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German Pages 368 Year 1993
Föderalismus und Europäische Gemeinschaften
Schriften zum Europäischen Recht lIerausgegeben von Siegfried Magiera und Detlef Merlen
Band 2
Föderalismus und Europäische Gemeinschaften unter besonderer Berücksichtigung von Umwelt und Gesundheit, Kultur und Bildung
Herausgegeben von
Detlef Merten Zweite, unveränderte Auflage
DUßcker & Humblot . Berliß
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Föderalismus und Europäische Gemeinschaften unter besonderer Berücksichtigung von Umwelt und Gesundheit, Kultur und Bildung / hrsg. von Detlef Merten. - 2., unveränd. Aufl. - Berlin : Duncker und Humblot, 1993 (Schriften zum Europäischen Recht; Bd. 2) ISBN 3-428-07893-4 NE: Merten, Detlef [Hrsg.]; GT
1. Auflage 1990 Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 1993 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0937-6305 ISBN 3-428 c07893-4
Vorwort zur 2. Auflage Tagungsbände haben keine Renaissance. Diese editorische Maxime wird vorliegend wegen der Aktualität des Themas, der Internationalität des Symposions sowie der Attraktivität der Beiträge durchbrochen. Die Spannungen zwischen dem Kompetenzverlangen der Europäischen Gemeinschaften und der Eigenstaatlichkeit ihrer Mitglieder, dem BTÜsseler Unitarismus und dem innerstaatlichen Föderalismus, der Vertiefung oder Erweiterung einer Europäischen Union halten an. Nachzutragen bleibt, daß Österreich noch immer vor den Toren seiner ehemaligen Provinzhauptstadt BTÜssel harren muß, aber die deutsche Frage nicht zuletzt wegen der ersten freien Wahlen in der ehemaligen DDR am Vorabend der Tagung gelöst ist. Wieviel die Wiedervereinigung kostet, wird vergessen sein, solange bewußt bleibt, was sie wert ist. Speyer, im September 1993
Detlel Merten
Vorwort zur 1. Auflage Der "Raub der Europa" ist mythologisch, ein ,,Raub durch Europa" nicht länger utopisch. Sicherlich erfordert eine politische und nicht mehr bloß ökonomische Union mehr als marginale Ermächtigungen, bedingen neue Zielvorgaben weitere Kompetenzhingaben. Die Grenze zwischen europäischem Gemeingut und nationalem Vorbehaltsgut muß jedoch nicht nur exakt markiert, sondern auch loyal respektiert werden. Da die Europäischen Gemeinschaften hinsichtlich ihrer Befugnisse "Kostgänger" der Mitgliedstaaten sind und bleiben, dürfen sie Kompetenzen weder okkupieren noch annektieren. Kompetenzkonflikte werden mehrdimensional, wenn europäische Rechtssetzung nicht nur die Gesetzgebungsbefugnisse der Mitgliedstaaten, sondern auch die ihrer föderalen oder quasi-föderalen Gliederungen tangiert, so daß diese außer in den Sog nationaler Zentralisierung auch in den europäischer Unitarisierung geraten. Konflikte müssen sich bei einer Konfrontation fragwürdiger supranationaler und ehrwürdiger subnationaler Kompetenzen verschärfen, weil europäische Macht dann unmittelbar zu föderativer Ohnmacht führt. Die Bereiche von Umwelt und Gesundheit, Kultur und Bildung sind hierfür weitgehend paradigmatisch.
Vorwort
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In dieser Situation sieht sich das in den Römischen Verträgen dominierende romanische Prinzip des Zentralismus vor einem Zangenangriff. Zum einen wird durch eine vollzogene oder zu erwartende Erweiterung der Europäischen Gemeinschaften die Ba11k der gegliederten Mitgliedstaaten mit Spanien und Österreich vergrößert. Zum anderen erleben West- und nun auch Osteuropa eine ungeahnte Renaissance des Föderalismus und Regionalismus, die auch Mitgliedstaaten wie Belgien und Italien, Frankreich und Großbritannien in unterschiedlicher Intensität erfaßt. Konsequenterweise versuchen daher·deutsche Länder in einem ebenfalls dualen Vorstoß auf nationaler Ebene die Kompetenzübertragung 1 und auf supranationaler Ebene die Kompetenzausübung 2 zu beeinflussen. Ein deutsch-österreichisch-spanisches Symposion über ,,Föderalismus und Europäische Gemeinschaften - unter besonderer Berücksichtigung von Umwelt und Gesundheit, Kultur und Bildung" - bedarf daher zu diesem Zeitpunkt weder der Rechtfertigung noch der Erklärung und erhält in einer "Sternstunde" für Deutschland zusätzliche Aktualität. Das als 33. Sonderseminar der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyerin der Zeit vom 19. bis 21. März 1990 durchgeführte Symposion wäre schon wegen seines technischen Aufwands ohne externe Förderung und Unterstützung nicht zustandegekommen. An dieser Stelle gebührt daher dem Präsidenten des Landtags und der Landesregierung von Rheinland-Pfalz sowie der Mercedes-Benz AG vorzüglicher Dank. Die (ungekürzten) Referate sowie Diskussionsberichte werden im folgenden abgedruckt.
Detle! Merten
Vgl. hierzu den Gesetzentwurf des Bundesrates vom 16.3.1990 (BR-Drucks. 703/89). Vgl. hierzu den Antrag Bayerns für eine Entschließung des Bundesrates zur Regierungskonferenz der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften über die Politische Union vom 2.8.1990 (BR-Drucks. 550/90). 1
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Inhaltsverzeichnis
Verzeichnis der Referenten und Diskussionsleiter ........................
Il
Begrüßung durch den Rektor der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, Univ.-Prof. Dr. Carl Böhret ...................................
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Deutsche Einheit und europäische Einigung im Lichte des Föderalismus Von Univ.-Prof. Dr. Dr. Detlef Merten .................................
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Vom Wesen und Wert des Föderalismus heute - Gedanken aus österreichischer Sicht im Hinblick auf die europäische Integration Von Univ.-Prof. Dr. Herbert Schambeck ...............................
27
Die Mitgliedschaft Spaniens in der EG in ihrer Auswirkung auf die Autonomen Gemeinschaften Von Prof. Dr. Alegrfa Borras .........................................
47
EG-Rechtsetzung und deutscher Föderalismus. Die Europäisierung des Rechts und ihre Auswirkungen auf das bundesstaatliche und institutionelle Gefüge in der Bundesrepublik Deutschland Von Georg-Berndt Oschatz ...........................................
63
Diskussion zu den Referaten von Herbert Schambeck, Alegria Borras und GeorgBerndt Oschatz. Leitung: Univ.-Prof. Heinz Schäffer. Bericht von Dr. Horst Risse
81
Europäische Integration und nationale Reservate Von Univ.-Prof. Dr. Torsten Stein. . . . . . . .. . . . .. . . .. . ... . . .. . . . . .. .. . ..
91
Rechtsschutz durch Bundesverfassungsgericht und Europäischen Gerichtshof Von Univ.-Prof. Dr. Paul Kirchhof ....................................
109
Diskussion zu den Referaten von Torsten Stein und Paul Kirchhof. Leitung: Univ.Prof. Dr. Karl Korinek. Bericht von Assessor Matthias Niedobitek ..........
125
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Inhaltsverzeichnis
Europäische Gemeinschaften und nationale Gesundheitspolitik Von Univ.-Prof. Dr. Dr.h.c. Joseph H. Kaiser...........................
137
EG-Kompetenzen im Bereich von Kultur und Bildung Von Univ-Prof. Dr. Michael Schweitzer ................................
147
Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs auf den Gebieten Umwelt und Gesundheit, Kultur und Bildung Von Prof. Dr. Rolf Wägenbaur .......................................
161
Diskussion zu den Referaten von Joseph H. Kaiser, Michael Schweitzer und Rolf Wägenbaur. Leitung: Univ.-Prof. Dr.Hartmut Schiedermair. Bericht von Assessor Bernd Pfeifer ......................................................
175
Spanische Kompetenzverteilung im Bereich von Kultur, Bildung und Medien im Hinblick auf die EG-Rechtssetzung Von Prof. Dr. Marfa Jesus Montoro Chiner .............................
183
Die Verteilung der Umweltkompetenzen in Österreich - ein Beitrag zur Reform der Kompetenzverteilungsmuster Von Dr. Stephan Schwarzer ..........................................
213
Krebserkrankungen im EG-Bereich aus epidemiologischer Sicht Von Univ.-Prof. Dr. Dieter Hölzel und Univ.-Prof. Dr. Karl Überla
221
Arbeitskreis I: "Umwelt und Gesundheit". Leitung: Univ.-Prof. Dr. Dr. Detle! Merten. Bericht von Assessorin Gabriela Müller .........................
237
Arbeitskreis 11: "Kultur und Bildung". Leitung: Univ.-Prof. Dr. Siegfried Magiera. Bericht von Assessorin Heike Kuhn ...................................
245
Landesparlamentarismus im Prozeß der europäischen Einigung Von Dr. Heinz Peter Volkert .........................................
251
Die Bundesländer und die europäische Einigung Von Univ.-Prof. Dr. Walter Rudolf ....................................
263
Österreich und die europäische Integration Von Dr. Friedrich Bauer ....•..••.....•..............................
275
Inhaltsverzeichnis
9
Europäische Einigung und deutsche Frage Von Univ.-Prof. Dr. Rupert Scholz ....................................
283
Diskussion zu den Referaten von Friedrich Bauer und Rupert Scholz. Leitung: Univ.-Prof. Dr. Walter Rudolf. Bericht von Bernard Schumann ............
297
Schlußwort des Tagungsleiters ........................................
301
Anlage 1: Richtlinie des Rates vom 2. April 1979 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten .............................................•....
307
Anlage 2: Richtlinie des Rates vom 15. Juli 1980 über die Qualität von Wasser für den menschlichen Gebrauch .......................................
316
Anlage 3: Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Etikettierung von Tabakerzeugnissen .....................................................
323
Anlage 4: Richtlinie des Rates vom 13. November 1989 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Etikettierung von Tabakerzeugnissen ............................................
327
Anlage 5: Entschließung des Rates und der im Rat vereinigten Minister für das Gesundheitswesen der Mitgliedstaaten vom 18. Juli 1989 über ein Rauchverbot in öffentlich zugänglichen und frequentierten Räumen ....................
332
Anlage 6: Richtlinie des Rates vom 3. Oktober 1989 zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit ..............................................
334
Anlage 7: Geänderter Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über das Wahlrecht der Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten bei den Kommunalwahlen im Aufenthaltsort ......................................................
348
10
Inhaltsverzeichnis
Verzeichnis der Redner
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Verzeichnis der Tagungsteilnehmer ....................................
354
Personen- und Sachverzeichnis .......................................
357
Verzeichnis der Referenten und Diskussionsleiter Dr. Friedrich Bauer Prof. Dr. earl Böhret Prof. Dr. Alegria Bomis Rodriguez Prof. Dr. Dieter Hölzel Prof. Dr. Dr. h. c. Joseph H. Kaiser Prof. Dr. Paul Kirchhof Prof. Dr. Karl Korinek Prof. Dr. Siegfried Magiera Prof. Dr. Dr. Detlef Merten Prof. Dr. Maria Jesus Montoro Chiner Georg-Berndt Oschatz Prof. Dr. Walter Rudolf Prof. Dr. Heinz Schäffer Prof. Dr. Herbert Schambeck Prof. Dr. Hartmut Schiedermair Prof. Dr. Rupert Scholz Dr. Stephan Schwarzer Prof. Dr. Michael Schweitzer Prof. Dr. Torsten Stein Prof. Dr. Karl Überla Dr. Heinz Peter Volkerf Prof. Dr. Rolf Wägenbaur
Begrüßung durch den Rektor der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, Universitätsprofessor Dr. earl Böhret Meine sehr verehrten Damen, meine sehr geehrten Herren! Ich heiße Sie alle sehr herzlich willkommen an der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer zum deutsch-österreichisch-spanischen Symposion "Föderalismus und Europäische Gemeinschaften" unter der wissenschaftlichen Leitung von Prof. Dr. Dr. Merlen. dem ich gleich zu Beginn sehr danke für sein erneutes Engagement bei der Vorbereitung und Durchführung dieser bedeutenden Tagung. Dieses Symposium findet in einer aufregenden Zeit statt, in der europäische Geschichte gemacht wird. Wir sind ein wenig stolz, daß eine solche friedliche Revolution in Deutschland möglich wurde und daß sie ein korruptes System ablöste. Der Weg aus dem real existierenden Sozialismus in die offene Gesellschaft, vom Monismus zum Pluralismus, wird wohl erst unseren Kindern und Enkeln als das herausragende Ereignis der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts voll bewußt werden. Die Wahlen vom 18. März - einem zweiten historischen Datum nach dem 9. November 1989 - haben einige Überraschungen gebracht, aber auch den Willen unserer "Geschwister" zur Freiheit und den Drang zur "Vereinigung" gezeigt, deren optimale Formen und deren geeignete Wege allerdings erst noch gefunden werden müssen. Es ist aber gleichfalls von historischer Tragweite, daß diese Entwicklungen von vornherein eingebunden sind in einen größeren europäischen Zusammenhang. Was jetzt geschieht, und was politisch noch machbar sein wird, ist auch eine Wiederbelebung und Bestätigung der Föderalismus-Idee. Für das neue "Haus Europa" wird das föderalistische Prinzip ein zentrales Strukturmerkmal sein. Europäisches Gedankengut setzt sich durch - gegen alle Skepsis! Aber selbstverständlich muß alles behutsam geschehen. Nationale Eigenheiten wie politische Interessen müssen berücksichtigt werden, ökonomische, soziale und ökologische Verträglichkeiten sind zu beachten. Für dieses Symposium hätte also kein günstigerer Zeitpunkt gewählt werden können. Meine Damen und Herren, die Hochschule ist stolz darauf, daß sich wieder einmal hochrangige Referenten und Diskutanten in Speyer zu einer spannenden Tagung mit europäischen Dimensionen treffen. Ein Blick in die Teilnehmerliste zeigt, daß ich nun jeden von Ihnen namentlich begrüßen müßte. Das sollten wir
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Begrüßung durch den Rektor
uns nicht zumuten. Erlauben Sie mir aber wenigstens, die Delegationen aus Österreich und Spanien besonders willkommen zu heißen. Für die österreichischen Teilnehmer begrüße ich: den Vizepräsidenten des Bundesrats der Republik ÖSterreich, Herrn o. Universitätsprofessor Dr. Herbert Schambeck. sowie das Mitglied des österreich ischen Verfassungsgerichtshofs, o. Universitätsprofessor Dr. Kar! Korinek. Stellvertretend für unsere spanischen Freunde begrüße ich: den Direktor des Instituts für Autonome Studien bei der Generalitat von Katalonien, Herrn Dr. Josep Vilaseca aus Barcelona, und den Dekan der Juristischen Fakultät der Universität Barcelona, Prof. Dr. Tornos; Frau Prof. Bo"as und Frau Prof. Montoro darf iCh als Referenten besonders nennen. Die Ausgewogenheit mit der deutschen Seite stelle ich her, indem ich besonders begrüße: den Direktor des Bundesrats, Herrn Minister a. D. Oschatz und Herrn Bundesverfassungsrichter Prof. Dr. Paul Kirchhof Wir freuen uns darüber, daß auch der Bischof von Speyer, Herr Dr. Schlembach. bei uns ist. Auch er ist ein bewährter und überzeugter Europäer! Meine Damen und Herren! Sie befinden sich in einer der ältesten Städte Deutschlands. In diesem Jahr feiert Speyer seinen 2000. Geburtstag, der Siedlungsort selbst ist viel älter. Das Stadtjubiläum hat auch europäische Dimensionen. Speyer war immer (und gewiß bis 1689) eine europäische Stadt in einem Reich, das von Königen und Kaisern regiert wurde, die habsburgischer, spanischer oder deutscher Herkunft waren. Deutsche, Habsburger und Spanier machten denn auch um 1500 in dieser Stadt Geschichte. Es ging im Grunde um Vielfalt, Föderalismus und Europa -auch wenn diese Begriffe damals noch nicht verwendet wurden. Erinnert sei vor allem an die "historischen Reichstage" von 1526 und von 1529, letzterer mit der Protestation der lutherischen Fürsten und der 14 Reichsstädte. In jener Zeit ließ (der vorrangig außenpolitisch engagierte) Karl V. durch seinen Bruder Ferdinand I. die deutschen und habsburgischen Geschäfte führen: oft in Speyer und von Speyer aus. Unsere Vorfahren kamen also selbstverständlich in Speyer beisammen; von hier aus wurde europäisch regiert, wie schon Jahrhunderte vorher unter den salischen Kaisern. Es war gewiß eine bewegte Zeit, in der auch das höchste Gericht - das Reichskammergericht - in Speyer zu Hause war. Die Prozesse kamen zwar (auch damals schon!) schleppend voran. Aber alle Beteiligten fühlten sich offensichtlich dabei sehr wohl in dieser Stadt. Speyer war gastfreundlich und bei aller Weltoffenheit auf liebenswerte Weise provinziell. Da Preussen damals eine bestenfalls nebensächliche Rolle spielte, darf ich auf einen innen- und rechtspolitisch bedeutenden Fall aus dem Fränkischen verweisen, der damals auch vor dem höchsten deutschen Gericht verhandelt wurde. Es ging um den des Landfriedensbruchs angeklagten Ritter Götz von Berlichingen, der vorübergehend - während des Bauernkriegs .., die Aufständischen angeführt hatte; um Schlimmeres zu verhüten, wie er in Speyer vortragen ließ. Er wurde nach langem Hin und Her schließlich freigesprochen, was ihm politisch allerdings keinen Vorteil brachte! Der mächtige Schwäbische Bund nahm ihn später doch gefangen!
Begrüßung durch den Rektor
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Wir hoffen, daß Sie sich in Speyer wohlfühlen, in der 2000jährigen Stadt am europäischen Strom, in der nachuniversitären Hochschule für Verwaltungswissenschaften, die sich schon seit Jahren europäischen Themen widmet. Auch dieses Symposium wird eine breite und nachwirkende Aufmerksamkeit erfahren. Herr Kollege Merten möge es gestatten, daß ich nun noch meinen europäischen Friedrich II gegen seinen preußischen Friedrich II. setze. Ich darf erinnern an die großen staatsbildenden und verwaltungspolitischen Leistungen des Staufer-Kaisers und Wissenschaftlers Friedrich II, der bei der Gründung der Staatsuniversität Neapel im Jahre 1224 sagte: "Durch der Wissenschaft Trank und die Saat der Gelehrtheit wollen wir viele Kluge und Einsichtige heranziehen, die durch das Studium beredt in der Beobachtung gerechten Rechts Gott dienen und uns gefallen durch den Kult der Justitia. Gelehrte Männer fordern wir zu unserem Dienst heraus, um ihnen - gebildet durch den Eifer des Studiums von Recht und Gerechtigkeit - ohne Sorge die Staatsverwaltung anvertrauen zu können." Was mit großem Erfolg geschah! Dieses Symposium könnte ihm sehr gut gefallen haben!
Deutsche Einheit und europäische Einigung im Lichte des Föderalismus Von Detlef Merten I. Vom Rad der Geschichte Zur Jahrhundertneige scheint sich in der Neuzeit das Rad der Geschichte schneller zu drehen. Ende des 15. Jahrhunderts wird Spanien durch die Vertreibung der Mauren und die Entdeckungen des Kolumbus Weltmacht, entwickelt sich in Deutschland mit dem Ewigen Landfrieden, der Verstaatlichung des Gewaltmonopols und der Rezeption des Römischen Rechts der moderne Staat. Mit dem Untergang der Armada wird England 1588 vorherrschende Seemacht und leitet einhundert Jahre später mit der Glorreichen, weil unblutig verlaufenen Revolution von 1688 und der Bill of Rights von 1689 die konstitutionelle Monarchie ein. Sie macht die Insel resistent gegen den Bazillus der französischen Revolution von 1789, in deren Verlauf die Übel des ancien regime nur durch die Schrecken der Revolution abgelöst werden. Erlangt Deutschland Ende des 19. Jahrhunderts die langersehnte Reichseinheit, so steht die deutsche Wiedervereinigung kometenhaft über den letzten Jahren dieses Jahrhunderts und Jahrtausends. Mit der Neuordnung Europas fünfzig Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs scheint sich zugleich eine Regel zu bestätigen, wonach in den letzten knapp vierhundert Jahren die Aufteilung der Herrschafts- und Interessensphären in Europa durchschnittlich fünf Dezennien nicht überdauert hat. Die Friedensschlüsse von Münster und Osnabrück (1648), Utrecht und Rastatt (1713/1714), Hubertusburg (1763), Paris (1815), Prag und Frankfurt am Main (1866 und 1871) sowie die Pariser Vorort-Frieden von 1919 verdeutlichen diesen Zyklus europäischen Gleichgewichts. Geschichte fragt nicht nach Terminplänen von Politikern. Und so hat sich die Wiedervereinigung Deutschlands selbst auf die Tagesordnung gesetzt, obwohl Wille und Vorstellung vieler Akteure in Ost und West anderes ersehnten. Von Gorbatschow 1 auf hundert Jahre vertagt, von Brandt 2 als "Lebenslüge der J Das gemeinsame Haus Europa und die Zukunft der Perestroika, 1989, S. 109. ~ Frankfurter Rundschau vom 15.9.1988, S. 8. Pressearchive haben auf Anfrage erklärt, die FundsteIle nicht angeben zu können. Die Rede findet sich auch nicht in der Sammlung Willy Brandt. ..... was zusammengehört", Reden zu Deutschland, 1990, die allerdings erst den Zeitraum vom 1.9.1989 an erfaßt. Den Nachweis des Zitats verdanke ich der freundlichen Unterstützung meines Kollegen Eckart Klein. Mainz.
2 Merlen
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Detlef Merten
zweiten Deutschen Republik" verleumdet, hat die deutsche Frage Tagespolitiker zu nacheilendem Gehorsam und anpassungsfahiger Geschmeidigkeit gezwungen, damit sie wieder an die Spitze der Bewegung gelangen konnten. Die vergangenen Monate gehören zu jenen seltenen historischen Momenten, in denen die Beschleunigung des Rads der Geschichte 3 sichtbar wurde. Noch bis zum Ende des Jahres '89, einer offenbar magischen Geschichtszahl, erschien die Teilung Europas und seine Trennung durch einen nicht nur Eisernen, sondern auch blutigen Vorhang unüberwindbar, was die Märtyrerstationen Berlin 1953, Budapest 1956, Prag 1968 und Danzig 1970 beweisen. Doch wie in einer Kettenreaktion haben sich plötzlich die Vasallenstaaten durch Revolutionen vom Sowjetimperium gelöst, mußte der kommunistische Alleinvertretungsanspruch aufgegeben werden, hat der Staatssozialismus Bankrott gemacht. Die Sowjetunion selbst zeigt gemäß dem auch für politische Herrschaft geltenden Gesetz der zentrifugalen Kräfte an ihren Rändern Auflösungserscheinungen, wie die Bestrebungen nach Selbstbestimmung im Baltikum und in Georgien, in der Ukraine und in Mittelasien belegen. Von staatlichem Zerfall und wirtschaftlichem Ruin, von ideologischer Niederlage und moralischer Unterlegenheit 4 bedroht, ist der kranke Bär am Ural mit sich selbst beschäftigt. Diese Gunst der Stunde gilt es zu nutzen. 11. Die Wiedervereinigung als Tagesordnungspunkt 1. "Ein Tag der Gunst ist wie ein Tag der Ernte. Man muß geschäftig sein, sobald sie reift", schreibt Goethe im Revolutionsjahr 1789 in seinem Torquato Tasso 5• Daß die Deutschen die Gunst der Stunde auch verspielen können, hat die Frankfurter Paulskirche bewiesen, die realitätsfern und ohnmächtig debattierte und nicht realitätsbezogen und machtbewußt agierte. Gerade auch mit Blick auf Frankfurt darf die Wiedervereinigung nicht Professoren-Kongresse und wissenschaftliche Gutachten abwarten, sondern muß Terminsache von Staatskunst und Politikerhandwerk bleiben, gilt es zu beschleunigen und nicht zu bremsen. Vor dem Diptychon der deutschen Einheit, den Artikeln 23 und 146 GG stehend, spricht alles für einen Beitritt nach Art. 23 Satz 2 GG. Wer sich zu dieser staatsrechtlichen Frage äußert, darf allerdings nicht dem Axiom huldigen: je inkompetenter, desto vehementer und je unberufener, desto unbefangener6 • Daß J Vgl. in diesem Zusammenhang jetzt auch Reinhart KoselIek. Wie neu ist die Neuzeit? Von der Beschleunigung und von der Wiederholung politischer Prozesse. F AZ vom 30.6.1990. 4 Erst nach über fünfzig Jahren beginnt die Sowjetunion. von ihrer .. Katyn-Verleumdung" abzurücken und anläßlich eines Besuches des polnischen Präsidenten Jaruzelski die Morde an 15000 polnischen Offizieren und Soldaten als .. Tragödie" einzugestehen. Vgl. FAZvom 14.4. und 18.4.1990. 5 IV, 4 (Antonio). 6 Roggemann (NJW 1990, S. 671, Anm. 6) spricht von einer "überstürzte(n) staatsrecht-
Deutsche Einheit und europäische Einigung
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der Beitritt nach Art. 23 GG auch den mitteldeutschen Ländern offenstehen sollte, daß der Begriff "andere Teile Deutschlands" 7 "im weitestmöglichen Sinne"g zu verstehen sei und daß demzufolge die Eingliederung des Saargebiets als "Wiedervereinigung im Kleinen" nur Modell für eine "Wiedervereinigung im Großen" sein kann 9 , ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift 10 und war schon im frühen staatsrechtlichen Schrifttum anerkannt 11. Wegen der von der Beitrittsklausel vorausgesetzten Selbstbestimmung und Freiwilligkeit ist es perfide Propaganda, das Verfahren als "Anschluß" zu diffamieren, weil mit dem an sich wertneutralen Ausdruck bewußt Assoziationen zum militärischen Einmarsch Hitlers in Österreich am 12. März 1938 und dessen Zwangseingliederung in das Deutsche Reich geweckt werden sollen. Auch Kampfbegriffe wie "Pangermanismus" (Andreottl), "Viertes Reich", "Groß-Deutschland" 12 und "Blitzkrieg" dienen lediglich der Agitation. Der vielfach übersehene Nachteil einer Verfassungsgebung nach Art. 146 GG ist die Minderheitsposition der DDR, die in jeder Frage überstimmt werden kii,mte. Demgegenüber ermöglicht der Beitritt nach Art. 23 Satz 2 GG wie seinerzeit bei der Eingliederung des Saarlandes 13 die vorübergehende Modifikation grundgesetzlicher 14 und den vereinbarten Erlaß einfach gesetzlicher Normen. liche(n) Vereinigung, etwa in der Form eines - verfassungsrechtlich fragwürdigen - Beitritts gern. Art. 23 GG". 7 Hierzu auch BVerfGE 77. 137 (151). 8 v. Mangoldt. Das Bonner Grundgesetz, 1953, S. 160. 9 Vg\. Rudolf Morsey. Die Bundesrepublik Deutschland, 1987, S. 41. 10 Vg\. Matz. JÖR N. F. Bd. 1, 1951, S. 217 ff. Der Abg. Dr. v. Mangoldt (CDU) hatte folgende Fassung vorgeschlagen: "Die anderen deutschen Länder, jeder Teil von ihnen und jedes andere Gebiet kann in den Bund aufgenommen werden ... ". Nur aus redaktionellen Gründen wurde auf Anregung des Abg. Dr. Schmid (SPD) das mehrgliedrige Subjekt des Satzes in dem Ausdruck "jeder andere Teil Deutschlands" zusammengefaßt; vg\. Matz. a.a.O., S.218. 11 So sieht Theodor Maunz den Zweck des Art. 23 GG darin, "daß die Bundesrepublik für den freiwilligen Beitritt anderer Teile Deutschlands offensteht. Sie hält sich sozusagen für die friedliche Lösung der gesamtdeutschen Frage bereit" (Deutsches Staatsrecht, I. Aufl., 1951, S. 18). Nach Giese kommen für den Beitritt "die Länder der sowjetischen Zone sowie das Saarland in Betracht" (Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 1949, Art. 23 11 3, S. 27); vg\. ferner v. Mangoldt. a.a.O. (Fn. 8); Dennewitz. Bonner Kommentar, Art. 23 11 2a, S. 3. Uneinigkeit bestand lediglich darüber, ob auch den deutschen Gebieten östlich der Oder-Neiße der Beitritt eröffnet werde (bejahend Dennewitz. ablehnend Giese). 12 In der Sache ist dieser Vergleich deshalb abwegig, weil das deutsche Staatsgebiet nach dem Beitritt der DDR mit rd. 357.000 km 2 im Vergleich zum Deutschen Reich von 1871 um ein Drittel und zum Deutschen Reich in den Grenzen vom 31.12.1937 um ein Viertel kleiner ist. Das wiedervereinigte Deutschland übertrifft nur geringfügig den Hegemonialstaat Preußen in den Grenzen von 1871. II Vgl. Gesetz über den Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik zur Regelung der Saarfrage v. 22.12.1956 (BGB\. 11 S. 1587); ferner das Gesetz über die Eingliederung des Saarlandes v. 23.12.1956 (BGB\. I S. 1011); auch Fiedler, JZ 1990, S. 668 ff. 14 In der Amtlichen Begründung zum Entwurf eines Gesetzes über die Eingliederung des Saarlandes hatte die Bundesregierung ausdrücklich darauf verwiesen, daß "eine vorüber2·
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Detlef Merten
An einem demokratischen Defizit leidet eine Wiedervereinigung über Art. 23 GG sicherlich nicht. Zum einen ist das Grundgesetz als eine der geglückt esten Verfassungen in der deutschen Geschichte l5 in nunmehr über vierzig Jahren vom Staatsvolk akzeptiert 16, so daß seine Geburtsschwäche nur mittelbar demokratischer Legitimation längst geheilt ist. Zum anderen haben die Wahlen vom 18. März 1990, die nun Wiedervereinigung und Wiederaufbau, Wohlstand, aber auch Wiedergutmachung ermöglichen, die friedliche Revolution vom November 1989 als einen Akt der Selbstbefreiung ex post demokratisch legitimiert und zugleich die Einheit Deutschlands pro futuro initiiert. Denn es erreichten gerade jene Parteien und Gruppen die Mehrheit, die sich für eine zügige Wiedervereinigung ausgesprochen und das Nationale über das (die) Internationale gestellt hatten. Nicht "Drang zur D-Mark", wie Fernseh-Häme glauben machen wollte l7 , sondern Drang zur Freiheit und zur Einheit hat dieses nicht vorhergesehene "Wahlwunder" vollbracht, bei dem sich Stimmung in Stimmen niedergeschlagen hat. Daher bedarf es keiner neuen Volksentscheidung. ZuvieIe "Volkswege" können auch Holzwege sein, und die Befragung des Souveräns sollte nicht zur Droge werden. Wachsamkeit ist geboten, damit diejenigen, die die Wiedervereinigung nicht verhindern und nicht verzögern konnten, die Verfassung nicht verwässern, worauf die Verklärung der "sozialen Errungenschaften" und die Verteufelung der "kapitalistischen Mängel" zielen. Die "Errungenschaften" des real existierenden Sozialismus in einer real kaum noch existierenden DDR erweisen sich fast durchwegs als Spuk sozialistischer Propaganda, und den Funktionären einer "Wolfs-Gesellschaft" IS fehlt nach der "bitteren Niederlage des Sozialismus" (Modrow I9 ) die moralische Berechtigung, eine angebliche "Ellenbogen-Gesellschaft" zu schelten. 2. Gleichgültig, ob die DDR als Ganzes oder in Länder gegliedert der Bundesrepublik beitritt oder ob schon die mitteldeutschen Länder selbst die Wiedervereinigung vollziehen, der Föderalismus in Deutschland wird in jedem Fall gestärkt. Deutschland ist nur in seinen dunklen Stunden - in der nationalsozialistischen und in der sowjetkommunistischen bzw. realsozialistischen Epoche - zentralistisch regiert worden. Davon abgesehen war Deutschland gehende Modifikation grundgesetzlicher Normen nicht ausgeschlossen sein" könne. "sofern nur das Endziel der vollständigen Unterstellung des Saarlandes unter die Geltung des Grundgesetzes in größtmöglichem Maße angestrebt wird" (BT-Drucks. II/2902. S. 8); vgl. in diesem Zusmamenhang auch BVerfGE 4. 157 (170). 15 Vgl. auch Herzog. 40 Jahre Grundgesetz - eine Bestandsaufnahme. in: Morsey /Repgen (Hrsg.), Christen und Grundgesetz. S. 111. 16 Vgl. Walter Rudolj. Das akzeptierte Grundgesetz, Europa und die Länder, in: Das akzeptierte Grundgesetz, Festschrift für Günter Dürig zum 70. Geburtstag. 1990, S. 145. 17 In diese Richtung geht auch Jürgen Habermas mit seinem eifernden Artikel "Der DMNationalismus", Die Zeit, Nr. 14 vom 30.3.1990. 18 Ernst Nolte. FAZ vom 17.2.1990. 19 FAZ v. 14.2.1990.
Deutsche Einheit und europäische Einigung
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jedoch stets ein föderalistisches Gebilde, lag "der harte Kern der Staatlichkeit" seit Jahrhunderten bei den Ländern 20 • Föderalismus als Element vertikaler und funktionaler Gewaltentrennung 21 sichert bürgerliche Freiheit, heimatliche Eigenständigkeit und kulturelle Vielfalt. Das "Deutsche Volk in den Ländern", wie die Präambel des Grundgesetzes sagt, hat bei der Verfassungsgebung den Föderalismus nicht nur als Besatzungsdiktat akzeptiert, sondern auch als Geschichtserbe aktiviert 22 • Heute erleichtert der Föderalismus des Grundgesetzes die Wiedervereinigung. Die Mitteldeutschen treten nicht einem Zentral staat mit der fernen NochHauptstadt Bonn, sondern einem Bundesstaat bei, in dem sie nach einer Restauration der früheren Länder nicht nur Deutsche, sondern zugleich Mecklenburger, Brandenburger, Thüringer und Sachsen mit eigenen Landesparlamenten, Landesregierungen und Landeshauptstädten sind. Zudem wird die föderale Ländersolidarität, die schon bisher im Gegensatz zu den Zentralstaaten England, Frankreich und Italien die Rückständigkeit von Regionen verhindert hat, eine schnellere Angleichung der Lebensverhältnisse bewirken.
III. Deutschland und Europa Die Durchführung der Wiedervereinigung ist Sache der Deutschen und muß sie bleiben. Sie darf insbesondere nicht synchron an eine Einigung Europas gekoppelt und damit verzögert werden. Denn die Wiedervereinigung ist verfassungsrechtliche Pflicht 23, während die europäische Einigung verfassungsrechtliche Kür ist 24 • Deshalb ist Delori 5 dezidiert zu widersprechen, daß die Präambel des Grundgesetzes "die auf der Grundlage der Selbstbestimmung anzustrebende deutsche Einheit mit der Einigung Europas" "verknüpft", weshalb die Einigung des deutschen Volkes "auch Sache der Gemeinschaft" sei. Die Präambel bekundet zweifelsfrei und unmißverständlich den Willen des Deutschen Volkes, zum einen "seine nationale und staatliche Einheit zu wahren" und zum anderen "als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen". Die Konjunktion "und" ist eindeutig kopulativer und nicht instrumentaler Natur. Die Anreihung von deutscher Einheit und europäischer 20 Hans Maier. 40 Jahre Grundgesetz - eine Bestandsaufnahme, Speyerer Vorträge Heft 13, 1989, S. 19 f.; auch in: Morsey/Repgen (Hrsg.), Christen und Grundgesetz, 1989, S. 104 f. 21 Vgl. auch BVerJGE 55. 274 (318). 22 Hierzu auch Hans Ehard. Föderalismus und Demokratie. Rede vom 30.8.1947; in: ders.. Freiheit und Föderalismus, München o. J. 23 Unmißverständlich BVerJGE 5. 85 (127 f.); 36. 1(17 f.); 77. 137 (149 f.). 24 Ähnlich RandelzhoJer. Deutsche Einheit und Europäische Integration, Sondertagung der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer am 27.4.1990 über "Deutschlands aktuelle Verfassungs lage" in Berlin, vgl. den Bericht von O. Dörr/S. Rublock. NJW 1990, S. 1895 sub 11 4. 25 Rede v. 17.1.1990 vor dem Europäischen Parlament in Straßburg, in: Europa-Archiv 1990, D 269 ff. (D 273).
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Einigung verbindet nicht einmal gleichrangige Ziele. Vielmehr ist die Einheit Deutschlands vorrangig 26 und mußte es sein, weil die Vereinigung Europas zum damaligen Zeitpunkt ungewiß war und im ersten Anlauf als "Europäische Verteidigungsgemeinschaft" dann auch von Frankreich torpediert wurde, während die Wiedervereinigung näherzuliegen schien, weshalb man sich bewußt für ein Provisorium entschied. Jedenfalls. fehlt im Verfassungstext aber jeglicher Anhaltspunkt für eine instrumentale Verknüpfung. Also nicht: deutsche Einheit durch europäische Einigung, sondern nationalstaatliche Einheit und vereintes Europa. Das "sola Europa" De/ors' reduziert sich damit zu einem bloßen "sola fide", zumal derselbe Kommissionspräsident trotz des Präambeltextes sich noch zwei Monate zuvor zwei deutsche Staaten in der EG und sogar einen "ostdeutschen" Kommissar vorstellen konnte 27 • Im übrigen können die Organe der Europäischen Gemeinschaften aus der Präambel einer innerstaatlichen Verfassung ebensowenig Kompetenzerweiterungen ableiten, wie ein Mitgliedstaat im Verhältnis zu den Gemeinschaften innerstaatliches Verfassungsrecht als Kompetenzbeschränkung für europäisches Gemeinschaftsrecht einsetzen kann 28 • Und schließlich ist das "vereinte Europa" im Sinne der Präambel nicht mit der Gemeinschaft der Zwölf identisch, sondern umfaßt auch andere europäische Institutionen, denen dann ebenfalls Einmischungskompetenzen zustehen müßten. Für Deutschland muß die europäische Zukunft nicht länger Teil der Vergangenheitsbewältigung sein. In der Annahme, nach Ende des Zweiten Weltkriegs vor den Trümmern der eigenen Geschichte zu stehen, war für viele der Ruf nach europäischer Staatlichkeit zugleich Hoffnung, das nationale Schicksal zu überwinden. Aber der Versuch, die "nationale Identität an der Garderobe Europas abzugeben,,29 ist gescheitert. Das Nationale hat uns eingeholt, weil es nicht aufgehoben, sondern nur aufgeschoben war. Jetzt, da sich kein tiefer Graben mehr "durch ein gemeinsames (deutsches) Wohnzimmer zieht" (Richard von Weizsäcker)30 braucht die europäische Idee nicht länger als Nationsurrogat herzuhalten, bedarf es keines europäischen Daches, um die Misere der "doppelten Staatsgründung" (als Konsequenz des Kalten Krieges, nicht des Zweiten Weltkrieges 3l ) zu verblenden. Nicht um die nationale Einheit zu erreichen, sondern ausgehend von ihr kann Deutschland nach Ablösung der Siegervorbehalte in voller Souveränität und Gleichberechtigung an einem vereinten Europa weiterarbeiten.
26 Überzeugend Dietrich Murswiek. Das Staatsziel der Einheit Deutschlands nach 40 Jahren Grundgesetz, 1989, insbes. S. 32 und 35. 27 FAZ v. 13.l1.1989. 28 Vgl. EuGH Slg. 1964, S. 1251 ff. (S. 1270) Rs. 6/64, Costa/ENEL. 29 Christian Meier. pie deutsche Einheit als Herausforderung, F AZ vom 24.4.1990, S. 36. JO Zitiert nach Michail Gorbctschow. Perestroika, 1987, S. 259. 31 Morsey. Die Bundesrepublik Deutschland, 1987, S. 15.
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Ein "Gemeinsames Haus Europa" muß freilich nicht gleich errichtet werden. Diese anti-amerikanische Kampfparole der Breschnew-Ära bleibt auch im Munde Gorbatschows rhetorische Floskel und politische Utopie. Solange nicht alle Bewohner eines solchen Hauses über einen rechtsstaatlichen Mindeststandard, einen gemeinsamen verfassungsrechtlichen ordre public, verfügen, könnten sie sich nicht auf die erforderliche Hausordnung einigen. Deshalb kann insbesondere die Sowjetunion als Hausbewohner nicht akzeptiert werden, wie die jüngste Verfassungsreform wieder deutlich gemacht hat. Während die Gewaltentrennung nun seit bald 250 Jahren zur westeuropäischen Verfassungskultur gehört, wird in der UdSSR ein noch reinerer Gewaltenmonismus erstrebt. An der These, das russische Reich benötige wegen seiner Größe einen Autokrator, hat sich seit Katharina der Großen 32 nichts geändert. Die zaristische ist lediglich durch eine sowjetkommunistische Monokratie ersetzt worden. Der Bau eines europäischen Hauses verspricht augenblicklich wenig, auch wenn man das Bauvorhaben zu einer "europäischen Wohnanlage" (Roman Herzog) oder zu einem "europäischen Dorf' (Delors 33 ) abschwächen will. Vor Potemkin'schen Bauten, die wie im Falle der baltischen Staaten nur Unterdrückung und Unfreiheit kaschieren, sollte man auf der Hut bleiben. IV. Auf dem Weg zu einer "Europäischen Union" Realistischer und erfolgversprechender ist der vorsichtige Ausbau der bestehenden Europäischen Gemeinschaften in territorialer, materialer und organisatorischer Hinsicht. Wenn die Präambel des Grundgesetzes sich zu einem "vereinten Europa" bekennt, so ist damit nicht nur West- und Südeuropa gemeint. Aber jede Vergrößerung, insbesondere auch eine Osterweiterung muß sorgfältig die Kompetenzen bedenken, die einem vereinten Europa zukommen sollen. Die Schaffung eines einheitlichen europäischen Staates ist ohnehin weder verfassungs rechtlich möglich noch politisch durchsetzbar. So spricht das Grundgesetz in Art. 24 von "zwischenstaatlichen" Einrichtungen, die also nicht selbst Staatscharakter haben dürfen, sondern nur Staaten verbindungen sein können-. Und dem konföderativen Charakter entspricht der Begriff "Europäische Union", wie er sich in der Präambel der Einheitlichen Europäischen Akte 34 findet. Weder erforderlich noch wünschenswert ist eine Europäische Union als Sicherheitsunion. Sicherheitssysteme bestehen für Westeuropa in Gestalt der II Instruction für die zu Verfertigung des Entwurfs zu einem neuen Gesetzbuche verordnete Commißion, Riga und Mietau, 1768, 11, 10, S. 5. Katharina II übernimmt hier eine Passage aus Montesquieus De I'esprit des lois (VIII/19), ersetzt aber bezeichnenderweise den Begriff "autorite despotique" durch "unumschränkte Gewalt". II Rede v. 17.1.1990 (Fn. 25), Europa-Archiv 1990, D 269. J4 BGB!. 11 1986, S. 1104.
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Nato und der Westeuropäischen Union, und eine Befrachtung der europäischen Einigung mit Sicherheitsproblemen würde zu unnötigen Komplikationen und Verzögerungen sowie zu Schwierigkeiten für die bisherigen Glacis-Staaten der Sowjetunion führen. Daher ist auch Bundeswirtschaftsminister Dr. Haussmann 35 nicht zuzustimmen, wonach "Länder, die sich zur immerwährenden Neutralität verpflichtet haben, derzeit noch schwerlich Mitglied der EG werden können". Diese inzwischen wohl revidierte Haltung ist um so unverständlicher, als man wenige Monate später der DDR die Mitgliedschaft in der EG anbot, die obwohl in Agonie verfallen - doch immer noch Mitglied des Warschauer Pakts ist und auf deren Gebiet bis heute sowjetische Truppen stehen. Gerade angesichts seiner geopolitischen Lage als Puffer zwischen den Mitgliedstaaten Deutschland und Italien ist Österreich als freiheitlich-demokratischer Rechtsstaat und einer trotz weitreichender Staatseingriffe prinzipiell freien Marktwirtschaft 36 zum Mitgliedstaat der EG prädestiniert. Als Bundesstaat würde es zudem die föderalistische Komponente 37 stärken. Deutschland hat nicht nur wegen der vielen historischen, ethnischen, kulturellen und wirtschaftlichen Gemeinsamkeiten 38 Grund, diesen Beitritt nachhaltig zu befürworten. Ohne die Haltung Österreichs und Ungarns wäre jene "Abstimmung mit den Füßen" im Jahre 1989 nicht möglich gewesen, die für die DDR die Gefahr eines "Raums ohne Volk" brachte und die friedliche November-Revolution ermöglichte. Obwohl Österreich als unmittelbarer Nachbar Deutschlands und auf Grund der gemeinsamen historischen Erfahrungen im Unterschied zu vielen anderen, insbesondere weiter entfernt liegenden Staaten der Wiedervereinigung gegenüber hätte skeptisch sein können, hat es dort keine aufgeregten antideutschen Kampagnen und keine Versuche einer Einkreisungspolitik gegeben. Gerade im Hinblick auf die neuere Entwicklung in Mittel- und OsteUl:opa sollte die europäische Integration nicht unnötig forciert werden, sondern sich in Ruhe konsolidieren. Je umfangreicher der acquis communautaire der Europäischen Gemeinschaften ist, desto komplizierter wird der Beitritt für neue Mitgliedstaaten. Das "vereinte Europa" sollte aber nicht nur ein Rumpf-Europa bleiben und insbesondere Mitteleuropa nicht ausklammern. Archimedischer Punkt der europäischen Integration ist die fehlende Souveränität der Europäischen Gemeinschaften. Deshalb mangelt ihnen eine Kompetenzkompetenz und bleiben die Mitgliedstaaten die "Herren der Gemeinschaftsverträge"39. Die EG ist auf die ihr übertragenen speziellen EinzelermächRede vor dem Bremer Tabak-Collegium am 26. Oktober 1989. Vgl. hierzu Adamovich/ Funk. Österreichisches Verfassungsrecht, 3. Aufl., 1985, S. 103 ff. 37 Vgl. in diesem Zusammenhang Pe~~r Pernthaler (Hrsg.), Auswirkungen eines EGBeitrittes auf die föderalistische Struktur Osterreichs, 1989. 38 Hierzu auch Karl Dietrich Erdmann. Die Spur Österreichs in der Geschichte: drei Staaten - zwei Nationen - ein Volk?, 1989; Erich Zöllner. Der Österreichbegriff. 1988. 39 Ausdrücklich BVerfGE 75. 223 (242). 35 36
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tigungen verwiesen und darf keine staatliche Allzuständigkeit beanspruchen. Auch Art. 235 EWGV ermächtigt nur zur Schließung konkreter, nicht aber allgemeiner oder gar beliebiger Befugnislücken (Rupp). Der Europäische Gerichtshof kann und muß die der Gemeinschaft übertragenen Kompetenzen auslegen und konkretisieren, wobei jedoch der schmale Grat zwischen "Rechtsfindung" und "Rechtserfindung" zu beachten ist. Jedenfalls kann auch der Gerichtshof den Gemeinschaften keine Kompetenzkompetenz verschaffen, weil er unter dem Mantel richterlicher Rechtsfortbildung nicht "Gemeinschaftskompetenzen beliebig ... erweitern" darf'O. Auch Annexkompetenzen können keine "Kompetenzannexion" (Bullinger) legitimieren. Gerade weil der Europäische Gerichtshof die Fahrt in die Einigung beschleunigen will, können Betriebsgefahren entstehen, wenn Zugführer und Zugkontrolleur identisch sind. Nationale, aber auch föderative oder autonome Rechte und Interessen leiden, wenn EG-Organe vertragsübersteigende oder vertragswidrige Kompetenzausweitung betreiben. Diese Entwicklung ist in letzter Zeit je nach Temperament der Autoren mehr oder minder heftig kritisiert worden. Hans Peter Ipsen 41 spricht von einem "Zugriff', Ossenbühl von einer "Kompetenzanmaßung", und Lothar Späth 42 sieht sich gar in einer "Abwehrschlacht der Bundesländer". In der Tat können Euro-Dynamik und Euro-Hektik das föderalistische Prinzip bedrohen 43 , und werden insbesondere die deutschen Länder von der Entwicklung der Europäischen Gemeinschaften stärker betroffen, als man bei Schaffung des Grundgesetzes ahnen konnte44 • Auf dem Wege von ökonomischem Zweckverband zu politischer Union herrscht Brüssel nicht mehr nur über Butterberge und MiJchseen, Bier und Tabak, sondern ergreift "Hausgüter länderstaatlicher Kompetenzen"45 wie Rundfunk, Ausbildung und Kommunalwahlrecht. Das abstrakte Bekenntnis zum Subsidiaritätsprinzip, zum Bestreben, "daß auf europäischem Niveau nur das geregelt werden sollte, was besser und sinnvoller auf diesem Niveau geregelt werden kann"46, reicht nicht, wenn in der Praxis der Euro-Zentralismus die Subsidiaritätsrhetorik überwindet. Das "quae sit actio" muß auch für den EWG-Vertrag gelten. Deshalb kann ein Kommunalwahlrecht für Ausländer 47 nicht auf die vage Präambel in der EEA über das gemeinsame
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BVer{GE 75. 223 (243).
Der .,Kulturbereich" im Zugriff der Europäischen Gemeinschaft, in: Verfassungsrecht und Völkerrecht. Gedächtnisschrift für Wilhelm Kar! Geck, 1989, S. 339 ff. ;, 1992: Der Traum von Europa, 1989, S. 271 ff. 43 Vgl. auch Ernst Benda. FAZ v. 3.5.1990 . .. So Stern. NWVBI. 1990, S. 7. ;5 So Stern. a.a.O. 46 Vgl. Arbeitsdokument des Präsidenten der EG-Kommission, Jacques Delors, ftir das Treffen mit den Ministerpräsidenten der Bundesländer am 19. Mai 1988 in Bonn, abgedruCkt in: Europa-Archiv 1988, D 340 ff. (D 34\). ;7 Vgl. unten Anlage 7. ;1
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Eintreten für die Demokratie und auf Art. 235 EWGV gestützt werden 48 • Unter Beschwörung der Demokratie könnte man auch die Queen absetzen, hat Präsident Herzog bei den Bitburger Gesprächen 1990 ironisch gemeint. Daß die Trinkwasserrichtlinie49 "einer harmonischen Entwicklung des Wirtschaftslebens in der gesamten Gemeinschaft und einer beständigen und ausgewogenen Wirtschaftsausweitung" dienen kann, ist schwer ersichtlich. Eine stärkere Beachtung des im EWG-Vertrag für bestimmte Bereiche ausdrücklich verankerten Erforderlichkeitsprinzips erscheint angebracht. Eine Vereinheitlichung ist nicht um ihrer selbst willen, sondern nur dann durchzuführen, wenn Ziele des EWG-Vertrages auf Gemeinschaftsebene besser erreicht werden können. Subsidiarität bedeutet, populär gewendet, daß die bayerische Landesregierung in München besser weiß, was für Bayern gut ist, als die Bundesregierung in Bonn, diese wiederum immer noch besser als die Kommission in Brüssel.
41! 49
Zutreffend Eckart Klein/Martina Beckmann. DÖV 1990, S. 179 (183). Siehe unten Anlage 2.
Vom Wesen und Wert des Föderalismus heute - Gedanken aus österreichischer Sicht im Hinblick auf die europäische Integration Von Herbert Schambeck Es ist für mich bewegend, über das gegenständliche Thema an Ihrer auch um die österreichische Verwaltung in Theorie und Praxis hochverdienten Hochschule gerade in Speyer zu sprechen, nur wenig entfernt von dem Dom, in dem jener deutsche Kaiser Rudolf seine letzte Ruhestätte fand, der das Geschlecht der Habsburger und damit das Haus Österreich begründet hat, welches durch seine jahrhundertelange kluge Politik zum Ursprung des heutigen österreichischen Föderalismus beitrug. Nachdem ich die Freude habe, am selben Vormittag zu sprechen, an dem auch aus der Sicht Ihres Tagungsthemas Spanien zu Wort kommt, möchte ich es nicht unterlassen, an jene Zeit zu erinnern, als es ein Reich gab, in dem die Sonne nicht unterging, und dies auch ein besonderer Abschnitt europäischer Geschichte war; ein Neben- und Miteinander in politischer Vielfalt, welches ein Europa ausmachte, das auch in Krisenzeiten Kultur entwickelte und uns heute zur Fortschreibung dieser Geschichte verpflichtet, einen Einsatz zu leisten, der Dauerhaftes erbringt, das bestehen kann. Gedanken über den Föderalismus führen hierzu. I. Der Föderalismus ist ein politisches Ordnungsprinzip, das - völkerrechtlich im Staatenbund und verfassungsrechtlich im Bundesstaat - auf einen Zusammenschluß von rechtlich und politisch selbstverantwortlichen Gemeinwesen gerichtet ist. In beiden AnwendungsfaUen des Föderalismus sind verschiedenste Formen möglich, die in der völkerrechtlichen Form des Staatenbundes die Selbständigkeit der sich koordinierenden Staaten - wenn auch in einer modifizierten Form --enthält, während in der verfassungs rechtlichen Form des Bundesstaates der Zusammenschluß einen selbständigen Staat entstehen läßt, der - wie beispielsweise etwa die UdSSR zeigt - einzelnen Gliedstaaten eine Teilsouveränität einräumt. Öfters ist aus einer Form des völkerrechtlichen Föderalismus, nämlich einem Staatenbund, eine Form des verfassungsrechtlichen Föderalismus, nämlich ein Bundesstaat, entstanden, wie etwa 1871 aus dem Deutschen Bund
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das Deutsche Reich, welches ein Bundesstaat in der Staatsform der Monarchie war. Jede Form des Föderalismus hat ihre eigenen Voraussetzungen, Merkmale und ihre Geschichte; von dem aber grundsätzlich Gemeinsamen des Föderalismus staatsrechtlicher Prägung, nämlich der Bundesstaatlichkeit, sei im Hinblick auf Möglichkeiten und Grenzen derselben im folgenden die Rede. Seinem Wortsinn nach geht der Begriff Föderalismus bekanntlich auf das lateinische Wort "foedus" zurück, dessen Genitiv "foederis" lautet. Foederati hießen im Imperium Romanum die für bündnisfähig erkannten Stammeseinheiten. Auch im Mittelalter waren bekanntlich die Begriffe foedus und confoederatio im Sinne von Bund und Bündnis in Verträgen gebräuchlich. Der Begriff "foedus" erhielt seine besondere Verbreitung durch die sogenannte Föderaltheologie des 16. und 17. Jahrhunderts, welche das Rechts- und Staatsdenken dieser Zeit auch beeinflußte, was bei Johannes Althusius in seinem Werk "Politica methodice digesta" 1603 ebenso erkennbar ist, wie in dem Buch "Oe iure belli ac pacis" von Hugo Grotius 1625. Als "Confederation" bezeichnete sich 1634 die erste Vereinigung der Neuenglandstaaten. Samuel Pufendorfmeinte 1667 in seiner Arbeit "Oe statu imperii Germanici": "Ohne ein föderatives System geht das Reich zu Ende." 1748 hat Montesquieu im 9. Buch seines Werkes "Esprit des lois" bereits von einer föderativen Republik geschrieben. Der allgemeine Durchbruch gelang dem Föderalismus bekanntlich durch die "Federalist Papers", jenem 1788 veröffentlichten Gemeinschaftswerk von Alexander Hamilton. James Madison und John Jay. in dem die anfangs schwer zu bewältigen scheinenden Schwierigkeiten bei der Erfassung der nordamerikanischen Kolonien zu lösen gesucht und die Grundzüge der amerikanischen Unionsverfassung von 1787 veranschaulicht wurden. Zum Verständnis dieser Staatsschöpfung trug zweifellos im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts das epochemachende Werk von Alexis de Tocqueville "Oe la democratie en Amerique" (1835 und 1840) bei. Es wundert daher auch nicht, daß die Staatsrechtswissenschaft sich des Föderalismus annahm; es sei auf die Theorien von Georg Waitz. Constantin Frantz. Pierre-Joseph Proudhon. Georg Meier. Paul Laband. Georg Jellinek. Fritz F/einer und Hans Kelsen verwiesen; aus der deutschsprachigen Staatsrechtswissenschaft der letzten Jahrzehnte seien u. a. Adolf Merkl. Max Imboden und Ulrich Scheuner genannt.
11. Vergleicht man die einzelnen Bundesstaaten, kann erkannt werden, daß sie unter verschiedenen geographischen und historischen Bedingungen, rechtlichen, kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Voraussetzungen sowie im Hinblick auf unterschiedliche innen- und außenpolitische Möglichkeiten entstanden sind.
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So ist Österreich 1918 bis 1920 nach dem Zerfall der Donaumonarchie aus einem dezentralisierten Einheitsstaat zu einem Bundesstaat geworden, während der schweizerische Bundesstaat lange vorher das Ergebnis einer tiefgreifenden Auseinandersetzung einzelner in einem Staatenbund zusammengeschlossener souveräner Staaten ist, die vor der Alternative gestanden sind, entweder eine größere Einheit zu finden oder als zerrissener Staatenbund von den europäischen Mächten aufgerieben zu werden. Der Föderalismus erweist sich in den einzelnen Bundesstaaten zumeist dem Anlaß seiner Entstehung und seinem Inhalt nach als Ergebnis eines Kompromisses, wodurch ein Konflikt vermieden oder geregelt wurde. Diese Konflikte können parteipolitischer, wirtschaftlich-sozialer, religiöser, weltanschaulichideologischer , ethnischer, regionaler oder internationaler Natur sein. Der bundes staatliche Charakter einer Staatsordnung kann entweder in einem Begriff programmatisch ausgedrückt und dann mehr oder weniger deutlich inhaltlich ausgeführt werden, wie das im österreichischen Bundes-Verfassungsgesetz 1920 (B-VG) der Fall ist, oder das föderalistische System im Verfassungsrecht eines Staates durchgeführt werden, ohne daß der Föderalismus begrifflich verwendet wird, was in der Weimarer Reichsverfassung 1919 Deutschlands gegeben war, die das Wort Bundesstaat zum Unterschied von Art. 2 des österreichischen B-VG und dem Bonner Grundgesetz nicht in ihren Text aufgenommen hatte. Als wichtigste Merkmale der Bundesstaatlichkeit gilt es vor allem drei zu nennen: erstens, die Verteilung der Zuständigkeit in der Ausübung der drei Staatsfunktionen, nämlich Gesetzgebung, Gerichtsbarkeit und Verwaltung, auf Bund und Länder; zweitens, eine Form der Mitwirkung der Länder an der Bundesgesetzgebung und drittens, die Aufteilung der Einnahmen des Staates auf Bund und Länder, was als Finanzausgleich bezeichnet wird. Wer den Staat der Gegenwart mit seinen Aufgaben betrachtet, muß feststellen, daß diese besondere Probleme für die Erfassung durch die Bundesstaatlichkeit bringen. Der heutige Staat ist von einem Staat der Ordnungs bewahrung zu einem der Sozialgestaltung geworden, was eine starke Vermehrung seiner Aufgaben gebracht hat. In bezug auf die Kompetenzverteilung wird der Bundesstaat gerne und nicht zu Unrecht als ein Ausdruck des Subsidiaritätsprinzips bezeichnet. Tatsächlich erlaubt der Föderalismus, die Aufgaben zwischen dem Bund, also dem Gesamtstaat, und den Ländern aufzuteilen. Diese Aufteilung ist aber heute deshalb nicht leicht, weil einerseits die Länder bestimmte Aufgaben ihrer lebensnahen Durchführung wegen gerne in ihrer Zuständigkeit haben, andererseits diese Aufgaben wegen ihrer gesamtstaatlichen Bedeutung, der mit ihnen verbundenen Kosten und ihres Sachzwecks Bundeskompetenz verlangen. Das gilt besonders heute für bestimmte Bereiche der Wirtschafts- und Sozialordnung.
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Ein Interessenausgleich zwischen Bund und Ländern findet sich in der Form des kooperativen Föderalismus. In Österreich wurde dafür durch die B-VGNovelle 1974 die Möglichkeit des Abschlusses sogenannter Gliedstaatsverträge eingeführt. Nach Art. 15 a können Bund und Länder sowie die Länder untereinander über Angelegenheiten ihres jeweiligen Wirkungsbereiches Vereinbarungen schließen. Diese Form der Kooperation von Bund und Ländern ist im heutigen Bundesstaat besonders wichtig, da in der Gegenwart eine Vielzahl von Aufgaben aus komplexen Materien besteht, die in Gesetzgebung bzw. Vollziehung teils dem Bund, also dem Oberstaat, teils den Ländern, also den Gliedstaaten, zukommen. Als derartige Aufgaben, die heute für eine kooperativ-föderalistische Erfassung von Bedeutung sind, seien vor allem genannt: der Gewässerschutz, die Autobahnen, der Umweltschutz, die Raumordnung, die Verkehrsplanung und die umfassende Landesverteidigung. Diese Möglichkeit des Kooperierens von Bund und Ländern erlaubt einerseits, daß der Gesamtstaat und der Gliedstaat Träger ihrer Zuständigkeiten bleiben, andererseits aber den jeweiligen Erfordernissen nach so zusammenwirken können, daß der erforderliche überregionale Effekt entsteht. Die Grenze dieses kooperativen Föderalismus ist aber dort gegeben, wo die ursprünglichen Zuständigkeiten überhaupt nicht zum Tragen kommen, sondern nur mehr eine gesamtstaatliche Kooperation. Das Erfordernis der jeweiligen Materie wird für das Ausmaß und die Dauer der Kooperation von Bedeutung sein. Dieses Kooperieren ist nach Art. 16 B-VG seit 1989 in Österreich nicht allein zwischen den Ländern untereinander sowie zwischen Ländern und Bund in sogenannten Gliedstaatsverträgen möglich, sondern in Form von Regionalabkommen auch zwischen einem Bundesstaat und einem benachbarten Staat und dessen Land bzw. Region. Was bisher in regionaler Zusammenarbeit auf den Bereich der Privatwirtschaftsverwaltung in Form von Arbeitsgemeinschaften beschränkt war, ist nun auch im Bereich der Hoheitsverwaltung möglich. Das kann besonders für Katastrophenhilfe, Feuerwehr- und Rettungswesen, Umweltschutz und Verkehrspolitik von großer Bedeutung werden. Diese Möglichkeit der Regionalpolitik stellt einen entscheidenden Schritt in Europa und für Europa dar, weil es mit dem Bewahren der Heimat das Aufeinanderzukommen ermöglicht. Von dieser Möglichkeit des Abschlusses von Regionalabkommen ist in Österreich bisher noch nicht Gebrauch gemacht worden. Österreichs Bundesländer setzen hingegen den Weg grenzüberschreitender Zusammenarbeit mit privatwirtschaftlichen Abkommen durch freiwillige Arbeitsgemeinschaften fort. Die Arbeitsgemeinschaft der Alpenländer , der Länder und Regionen des Ostalpengebietes, der Donauregion, die Bodensee-Konferenz, die Adriaregion (Kärnten, Friaul-Julisch Venetien, Slowenien und Kroatien), die ständige Kommission für regionale Zusammenarbeit zwischen Bayern und den benachbarten Bundesländern, weiteres zwischen Burgenland und den benachbarten ungarischen Komi-
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taten bzw. slowenischen Regionen sowie nicht zuletzt die österreichisch-deutsche Raumordnungskommission gilt es in diesem Zusammenhang zu nennen. Dieses Kooperieren innerhalb eines Bundesstaates und im Rahmen der Regionalpolitik auch mit Nachbarstaaten ist eine der Folgen der Entwicklung der Kompetenzverteilung. Die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern soll nicht bloß statisch, das heißt, versteinert in der Form ihrer Verfassungswerdung, sondern dynamisch den jeweiligen Zeit- und Ortserfordernissen nach angepaßt gesehen und, wenn erforderlich, auch weiterentwickelt werden. Die Tatbestände dieser Kompetenzverteilung haben neben ihrer bundesstaatlichen Bedeutung auch eine solche für die Staatsprogrammatik. Aus der Aufzählung von Lebenssachverhalten in den Kompetenztatbeständen kann nämlich deutlich die Anerkennung bestimmter Aufgaben durch den Staat - sei es gesamtstaatlich durch den Bund oder gliedstaatlich durch die Länder - festgestellt werden. Diese Nennung von Lebenssachverhalten in den Kompetenztatbeständen bedeutet die Blankoermächtigung der Verfassung an den einfachen Gesetzgeber des Bundes und der Länder, von diesen Möglichkeiten der Gesetzgebung Gebrauch zu machen; ob sie es tatsächlich tun, ist eine politische Entscheidung. Nur dort, wo die Staatszwecke, wie z. B. im Bonner Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland in der Vorschreibung des sozialen Rechtsstaates oder des sozialen Bundesstaates, angegeben sind, besteht eine verfassungspolitische Verpflichtung zu einem Tätigwerden über den Primärzweck des Staates, nämlich den Rechts- und Machtzweck, hinaus. Nicht jeder Bundesstaat verbindet aber mit der Angabe der Kompetenzregelung auch eine solche der Staatszwecke. Neben der Kompetenzregelung ist ein weiteres Kennzeichen der Bundesstaatlichkeit die Mitv.'irkung der Länder an der Bundesgesetzgebung, was überwiegend in Form einer zweiten Kammer, der sogenannten Länderkammer erfolgt, die unter verschiedener Bezeichnung dem jeweiligen Parlament angehört. Eine derartige Kammer ist konsequent föderalistisch gestaltet, wenn sie nach dem arithmetischen Prinzip, d. h. gleiche Zahl für die Vertreter jedes Bundeslandes, zusammengesetzt ist, z. B. im amerikanischen Senat, hingegen kommt neben dem föderalistischen auch das demokratische Element zum Tragen, wenn die Zahl der Einwohner oder Wahlberechtigten für die Zahl der Vertreter der einzelnen Länder bestimmend ist, wie z. B. für den österreichischen Bundesrat. Eine derartige Länderkammer wird als zweite gesetzgebende Körperschaft ein jeweils spezifisches Mitwirkungsrecht an der Gesetzgebung haben. Die Entsendung der einzelnen Ländervertreter kann durch Wahl des Volkes oder des Parlamentes der einzelnen Bundesländer erfolgen; auf jeden Fall bietet diese Wahl die Gelegenheit, daß neben der Wahl der Volksvertretung in der sogenannten ersten Kammer in der Länderkammer als zweiter Kammer eine andere Zusammensetzung besteht. Dadurch kann während einer Funktionsperiode der Volksvertretung in der Länderkammer, deren Zusammensetzung sich für den Fall der
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Entsendung nach der Wahl der Landtage laufend ändern kann, eine andere politische Stärke wirksam werden. Auf diese Weise kann durch eine Länderkammer der Föderalismus zur Verlebendigung der politischen Landschaft beitragen, und das auch, wenn in beiden Kammern dieselben politischen Parteien vertreten sind, aber zu verschiedenen Zeiten und nach unterschiedlichen Gesichtspunkten in die beiden parlamentarischen Körperschaften - einmal die Volksvertretung, ein andermal die Ländervertretung - gewählt wird. Dazu kommen noch die Länderparlamente mit ihren eigenen politischen Zusammensetzungen und die Gemeinden. Die Bezogenheit von Bund und Ländern kommt wohl am deutlichsten beim Finanzausgleich zum Tragen, dennd~r Bund kann nur über das Steueraufkommen verfügen, das in seinen Lände;rn erwirtschaftet wurde, und umgekehrt brauchen die Länder den Bund, um auch finanziell ihre Aufgaben erfüllen zu können. Dabei ergibt sich in der politischen Wirklichkeit die Gegenüberstellung, wieviel an Steuern aus einem Bundesland an den Bund fließen und wieviel der Bund im Rahmen des Finanzausgleichs, der ja auch - was nicht zu vergessen istfinanzärmere Länder zu unterstützen hat, wieder dem betreffenden Land zukommen lassen kann. Betrachtet man die Stellung der Länder in Österreich im Abgabenwesen, ist diese besonders schwach. Vor allem gilt zu betonen, daß zur Einreihung der Steuern in die einzelnen Steuertypen und damit zur Entscheidung darüber, wer die Ertragshoheit an welchen Steuern hat, nur der einfache Bundesgesetzgeber zuständig ist. Die Länder haben keine eigene Finanzhoheit, sie sind nur Verteilerorganisation und Kostgänger des Bundes. Es ist wohl erwähnenswert, daß 96 % der Steuereinnahmen der Länder aus Ertragsanteilen und nur 4 % aus eigenen Steuern stammen; es zählen auch alle Finanzausgleichsgesetze seit 1948 bekanntlich die ausschließlichen Bundesabgaben taxativ auf, während die Kataloge der Länderabgaben immer nur demonstrativen Charakter hatten. Der Bund hat beinahe alle Besteuerungsgegenstände erfaßt, so daß dem freien Abgabenfindungsrecht der Länder kaum Raum bleibt. Daß auch der Bund ein durch ein Finanzausgleichsgesetz bestimmtes Beteiligungsverhältnis nachträglich durch Erschließung neuer ausschließlicher Bundesabgaben verändert, ruft die Kritik der Länder und Gemeinden hervor. Dabei bekommt der Bund mit Hilfe seiner Finanzkraft zunehmend Einfluß auf die Aufgabenerfüllung durch die Länder und Gemeinden. Umgekehrt fordert aber der Bund auch von den Ländern entsprechende finanzielle Beteiligungen an Vorfinanzierungen und privatwirtschaftliche Förderungen. Wenn die Kompetenzverteilung, die Länderkammer des Parlaments und der Finanzausgleich als wichtigste Merkmale der Bundesstaatlichkeit genannt werden, so darf nicht angenommen werden, das übrige Verfassungsrecht eines Bundesstaates wäre indifferent gegenüber dem Föderalismus. Beispielsweise sei auf die für Bund und Länder gemeinsame Bedeutung der rechtlichen und finanziellen Kontrolleinrichtungen, wie in Österreich Verfassungs- und Verwaltungs-
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gerichtshof sowie Rechnungshof und Volksanwaltschaft verwiesen, die Bundesexekutive genannt, das wechselseitige Begutachtungsrecht des Bundes und der Länder zu den Gesetzen, die Mitwirkung der Länder an der Bundesverwaltung und das Recht eines Staatsoberhauptes, in das Landesgeschehen durch Auflösung des Landesparlaments einzugreifen, hervorgehoben. Ohne im Verfassungsrecht vorgeschrieben zu sein, haben sich bisweilen freiwillig neue Einrichtungen des Föderalismus in sogenannten horizontalen Koordinationsformen gebildet; in Österreich seien besonders die Verbindungsstelle österreichischer Bundesländer, die regelmäßigen Konferenzen der Spitzenrepräsentanten der Landtage, der Landesregierungen und der einzelnen Verwaltungsressorts der österreichischen Bundesländer genannt. Auch regelmäßige Besprechungen der Experten der Bundesländer auf verschiedenen Fachgebieten finden ohne Verfassungsauftrag freiwillig statt.
111. Will man die Bedeutung dieser verfassungsrechtlichen und freiwilligen Formen des Föderalismus hervorheben, so zeichnen sich besondere Funktionen des Föderalismus ab. 1. Der Föderalismus erweist sich als eine wirkungsvolle Form der Gewaltenteilung. Im gemeinsamen Staat wirken Bund und Länder nebeneinander, sich gegenseitig ergänzend, aber auch kontrollierend. Diese Kontrollfunktion durch den Föderalismus, nämlich des Bundes gegenüber den Ländern und der Länder gegenüber dem Bund, ist geradezu ein Ersatz für die klassische Gewaltenteilung, der in den Staaten besonders zum Tragen kommt, in denen die parlamentarischen Kontrollrechte Mehrheitsrechte und deshalb wirkungslos sind, weil die Parlamentsmehrheit die Regierung bildet und daher nicht unvoreingenommen beurteilt. Besonders dann, wenn auf Landesebene andere politische Kräfte als auf Bundesebene die Mehrheit haben, zeigt sich die Kontrollfunktion. Auf diese Weise kann 2. der Föderalismus zur Verlebendigung der Demokratie beitragen, da durch den bundesstaatlichen Aufbau des Staates lebensnahe Bereiche des öffentlichen Lebens organisiert werden, was die politische Meinungs- und Willensbildung auf eine breitere Basis stellt; so kann sich 3. durch den Föderalismus das Subsidiaritätsprinzip wohl am deutlichsten im Bereich der Kompetenzverteilung verwirklichen und 4. neben den ideologischen, weltanschaulichen und parteipolitischen Positionen durch den Sachzwang territorial bedingter Anliegen sich zumindest der Ansatz einer möglichen Versachlichung und denkbaren Objektivierung in der politischen Auseinandersetzung eröffnen. 3 Merten
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Diese Versachlichung und Objektivierung ist besonders durch die freiwillige Zusammenarbeit der oft verschiedenen politischen Lagern angehörenden Repräsentanten der Länder gegeben; in Österreich kommen sogar in Abständen einstimmig verabschiedete Forderungsprogramme der österreichischen Bundesländer zustande. Der Föderalismus dokumentiert in dieser Weise seine Integrationsfunktion im Staat. Neben dieser Integrationsfunktion im Staat kann 5. insofern auch eine Organisationsfunktion des Föderalismus in und für die Gesellschaft festgestellt werden, die auf den Staat wirkt, als in einem Bundesstaat die politischen Parteien und Interessenverbände - mehr oder weniger nach ihren ideologischen oder berufsständischen Grundlagen verschieden - auch nach bundesstaatlichen Gesichtspunkten organisiert sein werden. Diese sogenannten bundesstaatlichen Kennzeichen werden in der Mehrzahl der Fälle, wie z. B. auch in Österreichs Föderalismus, historisch entstandene räumliche Größen zum Tragen bringen. Es handelt sich dabei um rein historische Einheiten, die sich nicht nach ethnischen Gesichtspunkten gebildet haben. Als Beispiele für einen derartigen nicht-ethnischen Föderalismus sind die Schweiz, Deutschland, USA, Kanada, Australien, Brasilien und Südafrika zu nennen. Sie können entweder ethnisch homogen sein, wie die Bundesrepublik Deutschland und Österreich, oder der Homogenisierung ausgesetzt sein, wie USA, Australien und Brasilien. Daneben gibt es polyethnische föderalistische Länder wie die Schweiz. Spricht man von diesen Formen des Föderalismus, dann kann er in der Vielfalt der Möglichkeiten, die sich territorial oder personal als Aufgabe der Bewältigung einem Staatsaufbau bieten, als das Staatsorganisationsprinzip des Pluralismus bezeichnet werden. Dieser Pluralismus verlangt aber zur Begründung eines Bundesstaates ein Gleichgewicht der staatstragenden Kräfte und somit auch eine bestimmte Koordination. Schon in der griechischen Antike lesen wir von dem Metron und den Erfordernissen des rechten Maßhaltens. Diese Mahnung der Antike gilt auch für unsere Tage. Wer von Föderalismus spricht, möge sich der Möglichkeiten des Föderalismus, aber auch seiner Grenzen bewußt sein. In dieser Sicht sei davor gewarnt, den Föderalismus mit dem Partikularismus und dem Separatismus zu verwechseln. Auch bei einer föderalen Staatsordnung kommt es darauf an, die Teile des Staates stets im Hinblick auf das Ganze zu sehen. Anders der Partikularismus, er sieht nicht das Ganze, sondern nur Teile, die unabhängig voneinander sind, einer gegenüber dem anderen abgeschlossen; das Vorhandensein zusammengesetzter Strukturen und Aufgaben wird geleugnet. Eine solche Haltung steht auch gegen die Interessen des modemen Staates, der oft die Beachtung und Erfüllung von zusammengehörenden Aufgaben verlangt, die in einem wechselseitigen Bezug in der Kultur-, Sozial- und Wirtschaftspolitik stehen. Die Korporation ist daher das Gebot des modernen Föderalismus.
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Diese Möglichkeiten des Föderalismus sind aber dort gefährdet, wo der Bundesstaat in seiner Existenz bedroht ist. Das ist der Fall, wenn sich der Partikularismus zum Separatismus weiterentwickelt. Föderalismus und Separatismus sollen und dürfen nicht verwechselt werden. Der Föderalismus will die Einheit der Vielfalt, der Separatismus aber strebt die Loslösung eines Teiles des ganzen Staatswesens oder dessen Auflösung selbst an. Dezentralisationsbewegungen, die auf Loslösung oder Auflösung eines Staatsgebietes gerichtet sind, haben einen existenzgefährdenden Charakter. Diese abschließenden Hinweise auf die Gefahren des Partikularismus und des Separatismus seien deshalb gemacht, weil jeder Föderalismus die Auseinandersetzung mit verschiedenen territorial oder personal bedingten Kräften voraussetzt, ja verlangt. Es sei aber auch betont, daß der Föderalismus die Kooperation dieser Kräfte verlangt, denn der Staat der Gegenwart hat vor allem Aufgaben zu bewältigen, welche ein Zusammenwirken von Oberstaat und Gliedstaaten, also von Bund und Ländern, verlangen, besonders wenn sie langfristig und von größerer Bedeutung sind, so daß sie gemeinsamer Planung und Finanzierung bedürfen. In dieser Sicht hält der Föderalismus einen Staat immer in Bewegung; er verlangt eine dynamische Staatsordnung, die sowohl verschiedene Faktoren des öffentlichen Lebens in ihrem Wirken ermöglicht, als auch den Ausgleich ihrer Interessen im Sinne eines Kooperierens zum Nutzen des Ganzen gestattet. Wer diese Gedanken über Wesen und Wert des Föderalismus mit der Entwicklung in der Völkergemeinschaft konfrontiert, muß zugeben, daß sie geradezu in Widerspruch zu dem bekannten, oft zitierten Satz von Harold Laski aus 1939 stehen: "The epoch of federalism is over". Neben klassischen Bundesstaaten wie der Bundesrepublik Deutschland, Schweiz und Österreich außereuropäisch ließen sich noch insbesondere Australien, Kanada und die USA nennen - können wir regionale bis föderative Tendenzen in Italien, Frankreich, Spanien und Belgien feststellen. Auch sie gilt es zu bedenken, bemühte man sich um eine europäische Integration. Der Föderalismus bedarf daher eines ständigen, verantwortlichen politischen Mitdenkens und Mithandelns seiner Bürger. Die Faktoren, welche für den Föderalismus in den einzelnen Staaten bestimmend sind, werden jeweils verschieden sein, da die Grundsätze der jeweiligen Bundesstaatlichkeit nicht starr und apriori als aufgestellt betrachtet werden können; sie sind in der Wirklichkeit des jeweiligen Staates gegeben, und die Koordination und Integration dieser Pluralität, sei sie territorial oder personal bedingt, ist die Hauptaufgabe der jeweiligen Bundesstaatlichkeit. Auf diese Weise bietet der Föderalismus zwar nicht die hundertprozentige Gewißheit, aber eine Chance, daß die Kräfte eines Staates und die Freiheit des Einzelmenschen zum Nutzen aller eins werden. Dieser Föderalismus hat sich angesichts der Einigungsbemühungen in Europa zu bewähren. 3'
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IV. Wer von europäischer Integration und Föderalismus spricht, stellt eine Beziehung her zwischen der in der EG zusammengefaßten Zwölfergemeinschaft und dem Föderalismus als einem Prinzip des Staatsautbaues, das in der Einheit eines Staates die Eigenständigkeit seiner Länder beläßt. Während die einzelnen Staaten im allgemeinen, ob Einheitsstaat oder Bundesstaat, auf bestimmte historische Entwicklungen, politische Prozesse, geopolitische Faktoren sowie außen- und innenpolitische Zwänge zurückgehen, die in einer Verfassungswerdung ihren Ausdruck finden, ist die EG die freiwillige Einigung selbständiger Staaten, von welchen nur ein einziger, nämlich die Bundesrepublik Deutschland, selbst ein Bundesstaat ist. Wie schon Peter Schmidhuber betonte, wahren "die drei Gründungsverträge ... gegenüber der innerstaatlichen Ordnung der Mitgliedstaaten absolute Neutralität. Es ist allein Sache der Mitgliedstaaten, auf welche Ebenen sie die staatliche Gewalt in ihrem eigenen Bereich verteilen und welche Gesetzgebungs- und Verwaltungsorgane jeweils mit welchen Zuständigkeiten betraut werden. Ebenso ist es der freien Entscheidung der Mitgliedstaaten überlassen, auf welcher Ebene und durch welche Gesetzgebungskörperschaften sie dafür Sorge tragen, daß die Richtlinien des Gemeinschaftsrechts in nationales Recht umgesetzt werden. Entscheidend ist allein, daß diese Umsetzung fristgerecht und vollständig erfolgt ... Wenn die Regionen und Länder damit nicht am Meinungsbildungsprozeß auf der Gemeinschaftsebene selbst beteiligt sind, ist es um so wichtiger, daß sie auf nationaler Ebene in den Meinungsbildungsprozeß eingebunden werden und sich innerhalb der Mitgliedstaaten die Gewichte nicht durch die zunehmende europäische Integration zu Lasten der Regionen und Länder verschieben." 1 Die Beziehung "EG und Föderalismus" hat sich bei den bisherigen zwölf Mitgliedern der EG nur bei der Bundesrepublik Deutschland gestellt. Bevor auf dieses Anliegen meiner Ausführungen eingegangen sei, muß aus österreichischer Sicht gleichsam als Vorfrage zu diesem Thema die Frage nach der Vereinbarkeit von Öste"eichs Neutralität mit der EG gestellt werden. Ein Anliegen, das bekanntlich in der Bundesrepublik Deutschland nicht gegeben ist, weil die Bundesrepublik Deutschland nie eine Neutralitätserklärung abgegeben hat und auch Mitglied der NATO ist. Österreichs Neutralität wurde am 26. Oktober 1955 nach Abzug des letzten Besatzungssoldaten aus freien Stücken in einem eigenen Bundesverfassungsgesetz erklärt. Dem Wortlaut dieser Neutralitätserklärung nach handelt es sich primär um eine militärische Neutralität, nicht aber um eine ideologische und wirtschaftliche Neutralität. I Peter M. Schmidhuber. Deutscher Föderalismus und europäische Integration - ein Widerspruch?, Sonde 1/2-89, S. 20.
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Österreich hat analog zur Schweiz eine bewaffnete Neutralität, darüber hinaus aber zum Unterschied von der Schweiz seine Neutralität als aktiven Beitrag verstanden. So nehmen österreichische Truppen an den friedenserhaltenden Missionen der UNO teil. Österreich war zweimal Mitglied des Sicherheitsrates, der auch bindende Beschlüsse über Zwangsmaßnahmen faßt. Eine Teilnahme Österreichs an einer gemeinsamen Außenpolitik und Sicherheitspolitik der EG unter Ausschluß der militärischen Komponente ist daher möglich. In diesem Zusammenhang muß ich wiederholen, was ich bereits in meinem Eröffnungsvortrag bei der Tagung der europäischen Parlamentspräsidenten am 24. Juni 1988 im Berner Bundeshaus erklärte: "Eine Teilnahme Österreichs am Binnenmarkt und ein allfälliger Beitritt Österreichs zur Europäischen Gemeinschaft ist nur dann mit dem Grundsatz der immerwährenden Neutralität vereinbar, wenn die militärische Sicherheitspolitik aus dem Tätigkeitsbereich der EG ausgeklammert wird. Unter Beachtung der derzeitigen Situation erscheint die Einbeziehung dieses Bereiches in den Aufgabenbereich der EG auch nicht erforderlich, zumal hierfür die NATO wie auch die Westeuropäische Union ein entsprechendes Forum bieten. Die Einheitliche Europäische Akte sieht dies nämlich ausdrücklich vor, wenn gesagt wird, daß die Vertragsbestimmungen über die Europäische Zusammenarbeit in der Außenpolitik einer engeren Zusammenarbeit auf dem Gebiete der Sicherheit zwischen einigen Vertragsparteien im Rahmen der Westeuropäischen Union und des Atlantischen Bündnisses nicht entgegenstehen." 2 Neben der Neutralität muß Österreich im Hinblick auf die EG noch eine Reihe von verfassungspolitischen Problemen bedenken. So wäre mit der Verpflichtung zur Übernahme des EG-Rechtsbestandes und zur Übertragung von innerstaatlichen Rechtssetzungs- und Vollziehungsbefugnissen an supranationale Organe ein bedeutender Souveränitätsverlust verbunden. Hinsichtlich der parlamentarischen Entscheidungsbefugnisse möchte ich vor allem auf das demokratische Prinzip, hinsichtlich der betroffenen Länderkompetenzen auf das bundesstaatliehe Prinzip und auf den Grundsatz der Gewaltentrennung verweisen, die durch einen EG-Beitritt Österreichs eine Änderung erfahren. Im parlamentarischen Bereich würde sich eine EG-Mitgliedschaft Österreichs besonders verändernd im Bereich des Föderalismus und Parlamentarismus auf den Bundesrat und die Landtage beziehen. Die Möglichkeiten der deutschen Länder, an der Vorbereitung der EG-Rechtssetzung teilzunehmen und die Arbeit der deutschen EG-Kammer sind daher für uns sehr beachtenswert. Ich hatte deshalb auch während meines Vorsitzes im österreichischen Bundesrat den damaligen deutschen Bundesratspräsidenten Bernhard Vogel gebeten, im Rahmen der von mir zur 500. Sitzung des österreichischen Bundesrates initiierten Enquete "Föderalismus und Parlamentarismus" im Mai 1988 in Wien darüber 2 Herbert Schambeck. Die europäische Herausforderung und die Parlamente, in: Konferenz der Präsidenten der Europäischen Parlamentarischen Versammlungen, Bem 1988, S. 11 f.
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zu sprechen. Sehr wertvoll waren und sind uns auch diesbezüglich Ausführungen von Bundesratsdirektor Georg-Berndt Oschatz über dieses Länderbeteiligungsverfahren. Wie bereits erwähnt, ist von den 12 Mitgliedstaaten der EG nur ein Staat föderalistisch aufgebaut, nämlich die Bundesrepublik Deutschland, alle anderen nicht, wenngleich einigen, wie Italien, Spanien und Belgien regionalpolitische Tendenzen eigen sind. Man darf aber den großen Unterschied zwischen einer Region und einem Bundesland nicht übersehen, der darin liegt, daß nur das Land, aber nicht die Region, Staatscharakter besitzt. Die EG nimmt auf einen föderalistischen Staatsaufbau nicht eigens Bezug. So sind zwar die Länder der Bundesrepublik Deutschland Staaten und Inhaber der Landeshoheit, Mitglied der EG ist jedoch der Bundesstaat, die Bundesrepublik Deutschland. Dabei muß beachtet werden, daß im Bonner Grundgesetz das Integrations- und das Bundesstaatsprinzip nebeneinander vertreten sind. Das Ziel eines vereinten Europas findet sich bereits in der Präambel zum Bonner Grundgesetz, und die bei weitem wichtigsten Anwendungsfälle seines Art. 24 (1) GG, der die auswärtige Gewalt und damit auch die Kompetenz für die europäische Integration dem Bund zugewiesen hat, sind die Europäischen Gemeinschaften. Auch der föderale Aufbau der Bundesrepublik Deutschland und damit die Eigenstaatlichkeit der Länder sind durch das Grundgesetz geschützt, vorschreibend durch Art. 20 Abs. 1 GG und als Staatsfundamentalnorm dem Zugriff jeder Verfassungsänderung entziehend in Art. 79 Abs. 3 GG. Die Prinzipien der Integration und der Bundesstaatlichkeit bestehen daher im Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland nebeneinander. Anders ist die Situation im Verjassungsrecht der Republik Österreich. Hier findet sich auf der Stufe des Verfassungsrechts an keiner einzigen Stelle ein Bekenntnis zur Europäischen Integration, wohl aber bereits im Art. 2 B-VG zum bundesstaatlichen Aufbau. Was "äußere Angelegenheiten mit Einschluß der politischen und wirtschaftlichen Vertretung gegenüber dem Ausland, insbesondere Abschluß von Staatsverträgen, unbeschadet der Zuständigkeit der Länder nach Art. 16 Abs. I" betrifft, sind diese nach Art. 10 Abs. 1 B-VG Bundessache in Gesetzgebung und Vollziehung. Besteht in Österreich die Absicht, an der europäischen Integration teilzuhaben und dabei seine föderalistische Struktur im Rahmen des Möglichen zu wahren, so wird sicher das Beispiel der Bundesrepublik Deutschland bei aller staatsrechtlichen Unterschiedlichkeit zu beachten sein. Dieses Beispiel zeigt, daß mit der Teilnahme an der EG Kompetenzübertragungen sowohl des Bundes als auch der Länder an die Gemeinschaft verbunden sind. Die Kompetenzverlagerungen vom Bund auf die EG beziehen sich in der Bundesrepublik Deutschland vor allem auf die Handels-, Wirtschafts-, Konjunktur- und Geldpolitik, die Landwirtschaft, das Verkehrswesen und den Umweltschutz.
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In Österreich sind als wichtigste Kompetenzen der Länder die durch einen EG-Beitritt berührt wären, zu nennen: der Ausländergrundverkehr, das Ländergewerberecht, also Skischul- und Tanzschulwesen, das Baurecht, die Tierzucht, das Jagdwesen, der Natur- und Tierschutz, Bereiche der Luftreinhaltung, die Abfallwirtschaft, das Landesdienstrecht und das Sozialhilferecht. Zweifellos werden auch die Gemeinden von einem etwaigen Beitritt zu den Europäischen Gemeinschaften weitgehend berührt, so auf dem Gebiet der selbständigen Haushaltsführung, beim Betrieb von gemeindeeigenen Unternehmungen, bei der Ausschreibung von Abgaben aufgrund des freien Beschlußrechts der Gemeindevertretung, was die Gewerbe-, Lohnsummen-, Getränkeund Umsatzsteuer betreffen kann, auf dem Gebiet der Dienstnehmerbeschäftigung außerhalb der Hoheitsverwaltung, der örtlichen Raumplanung, bei der Gewährung von Beihilfen zur Wirtschaftsförderung und beim Umweltschutz. Der Autonomie der Gemeinde drohen - insbesondere auch aufgrund der Geltung von EG-Verordnungen und EG-Richtlinien sowie der damit in Zusammenhang stehenden Durchgriffsmöglichkeiten - weitreichende Einschränkungen. Doch darf hier nicht übersehen werden, daß die Europäische Charta der lokalen Selbstverwaltung in Kraft getreten und daher ein "gewisser Schutz" der Gemeindeautonomie gewährleistet ist. Bei all diesen Kompetenzen muß hervorgehoben werden, daß sie zwar in den Aufgabenbereich der EG reichen, aber die Zuständigkeiten der Länder nicht vollständig beseitigt, sondern nur eingeengt werden. So ist z. B. der Grunderwerb nicht allen EG-Bürgern zugänglich zu machen, sondern nur zu gewerblichen, also beruflichen Zwecken; der öffentliche Dienst ist im Hoheitsbereich auf Inländer beschränkt, in diesem Umfang bleibt das Dienstrecht für Landesbedienstete Sache der Länder, im übrigen, also in der Privatwirtschaftsverwaltung, würde sich die EG-Kompetenz eröffnen. -
Betrachtet man diese Kompetenzänderungen, so muß festgestellt werden, daß es sich bei den Kompetenzverlagerungen auf die Gemeinschaft stets um solche zu Lasten der Parlamente des Bundes und der Länder handelt, die nach der Zuständigkeit der EG auf die Exekutive übergehen. Bei derartigen Kompetenzeinbußen der nationalen Parlamente, sei es des Bundes, sei es der Länder, nimmt daher die Bedeutung der Gesetzgebungsfunktion ab und die der Kontrollfunktion zu. Anläßlich der Ratifizierung der Einheitlichen Europäischen Akte hat 1986 der deutsche Bundesrat ein stärkeres föderalistisches Informations- und Beteiligungsverfahren verlangt, das beachtenswert ist, weil es ein Schritt zur "Föderalisierung" der Europapolitik ist. Interessant ist übrigens, daß sich hier in der Bundesrepublik Deutschland eine gewisse Neubestimmung des Charakters des Bundesrates anbahnt. Hatte sich dieser bislang dezidiert als reines Bundesorgan verstanden (was er nach der Verfassung natürlich auch ist), so übernimmt er in Europa-Sachen erstmals die
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Funktion eines Koordinierungsorgans der Länder. Unter dem Gesichtspunkt des kooperativen Föderalismus könnten sich hier auch neue Möglichkeiten der Bund-Länder-Zusammenarbeit für Österreich ergeben, diese betrifft die bisher freiwillig, nämlich ohne Verfassungsauftrag, zwei Mal im lahr zusammentretende Landeshauptmännerkonferenz sowie den Bundesrat und die Landtage, welche beide Verfassungsorgane sind.
v. Betrachtet man zusammenfassend die Konsequenzen einer EG-Mitgliedschajt aus föderalistischer Sicht, so ergeben sich daraus vor allem Änderungen in bezug auf die Kompetenzteilung und auf den Prozeß der Rechtssetzung. Sicherlich wird nach Abschluß etwaiger Verhandlungen mit der EG in Brüssel zu prüfen sein, ob die allfaIligen Änderungen des österreichischen Verfassungsrechts, vor allem was die parlamentarische Staatswillensbildung betrifft, so schwerwiegend sind, daß sie eine Volksabstimmung verlangen. Schon heute gilt es, die Beteiligungsmöglichkeiten der Länder bei der Vorbereitung und später bei der Durchführung der Verhandlungen Österreichs mit der EG zu bedenken. In diesem Zusammenhang sei auf die mit BGB!. Nr. 368/1989 erfolgte Errichtung eines Rates fiir Fragen der österreichischen Integrationspolitik verwiesen, dem mit dem Bundeskanzler, dem Vizekanzler, dem Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten, Vertretern der parlamentarischen Klubs im National- und Bundesrat - wobei die stimmenstärkste Fraktion des Nationalrates vier, die zweitstärkste drei und jede andere im Hauptausschuß vertretene Fraktion je einen Vertreter entsendet -, jeweils einem Vertreter der Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft, des Österreichischen Arbeiterkammertages, der Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammern Österreichs und des Gewerkschaftsbundes auch zwei Vertreter der Landeshauptmännerkonferenz und der Landtage (Landtagspräsidenten) sowie je ein Vertreter des österreichischen Städte- und Gemeindebundes angehören. Dieses neugeschaffene Organ dient der Beratung der Bundesregierung in Fragen der österreichischen Integrationspolitik, der Erörterung und Koordination integrationspolitischer Entscheidungen und der gegenseitigen Information auf diesem Gebiet. Der Rat ist in allen Angelegenheiten der österreichisehen Integrationspolitik und ihrer Auswirkungen zu hören, soweit diese von grundsätzlicher Bedeutung sind. Weiters wurde den Bundesländern die Möglichkeit gegeben, einen Vertreter an die österreichische Mission bei den Europäischen Gemeinschaften in Brüssel zu entsenden. Wie der Bundesminister für Föderalismus und Verwaltungsreform, Vizekanzler losef Riegler, am 30. Mai 1990 in einer Pressekonferenz erklärte, werden die Länder folgende konkrete Mitwirkungsrechte bei der Europä-
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ischen Integration erhalten: Der Bund verpflichtet sich, die Länder über EGbezügliche Vorhaben umfassend zu informieren. In den Angelegenheiten, die den selbständigen Wirkungsbereich der Länder berühren, verpflichtet sich der Bund, den Ländern Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, bevor die österreichischen Vertreter in den entscheidungsbefugten Organen der EG ihre Stimme abgeben. In den Angelegenheiten, die die Landesgesetzgebung betreffen, wird eine gemeinsame Stellungnahme der Länder für den Bund bindende Wirkung haben. Abweichungen davon werden nur aus zwingenden außen- und integrationspolitischen Gründen zulässig sein. Derartige Abweichungen hat der Bund gegenüber den Ländern zu begründen. In den Angelegenheiten, die den Wirkungsbereich der Länder berühren, sind Ländervertreter in die jeweilige österreichische Verhandlungsdelegation bei den Organen der EG einzubeziehen. Der Bund wird gegenüber den Ländern verpflichtet sein, gegen rechtswidrige Akte von EGOrganen, welche den Wirkungsbereich der Länder berühren, die im EG-Recht dafür vorgesehenen Mittel zu ergreifen. Was den Bundesrat betrifft, erklärte Josef Riegler, soll dessen Stellung entscheidend gestärkt werden. Er wird in die Vorberatungen für die Erarbeitung der österreichischen Positionen betreffend EG-interne Gesetzgebungsvorlagen einbezogen werden. Dies betrifft einen quantitativ und qualitativ sehr erheblichen Teil der gesamten Integrationspolitik, nämlich jedenfalls sämtliche, die Gesetzgebung des Bundes berührende EG-Rechtsakte. In der Bundesrepublik Deutschland, in welcher der Föderalismus zu den unabänderlichen Verfassungsprinzipien, d.h. zu den unter Wahrung der Rechtskontinuität nach Art. 79 Abs. 3 GG nicht zu verändernden zählt, hat man aus den Veränderungen für das deutsche Verfassungssystem im allgemeinen und die deutsche Bundesstaatlichkeit im besonderen keine Totaländerung der Verfassung abgeleitet. Neben dem von mir skizzierten Institutionenproblem wird es in Österreich auch darauf ankommen, eine der EG-Situation Rechnung tragende neue Kompetenzverteilung vorzunehmen. Sicherlich ist dies auch aus österreichischer innerstaatlicher Sicht aktuell. Der Grundsatz der Subsidiarität wird hier eine besondere Bedeutung erlangen. Er ist eine Ausformung des im Gemeinschaftsrecht allgemein anerkannten Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. So darf z. B. die Gemeinschaft im Bereich des Umweltschutzes nur tätig werden, wenn dieselbe Aufgabe nicht ebensogut von den Mitgliedstaaten selbst gelöst werden kann (Art. l30r Abs.4 EWGV). In gleicher beachtenswerter Weise kann aus Art. 5 EWGV ein Grundsatz der Gemeinschajtstreue entnommen werden. Diese Treuepflicht ist von Gegenseitigkeit getragen; sie verlangt Treue von den Mitgliedstaaten gegenüber der Gemeinschaft, beinhaltet aber auch in Gegenseitigkeit ein Gebot der Rücksichtnahme der Gemeinschaft zugunsten der Mitgliedstaaten.
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Lassen Sie mich daher zum Schluß kommend wieder Peter Schmidhuber zitieren, der vor kurzem betonte: "Da die Regionen und Länder zwar mittelbar, nicht jedoch unmittelbar an den Entscheidungsprozessen auf Gemeinschaftsebene beteiligt sind, ist es für eine spannungsfreie Entwicklung der europäischen Integration und die Akzeptanz der Gemeinschaft sehr wichtig, daß sich die Gemeinschaft bei Ausübung ihrer Kompetenzen und der inhaltlichen Ausgestaltung ihrer Politik der eigenständigen Interessen und eigenen Zuständigkeitsbereiche der Regionen und Länder bewußt ist und den Besonderheiten und den Implikationen auf der Ebene der Regionen und Länder Rechnung trägt ... Im Bereich der Regionalförderung kann die Gemeinschaft den Interessen der Regionen und Länder dadurch Rechnung tragen, daß sie selbst die Förderung aus Gemeinschaftsmitteln auf die aus Gemeinschaftssicht besonders bedürftigen Regionen konzentriert und den Mitgliedstaaten bzw. Regionen einen ausreichenden Handlungsspielraum beläßt, Probleme auf nationaler und regionaler Ebene mit eigenen Mitteln zu lösen. Dabei ist jedoch sicherzustellen, daß durch die Regionalförderung die Wettbewerbsbedingungen nicht in einer dem Gemeinschaftsinteresse zuwiderlaufenden Weise verzerrt werden. Besondere Bedeutung kommt daher jeweils der Feststellung zu, wie weit die räumlichen Wirkungen einer Regionalbeihilfe reichen. Zu besonderer Zurückhaltung ist die Gemeinschaft aufgerufen, so weit es um Regelungen im Bereich von Kultur, Bildung und Erziehung geht. Denn dies sind Bereiche, in denen die regionalen Unterschiede besonders stark zum Tragen kommen und eine sachgerechte Politik besonders ortsnah erfolgen muß.,,3 So zeigt sich, daß Gedanken über europäische Integration und Föderalismus zu einer Besinnung auf eine neue Form und Wege der Verantwortung innerhalb der Staaten und der Völkergemeinschaft geführt haben, die großräumiger als bisher geworden ist. Staaten mit föderalistischem Aufbau, wie die Bundesrepublik Deutschland und Österreich, werden auf diesem europäischen Weg dadurch einen bedeutenden Beitrag leisten können, als durch die Beachtung der regionalen Ebene verhindert wird, daß die EG zu einem zentralistischen Einheitsgebilde führt. Auch in und mit der EG soll der Einzelne Europa nicht als Schmelztiegel, sondern als Heimat erfahren, in der die Vielfalt in der Einheit erlebbar ist. Dabei sei jeder Partikularismus und Separatismus sowohl innerstaatlich als auch in der größeren Gemeinschaft abgelehnt, aber der Föderalismus in der europäischen Integration dort in seiner Bedeutung unterstrichen, wo er durch die Grundsätze der Partizipation und der Subsidiarität zu einem modernen Regionalismus sowie Solidarismus führt und die Einigung Europas begünstigt. Europäische Integration bedeutet nämlich Öffnung auf das Gemeinsame hin, aber nicht unter Verlust, sondern unter Wahrung der eigenen Identität, die in den einzelnen Ländern und Staaten eine ständige Kraftquelle ist. 3
Schmidhuber. a.a.O., S. 22.
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Die Mitgliedschaft Spaniens in der EG in ihrer Auswirkung auf die Autonomen Gemeinschaften Von Alegria Borras I. Einleitung Lord Denning sagte: "The Treaty is like an incoming tide" I , und in der Tat bedeutet jede Erweiterung der Gemeinschaft sowohl für die Europäische Gemeinschaft als auch für den eintretenden Staat, der sich der Flut, die die Eingliederung in das neue juristische Milieu bedeutet, stellen muß, eine wirtschaftliche und juristische Herausforderung. Die Erweiterung der Gemeinschaft bedeutet zunächst eine Herausforderung für die Gemeinschaft selber, da sie vor dem Beitritt den Zustand des neuen Staates in Betracht ziehen muß, um über die für seine Eingliederung bedeutenden Besonderheiten zu verhandeln, wobei die Charakteristika des Europarechts gewahrt werden müssen. Aber besonders nach dem Beitritt (und trotz der Übergangszeiten für konkrete Sachverhalte) ist die Gemeinschaft selber betroffen, da das neue Mitglied von Anfang an am Gemeinschaftsleben teilnimmt. Im Falle Spaniens bedeutet das die Teilnahme seit dem Eintritt am 1. Januar 1986 im Entscheidungsprozeß (Kommission und Rat, dem im ersten Halbjahr 1989 Spanien präsidierte) und auch an der juristischen und politischen Kontrolle durch den Europäischen Gerichtshof und das Europäische Parlament. Aber zweifellos stellt die Anpassung an die Integrationsbedingungen eine noch größere Herausforderung für das neue Mitglied dar. Wenn wir mit Isaac 2 an den "funktionellen" und realistischen Plan Schumans von einer wachsenden Zusammenarbeit zunächst im wirtschaftlichen und dann im politischen Bereich denken, treffen alle Fortschritte, die seit der Gründung der Gemeinschaft erfolgt sind, das neue Mitglied: in diesem Fall Spanien, das 25 Jahre nach dem Gründungsabkommen der EWG und des EURATOMS und fast 30 Jahre nach der Gründung der Stahl- und Kohleunion eingetreten ist. Trotz eines entschiedenen Europawillens müssen deshalb die Schwierigkeiten beachtet werden, die sich aus der Eingliederung in eine immer integriertere Europäische Gemeinschaft ergeben, die fast im sei ben Zeitpunkt des 1 2
Bulmer v. Bollinger, 1974. G. Isaac, Droit communautaire gem:ral, 2., Paris, 1989.
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Alegria Borras
spanischen Beitritts den bedeutenden Schritt zur Einheitlichen Europäischen Akte tat. 11. Die spanische Verfassung 1978, die Autonomiestatuten der Autonomen Gemeinschaften und die Integration Spaniens in die Europäischen Gemeinschaften 1. Die Vorschriften der spanischen Verfassung von 1978
Schon im Zeitpunkt der Ausarbeitung der jetzigen spanischen Verfassung wurde eine spezifisch die Integration in die Europäischen Gemeinschaften erleichternde Vorschrift konzipiert: Art. 93, dessen Text folgendermaßen lautet: "Durch ein Organgesetz kann der Abschluß von Verträgen autorisiert werden, durch die einer internationalen Organisation oder Institution die Ausübung von aus der Verfassung abgeleiteten Kompetenzen übertragen wird. Die Gewährleistung für die Erfüllung dieser Verträge und der Beschlüsse, die die internationalen oder supranationalen Organismen, denen die Kompetenzen übertragen wurden, fassen, obliegt je nach Fall den Cortes Generales oder der Regierung. "3
Diese Vorschrift, die sich in dem, den internationalen Abkommen gewidmeten Kapitel befindet, muß mit der des Art. 149 Abs. 1 Nr. 3 der Verfassung, die die ausschließliche Kompetenz des Staates im Bereich "internationale Beziehungen" festlegt, in Zusammenhang gebracht werden. Der Forderung eines Organgesetzes folgten zunächst das Organgesetz 10/ 1985 vom 2. August für die Eingliederung Spaniens in die Europäische Gemeinschaft und danach das Organgesetz 4/1986 vom 26. November, das die Ratifizierung der Einheitlichen Europäischen Akte autorisierte. Deren Inkrafttreten wird einen neuen Anstoß für die von der Gemeinschaft verfolgten Zielsetzungen bedeuten. Aber für einen Staat, der gerade eingetreten ist (obwohl ausdrücklich darauf hingewiesen wird, daß Art. 28 der Einheitlichen Europäischen Akte die Übergangszeiten Spaniens und Portugals nicht berührt), bedeutet sie eine neue Herausforderung, eine neue Anstrengung, da die Gemeinschaft in letzter Zeit weiter fortgeschritten ist als ingesamt in all den Jahren davor. Eine Analyse des Inhalts von Art. 93 der Verfassung ist hier nicht angebracht. Es mag jedoch darauf hingewiesen werden, daß diese Vorschrift, obwohl für den Eintritt in die EG konzipiert, die einzige in der Verfassung bezüglich dieses Sachverhalts ist, weshalb sie den notwendigen Anhaltspunkt für alles darstellt, was mit der Mitgliedschaft Spaniens in den Europäischen Gemeinschaften im Zusammenhang steht - sowohl was den Staat als auch was die Autonomen 3
Der deutsche Text der spanischen Verfassung wird hier und im folgenden zitiert nach
Adolf Kimmel (Hrsg.), Die Verfassungen der EG-Mitgliedstaaten, 1987.
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Gemeinschaften, in die sich Spanien gliedert, betrifft. Das ist besonders interessant, wenn man bedenkt, daß die Institutionen der Gemeinschaft einen Teil ihrer Kompetenzen mittels des Sekundärrechts ausüben und daß dieses in bestimmten Fällen Unmittelbarkeitswirkung hat und das Vorrangprinzip des Europarechts beansprucht. Es bestehen keine Zweifel über die Verbindlichkeit der Gründungsabkommen und der Einheitlichen Europäischen Akte, da die Abkommen nach ihrer Veröffentlichung im Staatsanzeiger (Boletin Oficial deI Estado) Teil des spanischen Rechts wurden. Die Lage ändert sich aber in bezug auf das Sekundärrecht, da die Verfassung keine Norm über die innerstaatliche Rezipierung der Beschlüsse internationaler Organisationen enthält. Außerdem steht die Veröffentlichung der Sekundärrechtsnormen (in analoger Anwendung von Art. 96) im Widerspruch zu der autonomen Natur des Europarechts, das, wie der Europäische Gerichtshof wiederholte Male gesagt hat4, nicht der Veröffentlichung in den Staats anzeigern bedarf, um die Gesamtheit seiner Wirkungen zu erzielen. Somit ergibt sich, daß Art. 93 der Verfassung den einzigen Weg für die Rechtfertigung der Unmittelbarkeitswirkung der gemeinschaftlichen Rechtsakte in der spanischen Rechtsordnung darstellt. Der Vorrang des Europarechts, der vom Europäischen Gerichtshof klar herausgearbeitet worden ist, ergibt sich in der spanischen Rechtsordnung aus den allgemeinen Vorschriften für internationale Abkommen: Art. 95 5 und Art. 966 • 2. Die Autonomiestatuten der Autonomen Gemeinschaften
Der sogenannte "Staat der Autonomen Gemeinschaften", der sich aus der Verfassung von 1978 ergibt, erschwert weiterhin die an sich schon schwierige Integration in die Gemeinschaft. Das wurde in der Verhandlungsphase aber 4 EuGH, Rs. Stock, 111958, Urteil vom 4. Januar 1959; EuGH, Rs. Internationale Handelsgesellschaft, llnO, Urteil vom 17. Dezember 1970. 5 Art. 95 lautet: ,,(1) Der Abschluß eines internationalen Vertrages, der verfassungswidrige Bestimmungen enthält, bedarf der vorherigen Änderung der Verfassung. (2) Die Regierung oder jede der beiden Kammern kann das Verfassungsgericht auffordern, eine Erklärung darüber abzugeben, ob dieser Widerspruch besteht oder nicht." 6 Art. 96 lautet: ,,(1) Gültig abgeschlossene internationale Verträge werden nach ihrer offiziellen Veröffentlichung in Spanien Teil der innerstaatlichen Rechtsordnung. Ihre Bestimmungen können nur in der von den Verträgen selbst vorgesehenen Form oder gemäß den allgemeinen Regeln des Völkerrechts aufgehoben, abgeändert oder suspendiert werden. (2) Für die Kündigung der internationalen Verträge und Abkommen gilt das gleiche Verfahren, das Artikel 94 für ihre Billigung vorsieht."
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weder vom Staat noch von den Autonomen Gemeinschaften bedacht, obwohl die europäische Integration die klassische Theorie des staatlichen Monopols der Auslandsrepräsentation betrifft, da gewisse, im europäischen Rahmen erforderliche Aktionen der Aktivitäten der territorialen Gliederungen bedürfen. Die besonderen Umstände, die die Autonomen Gemeinschaften kennzeichnen, finden ihre Parallele in den Besonderheiten und Gliederungen in anderen Staaten der Gemeinschaft, insbesondere in Deutschland und Italien. Deren Erfahrungen sind der Ausgangspunkt einer Beurteilung der spanischen Situation angesichts der europäischen Integration, wobei vom europäischen Standpunkt zwei wesentliche Elemente auftreten: 1. die Merkmale des Europarechts, insbesondere der vorher erwähnte Vorrang und die Unmittelbarkeitswirkung; 2. die Tatsache, daß der Staat gegenüber der Gemeinschaft für Nichterfüllung notfalls in Anwendung des in Art. 169 EWG-Vertrag vorgesehenen Rechtsbehelfs haftet. In diesem Sinne äußert sich auch der Europäische Gerichtshof', wonach die innerstaatliche Aufteilung der Kompetenzen vom Gemeinschaftsstandpunkt aus nicht zu berücksichtigen ist und aus diesem Grunde der Staat wegen Nichterfüllung haftet. Es gibt in den Autonomiestatuten der Autonomen Gemeinschaften kaum Vorschriften, die auf dieses Thema eingehen. So enthält das Autonomiestatut meiner Autonomen Gemeinschaft, Katalonien, lediglich zwei Normen, die auf dieses Problem angewendet werden können. Das sind die Absätze 3 und 5 des Art. 27. Art. 27 Abs. 3 lautet: "Die Generalitat (Regierung) von Katalonien wird die zur Ausführung der internationalen Verträge und Abkommen notwendigen Maßnahmen treffen, soweit diese sich auf Sachgebiete beziehen, für die sie gemäß diesem Statut zuständig ist."
Und Abs. 5 sagt: "Die Generalitat (Regierung) wird über die Erarbeitung der Verträge und Abkommen sowie über Zoll gesetzgebungs projekte unterrichtet, soweit diese Sachgebiete ihre besonderen Interessen betreffen."
Diese Vorschriften enthalten keine zusätzlichen Elemente für das Europarecht, aber man kann sie zwanglos so verstehen, daß sie auch auf das Sekundärrecht anzuwenden sind. Die Autonomiestatuten anderer Autonomer Gemeinschaften enthalten analoge Vorschriften 8 • Damit ist nicht gesagt, daß alle Autonomiestatuten gleich operieren; einige, wie z. B. die von Galizien, La 7 Wie z. B. im Falle Kommission gegen Belgien, Urteil von 1982 und in letzter Zeit auch in einem Falle Kommission gegen Belgien, 360/88, Urteil vom 16. November 1989. 8 So AndaIusien, Art. 23, 2; Kanarische Inseln, Art. 37; Baskenland, Art. 20, 3; Asturien, Art. 12, b); Madrid, Art. 33; Aragon, dessen Art. 40, 2 ausdrücklich auf "normative Akte internationaler Organisationen" hinweist.
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Rioja oder Valencia enthalten keine Vorschrift zur Ausführung internationaler Abkommen. Es ist deshalb zu prüfen, inwieweit die Integration in die Europäischen Gemeinschaften eine effektive Reduktion der Kompetenzen der Autonomen Gemeinschaften bedeutet. Meines Erachtens ist eine negative Beurteilung seitens der Autonomen Gemeinschaften nur dann gerechtfertigt, wenn die Integration als Alibi für eine staatliche Rückgewinnung der den Autonomen Gemeinschaften übertragenen Kompetenzen dienen sollte. Die Autonomen Gemeinschaften haben die Grenze deswegen im diskriminierenden Charakter der durch die Integration bedingten Reduktion zu ziehen. Die notwendige Einheitlichkeit der außenpolitischen Handlungen des Staates muß mit der verfassungsrechtlichen Verteilung der Kompetenzen, die laut Art. 2 unserer Verfassung anerkannt und garantiert wird, harmonisiert werden. Hierzu wäre folgendes zu unterstreichen: 1. Die Autonomen Gemeinschaften haben nicht an der zur Integration Spaniens in die EG führenden Verhandlung teilgenommen; 2. In den Autonomiestatuten der Autonomen Gemeinschaften sind keine Vorschriften zu finden, die sich direkt mit der Form der Beeinflussung des Gemeinschaftswillens befassen.
111. Spanien in der Europäischen Gemeinschaft Nachdem sich die Integration Spaniens mit seinem besonderen Staatsaufbau vollzogen hat, ist es angebracht, nicht nur die legislative Entwicklung und Ausführung des Europarechts zu untersuchen, sondern auch eine weitere Zahl von Angelegenheiten, die von der Teilnahme an der Willens bildung der gemeinschaftlichen Institutionen bis zur individualisierten Teilnahme in diesen Institutionen reicht. 1. Die Teilnahme am Gemeinschaftsleben
Der in der Öffentlichkeit bedeutendste Punkt war die Tatsache, daß bei den Direktwahlen für das Europaparlament (zum Zeitpunkt unseres Eintritts und im Jahre 1989) die Forderung, daß die Autonomen Gemeinschaften Wahldistrikte sein sollten, nicht angenommen wurde. Das wäre gewiß möglich gewesen, da in den einzelnen Staaten der Gemeinschaft kein einheitliches System herrscht9 • Die einzige Nuance zum einheitlichen Wahldistrikt waren unterschiedliche Wahllisten, die einerseits die Folgen ein wenig abmilderten, aber andererseits 9 Dazu J. Elizalde, EI regimen electoral dei Parlamento Europeo quiebra en la primacia dei derecho comunitario?, in: Revista de Instituciones Europeas, 1989,3, pp. 809-836.
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den Wähler bezüglich der durch seine Stimmen begünstigten Kandidaten verwirrten. Hinsichtlich der Bildung bestimmter Organe oder Institutionen, wie des wichtigen Ausschusses der ständigen Vertreter (Comite de representantes permanentes - COREPER -) ist gegen die Anerkennung einer gewissen Mitwirkung der Autonomen Gemeinschaften nichts einzuwenden. Die Autonomen Gemeinschaften haben auch gesonderte Interessen vorzuweisen, die ihre Teilnahme an der Führung der Strukturfonds (Sozialfonds, FEDER oder FEOGA) ratsam machen. Dabei ist aber nicht zu vergessen, daß bezüglich der Vertretung der 17 Autonomen Gemeinschaften einige Schwierigkeiten entstehen, es sei denn, es besteht eine unter ihnen durch Abkommen erreichte einheitliche Meinung. Diesbezüglich muß man die Rolle bedenken, die man zu einem gewissen Zeitpunkt dem in Art. 150 Abs. 3 der Verfassung vorgesehenen "Grundsatz für eine Angleichung der normativen Bestimmungen der Autonomen Gemeinschaften" (Leyes de armonizacion) zusprechen wollte. Demgegenüber hat das Urteil des Verfassungs gerichts über das Organgesetz für die Harrnonisierung des autonomen Prozesses (Ley Organica de armonizacion dei Proceso Autonomico - LOAPA -), schließlich als Gesestz des autonomen Prozesses (Ley dei proceso autonomico) vom 14. Oktober 1983 veröffentlicht, festgestellt, daß dies nicht der Weg ist, zumindest nicht für die europäische Integration. Allerdings besagt das Urteil des Verfassungsgerichts vom 5. August 1985 folgendes: "Es ist nicht verfassungswidrig, daß die "Grundsätze für eine Angleichung der normativen Bestimmungen der Autonomen Gemeinschaften" benutzt werden, wenn, im Falle geteilter Kompetenzen, das System der Kompetenzverteilung unzureichend sein sollte, um zu verhindern, daß die verschiedenen autonomen Vorschriften eine das allgemeine Interesse der Nation verletzende Zwietracht verursachen" . Gegenüber diesem spezifischen Phänomen entstand die Idee eines Abkommens zwischen den Autonomen Gemeinschaften und dem Staat, in dem die Mitarbeit bei Handlungen gegenüber der Europäischen Gemeinschaft geregelt werden sollte. Aber die bisherigen Versuche (Texte von 1985 und 1986) sind gescheitert. Das Wesentliche wäre die Bildung eines Organs gewesen (dessen Name, Vorsitz und Verfahren von den Autonomen Gemeinschaften hätten bestimmt werden sollen), das mit der Koordinierung der Gemeinschaftsthemen mit dem Staat beauftragt worden wäre und in dem die 17 Autonomen Gemeinschaften gleichberechtigt teilgenommen hätten, womit einstimmige Positionen gegenüber den Gemeinschaftsthemen möglich gewesen wären. Dazu müßten, inspiriert von der deutschen Figur des Länderbeobachters, einige ihrer Mitglieder als Beobachter und Adlatusbeobachter in der ständigen spanischen Vertretung vor den Europäischen Gemeinschaften teilnehmen, womit man das
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verhindern würde, was Remiro Brotons IO als "wilde Paralleldiplomatie" bezeichnet hat. Die Durchführbarkeit dieses Projekts ist zweifelhaft, da es die heterogene Wirklichkeit, auf die es zu handeln gilt, nicht berücksichtigt. Deshalb ist das Zustandekommen eines solchen Abkommens immer bezweifelt worden, vor allem wenn man berücksichtigt, daß das Solidaritätsprinzip nicht so weit reicht wie die Bundestreue, die im deutschen Recht als Grundlage dient ll . Dabei ist es m. E. zweifelhaft, ob das deutsche Modell bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt tatsächlich so gut funktioniert hat, wie allgemein angenommen wird, denn nach Muftoz Machado l2 ist es zu einem Verlust der "föderalen Essenz" gekommen, wobei als Vorwand für die Zentralisation "die besonderen Erfordernisse der Tätigkeit der Europäischen Gemeinschaft" dienen. Die Figur des "Länderbeobachters" hat bisher nur eine geringe Rolle gespielt, weswegen man eine Besserung der mißlichen Situation von der Mitwirkungsmöglichkeit der Länder im Bundesrat erwartet, wie sie das (Ratifikations-)Gesetz zur Einheitlichen Europäischen Akte l3 eingeführt hat. Hierbei muß hinzugefügt werden, daß in Spanien die Rolle des Senats sehr beschränkt ist und für die Autonomen Gemeinschaften keineswegs die Bedeutung hat wie der Bundesrat für die Länder in der Bundesrepublik Deutschland. In jedem Falle sollte der Senat einem tiefgreifenden Umwandlungsprozeß ausgesetzt werden, um seine Teilnahme an wesentlicher Politik zu ermöglichen, wodurch seine Rolle bedeutender würde und er eine "Kammer der Regionen oder Autonomen Gemeinschaften" bilden könnte.
2. Die normative Entwicklung Allgemein bedeutet ein später Eintritt in die Europäische Gemeinschaft, daß der Acquis communautaire sehr umfangreich ist und deshalb größere Anstrengungen erforderlich sind, um die Integration in die Gemeinschaft zu vollziehen. Aber das ist nicht alles: ein ständiger Kraftaufwand ist notwendig, bedingt duch die Anwendung und gegebenenfalls Ausführung des Europarechts. A. Remiro Brotons, La acci6n exterior dei Estado, Madrid 1984. Wie Maria Jesus Montoro festgestellt hat, Convenios entre Federaci6n y Estados Miembros en la Republica Federal de Alemania. Solidaridad y lealtad constitucional en los sistemas aleman y espanol, Madrid 1987. 12 S. Munoz Machado, La ordenaci6n de las relaciones dei Estado y las Comunidades Aut6nomas en la Comunidad Europea, in: Tratado de derecho comunitario, vol. I, Madrid 1986, pp. 671-278. 13 Gesetz zur Einheitlichen Europäischen Akte vom 28. Februar 1986, Kommentar von Mada Jesus Montoro, in: Revista Espaiiola de Derecho Administrativo, 1987, num. 55; D. Merten, Comunitat Europea i Estats membres d'estructura federal, in: Autonomies, num. 10, pp. 7-37; M. Barcel6, La resolucio dels conflictes entre el Bund i eis Lander davant el Tribunal Constitucional Federal Alemany, in: Revista Juridica de Catalunya, 1989, 2, pp. 445-473. 10
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Es entspricht nicht meiner Absicht, in diesem Absatz ausführlich auf die legislative Entwicklung Spaniens seit dem Eintritt in die Europäische Gemeinschaft einzugehen. Vielmehr möchte ich auf die allgemeinen Grundzüge des Vorgehens von Staat und Autonomen Gemeinschaften hinweisen. Im Falle Spaniens sollte die Europafreundlichkeit, die die letzten Gesetzesreformen inspirierte, herausgehoben werden: sogar vor unserem Beitritt (als dieser schon kurz bevorstand) wurden Anpassungsvorschriften in Sachbereichen erlassen, in denen sogar innerhalb der Gemeinschaft eine Harmonisierung entweder nicht erforderlich ist oder keiner bestimmten Form bedarf. Zum Beispiel wäre hier das Verbrauchergesetz vom 19. Juli 1984 zu erwähnen, in dem es heißt, daß "die in der EG geltenden Grundsätze und Richtlinien in Betracht gezogen worden sind", oder etliche Jahre später das neue Gesetz zum Schutz des Wettbewerbs vom 17. Juli 1989, in dem gesagt wird, daß "das Gesetz sich auf die festen Pfeiler der Erfahrung stützt. Einerseits ist es von den gemeinschaftlichen Vorschriften der Wettbewerbspolitik beeinflußt, die eine wesentliche Rolle bei der Errichtung und dem Funktionieren des Gemeinsamen Marktes gespielt haben ... ". In gleicher Weise rezipierte das Organgesetz über die richterliche Gewalt (Ley Organica dei Poder Judicia/) vom 1. Juli 1985 in seinem Art. 2 die Kriterien für die internationale gerichtliche Zuständigkeit, wie sie im BTÜsseler Abkommen vom 27. September 1968 enthalten sind, wobei einige Abänderungen sogar mit dem Hinweis auf eine größere Annäherung an das gemeinschaftliche Abkommen gerechtfertigt wurden. In Wirklichkeit war Spanien, da es sich um ein Abkommen unter den Mitgliedstaaten der EG handelt, gemäß Art. 3 Abs. 2 des Beitrittsvertrages nur dazu verpflichtet, Verhandlungen aufzunehmen, um Partner dieses Abkommens zu werden, was am 26. Mai 1989 in Donostia/San Sebastian zusammen mit Portugal geschah. In gleicher Weise unterzeichnete Spanien das sogenannte "Parallelabkommen " in Lugano am 16. September 1988, ohne daß eines der beiden Abkommen bis jetzt für unser Land in Kraft getreten wäre. In einigen Fällen entsprechen die innerstaatlichen Normen Anforderungen von Richtlinien der Gemeinschaft, wie es der Fall beim Gesetz vom 25. Juli 1989 ist, das eine wesentliche Änderung des Gesetzes über die Aktiengesellschaften darstellt. In anderen Bereichen hat auch ohne eine Initiative der Gemeinschaft eine Annäherung an das in anderen Mitgliedstaaten geltende Recht stattgefunden, wie z. B. im Wechsel-, Schuldschein- und Scheckrecht. Hierbei handelt es sich um Sachgebiete, bei denen Spanien die Genfer Abkommen, die einheitliches Recht enthalten, nicht unterzeichnet, aber am 16. Juli 1985 ein innerstaatliches Gesetz erlassen hat, das die in jenen Abkommen enthaltenen Grundsätze aufnimmt. Zunächst wurde die notwendige Anpassung an das Europarecht sowohl vom Staat als auch von den Autonomen Gemeinschaften Kataloniens und des Bas-
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kenlandes mittels weitreichender Gesetzesdelegationen durchgeführt. Danach sind sowohl vom Staat als auch von den Autonomen Gemeinschaften Vorschriften auf den unterschiedlichsten Sachgebieten erlassen worden, wobei verschiedene Probleme auftauchten, die mitunter auf die Schwierigkeit zurückzuführen sind, staatliche von autonomen Kompetenzen abzugrenzen. Ein Beispiel dafür ist der so bekannte Bereich des Verbraucherschutzes l4 • Hier besagt Art. 51 der Verfassung, daß "die öffentliche Gewalt den Schutz der Verbraucher und Benutzer gewährleistet", woraus Probleme entstanden sind, die die Abgrenzung der genannten öffentlichen Gewalt betreffen. Das baskische Gesetz zum Schutz der Verbraucher führte zum Urteil des Verfassungsgerichts vom 30. November 1982, das katalanische Gesetz über Hygiene und Lebensmittelkontrolle zum Urteil des Verfassungsgerichts vom 16. Juli 1985, und das Gesetz Kataloniens über besondere Kaufverträge veranlaßte das Urteil desselben Gerichts vom 1. Juli 1986. Ich möchte darauf aufmerksam machen, daß meines Erachtens auf vielen Gebieten, aber besonders im Agrarbereich, das Vorgehen der Zentralregierung dadurch gekennzeichnet ist, daß sie globale Regelungen zur Ausführung des Gemeinschaftsrechts erlassen hat. Statt auf ein Tätigwerden der Autonomen Gemeinschaften im Rahmen ihrer Kompetenzen zu warten, hat sie im voraus gehandelt, wodurch die materiellen Kompetenzen der Autonomen Gemeinschaften gegenstandslos geworden sind. Deshalb sind Normen wie das von der katalanischen Regierung erlassene Dekret 18/1988 vom 29. Januar 1988 bezüglich der Hochgebirge und anderer bedürftiger Gebiete besonders interessant. Die Grundlage für den Erlaß dieser Vorschrift stellt die ausschließliche Kompetenz der Generalidad im Bereich von "Landwirtschaft und Viehzucht" innerhalb der staatlichen Richtlinien für die allgemeine wirtschaftliche Ordnung dar l5 • Andererseits hat der Staat selbst die ausschließliche Zuständigkeit für "gesetzliche Grundlagen für Waldgebiete, Forstwirtschaft und Viehtriften" (Art. 149 Abs. 1 Nr. 23 der Verfassung). Es besteht demnach das innerstaatliche Problem einer Abgrenzung der Kompetenzen von Staat und Autonomen Gemeinschaften, womit ich mich im letzten Teil meines Vortrags im Zusammenhang mit der Kontrolle der Anwendung des Europarechts befassen werde.
14 A. Bomis. La protecci6n de los consumidores: Espaiia en la CEE, Saarbrücken 1987; J. Salas. Defensa dei consumidor y competencia de los diversos entes territoriales, in: Revista de Administraci6n PUblica, 1989, num. 119, pp. 49 ss. 15 Art. 12 Abs. 1 Nr. 4 des Autonomiestatuts Kataloniens; vgl. in diesem Zusammenhang auch die ausschließliche Zuständigkeit der Generalidad für "Bergwirtschaft, Waldnutzung und Forstdienste, Viehwege und Weiden, Naturschutzgebiete und besondere Behandlung von Gebirgsgegenden" gemäß Art. 9 Nr. 10 des Statuts.
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IV. Die Kontrolle der Anwendung des Europarechts
Die Kontrolle der Anwendung des Europarechts findet auf einer zweifachen Ebene statt: im innerstaatlichen und im gemeinschaftlichen Bereich. 1. Innerstaatliche Gerichte und Vorabentscheidungsverfahren
Gemäß den vorher genannten Merkmalen des Europarechts, das heißt Vorrang und Unmittelbarkeitswirkung, ist es natürlich klar, daß die Kontrolle allgemein den ordentlichen Gerichten zusteht 16 • Die korrekte Anwendung des Europarechts durch die innerstaatlichen Gerichte wird gegebenenfalls durch das in Art. 177 EWG-Vertrag vorgesehene Vorabentscheidungsverfahren verstärkt. Dazu ist anzumerken, daß die spanischen Gerichshöfe aktiv am Gerichtsgemeinschaftsleben teilgenommen haben, so daß das erste spanische Vorabentscheidungsverfahren vom Zentralen Arbeitsgerichtshof (Tribunal Central de Trabajo) im März 1986, nur einige Monate nach dem Eintritt in die EG, eingeleitet wurde, während es noch kein derartiges Verfahren von den griechischen Gerichten gegeben hat. Eine andere Sache ist der Wert der Fragestellung an sich, wie sich aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 29. September 1987 ergibt 17. Am 11. Juli 1989 wurde ein wichtiges Urteil in einem Vorabentscheidungsverfahren 18 in bezug auf eine Abgabe gleicher Wirkung erlassen, und zur Zeit liegen verschiedene Klagen vor, die von Asturien, Seviila und vom Obergerichtshof Kataloniens (Tribunal Superior de Justicia)19 erhoben worden sind. Dabei ist aber zu bedenken, daß der Europäische Gerichtshof sich nicht mit der Kompetenzverteilung zwischen Staat und Autonomen Gemeinschaften befaßt. Auf der Gemeinschaftsebene ist nur von Bedeutung, ob, wie am Anfang 16 Zum Beispiel das Urteil des zentralen Verwaltungsgerichtshofes (Tribunal Economico Administrativo Central) vom 6. Juli 1988, Kommentar von J. E. Soriano, in: Noticias CEE, 1989, Mai, pp. 149-153. Über die allgemeine Entwicklung der Arbeitsweise der spanischen Gerichte D. J. LifianlJ. Roldan, Cr6nica sobre la aplicaci6n judicial dei derecho comunitario en Espaiia (1986-1989), in: Revista de Instituciones Europeas, 1989,3, pp. 885-911. 17 EuGH Rs. 126/86, Gimenez Zaera, Kommentar v. B. Vila, La primera cuesti6n prejudicial (Art. 177 TCEE) planteada ante el TJCE por un 6rgano judicial espaiiol. in: La Ley 1986, und in: Revista Juridica de Catalunya, 1988,2, pp. 232-235; R. de Angel/J. Manrique, Sobre el Auto dei Tribunal Central de Trabajo planteando cuestfon prejudicial al TJCE, in: La Ley 1987, I, pp. 1097 ss.; Lidon, M., Comentarios a la primera cuestion prejudicial planteada por un Tribunal espaiiol ante el Tribunal Europeo de Justicia, in: Noticias CEE, num. 34, 1987, pp. 153161. 18 EuGH Rs. 170/88, Ford Espaiia; M. Pastor Lopez, Cuesti6n prejudicial de derecho comunitario europeo planteada en un recurso contencioso-administrativo, in: Revista General de Derecho 1989, num. 541-542 (Okt.-Nov.), pp. 6885 ss. 19 ABL, C 26, vom 3. Februar 1990, p. 13.
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gesagt wurde, Nichterfüllung seitens des Mitgliedstaates besteht. Wenn die Nichterfüllung auf eine Autonome Gemeinschaft zurückzuführen ist, haftet nichtsdestoweniger der Staat. Deswegen ist es wesentlich, die Handlungsmöglichkeiten des Staates zu untersuchen. Wenn wir davon ausgehen, daß bis jetzt die präventive Tätigkeit durch Grundsätze für eine Angleichung der normativen Bestimmungen der Autonomen Gemeinschaften oder Abkommen zwischen dem Staat und den Autonomen Gemeinschaften nicht effektiv gewesen ist, sieht es nicht so aus, als ob das Problem leicht auf andere Weise zu lösen sei. Denn der einzige Weg, der gangbar erscheint, ist der des Art. 155 der Verfassung 20 , in gleicher Weise wie Art. 149 Abs. 321 mit seiner Subsidiaritätsklausel für den Fall der Nichterfüllung. Bezüglich der Zwangsvollstreckung, die wegen ihrer schwerwiegenden Auswirkungen innerhalb des Europarechts stark begrenzt ist, muß man bedenken, daß die Verletzung der allgemeinen Interessen nur durch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs festgestellt werden kann, in dem die Nichterfüllung oder Nichtanwendung durch eine oder alle Autonomen Gemeinschaften im Widerspruch zur entsprechenden Pflicht, wie sie aus Art. 171 EWG-Vertrag abzuleiten ist, ausgesprochen wird. In gleicher Weise könnte vielleicht eine Stellungnahme gemäß Art. 169 EWG-Vertrag wirken. Es handelt sich folglich um ein subsidiäres Verfahren, das nicht vorbeugend angewandt werden kann und für das sich Beispiele in der Gemeinschaftspraxis bei den zuvor erwähnten Vertragsverletzungsverfahren finden. 2. Verfassungsgericht, Europarecht und Autonome Gemeinschaften
Anders verhält es sich mit der Kontrolle von Handlungen der staatlichen und autonomen Gewalten durch das Verfassungsgericht. Die Probleme des
Art. 155 lautet: ,,( I) Wenn eine Autonome Gemeinschaft die ihr von der Verfassung oder anderen Gesetzen auferlegten Verpflichtungen nicht erfüllt oder so handelt, daß ihr Vorhaben einen schweren Verstoß gegen die allgemeinen Interessen Spaniens darstellt, so kann die Regierung nach vorheriger Aufforderung an den Präsidenten der Autonomen Gemeinschaft und, im Falle von deren Nichtbefolgung, mit der Billigung der absoluten Mehrheit des Senats die erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um die Gemeinschaft zur zwangsweisen Erfüllung dieser Verpflichtungen anzuhalten oder um das erwähnte Interesse der Allgemeinheit zu schützen. (2) Zur Durchführung der in Absatz 1 vorgesehenen Maßnahmen kann die Regierung allen Behörden der Autonomen Gemeinschaften Weisungen erteilen." 21 Art. 149 bs. 3 lautet: ,,(3) Die dem Staat von dieser Verfassung nicht ausdrücklich übertragenen Aufgabenbereiche können auf Grund der entsprechenden Statute von den Autonomen Gemeinschaften übernommen werden. Die Zuständigkeit in Bereichen, die von den Autonomiestatuten nicht übernommen werden, liegt beim Staat, dessen Normen im Konfliktfall in allen Materien, die nicht zur ausschließlichen Kompetenz der Autonomen Gemeinschaften gehören, den Vorrang haben. Das staatliche Recht ergänzt in jedem Fall das Recht der Autonomen Gemeinschaften." 20
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deutschen Bundesverfassungsgerichts, des italienischen Verfassungs gerichts und des französischen Conseil d'Etat mit dem Europarecht sind schon bekannt2 2 • In Spanien hat sich das Verfassungsgericht bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt nur in wenigen und nicht den bedeutendsten Fällen zur innerstaatlichen Kompetenzverteilung und den Wirkungen des Europarechts geäußert. Die Beziehungen zwischen dem Europarecht und der innerstaatlichen Rechtsordnung sind noch nicht vom Verfassungsgericht untersucht worden. Zur Zeit liegt ein interessanter Fall (1314/1986) vor, in dem folgendes Problem auftaucht: Die Zentralregierung erhob eine Verfassungsklage gegen eine Zusatzvorschrift einer katalanischen Rechtsverordnung, die die gemeinschaftsrechtlichen Normen über Industrieabfälle rezipierte und in der vorgeschrieben wurde, daß "die Generalidad die Kommission der Europäischen Gemeinschaften in geeigneter Weise und im dafür vorgesehenen Verfahren über die Situation der Abfallbearbeitung, die ihr dieses Gesetz überträgt, über den Wortlaut der erlassenen grundlegenden Vorschriften des innerstaatlichen Rechts und über jegliche andere Anweisungen, die in den dieses Sachgebiet betreffenden Richtlinien erteilt werden, informieren wird". Das Verfassungsgericht ordnete die Suspendierung der Zusatzvorschrift für die Dauer des Verfahrens an. Hinsichtlich dieser Bestimmung ist zu erwähnen, daß sie in einem Gutachten des Juristischen Rates Kataloniens (Comisi6n Jurfdica Asesora), zu dessen Mitgliedern ich gehöre, vorgeschlagen wurde, um dadurch Forderungen der Richtlinien der Gemeinschaft zu erfüllen, denn es handelt sich um ein der ausschließlichen Kompetenz der Generalidad vorbehaltenes Sachgebiet. Außerdem meinte man damals, daß zur Erfüllung der Informationspflicht gegenüber der Kommission zwei Ansichten vertreten werden konnten: ein zentralistischer Standpunkt, wie er von der Regierung des Staates eingenommen wird, oder ein offener und im Grundsatz der Verfassungstreue begründeter Standpunkt, wie er von der Regierung Kataloniens verteidigt wird, die zwischen der Außenpolitik und jenen Handlungen unterscheidet, die zwar "die Staatsgrenzen überschreiten", aber deshalb nicht notwendigerweise von der Kompetenzverteilung des Art. 149 Abs. 1 Nr. 3 der Verfassung erfaßt werden, wonach der Staat die ausschließliche Zuständigkeit für "internationale Beziehungen" besitzt. Die Entscheidung des Verfassungsgerichts wird in diesem Falle eine viel weitergehende Bedeutung haben, als dem Wortlaut der angefochtenen Norm zu entnehmen ist. Als Vorgängerin kann man das Urteil 252/1988 vom 20. Dezember 1988 betrachten23 , in dem das Verfassungs gericht drei Kompetenzkonflikte löst. Im ersten Fall hatte sich der Exekutivrat der katalanischen Regierung gegen eine 22 Man braucht sich nur an den schwierigen Weg und an die Wende zu erinnern, die in der Bundesrepublik vom sogenannten "Solage I" -Urteil von 1974 bis zum Urteil "Solange 11" von 1986 erfolgte.
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Resolution der allgemeinen Gesundheitsbehörde (Direccion General de la Salud) des Ministeriums für Gesundheitswesen und Verbraucherangelegenheiten (Ministerio de Sanidad y Consumo) gewandt. Die beiden anderen betrafen bestimmte Vorschriften zweier auf Grund von Richtlinien der Gemeinschaft erlassenen Verordnungen, in denen die erforderliche ständige Kontrolle der Einhaltung der Vorschriften in den Schlachthäusern durch einen amtlichen Tierarzt vorgeschrieben wird, wobei zweifelhaft ist, ob dieser Tierarzt von den zentralen oder den autonomen Behörden ernannt werden solF4 • Das Verfassungsgericht ist auf die Grundfrage nicht eingegangen, sondern befand, daß "diese Ernennung in dem dafür geeigneten innerstaatlichen Verfahren erfolgen sollte, über das das Gemeinschaftsrecht selbstverständlich nichts aussagt. Folglich müssen auch hier die innerstaatlichen Regelungen festlegen, welche Behörde des Mitgliedstaates verfassungsmäßig befugt ist, den amtlichen Tierarzt zu ernennen, dessen Mitwirkung von den Richtlinien der Gemeinschaft gefordert wird". Wenn das Verfassungsgericht auch die Ernennungskompetenz des Staates bejaht, wiederholt es doch die Notwen-digkeit der Zusammenarbeit zwischen dem Staat und den Autonomen Gemeinschaften. Dabei stellt es konkret fest, daß man "sowohl die Notwendig-keit sehen muß, der Regierung die unerläßlichen Instrumente zur Erfüllung der ihr durch Art. 93 der Verfassung übertragenen Aufgabe zur Verfügung zu stellen, als auch die Tatsache zu berücksichtigen hat, daß die staatliche Zentral-verwaltung diejenige ist, die für die Durchführung der - bei Fehlen eines aus-wärtigen Bezuges der autonomen Verwaltung obliegenden - Maßnahmen zuständig ist. Deshalb ist die Ausübung der Kompetenzen des Staates und die der Autonomen Gemeinschaft so gegeneinander abzugrenzen, daß beide - ohne in fremde Kompetenzbereiche einzugreifen - weder die Ausübung der durch die Verfassung und die Autonomiestatuten übertragenen Aufgaben behindern noch die Bürger unnötig belasten". Obwohl in ihren tatsächlichen Auswirkungen begrenzt, handelt es sich um eine Materie, bei der die Erfahrung anderer Staaten höchst aufschlußreich sein kann. Nach der Ansicht von Argullol hat das Verfassungsgericht einen klaren Standpunkt gegenüber dem Versuch des Vertreters des Zentralstaates eingenommen, in der Erwähnung von "zentralen Behörden" in den gemeinschaftsrechtlichen Normen den Weg für eine gewisse Schwächung der Autonomen Gemeinschaften zu finden. "Es müsse nun betont werden, daß diese Normen sich auf die Feststellung beschränken, die zentralen Behörden eines jeden Mitgliedstaates der EG seien dafür verantwortlich, daß die Genehmigungen nur so lange bewilligt und aufrechterhalten werden, wie die gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften beachtet werden, ohne daß dabei festgelegt 23 Kommentare von E. Argullol, in: Integraci6 Europea, n° 4, Sommer 1989, pp. 156-162; J. Bano, in: Revista Espaiiola de Derecho Administrativo, 1989, n° 62 (April-Juni), pp. 259268; O. Casanovas, in: Revista de Instituciones Europeas, 1989, pp. 767-787. 24
Positive Kompetenzkonflikte 598/1986, 1403/1986 und 857/1988.
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würde, welche Verwaltung - die staatliche oder die autonome - für die Erteilung der Genehmigungen und die Verhängung der vorgesehenen Geldbußen zuständig ist. Das einzige, was die Richtlinien in diesem Sinne bestimmen, ist im Endeffekt, daß die zentrale Verwaltung der einzige Gesprächspartner der EG ist, was die Erfüllung des Gemeinschaftsrechts anbelangt, aber diese Verpflichtung kann, wie leicht zu verstehen ist, in verschiedenen Formen und Verfahren erfüllt werden." In seinem letzten Urteil vom 20. Juli 198925 kam der Verfassungsgerichtshof zu einer extensiveren Interpretation der "internationalen Beziehungen" (Art. 149 Abs. 1 Nr. 3 der Verfassung), wodurch den Autonomen Gemeinschaften jede Möglichkeit genommen wird, internationale Übereinkommen abzuschließen. Das Gericht war der Auffassung, daß die Regierung von Galizien (Xunta de Galicia) durch die Unterzeichnung einer "Verlautbarung über Zusammenarbeit" (Comunicado de cooperaci6n) mit Dänemark eine 'ausschließliche Kompetenz des Staates ausgeübt hatte, obwohl man nicht weiß, ob es sich um ein Abkommen handelt. Der Fall behandelt zwar nicht das Europarecht, ist aber sehr beachtenswert.
V. Schlußfolgerungen Im Laufe dieses kurzen Referates sind einige der wesentlichen Elemente herausgearbeitet worden, die die Mitgliedschaft Spaniens in den Europäischen Gemeinschaften sowie seine innerstaatliche Situation charakterisieren, wie sie sich aus der Organisationsform eines - von vielen als "quasi-föderal" qualifizierten - Staates der Autonomen Gemeinschaften ergibt. Als Schlußfolgerung können m. E. drei Elemente herausgehoben werden, von denen ich glaube, daß sie besondere Aufmerksamkeit verdienen. 1. Die Tatsache, daß die Vorschriften der Verfassung von 1978 und die der Autonomiestatuten (Estatutos) der Autonomen Gemeinschaften unzureichend sind. 2. Die Sorglosigkeit gegenüber diesen Sachverhalten, die die zum Eintritt Spaniens in die Gemeinschaft führenden Verhandlungen kennzeichnete. Ein Gefühl des Europäismus und der Wunsch, in die Europäischen Gemeinschaften einzutreten, hat vielleicht dazu geführt, die für die tägliche Anwendung des Europarechts wichtigen Aspekte zu vernachlässigen.
2S Urteil des Verfassungsgerichtshofs 137/1989 betr. Kompetenzkonflikt 156/1985, Zentralregierung gegen die Xunta von Galizien über den "Comunicado de cooperaci6n", den die Xunta mit der Umweltbehörde von Dänemark am 3. November 1984 unterzeichnet hatte.
Die Mitgliedschaft Spaniens in der EG
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3. Das Fehlen einer späteren globalen Lösung, da die Entwürfe eines Abkommens zwischen Staat und Autonomen Gemeinschaften gescheitert sind, die Entwicklung des Senats zu einer Kammer der Autonomen Gemeinschaften nicht stattgefunden hat und das Verfassungs gericht nicht zu definitiven Schlüssen gekommen ist. Nichtsdestoweniger sollte die vom Verfassungsgericht im Urteil vom 20. Dezember 1988 aufgezeigte Interpretationslinie in neueren Urteilen, die das Thema gründlicher untersuchen, weiter verfolgt und gefestigt werden, damit diese Linie schließlich dazu führt, daß die Zentralregierung und die Regierungen der Autonomen Gemeinschaften den jeweiligen materiellen Kompetenzbereich achten, der durch die Mitgliedschaft in der Europäischen Gemeinschaft nicht verändert werden darf. Es ist nicht leicht, gleichzeitig den Prozeß der Integration in einen Gemeinsamen Markt und den Prozeß der innerstaatlichen Aufgliederung in Autonome Gemeinschaften zu vollziehen.
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EG-Rechtsetzung und deutscher Föderalismus - Die Europäisierung des Rechts und ihre Auswirkungen auf das bundesstaatliche und institutioneUe Gefüge in der Bundesrepublik Deutschland -
Von Georg-Berndt Oschatz I. Einleitung Zwar blicken heute beinahe alle nach Osten, aber auch im Westen vollziehen sich Revolutionen. Stiller sind sie, doch kaum minder nachhaltig. Die Europäisierung des Rechts, deren Zeugen wir gegenwärtig sind, stellt wahrscheinlich sogar einen viel tiefgreifenderen Wandel in unserem Rechtssystem dar l , als er von den zu erwartenden Formen deutscher Einstaatlichkeit ausgehen wird. In der Öffentlichkeit immer noch vielfach unbemerkt, sind die Europäischen Gemeinschaften vom Verwalter stets wachsender Agrarüberschüsse zu einem Gesetzgeber geworden, der in immer weitere Bereiche unseres Rechtslebens eingreift. Alle Mitgliedstaaten sind von dieser Entwicklung gleichermaßen berührt, doch ergeben sich für unseren Staat besondere Konsequenzen aus dem Umstand, daß die Bundesrepublik immer noch der einzige im strengen Sinne föderativ gegliederte Mitgliedstaat ist 2• Die deutschen Länder sehen die Übertragung von Kompetenzen auf die Gemeinschaften oft mit gemischten Gefühlen, denn sie fürchten, daß ihnen auf diesem Wege die letzten der ihnen noch verbliebenen Regelungsbereiche entzogen werden könnten. Mancher sieht bereits die Staatlichkeit der Länder als geflillfdet an. Allenthalben ist seitens der Länder der Ruf nach Eingrenzung der Brüsseler Begehrlichkeiten zu hören. Im Bundesrat artikuliert sich diese Stimme besonders oft und nachhaltig 3• Im folgenden soll zuerst bewußt einseitig gefragt werden, ob rechtliche Grenzen der Europäisierung des Rechts auszumachen sind, die tatsächlich auch WirI Der Präsident der EG-Kommission, Jacques Defors, prägte in diesem Zusammenhang den Terminus einer "stillen Revolution". 2 Eine föderale Struktur, aber ganz eigenerArt, findet sich daneben auch in Belgien. J Vgl. z. B. die Stellungnahme des Bundesrates zur "Gemeinschaftscharta der Regionalisierung" in BR-Drucksache 279/89 (Beschluß), sowie Christian Tomuschat, Bundesstaats- und Integrationsprinzip in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes, in: Siegf'ried Magiera/ Detlef Merten, Bundesländer und Europäische Gemeinschaften, 1988, S. 21 ff., 42 ff.
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kungen entfalten. Hier wird auf die Handhabung der Gemeinschaftskompetenzen und das Subsidiaritätsprinzip einzugehen sein. Daneben sind die Auswirkungen zu prüfen, die von Art. 24 Abs. 1 GG vor und nach einer Änderung, die Kompetenzübertragungen auf die Gemeinschaften von der Zustimmung auch des Bundesrates abhängig zu machen, ausgehen können. In einem zweiten Abschnitt werde ich dann die Auswirkungen der Europäisierung des Rechts auf das bundesstaatliche Gefüge innerhalb der Bundesrepublik Deutschland darstellen. Ich will dabei auf einige verfassungsrechtliche Zweifelsfragen eingehen. 11. Die Europäisiemng des Rechts und Möglichkeiten ihrer Eingrenzung 1. Grundzüge der Europäisierung des Rechts
Wesentliche Quelle der Europäisierung des Rechts ist die Rechtsangleichung4 • Eine Grundlage hierfür hat es in Art. 100 EWG-Vertrag von Anfang an gegeben. Der Art. 100 litt aber stets an dem in ihm statuierten Einstimmigkeitserfordernis. Dieses Manko hat die Einheitliche Europäische AkteS mit Art. l00a EWGVertrag beseitigt, jedenfalls soweit es um Maßnahmen zur Herstellung des Binnenmarktes geht. Aber was dient nicht dem Binnenmarkt? Namentlich auf der Grundlage des Art. l00a vollzieht sich das im Weißbuch der Kommission über die Vollendung des Binnenmarktes ausgebrachte Programm6 • In ihm steckte die Kommission die angestrebten Ziele ab, in ihm sind die Bereiche genannt, um deren Regelung es im wesentlichen geht: Beseitigung von Handelshemmnissen, die Gewährleistung vollständiger Freizügigkeit für abhängig Beschäftigte und für Selbständige, die Schaffung eines einheitlichen Dienstleistungs- und Kapitalmarktes, die Schaffung eines Rechtsrahmens für eine europaweite Unternehmenskooperation sowie schließlich die Beseitigung der noch bestehenden Steuerschranken. Ich brauche nicht zu exemplifizieren, was die Verwirklichung dieser Zielprojektion bis 1993 für den europäischen Gesetzgeber im einzelnen bedeutet 7. Der Katalog spricht für sich. Entscheidend ist dabei, daß nahezu jede öffentlich-rechtliche Reglementierung potentiell wettbewerbsbeeinflussenden Charakter hat. Wenn Wirtschaftssubjekte frei untereinander konkurrieren, taucht sofort das Verlangen nach gleichen Rahmenbedingungen auf. 4 Hauschka. Der Stand der gemeinschaftsrechtlichen Rechtsangleichung im Recht der privaten Wirtschaft drei Jahre vor Vollendung des Binnenmarktes 1992, in: NJW 1989, S.3048ff. 5 BGBI. 11 S. 1104 ff. 6 Der Text des Weißbuches ist wiedergegeben in BR-Drucksache 289/85. 7 Das Weißbuch enthält einen detaillierten Zeitplan zur Umsetzung aller mit der Verwirklichung des Binnenmarktes verbundenen Vorhaben.
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Gerade die, die sich schon überdurchschnittlich durch Fiskal-, Umwelt- oder Sozialabgaben belastet fühlen, rufen nach dem harmonisierenden Euro-Gesetzgeber, der auch den anderen bitteschön gleich hohe Steuern und Abgaben aufbürden oder dafür sorgen soll, daß die Gewerbeaufsicht in den gleichen kurzen Intervallen nach der Arbeitssicherheit schaut. So nimmt es nicht Wunder, daß die Deutschen einen erheblichen Beitrag dazu geleistet haben, daß die EG jetzt noch weitere Rechtsgebiete in Angriff genommen hat, vor allem das Sozial- und das Umweltrecht. Die EG-Sozialcharta8 ist der Grundstein für eine europaweite Harmonisierung des Sozialrechts. Auch im Umweltbereich beschränken sich die Gemeinschaften nicht mehr auf die vielfältig aufgelegten Programme, sondern erfassen ganz konkrete Fragen wie beispielsweise die Behandlung kommunaler Abwässer 9 • Wenn dieses Programm umgesetzt ist, wird es kaum einen Bereich des Rechtslebens geben, der nicht von einer mehr oder minder durchgreifenden Europäisierung erfaßt ist. Dabei gehen allgemeine Programme der Gemeinschaften sogar schon über den weit gesteckten Rahmen des Weißbuches der Kommission hinaus. Allenfalls das Strafrecht wird noch voll national dominiert sein, obwohl im Nebenstrafrecht bereits Einbrüche erkennbar werden. Und nicht nur da: Am 13. März 1990 debattierte das Europäische Parlament über eine Harmonisierung der Abtreibungsgesetzgebung IO • Bei alledem erfahren Rat und Kommission noch maßgebliche Schützenhilfe durch den Europäischen Gerichtshof. Im Bereich des gemeinschaftsweiten Freihandels ist er es gewesen, der mit seiner stets integrationsorientierten Rechtsprechung dem einheitlichen Binnenmarkt den Weg bereitetelI. 2. Die Handhabung der Gemeinschajtskompetenzen
Betrachtet man die Auswirkungen dieser Entwicklung auf die deutsche innerstaatliche Kompetenzverteilung, so erscheinen die von den Ländern geführten Klagen verständlich. Viel verbleibt ihnen an eigenständigen Regelungsbereichen in der Tat nicht mehr, wenn die Gemeinschaften jetzt noch Rundfunk und Umwelt entdecken. Kein Wunder, daß bei dieser Entwicklung die Frage auftaucht, ob die Gemeinschaften das denn eigentlich überhaupt dürfen. Halten sie sich an den Bereich der ihnen übertragenen Zuständigkeiten? Es zeigt sich, daß die Antwort Wiedergegeben in BR-Drucksache 555/89. Wiedergegeben in BR-Drucksache 698/89. 10 Der Sitzungs bericht liegt noch nicht vor. Ein weiteres einschlägiges Beispiel ist der Kommissions-Entwurf einer Richtlinie zur europaweiten Vereinheitlichung der "Promille-Grenzen" im Straßenverkehr, wiedergegeben in BR-Drucksache 70/89. \I Die zentralen Entscheidungen hierzu sind EuGHE 1974, 263 = NJW 1975, S. 515 ("Dassonville") und E 1979, 265 = NJW 1979, S. 1766 ("Cassis de Dijon"). 8
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auf diese Frage unterschiedlich ausfällt, obwohl der Prüfungsansatz der Länder sich von dem der Kommission zunächst nicht unterscheidet. Selbstverständlich prüft die Kommission in einem ersten Schritt, ob sich aus den Normen des EWG-Vertrages eine Zuständigkeit der Gemeinschaften zur Regelung des betreffenden Bereiches ableiten läßt. Gewiß geht sie dabei von dem im EWG-Vertrag niedergelegten Prinzip der enumerativen Einzelermächtigung (Art. 4 EWG-Vertrag) aus. Aber sie ist doch deutlich "großzügiger", als dies bei Kompetenzprüfungen im deutschen Verfassungsrecht üblicherweise der Fall ist. Sie gründet ihre Vorschläge bisweilen vage auf "den Vertrag zur Gründung der EWG" oder nennt einzelne Vertragsnormen lediglich beispielhaft 12. Diese Methode ist durchaus nicht ohne vertraglichen Anknüpfungspunkt. Art. 235 erlaubt bekanntlich "ein Tätigwerden der Gemeinschaft ... , um eines ihrer (vertraglichen) Ziele zu verwirklichen", auch wenn im "Vertqlg die hierzu erforderlichen Befugnisse nicht vorgesehen" sind. Auch Generalermächtigungen wie Art. 100 und 103 Abs. 2 EWG-Vertrag schaffen offene Kompetenzgrenzen. Zusätzlich gibt es dann noch "implied powers"; Annexkompetenzen, die der Europäische Gerichtshof grundsätzlich anerkannt hat 13. Die Kompetenzzuweisungen des EWG-Vertrages sind außerdem zielorientiert. Grundsätzlich darf die EG das Recht setzen, das zur Verwirklichung der umfassend zu interpretierenden Vertragsziele diene 4 • Schließlich ist die EG-Rechtsetzung ein politischer Prozeß. Zeichnet sich unter den Mitgliedstaaten ein Konsens ab, daß eine bestimmte Maßnahme im Rahmen der Gemeinschaften zweckmäßig und einigermaßen vertretbar ist, so wird der, der zu ängstlich auf Ermächtigungsnormen schielt, schnell zum politisch vernachlässigbaren Formelkrämer. In den Brüsseler Couloires wird ihm ein verständnisloses "volenti non fit iniuria" vielstimmig entgegengehalten. Ein solches Klima fördert engherzige und selbstquälerische Kompetenzzweifel nicht gerade, zumal sie sich meist zu Lasten der Einflußsphäre des Prüfenden auswirken würden. Auch die Angst, vom Europäischen Gerichtshof zurückgepfiffen zu werden, ist wahrscheinlich nicht weit verbreitet. Ich will das auch gar nicht in Bausch und Bogen verdammen. Die EG wäre wahrscheinlich nicht so weit, wie sie ist, wenn immer nur kleinkariert Kompetenzen geprüft worden wären. Ich will nur aufzeigen, daß die Maßstäbe eben nicht dieselben sind, wie die, die wir vom deutschen Staatsrecht kennen. Denn die Länder im Bundesrat prüfen anders. Strikt vom Prinzip der EinzeIermächtigungen ausgehend, prüfen sie ganz genau, ob die Verträge eine 12 Standardformulierungen lauten dann folgendermaßen: ..... gestützt auf den Vertrag zur Gründung der EWG, insbesondere auf Artikel" (BR-Drucksache 244/90). J3 Beutler/Biber / Piepkom / Streil, Die Europäische Gemeinschaft - Rechtsordnung und Politik, 2. Aufl. 1982, S. 71. 14 Beutler u.a. (Fn. 13), S. 69. Das Bundesverfassungsgericht erkennt dies in BVerfGE 75, 223 tT. (242) ausdrücklich an.
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Ermächtigungsgrundlage enthalten 15. Natürlich ist die dynamische Vorschrift des Art. 235 auch hier Prüfungsgegenstand, aber die Auslegungen sind tendenziell enger, die Anforderungen an die Verknüpfung von Ziel und Maßnahme strenger. Vielleicht wirkt sich dabei aus, daß der Bundesrat bei der Bundesgesetzgebung regelmäßig vor eine ähnliche, aber eben nicht gleiche Frage gestellt wird. Bei jedem Bundesgesetz hat er zu klären, ob die Gesetzgebungskompetenz des Bundes gegeben ist. Dabei geht er von den Materien der Bundesgesetzgebung und den in Art. 72 GG genannten Bedürfnissen aus. Selbstverständlich ist dieser materienorientierte Ansatz viel enger als der zielorientierte. Das mag dazu beitragen, daß die von der Kommission positiv abgeschlossene Prüfung der Gemeinschaftskompetenz oft im Bundesrat mit dem entgegengesetzten Ergebnis endet. Ein offener Dissens zwischen Gemeinschaften und Bundesrat über die Handlungsbefugnis der EG hat in der Regel kein weiterführendes Ergebnis. Der Bundesrat kann sich mit seiner Auffassung nur in seltenen Fällen durchsetzen, zumal weder ihm noch den Ländern der Zugang zum Europäischen Gerichtshof eröffnet ist. Bei nüchterner Betrachtung kommt man um die Feststellung nicht herum, daß das Pochen auf den Kompetenzgrenzen der Gemeinschaften das beständige Äußern einer abweichenden Meinung, aber keine effektive Eingrenzung der Europäisierung des Rechts ist. 3. Der Grundsatz der Subsidiarität
Im Zusammenhang mit der Sicherung der Eigenstaatlichkeit der Länder wird ein Begriff immer wieder und so oft gebraucht, daß er das erlösende "Besen, Besen - seid es gewesen" zu sein scheint, mit dem Goethes alter Zauberer den anschwellenden Wasserfluten Einhalt gebietet. Ich meine den Begriff der "Subsidiarität" . Der Bundesrat erinnerte die Gemeinschaften immer wieder daran, daß das Gemeinschaftsrecht gegenüber dem innerstaatlichen (auch: dem Länder-)Recht nur subsidiär eingesetzt werden dürfe. Schon in seiner Stellungnahme zum Zustimmungsgesetz zur Einheitlichen Europäischen Akte (EEAG) erklärte er es "für dringend geboten ... , das Prinzip der Subsidiarität zu verwirklichen" 16. Auch die Gemeinschaftsinstitutionen räumen dem Prinzip der Subsidiarität einen zentralen Rang ein. So betonte die Kommission gerade bei ihren ersten beiden Schritten im Bereich des Sozialrechts, daß die europaweite Verwirk15 Vgl. etwa in BR-Drucksache 150/86 (Beschluß), S. 5: ..... geht der Bundesrat davon aus, daß ... nur scharf abgegrenzte Zuständigkeits bereiche unter Vermeidung pauschaler Zuweisungen übertragen werden." 16 BR-Drucksache 150/86 (Beschluß), S. \0 sowie neuestens auch in BR-Drucksache 279/89 (Beschluß).
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lichung der sozialen Grundrechte sich nur unter Beachtung des Subsidiaritätsprinzipes vollziehen könne l7 • Auch der Richtlinienvorschlag zur Behandlung kommunaler Abwässer beruht nach Auffassung der Kommission "auf dem Subsidiaritätsprinzip u18. Kommissionspräsident Jacques Delors formulierte es kürzlich vor dem Europäischen Parlament wie folgt: "Wenn es darum geht, die Befugnisse auf die gemeinschaftliche, nationale und regionale Ebene aufzuteilen, sollten wir ... nach dem Subsidiaritätsprinzip verfahren" 19.
Er sieht in diesem Prinzip ein "ständiges Gegengewicht gegen die natürliche Tendenz zur Verstärkung der zentralen Exekutivgewalt", das als solches auch "unerläßlich" sei 20. Das Europäische Parlament wollte dem nicht nachstehen, erklärte es doch gerade, daß es dem "Prinzip der Subsidiarität ... sehr große Bedeutung" beimesse21 • Die Beteiligten grenzen hiernach die Rechtssphären nach demselben Grundsatz ab, sehen Regelungen durch die Gemeinschaften als lediglich subsidiär an. Mit dem Grundsatz der Subsidiarität scheint der entscheidende Ansatz zur Abgrenzung der Zuständigkeitsbereiche gefunden zu sein. Trotzdem kann sich der Eindruck nicht einstellen, die Probleme seien gelöst. Das mag daran liegen, daß der Subsidiaritätsgrundsatz so außerordentlich flexibel ist. Das Europäische Parlament definiert den Grundsatz so, daß hiernach "jede Entscheidung ... auf der bestgeeigneten Ebene getroffen werden" muß 22 • Dieser Definition kommt auch diejenige recht nahe, die die Kommission kürzlich in ihrem "Aktionsprogramm zur Anwendung der Sozialcharta" gefunden hat. Hiernach beinhaltet der Grundsatz der Subsidiarität, daß die Kommission immer dann "tätig wird, wenn die gesetzten Ziele sich besser durch sie als durch die Mitgliedstaaten erreichen lassen,,23. Davon weicht auch der Bundesrat nicht ab, wenn er fordert, daß stets ein "europäischer Mehrwert" erkennbar sein muß. Dieses Verständnis des Grundsatzes der Subsidiarität entspricht dem durch die Jahrhunderte in der katholischen Kirche im Anschluß an Thomas von Aquin bewahrten 24 • Die päpstliche Sozialenzyklika "quadrogesimo anno" (1931), an die wenige Tage nach dem 100. Geburtstag von Oswald von Nell-Breuning mit Respekt zu erinnern ist, umschreibt ihn wie folgt: 17 Vgl. in BR-Drucksache 555/89, S. 3 ("EG-Sozialcharta") und in BR-Drucksache 717/89, S.3 ("EG-Aktionsprogramm zur Sozialcharta"). 18 Vgl. in BR-Drucksache 698/89, S. 3 f. 19 Rede vor dem Europäischen Parlament, aus "EG-Nachrichten", hrsg. von der Kommission der EG, Heft Nr. 2 vom 22. Januar 1990, S. 23. 20 Delors. aaO. (Fn. 19). 21 EP-Dokument A 3 - 82189, dort S. 8. 22 EP, aaO. (Fn. 21). 23 Aktionsprogramm zur Anwendung der Gemeinschaftscharta der Sozialen Grundrechte, BR-Drucksache 717/89, S. 3. 24 Der Anknüpfungspunkt in der Summe der Theologie des Thomas ist folgende Stelle in der 66. Untersuchung, Siebenter Artikel: "Was menschlichen Rechts ist, vermag dem natürlichen Rechte oder dem göttlichen Rechte keinen Abbruch zu tun (derogare)".
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"... so verstößt es gegen die Gerechtigkeit, das, was die kleineren und untergeordneten Gemeinwesen leisten und zum guten Ende führen können, für die weitere und übergeordnete Gemeinschaft in Anspruch zu nehmen,,25.
In der politischen Praxis läßt sich leider die Gefahr nicht ausschalten, daß die Anwendung des Subsidiaritätsgrundsatzes zu einer bloßen Opportunitätserwägung gerät. Wenn der Bundesrat die Kommission auffordert, das Subsidiaritätsprinzip zu beachten, so verweist er sie auf einen sehr elastisch handhabbaren Grundsatz. In jedem Fall, in dem eine gemeinschaftsweite Regelung aus deren Sicht "gerechter" oder "besser" erscheint, ist für die Kommission eine Kompetenz der Gemeinschaften begründbar, wenn zuvor festgestellt werden konnte, daß die in Rede stehende Maßnahme durch die Ziele des EWG-Vertrags gedeckt ist. Der Bundesrat mag nun seinerseits meinen, die Sache sei auf Länder- oder Bundesebene besser aufgehoben. Über diese Beurteilungsdifferenzen wird sich im Einzelfall füglich streiten lassen. Eine brauchbare Kompetenzeingrenzung läßt sich so aber nicht gewinnen. Das gilt selbst da, wo das Subsidiaritätsprinzip ausdrücklich kompetenzbegrenzend in den Vertrag Eingang gefunden hat (Art. l30r Abs. 4 EWG-Vertrag). Der Subsidiaritätsgrundsatz ist damit ein hochzuhaltendes politisches Prinzip, er darf aber nicht für eine wirksame Sicherung der Rechtsetzungsautonomie der Länder gehalten werden 26 • 4. Eingrenzungen der Europäisierung des Rechts durch Art. 24 Abs. I GG
Ein anderer Ansatzpunkt zur Eingrenzung der Europäisierung des Rechts wird verschiedentlich in Art. 24 Abs. 1 GG gesehen. Dieser Bestimmung werden sowohl in ihrer heute geltenden Fassung als auch in der vom Bundesrat am 16. März 1990 eingebrachten Neufassung solche eingrenzenden Wirkungen zugeschrieben 27 • Von verschiedenen Seiten werden aber auch die Aussichten, auf diesem Wege zu einer effektiven Eingrenzung der Europäisierung des Rechts zu gelangen, skeptisch beurteilt 28.
25 Zitiert nach Otto Roegele. Ein Fächer deutscher Möglichkeiten, in: Rheinischer Merkur, Ausgabe vom 5. Januar 1990. 26 Im Ergebnis ebenso skeptisch Tomuschat (Fn. 3), S. 42 und Everling. Zur föderalen Struktur der Europäischen Gemeinschaft, in: Staat und Völkerrechtsordnung, FS für Karl Doehring, 1989, S. 193. 27 Vgl. in BR-Drucksache 703/89 (Beschluß) S. 2 f.; optimistisch Hrbek. Die Bundesländer und die EG, in: Projekt Europa, hrsg. von der Landeszentrale für politische Bildung Nordrhein-Westfalen, S. 214. 28 Vgl. vor allem Hermann-Josej Blanke. Die Bundesländer im Spannungsverhältnis zwischen Eigenstaatlichkeit und Europäischer Integration, in: Gegenwartsfragen des Öffentlichen Rechts, hrsg. von Dirk Heckmann und Klaus Meßerschmidt, 1988, S. 63; ausführlich Winjried Kössinger. Die Durchführung der Gemeinschaftscharta im Bundesstaat, 1989, S.70ff.
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a) Geht man zunächst von der geltenden Fassung aus, so hatte das Bundesverjassungsgericht erst kürzlich in zwei Entscheidungen Gelegenheit gehabt, die sich aus Art. 24 Abs. 1 GG ergebenden Grenzen einer weitergehenden Integration aufzuzeigen: Nach Auffassung des Gerichts ermächtigt die Vorschrift nicht dazu, "die Identität der geltenden Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland durch Einbruch in ihr Grundgefüge, in die sie konstituierenden Strukturen, aufzugeben" 29. Diese Grenze ist sehr weit gezogen. Bei allem Integrationsfortschritt ist die Bundesrepublik nicht dabei, ihr verfassungsrechtliches Gesicht an Europa zu verlieren. Bis auf weiteres wird man diesem Karlsruher Dictum deshalb nicht mehr entnehmen können, als daß ein Europäischer Bundesstaat nicht über Art. 24 Abs. 1 GG machbar sein dürfte JO • An anderer Stelle hat das Gericht erklärt, daß auch heute n"ch den Gemeinschaften keine Kompetenz-Kompetenz zukomme, daß vielmehr die Mitgliedstaaten die Herren der Verträge geblieben seien 3l • Danach dürfte die EG die Kompetenzgrenzen der Verträge nicht sprengen, ohne daß ultra-vires-Akte mit deutschem Verfassungsrecht kollidieren könnten 32 • Nach der Auffassung des Bundesverjassungsgerichts kommt Art. 24 Abs. 1 GG also bereits in seiner aktuellen Fassung eine gewisse begrenzende Wirkung zu. Anknüpfungspunkt für eine verfassungs rechtliche Beurteilung kann hiernach nicht nur ein Akt der Übertragung neuer Kompetenzen auf die Gemeinschaften, sondern auch ein Akt dieser Gemeinschaften selbst sein. Auch wenn die Gemeinschaften Sekundärrecht setzen, darf dieses nicht über die durch Verträge und Zustimmungsgesetze übertragenen Hoheitsrechte hinausgehen 33 • Dies prüft das Bundesverfassungsgericht auch selbst, aber es geht dabei von der integrationsfreundlichen Entwicklung aus, die das Europarecht in sich im Laufe der Jahre genommen hat. Auch hier sind die Grenzen weit gezogen; so erhebt das Bundesverfassungsgericht z. B. gegen die Methode des Europäischen Gerichtshofes, die Verträge im Wege richterlicher Rechsfortbildung extensiv auszulegen, keine Einwände. Erst wenn das in den Gemeinschaftsverträgen umrissene Integrationsprogramm überschritten wird, kann diese Rechtsprechung eine eingrenzende Wirkung auf die Europäisierung des Rechts entfalten 34 • Und dabei ist dann auch noch zu beachten, daß die Überschreitung der Grenzen der Verträge
BVerfGE 73, 339 ff. (375 f.). Alleine von diesem letzten Schritt läßt sich mit Bestimmtheit sagen, daß auf diese Weise die "Identität der geltenden Verfassungsordnung" preisgegeben würde. 31 BVerfGE 75, 223 ff. (242). 32 So offenbar auch Helmut Steinberger, Aspekte der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Verhältnis zwischen Europäischem Gemeinschaftsrecht und deutschem Recht, in: Staat und Völkerrechtsordnung, FS für Kar! Doehring, 1989, S. 966 f. 33 BVerfG aaO. (Fn. 31). J4 BVerfGE 75. 223 ff. (243 f.) und Steinberger aaO. (Fn. 32). 29 J()
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eine europarechtliche Vorfrage wäre, die über Art. 177 EWG-Vertrag wohl dem Europäischen Gerichtshof vorzulegen wäre. Das Bundesverfassungsgericht sieht also die Gemeinschaften durch Art. 24 Abs. 1 GG an die durch die Verträge gezogenen Grenzen gebunden, läßt es aber zugleich zu, daß diese Grenzen wiederum von den Gemeinschaftsorganen selbst (sehr weit) gesteckt werden. Sieht man also einmal von dem kaum praktisch erscheinenden Fall der "Preisgabe der Identität der geltenden Verfassungsordnung" ab, wird Art. 24 Abs. 1 GG nach dieser Rechtsprechung in seiner geltenden Fassung nicht als eingrenzender Faktor wirksam. b) Nicht zuletzt ausgehend von diesem Befund, ist von mehreren Ländern ein Antrag auf Abänderung des Art. 24 Abs. 1 GG beim Bundesrat eingebracht worden. Mit ihrem am 16. März 1990 zu einem Gesetzentwurf des Bundesrates gewordenen Antrag35 , die Übertragung von Hoheitsrechten des Bundes und der Länder auf die Europäischen Gemeinschaften künftig von der Zustimmung des Bundesrates abhängig zu machen, lehnen sie sich an einen bereits von der Enquete-Kommission Verfassungsreform unterbreiteten Vorschlag an. Diese hatte empfohlen, eine solche Übertragung von Hoheitsrechten auf internationale Einrichtungen jedenfalls dann an die Zustimmung des Bundesrates zu knüpfen, wenn es sich um Hoheitsrechte der Länder handelt 36 • Mit der erstrebten Änderung des Art. 24 Abs. 1 GG hoffen die Länder jetzt, die "Rechte der Länder und die föderalistische Grundstruktur der Bundesrepublik" zu sichern. Die Länder gehen dabei davon aus, daß sie nach einer solchen Änderung des Grundgesetzes "in den Prozeß der europäischen Integration" eingebunden würden 37 • In der verfassungsrechtlichen Literatur hingegen werden die Aussichten, auf diesem Wege zu einer Eingrenzung der weiteren Europäisierung des Rechts zu gelangen, eher zurückhaltend beurteilt. Es sei weit überwiegend nicht die Setzung neuen Primärrechts, die zu dem immer weiteren Vordringen der Gemeinschaften in neue Rechtsgebiete führe. Vielmehr bewirke die autonome Setzung neuen Sekundärrechts diese Entwicklung. Diese sei jedoch von der Änderung des Art. 24 Abs. 1 GG von vornherein unberührt. Die Grundgesetz-Änderung könne daher nur die seltenen Fälle weiterer Kompetenzerweiterungen z. B. durch Änderung der Römischen Verträge erfassen 38 • Nun stehen zwar durchaus nicht unwichtige Änderungen auch des Primärrechts bevor - man denke an die Europäische Währungsunion -, doch erfassen diese Änderungen im Vergleich mit dem beschriebenen Vordringen des Sekundärrechts in immer weitere Lebensbereiche nur Teilbereiche. Der eigentliche Gegenstand der Diskussion wird hierdurch nicht berührt. 35 36 37
38
BR-Drucksache 703/89 (Beschluß). BT-Drucksache 7/5924, S. 230 f. Vgl. BR-Drucksache 703/89 (Beschluß), S. 5. Blanke (Fn. 28), S. 63.
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5. Die bisher gemachten Ausführungen haben gezeigt, daß in der Praxis eine Eingrenzung der Europäisierung des Rechts in dem Sinne, daß eine Grenzlinie gezogen werden könnte, ab der weitere Rechtsetzungsakte der Gemeinschaften unzulässig würden, nicht möglich ist. Sowohl dem Grundsatz der Subsidiarität nach seinem thomistischen Ansatz als auch Art. 24 Abs. 1 GG kommen nur gewisse äußerste einschränkende Wirkungen zu; tatsächliche aktuelle Wirkungen zeitigen sie nur sehr begrenzt. III. Wandlungen im innerstaatlichen institutionellen Geftige Statt alleine nach weiteren Möglichkeiten einer solchen materiellen Eingrenzung der Europäisierung des Rechts zu suchen, gingen die deutschen Länder zur Erhaltung ihrer eigenständigen politischen Bedeutung frühzeitig dazu über, Einfluß auf den Prozeß der europäischen Rechtsetzung zu suchen 39 • Maßgeblichen Einfluß mußten sie auf dasjenige innerstaatliche Organ gewinnen, das die Bundesrepublik als Ganzes in den Verhandlungen in Brüssel vertritt: die Bundesregierung. Das Vehikel hierfür erblickten die Länder bald im Bundesrat, demjenigen Organ, in dem sie ohnehin schon auf Bundesebene vertreten sind. Im institutionellen Gefüge von Bund und Ländern ergeben sich hierdurch bemerkenswerte Verschiebungen. Die vom Grundgesetz errichtete und in der Staatspraxis bewährte Zuordnung von Funktionen und Kompetenzen muß teilweise neu definiert werden. Dabei dürfen Ursache, Wirkung und Folge nicht im Unklaren bleiben: Ursache ist die unaufhaltsame Europäisierung des Rechts, Wirkung die Notwendigkeit der Teilhabe der Länder, Folge die zu erörternden Verschiebungen, in deren Mittelpunkt wie gesagt der Bundesrat steht. Die Stellung des Bundesrates geriet ins Zentrum der Diskussion, als im Jahre 1986 die Einheitliche Europäische Akte zur Entscheidung anstand. In gleich dreifacher Weise war der Bundesrat Gegenstand rechtlicher Neuregelungen: Am Beginn stehen dabei die Regelungen im Zustimmungsgesetz zur Einheitlichen Europäischen Akte 40 , an das sich die Bund-Länder-Vereinbarung vom 17. Dezember 1987 41 sowie die Ergänzung der Geschäftsordnung des Bundesrates vom 10. Juni 1988 42 anschließen. Es ist hiernach nicht mehr verwunderlich, daß der stille Funktionenwandel des Bundesrates im Zentrum aller Plenarreden der Bundesratspräsidenten aus den letzten Jahren stand. So hob Präsident Vogel hervor, daß es den Ländern alleine durch die Einschaltung des Bundesrates möglich wurde, rechtzeitig auf neue 39 Die einschlägigen Dokumente sind wiedergegeben in: Bundesrat und Europäische Gemeinschaften, hrsg. vom Sekretariat des Bundesrates, 1988. 40 BGBI. 11 (1986) S. 1\02. 41 Bundesrat und Europäische Gemeinschaften (Fn. 39), S. 428 ff. 42 BGBI. I (1988) S. 857.
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Vorhaben der Gemeinschaften zu reagieren 43 , und betonte der gegenwärtige Präsident des Bundesrates, der Regierende Bürgermeister von BerlinMomper. in seiner Antrittsansprache, es "sei den Ländern in einer für Europa vielleicht vorbildlichen Weise gelungen, sich über den Bundesrat in die Willensbildung der Gemeinschaft einzuschalten" 44. Die erweiterte Beteiligung des Bundesrates im Prozeß der europäischen Integration wirft in der alltäglichen Staatspraxis noch zahlreiche technisch-organisatorische Einzel- und Detailprobleme auf. Diesen will ich mich hier jedoch nicht widmen 45 • Erlauben Sie mir aber ein paar Bemerkungen zu einigen grundlegenderen verfassungsrechtlichen Fragen, die in der Literatur zur Zeit kritisch zum Bundesrats-Verfahren gestellt werden. 1. Die Länder als Teilhaber an der Außenpolitik?
Grundsätzliche Bedenken gegen die weitreichende Beteiligung der Länder im europäischen Integrationsprozeß werden verschiedentlich aus Art. 32 Abs. I GG hergeleitet 46 • Wenn durch diese Bestimmung die Beziehungen zu auswärtigen Staaten und damit auch zu internationalen Organisationen der Pflege nur durch den Bund unterstellt werden, könnten, so diese Auffassung, nicht die Länder, auch nicht über den Bundesrat, in die EG-Politik des Bundes eingreifen. Insbesondere die berühmte Vorschrift des Art. 2 Abs. 3 Satz 2EEAG,diederBundesregierung in Fällen ausschließlicher Landeskompetenzen ein Abweichen von der Stellungnahme des Bundesrates nur unter engen Voraussetzungen gestattet, könnte so als eine zu weitreichende Einengung der Verhandlungsführung der Bundesregierung erscheinen47. Diese Auffassung vermag mich nicht zu überzeugen. Zunächst ist die Subsumtion der EG-Politik heutigen Zuschnitts unter den Begriff der auswärtigen Politik zu wenig differenziert 48 • Art. 32 Abs. I GG ist eine schwer zu handhabende Vorschrift. Ihr Problem ist, daß sie dem Bund die Zuständigkeit zum Auftritt auf einem bestimmten Forum, dem "internationalen Parkett", zuweist, ohne ihm zugleich automatisch die Sachkompetenz für die dort erörterten Fragen einzuräumen. So kollidiert die Zuständigkeit des Bundes aus Art. 32 Abs. I GG zwangsläufig mit den materiel.3 590. Sitzung des Bundesrates, Steno Ber., S. 178.
606. Sitzung des Bundesrates, Steno Ber., S. 461 A. Hierzu und zu den hiermit verbundenen Änderungen der Geschäftsordnung des Bundesrates ausführlich Georg-Berndt OschatzlHorst Risse. Bundesrat und Europäische Gemeinschaften, DÖV 1989, S. 509 ff. 46 Vor allem Jochen A. Frowein. Bundesrat, Länder und europäische Einigung, in: Vierzig Jahre Bundesrat, hrsg. vom Bundesrat, 1989, S. 285 ff. 47 Frowein aaO. (Fn. 46), S. 292 f . .a Tomuschat (Fn. 3), S. 40 f. 44
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len Kompetenzen der Länder, sobald solche Gesprächsgegenstand auf dem Forum der auswärtigen Beziehungen werden 49 • Weder der Lehre noch der Staatspraxis ist es gelungen, diesen Widerspruch aufzulösen. Das Lindauer Abkommen, die Kramer/Heubl-Gespräche und die fortdauernde Diskussion um die Länderbeteiligung in EG-Sachen sind beredte Beweise dafür. Was die in Art. 32 Abs. 1 GG dem Bund zugewiesene Auswärtige Gewalt eigentlich ist, ist bereis umstritten. Wenn man mit Fastenrath hier von einem engen Verständnis ausgeht, so gehört die Wahrnehmung der Mitgliedschaftsrechte in den Gemeinschaften dazu, nicht aber die interne Willensbildung, wie diese wahrgenommen werden sollen 50. Ich will in den Streit hier nicht eintreten. Vernünftig scheint mir aber, im Anschluß an Tomuschat 51 den Sinn des Art. 32 Abs. 1 GG in der Bündelung der Kräfte der Bundesrepublik im Außenverkehr und zur Sicherstellung ihres einheitlichen Votums in internationalen Gremien zu sehen. Wenn des Pudels Kern die Wahrung der "Eingleisigkeit" der Außenpolitik der Bundesrepublik trotz ihrer inneren Vielfalt ist, dann zwingt nichts dazu, die normale innerstaatliche Zuständigkeitsverteilung sofort zur unbeachtlichen quantite negligeable herabzuwürdigen, sobald eine Angelegenheit die Weihe der internationalen Erörterung erfährt. Denn die "Eingleisigkeit" der Außenpolitik erleidet keinen Schaden, wenn der allein erklärungs befugte Bund von den Ländern formulierte Inhalte zu vertreten hat. Art. 32 Abs. 1 GG kann nicht entnommen werden, daß er die sonstigen Zuständigkeitszuweisungen des Grundgesetzes vollends verdrängt. Sonst wäre das Erfordernis des Einverständnisses der Länder zum Abschluß völkerrechtlicher Verträge des Bundes in Angelegenheiten ihrer ausschließlichen Gesetzgebung, wie es im Lindauer Abkommen festgelegt ist, nicht erklärbar. Das mag in anderen Bundesstaaten für deren vergleichbare Regeln anders sein, im Grundgesetz gibt es keine automatische Kompetenz des Bundes zur Durchführung internationaler Engagements. Mangels einer Vorrangregelung der Verfassung ist nach einem Weg zu suchen, der die beiden im Konflikt stehenden Zuständigkeitszuweisungen so miteinander verbindet - man könnte auch sagen: so in Konkordanz bringt -, daß beide zu optimaler Wirksamkeit gelangen können. Es geht also um einen verhältnismäßigen Ausgleich der Kompetenzen der Länder für das Rundfunkrecht, das Schulrecht, das Ordnungs- und Polizeirecht usw. einerseits und der besonderen Verantwortung des Bundes für die Außenbeziehungen aus Art. 32 Abs. 1 GG andererseits. Diese Aufgabe löst Art. 2 EEAG meines Erachtens gar nicht schlecht. Wo die Länder auch vor der Vergemeinschaftung der Materie nur mitwirken, aber nicht (allein) entscheiden konnten - das ist der ganze Bereich der Bundes49
Ulrich Fastenrath. Kompetenzverteilung im Bereich der auswärtigen Gewalt, 1986,
S. 81 ff.
so Fastenrath aaO. (Fn. 49), S. 99, 101. 51 Tomusehat aaO. (Fn. 3), S. 40.
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gesetzgebung -, wird ihnen nach der Vergemeinschaftung ein Unterrichtungsund Mitwirkungsrecht durch unverbindliche Stellungnahmen zugestanden. Das ist gewiß weniger, als sie über den Bundesrat im nationalen Rechsetzungsverfahren hätten, aber diese Reduzierung ist zuvörderst ein Reflex des Einflußverlustes, den die Bundesrepublik insgesamt durch die Europäisierung hinnehmen muß. Die im Zentrum der Diskussion stehende Bindungswirkung von Bundesratsbeschlüssen aus Art. 2 Abs. 3 EEAG betrifft nur den engen Bereich, in dem eine ausschließliche Gesetzgebungskompetenz der Länder besteht. Hier wirkt diese Bindung jedoch auch konsequent: Wenn die Länder nach der innerstaatlichen Kompetenzverteilung zur Regelung bestimmter Sachbereiche aufgerufen sind, so ist es angesichts der beschriebenen neuen Qualität der EG-Rechtsetzung nur folgerichtig, innerstaatlich den Ländern die Entscheidung über das Stimmverhalten in Brüssel vorzubehalten 52 • Geschähe dies nicht, würden die den Ländern kraft Verfassung zugewiesenen Sachkompetenzen ohne weiteres geopfert, obwohl das für die Sicherung der Eingleisigkeit der deutschen Außenpolitik gar nicht erforderlich wäre. Solche Eingriffe in die Rechte der Länder wären unverhältnismäßig. In der Quantität und Intensität, wie sie im Zuge der Europäisierung des Rechts vorkämen, wenn es keine Länderbeteiligung gäbe, wären sie verfassungsrechtlich nicht hinzunehmen. Umgekehrt darf man natürlich nicht übersehen, daß die über den Bundesrat ausgeübten Rechte der Länder nur so weit reichen, wie das Grundgesetz sie vorsieht. Vorliegend geht es jedoch nicht um neue Rechte, sondern um den der verfassungsrechtlichen Gesamtwertung entsprechenden Ausgleich zweier gleichrangiger in Konflikt geratender Kompetenztitel und um die Organisation des politischen Willensbildungsprozesses im Rahmen des Grundgesetzes. Folgerichtig endet gemäß Art. 2 Abs. 3 Satz 1 EEAG die Bindungswirkung der Bundesratsbeschlüsse denn auch, sobald der enge Bereich ausschließlicher Landeskompetenzen verlassen wird 53. Genauso konsequent wird die in Art. 32 Abs. 1 GG dem Bund zugewiesene besondere Verantwortung für die Außenpolitik dadurch gewahrt, daß die Bindung der Bundesregierung an die Bundesratsbeschlüsse auch bei Angelegenheiten ausschließlicher Landesgesetzgebung dann zum Erlöschen kommt, wenn unabweisbare außen- und integrationspolitische Gründe die Bundesregierung zu einem Abweichen von einer Stellungnahme des Bundesrates bewegen, wenn also z. B. eine Frage der Rundfunkpolitik über ihren Fachcharakter hinaus in den Kontext einer grundsätzlichen Frage der Integrations- oder Außenpolitik gerät. Daß der Bundesregierung in solchen Fragen eine breite Einschätzungsprärogative zukommen muß, kann auch im Lichte der Nachrüstungsentscheidung des
52 Diese Konsequenz wird von den Kritikern des Länder-Beteiligungsverfahrens nicht gesehen; vgl. Frowein (Fn. 46), S. 293. 53 Kössinger (Fn. 28), S. 113, hebt hervor, daß Artikel 2 EEAG "an der Substanz der jeweiligen Zuständigkeiten" nichts ändert.
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Bundesverjassungsgerichts S4 nicht bestritten werden. Auf die lustitiabilität des Art. 2 Abs. 3 Satz 2 EEAG kann das nicht ohne Folgen bleiben. Aus der Verfassungsnorm des Art. 32 Abs. I GG lassen sich hiernach keine entscheidenden Bedenken gegen die Beteiligung des Bundesrates an den europäischen Angelegenheiten herleiten. Diese Beteiligung ist vielmehr als Konsequenz aus der Entwicklung der Europäischen Gemeinschaften zu einem effektiven supranationalen Gesetzgeber zu sehen. Die abweichende Ansicht, die alles EG-bezogene Tun einschließlich der internen Willens bildung davor unter Berufung auf Art. 32 Abs. I GG der Bundesregierung zuschiebt, verkennt diesen fundamentalen Wandel. 2. Das Bundesorgan Bundesrat als Sachwalter ausschließlicher Länderkompetenzen Weitere verfassungsrechtliche Bedenken gegen die in Art. 2 EEAG gefundene Regelung knüpfen daran an, daß mit dem Bundesrat ein Bundesorgan und nicht ein solches der Länder zum Bewahrer ausschließlich;r Länderkompetenzen bestellt wurde 55. Auch diese Kritik erscheint mir nicht zwingend zu sein. So ist zum einen bereits zu bezweifeln, ob die Stellung des Bundesrates als eines Bundesorganes es diesem wirklich verwehrt, sich zum Forum der Interessenwahrnehmung für diejenigen zu machen, aus denen sich seine Mitgliedschaft rekrutiert, also der Länder. Zum anderen übersieht diese Kritik, daß es nicht etwa der Bundesrat ist, der nun anstelle der Länder deren Rechtsetzungsbefugnisse wahrnimmt. In einem solchen Fall wäre das im Bundesrat geltende Prinzip der Mehrheitsentscheidung in der Tat nicht adäquat 56 • In EG-Sachen betreibt der Bundesrat aber keine Rechtsetzung. Diese wurde vielmehr von den Gemeinschaften an sich gezogen, und der Bundesrat dient alleine der Bündelung der Interessen der Länder, damit diese überhaupt Aussicht darauf haben, in den Entscheidungsprozeß der Gemeinschaften eingeführt zu werden. Die Einschaltung des Bundesrates nach dem EEAG bewirkt also nicht einen Funktionenverlust bei den Ländern, sie mindert diesen durch die Vergemeinschaftung bereits eingetretenen Verlust stattdessen in seinen Auswirkungen. Befreit man sich einmal von der dargestellten eher formalen Sichtweise, so erweist sich die Einschaltung des Bundesrates nach dem EEAG-Verfahren als konsequente Fortführung einer allgemeinen Entwicklungslinie der Bundesstaatlichkeit des Grundgesetzes. Ossenbühl hat diese Entwicklung mit dem Prinzip BVerfGE 68. 1 ff. Hans-Joachim Schütz. Die EG-Kammer - Delegationsbefugnis und Geschäftsordnungsautonomie des Bundesrates, in: NJW 1989, S. 2160 ff. (2161). 56 Hierauf stützt Schütz aaO. (Fn. 55) seine Kritik. S4
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der kommunizierenden Röhren umschrieben. Denn in dem Maße, in dem die Länder im Laufe der Zeit eigene Rechtsetzungsbefugnisse verloren hatten, wuchsen entsprechend ihre Mitwirkungsbefugnisse über den Bundesrat 57 • Denkt man diesen Gedanken für die hier behandelte Europäisierung des Rechts fort, so erhält die Einschaltung des Bundesrates nach dem EEAG-Verfahren ihren richtigen Stellenwert. Mitentscheidungsbefugnisse der Länder auf europäischer Ebene zur Sicherung ihrer gliedstaatlichen Rechte scheiden angesichts der europäischen Verfassungsrechtslage aus. Durch das EEAG-Verfahren erhalten die Länder jedoch die Möglichkeit der Mitwirkung am nationalen Entscheidungsprozeß. Daß diese über den Bundesrat wahrgenommen werden, liegt in der unitarischen Natur des Bundesstaates des Grundgesetzes begründet. In der Zeit der Europäisierung des Rechts kann es nicht mehr nur um die Verteidigung eigener Gesetzgebungskompetenzen der Länder gehen, vielmehr muß es diesen ermöglicht werden, die Willens bildung der Bundesregierung in europäischen Angelegenheiten zu beeinflussen. Für die Beeinflussung des Bundeswillens durch die Länder hat das Grundgesetz selbst jedoch bereits ein Organ geschaffen: den Bundesrat 58 • Hierher gehört auch eine praktische Erwägung, die oft viel zu kurz kommt. Im innerstaatlichen Bereich hat der Bundesrat sein hohes Ansehen vornehmlich durch die Fach- und Sachbezogenheit seiner Beratungen erworben. Dies beruht nicht zuletzt auf dem in seinen Ausschüssen praktizierten Dialog der konzeptionsorientierten Ministerialbürokratie des Bundes mit den vollzugsorientierten Länderbürokratien. In den Bereichen des europäischen Rechts brauchen die Bundesbeamten den Austausch mit ihren Länderkollegen nicht weniger als bei der nationalen Rechtsetzung. Der Gedanke, die Expertise der Länder zur Ergänzung der Fachkompetenz des Bundes zu nutzen, ist nicht neu, er kommt schon in den Kramer/Heubl-Absprachen vor 59 • Es gehört deshalb zur optimalen Vertretung der Bundesrepublik in den Gemeinschaften, Angehörige der Länderverwaltungen mittelbar im Bundesrat und auch unmittelbar als Glieder der deutschen Delegation in BfÜssei zu Wort kommen zu lassen. Sie verfügen über ein Vollzugs- und Sachwissen, das der Bund nach der grundgesetzlichen Zuständigkeitsverteilung gar nicht haben kann 60 •
S7 Fritz Ossenbühl. Die Zustimmung des Bundesrates beim Erlaß von Bundesrecht, AöR 99 (1974), S. 369 fT. (419). S8 Konrad Hesse. Der unitarische Bundesstaat, S. 27. S9 Nachweis bei Fastenrath (Fn. 49), Anhang 11, S. 278 fT.; siehe dort bei Anlage III, 3a. 60 Vgl. die Kramer/Heubl-Absprache aaO. (Fn. 59).
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3. Lähmung der Entscheidungsfindung in Brüssel durch Beteiligung des Bundesrates am innerstaatlichen Entscheidungsprozeß?
Gegen das EEAG-Verfahren wird weiter vorgebracht, daß die Bundesregierung - bedingt durch die Einschaltung des Bundesrates in den innerstaatlichen Entscheidungsprozeß - in die Lage geraten könnte, in den Verhandlungen in Brüssel eine Stellungnahme nicht abgeben zu können und dadurch einstimmig zu treffende Beschlüsse im Rat aufgehalten würden. Es soll hiernach sogar dazu kommen können, daß der Rat der Gemeinschaften in gleicher Weise wie der frühere Regensburger Reichstag des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation vollends beschlußunfähig würde, weil der deutsche Verhandlungsleiter sich immer wieder neue Instruktionen holen müßte 61 • Zu diesen Befürchtungen läßt sich zunächst sagen, daß sie rein theoretischer Natur sind. Es ist mir jedenfalls nicht ein einziger Fall bekannt, in dem ein solcher "Regensburg-Effekt" aufgetreten wäre. Daß die Bundesregierung wegen einer fehlenden Bundesrats-Stellungnahme sich in Brüssel nicht erklären kann, kann kaum vorkommen. Denn sie ist nicht gehalten, die Stellungnahme abzuwarten, sie hat lediglich Gelegenheit zu deren Abgabe zu geben62 • Der Bundesrat wird die Bundesregierung schon in eigenem Interesse nicht warten lassen, gerade hierfür hat er ja auch seine EG-Kammer eingerichtet 63 • Als "Bremser" kann die Bundesregierung sich in den Verhandlungsgremien schon wegen des Gebotes aus Art. 5 EWG-Vertrag zu gemeinschaftsfreundlichem Verhalten nicht betätigen. In den Fällen, in denen sie an die Stellungnahme des Bundesrates gebunden ist, ist sie lediglich innerstaatlich gehalten, diesen Standpunkt als den ihren zu übernehmen, auch wenn sie selbst gerne fachlich einen anderen einnehmen würde. Eine Rechtfertigung dafür, den Beratungsgang in Brüssel durch ein Offenhalten der Stimmabgabe zu blockieren, ergibt sich hieraus aber für die Bundesregierung nicht. Und käme es doch tatsächlich einmal dazu, geschähe eigentlich auch nichts Ungewöhnliches. Zustimmungserklärungen ad referendum, Warte- und Parlamentsvorbehalte gibt es von seiten anderer Mitgliedstaaten so reichlich, daß diese Erscheinungen keinen Sensationswert mehr haben 64 • In diesen Kontext gehört noch ein anderer verfassungspolitischer Einwand. Dem Bundesrat ist allgemein und besonders im Hinblick auf seine Mitwirkung in EG-Sachen vorgehalten worden, er sei das institutionelle Zentrum einer "Politik-Verflechtungsfalle" , die die Bundesrepublik international und innerstaatlich handlungsunfähig mache 65 • Ich will denen, die meinen, die Steueranlage 61 Meier, Die Beteiligung der Bundesländer an der Gesetzgebung der Europäischen Gemeinschaften - ein Ende der Diskussion?, ZRP 1987, S. 228 ff. 62 So ausdrücklich Artikel 2 Abs. 2 EEAG. 63 OschatzlRisse (Fn. 45), S. 513 ff. 64 Meier (Fn. 61), S. 229 mit Fn. 7. 65 Fritz W. Scharpf, Der Bundesrat und die Kooperation auf der "dritten Ebene", in: Vierzig Jahre Bundesrat, S. 121 ff. (127-132).
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des Staatsschiffs reagiere zu träge, gar nicht widersprechen. Aber ob die Diagnose zutrifft, daß die Hemmung auf das Organ Bundesrat zurückzuführen ist, da habe ich Zweifel. Denn die Rechte der Länder im Bundesrat basieren darauf, daß sie politisch real existierende Machtfaktoren sind. Deutschland ist eben kein Zentralstaat, sondern ein - auch politisch - polyzentrisches Gebilde. Der Bundesrat und seine Einflußmöglichkeiten sind die institutionelle Folge der Macht der Länder und nicht deren Ursache. Wäre es anders, hätte der Bundesrat nach 40 Jahren in der Verfassungswirklichkeit nichts mehr zu sagen. IV. Schluß
Die Auswirkungen, die die Europäisierung des Rechts auf den deutschen Rechtskreis schon heute hat, sind bisher weder für den gemeinschaftsrechtlichkompetenziellen, noch für den innerstaatlich-institutionellen Bereich aufgearbeitet worden. Das Denken in streng abgegrenzten Kompetenzbereichen führt dazu, daß die Bedeutung, die die Kommission dem Grundsatz der Subsidiarität beimißt, noch nicht vollständig erfaßt ist. Auf europäischer Ebene ist er nicht ein zusätzliches Korrektiv innerhalb eines strengen Ordnungsprinzips von Einzelermächtigungen, sondern ein sehr offenes, weil flexibel handhabbares Abgrenzungskriterium. Als Damm gegen eine weitergehende Europäisierung des Rechts taugt der Grundsatz nicht viel. Im innerstaatlich-institutionellen Bereich ist es über den Bundesrat gelungen, den Verlust an eigenen Mitentscheidungsrechten der Länder durch eine Mitwirkung bei der Entscheidungsfindung auf europäischer Ebene teilweise auszugleichen. Diese Mitwirkung führt durchaus nicht in die "PolitikverflechtungsFalle" , denn das Beteiligungsverfahren ordnet nur vorhandene Machtfaktoren einander sinnvoll zu. Die Länder werden als Regionen auch in einem weiter zusammenwachsenden Europa Realitäten und damit Machtfaktoren bleiben. Das Beteiligungsverfahren gemäß Art. 2 EEAG erfährt hierdurch eine weitere innere Rechtfertigung. Abschließend möchte ich daher festhalten, daß die Neigung, das Phänomen der Europäisierung des Rechts als ein solches von Kompetenznormen zu begreifen, den Blick für die wirklichen Anforderungen gelegentlich noch zu verstellen scheint. Mit dem unter der Präsidentschaft von Jacques Delors sehr beschleunigten Prozeß der Europäisierung des Rechts kann die Bundesrepublik nur mit einem dynamischeren Verständnis staatlicher Funktionen schritthalten. Unter Beachtung der vom Grundgesetz vorgegebenen grundsätzlichen Funktionenzuordnung müssen die Bundesorgane so ausgestattet werden, daß sie diesen neuen Anforderungen gerecht werden. Der Bundesrat wird dann weiterhin der Ort bleiben, an dem sich die Mitwirkungsrechte der Länder auch an den Entscheidungen auf europäischer Ebene effektiv organisieren lassen. So lange
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jedenfalls, bis geeignete Institutionen einer europäischen Verfassung ihm diese Aufgabe abnehmen.
Diskussion zu den Referaten von Herbert Schambeck, Alegria Borras und Georg-Berndt Oschatz Leitung: Heinz SchäfIer Bericht von Horst Risse Der Diskussionsleiter eröffnete die Aussprache über die Referate mit einigen Bemerkungen allgemeiner Natur und speziell österreichischer Färbung. Angesichts der jüngsten politischen Entwicklungen und Demokratisierungen, die sich im Zentrum, im Osten und im Südosten Europas mit Rasanz vollzögen, hätten die Probleme des Föderalismus und Regionalismus im Rahmen der EG eine übergreifende Perspektive erhalten. Als allgemeinster Gesichtspunkt, der zugleich eine vorweggenommene Summe der Referate sein könnte, sei ein Gedanke festzuhalten, den der große österreichische Rechtstheoretiker und Staatsrechtslehrer Adolf Julius Merkl am Beginn der ersten Republik, weIcher für Österreich zugleich der Beginn des Bundesstaates gewesen sei, formuliert habe. In der Ausbalancierung konkurrierender Kräfte und in der staatsrechtlichen Verankerung sozialer Zwischenstufen zwischen Individuum und Staatsgesellschaft habe er die politische Funktion des Föderalismus erblickt'. Ein glänzend formulierter Gedanke, der aus heutiger Sicht nicht nur ein Modell des Nationalstaates beschreibe, der im Föderalismus historisch gewachsene Einheiten und ethnische Gruppen auffange und zusammenhalte, sondern auch ein Modell für ganz Europa abgeben könne. Freilich müsse man zur Bewahrung der gewachsenen regionalen Einheiten sozusagen an einen doppelstöckigen Föderalismus denken. (Ein "Europa der Regionen" müsse drei Ebenen aufweisen - die Gemeinschaft, die Mitgliedstaaten sowie die Länder bzw. Regionen und Autonomen Gemeinschaften - und darüber hinaus im Zuge einer Parlamentarisierung der Rechtssetzung der EG auch eine eigene Vertretungskörperschaft der Länder und Regionen umfassen.) Anschließend bot Schäffer aus österreichischer Sicht eine kurze Skizze, welche Rolle und weIche besonderen Probleme Österreich angesichts seiner bundesstaatlichen Struktur mit dem wahrscheinlichen Eintritt in die Europäischen Gemeinschaften habe; Österreich sei zwar flächen- und bevölkerungsmäßig sehr klein, kleiner als manches deutsche Bundesland, zähle aber trotz seiner Kleinheit zu den technologisch avancierten und wirtschaftlich potenten Industrienationen. 1
Zeitschrift für Verwaltung 1921, S. 31.
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Für die EG und für das kommende größere Europa könne und werde es vor allem durch seine geographische und geologische Lage im Herzen Europas eine nicht zu übersehende Bedeutung haben. Das sei schon vor den jüngsten politischen Entwicklungen in Osteuropa so gewesen. Österreich befinde sich zwar räumlich in einer gewissen Randlage zur EG, liege aber hinsichtlich des Transits doch in einer sehr zentralen Position und sei jetzt angesichts der veränderten politischen Situation vielleicht noch mehr im Zentrum Europas zu sehen als je zuvor. Dennoch stehe Österreich noch immer sozusagen "draußen vor der Tür!". Diese Zitierung des Titels eines Dramas von Wolfgang Borchert. welches das Schicksal eines Heimkehrers nach dem zweiten Weltkrieg behandele, sei keineswegs ein vordergründiges Wortspiel. Denn irgendwo sei die beschriebene Position Österreichs - lange Zeit als neutraler Staat zwischen den militärischen Blöcken und am äußersten Rand der freien Welt - auch noch immer eine Folge der politischen Nachkriegsordnung Europas. Lange Zeit habe sich Österreich nicht dazu entschließen können, dem Europa der Sechs, der Neun, der Zwölf näherzutreten, zumal die großen politischen Lager in Österreich zunächst ganz verschiedener Meinung über einen EG-Beitritt Österreichs gewesen seien. Diese vorsichtige und zurückhaltende Haltung habe sich erst in den letzten zwei bis drei Jahren ganz stark gewandelt. Österreich stellte sodann bekanntlich im Juli 1989 formell seinen Aufnahmeantrag, also zu einem Zeitpunkt, zu dem die EG bereits intensiv mit den Vorarbeiten zur Vollendung des Binnenmarktes beschäftigt gewesen sei. Und dies erkläre zum anderen wieder, warum jetzt alle Verhandlungen mit Österreich jedenfalls nicht mit Beschleunigung oder gar mit Vorrang geführt werden könnten. Inzwischen habe sich die Lage in Europa insgesamt dramatisch verändert, Österreich sei nicht mehr ein Land am Eisernen Vorhang, sondern wiederum ein Land im Herzen Europas. Es werde ja auch ernstlich wieder von einem größeren Haus Europa gesprochen. Dieses Schlagwort habe bekanntlich Gorbatschow. der sowjetische Parteichef und Staatspräsident, in die politische Arena geworfen. Und daß diese Floskel allerorten begierig aufgegriffen werde, zeige nur, daß damit der Zeitgeist und das tiefe Bedürfnis nach Überwindung unnatürlicher Trennungen zutreffend ausgedrückt werde. Österreich dürfe in diesem Zusammenhang - auch wenn es sich nur um ein politisches Schlagwort handele, aber um eines von großer Appellkraft - mit Unbescheidenheit vermerken, daß der Gedanke,ja das Wort vom "gemeinsamen europäischen Haus" schon viel früher von einem Österreicher verwendet worden sei. Bundeskanzler Dr. lose! Klaus habe es 1965 bei einer Rede vor dem Europarat in Straßburg gebraucht und die Verwirklichung dieser Idee propagiert. Danach wendete sich Schäffer einer Darstellung zu, wie sich Österreichs Integration in die EG angesichts seines föderalistischen Staatsaufbaus vollziehen könne. Der öffentliche Nachdenkprozeß hierüber habe in Österreich mit Intensität erst 1988 begonnen. Für eine zusammenfassende Darstellung und Bewertung könne auf die Beantwortung einer großen parlamentarischen Anfrage durch den damaligen Bundesminister für Föderalismus und Verwaltungsreform
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Dr. Heinrich Neisser hingewiesen werden 2 • In diesem Dokument werde klargelegt, daß als Konsequenz eines EG-Beitritts Österreichs ein nicht unwesentlicher Anteil der Landeskompetenzen in den Zuständigkeitsbereich der Europäischen Gemeinschaft falle. Und in gleicher Weise verringere sich die Befugnis der Länder zur Mitwirkung an der Bundesgesetzgebung im Rahmen des Bundesrates sowie auch die Mitwirkung an der Bundesvollziehung (im Rahmen der sogenannten mittelbaren Bundesverwaltung) entsprechend den diesbezüglichen Einschränkungen der Bundeskompetenzen durch das EG-Recht. Vom Standpunkt des österreich ischen Rechts sei noch der Umstand besonders wichtig, daß das EG-Recht nicht bloß Angelegenheiten der Hoheitsverwaltung tangiere, sondern auch solche der nichthoheitlichen Verwaltung. Das sei der große Bereich der sogenannten Privatwirtschaftsverwaltung, die in weiten Bereichen gesetzlich nicht determiniert und vor allem von der bundesstaatlichen Kompetenzverteilung nicht erfaßt sei. Beispielsweise müsse das System staatlicher Beihilfen - ob hoheitlich oder nichthoheitlich geregelt - den diesbezüglichen EG-Grundsätzen (Art. 92 ff. EWG-Vertrag) sowie den diesbezüglichen EG-rechtlichen Entscheidungen entsprechen. Auch die öffentliche Auftragsvergabe bzw. das öffentliche Beschaffungswesen der Länder würde den einschlägigen EG-Richtlinien zu unterwerfen sein, die über die derzeit schon verbindlichen Regelungen noch zum Teil hinausgingen. Insgesamt berühre der Beitritt gesetzgeberische Befugnisse der Länder zwar in einer größeren Zahl mittelbar oder unmittelbar wirtschaftsrelevanter Kompetenzmaterien, es handele sich jedoch meist nicht um die ganze Kompetenzmaterie, sondern immer nur um bestimmte EG-rechtlich relevante Aspekte (insbesondere um die Wahrung gleichartiger Wettbewerbs- und Marktzugangsbedingungen), so daß man juristisch richtiger nicht so sehr von Kompetenzverlusten als vielmehr von Kompetenzausübungsschranken sprechen sollte. Diese Kompetenzausübungsschranken seien freilich sehr massiv und brächten auch partielle Anpassungsbedürfnisse in einer ganzen Reihe von Rechtsbereichen mit sich (soweit derzeit überblickbar, insbesondere im landesrechtlichen Berufsrecht, im Grundverkehrsrecht, in verschiedenen Bereichen des Landwirtschafts- und Umweltschutzrechts und diversen technischen Regelungsbereichen, soweit sie Landesrecht seien, im Landes-Vergaberecht, im Beihilfenrecht, im Abgabenwesen sowie in der Raumordnung). Interessanterweise sei in der beschriebenen Phase (1988) die Landeshauptmänner-Konferenz ganz eindeutig für die Vollmitgliedschaft Österreichs eingetreten, während auf Bundesebene die parteipolitischen Meinungen zunächst noch geteilt gewesen seien. Die Länder hätten also an den Bund appelliert beizutreten 3 • Aber die Länder forderten zugleich eine volle Einbindung in den inte-
2 II-5823 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates, XVII. Gesetzgebungsperiode, vom 22.11.1988. 3 Vgl. die Note der Verbindungsstelle der österreichischen Bundesländer VST-I9051289 vom 28.11.1988 an die Bundesregierung zu Händen des Bundeskanzlers.
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grationspolitischen Prozeß. Hierbei seien zwei Stufen zu unterscheiden: die Phase bis zu einem möglichen Beitritt und die künftige Dauersituation nach einem Beitritt. Für jede der beiden Situationen werde eine adäquate Einbindung der Länder postuliert. In einer Bestandsaufnahme der derzeitigen Situation des Bundesstaates Österreich gegenüber den Europäischen Gemeinschaften seien ferner folgende bisher gesetzten Arbeitsschritte und organisatorischen Ansätze zu erwähnen. Auf Bundesebene habe sich bereits vor längerer Zeit eine interministerielle Arbeitsgruppe mit allen EG-relevanten Themen befaßt und der Bundesregierung berichtet. Die Bundesregierung selbst hab.: im Juni 1989 einen Bericht an den Nationalrat und an den Bundesrat erstattet. Darin werde grundsätzlich festgehalten, daß mit dem Eintritt der bundesstaatliche Aufbau wesentlich berührt werde. Gleichzeitig sei darin ganz realistisch ausgeführt, ob nun Österreich beitrete oder nicht, die Länder müßten auf Teilt-~reiche ihrer Kompetenzen zu Gunsten außerstaatlicher oder zwischenstaatlicher Willensbildung verzichten. Jedenfalls sei im Anschluß daran auf Bundesebene ein Rat für Fragen der Europäischen Integrationspolitik eingerichtet worden 4 , in dem je zwei Vertreter der Landeshauptmänner-Konferenz und zwei Vertreter der Landtage mit Sitz und Stimme säßen. Der Rat setze sich aus dem Bundeskanzler, dem Vizekanzler , dem Außenminister, einer Reihe von Parteien- und Interessenvertretern sowie aus den schon genannten Ländervertretern zusammen. Damit sei erstmals auf Bundesebene ein Organ geschaffen worden, welches Bund und Länder organisatorisch zusammenfasse, also Kompetenzgrenzen übergreifend organisiere. Es agiere auf gesetzlicher Grundlage und nicht bloß auf der Basis von politischen Konventionsregeln. Die Einrichtung dieses Rates sei aber trotzdem nicht mit Verfassungsbestimmung geschehen, obwohl sein Aufgabenkreis sicher die Kompetenzgrenzen zwischen Bund und Ländern überschreite; und dies lasse sich wieder nur dadurch als verfassungs konform erklären und begründen, daß es sich hierbei bloß um ein Konsultativorgan handele. Diese Konstruktion könne übrigens den Weg für eine Dauerlösung aufzeigen, die dann allerdings auch verfassungsrechtlich institutionell abgesichert sein sollte. Auf Länderebene werde, wie schon gesagt, zur Koordinierung der Länderstandpunkte vor allem die Landeshauptmänner-Konferenz tätig. Auch die Länder selbst wollten sich interne integrationspolitische Beiräte geben, seien mit diesen Vorbereitungen allerdings unterschiedlich weit gediehen, jedenfalls noch nicht so weit wie der Bund. Sowohl auf Bundes- wie auf Landesebene überlege man nun eine Reihe von Instrumenten und Regelungsmodellen, wie man das Problem der KompetenzverJuste, der Kompetenzausübungsschranken in den Griff bekommen könne. - Zunächst scheine es naheliegend, das Bundesratsmodell der Bundesrepublik Deutschland zu kopieren. Es gebe jedoch begründete Zweifel, ob es ohne 4
BG BGB!. 1989/368.
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weiteres übertragbar sei, vor allem deshalb, weil der österreich ische Bundesrat ja anders konfiguriert sei als der deutsche und in seiner derzeitigen Zusammensetzung und Funktionsweise nicht als eine Art Versammlung von Landesdelegationen verstanden werden könne. Eine wirksame Beteiligung sei nur - was aber nicht der österreichischen Rechtstradition entspreche - über ein imperatives Mandat der Abgeordneten in der Länderkammer oder in einer speziellen EGKammer zu verwirklichen. - Ein anderer grundlegender Ansatzpunkt beträfe die unabhängig vom EGBeitritt in die Wege geleitete Reform der bundesstaatlichen Kompetenzverteilung. Es gebe derzeit eine sogenannte Strukturreform-Kommission mit dem Auftrag, diesen Problemkreis zu studieren und Vorschläge zu machen, wie die sehr komplizierte österreichische Kompetenzverteilung radikal vereinfacht werden könne. In die Überlegungen dieser Kommission müßten zweifellos auch Überlegungen zum EG-Beitritt einfließen. - Als dritter Ansatzpunkt seien öffentlich-rechtliche Vereinbarungen denkbar. Sie seien derzeit in der Form sogenannter "Gliedstaatsverträge" zwischen dem Bund und den Ländern (vertikal) oder den Ländern untereinander (horizontal) in der österreichischen Bundesverfassung (Art. 15 a B-VG) vorgesehen für .\bmachungen der genannt·. n Gebietskörperschaften über ihre Wirkungsbereiche. Habe man ursprünglich gehofft, diese Verträge könnten ein taugliches Instrument zur Bewältigung von Kompetenzabgrenzungsproblemen durch paktierte Interpretation oder sogar durch Kompetenzverschiebung abgeben, so habe sich diese Erwartung infolge einer sehr strikten Interpretation des österreichischen Verfassungsgerichtshofes nicht bewahrheitet. Genau genommen könne auf diesem Wege nur die Ausübung der jeweiligen hoheitlichen Kompetenzen koordiniert werden. Das Instrument müsse also grundlegend verändert werden, um die gewünschte Funktion zu erfüllen. - Die Länderkonferenzen sollten den Willen der Länder koordinieren und die Interessenartikulation sicherstellen. Die Landeshauptmänner-Konferenz sei ein mögliches Organ dieser Interessenartikulation der Länder, müsse aber allenfalls verfassungsrechtlich verankert werden. - Diskutiert werde schließlich die Schaffung von Länderbüros in Brüssel (nach deutschem Vorbild) oder die Errichtung einer gemeinsamen Länderdelegation. Nach diesem Österreich betreffenden Überblick wandte sich Schäffer wieder der Gesamtsicht zu. Die Referate aus der Bundesrepublik und aus Spanien zeigten, daß man auch in den bereits beigetretenen Ländern mit föderaler oder quasiföderaler Struktur nicht rechtzeitig alle Probleme in allen Konsequenzen überblickt, geschweige denn bis heute rechtlich perfekt eingefangen habe. Daher bestehe in der Rechtsvergleichung die Chance, gemeinsame Denkmodelle für jene Staatsordnungen zu entwickeln, die infolge ihrer föderalen Struktur vor gleichartigen Problemen stünden, und damit sei auch die Chance eines gegenseitigen Lernprozesses gegeben.
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Im Anschluß an die Ausführungen von Schäffer erklärte Müller-GrajJ seine Zustimmung zu den in seinen Augen wohlabgewogenen Überlegungen von Oschatz zum Verhältnis zwischen europäischem Gemeinschaftsrecht und deutschem Föderalismus. Er betonte, daß ihn insbesondere die Analyse des unterschiedlichen Verständnisses von Normsetzungskompetenzen im deutschen Verfassungsrecht einerseits und im europäischen Gemeinschaftsrecht andererseits überzeugt habe. Ein in den Kategorien sachlich abgrenzbarer, auf Regelungsbereiche bezogener Kompetenzzuweisungen verhafteter Prüfungsansatz, wie er im deutschen Verfassungsrecht völlig richtig sei, werde dem funktionalen Ansatz des Gemeinschaftsrechts eben nicht gerecht. Bei den funktionsbezogenen Kompetenzen des EWG-Vertrages - als Beispiele wurden die Art. 100 und 100 a EWGV erwähnt - ginge es eben nur noch um die Frage, welche Maßnahmen noch zur Schaffung und Funktionssicherung des Gemeinsamen Marktes bzw. zur Verwirklichung des Binnenmarktes als von diesen Vorschriften kompetenziell abgedeckt angesehen werden könnten. Er teile auch die Auffassung von Oschatz. daß sich aus dem Subsidiaritätsprinzip kaum juristisch greifbare Begrenzungen der den Gemeinschaften in so offener Form übertragenen Zuständigkeiten gewinnen ließen. Er wolle zunächst von der Definition des Subsidiaritätsgedankens ausgehen, wie sie in Art. 130 r EWGV niedergelegt und von Schambeck auch bereits zitiert worden sei. Danach könne die Gemeinschaft im Umweltschutz tätig werden, soweit dieses Ziel auf der Gemeinschaftsebene besser als auf Ebene der Mitgliedstaaten zu erreichen sei. Bei dieser Begriffsbestimmung sei klar, daß der Subsidiaritätsgedanke im Hauptbereich des Gemeinschaftsrechts, nämlich bei der Schaffung des Gemeinsamen Marktes bzw. des Binnenmarktes. von vornherein überhaupt keine begrenzende Wirkung entfalten könne. Zu einem anderen Ergebnis käme man allenfalls, wenn man das Subsidiaritätsprinzip als einen umfassenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz interpretiere. Derzeit sehe er aber für die Anwendung des Subsidiaritätsgedankens allenfalls in einzelnen Politik bereichen, wie z. B. dem Umweltschutz oder der Sozialpolitik, Chancen. Kaiser hob zunächst hervor, daß der Begriff der auswärtigen Gewalt in der Zeit gebildet worden sei, in der die Trennung zwischen Völkerrecht und Landesrecht dominiert habe. Nun sei jedoch als dritte Kategorie das Gemeinschaftsrecht hinzugetreten. Dies müsse Auswirkungen auf den Begriff der auswärtigen Gewalt haben, denn ganz offensichtlich trage nicht alles, was mit der Rechtssetzung in den Europäischen Gemeinschaften zu tun habe, den Charakter der auswärtigen Gewalt. Er habe festgestellt, daß die Europäischen Gemeinschaften inzwischen zunehmend auch auf dem Gebiet der Kultur tätig würden. In diesem Zusammenhang frage er sich, ob das in der EG-Kammer geltende Mehrheitsprinzip mit dem Bundesstaatsgedanken vereinbar sei. Immerhin könne dadurch z. B. Bayern in einer kulturellen Angelegenheit von den "Nordlichtern" majorisiert werden.
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Auch Schweitzer erklärte seine Zustimmung zu den Thesen des Referenten. Mit Oschatz sehe er die Beteiligungsregelung des EEAG als eine Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Rechtslage. Dennoch wäre die verfassungsrechtliche Absicherung der Länderbeteiligung besser gewesen. Er frage sich, warum die Länder die politisch schwierige Situation der Bundesregierung während der Beratung des Gesetzes zur Einheitlichen Europäischen Akte nicht dazu genutzt haben, dies durchzusetzen. Eine weitere Frage sei, wie der Bundesrat seine Rechte nach dem EEAG gegenüber der Bundesregierung durchzusetzen gedenke. Er erinnerte an einen Entschließungsantrag Hamburgs, mit dem die Bundesregierung aufgefordert werden sollte, ihr vom Votum des Bundesrates abweichendes Stimmverhalten in einigen Umweltministerräten zu begründen. Die Frage, was aus diesem Antrag geworden sei, führe ihn zu dem Problem, ob seitens des Bundesrates daran gedacht werde, seine Rechte nach dem EEAG gegebenenfalls mit Hilfe des Bundesverfassungsgerichts durchzusetzen. Merten nahm sich zunächst der politischen Frage an, ob es sich bei dem vom Referenten zitierten Eintreten von KommissionspräsidentJacques Delors für den Subsidiaritätsgedanken nicht möglicherweise um ein vordergründiges Lippenbekenntnis handele, hinter dessen Fassade unter Umständen eine noch viel intensivere Europäisierungspolitik betrieben werde. Mit Blick auf den schon des öfteren zitierten Art. 130 r Abs. 4 EWGV erklärte Merten. er könne der Interpretation von Oschatz nicht folgen, daß dort eine Form des Subsidiaritätsprinzips niedergelegt sei. Nach seiner Auffassung handele es sich vielmehr um eine Erforderlichkeitsklausel, wie sie dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz innewohne. Er verstehe die Vorschrift als Verfassungsjurist deshalb dahin, daß die Gemeinschaften auf dem Sektor Umweltschutz nur tätig werden dürften, wenn sie dies im Einzelfall besser könnten als die Mitgliedstaaten. Diese Fähigkeit zur besseren Aufgabenerledigung müsse dargetan und notfalls gerichtlich überprüft werden können. Mit Schäffer stelle sich für ihn dann nur noch die Frage, ob es eine einheitliche Interpretation der den Gemeinschaften zugewiesenen Kompetenzen gebe. Oschatz bedankte sich für die unterstützenden Bemerkungen von MüllerGraffund erläuterte auf die Frage von Kaiser nach der Möglichkeit von Mehrheitsentscheidungen in der EG-Kammer über Stellungnahmen zu EG-Vorhaben, die der Materie nach in die ausschließliche Zuständigkeit der Länder fallen, zunächst die Bedeutung dieses Organs. Die EG-Kammer sei nur geschaffen worden, um dem Bundesrat auch bei vertraulichen und eil bedürftigen Angelegenheiten die Möglichkeit zur Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung zu eröffnen. Die Frage von Kaiser beziehe sich daher sowohl auf Beschlüsse der EG-Kammer als auch auf solche des Bundesrates selbst. In der Tat sei mit dem Hinweis auf die Möglichkeit der Majorisierung einzelner Länder in Angelegenheiten ausschließlicher Länderzuständigkeit eines der entscheidenden Probleme angesprochen. Man dürfe aber nicht übersehen, daß die Länder nach dem Scheitern des auf dem Einstimmigkeitsprinzip beruhenden Beteiligungsverfahrens
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von 1979 zur Sicherung einer effektiven Einflußnahme auf die EG-Angelegenheiten selbst die Initiative in Richtung Bundesratsverfahren ergriffen hätten, in dem das Mehrheitsprinzip gelte. Die Frage von Schweitzer nach der Möglichkeit der Nutzung der "Notsituation" , in der sich die Bundesregierung im Zusammenhang mit der Ratifizierung der Einheitlichen Europäischen Akte befunden habe, zur verfassungsrechtlichen Absicherung der Länderbeteiligung beantwortete Oschatz mit dem Hinweis, daß die Regelung des EEAG das Maximum des 1986 politisch Erreichbaren dargestellt habe. Für eine Verfassungsänderung wäre die Mitwirkung des Bundestages erforderlich gewesen. Nach seiner Einschätzung habe keine Chance bestanden, dort eine Zweidrittelmehrheit zu mobilisieren. Der erwähnte Hamburger Antrag zum Abstimmungsverhalten der Bundesregierung im Umweltministerrat 5 sei in der Tat noch nicht abschließend behandelt worden. In den Ausschüssen gebe es aber auf eine Reihe von Fragen wohl befriedigende Antworten von seiten der Bundesregierung. Aus dem in EGSachen zumeist ruhigen und unspektakulären Verhältnis zwischen Bundesregierung und Bundesrat dürfe nicht insgesamt der Schluß gezogen werden, daß sich letzterer um die Beachtung seiner Beschlüsse durch die Bundesregierung nicht kümmere. Oschatz erklärte allerdings seine Skepsis hinsichtlich der Frage, ob der Bundesrat versuchen sollte, seine Rechte gegenüber der Bundesregierung auf verfassungsgerichtlichem Wege durchzusetzen. Das Verfahren nach dem EEAG sei eine praktikable Lösung zur Bewältigung des Konflikts zwischen Bund und Ländern bei den europäischen Angelegenheiten. Gewiß wäre es besser gewesen, wenn die Rechte des Bundesrates eine verfassungsrechtliche Absicherung erfahren hätten. Sollte die gefundene Regelung in der Staatspraxis vernünftig angewandt werden, dann sei zu erwarten, daß sie in aller Regel befriedigende Ergebnisse erziele. Um eine Materie für das Bundesverfassungsgericht handele es sich nach seiner Einschätzung nicht. Eine Prognose, wie das Gericht gegebenenfalls judiziere, wolle er nicht stellen. Zu den von Merten so genannten "Lippenbekenntnissen" von Kommissionspräsident Delors zum Subsidiaritätsgrundsatz erklärte Oschatz. daß er Delors für einen sehr praktisch denkenden, erfolgsorientiert handelnden Realpolitiker halte. Sein Ziel sei die Sicherstellung eines dauerhaften Integrationsfortschritts. Wenn Delors auf dem Weg zu diesem Ziel feststelle, daß ein bedeutender Mitgliedstaat wegen seiner föderativen Struktur in verfassungsrechtliche Probleme gerate, so werde Delors in wohlverstandenem Eigeninteresse klug genug sein, auf diese Schwierigkeiten Rücksicht zu nehmen, um sein Endziel nicht zu gefährden. Daß die Länder in der Bundesrepublik politische Größen seien, an denen man nicht vorbeigehen könne, habe man in Brüssel sicherlich auch begriffen. Die Länder ihrerseits seien sich stets darüber klar gewesen, daß die europäische Integration nicht ohne die Aufgabe eigener Kompetenzen zu haben sei. Um allzu 5
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schlimmen Auswüchsen eines Brüsseler Superzentralismus entgegenzuwirken, müßten Aktionsbündnisse mit anderen Regionalgliederungen in den Gemeinschaften jetzt geschlossen werden. Er stimme Schambeck darin zu, daß man die unterschiedlichen sub-nationalen Einheiten in den Gemeinschaften nicht in einen Topf werfen dürfe. Dies stehe einer antizentralistischen Zusammenarbeit aber durchaus nicht im Wege. Zu der zum Schluß aufgeworfenen Frage, ob Art. 130r Abs. 4 EWGV als Ausdruck des Subsidiaritätsprinzips oder des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes verstanden werden müsse, erklärte Oschatz. er wolle sich auf einen Streit um die Begriffe nicht einlassen; er bleibe aber bei seiner Auffassung, daß sich in dieser Regelung - wie im Subsidiaritätsprinzip allgemein - angesichts der zielorientierten Kompetenzzuweisungen für die Gemeinschaften und der Offenheit der verwendeten Begriffe (Möglichkeit der "besseren" Regelung auf Gemeinschaftsebene) eine wirksame Barriere gegen die Verschiebung von Kompetenzen zu Gunsten der Gemeinschaften nicht finden lasse.
Europäische Integration und nationale Reservate Von Torsten Stein I. Vorbemerkung Wer von "nationalen Reservaten" gegenüber dem europäischen Integrationsprozeß spricht, könnte sich leicht dem Vorwurf ausgesetzt sehen, er rede nur der unangemessenen Bevorzugung nationaler Partikularinteressen vor dem Gesamtinteresse das Wort. Deshalb eine KlarsteIlung vorab: In der europäischen Integration ist kein Platz für bloße nationale Egoismen. Schon im "Schlachtprämien-Urteil" aus dem Jahre 1973 1 hat der Gerichtshof der Gemeinschaft zu Recht vor solchen Egoismen eindringlich gewarnt und gesagt: "Der Vertrag erlaubt es den Mitgliedstaaten, die Vorteile der Gemeinschaft für sich zu nutzen, er erlegt ihnen aber die Verpflichtung auf, deren Rechtsvorschriften zu beachten. Stört ein Staat aufgrund der Vorstellung, die er sich von seinen nationalen Interessen macht, einseitig das mit der Zugehörigkeit zur Gemeinschaft verbundene Gleichgewicht zwischen Vorteilen und Lasten, so stellt dies die Gleichheit der Mitgliedstaaten vor dem Gemeinschaftsrecht in Frage ... Ein solcher Verstoß gegen die Pflicht der Solidarität, welche die Mitgliedstaaten durch ihren Beitritt zur Gemeinschaft übernommen haben, beeinträchtigt die Rechtsordnung der Gemeinschaft bis in ihre Grundfesten". Das hat aber bisher noch keinen nationalen Minister daran gehindert, von Ratssitzungen zurückkommend stolz im nationalen Fernsehen zu verkünden, man habe die Interessen des eigenen Landes erfolgreich gegen die Partner in der Gemeinschaft verteidigt2. Bloße nationale Interessen oder gar Egoismen sind aber etwas ganz anderes als "nationale Reservate". Nationale Interessen finden - im Idealfall- ihren Ausgleich bei Entscheidungen im unbestreitbaren Integrationsbereich; nationale Reservate fallen überhaupt nicht in diesen Integrationsbereich, sondern bleiben 1 Urteil vom 7.2.1973, Rs. 39/72 (Kommission./.Italien), Sig. 1973,101. Siehe dazu T. Stein, Premiums for Reducing Dairy Productions Case, in: R. Bernhardt (ed.), Encyclopedia of Public International Law, Instalment 2, 235; sowie ders., Die Autorität des Europäischen Gemeinschaftsrechts, in: T. Stein (Hrsg.), Die Autorität des Rechts - Verfassungsrecht, Völkerrecht, Europarecht, 1985, S. 53 ff. 2 Vgl. Lord Cockjield. National Sovereignty and the European Community, in: Studia Diplomatica 1986,649 ff. (651).
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- jedenfalls beim derzeitigen Stand der Integration - außen vor. "Nationale Reservate" sind diejenigen Sach- und Entscheidungsbereiche, die auch angesichts einer gewollten prozeßhaften Fort- und Weiterentwicklung der europäischen Integration allein der Regelung durch die Mitgliedstaaten vorbehalten bleiben. ß. Nationale Reservate und Föderalismus
Was hat nun der Föderalismus mit den nationalen Reservaten zu tun? Die Frage, ob und welche nationalen Reservate im europäischen Integrationsprozeß in jedem Fall respektiert und gewahrt werden müssen - und wie sie gewahrt werden können -, ist nicht in erster Linie eine Frage föderalistischer oder regionalistischer Strukturen. Sie ist es jedenfalls dann nicht primär, wenn man die nationalen Reservate unter dem europarechtlichen Aspekt des Verhältnisses der Mitgliedstaaten zu den Gemeinschaften betrachtet, denn unter diesem Aspekt sind alle Mitgliedstaaten zunächst gleich. Zentralistisch wie föderalistisch verfaßte Mitgliedstaaten haben in der derzeitigen europäischen Integration ihre nationalen Reservate, und Mitgliedstaaten mit mehr oder weniger autonomen Regionen oder Gemeinschaften haben sie auch, selbst wenn den Regionen oder Gemeinschaften die Eigenstaatlichkeit im strengen Sinne fehlt. Es mag sein, daß sich die nationalen Reservate gegenüber der Integration mit den GliedstaatsReservaten oder Regionen-Reservaten der internen Verfassungen der Mitgliedstaaten decken. Da die nationalen Reservate gegenüber der europäischen Integration zum Teil auch mit den mitgliedstaatlichenBesonderheiten zu tun haben, ist der Befund nicht überraschend, daß diese Besonderheiten in föderalistisch verfaßten Mitgliedstaaten zuweilen dann auch in die Zuständigkeit der Gliedstaaten oder Regionen fallen, die oft ja um dieser Besonderheiten willen geschaffen oder erhalten wurden; die Kultur ist hierfür ein prominentes Beispiel. Aber a1l das kann den Europäischen Gemeinschaften unter völkerrechtlichen Gesichtspunkten im Prinzip relativ egal sein (vom Ausgangspunkt her sind und bleiben die Gemeinschaftsverträge völkerrechtliche Verträge), und es muß ihnen unter gemeinschaftsrechtlichen Aspekten wohl gleichgültig sein, jedenfalls soweit der unbestreitbare Integrationsbereich nicht verlassen wird. Völkerrechtlich streitet eine Vermutung für die Vertragsschlußkompetenz des Zentralstaates, auch wenn insoweit vorhandene Gliedstaatskompetenzen vom anderen Vertragsstaat hinzunehmen wären 3• In jedem Falle aber muß der Zentralstaat für die Vertragserfüllung geradestehen und kann sich dabei nicht 3 Siehe dazu R. Bemhardt. Der Abschluß völkerrechtlicher Verträge im Bundesstaat, 1957, passim; H. Steinberger. Constitutional Subdivisions of States or Unions and their Capacity to Conclude Treaties, ZaöRV 27 (1967), S. 411; L Wildhaber. Treaty-Making Power and Constitution, 1971, passim; L Henkin. Foreign Relations Power, in: R. Bernhardt (ed.), Encyclopedia of Public International Law, Instalment 10, 185.
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auf unwillige Gliedstaaten herausreden 4 , sofern der Vertrag keine sog. "Bundesstaatsklausel" enthält, die die Verpflichtungen des Zentralstaates auf seine Kompetenzen beschränkt und ihm im übrigen nur Empfehlungen an die Gliedstaaten auferlegt 5. Der EWG-Vertrag enthält keine derartige Bundesstaatsklausel. Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften hat insoweit jüngst zu Recht entschieden, daß Belgien im Vertragsverletzungsverfahren über die Rückzahlung einer gemeinschaftsrechtswidrigen Beihilfe nicht mit dem Argument davonkommen kann, dafür sei jetzt eine Region oder autonome Gemeinschaft zuständig6 • Gemeinschaftsrechtlich muß die föderale oder regionale Struktur einzelner Mitgliedstaaten unbeachtlich bleiben, denn andernfalls wäre das Herzstück der Gemeinschaften zunichte gemacht: Die einheitliche Geltung des Gemeinschaftsrechts. Es gibt nationale Reservate oder es gibt sie nicht. Wenn es sie gibt, gelten sie für Zentralstaaten im gleichen Maße wie für Bundesstaaten oder solche mit autonomen Regionen. Mit anderen Worten: Bei der Verteidigung etwa der Rechte der deutschen Länder gegenüber den Organen der Europäischen Gemeinschaften hülfe es nichts, das föderative Moment ins Spiel zu bringen. Der Ansatz muß darin liegen, die Kompetenzen der Gemeinschaft von denen der Mitgliedstaaten abzugrenzen und damit nationale Reservate zu verteidigen, gleichgültig ob die "reservierten" nationalen Aufgaben und Kompetenzen auf Bundes- oder Landesebene angesiedelt sind 7• Was im einzelnen aus mitgliedstaatlicher Sicht als "nationales Reservat" anzusehen ist, mag - je nach der mitgliedstaatlichen Verfassung - variieren. Ob das jeweilige nationale Reservat erhalten bleibt, bestimmt sich aber grundsätzlich allein nach der Kompetenzverteilung zwischen den Mitgliedstaaten und den Gemeinschaften. Der Rekurs auf die eigene interne Verfassung befreit nicht von der Erfüllung völkerrechtlicher Verträge (Art. 27 der Wiener Vertragsrechtskonvention), sofern dem Vertrag nicht ein entsprechender Vorbehalt beigegeben wurde; das ist bei den Gemeinschaftsverträgen nicht der Fall. Auch der dem Art. 46 der Wiener Vertragsrechtskonvention zugrundeliegende Gedanke, den man weniger gegen einzelne ursprüngliche Bestimmungen des EWG-Vertrages, vielleicht aber gegen manche spätere durch Auslegung bewirkte Ausdehnung der Gemeinschafts-Kompetenzen ins Spiel bringen könnte, wird hier nicht helfen. 4 Vgl. schon Harvard Research, Law ofTreaties, 29 AJIL 1935, Suppt., 1029 ("Unless otherwise provided in the treaty itself, aState cannot justify its failure to perfonn its obligations under a treaty because of any provisions or omissions in its municipallaw, or because of any special feature of its government organization or its constitutional system"). S Vgl. z. B. Art. 19 Abs. 7 der Satzung der Internationalen Arbeitsorganisation oder Art. 41 der Genfer Flüchtlingskonvention. 6 Urteil vom 21.2.1990, Rs.C-74/89 (Kommission./.Belgien), noch nicht veröffentlicht. 7 So auch K. Kruis. in: H. A. Kremer (Hrsg.), Die Landesparlamente im Spannungsfeld zwischen europäischer Integration und europäischem Regionalismus, 1988, 72 f.
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Die Bindung an den Vertrag - in seiner erweiterten Auslegung - entfiele nach dieser Vorschrift nur dann, wenn die Verletzung grundlegender innerstaatlicher Zuständigkeitsregeln für die anderen Vertragsstaaten offenkundig, d. h. objektiv erkennbar wäre. An dieser Offenkundigkeit wird es regelmäßig fehlen. IU. Die andere, die verfassungsrechtliche Ebene Bis hierher hat sich die Untersuchung auf die völkerrechtliche und gemeinschaftsrechtliche Ebene beschränkt, aber es gibt eine zweite, parallele Ebene, die der nationalen Verfassungen. Und hier können der Föderalismus oder regionale Strukturen eine Rolle spielen; nicht nur der Föderalismus, sondern in gleicher Weise auch andere Staatsgrundprinzipien, andere - auch für Zentralstaaten geltende - nationale Reservate. Der Zusammenhang ist folgender: Die primäre Ebene der denkbaren Auseinandersetzung ist die Kompetenzverteilung zwischen den Europäischen Gemeinschaften und den Mitgliedstaaten. Jede Kompetenz, die eindeutig nicht bei den Gemeinschaften liegt, ist als solche ein nationales Reservat. Aber entweder ist die Kompetenzabgrenzung gerade nicht eindeutig oder die Mitgliedstaaten mögen sich dafür entscheiden, einem Akt gemeinschaftsrechtlicher Sekundärrechtssetzung nicht zu widersprechen, und sei es nur, weil dieser Rechtsakt Teil eines "package deals" ist, auch wenn die Kompetenz der Gemeinschaften dafür eigentlich fehlt oder zumindest zweifelhaft ist und die Kompetenz intern bei den Gliedstaaten liegt. Denkbar ist auch, daß Mitgliedstaaten einem Sekundärrechtsakt zustimmen wollen, der kompetenzmäßig unverdächtig ist, aber substantiellen Grundrechtsgewährleistungen aus den nationalen Verfassungen oder anderen tragenden Verfassungsprinzipien widerspricht. Möglich ist schließlich auch, daß Mitgliedstaaten einfach überstimmt werden, ungeachtet ihrer aus der Verfassung abgeleiteten Widerstände. In den ersten beiden Fällen stellt sich dann die Frage, ob seine Verfassung dem Mitgliedstaat gebietet, das zu tun, was das Gemeinschaftsrecht ihm erlaubt: Den Sekundärrechtsakt zu verhindern, wenn er Einstimmigkeit voraussetzt; den "Luxemburger Komprorniß" anzurufen, um (im Ergebnis) Einstimmigkeit zu fordern, wo der Vertrag das Überstimmtwerden ermöglicht. (In Parenthese: Die Verletzung eines verfassungsrechtlichen Staatsgrundprinzips zu verhindern, ist ein "vitaleres" Interesse als etwa dem Zorn der Bauern über die Agrarpreisfestsetzung zu entgehen.) Auch wenn man dem BundesverfassungsgerichtS in der Entscheidung zur Tabak-Etikettierungs-Richtlinie 9 folgt und annimmt, die Zustimmung eines Mitgliedstaates zu einem Richtlinienentwurf sei - jedenfalls im frühen Stadium Beschluß der 2. Kammer des 2. Senats vom 12.5.1989, EuGRZ 1989, 339. Richtlinie 89/622/EWG vom 13.11.1989, ABI. Nr. L359/1 vom 8.12.1989, unten abgedruckt als Anlage 4. 8
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der Sekundärrechtssetzung - unter verfassungs prozessualen Gesichtspunkten kein den einzelnen unmittelbar beschwerender Hoheitsakt, dann würde das an der objektiven Verpflichtung des Mitgliedstaates, seine Verfassung zu wahren, nichts ändern. Gelingt es nicht, einen Sekundärrechtsakt zu verhindern, der ein nationales Reservat - im Sinne eines Staatsgrundprinzips - verletzt, dann muß über den Satz des Europäischen Gerichtshofes, demzufolge dem Gemeinschaftsrecht "keine wie immer gearteten innerstaatlichen Rechtsvorschriften vorgehen können", nachgedacht werden. Das Bundesverfassungsgericht scheint dies in der Tabak-Etikettierungs-Richtlinien-Entscheidung angedeutet zu haben, in gewisser Weise auch in der Rundfunkrichtiinien-Entscheidung lO • Der Satz vom absoluten Vorrang des Gemeinschaftsrechts war aus der Sicht des Jahres 1964 richtig und notwendig, um die Integration zu sichern. Aber der Vorrang des Gemeinschaftsrechts ist keine "carte blanche" für die unbegrenzte Ausdehnung der Gemeinschaftskompetenzen; er ist es um so weniger,je mehr Mehrheitsentscheidungen die Sekundärrechtssetzung bestimmen. 1964 blieb die Sekundärrechtssetzung wohl weitgehend im unbestreitbaren und unbestrittenen Integrationsbereich. Das einzige nationale Reservat, das im unbestreitbaren Integrationsbereich, d. h. im unbestreitbaren Kompetenzbereich der Gemeinschaften, eine Rolle spielte, war der Grundrechtsschutz. Nicht der Föderalismus: Was beispielsweise die deutschen Bundesländer damals mit dem Zustimmungsgesetz zum EWG-Vertrag (oder auch jetzt zur Einheitlichen Europäischen Akte) zweifelsfrei "verloren" haben, ist dahinlI. Die "Kompensation"12 durch Entscheidungsbeteiligung ist eine interne Angelegenheit der Bundesrepublik. Aber die schleichende Ausdehnung der Gemeinschaftskompetenzen kann an andere nationale Reservate stoßen. Das gilt beileibe nicht für jede Ausweitung der Gemeinschaftskompetenzen, die zumeist durch ausweitende richterliche Auslegung der Gemeinschaftsverträge bis hin zur Rechtsfortbildung erfolgt ist. Die Gemeinschaften stehen in einem Prozeß fortschreitender Integration, und die generellen Grenzen der Reichweite der Gemeinschaftsgewalt sind sicherlich weit 13. Aber zuweilen droht der Schwung der Entwicklung die Gemeinschaftsorgane auch über diese Grenzen hinauszutragen, und dann stoßen sie möglicherweise an nationale Reservate im Sinne von Staatsgrundprinzipien. Ob dann der "Integrationsartikel" der Verfassung in jedem Fall die "VerfassungsdurchUrteil vom 11.4.1989, BVerfGE 80, 74. Vgl. K. Hailbronner, Die deutschen Bundesländer in der EG, JZ 1990, 149 f.; sowie C. Tomuschat, Bundesstaat und Integrationsprinzip in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes, in: S. Magiera / D. Merten, Bundesländer und Europäische Gemeinschaft, 1988,21 ff. und E. Grabitz, Die deutschen Länder in der EG-Politik: verfassungsrechtliche Grundlagen, in: R. Hrbek /U. Thaysen (Hrsg.), Die Deutschen Länder und die Europäischen Gemeinschaften, 1986, 181 ff. 12 Kritisch zum Begriff der "Kompensation" J. A. Frowein, Bundesrat, Länder und europäische Einigung, in: Vierzig Jahre Bundesrat, 1989, 285 ff. (295). 13 BVerfGE 75, 223 (242 f.). 10
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brechung" bewirken kann - insbesondere wenn der Gemeinschaftsrechtsakt auf sehr schwankendem Kompetenzboden steht -, ist ebenso fraglich wie die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, dann eben ihre Verfassungen zu ändern 1\ wie es die Kommission einzelnen Mitgliedstaaten in der Begründung zur Kommunalwahlrechts-Richtlinie l5 angesonnen hat. IV. Warum noch "nationale Reservate"?
Bevor die Frage behandelt wird, was denn im einzelnen als "nationales Reservat" - insbesondere nach der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist, soll noch kurz darauf eingegangen werden, warum es nach wie vor "nationale Reservate" geben muß, warum man sie nicht angesichts des hehren Fernzieles "Vereinigtes Europa" schlicht über Bord wirft. Daß die Europäischen Gemeinschaften nur nach dem "Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung" tätig werden dürfen, ist nicht mehr als ein Symptom. Der eigentliche Grund ist, daß die Gemeinschaften kein souveräner (Bundes-)Staat sind mit autonomer Kompetenz-Kompetenz, sondern Aufgabenträger mit zwar potentiell zunehmender, aber letztlich doch beschränkter öffentlicher Zuständigkeit 16. Den Gemeinschaften fehlen die wesentlichen Elemente der Staatlichkeit 17, wie Gebietshoheit, Personalhoheit, Machtmonopol, das Recht zum Zwang und die Totalverantwortung für das organisierte Zusammenleben. Es sind - beim derzeitigen Stand, die Einheitliche Europäische Akte einbezogen nach wie vor die Mitgliedstaaten, deren öffentliche Aufgaben potentiell unbeschränkt sind, von denen sie Einzelfunktionen in der Gemeinschaft integriert haben, die aber nach wie vor darüber disponieren, ob und wie dieser limitierte Aufgabenbereich der Gemeinschaften angereichert wird. Die Mitgliedstaaten haben in diesem Sinne schon in erheblichem Umfang disponiert, und in dem davon erfaßten Bereich gibt es - wie schon gesagt - wenig oder keine "nationalen Reservate" mehr. Diese Disposition der Mitgliedstaaten ist durch manches erweitert worden, was ohne ausdrückliche Vereinbarung dazugekommen ist, als "implied powers" oder "nach der Natur der Sache", aber kein Gemeinschaftsorgan ist befugt zur autonomen Anreicherung oder Variation der Zielbestimmungen und Gemeinschaftsaufgaben 18. 14 M Herdegen. Europäisches Gemeinschaftsrecht und die Bindung deutscher Verfassungsorgane an das Grundgesetz, EuGRZ 1989,309 (311), will eine solche Verpflichtung aus Art. 24 GG ableiten. Il KOM (88) 371 endg., vom 11.7.1988, 3. 16 So auch H. P. lpsen. Europäische Verfassung - Nationale Verfassung, EuR 1987, 195 (202). 17 BVerfGE 75. 223 (242). 18 lpsen. (Fn. 16),203 f.
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Jeder Schritt über diese Grenze hinaus bedürfte eines neuen völkerrechtlichen Vertrages, die bisherigen Verträge können das nicht leisten. Die Präambel des EWG-Vertrages beschreibt das Integrationsprinzip mit der Zwecksetzung, "die Grundlagen für einen immer engeren Zusammenschluß der europäischen Völker zu schaffen", aber eben nur die Grundlagen, nicht den Zusammenschluß selbst. Und wenn die Einheitliche Europäische Akte im ersten Absatz ihrer Präambel von dem Willen spricht, das von den ursprünglichen Gemeinschaftsverträgen ausgehende Werk weiterzuführen und letztendlich in eine Europäische Union umzuwandeln, dann steht der entscheidende Umwandlungsakt doch immer noch aus; die Einheitliche Akte ist dieser Umwandlungsakt noch nicht 19. Der entscheidende Schritt zu einer Europäischen Union im Sinne eines europäischen Staates oder Bundesstaates, der dann an die Substanz der Verfassungshoheit der Mitgliedstaaten, an ihre Staatlichkeit, rühren würde, könnte nur mittels eines neuen völkerrechtlichen Vertrages gegangen werden. Völkerrechtlich gibt es da keine Grenzen, ein Staat kann vertraglich wesentliche Teile seiner Souveränität und Eigenstaatlichkeit an einen Bundesstaat abgeben, er kann vertraglich seinen eigenen Untergang besiegeln und ganz in einem anderen Staat aufgehen. Ob und inwieweit das verfassungsrechtlich zulässig ist, ist wiederum eine andere Frage. Auch wenn man die sich aus dem Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes ergebende besondere Verfassungssituation der Bundesrepublik hier einmal außer Betracht läßt 20 , trägt Art. 24 Abs. I GG sicherlich nicht die Eingliederung der Bundesrepublik in einen europäischen Bundesstaat oder auch nur die Aufgabe wesentlicher Staatsgrundlagenbestimmungen. Dafür reicht nicht ein einfaches Gesetz im Sinne von Art. 24, dafür bedürfte es eines Aktes der verfassunggebenden Gewalt 21 •
v. Die "nationalen Reservate" im einzelnen Was zählt nun im einzelnen beim bisherigen Stand der Integration zu den nationalen Reservaten? Folgende These sei vorangestellt: Es gibt absolute Reservate nationaler Zuständigkeiten, die kein Mitgliedstaat, unabhängig von seiner internen Staatsstruktur und Verfassung, aufgeben kann, ohne Elemente seiner ,,staatlichkeit" einzubüßen. Und es gibt relative nationale Reservate, relativ unter verschiedenen Aspekten: Relativ zum einen deshalb, weil die Mitgliedstaaten über die entsprechenden Zuständigkeiten nicht zugunsten der Gemeinschaft disponiert haben, obwohl sie es ohne Verlust an eigener Staatlichkeit hätten tun können. Derart relative nationale Reservate stehen grundsätzlich einer am Erforderlichkeitsprinzip orientierten dynamischen Ausweitung der Anderer Ansicht offenbar Lord Cockfield (Fn. 2). Vgl. nur K. Doehring, Die Wiedervereinigung Deutschlands und die europäische Integration, NJW 1982,2209. 21 C. Tomuschat, in: Bonner Kommentar (Zweitbearb.), Art. 24 GG, Rdnr. 46. 19
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Gemeinschaftskompetenzen nicht im Wege. Eine gewisse Dynamik ist dem Integrationsprozeß immanent. Bis zum AETR-Urteil des Gerichtshofes 22 ging man z. B. davon aus, daß die vertragliche Regelung der Außen beziehungen jenseits der im EWG-Vertrag ausdrücklich genannten Gemeinschaftszuständigkeiten ein Reservat der Mitgliedstaaten sei. Weil sie sinnvoll und erforderlich schien, ist die Ausweitung der Gemeinschaftszuständigkeit auf die sogenannten auswärtigen "Annex-Kompetenzen" - zu Lasten des nationalen Reservats - akzeptiert worden. Relativ können nationale Reservate gegenüber der Inanspruchnahme von Gemeinschaftskompetenzen aber auch deshalb sein, weil sie sich - je nach der internen Verfassungslage - für die einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedlich darstellen bzw. unterschiedliches Gewicht haben. Hier findet die dynamische Ausweitung der Gemeinschaftszuständigkeiten ihre Grenzen. Zwar scheitert eine solche dynamische Ausweitung nicht immer schon dann, wenn das bisherige nationale Reservat in einzelnen Mitgliedstaaten Regelungsgegenstand einer Verfassungsvorschrift ist. Hier mag der "Integrationsartikel" im Einzelfall die Verfassungsdurchbrechung decken. Wenn die Verfassungsvorschrift aber ein Staatsgrundprinzip beinhaltet, ist die Ausweitung der Gemeinschaftszuständigkeit ausgeschlossen, auch wenn aus der Sicht der Gemeinschaftsorgane dann der Langsamste das Tempo des Konvois bestimmt. Später werden Beispiele für die "relativen" nationalen Reservate unter dem Aspekt des deutschen Grundgesetzes betrachtet, zunächst aber soll ein Blick auf die "absoluten" nationalen Reservate geworfen werden. 1. Die "absoluten" nationalen Reservate
a) Die Gebietshoheit Zu den absoluten nationalen Reservaten gehört zunächst die Gebietshoheit. Es gibt zwar ein Gemeinschaftsgebiet im Sinne des Geltungsbereiches der europäischen Verträge, aber den Gemeinschaften ist keine Gebietshoheit übertragen worden. Das wurde deutlich, als die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft im Zuge der neueren Entwicklung des völkerrechtlichen Seerechts einheitliche Fischerei- und Wirtschaftszonen an den Küsten der Gemeinschaft einrichten wollte: Die entsprechenden Proklamationen waren solche der einzelnen Mitgliedstaaten, nicht der Gemeinschaft 23 •
Rs. 22170 (Kommission./.Rat), Sig. 1971,263. Siehe die "Haager Entschließung" des Rates der EWG, AB!. Nr. C105/1981, I sowie die Proklamationen der Bundesregierung vom 22.12.1976, BGB!. 197611, 1999 (Nordsee) und vom 2.6.1978, BGB!. 1978 11, 867 (Ostsee). 22 23
Europäische Integration und nationale Reservate
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Folglich können die Gemeinschaften auch nicht über die Landgrenzen der Gebiete der Mitgliedstaaten verfügen. Die Kommission hat das mit ihrer "Mitteilung über die Abschaffung der Personenkontrollen an den innergemeinschaftlichen Grenzen,,24 versucht. Sie hat sich auf den Standpunkt gestellt, der in Art. 8 a Abs. 2 EWG-Vertrag definierte Binnenmarkt als Raum ohne Binnengrenzen bringe die Abschaffung jeglicher Grenzkontrollen, einschließlich Stichprobenkontrollen und der Kontrolle von Drittstaatsangehörigen, notwendigerweise mit sich; Kontrollen sollten nur noch an den Außengrenzen des Gemeinschaftsgebietes stattfinden. In früheren Richtlinienvorschlägen 25 hatte sich die Kommission auf die Erleichterung und Reduzierung der Grenzkontrollen für die Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten beschränkt, nunmehr sollte jegliche Kontrolle entfallen, weil den Gemeinschaftsbürgern im Binnenmarkt selbst jene Mindestkontrollen nicht zumutbar seien, mit denen sie sich (etwa durch Vorzeigen eines geschlossenen EG-Passes) als solche zu erkennen geben sollten. Daß mit diesem Vorstoß der Kommission - wenn er Sekundärrechtsakt würde - nationale Reservate verletzt würden, liegt nicht nur daran, daß die Gemeinschaften dann auch die Zuständigkeit für die Kompensationsgesetzgebung usurpieren würden, d. h. für die Harmonisierung des Ausländer-, Melde- und Asylrechts, des Waffen- und Drogenrechts und für die Regeln der polizeilichen Zusammenarbeie6 • Die Verletzung eines nationalen Reservats liegt schon im Grundansatz: Grenzen, deren Überschreitung in keiner Weise mehr kontrolliert werden darf, sind keine mehr, und damit fällt ein wesentlicher Teil der Gebietshoheit weg, einer Gebietshoheit, die nicht die Gemeinschaften, sondern die Mitgliedstaaten haben. Wenn einzelne Mitgliedstaaten sich entschließen, keine Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen mehr durchzuführen, wie Holland, Belgien und Luxemburg oder - mit Einschränkungen - die Vertragsstaaten des Schengener Abkommens 27 , dann ist das ihre Sache, aber auch ihr nationales Reservat gegenüber der Zuständigkeit der Gemeinschaften. Im übrigen irrt die Kommission auch in der Begründung ihres Vorstoßes: Ein Raum ohne Binnengrenzen ist nicht notwendigerweise ein Raum ohne Grenzkontrollen, sondern ein Raum ohne materielle Grenzen, in dem den berechtigten Personen und auch Waren oder Dienstleistungen der Grenzübertritt zu gestatten ist; ob das mit oder ohne (Stichproben-)Kontrollen geschieht, ist damit nicht entschieden. Der Binnenmarkt im Sinne von Art. 8a EWG-Vertrag soll ja nach einhelliger Auffassung auch nichts anderes sein als der früher so genannte
KOM (88) 640 endg., vom 7.12.1988. Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Erleichterung der für die Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten geltenden Kontrollen und F.