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German Pages 56 [57] Year 1990
Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften der DDR Mathematik - Naturwissenschaften - Technik
6N 1988
Fadenbildung und Faserstrukturen Dem Wirken Wolfgang Bobeths gewidmet
AKADEMIE-VERLAG
BERLIN
Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften der DDR Mathematik—Naturwissenschaften—Technik
Jahrgang 1988 • Nr. 6/N
Fadenbildung und Faserstrukturen Dem Wirken Wolfgang Bobeths gewidmet
AKADEMIE-VERLAG BERLIN 1989
Festkolloquium der Klassen Chemie und Werkstoffwissenschaft der AdW der DDR anläßlich des 70. Geburtstages von Wolfgang Bobeth, Ordentliches Mitglied der Akademie der Wissenschaften der DDR am 18. Februar 1988
Herausgegeben im Auftrage des Präsidenten der Akademie der Wissenschaften der DDR von Vizepräsident Prof. Dr. Heinz Stiller
ISBN 3-05-500 522-8 ISSN 0138-3965 Erschienen im Akademie-Verlag Berlin, Leipziger Str. 3—4, DDR-1086 Berlin © Akademie-Verlag Berlin 1989 Lizenznummer: 202 • 100/356/89 Printed in the German Democratic Republic Gesamtherstellung: VEB Druckhaus Kothen LSV 1235 Bestellnummer: 763 970 9 (2010/88/6/N) 00800
Inhalt Manfred Rätzsch, Ordentliches Mitglied der Akademie der Wissenschaften der DDR Laudatio 5 Prof. Dr. sc. techn. Roland Beyreuther, Institut für Technologie der Polymere der AdW der DDR, Dresden Zur Theorie der Fadenbildung beim Schmelzspinnprozeß 10 Prof. Dr. sc. nat Detlev Geiß, Institut für PolYmerenchemie „Erich Correns", Teltow-Seehof Hochfeste, hochmodulige Fasern aus Polymerlösungen 32 Wolfgang Bobeth, Ordentliches Mitglied der Akademie der Wissenschaften der DDR Schlußwort 47
Sitzungsberichte der ADW der DDR
6 N/198S
Manfred Rätzsch
Laudatio Sehr verehrter Kollege Wolfgang Bobeth! Werte Herren Vorsitzende! Meine Damen und Herren! Ich bin den Vorsitzenden der Klassen Werkstoffwissenschaft und Chemie dankbar, daß sie diese gemeinsame Sitzung zu Ehren des 70. Geburtstages von Akademiemitglied Wolfgang Bobeth, ehemaliger Direktor des Instituts für Technologie der Fasern (ITF) der Akademie der Wissenschaften der DDR, organisiert haben. Ich habe gern die Laudatio für diesen Anlaß übernommen, obwohl es sicher in diesem Kreis Kollegen gibt, die Wolfgang Bobeth länger als ich kennen und schätzen gelernt haben. Ich bin Wolfgang Bobeth erstmals in Sitzungen unserer Akademie begegnet und erst viel später in Dresden. Aber schon früher haben wir gemeinsam um die Anerkennung der Technologie als Wissenschaft gerungen, aus verschiedenen Positionen heraus, aber die Quelle dieser Erkenntnisse war die gleiche. Die Schule einer Industrietätigkeit führte zu dem Blick, der in der Industrieverbundenheit gipfelt. Unter Industrieverbundenheit meine ich die Problemerkennung, d. h. die Größe der Aufgaben zu verstehen, die Leistungen der Kollegen der Industrie zu schätzen, was aber auch das Recht gibt, die in der Industrie bestehenden Unvollkommenheiten nicht übersehen zu dürfen. Nach Ihrem Studium an den Technischen Hochschulen im damaligen Breslau, Aachen und Dresden und einer Tätigkeit als wissenschaftlicher Assistent im Institut für Textil- und Papiertechnik an der TH Dresden gingen Sie in die Industrie, wo Sie mit all den interessanten aber auch komplizierten Aufgaben eines Wissenschaftlers und Leiters konfrontiert wurden. Sie arbeiteten zunächst als Assistent und Betriebslaborleiter in der Löbauer Stückfärberei und später als Leiter des von Ihnen geschaffenen Zentrallaboratoriums der damaligen VVB Weberei II, Bautzen. Dieser Industrieeinsatz legte nicht nur den Grundstein dafür, daß Ihnen die Probleme der Textilveredlung auch künftig besonders am Herzen lagen, sondern prägten bereits den Typ des Technologen, der sich beharrlich sowohl für höchste Aktivität bei der Vorlauf- und Applikationsforschung einerseits als auch für die Steigerung des Tempos bei der Einführung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse andererseits einsetzte. Gerade weil die Textilveredlung als letztes Glied in der technologischen Kette zur Herstellung von Bekleidungserzeug5
nissen und Technischen Textilien auf die enge Kooperation mit voran und parallel geschalteten Disziplinen angewiesen ist, wußten Sie um die Bedeutung einer guten Kooperation mit angrenzenden Wissensgebieten und haben sich auf den verschiedensten Ebenen für deren Entwicklung und Verbesserung eingesetzt. Wie die Elastizitätsuntersuchungen am laufenden Faden, so sind die Probleme der Fadenpräparation und Textilveredlung auch heute noch — oder heute wieder? — hochaktuelle Themen der Forschung und Entwicklung. 1943 haben Sie mit einer Arbeit zum Thema „Elastizitätsuntersuchungen am laufenden Faden und am Fadenstück" promoviert, eine Thematik, die heute im Zeitalter der PUR-Seide und der Modalfaser noch so aktuell ist wie damals. Durch Ihre wissenschaftlichen Arbeiten kamen Sie auch mit dem Ihre weitere Entwicklung prägenden und fördernden Wissenschaftler Walter Frenzel in Kontakt, der Sie dann auch an das von ihm neugegründete Institut für Technologie der Fasern der AdW holte. Hier arbeiteten Sie zunächst auf den Gebieten Textilprüfung und Faserstoffmikroskopie mit besonderer Betonung der Eigenschaftserfassung und -beeinflussung bei Glasfaserstoffen. Im Zuge des weiteren Ausbaues des Instituts wurden Sie 1952 zum Leiter der Abteilung Textilprüfung ernannt. Gleichzeitig erhielten Sie von der damaligen Technischen Hochschule Dresden einen Lehrauftrag für das Gebiet Chemiefaserstoffe. Waren Sie bis hierher als Industriepraktiker, Forscher und Lehrer tätig gewesen, so erhielten Sie im Zusammenhang mit einer befristeten Tätigkeit in den Jahren 1955/56 als wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Ministerium für Leichtindustrie in Berlin einen vielfältigen Einblick in die Forschungsorganisation im Bereich der Leichtindustrie, speziell in der Textilindustrie. Sie habilitierten sich in dieser Zeit (1956) an der Fakultät Technologie der TH Dresden mit der Arbeit „Beiträge zur Verbesserung der Textilglasfaserprodukte". Dem folgten 1957 die Ernennung zum Professor mit vollem Lehrauftrag für das Fach „Textile Rohstoffe und Textilprüfung" und 1969 zum Ordentlichen Professor für Textiltechnik. 1957 wurden Sie zum Direktor des Instituts für Textiltechnik der TH Dresden berufen, eine Funktion, die Sie bis 1971 hauptamtlich bekleideten. In diesen Zeitraum fällt auch eine zweijährige Tätigkeit (1960 bis 1962) als Dekan der Fakultät Technologie der TH Dresden. Am 1. 4 . 1 9 5 9 wurden Sie zum Direktor des Instituts für Technologie der Fasern — zunächst nebenamtlich und von 1971 bis 1981 in hauptamtlicher Funktion - berufen. Die Wahl zum Ordentlichen Mitglied der AdW der DDR erfolgte 1967. Seitdem haben Sie als aktives Mitglied der Klasse Werkstoffwissenschaften und aus fachlichem Interesse auch in der Klasse Chemie mitgearbeitet. Ihre Entwicklung und Konstellation als Forscher und Lehrer war geprägt von dem Ziel, wie Sie selbst formulierten, „den schöpferischen Ingenieur" auszu6
bilden, „der seine wissenschaftlichen Grundlagen komplex anzuwenden versteht, der die tragende Säule bei der Gestaltung moderner Produktionsprozesse auf wissenschaftlicher Basis ist" (Spektrum, 11/1973, S. 12), und ich erlaube mir zu ergänzen, und der diese Produktionsprozesse auch zu führen und zu leiten versteht. Sie haben versucht, diese Prämisse vorzuleben und als forschender Lehrer oder lehrender Forscher sowohl in Ihrer Tätigkeit an der T H bzw. T U Dresden als auch im ITF der AdW zu verwirklichen. Und wenn Sie 1973 weiter formulieren, „man sollte nicht so viel über den wissenschaftlichen Rang oder Stellenwert der Technologie diskutieren, sondern schnell... fördern", so ringen wir heute mit analogen Formulierungen um die Hochveredlung in der Chemie und um andere Schwerpunkte unserer Entwicklung. Daß solche Bemühungen nicht ohne Erfolg sind, auch wenn uns deren Verwirklichung oft zu langsam erscheint, das beweisen die Fortschritte in unserem Lande zur Technologie. Auf der wissenschaftlich-methodischen Konferenz des Ministeriums für Hochund Fachschulwesen zur Ausbildung von Ingenieuren und Technikern für die stoffwandelnde und stoffverarbeitende Industrie, die am 5. und 6. Februar an der TU Dresden stattgefunden hat, wurden diese Prämissen formuliert, für die Sie und viele andere Wissenschaftler und Techniker unseres Landes sich eingesetzt haben. Aus diesem Ihrem Verständnis für die Technologieentwicklung hat sich auch das Institut für Technologie der Fasern zu einer Forschungsstätte entwickelt, in der der technologischen Forschung der ihr gebührende Rang eingeräumt wurde, wodurch sich das Institut als Bindeglied zwischen der naturwissenschaftlichen Grundlagenforschung und der Industrieforschung nationale und internationale Anerkennung erwarb. Als Beispiel sei an dieser Stelle erwähnt, daß das Institut durch seine Forschungsergebnisse zur Herstellung und Verarbeitung von Glasfäden den Aufbau eines modernen volkseigenen Betriebes in Oschatz initiierte und seit dem maßgeblich zur Steigerung der Qualität der Glasseidenerzeugnisse beitrug. Die folgerichtige Entwicklung des Schmelzspinnprozesses zu Synthesefasern — von Professor Beyreuther weitergeführt — und der Beginn der Duromerverbund- und Thermoplastverarbeitungstechnologie zeigen den Weitblick von Wolfgag Bobeth in der Konzeption des Instituts bis zu seiner Emeritierung. Die Erziehung von Studenten und jungen Wissenschaftlern zu sozialistischen Leiterpersönlichkeiten mit einer politisch klaren Grundhaltung gegenüber unserer sozialistischen Entwicklung war immer ein Anliegen Ihrer Leitungstätigkeit. Ich kann in diesem Rahmen die Inhalte und Ergebnisse Ihrer Forschung nicht umfassend darlegen. Herausheben möchte ich die Arbeiten auf dem Gebiet •der Textilmikroskopie zur Kontrolle, Qualitätsüberwachung, Schadensaufklärung u. a., die Sie international bekannt gemacht haben. Ihre Untersuchungen über die Ursachen des Festigkeitsverlustes von Viskosecordseiden, 7
bei denen Sie gemeinsam mit Kittelmann die Schwankungen der Festigkeit der Elementarfäden bestimmten und zu überraschenden Ergebnissen kamen, sind ein Beispiel gezielter Grundlagenforschung. Diese Ergebnisse haben zu den heute erkannten Einflüssen der Sauberkeit der Spinnlösung oder Schmelze auf die Fadenbildungsprozesse geführt. Erkannt ja, aber gelöst? Viele der derzeitigen oder nun auch beherrschten Probleme unserer Chemiefaserindustrie sind oder waren eben auf die ungenügende Reinheit oder Homogenität, z. B. der Schmelze, zurückzuführen. Ob alle Ihre Konzepte, Überlegungen, Ziele und Gedanken aufgegangen sind, wissen Sie besser zu beantworten als jeder andere. Sicher hat es mancherlei Widrigkeiten und auch Enttäuschungen gegeben. Aber nur der, der den Mut hat, in wissenschaftliches Neuland vorzustoßen, wird auch die Grenzen erkennen. Meist geht es dann wie mit einer guten, einer kühnen Idee: Schwierig ist, es den Verständigen und Beteiligten zu erklären; noch schwieriger ist, selbst damit fertig zu werden; aber am schwierigsten ist, die Verständnislosen zu überzeugen. Und wie hat es Professor Klare zu Ihrem 65. Geburtstag ausgedrückt: „ . . . und manche Wahrheiten sind nicht billiger zu haben als um den Preis des ganzen Lebens!" Die umfangreiche Tätigkeit in Klassen und Plenum unserer Akademie, im Forschungsrat der DDR, in der Kammer der Technik und im Auszeichnungsausschuß der Leipziger Messe ist eine weitere Seite der umfangreichen Tätigkeit von Wolfgang Bobeth zum Nutzen für unsere Volkswirtschaft. Hervorzuheben ist Ihre aktive Arbeit in der Klasse Werkstoffwissenschaft, wo Sie mit Beiträgen und in den Diskussionen zur Entwicklung der Klasse beigetragen haben. Dazu gehören weiter von 1956 bis 1973 die Leitung des Zentralen Arbeitskreises für Forschung und Technik „Textiltechnik" und im Jahre 1962 die Berufung in den Forschungsrat, wo sie bis 1983 als Vorsitzender der Gruppe „Verarbeitungstechnik" (früher: Leichtindustrie) und Mitglied des Vorstandes des Forschungsrates tätig waren. Von diesen Positionen aus nahmen Sie wesentlich auf die Profilierung und Koordinierung der Forschungsvorhaben und gleichzeitig auch auf die proportionale Entwicklung und sinnvolle Kopplung der Forschungs- und Entwicklungskapazitäten der Textilindustrie, des Textilmaschinenbaus und der Chemiefaserstoffindustrie Einfluß. Ihre Persönlichkeit ist eng mit der Kammer der Technik der DDR verbunden, deren Mitglied Sie seit 1950 sind. 1957 ging die Funktion des Vorsitzenden des Fachverbandes Leichtindustrie (später: Textil — Bekleidung — Leder) der Kammer der Technik von Professor Sommer für die Dauer von mehr als 25 Jahren in Ihre Hände über. Auch in dieser Funktion verfolgten Sie beständig das Ziel, solche Organisationsformen für die sozialistische Gemeinschaftsarbeit zu finden und zu entwickeln, die die verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen und Industriezweige bei der Lösung von volkswirtschaftlich wichtigen Problemen bestmöglich vereint. 8
Befragt, wie Sie das umfangreiche Arbeitspensum bewältigen konnten, sagten Sie (Spektrum, 4/1972, S. 24): „Ich tue es, weil es gebraucht wird." Sie haben keine Ihrer Funktionen losgelöst von der anderen betrachtet oder einer einen Vorrang eingeräumt; jede gerade anstehende Aufgabe war die wichtigste, wobei sich die verschiedenen Betätigungsfelder gegenseitig gewinnbringend beeinflußt haben. Noch heute arbeitet Wolfgang Bobeth regelmäßig im Institut, denn es ist ihm ein Bedürfnis, noch vieles von seinem umfangreichen Wissen und langjährigen Erfahrungen an die jüngere Generation weiterzugeben, sei es durch Vorlesungen im Fach „Textile Faserstoffe", durch die wissenschaftliche Betreuung von Ingenieurpraktikanten und Diplomanden oder im Rahmen der Gutachtertätigkeit bei Promotionsverfahren an der Fakultät Maschinenwesen der TU Dresden. Die derzeitige Arbeit an einem Kompendium für Technologen mit dem Arbeitstitel „Beschaffenheit und Eigenschaften textiler Faserstoffe" wird Ihre Publikationstätigkeit abrunden, die mit über 150 Veröffentlichungen, Lehrbriefen für „Textile Faserstoffe" und „Textilprüfung" und einer Monographie über „Anorganische Textilfaserstoffe", die 1955 kollektiv erarbeitet wurde, zu Buche steht. Für Ihre wissenschaftlichen und wissenschaftsorganisatorischen Leistungen wurden Sie mit hohen staatlichen Auszeichnungen geehrt: Nationalpreis (1964), Verdienter Techniker (1961), Vaterländischer Verdienstorden in Bronze (1974), die silberne und goldene Ehrennadel und die Ernst-Abbe-Medaille (1974), die höchsten Auszeichnungen der KDT. Ich wünsche Ihnen an der Seite Ihrer Gattin alles Gute, beste Gesundheit und Glück im Kreise Ihrer Familie, für Ihr Kompendium noch viel Kraft und Beharrlichkeit. Gestatten Sie, daß ich mit einem Gedanken abschließe, der mir zu diesem Ihrem Jubiläum geeignet erscheint: „Die Wissenschaft ist eine große Versuchung; sie kann Leidenschaft und Abenteuer sein. Sich mit ihr abzugeben, bringt Erfüllung und manchmal auch Verdruß. Meist ist es aber eine harte und anstrengende Arbeit." Der Umgang mit objektiven Gesetzen wirkt dabei wohltuend in unserer oft subjektiv beschriebenen Welt. Erfolg und Mißerfolg wird damit verständlich und verkraftbar. Vielleicht ist es das, was uns an der Wissenschaft so fasziniert. Mögen Ihnen noch viele Jahre Erfüllung und Faszination in der Wissenschaft gegeben seinl
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Sitzungsberichte der ADW der DDR
6 N/1988
Roland Beyreuther
Zur Theorie der Fadenbildung beim Schmelzspinnprozeß Hochverehrter Wolfgang Bobeth! Sehr geehrte Vorsitzende! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist eine große Ehre für mich, vor den beiden Klassen Chemie und Werkstoffwissenschaft unserer Akademie zu einem Thema vortragen zu dürfen, das seit nunmehr 20 Jahren vielen erfolgreich bearbeiteten Forschungsthemen des Dresdner Institutes das wissenschaftliche Fundament gegeben hat. Unter dem langjährigen Direktorat des Jubilars, Akademiemitglied Wolfgang Bobeth, sind im Institut für Technologie der Fasern 1968 Arbeiten zur prozeßanalytischen Durchdringung des Schmelzspinnprozesses von Synthesefaserstoffen begonnen worden — übrigens von Anfang an in auftragsgebundener Forschung mit der Chemiefaserindustrie —, die bis heute, zwischenzeitlich immer wieder theoretisch, stofflich und technologisch systematisch auf verschiedene Applikationsdetails der Schmelzspinnprozesse gerichtet, eine wichtige Forschungslinie des Instituts für Technologie der Polymere bilden. Damit erwies sie sich gleichsam — neben anderem — als eine Art Klammer, die sowohl in den bis 1984 gültigen Institutsnamen (Technologie der „Fasern") als auch in den heutigen (Technologie der „Polymere") voll einzuordnen ist, denn: Der Schmelzspinnprozeß von Synthesefasern ist ein Sonderprozeß der Polymerformgebung. Die Technologieentwicklung zur Fadenherstellung eines Schmelzspinnfaserstoffes begann auf der Basis der 1935 geglückten Synthese von Polyamid 6. 6 aus Hexamethylendiamin und Adipinsäure durch Carothers. Sie wurde zunächst, wie dies bei den meisten fundamentalen Produktionsverfahren retrospektiv zu konstatieren ist, empirisch betrieben. Dies änderte sich auch nicht, als später — im Jahre 1940 durch Whinfield und Dickson — die Synthese für ein fadenbildungsfähiges Polyethylentherephthalat aus Ethylenglycol und Terephthalsäure als weiteres — und wie wir heute aus nachfolgender Verbrauchsentwicklung wissen — noch bedeutenderes Schmelzspinnpolymer gefunden worden war. Hermann Klare hat uns in seinem Buch „Geschichte der Chemiefaserforschung" wissen lassen, wie die Forscher der ersten Stunde dieser Entwicklungen überrascht und fasziniert zugleich von der Reckbarkeit der mit einigen hundert Metern pro Minute ersponnenen Fäden waren, einem Phänomen, das durch Aufbringen einer Zugbelastung auf den Spinnfaden seine plastische 10
Verlängerung um mehrere hundert Prozent bei gleichzeitiger Verfestigung der Polymerstruktur gestattete und f ü r den textilen Gebrauch auch notwendig machte. Die durch orientierungs- und spannungsinduzierte Kristallisationsvorgänge bewirkten strukturellen Änderungen in der Makromolekülanordnung des polymeren Festkörpers beim Reckprozeß waren in der Folgezeit vielfaches Ziel von vorwiegend mechanisch- und physikalisch-analytischen, aber auch von festkörpertheoretischen Untersuchungen zur Charakterisierung und Erklärung der bisher nur bei Fäden erreichbaren hohen Festigkeiten thermotroper Polymere. Namen wie Bartenew, Perepelkin und Peterlin seien stellvertretend für eine Vielzahl von Polymerforschern genannt, die sich mit der Strukturaufklärung von Schmelzspinnfäden befaßten, deren Festigkeitsniveau, gemessen am Prüfwert der Bruchspannung, im Vergleich zum polymeren isotropen Festkörper aus dem gleichen Material — hier Polyamid 6 — aus Abbildung 1 entnehmbar ist. Das erste wesentliche Ziel der theoretischen Durchdringung der Fadenbildung beim Schmelzspinnen war es, die polymerphysikalischen Zusammenhänge aufzuklären und zu beschreiben, die zu diesem besonderen anisotropen Strukturzustand führen. Die meisten Forschergruppen, die sich dieser Fragestellung — seit etwa 1960 beginnend — widmeten und die auch bis heute, angeregt durch die in den 70er Jahren entwicklungsseitig eingeleitete Technologieinnovation Schnellspinnen, weitergeführte Beiträge zur Theorie der Fadenbildung geleistet haben, sind dabei dem polymerphysikalischen Grundlagenforschungsaspket mit, bezogen auf die Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge zwischen Technologieparametern und Fadeneigenschaften, phänomenologischer Ergebnisinterpretation verhaftet geblieben. Dies ist verständlich, da die entsprechenden Forschungen in der Regel aus akademischen Einrichtungen heraus relativ unabhängig von der Chemiefaserindustrie unter Stoffaspekt und nicht unter Stoff-Technologie-Aspekt durchgeführt wurden. Diese Tendenz herrscht auch heute noch vor. Für die Entwicklung der Theorie der Faden-
Stangenmaterial Strangziehen
Bruchfestigkeit
IMPal
Bruchfestigkeit
[mNl [texj
Abb. 1
Bruchfestigkeitsvergleich
~ 50
polymerer
Faden
Faden
wenig orientiert
180...
voll orientiert
200
500...
600
165.. . 175
450...
525
Festkörper
in v e r s c h i e d e n e r
Aufma-
chungsform. Werkstoff PA 6
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bildung gibt es aber, verstärkt herausgebildet in den letzten 10 Jahren, einen weiteren Zielaspekt. Während in den Anfängen der Chemiefaserproduktion in den 40er und 50er Jahren offensichtlich den Fragen der Verfahrens- und Arbeitsproduktivität keine besondere Bedeutung zugemessen werden mußte — sie waren ohnehin im Vergleich zur Fadenherstellung aus Naturfaserstoffen bei relativ niedrigen Löhnen für die Arbeitskräfte um ein Mehrfaches höher - änderten sich die Fragestellungen an die angewandte Grundlagenforschung in den 60er Jahren deutlich. Mit den erreichten Fortschritten bei der technischen Anlagenund Maschinengestaltung, induziert von innovativen Entwicklungen im Chemieanlagenbau, der Automatisierungstechnik und bei leistungselektronisch gesteuerten Antrieben, waren Möglichkeiten zur deutlichen Steigerung der Spinngeschwindigkeiten gegeben, die, wollte man sie für die inzwischen interessant gewordenen Produktivitätssteigerungen nutzen, das Problem der Prozeßstabilität in den Vordergrund der wissenschaftlichen Betrachtungen rückte. Wir können feststellen, daß dieses Problem und die daran zu knüpfenden Forschungsinhalte bis in die Gegenwart hohe Priorität behalten haben und daß von ihrer umfassenden Lösung weitere Fortschritte der mittlerweile bereits auf beachtlichem Niveau angelangten Technologiekonzepte — heute ist industriell das Schnellspinnen mit Spinngeschwindigkeiten von 3500 bis 5500 m/min eingeführt — abhängen werden. Der Stabilitätsbegriff ist bei Fadenherstellungs- und -verarbeitungsverfahren eng mit dem Begriff des Fadenbruchs gekoppelt. Dies wird verständlich, wenn man die praktische Produktionserfahrung bedenkt, daß ca. 50% der in diesen Produktionsstufen eingesetzten Arbeitskräfte für die Beseitigung von Fadenbrüchen aufzuwenden ist. Besonders sensibel ist in dieser Beziehung, bedingt durch die hohen Fadenbildungsgeschwindigkeiten bei gleichzeitig minimalen Querschnitten der Elementarfäden, der Schmelzspinnprozeß, den man gewissermaßen als Scharfrichter für die kontinuierliche Formgebungsfähigkeit eines Thermoplasts unter extremen Bedingungen bezeichnen kann. Im folgenden möchte ich versuchen, die bisher absolvierten Schritte bei der Ausarbeitung der Theorie der Fadenbildung beim Schmelzspinnprozeß zu charakterisieren, den erreichten Stand unter Einbeziehung einiger Applikationsbeispiele aus eigenen Arbeiten zu beschreiben sowie auf noch nicht gelöste Aufgaben aufmerksam zu machen. Die Theorie der Fadenbildung, unter der wir das physikalisch-analytische Modell der komplex miteinander verbundenen geometrischen, mechanischen, thermischen und Theologischen Änderungsvorgänge der Schmelze vom Austritt aus der Spinndüse bis zum Erreichen der Verfestigungstemperatur verstehen wollen, ist, rückblickend gesehen, quasi mosaiksteinförmig von einer Reihe von Forschern in den letzten 30 Jahren erarbeitet und schließlich zum heute vorliegenden Gesamtbild zusammengefügt worden. 12
In Abbildung 2 sind zunächst die 4 grundsätzlich möglichen Prozeßrealisierungen im Eadenbildungsbereich nach der Spinndüse, unabhängig von der gewählten Spinngeschwindigkeit, schematisch angegeben: Spinnen eines monofilen oder eines polyfilen Fadens unter freier oder unter erzwungener Abkühlung, wobei letztere gewöhnlich durch einen Anblas-Querluftstrom erzeugt wird. Die meisten der bisher beschriebenen Untersuchungen beziehen sich auf den einfachen Fall des Monofilspinnens ohne, in einigen Fällen mit Queranblasung, die auch mit brauchbarer Genauigkeit auf den polyfilen Spinnprozeß mit Elementarfadenzahlen bis etwa 20 übertragbar sind. Industrierelevante Fragestellungen, z. B. nach Ursachen und quantifizierbaren Beeinflussungsmöglichkeiten der Querstreuung von Struktur- und damit textilphysikalischen Eigenschaftsparametern hochkapillariger polyfiler Fadenverbände, wie sie beim Stapelfaser- oder auch Kordspinnprozeß vorliegen, sind indessen nur zu lösen, wenn in das Fadenbildungstheorienkonzept die in derart hochkapillarigen polyfilen Fadenverbänden (Elementarfadenzahlen von einigen Hundert bis zu einigen Tausend, ersponnen aus einer Düse, werden realisiert) wirkenden thermischen und mechanischen Kollektiveffekte und ihre örtlichen Gradienten eingebunden werden. Abbildung 3 zeigt die Fadenbildungsstrecke eines monofilen Schmelzestrahles unter Einbeziehung einer Queranblasung nach dem Düsenaustritt. Als unab-
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