinett Merkel III, Bundesminister für Justiz und Verbraucherschutz Heiko Maas.

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Seit 2000 nutzt der jeweilige Präsident, erstmals Bernhard Dombek, den Tätigkeits­ bericht, um einen allgemeinen Überblick über die anstehenden rechtspolitischen Schwerpunkte der Arbeit der BRAK zu geben541 Axel Filges stellte im Tätigkeitsbe­ richt zur 116. Hauptversammlung 2008 die Leitlinien des neuen Präsidiums vor.542 Die Einheit der Anwaltschaft trotz Segmentierung und die Sicherung der Kernwerte der Anwaltschaft seien wichtige Ziele des neuen Präsidiums. 2012 verdichtete Axel Filges die Leitlinien des neuen (alten) Präsidiums auf die Schlagworte: „Freiheit durch Recht, Unabhängigkeit der Anwaltschaft und internationaler Wettbewerb“.543 Ekkehart Schäfer griff als neuer Präsident das Motto auf und ergänzte es durch die Über­ schrift „Rechtsstaat und Qualität“.544 Es gelte in einem veränderten Markt, die Quali­ tät der anwaltlichen Dienstleistung zu sichern. Zur Umsetzung dieser rechtspolitischen Ziele bediente sich die Bundesrechtsan­ waltskammer der üblichen Instrumentarien eines Lobbyverbands, wie Hintergrund­ gespräche, Parlamentarische Abende, die Präsenz des Präsidiums auf dem DJT und DAT etc. Teil der Öffentlichkeitsarbeit der BRAK sind auch die inhaltlichen Stel­ lungnahmen, die die Gesetzgebungsausschüsse zu den unterschiedlichen Gesetzge­ bungsvorhaben der Bundesregierung erarbeiten und die nicht nur gegenüber dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz und den Landesjustizmi­ nistern/-innen bzw. Justizsenatoren/-innen der Länder abgegeben werden, sondern u.a. auch gegenüber dem Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages, den entspre­ chenden Arbeitskreisen der Bundestagsfraktionen, Kammern, wie die Bundesnotar­ kammer, und Verbänden, wie dem Deutschen Anwaltverein und dem Deutschen Richterbund. Darüber hinaus erhalten die Stellungnahmen auch regelmäßig die ein­ schlägigen Fachredaktionen, wie die der NJW. cc) Kommunikation nach innen Als Dachverband kommuniziert die Bundesrechtsanwaltskammer primär mit den re­ gionalen Kammern, z.B. über ausführliche Tätigkeitsberichte zu den jeweiligen Hauptversammlungen. Alleine die Steigerung des Umfangs der Tätigkeitsberichte von 48 Seiten des Tätigkeitsberichts zur 63.  Hauptversammlung im Mai 1988 zu 134  Seiten des Tätigkeitsberichts zur 155.  Hauptversammlung im September 2018 macht die Professionalisierung der Arbeit der Bundesrechtsanwaltskammer deutlich. Neben der Kommunikation mit den regionalen Kammern spricht die BRAK auch alle zugelassenen Rechtsanwälte mit unterschiedlichen Kommunikationsmitteln an. Zu nennen sind zunächst die BRAK-Mitteilungen, eine Fachzeitschrift, die nicht nur über einschlägige berufsrechtliche und haftungsrechtliche Entscheidungen berichtet, sondern in dem Aufsatzteil eine pluralistische Diskussion über das anwaltliche Be­ rufsrecht ermöglicht. Mit dem BRAK-Magazin hat sich seit Oktober 2001 zusätzlich 541 Zur Umstellung Dombek, Prot. 87.  HV am 12.5.2000 in Köln, BRAK-Nr.  141/2000 v. 15.5.2000, S. 6. 542 TB zur 116. HV am 18.4.2008 in Weimar, BRAK-Nr. 130/2008 v. 12.3.2008. 543 TB zur 133. HV am 11.5.2012 in Karlsruhe, BRAK-Nr. 147/2012 v. 4.4.2012, S. 10. 544 TB zur 150. HV am 29.4.2016 in Berlin, BRAK-Nr. 129/2016 v. 15.3.2016, S. 10.

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ein mehr feuilletonistisches Format entwickelt. Eine direkte Kommunikation mit den Rechtsanwälten ermöglichen auch die Newsletter Nachrichten aus Berlin und Nach­ richten aus Brüssel, die über aktuelle Gesetzesprojekte auch über die klassischen be­ rufsrechtlichen Fragestellungen hinaus informieren. Für das beA war eine neue Infor­ mationsstruktur mit eigener Homepage und eigenem Newsletter aufzubauen. Aus der Sicht der Bundesrechtsanwaltskammer gehört die Fortbildung der Rechtsan­ wälte zu einem der ganz wesentlichen Instrumente der Qualitätssicherung. Aus die­ sem Grund wurde auch ein Fortbildungszertifikat geschaffen.545 Hierzu muss ein Rechtsanwalt innerhalb von drei Jahren eine bestimmte Punktzahl in vier unter­ schiedlichen Modulen (materielles Recht, Berufsrecht (einschließlich Kostenrecht und Berufshaftpflicht), Verfahrens- oder Prozessrecht sowie Betriebs-, Personal- oder Verhandlungsführung) erwerben. Die Punkte können durch u.a. durch Seminare, Fachveröffentlichungen und Selbststudium erworben werden. Die Bundesrechtsanwaltskammer stellt den zugelassenen Rechtsanwälten mit der Ini­ tiative „Anwälte mit Recht im Markt“ eine Reihe von Informationen, wie z.B. das E-Book „Leitfaden Kanzleistrategie“546 oder die Broschüre „10 Fitmacher für den Wettbewerb“, zur Verfügung. Die Broschüre enthält unter anderem Empfehlungen und Tipps für die professionelle Gestaltung der Homepage. Ein deutliches Beispiel für den weiten Weg, welchen die Bundesrechtsanwaltskammer und das anwaltliche Be­ rufsrecht von § 70 der Standesrichtlinien zurückgelegt haben. § 70 Abs. 3 der Standes­ richtlinien lautete: „Größe, Gestaltung, Art der Anbringung und Zahl der Schilder haben alles Reklamehafte zu vermeiden.“ In der Kommentierung wurde hierzu auf eine Richtlinie der Wirtschaftsprüferkammer Bezug genommen, dass die Größenord­ nung von 50 cm auf 60 cm nicht überschritten werden sollte.547 Heute unterstützt die Bundesrechtsanwaltskammer die Rechtanwälte dabei, sich im Markt zu positionie­ ren. Zu der Initiative „Anwälte mit Recht im Markt“ gehört noch eine ganze Reihe weiterer Informationsmaterialen. Ein Teil dieses Informationsmaterials ist dazu be­ stimmt, dem Mandanten zur Verfügung gestellt zu werden, wie das „Wörterbuch für Ihren Anwaltsbesuch“. Die neu zugelassenen Rechtsanwälte erhalten als Starterpaket für den Berufseinstieg eine Zusammenstellung der Materialen der Initiative „Anwälte mit Recht im Markt“ zusammen mit einem Anschreiben des Präsidenten der Bundesrechtsanwaltskam­ mer.548 Die Initiative „Anwälte mit Recht im Markt“ wurde erstmals auf dem 65. Deutschen Juristentag 2004 in Bonn vorgestellt. Hintergrund der Initiative war die Befürchtung eines deutlichen Bedeutungsverlustes der Rechtsanwälte durch das damals erst ge­ plante RDG und die von der Europäischen Union vorangetriebene Deregulierung. 545 TB zur 108. HV am 19.5.2006 in Kassel, BRAK-Nr. 174/2006 v. 11.4.2006, S. 25. 546 Bundesrechtsanwaltskammer (Hrsg.), Leitfaden Kanzleistrategie, 3. Aufl., 2017. 547 Lingenberg in: Lingenberg/Hummel, Kommentar zu den Grundsätzen des anwaltlichen Standesrechts, 1981, § 70 Rz. 1a. 548 TB zur 150. HV am 29.4.2016 in Berlin, BRAK-Nr. 129/2016 v. 15.3.2016, S. 161.

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Daher sei es notwendig, auch nach innen die zentralen Werte der Rechtsanwaltschaft zu kommunizieren:549 –– Das Gemeinschaftsgut Recht ist von überragend wichtiger Bedeutung für unsere Gesellschaft. –– Die Interessen der Verbraucher müssen das zentrale Leitbild der Modernisierung des Rechtsberatungsgesetzes sein. –– Unabhängigkeit, Verschwiegenheit und Loyalität sind die Markenzeichen der An­ waltschaft in einem sich öffnenden Markt. –– Die Anwaltschaft ist deshalb primär für die Wahrung der Interessen der Verbrau­ cher Ansprechpartner. –– Über das Selbstverständnis der Anwälte will die BRAK mit dieser Initiative eine Diskussion anstoßen. Einen Vorläufer fand die Initiative „Anwälte mit Recht im Markt“ wohl in der auf der 90.  Hauptversammlung 2001 in München verabschiedeten Mandantencharta.550 In der Mandantencharta wird unter anderem festgehalten, dass der Mandant unabhän­ gig von seiner finanziellen Leistungsfähigkeit das Recht auf einen von ihm frei ge­ wählten Anwalt seines Vertrauens hat. Betont wird darin das Recht auf absolute an­ waltliche Verschwiegenheitspflicht und das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen. Der Unterstützung der Rechtsanwaltschaft dient auch die Werbung für den Ausbil­ dungsberuf des Rechtsanwaltsfachangestellten. U.a. betreibt die BRAK hierzu eine eigene Homepage.551 Zur Kommunikation nach innen ist auch der BRAK-Dialog mit Großkanzleien und Syndikusanwälten552 zu rechnen. Völlig unproblematisch ist dieses Format allerdings nicht. Es war sicherlich richtig, dass die BRAK im September 2005 anfing, auf die Vertreter der Großkanzleien zuzugehen, um einen Dialog zu eröffnen und den Ver­ such zu unternehmen, die Großkanzleien in die Selbstverwaltung einzubeziehen.553 Richtig ist auch, dass man die Probleme und Fragestellungen der Großkanzleien ken­ nen muss. Die BRAK sieht es dabei als einen Erfolg an, dass der von ihr vertretene Programmsatz der „Einheit der Anwaltschaft“ bei vielen Großkanzleien Akzeptanz gefunden hat und auch in den deutschen Standorten der Großkanzleien selbstbe­ wusst vertreten wird.554 Man bestätigte sich wechselseitig, dass man die gleichen 549 TB zur 104.  HV als 29.  PräsKonf. am 29.4.2005 in Bremen, BRAK-Nr.  155/2005 v. 22.3.2005, S. 111. 550 Prot. 90. HV am 26.10.2001 in München, BRAK-Nr. 384/2001 v. 7.11.2001, S. 55. 551 www.Recht-clever.info. 552 Vgl. Prot. 108.  HV als 32.  PräsKonf. am 19.5.2006 in Kassel, BRAK-Nr.  296/2006 v. 19.6.2006, S. 36 f. 553 TB zur 108. HV als 32. PräsKonf. am 19.5.2006 in Kassel, BRAK-Nr. 174/2006 v. 11.4.2006, S. 39. 554 TB zur 136. HV am 26.4.2013 in Braunschweig, BRAK-Nr. 124/2013 v. 22.3.2013, S. 22. 

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Grundwerte teile.555 Was aber versteht man unter den gleichen Grundwerten? Heckelmann versteht hierunter: „(1) die Unabhängigkeit gegenüber dem Staat, (2) die unbe­ dingte Berufsverschwiegenheit, (3) den absoluten Vorrang des Interesses des Man­ danten, und (4) die Mitverantwortung für das Funktionieren der Rechtspflege, die dem Anwalt Rechte gibt, die bedingt sind durch die Einhaltung von Pflichten.”556 Dies Verständnis der Grundwerte geht auf vor allem auf Henssler zurück.557 Gerade in Be­ zug auf einen Dialog mit Großkanzleien wäre es aber durchaus wertvoll gewesen, die Frage aufzuwerfen, warum nicht §  2 Abs.  2 BRAO auch zu den Grundwerten der Rechtsanwaltschaft zählt. dd) In bester Verfassung?! Die Verfahrensordnungen sind – um ein Diktum leicht abzuwandeln – die in Para­ graphen gegossenen Justizgrundrechte. Rechtliches Gehör, gesetzlicher Richter und die Rechtsstaatsprinzipien sind der Maßstab, an dem sich die Verfahrensbestimmun­ gen messen lassen müssen. Grundrechte sichern in ihrer abwehrrechtlichen Di­ mension die Freiheitsrechte der Bürger ab. Das Grundgesetz hat ganz wesentlich die soziale, wirtschaftliche und politische Entwicklung in Deutschland geprägt. Eine Ver­ fassung muss aber im Rechtsleben, insbesondere vor Gericht, zum Leben erweckt werden. Eine Verfassung bedarf Bürgerinnen und Bürger, die sich auf ihre Grund­ rechte berufen, sowie Rechtsanwälte/-innen, die ihnen helfen, ihre Grundrechte durchzusetzen. Es ist daher nur logisch und konsequent, dass die Bundesrechtsanwaltskammer, einer Anregung des damaligen Vizepräsidenten der Bundesrechtsanwaltskammer Ernst folgend, eine Wanderausstellung zu dem 50. Verfassungsjubiläum organisierte. Zu­ sammen mit der Bundeszentrale für politische Bildung hat das PR-Gremium die Wanderausstellung organisiert. Die Konzeption lag bei Marion Detjen, Stephan Detjen und Maximilian Steinbeis. Dem wissenschaftlichen Beirat gehörten u.a. die Histo­ riker Hans Günter Hockerts, Peter Steinbach und Wolfgang Benz an. Mit Ernst Gottfried Mahrenholz hat man den früheren Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichts als Beirat gewonnen. Zu der Ausstellung ist ein Begleitband erschienen.558 Die Aus­ stellung verdeutlicht die Wurzeln der deutschen Demokratie in der Paulskirchenver­ fassung von 1849. Die Grundrechte wurden lebendig gemacht durch eine Reihe von Porträts von Persönlichkeiten, die die Entwicklung der Grundrechte nachhaltig präg­ ten: Adolf Arndt, Erich Lüth, Wilhelm Elfes. Unter der Überschrift der „Bürger als Mehrer des Rechts“ beschreibt der Journalist Michael Reisenberger, wie es Bürger wa­ ren, die durch ihre Klagen in Karlsruhe neue Dimensionen unseres Grundrechtsver­ ständnisses erschlossen.559 555 TB zur 109. HV am 15.9.2006 in Münster, BRAK-Nr. 437/2006 v. 22.8.2006, S. 38. 556 Heckelmann, NJW 2005, 3050, Heckelmann war als Managing Partner der Kanzlei Baker & McKenzie an dem BRAK-Dialog mit den Großkanzleien beteiligt. 557 Henssler, NJW 2001, 1521 und ders., ZZP 115 (2002), 321, 328 f. 558 Stephan Detjen (Hrsg.), In bester Verfassung?! 50 Jahre Grundgesetz, 1999. 559 Reisenberger in: Stephan Detjen (Hrsg.), In bester Verfassung?! 50 Jahre Grundgesetz, 1999, S. 206 ff.

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Der damalige Präsident der Bundesrechtsanwaltskammer Eberhard Haas, schrieb in seinem Geleitwort: „Die Verankerung des Grundgesetzes im öffentlichen Bewußtsein wäre nicht möglich gewesen ohne jene Beschwerdeführer und ihre Anwälte, die in sorgfältig abgewogenen Anrufungen des Bundesverfassungsgerichts die letzte Mög­ lichkeit zur Durchsetzung ihrer Grundrechtsposition sahen und so dem Bundesver­ fassungsgericht, das nicht aus eigener Initiative tätig werden kann, die Möglichkeit zur verfassungsrechtlichen Weiterentwicklung gaben. Viele heute selbstverständliche Verfassungspositionen sind von hartnäckigen Anwälten erstritten worden, obwohl ihr Beharren auf Grundrechtspositionen damals als aussichtslos angesehen und bis zum Spruch des Bundesverfassungsgerichts nur von einer Minderheit geteilt wur­ de.“560 ee) Anwalt ohne Recht – Lawyers without Rights In Berlin waren 1933 mehr als die Hälfte der zugelassenen Rechtsanwälte jüdischer Herkunft.561 Mit der Machtergreifung des NS-Regimes 1933 begann deren systemati­ sche Entrechtung. In einer ersten Welle der Ausgrenzung wurden Anwälte, die als Sozialisten und Kommunisten bekannt waren, ohne Rechtsgrundlage verhaftet und in „Schutzhaft“ genommen. Hierunter der Frankfurter Rechtsanwalt Professor Dr. Hugo Sinzheimer und der Berliner Anwalt Hans Litten.562 In einer zweiten Ausgren­ zungswelle mussten alle jüdisch-stämmigen Rechtsanwälte ihre Zulassung erneut be­ antragen. Eine erneute Zulassung erhielten nur Rechtsanwälte, welche bereits vor 1914 zugelassen waren oder am ersten Weltkrieg teilgenommen bzw. im ersten Welt­ krieg direkte Angehörige verloren hatten. Mit der letzten Ausgrenzungswelle wurde allen jüdisch-stämmigen Rechtsanwälten ab 1938 ein Berufsverbot erteilt. Ein Drittel der 1933 in Berlin zugelassenen jüdisch-stämmigen Rechtsanwälte wurde nach 1933 ermordet, nur wenige überlebten das Konzentrationslager, in welches sie verschleppt wurden. Hans Litten entzog sich im Februar 1938 den Folterungen im KZ Dachau durch Suizid. Ein Teil emigrierte u.a. in die Schweiz, Frankreich, England und die USA. Eine Delegation der Anwaltskammer von Tel Aviv besuchte 1995 die Berliner An­ waltskammer. Während des Besuchs fragte der stellvertretende Präsident der An­ waltskammer von Tel Aviv, Rechtsanwalt Joel Levi, nach einer Liste der nach 1933 aus der Anwaltschaft ausgeschlossenen jüdischen-stämmigen Rechtsanwälte.563 Bis zu diesem Zeitpunkt hatte die Rechtsanwaltschaft in Deutschland keine Erinnerungs­ kultur an die nach 1933 entrechteten jüdisch-stämmigen Rechtsanwälte. Der dama­ lige Präsident der Berliner Rechtsanwaltskammer Dombek war beschämt, Joel Levi ­keine entsprechende Liste der ehemaligen jüdischen Rechtsanwälte aushändigen zu können, die von dem NS-Regime nach 1933 entrechtet wurden. Die Rechtsanwalts­ kammer Berlin beschloss daraufhin, eine Liste ehemaliger jüdischer Rechtsanwälte in 560 Haas in: Stephan Detjen (Hrsg.), In bester Verfassung?! 50 Jahre Grundgesetz, 1999, S. 5 f. 561 Ladwig-Winters, Bundesrechtsanwaltskammer (Hrsg.), Anwalt ohne Recht, 2007, S. 10. 562 Ladwig-Winters, Bundesrechtsanwaltskammer (Hrsg.), Anwalt ohne Recht, 2007, S. 10. 563 Ladwig-Winters, Bundesrechtsanwaltskammer (Hrsg.), Anwalt ohne Recht, 2007, S. 18.

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Berlin in Auftrag zu geben und beauftragte damit die Historikerin und Juristin Simone Ladwig-Winters. Der Grundstein der Ausstellung „Anwalt ohne Recht“ war damit gelegt. Ladwig-Winters legte zunächst für Berlin das Buch „Anwalt ohne Recht  – Schicksal jüdischer Rechtsanwälte in Berlin nach 1933“ vor.564 Das Buch enthielt viel mehr als lediglich eine Namensliste. Die entrechteten jüdischen Anwälte wurden mit biographischen Angaben versehen und der Weg Deutschlands in einen Unrechtsstaat wurde exemplarisch am Schicksal der Berliner jüdischen Rechtsanwälte veranschau­ licht. Nach dem Erscheinen des Buchs von Simone Ladwig-Winters wurde eine Ausstellung in der Stiftung „Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum“ zusammengestellt. Die damalige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts Jutta Limbach eröffnete die Aus­ stellung. Hierauf aufbauend gaben die Bundesrechtsanwaltskammer und der deutsche Juris­ tentag e.V. den Auftrag, das Ausstellungskonzept auf die jüdischen Rechtsanwälte in Deutschland zu erweitern. Hieraus sind die Wanderausstellung „Anwalt ohne Recht“565 und das die Ausstellung begleitende Buch „Anwalt ohne Recht  – Das Schicksal jüdischer Rechtsanwälte in Deutschland nach 1933“ entstanden.566 Erneut wurde Simone Ladwig-Winters mit der Erstellung des Buches und der Ausstellung beauftragt. Das Schicksal der jüdischen Rechtsanwälte wurde nunmehr in einer gan­ zen Reihe von Städten, wie Leipzig, Nürnberg, Aachen, München, Hannover, doku­ mentiert. Rund um die Ausstellung ist eine ganze Reihe von Publikationen entstan­ den, die insbesondere der Aufarbeitung der Regionalgeschichte dienten, wie z.B. „Anwalt ohne Recht  – Verfolgte Rechtsanwälte jüdischer Herkunft im OLG-Be­ zirk Naumburg während des Nationalsozialismus“.567 Das Vorwort verfasste diesmal die Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch. Sie schreibt: „Das Buch Anwalt ohne Recht berührt uns besonders, denn der Leser begegnet einzelnen Menschen, erfährt von ihrem Leben, ihrem Schicksal – und ihrem Tod. Es zeigt mutige Men­ schen, die sich für ihre Klienten einsetzten, bis sie selbst zum Opfer wurden. Menschen, denen ihre Lebensgrundlage und ihr Lebensinhalt entzogen wurden. Menschen, denen ihr Beruf, dem sie sich verpflichtet fühlten, die eigene Entrechtung und Machtlosigkeit besonders bitter vor Augen führte.“568

Charlotte Knobloch, geborene Neuland, erinnerte in ihrem Vorwort auch an ihren ei­ genen Vater, den Münchener Rechtswalt Fritz Neuland, dem in dem Buch genauso 564 Ladwig-Winters, Anwalt ohne Recht  – Das Schicksal jüdischer Rechtsanwälte in Berlin nach 1933, 1998. 565 www.anwalt-ohne-recht.de/. 566 Bundesrechtsanwaltskammer (Hrsg.), Anwalt ohne Recht – Schicksal jüdischer Rechtsan­ wälte in Deutschland nach 1933, 2007. 567 RAK Sachsen-Anhalt (Hrsg.), Anwalt ohne Recht  – Verfolgte Rechtsanwälte jüdischer Herkunft im OLG-Bezirk Naumburg während des Nationalsozialismus, 2010. 568 Bundesrechtsanwaltskammer (Hrsg.), Anwalt ohne Recht – Schicksal jüdischer Anwälte in Deutschland nach 1933, 2007, 8. 

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gedacht wird wie z.B. den beiden Münchener Rechtsanwälten Max Friedländer und Sigbert Feuchtwanger. Beide waren für die Entwicklung des Anwaltsrechts prägend. Sigbert Feuchtwanger mit seinem Buch „Die freien Berufe. Im besonderen: Die An­ waltschaft. Versuch einer allgemeinen Kulturwirtschaftslehre“569 und Max Friedländer mit seiner Kommentierung zur Rechtsanwaltsordnung.570 Die Ausstellung wurde bislang an 67 Orten in der Bundesrepublik gezeigt, zuletzt am Landgericht Augsburg. Zwischenzeitlich ist die Ausstellung auch mit englischsprachi­ gen Texten verfügbar. Sie wurde u.a. in Israel, Mexiko, den USA, Kanada, England, Italien, Niederlande, Belgien und der Schweiz gezeigt. Darüber hinaus ist 2018 ein englischsprachiges Begleitbuch erschienen u.a. mit Vor- und Begleitworten des US Supreme Court Justice Stephen G. Breyer und Benjamin Berell Ferencz, dem Chefan­ kläger im Einsatzgruppen-Prozess. Das Buch wurde zusammen mit der American Bar Association von der Bundesrechtsanwaltskammer herausgegeben.571 Ekkehart Schäfer hat auf der 155. Hauptversammlung anlässlich seines Ausscheidens vom Amt des Präsidenten der Bundesrechtsanwaltskammer die Frage aufgeworfen, ob das Gedenken der Rechtsanwälte als Opfer des Nationalsozialismus nicht ergänzt werden muss. Waren Rechtsanwälte nicht auch unter den Tätern? Welchen Anteil hatten die Anwälte selbst daran, dass ihre jüdisch-stämmigen Kollegen entrechtet wurden?572 Insoweit steht der zweite Teil der Befassung der BRAK mit der NS-Dikta­ tur noch aus. ff) Karikaturpreis der deutschen Anwaltschaft Die Idee eines Karikaturpreises der deutschen Anwaltschaft wurde im PR-Gremium der Bundesrechtsanwaltskammer entwickelt und erstmals der Hauptversammlung im Oktober 1996 vorgeschlagen.573 Auf der 82. Hauptversammlung der Bundesrechtsan­ waltskammer 1997 wurde schließlich der Karikaturpreis der deutschen Anwaltschaft eingesetzt.574 In dem Stiftungszweck wurde die Verbindung zwischen der Tätigkeit des Rechtsanwalts und der des Karikaturisten verdeutlicht, wörtlich heißt es: „Karika­ turen spiegeln augenfälliger als andere Kunstarten den politischen und kulturellen Zustand einer Gesellschaft wider. Seit Jahrhunderten begehren satirische Künstler unermüdlich auf: gegen politische und gesellschaftliche Mißstände, Unrecht und Mißachtung, Trägheit und Ignoranz. Ihre Aufmerksamkeit gilt dabei besonders den großen und kleinen menschlichen Torheiten, den verständlichen und unverständ­ lichen menschlichen Fehlern und Lastern. Der satirische Künstler nimmt Partei, ver­ steht sich meist als Anwalt der Benachteiligten und Schwachen. Suggestiv agiert er 569 Feuchtwanger mit seinem Buch, Die freien Berufe. Im besonderen: Die Anwaltschaft. Ver­ such einer allgemeinen Kulturwirtschaftslehre, 1922. 570 Friedländer, Kommentar zur Rechtsanwaltsordnung, 3. Aufl., 1930. 571 Ladwig-Winters, Lawyers without Rights, The Fate of Jewish Lawyers in Berlin after 1933, 2018. 572 Schäfer, 155. HV der BRAK v. 14.9.2018, S. 29. 573 Prot. 80. HV am 26.9.1996 in Dresden, BRAK-Nr. 168/96 v. 2.10.1996, S. 8. 574 Prot. 82. HV am 19.9.1997 in Braunlage, BRAK-Nr. 197/97 v. 29.9.1997, S. 24.

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mit den ihm zur Verfügung stehenden „Waffen“: Spott und Humor, Witz und Ironie, Sarkasmus und Zynismus. Karikaturen versuchen so auf unterhaltsame Weise, ihren Beitrag für eine gerechtere, eine menschlichere Welt zu leisten. Um dies zu verdeut­ lichen, stiften die in der Bundesrechtsanwaltskammer zusammengeschlossenen Rechtsanwaltskammern, die die Gesamtheit der deutschen Anwaltschaft vertreten, den „Karikaturpreis der Deutschen Anwaltschaft“, der herausragende Leistungen auf dem Gebiet der satirischen Kunst auszeichnet.“575 Der erste Preis wurde an den englische Künstler Ronald Searle verliehen, der sich mit seinen Zeichnungen für große Nachrichtenorgane wie die „New York Times“, „He­ rald Tribune“ oder seit 1994 „Le Monde“ vorwiegend mit grundlegenden Problemen der Politik auseinandersetzte: Rassismus und Krieg, Hunger und Not, soziale und wirtschaftliche Missstände. Weitere Preisträger waren: Tomi Ungerer (2000); Edward Sorel (2002); Marie Marcks (2004); Gerhard Haderer (2006); R.O. Blechmann (2008); Gerald Scarfe (2010); Hans Traxler (2012); Steve Bell (2014); Greser & Lenz (2016) und 2018 Sefer Selvi. Die Auswahl der Preisträger erfolgt durch eine Jury unter dem Vorsitz des ehemaligen Vizepräsidenten der Bundesrechtsanwaltskammer Dr. Ulrich Scharf. Derzeit gehören der Jury noch an: Dr. Gisela Vetter-Liebenow, Direktorin des Deutschen Museums für Karikatur und Zeichenkunst – Wilhelm Busch, Hannover; Andreas Platthaus, Chef des Ressorts Literatur und literarisches Leben der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und Dr. Thomas Remmers, Rechtsanwalt und Notar, Hannover, Vizepräsident der Bundesrechtsanwaltskammer. Die Preisträger haben jeweils anlässlich der Preisverleihung eine Karikatur erstellt, welche über die BRAK erworben werden können. Die ersten sechs Preisträger hat die Bundesrechtsanwaltskammer in einer kleinen Publikation576 noch einmal gesondert geehrt. Die Preisverleihungen finden in der Regel öffentlich statt, die Bundesrechtsan­ waltskammer nutzt die Preisverleihung zum Dialog mit Journalisten/-innen und Po­ litikern/-innen. gg) Nationale Konferenz der Bundesrechtsanwaltskammer Der Deutsche Anwaltstag des DAV ermöglicht dem Deutschen Anwaltverein, für ­seine vereinspolitischen Anliegen die notwendige Aufmerksamkeit zu erzielen. Auf­ merksamkeit für rechtspolitische Anliegen zu erzeugen, ist auch das Ziel der nationa­ len und internationalen Konferenz der Bundesrechtsanwaltskammer, welche alternie­ rend jährlich in Berlin ausgerichtet werden. 2012 nahm man das Jubiläum 25 Jahre Bastille-Entscheidungen zum Anlass, über die Selbstverwaltung der Rechtsanwalt­ schaft nachzudenken. „Starke Anwaltschaft – Starker Rechtsstaat“ war das Motto der Veranstaltung. Auf der Konferenz arbeitete Reinhard Gaier die verfassungsrechtlich gebotene Selbstverwaltung der Rechtsanwaltschaft heraus. Nur durch die Selbstver­ 575 Anlage 3 zum Prot. 82. HV am 19.9.1997 in Braunlage, BRAK-Nr. 197/97 v. 29.9.1997. 576 Bundesrechtsanwaltskammer (Hrsg.), Plädoyers einer streitbaren Kunst – der Karikatur­ preis der deutschen Anwaltschaft, 2009.

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waltung der Rechtsanwälte, welche er auf eine Stufe mit der akademischen Selbstver­ waltung stellte, kann die Unabhängigkeit der Rechtsanwälte vor dem Staat gesichert werden.577 Während sich die zweite Konferenz 2014 dem Thema Abhörskandal annahm, thema­ tisierte die 3. Nationale Konferenz 2016 unter dem Motto „Was darf der Rechtsstaat kosten, und muss er sich rechnen?“ die ökonomischen Grundlagen des Zugangs zum Recht. Der damalige Präsident der Bundesrechtsanwaltskammer Schäfer fasste den Ertrag der Tagung in seinem Tätigkeitbericht wie folgt zusammen: „Politik dieses Präsidiums ist es, das Bewusstsein dafür zu schärfen, dass gesellschaftspolitische Sta­ bilität und wirtschaftliche Prosperität ein funktionierendes Rechtssystem als Basis benötigen und nicht umgekehrt. Die Diskussionen unserer Konferenz haben gezeigt, dass eine gut funktionierende Justiz ein Standortfaktor ist. Sie muss sich nicht rech­ nen, Rechtsfrieden ist Mehrwert genug. Es bleibt deshalb zu hoffen, dass Mecklenburg-­ Vorpommern die Ausnahme bleibt und Stimmen wie die der niedersächsischen Jus­ tizstaatssekretärin Otte gehört werden:578 „Es ist nicht das Ziel einer rechtsstaatlichen Justiz, kostendeckend zu arbeiten. Ziel und Aufgabe ist es, effektiven Rechtsschutz zu gewähren“ und „es kostet, was es kostet, soweit es notwendig ist.“ Unsere Nationale Konferenz soll der Auftakt dafür sein, die Diskussion über die fundamentale Bedeu­ tung des Rechtsstaatsprinzips für Freiheit, Sicherheit und Gerechtigkeit unserer Ge­ sellschaft neu zu beleben. Das Präsidium wird hier nicht nachlassen.“ Der Anwaltsmarkt ist im Umbruch. Welche Herausforderungen auf die Rechtsanwäl­ te zukommen, wurde auf der 4. Nationalen Konferenz unter dem Motto „Böse Thesen zur Zukunft der Anwaltschaft“ diskutiert. U.a. ging die Konferenz der Frage nach, wie das Verhältnis zu Legal Tech und dem RDG ist. Auch wurde die Zukunft der Land­ kanzlei, die Verdichtung auf dem Anwaltsmarkt und die Chancen von Rechtsanwäl­ tinnen, Partnerin in Sozietäten zu werden, näher beleuchtet.579 hh) Soldan Moot Court Anwaltsrecht gehört nicht zu den Themenbereichen, auf die sich nach § 5a Abs. 2 DRiG die Pflichtfachprüfung im ersten Juristischen Studium erstreckt. Der Versuch, die Zu­ lassung zur Anwaltschaft an den Nachweis von Kenntnissen im anwaltlichen Berufs­ recht zu knüpfen,580 ist 2017 gescheitert. Bislang wurde auch die Empfehlung des Rechtsausschusses,581 die tatsächlich erheblichen Defizite bei den Kenntnissen des an­ waltlichen Berufsrechts der Berufsanfänger stattdessen durch eine verbesserte Ausbil­ dung im Studium oder insbesondere im Referendariat abzustellen, nicht aufgegriffen. 577 Gaier, BRAK-Mitt., 2012, 142 ff. 578 TB zur 151. HV am 7.10.2016, BRAK-Nr. 446/2016 v. 2.9.2016, S. 11 f. 579 TB zur 155. HV am 14.9.2018, BRAK-Nr. 328/2018 v. 10.8.2018, S. 116 und BRAK-Maga­ zin 04/2018, S. 17. 580 Siehe den Vorschlag im Gesetzentwurf zur Umsetzung der Berufsanerkennungsrichtlinie und zur Änderung weiterer Vorschriften im Bereich der rechtsberatenden Berufe, BT-Drs. 18/9521, S. 9. 581 BT-Drs. 18/11468, S. 10.

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Der Gesetzgeber hat den Regierungsvorschlag mit § 43e BRAO-Reg.-Entw., die neu zugelassenen Rechtsanwälte zu verpflichten, Kenntnisse im Berufsrecht nachzuwei­ sen, abgelehnt. Dies reiht sich in eine lange Kette von teilweise vergeblichen Bemü­ hungen der Rechtsanwaltschaft ein, der Tätigkeit des Rechtsanwalts einen höheren Stellenwert in der juristischen Ausbildung zuzuweisen. Statt an Fakultäten und Gesetzgeber zu appellieren, der anwaltlichen Perspektive in der Ausbildung größere Bedeutung zuzumessen, ist die Rechtsanwaltschaft mit dem Soldan Moot Court einen neuen Weg gegangen. Zusammen mit dem Deutschen An­ waltverein, dem Deutschen Juristen-Fakultätentag und der Hans Soldan Stiftung führt die Bundesrechtsanwaltskammer seit 2013 den Soldan Moot Court durch. Anhand eines fiktiven Falls werden die Teilnehmer mit der forensischen Tätigkeit von Rechts­ anwälten vertraut gemacht. Studierende sollen als Interessenvertreter einen Fall recht­ lich analysieren, Beweismittel würdigen und Rechtsmeinungen formulieren. Dabei sollen sie sich auch mit den Gegenargumenten auseinandersetzen und das Gericht schließlich von ihrer Position überzeugen. Thematisch wird jedes Jahr ein Fall behan­ delt, der den Studierenden auch wichtige Kenntnisse des anwaltlichen Berufsrechts vermittelt.582 Der beste Klageschriftsatz wird mit dem Preis der Bundesrechtsanwalts­ kammer ausgezeichnet. Die BRAK lädt das Gewinnerteam im Wechsel zu Ihrer Nati­ onalen Konferenz oder zum Internationalen Anwaltsforum ein.583 Sicherlich kann der Soldan Moot Court eine gesetzliche Verpflichtung, auch das An­ waltsrecht in den Prüfkanon aufzunehmen, nicht ersetzen, aber ein bestimmtes Be­ wusstsein für die Bedeutung des Anwaltsrechts mag damit doch geweckt werden. 3. Die Gesetzgebungsausschüsse der Bundesrechtsanwaltskammer a) Funktion und Arbeitsweise der Gesetzgebungsausschüsse Nach § 177 Abs. 2 Nr. 3, 4 und 5 BRAO hat die Bundesrechtsanwaltskammer die Auf­ gabe, Gutachten gegenüber dem Bundesgesetzgeber und den Gerichten des Bundes zu erstatten und die Position der Gesamtheit der Rechtsanwaltskammern nach außen zu vertreten. Ein Schwerpunkt dieser Tätigkeit ist es, zu Gesetzgebungsvorhaben Stel­ lungnahmen zu erarbeiten. Darüber hinaus kann das Bundesverfassungsgericht nach § 27a BVerfGG Stellungnahmen der BRAK anfordern.584 Es entspricht der grundsätz­ lichen Arbeitsweise der BRAK, diese Stellungnahmen in Ausschüssen erarbeiten zu lassen. Die Ausschüsse sind dabei mit ehrenamtlich tätigen Rechtsanwälten besetzt, die in Absprache mit den regionalen Kammern in die Ausschüsse berufen werden. Derzeit arbeiten in den 32 Ausschüssen der BRAK 221 ehrenamtliche Rechtsanwälte.

582 www.soldanmoot.de. 583 BRAK-Magazin 6/2013, 11; BRAK-Magazin 4/2016, 17; BRAK-Magazin 3/2017, 17; BRAK-Magazin, 4/2018, 17. 584 Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, 55. EL Okt. 2018, § 27a Rz. 6.

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Die meisten Ausschüsse sind ad hoc arbeitende Gesetzgebungsausschüsse. Hierunter versteht die BRAK Ausschüsse, die zu bestimmten Gesetzgebungsverfahren Stellung nehmen. Daneben gibt es derzeit noch vier Ausschüsse, die nicht gegenüber Dritten inhaltliche Positionen der BRAK erarbeiten sollen, sondern deren Tätigkeit nach in­ nen gerichtet ist. Hierzu zählt der Ausschuss Abwickler/Vertreter, der für die nach § 53 BRAO zu bestellenden Vertreter und insbesondere für die von den Kammern nach § 55 BRAO zu bestellenden Abwickler Handreichungen entwickelt hat.585 Eine ähnliche Funktion kommt dem Ausschuss Bewertung von Anwaltskanzleien zu. Die von dem Ausschuss erarbeiteten Richtlinien zur Bewertung von Kanzleien sollen eine Hilfestellung bieten, wenn die Gesellschaftsanteile einer Anwaltskanzlei z.B. im Fall der Scheidung oder eines Erbfalls zu bewerten sind. Die Richtlinien wurden 2017 vom Ausschuss aktualisiert.586 Gleichfalls nach innen gerichtet ist der Ausschuss für Qualitätssicherheit, der sich u.a. mit Compliance-Managementsystemen, aktuellen Überlegungen zur systemischen Qualitätssicherung in der Anwaltschaft sowie As­ pekten des elektronischen Rechtsverkehrs befasst.587 Auch werden in dem Ausschuss Handreichungen für das Qualitätsmanagementsystem (QMS) erarbeitet.588 Schließ­ lich ist in diesem Zusammenhang noch der Ausschuss für Presse-/Öffentlichkeitsar­ beit zu nennen, welcher der Entwicklung und Strukturierung der Öffentlichkeitsar­ beit der BRAK dient (siehe zur Öffentlichkeitsarbeit S. 137). Die Frage, ob und in welchem Umfang die Bundesregierung Anwaltskanzleien beauf­ tragen darf, Gesetzentwürfe statt der Ministerialbürokratie anzufertigen, wird zum Teil strittig diskutiert.589 Dabei wird auch die Frage aufgeworfen, ob Rechtsanwälte als typische Vertreter von Partikularinteressen hinreichend der Gemeinwohlorientie­ rung, welche das Gesetzgebungsverfahren erfordert, Rechnung tragen können.590 Vermag ein Bankenanwalt, so wird gefragt, sich innerlich hinreichend von den Inte­ ressen der von ihm sonst vertretenen Mandanten zu lösen, um an einem gemeinwohl­ orientierten Gesetz mitwirken zu können.591 Es geht hierbei also um einen abstrakten Interessenkonflikt zwischen den dauerhaft in konkreten Rechtsfragen beratenen Mandanten und den Anforderungen an eine gemeinwohlorientierte Gesetzgebung.592 Die Fragestellung wurde in dieser Form erst durch eine inhaltliche Ausdifferenzie­ rung des Anwaltsmarkts und die damit verbundene Lagerbildung in Verbraucher­ schutz- und Unternehmensanwälte, Anleger- und Bankenanwälte etc. möglich. Eine Entwicklung, welche für eine gewisse notwendige innere Distanz des Rechtsanwalts 585 https://www.brak.de/w/files/01_ueber_die_brak/sonstiges/181210_hinweise-fuer-die-­ taetigkeit-des-abwicklers_endf_12-2018.pdf und https://www.brak.de/w/files/01_ueber_ die_brak/aus-der-arbeit-der-ausschuesse/abwicklerlexikon_2019.pdf. 586 BRAK-Mitt., 2018, 6 ff. 587 TB zur 140. HV am 23.5.2014 in Magdeburg, S. 22. 588 https://www.brak.de/fuer-anwaelte/qualitaet-durch-fortbildung/fortbildungszertifikat/. 589 Vgl. zu der Diskussion nur Kloepfer, NJW 2011, 131  ff. und Filges, BRAK-Mitt. 2010, 239 ff. 590 Kloepfer, NJW 2011, 131, 132 f. 591 Kloepfer, NJW 2011, 131, 133. 592 Krüper, JZ 2010, 655, 659.

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zu den Interessen seiner Mandanten nicht zwingend hilfreich ist. Die Bedeutung der anwaltlichen Unabhängigkeit auch zum eigenen Mandanten erklärt sich gerade aus dem Argumentationsprozess. In diesem müssen, um eine gemeinsame Basis für den „Streit um Worte“ zu haben, die Parteien des Rechtsstreits ihre „Rechtsmeinung“ auf deren Gültigkeit hin zur Überprüfung stellen. Hierin liegt zugleich ein notwendiger Schritt der Distanzierung von der eigenen Meinung. Diese Distanzierung bezeichnen Christensen/Kudlich als den Übergang vom Meinen zur thetischen Rede.593 Die Bedenken, welche man gegen das Gesetzgebungsoutsourcing erheben mag, kön­ nen gegen die Beratung durch die Gesetzgebungsausschüsse der Bundesrechtsan­ waltskammer nicht erhoben werden. Kloepfer sieht in diesem Zusammenhang zutref­ fend das Gemeinwohl in der anwaltlichen Tätigkeit nur mittelbar erzeugt, indem sich im Verfahren die von den Anwälten vertretenen kontradiktorischen Positionen, also These und Antithese, erst zur Synthese formen.594 Da Rechtsanwälte auf beiden Seiten eines Verfahrens stehen,595 sind die Gesetzgebungsausschüsse in besonders hohem Umfang geeignet, eine am Gemeinwohl orientierte Gesetzesberatung zu leisten. Die Synthese lässt sich im Ausschuss selbst bereits herbeiführen, wenn der Ausschuss die Pluralität der Rechtsanwaltschaft abbildet. Daher ist es nicht unproblematisch, wenn von den elf Mitgliedern des Ausschusses für Arbeitsrecht nur ein Mitglied ein Anwalt ist, der explizit Arbeitnehmer vertritt, und die meisten Mitglieder von Großkanzleien stammen, die üblicherweise nur Arbeitgeber vertreten. Derzeit bestehen bei der Bundesrechtsanwaltskammer Gesetzgebungsausschüsse zu folgenden Themen: Anwaltsnotariat; Arbeitsrecht; Asyl- und Ausländerrecht; Außer­ gerichtliche Streitbeilegung; Berufsbildung; Bundesrechtsanwaltsordnung; Daten­ schutzrecht; Elektronischer Rechtsverkehr; Europa; Familien- und Erbrecht; Gesell­ schaftsrecht; Gewerblicher Rechtsschutz; IT-Recht; Insolvenzrecht; Internationales Privat- und Prozessrecht; Juristenausbildung; Kartellrecht; Menschenrechte; Rechts­ anwaltsvergütung; Rechtsdienstleistungsgesetz; Schuldrecht; Sozialrecht; Steuerrecht; Strafrecht; Verfassungsrecht; Versicherungsrecht; Verwaltungsrecht; ZPO/GVG. Seit 1987 hat die BRAK die Anzahl der Gesetzgebungsausschüsse stark erweitert. Auf der 62.  Hauptversammlung in Berlin wurden der Strafrechtsausschuss, der ZPO/ GVG-Ausschuss, der Ausschuss Datenschutzrecht, der Ausschuss Verfassungsrecht und der Ausschuss Schuldrechtskommission als klassische Gesetzgebungsausschüsse eingesetzt. Hinzu kam noch der Richtlinienausschuss als Vorläufer des Berufsrechts­ ausschusses.596 Mit der Zeit kamen der Gesellschaftsrechtsausschuss,597 der Ausschuss Familienrecht und Verwaltungsprozessrecht (später Verwaltungsrecht) und der Aus­

593 Christensen/Kudlich, Theorie richterlichen Begründens, 2001, S. 241 ff. ausführlich zu die­ ser Funktion für die anwaltliche Tätigkeit, Wolf in: Gaier/Wolf/Göcken, § 1 BRAO Rz. 59 f. 594 Kloepfer, NJW 2011, 131, 132 f. 595 Das Strafrecht bildet hier eine Ausnahme. 596 Prot. 62. HV am 2.10.1987 in Berlin, BRAK-Nr. 168/87 v. 4.12.1987, S. 6 ff. 597 Prot. 77. HV am 2.10.1995 in Nürnberg, BRAK-Nr. 101/95 v. 23.5.1995, S. 4, 11 und 22.

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schuss zur Reform der Anwaltsausbildung (Juristenausbildung)598 hinzu. Mit der Zeit wurden zusätzlich der IPR-Ausschuss, der Ausschuss für Arbeitsrecht,599 der Aus­ schuss für Informatik und Kommunikation (nun IT-Recht), der Ausschuss für Steu­ errecht600 sowie die Ausschüsse für Anwaltsnotariat, Erbrecht, Kartellrecht und Ge­ werblichen Rechtsschutz eingesetzt.601 Mit ihren 30 Gesetzgebungsausschüssen nimmt heute die Bundesrechtsanwaltskam­ mer zu den meisten Gesetzgebungsvorhaben auf Bundesebene Stellung. In der Regel arbeiten die Ausschüsse dabei anlassbezogen und bereiten ihre Stellungnahmen durch einen Berichterstatter vor. Ein besonderes Gewicht kommt dabei denjenigen Ausschüssen zu, welche die Arbeitsbedingungen der Rechtsanwälte unmittelbar be­ treffen, also den Ausschüssen zur Bundesrechtsanwaltsordnung, zum Rechtsdienst­ leistungsgesetz, zum Verfassungsrecht, zur ZPO/GVG und zum Strafrecht. b) Die Arbeit des Strafrechtsausschusses, des ZPO/GVG-Ausschusses und des Verfassungsrechtsausschusses aa) Strafrechtsausschuss Unter diesen nimmt wiederum der Strafrechtsausschuss (Strauda) eine besondere Stellung ein. Dies liegt zum einen daran, dass der Strauda älter ist als die Bundes­ rechtsanwaltskammer. Der Strafrechtsausschuss wurde zunächst von der Arbeitsge­ meinschaft der Anwaltskammervorstände im Bundesgebiet gebildet und später von der BRAK übernommen.602 Zum anderen muss sich gerade in der Strafverteidigung die rechtsstaatliche Ordnung eines Staates beweisen. Darüber hinaus unterscheidet sich der Strafrechtsausschuss auch in seiner Arbeitsweise von den übrigen Ausschüs­ sen. So nimmt er nicht nur anlassbezogen zu bestimmten aktuellen Gesetzesvorhaben Stellung, sondern wählt auch Generalthemen aus, wie die Gestaltung der Hauptver­ handlung, und arbeitet diese auf.603 Dabei gelingt ihm auch ein Dialog mit der Wis­ senschaft, den Vertretern des BGHs, des Generalsbundesanwalts sowie des Bundes­ justizministeriums. Hierzu tragen insbesondere seine ständigen Gäste bei.604 Als Beispiel für die Arbeitsweise und den Einfluss, den der Strauda entfaltet, kann der Gesetzesvorschlag zur Verständigung im Strafverfahren genauso dienen605 wie die

598 Prot. 86. HV am 24.9.1999 in Karlsruhe, BRAK-Nr. 219/99 v. 7.9.1999, S. 7, 9, 14, 15, 21, 22, 23 und 25. 599 Prot. 94. HV am 16.5.2003 in Saarbrücken, BRAK-Nr. 222/2003 v. 6.5.2003, S. 71, 72 und 75. 600 Prot. 111. HV am 20.4.2007 in Speyer, BRAK-Nr. 158/2007 v. 19.3.2007, S. 12 ff. 601 Prot. 111. HV am 20.4.2007 in Speyer, BRAK-Nr. 158/2007 v. 19.3.2007, S. 12 ff. 602 BGH, NJW 1961, 220 f. 603 Dippel, FS Strafrechtsausschuss der BRAK, 2006, S. 3 ff. 604 Groß, FS Strafrechtsausschuss der BRAK, 2006, S. 37, 46. 605 ZRP 2005, 235.

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Thesen des Strauda zum Unternehmensanwalt im Strafrecht606 oder die Thesen zur Strafverteidigung.607 bb) ZPO/GVG-Ausschuss Rechtsschutz ist nicht zum Nulltarif zu haben. Der Staat versucht häufig vermeintlich das teure Verfahrensrecht einzuschränken. Im Bereich des Verfahrensrechts verfolgt die BRAK vor allem durch die Arbeit des ZPO/GVG-Ausschusses daher eine Positi­ on, welche sich strikt gegen die Einschränkung von Verfahrensrechten wendet. Ge­ meinsam haben sich BRAK und DAV gegen den Entwurf eines Rechtspflegeentlas­ tungsgesetzes der JuMiKo vom April 1991 positioniert. Mit einem gemeinsamen Schreiben an den damaligen Justizminister Klaus Kinkel haben die Präsidenten von BRAK und DAV Schmalz und Senninger sich insbesondere gegen die Zulassungsbe­ rufung und die flächendeckende Einführung des Einzelrichters in allen erstinstan­ ziellen Verfahren aller Gerichtszweige gewandt.608 Auch bei der Reform von 2001 positionierte sich die BRAK gegen die Umgestaltung des Berufungsverfahrens von einer zweiten Tatsacheninstanz in eine reine Kontrollinstanz.609 §  522 Abs.  2 ZPO eröffnet die Möglichkeit, die Berufung durch einstimmigen Be­ schluss des Berufungsgerichts zurückzuweisen, wenn das Berufungsgericht die Beru­ fung als nicht begründet angesehen hat.610 Der Beschluss konnte nicht angefochten werden, § 522 Abs. 3 ZPO a.F.611 Bereits in der Initiativstellungnahme des ZPO-Aus­ schusses vom April 2003 sprach sich die BRAK gegen die Unanfechtbarkeit des Zu­ rückweisungsbeschlusses aus.612 Die BRAK blieb dieser Linie treu613 und konnte schließlich die Änderung von § 522 Abs. 3 ZPO durchsetzen. Jetzt ist der Beschluss mit dem gleichen Rechtsmittel angreifbar wie ein entsprechendes Urteil.614 Ein weiteres Beispiel für die Position der BRAK, sich im Zweifel für eine Erweiterung der prozessualen Rechtsstellung der Parteien einzusetzen, ist die Musterklage. So hat sich die BRAK bei der Musterklage für eine Mitwirkungsmöglichkeit der angemelde­ ten Anspruchsteller ausgesprochen. Aufgrund der Wirkung des Musterentscheids, so der ZPO-Ausschuss der BRAK in seiner Stellungnahme, könne die Führung der Mus­ terklage nicht dem Rechtsanwalt des die Musterklage führenden Verbands alleine überlassen werden.615 606 Ignor, CCZ 2011, 143. 607 Strafrechtsausschuss der Bundesrechtsanwaltskammer, Thesen zur Strafverteidigung, 2. Aufl., 2015 (BRAK-Schriftenreihe, Bd. 20). 608 BRAK-Mitt., 1991, 66 ff. 609 Prot. 87. HV am 12.5.2000 in Köln, BRAK-Nr. 141/2000 v. 15.5.2000, S. 20. 610 BGBl. I 2001, S. 1887. 611 BGBl. I 2001, S. 1887. 612 Stellungnahme der Bundesrechtsanwaltskammer Änderungsvorschläge zum Zivilprozess­ reformgesetz, April 2003, S. 6. 613 BRAK-Stellungnahme Nr. 38/2010, Dezember 2010. 614 BGBl. I 2011, S. 2082. 615 BRAK-Stellungnahme Nr. 21/2018, Juni 2018, S. 5.

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cc) Verfassungsrechtsausschuss Primäre Aufgabe des Verfassungsrechtsausschusses ist es, gegenüber dem Bundesver­ fassungsgericht nach § 27a BVerfVG Stellung zu nehmen. Dabei würde man die Tä­ tigkeit des Verfassungsrechtsausschusses nur unzureichend erfassen, wenn man die­ sen nur mit Stellungnahmen zu Verfassungsbeschwerden von Rechtsanwälten gegen berufsrechtliche Bestimmungen oder Entscheidungen der Rechtsanwaltskammern bzw. des Anwaltssenats des BGH in Verbindung bringen würde. So hat der Verfas­ sungsrechtsausschuss z.B. zur Auslegung von § 6 Abs. 1 BImSchG i.V.m. § 44 Abs. 1 BNatSchG durch das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen einer Verfassungsbe­ schwerde Stellung genommen.616 Auch rechtfertigt der Verfassungsrechtsausschuss keineswegs die Entscheidungen der regionalen Kammern automatisch und unkritisch. Die besondere Bedeutung des Ver­ fassungsrechtsausschusses besteht gerade darin, dass sich der Ausschuss eine eigen­ ständige, von der Entscheidung der regionalen Kammer auch abweichende Position erarbeitet. Dies soll anhand von zwei Beispielen verdeutlicht werden. Die Rechtsan­ waltskammer Köln hat die Beschwerdeführerin nicht zur Anwaltschaft zugelassen, weil sie die Voraussetzungen nach § 7 Nr. 5 BRAO nicht erfülle. Im Referendariat kam es zwischen der Beschwerdeführerin und ihrer Ausbildungsstaatsanwältin zu einer verbalen Auseinandersetzung, derentwegen die Beschwerdeführerin wegen Beleidi­ gung zu 60 Tagessätzen verurteilt worden ist. Deshalb bejahte die Kammer die Un­ würdigkeit im Sinne von § 7 Nr. 5 BRAO. Der AGH Hamm folgte der Beurteilung und der BGH ließ die Berufung gegen die AGH-Entscheidung nicht zu. Mit der Ver­ fassungsbeschwerde hat die Beschwerdeführerin am Ende Erfolg.617 Der Verfassungs­ rechtsausschuss der BRAK sah, wie später das Bundesverfassungsgericht, in der Ent­ scheidung der Rechtsanwaltskammer Köln eine Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG.618 Die zweite Entscheidung betrifft eine Rügeentscheidung der Kammer Frankfurt aus dem Jahr 2006. Der spätere Mandant des Beschwerdeführers wurde zunächst von ei­ nem anderen Rechtsanwalt wegen eines Vorfalls im Straßenverkehr angeschrieben. In dem Schreiben wurde wegen Rambo-Manieren ein Schmerzensgeld in Höhe von 2.500 Euro gegen den späteren Mandanten erhoben. Der Beschwerdeführer wies die Forderung im Namen seines nunmehrigen Mandanten mit folgenden Worten zurück: „sich durch die Geltendmachung einer fingierten Forderung über 2.500 Euro wegen eines Verbrechens der Erpressung strafbar gemacht“. Er werde „deswegen […] noch von der Staatsanwaltschaft hören“. Hierin sah die Kammer einen Verstoß gegen das Sachlichkeitsgebot nach § 43a Abs. 3 BRAO. Weder der Einspruch des Rechtsanwalts gegen die Entscheidung der Kammer noch der Antrag an das Anwaltsgericht auf ge­ richtliche Entscheidung waren erfolgreich.619 Die hiergegen gerichtete Verfassungs­ beschwerde war jedoch erfolgreich. Das Bundesverfassungsgericht sah in der Rüge 616 BRAK-Stellungnahme Nr. 42/2017, Dezember 2017, zu den Verfassungsbeschwerden der H. W. GbR – 1 BvR 2523/13 und der e. e. GmbH − 1 BvR 595/14. 617 BVerfG, NJW 2017, 3704. 618 BRAK-Stellungnahme Nr. 1/2017, Januar 2017. 619 Zum Sachverhalt, BVerfG, NJW 2008, 2424.

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eine Verletzung von Art. 12 GG. Als eine Verletzung des Sachlichkeitsgebots könne eine Beleidigung dann nicht gerügt werden, wenn nicht zugleich geprüft werde, ob die Beleidigung durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen gerechtfertigt ist.620 Der Verfassungsrechtsausschuss beurteilte in seiner Stellungnahme den Sachverhalt ähnlich. Auch er sah die Verfassungsbeschwerde als begründet an. Der Rechtsanwalt des Gegners habe durch seine Wortwahl Anlass zu einer Gegenreaktion gegeben.621 c) Die Arbeit des Berufsrechtsausschusses und des RDG-Ausschusses Besondere Bedeutung kommt der Arbeit des BRAO-Ausschusses und des Rechts­ dienstleistungsausschusses zu, weil sich die Tätigkeit unmittelbar auf die Steuerung der anwaltlichen Tätigkeit selbst auswirkt. Die grundlegende Umgestaltung des an­ waltlichen Berufsrechts wurde in Folge der Bastille-Entscheidungen mit dem Gesetz zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte vom 2.9.1994 vorgenommen.622 1990 legte die Bundesrechtsanwaltskammer hierzu einen Entwurf vor (siehe auch III. Satzungsversammlung).623 Der Entwurf nimmt ausdrück­ lich auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Lokalisationsprinzip624 Bezug.625 In der Entscheidung spricht sich das BVerfG für die Beibehaltung des Loka­ lisationsprinzips aus, damit nicht einige wenige Anwälte sich die Mehrzahl der Man­ date teilen. Die Bundesrechtsanwaltskammer betont in dem Entwurf, dass a) die Lo­ kalisierung bestehen bleiben soll, b) eine „Rechtsanwalts-GmbH“ nicht zugelassen werden soll, c) die vom BGH zugelassene überörtliche Sozietät nicht in das neue an­ waltliche Berufsrecht übernommen werden soll. In der Begründung führt die Bundesrechtsanwaltskammer u.a. aus, dass die weitere Zulassung von überörtlichen Sozietäten den Zweck des Lokalisationsprinzips kontra­ hieren würde. Die Verdichtung des Anwaltsmarkts durch Großkanzleien könne dazu führen, dass der einzelne Bürger immer größere Schwierigkeiten hätte, den Anwalt seiner Wahl zu finden.626 Im Gegensatz hierzu sprach sich der Deutsche Anwaltverein für überörtliche Sozietä­ ten,627 die Anwalts-GmbH628 und die Aufhebung des Lokalisationsprinzips aus.629 Zwar sah auch der DAV die mit großen Kanzleien einhergehenden strukturellen Ver­ änderungen. Jedoch, so der DAV in seinem Positionspapier, fänden diese auch bei einer als BGB-Gesellschaft strukturierten Großkanzlei statt.630 620 BVerfG, NJW 2008, 2424. 621 BRAK-Stellungnahme-Nr. 43/2007, November 2007. 622 BGBl. I 1994, S. 2278 ff. 623 BRAK-Stellungnahme, MDR 1990, 753. 624 BVerfG, NJW 1990, 1033. 625 BRAK-Stellungnahme, MDR 1990, 753. 626 BRAK-Stellungnahme, MDR 1990, 753. 627 AnwBl. Beilage Heft 4 1990, 6. 628 AnwBl. Beilage Heft 4 1990, 8. 629 AnwBl. Beilage Heft 4 1990, 15. 630 AnwBl. Beilage Heft 4 1990, 7.

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Im Nachfolgenden verständigten sich BRAK und DAV zunächst auf einen gemeinsa­ men Vorschlag, der dem Bundesjustizminister mit Schreiben vom 8. Juli 1991 unter­ breitet wurde.631 Hiervon ist der DAV im Oktober 1993 mit einer neuen Stellungnahme abgewichen, in der er u.a. die Einführung der Kapitalgesellschaft als Berufsaus­ übungsgesellschaft für Rechtsanwälte fordert.632 Der Reformgesetzgeber hat sich be­ kanntlich für die Abschaffung des Lokalisationsprinzips und gegen ein Verbot der überörtlichen Sozietäten ausgesprochen.633 Hingegen wurde der Vorschlag, eine An­ walts-GmbH einzuführen, nicht aufgegriffen.634 Die Frage, ob die Singularzulassung am OLG aufrechterhalten werden soll, wurde den Bundesländern überlassen, § 226 Abs. 2 BRAO i.d.F. vom 2.9.1994.635 Die von der Arbeitsgemeinschaft der Syndikus­ anwälte im DAV geforderte Anerkennung der Tätigkeit des Syndikus im Unterneh­ men als Rechtsanwalt hat der Gesetzgeber abgelehnt: „Bei der Tätigkeit, die der Syn­ dikus für seinen Dienstherrn leistet, sind dann, wenn der Syndikus persönlich mit der Materie des Einzelfalls befaßt gewesen ist, die durch das Gesetz der freien Advokatur gekennzeichneten typischen Wesensmerkmale der freien Berufsausübung, die das Bild des Rechtsanwalts bestimmen, nicht gegeben. Seine freie und unreglementierte Selbstbestimmung wäre im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses, in dem er grund­ sätzlich dem Prinzip der Über- und Unterordnung unterliegt, nicht gewährleistet.“636 In seiner rechtspolitischen Bewertung zitierte Finzel einen Beitrag von Thomas F. Gibbons im ABA Journal,637 der eine enorme Verdichtung des amerikanischen Anwalts­ markts zu Lasten der kleinen und mittleren Kanzleien vorhersagte. Dies werde, so die Ansicht Finzels, auch in Deutschland die Folge der Aufhebung des Lokalisationsprin­ zips sein.638 Zwar stand nicht der Zugang zum Recht im Fokus von Finzels Kritik, sondern die wirtschaftliche Situation der Anwaltschaft in der Breite. In gewisser ­Weise ist dies jedoch nur die Kehrseite des Problems des Zugangs zum Recht, welches auf der freiwilligen Quersubventionierung durch die Rechtsanwaltschaft aufbaut (sie­ he V. Zeitgemäß? Anwaltliches Gesellschaftsrecht – Quersubventionierung – Zugang zum Recht). Als der Gesetzgeber mit dem Gesetz 1998639 die Anwalts-GmbH in §§ 59c ff. BRAO regelte, war die Frage, ob eine Haftungsbeschränkung mit dem Leitbild der freibe­ ruflichen Tätigkeit vereinbar ist, längst entschieden. Der BayObLG hat die Anwalts-­ GmbH 1994 für zulässig erklärt.640 Zwar sprach sich die 77. Hauptversammlung der 631 AnwBl. 2001, 624. 632 TB zur 75. HV am 27.5.1994 in Gera, S. 6 f. 633 BT-Drs. 12/4993, S. 23. 634 BT-Drs. 12/4993, S. 23. 635 BGBl. I 1994, S. 2278 ff.; BT-Drs. 12/4993, S. 23.  636 So die Begründung des Rechtsausschusses für die Regelung in § 46 BRAO i.d.F. v. 2.9.1994 (BGBl. I, S. 2278 ff.), BT-Drs. 12/7656, S. 49. 637 Gibbons, ABA-Journal, January 1990, 69 ff. 638 TB zur 75. HV am 17.5.1994 in Gera, S. 9. 639 Gesetz zur Änderung der Bundesrechtsanwaltsordnung der Patentanwaltsordnung und anderer Gesetze, BGBl. I 1998, S. 2600. 640 BayObLGZ 1994, 353.

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BRAK 1995641 noch gegen die Anwalts-GmbH aus. Zwei Jahre später musste die Hauptversammlung jedoch zu der Erkenntnis kommen, dass das Verbot einer An­ walts-GmbH politisch nicht mehr durchsetzbar sei.642 Der Gesetzgeber konnte sich daher auf die Zustimmung von BRAK und DAV zur Anwalts-GmbH berufen.643 Das Gesetz zur Stärkung der Selbstverwaltung der Rechtsanwaltschaft vom 26.3.2007644 geht auf eine Initiative des Landes Hessen aus dem Jahr 2004 zurück.645 Der Gesetzentwurf fiel der Diskontinuität anheim und wurde von dem Bundesland 2005 erneut im Bundesrat eingebracht.646 Die BRAK hat durch den BRAO-Ausschuss Stellung genommen und den Gesetzentwurf grundsätzlich begrüßt.647 Im Gesetzge­ bungsverfahren konnte sich die BRAK mit ihrer Forderung durchsetzen, die Sat­ zungsversammlung zu verkleinern.648 Hingegen blieb es bei der bereits im Gesetzent­ wurf vorgesehenen Streichung von § 20 BRAO a.F. Die Frist, zunächst fünf Jahre als am Landgericht zugelassener Rechtsanwalt tätig gewesen sein zu müssen, bevor man die Postulationsfähigkeit am OLG erwirbt, ist damit entfallen. Das Argument des BRAO-Ausschusses, durch diese Wartefrist würde die Qualität der Arbeit gestei­ gert,649 wurde nicht gehört. Bereits damals setzte sich die BRAK für eine allgemeine, durch die Kammern zu kontrollierende Fortbildungspflicht aller Anwälte und nicht nur der Fachanwälte ein.650 Bis heute hat der Gesetzgeber sich diesem Anliegen der BRAK versagt. Den letzten Versuch der BRAK hat deren Präsident Schäfer mit seinem Schreiben vom 27. Januar 2017 an die Mitglieder des Rechtsausschusses des Bundes­ tags unternommen. Im Rahmen der Umsetzung der Berufsanerkennungsrichtlinie651 mahnte er die Schaffung einer Satzungskompetenz für die Einführung einer allgemei­ nen und überwachten Fortbildungsverpflichtung an.652 Er berief sich dabei auf das Kohärenz-Prinzip.653 Nach dem Kohärenz-Prinzip überprüft insbesondere der EuGH, ob eine bestimmte Regelung nicht nur verhältnismäßig, sondern in sich wider­ spruchsfrei ist.654 Aus der Sicht der Bundesrechtsanwaltskammer genügt es daher nicht, zwar die Qualität beim Zugang zum Anwaltsberuf durch das zweite Staatsexa­ men abzusichern, jedoch auf eine systemische Absicherung der Qualität während der gesamten beruflichen Tätigkeit zu verzichten. Bislang hat der Gesetzgeber auf diese systemische Qualitätsabsicherung unverständlicherweise verzichtet. 641 Prot. der 77. HV in Nürnberg am 19.5.1995, BRAK-Nr. 101/95 v. 23.5.1995, S. 20. 642 Kempter in: Prot. 80. HV in Dresden am 26.9.1996, BRAK-Nr. 168/96 v. 2. 10.1996, S. 24. 643 BT-Drs. 13/9820, S. 11. 644 BGBl. I 2017, S. 358. 645 BR-Drs. 945/04. 646 BR-Drs. 889/05. 647 BRAK-Stellungnahme Nr. 8/2005, März 2005. 648 Art.  1 Zif. 46c des Gesetzes zur Stärkung der Selbstverwaltung der Rechtsanwaltschaft, BGBl. I 2007, S. 358. 649 BRAK-Stellungnahme Nr. 8/2005, S. 5. 650 BRAK-Stellungnahme Nr. 8/2005, S. 8. 651 Gesetz zur Umsetzung der Berufsrechtsanerkennungsrichtlinie v. 12.5.2017, BGBl. I 2017, S. 1121. 652 www.brak.de/test.pdf. 653 EuGHE I 2007, 1932 Zif. 53; EuGHE I 2003, 13076 Zif. 67; EuGHE I 2009, 4171, Zif. 42. 654 Hierzu Wolf in: Gaier/Wolf/Göcken, § 2 BRAO Rz. 30.

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Einen wichtigen Einschnitt in das anwaltliche Berufsrecht bedeutete das Gesetz zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts vom 12.12.2007.655 Die Verfassungskonfor­ mität des RBerG wurde vom Bundesverfassungsgericht in einer Reihe von Entschei­ dungen überprüft und der Anwendungsbereich eingeschränkt.656 Darüber hinaus wurde der nationalsozialistische Entstehungskontext des Gesetzes problematisiert.657 Ausgehend vom XVI. Hauptgutachten der Monopolkommission658 wurde im Sinne der neoklassischen Theorie eine weitgehende Deregulierung der Rechtsberatung ge­ fordert. Ein möglichst unbeschränkter Wettbewerb wurde als das Modell angesehen, welches den Zugang zum Recht bestmöglich sicherstellt.659 In diesem Sinne stellt sich das ursprüngliche Rechtsberatungsgesetz als ein Teil der monopolitischen Abgren­ zungsstrategien der freien Berufe dar, welche es aufzubrechen gälte.660 Weder vermö­ gen aber die theoretischen Annahmen dieses Modells zu überzeugen661 noch lässt sich ein empirischer Nachweis führen, dass eine Deregulierung zu einem besseren Zugang zum Recht geführt hat.662 Gesetzessystematisch ergänzt das Verbot der Rechtsdienstleistung § 3 RDG die allge­ meine Rechtsberatungserlaubnis in § 3 BRAO. Die Zulassungsanforderung der Befä­ higung zum Richteramt, § 4 BRAO, würde wenig Sinn machen, wenn jeder die glei­ che Tätigkeit auch ohne die entsprechende Qualifikation ausführen dürfte. Hinzu kommt, dass den Rechtsanwälten nach der Grundidee des anwaltlichen Berufsrechts auch die Aufgabe zukommt, den streitwertunabhängigen Zugang zum Recht durch Quersubventionierung zu sichern.663 Letzteres ist aber nur möglich, wenn sie nicht mit denjenigen am Markt konkurrieren müssen, die einer entsprechenden Gemein­ wohlverpflichtung nicht unterliegen. Einen entsprechend hohen Stellenwert hat bei der Bundesrechtsanwaltskammer da­ her auch das Rechtsdienstleistungsgesetz. Der erste Diskussionsentwurf eines neu­ en Rechtsdienstleistungsgesetzes wurde 2004 kurz vor dem 65. Juristentag in Bonn durch das Bundesjustizministerium vorgelegt.664 Noch vor dem DJT erarbeitete die 104.  Hauptversammlung in Bamberg eine Stellungnahme zu dem Diskussionsent­ wurf.665 In der Stellungnahme begrüßte die Hauptversammlung das Bekenntnis des Diskussionsentwurfs zum notwendigen Schutz der Rechtsuchenden, des Rechtsver­ 655 BGBl. I 2007, S. 2840. 656 Vgl. nur zum Nachweis der Rechtsprechung Weth in: Henssler/Prütting, Bundesrechtsan­ waltsordnung, 2. Aufl., 2004, RBerG Einl. Rz. 10 ff. 657 Wolf in: Gaier/Wolf/Göcken, Einl. Vor § 1 RDG Rz. 1 ff. 658 Vgl. nur das XVI. Hauptgutachten der Monopolkommission, BT-Drs. 16/2460, S. 378 f. 659 Vgl. nur das XVI. Hauptgutachten der Monopolkommission, BT-Drs. 16/2460, S. 378 f. 660 Vgl. das XVI. Hauptgutachten der Monopolkommission, BT-Drs. 16/2460, S. 392 f. 661 Hierzu ausführlich Wolf, Recht durch Rechtsanwälte, in 4. Zivilprozessrechts-Symposion, Schriftenreihe der BRAK, Bd. 16, 2008, S. 1, 14 ff. 662 Wolf, Recht durch Rechtsanwälte, in 4. Zivilprozessrechts-Symposion, Schriftenreihe der BRAK, Bd. 16, 2008, S. 1, 12 f. und Wolf, ZRP 2015, S. 225. 663 Hierzu Wolf in: NJW-Sonderheft zum 4. Hannoveraner ZPO-Symposion 2008, 21, 24. 664 NJW-Beil. zu H. 38/2004. 665 Prot. über die 102.  HV am 17.9.2004 in Bamberg, BRAK-Nr.  530/2004 v. 12.10.2004, S. 49 f.

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kehrs und der Rechtsordnung vor unqualifizierter Rechtsberatung und Rechtsbesor­ gung. Weitergehende Vorstellungen eines allgemeinen Rechtsberatungsmarktes un­ terhalb der Ebene der Rechtsanwälte, z.B. durch ein Informationsmodell,666 wurden bereits im Diskussionsentwurf abgelehnt. Kritisiert wurde von der Hauptversamm­ lung aber insbesondere die Regelung der Annex-Rechtsberatung und die Ausweitung der sozietätsfähigen Berufe.667 Der 65. Deutsche Juristentag lehnte in seiner Abteilung Verfahrensrecht weitgehend eine Öffnung des Rechtsberatungsmarkts ab.668 Aufgrund der vorgezogenen Neuwah­ len wurde der Gesetzesentwurf eines Rechtsdienstleistungsgesetzes erst in der 16. Le­ gislaturperiode in den Bundestag eingebracht,669 das Thema RDG blieb aber Schwer­ punkt der Arbeit der BRAK.670 Die Bundesrechtsanwaltskammer legte im Mai 2007 eine ausführliche Stellungnahme zum RDG Gesetzesentwurf vor.671 Thematisch be­ zog die BRAK auch in dieser Stellungnahme zur Reichweite des Rechtsdienstleis­ tungsbegriffs in § 2 RDG-RegEntw. Position. Darüber hinaus wurde die Einführung eines Ordnungswidrigkeitstatbestands gefordert. Schließlich setzte man sich erneut mit der Annex-Rechtsberatung und der Erweiterung der sozietätsfähigen Berufe aus­ einander. Im Gesetzgebungsverfahren gelang es zwar, die Erweiterung der sozietäts­ fähigen Berufe abzuwenden, nicht jedoch die Aufhebung des Verbots der Sternsozie­ täten in § 59a Abs. 1 BRAO. In Konsequenz dessen hob die Satzungsversammlung das Verbot der Sternsozietät in § 31 BORA auf.672 Die Reichweite des Schutzes des Rechtsdienstleistungsgesetzes wurde erneut Thema im Rahmen des Gesetzes zur Umsetzung der Berufsrechtsanerkennungsrichtlinie vom 12.5.2017.673 In dem Gesetzesentwurf ging es nicht nur um die Anpassung des EuRAG an die Berufsrechtsanerkennungsrichtlinie und die Einführung der verbind­ lichen Briefwahl für den Kammervorstand der Rechtsanwaltskammern, sondern auch um die Bestimmung des internationalen Anwendungsbereichs des RDGs. In seiner ursprünglichen Fassung verhielt sich das Gesetz nicht zu der Frage, in welchen Fällen mit Auslandsbezug die Verbotsnorm des § 3 RDG greift.674 Mit dem Gesetzes­ entwurf der Bundesregierung sollte erstmals der internationale Anwendungsbereich des Gesetzes definiert werden. Nach dem Regierungsentwurf wäre das RDG in den Fällen, in denen die Rechtsdienstleistung vollständig aus dem Ausland erbracht wird, nur noch zur Anwendung gekommen, wenn sich der Rechtsdienstleister im Inland an einen Dritten gewandt hätte und das Rechtsverhältnis zwischen dem Dritten und 666 So die Forderung von Grunewald, AnwBl. 2004, 208 ff. 667 Prot. über die 102. HV am 17.9.2004 in Bamberg, BRAK-Nr. 530/2004 v. 12.10.2004, S. 50. 668 65. Deutscher Juristentag, Bonn 2004, Beschlüsse, S. 33 ff. 669 BT-Drs. 16/3655. 670 Tätigkeitsbericht zur 105. HV am 16.9.2005 in Düsseldorf/Neuss, BRAK-Nr. 418/2005 v. 12.8.2005 S.6. 671 BRAK-Stellungnahme Nr. 19/2007. 672 SV-Prot. 114 der 1. Sitzung der 4. SV am 18.1.2008 in Berlin, S. 15. 673 BGBl. I 2017, S. 1121. 674 Hierzu einerseits Deckenbrock in: Deckenbrock/Henssler, § 1 RDG, Rz. 32 ff., und ander­ seits Wolf in: Gaier/Wolf/Göcken, 2. Aufl., § 15 Rz. 14.

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dem Auftraggeber dem deutschen Recht unterlegen wäre.675 Die Bundesrechts­ anwaltskammer nahm zunächst zum Referentenentwurf676 und anschließend zum Gesetzesentwurf677 Stellung. Dabei ging es der BRAK vor allem darum, Umgehungs­ möglichkeiten zu verhindern, indem z.B. der Server, von dem aus die Rechts­ dienstleistung erbracht wird, ins Ausland verlagert wird. Weniger rechtspolitisch brisant waren aus der Sicht der Bundesrechtsanwaltskammer die Gesetzesentwürfe zur Neuregelung des Verbots der Vereinbarung von Erfolgsho­ noraren vom 16.6.2008;678 Gesetz zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht, zur Errichtung einer Schlichtungsstelle der Rechtsan­ waltschaft vom 30.7.2009;679 und das Gesetz zur Einführung einer Partnerschaftsge­ sellschaft mit beschränkter Berufshaftung vom 15.7.2013.680 Die BRAK nahm zu die­ sen Gesetzen grundsätzlich zustimmende, im Einzelnen mit Detailkritik versehene Stellung.681 Gleiches gilt für die Stellungnahme zum Gesetz zur Neuregelung des Schutzes von Geheimnissen bei der Mitwirkung Dritter an der Berufsausübung vom 30.10.2017.682 Rechtspolitisch deutlich kontroverser wurde das Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Syndikusrechtsanwälte vom 21.12.2015683 beurteilt. Den Ausgangspunkt nahm das Gesetz in den Entscheidungen des Bundessozialgerichts zum Befreiungstatbe­ stand des § 6 Abs. 1 S. 1 SGB VI für angestellte Unternehmensjuristen.684 Bis zu der Entscheidung des BSG wurden angestellte Unternehmensjuristen von der gesetzli­ chen Rentenversicherungspflicht befreit, wenn sie im Unternehmen eine rechtsbera­ tende, rechtsvermittelnde, rechtsentscheidende oder rechtsgestaltende Tätigkeit aus­ üben (Vier-Punkte-Theorie). Voraussetzungen hierfür war, dass die angestellten Unternehmensjuristen auch als Rechtsanwälte zugelassen waren. Im Unternehmen selbst waren sie nach der herrschenden Doppelberufstheorie jedoch nicht als Rechts­ anwalt tätig.685 Aus der Sicht des BSG käme eine Befreiung von der gesetzlichen Ren­ tenbeitragspflicht nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI nur in Frage, wenn die rechtliche Beratung des Unternehmens durch den angestellten Unternehmensjuristen von sei­ ner Zulassung als Rechtsanwalt abhängig wäre. Da es sich bei der Beratung des eige­ 675 BT-Drs. 18/9521, S. 46. 676 BRAK-Stellungnahme Nr. 16/2016, Juni 2016. 677 Tätigkeitsbericht zur 152. HV der BRAK am 5.5.2017, BRAK-Nr. 200/2017 v. 4.4.2017, S. 49. 678 BGBl. I 2008, S. 1000. 679 BGBl. I 2009, S. 2449. 680 BGBl. I 2013, S. 2386. 681 BRAK-Stellungnahme Nr. 3/2008, Februar 2008, zum Gesetz zum Verbot der Vereinba­ rung eines Erfolgshonorars; BRAK-Stellungnahme-Nr.  45/2008, November 2008, zum Gesetz zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht; BRAK-Stellungnahme 42/2012, August 2012, zur Partnerschaftsgesellschaft mit be­ schränkter Berufshaftung. 682 BGBl. I 2017, S. 3618; hierzu die BRAK-Stellungnahme Nr. 18/2017, März 2017. 683 BGBl. I 2015, S. 2517. 684 BSG, NJW 2014, 2743. 685 BGH, NJW 1999, 1715 (1716); BGH, NJW 2000, 1645.

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nen Arbeitgebers nicht um eine fremde Rechtsberatung im Sinne von § 2 Abs. 1 und Abs. 3 RDG handelt, benötigt der Unternehmensjurist aber keine Zulassung zur An­ waltschaft, um seiner abhängigen Beschäftigung nachzugehen. Die Entscheidung des BSG löst ein erhebliches Echo aus.686 Noch vor der schriftlichen Urteilsbegründung befasste sich die 140. Hauptversammlung der BRAK am 23. Mai 2014 in Marburg mit den Konsequenzen. Die Hauptversammlung beauftragte die Ausschüsse „Sozialrecht“, „Bundesrechtsanwaltsordnung“ und „Verfassungsrecht“, unter der Federführung des Ausschusses Sozialrecht Lösungen zu erarbeiten, wie die Unternehmensjuristen, die im Hauptberuf als Rechtsanwälte zugelassen sind, weiter­ hin von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht befreit bleiben können.687 Die Linie der Bundesrechtsanwaltskammer war damit im Grunde bereits vorgezeichnet, man strebte keine berufsrechtliche, sondern eine sozialversicherungsrechtliche Lö­ sung der Frage an.688 In Fragen des anwaltlichen Berufsrechts wartet das BMJV üblicherweise die Erarbei­ tung einer (nach Möglichkeit gemeinsamen) Position der Rechtsanwaltschaft ab, be­ vor es selbst aktiv wird. Aufgrund des politischen Drucks, welchen zahlreiche Syndi­ kusanwälte, BDI, BDA, DIHT und der BUJ auf die Politik entfaltet haben, sah sich das BMJV gezwungen, selbst in Vorlage zu gehen.689 Am 13. Januar 2015 legte das BMJV ein Eckpunktepapier vor, welches die jetzige Lösung vorzeichnete.690 Ausführlich be­ fasste sich mit dem Eckpunktepapier die 143. Hauptversammlung in Berlin und be­ auftragte den Berufsrechtsausschuss, sich weiter mit dem Papier zu beschäftigen.691 In der von der 144.  Hauptversammlung beschlossenen Stellungnahme erneuerte die BRAK ihre Position dahingehend, dass die Lösung im Sozialrecht zu suchen sei und kritisierte insbesondere, dass der Gesetzesvorschlag der BRAK zu § 6 SGB VI keinen Eingang in das Papier gefunden hat.692 Bis zur Verabschiedung des Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Syndikusrechts­ anwälte im Dezember 2015 beschäftigte sich die Bundesrechtsanwaltskammer noch wiederholt mit dem Gesetzesentwurf. Als besonderes Problem identifizierte die Bun­ desrechtsanwaltskammer die Frage, wie sich die Stellung des in einem Unternehmen angestellten Rechtsanwalts auf die Kernelemente des Berufsrechts aller übrigen Rechtsanwälte auswirkt. Probleme sah man dabei insbesondere in der Frage der an­ waltlichen Unabhängigkeit und dem arbeitsvertraglichen Weisungsrecht sowie im Verbot des Fremdkapitals.693

686 Vgl. nur Ewer, AnwBl. 2014, 683; Huff, AuA 2014, 300-3. 687 Prot. der 140. HV der BRAK als 57. PräsK v. 23.5.2014, S. 44. 688 BRAK-Stellungnahme Nr. 09/2015, März 2015. 689 Prot. der 141. HV der BRAK v. 26.9.2014, in Köln, S. 33. 690 https://www.bmjv.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF/20150113_Eckpunkte_Syndikus​ anwaelte.html. 691 Prot. der 143. HV der BRAK als 59. PräsK v. 15.1.2015, S. 14. 692 Prot. der 144. HV der BRAK als 60. PräsK v. 27.2.2015, S. 34. 693 BRAK-Stellungnahme Nr. 17/2015, Mai 2015, S. 3.

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Mit der Forderung eines umfassenden gerichtlichen Vertretungsverbots für die Syn­ dici konnte sich die Bundesrechtsanwaltskammer nicht durchsetzen.694 Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Gesetzgebungsausschüsse der Bundesrechtsanwaltskammer die Perspektive der Rechtsberatung zu einer Vielzahl von Gesetzesentwürfen und zum Teil in erheblicher Detailtiefe einbringen.695 In ver­ fahrensrechtlichen Fragen streite die Bundesrechtsanwaltskammer in der Regel für eine Erweiterung bzw. gegen eine Einschränkung der Rechtsschutzmöglichkeiten. Die besondere Qualität und Bedeutung des Verfassungsrechtsausschusses ergibt sich auch aus dem Umstand, dass dieser sich nicht unkritisch zum Verteidiger der Ent­ scheidungen der regionalen Kammern macht, sondern deren Entscheidungen einer eigenständigen und kritischen Überprüfung unterzieht.696 Für die Rechtsanwaltschaft besonders wichtige Themen, wie das der Syndikusrechts­ anwälte, werden nicht nur in den Gesetzgebungsausschüssen der BRAK erarbeitet, sondern in einem engen Zusammenspiel mit der jeweiligen Hauptversammlung.

V. Zeitgemäß? Anwaltliches Gesellschaftsrecht – Quersubventionierung – Zugang zum Recht „‘Equal justice under law’ is one of America’s most proudly proclaimed and widely violated legal principles.“ Mit diesem Satz beginnt Deborah Rhode ihr Buch „Access to Justice.“697 Und weiter führt die Stanford Professorin aus, „about four-fifths of the civil legal needs of the poor and two- to three-fifths of the needs of the middle-in­come individuals remain unmet. […] We tolerate a system in which money often matters more than merit, […]“. 1. Erster Diskussionsstrang: Kostensperre Gilt dies nur für die USA oder haben wir uns in die gleiche Richtung entwickelt? Um die Problematik richtig zu erfassen, muss man drei bislang weitgehend unverbunden nebeneinanderstehende Diskussionsstränge zusammenfassen. Zunächst geht es um die Sicht der potentiellen Mandanten, welche auch Rhode eingenommen hat. Rechts­ beratung durch einen Rechtsanwalt muss man sich leisten können. Dieses „sich-leis­ ten-können“ bedeutet zweierlei:698 Zum einen geht es um die subjektiv-absolute ­Kostensperre. Der Zugang zu Gericht darf einer Partei nicht aufgrund ihrer wirt­ 694 Tätigkeitsbericht zur 148. HV der BRAK am 18.9.2015, BRAK-Nr. 427/2015 v. 17.8.2015, S. 38 ff. 695 Siehe z.B. Stellungnahme Nr. 37/2015, Oktober 2015, zum Änderungsantrag v. 31.8.2015 zum Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Transparenzrichtlinie-Änderungsrichtli­ nie (Delisting), BT-Drs. 18/5010. 696 Z.B. BRAK-Stellungnahme Nr. 1/2017, Januar 2017. 697 Rhode, Access to Justice, 2004, S. 3. 698 Hierzu bereits Wolf, ZZP 128 (2015) 69, 79.

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schaftlichen Leistungsfähigkeit versperrt sein.699 Soweit die eigenen finanziellen Mit­ tel nicht ausreichen, müssen der Partei entsprechende Mittel zur Verfügung gestellt werden. Gemeinhin ist dies der Bereich der Prozesskostenhilfe. Dabei ersetzt die Prü­ fung der hinreichenden Aussicht auf Erfolg im Rahmen des Prozesskostenhilfever­ fahrens die vernünftige Abwägung der Prozessaussichten unter Einbeziehung des Kostenrisikos durch den Bemittelten.700 Neben der subjektiv-absoluten Kostensperre tritt die objektiv-relative Kostensperre. Diese liegt vor, wenn das Kostenrisiko zu dem mit dem Verfahren angestrebten wirtschaftlichen Erfolg derart außer Verhältnis steht, dass die Anrufung der Gerichte nicht mehr sinnvoll erscheint.701 Im Zusam­ menhang mit dem Prinzip der Quersubventionierung wird gerne eingewandt, die Quersubventionierung sei sozialpolitisch nicht zielgenau.702 Diese Argumentation verfehlt jedoch den entscheidenden Punkt. Um das Problem zutreffend erfassen zu können, muss man die Frage, wie und durch wen die objektiv-relative Kostensperre überwunden werden soll, von der Frage trennen, ob es eine objektiv-relative Kosten­ sperre gibt und ob man diese verfassungsrechtlich und/oder ökonomisch akzeptieren muss. Um das Problem auf den Punkt zu bringen: Wäre es verfassungsrechtlich zulässig und ökonomisch sinnvoll, § 12 GVG um einen Absatz 2 mit folgenden Inhalt zu ergänzen: „In zivilrechtlichen Streitigkeit wird die Gerichtsbarkeit bis zu einem Streitwert von 600 Euro nicht ausgeübt“? Die Antwort auf die Frage ist verfassungsrechtlich wohl eindeutig: Selbst bei Minimalforderungen gilt nicht der Grundsatz „de minimis non curat lex”.703 Ökonomisch fällt die Antwort nur bei einem blinden Marktvertrauen einfach aus. In einem solchen Modell wird jeder Rechtsstreit nur noch zu den tatsächlichen Kosten von den Gerichten und Rechtsanwälten angeboten. Es werden nur noch die Rechts­ streitigkeiten geführt, die die Parteien auch bereit sind zu bezahlen. Nur dies würde einen effizienten Einsatz der Ressourcen sicherstellen und sei damit gerecht.704 Bereits eine differenziertere volkswirtschaftliche Betrachtung führt zu keinem eindeutigen Ergebnis. Geht man davon aus, dass falsch entschiedene Prozesse zu Fehlkalkulatio­ nen führen (Irrtumskosten). Nimmt man weiter an, dass die Fehlerquote mit steigen­ den Produktionskosten abnimmt, lässt sich zwar theoretisch ein Punkt ermitteln, an dem die Produktionskosten die eingesparten Fehlerkosten übersteigen. Im Grunde handelt es sich dabei um das klassische Qualitätskostenmodell der Betriebswirt­ schaftslehre. Bezogen auf die Produktion des Rechtsfalls müssen in einem solchen 699 BVerfGE 50, 217, 231; BVerfGE 85, 337, 347. 700 BVerfGE 81, 347, 357. 701 BVerfGE 85, 337, 348. 702 So z.B. XVI. Hauptgutachten der Monopolkommission, BT-Drs. 16/2460, Rz.  872  ff., 988 ff., S. 400, 401 ff.; Undritz, AnwBl. 1996, 113, 116. 703 Buß, NJW 1998, 337, 338 ff.; Saenger in: Saenger, Zivilprozessrecht, 8. Aufl., 2019, Vorbem. Zu §§ 253-494 a Rz.  30 m.w.N. Wolf, Recht durch Rechtsanwälte in: 4.  Zivilprozess­ rechts-Symposion, Schriftenreihe der BRAK, Bd. 16, 2008, S. 1, 23. 704 Vgl. zu dieser Argumentation Crouch, Das befremdliche Überleben des Neoliberalismus, 2011, S. 98.

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Modell aber alle volkswirtschaftlichen Folgekosten eingerechnet werden.705 Die Un­ tersuchungen von Bier und Schmidtchen/Weth haben für Juristen diese Modellrech­ nungen erschlossen.706 Danach lässt sich ein Diagramm mit zwei Kurven zeichnen, welche sich am Minimum der Addition von Produktions- und Irrtumskosten schnei­ den.707 Jedoch kann das Modell empirisch nicht quantifiziert werden. Als Zwischenergebnis lässt sich festhalten, dass die objektiv-relative Kostensperre weder ökonomisch noch verfassungsrechtlich begründbar ist. Zwar hat das Bundes­ verfassungsgericht ausgeführt, dass der Staat bei geringfügigem wirtschaftlichen Inte­ resse des Einzelnen seine Gerichte nicht praktisch kostenlos zur Verfügung stellen muss.708 Bei einem Streitwert bis zu 600 Euro (über ein Drittel der an den Amtsge­ richten geführten Verfahren) wird man kaum von einem geringfügigen Interesse des Einzelnen sprechen können. Damit stellt sich aber die Frage, ob unser bestehendes Kostensystem den verfassungsrechtlichen Anforderungen entspricht. Bei einem Streitwert von 300 Euro beträgt das Kostenrisiko (Gerichtskosten und Gebühren des eigenen und des gegnerischen Anwalts) 420 Euro oder 140 % des Streitwerts. Erst bei einem Streitwert von über 700 Euro ist das Kostenrisiko dauerhaft unterhalb des wirt­ schaftlichen Werts der eingeklagten Forderung.709 Legt man den Maßstab des Bun­ desverfassungsgerichts an, kann man die Verfassungskonformität der Regelung nur bejahen, wenn man Forderungen bis 700 Euro als geringfügiges wirtschaftliches Inte­ resse des Einzelnen bewertet. Immerhin betrugen die Forderungen bis zu 600 Euro 33,7  % der vor den Amtsgerichten 2017 anhängigen Zivilverfahren.710 Gleichzeitig muss der Kläger bei niedrigen Streitwerten in einem viel höheren Prozentsatz obsie­ gen, um den Break-Even-Point zu erzielen, also seine Verfahrenskosten wieder her­ eingespielt zu haben. Bei nur einer Instanz ist bei einem Streitwert von 600 Euro ein Obsiegen in Höhe von 53,22  % erforderlich, während bei einem Streitwert von 500.000.000 Euro nur noch ein Obsiegen in Höhe von 0,17  % der Klageforderung notwendig ist.711 Aus der Sicht der Parteien kommt ein weiteres hinzu. Nur wenn man der Vorstellung anhängt, die anwaltliche Leistungsfähigkeit habe keinen Einfluss auf die richterliche Entscheidungsfindung, kann die Frage, wie viel Geld man in die eigene Rechtsdurch­ setzung investieren kann, unerheblich sein (vgl. hierzu aber bereits II. 3. c) aa)). Ein System, in dem „money often matters more than merit“,712 muss eine Situation, in der die Gleichheit vor dem Gesetz nur noch eine formale Gleichheit ist, ein erhebliches, auch verfassungsrechtliches Problem darstellen. Nicht jede Erkrankung erfordert eine 705 Hierzu die Beispiele bei Wolf in: 4.  Zivilprozessrechts-Symposion, Schriftenreihe der BRAK, Bd. 16, 2008, S. 1, 22 und ders. in: ZZP 128 (2015) 69, 76 ff. 706 Bier in: Schmidtchen/Weth (Hrsg.), Der Effizienz auf der Spur, 1999, S. 124, 130 ff. und Schmidtchen/Weth in: Schmidtchen/Weth (Hrsg.), Der Effizienz auf der Spur, S. 238 f. 707 Vgl. Bier in: Schmidtchen/Weth (Hrsg.), Der Effizienz auf der Spur, 1999, S. 124, Abb. 3, S. 131 708 BVerfGE 85, 337, 348. 709 Wolf, ZZP 128 (2015), S. 69, S. 89 Abbildung 1. 710 Statistisches Bundesamt Fachserie 10, Reihe 2.1 2017, Tabelle 2.2. laufende Nr. 12. 711 Wolf, ZZP 128 (2015), 69, 90 Abbildung 2. 712 Rhode, Access to Justice, 2004, S. 3.

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Behandlung durch den Chefarzt. Wenn die Frage, ob ein Patient eine Chefarztbe­ handlung erhält, nicht mehr vom medizinisch Notwendigen, sondern von der finan­ ziellen Leistungsfähigkeit des Patienten bestimmt wird, hat sich Medizin zur Ware gewandelt.713 Der Gesetzgeber hat dieses Problem grundsätzlich gesehen. In der Begründung zu § 49b BRAO heißt es: „Das somit als grundsätzlich anzusehende Verbot, geringere als in der Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung vorgesehene Gebühren und Auslagen zu vereinbaren oder zu fordern, soll einen Preiswettbewerb um Mandate und die mit­ telbare Vereinbarung von Erfolgshonoraren in gerichtlichen Verfahren verhindern. Das bestehende System, das sich mit dem standesrechtlichen Verbot der Gebühren­ unterschreitung insgesamt bewährt hat, kann einen weitgehend gleichen Zugang zum Recht und zu den Rechtsanwälten gewährleisten, weil es nicht von der Finanzkraft der Mandanten abhängt, welcher Rechtsanwalt beauftragt wird.“714 M.a.W. um den gleichen Zugang zum Recht sicherzustellen, darf die Wahl des Rechts­ anwalts nicht von der finanziellen Leistungsfähigkeit des Mandanten abhängen. Man darf durchaus mit Recht zweifeln, ob die aus den Standesrichtlinien übernommene Regelung715 geeignet ist, das gesetzgeberische Ziel zu verwirklichen. Die Regelung baut erkennbar auf der Vorstellung auf, dass der Rechtsanwalt jedes ihm angetragene Mandat, welches er fachlich auch bearbeiten kann, auch annehmen wird.716 Mit der Wirklichkeit hat diese Vorstellung, wie Madert bereits 1998 feststellte, nichts zu tun.717 2. Zweiter Diskussionsstrang: Perspektive des Rechtsanwalts Der zweite Diskussionsstrang muss die Perspektive des Rechtsanwalts sein. Die Bun­ desrechtsanwaltskammer setzt sich derzeit zusammen mit dem Deutschen Anwalt­ verein für eine Erhöhung der RVG-Gebühren ein. Die RVG-Gebühren sind zuletzt 2013 angehoben worden. Seit diesem Zeitpunkt sind, worauf die Bundesrechtsan­ waltskammer hinweist, die Tariflöhne um 16 % gestiegen. Alleine damit hat sich der Kostenblock Personal im Gegensatz zu den Anwaltsgebühren deutlich erhöht.718 Da­ rüber hinaus weisen BRAK und DAV in ihrem jüngsten Forderungspapier darauf hin, dass der Gesetzgeber im Rahmen des 1.  Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes von 2004 bewusst auf eine lineare Anpassung der Rechtsanwaltsvergütung verzichtet hat. Daher erfolgte zwischen der letzten linearen Anpassung der Bundesrechtsanwaltsge­ bührenordnung (BRAGO) im Jahr 1994 und 2013 – also über 19 Jahre – keine Ge­

713 Unschuld, Ware Gesundheit, das Ende der klassischen Medizin, 3.  Aufl., 2014, passim, insbesondere S. 97 ff. 714 BT-Drs. 12/4993, S. 31. 715 Hummel in: Lingenberg/Hummel/Zuck/Eich, Kommentar zu den Grundsätzen des an­ waltlichen Standesrechts, 2. Aufl., 1988, § 51 Rz. 11. 716 Vgl. hierzu Siegel, Die gesammten Materialien zu der Rechtsanwaltsordnung, 1883, S. 242. 717 Madert, AnwBl. 1998, 436. 718 Gemeinsame Presseerklärung v. 9.5.2019, DAV und BRAK fordern: Rechtsanwaltsgebüh­ ren regelmäßig anpassen.

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bührenerhöhung der anwaltlichen Dienstleistung.719 Hinzu kommt, dass der Staat den Rechtsanwälten in den Fällen der Prozesskostenhilfe zumutet, zu deutlich abge­ senkten Gebühren zu arbeiten. Bei einem Gebührenstreitwert von 95.000 Euro be­ läuft sich die normale Gebühr nach § 13 RVG (1.418 Euro) auf den dreifachen Betrag der Prozesskostengebühr nach §  49 RVG (ab 30.000 Euro bei 447 Euro gedeckelt). Fast resignierend beschränken sich BRAK und DAV in ihren jüngsten Forderungen darauf, die Kappungsgrenze in § 49 RVG auf 50.000 Euro anzuheben,720 statt – aber wohl in realistischer Einschätzung der politischen Lage – zu fordern, der Prozesskos­ tenhilfevergütung die Gebühren nach § 13 RVG zugrunde zu legen. Die Frage, wie viel ein Rechtsanwalt verdienen darf, ist müßig zu stellen.721 Evident ist wohl, dass auch ein Prozess am Amtsgericht mit einem Streitwert von 400 Euro mit einem Gebührenaufkommen von 157,68 Euro nicht zu führen sein dürfte. Nach der Idee der Quersubventionierung stellt sich die Frage so aber nicht. Vielmehr geht die Idee der Quersubventionierung davon aus, dass aus den Gewinnen der Mandate mit hohem Streitwert die Mandate mit niedrigem Streitwert finanziert werden können.722 Die „Zumutung“ der Quersubventionierung rechtfertigt sich aus dem Schutz, den das RDG und die entsprechenden verfahrensrechtlichen Vorschriften für die Rechtsan­ waltschaft bereithalten. Die Gemeinwohlbelastung des Rechtsanwalts durch Quer­ subventionierung und Prozesskostenhilfe erfordert einen Schutz der Anwaltschaft vor Konkurrenz, die dieser Verpflichtung nicht unterliegt.723 Noch allgemeiner wird man formulieren können, dass der Wettbewerbsvorteil der Anwaltschaft, z.B. gegen­ über Unternehmensberatern durch das berufsrechtlich sanktionierte Verbot der Ver­ tretung widerstreitender Interessen oder das Beschlagnahmeverbot, nicht nur Funk­ tionsvoraussetzung der anwaltlichen Tätigkeit ist, sondern auch Ausgleich für die Gemeinwohlbelastung. Die Einheit der Anwaltschaft zerbricht aber, wenn ein Teil der Anwaltschaft zwar die Vorteile des RDG für sich in Anspruch nimmt, sich zugleich aber an den Gemeinwohllasten nicht beteiligt. Privatrecht ist grundsätzlich wenig geeignet, für die iustitia distributiva in Anspruch genommen zu werden.724 In der Regel ist nämlich der Vorteil, der einer Person im Privatrecht gewährt wird, die Belastung der anderen Person. Der Ausgleich zwischen Belastung und Entlastung muss regelmäßig im Zwei-Personen-Verhältnis gesucht werden.725 Verfolgt man mit dem Privatrecht Ziele, die über die Verwirklichung der 719 Vorschläge zur regelmäßigen Anpassung, strukturellen Änderung und Ergänzung und Klarstellung des RVG – Gemeinsamer Katalog von DAV und BRAK – März 2018. 720 Vorschläge zur regelmäßigen Anpassung, strukturellen Änderung und Ergänzung und Klarstellung des RVG – Gemeinsamer Katalog von DAV und BRAK – März 2018, 2.7.2. 721 Vgl. zu solchen Berechnungen Traulsen/Fölster, AnwBl. 1982, S. 46 ff.; Knief, AnwBl. 1989, 258. 722 Wolf, Recht durch Rechtsanwälte, 4.  Zivilprozessrechts-Symposion, Schriftenreihe der BRAK, Bd. 16, 2008, S. 1, 11 ff. 723 Wolf in: Gaier/Wolf/Göcken, Einl RDG Rz. 12 ff. 724 Canaris, Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht, München 1997. 725 Eichenhofer, Sozialrecht, 10. Aufl., 2017, Rz. 155 f.

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privatrechtlichen Gerechtigkeit hinausgehen (also exogene Ziele sind), besteht immer die Gefahr, dass zwar die Verteilung der Mittel einem in Ansehung der Person ent­ sprechenden Gerechtigkeitsmaßstab entspricht (iustitia distributiva), nicht jedoch die Verschaffung der Mittel, womit die Belastung mehr oder weniger vom Zufall ab­ hängt.726 Die Frage, ob in dem System der Quersubventionierung die Belastungen dem Maß­ stab der Gerechtigkeit entsprechend verteilt werden können, stellt sich an zwei unter­ schiedlichen Stellen. Die erste Stelle betrifft denjenigen Mandanten, der in das System der Quersubventionierung einzahlt. Gerne wird in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass Mandanten kein Interesse hätten, andere Mandanten zu subventionieren.727 Das Argument wäre wesentlich überzeugender, wenn es gleich­ zeitig gegen die Tarifstruktur der Gerichtskosten gerichtet wäre, die auf demselben Prinzip aufbaut. Das Argument geht aber vor allem deshalb fehl, weil es sich nicht um eine faktische Frage (Was will der Mandant zahlen?), sondern um eine normative Frage (Was soll der Mandant zahlen?) handelt. Allgemein beantwortet sich diese nor­ mative Frage danach, ob die Rechtsuchenden eine vor dem Gleichheitssatz zu recht­ fertigende besondere Finanzierungsverantwortung trifft.728 Wer dies ablehnt, müsste an dieser Stelle bereits konsequenterweise die Finanzierung des quersubventionierten Rechtsdienstleistungsmarkts aus der Minimalgesellschaft der Mandanten herauslö­ sen und in die Kunstwelt einer staatlich organisierten und mit Steuermitteln finan­ zierten Umverteilungsgemeinschaft überführen.729 Allerdings erlaubt das Bundesverfassungsgericht bei Gebühren eine Abweichung vom reinen Äquivalenzprinzip.730 Das Kostendeckungsprinzip und ähnliche gebüh­ renrechtliche Prinzipien seien keine Grundsätze mit verfassungsrechtlichem Rang.731 Die Zielsetzung der Gebührengestaltung, einen sozialen Ausgleich zu schaffen und damit den Zugang zum Recht (Justizgewähranspruch) sicherzustellen, ist mit der Verfassung vereinbar.732 Die zweite Stelle, an der sich die Frage stellt, ob in dem System der Quersubventio­ nierung die Belastungen dem Maßstab der Gerechtigkeit entsprechend verteilt wer­ den, betrifft die Rechtsanwälte, welche in das System der Quersubventionierung ein­ zahlen. Von der Idee her gleicht der einzelne Rechtsanwalt in seiner Person die Mandanten mit hohen Streitwerten und die Mandaten mit niedrigen Streitwerten aus. 726 Canaris, Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht, 1997, S. 33, 86 ff. 727 Undritz, AnwBl. 1996, S. 113, 116; Jordan/Kelly, AnwBl. 1991, 18, 23. 728 Vgl. nur BVerfGE 55, 274, 306 f.; BVerfGE 67, 256, 276. Dabei ist auch aus EU-rechtlicher Sicht ein Element der Solidarität bei der Gestaltung der Gebühren zulässig; EuGH Slg. 2001, I-4679 Rz. 43. 729 Allgemein zu der Fragestellung Eichenhofer, Sozialrecht, 10. Aufl., 2017, Rz. 155 ff. 730 BVerfG, NJW-RR 2009, 1215; BVerfG, NJW 2004, 3321; BVerfG, NJW 1989, 1985. 731 BVerfGE 97, 332, 345; BVerfGE 50, 217, 225 f. 732 In diesem Sinne Bormann in: Bormann/Diehn/Sommerfeldt, GNotKG, 2. Aufl., 2016, § 34 GNotKG, Rd. 8 unter Berufung auf BVerfGE 80, 103, 107; 115, 381, 390; NJW 2004, 3321.

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Hiergegen lassen sich wiederum zwei auf unterschiedlichen Ebenen angesiedelte Ar­ gumente anbringen. Auf der faktischen Ebene bewegt sich die Kritik, das System der Quersubventionie­ rung würde nicht funktionieren, weil sich Teile der Rechtsanwälte dieser Aufgabe ver­ weigern würden und nur die wirtschaftlich attraktiven Fälle annehmen würden.733 In zunehmendem Umfang beschreibt diese Kritik die Entwicklung auf dem Anwalts­ markt zutreffend. So hat das Soldan Institut festgestellt, dass aus der Sicht der für das Vergütungsbarometer 2019 befragten Rechtsanwälte, die nach RVG abrechnen, 57 % der Meinung sind, dass die ertragsschwachen Mandate überwiegen. Nur 8 % waren der Meinung, dass die ertragsstarken Mandate überwiegen und 35 % waren der An­ sicht, dass die Quersubventionierung zu einem ausgeglichenen Ergebnis führt. Der Anteil der Kanzleien, bei denen die ertragsschwachen Mandate überwiegen, ist von 49 % bei der Befragung 2005 auf 57 % in 2019 angestiegen. Gleichfalls eine Erosion der Quersubventionierung wurde im Rahmen der STAR-Untersuchung des Instituts für freie Berufe 2009 festgestellt.734 Entsprechende Aussagen finden sich auch be­ reits in der Untersuchung des Soldan Instituts aus dem Jahr 2005.735 Die einschlägigen RVG-Kommentare unterstellen gleichfalls ein Scheitern der Quersubventionie­ rung.736 Weiter ergibt sich aus dem STAR-Bericht 2018, dass von den befragten internationa­ len Großkanzleien nur in 24 Fällen Prozesskostenhilfemandate bearbeitet wurden, gegenüber lokalen Sozietäten, die in 575 Fällen Prozesskostenhilfemandate ange­ nommen haben.737 Schließlich wurde nach der Strukturerhebung des Statistischen Bundesamts 2016 im Rechtsberatungsbereich 25.755.319 TsdEuro Gesamtumsatz ge­ neriert. Davon haben 72,70  % der Rechtsanwaltskanzleien einen Umsatz bis zu 250.000 Euro erwirtschaftet und 27,30 % der Kanzleien einen Umsatz über 250.000 Euro. Bezogen auf den Gesamtumsatz erwirtschafteten die 72,70  % lediglich einen Gesamtumsatz von 4.112.128 TsdEuro (15,97 % des Gesamtumsatzes). Hingegen hat das obere Drittel (27,30  %) einen Gesamtumsatz von 21.643.191 TsdEuro erwirt­ schaftet (84,03 %).738 Nach alledem wird man um die Feststellung nicht mehr umhinkommen, dass die Lasten der Quersubventionierung auf die Anwaltschaft nicht mehr gleichmäßig ver­ teilt sind.739 Hintergrund dieser Entwicklung ist die Kommerzialisierung des Berufs­ rechts. Quersubventionierung erfordert eigentlich einen Kontrahierungszwang.740 733 Basedow, Österreichische Notarzeitung, Bd. 122 (1990), S. 187 (193); XVI. Hauptgutach­ ten der Monopolkommission, BT-Drs. 16/2460, S. 399. 734 Eggert/Oberlander, BRAK-Mitt. 2009, S. 105 ff. 735 Soldan Institut, AnwBl. 2006, S. 406 f. 736 Mayer in: Gerold/Schmidt, RVG, 23.  Aufl., 2017, §  3a RVG, Rz.  4; Schons in: Hartung/ Schons/Enders, RVG, 3. Aufl., 2017, § 3a Rz. 18. 737 Mitteilung des Instituts für freie Berufe v. 20.5.2019. 738 Die Zahlen bauen auf der Strukturerhebung Dienstleistung 2016 des Statistischen Bun­ desamts auf. 739 Vgl. Rakete-Dombek in: NJW-Sonderheft zum 4. Hannoveraner ZPO Symposion, S. 29 f. 740 Fritsch, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, 10. Aufl. 2018, S. 224 ff.

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Der Gesetzgeber der Reichs-Rechtsanwaltsordnung verzichtete aber auf einen allge­ meinen Kontrahierungszwang, weil er davon ausging, dass „der Rechtsanwalt in allen Fällen, in denen seine Thätigkeit in Anspruch genommen wird seinen Beruf ausüben werde.“741 Es sei ein nobile officium – so der Gesetzgeber weiter –, dass der Rechtsan­ walt seine Berufstätigkeit nicht ohne triftigen Grund versage. Ein Verstoß hiergegen würde u.U. sogar eine ehrengerichtliche Rüge zur Folge haben.742 Basis dieser Vorstel­ lung war zwar nicht, dass sich alle Berufsträger altruistisch verhalten. Jedoch war Ba­ sis der Anspruch, dass sich die Rechtsanwälte nicht primär von den Erwerbsaussich­ ten leiten lassen dürfen. In einer ganzen Reihe von berufsrechtlichen Bestimmungen wurde daher auch das individuelle Erfolgsstreben kanalisiert und sanktioniert.743 U.a. wurde die Weigerung, im Armenrecht tätig zu werden, als standeswidrig angese­ hen.744 Diese Einhegung des individuellen Erfolgsstrebens in die Gemeinwohlver­ pflichtung ist teilweise durch eine Deregulierungspolitik (siehe den dritten Diskussi­ onsstrang) verloren gegangen. Ob normativ die ungleiche Belastung der Anwälte mit der Aufgabe der Quersubven­ tionierung bereits als ein Verfassungsverstoß durch das Bundesverfassungsgericht angesehen werden würde, darf bezweifelt werden. Jedenfalls hat das Bundesverfas­ sungsgericht bezüglich der abgesenkten Gebühren nach § 49 RVG für Prozesskosten­ hilfemandate einen Verstoß gegen Art.  12 GG abgelehnt.745 Allerdings machte die Entscheidung zu den Prozesskostenhilfegebühren auch deutlich, dass es eine übermä­ ßige, durch keine Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigte Einschränkung der freien Berufsausübung darstellt, wenn der Staat für Aufgaben, deren ordentliche Wahrneh­ mung im öffentlichen Interesse liegt, Staatsbürger/-innen zwar beruflich in Anspruch nimmt, die/den derart Belastete/-n eine angemessene Entschädigung für die Inan­ spruchnahme aber vorenthält.746 Im konkreten Fall lehnte das Bundesverfassungsge­ richt einen Verfassungsverstoß ab, weil der Beschwerdeführer freiwillig das Pro­ zesskostenmandat übernommen hat. Die Schonung der öffentlichen Kassen sei grundsätzlich eine vernünftige Erwägung des Gemeinwohls. Hieraus rechtfertigen sich die reduzierten Gebühren. Die freiwillige Übernahme des Mandats, zu der der Anwalt auch berufsrechtlich nicht verpflichtet gewesen sei, mildert in den Augen des Bundesverfassungsgerichts das Missverhältnis zwischen Arbeitsaufwand und Vergü­ tung entscheidend ab. Ob das Argument, der Anwalt habe das Prozesskostenhilfemandat freiwillig über­ nommen, wirklich überzeugt, darf bezweifelt werden. Im Kern hat der Rechtsanwalt genau das getan, was der Gesetzgeber von ihm erwartet. In diesem Zusammenhang lässt sich eine Parallele bilden. Zu § 14 MuSchG hat das Bundesverfassungsgericht ursprünglich die Ansicht vertreten, die dem Arbeitgeber obliegende Differenzzah­ lungspflicht zwischen Nettoarbeitsentgelt und dem Mutterschaftsgeld, welches die 741 Drucksache des Reichstags, 3. Leg. Per. II Session, 1878, Bd. 53 Nr. 5, S. 80 f. 742 Drucksache des Reichstags, 3. Leg. Per. II Session, 1878, Bd. 53 Nr. 5, S. 80 f. 743 Taupitz, Standesordnung der freien Berufe, 1991, S. 61. 744 EGHE 18, 131 f.; Lingenberg/Hummel/Zuck/Eich/Hummel, § 57 Rz. 12. 745 BVerfG, NJW 2008, 1063. 746 BVerfG, NJW 2008, 1063 unter Berufung auf BVerfG, NJW 1980, 2179.

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Krankenkassen zahlen, sei nicht als Verstoß gegen den Gleichheitssatz anzusehen.747 Der Gesetzgeber habe in zulässiger Weise von seinem Gestaltungsspielraum Ge­ brauch gemacht.748 Zu einer anderen Bewertung kam das Bundesverfassungsgericht erst 2003. Die unterschiedliche Belastung der Betriebe führe zwar nach wie vor nicht zur Verfassungswidrigkeit von § 14 MuSchG, jedoch sah das Gericht einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 2 GG als gegeben an. Die Belastung der Arbeitgeber mit der Pflicht zur Zahlung eines Zuschusses zum Mutterschaftsgeld könne dazu führen, dass Frau­ en im gebärfähigen Alter nicht eingestellt würden. Dieser Benachteiligungseffekt sei mit der Verfassung nicht vereinbar.749 Geht man davon aus, dass ein besser bezahlter Rechtsanwalt bessere Arbeit leistet,750 ist das jetzige gebrochene System der Quersubventionierung vielleicht verfassungs­ rechtlich kein Problem, weil die Anwälte unterschiedlich in das System einzahlen, wohl aber weil es die Rechtsschutzgleichheit verletzt. Insbesondere bei asymmetri­ schen Streitwerten wird dies evident.751 3. Dritter Diskussionsstrang: Organisationsformen Der dritte Diskussionsstrang betrifft die Frage der Organisationsform der anwaltlichen Berufsausübung. Ursprünglich konnten sich Rechtsanwälte zur Berufsausübung nicht in der Form der GmbH organisieren. Die mit der GmbH verbundene beschränkte Haf­ tung sei mit dem Leitbild der anwaltlichen Berufsausübung nicht vereinbar. Auch muss der Rechtsanwalt seinen Beruf persönlich ausüben.752 Das BayObLG hat 1994 in einem bemerkenswerten Beschluss entschieden, dass Rechtsanwälte sich auch in der Form der GmbH organisieren dürfen.753 Zwar spricht das BayObLG in der Entschei­ dung die Befürchtung der Anwaltschaft an, dass mit der Zulassung der Anwalts-Gm­ bH eine Kommerzialisierung der Anwaltschaft weiter gefördert werden könnte: „Die insbesondere bei den Berufsorganisationen vorherrschende Ablehnung der An­ walts-GmbH beruht darauf, daß ersichtlich einer erkennbar gewordenen fortschrei­ tenden Kommerzialisierung des Anwaltsberufes entgegengewirkt werden soll.“754 Auf den referierten Gedanken kommt das BayObLG in seiner Entscheidungsbegründung jedoch nicht weiter zurück. Vielmehr stützt sich diese grundstürzende Entscheidung auf zwei Argumente: Der BGH habe die Zahnarzt-GmbH zugelassen.755 Auch habe der Gesetzgeber die Anwalts-GmbH nicht verboten. Daher müsse dies nach Art. 12 GG zugelassen werden. Henssler begrüßte die Entscheidung ausdrücklich: „Der Senat setzt sich im Gegensatz zur Vorentscheidung des LG München I vom 10.3.1994 (ZIP 1994, 747 BVerfG, NJW 1974, 1461. 748 Hierzu und zur Kritik Buchner, NZA 2004, 1121. 749 BVerfG, NJW 2004, 146, 150. 750 Crouch, Die bezifferte Welt, 2017, 186. 751 Vgl. nur die zutreffende Argumentation der BRAK zur Streitwertregelung im Diskussions­ entwurf der Musterklage (§ 615 Disk.-Entw. ZPO), Stellungnahme Nr. 32, Oktober 2017. 752 So noch die Zusammenfassung der h.M.: durch das LG München, NJW 1994, 1882. 753 BayObLGZ 1994, 353. 754 BayObLGZ 1994, 353, 355. 755 BGH, NJW 1994, 786.

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957 = EWiR 1994, 773 (Ring)) detailliert mit der neueren Auffassung im Schrifttum auseinander und überzeugt durch seine wohl abgewogene Argumentation. […] Ein solches ausdrückliches Verbot des Zusammenschlusses von Rechtsanwälten in der Rechtsform einer GmbH enthält jedoch auch die neugefaßte Bundesrechtsanwaltsord­ nung vom 2.9.1994 (BGBl. I, 2278) nicht. Das Gericht folgt insoweit im Wesentlichen der Argumentation, wie sie im neueren Schrifttum entwickelt wurde (vgl. Henssler, JZ 1992, 697; ders., NJW 1993, 2139; ders., ZIP 1994, 844).“756 Die Zulassung der Anwalts-GmbH war nicht der Wunsch der Bundesrechtsanwalts­ kammer.757 Im Kern wurde die Entwicklung aus der Lehre758 und Rechtsprechung759 vorangetrieben.760 Sicherlich konnte man insbesondere in der Entscheidung des Bay­ ObLG nicht einen historischen Rückblick auf die Entstehung der GmbH, welche eng mit dem Bedürfnis des Schutzes der Kolonialgesellschaften im deutschen Kaiserreich zusammenhing,761 erwarten. Die Diskussion um die Anwalts-GmbH stellte sich ins­ besondere nicht der Frage, ob die persönliche Haftung ein konstitutives Element der freiberuflichen Berufsausübung ist.762 Konstitutiv kann dies in unterschiedlicher Richtung sein. Ganz allgemein wissen wir, dass zwischen der Privatautonomie und der Wirtschaftsverfassung eine strukturelle und inhaltliche Interdependenz besteht.763 Könnte es nicht sein, dass zwischen persönlicher Haftung und freiberuflicher Tätig­ keit gleichfalls eine Interdependenz besteht? Aus der Sicht der Freiburger Schule war die unbeschränkte Haftung ein wesentliches Lenkungsinstrument.764 Der Gesetzgeber hat bis heute daran festgehalten, dass Apotheken nach § 8 ApoG nur als OHG geführt werden können. Hierdurch soll sichergestellt werden, dass „nicht nur die medizinalpolizeiliche Leitung, sondern auch die wirtschaftliche Entscheidung beim Erlaubnisinhaber zu liegen habe.“765 Berufsfremde Personen, Personengruppen oder Körperschaften sollen möglichst keinen Einfluss auf das Betreiben einer Apo­ theke nehmen, um nicht die ordnungsgemäße Arzneiversorgung zu gefährden.766 Lassen sich die Überlegungen nicht auf die Rechtsanwälte übertragen?

756 Henssler, ZIP 1994, 1871, 1872. 757 Vgl. Vizepräsident der Kammer Frankfurt Weigel, Prot. 81. HV in Rostock-Warnemünde am 23.5.1997, S. 26. 758 Insbesondere Henssler, JZ 1992, 697 ff.; ders., ZIP 1994, 844; ZIP 1994, 1871; ders., ZHR 161 (1997), 305; ders., ZIP 1998, 2121 und jetzt jüngst ders., AnwBl. Online 2018, 564. 759 BayObLGZ 1994, S. 353; BayObLG, NJW 2000, 1647; BGH, 2005, 1568; BVerfGE 141, 82. 760 Lesenswert hierzu, wenngleich in anderem Zusammenhang, zu den Motivationslagen von Reformdiskussionen, Gräditz in: Martin Burgi (Hrsg.), Zur Lage der Verwaltungsrechts­ wissenschaft, Beiheft 12 zu „Die Verwaltung“, Berlin 2017, S. 105, 123 f. 761 Hierzu Fränkel, Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung, 1915, S.  6  f. und Limbach, Theorie und Wirklichkeit der GmbH, 1966, S. 12 ff. 762 Vgl. hierzu Bormann in: Gaier/Wolf/Göcken, § 59a Rz. 1. 763 Vgl. nur Busche in: MüKo, 8. Aufl., 2018, Vor § 145 Rz. 3. 764 Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, 1952, S.  279  ff., insbesondere S.  283  ff. und Meyer, Haftungsbeschränkung im Recht der Handelsgesellschaften, 2000, S. 988. 765 BT-Drs. 3/1769, S. 3. 766 BT-Drs. 3/1769, S. 3.

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War die Haftungsbeschränkung nicht die Grundvoraussetzung, Law Firms zu entwi­ ckeln, weil die persönliche Haftung aller Gesellschafter ab einer bestimmten Unter­ nehmensgröße nicht mehr funktionieren kann? Im anglo-amerikanischen Sprach­ raum findet sich eine ganze Reihe von Untersuchungen, die aufzeigen, dass die veränderte Struktur von Law Firms auch eine Reaktion des Anwaltsrechts erfordert. Die Ausrichtung der Law Firms auf stetige Gewinnsteigerungen und Wachstum stellt in mehrfacher Richtung die Core Values der Anwaltschaft in Frage.767 Kritisiert wird dabei die Obsession, den Wert anwaltlicher Tätigkeit nur noch in der Höhe und der entsprechenden Steigerung des Einkommens zu messen.768 Das Leitbild einer freibe­ ruflichen Tätigkeit lässt sich ab einer bestimmten Betriebsgröße und der damit ein­ hergehenden Notwendigkeit, das „Unternehmen“ nach bestimmten Parametern zu steuern, nicht mehr vereinbaren.769 Law Firms werden mit Metric gesteuert. Diese sind in der Regel Utilization, Realiza­ tion, Profitability. Utilization gibt das Maß an, wie viele abrechenbare Stunden am Tag erarbeitet werden, Realization gibt an, wieviel davon tatsächlich dem Mandanten in Rechnung gestellt werden konnten, und schließlich drückt die Profitability aus, wel­ che Mandate mit höheren Stundensätzen abgerechnet werden können. Die Bankenkrise war auch eine Krise von hochriskanten, von Juristen entwickelten, Rechtsprodukten, wie Parallel Debt oder Contingent Convertible Bonds.770 Dies hat für die Banken zu einer deutlich stärkeren Reglementierung geführt (vgl. nur die In­ stitutsvergütungsverordnung oder CRD IV771).772 Bezogen auf die Rechtsanwaltschaft blieb bislang eine Reaktion bezüglich einer Veränderung der Berufsaufsicht durch die Rechtsanwaltskammern aus. Diese wird immer noch durch ehrenamtlich tätige Mit­ glieder des jeweiligen regionalen Kammervorstands ausgeübt. Die Kammervorstände setzen sich ganz überwiegend aus Mitglieder zusammen, welche in kleinen oder mitt­ leren Sozietäten arbeiten. Ob es sich hierbei noch um die richtige Struktur der Auf­ sicht über global agierende Law Firms handelt, darf zumindest mit einem Fragezei­ chen versehen werden. Die Deregulierung des englischen Berufsrechts und die Herauslösung der Solicitors aus der tradierten freiberuflichen Struktur durch den Le­ gal Services Act 2007 hat in England zum Aufbau einer neuen, von der Law Society getrennten, Aufsichtsbehörde, der Solicitors Regulation Authority,773 geführt. Die De­ regulierung mündete in England also in einer neuen Kontrollbürokratie. Auf Deutsch­

767 Vgl. Parker/Evans, Inside Lawyer´s Ethics, 2.  Aufl., 2014, S.  288  ff.; Parker/Ruschena, 9 U. St. Thomas L.J. (2011) 619 ff.; Fortney, 39 Idaho L. Rev. (2003) 305. 768 Vor allem Schiltz, 52 Vand. L. Rev. (1999), S. 871, S. 908 ff. 769 Galanter/Henderson, 60 Stan.L.Rev. (2008) S. 1867 ff. 770 Eindrucksvoll zur Diskursherrschaft durch das in diesem Zusammenhang geschaffene neufachsprachliche Vokabular, Mankowski, Rechtskultur, 2016, S. 86 ff. Vgl. zur Rolle des Rechts auch Karsten Schmidt in: FS für Hans-Jürgen Hellwig, 2010, S. 311, S. 319 ff. 771 Richtlinie 2002/87/EG und zur Aufhebung der Richtlinien 2006/48/EG und 2006/49/EG. 772 Vgl. nur Manns/Schulte-Mattler, WM 2010, S. 1577 ff. 773 https://www.sra.org.uk/home/home.page.

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land bezogen würde sich eine nicht mehr vom Prinzip der Selbstverwaltung getragene „Regulation Authority“ hart im Raum mit der anwaltlichen Unabhängigkeit stoßen.774 In der jüngsten Diskussion wurde nicht nur der Vorschlag unterbreitet, die GmbH & Co. KG für die Rechtsanwaltschaft zuzulassen,775 sondern auch den Kreis der sozie­ tätsfähigen Berufe auf alle vereinbaren Berufe zu erstrecken.776 Darüber hinaus wurde die Einführung eines Compliance Officer gefordert.777 Insbesondere letztere Forde­ rung zeigt, in welchem Umfang sich der Kompass verschoben hat. Compliance be­ deutet übersetzt nichts anderes als die Befolgung der gesetzlichen Vorschriften. Wer einen Compliance Officer in den Kanzleien fordert, sagt im Kern nicht anderes, als dass die ökonomische Verfremdung durch Gewinnmaximierung so weit getrieben wurde, dass die Kultur des Maßes verloren gegangen ist.778 Der Hinweis auf eine Ethikdebatte geht in diesem Zusammenhang fehl. Anwaltliche Ethik verwirklicht man nicht durch Sonntagsreden und Ethikdebatten. Vielmehr bedarf es eines regula­ tiven Rahmens, welcher ein ethisches Verhalten ermöglicht und dem einzelnen Rechtsanwalt nicht lediglich die Wahl zwischen heroischer Selbstaufopferung und rücksichtsloser Selbstsucht lässt.779 Weder mit einer Ethikdebatte noch mit einem Compliance Officer lässt sich daher die Selbstzumutung eines fehlerhaften ökonomi­ schen Handlungsrahmens korrigieren.780 Im Grunde nimmt es auch nicht wunder, dass weder in der Entscheidung des Bay­ ObLG781 bzw. des BGH782 oder BVerfG783 zu anwaltlichen Berufsausübungsgesell­ schaften die Wörter Quersubventionierung, Prozesskostenhilfe oder Justizgewähran­ spruch vorkommen. Vergleichbares gilt für die Literatur. Im Kern wird eine Verbindung der drei Diskussionsstränge nicht hergestellt, obwohl hierzu reichlich Anlass bestanden hätte. So hat z.B. Taupitz die Behauptung aufgestellt, auf die An­ walts-GmbH würde die BRAGO keine Anwendung finden.784 Unter den Bedingun­ gen des sozialen Rechtsstaats des Grundgesetzes darf der Zugang zum Recht weder an einer subjektiv-absoluten noch an einer objektiv-relativen Kostensperre scheitern (erster Diskussionsstrang). Hierzu ist eine Quersubventionierung erforderlich, wel­ che dem Grundsatz der Belastungsgleichheit entsprechen muss (zweiter Diskussions­ strang). Ob diese Belastungsgleichheit heute noch bei einer stark fragmentierten ­Anwaltschaft gegeben ist, darf bezweifelt werden. Diese Entwicklung zur Kommerzi­ 774 Warnendes Beispiel für eine solche Entwicklung ist die Ablösung der freiberuflichen Be­ rufsaufsicht der Wirtschaftsprüferkammer in bestimmten Bereichen durch die Abschluss­ prüferaufsicht beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, hierzu Maxl, An­ wBl. 2017, 390, 394. 775 § 59a BRAO, Henssler-Entwurf. 776 § 59b Abs. 1 Nr. 2 BRAO, Henssler-Entwurf. 777 § 59j BRAO, Henssler-Entwurf. 778 Vgl. Kirchhof in: Handbuch des Staatsrechts, § 283, Rz. 24 und ders., Rz. 31. 779 Peter Ulrich, Integrative Wirtschaftsethik, 1998, 86. 780 Hierzu bereits Wolf, AnwBl. 2010, 725, 732 f. 781 BayObLGZ 1994, 353; BayObLG, NJW 2000, 1647. 782 BGH, NJW 2005, 1568. 783 BVerfG, NJW 2016, 700. 784 Taupitz, JZ 1994, 1100, 1106.

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alisierung kann losgelöst von der Deregulierung und Liberalisierung der anwaltlichen Berufsausübungsgesellschaften nicht diskutiert werden.785 Führt man die drei Dis­ kussionsstränge nicht zusammen, läuft man Gefahr, im Namen der Deregulierung und Liberalisierung Regelungen abgeschafft zu haben, welche es dem einzelnen Rechtsanwalt ermöglicht haben, seine Aufgabe als Organ der Rechtspflege (§ 1 BRAO) zu leben und einen freien Beruf und kein Gewerbe auszuüben. Gleichzeitig hat man damit aber auch den Grund gelegt für eine Umverteilungsbürokratie, vergleichbar den kassen­ärztlichen Vereinigungen. Kündigt die Anwaltschaft die Quersubventio­ nierung auf und will man den gleichen Zugang zum Recht nicht aufgeben, wird man die Quersubventionierung anders organisieren müssen, z.B. durch Rechtsschutzversi­ cherungen oder eine Quersubventionierungsagentur, die sich durch eine Umlagenfi­ nanzierung der Rechtsanwälte oder die Steuerzahler finanziert. 4. Die BRAK in 32 Jahren Seit den Bastille-Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts am 14.  Juli 1987 sind 32 Jahre vergangen. Wo wird die Rechtsanwaltschaft, wo wird die Bundesrechts­ anwaltskammer in weiteren 32 Jahren stehen? Im Grunde ist eine Prognose hierüber nur sehr schwer möglich. In den vergangenen 32 Jahren hat sich die Bundesrechtsan­ waltskammer von sich aus zu einem modernen Dienstleistungs- und Lobby-Unter­ nehmen des Rechtsstaats gewandelt. Die selbstverfasste Anwaltschaft ist Garant der anwaltlichen Unabhängigkeit. Anwaltliche Unabhängigkeit ist eine zentrale Funkti­ onsvoraussetzung der anwaltlichen Tätigkeit. Ohne die Berufsaufsicht der regionalen Rechtsanwaltskammern müssten die Gewerbeämter die Wirtschaftsaufsicht über die Rechtsanwälte ausüben. Diese Garantenstellung der selbstverwalteten Anwaltschaft, die sich unmittelbar aus dem Rechtsstaatsprinzip ergibt, muss immer wieder erneut vermittelt werden. Rechtsanwälte waren und sind zum Teil noch Citoyen und Bourgeois in einer Person. Sie sind als Citoyen Organ der Rechtspflege und somit Teil der staatlichen Aufgabe der Justizgewähr, welche aber  – um funktionsfähig zu sein  – nicht der staatlichen Kontrolle und Bevormundung unterliegen darf, also nicht Teil des Staates sein darf. Zugleich sind sie als Bourgeois ihre eigenen Wirtschaftsbürger, also für den unterneh­ merischen Erfolg selbst verantwortlich. Mit der Chiffre des „Freien Berufs“ soll diese Paradoxie, einerseits der Gemeinwohlverpflichtung und anderseits nicht der staatli­ chen Kontrolle und Bevormundung zu unterliegen, also nicht Teil des Staates zu sein, aufgelöst werden. Damit ist aber zugleich das Wettbewerbsparadigma im Anwaltsmarkt eingegrenzt. Die Rechtsordnung ermöglicht den Wettbewerb, sie kann aber nicht selbst Teil des Wettbewerbs sein.786 Ist der Rechtsanwalt aber Teil derjenigen, die die Rechtsordnung schaffen, indem sie die Gesetze interpretieren und für deren sachgemäße Anwendung streiten, müssen sie zugleich einem eingeschränkten Wettbewerbsparadigma unter­ 785 Hierzu bereits Wolf, BRAK-Mitt., 2018, S. 162 ff. 786 Kirchhof in: Handbuch des Staatsrechts, § 283, Rz. 25.

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liegen. Gemeinwohlziele lassen sich entgegen der Annahme des Utilitarismus nicht aus den ökonomischen Präferenzen, welche sich durch die Zahlungsbereitschaft der Nachfrager ergibt, vollständig entwickeln.787 In diesem Sinne dürfen unabdingbare Rechtsprinzipen keinen Preis, sondern eine Würde haben.788 Die wichtigsten Entwicklungslinien des anwaltlichen Berufsrechts werden nicht von der Anwaltschaft selbst vorangetrieben, sondern durch die Gerichte und die Wissen­ schaft. Im Positiven wie im Kritischen kam dem Bundesverfassungsgericht dabei eine besondere Bedeutung zu. Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts kön­ nen notwendiger Weise nur einen punktuellen Eingriff in das anwaltliche Berufsrecht darstellen.789 Hinzu kommt aber noch ein weiteres: Dieter Grimm hat in Bezug auf die Rechtsprechung des EuGH davon gesprochen, dass bestimmte Fragen institutionali­ siert und damit dem politischen Entscheidungsprozess entzogen wurden.790 Man wird den Gedanken Grimms auf das Bundesverfassungsgericht übertragen dürfen und dabei noch erweitern müssen. Entzogen werden dem politischen Entscheidungs­ prozess so nicht nur heute, sondern für lange Zeit die konstitutionalisierten Fragestel­ lungen. Bestimmte Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts sind nur schwer wieder rückholbar, um in Zukunft auf Fehlentwicklungen oder schlicht ein anderes Verständnis von Art. 12 GG reagieren zu können. Im besten Sinne des Wortes Citoyen und Bourgeois zu sein, immer wieder zu betonen, dass die Gemeinwohlverpflichtung ein Grundanliegen und eine Grundverpflichtung der Rechtsanwaltschaft ist, wird auch in Zukunft Aufgabe der Bundesrechtsanwalts­ kammer bleiben. Die wirtschaftlichen Grundparameter des Handelns der Rechtsan­ wälte werden sich in den nächsten 32 Jahren verändern und durch technische Inno­ vationen, wie Legal Tech, herausgefordert werden. Dass insbesondere die Schwächeren auf den Schutz des Rechts angewiesen sind, ist das Fundament unseres sozialen, de­ mokratischen Rechtsstaats. In den letzten 32 Jahren hatte dieser in der Bundesrechts­ anwaltskammer einen ebenso leidenschaftlichen wie engagierten Advokaten. Dies ist auch für die Zukunf zu hoffen.

787 Peters, VVDStRL 69 (2010), S. 7, 35 f. 788 Peters a.a.O., S.  53 unter Berufung auf Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Werkausgabe Bd. VII, hrsg. v. W. Weischedel, Frankfurt a.M. 1977 (orig. 1785), 68. 789 Hierauf hat Kilian/Koch, Anwaltliches Berufsrecht, 2. Aufl., 2018, Rz. 37 hingewiesen. 790 Grimm, Europa ja – aber welches?, 2016, S. 40 f., S, 112 ff.

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Der weite Weg nach Europa: Grenzüberschreitende Rechtsdienstleistungen im Spannungsverhältnis zwischen Binnenmarktförderung und Rechtspflege Inhaltsübersicht A. „Europäische Anwälte“ – Wunsch und Wirklichkeit I. Europäische Rechtskultiviertheit durch „Europäische Anwälte“? II. Auswirkungen des „Brexit“ auf die ­grenzüberschreitende Tätigkeit von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten sowie Anwaltskanzleien III. Spannungsverhältnis zwischen Binnen­ marktförderung und Rechtspflege B. Regularien und Instrumente grenzüber­ schreitender Rechtsdienstleistungen I. Vorübergehende Dienstleistungen über die Grenze: Die Rechtsanwaltsdienst­ leistungsrichtlinie 77/249/EWG und ihre Umsetzung ins nationale Recht 1. Vorübergehende Tätigkeit 2. Voraussetzungen und Grenzen der ­grenzüberschreitenden Anwaltstätigkeit II. Die Niederlassung von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten anderer EU-Mit­ gliedstaaten und ihre Grundlagen im ­europäischen Recht 1. Hochschuldiplomanerkennungs­ richtlinie 89/48/EWG 2. Berufsanerkennungsrichtline 2005/36/EG 3. Rechtsanwalts-Niederlassungsrichtlinie 98/5/EG 4. Zwischenfazit I II. Konflikte und Kollisionen 1. Das Verhältnis der allgemeinen Dienst­ leistungsrichtlinie 2006/123/EG zur Rechtsanwaltsdienstleistungsrichtlinie 77/249/EWG 2. Kollidierende Berufsregeln a) Unterschiedliche Rechtstraditionen b) Bindung an das Berufsrecht des ­Aufnahme- und Herkunftsstaates („double deontology“)

c) Die (vergeblichen) Bemühungen im Rat der Anwaltschaften der euro­ päischen Gemeinschaft (CCBE) um einheitliche Regeln für die grenzüber­ schreitende Anwaltstätigkeit aa) Inkorporation der CCBE-Berufs­ regeln in das nationale Berufs­ recht der Mitgliedstaaten bb) Aufhebung der CCBE-Regeln durch die 5. Satzungsversamm­ lung cc) Verfassungs- und Europarechts­ konformität der CCBE-Regeln d) Ableitung des Herkunftslandprinzips aus den Grundfreiheiten e) Verdrängung fremdstaatlichen Berufs­ rechts durch das Gebot gewissenhafter Berufsausübung gem. § 43 BRAO f) Vorrang des fremdstaatlichen Berufs­ rechts bei grenzüberschreitender ­Tätigkeit? aa) Wortlaut und Systematik der Richtlinie 249/77/EWG bb) Anknüpfung an die größere Sach­ nähe des Mandats cc) Teleologische Einschränkung der Verweisung auf das Berufsrecht des Herkunftsstaates dd) Teleologische Kriterien bei der Anwendung des RDG im grenz­ überschreitenden Verkehr ee) Teleologische Gründe für den Vorrang des Berufsrechts des Herkunftsstaates C. Europäische Bestrebungen zur ­Deregulierung des Berufsrechts I. Initiativen und Hintergründe der euro­ päischen Deregulierungskampagne 1. HIS-Studie und „Monti-Bericht“

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Reinhard Singer 2. Das europäische Wettbewerbsrecht als Instrument zur Deregulierung des ­nationalen Berufsrechts 3. Dienstleistungs- und Niederlassungs­ freiheit als Instrumente zur Deregulie­ rung des Berufsrechts 4. Durchführung und Ergebnisse des von der allgemeinen Dienstleistungsrichtlinie 2006/123/EG geforderten Normen­ screenings 5. Panteia-Studie und die neue Binnen­ marktstrategie der EU-Kommission II. Problemfelder der Unionsrechts­ konformität im nationalen Berufsrecht 1. Unionsrechtskonformität des Gebühren­ rechts a) Rechtfertigung von Mindestpreisen b) Tarifierung als Verbot von Erfolgsver­ einbarungen c) Tragfähigkeit der Quersubventionie­ rung d) Tarifierung als Berechnungsgrundlage für die Prozesskostenhilfe und Kosten­ erstattung 2. Unionsrechtskonformität des Werbe­ rechts a) Verfassungs- und europarechtliche Impulse zur Liberalisierung des ­Werberechts b) Das Verbot unsachlicher Werbung als Irreführungsverbot c) Das Gebot berufsbezogener Werbung d) Das Verbot reißerischer, marktschrei­ erischer Werbung e) Das Verbot der gezielten Werbung um Mandate im Einzelfall f) Beibehaltung spezieller Werbe­ vorschriften für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte? 3. Unionsrechtskonformität des anwaltlichen Gesellschaftsrechts a) Unionsrechtskonformität des Fremd­ besitzverbotes aa) Gesetzliche Grundlagen des Fremdbesitzverbotes bb) Der Schutz der anwaltlichen ­Unabhängigkeit als Zweck des Fremdbesitzverbots cc) Die Doc-Morris-Entscheidung des EuGH als Vergleichsmaßstab dd) Inkohärenter Schutz der beruf­ lichen Unabhängigkeit?

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ee) Auswirkungen der verfassungs­ gerichtlichen Rechtsprechung zu interprofessionellen Sozietäten auf das Fremdbesitzverbot ff) Lockerung des Fremdbesitz­ verbots in Fällen mit geringem Gefährdungspotential und ­Reformvorschläge der Berufs­ organisationen b) Rechtsdienstleistungen durch Alter­ native Business Structures aa) Niederlassungsfreiheit nach den Bestimmungen des Aufnahme­ staates bb) Anerkennung des ausländischen Gründungsstatuts? cc) Notwendigkeit einer Zulassung ausländischer Kapitalgesellschaf­ ten dd) Anerkennung des Fremdbesitz­ verbots durch Art. 11 Abs. 5 der Niederlassungsrichtlinie 98/5/EG ee) Zulässigkeit vorübergehender Dienstleistungen durch ABS ff) Begrenztes Volumen internet­ basierter Rechtsdienstleistungen gg) ABS nach dem „Brexit“ c) Unionsrechtskonformität der Be­ schränkungen für multidisziplinäre Gesellschaften aa) Verfassungs- und europarechts­ widrige Mehrheitserfordernisse und Beschränkung der sozietäts­ fähigen Berufe bb) Beschränkung der Sozietäts­ fähigkeit auf Berufe mit ver­ gleichbarem Schutzniveau cc) Schutz des Mandantengeheimnis­ ses auch für Mitgesellschafter 4. Unionsrechtskonformität des Anwalts­ monopols a) Einschränkungen des Anwaltsmono­ pols für Hilfs- und Nebentätigkeiten b) Fehlende Qualitätssicherung mangels Fortbildungspflicht c) Gefährdung des Anwaltsmonopols für Rechtsdienstleistungen durch die Ent­ scheidung des EuGH im Fall X-Steu­ erberatungsgesellschaft? 5. Unionsrechtskonformität der beruflichen Selbstverwaltung durch Kammern D. Fazit und Zusammenfassung

Grenzüberschreitende Rechtsdienstleistungen

A.  „Europäische Anwälte“ – Wunsch und Wirklichkeit I. Europäische Rechtskultiviertheit durch „Europäische Anwälte“? Ein harmonisiertes europäisches Berufsrecht für Rechtsanwältinnen und Rechts­ anwälte gibt es nur in Ansätzen.1 Von einer Renaissance der europäischen Advoka­ ten, die an oberitalienischen Rechtsschulen ausgebildet wurden und europaweit als Rechtskundige tätig waren2, ist die Gegenwart noch weit entfernt. Immerhin sind ele­ mentare rechtliche Hindernisse für eine europaweite Tätigkeit von Rechtsanwältin­ nen und Rechtsanwälten ausgeräumt, da eine vorübergehende Tätigkeit in einem an­ deren Mitgliedstaat der Union ohne Zulassungsprüfung möglich ist und auch eine Niederlassung im europäischen Ausland nicht auf unüberwindbare Hürden stößt. Wenn heute von europäischem Berufsrecht die Rede ist, dann geht es einerseits um eben jenes Regelwerk, das auf europäischer Ebene grenzüberschreitende Rechts­ dienstleistungen ermöglichen soll, andererseits um den Rechtsrahmen, der sich um das nationale Berufsrecht spannt und Beschränkungen der europäischen Grund­ freiheiten, insbesondere durch die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit, einer strengen Prüfung unterzieht. Beide Themenkomplexe überschneiden sich zum Teil, weil der Europäische Gerichtshof die der grenzüberschreitenden Tätigkeit gezogenen Schranken am Maßstab eben jener Grundfreiheiten kontrolliert und dabei ihren In­ halt und ihre Reichweite konkretisiert. Auch wenn es an einem Auslandsbezug der Regelungen fehlt, sind Beschränkungen der Grundfreiheiten nur gerechtfertigt, „wenn diese Maßnahmen in nicht-diskriminierender Weise angewandt werden, aus zwin­ genden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sind, geeignet sind, die Ver­ wirklichung des mit ihnen verfolgten Ziels zu gewährleisten, und nicht über das hin­ ausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist“.3 Kennzeichnet europäisches Berufsrecht somit in erster Linie den Rechtsrahmen, in­ nerhalb dessen die Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte ihre Tätigkeit entfalten, ist die Vorstellung von einem „europäischen Anwalt“, der in einem europäischen Bera­ tungsmarkt4 oder gar einer „Europakanzlei“5 tätig ist und eine europäisierte Rechts­ kultiviertheit verkörpert, noch ferne Zukunftsvision.6 Der europäische Rechtsanwalt, von dem im Gesetz über die Tätigkeit europäischer Rechtsanwälte in Deutschland (EuRAG) die Rede ist, kennzeichnet zwar den grenzüberschreitend tätigen Rechtsan­ walt, der sich unter der Berufsbezeichnung seines Herkunftsstaates in Deutschland niederlässt oder dort vorübergehend tätig ist, nicht aber einen durch ein „europäisier­ tes“ Berufsbild geprägten Anwaltstypus. Zu heterogen sind die Berufs- und Rechts­ 1 Knöfel, S. 192.  2 Vgl. dazu Henssler, ZZP 115 (2002), 321 f. 3 EuGH, Urt. v. 30.11.1995 – C-55/94, Slg. 1995, I – 4188, 4199 Rz. 39 (Gebhard). 4 Henssler, ZZP 115 (2002) 321, 345. 5 Fedtke, S. 1, 2 ff., 16 ff. 6 Skeptisch Knöfel, S. 193 f.; Henssler, ZZP 115 (2002) 321, 345; zur Kritik an den nach wie vor stark fragmentierten europäischen Rechtsausbildungssystemen jüngst Simon, AöR 143, (2018) 597, 612 und 620.

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kulturen in den Mitgliedstaaten7, und die grenzüberschreitende Mobilität der Juris­ tinnen und Juristen hält sich sprichwörtlich „in Grenzen“. Im Jahre 2000 waren gerade einmal 158 Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte mit im Ausland erworbener Be­ rufsqualifikation in Deutschland tätig; das entsprach rund 0,2% der zugelassenen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte. Inzwischen ist die Zahl deutlich gestiegen, aber im Vergleich zur Gesamtzahl der zugelassenen Anwältinnen und Anwälte im­ mer noch bescheiden: 2017 waren es immerhin 932 (0,6%).8 Den grenzüberschreiten­ den Markt beherrschen international vernetzte Anwaltsgesellschaften, die in ihren ausländischen Dependancen inländische Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte be­ schäftigen und daher keinen signifikanten Bedarf an mobilen Juristinnen und Juris­ ten haben, die grenzüberschreitend tätig sind.9

II. Auswirkungen des „Brexit“ auf die grenzüberschreitende Tätigkeit von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten sowie Anwaltskanzleien Der bevorstehende Austritt des United Kingdom aus der Europäischen Union hat für die grenzüberschreitend tätigen Anwälte und ihre Anwaltsgesellschaften Folgen. Käme es zu einem „harten“ Brexit, bestünde für britische Solicitors nicht mehr die Möglichkeit, als „europäische“ Rechtsanwälte grenzüberschreitend tätig zu sein. Da die großen international tätigen Law Firms ihre grenzüberschreitende Beratungstätig­ keit jedoch ohnehin in gemischten Teams bzw. durch Rechtsanwälte ausüben, die im Aufnahmestaat zugelassen sind, halten sich die Auswirkungen des „Brexit“ insoweit in Grenzen. § 59a Abs. 2 Nr. 1 BRAO gestattet deutschen Rechtsanwälten, sich zur ge­ meinschaftlichen Berufsausübung mit europäischen Rechtsanwälten und Rechtsan­ wälten, die gem. §  206 BRAO zur Rechtsdienstleistung befugt sind, zu verbinden. Da das United Kingdom seit 1995 Mitglied der World Trade Organization (WTO) ist, können sich englische Law Firms selbst nach einem „harten“ Brexit10 ebenso wie zB US-amerikanische Kanzleien weiterhin in Deutschland niederlassen, wenn wenigs­ tens ein deutscher oder europäischer Rechtsanwalt Gesellschafter ist und die Rechts­ dienstleistungen durch Rechtsanwälte erbracht werden, die in Deutschland zugelassen sind.11 Die Rechtslage ist zwar nicht völlig eindeutig, weil der Bundesgerichtshof die Anerkennung der Rechtsdienstleistungsbefugnis einer Rechtsanwalts-GbR in einem 7 Vgl. Panteia-Institut (Hrsg.), S.  9 (Tabellen, S.  158, 161): „The difficulties that have been most commonly encountered … are a lack of professional expertise in the law of another Member State and difficulties related to language“; ähnliche Einschätzung durch die vom DAV in Auftrag gegebene Prognos-Studie 2013, S. 20. 8 Kilian/Dreske, S. 279.  9 Knöfel, S. 202. 10 Von einem „harten“ Brexit ist auszugehen, wenn sich EU und Großbritannien nicht auf ein Austrittsabkommen einigen (zum Text des Abkommens über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europä­ ischen Atomgemeinschaft vgl. ABl.EU v. 19.2.2019, C 66 I, S. 1 ff.). 11 Einzelheiten Henssler, AnwBl Online 2018, 564, 591 f. (mit Vorschlägen zur Klarstellung der Rechtsdienstleistungsbefugnis der Rechtsanwaltsgesellschaften und der Erweiterung der Postulationsfähigkeit in einem neuen § 207a BRAO).

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älteren Urteil ausdrücklich davon abhängig gemacht hat, dass es sich um eine gesetz­ lich zugelassene Rechtsberatersozietät handele und diese rechtsfähig sei.12 Aber da die GbR – anders als die GmbH gem. § 59c BRAO – kein Zulassungsverfahren durchlau­ fen muss, ist damit offensichtlich nur gemeint, dass die betreffende Sozietät den be­ rufsrechtlichen Vorschriften der §§ 59a ff. BRAO entsprechen muss. Das dürfte auf die im United Kingdom gegründeten Gesellschaften – abgesehen von den Alternativ Bu­ siness Structures (ABS) – regelmäßig zutreffen. Gravierender sind die Auswirkungen des Brexit für die von deutschen Kanzleien nach britischem Recht gegründeten Limited Liability Partnerships (LL.P.), die ihren Verwal­ tungssitz in Deutschland haben, weil nach dem Austritt nicht mehr die unionsrecht­ lich begründete Gründungstheorie zur Anwendung kommt, sondern die von der deutschen Rechtsprechung nach wie vor auf Inlandsgesellschaften angewendete Sitz­ theorie13. Das bedeutet, dass die betreffenden Gesellschaften umqualifiziert werden und – zur Vermeidung der persönlichen Haftung der Gesellschafter – umstrukturiert werden sollten14. Britische Gesellschaften können sich dann nicht mehr auf Unions­ recht stützen, weder auf die Grundfreiheiten des AEUV, noch auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Das hat auch Konsequenzen für die seit dem Inkraft­ treten des Legal Services Act 2007 in England und Wales zugelassenen Alternative Business Structures (ABS) – Gesellschaften, die zu 100% im Besitz von Fremdkapital sein können. Bei ihrem bisher noch nicht Realität gewordenen, aber vielfach prognos­ tizierten Auftreten in Deutschland15 könnten sich diese Gesellschaften jedenfalls künftig weder auf die vom EuGH vertretene Gründungstheorie noch auf die Nieder­ lassungsfreiheit des Art. 49 AEUV berufen, sondern müssten zwingend die Vorschrif­ ten des deutschen Berufsrechts einhalten.16 Davon abgesehen dürfte die Prognose nicht allzu gewagt sein, dass mit dem Abschied aus der europäischen Union der briti­ sche (Rechts-) Dienstleistungssektor an Bedeutung verlieren und auch seinen Ein­ fluss als Leitbild für die künftige Ausrichtung des europäischen Berufsrechts einbü­ ßen wird. Einschneidende Konsequenzen hat der Brexit für die europäischen Rechtsanwältin­ nen und Rechtsanwälte, die sich im United Kingdom niedergelassen haben oder als britische Bürger in einem der verbleibenden EU-Staaten. Nach dem Text des Aus­ trittsabkommens hängt die Berechtigung, den Anwaltsberuf im jeweiligen Aufnah­ 12 BGH, Urt. v. 9.12.2010 − IX ZR 44/10, NJW 2011, 2301 f.; an der Rechtsdienstleistungsbe­ fugnis der LL.P. zweifelnd Lemke in einem Vortrag auf dem Law Firm Symposion der Buce­ rius Law School Hamburg am 2.4.2019 (Verf. dankt dem Referenten für die Überlassung seiner ppt-slides). 13 Zur Gründungstheorie grundlegend EuGH, Urt. v. 9.3.1999 − C-212–97, NJW 1999, 2027, 2028 Rz.  19  f. (Centros); Urt. v. 5.11.2002 − C-208/00, NJW 2002, 3614, 3616 Rz.  82  ff. (Überseering). – Zur Sitztheorie BGH, Urt. v. 27.10.2008 − II ZR 158/06, BGHZ 178, 192, 194, 196 Rz. 12 ff., 19 (Trabrennbahn); Urt. v. 12.7.2011 − II ZR 28/10, BGHZ 190, 242, 246 Rz. 16; BGH, Beschl. v. 22.11.2016 – II ZB 19/15, BGHZ 212, 381, 387 f. Rz. 21. 14 Vgl. zu den Austrittskonsequenzen Zwirlein/Großerichter/Gätsch, NZG 2017, 1041, 1042; Hellwig, AnwBl Online 2018, 9, 12.  15 Dazu näher unten C II 3 b. 16 Vgl. dazu näher unten im Text unter C II 3 b aa.

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mestaat weiterhin ausüben zu können, zum einen davon ab, dass diese Personen ihren Wohnsitz im Aufnahmestaat haben (Art. 9 ff.), zum anderen davon, dass sie die Be­ rechtigung durch die Eignungsprüfung nach Art. 14 der Berufsanerkennungsrichtli­ nie 2005/36/EG oder durch eine dreijährige Praxis im Recht des Aufnahmestaates gem. Art. 10 der anwaltlichen Niederlassungsrichtlinie 98/5/EG erworben haben17. Ihnen gleichzustellen sind diejenigen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, die zum Zeitpunkt der Antragstellung die Zulassungsvoraussetzungen erfüllen, aber zum Zeitpunkt des Austritts noch nicht förmlich zugelassen sind („hängende“ Verfahren). Nicht geschützt wären hingegen jene Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, die sich unter der Berufsbezeichnung des Herkunftsstaates im Aufnahmestaat niedergelassen haben. Nach dem Austritt erfüllen diese niedergelassenen europäischen Rechtsanwäl­ te nicht mehr die Voraussetzungen für ihre berufliche Tätigkeit im Aufnahmestaat. Ihnen verbleibt nur die Option, sich gem. § 206 BRAO unter der Berufsbezeichnung des Herkunftsstaates niederzulassen und sich mit der Rechtsbesorgung auf den Ge­ bieten des Rechts des Herkunftsstaates und des Völkerrechts zu begnügen.18 Aller­ dings bedarf es eines förmlichen Widerrufs der Aufnahme in die Rechtsanwaltskam­ mer, für die es gegenwärtig an einer gesetzlichen Grundlage mangelt. §  4 Abs.  2 EuRAG kommt nach zutreffender Auffassung nicht in Betracht, auch nicht in ana­ loger Anwendung, weil der Entzug der Berechtigung zur Berufsausübung im Her­ kunftsstaat nicht mit dem Verlust der Berechtigung im Aufnahmestaat vergleichbar ist.19 Die Bundesrechtsanwaltskammer empfiehlt daher mit Recht eine Ergänzung von § 4 EuRAG, um die beabsichtigte Versagung des Bestandsschutzes für die nieder­ gelassenen europäischen Rechtsanwälte auch vollziehen zu können. Kommt es zu einem „harten Brexit“, gelten die gleichen Grundsätze. Während die durch erfolgreiche Eignungsprüfung oder Eingliederung nach dreijähriger Praxis im Recht des Aufnahmestaates erworbene Zulassung erhalten bleibt, weil die betreffen­ den Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte ihre Zulassung aufgrund ihrer Qualifika­ tion mit Recht erworben haben, bedarf es für die niedergelassenen europäischen Rechtsanwälte aus dem Vereinigten Königreich einer gesetzlichen Regelung des Wi­ derrufs.20

17 Art. 27 Abs. 1 lit. a, b des Austrittsabkommens (Fn. 10); vgl. zu den Niederlassungsvoraus­ setzungen näher unten im Text B II 2 und 3. 18 BRAK-Stellungnahme Nr. 6/2019, S. 3 f. zum Referentenentwurf des BMJV − https://an​ walts​blatt.anwaltverein.de/files/anwaltsblatt.de/Dokumente/2019/verordnung-zur-anpas​ sung-des-anwaltlichen-berufsrechts-an-den-austritt-des-vereinigten-koenigreichs-­ausder-europaeischen-union.pdf (zuletzt aufgerufen am 2.5.2019) − im Anschluss an die BRAK-Stellungnahme Nr. 22/2018, S. 3; für die Zulassung gem. §§ 206, 207 BRAO wohl auch DAV Stellungnahme Nr. 7/2019, S. 7; Schnapp, AnwBl 2019, 287; für Bestandsschutz auch insoweit Lührig, https://anwaltsblatt.anwaltverein.de/de/news/barley-bereitet-rauswurf-­ der-britischen-anwaelte-vor (zuletzt aufgerufen am 12.6.2019), S. 2.  19 DAV Stellungnahme Nr. 7/2019, S. 6 f.; BRAK Stellungnahme Nr. 6/2019, S. 4; Lemke, Kam­ merreport der Hanseatischen Rechtsanwaltskammer Hamburg 5/2018, S. 2 f. 20 BRAK-Stellungnahme Nr. 6/2019, S. 4. 

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III. Spannungsverhältnis zwischen Binnenmarktförderung und Rechtspflege Eines der Hauptziele der europäischen Union ist die Verwirklichung des europäischen Binnenmarktes (Art.  3 Abs.  3 S.  1 EUV)21. Trotz der Anerkennung der Dienstleis­ tungs- und Niederlassungsfreiheit im europäischen Primärrecht in Gestalt der Art. 49 und 56 AEUV ist der Binnenmarkt für Dienstleistungen nur schleppend in Gang ge­ kommen. Im Bereich der Rechtsdienstleistungen dominierte bei Vertretern der Ge­ setzgebungsorgane und Standesorganisationen eine bis in die jüngere Vergangenheit spürbare Europaskepsis, die das traditionelle Berufsbild des Einzelanwalts durch Konkurrenz aus dem europäischen Ausland bedroht sah.22 Wenngleich inzwischen zahlreiche formelle und organisatorische Mobilitätshemmnisse wie das Lokalisati­ onsprinzip, das Zweigstellenverbot und das Verbot überörtlicher Sozietäten unter dem Druck der europäischen Gesetzgebung und Rechtsprechung beseitigt wurden, müssen grenzüberschreitend tätige Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte nach wie vor hohe Hürden überwinden. Diese haben ihre Ursache in dem schützenswerten Interesse der Rechtssuchenden an qualitativ hochwertiger Beratung und Vertretung gegenüber Behörden und Gerichten. Im Allgemeinen kann nicht davon ausgegangen werden, dass ausländische Rechtsdienstleister über die erforderlichen Fähigkeiten und Kenntnisse im Recht des Aufnahmestaates verfügen. Insofern besteht im Bereich der Rechtsdienstleistungen ein besonders ausgeprägtes Spannungsverhältnis zwischen den Verbraucherinteressen und der neuen Binnenmarktstrategie der Kommission, die seit den 80er Jahren verstärkt auf die gegenseitige Anerkennung der Gleichwertig­ keit nationaler Diplome und Hochschulabschlüsse setzt. Die prägenden Instrumente zur Förderung des grenzüberschreitenden Austauschs sind die Rechtsdienstleistungs­ richtlinie 77/249/EWG und die Niederlassungsrichtlinie 98/5/EG, die durch das Ge­ setz über die Tätigkeit europäischer Rechtsanwälte in Deutschland (EURAG) in das nationale Recht transformiert worden sind. Soweit ausländischen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten die Erbringungen von Rechtsdienstleistungen in Deutschland erlaubt ist, müssen sie grundsätzlich deut­ sches Berufsrecht beachten. Dieses zeichnet sich im Interesse der Mandantinnen und Mandanten und der Rechtspflege durch eine hohe Regulierungsdichte aus. Ange­ sichts des vom Europäischen Rat auf seiner Tagung im März 2000 proklamierten Ziels, die europäische Union zum „wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wis­ sensbasierten Wirtschaftsraum der Welt“ auszubauen,23 überrascht es nicht, dass das deutsche Berufsrecht für ausländische Rechtsanwälte als Hindernis bei der Verwirkli­ chung des Binnenmarktes angesehen wird. In ihrem Bericht über den Wettbewerb bei freiberuflichen Dienstleistungen betonte die Wettbewerbskommission, dass sich eine übermäßige Regulierung zum Nachteil der Verbraucherinnen und Verbraucher aus­ wirke, da sie Wettbewerb einschränke und Anbieterinnen und Anbieter davon abhal­

21 Calliess/Ruffert, Art. 3 EUV Rz. 22; Mann/Fontana, DStR Beih. zu 45/2016, 73, 77 f. 22 Anschaulich dokumentiert im Beitrag von Schäfer unter G. V. (in diesem Band). 23 Europäische Kommission, KOM (2004) 83 endgültig, S. 3.

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te, kostengünstig und effizient zu arbeiten24. Die von den berufsständischen Organi­ sationen zur Verteidigung der Regulierung ins Feld geführten Gemeinwohlinteressen stießen auch bei den Abgeordneten des europäischen Parlaments auf Skepsis. In einer Resolution vom Januar 2004 wurde offen der Verdacht ausgesprochen, dass manche Berufskörperschaften ihre Selbstregulierungsbefugnis „mehr zur Förderung der In­ teressen ihrer eigenen Mitglieder als zur Förderung derjenigen der Verbraucher“ ­nutzen würden.25 Seither streitet man über die Berechtigung dieser Kritik und die Notwendigkeit einer Anpassung des nationalen Berufsrechts in Deutschland an die europäischen Vorgaben. Auch auf nationaler Ebene stößt das deutsche System der beruflichen Selbstverwaltung auf Kritik, allerdings mit gegenteiliger Stoßrichtung. Den Kammern wird nicht laxe und nachsichtige Ausübung ihrer Aufsichtsaufgaben vorgeworfen, sondern eine allzu engstirnige Auslegung des Berufsrechts. Aus der ­Perspektive von Großkanzleien gelten die Kammern als „Hort der Illiberalität“, als Institutionen, die ihnen schlicht „nichts zu bieten“26 hätten und im Gegenteil ihre Wettbewerbsfähigkeit gegenüber ausländischer Konkurrenz durch Law Firms aus Ländern mit geringerer Regulierungsdichte beeinträchtigten.27 Im folgenden Beitrag wird diese Diskussion aufgegriffen und analysiert, inwiefern die nationalen berufsrechtlichen Regelungen den Anforderungen des höherrangigen eu­ ropäischen Rechts entsprechen. Ausgangspunkt ist ein freiheitliches Berufsverständ­ nis, das der Einzelanwältin oder dem Einzelanwalt ebenso wie der Berufsausübungs­ gesellschaft größtmögliche Entfaltungsfreiheit einräumt und gesetzliche Schranken nicht als gerechtfertigt ansieht, wo diese dazu dienen sollen, reine Standesinteressen und überkommene Berufsbilder aufrechtzuerhalten28 oder Wettbewerb unter den Be­ rufsträgerinnen und Berufsträgern um Mandate zu behindern29. Freiheitliche, öko­ nomische Bedürfnisse der Berufsträgerinnen und Berufsträger30 stehen jedoch in ei­ nem Spannungsverhältnis zum Gemeinwohlbezug des Anwaltsberufs. Chancen- und Waffengleichheit der Parteien, Zugang zum Recht und vertrauensvolle Beratung set­ zen den unabhängigen, verschwiegenen und nur den Interessen des eigenen Mandan­ 24 Europäische Kommission, KOM (2004) 83 endgültig, S. 3; s.a. den Erwägungsgrund 7 der Richtlinie (EU) 2018/958 über eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vor Erlass neuer Berufs­ reglementierungen. 25 Europäisches Parlament, Resolution on Competition Policy, P5_TA-PROV (2004) 0053, p.83, para 15. 26 So die Einschätzung von Hartung, in: FS Oppenhoff, S. 48; dazu näher unten im Text unter C II 5.  27 Heckelmann, NJW 2005, 3050 ff.; dazu krit. Göcken, NJW 2005, 3261. − Zur befürchteten Spaltung der Anwaltschaft aus damaliger Sicht von Westphalen, AnwBl 2005, 681, aus heu­ tiger Sicht Hartung, in: FS Oppenhoff, S. 37.  28 Zur überkommenen Orientierung an traditionellen Berufsbildern BVerfG, Beschl. v. 14.7.1987  – 1 BvR 537/81, BVerfGE 76, 171, 188  f.; Beschl. v. 4.11.1992  – 1 BvR 79/85, ­BVerfGE 87, 287, 319; Everling, Gutachten 58. DJT (1990), C 60 ff., 63. 29 Zum fehlenden Gemeinwohlbezug des Schutzes vor Konkurrenz vgl. nur BVerfG, Urt. v.  11.6.1958  – 1 BvR 596/56, BVerfGE 7, 377, 408; Beschl. v. 22.5.1996  – 1 BvR 744/88, BVerfGE 94, 372, 395. 30 Zur Legitimität kommerziellen Denkens bei der Ausübung des Anwaltsberufs vgl. BVerfG, Beschl. v. 12.12.2006 – 1 BvR 2576/04, BVerfGE 117, 163, 183.

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ten verpflichteten Rechtsanwalt voraus31. Ungezügelte Freiheit führt – das lehren nicht nur europäische Finanzkrise und Abgasskandal  – nicht automatisch zum Guten32. Angesichts der Gefahr von Interessenkonflikten benötigt die Freiheit der anwaltli­ chen Berufsausübung einen rechtlichen Rahmen, welcher der besonderen Funktion der Berufsträgerinnen und Berufsträger als Organen der Rechtspflege Rechnung trägt. Der damit betriebene Protektionismus ist trotz bisweilen harscher Kritik33 legi­ tim, sofern er nicht dem Schutz des Berufsstandes vor unliebsamer Konkurrenz dient, sondern dem Schutz der Rechtsuchenden und rechtsstaatlichen Gemeinwohlinteres­ sen. Der Schutz der beruflichen Unabhängigkeit ist kein Privileg der Berufsträger um ihrer selbst willen, sondern soll gewährleisten, dass die Mandanten ihre Rechte durch­ setzen können. Unabhängig sind Rechtsanwälte, um das in sie gesetzte Vertrauen zu rechtfertigen.34 Wo die Grenzen des Schutzes der Rechtspflege und der Rechtsuchen­ den verlaufen, obliegt zwar primär der Entscheidung des Gesetzgebers, doch unter­ liegt auch seine Gestaltungsfreiheit Grenzen. Die Entwicklung des Berufsrechts wird deshalb geprägt von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des eu­ ropäischen Gerichtshofs, die den Schutz des Verbrauchers und der Rechtspflege als legitimes Regulierungsziel grundsätzlich anerkennen, aber unverhältnismäßigen Be­ schränkungen mit Recht entgegentreten. Einen wichtigen Entwicklungsschub für die Öffnung des nationalen Rechtsdienstleis­ tungsmarktes leistete der europäische Gesetzgeber. Insofern sollen zunächst die Re­ gularien und Instrumente beschrieben werden, die auf der Ebene des europäischen Sekundärrechts dafür sorgen sollen, Rechtsdienstleistungen „über die Grenze“ zu för­ dern. Daran schließt sich die Frage an, ob die Instrumente ausreichend sind oder die Zutrittsschranken gelockert werden sollten, um den Binnenmarkt auch für Rechts­ dienstleistungen attraktiver zu machen.

B.  Regularien und Instrumente grenzüberschreitender Rechtsdienstleistungen Wesentliche Grundlagen der grenzüberschreitenden Erbringung von Rechtsdienst­ leistungen sind die in Art. 49 und 56 AEUV verankerten Grundfreiheiten, die Dienst­ leistungs- und Niederlassungsfreiheit. Die lange Zeit streitige Frage, ob diese Grund­ freiheiten auf Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte überhaupt anwendbar sind, hat der EuGH mit Recht zugunsten der Anwendbarkeit entschieden. Tätigkeiten, die mit der Ausübung „öffentlicher Gewalt“ verbunden sind, sind zwar gem. Art. 51 und 62 AEUV vom Geltungsbereich der Kapitel über die Niederlassungs- und Dienstleis­ tungsfreiheit ausgenommen. Auf Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte trifft diese 31 BVerfG, Beschl. v. 3.7.2003 – 1 BvR 238/01, BVerfGE 108, 150, 161 f.; Henssler/Prütting/ Busse, Einl. BRAO Rz. 54. 32 Lesens- und bedenkenswert Stürner, S. 271 ff.; Stürner/Bormann, NJW 2004, 1481 ff. 33 Weberstaedt, AnwBl 2014, 899; ders., English Alternative Business Structures, S. 3 und 21: „well protected market“, „protectionist bars“. 34 Kämmerer, Gutachten 68. DJT (2010), H 30.

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Einschränkung jedoch nicht zu. Obwohl sie auch Organe der Rechtspflege sind, er­ folgt ihre Tätigkeit bei der Rechtsberatung und Vertretung vor Gericht auf der Grund­ lage eines privaten Dienstvertrages und ist auch sonst nicht mit der Ausübung öffent­ licher Gewalt verbunden.35

I. Vorübergehende Dienstleistungen über die Grenze: Die Rechtsanwaltsdienstleistungsrichtlinie 77/249/EWG und ihre Umsetzung ins nationale Recht Die Rechtsanwaltsdienstleistungsrichtlinie 77/249/EWG ermöglicht es Rechtsanwäl­ tinnen und Rechtsanwälten, die Staatsangehörige in einem Mitgliedstaat der EU sind und die Qualifikation einer Rechtsanwältin oder eines Rechtsanwalts besitzen, in ei­ nem anderen Mitgliedsstaat die Ausübung ihrer Tätigkeit in Form der Dienstleistung. Diese umfasst gem. Art.  57 AEUV das Recht, die Tätigkeit vorübergehend in dem Mitgliedstaat auszuüben, in dem die Leistung erbracht wird, und zwar unter den Be­ dingungen, welche dieser Mitgliedstaat für seine eigenen Angehörigen vorschreibt. Die Richtlinie wurde zunächst durch das Gesetz zur Erleichterung der tatsächli­ chen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs der Rechtsanwälte (RADG) vom 16.8.1980 umgesetzt und später durch das Gesetz über die Tätigkeit europäischer Rechtsanwälte in Deutschland (EuRAG). Die §§ 25-34a EuRAG regeln nun die vorü­ bergehende Erbringung von Rechtsdienstleistungen durch europäische Rechtsanwäl­ tinnen und Rechtsanwälte. 1. Vorübergehende Tätigkeit Welche Tätigkeiten noch vorübergehend sind, hängt nach der Rechtsprechung des EuGH von „ihrer Dauer, ihrer Häufigkeit, ihrer regelmäßigen Wiederkehr und ihrer Kontinuität“ ab. Die Frage ist deshalb von praktischer Bedeutung, weil bei einer Nie­ derlassung im Unterschied zur Dienstleistung relativ hohe Zulassungshürden über­ wunden werden müssen. Dem vorübergehenden Charakter der Leistung schadet es nach Auffassung der Luxemburger Richter nicht, dass sich die Anwältin oder der An­ walt im Aufnahmestaat „mit einer bestimmten Infrastruktur (einschließlich eines Büros, einer Praxis oder einer Kanzlei)“ ausstattet, wenn dies für die Erbringung der fraglichen Leistung erforderlich ist. Das in manchen nationalen Vorschriften – auch im damaligen italienischen Umsetzungsgesetz – anzutreffende Verbot für die vorüber­ gehend in einem anderen Mitgliedstaat tätigen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwäl­ te, eine Kanzlei oder einen Haupt- oder Nebensitz einzurichten, erwies sich somit als nicht gemeinschaftskonform. Fehlt es an einer entsprechenden Infrastruktur, genü­ gen „mehr oder weniger häufig oder regelmäßig“ erbrachte Dienstleistungen nicht, um eine Niederlassung anzunehmen36. Um eine Niederlassung handelt es sich viel­ mehr erst, wenn der Rechtsanwalt „in stabiler und kontinuierlicher Weise eine Be­ rufstätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat ausübt, indem er sich von einem Be­ 35 EuGH, Urt. v. 21.6.1974 – Rs. 2/74, NJW 1975, 513, 515 Rz. 51/53 (Reyners). 36 EuGH, Urt. v. 11.12.2003 – Rs. C-215/01, NJW 2004, 435, 436 (Schnitzer).

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rufsdomizil aus u.a. an die Angehörigen dieses Staates wendet“.37 Während im Fall Gebhard eine solche stabile und kontinuierliche Tätigkeit vorlag, da der deutsche Rechtsanwalt ausschließlich in seiner Mailänder Kanzlei tätig war, dabei vor allem italienische Mandanten beriet und überdies italienische Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte beschäftigte, kann es in Fällen, in denen die Anwältin oder der Anwalt sowohl im Herkunftsstaat als auch im Aufnahmestaat tätig wird, zweifelhaft sein, ob noch von einer vorübergehenden Tätigkeit oder bereits von einer kontinuierlichen Berufsausübung im Aufnahmestaat auszugehen ist. Der von der Bundesrechtsanwaltskammer anlässlich der Neufassung des RDAG vor­ geschlagene Ausweg, Abgrenzungskriterien für die vorübergehende Tätigkeit zu defi­ nieren38, wurde vom deutschen Gesetzgeber nicht übernommen, weil dieser nicht die Kompetenz hat, europäisches Recht zu konkretisieren.39 Insofern bleibt eine gewisse Unsicherheit in Grenzfällen, die pragmatisch nur durch Abstimmung mit der jeweils zuständigen Anwaltsorganisation gemildert werden kann. 2. Voraussetzungen und Grenzen der grenzüberschreitenden Anwaltstätigkeit Der dienstleistende Rechtsanwalt muss unter der Bezeichnung des Herkunftsstaates auftreten (Art. 3 RL 77/49/EWG; § 26 Abs. 1 iVm § 5 I 1 EuRAG), also zB als Solicitor oder Adwokat. Ein Rechtsanwalt, der nach dem Recht seines Herkunftsstaates die Be­ rufsbezeichnung „Rechtsanwalt“ führen darf – außer in Österreich ist dies noch in Belgien, Luxemburg und (Nord-) Italien möglich –, darf sich zwar „Rechtsanwalt“ nennen, muss dann aber gem. Art. 3 RL 77/249 (§ 5 Abs. 2 S. 2 EuRAG) die Berufsor­ ganisation angeben, der er im Herkunftsstaat angehört, zB „Rechtsanwaltskammer Wien“. Die Angabe der im Herkunftsstaat gebräuchlichen Berufsbezeichnung soll eine Irreführung der Mandantin oder des Mandanten vermeiden, da hinreichend deutlich zum Ausdruck kommt, dass die Rechtsanwältin oder der Rechtsanwalt seine Qualifikation nicht im Recht des Aufnahmestaates erworben hat.40 Der europäische Rechtsanwalt darf sich nicht „Europäischer Rechtsanwalt“ nennen (§ 5 Abs. 2 S. 2 EuRAG), weil dadurch gegenüber inländischen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten eine besondere, europarechtliche Kompetenz vorgetäuscht wür­ de, die der europäische Rechtsanwalt nicht zwangsläufig besitzt41. Neben der Berufs­ bezeichnung des Herkunftsstaates darf der europäische Rechtsanwalt jedoch den Herkunftsstaat angeben oder eine deutsche Übersetzung der ausländischen Berufsbe­ zeichnung verwenden, zB „avocat  – belgischer Rechtsanwalt“42 oder „Dikigoros  –

37 EuGH, Urt. v. 30.11.1995 – C-55/94, Slg. 1995, I – 4188, 4195 Rz. 28 (Gebhard). 38 BRAK-Mitt. 1988, 184, 185. 39 Henssler/Prütting/Kilian, § 25 EuRAG Rz. 3. 40 Franz, BB 2000, 989, 992; an der Effektivität dieses Verbraucherschutzes zweifelnd Henss­ ler/Prütting/Lörcher, § 5 EuRAG Rz. 4. 41 Gaier/Wolf/Göcken/Eichele, § 26 EuRAG Rz. 3. 42 Henssler/Prütting/Lörcher, § 5 EuRAG Rz. 5; Franz, BB 2000, 989, 992.

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griechischer Rechtsanwalt“43, weil ausländische Bezeichnungen den Rechtssuchen­ den des Aufnahmestaates nicht geläufig sind und der Rechtsanwalt gem. §§  43b BRAO iVm § 6 I BORA das Recht hat, über seine Tätigkeit und Person sachlich zu informieren. Gem. § 28 Abs. 1 EuRAG darf der europäische Rechtsanwalt in gerichtlichen sowie in bestimmten behördlichen Verfahren, in denen Anwaltszwang herrscht, nur „im Ein­ vernehmen“ mit einer zugelassenen Rechtsanwältin oder einem zugelassenen Rechts­ anwalt handeln. Dadurch soll die Rechtsanwältin oder der Rechtsanwalt die erfor­ derliche Unterstützung, insbesondere im Verfahrens- und Berufsrecht, erhalten. Die Regelung dient Gemeinwohlinteressen und ist daher grundsätzlich nicht gemein­ schaftswidrig.44 In Verfahren ohne Anwaltszwang ist die Einschaltung einer Rechts­ anwältin oder eines Rechtsanwalts jedoch unnötig, weil die Mandantin oder der Man­ dant hier ihre oder seine Sache selbst vertreten kann. Das im früheren RDAG auch in diesem Fall verlangte Einvernehmen erachtete der EuGH daher mit Recht für unver­ hältnismäßig.45 Vom europäischen Anwalt darf nicht verlangt werden, dass er einen Wohnsitz im Gastland unterhält oder Mitglied in einer anwaltlichen Organisation ist (Art. 4 Abs. 1, letzter Hs. RL 77/249). Dies entspricht einer Forderung des EuGH.46 Der Gerichts­ hof  beanstandete zudem das damals bestehende Lokalisationsgebot des deutschen Rechts.47 Um Inländerdiskriminierung zu vermeiden, hat der Gesetzgeber dieses Ge­ bot auch für Anwältinnen und Anwälte des Aufnahmestaats abgeschafft. Inzwischen ist jede in Deutschland zugelassene Anwältin und jeder in Deutschland zugelassene Anwalt bei allen Land- und Oberlandesgerichten postulationsfähig (§ 78 ZPO). Nur die Zulassung von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten beim BGH (§ 164 BRAO) ist gem. § 27 Abs. 1 S. 2 EuRAG weiterhin beschränkt. Der EuGH hält dies mit Blick auf die besondere Erfahrung und Kompetenz der zugelassenen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte zwar für unionsrechtskonform,48 doch ist es wenig überzeugend (und kohärent), dass die Beschränkung der Zulassung auf einen ausgewählten Kreis von Rechtsanwälten nur beim BGH für erforderlich gehalten wird, nicht aber bei an­ deren obersten Fachgerichten wie dem BAG, BSG oder BVerwG. Zu den noch nicht abschließend geklärten Fragen gehört die Reichweite der von der anwaltlichen Dienstleistungsrichtlinie vorgegebenen doppelten Anwendbarkeit der 43 Ewig, NJW 1999, 248, 250. 44 BT-Drs. 567/99, S. 44 f.; Gaier/Wolf/Göcken/Eichele, § 28 EuRAG Fn.1; kritisch zur „Gou­ vernantenklausel“ des Gesetzentwurfs die Stellungnahme der BRAK v. 14.8.1979; Mauro/ Weil, AnwBl 1981, 128, 131. 45 EuGH, Urt. v. 25.2.1988 – Rs 427/85, NJW 1988, 887, 887 f. (Kommission/Deutschland). 46 EuGH, Urt. v. 3.12.1974 – Rs 33/74, Slg. 1974, 1299, 1310 Rz. 16 f. (van Binsbergen). 47 EuGH, Urt. v. 25.2.1988 – Rs 427/85, NJW 1988, 887, 889 (Kommission/Deutschland). 48 EuGH, Urt. v. 25.2.1988 – Rs 427/85, NJW 1988, 887, 889 (Kommission/Deutschland); die EU-Kommission sieht die erhöhten Anforderungen an die Zulassung als Rechtsanwalt beim BGH kritisch (vgl. die Mitteilung COM (2016) 820 final, S. 24; Michel, AnwBl. 2017, 128, 131).

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Berufsrechte des Herkunfts- und Aufenthaltsstaates („double deontology“)49 sowie die Befugnis zu Rechtsdienstleistungen durch ausländische Gesellschaften, die – wie die englischen ABS  – nicht den nationalen Vorschriften des anwaltlichen Gesell­ schaftsrechts entsprechen50. Diese Fragen sollen erörtert werden, nachdem die Rah­ menbedingungen für die grenzüberschreitende Niederlassung von Rechtsanwältin­ nen und Rechtsanwälten erörtert worden sind.

II. Die Niederlassung von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten anderer EU-Mitgliedstaaten und ihre Grundlagen im europäischen Recht Die Niederlassung von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten unterliegt angesichts der erheblichen Unterschiede der Rechtsordnungen in den europäischen Mitglied­ staaten stärkeren Einschränkungen als die vorübergehende Erbringung von Rechts­ dienstleistungen. Die im Interesse des Verbraucherschutzes und der Rechtspflege be­ stehende Notwendigkeit, eine qualitativ hochwertige Rechtsberatung zu gewährleisten, verlangt die Sicherstellung einer Mindestqualifikation. Ungeachtet der durch die Bin­ nenmarktstrategie forcierten Förderung der Dienstleistungs- und Niederlassungsfrei­ heit für bestimmte Berufe erkennt die Union bei Rechtsdienstleistungen ein Bedürf­ nis für Sonderregelungen an. 1. Hochschuldiplomanerkennungsrichtlinie 89/48/EWG Die Hochschuldiplomanerkennungsrichtlinie 89/48 ging von dem Grundsatz aus, dass jede Absolventin und jeder Absolvent einer mindestens dreijährigen Hochschul­ ausbildung, die zur Ausübung eines staatlich reglementierten, akademischen Berufs berechtigt, diesen auch in anderen Mitgliedsstaaten ausüben darf. Die damit ver­ bundene weitreichende wechselseitige Anerkennung der Hochschulabschlüsse durch Art. 3 Abs. 1 RL 89/48 erfuhr im Interesse der Qualitätssicherung eine Ausnahme für die Rechtsberufe. Gem. Art. 4 Abs. 1 b) der RL 89/48 konnten die Mitgliedstaaten von dem Antragsteller, der die Anerkennung seines Hochschuldiploms in einem anderen Mitgliedstaat anstrebt, verlangen, dass dieser einen höchstens dreijährigen Anpas­ sungslehrgang oder eine Eignungsprüfung absolviert, wenn sich die Ausbildungsin­ halte wesentlich unterscheiden. Dies ist gem. Art. 4 Abs. 1b aE der Fall, „wenn es sich um Berufe handelt, deren Ausübung eine genaue Kenntnis des nationalen Rechts er­ fordert, und bei denen die Beratung und/oder der Beistand in Fragen des innerstaat­ lichen Rechts ein wesentlicher und ständiger Bestandteil der beruflichen Tätigkeit ist.“ Das trifft offensichtlich auf die rechtsberatenden Berufe zu, so dass alle Staaten mit Ausnahme von Dänemark eine Eignungsprüfung verlangen. In Deutschland erfolgte die Umsetzung der Richtlinie durch die §§ 16-24 EuRAG. Die Eignungsprüfung (§ 20 I EuRAG) hat einen geringeren Umfang als die 2. Staatsprü­ 49 Dazu unten im Text unter A. II. 5. 50 Dazu unten im Text unter B. II. 3 b).

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fung (Zivilrecht, 2 Wahlfächer, Verfahrensrecht und anwaltliches Berufsrecht) und stellt angesichts einer Bestehensquote51 von 65,3 % qualitativ hohe, aber keine über­ zogenen Anforderungen an die Bewerber52. Dennoch hält sich die Attraktivität dieses Zugangs zum deutschen Markt für Rechtsdienstleistungen in Grenzen. Zwischen 1991-2018 haben 602 Absolventinnen und Absolventen die Eignungsprüfung absol­ viert53, also durchschnittlich 22 pro Jahr. Offensichtlich ist die Neigung der ausländi­ schen Anwältinnen und Anwälte, nach dem erfolgreichen Abschluss des Studiums und ggf. weiterer Zugangsprüfungen zum Anwaltsberuf noch einmal eine zusätzliche Prüfung zu absolvieren und entsprechenden Vorbereitungsaufwand zu betreiben, ge­ ring. Gemessen an den Grundsätzen der Gebhard-Rechtsprechung54 ist die Beschränkung der Niederlassungsfreiheit gem. Art. 49 AEUV durch das Erfordernis der Eignungs­ prüfung unionsrechtskonform55. Ausländische Juristinnen und Juristen werden nicht diskriminiert. Die Eignungsprüfung schafft nur die notwendigen Voraussetzungen dafür, dass die im Ausland ausgebildeten Anwältinnen und Anwälte Kenntnisse des deutschen Rechts erhalten. Die Sicherung einer geordneten Rechtspflege rechtfertigt es, nicht hinreichend qualifizierte Personen von der kontinuierlichen und dauerhaf­ ten Beratung und Vertretung von Rechtssuchenden fernzuhalten. Die erlassenen Nor­ men dienen damit zwingenden Gründen des Allgemeinwohls und sind auch geeignet, das mit ihnen verfolgte Ziel zu erreichen. Die nach der Vlassopoulou-Rechtsprechung des EuGH gebotene Berücksichtigung der Kenntnisse und Qualifikationen, die die oder der Betroffene bereits in einem an­ deren Mitgliedstaat erworben hat56, wurde zunächst durch § 5 der Verordnung über die Eignungsprüfung für die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft sichergestellt. Inzwi­ schen sind die Voraussetzungen für die Anerkennung der in einem ausländischen Staat erworbenen Berufsqualifikation in §§ 16, 16a EuRAG geregelt. Die Anerken­ nung hängt davon ab, ob die erworbene Berufsqualifikation die Kenntnisse umfasst, die für die Ausübung des Berufs der Rechtsanwältin oder des Rechtsanwalts in Deutschland erforderlich sind. Falls sich die Ausbildung auf Fächer bezog, die sich wesentlich von denen unterscheiden, die für die Ausübung des Berufs der Rechtsan­ wältin oder des Rechtsanwalts in Deutschland erforderlich sind, und diese Unter­ schiede nicht anderweitig, insbesondere durch Berufspraxis oder Weiterbildungs­ maßnahmen, vollständig oder teilweise ausgeglichen wurden, muss die Antragstellerin oder der Antragsteller eine Eignungsprüfung ablegen. Im Verfahren um die Zulas­ sung bei der zuständigen Rechtsanwaltskammer kann der Erlass einzelner Prüfungs­ 51 Kilian/Dreske, S. 270. 52 Überzogen daher die Kritik von Everling, der die Anforderungen an die Eignungsprüfung für „defensiv, perfektionistisch und gemessen an der erstrebten europäischen Ordnung provinziell“ hielt, Gutachten 58. DJT (1990), C 51.  53 Kilian/Dreske, S. 281, Tabelle 9.2.1. 54 EuGH, Urt. v. 30.11.1995 – C-55/94, Slg. 1995, I – 4188, 4199 Rz. 39 (Gebhard). 55 BGH, Beschl. v. 18.11.1996 – AnwZ (B) 28/96, NJW 1997, 867; wegen der hohen Anforde­ rungen kritisch Everling, Gutachten 58. DJT (1990), C 48 ff. 56 EuGH, Urt. v. 7.5.1991 – Rs C-349/89, NJW 1991, 2073 Rz. 23 (Vlassopoulou).

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leistungen nicht geltend gemacht werden, da für den Erlass nicht diese, sondern das Prüfungsamt zuständig ist57. Art.  3 lit.a) Hochschuldiplomanerkennungs-RL 89/48 gewährleistet im Übrigen nur die Anerkennung des „Endprodukts“ der beruflichen Qualifikation. Ein Universitätsdiplom genügt also nicht, wenn nach dem Studium − wie in der Mehrheit der europäischen Mitgliedstaaten58 − noch eine berufspraktische Ausbildung und/oder Anwaltsprüfung abgelegt werden muss.59 Der Zugang zum Referendariat wird von der Hochschuldiplomanerkennungs-Richt­ linie nicht erfasst, da es sich nicht um einen eigenen reglementierten Beruf handelt60. Das Referendariat  – und eine vergleichbare berufspraktische Ausbildung (zB die „praktische Verwendung“ in Österreich61) – umfasst nur den praktischen Teil der für die Zulassung zum Anwaltsberuf erforderlichen Ausbildung und lässt sich daher nicht vom Beruf der Rechtsanwältin oder des Rechtsanwalts abtrennen. Nach dem Morgenbesser-Urteil des EuGH62 verlangt jedoch das Gemeinschaftsrecht in Gestalt der Arbeitnehmerfreizügigkeit und Niederlassungsfreiheit (Art.  45 und 49 AEUV; damals Art. 39 und 43 EG), dass die Gleichwertigkeit des ausländischen Diploms zu prüfen ist. Der deutsche Gesetzgeber hat diesem Erfordernis in § 112a DRiG Rech­ nung getragen. Bewerberinnen und Bewerber können zum Vorbereitungsdienst auch ohne Eignungsprüfung zugelassen werden, wenn ihre Kenntnisse und Fähigkeiten den durch die bestandene staatliche Pflichtfachprüfung nach § 5 Absatz 1 DRiG be­ scheinigten Kenntnissen und Fähigkeiten entsprechen. Diese Hürden sind zwar hoch, weil ausländische Bewerberinnen und Bewerber nachweisen müssen, dass ihre im Herkunftsstaat erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten den Erfordernissen für die Berufsausübung im Aufnahmestaat entsprechen, aber in der Sache durchaus ange­ messen. Wer zB nur ein ausländisches Magisterdiplom, einen deutschen Master und die Zulassung zur Promotion an einer deutschen Rechtsfakultät nachweisen kann,

57 Zutreffend AnwGH Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 19.4.2006 – 1 AnwGH 14/05, NJW 2006, 3725. 58 Überblick über die Berufszugangs- und Berufsausübungsvoraussetzungen Henssler/Wambach, Die Lage der Freien Berufe, 124 ff. 59 BVerwG, Beschl. v. 20.7.1999 – 6 B 5-99, NJW 1999, 3572 (betr. einen promovierten öster­ reichischen Jura-Absolventen); VGH München, Urt. v. 30.4.1997 – 7 B 96.2564, NJW 1998, 1006 (betr. eine Inhaberin eines italienischen Hochschuldiploms); einen Überblick über die Ausbildungssysteme in Europa bietet Schöbel, BayVBl 1991, 328 ff.; über die italienische Juristenausbildung informiert Felsner, JuS 1994, 1084 ff. 60 VGH München, Urt. v. 30.4.1997 – 7 B 96.2564, NJW 1998, 1006, 1008 f.; krit. Görlitz, EuR 2000, 836, 841 f., der aus dem Gemeinschaftsrecht und dessen Interpretation durch den EuGH, Urt. v. 7.5.1991 – Rs C-340/89, NJW 1991, 2073 Rz. 16 (Vlassopoulou) einen An­ spruch auf eine materielle Gleichwertigkeitsprüfung des ausländischen Studienabschlusses in der Gemeinschaft ableitete und durch das Morgenbesser-Urteil des EuGH v. 13.11.2003 – C-313/01, Slg 2003, I-13493, 13516 Rz. 67 f. bestätigt wurde. 61 Vgl. §§ 1 Abs. 2, 2 Abs. 2 österr. RAO: Die „praktische Verwendung“ dauert fünf Jahre; davon sind drei Jahre bei einer Rechtsanwältin oder eines Rechtsanwalts zu verbringen. 62 EuGH, Urt. v. 13.11.2003 – C-313/01, Slg 2003, I-13493, 13516 Rz. 67 f. (Morgenbesser); bestätigt durch EuGH, Urt. v. 10.12.2009 – C-345/08, NJW 2010, 137, 139 Rz. 39 ff. (Pesla).

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erfüllt diese Voraussetzungen nicht.63 Folgerichtig akzeptiert der EuGH, dass Bewer­ berinnen und Bewerber mit einem im Ausland erworbenen Studienabschluss, die den Nachweis gleichwertiger Kenntnisse und Fähigkeiten nicht antreten können, eine Eignungsprüfung absolvieren müssen. Die Luxemburger Richterinnen und Richter verlangen auch keine teilweise Absenkung der Anforderungen für Bewerberinnen und Bewerber mit einem ausländischen Diplom.64 Immerhin werden der Bewerberin oder dem Bewerber um eine Zulassung zum Referendardienst gem. § 112a DRiG die Schwerpunktprüfung und mündliche Prüfung erlassen. 2. Berufsanerkennungsrichtline 2005/36/EG Die Hochschuldiplomanerkennungsrichtlinie 89/48/EWG wurde zwar durch die Be­ rufsanerkennungsrichtlinie 2005/36/EG weitgehend abgelöst. Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte sind jedoch vom Anwendungsbereich der RL 2005/36/EG ausge­ nommen, weil die für sie geltenden Richtlinien – die Rechtsanwalts-Dienstleistungs­ richtlinie 77/249/EWG und die Rechtsanwalts-Niederlassungsrichtlinie 98/5/EG  – spezielle Regelungen über die Anerkennung von Berufsqualifikationen treffen und diese der Berufsanerkennungsrichtlinie vorgehen (Art. 2 Abs. 3 der RL 2005/36)65. Diese Richtlinien sind nicht in Art. 62 der Berufsanerkennungs-RL 2005/36/EG ge­ nannt, welche die aufgehobenen Richtlinien aufzählt. Gem. Art. 62 S. 2 der RL 2005/36 sind Bezugnahmen auf die aufgehobene Diplomanerkennungs-RL 89/48 als Bezug­ nahme auf die neue Berufsanerkennungs-RL 2005/36 zu verstehen. Dies trifft insbe­ sondere auf § 10 Abs. 2 der Rechtsanwalts-Niederlassungsrichtlinie 98/5 zu. Die Vorschrift verweist die Rechtsanwältin oder den Rechtsanwalt, die oder der die Anerkennung seines Diploms im Aufnahmestaat anstrebt, auf die Diplomanerken­ nungs-Richtlinie 89/48. Deren Art. 4 Abs. 1 lit. b) erlaubte dem Aufnahmestaat, von der Rechtsanwältin oder dem Rechtsanwalt das Ablegen einer Eignungsprüfung zu verlangen, da es sich um einen Beruf handelt, dessen Ausübung eine genaue Kenntnis des nationalen Rechts erfordert. Der Verweis auf Art. 4 Abs. 1 lit. b) der Diplomaner­ kennungsrichtlinie 89/48 ist nunmehr als Verweis auf Art. 14 Abs. 3 der Berufsaner­ kennungsrichtlinie 2005/36 zu verstehen, der die gleichen Regeln aufstellt.66 Die Berufsanerkennungs-Richtlinie wurde durch die Richtlinie 2013/55/EU des Eu­ ropäischen Parlaments und des Rates vom 20.11.2013 geändert. Aufgrund dieser Än­ derung musste das EuRAG wegen der gem. Art. 14 Abs. 5 der RL 2013/55 vor der Auferlegung einer Eignungsprüfung vorgeschriebenen Prüfung, ob der europäische Rechtsanwalt bestehende Defizite seiner Berufsqualifikation durch Berufspraxis oder 63 VG Stuttgart, Beschl. v. 5.4.2005 – 15 K 1037/05, NJOZ 2005, 2173 betr. Diplom der Uni­ versität Stettin und Master der Univ. Augsburg. 64 EuGH, Urt. v. 10.12.2009  – C-345/08, NJW 2010, 137, 139  f. (Pesla); missverständlich EU-Kommission: „Zulassung“ zum Vorbereitungsdienst „für Inhaber eines Diploms der Rechtswissenschaft im Anschluss an eine Bewertung der im Ausland erworbenen Qualifi­ kationen“, COM (2016) 820 final, S. 21 Fn. 40. 65 Vgl. BT-Drs. 18/9521, S. 81. 66 Waschkau, S. 75 f.

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Weiterbildungsmaßnahmen vollständig ausgeglichen hat, angepasst werden (§  16a Abs. 3 Nr. 2 EuRAG).67 3. Rechtsanwalts-Niederlassungsrichtlinie 98/5/EG Die Rechtsanwalts-Niederlassungs-Richtlinie 98/5/EG eröffnet neben der Eignungs­ prüfung zwei (weitere) Wege, sich als Rechtsanwältin oder Rechtsanwalt in einem Mitgliedstaat der EU niederzulassen: die Registrierung als „niedergelassener europä­ ischer Anwalt“ gem. Art. 2, 3 RL 98/5 und die Vollintegration nach einer mindestens dreijährigen effektiven und regelmäßigen Tätigkeit als niedergelassene europäische Rechtsanwältin oder europäischer Rechtsanwalt (Art. 10 RL 98/5). Die Richtlinie ist durch Art. 2-10 (Registrierung) und Art. 11-15 EuRAG in das deutsche Recht umge­ setzt worden. Die Niederlassung als registrierte Anwältin oder registrierter Anwalt ermöglicht dem fremdstaatlichen Rechtsanwalt, eine Niederlassung unter der Her­ kunftsbezeichnung des Herkunftsstaates einzurichten. Der erforderliche Schutz des Rechtsuchenden wird  – wie bei der vorübergehenden Tätigkeit der europäischen Rechtsanwältin oder des europäischen Rechtsanwalts − dadurch gewährleistet, dass der Verkehr auf den Erwerb der Berufsqualifikation im Ausland aufmerksam ge­ macht wird. Bei der Vollintegration durch Eingliederung ist dieser Schutz entbehr­ lich, da die Rechtsanwältin oder der Rechtsanwalt durch die erforderliche „effektive und regelmäßige Tätigkeit“ auf dem Gebiet des deutschen Rechts die im Interesse der Rechtsuchenden verlangte Eignung nachgewiesen hat.68 Art. 10 Abs. 1 der RL 98/5 stellt eine solche Anwältin und einen solchen Anwalt von den in Art. 4 Abs. 1 lit. b der RL 98/48 vorgesehenen Voraussetzungen – also der Eignungsprüfung − frei. Voraussetzung ist die tatsächliche Ausübung der Tätigkeit im Aufnahmestaat ohne Unterbrechung (§ 11 I 2 EuRAG), wobei Unterbrechungen aufgrund von Ereignissen des täglichen Lebens  – Urlaub, Krankheit, Mutterschutz  – außer Betracht bleiben; Unterbrechungen von bis zu drei Wochen gelten als Ereignisse des täglichen Lebens (§ 11 II 1 EuRAG). Eine „ständige“ Anwesenheit darf mit Rücksicht auf die Niederlas­ sungsfreiheit nicht verlangt werden69. Das Unionsrecht erlaubt einer Rechtsanwältin oder einem Rechtsanwalt, mehr als nur eine Niederlassung zu betreiben; die Anwälte müssen nur ausreichend Kontakt zu Mandanten und Gerichten halten.70 Daher ist einer Anwältin oder einem Anwalt zu gestatten, dass sie oder er zB sowohl in Deutsch­ land als auch in Frankreich, Belgien oder England tätig ist. Auch wenn diese Anwältin oder dieser Anwalt uU ein halbes Jahr nicht im Aufnahmestaat präsent sein sollte, wäre damit die Effektivität und Regelmäßigkeit seiner Berufsausübung nicht in Frage gestellt, sofern die einzelnen Unterbrechungen nicht drei Wochen überschreiten. Der Vorschlag, den Dreijahres-Zeitraum, in dem die Anwältin oder der Anwalt im deut­ 67 BT-Drs. 18/9521, S. 82, 90. – Die erforderliche Umsetzung der Richtlinie für europäische Patentanwälte erfolgte durch das Gesetz über die Tätigkeit europäischer Patentanwälte in Deutschland v. 12.5.2017 (BGBl. I, S. 1121, 1137). 68 Vgl. Erwägungsgrund 11 der RL 98/5; Henssler/Prütting/Lörcher, § 11 EuRAG Rz. 2. 69 EuGH, Urt. v. 27.9.1989 – Rs 130/88, EuZW 1990, 512 (van de Bijl). 70 EuGH, Urt. v. 12.7.1984 – Rs 107/83, NJW 1985, 1275, 1276 (Klopp); zustimmend Everling, Gutachten 58. DJT 1990, C 36 f.

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schen Recht tätig sein muss, zu verdoppeln71, erscheint zwar als praktikabler Kompro­ miss, entbehrt aber einer rechtlichen Grundlage. Mit der hier vertretenen Ansicht korrespondiert, dass die Berufsgerichtsbarkeit in der bloßen Teilzeittätigkeit als sol­ che noch keinen Grund erkennen will, die Effektivität und Regelmäßigkeit der Be­ rufsausübung in Frage zu stellen. Nur wenn die Zahl der Mandate so gering ist, dass Zweifel an der dadurch erworbenen Fachkompetenz nicht ausgeräumt werden kön­ nen, genügt die Teilzeittätigkeit nicht, um die fehlende Eignungsprüfung zu kompen­ sieren.72 Auch die Tätigkeit als Syndikusrechtsanwältin oder Syndikusrechtsanwalt sollte nicht allein deshalb außer Betracht bleiben, weil diese oder dieser nicht über die einer Rechtsanwältin oder einem Rechtsanwalt vergleichbare Unabhängigkeit ver­ fügt. Der Zweck des § 11 EuRAG erfordert nicht, dass die Fachkenntnisse im Rahmen einer unabhängigen Tätigkeit erworben wurden73. 4. Zwischenfazit Der grenzüberschreitenden Tätigkeit von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten stehen heutzutage keine unüberwindlichen Hindernisse mehr im Wege. Vorüberge­ hende Tätigkeiten im Aufnahmestaat sind ohne den Erwerb einer zusätzlichen Qua­ lifikation möglich, und die Zulassung als niedergelassene Rechtsanwältin oder nie­ dergelassener Rechtsanwalt kann auf verschiedenen Wegen erreicht werden, wenn nur sichergestellt ist, dass die betreffende Anwältin oder der betreffende Anwalt über die erforderliche Fachkompetenz im deutschen Recht verfügt. Als eines der Hinder­ nisse der grenzüberschreitenden Tätigkeit hat die Panteia-Studie die verbreitete Un­ kenntnis der rechtlichen Rahmenbedingungen74 angeführt. Insofern liegt es zunächst einmal nahe, intensiver und transparenter über die verschiedenen Wege zu informie­ ren, die europäischen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten eine vorübergehende Tätigkeit oder die Zulassung in anderen Ländern ermöglichen. Wer wirklich im Aus­ land tätig sein will, wird freilich alle denkbaren Anstrengungen unternehmen, um sich über die in Frage kommenden Wege zu informieren. Eine weitere Harmonisie­ rung des Rechts in der Union würde zwar die grenzüberschreitende Tätigkeit erleich­ tern. Indessen zeigen die vergeblichen Bemühungen um eine Harmonisierung des europäischen Vertragsrechts, dass die europäische Integration auf dem Gebiet des Rechts nur mühevoll vorankommt. Zu den Haupthindernissen für eine grenzüber­ schreitende Anwaltstätigkeit zählen fehlende Kenntnisse im Recht des jeweiligen Gastlandes75. Insofern bietet es sich an, an diesem Punkt anzusetzen und durch die Förderung des Studierendenaustauschs die bestehenden sprachlichen und fachlichen Hürden zu verringern. 71 So der Vorschlag von Henssler/Prütting/Lörcher, § 11 EuRAG Rz. 10.  72 Zutreffend AGH Celle, BRAK-Mitt. 2006, 225: Von den überprüften 9 Fällen hatte der An­ tragsteller in 6 Fällen keine fachliche Kompetenz nachweisen können. 73 Vgl. in Bezug auf die vergleichbare Anrechnung der Syndikustätigkeit für die Fachanwalts­ bezeichnung Singer, BRAK-Mitt. 2014, 282, 288; aA BGH, Beschl. v. 7.2.2011 − AnwZ (B) 20/10, NJW 2011, 1517, 1518; Feuerich/Weylandt/Schwärzer, § 11 EuRAG Rz. 5.  74 Dazu Panteia-Institut (Hrsg.), S. 12; dazu näher unten im Text unter C. I. 5.  75 Panteia-Institut (Hrsg.), S. 9; dazu oben Fn. 7.

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Als Vorbild kann das Netzwerk der European Law School – bestehend aus der Hum­ boldt-Universität zu Berlin, der Universität Paris 2 (Panthéon-Assas), dem King’s College London, der Universität Rom la Sapienza und der Universiteit van Amster­ dam  – dienen, das ausgewählten hochqualifizierten Juristen die Möglichkeit bie­ tet, innerhalb von fünf Jahren qualifizierende Studienabschlüsse in drei repräsenta­ tiven europäischen Rechtsordnungen und die dazugehörige Sprachkompetenz zu erwerben. Ziel der Ausbildung ist „der europafähige moderne Jurist mit sehr guten Kenntnissen im europäischen Recht und Vertrautheit mit den drei familienbildenden europäischen Rechtsordnungen sowie den ihnen zugrunde liegenden juristischen Fachsprachen“.76 Den Absolventen des Studiengangs kann aufgrund ihres erfolgrei­ chen Abschneidens in den Abschlussprüfungen attestiert werden, dass sie diese ho­ hen Anforderungen erfüllen. Aufgrund ihrer Ausbildung in den betreffenden – aus­ gesuchten – Gastuniversitäten würde es ihnen nicht schwerfallen, in den jeweiligen Gastländern die erforderliche Berufsqualifikation zu erwerben. Man kann daher die­ jenigen, die sich eine Intensivierung der grenzüberschreitenden Berufstätigkeit eu­ ropäischer Juristinnen und Juristen wünschen, nur darin bestärken, sich für einen Ausbau solcher europäischer Ausbildungsformen und Netzwerke einzusetzen. Die Nachfrage unter den Studierenden ist jedenfalls hoch. Am Ende dieses Weges könnte die Vision einer Europäisierung des Anwaltsberufs Wirklichkeit werden. Vorausset­ zung dafür ist natürlich die Einhaltung hoher qualitativer Standards, um den Schutz der Rechtssuchenden nicht zu gefährden.

III. Konflikte und Kollisionen 1. Das Verhältnis der allgemeinen Dienstleistungsrichtlinie 2006/123/EG zur Rechtsanwaltsdienstleistungsrichtlinie 77/249/EWG Die allgemeine  – horizontale  – Dienstleistungsrichtlinie 2006/123/EG hat auf die grenzüberschreitende Tätigkeit der Anwältin oder des Anwalts nur beschränkten Ein­ fluss. Gem. Art. 3 Abs. 1 S. 1 der Richtlinie haben Bestimmungen eines anderen Ge­ meinschaftsrechtsakts, der spezifische Aspekte der Aufnahme oder Ausübung  einer Dienstleistungstätigkeit in bestimmten Bereichen oder Berufen regelt, Vorrang vor den Bestimmungen der Dienstleistungsrichtlinie. Die Regelungen in der Rechtsan­ waltsdienstleistungs-Richtlinie 77/249/EWG und der Rechtsanwaltsniederlassungs-­ Richtlinie 98/5/EG gehen somit der horizontalen Dienstleistungs-Richtlinie vor, so­ weit sich die Regelungen widersprechen. Das ist im Einzelfall festzustellen und trifft zB auf die Regelung für multidisziplinäre Gesellschaften gem. Art. 11 Abs. 5 der RL 98/5/ EG zu, die gegenüber Art.  25 der RL 2006/123/EG Vorrang genießt und daher Be­ schränkungen im Recht des Aufnahmestaates zulässt77. Bei der Regelung des Art. 11 Abs. 5 RL 98/5/EG handelt es sich nicht nur um eine bloße Kollisionsnorm, bei der die 76 Vgl. den Internetauftritt der ELS: https://www.european-law-school.eu/de/ (zuletzt aufge­ rufen am 12.6.2019). Zur erforderlichen Stärkung der interkulturellen Kompetenz im Rah­ men der Juristenausbildung s. ferner Simon, AöR 143 (2018) 597, 620. 77 Kopp, GPR 2008, 54, 61.

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allgemeine Dienstleistungsrichtlinie keinen Vorrang genießen soll78, sondern um die unzweifelhafte Einräumung der mitgliedstaatlichen Befugnis, standesfremden Gesell­ schaftern die Beteiligung an der Berufsausübungsgesellschaft zu verweigern. Auch in Bezug auf die materiellen Anforderungen an die vorübergehende Dienstleis­ tung in einem anderen Mitgliedstaat genießen die Regelungen in Art. 4 Abs. 1 und 4 der anwaltlichen Dienstleistungsrichtlinie 77/249/EWG Vorrang vor den Bestim­ mungen in Art.  16 der allgemeinen Dienstleistungsrichtlinie 2006/123/EG. Gem. Art. 17 Nr. 4 der RL 2006/123/EG gelten die Regelungen zur Dienstleistungsfreiheit in Art. 16 der horizontalen Richtlinie nicht für „Angelegenheiten, die unter die (anwalt­ liche) Dienstleistungsrichtlinie 77/249/EWG fallen“. Daraus schließt die weit über­ wiegende Ansicht im Schrifttum, dass die horizontale Dienstleistungsrichtlinie von der speziellen anwaltlichen Dienstleistungsrichtlinie vollständig verdrängt werde79. Art. 4 Abs. 1 und 4 der RL 77/249/EWG betreffen die gerichtliche und außergericht­ liche Tätigkeit der Rechtsanwältin oder des Rechtsanwalts, decken also das ganze Spektrum der Angelegenheiten ab, die von der Dienstleistungsfreiheit umfasst sind80. Es handelt sich auch nicht nur um Kompetenznormen81, sondern auch um Rege­ lungen, die sachliche Anforderungen an die Berufsausübung stellen. Art. 4 Abs. 4 RL 77/249/EWG macht die Beachtung der Regeln des Aufnahmestaates bei der außerge­ richtlichen Tätigkeit davon abhängig, dass ihre Einhaltung „objektiv erforderlich ist, um eine ordnungsgemäße Ausübung der Tätigkeiten des Rechtsanwalts sowie die Be­ achtung der Würde des Berufes und der Unvereinbarkeiten zu gewährleisten“. Dieser Maßstab ist auch wesentlich sachgerechter82 als der des Art. 16 Abs. 3 der RL 2006/123/ EG, der Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit nur erlauben würde, wenn dies „aus Gründen der öffentlichen Ordnung, der öffentlichen Sicherheit, der öffentlichen Gesundheit oder des Schutzes der Umwelt gerechtfertigt sind“. Es wäre geradezu wi­ dersinnig, wenn Gründe des Verbraucherschutzes und der Rechtspflege Beschrän­ kungen der Dienstleistungsfreiheit nicht rechtfertigen könnten, handelt es sich doch um die zentralen, auch vom EuGH anerkannten83 Rechtfertigungsgründe für die meisten berufsrechtlichen Regeln für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte. 78 Der Vorrang der anwaltlichen Dienstleistungsrichtlinie bezieht sich nach Ansicht von Hellwig, in: FS Hopt, S. 2816 nur auf Sachnormen, nicht auf Kollisionsnormen; ebenso der von Hellwig geleitete Unterausschuss „Normenscreening“ der Satzungsversammlung, SV-Mat. 05/2009, S. 18. 79 Henssler/Prütting/Lörcher, vor §§ 1 ff. EuRAG Rz. 106; Gaier/Wolf/Göcken/Eichele, Einlei­ tung EuRAG Rz. 8; Schlachter/Ohler/Schmidt-Kessel, Art. 17 DLR Rz. 62; Calliess/Korte, § 5 Rz. 166 f.; Korte, in: Kluth (Hrsg.), S. 332 f.; Kopp, GPR 2008, 54, 56; Weil, BRAK-Mitt. 2013, 54, 56 f.; Waschkau, S. 181. – AA Hellwig, in: FS von Westphalen, S. 299 ff.; ders., in: FS Hopt, S. 2817 f. sowie die Mehrheit in dem von Hellwig geleiteten Unterausschuss der 4. Satzungsversammlung zum „Normenscreening“, SV-Mat. 05/2009, S. 22 ff.; Kämmerer, Gutachten 68. DJT (2010), H 61 ff., 63. 80 Vgl. das Votum der Minderheit (Benckendorff, Scharmer und Westenberger) im Unteraus­ schuss Normenscreening der 4. Satzungsversammlung, SV-Mat. 06/2009, S. 4. 81 So Hellwig, in: FS Hopt, S. 2816; ders., in: FS von Westphalen, S. 302. 82 Vgl. auch Korte, in: Kluth (Hrsg.), S. 332. 83 EuGH, Urt. v. 17.12.2015  – C-342/14, NJW 2016, 857 Rz.  53 (X-Steuerberatungsgesellschaft); Urt. v. 5.12.2006  – C-94/04, NJW 2007, 281 Rz.  64 (Cipolla); EuGH, Urt. v. 12.12.1996 – Rs C-3/95, Slg. 1996, I-6511 Rz. 31 (Reisebüro Broede), std. Rspr.

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Für ein engeres Verständnis der Angelegenheiten, die unter die RL 77/249/EWG fal­ len, spricht auch nicht die Erläuterung im Handbuch der Kommission.84 Zwar heißt es dort zunächst einschränkend, dass die RL 77/249/EWG (nur) zur Anwendung komme, „soweit sie speziellere Vorschriften zur Erbringung von grenzüberschreiten­ den Dienstleistungen durch Rechtsanwälte enthält. Aus diesem Grund findet im Rah­ men dieser Ausnahme Artikel 16 für Rechtsanwälte nur für die Angelegenheiten An­ wendung, die nicht von der besagten Richtlinie erfasst sind.“ Aber anschließend wird auch hier näher erläutert, dass die in Art. 4 Abs. 1 und 4 der RL 77/249/EWG genann­ te gerichtliche und weitgehend auch die außergerichtliche Tätigkeit spezieller geregelt sei: „Insbesondere sollten gemäß der Richtlinie 77/249/EWG gerichtliche Tätigkeiten und die Vertretung von Mandanten vor Behörden in einem Mitgliedstaat gemäß den für die Rechtsanwälte mit Sitz in diesem Staat bestehenden Verpflichtungen durchge­ führt werden. Im Hinblick auf außergerichtliche Tätigkeiten ergänzt Artikel 16 die Richtlinie 77/249/EWG im Hinblick auf Angelegenheiten, für die die Richtlinie die Anwendung der Vorschriften des Mitgliedstaates, in dem die Dienstleistungen er­ bracht werden, nicht ausdrücklich gestattet“. Unverständlich ist allerdings, dass der Vorrang der RL 77/249/EWG nur bei Angelegenheiten gelten soll, bei denen die RL die Anwendung der Vorschriften des Aufnahmestaates „ausdrücklich gestattet“. Ge­ meint sind anscheinend die in Art. 4 Abs. 4 der RL genannten Regeln über die Unver­ einbarkeit von Nebentätigkeiten, das Berufsgeheimnis, die Beziehungen zu Kollegen, das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen und die Werbung. Indessen ist die Aufzählung nur beispielhaft („insbesondere“), so dass es willkürlich erscheint, Art. 16 RL 77/249/EWG in Bezug auf Vorschriften anzuwenden, die zwar nicht expressis verbis in Art. 4 Abs. 4 S. 1 genannt sind, die aber gleichwohl der Rechtsanwalts­ dienstleistungsrichtlinie unterfallen, weil sie zu den „im Aufnahmestaat geltenden Regeln über die Ausübung des Berufs“ zählen, zB Bestimmungen des Aufnahmestaa­ tes zur Sicherung der beruflichen Unabhängigkeit oder zur beschränkten Zulässigkeit von Erfolgshonoraren.85 Mit dem allgemeinen Vorrang der anwaltlichen Dienstleistungsrichtlinie korrespon­ diert, dass Art. 16 gem. Art. 17 Nr. 6 der RL 2006/123/EG ebenfalls keine Anwendung findet auf „Anforderungen im Mitgliedstaat der Dienstleistungserbringung, die eine Tätigkeit den Angehörigen eines bestimmten Berufs vorbehalten“. Nach dem Urteil des EuGH im Fall X-Steuerberatungsgesellschaft86 sind daher Regelungen, welche die geschäftsmäßige Hilfeleistung in Steuersachen Steuerberaterinnen und Steuerbera­ tern und anderen qualifizierten Berufsträgerinnen und Berufsträgern vorbehalten (§ 3 StBerG), einer Überprüfung am Maßstab des Art. 16 der Dienstleistungsrichtlinie entzogen. Entsprechendes gilt folgerichtig für Regelungen, welche die Erbringung von Rechtsdienstleistungen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten vorbehalten (§§  3 RDG, 3 BRAO). Hellwig leitete aus dem Urteil die noch weitergehende Schlussfolge­ rung ab, dass „das deutsche anwaltliche Berufsrecht … mit Blick auf eine europäische 84 Europäische Kommission, Handbuch zur Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie, S. 48. 85 Zutreffend Korte, in: Kluth (Hrsg.), S. 333; s. ferner Calliess/Korte, § 5 Rz. 166, 2. Abs. 86 Urt. v. 17.12.2015 – C-342/14, NJW 2016, 857, 858 Rz. 36 f. (X-Steuerberatungsgesellschaft) im Anschluss an den Schlussantrag des Generalanwalts Cruz Villalón, BeckRS 2015, 81255 unter Nr. 53. 

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Anwaltsgesellschaft bzw. der für diese handelnden Personen und deren Regulierung im Inland nicht an die in Art. 16 Abs. 1, 2 und 3 Dienstleistungs-RL vorgesehenen Beschränkungen gebunden“ sei87 und gab seine gegenteilige Auffassung, wonach sich der Vorrang der Anwaltsdienstleistungs-RL 77/249/EWG sich nur auf die von dieser RL erfassten „Angelegenheiten“ und nicht auf die „Tätigkeiten“ einer Rechtsanwältin oder eines Rechtsanwalts beziehe88, ausdrücklich auf. Damit hat sich der Streit um den sachgerechten Prüfungsmaßstab für Beschränkungen der anwaltlichen Dienstleis­ tungsrichtlinie wesentlich entschärft. Auf die Tätigkeit von Rechtsanwälten findet Art. 16 der allgemeinen Dienstleistungs-RL keine Anwendung, so dass sich der anhal­ tende Disput um die Europarechtskonformität des anwaltlichen Gesellschaftsrechts auf die Frage konzentriert, ob diese dem Prüfungsmaßstab der Grundfreiheiten nach der Gebhard-Formel standhalten89. 2. Kollidierende Berufsregeln Ein nach wie vor nicht abschließend gelöstes Problem stellt sich bei der Frage, wie mit kollidierenden Berufsregeln umzugehen ist. Spannungen können hier entstehen, weil es unterschiedliche Traditionen in den romanisch oder angelsächsisch geprägten Be­ rufsrechten gibt. a) Unterschiedliche Rechtstraditionen Während im romanisch geprägten Rechtskreis die Funktion der Rechtsanwältin oder des Rechtsanwalts als Organ der Rechtspflege stärker ausgeprägt ist und dementspre­ chend Ge- und Verbote zum Schutze der Mandantin oder des Mandanten grundsätz­ lich nicht zur Disposition der Mandantin oder des Mandanten stehen, dominiert im angelsächsischen Bereich ein vertragsrechtliches Verständnis der Mandatsbeziehung, das den Mandantinnen und Mandanten grundsätzlich die Möglichkeit einräumt, auf das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen zu verzichten oder die Anwäl­ tin oder den Anwalt von seiner Verschwiegenheitspflicht zu entbinden.90 Im deut­ schen Recht ist zu unterscheiden: Während der Mandant in Bezug auf die Verschwie­ genheitspflicht uneingeschränkte Dispositionsbefugnis besitzt, ist die Vertretung widerstreitender Interessen grundsätzlich verboten und hängt nur bei Mitgliedern einer Berufsausübungs- oder Bürogemeinschaft vom Einverständnis der Mandanten ab (§ 3 Abs. 2 S. 2 BORA). Im englischen Recht ist die Verschwiegenheitspflicht grundsätzlich schwächer ge­ schützt als im deutschen Recht. Zwar wird der Verschwiegenheitspflicht in beiden Rechtsordnungen großes Gewicht beigemessen,91 aber im Rahmen des legal pro­ 87 AnwBl 2016, 201, 203 unter 2.  88 AnwBl 2012, 876, 883; s. ferner Hellwig, in: FS Hopt, S. 2817 f.; ders., in: FS von Westphalen, S. 301. 89 Dazu näher unten im Text unter B II 3. 90 Hellwig, BRAK-Mitt. 2002, 52, 53 f.; eingehend Magnus, S. 157 ff., 158. 91 Arnemann-Bredohl, S. 201 („Kernpflicht anwaltlicher Tätigkeit“).

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fessional privilege ist der Schutz der Mandantenkommunikation nicht so umfassend wie im deutschen Recht. So ist der Kreis an „vertraulichen“ Informationen kleiner92 und umfasst zum Beispiel nicht den Namen des Mandanten.93 Das legal professional privilege entfällt weiterhin nicht nur bei einem Einverständnis des Mandanten, son­ dern auch, wenn die Kommunikation der Begehung einer Straftat oder eines Betrugs (furtherance of crime or fraud) dient. Der Begriff fraud ist dabei weit zu verstehen und bezieht sich auch auf arglistige Täuschungen; auf das Wissen der Anwältin oder des Anwalts kommt es nicht an94. Das privilege entfällt auch, wenn ein Dritter ohne Wis­ sen des Mandanten von vertraulichen Informationen Kenntnis erlangt (inadvertent disclosure).95 Die Kommunikation zwischen Anwälten und Angestellten des Mandan­ ten genießt geringeren Schutz96, und schließlich haben Verstöße lediglich zivilrechtli­ che und berufsrechtliche Konsequenzen, nicht aber strafrechtliche (wie in Deutsch­ land gemäß § 203 StGB).97 In Bezug auf geldwäscherechtliche Meldepflichten bestehen weitere Unterschiede, auf die schon Hellwig aufmerksam gemacht hat98. Zwar sind die Meldepflichten inzwischen unter Geltung der Vierten Geldwäscherichtlinie RL (EU) 2015/849 europaweit vereinheitlicht. Danach treffen selbständige Angehörige rechts­ beratender Berufe nur in den in Art. 2 Abs. 1 Nr. 3 b) Geldwäscherichtlinie bestimm­ ten Fällen Meldepflichten. Die Bundesrepublik hat jedoch in § 43 Abs. 2 GWG im Rahmen des durch Art 34 Abs.  2 Geldwäscherichtlinie eröffneten Spielraumes die Meldepflichten für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte eingeschränkt. Dort wo keine Meldepflicht besteht, ist eine Meldung aufgrund der allgemeinen Verschwie­ genheitspflicht unzulässig.99 Im Gegensatz dazu bestehen nach englischem Recht auf­ grund des Proceeds of Crime Act 2002 weitergehende Berichtspflichten100, die mit der Verschwiegenheitspflicht des deutschen Berufsrechts in Konflikt geraten können. In Bezug auf das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen verfolgt das eng­ lische Recht eine andere Konzeption. Kern des Schutzes ist primär die Wahrung der Verschwiegenheitspflicht gegenüber der ersten Mandantin oder dem ersten Mandan­ ten und nicht die Vermeidung von Interessenkonflikten;101 daher wird versucht, conflicts of interest zB durch die Errichtung sog. Chinese Walls zu vermeiden. Der Nach­ weis, dass die getroffenen Maßnahmen tatsächlich geeignet sind, gelingt allerdings häufig nicht, wie die vergeblichen Bemühungen von KPMG102 und White and Case103 demonstrieren. Die bloße Möglichkeit, dass Geheimnisse versehentlich aufgedeckt wurden, konnte in beiden Fällen nicht ausgeräumt werden. 92 Magnus, S. 211 f., 274. 93 Bursill v Tanner (1985) L.R. 16 Q.B.D.1. 94 Magnus, S. 220 ff. 95 Magnus, S. 233. 96 Passmore/Webster, Solicitors Journal 161/29 (2017), 17. 97 Magnus, S.180 f., 257. 98 Anschaulich mit Beispielen Hellwig, BRAK-Mitt. 2002, 52, 55 ff. 99 Erbs/Kohlhaas/Häberle, § 43 GWG Rz. 7. 100 Vgl. Kebbell, The Criminal Law Review 10/2017, 740, 741 ff. 101 Arnemann-Bredohl, S. 222; Schlosser, NJW 2002, 1376, 1379. 102 Bolkiah v KPMG (1999) 2 W.L.R. 215, 236 f. 103 Georgian American Alloys Inc v White and Case LLP (2014) 1 C.L.C. 86, 108 f.

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Weitere Unterschiede bestehen schließlich bei Beschränkungen der Werbung104 und der beruflichen Zusammenarbeit, die im romanischen Rechtskreis stärker reglemen­ tiert ist als im angelsächsischen, wobei es zwischen einzelnen Ländern häufig weitere Nuancierungen gibt. b) Bindung an das Berufsrecht des Aufnahme- und Herkunftsstaates („double deontology“) Gem. § 27 Abs. 1 EuRAG, der Art. 4 Abs. 1 und 2 der Rechtsanwaltsdienstleistungs­ richtlinie 77/249/EWG umsetzt, hat der dienstleistende europäische Rechtsanwalt bei der Vertretung des Mandanten vor Gericht oder Behörden die Stellung eines Rechts­ anwalts, insbesondere dessen Rechte und Pflichten, soweit diese nicht die Zugehörig­ keit zu einer Rechtsanwaltskammer sowie die Kanzlei betreffen. Er unterliegt also den Berufsregeln des Aufnahmestaates. Bei der außergerichtlichen Beratung gilt dies in abgeschwächtem Maße. Hier hat er die „für einen Rechtsanwalt geltenden Regeln“ zu beachten und dabei „insbesondere die beruflichen Pflichten zu befolgen“, die sich aus den §§ 43, 43a, 43b und 45 BRAO ergeben. „Die Regeln gelten jedoch nur insoweit, als sie nicht mit der Niederlassung in Deutschland untrennbar verbunden sind, sie wegen ihrer allgemeinen Bedeutung beachtet werden können und das Verlangen, sie einzuhalten, gerechtfertigt ist, um eine ordnungsgemäße Ausübung der Tätigkeiten des Rechtsanwalts sowie die Beachtung der Würde des Berufes und der Unvereinbar­ keiten zu gewährleisten“ (§ 27 Abs. 2 S. 2 EuRAG). Die letztgenannte Einschränkung entspricht fast wörtlich Art. 4 Abs. 4 S. 2 der Rechtsanwaltsdienstleistungsrichtlinie 77/249/EWG. §  27 EuRAG befasst sich naturgemäß nur mit der Geltungsanordnung des Berufs­ rechts des Aufnahmestaates, wenn eine Rechtsanwältin oder ein Rechtsanwalt eines anderen Mitgliedsstaates grenzüberschreitend105 vorübergehend in Deutschland tätig ist. An der Einhaltung der beruflichen Pflichten der Rechtsanwältin oder des Rechts­ anwalts im Herkunftsstaat hat der deutsche Gesetzgeber naturgemäß kein Interes­ se106, so dass sich keine Notwendigkeit ergibt, auf dessen Geltung zu verweisen. Die Bindung der Anwältin oder des Anwalts an das Berufsrecht seines Herkunftsstaates soll hier daraus folgen, dass dieses durch den Grenzübertritt nicht abgestreift werden könne107, zum anderen aus den Art. 4 Abs. 2 und 4 der Rechtsanwaltsdienstleistungs­ richtlinie 77/249/EWG, die ausdrücklich anordnen, dass die Regeln des Aufnahme­ staates über die Ausübung des Berufs „neben“ den im Herkunftsstaat bestehenden berufsrechtlichen Verpflichtungen angewendet werden sollen. Bei grenzüberschrei­ tenden Sachverhalten gelten also bei buchstabengetreuer Auslegung der Richtlinie doppelte Berufsregeln. Wenn sich die Regeln nicht widersprechen, müsste daher die 104 Zur Zulässigkeit aggressiver Werbung im englischen Recht Ringer, S. 218 ff., 323.  105 Zum internationalen Mandat vgl. Piltz/Trittmann/Schmaltz, §  3; zur Abgrenzung zwi­ schen grenzüberschreitender Tätigkeit und internationalem Mandat Krümmel, IWRZ 2016, 49.  106 Linke, S. 125. 107 Henssler, ZZP 115 (2002), 321, 349.

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Rechtsanwältin oder der Rechtsanwalt bei grenzüberschreitender Tätigkeit die Be­ rufsrechte sowohl des Herkunftsstaates als auch des Aufnahmestaates beachten. Diese „double deontology“108 erscheint vor allem dann nicht sachgerecht, wenn das Recht des Aufnahmestaates milder ist als das Recht des Herkunftsstaates109. Der Schutz von Rechtsgütern und Interessen im Herkunftsstaat macht keinen Sinn, wenn diese gar nicht betroffen sind. Vollends versagt das Prinzip, wenn sich die verschiedenen Be­ rufsregeln inhaltlich widersprechen, da im Konfliktfall zwangsläufig eine der Regeln nicht beachtet wird.110 c) Die (vergeblichen) Bemühungen im Rat der Anwaltschaften der europäischen Gemeinschaft (CCBE) um einheitliche Regeln für die grenzüberschreitende Anwaltstätigkeit Um das Problem divergierender Berufsrechte in den Mitgliedstaaten der europä­ischen Gemeinschaft zu lösen, hat der Rat der Anwaltschaften der europäischen Gemein­ schaft (Commission Consultative des Barreaux de la Communauté Européenne  – CCBE) im Jahre 1988 Berufsregeln verabschiedet, die den grenzüberschreitenden Verkehr erleichtern sollten111. aa) Inkorporation der CCBE-Berufsregeln in das nationale Berufsrecht der Mitgliedstaaten Der mehrfach geänderte CCBE Code of Conduct bestimmt in Art. 1.3. ausdrücklich, dass die Aufstellung der Berufsregeln zum Ziel habe, „die sich aus der konkurrieren­ den Anwendung mehrerer Berufsrechte – die insbesondere in den Artikeln 4 und 7.2 der Rechtsanwaltsdienstleistungs-Richtlinie Nr. 77/249/EWG sowie in den Artikeln 6 und 7 der Rechtsanwaltsniederlassungs-Richtlinie 98/5/EG vorgesehen ist – ergeben­ den Schwierigkeiten zu verringern“. Dies geschah allerdings nicht in der Weise, dass die Richtlinie Regeln für ein einheitliches europäisches Berufsrecht konzipiert oder eine Konfliktregelung zugunsten des Rechts des Herkunfts- oder Aufnahmestaates getroffen hätte, sondern indem einheitliche Regeln für den grenzüberschreitenden Verkehr entwickelt wurden, die von den Mitgliedsstaaten in ihr nationales Berufsrecht inkorporiert werden sollten. In Deutschland wurden die Regeln von der Satzungsver­ sammlung beschlossen und in § 29 BRAO durch Pauschalverweisung Bestandteil des nationalen Berufsrechts, freilich unter dem Vorbehalt, dass dieser Kodex mit europä­ ischem Gemeinschaftsrecht, deutschem Verfassungs-, Gesetzes- oder Verordnungs­ recht vereinbar sein müsse112.

108 Panteia-Institut (Hrsg.), S. 98 ff., Hellwig, BRAK-Mitt. 2002, 52. 109 Vgl. näher unten im Text unter 5 d). 110 Zuck, NJW 1987, 3033, 3035. 111 Zur Geschichte Hellwig, in: FS Hopt 2010, S. 2795 ff.; ders., in: DAV (Hrsg.), Anwälte und ihre Geschichte, S. 1202; Gaier/Wolf/Göcken/Eichele/Wolf, § 29 BORA Rz. 9 ff.; Henssler/ Prütting/Offermann-Burckart, § 29 BORA Rz. 1 ff. 112 SV-Prot. 4/1996, S. 33 f.

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bb) Aufhebung der CCBE-Regeln durch die 5. Satzungsversammlung Da der Code of Conduct teilweise strengere Berufsregeln vorsieht als das nationale Berufsrecht, sind Zweifel an der Verfassungs- und Europarechtskonformität verschie­ dener CCBE-Regeln aufgekommen113. Dies gilt insbesondere in Bezug auf das Tätig­ keitsverbot bei Interessenkonflikten gem. Art. 3.2.2., das strenger ist als das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen gem. § 43a Abs. 4 BRAO. Außerdem er­ streckt Art. 3.2.4. das Tätigkeitsverbot auf sozietätsweite Interessenkonflikte, während § 3 Abs. 2 BORA im Anschluss an die Entscheidung des BVerfG zum Sozietätswech­ sel114 eine Vertretung widerstreitender Interessen erlaubt, „wenn sich im Einzelfall die betroffenen Mandanten nach umfassender Information mit der Vertretung ausdrück­ lich einverstanden erklärt haben und Belange der Rechtspflege nicht entgegenstehen“. Auch das ausnahmslos bestehende Verbot einer Quota-litis-Vereinbarung in Art. 3.3. ist strenger als das deutsche Vergütungsrecht, nachdem das BVerfG im Beschluss vom 12.2.2006115 das ausnahmslose Verbot für verfassungswidrig erklärt und den Gesetz­ geber zu einer Neuregelung gezwungen hat. Gem. § 4a RVG iVm § 49b Abs. 2 S. 1 BRAO ist nunmehr eine erfolgsabhängige Vergütungsvereinbarung im Einzelfall ­erlaubt, „wenn der Auftraggeber aufgrund seiner wirtschaftlichen Verhältnisse bei verständiger Betrachtung ohne die Vereinbarung eines Erfolgshonorars von der Rechtsverfolgung abgehalten würde“. Schließlich wurde die Befugnis der Satzungs­ versammlung in Frage gestellt. §  59b Abs.  2 Nr.  9 BRAO ermächtige zwar die Sat­ zungsversammlung dazu, „die besonderen Berufspflichten im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr“ näher zu regeln, aber das Regelwerk  – so die Kritik vor allem von Hellwig116 – gehe weit darüber hinaus. Beim CCBE Code of Conduct handele es sich um eine in sich geschlossene, „mehr oder weniger vollständige Berufsordnung“, die nicht nur die besonderen Berufspflichten im grenzüberschreitenden Verkehr regele, sondern „ein eigenständiges Gesamtregelwerk aller Berufspflichten“ darstelle. Unter dem Eindruck der Kritik hat die 5.  Satzungsversammlung auf ihrer 4.  Sitzung am 15.4.2013 mit satzungsändernder Mehrheit beschlossen, § 29 BORA zu streichen117. Um die Rigorosität des Aufhebungsbeschlusses abzumildern, stellte die Satzungsver­ sammlung gleichzeitig in einem förmlichen Beschluss fest, dass alle Fragen, die in den einzelnen Bestimmungen des CCBE Code of Conduct behandelt sind, im deutschen Berufsrecht entweder gesetzlich bzw. durch Satzung geregelt oder durch die Recht­ sprechung der Gerichte geklärt sind.118 Allerdings war damit nicht gemeint, dass das

113 Eingehend Hellwig, AnwBl 2011, 713 f.; ders., in: FS Hopt 2010, S. 2806 ff. 114 BVerfG, Beschl. v. 3.7.2003 – 1 BvR 238/01, BVerfGE 108, 150, 161 ff. zur Verfassungsmä­ ßigkeit des Sozietätsverbots nach der Neuregelung des § 43a Abs. 4 BRAO vgl. BVerfG, Beschl. v. 20.6.2006 – 1 BvR 594/06, BRAK-Mitt. 2006, 170, 171 f. 115 BVerfG, Beschl. v. 12.12.2006 – 1 BvR 2576/04, BVerfGE 117, 163, 192 ff. 116 AnwBl 2011, 713, 716; s. ferner Hartung/Scharmer/von Wedel, Vorbemerkung zu § 29a und § 29b, Rz. 5. 117 SV-Mat. 18/2013, S. 24 f. 118 SV-Mat. 18/2013, S. 25.

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nationale Berufsrecht in allen Details mit dem CCBE Code übereinstimme,119 so dass die förmliche Feststellung über die begrenzte Tragweite des Beschlusses hinweg­ täuschte. Das Ziel einer Harmonisierung der grenzüberschreitenden Berufsregeln ist jedenfalls aus deutscher Perspektive gescheitert. cc) Verfassungs- und Europarechtskonformität der CCBE-Regeln Abgesehen von der politischen Verstimmung, die der deutsche Rückzug von einem europäischen Code of Conduct beim CCBE auslöste120, gab es auch kritische Stim­ men, die sich die rechtlichen Bedenken gegen die fehlende Kompetenz der Satzungs­ versammlung zur Inkorporation der CCBE-Regeln in das deutsche Berufsrecht nicht zu Eigen machten121. Auch wenn der CCBE Code of Conduct ein umfassendes Regel­ werk der Berufspflichten darstellte, so sollte dieser durch den Verweis in § 29 BORA doch nur für den grenzüberschreitenden Verkehr Rechtsgeltung erlangen. Zu einer darauf beschränkten Regelung war der Satzungsgeber gem. § 59b Abs. 2 Nr. 9 BRAO durchaus ermächtigt. Außerhalb des grenzüberschreitenden Verkehrs verdrängte der CCBE Code das nationale Berufsrecht nicht. Soweit nun aber die CCBE-Regeln strengere Pflichten vorsahen wie das fremdstaat­ liche oder nationale Berufsrecht, verstieß dies keineswegs zwingend gegen europäi­ sches Gemeinschaftsrecht. Zwar wurden in diesen Fällen die Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte bei ihrer Outgoing-Tätigkeit schlechter gestellt als die Rechtsanwältin­ nen und Rechtsanwälte im Ziel- und Herkunftsstaat, aber in dieser Schlechterstellung lag nicht zwangsläufig eine verbotene Diskriminierung oder eine unverhältnismäßige Beschränkung der Berufsfreiheit bzw. der Dienst- und Niederlassungsfreiheit gem. Art. 49 und 56 AEUV122. Inzwischen ist in der Rechtsprechung des EuGH anerkannt, dass auch bei einer formellen Diskriminierung, die bei der offenen Anknüpfung an die Fremdstaatlichkeit vorliegt, zu prüfen ist, ob diese objektiv gerechtfertigt ist.123 Das Diskriminierungsverbot verlangt nach ständiger Rechtsprechung des Gerichts­ hofs lediglich, dass vergleichbare Sachverhalte nicht ungleich und ungleiche Sachver­ halte nicht gleich behandelt werden. Dies gilt unabhängig davon, ob der Verstoß ge­ 119 Nach den Ausführungen von Hellwig soll die Feststellung lediglich zum Ausdruck brin­ gen, dass alle Fragen im deutschen Berufsrecht geklärt seien, nicht aber, dass sie in allen Details mit dem CCBE-Code übereinstimmten (SV-Mat. 18/2013, S. 22). 120 Der Versuch, durch ein Bekenntnis zur Charter of Core Principles of the European Legal Profession des CCBE die Verstimmung beim CCBE über die Streichung des § 29 BORA zu mildern, scheiterte knapp an der Mehrheit der Stimmen in der Satzungsversammlung, vgl. SV-Mat. 33/2014, 20 ff., 26.  121 Kritisch insoweit auch Henssler/Prütting/Offermann-Burckhart, Vorbemerkung zu §  29 BORA; Gaier/Wolf/Göcken/Eichele/Wolf, § 29 BORA Rz. 7.  122 So aber Hellwig, in: FS Hopt 2010, S. 2806 ff.; ders., AnwBl. 2011, 713, 714; dieser Beitrag ist eine überarbeitete Fassung des Ausschussberichts, den Hellwig auf der 7. Sitzung der 4. Satzungsversammlung am 1.4.2011 vorgetragen hat, SV-Prot. 7/4, S. 15 ff. 123 EuGH, Urt. v. 16.12.2008 – C-524/06, Slg. 2008, I – 9725, 9757 Rz. 75 (Huber); EuGH, Urt. v. 6.10.2009 – C-123/08, Slg. 2009, I – 9660, 9681 Rz. 63 (Wolzenburg); Calliess/Ruffert/ Epiney, Art. 18 DLR Rz. 37; Streinz, EUV/AEUV, Art. 18 AEUV Rz. 57 ff.; Fastenrath, JZ 1987, 170, 171; Ehlers, NVwZ 1990, 810, 811. – AA v. Borries, EuZW 1994, 474, 475.

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gen das Diskriminierungsverbot auf Art. 18 AEUV (früher Art. 12 EG) oder auf die besonderen Grundfreiheiten der Art. 45, 49 oder 56 AEUV gestützt wird. Eine Un­ gleichbehandlung ist gerechtfertigt, „wenn sie auf objektiven, von der Staatsangehö­ rigkeit der Betroffenen unabhängigen Erwägungen beruhte und in einem angemesse­ nen Verhältnis zu einem legitimerweise verfolgten Zweck stünde“. So kann zB die Ver­weigerung der Vollstreckung eines europäischen Haftbefehls bei einer oder einem Nicht-Staatsangehörigen zur Verhinderung von Missbräuchen mit Recht davon ab­ hängig gemacht werden, dass sich diese oder dieser rechtmäßig fünf Jahre lang unun­ terbrochen im Hoheitsgebiet des Vollstreckungsmitgliedsstaates aufgehalten hat, weil erst nach diesem Zeitraum ein Daueraufenthaltsrecht erworben wird124. Bezogen auf die Diskriminierung von fremdstaatlichen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten, die im Vergleich zum Recht des Ziel- oder Herkunftsstaates stren­ geren Berufsregeln nach dem CCBE-Code unterworfen sind, ist somit zu fragen, ob die damit verbundene Ungleichbehandlung sachlich gerechtfertigt war. Eine sol­ che  Rechtfertigung drängt sich förmlich auf, da das Ziel der CCBE-Regeln gem. Art. 1.3.1. S. 2 des Codes darin bestand, „die sich aus der konkurrierenden Anwen­ dung mehrerer Berufsrechte ergebenden Schwierigkeiten zu verringern“. Damit sollte die grenzüberschreitende Tätigkeit erleichtert und die Integration von Rechtsanwäl­ tinnen und Rechtsanwälten bei der Erbringung von Rechtsdienstleistungen und ihrer Niederlassung im Binnenmarkt erleichtert werden. Diese Zielsetzung wird vernach­ lässigt, wenn der angestrebten Harmonisierung abgesprochen wird, ein „Wert an sich“ zu sein125. Man darf die einzelnen CCBE-Regeln auch nicht isoliert betrachten und eine unzulässige Diskriminierung bereits darin sehen, dass diese im Einzelfall stren­ ger sind als das Berufsrecht des Ziellandes oder Herkunftsstaates126. Dabei würde nicht ausreichend beachtet, dass die Berufsregeln in einem Spannungsverhältnis zwi­ schen dem erforderlichen Schutz der Mandantinnen und Mandanten und der Rechts­ pflege einerseits und der Grundfreiheiten andererseits stehen. Die Einigung im Rat der Anwaltschaften über die Aufstellung von Berufsregeln für den grenzüberschrei­ tenden Verkehr ist das Ergebnis eines Kompromisses, bei dem Divergenzen im Schutzniveau der verschiedenen Berufsrechte in den Mitgliedstaaten „verringert“ werden sollten. Würde man demgegenüber nur auf das Ausmaß der einzelnen Frei­ heitseinschränkungen abstellen und die harmonisierten Regeln nur daran messen, ob sie die Grundfreiheiten stärker oder schwächer einschränken, würde man dieses Ziel außer Acht lassen. Darüber hinaus würde man automatisch jenen Berufsrechten den Vorzug geben, die weniger stark in die Grundfreiheiten eingreifen, ohne zu berück­ sichtigen, dass diese Beschränkungen dem Schutz der Mandantinnen und Mandan­ ten und der Rechtspflege dienen. Verfassungs- und europarechtskonform wäre das Recht mit der geringsten Eingriffsintensität. Dabei würde vernachlässigt, dass sich die CCBE-Berufsregeln um einen Ausgleich zwischen Mandantenschutz und Berufsfrei­ heit im grenzüberschreitenden Verkehr bemühen und durch Vereinheitlichung der Regeln Hindernisse für den grenzüberschreitenden Verkehr zu verringern sollen. Die 124 EuGH, Urt. v. 6.10.2009 – C-123/08, Slg. 2009, I – 9660, 9682 Rz. 67 f. (Wolzenburg). 125 Hellwig, in: FS Hopt 2010, S. 2813. 126 Hellwig, in: FS Hopt 2010, S. 2813.

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Eignung zu diesem Zweck wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass einzelne Regeln weniger stark in die Grundfreiheiten eingreifen. Die Regelung war auch nicht unverhältnismäßig, weil die Einführung von Kollisions­ normen ein milderes Mittel mit geringerer Eingriffsintensität gewesen wäre. Dieses Mittel hätte nur dann eine Alternative dargestellt, wenn die beteiligten Staaten in der Lage gewesen wären, sich auf Kollisionsregeln zu verständigen. Das ist bis heute nicht gelungen, wie die Entscheidung des europäischen Gesetzgebers bei der Dienstleis­ tungs- und Niederlassungsrichtlinie für die Anwendung doppelter Berufsregeln zeigt. Nimmt man die doppelten Berufsregeln als Vergleichsmaßstab, ist die Entscheidung für die CCBE-Regeln der mildere Eingriff. Die Beschränkung der Dienstleistungsfrei­ heit durch die Anwendung der CCBE-Regeln war daher durch Gründe gerechtfertigt, die durch die Rechtsanwaltsdienstleistungsrichtlinie 77/249 gedeckt waren und dem Allgemeininteresse dienten, nämlich der Förderung der Dienstleistungs- und Nieder­ lassungsfreiheit gem. Art. 49 und 56 AEUV. Da sich der Prüfungsmaßstab für Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit auch mit dem Inkrafttreten der allgemeinen Dienstleistungsrichtlinie 2006/123/EG nicht geändert hat127, fehlte es somit an plausiblen Gründen für die Abschaffung des § 29 BORA. Näher hätte es gelegen, die Regeln von ihrer Bindung an das nationale Berufs­ recht zu befreien. Die angestrebte Einheitlichkeit von Berufsregeln im grenzüber­ schreitenden Verkehr wurde nämlich dadurch beeinträchtigt, dass § 29 BORA aF die Durchsetzung der CCBE-Regeln im Inbound-Bereich davon abhängig machte, dass diese dem nationalen Berufsrecht nicht widersprechen durfte.128 Man ging zwar bei den Beratungen der Satzungsversammlung über die Berufsordnung im Jahre 1996 da­ von aus, dass die CCBE-Regeln dem deutschen Berufsrecht entsprächen129, legte aber Wert auf den Vorbehalt, weil aus Gründen der Normenhierarchie die CCBE-Regeln als Satzungsrecht höherrangigem Gesetzesrecht entsprechen müssten.130 Außerdem vermied die Beachtung nationaler Berufsrechtsstandards eine Inländerdiskriminie­ rung. Damit war freilich zugleich entschieden, dass die CCBE-Regeln im grenzüber­ schreitenden Verkehr nach Deutschland (inbound) praktisch wirkungslos sein wür­ den131. Insofern hatte Hellwig Recht mit seinem Hinweis, dass § 29 BORA lediglich die outbound-Tätigkeit der deutschen Anwältinnen und Anwälte erfasse132. Eine Harmo­ nisierung der Berufsrechte war dadurch freilich gefährdet. Sie hätte die Bereitschaft 127 Eingehend dazu oben im Text unter B III 1. 128 Der Vorbehalt beruhte auf einem Vorschlag von Hellwig, vgl. das Protokoll der 3. Sitzung der Satzungsversammlung v. 20./21.4.1996, SV-Prot. 3/96, S. 17. 129 SV-Prot. 4/1996, S. 33. 130 Henssler/Kilian, BRAK-Mitt. 2011, 178, 182. 131 Die Protokolle der 3. und 4. Sitzung der Satzungsversammlung SV-Prot.3/96, S. 15 ff.; SVProt. 4/1996, S. 32 ff. geben keinen Anhaltspunkt dafür, dass die CCBE-Regeln nur bei der Outbound-Tätigkeit deutscher Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte im europäischen Ausland zur Anwendung kommen sollten, vgl. Henssler/Prütting/Offermann-Burckart, § 29 BORA Rz. 47; Hartung/Scharmer/Lörcher, BORA/FAO, 6. Aufl. 2016, § 34 Rz. 21; Henssler/Prütting/Lörcher, § 34 BORA Rz. 7; aA Hellwig, AnwBl 2011, 713, 715. 132 AnwBl 2011, 713, 715.

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vorausgesetzt, den CCBE-Regeln auf einer höheren – gesetzlichen – Ebene uneinge­ schränkt Geltung zu verschaffen. Dazu war offenbar niemand bereit. Insofern hält sich das Bedauern, dass es nicht zu einer Reform des § 29 BORA gekom­ men ist, in Grenzen. Statt des CCBE-Codes gelten nun zwei Sonderregeln, die sicher­ stellen sollen, dass die Anwendung des deutschen Rechts fremdstaatliche Rechts­ anwältinnen und Rechtsanwälte nicht überrascht. §  29a BORA verpflichtet den deutschen Rechtsanwalt zur Information des ausländischen Anwalts über die fehlen­ de Vertraulichkeit der Anwaltskorrespondenz. Und § 29b BORA regelt die Informa­ tionspflicht bei Einschaltung eines ausländischen Anwalts, wenn die nach ausländi­ schem Recht uU bestehende Haftung für das Honorar nicht übernommen werden soll.133 Da nunmehr im Wesentlichen wieder der ursprüngliche Rechtszustand gilt, bleiben auch die Abgrenzungsprobleme bestehen, wenn sich die Berufsrechte widersprechen. Rechtswirkungen können die CCBE-Regeln nur entfalten, wenn deren Anwendung für die grenzüberschreitende Tätigkeit von dem ausländischen Mitgliedstaat ange­ ordnet ist und die betreffende Rechtsanwältin oder der betreffende Rechtsanwalt die­ sem Mitgliedstaat angehört oder eine in Deutschland zugelassene Rechtsanwältin oder ein in Deutschland zugelassener Rechtsanwalt in diesem Mitgliedstaat im Sinne von Art. 1. 5. CCBE tätig ist.134 Da es sich um fremdländisches Berufsrecht handelt, ergeben sich jedoch daraus keine aufsichtsrechtlichen Befugnisse für die deutschen Rechtsanwaltskammern, und der ausländischen Rechtsanwältin oder dem ausländi­ schen Rechtsanwalt nützt die Geltung der CCBE nichts, da hierzulande deutsches Berufsrecht gilt. d) Ableitung des Herkunftslandprinzips aus den Grundfreiheiten Die Dienstleistungsfreiheit räumt dem Rechtsanwalt das Recht ein, seine Leistung vorübergehend in einem anderen Mitgliedstaat zu erbringen, „und zwar unter den Voraussetzungen, welche dieser Mitgliedstaat für seine eigenen Angehörigen vor­ schreibt“ (Art. 57 Abs. 3 AEUV). Daraus folgt, dass die dienstleistende europäische Rechtsanwältin oder der dienstleistende europäische Rechtsanwalt im outbound-Be­ reich nicht diskriminiert werden darf, aber über das Verhältnis zwischen dem Berufs­ recht des Herkunfts- und Bestimmungslandes trifft der Vertrag keine Bestimmung. Ein dem Internationalen Privatrecht vergleichbares internationales Verwaltungsrecht mit Kollisionsnormen, die den Konflikt unterschiedlicher nationaler Rechte auflösen, existiert nicht. Eine Lösung lässt sich auch nicht aus dem europäischen Gemein­ schaftsrecht ableiten. Das europäische Gemeinschaftsrecht setzt auf der Ebene der Grundfreiheiten dem nationalen Recht zwar Schranken und kann daher kollidieren­ des Recht im Aufnahmestaat zurückdrängen. Die Dienstleistungsfreiheit verlangt nicht nur die die Beseitigung sämtlicher Diskriminierungen des Dienstleistungser­ 133 Zu Einzelheiten vgl. die Kommentierung von Gaier/Wolf/Göcken zu §  29a und §  29b BORA. 134 Gaier/Wolf/Göcken/Eichele, § 29 BORA Rz. 3.

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bringers aufgrund seiner Staatsangehörigkeit, sondern verkörpert ein umfassendes Beschränkungsverbot für alle Dienstleistungen, die in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig erbracht werden135. Dennoch ist es nicht gerechtfertigt, daraus ein all­ gemeingültiges „Herkunftslandprinzip“ abzuleiten136. Zum einen kann die Dienst­ leistungsfreiheit aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses eingeschränkt werden137. Dies gilt anerkanntermaßen auch für die Beschränkung von Rechtsdienst­ leistungen, da und sofern diese dem Schutz der Mandantin oder des Mandanten und der Rechtspflege dienen. Zum anderen folgt dies aus der Anerkennung der Rege­ lungsautonomie der Mitgliedstaaten, die durch die Gewährleistung der europäischen Grundfreiheiten nicht in Frage gestellt wird.138 Entsprechendes gilt für die Niederlas­ sungsfreiheit, so dass – entgegen einer zum Teil vertretenen Ansicht139 – nicht davon ausgegangen werden kann, dass bei kollidierenden Berufsrechten für Rechtsanwältin­ nen und Rechtsanwälte grundsätzlich das Herkunftslandprinzip gilt. e) Verdrängung fremdstaatlichen Berufsrechts durch das Gebot gewissenhafter Berufsausübung gem. § 43 BRAO Eine eingehende Untersuchung zum Thema stammt von Oliver Knöfel. Da Anwalts­ recht in Deutschland „Öffentliches Recht“ verkörpere,140 betreffe der Konflikt zwi­ schen unterschiedlichen mitgliedschaftlichen Berufsrechten nicht die vertragsrechtli­ chen Beziehungen zwischen Mandantin oder Mandant und Rechtsanwältin oder Rechtsanwalt, sondern die internationale Reichweite des öffentlichen Berufsrechts.141 Aufgabe des internationalen öffentlichen (Berufs-) Verwaltungsrechts sei es, Regeln für das „öffentliche Kollisionsrecht“ zu entwickeln142, und zwar unter Berücksichti­ gung der spezifischen Belange des Rechtsanwaltsberufs. Mit Blick auf die „verfas­ sungsrechtliche Einstrahlung“ der Berufsausübungsfreiheit sieht er die vordringliche Aufgabe darin, die internationale Geltungsweite der Berufsordnungsnormen auf ih­ ren absoluten Kernbereich zu reduzieren143. Eine sachgerechte Anwendung des eige­ nen Verwaltungsrechts helfe der international tätigen Rechtsanwältin oder dem inter­ national tätigen Anwalt eher als ein Vorrang des ausländischen Berufsrechts144. Maßstab für die Lösung von Interessenkonflikten zwischen fremdstaatlichem und 135 EuGH, Urt. v. 3.12.1974 – Rs 33/74, NJW 1975, 1095 (van Binsbergen); Urt. v. 12.7.1984 – Rs 107/83, NJW 1985, 1275, 1276 (Klopp). 136 So aber Linke, S. 196. 137 EuGH, Urt. v. 3.12.1974 – Rs 33/74, NJW 1975, 1095 (van Binsbergen); Urt. v. 12.12.1996 – C-3/95, EuZW 1997, 53, 55 (Reisebüro Broede); Urt. v. 23.11.1999 verb. Rs C-369/96 u. C-376/96, EuZW 2000, 88, 90 (Arblade); Calliess/Ruffert/Kluth, Art. 56, 57 AEUV Rz. 57.  138 Calliess/Ruffert/Kluth, Art. 56, 57 AEUV Rz. 60. 139 Linke, S. 202. 140 Knöfel, S. 454. 141 Knöfel, S.  455  f.; ders., AnwBl 2003, 3, 6  f.; Reithmann/Martiny/Mankowski/Knöfel, Rz. 6.718. 142 Knöfel, S. 456. 143 Knöfel, S. 457.  144 In einem gewissen Gegensatz dazu steht die Qualifizierung des Herkunftsstaatsprinzips als „Störkraft“ in dem Gemeinschaftsbeitrag Mankowski/Knöfel, AnwBl 2004, 704. 

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nationalem Berufsrecht sei die Pflicht der Anwältin oder des Anwalts zur gewissen­ haften Vertretung ihres oder seines Mandanten gem. § 43 S. 1 BRAO. Fremdstaatli­ ches Berufsrecht müsse hinter dem „Gebot sachgerechter Vertretung“ zurückstehen, da mehrstaatliches Engagement eine von § 2 BRAO umfasste Rechtspflegeaufgabe sei und dem Interesse der Mandantin oder des Mandanten an einer effizienten und trans­ aktionskostenarmen Rechtsdienstleistung entspreche. Anknüpfend an die „interstate practice“ des US-amerikanischen Berufsrechts, das die Zulassung zur staatenüber­ greifenden Berufstätigkeit von einer Einzelfallzulassung abhängig macht und im Falle einer fehlenden Erlaubnis der Rechtsanwältin oder dem Rechtsanwalt einen Gebüh­ renanspruch versagt („fee forfeiture“), sieht er im Anschluss an eine Entscheidung des Supreme Court of Hawai145, der die Mitnahme hauseigener Anwältinnen und Anwäl­ te in die fremdstaatliche Jurisdiktion als zwingend erforderlich ansah, den Grund­ stein für die Anerkennung grenzüberschreitender Anwaltstätigkeit146. Unbestreitbar besteht für die Anwältin oder den Anwalt eine Pflicht zur gewissenhaf­ ten Vertretung der Mandanteninteressen. Allerdings besteht diese immer nur in dem rechtlichen Rahmen, innerhalb dessen die Anwältin oder der Anwalt seine Dienst­ leistung erbringen kann. Ob dazu auch das ausländische Berufsrecht gehört, ist gera­ de die Frage. Wenn man diese bejaht, wird die Anwältin oder der Anwalt seiner Pflicht zur gewissenhaften Berufsausübung gerecht. Insofern kann die Geltung fremdstaatli­ chen Berufsrechts nicht mit dem Argument in Frage gestellt werden, dass die Rechts­ anwältin oder der Rechtsanwalt das Gebot sachgerechter Berufsausübung achten müsse. Hinzu kommt, dass zwischen der Pflicht zur professionellen Berufsausübung und dem fremdstaatlichen Berufsrecht nicht zwangsläufig ein Gegensatz besteht. Be­ rufsrechtliche Normen haben in aller Regel die Funktion, das Interesse der Mandan­ tinnen und Mandanten an einer gewissenhaften, unabhängigen Berufsausübung durch die Rechtsanwältin oder den Rechtsanwalt zu schützen. Es besteht daher im Regelfall gar kein Gegensatz zwischen §  43 BRAO und anderen berufsrechtlichen Normen. f) Vorrang des fremdstaatlichen Berufsrechts bei grenzüberschreitender Tätigkeit? aa) Wortlaut und Systematik der Richtlinie 249/77/EWG Verbreitet ist der Versuch, aus Aufbau und Wortlaut des Art. 4 Abs. 2 der Rechtsan­ waltsdienstleistungsrichtlinie abzuleiten, dass das Berufsrecht des Herkunftsstaates zurücktreten müsse147. Zwingend ist dieses Argument freilich nicht, weil in Bezug auf die Vertretung gegenüber Gerichten und Behörden gem. Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie nur davon die Rede ist, dass der Rechtsanwalt „die Standesregeln des Aufnahmestaa­ 145 Fought & Co., Inc. v. Steel Eng’g & Erection, Inc., 951 P2d 487, 497 (Haw. 1998). 146 Knöfel, AnwBl 2003, 3, 17 f.; ders., S. 483 ff., 491 f. 147 Dafür Everling, Gutachten 58. DJT (1990), C 29 f m. Fn. 66; Hartung/Scharmer/Lörcher, BORA/FAO, 5. Aufl. 2012, § 29 BORA Rz. 3; Henssler/Streck/Kilian, Handbuch Sozietäts­ recht, N 162; Henssler/Prütting/Kilian, § 27 EuRAG Rz. 7; Gaier/Wolf/Göcken, Einl. 166 (dazu auch unten Fn. 152); Piltz/Trittmann/Schmaltz, § 3 Rz. 38 f.; dagegen Knöfel, S. 462 f.

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tes neben den ihm im Herkunftsstaat obliegenden Verpflichtungen“ einhalten müsse. Entsprechendes gilt für die außergerichtliche Tätigkeit, bei der Art. 4 Abs. 4 der RL anordnet, dass der Rechtsanwalt „den im Herkunftsstaat geltenden Bedingungen und Standesregeln unterworfen“ bleibe, jedoch „daneben … die im Aufnahmestaat gelten­ den Regeln über die Ausübung des Berufs“ einhalten müsse. Deren Anwendbarkeit steht allerdings unter dem Vorbehalt, dass sie von der Rechtsanwältin oder dem Rechtsanwalt, die oder der nicht im Aufnahmestaat niedergelassen ist, beachtet wer­ den können und ihre Einhaltung objektiv gerechtfertigt ist, um eine ordnungsgemäße Ausübung der Berufstätigkeit zu gewährleisten. Auch aus der englischen Fassung lässt sich ein Vorrang nicht ableiten, da dem Rechtsanwalt nach Art. 4 Abs. 1 die Beach­ tung der Regeln des Aufnahmestaates unbeschadet seiner Verpflichtungen im Her­ kunftsstaat obliegt („without prejudice to his obligations in the Member State from which he comes”), und bei der außergerichtlichen Tätigkeit ist es genau umgekehrt. Gem. Art. 4 Abs. 4 der RL ist er an die Berufsregeln des Herkunftsstaates gebunden, unbeschadet der Berufsregeln des Aufnahmestaates („without prejudice to respect for  the rules, whatever their source, which govern the profession in the host Member State”). Eine naheliegende Schlussfolgerung aus der doppelten Anwendung der nationalen Berufsrechte besteht darin, dass sich das jeweils strengere Berufsrecht durchsetzt148. Dieses Ergebnis ist in Fällen, in denen der Schutzzweck die Einhaltung der strengeren Norm fordert, durchaus sachgerecht, überzeugt jedoch vor allem dann nicht, wenn das Recht des Herkunftsstaates das strengere Berufsrecht besitzt und dessen Anwen­ dung darauf hinausliefe, dass die Verbraucher im Aufnahmestaat überschießenden Schutz genießen. Daran hat der Gesetzgeber des Herkunftsstaates kein Interesse. Zwar erfasst die deutsche Berufsaufsicht grundsätzlich auch die Tätigkeit der deut­ schen Kammermitglieder im Ausland. Aber Verstöße können bei telelogischer Be­ trachtung des Schutzzwecks der jeweiligen Berufsrechtsnormen nur geahndet w ­ erden, wenn die Tätigkeit ins Inland „ausstrahlt“.149 Es macht keinen Sinn, die Verbraucher des Herkunftsstaates zu schützen, wenn diese von der Tätigkeit der grenzüberschrei­ tend tätigen Anwältin oder des grenzüberschreitend tätigen Anwalts gar nicht betrof­ fen sind. So verhält es sich zB, wenn eine in Deutschland nieder­gelassene Rechtsan­ wältin vorübergehend in England tätig ist und dort für ihre Tätigkeit wirbt. Warum sollte sie das strengere deutsche Werberecht beachten, obwohl Bürger des Herkunfts­ staates nicht irregeführt werden können? bb) Anknüpfung an die größere Sachnähe des Mandats Ein häufig genanntes Kriterium, das die Anwendbarkeit des fremdstaatlichen Rechts begründen soll, ist die Geltung desjenigen Berufsrechts, dem die der Anwältin oder dem Anwalt übertragene Rechtssache angehöre oder aber näher stehe als dem Recht eines anderen Staates.150 Dagegen wird vorgebracht, dass Fragen der Rechtswahl mit 148 Henssler, ZEuP 1999, 689, 709. 149 Reithmann/Martiny/Mankowski/Knöfel, Rz. 6.719; Piltz/Trittmann/Schmaltz, § 3 Rz. 27.  150 Friedlaender, AnwBl 1954, 1 ff.; Sieg, S. 189. 

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berufsverwaltungsrechtlichen Fragen vermengt würden und bei der internationalen Tätigkeit modernen Zuschnitts – etwa bei der Begleitung einer Transaktion eines Un­ ternehmens mit weltweit verstreuten Beteiligungen – nicht leicht zu bestimmen sei, wo das Rechtsverhältnis sein „Zuhause“151 habe. Dieser Einwand wird auch erhoben, wenn die größere Sachnähe und unmittelbare Betroffenheit152 für die Geltung des Berufsrechts des Aufnahmestaates angeführt wird. Sachnähe und Betroffenheit sind schwer zu handhabende Kriterien. cc) Teleologische Einschränkung der Verweisung auf das Berufsrecht des Herkunftsstaates Man muss jedoch diesen Ansatz nur geringfügig modifizieren, um rechtlich fun­ dierte und zugleich operationale Kriterien zu gewinnen. Treffen die Wirkungen ei­ nes  ­Berufsrechtsverstoßes inländische Mandantinnen und Mandanten, spricht der Schutzzweck der jeweiligen Norm für eine Anwendung der Berufsregeln des Aufnah­ mestaates auf die grenzüberschreitend tätige Rechtsanwältin oder den grenzüber­ schreitend tätigen Rechtsanwalt.153 Keine ausschlaggebende Bedeutung sollte hinge­ gen der Frage zukommen, ob nur eine vorübergehende oder eine kontinuierliche Tätigkeit im Ausland vorliegt154. Auch bei einer vorübergehenden Tätigkeit kann es der Schutzzweck der jeweiligen Berufsrechtsnorm gebieten, dass sie eingehalten wer­ den muss. Das Vertrauen inländischer Mandantinnen und Mandanten, dass eine dienstleistende europäische Anwältin oder ein dienstleistender europäischer Anwalt bei einer Tätigkeit in Deutschland die Verschwiegenheit wahrt155 oder keine wider­ streitenden Interessen vertritt, ist genauso schutzwürdig wie bei einer Dienstleistung einer im Inland zugelassenen Anwältin oder eines im Inland zugelassenen Anwalts. Umgekehrt fehlt es ersichtlich an einem schutzwürdigen Interesse des Herkunftsstaa­ tes daran, die Mandantinnen und Mandanten eines fremden Staates zu schützen oder

151 Knöfel, S. 460.  152 So Kilian, WM 2000, 1366, 1372; Henssler/Streck/Kilian, N 162; Henssler/Prütting/Kilian, § 27 EuRAG Rz. 7; ähnlich Gaier/Wolf/Göcken, Einl. 166: maßgebend sei das Recht des Staates, in dem die berufsrechtlichen Regelungen verletzt worden sind; allerdings soll im gerichtlichen Verfahren die lex fori gelten (anknüpfend an die choice-of-law-Bestimmung in den Model Rules of Professional Conduct der ABA). Dagegen spricht, dass der Schutzzweck der verletzten Berufsnorm im Herkunftsstaat auch bei Gerichtsverfahren im Aufnahme­ staat Beachtung verdienen kann, zB wenn das Anwaltsgeheimnis verletzt würde (näher im Text unter dd). 153 Henssler, ZZP 115 (2002) 321, 349  f.; bezogen auf das Rechtsberatungsmonopol für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte auch BGH, Urt. v. 5.10.2006  – I ZR 7/04, NJW 2007, 596, 598; früher schon Everling, Gutachten 58. DJT (1990), C 29 f. 154 Dafür Hellwig, BRAK-Mitt. 2002, 52, 59; die Autoren der Panteia-Studie, S. 11, 107; Mankowski, AnwBl 2001, 73, 75 f., der jedoch auch den Schutzzweck der Berufsrechtsnormen für maßgeblich hält. 155 Zur Schutzwürdigkeit des Mandantenvertrauens bei der kollisionsrechtlichen Würdigung des Anwaltsprivilegs überzeugend Magnus, RabelsZ 77 (2013), 111, 119 f.

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die Rechtspflege dieses Staates zu wahren156. Bei der gebotenen teleologischen Be­ trachtung erfordert der Schutzzweck des Berufsrechts des Herkunftsstaates grund­ sätzlich nicht, dass dieses in solchen Fällen beachtet wird. Der Herkunftsstaat der Rechtsanwältin oder des Rechtsanwalts hat kein berechtigtes Interesse am Schutz der ausländischen Mandantinnen und Mandanten, die als Bürger des Aufnahmestaates Rechtsdienstleistungen dieser Anwältin oder dieses Anwalts in Anspruch nehmen. Insofern wäre die Einschränkung der Berufsfreiheit für eine deutsche Rechtsanwältin oder einen deutschen Rechtsanwalt, der in England im Einverständnis mit der ihn dort konsultierenden Mandantin oder dem ihn dort konsultierenden Mandanten wi­ derstreitende Interessen vertritt oder nach englischem Recht erlaubte, nach deut­ schem Recht gem. § 43b BRAO verbotene Telefonwerbung betreibt, verfassungsrecht­ lich und unionsrechtlich nicht zu tolerieren, weil ein solches Verbot nicht „erforderlich“ ist. Umgekehrt besteht kein Grund, die englische Anwältin oder den englischen An­ walt bei seiner Berufsausübung besser zu stellen als die deutsche Rechtsanwältin oder den deutschen Rechtsanwalt, wenn die englische Anwältin oder der englische Anwalt in Deutschland widerstreitende Interessen von einheimischen Mandantinnen und Mandanten vertritt, die ihr oder ihm das deutsche Recht versagt. Hier verlangt § 27 EuRAG iVm §§ 43 Abs. 1 und 2 BORA, dass das Recht des Aufnahmestaates zu be­ achten ist, wenn die Interessen der hier ansässigen Mandantinnen und Mandanten betroffen sind. Entsprechendes gilt, wenn die ausländische Anwältin oder der auslän­ dische Anwalt von ausländischen Mandantinnen oder Mandanten aufgesucht wird, da diese in Deutschland mit der Anwendung des strengeren deutschen Berufsrechts rechnen müssen. Komplizierter sind die Verhältnisse bei der Vertretung widerstreitender Interessen, wenn die Schutzinteressen verschiedener Berufsrechtsregime berührt sind, weil die betreffenden Mandanten aus unterschiedlichen Staaten stammen. Wenn eine deut­ sche Rechtsanwältin oder ein deutscher Rechtsanwalt bei einer erbrechtlichen Ausei­ nandersetzung zwischen drei Miterben einen deutschen und britischen Miterben mit deren Einverständnis vertritt, dann liegt nach deutschem Berufsrecht ein Verstoß ge­ gen das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen vor157, nach britischem Berufsrecht hingegen nicht. Hier muss sich das strengere deutsche Berufsrecht durch­ setzen, weil sonst das Vertrauen der deutschen Mandantin oder des deutschen Man­ danten in die Integrität der Rechtspflege nicht geschützt würde158. Wenn die deutsche Mandantin oder der deutsche Mandant freilich einen britischen Solicitor in England konsultiert, darf er oder sie nicht ohne weiteres darauf vertrauen, dass das strengere

156 Henssler, NJW 2009, 1556, 1558; ders., ZZP 115 (2002) 321, 349 f. − Davon zu unterschei­ den ist der Fall, dass ein in Deutschland zugelassener Rechtsbeistand deutsche Mandan­ tinnen und Mandanten in Dänemark betreut; hier erfordert der Schutzzweck des deut­ schen Berufsrechts dessen Anwendung, Willandsen, NJW 1989, 1128, 1130; aA VG Schleswig, Urt. v. 14.9.1988 – 9A 106/87 (92), NJW 1989, 1178.  157 BayObLG, Urt. v. 26.7.1989 – RReg. 3 St 50/89, NJW 1989, 2903. 158 Zur Maßgeblichkeit des Vertrauens oben im Text bei und mit Fn. 155. − Zur ähnlichen Lage beim erforderlichen Schutz des Anwaltsgeheimnisses, wenn dieses im Herkunftsstaat stärker geschützt ist als im Aufnahmestaat, unten im Text unter dd).

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deutsche Berufsrecht Schutz bietet.159 Hier bleibt es dann bei der teleologischen Re­ duktion, dass jenes Berufsrecht zurücktreten muss, dessen Schutz nicht „erforderlich“ ist. Für einen Vorrang des Rechts des Aufnahmestaates spricht auch, dass dessen Nichtan­ wendung zu einer Benachteiligung der inländischen Rechtsanwältinnen und Rechts­ anwälte führen würde. Das Diskriminierungsverbot des Art. 18 AEUV kommt zwar in Bezug auf die umgekehrte Diskriminierung von Inländern nach der Rechtspre­ chung des EuGH,160 der sich der Bundesgerichtshof angeschlossen hat161, nicht zur Anwendung.162 Es gilt nicht für rein innerstaatliche Sachverhalte, weil die Regelung der Dienstleistungsfreiheit insoweit uneingeschränkt der nationalen Rechtsordnung überlassen ist163. In Betracht kommt jedoch in Deutschland ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG, wenn der nationale Gesetzgeber die im Inland niedergelassenen Anwältinnen und Anwälte schlechter stellt als fremd­ staatliche Anwältinnen und Anwälte, auch wenn diese nur vorübergehend im Inland tätig sind. Die Erwägungen, mit denen der BGH in einem Beschluss vom 18.9.1989 die damals verbotene Simultanzulassung von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwäl­ ten, die im Inland eine Niederlassung unterhalten, gegenüber der scheinbar günstige­ ren Behandlung ausländischer Anwältinnen und Anwälte, die nur vorübergehend in Deutschland tätig sind und ihre Mandantinnen und Mandanten ohne Einschränkung vor Gerichten vertreten dürfen, verteidigt hat, beruht auf einem Gesamtvergleich der jeweiligen Rechtspositionen und der – angreifbaren164 – Wertung, dass die Ungleich­ behandlung sachlich gerechtfertigt sei.165 Der Gesetzgeber hat jedenfalls später die Ungleichbehandlung korrigiert und mit Wirkung vom 1.1.2000 das – vom BVerfG für verfassungswidrig erachtete − Lokalisationsgebot für Amts- und Landgerichte sowie zum 1.8.2002 für Oberlandesgerichte aufgehoben166. Eine sachliche Rechtfertigung für ein unterschiedliches Schutzniveau bei anderen berufsrechtlichen Fragen, zB der Verpflichtung zur Verschwiegenheit oder dem Verbot der Vertretung widerstreiten­ der Interessen, ist nicht ersichtlich, so dass die besseren Gründe dafür sprechen, auch die dienstleistende europäische Anwältin und den dienstleistenden europäischen An­ walt dem deutschen Berufsrecht zu unterwerfen, um eine Inländerdiskriminierung 159 BGH, Urt. v. 5.10.2006 – I ZR 7/04, NJW 2007, 596, 597 f. (Schulden-Hulp); Deckenbrock/ Henssler, § 1 RDG Rz. 33. 160 Urt. v. 7.2.1979 – Rs 115/78, NJW 1979, 1761 (Knoors); Urt. v. 7.2.1979 – Rs. 136/78, 1979, 1762 (Auer); Urt. v. 12.7. 1984 – Rs 107/83, NJW 1985, 1275 (Klopp); Urt v. 1.4.2008 – C 212/06 Slg. 2008, I – 1683 Rz. 33 (Gouvernement de la Communauté francaise und Gouvernement wallon). 161 BGH, Beschl. v. 18.9.1989 – AnwZ (B) 24/89, NJW 1990, 108 Rz. 8 f. 162 Ebenso Streinz, Art.  18 AEUV Rz.  62  ff.; Grabitz/Hilf/Nettesheim/v. Bogdandy, Art.  18 AEUV Rz. 54; Fastenrath, JZ 1987, 170, 175; König, AöR 1993, 591, 593 ff.; Knöfel, S. 463 ff. 163 Einschränkend Epiney, S. 185 ff., 205 ff.; Calliess/Ruffert/Epiney, Art. 18 AEUV Rz. 34 ff. 164 Skeptisch auch Everling, Gutachten 58. DJT (1990), C 59. 165 BGH, Beschl. v. 18.9.1989 – AnwZ (B) 24/89, NJW 1990, 108, 109 Rz. 13; bestätigt durch BVerfG, Beschl.v. 8.11.1989 – 1 BvR 989/89, BRAK-Mitt. 1990, 53. 166 Gaier/Wolf/Göcken/Siegmund, § 27 BRAO Rz. 2 m.w.N.; zur Verfassungswidrigkeit der Singularzulassung vgl. BVerfG, Beschl. v. 5.12.1995 – 1 BvR 2011/94, BVerfGE 93, 362, 371 ff.; Urt. v. 13.12.2000 – 1 BvR 335/97, BVerfGE 103, 1, 9 ff.

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zu vermeiden und die Interessen der inländischen Mandantinnen und Mandanten zu schützen. dd) Teleologische Kriterien bei der Anwendung des RDG im grenzüberschreitenden Verkehr Der Schutzzweck der Berufsrechtsnormen gebietet es in der Regel auch, die Qualifi­ kationserfordernisse des Rechtsdienstleistungsgesetzes auch im grenzüberschreiten­ den Verkehr anzuwenden, wenn nur so der Schutz der deutschen Mandantinnen und Mandanten oder seines Gegners gewährleistet ist167. Ein Inkassounternehmen, das vom Ausland aus im Auftrag von inländischen Mandanten Forderungen gegenüber inländischen Schuldnern geltend machte, bedurfte daher der Erlaubnis nach dem frü­ heren Rechtsberatungsgesetz168. Das Rechtsberatungsgesetz bezweckte ebenso wie nunmehr das Rechtsdienstleistungsgesetz, die Rechtssuchenden, den Rechtsverkehr und die Rechtsordnung vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen zu schützen. De­ ren Schutz ist auch gefährdet, wenn das Inkasso aus dem Ausland betrieben wird. Schutzbedürftig sind sowohl die Mandanten, die ihre Forderungen realisieren wollen, als auch die Schuldner. Gemäß § 11a RDG hat das Inkassounternehmen gegenüber den Schuldnern Darlegungs- und Informationspflichten, damit diese die Berechti­ gung der erhobenen Forderungen nachvollziehen können169. Insofern kann ein im Ausland rechtmäßig niedergelassenes Inkassounternehmen zwar vorübergehend im Inland tätig sein (§  15 RDG)170 oder aufgrund einer Registrierung gem. §§  10, 12 RDG, die den Nachweis theoretischer und praktischer Sachkunde erfordert. Aber wenn diese Voraussetzungen nicht erfüllt sind, ist die Rechtsdienstleistung verboten. Entsprechendes gilt für die außergerichtliche Rechtsberatung durch einen in den ­Niederlanden niedergelassenen Schuldenberater, der im Auftrag eines inländischen Auftraggebers gegenüber dessen im Inland ansässigen Gegner ein gerichtliches Schul­ denbereinigungsverfahren vorbereitete171, sowie für die auf fremde Rechnung er­folgte Einziehung einer von einem inländischen Versicherungsnehmer abgetretene Forde­ rung gegen eine inländische Versicherungsgesellschaft an eine schweizerische Akti­ engesellschaft.172 In beiden Fällen – so der BGH − verlange der Schutzzweck des Ge­ setzes, Rechtsuchende vor Schäden zu bewahren, die ihnen dadurch entstehen könnten, dass sie Rechtsrat von Personen erhalten, die nicht die erforderliche berufli­ che oder persönliche Qualifikation besitzen. Der Sitz der Niederlassung des Rechts­ besorgers sei demgegenüber wegen der Umgehungsgefahr kein geeigneter Anknüp­ fungspunkt. 167 BGH, Urt. v. 5.10.2006 – I ZR 7/04, NJW 2007, 596, 598; s. ferner Armbrüster, RIW 2000, 583, 587 f.; Mankowski, AnwBl 2001, 73, 77.  168 OLG Hamm, Urt. v. 15.6.1999 – 4 U 10/99, AnwBl 2000, 381 f. m. Bspr. Armbrüster, RIW 2000, 583, 587 f.; Mankowski, AnwBl 2001, 73, 76; Willandsen, NJW 1989, 1128, 1130. – Seit 1.7.2008 gilt entsprechendes gem. § 2 Abs. 2 RDG. 169 Deckenbrock, NJW 2017, 1425, 1429. 170 Einzelheiten Henssler/Prütting/Weth, Einl. RDG Rz. 63.  171 BGH, Urt. v. 5.10.2006 – I ZR 7/04, NJW 2007, 596, 598 (Schulden-Hulp). 172 BGH, Urt. v. 11.12.2013 – IV ZR 46/13, NJW 2014, 847, 848 („Geld zurück! – Auftrag“).

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Angeregt durch das Urteil des EuGH im Fall X-Steuerberatungsgesellschaft, in dem das Verbot der Steuerberatung durch eine im Ausland niedergelassene, im Inland nicht zugelassene Gesellschaft als nicht europarechtskonform qualifiziert wurde, hat der Gesetzgeber im Jahre 2017 im Rahmen des Gesetzes zur Umsetzung der Berufs­ anerkennungsrichtlinie173 den räumlichen Geltungsbereich des RDG in §  1 Abs.  2 neu definiert. Er orientierte sich dabei allerdings nicht an den Kriterien, die in der Rechtsprechung entwickelt wurden, da diese dem Rechtsdienstleister keine ausrei­ chende Sicherheit gewähre. Das vermeidet der neue §  1 Abs.  2 RDG: „Wird eine Rechtsdienstleistung ausschließlich aus einem anderen Staat heraus erbracht, gilt die­ ses Gesetz nur, wenn ihr Gegenstand deutsches Recht ist“. Vorangegangen war eine kontroverse Diskussion, da der Gesetzentwurf der Bundesregierung noch auf dem Standpunkt gestanden hatte, dass es der Schutzzweck des Gesetzes grundsätzlich nicht gebiete, Personen zu schützen, die Rechtsrat im Ausland einholen. Die Man­ dantschaft könne in solchen Fällen nicht darauf vertrauen, dass auf die fast ausschließ­ lich im Ausland erbrachte Leistung des Rechtsdienstleisters deutsches Recht Anwen­ dung finde.174 Nur in Fällen, in denen sich die aus dem Ausland heraus erbrachte Dienst­leistung an eine andere Person als die Mandantschaft wende, sei es nicht gerecht­fertigt, dieser Person den Schutz nur deshalb vorzuenthalten, weil die Man­ dantin oder der Mandant eine ausländische Rechtsdienstleisterin oder einen auslän­ dischen Rechtsdienstleister beauftragt habe. Demgegenüber hat die Bundesrechtsan­ waltskammer in ihrer Stellungnahme175 zurecht darauf hingewiesen, dass nicht nur in Dreiecks-Konstellationen ein Schutzbedürfnis für die Mandanten bestehe, sondern auch in jenen Fällen, in denen nur Beziehungen zwischen Rechtsdienstleister und Mandant bestünden. Besonders evident sei das Schutzbedürfnis des Mandanten, wenn der Rechtsdienstleister seine Tätigkeit ins Ausland verlege, um das deutsche Berufsrecht zu umgehen. Solche Umgehungsfälle, etwa durch die Tätigkeit englischer Kapitalgesellschaften im Fremd­besitz, die vom Ausland aus deutsche Verbraucherin­ nen und Verbraucher mittels elektronischer Medien beraten, bildeten den tatsächli­ chen Hintergrund der Urteile, in denen der BGH vom Ausland aus betriebene Rechts­ beratung dem RDG bzw. RBerG unterstellte.176 In seiner Beschlussempfehlung hat sich der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz diese Position inhaltlich zu ei­ gen gemacht und die Beschränkung auf Dreiecks-Konstellationen aufgegeben. Nur wenn der Mandant sich im ausländischen Recht beraten lasse, dürfe dieser nicht er­ warten, dass das nationale Berufsrecht zur Anwendung komme.177 Im Ergebnis ist somit in Bezug auf das RDG die Anwendbarkeit des deutschen Be­ rufsrechts gesichert, da es der Schutz der Mandantin oder des Mandanten vor unqua­ lifizierten Rechtsdienstleistungen gebietet, dieses auch bei einer Tätigkeit aus dem Ausland anzuwenden. Die Voraussetzung, dass Gegenstand der Rechtsdienstleistung deutsches Recht sein müsse, eröffnet nur in solchen Fällen Schutzlücken, in denen 173 BGBl. 2017, I, 1121. 174 BT-Drs. 18/9521, S. 203 f. 175 Stellungnahme Nr. 16/2016, 22 ff. 176 BGH, Urt. v. 5.10.2006 – I ZR 7/04, NJW 2007, 597, 598; Urt. v. 11.12.2013 – IV ZR 46/13, NJW 2014, 847, 848.  177 BT-Drs. 18/11468, S. 13 f.

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sich die deutsche Mandantin oder der deutsche Mandant ausländischem Recht unter­ werfen muss.178 In einem solchen Fall ist freilich zu erwägen, ob nicht teleologische Gründe für eine Anwendbarkeit des deutschen Berufsrechts sprechen, wenn abgese­ hen von der Rechtswahl alle anderen Kriterien wie der Schwerpunkt der Tätigkeit und die Umgehungsgefahr für dessen Anwendbarkeit sprechen. Bei einer Tätigkeit ausländischer Rechtsdienstleisterinnen und Rechtsdienstleister im Inland ist das RDG aufgrund des allgemein anerkannten Territorialprinzips ohnehin anwendbar.179 ee) Teleologische Gründe für den Vorrang des Berufsrechts des Herkunftsstaates Die teleologische Betrachtung der Interessenlage kann es freilich auch gebieten, dass die grenzüberschreitend tätige Rechtsanwältin oder der grenzüberschreitend tätige Rechtsanwalt das Berufsrecht des Herkunftsstaates beachten muss und entgegenste­ hende Regeln im Aufnahmestaat zurücktreten müssen. Vor allem diese Konstellation einander widersprechender Berufsrechte hat zu dem verbreiteten Urteil beigetragen, dass das Phänomen der „double deontology“ die Rechtsanwältin oder den Rechtsan­ walt vor nahezu unlösbare Schwierigkeiten stelle180. Solche Fallgestaltungen sind etwa gegeben, wenn eine deutsche Rechtsanwältin oder ein deutscher Rechtsanwalt bei ei­ ner erbrechtlichen Auseinandersetzung zwischen drei Miterben einen deutschen und britischen Miterben mit deren Einverständnis vertritt oder wenn eine deutsche An­ wältin oder ein deutscher Anwalt eine deutsche Mandantin oder einen deutschen Mandanten in einem Staat vertritt, der die anwaltliche Verschwiegenheit schwächer schützt als im deutschen Berufsrecht. Wie bedrohlich der Konflikt für die Anwältin oder den Anwalt und seine Mandantin oder seinen Mandanten sein kann, zeigen die eindrucksvollen Beispiele von Hellwig zur begrenzten Reichweite des britischen „legal privilege“181. Unter teleologischen Gesichtspunkten verdient der Schutz der Mandantin oder des Mandanten, der sich auf die Verschwiegenheit der oder des von ihm in seinem Staat mandatierten Anwältin oder Anwalts verlässt, den Vorrang vor dem konkurrieren­ den, weniger weitreichenden Schutz im Zielland, wenn die Anwältin oder der Anwalt grenzüberschreitend tätig wird. Das Berufsgeheimnis hat den Zweck, das Vertrauen der Mandantin oder des Mandanten auf eine uneingeschränkte Vertretung ihrer oder seiner Interessen zu schützen und eine effektive Durchsetzung ihrer oder seiner Rech­ te zu gewährleisten. Ihr oder sein Schutz im Prozess gehört zu den fundamentalen Grundsätzen eines fairen Verfahrens und ist national im Rechtsstaatsprinzip, supra­ national in Art. 47 Abs. 2 der Grundrechtecharta, Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK und Art. 14 178 Kritisch daher die Stellungnahme der BRAK 16/2016, S. 23. 179 Deckenbrock/Henssler, § 1 RDG Rz. 34.  180 Hellwig, BRAK-Mitt. 2002, 52, 55 ff.; Reithmann/Martiny/Trittmann/Schmaltz, § 3 Rz. 28. 181 Hellwig, BRAK-Mitt. 2002, 52, 55  ff.; zur unterschiedlichen Reichweite des Anwaltsge­ heimnisses im englischen und deutschen Recht s. ferner ausführlich Wolf/Hasenstab, BRAK-Mitt. 2010, 150, 153; Reithmann/Martiny/Trittmann/Schmaltz, § 3 Rz. 75 ff. sowie oben im Text unter B III 2 a.

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Abs. 1 S. 1 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte182 veran­ kert183. Dieser Schutz wäre nur unvollkommen gewährleistet, wenn sie oder er im grenzüberschreitenden Verkehr nicht beachtet würde. Wenn die Verschwiegenheits­ pflicht ihre Grundlage in einem Mandatsverhältnis mit einer deutschen Mandantin oder einem deutschen Mandanten hat, wäre es schwer erträglich, wenn das Vertrauen der Mandantin oder des Mandanten, das zum Kernbereich einer rechtsstaatlichen Rechtspflege gehört184, nur deshalb enttäuscht werden könnte, weil sich ihr/e oder sein/e Anwältin oder Anwalt vorübergehend unter eine fremde Jurisdiktion begibt185. Zwar kommt ausländischem Recht aufgrund des völkerrechtlichen Territorialitäts­ prinzips im Allgemeinen kein Geltungsanspruch außerhalb der nationalen Geltungs­ grenzen zu, aber dieser allgemeine Grundsatz verdient jedenfalls dann keine Aner­ kennung, wenn die Geltung der fremdstaatlichen Normen vom Gemeinschaftsrecht ausdrücklich angeordnet ist186. Ein solcher Fall liegt hier vor, da Art. 4 Abs. 1 und 4 der RL 77/249 und Art. 6 Abs. 1 der RL 98/5 den Rechtsanwalt ausdrücklich dazu verpflichten, auch die Berufsregeln des Herkunftsstaates zu beachten. Die vom euro­ päischen Gesetzgeber angeordnete doppelte Geltung der Berufsrechte führt hier also in dieser Konstellation in der Tat dazu, dass sich das strengere Berufsrecht durchsetzt. Anders als in den Fällen, in denen der Schutzzweck der jeweiligen Berufsrechtsnorm die Durchsetzung des Rechts des Herkunftsstaates nicht erfordert – wie zB bei Werbeoder Tätigkeitsverboten –, gibt es bei der Anerkennung des Berufsgeheimnisses keine teleologische Rechtfertigung, dieses nicht zu beachten. Dass damit zugleich das weni­ ger strenge nationale Berufsrecht im Aufnahmestaat zurücktreten muss, ist vom eu­ ropäischen Gesetzgeber gewollt und wegen des Vorrangs des europäischen Rechts auch gegenüber dem Souveränitätsanspruch des nationalen Berufsrechts legitim. Das zurückgedrängte nationale Berufsrecht ist nicht unwirksam, sondern bedarf lediglich der richtlinienkonformen Einschränkung, dass es auf grenzüberschreitend tätige An­ wältinnen und Anwälte nicht anwendbar ist, wenn es dem Berufsrecht des Herkunfts­ staates widerspricht und dessen Schutzzweck seine Anwendung gebietet. Für diesen grenzüberschreitenden Schutz des Anwaltsgeheimnisses spricht auch die Parallelwertung, wonach sich die Reichweite des mit dem berufsrechtlichen Schutz des Anwaltsgeheimnisses korrespondierenden prozessualen Zeugnisverweigerungs­ rechts nicht zwingend nach der lex fori richtet, sondern grundsätzlich nach dem Sta­ tut des Anwaltsvertrages. Hat das Mandatsverhältnis seinen Schwerpunkt im Her­ kunftsstaat, bestimmt sich die Reichweite des Geheimnisschutzes nach dem Recht dieses Staates.187 Anders ist nur zu entscheiden, wenn die Beauftragung der ausländi­ 182 BGBl. 1973, Teil II, S. 1534 ff. 183 Wolf/Hasenstab, BRAK-Mitt. 2010, 150, 154 f. 184 Vgl. auch Gaier/Wolf/Göcken, Einl. 77 („unabdingbare Voraussetzung für die Rechtsbera­ tung“). 185 Vgl. auch Magnus, RabelsZ 77 (2013), 111, 119 f. 186 Zur „Entterritorialisierung“ des Rechts durch internationale und supranationale Koopera­ tionen vgl. Kment, S. 101.  187 Wolf/Hasenstab, BRAK-Mitt. 2010, 150, 156 f.; Gaier/Wolf/Göcken, Einl. 175; aA ist zwar die h.M., der zufolge sich das Zeugnisverweigerungsrecht nach der lex fori richte, weil es

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schen Anwältin oder des ausländischen Anwalts der Umgehung der engeren Grenzen des nationalen Geheimnisschutzes dienen sollte. Hier bestimmt sich die Reichweite der Verschwiegenheitspflicht und des Zeugnisverweigerungsrechts nach dem natio­ nalen Berufsrecht, nicht nach dem Berufsrecht der ausländischen Anwältin oder des ausländischen Anwalts188. Für diese schutzzweckorientierte Lösung des Kollisions­ problems sprechen übereinstimmende Wertungen in Bestimmungen des internatio­ nalen Verfahrensrechts: Gemäß Art. 11 des Haager Übereinkommens über die Be­ weisaufnahme im Ausland in Zivil- und Handelssachen vom 18.3.1970189 wird ein Rechtshilfeersuchen nicht erledigt, soweit die Person, die es betrifft, sich auf ein Recht zur Aussageverweigerung oder ein Aussageverbot beruft, das nach dem Recht des ersuchten Staates oder nach dem Recht des ersuchenden Staates vorgesehen ist. Und nach Art. 14 Abs. 1 lit. a und b der Europäischen Beweisaufnahmeverordnung190 kann sich ein Zeuge ebenfalls auf ein Aussageverweigerungsrecht des ersuchenden und des ersuchten Staates berufen.191 Nach der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundes­ regierung zur Umsetzung der Berufsanerkennungsrichtlinie erstreckt sich das Zeug­ nisverweigerungsrecht des § 53 StPO aus europarechtlichen Gründen auf alle europä­ ischen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, die in Deutschland – und sei es nur vorübergehend – tätig sind192. Da sich somit in den kritischen Fällen mittels teleologischer Erwägungen eindeutig bestimmen lässt, welches Berufsrecht anzuwenden ist, handelt es sich nicht um einen Fall der Pflichtenkollision. Der Anwältin oder dem Anwalt wäre also nach den Regeln des unrechtsausschließenden übergesetzlichen Notstands193 nicht freigestellt, welche der sich widersprechenden Pflichten er erfüllen mag. Sie oder er muss ihre oder seine berufliche Schweigepflicht wahren und darf darauf vertrauen, dass etwaige Aussageoder Meldepflichten im Recht des Aufnahmestaates mit europäischem Recht nicht vereinbar sind. Als Quintessenz ist somit festzuhalten, dass es vom Schutzzweck der jeweiligen Berufsrechtsnormen und dem schutzwürdigen Vertrauen der Mandantin oder des Mandanten auf Achtung ihrer oder seiner Rechte abhängt, ob bei grenzüber­ schreitender Tätigkeit der Anwältin oder des Anwalts das Recht des Aufnahme- oder Herkunftsstaates zur Anwendung kommt. weder ein Naturrecht noch ein Menschenrecht sei und vom jeweiligen Gesetzgeber ent­ sprechend seinen Gewichtungen der beteiligten Interessen gewährt werde (Coester-Waltjen, Rz. 569 ff., 597; Geimer, Rz. 2310; Schack, Rz. 767 ff.); diese Ansicht berücksichtigt aber zu wenig die elementare rechtsstaatliche Funktion des Zeugnisverweigerungsrechts und die damit korrespondierende Verschwiegenheitspflicht von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten sowie deren Anerkennung durch Art. 4 Abs. 4 der RL 77/249/EWG. 188 Wolf/Hasenstab, BRAK-Mitt. 2010, 150, 156 f. 189 BGBl. 1977 Teil II Nr. 54, S. 1472 ff. 190 Verordnung (EG) Nr. 1206/2001, ABl. EG 2001, L 174, S. 1. 191 Wolf/Hasenstab, BRAK-Mitt. 2010, 150, 156 f. mit weiteren Nachweisen zu übereinstim­ menden Regeln des internationalen Verfahrensrechts. 192 BT-Drs. 18/9521, S. 232; die Neufassung des § 53 StPO erfolgte erst mit dem Gesetz zur Neuregelung des Schutzes von Geheimnissen bei der Mitwirkung Dritter an der Berufs­ ausübung schweigepflichtiger Personen, BGBl. 2017, I, 3618. 193 Lackner/Kühl, § 34 StGB Rz. 15 m.w.N.

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C.  Europäische Bestrebungen zur Deregulierung des Berufsrechts I. Initiativen und Hintergründe der europäischen Deregulierungskampagne 1. HIS-Studie und „Monti-Bericht“ Als sich der Europäische Rat auf seiner Sitzung am 23./24.3.2000 in Lissabon darauf verständigte, die Europäische Union zum „wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum in der Welt zu machen“194, war dies zugleich der Startschuss für die bis heute andauernden Bemühungen der Gemeinschaft, Schran­ ken für die Entfaltung der freiberuflichen Dienstleistungen abzubauen. Im Jahre 2002 wurde von der Generaldirektion Wettbewerb bei dem Wiener Institut für Höhere ­Studien (HIS) eine Untersuchung in Auftrag gegeben, die bei ausgewählten freiberuf­ lichen Dienstleistungen, darunter Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten und Wirt­ schaftsprüferinnen und Wirtschaftsprüfern, die Regulierungssysteme in verschiede­ nen Ländern analysieren sollte. Die im Jahre 2003 veröffentlichte Studie der Autoren Paterson, Fink und Ogus kam zu dem Ergebnis, dass ein geringeres Maß an Regu­ lierung eine höhere Wertschöpfung ermögliche und sich eine übermäßige Regulie­ rung zu Lasten der Verbraucherinnen und Verbraucher auswirke.195 Die Kommission machte sich dieses Urteil zu eigen und forderte die Mitgliedstaaten auf, die für nicht gerechtfertigt gehaltenen Beschränkungen aufzuheben und durch weniger restriktive Regeln zu ersetzen. Übermäßige Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit identi­ fizierte die Kommission in folgenden fünf Bereichen: bei verbindlichen Festpreisen in Gebührenordnungen, Preisempfehlungen, Regeln für die Werbung, Zugangsvoraus­ setzungen und ausschließlichen Rechten für bestimmte freie Berufe sowie bei Vor­ schriften für die zulässige Unternehmensform und die berufsübergreifende Zusam­ menarbeit. Im Kern wurde damit argumentiert, verbindliche Festpreise würden den Wettbewerb zu Lasten der Verbraucher beeinträchtigen196. Auf der anderen Seite hielten Festpreise die Anbieter nicht davon ab, qualitativ minderwertige Dienstleistungen zu erbringen. Auch Preisempfehlungen würden sich nachteilig auf den Wettbewerb auswirken. In einigen Ländern – wie zB Finnland, den Niederlanden und Frankreich – seien Preis­ empfehlungen für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte aufgehoben worden, ohne dass schädliche Auswirkungen zu verzeichnen seien.197 Kritisch sieht die Kommission ferner die Werbebeschränkungen, da eine wahrheitsgemäße und objektive Werbung den Verbraucherinnen und Verbrauchern bei der Suche nach preiswerten und quali­ tativ hochwertigen Dienstleistungen helfe198. Qualitative Zugangsbeschränkungen 194 Europäischer Rat, Schlussfolgerungen des Vorsitzes (Lissabon), I Nr. 5.  195 Paterson/Fink/Ogus, Economic Impact of Regulation, S. 127. 196 KOM (2004) 83 endgültig, Rz. 31 ff. 197 KOM (2004) 83 endgültig, Rz. 37 ff. 198 KOM (2004) 83 endgültig, Rz. 42 ff.

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werden zwar grundsätzlich anerkannt, da sie sicherstellen, dass nur Berufs­angehörige mit einer entsprechenden Qualifikation und Kompetenz bestimmte A ­ ufgaben erfül­ len dürfen. Aber übermäßige Beschränkungen würden die Auswahl der Verbrauche­ rinnen und Verbraucher einschränken, örtliche Monopolstellungen schaffen und zu  höheren Preisen führen, ohne die Qualität zu verbessern199. Weniger komplexe Dienstleistungen, wie sie zB bei Eigentumsübertragungen erforderlich seien, dürften nicht Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten oder Notarinnen und Notaren vorbe­ halten werden, sondern könnten von weniger qualifizierten Dienstleisterinnen und Dienstleistern erbracht werden. In der HIS-Studie wird hervorgehoben, dass es im Vereinigten Königreich jedermann erlaubt sei, Rechtsrat zu erteilen. Nur die Übertra­ gung von Immobilien und die Vertretung vor Gericht seien Juristinnen und Juristen vorbehalten200. Schließlich befürwortet die Kommission weniger einschneidende Maßnahmen bei Vorschriften, welche die Zusammenarbeit mit Angehörigen anderer Berufe reglementieren und Kapitalbeteiligungen verbieten bzw. beschränken201. In einem viel beachteten Vortrag vor der Bundesrechtsanwaltskammer am 21.3.2003 stellte der damalige Wettbewerbskommissar Mario Monti die Studie vor und machte sich deren Grundtenor zu eigen, wonach übermäßige Regulierung den Wettbewerb bei Rechtsdienstleistungen beeinträchtige und damit dem Verbraucher schade.202 Die dem Bericht der Kommission zugrunde gelegte HIS-Studie wurde mit Recht kri­ tisiert203, weil sie fundamentale methodische Mängel aufweise. Bereits der Ausgangs­ punkt, dass eine geringe Regulierungsdichte zu besseren Ergebnissen für die Verbrau­ cherinnen und Verbraucher und in volkswirtschaftlicher Hinsicht, nämlich zu einer höheren Produktivität, führe, ist in hohem Maße angreifbar, da sie die Gemeinwohl­ funktion des Berufsrechts vernachlässigt. Das Berufsrecht schafft Rahmenbedin­ gungen für qualitativ hochwertige Rechtsdienstleistungen und eine vertrauensvolle Beziehung zwischen Anwältin oder Anwalt und Mandantinnen und Mandanten, die möglichst frei von Interessenkollisionen ist und einen effektiven Zugang zum Recht ermöglicht. Im Detail listeten Henssler/Kilian eine Reihe von Schwächen der Studie auf, so dass es heute als gesicherter Standard angesehen werden kann, dass die Studie und der darauf aufbauende Bericht der Kommission keine belastbaren Argumente für die angestrebte Deregulierung lieferten. Aus der Fülle der Einwände sei nur herausgegriffen, dass die als idealtypisch angese­ henen Bedingungen auf dem Rechtsdienstleistungsmarkt in Finnland näherer Prü­ fung nicht standhielten. Finnische Rechtsschutzversicherer waren jedenfalls nicht ohne Weiteres bereit, die Rechtsverfolgung Personen anzuvertrauen, die nicht über die Qualifikation einer Anwältin oder eines Anwalts verfügen. Und nach dem Be­ kanntwerden von Missständen beschloss auch der Gesetzgeber, dass nur Mitglieder des Anwaltsverbandes oder gleichwertig qualifizierte Personen vor Gericht auftreten 199 KOM (2004) 83 endgültig, Rz. 48 ff. 200 KOM (2004) 83 endgültig, Fn. 117 unter 7.3. (= S. 157). 201 KOM (2004) 83 endgültig, Rz. 59 ff. 202 Monti, Competition in Professional Services, S. 9 f.; vgl. dazu Hellwig, BRAK-Mitt. 2004, 19 f. 203 Eingehend Henssler/Kilian, AnwBl 2005, 1 ff.; ders., BB 2004, Heft 22, Erste Seite; zustim­ mend und vertiefend Nuckelt, 37 ff.

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dürfen204. Bei den in der Studie kritisch bewerteten festen Tarifen für die gerichtliche Vertretung wurde übersehen, dass die Subventionierung der Prozesskosten bei nied­ rigeren Streitwerten den Zugang zum Gericht erleichtert. Außerdem bilden die Tarife die Berechnungsgrundlage für die Kostenerstattung der obsiegenden Partei im Zivil­ prozess und verhindern als Mindestvergütung, dass die Mandantin oder der Mandant eine höhere Anwaltsvergütung erstattet bekommt als sie oder er seiner Rechtsanwäl­ tin oder seinem Rechtsanwalt schuldet.205 Auch die Nachfolgestudie des Zentrums für Europäische Rechtspolitik206, die sich auf den Dienstleistungsmarkt für Grundstücksübertragungen konzentriert, kommt zu dem Ergebnis, dass ein hohes Regulierungsniveau nicht zu einer höheren Qualität der Rechtsdienstleistungen führe. Aus dem Rahmen fällt allerdings Deutschland, das trotz hoher Regulierungsdichte ein hohes Qualitätsniveau in Bezug auf Rechtssicher­ heit und Transaktionskosten vorweisen kann207. Insofern ist auch die Aussagekraft dieser Studie begrenzt208. 2. Das europäische Wettbewerbsrecht als Instrument zur Deregulierung des nationalen Berufsrechts Im Anschluss an die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Wouters vom 19.2.2002209 ging die Kommission davon aus, dass es sich bei der Regulierung durch berufsständische Organisationen um „Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen“ handele. Da Art. 101 AEUV (ex Art. 81 EGV) solche Beschlüsse verbietet, wenn sie den Wettbewerb beschränken, sah die Kommission in der Anwendung des europä­ ischen Wettbewerbsrechts ein geeignetes Instrument, um berufsrechtliche Vorschrif­ ten auf den Prüfstand zu stellen, die den Wettbewerb beeinträchtigen. Allerdings war dieses Instrument nicht so durchschlagskräftig wie von der Kommission erhofft210. Im Fall Wouters hatte der EuGH das in einer von der niederländischen Rechts­ anwaltskammer erlassenen Verordnung enthaltene Verbot einer Sozietät zwischen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten und Wirtschaftsprüferinnen und Wirt­ schaftsprüfern im Ergebnis gebilligt, weil es die Regelung als erforderlich ansah, um die ordnungsgemäße Ausübung des Anwaltsberufs sicherzustellen. Erforderlich seien Regelungen, die den „Empfängern juristischer Dienstleistungen und der Rechtspflege die erforderliche Gewähr für Integrität und Erfahrung bieten“ sollen211. Anders als im deutschen Recht212 unterlagen Wirtschaftsprüferinnen und Wirtschaftsprüfer in den Niederlanden keiner Verschwiegenheitspflicht, so dass die Gefahr bestand, dass An­ 204 Henssler/Kilian, AnwBl 2005, 1, 3 f. 205 Henssler/Kilian, AnwBl 2005, 1, 8. 206 Schmidt, ZERP 2007. 207 Schmidt, ZERP 2007, S. 19, 24 f. 208 Kritisch auch G’Giorgis, S. 88 f. 209 EuGH, Urt. v. 19.2.2002 – C-309/99, NJW 2002, 877, 879 Rz. 64 (Wouters). 210 Vgl. auch Lörcher, BRAK-Mitt. 2008, 2, 3 f. 211 EuGH, Urt.v.19.2.2002 – C-309/99, NJW 2002, 877, 881 Rz. 97 (Wouters). 212 Vgl. § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB; § 43 Abs. 1 S. 1 WPO. – Zum Schutz von Mandantengeheim­ nissen durch Sozien s. unten im Text unter C II 3 c cc).

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wältinnen und Anwälte in einer solchen Sozietät nicht mehr in der Lage waren, ihre Mandantinnen und Mandanten unabhängig und unter Wahrung eines strengen Be­ rufsgeheimnisses zu vertreten.213 Eine weitere Einschränkung machte der EuGH in der Rechtssache Arduino214. Die streitgegenständliche italienische Gebührenordnung für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, die Mindest- und Höchstpreise für Rechtsdienstleistungen vorschrieb und vom Nationalen Rat der Rechtsanwälte (Consiglio Nazionale Forense, CNF) erlas­ sen wurde, stellte nach Ansicht des EuGH keinen Beschluss einer Unternehmensver­ einigung dar, weil der Staat nicht auf seine Letztentscheidungsbefugnis verzichtet hatte. Die Gebührenordnung des CNF war lediglich ein Vorschlag ohne Bindungs­ wirkung und bedurfte der Genehmigung durch den Justizminister, der vorher Stel­ lungnahmen zweier staatlicher Organe, des Staatsrats und eines interministeriellen Preisausschusses, des Comitato interministeriale dei prezzi, einholen musste. Außer­ dem wurden die Gebühren vom Gericht unter Berücksichtigung der in der Ermäch­ tigungsnorm vorgeschriebenen Maßstäbe sowie der Schwierigkeit und der Anzahl der Probleme festgesetzt. In einem solchen Fall, in dem der Staat seine Verantwortung nicht auf private Wirtschaftsteilnehmer übertragen hat, hielt der EuGH die Anwen­ dung von Art. 81 EGV (jetzt 101 AEUV) nicht für gerechtfertigt215. Die Urteile zeigen, dass der Rückgriff auf Art.  101 AEUV kein besonders scharfes Instrument sein würde, um die angestrebte Deregulierung effektiv durchzusetzen. Regelungen, die dem Staat zuzurechnen sind, können nicht als Wettbewerbsabreden privater Unternehmen aufgefasst werden. Selbst wenn man den Anwendungsbereich des Art.  101 AEUV für eröffnet sähe, hielten Regelungen, die zur Sicherung einer ordnungsgemäßen Berufsausübung erforderlich sind, einer Kontrolle stand. Dement­ sprechend verlagerte sich die Diskussion um eine mögliche Deregulierung des natio­ nalen Berufsrechts alsbald vom europäischen Wettbewerbsrecht auf die Grundfrei­ heiten. 3. Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit als Instrumente zur Deregulierung des Berufsrechts In einem Urteil216, das ebenfalls die italienische Gebührenregelung zum Gegenstand hatte, bestätigte der EuGH zwar die in der Rechtssache Arduino217 aufgestellten Grundsätze, prüfte aber nun auch die Verletzung der Dienstleistungsfreiheit gem. Art. 56 AEUV (ex Art. 49 EGV). Artikel 49 EGV (Art. 56 AEUV) verbiete nicht nur eine Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit, sondern gebiete auch die Aufhebung aller Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit, selbst wenn sie unter­ schiedslos für in- und ausländische Dienstleistende gelten würden.218 Die bindende 213 EuGH, Urt. v. 19.2.2002 – C-309/99, NJW 2002, 877, 881 Rz. 104 f. (Wouters). 214 EuGH, Urt. v. 19.2.2002 – C-35/99, NJW 2002, 882 (Arduino). 215 EuGH, Urt. v. 19.2.2002 – C-35/99, NJW 2002, 882 Rz. 40 ff. (Arduino). 216 EuGH, Urt. v. 5.12.2006 – C-94/04, NJW 2007, 281 (Cipolla). 217 EuGH, Urt. v. 19.2.2002 – C-35/99, NJW 2002, 882 (Arduino). 218 EuGH, Urt. v. 5.12.2006 – C-94/04, NJW 2007, 281, 284 f. Rz. 58 ff. (Cipolla).

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Festlegung von Mindesthonoraren nehme Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten, die in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen sind, die Möglichkeit, durch gerin­ gere Honorarforderungen solchen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten wirksa­ mer Konkurrenz zu machen, die in dem betreffenden Mitgliedstaat niedergelassen sind und denen es daher leichter fällt, sich einen Mandantenstamm aufzubauen. Au­ ßerdem werde die Auswahl der Dienstleistungsempfängerinnen und Dienstleistungs­ empfänger in Italien beschränkt, da es keiner Rechtsanwältin und keinem Rechts­ anwalt gestattet sei, Leistungen zu einem geringeren Preis anzubieten. Trotz dieser Restriktionen war damit nicht zwangsläufig entschieden, dass die Dienstleistungsfrei­ heit verletzt sei. Eine Beschränkung der Grundfreiheiten ist nach der Rechtsprechung des EuGH zu­ lässig, wenn diese zwingenden Gründen des Allgemeinwohls entspricht, geeignet ist, die Verwirklichung des mit ihm verfolgten Zieles zu gewährleisten, und nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist219. Die Prüfung, ob dies der Fall ist und die angegriffene Regelung tatsächlich den Zielen des Verbrau­ cherschutzes und der geordneten Rechtspflege Rechnung trage und verhältnismäßig sei, überließ der EuGH dem nationalen Gericht. Dazu kam es nicht mehr, weil die Regelung über die Festsetzung von Mindestgebühren durch das Decreto Bersani Nr. 223 abgeschafft wurde.220 Gemessen an den vom EuGH aufgestellten Maßstäben erweisen sich die Regelungen, die im Fokus der Brüsseler Kommission standen, als europarechtskonform. Zu die­ sem Ergebnis kam auch die Satzungsversammlung bei der Bundesrechtsanwaltskam­ mer, die sich der Aufgabe des Normenscreenings für die ihrem Kompetenzbereich zugehörigen Vorschriften angenommen hat. 4. Durchführung und Ergebnisse des von der allgemeinen Dienstleistungs­ richtlinie 2006/123/EG geforderten Normenscreenings Art. 39 der allgemeinen Dienstleistungsrichtline 2006/123/EG vom 12.12.2006 ver­ pflichtete die Mitgliedsstaaten, ihr nationales Recht auf Gemeinschaftsrechtskonfor­ mität zu prüfen und der Kommission Bericht zu erstatten. Diese Verpflichtung bezog sich auf Genehmigungen, Anforderungen, die u.a. die Aufnahme der Dienstleis­ tungstätigkeit bestimmten Dienstleistungserbringern vorbehalten oder die Beach­ tung von festgesetzten Mindest- und/oder Höchstpreisen verlangen, sowie auf Be­ schränkungen für multidisziplinäre Tätigkeiten. Die Satzungsversammlung richtete am 18.1.2008 einen Unterausschuss ein, der Hans-Jürgen Hellwig zum Vorsitzenden bestimmte221. Nach insgesamt acht Sitzungen legte der Ausschuss einen Bericht vor und verzichtete zwar „offiziell“ auf Empfehlungen zur Streichung oder Änderung von 219 EuGH, Urt. v. 5.12.2006 – C-94/04, NJW 2007, 281, 285 Rz. 61 (Cipolla); s. bereits EuGH, Urt. v. 5.6.1997  – C-398/95, Slg. 1997, I-3091 Rz.  21 (SETTG) und Urt. v. 30.3.2006  – C-451/03, BeckRS 2006, 70279 Rz. 37 (Servizi Ausiliari Dottori Commercialisti). 220 Schulze-Lauda, EuZW 2006, 676. 221 SV-Mat. 05/2009, S. 4.

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Satzungsbestimmungen222, gab aber der Sache nach unmissverständliche Hinweise auf gemeinschaftsrechtliche Bedenken223. Kritisch bewertete die Mehrheit im Unter­ ausschuss u.a. das in § 6 BORA a.F. vorgesehene Verbot der Angabe von Erfolgs- und Umsatzzahlen, die Beschränkung der Werbung auf bestimmte Medien und das Erfor­ dernis der ausdrücklichen Einwilligung der Mandantin oder des Mandanten bei Hin­ weisen auf Mandanten und Mandate224, das in § 7a BORA vorgesehene Erfordernis, dass die oder der als Mediatorin oder Mediator tätige Anwältin oder Anwalt ihre oder seine Qualifikation nur durch geeignete Ausbildung nachweisen kann, das in §  8 BORA a.F. enthaltene Verbot der Kundgabe lediglich punktueller Zusammenarbeit mit anderen Berufsträgern, die Beschränkung für Kurzbezeichnungen auf Fälle der gemeinschaftlichen Berufsausübung (§ 9 BORA a.F.), das Erfordernis, auf Briefbögen die Namen sämtlicher Gesellschafter anzugeben (§ 10 BRAO), das ausnahmslose Ver­ bot der Umgehung der Gegenanwältin oder des Gegenanwalts (§ 12 BRAO), das Ver­ bot der Beteiligung Dritter am wirtschaftlichen Ergebnis anwaltlicher Tätigkeit (§ 27 BORA) sowie die als unverhältnismäßig angesehene Beschränkung der beruflichen Zusammenarbeit mit anderen Berufen durch die Bedingung, dass diese auch das an­ waltliche Berufsrecht beachten (§§ 30, 33 BORA), insbesondere soweit dies auch für Zusammenschlüsse mit ausländischen Berufsträgern gelten soll. Von den Bestim­ mungen der FAO wurde insbesondere § 3 als änderungsbedürftig angesehen, da die Verleihung der Fachanwaltsbezeichnung eine dreijährige Zulassung voraussetzt und dadurch europäische Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte diskriminiert würden, die nicht zur Anwaltschaft „zugelassen“, sondern gem. § 2 EuRAG von der zuständi­ gen Kammer aufgenommen werden. Eine Minderheit der Mitglieder des Unterausschusses gab eine abweichende Stellung­ nahme ab und bestritt die Anwendbarkeit der allgemeinen Dienstleistungsrichtlinie sowie die Unverhältnismäßigkeit der von der Mehrheit kritisierten Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit.225 In der 4.  Sitzung der 4.  Satzungsversammlung vom 6./7.11.2009226 wurden Änderungsanträge zu den §§ 6, 7a BORA abgelehnt227 und die Richtlinienkonformität der §§ 10, 12, 27 BORA festgestellt. Die deutliche Mehrheit hielt am Verbot der Werbung mit Umsatzzahlen und am erforderlichen Nachweis ei­ ner geeigneten Ausbildung für die als Mediatorin tätige Rechtsanwältin oder den als Mediator tätigen Rechtsanwalt fest. § 27 BORA sichere die Unabhängigkeit der An­ wältin und des Anwalts. Änderungsanträge zu den §§ 5, 8, 9, 29, 30 BORA wurden zur weiteren Beratung in die fachlich zuständigen Ausschüsse verwiesen. Zu § 33 BORA wurde der Beschluss 222 SV-Mat. 05/2009, S. 4. 223 SV-Mat. 05/2009, S. 42 („gemeinschaftsrechtlich unhaltbar“). 224 SV-Mat. 05/2009, S. 36 ff.; vgl. auch OLG Nürnberg, Urt. v. 22.6.2004 – 3 U 334/04, NJW 2004, 2167. 225 SV-Mat. 06/2009 (Benckendorff, Scharmer und Westenberger); dazu oben im Text unter B III 1 und 2 c cc. 226 SV-Mat. 47/2009, S. 12 ff. 227 § 7a BORA wurde in der heute maßgebenden Fassung auf der 3. Sitzung der 5. Satzungs­ versammlung beschlossen, SV-Mat. 41/2012, S. 25.

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gefasst, die Norm auf inländische Berufsträger und Zusammenschlussformen zu be­ schränken. Erfolgreiche Änderungsbeschlüsse gab es zu den §§ 6 Abs. 2 S. 2 und 10 Abs. 1, 3 BORA. Hinweise auf Mandate und Mandantinnen und Mandanten sind nun zulässig, soweit die Mandantin oder der Mandant ausdrücklich eingewilligt hat. Die Beschränkung der Kundgabe auf bestimmte Werbemedien wurde gestrichen228. Die 5. Satzungsversammlung beschloss, dass die Angabe von Erfolgs- und Umsatzzahlen unzulässig sei, wenn sie irreführend ist229. Die Mehrheit hielt es für sinnvoll, das ­anwaltliche Werberecht nicht ausschließlich dem Wettbewerbsrecht zu überlassen, sondern den effektiveren, kostengünstigeren Weg zur sachnäheren Berufsaufsicht und -gerichtsbarkeit offenzuhalten. In § 10 BORA wird daran festgehalten, dass die Namen sämtlicher Gesellschafter auf den Briefbögen angegeben werden müssen. Die Beden­ ken, dass es sich um eine „tote Norm“ handle230, teilte die Mehrheit nicht. Absatz 1 der Vorschrift bestimmt nunmehr darüber hinaus, dass die Rechtsanwältin oder der Rechtsanwalt auf Briefbögen seine Kanzleianschrift anzugeben hat, um deren oder dessen Identifizierung zu ermöglichen und Interessenkollisionslagen zu erkennen231. Werden mehrere Kanzleien, eine oder mehrere Zweigstellen unterhalten, ist für jeden auf den Briefbögen Genannten ihre oder seine Kanzleianschrift anzugeben. Auf der 5. Sitzung der 4. Satzungsversammlung am 25./26.6.2010 wurden § 8 und § 9 BORA auf Vorschlag des zuständigen Ausschusses 2 in der heute gültigen Form geän­ dert. Einerseits wird daran festgehalten, dass aus Gründen der Firmenwahrheit und Firmenklarheit auf eine Verbindung zur gemeinschaftlichen Berufsausübung nur hingewiesen werden darf, wenn diese in Sozietät oder in sonstiger Weise mit Angehö­ rigen der in § 59a BRAO genannten Berufe erfolgt. Damit ist klargestellt, dass auch eine lediglich punktuelle Zusammenarbeit bekanntgemacht werden darf, sofern nicht der Eindruck einer gemeinschaftlichen Berufsausübung erweckt wird232. Bei der Neu­ fassung von § 9 BORA wurde die Beschränkung der Führung von Kurzbezeichnun­ gen auf die gemeinschaftliche Berufsausübung aufgeboben. Dabei besteht jedoch die Verpflichtung, die Kurzbezeichnung einheitlich zu führen, um zu verhindern, dass bestehende Haftungsgemeinschaften verschleiert werden233. Im Ergebnis hat die Diskussion der Europarechtskonformität zu einer sinnvollen, moderaten Anpassung der Berufsordnung und der FAO an die Anforderungen des Unionsrechts geführt. Eine „offensichtliche Europarechtswidrigkeit“ von Normen hat die Satzungsversammlung jedoch nicht festgestellt und dementsprechend auch nicht der Kommission vermeldet234. Obwohl auch das Justizministerium der BRAO Euro­ parechtskonformität bescheinigte, ist die im Schrifttum lebhaft geführte Diskussion um die großen Themen des Berufsrechts (Fremdbesitzverbot, multidisziplinäre Ge­ sellschaften, Werbe- und Gebührenrecht) längst nicht abgeschlossen. Letzte Klarheit 228 SV-Mat. 47/2009, S. 40. 229 SV-Mat. 38/2014, S. 38 ff., 42.  230 So die Mehrheit im Unterausschuss Normenscreening, SV-Mat. 05/2009, S. 44. 231 SV-Mat. 47/2009, S. 41. 232 SV-Mat. 06/2010, S. 33. 233 SV-Mat. 06/2010, S. 35 f. 234 SV-Mat. 06/2010, S. 6.

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wird hier erst die Rechtsprechung des EuGH bringen. Für diese Verfahren gilt es wei­ terhin, Argumente zu sammeln. 5. Panteia-Studie und die neue Binnenmarktstrategie der EU-Kommission Die von der europäischen Kommission in Auftrag gegebene Panteia-Studie aus dem Jahre 2012235 wurde von Wissenschaftlern der Universität Maastricht durchgeführt und hatte zum Ziel, Schwierigkeiten und Hindernisse bei der Umsetzung der anwaltli­ chen Dienstleistungs- und Niederlassungsrichtlinie zu ermitteln. Grundlage waren vor allem Befragungen der berufsständischen Organisationen und von Anwältinnen und Anwälten. Im Ergebnis stellte sich heraus, dass vor allem die vorübergehende grenz­ überschreitende Tätigkeit als erfolgreich anzusehen ist, während die Niederlassung vor allem dann Schwierigkeiten bereitet, wenn der Weg einer dreijährigen effektiven und regelmäßigen Tätigkeit im Aufnahmestaat im Recht dieses Mitgliedstaates gem. Art. 10 der Rechtsanwaltsniederlassungsrichtlinie 98/5/EG beschritten wird236. Hier sei oft unklar, welche Anforderungen vom jeweiligen Aufnahmestaat gestellt werden. Indes­ sen dürfte es sich angesichts der unterschiedlichen Komplexität von Fällen verbieten, konkrete Fallzahlen vorzuschreiben, so dass sich eine Änderung von § 11 EuRAG eher nicht empfiehlt237. Hilfreich wäre es jedoch, wenn von den Kammern und von der Bundesrechtsanwaltskammer über die rechtlichen Rahmenbedingungen möglichst transparent und öffentlichkeitswirksam informiert würde. Dazu gehört auch die Be­ kanntgabe von Musterfällen erfolgreicher und nicht erfolgreicher Zulassungsanträge. Als Hindernis erweist sich ferner die Forderung nach einer zusätzlichen Versiche­ rung, auf die im Falle unzumutbarer Belastungen in Deutschland verzichtet werden kann, wenn die Mandantin oder der Mandant auf das Risiko hingewiesen wird. Wür­ de diese Lösung vereinheitlicht, wäre das Hindernis deutlich verringert, wenn nicht beseitigt. Schließlich erweise sich das System der „double deontology“ als Erschwernis der grenzüberschreitenden Tätigkeit – und zwar bei vorübergehender Tätigkeit eben­ so wie im Falle der Niederlassung. Die Studie empfiehlt die Anwendung des Berufs­ rechts des Zielstaates im Falle einer Niederlassung und des Rechts des Herkunftsstaa­ tes bei vorübergehender grenzüberschreitender Tätigkeit238. Handlungsbedarf besteht hier in der Tat, doch liegt die Ursache in den Richtlinien bzw. der fehlenden Einigkeit der Mitgliedstaaten begründet, so dass dem nationalen Gesetzgeber die Hände gebunden sind. Nach der hier vertretenen Auffassung lassen sich die meisten Probleme der kollidierenden Berufsregeln durch teleologisch be­ gründete Vorrangregeln beheben. Der von der Panteia-Studie vorgeschlagene Aus­ weg, bei vorübergehender Auslandstätigkeit nur das Berufsrecht des Herkunftsstaates anzuwenden, bei dauerhafter und kontinuierlicher Tätigkeit im Aufnahmestaat des­ sen Berufsrecht239, lässt Schutzlücken, die im Interesse der Mandantinnen und Man­ 235 Panteia-Institut (Hrsg.); als Berater hat Hans-Jürgen Hellwig an der Studie mitgewirkt. 236 Panteia-Institut (Hrsg.), S. 12. 237 Ebenso Feuerich/Weyland/Schwärzer, § 11 EuRAG Rz. 3. 238 Panteia-Institut (Hrsg.), S. 98 ff., 107. 239 Panteia-Institut (Hrsg.), S. 11, 107.

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danten und der Rechtspflege nicht toleriert werden sollten.240 Diskutiert werden schließlich eingehend die nationalen Beschränkungen für multidisziplinäre Berufs­ ausübungsgesellschaften und für nichtanwaltliche Beteiligungen vor dem Hinter­ grund von Art. 11 Abs. 5 der Niederlassungsrichtlinie. Im Ergebnis werden die von der Richtlinie anerkannten Beschränkungen im nationalen Recht noch als angemes­ sen angesehen241. Am 28.10.2015 hat die Europäische Kommission in einer Mitteilung u.a. an das Euro­ päische Parlament die Absicht bekräftigt, den Binnenmarkt weiter auszubauen. Für die Anwaltschaft ist von besonderem Interesse, dass der europäische Gesetzgeber am 28.6.2018 eine Richtlinie erlassen hat, welche die Mitgliedstaaten dazu zwingt, vor Erlass neuer Berufsreglementierungen eine Verhältnismäßigkeitsprüfung durchzu­ führen, die sich an den Grundsätzen des EuGH orientiert242. Durch die detaillierte Festlegung eines Analyserasters erhofft sich Brüssel eine leichter nachprüfbare Sub­ stantiierung der Verhältnismäßigkeitsprüfung. Im Rahmen von Konsultationen, die im Anschluss an eine Evaluierung der nationalen Vorschriften zum Berufszugang durchgeführt wurden, hat die BRAK Stellung bezogen und darauf hingewiesen, dass in Deutschland von Legislative und Judikative ohnehin vor jeder Maßnahme bzw. Entscheidung eine Prüfung vorgenommen werde, die fast deckungsgleich mit der vom EuGH praktizierten Verhältnismäßigkeitsprüfung sei243. Der Nutzen eines Ana­ lyserasters dürfte in der Tat begrenzt sein, ist freilich unschädlich. Die Zulässigkeit gesellschaftsrechtlicher Beschränkungen hat zuletzt auch im natio­ nalen Schrifttum eine intensive Diskussion über die Verfassungs- und Europarechts­ konformität des anwaltlichen Gesellschaftsrechts ausgelöst. Ihr gilt daher im Folgen­ den das Hauptaugenmerk. Daneben sollen noch die schon im Monti-Bericht als reformbedürftig angesehen Problemfelder – Gebührenrecht, Werbung, Anwaltsmo­ nopol und Kammersystem – erörtert werden.

II. Problemfelder der Unionsrechtskonformität im nationalen Berufsrecht 1. Unionsrechtskonformität des Gebührenrechts a) Rechtfertigung von Mindestpreisen Anders als im früheren italienischen Gebührenrecht, das den Urteilen des EuGH in den Fällen Arduino und Cipolla zugrunde lag, gibt es nach dem RVG keine verbindli­ chen Festpreise für die außergerichtliche Rechtsberatung. Festpreise stoßen auf mas­ 240 Vgl. dazu schon oben im Text unter B III 2 f cc. 241 Panteia-Institut (Hrsg.), S. 226. 242 RL (EU) 2018/958 v. 28.6.2018, ABl.EU L 173/25; vgl. im Vorfeld die Schlussfolgerungen des Rates zur „Binnenmarktstrategie für Dienstleistungen und Waren“ v. 29.2.2016 − 6622/16 und die Mitteilungen der Kommission v. 10.1.2017, COM (2016) 820 final, S. 6; vgl. dazu auch Michel, AnwBl 2017, 128, 134 f. 243 Stellungnahme Nr. 27/2016, S. 7.

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sive Bedenken seitens der Kommission. Dies beruht nicht nur auf dem Umstand, dass in den meisten Ländern die Vergütung der anwaltlichen Dienstleistung frei ausge­ handelt werden kann, sondern auch aus prinzipiellen Bedenken gegen die Tragfähig­ keit einzelner Rechtfertigungsversuche. So wird bezweifelt, dass eine Preisregulierung tatsächlich einen kostengünstigeren Zugang zum Recht gewährleiste. Nach der Wirt­ schaftstheorie führe Preisregulierung auf einem sonst wettbewerbsfähigen Markt nicht zu Preisen, die unter den Wettbewerbspreisen lägen. Skepsis begleitet auch das Argument, dass ohne Festpreise ein ruinöser Wettbewerb mit entsprechenden Quali­ tätseinbußen bei der anwaltlichen Beratung drohe. Festpreise, so die Einschätzung der Kommission, würden Berufsangehörige nicht davon abhalten, qualitativ minder­ wertige Dienstleistungen zu erbringen. 244 Überzeugend sind diese Einwände nicht. Die Freigabe der Anwaltsgebühren hatte in England und Wales sowie in Italien einen Anstieg der Gebühren zur Folge245. In den schwächer regulierten skandinavischen Ländern liegen die Rechtsanwaltskosten deutlich über denen in Deutschland246. Auf der anderen Seite besteht für die einzelne Anwältin oder den einzelnen Anwalt bei einem harten Wettbewerb die Versuchung, mit nicht kostendeckenden Preisen Kunden zu werben und zur Vermeidung von Ein­ kommensdefiziten am Bearbeitungsaufwand zu sparen. Angesichts der unbestritte­ nen Informationsasymmetrie zwischen Rechtsanwältin oder Rechtsanwalt und Man­ dantinnen und Mandanten bedarf es einer Schranke, die ein solches race to the bottom verhindern kann. Dagegen spricht nicht, dass es auch bei angemessenen Preisen An­ wälte gibt, die keine qualitativ hochwertige Arbeit leisten, da bei einem Kostendruck ein zusätzliches Gefährdungspotential besteht. Der Umstand, dass ein solcher Prozess nicht eingesetzt hat, seit auch in Deutschland bei außergerichtlicher Beratung die Vergütung frei vereinbart werden kann, dürfte damit zusammenhängen, dass die ge­ setzlichen Gebühren weiterhin als Orientierungsrahmen dienen und subsidiär zur Anwendung kommen, wenn man sich auf Honorarvereinbarungen nicht verständigt bzw. nicht verständigen kann. b) Tarifierung als Verbot von Erfolgsvereinbarungen Die noch bestehenden Beschränkungen für Gebührenvereinbarungen bei der ge­ richtlichen Vertretung von Mandantinnen und Mandanten sowie bei Erfolgshonora­ ren werden zum Teil auch kritisch gesehen. Das prinzipielle Verbot von Erfolgsver­ einbarungen gem. § 49b BRAO wird damit gerechtfertigt, dass die Unabhängigkeit der Rechtsanwältin oder des Rechtsanwalts gefährdet sei, wenn zwischen den Interes­ sen der Mandantin oder des Mandanten und ihrem oder seinem ökonomischen In­ teresse Parallelität herrsche. Wenn die Rechtsanwältin oder der Rechtsanwalt nur im Erfolgsfalle das Honorar oder Teile davon bekomme, bestehe  – wie auch das Bun­ desverfassungsgericht anerkennt − die Gefahr, dass die Rechtsanwältin oder der Rechtsanwalt den Erfolg „um jeden Preis“ anstrebe. Außerdem schütze das Verbot 244 Mitteilungen der Kommission, KOM (2004) 83 endg., S. 11 f. 245 Vgl. den Tagungsbericht von Schulze-Lauda, EuZW 2006, 676 f. 246 Von Seltmann, BRAK-Mitt. 2008, 118 f.; G’Giorgis, S. 103.

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den Mandanten vor überhöhten Honorarforderungen. Wegen der Asymmetrie der Informationsverteilung zwischen Anwältin oder Anwalt und Mandantinnen und Mandanten könne eine unredliche Anwältin oder ein unredlicher Anwalt über die wahren Erfolgsaussichten oder die Schwierigkeit des Falles täuschen und so die Man­ dantinnen und Mandanten zu einem erhöhten Honorar überreden247. Allerdings hielt das BVerfG das ausnahmslose Verbot des Erfolgshonorars für unverhältnismäßig, weil es u.U. Mandantinnen und Mandanten von der gerichtlichen Durchsetzung ihrer Rechte abhalten könnte.248 Inzwischen ist die Verfassungskonformität der Regelung her­gestellt, da § 4a Abs. 1 RVG die Vereinbarung eines Erfolgshonorars erlaubt, wenn ein Mandant „aufgrund seiner wirtschaftlichen Verhältnisse bei verständiger Be­ trachtung ohne die Vereinbarung eines Erfolgshonorars von der Rechtsverfolgung abgehalten würde“. Allerdings stößt auch die Neuregelung auf Kritik, weil die Ausnahme für Rechtsan­ wältinnen und Rechtsanwälte nur schwer zu kalkulieren sei und alle anderen Länder die Vereinbarung eines Erfolgshonorars erlauben würden, ohne dass es Hinweise gebe, dass die Unabhängigkeit der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte dort beein­ trächtigt sei.249 Für Beeinträchtigungen der anwaltlichen Unabhängigkeit ist es frei­ lich typisch, dass diese nicht offen zu Tage treten. Es ist daher kein zwingendes Argu­ ment gegen die auf der Hand liegende Gefährdung der Mandanteninteressen, dass es an entsprechenden Hin- bzw. Nachweisen mangelt. Auch dürfte sich die Rechtsunsi­ cherheit in Grenzen halten, wenn festzustellen ist, ob ausnahmsweise ein legitimes wirtschaftliches Interesse an der Vereinbarung eines Erfolgshonorars besteht. Nach der zutreffenden Beurteilung durch das BVerfG besteht ein anerkennenswertes Be­ dürfnis für ein Erfolgshonorar bereits dann, wenn die Mandantin oder der Mandant nicht bereit ist, Kostenrisiken einzugehen, auch wenn sie oder er nicht im strengen Sinne bedürftig ist250. Bei verfassungskonformer Auslegung des § 4a RVG dürfte da­ her eine Rechtsanwältin oder ein Rechtsanwalt auf der sicheren Seite sein, wenn sie oder er – auf der Grundlage der Angaben der Mandantin oder des Mandanten – plau­ sibel darlegen kann, dass diese oder dieser das Risiko eines Prozesses ohne das verein­ barte Erfolgshonorar nicht auf sich genommen hätte. Auch europarechtlich besteht kein Grund, einen strengeren Maßstab anzulegen. c) Tragfähigkeit der Quersubventionierung Die Verbindlichkeit der gesetzlichen Gebühren bei der Vertretung der Mandantinnen und Mandanten vor Gericht wird damit gerechtfertigt, dass einkommensschwache 247 Klar herausgearbeitet von BVerfG, Beschl. v. 12.12.2006 – 1 BvR 2576/04, BVerfGE 117, 163, 184 f.; kritisch Kilian, ZRP 2003, 90 ff.; Hartung/Weberstaedt, AnwBl 2015, 840, 842 f., die auch ohne Erfolgshonorar einen Anreiz für Anwältinnen und Anwälte erkennen, Pro­ zesse zu gewinnen; das ist zwar im Prinzip richtig, aber ein wesentlicher Unterschied zum nicht erfolgsbezogenen Honorar dürfte darin bestehen, dass Anwältinnen und Anwälte dieses auch bei einem verlorenen Prozess erhalten. 248 BVerfG, Beschl. v. 12.12.2006 – 1 BvR 2576/04, BVerfGE 117, 163, 193 ff. 249 Henssler/Prütting/Kilian, § 49b BRAO Rz. 155 f. 250 BVerfG, Beschl. v. 12.12.2006 – 1 BvR 2576/04, BVerfGE 117, 163, 195.

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Bürger von der Durchsetzung der Ansprüche nicht durch zu hohe Anwaltsgebühren bei niedrigen Streitwerten abgeschreckt werden sollen. Die „soziale“ Zielsetzung die­ ser Quersubventionierung, die Gewährleistung des Zugangs zum Recht, ist nur bei einer Tarifierung erreichbar.251 Würde die Rechtsdurchsetzung bei geringeren Streit­ werten an ökonomischen Hindernissen scheitern, hätte dies einen Verlust von Einzel­ fallgerechtigkeit und ein Rechtsschutzgefälle zur Folge. Allerdings zeigt eine Studie der Soldan-Stiftung, dass die beabsichtigte Quersubventionierung vielfach nicht er­ reicht wird252. Einzelkanzleien und Bürogemeinschaften verfügen in der Regel nicht über attraktive Großmandate, so dass für diese Kanzleitypen, die immerhin knapp die Hälfte der Kanzleien repräsentieren, das Wirkungsprinzip der Quersubventionierung nicht funktioniere. Dennoch wird man dem System nicht völlige Untauglichkeit attestieren können.253 Denn am erleichterten Zugang zum Recht bei kleineren Streitwerten ändert es ja nichts, wenn es nicht allen Kanzleien gelingt, ihre Verdiensteinbußen bei geringen Streitwerten durch Großmandate zu kompensieren. Das Interesse, bei kleinen Streit­ werten höhere Vergütungen zu erzielen, muss im Interesse eines effektiven Zugangs zum Recht zurückstehen254. Eine verfassungsrechtlich zu beanstandende Ungleichbe­ handlung der kleineren Kanzleien, denen die Kompensation nicht gelingt, wird man nicht annehmen können, da ihnen weder der Zugang zu Großmandaten noch die Vereinbarung auskömmlicher Honorare von Rechts wegen versperrt wird. Es ist in erster Linie die ausbleibende Nachfrage, die Kompensationsmöglichkeiten erschwert. Dieses Defizit liegt in der Verantwortung des Berufsträgers, nicht des Staates. Da die Reglementierung der Gebühren bei kleinen Streitwerten den Zugang zum Recht er­ leichtern soll, besteht eine sachliche Rechtfertigung für das gestaffelte Gebührensys­ tem. Es ist daher weder verfassungsrechtlich noch europarechtlich bedenklich, auch wenn die Quersubventionierung nur teilweise funktionieren sollte.255 d) Tarifierung als Berechnungsgrundlage für die Prozesskostenhilfe und Kostenerstattung Das Tarifsystem für die gerichtliche Vertretung hat ferner den Zweck, eine Berech­ nungsgrundlage für die Prozesskostenhilfe und die Kostenerstattung nach gewonne­ nen Prozessen zur Verfügung zu stellen. Wer einen Zivilprozess verliert, muss nicht nur die eigenen Rechtsanwalts- und Gerichtskosten tragen, sondern auch die des Gegners (§ 91 I 1 ZPO). Die für Gerichtsverfahren gem. § 49b Abs. 1 S. 1 BRAO vor­ geschriebene Mindestvergütung soll verhindern, dass zwischen Mandant und Rechts­ anwalt im Innenverhältnis geringere Gebühren vereinbart werden als der Mandant vom Gegner erhielte, wenn er obsiegt hätte. Eine solche Vereinbarung liefe auf das in § 49b Abs. 2 S. 1 BRAO statuierte Verbot des Erfolgshonorars hinaus. Demgegenüber 251 Henssler/Kilian, AnwBl 2005, 1, 8; Gaier/Wolf/Göcken, Einl. 251. 252 Hommerich/Kilian/Jackmuth/Wolf, AnwBl 2006, 406 f. 253 Ebenso Kämmerer, Gutachten 68. DJT (2010), H 88. 254 Zutreffend Gaier/Wolf/Göcken, Einl. 252. 255 I.E. übereinstimmend Kämmerer, Gutachten 68. DJT (2010), H 88 f.

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wird die Frage aufgeworfen, ob es nicht genüge, einen staatlichen Referenztarif einzu­ führen, der nur als Obergrenze für die Gebührenerstattung gelten soll.256 Das wäre zwar der geringere Eingriff, aber es bestünde dann wieder die Gefahr, dass sich die Vereinbarung eines geringeren Honorars im Verhältnis zum Mandanten als Er­ folgshonorar auswirken würde. Nach dem gegenwärtigen Stand der Diskussion be­ steht daher keine Notwendigkeit, das Gebührenrecht erneut zu reformieren. 2. Unionsrechtskonformität des Werberechts a) Verfassungs- und europarechtliche Impulse zur Liberalisierung des Werberechts Man kann sich heute kaum noch vorstellen, dass Anwaltswerbung noch im letzten Quartal des vergangenen Jahrhunderts von den damals die Berufsethik beherrschen­ den Standesrichtlinien verboten war.257 „Der Rechtsanwalt handelt standeswidrig, wenn er um Praxis wirbt“, lautete das rigide, erst vom Bundesverfassungsgericht in einem der Beschlüsse vom 14.7.1987 aufgehobene Verbot in § 2 Abs. 1 der Richtlinien i.d.F. 1973258. Auch in der seit 1994 geltenden Regelung des § 43b BRAO klingt die überkommene prinzipiell werbefeindliche Haltung noch durch, da dem Rechtsanwalt gem. § 43b BRAO Werbung „nur erlaubt“ ist, „soweit sie über die berufliche Tätigkeit in Form und Inhalt sachlich unterrichtet und nicht auf die Erteilung eines Auftrags im Einzelfall gerichtet ist“. Mit Recht bekräftigte jedoch das BVerfG in dem erwähn­ ten „Bastille-Beschluss“, dass freiberuflich tätige Rechtsanwältinnen und Rechtsan­ wälte kraft ihrer Berufs- und Meinungsfreiheit das Recht hätten, „sich - wie alle ande­ ren Staatsbürger auch - mit Informationen an die Öffentlichkeit zu wenden“259. Auch das europäische Recht fordert von den Mitgliedsstaaten, Beschränkungen der Wer­ bung auf das zum Schutze der Verbraucher, des Wettbewerbs und der Rechtspflege erforderliche Maß zu beschränken. Art.  24 Abs.  1 der Dienstleistungsrichtlinie 2006/123/EG zwingt die Mitgliedsstaaten dazu, absolute Werbeverbote abzuschaffen. Nach Art. 24 Abs. 2 der Dienstleistungsrichtlinie dürfen die Mitgliedsstaaten zwar die Einhaltung der berufsrechtlichen Regeln verlangen, die „im Einklang mit dem Ge­ meinschaftsrecht je nach Beruf insbesondere die Unabhängigkeit, die Würde und die Integrität des Berufsstands sowie die Wahrung des Berufsgeheimnisses gewährleisten sollen“. Aber diese berufsrechtlichen Regelungen dürfen „nicht diskriminierend“ sein und müssen „durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt und verhältnismäßig sein“. Als zwingende Gründe des Allgemeininteresses sind nach der Rechtsprechung des EuGH, auf die Erwägungsgrund 40 der Dienstleistungsricht­ linie Bezug nimmt, u.a. der Verbraucherschutz, die Verhütung von unlauterem Wett­ bewerb und die Wahrung der ordnungsgemäßen Rechtspflege zu berücksichtigen. An 256 Hellwig, AnwBl 2006, 505, 509.  257 Für Schäfer bildet das Werbeverbot eine „Konstante der Bundesrechtsanwaltskammer der Bonner Republik“, G. II. (in diesem Band). 258 Abgedruckt in BVerfG, Beschl. v. 14.7.1987 − 1 BvR 362/79, juris; vgl. auch Henssler/Prütting, § 43b BRAO Rz. 4. 259 BVerfG, Beschl. v. 14.7.1987 – 1 BvR 362/79, NJW 1988, 194, 195 f.

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diesen Maßstäben orientiert sich auch die nationale Rechtsprechung. Beschränkun­ gen der Werbung sind danach nur zulässig, wenn sie im Einzelfall durch ausreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt sind und dem Grundsatz der Verhältnismä­ ßigkeit entsprechen260. Auf der Grundlage dieser Kriterien hat sich ein Werberecht etabliert, das der von der Kommission geforderten Liberalisierung des Werberechts nunmehr weitgehend entspricht. b) Das Verbot unsachlicher Werbung als Irreführungsverbot Angesichts des fortwährenden Abbaus von Werbeschranken wird im Schrifttum im­ mer drängender die Frage gestellt, ob man überhaupt noch Sonderregeln für die An­ waltschaft benötige oder ob nicht die Anwendung der für alle Marktteilnehmer gel­ tenden Vorschriften des Rechts auf unlauteren Wettbewerb genüge.261 Die Antwort hängt davon ab, welchen Zweck das Gebot sachlicher Unterrichtung über die berufli­ che Tätigkeit verfolgt und ob die darunter subsumierten Einzelfälle dem Schutz von Gemeinwohlinteressen dienen. Nur dann sind Beschränkungen des Werberechts ­verfassungs- und europarechtskonform. Einigkeit besteht darüber, dass falsche und irreführende Angaben unzulässig sind. Irreführende Werbung beeinträchtigt die Inte­ ressen der Rechtsuchenden, die auf die Richtigkeit von Tatsachenbehauptungen ver­ trauen. Deren Interessen werden aber auch beeinträchtigt durch Werturteile, die auf eine nicht überprüfbare Selbstanpreisung hinauslaufen, wie zB bei der Berühmung mit dem Renommee der Kanzlei oder der Qualität der angebotenen Rechtsdienstleis­ tungen. Die Grenzen zur Tatsachenbehauptung sind freilich fließend, so dass Angaben, die einen Tatsachenkern enthalten und objektiv nachprüfbar sind, zulässig sein sollten. Angaben zur Größe der Kanzlei262, die Arbeit „mit modernster Technik“263 oder der Sachkunde und Kompetenz des Berufsträgers264 sind daher zulässig, wenn sie sach­ lich zutreffen. Wer im Internet eine „umfassende Rechtsberatung“ verspricht, muss nachweisen, dass die für die Kanzlei tätigen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte nicht nur umfassende Interessenschwerpunkte abdecken, sondern dass diese auf den angegebenen Gebieten auch fachliche Kompetenz besitzen265. 260 BVerfG, Beschl. v. 12.9.2001 – 1 BvR 2265/00, NJW 2001, 3324; 2003, 2816 (Interessenschwerpunkt Sportrecht); BGH, Urt. v. 1.3.2001  – I ZR 300/98, BGHZ 147, 71, 74  f. (­Anwaltswerbung II); BGH, Urt. v. 27.1.2005 – I ZR 202/02, NJW 2005, 1644 (Optimale Interessenvertretung). 261 Dafür Kämmerer, Gutachten 68. DJT (2010) H 96 f.; Kleine-Cosack, NJW 2010, 1921 und 1924; NJW 2014, 514, 517 f.; ders., Vorb. vor § 43b BRAO Rz. 1; § 43b BRAO Rz. 1, 6 f.; ders., Werberecht Rz. 225; Menebröcker, GRUR-Prax 2010, 189; Becker-Eberhard, AnwBl 2017, 148, 152; gegen eine Anpassung des anwaltlichen Werberechts an die Standards der gewerblichen Wirtschaft Huff, BRAK-Mitt. 2015, 158; Krenzler, BRAK-Mitt. 2010, 234, 235 f.; Ring, Werberecht, S. 5 f., 51. 262 Henssler/Prütting, § 43b BRAO Rz. 15 f.; OLG Dresden, Urt. v. 5.7.1995 – XII U 893/95, DStR 1995, 1567.  263 OLG Dresden, Urt. v. 5.7.1995 – XII U 893/95, DStR 1995, 1567. 264 BVerfG, Beschl. v. 26.9.2003 − 1 BvR 1608/02, NJW 2003, 3472, 3473. 265 BVerfG, Beschl. v. 12.9.2001 – 1 BvR 2265/00, NJW 2001, 3324, 3325.

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Folgerichtig ist nach der Rechtsprechung die Bezeichnung als „Experte“ oder „Spe­ zialist“266 von der Werbefreiheit gedeckt. Dafür spricht, dass § 7 Abs. 1 S. 1 BORA die Angabe von Interessen- und Tätigkeitsschwerpunkten („Teilbereiche der Berufstätig­ keit“) erlaubt, wenn der Anwalt seinen Angaben entsprechende Kenntnisse nachwei­ sen kann. Qualifizierende Zusätze, wie sie die Berühmung als Spezialist oder Experte darstellen, dürfen nach Satz 2 der Vorschrift allerdings nur verwendet werden, wenn der Anwalt über entsprechende theoretische Kenntnisse verfügt und auf dem benann­ ten Gebiet in erheblichem Umfang tätig ist. Unzulässig sind solche Angaben, soweit sie die Gefahr einer Verwechslung mit Fachanwaltschaften begründen oder sonst irrefüh­ rend sind (§ 7 Abs. 2 BORA). Insofern ist es bedenklich, dass die Selbstberühmung als Spezialist auch zulässig sein soll, wenn mit einer Spezialisierung auf Gebieten gewor­ ben wird, in denen Fachanwaltsbezeichnungen verliehen werden267. Demgegenüber verlangt der BGH lediglich, dass sich als „Spezialist für Familienrecht“ nur bezeichnen darf, wer jedenfalls die Expertise eines Fachanwalts besitzt und nachweisen kann268. Mit Recht noch strenger sind die Anforderungen, wenn sich ein Rechtsanwalt als „Fachanwalt und Spezialist für Erbrecht“ bezeichnet. Da die Bezeichnung als Spe­ zialist neben dem Fachanwaltstitel nur Sinn ergibt, wenn sich der Anwalt einer zu­ sätzlichen Kompetenz berühmt, muss der Rechtsanwalt Kenntnisse und praktische Erfahrungen nachweisen, die jene eines „Nur-Fachanwalts“ nicht unerheblich über­ schreiten269. Soweit die Interessen der Mandantinnen und Mandanten nicht be­ einträchtigt sein sind, weil insbesondere keine Verwechslungsgefahr besteht, darf Werbung nicht beschränkt werden; gleichwohl aufgestellte Verbote würden einer Überprüfung am Maßstab des Europa- und Verfassungsrechts nicht standhalten. c) Das Gebot berufsbezogener Werbung Ohne nennenswerte praktische Bedeutung ist das Gebot berufsbezogener Informa­ tion. Wenn die Rechtsprechung werbewirksame Hinweise auf Sponsoring-Aktivitäten einer Anwaltskanzlei toleriert, weil es ein positives Licht auf den Förderer wirft, der sich gemeinnützig engagiert, 270 oder erlaubt, dass mit sportlichen Erfolgen oder der Beherrschung des örtlichen Dialekts271 geworben wird272, weil für Mandantinnen und Mandanten auch außerrechtliche Kompetenzen oder vertrauensbildende Kommuni­ kationsformen von Bedeutung sein können, fällt es schwer, Informationen anzugeben, 266 BVerfG, Beschl. v. 28.7.2004  – 1 BvR 159/04, NJW 2004, 2656 (Spezialist für Verkehrsrecht); BGH, Urt. v. 24.7.2014 – I ZR 53/13, NJW 2015, 704 (Spezialist für Familienrecht). 267 Faktische Derogation des § 7 Abs. 2 BORA; vgl. Remmertz, NJW 2015, 707 f.; Kleinemenke, GRUR-Prax 2015, 68; Huff, WRP 2015, 343; Deckenbrock, BerlAnwBl 2015, 124; Saenger/Scheuch, BRAK-Mitt. 2016, 157, 159 ff.; Berlit, in: FS Ahrens, S. 47 ff.; Quaas, BRAKMitt 2017, 2, 9; zustimmend aber Kleine-Cosack, AnwBl 2015, 358, 360 ff. 268 BGH, Urt. v. 24.7.2014 – I ZR 53/13, NJW 2015, 704, 707. 269 BGH, Urt. v. 5.12.2016  – AnwZ (Brfg) 31/14, BRAK-Mitt. 2017, 42, 44  f.; zust. Quaas, BRAK-Mitt. 2017, 2, 9 f.; krit. Offermann-Burckart, BRAK-Mitt. 2017, 10, 11 f. 270 BVerfG, Beschl. v. 17.4.2000 – 1 BvR 721/99, NJW 2000, 3195. 271 BVerfG, Beschl. v. 26.8.2003 – 1 BvR 1003/02, NJW 2003, 3470, 3471. 272 BVerfG, Beschl. v. 4.8.2003 − 1 BvR 2108/02, NJW 2003, 2816, 2817 f.

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die keinen beruflichen Bezug haben. In Rechtsprechung und Schrifttum werden ­deshalb auch Informationen zum Engagement auf politischem, wissenschaftlichem, kulturellem, sozialem und sportlichem Gebiet sowie über private Umstände wie ­Eheschließung, Zahl der Kinder oder Hobbies toleriert273. Dem ist vorbehaltlos zuzu­ stimmen, weil (und soweit) diese Informationen nicht irreführend sind und davon abgesehen kein Gemeinwohlbelang existiert, der die Bekanntgabe solcher Informati­ onen verbieten würde. Auch die Werbung mit dem Titel „Justizrat“ ist nicht zu beanstanden. Der Titel wird im Saarland und Rheinland-Pfalz an Rechtsanwälte und Notare für berufliche Ver­ dienste oder ehrenamtliches Engagement verliehen. Die Verleihung ist trotz der Be­ stimmung des Art. 18 Abs. 2 der rheinland-pfälzischen Verfassung, wonach Titel nur verliehen werden dürfen, die ein Amt oder einen Beruf bezeichnen, verfassungsrecht­ lich unbedenklich274, weil die erwähnte Verleihungspraxis dem erklärten Willen des Verfassungsgebers entspricht275. Die Werbung ist auch nicht irreführend, weil das In­ teresse des Geehrten, rechtmäßig erworbene Titel führen zu können, schutzwürdig ist276. d) Das Verbot reißerischer, marktschreierischer Werbung Das Sachlichkeitsgebot verlangt auch nicht auf die Mitteilung nüchterner Fakten be­ schränkte Werbung277 oder einen nennenswerten sachlichen Aussagegehalt278. So dürfen potentielle Mandanten unter Hinweis auf das vorhandene „Know-how“ des Werbenden angeschrieben und mit suggestiven Fragen konfrontiert werden. Solange die Fragen nicht irreführend sind oder die Entscheidungsfreiheit des Mandanten un­ lauter beeinflussen279, dürfen bei dem Umworbenen Zweifel geschürt werden, ob er „bereits optimal betreut“ werde280. Nach herrschender Ansicht in Rechtsprechung und Schrifttum ist zwar eine Werbung verboten, bei der das reklamehafte Anpreisen im Vordergrund steht. Aber bei der konkreten Würdigung der Fälle, in denen die 273 BVerfG, Beschl. v. 26.8.2003 – 1 BvR 1003/02, NJW 2003, 3470, 3471; Henssler/Prütting, § 43b BRAO Rz. 16 ff.; Kleine-Cosack, § 43b BRAO Rz. 5; Kluth/Goltz/Kujath, Zukunft 69.  274 Singer, BRAK-Mitt. 2017, 271; ders., NJW-Aktuell 37/2017, S. 15; aA Möller, NJW-Aktuell 46/2017, S. 14.  275 Klaas, S. 161, 225. 276 Zu dieser Wertung vgl. BGH, Urt. v. 18.3.2010 – I ZR 172/08, GRUR 2010, 1024 Rz. 29 betr. „Master of Science Kieferorthopädie“. 277 BGH, Urt. v. 29.7.2009 – I ZR 77/07, NJW 2010, 1968, 1970 m. zust. Bspr. Kleine-Cosack, NJW 2010, 1921, 1923. 278 BVerfG, Beschl. v. 26.8.2003 – 1 BvR 1003/02, NJW 2003, 3470, 3472: Werbung mit der „ruhigen Atmosphäre“ einer Zahnarztklinik. 279 Zu der überholten Fallgruppe der reklamehaften Anpreisung vgl. Hartung/Scharmer/v. Lewinski, BORA/FAO, 6. Aufl. 2016, § 6 BORA Rz. 121 ff.; die ablehnende Haltung der Instanzgerichte zu „Slogans“ wie „Alles was Recht ist“ oder „idealer Ansprechpartner“ (vgl. die von Kilian/Koch, Berufsrecht, B II 4 d ff zusammengestellte Liste) ist angesichts der verfassungsgerichtlich geforderten Liberalisierung des Werberechts nicht mehr zeitge­ mäß (dies., Rz. 359, 361). 280 BGH, Urt. v. 29.7.2009 – I ZR 77/07, NJW 2010, 1968, 1970.

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Kammern Werbung als „reißerisch und reklamehaft“ missbilligten, ist die höchstrich­ terliche Rechtsprechung wegen der prinzipiellen Werbefreiheit mit Recht zurückhal­ tend. Die im Beschluss des BVerfG vom 4.8.2003281 angeführten Urteile, die als Beleg für das Verbot bloßer reklamehafter Anpreisung zitiert werden, weil sich die Wer­ bung mit Angaben befasst, „die mit der eigentlichen Leistung des Anwalts und dem unabdingbaren Vertrauensverhältnis im Rahmen eines Mandats nichts mehr zu tun haben“282, betreffen ausschließlich Fälle, in denen das Werbeverbot verfassungsrecht­ licher Überprüfung nicht standhielt283. Vorbehalten gegen nach Form und Inhalt als unsachlich angesehene Werbung begegnet man vor allem in älteren Entscheidungen der Ehrengerichtsbarkeit. Vom Bayerischen Anwaltsgerichtshof beanstandete We­ geskizzen unter der Überschrift „So kommen Sie zu ihrem Recht“284 sind jedoch vom BVerfG mit Recht nicht als „marktschreierisch“ angesehen worden. Und die Darstel­ lung eines Stierkopfes in Angriffshaltung im Briefkopf einer Anwaltskanzlei285 beein­ trächtigt genauso wenig Gemeinwohlbelange wie überdimensionierte „Werbeanlagen mit laufender Schrift oder die Verwendung von Neonröhren und knalligen Regenbo­ genfarben“286. Die Grenze überschritten ist auch nach der jüngeren Rechtsprechung des BGH und des BVerfG bei der von einem bei der Rechtsanwaltskammer Köln zugelassenen An­ walt initiierten „Schockwerbung“ auf Kaffeetassen287 und einem Werbeaufdruck auf seiner Robe288, die mit seiner Internetadresse bestickt war. Zweifel an der Berechti­ gung der Werbeverbote bestehen auch hier. Die früher gewohnheitsrechtlich gelten­ de, jetzt in § 20 BORA verankerte Verpflichtung des Rechtsanwalts, beim Auftreten vor Gericht eine Robe zu tragen, verfolgt zwar den legitimen Zweck, seine Rolle als Organ der Rechtspflege sichtbar zu machen und dazu beizutragen, dass die Kon­ fliktlösung in einer Atmosphäre der Objektivität, Sachlichkeit und Rationalität statt­ 281 BVerfG, Beschl. v. 4.8.2003 − 1 BvR 2108/02, NJW 2003, 2816, 2817. 282 BT-Drs. 12/4993, S. 28. 283 BVerfG, Beschl. v. 9.5.1972 – 1 BvR 518/62, 1 BvR 308/64, BVerfGE 33, 125, 169 (mehrere Facharztbezeichnungen); Beschl. v. 19.11.1985 – 1 BvR 38/78, BVerfGE 71, 183, 194 (Beschränkung auf ein Hauptindikationsgebiet); Beschl. v. 4.4.1990 – 1 BvR 750/87, BVerfGE 82, 18, 26 (Werbung mit Zweitberuf); Beschl. v. 22.5.1996 – 1 BvR 744/88, 1 BvR 60/89, 1 BvR 1519/91, BVerfGE 94, 372, 392 f. (Werbebriefe und Flugblätter); s. ferner BVerfG, Be­ schl. v. 25.4.2001 – 1 BvR 494/00, NJW 2001, 1926, 1927 (zulässige Werbeanzeige in Tageszeitung mit Angabe von 10 Tätigkeitsgebieten); BGH, Urt. v. 21.2.2002 – I ZR 281/99, NJW 2002, 2642, 2644 (zulässige Werbung mit sog. Vanity-Nummer „0800 Rechtsanwalt“). 284 BVerfG, Beschl. v. 12.9.2001 – 1 BvR 2265/00, BRAK-Mitt. 2001, 295, 297 (keine „reklamehafte Anpreisung“). 285 Zu Unrecht beanstandet vom OLG Düsseldorf, Urt. v. 16.9.1999 − 2 U 21/99, BRAK-Mitt. 2000, 46; zust. Huff, MDR 1999, 464; aA mit Recht Hartung/Scharmer/v. Lewinski, BORA/ FAO, 6. Aufl. 2016, § 6 BORA Rz. 125. 286 Nach Ansicht von Henssler/Prütting, § 43b BRAO Rz. 31 „unzulässig“. 287 BVerfG, Beschl. v. 5.3.2015 – 1 BvR 3362/14, NJW 2015, 1438; BGH, Urt. v. 27.10.2014 – AnwZ (Brfg) 67/13, NJW 2015, 72 m. zust. Anm. Hartung, NJW 2015, 74; Ring, DStR 2015, 496; krit. Kleine-Cosack, vor § 43b BRAO Rz. 11. 288 BGH, Urt. v. 7.11.2016 – AnwZ (Brfg) 47/15, NJW 2017, 407 m. zust. Anm. Härting; Möller, BRAK-Mitt. 2017, 41 f.; krit. Römermann, BB 2017, 20.

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findet289. Aber wird diese Funktion wirklich beeinträchtigt, wenn Roben mit dem Aufdruck der Internetadresse getragen werden? Angesichts des rein informatorischen Gehalts des Aufdrucks muss man auch zweifeln, ob dadurch ernsthaft gegen das Sachlichkeitsgebot des §  43b BRAO verstoßen wird290. Gegen einen dezenten Na­ menszug auf der Vorderseite der Robe bestehen schließlich auch keine Bedenken291, weil diese Kennzeichnung die Kommunikation erleichtert und im Hinblick auf die Sachlichkeit der Information die Funktion der Robe nicht beeinträchtigt. Im Falle der reißerischen Anwaltswerbung mit (zum Teil) sexualisierten Motiven auf Kaffeetassen oder Pin-up-Kalendern fällt es zwar schwer, dieser Form der Werbung Sachlichkeit zu bescheinigen. Aber aus verfassungsrechtlicher Perspektive kommt es darauf nicht an, sondern darauf, ob Gemeinwohlinteressen beeinträchtigt sind. Rei­ ßerische, reklamehafte Werbung soll u.a. deshalb verboten sein, weil sie als Ausdruck eines rein geschäftsmäßigen, ausschließlich am Gewinn orientierten Verhaltens er­ scheint.292 Indessen vermag das bloße Gewinnstreben der Anwältin oder des Anwalts für sich betrachtet nicht Zweifel an seiner Integrität zu begründen, nachdem das Bun­ desverfassungsgericht die Legitimität des anwaltlichen Gewinnstrebens ausdrücklich anerkennt293. Nur wenn die Gefahr besteht, dass das Gewinnstreben zu Lasten der Inte­ressen des Mandanten geht oder Belange der Rechtspflege vernachlässigt werden − wie zB bei der Vereinbarung eines Erfolgshonorars oder bei der Ausübung von Zweitberufen mit kommerzieller Zielsetzung −, stößt die Legitimität eines solchen Verhaltens auf Bedenken. Aber besteht ernsthaft eine solche Gefahr, wenn die Anwäl­ tin oder der Anwalt sich reißerischer Werbemethoden bedient? Soweit der Anwalts­ senat darauf abstellt, dass durch die reißerische und/oder sexualisierende Ausgestal­ tung der Werbung „die Aufmerksamkeit des Betrachters“ erregt werden soll und dies zur Folge habe, „dass ein etwa vorhandener Informationswert in den Hintergrund gerückt wird oder gar nicht mehr erkennbar ist“294, zieht er ein Kriterium heran, dass auch sonst keine ausschlaggebende Bedeutung hat. Aufmerksamkeitswerbung ist er­ laubt, wie die zutreffende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Sponso­ ring295 exemplifiziert. Letztlich ausschlaggebend ist denn auch das Argument, dass der­ artige Werbemethoden geeignet seien, die Rechtsanwaltschaft als seriöse Sachwalterin der Interessen Rechtsuchender zu beschädigen. Aber darf man aus mehr oder weni­ ger geschmackloser Werbung auf die Unseriosität der Interessenvertretung schließen? 289 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 18.2.1970 – 1 BvR 226/69, BVerfGE 28, 21, 31 f.; Hartung/Scharmer, BORA/FAO, 6. Aufl. 2016, § 20 BORA Rz. 16-18 und 41; Kilian/Koch, Berufsrecht, B I 7, Rz. 224; Steiner, BRAK-Mitt. 2018, 171, 175. 290 BGH, Urt. v. 7.11.2016 − AnwZ (Brfg) 47/15, NJW 2017, 407, 410. 291 Zutreffend Hartung/Scharmer, BORA/FAO, 6. Aufl. 2016, § 20 BORA Rz. 41. 292 BVerfG, Beschl. v. 14.7.1987 – 1 BvR 362/79, NJW 1988, 194, 195; BGH, Urt. v. 1.3.2001 – I ZR 300/98, NJW 2001, 2087 a.E. (Anwaltswerbung II). 293 BVerfG, Beschl. v. 4.11.1992 – 1 BvR 79/85, 1 BvR 643/87, 1 BvR 442/89, 1 BvR 238/90, 1 BvR 1258/90, BVerfGE 87, 287, 329 f. (Zweitberuf); BVerfG, Beschl. v. 12.12.2006 – 1 BvR 2576/04, 117, 163, 183 Rz. 65 (Erfolgshonorar). 294 BGH, Urt. v. 27.10.2014 – AnwZ (Brfg) 67/13, NJW 2015, 72, 73. 295 BVerfG, Beschl. v. 17.4.2000 – 1 BvR 721/99, NJW 2000, 3195; krit. auch Kleine-Cosack, vor § 43b BRAO Rz. 11.

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Besteht hier wirklich die Gefahr, dass die Interessen des Mandanten kommerziellem Denken stärker untergeordnet werden296 als bei seriöser, sachlicher Werbung? Zwin­ gend ist dieser Schluss nicht. Davon abgesehen zeigen sich die Schwierigkeiten einer solchen Schlussfolgerung bei der Vorfrage, an welchem Maßstab man messen will, ob Werbung „reißerisch“, „marktschreierisch“ oder „unseriös“ ist. Über Fragen des guten Geschmacks lässt sich bekanntlich schlecht streiten, schon gar nicht kann man sie einem juristischen Urteil unterziehen297. Es drängt sich der Einwand geradezu auf, dass mit solchen Werbeverboten ein Berufsbild verteidigt wird, das überkommenem Standesdenken entspringt298. Auf das Ansehen der Anwaltschaft kann es jedoch – wie die Rechtsprechung ansonsten mit Recht betont − nur ankommen, wenn es über blo­ ße berufsständische Belange hinaus im Allgemeininteresse liegt.299 e) Das Verbot der gezielten Werbung um Mandate im Einzelfall Umstritten ist auch das in § 43b BRAO ausgesprochene Verbot der Werbung um einen Auftrag im Einzelfall. Eine Gefährdung von Allgemeininteressen besteht nach Ansicht von Hellwig nicht schon, wenn sich die Anwältin oder der Anwalt um die Akquise ei­ nes Mandats bemüht, sondern erst, wenn die Gefahr der Überrumpelung bestehe und zB eine Schock- oder Notsituation ausgenutzt werde wie beim „ambu­lance chasing“300. In der Tat ist die ratio legis des Verbots bei der Auslegung der Norm zu berücksichti­ gen. Wenn sich eine Rechtsanwältin oder ein Rechtsanwalt etwa per Rundschreiben an eine unbestimmte Vielzahl potentieller Mandanten wendet301, zielt diese Werbeak­ tion nicht zwangsläufig auf die Erteilung eines Auftrags im Einzelfall, sondern erst, wenn die Angesprochenen aufgrund eines konkreten Beratungsbedarfs in Bedrängnis geraten oder unzumutbar belästigt werden302. Es ist daher auch nicht zu beanstanden, 296 Aus diesem Grund gilt eine kaufmännisch-erwerbswirtschaftliche Tätigkeit als unverein­ bar mit dem Anwaltsberuf, vgl. BGH, Beschl. v. 16.10.1978 – AnwZ (B) 18/78, BGHZ 72, 282, 287 f. 297 Im Wettbewerbsrecht wird folgerichtig eine Geschmackszensur abgelehnt, vgl. BGH, Urt. v. 18.5.1995 – I ZR 91/93, NJW 1995, 2486, 2487 (Bezeichnung von Likörfläschchen als „Busengrapscher“). 298 Vgl. auch Hartung/Scharmer/von Lewinski, § 6 BORA, Rz. 42; zum überkommenen Be­ rufsbild der Anwaltschaft und dessen Unvereinbarkeit mit der Verfassung BVerfG, Urt. v. 14.7.1987 – 1 BvR 537/81, 1 BvR 195/87, BVerfGE 76, 171, 189 (Standesrichtlinien). 299 BVerfG, Urt. v. 14.7.1987 – 1 BvR 537/81, 1 BvR 195/87, BVerfGE 76, 171, 189; Kämmerer, Gutachten 68. DJT (2010), H 94 plädiert folgerichtig dafür, die in Art. 24 II der Dienstleis­ tungsrichtlinie als schutzwürdig angesehene „Würde und Integrität des Berufsstandes“ restriktiv im Sinne von „Vertrauenswürdigkeit im Rechtsverkehr“ zu deuten. 300 Hellwig, AnwBl 2006, 505, 509; ders., NJW 2005, 1217, 1219; ähnlich Kleine-Cosack, NJW 2010, 1921, 1923; Kämmerer, Gutachten 68. DJT (2010), H 96; Henssler, AnwBl 2013, 394, 396 f.; Waschkau, S. 195. 301 Wie zB bei Übersendung eines Fragenkatalogs, verbunden mit der Aufforderung an die Adressaten, „anhand der folgenden Fragen“ selbst zu prüfen, „ob Sie optimal betreut wer­ den“ (BGH, Urt. v. 29.7.2009 – I ZR 77/07, NJW 2010, 1968; Kleine-Cosack, NJW 2010, 1921, 1923). 302 Steiner, BRAK-Mitt. 2018, 171, 174; diese Grenze ist auch nach allgemeinem Wettbe­ werbsrecht (§ 7 UWG) zu beachten, vgl. Henssler, AnwBl 2013, 394, 396 f.

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wenn sich ein Rechtsanwalt an Kommanditisten303 oder Geschäftsführer304 insolven­ ter Gesellschaften wendet und ihnen Hilfe bei der Abwehr von Ansprüchen des Insol­ venzverwalters anbietet. § 43b BRAO soll vor der – abstrakten - Gefahr einer Über­ rumpelung schützen, nicht vor Werbung und Akquise an sich. Dies gilt gerade auch, wenn ein konkreter Beratungsbedarf besteht305. Praxisbroschüren und Werberund­ schreiben dürfen daher auch unaufgefordert versendet werden. Die Gefahr der Be­ drängnis oder einer unzumutbaren Belästigung besteht des Weiteren nicht, wenn sich eine Kanzlei – auch unaufgefordert – an der Ausschreibung eines Mandats beteiligt306. Werden diese Kriterien bei der Auslegung beachtet, bestehen keine verfassungs- und europarechtlichen Bedenken gegen das Verbot der Einzelfallwerbung. f) Beibehaltung spezieller Werbevorschriften für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte? Abgesehen von den jüngsten Fällen von Schockwerbung deckt sich das Werberecht für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte im Wesentlichen mit den lauterkeitsrecht­ lichen Werbebeschränkungen für Unternehmen. Nach der hier vertretenen Auffas­ sung sind Sonderregeln sogar entbehrlich, weil die Würde des Berufsstandes kein schutzwürdiges Gemeinwohlinteresse kennzeichnet. Selbst wenn man dies anders sähe, sollte man dieser Fallgruppe nicht allzu viel Aufmerksamkeit schenken. Es ist äußerst unwahrscheinlich, dass man mit der Provokation der Anwaltskammern und Gerichte Mandanten gewinnt. Lässt man aber die Fallgruppe wegen offensichtlich fehlender Relevanz beiseite, spricht vieles dafür, dass man auf ein besonderes Werbe­ recht für Anwälte verzichten kann und mit den allgemeinen Regeln des unlauteren Wettbewerbs auskommt. Einer Gesetzesänderung bedarf es dabei nicht, da sich dieses Resultat auch aus einer verfassungs- und europarechtskonformen Auslegung des Sachlichkeitsgebots ergibt. Für eine Beibehaltung eigener berufsrechtlicher Regeln spricht darüber hinaus, dass die Überprüfung unsachlicher Werbung und der Man­ datswerbung im Einzelfall weiterhin dem sachnäheren Urteil der beruflichen Selb­ storganisation und Anwaltsgerichtsbarkeit obliegen sollte307. 3. Unionsrechtskonformität des anwaltlichen Gesellschaftsrechts Zu den dringend reformbedürftigen Gebieten des Berufsrechts zählen die Vorschrif­ ten des anwaltlichen Gesellschaftsrechts308. Unter dem Eindruck der jüngsten Ent­ 303 BGH, Urt. v. 13.11.2013 – I ZR 15/12, BGHZ 199, 43 (Kommanditistenbrief). 304 BGH, Urteil v. 2.7. 2018 – AnwZ (Brfg) 24/17 –, juris. 305 BGH, Urt. v. 13.11.2013  – I ZR 15/12, BGHZ 199, 43, 51 (Kommanditistenbrief); OLG Naumburg, Urt. v. 10.7.2007 – 1 U 14/07, NJW-RR 2008, 445 f.; Henssler/Prütting, § 43b BRAO Rz. 40; Hartung/Scharmer/v. Lewinski, BORA/FAO, 6. Aufl. 2016, § 6 BORA Rz. 142. 306 Henssler/Prütting, § 43b BRAO Rz. 44; Hellwig, AnwBl 2006, 505, 509; Waschkau, S. 195. 307 Krenzler, BRAK-Mitt. 2010, 234, 235 f. 308 Vgl. die Reformvorschläge der BRAK (Stellungnahme Nr. 15/2018), des DAV (Stellung­ nahme Nr. 58/2017) und von Henssler, der im Auftrag des DAV einen Diskussionsvor­ schlag zum anwaltlichen Gesellschaftsrecht ausgearbeitet hat (AnwBl Online 2018, 564 ff.; ders., AnwBl Onlie 2019, 257  ff.). − Die Bundesregierung erkennt den Reformbedarf

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scheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu den sozietätsfähigen Berufen und den Mehrheitserfordernissen bei interprofessionellen Berufsausübungsgesellschaften wird das gesetzliche Regelwerk mit einer Ruine309 oder einem Abbruchhaus310 verglichen. Die Liste der Mängel und Defizite des geltenden Berufsrechts ist lang und reicht von der Kritik an der unzeitgemäßen Orientierung des Berufsrechts am Einzelanwalt über die fehlende, rechtsformneutrale Harmonisierung der Berufsrechte bis zu der grund­ sätzlichen Forderung nach einem für Freie Berufe attraktiven und international kon­ kurrenzfähigen Angebot geeigneter Gesellschaftsformen.311 Folgerichtig fordert das Schrifttum eine grundlegende Reform des Gesellschaftsrechts für die freien Berufe, die auf einer Reform des allgemeinen Gesellschaftsrechts aufbaut und neben der ­klassischen BGB-Gesellschaft u.a. eine dem Typus der OHG entsprechende unter­ nehmenstragende Außengesellschaft mit unbeschränkter Gesellschafterhaftung so­ wie eine für Freiberufler verfügbare KG – auch in Form der haftungsbeschränkten GmbH & Co. KG312 – zur Verfügung stellt, dazu eine Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung und vollständiger Haftungsbeschränkung313. Im Berufs­ recht ist es ein reicher Katalog an Reformvorschlägen, angefangen von rechtsform­ übergreifenden Regelungen zur Zulassung der Berufsausübungsgesellschaft, ihrer Kammermitgliedschaft, berufsrechtlichen Pflichtenstellung, Postulationsfähigkeit und Versicherungspflicht, bis hin zur Liberalisierung der Regeln über die sozietätsfä­ higen Berufe sowie – in beschränktem Maße − des Fremdbesitzverbotes314. Ob der Gesetzgeber den großen Wurf wagen wird und die bedenkenswerten Vorschläge zum Gegenstand einer grundlegenden Neuordnung des allgemeinen und berufsrechtli­ chen Gesellschaftsrechts machen wird, kann im Rahmen des vorliegenden Beitrags dahinstehen. Die Erörterung konzentriert sich auf die umstrittenen Regelungen des geltenden Rechts, die spezifisch europarechtlicher Kritik ausgesetzt sind und auch im Falle einer Neuregelung auf europarechtskritische Bedenken stoßen werden, wenn – wie zu vermuten ist − dem Liberalisierungsdruck nicht vollständig nachgegeben wird. Es handelt sich um die Zulässigkeit des Fremdbesitzverbots, die damit eng verknüpfte Frage der Zulassung britischer Alternative Business Structures sowie die Beschrän­ kung des Gesellschafterkreises auf bestimmte sozietätsfähige Berufe. grundsätzlich an, vgl. BT-Drs. 19/3014, S. 2. Kritisch Wolf, BRAK-Mitt. 2018, 162 f., der anmahnt, dass sich die Reformvorschläge an den „core values“ des anwaltlichen Berufs­ rechts messen lassen müssten, und Römermann, NZG 2018, 1041, 1047, dem der Entwurf nicht weit genug geht. 309 Henssler, AnwBl 2014, 762; Hellwig, AnwBl 2016, 776. 310 Hartung, AnwBl 2016, 670. 311 Vgl. insbesondere Henssler, AnwBl 2017, 378 ff.; ders., AnwBl 2014, 762 ff.; ders., Gutach­ ten 71.  DJT (2016), O 53  ff.; ders., AnwBl Online 2018, 564  ff.; Henssler/Deckenbrock, ­AnwBl 2016, 211, 214 ff.; Deckenbrock, AnwBl 2014, 118 ff.; ders., Jahrbuch Junger Zivil­ rechtswissenschaftler 2015, 119, 135 ff. 312 Die auch die BRAK befürwortet, vgl. ihre Stellungnahme Nr. 15/2018, S. 8 f. zur Reform des anwaltlichen Gesellschaftsrechts; näher erläutert von Kury, BRAK-Mitt. 2018, 165, 168.  313 Henssler, AnwBl 2017, 378, 379 f.; ders., Gutachten 71. DJT (2016), O 53, O 63 ff. 314 Vgl. insbesondere Henssler, AnwBl 2017, 378, 381 ff.; ders., AnwBl 2014, 762 ff.; Deckenbrock, AnwBl 2014, 118 ff.

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a) Unionsrechtskonformität des Fremdbesitzverbotes Zu den im Schrifttum besonders umstrittenen Problemfeldern zählt die Verfassungsund Europarechtskonformität des Fremdbesitzverbots315. Nicht wenige Autoren halten die Bestimmungen der BRAO, aus denen das Verbot einer bloßen Kapitalbeteiligung an Rechtsanwaltsgesellschaften abgeleitet wird, für unverhältnismäßige Beschränkun­ gen der Berufsfreiheit und der unionsrechtlichen Dienstleistungs- und Niederlas­ sungsfreiheit316. aa) Gesetzliche Grundlagen des Fremdbesitzverbotes Das Fremdbesitzverbot folgt zum einen aus § 59a BRAO, einer Bestimmung, die für alle Rechtsanwaltsgesellschaften gilt und die gemeinschaftliche Berufsausübung nur ausgewählten Berufsträgern − Rechtsanwälten, Patentanwälten, Steuerberatern, Steu­ erbevollmächtigten, Wirtschaftsprüfern und vereidigten Buchprüfern – gestattet. Da­ raus folgt zwangsläufig, dass die bloße Kapitalbeteiligung an einer BGB-Gesellschaft oder Partnerschaftsgesellschaft für Angehörige nicht vereinbarer Berufe ausgeschlos­ sen ist. Bei einer Anwaltsgesellschaft in Form einer GmbH gelten gem. § 59e BRAO die gleichen Beschränkungen. Gesellschafter können nur Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte sowie Angehörige vereinbarer Berufe sein. Außerdem müssen diese in der Gesellschaft ihren Beruf aktiv ausüben, so dass sogar die kapitalmäßige Beteili­ gung von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten untersagt ist. Im Schrifttum wird zwar vereinzelt darauf hingewiesen, dass nur die gemeinschaftliche Berufsausübung mit Angehörigen nicht vereinbarer Berufe ausgeschlossen sei, also nicht eine Beteili­ gung als stiller Gesellschafter, da sich dieser ja gerade nicht an der Berufsausübung beteilige317. Aber ein solches Verständnis des § 59a BRAO widerspricht eindeutig dem Sinn und Zweck der Regelung, Fremdeinflüsse durch Kapitalbeteiligungen zu verhin­ dern. bb) Der Schutz der anwaltlichen Unabhängigkeit als Zweck des Fremdbesitzverbots Das Fremdbesitzverbot soll dazu beitragen, die Unabhängigkeit der Anwältin bzw. des Anwalts zu gewährleisten. Die berufliche Unabhängigkeit gehört zu den zentralen Leitbildern des Anwaltsberufs und steht nicht zufällig an der Spitze der Bundesrechts­ anwaltsordnung. §  1 BRAO kennzeichnet den Rechtsanwalt als „ein unabhängiges Organ der Rechtspflege“318, und gemäß § 3 BRAO ist er „der berufene unabhängige 315 Bejahend Kämmerer, Gutachten 68. DJT (2010), H 79 f.; Henssler, BRAK-Mitt. 2007, 186, 190; ders., AnwBl 2008, 721, 726; ders., AnwBl 2009, 670, 671; Henssler/Prütting, § 59e BRAO Rz. 15 f.; Singer, AnwBl 2010, 79. 316 Vgl. insbesondere Kleine-Cosack, DB 2007, 1851  ff.; ders., AnwBl 2010, 537, 539; 2013, 570, 576; Hellwig, AnwBl 2011, 77, 79; ders., AnwBl 2012, 876, 878; zweifelnd auch Henss­ ler/Prütting/Busse, § 1 BRAO Rz. 66; Kilian, AnwBl. 2014, 111, 114 ff. 317 Hellwig, AnwBl 2012, 876, 878. 318 Ein „Organ der Rechtspflege“ ist der Rechtsanwalt freilich nicht, kritisch schon Knapp, 141; Schneider, 65; Everling, Gutachten 58. DJT (1990), C 61. 

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Berater und Vertreter in allen Rechtsangelegenheiten“. Dem korrespondiert §  43a BRAO, der dem Rechtsanwalt keine Bindungen erlaubt, „die seine berufliche Unab­ hängigkeit gefährden“. Angesichts der vielfältigen Abhängigkeiten, denen eine An­ wältin bzw. ein Anwalt in arbeitsrechtlicher, sozialer, politischer und wirtschaftlicher Hinsicht ausgesetzt sein kann, wird die Tragfähigkeit des Leitbilds zur Rechtfertigung berufsrechtlicher Schranken verschiedentlich in Zweifel gezogen319. Indessen er­ scheint es plausibel, dass sich der Gesetzgeber darauf beschränkt, der Gefährdung der anwaltlichen Unabhängigkeit in erster Linie dort zu begegnen, wo es sich um klar abgrenzbare, typisierbare Gefährdungslagen handelt, bei denen die Beeinträchtigung der Unabhängigkeit effektiv verhindert werden kann. Das ist bei den Fremdbesitzre­ geln der Fall, weil berufsfremden Interessen ein klar abgrenzbares, erhöhtes Gefähr­ dungspotential innewohnt und die Einhaltung der Verbote leicht überprüft werden kann320. Zu dieser Einschätzung gelangte auch der EuGH in der Doc-Morris-Entscheidung zum Fremdbesitzverbot bei Apothekern321. Unabhängige, selbstverantwortlich han­ delnde Apotheker seien einem geringeren Gefährdungspotential ausgesetzt als sol­ che, die einer Fremdbestimmung durch Dritte unterliegen. Aus ähnlichen Gründen erscheint es nicht inkohärent, die Beschäftigung angestellter Anwältinnen oder An­ wälte zu erlauben, obwohl diese in einem durch Weisungen beherrschten Abhängig­ keitsverhältnis stehen, nicht aber die Beteiligung von Kapitalgebern, denen von Rechts wegen keine Weisungsbefugnisse gegenüber den Mitgesellschaftern zuste­ hen322. Der Hauptunterschied besteht auch hier in dem erhöhten Gefährdungspoten­ tial, das von berufsfremden Dritten ausgeht, wohingegen der Rechtsanwaltsarbeitge­ ber tendenziell auf der Seite des angestellten Rechtsanwalts steht, den gleichen beruflichen Bindungen unterliegt und bei einem beruflichen Fehlverhalten den Ver­ lust seiner beruflichen Existenz befürchten muss323. cc) Die Doc-Morris-Entscheidung des EuGH als Vergleichsmaßstab Die zentrale Frage ist, ob das für Rechtsanwälte geltende Fremdbesitzverbot den An­ forderungen genügt, die der EuGH für Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit gem. Art. 43, 48 EG aufgestellt hat. Diese müssen seit dem Urteil in der Rechtssache Gebhard324 vier Voraussetzungen erfüllen: Sie müssen in nicht diskriminierender Weise angewandt werden, aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerecht­ fertigt sein, geeignet sein, die Erreichung des mit ihnen verfolgten Ziels zu gewähr­ leisten, und dürfen nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung des Ziels erfor­ 319 Kleine-Cosack, § 1 BRAO Rz. 15; kritisch auch Henssler/Prütting, § 43a BRAO Rz. 7 ff. 320 Vgl. näher Singer, in: FS Herrmann, S. 247 ff.; ders., in: FS Czybulka, S. 334 f.; ders., BRAKMitt 2012, 145, 150 f.; ders., BerlAnwBl 2016, 208, 211. 321 EuGH, Urt. v. 19.5.2009 – C-171/07 und C-172/07, NJW 2009, 2112, 2114 Rz. 37 (Doc Morris). 322 Kritisch daher Prütting, AnwBl 2009, 402, 403. 323 Henssler/Prütting, § 43a BRAO Rz. 16. 324 EuGH, Urt. v. 30.11.1995 – C-55/94, Slg. 1995, I – 4188, 4199 Rz. 37 (Gebhard); Schwarze/ Schlag, Art. 43 EGV Rz. 48.

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derlich ist. Sämtliche Voraussetzungen sah der EuGH bei dem für den Betrieb einer Apotheke geltenden Fremdbesitzverbot als erfüllt an, so dass es sich geradezu auf­ drängt, bei dem Fremdbesitzverbot für Rechtsanwälte genauso zu entscheiden.325 „Ich bin ein Apotheker“ titelte kurz nach Bekanntwerden der Doc-Morris-Entschei­ dung Markus Hartung, warb aber eher für eine Differenzierung. Im Schrifttum ist die Haltung gespalten. Der Hinweis, dass es sich bei Doc Morris um einen „Sonderfall“ handeln würde326, ist per se nicht aussagekräftig. Allein maßgebend ist, ob sich die Interessenlage in Bezug auf das apothekenrechtliche und anwaltliche Fremdbesitzver­ bot substantiell unterscheidet. Größere Unterschiede bestehen jedenfalls gegenüber dem Fall des griechischen Optiker-Gesetzes, dessen Verbot, mehr als ein Geschäft zu betreiben, vom EuGH als unverhältnismäßig angesehen wurde. Das Verbot sollte ge­ währleisten, dass die Verbraucher sachgerecht beraten würden. Dafür genügte es je­ doch nach der einleuchtenden Begründung des EuGH, wenn in jedem Geschäft ein diplomierter Optiker entweder als Arbeitnehmer oder als Mitgesellschafter anwesend sei. Beim Fremdbesitzverbot von Apotheken verfolgte der deutsche Gesetzgeber ein anderes Schutzziel: Die Verbraucher sollten in den Genuss einer unabhängigen Bera­ tung kommen. Um den Schutz der Unabhängigkeit ging es bei dem Verbot des Mehr­ betriebs von Optikerfachgeschäften definitiv nicht. Die Unabhängigkeit des Apothekers sieht der EuGH in Gefahr, wenn Nicht-Apo­ theker auf den Geschäftsbetrieb Einfluss nehmen könnten. Insbesondere bei Herstel­ lern und Großhändlern pharmazeutischer Produkte bestünde die Gefahr, dass diese „zu einer Förderung derjenigen Arzneimittel anhalten, die sie selbst vertreiben oder herstellen“. Entsprechende Verflechtungen bestanden denn auch zwischen der In­ ternet-Apotheke Doc-Morris und dessen Mehrheitsgesellschaftler, dem Pharmagroß­ handelsunternehmen Celesio.327 Wenn der Vertrieb in der Hand von unabhängigen Apothekern liegt, sieht der Gerichtshof kein vergleichbares Gefahrenpotential. Zwar verfolge auch der Betreiber, der Apotheker ist, das Ziel, Gewinne zu erwirtschaften. Aber dieses Interesse, das ihn womöglich zur unsachgemäßen Abgabe von Arznei­ mitteln verleiten könnte, sei „durch seine Ausbildung, seine berufliche Erfahrung und die ihm obliegende Verantwortung gezügelt“, da ein etwaiger Verstoß gegen die ein­ schlägigen Regeln ordnungsgemäßer Berufsausübung „nicht nur den Wert seiner In­ vestition“  – also den Wert der Apotheke −, „sondern auch seine eigene berufliche Existenz“ erschüttere.328 Auch wenn man diesen Vergleich mit Skepsis betrachtet, so wird man kaum leugnen können, dass ein zusätzliches Gefährdungspotential für Ver­ braucher besteht, wenn der Apotheker nicht nur von den Einnahmen aus dem Betrieb der Apotheke profitiert, sondern darüber hinaus auch von den Erträgen aus dem Ver­ 325 Ebenso Ewer, AnwBl 2009, 657, 659; Weil, BRAK-Mitt. 2013, 54, 57; Wende, S.  183  ff., 201 f. – Eingehend Singer, AnwBl 2010, 79, 81 ff.; ders., in DWS (Hrsg.): Fremdbesitzver­ bot im Recht der Steuerberater und anderer Freier Berufe 2009, S. 11, 23 ff. 326 Hellwig, AnwBl 2012, 876, 880 unter Berufung auf Äußerungen des EuGH-Richters von Danwitz, der u.a. auf dem 68. Deutschen Juristentag in Berlin vor einer Verallgemeine­ rung des Doc Morris-Urteils warnte; s.a. Kilian, AnwBl. 2014, 111, 115. 327 Vgl. Jung, aktuelle Stellungnahme 2/09 des Instituts für Kammerrecht e.V., S. 5 Fn. 6. 328 EuGH, Urt. v. 19.5.2009 – C-171/07 und C-172/07, NJW 2009, 2112, 2114 Rz. 37 (Doc Morris).

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trieb oder der Herstellung des Produkts. Während die Gefährdung von Verbraucher­ interessen durch rücksichtsloses Gewinnstreben von Apothekern  – etwa durch die Empfehlung teurer, aber unwirksamer Produkte  – nur durch die Einhaltung be­ rufsethischer Prinzipien zu verhindern ist, aber rechtlich nicht gesteuert werden kann, ist ein Fremdbesitzverbot in der Lage, die zusätzliche Gefährdung des Verbrau­ chers durch Einflussnahme Dritter effektiv zu bekämpfen. Da es keine andere, weni­ ger einschneidende Möglichkeit gibt, die Gefährdung des Verbrauchers vor unsach­ gemäßer Beratung auszuschalten, ist das Fremdbesitzverbot auch zur Erreichung des Ziels erforderlich. Beim Fremdbesitzverbot von Rechtsanwälten geht es um eine vergleichbare Interes­ senlage. Auch hier geht es um ein Allgemeininteresse von hohem Rang, nämlich den Schutz der Rechtspflege und der Verbraucher. Ob dieser auf einer Stufe steht mit dem ohne Zweifel hohen Schutzgut der Volksgesundheit329, kann dahinstehen, da es sich jedenfalls um zwingende Allgemeininteressen handelt und der EuGH grundsätzlich nicht verlangt, dass diese „höchsten“ Rang haben müssen. Davon abgesehen handelt es sich um Belange, deren Schutzwürdigkeit durchaus hohen Rang besitzt und daher nicht ernsthaft in Frage gestellt werden kann, gehört doch die Unabhängigkeit der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte zu deren Kardinaltugenden und Kardinalpflich­ ten und zu den elementaren Voraussetzungen einer rechtsstaatlichen Rechtspflege. dd) Inkohärenter Schutz der beruflichen Unabhängigkeit? Gegen die Schutzwürdigkeit der beruflichen Unabhängigkeit wird vorgebracht, dass dieser Schutz nur unvollkommen sei. Auch der angestellte Anwalt sei nicht unabhän­ gig330, und frei praktizierende Anwälte seien in vielerlei Hinsicht Gefährdungen der anwaltlichen Unabhängigkeit ausgesetzt, insbesondere durch die Abhängigkeit von großen Mandanten oder von Kapitalgebern, die als Darlehensgläubiger Druck aus­ üben können331. Unbestritten gibt es solche wirtschaftlichen und arbeitsrechtlichen Abhängigkeiten. Aber damit ist noch nicht entschieden, dass die gesetzlichen Regeln inkohärent sind. In der Rechtsprechung des EuGH hat zwar das Kohärenzgebot große Bedeutung bei der Überprüfung von nationalen Beschränkungen der Grundfreihei­ ten erlangt332. Aber Kohärenz bedeutet Widerspruchsfreiheit, deckt sich also mit dem Gebot, Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln. Differenzierungen sind daher erlaubt, wenn es dafür sachliche Gründe gibt. 329 Zweifelnd Hellwig, AnwBl 2012, 876, 880; ders., AnwBl 2011, 77, 80; s.a. Kilian, AnwBl. 2014, 111, 115; Kämmerer, in: DWS (Hrsg.), Zukunft der Freien Berufe 2015, S. 26 und 31: Doc Morris als „Ausreißer-Entscheidung“; gegen eine reine Kapitalbeteiligung bei Zusam­ menschlüssen von Freiberuflern ders., Gutachten 68. DJT (2010), H 80.  330 Offermann-Burckart, AnwBl 2012, 778, 781; Kleine-Cosack, AnwBl 2012, 947, 948; Kilian, AnwBl 2014, 111, 115 f., ders., AnwBl 2014, 468, 470; Kilian/Koch, Berufsrecht B V 4 c cc, Rz. 1063.  331 Hartung, AnwBl 2009, 704, 707. 332 EuGH, Urt. v. 11.6.2015 – C-98/14, EU: C: 2015: 386, Rz. 64 und 92 (Berlington Hungary u.a.); Urt. v. 12.7.2012 – C-176/11, EuZW 2012, 822 Rz. 22 (HIT u.a./Bundesminister für Finanzen).

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Diese bestehen bei den genannten Beispielen durchaus, da sich die Gefährdungslagen doch deutlich unterscheiden. So entspricht es nicht den typischen Umständen, dass ein Darlehensgläubiger auf die Geschäftsbesorgungstätigkeit der Anwältin oder des Anwalts Einfluss nimmt. In Betracht kommt ein solches Vorgehen am ehesten noch in der Krise, also in einer besonderen Lage, in der ohnehin die Unabhängigkeit ge­ fährdet ist. Stärker gefährdet ist die Unabhängigkeit der Anwältin oder des Anwalts bei bestehenden Großmandaten. Es wurde daher vorgeschlagen, diese Abhängigkeit zu begrenzen, etwa durch eine Beschränkung der Einzelmandate auf 2-5 % des Jah­ resumsatzes333. Als Vorbild dient die Regelung bei Wirtschaftsprüfern, denen § 319 Abs. Nr. 5 HGB die Prüftätigkeit untersagt, wenn sie in den letzten 5 Jahren mehr als 30% der Gesamteinnahmen aus der Prüfungstätigkeit für die zu prüfende Gesell­ schaft erzielt haben. Aber vergleichbar ist die Interessenlage nicht334, weil der Wirt­ schaftsprüfer nicht die Aufgabe hat, die Interessen des zu prüfenden Unternehmens zu vertreten, sondern dieses objektiv zu prüfen. Es muss daher auf strikte Neutra­ lität  geachtet werden. Davon abgesehen erschiene es kaum praktikabel, die wirt­ schaftlichen Verhältnisse der über 160.000 Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte flächendeckend auf wirtschaftliche Abhängigkeiten zu kontrollieren. Das vom BRAK-­ Präsidium verabschiedete Diskussionspapier zur Berufsethik der deutschen Rechts­ anwältinnen und Rechtsanwälte verzichtet daher mit Recht auf Empfehlungen zum Verhalten bei wirtschaftlicher Abhängigkeit335. Erhebliche Unterschiede bestehen auch zwischen der Abhängigkeit des angestellten Rechtsanwalts zu seinem anwaltlichen Arbeitgeber und der Abhängigkeit zu ei­ nem Kapitaleigner. So ist der anwaltliche Arbeitgeber seinerseits an das Berufsrecht gebunden336 und muss bei berufswidrigem Verhalten und entsprechenden Weisun­ gen an den angestellten Rechtsanwalt berufsrechtliche Sanktionen befürchten, im schlimmsten Fall den Widerruf der Zulassung. Noch viel wichtiger ist ein teleologi­ scher Gesichtspunkt337. Die Ausrichtung der berufsrechtlichen Schranken am Leit­ bild der beruflichen Unabhängigkeit hat den Zweck, die Belange der Rechtspflege und die Mandanten zu schützen. Es geht nicht um die persönliche Unabhängigkeit des Rechtsanwalts, sondern um seine institutionelle Unabhängigkeit. Insoweit ist aber die Rechtspflege nicht stärker gefährdet, wenn der Mandant anstatt vom anwaltlichen Arbeitgeber von einem seiner angestellten Rechtsanwälte beraten oder vertreten wird. Der Umstand, dass die Bearbeitung der Mandate arbeitsteilig erfolgt, begründet auch kein strukturell erhöhtes Risiko für die Mandanten. Weisungen im Innenverhältnis können im Gegenteil verhindern, dass das Mandat nicht sachgerecht bearbeitet wird. Eine Gefährdung durch berufsfremde Einflüsse ist in solchen Fällen nicht größer als wenn sich der Mandant unmittelbar dem anwaltlichen Arbeitgeber anvertraut hätte. Unterschiede bestehen im Übrigen auch gegenüber Syndikusrechtsanwältinnen und -anwälten, die bei nicht-anwaltlichen Arbeitgebern angestellt sind. Zwar bemüht sich 333 Heussen, S. 100; zustimmend Streck, S. 26. 334 Vgl. auch Grunewald, NZG 2001, 645; Schautes, S. 163 f. 335 BRAK-Mitt. 2011, 58, 59 (unter III.A.2). 336 Ewer, AnwBl 2009, 657, 659. 337 Vgl. dazu ausführlich schon Singer, BRAK-Mitt. 2014, 282, 287; zustimmend Wind, S. 177.

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der Gesetzgeber bei Syndikusrechtsanwältinnen und -anwälten um die Sicherung ih­ rer Unabhängigkeit, indem er die Zulassung u.a. davon abhängig macht, dass die fachliche Unabhängigkeit vertraglich und tatsächlich gewährleistet ist (§  46 Abs.  3 S. 1, 4 S. 2 BRAO)338. Aber im Gegensatz zum anwaltlichen Arbeitgeber nimmt der nicht-anwaltliche Arbeitgeber gegenüber der Syndikusanwältin oder dem -anwalt so­ wohl die Rolle des Auftraggebers als auch die des Arbeitgebers ein. Konflikten zwi­ schen den – rein ökonomischen − Interessen des Unternehmens und Belangen der Rechtspflege sucht der Gesetzgeber durch die errichtete Barriere der Weisungsfreiheit zu begegnen. Das damit heraufbeschworene Kohärenzproblem ist entgegen meinen früheren Befürchtungen339 nicht unlösbar. Zwar könnte man auch versuchen, die Ka­ pitaleigner in gleicher Weise zu bändigen wie die Arbeitgeber der Syndikusrechts­ anwältinnen und -anwälte, also durch ein gesetzlich verankertes und vertraglich dop­ pelt gesichertes Weisungsverbot. Aber der gewichtige Unterschied zwischen beiden ­Gefährdungstatbeständen besteht darin, dass der den Weisungen des Arbeitgebers folgende Syndikus nicht die Interessen ihm anvertrauter Mandanten verletzt. Sein „Mandant“ ist der Arbeitgeber. ee) Auswirkungen der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zu interprofessionellen Sozietäten auf das Fremdbesitzverbot Mit Beschluss vom 14.1.2014 hat das BVerfG die Regelungen im Berufsrecht der Rechtsanwälte und Patentanwälte, die bei einer GmbH bestimmte Anteils- und Mehr­ heitserfordernisse zugunsten der Angehörigen einer Berufsgruppe vorschreiben, für verfassungswidrig erklärt340. Da Geschäftsanteile und Stimmrechte sowie die Ge­ schäftsführung mehrheitlich Rechtsanwälten bzw. Patentanwälten zustehen mussten (§§ 59e II 1, 59f I 2 BRAO; §§ 52e II 1, 52f I 2 PAO), war eine gemeinschaftliche Be­ rufsausübung in einer Gesellschaft nur möglich, wenn wenigstens ein Gesellschafter über eine doppelte Berufsqualifikation verfügte. Der damit verbundene Eingriff in die Berufsfreiheit war nach dem Beschluss des BVerfG jedoch nicht erforderlich, um die berufliche Unabhängigkeit der Rechts- und Patentanwälte zu schützen, da dieses Ziel bereits durch die Berufspflichten der Rechts- und Patentanwälte sichergestellt sei. So sei es Rechtsanwälten und Patentanwälten gleichermaßen untersagt, Bindungen ein­ zugehen, die ihre berufliche Unabhängigkeit gefährden würden (§§ 43a I BRAO, 39a I PAO). Da diese Verpflichtung auch die Gesellschaften selbst träfe, seien Gesell­ 338 BT-Drs. 18/5201, S. 29. – Mit der Reform des § 46 BRAO korrigierte der Gesetzgeber die Rechtsprechung des BSG, das zuvor den Syndikusanwälten die berufliche Unabhängigkeit abgesprochen hatte (Urt. v. 3.4.2014 – B 5 RE 13/14 R, NJW 2014, 2743; Urt. v. 3.4.2014 – B 5 RE 9/14 R, WM 2014, 1883; das Urteil wurde nahezu einhellig abgelehnt, vgl. Kleine-Cosack, AnwBl 2014, 891; Prütting, AnwBl 2014, 788 ff.; Filges, BRAK-Mitt. 2014, 225; Krenzler, BRAK-Mitt. 2014, 128; Heise, AnwBl 2014, 936). 339 Singer, BRAK-Mitt. 2014, 282, 291; ders., BT-Drs. 18/5201, S. 77 ff., ders., DB 2015, Nr. 40, 11 f. 340 BVerfG, Beschl. v. 14.1.2014 – 1 BvR 2998/11, 1 BvR 236/12, NJW 2014, 613 m. Anm. Kämmerer, DStR 2014, 669, 670 f.; Stüer, DVBl 2014, 442 ff.; H.-J. Mayer, FD-RVG 2014, 355425; s. ferner Glindemann, AnwBl 2014, 214 ff.; Kleine-Cosack, AnwBl 2014, 221 ff.; Singer, DStR Beih zu 13/2015, 11 ff.; ders., AnwBl 2016, 788 ff.

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schaftsstrukturen verboten, welche die berufliche Unabhängigkeit gefährden wür­ den341. Mit ähnlicher Argumentation hat das Verfassungsgericht auch die Beschränkungen der sozietätsfähigen Berufe in §  59a BRAO auf Rechtsanwälte und Patentanwälte, Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer und vereidigte Buchprüfer nicht für verfassungskonform gehalten. Einer interprofessionellen Partnerschaft, be­ stehend aus einem Rechtsanwalt und einer Ärztin und Apothekerin, durfte daher nicht die Eintragung in das Partnerschaftsregister verwehrt werden (Fall Horn)342. Zwar diene §  59a BRAO einem legitimen Zweck, da die Norm die Einhaltung der anwaltlichen Berufspflichten – insbesondere die Pflicht zur Verschwiegenheit sowie die anwaltliche Unabhängigkeit – sicherstellen solle. Aber das Sozietätsverbot sei we­ der erforderlich noch angemessen. Ärztinnen und Ärzte sowie Apothekerinnen und Apotheker seien im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit ebenso zur beruflichen Ver­ schwiegenheit und zur Wahrung der beruflichen Unabhängigkeit verpflichtet wie Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte. Außerdem dürften sich Rechtsanwälte gemäß § 30 S. 1 BORA mit anderen Berufsangehörigen nur dann zu einer gemeinschaftli­ chen Berufsausübung verbinden, wenn diese bei ihrer Tätigkeit das anwaltliche Be­ rufsrecht beachteten. Und schließlich müsse der Rechtsanwalt gem. § 33 Abs. 2 BORA gewährleisten, dass auch die „Organisation“ die Regeln der Berufsordnung einhalte. Nun kann man darüber streiten, ob die beschriebenen Verhaltenspflichten und Siche­ rungen auf der „betrieblichen-operativen Ebene“343 tatsächlich genauso effektiv sind wie die vom Gesetzgeber aufgestellten – abstrakten – Maßnahmen der Gefahrenab­ wehr in Gestalt von Tätigkeitsverboten. Im Verfahren um die Beschlagnahme von E-Mails bei einem Syndikusanwalt (Akzo Nobel)344 hat Generalanwältin Juliane Kokott zurecht darauf hingewiesen, dass allein das Bestehen gesetzlicher Weisungsver­ bote gegenüber einem Syndikus nicht gewährleiste, dass dieser in der Realität keinen sachfremden Einflüssen ausgesetzt sei345. Was hier für die Stellung des Syndikus ange­ führt wird, gilt entsprechend für andere Konstellationen, in denen eine Rechtsanwäl­ tin oder ein Rechtsanwalt faktischen Einflüssen von Berufsfremden ausgesetzt ist. Aber die verfassungsgerichtliche Argumentation hat aufgrund ihrer Autorität hohes Gewicht und könnte auch auf andere Konstellationen übertragen werden, in denen die Unabhängigkeit des Rechtsanwalts bedroht ist. Auch in Bezug auf das Fremdbe­ 341 BVerfG, Beschl. v. 14.1.2014 – 1 BvR 2998/11, 1 BvR 236/12, NJW 2014, 613, 617 Rz. 82 f.; dem BVerfG folgend bei einer Sozietät zwischen Rechtsanwälten und Steuerberatern AGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 19.10.2018 – AGH 13/2018 II, BRAK-Mitt. 2019, 35, 41 ff. 342 BVerfG, Beschl. v. 12.1.2016 – 1 BvL 6/13, NJW 2016, 700; zust. Henssler/Deckenbrock, AnwBl 2016, 211; Henssler, ZAP 2016, 263 f.; Kleine-Cosack, AnwBl 2016, 311 ff.; Prütting, EWiR 2016, 195  f.; Römermann, NJW 2016, 682  ff.; krit. Singer, DStR 2016, 991; ders., AnwBl 2016, 788 ff. 343 Terminus von Hellwig, AnwBl 2016, 201, 205. 344 EuGH, Urt. v. 14.9.2010  – C-550/07 P, NJW 2010, 2357 (Akzo Nobel) m. Anm. Singer, DStR 2010, 2270. 345 BeckRS 2010, 90528 Rz.  63  f.; vgl. schon Singer, DB 2015, Nr.  40, S.  11; s. ferner Wolf, BRAK-Mitt. 2018, 162, 163: „Die Logik des Investors ist mit der Logik des freien Berufs nicht kompatibel“.

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sitzverbot könnte man argumentieren, dass das abstrakte Verbot für Berufsfremde oder Angehörige nicht vereinbarer Berufe, Gesellschafter einer Anwaltssozietät sein zu können, unverhältnismäßig sei und darauf vertraut werden könne, dass die nichtanwaltlichen Gesellschafter die berufliche Unabhängigkeit der Rechtsanwältin­ nen und Rechtsanwälte respektieren. Im Schrifttum wurde daher als Konsequenz aus den verfassungsrechtlichen Judikaten die Abschaffung des Fremdbesitzverbots gefor­ dert. Es verstoße gegen Verfassungsrecht und europäisches Gemeinschaftsrecht, da die Beschränkungen der Berufsfreiheit und der Niederlassungs- und Dienstleistungs­ freiheit unverhältnismäßig seien. 346 Indessen wäre dieser Schluss aus einer Reihe von Gründen voreilig. Zum einen muss sichergestellt sein, dass nicht-anwaltliche Gesellschafter wie die im Fall Horn assozi­ ierte Ärztin und Apothekerin einer Verschwiegenheitspflicht unterliegen, zum ande­ ren fehlt es an Garantien, dass die nichtanwaltlichen Gesellschafter die anwaltliche Unabhängigkeit respektieren. In seinem Beschluss über die für verfassungswidrig er­ klärten Mehrheitserfordernisse bei der gesellschaftlichen Verbindung von Rechtsan­ wälten mit Patentanwälten spielte für das BVerfG eine entscheidende Rolle, dass Rechtsanwälten und Patentanwälten in den jeweiligen Berufsordnungen gleicherma­ ßen untersagt ist, Bindungen einzugehen, die ihre berufliche Unabhängigkeit gefähr­ den347. Und im Beschluss über die Partnerschaft von Rechtsanwälten mit Ärzten und Apothekern (Fall Horn) betonte das BVerfG zwar einerseits die Verpflichtung der Rechtsanwälte und ihrer Organisation, das Berufsrecht gerade auch bei interprofessi­ onellen Verbindungen zu beachten (§§ 30 Satz 1, 33 Abs. 2 BORA).348 Auf der ande­ ren Seite waren für das Gericht jedoch auch die berufsrechtlichen Bindungen im Be­ rufsrecht der Ärzte und Apotheker von wesentlicher Bedeutung, insbesondere die dort verankerte Verpflichtung, ihre berufliche Unabhängigkeit zu wahren. Verstöße gegen diese Pflichten unterliegen der berufsrechtlichen Ahndung durch die Heilbe­ rufsgesetze der Länder.349 Es ist kaum zu bestreiten, dass die korrespondieren Verpflichtungen zur Wahrung der beruflichen Unabhängigkeit im Berufsrecht der jeweiligen nichtanwaltlichen Partner von entscheidungserheblicher Bedeutung sind350. Dafür spricht nicht nur die generel­ le Vermutung, dass den vom Gericht angeführten Gründen auch rechtliche Relevanz zukommt, sondern auch die Überlegung, dass andernfalls der Schutz der anwaltli­ chen Unabhängigkeit auf äußerst schwachen Füssen stünde. Ob Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte der Einflussnahme berufsfremder Dritter standhalten, ist un­ geachtet der bestehenden rechtlichen Verpflichtungen zweifelhaft, zumal sich un­ zulässige Einflussnahmen im Verborgenen abspielen und kaum zu kontrollieren 346 Dafür Römermann, NJW 2016, 682; Kleine-Cosack, AnwBl 2016, 311; Ludwig, BRAKMitt. 2018, 278; tendenziell auch Hellwig, AnwBl 2016, 776, der jedoch ein Sozietätsverbot für nicht „vereinbare“ Berufe anerkennt; aA Hartung/Scharmer/von Wedel, vor §  59a BRAO Rz. 17, 18; Kury, BRAK-Mitt. 2018, 278. 347 BVerfG, Beschl. v. 14.1.2014 − 1 BvR 2998/11, 1 BvR 236/12, NJW 2014, 613, 617 Rz. 82. 348 BVerfG, Beschl. v. 12.1.2016 – 1 BvL 6/13, NJW 2016, 700 Rz. 87-89. 349 BVerfG, Beschl. v. 12.1.2016 – 1 BvL 6/13, NJW 2016, 700 Rz. 84. 350 AA Hellwig, AnwBl 2016, 776, 783 f.

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sind.351 Durch die Bindung der nichtanwaltlichen Partner an ihre berufsrechtlichen Vorschriften wird diese Schwäche zwar nicht vollständig kompensiert, aber doch in nicht vernachlässigbarem Maße der Druck verstärkt, diese Pflichten auch ernst zu nehmen, um eigene berufsrechtliche Sanktionen zu vermeiden. Wenn man sich allein damit begnügen würde, dass Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte auf der „betrieb­ lich-operativen Ebene“ berufsrechtlichen Bindungen unterliegen, wäre in letzter Konsequenz das Fremdbesitzverbot kaum noch zu verteidigen. Denn auch in Bezug auf die befürchtete Einflussnahme von Kapitaleignern könnte man einem strukturel­ len Beteiligungsverbot entgegenhalten, dass Anwalt und Anwaltsorganisation an ihre Berufspflichten gebunden seien und somit auch hier mildere Mittel bestünden, um die berufliche Unabhängigkeit zu schützen. Spätestens dann wäre jedoch das Leitbild der beruflichen Unabhängigkeit aufgegeben. Da eine unabhängige Anwaltschaft zum Wesen einer rechtsstaatlichen Rechtspflege gehört, wäre dies mit umgekehrtem Vor­ zeichen verfassungsrechtlich bedenklich. Seit Jahren wird der Blick einseitig auf die verfassungsrechtlichen Grenzen von Berufsrechtsschranken gerichtet. Dabei wird vernachlässigt, dass auch nach der anderen Seite verfassungsrechtliche Grenzen be­ stehen, wenn nämlich die im Interesse der Mandanten und der Rechtspflege gebotene Regulierung hinter dem Mindestniveau zurückbleibt und das „Untermaßverbot“352 verletzt wird. Zwar wird in den Kommentaren zum Grundgesetz üblicherweise nur die Unabhängigkeit der Justiz als elementarer Bestandteil einer rechtsstaatlichen Ver­ fassung der Rechtspflege angesehen353, aber es sollte eigentlich kein Zweifel bestehen, dass auch die Unabhängigkeit der Anwaltschaft zu den Grundpfeilern einer rechts­ staatlichen Rechtspflege gehört. Um ein Mindestmaß an beruflicher Unabhängigkeit zu sichern, bedarf es daher − ungeachtet der liberalen verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung der letzten Jahre  – auch in Zukunft eines Fremdbesitzverbots für Rechtsanwaltsgesellschaften. ff) Lockerung des Fremdbesitzverbots in Fällen mit geringem Gefährdungs­ potential und Reformvorschläge der Berufsorganisationen Ungeachtet des Plädoyers für eine prinzipielle Beibehaltung des Fremdbesitzverbots ist damit der Weg für eine Lockerung des Verbots in Fällen, in denen einerseits ein großes praktisches Bedürfnis für die reine Kapitalbeteiligung Berufsfremder besteht, andererseits aber die Gefährdung der anwaltlichen Unabhängigkeit bei typisierender Betrachtung als gering eingestuft werden kann, nicht verschlossen354. Um solche Fälle handelt es sich, wenn sich ehemals aktive Gesellschafter, nichtjuristische Mitarbeiter

351 Henssler/Deckenbrock, DB 2016, 215, 217 in Bezug auf die vertragliche Sicherung der an­ waltlichen Unabhängigkeit im reformierten Recht der Syndikusanwälte gem. § 46 Abs. 4 Satz 2 BRAO. 352 Zu Begriff und Funktionsweise des Untermaßverbots eingehend Canaris, Zwischenbilanz, S. 43 ff. und S. 83 ff.; ders., AcP 184 (1984), 201, 227, 245. 353 Maunz/Dürig/Grzeszick, Art. 20 GG Rz. 28 f. 354 Zu eng Wende, S. 212 f., der jedwede Lockerung des Fremdbesitzverbots ablehnt.

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oder Erben an der Berufsausübungsgesellschaft beteiligen wollen355. Auch die Beteili­ gung anderer Rechtsanwaltsgesellschaften oder Steuerberater- und Wirtschaftsprü­ fungsgesellschaften356 bieten wegen der übereinstimmenden berufsrechtlichen Bin­ dungen einerseits und dem parallel gelagerten Interesse an einer mandantengerechten Beratung kein erhöhtes Gefährdungspotential im Vergleich zur Bildung einer „ein­ stöckigen“ mono- oder multiprofessionellen Berufsausübungsgesellschaft. Nach dem im Auftrag des DAV ausgearbeiteten Reformvorschlag von Martin Henssler soll die Verbindung von Rechtsanwälten mit anderen Berufen zulässig sein, wenn diese Berufe „mit dem Beruf des Anwalts, insbesondere seiner Stellung als unabhän­ giges Organ der Rechtspflege, vereinbar sind“.357 Da jedoch im Einzelfall streitig sein kann, auf welche Berufen diese Umschreibung zutrifft, ist mit dieser Formulierung wenig gewonnen. Die im Katalog des § 59b Abs. 1 Nr. 2 S. 2 genannten Beispiele für „vereinbare Berufe“ unterscheiden sich allerdings nur marginal von dem hier vertre­ tenen Vorschlag, in Anlehnung an die vom Bundesverfassungsgericht vorgezeichnete Linie allen Berufen Sozietätsfähigkeit einzuräumen, die über ein vergleichbares Schutzniveau wie die vom Gesetzgeber bisher zugelassenen wirtschaftsberatenden Berufe verfügen358. Weitaus problematischer ist der Vorschlag von Martin Henssler, auch reine Kapitalbeteiligungen zuzulassen. Auch wenn die Anteile nicht die Sperr­ minorität von 25% erreichen dürfen und von sozietätsfähigen Personen gehalten wer­ den müssen, darf die wirtschaftliche Macht von Kapitalbeteiligungen von weniger als 25% nicht unterschätzt werden.359 Zum Vergleich: Die von der Züricher Aufsichts­ kommission für zulässig erachtete Kapitalbeteiligung von nicht-anwaltlichen Part­ nern einer Rechtsanwaltskörperschaft in Höhe von 25% gilt nur für Partner, die aktiv in der Gesellschaft tätig sind360. Bei reinen Kapitalbeteiligungen treffen den Anteils­ eigner auch keine Berufspflichten, so dass die mäßigenden Faktoren, die das Bundes­ verfassungsgericht bei der interprofessionellen Sozietät angeführt hat, um die geringe Gefahr für die anwaltliche Unabhängigkeit zu illustrieren361, nicht zur Geltung kä­ 355 Henssler, BRAK-Mitt. 2007, 186, 190; ders., AnwBl 2009, 670, 680; ders., AnwBl 2014, 762, 767; Kilian, AnwBl 2016, 217, 218 f.; Michel, AnwBl 2017, 128, 132. 356 Dafür Henssler, AnwBl 2014, 762, 767; BRAK, Stellungnahme Nr. 15/2018, S. 10 f. 357 Vgl. Henssler, AnwBl Online 2018, 564, 571 und 578; ders., AnwBl Online 2019, 257, 264 und 271 f.; zum Reformvorschlag des DAV vgl. bereits Hartung, AnwBl. 2017, 397, 398; für die Zulassung aller vereinbaren Berufe iSd §§ 7 Nr. 8, 14 Abs. 2 Nr. 8 BRAO Uwer, AnwBl Online 2019, 20, 24; kritisch Wolf und Römermann (Nachw. oben Fn. 308). 358 Vgl. dazu näher unten im Text unter C II 3 c bb. 359 Kritisch in Bezug auf reine Kapitalbeteiligungen mit Recht Hellwig, NJW 2005, 1217, 1222; Kämmerer, Gutachten 68. DJT (2010), H 78 f. unter Bezugnahme auf dens., DVBl 2008, 1005, 1009 (dort allg. zur unternehmerischen Abhängigkeit von Fremdkapital); auch Henssler, BRAK-Mitt. 2007, 186, 190.  360 Vgl. die Beschlüsse v. 5.10.2006, ZR 105, 2006, Nr. 71, S. 294 ff. und v. 3.5.2018, ZR 117, 2018, 101 ff. (rechtskräftig); noch strenger das jüngst verkündete Urteil des Schweizeri­ schen Bundesgerichts, das die Beteiligung eines Steuerexperten in einer Aktiengesellschaft mit 50 zugelassenen Anwälten für unzulässig hält (Urt. v. 15.12.2017 − 2C_1054/2016 und 2C_1059/2016, BGE 144 II 147 ff.). Mit Recht kritisch Beat von Rechenberg, Anwalts Re­ vue des Schweizerischen Anwaltsverbands, 5/2018, S. 201 ff. 361 Vgl. näher unten im Text C II 3 c bb bei und mit Fn. 411 f.

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men. Ohnehin ist fraglich, ob sich die verbotene Einflussnahme durch externe Kapi­ talbeteiligungen effektiv kontrollieren lässt. Dieser Unsicherheit entgeht man, wenn man an dem einfach zu überprüfenden Verbot der reinen Kapitalbeteiligung festhält. Ob sich mit dem Reformvorschlag verhindern ließe, dass sich Kapitalgesellschaften, die ausschließlich gewerbliche Ziele verfolgen, mit Rechtsanwälten zu interprofessio­ nellen Gesellschaften Berufsausübungsgesellschaften verbinden362, muss bezweifelt werden. Angesichts der Notwendigkeit, die Unabhängigkeit der anwaltlichen Be­ rufsausübung in kohärenter Weise zu gewährleisten, stellt sich mit Nachdruck die Frage, ob die vom Entwurf gezogene Trennlinie zwischen gewerblichen und nicht gewerblichen Anteilseignern einer verfassungsgerichtlichen Kontrolle Stand halten würde. Insofern ist es begrüßenswert, dass der DAV in Bezug auf die Zulassung von Fremdkapital nicht dem Vorschlag von Martin Henssler gefolgt ist und am Erforder­ nis der aktiven Mitarbeit festhält363. Dabei war u.a. ausschlaggebend, dass es „kaum möglich sein wird, zwischen aktiven und nicht-aktiven Gesellschaftern zu unterschei­ den“. Nach dem von der Bundesrechtsanwaltskammer unterbreiteten Gesetzentwurf364 soll sich an der Beschränkung der sozietätsfähigen Berufe bei interprofessionellen Berufs­ ausübungsgesellschaften gemäß § 59a BRAO nichts ändern. Zwar soll die Verbindung zur gemeinschaftlichen Berufsausübung künftig für alle sozietätsfähigen Personen und Gesellschaften, die den Regelungen der §§ 59c ff. BRAO-E entsprechen, zulässig sein (§ 59c Abs. 3 BRAO-E), wenn Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten mehr als ein Viertel der Kapitalanteile und Stimmrechte zustehen. Das Mehrheitserfordernis soll sicherstellen, dass diese Berufsgruppe den Charakter der Gesellschaft prägt.365 Aber dies ändert nichts daran, dass reine Kapitalbeteiligungen nach dem Votum des BRAO-Ausschusses und der Hauptversammlung der Bundesrechtsanwaltskammer weiterhin nicht in Betracht kommen sollen.366 Zwar wird in den Erläuterungen zu § 59c Abs. 3 BRAO-E angemerkt, dass die Aufzählung der sozietätsfähigen Personen in § 59a BRAO nicht mehr enumerativ sei367. Da aber § 59a BRAO nicht geändert werden soll, ist damit offensichtlich nur gemeint, dass die Sozietätsfähigkeit sich nicht auf die in §  59a BRAO aufgelisteten Berufsträger beschränkt, sondern − über den Wortlaut der Vorschrift hinaus – auch solche Berufe erfasst, die aus verfassungsrecht­ lichen Gründen zugelassen werden müssen. Das deckt sich mit der hier vertretenen 362 An diesem Ziel explizit festhaltend Henssler, AnwBl Online 2018, 579. 363 DAV-Stellungnahme 8/2019, AnwBl Online 2019, 257, 272; Lührig, AnwBl 2019, 306. 364 Stellungnahme 15/2018 der BRAK, Erläuterungen zu § 59 c Abs. 3 BRAO-E, S. 10 ff; Kury, BRAK-Mitt. 2018, 165, 170. 365 Kury, BRAK-Mitt. 2018, 165, 170. 366 Vgl. das Protokoll der 154. Hauptversammlung v. 27.4.2018, S. 61, in dem Kury auf den einstimmigen Beschluss des BRAO-Ausschusses v. 5.3.2018 verwiesen hat, wonach eine Erweiterung der Sozietätsfähigkeit auf weitere nichtanwaltliche Berufe davon abhängen soll, dass ein vergleichbares Schutzniveau gewährleistet ist (RS-Nr.  23/2018, S.  6); s.a. Kury, BRAK-Mitt. 2018, 278; die große Mehrheit der Kammern sieht derzeit keinen Be­ darf für die Beteiligung von Fremdkapital (so BRAK-Präsident Wessels auf der 156. Haupt­ versammlung am 10.5.2019). 367 Stellungnahme 15/2018 der BRAK, Erläuterungen zu § 59 c Abs. 3 BRAO-E, S. 13.

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Auffassung, dass sich die Sozietätsfähigkeit auf alle Berufe erstrecken sollte, deren Berufsregulierung ein vergleichbares Schutzniveau gewährleistet.368 b) Rechtsdienstleistungen durch Alternative Business Structures Seit es in England und Wales möglich ist, Rechtsdienstleistungen durch Gesellschaf­ ten zu erbringen, die sich ganz oder zum Teil im Besitz von nicht-anwaltlichen Gesell­ schaftern befinden369, wird kontrovers über die Frage diskutiert, ob diese sog. „Alter­ native Business Structures“ auf dem deutschen Rechtsmarkt tätig sein dürfen. Wäre dies der Fall, wäre es ein Leichtes, das – auch nach den Reformvorschlägen von DAV und BRAK künftig weitergeltende − Fremdbesitzverbot des deutschen Berufsrechts zu umgehen. Da damit zugleich die Eignung der gesetzlichen Regelung zu dem mit ihr verfolgten Zweck entfiele und ein solches Ergebnis gegen das elementare Gebot der Widerspruchsfreiheit und Kohärenz staatlich gesetzten Rechts verstieße, müsste das Verbot wegen Verstoßes gegen Verfassungs- und Unionsrecht für nichtig erklärt werden. Aber ist das tatsächlich der Fall? aa) Niederlassungsfreiheit nach den Bestimmungen des Aufnahmestaates Bereits ein kurzer Blick auf die Ausgestaltung der Niederlassungs- und Dienstleis­ tungsfreiheit im europäischen Primärrecht zeigt, dass Gesellschaften, die sich in ­einem anderen Mitgliedstaat niederlassen, grundsätzlich die Bestimmungen des Auf­ nahmestaates einhalten müssen. Gem. Art. 49 Abs. 2 AEUV „umfasst die Niederlas­ sungsfreiheit die Aufnahme und Ausübung selbständiger Erwerbstätigkeiten sowie die Gründung und Leitung von Unternehmen, insbesondere von Gesellschaften im Sinne des Artikels 54 Absatz 2“, aber – so fährt der Vertragstext fort − „nach den Be­ stimmungen des Aufnahmestaates für seine eigenen Angehörigen“. Eine ähnliche Be­ stimmung trifft Art. 57 Abs. 3 AEUV für die Dienstleistungsfreiheit. Danach „kann der Leistende zwecks Erbringung seiner Leistungen seine Tätigkeit vorübergehend in dem Mitgliedstaat ausüben, in dem die Leistung erbracht wird“, aber auch dies darf er ebenfalls nur „unter den Voraussetzungen, welche dieser Mitgliedstaat für seine eige­ nen Angehörigen vorschreibt“. Unmissverständlich wird also der Umweg verbaut, das nationale Berufsrecht dadurch auszuhöhlen, dass man die liberaleren Bedingungen im Herkunftsstaat ausnutzt, um sich in einem anderen Mitgliedstaat niederzulassen oder dort Dienstleistungen zu erbringen. Natürlich müssen die Beschränkungen des nationalen Rechts den Anforderungen genügen, die der EuGH seit der Entscheidung in der Rechtssache Gebhard370 in ständiger Rechtsprechung von Eingriffen in die ge­ nannten Grundfreiheiten verlangt: Sie müssen in nicht diskriminierender Weise an­ gewandt werden, aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt 368 Vgl. dazu näher unten im Text unter C II 3 c bb. 369 Eine knappe und anschauliche Darstellung der Ziele der Reformen in England und Wales bietet der Beitrag von Passmore, AnwBl 2014, 140 ff.; zum Regulierungsansatz in Austra­ lien und England früher schon instruktiv Kilian/Lemke, AnwBl 2011, 800  ff.; Henssler, AnwBl 2013, 394 ff.; kritisch zu den Risiken der kapitalmäßigen Fremdbeteiligung für die Mandanten Weil, BRAK-Mitt. 2014, 292 ff. 370 EuGH, Urt. v. 30.11.1995 – C-55/94, Slg. 1995, I – 4188, 4199 Rz. 37 (Gebhard).

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sein, geeignet sein, die Erreichung des mit ihnen verfolgten Ziels zu gewährleisten, und dürfen nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung des Ziels erforderlich ist. Da das Fremdbesitzverbot – wie dargelegt – diesen Voraussetzungen entspricht, erge­ ben sich aus der Zulassung von ABS in England und Wales keine neuen Aspekte für die Europarechtskonformität des Fremdbesitzverbots371. Ohne Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, dass das EuRAG keine oder jeden­ falls keine aussagekräftigen Regelungen über die Zulassung von ABS trifft372. Das ­EuRAG befasst sich lediglich mit der Qualifikation und den Berufspflichten der indi­ viduellen Personen, die grenzüberschreitend Rechtsdienstleistungen erbringen, nicht mit der Zulassung von Berufsausübungsgesellschaften. Bei der Frage, ob Rechts­ dienstleistungen durch ABS erbracht werden können, geht es jedoch nicht um die Zulassung der natürlichen Personen, die für die Gesellschaft Rechtsdienstleistungen erbringen. Wenn ABS auf dem deutschen Markt Erfolg haben wollen, werden diese im Zweifel Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte einsetzen, die im deutschen Recht ausgebildet sind. So entwirft Kilian nicht ohne Grund das Bild einer englischen ABS, die als Tochtergesellschaft eines deutschen Bank- oder Versicherungskonzerns deut­ sche Anwältinnen und Anwälte beschäftigt373. Sie kann dennoch nicht in Deutsch­ land auftreten, wenn sich Anteile der Gesellschaft im Fremdbesitz befinden, da da­ durch die berufliche Unabhängigkeit der Berufsträger gefährdet ist. Die kraft europäischen Primärrechts gebotene Anwendung der §§  59a und 59c  ff. BRAO scheitert auch nicht daran, dass das Territorialitätsprinzip dem deutschen ­Berufsrecht Grenzen setzt374. Natürlich kann deutsches Recht nicht verhindern, dass sich „europäische Rechtsanwälte im Ausland in einer Rechtsform des ausländi­ schen  Rechts zur gemeinsamen Berufsausübung zusammenschließen“. Aber deut­ sches Recht kann verhindern, dass solche Gesellschaften in Deutschland Rechts­ dienstleistungen erbringen. Das Territorialitätsprinzip steht solchen Beschränkungen, die nur für das deutsche Hoheitsgebiet Geltung beanspruchen, nicht entgegen. bb) Anerkennung des ausländischen Gründungsstatuts? Auf einem anderen Blatt steht, ob die Rechtsprechung des EuGH zur Niederlassungs­ freiheit von Gesellschaften, die in einem anderen Mitgliedsstaat gegründet wurden − Centros375, Überseering376, Inspire Art377, Cartesio378, VALE379, Polbud380 −, auch die Zulässigkeit von Rechtsdienstleistungen erzwingt, wenn diese von Berufsangehörigen 371 Vgl. näher oben im Text unter C II 3a bb und cc. 372 Keller, BRAK-Mitt. 2012, 17, 18; kritisch Hellwig, AnwBl 2012, 876, 879 f. 373 Kilian, NJW 2014, 1766, 1767. 374 So Hellwig, AnwBl 2012, 876, 879.  375 EuGH, Urt. v. 9.3.1999 – Rs. C-212-97, NJW 1999, 2027, 2028 Rz. 21 ff. (Centros). 376 EuGH, Urt. v. 5.11.2002 − Rs. C-208/00, NJW 2002, 3614, 3616 Rz. 82 ff. (Überseering). 377 EuGH, Urt. v. 30.9.2003 – Rs. C-167/01, NJW 2003, 3331, 3334 Rz. 105 ff. (Inspire Art). 378 EuGH, Urt. v. 16.12.2008 – Rs. C-210/06, NJW 1999, 569, 571 Rz. 113 (Cartesio). 379 EuGH, Urt. v. 12.7.2012 – Rs. C-378/10, NJW 2012, 2715, 2716 f. Rz. 33 ff. (VALE). 380 EuGH, Urt. v. 25.10.2017 – C-106/16, NJW 2017, 3639, 3641 f. Rz. 43 f. (Polbud).

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solcher Gesellschaften erbracht werden. Für Hellwig ergibt sich aus dieser Rechtspre­ chung „eindeutig, dass ein Zuzugsstaat – hier Deutschland – die ausländische Gesell­ schaft − hier eine Gesellschaft englischen Gesellschaftsrechts – anerkennen muss“.381 Aber aus diesen Urteilen kann man nicht die sehr weitreichende Folgerung ziehen, dass „alles, was zum sog. Gesellschaftsstatut der ausländischen Gesellschaft gehört, beispielsweise die Zusammensetzung des Kreises der Gesellschafter und der Ge­ schäftsführung, … der Regelung des Zuzugsstaates/Zielstaates entzogen“ sei. Denn natürlich sind Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit möglich, auch wenn sie das Gesellschaftsstatut betreffen. Diese müssen zwar den vier Kriterien entsprechen, die der EuGH in ständiger Rechtsprechung als Rechtfertigung anerkennt, also in nicht diskriminierender Weise angewandt werden, aus zwingenden Gründen des All­ gemeininteresses gerechtfertigt sein, geeignet sein, die Erreichung des mit ihnen ver­ folgten Ziels zu gewährleisten, und nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung des Ziels erforderlich ist.382 Wie dargelegt, würde dies aber auf das Fremdbesitzverbot für Anwaltsgesellschaften zutreffen, da das Verbot dem Bedürfnis einer Rechtsbera­ tung durch unabhängige Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte dient und mildere Mittel, die gleichermaßen geeignet sind, nicht ersichtlich sind383. Die Rechtslage ist auch nicht unklar384, da aus dem Zusammenspiel der Art. 49 Abs. 2, 57 Abs. 3 AEUV und der §§ 59a ff. BRAO mit aller Deutlichkeit und Klarheit folgt, dass die Beschrän­ kungen für nationale Gesellschaften auch für ausländische Gesellschaften gelten. Der EuGH hat in Bezug auf Regelungen, die das Gesellschaftsstatut berühren, vor al­ lem deswegen eine strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung durchgeführt, weil die in den einschlägigen Fällen zur Debatte stehende Beschränkung der Niederlassungsfrei­ heit darauf hinausgelaufen wäre, dass die in einem Mitgliedstaat nach den Bestim­ mungen des Herkunftsstaates wirksam gegründete Gesellschaft überhaupt daran ge­ hindert gewesen wäre, sich im Zielstaat niederzulassen. Nicht einmal die dem Gläubigerschutz dienenden Vorschriften zur Kapitalaufbringung hielten angesichts dieser einschneidenden Konsequenzen dem strengen Prüfungsmaßstab des EuGH stand. Insofern spielte freilich eine zentrale Rolle, dass eine Anwendung der Grün­ dungsvorschriften des Aufnahmestaates dazu geführt hätte, dass der Gesellschaft als solche der Marktzutritt versagt worden wäre. Darum geht es bei der Anwendung der Vorschriften über das Fremdbesitzverbot nicht, da diese Vorschriften nur einer Er­ bringung von Rechtsdienstleistungen durch die Gesellschaft im Wege stehen. Die An­ erkennung als Gesellschaft bleibt davon unberührt. Anders ausgedrückt: Englische 381 Hellwig, AnwBl 2012, 876, 881; daran anknüpfend und vertiefend ders., AnwBl 2016, 201, 205.  382 Ebenso Grunewald/Müller, NJW 2005, 465, 466 f. (unter III und V 1); Eidenmüller/Rehberg, § 7 Rz. 16.  383 Vgl. näher oben im Text unter C II 3a bb und cc; aA Hellwig, AnwBl 2012, 876, 881; ders., AnwBl 2016, 201, 205; für „bestenfalls offen“ hält die Frage Weberstaedt, AnwBl 2014, 899, 902.  384 Zu diesem Erfordernis vgl. EuGH, Urt. v. 23.3.1995 − C-365/93, Slg. 1995, I-505, 507 f. Rz. 9 (Kommission/Griechenland); Urt. v. 21.3.2002 – C-298/99, Slg. 2002, I-3163, 3177 Rz.  28 (Kommission/Italien); Urt. v. 17.12.2015  – Rs. C-342/14, NJW 2016, 857, Rz.  59 (X-Steuerberatungsgesellschaft); für verletzt hält das Klarheitsgebot dagegen Hellwig, Anw­ Bl 2016, 201, 205. 

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ABS dürfen selbstverständlich in Deutschland alle Geschäfte tätigen, die sie tätigen wollen, zB Grundstücke erwerben oder Möbel kaufen. Nur Rechtsdienstleistungen sind ihnen mit Blick auf die §§ 59a, e BRAO und Art. 49 Abs. 2, 57 Abs. 3 AEUV ver­ sagt. Aus eben diesem Grund ist seit langem anerkannt, dass die Postulationsfähigkeit von LLP von der Eintragung ins Partnerschaftsregister gem. § 7 Abs. 4 PartGG abhän­ gig gemacht werden darf. Auch durch dieses für Partnerschaftsgesellschaften geltende Erfordernis, das auf äquivalente ausländische Partnerschaftsgesellschaften entspre­ chend anzuwenden ist, wird weder die Anerkennung der Gesellschaft, noch ihr Ge­ sellschaftsstatut berührt385. Folgerichtig wird in Bezug auf die LLP seit jeher vertreten, dass die §§  59a  ff. BRAO auf ausländische Berufsausübungsgesellschaften entspre­ chend anzuwenden sind386. Für ABS kann nichts anderes gelten. cc) Notwendigkeit einer Zulassung ausländischer Kapitalgesellschaften Das bedeutet, dass ABS, die sich in Deutschland niederlassen wollen, gem. §§ 59c ff. BRAO um eine Zulassung bemühen müssen387. Die §§ 59c ff. BRAO gelten zwar nur für Gesellschaften mit beschränkter Haftung, nicht für andere Kapitalgesellschaften wie zB die AG. Aber die Rechtsprechung wendet auf andere Kapitalgesellschaften wie die AG der Sache nach die wesentlichen Rechtsgrundsätze an, die das Gesetz für die GmbH aufstellt388. Daraus folgt zwangsläufig, dass auch ausländische Kapitalge­ sellschaften dem Zulassungsverfahren gem. §§ 59c ff. BRAO ausgesetzt sind389. Das Fremdbesitzverbot kann im Übrigen auch durchgesetzt werden, wenn man mit Henssler390 die §§ 59c ff. BRAO nur bei der GmbH für anwendbar hält, da die Bestim­ mungen über den Gesellschafterkreis gem. §§ 59a Abs. 1, 59e Abs. 1 BRAO auch für ausländische Gesellschaften gelten und Rechtsanwälte, die Kammermitglieder sind, gem. § 30 BORA das anwaltliche Berufsrecht einhalten müssen. Europäische nieder­ gelassene Rechtsanwälte, die diese Verpflichtung missachten, droht anstelle des Aus­ schlusses aus der Anwaltschaft gem. § 114 Abs. 1 Nr. 5 BRAO das Verbot, in Deutsch­ land fremde Rechtsangelegenheiten zu besorgen (§ 6 Abs. 3 S. 2 EuRAG).391 385 Weller/Kienle, DStR 2005, 1102, 1104; zur Differenzierung zwischen Marktzutritts- und Tätigkeitsausübungsschranken Weller, S. 34 ff., 201 ff.; Bitter, Jahrbuch Junger Zivilrechts­ wissenschaftler 2004, 299, 318 f.; ders., WM 2004, 2190, 2192 ff., der überzeugend für ein „System fließender Übergänge“ zwischen absoluten Zutrittsschranken, leicht zu rechtfer­ tigenden Beschränkungen der Tätigkeitsausübung und nicht rechtfertigungsbedürftigen Regeln des allgemeinen Verkehrsrechts plädiert; vgl. auch Eidenmüller, § 3 Rz. 16 f. 386 Weller/Kienle, DStR 2005, 1102, 1104; Grunewald/Müller, NJW 2005, 465, 467 f. 387 Eine Zulassung hält die Bundesrechtsanwaltskammer für erforderlich, jedoch wegen des Fremdbesitzverbots der BRAO für unzulässig, vgl. das Rundschreiben v. 19.12.2011, Nr. 578/2011 mit Musterbescheid für die Ablehnung der Zulassung (s.a. unten im Text unter 4c). 388 BGH, Beschl. v. 10.1.2005 − AnwZ (B) 27 u. 28/03, NJW 2005, 1568, 1571; Gaier/Wolf/ Göcken/Bormann, § 59c BRAO Rz. 7 f. 389 Weil, BRAK-Mitt. 2013, 54, 57. 390 Henssler, AnwBl 2013, 394, 398 f. 391 Die BRAK plädiert für eine Klarstellung in einem § 8 Abs. 4 EuRAG nF, vgl. die Stellung­ nahme Nr. 17/2018, S. 5.

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dd) Anerkennung des Fremdbesitzverbots durch Art. 11 Abs. 5 der Niederlassungsrichtlinie 98/5/EG Übereinstimmend mit diesen Grundsätzen bestimmt Art.  11 Abs.  5 der Rechtsan­ walts-Niederlassungsrichtlinie 98/5/EG vom 16.2.1998, dass der Aufnahmestaat ei­ nem Rechtsanwalt die Ausübung des Anwaltsberufs in einer Gruppe untersagen kann, der standesfremde Personen angehören. Als standesfremd gelten nach dieser Vorschrift u.a. Personen, die ganz oder teilweise das Kapital dieser Gruppe halten. Gegen die Beachtung dieser Vorschrift, die ausländischen Gesellschaften zur Beach­ tung eines Fremdbesitzverbots im Aufnahmestaat zwingt, wurde eingewendet, dass die Richtlinie nicht in nationales Recht umgesetzt worden sei und die Reichweite der primärrechtlichen Niederlassungsfreiheit nicht durch eine sekundärrechtliche Richt­ linie eingeschränkt werden könne392. Wie bereits ausgeführt, folgt bereits aus den §§ 59a ff. BRAO und Art. 49 Abs. 2 AEUV, dass das Fremdbesitzverbot auch für aus­ ländische Gesellschaften gilt, die sich in Deutschland niederlassen wollen. Es bedarf daher − wie schon Kilian erkannt hat393 – keiner Umsetzung des Art. 11 Abs. 5 der RL 98/5/EG. Höherrangiges Primärrecht geht zwar der Richtlinie vor, zwingt aber gerade nicht dazu, das Fremdbesitzverbot in Frage zu stellen, da die Beschränkung der Nie­ derlassungsfreiheit aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist. ee) Zulässigkeit vorübergehender Dienstleistungen durch ABS Hinsichtlich der vorübergehenden Tätigkeit im Aufnahmestaat ist die Lage nicht so eindeutig394. Art. 4 Abs. 1 der Rechtsanwalts-Dienstleistungsrichtlinie 77/249/EWG bestimmt zwar, dass die mit der Vertretung oder der Verteidigung eines Mandanten im Bereich der Rechtspflege oder vor Behörden zusammenhängenden Tätigkeiten unter den im Aufnahmestaat vorgesehenen Bedingungen ausgeübt werden sollen, aber für die außergerichtliche Berufsausübung bleibt der nur vorübergehend im Auf­ nahmestaat tätige Anwalt gem. Abs. 4 der Vorschrift den im Herkunftsstaat geltenden Bedingungen und Standesregeln unterworfen. „Daneben“ soll er freilich „die im Auf­ nahmestaat geltenden Regeln über die Ausübung des Berufs“ einhalten, soweit diese keine Niederlassung voraussetzen und erforderlich sind, um eine ordnungsgemäße Berufsausübung sowie „die Beachtung der Würde des Berufs und der Unvereinbar­ keiten zu gewährleisten“. In Umsetzung dieser Richtlinie gibt § 27 EuRAG dem vorü­ bergehend in Deutschland tätigen Anwalt auf, die in Deutschland geltenden berufli­ chen Pflichten einzuhalten, insbesondere die §§ 43, 43a, 43b und 45 BRAO.

392 Hellwig, AnwBl 2016, 201, 205.  393 Kilian, NJW 2014, 1766, 1770; s.a. Kilian/Koch, Berufsrecht B V 11 b aa, Rz. 1234. 394 Für unzulässig halten die vorübergehende, dienstleistende Tätigkeit von ABS die Bundes­ rechtsanwaltskammer in ihrem Rundschreiben v. 19.12.2011, Nr. 578/ 2011; Dahns/Keller, NJW-Spezial 2012, 126; Keller, BRAK-Mitt. 2012, 17, 19 unter Bezugnahme auf Gaier/ Wolf/Göcken/Eichele, § 27 EuRAG Rz. 2 ff., der jedoch keine spezifische Aussage über die strukturellen Anforderungen an eine Berufsausübungsgesellschaft macht.

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Auch wenn das Fremdbesitzverbot den Zweck verfolgt, die anwaltliche Unabhängig­ keit zu gewährleisten und diese auch bei vorübergehendender Tätigkeit im Ausland gefährdet sein kann, sprechen die besseren Gründe dafür, die Anwältin bzw. den An­ walt bei einer vorübergehenden Tätigkeit im Aufnahmestaat nur zur Beachtung der mandatsbezogenen Pflichten zu zwingen, nicht aber zur Beachtung struktureller An­ forderungen an das Gesellschaftsstatut395. Andernfalls wäre die grenzüberschreitende Dienstleistungsfreiheit extrem eingeschränkt, so dass sich mit Nachdruck die Frage der Verhältnismäßigkeit stellte, ganz zu schweigen von der mangelnden Praktikabili­ tät angesichts fehlender Meldepflichten und Kontrollbefugnisse für die Kammern396. Bei einer vorübergehenden grenzüberschreitenden Tätigkeit sprechen daher die bes­ seren Gründe, auch unter Beachtung des Schutzzwecks des Fremdbesitzverbots, ge­ gen die Geltung der Vorschriften über die Struktur der Gesellschaft gem. § 59a BRAO. Da jedoch eine vorübergehende Tätigkeit nicht mehr vorliegt, wenn der betreffende Rechtsdienstleister im Aufnahmestaat in „stabiler und kontinuierlicher Weise“ seiner Tätigkeit nachgeht, indem er sich von einem Berufsdomizil aus u.a. an die Angehöri­ gen dieses Staates wendet“, geht von der vorübergehenden Dienstleistung durch ABS keine nachhaltige Gefährdung von Allgemeininteressen aus. ff) Begrenztes Volumen internetbasierter Rechtsdienstleistungen Anknüpfend an diese begrenzten Perspektiven, welche die Dienstleistungsfreiheit für ABS bietet, hat unlängst Weberstaedt auf die erweiterten Möglichkeiten hingewiesen, die sich durch die E-Commerce-Richtlinie und ihre Umsetzung durch das TMG für außergerichtliche Rechtsdienstleistungen durch ABS bieten397. Das dabei zur Geltung gelangte Herkunftslandprinzip (§ 3 Abs. 2 TMG) ermöglicht freilich – wenn über­ haupt398 − nur außergerichtliche Rechtsberatung, die durch Verwendung elektroni­ scher Informations- und Kommunikationsdienste (§ 1 Abs. 1 TMG) erfolgt, und er­ öffnet somit ebenfalls nur einen begrenzten Marktzugang. Für eine Erweiterung der Berufsausübung außerhalb von Telemediendiensten bietet die tatbestandlich be­ grenzte Ausnahme keine Grundlage. Die von Weberstaedt exemplarisch angeführte englische ABS, die internetbasierte Inkassodienstleistungen anbietet, darf jedenfalls den Rahmen, der einer vorübergehenden Tätigkeit gesetzt ist, nicht überschreiten. Maßgebend ist dabei nicht nur, dass kein Berufsdomizil in Deutschland eingerichtet werden darf, sondern auch, dass die Rechtsdienstleistung nicht dauerhaft und kon­ tinuierlich erfolgen darf. In seinem grundlegenden Urteil im Fall Gebhard hat sich der EuGH ausdrücklich den Ausführungen des Generalanwalts angeschlossen, wo­ nach „der vorübergehende Charakter der fraglichen Tätigkeiten nicht nur unter Be­ rücksichtigung der Dauer der Leistung, sondern auch ihrer Häufigkeit, regelmäßigen 395 Zutreffend Kilian, NJW 2014, 1766, 1768 f.; Weberstaedt, AnwBl 2014, 899, 901; Henssler, AnwBl 2014, 762, 768; Gaier/Wolf/Göcken/Bormann, § 59a BRAO Rz. 95.  396 Vgl. dazu schon Weberstaedt, Working Paper, S. 22 f. 397 Weberstaedt, AnwBl 2014, 899, 900 ff.; ders., Working Paper, S. 19. 398 Auch insoweit zweifelnd wegen § 3 Abs. 4 Nr. 2 TMG (Ausnahme für die „Vertretung von Mandanten und die Wahrnehmung ihrer Interessen vor Gericht“) Knöfel, BB 2007, 2313 f.; Gaier/Wolf/Göcken, § 15 RDG Rz. 16. 

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Wiederkehr oder Kontinuität zu beurteilen“399 sei. Internetbasierten, grenzüberschrei­ tenden Rechtsdienst­leistungen sind daher deutliche Grenzen gesetzt. Insofern ist die Schlussthese Weberstaedts, dass die Ausrichtung des Geschäftsmodells auf deutsche Mandanten noch keine Niederlassung begründe, mit Vorsicht zu genießen. Eine dau­ erhafte und kontinuierliche Geschäftstätigkeit kann jedenfalls nicht grenzüberschrei­ tend entfaltet werden. Diese Einschränkung gilt auch bei Inkassodienstleistungen, die unter den Voraussetzungen des § 15 RDG vorübergehend auch von Nicht-Anwälten von einem anderen Mitgliedstaat der EU aus erbracht werden können400. Andere Be­ stimmungen des RDG, die Nichtanwälten die Befugnis einräumen, Rechtsdienstleis­ tungen zu erbringen, wenn es sich um bloße Nebenleistungen handelt (§ 5) oder die­ se durch eine Vereinigung für ihre Mitglieder erfolgt (§ 7)401, bieten im Übrigen – wie Kilian ausführlich dargelegt hat402 – keine substantielle Grundlage, um ABS Rechts­ dienstleistungen auf dem deutschen Markt zu ermöglichen. Ein Beleg für die inkon­ sequente Durchsetzung des Fremdbesitzverbotes sind diese Vorschriften ohnehin nicht. Ihnen gemeinsam ist der Grundgedanke, dass durch Rechtsdienstleistungen von Vereinigungen gegenüber Mitgliedern und bei der Annexkompetenz für Neben­ leistungen keine ernsthafte Gefahr für die Rechtssuchenden und die Rechtspflege be­ steht. Es besteht daher auch keine Notwendigkeit, in solchen Konstellationen die Ein­ haltung des Fremdbesitzverbotes zu erzwingen. gg) ABS nach dem „Brexit“ Nach dem Austritt des United Kingdom aus der europäischen Union können sich die ABS nicht mehr auf die vom EuGH vertretene Gründungstheorie403 berufen. Selbst wenn man also davon ausginge, dass das Gesellschaftsstatut einer Gesellschaft, die in einem Mitgliedsstaat der europäischen Union gegründet wurde, anerkannt werden müsste404, könnten sich Gesellschaften, die im United Kingdom gegründet wurden, nach einem harten „Brexit“ nicht mehr auf diese Rechtsposition stützen. Die Recht­ sprechung hat ihre Grundlage in der Niederlassungsfreiheit gem. Art. 49 AEUV, auf die sich Gesellschaften aus Drittstaaten nicht berufen können. Ausgeschlossen ist da­ her auch eine Überprüfung des Fremdbesitzverbots durch den EuGH am Maßstab des Verhältnismäßigkeitsprinzips. Es bleiben dann nur die von einem Teil des Schrift­ tums erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen das Fremdbesitzverbot405, die jedoch beim BVerfG bisher kein Gehör gefunden haben406. 399 EuGH, Urt. v. 30.11.1995 – Rs. C-55/94, NJW 1996, 579, 580 Rz. 27 (Gebhard). 400 Vgl. näher Gaier/Wolf/Göcken, § 15 RDG Rz. 18. 401 Auf diese stützte Weberstaedt seine These, dass ABS in Deutschland Rechtsdienstleistun­ gen anbieten könnten, auch wenn Nicht-Anwälte Anteile halten, Working Paper, S. 17 ff. 402 Kilian, NJW 2014, 1766, 1767 f. 403 EuGH, Urt. v. 9.3.1999 – Rs. C-212-97, NJW 1999, 2027, 2028 Rz. 21 ff. (Centros); dazu näher oben im Text unter C II 3 b bb. 404 Hellwig, AnwBl 2012, 876, 881; ders., AnwBl 2016, 201, 205.  405 Dafür Römermann, NJW 2016, 682; Kleine-Cosack, AnwBl 2016, 311; einschränkend Hellwig, AnwBl 2016, 776. 406 Das geltende „Verbot von Drittbeteiligungen“ gem. §  59e Abs.  3 BRAO war einer der Gründe, warum das BVerfG keine spezifischen Gefährdungen der anwaltlichen Unabhän­

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c) Unionsrechtskonformität der Beschränkungen für multidisziplinäre Gesellschaften aa) Verfassungs- und europarechtswidrige Mehrheitserfordernisse und Beschränkung der sozietätsfähigen Berufe In engem Zusammenhang mit dem Fremdbesitzverbot stehen die Beschränkungen für die gesellschaftliche Verbindung mit nichtanwaltlichen Berufsträgern. § 59a BRAO erlaubt Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten lediglich die gemeinschaftliche Be­ rufsausübung mit Mitgliedern einer Rechtsanwaltskammer und der Patentanwalts­ kammer, mit Steuerberatern, Steuerbevollmächtigten, Wirtschaftsprüfern und verei­ digten Buchprüfern. Außerdem verlangen die §§ 59e Abs. 2, 59f Abs. 1 BRAO, dass in einer Rechtsanwaltsgesellschaft die Mehrheit der Geschäftsanteile und der Stimm­ rechte Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten zusteht und die Leitungsmacht bei der Mehrheit der anwaltlichen Berufsträger liegt. Diese Bestimmungen ermöglichten nur dann die Bildung einer Gesellschaft aus Rechtsanwälten und Patentanwälten, wenn wenigstens einer der Gesellschafter über eine Doppelqualifikation als Rechtsanwalt und Patentanwalt verfügte. § 59a BRAO verhinderte die Aufnahme nicht sozietätsfä­ higer Gesellschafter wie zB Ärztinnen und Ärzten sowie Apothekerinnen und Apo­ thekern. Die Bestimmungen verfolgten zwar legitime Ziele, nämlich den Schutz der beruflichen Unabhängigkeit und Verschwiegenheit, waren aber nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts nicht erforderlich, um diese Ziele zu erreichen. Mit Be­ schluss vom 14.1.2014407 haben die Verfassungsrichterinnen und Verfassungsrichter die Mehrheitserfordernisse des anwaltlichen Gesellschaftsrechts in Bezug auf Ge­ schäftsanteile, Stimmrechte und Leitungsmacht als unverhältnismäßige Beschrän­ kungen der Berufsfreiheit qualifiziert und mit Beschluss vom 12.1.2016408 die Be­ schränkungen der interprofessionellen Partnerschaft auf bestimmte Berufe, soweit sie eine Partnerschaft zwischen einem Rechtsanwalt und einer Ärztin und Apothekerin ausschlossen (Fall Horn), aufgehoben. Da auch Beschränkungen der Dienstleistungsund Niederlassungsfreiheit nur zulässig sind, wenn sie den Anforderungen der Gebhard-­Formel gerecht werden, also in nicht diskriminierender Weise angewandt werden, aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sind, die Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Zieles ­gewährleisten und nicht über das hi­ nausgehen, was zur Erreichung des Zieles erforderlich ist409, stellt sich auch auf der Ebene des europäischen Rechts die Frage nach den Grenzen, die eine gebotene Neu­ ordnung des anwaltlichen Gesellschaftsrechts beachten muss. Signifikante Unter­ schiede zwischen den Prüfungsmaßstäben bestehen nicht, da gesetzliche Beschrän­ kungen hier wie dort durch legitime Schutzziele gerechtfertigt sein müssen und insbesondere dem Verhältnismäßigkeitsprinzip entsprechen müssen.

gigkeit durch die „kapitalgesellschaftliche Organisationsform“ einer Rechtsanwalts- und Patentanwaltsgesellschaft befürchtete, vgl. den Beschl. v. 14.1.2014 – 1 BvR 2998/11, 1 BvR 236/12, NJW 2014, 613, 617 Rz. 86.  407 BVerfG, Beschl. v. 14.1.2014 – 1 BvR 2998/11, 1 BvR 236/12, NJW 2014, 613. 408 BVerfG, Beschl. v. 12.1.2016 – 1 BvL 6/13, NJW 2016, 700. 409 EuGH, Urt. v. 30.11.1995 – C-55/94, Slg. 1995, I-4165, Rz. 37 (Gebhard).

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bb) Beschränkung der Sozietätsfähigkeit auf Berufe mit vergleichbarem Schutzniveau Im Schrifttum wurde teilweise gefordert, als Konsequenz aus den Beschlüssen der Verfassungsrichterinnen und Verfassungsrichter die Beschränkungen des Kreises der sozietätsfähigen Personen vollständig aufzugeben, auch das Fremdbesitzverbot410. Dabei würde jedoch nicht ausreichend berücksichtigt, dass das Bundesverfassungsge­ richt detaillierte Rahmenbedingungen herausgearbeitet hat, unter denen der Verzicht auf Mehrheitserfordernisse und die Erweiterung des Kreises sozietätsfähiger Personen ohne Gefährdung der zu schützenden Belange der Rechtspflege gerechtfertigt ist. Für die Verfassungsrichterinnen und Verfassungsrichter war von zentraler Bedeutung, dass Patentanwälte, Ärzte und Apotheker ihrerseits strengen berufsrechtlichen Bin­ dungen unterliegen, die denen der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte weitgehend entsprechen411. Patentanwältinnen und -anwälte seien ebenfalls Organe der Rechts­ pflege und hätten die Aufgabe, als unabhängige Berater und Vertreter die Interessen ihrer Mandanten wahrzunehmen. Entsprechende Verpflichtungen bestünden im Be­ rufsrecht der Ärztinnen und Ärzte sowie der Apothekerinnen und Apotheker. Auch diese Berufe seien verpflichtet, ihre Unabhängigkeit gegenüber Dritten zu wahren, insbesondere gegenüber Herstellern von medizinischen oder pharmazeutischen Pro­ dukten. Auf der anderen Seite seien Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte und ihre Organisationen verpflichtet, das Berufsrecht gerade auch bei interprofessionellen Ver­ bindungen zu beachten (§§ 30 Satz 1, 33 Abs. 2 BORA).412 Nach Auffassung der Ver­ fassungsrichterinnen und Verfassungsrichter gewährleistet also das Zusammenwir­ ken korrespondierender Berufspflichten in den verschiedenen Berufsordnungen, dass die berufliche Unabhängigkeit der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte jedenfalls nicht stärker gefährdet ist als bei einer gesellschaftlichen Verbindung mit Berufen, die § 59a BRAO ausdrücklich anerkennt. Da nicht davon auszugehen ist, dass der Europäische Gerichtshof weniger strenge Maßstäbe anlegt, sollte eine gesetzliche Neuordnung gesellschaftliche Verbindungen nur soweit beschränken wie dies zur Sicherung der beruflichen Unabhängigkeit und zum Schutze des Anwaltsgeheimnisses erforderlich ist. Ein ausreichender Schutz die­ ser Allgemeininteressen erfordert freilich, dass das Berufsrecht der nichtanwaltlichen Gesellschafter ein vergleichbares Schutzniveau bietet wie die in § 59a BRAO und nun vom Bundesverfassungsgericht für sozietätsfähig erklärten Berufe. Entgegen einer verbreiteten Meinung,413 die auch im Rahmen der Reformdiskussion zum anwaltli­ 410 Dafür Römermann, NJW 2016, 682; ders., NZG 2018, 1041, 1046 f.; Kleine-Cosack, AnwBl 2016, 311.  411 Zur Vermutung, dass den vom Gericht angeführten Gründen auch maßgebliche Bedeu­ tung zukommt, vgl. Singer, AnwBl Online 2017, 178, 179; aA Hellwig, AnwBl 2016, 776, 782 f. 412 BVerfG, Beschl. v. 12.1.2016 – 1 BvL 6/13, NJW 2016, 700, Rz. 87-89. 413 Henssler/Deckenbrock, AnwBl 2016, 211, 214; Deckenbrock, Jahrbuch Junger Zivilrechts­ wissenschaftler 2015, 119, 129 f.; Kilian/Koch, Berufsrecht, B V 4 c bb, Rz. 1059; Hellwig, AnwBl 2016, 776, 786 f. – Kritisch hingegen Hartung/Scharmer/von Wedel, § 59a BRAO Rz. 5; Wolf, BRAK-Mitt. 2018, 162, 164.

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chen Gesellschaftsrecht wiederbelebt wird, ist das nicht bei allen „vereinbaren“ Beru­ fen der Fall, also den Berufen, die einem Rechtsanwalt gem. §§ 7 Nr. 8, 14 Abs. 2 Nr. 8 BRAO bei einer nebenberuflichen Tätigkeit offenstehen. Ein entsprechender von der Bundesregierung im Jahre 2006 eingebrachter Gesetzentwurf414 wurde am Ende we­ gen erheblicher Meinungsunterschiede innerhalb der Anwaltschaft nicht Gesetz. Mit Recht! Denn je größer der Kreis der sozietätsfähigen Berufe gezogen wird, desto stär­ ker öffnet man die Anwaltssozietät für reine Kapitalbeteiligungen. Die daraus resul­ tierende Gefährdung der beruflichen Unabhängigkeit liegt auf der Hand. Da eine un­ abhängige Anwaltschaft zum Wesen einer rechtsstaatlichen Rechtspflege gehört, wäre dies auch verfassungsrechtlich bedenklich. Zwar wird in den Kommentaren zum Grundgesetz üblicherweise nur die Unabhängigkeit der Justiz als elementarer Be­ standteil einer rechtsstaatlichen Verfassung der Rechtspflege angesehen415, aber es sollte eigentlich kein Zweifel bestehen, dass auch die Unabhängigkeit der Anwalt­ schaft zu den Grundpfeilern einer rechtsstaatlichen Rechtspflege gehört. Nach dem im Auftrag des DAV ausgearbeiteten Reformvorschlag von Martin Henssler soll die Verbindung von Rechtsanwälten mit anderen Berufen zulässig sein, wenn die­ se Berufe „mit dem Beruf des Anwalts, insbesondere seiner Stellung als unabhängiges Organ der Rechtspflege, vereinbar sind“.416 Dagegen spricht, dass man sich von der Linie entfernt, die durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vorge­ zeichnet ist, und darüber streiten wird, um welche Berufe es sich im Einzelfall han­ delt. Näher liegt es, sich an den Kriterien zu orientieren, denen das Bundesverfas­ sungsgericht verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit attestiert hat. Das ist bei jenen Berufen der Fall, die in ähnlicher Weise wie bei Rechtsanwälten, Wirtschaftsprüfern und Steuerberatern reglementiert sind und dadurch ein vergleichbares Schutzniveau für die Rechtsuchenden gewährleisten. Ein vergleichbares Schutzniveau besteht bei den verkammerten Berufen417, also insbesondere bei Ärzten, Zahnärzten, Architek­ ten und Ingenieuren. Darüber hinaus erscheinen Berufe sozietätsfähig, die über ver­ gleichbare berufsethische Standards verfügen.418 Dies trifft zB auf Psychologinnen und Psychologen zu, da ihre Berufsverbände berufsethische Richtlinien aufgestellt haben, die bei Verstößen vereinsrechtliche Sanktionen vorsehen.419 Auch ein nicht-anwaltlicher Mediator ist sozietätsfähig, da dieser gem. §§ 3, 4 Me­ diationsG ähnlichen Berufspflichten unterliegt wie eine Rechtsanwältin oder ein Rechtsanwalt, insbesondere zur Verschwiegenheit verpflichtet ist, keine widerstrei­ tenden Interessen vertreten und nur mit ausdrücklicher Zustimmung der Parteien tätig werden darf, wenn Umstände vorliegen, die seine Unabhängigkeit und Neutrali­ 414 BT-Drs. 16/3655, S. 14 f., 30; für die Wiederbelebung dieses Vorschlags Uwer, AnwBl On­ line 2019, 20, 24. 415 Maunz/Dürig/Grzeszick, Art. 20 Rz. 28 f. 416 Vgl. dazu und zu dem Vorschlag, sozietätsfähigen Gesellschaftern eine Kapitalbeteiligung von weniger als 25% zu ermöglichen, oben im Text unter C II 3 a ff bei und mit Fn. 359 f. 417 Nach Henssler/Deckenbrock, AnwBl 2016, 211, 215 die „Mindestlösung“. 418 Ähnlich Prütting, EWiR 2016, 195, 196.  419 Ethische Richtlinien der Deutschen Gesellschaft für Psychologie e.V. und des Berufsver­ bandes Deutscher Psychologinnen und Psychologen e.V. (http://www.bdp-verband.org/ bdp/verband/clips/BER-Foederation-2016.pdf − zuletzt aufgerufen am 4.10.2018).

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tät beeinträchtigen können. Der BGH hat zwar in einem Urteil vom 29.1.2018 die Sozietätsfähigkeit eines Mediators abgelehnt420, dabei aber zu Unrecht das Fehlen ei­ ner strafbewehrten Verschwiegenheitspflicht beanstandet. Seit der Reform des § 203 StGB durch das Gesetz vom 30.10.2017 ist gewährleistet, dass sämtliche Mitgesell­ schafter einer strafbewehrten Verschwiegenheitspflicht unterliegen, so dass die Sozie­ tätsfähigkeit bestimmter Berufe nicht mehr mit dem Argument abgelehnt werden kann, dass der Schutz des Mandantengeheimnisses nicht gesichert sei421. Darüber hinaus ist zu erwägen, ob auch zertifizierte Berufe wie zB Sachverständige oder bera­ tende Betriebs- und Volkswirte Sozietätsfähigkeit erlangen können sollen. Dies wird man jedenfalls dann bejahen können, wenn sich die Zertifizierung nicht nur auf die fachliche Qualifikation bezieht, sondern auch auf die Einhaltung von Berufspflichten gegenüber Partnern und Klienten, und gewährleistet ist, dass die Zertifizierungsstelle auf die Einhaltung berufsethischer Mindeststandards achtet422. Wenn ein vergleichbares Schutzniveau im Recht der nichtanwaltlichen Partner ge­ währleistet ist, folgt daraus zugleich, dass auf Mehrheitserfordernisse bei interprofes­ sionellen Berufsausübungsgesellschaften komplett verzichtet werden muss423. Was bei der Sozietät von Rechtsanwälten und Patentanwälten zulässig ist, muss auch bei ande­ ren sozietätsfähigen Berufen toleriert werden.424 cc) Schutz des Mandantengeheimnisses auch für Mitgesellschafter Neben dem Schutz der beruflichen Unabhängigkeit bezwecken die Beschränkungen der gemeinschaftlichen Berufsausübung mit nicht-anwaltlichen Gesellschaftern den Schutz der Mandantengeheimnisse. Im Jahre 2017 hat der Gesetzgeber das Zeugnis­ verweigerungsrecht und das damit korrespondierende Beschlagnahmeverbot in § 53a Abs. 1 Nr. 1 StPO auf alle Personen ausgedehnt, „die im Rahmen eines Vertragsver­ hältnisses“ an der Berufstätigkeit des Berufsgeheimnisträgers teilnehmen. Zwar hat der Rechtsausschuss die ursprünglich im Regierungsentwurf des Gesetzes zur Umset­ zung der Berufsanerkennungsrichtlinie enthaltene Ergänzung des Zeugnisverweige­ rungsrechts in § 53a StPO gestrichen425, aber kurz darauf hat das Parlament die Vor­ schrift mit dem Gesetz zur Neuregelung des Schutzes von Geheimnissen bei der Mitwirkung Dritter an der Berufsausübung schweigepflichtiger Personen in Kraft 420 Urt. v. 29.1.2018  – AnwZ (Brfg) 32/17, NJW 2018, 1095 m. krit. Anm. Deckenbrock, BRAK-Mitt. 2018, 93; Hartung, NJW 2018, 1102; zust. dagegen Ring, DStR 2018, 887.  421 Zutreffend Deckenbrock, BRAK-Mitt. 2018, 93; ders., AnwBl Online 2019, 321, 324. 422 Vgl. zB die Zertifizierung von Sachverständigen durch eine akkreditierte Zertifizierungs­ stelle gemäß DIN EN ISO/IEC 17024 (http://bundesverband-gutachter.de/qualitaetsver​ bund/iso-17024 − zuletzt aufgerufen am 4.10.2018) und die Qualitätsstandards der Verei­ nigung der beratenden Betriebs- und Volkswirte e.V. (https://www.vbv.de/ − zuletzt aufge­ rufen am 4.10.2018). 423 Vgl. Deckenbrock, Jahrbuch Junger Zivilrechtswissenschaftler 2015, S. 119, 134 f. 424 Zutreffend in Bezug auf die interprofessionelle Sozietät von Rechtsanwälten und Steuerbe­ ratern AGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 19.10.2018 – AGH 13/2018 II, BRAK-Mitt. 2019, 35, 41 ff. m. überwiegend zust. Anm. Deckenbrock. 425 Offermann-Burckart, AnwBl Online 2017, 238, 252.

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treten lassen.426 Damit sind  – wie in der Begründung des Regierungsentwurfs des Gesetzes zur Umsetzung der Berufsanerkennungsrichtlinie klargestellt wurde427  – sämtliche Mitgesellschafter erfasst, die auf der Grundlage eines Gesellschaftsvertrages in der Anwaltssozietät tätig sind. § 97 Abs. 3 StPO erstreckt das Beschlagnahmeverbot auf Schriftstücke und Aufzeichnungen, auf die sich das Zeugnisverweigerungsrecht gem. § 53a StPO bezieht, und § 160a Abs. 3 StPO das Verbot von Ermittlungsmaß­ nahmen gegen zeugnisverweigerungsberechtigte Personen auf den durch § 53a StPO geschützten Personenkreis428. Während im ursprünglichen Gesetzentwurf – trotz der allgemein erhobenen Forde­ rung429 – eine entsprechende Anpassung der Strafbarkeit des Geheimnisverrats gem. § 203 StGB fehlte, hat der Gesetzgeber im Rahmen der Neuregelung des Schutzes von Geheimnissen bei der Mitwirkung Dritter an der Berufsausübung schweigepflichtiger Personen durch das Gesetz vom 30.10.2017430 die überfällige Anpassung in §  203 Abs. 3 und 4 StGB vorgenommen. Die Strafbarkeit ist nunmehr ausgedehnt auf sämt­ liche „mitwirkende Personen“. Dazu gehören nach der Gesetzesbegründung „die im Rahmen einer gemeinschaftlichen Berufsausübung vertraglich mit dem Berufsge­ heimnisträger verbundenen Personen“.431 Dass damit auch Gesellschafter erfasst sind, ergibt sich nicht nur mit aller Deutlichkeit aus dem Wortlaut der Bestimmung, son­ dern auch aus dem Zusammenhang mit der Neufassung des § 53a Abs. 1 StPO. Im Rahmen der Begründung zu dieser Novelle wird einerseits ausdrücklich hervorgeho­ ben, dass auch „Mitgesellschafter“ zu den in § 53a Abs. 1 Nr. 1 StPO genannten Per­ sonen gehören, die „im Rahmen eines Vertragsverhältnisses“ an der Berufstätigkeit des Berufsgeheimnisträgers teilnehmen.432 Zum anderen wird betont, dass sowohl §  203 StGB als auch §  53a StPO nunmehr den Begriff der „mitwirkenden Person“ verwenden und „der Kreis der damit erfassten Personen identisch“ sei.433 Damit er­ 426 BGBl. 2017, I, 3618. 427 BT-Drs. 18/9521, S. 233; BT-Drs. 18/12940, S. 11. 428 Der Schutz vor Beschlagnahmen ist allerdings – wie das BVerfG im kürzlich erlassenen Jones-Day-Beschluss entschieden hat (Beschl. v. 14.6.2018 – 2 BvR 1405/17, 2 BvR 1780/17, BRAK-Mitt. 2018, 195) − auf das Verhältnis zwischen Berufsgeheimnisträger und im kon­ kreten Strafverfahren Beschuldigten beschränkt (Rz. 80), so dass das anwaltliche Vertrau­ ensverhältnis im Konflikt mit dem Interesse an der Aufklärung von Straftaten empfindli­ che Defizite aufweist, wenn die Beschlagnahme zwar bei dem Auftraggeber einer Anwaltskanzlei erfolgt, dieser aber nicht Beschuldigter ist (mit Recht kritisch Dierlamm, BRAK-Mitt. 2018, 204; Uwer/Ermingen-Marbach, AnwBl 2018, 470 ff.). 429 Vgl. die Stellungnahme der Bundesrechtsanwaltskammer Nr.  16/2016 zum Referente­ nentwurf des BMJV eines Gesetzes zur Umsetzung der Berufsanerkennungsrichtlinie und zur Änderung weiterer Vorschriften im Bereich der rechtsberatenden Berufe, S. 31; Schellenberg, BB 2016, Nr. 29, Erste Seite; Hartung, AnwBl 2017, 397, 399 f.; Singer, AnwBl 2016, 788, 795; ders., AnwBl Online 2017, 178 f.; Deckenbrock, AnwBl 2014, 118, 126; Henssler, AnwBl 2013, 394, 397. 430 BGBl. 2017, I, S. 3618. 431 BT-Drs. 18/11936, S. 22. 432 BT-Drs. 18/12940, S. 11. 433 BT-Drs. 18/12940, S. 9; Deckenbrock, BRAK-Mitt. 2018, 93, 94; ders., AnwBl Online 2019, 321, 324.

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übrigt sich die brisante Frage, ob die Ausdehnung der Strafbarkeit des Geheimnisver­ rats im Vergleich zur Beschränkung der Berufsfreiheit für die nicht sozietätsfähigen Partner das mildere Mittel und daher verfassungsrechtlich geboten ist.434 Die Sozie­ tätsfähigkeit nicht-anwaltlicher Gesellschafter kann nun ohne Bedenken auf sämtli­ che Berufe erweitert werden, die aufgrund ihres eigenen Berufsrechts die Gewähr dafür bieten, dass die anwaltliche Unabhängigkeit nicht beeinträchtigt wird. Dies ist in der Regel der Fall, wenn der Berufsträger Mitglied einer Berufskammer ist oder über eine Zertifizierung durch eine Zertifizierungsstelle verfügt, die auch die Einhal­ tung von Berufspflichten überprüft.435 4. Unionsrechtskonformität des Anwaltsmonopols Zu den im Bericht der Kommission genannten Deregulierungsthemen gehören vor allem auch die nationalen „Zugangsbeschränkungen und Vorbehaltsaufgaben“.436 Zwar wird anerkannt, dass qualitative Zugangsbeschränkungen einen wichtigen Bei­ trag zur Qualitätssicherung leisten, aber Zulassungsbeschränkungen könnten je­ denfalls in den Fällen abgebaut werden, in denen sie in keinem Verhältnis zur Kom­ plexität der Aufgaben des Berufsstandes stünden. Außerdem könnten die dem Berufsstand vorbehaltenen Aufgaben durch Freigabe weniger komplexer Dienstleis­ tungen an Nicht-Berufsangehörige reduziert werden. Das entspricht im Wesentlichen der Rechtsprechung des EuGH, der dem Grunde nach das Anwaltsmonopol als zuläs­ sige Einschränkung der Dienstleistungsfreiheit ansieht, weil es bezweckt, die Empfän­ ger der Dienstleistung davor zu bewahren, dass ihnen durch Rechtsrat von Personen, die nicht die erforderliche berufliche und persönliche Qualifikation besitzen, Scha­ den entstehe, und zum anderen die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege sichere437. Der Vorbehalt zugunsten der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte setze allerdings voraus, dass die geforderte Qualifikation zu ihrem Schutz erforderlich ist und nicht außer Verhältnis zu ihren Bedürfnissen steht.438 a) Einschränkungen des Anwaltsmonopols für Hilfs- und Nebentätigkeiten Auf der gleichen Linie bewegt sich die Rechtsprechung des Bundesverfassungsge­ richts, das einerseits das Anwaltsmonopol zum Schutz der Rechtsuchenden und der Rechtspflege für gerechtfertigt hält439, andererseits aber in verfassungskonformer Auslegung des RBerG kaufmännische Hilfstätigkeiten ausgenommen hat, die keiner 434 Dafür Singer, AnwBl 2016, 788, 792 ff.; de lege ferenda aus damaliger Sicht auch Henssler/ Deckenbrock, AnwBl 2016, 211, 215. 435 Vgl. schon Singer, AnwBl online 2017, 178, 180; ähnlich Hartung, AnwBl 2017, 397, 399. 436 KOM (2004) 83 endgültig, S. 16 ff. 437 EuGH, Urt. v. 12.12.1996 – C-3/95, Slg. 1996, I – 6529, 6538 Rz. 31 (Reisebüro Broede); vgl. auch Urt. v. 3.12.1975 – Rs. 33/74, Slg. 1974, 1299, 1309 f. Rz. 14/16 (van Binsbergen). 438 EuGH, Urt. v. 25.7.1991 – C-76/90, Slg. 1991, I – 4239, 4244 Rz. 17 (Säger/Dennemeyer). 439 BVerfG, Beschl. v. 25.2.1976 – 1 BvR 8/74, 1 BvR 275/74, BVerfGE 41, 378, 390; Beschl. v. 5.5.1987 – 1 BvR 724/81, 1 BvR 1000/ 81, 1 BvR 1015/81, 1 BvL 16/82, 1 BvL 5/84, BVerf­ GE 75, 246, 275 f.

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besonderen juristischen Qualifikation bedürfen,440 sowie Tätigkeiten, die überwie­ gend auf wirtschaftlichem Gebiet liegen und die Wahrnehmung wirtschaftlicher Be­ lange bezwecken441. Das RDG trägt den verfassungs- und europarechtlichen Anforderungen Rechnung, indem es einen Katalog erlaubnisfreier Tätigkeiten vorsieht (§ 2 Abs. 3 RDG) sowie bestimmte Rechtsdienstleistungen − wie Inkasso und Rentenberatung − erlaubt, die von Personen mit besonderer Sachkunde erbracht werden (§ 10 ff. RDG) oder als Ne­ benleistung zum Berufs- oder Tätigkeitsbild einer anderen Tätigkeit gehören − wie zB Testamentsvollstreckung, Haus- und Wohnungsverwaltung oder Fördermittelbera­ tung (§ 5 RDG). Der Umstand, dass in manchen Mitgliedstaaten Nichtanwälten noch weitergehende Befugnisse zum Erbringen von Rechtsdienstleistungen eingeräumt werden, wie zB bei der Grundstücksübertragung, die in England ohne Mitwirkung einer Rechtsanwältin oder eines Rechtsanwalts bzw. einer Notarin oder eines Notars erfolgen kann, ist für sich genommen kein ausreichendes Argument, um die Verhält­ nismäßigkeit von Zugangsbeschränkungen in Frage zu stellen442. Im Schrifttum wird daher das Anwaltsmonopol von der ganz h.M. als verfassungs- und europarechtskon­ form angesehen443. Da auch Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten aus anderen Mitgliedstaaten nach dem EuRAG ein effektiver Zugang zum nationalen Markt für Rechtsdienstleistungen eingeräumt wird, besteht auch aus der Perspektive der euro­ päischen Integration kein Grund, die Berechtigung des Anwaltsmonopols in Zweifel zu ziehen444. b) Fehlende Qualitätssicherung mangels Fortbildungspflicht Eine der Schwachstellen der durch das Anwaltsmonopol bezweckten Qualitätssiche­ rung ist die fehlende Fortbildungspflicht. Es liegt auf der Hand, dass das System an­ greifbar ist, wenn zwar beim Berufseintritt sichergestellt ist, dass die zur Erbringung von Rechtsdienstleistungen zugelassenen Personen über die erforderliche Qualifika­ tion verfügen, aber – aufgrund fehlender Sanktionen der Fortbildungspflicht (§ 43a Abs. 6 BRAO) – in das Ermessen der Berufsträger gestellt ist, ob sie diese Qualifikati­ on erhalten und ihre Kenntnisse und Kompetenzen aktualisieren. Der von der Bun­ desrechtsanwaltskammer unterstützte445 Gesetzentwurf im Rahmen des Pakets zur Umsetzung der Berufsanerkennungsrichtlinie scheiterte im Rechtsausschuss insbe­ sondere am Widerstand der CDU/CSU-Fraktion, die u.a. auf das heterogene Mei­ 440 BVerfG, Beschl. v. 29.10.1997 – 1 BvR 780/87, NJW 1998, 3481, 3482 f. (Patentgebührenüberwachung). 441 BVerfG, Beschl. v. 27.9.2002 – 1 BvR 2251/01, NJW 2002, 3531 (Erbenermittler). 442 EuGH, Urt. v. 12.12.1996 – Cf-3/95, Slg. 1996, I – 6529, 6541 Rz. 42 (Reisebüro Broede). 443 Deckenbrock/Henssler, Einleitung Rz.  17; Henssler/Kilian, AnwBl 2005, 1, 2  f.; Hellwig, NJW 2005, 1217, 1219; Nuckelt, S. 156 f., 262; in Bezug auf die steuerberatenden Berufe auch Kluth/Goltz/Kujath, Zukunft, S. 85 ff., 133.  444 Vgl. auch die positive Würdigung durch die BRAK in ihrer Stellungnahme Nr. 27/2016, S. 6 („freizügiges Regime, welches weder in der EU für andere Berufe noch sonst auf der Welt für Rechtsanwälte seines Gleichen kennt“); zust. Michel, AnwBl 2017, 128, 135. 445 Stellungnahme Nr. 16/2016, S. 2 f.

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nungsbild innerhalb der Anwaltschaft und geschäftliche Interessen der Anbieter von Fortbildungsveranstaltungen verwies446. Das ist alles andere als überzeugend und ge­ fährdet die Rechtfertigung der hohen Qualifikationsanforderungen an die Ausübung des Anwaltsberufs wegen fehlender Kohärenz. Man kann aus europarechtlicher Sicht daher nur nachdrücklich an den Gesetzgeber appellieren, das Thema so schnell wie möglich wieder auf die Tagesordnung zu setzen. c) Gefährdung des Anwaltsmonopols für Rechtsdienstleistungen durch die Entscheidung des EuGH im Fall X-Steuerberatungsgesellschaft? In seinem Urteil vom 17.12.2015 hat es der EuGH447 als unverhältnismäßige Be­ schränkung der Dienstleistungsfreiheit angesehen, dass es der niederländischen Tochtergesellschaft einer britischen Kapitalgesellschaft verwehrt wurde, Steuererklä­ rungen für ihre deutschen Mandanten zu erstellen, ohne dass die Qualifikation dieser Gesellschaft oder der für sie handelnden natürlichen Personen ihrem Wert entspre­ chend anerkannt und angemessen berücksichtigt worden war. Hilfeleistung in Steuer­ sachen darf nach § 2 S. 1 StBerG geschäftsmäßig nur von Personen und Vereinigun­ gen ausgeübt werden, die hierzu befugt sind. Diese Befugnis haben gem. § 3 StBerG nur qualifizierte Berufe wie Steuerberater, Rechtsanwälte und Wirtschaftsprüfer so­ wie gem. § 32 III StBerG anerkannte Steuerberatungsgesellschaften, die von Steuerbe­ raterinnen oder Steuerberatern verantwortlich geführt sein müssen. Darüber hinaus gewährte §  3a Abs.  1 StBerG aF Personen, die in einem anderen Mitgliedstaat der Union niedergelassen sind und dort befugt geschäftsmäßig Hilfe in Steuersachen leis­ ten, die Befugnis „zur vorübergehenden und gelegentlichen geschäftsmäßigen Hil­ feleistung in Steuersachen auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland“. Das Problem bestand nun darin, dass sich die X-Steuerberatungsgesellschaft nicht in ei­ nen anderen Mitgliedstaat begeben hatte, so dass ihr die Befugnis zur Hilfeleistung in Steuersachen verweigert wurde. Nach Auffassung der Luxemburger Richter handelte es sich um eine unverhältnismä­ ßige Einschränkung der Dienstleistungsfreiheit gem. Art.  56 AEUV. Zwar verfolge das Erfordernis der Anerkennung als Steuerberatungsgesellschaft und der verant­ wortlichen Führung einer solchen Gesellschaft durch Steuerberater den legitimen Zweck, Steuerhinterziehung zu verhindern und den Verbraucher vor unqualifizierter Steuerrechtsberatung zu schützen. Aber die nationalen Behörden müssen nach stän­ diger Rechtsprechung des EuGH wenigstens dafür Sorge tragen, dass die in anderen Mitgliedstaaten erworbene Qualifikation ihrem Wert entsprechend anerkannt und angemessen berücksichtigt werde.448 446 BT-Drs. 18/11468, S. 9; dazu Offermann-Burckart, AnwBl Online 2017, 238, 250 f.; Deckenbrock, NJW 2017, 1425, 1430. 447 EuGH, Urt. v. 17.12.2015 – Rs. C-342/14, NJW 2016, 857 (X-Steuerberatungsgesellschaft) m. Anm. Deckenbrock. 448 EuGH, Urt. v. 17.12.2015 – C-342/14, NJW 2016, 857 Rz. 54; früher bereits Urt. v. 7.5.1991 − C‑340/89, Slg.  1991, I‑2357 Rz.  16 (Vlassopoulou); Urt. v. 17.3.2011 − C-372/09, EU:C:2011:156, Rz. 58 (Peñarroja).

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Es hätte nahegelegen, den Fall, in dem die Dienstleistung die Grenze überschreitet, genauso zu behandeln wie den von § 3a StBerG aF erfassten Fall, in dem der Dienst­ leister die Grenze überschreitet. Nachdem sich die nationalen Gerichte und der EuGH in buchstabengetreuer Auslegung der Vorschrift zu einer solchen erweiternden Aus­ legung außerstande sahen, musste der Gesetzgeber reagieren und § 3a StBerG anpas­ sen449. § 3a StBerG nF stellt nunmehr klar, dass die vorübergehende und gelegentliche geschäftsmäßige Hilfeleistung in Steuersachen auch „vom Staat der Niederlassung aus erfolgen“ kann450. Da für Rechtsdienstleister im Wesentlichen die gleichen Bedingun­ gen gelten, musste auch §  15 RDG, der Art.  5 Abs.  2 der Berufsanerkennungs-RL 2005/36/EG umsetzt, angepasst werden451. Rechtsdienstleister, die in einem Mitglied­ staat niedergelassen sind und dort Inkassodienstleistungen erbringen oder Rentenbe­ ratung durchführen, dürfen ihren Beruf nunmehr vorübergehend und gelegentlich „in der Bundesrepublik Deutschland“ ausüben, wenn sie vorher der zuständigen Be­ hörde Meldung erstatten452. Für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte stellt sich die Problematik nicht, weil diese ohnehin – auch ohne vorherige Meldung – vorüberge­ hend auf dem Gebiet der Bundesrepublik tätig sein dürfen (§§ 25, 27 EuRAG; Art. 56 AEUV) und folglich auch keinen Beschränkungen unterliegen, wenn nicht sie, son­ dern die Dienstleistungen die Grenze überschreiten. Allerdings fehlt es an einer dem §  3a StBerG vergleichbaren Regelung für Rechts­ dienstleister, die im Herkunftsstaat Rechtsdienstleistungen erbringen dürfen, obwohl sie weder Rechtsanwälte sind, noch Rechtsdienstleistungen iSd §§ 10, 15 RDG erbrin­ gen. Ihre Qualifikation müsste nach den Grundsätzen des Urteils X-Steuerberatungs­ gesellschaft „ihrem Wert entsprechend anerkannt und angemessen berücksichtigt werden“. Insofern könnte man versucht sein, die Bestimmungen des EuRAG und RDG, die Rechtsanwälten und Rechtsdienstleistern die Möglichkeit einräumen, vor­ übergehend in einem anderen Mitgliedstaat Rechtsdienstleistungen zu erbringen, auf Nicht-Anwälte zu erweitern, wenn diesen in ihrem Herkunftsstaat die Befugnis ein­ geräumt wird, Rechtsdienstleistungen zu erbringen.453 Dagegen spricht, dass solche Rechtsdienstleister überhaupt nicht über eine Qualifikation verfügen müssen, um Rechtsdienstleistungen zu erbringen, so dass es keinen Sinn machen würde, den Wert ihrer Qualifikation zu prüfen und angemessen zu würdigen. Bei der Verabschiedung der Dienstleistungsrichtlinie wurde dieses Problem gesehen und durch die Regelung des Art. 17 Abs. 6 der RL 2005/36/EG Vorsorge getroffen, dass nationale Vorbehalts­ aufgaben nicht den strengen Anforderungen des Art. 16 der RL 2005/36/EG genügen müssen454. Damit wäre es nicht zu vereinbaren, wenn ausgerechnet solche Rechts­

449 Deckenbrock, NJW 2016, 860. 450 Gesetz v. 23.6.2017, BGBl. 2017, I, S. 1682.  451 Deckenbrock, NJW 2016, 860. 452 Gesetz v. 17.5.2017, BGBl. 2017, I, S. 1121.  453 Weberstaedt, AnwBl 2016, 208, 210 hält daher das deutsche Rechtsberatungsmonopol für Rechtsanwälte, europäische Rechtsanwälte und Rechtsdienstleister iSv § 10 RDG für „pri­ märrechtswidrig“. 454 Vgl. Waschkau, S. 182; für die Sicherung des Anwaltsmonopols nachdrücklich Henssler, BB 2004, Heft 22, Erste Seite.

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dienstleister, die über die geringste Qualifikation verfügen, die größtmögliche Dienst­ leistungsfreiheit in Anspruch nehmen könnten. Erst recht haben Gesellschaften wie die britischen ABS nicht die Möglichkeit, sich auf ihre Zulassung im Herkunftsstaat zu berufen und zu verlangen, dass ihre Qualifikati­ on als Unternehmen entsprechend anerkannt und angemessen berücksichtigt wird455. Dafür scheint zwar der Wortlaut der Urteilsbegründung im Fall X-Steuerberatungs­ gesellschaft zu sprechen, da es den inländischen Behörden zur Aufgabe gemacht wird, „die Qualifikation zu überprüfen, die der Dienstleistende oder die natürlichen Perso­ nen, die für ihn die betreffende Dienstleistung erbringen, in anderen Mitgliedstaa­ ten  – gegebenenfalls durch Berufserfahrung − … erworben haben“456. Dagegen spricht jedoch, dass nicht Gesellschaften oder Unternehmen, sondern nur die für sie tätigen natürlichen Personen über „Berufserfahrung“ verfügen können. Der X-Steu­ erberatungsgesellschaft wurde die Zulassung deshalb verweigert, weil sie nicht  – wie  von den §§  3 Nr.  3, 32 III 2 StBerG gefordert  – von Steuerberatern verant­ wortlich  geführt wurde und die Bestimmung, die Personen die vorübergehende grenzüberschreitende Hilfeleistung in Steuersachen erlaubt, mangels Grenzübertritts nicht einschlägig war. Die Qualifikation der Gesellschaft hing also von der – zu prü­ fenden – Qualifikation der verantwortlichen Berufsträger ab. Das Urteil X-Steuerbe­ ratungsgesellschaft bietet daher in Bezug auf ausländische Gesellschaften nur dann eine Handhabe gegen berufsrechtliche Beschränkungen, wenn diese auf der fehlen­ den „Berufsqualifikation“ der Personen beruhen, die für die Gesellschaft Rechts­ dienstleistungen erbringen. Scheitert die Zulassung an anderen berufsrechtlichen Erfordernissen wie dem Fremdbesitzverbot, besitzt das Urteil X-Steuerberatungsge­ sellschaft keine Aussagekraft. Dementsprechend verdienen auch die weitreichenden Folgerungen, die Hellwig aus dem Urteil X-Steuerberatungsgesellschaft für die Anerkennung der ABS zieht, keine Gefolgschaft. Hellwig hält das inländische Tätigkeitsverbot für ABS und der für sie handelnden Personen in der Tat für unverhältnismäßig. „Verhältnismäßig wäre nur, von der ABS beziehungsweise der für sie handelnden Person eine vorherige Meldung zu verlangen, damit geprüft werden kann, ob im konkreten Einzelfall die nach deut­ schem Recht bei einer Rechtsanwalts-GmbH geltenden Anforderungen erfüllt sind“.457 Dabei geht Hellwig davon aus, dass ABS per se verboten seien und bezieht sich auf einen Vermerk der BRAK mit Musterbescheid, mit dem ein etwaiger Antrag einer ABS auf Zulassung als Rechtsanwaltsgesellschaft abgelehnt werden kann458. In­ dessen stellt sich die Frage, welchen Sinn die von Hellwig geforderte Meldepflicht hat, da in einem Zulassungsverfahren ja gerade geprüft würde, ob die ABS die Anforde­ rungen des deutschen Berufsrechts für Anwaltsgesellschaften erfüllt. Da es sich bei 455 Diese Konsequenz hält Weberstaedt, AnwBl 2016, 208, 210 mit der nötigen Vorsicht („bleibt abzuwarten“) für möglich. 456 EuGH, Urt. v. 17.12.2015 – C-342/14, NJW 2016, 857, 860 Rz. 56 (Hervorhebung d. Verf.). 457 Hellwig, AnwBl 2016, 201, 203 f. 458 Rundschreiben an alle Rechtsanwaltskammern Nr. 578/2011, Anlage 1: „Berufsrechtliche Einschätzung von Alternative Business Structures“, Anlage 2: „Musterbescheid, mit dem die Zulassung von ABS abgelehnt werden kann“.

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ABS definitionsgemäß um Gesellschaften handelt, in denen mindestens eine nicht-an­ waltliche Person geschäftsführend tätig ist und/oder deren Geschäftsanteile ganz oder teilweise von nicht-anwaltlichen natürlichen oder juristischen Personen gehalten werden, wäre dies typischerweise nicht der Fall. Wie dargelegt, geht es auch nicht um die Qualifikation der Dienstleistungserbringer, die für die ABS tätig sind. In dem von Hellwig angeführten Beispiel einer ABS, die aus drei deutschen Rechtsanwälten und je einem britischen Barrister und Solicitor459 besteht, bestünden keine Bedenken gegen die Zulassung, wenn sich Barrister und Solicitor als europäische Rechtsanwälte im Geltungsbereich der BRAO niederlassen würden (§§ 59e Abs. 1 S. 1, 59a Abs. 2 Nr. 1 BRAO), was ohne weiteres möglich wäre, solange der Brexit nicht vollzogen ist. Schei­ tern würde die Zulassung jedoch am Fremdbesitzverbot gem. § 59a BRAO, das für alle Sozietäten gilt, auch für ABS.  Bei einer nur vorübergehenden grenzüberschreitenden Tätigkeit gibt es – im Gegen­ satz zu einer verbreiteten Auffassung – keine Bedenken gegen Rechtsdienstleistungen durch ABS.460 Erst recht bedarf es keiner vorausgehenden Meldepflicht. Diskutabel ist allenfalls, ob sich diese Rechtsfolgen mit hinreichender Klarheit aus dem Gesetz erge­ ben461. Um diesem Einwand zu begegnen, empfiehlt sich eine Klarstellung, dass aus­ ländische Gesellschaften und die für sie tätigen Anwältinnen und Anwälte bei einer Niederlassung in Deutschland die Anforderungen erfüllen müssen, die für inländi­ sche Gesellschaften gelten (§§ 59a ff. BRAO), wohingegen bei einer vorübergehenden Tätigkeit nur die mandatsbezogenen Pflichten erfüllt werden müssen, wie dies § 27 Abs. 2 BRAO für dienstleistende europäische Rechtsanwälte verlangt. 5. Unionsrechtskonformität der beruflichen Selbstverwaltung durch Kammern Zu den Reizthemen der europäischen Deregulierungsdebatte zählt die Selbstverwal­ tungsautonomie der Berufskörperschaften462. Einschränkungen der Berufsfreiheit – so stellt das BVerfG in der Bastille-Entscheidung klar463  – müssen nicht zwingend vom staatlichen Gesetzgeber angeordnet werden, sondern können auch in Gestalt von Satzungen erfolgen, die von einer mit Autonomie ausgestatteten Körperschaft erlassen werden464. Damit wird implizit das Verwaltungshandeln der Körperschaft gebilligt und der teilweise fundamentalen Kritik an der Selbstverwaltung durch be­ rufsständische Kammern465 die Grundlage entzogen. Man kann das nur unterstrei­ 459 Dabei handelt es sich um Rechtsanwaltsberufe iSd anwaltlichen Dienstleistungsrichtlinie 98/5/EG (Art. 1 Abs. 2a) und des EuRAG (Anlage zu § 1). 460 Oben im Text unter C II 3 b ee mit Nachw. in Fn. 395.  461 Zum Klarheitsgebot oben im Text unter C II 3 b bb mit Nachw. Fn. 384; s. a. Kämmerer, DStR 2016, 559, 560, der die Klarstellung empfiehlt, dass § 3a StBerG auch für juristische Personen gelten soll. 462 Oben im Text unter A III bei und mit Fn. 25. 463 BVerfG, Beschl. v. 14.7.1987 – 1 BvR 537/81, BVerfGE 76, 171, 185. 464 Zur verfassungsrechtlichen Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung eingehend Kluth, S. 369 ff. 465 Kleine-Cosack, BRAO, Einl. Rz. 7; ders., AnwBl 2006, 368 ff.

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chen: Die berufliche Selbstverwaltung durch Kammern ist auch das Ergebnis des Kampfes um die Freiheit der Advokatur, der von dem Preußischen Staats- und Justiz­ reformer und an der Berliner Universität lehrenden Rudolf von Gneist erfolgreich pro­ klamiert wurde466. Würde man die Aufsicht dem Staat überantworten, wäre die er­ kämpfte Freiheit der Advokatur wieder in Frage gestellt. Der Kampf ums Recht verlangt die unbedingte Unabhängigkeit von staatlichen Einflüssen. Schon die bloße Sorge, ein Auftreten gegen den Staat oder die Durchsetzung von Positionen, die den Interessen der Regierung oder einzelner Behörden zuwiderlaufen, könnte sich auf die Berufstätigkeit negativ auswirken, wäre eine nicht hinnehmbare Einschränkung rechtsstaatlicher Garantien.467 Die in England und Wales mit dem Legal Services Act 2007 geschaffene Solicitors Regulation Authority468 war u.a. auch eine Reaktion auf die Interessenkonflikte durch die Vereinigung von Funktionen der Interessenvertretung und Berufsaufsicht in einer Institution, der Law Society. In Deutschland besteht diese Gefahr nicht, da die Inter­ essenvertretung vom Deutschen Anwaltverein (DAV) wahrgenommen wird, die Be­ rufsaufsicht hingegen durch die Rechtsanwaltskammern als Körperschaften des öf­ fentlichen Rechts, die ihrerseits staatlicher Rechtsaufsicht unterliegen469. Da es keine Anzeichen dafür gibt, dass die Selbstverwaltung ihrer Aufsichtspflicht nicht nach­ kommt470 und diese im Gegenteil mit dem Vorwurf konfrontiert wird, die Berufsre­ geln allzu kleinlich auszulegen471, besteht auch aus europarechtlicher Sicht kein durchschlagender Grund, das mehrgliedrige System in Frage zu stellen.472 Allerdings würde eine größere Partizipation der Mitglieder die demokratische Legitimität stär­ 466 v. Gneist, insbes. S. 62 f., 81 f., 113 f. 467 BVerfG, Beschl. v. 19.12.1962 – 1 BvR 163/56, BVerfGE 15, 226, 234; Beschl. v. 14.2.1973 – 2 BvR 667/72, BVerfGE 34, 293, 302 f.; vgl. dazu auch Papier, BRAK-Mitt. 2005, 50; Singer, Unabhängig und frei − Die anwaltliche Selbstverwaltung, Bundesrechtsanwaltskammer 2009, 18. 468 Einzelheiten erläutert Hellwig, AnwBl 2012, 876. 469 Henssler, AnwBl. 2013, 394, 400; ders., in: DWS (Hrsg.), Zukunft der Freien Berufe 2015, S. 33, 67. 470 Die von Wagner geschilderten Fälle mangelhafter Rechtsdienstleistungen (S. 39 ff.: „Sub­ stanzlose Schriftsätze und unbekannte Urteile: Qualitätsmängel“) sind nicht die Folge auf­ sichtsrechtlichen Versagens, sondern beruhen in der Regel auf fehlender Fachkompetenz nicht ausreichend spezialisierter Anwältinnen und Anwälte. Das von Wagner gezeichnete Bild einer Anwaltschaft, die in erheblichem Maße qualitativ minderwertige Arbeit ablie­ fert, steht in Widerspruch zu dem hohen Niveau der Prüfungen, denen sich die angehen­ den Juristen bis zum Erwerb der Berufsqualifikation in Deutschland unterziehen müssen. Es steht ferner in Widerspruch zu dem hohen Ansehen, das nach einer Studie der Sol­ dan-Stiftung Anwältinnen und Anwälte bei Umfragen unter Klienten genießen; vgl. Hommerich/Kilian, AnwBl 2007, 705; Hommerich/Kilian, Mandanten und ihre Anwälte, S. 24: Anwalt als „kompetenter und vertrauenswürdiger Rechtsberater und Löser rechtli­ cher Probleme“. 471 Vgl. Hartung, in: FS Oppenhoff, S. 47: aus Sicht der Großkanzleien handele es sich um „rückwärtsgewandte, kleingeistige und weltfremde Behörden“. 472 Ebenso Kilian/Koch, Berufsrecht B I 3 a, Rz. 116; Henssler, in: DWS (Hrsg.), Zukunft der Freien Berufe 2015, S. 33, 67 ff.

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ken und aufgekommene Zweifel an der Zukunftsfähigkeit der Selbstverwaltung aus­ räumen.473 Das Bundesverfassungsgericht hat seit jeher die Pflichtmitgliedschaft in berufsständi­ schen Kammern prinzipiell anerkannt.474 Die Rechtsanwaltskammern erfüllen legiti­ me öffentliche Aufgaben, indem sie u.a. die Kammermitglieder beraten (§ 73 Abs. 2 Nr. 1 BRAO), an der Ausbildung und Prüfung der Studierenden und der Rechtsrefe­ rendare mitwirken (§ 73 Abs. 2 Nr. 9 BRAO) sowie staatliche Verwaltungsaufgaben wahrnehmen, insbesondere bei der Zulassung (§§ 6 ff. BRAO) und Aufsicht über die Kammermitglieder (§ 73 Abs. 2 Nr. 4 BRAO).475 Dabei handelt es sich um Aufgaben, die im Interesse der Gemeinschaft erfüllt werden müssen, aber nicht ebenso wirksam von privaten Verbänden mit freiwilliger Mitgliedschaft wahrgenommen werden kön­ nen oder zu den Aufgaben gehören, die der Staat selbst durch seine Behörden wahr­ nehmen muss476. In seinem jüngsten Beschluss vom 12.7.2017 zur Legitimation der Pflichtmitgliedschaft in der IHK hat das BVerfG einen wesentlichen Vorzug der funk­ tionalen Selbstverwaltung in der organisierten Beteiligung der sachnahen Betroffe­ nen bei der Unterstützung und Beratung der Mitglieder gesehen.477 Anknüpfend an den Beschluss vom 19.12.1962, in dem bei freiwilligen Verbänden die Gefahr einer einseitigen Interessenvertretung durch Mitglieder mit einer wirtschaftlich domi­ nanten Stellung beschworen wurde478, bekräftigte das Verfassungsgericht die Vorteile einer Pflichtmitgliedschaft und verwies auf die Verpflichtung der Kammern, die un­ terschiedlichen Interessen aller Mitglieder „abwägend und ausgleichend“ zu berück­ sichtigen.479 Diese Vorzüge bestehen nicht nur bei der Pflichtmitgliedschaft von Un­ ternehmen und Betrieben in den Industrie- und Handelskammern, sondern im Wesentlichen auch bei der Pflichtmitgliedschaft von Rechtsanwältinnen und Rechts­ anwälten in den Rechtsanwaltskammern. Allerdings wird vor allem aus der Perspektive der Großkanzleien in Frage gestellt, ob die berufliche Selbstverwaltung die Interessen der gesamten Anwaltschaft befriedige. 473 Kilian, AnwBl. 2010, 544, 550; Kilian/Koch, Berufsrecht, A IV 6, Rz. 49. – Abschaffen muss man die Selbstverwaltung deshalb nicht, zutreffend Henssler, in: DWS (Hrsg.), Zukunft der Freien Berufe 2015, S. 33, 69.  474 Beschl. v. 14.2.1973 – 2 BvR 667/72, BVerfGE 10, 354, 361 ff. und 364 (Bayerische Ärzteversorgung); BVerfG, Beschl. v. 19.12.1962 – 1 BvR 541/57, BVerfGE 15, 235, 239 (IHK); BVerfG, Beschl. v. 18.12.1974 – 1 BvR 430/65 und 259/66, BVerfGE 38, 281, 297 (Arbeitnehmerkammern); zuletzt BVerfG, Beschl. v. 12.7.2017 – 1 BvR 2222/12, 1 BvR 1106/13, NJW 2017, 2744, 2746 (IHK); Henssler/Prütting/Hartung, § 60 Rz. 11. 475 Detaillierte Beschreibung der Aufgaben bei Henssler/Prütting/Hartung, § 62 Rz. 5 ff.; Gai­ er/Wolf/Göcken, Einl. Rz. 7. 476 BVerfG, Beschl. v. 18.12.1974 – 1 BvR 430/65 und 259/66, BVerfGE 38, 281, 299; BVerfG, Beschl. v. 12.7.2017 – 1 BvR 2222/12, 1 BvR 1106/13, NJW 2017, 2744, 2747 Rz. 88. 477 BVerfG, Beschl. v. 12.7.2017  – 1 BvR 2222/12, 1 BvR 1106/13, NJW 2017, 2744, 2747 Rz. 95; s. a. Nuckelt, 231 f., 265; Henssler, in: DWS (Hrsg.), Zukunft der Freien Berufe 2015, S. 33, 68. 478 BVerfG, Beschl. v. 19.12.1962 – 1 BvR 541/57, BVerfGE 15, 235, 243. 479 BVerfG, Beschl. v. 12.7.2017  – 1 BvR 2222/12, 1 BvR 1106/13, NJW 2017, 2744, 2747 Rz. 92.

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Der Vorwurf, dass die Kammern den Großkanzleien „nichts zu bieten“ hätten480, wird freilich dem gesetzlichen Auftrag der Selbstverwaltungskörperschaften nicht gerecht. Dieser besteht – wie eben dargelegt – vor allem in der Beratung der Mitglieder, in der Ausbildung und Prüfung der Studierenden sowie in Verwaltungsaufgaben. Neben der Zulassung von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten obliegt den Kammern insbe­ sondere die Aufsicht über die Einhaltung der anwaltlichen Berufspflichten.481 Auch die Satzungskompetenz gem. § 59b BRAO beschränkt sich auf die Konkretisierung der beruflichen Rechte und Pflichten482. Es ist nicht ersichtlich, inwiefern es in Bezug auf diese Aufgaben geboten sein sollte, unterschiedliche Maßstäbe anzulegen und danach zu differenzieren, ob der betreffende Anwalt in einer Einzelkanzlei, einer örtlichen oder überörtlichen Sozietät oder einer im internationalen Geschäftsverkehr operie­ renden „Großkanzlei“ mit mehreren hundert Mitarbeitern tätig ist. Die Einhaltung der sog. Core Values des § 43a BRAO – also der Unabhängigkeit, Verschwiegenheit und Geradlinigkeit der Interessenvertretung – erwarten auch Mandanten von Großkanz­ leien. Diese dürften durch die standardgemäße Einrichtung von Compliance-Syste­ men dem Legalitätsanspruch an die Berufsausübung tendenziell sogar besser gerecht werden483 als Einzelanwältinnen und -anwälte, welche mit allen Mitteln um ihre Exis­ tenz kämpfen müssen.484 Selbst das Fremdbesitzverbot der §§ 59a und 59e BRAO wi­ derspricht nicht zwangsläufig den Interessen der Großkanzleien. Auf einer Veranstal­ tung des Berliner Anwaltsinstituts zu diesem Thema am 2.2.2018 haben jedenfalls Vertreter der zu den Branchenführern zählenden Großkanzlei CMS unisono erklärt, dass sie an einer Beteiligung von Fremdkapital weder Bedarf noch Interesse hätten.

D.  Fazit und Zusammenfassung I. Das Gesetz über die Tätigkeit europäischer Rechtsanwälte in Deutschland (Eu­ RAG) bietet Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten aus anderen Mitgliedsstaaten realis­tische Möglichkeiten zur grenzüberschreitenden Tätigkeit, ohne die ­Belange des ­Verbraucherschutzes und der Rechtspflege zu vernachlässigen. Die insgesamt be­ scheidene Zahl von Berufsträgern, die sich als europäische Rechtsanwältinnen bzw. Rechtsanwälte in Deutschland niederlassen, wird sich nicht ­signifikant erhöhen, ­solange der Prozess der Harmonisierung der unterschiedlichen Rechtsordnungen auf  dem gegenwärtigen Niveau stagniert. Um das Volumen grenzüberschreitender Rechtsdienstleistungen zu steigern, empfiehlt sich neben dem Ausbau der Rechtshar­ monisierung eine verstärkte Förderung der Internationalisierung des rechtswissen­ schaftlichen Studiums in den Mitgliedstaaten der Union. Das von der Humboldt-Uni­ 480 Vgl. die Einschätzung von Hartung, in: FS Oppenhoff, S. 48.  481 Zu den Kompetenzen der Rechtsanwaltskammern vgl. Henssler/Prütting/Hartung, § 62 Rz. 5 ff.; Gaier/Wolf/Göcken, Einl. Rz. 7.  482 Henssler/Prütting/Busse, § 59b BRAO Rz. 15. 483 Auf die „weitgehende Selbstregulierung“ durch Großkanzleien weist Hartung, in: FS Op­ penhoff, S. 48 ff. hin. 484 Zur Gefährdung der anwaltlichen „Core Values“ durch Anwälte, die „finanziell und recht­ lich arm dastehen“ vgl. Wagner, S. 30, 42 und öfter (dazu oben Fn. 470).

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versität und einer Gruppe europäischer Spitzenuniversitäten gebildete Netzwerk der European Law School bietet die Chance zum Erwerb der dafür erforderlichen Kom­ petenzen und könnte für die Vision einer anspruchsvollen, berufsqualifizierenden europäischen Juristenausbildung als Modell dienen. II. Das Problem der „double deontology“ lässt sich durch eine teleologische Reduktion der Berufsregeln des Herkunftsstaates weitgehend bewältigen. Im Interesse der Rechtssicherheit wäre es jedoch wünschenswert, wenn der europäische Gesetzgeber sich dazu durchringen würde, bei einer grenzüberschreitenden Tä­tigkeit die Regeln des Aufnahmestaates für anwendbar zu erklären. Bei einer v­ orübergehenden Tätig­ keit in einem anderen Mitgliedsstaat gilt dies nicht für berufsrechtliche Regeln, die das Gesellschaftsstatut betreffen. Die Regeln des Herkunftsstaates sollten ferner zur Anwendung kommen, wenn dies im Interesse einer rechtsstaatlichen Rechtspflege er­ forderlich ist, zB bei der Wahrung des Anwaltsgeheimnisses oder der Vertretung wi­ derstreitender Interessen. III. Die von der EU-Kommission und Teilen des Schrifttums vorgebrachten Einwän­ de gegen die Europafestigkeit der nationalen Regelungen zum Gebührenrecht, zum Verbot der Kapitalbeteiligung und zum Anwaltsmonopol sind nicht begründet. IV. Anpassungsbedarf besteht im Bereich der Werbung, solange die Rechtsprechung daran festhält, reklamehafte und marktschreierische Werbung wegen Verstoßes gegen tradierte Berufsbilder zu verbieten. Es besteht kein durchschlagender Grund, die Werbung von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten strengeren Beschränkungen aufzuerlegen als nach dem UWG. V. Die größte „Baustelle“ des Berufsrechts besteht im anwaltlichen Gesellschaftsrecht. Mit Recht wird gefordert, dass Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten alle Gesell­ schaftstypen und ein rechtsformunabhängiges Berufsrecht zur Verfügung gestellt werden sollte. Zulassung, Postulationsfähigkeit und Berufspflichten sollten sich nicht nur auf die Einzelanwältin bzw. den Einzelanwalt beziehen, sondern auch auf die Be­ rufsausübungsgesellschaft als solche. Ferner sollte klargestellt werden, dass die für Gesellschaften geltenden Berufsregeln auch für ausländische Gesellschaften gelten, die sich in Deutschland niederlassen. Der Kreis der sozietätsfähigen Gesellschafter bedarf einer Begrenzung, um die berufliche Unabhängigkeit zu schützen und das nach wie vor sinnvolle und europarechtskonforme Fremdbesitzverbot nicht auszu­ höhlen. Es liegt nahe, nur solche Professionen als Gesellschafter zuzulassen, die ein vergleichbares Schutzniveau wie die in § 59a BRAO erwähnten wirtschaftsberatenden Berufe besitzen. Das trifft auf alle verkammerten Berufe zu sowie auf solche, die über eine verbandsmäßig organisierte Berufsaufsicht verfügen oder sich einer Zertifizie­ rung durch neutrale Institutionen unterziehen. VI. Die Rechtfertigung von Berufsrechtsschranken erfolgt mit Rücksicht auf die Er­ fordernisse einer rechtsstaatlichen Rechtspflege und den Schutz der Mandanten. Für den von der EU-Kommission und Teilen des Schrifttums erhobenen Vorwurf, dass die berufliche Selbstverwaltung von einer protektionistischen Haltung zugunsten ei­ nes überkommenen, von Standesdenken geprägten Berufsbildes geprägt sei, hat die 271

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vorliegende Untersuchung keine signifikante Bestätigung erbracht. Seit den Bastille-­ Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts stößt man nur noch vereinzelt – ins­ besondere im Werberecht – auf standespolitische Erwägungen. VII. Bei den Beschränkungen für die interprofessionellen Sozietäten und für Kapital­ beteiligungen streitet man nicht um die Berechtigung des Schutzes der anwaltlichen Unabhängigkeit, sondern um die Eignung und Angemessenheit der Instrumente, die zu dem als legitim angesehenen Schutz eingesetzt werden müssen. Nach dem hier vertretenen Ansatz verdienen Lösungen den Vorzug, die sich effektiv durchsetzen las­ sen. Das trifft im Gegensatz zu Verhaltensregeln auf der betrieblich-operativen Ebene auf Beschränkungen der vereinbaren Berufe und das Verbot reiner Kapitalbeteiligun­ gen zu. VIII. Ausländische Gesellschaften müssen in Bezug auf ihr Gesellschaftsstatut die Re­ geln des Aufnahmestaates einhalten, wenn sie sich dort niederlassen wollen. Grenz­ überschreitende Niederlassungen werden durch die Anforderungen an die Gesell­ schafterstruktur und die beruflichen Qualifikationserfordernisse der Rechtsdienst­ leister zwar eingeschränkt, aber die Beschränkungen sind zum Schutze der beruflichen Unabhängigkeit und zur Qualitätssicherung der erbrachten Rechtsdienstleistungen gerechtfertigt. Internationale Law Firms sind an der Niederlassung auf externen Märkten nicht gehindert, wenn sie die ge­sellschaftsrechtlichen Zulassungsvorausset­ zungen erfüllen und  – wie dies dem Regelfall entspricht  – Rechtsdienstleistungen durch Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte erbringen, die ihre Qualifikation im je­ weiligen Recht des Aufnahmestaates erworben haben. IX. Die von der EU-Kommission erhoffte Steigerung des Wettbewerbs durch europa­ weit tätige Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte ist wegen der heterogenen Rechts­ kulturen und unterschiedlichen Sprachen in den Mitgliedstaaten der Union immer noch ferne Zukunftsvision. Um die grenzüberschreitende Niederlassung von Rechts­ anwältinnen und Rechtsanwälten auszudehnen, empfiehlt sich eine weitere Förde­ rung der internationalen Mobilität der Studierenden in den Mitgliedstaaten der Euro­ päischen Union. Wenn es gelänge, eine anspruchsvolle europäische Juristenausbildung zu etablieren, wäre der Weg nach Europa für Juristen nicht mehr ganz so weit.

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Der Einfluss internationaler Entwicklungen auf das Anwaltsrecht und die Arbeit der Bundesrechtsanwaltskammer Inhaltsübersicht A. Einleitung und Überblick



B. Der unmittelbarste Einfluss völkerrecht­ licher Veränderungen auf die deutsche Anwaltschaft: Wendezeit und Wieder­ vereinigung



I. Das integrative Grundproblem 1. Die Vorstellungen reformerischer ­politischer Kräfte in der DDR 2. Der gewählte Weg und die bestimmen­ den politischen Realitäten 3. Durchaus idealisierende Vorstellungen von den rechtlichen und wirtschaftlichen Realitäten der DDR in Teilen der west­ lichen Welt und der alten Bundesrepublik 4. Bedeutung dieser Rahmenbedingungen für die Entwicklung der Anwaltschaft in den neuen Bundesländern II. Die Anwaltschaft in der DDR 1. Die Gleichschaltung unter der national­ sozialistischen Gewaltherrschaft 2. Grundzüge und Geschichte des Anwalts­ rechts in der DDR 3. Der Wandel mit der Wiedervereinigung III. Die grundsätzliche Stellung der Bundes­ rechtsanwaltskammer zur Gleichstellungsund Integrationstendenz IV. Die Prüfung der Berechtigung früherer Zulassungen nach dem Gesetz zur ­Prüfung von Rechtsanwaltszulassungen und Notarbestellungen und die Bundes­ rechtsanwaltskammer



V. Die Umsetzung des Prüfungsgesetzes und die Bundesrechtsanwaltskam­ mer 1. Die Entscheidung des Bundesverfas­ sungsgerichts 2. Die vom Bundesverfassungsgericht ­behandelten Fälle 3. Die Stellungnahme der Bundesrechts­ anwaltskammer und anderer anwalt­ licher Organisationen a) Die Stellungnahme der Bundes­ rechtsanwaltskammer b) Der Verfassungsausschuss des DAV c) Weitere anwaltliche Organisa­ tionen

VI. Würdigung der Position der Bundes­ rechtsanwaltskammer 1. Das bereits fehlende gemeinsame an­ waltliche Berufsbild und die gesteigerte ­Bedeutung anwaltlicher Individual­ grundrechte 2. Die Bedeutung optimistischer Zu­ kunftsprognosen 3. Die Bundesrechtsanwaltskammer und die bestimmenden großen Strömungen der Zeit VII. Die Folgen der Rechtsprechung des BVerfG für die weitere Rechtsentwick­ lung

* Für ihre freundliche Hilfe bei der Beschaffung von Material bedankt sich der Verfasser bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bundesrechtsanwaltskammer, insbesondere bei Rechtsanwalt Christian Dahns, Rechtsanwältin Dr. Veronika Horrer, LL.M, Rechtsanwältin Dr. Tanja Nitschke, Mag. rer. publ., Rechtsanwältin Hanna Petersen, LL.M. und Rechtsan­ wältin Kristina Trierweiler, LL.M. Für etwaige Unzulänglichkeiten trifft aber natürlich den Verfasser die alleinige Verantwortung.

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Rolf Stürner C. Die internationale Vernetzung der ­Bundesrechtsanwaltskammer I. Die Bundesrechtsanwaltskammer und die International Bar Association (IBA) sowie der Council of the Bars and Law Societies of the European Union (CCBE) 1. Die International Bar Association und die Bundesrechtsanwaltskammer 2. Der Council of the Bars and Law ­Societies of the European Union und die Bundesrechtsanwaltskammer II. Die Mitarbeit der Bundesrechtsanwalts­ kammer in nicht anwaltlichen Institu­ tionen und Einrichtungen 1. Die Rechtsstaatsdialoge und der Beitrag der Bundesrechtsanwaltskammer 2. Die Mitarbeit der Bundesrechtsanwalts­ kammer bei der Stiftung für Rechtliche Zusammenarbeit (IRZ) 3. Die Bundesrechtsanwaltskammer und die Aktion Law Made in Germany a) Grundzüge des Projekts b) Würdigung und einige kritische ­Bemerkungen c) Vorzüge einer Verbindung von Praxis und Wissenschaft bei der Tätigkeit als Botschafter des kontinentaleuro­ päischen Rechts deutscher Prägung III. Die vielfachen bilateralen Kontakte der Bundesrechtsanwaltskammer mit Orga­ nisationen der Anwaltschaft weltweit D. Der Einfluss der US-amerikanischen Rechtshegemonie auf die europäische und deutsche Entwicklung des ­Anwaltsrechts und die Stellung der ­Bundesrechtsanwaltskammer I. Die US-amerikanische Rechtshegemonie und ihr prägender Einfluss auf Europa und Deutschland 1. Die ideologischen Wurzeln angloameri­ kanischer Rechtshegemonie 2. Die abweichende gesellschaftliche Grundlegung der jüngeren kontinental­ europäischen und deutschen Geschichte 3. Die Intermediäre der Ausbreitung US-amerikanischen Rechtsdenkens in Europa

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II. Der Schritt US-amerikanischer Law Firms über den Atlantik nach Deutsch­ land und Europa 1. Die Schwäche des deutschen Rechts 2. Die europäische Rahmung und ihr Zwang zur europäischen Überörtlichkeit 3. Die englische und US-amerikanische ­Invasion in Deutschland und anderen Mitgliedstaaten der EU 4. Die Folgen für die deutsche und euro­ päische Rechtskultur 5. Innovative anwaltliche Aktivitäten und zweifelhafte Rechtsgrundlagen III. Das die USA teilweise überbietende ­berufsrechtliche Freiheitsverständnis der EU und Deutschlands 1. Der Beschluss des Europäischen Rates vom März 2000, seine Ideologie und ­Hybris 2. Die Bedeutung der HIS-Studie 3. Das fehlende Bewusstsein ideologischer Verengung in der deutschen Wahrneh­ mung IV. Die Entwicklung des anwaltlichen ­Berufsrechts und die Stellung der Bundes­ rechtsanwaltskammer in besonders ­wichtigen Regelungsbereichen 1. Gemeinwohlbindung als Organ der Rechtspflege a) Die deutsche Zurückhaltung b) Der Anwalt als Officer of the Legal System und Public Citizen in den US-Model Rules c) Europäische Verwerfungen 2. Zulassung überörtlicher Kanzleien und Zulassung in mehreren Einzelstaaten der USA und der EU a) Überörtliche Kanzleien im selben ­Einzelstaat b) Zulassung oder erlaubte Tätigkeit in mehreren US-Staaten und EU-Staaten aa) Zulassung in mehreren US-­ Staaten bb) Zulassung in mehreren EU-­ Staaten cc) Die Rolle des CCBE und der Bundesrechtsanwaltskammer bei der Schaffung EU-weiter ­Bewegungsfreiheit

Internationale Entwicklungen und die Arbeit der Bundesrechtsanwaltskammer dd) Verbleibende Differenzen als Schatten über dem freien Nieder­ lassungsrecht 3. Zulassung fremder Anwälte aus nicht zu den USA bzw. nicht zur EU gehörenden Staaten a) Freundliche Zurückhaltung der US-Einzelstaaten bei aufkommenden Erleichterungen b) Deutliche deutsche Zurückhaltung mit entsprechenden Verwerfungen 4. Zulassungsschranken bei bestimmten Gerichten: Vertikale Zulassungsschranken a) Singularzulassungen bei höheren Ge­ richten und die Bundesrechtsanwalts­ kammer b) Besondere Zulassungsvoraussetzun­ gen als Qualitätsschwelle bei be­ stimmten US-Gerichten c) Vergleichende Bemerkungen 5. Rechtsanwaltsgesellschaften und Dritt­ beteiligung a) Parallelentwicklung zur freien Wahl der Gesellschaftsform b) Die konservative US-amerikanische Grundtendenz gegenüber Formen der Fremdbeteiligung c) Die deutsche Entwicklung aa) Der bisherige Gang gesetzgeberi­ scher Entwicklung bb) Die Kontrolle durch das BVerfG d) Die Stellungnahme der Bundesrechts­ anwaltskammer und die weiteren ­Reformvorschläge 6. Die Honorierung des Organs der Rechts­ pflege a) Das US-amerikanische Recht b) Die europäische und deutsche ­Entwicklung c) Der Einfluss der Bundesrechts­ anwaltskammer 7. Anwaltliche Werbung a) Die Codes of Professional Conduct und anwaltliche Werbung aa) Festhalten an besonderen berufs­ rechtlichen Werberegeln bb) Der Supreme Court: Lawyers not „something above trade“ cc) Die Reaktion der reformierten Model Rules und der einzelstaat­ lichen Codes

dd) Die parallele radikale Entwicklung im Äußerungsrecht b) Die deutsche Entwicklung aa) Die über die Bastille-Entschei­ dungen hinausreichende Ent­ grenzung der Werbefreiheit und die Schwierigkeit neuer Grenz­ ziehung bb) Der neuere Stand der deutschen Entwicklung in der BRAO und BORA – freiheitlicher als die USA? c) Die Stellung der Bundesrechtsanwalts­ kammer zur Deregulierung anwaltli­ cher Werbungsregeln d) Versuch einer Bewertung und Einord­ nung der Entwicklung anwaltlichen Werberechts aa) Übertriebene Liberalisierung? bb) Parallellaufendes Äußerungsrecht cc) Fortbestehende Notwendigkeit eines Beitrags der Bundesrechts­ anwaltskammer zu einer maß­ vollen Vorverlegung der Grenze zur unzulässigen Werbung 8. Verschwiegenheit und widerstreitende Interessen a) Pflicht zur Verschwiegenheit b) Verbot der Vertretung widerstreiten­ der Interessen – die deutsche Situa­ tion c) Kritik der deutschen Regelung des ­Interessenwiderstreits d) Grundzüge der US-amerikanischen Regelung e) Unerledigte „Hausaufgaben“ der ­Satzungsversammlung? E. Die Bundesrechtsanwaltskammer und Menschenrechtsfragen I. Der Ausschuss für Menschenrechte der Bundesrechtsanwaltskammer II. Die Arbeit der Bundesrechtsanwalts­ kammer und ihres Menschenrechtsaus­ schusses auf dem Gebiet des Menschen­ rechtsschutzes in den letzten Jahren F. Schlussbemerkung

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A.  Einleitung und Überblick Der Beitrag zum Einfluss internationaler Entwicklungen auf das Anwaltsrecht und die Rolle der Bundesrechtsanwaltskammer soll sich allen Einflüssen internationaler Art und ihren Auswirkungen auf die Arbeit der Bundesrechtsanwaltskammer wid­ men, soweit sie nicht durch die Europäische Union und ihr stetes Wachstum gerade im Bereich des Rechts und der Rechtssetzung bestimmt sind. Denn dem europäi­ schen Einfluss auf das Anwaltsrecht und die Anwaltschaft und damit auf die Arbeit der Bundesrechtsanwaltskammer ist in diesem Bande ein besonderer Beitrag gewid­ met. Diese Trennung kann allerdings nur eine sehr grundsätzliche Aufteilung be­ schreiben, ist doch das Recht der EU und Deutschlands auf wichtigen Gebieten glei­ chermaßen von breiten Strömungen der technischen, wirtschaftlichen, sozialen und rechtsethischen Entwicklung der westlichen Zivilisation insgesamt maßgeblich mit­ geprägt, wobei dann die westliche Zivilisation auf die Rechtskulturen Ostasiens, die früheren sozialistischen Staaten und die sogenannten Schwellenländer ausstrahlt. Vor dem Hintergrund dieser sehr grundsätzlichen Maßgabe wird dieser Beitrag die ge­ troffene Aufteilung einhalten, ohne allerdings in zu kleinlicher Form einzelne Über­ schneidungen vermeiden zu können und auch vermeiden zu wollen. Der Beitrag wird sich zunächst mit dem Einfluss des Zusammenbruchs der osteuro­ päischen sozialistischen Rechtskultur auf die gesamtdeutsche Entwicklung befassen (unter B.), dem wohl radikalsten Einbruch internationaler und völkerrechtlicher Ent­ wicklung auf die gesamtdeutsche Gesellschaft und ihr Recht. Es folgt dann ein Ab­ schnitt über die internationale institutionelle Vernetzung der Bundesrechtsanwalts­ kammer (unter C.). Breiter Raum soll der Bedeutung der US-amerikanischen Rechtshegemonie und ihrer Auswirkungen auf die Gestaltung der modernen deut­ schen Anwaltsverfassung gewidmet sein, die sich als besonders machtvolle Triebfeder der modernen deutschen Entwicklung erwiesen hat (unter D.). Nach einem kürzeren Teil zur Rolle der Bundesrechtsanwaltskammer bei der Beobachtung und Bewertung von Menschenrechtsverletzungen (unter E.) wird dann eine zusammenfassende und würdigende Schlussbemerkung den Beitrag beschließen (unter F.).

B.  Der unmittelbarste Einfluss völkerrechtlicher Veränderungen auf die deutsche Anwaltschaft: Wendezeit und Wiedervereinigung I. Das integrative Grundproblem 1. Die Vorstellungen reformerischer politischer Kräfte in der DDR Mit der Wiedervereinigung, die in Gestalt des Beitritts der neuen Bundesländer zur Bundesrepublik Deutschland rechtlich vollzogen wurde, erlebten Gesellschaft und Rechtsordnung der alten Bundesrepublik eine ihrer stärksten Bewährungsproben seit Gründung der Bundesrepublik, galt es doch, Bürger aus einer in ihren Grundlegungen völlig andersartigen Gesellschaftsordnung zu integrieren und sie gleichzeitig doch so 276

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schonend wie irgend möglich mit einer weithin gegensätzlichen gesellschaftlichen und rechtlichen Grundkonzeption auf eine Art und Weise vertraut zu machen, die menschliche Verletzungen der Bürger der neuen Bundesländer vermeiden oder doch möglichst gering halten sollte. Dabei entsprach die Vorstellung einer Integration schon im Ausgangspunkt nicht dem Lebensgefühl der meisten in der früheren DDR lebenden Deutschen. Sie dachten ursprünglich stärker an eine eigene erneuerte Staat­ lichkeit gepaart mit einem langsamen Einigungsprozess im Rahmen fortschreitender gesamteuropäischer Einigung1 oder verbanden mit der Wiedervereinigung zumin­ dest doch teilweise die Vorstellung eines gemeinsamen Neuanfangs,2 mit dem auch eine Anpassung der alten Bundesrepublik an die Gegebenheiten einer neuer Staaten­ bildung verbunden sein sollte.3 2. Der gewählte Weg und die bestimmenden politischen Realitäten Diese Vorstellung hielt allerdings den Realitäten in wesentlichen Punkten nicht stand. Beide Staatsgebilde waren von sehr ungleicher Stärke nach Bevölkerungszahl und wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit. Gerade im letzten Punkt war das vergehende Re­ gime der DDR allerdings in der Lage gewesen, mit bewundernswertem Geschick ih­ rer eigenen Bevölkerung und der Staatengemeinschaft der westlichen Welt bis zum Schluss eine Wirtschaftsstärke vorzutäuschen, die dem fragwürdigen Zustand seiner Gesamtwirtschaft in keiner Weise entsprach und deren erfolgreiche Vermarktung den analytischen Fähigkeiten der westlichen Staatengemeinschaft und ihren Beratern aus Wirtschafts- und Geheimdienstkreisen kein gutes Zeugnis ausstellte. Mit dem vollen wirtschaftlichen Zusammenbruch, der sich mit der Öffnung Osteuropas nach dem Westen sehr ruckartig, aber anderseits auch nicht gerade völlig überraschend ver­ band, schlug sich die Erkenntnis voller Unverträglichkeit der gesellschaftlichen und rechtlichen Grundlagen der DDR mit den Grundlagen der Bundesrepublik und den zwischenzeitlich immer stärker prägenden Grundwerten der Europäischen Union und der Weltwirtschaftsordnung westlicher Hegemonie immer stärker Bahn. Nicht zuletzt diese Einsicht führte von der Vorstellung einer Wiedervereinigung zweier gleichberechtigter Teilstaaten weg und ersetzte sie dann im Folgenden durch die so­ genannte Beitrittslösung, die zumindest in ihrem realen Vollzug teilweise auch wohl durchaus zu Recht kritisch als Annexion4 wahrgenommen wurde. 1 Dazu die Präambel zum Entwurf einer Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik einer Arbeitsgruppe des „Runden Tisches Berlin“ vom April 1990. 2 Typisch etwa K. Masur, Frankfurter Rundschau vom 26.2.1990: Einheit, in die sich die DDR-Bürger „mit Würde einbringen“ können. 3 Zu diesen gegensätzlichen Grundpositionen noch immer aufschlussreich Starck und Häberle JZ 1990, 349 ff. und 358 ff.; ferner zur innerdeutschen Rechtsvergleichung als Vorstufe einer neuen Verfassungsgebung Roggemann JZ 1990, 363 ff. 4 Kritische literarische Verarbeitung der Wiedervereinigung etwa bei Günter Grass, Ein weites Feld, 1995; Rolf Hochhuth, Wessis in Weimar: Szenen aus einem besetzten Land, 1993. Vor allem zur Wirkungen der Arbeit der Treuhandanstalt versucht die Studie Goschler/Böick, Wahrnehmung und Bewertung der Arbeit der Treuhandanstalt, November 2017, die im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie vom Institut für Zeitgeschichte an der Ruhruniversität Bochum errichtet wurde, eine gewisse Bilanz zu ziehen und enthält

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3. Durchaus idealisierende Vorstellungen von den rechtlichen und wirtschaftlichen Realitäten der DDR in Teilen der westlichen Welt und der alten Bundesrepublik Als im August 1990 in Montreal die Tagung der weltweiten Akademie für Rechtsver­ gleichung stattfand5, waren noch zu jedem Thema der Tagung möglichst ein Reprä­ sentant der Bundesrepublik und der vergehenden DDR eingeladen. Die Vertreter der DDR sollten auch zu Themen sprechen, die sich in der rechtlichen Realität der DDR nicht oder nur spurenweise niederschlugen. Das Fortbrechen der DDR und die ruck­ artige Absage der Teilnehmer aus der DDR berührten die Veranstalter der Tagung durchaus peinlich. Fragen ausländischer Kollegen nach der Fortgeltung von DDRRecht nach einer Wiedervereinigung waren an der Tagesordnung, das Bewusstsein für die fehlende Leistungsfähigkeit etwa des Zivilgesetzbuchs der DDR in einer freien Wirtschaft innerhalb der EU zeugten von einer gewissen Unkenntnis der wirtschaft­ lichen Realitäten, für die dieses Recht geschaffen bzw. nicht geschaffen war. Es konnte vor diesem Hintergrund nicht verwundern, dass es während der Phase der Wieder­ vereinigung im Westen und Osten Deutschlands eine nicht ungefährliche Illusions­ pflege über die Konsequenzen eines solchen Schrittes gab. Neben Illusionen über wirtschaftliche Zwänge und die Dynamik der tatsächlichen Kraftverhältnisse herrschten in der alten Bundesrepublik aber nicht selten auch über die rechtliche Verfassung und die rechtliche Realität der DDR unzutreffende Vorstel­ lungen, die sich mit einem Desinteresse an genauerer Information verbanden.6 Der Gedanke, man könne Elemente beider Systeme vermischen, um zu einem besseren staatlichen Gebilde zu kommen, war weit verbreitet, obwohl eigentlich auch klar sein musste, dass die ursprünglich stärker sozialstaatliche Verfassung der Bundesrepublik in ihren grundsätzlichen Ausgangspunkten mit den Marktfreiheiten der EU nur ein­ geschränkt harmonierte7 und zu diesem Zeitpunkt eine stärkere sozialistische Orien­ tierung der gesamten Bundesrepublik gar nicht mehr im Bereich realisierbarer Er­ wartungen lag.

auch eine Fülle von Nachweisen der neueren Literatur zu dieser Phase der Geschichte der Wiedervereinigung; abzurufen unter RUB – Repository, https://hss-opus.ruhr-uni-bochum. de Bibliotheksportal, zuletzt aufgesucht am 19.1.2019. Ein Überblick über die Gesetzgebung zur versuchten Bewältigung der vermögensrechtlichen Probleme der Wiedervereinigung findet sich bei Baur/Stürner, Sachenrecht, 18. Aufl. 2009, § 63, S. 887 ff. 5 Der Verfasser war an dieser Tagung selbst mit einem Nationalbericht beteiligt (dazu der Band Jayme, German National Reports in Civil Law Matters for the XIIIth Congress of Com­ parative Law in Montreal 1990, und der Band Bernhardt/Beyerlin, The German National Reports on Public Law Matters, 1990) und erinnert sich noch sehr gut an die insoweit eigen­ artige Atmosphäre des Kongresses. 6 Sehr kritisch zur Aufarbeitung des SED-Unrechts noch nach der Wiedervereinigung insbe­ sondere Wasmuth JZ 2010, 1133 ff. 7 Hierzu Stürner, Markt und Wettbewerb über Alles?, 2007, S. 48 ff., 81 ff.

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4. Bedeutung dieser Rahmenbedingungen für die Entwicklung der Anwaltschaft in den neuen Bundesländern Wenn man über die Entwicklung der Anwaltschaft in den neuen Bundesländern spricht, sollte man sich dieses Rahmens des Gesamtgeschehens immer bewusst sein. Die Spielräume einer Realpolitik waren in keinem Bereich besonders groß, aber ge­ rade auf dem Gebiet anwaltlicher Rechtspflege und der Rechtpflege überhaupt be­ sonders gering.8 Hinzu kam, dass in der Phase der Wiedervereinigung der europa­ rechtliche und liberalisierende Reformdruck auf die bestehende Grundverfassung der deutschen Anwaltschaft der Bundesrepublik wuchs9 und der Aufbau einer neuen Anwaltschaft in den neuen Bundesländern deshalb auf der Prioritätsliste vielfach nicht ganz oben zu stehen schien.

II. Die Anwaltschaft in der DDR 1. Die Gleichschaltung unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft Man sollte sich bei der Betrachtung der Vorgeschichte der Anwaltschaft in den neuen Bundesländern nicht nur auf die Zeit der DDR beschränken, sondern sich auch noch einmal vergegenwärtigen, wie sehr die nationalsozialistische Diktatur bereits vor der Entstehung der DDR eine freie Anwaltschaft bekämpft und zerstört hatte. Für diese Tatsache stehen der seit 1933 beginnende, kontinuierlich fortschreitende und spä­ testens 1938 vollendete Ausschluss jüdischer Rechtsanwälte von allen Formen der Rechtsvertretung10 und die Gleichschaltung des Deutschen Anwaltvereins im Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen sowie nicht zuletzt auch die Mitgliedschaft im Nationalsozialistischen Rechtswahrerbund mit seinen Schulungslagern als faktische Zulassungsvoraussetzung zur Rechtsvertretung und damit auch zu den fortbestehen­ den, aber ihrer Unabhängigkeit beraubten Rechtsanwaltskammern.11 Wie überall in 8 Zur regimestützenden Rolle des Rechts, der Juristen und Anwälte in der DDR insbesonde­ re Rüthers JZ 1999, 1009 ff., 1010 ff.; Timmermann (Herausgeber), Die DDR – Recht und Justiz als politisches Instrument, 2000; H.-J. Ahrens, Berufsrecht der Rechtsanwälte, 2017, Rz. 153, 154 mwNw. 9 Zu dieser Situation insbesondere zusammenfassend Kewenig JZ 1990, 782 ff.; ausführlich Everling, Verhandlungen des Deutschen Juristentags in München, Band 1, 1990, Gutachten Teil C: Welche Regelungen empfehlen sich für das Recht der rechtsberatenden Berufe, ins­ besondere im Hinblick auf die Entwicklung in der Europäischen Gemeinschaft? 10 Hierzu neben den allgemeinen Verfolgungsmaßnahmen gegen jüdische Mitbürger die Richtlinien der Reichsanwaltskammer zur Ausübung des Anwaltsberufes von 1934 Ziffern 2 und 21 und später nach sich mehrenden faktischen Behinderungen und Diskriminierun­ gen bis hin zu Gewalttätigkeiten und Morden das endgültige förmliche Verbot der Berufs­ ausübung in § 1 der 5. VO zum Reichsbürgergesetz vom 27.9.1938 (RGBl. I S. 1403); lesens­ wert zur Zeit des Nationalsozialismus in Mecklenburg Dietrich Schümann, Ein Beitrag zur Geschichte der Mecklenburgischen Anwaltschaft, 2000, S. 5 ff. 11 Zur Geschichte der Gleichschaltung und teilweise auch Verfolgung im sog. Dritten Reich insbesondere Ostler AnwBl. 1983, 50 ff.; Knobloch AnwBl. 1990, 483 ff.; Wassermann NJW 2002, 1018 ff.; Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, 4. Aufl. 2001, § 40 II 2; Rüthers,

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Deutschland trafen also auch zunächst die Sowjetische Militärregierung und dann die Regierung der DDR auf eine bereits zertrümmerte und zerstörte Anwaltschaft und Rechtspflege. 2. Grundzüge und Geschichte des Anwaltsrechts in der DDR12 Mit dem Zusammenbruch des Deutschen Reiches entstand im Bereich der Rechts­ pflege ein Vakuum, das die Militärverwaltung zunächst teilweise selbst ausfüllte, je­ doch beginnend bereits mit 1946 eine Deutsche Justizverwaltung errichten ließ, die im gleichen Jahr am 18.6.1946 eine provisorische Zulassungsordnung für Rechtsan­ wälte erließ. Die Auswahl erfolgte zwar auch unter dem Gesichtspunkt fehlender Identifikation mit dem Nationalsozialismus oder was man dafür hielt, jedoch stand beim Aufbau eines neuen Rechtspflegesystems die Anwaltschaft zunächst nicht im Zentrum des Interesses. Erst nach Gründung der DDR 1949 erfolgte einer „Säube­ rungswelle“ gegen wieder zugelassene Anwälte auf Anordnung der Landesjustizver­ waltungen, der eine nicht geringe Zahl der Anwälte zum Opfer gefallen zu sein scheint; so nennt ein Bericht aus Mecklenburg, dass von 83 wiederzugelassenen An­ wälten hiervon 53 betroffen waren, allerdings ohne den Ausgang der Verfahren zah­ lenmäßig näher spezifizieren zu können.13 1952 wurden die vergangenheitsbedingten Verweigerungsgründe eingeschränkt, und 1953 entschied sich das Politbüro der SED für die Gründung von Rechtsanwaltskollegien im Wege einer Verordnung.14 Sie führ­ ten einerseits zu einer Kollektivierung eines vorher „freien“ Berufs und übernahmen teilweise die Disziplinarfunktion der früheren Kammern. Im Jahre 1980 erging ein förmliches Gesetz über diese Kollegien der Rechtsanwälte in der DDR.15 Die Kolle­ gien waren nicht zuletzt in besonderer Weise geeignet, Anwälte „auf Linie“ zu halten und etwas zu überwachen.16 Aufgabe der Anwälte war in erster Linie die Vertretung einzelner Bürger, Unternehmen ließen sich vor den Vertragsgerichten regelmäßig von ihren Justitiaren vertreten. Die wenigen vom Minister der Justiz zugelassenen Einzel­ anwälte unterlagen grundsätzlich den gleichen Regeln wie die Anwälte der Anwalts­ kollegien. Freier gestaltete sich vor allem die Stellung der Rechtsanwälte im Büro für internationale Zivilrechtsvertretungen, die einer Sonderregelung besser stellte.17 Ins­ gesamt sah die DDR in der Anwaltschaft aber keine besonders wichtige Stütze der

Entartetes Recht, 1988, S. 50-53; Schümann aaO S. 5 ff.; Chr. Wolf, in: Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 2. Aufl. 2014, Einl. Rz. 196 ff., S, 31 f. 12 Hierzu Thomas Lorenz, Die Rechtsanwaltschaft in der DDR, 1998; dazu wiederum Rüthers JZ 1999, 1009 ff., 1010 ff. 13 Schümann aaO S. 23, 25. 14 GBl. DDR 1953, S. 725. 15 Gesetz vom 17.12.1980, GBl. DDR I, S. 1 ff. 16 Hierzu Wasmuth BRAK-Mitt 1990, 122 unter Hinweis auf § 1 und § 2 des Rechtsanwalts­ kollegiengesetzes; ähnlich H. J. Ahrens, Berufsrecht der Rechtsanwälte, 2017, Rz.  152  ff., 153: Rüthers JZ 1999, 1009 ff., 1010 ff. 17 Bestimmungen des Status des Rechtsanwaltsbüros für internationale Zivilrechtsvertretun­ gen vom 18.12.1980, GBl. DDR I, S. 7.

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Rechtspflege, ihre Zahl blieb mit 600 bis 800 vor der Endzeit der DDR gering, wuchs dann aber sehr schnell an.18 3. Der Wandel mit der Wiedervereinigung Im Vorfeld der Wiedervereinigung nach Öffnung der Mauer erließ die neu eingesetz­ te DDR-Regierung am 22.2.1990 die Verordnung über die Tätigkeit und Zulassung von Rechtsanwälten mit eigener Praxis19. Sie war sozusagen die Vorstufe zum Rechtan­ waltsgesetz der DDR vom 13.9.1990.20 Dieses Gesetz orientierte sich bereits stark an der BRAO, schlug sich aber angesichts des in der Bundesrepublik in wichtigen Punk­ ten schwebenden Reformstreites zwischen Anwaltverein und Bundesrechtsanwalts­ kammer (Aufgabe der Lokalisierung und Singularzulassung, Rechtsanwalts-GmbH) sozusagen in letzter Minute teilweise auf die Seite des „progressiveren“ Anwaltver­ eins.21 Schon vor dem förmlichen Abschluss des Einigungsvertrages und dem Vollzug der Einheit am 3.10.1990 ermöglichten die beiden deutschen Staaten den auf dem Gebiet des anderen Staates zugelassenen Rechtsanwälten die Teilnahme an der Recht­ pflege auf ihrem jeweiligen Hoheitsgebiet, wobei auf genaue Einzelheiten und rechtli­ che Zweifelsfragen dieses recht kurzen Zwischenspiels nicht eingegangen werden soll.22 Der Einigungsvertrag bestimmte dann die Fortgeltung des Rechtsanwaltsgeset­ zes in den neuen Bundesländern und die Gleichstellung der Rechtsanwälte beider früheren deutschen Staaten.23 Endgültige Rechtseinheit konnte jedoch erst unter Aufhebung des Rechtsanwaltsgesetzes der früheren DDR das Berufsrechtsneuord­ nungsgesetz 1994 schaffen.24

III. Die grundsätzliche Stellung der Bundesrechtsanwaltskammer zur Gleichstellungs- und Integrationstendenz Die Bundesrechtsanwaltskammer zeigte sich gegenüber der politischen Grundten­ denz des Gesetzgebers der Bundesrepublik zur großzügigen Gleichstellung der Rechts­ anwaltschaft der früheren DDR insgesamt zunächst einmal sehr aufgeschlossen. Man setzte ähnlich wie auch der Deutsche Anwaltverein auf Verständigung und Fortbil­

18 Hierzu Wasmuth BRAK-Mitt. 1990, 122: rascher Anstieg von ca. 600 auf ca. 1500 binnen weniger Monate. 19 GBl. DDR I 1990, 147, Anh. 19. 20 GBl. DDR I S. 1504. 21 Hierzu A. Braun BRAK-Mitt. 1990, 149 ff., 151. 22 Hierzu Papier BRAK-Mitt. 1991, 6; Schmalz BRAK-Mitt. 1990, Nr. 2 (Akzente); Wasmuth BRAK-Mitt. 1990, 122 ff., 124.  23 Hierzu Einigungsvertrag Anlage I Teil B Kap. III, Sachgebiet A: Rechtspflege, Abschnitte I 7, II 2 und IV 1 a. 24 Guter Überblick zur Rechtsentwicklung bei H. J. Ahrens, Berufsrecht der Rechtsanwälte, Rz.  152  ff. mNw.; Chr. Wolf, in: Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, aaO, Einl. Rz. 222 ff., S. 35 f.

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dungsangebote insbesondere des Deutschen Anwaltsinstituts25 und unterstützte auch die bereits erwähnten vor der Einigung geschaffenen beidseitigen Möglichkeiten zu grenzüberschreitenden Tätigkeiten.26 Insgesamt überwog bei der Bundesrechtsan­ waltskammer das Grundgefühl, dass menschliches Einfühlungsvermögen, Hilfestel­ lung bei der Einarbeitung in eine neue Welt des Rechts und der Verzicht auf Pauschal­ verdächtigung und Eignungsprüfung vor Vollintegration der vorzugswürdige Weg sein müssten, der unangebrachte Überhebung gegenüber den unter den beschweren­ den Bedingungen des DDR-Staates arbeitenden Kollegen vermeide. Dieser men­ schenfreundliche Optimismus war Teil einer gesellschaftlichen Gesamtstimmung als Folge des überraschenden und von der großen Mehrzahl der Bürger der Bundesrepu­ blik nicht mehr erhofften Glücks wiedergewonnener deutscher Einheit. Die Sorge über Unfrieden wegen verborgener Hypotheken trat demgegenüber zunächst einmal zurück. Auch der Deutsche Juristentag widmete sich 1990 in München in zwei kurz­ fristiger angesetzten Veranstaltungen den rechtlichen und gesellschaftlichen Grund­ fragen der neuen Einheit, konnte dann aber die ursprüngliche Absicht zur späteren Aufarbeitung von Versäumnissen des Einigungsprozesses nicht mehr verwirklichen.27 Die Kritiker der Vätergeneration, die sich gegen ein nach dem Dritten Reich aufkom­ mendes Harmoniebedürfnis wandten,28 erlagen zunächst einmal auch selbst etwas dem Wunsch nach nicht weiter hinterfragtem gesellschaftlichem Frieden. Das DDR-­ Unrecht erschien insgesamt nicht so gewichtig wie das NS-Unrecht  – sicher nicht ohne Grund –,29 aber vielleicht bei distanzierterer Rückbesinnung dann doch eine fragwürdige Form vergleichender Quantifizierung individuell erlittenen Unrechts, die gesellschaftlichen Unfrieden zu schaffen in der Lage sein konnte.

IV. Die Prüfung der Berechtigung früherer Zulassungen nach dem Gesetz zur Prüfung von Rechtsanwaltszulassungen und Notarbestellungen30 und die Bundesrechtsanwaltskammer Die großzügige Regelung des Einigungsvertrages konnte auch früheren Mitarbeitern des Staatssicherheitsdienstes oder anderen Funktionsträgern mit ausgeprägter Nähe zum Regime der DDR wie früheren Professoren, Staatsanwälten oder Richtern den bleibenden Zugang zur Anwaltschaft verschaffen, wenn es ihnen gelungen war, sich in der Zeit vor der Wiedervereinigung einen Platz bei der DDR-Anwaltschaft zu sichern, obwohl sie in der Zeit der SED-Herrschaft vor der Wiedervereinigung an Menschen­ rechtsverletzungen von Gewicht aktiv beteiligt waren. Die Bundesrechtsanwaltskam­ 25 Dazu der kurze Bericht Schardey BRAK-Mitt. 1990, 77; zur Hervorhebung des Gedankens werdender Kollegialität insbesondere Schmalz BRAK-Mitt. 1990, Nr.  2 (Akzente); ders. BRAK-Mitt. 1990, Nr. 3 (Akzente). 26 Dazu nochmals Schmalz BRAK-Mitt. 1990, Nr. 2 (Akzente). 27 Dazu Kurland, in: Deutscher Juristentag 1860 bis 1994, 1997, S. 235 ff. 28 Für eine etwas differenzierende Sichtweise vor allem für die Zeit zwischen 1946 und 1950 Stürner JZ 2016, 1 ff., 2 ff. mNw. 29 Zu dieser Grundhaltung insbesondere Papier/Möller NJW 1999, 3289  ff., 3291  ff., nicht zuletzt unter Hinweis auf BGHSt 40, 30.  30 Vom 24.7.1992, BGBl. I 1386.

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mer hatte schon im Juli 1991 in einer Presseerklärung darauf hingewiesen, dass die Anwaltschaft der neuen Bundesländer nicht zu einem Auffangbecken insbesondere für Juristen werden dürfe, die der Stasi zum Nachteil ihrer Mitbürger eng verbunden waren. Soweit geltendes Recht eine Überprüfung solcher Zulassungen nicht zulasse, sei die Schaffung entsprechender neuer Vorschriften zu befürworten.31 Als die Bun­ desregierung Anfang 1992 den Entwurf eines Gesetzes zur Prüfung von Rechtsan­ waltszulassungen und Notarbestellungen32 vorlegte, gab die Bundesrechtsanwalts­ kammer eine ausführliche befürwortende Stellungnahme ab.33 Sie legte ausführlich dar, dass das geltende Recht einer Überprüfung solcher Zulassungen bei Anlegung streng rechtsstaatlicher Grundsätze nicht günstig sei und verfassungsrechtliche Be­ denken gegen eine nunmehr erfolgende gesetzgeberische Regelung nicht stichhaltig seien, vor allem weil es sich um eine sogenannte unechte Rückwirkung handle, die den Grundsätzen angemessenen Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit ge­ recht werde. In ihrer Stellungnahme widerspricht die Bundesrechtsanwaltskammer pauschalierenden Verurteilungen insbesondere auch der Juristen, die in der DDR un­ ter sehr belastenden Umständen versucht hätten, die Interessen der Mitbürger gegen­ über dem Staat zu vertreten.34 Gleichzeitig wendet sie sich aber auch gegen die These, die Anwaltschaft könne oder gar müsse eine Anzahl von Personen in ihren Reihen dulden, die gegen Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen hätten. Die Zulassung hochrangiger Repräsentanten des SED-Regimes zur Anwalt­ schaft habe bei der Bevölkerung der neuen Bundesländer Empörung und Unver­ ständnis hervorgerufen und zeige, dass Vertrauen in den Rechtsstaat nur entstehen könne, wenn er sich durch vertrauenswürdige Personen repräsentieren lasse. Dies sei aber gerade nicht der Fall, wenn in Gerichtssälen die anwaltliche Robe von Persön­ lichkeiten getragen würde, die an Menschenrechtsverletzungen aktiv beteiligt waren und nunmehr als Organe der Rechtspflege tätig sein wollten. Vielmehr schade dies dem Aufbau des Rechtstaates.

V. Die Umsetzung des Prüfungsgesetzes und die Bundesrechts­ anwaltskammer 1. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Für die Umsetzung des Prüfungsgesetzes und die weitere Rolle der Bundesrechtsan­ waltskammer ist vor allem die Grundsatzentscheidung das Ersten Senats des BVerfG vom 9.8.199535 von Bedeutung, weil sie die künftige Rechtsentwicklung maßgeblich 31 Dazu die Stellungnahme BRAK-Mitt. 1992, 22/23. 32 Hierzu BR-Drucks. 20/92. 33 Hierzu die Wiedergabe BRAK-Mitt. 1992, 22 ff.; ähnlich E. Haas BRAK-Mitt. 1992, 1 (Ak­ zente). 34 Zur allerdings recht kritischen Beurteilung der anwaltlicher Rolle innerhalb des Rechtssys­ tems der DDR die Enquête - Kommission des Deutschen Bundestages „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“, BT-Drucks. 12/7820, 96  ff.; Textabdruck in NJW 1990, 1588.  35 BVerfGE 93, 213 ff.; siehe auch die späteren Entscheidungen BVerfG NJW 1999, 3328 und NJW 2001, 670.

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prägte und in diesem Verfahren der Bundesrechtsanwaltskammer36 und neben ande­ ren anwaltlichen Organisationen auch dem Verfassungsausschuss des Deutschen An­ waltvereins37 Gelegenheit zur ausführlichen Stellungnahme gegeben war. Es ging in diesem Verfahren um den Widerruf der Zulassung in drei Fällen der Tätigkeit für die Stasi als „IM“. Das BVerfG bestätigte zunächst die Verfassungsmäßigkeit des Prü­ fungsgesetzes und prüfte dann in allen drei Fällen, ob der BGH und die Vorinstanzen bei ihren bestätigenden Entscheidungen das Gewicht des in dem Widerruf liegenden Eingriffs in die Berufsfreiheit zutreffend gewürdigt hatten. Dabei ging das BVerfG davon aus, ein solcher Eingriff lasse sich unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismä­ ßigkeit nur rechtfertigen, wenn über bloße Bespitzelung hinaus eine konkrete Verur­ sachung weitergehender Verletzungen der Rechtsstaatlichkeit und fundamentaler Menschenrechte mit erheblichem Verschulden des Anwalts oder der Anwältin nach­ gewiesen seien. 2. Die vom Bundesverfassungsgericht behandelten Fälle Im ersten Fall handelte es sich um eine Anwältin, die als IM zusammen mit einem anderen Anwalt einen Anwaltskollegen wegen seiner Fluchtpläne bespitzelt und de­ nunziert hatte, wobei der Anwaltskollege später wegen Republikflucht verurteilt und dann nach Freikauf in die BRD abgeschoben wurde, die genaue Ursächlichkeit der gegebenen Informationen für die Entdeckung und Verurteilung aber nicht im Einzel­ nen festgestellt war. Das BVerfG hob alle bestätigenden Entscheidungen auf und ver­ wies an den BGH wegen der Kostenentscheidung zurück. Im zweiten Fall hatte der Beschwerde führende Anwalt den bereits erwähnten An­ waltskollegen in seinem Strafverfahren wegen Republikflucht vertreten und als IM die Stasi über die Verteidigungsstrategie seines Mandanten in gerade diesem Strafver­ fahren unterrichtet. Der Mandant wollte sich auf strafbefreienden Rücktritt berufen, ein Argument, dessen Tarnungscharakter er aber selbst gegenüber seinem Anwalt eingeräumt hatte. In diesem Falle teilte das BVerfG die auch vom BGH vertretene Auffassung, dass diese Verletzung rechtsstaatlicher Pflichten als Verteidiger in einem Strafverfahren, das mit menschenrechtswidrigen hohen Freiheitsstrafen enden konn­ te, ein den Widerruf der Zulassung rechtfertigendes Gewicht hatte. Im dritten Fall hatte der gegen den Widerruf der Zulassung beschwerdeführende An­ walt Mandanten, die einem der Überwachung unterliegenden Künstlerkreis angehör­ ten. Als IM unterrichtete er die Stasi über Rechtsfragen, die in diesem Kreise im Zu­ sammenhang mit unternehmerischen und künstlerischen Aktivitäten besprochen worden waren, teilweise auch über Westkontakte einzelner Künstler und in einem Fall über die Absicht, wegen einer abgelehnten Promotion mit der UNESCO Kontakt aufzunehmen. Das BVerfG bemängelte hier vor allem die fehlende Aufklärung einer konkreten schädlichen Wirkung der weitergegebenen Informationen und betonte in diesem Falle auch die Notwendigkeit, die heutige kritische Distanz des Beschwerde­ 36 BVerfGE 93, 231 f. 37 BVerfGE 93, 232 f.

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führers zum damaligen Verhalten und den langen Zeitablauf in die Bewertung einflie­ ßen zu lassen. Es hob die widerrufenden Entscheidungen auf und wies den Fall zur weiteren Klärung an den BGH zurück. 3. Die Stellungnahme der Bundesrechtsanwaltskammer und anderer anwaltlicher Organisationen a) Die Stellungnahme der Bundesrechtsanwaltskammer Die Stellungnahme der Bundesrechtsanwaltskammer deckt sich zwar im Ergebnis weithin mit der Beurteilung des BVerfG und hält mit dem Gericht den Widerruf der Zulassung im Fall 2 für gerechtfertigt, nicht aber im Fall 3, um dann allerdings zu berichten, dass im Falle 1 eine einheitliche Meinungsbildung nicht möglich gewesen sei. Bei den Abwägungsgründen setzt die Stellungnahme dann aber doch einige ande­ re Akzente als das BVerfG. Die Bundesrechtsanwaltskammer wertet die Äußerungen der örtlichen Rechtsanwaltskammern von Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen aus, nach denen eine Zusammenarbeit zwischen Verteidiger und MfS weder üblich noch notwendig gewesen sei. Allerdings sei der Mandantenverrat im Interesse des MfS als Straftat nicht verfolgt worden, und das MfS habe eine Strafver­ folgung jederzeit vereiteln können. Wer vertrauliche Informationen über Mandanten preisgegeben habe, habe billigend in Kauf genommen, dass solche Informationen dem Mandanten aus politischen Gründen zum Nachteil gereichen und ihn zum Ob­ jekt staatlicher Verfolgung machen konnten. Trotz des insoweit festzustellenden er­ heblichen Verstoßes gegen die Grundsätze der Rechtstaatlichkeit und Menschlichkeit spreche aber in den Fällen 1 und 3 die Abkehr von früherem Verhalten während eines längeren Zeitablaufs gegen einen Widerruf der Zulassung, was angesichts der beson­ deren Schwere des Verrats im Fall 2 jedoch nicht anzunehmen sei. Diese Stellungnah­ me wendet sich etwas gegen die beim BVerfG anklingende Tendenz zur Verallgemei­ nerung von Stasi-Kontakten der Rechtsanwälte und zur geringeren Gewichtung eines Stasi – Kontaktes, bei dem Auswirkungen auf den betreuten konkreten Fall ebenso wenig feststehen wie die exakte Ursächlichkeit solcher Informationen für irgendwel­ che andere Nachteile oder Unannehmlichkeiten, die auch auf der Basis bereits existie­ render anderer Erkenntnisse der Stasi denkbar waren. Hingegen gibt das BVerfG dem Zeitablauf nicht ganz die allgemeine Bedeutung, wie sie der Stellungnahme der Bun­ desrechtsanwaltskammer entspricht. b) Der Verfassungsausschuss des DAV Etwas anders liegt die Stellungnahme des Verfassungsrechtsausschusses des Deut­ schen Anwaltvereins. Er betont die Notwendigkeit gewichtiger Verstöße und des be­ gründeten Vorwurfs persönlich schuldhaften Verhaltens bei strengen Anforderungen an die Sachverhaltsaufklärung, außerdem die Notwendigkeit einer Prognose, dass der betroffene Anwalt auch künftig Belange der Mandanten in Konfliktfällen hintanstel­ len könne. Bereits Zweifel des rechtssuchenden Publikums an der anwaltlichen Inte­ grität könnten aber den Eingriff in die Berufsfreiheit nicht rechtfertigen. Der Ausschuss kommt – etwas überraschend – dann in den Fällen 2 und 3 zu einem den Beschwer­ 285

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deführern ungünstigen Ergebnis, weil über längere Zeit und intensiv mit dem MfS zusammengearbeitet worden sei. Hingegen sei im Fall 1 eine einheitliche Meinung nicht zustande gekommen, weil hier die Gewichtung zwischen Verstoß und Zeitab­ lauf sowie Wiedergutmachungsbemühungen verschieden ausgefallen sei. c) Weitere anwaltliche Organisationen Interesse verdient in diesem Zusammenhang auch, dass der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein und der Deutsche Juristinnenbund in ihren Stellungnah­ men stark die Einbindung der Anwaltschaft in die Systemgesetzlichkeiten der DDR betonen und Zurückhaltung beim Vorwurf individuell vorwerfbaren Verschuldens empfehlen. Der Juristinnenbund weist auch darauf hin, dass Stasi – Kontakte von An­ wälten teilweise für Mandanten interessant gewesen seien, weil sie sich über solche Anwälte vor allem in Ausreisefällen eine Erleichterung für die Erreichung ihrer poli­ tischen Ziele versprochen hätten. Während der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein sich von der Rechtsprechung des BGH ganz allgemein als zu weitge­ hend distanziert, folgt der Juristinnenbund im Fall 3 der Bewertung des BGH, nicht aber in den Fällen 1 und 2. 

VI. Würdigung der Position der Bundesrechtsanwaltskammer 1. Das bereits fehlende gemeinsame anwaltliche Berufsbild und die gesteigerte Bedeutung anwaltlicher Individualgrundrechte Wenn man die Stellungnahme der Bundesrechtsanwaltskammer zusammen mit den Stellungnahmen der anderen anwaltlichen Vereinigungen liest – und die vorausge­ hende kurze Skizzierung dieser Stellungnahmen sollte diese Rahmung ins Gedächtnis rufen –, so fällt auf, dass die Beurteilung der allgemeinen Problematik des Zulas­ sungswiderrufs ebenso heterogenen Ausgangspunkten folgt wie die im Einzelnen recht launisch wirkenden Beurteilungen der unterschiedlichen Einzelfälle. Die An­ waltschaft war sich bereits zu dieser Zeit eines gemeinsamen anwaltlichen Berufsbil­ des nicht mehr sicher, die Charakterisierung des Anwalts als Rechtsdienstleister des Bürgers in einem vom Wettbewerb um Rechtserkenntnis und Rechtsverwirklichung geprägten europäischen Rechtspflegemarkt war bereits auf dem Vormarsch, das Be­ rufsbild des Rechtsanwalts als eines mehrseitig fremdbestimmten Organs der Rechts­ pflege, das zwar primär den Interessen des Mandanten, aber zugleich auch dem Inte­ resse der Allgemeinheit an der Rechtsgeltung verpflichtet sein sollte, war bereits auf dem Rückzug.38 Der Gedanke einer Pflichtbindung des Anwalts gegenüber der Allge­ meinheit, die über die Bindung an für alle geltende Gesetze deutlich hinausgehen könnte, war im Sozialismus des DDR-Regimes zudem einem Missbrauch ausgesetzt, der abschreckende Wirkung entfaltete. Das Argument notwendiger Lauterkeit von Persönlichkeiten, die als Organ der Rechtspflege den Rechtstaat repräsentieren, als 38 Hierzu Stürner/Bormann NJW 2004, 1481  ff.; Stürner, Festschrift für Felix Busse, 2005, S. 297 ff.

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unabdingbare Voraussetzung einer Festigung des Vertrauens in den Rechtsstaat gera­ de auch in den neuen Bundesländern taucht mit Klarheit und Deutlichkeit soweit ersichtlich nur in der Stellungnahme der Bundesrechtsanwaltskammer zum Entwurf des Prüfungsgesetzes auf39, später wird es aus Kreisen der Anwaltschaft nicht mehr klar, sondern eher kritisch erwähnt wie etwa in der Stellungnahme des Verfassungs­ rechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins.40Maßstab des Verfassungsgerichts und letztlich auch der geschilderten Stellungnahmen der Bundesrechtsanwaltskam­ mer und des Anwaltvereins ist das Individualgrundrecht der Berufsfreiheit, in das nur ganz maßvoll eingegriffen werden darf, wenn die Individualrechte des Mandan­ ten oder Dritter ganz grob verletzt sind, wohingegen das Interesse der Allgemeinheit an einer überzeugenden sichtbaren Repräsentanz des Rechtsstaats allenfalls als ein zusätzliches, teilweise beiläufiges oder mittelbares Argument begegnet. Dies erklärt auch die Betonung der Notwendigkeit exakter Aufklärung der Kausalität eines Ver­ trauensbruchs oder der Spitzeldienste für manifeste Nachteile des Mandanten oder Dritter, der bloße schwere Vertrauensbruch oder die bloße billigende Inkaufnahme von durch Spitzeldienste verursachten potentiellen Schädigungen des Mandanten oder Dritter sollen nicht genügen, obwohl sie begangen durch ein Rechtspflegeorgan sehr wohl nicht nur die Rechtstaatlichkeit diskreditieren, sondern auch seine men­ schenrechtliche Gewährleistung schwer verletzen. 2. Die Bedeutung optimistischer Zukunftsprognosen Ein Vorzug der Stellungnahme der Bundesrechtsanwaltskammer liegt darin, dass sie dem Eindruck entgegentritt, die Weitergabe der Ergebnisse von Spitzeldiensten an das MfS sei anwaltlicher Tätigkeit in der DDR sozusagen immanent gewesen und deshalb eine durchaus entschuldbare Begleiterscheinung. Insgesamt scheint die siche­ re Überzeugung ausschlaggebend gewesen zu sein, dass angesichts des eingangs ge­ schilderten Übergewichts der BRD und ihrer Institutionen das Vertrauen in die Rechtstaatlichkeit auch in den neuen Bundesländern nicht gefährdet sei, zumal das große zahlenmäßige Übergewicht der Repräsentanten des Rechtsstaates in Anwaltund Richterschaft aus den alten Bundesländern die personellen Kontinuitäten der DDR-Zeit unerheblich erscheinen lasse und man sich folglich auf das Überwachsen des Grases als friedenstiftendes Element verlassen könne – deshalb auch der teilweise großzügige Gebrauch des Arguments zeitlicher Distanz. Allerdings sollten Entwicklungen der letzten Jahre darüber belehren, dass in einer Bevölkerung, die in rund hundert Jahren einige Regime- und Rechtswechsel zu über­ leben hatte und dabei viele persönliche Kontinuitäten im Rechtsleben miterleben konnte,41 die rechtsstaatliche Überzeugung anders gelagerten Gefährdungen ausge­ setzt sein könnte als in den alten Bundesländern, wo eher ein um sich greifender 39 Oben unter IV. am Ende. 40 Oben unter V. 3.  b.: Zweifel des rechtssuchenden Publikums an anwaltlicher Integrität rechtfertigen keinen Eingriff in die anwaltliche Berufsfreiheit  – auch nicht begründete Zweifel? 41 Zu diesem Topos insbesondere Rüthers, Die Wende-Experten, 1995; ders., Ideologie und Recht im Systemwechsel, 1992.

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Hedonismus gepaart mit einem übertriebenen Besitzstandsgefühl der Selbstverständ­ lichkeit dem Rechtsstaat schaden könnte. Von daher stellt sich schon die Frage, ob es nach der Wende für betroffene Repräsentanten von Rechtspflegeorganen der ehema­ ligen DDR mit juristischem Arbeiten als Mitarbeiter in Unternehmen oder Bera­ tungsinstitutionen hätte sein Bewenden haben können und die Bemühung um beruf­ liche Kontinuität gerade als selbständiges Organ der Rechtspflege nicht etwas einer übertriebenen Euphorie der ersten Stunde geschuldet war. 3. Die Bundesrechtsanwaltskammer und die bestimmenden großen Strömungen der Zeit Wenn man die Arbeit der Bundesrechtsanwaltskammer würdigen will – und darauf wird auch noch in anderem Zusammenhange zurückzukommen sein –, muss man indessen immer in Rechnung stellen, dass ihre Gremien aus Wahlen hervorgehen und alle Anwältinnen und Anwälte repräsentieren. Dies zwingt die gewählten Vertreter der Anwaltschaft nach Diskussionen oft zu Kompromissen, von denen sie nicht im­ mer selbst voll überzeugt sein können. Den großen Strömungen der Zeit kann sich eine solche demokratisch strukturierte Institution nicht entziehen oder gar voll ent­ gegensetzen. Sie kann sie auf ihrem Gebiet allenfalls etwas mitgestalten. Es gehört zum Wesen der Demokratie, Entscheidungen auch dann zu respektieren, wenn man sie für falsch oder zumindest nicht optimal hält. Die kritischen Bemerkungen gelten deshalb weniger den Repräsentanten der Anwaltschaft, deren literarischen Äußerun­ gen man teilweise durchaus eine gewisse Distanz zu einzelnen Beschlüssen abspüren kann, als den Zeitströmungen selbst. Leicht haben sich die Anwaltskammern ihre Beschlüsse sicher nicht gemacht.

VII. Die Folgen der Rechtsprechung des BVerfG für die weitere Rechtsentwicklung Die von der geschilderten Rechtsprechung des BVerfG entwickelten Grundsätze soll­ ten nicht nur zahlreiche Folgeentscheidungen in Fällen des Widerrufs von Zulassun­ gen maßgeblich prägen, sondern auch Entscheidungen über verweigerte Neuzulas­ sungen (§ 7 Nr. 2 RAG oder § 7 Abs. 2 Nr. 2 BRAO), die nicht zuletzt auch früher in der Justiz der DDR tätige Richterinnen und Richter oder Angehörige der Staatsan­ waltschaft der früheren DDR betrafen. Das Schwergewicht all dieser Entscheidungen lag auf der Würdigung des Eingriffs in die Berufsfreiheit der betroffenen Persönlich­ keiten. Sie hatte neben den konkret nachzuweisenden Folgen einer schweren Verlet­ zung von Berufspflichten zu Lasten anderer in wachsendem Maße das weitere Verhal­ ten in nachfolgender Zeit, den Grad der Identifikation mit einer geänderten Werteordnung, die prognostische Wahrscheinlichkeit künftigen Wohlverhaltens und nicht zuletzt aber auch die Dauer inzwischen verflossener Zeit zu berücksichtigen.42 42 Hierzu beispielhaft die Entscheidungen BGH NJW 1994, 1730; 1994, 1732; 2000, 3074 (Leitsatz); 2001, 2407; DtZ 1995, 294 und 441; 1996, 243; gute und bis 1999 wohl weithin vollständige Zusammenstellung einschlägiger Fälle bei Otten, Festschrift für Karlmann

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Auch vorausgehende strafrechtliche Verurteilungen wegen politisch motivierter Rechtsbeugung43 bildeten in den so entstandenen Parametern der Beurteilung kein unbedingt zwingendes Hindernis für eine zeitlich versetzte spätere Zulassung zum Anwaltsberuf. Die Konsistenz der stark einzelfallorientierten Rechtsprechung44 ist ohne genaue volle Aktenkenntnis kaum zu beurteilen, vor allem aber auch muss hier die Frage offen bleiben, inwieweit zeitlich versetzte spätere Neuanläufe für eine Zulas­ sung dann letztendlich nicht doch noch erfolgreich waren. Insbesondere vor dem Hintergrund einer allgemein eher recht großzügigen Wiederzulassungsregelung und Wiederzulassungspraxis nach zeitlich weiter zurückliegenden Straftaten von Anwäl­ tinnen und Anwälten45 erscheint dies eher wahrscheinlich und zudem in gewisser Weise folgerichtig, mag man hierzu auch verschiedener Auffassung sein können. Kei­ ne nachhaltige Wirkung auf die deutsche Rechtsprechung zu den DDR-Fällen konnte wohl die Entscheidung des EGMR zum Zulassungswiderruf aus dem Jahre 1999 ent­ falten,46 die stärker als das BVerfG auf das Interesse der Allgemeinheit abhebt, dass Anwältinnen und Anwälte als rechtsstaatliche Organe der Rechtspflege „hohe Anfor­ derungen an Integrität und Moral“ erfüllen. Solche Terminologie vermag der deut­ schen Gesellschaft heute wohl kaum mehr inhaltlich konkretisierbare Vorstellungen zu vermitteln, wobei schwer zu sagen ist, ob deshalb ein Mangel an notwendiger Em­ pathie zu beklagen bleibt oder die Hinwendung zu nüchterner Analyse eines notwen­ digen Anforderungsprofils zu begrüßen ist.

C.  Die internationale Vernetzung der Bundesrechtsanwaltskammer Wenn die deutsche Anwaltschaft sich gegenüber internationalen Entwicklungen inte­ grierend oder ablehnend mit der gebotenen Sachkunde positionieren will, benötigt sie zunächst einmal ausreichende Information. Sie kann dann  – bereits wesentlich schwieriger – auch versuchen, internationale Entwicklungen mitzugestalten und vor allem Schwellenländern ihre beratende Hilfe anbieten. Bundesrechtsanwaltskammer und Deutscher Anwaltverein haben sowohl die Notwendigkeit als auch die Vorteile intensivierter internationaler Vernetzung vor allem im Zusammenhang mit sich lau­ fend steigernder wirtschaftlicher und rechtlicher Globalisierung und Europäisierung rechtzeitig erkannt und sie besonders in den letzten drei Jahrzehnten Schritt für Schritt ausgebaut. Die Vernetzungen der Bundesrechtsanwaltskammer im internatio­ nalen Bereich sind vielfältig. Man kann versuchen, zwischen drei Formen internatio­ Geiß, 2000, S.  307  ff., 317-321; die hier angeführten Fälle folgen der Auswahl von H.-J. Ahrens, Berufsrecht der Rechtsanwälte, Rz. 157 ff., S. 45 ff.; Rz. 161 ff., S. 47 f. 43 Dazu insbesondere die Fälle BGH DtZ 1995, 294 und 441; BGH NJW 2001, 2407; ferner Otten, Festschrift Karlmann Geiß, S. 319 f.; H.-J. Ahrens, Berufsrecht, Rz. 162, 165 f. 44 Zur Einzelfallorientierung auch Otten, Festschrift Karlmann Geiß, S. 320 („Kriterien“ für Einzelfallentscheidungen). 45 Zur Reform des § 7 Nr. 3 BRAO im Jahre 1989, der Entscheidung BVerfGE 72, 51 ff. im Falle Mahler und der hieraus folgenden Kasuistik H.-J. Ahrens, Berufsrecht der Rechtsan­ wälte, Rz. 327 ff. 46 EGMR NJW 2001, 1556 ff.

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naler Vernetzung zu unterscheiden: der institutionellen Vernetzung in Gestalt von Mitgliedschaften in anwaltlichen internationalen Verbänden wie der IBA und dem CCBE, die Mitarbeit in nicht anwaltlichen Institutionen wie der deutschen Stiftung für rechtliche Zusammenarbeit (IRZ) oder den von der Bundesrepublik Deutschland auf Grund zwischenstaatlicher Vereinbarungen organisierten Rechtsstaatsdialogen und endlich den vielen Formen des ad hoc organisierten Gedankenaustausches mit der Anwaltschaft und anderen juristischen Berufen interessierter fremder Rechtskul­ turen.

I. Die Bundesrechtsanwaltskammer und die International Bar Association (IBA) sowie der Council of the Bars and Law Societies of the European Union (CCBE) 1. Die International Bar Association und die Bundesrechtsanwaltskammer Die IBA ist eine internationale privatrechtliche Vereinigung, der in der Legal Practice Division Einzelanwälte und Großkanzleien angehören und in der Public and Pro­ fessional Interest Division die Anwaltsorganisationen, also von deutscher Seite insbe­ sondere die Bundesrechtsanwaltskammer und der DAV. Während die Legal Practice Division sich in Ausschüssen sowie Konferenzen und Seminaren mit international bedeutsamen Rechtsfragen besonderen anwaltlichen Interesses beschäftigt und dabei auch durchaus mit umsatzträchtigen Veranstaltungen die Einkünfte der IBA zu ver­ bessern scheint, widmet sich die Public and Professional Interest Division vor allem in der Bar Issues Commission und der Section of Public and Professional Interest der Entwicklung des anwaltlichen Berufsrechts, der beruflichen Selbstverwaltung sowie der Stellung und Bedeutung der Rechtsanwaltschaft in einer rechtstaatlichen de­ mokratischen Gesellschaft. Die Bundesrechtsanwaltskammer setzt einen gewissen Schwerpunkt auf ihre Mitarbeit in der Section of Public and Professional Interest. Das Hauptorgan der IBA ist der Council, der alle wichtigen Beschlüsse zu treffen hat und in dem die Bundesrechtsanwaltskammer durch ihren jeweiligen Präsidenten, einen weiteren von ihr benannten Council und ihren IBA Executive Officer vertreten ist. Zur Bar Issues Commission gehört noch ein Policy Committee, in dem auch die An­ waltsorganisationen repräsentiert sind und das die Beschlüsse des Council regelmä­ ßig einer Vorberatung zu unterziehen hat. Die IBA ist zunächst einmal ein Forum internationalen anwaltlichen Meinungsaustausches und eine Art Barometer interna­ tionaler Entwicklung. Sie organisiert aber auch Studien zum Stand der internationa­ len Entwicklung in einzelnen Bereichen des Rechts und verabschiedet Guidelines,47 Resolutionen oder auch Rules in der Hoffnung auf internationale Akzeptanz. Das Ge­ schehen auf dem Jahreskongress sowie der Bar Leaders Conference mit ihrem damit verbundenen Mid Year Meeting findet deshalb die kontinuierliche Aufmerksamkeit

47 Beispielhaft etwa die IBA Business and Human Rights Guidance for Bar Associations, de­ ren verfahrensmäßiges Zustandekommen allerdings den Unmut der Präsidenten der BRAK und des DAV erregten; BRAK-Nr. 427/2015, S. 141.

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der Bundesrechtsanwaltskammer.48 Besondere Erwähnung verdienen zwei von der IBA verabschiedete Regelwerke, nämlich die International Principles on Conduct for the Legal Profession von 201149 mit ausführlichen Kommentaren und die IBA Rules on the Taking of Evidence in International Arbitration von 2010.50 Die Bundesrechts­ anwaltskammer benützt die Tagungen der IBA auch regelmäßig zur Kontaktpflege mit Vertretern der Anwaltschaft aus anderen Ländern. Wie stets bei internationalen Institutionen kann die Frage der Finanzierung von Veranstaltungen zu einem Über­ gewicht der finanzstarken Mitglieder führen, im Falle der IBA der weltweit agieren­ den Großkanzleien US-amerikanischen und englischen Stils, die auch solche Insti­ tutionen mit ihren Veranstaltungen und Aktivitäten als Gelegenheit für ein gewisses „law marketing“ und „advertising“ begreifen.51 2. Der Council of the Bars and Law Societies of the European Union und die Bundesrechtsanwaltskammer Die Mitarbeit der Bundesrechtsanwaltskammer im CCBE gehört streng genommen in diesem Band zum europäischen Teil. Man muss indessen sehen, dass der CCBE selbst Mitglied der IBA ist und seine Positionierung durchaus von der außereuropä­ ischen Entwicklung des Anwaltsrechts mitbeeinflusst wird, wie er auch gleicherma­ ßen versucht, die weltweite Entwicklung mitzugestalten. Bundesrechtsanwaltskam­ mer und DAV sind beide nicht nur Mitglieder der IBA, sondern auch des CCBE, und sie teilen sich sowohl bei der sechsköpfigen deutschen Delegation als auch in Aus­ schüssen die entsandten Repräsentanten ebenso paritätisch auf wie auch der Delega­ tionsvorsitz und die Position des Information Officer im Wechsel besetzt werden. Während nun aber bei der IBA das Abstimmungsverhalten bei Beschlüsse seltener zu Konflikten zwischen den beiden deutschen anwaltlichen Organisationen führen wird, weil anstehende Beschlüsse auf weltweite Akzeptanz ausgerichtet sind und in inhalt­ licher Toleranz strittige Details eher meiden werden, mag dies im CCBE etwas anders sein, kann es doch hier zumindest teilweise eher um engmaschigere Bestrebungen europäischer Harmonisierung gehen, bei denen die Organisationen – wie sich teil­ 48 Dazu die kontinuierliche Berichterstattung in den Tätigkeitsberichten der BRAK zu den Hauptversammlungen, z.B. BRAK-Nr.  100/2018, S.  98; BRAK-Nr.  448/2017; BRAKNr. 200/2017, S. 154 f.; BRAK-Nr. 446/2016, S. 141; BRAK-Nr. 129/2016, S. 145 f.; BRAKNr. 427/2015, S. 140 f.; BRAK-Nr. 108/2015, S. 136 f. etc. 49 Von deutscher Seite war als Mitglied des Policy Committee (2006-2011) der Bar Issues Commission Hans-Jürgen Hellwig an der Erarbeitung dieses Regelwerkes beteiligt. 50 Mitglied der vorbereitenden Working Party waren von deutscher Seite Wolfgang Kühn, Kanzlei Heuking, Kühn, Lüer, Wojtek, Düsseldorf, und Hilmar Raeschke-Kessler, Rechtsan­ walt beim Bundesgerichtshof. Dem Evidence Review Subcommittee gehörten von deut­ scher Seite an Peter Heckel, Kanzlei Hengeler Müller, Hilmar Reschke-Kessler, Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof, ferner Richard H. Kreindler (Cair) und Amy Cohen Kläsener, bei­ de Kanzlei Shearman & Sterling. 51 Immerhin wählte die IBA im Jahre 1998 Rechtsanwalt Klaus Böhlhoff, Kanzlei Hengeler Müller, zum ersten und allerdings bisher einzigen aus Deutschland kommenden Präsi­ denten, obwohl er keiner in Deutschland ansässigen US-amerikanischen oder englischen Kanzlei angehörte.

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weise zeigen wird – nicht immer übereinstimmen. Wenn beide Organisationen sich nicht einigen können, führt dies zu einer Stimmenthaltung, weil jede Delegation nur einheitlich votieren kann. Die Beziehungen der Bundesrechtsanwaltskammer zum CCBE, dem immerhin schon mit Heinz Weil und Hans Jürgen Hellwig zwei Mal deut­ sche Präsidenten vorstanden, scheinen sich über das letzte Jahrzehnt hinweg etwas schwieriger gestaltet zu haben, vor allem nachdem die Bundesrechtsanwaltskammer die Integration des vom CCBE entwickelten Code of Conduct for European Lawyers abgelehnt hatte.52 Indessen findet der CCBE  – anders als mit dieser Intensität eine nationale Anwaltskammer – durchaus das Gehör der EU-Kommission und des Euro­ päischen Parlamentes, vor allem soweit – wie etwa bei der Dienstleistungsrichtlinie – Kernfragen des anwaltlichen Berufsrechts Gegenstand eines Gesetzgebungsverfah­ rens sind,53 und die Mitarbeit im CCBE sowie die Teilhabe an seinem Informationsfluss sind deshalb für eine erfolgreiche Arbeit der Bundesrechtsanwaltskammer unent­ behrlich. Die Befassung mit der Arbeit und den Aktivitäten des CCBE hat für die Gremien der Bundesrechtsanwaltskammer einen besonders hohen Stellenwert,54 wie er auch in der Gründung des Brüsseler Büros der Bundesrechtsanwaltskammer be­ reits im Jahr 1991 deutlich sichtbar geworden ist.

II. Die Mitarbeit der Bundesrechtsanwaltskammer in nicht anwaltlichen Institutionen und Einrichtungen Die internationale Vernetzung der Bundesrechtsanwaltskammer zeigt sich auch bei ihrer Mitarbeit in Institutionen oder Einrichtungen, die nicht alleine von der Anwalt­ schaft betrieben oder organisiert werden. Hierzu rechnen die von der Bundesregie­ rung initiierten und von der BRAK mitgestalteten Rechtsstaatsdialoge, die Mitarbeit bei der Deutschen Stiftung für rechtliche Zusammenarbeit und in gewisser Weise auch die Mitwirkung bei der Aktion Law Made in Germany. 1. Die Rechtsstaatsdialoge und der Beitrag der Bundesrechtsanwaltskammer Die Bundesregierung hat bekanntlich mit der Volksrepublik China eine Vereinba­ rung über einen jährlichen Rechtsstaatsdialog geschlossen, der abwechselnd in China und Deutschland stattfindet und mit einer ersten Veranstaltung im Jahre 2000 be­ gann. Die Bundesrechtsanwaltskammer hat die von beiden Regierungen veranstalte­ ten Gesprächsrunden, die meist einem Rahmenthema wie z.B. „Grundstücksrecht

52 Dazu unter D IV. 1. 53 Zur Zusammenarbeit des BBCE und der BRAK sowie der übrigen nationalen anwaltlichen Organisationen bei den Gesprächen mit Kommission und Parlamentsabgeordneten aus­ führlicher unten unter D. IV. 2. b). 54 Hierzu etwa beispielhaft die Tätigkeitsberichte BRAK-Nr. 100/2018, S. 68 ff., 70 f.; BRAKNR. 448/2017, S.  90  ff., 91; BRAK-Nr.  200/2017, 128  ff., 129  ff.; BRAK-Nr.  446/2016, S. 110 ff.; BRAK-NR. 129/2016, S. 112 ff.; BRAK-Nr. 427/2018, S. 106 ff., 108-110; BRAKNr. 108/2015, S. 106 ff. etc.

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und Grundbuchrecht in einer modernen Wirtschaft“,55 „Regelungssysteme und Me­ chanismen zum Schutz von Verbraucherrechten im Internetzeitalter“,56 Rechtliche (Regelungs)-Systeme und – Mechanismen gegen häusliche Gewalt“57 oder „Effizien­ te und gerechte Regelungssysteme für ein modernes Insolvenzrecht“ 58gewidmet wa­ ren, personell unterstützt, indem ihre Vertreter an Arbeitsgruppen teilnahmen oder teilweise auch die Leitung einer Arbeitsgruppe übernahmen. Dabei war die Bun­ desrechtsanwaltskammer aber auch bemüht, in ihre Mitarbeit zusätzlich ihre Erfah­ rungen aus anderen Projekten wie z.B. dem Anwaltsaustausch zwischen China und Deutschland einzubringen, den die Bundesrechtsanwaltskammer zusammen mit der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und der All China Lawyers Association (ACLA) durch Veranstaltung gemeinsamer Symposien organi­ siert und dabei von der Robert Bosch Stiftung finanziell unterstützt wird. 59 Dieser Rechtstaatsdialog gilt häufig eher technischen Themen, was nicht nur Nachteile hat, sondern auch den Vorzug, dass sie chinesische Teilnehmer aus Rechtsanwaltschaft, Richterschaft, Verwaltung und insbesondere auch aus der Wissenschaft nicht zu ge­ sellschaftspolitischen Stellungnahmen motivieren, die für sie nicht ohne Brisanz sein können. Gerade im anwaltlichen Bereich ist es wichtig, mögliche Folgen für Anwälte zu bedenken, die sich öffentlich äußern, in aller Regel menschenrechtlich bedenkli­ che Folgen, die von der Bundesrechtsanwaltskammer auch im Umfeld des Rechts­ staatsdialogs durchaus zur Sprache gebracht worden sind.60 Ein Gespräch über grundsätzlichere gesellschaftspolitische Fragen erscheint eher im Rahmen eines steti­ gen Austausches auf stärker persönlicher Basis sinnvoll. Die Rechtstaatsdialoge mit Vietnam, welche die Bundesrechtsanwaltskammer seit 2010 mitgestaltet, sind stärker projektorientiert. Projektpartner der Bundesrechtsan­ waltskammer sind vor allem die Stiftung für rechtliche Zusammenarbeit (IRZ) und die Vietnamesische Bar Federation. 2. Die Mitarbeit der Bundesrechtsanwaltskammer bei der Stiftung für Rechtliche Zusammenarbeit (IRZ) Die Bundesrechtsanwaltskammer ist  – wie übrigens auch der DAV  – Gründungs­ mitglied der 1993 auf Initiative der Bundesregierung gegründeten Stiftung für recht­ liche Zusammenarbeit e.V., die sich hauptsächlich die Förderung und Betreuung der Rechtsentwicklung in mittel-, ost- und südosteuropäischen Staaten zur Aufgabe ge­ macht hat. Vor allem die Unterstützung des jährlichen Multilateralen Hospitations­ programms für Anwältinnen und Anwälte aus diesen Staaten, das 2018 zum fünfund­ zwanzigsten Mal stattfinden konnte, gehört zu den kontinuierlichen Beiträgen der Bundesrechtsanwaltskammer zur Arbeit dieser Stiftung. An den zweiwöchigen Semi­ 55 BRAK-Nr. 108/2015, S. 135 f. 56 BRAK-Nr. 446/2016, S. 140 f. 57 BRAK-Nr. 427/2015, S. 139/140. 58 BRAK-Nr. 448/2017, S. 123 f. 59 Vgl. BRAK-Nr. 446/2016, S. 140. 60 Dazu BRAK-Nr. 448/2017, S. 124; BRAK-Nr. 129/2016, S. 144/145.

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naren und der vierwöchigen Hospitation in deutschen Kanzleien sowie einem Ab­ schlussseminar nehmen gewöhnlich 15 bis 20 junge Anwälte und Anwältinnen aus 10 bis 15 Staaten teil.61 Neben diesem ständigen Engagement steht ebenfalls im Rah­ men der Aktivitäten der IRZ eine Fülle von Begegnungen mit der Anwaltschaft und zum Teil auch mit Richtern oder Parlamentariern aus Staaten wie der Republik Mol­ dau, Kirgistan, Ukraine, Usbekistan, Georgien, Russland, Armenien, Belarus (Weiß­ russland), Kasachstan, Kosovo, Kroatien, Serbien und Montenegro, aber auch aus anderen , vom originären Stiftungszweck nicht erfassten Staaten wie Bahrain, Ägyp­ ten, Jordanien, Tunesien und – inspiriert durch den Rechtsstaatsdialog – in verstärk­ tem Maße mit Vietnam. Dabei handelte es sich um Seminare, Workshops, Fachge­ spräche oder Vortragsveranstaltungen, manchmal auch nur um Begegnungen auf Empfängen.62 3. Die Bundesrechtsanwaltskammer und die Aktion Law Made in Germany a) Grundzüge des Projekts Im Jahre 2008 wurde vom damaligen Bundesjustizministerium das „Bündnis für das Recht“ begründet, dessen Zeck und Aufgabe darin besteht, anderen Rechtskulturen und vor allem sich entwickelnden hybriden Rechtssystemen die Vorzüge des deut­ schen Rechts als Teil des kontinentalen Rechts näher zu bringen und auf diese Weise ein gewisses Gegengewicht zum Law Marketing der Common Law Staaten zu schaf­ fen. Beteiligt an diesem Bündnis sind neben dem Bundesjustizministerium die Bun­ desrechtsanwaltskammer, die Bundesnotarkammer (BNotK), der Deutsche Anwalt­ verein (DAV), der Deutsche Richterbund (DRiB), der Deutsche Juristinnenbund (DJB), der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) und der Bundesver­ band der Deutschen Industrie (BDI). Entstanden sind eine mehrfach neu aufgelegte Broschüre „Law Made in Germany“, die auch in mehrere wichtige fremde Sprachen übersetzt ist, und als Beitrag zu einem kontinentalen Brückenschlag entstand in Zu­ sammenarbeit mit der französischen Fondation pour le droit continental eine Bro­ schüre „Kontinentales Recht“. Der Hauptzweck dieses Unternehmens ist es jedoch, auf Tagungen und Symposien, in Seminaren, Workshops oder Fachgesprächen sowie in Vortragsveranstaltungen die Vorzüge des deutschen und kontinentalen Rechts he­ rauszuarbeiten und sichtbar zu machen. Die BRAK bietet im Rahmen dieses Vorha­ bens entsprechende Präsentationen an, wobei sie dabei durchaus auch „Formate“ mitbenutzt, die in anderem Zusammenhang geschaffen worden sind.63

61 Dazu aus jüngerer Zeit die Berichte BRAK-Nr.  100/2018, S.  98  f.; BRAK-Nr.  200/2017. S. 155 f.; BRAK-Nr. 129/2016, S. 147. 62 Zum Ganzen außer den bereits erwähnten Fundstellen aus den letzten Jahren noch BRAKNr. 446/2016, S. 142; BRAK-Nr. 427/2015, S. 141; BRAK-Nr. 108/2015, S. 137 und die ent­ sprechenden Berichte in den vorausgegangenen Jahren. 63 Hierzu wiederum die Berichte BRAK-Nr. 100/2018, S. 96 f.; BRAK-Nr. 448/2017, S. 122; BRAK-Nr.  446/2016, S.  139; BRAK-Nr.  129/2016, S.  144; BRAK-Nr.  427/2015, S.  139; BRAK-Nr. 108/2015, S. 133 etc.

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b) Würdigung und einige kritische Bemerkungen Wenn man die Geschichte der in vielen Teilen der Welt anzutreffende Wertschätzung für das deutsche Recht nüchtern betrachtet, so wird man feststellen, dass Rezeptions­ bewegungen sehr stark an die Verbreitung deutscher Kodifikationen in Zeiten wirt­ schaftlicher, wissenschaftlicher und politischer Stärke anknüpften, und sich dann mit diesen Texten ein Interesse an deutscher Rechtswissenschaft und ihrer Dogmatik ver­ bunden hat, die sich um ihrer geschlossenen Systematik willen als mit recht unter­ schiedlichen politischen Systemen kompatibel erwies.64 In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren einer fortdauernden Vorbildfunktion dieses systematischen Rechtsdenkens vor allem in Ostasien und Südamerika die wirtschaftliche Stärke der Bundesrepublik und ihre politische Stabilität günstig, die eine relativ starke Verbrei­ tung deutschen Rechtsdenkens in einigen Teilen der Welt weiter förderten und auch das Interesse an neueren Kodifikationen aufrechterhielten. Intermediäre des deut­ schen Rechtsdenkens in den letzten 50 Jahren waren dabei insbesondere die Goethe-­ Institute und die deutschen Universitäten sowie Max-Planck-Institute, die in ver­ schiedener Weise vielen jungen Ausländern die Erlernung der deutschen Sprache, ein Magisterstudium und eine Promotion im deutschen Recht ermöglichten. Hinzu trat die sich verstärkende Möglichkeit, gute Übersetzungen deutscher Lehrbücher und Monographien sowie wissenschaftlicher Beiträge in Zusammenarbeit mit diesen In­ termediären zu schaffen, die zwischenzeitlich in Universitäten, Gerichten, Behörden und Unternehmen ihrer Heimatländer in wichtigen Positionen tätig waren. Lehrbuchübersetzungen und längere Gastaufenthalte deutscher Professoren sowie gemeinsame Ausbildungsgänge für chinesische Studenten spielten in jüngerer Zeit vor allem bei der Zusammenarbeit mit China eine herausragende Rolle.65 Das heißt 64 Zu Formen der Rezeption deutschen Rechts und seiner Dogmatik Stürner, in: Habscheid (Herausgeber), Das deutsche Zivilprozeßrecht und seine Ausstrahlung auf andere Recht­ ordnungen, 1991, S. 1ff., mit ergänzenden nationalen Berichten insbesondere von Walder/ Meier (Schweiz, S. 93 ff.), Trocker (Italien, S. 121 ff.), Rouhette (Frankreich, S. 159 ff.), Ekelof (Schweden, S. 214 ff.), Németh (Ungarn, S. 254 ff.), Sawzuk (Polen, S. 282 ff.), Beys (Athen, S.  300  ff.), Kuru (Türkei, S.  333  ff.), Miguel y Alonso (Spanien und Hispanoamerika, S. 338 ff.), Barbosa Moreira (Brasilien, S. 387 ff.), Nakamura (Japan, S. 415 ff.), Ho (Korea, S. 448 ff.); ferner Stürner AcP 204 (2014), 7 ff., 10, 17; ders., ZZP 127 (2014), 271 ff., 275 ff., 293 ff.; Yuanshi Bu (Herausgeber), Juristische Methodenlehre in China und Ostasien, 2016, mit Beiträgen zur Methodenlehre in China, Japan, Korea und Taiwan und einer Schlussbe­ trachtung von Stürner, Die Entwicklung der Methodenlehre in der westlichen Welt – Leh­ ren für China und Ostasien?, S. 319 ff. 65 Viele deutsche Lehrbücher sind ins Chinesische übersetzt. Als Beispiele aus der vom deut­ schen DAAD geförderten Übersetzungsreihe „Repräsentative Deutsche Rechtsliteratur der Gegenwart“, herausgegeben von Jian Mi, in der über 20 Lehrbücher übersetzt worden sind, seien erwähnt K. Engisch, Einführung in das Juristische Denken; Kaufmann/Hassemer, Ein­ führung in die Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart; Baur/Stürner, Sachen­ recht (2 Bände); Kötz, Europäisches Vertragsrecht; K. Larenz, Allgemeiner Teil des deut­ schen Bürgerlichen Rechts und Schuldrecht. Allgemeiner Teil; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht; Zimmermann, The Law of Obligations; im Druck Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht (2 Bände). Teilweise finden diese Werke auch in der chinesi­

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nicht, dass bei der Verbreitung deutschen Rechts in den letzten Jahrzehnten die be­ reits beschriebenen oder bekannten anderen Förderinstitutionen und die Anwalt­ schaft, Richterschaft und Verwaltungsbeamten keine wichtige Rolle gespielt hätten, die auch vielfach sich um praxisorientierte Darstellungen ihrer Rechtgebiete für Aus­ länder bemüht haben. Bei der Aktion Law Made in Germany wie auch bei den Recht­ staatsdialogen besteht allerdings die Gefahr, dass in prospekthaften Werbebroschüren nur halbe Wahrheiten verbreitet und auf gewissen Tagungen vor allem Imagepflege durch Politiker betrieben wird. Ein deutsches Recht, wie es die Broschüre Law Made in Germany darstellen möchte, gibt es im Zeitalter der Europäisierung und rechtli­ chen „Mehrebenensysteme“66 sowie der Zuwanderung US-amerikanischer und eng­ lischer Law Firms noch eben so wenig wie die dort angeführte kurze, übersichtliche und einfache deutsche Vertragstechnik und das systematische kodifizierte deutsche Recht, das durch verfassungsrechtliches, europarechtliches und fachspezifisches Fall­ recht seine Charakteristik grundlegend verändert hat. Geblieben sind allenfalls For­ men solcher Systemlogik verpflichteter Denkstile und entsprechende Arbeitsmetho­ den in der richterlichen und anwaltlichen Praxis, die der Pandektistik und der an ihr ursprünglich orientierten kodifikatorischen Systematik entwachsen sind.67 Es ist bei­ spielsweise wenig überzeugend, unter dem Dach des Law Made in Germany auf Ta­ gungen ausgerechnet moderne oder modische Mediation US-amerikanischer Prove­ nienz zu präsentieren68 oder in Broschüren auf Rechtsprechungsdaten zu rekurieren, die so der Vergangenheit angehören könnten.69

schen Literatur und bei höheren und hohen chinesischen Richtern durchaus sehr gute Re­ sonanz. 66 Zu diesem Phänomen der Europäischen Union statt vieler Beate Gsell, Zivilrechtsanwen­ dung im Europäischen Mehrebenensystem, AcP 214 (2014), 99 ff.; ähnlich die Fragestel­ lung bei Grundmann, „Inter-Instrumental-Interpretation“, Systembildung durch Auslegung im Europäischen Unionsrecht, RabelsZ 75 (2011), 882 ff. 67 Zu diesem Phänomen Stürner AcP 214 (2014), 7 ff., 10, 26; ders. JZ 2012, 10 ff., 14 ff.; zu­ stimmend Gerhard Wagner, Zivilrechtswissenschaft heute, in: Host Dreier (Hrsg), Rechts­ wissenschaft als Beruf, 2018, S. 69 ff., 90 ff. 68 So aber BRAK-Nr. 100/2018, S. 96 f. (Veranstaltung „Mediation in Deutschland und Geor­ gien“). Diese Bemerkung bezweifelt nicht das hohe Niveau dieser Veranstaltung, das Pro­ blem ist nur, dass gerade dieses Thema eigentlich eher dazu geeignet ist, Deutschland und die EU unter US-amerikanischer Rechtshegemonie darzustellen und damit das Gegenteil von dem zu dokumentieren, was Law Made in Germany doch wohl intendiert. 69 Zu dieser Problematik einer sich unter dem Regime der gegenwärtigen europäischen und deutschen Justizpolitik durchaus dramatisch verschlechternden Justizstatistik insbesonde­ re Greger ZZP 131 (2018), 317 ff.; zum Zusammenhang zwischen EU-weiter Förderung der ADR und einer drohender Abwertung gerichtlichen Rechtsschutzes durch Urteil und rich­ terlich vermitteltem, an der Rechtslage orientiertem Vergleich statt vieler Hess ZZP 124 (2011), 137  ff.; Roth ZZP 129 (2016), 3  ff.; Eidenmüller/Engel ZZP 128 (2015), 149  ff. (Schlichtungszwang in Verbraucherstreitigkeiten); Stürner ZZP 127 (2014), 271 ff., 316 ff. Hinzu kommt, dass ein an Hand von Gebührentabellen vermitteltes Bild der Kosten eines Prozesses der zunehmend durch höhere Kostenvereinbarungen geprägten Realität vor al­ lem im oberen Qualitätssegment der Anwaltschaft nur noch sehr bedingt gerecht wird. „Irreführende Werbung“?

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c) Vorzüge einer Verbindung von Praxis und Wissenschaft bei der Tätigkeit als Botschafter des kontinentaleuropäischen Rechts deutscher Prägung Es ist kein Zufall und hat gute Gründe, dass die Bundesrechtsanwaltskammer wie auch andere Mitglieder der Aktion Law Made in Germany bei der Zusammenarbeit sehr stark auf Kommunikationsformen zurückgreifen, welche die sachliche Arbeit an Hand konkreter Rechtsfragen in kleineren Gruppen mit verständigen ausländischen Berufspartnern suchen und den pauschalen großen Auftritt fürs deutsche Recht eher meiden, um auf fachliche Überzeugung bei der Lösung konkreter Konflikte und Rechtsfragen zu setzen. Dies schließt nicht aus, dass man bei Vergleichen die Vorzüge deutschen Rechtsdenkens und seiner Systemlogik sowie seiner konkreten sachlichen Lösungen darlegt, die bisher immer noch stark auch von anderen gesellschaftlichen Traditionen als nur vom Denken in Marktfreiheiten und anderen Individualfreihei­ ten bestimmt sind, wie etwa dem der Sozialstaatlichkeit verpflichteten Gedanken prä­ ventiven Schutzes vor Rechtsverletzungen.70 Dass man bei der ganzen Aktion Law Made in Germany und oft auch beim deutsch-chinesischen Rechtsstaatsdialog die durch die Wissenschaft geschaffenen Brücken und Verbindungen nicht ausreichend genutzt und in die Arbeit integriert hat, bleibt ein Schwachpunkt. Gerade in der Aus­ einandersetzung mit dem Common Law helfen die konkreten Arbeitsformen der Rechtspraxis – und seien sie noch so gut – alleine nicht immer weiter. Auch das kann man aus der kurzen Geschichte der US-Rechtshegemonie lernen.71

III. Die vielfachen bilateralen Kontakte der Bundesrechtsanwalts­ kammer mit Organisationen der Anwaltschaft weltweit Die Bundesrechtsanwaltskammer hat ihre Arbeit in den letzten Jahrzehnten vor allem auch dadurch erfolgreich internationalisiert, dass sie ein Netz von weltweiten Kontak­ ten zu allen wichtigen Organisationen der ausländischen Anwaltschaft aufgebaut hat, das einen zuverlässigen Informationsfluss über die weltweite Entwicklung der An­ waltschaft und für die Anwaltschaft wichtige Rechtsgebiete garantiert und gegebe­ nenfalls den Meinungsaustausch auf Symposien, Vortragsveranstaltungen und Semi­ naren oder persönlichen Treffen am Rande solcher Veranstaltungen erlaubt – auch zu einem vertraulichen Austausch, falls dies sinnvoll erscheint. Mehr oder weniger regel­ mäßige Kontakte bestehen insbesondere zur Afghanischen, Armenischen, Australi­ schen, Bahrainischen, Belarussischen, Bulgarischen, Chinesischen, Englischen, Est­ nischen, Französischen, Georgischen, Hongkonger, Japanischen, Indischen, Irischen, Israelischen, Kasachischen, Kirgisischen, Koreanischen, Kosovarischen, Kroatischen, Malaysischen, Moldauischen, Österreichischen, Pakistanischen, Rumänischen, Rus­ sischen, Slowenischen, Singapurischen, Taiwanesischen, Tschechischen, Türkischen, 70 Dazu die insbesondere auch Stürner AcP 210 (2010), 106 ff.; Murray/Stürner, How Can Law Help Protect Individual Property Rights? – Preventative versus Restorative Justice. Chair: Jens Bormann. Presentation on the Law, Justice and Development Week 2018 of the World Bank, November 5 – 9, Washington DC. 71 Dazu ausführlicher unten unter D. I. – III.

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Ukrainischen, Usbekischen und Vietnamesischen Anwaltschaft.72 Neben diese an Na­ tionalität anknüpfenden bilateralen Kontakte mit anwaltlichen Kammern oder Ver­ bänden treten Verbindungen zu übernationalen, fachlich oder regional strukturierten anwaltlichen Organisationen oder Interessengruppen wie etwa der Union Internatio­ nal des Acocats (UIA), der European Criminal Bar Association (ECBA), der seit 2016 bestehenden International Criminal Court Bar Association (ICCBA), den Internatio­ nal Criminal Defence Lawyers (ICDL) oder der Gesprächsrunde deutsch sprechender Präsidenten von Anwaltskammern, aber auch die Mitarbeit in übernationalen juristi­ schen Vereinigungen oder Netzwerken interprofessioneller Prägung wie etwa der Law Association for Asia and the Pacific (LAWASIA) oder dem Europäischen Justizi­ ellen Netzwerk (EJN).73 Die Beziehungsgeflechte sind sehr vielseitig und zahlreich, zum Teil überscheiden sich die Aktivitäten und einzelne Veranstaltungen sind – wie schon oben in ähnlichem Zusammenhang bemerkt – Code-Share-Unternehmungen. Aus der Sicht von Rechnungshöfen pflegen in solchen Fällen Koordinations- und Ver­ einfachungsmaßnahmen angeregt zu werden, aber eine solche Sichtweise ist letztlich grundfalsch. Derartige Beziehungen erleben meist personell bedingte Höhen und Tiefen, und gerade deshalb wären Versuche zu einer Durchorganisation und planen­ den Abstimmung eher aussichtslos und kontraproduktiv zugleich. Schließlich kann man ja auch immer eine punktgenauere Auswahl bei der Teilnahme an den einzelnen Aktivitäten nach ihrer Attraktivität und Sinnhaftigkeit treffen. Es ist davon auszugehen, dass die Bundesrechtsanwaltskammer ebenso wie der DAV, der Mitglied der American Bar Association (ABA) ist, den Einfluss der ABA auf das anwaltliche Berufsrecht der USA aufmerksam verfolgt, zumal das Verhältnis zur ABA dem Geschäftskreis des Sprechers der Geschäftsführung zugerechnet wird. Anzure­ gen wäre allerdings eine ausführlichere Berichterstattung über die Arbeit der ABA,74 nachdem über die letzten Jahrzehnte die US-amerikanische Anwaltskultur vielfach das heimliche oder offene Vorbild der europäischen und deutschen Entwicklung ge­ worden ist und diese Kultur in Deutschland und Europa auch ganz unmittelbar Fuß gefasst hat, also „zu Deutschland gehört“ – eine Feststellung, die zum nächsten Teil der Darstellung weiterführt.

72 Aufschlussreich sind insoweit die Tätigkeitsberichte der letzten Jahre: BRAK-Nr. 208/2015, S. 140 ff.; BRAK-Nr. 427/2016, S. 142 ff.; BRAK-Nr. 129/2016, S. 148 ff.; BRAK-Nr. 446/2016, S. 143 ff.; BRAK-Nr. 200/2017, S. 157 ff.; BRAK-Nr. 448/2017, S. 126 ff.; BRAK-Nr. 100/2018, S. 100 ff. 73 Dazu BRAK-Nr.  100/2018, S.  97, 99; BRAK-Nr.  448/2017, S.  124, 125, 127; BRAKNr.  200/2017, S.  153, 155, 156; BRAK-Nr.  446/2016, S.  141-143; BRAK-Nr.  129/2016, S. 147 f.; BRAK-Nr. 427/2015, S. 142 etc. 74 Es spricht für die guten Beziehungen auch zur ABA, dass auf dem 2. Internationalen An­ waltsforum der BRAK am 27.3.2015 in Berlin zum Thema Zugang zum Recht neben Ver­ tretern von führenden Anwaltsorganisationen aus fast 30 Ländern auch der Präsident der ABA, William C. Hubbard, zugegen war und sich mit einem Beitrag an der Veranstaltung beteiligte; dazu BRAK-Magazin 2015/Nr. 2, S. 4 ff., 5.

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D.  Der Einfluss der US-amerikanischen Rechtshegemonie auf die europäische und deutsche Entwicklung des Anwaltsrechts und die Stellung der Bundesrechtsanwaltskammer I. Die US-amerikanische Rechtshegemonie und ihr prägender Einfluss auf Europa und Deutschland Eines der Ergebnisse des zweiten Weltkrieges und des sogenannten „Dritten Reiches“ und seiner Verbrechen war die Vollendung der Entwicklung der USA zur herausra­ genden politischen, wirtschaftlichen und militärischen Hegemonialmacht der westli­ chen Welt verbunden mit dem Niedergang der europäischen Nationalstaaten,75 den die Gründung und Entwicklung der Europäischen Union nur teilweise und sehr all­ mählich kompensieren konnte. Dabei begann die Rezeption US-amerikanischen Rechtsdenkens und US-amerikanischen Rechts in der unmittelbaren Nachkriegs­ zeit nur sehr verhalten, und stärkerer Einfluss blieb zunächst auf wenige Rechtsge­ biete beschränkt, wie z.B. insbesondere Teile des Verfassungsrechts und des Kartell­ rechts sowie des Vertrags- und Haftungsrechts, wobei allerdings die Transformation in herkömmliche deutsche Rechtsfiguren stark im Vordergrund stand. Die Auseinan­ dersetzung mit amerikanischem Rechtsdenken begann sich aber in den Zeiten des Justizkonflikts mit den USA deutlich zu intensivieren, der die deutsche und konti­ nentaleuropäische Rechtskultur zwang, sich stärker mit US-amerikanischem „Legal Thought“, dem US-amerikanischen „Legal Exeptionalism“ und seinen rechtlichen Gestaltungsformen vertraut zu machen.76 Erst drei bis vier Jahrzehnte nach dem zweiten Weltkrieg im Gefolge der Globalisierung vor allem wirtschaftlicher und in­ formationstechnologischer Entwicklungen setzte die Rechtsrezeption mit voller Wucht ein und führte letztendlich zu einer US-amerikanischen Rechtshegemonie,77 75 Die nicht zu unterschätzende Bedeutung deutschen Versagens für diese Entwicklung in Gestalt vor allem des Wilhelminismus, Militarismus, Antisemitismus und Nationalsozialis­ mus ist insoweit trefflich nachgezeichnet bei Winkler, Der lange Weg nach Westen. Deut­ sche Geschichte, Band I und II, 4.  Aufl. 2002, sowie autobiographisch geprägt bei Fritz Stern, Fünf Deutschland und ein Leben, 7. Aufl. 2007.  76 Zu diesem ersten Stadium der Entwicklung Stürner, Die Rezeption US-amerikanischen Rechts in der Bundesrepublik Deutschland, Festschrift für Kurt Rebmann zum 65.  Ge­ burtstag, 1989, S. 839-860; ders., Der Justizkonflikt zwischen USA und Europa, in: Hab­ scheid (Herausgeber), Der Justizkonflikt mit den Vereinigten Staaten von Amerika, 1986, S. 3 ff., 35 ff. 77 Die sich mit diesem Begriff verbindende Vorstellung ist soweit ersichtlich zum ersten Mal formuliert im Beitrag Stürner, Justizkonflikt, S. 35 ff., 38 ff.; ähnlich, aber ohne ausreichen­ de Gewichtung imperialer Komponenten dieser Entwicklung kurze Zeit später Wiegand, Die Rezeption amerikanischen Rechts, in: Jenny/Kälin (Herausgeber), Festgabe zum Schweizerischen Juristentag, 1988, 229 ff.; ders., The Reception of American Law in Europe, American Journal of Comparative Law 1991, 229 ff.; ausführliche Darstellung der Ursachen und Folgen der Hegemonie dann bei Stürner, Privatautonomie und Wettbewerb unter der Hegemonie der angloamerikanischen Rechtskultur?, AcP 210 (2010), 106 ff.; ders., Markt und Wettbewerb über Alles? Gesellschaft und Recht im Fokus neoliberaler Marktideologie, 2007, S. 3 ff., 33 ff., 48 ff.

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die auch das europäische und deutsche Anwaltsrecht wesentlich beeinflusste und in manchen seiner Bereichen dazu führte, den Liberalismus des US-amerikanische Vor­ bilds zu überbieten. 1. Die ideologischen Wurzeln angloamerikanischer Rechtshegemonie Es ist nicht notwendig, im Zusammenhang mit der Entwicklung des Anwaltsrechts alle für die Hegemonie ursächlichen Elemente amerikanischer Rechts- und Gesell­ schaftskultur genauer zu analysieren.78 Es sind aber vor allem vier Grundlegungen der US-amerikanischen Rechtskultur, die in diesem Zusammenhang eine besondere Rolle spielen und deshalb Erwähnung verdienen, wenn man versucht, die Entwick­ lung im Anwaltsrecht richtig einzuordnen. Einmal die menschenrechtliche Grundle­ gung der amerikanischen Gesellschaft im pursuit of happiness in Gestalt des Strebens nach einem individuell definiertem Glück,79 die zu einer starken Betonung selbstbe­ stimmter individueller Gestaltung der Grundfreiheiten führt und jede Einschrän­ kung von absolut zwingenden Notwendigkeiten des Allgemeinwohls abhängig macht, das seinerseits wiederum stark im Sinne der Summe eines höchstmöglichsten „perso­ nal well-being“ einer größtmöglichen Vielzahl von Bürgern verstanden wird – eine Form ideeller Begründung des Pareto-Optimums.80 Das zweite in diesem Zusam­ menhang wichtige Grundelement ist – begünstigt durch den religiösen Einfluss des Calvinismus und evangelikaler Grundströmungen81 – eine Dominanz utilitaristischer Staatsphilosophie,82 welche in der Sicherung der Individualfreiheiten und der Früchte individuellen wirtschaftlichen Gewinnstrebens den wohl wichtigsten Zweck staatli­ cher Organisation sieht und dabei mit der Bedeutung individuellen Glücksstrebens als Ausgangspunkt US-amerikanischer Staatlichkeit voll harmoniert. Zu diesen bei­ den Elementen tritt folgerichtig als drittes Grundelement die competitive society,83 78 Ausführlicher insbesondere Stürner, Markt und Wettbewerb, S. 33 ff., 48 ff. 79 Dazu die Declaration of Independence von 1776: “…we hold these truths to be self-evident, that all Men are created equal, that they were endowed by their Creator with certain unalien­able rights, that among these are Life, Liberty and the Pursuit of Happiness – that to secure these Rights, Governments are instituted among Men…” ; zur grundsätzlichen Be­ deutung des Topos „pursuit of happiness“ Alexis de Tocqueville, De la Démocratie en Amérique, 1830, deutsche Ausgabe 1959 Bd. I, S. 469.  80 Vilfredo Pareto, Manuale d’economia politica, 1906; Pearson, Origins of Law and Econo­ mics, 1997; zum homo economicus ferner Eidenmüller JZ 2005, 216 ff.; 2007, 487 ff. 81 Zu diesem Topos Weber, Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus, 1904/1905, 3. Aufl. 2000; Graves, Calvinist ethics and business attitudes – traces in Switzer­ land, puritan England and the USA, 1992.  82 Zum Einfluss der utilitaristischen Staatsphilosophien von Hobbes, David Humes und Adam Smith auf die Formulierung der Unabhängigkeitserklärung durch Jefferson insbesondere Heideking, Geschichte der USA, 3. Aufl. 2003, S. 38 ff., 41; zum grundlegenden Paradig­ menwechsel in der Bestimmung des Gemeinwohls bei Hobbes insbesondere Böckenförde, in: Münkler/Fischer, Gemeinwohl und Gemeinsinn im Recht, 2002, S. 43 ff., 56 ff.; zu For­ men eines modernen vorteilsorientierten Pragmatismus Rawls, Eine Theorie der Gerech­ tigkeit, 4. Aufl. 1988, S. 159 ff., 346 f. 83 Zu diesem Zusammenhang insbesondere Kagan, Adversarial Legalism, 2001; ferner S.M. Lipset, American Exceptionalism, 1996. 

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die in der später in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts aufkommenden und noch immer bis heute sehr einflussreichen law-and-economics-Bewegung84 für das Recht das ihr adäquate wissenschaftliche oder besser: ideologische Modell einer uni­ versal gültigen Regel- und Entscheidungsbegründung gefunden hat. Es orientiert sich dabei an Profitmaximierung, Transaktionskostenersparnis und Vermeidung exter­ ner Kosten und begreift ethische Regeln als Instrumente der Transaktionskostener­ sparnis und nachhaltiger Gewinnschöpfung,85 ohne ihnen – anders als die meisten Väter ­utilitaristischer Staatstheorien – einen Eigenwert zuzugestehen,86 der mit dem universalen und von einzelnen Rechtsordnungen unabhängigen Geltungsanspruch87 unvereinbar wäre. Schließlich bleibt ein viertes Element zu erwähnen, nämlich die gesamtgesellschaftliche Grundüberzeugung von der Vorbildfunktion und Überlegen­ heit dieses Gesellschaftsmodells gegenüber allen anderen Gesellschaftssystemen die­ ser Welt („The Americans…, the rest of the world…“), das sich nicht ohne Grund auf die lange Geschichte einer über zweihundertjährigen stabilen Demokratie mit ausge­ prägten Selbstheilungskräften und imponierender wirtschaftlicher und wissenschaft­ licher Stärke stützt und im Kern auch von sonst recht kritischen US-amerikanischen Intellektuellen durchaus geteilt wird.88 Dies führt zu einem „Civis Romanus sum“ – Gefühl weltweit unter dem Schutz einer Art pax Americana agierender US-Amerika­ ner, und in dem so entstehenden missionarischen Bewusstsein beginnen sich häufig ideelle und wirtschaftliche Elemente in eigenartiger Form und vor allem untrennbar zu vermischen. Keine freie Gesellschaft zeigt über Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte eine völlig geradlinige Entwicklung ihres Verhältnisses von Freiheit und Bindung, vielmehr ergeben sich in verschiedenen Epochen deutliche Schwankungen, so gibt und gab es auch in den USA Einfallsstellen eines verstärkten staatlichen Interven­ tionismus: „…we seem to produce two kinds of economies. One is a highly refined, triple-distilled product which is roughly 200 proof laissez faire. This is bottled ex­ clusively for export. We never drink it at home. For home consumption we have a much milder drink, a mixture of many ingredients.“89 Ob dieser Erkenntnis sollte

84 Dazu die bekannten Klassiker Posner, Economic analysis of law, 1. Aufl. 1972; Coase, The problem of social costs, Journal of Law and Economics, 1960, 1 ff.; Shavell, Foundations of Economic analysis of Law, 2004; in deutscher Sprache Eidenmüller, Effizienz als Rechts­ prinzip, 3. Aufl. 2005. 85 Zu dieser Grundlegung und ihrer Kritik ausführlich Stürner, Markt und Wettbewerb, 2007, insbes. S. 128 ff., 149 ff.; ders. AcP 214 (2014), 7 ff., 18 ff., 37 ff. 86 Dazu die Kritik von Jens Petersen, Adam Smith als Rechtstheoretiker, 2. Aufl. 2017; in ähn­ licher Richtung ders., Freiheit unter dem Gesetz – Friedrich-August von Hayeks Rechts­ denken, 2014; zutreffende allgemeine Kritik des vom Recht und seinen Traditionen losge­ lösten Geltungsanspruchs bei Ernst-Joachim von Mestmäcker, A Legal Theorie without Law, 2007. 87 Zu diesem Geltungsanspruch Wagner AcP 214 (2014), 56. 88 Stürner, Markt und Wettbewerb, S. 42 ff.; ders., in: Habscheid, Der Justizkonflikt mit den Vereinigten Staaten von Amerika, 1986, S. 35 ff.; statt vieler zum amerikanischen Zeitalter als Beispiel durchaus starken Selbstbewusstseins Friedman, The World is Flat, 2005. 89 Adlai Stevenson, What I think, 1956, S. 24. Vielleicht war es diese offene Treuherzigkeit, die dem damaligen Präsidentschaftskandidaten der Demokraten zum Verhängnis wurde.

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man aber nicht den Blick für die Grundsatzpositionen90 und ihre Attraktivität gerade im Rechtsexport verlieren. Besonders im Anwaltsrecht wird, wie noch zu zeigen sein wird, dieses Phänomen einer rezeptiven Überholung des US-Rechts deutlich sichtbar. 2. Die abweichende gesellschaftliche Grundlegung der jüngeren kontinentaleuropäischen und deutschen Geschichte Der kontinentaleuropäische und der deutsche Weg verliefen anders als die US-ameri­ kanische Entwicklung. Ein voller staatlicher Neuanfang auf der Basis von Freiheits­ rechten war so nie möglich. Im dualistisch geprägten Staatsverständnis der Europäer blieb neben den aufkommenden bürgerlichen Freiheitsrechten eine dem aufgeklärten Absolutismus entwachsene Wohlfahrtsstaatlichkeit bis weit ins 20. Jahrhundert ein­ flussreich und prägend, nachdem sie in Gestalt der Trias „égalité, fraternité, liberté“ die französische Revolution überlebt hatte.91 Spätestens in der Mitte des 19. Jahrhun­ derts erfuhr die überkommene wohlfahrtsstaatliche Orientierung eine neue Grundle­ gung durch marxistische und sozialistische Rechtstheorien, deren Ausprägungen in Gestalt des Kommunismus oder Linkssozialismus sich zwar zunächst teilweise sehr zerstörerisch auswirken sollten,92 aber in der Entwicklung zu demokratischer Sozial­ staatlichkeit eine mäßigende Läuterung erfuhren und im Modell sozialer Marktwirt­ schaft bis in die Gegenwart überlebten. Dabei spielten auch katholische und protes­ tantisch-lutherische Soziallehren ebenso eine nicht zu unterschätzende Rolle wie die nur abgeschwächte Orientierung Kontinentaleuropas an utilitaristischer Rechtsphilo­ sophie,93 die in Kontinentaleuropa weniger Einfluss gewinnen konnte als in den USA. Die auf diese Weise entstehende formierte und koordinierte sowie normativ gestalte­ te Marktgesellschaft setzte nicht so sehr auf indirekte Verhaltenssteuerung durch schadensersatzrechtliche Sanktion, sondern gab sowohl gesetzgeberischer Prävention gegen Freiheitsmissbrauch hohes Gewicht als auch gesetzgeberischer inhaltlicher Ge­ staltung von Freiheitsrechten und bevorzugte ein Rechtsverständnis, das die Förde­ rung gesellschaftlicher Solidarität und Verteilungsgerechtigkeit als staatliche Aufgabe begriff.94

90 Dazu insbesondere noch die Analyse grundlegender Verschiedenheiten bei der Ausgestal­ tung des Verhältnisses von Freiheit und Bindung durch das einfache Recht bei Stürner AcP 210 (2010), 105 ff., 117 ff. mN. 91 Ausführlicher zur abweichenden Grundlegung der bundesdeutschen und westeuropä­ ischen Entwicklung statt vieler G.-A. Ritter, Der Sozialstaat: Entstehung und Entwicklung im internationalen Vergleich, 2. Aufl. 1991; H. A. Winkler, Der lange Weg nach Westen. Deutsche Geschichte, Band I, 4.  Aufl. 2002, insbes. S.  249  ff.; Hall/Soskice, Varieties of ­Capitalism, Introduction, 2001, S. 1 ff., 21 ff., 27 ff. („Coordinated Market Economy“ gegen „Liberal Market Economy“); zusammenfassend Derrida/Habermas, FAZ vom 31.5.2003, Nr. 125, S. 33 f.; Stürner AcP 210 (2010), 107 ff., 129 ff. 92 Zu diesen Formen totalitärer Entgleisung, die neben dem deutschen und europäischen ­Faschismus zerstörende Kraft entfalteten, ausführlicher Stürner, Markt und Wettbewerb, S. 49 mN. 93 Dazu nochmals Stürner, Markt und Wettbewerb, S. 53 f. mN. 94 Ausführlicher AcP 210 (2010), 107 ff., 130 ff.

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3. Die Intermediäre der Ausbreitung US-amerikanischen Rechtsdenkens in Europa Die Ausbreitung US-amerikanischen Rechtsdenkens in Deutschland und Europa spätestens mit Beginn der achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts war nicht zuletzt dem Einfluss vieler Intermediäre zu verdanken. Zu nennen sind hier zunächst einmal Weltbank, WTO, IWF und OECD95 mit ihren US-amerikanischen geprägten wirt­ schaftlichen Grundvorstellungen, die nicht selten in Doing-Business Reports,96 Emp­ fehlungen und Prognosen Staaten mit anderen gesellschaftlichen Strukturen die Vor­ stellungen der competitive society und ihrer wirtschaftlichen Grundverfassung empfehlen oder sogar aufdrängen. Dafür war die Führungsrolle der US-amerikanischen Wirtschaftswissenschaften eine wesentliche Voraussetzung, die den kontinen­ taleuropäischen und deutschen Wirtschaftswissenschaften eine eher epigonale Rolle zuwiesen,97 obwohl der tatsächliche wirtschaftliche Erfolg der USA verglichen mit einigen wichtigen europäischen Volkswirtschaften die Dominanz dieser wirtschaftli­ chen Konzepte nicht ohne weiteres rechtfertigte. Hinzu kam, dass die großen Akteure weltweiter privater wirtschaftlicher Kontrollsysteme wie Wirtschaftsprüfungsgesell­ schaften oder Ratingagenturen entweder voll in US-amerikanischer Hand waren oder doch ähnlichen Konzeptionen folgten.98 Den von diesen Institutionen nicht wirklich kontrollierten wirtschaftlich starken und weltweit agierenden US-amerikanischen Großunternehmen und der mächtigen US-amerikanischen Finanzbranche mit ihren Großbanken, kapitalstarken Fonds und neuartigen derivativen Finanzprodukten hat­ ten die Europäer ebenso wenig entgegenzusetzen wie etwas später den riesigen und weltbeherrschenden Informationssystemen mit ihrer digitalen Technologie und neu­ en Formen des Datenhandels.99 Die US-amerikanischen Universitäten haben sich in der Rechtswissenschaft zum Bologna der Gegenwart entwickelt, und viele Vertreter führender Rechtsanwaltskanzleien sowie Professoren des Rechts haben dort eine zu­ sätzliche Ausbildung erfahren und das Gedankengut dieser Institutionen internali­ siert,100 wobei in den Wirtschaftswissenschaften ein ähnliches Phänomen durchaus 95 Hierzu von Mehren/Murray, Law in the United States, 2. Aufl. 2007, S. 278 ff., 280 („vehicle for the dissemination of American legal doctrine and institutions“). 96 Hierzu insbesondere Chr. Kern JZ 2009, 498 ff.; zur Problematik der dort stark privilegier­ ten sog. numerischen Rechtsvergleichung allgemein Siems RabelsZ 72 (2008), 354  ff., 365 ff. 97 Zu dieser Entwicklung Stürner, Markt und Wettbewerb, S. 149 ff., 156 ff.; ders. AcP 210 (2010), 107 ff., 111 f. mN. 98 Nochmals Stürner AcP 210 (2010), 107 ff., 113 mN.; zum Rating insbesondere Angelé, Das Rating von CDOs, 2014, S. 16 ff. 99 Die Google-Entscheidung des EuGH NJW 2014, 2257 ff. stellte sich zwar als erstes höchs­ tes Gericht der These von Google entgegen, das Persönlichkeitsrecht Europas müsse sich dem weltweiten Geschäftsmodells des Plattformbetreibers anpassen, ließ aber auch gleich­ zeitig deutlich werden, wie relativ ohnmächtig Europa privater US-amerikanischer wirt­ schaftlicher Machtbildung gegenüber zu stehen drohte und in Europa viele Stimmen laut geworden waren, die das Recht dem Geschäftsmodell hintanzustellen bereit gewesen wä­ ren; zum Ganzen Nolte NJW 2014, 2238 ff. 100 Dazu schon Stürner, in: Habscheid (Herausgeber), Der Justizkonflikt mit den Vereinigten Staaten von Amerika, 1986, S. 3 ff., 39 ff.

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zu beobachten bleibt. Der stärkste Intermediär ist allerdings die Europäische Union. Sie gründet ihre Existenz zunächst einmal auf Marktfreiheiten, deren Ausbreitung und Fortentwicklung in Gestalt des „effet utile“ zum wesentlichen Maßstab europa­ rechtlicher Rechtskontrolle wurde. Die EU nahm in ihrer werdenden Staatlichkeit insoweit die USA zu ihrem Vorbild, als sie sich auf individuelle Marktfreiheiten grün­ dete und der freie Wettbewerb sowie wettbewerbliche Stärke zu ihren Leitmotiven wurden, also der Topos der „competitive society“ teilweise in Europa seinen Einzug hielt.101 Daneben stellte sie zwar nach und nach Verbraucherschutz, Solidarität und soziale Grundrechte,102 jedoch ohne bei den Marktfreiheiten wie das deutsche Recht103 eine inhaltliche Bindung an das Gemeinwohl als Basis gesellschaftlich geübter Solida­ rität für notwendig zu halten.104 Vielmehr sind die Marktfreiheiten nur aus zwingen­ den Allgemeininteressen beschränkbar, die Vorstellung einer Ausgestaltung solcher Freiheiten ist dem Unionsrecht eher fremd. Es denkt Freiheiten weniger als inhaltlich gestaltungsbedürftige Freiheiten, vielmehr wie die moderne US-Kultur als Freiheiten von nicht erforderlichen Beschränkungen. Im Berufsrecht hat das deutsche BVerfG vor allem subjektive Zulassungsvoraussetzungen und Berufsausübungsregelungen im Rahmen gesetzgeberischen Gestaltungsermessens zum präventiven Schutz der Allge­ meinheit vor schlechter Qualität durchaus wohlwollend beurteilt105, später aber dem Gesetzgeber den Gestaltungsspielraum tendenziell eher beschnitten und ihm nicht mehr erlaubt, Leitbilder in den Rang gewichtiger Gemeinschaftsinteressen zu erhe­ ben, sondern es hat wesentlich enger nur noch am richterlich objektivierten Maßstab strenger Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit definierte Allgemeininteressen als Grund für eine freiheitsbeschränkende Ausübungsregelung zugelassen.106 Damit hat das BVerfG den Kontrollmaßstab in einer Weise verschärft, die eher dem Verständnis von europäischen Grundfreiheiten entspricht als dem herkömmlichen Verständnis 101 Wegen Einzelheiten kann auf die Ausführungen AcP 210 (2010), 107 ff., 139 f.; nicht un­ typisch ist die Sicht des Historikers Wolfgang Reinhard auf die EU (Lebensformen Euro­ pas. Eine historische Kulturanthropologie, 2004, S. 321): „…Exekutivsystem…ohne viel demokratische oder soziale Fesseln, auf Profitmaximierung ausgerichtet…“ 102 Hierzu Art. 9, 12, 145 ff., 151 ff., 169 ff. AEUV; Art. 27 ff. Grundrechtscharta. 103 Hierzu Art. 2 Abs. 1, Halbs. 2; 12 Abs. 1 Satz 2; Art. 14 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2; Art. 15 GG 104 Siehe Art. 15 Abs. 1 und 2; Art. 17 Abs. 1 Satz 1 und 3 GG. 105 Hierzu BVerfGE 9, 73 ff. (apothekenpflichtige Waren); 13, 97 ff. (Meisterprüfungen); 75, 246 ff. (Rechtsberatung) mit Nachweis fast aller vorausgehenden Entscheidungen zum Be­ rufsrecht und dem Kernsatz (S.  265): „Indem der Gesetzgeber bestimmte wirtschafts-, berufs- und gesellschaftspolitische Zielvorstellungen und Leitbilder durchsetzt und damit in den Rang wichtiger Gemeinschaftsinteressen erhebt, geschieht die Fixierung des Be­ rufsbildes auch gestaltend, also durch Änderung und Ausrichtung überkommener Berufs­ bilder“. Man schrieb das Jahr 1987! 106 Zu diesem Schlusspunkt einer längeren Entwicklung, die nicht in allen beruflichen Berei­ chen mit gleicher Intensität vorangetrieben worden sein dürfte, die Entscheidungen zum Anwaltsrecht BVerfGE 108, 150, 160; 117, 163, 182; 135, 90 Rz. 57 ff.; 141, 82 Rz. 46 ff.; gegen den Vorhalt geänderten Freiheitsverständnisses deutlich Gaier BRAK-Mitt. 2006, 2 ff., 5; dazu auch der Überblick über die Entwicklung der Rechtsprechung des BVerfG zur Berufsfreiheit im Allgemeinen und zur anwaltlichen Berufsfreiheit im Besonderen von Gaier, in: Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, aaO, Art. 12 GG Rz. 16 ff. S. 58 ff. und Rz. 60 ff., S. 73 ff.

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der Grundfreiheiten des Grundgesetzes, wobei offen bleiben muss, ob sich diese Wandlung bewusst oder eher intuitiv vollzog und wie ihre inhaltlichen Ergebnisse im Einzelnen zu beurteilen sind.

II. Der Schritt US-amerikanischer Law Firms über den Atlantik nach Deutschland und Europa Ein sehr sichtbares Zeichen US-amerikanischer Rechtshegemonie war der Schritt US-amerikanischer law firms über den Atlantik nach Europa und Deutschland. Er ließ auch rein äußerlich die Tatsache sichtbar werden, dass Europa zum Einflussgebiet US-amerikanischen Rechts und US-amerikanischen Rechtsdenkens geworden war. 1. Die Schwäche des deutschen Rechts Es war allerdings zunächst nicht der Gesetzgeber, der diese Entwicklung rechtlich ermöglichte, sondern die deutsche Rechtsprechung. Durch die sogenannten Bastille-­ Entscheidungen des BVerfG im Jahre 1987, welche die damalige Ausgestaltung der gesetzlichen Grundlage der von der Bundesrechtsanwaltskammer erlassenen Standes­ richtlinien107 entgegen einer jahrzehntelangen eigenen Rechtsprechung des BVerfG108 für unzureichend erklärte und mehr oder weniger außer Kraft setzte,109 entstand zu einem für die weitere Entwicklung des Anwaltsrechts sehr kritischen Zeitpunkt eine Rechtslücke und für die Bundesrechtsanwaltskammer eine siebenjährige Periode der Unsicherheit und Verunsicherung. Erst im Jahre 1994 konnte sich der Gesetzgeber endlich zu einer Neuregelung entschließen,110 die der Bundesrechtsanwaltskammer bzw. ihrer Satzungsversammlung einen Teil ihrer traditionellen „Satzungsgewalt“ zu­ rückgab und 1996 in Gestalt der BORA die Schaffung einer neuen Berufsordnung erlaubte.111 In diese Zeit eines mehr oder weniger leeren Rechtsraums fiel 1989 eine Entscheidung des BGH,112 die wesentlich mit dazu beitrug, das Tor für angelsächsi­ sche und US-amerikanische law firms aufzustoßen, obwohl ihre Vorgeschichte ihrer­ seits nicht frei von Merkwürdigkeiten ist, die sich aus der in diesem Zeitraum sehr unsicheren Rechtslage erklären. Ein Ehrengerichtshof hatte über einen Antrag zu ent­ scheiden, eine nationale überörtliche Sozietät zuzulassen, wobei offenbar unklar war, wie die überörtliche Sozietät genau organisiert sein sollte, insbesondere ob mehrere gemeinsame Kanzleien geplant waren. Der Ehrengerichtshof entschied rechtskräftig 107 § 43 BRAO a.F. 108 BVerfGE 26, 186, 204; 36, 212, 2019; 57, 121, 132; 66, 337, 355. 109 BVerfGE 76, 171, 184 f.; 76, 196, 205; zu Einzelheiten der Übergangszeit Bormann ZZPInt 8 (2003), 3 ff., 10 f. 110 Zu diesem Zeitabschnitt der kurze Aufriss des späteren Präsidenten der BRAK Filges NJW 2010, 2619. 111 Dazu BRAK-Mitt. 1996, 241 ff. Freilich sollte diese erste Fassung später noch zahlreichen Änderungen unterliegen, die teilweise und nicht zuletzt vom BVerfG verlangt worden sind. 112 BGHZ 108, 290, 293 ff.

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auf der Basis der §§ 18 (Lokalisierung), 27 (Residenzpflicht), 28 (Zweigstellenverbot) BRAO a.F. und wohl auch vor dem Hintergrund des § 28 Standesrichtlinien a.F. (Ver­ bot überörtlicher Sozietät) gegen den Antragsteller. Mit der Feststellung der Unzuläs­ sigkeit eines Rechtsbehelfes verband der BGH aber den Hinweis, dass das Verbot überörtlicher Sozietät in § 28 der Standesrichtlinien a.F. nach den Bastille-Entschei­ dungen des BVerfG nicht mehr Geltung beanspruchen könne und die §§ 18, 27 und 28 BRAO a.F. einer überörtlichen Sozietät nicht entgegenstünden, solange jedes Mit­ glied der Sozietät nur eine Kanzlei habe. Ob die damalige Bundesjustizministerin mit ihrem gesetzgeberischen Attentismus113 ebenso wie der BGH sich der internationalen Folge voller Öffnung für ausländische überörtliche Kanzleien so ganz bewusst waren oder sie sogar wünschten, lässt sich schwer beurteilen. Jedenfalls gibt der Beschluss des Ehrengerichtshofs einen starken Hinweis darauf, dass die Anwaltskammern zu diesem Zeitpunkt eine breite Öffnung zur Überörtlichkeit noch haben vermeiden wollen. Innerhalb der Anwaltschaft war eine solche Öffnung stark umstritten114, ob­ gleich es innerhalb der Anwaltschaft und in der Wissenschaft viele Befürworter gab und es deshalb an einer klaren Stellungnahme der BRAK zu fehlen schien. Ihre Re­ formpläne fokussierten teilweise stärker auf Fragen der Einführung einer Fachanwalt­ schaft,115 womit sie sich aber trotz langer Anläufe zunächst ebenfalls nicht durchset­ zen konnte.116 2. Die europäische Rahmung und ihr Zwang zur europäischen Überörtlichkeit Der deutsche Gesetzgeber geriet durch die Entscheidung des EuGH zu den Auswir­ kungen der Niederlassungsfreiheit im Fall Klopp unter Handlungsdruck, weil in die­ ser Entscheidung eindeutig festgestellt wurde, dass die anwaltliche Niederlassung in einem Mitgliedstaat nicht weitere Niederlassungen in anderen Mitgliedstaaten aus­ schließen dürfe.117 Diese Entscheidung mit ihren Folgediskussionen motivierte dann den Gesetzgeber bereits 1988, den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Berufs­ rechts der Rechtsanwälte etc. vorzulegen, der dann Ende 1989 verabschiedet wurde. Dieser Entwurf fügte den §  29a BRAO ein, der den deutschen Rechtsanwälten die Einrichtung einer Kanzlei in anderen Staaten erlaubt und insoweit bis heute über­ lebt  hat, allerdings nicht nur die auswärtige Kanzlei in EU-Mitgliedstaaten erfasst, sondern Weltgeltung beansprucht. Im Gegenzug wurde für Anwälte aus allen Mit­ gliedstaaten der EU in § 206 Abs. 1 BRAO a.F. ein Niederlassungsrecht festgeschrie­ ben, mit Einschränkungen für Anwälte aus allen anderen Staaten (§ 206 Abs. 2 BRAO a.F.).118 Die Bundesrechtsanwaltskammer war an diesem Gesetzgebungsverfahren 113 Dazu Ahrens ZZP 115 (2002), 281, 288. 114 Ausführlich Schumann NJW 1990, 2089 ff., 2094 ff. mN. 115 Dazu der damalige Präsident der BRAK Schmalz NJW 1987, 307 f. 116 Zu dieser langen Geschichte vorläufigen Scheiterns ausführlich Zuck NJW 1990, 1025 mN. 117 EuGH, 12.7.1984, Rs 107/83 (Kopp), Slg. 1984, S. 2971; dazu Zuck NJW 1987, 3033; Everling, Gutachten zum 58. DJT in München, 1990, S. C 36 ff. 118 Zum damaligen Gesetzgebungsstand das Gesetz zur Änderung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte vom 13.12.1989, BGBl. I, 2135; zur heutigen Fas­ sung des § 206 BRAO unten unter D. IV. 3. a).

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insoweit beteiligt, als sie Stellung nehmen konnte.119 Das Gesamtbild blieb aber wei­ terhin zerrissen, was sich auch darin zeigt, dass die Diskussion um eine Anpassung des Rechts der nationalen überörtlichen Sozietät mit der durch die EU erzwungenen Niederlassungsfreiheit für Anwälte aus EU-Staaten nicht endete und dann eigentlich erst mit dem Wegfall des sogenannten Zweigstellenverbots (§ 28 BRAO a.F.) und des Verbots der der Sternsozietät (§ 59a Abs. 1 a.F. iVm § 31 BORA a.F.) im Jahre 2007 zu einem gewissen Abschluss kommen konnte. 120 3. Die englische und US-amerikanische Invasion in Deutschland und anderen Mitgliedstaaten der EU Die Zähigkeit der Gesetzgebung in Deutschland und die mit ihr verbundenen Mei­ nungsverschiedenheiten in Anwaltschaft und Politik über das sinnvolle Ausmaß einer Liberalisierung des anwaltlichen Berufsrechts erlauben den Schluss, dass Anwalt­ schaft und Rechtspolitik in Deutschland etwas zu sehr Nabelschau hielten und sich weniger der Frage stellten, ob und wie die deutsche Anwaltschaft dem durch eine Öffnung entstehenden Wettbewerbsdruck standhalten könnte und welchem Teil der deutschen Anwaltschaft vor allem im sogenannten „High-end-Bereich“ überhaupt eine gute Überlebenschance prognostiziert werden könnte. In England und USA hat­ te man sich auf die Marktöffnung bereits vorbereitet und war stärker mit künftiger Markterweiterung befasst als mit Querelen über die eigene nationale organisatorische Verfassung der Anwaltschaft. In England121 konnten sich Solicitors anders als Barrister schon immer zu Partner­ ships zusammenschließen, und die frühere Beschränkung auf eine Höchstzahl wurde bereits 1985 aufgehoben. Der durch die Privatisierungspolitik der Ära Thatcher aus­ gelöste Beratungsboom und das ständige Wachstum der englischen Finanzbranche im europäischen und weltweiten Markt hatten die Größe und Finanzkraft der Law Firms der Londoner City stark anschwellen lassen, so dass sie auf eine Marktöffnung innerhalb der EU gut vorbereitet waren. Sie waren nunmehr stark genug, um nach einer Aufhebung des Verbots internationaler Zusammenschüsse 1990,122 die in vol­ lem Einklang mit dem nach und nach immer stärker durchgesetzten EU-Recht für einen gemeinsamen europäischen Rechtsberatungsmarkt stand, den Startschuss für eine internationale Expansion der englischen Law Firms zu geben, die in ihrem Aus­ maß alle Erwartungen überbot.123 119 Dazu BRAK-Mitt. 1989, 89; ferner zur Gesetzgebungsgeschichte ausführlich Zuck NJW 1990, 1025, 1026 mN. 120 Zu diesen Verzögerungen der Präsident der BRAK Filges NJW 2010, 2619 mN.; ferner Hommerich/Kilian NJW 2007, 2308 ff., 2311, 2313; zur zeitlich versetzten Änderung des § 59a Abs. 1 BRAO a.F. Feuerich/Weyland/Brüggemann, BRAO, 9. Aufl. 2016, § 59a Rz. 7a mN.; einen guten Überblick über den damaligen Diskussionsstand in Fragen der Anpas­ sung nationalen Rechts an das Recht der EU gibt insbesondere Everling, Gutachten zum 58. Deutschen Juristentag, 1990, S. C 50 ff., 63 ff. mN. 121 Die Darstellung folgt Bormann ZZPInt 8 (2003), 3 ff., 19 ff. 122 Hierzu Section 66 (1) Courts and Legal Services Acts 1990.  123 Hierzu The Law Society, The Guide to Professional Conduct of Solicitors, 8. Aufl. 1999, S. 173 ff.; Remmertz, Anwaltsrecht zwischen Tradition und Wettbewerb, 1996, S. 171 ff.

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Die amerikanischen Law Firms waren in vielerlei Hinsicht das Vorbild der Entwick­ lung in England. Schon ein oder zwei Jahrzehnte vorher setzte sich in den USA früher und stärker als in Europa der Gedanke des „law as a business“ durch, der im profit­ gesteuerten Wettbewerb um Mandanten die beste Garantie für qualitativ hochstehen­ de Rechtsberatung sah. Diese Entwicklung war Teil des bereits geschilderten gesell­ schaftlichen Grundmodells einer competitive society, der auch die innere Struktur dieser Law Firms prägte und noch prägt: Einordnung des einzelnen Partners und Angestellten nach der anhand des Stunden- oder Erfolgshonorarprinzips leicht fest­ stellbaren Beteiligung an der Gewinnschöpfung, Hierarchisierung der Kanzlei in local partner, international partner und executive partner und leader des executive meeting, Möglichkeit zentraler Festlegung von Marktstrategien, Größenordnungen von bis zu 2000 Anwälten etc.124 Die deutsche Anwaltschaft hatte zumindest zunächst der Finanzstärke der englischen und US-amerikanischen Kanzleien wenig entgegenzusetzen. Schon bestehende oder sich entwickelnde Best-Friends-Systeme oder Allianzen entwickelten nicht selten ein Abhängigkeitsverhältnis, das in Übernahmen endete, zumal die Law Firms auch stark genug waren, gegebenenfalls eigene Brückenköpfe mit 20 bis 50 Rechtsanwälten zu bilden. Oft waren die Bedingungen eines Merger für ältere deutsche Partner nicht ungünstig, um einen Einstieg zu erleichtern, der sich für die übrigen Mitglieder der alten Kanzlei nicht immer als günstig erwies. Spätere Zerwürfnisse und Umorientie­ rungen waren die nicht seltene Folge. 4. Die Folgen für die deutsche und europäische Rechtskultur Von einer „deutschen“ Anwaltschaft kann nach alldem im Bereich des oberen wirt­ schaftlichen Segments nur noch eingeschränkt gesprochen werden. Unter den hundert umsatzstärksten Kanzleien sind deutsche Kanzleien noch etwa zur Hälfte vertreten und sind damit in der Lage, auf deutschem Boden mit englischen und amerikanischen Kanzleien einigermaßen gleichzuziehen.125 Schlechter sieht es natürlich aus, wenn man den Umsatz in der EU insgesamt oder gar weltweit vergleicht und dabei die Ein­ seitigkeit der Expansion deutlich sichtbar wird. Gute Geschäftschancen haben kleine­ re oder mittlere Kanzleien immer noch, wenn sie in diesem Bereich nicht die Dauer­ betreuung von weltweit agierenden Großunternehmen anbieten, sondern sich die persönliche Beratung von Inhabern, Anteilseignern oder Leitungspersonal als Betäti­ gungsfeld ausgewählt haben. Natürlich beschäftigen die ausländischen Kanzleien in großer Zahl in Deutschland ausgebildete und zugelassene Anwälte und sind insoweit durchaus „deutsch“. Trotzdem könnte man nach der Marktöffnung in wichtigen Be­ reichen von einer Art Enthauptungsschlag gegen die deutsche Anwaltschaft von Sei­ ten der US-amerikanischen und englischen Anwaltschaft sprechen. Viele wichtige Entscheidungen dieser anwaltlichen Akteure fallen nicht mehr unbedingt in Deutsch­ 124 Hierzu Bormann ZZPInt 8 (2003), 3 ff., 20 f. 125 Dazu JUVE Geschäftsjahr 2017/2018, in dem von den hundert umsatzstärksten Kanzleien nach den nicht immer voll abgesicherten Angaben ein Gesamtumsatz von 6,33 Milliarden Euro erreicht wurde.

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land, sondern zumindest teilweise durch direkte oder mittelbare Empfehlungen in England oder den USA: Wahl des Schiedsplatzes oder des Gerichtsstandes in wichtigen Großverfahren, Auswahl der Schiedsrichter, Gestaltung der Honorierung, Einfluss­ nahme auf die Entwicklung des Berufsrechts in Deutschland über Mitgliedschaften und Ämter im Anwaltsverein und in den Anwaltskammern sowie über Ministerien und Abgeordnete, Entscheidungen über Vorzugswürdigkeit einer bestimmten Man­ dantschaft in wichtigen Fällen des Interessenkonflikts auf internationaler Ebene, Ein­ flussnahme auf die Führung wichtiger Mandate aus firmenpolitischen Erwägungen etc. Darüber hinaus verfestigt und fördert die gesteigerte Präsenz der Law Firms in wichtigen Bereichen die Rezeption des common law vor allem bei der Vertragsgestal­ tung, in Schiedsverfahren und nicht zuletzt auch im anwaltlichen Berufsrecht. 5. Innovative anwaltliche Aktivitäten und zweifelhafte Rechtsgrundlagen Es spricht auch für die politische Stärke der anwaltlichen Invasion, dass sie von Seiten der amerikanischen Großkanzleien auf einer teilweise zweifelhaften rechtlichen Grundlage erfolgte und noch erfolgt, soweit die Law Firm als Berufsausübungsgesell­ schaft US-amerikanischen Rechts selbst einen Rechtsberatungsvertrag abschließt,126 was vielfach die Regel sein dürfte und in der Praxis von den deutschen Anwaltskam­ mern auch nicht beanstandet zu worden sein scheint, allerdings keine eigene Postu­ lationsfähigkeit zur Folge hat.127 Der selbstbewusste Zugriff auf einen neuen Markt entspricht zwar US-amerikanischer wirtschaftlicher Strategie und – wie oben darge­ legt – insgesamt dem „spirit of America“, hat aber keine entsprechende Marktausdeh­ nung deutscher oder europäischer Kanzleien in den USA zur Folge, was wohl über­ wiegend an der geringeren wirtschaftlichen Kraft dieser Kanzleien liegt, aber teilweise auch an dem ursprünglich schwereren Zugang für ausländische Kanzleien zum US-amerikanischen Markt.128 Die US-amerikanischen Kanzleien haben inzwischen teilweise auch innovative For­ men eines Rechtsexports nach Deutschland betrieben. Besonders spektakulär er­ scheinen Vereinbarungen zwischen Kanzleien, Unternehmen und US-amerikani­ schen Ermittlungsbehörden über die Aufklärung von rechtswidrigem und zumindest teilweise strafbarem Verhalten innerhalb des Unternehmens auf „freiwilliger“ Basis. 126 Dazu die zutreffende Analyse von Henssler in seinem gesellschafts- und berufsrechtlichen Gutachten für den DAV, AnwaltsBl. Online 2018, 564 ff., 591 ff. mN. Ob diese Rechtslücke mit ihren Ungewissheiten tatsächlich erst durch das RDG entstanden ist, wovon Henssler bei seinen Darlegungen ausgeht, erscheint etwas unklar. Jedenfalls war auch schon vorher die rechtliche Basis rechtsberatender Tätigkeit nicht sonderlich klar und tragfähig, ange­ sichts der Bedeutung der Thematik ein reichlich merkwürdiges Phänomen regulatorischer Nachlässigkeit. 127 So Henssler AnwaltsBl. 2018, 564 ff., 593; gleich der Ausschuss Internationale Sozietäten der Bundesrechtsanwaltskammer, BRAK-Mitt. 2008, 17 f.; 2009, 22 f. Ein gewisses Unbe­ hagen über die Unklarheit der Rechtslage bei großen US-amerikanischen Law Firms und ihrer deutschen Niederlassung spricht auch aus den Entscheidungen BVerfG NJW 2018, 2392 und 2395 (Kanzlei Doris Day). 128 Zum heutigen, etwas veränderten Entwicklungsstand unten unter D. IV. 3-5.

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Solche Vereinbarungen stehen nicht zuletzt auch im Dienste US-amerikanischer Er­ mittlung und verleihen den Kanzleien quasistaatsanwaltliche Befugnisse. Es muss da­ bei mehr als zweifelhaft erscheinen, inwieweit das Auftrag gebende Unternehmen nach der Vereinbarung selbst noch die Kontrolle über die Verwendung der Ermitt­ lungsergebnisse behält.129Die Frage nach der berufsrechtlichen Zulässigkeit solcher Vereinbarungen drängt sich durchaus auf, handelt es sich doch um keine übliche Rechtsberatung eines Mandanten.130 Vielmehr erlauben solche Vereinbarungen ermit­ telnden US-Behörden den von detaillierten verfahrensrechtlichen Vorschriften relativ ungestörten Durchgriff auf Unternehmen im Ausland. Der Mandant begibt sich dabei in eine starke Abhängigkeit von einer Großkanzlei, deren Interessenlage in solcher Konstellation durchaus mehrseitig fremdbestimmt erscheint. Verfahrensrechte zum Schutze betroffener Beschuldigter können dabei ebenso unterlaufen werden wie dritt­ schützende Rechte vor allem von Arbeitnehmern. Die Frage möglicher berufsrechtli­ cher Aufsicht über eine sich bildende Grauzone anwaltlicher Rechtspflege erhebt sich auch deshalb, weil dieses neue lukrative Geschäftsfeld mit seinem Modell interner Er­ mittlung durch Kanzleien im Rechtsberatungsmarkt durchaus Anklang findet und vor dem Hintergrund wachsender Neigung zum „Deal“ immer mehr gefragt sein wird. Es muss offen bleiben, inwieweit der insgesamt wenig freundliche Umgang des BVerfG mit der US-amerikanischen Kanzlei im Falle Doris Day auch der Art des neuen inno­ vativen Geschäftsfeldes gilt. Es zeigt sich aber an diesem Beispielsfall auch, von welch ungeordneter Kompliziertheit das Recht speziell US-amerikanischer Kanzleien in Deutschland ist und wie sich bis heute versteckte Rechtslücken halten konnten. In Einzelfällen haben sich auch englische oder US-amerikanische Kanzleien als Auf­ tragnehmer von Bundesministerien schon als Gesetzgebungsexperten im Bankenund Finanzmarktrecht betätigt und dabei zumindest den Eindruck erweckt, Gesetz­ gebung nach common law Grundmuster zu exportieren.131 Für deutsche Verhältnisse ist die Vergabe einzelner beschränkter Aufträge an Kanzleien im Rahmen von Gesetz­ gebungsverfahren nicht gänzlich unbekannt,132 aber in Gestalt eines vollen Formulie­ rungsauftrages eher ein Novum und sollte besser keine Schule machen, weil Ausge­ wogenheit der Beratung besser in Kommissionen mit Vertretern aus unterschiedlichen Berufsfeldern garantiert scheint. Vor allem bei Kanzleien mit einer ausgeprägten Ten­ denz zum „Law Marketing“ zu Gunsten fremder Rechtskulturen oder einer Mandant­ 129 Einen besonders prominenten Beispielsfall behandeln die Kammerentscheidungen BVerfG NJW 2018, 2385, 2392 und 2395 (VW/AUDI Dieselskandal). 130 Hierzu die Darlegungen des LG München I, teilweise wiedergegeben bei BVerfG BeckRS 2018, 14189 Rz.  32 (in NJW 2018, 2385 insoweit nicht abgedruckt) und BVerfG NJW 2018, 2385 Rz. 95 (Differenzierung zwischen anwaltlicher „Beratung“ und Auftrag zu ei­ ner „unternehmerischen Untersuchung“); ferner zutreffend Momsen NJW 2018, 2362 ff., 2364 mN; allgemein kritisch zur unternehmensinternen Ermittlung durch Anwaltskanz­ leien Hannah Stoffer, Wie viel Privatisierung „verträgt“ das strafprozessuale Ermittlungs­ verfahren?, 2016, S. 497 ff. 131 Dazu die BT-Drucks. 17/9266, in der eine entsprechende Anfrage beantwortet wird. 132 In diesem maßvollen Umfang ist eine Mithilfe auch akzeptabel; in diesem Sinne wohl auch der Präsident der BRAK Filges BRAK-Mitt. 2010, 239 ff.; insgesamt kritisch Küper JZ 2010, 655 ff.

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schaft mit ausgeprägter Interessenorientierung scheint deshalb eine gewisse Vorsicht geboten. Beide Beispielsfälle besonderer anwaltlicher Aktivitäten ausländischer Kanzleien wei­ sen auf eine nicht unbedenkliche deutsche rechtskulturelle Schwäche. Zudem besteht insgesamt der ungute Eindruck fehlender Gestaltung des internationalen Rechtsbera­ tungsmarktes durch den deutschen Gesetzgeber. Bisher findet sich auch insoweit eine Regelungslücke, als die interne Gestaltung der Berufsausübung durch den einzelnen anwaltlichen Partner nicht rechtsfähiger Partnerschaften im Wesentlichen keiner be­ rufsrechtlichen Aufsicht unterliegt und die interne Vertragsgestaltung unbekannt bleibt, was allgemein,133 aber insbesondere bei Geltung fremden Rechts nicht unpro­ blematisch erscheint; erst jetzt gibt es Überlegungen, durch Vorlagepflichten mehr Transparenz zu schaffen.134

III. Das die USA teilweise überbietende berufsrechtliche Freiheitsverständnis der EU und Deutschlands 1. Der Beschluss des Europäischen Rates vom März 2000, seine Ideologie und Hybris Die beiden letzten Jahrzehnte scheinen von einer Entwicklung gekennzeichnet zu sein, bei der ein am Gewinnstreben einer Wettbewerbsgesellschaft orientiertes Ver­ ständnis der Marktfreiheiten die Rechtsentwicklung in den EU-Mitgliedstaaten und insbesondere in Deutschland auf einigen Rechtsgebieten stärker zu prägen begonnen hat als in den USA. Am Anfang dieser auf Markt und Wettbewerb verstärkt setzenden Entwicklung stand der Beschluss des Europäischen Rates vom März 2000, die EU zum „wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum in der Welt zu machen“, was ein Überbieten der USA logischerweise durchaus einschlie­ ßen musste. Schon in dieser Formulierung brechen sich Beschränktheit und ideologi­ 133 Eine klare Prüfungspflicht bei der Zulassung besteht bei Syndikusrechtsanwälten (§ 46a Abs. 3 BRAO), bei angestellten Rechtsanwälten lässt sich eine Möglichkeit der Prüfung des Arbeitsvertrages wohl aus der Pflicht des Arbeitgebers zur Schaffung der Vorausset­ zungen für eine selbständige angemessene Betreuung von Mandaten (hierzu Feuerich/ Weyland/Vossebürger, BRAO, 9.  Aufl. 2016, §7 Rz.  135 und Feuerich/Weyland/Brüggemann, BORA, 9. Aufl. 2016, § 26 Rz. 2) herleiten. Bei nicht rechtsfähigen Partnerschaften deutschen Rechts erscheint es jedoch zweifelhaft, ob eine Vorlage des Gesellschaftsver­ trages zu einer Kontrolle ausreichender Unabhängigkeit des einzelnen Partners ohne ­besonderen Anlass oder überhaupt verlangt werden kann, jedenfalls fehlt eine ausdrück­ liche gesetzliche Vorschrift. Bei inländischen und ausländischen rechtsfähigen Berufsaus­ übungsgesellschaften folgt bei der Zulassung eine Vorlagepflicht aus §  59g Abs.  1 und § 297 Abs. 2 BRAO, bei ausländischen nicht rechtsfähigen Partnerschaften fehlt eine ent­ sprechende Vorschrift, jedoch schlägt der Vorschlag der BRAK eine entsprechende Rege­ lung in § 59n Abs. 1 BRAO neu vor (Stellungnahme Nr. 15/2018 vom Mai 2018: Vorschlag zur Reform des berufsrechtlichen Gesellschaftsrechts). 134 Zu anwaltlichen Aktivitäten weltweit tätiger großer Wirtschaftsprüfungsgesellschaften in Europa, die so in den USA bisher nicht möglich sind, ausführlicher unten unter D. IV.5. d.

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sche Verbohrtheit Bahn, weil sie davon ausgeht, dass Wettbewerb, Dynamik, Wissen und funktionierende Wirtschaft ein Bündel oberster Werte beschreiben, welche die Glückseligkeit der künftigen europäischen Gesellschaft zu konstituieren in der Lage seien, und die Frage nach kollidierender demokratischer Willensbildung ebenso ver­ nachlässigt wird wie die Bedeutung von an anderer Wertigkeit orientierten regiona­ len Traditionen Europas. Die EU wollte in Markt und Wettbewerb auch die USA überbieten, ohne sich darüber Rechenschaft zu geben, warum in den USA trotz der Dominanz von Markt und Wettbewerb eben doch wichtige gegenläufige „checks and balances“ überlebt hatten. Erst das Wiedererwachen neuer Nationalismen und ande­ rer irrationaler Massenbewegungen der jüngeren Gegenwart könnten einer insoweit zumindest zeitweise durchaus ideologieverfallenen EU die Gefährlichkeit einseitiger Wertpräferenzen ebenso vor Augen führen wie die Tatsache, dass auch totalitär orien­ tierte politische Systeme bei einem an diesen Wertpräferenzen zu messenden Wettbe­ werb ganz gut mithalten können und keine Rede davon sein kann, dass mit Markt und Wettbewerb unbedingt eine Demokratisierung und Respektierung von Men­ schenrechten einherzugehen hätte. 2. Die Bedeutung der HIS-Studie Auf die Programmsetzung durch die EU folgten die sogenannte HIS-Studie und ­entsprechende politische Werbeaktivitäten des damaligen Wettbewerbskommissars Monti135 mit deutlichen Fernwirkungen im Dienstleistungsrecht der EU. Die starke wettbewerbliche Orientierung des EU-Gesetzgebers hat dann auch insbesondere das Recht der freien Berufe erfasst und dazu geführt, dass die Regulierung nur noch in ganz wenigen oder überhaupt keinen Punkten strenger ist als im Ursprungsland der gewinnorientierten „competitive society“, hingegen der Grad der Deregulierung das Ursprungsland dieser Ideenwelt teilweise übertrifft. Es gibt Rechtsgebiete wie etwa den Verbraucherschutz, die vorsorgende Rechtspflege, den Bereich privatisierter Rechtspflege, den Persönlichkeitsschutz und Datenschutz oder die richterliche Ver­ tragskontrolle, wo das Recht der EU und seiner Mitgliedstaaten immer noch wesent­ lich regulierungsfreudiger ist als das US-amerikanische Recht.136 Es zeigt sich aber auch in einigen Rechtsgebieten in der EU und seinen Mitgliedstaaten ein Trend zu einem Purismus marktfreiheitlicher Betrachtung, der die USA deutlich überbietet, und zu ihnen gehören, wie noch ausführlicher zu zeigen sein wird, das Recht der frei­ en Berufe und insbesondere das Anwaltsrecht. 3. Das fehlende Bewusstsein ideologischer Verengung in der deutschen Wahrnehmung Wie sehr sich das Denken in europäischen Marktfreiheiten von der konkreten recht­ lichen Realität im Ursprungsland dieser Freiheiten gelöst hat, zeigt etwa das Gut­ 135 Zu weiteren Einzelheiten die Ausführungen von Singer, Der weite Weg nach Europa, in diesem Band sub C. I. 1.-5. und ausführlichen Nachweisen. 136 Ausführliche Darstellung bei Stürner AcP 210 (2010), 105 ff., 117 ff. und 129 ff. teilweise auch mit weiteren Beispielen.

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achten von Kämmerer zum 68. DJT in Berlin 2010,137 das der Rechtsentwicklung im anwaltlichen Berufsrecht der USA für seine Schlussfolgerungen kaum Bedeutung zu­ misst, obwohl die Ideenwelt und das Freiheitsverständnis der EU insoweit stark in der Tradition dieser Rechtskultur stehen.138 Dabei wäre es doch gerade von besonderem Interesse zu sehen, wo und warum gerade diese Rechtskultur im Anwaltsrecht regu­ lierende Grenzen einhält. Dies hat bei einem Versuch näherer Analyse mehrere Grün­ de. Einmal ist der Anwalt der freie Beruf, welcher anders als andere Dienstleister der Rechtsverwirklichung am nächsten steht und deshalb in den USA wie auch in ande­ ren Staaten vor allem in gerichtlichen Verfahren besonderen Pflichten unterliegt139 und auch mit besonderen Rechten ausgestattet ist, die sich nicht nur mit effektiver Dienstleistung für den Mandanten rechtfertigen lassen. Zum anderen kennt die US-­ amerikanische Demokratie im Interesse für notwendig erachteter „checks and balan­ ces“ einen besonders stark ausgeprägten Föderalismus, der das ganze Rechtswesen erfasst und beim Anwaltsrecht gerade nicht halt macht,140 ebenso wie er auch den Gedanken streng einheitlicher Marktfreiheiten durch unterschiedliche einzelstaatli­ che Regulierungsformen modifiziert, vor allem soweit es eher um Fragen formal ein­ heitlicher Perfektion als ihrer Kernbereiche geht. Endlich aber wird die Richterschaft aus der Anwaltschaft in unterschiedlichen Verfahrensformen gewählt oder ernannt, weshalb sich mit der Entwicklung der Anwaltschaft in viel höherem Maße als bei an­ deren freien Berufen ein gesteigertes Gemeinwohlinteresse der politischen Kultur verbindet. Dies erklärt auch den Einfluss der Supreme Courts der einzelnen US-Staa­ ten auf die Rules of Conduct der einzelstaatlichen Rechtsanwaltschaft.141 Auch innerhalb der EU und ihren Mitgliedstaaten sind zwar nicht alle, aber doch ei­ nige dieser Gesichtspunkte von Gewicht und sollten deshalb bei Überlegungen zur Berufsfreiheit Beachtung finden. Wer sich der Genese des Denkens in modernen Marktfreiheiten bewusst ist, wird auch das oft kritisch betrachtete Phänomen der „Kommerzialisierung“ anwaltlicher Tätigkeit nicht als „Chimäre“ abtun,142 sondern 137 Jörn Axel Kämmerer, Die Zukunft der Freien Berufe zwischen Deregulierung und Neu­ ordnung, Gutachten H zum 68. DJT 2010, S. H 5 ff., passim. 138 Dieser inzwischen allgemeinkundige Zusammenhang war Kämmerer als Mitglied der Hamburger Bucerius Law School ohne jeden Zweifel bekannt. Es überzeugt deshalb nicht, wenn er trotzdem und angesichts der inzwischen starken Stellung US-amerikanischer Kanzleien in Deutschland eine genauere Auseinandersetzung gerade mit der Entwicklung in den USA zu scheuen scheint. 139 Hierzu im Zivilprozess insbesondere Federal Rules of Civil Procedure Rule 11 (b) and (c); hierzu Friedenthal/Miller/Sexton/Hershkoff, Civil Procedure, Cases and Materials, 11. Aufl. 2013, S.  641  ff.; ferner dementsprechend New York Rules of Professional Conduct as amended through January 1, 2017, Rule 3.1 ff. 140 Dazu allgemein von Mehren/Murray, Law in the United States, 2. Aufl. 2007, S. 103 ff., 108 ff., 116 ff.; ferner zum Anwaltsrecht in deutscher Sprache Schack, Einführung in das US-ameri­ kanische Zivilprozessrecht, 4. Aufl. 2011, S. 6, Rz. 16; Henssler AnwaltsBl. 2002, 557 ff. 141 Guter Überblick über die einzelnen Regelwerke und ihre Entstehung (Code of Ethics, ­Rules of Professional Conduct, Model Rules of the American Bar Association – MRPC-, Restatement on the Law Governing Lawyers) bei Hazard/Koniak/Cramton/Cohen/Wendel, The Law and Ethics of Lawyering, 6. Aufl. 2017, S. 2 ff.; in deutscher Sprache Henssler AnwaltsBl. 2002, 557 ff. 142 So aber Kämmerer, Gutachten H zum 68. DJT, S. H 39.

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sich der Frage ihrer Grenzen in einer Weise stellen, die im Schutz einer etwas technisch verstandenen anwaltlichen Unabhängigkeit nicht endet, sondern ihren Zweck hinter­ fragt, um dann auf Antworten zu kommen, die nicht neu sind und unter dem Topos des „Organs der Rechtspflege“ zusammengefasst sind, welches seine Dienstleistung nicht zur Ware143 in einem „Rechtsmarkt“ werden lassen darf. Wer sich dagegen wen­ det und allenfalls neue Terminologie bemüht, wird zu etwas willkürlich wirkender Grenzziehung kommen,144 soweit er Grenzen überhaupt noch anerkennen will. Dieser Gefahr unterliegt das gegenwärtig herrschende deutsche Verständnis von Marktfrei­ heiten im Anwaltsrecht, weshalb der Vergleich mit dem US-Recht durchaus erhellend wirken kann. Es ist in der Geschichte von Ideologien keine Seltenheit, dass Epigonen in ihrer Begeisterung für neue Erkenntnisse und Entwicklungen die Begründer einer Ideologie auf bestimmten Gebieten zu überbieten beginnen. Schon jetzt lässt sich da­ bei sagen, dass die Bundesrechtsanwaltskammer diese Gefahr überwiegend gesehen hat, sich aber gegen den Gestaltungswillen der EU und teilweise auch des BVerfG so­ wie gegen den Druck aus Kreisen des Anwaltvereins und der bewusst oder unbewusst von Markt und Wettbewerb inspirierten Wissenschaft nicht behaupten konnte. Hinzu kommt, dass sich gegen modische Ideologien mit rationalen Argumenten nur be­ schränkt ankämpfen lässt, wenn man einen solchen Streit ohne jene Empathie zu füh­ ren gewillt ist,145 wie sie gerade Ideologien auszeichnen. Zudem waren sich in Deutsch­ land und anderen europäischen Ländern das neue ökonomische Denken und traditionelle sozialistische Antipathien gegen „Standesprivilegien“ in ihrer Kritik an der traditionellen Grundposition der freien Berufe einig, und hieraus entwickelte sich ein politischer Reformwille, den es in dieser Stärke in den USA nicht gegeben hat. Im Folgenden sollen die Entwicklung und die Stellung der Bundesrechtsanwaltskammer für besonders wichtige Felder des anwaltlichen Berufsrechts nachgezeichnet werden.

IV. Die Entwicklung des anwaltlichen Berufsrechts und die Stellung der Bundesrechtsanwaltskammer in besonders wichtigen Regelungsbereichen 1. Gemeinwohlbindung als Organ der Rechtspflege a) Die deutsche Zurückhaltung Bereits bei der Beschreibung des Grundverständnisses des anwaltlichen Berufs zeigen sich kleinere und teilweise etwas überraschende Unterschiede. Nach § 1 BRAO ist der Anwalt ein Organ der Rechtspflege. § 1 BORA 2013, die Grundsatznorm des von der 143 So statt vieler zu Recht Michael Krenzler BRAK-Mitt. 2010, 234 ff., 235.  144 Diese Frage stellt sich etwa bei dem Gutachten von Kämmerer, der letztlich erfreulicherwei­ se Grenzen der Marktfreiheiten für Anwälte bejaht, die zu seinen grundlegenden Thesen über die Neupositionierung des anwaltlichen Berufsbildes nicht so recht passen wollen. 145 Der Kritik von Henssler/Kilian AnwBl. 2005, 1  ff. an der HIS Studie ist zuzustimmen; ideologische Bewegungen sind allerdings allein durch – durchaus notwendige – sachliche Kritik bei der Erörterung von Einzelfragen selten einzudämmen, wenn nicht schon ihre Prologomena deutlich und schonungslos als Halbwahrheiten entlarvt werden.

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Satzungsversammlung der Bundesrechtsanwalts-kammer beschlossenen beruflichen Verordnungsrechts, definiert das Berufsbild des Anwalts nur als möglichst „unregle­ mentierte“ Freiheit zur Vertretung des Mandanten, um ihn vor Rechtsverlusten, Fehl­ entscheidungen oder verfassungswidrigen Überschreitungen staatlicher Macht zu schützen. Die Formulierungen stammen aus einer der beiden „Bastille-Entscheidun­ gen“ des BVerfG,146 allerdings übernehmen sie nur den dort formulierten Freiheitsto­ pos, nicht aber die in der dort auch erwähnten Stellung als „unabhängiges Organ der Rechtspflege“147 steckende Bindung an besondere berufliche Pflichten, die dieser Stel­ lung im Zusammenwirken mit einfachrechtlichen Vorschriften nach wie vor durch­ aus entfließen können.148 Man könnte bei sehr kritischer Betrachtung dieses Fehlen notwendigen Gefühls für die notwendige Balance von Freiheit und Bindung als eine eigenartige Form der Spätpubertät eines Berufsstandes deuten, der wie die große Mehrheit der deutschen Gesellschaft in Zeiten wirklich gefährdeter Freiheit überwie­ gend geschwiegen hat, um dann in einer bereits ordentlich gefestigten Demokratie einseitig nur auf die Freiheit anwaltlicher Tätigkeit zu setzen und die besondere Ver­ antwortung des Berufsstandes für die Achtung und Verwirklichung des objektiven Rechts beiläufig zu unterschlagen oder sie als inhaltlose Generalklausel abzutun. In dieser Attitüde, welche zumindest die Mehrheit der Satzungsversammlung der Bun­ desrechtsanwaltskammer zu teilen scheint, bricht sich ein verändertes Freiheitsver­ ständnis Bahn,149 das sich deutlich von der ausgewogeneren Grundlinie der soge­ nannten Bastille-Entscheidungen des BVerfG absetzt, und von einer vollen Identität 146 BVerfGE 76, 171, 192. Das Gericht beruft sich für diese Formulierungen teilweise auf Stürner JZ 1986, 1089, 1090 und Vollkommer, Die Stellung des Anwalts im Zivilprozeß, 1984, S. 20/21. Sie stehen allerdings dort im Zusammenhang mit der Frage, ob sich Anwalts­ zwang im Zivilprozess rechtfertigen lässt, den es so in den anderen Prozessordnungen nicht gibt, und behandeln weniger die Stellung des Rechtsanwalts in der Gesamtrechts­ ordnung. Sie sind trotz allem auch generell sachlich zutreffend, ihr Gebrauch als „pars pro toto“ – nicht durch das BVerfG, aber doch in der BORA – führt dann aber zu den im Text beschriebenen Einseitigkeiten; dazu auch schon die deutliche Kritik bei Stürner JZ 2017, 905, 916. 147 BVerfGE 76, 171, 192: „Als unabhängiges Organ der Rechtspflege und als der berufene Berater und Vertreter der Rechtssuchenden…“; hierzu auch BeckOK/Römermann BORA § 1 Rz. 2, der dann allerdings meint, es handele sich insgesamt um einen „Pathoskatalog“ und der Inhalt der Bezeichnung als Organ der Rechtspflege bleibe „vollkommen unklar“, „wenn ihr denn überhaupt einer“ zukomme. 148 Erfreulich klar BVerfG NJW 2015, 1438 ff. Rz. 31; zur Problematik ausführlich Chr. Wolf, in: Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 2.  Aufl. 2014, §  1 BRAO Rz.  27  ff., S. 178 ff.; Rz. 83 ff., S. 195 ff. 149 Zu dieser Entwicklung haben auch Formulierungen beigetragen, die im Einzelfall viel­ leicht oft berechtigte Kritik mit Kategorisierungen regulierender Vorschriften als „obrig­ keitliche Schranken“ (E. Schumann NJW 1990, 2089 ff.) oder Ausdruck „realitätsfremder“ oder „freiheitsfeindlicher“ Berufsideale (Kleine-Cosack NJW 1993, 1289 ff., 1294, sowie zuletzt NJW 2018, 3273 ff., 3277) verbunden haben, um damit grundsätzlich berechtigte deutsche Urängste auf den Plan zu rufen, die aber angesichts bis heute bestehender ähnli­ cher Regulierungsbedürfnisse der Bars in den USA in diesem Zusammenhang keine Rolle spielen sollten; kritisch zum fehlenden Gemeinwohlbezug in § 1 BORA auch Chr. Wolf, in: Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, aaO, § 1 BORA Rz. 6 ff., S. 199 f.

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zwischen strikter Wahrung individueller Rechte der Mandanten und anwaltlichem Dienst am Rechtsstaat ausgeht, um auf diese Weise mögliche Konflikte zwischen dem Dienst an Individualrechten und einer Gemeinwohlbindung auszuklammern. Man kennt diesen Versuch zur Vereinfachung aus Lehren von Teilen neoliberaler Ökono­ mie und der mit ihr verbundenen Law and Economics – Bewegung, die in der Gleich­ setzung von Eigennutz und Gemeinsinn eine Zauberformel durch Leugnung denkba­ rer Konfliktlagen150 meinten gefunden zu haben: letztlich eine primitive Vereinfachung unter Missachtung der Erkenntnisse einer langen Geschichte der Philosophie. b) Der Anwalt als Officer of the Legal System und Public Citizen in den US- Model Rules Das anwaltliche Berufsrecht der USA mit ihrem vielfältigen einzelstaatlichen Recht ist bisher insgesamt nicht dem Trend gefolgt, die besondere Verantwortung der An­ waltschaft und des einzelnen Anwalts für die Bewährung objektiven Rechts und da­ mit eine gewisse Form der Gemeinwohlbindung in ihren Model Rules of Professional Conduct aufzugeben, die in diesem Punkt soweit ersichtlich von fast allen Einzel­ staaten übernommen sind. „A lawyer, as a member of the legal profession, is a repre­ sentative of clients, an officer of the legal system and a public citizen having special responsibility for the quality of justice.“151 Die Rules of Professional Conduct gehen zwar zu Recht davon aus, dass im Regelfall die Rollen als Vertreter der Parteien, als „officer of the legal system“ und als „public citizen“ miteinander harmonieren wer­ den.152 Sie sprechen aber anders als die deutsche BORA auch offen und ausführlich an, dass es zwischen der Rolle als Vertreter des Klienten und der Rolle als officer of the legal system zu Rollenkonflikten kommen kann: „In the nature of law practice, how­ever, conflicting responsibilities are encountered. Virtually all difficult ethical ­problems arise from conflict between a lawyer’s responsibilities to clients, to the legal system and to the lawyer’s own interest in remaining an ethical person while earning a satisfactory living“.153 Bei der empfohlenen Abwägung in Fällen, in denen die de­ taillierten Rules keine Antwort auf die Lösung des konkreten Konflikts geben, emp­ fehlen die Rules eine Lösung „through the exercise of sensitive professional and moral judgment guided by the basic principles underlying the Rules.“ Nun muss man natür­ lich nüchtern sehen, dass bei solchen Abwägungen der Verpflichtung gegenüber dem Mandanten durchaus dominierendes Gewicht zukommen wird, weil sie primär das Wesen des anwaltlichen Dienstes am Recht ausmacht154 und deshalb nur ausnahms­ weise gewichtigere Einschränkungen erfahren wird.155 Trotzdem wird das US-An­ waltsrecht in bestimmten Fällen das Interesse der Allgemeinheit an einer wohlfunk­ 150 Zu diesem etwas plumpen Versuch, die uralte Antinomie von Eigennutz und Gemeinsinn aufheben zu wollen, Stürner AcP 214 (2014), 7 ff., 18 ff., 19/20 mN. 151 Preamble (1); gleich die New York Rules of Professional Conduct, Preamble (1) (1). 152 Preamble (8) (1); gleich wiederum die New York Rules Preamble (3) (1). 153 Preamble of the Model Rules (9) (1) und (2); ähnlich wiederum die New York Rules ­Preamble (3) (2). 154 Hierzu Preamble Model Rules (2) and New York Rules (2). 155 Dazu der deutliche Akzent in Preamble Model Rules (8) (2) und (3) sowie (9) (5).

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tionierenden Rechtspflege etwas stärker gewichten als dies dem jüngeren deutschen Recht entspricht, z.B. wenn es in Prozessordnungen selbst Sanktionen gegen Anwälte wegen missbräuchlicher Prozessführung vorsieht156 oder wenn es darum geht, das Vertrauen der Bevölkerung in eine rechtsstaatliche Rechtspflege vor Schäden zu be­ wahren, die aus anwaltlichem Wirken trotz früherer schwerer Verfehlungen gegen rechtsstaatliche Grundsätze resultieren können, ein Gesichtspunkt, dem das BVerfG und Teile der Anwaltschaft bei anwaltlicher Tätigkeit auch schwer belasteter Anwälte oder Richter der DDR-Zeit volles Gewicht nicht immer zumessen wollten.157 c) Europäische Verwerfungen Im übrigen sollte man sich immer klar machen, dass der – von der Satzungsversamm­ lung der Bundesrechtsanwaltskammer in einem Zick-Zack-Kurs nicht akzeptierte – Code of Conduct for Lawyers of the European Union158 in den hier behandelten Fra­ gen näher bei der US-amerikanischen Lösung liegt159 als die deutsche BORA. Man könnte natürlich erwidern, dass neben der BORA die §§  1 und 7 Abs.  2 Nr.  5, 43 BRAO als volle gesetzliche Regelung stünden, die in der BORA vermissten Regeln sich aus diesen gesetzlichen Vorschriften entnehmen ließen und Wiederholungen un­ nötig seien. Nun ließen sich in der Tat aus diesen gesetzlichen Generalklauseln durch­ aus Schlüsse ziehen, die den detaillierteren Regeln anderer Regelwerke entsprechen. Sie schaffen allerdings zumindest nach der Zulassung eines Anwalts wegen der ver­ fassungsgerichtlich verordneten Bestimmtheitsanforderungen160 keine selbständigen Eingriffstatbestände von Gewicht, greifen deshalb überwiegend161 nur als Auslegungs­ maßstäbe für konkretere Berufsregeln in §§ 43a ff. BRAO und in der BORA, die je­ doch angesichts des aggressiven Schweigens der BORA nur noch sehr ausgedünnt existieren. Auch weiterreichenden ethischen Leitlinien hat sich die deutsche Anwalt­ schaft aus Furcht vor rechtlicher Verfestigung bisher verweigert.162 156 Dazu beispielhaft die schon oben erwähnte Rule 11 (2) und (3) der FRCP. 157 Dazu oben B III – VII mN. 158 Die 5. Satzungsversammlung der BRAK hat nämlich am 15.4.2013 in ihrer 4. Sitzung § 29 BORA, der die Inkorporation des CCBE-Code of Conduct für grenzüberschreitende Tä­ tigkeiten regeln sollte, ersatzlos gestrichen und damit seine Geltung in Deutschland und eine europäische Harmonisierung weitgehend verhindert; ausführlich hierzu Singer, Der weite Weg nach Europa, in diesem Band unter B. III. 2 c, bb. 159 Vgl. insbesondere No. 1.1 CCBE-Code of Conduct (Function of the Lawyer in the Society) und No. 1.2.1 CCBE-Code of Conduct; ferner No. 2.2 CCBE-Code of Conduct. 160 Seit BVerfGE 76, 171, 186 ff. 161 Zur nicht gerade klaren Rechtslage und der umstrittenen Funktion der Generalklauseln als Auffangtatbestand für Aufsichtsmaßnahmen statt vieler Feuerich/Weyland/Brüggemann, BRAO, 9. Aufl. 2016, § 1 Rz. 9-9a; Feuerich/Weyland/Träger, BRAO, § 43 Rz. 9-24 mit ausführlichen Nachweisen zum Streitstand. 162 Zur Stellung der BRAK und des DAV insbesondere Kilian Anwaltsblatt 2013, 688 ff., der im Ergebnis zu Recht bemängelt (S. 692), dass die deutsche Anwaltschaft sich mit dieser ablehnenden Haltung international auf einem einsamen Sonderweg befindet. Sowohl die von der BRAK eingesetzte Ethikkommission als auch der erweiterte Berufsrechtsaus­ schuss des DAV kamen zu keiner positiven Empfehlung für einen Kodex mit ethischen Leitlinien; zur Diskussion noch insbesondere Henssler AnwBl. 2008, 721 ff. (eher positiv)

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2. Zulassung überörtlicher Kanzleien und Zulassung in mehreren Einzelstaaten der USA und der EU a) Überörtliche Kanzleien im selben Einzelstaat Die US-amerikanische Zulassung als Anwalt erfolgt unter dem Recht der Einzelstaa­ ten nach einem Studium an einer von der ABA zertifizierten Law School und grund­ sätzlich einem zusätzlichen Examen vor der Bar des Einzelstaates.163 Über die Zulas­ sung entscheidet ein oberes oder das oberste Gericht des Einzelstaates, wobei diese Entscheidung entsprechend einzelstaatlichem Recht ganz oder teilweise an die Bar delegiert sein kann. Die Zulassung gilt in der Regel für die einzelstaatlichen Gerichte aller Gerichtsbezirke des Einzelstaates,164 so dass sich die Frage nach der Zulässigkeit überörtlicher Kanzleien innerhalb desselben Einzelstaates so nicht stellt. Der Markt anwaltlicher Rechtsberatung und Vertretung vor Gericht war also anders als in Deutschland in den USA schon immer nicht nach Gerichtsbezirken segmentiert, sondern insoweit ein Raum überörtlichen Wettbewerbs mit der Möglichkeit der Un­ terhaltung überörtlicher Kanzleien und der Möglichkeit nicht nur außergerichtlicher Vertretung im gesamten Einzelstaat, sondern auch überörtlicher gerichtlicher Vertre­ tung. Auf diese Weise entstand ein forensischer und nichtforensischer Rechtbera­ tungsmarkt,165 der an der Einzelstaatlichkeit orientiert war, die sich wesentlich ausge­ prägter als in Deutschland nicht zuletzt auch in einer umfassenden einzelstaatlichen Gesetzgebungskompetenz artikulierte. Die bis 2000 währende kleinteiligere Aufglie­ derung des forensischen Rechtsberatungsmarktes in Deutschland nach Gerichtsbe­ zirken166 war demgegenüber nicht oder nur zu einem ganz geringen Grad an der Ein­ heitlichkeit des Rechtsraums orientiert als an dem Bestreben, Oligopole größeren Ausmaßes zu verhindern und den Gerichten die Zusammenarbeit mit örtlich veran­ kerten Anwälten zu erleichtern. 167

und Reinhard Gaier, Recht und Moral, Festschrift für Rolf Stürner, Band 1, 2013, S. 17 ff. (gegen eine in ihrer Funktion unklare Zwischenschicht zwischen Recht und Moral und für satzungsmäßige Regelung in der BORA). 163 Hierzu als Beispiel § 90 des Judiciary Law des Staates New York iVm § 520.1 – 520.3 Rules of the Court of Appeals. 164 Wiederum § 90 (1) Judiciary Law New York und § 520.1 (1) Rules of the Court of Ap­ peals:…“to…practice in all the courts of this state…“ 165 Zum grundsätzlichen Verbot auch nichtforensischer Beratungstätigkeit in anderen Einzel­ staaten Model Rules of Professional Conduct of the ABA Rule 5.5 (a) und (b); New York Rules of Professional Conduct Rule 5.5 (a); zur unauthorized Practice of Law auch zutref­ fend Henssler AnwBl. 2002, 557 ff., 560. 166 In jedem OLG-Bezirk war – wie noch heute – eine Rechtsanwaltskammer (§ 60 BRAO a.F. und n.F.). Die Zulassung für die Prozessvertretung erfolgte nur vor einem bestimmten Gericht (§ 78 Abs. 1 ZPO a.F. iVm §§ 18, 19 BRAO a.F.), konnte aber simultan zu einem Amtsgericht und Landgericht des gleichen Bezirks erfolgen. Die Beschränkungen der Postulationsfähigkeit fielen im Jahre 2000 (Gesetz vom 17.12.1999, BGBl. I S. 2448), das Gebot entsprechender Lokalisierung (§§ 18, 19 BRAO a.F. ) erst 2007. 167 Zum Letzteren BVerfG NJW 1993, 3192 (Kammer), welches das Lokalisationsprinzip zu diesem Zeitpunkt offenbar für verfassungsrechtlich völlig unbedenklich hält.

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Wenn man das alte deutsche Lokalisierungsgebot mit dem US-amerikanischen Mo­ dell vergleicht, so fällt die relativ dichte Besiedlung des kleinen deutschen Staatsge­ biets – es hat heute etwa die Größe des US-amerikanischen Staates Montana – ebenso ins Auge wie die sehr ungleichmäßige Besiedlung der einzelnen US-Staaten. Auf na­ tionaler deutscher Ebene entspräche eine der US-amerikanischen am ehesten ähnli­ che Lokalisierung dem OLG-Bezirk mit seinen lokalen Rechtsanwaltskammern, eine Größenordnung, die bis in die jüngere Vergangenheit auch immer wieder ins Ge­ spräch gebracht wurde, um die Vorteile einer Lokalisierung im forensischen Bereich mit einer angemesseneren Größenordnung zu verbinden.168 Indessen scheinen Mei­ nungsverschiedenheiten zwischen der Bundesrechtsanwaltskammer und dem An­ waltverein169 und Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Bundesrechtsanwalts­ kammer rechtzeitige Vorstöße für eine auf diese Weise geläuterte Lokalisierung verhindert zu haben, und als der Gesetzgeber 1995 in den neuen Bundesländern das dort abgeschaffte Lokalisierungsprinzip für eine Übergangszeit bis 2005 wieder ein­ führen wollte, obwohl für die alten Bundesländer 1994 die Abschaffung ab 2000 be­ reits beschlossen war,170 nahm die Bundesrechtsanwaltskammer die Gelegenheit zu einer Stellungnahme zu Gunsten einer geläuterten Form der Lokalisierung im Ver­ fahren vor dem BVerfG nicht mehr war171 und ließ in dieser Frage den Dingen in Richtung einer fortdauernden Abschaffung vollends ihren Lauf. Dabei spielte es auch eine wichtige Rolle, dass zu diesem Zeitpunkt bereits britische und US-amerikanische Kanzleien mit gegenläufigen Interessen in Deutschland Fuß gefasst hatten172 und die Gestaltung der Überörtlichkeit auf der EU-Ebene173 schon weiter fortgeschritten war. Damit war bereits auf nationaler bundesstaatlicher Ebene eine Deregulierung der Lo­ kalisierung erreicht, welche die USA weit überbot, zumal im nichtforensischen Be­ reich eine Beratungstätigkeit über die Grenzen der Länder bzw. Bundesstaaten nie ausgeschlossen war. b) Zulassung oder erlaubte Tätigkeit in mehreren US-Staaten und EU-Staaten aa) Zulassung in mehreren US-Staaten Es erscheint immer noch richtig, dass sich auf der Ebene der EU-Mitgliedstaaten ebenfalls eine größere Liberalität zeigt als auf der Ebene der US-Bundesstaaten, wie dies bisher oft zu Recht gesagt worden ist,174 obgleich sich in den letzten Jahren der 168 Hierzu etwa die entsprechenden Äußerungen von Hirtz AnwBl. 2012, 21/22 und Bormann ZZPInt 8 (2003), 3 ff., 65/66; a.A. beispielsweise Schmude BRAK-Mitt. 2010, Sonderheft 5. ZPR-Symposium Potsdam, S. 17 ff., 21/22; Horn BRAK-Mitt. 2007, 94 ff. 169 Dazu etwa Finzel, Die Geschichte der Rechtsanwaltskammer Hamm, 2018, S. 437. 170 Zum genaueren Sachverhalt BVerfGE 93, 362 ff., 363 ff. 171 Hierzu BVerfGE 93, 362  ff., 368; gleich der DAV auf derselben Seite; zur Besprechung dieser Entscheidung und der Folgeentscheidung BVerfG NJW 2000, 1939 insbesondere Papier BRAK-Mitt. 2005, 50 ff., 52. 172 Dazu oben unter IV 2 c. 173 Dazu oben unter IV 2 b. 174 Statt vieler Henssler AnwBl. 2002, 557 ff., 559/560, der aber schon auf eventuell anstehende Verbesserungen hinweist.

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Abstand zur EU etwas verringert haben mag. Dies gilt zunächst einmal bei der Zulas­ sung für den einzelnen Anwalt in anderen Bundesstaaten der USA, die sich nach dem Recht des jeweiligen Bundesstaates richtet.175Dabei variieren die Voraussetzungen einer Zulassung von Anwälten, die bereits in anderen US-Staaten zugelassen sind. Die Skala reicht von deutlichen Erleichterungen176 bis hin zu etwas strengeren Anforde­ rungen.177 Anwälte aus anderen Bundesstaaten können für ein gerichtliches Verfah­ ren zusammen mit einem im Staat des Forum praktizierenden Anwalt als Vertreter zugelassen werden.178 Darüber hinaus betrachten die Model Rules of Professional Conduct of the American Bar Association 2018 beratende Aktivitäten in anderen Bundesstaaten in einigen wichtigen Fällen der multijurisdictional practice of law als berufsrechtlich unbedenklich, nämlich die mitwirkende Beratung im Vorfeld einer pro hac vice admission, die Beratung im Zusammenhang mit einem im anderen Bundes­ staat anhängigen oder zu erwartenden Schiedsgerichtsverfahren, Mediationsverfahren oder anderen Streitschlichtungsverfahren, oder die Beratung zum Recht eines anderen Bundesstaates durch einen Anwalt oder in-house counsel dieses Bundes­staates im of­ fice seiner law firm bzw. seines Unternehmens oder von affiliates des Unternehmens.179 Sofern eine law firm als general partnership oder – wohl seltener – limited liabilty part­ nership organisiert ist, können die einzelnen Partner entsprechend ihren persönlichen Voraussetzungen in unterschiedlichen Bundesstaaten zugelassen sein mit der Folge der Entstehung einer multijurisdictional law firm. Die Zusammenarbeit erleichtert der geschilderte Code of Conduct für multijurisdictional practice of law. Im übrigen aber tragen die Partner eine wechselseitige und gemeinsame Verantwortung dafür, dass kein Partner oder angestellter Anwalt gegen das Verbot der unauthorized practice180 verstößt.181 Professional Corporations (stock corporation, limited liability company) können in den meisten Bundesstaaten als solche unter den Voraussetzbungen zugelas­ sen werden, die für die Zulassung von natürlichen Personen gelten182, wobei aber ihre Dienste nur durch Personen erbracht werden dürfen, die ihrerseits zur Leistung sol­ 175 Hierzu Rule 5.5 (a); statt aller Bundesstaaten gleich beispielsweise New York Judiciary Law § 478 (1). 176 Relative großzügig New York Rules of the Court of Appeals Rule 520.10 ff. (z.B. admission in the highest courts of other states, admission in other states in case of reciprocity etc.). Die große Mehrzahl der US-Staaten hat sich in den letzten Jahren dem von der ABA favo­ risierten Reciprocity-Model voll oder etwas modifiziert angepasst. 177 Z.B. Maine Revised Statutes Title 4, §§  802-806a, 807 (1); Maine Bar Admission Rules 2017 Rule 11; relativ streng Kalifornien: Rules of the Bar of California Rule 4 (3) (B) und (C), Rule 4.15 (C): 4 Jahre Praxis im anderen Bundesstaat und ein attorney’s examination in Gestalt eines vereinfachten bar exam. 178 Admission „pro hac vice“: New York Judiciary Law §  478 (2) (4); New York Rules of the Court of Appeals, Rule 520.11; California Rules of Court, Rule 9.40; Maine Revised Statutes Title 4 § 802 and Rules of Civil Procedure, Rule 89 (b) mit etwas abschreckender hoher Gebühr, nämlich $ 600,- für die Erlaubnis und $ 800,- für jede Appearance. 179 Siehe dazu Model Rules of Professional Conduct Rule 5.5 (c) und (d). 180 Hierzu Rule 5.5 MRPC; ferner New York Rules of Professional Conduct Rule 5.5 (a). 181 Rules 5.1 und 5.2 MRPC; entsprechend New York Rules 5.1 und 5.2. 182 Beispielsweise The Laws of New York, Consolidated Laws Art 15, Professional Service Corporations, Sec. 1501 (a), (b),1503 (a), (e),

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cher Dienste zugelassen sind.183 Multijurisdictional law firms können durch Mehr­ fachzulassung unter den gleichen Voraussetzungen wie bei natürlichen Personen ent­ stehen, und es reicht dann aus, wenn der im jeweiligen Staat verantwortliche Director wie auch seine dort tätigen anwaltlichen Mitarbeiter im Staat ihrer Tätigkeit als An­ walt zugelassen sind. Die Verantwortlichkeiten für die Einhaltung der Berufsregeln zur unauthorized practice of law sind gleich wie bei den partnerships. bb) Zulassung in mehreren EU-Staaten Demgegenüber wirken die Voraussetzungen einer Zulassung oder vorübergehenden Tätigkeit in einem anderen Staat der EU in der Tat sehr großzügig, zumal die Traditi­ onen anwaltlicher Rechtspflege und die nationalen Rechtsordnungen innerhalb der EU schon stets und vor allem auch nach ihrer stetigen Erweiterung wesentlich unter­ schiedlicher sind als in den USA. Für die bekannten sehr geringen Voraussetzungen einer Zulassung oder vorübergehenden Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat ge­ nügen einige vergleichende Stichworte: voraussetzungslose Niederlassung eines in einem anderen EU-Staat zugelassenen Anwalts unter seiner dortigen Berufsbezeich­ nung als zugelassener „europäischer Rechtsanwalt“ bei lediglich formaler Prüfungs­ befugnis der deutschen Anwaltskammer und weithin allen Befugnissen und Pflichten eines deutschen Rechtsanwalts,184 Möglichkeit der Zulassung als deutscher Rechtsan­ walt nach dreijähriger ausreichender Praxis im deutschen Recht185 bei begrenzter ma­ terieller Prüfungsbefugnis der Anwaltskammer,186 Möglichkeit früherer voller Zulas­ sung als deutscher Rechtsanwalt bei Nachweis eines gleichwertigen Ausbildung und gegebenenfalls Ablegung einer Eignungsprüfung,187 zeitlich begrenzte und gelegent­ liche Tätigkeit in Deutschland ohne Zulassung bei begrenzten ad-hoc-Prüfungsbe­ fugnissen von Gerichten, Behörden oder Kammern einschließlich der Möglichkeit des Auftritts vor Gericht und Behörden zusammen mit einem „Einvernehmensan­ walt“. 188 Bei nicht rechtsfähigen Partnerschaften bzw. Personengesellschaften, die nach Wahl ihrer Mitglieder jeder in der EU und ihren Mitgliedstaaten existierenden Rechtform folgen können, ist davon auszugehen, dass sie ihre Tätigkeit in Gestalt von Niederlassungen bzw. Zweigstellen auf andere Staaten der EU unter dem Namen des Herkunftslandes ausdehnen können, soweit die in anderen Staaten tätigen Partner im 183 Hierzu wiederum Art. 15, sec. 1504 (a), (f), (g) und sec. 1504 (a). 184 Richtlinie 98/5/EG vom 16.2.1998, ABl. EU Nr. L 077 vom 14.3.1998, S. 36 – 43 (Niederlas­ sungsrichtlinie) Art. 2 – 9; gleich §§ 2 – 4, 5-8 EuRAG. Die deutsche Rechtsanwaltskammer kann dabei nicht einmal ausreichende deutsche Sprachkenntnisse nachprüfen; hierzu für die Niederlande EuGH NJW 2006, 3697 Tz. 70 und 73 f.; NJW 2006, 3701 (LS); zusammen­ fassende Darstellung bei Ahrens, Berufsrecht der Rechtsanwälte, S. 301 ff., Rz. 1020 ff. 185 Art. 10 Niederlassungsrichtlinie; §§ 11, 12 EuRAG. 186 Hierzu §§ 13 – 15 EuRAG. 187 §§ 16 – 24 ff. EuRAG; dazu und zur Bedeutung der sog. Diplomanerkennungsrichtlinie ausführlich Ahrens, Berufsrecht der Rechtsanwälte, S. 305 ff., Rz. 1032 ff. 188 Dazu Richtlinie 77/249/EWG vom 22.3.1977, ABl. EU Nr. L 78 vom 26.3.1977, S. 17-18 (Richtlinie zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsver­ kehrs der Rechtsanwälte) und §§ 25-34a EuRAG; ausführliche Zusammenfassung wiede­ rum bei Ahrens, Berufsrecht der Rechtsanwälte, S. 292 ff., Rz. 994 ff.

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Aufnahmestaat eine Zulassung als nationaler oder europäischer Rechtsanwalt besit­ zen, deren Erwerb den bereits geschilderten Regeln folgt; allerdings sind die existie­ renden europäischen und nationalen Rechtsregeln189 für solche Partnerschaften in ihren berufsrechtlichen und insbesondere haftungsrechtlichen Folgen nicht immer ausreichend klar.190 Diese Fragen bedürften aber gesonderter Erörterung, hier kann es nur um die grundsätzliche Möglichkeit grenzüberschreitender Niederlassung ge­ hen. Auch Sozietäten, die sich als Kapitalgesellschaften unter europäischem oder mit­ gliedstaatlichem Recht organisieren, können die Zulassung als deutscher oder euro­ päischer Rechtsanwalt in gleicher Weise wie ein Einzelanwalt beanspruchen, falls die Gesellschaft die entsprechenden Zulassungsbedingungen in ihrem Herkunftsstaat erfüllt, den im Aufnahmestaat geltenden Bestimmungen insbesondere über Fremd­ kapitalbeteiligung und berufsfremde Mitgliedschaft entspricht und die dort handeln­ den Anwälte den Zulassungsbedingungen der Niederlassungsrichtlinie für Einzelan­ wälte gerecht werden.191 cc) Die Rolle des CCBE und der Bundesrechtsanwaltskammer bei der Schaffung EU-weiter Bewegungsfreiheit Die großzügige und relativ voraussetzungslose EU-weite Bewegungsfreiheit von frem­ den Kanzleien ist aus dem Gedanken der Marktfreiheiten vom Europäischen Ge­ richtshof geboren worden, der den Besonderheiten eines Rechtspflegeorgans bzw. ei­ nes „officers of the legal system“ kein wirklich grundsätzlicheres Gewicht einzuräumen gewillt war. Ursprünglich hatten die nationalen europäischen Anwaltschaften, die sich in Gestalt der CCBE eine gemeinsames Artikulationsinstrument geschaffen hatten, überwiegend eine deutliche Abneigung gegen ein Verständnis des anwaltlichen Berufs als Dienstleistung im Sinne der Marktfreiheiten der EU, sondern legten stärkere Be­ tonung auf ihre Stellung als Organ der Rechtpflege, um sich dann anfänglich mehr­ heitlich  – so auch die deutsche Delegation in der CCBE  – auf die Ausnahme von Marktfreiheiten für hoheitliche oder besser: hoheitlich stark regulierte Tätigkeiten zu berufen.192 Dieser Vorstellung bereitete der EuGH in der Entscheidung Reyners von 1977 ein jähes Ende, indem er den Rechtsanwalt wie andere freie Berufe als Dienstleis­ ter im Sinne der Marktfreiheiten der EG bzw. EU einordnete.193 Der EuGH hat dann 189 Hierzu Niederlassungsrichtlinie Art.  11, 12 und im deutschen Recht §  8 EuRAG sowie § 29a BRAO. 190 Dazu die berechtigte Kritik von Henssler AnwBl. 2018, 564 ff., 567 f., 568 f. und die Vor­ schläge der BRAK, Stellungnahme Nr. 15/2018 Mai 2018 zu § 8 EuRAG und §§ 59n und 59o BRAO neu. 191 Zur wiederum fragwürdigen Rechtssicherheit in Deutschland insbesondere Henssler ­AnwBl. 2018, 564  ff., 568  ff. sowie der Reformvorschlag der BRAK in Stellungnahme Nr. 15/2018 zu einem neuen § 8 Abs. 4 EuRAG. 192 Dazu eindrucksvoll H.-J. Hellwig, in: Berufsrecht und Berufsethik der Anwaltschaft in Deutschland und Europa. Ausgewählte Schriften von Hans-Jürgen Hellwig. Herausgege­ ben von Caspar Behme und Friedrich Graf von Westphalen, 2015, S. 124 ff. 193 EuGHE 1974, 631 ff. = NJW 1975, 513 ff., 515. Diese Linie hat der EuGH selbst in seiner Entscheidung zum Notariat durchgehalten, allerdings angesichts besonderer öffentlicher Aufgaben dieses freien Berufes in deutlich gemäßigterer Form.

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im Folgenden gerade in Fragen des gemeinsamen Anwaltsmarkts seinem Selbstver­ ständnis als Motor der Einigung unter dem Topos des „effet utile“194 in besonders mustergültiger Weise gerecht zu werden versucht195 – wenn man z.B. die E ­ ntscheidung zur Überprüfung der sprachlichen Fähigkeiten des europäischen Anwalts196 nüchtern betrachtet, bis hin zu einer etwas zweifelhaften Nachvollzieh­barkeit. Führende Vertre­ ter der deutschen Anwaltschaft haben sich dann innerhalb der CCBE197 und auch au­ ßerhalb durchaus für eine europäische Öffnung eingesetzt198 und waren auch vielfach selbst in diese Bewegung zur Öffnung inte­griert. Die CCBE hat seit 1977 in Konsulta­ tion mit der Kommission und mit starker Unterstützung durch wichtige Vertreter des politischen Einigungsprozesses, insbesondere Jean ­Monnet und Etienne Davignon, damit begonnen, einen eigenen Richtlinienvorschlag für ein europäisches anwaltli­ ches Niederlassungsrecht zu erarbeiten, der 1988 vorgelegt und 1992 verabschiedet werden konnte und den entsprechenden Kommissionsvorschlag von 1992 nicht voll prägen konnte, aber doch ganz wesentlich beeinflusste.199 Es ist deshalb durchaus zu­ treffend, wenn die Bundesrechtsanwaltskammer das geltende europäische Niederlas­ sungsrecht mit als Gemeinschaftswerk der europäischen Anwaltschaft betrachtet, als deren Teil sie mit ihren Vertretern neben dem DAV zur Entstehung beigetragen hat,200 mag es dabei auch interne Geburtswehen gegeben haben. dd) Verbleibende Differenzen als Schatten über dem freien Niederlassungsrecht Es sind zwei Umstände, die aus deutscher Sicht und auch aus Sicht der Bundesrechts­ anwaltskammer diesen Erfolg etwas trüben: einmal die bisher fehlende gesetzgeberi­ sche Vollendung des grenzüberschreitenden deutschen Berufsrechts, vor allem soweit es sich mit gesellschaftsrechtlichen Fragestellungen verquickt;201 zum anderen der 194 Zur Kritik an der Gesamtentwicklung der Rechtsprechung zu den Marktfreiheiten aus­ führlicher Stürner, Markt und Wettbewerb, S.  197  f.; grundsätzlich anderer Auffassung Henssler AnwBl. 1996, 353 ff., 354, der einen vollen Durchbruch zur Dienstleistungsfrei­ heit für Rechtsanwälte bereits damals durch restriktive Tendenzen in den Entscheidungen „Keck“ und „Hünermund“ – sie betreffen die Warenverkehrsfreiheit – mit gewissem Be­ dauern gefährdet sieht. 195 Hierzu der Nachweis aller wichtigen Entscheidungen bei Ahrens, Berufsrecht der Rechts­ anwälte, S. 290 ff., Rz. 992, S. 292 ff., Rz. 994 ff., S. 299 ff., Rz. 1016 ff.; S. 301 ff., Rz. 1021 ff., S. 305 ff., Rz. 1033 ff., 1045 ff. 196 EuGH NJW 2006, 3697. 197 Dazu nochmals Hellwig, Berufsrecht und Berufsethik, S. 124 ff. 198 Beispielhaft Rabe NJW 1995, 1403 f.; 1997, 2631 ff., 2632; Nirk NJW 1997, 2625 ff., 2630. 199 Zur Geschichte anwaltlicher Mitarbeit am Werden dieser Richtlinie darf nochmals auf Hellwig, Berufsrecht und Rechtsethik, 2015, S. 124 ff., verwiesen werden. 200 Für diese damalige und spätere Sicht z.B. Lörcher BRAK-Mitt. 1998, 9 ff.; ferner die Stel­ lungnahme der BRAK zur Evaluierung der Niederlassungsrichtlinie (77/249/EWG) und der Dienstleistungsrichtlinie (98/5/EG) für Rechtsanwälte vom August 2011, BRAK-Stel­ lungnahme-Nr. 49/2011, S. 3 unter 2. 201 Hierzu insbesondere die gesetzgeberischen Vorschläge zur Änderung und Ergänzung der BRAO in der Stellungnahme der BRAK Nr. 15/2018 vom Mai 2018; ferner auch das vom

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fortschwelende Konflikt der Bundesrechtsanwaltskammer und ihres Satzungsaus­ schusses mit der CCBE über die Integration des Code in die BORA.202 Beide Umstän­ de wurzeln in der Tatsache, dass sich das in der BORA zum Ausdruck kommende Berufsbild des Rechtsanwalts mit den Vorstellungen der übrigen in der CCBE vertre­ tenen europäischen Anwaltschaften nicht immer voll deckt und sich diese Divergenz in einzelnen Regeln durchaus widerspiegelt. Sowohl die romanischen Mitgliedstaaten der EU203 als auch England204 haben ein weniger dem Dienst an individueller Freiheit gewidmetes berufsrechtliches Grundverständnis als die gegenwärtige deutsche An­ waltschaft. Das englische und das US-amerikanische Lebensgefühl wurzelt zwar im Ausgangspunkt viel stärker in Freiheiten als dies in deutscher oder kontinentaler Tra­ dition der Fall ist, aber sein Pragmatismus hat sicherer als der Kontinent ertastet, dass freiheitlicher Individualismus zwar die notwendige und unabdingbare Grundbedin­ gung einer demokratischen Gesellschaft ist, aber andererseits ein die Gesellschaft zer­ fasernder Individualismus freiheitszerstörend wirkt, falls keine gesellschaftlichen Ordnungsfaktoren bestehen und kontinuierlich stabilisierend wirken, indem sie eine gemeinsame Willensbildung mitorganisieren und erst ermöglichen. Ein solcher stabi­ lisierender Ordnungsfaktor sind in den USA nicht nur politische Parteien und eine durchaus elitär geprägte lokale bürgerliche Selbstverwaltung, sondern auch die lokale Rechtsanwaltschaft, die ihren Einfluss auf das Rechtsleben nur durch ihre Sichtbarkeit als rechtswahrender Stand wahren und – nicht zu vergessen – die Richterschaft gene­ rieren kann. Wenn man Deutschland und die Deutschen als stark von richterlichen und vor allem verfassungsrichterlichen Rechtsregeln geprägte Gesellschaft bezeich­ nen kann („Richtergesellschaft“), so ist es nicht falsch, die USA als „Anwaltsgesell­ schaft“ zu charakterisieren, in der die Anwaltschaft das Rechtsleben weithin domi­ niert. Die Vorstellung vom Anwalt als „officer of the legal system“ oder „public citizen“, welche die MRPC etwas pathetisch beschwören, ist so besehen keine Phrase, sondern weithin Realität, aus der die Pflege eines dieser gesellschaftlichen Funktion gerecht werdenden berufsrechtlichen Regelwerkes folgt. Eine solche Anwaltschaft und die aus ihr hervorgegangene Richterschaft lassen sich die Entscheidung darüber nicht aus der Hand nehmen, wer bei ihnen als Anwalt tätig sein darf und soll. Recht ist in dieser Rechtskultur in gleichem Maße an agierende Personen gebunden wie an parla­ mentarische Gesetzgebung. Diese Unterschiede zur deutschen Rechtskultur erklären, was zunächst etwas widersprüchlich wirkt, nämlich die bürgerlichen Freiheiten und Marktfreiheiten als gesellschaftliche Basis und gleichzeitig eine Anwaltschaft, die sich nicht nur als Organ subjektiver Rechtwahrung unter Gewinnerzielung versteht, son­ dern auch als Organ der Gesamtgesellschaft. Niemand kann mit wohlerwogenen Ar­ DAV in Auftrag gegebene Gutachten von Henssler AnwBl. 2018, 564  ff. mit deutlichen inhaltlichen Kongruenzen. 202 Hierzu schon oben unter D. IV. 1 und der Beitrag von Singer unter B. III. 2. c. in diesem Band. 203 Hierzu für Frankreich und England wiederum Singer in diesem Band unter B. III. 2. c. mit einzelnen Beispielen, die diesen Schluss zulassen. 204 Hellwig, Bitburger Gespräche 2008, S. 163 ff., 169/170, erkennt eine gewisse Überlegenheit des englischen anwaltlichen Berufsrechts und erwähnt unter anderem seine aus dem ­Empire überlieferte strategische kaufmännische Ausrichtung, seinen Pragmatismus und seine geringere System- und Prinzipienorientierung.

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gumenten der deutschen Anwaltschaft und dem deutschen Gesetzgeber den Rat zur Imitation geben, aber vielleicht doch den Rat, den Dienst am Individuum nicht zum allein maßgeblichen Maßstab anwaltlichen beruflichen Wirkens zu erheben. 3. Zulassung fremder Anwälte aus nicht zu den USA bzw. nicht zur EU gehörenden Staaten a) Freundliche Zurückhaltung der US-Einzelstaaten bei aufkommenden Erleichterungen Bei der Zulassung fremder Anwälte aus nicht zu den USA gehörenden Territorien begegnet durchaus verstärkt die gleiche Zurückhaltung, die schon innerhalb der USA prägend ist. Die großzügigere Lösung einiger Staaten besteht darin, die fremde Uni­ versitätsausbildung anzuerkennen, aber ein zusätzliches einjähriges LLM-Studium zu verlangen, dessen erfolgreicher Abschluss zur Teilnahme am Bar Exam berechtigt;205 eine Zulassung ohne Prüfung wird teilweise vorzüglich fremden Anwälten aus com­ mon law countries unter zusätzlichen qualifizierenden Voraussetzungen (etwa ausrei­ chende Praxiszeit, Gegenseitigkeit etc.) zugestanden.206 Andere Staaten haben höhere Hürden, die eine Zulassung recht unattraktiv erscheinen lassen: Anerkennung eines Studiums in fremdem Land als gleichwertig, Zulassung als Anwalt in diesem Land oder in einem anderen US-Staat und dreijährige Praxis als Anwalt, Bestehen des Bar Exam im US-Staat der begehrten Zulassung.207 Die Zulassung von fremden law firms in den USA als professional company hängt davon ab, dass ihre Gesellschaftsform in dem Einzelstaat der USA anerkennungsfähig ist, wobei das state law vor allem durch Vorgaben der Bundesverfassung und im Verhältnis zu Deutschland und vielen ande­ ren Staaten durch Freundschaftsverträge mit einer Inländer-Gleichbehandlungsklau­ sel überlagert wird,208 und die law firm im Übrigen die bereits erörterten Anforderun­ gen des einzelstaatlichen Rechts an die Zulassung als professional law company zu erfüllen hat.209 Für deutsche Anwaltsgesellschaften bedeutet dies, dass sie zuzulassen sind, soweit sie selbst und ihre dort für sie handelnden Personen persönlich die ein­ zelstaatlichen Voraussetzungen anwaltlicher Tätigkeit erfüllen. Gängig ist auch ge­ genüber fremden Anwälten aus nicht US-Staaten die bereits für den Anwalt eines anderen US-Einzelstaates beschriebene Zulassung pro hac vice.210 Eine etwas neuere, abweichende Form des Entgegenkommens gegenüber ausländischen Anwälten mit wachsender Akzeptanz in den Einzelstaaten ist der bei der Bar registrierte foreign legal consultant, der nicht vor Gericht und Behörden für seinen Mandanten auftreten 205 Wichtigstes und für die Europäer attraktivstes Beispiel ist New York (Rules of the Court of Appeals Part 520, §§  520.2, 520.6); ähnlich etwa California (insbesondere Rules of the State Bar of California Rule 4.30 (B)) oder der Washington D.C. (insbesondere D.C. Bar Rules Rule 46 (c) (4). 206 Hierzu beispielsweise New York Rules of the Court of Appeals Part 520 § 520.10. 207 In diesem Sinne etwa Maine Bar Admission Rules Rule 10 (b) (4). 208 Hierzu generell und statt vieler Hay, US-Amerikanisches Recht, 5.  Aufl. 2011, Rz.  233, 609-611. 209 Am Beispiel des New Yorker Rechts oben unter D. IV. 2. b). 210 Dazu oben unter D. IV. 2. b).

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und nicht über US-amerikanisches Recht beraten darf, sondern nur über das Recht des Staates, in dem er als Anwalt zugelassen ist.211 b) Deutliche deutsche Zurückhaltung mit entsprechenden Verwerfungen Es bedarf keiner breiten Ausführungen, um klarzustellen, dass das deutsche Recht bei Zulassung US-amerikanischer Bewerber nicht großzügiger verfährt als die US-Ein­ zelstaaten, wenn es Rechtsanwälten der WTO-Staaten und damit auch US-amerika­ nischen Rechtsanwälten in § 206 Abs. 1 BRAO die Stellung eines foreign legal consul­ tant einräumt, der zwar im amerikanischen Recht und Völkerrecht beraten darf, aber auch insoweit nicht postulationsfähig ist und nicht vor Gericht auftreten kann.212 Nachdem das US-amerikanische Universitätsexamen nicht ganz oder teilweise aner­ kannt werden kann – § 112a DRiG erlaubt nur die Anerkennung von Abschlüssen in Universitäten im Bereich der EU –, stellt das US-Recht Bewerber aus Europa insge­ samt eher besser als deutsches Recht im umgekehrten Falle, weil doch einige US-Staa­ ten nicht wenige Erleichterungen gewähren. Im Ergebnis führt dies nach einem Brexit dazu, dass zwar Examen aus Malta oder Irland wie bisher auch aus Großbritannien ganz oder teilweise anerkannt werden, hingegen nicht Examen aus USA, und dass es für US-amerikanische Anwälte keinerlei Möglichkeit einer erleichterten Zulassung geben wird, allenfalls vielleicht auf dem Umweg über in der EU verbliebene Common Law Staaten. Vor dem Maßstab objektiver und realer Gleichwertigkeit der Ausbildung wirkt es schon etwas befremdlich, wenn best ausgebildete Juristen aus den USA keine auch nur teilweise Anerkennungschance haben und wegen der innerhalb der EU gel­ tenden Gleichwertigkeitsthese jeder Anwalt aus jedwedem EU-Staat praktisch blind zugelassen wird. Einmal mehr vermag bei kritischer Beobachtung das zur Ideologie erstarkte Gleichwertigkeits- und Freizügigkeitspostulat in seiner Undifferenziertheit durchaus unangenehm ins Auge zu fallen. Die großen US-Law Firms werden sich daran schwerlich stören, weil sie durch deutsche oder europäische Rechtsanwälte in zulässiger Form ausreichend repräsentiert sein werden. 4. Zulassungsschranken bei bestimmten Gerichten: Vertikale Zulassungsschranken a) Singularzulassungen bei höheren Gerichten und die Bundesrechtsanwaltskammer In Deutschland sind neben den horizontalen Zulassungsschranken auch praktisch alle vertikalen Zulassungsschranken mit nur einer Ausnahme gefallen, nämlich der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft beim Bundesgerichtshof. In der Entscheidung des 211 Dazu beispielsweise New York Rules of the Court of Appeals Part 520 §§ 521.3 und 521.4; California Rules of Court Rule 9.44 und Rules of the State Bar of California Rule 3.400 ff.; ähnlich z.B. Massachusetts Supreme Judicial Court Rules Rule 3.05; Rules Governing Ad­ mission to the Bar of Texas Rule 14. 212 Hierzu Feuerich/Weyland/Schwärzer, BRAO § 206 Rz. 6a unter Hinweis auf OLG Karlsru­ he BeckRS 2013, 07637 und BGH BeckRS 2013, 07633. 

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BVerfG zur Verfassungswidrigkeit der Singularzulassung bei Oberlandesgerichten (§ 25 BRAO a.F.), die gerade bei zeitlich versetzter Lektüre eine deutliche Tendenz des Gerichts zu einer Ersatzgesetzgebung sichtbar werden lässt, hat sich die Bundes­ rechtsanwaltskammer wie alle um Stellungnahme gebetenen sachlich befassten In­ stitutionen der deutschen Rechtslandschaft (Bundesregierung, Niedersachsen, Präsi­ dent des OLG Hamm, DAV, Verein der beim OLG zugelassenen Rechtsanwälte) letztlich aus Qualitätsgründen für den Erhalt der Singularzulassung ausgesprochen.213 Das BVerfG nahm die zu dieser Zeit in dieser Frage recht bunte gesamtdeutsche Landschaft und die europäische Entwicklung zur anwaltlichen Freizügigkeit zum An­ lass einer nach seiner Auffassung von Art. 12 GG verfassungsmäßig gebotenen Flur­ bereinigung und erklärte die Singularzulassung beim OLG schlicht allgemein für un­ wirksam, also wohl auch für den Fall ihrer gleichmäßigen Verwirklichung in allen Bundesländern. Der Gesetzgeber hat dann die Singularzulassung ebenso aufgegeben wie später die Simultanzulassung erst nach fünf Jahren erstinstanzlicher Tätigkeit (§ 226 Abs. 2 BRAO a.F.)214 und damit die voraussetzungslose Simultanzulassung ein­ geführt – ein insgesamt holpriger Weg durch die Wirrnis einer unklaren rechtlichen Gemengelage und mannigfacher kollidierender Interessen. Hingegen blieb die Singu­ larzulassung zum BGH erhalten,215 im Endeffekt aber wohl nur auf der Basis einer Betonung der Gemeinwohlfunktion der Anwaltschaft beim BGH als Rechtspflegeor­ gan,216 die mit der allgemeinen Aufgabenbeschreibung in § 1 BORA als Dienstleister zur Verwirklichung subjektiver Individualrechte nicht ohne Weiteres harmoniert. Droht gerade deshalb Gefahr? Vielleicht schon. Die Bundesrechtsanwaltskammer hatte keine Gelegenheit, sich in den in diesem Jahrhundert entschiedenen Nichtan­ nahmeverfahren des BVerfG offiziell zu äußern, und innerhalb der regionalen Rechts­ anwaltskammern hat die letzte Runde der Entscheidungen doch zu einer erneuten gewissen Unruhe geführt, die Singularzulassung war auf der Tagesordnung der Hauptversammlung der Bundesrechtsanwaltskammer am 14.9.2017,217 zur Behand­ lung dieses Fragenkreises wurde ein Ausschuss gebildet. Er entwickelte zwei von der Hauptversammlung am 14.9.2018 als diskussionswürdig akzeptierte Alternativ­ modelle, nämlich das Modell einer Fachanwaltschaft für Revisionssachen unter Ab­ 213 BVerfGE 103, 1 ff., 7 ff.; kritisch zur Abschaffung insbesondere Ahrens ZZP115 (2002), 279 ff., 291 ff. 214 Dazu das Gesetz vom 26.3.2007, BGBl. I, S. 358 mit der noch heute gültigen Fassung des § 78 ZPO und das Gesetz vom 30.7.2009, BGBl. I, S. 249 mit der förmlichen Aufhebung des § 226 BRAO. 215 Das BVerfG entschied in überraschend gnädiger Tonlage durch Nichtannahmebeschluss bei Beurteilung einer doch sehr einschneidenden Berufsausübungsregelung inmitten ei­ ner europäischen Freizügigkeits- und Deregulierungsbewegung, es sehe „derzeit“ in die­ ser Singularzulassung keine Verletzung des Art. 12 GG ( BVerfGE 106, 216 ff.); ähnlich ­BVerfG NJW 2008, 1293 ff. (Kammerentscheidung) und später BGH, Urteil vom 2.5.2016, AnwZ 1/114 sowie bestätigend BVerfG, 13.6.2017, 1 BvR 1370/16 (Nichtannahmebe­ schluss der 1. Kammer). 216 Hierzu und zur Entwicklung in den europäischen Nachbarstaaten Stürner, Festschrift 200 Jahre Carl Heymanns Verlag, 2015, S. 137 ff. 217 Dazu der Bericht der RAK Berlin vom 18.9.2017 über die Initiative der RAK Berlin und der RAK Düsseldorf auf der Website der RAK Berlin.

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schaffung der Singularzulassung beim BGH und das Modell fortbestehender Singu­ larzulassung mit einem von der BRAK in Selbstverwaltung zu organisierenden Zulassungsverfahren ohne Mitwirkung des BMJV und der BGH-Richterschaft. Es sind sehr alte Frontstellungen zwischen puristischen Deregulierungsgläubigen und eher gemäßigten Vertretern einer ausgewogenen Regulierung.218 Die Bundesrechts­ anwaltskammer, die sich in ihrer öffentlichen Berichterstattung Zurückhaltung auf­ erlegte,219 hat sich in ihrer Hauptversammlung am 9./10.5.2019 für das Modell fort­ bestehender Singularzulassung mit einem von der BRAK in Selbstverwaltung organisiertem Zulassungsverfahren entschieden. Am Ende könnte die Durchset­ zungsfähigkeit des an einer spezialisierten Anwaltschaft interessierten BGH auf Dau­ er über das Schicksal der letzten Bastion vertikaler Regulierung entscheiden, falls der Gesetzgeber sich überhaupt zu einer wesentlichen Änderung entschließen sollte, nachdem jeder stärkere Eingriff sich auf die Funktionsfähigkeit des derzeitigen Revi­ sionsverfahrens auch negativ auswirken könnte. b) Besondere Zulassungsvoraussetzungen als Qualitätsschwelle bei bestimmten US-Gerichten Die USA kennen zwar keine Formen der Singularzulassung zu bestimmten Gerich­ ten, wohl aber die maßvollere Form einer Qualitätsschwelle in Gestalt besonderer Zulassungsvoraussetzungen. Dies gilt – eher allgemein bekannt – zunächst einmal für den US-Supreme Court, bei dem grundsätzlich nur Anwälte zugelassen sind, die schon drei Jahre beim höchsten Gericht eines Einzelstaates bzw. Washington D.C. oder eines Commonwealth-Staates zugelassen waren,220 im übrigen ist nur eine Mit­ wirkung bei der Prozessvertretung durch einen zugelassenen Anwalt im Rahmen ei­ ner pro-hac-vice-admission möglich.221 Ob man die Federal District Courts oder die Federal Courts of Appeal im Zusammenhang mit der Zulassung von Anwälten in die Gruppe vertikaler oder horizontaler Beschränkung einreihen soll, erscheint etwas zweifelhaft, weil diese Gerichte einerseits nach ihrem Ansehen im allgemeinen höher stehen als die state courts, andererseits es sich aber um zwei parallel laufende volle Gerichtshierarchien handelt und nur der US-Supreme Court in der Hierarchie über state und federal courts steht. Vieles spricht allerdings dafür, die Federal Courts bei der Frage nach existierenden besonderen Zulassungsvoraussetzungen zusammen zu behandeln. Bei den Federal Courts of Appeal liegen die Dinge relativ einfach: Zuge­ lassen ist, wer vor dem US-Supreme Court auftreten kann, vor dem höchsten Gericht eines Einzelstaates oder vor einem anderen Federal Court of Appeal oder einem 218 Angriffslustig schon früher Kleine-Cosack NJW 2007, 1142; Römermann ZRP 2007, 207; Mollnau Dispute Resolution vom 27.6.2017; ferner etwas reißerisch Pia Lorenz Legal ­Tribune Online vom 30.8.2018; zur Gegenposition insbesondere Nirk NJW 2007, 3184 und ZRP 2007, 207; Siegmann Dispute Resolution vom 27.6.2017; Stürner, Festschrift Carl Heymanns Verlag, 2015, S. 137 ff. 219 In den BRAK-Mitt. fand die neuere Auseinandersetzung bisher eher geringe Resonanz: Die BRAK beschränkte sich auf kurze Mitteilungen bzw. Berichte (z.B. auf der Website der BRAK 2016 unter Mitteilungen; ferner Dahns/Bauer BRAK 2017, 61 ff., 66. 220 Rules of the Supreme Court of the United States 2017, Rule 5. 221 Rules of the US-Supreme Court Rule 6: Argument Pro Hac Vice.

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­ ederal District Court, also faktisch eine umfassende Simultanzulassung.222 Ganz an­ F ders aber ist das Bild bei den 94 Federal District Courts.223 Sie können durch Be­ schluss der Mehrheit ihrer Richter auch Regeln für die Zulassung zu ihrer Bar erlassen224. 56 District Courts machten von diesen Beschränkungsmöglichkeiten kei­ nen Gebrauch, ihnen reicht die Zulassung unter den auch für Federal Courts of ­Appeal geltenden Regeln. Hingegen führten 38 District Courts Reziprozitätsvoraus­ setzungen ein, die an das state law eines Staates anknüpfen, unter dem der Antragstel­ ler bereits eine Zulassung hat, wobei das maßgebliche state law für diese Zulassung(en) von unterschiedlichsten Kriterien abhängen kann (Hauptsitz der Kanzlei, Zulassung in einem oder mehreren Staaten, Zulassung bei irgend einem anderen Federal Dis­ trict Court, etc., kumulierte Kriterien).225 Diese Regelung erfuhr wegen des mit ihr verbundenen Verlusts an Mobilität zwar starke Kritik der ABA, die aber bisher nicht viel bewirkt hat. c) Vergleichende Bemerkungen Bei vertikalen Zulassungsschranken zeigen sich die USA insgesamt etwas liberaler als Deutschland, wenn man einmal vom Durchschlagen horizontaler Beschränkung bei nicht wenigen Federal District Courts absieht. Man muss allerdings sehen, dass diese Liberalität nicht zuletzt mit dem fehlenden Anwaltszwang zusammenhängt, denn man kann dem Bürger schlecht die freie Wahl zwischen Selbstvertretung und anwalt­ licher Vertretung überlassen, ohne ihm dann auch die freie Wahl des Anwalts zu­ zugestehen.226 Wenn man umgekehrt wie das deutsche Recht die Selbstvertretung ablehnt, ist es nicht voll überzeugend, im Kampf gegen die Singularzulassung bei höchsten Gerichten zu argumentieren, der Bürger könne doch über die Qualität des Anwalts selbst entscheiden. Dann müsste er auch darüber entscheiden können, ob er den Prozess nicht lieber ganz selbst führt, weil sich ein Anwalt aus seiner Sicht für den Fall nicht lohnt. Insoweit erscheinen die US-Amerikaner konsequent, falls man ihren Ausgangspunkt vom mündigen Bürger, der sich selbst vertritt, nicht von vorneherein für fragwürdig hält.

222 Federal Rules of Appelate Procedure Rule 46.  223 Ausführlich Okray, The Federal Lawyer 2016, 41 ff. 224 Federal Rules of Civil Procedure Rule 83. 225 Man kann sich den Grund für solche Abgrenzungsversuche nur klar machen, wenn man sich vor Augen führt, dass Federal Courts ihre Zuständigkeit oft aus der diversity of citizen­ ship jurisdiction herleiten, dabei häufig state law cases entscheiden und sich deshalb dem Recht des Einzelstaates und seiner Bar durchaus verbunden fühlen; zum Federal District Court als Gericht des state law ausführlicher Stürner/Bormann JZ 2000, 81 ff., 83 ff. 226 Zum Recht auf Selbstvertretung für natürliche Personen (grundsätzlich nicht für corpora­ tions) in den USA Hazard/Leubsdorf/Bassett, Civil Procedure, 6. Aufl. 2011, § 1.3, S. 8/9; zur fragwürdigen Rechtfertigung des Anwaltszwanges Stürner JZ 1986, 1089 ff.

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5. Rechtsanwaltsgesellschaften und Drittbeteiligung a) Parallelentwicklung zur freien Wahl der Gesellschaftsform Die gemeinschaftliche Entwicklung in den USA und in Deutschland geht dahin, ne­ ben partnerships bzw. Personengesellschaften auch professional corporations bzw. Kapitalgesellschaften als Berufsausübungsgesellschaften zuzulassen.227 Die deutsche Zurückhaltung mag teilweise aus dem Gefühl entstanden sein, man könne durch Festhalten an personaler gesellschaftsrechtlicher Struktur das anwaltliche Berufsrecht mit seiner durchaus personalen Anknüpfung besser erhalten und durchsetzen. Ange­ sichts einer Entwicklung des Gesellschaftsrechts, die Formen des Typenzwangs letzt­ lich nur noch sehr eingeschränkt kennt und sowohl Personengesellschaften mit kapi­ talistischer Struktur als auch personal strukturierte Kapitalgesellschaften zulässt und sich dabei  – abgesegnet durch die Rechtsprechung  – oft von steuerlichen Folgeer­ wägungen oder aber auch sehr spezifischen individuellen Gestaltungsbedürfnissen leiten lässt, ist aber zunehmend deutlich geworden, dass ein die gesellschaftsrechtli­ che Gestaltung überwölbendes anwaltliches Berufsrecht die maßgeblichen Entschei­ dungen unabhängig vom Gesellschaftsrecht durchzusetzen vermag, so es denn tat­ sächlich richtig eingesetzt wird. Dies wird etwa deutlich, wenn in den USA unabhän­ gig von der Gesellschaftsform einer Law Firm ihren anwaltlichen Mitgliedern die berufsrechtliche Pflicht auferlegt wird, über die Einhaltung berufsrechtlicher Pflich­ ten durch andere Mitglieder der Law Firm zu wachen228 oder wenn  – etwas abge­ schwächt – ähnliches in § 33 Abs. 2 BORA gefordert und im Entwurf des DAV vorge­ schlagen wird. 229 Aus dem Kanon beruflicher Pflichten sollen in diesem Abschnitt die Mitgliedschaft anderer Berufsgruppen in Berufsausübungsgesellschaften und Fremd­ kapitalbeteiligung vergleichend erörtert werden. b) Die konservative US-amerikanische Grundtendenz gegenüber Formen der Fremdbeteiligung Im US-amerikanischen Berufsrecht gilt grundsätzlich ganz überwiegend ein Verbot der mitgliedschaftlichen Beteiligung fremder Berufe an rechtsanwaltlichen Berufs­ ausübungsgesellschaften. Dies entspricht der Regelung der MRPC230 und der Rege­ 227 Zu dieser gemeinsamen Entwicklungslinie, die in Deutschland allerdings erst Jahrzehnte nach den USA einsetzte, statt vieler Henssler AnwBl. 2002, 557 ff., 563 ff. und Henssler, DAV-Diskussionsvorschlag zum anwaltlichen Gesellschaftsrecht, AnwBl. Online 2018, 564 ff., 566 ff. und der Vorschlag zu § 59a BRAO neu S. 570 f.; etwas zurückhaltender, aber überwiegend gleich insoweit der Vorschlag der BRAK Stellungnahme Nr. 15/2018 (Mai) §§ 59c und 59n BRAO neu, wenngleich ohne Mut zu einem voll neu geordneten gesetzge­ berischen Wurf und deshalb etwas unübersichtlich und von zweifelhafter gesetzgeberi­ schen Ästhetik. 228 Dazu Rule 5.1 und 5.2 Model Rules of Professional Conduct; dementsprechend New York Rules of Professional Conduct Rule 5.1. 229 Henssler DAV-Vorschlag AnwBl. Online 2018, 564 ff., 572 zu § 59j S. 572; soweit ersicht­ lich findet dieser Vorschlag im Entwurf der BRAK keine Entsprechung. 230 Rule 5.4 (a), (b) and (c).

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lung fast aller Einzelstaaten231 und soll die Unabhängigkeit der Rechtsanwaltschaft von berufsfremden Einflüssen schützen. Nur extrem selten begegnen wie in Washing­ ton D.C.232 Regelungen, die multidisciplinary law firms zulassen unter der Bedin­ gung, dass Kautelen gegen die Beeinträchtigung der Unabhängigkeit der Anwälte oder die Dominanz fremder Berufe bestehen. Dies bedeutet nicht, dass es keine hefti­ gen Diskussionen über eine Übernahme multidisziplinärer Modelle vor allem aus England, Australien oder Kontinentaleuropa gegeben hätte und noch gibt, die vor allem der Wettbewerbsbenachteiligung für US-amerikanische law firms im weltwei­ ten lawyering market gelten.233 Nach der Liberalisierung der Berufsregeln in Was­ hington D.C. waren es sofort weltweit agierende Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, die Interesse an multidiscplinary law firms auch in USA zeigten.234 Gleichwohl hat die ABA bis in die jüngste Zeit auf entsprechende Forderungen nach einer Lockerung des bisherigen strengen Fremdbeteiligungsverbotes nicht positiv reagiert und fast alle ­state bars sind ihr darin gefolgt. Dies mag einige Gründe haben: Einmal die Furcht weltweit agierender großer Wirtschaftskanzleien vor einer verstärkten Oligopolisie­ rung des Rechtsberatungsmarktes unter der Dominanz der „Big 4“ accounting firms, die den Markt der Wirtschaftsprüfung von weltweit tätigen Unternehmen der Real­ wirtschaft und des Finanzbereichs bereits unter sich aufgeteilt haben und mit ihrer Finanzkraft durch vermehrte Gründung ihr nahestehender Law Firms mit Fremd­ beteiligung auch den Rechtsberatungsmarkt dominieren könnten. Zum anderen die Befürchtung der Bars, mit der Öffnung für andere Beratungsberufe ihr weitreichen­ des und in dieser Form einmaliges attorney-client privilege der Gefahr einer Schwä­ chung auszusetzen und allgemein ihren eigenen rechtspolitischen Einfluss auf Dauer zu schwächen. Schließlich das Verharren in der Tradition voller Unabhängigkeit von „rechtsfremden“ Einflüssen verbunden mit dem Willen, schon den Anfängen zu weh­ ren, und nicht zuletzt auch der Einfluss der Supreme Courts der Einzelstaaten auf die Gestaltung des anwaltlichen Berufsrechts. Endlich aber ist in der Diskussion sichtbar geworden, dass in den Augen beträchtlicher Teile der Anwaltschaft die Möglichkeit der Anstellung von Fachkräften aus anderen Berufen für fachfremde Beratung ebenso ausreicht wie die Möglichkeit eines vertraglichen Beratungsverbundes mit Profes­ 231 Hierzu die Rules of Professional Conduct Rule 5.4 (a) und (b) in folgenden wichtigen Einzelstaaten: California (Stand 1/2018); Delaware (Stand 1/2010); Florida (Stand 12/2018); Illinois (Stand 2009); Maine (Stand 1/2009); Massachusetts (Stand 1/1016); New Jersey (Stand 1/2018); New York (Stand 1/2017); Texas (Stand 1/2018). 232 Dazu die Rules of Professional Conduct of the D.C. Bar Rule 5.4 (a) (4) und (b). 233 Dazu die von der ABA Commission on the Future of Legal Services durchgeführte Unter­ suchung über Alternative Business Structures (ABS) vom 8.4.2016, die mit einem deutli­ chen Votum für ein Umdenken endet, aber betont, dass dies bisher nicht die Auffassung des House of Delegates oder der Board of Governors of the American Bar Association sei; ferner die Umfrage des Center for Professional Responsibility – Commission on Multidis­ ciplinary Practice October 2011 mit einem Überblick über den recht unterschiedlichen Meinungsstand der einzelnen Bars, aber doch einem deutlichen Übergewicht der für eine Liberalisierung eintretenden Bars. 234 Dazu der Bericht im ABA Journal vom 21.9.2017 „PwC to open US law firm, a sign of increasing focus on legal operations by Big 4 accounting firms“. Allerdings unterliegen die accounting firms immer noch den Beschränkungen des Sarbanes-Oxley Act von 2001.

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sional Corporations anderer hilfreicher Branchen verbunden mit der Möglichkeit, sich durch Ausgründungen im Ausland der dortigen Wettbewerbs- und Konkurrenz­ situation anzupassen. So hatte der Widerstand gegen Fremdbeteiligung trotz anderer Entwicklungen in einigen Staaten des common law und innerhalb der EU bis jetzt Bestand, wobei eine Prognose für die Zukunft schwer zu geben ist. Neben dem Verbot der Fremdbeteiligung durch Mitgliedschaft in professional part­ nerships oder corporations besteht ein allgemeines Verbot rein kapitalmäßiger Fremdbeteiligung durch Nichtanwälte und berufsfremder Unternehmensführung.235 Interessanterweise ist auch in Washington D.C. dieses Verbot einer von erlaub­ ter Fremdmitgliedschaft unabhängigen Beteiligung aufrechterhalten.236 Die erlaubte Fremdbeteiligung durch Anwälte bzw. Anwaltsgesellschaften gestattet die Bildung mehrstöckiger law firms. c) Die deutsche Entwicklung aa) Der bisherige Gang gesetzgeberischer Entwicklung Die deutsche Entwicklung der interprofessionellen Zusammenarbeit erfolgte auf der Basis des BGB-Gesellschaftsrechts und erreichte am Ende des 20. Jahrhunderts 1994 einen gewissen Abschluss, als der Gesetzgeber in § 59a BRAO die vorausgehende Pra­ xis legitimierte, die von einer zulässigen Zusammenarbeit mit rechtsnahen Berufen wie Steuerberatern, Steuerbevollmächtigten, Patentanwälten sowie – anders als in den USA – Wirtschaftsprüfern und vereidigten Buchprüfern ausging. Vor allem die Zu­ sammenarbeit mit Wirtschaftsprüfern war in Deutschland in längerer Tradition tole­ riert, obwohl sie in Europa nie ganz unumstritten war und einige europäische Staaten die puristische Grundhaltung der USA teilten. Deshalb hatte der EuGH im Jahre 2002 über die europarechtliche Vereinbarkeit des niederländischen Verbots einer gemein­ samen Berufsausübung zu entscheiden. Der EuGH betrachtete aber die Regelung in­ terprofessioneller Zusammenarbeit zumindest weithin als Sache der Mitgliedstaa­ ten237 mit der Folge, dass die weitere Rechtsentwicklung auf diesem Gebiet nicht grundsätzlich durch die Oberhoheit des EuGH und seinem Verständnis der unions­ rechtlichen Marktfreiheiten determiniert war, sondern seine Gestaltung dem deut­ schen Gesetzgeber und seiner Kontrolle durch das BVerfG weithin überlassen blieb. In Deutschland fiel 1968 das Verbot der Sozietät mit Steuerberatern,238 und später erklärten die Standesrichtlinien auch die Sozietät mit Patentanwälten für zulässig. Im Rahmen der Diskussion um die Zulässigkeit anwaltlicher Kapitalgesellschaften ver­ suchte der deutsche Gesetzgeber, wie dies auch der parallelen US-amerikanischen 235 Hierzu MRPC Rule 5.4(d); ferner beispielsweise Rule 5.4 (d) der Rules of Conduct in ­California, Delaware, Illinois, Maine, Massachusetts, New Jersey, Oregon, Texas oder Rule 4,5,4 (e) in Florida. 236 Hierzu Rules of Professional Conduct Rule 5.4 (a) (4) iVm 5.4 (b). 237 Hierzu EuGH NJW 2002, 877  ff., ferner Feuerich/Weyland/Brüggemann, BRAO, §  59a Rz. 53; zum Verfahren Lörcher/Eichele BRAK-Mitt. 2001, 218 und Weil BRAK-Mitt. 2002, 50. 238 BGHZ 49, 244.

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Diskussion entsprach, die Dominanz der Rechtsanwälte in kapitalgesellschaftlich or­ ganisierten interprofessionellen Berufsausübungsgesellschaften dadurch zu wahren, dass er für die Rechtsanwälte eine obligatorische Mehrheit für Anteile und Stimm­ rechte vorsah (§ 59e Abs. 2 Satz 1 BRAO a.F.) und eine verantwortliche sowie mehr­ heitliche Geschäftsführung durch Rechtsanwälte vorschrieb (§ 59f Abs. 1 BRAO a.F.). Nicht Gesetz wurde ein im Entwurf des § 59a BRAO vorgesehener Abs. 4, der eine gemeinsame Berufsausübung mit Angehörigen „vereinbarer“ Berufe vorsah und da­ bei auf Vorstellungen der Regelung zum Nebenberufsrecht der Anwälte in §§ 7 Nr. 8, 14 Abs. 2 Nr. 8 BRAO zurückgriff239 mit der These, wen eine Tätigkeit vom Anwalt selbst als Nebenberuf ausgeübt werden könne, müsse auch eine Zusammenarbeit mit Angehörigen solcher Berufe möglich sein.240 bb) Die Kontrolle durch das BVerfG Das BVerfG hatte in einer ersten Entscheidung darüber zu befinden, ob die gesetz­ lichen Anforderungen an eine Gesellschaft aus Rechtsanwälten und Patentanwäl­ ten  gerechtfertigt seien.241 Dazu befragte es das Bundesjustizministerium und die Bundesrechtsanwaltskammer, ob es Erfahrungen zu berufsrechtlichen Interessen­ konflikten zwischen Patentanwälten und Rechtsanwälten gebe, die auf nicht rechtsan­ waltlicher Leitungsmacht beruhten. Das BJM verneinte dies ebenso wie die Bundes­ rechtsanwaltskammer, wobei die Bundesrechtsanwaltskammer noch darlegte, dass es nach Erhebungen der Patentanwaltskammer 13 Patentanwaltsgesellschaften gebe, wobei keine eine Doppelzulassung beantragt habe und nur in weniger als der Hälfte auch Rechtsanwälte tätig seien. Bundesrechtsanwaltskammer und DAV gingen in ih­ ren Stellungnahmen allerdings davon aus, dass die Regelung im Rahmen des gesetz­ geberische Gestaltungsspielraums liege und weder Art. 12 GG noch Art. 3 GG verletzt seien, obwohl es für interprofessionelle Personengesellschaften keine entsprechenden Regeln gibt und gab.242 Das BVerfG stützt seine Entscheidung, wegen Verfassungs­ widrigkeit der §§ 59e Abs. 2 Satz 1, 59f Abs. 1 BRAO den Verfassungsbeschwerden überwiegend stattzugeben, auf hauptsächlich zwei Argumente, die bei einer Überprü­ fung der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in die Berufsfreiheit des Art.  12 GG zu einem für die Beschwerdeführer günstigen Ergebnis führen müssten.243 Einmal sei die gesetzlich geforderte Unabhängigkeit der Anwälte als Organ der Rechtspflege schon dadurch ausreichend geschützt, dass das Berufsrecht beider Berufe zur Wah­ rung anwaltlicher Unabhängigkeit verpflichte. Zum anderen seien die in den ange­ 239 BVerfGE 87, 287 hatte eine auf die vorausgehende Regelung (§ 7 Nr. 8 BRAO a.F.) gestütz­ te Praxis für verfassungswidrig erklärt, die auf Vermittlung einer gehobenen Position, die fehlende kaufmännisch-erwerbswirtschaftliche Ausrichtung oder die Weisungsabhängig­ keit von einem nicht dem anwaltlichen Berufsrecht unterliegenden Arbeitgeber und die Vereinbarkeit mit dem Ansehen der Anwaltschaft abgehoben hatte; zum heutigen Diskus­ sionsstand des anwaltlichen Zweitberufsrechts Kleine-Cosack NJW 2018, 3273 mit weite­ ren Liberalisierungsvorschlägen, die auf Selbstverpflichtungen abheben. 240 Zur Gesetzgebungsgeschichte BVerfGE 141, 82 Rz. 7-10. 241 BVerfGE 135, 90 ff. 242 Zu den Ausführungen des BJM, der BRAK und des DAV BVerfGE 135, 90 ff., Rz. 38-42. 243 BVerfGE 135, 90 Rz. 73 ff.

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griffenen Vorschriften verordneten Maßnahmen auch deshalb nicht erforderlich, weil im Bereich des Personengesellschaftsrechts trotz der auch dort bestehenden Möglich­ keit gleicher rechtlicher Gestaltung solche Regelungen fehlten und berufsrechtliche Verstöße deshalb ebenso wenig sichtbar geworden seien wie bisher bei den bereits existierenden Kapitalgesellschaften. Im Kern leugnet also das BVerfG negative Folgen eines Kapitalübergewichts oder hierarchisierender Weisungsbefugnisse für das pflicht­ gemäße Verhalten der einzelnen Rechtsanwälte. Dies erscheint dann gerade noch ge­ rechtfertigt, wenn man wie bei Rechtsanwälten und Patentanwälten von einem weit­ gehenden Interessengleichlauf beider betroffenen Berufsgruppen ausgehen kann und Machtkämpfe wegen Interessenkonflikten schwer denkbar erscheinen. Überdehnen sollte man dieses Argument aber vielleicht doch nicht. Dies zeigt der zweite Fall, in dem das BVerfG seine Rechtsprechung auf andere freie Berufe wie Arzt und Apotheker ausdehnte.244 Das BVerfG hat auf Vorlage des BGH § 59a Abs. 1 Satz 1 BRAO insoweit für verfassungswidrig erklärt,245 als eine Sozietät mit Ärzten und Apothekern durch diese Norm verboten sei und dabei ausdrücklich festgestellt, dass über die Verfassungswidrigkeit des Verbots eines Zusammenschlus­ ses mit anderen Berufen nicht entschieden sei. Die Entscheidung folgt recht konse­ quent dem Argumentationsstrang der ersten Entscheidung und hebt stark darauf ab, dass ein berufsrechtlicher Gleichlauf zwischen den unterschiedlichen Berufen gege­ ben sei, der erhebliche Verletzungen der Vertraulichkeit und ihres verfahrensrechtli­ chen Schutzes ausschließe und eine wechselseitige Einbindung in wesentliche man­ dantenschützende Elemente der verschiedenen Berufsrechte erlaube. 246 Immerhin enthält die Entscheidung dann aber ausführlichere Überlegungen zur Gefährdung der anwaltlichen Unabhängigkeit durch Bindungen an Dritte.247 Dabei erwähnt das Gericht durchaus denkbare Interessenkonflikte auf Grund entstehender Machtstruk­ turen und betont die Pflicht auch der Ärzte und Apotheker zur Wahrung beruflicher Unabhängigkeit bei heilberuflichen Entscheidungen. Eine Schwäche der Argumenta­ tion liegt aber darin, dass die heilberuflichen Mitglieder von Sozietäten mit Rechtsan­ wälten sich oft auf eine Form der Watch-dog-Funktion in Fällen von Behandlungsund Arzneimittelfehlern spezialisiert haben, um dann unter Umständen ein relativ schmales Erwerbssegment ihres Berufes zu bedienen mit erschwerter Rückkehr zur voll praktizierenden Berufssparte. Dies kann durchaus zu Konflikten mit den Rechts­ anwälten führen, die solches Fallmaterial aus größerer Distanz betrachten und beur­ teilen können, weil ihnen ohne größere berufliche Umstellung auch andere Felder offenstehen. Fragwürdig bleibt zudem, inwieweit die einzelnen Gesellschaftsformen ein aus Beteiligungsgröße oder Stimmgewicht entstehendes Machtgefälle zu Gunsten der nichtanwaltlichen Partner zulassen dürfen, gegen das dann nur – in vielen Fällen vielleicht durchaus etwas lebensfremd – die tapfere Berufung auf anwaltliches Berufs­ recht schützen soll.

244 BVerfGE 141, 82 ff. 245 BVerfGE 141, 82 ff. Rz. 39, 40, 95 f. 246 BVerfGE 141, 82 Rz. 47 ff. 247 BVerfGE 141, 82 Rz. 82 ff.

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d) Die Stellungnahme der Bundesrechtsanwaltskammer und die weiteren Reformvorschläge Die Bundesrechtsanwaltskammer hat anders als der DAV in ihrer Stellungnahme die Beschränkung der gemeinsamen Berufsausübung auf rechtspflegenahe Berufe vertei­ digt, die Stellungnahmen der Kammern der anderen gehörten freien Berufe waren eher durch etwas matten Flügelschlag gekennzeichnet. Man sieht allerdings angesichts der deutschen Entwicklung mit all ihren Kompliziertheiten, dass die Entscheidung der US-Bars und Supreme Courts für einen klaren und sichtbaren Kurs der Unabhängig­ keitswahrung manches für sich hat, zumal der praktische Bedarf an Partnerschaften mit der Rechtpflege eher fernstehenden Berufen recht gering zu sein scheint.248 Die deutsche Entwicklung ist ein gutes Beispiel für einen Anwendungsfall der Damm­ bruchtheorie. Wenn man an die Wirksamkeit von Pflichtbindungen auch gegenüber aus Konflikten geborenen Machtkämpfen glaubt, so kann man auch reine Fremdkapi­ talbeteiligung mit der Selbstverpflichtung zur Achtung berufsrechtlicher Pflichten und Rechte befürworten. Der bisherige Weg gibt wenig Anlass zu glauben, dass er bereits zu Ende gegangen sei. Vielleicht wird weithin gelten: „Erlaubt ist, was beliebt“, eine Konsequenz die das US-amerikanische Anwaltsrecht bisher gerade nicht gezo­ gen hat, vielmehr hat es sich ganz im Sinne Adlai Stevensons249 auf den Export dieses Freiheitsverständnisses in andere Länder beschränkt. Die Reformvorschläge des DAV gehen den eingeschlagenen Weg der Deregulierung konsequent weiter, indem sie in § 59b BRAO neu250 die mögliche Mitgliedschaft in Berufsausübungsgesellschaften auf alle mit dem Beruf des Anwalts „vereinbaren“ Be­ rufe ausdehnen, die vom BVerfG benannten Vereinbarkeitskriterien benennen und beispielhaft einige Berufe aufzählen, zu denen neben Anwälten alle in § 203 Abs. 1 Nr. 1-3 und 6 StGB genannten Berufe gehören, aber zusätzlich auch Architekten und Ingenieure, Mediatoren,251 beratende Volks- und Betriebswirte, hauptberufliche Sach­ verständige und entsprechende ausgewählte Berufe aus EU-Staaten. Anwälte und alle zur Mitgliedschaft befähigte Personen, die aber nicht tätige Mitglieder der Berufsaus­ übungsgesellschaft sind, dürfen Fremdanteile an der Gesellschaft halten, allerdings nur bis zu 25% der Stimmrechte und des Gesellschaftskapitals, wobei ihnen bei Fra­ gen der Übernahme von Rechtsdienstleistungsmandaten kein Stimmrecht zustehen soll. Das Fremdbeteiligungsrecht gilt entsprechend auch für Berufsausübungsgesell­ schaften, so dass mehrstöckige Gesellschaften entstehen können.252 248 Dazu BVerfGE 141, 82 Rz. 32, 34, 35. 249 Siehe oben unter D I. 1. am Ende. 250 Siehe Henssler AnwBl. Online 2018, 564 ff., 571, 577 ff. 251 Siehe aber zu Mediatoren die negative Entscheidung BGH NJW 2018, 1095 ff., die sich vor allem auf die unzureichende prozessuale Absicherung des Schweigerechts von Mediatoren stützt, allerdings die denkbare Änderung der Rechtslage durch das Gesetz zur Neurege­ lung des Schutzes von Geheimnissen bei der Mitwirkung Dritter bei der Berufsausübung schweigepflichtiger Personen vom 30.10.2017 (BGBl. I, 2017, 3618) noch nicht berück­ sichtigt. 252 Zur weiterreichenden Entwicklung des Fremdbeteiligungsrechts als Minderheitsbeteili­ gung in Italien, Spanien, Dänemark und der Schweiz sowie als unbegrenzte Kapitalbetei­ ligung in England Henssler/Prütting, BRAO, 4. Aufl. 2014, § 1 Rz. 66, die dann aber trotz

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Demgegenüber bleibt die Bundesrechtsanwaltskammer mit ihren Vorschlägen ihrer in den bisherigen Verfassungsprozessen eingeschlagenen zurückhaltenden Linie treu: Sie vermeidet eine Festlegung sozietätsfähiger Berufe über den bestehenden und durch das BVerfG in seiner Verbotswirkung korrigierten §  59 a BRAO253 hinaus, lässt mehr­ stöckige Rechtsanwaltsgesellschaften, aber keine Abhängigkeiten schaffende Verträge zu,254 schützt anwaltliche Mitglieder gegen satzungsändernde Beschlüsse ohne ihren Willen255 und sichert ausreichende anwaltliche Mitwirkung bei Geschäftsführung und Vertretung256. Insgesamt hat die vorsichtigere Linie der Bundesrechtsanwalts­ kammer ihre eindeutigen inhaltlichen Vorzüge, wenngleich der systematische Zugriff auf die betroffenen Teile der BRAO im Entwurf Henssler/DAV geordneter wirkt. 6. Die Honorierung des Organs der Rechtspflege a) Das US-amerikanische Recht Das US-amerikanische Recht der Anwaltsgebühren war bis in die Siebzigerjahre des 20. Jahrhunderts zumindest teilweise ähnlich wie in Europa durch Gebührentabellen determiniert, die von den State Bars festgelegt waren und in verschiedenen Staaten der Bestätigung durch den State Supreme Court bedurften und in anderen nicht. Im Zusammenhang mit der auf Kartellrecht beruhenden Deregulierung der freien Beru­ fe entschied der US-Supreme Court, dass durch die Bar erfolgte Gebührenregulie­ rung rechtswidrig sei.257 Hierauf setzte eine mächtige, die Anwaltshonorare der Indi­ vidualvereinbarung unterwerfende Deregulierungswelle ein. Auch eine zweite spätere Entscheidung des Supreme Court,258 die sich wie schon die erste Entscheidung eher beiläufig zu Gunsten von hoheitlich kontrollierten und bestätigten Gebührentabellen äußerte, sollte diese Deregulierungswelle auf Dauer nicht mehr bremsen. Es entwi­ ckelte sich das heute herrschende Gebührensystem, nach dem auf Grund vertrag­ licher Vereinbarung Gebühren nach Stundensätzen, Pauschalsummen und auch ­erfolgsabhängige Gebühren vereinbart werden können (contingent fee). Eine Sonder­ form der contingent fee entstand in Gestalt des Erfolgshonorars quota litis, das es vor allem in Schadensersatzprozessen einzelnen Klägern oder auch dem lead plaintiff ei­ ner ganzen class erlauben sollte, einen Prozess ohne das Risiko hoher Anwaltskosten zu führen, wobei bekanntlich im Falle einer Niederlage nach der „American rule“ gegnerische Kosten regelmäßig nicht zu erstatten und die reinen Verfahrenskos­ ten sehr niedrig sind, der Kläger also kein oder ein nur ganz geringes Kostenrisiko

ihrer sonst bestehenden Offenheit gegenüber einer Verstärkung der Marktorientierung anwaltlicher Organisation doch immerhin bei voller Fremdbeteiligung Bedenken äußern und Maßnahmen gegen die Gefährdung der Unabhängigkeit anmahnen. 253 Hierzu Stellungnahme Nr. 15/2018 § 59e BRAO neu mit Anmerkungen 254 Stellungnahme §§ 59c Abs. 3 und 4; 59e 255 Stellungnahme § 59e Abs. 2 und 5 BRAO. 256 Stellungnahme § 59f BRAO. 257 Dazu Goldfarb v. Virginia State Bar, 421 U.S. 773, 786 ff. (1975); zu dieser Entwicklung ausführlich Gellhorn, 44 U.Chi. L. Rev. 6 (1976/1977). 258 Bates v. State Bar of Arizona, 433 U.S. 350, 359 ff., 372/373 (1977).

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trägt.259 Eine gewisse Rahmung wie Formerfordernisse, Aufklärungspflichten des An­ walts, Kriterien für eine faire Gebührenfestsetzung, Ausschluss des Erfolgshonorars in bestimmten Familiensachen, Beschränkungen der contingent fee auf bestimmte Prozentsätze allgemein oder in bestimmten Fallgruppen (z.B. compensation of tort damages, medical malpractice) etc. setzen die Codes of Conduct, aber auch einzel­ staatliche gesetzliche Regelungen.260 b) Die europäische und deutsche Entwicklung Der EuGH hat in zwei Entscheidungen – ähnlich wie der US Supreme Court runde dreißig Jahre zuvor – die Möglichkeit staatlicher Regulierung von Anwaltsgebühren bejaht, dabei aber eine deutliche Präferenz für freie vertragliche Gebühren zum Aus­ druck gebracht.261 Im Falle gesetzlicher Mindestgebühren, die auf einem Vorschlag eines nationalen Rats der Rechtsanwälte (Consiglio nazionale forense Italiano) be­ ruhen, hat er indessen eine Mindestgebührenregelung ohne Billigkeitsausnahme als potentiell unzulässige, weil unverhältnismäßige Beschränkung des freien Dienstleis­ tungsverkehrs eingestuft, also den von staatlicher Regulierung geschaffenen Frei­ heitsraum vertraglicher Vereinbarung dazu benutzt, auch die gesetzliche Begrenzung des Freiheitsraums einer Kontrolle an Hand der Marktfreiheiten zu unterwerfen. Die auf Deregulierung drängende Kampagne der Kommission262 und der sanfte Druck des EuGH sind in dieser Zeit nicht ohne Wirkung auf die Gesetzgebung einiger Mit­ gliedstaaten geblieben, wobei einmal offen bleiben soll, welche Rolle dabei der Ein­ fluss des Law Marketing US-amerikanischer und englischer Kanzleien gespielt haben könnte, und die Cipolla Rechtsprechung des EuGH scheint auch nicht ohne Wirkung auf den beim BVerfG nahezu parallel anhängigen Rechtsstreit um die Zulässigkeit des Erfolgshonorars quota litis263 geblieben zu sein. Das BVerfG unterwarf das Verbot des Erfolgshonorars quota litis als Eingriff in die anwaltliche Freiheit der Berufsausübung (Art. 12 GG) einer Verhältnismäßigkeitsprüfung, billigte grundsätzlich die bekann­ ten für eine restriktive Regulierung sprechenden Gründe – vor allem die Wahrung der Unabhängigkeit auch im Sinne einer Distanz zum Mandanten – und ließ dann aber das volle und ausnahmslose Verbot wegen fehlender Angemessenheit in Fällen scheitern, in denen eine Rechtsverfolgung am Fehlen einer solchen klägerfreundli­ chen Regelung im deutschen Recht scheitern würde, weil andere vom deutschen Recht vorgesehenen Kostenerleichterungen im konkreten Fall sich als nicht aus­ reichend erwiesen.264 Das BVerfG folgte damit dem Entscheidungsmuster des EuGH 259 Zum US-amerikanischen Anwaltskostenrecht ausführlich Kilian, Der Erfolg und die Ver­ gütung des Rechtsanwalts, 2003; Breyer, Kostenorientierte Steuerung des Zivilprozesses, 2006; Hazard/Leubsdorf/Bassett, Civil Procedure, 6. Aufl 2011, Rz. 1.22 ff., S. 48 ff. 260 Hierzu Rule 1.5 MRPC und dementsprechend Rule 1.5 New York Rules of Professional Conduct; zu einzelstaatlichen Beschränkungen Breyer, Kostenorientierte Steuerung, S. 60 mN. 261 EuGH, Urteil vom 19.2.2002, Rs. C-35/99, EuGHE 2002 I-01529 (Arduino); Urteil vom 5.12.2006, Rs. C-94/04 und 202/04, NJW 2007, 281 ff. (Cipola). 262 Dazu oben unter D. III. 263 BVerfGE 117, 163 ff. (Entscheidung vom 12.12.2006). 264 BVerfGE 117, 163 ff., 192 ff.

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in der Cipola-Entscheidung, die ein ausnahmsloses Verbot der Unterschreitung von Mindestgebühren beanstandete und in ähnlicher Weise wie fast gleichzeitig das BVerfG beim ausnahmslosen Verbot des Erfolgshonorars eine Art Öffnungsklausel für Ausnahmen anmahnte. Das BVerfG verlangte eine maßvolle Öffnung, nicht ohne die schwankende Geschichte des Erfolgshonorars in Erinnerung zu rufen:265 zunächst ohne gesetzliche Regelung im Kaiserreich, aber standesrechtlich zunehmend abge­ lehnt und dann vom RG als sittenwidrig betrachtet; gesetzliches Verbot in § 93 Abs. 2 Satz 5 RAGebO 1944; kein Verbot in der BRAGO 1957 und der BRAO 1959, aber Sittenwidrigkeit in der Rechtsprechung des BGH; ausnahmsweise Zulassung in den Standesrichtlinien in der Fassung von 1973, aber Ausschluss des Erfolgshonorars quota litis; volles Verbot aller Formen des Erfolgshonorars in § 49b Abs. 2 BRAO 1994 und wortgleich § 49b Abs. 2 Satz1 BRAO 2004, aber Gestattung der bloß erhöhten Gebühr im Erfolgsfalle in § 49b Abs.2 Satz 2 BRAO 2004. Die Rechtsgeschichte zeigt ein Schwanken zwischen Zugeständnissen an risikofreudige anwaltliche Investitions­ tätigkeit in Fällen „mit guten Aktien“ und dem Distanzgebot zu den Finanzen des Mandanten, ein Schwanken, an dem auch die verfasste Anwaltschaft durchaus Anteil hatte. Das BVerfG sah sich einerseits konfrontiert mit einer auf Flexibilisierung fester Gebühren gerichteten Rechtsprechung des EuGH und flexibilisierenden ausländi­ schen Vorbildern in USA und Europa und andererseits durchaus auch konfrontiert mit der Erkenntnis der Schädlichkeit eines Zwangs zum Prozesssieg, wenn erhebliche eigene Finanzinteressen des Anwalts sich unmittelbar mit dem Fallausgang verknüpf­ ten. Es wählte den sanften Mittelweg einer Ausnahmeklausel und begründete diesen Weg in einer handwerklich und methodisch mustergültigen Entscheidung.266 Schwä­ chen zeigt die Entscheidung, wo sie die verglichen mit den USA wesentlich geringere Risikoentlastung für die klagende Seite übergeht, die ja anders als in den USA im Falle einer Niederlage erhebliche Gerichtskosten und gegnerische Anwaltskosten zu tragen hat, also nach wie vor von diesen Risiken abgeschreckt werden kann. Auch beschreibt das Gericht den Handlungsspielraum des Gesetzgebers etwas beschränkt, wenn es die im deutschen Recht vom Gesetzgeber teilweise durchaus praktizierte Streitwertherabsetzung als wirksame Abhilfe erst gar nicht erörtert – eine Folge einer auf Art. 12 GG verengten Sicht auf das Gesamtproblem.267 Der Gesetzgeber ist der vielfachen Anregung zu einer engen Umsetzung dieser Entscheidung im Falle zivilge­ richtlicher Verfahren gefolgt. Allerdings ist nicht zu verkennen, dass das Gericht ei­ nen in der Praxis schon vor der Entscheidung festgestellten Trend zur vermehrten Vereinbarung von Erfolgshonoraren268 gestärkt haben mag, der nur sehr beschränkt Gegenstand zuverlässiger Erhebungen sein kann. Dies mag vor allem im nichtforen­ sischen Bereich gelten, wo Gebührenvereinbarungen schon längere Zeit in weit grö­ ßerem Maße zulässig waren und die gesetzliche Regelung des Erfolgshonorars vor

265 BVerfGE 117, 163 ff., 165 ff., 193/194. 266 Zum Ganzen die Besprechung der Entscheidung durch Gaier und Stürner NJW-Sonder­ heft 4. Hannoveraner ZPO-Symposion vom 22.9.2007, S. 4 ff., 9 ff. 267 Stürner, Sonderheft, S. 9 ff., 11/12. 268 BVerfGE 117, 163 ff., 195 unter Berufung auf Hommerich/Kilian, Vergütungsvereinbarun­ gen deutscher Rechtanwälte, 2006, S. 103.

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allem im Bereich von M&A letzter Klarheit durchaus entbehrt269 – und wer kann und wird das schon kontrollieren. Insgesamt bleibt festzuhalten, dass in Fragen der Honorierung sich in jüngerer Zeit der Einfluss der US-amerikanischen Rechtsentwicklung zwar deutlich verstärkt hat und auch die Entscheidung des BVerfG zum Erfolgshonorar ohne diesen Einfluss so schwerlich denkbar gewesen wäre, zumal der entschiedene Einzelfall durchaus in der Person der Klägerin eine besondere Beziehung zu den USA aufwies. Anders als ande­ re Staaten der EU, die diesem Einfluss unter dem Druck der Kommission und des EuGH in noch viel stärkerem Maße als Deutschland erlegen sind, hat sich das deut­ sche Recht im Bereich anwaltlicher Honorierung nicht von den traditionellen Be­ schränkungen der Vertragsfreiheit völlig getrennt, sondern einen Mittelweg gesucht, dessen Bestand in der Zukunft allerdings etwas offen sein dürfte. c) Der Einfluss der Bundesrechtsanwaltskammer Wie das Bundesjustizministerium und der Präsident des BGH hat sich die Bundes­ rechtsanwaltskammer in ihrer Stellungnahme zum verfassungsgerichtlichen Verfah­ ren für die geltende Regelung und gegen eine Lockerung der gesetzlichen Regelung zu Gunsten des Erfolgshonorars ausgesprochen, und dies aus durchaus wohlerwogenen Gründen und offensichtlich auch unter Berücksichtigung von Erkenntnissen aus der US-amerikanischen Diskussion.270 Mit Interesse liest man dann die Wiedergabe der völlig gegenteiligen Stellungnahme des DAV, der – schwer vertretbar – überhaupt kei­ ne Gefährdung anwaltlicher Unabhängigkeit zu erkennen gewillt schien, die über den Fall erfolgsunabhängiger Honorierung hinausgeht,271 und dies obwohl sie selbst in 269 Insbesondere ist etwas unklar geblieben, ob in Fällen anwaltlicher Vertretung bei Ver­ tragsschlüssen, z.B. bei M&A Geschäften, ein Erfolgshonorar vereinbart werden kann. § 49b Abs. 2 Satz 1 BRAO bestimmt: „Vereinbarungen, in denen eine Vergütung oder ihre Höhe…vom Erfolg der anwaltlichen Tätigkeit abhängig gemacht wird,… sind unzulässig, soweit das RVG nichts anders bestimmt“. § 4a Abs. 1 Satz 1 RVG lautet: „Ein Erfolgshono­ rar (§ 49b Abs. 2 Satz 1 BRAO) darf nur für den Einzelfall und nur dann vereinbart wer­ den, wenn der Auftraggeber aufgrund seiner wirtschaftlichen Verhältnisse ohne die Ver­ einbarung eines Erfolgshonorars von der Rechtsverfolgung abgehalten würde“. Die gesetzliche Gebühr wäre in Fällen der Mitwirkung beim Vertragsschluss eine Geschäftsge­ bühr nach RVG Anlage zu § 2 Abs. 2 VV 2300, für die ein Rahmen zwischen 0,5 und 2,5 vorgesehen ist bei einem Regelsatz von 1,3 für schwierige Geschäfte. Natürlich unterliegt diese Gebühr grundsätzlich freier Vereinbarung (§§  3a Abs.  1, 4 Abs.  1 RVG). Jedoch hängt die Zulässigkeit des Erfolgshonorars davon ab, ob ohne eine solche Vereinbarung der Auftraggeber von der Rechtsverfolgung – d. h. dann vom Versuch eines Geschäftsab­ schlusses – abgehalten worden wäre, was eher unwahrscheinlich sein wird und wobei zu­ dem der Ausdruck „Rechtsverfolgung“ auf Vertretung bei Vertragsverhandlungen nicht so recht passt; zur Frage großzügiger oder restriktiver Zulassung des Erfolgshonorars Hartung/Schons/Enders, RVG, 3.  Aufl. 2017, §  4a RVG Rz.  8 und 9; Gerold/Schmidt/Mayer, RVG, 23. Aufl. 2015, § 4a Rz. 1 und 2, 6 und 7 etc. Vieles spricht in solchen Fällen für die Unzulässigkeit des Erfolgshonorars. 270 BVerfGE 117, 163 ff., 173 ff., 176 f. 271 BVerfGE 117, 163 ff., 177 ff.

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den USA unter dem etwas abgedroschenen Topos des Principal-Agent-Conflict vor allem bei Erfolgshonoraren in class actions seit langem ausführlich diskutiert wurde und noch wird.272 In diesem Punkte eine sehr gespaltene und sich wechselseitig etwas lahmlegende Anwaltschaft! 7. Anwaltliche Werbung a) Die Codes of Professional Conduct und anwaltliche Werbung aa) Festhalten an besonderen berufsrechtlichen Werberegeln Wenn in der deutschen Diskussion um anwaltliche Werbung teilweise gesagt wird, es bedürfe keiner besonderen Regeln, das Recht des unlauteren Wettbewerbs mit seinem entsprechenden Fallrecht reiche als Grenze erlaubter Werbung aus,273 so wäre dies ein Schritt, der den derzeitigen Entwicklungsstand des US-amerikanischen Berufsrechts beim Abbau besonderer werberechtlicher Normen durchaus überbieten würde. Da­ bei soll dahingestellt bleiben, inwieweit bereits besondere Zuständigkeiten für anwalt­ liches Berufsrecht in USA und Deutschland Sondernormen tragend zu rechtfertigen vermögen,274 den letztlich besteht zwischen besonderer Zuständigkeit und dem Be­ darf nach rechtlicher Würdigung auf Grund besonderer Sachkunde ein schwerlich bestreitbarer Zusammenhang, den auch die US-amerikanische Rechtskultur bisher nicht leugnet. Die Regeln des anwaltlichen Werberechts und seiner Durchsetzung durch die Bar sind state law und unterliegen im Detail als Regeln des anwaltlichen Berufsrechts letztlich der Kontrolle der State Supreme Courts, eine der deutschen Si­ tuation nicht unähnliche Gestaltung berufsrechtlicher Organisation. bb) Der Supreme Court: Lawyers not „something above trade“ Die US-amerikanische Anwaltschaft kannte in englischer und kontinentaler Traditi­ on bis Mitte der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts durchaus ein Verbot öffentli­ cher Werbung für anwaltliche Rechtsberatung. In dieser Tradition verbot beispiels­ weise das anwaltliche Berufsrecht des Staates Alabama noch 1977 jede öffentliche Anzeige oder Ankündigung in Zeitungen, Telefonbüchern oder anderen handelsge­ werblichen Publikationsmedien, ein Verbot, das dann der U.S.  Supreme Court für verfassungswidrig erklärte275. Diese Entscheidung stand in engem Zusammenhang mit der vorangegangenen Ausdehnung und stetigen Erweiterung des Schutzes der free speech auch bei werbenden Äußerungen durch den Supreme Court. Das Gericht 272 Dazu statt vieler Stürner ZZPInt 17 (2012), 259 ff. mN. 273 In diesem Sinne statt vieler deutlich Kleine-Cosack NJW 2010, 1921 ff., insbes. 1924, der den beginnenden Abschied von der „Freiberufler-Ideologie“ feiert, ohne bemerken zu wollen, dass in jeder Übertreibung eine Ideologie stecken könnte und auch bestimmte Formen eines individualisierenden Freiheitspathos ebenso ideologiebehaftet sein könnten wie der Glaube an möglichst „unreglementierte“ Marktfreiheiten als Schlüssel zur rechts­ staatlichen demokratischen Gesellschaft. 274 So etwa letztlich Singer, Der weite Weg nach Europa, in diesem Band unter C. II. 2. f. mN. 275 Bates v. Bar of Arizona, 433 U.S. 350, 363 ff. (1977).

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legte generell an einschränkende Regelungen immer strengere Maßstäbe an und er­ klärte etwas ironisch, das traditionelle Werbeverbot für Anwälte scheine mehr eine standesmäßige Etikette als eine ethische Regel gewesen zu sein, weil die Anwaltschaft schon immer nichtöffentliche Werbemaßnahmen gepflogen habe, ihre Tätigkeit auf Gewinnerzielung ausgerichtet sei und sie dabei keine Sonderregeln gegenüber wer­ benden Äußerungen anderer Menschen beanspruchen könne, die wie Anwälte im Markt ihren Lebensunterhalt zu verdienen hätten. In den Worten des Richters Blackmun: „In this day, we do not belittle the person, who earns his living with the strength of his arm or the force of his mind. Since the belief that lawyers are something „above“ trade has become an anachronism, the historical foundation for the advertising res­ traint has crumbled“.276 Es folgen dann Argumente, die darlegen, dass Werbung der Rechtsverwirklichung durch Anwälte und Anwältinnen nicht schade, sondern viel­ mehr dem rechtssuchenden Bürger nütze  – Argumente, deren Überzeugungskraft vom Ausgangspunkt abhängt, ob man nämlich auch ohne jedes Kastendenken bei der Festlegung verpflichtender berufsethischer Regeln keinen Unterschied zu machen ge­ willt ist zwischen Arbeit im Warenhandel und Mitwirkung bei der Rechtsverwirkli­ chung. Schädlichkeitsprognosen sind insoweit stets spekulativ, spätere Evaluationen stark wertungsabhängig. Immerhin ist es aufschlussreich, in diesem ehrlichen, viel­ leicht auch etwas arroganten richterlichen Votum die Basis solcher Prognose und Be­ wertung in deutlichen Worten am Anfang der Überlegungen klar vorgestellt zu be­ kommen. Die ABA hatte schon vor diesem Urteil den zukünftigen Trend sicher ertastet und ihren Model Code auf die Zulässigkeit korrekter öffentlicher Information durch alle damals gängige Medien umgestellt.277 cc) Die Reaktion der reformierten Model Rules und der einzelstaatlichen Codes Die heutigen Model Rules des Professional Code of Conduct fassen die wichtigsten Regeln zur Werbung in den Rules 7.1-7.3 und Rule 7.6 zusammen.278 Natürlich kann es im Einzelnen etwas in die Irre führen, die Model Rules der ABA ohne einen genau­ en Blick auf die einzelstaatlichen Codes of Conduct und der zugehörigen Rechtspre­ chung der einzelstaatlichen Gerichte für die volle US-amerikanische Realität zu neh­ men. Das Beharrungsvermögen in Traditionen ist in den einzelnen US-Staaten sehr verschieden ausgeprägt, der Supreme Court ist weit weg, seine reformerische oder gar revolutionierende Rechtsprechung findet nicht überall sofort Gehör, und auf man­ chen Gebieten wird sie in der gesellschaftlichen Realität, zu der auch die Praxis der Bars gehört, überhaupt nicht oder nur sehr verzögert und eher störrisch oder wider­ willig vollzogen. Die ABA Model Rules mit ihren Kommentierungen geben allerdings den Trend der Rechtsprechung der Federal Courts sowie der State Supreme Courts wieder und lesen sich vielfach wie eine Leitsatzsammlung wichtiger Entscheidungen. Sie zeigen indessen auch, dass es Sinn macht, solche anwaltsberufsrechtliche Regeln weiter zu pflegen und zu entwickeln, selbst wenn man von einem weitgehenden 276 Blackmun 433 U.S. 350, 371/372 (1977). 277 Vgl. ABA Code of Professional Responsibility, DR 2-102 (a) (6) 1976. 278 ABA Model Rules of Professional Conduct, Stand November 2018. 

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Gleichlauf allgemein wettbewerbsrechtlicher und anwaltsrechtlicher Regeln zulässi­ ger Werbung auszugehen hat, weil eine Konkretisierung für die anwaltliche berufliche Praxis von Nutzen ist, die sich mit ihren Werbeproblemen von anderen „Märkten“ insoweit doch etwas unterscheidet. Wie dies von der Mehrheit der Supreme Court Justices unter Führung des wortgewaltigen Justice Blackmun intendiert war, ist der Unterschied zwischen der Werbung für anwaltliche Betreuung und der Werbung für Waren oder Maklerdienste und Car Sharing weitgehend eingeebnet mit nur noch ge­ ringen Besonderheiten. Zunächst sind generell falsche oder irreführende tatsächliche oder rechtliche Informationen nicht erlaubt, wobei klargestellt wird, dass auch das Weglassen von Tatsachen oder rechtlichen Informationselementen nicht erlaubt ist, die mit den mitgeteilten Informationen in sachlich engem Zusammenhang stehen.279 Diese allgemeine Regel wird dann in mehrfacher Weise präzisiert: Erlaubnis zur Be­ nutzung aller Medien; 280 Beschränkung der Entgelte für Werbung oder Empfehlung durch Dritte bzw. Serviceorganisationen;281 Beschränkung und teilweises Verbot ver­ steckter Vereinbarungen wechselseitiger Empfehlung an Klienten sowie Verbot förm­ licher Geschenke zur Stimulierung von Empfehlungen;282 Verbot der Werbung mit Spezialisierung ohne Zertifikat einer namentlich genannten Organisation mit Zulas­ sung durch den Staat oder die Bar;283 Nennung eines für die Werbeinformationen verantwortlichen Mitglieds einer law firm.284 Besondere Sorgfalt verwenden die Werberegeln mit zugehörigen Kommentierungen auf das Einwerben von einzelnen Personen als Mandanten. Unter „Solicitation of ­Clients“ verstehen die Codes of Conduct vor allem eine Information, die an eine be­ stimmte einzelne Person gerichtet ist, um Rechtsberatung für einen sie betreffenden aktuellen Fall anzubieten, wobei der Anwalt von diesem Umstand weiß oder doch wissen sollte.285 Verboten ist dann aber nur noch die persönliche Werbung durch „live  person-to-person-contact“ in Gewinnabsicht gegenüber Personen, die nicht selbst Anwalt sind, keine engere Verbindung zur law firm haben oder nicht für Ge­ schäftszwecke routinemäßig anwaltliche Hilfe der angebotenen Art beanspruchen.286 „Live person-to-person-contact“ erfasst neben der „vollen“ persönlichen körperli­ chen Begegnung in der realen Welt aber auch „live telephone“ oder „real-time visual or auditory person-to-person-communications“, soweit sie Einflussnahme auf die Person ohne ausreichend Zeit zur Überlegung zulassen.287 Nicht verboten sind also Kontakte durch chat rooms, text messages, oder schriftliche Informationen, die der Empfänger leicht unbeachtet lassen kann, eben so wenig die Kontaktaufnahme zu Vertretern von Organisationen oder Gruppen, die an einem „prepaid legal plan“ für 279 ABA Rule 7.1 (false or misleading information). 280 ABA Rules 7.2 (a). Comment (1): types of services, fees and prices, names of clients with their consent etc. 281 ABA Rules 7.2 (b) (1-3). 282 ABA Rules 7.2 (b) (4 und 5). 283 ABA Rule 7.2 (c). 284 ABA Rule 7.2 (d). 285 ABA Rule 7.3 (a). 286 ABA Rule 7.3 (b). 287 ABA Rule 7.3 comment (2).

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ihre dort organisierten Personen Interesse haben könnten.288 Schutzgut ist streng ge­ nommen nicht die Privatsphäre vor Belästigung, sondern die Entscheidungsfreiheit in engerem Sinne, also ein Schutz vor Überrumpelung durch Haustürgeschäfte alter und neuer Form. Eine Besonderheit des amerikanischen anwaltlichen Werberechts ist ein Verbot, von Regierungsstellen oder Richtern irgendwelche Ämter oder „appoint­ ments“ anzunehmen, wenn sie vorher als politische Sponsoren („political contri­ butions“) für einschlägige Politiker oder Richter aktiv waren,289 eine Regelung, die sich vorwiegend aus der bereits erwähnten starken politischen Stellung der amerika­ nischen Anwaltschaft erklärt. dd) Die parallele radikale Entwicklung im Äußerungsrecht Man muss sich klar machen, dass zeitlich parallel zum Abbau vieler Begrenzungen des allgemeinen und anwaltlichen Werberechts und seiner Einverleibung in den Schutz freier Rede vom US-Supreme Court auch eine starke Entgrenzung des Äuße­ rungsrechts von traditionellen Schranken bürgerlicher Anständigkeits- und Fairness­ vorstellungen erfolgte, vor allem soweit Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und Themen allgemeinen öffentlichen Interesse betroffen waren.290 Ob diese starke Ent­ grenzung auf Dauer zu einer Verrohung der öffentlichen Diskussion wesentlich ­beigetragen hat, die man nunmehr in ihrer Schädlichkeit zu erkennen beginnt, nach­ dem eine entgrenzte Artikulationsmöglichkeit in digitalen Medien zu einem „Jeder­ manns-Recht“ zu werden droht, bleibt eine offene Frage; manches spricht allerdings für ihre Bejahung, denn demokratische Willensbildung bedarf der Freiheit und der Ordnung, mögen auch dadurch gezogene Grenzen immer diskussionswürdig bleiben. b) Die deutsche Entwicklung aa) Die über die Bastille-Entscheidungen hinausreichende Entgrenzung der Werbefreiheit und die Schwierigkeit neuer Grenzziehung Die deutsche Entwicklung und ihre Kontrolle durch die Rechtsprechung des BVerfG und des BGH sind an anderer Stelle in diesem Band ausführlich und prägnant darge­ stellt,291 so dass sich diese vergleichende Analyse auf einige wichtige Stationen der Gesamtentwicklung und wenige grundlegendere Bemerkungen beschränken kann. Am Anfang der Überlegungen sollen dabei zwei Bemerkungen zur oft anzutreffenden Wahrnehmung der Entwicklung stehen, welche die durchaus gemeinsamen Traditio­ nen und Entwicklungslinien des anwaltlichen Standes- und Werbungsrechtes im eu­ ropäischen und amerikanischen Kulturkreis nicht ausreichend in Betracht zu ziehen scheinen, wenn sie eher beiläufig, aber doch aufschlussreich die deutsche Entwick­ 288 ABA Rule 7.3 comment (7). 289 ABA Rule 7.6. Die rules 4 und 5 sind jüngeren Änderungen zum Opfer gefallen oder in­ haltlich in die geschilderten rules oder ihre comments integriert worden. 290 Zu dieser Entwicklung Stadler JZ 1989, 1084 ff., 1086 ff. mit ausführlichen Nachweisen zum case law des Supreme Court; Stürner JZ 1994, 865 ff., 868 ff. 291 Dazu in diesem Band Singer, Der weite Weg nach Europa, unter C. II. 2.

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lung bewerten. So werden häufig die sogenannten Bastille-Beschlüsse des BVerfG als Ausgangspunkt der Entwicklung zur anwaltliche Werbefreiheit erwähnt.292 Dies ist zunächst einmal richtig, weil in der Tat das BVerfG in diesen Beschlüssen die Richtli­ nienkompetenz der Bundesrechtsanwaltskammer verworfen und diese Richtlinien aufgehoben hat. Auch hat es sich in einer der beiden Entscheidungen ausführlich mit § 2 Abs. 1 befasst, der da lautete: „Der Rechtsanwalt handelt standeswidrig, wenn er um Praxis wirbt“. Es hat aber diese Vorschrift zusammen mit § 2 Abs. 2 und § 3 Abs. 1 gelesen und ihr kein generelles Informationsverbot entnehmen können, sondern nur das Verbot einer um Mandate werbenden öffentlichen Aktivität, das es aber im gege­ benen Fall gerade nicht als gegeben angenommen hat – der merkwürdige Fall einer verfassungskonformen Interpretation anwaltlichen Berufsrechts, das für die Zukunft nicht mehr als verfassungsgemäß zustande gekommen betrachtet werden kann. Das BVerfG vertrat aber in dieser Entscheidung nicht etwa die inhaltliche Verfassungs­ widrigkeit eines Verbotes des Werbens um Mandanten aus Gewinninteressen. Das Gegenteil ist der Fall: „Das Verbot standeswidriger Werbung will bei freien Berufen eine Verfälschung des Berufsbildes durch Verwendung von Werbemethoden verhin­ dern, wie sie in der gewerblichen Wirtschaft üblich sind… Zwar üben auch Rechtsan­ wälte in Erfüllung der ihnen obliegenden Aufgaben eine auf Erwerb ausgerichtete Tätigkeit aus; sie werden durch ihre Leistungen bekannt, auch ist Ihnen nur eine be­ rufswidrige, nicht etwa jegliche Werbung durch öffentliche Information untersagt. Die Vermeidung von Qualitätsanpreisungen durch ein reklamehaftes Sich-Heraus­ stellen gegenüber Berufskollegen kann aber verhindern, dass durch wertende, nicht überprüfbare Werbeaussagen unrichtige Erwartungen entstehen, die um so näher liegen, als die anwaltlichen Leistungen von Rechtssuchenden in der Regel nur schwer einschätzbar sind. Auch kann die Abgrenzung von gewerblicher Tätigkeit durch das Verbot standeswidriger Werbung geeignet sein, einer rein geschäftsmäßigen Einstel­ lung entgegenzuwirken und das Vertrauen der Rechtssuchenden darin zu stärken, daß Anwälte nicht aus Gewinnstreben zu Prozessen raten oder die Sachbehandlung an Gebühreninteressen ausrichten…“293. Von einem Sturm auf die Bastille einer aus­ gewogenen, von der Bundesrechtsanwaltskammer verordneten standesrechtlichen Werbebeschränkung kann hier keine Rede sein, und die Verfassungsrichter dieser Entscheidung haben sich schwerlich vorgestellt, dass irgendwann die Beschränkung der Information auf berufsbezogene Tatsachen aus Verfassungs- oder Grundrechts­ gründen völlig fallen würde, Anwältinnen und Anwälten im Ausgangspunkt jede Werbung erlaubt sein würde, die auch beim allgemeinen Waren- und Dienstleis­ tungsvertrieb gestattet sein soll,294 und nur noch ein Verbot gröbster Geschmacklo­ 292 So auch in diesem Band Singer, Der weite Weg nach Europa, unter C. II. 2. a, ähnlich in diesem Band Schäfer, Geschichte der Bundesrechtsanwaltskammer in der Bonner Repub­ lik, unter G.II. 293 BVerfGE 76, 196 ff., 207/208, die von der „eigentlichen“ Bastille-Entscheidung BVerfGE 76, 171 ff. die Begründung für die Aufhebung der Standesrichtlinien wegen Fehlens einer ausreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage übernimmt, um dann Ausführungen zu einem zumindest noch verfassungsgemäßen „Werbeverbot“ in einer Übergangszeit zu machen. 294 So aber im Ergebnis die Entwicklung, wenn man wie der BGH die Regelung des § 24 der Dienstleistungsrichtlinie 2006/123/EG dahin auslegt, dass ein Schutz vor dem Abwerben

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sigkeiten Hoffnung auf verfassungsgerichtliche Gnade haben könnte295 – eigentlich vor dem Hintergrund der hier vertretenen Auffassung erfreulicherweise ganz im Wi­ derspruch zum inzwischen vielfach vertretenen Grundsatz der Gleichheit aller ge­ winnorientiert arbeitenden Marktteilnehmer in ihrem Recht auf Werbung: im allge­ meinen Wettbewerbsrecht bleiben auch Geschmacklosigkeiten weithin erlaubt.296 Auch sollte nicht zu sehr der Eindruck gepflegt werden, als sei die Beschränkung an­ waltlicher Werbung eine Besonderheit der deutschen Rechtskultur und insbesondere

konkreter bereits erteilter Mandate nicht durch die Notwendigkeit gerechtfertigt sei, „Un­ abhängigkeit, Würde und Integrität“ der Anwaltschaft im zwingenden Interesse der Allge­ meinheit zu wahren (BGHZ 199, 43 ff. Rz. 14 ff., 20 ff.), weil im konkreten Fall eine Ge­ fährdung der vollen Entscheidungsfreiheit des Verbrauchers nicht vorgelegen habe. Im entschiedenen Fall hatte ein Anwalt die Kommanditisten einer Publikums-KG ange­ schrieben, die der Insolvenzverwalter in Anspruch genommen hatte, und dabei angebo­ ten, mit bereits mandatierten Anwälten in einen „Erfahrungs- und Gedankenaustausch“ zu treten (BGHZ 199, 43 ff. Rz. 2 am Ende); kritisch hierzu zu Recht Ahrens, Berufsrecht, S. 196, Rz. 666; ebenso bereits Stürner JZ 2017, 905 ff., 916. Natürlich steckte dahinter auch die Absicht, sich aus Gewinninteressen in ein bereits vergebenes Mandat einzudrängen. 295 Dazu die Entscheidung BGH NJW 2015, 72 ff. (Kaffeetassenwerbung mit teilweise entklei­ deten, kindlichen und weiblichen Opfern häuslicher Gewalt). Der BGH bemüht hier in Gestalt der „Unabhängigkeit, Würde und Integrität“ des anwaltlichen Berufsstandes Denkfiguren, denen er sonst immer seltener etwas abgewinnen kann – so auch nicht wie bereits erwähnt, wenn es darum geht, Versuche eines Anwalts abzuwehren, in bereits be­ stehende Beratungsverhältnisse einzudringen. Die Entscheidung in gleicher Sache BVerfG NJW 2015, 1438 (Kammerentscheidung) ist ein Nichtannahmebeschluss, der sich in ers­ ter Linie darauf stützt, der Beschwerde führende Anwalt habe die behaupteten Grund­ rechtsverletzungen (Art. 12, 5 und 3 GG) nicht ausreichend substantiiert dargelegt, und inhaltlich keine endgültige Stellung nimmt. Man hat – übrigens durchaus verständlicher­ weise  – „nicht gewollt“, ist aber dabei der Schwierigkeit überzeugender Grenzziehung nach einer sehr weitreichenden Öffnung des Werberechts ausgewichen. Die Nichtannah­ me wegen fehlender Substantiierung durch Kammern ist im Übrigen kein Königsweg, sondern eher ärgerlich, wenn man bedenkt, dass es den ordentlichen Gerichten regelmä­ ßig aufgegeben ist, auf in den Augen des Gerichts bestehende Substantiierungsmängel vor einer Sanktionierung mit Abhilfemöglichkeit hinzuweisen, dies ganz einfach deshalb, weil der notwenige Grad an Substantiierung häufig auch bei großer anwaltlicher Sorgfalt nicht voraussehbar sein wird. Der Eindruck eines sehr bemühten Verlegenheitsarguments, der hier oft entsteht, sollte dem BVerfG durch ein großzügigeres Recht der Nichtannahme erspart werden. Hier könnten die USA durchaus gutes Vorbild sein. Nichts ist für das Ansehen eines höchsten Gerichts schädlicher als der Zwang zu Verlegenheitsargumenten, die leicht den Eindruck intellektuell unredlicher Sophistik erwecken könnten. 296 Dazu BVerfGE 101, 347 ff., 368 („reißerische und in einem konventionellen Sinne unge­ hörige Bildsprache“). Der Vergleich der beiden Entscheidungen zur anwaltlichen Kaffee­ tassenwerbung und zur Benetton-Werbung, auf den BVerfG NJW 2015, 1438 ff. Rz. 31 nur sehr kurz eingeht, müsste eigentlich anzeigen, dass sich die Rechtsprechung zur anwaltli­ chen Werbefreiheit etwas zu weit vorgewagt hat und sich deshalb auch äußerste Grenzen nur noch schwer rational begründen lassen, sondern sich in sehr subjektiven Eindrücken zum Einzelfall zu verlieren beginnen. Kein Argument für unbegrenzte Freiheit, sondern eher zu rechtzeitiger Grenzziehung.

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der „Bonner Republik“,297 die in den Augen mancher für Enge, Obrigkeitsgläubigkeit und Unfreiheit steht und den langen Weg nach der Freiheit des Westens eher aufge­ halten als befördert habe.298 Die Beschränkung der Werbung für Anwälte und Anwäl­ tinnen war vielmehr eine gemeinsame Tradition der westlichen Welt, Deutschland hat diese Beschränkungen mehr oder weniger parallel zu anderen westlichen Rechts­ kulturen gelockert und ist nunmehr wie auch andere Staaten der westlichen Welt ge­ rade dabei, letzte Reste dieser Beschränkungen mühsam zu verwalten und sich auf eine – durchaus reichlich übers Ziel hinausschießende – völlige Abschaffung zuzube­ wegen. Typisch deutsch ist daran nichts, es sind dies vor allem auch keine Standestra­ ditionen, die sich in besonderer Weise auf den Einfluss dunkler Seiten der deutschen Geschichte oder einen plausiblen besonderen Zusammenhang mit solchen Epochen zurückführen ließen. bb) Der neuere Stand der deutschen Entwicklung in der BRAO und BORA – freiheitlicher als die USA? Den jüngsten Stand der deutschen Entwicklung versuchen die § 43b BRAO, §§ 6 – 10 BORA zu umschreiben. Es kann hier nicht auf die gesamte Entwicklung in all ihren Details eingegangen werden. Jedoch verdienen einige Fälle inzwischen zulässiger Werbung Erwähnung, die mit der Entwicklung in den USA harmonieren und nun­ mehr akzeptiert sind, obwohl sie eine Gewinnorientierung verraten, die mit der Stel­ lung als Organ der Rechtspflege und seiner Würde, Unabhängigkeit und Integrität nur bei Hintanstellen von Bedenken vereinbar scheinen, wie sie in der Werbung be­ treffenden Bastille-Entscheidung noch deutlich formuliert worden sind:299 Angabe von Erfolgs- und Umsatzzahlen300 bis hin zur Mitwirkung bei vergleichender Wer­ bung in Rankings; Nennung von Mandaten und Mandanten mit deren Zustim­ mung,301 wobei die genaueren Voraussetzungen wirksamer Zustimmung bisher etwas 297 Diese Sicht der nachfolgenden Generation auf eine „versunkene Welt“ klingt auch etwas an in diesem Band bei Schäfer, Geschichte der Bundesrechtsanwaltskammer in der Bon­ ner Republik, unter A. I. und G. II. 298 Etwas kritisch zu dieser Sicht, die vor allem von „Altachtundsechzigern“ bis hin zu einer die Realität teilweise leugnenden Legendenbildung gepflegt wurde und auf diese Weise das Geschichtsbild auch einer bereits nicht mehr involvierten nachfolgenden Generation immerhin durchaus mitprägen konnte, Stürner, 50 Jahre Rechtswissenschaft und Rechts­ praxis in der jüngeren Rechtsgeschichte: Ein Berufsweg zwischen demokratischer Rechtsund Sozialstaatlichkeit und nationalstaatlicher Öffnung, Freiburger Universitätsblätter 208 (Juni 2015), 31 ff. 299 Diese Aufzählung folgt weithin Singer, Der weite Weg nach Europa, in diesem Band, unter C. II. 1. b bis e mit Nachweisen, wählt aber um des anderen Zusammenhanges willen eine andere Ordnung der Entscheidungen. 300 Nunmehr § 6 Abs. 2 Satz 1 BORA; zu Erfolgszahlen, die nicht irreführend sind, schon vorher BGH AnwBl. 2008, 878, 882 = BRAK-Mitt. 2018, 221. Mit der Zulassung der An­ walts-GmbH oder der AG und der Verpflichtung dieser Kapitalgesellschaften zur Be­ kanntgabe der Jahresabschlüsse war das frühere Verbot der Information über Umsatzzah­ len nicht mehr haltbar. 301 § 6 Abs. 2 Satz 2 BORA.

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offen geblieben sind (z.B. ausdrücklich allgemein oder nur für konkrete Fälle etc.) und insgesamt zu Gunsten merkantiler Werbung hart an den Schutzbereich einer ­anwaltlichen Kernpflicht herangerückt wird; Werbung durch Nennung der Gegner eines Mandats; 302 Werbung mit gemeinnützigen Sponsoring-Aktivitäten,303 sport­ lichen Erfolgen304 oder örtlichem Dialekt,305 Angaben zum Privatleben306 oder Hob­ bies307 als oft sehr mittelbar berufsbezogene Tatsachen; schriftliche und andere medi­ ale Abwerbeversuche durch Informationen bei bereits betreuten Klienten selbst unter Äußerung von Zweifeln über bestehende optimale Betreuung,308 soweit keine bedrän­ gende von-Person-zu-Person-Werbung vorliegt  – allerdings mit dem Wortlaut des § 43b BRAO nur bei teleologischer Reduktion vereinbare Rechtsanwendung (!). Das Fallrecht und die neu gefassten Werberegeln der BORA können oft auch im Detail verblüffende Ähnlichkeit mit US-amerikanischen Denkmustern schwerlich verleug­ nen. Auch im Bereich der Werbung gibt es allerdings auch Fälle, in denen das deutsche Recht sein offenes, heimliches oder vielleicht sogar unbewusstes US-amerikanische Vorbild im Umfang der Deregulierung übertrifft. Dies ist der Fall bei Werbung mit Spezialisierung, Spezialwissen oder besonderer praktischer Erfahrung auf Spezialge­ bieten, wo das US-amerikanische Recht stärker auf die Zertifizierung durch vom Staat oder der Bar zugelassene Zertifizierungsstellen setzt als das deutsche Recht, das ne­ ben dem Hinweis auf die Fachanwaltschaft auch den werbenden Hinweis auf die eini­ germaßen nachweisbare „freihändige“ Spezialisierung zulässt.309 Auch die Frage ent­ geltlicher oder unentgeltlicher Einschaltung von Dritten oder von Organisationen zur Werbung ist in den USA anders als in Deutschland im Detail und deshalb wohl auch strenger geregelt, ebenso die Vereinbarung wechselseitiger Empfehlung an Klienten. Schließlich verlangt das US-Berufsrecht anders als das deutsche Recht die Benennung eines für die Werbung verantwortlichen Mitglieds einer law firm. Auch das unlautere Sponsern von Parteien oder zu wählenden Richtern in der Erwartung von „appoint­ ments“ versuchen US-amerikanische Werberegeln zu verhindern ohne einschlägige Entsprechung im deutschen Anwaltsrecht – dies mag allerdings der Tatsache geschul­ det sein, dass die deutsche Grundverfassung solcherlei Einflussnahme ohnehin nicht oder nur unter erschwerten Umständen zulässt, wobei Einflussnahmen auf europä­ ischer Ebene sich befriedigender Transparenz allerdings entzieht.

302 BGH NJW 2008, 838 ff. 303 BVerfG NJW 2000, 3195. 304 BVerfG NJW 2003, 2816, 2817. 305 BVerfG NJW 2003, 3470, 3471 (für Zahnärzte auf Hinweis der BRAK und des DAV in ihren Stellungnahmen) 306 BVerfG NJW 2003, 3470, 3471 (für Zahnärzte auf Hinweis der BRAK und des DAV). 307 BVerfG NJW 2003, 3470, 3471 (für Zahnärzte auf Hinweis der BRAK und des DAV). 308 BGH NJW 2010, 1968; BGHZ 199, 43; BGH NJW-RR 2018, 1086. 309 §  7 BORA; zu den verfassungsrechtlichen Vorgaben insbesondere BVerfG NJW 2004, 2656; BGH NJW 2015, 704; zur berechtigten Kritik in diesem Band Singer, Der weite Weg nach Europa, unter C. II. 2. b mN.

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c) Die Stellung der Bundesrechtsanwaltskammer zur Deregulierung anwaltlicher Werbungsregeln Die Bundesrechtsanwaltskammer mag die in den Bastille-Verfahren des Jahres 1987 liegende potentielle Sprengkraft zunächst vielleicht etwas unterschätzt haben, ihre Stellungnahme zu den §§ 2 und 3 der alten Standesrichtlinien mit ihren generellen Beschränkungen anwaltlicher Werbung und Öffentlichkeitsarbeit wirkt etwas kurz angebunden und selbstsicher310, wie auch die Stellungnahme der Bundesrechtsan­ waltskammer zur Berechtigung anwaltlichen Standesrechts und speziell des Sachlich­ keitsgebots etwas matte Resonanz in der Entscheidung findet,311 und der dann dazu­ hin noch von den Stellungnahmen des DAV und des Republikanischen Anwaltsvereins deutlich widersprochen wird312  – eine in Grundsatzfragen sehr gespaltete Anwalt­ schaft. Die Rechtsentwicklung war in der Folgezeit der ohnehin entmachteten Bun­ desrechtsanwaltskammer letztlich entglitten, sie hatte eher Beobachterstatus. Im Ge­ folge einer allgemein werbungsfreundlichen Rechtsprechung des BVerfG im Recht der freien Berufe erfuhr dann § 43b BRAO 1994 die noch heute geltende Neufassung. Immerhin versuchte die Bundesrechtsanwaltskammer mit Billigung des BJM in den neu erlassenen §§ 6 ff. BORA 1994 der vollen Werbefreiheit gewisse Schranken zu setzen, insbesondere folgte sie in der Frage der „Spezialistenwerbung“ eher dem US-amerikanischen Kurs mit Bevorzugung der zertifizierten Fachanwaltschaft, aber auch weitergehend als das US-amerikanische Recht mit medialen Beschränkungen. Das BVerfG übte in einer Kammerentscheidung einmal mehr eine sehr enge Kontrol­ le aus und erzwang auf diese Weise eine Korrektur zur heutigen „entschlackten“ Fas­ sung313 , die später noch eine Ergänzung erfuhr, soweit bei Hinweisen auf Mandate und Mandanten nicht alle Formen medialer Information zugelassen waren314 und soweit die Angabe von Erfolgs- und Umsatzzahlen in irreführender Form betroffen waren. 315 d) Versuch einer Bewertung und Einordnung der Entwicklung anwaltlichen Werberechts aa) Übertriebene Liberalisierung? Ob es richtig war, wie der BGH den durch anwaltliches Berufsrecht konkretisierten Rückgriff auf anwaltliche Unabhängigkeit, Würde und Integrität, der zum Schutz wichtiger Allgemeininteressen auch im Recht der EU als Grenze freier Werbung ver­ 310 BVerfGE 76, 196 ff., 202; der DAV scheint keine Stellungnahme im Verfahren zur anwalt­ lichen Werbung abgegeben zu haben, wohl aber sehr ausführlich der Republikanische An­ waltsverein und der Bund Freier Rechtsanwälte (BVerfGE 76, 196 ff., 202 ff. und 204) mit starkem Akzent auf der Meinungsfreiheit auch der Anwältinnen und Anwälte. 311 BVerfGE 76, 171 ff., 180 f. 312 BVerfGE 76, 171 ff., 181 f. und 182 f. 313 BVerfG, 28.7.2004, 1 BvR 159/04 („Spezialist für Verkehrsrecht“); BRAK-Mitt. 2005, 183, 184. 314 BRAK-Mitt. 2010, 69. 315 BRAK-Mitt. 2015, 83.

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ankert ist, so weit zurückzudrängen, dass z.B. im Kampf – oder bereits Feilschen? – um Mandanten praktisch von der Würde eines Rechtspflegeorgans nichts mehr übrig bleibt, erscheint bei einem Blick auf das Gesamtergebnis doch etwas zweifelhaft. Vor­ auseilender Gehorsam gegenüber einem EU-Recht anwaltlicher Werbung in seiner gegenwärtigen Gestalt erscheint nicht zu dem hohen Grade empfehlenswert, wie ihn Deutschland im Recht der freien Berufe praktiziert hat und noch praktiziert. Dieses Recht entmachtet die regionale Selbstverwaltung freier Berufe, degradiert ein Rechts­ pflegeorgan wie die Anwaltschaft zum gewöhnlichen gewinnorientierten Marktteil­ nehmer, um eine teilweise etwas geisterhafte Vorstellung von der EU als weltweit wettbewerbsfähigstes Gebilde zu realisieren, ohne dabei außer Marktfreiheiten in ei­ nem gesellschaftlich und kulturell sehr unterschiedlichen Traditionen folgenden Großraum noch andere zur wirtschaftlichen Prosperität notwendige Elemente über­ haupt ausreichend in Erwägung zu ziehen und entsprechende Differenzierungen zu­ zulassen. Die wenigen noch verbleibenden Freiräume verdienen hier durchaus besser ausgetestet zu werden. Dass in der EU die Umformung der Rechtsanwaltschaft zu simplen Marktteilnehmern in irgendeinem Mitgliedstaat die Wettbewerbsfähigkeit der Gesamtwirtschaft erhöht hätte, lässt sich nun wirklich nicht nachweisen, vor al­ lem auch nicht in der nationalen Volkswirtschaft des früheren Wettbewerbskommis­ sars Monti, der als späterer italienischer Ministerpräsident sofort sein altes Anliegen, die Deregulierung freier Berufe, in Angriff nahm, politisch und damit auch gesamt­ wirtschaftlich aber eher scheiterte. Der Blick auf die USA kann auch zeigen, dass die Werbung um massenhafte Rechtsverfolgung durch Bürger und das Anheizen des Rechtsberatungsmarktes und der Rechtsprechungsmaschinerie durch Werbung im Ergebnis wenigen an der Spitze einer hierarchisierten Anwaltschaft dient, nicht aber nachhaltig dem normalen Bürger, der auf präventiven gesetzgeberischen und ad­ ministrativen Rechtsschutz angewiesen bleibt und seine Interessen nur unzureichend von der Rechtsordnung geschützt sieht, wenn er nach Kompromisse suchenden Akti­ vitäten oder nach langen Jahren des Prozessierens eine Geldsumme zugesprochen bekommt, die seine soziale Verdrießlichkeit nicht mehr zu beseitigen vermag. Die US-amerikanische Gegenwartsgeschichte lehrt auch, dass der soziale Frieden in kom­ petitiven Gesellschaften, die Rechtsverwirklichung zu sehr als werbeträchtiges Feld finanzieller Gewinnschöpfung begreifen, ein besonders leicht ins Wanken zu brin­ gender Balanceakt sein könnte, zumal wenn die in den USA vorhandenen „checks and balances“ in anderen Gesellschaften nicht oder nicht in gleicher Stärke existieren. Man sollte deshalb in Sachen anwaltlicher Werbung auch nicht zu sehr dem Einfluss von Großkanzleien aus „competitive societies“ erliegen. Sie könnten dazu neigen, aus Finanzinteressen Märkte für Massenklagen auch außerhalb der USA zu suchen, die nur bei günstigem und möglichst unbeschränktem anwaltlichem Werberecht wirk­ lich erfolgversprechend und finanziell attraktiv gestaltbar sind. bb) Parallellaufendes Äußerungsrecht Auch in Deutschland harmoniert wie in den USA die Entwicklung zur Liberali­sierung des Werberechts für freie Berufe mit dem vorausgehenden Trend zur Liberalisierung

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des Äußerungsrechts, insbesondere und gerade was die Form der Äußerung angeht.316 In Deutschland wurde die Entwicklung zu einer besonders rauen Sprache in der öf­ fentlichen Diskussion nicht so weit vorangetrieben wie in den USA, aber immerhin zeugt etwa die Akzeptanz der Aufschrift „A.C.A.B.“ (all cops are bastards)317 oder „FCK CPS“ (fuck cops)318 auf shirts oder buttons, die man je nach Falllage auf der Grenzlinie zwischen Werbung und politischer Meinungsäußerung einordnen kann, von einer doch auch weitreichenden Auflösung traditioneller Formen und Grenzen freier Äußerung. Die Unterscheidung zwischen nicht beleidigungsfähigen Kollekti­ ven und beleidigungsfähigen bestimmten Personen, die das BVerfG bei der Beurtei­ lung der Strafbarkeit solcher Äußerungen zur Grenzziehung verwendet, ist zumin­ dest dann nicht voll überzeugend, wenn der Äußernde billigend in Kauf nimmt, dass seine Äußerung von einzelnen Individuen in räumlicher Nähe als auf sich unmittel­ bar bezogen wahrgenommen werden. Insgesamt stellt sich allerdings die Frage, ob die Großzügigkeit gegenüber derartigen Beiträgen in der öffentlichen Diskussion zu ei­ ner Verrohung öffentlicher Artikulation beigetragen hat, vor allem nachdem in digi­ talen Medien die Hemmschwelle immer tiefer liegt und die Wahrnehmbarkeit gleich­ zeitig steigt. Letztlich bleibt im Bereich ähnlicher freiberuflicher Werbung nur der Rückgriff auf die Schrankenwirkung der Würde des anwaltlichen Rechtspflegeorgans und ein Interesse der Allgemeinheit, ein Abgleiten in niedrigstes Niveau zu verhin­ dern. Wenn man diese Schranke wie die gegenwärtige Rechtsprechung erst sehr spät setzt, wird sie als eher überraschend wahrgenommen und im Einzelfall als willkürlich wirkende Setzung empfunden werden, wie dies der Fall anwaltlicher Werbung mit Bildern halbnackter familiärer Opfer häuslicher Gewalt auf Kaffeetassen deutlich macht.319 cc) Fortbestehende Notwendigkeit eines Beitrags der Bundesrechts­ anwaltskammer zu einer maßvollen Vorverlegung der Grenze zur unzulässigen Werbung Bei aller Kritik an der Tendenz zur Freigabe der Werbung bis zur äußersten und da­ mit überzeugend nicht mehr bestimmbaren Grenze muss man allerdings festhalten, dass sich die Bundesrechtsanwaltskammer durchaus Mühe gegeben hat, die Schutz­ grenze gegen rein gewinnorientierte Mandantenwerbung in einigen sinnvollen Berei­ chen etwas nach vorne zu verlegen. Aber ihr anfängliches Zaudern, notwendige Kor­ rekturen an früher üblichen, oft recht kleinlichen und in der Sache gleichgültigen Beschränkungen rechtzeitig vorzunehmen, mag zum plötzlichen Rutschen des Sand­ 316 Dazu teilweise kritisch Stürner, Die verlorene Ehre des Bundesbürgers. Bessere Spiel­regeln für die öffentliche Meinungsbildung?, JZ 1994, 865 ff.; für allenfalls teilweise berechtigt hält diese Kritik Masing, Schmähkritik und Formalbeleidigung – zur Abwägungsdogma­ tik des Bundesverfassungsgerichts im Recht des Ehrschutzes, Festschrift für Rolf Stürner, 2013, Band 1, S. 25 ff. 317 Dazu die Kammerentscheidungen BVerfG, 16.1.2017, 1 BvR 1593/16; BVerfG, 17.5.2016, 1 BvR 2567/14; BVerfG, 17.5.2016, 1 BvR 2150/14, jeweils mit ihrer Vorgeschichte. 318 Dazu die Kammerentscheidung BVerfG, 26.2.2015, 1 BvR 1036/14, NJW 2015, 2022. 319 BGH NJW 2015, 1438 ff.

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haufens beigetragen haben, das dann schwerlich noch in gemäßigte Bahnen gelenkt werden konnte, nachdem das „Crucifice“ des traditionellen Werbeverbots bereits auch aus Kreisen einer gespaltenen Anwaltschaft in vielstimmigem Chor erklungen war, der sich in Begriffen wie „nicht mehr zeitgemäß“, „obrigkeitlich“ oder „Freibe­ rufler-Ideologie“ artikulierte und sich dabei einer sachlichen Diskussion über gesell­ schaftliche Schadensfolgen einer Trivialisierung der gesellschaftlichen Funktion der Anwaltschaft durch eine sie selbst und damit letztlich auch das Recht erfassende Ver­ kaufswerbung verweigerte. Rechtsverwirklichung war und ist in der Realität auch im­ mer eine Frage der Finanzierbarkeit, aber verhängnisvoll ist ein gesellschaftliches Grundgefühl, sie sei nur oder doch überwiegend eine Geldfrage und damit „busi­ ness“. Justice Blackmun stand an der Spitze einer Bewegung, die „law as a business“ verabsolutierte und Standesethik ironisierte und verspottete,320 um sie der Autono­ mie des Individuums zu überlassen – der Anwalt als „homo economicus“.321 BVerfG und BGH selbst haben zwar diese Grenze wie auch der europäische und deutsche Gesetzgeber letztlich immer noch als notwendig erkannt und am „Rechtspflegeorgan“ und seiner Würde zumindest in der Theorie festgehalten, aber diese Grenze nur noch ganz selten zur Realität werden lassen. Das Werberecht bewegt sich wie jedes Äuße­ rungsrecht im Spannungsfeld von Freiheit und Ordnung, gerade die Gegenwart zeigt, wie besonders ein Äußerungsrecht ohne Ordnung ebenso wie ein Äußerungsrecht ohne Freiheiten gesellschaftliche Teilbereiche und schlimmstenfalls ganze Gesell­ schaften vergiften kann. Freiheit und Ordnung sind „Zwillingsschwestern“.322 Die richtige Balance bleibt immer eine Frage der Wertung und Prognose, der Schritt zu dieser Wertung muss auch und gerade in einer Epoche der Individualisierung getan werden, soll individuelle Freiheit nicht zu einem gesellschaftlichen Privileg weniger werden. 8. Verschwiegenheit und widerstreitende Interessen Die Darstellung eines Vergleichs der Entwicklung des anwaltlichen Berufsrechts zwi­ schen USA und Deutschland bliebe unvollständig, würde nicht abschließend noch kurz der Stand der Rechtsentwicklung bei zwei anwaltlichen Hauptpflichten skizziert, nämlich der Pflicht zur Verschwiegenheit und dem Gebot der Vermeidung einer Ver­ tretung widerstreitender Interessen.

320 Dazu oben unter D. IV. 7. a). 321 Zur Auseinandersetzung mit dieser sehr breiten Entwicklung, deren teilweises Abklingen in seiner Wirkung auf bereits geschaffene Realitäten nicht überschätzt werden sollte, Stürner, Markt und Wettbewerb, S. 23 ff., 87 ff., 128 ff., 271 ff. 322 Abwandlung des berühmten Zitates von Rudolf von Jhering, Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Band 2, Leipzig, 1858, S. 497: „Die Form ist die geschworene Feindin der Willkür, die Zwillingsschwester der Freiheit“.

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a) Pflicht zur Verschwiegenheit Ein weitreichender Gleichlauf lässt sich feststellen bei der Pflicht zur Verschwiegen­ heit.323 Dies gilt sowohl für die grundsätzliche Pflicht zur Verschwiegenheit als auch für Ausnahmen, von denen die Zustimmung des Mandanten die wichtigste ist.324 Al­ lerdings geben sich die MRPC bei der genauen Beschreibung weiterer Ausnahmen wesentlich ausführlicher325 als die deutsche BORA. Es ist bereits ausgeführt, dass Zu­ stimmungen zur Offenlegung, die im Dienste von Werbeinteressen des Anwalts ste­ hen,326 durchaus kritisch zu sehen sind. In beiden Rechtssystemen ist die Auslagerung von Daten an Dritte erlaubt, soweit sie rechtlich zur Geheimhaltung verpflichtet und ausreichend zuverlässig sind,327 wobei allerdings die comments zu den MRPC eine Vereinbarung zwischen der law firm und dem Mandanten über die Aufsicht solcher Dritter empfehlen. b) Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen – die deutsche Situation Etwas schwieriger liegen die Dinge teilweise beim Verbot der Vertretung widerstrei­ tender Interessen. Im deutschen Recht galt zunächst einmal das Verbot der Vertre­ tung widerstreitender Interessen, das in sehr allgemeiner Form 1994 als § 43a Abs. 4 in die BRAO eingefügt wurde. Die Standesrichtlinien aus der Zeit vor 1987 ent­ hielten ein Beratungs- und Vertretungsverbot für den Fall, dass ein Anwalt in dersel­ ben Rechtssache mehrere Parteien mit widerstreitenden Interessen zur gleichen Zeit oder sukzessive beraten oder vertreten wollte, und sie dehnten dieses Verbot auf sämtliche Mitglieder einer Berufsausübungs- oder Bürogemeinschaft aus. Die BORA 1996 übernahm im wesentlichen diese Regelung.328 Im Jahre 1999 fügte die Satzungs­ versammlung der Bundesrechtsanwaltskammer der Vorschrift über den Interessen­ widerstreit einen neuen Absatz ein,329 der ein Beratungs- und Vertretungsverbot aus­ schloss, wenn ein die Kanzlei wechselnder Nichtsozius vorher mit der gleichen Sache nicht befasst war. Man wollte damit angesichts der wachsenden Zahl von Großkanz­ leien vor allem jüngeren Anwälten den Wechsel erleichtern. Im Falle des Kanzleiwechsels eines Scheinsozius, der mit der Rechtssache weder in der alten noch in der neuen Kanzlei befasst war, erklärte das BVerfG ein Beratungsund Vertretungsverbot für verfassungswidrig,330 weil es die aufnehmende Kanzlei 323 Für Deutschland § 43a Abs. 2 Satz 1 – 3 BRAO; für das US-Recht Rule 1.6 (a) MRPC und in Anordnung und Sprache nur leicht abweichend beispielsweise New York Rules of Pro­ fessional Conduct, Rule 1.6 (a) und (c). 324 Für Deutschland § 2 Abs. 3 (a) BORA; für das US-Recht Rule 1.6 (a) MRPC und Rule 1.6 (a) (1) New York Rules of Professional Conduct („informed consent“). 325 Vergleiche Rule 1.6 (b) (1)-(7) MPPC und § 2 (3) (b) und (c) BORA. 326 Dazu oben unter D. IV. 7. a) und b). 327 Für Deutschland § 2 (5) – (7) BORA und für die USA Rules 1.6 (c) und 5.3 MRPC, insbe­ sondere Comment (4) zu Rule 5.3 MRPC sowie beispielsweise New York Rules of Profes­ sional Conduct Rules 1.6 (c) und 5.3 comment (3). 328 BRAK-Mitt. 1996, 241. 329 BRAK-Mitt. 1999, 123.  330 BVerfGE 108, 150 ff., 160 ff.

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und den aufgenommenen Rechtsanwalt in ihrer Berufsfreiheit unverhältnismäßig be­ einträchtige, zumal die Mandanten beider Kanzleien mit der Führung der Mandate einverstanden gewesen seien. Das BVerfG betonte ausdrücklich, dass seine Prüfung nur diesen von der Regelung erfassten Fall betreffe, also nicht die Fälle der nunmeh­ rigen Betreuung der Rechtssache durch den wechselnden Anwalt, den Fall fehlenden Einverständnisses der betroffenen Parteien und den Fall einer einhergehenden Ver­ letzung der Verschwiegenheitspflicht. Dabei betont das BVerfG, dass unter das Verbot des Interessenwiderstreits in seiner gegenwärtigen Fassung teilweise Fälle fielen, in denen nach sorgfältiger Aufklärung das Vertrauen der Parteien in die Unabhängig­ keit  und Integrität der Interessenvertretung angesichts ihres Willens zur Begrün­ dung oder Fortsetzung des Mandats nicht gestört und gleichzeitig auch das Interesse der Allgemeinheit an geradliniger anwaltlicher Berufsausübung nicht berührt sei. Dies sei der Fall bei Fallgestaltungen, in denen bei bestehender anwaltlicher Schwei­ gepflicht ein Informationsaustausch zwischen den „dieselbe Rechtssache“ betrei­ benden Anwälten und Anwältinnen mit von einem tatsächlichen oder potentiellen Interessenwiderstreit betroffenen Kanzleimitgliedern auch durch äußere Um­ stände  ausgeschlossen oder doch unwahrscheinlich erscheine, z. B. bei örtlicher ­Trennung, bei organisatorischen Vorkehrungen wie „chinese wall“, entsprechende Ausgestaltung der Vertragsverhältnisse oder fachlich bedingte Abschottung durch Spezialisierung von einzelnen Bereichen der Kanzlei (z.B. Familienrecht, Baurecht, Patentrecht etc.). c) Kritik der deutschen Regelung des Interessenwiderstreits Die vom BVerfG intendierte Lösung, die stärker auf die konkrete Situation abstellt, leuchtet zwar in ihrer theoretischen Logik ein, wenn man auf Fälle des Kanzleiwech­ sels abhebt, lässt sich aber schwer in eine allgemeine Regel fassen und erreicht die Grenze ihrer Belastbarkeit, wenn man von einer Fallkonstellation ausgeht, in der auf beiden Seiten von „chinese walls“ abgeschirmte Anwälte oder Anwältinnen der glei­ chen Kanzlei tätig werden wollten. Die Satzungsversammlung der Bundesrechtsan­ waltskammer stand nunmehr im Falle des Kanzleiwechsels vor einer schwierigen Umsetzungsaufgabe, derer sie sich mit Verabschiedung der insoweit bis heute gelten­ den Neufassung des §  3 BORA entledigte, die zum 1.7.2006 in Kraft trat.331 Wenn man den Kernsatz liest, der bei Einverständnis der wohlinformierten betroffenen Mandanten eine nach individueller Situation zu beurteilende Berücksichtigung ent­ gegenstehender Belange der Rechtspflege vorsieht (§  3 Abs.  2 Satz 2 BORA), stößt man auf eine wenig aussagende Generalklausel ohne konkreten Auskunftswert – die Bundesrechtsanwaltskammer hatte angesichts der wachen Kontrolllust des BVerfG offenbar den Mut und Willen zu Konkreterem verloren. Der BGH versucht zwischen­ zeitlich, schon beim Merkmal des Interessenkonflikts mit besonders strengen Anfor­ derungen die Reißleine zu ziehen und gewichtet dabei sehr stark nach dem Parteiwil­ len betroffener Mandanten, was zu einer verstärkten Disponibilität des Verbots widerstreitender Interessen führt.332 331 BRAK-Mitt. 2006, 79, 80. 332 Hierzu BGH NJW 2012, 3039 ff. Rz. 15; dazu kritisch Stürner JZ 2017, 905 ff., 915.

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d) Grundzüge der US-amerikanischen Regelung In den USA, dem Stammland der Großkanzleien und damit auch des gewachsenen Konfliktpotentials, bemühen sich freilich die Regelwerke der Einzelstaaten unter dem gemeinsamen Schirm der MRPC um eine etwas konkretere Wegweisung für die be­ troffene Anwaltschaft. Sie unterscheiden zwischen dem Interessenwiderstreit bei „current clients“,333 bei „former clients“334 und schließlich der „imputation of con­ flicts of interest“335 im Falle der Mitgliedschaft in einer law firm. Durch diese klare Gliederung gewinnt die Regelung deutlich an Verständlichkeit und Genauigkeit. Beim „current client“ beschreibt das Regelwerk zunächst den typischen Interessen­ konflikt (direkter Gegensatz zum Interesse eines anderen Mandanten, mittelbarer Ge­ gensatz bei Risiko einer Beschränkung der Betreuung eines Mandanten durch die Verpflichtungen gegenüber einem früheren oder gegenwärtigen anderen Mandanten oder durch eigene konfligierende Interessen des Anwalts bzw. der Anwältin), der im Regelfall zu einem Vertretungsverbot führt. Ausnahmsweise darf aber eine Vertre­ tung erfolgen, wenn der Anwalt vernünftigerweise von einer möglichen koordinier­ ten Interessenvertretung für jeden Betroffenen ausgehen kann, kein gesetzliches ­Verbot gegeben ist, die Geltendmachung eines direkten Anspruchs zwischen den Ver­ tretenen nicht ansteht und alle betroffenen Mandanten nach Information ihre schrift­ liche Zustimmung geben. Im Verhältnis zu „former clients“ ist die spätere Vertretung eines anderen Mandanten mit gegenläufigen Interessen zum früheren Mandanten in derselben oder einer in wesentlichen Punkten zusammenhängenden Rechtssache nicht erlaubt, es sei denn, der frühere Mandant stimmt nach Information zu. War ein Anwalt oder eine Anwäl­ tin früher Mitglied einer anderen Kanzlei, so soll nicht wissentlich ein neuer Mandant mit gegenläufigen Interessen in derselben Rechtssache betreut werden, wenn in der früheren Kanzlei der Verschwiegenheitspflicht unterliegende Informationen über diesen früheren Mandanten erlangt wurden, es sei denn, der frühere Mandant erklärt nach Information seine schriftliche Zustimmung. Weiter darf eine Anwältin oder ein Anwalt Informationen, die sie oder er oder ihre frühere oder gegenwärtige law firm vom früheren Mandanten erhalten haben, weder zum Nachteil des früheren Mandan­ ten benutzen noch auch nur offenbaren, es sei denn, es handelt sich um Informatio­ nen die nach allgemeinen Regeln nicht unter die Pflicht zur Verschwiegenheit fallen. Bei „imputation of conflicts“ im Falle der aktuellen oder früheren Mitgliedschaft in einer law firm darf außer dem nach den bereits beschriebenen Regeln der Disqualifi­ kation bereits betroffenen Anwalt grundsätzlich auch kein anderes Mitglied der law firm ein von dieser Disqualifikation betroffenes Mandat übernehmen. Davon gibt es aber Ausnahmen. Eine erste Ausnahme ist gegeben, wenn die Disqualifikation auf 333 Hierzu Rule 1.7 MRPC; insgesamt gleich New York Rules of Professional Conduct, Rule 1.7.  334 Vgl. Rule 1.9. MRPC; insgesamt wiederum gleich New York Rules of Professional C ­ onduct, Rule 1.9. 335 Vgl. Rule 1.10 MRPC; teilweise etwas abweichend und strenger New York Rules of Profes­ sional Conduct, Rule 1.10, siehe vor allem Rule 1.10 (c) und (e) ff.

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Grund persönlicher Interessen des primär betroffenen Anwalts erfolgte und die Ge­ fahr einer Beeinträchtigung der Betreuungsqualität nicht besteht, falls ein anderes Mitglied der Kanzlei den Fall betreibt. Eine zweite Ausnahme betrifft die Vertretung durch eine law firm, wenn ein neues, von einer Disqualifikation betroffenes Mitglied rechtzeitig von irgendeiner Befassung oder finanziellen Beteiligung am disqualifizie­ renden Mandat ausgeschlossen ist („screening“) und der frühere Mandant über die Art des Ausschlusses zusammen mit einer entsprechenden Zusicherung und der Mit­ teilung von Nachprüfungsmöglichkeiten durch die ausgeschlossene Anwältin und eine Partnerin der law firm benachrichtigt worden ist. Die frühere law firm eines ausscheidenden Anwaltes ist nicht an der Vertretung von Mandanten gehindert, die Interessenkonflikte mit einem vom ausgeschiedenen Kanzleimitglied vertretenen frü­ heren Mandanten haben, es sei denn, es besteht ein wesentlicher Fallzusammenhang und ein verbleibendes Mitglied der law firm hat Informationen, die unter die anwalt­ liche Verschwiegenheitsplicht fallen. In allen Fällen kann aber eine Befreiung vom Vertretungsverbot für die neue oder frühere Kanzlei unter den Voraussetzungen er­ reicht werden, die für einen einzelnen Anwalt im Verhältnis zu seinem gegenwärtigen Mandanten gelten und bereits beschrieben sind. e) Unerledigte „Hausaufgaben“ der Satzungsversammlung? Die Bundesrechtsanwaltskammer hat bei ihrer Stellungnahme zum vom BVerfG ent­ schiedenen Fall ähnlich wie die Bundesnotarkammer und der Deutsche Richterbund eine Betrachtungsweise bevorzugt, die nicht auf die Gefahr des Interessenwiderstreits im konkreten Einzelfall abhebt, sondern auf die falltypische Möglichkeit eines Interes­ senwiderstreits verbunden mit dem bösen Schein eines versteckten Unabhängigkeits­ verlustes anwaltlichen Handelns abgehoben.336 Einmal mehr haben der DAV und der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein eine gegenteilige Ansicht vertreten und eine Regelung befürwortet, die auf die Wahrung der Verschwiegenheitspflicht und die Zustimmung der betroffenen Mandanten abstellt, eine Lösung, wie sie teilweise auch der Regelung im CCBE - Code of Conduct for Lawyers in the European Union entspricht.337 Der Kompromiss, den das BVerfG gewählt oder angedeutet hat, liegt wohl etwas näher bei den MRPC des US-amerikanischen Rechts als bei den beiden gegensätzlichen Positionen der Anwaltschaft, soweit eine Verpflichtung zur Verschwie­ genheit neben dem Hinweis auf denkbare schützende Maßnahmen organisatorischer Trennung steht. Es ist schade, dass sich die Satzungsversammlung der Bundesrechts­ anwaltskammer nicht zum vollen Durcharbeiten der Materie entschließen konnte, um auf diese Weise ähnlich wie die US-Anwaltschaft zu detaillierteren Regeln zu kommen, sondern sich mit einer etwas kryptischen Generalklausel begnügt hat und Gefahr lau­ fen könnte, am verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot zu scheitern, falls es als Grundlage von Verboten tatsächlich benutzt werden sollte.338 Die Generalklausel mit 336 BVerfGE 108, 150 ff., 155 ff. 337 Dazu Rules 3.2.1 bis 3.2.4, für den konkreten Fall insbesondere Rule 3.2.3.  338 Interessanterweise hält Zuck den Verweis auf „entgegenstehende Belange der Rechtspfle­ ge“ einerseits unter Berufung auf BVerfGE 108, 150, 163 f. für praktisch bedeutungslos und andererseits unter Berufung auf BVerfG NJW 2006, 2469 für verfassungsgerichtlich

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ihren Spielräumen könnte auch dazu führen, der Anwaltschaft in einzelnen Fallge­ staltungen etwas mehr Freiheiten zu gewähren als das detailliertere US-Modellrecht und die meisten US-Einzelstaaten. Die Frage des Interessenwiderstreits wird verstärkt wieder auf die Tagesordnung kommen, wenn in Zukunft mehrstufige Kanzleien er­ laubt sein sollten. Gewinnorientierung stellt allseits korrektes Verhalten auf harte Probe, wenn die Einwerbung neuer Mandate ansteht. Dies scheint die US-Anwalt­ schaft mit ihrer detaillierteren Regelung realistischer eingeschätzt zu haben als die deutsche Anwaltschaft, vielleicht weil sie mit Gewinnorientierung längere und in die­ sem Punkt schlechtere Erfahrungen hat, wie sie menschlicher Natur entsprechen.

E.  Die Bundesrechtsanwaltskammer und Menschenrechtsfragen I. Der Ausschuss für Menschenrechte der Bundesrechtsanwaltskammer Ein Bericht über den Einfluss internationaler Entwicklungen auf die Arbeit der Bun­ desrechtsanwaltskammer wäre unvollständig, würde er die Arbeit des im Jahre 2012 erstmals zusammengetretenen Ausschusses für Menschenrechte unerwähnt und un­ gewürdigt lassen.339 In der Vorzeit gab es zwar auch immer wieder Stellungnahmen zu Menschenrechtsfragen, es fehlte aber an der Organisation einer kontinuierlichen und systematischen Beobachtung der internationalen Entwicklung im Bereich der Menschenrechte. Dies wurde nicht zuletzt auch deshalb als Mangel empfunden, weil in nicht wenigen Staaten mit erheblichen menschenrechtlichen Defiziten Teile der Anwaltschaft zum Motor des Kampfes um Menschenrechte geworden waren und da­ bei selbst Gefahr liefen, zum Opfer von Menschenrechtsverletzungen zu werden. Nicht zuletzt dies hatte den DAV dazu veranlasst, bereits im Jahre 2010 einen Aus­ schuss „Menschenrechte“ zu gründen340. Dieser Entschluss war auch die Folge einer Kooperation mit Amnesty International, die schon in den Jahren vorher zu Berichten im Anwaltsblatt über die Menschenrechtssituation und die Arbeit von Menschen­ rechtsverteidigern in bestimmten Ländern geführt hatte, was dann wiederum Ge­ spräche und Kontakte mit Anwältinnen und Anwälten sowie mit Nichtregierungsor­ ganisationen aus Ländern wie Indonesien, Mexiko, Russland, Iran, Usbekistan und China zur Folge hatte. Für die Bundesrechtsanwaltskammer war ein entsprechender Schritt schon seit einigen Jahren ebenfalls im Gespräch, indessen erwies sich für sie wegen ihrer öffentlich-rechtlichen Organisationsform mit gesetzlich vorgegebenem Auftrag eine Befassung mit Menschenrechtsfragen in anderen Staaten als etwas pro­ blematischer als für eine rein privatrechtliche Organisation wie den DAV. Jedoch setzte das Präsidium der BRAK trotz solcher Vorbehalte im Jahre 2011 ein Gremium Men­ in vollem Umfang geprüft und für unbedenklich befunden (Zuck, in: Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, aaO, § 3 BORA Rz. 17, S. 620, und Rz. 34, S. 622) – beide An­ nahmen vermögen nicht voll zu überzeugen! 339 Dazu das Protokoll der ersten Sitzung des Ausschusses für Menschenrechte am 28.6.2012, RS-Nr. 1/2012. 340 AnwBl. 2011, 182.

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schenrechte ein, das über das weitere Vorgehen beraten und Vorschläge unterbreiten sollte.341 Dieses Gremium aus insgesamt vier Rechtsanwälten und Rechtsanwältinnen unter Vorsitz von Rechtsanwalt Professor Kirchberg schlug dann die Gründung eines Ausschusses Menschenrechte vor und erörterte dabei auch bereits den künftigen Rahmen seiner Arbeit, nämlich das Zusammenwirken mit ähnlichen, über die Wah­ rung von Menschenrechten wachenden Organisationen bei Informationen der Öf­ fentlichkeit über Menschenrechtsverletzungen und dabei vor allem auch über die Verletzung von Rechten anwaltlicher Verteidiger, die Beobachtung der Entwicklung der Menschenrechtssituation in der Rechtsprechung des EGMR und anderer Gerich­ te, die Teilnahme an Mahnaktionen etc. Die Bundesrechtsanwaltskammer hat 2012 mit der Gründung des Menschenrechtsausschusses diese Empfehlung umgesetzt.

II. Die Arbeit der Bundesrechtsanwaltskammer und ihres Menschenrechtsausschusses auf dem Gebiet des Menschenrechtsschutzes in den letzten Jahren In den vergangenen Jahren hat sich die Arbeit des Menschenrechtsausschusses an diesen Vorgaben orientiert und zur Intensivierung der Aktivitäten der Bundesrechts­ anwaltskammer auf dem Gebiet des Schutzes von Menschenrechten wesentlich beige­ tragen. Die Bundesrechtsanwaltskammer hat zusammen mit dem DAV wesentlich zur Gründung und Festigung des Deutschen Instituts für Menschenrechte (DIMRG) bei­ getragen, dessen gesetzliche Grundlage die Bundesrepublik 2016 geschaffen und da­ mit den Anforderungen des International Coordinating Committee of National Hu­ man Rights Institutions (ICC) genügt hat.342 Die Bundesrechtsanwaltskammer und ihr Menschrechtsausschuss haben insbesondere in engem Kontakt mit der Anwalt­ schaft betroffener Staaten auf die schwierige Situation der Anwaltschaft und einzelner Anwältinnen und Anwälte in Ländern wie der Türkei,343 dem Iran,344 Aserbeid­ schan,345 Saudi-Arabien,346 Malaysia,347 Vietnam348 und China349 hingewiesen und sich auch an die verantwortlichen staatlichen Stellen gewandt, teilweise durchaus mit gewissen Erfolgen. Ein weiterer wichtiger Bereich menschenrechtlichen Interesses waren und sind die gerichtsverfassungsrechtliche Organisation und Stellung sowie die Rechtsprechung des EGMR, insbesondere soweit Fragen des Zugangs zum Ge­ 341 Dazu das Protokoll über die erste (und einzige !) Sitzung dieses Gremiums Menschen­ rechte am 26.5.2011 mit Anlagen, AZ: G II 1, Bi/MF/Gh. 342 Dazu BRAK-Nr. 269/2016, S. 142. 343 Z.B. BRAK-Nr. 100/2016, S. 96; BRAK-Nr. 140/2014, S. 125; BRAK-Nr. 318/2013, S. 76; BRAK-Nr. 344/2014, S. 93; 11. Sitzung des Menschenrechtsausschusses RS-Nr. 16/2017, S. 3 ff. 344 BRAK-Nr. 129/2016, S. 143; BRAK-Nr. 140/2014, S. 125. 345 BRAK-Nr. 318/2013, S. 76. 346 BRAK-Nr. 427/2015, S. 136. 347 BRAK-Nr. 108/2015, S. 132. 348 BRAK-Nr. 344/2014, S. 93. 349 BRAK-Nr.  129/2016, S.  143; BRAK-Nr.  427/2015, S.  136; BRAK-Nr.  108/2015, S.  132; 4. Sitzung des Menschenrechtsausschusses RS-Nr. 13/2013, S. 2.

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richt350 und seine Rechtsprechung zur Verletzung anwaltlicher Rechte in Frage ste­ hen, seien es persönliche Rechte der Anwältinnen und Anwälte selbst oder auch be­ rufliche anwaltliche Rechtspositionen im Interesse der Mandantschaft.351 Dazu ge­ hört in Einzelfällen auch die Teilnahme am Verfahren als Drittbeteiligte bzw. amicus curiae.352 Ein neueres Projekt im Zusammenwirken mit dem Europarat unter Betei­ ligung der Bundesrechtsanwaltskammer ist eine Europäische Konvention für die ­Anwaltschaft mit einer Alarmplattform zum Schutze gefährdeter Menschenrechts­ verteidiger.353 Daneben darf nicht unerwähnt bleiben, dass sich die Bundesrechts­ anwaltskammer und ihr Menschenrechtsausschuss zusammen mit anderen Orga­ nisationen im Rahmen gemeinsamer Tagungen, Gesprächskreise oder öffentlicher Aktionen wie insbesondere auch Preisverleihungen für Persönlichkeiten besonderen Einsatzes für Menschenrechte laufend und stetig bemüht, in der politischen Öffent­ lichkeit das Bewusstsein für die allgemeine Gefährdung von Menschenrechten und ihre besondere Verletzlichkeit in Systemen „hinkender“ Rechtsstaatlichkeit wach zu halten. Insgesamt eine besonders erfreuliche und nicht selten durchaus erfolgreiche Aktivität der Bundesrechtsanwaltskammer, die über die eigene Befindlichkeit und das Alltagsgeschäft einer nationalen Berufskammer deutlich und weit hinausreicht.

F. Schlussbemerkung Wenn man zum sechzigjährigen Bestehen der Bundesrechtsanwaltskammer eine Bi­ lanz darüber ziehen soll, inwieweit sie mit ihrer Arbeit internationalen Entwicklun­ gen gerecht werden konnte, so muss man zunächst einmal festhalten, dass die Bun­ desrechtsanwaltskammer nur ein Teil der öffentlichen Gewalt ist, die insgesamt das Schicksal der Anwaltschaft in Deutschland gestaltet und prägt. Mächtige weitere ho­ heitlich gestaltende Kräfte sind natürlich der europäische und deutsche Gesetzgeber ebenso wie der EuGH, der EGMR und das BVerfG. Der Raum berufsrechtlicher Mit­ gestaltung für die Bundesrechtsanwaltskammer ist schon vor diesem Hintergrund relativ klein. In Fragen des Berufsrechts beschränken zusätzlich die Aufgabenvertei­ lung zwischen den regionalen Rechtsanwaltskammern sowie den Anwaltsgerichten und der Bundesrechtsanwaltskammer354 und die besondere Zuständigkeit der Sat­ zungsversammlung355 den Spielraum des Präsidiums für Vorschläge und Stellung­ nahmen, und schließlich führen dann noch die Aufsichtsrechte und Aufhebungsbe­

350 Dazu BRAK-Nr.  318/2013, S.  76; BRAK-Nr.  140/2014, S.  124  f.; BRAK-Nr.  108/2015, S. 23, 131; BRAK-Nr. 427/2015, 135 f.; BRAK-Nr. 448/2017, S. 23 f. 351 Z.B. BRAK-Nr. 129/2016, S. 142 f (präventiver Rechtsbehelf bei überlangen Verfahren in Kindschaftssachen); BRAK-Nr. 446/2016, S. 24, 139 (Aktionsplan „Wirtschaft und Men­ schenrechte und anwaltliches Berufsgeheimnis“); 7.  Sitzung des Menschenrechtsaus­ schusses, RS-Nr. 09/2015 (strafprozessuale Rechte des Verteidigers); 352 BRAK-Nr. 446/2016, S. 24; BRAK-Nr. 448/2017, S. 120 (Fall Sommer/ Schutz anwaltlicher Konten im Ermittlungsverfahren). 353 BRAK-Nr. 100/2018, S. 95/96. 354 §§ 60 ff., 73-74a, 177 Abs. 2 Nr. 1, 3, 4, 5 BRAO. 355 §§ 191a ff., 191d BRAO.

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fugnisse des Bundesministers der Justiz und für Verbraucherschutz356 zu einer weiteren Rahmung rechtspolitischer Bewegungsfreiheit. Hinzu kommt noch endlich die unterschiedliche demokratische Legitimation des Präsidiums der Bundesrechts­ anwaltskammer und der berufsrechtlich wichtigen Satzungsversammlung.357 Wenn man dann die oft sehr deutlichen Divergenzen zwischen DAV und Bundesrechtsan­ waltskammer mit in Betracht zieht, so ist schon wegen der organisatorischen Aus­ gangslage für Vielstimmigkeit gesorgt, an deren Existenz sich der Gesetzgeber alles andere als gestört zu haben scheint. An einer starken Anwaltschaft in Gestalt einer wirklich starken Bundesrechtsanwaltskammer als Selbstverwaltungsorgan war ihm nicht gelegen – wie immer man zu dieser Grundentscheidung auch stehen mag. Hin­ zu kommt, dass das BVerfG in den sogenannten Bastille-Entscheidungen eine weitere Schwächung der Bundesrechtsanwaltskammer bewirkt hat, ganz offensichtlich ohne dass die damaligen Verfassungsrichter die vollen Konsequenzen ihres Kahlschlages selbst richtig zu überschauen in der Lage waren, was sich aus ihren traditionsgebun­ denen und aus heutiger „progressiver“ Sicht eher biederen Bemerkungen zum Wer­ berecht eindeutig ergibt. Die gleichzeitige europäische Bewegung zur Wettbewerbs­ gesellschaft, die mit ihrer ideologischen Grundlegung die EU und ihre Organe immer stärker beeinflusste, und der Zugriff der englischen und amerikanischen Law Firms auf den Kontinent fanden in Deutschland ein relativ offenes Spielfeld und begannen das Recht der freien Berufe in ihrem Sinne umzuformen, ohne dass der deutsche Gesetzgeber und die deutsche Regierung Widerstand zu leisten in der Lage waren oder auch nur Widerstand leisten wollten. Die Sonderstellung der Anwaltschaft als eines Berufes, der zusammen mit dem Notariat wie kein anderer freier Beruf von der Rechtsordnung der Verwirklichung des Rechts gewidmet ist, konnte sich – auf den ersten Blick überraschend – weniger als in den USA als dem Stammland der moder­ nen Marktideologie in die Gegenwart retten. Gleichwohl sind einige Elemente dieser Sonderstellung erhalten geblieben, wobei der Schock der Finanzkrise zu einer Dämp­ fung marktideologischer Umdeutung der Gesellschaft beigetragen haben mag. Insgesamt war die Bundesrechtsanwaltskammer mit den ihr vom Gesetzgeber belas­ senen Mitteln vielfach bemüht, in einem oft rein marktorientierten Umfeld die be­ rufsethischen und berufsrechtlichen Grenzen übertriebener Markt- und Wettbe­ werbsorientierung des Rechts und der Rechtspflege deutlich zu machen, ohne dass sie dabei in allzu vielen Fällen wirklich erfolgreich sein konnte, weil die Zersplitterung anwaltlicher rechtspolitischer Willensbildung zu weit fortgeschritten war. Glückli­ cherweise haben in der europäischen und deutschen Gesetzgebung sowie in der Rechtsprechung des EuGH, des EGMR und des BVerfG die Begriffe des Organs der Rechtspflege und seiner Würde als Formeln überlebt, die äußerste Grenzen rein marktorientierter Freiheit zu markieren in der Lage sein könnten, und es mehren sich gewisse Anzeichen, dass die mit diesen Begriffen verbundenen Ordnungsvorstellun­ gen die Grundlage für die Durchsetzung solcher notwendiger Grenzen auch in Zu­ kunft gerade dort sein könnten, wo eine detaillierte Reglementierung fehlt und nicht sinnvoll erscheint. Einer stärkeren Orientierung an solchen Ordnungsvorstellungen 356 §§ 176 Abs. 2, 191e Abs. 1 BRAO. 357 §§ 64, 179, 188, 191b BRAO.

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konnte die Bundesrechtsanwaltskammer mit ihren Stellungnahmen auch in Fragen des anwaltlichen Berufsrechts für Juristen der früheren DDR nur sehr eingeschränkt Geltung verschaffen, weil die Abwertung solcher Vorstellungen auch zur Zeit der Wiedervereinigung in Deutschland – nicht zum Beispiel in der Rechtsprechung des EGMR – sehr weit fortgeschritten war. Es ist nicht einfach, in Zeiten des Wechsels um die Erhaltung notwendiger Grenzen besorgt zu sein, die sich in solchen Fällen regelmäßig an Traditionen orientieren. Es verdient Respekt, dass die Bundesrechtsanwaltskammer in inneren und äußeren Aus­ einandersetzungen versucht hat, dieser ihrer Aufgabe gerecht zu werden. Von dem Anwurf „obrigkeitlicher“, „nicht zeitgemäßer“ oder „standesideologischer“ Orientie­ rung sollte man sich dabei nicht beeindrucken lassen, sondern die sachlichen Ge­ sichtspunkte einer Grenzziehung nüchtern zu erfassen versuchen, die eine durchaus selbst ideologiebefrachtete moderne berufsrechtliche Erneuerungsbewegung geflis­ sentlich zu übersehen droht. Sie scheint dabei ihre eigene Verwurzelung in einer Ideo­ logie nicht bemerken zu wollen, die im Glauben an einen funktionierenden freien Rechtsberatungsmarkt die gewinnorientierte anwaltliche Bindung an die Interessen des informierten Mandanten zur Wahrung der Rechtstaatlichkeit und des Gemein­ wohls für ausreichend hält, weil das Gemeinwohl letztlich kein wesentliches Eigenge­ wicht haben, sondern sich in der Summe individualrechtlicher Rechtsdurchsetzung verwirklichen soll – eine verführerische, aber vor dem Hintergrund langer rechtsethi­ scher Traditionen doch sehr naive Aufhebung der uralten Antinomie von Eigennutz und Gemeinsinn.358 Ein künftiger Pendelschlag weg von einer solchen Entwicklung ist absehbar, und es bleibt zu hoffen, dass er nicht seinerseits zu extrem ausfallen könnte, wofür in vielen Gesellschaften westlicher Zivilisation erste Anzeichen etwas bedrohlich zu sprechen beginnen. Eine bemerkenswerte Leistung der Bundesrechts­ anwaltskammer liegt in ihrer Öffnung für Grundsatzfragen internationaler Entwick­ lung. Wenn dieser Beitrag dazu beitragen könnte, dabei auch verstärkt die inneren Zusammenhänge zwischen modernen weltweit herrschenden Ideologien und Macht­ gefällen und dem anwaltlichen Berufsrecht zu berücksichtigen, hat er seinen beschei­ denen Zweck erfüllt – so recht eigentlich Neues sagen kann man Kennern dieses Ge­ biets natürlich ohnehin nicht.

358 Dazu der Hinweis auf Äußerungen von Wirtschaftswissenschaftlern in der rechtspoliti­ schen Diskussion vor dem Ausbruch der Wirtschafts- und Finanzkrise: Carl Christian von Weizsäcker, Eigennutz sei Dank. Warum sich Egoismus und Wohlstand für alle bedingen, Rheinischer Merkur Nr. 38/2004, S. 14; Chr. Lütge, Zum Vorteil aller. Die Marktwirtschaft verbindet Moral und Eigeninteresse. Eine Ethik der Mäßigung passt nicht in die moderne Welt, F.A.Z. vom 6.4.2004, Nr. 56, S. 15; kritisch Stürner, Markt und Wettbewerb, 2007, S. 131 ff., 132.

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Anhang: Die Präsidenten der Bundesrechtsanwaltskammer von 1947 bis heute

Arbeitsgemeinschaft (1.10.1947 bis 1959) RA Dr. h.c. Gustav ­Finck, Köln: 1.1.1946 bis 27.5.1947 RA Prof. Dr. Walter Fischer, Hamburg: 28.5.1947 bis 10.3.1954 RA Dr. h.c. Gustav Finck, Köln: 11.3.1954 bis 30.9.1959 Bundesrechtsanwaltskammer (Gründung 1.10.1959) RA Dr. Florian Waldeck, Mannheim: 1.10.1959 bis 28.9.1960 RA Dr. Friedrich Franke, Düsseldorf: 27.1.1961 bis 14.6.1961 RA Dr. Arthur Müller, Celle: 5.10.1961 bis 28.9.1967 RA JR Dr. Karl Weber, Koblenz: 29.9.1967 bis 9.5.1974 RA Dr. Heinrich Vigano, Köln: 10.5.1974 bis 30.9.1983 RAuN Dr. Klaus Schmalz, Frankfurt: 1.10.1983 bis 20.9.1991 RAuN Dr. Eberhard Haas, Bremen: 1.10.1991 bis 28.9.1999 RAuN Dr. Bernhard Dombek, Berlin: 28.9.1999 bis 14.9.2007 RA Axel C. Filges, Hamburg: 14.9.2007 bis 18.9.2015 RA Ekkehart Schäfer, Ravensburg: 18.9.2015 bis 14.9.2018 RAuN Dr. Ulrich Wessels, Münster: 14.9.2018

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Sachregister

Allgemeine Dienstleistungsrichtlinie

195 ff. Alternative Business Structures 250 ff. Anglo-amerikanische Rechtshegemonie 300 ff. Antiterrorgesetze 43 Anwalt –– als Organ der Rechtspflege 336 ff. Anwalt ohne Recht –– Ausstellung 145 ff. Anwaltliche Unabhängigkeit 94 Anwaltliches Werberecht 59 ff., 230 ff., 340 ff. Anwaltschaft –– DDR 279 –– Kommerzialisierung 84 Anwaltsgesellschaften 163 ff., 244 ff., 257 ff., Anwalts-GmbH –– Zulassung 172 Anwaltsmonopol –– Hilfs- und Nebentätigkeiten 262 –– Unionsrechtskonformität 262 ff. Anwaltsregister 125 –– zentrales 130 ff. Anwaltssachen –– Beisitzer 129 Anwaltstätigkeit –– grenzüberschreitende 185 ff. Arbeitsgemeinschaft –– DAV 18 ff. –– Umbenennung 1955 17 –– Vorbereitung der BRAO 17 ff. –– Vorstände der Anwaltskammern 15 ff. Arndt, Adolf 144 Ausland –– Zweigstellenverbot 49 Ausländische Rechtsanwälte –– Bürogemeinschaft 21 Ausweitung –– Fachanwaltschaften 45 ff.

Bankenkrise

173 Bastille-Beschluss –– Werbung 60 ff. Bastille-Beschlüsse 53 ff., 76 ff. –– Umfeld 73 ff. beA 125 ff., 130 ff. –– Entwicklungsphasen 133 ff. –– Sicherheitsproblem 134 Benz, Wolfgang 144 Berufsanerkennungsrichtlinie 192 ff. Berufsausübung –– gewissenhafte 207 ff. –– Organisationsformen 171 ff. Berufsbild –– Rechtsanwalt 67 ff. Berufsfreiheit –– Bastille-Beschlüsse 53 ff. Berufsordnung –– Überblick 114 ff. Berufsrecht –– europäisches 179 ff. –– Freiheitsverständnis 311 ff. –– Herkunftsstaat 210 ff. –– Werbung 340 ff. –– Wiedervereinigung 276 ff. Berufsrechtsausschuss 156 ff. Berufszugang –– Regulierung 57 ff. Berufungsausübungsgesellschaften –– Unionsrechtskonformität 237 ff. Besonderes elektronisches Anwaltspost­ fach 125 ff., 130 ff. BGH-Anwaltschaft 126 ff. –– Wahl 126 Binnenmarktförderung 183 BORA –– Gemeinwohlbezug 115 –– Überblick 114 ff. –– Werberegelung 116 –– Zweigstellenproblematik 116 393

Sachregister

BRAK-Journalistenseminar –– Öffentlichkeitsarbeit 138 BRAO –– Änderungen 67 ff. –– Inkrafttreten 25 ff. –– Münchener Entwurf 18 –– Vorbereitung durch die Arbeitsge­ meinschaft 17 ff. Brexit –– Alternative Business Structures 256 ff. –– Auswirkungen 180 ff. Breyer, Stephen 147 Bundesrechtsanwaltskammer –– Gründung 1959 25 ff. –– Innenkommunikation 141 ff. –– internationale Vernetzung 289 ff. –– Menschenrechte 356 ff. –– nationale Konferenz 148 –– Öffentlichkeitsarbeit 137 ff. –– operative Funktionen 125 ff. –– Vorgänger 3 ff., 14 ff. Bürogemeinschaft –– ausländische Rechtsanwälte 21 Busse, Felix 104

CCBE 201 ff., 290 ff., 322 –– Verfassungs- und Europarechtskon­ formität 203 CCBE-Regeln –– Aufhebung 202 ff. Chaos Computerclub –– beA 134 Cloud-Dienste 121 ff. Compliance-Officer 174 Cüppers, Josef 13 ff. Dahn, Hanns 29 ff. Dahs, Hans 13 ff. DAV –– Auflösung im Nationalsozialismus 6 –– Konkurrenzverhältnis zur BRAK 18 ff. DDR –– Anwaltsrecht 280 ff. –– Rechtsanwaltsgesetz 281 394

DDR-Anwälte –– IM-Tätigkeit 284 ff. DDR-Recht –– Wiedervereinigung 278 Deregulierung 66, 77 ff. –– Anwaltswerbung 348 –– Dienstleistungsfreiheit 221 –– Niederlassungsfreiheit 221 –– Wettbewerbsrecht 220 Detjen, Marion 144 Detjen, Stefan 144 Dienstleistungsfreiheit 179 ff. Dienstleistungsverkehr –– Liberalisierung 48 ff. Doc-Morris-Entscheidung 240 ff. Doppeltätigkeit –– In- und Ausland 49 Double Deontology 200 Drittbeteiligung –– Rechtsanwaltsgesellschaften 330

eJustice

131 ff. Elfes, Wilhelm 144 Entnazifizierungsverfahren –– Nachkriegszeit 20 ff. Erfolgshonorar 87 ff., 227 Europa –– Dienstleistungsrichtlinie 47 –– Rechtskultur 179 ff. Europarecht –– Anwaltsgesellschaften 237 ff. Externe Dienstleister 121 ff.

Fachanwalt –– Steuerrecht 12 Fachanwaltschaften –– Ausbau 51 ff. –– Ausweitung 45 ff. –– Grundstein 12 –– Nachkriegszeit 22 Fachanwaltsordnung 111 ff. Ferencz, Benjamin 147 Feuchtwanger, Sigbert 147 Finck, Gustav 8 ff. Fischer, Walther 8 ff. Franke, Heinrich 31 ff.

Sachregister

Fremdbesitzverbot 239 ff. –– Lockerung 247 Fremdstaatliches Berufsrecht –– Vorrang 208 ff. Friedländer, Max 147 Funktionale Selbstverwaltung 91 ff.

Gebhard-Rechtsprechung

190 Gebühren –– Mindestpreise 226 –– Rechtsentwicklung 163 ff. –– Tarifierung 227 ff. Gebührenrecht –– Unionsrechtskonformität 226 Gemeinwohlbezug –– BORA 115 Gemeinwohlbindung 314 ff. Generalkommission –– Strafrechtsausschuss 13 Gesellschaften –– multidiziplinäre 257 ff. Gesellschaftsrecht –– anwaltliches 163 ff. Gesetz zur Prüfung von Rechtsanwalts­ zulassungen 282 ff. Gesetzgebungsausschüsse 150 ff. Gleichstellung –– DDR-Rechtsanwälte 281 ff. Grenzüberschreitende Anwaltstätigkeit –– Voraussetzungen und Grenzen 187 ff. Grenzüberschreitende Rechtsdienstleis­ tungen 185 ff. Gründungsstatus –– ausländischer 251

Haas, Eberhard

52, 104 Halldeck, Florian 27 ff. Hauptversammlung –– Stimmrechte 44 ff. Herkunftslandprinzip –– Grundfreiheiten 206 ff. HIS-Studie 218 ff., 312 Hochschuldiplomanerkennungsrichtli­ nie 189 ff. Hockerts, Günter 144

Hübner, Henning 104 Huff, Martin W. 138

IM-Tätigkeit

–– DDR-Anwälte 284 ff. International Bar Association (IBA) 290 ff. Internationalisierung –– Europa 50 ff. Internet –– Rechtsdienstleistung 255 ff. Interprofessionelle Zusammenarbeit 244 ff., 332 ff. Irreführungsverbot –– Werbung 231 ff. IT-Anlage 121 ff.

Janisch, Wolfgang 139 Jüdische Anwälte 145 ff. Juristenausbildung 58 ff. Juristenschwemme –– Konkurrenz 57 ff. Kammerversammlung

–– Zusammensetzung 103 Kapitalgesellschaften –– ausländische 253 Kassiber –– Schily 43 Kinkel, Klaus 101 Knobloch, Charlotte 146 Kommerzialisierung –– Anwaltschaft 84 Kommunale Selbstverwaltung 91 ff. Konkurrenzschutz –– Standesrecht 22 ff. Kontaktsperrgesetz 43 Kooperationsverbot –– andere Berufe 38 Kostensperre –– Gebührenrecht 163 ff.

Ladwig-Winters, Simone 146 Landry, Klaus 104 Law Firms 305 ff. 395

Sachregister

Law made in Germany –– Öffentlichkeitsarbeit 294 Leitfaden Kanzleistrategie –– Öffentlichkeitsarbeit 142 Levi, Joel 145 Liberalisierung –– Dienstleistungsverkehr 48 ff. Limbach, Jutta 146 Litten, Hans 145 LL.P. –– Brexit 181 Logo –– BRAK 64, 72 ff. Lokalisierungsgebot 56 Lüth, Erich 144

Öffentlichkeitsarbeit

Mahrenholz, Ernst-Gottfried 144 Mandantengeheimnis –– Schutz 260 ff. Masterpat-Entscheidung 87 Menschenrechtsausschuss 356 ff. Mindestpreise –– Gebühren 226 Monty-Bericht 218 ff. Müller, Arthur 16, 32 ff. Multidiziplinäre Gesellschaften 257 ff. Münchener Entwurf –– BRAO 18

Quack, Karlheinz

Nachkriegszeit

–– Fachanwaltschaft 22 –– regionale Rechtsanwaltskammern 7 ff. –– Syndikusanwälte 23 –– Vereinigung der Vorstände der An­ waltskammern 8 ff. Nationale Konferenz 148 Neubert, Reinhard –– Präsident Reichs-Rechtsanwaltskam­ mer 5 Neuland, Fritz 146 Niederlassungsfreiheit –– EuGH 47 ff., 146, 179 ff., 250 Non-Legal-Outsourcing 121 ff. NS-Regime –– Aufarbeitung 145 ff.

396

–– Bundesrechtsanwaltskammer 137 ff. –– Journalistenseminar 138 Outsourcing 121 ff.

Panteia-Studie

–– Binnenmarktstrategie 225 Papier, Hans-Jürgen 139 Partnerschaftsgesellschaftsgesetz 49 ff. Platthaus, Andreas 148 Prozesskostenhilfe –– Tarifierung 229 ff. Prüfungsgesetz –– Wiedervereinigung 283 ff. 37 Qualitätssicherung –– Fortbildungspflicht 263 ff. Quersubventionierung –– Anwaltsgebühren 163 ff., 228 ff.

Rabe, Hans-Jürgen

55 RADG 48 Range, Harald 139 Rat der Anwaltschaften 201 ff. RDG 159 ff. –– grenzüberschreitender Verkehr 213 ff. RDG-Ausschuss 156 ff. Rechtliches Gehör 82 Rechtsanwalt –– Berufsbild 67 ff. –– Funktion 81 Rechtsanwalt 2000 –– Öffentlichkeitsarbeit 51 ff. Rechtsanwaltsgesetz –– DDR 281 Rechtsanwaltskammern –– des Reiches 3 ff. Rechtsanwaltskollegien –– DDR 280 Rechtsanwalts-Niederlassungsrichtlinie 193 ff. Rechtsberatungsrecht –– Neuregelung 159

Sachregister

Rechtsdenken –– US-amerikanisches 303 ff. Rechtsdienstleistungen –– ausländische Anwältinnen und An­ wälte 183 –– grenzüberschreitende 185 ff. –– internetbasierte 255 Rechtserkenntnis 83 Rechtskultur –– Europa 179 ff. Rechtsstaatsdialog –– China 292 –– Vietnam 293 Rechtstraditionen 198 Redeker, Konrad 18 ff. Regionale Rechtsanwaltskammern –– Nachkriegszeit 7 ff. Reichs-Rechtsanwaltskammer –– Vergangenheitsbewältigung 4 ff., 19 ff. Reisenberger, Michael 144 Remmers, Thomas 148 Richtlinienkompetenz –– Bastille-Beschlüsse 53 ff. Robenzwang 42

Satzungsermächtigung

–– staatliche 99 ff. Satzungsversammlung –– Leitentscheidungen 111 ff. –– rechtliche Stellung 102 –– Selbstverwaltung 99 ff. Scharf, Ulrich 148 Schily, Otto –– Linksterrorismus 43 Schlichtungsstelle der Anwaltschaft 129 ff. Schmalz, Klaus 50 ff. Selbstverwaltung 89 ff. –– funktionale 91 ff. –– Grundrechtsverwirklichung 92 –– Reichweite 95 –– Satzungsversammlung 99 ff. –– Unionsrechtskonformität 267 ff. Siebener-Kommission –– BRAO 17 ff.

Singularzulassung 56, 85 ff. Sinzheimer, Hugo 145 Soldan Moot Court 149 Sozietätsfähigkeit –– Beschränkung 258 ff. Sozietätsverbot –– Bastille-Beschlüsse 53 ff., 89 Spezialistenentscheidung –– Bundesverfassungsgericht 113 Standesrecht –– Konkurrenzschutz 22 ff. Standesrichtlinien –– Legitimation 73 ff. –– Vereinigung der Vorstände 12 STAR-Bericht 2018 169 Steinbach, Peter 144 Steinbeis, Maximilian 144 Steuerberater –– Soziierungsverbot 38 ff. Steuerrecht –– Fachanwalt 12 Stiftung für rechtliche Zusammenarbeit 293 ff. Stimmgewichtung –– Satzungsversammlung 100 Stimmrechte –– Hauptversammlung 44 ff. Stobbe, Ulrich 111 Strafrechtsausschuss 153 ff. –– Generalkommission 13 Strafverteidigung –– Terrorismus 42 ff. Syndikusanwälte 49 ff. –– Nachkriegszeit 23 –– Neuordnung 161 ff.

Tarifierung

–– Gebühren 227 ff. Tätigkeitsspektrum 65 Tätigkeitsverbot –– widerstreitende Interessen 119 ff. Terrorismus –– „Deutscher Herbst“ 41 ff. –– Antiterrorgesetz 43 –– Kontaktsperrgesetz 43 –– Strafverteidigung 42 ff. 397

Sachregister

Überörtliche Kanzleien

318 ff.

Unabhängigkeit –– angestellter Anwalt 242 ff. US-amerikanische Einflüsse 299 ff.

Vereinigung der Vorstände

8 ff. –– Liquidation 26 –– neue Standesrichtlinien 12 Verfassungsrechtsausschuss 153 ff. Vergangenheitsbewältigung 65 ff. Vergütungssystem –– Ethik 69 ff. –– Veränderung 75 ff. Verschwiegenheitspflicht –– anwaltliche 351 Vertikale Zulassungsschranken 326 Vetter-Liebenow, Gisela 148 Vigano, Heinrich 36, 39 ff. Vlassopoulou-Rechtsprechung 190 Vorgängerinnen der BRAK 14 ff. Vorstände –– der deutschen Anwaltskammern 3 ff. Vorübergehende Tätigkeit –– Rechtsdienstleistungen 186

Wahl

–– BGH-Anwälte 126

398

Weber, Karl 34 ff. Werbung –– berufsbezogene 232 ff. –– BORA 116 –– Irreführungsverbot 231 ff. –– Liberalisierung 230 ff. –– Mandat im Einzelfall 236 –– Sachlichkeitsgebot 233 –– Unionsrechtskonformität 230 ff. –– unsachliche 231 ff. –– verbot 59 ff. Westenberger, Norbert 103 Wettbewerbsrecht –– europäisches 220 Widerstreitende Interessen –– Verbot 119 ff. Wiedervereinigung –– DAV-Verfassungsausschuss 285 Wirtschaftsaufsicht 90 ff.

ZPO/GVG-Ausschuss

153 ff. Zulassung –– mehrere EU-Staaten 321 Zweigstellenproblematik –– BORA 116 Zweigstellenverbot –– Ausland 49