Exponat – Raum – Interaktion: Perspektiven für das Kuratieren digitaler Ausstellungen [1 ed.] 9783737012584, 9783847112587


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Exponat – Raum – Interaktion: Perspektiven für das Kuratieren digitaler Ausstellungen [1 ed.]
 9783737012584, 9783847112587

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DH&CS Schriften des Netzwerks für digitale Geisteswissenschaften und Citizen Science

Band 2

Herausgegeben von Hendrikje Carius, Martin Prell und René Smolarski

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Hendrikje Carius / Guido Fackler (Hg.)

Exponat – Raum – Interaktion Perspektiven für das Kuratieren digitaler Ausstellungen

Mit 53 Abbildungen

V&R unipress

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Veröffentlichung auch als Würzburger museumswissenschaftliche Studien, Band 2

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2022 Brill | V&R unipress, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, Verlag Antike und V&R unipress. Dieses Werk ist als Open-Access-Publikation im Sinne der Creative-Commons-Lizenz BY-SA International 4.0 („Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen“) unter dem DOI 10.14220/9783737012584 abzurufen. Um eine Kopie dieser Lizenz zu sehen, besuchen Sie https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: ArtLens Wall, from the ArtLens Gallery, Cleveland Museum of Art, 2018 Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2700-1318 ISBN 978-3-7370-1258-4

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Inhalt 

Vorwort .....................................................................................................................9

Digitale Ausstellungen: Zwischen Standardisierung und Experiment  Einführung ................................................................................................................13 Hendrikje Carius / Guido Fackler Ausstellungen digital kuratieren. Formen und Diskurse, Herausforderungen und Chancen .........................................................................15 Michael Müller Virtuelle Ausstellungen. Potenziale und Grenzen...............................................39 Swantje Dogunke Alles nur Daten? Virtuelle Ausstellungen aus der Perspektive der Digital Humanities ............................................................................................51 Martin Siefkes Digitale Ausstellungen analysieren und evaluieren: ein multimodaler Ansatz .........................................................................................63

Plattformen für digitale Ausstellungen  Einführung ................................................................................................................83 Julia Spohr / Lidia Westermann Mit virtuellen Ausstellungen Geschichten erzählen. DDBstudio – Das Ausstellungstool der Deutschen Digitalen Bibliothek ..................................87 Florian Sepp Virtuelle Ausstellungen in bavarikon. Eine Übersicht von den Anfängen bis heute ..................................................................................................97

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Inhalt 

Hendrikje Carius / Carsten Resch Digitales Ausstellungsportal Gotha. Konzeptionelle Ansätze im Kontext sammlungsbezogener Forschung der Forschungsbibliothek Gotha ........................................................................... 107 Stephanie Jacobs Mediengeschichte im Netz – Sachstand und Perspektiven. Die virtuellen Ausstellungen des Deutschen Buchund Schriftmuseums der Deutschen Nationalbibliothek Leipzig..................... 123 Christian Eidloth Virtuelle Ausstellungen der Bayerischen Staatsbibliothek. Ein Praxisbericht...................................................................................................... 137 Udo Andraschke / Mark Fichtner Digitale Schaudepots und Objektlabore. Digitales Kuratieren mit der virtuellen Forschungsumgebung WissKI ............................................................. 147 Sebastian Fischer Von der Bestandserfassung zur vernetzten Sammlungspräsentation. Die Entwicklung der digitalen Sammlung des Deutschen Optischen Museums................................................................................................................... 159

Von der digitalen Aura bis zum digitalen Publikum  Einführung ............................................................................................................... 171 Dennis Niewerth Die ‚Digitale Aura‘ und die Anmutungen des Virtuellen .................................. 173 Werner Schweibenz Wie und was sucht das Online-Publikum? Erwartungen von Online-Besucherinnen und -Besuchern an museumsbezogene Informationsangebote im Internet........................................................................ 183 Stephan Schwan Digitale Ausstellungen aus Besuchersicht ............................................................ 193

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Inhalt 

Innovative Strategien und Vermittlungskonzepte  Einführung ................................................................................................................203 Sylvia Asmus Wie stellt man Exil aus? Die Dauerausstellung Exil. Erfahrung und Zeugnis und die virtuelle Ausstellung Künste im Exil ........................................205 Alexander Kulik / Stephan Beck / André Kunert / Bernd Fröhlich Soziale virtuelle Realität? Neue Technologien für gemeinsame Erlebnisse in Museen ...............................................................................................217 Cassandra Kist / Franziska Mucha Platforms as bridging digitally enabled participation with exhibitions ........................................................................................................229 Jana Hawig Erzählungen im digitalen Raum. Formen und Perspektiven des Storytellings in digitalen Ausstellungen................................................................239 Bastian Schlang Gamification. Perspektiven für physische und digitale Ausstellungen ............249

Ausblick  Guido Fackler Museologische Perspektiven für die Weiterentwicklung digitaler Ausstellungen ...........................................................................................................261 Autorinnen- und Autorenverzeichnis...................................................................273

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Vorwort 

Noch bevor die Covid-19-Pandemie einen Boom an digitalen Angeboten auslöste, führte die Forschungsbibliothek Gotha der Universität Erfurt zwei Tagungen durch, die sich mit digitalen Ausstellungen auseinandersetzten. Der Sammelband präsentiert mehrere Beiträge hiervon, die um weitere Aufsätze ergänzt wurden. Die erste Tagung fand unter dem Titel „Virtuelle Ausstellungen in Bibliotheken. Konzepte, Praxis und Perspektiven“ vom 7. bis 8. September 2017 in Gotha statt.1 Elf Referentinnen und Referenten, die vor allem aus dem Bibliotheksbereich stammten, trugen ihre Projekte, Forschungen und Erfahrungen in den Sektionen „Einführung“, „Gestaltung/Visualisierung“ sowie „Generische Infrastrukturen und Plattformen für virtuelle Ausstellungen“ vor. Sascha Salatowsky führte durch die historischen Räume der Bibliothek und gab einen Einblick in deren Sammlungen. Die Diskussionen der über 60 Teilnehmerinnen und Teilnehmer zeigten den Bedarf an einem weiterführenden Austausch, der auch den Museumsbereich stärker einbezieht. Dafür wurde die Professur für Museologie der Universität Würzburg als Partner gewonnen. Diese Tagung folgte vom 9. bis 10. November 2018 unter dem Titel „Exponat – Raum – Interaktion. Perspektiven für das Kuratieren digitaler Ausstellungen“.2 Den Tagungsauftakt gestaltete Ti-

1 Veranstaltet von Hendrikje Carius (Forschungsbibliothek Gotha) und dem Netzwerk für digitale Geisteswissenschaften an der Universität Erfurt. Zum Programm vgl. https://blog-fbg.unierfurt.de/2017/07/workshop-virtuelle-ausstellungen-in-bibliotheken-konzepte-praxis-undperspektiven/ (letzter Zugriff: 17.08.2021) sowie Hendrikje Carius: Virtuelle Ausstellungen. Konzepte, Praxis und Perspektiven. Bericht zu einer Tagungs- und Workshopreihe, in: Hendrikje Carius, Martin Prell, René Smolarski (Hrsg.): Kooperationen in den digitalen Geisteswissenschaften gestalten. Herausforderungen, Erfahrungen und Perspektiven, Göttingen 2020, S. 171–175. https://doi.org/10.14220/9783737011778.171 (letzter Zugriff: 17.08.2021). 2 Veranstaltet von Hendrikje Carius (Forschungsbibliothek Gotha), Guido Fackler (Professur für Museologie der Universität Würzburg) und dem Netzwerk für digitale Geisteswissenschaften und Citizen Science an der Universität Erfurt. Zum Programm vgl. https://blog-fbg.unierfurt.de/2018/08/exponat-raum-interaktion-perspektiven-fuer-das-kuratieren-digitalerausstellungen/ (letzter Zugriff: 17.08.2021). Siehe auch Berthold Kreß: Tagungsbericht: Exponat – Raum – Interaktion. Perspektiven für das Kuratieren digitaler Ausstellungen, 09.11.2018–10.11.2018, Gotha, in: H-Soz-Kult. https://www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-8292 (letzter Zugriff: 17.08.2021).

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Vorwort 

mo Trümper (Gotha) mit einer Führung durch Kunstkammer und Schlossmuseum der Stiftung Schloss Friedenstein Gotha, danach erörterten wiederum elf Referentinnen und Referenten aus dem Bibliotheks-, Museums- und Gestaltungsbereich die Themen „Digitale Exponate“, „Multimediale Ausstellungsgestaltung im digitalen Raum“, „Erwartungen der Rezipienten im Digitalen“ sowie „Digitale Strategien und Vermittlungskonzepte“. Um die über 80 Teilnehmerinnen und Teilnehmer einzubinden, fanden zwei Workshopsessions zu den Themen „Digitale Exponate“, „Digitaler Raum“, „Partizipation“, „Gamification“ und „Rezeption“ statt, die von Nora Halfbrodt (Würzburg), Bastian Schlang (Würzburg), Werner Schweibenz (Konstanz), Martin Siefkes (Chemnitz) und Petra Weigel (Gotha) moderiert wurden. Hinzu kam eine Kurzpräsentation aktueller Projekte in Form einer Postersession. Im Verlauf beider Tagungen wurde deutlich, wie sehr es disziplinenübergreifender Kooperationen und Schnittstellen zwischen allen an digitalen Ausstellungen beteiligten Akteurinnen und Akteuren bedarf. Dies ist zum einen für die Fassung des Mediums digitale Ausstellung zentral. Zum anderen gilt es, eine Anbindung und Anschlussfähigkeit an die dynamischen Entwicklungen und Debatten u. a. im Bereich kuratorischer Praktiken, Publikumsforschung, Gestaltung sowie der Rahmenbedingungen (Infrastrukturen, Nachhaltigkeit, Interoperabilität etc.) zu schaffen. Um den disziplinenübergreifenden Austausch im Bereich digitaler Ausstellungskuratierung voranzubringen, vereint der vorliegende Sammelband verschiedene praxisorientierte, aber auch wissenschaftlich-methodische Ansätze und Themen. Mit dem pandemiebedingten Digitalisierungsschub in Bibliotheken, Archiven und Museen gewann nicht nur das Thema digitale Ausstellungen an Bedeutung, auch mancher Beitrag wurde aktualisiert. Dafür und für die gute Zusammenarbeit gilt allen Autorinnen und Autoren unser herzlicher Dank, aber auch allen, die zum Gelingen beider Tagungen beigetragen haben. Wir bedanken uns außerdem bei der Universität Erfurt für die Unterstützung bei der Drucklegung im Rahmen der Förderung des Netzwerkes für digitale Geisteswissenschaften und Citizen Science; Saskia Jungmann unterstützte uns redaktionell. Schließlich sei dem Vandenhoeck & Ruprecht unipress Verlag gedankt, insbesondere MarieCarolin Vondracek für die gute Zusammenarbeit. Wir wünschen den Leserinnen und Lesern nun eine kurzweilige und inhaltlich ergiebige Lektüre. Hendrikje Carius und Guido Fackler, Gotha und Würzburg im August 2021

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Digitale Ausstellungen: Zwischen Standardisierung und Experiment

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Einführung

Digitale Ausstellungen: Zwischen Standardisierung und Experiment  

Unter dem Begriff digitale Ausstellung (virtuelle Ausstellung, Online-Ausstellung, Webausstellung) werden gegenwärtig eine Vielzahl von Medienformen gebündelt, die sich auf die kuratierte Präsentation von Exponaten, Sammlungen und Themen im Web beziehen. Hierbei findet sich sowohl phänomenologisch als auch in der praktischen Umsetzung ein recht heterogenes Bild eines experimentellen Formats, das durch die begriffliche Referenz an die museale Ausstellungstradition einen bestimmten Erwartungshorizont erzeugt. Dieser steht im Spannungsverhältnis zu den neuen technologischen Möglichkeiten für kuratorische Ansätze im digitalen Raum. Dies gilt auch für die Standards und Erfolgskriterien für Ausstellungen, die im Digitalen neu justiert werden müssen. Das einleitende Kapitel „Digitale Ausstellungen: Zwischen Standardisierung und Experiment“ greift diese Ausgangssituation auf und nähert sich diesem Medienformat aus verschiedenen disziplinären Sichtweisen: der Bibliotheks-, Museums- und Informationswissenschaft, der digitalen Kommunikationspraxis, den Digital Humanities und der Multimodalen Lingusitik. Digitale Ausstellungen werden dabei als dynamisches, interdisziplinäres und kooperativ ausgerichtetes Schnittstellenfeld sammlungshaltender und wissenschaftlicher Einrichtungen, verschiedener kulturhistorisch, kultur- und medienwissenschaftlich ausgerichteter Fächer, Gestaltungs- und Design-Disziplinen sowie Informatik sichtbar. Dieses Spezifikum erfordert den Aufbau von Expertise in allen Ausstellungen kuratierenden Einrichtungen, aber auch den interdisziplinären Austausch, um in der Praxis den medienspezifischen Logiken und Anforderungen entsprechende, publikumszentrierte und -relevante Angebote zu gestalten. Der einführende Beitrag von Hendrikje Carius und Guido Fackler „Ausstellungen digital kuratieren: Formen und Diskurse, Herausforderungen und Chancen“ fasst digitale Ausstellungen als eigenständiges museales Format auf und versucht die im Band thematisierten Perspektiven hierauf zu bündeln. Ausgehend von einer Begriffsbestimmung und verschiedenen Formen digitaler Ausstellungen, setzt er sich exemplarisch mit aktuellen Diskursen und Ansätzen im

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Einführung 

Feld auseinander, darunter Fragen der kuratorischen Nachhaltigkeit, der Gestaltungsmöglichkeiten im digitalen Raum, Interaktion, Partizipation oder des EduCurating. Zudem werden aktuell diskutierte und empirisch belegte ‚Erfolgsfaktoren‘ für die praktische Gestaltung von digitalen Ausstellungen zusammengeführt. Insgesamt plädiert der Beitrag für eine weitere transdisziplinär informierte museologische Schärfung des Begriffs digitale Ausstellungen (siehe hierzu auch den Beitrag „Museologische Perspektiven für die Weiterentwicklung digitaler Ausstellungen“ von Guido Fackler im „Ausblick“). Michael Müllers Beitrag „Virtuelle Ausstellungen. Potenziale und Grenzen“ beleuchtet anhand theoretischer Überlegungen und praktischer Beispiele Möglichkeiten und Rahmenbedingungen digitaler Ausstellungen als Format digitaler Kultur- und Wissenschaftskommunikation. Unter Bezug auf die Kernfunktionen physischer Ausstellungen werden Aspekte und Qualitäten der digitalen Varianten herausgearbeitet. Müller problematisiert dabei insbesondere die auch im Digitalen erforderliche Verzahnung von Gestaltung und kuratorischer Arbeit, die zu einer Redefinition aktueller, technologisch bedingter Abläufe und Aufgabenverteilung führen müssten. Als einer der wichtigen Punkte für die Weiterentwicklung des Mediums sieht er die Positionierung als Standard- und Kunst- bzw. Kreativformat. Solche standardisierten Abläufe greift Swantje Dogunkes Beitrag „Alles nur Daten? Virtuelle Ausstellungen aus der Perspektive der Digital Humanities“ auf. Die Autorin nimmt sich digitalen Ausstellungen aus der Perspektive der Digital Humanities an, wobei sie Ausstellungen als ergänzende forschungsnahe Services begreift. Auf der Grundlage aktueller Veröffentlichungen zu deren Mehrwert bietet der Beitrag eine Checkliste zur Evaluations- oder Planungsgrundlage. In einem Modell mit mehreren Ebenen schlüsselt sie die zur Erstellung digitaler Ausstellungen erforderlichen Expertinnen und Experten sowie Ressourcen auf. Ebenfalls praxisorientiert ist die vorgeschlagene Forschungsprozessmodellierung, die als Planungsgrundlage für die Erstellung digitaler Ausstellungen herangezogen werden kann. Weg von der Ausstellungspraxis hin zur Ausstellungsanalyse führt Martin Siefkes Beitrag „Digitale Ausstellungen analysieren und evaluieren: ein multimodaler Ansatz“, der digitale Ausstellungen mit einem linguistischen Ansatz analysiert. Seine multimodale Perspektive auf digitale Ausstellungen zielt auf Zeichenfunktionen, Gestaltungsvarianten und Interaktionsmöglichkeiten, um die komplexen kommunikativen Ziele digitaler Ausstellungen differenziert zu beschreiben. Für die Analyse und Evaluation von Digital-Humanities-Projektergebnissen wie digitale Editionen, aber auch digitalen Ausstellungen schlägt der Autor das von ihm entwickelte Multimodal Digital Humanities Framework vor.

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Hendrikje Carius / Guido Fackler

Ausstellungen digital kuratieren. Formen und Diskurse,  Herausforderungen und Chancen 

Der digitale Wandel hat Archive, Bibliotheken, Galerien und Museen (GLAM) in allen Kernbereichen erfasst. Insbesondere mit dem Aufbau digitaler Sammlungen gilt es, das Potenzial neuer Entwicklungen rund um deren Präsentation, Kontextualisierung und Vermittlung auszuschöpfen. Zwar erscheint der Digitalisierungsstand in den einzelnen Bereichen insgesamt noch sehr heterogen. Doch die Covid-19-Pandemie fungierte als Katalysator für die Entwicklung digitaler Formate, um das Publikum weiterhin zu erreichen. Teil dieser Angebote sind auch digitale Ausstellungen,1 die sich in unterschiedlichen Formen bereits seit den 1990er Jahren herausgebildet haben.2 Der folgende Beitrag will das Feld 1 Wir unterscheiden im Folgenden zwischen physischen und digitalen Ausstellungen, die in physischen bzw. digitalen Räumen (Web) stattfinden. Der Beitrag nutzt in der Regel für das Medienformat den Begriff ‚digital‘ im Unterschied zum vielfältig konnotierten, insbesondere im Kontext von Simulationstechniken verwandten Begriff ‚virtuell‘. Insgesamt sind mit den Begrifflichkeiten ‚digital‘, ‚virtuell‘ oder ‚online‘ in Kombination mit dem museal verstandenen Ausstellungsbegriff heuristische bzw. epistemologische Implikationen verbunden, die Teil andauernder Reflexionsprozesse sind. Diese werden im Folgenden zwar adressiert, eine systematische terminologische Auseinandersetzung bleibt aber Desiderat. Vgl. zur Frage der Virtualität z. B. Dennis Niewerth: Dinge – Nutzer – Netze: Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen, Bielefeld 2018, S. 83–92. 2 Siehe etwa zum Themenbereich digitales Museum, in dem digitale Ausstellungen ein Format bilden: Stefanie Samida: Überlegungen zu Begriff und Funktion des ‚virtuellen Museums‘. Das archäologische Museum im Internet, in: Museologie Online 4 (2002), S. 1–58. www.historischescentrum.de/m-online/; Werner Schweibenz: Vom traditionellen zum virtuellen Museum. Die Erweiterung des Museums in den digitalen Raum des Internets, Saarbrücken 2008; Werner Schweibenz: Virtuelle Museen, in: Markus Walz (Hrsg.): Metzler-Handbuch Museum. Geschichte, Aufgaben, Perspektiven, Stuttgart 2016, S. 198–200; Niewerth: Dinge – Nutzer – Netze. Zu digitalen Ausstellungen siehe u. a. Schubert Foo: Online Virtual Exhibitions: Concepts and Design Considerations, in: DESIDOC Journal of Library & Information Technology 28.4 (2008), S. 22–34. https://doi.org/10.14429/djlit.28.4.194; Werner Schweibenz: Wie gestaltet man in bester Absicht eine schlechte Online-Ausstellung? Einige Hinweise aus der Forschungsliteratur, in: Museumskunde 76.1 (2011), S. 90–99; Michael Müller: Virtuelle Ausstellungen – Anmerkungen zu einem Medium, das sich noch nicht gefunden hat, in: Culture to go (14.11.2012). http://culture-to-

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Hendrikje Carius / Guido Fackler 

digitaler Ausstellungen ordnen, verschiedene Diskurse und Beispiele vorstellen sowie zentrale Herausforderungen und Chancen ansprechen.

Begriffsbestimmung und Formen   Digitale Ausstellungen (virtuelle Ausstellungen, Online-Ausstellungen, WebAusstellungen) befinden sich aktuell noch in einer Pionierphase zwischen Experiment und Standardisierung,3 so dass es zuerst gilt, einige dominante Formen zu unterscheiden. Vielerorts wurden insbesondere nach der zwangsweisen Schließung von Museen, Bibliotheken und Archiven virtuelle Ausstellungsrundgänge (Online-Rundgänge) eingerichtet, bei denen man sich mittels Cursors durch die Räume einer dreidimensional abfotografierten, physischen Ausstellung bewegen kann (weitere Beispiele dieser Art finden sich seit längerem unter Google Arts & Culture). Andere Häuser führten Online übertragene Live-Führungen (VideoCall-Führungen, digitale Führungen, Online-Führungen, Virtual Tours) einer physischen Ausstellung durch. Bisweilen wurden solche Ausstellungen durch zusätzliche Inhalte und Interaktionsmöglichkeiten erweitert. So wird der 360°Rundgang durch die wegen Corona geschlossene Sonderausstellung Pest des LWL-Museums für Archäologie/Westfälischen Landesmuseums in Herne

go.com/2012/11/14/virtuelle-ausstellungen-anmerkungen-zu-einem-mediu/; Katja Selmikeit: Virtuelle Ausstellungen von Bibliotheken: Konzepte, Präsentationsverfahren und Nutzungsaspekte, in: Perspektive Bibliothek 3.1 (2014), S. 163–118. https://doi.org/10.11588/pb.2014.1.14025; Claudia Prinz: Geschichte im Netz. Möglichkeiten und Grenzen Virtueller Ausstellungen als Bildungsangebot, in: Zeitgeschichte-online (Februar 2015). https://zeitgeschichte-online.de/geschichtskultur/geschichteim-netz; Santos Mateos-Rusillo, Arnau Gifreu-Castells: Museums and online exhibitions. A model for analysing and charting existing types, in: Museum Management and Curatorship 32.1 (2017), S. 40–49. https://doi.org/10.1080/09647775.2015.1118644; Arnaud Taburet, Pierre Rivault: Thoughts on designing a virtual exhibition, in: Anthology. https://anthology.hypotheses.org/342. Zu Leitfäden und Handbüchern vgl. Wendy Thomas, Danielle Boily: Virtual Exhibition Production: A Reference Guide. Museums and the Web, 1998. http://www.archimuse.com/mw98/papers/boily/boily_paper.html; Martin R. Kalfatovic: Creating a Winning Online Exhibition. A Guide for Libraries, Archives, and Museums, Chicago/ London 2002; Maria Teresa Natale, Sergi Fernández, Mercè López (Ed.): Handbook on Virtual Exhibitions and Virtual Performances (Version 1.0), Tivolo 2012; Petra Hauke (Hrsg.): Praxishandbuch Ausstellungen in Bibliotheken, Berlin/Boston 2016; MFG Innovationsagentur Medien- und Kreativwirtschaft Baden-Württemberg (Hrsg.): OPEN UP! Museum. Wie sich Museen den neuen digitalen Herausforderungen stellen. Ein Leitfaden aus Baden-Württemberg, Stuttgart 2016; Regina Franken-Wendelstorf, Sybille Greisinger, Christian Gries, Astrid Pellengahr (Hrsg.): Das erweiterte Museum. Medien, Technologien und Internet, Berlin 2019; Verband der Museen der Schweiz (Hrsg.): Digitale Museumspraxis. Eine ganzheitliche Herangehensweise, Zürich 2019. Letzter Zugriff für alle in dieser Fußnote genannten Internetquellen: 18.08.2021. 3 Gewisse Parallelen finden sich bei der Herausbildung digitaler Editionen. Siehe z. B. Peter Stadler, Joachim Veit (Hrsg.): Digitale Edition zwischen Experiment und Standardisierung: Musik, Text, Codierung, Tübingen 2009.

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Ausstellungen digital kuratieren 

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(2020) um Online-Führungen, einen Audiorundgang mit Exponatbeschreibungen sowie ein Booklet mit allen Ausstellungstexten ergänzt.4 Bei den erwähnten Formen handelt es sich nach Tomás Saorín Pérez um digitale Ausstellungen, die „zusammen mit einer physischen Ausstellung und komplementär zu dieser entstanden“ sind: Sie kommen also nicht ohne physisches Vorbild aus.5 Dem stehen digitale Ausstellungen gegenüber, die „autonom existieren und primär für einen virtuellen Besuch konzipiert wurden“.6 Neben diesen beiden elementaren Grundformen lassen sich mit Katja Selmikeit und Stephan Schwan weitere Unterscheidungen nach der Art der Programmierung bzw. Webentwicklung und der Art der inhaltlichen Darstellung vornehmen:7 Grundform: – Komplementär: ergänzend, begleitend zu einer physischen Ausstellung. – Nicht komplementär: singulär, digital-only. Art der Programmierung bzw. Webentwicklung bzgl. des digitalen Raums: – Linear: Klassische zweidimensionale, meist monothematische Webseiten (One Pager) mit flächig auf dem Bildschirm angeordneten multimedialen Materialien (Texte, Fotos/Digitalisate, Videos, Audiodateien etc.). Diese Form ist wohl am häufigsten zu finden, auch in Form elektronischer Publikationen oder digitaler Ausstellungskataloge mit Text-Bild-orientierten Präsentationen. – Explorativ: Imitation der Verhältnisse eines physischen Museums im Sinne einer Virtual Reality: Besucherinnen und Besucher werden per Mausklick durch begehbare, dreidimensional wirkende virtuelle Räume geleitet. – Vernetzt: dynamisch-interaktive Wissensportale. Darstellung des Inhalts/der Thematik: – Narrative model: Pfade durch Ausstellungsseiten oder Sammlungsdatenbanken. – Mosaic model: netzwerkartig verknüpfte Seiten. 4 Vgl. https://pest-ausstellung.lwl.org/de/ (letzter Zugriff: 18.08.2021). 5 Tomás Saorín Pérez: Exposiciones digitales y reutilización: aplicación del software libre Omeka para la publicación estructurada, in: Métodos de información 2.2 (2011), S. 29–46, hier S. 31. http://www.metodosdeinformacion.es/mei/index.php/mei/article/view/703/731 (letzter Zugriff: 18.08.2021): „que cumplen una función complementaria de una exposición real“ (deutsche Übersetzung im Text durch die Verfasserin und den Verfasser). 6 Ebd.: „aquellas que tienen existencia autónoma (producidas y materializadas para su consumo primario en el entorno digital).“ 7 Katja Selmikeit: Virtuelle Ausstellungen in Bibliotheken – Definition, Stand und Konzepte. Präsentation im Rahmen des Workshops „Virtuelle Ausstellungen in Bibliotheken. Konzepte, Praxis und Perspektiven“, Forschungsbibliothek Gotha, 07.09.2017 sowie den Beitrag von Stephan Schwan in diesem Band, S. 198.

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Hendrikje Carius / Guido Fackler 

– Mirror model: strikt lineare Abfolge von inhaltlich aufeinander aufbauenden Bildschirmseiten, die nur ein Minimum an Navigationsentscheidungen erfordern.

Abb. 1: Explorative digitale Ausstellung The Queen and The Crown, Brooklyn Museum/Netflix, 2020, Quelle: https://www.thequeenandthecrown.com/view (letzter Zugriff: 18.08.2021).

Diese verschiedenen Formen können wiederum unterschiedlich miteinander kombiniert werden. Auf alle trifft jedoch eine Definition zu, die vor einigen Jahren im Rahmen der EU-Projekte „Linked Heritage“ und „AthenaPlus“ von einer internationalen Arbeitsgruppe erarbeitet wurde: „Eine digitale Ausstellung basiert auf einem klaren Konzept und ist kuratiert. Sie stellt digitale Multimedia-Objekte zusammen, verknüpft und verbreitet sie, um innovative Präsentationen eines Themas oder einer Reihe von Themen zu liefern, die in hohem Maße die Interaktion mit dem Benutzer ermöglichen.“8

8 Vgl. https://www.digitalexhibitions.org/index.php?lan=en&q=References/Definition (letzter Zugriff: 18.08.2021): „A Digital Exhibition is based on a clear concept and is well curated. It assembles, interlinks and disseminates digital multimedia objects in order to deliver innovative presentations of a theme, or series of themes, allowing user interaction to a great extent“ (deutsche Übersetzung im Text durch die Verfasserin und den Verfasser). Ein Glossar zu digitalen Ausstellungen findet sich unter: https://www.digitalexhibitions.org/?lan=en&q=Digital%20Exhibition (letzter Zugriff: 18.08.2021). Im Rahmen des Projekts wurde das Digital Exhibition Metadata Element Set (DEMES) als Vorschlag zur strukturierten Beschreibung von digitalen Ausstellungen entwickelt, um Ausstellungsbeschreibungen standardisiert zu erfassen und dadurch die Identifikation von Ausstellungen, Auffindbarkeit und Datenaustausch zu ermöglichen: https://www.digitalexhibitions.org/digital-exhibitions/metadata/ (letzter Zugriff: 18.08.2021). Der internationalen Arbeitsgruppe gehörten aus Deutschland Monika Hagedorn-Saupe, Stefan Rhode-Enslin und Werner Schweibenz an.

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Digital Born Objects und Digitalisate: Exponate mit musealem Wert  Im Unterschied zu physischen enthalten digitale Ausstellungen keine ausgestellten Objekte, also Exponate, im Sinne von dreidimensionalen, materiellen Objekten, sondern Digitalisate – also Datensätze eines „analogen Sammlungsobjektes“ (digitale Objekte,9 digitalisierte Exponate) – oder Digital Born Objects,10 die nur im Digitalen bestehen: Die Grundlage digitaler Ausstellungen bilden freilich überwiegend „Museumsinformationen in digitaler Form, also vor allem die elektronisch verfügbare Objektdokumentation und Digitalisate der Musealien.“11 Analoge „Museumsdinge“12 verfügen über „Materialität und Objekthaftigkeit“, während digitale Exponate keine „stoffliche Substanz“ besitzen,13 allerdings eine „jenseits der physischen Erscheinung der Musealien gegebene Informationsdimension“ aufweisen.14 Umso mehr gilt es, die technologischen Möglichkeiten bei ihrer Präsentationen auszuspielen: indem virtuell in tiefere Objekt-Schichten gezoomt, Kamerafahrten unternommen, Texturen durch Vergrößerungen sichtbar gemacht, Kontexte mittels anderer Medienformate dort aufgezeigt, wo sie am Objekt Spuren hinterlassen haben, Entwicklungen durch Zeitlupen-Schnitte verdeutlicht, inhaltliche Vertiefungen oder andere Themen und Objekte verlinkt, Kommentare von Kuratorinnen und Kuratoren, Restauratorinnen und Restauratoren, Besucherinnen und Besuchern in anderen

9 Deutscher Museumsbund (Hrsg.): Bulletin 2/2021, Thema: Digitale Sammlungsarbeit: Unsere Jahrestagung 2021, S. 8. Siehe auch Haidy Geismar: Museum Object Lessons for the Digital Age, London 2018; Udo Andraschke, Sarah Wagner (Hrsg.): Objekte im Netz. Wissenschaftliche Sammlungen im digitalen Wandel, Bielefeld 2020; Andrea Geipel, Johannes Sauter, Georg Hohmann (Hrsg.): Das digitale Objekt – Zwischen Depot und Internet, München 2020; Yannick Nordwald: Vom Objekt zum Digitalisat. Prozesse und Akteure der Digitalisierung im Museum, Phil. Diss. Univ. Tübingen 2020. http://hdl.handle.net/10900/104169 (letzter Zugriff: 18.08.2021). 10 Im Bereich der Kunst gehören dazu auch die NFTs (Non Fungible Token). Hierbei werden digitale Kunstwerke mit einem blockchainbasierten, unveränderbaren Datensatz verbunden. Das digitale Kunstwerk ist an einen Token gebunden, so dass es sich um ein singuläres Kunstwerk handelt. Es kann zwar kopiert werden, existiert aber nur einmal als Original und kann als solches gehandelt werden. Vgl. Joshua Fairfield, Lawrence J. Trautman: Virtual Art and Non-fungible Tokens (11.04.2021). https://ssrn.com/abstract=3814087 (letzter Zugriff: 18.08.2021). In digitalen Ausstellungen können u. a. auch Video- oder Audiomaterial, Animationen, Informationsvisualisierungen auf Karten, Grafiken oder Timelines darunter fallen, sofern sie Exponate darstellen und nicht primär als Vermittlungs-/Kontextualisierungsmedien fungieren. 11 Schweibenz: Virtuelle Museen, S. 198. 12 Gottfried Korff: Museumsdinge. Deponieren – Exponieren, Köln/Weimar/Wien 2007. 13 Katja Müller: Digitale Objekte – subjektive Materie. Zur Materialität digitalisierter Objekte in Museum und Archiv, in: Hans Peter Hahn, Friedemann Neumann (Hrsg.): Dinge als Herausforderung. Kontexte, Umgangsweisen und Umwertungen von Objekten, Bielefeld 2018, S. 49–66, hier S. 55. 14 Schweibenz: Virtuelle Museen, S. 199.

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Medienformaten einspielt werden etc. Digital Born Objects bieten darüber hinaus weitere Möglichkeiten digitaler Vermittlung.

Abb. 2: Ein Digitalisat ist mehr als eine Kopie eines analogen Objekts, sondern hat aufgrund kuratorischer Entscheidungen bei der Digitalisierung seinen eigenen musealen Wert, Foto: Sergej Tan, Forschungsbibliothek Gotha, 2021.

Während wir vermutlich eher geneigt sind, Digital Born Objects einen eigenständigen musealen Wert zuzuschreiben, stellen aber auch Digitalisate mehr als nur eine digitale Kopie des analogen Objekts dar. Nicht zuletzt deshalb gilt es, die Verwendung des aus der Industrie in den Kulturbereich übertragenen Konzepts des ‚digitalen Zwillings‘ kritisch zu überdenken.15 Galten „Produktion, Autorschaft und Materialität“ lange als „essentielle Charakteristiken“ eines physischen Objekts, so rücken neuere Forschungen zur materiellen Kultur diese in den Hintergrund; stattdessen tritt ihr kultureller und sozialer „Konstruktionscharakter“ in den Vordergrund.16 In diesem Verständnis werden analoge Dinge nicht durch ihre bloße stoffliche Existenz, sondern dadurch, dass sie in einer Gesellschaft genutzt werden, also durch die „Interaktion zwischen Mensch und

15 Vgl. Eva Emenlauer-Blömers, Andreas Bienert, James R. Hemsley (Hrsg.): Konferenzband EVA Berlin 2018. Elektronische Medien & Kunst, Kultur und Historie: 25. Berliner Veranstaltung der internationalen EVA-Serie Electronic Media and Visual Arts, Heidelberg 2018. https://doi.org/10.11588/arthistoricum.442 (letzter Zugriff: 18.08.2021). 16 Müller: Digitale Objekte, S. 62, 63.

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Objekt“, durch „Interaktionsmuster, Gespräche[n] oder andere soziale Praktiken“ gleichsam „bedeutungsvoll“.17 Damit gerät das „einst vorherrschende Paradigma von Objektzentriertheit zugunsten einer performativen Bedeutungszuschreibung“ ins Wanken: Im Zuge des Cultural turn wurden die „Konventionen von Repräsentationen, die sich an eine stabile Materialität binden, […] auch vor dem Zeitalter der Digitalisierung […] zugunsten des interpretativen Potentials eines Objekts als kulturelles Konstrukt immer weiter zurückgestellt.“18 Der museale Wert eines anlogen Objekts resultiert also nicht mehr per se und ausschließlich aus seiner materiellen, stofflichen Existenz, sondern aus seiner sozialen, kulturellen und sonstigen kontextuellen Aufladung mit Bedeutung. Dies wiederum gilt für analoge wie für digitale Objekte, stellt das Digitalisieren doch ebenfalls „einen aktiven Prozess kuratorischen Entscheidens und […] somit einen Akt der Bedeutungs- und Wertherstellung dar.“19 Und wie für ein analoges Objekt gilt, dass nur ein inventarisiertes Objekt museologisch gesehen ein ‚gutes‘ Objekt ist, gilt für ein digitales Objekt: „Nur ein digitalisiertes, erschlossenes und vernetztes Objekt ist ein gutes Objekt“.20 Dadurch erlangt es in digitalen Ausstellungen seine besondere museale Bedeutung entsprechend dem analogen Objekt in einer physischen Ausstellung. Dabei können Digitalisate und Digital Born Objects, wie Werner Schweibenz und Dennis Niewerth zeigen,21 eine digitale Aura generieren, zumal auch analoge Objekte nicht von sich aus über eine Aura verfügen: Diese wird ihnen erst durch unser Vorwissen, kulturelle Symbolsysteme, mediale Aufladungen, museale Kontexte etc. eingeschrieben. Insofern sollten sich digitale Ausstellungen, so Niewerth „die auratische Anmutung ihrer Exponate zum Ziel setzen“ und jenseits von Metadaten ein medienspezifisches „Vokabular zur Vermittlung digitaler Authentizität“ entwickeln, das mit technischen, aber auch kuratorischen und didaktischen Mitteln „affektive Unmittelbarkeit herstellt“.22 Insgesamt zwingt die Digitalisierung

17 Ebd., S. 56. Vgl. Hans Peter Hahn: Materielle Kultur. Eine Einführung, Berlin 2005. 18 Müller: Digitale Objekte, S. 62. Vgl. Fiona Cameron: Beyond the cult of the replicant. Museums and historical digital objects – Traditional concerns, new discourses, in: Fiona Cameron, Sarah Kenderdine (Hrsg.): Theorizing digital cultural heritage. A critical discourse, Cambridge 2007, S. 49–75. 19 Müller: Digitale Objekte, S. 64. 20 Ralf Stockmann: Das materielle Objekt in der digitalen Welt. Vortrag beim Einstein-Zirkel Digital Humanities, 11.10.2013. https://de.slideshare.net/rstockm/das-materielle-objekt-in-derdigitalen-welt?qid=44dfdd0a-c4a4-4e8e-a7a4-57a8988a9ea9&v=&b=&from_search=7 (letzter Zugriff: 18.08.2021). 21 Vgl. Schweibenz: Virtuelle Museen, S. 199; Niewerth: Dinge – Nutzer – Netze, Kap. 1.3.7. 22 Siehe den Beitrag von Dennis Niewerth in diesem Band, S. 181.

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also die Phänomenologie des Objekts – sei es nun physisch oder digital – grundsätzlich zu überdenken und „digitale Objekte als Objekte eigenen Rechts“23 anzusehen.

Generische Ausstellungstools versus individuelle Lösungen  Neben Google Arts & Culture gehören digitale Bibliotheksplattformen wie Europeana, die Deutsche Digitale Bibliothek (DDB), die Bayerische Staatsbibliothek oder weitere Forschungsbibliotheken wie jene in Gotha, Weimar oder Wolfenbüttel, die über eine lange Tradition in der Durchführung physischer Bestandsausstellungen verfügen,24 zu den Akteuren, die digitale Ausstellungen in größerer Zahl veröffentlichen.25 Diese fungieren als Form der Wissenschaftskommunikation und Öffentlichkeitsarbeit, aber auch als Möglichkeit, seine Netzpräsenz zu stärken und Nutzerinnen und Nutzer zur inhaltlichen und dauerhaften Auseinandersetzung mit den Beständen der verschiedenen Plattformen anzuregen. Dabei können Nutzerinnen und Nutzer aus den zur Verfügung gestellten Digitalisaten mit eigenen Texten und ggf. weiteren Digitalisaten auf der Basis generischer Tools relativ einfach Ausstellungen erstellen und digital publizieren. Das Google Cultural Institute entwickelt beispielsweise „kostenlose Tools und Technologien“, mit denen laut Eigenwerbung „Organisationen ihre Kulturschätze und Geschichten einem weltweiten Publikum [werbefrei und online] präsentieren können“.26 Dies geschieht über die Google Arts & Culture-Plattform, die virtuelle Rundgänge durch eine Vielzahl an Museen und Ausstellungen im Google-eigenen Streetview-Stil erlaubt, aber auch genuine digitale Ausstellungen beinhaltet. Eine andere Möglichkeit stellen Open-Source-ContentManagement-Systeme für digitale Online-Sammlungen wie das kostenlos verfügbare Omeka dar.27 Auf ihm basiert u. a. das generische Ausstellungstool DDBstudio der DDB.28 Mit ihm können verschiedene Vorlagen und Layouts ausgewählt, Exponate, Texte etc. eingefügt, mit vertretbarem Aufwand eine digitale Ausstellung realisiert und zeitlich nachhaltig auf der DDB-Plattform publiziert werden. Auch wenn die technologischen und gestalterischen Möglich-

23 Schweibenz: Virtuelle Museen, S. 199. 24 Vgl. Hauke: Praxishandbuch Ausstellungen. 25 Vgl. dazu den Beitrag von Michael Müller sowie die Beiträge im Kapitel „Plattformen für digitale Ausstellungen“ in diesem Band. 26 https://support.google.com/culturalinstitute/partners/answer/4395223?hl=de&ref_topic=4387717 (letzter Zugriff: 18.08.2021). 27 https://omeka.org/s/tour (letzter Zugriff: 18.08.2021). 28 https://pro.deutsche-digitale-bibliothek.de/ddbstudio (letzter Zugriff: 18.08.2021). Siehe auch den Beitrag von Julia Spohr und Lidia Westermann in diesem Band.

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keiten nach und nach erweitert werden, bleiben sie bei dieser und anderen Plattformen begrenzt und lassen wenig Raum für kreativere Ansätze, geben die mit generischen digitalen Infrastrukturen verbundenen technologischen Bedingungen und die FAIR-Data-Principles (Auffindbarkeit, Zugänglichkeit, Interoperabilität und Nachnutzbarkeit) doch den Handlungsrahmen für Ausstellungsmacherinnen und -macher vor. Gibt es jedoch weitergehende Ansprüche an eine digitale Ausstellung hinsichtlich räumlicher Gestaltung, Didaktik oder Teilhabe von Besucherinnen und Besuchern, stellt das technische Know-How eine zentrale Herausforderung dar und macht individuelle Lösungen erforderlich. Ideal wäre es, wenn insbesondere Museen in die Lage versetzt würden, diesbezüglich Experten aus den Bereichen Mediengestaltung, Mediendesign und Medientechnik einzustellen. Da dies jedoch kaum passieren wird, stellt sich die Frage, inwieweit die Digitalisierung die Kluft zwischen großen, mittleren und kleinen Häusern verstärkt. Projektbezogene Drittmittel und Kooperationen mit Hochschulen bzw. etablierten Informationsinfrastrukturen helfen zwar weiter, sind aber nicht allen ausstellenden Institutionen zugänglich und ggf. zeitlich befristet. Sofern nicht eigene Kompetenzen und Infrastrukturen aufgebaut werden können, bieten generische Ausstellungstools großer Internetportale eine interessante Lösung: Sie sind kostenfrei, man muss sich um keine technischen Details kümmern und profitiert darüber hinaus enorm von der Reichweite und dem Werbepotenzial etablierter Plattformen, zumal der Erfolg einer digitalen Ausstellung nicht unwesentlich davon abhängt, ob sie über andere digitale Kanäle beworben wird und im Netz gut sichtbar sowie leicht auffindbar ist.

Unbegrenzte Zugänglichkeit   Im Unterschied zu physischen Ausstellungen ist der Besuch eines fixen Ortes im Digitalen nicht mehr nötig, so dass die unbeschränkte Zugänglichkeit ein wesentliches Merkmal digitaler Ausstellungen darstellt. In dieser Hinsicht ist das 1930 von Friedrich Kiesler konzipierte „Telemuseum“ – eine drahtlose Übertragung von Bildergalerien in einem Museum ‚ohne Wände‘ – durchaus Wirklichkeit geworden: „Just as operas are now transmitted over the air, so picture galleries will be. From the Louvre to you, from the Prado to you, from everywhere to you. You will enjoy the prerogative of selecting pictures that are compatible with your mood or that meet the demands of any special occasion. Through the dials of your Teleset you will share in the ownership of the world’s greatest art treasures.“29

29 Zit. nach: Danny Birchall: Google Art Project vs the Delirious Museum. https://museumcultures. wordpress.com/tag/telemuseum/ (letzter Zugriff: 18.08.2021).

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Internetzugang und technisches Equipment vorausgesetzt, kann jede Person Ausstellungsgegenstände im Digitalen zeit- und ortsunabhängig betrachten, man kann aber auch Interessierte erreichen, die im Analogen überhaupt keinen Zugang zu Museen haben: Insofern haben digitale Ausstellungen durchaus demokratisches Potenzial. Darüber hinaus können sie bei exkludierenden Faktoren wie Sprache oder Beeinträchtigung ihre Stärken ausspielen. So lassen sich mit weniger Aufwand als im Physischen digitale Ausstellungsvarianten in Fremdsprachen, leichter oder einfacher Sprache realisieren, so dass Besucherinnen und Besucher nicht durch ‚klassische‘, oft mit Fachbegriffen versehene Texte ‚abgeschreckt‘ werden. Zusätzlich kann man Videos in Gebärdensprache, herunterladbare Booklets oder Telefonführungen für Blinde oder Sehbehinderte einsetzen.

Abb. 3: Zeit-, ortsunabhängig und ggf. barrierefrei zugänglich: Screenshots der Website zur Ausstellung Die Stadt. Zwischen Skyline und Latrine, Sächsisches Museum für Archäologie in Chemnitz, 2021. https://www.stadt-im-smac.de/ (letzter Zugriff: 18.08.2021).

Ein gelungenes Beispiel für eine inklusive digitale Ausstellung bietet die Website zur physischen Ausstellung Die Stadt. Zwischen Skyline und Latrine im Sächsischen Museum für Archäologie in Chemnitz (2021): Trotz linearer Abfolge ist sie visuell ansprechend gestaltet und enthält viele Möglichkeiten der Interaktion

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und Vertiefung, Videos in Laut- und Gebärdensprache, Panaromablicke in die Ausstellung sowie eine eigene Website in leichter Sprache.30

Kuratorische Nachhaltigkeit: Digitale Nachnutzung und Dokumentation  Ein weiterer Punkt betrifft die Nachnutzug der kuratierten Inhalte und Themen im Hinblick auf deren digitale Nachhaltigkeit. Eine physische Sonderausstellung endet nach einigen Monaten. Der zugehörige Ausstellungskatalog macht zwar Exponate, Ausstellungstexte und weitere Beiträge zugänglich, vermittelt aber nur selten einen Eindruck von der räumlichen Gestaltung und dreidimensionalen Zurschaustellung. Die fotografische Dokumentation einer physischen Ausstellung – sei es in Form von Panoramaaufnahmen oder 360°-Fotos, ggf. mit weiteren Objektfotos, anklickbaren Texten, Medieneinheiten etc. – und deren digitale Präsentation, schafft diesbezüglich Abhilfe, lässt die räumliche Gestalt erkennen und speichert diese dauerhaft im Netz. In diesem Sinne veröffentlicht beispielsweise das Museum of Fine Arts in Budapest ergänzende digitale Ausstellungen zu seinen physischen Sonderausstellungen in Form linearer Websites, die kostenfrei sind und auf der Landing Page hilfreiche Informationen zum Umfang der Schau und zum Zeitbedarf eines Online-Besuchs enthalten.31 Darüber hinaus dokumentiert das Museum seit einigen Jahren seine Sonderausstellungen in Zusammenarbeit mit einer Medienagentur32 in Form individuell steuerbarer Online-Rundgänge, womit diese auch nach Schließung weiter für die Öffentlichkeit zugänglich sind. Diese digitalisierten Sonderausstellungen werden obendrein aktiv nachgenutzt, indem über die Videokonferenzsoftware ZOOM digitale Live-Führungen von Kuratorinnen und Kuratoren sowie von Vermittlerinnen und Vermittlern durchgeführt werden: Diese leben von der persönlichen Kommunikation mit dem Publikum, dem auch schon mal ein analoges Objekt über den Bildschirm gezeigt wird und das sogar bereit ist, hierfür Tickets zu ordern.33 Denn eine entscheidende Frage wird insbesondere im musealen Bereich auch sein, wie sich mit digitalen Angeboten im Rahmen des digitalen Kulturtourismus Einkünfte erzielen lassen. Hier lässt sich mit unterschiedlichen Bezahlmodellen experimentieren (freiwilliger Betrag, Bundle- oder Parkuhr-Modelle, Jahresmitgliedschaften etc.), um herauszufinden, wie sich in der überwiegend kostenfreien virtuellen Welt Einnahmen generieren lassen.

30 https://www.stadt-im-smac.de/ (letzter Zugriff: 18.08.2021). 31 https://www.mfab.hu/tips-for-walking/ (letzter Zugriff: 18.08.2021). 32 Vgl. https://dotsamazing.com/ (letzter Zugriff: 18.08.2021). 33 Vgl. https://jegymester.hu/production/70672/hungarian-national-gallery-a-magyar-nemzetigaleria-remekmuvei-online-tarlatvezetes-zoom-platformon (letzter Zugriff: 18.08.2021).

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Zwar erscheinen die Entwicklungen noch offen, doch: werden digitale Ausstellungen etwa als wissenschaftliche Publikation, forschungsnahe Services oder als Teil sammlungsbezogener Forschung34 verstanden, dann gehören diese zu einer Digitalstrategie, die wiederum einer offenen und freien Wissenschaftskultur im Sinne des Open-Science-Ansatzes verpflichtet ist und Monetarisierung zurückstellt. Unabhängig davon verschwinden Exponate in einer digitalen Ausstellung nicht wieder im Depot, bleiben Wissensbestände anhaltend zugänglich, können digitaler Content und digitale Medien (Videos, Audios etc.) bei anderen Gelegenheiten digital oder hybrid weiter verwendet werden etc. – allesamt bedenkenswerte Aspekte einer kuratorischen Nachhaltigkeit, die zur Stärkung und Sichtbarkeit von Ausstellungen des Museums als Wissensspeicher beitragen.

Digitalen Raum gestalten: Verknüpfen, vernetzen, verlinken &  experimentieren  In physischen Ausstellungen hat sich der gestaltete Raum im le tzten Vierteljahrhundert zu einem prägenden Merkmal entwickelt: „erlebnisorientierte, die Sinne ansprechende Räume“ sowie der „Einsatz von Licht, Farbe, Klang und Geruchsstationen“ verstärken die Erfahrung von Immersion; „Dreidimensionalität“, „Echtheit“ (Erika Keil) und die körperliche, „leibliche Anwesenheit“ (Gernot Böhme) von Besucherinnen und Besuchern prägen die spezifische Atmosphäre eines Raums.35 In digitalen Ausstellungen ist dies schwieriger nachzubilden, wenngleich auch dort auf die „Rezeptionserwartungen“ physischer Ausstellungen (Hängung, Sichtachsen etc.) Bezug genommen wird.36 Andererseits scheinen wir im abstrakten digitalen Raum doch auch bestimmte Strukturen zu suchen, die uns Orientierung bieten. Deshalb wurde im ehrenamtlich aufgebauten Virtuellen Geschichtsmuseum der Stadt Halle/Westfalen unter dem Titel Haller ZeitRäume – Virtuelles Geschichtsmuseum die Raumstruktur eines Hauses digital nachgebaut.37 Es verfügt über Dauer- und Sonderausstellungen, Timeline, Exponatlisten und baut mit Geschichtspfad und Museumspädagogik Verbindungen in die physische Welt auf. Doch auch an diesem abwechslungsreichen, sehr interaktiven Beispiel zeigt sich die Gefahr, dass der virtuelle Raum

34 So z. B. in den Beiträgen von Stephanie Jacobs, Swantje Dogunke sowie Hendrikje Carius und Carsten Resch in diesem Band. 35 Stefan Paul: Kommunizierende Räume. Das Museum, in: Alexander C. T. Geppert, Uffa Jensen, Jörn Weinhold (Hrsg.): Ortsgespräche. Raum und Kommunikation im 19. und 20. Jahrhundert, Bielefeld 2005, S. 341–357, hier S. 352, 355, 356. 36 Siehe den Beitrag von Martin Siefkes in diesem Band, hier S. 69. 37 Vgl. https://www.haller-zeitraeume.de/ (letzter Zugriff: 18.08.2021).

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nur noch als „Hülle für Installationen interessant [ist], weniger als dramaturgisches Element“ (bei virtuellen Rundgängen durch echte Räume ist das anders, weil Raum und Interieur eine bruchlose Einheit bilden).38 Vielleicht sollte man deshalb auch „künstlerische Strategien im Umgang mit dem digitalen Raum“ in Erwägung ziehen, die Inhalt und räumliche Gestaltung miteinander verzahnen.39

Abb. 4: Virtueller Museumsraum: Haller ZeitRäume - Virtuelles Geschichtsmuseum der Stadt HalleWestfalen, Quelle: https://www.haller-zeitraeume.de/ (letzter Zugriff: 18.08.2021).

Doch wie lässt sich im virtuellen Raum die in physischen Ausstellungen so zentrale räumliche Dramaturgie herstellen? Das dynamische Wissensportal The Museum of The World des British Museum und Google Culture Institute aus dem Jahr 2020 zeigt einen Zeitstrahl in einem endlosen virtuellen Raum.40 In diesem abstrakten Zeit-Raum-Kontinuum können Objekte chronologisch, geographisch (Afrika, Amerika, Asien, Europa und Ozeanien) sowie inhaltlich-thematisch (Kunst und Design, Leben und Sterben, Macht und Identität, Religion und Glaube sowie Handel und Konflikt) sortiert, neu entdeckt und miteinander verknüpft werden, so das verräumlichte Wissenspfade im Digitalen entstehen. Aber auch Vernetzungen und Verlinkungen, welche Bezüge oder Kooperationen aufzeigen, können im virtuellen Raum als dramaturgisches Element dienen. Bei alldem scheint es freilich wichtig, dass digitale Exponate, Begleitobjekte/-materialien und Medien (Audios, Videos, Timelines, Zeitreisen-Features, virtuelle 38 Paul: Kommunizierende Räume, S. 356. 39 https://www.museum4punkt0.de/virtuelle-ausstellungen-medium-ohne-eigene-identitaet/ (letzter Zugriff: 18.08.2021). 40 https://britishmuseum.withgoogle.com/ (letzter Zugriff: 18.08.2021). Vgl. den Beitrag von Martin Siefkes in diesem Band, S. 76–77.

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Animationen, Viewer, interaktive Grafiken, Augmented und Virtual Reality etc.) im Sinne von „Contextually Embedded and Integrated“ in die Ausstellungsgestaltung eingebettet werden: „Displays that have a clearer relation to their environment fare much better, but they need to be carefully designed“.41 Dies meint, dass sie ästhetisch ansprechend und quasi ‚organisch‘ in den Hintergrund bzw. Gestaltungskontext integriert sind, um ein immersives Ausstellungserlebnis im Digitalen zu evozieren,42 und nicht wie ein ‚hineinkopierter‘ Fremdkörper wirken.

Abb. 5: Digitales Zeit-Raum-Kontinuum The Museum of The World, British Museum/Google Culture Institute, 2020, Quelle: https://britishmuseum.withgoogle.com/ (letzter Zugriff: 18.08.2021).

Digitale Interaktionen: Inhaltlich und sozial interagieren   Wie schon in der Definition digitaler Ausstellungen angeklungen ist, gehört das digitale Interagieren zu den zentralen Anforderungen. Dies betrifft zunächst die inhaltlich-technische Seite, also die Entdeckung, Vertiefung und Vernetzung mit digitalen Exponaten und Themen: Interaktionstechniken wie Klicken, Scrollen, Wischen, Zoomen etc. sind hierbei üblich, für Besucherinnen und Besucher 41 Eva Hornecker, Luigina Ciolfi: Human-Computer Interactions in Museums, Williston/Vermont 2019, S. 20. Der Band bezieht sich auf physische Ausstellungen, wobei zu prüfen ist, inwieweit die Ergebnisse ins Digitale übertragen werden können. 42 Unter Immersion wird das atmosphärische Eintauchen in einen mittels audiovisueller Medien virtuell erweiterten Raum verstanden. Zu diesem Effekt vgl. etwa Katie Heidsiek: Deutsches Auswandererhaus Bremerhaven (Hrsg.): Berührt es mich? Virtual Reality und ihre Wirkung auf das Besuchserlebnis in Museen – eine Untersuchung am Deutschen Auswandererhaus, Bremerhaven 2019. https://doi.org/10.5281/zenodo.3611352 (letzter Zugriff: 18.08.2021).

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aber umso spannender, wenn sie inhaltlich grundiert, unterhaltend oder spielerisch gestaltet sind und sich von dem abheben, was wir üblicherweise mit Computern tun und etwa auch mit VR-Brille funktionieren. Formen sozialer Interaktion sind bei digitalen Ausstellungen hingegen noch selten, obwohl die Publikumsforschung ergeben hat, dass ein Ausstellungsbesuch gern mit Anderen geteilt und als soziales Erlebnis wahrgenommen wird. In digitalen Ausstellungen sollte es ebenso um Kontakte zu und mit anderen Besucherinnen und Besuchern oder Museumsmitarbeiterinnen und -mitarbeitern gehen: indem man sich trifft, kommuniziert und austauscht. Die nur im Jahr 2020 aktive, virtuelle Ausstellung für den 25. Karneval der Kulturen von Garamantis und Mediapool war als 3D-Raum mit Fotos sowie Chat- und SharingFunktion angelegt.43 Mittels selbst gestalteter bzw. vorgegebener Avatare konnten sich bis zu 250 Besucherinnen und Besucher gleichzeitig treffen, die Ausstellung gemeinsam anschauen und sogar Fotos von früheren Events als digitale Exponate zur Ausstellung beitragen.

Abb. 6: Digitale Ausstellung für den 25. Karneval der Kulturen in einem 3D-Raum mit Avatar, Chat- und Sharing-Funktion, Garamantis/Mediapool, 2020, Quelle: https://www.garamantis.com/de/projekt/virtuelleausstellung-kdk/ (letzter Zugriff: 18.08.2021).

Digitales soziales Interagieren lässt sich also umsetzen, indem wir über virtuelle Gästebücher, Text- oder Video-Chats kommunizieren, mit Avataren in einer Ausstellung agieren oder gemeinsam Rätsel und Aufgaben lösen, ein Quiz spie-

43 Virtuelle Ausstellung für den 25. Karneval der Kulturen in einem 3D-Raum mit Chat- und Sharing-Funktion. https://www.garamantis.com/de/projekt/virtuelle-ausstellung-kdk/ (letzter Zugriff: 18.08.2021). Siehe auch die Ausstellung des virtuellen Flughafens Berlin-Tegel der Kulturund Kreativpiloten Deutschland (2020). https://kultur-kreativpiloten.de/ausstellung/ (letzter Zugriff: 18.08.2021).

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len u. ä. Und vielleicht fällt uns das soziale Interagieren im Digitalen sogar leichter als im Analogen, da es zwar Nähe schafft, aber gleichzeitig Distanz wahrt?

Digitale Partizipation: Kulturelle Teilhabe ermöglichen   Bei physischen Ausstellungen werden, wie beim letzten Beispiel schon angedeutet, Besucherinnen und Besucher längst nicht mehr nur als passive Konsumentinnen und Konsumenten aufgefasst. Sie werden in die Ausstellungen einbezogen und können so auf ‚Augenhöhe‘ aktiv mitmachen und sogar inhaltlich teilhaben. Analog dazu sollten auch digitale Ausstellungen digitale Interaktion und Partizipation ermöglichen, um das Publikum zu involvieren. Kann dieses Kommentare, Meinungen, Erfahrungen, digitale Exponate oder eigenes Wissen beitragen, an der Ausstellung mitarbeiten und zudem mitentscheiden, werden Besucherinnen und Besucher zu inhaltlichen Mitspielerinnen und Mitspielern bzw. zu Ko-Kuratorinnen und Ko-Kuratoren. Dies ist technisch mittels kuratierter oder nicht-kuratierter Tools zum Kommentieren, Feedback geben, Einfügen weiterer Objekte, Informationen etc. durchaus umsetzbar. Digitale Partizipation betrifft aber nicht nur die museale Kernaufgabe des Ausstellens. Jens M. Lill und Werner Schweibenz untersuchten beispielsweise das Dokumentieren von Objekten im Rahmen der „Erschließung von Bildmaterial durch Benutzerbeteiligung“.44 Franziska Mucha plädiert darüber hinaus für eine Ausweitung des Sammelns, indem Besucherinnen und Besucher Sammlungsobjekte „kommentieren und mit spezifischem, Community-abhängigem Wissen“ anreichern oder aber „selbst auf digitalem Weg zu Sammlungen bei[zu]tragen (‚Creation of collections‘).“45 Dieses digitale ‚Crowd-Sourcing‘ auf unterschiedlichen Partizipationsniveaus stärkt das „Audience Engagement“ und kann das „digitale Objekte am Ende [… sogar] viel greifbarer [machen …] als das analoge Objekt“,46 da das kuratorische Wissen um die Wissensbestände des Publikums ergänzt worden ist. Zugleich kann sich eine digitale Ausstellung mit 44 Jens M. Lill, Werner Schweibenz: Partizipative Erschließung von Bildmaterial durch Benutzerbeteiligung mit Social Tagging und Crowdsourcing, in: Guido Fackler, Brigitte Heck (Hrsg.): Identitätsfabrik reloaded?! Museen als Resonanzräume kultureller Vielfalt und pluraler Lebensstile, Marburg 2019, S. 83–94. 45 Eva Tropper: Digitale Beziehungen zwischen Menschen und Museen. Ein Online-Vortrag von Franziska Mucha im Rahmen der Museumsakademie Joanneum zum Nachhören und Nachsehen (19.05.2020). https://www.museum-joanneum.at/blog/digitale-beziehungen-zwischen-menschenund-museen/ (letzter Zugriff: 18.08.2021). Vgl. den Beitrag von Cassandra Kist und Franziska Mucha in diesem Band. 46 Anke von Heyl: Das digitale Objekt. Eine Tagung im Deutschen Museum in München (19.12.2018). www.ankevonheyl.de/das-digitale-objekt-eine-tagung-im-deutschen-museum-in-muenchen/ (letzter Zugriff: 18.08.2021).

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Hilfe digital partizipierender Besucherinnen und Besucher kontinuierlich erweitern und sich von einem abgeschlossenen Wissenssystem zu einem dynamischen, vernetzten Wissensportal wandeln.

EduCurating, visualisieren, erzählen, spielen  Die Themen Interaktion und Partizipation verweisen darauf, dass der Erfolg einer physischen wie digitalen Ausstellung nicht nur auf den kuratierten Inhalten beruht, sondern ebenso davon abhängt, ob man auf die Bedürfnisse und Erwartungen seines Publikums eingeht und dieses gezielt involviert. Insofern liegt es nahe, die Aufgaben von Kuratierung und Vermittlung zusammenzudenken, wie es in dem für Kunstmuseen entwickelten Konzept des „EduCurating“ bereits umgesetzt wird.47 Mit der Perspektive des EduCurating und einer erweiterten Curatorial Literacy stellen sich somit bei jeder Ausstellung einige grundlegende Fragen, welche das zugrunde gelegte Konzept entscheidend prägen: – Was wird inhaltlich präsentiert? → Objekte/Sammlung (objektzentriert), Themen (thematisch), Institution/Ausstellung (repräsentativ) … – Warum? Was ist der Zweck der Ausstellung? → Dokumentation und Präsentation von Forschungsergebnissen im Sinne von Wissenstransfer und Wissenschaftskommunikation, Erinnerung und Gedenken an Menschen und Ereignisse, Kulturelle Bildung, Edutainment und Unterhaltung, Community Building … – Wer? An welches Publikum richtet sich die Ausstellung primär? → Experten, Laien, Familien, bestimmte Milieus und Generationen, Stamm-/Laufpublikum … – Wie? In welcher Art erfolgt die Gesamtnarration? → Akademisch/fachwissenschaftlich, künstlerisch/ästhetisierend, erzählerisch (Storytelling), informativ (Infografiken) … – Welche ausstellungsdidaktischen Mittel werden eingesetzt? → Inhaltliche Interaktionen (Hands-on- bzw. Mitmach-Stationen, Medien, Modelle, Versuchsanordnungen etc.), soziale Interaktionen (Text-, Video-Chats etc.), partizipative Formate (virtuelle Gästebücher, Kommentar-/Feedbackeinheiten, Creation of collections etc.), spielerische Formate (Serious Games etc.) …

47 Vgl. Pat Villeneuve, Ann Rowson Love: Visitor-centered exhibitions and edu-curation in art museums, New York/London 2017. Hierbei ist davon auszugehen, dass eine Ausstellung an sich schon als Vermittlungsinstrument fungiert.

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– Mit wem wird zusammengearbeitet? → Stakeholder, bestimmte Zielgruppen, ausstellungsspezifische Vernetzungen und Kooperationen ...48 In diesem Kontext sind die Ergebnisse des Forschungsprojekts „EyeVisit“, an dem auch Stephan Schwan beteiligt war, aufschlussreich.49 Kurz gesagt, sollten digitale Angebote intuitiv und individualisiert/personalisiert bedienbar sein sowie interaktiv, kontextualisiert/kontextsensitiv, multimedial, partizipativ und kollaborativ konzipiert werden. Auch wenn es in diesem Projekt nicht um digitale Ausstellungen ging, scheinen diese Ergebnisse übertragbar zu sein und können als benutzerzentrierte Erfolgsfaktoren dienen.50 Dies ist umso wichtiger als die Besuchsdauer einer digitalen Ausstellung nur bei einigen Minuten liegt: Damit macht sie nur einen Bruchteil von jener einer physischen Ausstellung aus.51 Dies ist wesentlich darauf zurückzuführen, dass im Digitalen die räumlichen, emotionalen und sozialen Reize bei einem Ausstellungsbesuch deutlich geringer bis gar nicht vorhanden sind und gleichzeitig das Ablenkungspotenzial durch ‚Internet-Zapping‘ deutlich größer ist. Eine diesbezügliche digitale Besucherforschung ist also auch im Hinblick auf eine realistische Einschätzung des Umfangs einer digitalen Ausstellung wünschenswert. Andererseits ermöglicht es der digitale Raum, durch Verfahren der explorativen Sammlungs- und Themenvisualisierung sowie innovative Ansätze der Ausstellungskonzeption wie Storytelling oder Gamification neue multiperspek-

48 Vgl. Guido Fackler: eCulture. Und keine Alternative, in: Hans-Jörg Czech, Kareen Kümpel, Rita Müller (Hrsg.): Transformation. Strategien und Ideen zur Digitalisierung im Kulturbereich, Bielefeld 2021, S. 94–99. 49 Der ausführliche Titel des Kooperationsprojekts von Leibniz-Institut für Wissensmedien (IWM) und Institut für Informatik der Universität Tübingen mit dem Herzog Anton UlrichMuseum Braunschweig zur Entwicklung eines prototypischen Besucherinformationssystem für Kunstmuseen lautete „EyeVisit. Intuitive und personalisierte Besucherinformation im Museum“. Vgl. https://www.iwm-tuebingen.de/www/de/forschung/projekte/projekt.html?name=Eyevisit (letzter Zugriff: 18.08.2021); Evamarie Blattner u. a.: Vom Nutzen psychologischer Forschung für das Kunstmuseum: Das multimediale Besucherinformationssystem EyeVisit, in: Museumskunde 78.2 (2013), S. 100–105. Siehe dazu auch den Abschlussbericht: https://www.leibnizgemeinschaft.de/fileadmin/user_upload/Bilder_und_Downloads/Forschung/Wettbewerb/Vor haben/Abschlussberichte/Sachbericht_komplett_SAW-2011-IWM-6_DE.pdf (letzter Zugriff: 18.08.2021). 50 Vgl. auch https://www.digitalexhibitions.org/?lan=en&q=Digital%20Exhibition (letzter Zugriff: 18.08.2021). 51 Siehe z. B. die Ergebnisse der Benutzerforschung an der Bayerischen Staatsbibliothek München, die zwischen drei und zehn Minuten Besuchsdauer gemessen haben. Vgl. den Beitrag von Christian Eidloth in diesem Band, hier S. 139. Das Kunstmuseum Basel kommt für die Ausstellung Rembrandts Orient auf eine durchschnittliche Verweildauer von vier Minuten. Vgl. https://www.srf.ch/ kultur/kunst/museen-im-lockdown-die-zoom-fuehrung-ersetzt-den-ausstellungsbesuch-nicht (letzter Zugriff: 18.08.2021).

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tivische/polykontextuale, visuelle und narrative Zugänge zu Exponaten, Sammlungen und Themen zu schaffen. So bieten Visualisierungen bei entsprechender Datenqualität neue Sichtweisen auf Ausstellungsgegenstände, auf ihre „auratische Anmutung“52 und auf ihre Beziehungen untereinander, die etwa durch das Distant Viewing auf Sammlungen, die Visualisierung von raum-zeitlichen Zusammenhängen auf Karten, von Netzwerken oder Textcorpora mit Methoden und Technologien der Informationsvisualisierung sowie der Digital Humanities inklusive der Künstlichen Intelligenz generiert werden.53 Experimentelle Projekte finden sich etwa im Rahmen von Google Arts & Culture Experiments, in denen Sammlungsexplorationen mit Realtime Animationen und visuellen Effekten verbunden werden, z. B. Free Fall54. Mit dem an der Fachhochschule Potsdam entwickelten VIKUS-Viewer lassen sich Sammlungen auf einer dynamischen Benutzeroberfläche entlang zeitlicher, thematischer und materialspezifischer Zusammenhänge intuitiv erkunden.55 Die Open-Source-Anwendung wird inzwischen in verschiedenen Einrichtungen eingesetzt, (Modell-)Projekte sind z. B. Goethes Ausleihen aus der Herzoglichen Bibliothek in Kooperation mit dem Forschungsverbund Marbach Weimar Wolfenbüttel56 oder die Visualisierung der Münzsammlung des Münzkabinetts der Staatlichen Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz57. In unterschiedlichen Layouts kann die Sammlung ausgehend von einem Münzhaufen als Ganzes nach verschiedenen Merkmalen visuell gefiltert werden. Diese neuen Darstellungspraktiken erleichtern Laien nicht nur einen ansprechenden visuellen Zugang zu den Beständen. Damit sind zugleich Bedeutungszuweisungen verbunden, deren Entstehungskontexte im Sinne einer digitalen Quellen- und Datenkritik reflektiert werden müssen.58 Der ästhetische Aspekt solcher Visualisierungen verweist unabhängig davon auf eine künstlerisch-visuelle Komponente, die in digitalen Ausstellungen noch stärker zum Tragen kommen könnte: die Einbindung von Kunstwerken aus digitalen 52 Siehe den Beitrag von Dennis Niewerth in diesem Band, S. 181. 53 Vgl. Eva Mayr, Florian Windhager: Vor welchem Hintergrund und mit Bezug auf was? Zur polykontextualen Visualisierung kultureller Sammlungen, in: Udo Andraschke, Sarah Wagner (Hrsg.): Objekte im Netz. Wissenschaftliche Sammlungen im digitalen Wandel, Bielefeld 2020, S. 235–245. https://doi.org/10.14361/9783839455715-017 (letzter Zugriff: 18.08.2021); Florian Windhager, Paolo Federico, Gunther Schreder, Katrin Glinka, Marian Dörk, Silvia Miksch, Eva Mayr: Visualization of Cultural Heritage Collection Data: State of the Art and Future Challenges, in: IEEE Transactions on Visualization and Computer Graphics 25.6 (2019), S. 2311–2330. 54 Kunstwerke können ausgehend von verschiedenen 3D-Visualisierungen (Bing Bang, Sphere, Waves oder Timeline) erkundet werden: Free Fall (2017) von Cyril Diagne und Nicolas Barradeau. https://artsexperiments.withgoogle.com/freefall/ (letzter Zugriff: 18.08.2021). 55 Vgl. https://vikusviewer.fh-potsdam.de/ (letzter Zugriff: 18.08.2021). 56 Vgl. https://vfr.mww-forschung.de/web/goethedigital/vikus (letzter Zugriff: 18.08.2021). 57 Vgl. https://uclab.fh-potsdam.de/coins/ (letzter Zugriff: 18.08.2021). 58 Siehe dazu z. B. Pascal Föhr: Historische Quellenkritik im Digitalen Zeitalter, Glückstadt 2019. Zugl.: Basel, Univ., Diss., 2017. https://edoc.unibas.ch/64111/ (letzter Zugriff: 18.08.2021).

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Sammlungen wie sie etwa im ÖNB LAB Artspace der Österreichischen Nationalbibliothek präsentiert wird.59

Abb. 7: Visualisierung Coins des Urban Complexity Lab der Fachhochschule Potsdam, Quelle: https://uclab.fh-potsdam.de/coins/ (letzter Zugriff: 18.08.2021).

Ist der Einsatz der skizzierten Visualisierungsstrategien in digitalen Ausstellungen denkbar, so gilt es, diese kuratierend mit einer narrativen Perspektive zu verbinden. Digitales Storytelling60 kommt der wachsenden Bedeutung des Narrativen in einer publikumsorientierten Kuratierung und Vermittlung entgegen. Dazu werden narrative Elemente (z. B. Personen, Orte, Ereignisse, Erlebnisse) anschaulich und multimedial in die digitale Präsentation der Ausstellungsthemen integriert. Diese basieren auf historischen oder fiktiven Geschichten und bieten so eine Alternative zu konventionellen, fachwissenschaftlich-beschreibenden Zugängen zu Exponaten und Themen. Beispiele dafür sind die Digitorials des Städelmuseums61 im Storytelling-Stil, das sogenannte Web-Journal Bewegte Jahre. Auf den Spuren der Visionäre62 des Museums für Kunst und Gewerbe Hamburg oder die vom Stadtpalais Stuttgart entwickelte Plattform Stuttgart neu erzählt63 mit von Bürgerinnen und Bürgern digital zur Verfügung gestellten persönlichen Erzählungen aus dem Leben in Stuttgart. Digitales Storytelling fungiert als zentrales Element von Gamification-Ansätzen, die digitale Ausstellungskonzeptio-

59 Vgl. den Start des Artspace mit Rosemary Lee, Cryptographics. https://labs.onb.ac.at/artspace/ (letzter Zugriff: 18.08.2021). Das Werk basiert auf einer Auswahl historischer Postkarten aus den ÖNB Labs, die in Bezug zum Phänomen der Cryptoart gesetzt werden. 60 Vgl. den Beitrag von Jana Hawig in diesem Band. 61 Vgl. https://www.staedelmuseum.de/de/angebote/digitorial (letzter Zugriff: 18.08.2021). 62 Vgl. https://bewegtejahre.mkg-hamburg.de/ (letzter Zugriff: 18.08.2021). 63 Vgl. https://kreativ.mfg.de/digitale-kultur/stuttgart-neu-erzaehlt/ (letzter Zugriff: 18.08.2021).

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nen mit Spielelementen verbinden. Die spielerische Auseinandersetzung mit Ausstellungsinhalten ermöglicht eine handlungsorientierte, interaktive Publikumseinbindung.64 Ausstellungen können dabei vollständig gamifiziert sein, etwa auf der Basis des von etlichen Museen genutzten Videospiels Minecraft. Oder sie können als Gamification-Anwendung in Ausstellungen integriert sein und objektbasierte Interaktionen ermöglichen wie bei Design a Wig vom Victoria and Albert Museum London65 oder Ping! Die Museumsapp, die vom museum4punkt0-Team der Stiftung Humboldt Forum gemeinsam mit dem gamelab.berlin der Humboldt-Universität zu Berlin entwickelt wurde und im Badischen Landesmuseum Karlsruhe bereits in Anwendung ist.66 Der Bezug zu den Ausstellungsinhalten ist bei der Gamification zentral: „Dabei sind die Spiele kein Mittel der Instruktion von Wissen, sondern die Methode zur Umsetzung eines handlungs- und erlebnisorientierten Prinzips der Inhalts-Erschließung, also Orientierungshilfen für selbstgesteuerte Lern- und Erfahrungsprozesse.“67

Entgrenzung und Schärfung des Ausstellungsbegriffs   Ausstellungen gelten gemeinhin als „Königsdisziplin des Museums“.68 Gleichwohl sind sie nicht das alleinige Privileg von Museen, denn schon mit den Welt-, Gewerbe- und Industrieausstellungen wurde das museale Format Ausstellung ab Mitte des 19. Jahrhunderts für kommerzielle und nicht primär bildungsspezifische Interessen adaptiert. Dieser Trend setzt sich mit Ausstellungen in Autohäusern, Show Rooms, Shopping Malls, Verkaufsausstellungen etc. bis heute fort. Im Digitalen wird der Begriff Ausstellung noch unübersichtlicher. Michael Müller weist darauf hin, dass sich digitale Ausstellungen „nur schwer von anderen Formen der Onlinekommunikation im Bereich Kunst, Kultur und Wissenschaft unterscheiden. Sie arbeiten mit den gleichen Elementen wie beispielsweise Museumswebsites, digitale Sammlungskataloge oder Themenseiten, einer

64 Vgl. Stella Doukianou, Damon Daylamani-Zad, Ioannis Paraskevopoulos: Beyond Virtual Museums: Adopting Serious Games and Extended Reality (XR) for User-Centred Cultural Experiences, in: Visual Computing for Cultural Heritage Springer Series on Cultural Computing, 2020, S. 283–299. https://doi.org/10.1007/978-3-030-37191-3_15 (letzter Zugriff: 18.08.2021). 65 Vgl. https://www.vam.ac.uk/designawig (letzter Zugriff: 18.08.2021). 66 https://www.museum4punkt0.de/ergebnis/ping-die-museumsapp-spielerisch-durchs-museum/ sowie https://www.landesmuseum.de/ping (letzter Zugriff: 18.08.2021). 67 Siehe den Beitrag von Bastian Schlang in diesem Band, hier S. 255. 68 Friedrich Waidacher: Vom Wert der Museen, in: Museologie Online 2 (2000), S. 1–20, hier S. 6.

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Kombination von Medien – Bildern, zunehmend auch Videos und 3D-Animationen und Texten.“69 Die Übergänge zwischen digitalen Sammlungen, thematischen Websites und digitalen Ausstellungen sind daher oft fließend, wenngleich das „Standardelement der meisten virtuellen Ausstellungen […] die Kombination von Objektabbildung und Textkommentar [vorherrschend ist], wobei die Objekte in thematischem Kontext präsentiert werden, in signifikanter Auswahl und eingebunden in ein kuratorisches Narrativ.“70 Dabei haben sich Ausstellungen längst auf Plattformen wie Instagram oder Twitter ausgeweitet.71 Noch mehr verschwimmt das Verständnis einer Ausstellung in Google Arts & Culture, einer Anwendungsplattform des Google Cultural Institute. Hier werden aktuell über „1.400 kulturelle Institutionen aus 70 Ländern, mehr als 200.000 hochauflösende Digitalbilder von Originalkunstwerken, 7 Millionen archivierte Artefakte, über 1.800 Street View-Museumsaufnahmen und mehr als 3.000 von Experten kuratierte Online-Ausstellungen“ präsentiert.72 Angesichts dieser Unübersichtlichkeit gilt es, das Verständnis einer musealen Ausstellung, sei sie nun physisch oder digital, im Verständnis einer kuratierten Präsentation von Exponaten, Sammlungen und Themen im Web, museologisch zu schärfen.73 Hierbei sind die Entwicklungen etwa im Bereich der Medien- und Kommunikationswissenschaften, der Gestaltungs- und Design-Disziplinen, der Digital Humanities, der infrastrukturellen Rahmenbedingungen mit den genannten FAIR-Data-Principles sowie Fragen der Datenmodellierung, Metadatenstandards und -strukturierung oder kontrollierten Vokabulare und Normdatenverknüpfungen nicht aus dem Blick zu verlieren. Entscheidend hierbei ist, dass digitale Technologien nicht nur inhaltlich, sondern auch gestalterisch und didaktisch in ein Gesamtkonzept eingebunden sind. Deshalb bedürfen digitale Ausstellungen der Kuratierung, freilich im erweiterten Verständnis des digitalen EduCurating. Dabei scheint es im Digitalen schwieriger als im Analogen, die Aufmerksamkeit eines Publikums zu gewinnen, zu halten und dieses zum Zurückkommen zu motivieren. Außerdem ist die Diversität des digitalen Publikums größer. Um im Feld digitaler Ausstellungen zu reüssieren, muss man sich daher noch viel konsequenter auf die Bedürfnisse und Erwartungen des digitalen Publikums einstellen und die Chancen digitaler Interaktion und Partizipation nutzen. Damit wird die Bedeutung der Vermittlung, des Narrativen und

69 Siehe den Beitrag von Michael Müller in diesem Band, hier S. 39. 70 Ebd., S. 40. 71 Vgl. https://musermeku.org/andy-picci-isolation/ (letzter Zugriff: 18.08.2021). 72 https://support.google.com/culturalinstitute/partners/answer/4395223?hl=de&ref_topic=4387717 (letzter Zugriff: 18.08.2021). 73 Vgl. den Beitrag von Guido Fackler in diesem Band.

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neuer konzeptioneller Ansätze (Storytelling, Gamification) gestärkt. Gleichzeitig zeigt sich die Notwendigkeit einer digitalen Publikumsforschung74 und einer konsequenten Auseinandersetzung des Ausstellungs- und Museumssektors mit Digitalität und Internet (Digital/Data Literacy), dazu ist die Zusammenarbeit des GLAM-Bereichs mit den Digital Humanities, der Informationswissenschaft sowie den Medien- und Kommunikationswissenschaften und den GestaltungDisziplinen zentral. Zugleich sind digitale Ausstellungen als eigenständiges museales Format zu begreifen, das unser Verständnis von analog und digital in puncto Ausstellung, Materialität–Immaterialität sowie Objekt/Exponat herausfordert. Ihre Chancen und Stärken (aber auch Unterschiede zu physischen Ausstellungen) liegen in der Ermöglichung folgender Aspekte: – orts- und zeitunabhängige Zugänglichkeit für Alle, auch unter dem Gesichtspunkt der Inklusion, – multimediale und multiperspektivische Zugänge zu Digital Born Objects und digitalisierten Objekten, Dokumenten, Themen und Sammlungen, – umfassende (individualisierte) Kontextualisierung und globale, lineare oder hypermediale Vernetzung inklusive der Darstellung semantischer Beziehungen zwischen Objekten und Inhalten (Linked Open Data), – Kommunikation mit und zwischen Ausstellungsbesucherinnen und -besuchern, welche die dargebotenen Inhalte kreativ durch digitale Interaktion und Partizipation aneignen, kommentieren und ergänzen können, – Kommunikation des Ausstellungspublikums mit Ausstellungsmacherinnen und -machern, – potenziell unbegrenzte inhaltliche Erweiterung und hypermediale Vernetzung, wodurch digitale Ausstellungen nicht mehr abgeschlossen sein müssen, sondern dynamisch expandieren können, – Verlinkung von analog und digital durch eine hybride Durchdringung physischen und digitalen Ausstellens. Derart stellen digitale Ausstellungen eine sinnvolle Ergänzung und durchaus eine Alternative zu physischen Ausstellungen dar. Dabei reicht es nicht aus, das Analoge ins Digitale zu übertragen. Vielmehr gilt es, die Ausdrucksmöglichkeiten des jeweiligen Mediums auszuloten und den Mehrwert digitaler Ordnungsmöglichkeiten zu nutzen. Hier setzen standardisierte Datenformate, Schnittstellen und Technologien, die quasi den Wesenskern digitaler Informationstechnologien ausmachen, sowie die Berücksichtigung von Fragen der Datenund Informationssicherheit und des Datenschutzes engere technische Grenzen

74 Vgl. den Beitrag von Werner Schweibenz in diesem Band.

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als bei physischen Ausstellungen. Mit dem Wissen darum sollten digitale Ausstellungen gleichwohl experimentierfreudig und künstlerisch gestaltet werden können, aber auch innovative Evaluations-, Reflexions- und Analyseformate nutzen,75 um eher einförmige Text-Bild-Präsentationen kreative, nutzerzentrierte Formate entgegenzusetzen.

75 Vgl. den Beitrag von Martin Siefkes in diesem Band. Im Sinne einer benutzerzentrierten Gestaltung lassen sich auch methodische Ansätze aus dem Bereich des Design Thinking schon bei der Erarbeitung und Realisierung digitaler Ausstellungen nutzen. Vgl. Guido Fackler: Contextual Design als Weg zur publikumsorientierten Kulturvermittlung im Museum, in: Christine Ott, Dieter Wrobel (Hrsg.): Öffentliche Literaturdidaktik. Grundlegungen in Theorie und Praxis, Berlin 2018, S. 223–239.

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Virtuelle Ausstellungen. Potenziale und Grenzen 

Museen, Bibliotheken und Archive, Forschungseinrichtungen und Gedenkstätten, Galerien sowie Künstlerinnen und Künstler präsentieren Exponate auf Websites im Internet. Für dieses seit Jahrzehnten vertraute Phänomen hat sich der leicht futuristisch getönte Begriff ‚virtuelle Ausstellung‘ eingebürgert, vor allem, wenn dieses Medium zum Gegenstand konzeptioneller oder theoretischer Diskurse wird. Man könnte ebenso gut von Online-Ausstellungen oder digitalen Präsentationen sprechen, und tut es gelegentlich auch.1 Dass das begriffsgeschichtliche Glücksrad bei ‚virtuell‘ stehen geblieben ist, sollte man nicht überbewerten. Wenn wir diesen Begriff hier dennoch beim Wort nehmen, ist dies eine bloß heuristische Operation mit dem Ziel, das inzwischen vertraute Medium gegen den Strich zu bürsten, indem wir es mit dem konfrontieren, was eigentlich gemeint sein müsste, wenn man von virtuellen Ausstellungen spricht. Sie müssten demnach das Äquivalent, das Analogon, vielleicht auch die Simulation einer Ausstellung im Digitalen sein. Sind sie das? Phänomenologisch lassen sich virtuelle Ausstellungen nur schwer von anderen Formen der Onlinekommunikation im Bereich Kunst, Kultur und Wissenschaft unterscheiden. Sie arbeiten mit den gleichen Elementen wie beispielsweise Museumswebsites, digitale Sammlungskataloge oder Themenseiten: einer Kombination von Medien – Bildern, zunehmend auch Videos und 3D-Animationen – und Texten. Konstitutiv für das Medium ist die kommunikative Zielsetzung, ein digitales, also über das Internet zugängliches Äquivalent für eine Ausstellung zu schaffen. Es versteht sich von selbst, dass bei solchen Transpositionen vom Analogen ins Digitale keine Eins-zu-eins-Entsprechungen entstehen, ein E-Book nicht dasselbe ist wie ein gedrucktes Buch, der Einkauf bei Amazon etwas anderes als der Einkauf im Kaufhaus, eine Videokonferenz etwas

1 Zur Begriffsverwendung siehe Katja Selmikeit: Virtuelle Ausstellungen von Bibliotheken: Konzepte, Präsentationsverfahren und Nutzungsaspekte, in: Perspektive Bibliothek 3.1 (2014), S. 163–185 (mit ausführlichen Literaturhinweisen).

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anderes als die persönliche Zusammenkunft. Wobei man in den genannten Fällen schon davon ausgeht, dass die Kernfunktion – ein Werk lesen, Waren kaufen, sich besprechen – im Wesentlichen erhalten bleibt. Ist dies bei virtuellen Ausstellungen auch der Fall? Das Standardelement der meisten virtuellen Ausstellungen ist die Kombination von Objektabbildung und Textkommentar, wobei die Objekte in thematischem Kontext präsentiert werden, in signifikanter Auswahl und eingebunden in ein kuratorisches Narrativ. Die physische Entsprechung für diese Konstellation, deren Kernfunktion erhalten bleibt und nur ins Digitale transponiert wird, ist leicht auszumachen: Es ist der Ausstellungskatalog, nicht die Ausstellung. Wesentliche Teile der Ökonomie von funktionaler Erweiterung und Reduktion gegenüber dem originären Medium Ausstellung gelten für virtuelle Ausstellungen ebenso wie für gedruckte Ausstellungskataloge. Sie sind potenziell zeitlich unbegrenzt und ortsunabhängig verfügbar, dafür präsentieren sie keine Originale, sondern nur Reproduktionen. Typischerweise haben die Texte einen höheren Anteil als in der Ausstellung, die Kontextualisierung greift weiter aus, das Narrativ ist expliziter präsent, wird also stärker im Text diskursiv manifestiert. Nimmt man, wie gesagt: in heuristischer, nicht in ontologisierender Absicht, den Begriff virtuelle Ausstellung ernst, unterbietet vieles, was als virtuelle Ausstellung firmiert, den Anspruch, eine Ausstellung zu sein. Nun hat sich dieses Normalformat der digitalen Ausstellung nicht zufällig etabliert. Es ist nicht das Ergebnis eines begrifflichen Missverständnisses, sondern das Resultat der Eigendynamik der medialen, technischen und nicht zuletzt ökonomischen Bedingungen, unter denen digitale Ausstellungen entstehen. Diese Normalität zu verlassen, fordert die beteiligten Akteure, d. h. die beauftragende Kultureinrichtung, insbesondere die mit Konzeption, Gestaltung und Realisierung Beauftragten, erheblichen Einsatz an Energie, Ressourcen und Kreativität ab. Damit stellen sich zwei Fragen: Warum sollte man diesen Aufwand erbringen und lässt sich ein Mehrwert überhaupt realisieren? Könnte das, was die physische Ausstellung ausmacht, was sie gegenüber dem begleitenden Ausstellungskatalog auszeichnet, überhaupt ins Digitale übertragen werden? Die erste Frage ist sehr viel einfacher zu beantworten als die zweite: Physische Ausstellungen sind seit über hundert Jahren ein etabliertes, seit den späten 1960er Jahren ein überaus erfolgreiches Medium, sie ziehen jedes Jahr viele Millionen Besucher an, sie sind in vielen Bereichen von Kunst, Kultur und Wissenschaft neben dem Sachbuch die wichtigste Schnittstelle zur breiten Öffentlichkeit. Verglichen damit ist die virtuelle Ausstellung noch immer ein Randphänomen. Physische Ausstellungen sind im Kulturleben der Städte durch Plakate und Banner unübersehbar präsent, sie sind Gesprächsthema und Gegenstand der Kritik und Berichterstattung, nicht selten sogar in den Abendnachrichten. Verglichen

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damit sind virtuelle Ausstellungen in der digitalen Öffentlichkeit noch immer eine quantité négligeable. Zu überlegen, wie etwas von der Popularität und Wirkmacht der physischen Ausstellungen auch bei ihren digitalen Pendants, den virtuellen Ausstellungen im Internet, realisiert werden kann, ist unter den Bedingungen einer zunehmenden Digitalisierung der Gesellschaft nicht nur ein lohnendes, sondern auch ein dringend gebotenes Unterfangen. Nur, kann das digitale Medium virtuelle Ausstellung dies überhaupt leisten? Wie müsste eine digitale Ausstellung aussehen, wie müsste sie strukturiert sein, welche User Experience müsste sie vermitteln, um an die Erfolgsgeschichte des Veranstaltungsformats kunst- und kulturhistorische Ausstellung anknüpfen zu können? Man kann diese Fragestellung aus zwei Richtungen angehen. Ein Ansatz ist, zu fragen, was andere digitale Kommunikationsformen im Bereich Kunst und Kultur erfolgreich macht und was den virtuellen Ausstellungen in ihrer bisher üblichen Form fehlt, um ebenso gut angenommen zu werden. Es geht dann um Aspekte, die etwa unter dem Stichwort Museum 4.0 thematisiert werden: Involvierung der Nutzerinnen und Nutzer durch partizipative Elemente, Einbeziehung der sozialen Medien, verstärkter Einsatz audiovisueller Medien und interaktiver Visualisierungen, Immersion durch Augmented oder Virtual Reality, Vernetzung über Institutionen, Themen und Regionen hinaus. Der Grundgedanke, der diese Bestrebungen motiviert, ist sicherlich richtig. Digitalität entfaltet immer dort ihre disruptive Dynamik, wo sie neue Möglichkeiten eröffnet, wo das Digitale mehr ist als die Übertragung von etwas Analogen, wo die originären Möglichkeiten des Digitalen zur Geltung kommen. Aus dieser Perspektive betrachtet, erscheint das Format virtuelle Ausstellung obsolet, die thematische Präsentation von Exponaten würde aufgehen in einer sehr viel dynamischeren, stärker vom spontanen Erlebnisinteresse der Nutzerinnen und Nutzer aus konzipierten Konstellation digitaler Angebote. Die Frage, wie man das Wesentliche an einer physischen Ausstellung ins Digitale übertragen kann, wirkt vor diesem Hintergrund fast etwas naiv. Man sollte diesen Ansatz dennoch nicht vorschnell verwerfen. Konsequent digital gedacht, löst sich das Medium Ausstellung als Formation der Kultur- und Wissenschaftskommunikation auf im großen Strom der digitalen Erlebniswelten. Das mag, gemessen an Reichweite und Nutzerzufriedenheit, erfolgreich sein, es wäre aber auch ein Verlust im Hinblick auf das, was Ausstellungen leisten – Operation gelungen, Patient tot. Das Veranstaltungsformat Ausstellung ist nicht nur erfolgreich im Sinne von populär, es ist eine der großen Schnittstellen zwischen der wissenschaftlichen Arbeit – Sammeln, Bewahren, Erforschen, Erschließen – und der interessierten Öffentlichkeit (Vermitteln). Breit ist, um das Bild der Schnitt-

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stelle etwas zu strapazieren, nicht nur die Öffentlichkeit, an die sich Ausstellungen richten, breit ist auch der Beitrag von Kuratorinnen und Kuratoren sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zur Entstehung einer Ausstellung. Exponate thematisch auszuwählen, zu gruppieren, zu arrangieren, zu inszenieren und zu kommentieren ist nicht primär die Aufgabe einer Vermittlungsabteilung, die am Ende selbstverständlich einen wichtigen Beitrag zum Gelingen leistet. Das kuratorische Team ist in der Regel selbst wissenschaftlich aktiv und kompetent und beispielsweise über Leihgeber, Beiträger und Bearbeiter oder den wissenschaftlichen Beitrag vielfältig mit der Forschungslandschaft vernetzt. Über Ausstellungen kommuniziert ein erheblicher Teil der Scientific Community mit dem Publikum und zwar auch auf der sinnlich-ästhetischen Ebene, also nicht nur durch Textarbeit, und dies – im Unterschied zur Fachliteratur – mit einem Millionenpublikum und mit relativ niedrigen Zutrittsschwellen. Unter diesen Prämissen, wenn man also den spezifischen Wert des Mediums Ausstellung bewahren möchte, sich aber zugleich der Eigengesetzlichkeiten der Digitalität bewusst ist, lässt sich die Aufgabe wie folgt beschreiben: Eine virtuelle Ausstellung soll das leisten, was eine physische Ausstellung leistet, allerdings im Rahmen dessen, was ein digitales Medium mit Reproduktionen originaler Artefakte, also ohne Originale, leisten kann, und unter Nutzung dessen, was gerade ein digitales, interaktives Medium leisten kann. Als digitales Medium soll die virtuelle Ausstellung die medienspezifischen Limitierungen berücksichtigen und die medienspezifischen Potenziale nutzen. Was leistet also eine Ausstellung über die erwähnte thematische Zusammenstellung und Kontextualisierung hinaus, das gleichsam über den Medientransfer hinweggerettet werden soll? Einen ersten Aspekt könnte man unter dem Begriff der Reduktion zusammenfassen. Ausstellungen reduzieren die Menge dessen, was man zu einem Thema zeigen, sagen und erklären könnte, auf ein Maß, das es erlaubt, zu sagen, man habe ‚eine Ausstellung gesehen‘, wie man sagt, man habe einen Film oder ein Theaterstück gesehen oder ein Buch gelesen, während man ein Museum nicht in diesem Sinne gesehen und eine Bibliothek nicht gelesen hat. Bei vielen Ausstellungen, gerade bei den großen und erfolgreichen, ist dies eher Anspruch als Wirklichkeit. Der Anteil der Besucherinnen und Besucher, die jedes Exponat ausführlich betrachtet haben, dürfte recht gering sein. Letztlich ist auch die Ausstellung, wie etwa das Museum, ein offenes Angebot zur Auseinandersetzung mit den Exponaten, das Besucherinnen und Besucher mehr oder weniger extensiv und intensiv wahrnehmen. Bei der Ausstellung hat dieses Angebot aber einen Anfang, eine Mitte und ein Ende, hat das Ausstellungsnarrativ Kernbotschaften und Randaspekte. Insofern ist die Fiktion der Rezipierbarkeit produktiv, weil damit das Erleben der Ausstellung als sinnhaftes, sinnvermittelndes Medium vorgeprägt

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wird, auch wenn es sich das in der konkreten Realität des Ausstellungsbesuchs oft nur ansatzweise einstellt. Bei virtuellen Ausstellungen ist diese Balance schwerer zu finden und leichter zu verfehlen. Als problematisch erweist sich zunächst eine Stärke des digitalen Mediums: die quantitative Entgrenzung. Für digitale Exponate fallen keine Versicherungsgebühren und Transportkosten an, und die Ausstellungsfläche einer virtuellen Ausstellung ist im Prinzip unbegrenzt. Die Aufnahmefähigkeit der Besucherinnen und Besucher bleibt freilich ebenso limitiert wie beim Besuch einer physischen Ausstellung. Man kann sogar davon ausgehen, dass die Aufmerksamkeit vor dem Bildschirm noch deutlich schneller aufgebraucht ist als im physischen Raum vor Exponaten, in dem man sich mit dem ganzen Körper bewegt und nicht nur mit dem Auge und dem klickenden Zeigefinger. Das Wechselspiel von Raum und Zeit, Nähe und Nachbarschaft, abschreitbarer Sequenz und Akzentuierung in der Blickachse, verliert im digitalen Raum an Substanz. In der Praxis der Gestaltung virtueller Ausstellungen sind zwei Paradigmen dominant. Die Linearisierung, die Festschreibung auf ein einsträngiges Narrativ auf der einen, und die mehr oder weniger vollständige Aufgabe der Sequenzialität zugunsten eines vernetzten oder hierarchisch gegliederten Gefüges auf der anderen Seite. Im ersten Fall tendiert das Format zu einer textlich kommentierten Slideshow, im zweiten zu einem offenen Themenportal. Mit Die Welt der Habsburger hat die Schloss Schönbrunn Kultur- und Betriebsgesellschaft m.b.H 2010 ein frühes, ebenso beeindruckendes wie ambitioniertes Beispiel für solch eine offene Struktur vorgelegt (Abb. 1).

Abb. 1: Screenshot aus der Ausstellung Die Welt der Habsburger, Quelle: https://www.habsburger.net/ de/portraits (letzter Zugriff: 25.06.2020).

Die Basis bilden eine Vielzahl von Objektpräsentationen und Thementexten, die in fünf Dimensionen überlappend gruppiert sind – Themen, Aspekte, Zeit-

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räume, Habsburger, Personen, Orte & Ereignisse. Zusätzlich bietet diese virtuelle Ausstellung die Möglichkeit, sich das umfangreiche Material über sechs Modi zu erschließen. Über die Porträts der historischen Persönlichkeiten, über eine Zeitreise, also einen bebilderten Zeitstrahl, über eine Landkarte, den Stammbaum des Hauses Habsburg sowie zwei umfassende Materialsammlungen, eine Mediathek mit allen Objekten und den ‚Textmodus‘ mit allen Thementexten. Auf der Ebene der Einzelinhalte gibt es immer vielfältige Anknüpfungspunkte, um sich von dort aus das Themenfeld weiter zu erschließen, sei es nach einer sequenziellen Logik (nächstes Kapitel), sei es durch Querbezüge (relevante Kapitel, weiterführende Inhalte).2 Das entgegengesetzte Extrem markieren die Ausstellungen der großen Plattformen. Die virtuelle Bibliothek Europeana hat sich nach einer Phase des Experimentierens auf ein minimalistisches ‚Ausstellungs‘-Format festgelegt. Die Präsentationen zu so unterschiedlichen Themen wie Musikapparate (Music and Mechanics), die Byzantinische Welt (The Silk and the Blood) oder Finnische Künstler der Moderne auf Reisen (An Ecstasy of Beauty) sind alle exakt gleich aufgebaut.3 Kapitel für Kapitel erscheinen längere scrollbare Texte vor silbernem Grund, unterbrochen von spaltenbreiten Abbildungen. Weitere Informationen zu den ‚Exponaten‘ erhält man über den verlinkten Europeana-Eintrag zu diesem Objekt, in dem allerdings der Kontext der Ausstellung nicht berücksichtigt ist. Auch das Google Arts & Culture Institute bietet Kultureinrichtungen die Möglichkeit, Online-Präsentationen in verschiedenen Formaten auf seiner Plattform zu erstellen. Dort gehen sie ein in einen von Google geschickt orchestrierten Strom von bunten Infotainment-Angeboten4: Interaktive 360°-Panoramen, 3D-Visualisierungen, Werkdigitalisierungen mit ultrahoher Auflösung, musikalisch untermalte Zoom-Reisen durch Gemälde als Video. Darunter finden sich auch Online-Ausstellungen (Online Exhibits).5 Sie sind durchgängig nach dem bei den Europeana-Ausstellungen beschriebenen Schema gestaltet: Als Scroll-Texte mit zwischengeschalteten Abbildungen, hier einsträngig, ohne Kapiteleinteilung.

2 Dass die Gattung virtuelle Ausstellung hier stark strapaziert wird, war den Initiatoren durchaus bewusst: „Trotz dieses enormen Bild- und Textbestandes will die WdH jedoch keine HabsburgerWikipedia oder Enzyklopädie kreieren, auch kein neues Online-Österreich-Lexikon. Unsere Zielsetzung ist eine [...] virtuelle Ausstellung mit einem innovativen UserInterface, das den Besuch in der Geschichte hoffentlich zum Vergnügen macht.“ https://www.habsburger.net/de/ueberdas-projekt/eine-virtuelle-ausstellung (letzter Zugriff: 14.06.2020). 3 Siehe die Übersicht über die Europeana-Ausstellungen unter https://www.europeana.eu/de/exhibitions (letzter Zugriff: 25.06.2020). 4 https://artsandculture.google.com/ (letzter Zugriff: 25.06.2020). 5 https://artsandculture.google.com/project/exhibits (letzter Zugriff: 25.06.2020).

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Interessanter ist ein zweites, nicht eigens ausgewiesenes horizontales Format (Abb. 2). Hier bewegt man sich mit einem bildschirmfüllenden Slider durch das Thema. Neben den einfachen Text-Bild-Kombinationen gibt es die Anordnung mehrerer Objekte auf einem Slide, zoombare Abbildungen und Zoom-Sequenzen, bei denen ein Bild mehrfach hintereinander eingebunden ist, jeweils mit einem thematisch relevanten, eigens kommentierten Ausschnitt mit passender Zoomstufe. Hier wird das Nähertreten und Abstandnehmen beim Ausstellungsbesuch simuliert, allerdings in einer von den Kuratorinnen und Kuratoren festgelegten und damit für alle Nutzerinnen und Nutzer identischen Abfolge. Die vorherrschende Präsentationsform ist die statische Text-Bild-Kombination. Das digitale Bild ist dabei dem, selbstverständlich responsiven, Seitenlayout eingeschrieben, man möchte fast sagen: unterworfen.

Abb. 2: Screenshot aus der Ausstellung Art from Italy: from Rafael to Titian, Museu de Arte de São Paulo bei Google Arts & Culture, Quelle: https://artsandculture.google.com/exhibit/art-from-italyfrom-rafael-to-titian/KwJinoW1KLg0Lg (letzter Zugriff: 25.06.2020).

Das Bild füllt einen Slot, dessen Proportionen sich aus dem Layout-Grid und den Viewport-Proportionen ergeben, vollständig aus. An den Ausstellungen der großen Portale zeigt sich das für stark templategebundene virtuelle Ausstellungen charakteristische Spannungsverhältnis zwischen Effizienz und Egalisierung. Es ist sicherlich ein Gewinn, wenn ein hochprofessionell gestaltetes Raster zur Verfügung steht, in das größere und kleinere Kultureinrichtungen ihr Material einstellen können, um für einen Bruchteil an Aufwand und Kosten einer physischen Ausstellung eine digitale Präsentation zu publizieren. Allerdings büßt paradoxerweise gerade bei diesen Hochglanzformaten die visuelle Gestaltung – Farbe und Textur, Typografie und Layout, Arrangement und Inszenierung – ihre spezifische kommunikative Funktion ein. Form und Gehalt des Mediums virtuelle Ausstellung sind fast vollständig entkoppelt. Auf der Strecke bleibt durch diesen „Reclam-Effekt“ aus Sicht der Nutzerin und des Nutzers das

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auch sinnlich einprägsame Erlebnis, aus Sicht der Kuratorin und des Kurators eine zentrale Dimension des Mediums Ausstellung, die visuelle Gestaltung als kommunikatives Instrument. Die Deutsche Digitale Bibliothek versucht mit ihrer Ausstellungsplattform, an deren Konzeption und Realisierung der Verfasser beteiligt war, die Spielräume für eine genuin expositorische, also inhalts- und objektbezogene Gestaltung zurückzugewinnen.6 Auch dieses mit der Open-Source-Software Omeka realisierte Tool ist darauf ausgelegt, den Partnerinstitutionen die Möglichkeit zu geben, virtuelle Ausstellungen auf redaktioneller Ebene, also ohne Programmierung und Webdesign, zu gestalten. Das Ausstellungstool der Deutschen Digitalen Bibliothek startete 2014 mit einer Version, bei der die Objekte in einer Abfolge von Einzelseiten präsentiert werden. Für die Kombination von Texten und Bildern standen den Kuratorinnen und Kuratoren sieben Basistemplates zur Verfügung, die sich im Hinblick auf die Spaltenaufteilung sowie die Kombination von vollformatigen Abbildungen und Vorschaubildern unterscheiden.7 Die ersten acht, mit dieser Toolversion realisierten Ausstellungen nutzen diese Möglichkeiten, um Exponate visuell in Beziehung zu bringen, Bildsequenzen zu rhythmisieren und Akzente im Ausstellungsnarrativ zu setzen.8 Mit der seit Frühjahr 2020 verfügbaren zweiten Version des Omeka-Tools hat die Deutsche Digitale Bibliothek diesen Ansatz weiterentwickelt und das Spektrum der Gestaltungsmöglichkeiten erweitert. Die Aufteilung in Seiten wurde zugunsten eines kontinuierlichen Formats im Stil einer Single Page Application aufgegeben. Die Nutzerinnen und Nutzer bewegen sich durch vertikales Scrollen durch die Ausstellung, wobei an bestimmten Stellen die Möglichkeit besteht, wie in einem Slider horizontal weitere Inhalte aufzurufen. Die Anzahl der Templates, die den Kuratorinnen und Kuratoren in der neuen Version zur Verfügung stehen, hat sich nicht wesentlich vermehrt. Wenn die realisierten Ausstellungen dennoch ein sehr viel stärker auf das jeweilige Thema angepasstes visuelles Erlebnis bieten, liegt das vor allem an zwei Neuerungen. Digitale Inhalte können, etwa als Hintergrundbilder oder -videos direkt in die Gestaltung einbezogen werden, und die farbliche Gestaltung von Hintergründen, Texten und Bedienelementen sind als Farbschema für die Ausstellung wählbar, dabei kann sie in der Ausstellung von Abschnitt zu Abschnitt variiert werden (Abb. 3). 6 Vgl. dazu den Beitrag zur Ausstellungsplattform der Deutschen Digitalen Bibliothek von Julia Spohr und Lidia Westermann in diesem Band. 7 Deutsche Digitale Bibliothek (Hrsg.): Kuratoren-Handbuch für virtuelle Ausstellungen in der Deutschen Digitalen Bibliothek, Abschnitt B.4, Ausstellungsseiten anlegen. https://deutschedigitale-bibliothek.github.io/ddb-virtualexhibitions-docs/ (letzter Zugriff: 24.06.2020). 8 Michael Müller: Virtuelle Ausstellungen. Überlegungen zur Konzeption eines digitalen Mediums, in: Petra Hauke (Hrsg.): Praxishandbuch Ausstellungen in Bibliotheken, Berlin 2016, S. 219–228, hier S. 225–226.

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Abb. 3: Screenshot aus der Ausstellung Rausch und Ritual, Hetjens – Deutsches Keramikmuseum bei DDBStudio, Quelle: https://ausstellungen.deutsche-digitale-bibliothek.de/symposion/#s9 (letzter Zugriff: 25.06.2020).

Es erscheint vielversprechend, diesen Ansatz weiterzuentwickeln, das Spektrum der Komponenten und die Freiheitsgrade der Gestaltung zu erweitern. Bei individuellen, maßgeschneiderten Projekten ist das letztlich eine Frage des Aufwands. Interessanter ist allerdings die Frage, wie man ein solches Konzept unter den Standardbedingungen verwirklichen könnte, die sich in den letzten Jahren durchgesetzt haben: Ein templatebasiertes System (Content-Management-System, Plattform), in dem immer neue Ausstellungen zu den unterschiedlichsten Themen realisiert werden. Hier steht die Erweiterung der Gestaltungsmöglichkeiten in direkter Konkurrenz zur Ökonomie und Logik einer Plattform, die zu generischen Lösungen drängt. Verwendet man ein klassisches, seitenbasiertes Templatingsystem, wie es beispielsweise bei Omeka der Fall ist, ist hinsichtlich der Komplexität der Infrastruktur und die Bedienbarkeit durch die Kuratorinnen und Kuratoren relativ schnell die Grenze des unter normalen Voraussetzungen Realisierbaren erreicht. Frühe Experimente mit frei arrangierten Objektzusammenstellungen, wie sie beispielsweise die Bibliothèque Nationale in Paris unternommen hat9 oder der Universität Fribourg mit der immer noch sehenswerten Themenausstellung Medizin und Ernährung10 (Abb. 4) haben, soweit ich die Entwicklung überschaue, wenig Nachahmung gefunden.

9 Ebd., S. 224–225. 10 http://essen.unifr.ch/de/index.html (letzter Zugriff: 20.06.2020).

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Abb. 4: Screenshot aus der Ausstellung Ernährung und Medizin, Université de Fribourg, Lehrstuhl für Medizin und Gesellschaft, Quelle: http://essen.unifr.ch/de/mythologie-lebensmittel.html (letzter Zugriff: 25.06.2020).

Solche Formate haben es aktuell schon deshalb schwer, weil sie kaum responsiv umzusetzen sind, damit sie auf 4K-Display ebenso gut zu nutzen sind wie auf einem Smartphone.11 Zudem tritt gerade bei diesen in sich stimmigen Ausstellungen eine weitere Problematik zutage: die Ausstellungsgestaltung wird vorrangig zur Aufgabe des Grafikdesigns, sie sind eher ein künstlerisches als ein kuratorisches Ausdrucksmedium. Zu wünschen wäre, dass etwas von der engen Verzahnung von gestaltendem Umgang mit den Objekten in ihrer sinnlichen Erscheinung und inhaltlicher Arbeit, wie sie oft bei physischen Ausstellungen gelingt, bei der Konzeption und Realisierung von virtuellen Ausstellungen erhalten bliebe. Wenn eine solche digitale Variante der ‚Hängung‘ möglich sein soll, bei der ein komplexes, wissenschaftlich sorgfältig erarbeitetes Narrativ ästhetisch Gestalt annimmt, in einem von professionellen Gestaltern geschaffenen Rahmen aber eben unter direkter Mitwirkung der inhaltlich Verantwortlichen, müssen die eingespielten Abläufe und Aufgabenverteilungen noch einmal grundsätzlich neu durchdacht werden.

11 Die genannten Beispiele entstanden vor der Durchsetzung der mobilen Endgeräte.

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Virtuelle Ausstellungen. Potenziale und Grenzen 

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Die spannende Aufgabe für die Weiterentwicklung des Mediums virtuelle Ausstellung scheint mir darin zu bestehen, sie in dem hier grob abgesteckten Spektrum von durchökonomisiertem Standardformat und künstlerisch-kreativer Assemblage zu positionieren.

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Swantje Dogunke

Alles nur Daten? Virtuelle Ausstellungen aus der Perspektive der  Digital Humanities  

Eines der gängigen Unterscheidungskriterien bei der Betrachtung virtueller Ausstellungen war bislang der Aspekt, ob es sich eher um ein zusätzliches Angebot zu einer physischen Ausstellung handelt – wie zum Beispiel ein Ausstellungskatalog – und damit eher Ergebnisse dauerhaft zugänglich machen sollen oder ob es sich um ein alleinstehendes Angebot handelt und damit eher ein weiteres Erlebnis intendiert ist. Im Zuge der COVID-19-Pandemie wurde deutlich, dass diese Unterscheidung keine feste Größe bildet, da nun begleitende virtuelle Angebote den Ausstellungsbesuch ablösen (mussten). Erfolgreich scheinen Häuser zu sein, die bereits im Vorfeld virtuelle Angebote zu physischen Ausstellungen erstellt haben und somit schnell auf die veränderten Rahmenbedingungen reagieren konnten.1 Um einen Blick auf virtuelle Ausstellungen aus der Perspektive der Digital Humanities2 zu wagen, wird in diesem Beitrag zunächst eine grobe Definition des Begriffs der virtuellen Ausstellung vorgenommen, es wird deren Mehrwert herausgestellt und als Checkliste zusammengestellt. Anschließende Betrachtungen der verschiedenen Informationsebenen, -systeme sowie -expertinnen und -experten dienen als Vorüberlegungen für eine Forschungsprozessmodellierung, die aus Sicht der Digital Humanities als Bauplan für die Erstellung virtueller Ausstellungen dienen könnte, um technisch solide Ergebnisse unter optimalem Ressourceneinsatz zu erreichen. 1 Als ein sehr gelungenes Beispiel kann die Pest-Ausstellung des LWL-Museums für Archäologie in Herne gelten. Zusätzliche virtuelle Angebote, die während der Schließung der Ausstellung entstanden sind, konnten später als Ergänzung zum physischen Besuch genutzt werden, https://pest-ausstellung.lwl.org/de/ (letzter Zugriff: 15.12.2020). 2 Der Ursprünge der heutigen Digital Humanities finden sich in den Anfängen der Informationswissenschaft, der Dokumentation und den Schnittstellen zwischen Informatik und Geisteswissenschaften. Näheres zu dem Begriff in: Patrick Sahle: „Digital Humanities? Gibt’s doch gar nicht!“ Einreichung für den Sonderband 1 der Zeitschrift für digitale Geisteswissenschaften. http://www.zfdg.de, 2015. https://doi.org/10.17175/SB001_004 (letzter Zugriff: 15.12.2020).

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Swantje Dogunke 

Was ist eine Virtuelle Ausstellung? Welchen Mehrwert bietet sie?  Bevor eine Definition virtueller Ausstellungen entstehen kann, ist auf eine Trennung der Begriffe Sammlung, Ausstellung und Museum zu achten. Eine Zusammenstellung aller digitalisierten Objekte eines Museums oder einer einzelnen Sammlung ist noch keine virtuelle Ausstellung.3 Hier wird auch eine Abgrenzung zu Online-Sammlungen deutlich, die einen anderen Fokus aufweisen, der bereits von anderen Autorinnen und Autoren betont wurde.4 Der deutsche Museumsbund nennt Ausstellen als eine der Kernaufgaben von Museen und stellt in der Definition die zentralen Begriffe Präsentation, Sammlung, Öffentlichkeit, thematische Zusammenhänge und Vermittlung heraus.5 Überträgt man diese Definition und damit auch das Verständnis einer physischen Ausstellung ohne weitere Überlegungen auf den virtuellen Raum, besteht die Gefahr, deren tatsächlichen Mehrwert kaum zu nutzen und das bereits vor 20 Jahren beschriebene Potenzial neuer Technologien nicht auszuschöpfen.6 Eine Definition virtueller Ausstellungen des Museumsbundes ist der Verfasserin nicht bekannt, Akteurinnen und Akteure benennen aber an verschiedenen Stellen die Herausforderungen: Personalmangel, fehlende Digitalisate, Urheberrechtsfragen.7 Für die Definition sollte der Aspekt des Kuratierens, insbesondere der begründeten Auswahl von Objekten und Inhalten, herausgestellt werden, um so die Abgrenzung zu Angeboten vorzunehmen, die sich eher auf einzelne Sammlungen oder Bestandsübersichten konzentrieren. Eine gegenüberstellende Bewertung von physischen und virtuellen Ausstellungen scheint wenig hilfreich, vielmehr sollten der Mehrwert einer virtuellen Präsentation und Optionen der Konvergenz ausgelotet werden. Aus den in der Literatur erwähnten Mehrwerten kann eine Checkliste für virtuelle Ausstellungen abgeleitet werden. Diese lässt sich entweder zur Bewertung vorhandener

3 Martin R. Kalfatovic: Creating a Winning Online Exhibition: A Guide for Libraries, Archives, and Museums, Chicago/London 2002, S. 1. 4 Katja Selmikeit: Virtuelle Ausstellungen von Bibliotheken: Konzepte, Präsentationsverfahren und Nutzungsaspekte, in: Perspektive Bibliothek 3.1 (2014), S. 163–186. https://doi.org/10.11588/pb.2014.1.14025 (letzter Zugriff: 15.12.2020); Michelle van der Veen: Virtuelle Museen? Eine Definitionsfrage!, in: MuseumsGlück (02.05.2014). https://museumsglueck.wordpress.com/2014/05/02/virtuelle-museen-einedefinitionsfrage/ (letzter Zugriff: 15.12.2020). 5 Deutscher Museumsbund: Ausstellen, in: Deutscher Museumsbund (10.03.2017). https://www.museumsbund.de/ausstellen/ (letzter Zugriff: 15.12.2020). 6 Peter Walsh: The Neon Paintbrush: Seeing, Technology, and the Museum as Metaphor, in: Journal of the American Society for Information Science 51.1 (2000), S. 39–48. https://doi.org/10.1002/(SICI)10974571(2000)51:13.0.CO;2-Y (letzter Zugriff: 15.12.2020). 7 Eckart Köhne: Digitaler Wandel in Museen, in: Deutscher Museumsbund (Juli 2016). https://www.museumsbund.de/digitaler-wandel-in-museen-ein-plaedoyer/ (letzter Zugriff: 15.12.2020).

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Alles nur Daten? 

Angebote einsetzen oder kann ein unterstützendes Instrument in der Planungsphase sein. Mehrwert Non-Linearität oder Multilinearität

Ergänzungen möglich / Rolling Release

2.0-Gedanke Vernetzung

Objektauswahl nicht von Ort (Ausstellungsraum und Distanz) abhängig

Nicht mehr auf den Ausstellungszeitraum begrenzt

Medienmix und Multimedialität

Neue Art von Präsentation

Frage

Belege

Wird eine „klassische“ lineare Struktur verlassen? Können sich User auf verschiedenen Wegen den Inhalt erschließen? Werden Inhalte (auch nach Launch/Eröffnung) ergänzt?

Foo: Exhibitions, S. 228; Kalfatovic: Exhibition, S. 35; Selmikeit: Ausstellungen, S. 170

Tragen User Inhalte bei? Generieren User eigenen Content? Sind die Angebote mit Angeboten Anderer vernetzt? Sind die Voraussetzungen (z. B. persistente Identifier) gegeben? Wird die Objektauswahl nicht durch Rahmenbedingungen in physischen Ausstellungen beschränkt? Werden Möglichkeiten genutzt, um ortsunabhängig eine Präsentation zu ermöglichen? Wird das Angebot länger als eine (temporäre) physische Ausstellung gezeigt? Welche Schritte werden unternommen, um das Angebot auch noch in zehn Jahren sehen zu können? Wird ein Medienmix angeboten, der über den in einer physischen Ausstellung hinausgeht? Werden Exponate in neuer Form präsentiert, die in einer physischen Ausstellung nicht möglich wären? Beispiel: Durchblättern, Rückseiten,

Foo: Exhibitions, S. 22; Selmikeit: Ausstellungen, S. 167; Thomas, Boily: Exhibition9 Foo: Exhibitions, S. 22; Selmikeit: Ausstellungen, S. 180 Foo: Exhibitions, S. 22; Selmikeit: Ausstellungen, S. 165

Foo: Exhibitions, S. 23; Selmikeit: Ausstellungen, S. 166; Shaw: Introduction, S. xvi10; Thomas, Boily: Exhibition

Selmikeit: Ausstellungen, S. 166; Shaw: Introduction, S. xv

Foo: Exhibitions, S. 23; Selmikeit, Ausstellungen, S. 173

Kalfatovic: Exhibition, S. 34; Selmikeit: Ausstellungen, S. 165

8 Schubert Foo: Online Virtual Exhibitions: Concepts and Design Considerations, in: DESIDOC Journal of Library & Information Technology 28.4 (2008), S. 22–34. https://doi.org/10.14429/djlit.28.4.194 (letzter Zugriff: 15.12.2020). 9 Wendy Thomas, Danielle Boily: Virtual Exhibition Production: A Reference Guide. Museums and the Web, 1998. http://www.archimuse.com/mw98/papers/boily/boily_paper.html (letzter Zugriff: 31.08.2020). 10 S. Diane Shaw: Introduction, in: Kalfatovic: Exhibition, S. xiii–xvii.

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Swantje Dogunke 

Zielgruppenspezifische Aufbereitung

Größere Reichweite

Vergleich mit Vorlagen an anderen Orten, Erhaltungszustand. Werden für unterschiedliche Zielgruppen unterschiedliche Angebote erstellt, die eigenständige Angebote darstellen? Dies betrifft z. B. die mediale Aufbereitung und die Sprache. Wird deutlich, dass das virtuelle Angebot für einen größeren Nutzerinnen- und Nutzerkreis präsentiert wird (z. B. durch Mehrsprachigkeit)?

Foo: Exhibitions, S. 23; Selmikeit: Ausstellungen, S. 170

Kalfatovic: Exhibition, S. 1; Selmikeit: Ausstellungen, S. 182; Thomas, Boily: Exhibition 1998

Tab. 1: Checkliste Mehrwert virtueller Ausstellungen, Quelle: Darstellung der Verfasserin, CC0.

Die ersten virtuellen Angebote legten Wert auf den Nachbau einer physischen Ausstellung in Form von virtuellen Rundgängen oder Grundrissen als Navigation. Hiermit blieben Chancen ungenutzt, den virtuellen Raum zu erweitern und es wird deutlich, dass es eher für eine Zielgruppe erstellt wurde, die einen konkreten Bezug zum Ausstellungsort hat.

Warum könnten virtuelle Ausstellungen für die Digital Humanities  interessant sein?   Die Digitalisierung als gesamtgesellschaftlicher Transformationsprozess beeinflusst und verändert die Arbeit in den Geisteswissenschaften. Als einer der Startpunkte der Digital Humanities wird 1949 Roberto Busas Zusammenarbeit mit IBM zur Erstellung eines ‚index verborum‘ genannt.11 Museen, Bibliotheken und Archive bieten bereits seit Beginn des institutionellen Sammelns Informationssysteme in Form von Inventaren, Katalogen, Systematiken sowie Findbüchern und stellen somit eine strukturierte und nun digitale Wissensbasis für Forschende zur Verfügung. Ergänzt wird dieses Angebot mit neuen forschungsnahen Diensten, wie zum Beispiel Forschungsdatenmanagement oder der Hilfe bei der Erstellung elektronischer Publikationen.

11 Fotis Jannidis, Hubertus Kohle, Malte Rehbein (Hrsg.): Digital Humanities: eine Einführung, Stuttgart 2017, S. 3.

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Alles nur Daten? 

Informationssysteme sowie Expertinnen und Experten 

Betrachtet man virtuelle Ausstellungen als primär ergänzende forschungsnahe Services, müsste man sich fragen, welche zusätzlichen Ressourcen zur Bewältigung dieser neuen Aufgabe nötig sind. Ohne Domänenwissen und -erfahrung der Expertinnen und Experten aus den Institutionen ist es unwahrscheinlich, dass diese neue Aufgabe gelöst werden kann. Ein Modell, um die enthaltenen Informationsobjekte in virtuellen Ausstellungen zu betrachten, könnte folgendermaßen aussehen: 1. Exponate und ihre Informationen, 2. Digitale Repräsentation/en der Exponate, 3. Digitale Exponate, 4. Content, 5. Design. Für jede dieser Ebenen werden Informationssysteme und -experten benötigt, um die erforderlichen Prozessschritte zur Erstellung einer virtuellen Ausstellung zu durchlaufen. Je nach Größe des Projekts variiert die Anzahl der Ebenen. Es wird kaum eine virtuelle Ausstellung im deutschsprachigen Raum geben, die Expertinnen und Experten aus jeder Ebene einbezogen hat. Expertinnen und Experten aus dem Museums-, Bibliotheks- und Archivbereich

System / Anwendung / Tool /Dienste Spartenspezifische Datenbankmanagementsysteme

2. Digitale Repräsentationen der Exponate

aus den Bereichen Fotografie, Digitalisierung

Digital Asset Management, Software zur Verwaltung von Bilddatenbanken und Digitalisierungsworkflows

Razuna, Kitodo

3. Digitale Exponate

aus den Bereichen Digital Humanities, Data Science, Data Visualization

Nachnutzung vorhandener Anwendungen, eigene Anwendungen

QGIS (Karten), Vikus Viewer (Digitalisate und Zusammenhänge)

4. Content

aus den Bereichen Kuration, Museologie aus den Bereichen Web-Design, WebProgrammierung

Wissensplattform, Projektmanagementtools Anwendungsspezifische Web Publishing Software

Wiki, Design Thinking Toolkit

Ebene 1. Exponate und ihre Informationen

5. Design

Beispiel Collective Access

Omeka

Tab. 2: Ebenenmodell für die Erstellung virtueller Ausstellungen, Quelle: Darstellung der Verfasserin, CC0.

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Swantje Dogunke 

Exponate und ihre Informationen 

Expertinnen und Experten aus dem Bereich der Informationswissenschaft und Dokumentation übernehmen bereits seit dem Beginn der Einführung von EDVgestützter Bestandsverwaltung die klassischen Aufgaben der Datenverarbeitung in Museen, Bibliotheken und Archiven.12 Zur Verwaltung dieser Daten werden spezialisierte Datenbankmanagementsysteme genutzt. Digitale Repräsentationen 

Durch die einsetzende Bestandsdigitalisierung kamen seit den 1990er Jahren neue Aufgaben in den Häusern hinzu: Nun mussten nicht nur Daten der Bestände verwaltet werden, sondern auch Digitalisate. Der Aufbau von Digitalisierungsworkflows, die Gründung von Digitalisierungszentren war und ist nur in der Kombination von vorhandenem Domänenwissen und -erfahrung sowie neuen Ressourcen zu bewältigen. Entweder wurden die Datenbankmanagementsysteme angepasst, um neue Aufgaben, wie etwa die Bildrechteverwaltung zu meistern oder es wurden parallele Systeme zum Digital Asset Management aufgebaut. Digitale Exponate 

Constanze Baum und Timo Steyer greifen Patrick Sahles Gedanken zu digitalen bzw. digitalisierten Editionen auf,13 betrachten Elemente einer virtuellen Ausstellung und weisen auf die Unterscheidung zwischen digitalisierten Exponaten und digitalen Exponaten hin.14 Als digitalisierte Exponate werden digitale Repräsentationen von physischen Objekten gesehen, also zum Beispiel die digitale Fotografie eines Gemäldes. Eine virtuelle Ausstellung besteht jedoch auch aus digitalen Exponaten, zum Beispiel einer Visualisierung in Form einer Timeline oder einem virtuellen Rundgang. Für die Beschreibung, die Verwaltung und die Archivierung dieser digitalen Exponate fehlen uns Vokabulare, Systeme sowie Expertinnen und Experten. Damit Inhalte aus diesen Komponenten verlässlich auch in zukünftigen Browsern angezeigt werden, entsteht hier ein weiterer Pflegeaufwand. Geht man 12 Eine Beschreibung des Berufsbilds von Expertinnen und Experten aus dem Bereich Informationswissenschaft und Dokumentation bietet das Positionspapier von Regine Scheffel: Positionspapier zu Tätigkeitsbereich und Berufsbild in der Museumsdokumentation, Berlin 1997. 13 Patrick Sahle: Mal wieder und immer noch: Digitized vs. Digital, in: DHd-Blog (27.11.2012). https://dhd-blog.org/?p=1122 (letzter Zugriff: 15.12.2020). 14 Telefonkonferenz im Oktober 2017 im Rahmen der Vorbereitung eines internen Workshops zur Prozessmodellierung.

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Alles nur Daten? 

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davon aus, dass hier Services Dritter nachgenutzt werden, kann eine Sicherstellung der Verfügbarkeit aufwendig werden.15 Content 

Auch wenn, wie bereits eingangs erwähnt, eine Gegenüberstellung von virtuellen und physischen Begriffen wenig hilfreich ist, müssen wir uns dennoch fragen, ob nicht noch mindestens ein weiteres Element hinzukommt. In einer physischen Ausstellung haben wir über die Objekte und ihre gemeinsame Präsentation hinaus ein Narrativ, eine zentrale Idee, die im Ausstellungskonzept bzw. -drehbuch ausgeführt ist. Eine virtuelle Ausstellung besteht demnach (mindestens) aus Daten über Objekte, digitale Repräsentationen, digitale Exponaten und zusätzlichem Content, die diese verbindet. Die Informationssysteme, die die Prozesse dieser Informationsebene unterstützen, sind im Digitalen vielfältiger. Kuratorinnen und Kuratoren könnten beispielsweise Wikis einsetzen, um kollaborativ Texte zu schreiben, Informationen und Medien zu sammeln und zu verknüpfen. Es werden Informationssysteme zur Entwicklung von Datenmodellen, zur Anreicherung, Verknüpfung und Annotierung benötigt. Tools, die die Planung von Ausstellungen unterstützen, fokussieren häufig auf den physischen Raum und werden eher zur Visualisierung von Plänen genutzt als zur Weiterentwicklung von Ideen. Hilfreich könnten hier Ansätze aus dem Bereich des Design Thinkings sein, die auch im Bibliotheksbereich bei der Entwicklung neuer Angebote erfolgreich eingesetzt werden.16 Design 

Für die Präsentationsschicht müssen Informationen und Ergebnisse aus den anderen Ebenen verknüpft und ggf. angereichert werden, um sie zu präsentieren. Eine Möglichkeit wäre die Verwendung von Omeka, einer Open-Source-Software zur standardisierten Erstellung virtueller Ausstellungen. Sobald man die umfangreiche Standardausführung verlässt, sind auch hier Expertinnen und Experten nötig, die sich mit Web-Publishing auskennen und im besten Fall über Domänenwissen verfügen.

15 Beispiele solcher nicht mehr zugänglichen Inhalte finden wir bei älteren virtuellen Ausstellungen. Im besten Fall betrifft das Problem nur einzelne Komponenten und nicht den Gesamtauftritt. 16 IDEO: Design Thinking for Libraries. A toolkit for patron-centered design, Palo Alto, CA 2015. http://gateway-bayern.de/BV044800052 (letzter Zugriff: 15.12.2020).

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Swantje Dogunke 

Zwischenfazit 

Komplexere virtuelle Ausstellungen müssen als interdisziplinäre Projekte geplant werden. Eine einzelne Person mit Grundkenntnissen über Datenstandards und Verfahren in den verschiedenen Ebenen kann mit einem Standardprodukt (zum Beispiel Omeka) bereits ein solides Ergebnis erzielen. Je höher die Anforderungen werden, desto wahrscheinlicher wird es, dass Expertinnen und Experten der verschiedenen Ebenen hinzugezogen werden müssen. Die erhöhten Anforderungen werden dazu führen, dass es nicht mehr möglich ist, die Aufgabe innerhalb eines Systems, zum Beispiel dem Museumsdatenbankmanagementsystem, zu erledigen. Um eine lange Verfügbarkeit der virtuellen Ausstellung zu gewährleisten, sind Fachwissen und Standards auf den Ebenen der digitalen Exponate und des Designs nötig. Ist diese Expertise in der Organisation nicht vorhanden, können externe Expertinnen und Experten beauftragt werden. Die nötige Pflege und Modernisierung zur Sicherstellung der Verfügbarkeit der digitalen Exponate und des Designs ist dadurch jedoch noch nicht gewährleistet. Ein modularer Aufbau bewahrt vor einem Totalverlust der virtuellen Ausstellung, wenn einzelne Komponenten nicht mehr aufrufbar sind. Die ersten digitalen Rundgänge von Museen, die in virtuellen Welten, wie etwa Second Life realisiert wurden, sind mitunter nicht mehr zugänglich, nicht zitierbar und entsprechen nicht mehr den heutigen Anforderungen an Barrierefreiheit oder responsivem Design. Sollen in einer Organisation weitere virtuelle Ausstellungen entstehen, empfiehlt es sich, die Projektförmigkeit zu verlassen und mithilfe einer Modellierung Prozesse zu entwickeln.

Forschungsprozessmodellierung  Um den Weg der Daten und der nötigen Schritte zur virtuellen Ausstellung zu beschreiben, kann es ratsam sein, diese zunächst in einer Forschungsprozessmodellierung abzubilden (Abb. 1). Als hilfreich hat sich die Verwendung von TaDiRAH erwiesen, einer Taxonomie für Forschungsaktivitäten in den Geisteswissenschaften.17 Die Prozessmodellierung dient unter anderem dazu, geeignete 17 TaDiRAH: TaDiRAH – Taxonomy of Digital Research Activities in the Humanities (18.07.2014). http://tadirah.dariah.eu/vocab/sobre.php (letzter Zugriff: 15.12.2020); Swantje Dogunke, Timo Steyer: Virtuell Zusammenwachsen: Konzeption, Aufbau und Intention der digitalen Forschungsinfrastruktur im Forschungsverbund MWW, in: Martin Huber, Sybille Krämer, Claus Pias (Hrsg.): Forschungsinfrastrukturen in den digitalen Geisteswissenschaften: Wie verändern digitale Infrastrukturen die Praxis der Geisteswissenschaften? Symposienreihe „Digitalität in den Geisteswissenschaften“, Frankfurt am Main 2019. http://nbnresolving.de/urn/resolver.pl?urn:nbn:de:hebis:30:3-519476 (letzter Zugriff: 15.12.2020).

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Alles nur Daten? 

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Services auszuwählen sowie Ressourcenbedarfe zu ermitteln und orientiert sich an dem zuvor genannten Ebenenmodell (Tab. 2).

Abb. 1: Forschungsprozessmodellierung nach TaDiRAH, Quelle: Darstellung der Verfasserin, CC0.

Eine TadiRAH-orientierte Tool-Liste bietet zum Beispiel TAPoR, ein Projekt der University of Alberta.18 Wählt man nun eine Forschungsaktivität aus der Prozessmodellierung, zum Beispiel ‚4.1 Sammeln‘, schlägt TAPoR vor, dies mithilfe eines Mediawikis zu realisieren. Durch die Abstraktion und die Fokussierung auf Forschungsaktivitäten – und nicht auf vorhandene Tools – lassen sich einzelne Komponenten austauschen, wenn sie nicht den Projektanforderungen entsprechen. Bei einer detaillierteren Forschungsprozessmodellierung würde in den nun folgenden Schritten mithilfe von Aufwandsschätzungen der Ressourcenbedarf bestimmt und ein Projektplan entwickelt.19 Eine prozessorientierte Planung, die mithilfe einzelner Tools einen modularen Ansatz verfolgt, kann dynamisch auf Veränderungen reagieren und verschafft einen Überblick über die Verantwortungsbereiche der beteiligen Personen. Zudem kann es davor bewahren, die neuen Anforderungen zu schnell auf bestehende Systeme zu übertragen

18 Geoffrey Rockwell, Stéfan Sinclair, Milena Radzikowska: TAPoR. http://tapor.ca/home (letzter Zugriff: 15.12.2020). 19 Swantje Dogunke: Forschungsprozessplanung – Forschungsprozessmodellierung – Digitales Labor – Virtueller Forschungsraum MWW (2018). https://vfr.mww-forschung.de/web/digitaleslabor/forschungsprozessmodellierung (letzter Zugriff: 15.12.2020).

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(zum Beispiel Museumsdatenbankmanagementsysteme) und somit die ‚eierlegende Wollmilchsau‘ in einer vorhandenen Lösung zu sehen20 oder nach einer neuen ‚silver bullet‘ zu suchen, die die komplexen Aufgaben auf Knopfdruck erledigt.21

Fazit  Virtuelle Ausstellungen können als interdisziplinäre Projekte die bestandsbezogene Forschung in Kulturerbeinstitutionen und die Digital Humanities stärker zusammenbringen. Die Voraussetzungen für eine Zusammenarbeit sind die Anerkennung der jeweiligen fachlichen Expertise und der bereits etablierten Informationssysteme, -praktiken und -standards. Bibliotheken, Archive und Museen müssen sich auf eine experimentelle Herangehensweise einlassen können. Forschungsnahe Services wie virtuelle Ausstellungen stellen neue Anforderungen und benötigen einen Ausbau technischer und personeller Ressourcen. Die Weiterentwicklung der digitalen Infrastruktur sollte eher auf einen Ausbau von Schnittstellen fokussieren und eine Anforderungsüberfrachtung der vorhandenen Lösungen vermeiden. Um nachhaltige Lösungen selbstständig zu betreiben, müssen neue fachliche Kompetenzen in Kulturerbeeinrichtungen aufgebaut werden. Dies kann nicht in Form von Drittmittelprojekten erfolgen, es braucht stattdessen eine institutionelle Verankerung.22 Um den Wandel von der Museumsdatenbanklösung zu einem digitalen Serviceportfolio zu ermöglichen, ist eine detaillierte Anforderungsanalyse für neue digitale Services nötig, Prozessmodellierungen können hier wichtige Hinweise liefern. Open Science war bisher für Museen eher im Teilbereich Open Access relevant, die Verwendung einer Open Methodology wie TaDIRAH kann den Blick auf Open Science in Kulturerbeeinrichtungen erweitern. Virtuelle Ausstellungen können als Disseminationsmöglichkeit die Zusammenarbeit zwischen bestandsbezogener Forschung, Informationsexperten und 20 Regine Scheffel: Auf der Suche nach der eierlegenden Wollmilchsau – Überblick über MuseumsSoftware 2000, in: Landesstelle für die nichtstaatlichen Museen in Bayern (Hrsg.): Sammlungsdokumentation: Geschichte – Wege – Beispiele (Museums Bausteine, Bd. 6), München 2001, S. 143–164. 21 Frederick Phillips Brooks: No Silver Bullet Essence and Accidents of Software Engineering, in: Computer 20.4 (1987). https://doi.org/10.1109/MC.1987.1663532 (letzter Zugriff: 15.12.2020). 22 Die 20 neuen Stellen für Digitalmanager in Baden-Württemberg zeigen, dass Trägerinnen und Träger sowie Fördergeberinnen und -geber im Kulturerbebereich diese Lücke schließen möchten: Pressestelle der Landesregierung Baden-Württembergs: 20 Stellen für Digitalmanager in Landesmuseen: Baden-Württemberg.de (28.07.2020). https://www.badenwuerttemberg.de/de/service/presse/pressemitteilung/pid/20-stellen-fuer-digitalmanager-inlandesmuseen/ (letzter Zugriff: 15.12.2020).

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-expertinnen im Kulturerbebereich und den Digital Humanities stärken. Der Zeitpunkt für eine Verstärkung dieser Kollaboration ist gut gewählt: Bibliotheken, Archive und Museen werden als Reaktion auf die COVID-19-Pandemie neue konvergente Angebote entwickeln, um auf ähnliche Ereignisse schnell reagieren zu können. Die Digital Humanities verlassen ihre anfängliche Textorientierung, wie der Titel der Jahrestagung 2022 des Berufsverbands Digital Humanities im deutschsprachigen Raum zeigt: Kulturen des digitalen Gedächtnisses.23

23 https://www.dhd2021.de/ (letzter Zugriff: 15.12.2020).

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Martin Siefkes

Ausstellungen analysieren und evaluieren:   ein multimodaler Ansatz 

Was macht eine Ausstellung zur Ausstellung?1 Und was kann es rechtfertigen, bestimmte Webseiten als (digitale) Ausstellungen zu bezeichnen? Beide Fragen sind keineswegs so einfach zu beantworten, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag. Dies liegt unter anderem daran, dass sich der Begriff ‚Ausstellung‘ auf eine museale Tradition mit dazugehöriger Terminologie bezieht, die bis auf die Kuriositätenkabinette der frühen Neuzeit zurückgeht und sich über die Jahrhunderte weiterentwickelt hat. Dabei haben sich bestimmte Eigenschaften der fachlich begründeten Auswahl von Exponaten durch Expertinnen und Experten (‚Kuratierung‘), ihrer Anordnung und Präsentation sowie ihrer Kontextualisierung und Verbindung durch ein Ausstellungsnarrativ herausgebildet. Naheliegende Antwortversuche wie ‚eine Ausstellung präsentiert Exponate der Öffentlichkeit‘ oder ‚eine Ausstellung ist eine kuratierte Sammlung künstlerisch, kulturell und/oder historisch wertvoller Objekte‘ erfassen zwar wichtige Aspekte, verschieben jedoch die Erklärung partiell auf Termini wie ‚Exponat‘ und ‚Kuratierung‘, die eng mit der Ausstellungstradition zusammenhängen und ohne Bezug auf diese nicht angemessen definiert werden können. Dadurch entsteht die Gefahr zirkulärer Erklärungen. So ist ein ‚Exponat‘ offensichtlich eng mit der Präsentation in einer Ausstellung verbunden: Weder ein Auto im Showroom eines Autohauses noch ein Diadem in der Auslage eines Juweliers sind Exponate, obwohl sie ebenfalls präsentiert, beleuchtet, beschriftet und betrachtet werden und vergleichbar wertvoll wie ein Ausstellungsexponat sein können. Zudem können durchaus auch tatsächliche Exponate zum Verkauf angeboten werden und Ausstellungen können dem Zweck des Verkaufs von Exponaten dienen. Ähnliches gilt für den Terminus ‚Kuratieren‘, wobei es sich

1 Dieser Beitrag wurde gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) – Projektnummer 416228727 – SFB 1410.

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eben um den Auswahlprozess von Exponaten für eine Ausstellung handelt, während er beispielsweise für die Zusammenstellung einer nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Sammlung einer Privatsammlerin ebenso wenig passend erscheint wie etwa für die Auswahl von Kunstwerken für das Foyer eines Nobelhotels. Offensichtlich bedeutet ‚Kuratieren‘ die fachlich begründete Auswahl von Objekten für die Präsentation mit bestimmten Zeichenfunktionen und etablierten Rezeptionskontexten, die bei einer privaten Sammlung oder in einem Hotelfoyer – wo die Kunst durchaus auch betrachtet und bewundert werden könnte – nicht vorliegen. Was eine Ausstellung kennzeichnet, wird somit erst beschreibbar, indem die Zeichenfunktionen der Exponate und die Textualität des durch ihre Anordnung und das Ausstellungsnarrativ entstehenden Gesamtzusammenhangs berücksichtigt werden. Dies ist die Ausgangsthese des vorliegenden Beitrags. Im Folgenden soll gezeigt werden, dass eine multimodale Perspektive diese Beschreibungen leisten kann, da die auf semiotischer Theoriegrundlage aufbauende Multimodalitätsforschung2 das Zusammenspiel aller Zeichenressourcen einer Ausstellung und die mit ihnen verbundenen kommunikativen Zwecke differenziert analysieren kann. Das bisher Gesagte gilt grundsätzlich sowohl für analoge als auch für digitale Ausstellungen, wobei die Komplexität der zu analysierenden multimodalen Gesamtheit bei den letzteren noch größer ist. Hier müssen Webseiten, die als digitale Ausstellungen bezeichnet werden können, von anderen Webseiten abgegrenzt werden, die ebenfalls Objekte verschiedener Art präsentieren und erläutern. Im Grenzbereich befinden sich digitale Sammlungen von Museen, Archiven oder Bibliotheken. Diese sind in Bezug auf die Präsentation einzelner Artefakte oft mit digitalen Ausstellungen vergleichbar, es fehlt jedoch ein übergeordnetes Narrativ ebenso wie eine einheitliche Kuratierung (da die Objekte oft nach unterschiedlichen Gesichtspunkten in das Museum aufgenommen wurden, etwa als gezielte Ankäufe, durch Nachlässe oder als Teilbestand übernommener Sammlungen).3 Eindeutig nicht als Ausstellungen betrachten wir dagegen Auktionsplattformen wie Ebay, obwohl auch dort manchmal wertvolle und historische Objekte mit Bildern, Worten und Videos präsentiert werden, oder Plattformen wie Etsy, die kunsthandwerkliche Produkte und Kunstwerke anbieten. 2 Vgl. Ellen Fricke: Grammatik multimodal. Wie Wörter und Gesten zusammenwirken, Berlin 2012; John A. Bateman, Janina Wildfeuer, Tuomo Hiippala: Multimodality. Foundations, research and analysis. A problem-oriented introduction, Berlin/Boston 2017. 3 Als Beispiel kann die digitale Sammlung des Museo del Prado gelten, die Suchfunktionen und Filter ebenso wie einen Slider mit zentralen Meisterwerken der Sammlung anbietet und in ihrer hochwertig aufbereiteten Präsentation durchaus als digitale Form der Dauerausstellung betrachtet werden kann. The Museum’s Collections. Museo Nacional del Prado, Madrid. https://www.museodelprado.es/en/the-collection (letzter Zugriff: 24.08.2021).

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Ausstellungen analysieren und evaluieren 

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Dies dürfte damit zusammenzuhängen, dass eine ‚Ausstellung‘ sich nicht allein durch die Objekte definiert, sondern auch durch ihre Präsentationsform, ihre Anordnung, ein übergeordnetes Thema, die Verbindung durch ein Narrativ, und den Fokus auf Auswahl und Anordnung, die nicht primär an Verkaufskriterien orientiert sind. Nur dann handelt es sich um eine ‚Ausstellung‘ und bei den präsentierten Objekten um Exponate. Im Folgenden sollen die spezifischen Potenziale verdeutlicht werden, die die Multimodalitätsforschung für die Beschäftigung mit digitalen Ausstellungen bietet.4

Multimodale Grundlagen digitaler und physischer Ausstellungen  Aus der Perspektive der Multimodalitätsforschung können digitale Ausstellungen als multimodale Texte betrachtet werden, wobei ein weiter semiotischer Textbegriff zugrunde gelegt wird.5 Dieser Textbegriff bezeichnet eine Konstellation kodierter Zeichen, die auf formaler Ebene, z. B. durch ihre Anordnung, Strukturierung und Verweise (Kohäsion), sowie auf inhaltlicher Ebene (Kohärenz), zusammenhängen. Man kann zudem von einem multimodalen ‚Kommunikat‘ sprechen, wenn man die Produktion und Rezeption einer digitalen Ausstellung als Kommunikationshandlung auffasst. Die Bezeichnung als ‚multimodaler Text‘ fokussiert dabei in erster Linie die vielfältigen Zusammenhänge, welche die Einzelzeichen verschiedener Typen, die eine digitale Ausstellung bilden, zu einer Gesamtheit integrieren. Die Bezeichnung als ‚Kommunikat‘ dagegen rückt die kommunikativen Funktionen einer Ausstellung in den Vordergrund, etwa die Präsentation von Exponaten, die Fokussierung auf ihre Rolle innerhalb kulturhistorischer Zusammenhänge, die Schulung der ästhetischen Wahrnehmung und/oder die didaktische Vermittlung von Inhalten. Heute gibt es zahlreiche verschiedene Weisen des Kommunizierens, die durch technische Realisierung, mediale Gestaltung und soziale Nutzungsformen jeweils recht genau bestimmt sind und für deren Verwendung sich Konventionen etabliert haben. Hierzu gehören beispielsweise Bücher, Telegramme, Briefe, 4 Vgl. die Monographie des Verfassers: Multimodal Digital Humanities. Grounding digital research methods in multimodal linguistics and semiotics, Basingstoke 2021 (im Druck). Eine kurze Einführung in das Multimodal Digital Humanities Framework im Kontext allgemeiner Überlegungen zum Überschneidungsbereich von Multimodalitätsforschung und Digital Humanities findet sich in Martin Siefkes: Mutual Attraction and Common Interests: The digital humanities and multimodality research have found each other (but will it last?), in: Arne Krause, Ulrich Schmitz (Hrsg.): Linguistics and Multimodality, in: Osnabrücker Beiträge zur Sprachtheorie 99 (2021), S. 115–133. 5 Vgl. Roland Posner: Was ist Kultur? Zur semiotischen Explikation anthropologischer Grundbegriffe, in: Marlene Landsch, Heiko Karnowski, Ivan Bystřina (Hrsg.): Kultur-Evolution: Fallstudien und Synthese, Frankfurt am Main 1992, S. 1–65, hier S. 21–27.

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Printmedien-Artikel, Onlinemedien-Artikel, Fernsehsendungen, Kinofilme, EMails, Social-Media-Posts, Chatnachrichten und Webseiten. Werner Holly bezeichnet die entsprechende Unterscheidung als „Kommunikationsformen“ und grenzt sie insbesondere klar von Textsorten ab.6 Die Klassifikation von Texten nach Kommunikationsformen verläuft dabei quer zu der nach Textsorten (die im anglophonen Raum oft auch als „Genres“7 bezeichnet werden), allerdings mit Abhängigkeiten und partiellen Ausschlüssen. Eine Geburtstagseinladung kann per Brief, E-Mail, Social-Media-Post oder Chatnachricht versandt werden, aber nicht als Kinofilm oder Plakat; eine journalistisch aufbereitete Nachricht (News) kann per Artikel in Print- oder Onlinemedien, als Fernsehsendung oder als Social-Media-Post erscheinen, aber nicht als Chatnachricht oder Video. Ähnliches gilt für Werbebotschaften, Fantasyerzählungen, Dokumentationen und alle anderen Textsorten bzw. Genres. Dabei werden die konkreten Gestaltungsmöglichkeiten einer Textsorte durchaus durch die jeweils gegebenen medialen Möglichkeiten und Beschränkungen der Kommunikationsform bestimmt.8 In Hollys Terminologie handelt es sich bei Webseiten somit um eine ‚Kommunikationsform‘. Physische und digitale Ausstellungen sind ‚multimodale Textsorten‘, die zur Textsortenfamilie ‚Ausstellung‘ zusammengefasst werden. In semiotischer Hinsicht ist auch eine klassische (physisch realisierte) Ausstellung ein Text, der aus verschiedenen semiotischen Modalitäten (oder Modi) besteht. Eine semiotische Modalität kann dabei ein Kode im Sinne der Semiotik sein, etwa schriftliche oder mündliche Sprache, ein Zahlensystem oder eine Farbkodierung verschiedener Themenbereiche, die auf einer Legende aufgeschlüsselt ist. Zu den semiotischen Modalitäten zählen aber auch viele Zeichentypen, die weniger stringent organisiert sind und keine kodierte Zuordnung zwischen Ausdruck und Bedeutung aufweisen, etwa Bilder, Videos und Musik oder die Verwendung von Farben, Typographie oder Seitenlayout zur Erzeugung ästhetischer und atmosphärischer Wirkungen. Traditionelle Ausstellungen verwenden sprachlichen Text beispielsweise in Form von Exponatbeschriftungen, Übersichtstexten oder Zitaten (die auf Tafeln oder an der Wand angebracht sein können) sowie Begleittexten im Ausstellungskatalog oder einer ergänzenden Smartphone-App. In denselben Kontexten werden auch Bilder, 6 Werner Holly: Medien, Kommunikationsformen, Textsortenfamilien, in: Stephan Habscheid (Hrsg.): Textsorten, Handlungsmuster, Oberflächen Linguistische Typologien der Kommunikation, Berlin 2011, S. 144–163. 7 John Bateman: Multimodality and Genre. A Foundation for the Systematic Analysis of Multimodal Documents, Basingstoke 2008. 8 Werner Holly verwendet den Begriff „Textsortenfamilie“, um funktional bestimmte Texttypen (z. B. Werbung) kommunikationsformübergreifend zu bezeichnen. Die einzelnen kommunikationsformspezifischen Varianten sind demgegenüber „Textsorten“. Vgl. Holly: Medien, Kommunikationsformen, Textsortenfamilien, S. 157.

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Zeichnungen, Karten, erklärende Grafiken usw. eingesetzt. Mündliche Sprache (Rede) kommt in Audioguides oder als Teil von Installationen hinzu. Icons, Farben und Zahlen können im Rahmen eines Leitsystems zur Orientierung verwendet und beispielsweise auf einem Übersichtsplan, aber auch in der Ausstellung selbst angebracht sein. Somit bestehen Ausstellungen aus Exponaten, die verschiedene Zeichenfunktionen teils schon vor ihrer Aufnahme in die Ausstellung besitzen, teils als Teil der Ausstellung durch den Status als museales Exponat sowie durch Erklärungen und die Rolle innerhalb des Ausstellungsnarrativs erst erhalten. Hinzu kommen viele weitere Zeichen, die zu verschiedenen semiotischen Modalitäten gehören. Ausstellungen bilden somit in ihrer Gesamtheit multimodale Texte. Dies gilt für traditionelle physische Ausstellungen ebenso wie für digitale Ausstellungen.

Digitale Ausstellungen als multimodale Textsorte  Digitale Ausstellungen unterscheiden sich von physischen Ausstellungen zunächst einmal dadurch, dass Exponate in digitaler oder digitalisierter Form präsentiert werden. In manchen Fällen werden ‚digital geborene‘ Dokumente, Archivmaterialien oder Kunstwerke präsentiert. Meist handelt es sich jedoch um Digitalisate. Dabei werden ursprünglich ‚analoge‘ Exponate durch ein oder mehrere digital gespeicherte Zeichen ersetzt und in dieser Form auf einer Webseite repräsentiert. Die Digitalisate sind dabei in der Regel Bilder, Videos und/ oder 3D-Modelle, die auf der Webseite eingebunden werden. Zudem werden bestimmte Metadaten der Objekte digital erfasst und mit dem Exponat zusammen angezeigt, wobei der Umfang sehr unterschiedlich sein kann. Es handelt sich bei der Digitalisierung um eine „Remediatisierung“ von Exponaten, die in ein digitales Medium übertragen werden.9 Die Gestaltungsformen und Betrachtungsgewohnheiten, die sich für digitale Ausstellungen herausbilden, lassen sich grundsätzlich durch die Interaktion zweier Einflussbereiche erklären. Einerseits gibt es natürlich vielfältige Bezüge zur physischen Ausstellung, deren Tradition die Vorstellung davon, was eine Ausstellung, ein Exponat, ein Ausstellungsnarrativ usw. sind, grundlegend beeinflusst. Dabei spielt die traditionelle (Dauer-)Ausstellung einer Museumskollektion ebenso eine Rolle wie die neuere – und experimentierfreudigere – Form der Sonderausstellung, die ihren Durchbruch erst in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts erlebte und sich etwas mehr Freiheit, Interaktivität und Gestaltungswillen erlaubt. Weniger offensichtlich ist die Tatsache, dass das Medium (oder nach Holly: 9 Jay D. Bolter, Richard Grusin: Remediation. Understanding New Media, Boston 1999.

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die Kommunikationsform) Webseite viele Entwicklungen und Trends durchgemacht hat und durch wachsende Gestaltungsmöglichkeiten und Innovationen des Webdesigns die Textsorte ‚digitale Ausstellung‘ ebenso nachhaltig beeinflusst wie die Traditionen des Museums und der Ausstellung. Im Folgenden soll dies für einige ausgewählte Bereiche vorgestellt werden: Die Darstellung von Thematik und Narrativ der Ausstellung, die Navigation auf der Webseite und die Präsentation der Exponate.

Präsentation von Exponaten  

Im Zentrum jeder Ausstellung, ob physisch oder digital, stehen die Exponate. Die Rezeption einer Ausstellung ist somit im Kern die Wahrnehmung der präsentierten Exponate, die ästhetisch genossen und – meist unter Zuhilfenahme von Beschriftungen – als Zeichen auf verschiedenen Inhaltsebenen interpretiert werden. Dazu gehört auch ihr Bezug zum Thema, ihre Einordnung ins Narrativ (den in der Ausstellung erzählten Ereignissen, Themen, künstlerischen Entwicklungslinien etc.) und konkrete Bezüge zu bestimmten anderen Exponaten. Dies alles geschieht auch in einer digitalen Ausstellung, dort allerdings ausgehend von mediatisierten Präsentationsformen der Exponate. Dadurch ändern sich bestimmte Eigenschaften des Rezeptionsprozesses, etwa durch die Reduktion eines dreidimensionalen Objekts auf ein oder mehrere zweidimensionale Abbildungen. Auch die ästhetische Qualität der Rezeption ändert sich, wobei sie sich nicht immer verschlechtern muss: Eine hochauflösende, optimal ausgeleuchtete Fotografie eines Ölgemäldes verschafft manchmal einen besseren Eindruck von dessen Details und Farbgebung als die Betrachtung des Originals in einer überfüllten Galerie. In jedem Fall jedoch entsteht eine andere ‚auratische‘ Erfahrung. Das Betreten eines Raums, die Annäherung an Exponate und deren Betrachtung aus verschiedenen Blickwinkeln, mit anderen Exponaten im Augenwinkel, ist ein komplexer multidimensionaler Rezeptionsprozess mit gleichzeitiger Interpretationsleistung. Dieser kann online nur teilweise nachgebildet werden. Auch sogenannte Virtual Tours, die in einem virtuellen Raum die Bewegung und Annäherung an Objekte zu simulieren versuchen, wie etwa die Virtual Tours des National Museum of Natural History,10 sind nur ein sehr unvollkommener Ersatz.

10 National Museum of Natural History – Virtual Tours. National Museum of Natural History, Smithsonian Institution. https://naturalhistory.si.edu/virtual-tour (letzter Zugriff: 20.08.2021).

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Trotz aller Unterschiede nehmen digitale Ausstellungen jedoch auf die Rezeptionserwartungen Bezug, die durch die Räumlichkeit traditioneller Ausstellungen, die Hängung der Objekte innerhalb von Räumen, das Entstehen von Sichtachsen usw. geprägt wurden. Beispielsweise zeigt die Ausstellung Künste im Exil die Exponatansichten in einem Viewer, der im oberen Bereich ein einzelnes Exponat mit dazugehöriger Exponatbeschreibung (Titel und Metadaten) zeigt.11 Durch Klicken auf die Kachel „KÜNSTE“ wird auf der Hauptseite eine Seite aufgerufen, die die Auswahl zwischen „Fotografie“, „Literatur“, „Musik“, „Architektur“, „Bildende Kunst“ und weiteren Kategorien ermöglicht. Durch Klicken etwa auf „Architektur“ öffnet sich eine Unterseite, die einen Einführungstext, in der linken Spalte ein Beispielexponat mit Beschriftung sowie Links zu mehreren thematisch verwandten Unterseiten enthält, während sich im unterem Bereich eine Vorschau der Objekte unter der Überschrift „Galerie“ befindet. Durch Mouseover erhält man eine kurze Exponatbeschreibung. Klickt man auf ein Exponat, öffnet sich in einem Viewer, der metaphorisch als Raum verstanden werden kann, eine große Ansicht des Exponats mit dazugehöriger Exponatbeschreibung und Metadaten (Abb. 1).

Abb. 1: Das Exponat „Außenansichten und Grundriss von Bruno Tauts Wohnhaus in Istanbul, 1937“ der Ausstellung Künste im Exil. Die Vorschaubilder am unteren Rand zeigen die anderen Exponate der Kategorie „Architektur“, Quelle: https://kuenste-im-exil.de/KIE/Content/DE/Themen/Kuenste/architektur.html=1&x=5 (letzter Zugriff: 20.08.2021).

Rechts und links kann nun durch Pfeile zu einem weiteren Objekt ‚gegangen‘ werden. Unten auf der Seite sind zudem kleine Vorschaubilder aller Exponate im Raum angeordnet, die einen ersten Eindruck von ihnen geben, ähnlich wie man ihn beim Betreten eines Raums erhält. Der Kontext des Einzelexponats bleibt 11 Künste im Exil. Deutsches Exilarchiv 1933–1945 der Deutschen Nationalbibliothek in Kooperation mit dem Deutschen Literaturarchiv Marbach und weiteren Institutionen. https://kuenste-im-exil.de/ (letzter Zugriff: 20.08.2021).

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somit bei dessen Betrachtung stets sichtbar. Durch Klicken auf ein Exponat wird dieses angezeigt; dies entspricht dem Gang quer durch den Raum zu einem anderen Exponat, das aus der Distanz visuell interessant erscheint. Obwohl hier also, anders als in virtuellen Rundgängen, Räumlichkeit nicht direkt simuliert wird, werden Rezeptionserfahrungen traditioneller Ausstellungen durch den Viewer simuliert, insbesondere die intensive Nahbetrachtung mit gleichzeitig sichtbarer Exponatbeschriftung, der Gesamteindruck durch den Distanzblick auf die anderen Exponate im Raum, das Weitergehen ‚entlang der Hängung‘ nach rechts oder links und die alternative Möglichkeit, bei inhaltlicher oder visueller Salienz quer durch den Raum zu einem anderen Exponat zu gehen. Doch Künste im Exil simuliert nicht nur eine räumliche Anordnung der Exponate, sondern mehrere, indem es sie in verschiedenen Konstellationen im Viewer zugänglich macht. So erhält man durch Suche nach dem Namen „Bruno Taut“ eine Ansicht, die alle mit Taut zusammenhängenden Exponate anzeigt, darunter auch die Pläne seines Hauses in Istanbul. Ein Exponat kann sich somit in verschiedenen ‚Räumen‘ befinden und dort jeweils an eine bestimmte Stelle zwischen die anderen Exponate ‚gehängt‘ werden. Dies schafft zusätzliche gestalterische Möglichkeiten. Künste im Exil wählt somit im Vergleich mit virtuellen Touren, etwa den Virtual Tours des National Museum of Natural History, eine geschicktere Möglichkeit: Anstatt ein tatsächliches Raumerlebnis mehr schlecht als recht digital nachzubilden, werden vielmehr bestimmte Rezeptionsformen traditioneller Ausstellungen mit den medialen Möglichkeiten eines Webbrowsers simuliert, besonders die Blickbezüge innerhalb eines Raums, das ‚Herangehen‘ an ein einzelnes Exponat und eine in beiden Richtungen begehbare Reihenfolge entsprechend der Hängung von Exponaten an einer Wand.

Gliederung und Narrativ 

Digitale Ausstellungen organisieren ihre Materialien in verschiedener Weise. Manche wählen eine mehr oder minder lineare Anordnung. Dies gilt etwa für die Ausstellung Tinctor’s Foul Treatise, die ein oben angeordnetes Hauptmenü mit Drop-down-Untermenüs besitzt.12 Deren Inhalte lassen sich größtenteils als durchgehender und bebilderter Text lesen, vergleichbar einem Buch mit Kapiteln und Unterkapiteln. Häufiger ist jedoch eine Struktur, bei der ein Hauptmenü verschiedene Zugänge bietet oder verschiedene Arten von Materialien verfügbar macht. Dies ist

12 Tinctor’s Foul Treatise. University of Alberta’s Bruce Peel Special Collections Library. https://omeka.library.ualberta.ca/exhibits/show/tinctor/imagining (letzter Zugriff: 20.08.2021).

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beispielsweise bei der Ausstellung Alice 150 Years and Counting der Fall.13 Sie bietet unter dem Menüeintrag „Lewis Carroll“ Informationen zum Autor, unter „Alice in Wonderland“ Materialien zu den zahlreichen Ausgaben des Buchs und Beispiele für deren vielfältige Illustrationsstile und unter „Beyond the Books“ weitere Adaptionen, skurrile Nachdichtungen und diverse Merchandise-Produkte mit Alice-Bezug. Unter „Resources“ finden sich Informationen zu der räumlichen Ausstellung, auf der die digitale basiert, zur vorgestellten Sammlung, die institutionellen Kontaktdaten usw. Diese Art des Aufbaus, die thematische Untergliederungen und organisatorische Aspekte in einem Menü vereint, ist eine häufig anzutreffende, aber eher konventionelle Form. Es fehlt ein klares Organisationsprinzip, zudem heben sich entsprechende Ausstellungen nicht wesentlich von anderen Webseiten ab. Häufig wird daher für eine digitale Ausstellung auf ein individuelles Design gesetzt, das darauf abzielt, eine besondere und erinnerungswürdige Erfahrung bei der Erkundung der Ausstellung zu bieten. Das Narrativ einer Ausstellung nimmt Einfluss auf viele Gestaltungsaspekte. Ein nicht unwesentlicher Aspekt ist die Startseite der Ausstellung, die in manchen Fällen einen narrativen Ausgangspunkt setzt oder eine Art Grundmotiv für die Ausstellung bereits vorbereitet. Ein Beispiel für eine einfache, aber wirkungsvolle Animation, die den Einstieg in das Narrativ ermöglicht, findet sich in der Ausstellung Du bist anders? – Eine Online-Ausstellung über Jugendliche in der Zeit des Nationalsozialismus.14 Das Eingangsmotiv dieser Ausstellung besteht aus einer Wolke mit Quadraten verschiedener Farben, die in der Ferne erscheint und sich annähert, wobei sich die Quadrate langsam durcheinanderbewegen. Diese kleine Javascript-Animation ist mehr als nur ein hübsches Extra zum Einstieg, sie setzt einen motivischen Ausgangspunkt. Die vereinzelt durch den Raum schwebenden Quadrate symbolisieren Jugendliche in ihrer Verlorenheit und Ausgrenzung, können aber auch als Zeichen für überraschendes Zusammentreffen und Interaktionen gelesen werden. Klickt man nämlich auf eines der Quadrate, verbindet es sich mit den anderen derselben Farbe zu einer Konstellation aus mehreren Bildern (Abb. 2) und es wird erkennbar, dass sich diese auf die Geschichte der- oder desselben Jugendlichen beziehen, die aus verschiedenen verstreuten Exponaten rekonstruiert werden muss.

13 Alice 150 Years and Counting. The Legacy of Lewis Carroll: Selections from the Collection of August and Clare Imholtz. The University of Maryland Libraries’ Special Collections and University Archives. https://www.lib.umd.edu/alice150 (letzter Zugriff: 20.08.2021). 14 Du bist anders? – Eine Online-Ausstellung über Jugendliche in der Zeit des Nationalsozialismus. Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas. https://www.dubistanders.de (letzter Zugriff: 20.08.2021).

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Abb. 2: Die Animation auf der Startseite der Ausstellung Du bist anders?, Quelle: https://www.dubistanders.de (letzter Zugriff: 20.08.2021).

Klickt man eine dieser Kacheln an, vergrößert sie sich und zeigt einen kurzen Satz, der einen bestimmten Aspekt der Lebensgeschichte hervorhebt, sowie einen Weiter-Link. Damit gelangt man auf eine neue Seite, die in der mittleren Spalte jeweils einen Infotext, in der rechten Spalte Exponate enthält, die man sich wiederum durch einen Weiter-Link größer anzeigen lassen kann (Abb. 3). Dabei gibt es jeweils mehrere solche Unterseiten zu einer Person, die im oberen rechten Bereich nebeneinander als nummerierte Kacheln angezeigt und dort auch durchgeklickt werden können. Jede von ihnen ist von einem anderen der farbigen Quadrate aus zugänglich, die sich in der Eingangs-Animation nach dem Klicken nebeneinander angeordnet haben.

Abb. 3: Unterseite der Ausstellung Du bist anders?, Quelle: https://www.dubistanders.de/KarlLauterbach/und-seine-Freunde-flogen-auf (letzter Zugriff: 20.08.2021).

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Die Hauptseite und die Navigation innerhalb der Ausstellung Du bist anders? setzt somit die visuelle Metapher verstreuter Informationen um, die jeweils mit einem oder mehreren Exponaten zusammenhängen, betont dabei zugleich auch die zentrale Organisationsebene der Ausstellung. Diese konzentriert sich auf im Nationalsozialismus verfolgte junge Menschen, die je einzeln in einer mit historischen Fotos angereicherten Geschichte in einer auf Jugendliche ausgerichteten Sprache vorgestellt werden. Dabei nehmen die Exponate, etwa Hinterlassenschaften oder historische Dokumente, einen illustrativen Charakter an. In dieser Ausstellung werden verschiedene Zeichensysteme verwendet, um die Orientierung zu ermöglichen – Schriftsprache, Bilder, die farbliche Kodierung zusammengehöriger Unterseiten und Zahlen auf kleinen Vorschaukacheln, um nur die wichtigsten zu nennen. Das Beispiel zeigt, wie die diversen semiotischen Modes (Zeichensysteme) einer Ausstellung ‚arbeitsteilig‘ verschiedene Detailaufgaben lösen: Die sprachlichen Erläuterungen informieren und stellen Zusammenhänge her, die Bilder veranschaulichen die Exponate und visualisieren historische Sachverhalte, die Farben gliedern die Ausstellung in Unterbereiche und die Zahlen zeigen, wo in der Abfolge mehrerer Seiten wir uns gerade befinden. Viele dieser Aufgaben könnten in einer ‚analogen‘ physischen Ausstellung durch dieselben Zeichensysteme übernommen werden, manche wären aber auch ganz anders realisierbar: Die Anzeige zusammengehöriger Bereiche kann manchmal einfach durch die Raumaufteilung gelöst werden, wobei unterschiedliche Raumgestaltungen (zum Beispiel Bodenbeläge, Wandfarbe oder Farbgebung von Texttafeln) noch zusätzlich zum Einsatz kommen können. Ebenso ist die Nummerierung von Räumen oder ganzen Raumeinheiten in großen Museen durchaus üblich. Häufig werden bestimmte Aspekte solcher Leitsysteme nur auf einem Übersichtsplan angezeigt. Gelegentlich werden sie aber auch in den Räumen selbst oder zumindest am Eingang zu einem Unterbereich vermerkt.

Multimodale Metaphern auf der Startseite 

Startseiten mit bestimmten ‚Eingangsmetaphern‘ bilden einen der Bereiche, in denen sich die Verwendung semiotischer Modalitäten in digitalen Ausstellungen am deutlichsten von physischen Ausstellungen unterscheiden. Sie haben zugleich eine narrative Funktion, wie anhand der Ausstellung Wir sind anders? Bereits verdeutlicht wurde. Diese Metaphern können als multimodale Metaphern verstanden werden, da sie visuelle und sprachliche Aspekte und manchmal auch Bewegungsmuster miteinander verbinden. Ein weiteres Beispiel hierfür ist die Startseite von Künste im Exil. Hier findet sich ein Kacheldesign, dessen klarer Aufbau einfach und übersichtlich wirkt. Auf

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den zweiten Blick gibt diese Hauptseite jedoch vielfältige Zugangsmöglichkeiten preis: Blaue Kacheln, die systematische Zugänge nach bestimmten Themen bieten, wechseln mit Vorschaubildern auf einzelne Exponate, deren Titel und Autoren- bzw. Künstlername durch Mouseover angezeigt werden (Abb. 4). Dabei öffnen die blauen Kacheln jeweils eine Unterseite mit spezifischen Themen und erfüllen damit gemeinsam die Funktion eines Menüs mit einzelnen Menüpunkten, während die Bildkacheln den Sprung direkt zu einem Exponat ermöglichen. Somit bietet die Hauptseite die Auswahl zwischen einem systematischen Zugang, bei dem zunächst ein Thema gewählt und der Einführungstext dazu gelesen wird, oder dem direkten Weg zu einem bestimmten Exponat aufgrund des visuellen Eindrucks ‚aus der Distanz‘.

Abb. 4: Die Startseite von Künste im Exil, Quelle: https://kuenste-im-exil.de/KIE/Web/DE (letzter Zugriff: 20.08.2021).

Oben wurde bereits auf die Kategorie „Architektur“ eingegangen, die sich unter einer der blauen Kacheln verbirgt. Einen weiteren thematischen Zugang bietet die Kachel „Exil“, die als Unterpunkte „Exil in den Künsten“, „Arbeits- und Produktionsbedingungen im Exil“, „Gründe und Anlässe für das Exil“, „Orte und Länder“, „Heimat“, „Sprache“, „Lebensbedingungen und Alltag im Exil“, „Remigration“ und „Exilforschung in Deutschland“ anbietet. Die Überschriften sind dabei jeweils durch anklickbare Bilder unterlegt, die nebeneinander angeordnet sind und durch die man sich mit Pfeilen nach rechts und links bewegen kann, wobei man schließlich wieder zum Ausgangspunkt gelangt. Man könnte hier von einem Eingangsraum mit verschiedenen ‚Türen‘ zu den einzelnen Ausstellungsbereichen sprechen, die jeweils bereits einen Einblick freigeben. Im Gegensatz zu Du bist anders? kann hier allerdings aufgrund der Größe nicht von Vorschaubildern gesprochen werden, eher entspricht das Layout den im Webdesign der letzten Jahre häufig anzutreffenden Slidern. Diese vereinen große Bilder mit einer kurzen Beschriftung und geben durch Klicken Zugang zu dem

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entsprechenden Bereich. Die Bilder wechseln dabei oft selbständig nach einigen Sekunden, alternativ sind sie meist durch Pfeile oder durch Wischen auf dem Touchscreen horizontal scrollbar. Das hier zu findende Design entspricht nicht in jeder Hinsicht einem heutigen Slider, ist aber erkennbar von ähnlichen Webdesign-Trends inspiriert, die zur Entstehungszeit aktuell gewesen sein dürften. Dasselbe gilt für das Kachellayout der Eingangsseite. Hier zeigt sich somit beispielhaft, dass – neben der Gestaltungstradition physischer Ausstellungen – eben auch die technologischen Fortentwicklungen und Moden des Webdesigns ein wichtiger Einflussfaktor für die multimodale Gestaltung digitaler Ausstellungen sind. Die Entwicklung wird in einer diachronen Betrachtung von Ausstellungsdesigns nachvollziehbar. Während ganz frühe Seiten wie etwa Building a National Collection. 150 Years of Print Collecting at the Smithsonian15 von 1996 auf wenige Gestaltungsalternativen zurückgreifen konnten und sich daher von anderen bebilderten Webseiten der damaligen Zeit kaum unterschieden, sieht man, wie bei späteren Ausstellungen die wachsenden Möglichkeiten mal mehr, mal weniger mutig genutzt werden, um den spezifischen Inhalten und Zielgruppen der Ausstellung gerecht zu werden. Zwei bereits ältere Beispiele hierfür seien nur kurz erwähnt.16 Die historische Ausstellung Raid on Deerfield. The Many Stories of 1704 stammt von 2004 und ist bis heute online einsehbar.17 Damals erkennbar als Best-Practice-Beispiel konzipiert, wird ihr Entwicklungsprozess in einer sehr detaillierten Dokumentation offengelegt.18 Sie benutzt die Methode des ‚multiperspektivischen Storytelling‘, um ein geschichtliches Ereignis darzustellen und zu reflektieren: Der Angriff einer Armee aus französischen Truppen und verschiedenen Eingeborenenstämmen auf die englische Siedlung Deerfield in Massachusetts wird aus der Perspektive der fünf beteiligten Volksgruppen erzählt und dabei im Kontext ihrer (rekonstruierten oder vermuteten) Wahrnehmung der Ereignisse in Worten und Bildern rekonstruiert. Hierfür werden unter anderem Javascript-Technologien genutzt sowie historische Zeichnungen, Landkarten, Icons und Audiodateien eingebunden. Als zweites Beispiel sei die Ausstellung The Greenwich Village Bookshop Door. A Portal to Bohemia, 1920–1925 genannt, die einen Buchladen als Treffpunkt 15 Building a National Collection. 150 Years of Print Collecting at the Smithsonian. National Museum of American History, Smithsonian Institution. https://americanhistory.si.edu/prints/index.htm (letzter Zugriff: 20.08.2021). 16 Ausführlich zu Künste im Exil und den folgenden Beispielen siehe Siefkes: Multimodal Digital Humanities. 17 Raid on Deerfield. The Many Stories of 1704. Memorial Hall Museum Deerfield, Pocumtuck Valley Memorial Association. http://1704.deerfield.history.museum (letzter Zugriff: 20.08.2021). 18 How To Make a Site Like This. http://1704.deerfield.history.museum/about/howto.jsp (letzter Zugriff: 20.08.2021).

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und zentralen ‚Knotenpunkt‘ im Netzwerk der Bohème im Greenwich Village in der ersten Hälfte der 1920er Jahre identifiziert.19 Anlass sind die Signaturen zahlreicher Kunden und Freunde des Ladenbesitzers, die sich auf der eponymen Tür des bei Künstlern und Intellektuellen populären Buchladens verewigten. Auf einer Abbildung der Tür können diese Signaturen angeklickt werden. Sie führen dabei zu Unterseiten, die eher konventionell gestaltet sind, aber die Verbindungen zu anderen Künstlern, zu Institutionen und zu Übersichtskategorien auflisten. Diese Seite, die eine traditionelle physische Ausstellung im Herbst 2011 begleitete, kann heute ebenfalls als Klassiker des virtuellen Ausstellungsdesigns gelten. Beide genannten Ausstellungen waren für ihre Zeit innovativ und ließen sich durch die Eigenart ihrer Themen zu gänzlich originellen und dennoch angemessenen Gestaltungskonzepten inspirieren. Abschließend soll noch ein Blick auf eine Sammlungsvisualisierung geworfen werden, die als Explorationsmöglichkeit und Suchfunktion den Zugang zu einer Ausstellung eröffnet. Das Museum of the World, eine Kooperation des British Museum mit dem Google Cultural Institute, zeigt auf seiner interaktiven Startseite eine Timeline, auf der die einzelnen Objekte des British Museum als Punkte repräsentiert sind (vgl. Abb. 5 auf S. 28 im Beitrag von Hendrikje Carius und Guido Fackler).20 Diese sind farblich nach verschiedenen Weltregionen kodiert (gelb = „Africa“, rot = „Americas“, grün = „Asia“, blau = „Europe“, lila = „Americas“). Zudem gibt es rechts fünf thematische Filteroptionen („Art and design“, „Living and dying“, „Power and identity“, „Religion and belief“, „Trade and conflict“). Aktiviert man einen dieser Filter, werden nur die Objekte dieser Kategorie angezeigt. Die Besucherin oder der Besucher des Museum of the World kann sich durch die Jahrtausende scrollen und die farbigen Punkte anklicken, wobei ein kleines Fenster mit einer Kurzinformation und dem Button „Find out more“ erscheint. Durch Klick auf diesen erscheint ein Fenster mit einem Informationstext zu dem jeweiligen Objekt des British Museum, einer Audiodatei mit Erklärungen zum Exponat, einer Karte, auf der der Ursprungsort des Exponats verzeichnet ist, und Vorschaubildern mit Links zu „Related objects“ der Sammlung (Abb. 5). Man könnte das Museum of the World somit als eine Visualisierung der Sammlung des British Museum charakterisieren, die zugleich auch Zugang zu den Objekten der Sammlung gewährt, wie es typisch für interaktive Sammlungsvisualisierungen ist. Interaktive Zeitstrahlen zur Visualisierung der Objekte werden in digitalen Ausstellungen öfter verwendet, allerdings meist als spezifische Erkundungsoption auf einer Unterseite der Ausstellung. Dagegen ist 19 The Greenwich Village Bookshop Door – A Portal to Bohemia, 1920–1925. Harry Ransom Center, University of Texas. https://norman.hrc.utexas.edu/bookshopdoor/ (letzter Zugriff: 20.08.2021). 20 Museum of the World. British Museum in Kooperation mit dem Google Cultural Institute. https://britishmuseum.withgoogle.com (letzter Zugriff: 20.08.2021).

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es charakteristisch für Sammlungsvisualisierungen, dass sie eine Übersichtsdarstellung – dies kann ein Zeitstrahl oder eine andere Form der Übersichtsdarstellung sein – als Zugang für eine Sammlung verwenden, die eine spontane Erkundung ebenso ermöglicht wie die visuell geleitete Suche anhand bestimmter Kriterien.21

Abb. 5: Eine objektspezifische Unterseite des Museum of the World, Quelle: https://britishmuseum. withgoogle.com/object/engraved-bamboo-containers (letzter Zugriff: 20.08.2021).

Fazit: Digitale Ausstellungen in multimodaler Perspektive  Viele Aspekte digitaler Ausstellungen lassen sich aus einer multimodalen Perspektive beschreiben. Dabei gibt es Überschneidungen mit anderen Methoden der Ausstellungsanalyse, wobei sich die multimodale Herangehensweise insbesondere durch den Fokus auf die beteiligten Zeichen und Zeichensysteme und deren Zusammenwirken auszeichnet. Sie eignet sich daher für detaillierte vergleichende Analysen kommunikativer Aspekte und Funktionen nicht nur der Ausstellung insgesamt, sondern auch ganz bestimmter Gestaltungsformen und Designelemente, aber auch für die Spezifikation von Projekten im Entwicklungsprozess oder die Evaluation digitaler Ausstellungen. In seiner Monographie „Multimodal Digital Humanities“22 entwickelt der Verfasser ausgehend von multimodalen Theoriegrundlagen ein Framework, das die genannten Aspekte und viele weitere Analysedimensionen einbezieht. Dieses Multimodal Digital Humanities Framework orientiert sich allgemein auf Webseiten, die inner21 Vgl. Siefkes: Multimodal Digital Humanities, Abschnitt III.3.3. 22 Ebd. Hier wird ein Korpus von 25 Projekten analysiert, die fünf verschiedenen Kategorien angehören: Neben digitalen Ausstellungen sind dies digitale Editionen, interaktive Visualisierungen (von Sammlungen, Archiven usw.), Projekte der Stadt- bzw. Metropolenforschung sowie digitale Archive und Repositorien.

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halb von Digital-Humanities-Projektkontexten entwickelt wurden. Da das Framework nicht ausschließlich auf digitale Ausstellungen zugeschnitten ist, ist es weniger spezifisch in den Untersuchungskategorien.23 Daraus ergibt sich jedoch der Vorteil, Digital-Humanities-Projekte mit verschiedenen Zielsetzungen und die in ihnen entwickelten Webseiten nebeneinander stellen zu können. Dies ermöglicht es beispielsweise, das Design und die Technologien dieser verschiedenen Anwendungsbereiche der Digital Humanities miteinander zu vergleichen und zu prüfen, ob Gestaltungsformen sich gegenseitig beeinflusst haben. So ergibt etwa der Vergleich zwischen digitalen Editionen und digitalen Ausstellungen manche spannenden Übereinstimmungen, aber natürlich auch unterschiedliche Lösungen. Digitale Ausstellungen kombinieren zahlreiche semiotische Ressourcen, die in verschiedener Weise zusammenwirken und gemeinsam diverse kommunikative Funktionen erfüllen. Diese Komplexität ergibt sich einerseits durch die aufwendige Gestaltung mancher Ausstellungen, die vielfältige Ressourcen wie etwa Videos, Audiodateien, Grafiken, interaktive Visualisierungen, Zeitstrahlen und Karten integrieren und kreative Designlösungen finden, wie oben anhand mehrerer Beispiele verdeutlicht wurde. Andererseits manifestiert sich diese Komplexität auch in der Vielfalt und unterschiedlichen Gestaltung digitaler Ausstellungen, die in multimodaler Perspektive als Texttyp mit noch relativ niedrigem Konventionalisierungsgrad verstanden werden können. Dies wird erkennbar, wenn man zum Vergleich etwa Online-Nachrichtenseiten oder Shopping-Webseiten heranzieht, die zwar eine gewisse Variation im Design der Startseite und der Navigation aufweisen, aber insgesamt bestimmte Designschemata und vorherrschende Gestaltungstypen als bewährte Lösungen entwickelt haben. Solche Konventionalisierungsprozesse sind charakteristisch für multimodale Texttypen. Zunächst etablieren sich bestimmte erfolgreiche Designlösungen und werden zunehmend auf neue Seiten übernommen, dann gewöhnen sich die Besucherinnen und Besucher an diese bekannten Designs und den Umgang mit ihnen, wodurch sich Erwartungen und Rezeptionsformen verfestigen. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass dieser Prozess auch bei digitalen Ausstellungen bereits im Gang ist und mittelfristig zu einer Etablierung von einer oder mehreren präferierten Gestaltungsformen führen wird. Im Vergleich mit physischen Ausstellungen zeigen digitale Ausstellungen der Tendenz

23 Die allgemeine Ausrichtung, die den Vergleich unterschiedlicher DH-Projekttypen und die Etablierung übergreifender Standards möglich macht, unterscheidet das Framework von existierenden Ansätzen, etwa den detaillierten Kriterienkatalog für die Evaluation digitaler Editionen: Patrick Sahle, Georg Vogeler: Criteria for Reviewing Scholarly Digital Editions, version 1.1 (2017). https://www.i-d-e.de/publikationen/weitereschriften/criteria-version-1-1 (letzter Zugriff: 20.08.2021).

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nach noch eine größere Freiheit und Experimentierfreude. Dies kann als typisch für die Übertragung einer Textsorte in ein neues Medium gelten, wobei die ‚neuen Freiheiten‘ zunächst für einige Zeit experimentell ausgelotet werden. Allerdings ist inzwischen auch bei digitalen Ausstellungen ein Trend zur Konventionalisierung zu erkennen. Dieser ergibt sich aus Notwendigkeiten des Webdesigns (die extreme Bandbreite heutiger Bildschirmformate führt zum ‚Responsive Design‘, das mit den individuell kreierten Lösungen früherer Ausstellungen nicht mehr kompatibel ist), aber auch aus der Etablierung vielfach genutzter Standardlösungen wie etwa der Webanwendung Google Arts & Culture. Dadurch kommt es allmählich zu bestimmten Sehgewohnheiten und Erwartungen an digitale Ausstellungen. Die multimodale Perspektive ermöglicht es, die Vielfalt und semiotische Komplexität digitaler Ausstellungen zu erfassen, und die Entwicklung dieser multimodalen Textsorte in diachroner Perspektive zu untersuchen. Sie ist zudem unmittelbar anschlussfähig für Rezeptionsstudien, die die tatsächliche Nutzung digitaler Ausstellungen und die dort möglichen Erlebnisse und Lerneffekte untersuchen, wobei verschiedene Gestaltungsformen verglichen werden können. Indem empirisch geprüft wird, welche Stärken und Schwächen aus Sicht der tatsächlichen Nutzerinnen und Nutzer und ihres Erlebens digitale Ausstellungen im Vergleich mit traditionellen physischen Ausstellungen bieten, könnte in Zukunft noch besser abgeschätzt werden, für welche Kontexte sich digitale Ausstellungen – anstelle oder zusätzlich zu einer physischen – am besten eignen.

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Plattformen für digitale Ausstellungen

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Einführung

Plattformen für digitale Ausstellungen 

Präsentationen von Exponaten, Sammlungen und Themen in Form digitaler Ausstellungen etablieren sich zunehmend als Handlungsfeld von sammlungshaltenden und wissenschaftlichen Institutionen. Die Tendenz geht dabei von der Eigenentwicklung singulärer Lösungen zur Nutzung generischer Ansätze für die Umsetzung digitaler Ausstellungen. Dazu hat sich in den letzten Jahren ein Portalspektrum auf regionaler (z. B. bavarikon, Kulturerbe Niedersachsen, Digitale Ausstellungen Gotha) und nationaler (Deutsche Digitale Bibliothek (DDB)) bis hin zur internationalen Ebene (z. B. Europeana, Google Arts & Culture) entwickelt. Diese Plattformen bieten Ausstellungen kuratierenden Einrichtungen unter bestimmten Rahmenbedingungen eine technische Infrastruktur für die Erstellung und Präsentation digitaler Ausstellungen an. Das Kapitel „Plattformen für digitale Ausstellungen“ nimmt eine Auswahl verschiedener Portalangebote von institutionenspezifischen bis spartenübergreifenden Lösungen in den Blick. Die folgenden Beiträge nähern sich dem Oberthema aus drei Perspektiven. Ein erster Schwerpunkt widmet sich generischen Ausstellungsplattformen auf regionaler und nationaler Ebene. Julia Spohr und Lidia Westermann stellen in ihrem Beitrag „Mit virtuellen Ausstellungen Geschichten erzählen. DDBstudio – Das Ausstellungstool der Deutschen Digitalen Bibliothek“ das seit 2019 angebotene Ausstellungstool vor. Florian Sepp gibt in seinem Beitrag „Virtuelle Ausstellungen in bavarikon. Eine Übersicht von den Anfängen bis heute“ einen Einblick in das Ausstellungsmodul des spartenübergreifenden Portals, das seit 2017 für die Partnerinstitutionen zur Verfügung steht. Das für die Forschungsbibliothek Gotha entwickelte Ausstellungsportal, das Hendrikje Carius und Carsten Resch unter dem Titel „Digitales Ausstellungsportal Gotha. Konzeptionelle Ansätze im Kontext sammlungsbezogener Forschung der Forschungsbibliothek Gotha“ vorstellen, bildet die Grundlage für die Bereitstellung eines Ausstellungsmoduls im spartenübergreifenden Wissens- und Kulturportal Thüringen namens Kulthura.

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Einführung 

Im zweiten Schwerpunkt werden verschiedene konzeptionelle Ansätze im Rahmen von Praxisberichten zu einzelnen digitalen Ausstellungen aus dem Museums- und Bibliotheksbereich herausgearbeitet. Stephanie Jacobs beschreibt in ihrem Beitrag „Mediengeschichte im Netz – Sachstand und Perspektiven. Die virtuellen Ausstellungen des Deutschen Buch- und Schriftmuseums der Deutschen Nationalbibliothek Leipzig“ Strategien eines medienwissenschaftlich arbeitenden Museums, das bei der hybriden Dauerausstellung Zeichen – Bücher – Netze. Von der Keilschrift zum Binärcode zunächst eine eigene Lösung für die digitale Ausstellungspräsentation entwickelt hat. Für weitere Ausstellungen kooperiert das Museum mit der DDB im Rahmen von DDBstudio. Die Bayerische Staatsbibliothek München gehört zu den Einrichtungen, die Google Arts & Culture nutzen. Christian Eidloth schildert in seinem Beitrag „Virtuelle Ausstellungen der Bayerischen Staatsbibliothek. Ein Praxisbericht“ die Nutzung dieser Plattform, welche die Bibliothek seit 2016 für digitale Ausstellungen einsetzt. Ein dritter Schwerpunkt widmet sich exemplarisch digitalen Sammlungsbzw. Objektplattformen, die auch für das digitale Ausstellen verwendet werden und durchaus Modellcharakter für andere Häuser haben können. Udo Andraschke und Mark Fichtner arbeiten in ihrem Beitrag „Digitale Schaudepots und Objektlabore. Digitales Kuratieren mit der virtuellen Forschungsumgebung WissKI“ die Potenziale für die Repräsentation von Museumsobjekten heraus, die im Germanischen Nationalmuseum und bei den Sammlungen der FriedrichAlexander-Universität Erlangen-Nürnberg zum Einsatz kommen. Erfolgt dies hier im Rahmen einer etablierten digitalen Strategie, stehen viele mittelgroße und kleinere Häuser erst am Anfang. Sebastian Fischer beschreibt in diesem Kontext unter dem Titel „Von der Bestandserfassung zu einer vernetzten Sammlungspräsentation. Die Entwicklung der Digitalen Sammlung des Deutschen Optischen Museums“ beispielhaft den strategischen Aufbau einer digitalen Infrastruktur und die damit verbundenen Herausforderungen. Sind diese Grundlagen gelegt, können davon ausgehend auch vernetzte Sammlungspräsentationen und digitale Ausstellungen realisiert werden. Insgesamt geben die Beiträge einen Einblick in verschiedene Stadien der Plattformentwicklung und digitalen Ausstellungskuratierung von der Phase der Konzeption, der prototypischen Implementierung bis hin zum routinierten Einsatz mit User-Experience-Tests und geplanten Weiterentwicklungen. Dieses Kapitel führt dabei exemplarisch Portal- sowie Praxisbeispiele zusammen, die angesichts eines fluiden Medienformats bei der Entwicklung oder Nutzung der Portale zum Teil mit ganz unterschiedlichen Prämissen und Strategien operieren. Die Beispiele geben diesbezüglich einen Einblick in Anwendungsszenarien, die sich unterschiedlich stark am physischen Ausstellungsgedanken orientieren,

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Plattformen für digitale Ausstellungen 

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wenngleich die Ausrichtung auf das digitale Paradigma und die Ausschöpfung der Potenziale des digitalen Mediums erklärtes Ziel jeder Plattform ist. Eines der verbindenden Kernthemen ist der Umgang mit dem Spannungsverhältnis zwischen Standardisierung und kuratorischen Freiheiten. Den expositorischen Verfahren werden im digitalen Raum durch die mit den digitalen Infrastrukturen verbundenen technologischen Bedingungen und der Berücksichtigung der FAIR-Data-Principles (Auffindbarkeit, Zugänglichkeit, Interoperabilität und Nachnutzbarkeit) Grenzen für die individuelle Gestaltung gesetzt. Zwar treffen die generischen Infrastrukturen die Interessenslagen der kuratierenden Institutionen, die gerade angesichts der begrenzten Ressourcen zentrale nachhaltige Lösungen suchen und keine eigenen Infrastrukturen aufbauen und betreuen müssen. Andererseits bieten Ausstellungen als flankierende, publikumsorientierte Aktivitäten und Vermittlungsformate sowie Kommunikationsstrategien unter Nutzung multimedialer Formate die Möglichkeit, Besucherinnen und Besucher im Netz zu erreichen und ein digitales Audience Development zu betreiben. Erfolgsfaktoren und Best Practices kristallisieren sich jedoch erst sukzessive mit einer zunehmenden Besucherforschung und der Berücksichtigung der Ergebnisse bei der Weiterentwicklung der digitalen Infrastrukturen wie der Rezeption der Entwicklungen bei physischen Ausstellungen im Museumsbereich heraus. Besondere Relevanz kommt dabei kontinuierlichen Austausch- und Kooperationsprozessen im GLAM-Bereich sowie weiterer, an Ausstellungsplattformen beteiligter Akteurinnen und Akteure zu. Ziel ist es, die jeweiligen Anforderungen an generische, institutionenübergreifende Portale zu formulieren, auszubauen und miteinander in Einklang zu bringen. Dies ist schon angesichts des dynamischen technologischen Wandels unerlässlich und macht kontinuierliche Evaluationen und Weiterentwicklungen notwendig.

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Julia Spohr / Lidia Westermann

Mit virtuellen Ausstellungen Geschichten erzählen. DDBstudio –  Das Ausstellungstool der Deutschen Digitalen Bibliothek 

Ein Besuch auf der Wartburg, Nahaufnahmen von Dürers Meisterstichen, eine Reise in den Orient oder ein Blick in Nietzsches Lektüren: Das Ausstellungstool DDBstudio lädt zu virtuellen Spaziergängen durch Geschichte und Kultur ein. Virtuelle Ausstellungen gehören seit vielen Jahren für Bibliotheken, Archive und Museen zu den unmittelbaren Möglichkeiten, die Sichtbarkeit ihrer Bestände und Aktivitäten in den digitalen Raum auszudehnen. Die Deutsche Digitale Bibliothek bietet seit Oktober 2019 den neuen Service DDBstudio an, der interessierten Kultur- und Wissenseinrichtungen die technische Infrastruktur zur Verfügung stellt, um selbst virtuelle Ausstellungen anzulegen und zu veröffentlichen.

Kultur und Wissen online  Die Deutsche Digitale Bibliothek (DDB) ist die zentrale Online-Plattform für Kultur und Wissen in Deutschland. Ihr Ziel ist es, jedem über das Internet freien Zugang zum kulturellen und wissenschaftlichen Erbe Deutschlands zu eröffnen. In der DDB, finanziell gefördert durch den Bund und die Länder, werden die verteilten Bestände und Sammlungen des kulturellen Erbes in Deutschland virtuell zusammengeführt und über ein Portal gemeinsam sichtbar und auffindbar gemacht. Spartenübergreifend werden Bezüge zwischen Objekten1 hergestellt, die erst in der Gesamtschau deutlich werden. Die DDB, deren Portal 2012 online ging, versteht sich als entscheidender Akteur, Kultur- und Wissensschätze in Deutschland in das digitale Zeitalter zu überführen. Sie möchte digitalisiertes

1 Die Bezeichnung ‚Objekt‘ bezieht sich hier und im Folgenden auf einen von der DDB erzeugten Datensatz, der mit Metadaten, Erschließungsinformationen und Vorschaudateien ein physisches oder digitales Objekt beschreibt.

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Julia Spohr / Lidia Westermann 

und digitales Kulturerbe im kollektiven Gedächtnis lebendig halten und ermöglicht den Zugang zu Originalen, die beispielsweise aus konservatorischen Gründen nicht genutzt werden können. Ziel der DDB ist darüber hinaus, digitale Angebote der deutschen Kultur- und Wissenseinrichtungen miteinander zu vernetzen und unterschiedlichen Zielgruppen zugänglich zu machen. Nach einer intensiven Aufbau- und Entwicklungsphase gilt es nun, dem Anspruch der DDB weiter zu entsprechen: Nutzerinnen und Nutzer sollen das in ihr auffindbare digitale Kultur- und Wissenserbe Deutschlands niederschwellig durchsuchen, finden und anwenderfreundlich nutzen können. Kulturelle Bildung und Vermittlung der Inhalte der DDB werden in diesem Zusammenhang eine zunehmend starke Rolle spielen. Nutzerinnen und Nutzer erwarten, dass ihnen DDB-Objekte und -Sammlungen in Narrative übersetzt werden, sie redaktionell vielfältige Inhalte mit partizipativen Elementen und vertiefenden Informationen erhalten, Bestände kontextualisiert und erfahrbar gemacht werden. Leicht bedienbare und unterschiedliche Sinne ansprechende Angebote, die eine interaktive Teilhabe und gleichzeitig Orientierung in der Vielfalt der in der DDB auffindbaren Sammlungen befördern, werden mehr und mehr nachgefragt.2 Die inhaltlichen Kontexte der in der DDB auffindbaren und vernetzten Kulturobjekte gilt es dabei stärker in den Fokus zu rücken, um Nutzerinnen und Nutzern einen breiten und interessenbestimmten Zugang zu den Inhalten der DDB zu bieten. Navigierende Zugänge zu den Objekten spielen eine ebenso bedeutsame Rolle wie inhaltlich fokussierte Annäherungen an die Inhalte der DDB, z. B. durch virtuelle Ausstellungen. Die DDB will sich mit ihren Angeboten an eine breite Öffentlichkeit richten. Entsprechend der Heterogenität dieser Zielgruppe sind die Nutzungsanlässe besonders vielfältig: Sie reichen von der Befriedigung konkreter Informationsbedürfnisse, beispielsweise zu Literatur, Kunst oder geschichtlichen Zusammenhängen, über die intensivere, etwa anlassbezogene Auseinandersetzung mit aktuellen Ereignissen, Jahrestagen oder Jubiläen, der Planung und Vorbereitung von Kulturreisen und -veranstaltungen, bis hin zu Heimat- und Genealogiefor-

2 Die Anforderungen und Erwartungen der Nutzerinnen und Nutzer an das DDB-Portal wurden zuletzt in einer Bedarfsanalyse erhoben, die zwischen Dezember 2019 und April 2020 durchgeführt wurde. Im Fokus der Onsite-Umfrage sowie der mit ausgewählten Nutzerinnen und Nutzern durchgeführten Einzelinterviews stand dabei die Evaluierung und Verbesserung der Usability des DDB-Portals. Die durch die Bedarfsanalyse gewonnenen Erkenntnisse werden für die weitere Verbesserung von Funktionalität und Usability des DDB-Portals genutzt und fließen in die im Rahmen des von der Bundesregierung aufgelegten Förderprogramms NEUSTART KULTUR geplante „Nutzerorientierte Neustrukturierung der Deutschen Digitalen Bibliothek“ ein. Weitere Informationen unter https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/content/journal/aktuell/sammlungsvielfaltpartizipative-kulturvermittlung-digitalisierungsfoerderung-die-deutsche-digitale-bibliothek-erhaeltmittel-aus-neustart-kultur (letzter Zugriff: 30.04.2021).

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Mit virtuellen Ausstellungen Geschichten erzählen 

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schung. Kultur- und Wissenseinrichtungen dient die DDB vor allem zur Präsentation der eigenen digitalen Sammlungen und Aktivitäten im Bereich der Digitalisierung. Neben der Integration ihrer Bestände in die DDB, der Möglichkeit, virtuelle Ausstellungen zu kuratieren und weitere Informationen auf einer Institutionen-Übersicht, der ‚Kulturlandkarte‘, zu veröffentlichen, profitieren die Partnereinrichtungen von dem Netzwerk, das die DDB gemeinsam mit ihnen aufbaut. Erfahrungen, Best Practices, Technologien und Dienste können über die Plattform ausgetauscht werden. Die DDB vermittelt und bietet Beratung und Hilfestellung, beispielsweise für standardkonforme Datenaufbereitung oder rechtliche Fragestellungen, und tritt auch als Interessenvertretung im Hinblick auf rechtliche und finanzielle Rahmenbedingungen auf.3 Die aktive Beteiligung der Partner, der Kultur- und Wissenseinrichtungen in Deutschland, ist essenziell für den Erfolg des Vorhabens Deutsche Digitale Bibliothek insgesamt.

Kulturobjekte in der DDB  Ein Portal wie die DDB wird stets an Menge und Attraktivität der bereitgestellten Inhalte gemessen. Deshalb bleibt es ein wichtiges Ziel der DDB, das digitale Kulturerbe im Netz möglichst umfassend abzudecken. Insgesamt sind mehr als 4.000 Institutionen in der DDB registriert. Davon haben über 500 rund 33 Millionen Objekte bereitgestellt. Nahezu 11 Millionen dieser Objekte sind bereits als Digitalisate von Bildern und Fotografien, Handschriften, Archivalien, Skulpturen, Tondokumenten, Filmen, Noten, Landkarten, Notizbüchern und vielem mehr verfügbar. Zu den Beiträgern, den so genannten datenliefernden Einrichtungen, gehören Bibliotheken und Archive, Museen, Mediatheken, Denkmalpflegeeinrichtungen, Stiftungen, Vereine und Forschungsinstitutionen. Das Nutzungserlebnis und die Attraktivität der DDB hängen in hohem Maße von der Qualität der Digitalisate ab. Es hat sich gezeigt, dass insbesondere bei der allgemeinen Öffentlichkeit ein großes Interesse an rechtefreien und hochauflösenden Objekten besteht, die Highlights der jeweiligen Sammlungen von Kultur- und Wissenseinrichtungen darstellen. Künftig wird es daher stärker als bisher erforderlich sein, den Nutzerinnen und Nutzern hochauflösende Bilder und auch 3D-Objekte zugänglich zu machen und die dafür notwendige technische Infrastruktur auszubauen. Das International Image Interoperability Framework

3 Das Portal DDBpro richtet sich speziell an Datenpartner sowie an Institutionen, die sich für eine Teilnahme an der DDB interessieren, und versammelt alle wichtigen Informationen zu Registrierung, Datenlieferung, rechtlichen Rahmenbedingungen sowie sparten- und themenspezifischen Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartnern: https://pro.deutsche-digitale-bibliothek.de/ (letzter Zugriff: 30.04.2021).

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(IIIF) und die in der DDB bereits prototypisch entwickelte IIIF-Infrastruktur bieten technische Voraussetzungen, um das Nutzungserlebnis und damit die Nachhaltigkeit der Angebote der DDB als Akteur der kulturellen Bildung zu stärken.4 Gleichzeitig wird die DDB dem Wunsch vieler Datengeber nachkommen, die in zunehmendem Maße auch 3D-Inhalte liefern und diese vernetzt sichtbar machen wollen. Eine diesbezüglich bessere Qualität der zur Verfügung gestellten Digitalisate und der damit erzielte Zuwachs an redaktionell von Kuratorinnen und Kuratoren aufbereiteten Inhalte im Rahmen virtueller Ausstellungen wird auch der DDB zugute kommen.

Wozu virtuelle Ausstellungen?  Bestandsschonend in alten Handschriften blättern, schmuckvolle Einbände von allen Seiten als 3D-Objekt betrachten oder Bilddetails zoomend erforschen – virtuelle Ausstellungen können die Bestände von Kultur- und Wissenseinrichtungen auf neue Weise erfahrbar machen. Schon 1992 veröffentlichte die Library of Congress ihre erste Online-Exhibition, Ausstellungen im digitalen Raum bilden demnach ein verhältnismäßig frühes Format des Internets. Sein großer Vorteil liegt darin, dass die zum Einsatz kommenden digitalen Objekte in einer virtuellen Umgebung unabhängig von örtlichen und zeitlichen Einschränkungen sowie konservatorischen Bedenken in einem multimedialen Umfeld präsentiert werden können. Die Möglichkeiten und Anlässe, große oder kleine virtuelle Ausstellungen zu realisieren, sind vielfältig. Eine virtuelle Ausstellung kann eine physische Ausstellung begleiten, etwa zu ihrer Dokumentation und Archivierung. Oder sie ist von vornherein als Digital-Only-Ausstellung eigens für das Web konzipiert, da sie Geschichten erzählt, die sich besser im digitalen Raum erzählen lassen. In beiden Fällen erhöht sich durch die Präsenz im Web die potenzielle Reichweite einer Ausstellung, die nicht nur ein breites Publikum erreichen, sondern aufgrund der Niedrigschwelligkeit des Zugangs auch neue Nutzerkreise generieren kann. Darüber hinaus bieten virtuelle Ausstellungen einen weiteren Vorteil: Durch institutions- und spartenübergreifende Kooperationen sind neuartige und raumunabhängige Ausstellungskonzepte umsetzbar, die eine physisch nicht oder nur sehr schwer realisierbare Kombinationen von Objekten und Beständen bieten. Sie eröffnen auf diese Weise neuen Spielraum, das Kulturerbe 4 Bislang stellt die DDB die digitalen Objekte als Derivate, d. h. als Kopien der von den Datenpartnern bereitgestellten Objekte in geringer Auflösung zu Verfügung. Mit der IIIF-Schnittstelle ‚Image API‘ können zukünftig hochaufgelöste Bilder effizient in der DDB und in DDBstudio geladen, verarbeitet und über IIIF ausgeliefert werden.

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Mit virtuellen Ausstellungen Geschichten erzählen 

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digital zu vernetzen. Darum fördert die DDB den Einsatz von virtuellen Ausstellungen.

Virtuelle Ausstellungen kuratieren mit DDBstudio   Die DDB selbst veröffentlicht seit 2014 virtuelle Ausstellungen auf ihrem Portal. Als Reaktion auf die steigende Nachfrage und das stetig zunehmende Interesse an diesem Angebot von Seiten ihrer Partnereinrichtungen konnte die DDB dieses Angebot 2019 zu einem Service erweitern, der auch interessierten Einrichtungen die technische Infrastruktur (Software und Webspace) zur Verfügung stellt, um selbst virtuelle Ausstellungen anzulegen und zu veröffentlichen: DDBstudio (Abb. 1).5

Abb. 1: Beispiel für eine virtuelle Ausstellung mit DDBstudio (Startseite), Quelle: DDB, https://ausstellungen.deutsche-digitale-bibliothek.de/kriegsende-1945/, CC BY-SA 4.0 (letzter Zugriff: 20.08.2020).

Mittlerweile sind rund 30 Ausstellungen innerhalb von acht Monaten mit DDBstudio entstanden (Stand Mitte Juli 2020), rund 40 neue Ausstellungsprojekte sind derzeit in Planung. Große wie kleine Einrichtungen nehmen die virtuellen 5 Vgl. die Übersicht aller bisher veröffentlichten DDBstudio-Ausstellungen: https://www.deutschedigitale-bibliothek.de/content/journal/ausstellungen (letzter Zugriff: 20.08.2020).

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Ausstellungen der DDB und das dazugehörige Servicetool DDBstudio als Ergänzung ihrer Angebote vor Ort sehr gut an.6 Das Ausstellungstool basiert auf der Open-Source-Software Omeka, die speziell für den Einsatz in Bibliotheken, Archiven und wissenschaftlichen Sammlungen vom Roy Rosenzweig Center for History and New Media entwickelt wurde. Die DDB hat die Software für ihr neues Dienstleistungsangebot so angepasst, dass Kuratorinnen und Kuratoren die Redaktionsoberfläche ohne Vorkenntnisse oder Schulungen bedienen können. Die einzige technische Voraussetzung für die Nutzung des browserbasierten Tools ist eine Internetverbindung. Nach Einrichtung eines Online-Zugangs durch die DDB können Kuratorinnen und Kuratoren ihre Ausstellung eigenständig anlegen und verwalten. Insbesondere auch kleine und mittlere Einrichtungen erhalten mit der kostenfreien Bereitstellung von DDBstudio die Möglichkeit, ihren Bekanntheitsgrad zu vergrößern. Alle bei der DDB registrierten Kultur- und Wissenseinrichtungen können das kostenfreie Angebot DDBstudio nutzen. Die Registrierung ist für eine Einrichtung weder mit Gebühren noch mit Pflichten verbunden. Weitere Informationen bietet das Portal für Datenpartner der DDB: DDBpro.7 In der Wahl des Ausstellungsthemas sind die kuratierenden Institutionen frei. Als Medium der Selbstdarstellung nach außen können sie virtuelle Ausstellungen beispielsweise nutzen, um einen speziellen Fokus auf eigene Bestände und Forschungsthemen zu richten. Einrichtungen können sich mit virtuellen Ausstellungen an aktuellen Debatten beteiligen oder einen Beitrag zur Würdigung von Jahrestagen leisten. Als Grundvoraussetzung gilt lediglich, dass die Themen, Texte und Objekte an die spezifischen Erfordernisse des Mediums Internet angepasst sein sollten. Als wirksames Instrument des Wissenstransfers haben sich seit einigen Jahren narrative Strukturen in der Wissenschaftskommunikation und Kulturvermittlung bewährt. Die virtuellen Ausstellungen in der DDB wollen Geschichten erzählen. Vor diesem Hintergrund orientieren sich das Ausstellungsdesign und die grundlegenden Funktionalitäten von DDBstudio am sogenannten Scrollytelling-Format. Die Ausstellungen werden als responsive Long-Pager angelegt, die auch auf mobilen Geräten gut nutzbar sind. Die Besucherinnen und Besucher scrollen sich von oben nach unten durch eine lineare Erzählung, die durch horizontale Abzweigungen und Vertiefungsebenen ergänzt werden kann. So können mehrere narrative Schichten mit unterschiedlichem Informationsgehalt angelegt und verschiedene Nutzergruppen adressiert werden. Die virtuellen Ausstellungen in der DDB sollen kulturinteressierte Laien 6 Vgl. für die Nutzerperspektive z. B. den Beitrag von Stephanie Jacobs zu den mit DDBstudio kuratierten Ausstellungen des Deutschen Buch- und Schriftmuseums der Deutschen Nationalbibliothek Leipzig in diesem Band. 7 https://pro.deutsche-digitale-bibliothek.de (letzter Zugriff: 20.08.2020).

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Mit virtuellen Ausstellungen Geschichten erzählen 

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ebenso wie fachkundige Besucherinnen und Besucher ansprechen. Neben der intuitiven Bewegung durch die Ausstellung, die durch das Scrollytelling-Format begünstigt wird, können Besucherinnen und Besucher die präsentierten Inhalte über ein Navigationsmenü gezielt ansteuern und sich anhand einer Fortschrittsanzeige innerhalb der Ausstellung orientieren. DDBstudio bietet als Ausstellungs-Template die wichtigsten Funktionen zur Erstellung einer virtuellen Ausstellung. Für die individuelle Gestaltung stehen den Kuratorinnen und Kuratoren verschiedene Optionen zur Verfügung. So stellt DDBstudio eine Auswahl verschiedener Farbschemata bereit, mit denen das Ausstellungsthema stimmig in Szene gesetzt werden kann. Darüber hinaus bietet DDBstudio unterschiedliche Layout-Templates an, so dass sich Texte und Objekte passend zum jeweiligen Ausstellungsnarrativ kombinieren lassen. Die Bearbeitung der Ausstellung selbst erfolgt über eine Redaktionsoberfläche, die für DDBstudio auf einfache Bedienung ohne einschlägige technische Vorkenntnisse ausgerichtet wurde. Zusätzlich wurde ein Online-Handbuch erstellt, dass unkompliziert in die Nutzung des Tools einführt und Schritt für Schritt die Realisierung einer Ausstellung erläutert.8 Für jedes Ausstellungsprojekt wird ein gesonderter Zugang zum Redaktionssystem eingerichtet, den wiederum mehrere Bearbeiterinnen und Bearbeiter für ihre Arbeit an einem gemeinsamen Ausstellungsprojekt nutzen können. DDBstudio bietet verschiedene Möglichkeiten digitaler Präsentation und stellt dabei das Medium in den Vordergrund: Bildschirmfüllende Grafiken, Audio- und Videomaterialien, Zoomfunktion oder 3D-Ansichten, Kreieren neuer Memes durch Einbindung von animierten GIFs und anderes mehr. Dabei können Fotografien, Videos, Audio-Clips, 3D-Materialien, GIFs als Objekte in multimedialen Geschichten auf vielfältige Art und Weise arrangiert werden. In der Ausstellungssoftware von DDBstudio werden die Objekte zunächst wie Karteikarten in einem Metadatenschema mit standardisierter Rechteauszeichnung hinterlegt. Die Verknüpfung des Objekts mit seinem Digitalisat erfolgt in einem zweiten Schritt über einen einfachen Upload der Dateien, wobei verschiedene Datenformate zugelassen sind. In der Ausstellung kann der Nutzer die Detailinformationen zu einem Objekt, u. a. Rechtekennzeichnung und Link zum Objekt innerhalb oder außerhalb der DDB, über eine Lightbox aufrufen (Abb. 2). Ein Großteil der verwendeten Objekte sollte aus der DDB stammen. Da sich Geschichten nicht immer über diese Einschränkung erzählen lassen, können als Ausnahme oder Ergänzung auch solche eingebunden werden, die nicht in der DDB vorhanden sind. Die Rechteklärung liegt in diesen Fällen in der Verantwortung der Kuratorinnen und Kuratoren. 8 https://deutsche-digitale-bibliothek.github.io/ddb-virtualexhibitions-docs-litfass/ (letzter Zugriff: 20.08.2020).

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Abb. 2: Detailinformationen zum Objekt in der Lightbox, Quelle: DDB, https://ausstellungen.deutschedigitale-bibliothek.de/regen/#s27, CC BY-SA 4.0 International (letzter Zugriff: 20.08.2020).

In der Redaktionsoberfläche werden außerdem die einzelnen Ausstellungsseiten angelegt, die mit Objekten verknüpft und mit Bildunterschriften sowie Texten versehen werden können. Hierbei können die Kuratorinnen und Kuratoren, passend zum Ausstellungsnarrativ, verschiedene Farbpaletten und Layouts wählen. Die Texte werden über einen Texteditor eingegeben, der in seiner Bedienung den üblichen Textverarbeitungsprogrammen entspricht (Abb. 3). Alle mit DDBstudio erstellten Ausstellungen werden bei der DDB gehostet und mit eigener URL öffentlich zugänglich gemacht. Durch das Einbinden der URL auf den Webseiten der kuratierenden Einrichtungen kann die Ausstellung frei veröffentlicht werden. Außerdem werden die Ausstellungen im DDB-Portal auf der Übersichtsseite ‚Virtuelle Ausstellungen‘ verlinkt und über die SocialMedia-Kanäle begleitet.

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Mit virtuellen Ausstellungen Geschichten erzählen 

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Abb. 3: Die Redaktionsoberfläche in Omeka, Quelle: DDB, CC BY-SA 4.0 International (letzter Zugriff: 20.08.2020).

Perspektiven  Seit Einführung des neuen Ausstellungs-Services der DDB haben sich spartenübergreifend 60 Institutionen mit eigenen Ausstellungsprojekten bei DDBstudio registriert. Das Spektrum der Ausstellungen reicht von regionalen Themen wie z. B. Geschichte(n) vom Essen in Hessen9 über Klassiker der Kunstgeschichte wie Albrecht Dürer – 500 Jahre Meisterstiche10 bis zu historischen Ausflügen wie

9 MahlZEIT. Geschichte(n) vom Essen in Hessen, kuratiert von: Rouven Pons, Maria Kobold und Dorothee A. E Sattler, Hessisches Landesarchiv, 2019. https://ausstellungen.deutsche-digitalebibliothek.de/mahlzeit/ (letzter Zugriff: 30.04.2021). 10 Albrecht Dürer – 500 Jahre Meisterstiche. Druckgraphik und Zeichnungen aus dem Kupferstichkabinett, kuratiert von: Michael Roth, Kupferstichkabinett – Staatliche Museen zu Berlin, 2019. https://ausstellungen.deutsche-digitale-bibliothek.de/duerer/ (letzter Zugriff: 30.04.2021).

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Wartburgerinnerungen im Bild – Private Fotoschätze aus 100 Jahren11 oder Geschichte des Rheinischen Bildarchivs12. Die Themen sind so vielfältig wie die Partner, die das Ausstellungstool nutzen: etwa das Deutsche Buch- und Schriftmuseum der DNB, das Kupferstichkabinett Berlin, das Hessische Landesarchiv oder die Klassik Stiftung Weimar. Die Zugriffszahlen auf die virtuellen Ausstellungen wachsen stetig.13 Nach dem Launch von DDBstudio stiegen die Besuchszahlen der virtuellen Ausstellungen um ein Vielfaches. Um das bisher sehr gut rezipierte und genutzte Tool zur Erstellung virtueller Ausstellungen dauerhaft in der DDB zu etablieren, wird DDBstudio für kuratierende Einrichtungen sowie die Besucherinnen und Besucher des Portals attraktiv und technisch anschlussfähig gehalten: Angesichts sich schnell wandelnder technischer Gegebenheiten und User Experiences im Web ist der Anschluss an zeitgemäße Standards bezüglich Webdesign und Betrieb der Ausstellungen notwendig. Neben einer aktualisierten Ausstellungssoftware werden neue Features entwickelt und eingebunden.14 Hierzu gehört z. B. eine Sprachweiche, um Ausstellungen auch in anderen Sprachen anbieten zu können, die Einbindung interaktiver Karten sowie von Objekten mit 360°-Perspektive. Die vielfältigen Möglichkeiten der Präsentation, Kontextualisierung sowie Verknüpfung von Objekten und Informationen machen virtuelle Ausstellungen zu einem nach unseren Erfahrungen lebendigen Instrument der Wissensvermittlung. Mit dem Ausstellungstool DDBstudio bietet die DDB Kultur- und Wissenseinrichtungen die Möglichkeit, mit multimedialen Geschichten zu inspirierenden Entdeckungsreisen und Spaziergängen durch Geschichte und Kultur einzuladen.15

11 Wartburgerinnerungen im Bild. Private Fotoschätze aus 100 Jahren, kuratiert von: Dorothee Menke unter Mitarbeit von Grit Jacobs, Wartburg-Stiftung, 2019. https://ausstellungen.deutsche-digitalebibliothek.de/wartburgfotos/ (letzter Zugriff: 30.04.2021). 12 Fotografien für Köln und die Welt. Die Geschichte des Rheinischen Bildarchivs, kuratiert von: Tim Schnarr und Johanna Gummlich, Rheinisches Bildarchiv der Stadt Köln, 2020. https://ausstellungen.deutschedigitale-bibliothek.de/fotografien-fuer-koeln-und-die-welt/ (letzter Zugriff: 30.04.2021). 13 Die DDB stellt den kuratierenden Einrichtungen die Zugriffszahlen auf ihre Ausstellungen auf Nachfrage zur Verfügung. 14 Die Weiterentwicklung der Software und die Einführung neuer Features basieren auf UsabilityTests, die im Rahmen des Projekts „Nutzerzentrierte Weiterentwicklung des Vermittlungsangebots DDBstudio/Virtuelle Ausstellungen“ durchgeführt werden. 15 Weitere Informationen zu DDBstudio unter https://pro.deutsche-digitale-bibliothek.de/ddbstudio (letzter Zugriff: 20.08.2020).

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Florian Sepp

Virtuelle Ausstellungen in bavarikon. Eine Übersicht von den  Anfängen bis heute 

bavarikon, das Portal für Kultur- und Wissensschätze aus Bayern, präsentiert neben zahlreichen digitalen Objekten auch eigens hierfür gestaltete virtuelle Ausstellungen.1 Den Auftakt machte 2017 eine Ausstellung zu Martin Luther, seither folgten eine Reihe weiterer digitaler Präsentationen. Der Beitrag gibt einen Überblick über die Entwicklung dieser Ausstellungen und zum konkreten Ablauf in der Praxis.

Was ist bavarikon?  bavarikon bildet einen Bestandteil der Digitalisierungsstrategie der Bayerischen Staatsregierung.2 Es wird von zwei bayerischen Staatsministerien verantwortetet, dem für Wissenschaft und Kunst sowie dem für Finanzen und Heimat. Die fachliche Steuerung obliegt dem 14-köpfigen bavarikon-Rat, dessen Vertreterinnen und Vertreter verschiedene Kultureinrichtungen repräsentieren; die Bayerische Staatsbibliothek (BSB) ist organisatorischer, redaktioneller und technischer Betreiber. bavarikon startete im Frühjahr 2013 und wurde 2015 in den Regelbetrieb überführt. Seitdem werden monatlich neue Digitalisate eingespielt, so dass im Juni 2020 über 320.000 Objekte online verfügbar waren. Als Partner von bavarikon fungieren Archive, Bibliotheken, Museen, Behörden und wissenschaftliche Einrichtungen unterschiedlicher Trägerschaft und aus allen bayerischen Landesteilen. Aktuell kooperiert das Portal mit ca. 90 Partnern, deren Anzahl 1 https://www.bavarikon.de/topics (letzter Zugriff: 19.08.2020). 2 Zu bavarikon vgl. u. a.: Florian Sepp, Martin Jäger: Weiter auf Erfolgskurs! Die Digitalisierungskampagne von bavarikon nimmt Fahrt auf, in: Bibliotheks-Magazin 13.2 (2018), S. 18–21; Florian Sepp: „bavarikon“ – Das Kulturportal des Freistaats Bayern, in: Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben 110 (2018), S. 25–34; Klaus Ceynowa, Stephan Kellner: Das bayerische Kulturportal „bavarikon“ – digital, vernetzt, spartenübergreifend, in: Ellen Euler u. a. (Hrsg.): Handbuch Kulturportale. Online-Angebote aus Kultur und Wissenschaft, Berlin 2015, S. 292–300.

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Florian Sepp 

kontinuierlich wächst. bavarikon stellt Kulturgut aus Einrichtungen in Bayern online bereit, ohne, dass ein thematischer Bayernbezug vorausgesetzt wird (Abb. 1).

Abb. 1: Startseite von bavarikon, Quelle: https://www.bavarikon.de (letzter Zugriff: 19.08.2020).

Die Objekte sind voll in das Portal integriert, indem deren hochauflösende Digitalisate auf den Servern von bavarikon vorgehalten werden. Die Server selbst betreibt das Leibniz-Rechenzentrum der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. bavarikon will das kulturelle Erbe Bayerns weltweit vorstellen, allen Bürgerinnen und Bürgern zugänglich machen sowie passend für die junge Generation präsentieren. Neben der breiten interessierten Öffentlichkeit zählen auch wissenschaftliche Nutzerinnen und Nutzer zu den Zielgruppen. Um ihren unterschiedlichen Interessen entgegenzukommen, beschloss der bavarikon-Rat im Herbst 2013 ein ‚3-Säulen-Modell‘. bavarikon soll demnach Folgendes enthalten: a) hochwertige Spitzenstücke, die systematisch und übergreifend aufgenommen werden, b) spezielle, vertieft erschlossene und redaktionell bearbeitete Themenschwerpunkte, c) landesweite Querschnittsthemen, wie Sprache, Orte, Denkmäler, Personen.

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Virtuelle Ausstellungen in bavarikon 

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Die unter b) genannten Themenschwerpunkte haben sich in Form von virtuellen Ausstellungen mittlerweile zu einem wichtigen Bestandteil von bavarikon weiterentwickelt, das intern als Ausstellungsmodul bezeichnet wird.

Die Anfänge des Ausstellungsmoduls   Bereits beim Start von bavarikon gab es vier Themenschwerpunkte, die aus der Bayerischen Landesbibliothek Online (BLO) übernommen worden waren. Diese entstand 2002 als eines der ersten Regionalportale Deutschlands.3 Als Vorläufer von bavarikon wird sie seit 2018 schrittweise in die Plattform integriert. Bei der BLO gab es das Bedürfnis, nicht nur Digitalisate zu präsentieren, sondern diese in Themenschwerpunkten zu kontextualisieren. Diese entstanden zum Oktoberfest, zu Ludwig II., zur Revolution von 1918 und zum Regensburger Buchmaler Furtmeyr. Anlass waren Jubiläen bzw. physische Ausstellungsprojekte. Alle vier Themenschwerpunkte wurden 2012/13 nahezu unverändert von bavarikon übernommen. Als virtuelle Ausstellungen kann man sie freilich nicht bezeichnen, da sie den Charakter von kommentierten Quellensammlungen hatten. Der bavarikon-Rat beschloss, als Erstes aus Anlass des Reformationsjubiläums einen Themenschwerpunkt zu Luther erarbeiten zu lassen.4 Dies geschah vom Herbst 2013 bis zum Frühjahr 2017, allerdings mit schwankender Arbeitsintensität. Der Aufbau dieses Schwerpunkts fungierte als Testlauf, bei dem Konzepte, Geschäftsgänge und die Programmierung entwickelt wurden. Zahlreiche Vorbilder wurden hierfür evaluiert. Am ehesten standen die Europeana-Exhibitions in ihrer damaligen Gestalt Pate (Übersichtlichkeit, einfache Struktur). Der Online-Gang erfolgte im März 2017 im Rahmen einer offiziellen Pressekonferenz mit dem damaligen Finanzminister Markus Söder und dem Kultusstaatssekretär Georg Eisenreich. In der Folge gab es große Resonanz, sowohl in den Medien als auch bei den Nutzerinnen und Nutzern. Das Thema Luther ist hier breit angelegt, rund 120 Objekte aus 20 Einrichtungen werden präsentiert. Dabei 3 Zur BLO vgl.: Klaus Kempf, Stephan Kellner: Zehn Jahre Bayerische Landesbibliothek Online (BLO). Eine Erfolgsgeschichte, in: Bibliotheks-Magazin 2 (2013), S. 72–76; Florian Sepp: 10 Jahre Bayerische Landesbibliothek Online: Bilanz einer Erfolgsgeschichte. Das Internet als Informationsmedium für Historiker, in: Mitteilungen des Verbandes Bayerischer Geschichtsvereine 25 (2011), S. 21–44; Stephan Kellner, Daniel Schlögl: Von der Landesbibliographie zum landesbezogenen Informationssystem. Die Bayerische Landesbibliothek Online (BLO) und vergleichbare Projekte, in: Ludger Syré (Hrsg.): Die Regionalbibliographie im digitalen Zeitalter (Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie. Sonderheft 90), Frankfurt am Main 2006, S. 139–150. 4 Zum Luther-Schwerpunkt vgl.: Johannes Haslauer, Stephan Kellner: Luther, Eck und die frühe Reformation in Bayern. Eine kooperative virtuelle Ausstellung von Archiven, Bibliotheken und Museen im Kulturportal bavarikon, in: Archive in Bayern 10 (2018), S. 247–264.

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Florian Sepp 

beteiligten sich Archive, Bibliotheken, Museen und Pfarrämter. Die inhaltliche Projektsteuerung übernahm eine Arbeitsgruppe aus Vertretern der Bayerischen Staatsbibliothek, der Generaldirektion der staatlichen Archive und des Hauses der Bayerischen Geschichte. Ausstellungsbegleitend wurde ein wissenschaftliches Kolloquium an der Kommission für bayerische Landesgeschichte durchgeführt. Die Lutherausstellung brachte für das Portal eine deutliche Steigerung der Nutzungszahlen. Das Interesse daran war erstmals durch eine systematische Öffentlichkeitsarbeit in Form von Medienberichten, Flyern, einer bayernweiten Plakataktion, Facebook-Posts, Anzeigen sowie eines eigenen YouTube-Films5 geweckt worden. Zudem wurde das Projekt über die Ausstellungspartner breit beworben (Auslegen von Flyern, Aufnahme in die Newsletter, Verlinkung von Homepages). In einem letzten Schritt erfolgte die Übersetzung der Ausstellungstexte ins Englische.

Die weitere Entwicklung des Ausstellungsmoduls  Aus den Erfahrungen der Lutherausstellung wurden konkrete Vorgaben für weitere Projekte entwickelt, vor allem Handreichungen bzgl. Inhalt und Workflows für bavarikon-Partner, die im Rahmen von Digitalisierungsprojekten selbst eine Ausstellung als zusätzliches Feature planen. Dabei sind Ausstellungen mit deutlich weniger Objekten und weniger beteiligten Einrichtungen angedacht; dies ist eine Konsequenz aus den Erfahrungen mit der sehr umfangreichen Lutherausstellung und ihrem Arbeitsaufwand. Das Interesse der Partner an einer Nutzung des Ausstellungsmoduls ist relativ hoch. So gingen 2018 und 2019 neun Ausstellungen online, weitere sind in Vorbereitung, wobei die Corona-Pandemie dazu führte, dass sich zahlreiche Projekte nach 2021 verschoben. Im Jahr 2018 gingen noch zwei Ausstellungen von den Portalbetreibern aus. Anlass war das Doppeljubiläum: 200 Jahre Verfassung von 1818, 100 Jahre Revolution und Freistaat. Ähnlich wie der Lutherschwerpunkt wurden sie auf Beschluss des bavarikon-Rats jeweils von Mitgliedern der Staatsbibliothek, den staatlichen Archiven und dem Haus der Bayerischen Geschichte als Arbeitsgruppe erstellt. Zu beiden Projekten fand ein wissenschaftliches Kolloquium statt. Die Ausstellung zur Revolution von 19186 basierte auf einem aus der BLO übernommenen Themenschwerpunkt. Die Ausstellung wurde dabei völlig neu konzipiert, der bisherige Themenschwerpunkt – eine kommentierte Quellensammlung – wurde als Vertiefungsebene eingebracht. Gleich5 https://youtu.be/SWNA-td2E_w (letzter Zugriff: 19.08.2020). 6 Matthias Bader: Die virtuelle bavarikon-Ausstellung „Revolution und Räterepubliken in Bayern 1918/19“, in: Bibliotheksforum Bayern 13.2 (2019), S. 97–100.

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Virtuelle Ausstellungen in bavarikon 

zeitig entstanden 2018 auch die ersten Ausstellungen von bavarikon-Partnern (siehe Tab. 1 bzw. https://www.bavarikon.de/topics), beispielsweise von der HVB Stiftung Geldscheinsammlung. Prinz Albert, England und Europa entwikkelte ein Projekt der Kunstsammlungen der Veste Coburg von 2016 weiter. Titel der Ausstellung

Kuratierung

Die Verfassung des Königreichs Bayern 1818–1918

bavarikon / Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns Kunstsammlungen der Veste Coburg HVB Stiftung Geldscheinsammlung

2018

bavarikon / Bayerische Staatsbibliothek

2018

Bayerische Staatsbibliothek

2018

Bayerische Staatsbibliothek

2019

Bayerische Staatsbibliothek

2019

Tucher’sche Kulturstiftung

2019

Tucher’sche Kulturstiftung

2020

Prinz Albert, England und Europa „Nun kommt der Knallprotz vom ganzen Land“ – Notgeld in Bayern 19141923 Revolution und Räterepubliken in Bayern 1918/19 Der Münchener Dichterverein „Die Krokodile“ (1857–1883) Bayerische Literatur in 10 Jahrhunderten. Vom Wessobrunner Gebet bis Lorenz von Westenrieder Bayerische Schriftstellerinnen und die bürgerliche Frauenbewegung um 1900 Hans Tucher und seine Pilgerreise ins Heilige Land 1479/80 Die Tucher. Eine Nürnberger Patrizierfamilie und ihre Sammlungen

Launch

2018 2018

Tab. 1: Übersicht über die Ausstellungen in bavarikon, 2018–2020, Übersicht des Verfassers.

 

 

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Ausstellungsmodul: Ziele, Gestaltung, Umsetzung  Die virtuellen Ausstellungen von bavarikon (Abb. 2) zielen auf eine breite Öffentlichkeit. Dies erfordert verständliche, aber wissenschaftlich korrekte Informationen, kurze Texte und ein ausgewogenes Wort-Bild-Verhältnis. Ursprünglich hieß das Modul ‚Themen‘, was sich aber als allgemein kaum verständlich herausstellte.

Abb. 2: Startseite des Ausstellungsmoduls, Quelle: bavarikon, https://www.bavarikon.de/topics (letzter Zugriff: 19.08.2020).

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Virtuelle Ausstellungen in bavarikon 

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Der Begriff ‚Ausstellungen‘ ist anschaulicher, kann aber mit etwas Temporärem assoziiert werden, was bei den dauerhaft angelegten bavarikon-Ausstellungen nicht der Fall ist. Große virtuelle Ausstellungen werden vom bavarikon-Rat initiiert (Luther, 1818–1918), dieser genehmigt auch das Konzept. Kleinere Ausstellungen von Partnern mit maximal 40 Objekten sind im Rahmen eines Antragsverfahrens zu beantragen. Sie entstehen begleitend zu Digitalisierungsprojekten, bei denen eine größere Anzahl von Digitalisaten eingespielt wird. Die Kuratierung großer Ausstellungen erfolgt durch eine Arbeitsgruppe, die aus dem Rat heraus gebildet wird, bei kleinen Vorhaben ist die jeweilige Einrichtung hierfür zuständig. Die Bayerische Staatsbibliothek übernimmt dann zusätzlich eine redaktionelle Betreuung. Insgesamt wird ein relativer hoher Aufwand bei der Qualitätssicherung betrieben. Dies ist auch deswegen möglich, da an der Bayerischen Staatsbibliothek u. a. durch das Historische Lexikon Bayerns, dessen Redaktion wie die bavarikon-Geschäftsstelle im Bavarica-Referat der BSB angesiedelt ist, entsprechende Sachkenntnis vorhanden ist. Hinzu kommen die Kompetenzen der Kooperationspartner mit ihrem Fachpersonal. Nicht zu vergessen ist außerdem der fachliche Input über die Kolloquien an der Kommission für Landesgeschichte. Am Anfang jedes Projekts steht stets ein Konzeptpapier mit der Ausstellungsgliederung und einer Auflistung der Objekte. Als nächster Schritt folgt die Suche nach Digitalisaten oder ggf. die Neudigitalisierung Die Digitalisate der Objekte werden in bavarikon eingespielt; erst danach kann die Ausstellung erstellt werden, indem die zuvor abgestimmten Texte in das Ausstellungsmodul eingegeben werden. Danach folgen mehrere Korrekturphasen. Das interne Workflow-Papier umfasst insgesamt 25 Arbeitsschritte.7

7 Diese sind: Entscheidung zur Ausstellung, Vorantrag: Absichtserklärung und entsprechendes Einstellen von Mitteln, Begutachtung des Vorantrags, Genehmigung des Vorantrags, Hauptantrag (Beantragung von Personalmitteln zu Konzeption und Texterstellung; Zeitplan), Begutachtung des Hauptantrags, Genehmigung des Hauptantrags/Mittelzuweisung, Kick-Off-Meeting zur Vermittlung grundlegender Informationen, Konzeption der Ausstellung (Erstellung der Gliederung, Objektauswahl), Konzeptabnahme, Umsetzung (Feinkonzept/Nutzerführung, Verfassen von Texten/Exponatbeschreibungen), Korrekturen (Feinkonzept/Nutzerführung, Texte), Abnahme der Korrekturen, Planung und Umsetzung Öffentlichkeitsarbeit (z. B. Erarbeitung eines einheitlichen graphischen Konzepts, Veranstaltung zur Präsentation der Ausstellung, Plakat, Flyer, Online-Werbebanner), Bereitstellung der Digitalisate und Metadaten für bavarikon, Einspielung der Digitalisate und Metadaten in bavarikon, Erstellung der Ausstellung im CMS, Beauftragung der englischen Übersetzungen, Einpflege der Übersetzungen, ggf. Neugestaltung Startseite bavarikon (Kacheln) und der Startseite der virtuellen Ausstellungen (Header), ggf. sprechende Links anlegen und freigeben, ggf. Meldung ans LRZ zur Sicherstellung der Erreichbarkeit des Webauftritts bei Veranstaltungen und/oder Presseterminen, Tests im bavarikon-Testsystem, Tests und Abnahme vor der Freischaltung (vor Ort in der BSB) im bavarikon-Testsystem, Online-Freischaltung der Ausstellung.

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Technisch handelt es sich um eine Erweiterung des auf Open-Source-Basis programmierten bavarikon-CMS. Erwünscht war eine integrierte Lösung als genuiner Bestandteil des Portals, vernetzbar mit anderen Inhalten und über die Suche des Portals auffindbar. Nicht erwünscht war eine technische Sonderlösung neben dem Portal. ‚Gimmicks‘ mit hohem Pflegeaufwand gab man zugunsten einer einfachen, dafür dauerhaften und nachhaltigen Lösung auf. Zeitstrahl und Karte sind zwar geplant, aber bislang noch nicht realisiert. Der Fokus lag auf einer möglichst leicht verständlichen und übersichtlichen Nutzerführung: Der Nutzer soll stets wissen, wo er sich in der virtuellen Ausstellung befindet. Dazu gibt es die Breadcrumb-Navigation, welche die Hierarchie der Ausstellungsseiten widerspiegelt, aber nicht den ‚Nutzerweg‘. Aus der Ausstellung selbst führen nur wenige Wege zu anderen Portal-Inhalten. Dies ist beabsichtigt, um die Besucherinnen und Besucher in der Ausstellung zu halten und sie nicht mit zu vielen Links abzulenken. Verlinkungen gibt es zwar zwischen den einzelnen hierarchischen Ebenen, sie führen aber selten aus der Ausstellung heraus.

Abb. 3: Startseite einer Ausstellung, Quelle: bavarikon, https://www.bavarikon.de/object/bav:BSBCMS-0000000000003059 (letzter Zugriff: 19.08.2020).

In den Redaktionsrichtlinien ist die Textlänge begrenzt: Sie soll bei Einführungstexten 2.000 Zeichen nicht übersteigen, bei Objektbeschreibungen liegt die Grenze bei 1.500 Zeichen. Sämtliche Texte werden ins Englische übersetzt. Im Redaktionssystem erfolgt die manuelle Eingabe der Texte und der Ausstellungsstruktur.

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Virtuelle Ausstellungen in bavarikon 

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Vorschaubilder müssen eigens bearbeitet und hochgeladen werden. Hier zeigte sich relativ schnell, dass nicht einfach eine Gesamtansicht des Objekts verwendet werden kann, sondern wohlüberlegt ein Bildausschnitt zu wählen ist, der eine gute optische Wirkung erzielt (Abb. 4).

Abb. 4: Darstellung eines Einzelobjekts in der Ausstellung: Ein Erläuterungstext kontextualisiert das Objekt. Durch Mausklick öffnet sich das Objekt in Vollansicht, Quelle: bavarikon, https://www.bavarikon.de/object/bav:BSBCMS-0000000000005732 (letzter Zugriff: 19.08.2020).

Ausblick  Das Ausstellungsmodul hat sich bewährt und ist bei den Partnern sehr beliebt. Mehr als ein Drittel der aktuellen bavarikon-Anträge sieht eine begleitende Ausstellung vor. Dies scheint den Interessen der Nutzerinnen und Nutzer zu entsprechen: Virtuelle Ausstellungen gehören ausweislich der Zugriffszahlen zu den beliebtesten Inhalten des Portals. Diese aus Sicht des Portals zu konstatierende Erfolgsgeschichte zeigt, wie wichtig neben der Digitalisierung von Beständen auch eine verständlich aufbereitete Wissensvermittlung ist. Während das für den Museumsbereich schon immer eine Selbstverständlichkeit war, betreten wissenschaftliche Bibliotheken damit Neuland, da dort lange Zeit die unkuratierte Bereitstellung von Beständen im Vordergrund stand.

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Hendrikje Carius / Carsten Resch

Digitales Ausstellungsportal Gotha. Konzeptionelle Ansätze      im Kontext sammlungsbezogener Forschung der Forschungs‐ bibliothek Gotha  

Mit dem digitalen Wandel sind Fragen der Zugänglichkeit, Darstellung, Vernetzung und Vermittlung des digitalisierten Kulturerbes zentrale Themen bestands- und sammlungshaltender Institutionen geworden. Zu den vielfältigen Ansätzen, digitale Objekte und Sammlungen weltweit für Forschung und Öffentlichkeit verfügbar zu machen und nach bestimmten übergeordneten Themen zu präsentieren, zählen auch im Bibliotheksbereich digitale Ausstellungen. Gehören physische Ausstellungen mit historischen Beständen für Bibliotheken zum Transfer der Arbeitsergebnisse in die Gesellschaft, werden digitale Ausstellungen dabei zunehmend als komplementäres Medium verstanden und genutzt.1 Mit neuen, technologischen Möglichkeiten können sie Themen, Exponate und Sammlungen in der digitalen Welt präsentieren und vermitteln. Dem digitalen Paradigma entsprechend generieren sie dauerhafte orts- und zeitunabhängige, multiperspektivische Zugänge zu Objekten, Kontextualisierungen und Informationsvisualisierungen sowie globale, inter- und transdisziplinäre Vernetzungen von Inhalten, digitalisierten Exponaten und Dokumenten. Methoden und Ansätze etwa der Digital Humanities, Mixed Reality, Storytelling, Citizen

1 Vgl. zu digitalen Ausstellungen im Bibliotheksbereich unter anderem die Beiträge von Katja Selmikeit: Virtuelle Ausstellungen von Bibliotheken: Konzepte, Präsentationsverfahren und Nutzungsaspekte, in: Perspektive Bibliothek 1.3 (2014), S. 163–186. https://journals.ub.uniheidelberg.de/index.php/bibliothek/article/view/14025 (letzter Zugriff: 15.12.2020); Michael Müller: Virtuelle Ausstellungen. Überlegungen zur Konzeption eines digitalen Mediums, in: Petra Hauke, Barbara Lison (Hrsg.): Praxishandbuch Ausstellungen in Bibliotheken, Berlin/Boston 2016, S. 219–228; Constanze Baum, Timo Steyer: Die Bibliothek als Museum. Grenzen und Möglichkeiten von virtuellen Ausstellungen in Bibliotheken, in: Hauke, Lison: Praxishandbuch Ausstellungen, S. 229–243. Bei Klaus Ulrich Werner (Hrsg.): Bibliotheken als Orte kuratorischer Praxis, Berlin/Boston 2021 werden Ausstellungen als „klassische Ausstellungsarbeit“ nicht berücksichtigt. Vgl. Werner: Zur Einführung, in: ebd., S. 1–4, hier S. 1.

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Hendrikje Carius / Carsten Resch 

Science oder Gamification können diese Möglichkeiten je nach Vermittlungsziel themen- und zielgruppenspezifisch entscheidend erweitern.2 Nun verfügen forschungsorientierte Bibliotheken bzw. Forschungsbibliotheken bei der Kuratierung ihrer physischen und digitalen Ausstellungen in der Regel anders als museale Einrichtungen nicht über entsprechende Ressourcen für Bildungs- und Vermittlungsaufgaben. Dennoch und gerade deshalb gilt es, sich bei der digitalen Ausstellungskuratierung im Bibliotheksbereich mit den aktuellen Debatten, Entwicklungen und Aktivitäten in der Museumsforschung und Museumspraxis auseinanderzusetzen – nicht zuletzt mit Blick auf die eigene interdiziplinäre Anschlussfähigkeit. Vice versa kann bei der digitalen Ausstellungskuratierung im Museumsbereich auf entsprechende bibliothekarische Expertise etwa bei Fragen der Datenmodellierung, der Datenqualität oder auch der Normdatenerstellung und -verknüpfung zurückgegriffen werden. Unerlässlich wird dies, wenn es darum geht, die Zusammenarbeit im GLAM-Bereich (Galleries, Libraries, Archives, Museums) zu intensivieren und spartenübergreifende Digitalangebote sowie diesen zugrundeliegenden Infrastrukturen zusammen mit Webentwicklerinnen und -entwicklern sowie Grafikdesignerinnen und -designern zu konzipieren und umzusetzen. An diese Überlegungen knüpft das Ausstellungsportal der Forschungsbibliothek Gotha (FB Gotha) an, das gleichzeitig der Ausgangspunkt für die Entwicklung einer generischen, spartenübergreifenden Ausstellungsplattform innerhalb des Digitalen Kultur- und Wissensportal Thüringens (Kulthura) bildet.3 Das Regionalportal führt digitale Sammlungen und Objekte aus Thüringer Archiven, Bibliotheken und Museen zusammen und präsentiert diese auf einer virtuellen Plattform. Module wie ein Editionenportal4 oder das Ausstellungsportal erweitern das Angebot von Kulthura. In den Aufbau des digitalen Ausstellungsportals der FB Gotha fließen Erkenntnisse aus projektbegleitenden Workshops ebenso ein wie aktuelle Untersuchungen zur Benutzerforschung. Darüber hinaus werden die im Zuge der COVID-19-Pandemie intensivierten Überlegungen im GLAM-Bereich zur nutzerorientierten Gestaltung von Digitalangeboten berücksichtigt.5 Anknüpfungspunkte boten zudem die Empfehlungen der „Working Group on Online Exhi2 Siehe dazu insbesondere die Beiträge von Swantje Dogunke (Digital Humanities), Jana Hawig (Storytelling), Cassandra Kist und Franziska Mucha (Digital Participation) sowie Sebastian Schlang (Gamification) in diesem Band. 3 https://www.kulthura.de/ (letzter Zugriff: 15.12.2020). 4 http://www.editionenportal.de/ (letzter Zugriff: 15.12.2020). 5 Zum Ausstellungsportal sowie den Workshops vgl. Hendrikje Carius: Kulturerbe digital ausstellen: Das virtuelle Ausstellungsportal der Forschungsbibliothek Gotha, in: Heimat Thüringen 26.4 (2019), S. 30–32; Hendrikje Carius: Virtuelle Ausstellungen. Konzepte, Praxis und Perspektiven. Bericht zu einer Tagungs- und Workshopreihe, in: dies., Martin Prell, René Smolarski (Hrsg.):

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Digitales Ausstellungsportal Gotha 

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bitions“, Teil des EU-Projekts „AthenaPlus“.6 Das generisch angelegte Portal entstand im Rahmen des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Ausbaus der FB Gotha zur Forschungsund Studienstätte für die Kulturgeschichte des Protestantismus in der Frühen Neuzeit (‚Studienstätte Protestantismus‘).7 Entwickelt wurde es zusammen mit den langjährigen Kooperationspartnern der Bibliothek, der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena (ThULB Jena) sowie der Jenaer Agentur für Informationsästhetik JUSTORANGE in einem iterativen Prozess. Im Folgenden werden konzeptionelle, technologische und gestalterische Überlegungen beim Aufbau des Ausstellungsportals im Rahmen der Gesamtstrategie der Bibliothek zur sammlungsbezogenen Forschung sowie das Pilotprojekt vorgestellt, anhand dessen das Portal entwickelt wurde. Von hier ausgehend werden abschließend Perspektiven für die Weiterentwicklung des Portals skizziert.

Digitales Ausstellungsportal als Teil sammlungsbezogener Forschung   Die Anforderungen der FB Gotha an eine digitale Ausstellungsplattform stehen zunächst in engem Zusammenhang mit ihren Aufgaben und Zielen als Forschungs- und Studienstätte für die europäische bzw. außereuropäische Kulturund Wissensgeschichte der Frühen Neuzeit und Neuzeit. Grundlage hierfür bilden die reichen historischen Bibliotheksbestände, die zwischen 1640 bis 1825 vom Herzoghaus Sachsen-Gotha-Altenburg und von 1826 bis 1945 vom Herzoghaus Sachsen-Coburg und Gotha zusammengetragen wurden.8 Als wissenschaftliche Einrichtung der Universität Erfurt führt die FB Gotha auf ihre Bestände bezogene Forschungen durch und unterstützt andere Forschungsprojekte. Da sie Kulturgut betreut, versteht sie sich darüber hinaus als kulturelle Institution. Zentrales Anliegen ist es, die Sammlungen mit den aus ihnen gewonnenen Forschungsergebnissen in Wissenschaft und Öffentlichkeit zu vermitteln.

Kooperationen in den digitalen Geisteswissenschaften gestalten. Herausforderungen, Erfahrungen und Perspektiven, Göttingen 2020, S. 171–175. 6 Auf der Grundlage der von der „Working Group“ vorgelegten Definition: „A Digital Exhibition is based on a clear concept and is well curated. It assembles, interlinks and disseminates digital multimedia objects in order to deliver innovative presentations of a theme, or series of themes, allowing user interaction to a great extent.“ https://www.digitalexhibitions.org/?lan=en&q=References/Definition (letzter Zugriff: 15.12.2020). 7 Teil des Infrastrukturprojekts war der Auf- und Ausbau digitaler Dienstleistungen. https://www.unierfurt.de/forschungsbibliothek-gotha/forschung/studienstaette-protestantismus (letzter Zugriff: 05.12.2020). 8 Kathrin Paasch: Die Forschungsbibliothek Gotha und ihre Schätze, Heidelberg 2017.

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Dies geschieht nicht zuletzt im Rahmen sammlungsbezogener Forschungen, die, thematisch oder sammlungsspezifisch, strategisch aufeinander aufbauende und zum Teil ineinandergreifende Aktivitäten umfassen: – die Erschließung und begleitende Restaurierung des Quellenmaterials, – die forschungsgeleitete Digitalisierung und Weiterentwicklung digitaler Dienstleistungen, – der Transfer der Ergebnisse in die Forschung und Öffentlichkeit durch Tagungen und Publikationen, – die internationale Vernetzung durch Kooperationen, – die Initiierung von Forschungs- und Editionsprojekten, – die Präsentation von historischen Quellen und Sammlungen im digitalen und physischen Raum. Letzteres geschieht durch feste, sammlungsspezifische Veranstaltungsformate wie die physischen Jahresausstellungen. Im Folgenden sei die kooperativ ausgerichtete, digitale Strategie der Bibliothek als zentraler Baustein der sammlungsbezogenen Forschungen näher umrissen. Der Fokus dieser Strategie geht über die Umsetzung des Digitalisierungsprogramms hinaus und liegt auf der Konzeption und Realisierung medienintegraler Präsentationen mit begleitender digitaler Wissenschaftskommunikation. Dazu kooperiert die FB Gotha insbesondere mit der ThULB Jena, die die Digitalisate auf der Plattform Universal Multimedia Electronic Library (UrMEL) hostet sowie langzeitarchiviert. Mit letzterer entwickelt die FB Gotha digitale Projekte in Zusammenarbeit mit einem externen Dienstleister. Sie präsentiert die digitalen historischen Bestände je nach Zielsetzung und unterschiedlichen Rezeptionsbedingungen über folgende Online-Portale bzw. Kanäle: – in der Digitalen Historischen Bibliothek Erfurt/Gotha: Diese ermöglicht objekt-, sammlungs- und projektspezifische Recherchen in den Digitalisaten.9 – im Blog der FB Gotha: Hier werden ausgewählte Fundstücke und Schlüsseldokumente präsentiert und in Beiträgen ihrer wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter oder externer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kontextualisiert.10 Diese Beiträge bilden ähnlich wie die themenorientierten digitalen Ausstellungen ein ‚digitales Schaufenster‘ für die Sammlungen. Eng verbunden damit sind die Social-Media-Aktivitäten der FB Gotha auf Twitter.11 – in sammlungsspezifischen Informations- und Rechercheportalen wie dem

9 https://dhb.thulb.uni-jena.de/ (letzter Zugriff: 15.12.2020). 10 https://blog-fbg.uni-erfurt.de/ (letzter Zugriff: 15.12.2020). 11 https://twitter.com/fbgotha (letzter Zugriff: 15.12.2020).

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Kartenportal ‚Perthes digital‘: Die aufeinander bezogenen Karten- und Archivmaterialien der Sammlung Perthes stellen eine weitere Präsentationsform dar.12 – in kuratierten digitalen Ausstellungen zur digitalen Sammlungspräsentation, Wissenschaftskommunikation und Kulturvermittlung: Diese werden hybrid oder als Digital-Only-Ausstellungen realisiert. Die einzelnen Portale und Kanäle werden künftig über das gegenwärtig entwikkelte Gotha-Portal des Sammlungs- und Forschungsverbunds Gotha gebündelt (gotha.digital), in dem Forschungsbibliothek, Forschungszentrum Gotha sowie das Forschungskolleg Transkulturelle Studien / Sammlung Perthes der Universität Erfurt mit der Stiftung Schloss Friedenstein Gotha und ihren Museen kooperieren. Grundlagen dieses Verbunds bilden die kulturhistorisch überregional bedeutsamen, auf Schloss Friedenstein Gotha sowie im Perthes-Forum Gotha in ihrem historisch überlieferten Sammlungszusammenhang in situ bewahrten Sammlungen. Das neue Portal wird die digitalen Objekte, Sammlungen und Ressourcen der Verbundinstitutionen inklusive der Überlieferung des Landesarchivs Thüringen – Staatsarchiv Gotha digital zusammenführen, für Wissenschaft und Öffentlichkeit zugänglich machen sowie die weltweite Forschung mit den historischen Objekten und Sammlungen des Forschungsstandorts Gotha aus Bibliothek, Archiv und Museen ermöglichen.13

Ziele und konzeptionelle Ansätze   Gegenüber institutionellen Eigenentwicklungen und Insellösungen lässt sich bei digitalen Ausstellungen eine Tendenz hin zu generischen Infrastrukturen und der Standardisierung in Bezug etwa auf Datenformate, Schnittstellen oder die Trennung von Inhalt und Präsentationsschicht feststellen: Mit dem Aufbau von nachnutzbaren Infrastrukturen für digitale Ausstellungen etwa der Deutschen Digitalen Bibliothek14, der Europeana15 oder von Google Arts & Culture16 zeich-

12 https://perthes-digital.de/ (letzter Zugriff: 15.12.2020). 13 Die informationstechnische und infrastrukturelle Entwicklung des Gotha-Portals erfolgt in Kooperation mit der Verbundzentrale des GBV in Göttingen (VZG) und der ThULB Jena. Die von der Stiftung Schloss Friedenstein unternommenen Digitalisierungsaktivitäten im Projekt „Gotha transdigital 2027“ flankieren den Aufbau des Portals als übergreifendem Instrument. In das Portal werden weitere, in Entwicklung befindliche Formate wie das virtuelle Münzkabinett oder digitale Führungen integriert. 14 https://pro.deutsche-digitale-bibliothek.de/ddbstudio (letzter Zugriff: 15.12.2020). 15 https://www.europeana.eu/portal/en/exhibitions/foyer (letzter Zugriff: 15.12.2020). 16 https://artsandculture.google.com/ (letzter Zugriff: 15.12.2020).

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nen sich Entwicklungen ab, für die in der Regel dauerhaft angelegten Ausstellungen templatebasierte Lösungen anzubieten. In diese Richtung geht auch die Lösung für das Gothaer Ausstellungsportal. Zum Themenfeld ‚digitale Ausstellungen‘ hat die FB Gotha im Vorfeld hinsichtlich Standards, Best Practices und einer auf die technisch-organisatorischen Rahmenbedingungen einer optimal passenden Infrastruktur sondiert und im Rahmen ihrer Ressourcen experimentiert. So fiel die Wahl für die technische Infrastruktur in Abstimmung mit der Hochschulkommunikation der Universität Erfurt, die zwei der Ausstellungen realisiert hat, zunächst auf Wordpress als bereits in der FB Gotha genutztes und somit eingeführtes Redaktions- und Präsentationssystem.17 Für jede der Ausstellungen wurde dabei eine eigene WordpressInstallation angelegt, die auf einem Server der Universität Erfurt gehostet wird. Dies konnte jedoch nur ein erster Schritt sein, da solche Insellösungen weder persistent adressierbar noch interoperabel oder übergreifend recherchierbar sind. Nicht zuletzt bildeten diese Desiderata den Ausgangspunkt für die Konzeption eines ausstellungsübergreifenden Portals, um für das in der Bibliothek eingeführte Format ‚digitale Ausstellung‘ zusammen mit den Partnern ein Angebot zu etablieren, das hinsichtlich Webdesign, Usability und Funktionalitäten sowie – mit Blick auf die FAIR-Data-Principles18 – hinsichtlich Auffindbarkeit, Zugänglichkeit, Interoperabilität und Nachnutzbarkeit State of the Art ist.19 Zugleich sollte sich das Portal technisch in die Systemarchitektur von UrMEL einfügen, der zentralen von der ThULB Jena betriebenen Zugangsplattform für multimediale Angebote.20

Ziele, Nutzungsszenarien 

Die Ziele, die mit diesem Ausstellungsportal verbunden sind, richten sich – neben der bereits erwähnten Standardisierung und dem strukturierten Metadatenmanagement – vor allem auf die stärkere Sichtbarkeit und Zugänglichkeit der digitalen Ausstellungen inklusive der Dokumentation der physischen Ausstellungen. Dahinter steht auch die Absicht, die Reichweite für die Angebote der FB

17 Vgl. die digitalen Ausstellungen ‚Ich habe einen Traum‘ – Myconius, Melanchthon und die Reformation in Thüringen, 2016. https://projekte.uni-erfurt.de/myconius-traum/ (letzter Zugriff: 15.12.2020) sowie Im Kampf um die Seelen – Glauben im Thüringen der frühen Neuzeit, 2017. https://projekte.uni-erfurt.de/im-kampf-um-die-seelen/ (letzter Zugriff: 15.12.2020). 18 https://www.force11.org/group/fairgroup/fairprinciples (letzter Zugriff: 15.12.2020). 19 Der Anforderungskatalog an die digitale Ausstellungsplattform wurde von der Verfasserin und dem Verfasser zusammen mit den Ausstellungskuratoren der FB Gotha entwickelt. 20 http://www.urmel-dl.de/ (letzter Zugriff: 15.12.2020).

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Gotha in Öffentlichkeit und Forschung zu optimieren, neue digitale Vermittlungsmöglichkeiten zu erschließen und Forschungsimpulse zu setzen. Mögliche Nutzungsszenarien zielen sowohl auf digitale Flaneure als auch auf Besucherinnen und Besucher, die gezielt Informationen ansteuern – etwa zur Vor- oder Nachbereitung von Ausstellungsbesuchen, zur Nutzung als E-Learning-Komponente oder im Rahmen von Recherchen zu eigenen Forschungen. Erweiterungen im Sinne von Citizen-Science-Elementen sind in der ersten Entwicklungsphase noch nicht angedacht, das Portal soll jedoch eine Interaktion und Kommunikation mit den Ausstellungsbesucherinnen und -besuchern ermöglichen. Ganz konkrete Nutzungsszenarien ergeben sich beispielsweise bei Schülerseminaren oder bei der universitären Lehre in der Bibliothek, zum Beispiel im Masterstudiengang ‚Sammlungsbezogene Wissens- und Kulturgeschichte‘ der Universität Erfurt. Die Schülerinnen und Schüler sowie Studierenden können dabei sowohl Ausstellungsbesuchende als auch -gestaltende sein.

Gestalterisch‐technische Aspekte und Funktionalitäten 

Mit dem Aufbau des Ausstellungsportals möchte die FB Gotha ein insgesamt innovatives, die Potenziale des digitalen Mediums hinsichtlich komplexerer Visualisierungen und Vernetzungen ausschöpfendes Portal entwickeln. Diesen Anspruch gilt es jedoch in der Praxis mit einem pragmatischen, Ressourcen konzentrierenden Ansatz auszutarieren, das heißt, eine generische, nachnutzbare Lösung anzubieten, die entlang der gegebenen Gestaltungsmöglichkeiten dennoch eine interaktive Erlebnisqualität und ausreichend kuratorische Freiräume für Experimentelles gewähren kann – in diesem, kaum auflösbaren Spannungsverhältnis steht ein generisch ausgerichtetes Ausstellungsportal wie dieses letztlich immer. Das Portal beinhaltet drei relevante Datenmodelle, in denen die erfassten Informationen strukturiert und persistiert werden: – die Ausstellung selbst mit relevanten (multimedialen) Inhalten über das Projekt, – die Sektionen als inhaltliche Strukturelemente, – die Objekte mit den entsprechenden Informationen, Ausprägungen, Zuordnungen und Linked-Data-Verknüpfungen. Diese Datenmodelle werden in einer MySQL-Datenbank abgelegt und bei Veröffentlichung in einen Suchindex überführt, aus dem das Ausstellungsportal gespeist wird. Der Suchindex basiert hierbei auf einem einheitlichen Schema, das

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explizit für Kulturdaten entwickelt wurde und bereits seit 2014 in der Infrastruktur der ThULB und anderen Kultureinrichtungen im Einsatz ist. Dieser Standard erlaubt das Ausspielen, Segmentieren und Analysieren von Daten aus unterschiedlichen Primärsystemen und Quellen in verschiedenen Anwendungen. So sind zum Beispiel die Ausstellungsobjekte, insofern gewünscht, auch über Rechercheportale sichtbar. Ein konkretes Szenario zu der anwendungsübergreifenden Nutzung der harmonisierten Datenmodelle folgt später im Text. Die Startseite des Ausstellungsportals bietet einen Überblick über die verschiedenen Ausstellungen sowie aktuelle Informationen. Zugleich gewährt es ausstellungsübergreifende Explorationsmöglichkeiten, wobei multiple Zugänge zu Exponaten, Kontextinformationen und Forschungsgegenständen angeboten werden. Bereits auf der übergreifenden Portalebene soll die Webseite durch gezielte Animationseffekte einen visuell dynamischen Eindruck machen. So sind die Teaserbilder beispielsweise mit einem Bewegungseffekt versehen. Auf der Ebene der einzelnen Ausstellungen werden in Sektionen unterteilte thematische Routen angeboten, von denen Abweichungen möglich sind. Für zufällige Entdeckungen im Sinne von Serendipity ist neben den narrativ konzipierten Ausstellungen auch deren exploratives Erschließen durch unterschiedliche Einstiegsmöglichkeiten (Objekte, Personen, Orte, Themen), Volltextsuche mit Auto-Suggest-Funktion sowie der Einsatz von Storytelling-Elementen möglich. Neben möglichst sinnlich-ästhetischen Objektpräsentationen im digitalen Raum sollen zugleich Voraussetzungen für weitere Forschungen mit und zu diesen Objekten geschaffen werden. Mit Blick auf eine heterogene Zielgruppe werden über Layer bzw. Slider mehrstufige Präsentations- und Informationsebenen angeboten, wodurch verschiedene Zielgruppen mit einem unterschiedlichen Interessens- oder Kenntnisstand (interessierte Laien, Schülerinnen und Schüler, Studierende und Experten) erreicht werden sollen. Die Präsentation ermöglicht nicht zuletzt für Forschungszwecke ein Zooming in die hochauflösenden Digitalobjekte sowie Download-Funktionen. Um das internationale Publikum zu erreichen, ist optional die Gestaltung mehrsprachiger Ausstellungen möglich. Gehören Datenanreicherung und -vernetzung zum Mehrwert digitaler Ausstellungen, führen diese potenziell zur Entgrenzung dieses Medienformats, die in der digitalen Ausstellungspraxis in ihren Konsequenzen für die Besucherorientierung und Nachhaltigkeit (persistente Links) bedacht werden muss.21 Prinzipiell können Zusatz- bzw. Kontextinformationen (zum Beispiel zu Personen, 21 Vgl. Ergebnisse der Besucherforschung, u. a .: Werner Schweibenz: How to create the worst online exhibition possible – in the best of intention (2012). http://swop.bsz-bw.de/volltexte/2012/1064/ (letzter Zugriff: 15.12.2020); ders.: Wer sind die Besucher des virtuellen Museums und welche Interessen haben sie?, in: i-com 7.2 (2009). https://doi.org/10.1524/icom.2008.0017 (letzter Zugriff: 15.12.2020); Ben Gammon, Alexandra Burch: Designing Mobile Digital Experiences, in: Loïc Tallon,

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Objekten, Bibliographie mit Link zu Volltexten, in den Online-Katalog) eingebunden werden.22 Für die Anzeige von themenverwandten Objekten werden semantische Verknüpfungen über Linked Open Data ermöglicht. Verlinkungen aus den Texten führen zu externen Ressourcen, zum Beispiel zu den vollständigen Digitalisaten in der Digitalen Historischen Bibliothek Erfurt/Gotha, zur Gemeinsamen Normdatei (GND) über den GND-Beacon23 oder zu digitalen Editionen. Ausstellungsbegleitende wissenschaftliche Aufsätze, die in der Digitalen Bibliothek Thüringen, dem Repositorium für Open-Access-Publikationen, veröffentlicht sind, werden in der digitalen Ausstellung verlinkt. Eines der Elemente zur Personalisierung des Ausstellungsbesuchs ist eine Merkliste, in der die betrachteten Exponate mit ihren Beschreibungen gespeichert und somit individuelle Präferenzen erhalten werden können. Um die Nachnutzung der digitalen Inhalte der FB Gotha zu erleichtern, werden diese unter eine Creative Commons Lizenz gestellt; die Metadaten sind gemeinfrei. Die Inhalte können als pdf-Dateien, aber auch als XML-Daten abgerufen werden, um so in anderen Kontexten flexibel nachnutzbar zu sein. Datensharing und Harvesting ist über eine OAI (Open Archives Initiative)-Schnittstelle möglich, die deskriptiven Metadaten sind dabei im Format LIDO (Lightweight Information Describing Objects) abrufbar. Als wissenschaftliche Publikation sind die prinzipiell nach dem Launch erweiterbaren digitalen Ausstellungen zitierfähig. Eine persistente Zitierbarkeit auf Exponatebene inklusive Metadaten und Datenanreicherungen ist gegeben. Die Webgestaltung lässt sich durchaus an das gestalterische Konzept der Ausstellungsarchitektur bzw. -gestaltung zurückbinden, ist aber unter anderem durch variierbare gestalterische Elemente (Templates, Farbschemata) von der physischen Ausstellung entkoppelt. Das Design ist nutzerzentriert, barrierefrei sowie – mit Blick auf die Nutzung mobiler Endgeräte – responsiv und damit auch für den Einsatz in Nutzungsszenarien wie physischen Ausstellungen, Seminaren oder Tagungen geeignet. Navigations- und Interaktionskonzept folgen einem ‚easy-to-use‘-Ansatz.

Kevon Walker (Hrsg.): Digital Technologies and the Museum Experience, Lanham, 2007, S. 35–60; Tula Giannini, Jonathan P. Bowen: Museums and Digital Culture. New Perspectives and Research, Cham 2019 sowie die Beiträge von Werner Schweibenz und Stephan Schwan in diesem Band. 22 Vgl. Maria Teresa Natale, Sergi Fernández, Mercè López (Hrsg.): Handbook on virtual exhibitions and virtual performances, Rom 2012, S. 28–31. 23 Das ist eine Datei, in der die GND-Nummer und die dazugehörige URI aufgelistet sind. Dies ermöglicht die automatische Anzeige externer Datenquellen zum Beispiel zu erwähnten Personen (Lexika, Bibliographien, Portale, Editionsprojekte) und damit im Sinne des Semantic Web eine dynamische Kontextualisierung digitaler Inhalte.

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Gegenüber der Nutzung von Cutting-Edge-Elementen, d. h. modernsten, avancierten IT-Technologien, zielt das Portal auf den Einsatz multimedialer Komponenten, um den Erlebnischarakter im digitalen Raum durch Audio- bzw. Videofiles (Ausstellungstrailer, Kuratoren- oder Making-Of-Videos, Musikaufnahmen), Visualisierungen von 3D-Objekten oder 360°-Rundgänge zu begünstigen. Prämisse ist dabei ‚Media follows content‘, die Elemente sollen jeweils an den inhaltlichen Kontext zurückgebunden sein. Das Kommunikationskonzept hierzu sieht interaktive Elemente durch die Einbindung von Kommentarfunktionen vor.24 Für das Monitoring und das Qualitätsmanagement werden Zugriffs-, Downloadzahlen und Nutzungsvarianten durch Integration einer anonymisierten Statistikfunktion, durch Protokollierung der Sucheingaben sowie durch Tracking der Besucherinnen und Besucher auf der Webseite erhoben sowie analysiert. Wie bereits erwähnt, werden die eingegebenen Daten in ein standardisiertes Datenschema überführt und bieten so weitere Nutzungsszenarien. Ist zum Beispiel im Rahmen von physischen Ausstellungen eine digitale Vermittlung mittels Mediaguide vorgesehen, kann das Ausstellungsportal hierfür als Redaktionssystem genutzt werden.25 Der Mediaguide ermöglicht es, die Ausstellung als geführte Tour (Thementour) oder mit freier Themen- bzw. Objektauswahl zu besichtigen. Dabei ist beim Mediaguide für physische Ausstellungen eine Verknüpfung der Vitrinen mit den Objekten über eine interaktive Karte möglich, welche die Besucherinnen und Besucher gezielt ansteuern können. So kann mit exakt denselben Datenmodellen eine elegante und vor allem generische Verknüpfung zwischen digitaler und physischer Welt geschaffen werden. Gamification-Charakter bietet eine zusätzliche Morphing-Anwendung, mit der ein eigenes Foto mit ausgewählten Digitalisaten von historischen Personen oder Objekten verschmolzen werden kann. Die Systemarchitektur des Ausstellungsportals basiert auf einem modularen, erweiterbaren Open-Source-Framework (Typo3), das sich technologisch in das bereits vorhandene Portalspektrum der ThULB Jena einbinden lässt (Abb. 1).

24 Auf Grund datenschutzrechtlicher Gegebenheiten ist aktuell die Einbindung von Social-MediaSharing-Links und -Buttons zurückgestellt. 25 Dazu wird eine Entwicklung für das LVR-LandesMuseum Bonn nachgenutzt. Vgl. https://mediaguide.lmb.lvr.de/ (letzter Zugriff: 15.12.2020).

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Digitales Ausstellungsportal Gotha 

Abb. 1: Systemarchitektur DAG im Kulthura-Framework, Grafik: Carsten Resch.

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Aus infrastruktureller Sicht sind die Schnittstellen zu den weiteren Portalen der FB Gotha sowie dem Portalspektrum der ThULB Jena ein wesentlicher, mit dem Ausstellungsportal verbundener Vorteil, da dadurch zusätzliche semantische Vernetzungen ermöglicht werden (Abb. 2). Das sind derzeit zum Beispiel das Editionenportal, das sammlungsspezifische Portal Perthes digital sowie das im Aufbau befindliche Gotha-Portal. Die bislang vorhandenen Portale werden dadurch vernetzt und ermöglichen mit einer übergreifenden Suche im Ausstellungsportal neue Recherchemöglichkeiten und Erkenntnisgewinn. Dies gilt auch für die geplante Integration des Portals in das Digitale Kultur- und Wissensportal Thüringen (Kulthura), das weiteren Institutionen eine Nachnutzung dieses Angebots erlaubt.

Abb. 2: Ausstellungsportal als Bestandteil der von der FB Gotha genutzten Digitalangebote, Grafik: Carsten Resch.

Dazu sind entsprechend angepasste Datenmodelle erforderlich. Automatisierte Datenübernahmen werden noch stärker relevant, wenn die Digitalisierung deutlich vorangeschritten sein wird, d. h. Objekte perspektivisch nur einmal in einem Primärsystem wie der DHB angelegt werden, um diese dann in unterschiedlichen Kontexten nachnutzen und anreichern zu können.

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Pilotausstellung zur protestantischen Erinnerungskultur  Pilotprojekt für das Ausstellungsportal ist die digitale Ausstellung Hilaria evangelica. Das Reformationsjubiläum von 1717 in Europa. Sie flankiert im Sinne der strategisch ausgerichteten sammlungsbezogenen Forschungen der FB Gotha im Schwerpunkt Reformations- und Protestantismusforschung das von der DFG geförderte Erschließungsprojekt zum Nachlass des Gelehrten und renommierten lutherischen Kirchenhistorikers Ernst Salomon Cyprian (1673–1745).26 Seine Aktivitäten etablierten Gotha seit der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts als frühes Zentrum protestantischer Geschichtsschreibung im Alten Reich. Die Ausstellung widmet sich einer von Cyprian im Auftrag des Herzoghauses Sachsen-Gotha-Altenburg zusammengestellten monumentalen Dokumentation der Feierlichkeiten, die in den protestantischen Territorien innerhalb und außerhalb des Alten Reiches rund um das 200. Reformationsjubiläum 1717 stattfanden (Abb. 3).

Abb. 3: Startseite der Ausstellung Hilaria evangelica, Quelle: http://digital-fb-gotha.de/ausstellungen, CC BY-SA 4.0 (letzter Zugriff: 15.12.2020).

Die Hilaria evangelica gelten damit als eines der zentralen Werke der protestantischen Erinnerungskultur. Anhand von Handschriften, historischen Drucken und Medaillen gibt die digitale Ausstellung Einblicke in die Entstehung und

26 Die Ausstellung wurde von Daniel Gehrt kuratiert, zu weiteren Beteiligten siehe die Webseite der digitalen Ausstellung: http://digital-fb-gotha.de/ausstellungen (letzter Zugriff: 15.12.2020).

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Wirkung der Hilaria evangelica sowie die Jubiläumsfeierlichkeiten. Wissenschaftliche Beiträge aus dem Bereich der Politik-, Kirchen-, Bildungs- und Musikgeschichte sowie der Fest- und visuellen Kultur flankieren die Ausstellung. Diese wurde mit vorhandenen Personalressourcen arbeitsanteilig durch drei wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für Digital Humanities, für Protestantismusforschung sowie Öffentlichkeitsarbeit kuratiert, darüber hinaus waren Mitarbeitende der Bibliothek aus den Bereichen Restaurierung, Digitalisierungszentrum, Fachangestellte für Qualitätskontrolle, Strukturdatenvergabe und Online-Präsentation der vollständigen Digitalisate im Primärsystem, Diplombibliothekarinnen für die Koordination der Digitalisierung, Erschließung und schließlich die Dateneinpflege in das Content-Management-System beteiligt. Mit der Konzentration auf den parellel laufenden Portalaufbau konnte beim Pilotprojekt zunächst nur eine Auswahl der angedachten multimedialen Begleitformate realisiert werden (Trailer, Audioaufnahmen). Mit dem Launch der Betaversion des Portals und der Hilaria evangelica sind User- und Visitor-Experience-Tests mit Studierenden geplant, deren Ergebnisse in künftige Weiterentwicklungen einfließen.

Ausblick   In der digitalen Strategie der FB Gotha bilden digitale Ausstellungen im Rahmen der sammlungsbezogenen Forschung, Vermittlung und Wissenschaftskommunikation künftig einen festen Bestandteil. Wesentliche Grundlage dafür legte das Infrastrukturprojekt ‚Studienstätte Protestantismus‘ und die im Nachgang zur Evaluation der FB Gotha durch den Wissenschaftsrat 2015 verstetigten Stellen für den Schwerpunkt Protestantismusforschung, Öffentlichkeitsarbeit sowie Digital Humanities. Damit sind entsprechende Kapazitäten vorhanden, um das Format zu verstetigen. Zudem werden für Digitalangebote wie digitale Ausstellungen weitere Personalkapazitäten benötigt, die von der Restaurierung, Digitalisierung bis hin zur Erschließung und Dateneinpflege reichen. Künftige Entwicklungsphasen beim Ausstellungsportal sind jeweils ausstellungsbegleitend vorgesehen, dabei werden perspektivisch auch stärker interaktive, partizipative Ansätze (unter anderem Gamification-Elemente, CitizenScience) berücksichtigt. Geplant sind zudem zusätzliche Kontextualisierungen zum Beispiel durch die Nutzung des International Image Interoperability Framework (IIIF), einem Standard für interoperable Repositorien, der eine fle-

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xible, dynamische Zusammenführung von digitalisierten, bildbasierten Objekten aus verschiedenen Institutionen sowie deren Annotationen bietet (durch Kuratorinnen und Kuratoren oder durch Citizen Scientists/Crowdsourcing).27 Als künftiges Modul von Kulthura wird das Ausstellungsportal infrastrukturell und institutionell fest verankert. Neben einer stabilen, dauerhaften und nachhaltigen Infrastruktur ist somit die Grundlage für die kontinuierliche Weiterentwicklung des Portals entlang der Bedarfe der jeweiligen Ausstellungen, neuen expositorischen Ansätzen, spezifischen Vermittlungszielen oder auch neuen ästhetisch-gestalterischen Tendenzen gelegt. Weiterhin zusammenzubringen sind jeweils technologiebasierte Perspektiven beim Auf- und Ausbau digitaler Infrastrukturen, mit Blick auf Daten und Modelle, die (kreative, experimentelle) Inszenierungen ebenso ermöglichen wie Interaktion und Partizipation. Hier bedarf es eines kontinuierlichen Fachdialogs zwischen allen Partnerinnen und Partnern aus Bibliothek, Archiv und Museum, Fachwissenschaft, Entwicklung und Gestaltung.

27 Robert Sanderson: Building distributed online exhibitions with IIIF, in: MW17: MW 2017 (09.02.2017). https://mw17.mwconf.org/paper/building-distributed-online-exhibitions-withiiif/ (letzter Zugriff: 15.12.2020).

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Stephanie Jacobs

Mediengeschichte im Netz – Sachstand und Perspektiven.   Die virtuellen Ausstellungen des Deutschen Buch‐ und  Schriftmuseums der Deutschen Nationalbibliothek Leipzig 

Museum digital und analog: doppelte Strategie – parallele Dienstleistung  Seitdem Wissen und Informationen nicht mehr nur schwarz-auf-weiß gedruckt an einen Schriftträger gebunden, sondern über digitale Netze weltweit abrufbar sind, muss und darf sich das Museum, allemal wenn es ein Buchmuseum ist, neu erfinden, um als Institution zukunftsfähig zu bleiben. Dass das Museum bei dieser notwendigen Revision seines Selbstverständnisses nicht alles über Bord wirft, was es in seiner mehr als 200jährigen Geschichte geleistet hat, kann angesichts des weltumspannenden Neuerungswahns der vergangenen Jahrzehnte gar nicht oft genug betont werden. Denn die digitale Bereitstellung von Objekten und Metadaten hat die geisteswissenschaftliche Forschung zwar fundamental verändert und deren Wirkmächtigkeit in zuvor nie gekannter Art erweitert, aber dennoch sind und bleiben die historisch gewachsenen Sammlungen der Museen das Zentrum der musealen Arbeit. Sie sind das Pfund, mit dem wir wuchern und zugleich aber auch unsere Verpflichtung für zukünftige Generationen. Mit dem Einzug der digitalen Medien entsteht für das Museum ein zuvor nicht gekannter Resonanzraum für das museale Objekt, in dem neue kulturelle und wissenschaftliche Potenziale raumzeitlich freigesetzt werden können. Das Ziel: die breite Vernetzung des materiellen kulturellen Erbes in der wissenschaftlichen Community und ihr Einsatz in der Ausstellungs- und Bildungsarbeit. Der Spagat zwischen der Besinnung auf das museale, oft unikale Erbe auf der einen Seite und der Nutzung neuer Kanäle auf der anderen ist eine Herkules-Aufgabe, die alle bestandshaltenden Institutionen zu schultern haben, wenn sie nicht in die Unsichtbarkeit abrutschen möchten. Denn die digitalen Verheißungen schüren nicht nur Erwartungen an räumlich und zeitlich unbegrenzt zugängliche digitale Sammlungen, elektronische Kataloge und virtuelle Ausstellungen, sondern führen im Umkehrschluss auch ein Bedürfnis nach Authentizität im Kielwasser, das

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das unikale Objekt zu einem Anker, zu einem Nachweis von Verlässlichkeit im Überfluss des digitalen Informationsmeeres macht. Das Museumspublikum, ob im physischen oder digitalen Raum, verlangt zurecht nach beidem: nach schnellstmöglicher und umfassender Zugänglichkeit im Netz und nach der kulturellen ‚Sperrigkeit‘ des Originals, nach Verfügbarkeit jederzeit und überall und nach der ‚Pilgerreise‘ an den Ort, an dem das ggf. in tausenden von Kopien im Netz verfügbare historische Artefakt als historisch authentisch begriffen, und wenn aus konservatorischen Gründen auch oft nicht begriffen, so doch verstanden werden kann. Um also bei aller Verantwortung für den Schutz des anvertrauten historischen Bestandes nicht zu einem ‚toten‘ Ort zu werden, braucht es eine doppelte Strategie und parallele Dienstleistungen. Das Museum muss zum einen ein Lernort, ein ‚dritter Ort‘ und attraktiver Raum der Entschleunigung sein, den auch ein Flaneur gern aufsucht, und zum anderen sollte es digital verfügbare Versionen seiner selbst anbieten. Beides kann nur gelingen, indem die in den musealen Objekten gespeicherten Informationen in sinnvollen thematischen Portionen angeboten und inszeniert werden und das gespeicherte Wissen durch analoges wie digitales Kuratieren für ein allgemeines Publikum aufbereitet wird. Denn nur geordnete Objekt- und Datenwelten sind als Räume attraktiv, egal ob als physischer Ort oder als virtueller Knoten im Netz. Das bedeutet, dass virtuelle Ausstellungen nicht als Surrogat für das objektzentrierte Museum dienen, sondern immer nur Bestandteil übergeordneter Strategien sein können. Die Tatsache, dass das Digitale nicht ‚Abfallprodukt‘ des Analogen ist, sondern die Angebote im Analogen und im Digitalen nur als beidseitige Ergänzung verstanden werden können, hat zur Folge, dass die digitalen Präsentationen, um einen nachhaltigen Effekt zu erzielen, auch Ressourcen binden. Das heißt aber auch, dass wir, wenn wir digital planen, zugleich im analogen Bereich sparen und abbauen müssen, denn mehr Personalressourcen werden wir insgesamt nicht zur Verfügung haben, wenn sich das Digitale in der Kultur etabliert hat. Digitale Expertise und Angebote kosten, gehen nicht on top, sondern müssen im Konzert der musealen Aufgaben priorisiert werden. Das ist leichter gesagt als getan, denn Aufhören ist immer schwerer als Anfangen …

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Mediengeschichte im Netz – Sachstand und Perspektiven 

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5.000 Jahre Mediengeschichte – vor Ort und im Netz  Als das Deutsche Buch- und Schriftmuseum eine neue Dauerausstellung für den Erweiterungsbau der Deutschen Nationalbibliothek in Leipzig (Abb. 1) zu konzipieren begann, ist parallel zur Erarbeitung der analogen Präsentation ein virtuelles Pendant konzipiert worden.1

Abb. 1: Der jüngste Erweiterungsbau der Deutschen Nationalbibliothek in Leipzig beherbergt das Deutsche Buch- und Schriftmuseum, Foto: Deutsches Buch- und Schriftmuseum der Deutschen Nationalbibliothek Leipzig.

1 Allgemeine Literatur zur Dauerausstellung des Deutschen Buch- und Schriftmuseums und zu der auf ihr aufbauenden virtuellen Ausstellung: Stephanie Jacobs: Zeichen – Bücher – Netze: Das Deutsche Buch- und Schriftmuseum der Deutschen Nationalbibliothek: Ein Ort der Buch- und Mediengeschichte, in: Bibliothek, Forschung und Praxis 41.2 (2017), S. 202–212; dies. (Hrsg.): Zeichen – Bücher – Netze: Von der Keilschrift zum Binärcode: ein Gang durch die Ausstellung, Göttingen 2016; dies.: Mediengeschichte ausstellen – real und virtuell: aus dem Deutschen Buchund Schriftmuseum der Deutschen Nationalbibliothek in Leipzig, in: Petra Hauke, Barbara Lison (Hrsg.): Praxishandbuch Ausstellungen in Bibliotheken, Berlin/Boston 2016, S. 244–254; dies.: Zeichen – Bücher – Netze: Von der Keilschrift zum Binärcode. Das Deutsche Buch- und Schriftmuseum im Erweiterungsbau der Deutschen Nationalbibliothek in Leipzig, in: Gutenberg-Jahrbuch 89 (2014), S. 13–30.

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Die Initiative zu einem virtuellen Auftritt entstand 2008 einerseits aus dem allgemeinen musealen Bildungsauftrag heraus. Andererseits trägt die virtuelle Ausstellung der Tatsache Rechnung, dass eine Dauerausstellung, die sich mit 5.000 Jahren Mediengeschichte beschäftigt und zugleich den Blick auf Gegenwart und Zukunft von Speichermedien richtet, durch den Einsatz moderner digitaler Technologien in besonderer Weise die Chance und Verpflichtung hat, ihre Themen auch in die digitalen Netze zu speisen. Die virtuelle Ausstellung ist also nicht nur Themenplattform für ein allgemeines Publikum und Format für medienwissenschaftliche Fragestellungen, sondern reflektiert als digitale Publikation2 auch auf einer Metaebene die Themen Wissensspeicherung und Mediengeschichte. Die elf Module der virtuellen Ausstellung 5.000 Jahre Mediengeschichte orientieren sich dabei am Themenparcours der Dauerausstellung, nutzen bei der Präsentation der Inhalte aber die Möglichkeiten und Formate des Digitalen. Daher funktioniert das an Verknüpfungen und überraschenden Themenbrücken reiche digitale Wissensnetz, das auch interaktive Angebote bereithält, nicht linear, sondern als Netz mit zahllosen thematischen Knoten. Die virtuelle Ausstellung bereichert auf diese Weise zum einen die lokale Präsentation, in der sie auf mitgebrachten oder ausleihbaren mobilen Endgeräten abgerufen werden kann. Zum anderen funktioniert sie aber auch ganz unabhängig von der Dauerausstellung als eigenes Narrativ, als ortsungebundenes digitales Angebot im Internet. Dass die virtuelle Präsentation sowohl in Deutschland als auch in Amerika in der akademischen Lehre eingesetzt wird, zeigt die ortsungebundenen Potenziale digitalen Ausstellens. Dieses Sowohl-als-auch, digitales Zusatzangebot für die Dauerausstellung und ubiquitäres Wissensnetz, war Programm bei der Konzeption der virtuellen Ausstellung, stellte aber in der Umsetzung eine sehr große Herausforderung dar. Um diese skizzieren zu können, gebe ich zunächst einen kurzen Einblick in die Dauerausstellung, um im Anschluss daran die spezifische Anpassung und Erweiterung des Themenspektrums im Netz vorzustellen und zum Schmökern und Flanieren in die virtuelle Ausstellung einzuladen. Zum Abschluss werfe ich noch einen Blick in drei gemeinsam mit der Deutschen Digitalen Bibliothek realisierte virtuelle Ausstellungen.

2 Eine digitale Publikation ist in der Terminologie der Nationalbibliotheken alles, was digital publiziert und gespeichert wird, also jedes E-Book, Digitalisat, digitale Parallelausgabe von gedruckten Büchern sowie jede virtuelle Ausstellung.

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Mediengeschichte im Netz – Sachstand und Perspektiven 

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Zeichen – Bücher – Netze. Von der Keilschrift zum Binärcode. Die Dauerausstellung 

Als das Deutsche Buch- und Schriftmuseum 2012 eröffnet wurde, endete für die über 130 Jahre alte Institution, das weltweit älteste Buchmuseum, eine jahrzehntelange Phase der interimistischen Unterbringung. Erstmals können die weit über eine Million Objekte geschlossen und unter idealen konservatorischen Bedingungen ausgestellt werden, großzügige Präsentationsflächen (Abb. 2) und ein zentral gelegener Raum für die Museumspädagogik bieten neue Aktionsräume.

Abb. 2: Die räumlich als Forum angelegte, offene Ausstellungsarchitektur der Dauerausstellung, Foto: Deutsches Buch- und Schriftmuseum der Deutschen Nationalbibliothek Leipzig.

Die Konzeption von Dauer- und virtueller Ausstellung stand unter zwei Leitideen. Einerseits sollte die Mediengeschichte chronologisch weit ausgreifend dargestellt werden, andererseits sollten die Ausstellungen nicht im historischen Rückblick stehen bleiben, sondern auch Fragen nach Gegenwart und Zukunft der Medien in unserer Gesellschaft stellen und damit für aktuelle Debatten anschlussfähig sein. Der Rückgriff bis zur Vorgeschichte der Menschheit und die thematische Breite in der Anlage der Ausstellungen machten es notwendig, kooperativ zu arbeiten und wissenschaftliche Expertise aus benachbarten Forschungsbereichen einzuholen, denn das fachliche Knowhow des Museums

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Stephanie Jacobs 

fokussiert sich vor allem auf die Buchgeschichte im engeren Sinne. Mit dem Anspruch, die Mediengeschichte von ihren Anfängen vor 5.000 Jahren zu erzählen, rückten zahlreiche Wissenschaftszweige in den Fokus: von der Vor- und Frühgeschichte über die Altphilologie und Mediävistik bis hin zur Sozial- und Wissenschaftsgeschichte sowie Medien- und Computerwissenschaft. Das zwang zur Interdisziplinarität. Eine weitere prinzipielle Frage stellte sich, wenn ein Buchmuseum am Anfang des 21. Jahrhunderts einen neuen analogen und virtuellen Auftritt anstrebt. Stellt sein Neubau angesichts der furiosen digitalen Entwicklungen in der Informations- und Medienwelt nicht einen nostalgischen Anachronismus dar? Ein neues Buchmuseum ausgerechnet zu einer Zeit, in der die Diskussion um die Zukunft des Buches in einer breiten Öffentlichkeit und mit unüberhörbar kulturpessimistischem Grundton geführt wird? Die Konzeptionen unserer Ausstellungen zeigen das Gegenteil. Am Anfang des 21. Jahrhunderts der Buch- und Mediengeschichte innerhalb einer modernen Bibliothek mit Sammlungsauftrag auch für die Netzpublikationen eine Bühne zu schaffen, bedeutet ein klares Bekenntnis zur Aufgabe des Museums, aktuelle Debatten anzustoßen, sich nicht auf die Konservierung des Historischen zurück zu ziehen und zur Auseinandersetzung mit der Gegenwart zu befähigen. Daher argumentieren die Ausstellungen dezidiert aus einer Gegenwartsperspektive: Das Buch, jahrhundertelang der erfolgreichste Wissensspeicher, ist vom Standpunkt der Alleinvertretung für das Weltwissen in den vergangenen Jahrzehnten in eine existentielle Krise geraten, von der es sich auch nicht wieder erholen wird – hoffentlich. Denn diese Krise ist zugleich auch ein Zugewinn an Kultur, Wissenschaft und Bildung. Wie viel schneller und präziser ist der Informationstransfer geworden? Welche demokratischen Potenziale sind den digitalen Netzen inhärent? Mit der Dauerausstellung etabliert das Museum auf diese Weise in der lichten, forumartigen Architektur des Erweiterungsbaus ein neues Ausstellungskonzept, das die Vernetzung der Themen in der virtuellen Ausstellung in gewisser Weise vorwegnimmt. Modular im Aufbau kombiniert die Ausstellungskonzeption einen chronologischen Faden mit Querschnittsthemen. Das Rahmenthema dieses offenen Themennetzes sind die drei wichtigsten Medieninnovationen der Menschheit: die Erfindung der Schrift, des Buchdrucks mit beweglichen Lettern und der digitalen Netze. Themenspektrum 

Dass die Schrift als erstes Speichermedium die menschliche Kommunikation grundlegend verändert hat, ist ein Thema, das heute angesichts des Übergangs in die digitale Welt viele Anknüpfungspunkte im Alltag findet. Was bedeutet es

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für unsere Kultur, seit der Erfindung der Schrift immer größere Informationsmengen speichern zu können? Was heißt es, wenn Georg Christoph Lichtenberg mit dem Satz zitiert wird, dass der Druck mit beweglichen Lettern unsere Kultur mehr verändert hat als die Erfindung von Rad und Schießpulver?3 Was hat die neuzeitliche Buchzensur im 15. Jahrhundert mit der heutigen Kritik an der täglich unüberschaubarer werdenden Flut an Daten im Netz zu tun, was mit der Einsicht von der Massenhaftigkeit, Manipulierbarkeit und Unübersichtlichkeit der Informationen heute? Im Lichte dieser einfachen wie fundamentalen Fragen setzen wir die Geschichte von Buch und Schrift neuen Fragestellungen aus und holen das Publikum in seiner Welt ab. Die Ausstellung gliedert sich in elf Module, die teils chronologisch, teils in diachronen Exkursen angeordnet sind und von der Entstehung frühester Aufzeichnungen zum Beispiel auf Kerbhölzern bis zur Frage nach der Zukunft der Medien handeln: Laute – Zeichen – Schriften, Zeichen setzen, Schrift gestalten, Handschriftenkultur, Buchdruck, Lesewelten, Zensur, Industrialisierung, Ästhetik des Buches, Massenmedien und schließlich Medienzukünfte. Die Ausstellung bietet die Themenmodule nicht in einem festgelegten Parcours an, auch dies eine Analogie zur ‚schmökernden‘ Rezeption im Netz. Vielmehr sind die Besucher frei, sich ihren eigenen Weg durch die parataktisch angelegte Ausstellung zu bahnen. Diese konzeptionelle Offenheit wird in der virtuellen Ausstellung zum dominanten Prinzip gemacht. Die Besucher können das medienhistorische Wissensnetz an jeder beliebigen Stelle betreten und sich von jedem Knotenpunkt aus auch wieder verabschieden. Das lineare Prinzip der ‚Ausstellungslektüre‘ – meines Erachtens ein Missverständnis der raumorientierten Ausstellungsarbeit – wird zugunsten einer vernetzten Struktur aufgegeben. Denn die Rezeption von Informationen im Raum ist im Gegensatz zur Wissensaneignung durch Lektüre geprägt von räumlichen Blickachsen, von der freien Bewegung des Ausstellungsbesuchers im Raum und der dadurch entstehenden Überblendung von Bildern. Daher war der Schritt von der physischen zur virtuellen Ausstellung vom konzeptionellen Ansatz der Vernetzung aus betrachtet gar nicht so groß.

3 „Mehr als das Gold hat das Blei die Welt verändert, und mehr als das Blei in der Flinte das Blei im Setzkasten.“ Die jahrzehntelang ungebrochene Zuschreibung des Zitats an Georg Christoph Lichtenberg ist inzwischen hinterfragt worden. Siehe Klaus Hübner: Rubrik „Enten aus falscher Feder“, in: Mitteilungen der Lichtenberg-Gesellschaft, Brief 45, Dezember 2012, S. 29–30. https://www.lichtenberg-gesellschaft.de/pdf/Lichtenberg-Mitteilungen%20Nr.%2045.pdf (letzter Zugriff: 20.08.2020).

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Die virtuelle Ausstellung 5.000 Jahre Mediengeschichte  Im Zentrum der virtuellen Ausstellung stehen wiederum elf Themenmodule, welche die Besucherinnen und Besucher zu einer virtuellen Zeitreise durch die Geschichte der Medien einladen, sei es in der Ausstellungshalle auf mitgebrachten oder bereitgestellten mobilen Endgeräten oder als digitales Angebot im Internet.4 Die von historischen Exponaten geprägte Schau im Museum wird also zugleich durch einen digitalen Ausstellungsraum erweitert. Das Strukturprinzip der virtuellen Schau sind ca. 300 knapp und pointiert erzählte, bilderreiche Objektgeschichten, biographische Angebote (Abb. 3) und historische Ereignisse. Diese werden zu einem medienhistorischen Netz verknüpft, durch das sich der Besucher explorativ bewegen kann.

Abb. 3: Themenseite zu Francois Champillon aus der virtuellen Ausstellung 5.000 Jahre Mediengeschichte online, Quelle: https://mediengeschichte.dnb.de/DBSMZBN/Content/DE/LauteZeichenSchriften/01champollion-jean-francois.html (letzter Zugriff: 20.08.2020).

Neben dem thematischen Einstieg in die Mediengeschichte gibt es eine zweite Einstiegsebene in Form eines Zeitstrahles. Er enthält historische Ereignisse, die über ein Icon zu knappen Erläuterungen führen und helfen können, die jeweiligen Rubrikangebote medienhistorisch einzuordnen. Zeitstrahl und Themenseiten sind miteinander vernetzt und erlauben auf diese Weise historisch-thematische Sprünge durch die Mediengeschichte, aber auch überraschende Entdekkungen und Verbindungen zwischen den elf Themenmodulen. Hinterlegt ist in 4 https://mediengeschichte.dnb.de/DBSMZBN/Web/DE/Home/home.html (letzter Zugriff: 20.08.2020).

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Mediengeschichte im Netz – Sachstand und Perspektiven 

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der virtuellen Ausstellung außerdem ein Glossar, das in über 1.000 Einträgen in Twitter-Kürze Erläuterungen zur Mediengeschichte bietet. Das Glossar schafft einerseits Orientierung, andererseits hilft es, unterschiedliche Wissensstände der Besucherinnen und Besucher zu berücksichtigen. In den einzelnen Themenangeboten und im Zeitstrahl sind die Begriffe des Glossars jeweils hervorgehoben. Ein Quiz stärkt schließlich den interaktiven Charakter der Anwendung und lockt auch junge Besucher an (Abb. 4). Schließlich sorgt ein digitales Besucherbuch dafür, dass das Publikum direkt mit den Kuratorinnen und Kuratoren ins Gespräch kommen kann und in das Ausstellungsgeschehen einbezogen wird. Allerdings wird das Besucherbuch nur punktuell benutzt, vermutlich ist es auf der graphischen Oberfläche der virtuellen Ausstellung nicht prominent genug platziert.

Abb. 4: Quiz aus der virtuellen Ausstellung 5.000 Jahre Mediengeschichte online, Quelle: https:// mediengeschichte.dnb.de/DBSMZBN/Web/DE/Service/Quiz/quiz.html (letzter Zugriff: 20.08.2020).

Die Projektgruppe, die die virtuelle Ausstellung zur Mediengeschichte realisiert hat, setzte sich zusammen aus einer technikaffinen Projektleiterin aus dem Museum, einigen Kolleginnen und Kollegen, die an der Erarbeitung der Dauerausstellung beteiligt waren, und einem externen Partner, der für die gestalterische und graphische Umsetzung des Produktes zuständig war. Die Schnittstellen allerdings erwiesen sich im Laufe des Projektes als sehr arbeits- und abstimmungsintensiv, die Personalkosten waren enorm.

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Stephanie Jacobs 

Virtuelle Ausstellungen in Kooperation mit der Deutschen Digitalen  Bibliothek im DDBstudio: die Zukunft   Im Rahmen der Konzeption und Fertigstellung der virtuellen Ausstellung über 5.000 Jahre Mediengeschichte, einer Ausstellung, deren technische Features weitgehend auf die spezifischen Anforderungen dieser medienhistorischen Erzählung ausgerichtet waren, hat sich herausgestellt, dass die technische Umsetzung insgesamt zu komplex ist, als dass der ehedem avisierte ständige Ausbau der Ausstellung mit vertretbarem Personalaufwand dauerhaft zu leisten sei. Daher haben wir den Plan ihrer kooperativen Weiterentwicklung aufgegeben, stattdessen eine Kooperation mit der Deutschen Digitalen Bibliothek (DDB) begonnen. So entstand 2017 anlässlich des Welttags des Buches die erste gemeinsame Ausstellung mit Hilfe des gerade fertig gestellten DDBstudio, das sich als ein sehr nutzerfreundliches Tool zur Erstellung virtueller Ausstellungen erwiesen hat.5 Sein Nutzen liegt neben der einfachen Handhabung und der nachhaltigen Präsentation im Portal der DDB insbesondere in der Vernetzung von Metadaten und digitalem Objekt sowie im gemeinsamen Auftritt im größten Kulturportal Deutschlands. Die erste Ausstellung im DDBstudio nimmt unter dem Titel Bahnriss?! Papier | Kultur die Geschichte des Allerweltstoffes Papier in 17 Kapiteln unter die Lupe.6 Die Ausstellung spannt den Bogen vom 13. Jahrhundert, als die Papierherstellung von Italien nach Deutschland kam, über die Zeit der Industrialisierung bis ins 21. Jahrhundert. Die Lumpenwirtschaft vorindustrieller Zeiten wird dabei ebenso thematisiert wie das Sicherheitswasserzeichen und stillgelegte Zeitungsdruckpapierfabriken. Ebenso nimmt die Frage nach der Gegenwart der Papierproduktion und Nutzung großen Raum ein. Die enge Verbindung von Papier und Kultur, die unsere Zivilisation über Jahrhunderte geprägt hat, bekommt im Zeitalter der Apps Konkurrenz, neben das Papier treten moderne, schnellere Medien. Die Verwendung von Papier und seine Bedeutung für die Gesellschaft unterliegen in den vergangenen Jahrzehnten einem umstürzenden funktionalen Wandel. Der aktuellen Situation nähert sich die virtuelle Ausstellung Bahnriss?! aus historischer Perspektive. Bei der digitalen Präsentation zahlreicher verschiedener Papiersorten, Formate und besonderer Veredelungstechniken greift die virtuelle Ausstellung auf die umfangreichen papierhistorischen Bestände des Deutschen Buch- und Schriftmuseums mit der weltweit größten WasserzeichenSammlung zurück. Grundlage dieser Ausstellung ist wiederum eine physische 5 Vgl. allgemein zum DDBstudio den Beitrag von Julia Spohr und Lidia Westermann in diesem Band. 6 https://ausstellungen.deutsche-digitale-bibliothek.de/bahnriss/ (letzter Zugriff: 20.08.2020).

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Ausstellung vor Ort, deren wissenschaftliche Recherchen durch die digitale Präsentation zweitverwertet und auf diese Weise dauerhaft gespeichert werden, ein weiterer wesentlicher Gewinn bei der Umsetzung des Themas im DDBstudio. Außerdem unterstützt das Medium der virtuellen Ausstellung angesichts der Interdisziplinarität der Papiergeschichtsschreibung die Verbreitung des Themas über die Grenzen der einzelnen wissenschaftlichen Disziplinen hinweg. Die zweite Ausstellung des Deutschen Buch- und Schriftmuseums im DDBstudio, die 2019 freigeschaltet wurde, nimmt unter dem Titel Vom Waisenkind zum Millionär einen typischen Büchersammler des 19. Jahrhunderts in den Blick: Heinrich Klemm (1819–1886) aus Dresden.7

Abb. 5: Virtuelle Ausstellung Vom Waisenkind zum Millionär. 200 Jahre Heinrich Klemm, Quelle: https://ausstellungen.deutsche-digitale-bibliothek.de/klemm/ (letzter Zugriff: 20.08.2020).

Klemms Sammelleidenschaft galt vor allem europäischen Frühdrucken. Sein Ehrgeiz war es, aus jeder europäischen Druckereistadt ein Exemplar des jeweils ersten Drucks in seinen Bestand aufzunehmen. Seine Dresdener Sammlung, das Sächsisch-bibliographische Museum, stellte 1886 den Nukleus für das zwei Jahre zuvor gegründete Deutsche Buch- und Schriftmuseum dar. Insofern erinnert die Ausstellung anlässlich Klemms 200. Geburtstags zugleich an die Gründungsgeschichte des Museums (Abb. 5).

7 https://ausstellungen.deutsche-digitale-bibliothek.de/klemm/ (letzter Zugriff: 20.08.2020).

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Stephanie Jacobs 

Die virtuelle Ausstellung präsentiert einerseits die Biographie des durch das Verlegen von Schnittbögen für Damenmode zu Wohlstand gekommenen Schneidermeisters Heinrich Klemm. Andererseits stellt es den Druckhistoriker vor, dessen Leidenschaft dem Typenvergleich der Frühdruckzeit galt. Daher ist die Ausstellung sowohl für die Historiographie der Mode als auch für die Buchgeschichte interessant. Das dritte Kooperationsprojekt mit der DDB, das im Sommer 2020 freigeschaltet wurde, nimmt aus aktuellem Anlass das Thema Abstand halten in den Blick und stellt Ergebnisse von Recherchen zur Kulturgeschichte der Distanznahme vor. Unter dem Titel …rühr’ mich nicht an! Aus der Kulturgeschichte des Social Distancing begibt sich die Ausstellung auf eine historische Spurensuche.8 Denn auch wenn im Sommer 2020 Internet-Suchmaschinen kaum eine halbe Sekunde benötigen, um unter dem Stichwort Social Distancing weit über eine Milliarde Treffer anzuzeigen, ist das Phänomen der sozialen, besser, physischen Distanznahme keineswegs ein Thema des 21. Jahrhunderts. Der Begriff Social Distancing ist zwar neu, die Idee dahinter aber schlägt sich seit Jahrtausenden in gesellschaftlichen und kulturellen Praktiken nieder. Ihre Ziele sind dabei sehr unterschiedlich. Die Infektionskontrolle hat sich dabei im kulturellen Gedächtnis besonders stark eingeprägt, aber es geht bei der verordneten Distanz neben der Gesundheit ebenso um Machterhalt und Disziplin, manchmal um Mysterien. Und immer schon begleiteten Verschwörungstheorien das Social Distancing, deren Salz der Verdacht von Machtmissbrauch ist, ein aktuelles Thema mit historischer Tiefenschärfe. Die digitale Präsentation schaut dabei sowohl auf medizinische und philosophische Phänomene, stellt aber auch soziologische und künstlerische Fragen.

Fazit  Die virtuelle Ausstellung ist nach unserer Meinung aus dem musealen Aufgabenspektrum nicht mehr wegzudenken. Trotz des Personalaufwands lohnt dieser Schritt, kuratiertes Wissen ins Netz zu bringen. Hinsichtlich der Personalressourcen haben sich die Aufwände in der Erarbeitung von virtuellen Ausstellung in Kooperation mit der DDB gegenüber der Eigenentwicklung erheblich reduzieren lassen. Die kuratorischen Freiheiten bei einem hohen Maß an Standardisierung in Format und Arbeitsablauf macht das DDBStudio zu einem überaus nützlichen Tool.

8 https://ausstellungen.deutsche-digitale-bibliothek.de/distanz/ (letzter Zugriff: 20.08.2020).

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Mediengeschichte im Netz – Sachstand und Perspektiven 

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Das zentrale Ziel bei der Erarbeitung von virtuellen Ausstellungen wird mit weniger Aufwand erreicht: Die digitale Aufbereitung ermöglicht Anschlusskommunikationen und verleiht wissenschaftlichen Recherchen, auch jenseits des klassischen Ausstellungskatalogs, eine Nachhaltigkeit, die den zusätzlichen personellen Mehraufwand rechtfertigt. Nicht zuletzt erhalten Themen im Virtuellen einen digitalen Resonanzboden, auf dem Vernetzungen schneller gedeihen und Kooperationen wachsen. Die Konstante bilden hierbei mediale Veränderungen.

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Christian Eidloth

Virtuelle Ausstellungen der Bayerischen Staatsbibliothek.   Ein Praxisbericht  

Die Bayerische Staatsbibliothek erstellt seit 2016 virtuelle Ausstellungen, zunächst primär als virtuelle Varianten von physischen Ausstellung, zunehmend aber auch als rein virtuelle Präsentationen. Im Folgenden werden zunächst Überlegungen für eine idealtypische Umsetzung einer virtuellen Ausstellung ausgeführt und anschließend Möglichkeiten und Erfahrungen bei der Umsetzung mit Google Arts & Culture beschrieben.1

Ausgangssituation und Problemstellung  Ausgangspunkt für die Überlegungen der Bayerischen Staatsbibliothek (BSB), sich auf dem Gebiet virtueller Ausstellungen zu engagieren, war folgende Notwendigkeit: Die BSB benötigte auf ihrer Website in unterschiedlichen Kontexten eine Möglichkeit, ihr kulturelles Erbe in ansprechender Form zu präsentieren. Insbesondere im Zusammenhang mit physischen Ausstellungen stellte es schon länger ein Desiderat dar, Ausstellungen auch online verfügbar zu machen, dauerhaft sichtbar zu halten und zu archivieren. Darüber hinaus suchte man nach Mitteln, Bestandspräsentationen unterschiedlichen Umfangs auf einfache Art zu erstellen. Der Aufwand sowohl für Kurator und Redakteur auf Seiten der Fachabteilung als auch für die Websiteadministration sollte dabei auf ein Minimum reduziert werden. Anforderungen an das Medium ‚Ausstellung‘ 

Möchte man eine physische Ausstellung in die virtuelle Welt transformieren, ist es zunächst entscheidend darüber nachzudenken, welche Faktoren die Entität ‚Ausstellung‘ überhaupt determinieren. 1 https://artsandculture.google.com/ (letzter Zugriff: 17.05.2020).

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Christian Eidloth 

Sinnlicher Zugang vs. kognitiver Zugang 

Eine Ausstellung ist etwas, das Dinge ausstellt, die auf mit diesen assoziierten Wissens- und Lebenswelten verweisen. Entscheidend ist ihre Präsenz, ihre Materialität und das dadurch evozierte innere Erleben der Betrachter. So ist ihre Anmutung, ihr sinnlicher Reiz bzw. ihre Authentizität, die das ‚auratische Moment‘ steigert, essentielle Faktoren. In einer Ausstellung wird vor allem betrachtet, nicht gelesen. Das entscheidende Moment sind die Vorstellungen evozierenden Sinneseindrücke. Eine virtuelle Ausstellung muss meines Erachtens dementsprechend zuerst zum Betrachten (ver-)führen, nicht primär zum Reflektieren. Sogenannte virtuelle Ausstellungen, wie man sie in großer Zahl in unterschiedlichsten Ausprägungen findet, folgen in der Mehrzahl hingegen dem Primat des Intellekts vor dem des sinnlichen Reizes. Dabei werden meistens Präsentationsprinzipien von (multimedialen) Lexika oder Ausstellungskatalogen angewandt. Das eigentliche visuelle Spezifikum einer Ausstellung geht dabei verloren. Auch die Angebote der BSB folgten bisher einem primär intellektualisierenden und kontextualisierenden Modus. Die virtuelle Ausstellung Plansprachen ist ein Beispiel für eine die Kognition präferierende Grundkonstruktion, bei der die Exponate erst nach einer ausführlicheren intellektuellen Hinführung sichtbar wurden und dann nicht viel mehr darstellten als bloße Illustrationen des Textes.2 Es wird dort zunächst durch einen Text allgemein in das Thema eingeführt, dann das Objekt ebenfalls textuell und mit verkleinertem Bild vorgestellt, erst in der Folge kann das Objekt in ganzer Größe betrachtet und erfasst werden. Möchte man das Wesen einer Ausstellung in den virtuellen Raum transportieren, ergeben sich so folgende Anforderungen: – Das Exponat als solches steht unangefochten im Vordergrund. Alles, was davon ablenkt, sollte vermieden werden. – Die Orientierung der Besucherinnen und Besucher soll klar auf den sinnlichen Ausdruck fokussiert sein. – Das Verhalten beim Besuch einer Ausstellung und das innere Erleben müssen auch im Virtuellen ermöglicht werden. Dazu gehört das Promenieren in der Ausstellung, das Verweilen, das Näher-in-Augenschein-Nehmen, das Orientieren im Raum, das Wahrnehmen unterschiedlicher Präsentationen. – Erster Impuls sollte immer ein sinnlicher Zugang sein.

2 https://www.bsb-muenchen.de/va/ausstellungen/zamenhof/ (letzter Zugriff: 17.05.2020).

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Virtuelle Ausstellungen der Bayerischen Staatsbibliothek 

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Komplementarität zwischen sinnlichem und kognitivem Zugang 

Der beschriebene sinnliche Zugang zur Welterschließung ist immer als Komplementär zu einem intellektuellen, kognitiven, diskursiven Zugang zu verstehen: Je nach Einsatzzweck, Zielgruppe und Kommunikationsziel kann der eine oder der andere Ansatz zielführender sein. Im Zusammenhang und Zusammenspiel mit einer physischen Ausstellung ist der korrespondierende sinnliche Ansatz auch in einer virtuellen Ausstellung naheliegend. Bei einem Konzept, das den sinnlichen Zugang in den Vordergrund stellt, ist die kognitive Erschließung ebenso wichtiger Bestandteil – allerdings nachgeordnet in Form von Metadaten, Begleittexten, Audioguides oder Videos. Selektion vs. Vollständigkeit 

Wichtige Grundlage einer Ausstellung ist die reflektierte Auswahl der Objekte. Dies bedeutet zwingend auch eine Wertung in Bezug auf Relevanz. Der Umfang einer physischen Ausstellung ist normalerweise dergestalt, dass Besucherinnen und Besucher dort ein bis zwei Stunden verweilen. Darüber sollte man nicht hinausgehen. Analog dazu muss bei einer virtuellen Ausstellung sehr genau darauf geachtet werden, was realistisch angeschaut und verarbeitet werden kann. Das wird sicher nicht die Zeitspanne einer physischen Ausstellung umfassen, sondern deutlich weniger: zwischen drei und zehn Minuten.3 Führung (Linearität) vs. Multioptionalität 

Eine physische Ausstellung ist kuratiert: Exponatauswahl, Reihenfolge, Hängung oder Raumkonzept folgen einem Konzept. Dadurch werden Hierarchien und Chronologien abgebildet und Beziehungen zwischen den Objekten hergestellt. Die sich daraus ergebende Semantik ist essenzieller Bestandteil dieser Ausstellung. Multioptionale Zugänge, im Web ein zu Recht vorherrschendes Paradigma, sind bei physischen Präsentationen eher selten4: Eine Ausstellung hat ei-

3 Die Bayerische Staatsbibliothek führt regelmäßig Usability- und UX-Tests für ihre digitalen Angebote durch. Die virtuellen Ausstellungen wurden besonders in der Einführungszeit wiederholt intensiv getestet. Sämtliche Einschätzungen im Folgenden sind Ergebnisse dieser Test. Die Gruppe der Testerinnen und Tester rekrutieren sich primär aus studentischen Hilfskräften, bei denen eine Affinität zu den gezeigten Themen vorhanden ist. 4 Mit der Einführung des World Wide Web sollte eine nicht-lineare Informations- und Wissensorganisation zum vorherrschenden Prinzip werden. Die dadurch entstandene Multioptionalität

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Christian Eidloth 

nen Anfang und ein Ende und ist, zumindest im klassischen Modell, linear ausgerichtet. Linearität bedeutet klare Führung und Anleitung bezüglich der Aneignung eines Themas. Beides wird durch multiperspektivische Zugänge verhindert oder zumindest erschwert.

Anforderungen an virtuelle Ausstellungen aus Sicht der Bayerischen  Staatsbibliothek 

Flexibilität 

Ein virtuelles Pendant einer physischen Ausstellung benötigt nach unseren Erfahrungen jedoch größtmögliche Flexibilität sowohl im Hinblick auf ihren Umfang als auch in Bezug auf ihre Funktionalität. Beim Umfang sind folgende Optionen möglich: Die virtuelle Ausstellung – bildet einen Ausschnitt aus der physischen Ausstellung, – hat identischen Umfang oder – besitzt einen größeren Umfang, indem man sie mit im Nachhinein hinzugefügten Inhalten ergänzt. Bezüglich ihrer Funktionalität ist mindestens einzuplanen: – im Vorfeld: ‚Vorankündigung‘, ‚Werbung‘ und ‚erster Eindruck‘ von Inhalt und Gestaltung der Ausstellung, – während der Ausstellung: Vorbereitung für einen Besuch und Nachbereitung, – nach der Ausstellung: ‚Weiternutzung‘, ‚Sichtbarhaltung‘ und ‚Archivierung‘. Vor allem Letzteres wurde bis dato vollkommen vernachlässigt. Der enorme Einsatz an Ressourcen und die hochwertigen Ergebnisse sind mit dem Ablauf einer physischen Ausstellung im Normalfall, vom Ausstellungskatalog abgesehen, dem Vergessen anheimgegeben. Virtuelle Ausstellungen erfüllen damit auch die Funktion einer Leistungsschau sowohl in Bezug auf Ausstellungsaktivitäten als auch auf die Präsentation von BSB-Beständen.

bei der Wissensaneignung verlagerte die Erstellung von semantischen Bezügen zu einem größeren Teil auf den Rezipienten. Die Möglichkeiten dieses Ansatzes sind groß, doch zeigen sich auch schnell seine Grenzen: So sind die Nutzerinnen und Nutzer multioptionaler Systeme und der sich daraus ergebenden Multiperspektivität oft überfordert aus Einzelinformationen Wissen zu generieren. So ist allenthalben ein Comeback der Hierarchie feststellbar.

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Virtuelle Ausstellungen der Bayerischen Staatsbibliothek 

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Aufwand 

Ob eine Ausstellung auch im virtuellen Raum realisiert wird, hängt entscheidend von dem zu erwartenden Mehraufwand ab. Erfahrungsgemäß sind die zeitlichen Ressourcen im Vorfeld einer Ausstellung zur Gänze ausgereizt. Entscheidend ist deshalb, dass die Mehrbelastung durch eine virtuelle Variante auf ein Minimum reduziert wird. Das gilt für Konzeption, Aufbereitung der Inhalte und Verfügbarmachung der Ausstellung. Die Website-Administration sollte sich im Idealfall auf Support und Schulung beschränken.

Praktische Erfahrungen bei der Umsetzung mit Google Arts & Culture  Google Arts & Culture stellt ein fertiges Content-Management- und Präsentationssystem zur Verfügung. Inwieweit die oben formulierten Anforderungen erfüllt werden, wird im Folgenden dargestellt.

Anforderungen an das Medium ‚Ausstellung‘ 

Sinnlicher Zugang vs. kognitiver Zugang  

Will man einen primär sinnlichen Zugang ermöglichen, gilt in unserem Verständnis für virtuelle wie physische Ausstellungen das Gleiche. Alles, was die emotionale Wirkung eines Exponats stören könnte, muss ‚entfernt‘ werden. Das ist mit Einschränkungen gut realisierbar. Betrachtet man in einer Google Arts & Culture-Ausstellung ein Exponat in der Detailansicht, ist eine weitestgehende Reduktion auf das Objekt meines Erachtens (fast) idealtypisch gelöst. Nach dem Aufruf erscheint das Objekt nur noch mit Titel, Navigationshinweisen und Logo der Institution. Nach dem Aufruf erscheint das Objekt nur noch mit Titel, Navigationshinweisen und Logo der Institution (Abb. 1). Das ist nicht zu aufdringlich, stört aber die Unmittelbarkeit der visuellen Anschauung. In einer höheren Zoomstufe werden die angezeigten Elemente nach kurzer Zeit ausgeblendet (Abb. 2). Nun ist tatsächlich ausschließlich das Exponat zu sehen, der Fokus liegt auf der reinen Anschauung und nicht auf Informationen. Durch Zoomen und Navigieren können sich Betrachterinnen und Betrachter das Objekt zudem ‚haptisch‘ aneignen: Sie werden durch diese Möglichkeiten digitaler Interaktionen aktiviert und eingebunden. Um das zu erreichen, sollten die Objekte immer hochauflösend vorliegen und ein ruckelfreies Zoomen ermöglichen. Getrübt wird der Eindruck durch die Tatsache, dass bei jeder Mausaktivität Bedienlemente und Logo wieder eingeblendet werden – das stört die Betrachtung.

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Christian Eidloth 

Abb. 1: Screenshot aus der virtuellen Ausstellung Anton Dohrn, Detailansicht mit Navigationselementen, Quelle: https://embed.culturalspot.org/embed/asset-viewer/stich-der-stazione-zoologica/vwFpHnXEvupczQ?exhibitId=tAKyc-0i8CDTJg (letzter Zugriff: 17.05.2020).

Abb. 2: Screenshot aus der virtuellen Ausstellung Anton Dohrn, Detailansicht ohne Navigationselementen, Quelle: https://embed.culturalspot.org/embed/asset-viewer/stich-der-stazione-zoologica/vwFpHnXEvupczQ?exhibitId=tAKyc-0i8CDTJg (letzter Zugriff: 17.05.2020).

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Virtuelle Ausstellungen der Bayerischen Staatsbibliothek 

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Selektion vs. Vollständigkeit 

Die Exponate gleichen im Normalfall jenen der physischen Ausstellung, manchmal mit geringfügigen Änderungen. Bisweilen stellt das Vorhandensein eines Audioguides ein Selektionskriterium für die Exponate dar. Bei rein virtuellen Ausstellungen gilt als Richtlinie, dass die Zahl der Exponate 30 nicht überschreiten sollte. Diese Empfehlung deckt sich mit der von Google, wenngleich das ITSystem nahezu beliebig viele Exponate in einer Ausstellung verwalten kann. In Bezug auf den Umfang hat sich in einer Vielzahl an Tests herausgestellt, dass die Betrachtungsanlässe einer physischen Ausstellung und einer virtuellen Ausstellung sehr unterschiedlich sind und damit die Einstellung zu deren Besuch deutlich differieren. Eine physische Ausstellung wird planvoll besucht, man muss sich an deren Ort bewegen und hat für sich eine bestimmte Zeit vorgenommen, die man in der Ausstellung verbringt. Im Virtuellen ist es oft Zufall, wenn man, eventuell bei einer Recherche, auf eine virtuelle Ausstellung stößt. Damit ist die ‚emotionale Bindung‘ an eine Ausstellung von vornherein wesentlich geringer. Die Aufmerksamkeitsspanne war außerdem bei allen Testerinnen und Testern in der Testsituation sehr gering. Wie auf diesen Umstand angemessen zu reagieren ist, ist noch völlig offen. Führung (Linearität) vs. Multiperspektivität 

Die Wegeführung, die in einer physischen Ausstellung zumeist linear erfolgt, ist bei Google Arts & Culture zwingend vorgegeben. Die Übersicht über eine virtuelle Ausstellung ist in Form eines langen Bandes umgesetzt, bei dem abhängig vom Viewport zwei bis vier Objekte zu sehen sind, die folgenden Exponate sind dann im Anschnitt zu erkennen (Abb. 3). Vor und zurück bewegt man sich über Pfeile oder Wischen. Außer Pfeilen sind keine Navigationselemente auszumachen, diese erscheinen erst bei einer Mausbewegung im äußeren linken oder rechten Bereich. Genauso wenig existieren an dieser Stelle Header- oder Footerleisten. Die digitalisierten Exponate können so ganz für sich wirken. Die Digitalisate sind schon in der Übersicht so dargestellt, dass Details erkannt werden können, was dazu anregt, diese in der Zoomansicht noch genauer zu betrachten. Die lineare Vorwärtsbewegung durch Wischen imitiert das Durchschreiten einer physischen Ausstellung.5 Die Bedienung nimmt das verbreitete Prinzip des 5 Unter dem Schlagwort ‚Skeuomorphismus‘ – bekannt geworden vor allem mit der Einführung von Flat Design – wird die ‚Imitation‘ der realen Welt im Software-Design breit diskutiert. Im Zentrum steht dabei die Frage nach der Sinnhaftigkeit, reale Objekte und damit verbundene Handlungsweisen im Virtuellen nachzustellen und somit Erfahrungen aus der realen Welt im Virtuellen nutzbar zu machen. Die entscheidende Frage bei diesem Ansatz ist, ab welchem Punkt

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Christian Eidloth 

Infinite Scrollings auf und ist unmittelbar verständlich. Betrachterinnen und Betrachter müssen sich also keine Gedanken über die logische Struktur und ihrer Handlungsoptionen machen – dies entlastet kognitiv. Als Hintergrund kann das (modifizierte) Hintergrundbild der Startseite dienen, es ist aber auch ein monochromer Hintergrund auswählbar. Wird das Hintergrundbild gewählt, kann dieses als identifikatorisches Mittel für eine einzelne Ausstellung in Abgrenzung zu anderen Ausstellungen dienen. Zur Navigation kann am unteren Rand eine Navigationsleiste eingeblendet werden (die Standardeinstellung ist ‚ausgeblendet‘). Sie enthält kleine Bilder als Repräsentationen der Gliederungseinheiten. Deren grafische Darstellung spiegelt den Umfang der jeweiligen Kapitel wider. Dadurch wird zum einen eine schnelle Orientierung, zum anderen ein frei wählbarer Einstiegspunkt ermöglicht. Die grundlegend lineare Struktur der Ausstellung erleichtert die Erstellung von exponatübergreifenden Narrativen. Dies folgt dem Trend, Exponate in größere Zusammenhänge zu stellen, wobei der begleitende Text oft eine tragende Rolle erhält. Exponate werden dann oft nur zur Illustration verwendet oder, je nach Sichtweise ‚degradiert‘ – eine deutliche Abkehr vom ursprünglichen Ausstellungsgedanken.

Abb. 3: Screenshot aus der virtuellen Ausstellung Anton Dohrn, Ausstellungsansicht, Quelle: https:// embed.culturalspot.org/embed/exhibit/tAKyc-0i8CDTJg?position=3%3A1 (letzter Zugriff: 17.05.2020).

die Vorteile einer Imitation, die aus dem Erfahrungsvorsprung resultieren, durch die Limitationen des Modells aus der realen Welt überkompensiert werden, wenn also die Möglichkeiten des Virtuellen zum Beispiel einfachere Verfahren ermöglichen würden.

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Virtuelle Ausstellungen der Bayerischen Staatsbibliothek 

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Eine ‚Hängung‘ im Sinne einer räumlichen Anordnung zur Herstellung von Relationen der Exponate zueinander ist nur sehr beschränkt möglich. Alle Objekte haben die gleichen Maße, wodurch die realen Abmessungen extrem verzerrt werden.

Spezifische Anforderungen der Bayerischen Staatsbibliothek 

Flexibilität 

Bezüglich der Menge an gezeigten Exponate ist Google Arts & Culture systemseitig flexibel. Die Funktionen ‚Vorschau‘, ‚Begleitung‘ und ‚Archivierung‘ können technisch gesehen reichlich befüllt werden. Die Möglichkeiten zur individuellen Gestaltung sind dagegen sehr beschränkt: Man kann zwischen einer horizontalen und einer vertikalen Ansicht wählen. Bei ersterer wird die Ansicht mittels Pfeilen bewegt, letztere ist ein klassischer One-Pager. Hintergrundfarben, Größe der Exponate sowie Typographie sind für alle Ausstellungen identisch, was die Unterscheidbarkeit und jede Art von Branding sehr erschwert. Dafür ist der geringe Gestaltungsaufwand von Vorteil. Für das Erscheinungsbild eines Exponats (innerhalb der Übersicht) gibt es lediglich zwei Varianten: die Vollbildansicht und eine kleinere Ansicht, bei der mehrere Exponate nebeneinander präsentiert werden. Die Detailansichten der Exponate sind immer identisch und können nicht weiter gestaltet werden. Aufwand 

Der Aufwand für die Ergänzung anderer Materialien ist überschaubar, für die Erstellung einer neuen virtuellen Ausstellung ist der Aufwand vergleichbar mit dem einer physischen Ausstellung in der Bayerischen Staatsbibliothek. Die Digitalisate der Exponate werden über die Google Cloud Plattform in das ContentManagement-System (CMS) geladen. Die zum Exponat gehörenden Metadaten werden über eine Google-Tabelle eingespielt und dem Exponat, referenziert über den Dateinamen, zugewiesen. Der Umgang mit dieser Tabelle dürfte ein neuralgischer Punkt sein, weil er ein Maß an Komplexität aufweist, der für Kuratorinnen und Kuratoren mit geringer IT-Affinität nur schwer zu handhaben sein dürfte, zumal nicht regelmäßig Ausstellungen mit Google Arts & Culture eingerichtet werden. Aus den Exponaten wird dann innerhalb des CMS eine Ausstellung zusammengestellt. Das geschieht weitgehend komfortabel und intuitiv. In der Ausstellung können dann Texte (zusätzlich zu den Metadaten),

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Christian Eidloth 

Audiofiles und Videos (nur YouTube) eingebunden werden. Die Formatierung der Zusatztexte verlangt nur einfache HTML-Kenntnisse. Das bedeutet, soweit nicht automatisiert, dass HTML-Tags in das Webinterface eingetragen werden müssen, was sehr umständlich ist. Für den Fall, dass die Idee einer Ausstellung fast eins zu eins ins Virtuelle übertragen wird, bleibt die Konzeption der Ausstellung auch im Virtuellen erhalten. Das bedeutet, dass die Anordnung der Exponate und die Texte nicht überarbeitet werden müssen und damit keine weitere konzeptionelle Arbeit anfällt: ein entscheidender Vorteil.

Resümee und Ausblick  Insgesamt kann konstatiert werden, dass Google Arts & Culture den Vorstellungen und Forderungen, wie sie die Bayerische Staatsbibliothek formuliert hat, gut entspricht.6 Ausnahmen bilden schwerwiegende Usability-Probleme beim gleichzeitigen Lesen des Textes bzw. Hören des Audioguides. Grundsätzlich stellt sich, systemunabhängig, aber die viel grundsätzlichere Frage, inwieweit die Vorstellung, man könne die Konzeption einer physischen Ausstellung möglichst unverändert ins Virtuelle übertragen, überhaupt sinnvoll ist. Rückmeldungen und Tests zeigen diesbezüglich ein uneindeutiges Bild. Die Entscheidung der Besucherinnen und Besucher, sich mit einem Ausstellungsthema längere Zeit zu beschäftigen, fällt weniger bewusst – das gilt unabhängig von der Qualität und Machart einer virtuellen Ausstellung. Die Art der Rezeption scheint im Web doch eine fundamental andere zu sein als in der physischen Welt. Das mag damit zusammenhängen, dass sich die Betrachterin und der Betrachter nicht hypertextuell im virtuellen Raum bewegen kann, was deutlich dem Verhalten und der Erwartungshaltung im Web widerspricht. So stellt sich als entscheidende Frage, wie sich Benutzerinnen und Benutzer für eine längere Zeit an eine virtuelle Ausstellung in ihrer Gesamtheit binden lassen. Diese wird umso dringlicher, als es für die Betrachtung und die innere Auseinandersetzung mit Exponaten eines gewissen ruhigen, ‚meditativen‘ Moments bedarf. Die Bayerische Staatsbibliothek denkt deswegen über ergänzende oder alternierende Angebote nach. Diese sollen wesentlich kürzer, also weniger umfangreich sein bzw. nur einzelne Objekte enthalten, aber auch extrem niedrigschwellig zugänglich sein. Entsprechende Diskussions- und Entscheidungsprozesse halten noch an.

6 Die BSB erstellt im Jahr zwei bis drei Ausstellungen mit der Plattform Google Arts & Culture.

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Udo Andraschke / Mark Fichtner

Digitale Schaudepots und Objektlabore. Digitales Kuratieren   mit der virtuellen Forschungsumgebung WissKI  

„Depots sind die dunkle Seite des Museums.“1 Räume, in denen die Dinge gehortet und den Blicken der Öffentlichkeit meist entzogen werden. Dabei lagert bekanntlich der allergrößte Teil der von Museen und Universitäten gesammelten Objekte in derlei Depots und Magazinen – vielfach ungenutzt und im Wartestand, um die Zeiten zu überdauern, bis sie für Ausstellungen oder zu Forschungs- und Lehrzwecken gebraucht werden. Zunehmend und nicht erst seit den Pandemie-bedingten Schließungen machen Sammlungen und Museen ihre Bestände aber zumindest online zugänglich. Die Art und Weise der Digitalisierung bestimmt dabei wesentlich die Möglichkeiten des Umgangs mit ihnen. Am Germanischen Nationalmuseum (GNM) und ebenso bei den Sammlungen der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) kommt hierfür die Virtuelle Forschungsumgebung WissKI (Wissenschaftliche KommunikationsInfrastruktur) zum Einsatz.2 WissKI vereint die Funktionalitäten einer Datenbank mit denen eines Webportals: Die Eingabe, Verwaltung und Auswertung wissenschaftlicher Daten ist damit ebenso möglich wie der Aufbau eines begleitenden Webauftritts, z. B. eines digitalen Schaudepots oder Objektlabors. Der Anwendungsbereich reicht somit von der Dokumentation von Sammlungen und die forschende Befassung mit ihnen bis hin zu ihrer digitalen Präsentation. Nicht zuletzt wird das System als digitales Werkzeug zur Planung von 1 Thomas Thiemeyer: Das Depot als Versprechen. Warum unsere Museen die Lagerräume ihrer Dinge wiederentdecken, Köln/Weimar/Wien 2018, S. 11. 2 WissKI entstand im Rahmen zweier von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Projekte und in enger Kooperation von Germanischem Nationalmuseum, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg sowie Zoologischem Forschungsmuseum Alexander Koenig. Für weitere Informationen zu WissKI und dessen Ansatz siehe http://wiss-ki.eu/ (letzter Zugriff: 30.07.2021) sowie den Beitrag von Günter Görz: Semantische Annotation, Wissensverarbeitung und Wissenschaftskommunikation in einer virtuellen Forschungsumgebung, in: Kunstgeschichte. Open Peer Reviewed Journal. https://www.kunstgeschichte-ejournal.net/167/ (letzter Zugriff: 30.07.2021).

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(physischen) Ausstellungen sowie als Basis für deren späteren Auftritt im Netz genutzt.3 Im Folgenden sollen zunächst Ansatz und Aufbau dieser Software näher erläutert werden, um daran anschließend deren Gebrauch anhand einiger Beispiele aus der digitalen Praxis der FAU sowie des GNM vorzuführen.

WissKI: Software und Datenmodell  WissKI ist eine quelloffene Software, die insbesondere auf die Dokumentation und Erforschung kulturellen Erbes ausgerichtet ist. Das System ist dabei nicht auf einen bestimmten Fachbereich oder eine bestimmte Objektgattung spezialisiert, sondern lässt vielmehr die Anpassung an ganz spezifische Bedürfnisse und Fragestellungen zu. Entscheidend hierfür ist die Datenmodellierung: Im Datenmodell ist festgelegt, welche Informationen erfasst werden und über welche Merkmale und Kontexte sie miteinander in Beziehung stehen sollen. Über die Datenmodellierung können damit ebenso forschungsorientierte wie kuratorische Perspektiven berücksichtigt und entsprechend skaliert werden.4 Ein besonderes Augenmerk von WissKI liegt auf der semantischen Modellierung und dem Einsatz von Technologien des Semantic Web (z. B. RDF, OWL, SPARQL).5 Sie ermöglichen ein automatisiertes Anreichern der erfassten Daten und stellen – ebenfalls automatisiert – Beziehungen zwischen ihnen her. Auf diese Weise entsteht ein Bedeutungsgeflecht aus vielerlei Informationen und Bezügen, das die Daten (beispielsweise die Daten zu Objekten einer Sammlung) miteinander verknüpft. Wissen wird hier also nicht nur gespeichert, sondern auch produziert. Zu diesem Zweck werden auch externe Datenrepositorien und Wissensressourcen genutzt, soweit sie – wie WissKI selbst – dem Prinzip von Linked Open Data6 folgen. Linked Open Data zielt darauf ab, offene Wissens-

3 WissKI kann vor allem als (semantische) Grundlage für digitale Ausstellungen dienen, für eine aufwändigere Visualisierung bzw. Inszenierung bedarf es darüber hinaus einer entsprechenden Interface-Gestaltung (etwa durch den Einsatz von Generous Interfaces und deren Möglichkeiten zur Exploration und Informationsvisualisierung). 4 Eine forschungsorientierte Datenmodellierung (research-driven) versucht Forschungsfragen nachzubilden, die meist sehr spezifisch sind, weshalb solche Datenmodelle nicht unbedingt nachnutzbar sind. Datenmodelle, die vornehmlich kurative Aufgaben berücksichtigen (curationdriven), sollen die digitalen Ressourcen hingegen möglichst für eine nachhaltige Erschließung nutzbar machen. Die Datenmodellierung mit WissKI erfolgt zumeist im Spannungsfeld von beidem. Zur Datenmodellierung allgemein sowie zur Unterscheidung von research-driven und curation-driven vgl. Fotis Jannidis: Grundlagen der Datenmodellierung, in: Fotis Jannidis, Hubertus Kohle, Malte Rehbein (Hrsg.): Digital Humanities. Eine Einführung, Stuttgart 2017, S. 99–108, hier S. 102. 5 Vgl. https://www.w3.org/standards/semanticweb/ (letzter Zugriff: 30.07.2021). 6 Vgl. https://www.w3.org/egov/wiki/Linked_Open_Data (letzter Zugriff: 30.07.2021).

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pools, denen eine semantische Struktur zugrunde liegt, miteinander zu vernetzen. Daten sollen danach frei verfügbar und im World Wide Web abrufbar bzw. adressierbar sein. So lassen sich etwa extern kuratierte Normvokabulare und Thesauri einbinden, um die eigenen Daten anzureichern.7 Die Vorteile liegen auf der Hand: Das System nutzt bestehende und wissenschaftlich bereits bewährte Daten Dritter, um das Bedeutungs- und Beziehungsgeflecht der eigenen Datenbestände zu erweitern. Zugleich profitiert die Qualität der eigenen Daten von der Einbindung solcher Standards und befördert deren Anschlussfähigkeit und Nutzbarkeit. Die semantische Modellierung mit WissKI8 erfolgt auf Grundlage des Conceptual Reference Model des Internationalen Komitees für Dokumentation (CIDOC CRM)9, einem standardisiertem und immer wieder aktualisiertem Beschreibungsmodell für die Dokumentation kulturellen Erbes. Das CIDOC CRM besteht aus ca. 90 sogenannten Klassen oder Konzepten (Entities), dies können beispielsweise physische Objekte, Orte, Personen oder auch Ereignisse sein, sowie ca. 150 Relationen bzw. Eigenschaften (Properties), mittels derer diese Klassen miteinander in Beziehung gesetzt werden können. Die Klassen und Eigenschaften sind dabei hierarchisch strukturiert. Jede Klasse und jede Relation ist zudem mit einer Scope Note versehen, die deren Bedeutung und Anwendungsbereich definiert. Auf diese Weise können Sachverhalte wie etwa die Herstellung eines Objekts in einer standardisierten und logischen Sprache sehr genau und überdies vereinheitlicht beschrieben bzw. modelliert werden. Das CIDOC CRM wird deshalb auch als Referenzontologie bezeichnet. Unter einer Ontologie wird in diesem Zusammenhang eine zwischen Menschen geteilte formalisierte Sprache zur Beschreibung von Begriffen und deren Beziehungen zueinander verstanden, die maschinenlesbar umgesetzt wurde.10 Ontologien werden mithin genutzt, um Wissen formal zu definieren, zu kategorisieren, zu beschreiben und zu inferieren. Sie zeichnen sich darüber hinaus durch ihre Erweiterbarkeit aus: So kann das CIDOC CRM als grundlegende Ontologie je nach Forschungsfrage, Fachgebiet oder auch Sammlungsprofil um weitere fach- oder sammlungsspezifische Anwendungsontologien erweitert werden.11

7 So z. B. die Gemeinsame Normdatei (GND) der Deutschen Nationalbibliothek zur Referenzierung von Personen- oder Körperschaftseinträgen. Vgl. https://www.dnb.de/DE/Professionell /Standardisierung/GND/gnd_node.html (letzter Zugriff: 30.07.2021). 8 Vgl. hierzu auch den Aufsatz von Görz: Semantische Annotation. 9 CIDOC steht für Comité International pour la Documentation, ein Komitee des Internationalen Museumsverbandes ICOM. Zum CIDOC CRM siehe http://cidoc-crm.org/ (letzter Zugriff: 30.07.2021). 10 Vgl. zur Definition von Ontologien Nicola Guarino, Daniel Oberle, Steffen Staab: What is an Ontology?, in: Steffen Staab, Rudi Studer (Hrsg.): Handbook on Ontologies, Dordrecht 2009, S. 1–17. 11 Vgl. zum Einsatz und zur Bedeutung von Ontologien den Beitrag von Georg Hohmann, Mark Fichtner: Chancen und Herausforderungen in der praktischen Anwendung von Ontologien für

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WissKI sieht gar ein dreischichtiges Ontologienmodell vor: Als übergeordnete erste Schicht wird mit dem sogenannten Erlangen CRM eine Referenzontologie etabliert,12 auf die sich alle darunterliegenden Schichten in ihren Konzepten beziehen. In der zweiten Schicht wird eine Subontologie eingeführt, die erste systemrelevante Erweiterungen vornimmt und beispielsweise Datentypen einführt, die im CIDOC CRM nicht näher spezifiziert sind. In einer letzten Schicht kommen dann die bereits erwähnten Anwendungsontologien zum Tragen. Hier werden Konzepte und Eigenschaften modelliert, die für einen bestimmten Anwendungsfall benötigt werden: etwa für ein Forschungsprojekt mit entsprechend konkreter Forschungsfrage, die Dokumentation eines Objektbestandes oder auch das Kuratieren einer (digitalen) Ausstellung. Damit verfügt das System über ein hohes Maß an Flexibilität und Granularität. Die so in WissKI semantisch erschlossenen Daten werden schließlich in einem sogenannten Triplestore bzw. einer Graphdatenbank gespeichert. Neben der Erschließung und Vernetzung von Objekten bietet WissKI als eine modulare Erweiterung des Content-Management-Systems Drupal zahlreiche Funktionen dieses Systems, die für die Verwaltung einer Sammlung oder auch das Kuratieren einer Ausstellung benötigt werden, wie die Steuerung von Zugriffsrechten, die Verwaltung von Foren und Wikis zum kollaborativen Arbeiten, die Einbettung verschiedener Bildviewer, diverse Möglichkeiten zur Textverarbeitung oder auch die Sicherstellung des Langzeiterhalts kuratierten Wissens. WissKI lässt sich somit gleichermaßen als Dokumentations- und Verwaltungsinstrument wie als Forschungsumgebung nutzen.

WissKI als virtuelle Forschungsumgebung und digitaler Sammlungsraum   Auch die Objekte der annähernd 30 Sammlungen der Universität ErlangenNürnberg lagern in weiten Teilen und auf diverse Standorte verteilt in ihren Depots. Um die Sicht- und Nutzbarkeit der nur bedingt verfügbaren Bestände zu erhöhen, startete 2017 das Vorhaben „Objekte im Netz“,13 in dessen Rahmen die universitären Dingwelten möglichst umfassend und auf Grundlage von WissKI

das Kulturerbe, in: Caroline Robertson-von Trotha, Ralf Schneider (Hrsg.): Digitales Kulturerbe. Bewahrung und Zugänglichkeit in der wissenschaftlichen Praxis, Karlsruhe 2015, S. 115–128. 12 Das Erlangen CRM ist die offiziell anerkannte, ebenfalls quelloffene Implementierung des CIDOC CRM in der Web Ontology Language (OWL), http://erlangen-crm.org (letzter Zugriff: 30.07.2021). 13 Siehe die Projektseite https://objekte-im-netz.fau.de/projekt/ (letzter Zugriff: 30.07.2021). Das Projekt wurde von 2017 bis 2020 durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert.

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Digitale Schaudepots und Objektlabore 

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dokumentiert und ins Netz gebracht werden sollen.14 Das Projekt begann mit zunächst sechs ausgesuchten Sammlungen, versteht sich aber als laufendes und längst nicht abgeschlossenes Unterfangen.15 Die digitalisierten Bestände werden dabei in einem gemeinsamen, sammlungsübergreifenden Webportal16 zusammengeführt, das man als auch digitales Schaudepot17 bezeichnen könnte: Es versammelt die unterschiedlichsten Objekte unter einem virtuellen Dach und vermittelt auf diese Weise eine Ahnung von der Fülle und Vielfalt der Objekte, über die Universität verfügt und von denen sie nur einen Bruchteil nutzt oder zeigt. Die Nähe sonst disziplinär getrennter Objekte – u. a. treffen hier Geburtszangen und Dünnschliffe auf Dürer-Graphiken und Kinderzeichnungen – soll neugierig machen und Fragen aufwerfen, beispielsweise nach der Herkunft und Bedeutung der Objekte oder auch schlicht danach, warum eine Universität derlei Dinge überhaupt sammelt. Die Referenzen an die wirklichen Depots und Magazine bleiben dabei unübersehbar: Die Mehrheit der Objekte wird über die Angabe ihrer Metadaten hinaus nicht weiter erklärt, Leerstellen und Lücken werden, wenn auch mit gelegentlicher Sorge, hingenommen (sind aber zugleich ständige Aufforderung und Einladung zur weiteren Erschließung), die Abbildungen, oft Arbeitsfotografien aus den Sammlungen, verzichten auf Inszenierung.18 Daneben, aber mit dem gemeinsamen Auftritt eng verbunden, unterhalten die am Projekt und Portal beteiligten Sammlungen eigene Webauftritte und Sammlungs-Instanzen.19 Diese richten sich im Unterschied zum Portal, das eine

14 Zum Projekt und seiner Durchführung vgl. Udo Andraschke, Sarah Wagner: Objekte im Netz. Digitalisierung und Dynamisierung der Sammlungen der Universität Erlangen-Nürnberg, in: Udo Andraschke, Sarah Wagner (Hrsg.): Objekte im Netz. Wissenschaftliche Sammlungen im digitalen Wandel, Bielefeld 2020, S. 115–128. 15 Dies bezieht sich nicht allein auf die Sammlungen und Bestände, die es noch zu erfassen gilt, sondern betrifft gerade auch die (Informations-)Visualisierung sowie die Möglichkeiten zur Exploration und Navigation. 16 Vgl. https://objekte-im-netz.fau.de/portal (letzter Zugriff: 30.07.2021). 17 Zur Geschichte von Schaudepots bzw. Depotausstellungen, ihren Vermittlungsabsichten sowie auch zu ihren epistemologischen und politischen Implikationen vgl. Thiemeyer: Das Depot als Versprechen. 18 Die Erlanger Sammlungen befinden sich damit in guter Gesellschaft mit denen des Louvre, der sich ebenfalls entschieden hat, seine Bestände zugänglich zu machen, ohne bereits von allen Objekten ‚beauty shots‘ angefertigt zu haben. Etliche Bilder zeigen vielmehr die Spuren des Depots wie Etiketten oder Verpackungsmaterial, variieren in der Ausleuchtung und der Art ihrer Darstellung. Darüber hinaus beschränken sich zahlreiche Objekteinträge auf nur wenige Informationen und weisen eher auf Lücken hin als sie zu schließen. Vgl. https://collections.louvre.fr (letzter Zugriff: 30.07.2021). 19 Siehe etwa den digitalen Sammlungs- und Studienraum der Ur- und Frühgeschichte: http://objekteim-netz.fau.de/ufg (letzter Zugriff: 30.07.2021).

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breitere Öffentlichkeit adressiert, insbesondere an die jeweiligen Fachcommunites. Sie operieren etwa mit den Klassifikationen und Vokabularen der jeweiligen Fachdisziplinen und orientieren sich an den Anforderungen und Bedürfnissen der Wissenschaft, wenngleich sie – mit Ausnahme des Zugriffs auf sensible Daten – allen Interessierten offenstehen. Zudem werden je nach Fachbereich und Fragehorizont zusätzliche Objektinformationen, Recherchemöglichkeiten und interaktive Anwendungen eingebunden, die das Forschen mit den digitalisierten Beständen unterstützen sollen. So gesehen ließen sich diese digitalen Sammlungsräume auch als ‚Objektlabore‘ betrachten, als Orte oder ‚Plattformen‘ der forschenden Auseinandersetzung und nicht nur als solche der Sammlungspräsentation.

Objekte erforschen   Am GNM wird WissKI in ganz unterschiedlichen Bereichen kuratorischer Praxis eingesetzt. So kommt die Software beispielsweise in einem Forschungsprojekt zur Tafelmalerei zur Anwendung: Seit 2013 sind die am GNM bewahrten Tafelgemälde des 13. bis 15. Jahrhunderts Gegenstand intensiver kunsthistorischer und kunsttechnologischer Analyse.20 Der Bestand von etwa 250 Gemälden aus ganz Deutschland zählt nach Umfang und künstlerischer Qualität zu den bedeutendsten seiner Art. Die Untersuchungen daran umfassen Maltechnik und Entstehungsgeschichte sowie die durch Alterung oder Überarbeitungen bedingten Veränderungen des ursprünglichen Erscheinungsbildes. Weiterhin wird nach den künstlerischen Charakteristika, der Ikonographie und den Darstellungstraditionen der Werke gefragt. In übergreifender Perspektive werden außerdem neue Erkenntnisse zur Rolle der Bilder als Bedeutungsträger, zur religiösen Praxis im Spätmittelalter sowie den Produktionsbedingungen des damaligen Werkstattbetriebs gewonnen.21 WissKI dient in diesem Zusammenhang als virtuelle Forschungsumgebung, welche die Vielzahl der hier anfallenden Forschungsfragen, Einzeluntersuchungen und -ergebnisse zusammenführt sowie ein gemeinsames Arbeiten mit den gesammelten und vernetzten Daten ermöglicht.

20 Das Vorhaben wurde in den Jahren 2013 bis 2017 von der Leibniz-Gemeinschaft gefördert, 2017 bis 2018 von der DFG sowie seit 2019 und bis 2022 vom BMBF. 21 Siehe hierzu auch die Webseite des Projekts: https://tafelmalerei.gnm.de/Projekt (letzter Zugriff: 30.07.2021).

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Abb. 1: Screenshot einer Seite der frei zugänglichen Forschungsplattform zur Tafelmalerei mit IIIFbasiertem Zugang zu den Untersuchungsergebnissen. Die Nutzerinnen und Nutzer können die Bilder u. a. über die Funktion „Bild-Manipulation“ genauer betrachten und analysieren, Quelle: https://tafelmalerei.gnm.de/objekt/Gm2321_1 (letzter Zugriff: 30.07.2021).

Darüber hinaus wurden in WissKI digitale Tools integriert, die ganz unmittelbar die bildwissenschaftliche Forschung unterstützen. Von besonderer Relevanz war hierbei die Etablierung des International Image Interoperability Frameworks (IIIF),22 ein technischer Standard mit dem Ziel, einen einheitlichen Zugang zu bildbasiertem Kulturgut aus der ganzen Welt zu ermöglichen. Die Implementierung dieses Standards ermöglicht es u. a., die eigenen Bestände in den Kontext anderer Sammlungen zu stellen, die IIIF ebenfalls nutzen. Kunsthistorische Methoden wie das vergleichende Sehen erfahren hierdurch gänzlich neue Möglichkeiten, die so nur der digitale Raum gestattet. Zunächst nur intern angewendet, wurde die Forschungsplattform vor zwei Jahren auch online zugänglich gemacht: Sie vermittelt seither Einblicke in den Bestand und die forschende Befassung mit ihm. Neben klassischen Abbildungen, also Digitalisaten der bislang analysierten Gemälde, sowie den dazugehörigen Forschungsprimärdaten finden sich hier u. a. die Resultate der bildgebenden Untersuchungsverfahren, die seitens der kunsttechnologischen Forschung durchgeführt wurden (z. B. Infrarot-Reflektografie, Radiografie oder UV-Fluoreszenzfotografie).23 Die Projektseite erscheint damit primär als ein Ort der Forschung, deren Ergebnisse hier allerdings nicht nur sichtbar gemacht, 22 Siehe https://iiif.io/ (letzter Zugriff: 30.07.2021). 23 https://tafelmalerei.gnm.de/Objekte (letzter Zugriff: 30.07.2021).

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sondern auch zur Verfügung gestellt werden. Die eigentlichen Objekte, die Tafelmalereien bzw. ihre digitalen Reproduktionen, gehen darüber nicht verloren. So fern einem die Originale aufgrund der digitalen Distanz auch erscheinen mögen, so nah lässt sich ihnen doch kommen, da sie sich im digitalen Raum in allen Details und ohne den im Museum sonst üblichen gebührenden Abstand betrachten lassen. Die Präsentation der Tafelbilder bietet den Nutzerinnen und Nutzern damit weit mehr als eine schlichte Galerie hochaufgelöster Digitalisate. Sie folgt vielmehr – ausgestattet mit den Mitteln einer virtuellen Forschungsumgebung – den Intentionen eines Studiolo (oder Objektlabors), das Kunstwerke nicht bloß zeigt, sondern auch deren gründliches Studium der Kunstwerke ermöglicht.

Ausstellungen planen und präsentieren  Mit der Vorbereitung der Ausstellung Monster. Fantastische Bilderwelten zwischen Grauen und Komik (2013)24 begann die erste Ausstellungsplanung auf Basis einer eigens dafür aufgesetzten WissKI-Instanz. Neben den wichtigsten (Meta-)Daten zu den Exponaten selbst konzentrierte sich die damalige Anwendung auf Sammlungs- und Personendaten, auf wissenschaftliche Publikationen zu den Objekten sowie auf deren Verwaltung. Eine wesentliche Funktion war darüber hinaus die Anzeige der letztlich ausgesuchten Exponate in der avisierten Reihenfolge mittels Präsentationsgruppen und eines laufenden Nummernsystems, die es dem damaligen Kurator ermöglichten, die Objekte in der gewünschten Abfolge und Dramaturgie zu sehen, etwaige Lücken oder Redundanzen zu erkennen und auch auf späte Leihabsagen schnell reagieren zu können, da das System auch verworfene Exponatideen dokumentierte und bei Bedarf anbieten konnte. Die Anwendung wurde für die folgenden Ausstellungsvorhaben weiter verfeinert, immer größere Teile des Ausstellungsteams wurden miteinbezogen und deren Arbeitsabläufe digital abgebildet. In Kombination mit den Vorteilen eines webbasierten Content-Management-Systems erfolgte die Erfassung, die Recherche oder die Bearbeitung von Ausstellungstexten orts- und geräteunabhängig und mitunter mit dem Tablet in der Ausstellungshalle vor Ort. Zuletzt wurde WissKI nicht mehr nur als mittlerweile am Haus etabliertes digitales Werkzeug zur Ausstellungsplanung eingesetzt, sondern diente ebenso als Grundlage für die Erstellung der Medienguides, die u. a. die Ausstellung Europa auf Kur: Ernst 24 Laufzeit der Ausstellung: 07.05. bis 06.09.2015. Vgl. Germanisches Nationalmuseum (Hrsg.): Monster: fantastische Bilderwelten zwischen Grauen und Komik, bearb. von Peggy Große, G. Ulrich Großmann und Johannes Pommeranz, Nürnberg 2015.

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Ludwig Kirchner, Thomas Mann und der Mythos Davos begleiteten.25 Ergänzend zur physischen Ausstellung, durch die sich Besucherinnen und Besucher gerade bewegten, erhielten sie hier vertiefte Erläuterungen zu ausgesuchten Objekten, vergrößerte Detailaufnahmen sowie weitere, über die eigentliche Ausstellung hinausgehende Zusatzangebote wie 3D-Modelle oder Filme. Zugleich fanden eine Reihe dieser Angebote Eingang in die digitale Repräsentation der Ausstellung im Internet, zu der auch ein virtueller Rundgang durch die einzelnen Ausstellungsabteilungen zählt.26 All diese Angebote machen Europa auf Kur nicht schon zu einer genuin ‚digitalen Ausstellung‘ – eher ließe sich von einem digitalen Auftritt sprechen, für den die (mehrheitlich) analoge Ausstellung in den digitalen Raum transponiert wurde. Gleichwohl zeigen sich an diesem Beispiel die wachsenden Einsatzmöglichkeiten einer Software und Plattform wie WissKI für den kuratorischen Prozess und die digitale Präsentation.

Objekte katalogisieren und exponieren   Neben solchen projektbezogenen Anwendungen im Zuge von Ausstellungsund Forschungsprojekten mit ihren oft spezifischen Anforderungen lässt sich WissKI – wie schon am Erlanger Beispiel gesehen – ebenso für die Sammlungsdokumentation und -präsentation einsetzen. So wird seit 2020 auch für den Objektkatalog des GNM27, dem bis dahin eine andere Software zu Grunde lag, WissKI genutzt. Durch die Abstraktion der Speicherschicht bietet das System die Möglichkeit, diverse externe Datenquellen, wozu auch gängige Museumsdatenbanken zählen, mit Schnittstellen zum direkten Zugriff auf die Metadaten zu den eigenen Beständen zu integrieren. Auf diese Weise lässt sich auf alle bestehenden digitalen Bestände des GNM zugreifen, um mit ihnen zu arbeiten, sie zu verwalten oder digital zu publizieren.

25 Laufzeit der Ausstellung: 18.02. bis 03.10.2021. Vgl. Daniel Hess (Hrsg.): Europa auf Kur. Ernst Ludwig Kirchner, Thomas Mann und der Mythos Davos. Begleitband zur Ausstellung im Germanischen Nationalmuseums, Nürnberg und im Kirchner Museum Davos, Nürnberg 2021. https://www.gnm.de/ausstellungen/sonderausstellung/europa-auf-kur (letzter Zugriff: 30.07.2021). 26 Siehe den Medienguide auf der Webseite der Ausstellung: https://audio.gnm.de/medienguidedavos (letzter Zugriff: 30.07.2021) sowie als weiteres digitales Angebot die Digital Story, die eng den Kapiteln der Ausstellung folgt: https://europa-auf-kur.gnm.de (letzter Zugriff: 30.07.2021). Der virtuelle Rundgang durch die Ausstellung findet sich unter https://europa-aufkur.gnm.de/panoramas360/ (letzter Zugriff: 30.07.2021). 27 Siehe https://objektkatalog.gnm.de/ (letzter Zugriff: 30.07.2021).

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Udo Andraschke / Mark Fichtner 

Abb. 2: Screenshot einer Seite des neuen Objektkatalogs des GNM, Quelle: https://objektkatalog.gnm.de/ (letzter Zugriff: 30.07.2021).

Das Zusammenspiel aus klassischem Content-Management-System (Drupal) und semantischer Technologie liefert die dafür notwendigen Features, z. B.: – eine schreibformflexible und fehlertolerante Volltextrecherche über alle Felder des Datenbestandes von derzeit über 140.000 publizierten Objekten hinweg, – eine facettierte Suche mit Angaben zu Herkunft, Zeit, Kategorie sowie etlichen weiteren Facetten, – die Anreicherung mit weiterführenden Texten beispielsweise aus dem Bereich der Vermittlung oder – den Ausschluss sensibler Daten für die Öffentlichkeit. Der gewünschte Funktionsumfang des neuen Objektkatalogs wurde somit schrittweise mit gängigen Methoden umgesetzt. Persistente Zitierlinks wurden dabei aus dem alten System übernommen und behalten auch im neuen ihre Gültigkeit. Der Objektkatalog profitiert dabei fortlaufend von sämtlichen Neuerungen, die für Drupal und WissKI entwickelt werden. So ist auch der Objektkatalog des GNM vollständig IIIF-fähig, wodurch die Datenbestände international sichtbar und anschlussfähig werden. Mit dem neuen Objektkatalog sind darüber hinaus alle Metadaten zu den Objekten sowie deren digitale Abbildungen für Forschende wie für eine interessierte Öffentlichkeit gleichermaßen zugänglich und etwa für digitale Ausstellungen nachnutzbar. Für den Austausch mit inter-

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Digitale Schaudepots und Objektlabore 

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nationalen Konsortien bietet der Katalog überdies die Möglichkeit zur Einrichtung elaborierterer Metadatenformate wie OAI-PMH, DC oder LIDO als Schnittstellen.

Digital(e) Räume öffnen   Bereits die wenigen Beispiele zeigen, dass die Digitalisierung Museen und Sammlungen eine Vielzahl neuer Möglichkeiten des Austauschs und der Auseinandersetzung mit ihren Objekten eröffnet, aber ebenso mit ihren Besucherinnen und Besuchern bzw. Nutzerinnen und Nutzern. Die dafür zur Verfügung stehenden digitalen Plattformen, Werkzeuge und Technologien – für die WissKI hier nur ein Beispiel ist – erlauben von der Objekterschließung bis zur Sammlungsvisualisierung vielseitige Zugriffe auf die sonst im Depot bewahrten und verborgenen Dinge. Sie gestatten multiperspektivische Betrachtungen, verknüpfen Objekt- und Datenbestände vielfältig miteinander, schaffen Schnittstellen zu anderen Sammlungen und Wissensressourcen und stiften nicht zuletzt dadurch neue inhaltliche Zusammenhänge. Vor allem aber ermöglichen digitale Sammlungsräume Öffnung und Teilhabe: Selbst sonst kaum verfügbare Bestände werden durch ihre Digitalisierung sicht- und nutzbar, sofern die Daten auch freigegeben werden und online zugänglich sind. Etliche digitale Sammlungen und Ausstellungen laden darüber hinaus zum Austausch und zu gemeinsamer Wissensproduktion ein. Bei allen Verlusten, die mit dem Umzug einer physischen Ausstellung oder Sammlung ins Digitale notwendig einhergehen (und trotzdem immer wieder aufs Neue beklagt werden), stellen auch digitale Sammlungs- und Ausstellungsräume Transferzonen und mithin Räume der Interaktion dar, die es künftig noch weit mehr zu öffnen und zu gestalten gilt.28

28 Mit Blick auf die gegenwärtigen Anforderungen an Museen sei am Ende noch auf einen Beitrag von John Overholt hingewiesen, Kurator an der Harvard University. Overholt formuliert darin fünf Thesen für die Zukunft von „special collections“ – gemeint sind hier historische Bücher und Manuskripte –, die allerdings auch über Spezialsammlungen hinaus Gültigkeit beanspruchen können: „The future of special collections is distribution“, „The future of special collections is openness“, „The future of special collections is disintermediation, „The future of special collections transformation“, „The future oft special collections is advocacy“. Vgl. John Overholt: Five Theses on the Future of Special Collections, in: RBM: A Journal of Rare Books, Manuscripts, and Cultural Heritage 14.1 (2013), S. 15–20. http://nrs.harvard.edu/urn-3:HUL.InstRepos:10601790 (letzter Zugriff: 30.07.2021).

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Sebastian Fischer

Von der Bestandserfassung zur vernetzten Sammlungs‐ präsentation. Die Entwicklung der digitalen Sammlung   des Deutschen Optischen Museums  

Das Deutsche Optische Museum (D.O.M.) in Jena befindet sich aktuell in einem Prozess der kompletten Neuaufstellung, um das nationale Leitmuseum für Optik zu werden. Mit seinen einzigartigen Sammlungen will das Haus als Plattform und Dienstleister für Forschung in Erscheinung treten. Zu diesem Zweck werden die gesamten Sammlungsbestände des Hauses erfasst, eine neue digitale Infrastruktur für eine zeitgemäße Museumsarbeit und -forschung sowie ein innovatives Portal für eine vernetzte Sammlungspräsentation entwickelt. Der Beitrag zeichnet die bisherigen Schritte der Sammlungsdigitalisierung nach, ordnet diese ein und gibt einen Ausblick auf weitere Planungen in Richtung einer digitalen Sammlung mit integriertem Online-Portal.

Das Deutsche Optische Museum und seine Sammlung1  Die Stiftung Deutsches Optisches Museum wurde 2017 als Public-Private-Partnership gegründet.2 Als Stifter fungieren einerseits die Ernst-Abbe-Stiftung, die Carl-Zeiss-Stiftung und die Carl Zeiss AG, andererseits die Stadt Jena und die Friedrich-Schiller-Universität Jena. So verfügt das Museum sowohl über enge Verbindungen in die industrielle Optikforschung als auch in die universitäre Grundlagenforschung und Lehre. Im Jahr 2018 übernahm die neue Stiftung den Betrieb des Optischen Museums Jena. Dieses war 1922 von der Carl-Zeiss-Stif-

1 Timo Mappes u. a.: Deutsches Optisches Museum (D.O.M.): Konzept und Umsetzung, in: Thüringer Museumshefte 29 (2020), S. 50–58. 2 Satzung der Stiftung Deutsches Optisches Museum (Fassung vom 13.04.2017). https://deutschesoptisches-museum.de/fileadmin/websitedata/stiftung/Satzung_der_Stiftung_DOM.pdf (letzter Zugriff: 12.08.2021).

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tung gegründet worden und befand sich im Rahmen der Neugliederung der ehemaligen Einheiten des VEB Carl Zeiss Jena seit 1992 unter Trägerschaft der Ernst-Abbe-Stiftung. Als Standort dient weiterhin die ehemalige Optikerschule am Carl-Zeiss-Platz im Zentrum der Universitätsstadt. Mit den beschriebenen Entwicklungen gelangten auch die Sammlungen des Optischen Museums in die Obhut des D.O.M. Zu den Hauptzielen der Neuaufstellung zählen: – die Kernsanierung des denkmalgeschützten Gebäudes der ehemaligen Optikerschule als modernes Museums- und Ausstellungsgebäude, – die Erweiterung des Museums durch den Bau eines neuen Eingangsgebäudes inkl. Museums-Café, Shop und Flächen für die Vermittlungsarbeit, – die Konzeption und Umsetzung einer neuen Dauerausstellung zu Geschichte, Gegenwart und Forschung im Bereich der Optik mit einem hohen Grad an Interaktion, – die systematische Erweiterung und vollständige wissenschaftliche Erschließung der Sammlungen, – die Digitalisierung der Sammlungsbestände und der damit verbundenen Arbeits- und Forschungsprozesse sowie – eine möglichst umfassende Veröffentlichung der Sammlungsbestände über ein eigenes Sammlungs- und Forschungsportal im Internet. Die Bestände des D.O.M. gliedern sich in die drei klassischen Gruppen von Sammlungsgut: museale, archivalische und bibliothekarische Objekte. Das Haus verfügt neben seinen Beständen an technischen Geräten und optischen Hilfsmitteln über eine kleine Kunstsammlung, eine historische Bibliothek, die gut 5.000 Bände umfasst, sowie eine Arbeitsbibliothek mit aktuell knapp 2.000 Bänden. Den Kern der archivalischen Sammlung stellt sogenannte graue Literatur dar. Bei den ca. 12.000 Titeln handelt es sich vor allem um Bedienungsanleitungen und Produktkataloge, aber auch um Firmenzeitschriften, die einen wissenschaftlichen Zugang zu den technischen Beständen oft erst ermöglichen. Daneben besteht noch ein Hausarchiv mit der nicht lückenlosen Sammlungs-, Ausstellungs- und Veranstaltungsdokumentation des ehemaligen Optischen Museums sowie mit Archivübernahmen anderer Institutionen, etwa des Jenaer Zeiss-Planetariums.

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Von der Bestandserfassung zur vernetzten Sammlungspräsentation 

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Ziele der digitalen Sammlung des D.O.M.  „Die Digitale Sammlung ist ein […] ambivalentes Inventar, eine Art Datenspeicher, der digitale multimediafähige Daten enthält und als eine zentrale, sich ständig erweiternde Ressource wiederverwendbarer Daten verstanden werden darf. Der Aspekt der Auswertung digitalen Datenmaterials durch die Instrumente der Multimedia- und Kommunikationstechnologie wird künftig einen höheren Stellenwert einnehmen. An diesem Punkt unterstützt und erweitert die Digitale Sammlung die klassischen museologischen Arbeitsfelder der Vermittlung. Darüberhinaus [sic!] ist sie als eine langfristige Investition zu betrachten, die mit jeder Dateneingabe einen Wertzuwachs erhält.“3

So beschrieb der Kunsthistoriker und Kurator Harald Krämer bereits 2001 das Wesen und den Zweck einer digitalen Sammlung im Museum. Was damals zwar noch nicht im Rahmen der technischen Möglichkeiten lag, hat bis heute nichts von seiner Gültigkeit eingebüßt und gilt weiterhin als Ziel des D.O.M. Dessen großangelegtes Digitalisierungsprojekt startete im Laufe des Jahres 2018 und verfolgt zwei Kernziele: einerseits die Etablierung einer stabilen digitalen Infrastruktur, deren Kern eine an die Bedürfnisse eines technik-historischen Museums angepasste Museumsdatenbank darstellt, und andererseits eine möglichst weitgehende Erschließung und digitale Inventarisierung aller Bestände in Form von Bild- und Metadaten bis zur geplanten Neueröffnung des Hauses 2024. Wichtig hierbei ist eine stetige Erweiterung und zunehmende Vernetzung aller Datenbankinhalte, um diese zu einem immer wirkmächtigeren Instrument für die Arbeit des Museums auszubauen und um möglichst tief erschlossene Sammlungsinformationen öffentlich, auf einem eigenen digitalen Sammlungsportal, aber auch über andere, regionale und überregionale Kulturportale zu präsentieren. So wird in Zukunft beispielsweise schnell und öffentlich recherchierbar sein, welches Mikroskop in welchem Stück grauer Literatur genannt wird, sich also etwa in einem Produktkatalog wiederfindet, ob eine Bedienungsanleitung oder der Vordruck eines Garantiescheins vorhanden ist, welche Produktionsunterlagen zu diesem Objekt im Museum vorliegen, in welchen weiteren Publikationen das Gerät eine Rolle spielt und in welchen Ausstellungen es zu sehen war bzw. ist. Zusätzlich werden umfassendere Details in der Datenbank hinterlegt, die nur für Museumsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter oder im Rahmen von Forschungsvorhaben zugänglich sein werden. Dazu gehören Informationen zu administrativen Vorgängen der Museumsarbeit, wie etwa zur Verwendung von Digitalisaten, z. B. in den sozialen Medien, auf Plakaten, Flyern oder in wissenschaftlichen Publikationen. Außerdem wird die Organisation von Veranstaltungen, Ausstellungs- und Forschungsprojekten sowie die anschließende Ablage 3 Harald Krämer: Museumsinformatik und Digitale Sammlung, Wien 2001, S. 162.

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von Forschungsergebnissen über die Datenbank erfolgen. Die digitale Infrastruktur des D.O.M. verzeichnet somit nicht nur die Sammlungsbestände des Hauses, sondern unterstützt und dokumentiert alle zukünftigen Projekte des D.O.M. und entwickelt sich so als digitale Sammlung zu einem Rückgrat für die gesamte Museumsarbeit.

Sammlungsdigitalisierung und digitale Infrastruktur  Vor dem Beginn des Digitalisierungsprojekts wurden die Sammlungen des Hauses analysiert und ihr Dokumentationsstand bewertet. In der Geschichte des Museums wurde – wie bei vielen anderen Häusern auch – mehrmals mit der Inventarisierung der Bestände begonnen, diese aber nicht konsequent oder kontinuierlich weitergeführt. So muss von einer fragmentierten Sammlungsdokumentation gesprochen werden, in der die verschiedenen Sammlungsteile unvollständig und in unterschiedlicher Erschließungstiefe erfasst wurden. Daher war zu Beginn des Projekts nur eine Schätzung der Bestandsgröße möglich, die letztlich stark hinter den realen Zahlen zurückblieb. Ähnlich unbefriedigend stellte sich die Datenbankensituation dar: Es gab mehrere, nicht mehr aktiv betreute Access-Datenbanken, u. a. für den Bestand an technischen Geräten. Nur eine davon, die weitgehend vollständige Datenbank für die historische Bibliothek, war überhaupt für eine direkte inhaltliche Verwertung geeignet. Von allen Datenbanken wurden daher Sicherungen und Exporte, unter anderem in leicht zugängliche Excel-Tabellen, erstellt. Aufgrund dieser Ausgangssituation war ein Neustart der digitalen Inventarisierung notwendig. Hinzu kam die Herausforderung des unausweichlichen Auszugs des Museums in ein Zwischendepot. Vor diesem Hintergrund entstand eine Webanwendung sowohl für die Schnellerfassung als auch für die flexible Standortverwaltung aller Sammlungsbestände, die in Zusammenarbeit mit der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena (ThULB) umgesetzt wurde (Abb. 1). Erste Tests begannen im Sommer 2019. Hierfür wurden bereits alle Räumlichkeiten und Objektstandorte im Museumsgebäude mit Identifikationsnummern samt Standort-ID (Strichcode) versehen, um zunächst den Ursprungsstandort jedes Objekts zu dokumentieren. Im Herbst wurde dann mit der vollständigen Sammlungserfassung begonnen. Bei dieser Ersterfassung, die mittlerweile nur noch im Rahmen von Sammlungseingängen zum Einsatz kommt, wird zunächst jedes Objekt mit einer Identifikationsnummer (Objekt-ID) samt Strichcode versehen und – mithilfe eines Tablet-Computers und eines Handscanners – in der Anwendung angelegt. Es folgen der Lagerort im Museum (Standort-ID) mit Ob-

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jektfotos, die direkt über die Tablet-Kamera gemacht werden und den Objektzustand dokumentieren. Danach werden die notwendigen Grunddaten angelegt (Bezeichnung, Hersteller, Herstellungsort, Herstellungsjahr). Falls nötig, können sie durch weitere Informationen, z. B. Seriennummern, ergänzt werden. Hierbei wird das Museumsteam von geschulten studentischen und wissenschaftlichen Hilfskräften unterstützt. Ursprünglich war für die Ersterfassung auch eine Bemaßung der Objekte vorgesehen, die aufgrund des vorhandenen Zeitdrucks leider noch nicht umgesetzt werden konnte.

Abb. 1: Objektschnellerfassung am D.O.M., Grafik: Darstellung des Verfassers.

Nach der Ersterfassung wird jedes Objekt, das in einem fraglichen oder kritischen Zustand ist, von einer Restauratorin oder einem Restaurator begutachtet, innerhalb der Anwendung entsprechend dokumentiert und ggf. notwendige Maßnahmen zur Objektsicherung in die Wege geleitet. Alle Datensätze werden in einer SQL-Datenbank auf den Servern der ThULB gespeichert und sind über eine rudimentäre Ausgabemaske erstmals zentral recherchierbar. Parallel zur Ersterfassung der Bestände begann im Frühjahr 2020 trotz Covid19-Pandemie der Umzug des Museumsbestands in das Zwischendepot auf dem Jenaer Beutenberg-Campus. Die Verpackung der kleineren und mittleren Objekte sowie des Aktenmaterials erfolgte in säurefreien Museumskartons, die ebenso mit einer Identifikationsnummer mit Strichcode (Place-ID) versehen wurden. So konnten nun alle Objekte (mit Objekt-ID) auch digital in Kartons und andere Transportvorrichtungen (mit Place-ID) verpackt und an die verschiedenen Standorte (mit Standort-ID), etwa Zwischenlager oder Transportfahrzeuge, verbracht werden (Abb. 2). Auf diese Weise war selbst während des Umzugs der aktuelle Standort jedes einzelnen Objekts nachvollziehbar und konnte notfalls rekonstruiert werden. Leider wurden im Stress eines Großumzugs auch Fehler, von Menschen und Maschine, begangen. Aus diesem Grund erfolgte eine umfassende Revisions-Standortbuchung im Zwischendepot.

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Abb. 2: ID-Struktur für die Objektverpackung, Grafik: Darstellung des Verfassers

Die Ersterfassung der musealen Objekte und der Umzug aller Bestände in das neue, temporäre Domizil konnte im Frühjahr 2021 erfolgreich abgeschlossen werden. Die Bibliothek- und Archivbestände wurden für den Umzug teilweise als Konvolute erfasst, deren Auflösung noch bis in den Herbst 2021 andauert. Parallel hierzu startete die Digitalisierung der Sammlungsbestände im Herbst 2019 mit den musealen Objektbeständen. In dieser ersten Phase wurde zunächst die umfassende Sammlung an Guckkastenbildern fotografiert.4 Deren Besonderheit liegt darin, dass sie oftmals hinterleuchtet werden können, und dadurch zum Beispiel die Fenster der Gebäude illuminiert sind, so dass sich die dargestellten Szenerien zu verschiedenen Tages- und Nachtzeiten inszenieren lassen. Daher war es naheliegend, die Guckkastenbilder in verschiedenen Licht-Settings zu digitalisieren, so dass diese auch digital in hinterleuchteter Form präsentiert werden können. Für die Digitalisierung der dreidimensionalen Objekte holte sich das D.O.M. über die ThULB Unterstützung durch die Firma Julius Fröbus GmbH aus Köln. Sie installierte Fotostudios in den Räumlichkeiten des Museums, die mit unterschiedlichen Drehteller-Tischen ausgestattet sind. Auf diesen werden die Objekte mittig platziert und, während sich der Tisch dreht, 24-mal fotografiert. Aus den so erzeugten Aufnahmen wird dann eine 360°-Rundumansicht des Objekts generiert. Mit diesem Verfahren wurden bis Januar 2021 Rundumansichten von

4 Dies realisierte die Masterstudentin Nadine Fechner, die zu den Guckkastenbildern des D.O.M. ihre Abschlussarbeit an der Universität Jena schreibt.

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mehreren hundert Highlight-Objekten aus diversen Sammlungsbereichen, darunter Mikroskope und Kameras, erstellt.5 Hinzu kamen klassische Objektfotos von einem signifikanten Teil der umfangreichen Brillensammlung. Im November 2020 startete dann die zweite Phase der Bestandsdigitalisierung, welche die graue Literatur komplett digitalisieren und – soweit rechtlich möglich – über das museumseigene Forschungsportal im Volltext zur Verfügung stellen möchte. Dies passiert im Rahmen des Projekts Greyscale, das von der Thüringer Staatskanzlei gefördert wird. Hierfür wurde im Jahr 2020 ein hochwertiger V-Scanner des Typs book2net Lizard der Firma Microbox GmbH angeschafft und im Digitalisierungszentrum der ThULB aufgestellt. Seitdem sind Hilfskräfte des D.O.M. damit beschäftigt, die umfassenden Bestände, beginnend mit den ältesten Exemplaren aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert, zu scannen, zu bearbeiten und zu ordnen. Die in den beiden geschilderten Projektschritten erstellten Digitalisate werden primär in der Medienverwaltung der ThULB gespeichert, so dass sie auch im Rahmen von deren Langzeitarchivierungsstrategie berücksichtigt werden. Weitere Digitalisierungsprojekte wie die vollständige Digitalisierung der Sammlungsakten aus der Zeit zwischen 1930 bis 1945, insbesondere für das vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste (DZK) geförderte Provenienzforschungsprojekt INSIGHT D.O.M., laufen parallel oder befinden sich aktuell in der Umsetzungsplanung. Auch zur weiteren fotografischen Objektdigitalisierung sind Projektanträge in Vorbereitung. Sobald die neue Datenbank des D.O.M. aufgesetzt und einsatzbereit ist, werden die Bilder aus der Medienverwaltung der ThULB dorthin gespiegelt und mit den aus der SQL-Datenbank zur Schnellerfassung migrierten Datensätzen mithilfe der Objekt-IDs zusammengeführt. Aus diesem Grund ist der nächste Projektschritt die Auswahl und Konfiguration einer wissenschaftlichen Museumsdatenbank, die für die spezifischen Anforderungen technik-historischen Sammlungsguts angepasst werden kann, aber auch für die Dokumentation anderer Bestände, wie etwa Gemälde, Grafiken oder Schriftgut, flexibel anwendbar ist, möglichst intuitiv bedient werden kann, im Einsatz stabil läuft und kompatibel bzw. migrationsfähig bezüglich Datensätzen aus verschiedenen Systemen ist (dies meint in unserem Fall die Schnellerfassungsanwendung und Medienverwaltung der ThULB mit unserer zukünftigen Datenbank). Nicht zuletzt sollte die wissenschaftliche Inventarisierung die Verknüpfung verschiedener Datensätze erlauben, um die im Folgenden beschriebenen Möglichkeiten für die digitale Sammlung umzusetzen. Dies betrifft die Verknüpfung musealer Objekte mit Akten, grauer, wissenschaftlicher und sonstiger Literatur, zudem die Verknüpfung der Objekte untereinander, so dass

5 Dies realisierte der Kulturgutfotograf Robert Niemz von der Julius Fröbus GmbH.

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Vorgänger- und Nachfolgeentwicklungen, aber auch Produktions- und Einsatzorte, Hersteller, Käufer oder Materialien recherchierbar sind. Für Letzteres ist vor allem die konsequente Verwendung von normierten Vokabularen und Normdateien entscheidend, etwa die Gemeinsame Normdatei (GND) und GeoNames.

Perspektiven: Forschungsportal und digitale Ausstellungen  Aufbauend auf die interne digitale Sammlung plant das D.O.M. eine in den Online-Auftritt des Museums integrierte Internetplattform zur Präsentation aller Sammlungsbestände. Auch hier sollen einerseits die inhaltlichen Verknüpfungen der Objekte untereinander einfach dargestellt werden, andererseits wird das Museum, soweit rechtlich möglich, über Creative-Commons-Lizenzen Digitalisate seiner Bestände zur Verfügung stellen. All dies dient der Transparenz und dem demokratischen Zugang zu dem im Museum bewahrten, kulturellen Erbe. Zugleich werden Möglichkeiten für eine natur-, technik-, kultur- und geschichtswissenschaftliche Beschäftigung mit den Sammlungen geschaffen. Wichtig ist hierbei die enge Verknüpfung von Datenbank und Online-Präsentation, die einen automatisierten und engmaschigen Abgleich zwischen beiden Plattformen ermöglicht, um Erweiterungen oder Korrekturen der Informationen möglichst nahtlos auszuspielen. Insgesamt orientiert sich das D.O.M. an den bekannten FAIR-Prinzipien, um eine nachhaltig nutzbare Plattform für Forschungsdaten zu bieten.6 Aus diesem Grund wird das Portal auch grundlegende Informationen insbesondere zu Archivmaterialien enthalten, die zwar im Museum vorhanden sind, aber aus z. B. urheberrechtlichen Gründen nicht im Volltext digital veröffentlicht werden dürfen. Insgesamt werden so die Bestände des Hauses für die verschiedenen wissenschaftlichen Anforderungen und Communities vollständig durchsuch- und analysierbar. Zentral wird ebenso die Implementierung eines in das Forschungsportal integrierten Kommunikationskanals sein, mit dessen Hilfe sich Interessierte mit dem Museumspersonal zu den Portalinhalten austauschen können. Ein Accountsystem für die Besucher der Sammlungsplattform, wie sie beispielsweise das Rijksstudio des Rijksmuseums Amsterdam umgesetzt hat, in dem Besucherinnen und Besucher u. a. die Möglichkeit haben, Objektdatensätze zu ‚liken‘, in eigenen Objektlisten abzulegen und diese über soziale Medien mit anderen zu teilen, wäre für das D.O.M. wünschenswert, denn dies würde die Verbindung zwischen Museum und digitalem Publikum stärken und emotionale 6 FAIR steht für Findable, Accessible, Interoperable, Reusable, also Auffindbarkeit, Zugänglichkeit, Interoperabilität und Wiederverwendbarkeit.

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Bindungen schaffen. Allerdings sind die technisch-inhaltlichen Herausforderungen und personellen Ressourcen hierfür gerade im Hinblick auf eine flexible Betreuung der Nutzerinnen und Nutzer durch das Museumspersonal nicht zu unterschätzen und momentan nicht zu realisieren. Zu bestimmten Themenbereichen, etwa der Rolle Jenas in der Geschichte der Optik oder zur Entwicklung optischer Verfahren und Geräte, sollen kuratierte Objektzusammenstellungen einen thematischen Einstieg in die Sammlungen ermöglichen. Dabei wird die Möglichkeit zur Erweiterung des Angebots in Richtung digitale Ausstellungen bereits inhaltlich und technisch mitgedacht. So wird die Datenbank als digitale Sammlung über umfassende Meta- und Mediendaten verfügen, die eine inhaltliche Ausarbeitung digitaler Ausstellungen mit Objekten des D.O.M. vergleichsweise einfach ermöglicht. Zudem wird versucht, eine große Schnittstellenkompatibilität umzusetzen, die eine Ausspielung von Inhalten in verschiedene Infrastrukturen für digitale Ausstellungen zulässt, und zwar unabhängig davon, ob die digitale Infrastruktur des D.O.M. eine entsprechende Anwendung bereithält oder aber externe Dienste, wie etwa das DDBstudio der Deutschen Digitalen Bibliothek, genutzt werden. Bei alldem gilt für museale Digitalisierungsprojekte: Wer frühzeitig auf eine möglichst umfassende Kompatibilität von Anwendungen und Datenformaten achtet, eröffnet sich und Anderen umfassende Nachnutzungsperspektiven für die erhobenen und generierten Daten, die ansonsten ‚verbaut‘ bleiben würden. Dies ist insbesondere für das D.O.M. von größter Wichtigkeit, um ein möglichst nachhaltiges digitales Rückgrat für das Museum aufzubauen.

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Von der digitalen Aura bis zum digitalen Publikum

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Einführung

Von der digitalen Aura bis zum digitalen Publikum  

Die Frage nach der Bedeutung von Original, Authentizität und Aura von Objekten, die Vorstellung eines scheinbar auratischen Erlebens von physisch anwesenden Exponaten werden durch die Digitalisierung und die Möglichkeiten ihrer digitalen Präsentation und Inszenierung im Web neu herausgefordert. Scheint das von Walter Benjamin geprägte Aura-Konzept noch immer fest in öffentlichen Debatten verankert zu sein, lassen sich in den kultur- und medienwissenschaftlichen sowie museumswissenschaftlichen Forschungsdebatten differenzierende Ansätze beobachten. Dabei wird der Konstruktionscharakter der Aura betont, der als Teil von Praktiken der Auratisierung und des Authentisierens erst im Zuge der Inszenierung und der Rezeption von Objekten generiert wird. Diese Perspektive öffnet zugleich den Blick auf die Frage von Authentizität und Auratisierung von Objekten im digitalen Raum. Das Kapitel „Von der digitalen Aura bis zum digitalen Publikum“ greift diese Debatten auf und schlägt einen Bogen von der theoretischen Verortung eines digitalen Aurabegriffs hin zum Publikum. Die empirischen Befunde aus der sich erst neu etablierenden digitalen Publikumsforschung werden aus unterschiedlichen Perspektiven zusammengeführt und auf die Konsequenzen für die Entwicklung von Digitalangeboten zur Präsentation digitaler Sammlungen bzw. digitaler Ausstellungen befragt. Dennis Niewerth betrachtet in seinem Beitrag „Die ‚Digitale Aura‘ und die Anmutungen des Virtuellen“ zunächst den von Walter Benjamin geprägten Begriff der Aura in seinem Kontext und zeigt den Konstruktionscharakter von Aura als einer kuratorisch im Ausstellungskontext erst entwickelten Objektidentität. Mit Blick auf eine etwaige digitale Aura arbeitet der Beitrag exemplarisch unterschiedliche auratische Momente im digitalen Raum heraus. Beim Format digitale Ausstellungen plädiert der Autor für die Nutzung eines entsprechenden Vokabulars zur Vermittlung digitaler Authentizität, die sowohl vom Exponat als auch vom medienspezifischen Rahmen her gedacht werden sollte.

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Einführung 

Wie diese theoretischen Überlegungen in der Praxis situiert werden können, gehen die beiden folgenden Beiträge zu den Publikumserwartungen nach. Dabei fragt Werner Schweibenz in seinem Beitrag „Wie und was sucht das OnlinePublikum? Erwartungen von Online-Besucherinnen und -Besuchern an museumsbezogene Informationsangebote im Internet“ nach den Erwartungen des digitalen Publikums in Bezug auf Informationsbedürfnisse und Recherchemöglichkeiten. Er arbeitet dazu Publikumserwartungen an museumsbezogene Informationsangebote im Internet heraus, die auch für die Konzeption digitaler Ausstellungen herangezogen werden können. Mit Blick sowohl auf die Vergleichbarkeit von Studienergebnissen als auch auf die Optimierung von digitalen Angeboten, insbesondere deren intellektuelle Zugänglichkeit, schlägt Schweibenz eine Klassifizierung des digitalen Publikums vor. Ausgehend von Studien zeigt er zudem allgemeine Tendenzen und Suchpräferenzen auf (z. B. kombinierte Rechercheangebote, Verlinkungen für vertiefte, sammlungsübergreifende Informationsrezeption, Kontextinformationen, Objektbeziehungen). Stephan Schwans Beitrag „Digitale Ausstellungen aus Besuchersicht“ knüpft an diese Perspektiven an. Auf der Basis bisheriger Studien widmet er sich allgemein den Motiven für den Besuch von digitalen Museumsangeboten und analysiert das Nutzungsverhalten bei digitalen Sammlungen. Er stellt verschiedene Kriterienkataloge zur Gestaltung und Evaluierung von digitalen Angeboten wie das Museum Sites Evaluation Framework (MUSEF) vor, die sich auch auf die Gestaltung digitaler Ausstellungen beziehen lassen. Schwan macht jedoch wie Schweibenz deutlich, dass das Thema insgesamt weiterer systematischer Forschungen bedarf, zumal sich viele der herangezogenen Studien auf eine ältere Ausgangslage beziehen, die nicht mehr aktuellen Entwicklungsstandards entsprechen.

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Dennis Niewerth

Die ‚Digitale Aura‘ und die Anmutungen des Virtuellen 

Die ‚Aura‘, die als Konzept und Begriff ebenso zentral wie rätselhaft in der Kunsttheorie Walter Benjamins steht, scheint sich aus den laufenden Debatten über die Digitalisierung des Museums nicht herauslösen zu lassen. Das gilt umso mehr überall dort, wo es nicht nur um digitale Maßnahmen der Sammlungsdokumentation und -verwaltung geht, sondern um die digitale Reproduktion und (Re-)Visualisierung der Exponate selbst. Max Hollein, zum damaligen Zeitpunkt noch Direktor der Schirn Kunsthalle in Frankfurt, betitelte 2004 einen Artikel für den Tagesspiegel mit der emphatischen Aufforderung „Rettet die Aura!“, aus der heraus er der Institution Museum eine Identität zuschreibt, die in klarer Abgrenzung zu den medialen Konstellationen des 21. Jahrhunderts funktioniert: „Das Museum als symbolischer Raum mit einem alternativen Zeit- und Realitätsbegriff hat die Möglichkeit, ja die Verpflichtung, der Auflösung der realen Orte gegenüber resistent zu bleiben und die Erfahrung des Ortes neu zu begründen. Gerade darin liegt eine der großen Chancen der Museen. Parallel zu den Orten gehen in der Informationsgesellschaft auch die physischen Dinge mit ihrer Aura zunehmend verloren. Dennoch ist das Bedürfnis nach der Aura geblieben, da wir es offensichtlich im täglichen Medienkonsum nicht befriedigen können. […] Das Museum ist jener Ort, an dem ein Kunstwerk im Hier und Jetzt erfahrbar ist. Eine Erfahrung, die uns in der Gegenwart der virtuellen Welten, die unnachgiebig unsere Wirklichkeit durchdringen, zunehmend abhanden kommt.“1

Hollein sichert sich klugerweise durch den Untertitel seines Textes, demzufolge es sich bei ihm um eine „Polemik gegen Virtualisierung und Technisierung der Museen“ handelt, gegen naheliegende Einwände ab, die man wider seine Deutung der Situation des Museums im Computerzeitalter vorbringen mag. Seine Thesen über eine „Auflösung der realen Orte“ und ein „Verlorengehen der physischen Dinge“ sind so wenig beweisbar, wie eine Nichtbefriedigung des Bedürfnisses nach Aura im medialen Alltag „offensichtlich“ ist. Wären seine Aus1 Max Hollein: Rettet die Aura! Eine Polemik gegen die Virtualisierung und Technisierung der Museen. https://www.tagesspiegel.de/kultur/rettet-die-aura/519600.html (letzter Zugriff: 07.01.2020).

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führungen nicht polemisch zu verstehen, so müsste er sich die Frage gefallen lassen, welche Funktion das Museum eigentlich über Jahrhunderte hinweg innehatte, in denen ihm keine „virtuellen Welten“ gegenübergestanden haben, die „unnachgiebig unsere Wirklichkeit durchdringen“.2 Hollein steht indes in der Museumswissenschaft um die Jahrtausendwende durchaus nicht allein da mit seiner Diagnose, dass mit der Digitalisierung die Exponate der Museen in ihrer Materialität und authentischen Einzigartigkeit in Bedrängnis geraten seien – und dass es daher die Verpflichtung der Institution sein müsse, diesen besonderen Charakter des Sammlungsgutes erstens wieder zu akzentuieren und zweitens in dieser Akzentsetzung ihren eigenen Daseinsgrund zu finden. Friedrich Waidacher schrieb nur vier Jahre vor Hollein über die Rolle des Museums in der medialen Gegenwart der 2000er Jahre: „Virtualisierung aber bedeutet Verschiebung aus dem Sein in den Schein, und gerade in einer Zeit, in der eine einst unvorstellbare Flut von visueller und akustischer Information über die Menschheit hereinbricht, ist es umso wichtiger, darauf zu achten, daß ‚Visionen nicht durch Televisionen’ ersetzt werden.“3

Man darf durchaus verwundert darüber sein, dass die bei Benjamin eigentlich stets etwas verschwommen gebliebene Idee der ‚Aura‘ immer wieder mit solcher Verve zum Dreh- und Angelpunkt vermeintlicher musealer Selbstverständnisse (v)erklärt wird. Vor diesem Hintergrund ist es sinnvoll, den Begriff zumindest kursorisch in seinem originären Kontext zu betrachten, um ihn anschließend auf seine Beziehbarkeit zu Digitalisierungsphänomenen hin in den Blick zu nehmen.

Die ‚Aura‘: Versuch einer Begriffsklärung  Als Begriff ist die ‚Aura‘ wohl die prominenteste Hinterlassenschaft Benjamins als Kunsttheoretiker – jedoch ist der Aufsatz, in dem er das Wort prägt, mindestens ebenso sehr ein politisches Traktat, wie er eine Abhandlung über die Erlebnisqualität von Kunstgegenständen ist. „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ fragt – seinem Entstehungszeitpunkt im Jahre 1935 entsprechend – ganz wesentlich nach der Rolle ästhetischer Strategien im Faschismus und danach, wie ihnen zu begegnen ist. Insofern schreibt Benjamin

2 Um mit Holleins Text an dieser Stelle nicht allzu hart ins Gericht zu gehen: Seine Argumentation richtet sich in weiten Teilen nicht gegen digitale Technik per se, sondern deren oft unreflektierten, unnachhaltigen und insgesamt zu kurz gedachten Einsatz in vielen Ausstellungskonzepten der frühen 2000er Jahre. 3 Friedrich Waidacher: Vom Wert der Museen, in: Museologie Online 2 (2000), S. 1–20, hier S. 7.

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Die ‚Digitale Aura‘ und die Anmutungen des Virtuellen 

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in seinem Essay eine politische Theorie der Kunst für einen ganz akuten historischen Notstand. Die schon im Titel des Aufsatzes anklingende Metathese ist jene, dass der Charakter von Kunstwerken und mithin ihr sozialer Ort sich unter dem Einfluss technischer Reproduktionsmethoden – namentlich der Fotografie und des Drucks – auf empfindliche Art und Weise verändert haben. Zwar sind Kunstwerke immer schon reproduziert und gefälscht worden, jedoch waren die Reproduktionsabläufe der Vergangenheit solche, in denen das Original seine Autorität bewahrte, bzw. stellten diese in weiten Teilen sogar einen handwerklichen Nachvollzug der Schaffung des Originals dar.4 Mit dem Aufkommen der technisch-industriellen Vervielfältigungsmaschinerien des 19. Jahrhunderts setzt für Benjamin eine Herabwürdigung des Originals ein, in deren Zuge es zum bloßen Funktionselement einer technischen Anordnung wird, die zuvor unvorstellbare Mengen von Abbildern erzeugt. In dieser massenhaften Vervielfältigung wiederum wird das Kunstwerk zugleich aus jenen Bindungen gelöst, deren Eindeutigkeit sich aus seiner materiellen Einzigartigkeit heraus begründet: „Die Einzigkeit des Kunstwerks ist identisch mit seinem Eingebettetsein in den Zusammenhang der Tradition. Diese Tradition ist freilich etwas durchaus Lebendiges, etwas außerordentlich Wandelbares. Eine antike Venusstatue z. B. stand in einem anderen Traditionszusammenhang bei den Griechen, die sie zum Gegenstand des Kultus machten, als bei den mittelalterlichen Klerikern, die einen unheilvollen Abgott in ihr erblickten. Was aber beiden in gleicher Weise entgegentrat, war ihre Einzigkeit, mit einem anderen Wort: ihre Aura.“5

In der Aura bündeln sich für Benjamin alle affektiven Qualitäten des Kunstwerks und damit auch alle emotionalen Reaktionen, die es in seinen Beschauerinnen und Beschauern zu evozieren imstande ist. Als deren notwendige Bedingung macht Benjamin eine Verweisqualität aus, die so nur aus dem Umstand heraus existiert, dass das einzigartige Original sich eben nicht in mehreren Situationen zugleich befinden kann: „Während das Echte aber der manuellen Reproduktion gegenüber, die von ihm im Regelfalle als Fälschung abgestempelt wurde, seine volle Autorität bewahrt, ist das der technischen Reproduktion gegenüber nicht der Fall. Der Grund ist ein doppelter. Erstens erweist sich die technische Reproduktion dem Original gegenüber selbstständiger als die manuelle. Sie kann, beispielsweise, in der Photographie Ansichten des Originals hervorbringen, die nur der verstellbaren und ihren Blickpunkt willkürlich wählenden Linse, nicht aber dem

4 Walter Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, in: ders.: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Drei Studien zur Kunstsoziologie, Frankfurt am Main 2008, S. 8–44, hier S. 10. 5 Benjamin: Kunstwerk, S. 16.

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menschlichen Auge zugänglich sind. […] Sie kann zudem zweitens das Abbild des Originals in Situationen bringen, die dem Original selbst nicht erreichbar sind. Vor allem macht sie es ihm möglich, dem Aufnehmenden entgegenzukommen, sei es in Gestalt der Photographie, sei es in der Schallplatte. Die Kathedrale verlässt ihren Platz, um in dem Studio eines Kunstfreundes Aufnahme zu finden; das Chorwerk, das in einem Saal oder unter freiem Himmel exekutiert wurde, lässt sich in einem Zimmer vernehmen.“6

Die Aura ist demnach also immer auch ein Schnittpunkt zwischen dem Historischen – also dem Tatbestand, dass das Original bestimmten Situationen der Vergangenheit physisch beigewohnt hat – und dem Zeitlosen, welches sich darin manifestiert, dass man ihm in der Gegenwart immer noch begegnen kann.7 Benjamin spricht hier von einer „Ferne, so nah sie sein mag“ und vergleicht diese Erlebnisdimension mit dem Betrachten einer Gebirgslandschaft an einem Sommernachmittag.8 Die technische Reproduktion unterhöhlt mittels der Allgegenwart von Abbildern diese situative Einmaligkeit von Kunstwerken und vollzieht letztlich nicht weniger als ihre Neubeheimatung in einer Gegenwart, für die sie nicht geschaffen wurden: „Die Echtheit einer Sache ist der Inbegriff alles von Ursprung her an ihr Tradierbaren, von ihrer materiellen bis zu ihrer geschichtlichen Zeugenschaft. […] Die Reproduktionstechnik, so ließe sich allgemein formulieren, löst das Reproduzierte aus dem Bereich der Tradition ab. Indem sie die Reproduktion vervielfältigt, setzt sie an die Stelle seines einmaligen Vorkommens sein massenweises. Und indem sie der Reproduktion erlaubt, dem Aufnehmenden in seiner jeweiligen Situation entgegenzukommen, aktualisiert sie das Reproduzierte.“9

Die von Benjamin folgenreich diagnostizierte Auflösung der Aura durch die technische Reproduktion ist also dieses zuvor nicht dagewesene ‚Entgegenkommen‘ des Kunstwerkes an seine Betrachtenden, in dem Benjamin (mit der bei Hollein wieder aufgegriffenen sprachlichen Wendung) eine ‚Entwertung‘ seines „Hier und Jetzt“ erkennt.10 Gottfried Korff sieht in der Aura bzw. ihrer Erfahrbarmachung die fundamentale Daseinsberechtigung der Institution Museum und weist schärfend darauf hin, dass es eben die Echtheit eines Objektes ist, nicht seine Schönheit oder Gefälligkeit, durch welche sich dessen Auratizität bedingt. Dementsprechend sei die Funktion der Aura im Museum auch nicht vornehmlich, zu bezaubern, sondern vielmehr zu ‚schockieren‘ – womit gemeint ist, dass sie die Vorurteile von

6 Ebd., S. 12–13. 7 Dennis Niewerth: Dinge – Nutzer – Netze. Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen, Bielefeld 2018, S. 71. 8 Benjamin: Kunstwerk, S. 15. 9 Ebd., S. 13. 10 Ebd.

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Besuchern herausfordern, Fragen aufwerfen oder die scheinbar natürliche Schlüssigkeit von Museumsausstellungen aufbrechen soll. Der museale Mehrwert der Aura ist in dieser Lesart gerade ihre Sperrigkeit, eben: die Ferne der historischen Welt, aus der das Kunstwerk hervorgegangen ist, die auch durch seine nun hergestellte räumliche Nähe zum gegenwärtigen Rezipienten nicht überbrückt werden kann.11

Aura zwischen Echtheit und Virtualität  Es ist daher wenig überraschend, dass das Konzept ‚Aura‘ bis heute eine große Resonanz in der Museumswelt erfährt, legitimiert es doch im Grunde die gesamte Zunft und hat es doch ferner auch den Diskurs über digitale Mediennutzung in und durch Museen nachhaltig geprägt und strukturiert. Indes kann eine unbequeme Tatsache nicht ignoriert werden: die Aura, oder genauer das Erleben der Aura durch die Museumsbesucherinnen und -besucher, ist zunächst einmal nur eine (wenngleich naheliegende) Unterstellung, die sich kaum validieren oder gar beweisen ließe. Zweifelsohne erleben Menschen in der Konfrontation mit Museumsdingen emotionale Zustände. Aber Benjamins Theorie lässt völlig offen, wie genau diese Zustände sich darstellen müssten, damit sie als ein auratisches Erlebnis gelten dürften. Und damit kann die Annahme, dass das, was man selbst oder auch jede andere Person im Augenblick des Zugegenseins eines musealen Objektes erlebt, ‚Aura‘ sei, nie über ein Verdachtsmoment hinausgehen. Tatsächlich scheint es plausibel, dass die musealen Affekte eines Menschen mit Walter Benjamins kulturellem Bildungshorizont sehr andere sind als jene, die ein heutiges Museum bei seinem Publikum antizipieren würde. ‚Echtheit‘ (und damit auch ‚Falschheit‘) ist typischerweise nichts, was der unkundige Blick dem Exponat ansehen könnte. Zu erklären, was Besucherinnen und Besucher erstens in der Ausstellung vor sich haben und dass zweitens dieses Etwas echt bzw. authentisch ist, ist ja eine der wesentlichen Aufgaben des Museums. Das Vertrauen in das Museum bzw. die Expertensysteme, die Sammlungen verwalten und Ausstellungen gestalten, schließt die Frage nach der Echtheit der Objekte gewissermaßen über die Autorität der Institution kurz. Genau daher rührt ja auch die ethische Verpflichtung von Museen, die in Ausstellungen genutzten Reproduktionen als solche auszuweisen.12 11 Gottfried Korff: Objekt und Information im Widerstreit, in: Martina Eberspächer, Gudrun Marlene König, Bernhard Tschofen (Hrsg.): Museumsdinge. Deponieren – Exponieren, Köln u. a. 2002, S. 113–125, hier S. 120. Siehe auch Niewerth: Dinge – Nutzer – Netze, S. 71. 12 Dennis Niewerth: Objekte der Begierde. Wie man eine digitale Aura erzeugt (und wie besser nicht), in: Andreas Bienert, Anko Börner, Eva Emenlauer-Blömers, James Hemsley (Hrsg.): EVA Berlin 2019 Konferenzband, Berlin 2019, S. 38–43, hier S. 40.

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Wenn also dieser Kurzschluss Vorbedingung des auratischen Erlebens im Museum ist und tatsächlich ohne entsprechenden Hinweis die ‚Gefahr‘ bestünde, dass Besucherinnen und Besucher angesichts von Reproduktionen eine Aura wahrnehmen, die gar nicht gefühlt werden ‚dürfte‘, dann liegt der Schluss nahe, dass die Aura eben nicht in der Echtheit des Objektes wurzelt, sondern in der Inszenierung von Echtheit durch das Museum. Damit wäre paradoxerweise ausgerechnet die Erfahrung des ‚Echten‘ in musealen Ausstellungen etwas zutiefst Virtuelles: Das Museum fängt keine präexistente historische Wirklichkeit ein und bewahrt sie für die Gegenwart, es macht vielmehr Realitätsangebote, die immer im Jetzt beheimatet waren und sich auf die institutionelle Verbriefung des Umstandes gründen, dass ein verwissenschaftlichtes Wissen über die Vergangenheit existiere.13

Digitale Aura!?  Die Frage, ob und inwiefern sich eine derartige Inszenierung auch auf digitale museale Daten anwenden lässt, ob es also eine ‚digitale Aura‘ geben kann, ist daher durchaus gerechtfertigt. Interessanterweise erlebte der Begriff in den frühen 2000er Jahren bereits eine kurze Konjunktur, jedoch nicht etwa in den Geistes- und Kulturwissenschaften, sondern im Kontext des sogenannten ‚pervasive computing‘.14 Die ‚digitale Aura‘ diente hier als Metapher für ein Miasma der Datenverarbeitung, bestehend aus ‚smarten‘ Geräten und dynamischen Software-Schnittstellen, das seine Nutzerinnen und Nutzer permanent umgeben und mit den übergeordneten Netzwerken um sie herum verbinden sollte.15 Obwohl dieser Aura-Begriff scheinbar in eine ganz andere Richtung weist als jener Walter Benjamins, greift er doch einen seiner Kerngedanken auf: nämlich jenen, dass neue Technologien mit neuen Strukturen von Örtlichkeit und Ortlosigkeit einhergehen. Diese müssen nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ gedacht werden: Digitale Reproduktionstechnologien unterscheiden sich von den analogen, die bei Benjamin thematisiert werden, nicht nur darin, dass sie mit viel geringerem Aufwand und potenziell deutlich größerer Reichweite vervielfältigen können. Sie haben auch einen ganz anderen ontischen Charakter, 13 Ebd. 14 Dies knüpft seinerseits begrifflich an den von Mark Weiser geprägten Begriff des ‚ubiquitous computing‘ an, der die Durchdringung unseres Alltags durch mobile Computertechnik antizipierte: Mark Weiser: The Computer for the 21st Century, in: Scientific American 265.3 (1991), S. 94–104. 15 Alois Ferscha, Manfred Hechinger, René Mayrhofer, Marcos de Santos Rocha, Mathias Franz, Roy Oberhauser: Digital Aura. https://pdfs.semanticscholar.org/08fc/4c6878adfcf138c1fcbe6888 84931d83d7c2.pdf (letzter Zugriff: 07.01.2020).

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Die ‚Digitale Aura‘ und die Anmutungen des Virtuellen 

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weil ihre Reproduktionen augenscheinlich keinerlei materielles Substrat mehr aufweisen. Der Filmwissenschaftler Howard Besser macht in diesem Zusammenhang die pointierte Feststellung, dass wir eigentlich erst seit dem Aufkommen der digitalen Bildgebung wirklich zu würdigen imstande seien, wie sehr die Kultur der analogen Fotografie und des Drucks noch eine der Materialität war.16 Die analoge Kopie nämlich ist zwar ein Massenprodukt, in dieser Eigenart aber immer noch ein individuelles Objekt mit einer konkreten Identität. Die digitale Kopie hingegen ist letztlich vor allem eine Ansammlung numerisch beschreibbarer Eigenschaften, die von einem Computer über ein Ausgabegerät visualisiert werden kann, zum Beispiel als Verteilung von Farbwerten über das zweidimensionale Raster eines Bildschirms. Der Cyberspace-Theoretiker Marcos Novak spricht daher von ‚Attributobjekten‘, die sich innerhalb von Visualisierungssystemen im Augenblick des Abrufs zur Wahrnehmung zusammenfinden.17 Das bedeutet in letzter Konsequenz nichts anderes, als dass ein Digitalisat auf Ebene des Rechners notwendigerweise identisch mit seiner Beschreibung ist, sein ‚Eigentliches‘ ist also ein unnahbares Abstraktes, während sein ‚Konkretes‘ im Sinne seiner Sichtbarkeit immer nur eine temporäre Visualisierung sein kann.18 Erschwerend hinzu kommt noch, dass alle Attribute des Digitalisats prinzipiell individuell adressierbar sind und Computerbilder somit in den Worten Friedrich Kittlers „die Fälschbarkeit schlechthin“ verkörpern.19 Demgegenüber ist es längst zu einer sozialen Tatsache geworden, dass digitale Systeme laufend Datenkonstellationen hervorbringen, die in der Wahrnehmung von Nutzerinnen und Nutzern Charakter von ‚Dingen‘ mit durchaus distinkten Objektidentitäten annehmen können. Die Gesamtheit der kommerziellen Softwareentwicklung zum Beispiel basiert ja auf der Idee, ‚authentische‘ und daher legitime Kopien von illegalen unterscheidbar machen zu können.20 Die grafischen Interfaces von Betriebssystemen wie Microsoft Windows oder MacOS legen digitalen Daten in Form von ‚Files‘ und ‚Ordnern‘ visuelle Identitätsbedingungen auf, die nicht dem formallogischen Funktionieren des Computersystems dienen, sondern seiner Anschlussfähigkeit in der Kulturwelt. Und wenn

16 Howard Besser: The Changing Role of Photographic Collections with the Advent of Digitization, in: Katherine Jones-Garmil (Hrsg.): The Wired Museum. Emerging Technologies and Changing Paradigms, Washington D.C. 1997, S. 115–127, hier S. 116–117. 17 Marcos Novak: Liquid Architectures in Cyberspace, in: Michael L. Benedict (Hrsg.): Cyberspace. First Steps, Cambridge 1991, S. 225–254, hier S. 225. 18 Niewerth: Dinge – Nutzer – Netze, S. 132. 19 Friedrich Kittler: Computergrafik. Eine halbtechnische Einführung, in: Herta Wolf, Susanne Holschbach (Hrsg.): Paradigma Fotografie. Fotokritik am Ende des fotografischen Zeitalters, Frankfurt am Main 2002, S. 178–194, hier S. 179. 20 Niewerth: Dinge – Nutzer – Netze, S. 285–286.

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digitale Güter wie z. B. Ausrüstungsgegenstände in Multiplayer-Onlinespielen durch künstliche Verknappung seitens der Betreiber für hohe Geldsummen zwischen Spielern gehandelt werden, dann ist die Behauptung durchaus haltbar, dass hier ‚auratische‘ Momente wirksam werden, dass diese digitalen ‚Dinge‘ mit sehr ähnlichen Begehrlichkeiten aufgeladen werden wie materielle Güter – und dass sie trotz ihrer prozeduralen Wesensart eine ‚Vergangenheit‘ in Form von ‚Abenteuern‘ haben können, die Spielerinnen und Spieler mit ihnen erlebt haben.21 Nicht zuletzt sollte auch berücksichtigt werden, dass jede digital mediierte Erfahrung natürlich auch eine materielle Komponente in Form der Endgeräte besitzt, die womöglich ihrerseits ebenfalls eine Form von Aura mitbringen – auch wenn die Zeiten, in denen potenzielle Käufer neuer iPhones vor AppleGeschäften campierten, mittlerweile vorüber zu sein scheinen.

Ausblick  Die ‚digitale Aura‘ hinge also – sofern wir die Möglichkeit ihrer Existenz unterstellen – letztlich an den Kontexten, in welche ein Digitalisat gestellt wird, bzw. ist womöglich ein Produkt derselben kontextabhängigen Denkprozesse, aus denen sich eine Objektidentität überhaupt erst entwickelt.22 Wenn die ‚Aura‘ eines Kunstwerkes womöglich gar nicht so sehr im Werk selbst und der von ihm durchlebten Geschichte verortet ist wie im Ausstellungskontext seiner Gegenwart, und damit einer Identität, die nicht gefunden, sondern kuratorisch gemacht ist, dann zwingt sich hier zugleich die Frage auf, ob die Bedingungen von Auratizität in der virtuellen nicht vielleicht ganz ähnliche sind wie in der physischen Ausstellung. Und: dass auch hier der institutionelle ‚Kurzschluss‘ über das Museum und sein kulturdidaktisches Gewicht letztlich ausschlaggebend wäre. Der Digital Heritage-Bereich hat eine Anzahl von Instrumenten zur Authentisierung digitaler Daten hervorgebracht, die laufend weiter ausdifferenziert werden, sich nach David Bearman und Jennifer Trant aber gemeinhin in zwei grundsätzliche Verfahrenswege einordnen lassen. Der erste ist das Vorhalten einer kanonischen ‚Mastercopy‘, die nicht verändert werden darf und mit der jede andere Kopie bedarfsweise Bit für Bit verglichen werden könnte (das sogenannte ‚Watermarking‘, bei dem gezielte Änderungen in Kopien eingeführt werden, um sie identifizierbar zu machen, ist quasi das Spiegelbild dieser Methodik). Der

21 Niewerth: Objekte der Begierde, S. 39, 41–42. 22 Es sei hier nur verwiesen auf Yuk Huis Theorie von der Entstehung ‚digitaler Objekte‘ im Sinne eines ‚transduktiven‘ Prozesses nach Gilbert Simondon. Dazu Yuk Hui: Deduktion, Induktion und Transduktion. Über Medienästhetik und digitale Objekte, in: Zeitschrift für Medienwissenschaft 8 (2013), S. 101–116.

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Die ‚Digitale Aura‘ und die Anmutungen des Virtuellen 

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zweite Ansatz ist die sogenannte Access Control, bei der Zugriffsmöglichkeiten auf bestimmte Daten nur einem begrenzten Personenkreis eröffnet und alle konkreten Zugriffe genau dokumentiert werden.23 Diese Prozesse spielen sich freilich im administrativen Hintergrund von Museen ab und werden im Detail eher uninteressant für die meisten Besucherinnen und Besucher eines musealen Online-Angebots sein. Dennoch gehören sie zum Kontext einer authentischen musealen Vermittlung und zum institutionellen Anspruch des Museums an sich selbst. So wird es in Zukunft für digitale Ausstellungen, so sie sich die auratische Anmutung ihrer Exponate zum Ziel setzen sollten, nicht zuletzt auch darum gehen müssen, ein Vokabular zur Vermittlung digitaler Authentizität zu finden, das eben nicht nur in Metadaten und Herkunftsdokumentationen ausgelagert sein kann, sondern affektive Unmittelbarkeit herstellt. Diese inszenatorische Herausforderung will mit Strategien des Kuratierens ebenso beantwortet werden wie mit technischen Mitteln bzw. deren Anpassung für die Kulturvermittlung, und sie muss dementsprechend nicht nur vom Exponat her gedacht werden, sondern auch aus dem Mediensystem heraus, in dem sie stattfindet: Die Aura nach Benjamin, die ja vom Nimbus der ‚Ferne‘ lebt, kontrastiert scharf mit jenem emphatischen Versprechen der Verfügbarkeit und Teilhabe, das sich nicht erst seit der Ausrufung des ‚Web 2.0‘ durch Darcy DiNucci im Jahre 1999 mit den digitalen Medien und ihrer Zukunft verbindet. Entscheidend für das digitale Kuratieren wird es vor diesem Hintergrund sein, die Anmutungen virtueller Exponate vom Kopf auf die Füße zu stellen und eine Aura zu evozieren, die vielmehr ‚Nähe, so fern sie sein mag‘ ist. Die digitale Reproduktion wäre dann nicht die Fortsetzung der Zerschlagung der Aura mit fortgeschrittenen Mitteln – sie wäre vielmehr selbst ganz und gar Aura und Vektor einer Mitwirkung des Publikums an einer kulturellen Sinnbildung, von welcher die Aura nach Benjamin es stets ausgeschlossen hat.

23 David Bearman, Jennifer Trant: Authenticity of Digital Resources. Towards a Statement of Requirements in the Research Process. http://www.dlib.org/dlib/june98/06bearman.html (letzter Zugriff: 07.01.2020).

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Werner Schweibenz

Wie und was sucht das Online‐Publikum? Erwartungen von  Online‐Besucherinnen und ‐Besuchern an museumsbezogene  Informationsangebote im Internet 

Bei den Perspektiven für das Kuratieren digitaler Ausstellungen spielt die Interaktion mit den Online-Besucherinnen und -Besuchern eine zentrale Rolle, zu der wesentlich das Such- und Informationsverhalten gehören. Deshalb ist es notwendig, sich mit den Erwartungen des digitalen Publikums in Bezug auf die Informationsbedürfnisse und Recherche auseinanderzusetzen.1 Denn diese können eine große Bandbreite einnehmen, weil bei Online-Ausstellungen das Spektrum der virtuellen Besucherinnen und Besucher sehr breit und manchmal schwer abschätzbar sein kann.2 Hinzu kommt, dass sie bei ihrer Suche nach Informationen keinen Unterschied zwischen den Kultursparten machen: „On the Internet, nobody knows you’re a library, archive, or museum. People want information, and access to information should be as transparent as possible.“3 Aufgrund des fehlenden Interesses an einer Differenzierung nach Kultursparten auf der Benutzerseite ist es für Museen umso wichtiger, sich an spartenübergreifenden Kulturportalen zu beteiligen, damit sie ihre Inhalte besser sichtbar machen sowie ihre Ressourcen teilen und gemeinsam nutzen. Im traditionellen Museum werden Besucherinnen und Besucher seit Jahrzehnten intensiv beforscht. Im Gegensatz dazu setzt sich die Forschung erst seit

1 Vgl. zu digitalen Ausstellungen aus Benutzersicht den Beitrag von Stephan Schwan in diesem Band. 2 Victoria Kravchyna: Information Needs of Art Museum Visitors. Real and Virtual, Diss. Ph. D. University of North Texas 2004, S. 19. http://digital.library.unt.edu/ark:/67531/metadc4692/ (letzter Zugriff: 13.03.2021); Soyeon Kim: Virtual exhibition and communication factors, in: Museum Management and Curatorship 33.3 (2018), S. 243–260, hier S. 250. 3 Cultural Heritage Information Professionals (CHIPs) Workshop Report. Ringling Museum of Art, Sarasota (03.-04.04.2008), S. 12. http://marty.cci.fsu.edu/preprints/marty_chips2008.pdf (letzter Zugriff: 13.03.2021).

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Mitte der 2000er Jahre intensiver mit Publikumserwartungen an Museumsangebote im Internet auseinander.4 Während es umfangreiche Literatur zum Informationssuchverhalten in den Online-Beständen von Bibliotheken und Archiven gibt, existieren zum spezifischen Suchverhalten in Online-Sammlungen von Museen noch relativ wenige Untersuchungen. Insbesondere fehlt es an Studien, die vergleichbare Informationen dazu bieten, nach welchen Datenelementen (Objektinformation, Foto, Literatur, Besuch etc.) gesucht wurde.5 Auch unterscheidet die Forschungsliteratur häufig nicht zwischen dem Nutzungsverhalten bei Online-Ressourcen von Museen im Allgemeinen und bei digitalen Ausstellungen im Besonderen. Dieser Beitrag versucht ausgehend von der Forschungsliteratur die Publikumserwartungen an museumsbezogene Informationsangebote im Internet sowie einige damit verbundene Problemfelder darzustellen.

Problemfelder  Zu den Problemfeldern gehören bereits die Unterscheidung von Online-Besuchen und Online-Besucherinnen und -Besucher sowie deren mögliche Klassifizierung. Aber auch die Suche selbst ist ein kritischer Aspekt. Bei näherer Betrachtung des Online-Suchverhaltens zeigt sich, dass bei der intellektuellen Zugänglichkeit zu museumsbezogenen Informationsangeboten Probleme bestehen. Dies gilt auch für die Recherche mittels Suchfeldern, außerdem können Online-Besucherinnen und -Besucher mit den Suchbegriffen andere semantische Bedeutungen verbinden als Suchalgorithmen dies tun, was sich auf die Bewertung der Suchergebnisse auswirkt. Im Folgenden werden diese Problemfelder im Einzelnen näher ausgeführt.  

 

4 Judy Haynes, Dan Zambonini: Why Are They Doing That!? How Users Interact with Museum Web sites, in: MW2007: Museums and the Web 2007. http://www.archimuse.com/mw2007/papers/haynes/haynes.html (letzter Zugriff: 13.03.2021); Paul F. Marty: Museum websites and museum visitors. Digital museum resources and their use, in: Museum Management and Curatorship 23.1 (2008), S. 81–99, hier S. 84; Werner Schweibenz: Wer sind die Besucher des virtuellen Museums und welche Interessen haben sie?, in: i-com – Zeitschrift für interaktive und kooperative Medien 2 (2008), S. 11–17, hier S. 11; Mette Skov, Peter Ingwersen: Exploring Information Seeking Behaviour in a Digital Museum Context, in: Proceedings of the Second International Symposium on Information Interaction in Context, New York 2008, S. 110–115, hier S. 110. 5 Mette Skov, Peter Ingwersen: Museum Web Search Behavior of Special Interest Visitors, in: Library & Information Science Research 36.2 (2014), S. 91–98, hier S. 95.

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Wie und was sucht das Online‐Publikum? 

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Online‐Besuche vs. Online‐Besuchende 

Wie bei der traditionellen Publikumsforschung ist auch beim digitalen Publikum klar zwischen Online-Besuchen einerseits und Online-Besucherinnen und -Besuchern andererseits zu unterscheiden. Dabei gilt: „a common understanding of measuring visits and visitors of a museum’s web-activities is yet to be developed“.6 Dies betrifft insbesondere die Frage, was genau unter einem OnlineBesuch zu verstehen ist. Zählt das Folgen auf Twitter oder ein Like auf Facebook genauso dazu wie ein Stöbern auf der Website eines Museums? Also gilt: „Webvisits and web-visitors are quite difficult to count and numbers are quite hard to compare as long as there is no common methodology yet.“7 Deshalb ist es notwendig, die Online-Besucherforschung vergleichbar zu machen. Dies könnte durch die künftige DIN (Projekt) 31640 Digital Audience Measurement in Archiven, Bibliotheken und Museen – Anforderungen an Messverfahren des Normausschusses Information und Dokumentation erfolgen.8 Diese Norm soll Anforderungen an die Online-Nutzung von Informationsangeboten von Archiven, Bibliotheken und Museen festlegen und eine Vergleichbarkeit der Messergebnisse zwischen Institutionen und über Zeitreihen hinweg ermöglichen. Klassifizierungsversuche für Online‐Besucherinnen und ‐Besucher 

Ähnlich verhält es sich bei der Klassifizierung des Online-Publikums: „there are a large number of potential classification systems, which in some cases overlap; in some use different terminology for equivalent or very similar groups; and in some cases use the same terminology very differently“.9 Eine weitere Systematisierung wäre also dringend notwendig. Bis diese erfolgt ist, kann eine stark vereinfachte Einteilung als Orientierungshilfe dienen (Abb. 1). Eine differenzierte systematische Klassifizierung könnte helfen, die intellektuelle Zugänglichkeit von Informationsangeboten für verschiedene Gruppen

6 European Group on Museum Statistics (o. J.). https://www.egmus.eu/en/audience_research/online_visitors/ (letzter Zugriff: 30.11.2019). 7 Ebd. 8 DIN (Projekt) 31640 Digital Audience Measurement in Archiven, Bibliotheken und Museen – Anforderungen an Messverfahren des Normausschusses Information und Dokumentation. https://www.din.de/de/wdc-proj:din21:332195888 (letzter Zugriff: 13.03.2021). 9 David Walsh, Mark Hall, Paul Clough, Jonathan Foster: The Ghost in the Museum Website: Investigating the General Public’s Interactions with Museum Websites, in: Jaap Kamps, Giannis Tsakonas (Hrsg.): Research and Advanced Technology for Digital Libraries. 21st International Conference on Theory and Practice of Digital Libraries, TPDL 2017, Thessaloniki 2017, S. 434– 445, hier S. 436.

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von Online-Besucherinnen und -Besuchern zu verbessern. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Interaktion des Online-Publikums mit Museumsinformationen immer sehr individuell ist und vom Vorwissen, von Motivationen und Perspektiven und Erinnerungen abhängt, die sie mitbringen.10

Abb. 1: Schematische Klassifizierung von Online-Besucherinnen und -Besuchern, Grafik: Darstellung des Verfassers.

Problematik der intellektuellen Zugänglichkeit 

Die klassische Recherche mittels Suchfeldern stellt für Laien generell ein Problem dar.11 Dabei bildet die (Fach-)Terminologie ein häufig unterschätztes Hindernis für die intellektuelle Zugänglichkeit. Dies bestätigen die Ergebnisse der Studie steve.museum eindrucksvoll: Dabei wurden rund 1.780 digitale Abbildungen von Kunstwerken aus namhaften Museen von mehr als 2.000 Benutzern mittels einer speziellen Web-Anwendung mit Tags (vergleichbar Schlagwörtern bei der Indexierung) versehen.12 Die Anzahl der vergebenen Tags betrug fast 10 Mette Skov: Hobby-related Information-Seeking Behaviour of Highly Dedicated Online Museum Visitors, in: Information Research 18.4 (2013), Paper 597, S. 6. http://www.informationr.net/ir/184/paper597.html (letzter Zugriff: 13.03.2021). 11 Chris Norris: It’s Not the Size of the Online Collection …, in: Museum (AAM), January/February (2010), S. 25–27, hier S. 25–26. 12 Werner Schweibenz: Wie taggt der User? – steve.museum zeigt Benutzerperspektiven auf Museumsinformationen im Web, in: Elektronischer Tagungsband „museums and the internet 2010“ – Fachtagung am 20. und 21. Mai 2010 im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg, S. 6. https://mai-tagung.lvr.de/de/beitraege/g/mai_tagung_2010.html (letzter Zugriff: 13.03.2021).

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37.000. Interessant war die Schnittmenge aus den Schlagworten der fachwissenschaftlichen Dokumentation und den Tags von Benutzerinnen und Benutzern, nämlich 14 %. Diese geringe Übereinstimmung legt den Schluss nahe, dass die fachwissenschaftliche Dokumentation und fachspezifische Verschlagwortung keine geeignete Grundlage für eine gute Auffindbarkeit von Museumsinhalten durch typische Online-Besucherinnen und -Besuchern darstellt, weil sich die Terminologie von Laien und Fachleuten zu sehr voneinander unterscheiden. Hinzu kommt, dass für das Online-Publikum spezifische Begriffe eine besondere semantische Bedeutung haben können, während Suchmaschinen Begriffe lediglich nach statistischen Gesichtspunkten gewichten. Auf diese Weise kann es zu einer Kluft zwischen dem Verständnis des Begriffs seitens Online-Besucherinnen und -Besuchern und der Behandlung desselben Begriffs durch Suchmaschinen kommen, wenn einzelne Begriffe eine hohe semantische Bedeutung für Benutzerinnen und Benutzer haben, nicht aber für Suchalgorithmen.13 Die semantische Bedeutung ist dann besonders wichtig, wenn sie für Online-Besucherinnen und -Besucher an ein bestimmtes Objekt gebunden ist, das für sie als Einstiegspunkt in eine Sammlung dient – ein Phänomen, das bei verschiedenen Gelegenheiten beobachtet werden konnte.14 Dies mag damit zusammenhängen, dass Objekte keine feste oder inhärente Bedeutung haben, sondern diese von individuellen Konnotationen seitens des Online-Publikums abhängt.15

Allgemeine Ergebnisse ausgewählter Studien  Angesichts des mageren Forschungsstands lassen sich aus einzelnen Studien immerhin einige interessante Tendenzen im Zusammenhang mit Online-Besucherinnen und -Besuchern einerseits bzw. Online-Besuchen andererseits ableiten: 1. Die Zahl der Online-Besuche dürfte diejenigen der physischen Besuche übertreffen.16 Zumindest bei bekannten Museen ist die Zahl der Online-Besuche beachtlich. Die Tate digital zählte 2014 500.000 bis 600.000 Besuche pro Monat.17 Aus den USA gibt es Vergleichszahlen: Bei den Erwachsenen (älter als 13 Claire Ross, Melissa Terras: Scholarly Information Seeking Behaviour in the British Museum Online Collection, in: MW2011: Museums and the Web 2011. http://www.museumsandtheweb.com/ mw2011/papers/scholarly_information_seeking_behaviour_in_the.html (letzter Zugriff: 13.03.2021). 14 Rachael Rainbow, Alex Morrison, Matt Morgan: Providing Accessible Online Collections, in: MW2012: Museums and the Web 2012. http://www.museumsandtheweb.com/mw2012/papers/ providing_accessible_online_collections.html (letzter Zugriff: 13.03.2021). 15 Skov, Ingwersen: Museum Web Search Behavior, S. 92. 16 Ebd., S. 91. 17 Elena Villaespesa: Art & Artists. Digital Audience Research Report: Understanding Visitors’ Motivations and Usage of the Online Collection. Tate Digital. http://www.tate.org.uk/download/file/fid/37523, S. 2 (letzter Zugriff: 13.03.2021).

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18 Jahre) stehen 701 Millionen physischen Besuchen 1,2 Milliarden OnlineBesuche gegenüber.18 2. Es gibt Hinweise darauf, dass Online-Besuche vermehrt zu physischen Besuchen führen.19 Zwischen physischen Besuchen und Online-Besuchen scheint eine sich wechselseitig verstärkende Beziehung zu bestehen.20 3. Museums-Web-Angebote sind aus Nutzersicht vertrauenswürdige Quellen.21 4. Ein besseres Verständnis des spezifischen Informationsinteresses von Online-Besucherinnen und -Besuchern würde zu einem besseren Interaktionsdesign beitragen und Online-Sammlungen besser zugänglich machen.22

Ergebnisse zum Informationssuchverhalten   Verschiedene Studien liefern zudem interessante Ergebnisse zum Informationssuchverhalten in bestimmten Museumssparten. Beispielhaft sollen hier einige Studien aus Kunst- und kulturhistorischen Museen vorgestellt werden. Die Tate Modern in London hat als Teil ihrer digitalen Strategie ihre Online-Besucherinnen und -Besucher analysiert.23 Die Mehrzahl der Tate digital sind regelmäßige Besuchende: 70 % der Besuche entfallen auf Mehrfachbesucherinnen und -besucher wie Kunstexperten, Studierende, Lehrer. Erstbesuchende machen 20 % aller Besuche und etwa die Hälfte aller Besucherinnen und Besucher aus. Nach eigener Einschätzung haben die Besucherinnen und Besucher folgenden Kenntnisstand im Fachgebiet Kunst: 30 % haben ein Spezialwissen, 63 % ein Allgemeinwissen und sieben % verfügen über wenig oder kein Wissen. Das Online-Publikum von Tate digital hatte folgende Wünsche:24 – mehr Bilder zu den Kunstwerken und mehr Bilder pro Kunstwerk mit hoher Qualität und Zoom-Funktionen für Details, 18 José-Marie Griffiths, Donald W. King: Physical Spaces and Virtual Visitors: The Methodologies of Comprehensive Study of Users and Uses of Museums, in: International Cultural Heritage Informatics Meeting (ICHIM07) in Toronto, October 24–26, 2007, Toronto 2007. http://www.archimuse.com/ichim07/papers/griffiths/griffiths.html (letzter Zugriff: 13.03.2021). 19 Griffiths, King: Physical Spaces and Virtual Visitors; Ross, Terras: Scholarly Information Seeking Behaviour in the British Museum Online Collection; Skov, Ingwersen: Museum Web Search Behavior, S. 92. 20 Paul F. Marty: Websites and Museum Visitors, in: Journal of Museum Management and Curatorship 22.4 (2007), S. 337–360, hier S. 337, 355. 21 Villaespesa: Art & Artists, S. 3. 22 Skov, Ingwersen: Museum Web Search Behavior, S. 91. 23 Elena Villaespesa, John Stack: Finding the Motivation Behind a Click. Definition and Implementation of a Website Audience Segmentation, in: MW2015: Museums and the Web 2015. http://mw2015.museumsandtheweb.com/paper/finding-the-motivation-behind-a-clickdefinition-and-implementation-of-a-website-audience-segmentation/ (letzter Zugriff: 13.03.2021). 24 Villaespesa: Art & Artists, S. 16.

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– mehr Informationen zum Kunstwerk wie Künstlerbiografien, Analysen von Objekten und Kontextinformationen, – Links zu ähnlichen Inhalten wie Videos, Texten, Lehrmaterial. Diese Anforderungen aus dem Kontext der Tate digital decken sich mit Befragungen von anderen Institutionen25, so dass es vertretbar erscheint, sie als verallgemeinerbare Tendenz zu betrachten. Generell sind auch ausgewiesene Objektbeziehungen wie zum Beispiel ‚siehe-auch-Links‘ attraktiv für Benutzerinnen und Benutzer, weil diese es ihnen erlauben, Informationen zu vertiefen und sammlungsübergreifend zu rezipieren.26 Die kunstmuseumsbezogene Studie von Victoria Kravchyna27 hat bei den teilnehmenden Benutzergruppen (Studierende, Museumsmitarbeitende, Forschende) folgende Präferenzen für Suchfelder identifiziert, die sich weitgehend mit den Ergebnissen anderer Studien28 decken: – Titel des Objekts, – Name der Künstlerin bzw. des Künstlers, – Herstellungsdatum, – Kurzbeschreibung des Kunstwerks, – Material des Kunstwerks, – Kontextuelle oder historische Informationen zum Kunstwerk oder Künstlerin bzw. Künstler, – Genre, – Referenzen, – Links zu verwandten Museumsobjekten. Aus verschiedenen Studien lassen sich bestimmte verallgemeinerte Suchpräferenzen seitens des Online-Publikums ableiten. Zentrale Suchbegriffe sind Namen, geografische, zeitliche und fachspezifische Begriffe29 sowie Objektbeschreibung, Verwendungszusammenhänge und historische Ereignisse30. Hinzu

25 Siehe z. B. Kravchyna: Information Needs of Art Museum Visitors, S. 107; Ross, Terras: Scholarly Information Seeking Behaviour in the British Museum Online Collection, Table 4: Responses to collection on-line potential areas for improvement. 26 Rainbow, Morrison, Morgan: Providing Accessible Online Collections. 27 Kravchyna: Information Needs of Art Museum Visitors, S. 97. 28 Z. B. Rainbow, Morrison; Morgan: Providing Accessible Online Collections. 29 Ross, Terras: Scholarly Information Seeking Behaviour in the British Museum Online Collection. 30 Skov, Ingwersen: Museum Web Search Behavior, S. 95.

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kommt bei bekannten Objekten die Objekt- bzw. Inventarnummer.31 Einen hohen Stellenwert für Online-Besuchende hat auch die Volltextsuche32, was allerdings eher nicht für eine hohe Expertise seitens der Recherchierenden spricht, weil diese Suchpraxis eine hohe und weniger differenzierte Anzahl an Treffern ergibt. Dies scheinen Online-Besucherinnen und -Besucher aber nicht negativ zu bewerten, weil sie es von anderen Internetrecherchen gewohnt sind, hohe Treffermengen erwarten und deshalb eine geringe Präzision in Kauf nehmen.33 Auch wenn die Recherche mittels Suchfeldern als etabliert gelten kann, sollten diese nicht den alleinigen Zugang zu Museumsinformationen bilden. Neben der Suche sollte eine Möglichkeit zum Stöbern und Entdecken angeboten werden.34 Vor allem bei Online-Besucherinnen und -Besuchern, die wenig Erfahrung haben oder aus Enthusiasmus suchen, dominiert das Browsen.35

Allgemeine Informationsbedürfnisse  Die Informationsbedürfnisse und das Suchverhalten des Online-Publikums hängen stark von ihrem Kenntnisstand im jeweiligen Fachgebiet ab. Erfahrene(re) Besucherinnen und Besucher suchen gezielt nach detaillierten Informationen. Dagegen benötigen weniger erfahrene Unterstützung beim Suchen und Entdecken. Deshalb bieten sich kombinierte Rechercheangebote aus Suchen und Browsen an. Beim Browsen können Verlinkungen eine tiefergehende und sammlungsübergreifende Informationsrezeption ermöglichen. Die Spannbreite reicht dabei von weiterführenden Informationen zum Objekt bzw. Digitalisat (Kontextinformationen und Analysen von Objekten) über mediale Anreicherungen mit Texten, Lehrmaterial und Videos36 bis hin zu ausgewiesenen Objektbeziehungen wie ‚siehe auch Links‘37.) Besucherinnen und Besucher suchen gezielt nach detaillierten Informationen. 31 Ross, Terras: Scholarly Information Seeking Behaviour in the British Museum Online Collection. 32 Ebd.; Skov, Ingwersen: Museum Web Search Behavior, S. 96. 33 Skov, Ingwersen: Exploring Information Seeking Behaviour in a Digital Museum Context, S. 114. Vgl. auch den beitrag von Stephan Schwan in diesem Band. 34 Norris: It’s Not the Size of the Online Collection, S. 25–26; Rainbow, Morrison, Morgan: Providing Accessible Online Collections; Villaespesa: Art & Artists, S. 3, 13; Paul Clough, Timothy Hill, Monica Lestari Paramita, Paula Goodale: What Information Users Search for Using Europeana and Why, in: Jacob Kamps, Giannis Tsakonas, Yannis Manolopoulos (Hrsg.): Research and Advanced Technology for Digital Libraries TPDL 2017 in Thessaloniki, September 18–21, 2017, Cham 2017, S. 207–219, hier S. 207. 35 Skov, Ingwersen: Exploring Information Seeking Behaviour in a Digital Museum Context, S. 113; Clough u. a.: What Information Users Search for, S. 215. 36 Villaespesa: Art & Artists, S. 16. 37 Kravchyna: Information Needs of Art Museum Visitors, S. 97; Rainbow, Morrison, Morgan: Providing Accessible Online Collections.

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Im Rahmen der Recherche können Vorschlagsfunktionen bei der Eingabe in Suchfeldern (Auto-Suggest) eine gezielte Unterstützung hinsichtlich der Auswahl der Suchbegriffe geben. Sowohl für Trefferlisten als auch für Detailanzeigen von Treffern haben Bilder der Objekte eine unterstützende Funktion. Insgesamt gilt es, die Qualität der Rechercheergebnisse gezielt zu erhöhen, beispielsweise durch eine vorbereitende Suche nach spezifischen, bekannten Objekten, auch mittels Testpersonen zur Überprüfung. Außerdem sollte die zugrundeliegende digitale Objektdokumentation in ihrer Qualität verbessert werden durch systematische Kontrollen der Feldinhalte auf die Konsistenz der Einträge in verschiedenen Sammlungen, dies wird idealerweise bereits bei der Erfassung durch Schreibanweisungen unterstützt. Die Datenqualität sollte gezielt verbessert werden durch die Verwendung standardisierter und kontrollierter Vokabulare (z. B. Gemeinsame Normdatei) sowie durch eine stärkere Verlinkung mit Online-Angeboten von anderen Institutionen, insbesondere von Bibliotheken und Archiven.

Zusammenfassung  Das Informationsverhalten und die Informationsbedürfnisse der Online-Besucherinnen und -Besuchern von Museumsangeboten im Internet und OnlineAusstellungen müssen noch genauer erforscht werden. Um eine Vergleichbarkeit zwischen Studien herzustellen, muss definiert werden, was unter einem Online-Besuch zu verstehen ist und wie dieser methodisch gezählt wird. Auch bei der Kategorisierung des Online-Publikums herrscht Bedarf an weiterer Systematisierung. Insgesamt ist die Forschungslage recht disparat, so dass einzelne Studien und ihre Ergebnisse wenig vergleichbar sind. Hinzu kommt, dass individuelles Vorwissen und Perspektiven seitens der Online-Besucherinnen und -Besucher sowie die Besonderheiten der jeweiligen Museumssparten das Suchverhalten bestimmen. Insofern ist es schwierig, Aussagen zum Suchverhalten zu verallgemeinern. Die Ergebnisse verschiedener Studien legen jedoch nahe, dass gezielte Recherche, Volltextsuche sowie Browsen und Stöbern gängige Suchmuster sind. Die Informationsbedürfnisse von Online-Besucherinnen und Besuchern können durch Bilder, weiterführende Informationen zum Objekt und Verlinkungen mit Beständen aus Bibliotheken und Archiven besser bedient werden.

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Stephan Schwan 

Digitale Ausstellungen aus Besuchersicht  

Die Wege in die Museen und Bibliotheken sind kurz geworden. Mittlerweile genügen wenige Mausklicks, um in die Welt der Sammlungsobjekte oder Dokumente einzutauchen. Die vor Jahren noch intensiv geführte Debatte, ob digitale Angebote in Konkurrenz zu physischen Ausstellungen stehen, ist weitgehend beendet – kein Museum kann es sich mehr leisten, auf einen gut gepflegten Internetauftritt mit digitalen Präsentationen zu verzichten. Aggregatoren wie Europeana oder Google Arts & Culture rücken die Idee eines weltumspannenden Universalmuseums in greifbare Nähe. Doch ganz im Geiste von André Malraux’s musée imaginaire unterscheidet sich das Ansteuern einer digitalen Ausstellung auf dem heimischen Bildschirm in vielfacher Hinsicht vom Besuch eines physischen Museums. Kosten und körperlicher Aufwand sind auf ein Minimum reduziert, die Palette der Sammlungsgegenstände ist stark erweitert, die Exponate werden in ungeahnter Auflösung und Detailgenauigkeit präsentiert. Aber es fehlt die materielle Präsenz, die Vielfalt der Möglichkeiten mag verwirren, und es lockt der schnelle Wechsel von der Museumswebseite zur digitalen Shoppingmeile, zum Nachrichtenticker oder zum Social-Media-Account. Insofern ist es fraglich, inwieweit sich Modelle des Besuchsverhaltens, die in den vergangenen Jahren in der Museumsforschung entwickelt und anhand physischer Ausstellungen überprüft wurden,1 auf Museumsauftritte im Internet übertragen lassen. Vielmehr bilden digitale Ausstellungen eine eigenständige Form musealer Präsentation, zu deren Nutzung im Folgenden anhand ausgewählter empirischer Befunde ein kurzer Überblick gegeben wird.2

1 Vgl. John H. Falk, Lynn H. Dierking: The museum experience revisited, London 2012. 2 Vgl. allgemein zu Publikumserwartungen an museumsbezogene Informationsangebote im Internet den Beitrag von Werner Schweibenz in diesem Band.

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Stephan Schwan 

Motive für den Besuch von digitalen Museumsangeboten  Typischerweise bieten Internetauftritte größerer Museen und Bibliotheken unter dem Dach einer einheitlich gestalteten Website ein breites Spektrum von Angeboten. Neben Informationen für die Planung eines Museumsbesuchs finden sich Datenbanken zur Erschließung der Sammlung, Touren durch eigens dafür entwickelte digitale Ausstellungen, Themenblogs und Diskussionsforen sowie Bestellzugänge zum Museumsshop. Aktuelle Studien zeigen, dass nach Ansicht der Besucherinnen und Besucher Webseiten nicht einfach das Museum widerspiegeln, sondern es ergänzen und erweitern sollen. Zwar waren in einer Befragung von ca. 1.200 Nutzerinnen und Nutzern der Webseiten von internationalen Museen mehr als 60 % der Meinung, dass im Internet die gleichen Informationen und Aktivitäten angeboten werden sollten wie im Museum selbst.3 Aber nur eine Minderheit stimmte der Aussage zu, dass digitale Angebote die im Museum ausgestellten physischen Exponate und Artefakte (20 %) bzw. die damit einher gehenden Informationen (40 %) ersetzen können. Stattdessen gaben vier Fünftel an, dass sie an das digitale Angebot eines Museums andere Erwartungen haben als an dessen physischem Auftritt. Drei Viertel bejahten zudem, dass die Vorteile von Online-Umgebungen genutzt werden sollten, um Erfahrungen zu ermöglichen, die das Potenzial digitaler Medien ausschöpfen und in dieser Form in physischen Museen nicht realisierbar sind. Aus Sicht der Besucherinnen und Besucher unterscheiden sich physische und digitale Museen also deutlich. Der Breite der digitalen Angebote entspricht eine Vielfalt an Nutzungsmotiven.4 Das mit Abstand häufigste Motiv ist die Beschaffung von Informationen für einen Besuch des physischen Museums: Öffnungszeiten, Anfahrt, Eintrittspreise, Möglichkeiten der personalen Führung und laufende Ausstellungen. In Fragebogenstudien zur Nutzung der Online-Angebote verschiedener Museen gaben jeweils zwischen 40 % und 50 % der Befragten die Besuchsplanung als wichtigstes Nutzungsmotiv an.5

3 Vgl. Paul F. Marty: Museum websites and museum visitors. Digital museum resources and their use, in: Museum Management and Curatorship 23.1 (2008), S. 81–99. 4 Vgl. Silvia Filippini Fantoni, Rob Stein, Gray Bowman: Exploring the relationship between visitor motivation and engagement in online museum audiences, in: MW2012: Museums and the Web 2012. https://www.museumsandtheweb.com/mw2012/papers/exploring_the_relationship_between_ visitor_mot (letzter Zugriff: 07.02.2021); Kate H. Goldman, Dave T. Schaller: Exploring motivational factors and visitor satisfaction in online museum visits, in: MW2004: Museums and the Web 2004. https://www.archimuse.com/mw2004/papers/haleyGoldman/haleyGoldman.html (letzter Zugriff: 07.02.2021). 5 Vgl. Fantoni, Stein, Bowman: Exploring the relationship; Elena Villaespesa, John Stack: Finding the motivation behind a click. Definition and implementation of a website audience segmentation, in: MW2015: Museums and the Web 2015. https://mw2015.museumsandtheweb.com/paper/finding-

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Digitale Ausstellungen aus Besuchersicht 

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Ein weiteres Motiv bildet die themenbezogene Suche nach spezifischen Inhalten oder Sammlungsgegenständen und diesbezüglichen Detailinformationen.6 Eine solche inhaltlich motivierte Beschäftigung mit digitalen Angeboten kann einerseits aus privatem Interesse erfolgen oder aber für die Bearbeitung fachbezogener Aufgaben erforderlich sein – beispielsweise im Rahmen schulischer Unterrichtsprojekte oder von Masterarbeiten und Dissertationen. Neben einschlägigen Hobbys, bei denen die Besucherinnen und Besucher häufig bereits über ein umfassendes Vorwissen verfügen, spielen oft auch allgemeine kultur- oder lokalgeschichtliche Interessen sowie private genealogische Recherchen eine Rolle.7 Schließlich gibt aber auch ein überraschend großer Anteil der befragten Besucherinnen und Besuchern an, das digitale Angebot eines Museums ohne spezifisches Ziel, zur Unterhaltung und zum Zeitvertreib zu explorieren.8 Diese Personen schätzen ihren Kenntnisstand zu den Themen und Inhalten der digitalen Sammlungspräsentation häufig niedrig ein.9

Nutzungsverhalten bei digitalen Sammlungen   Im Internet können die Bestände eines Museums auf unterschiedliche Weise erschlossen werden. Da im Zuge von Inventarisierungen immer mehr Exponate digitalisiert werden, sind internetbasierte Sammlungsdatenbanken inzwischen weit verbreitet. Mittlerweile stellen 58 % der über 7.000 Museen in Deutschland Informationen zu ihren Sammlungsobjekten online zur Verfügung.10 Typischerweise verfügen die Objektdatenbanken über hochauflösende, teilweise dreidimensionale Abbildungen der Sammlungsobjekte, die mit Metadaten versehen sind und über freie Suchfelder oder strukturierte Browser recherchiert werden können.11

the-motivation-behind-a-click-definition-and-implementation-of-a-website-audience-segmentation/ (letzter Zugriff: 07.02.2021). 6 Vgl. Goldman, Schaller: Exploring motivational factors; Mette Skov, Peter Ingwersen: Museum Web search behavior of special interest visitors, in: Library & Information Science Research 36.2 (2014), S. 91–98. 7 Vgl. Anne-Britt Gran, Nina Lager Vestberg, Peter Booth, Anne Ogundipe: A digital museum’s contribution to diversity. A user study, in: Museum management and curatorship 34.1 (2019), S. 58–78. 8 Vgl. Fantoni, Stein, Bowman: Exploring the relationship; Gran, Vestberg, Booth, Ogundipe: A digital museum’s contribution; David Walsh, Mark M. Hall, Paul Clough, Jonathan Foster: Characterising online museum users. A study of the National Museums Liverpool museum website, in: International Journal on Digital Libraries (2018), S. 1–13. 9 Vgl. ebd. 10 Deutscher Museumsbund (Hrsg.): Bulletin 1/2020, Berlin 2020, S. 16. 11 Vgl. Florian Windhager, Pablo Federico, Günther Schreder, Katrin Glinka, Marian Dörk, Silvia Miksch, Eva Mayr: Visualization of cultural heritage collection data. State of the art and future

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Stephan Schwan 

In einer Studie zu Recherchen nach digitalen Sammlungsobjekten des Militärmuseums Kopenhagen zeigte sich, dass die Besucherinnen und Besucher vorwiegend einfache und kurze Freitext-Sucheingaben bevorzugten und nur selten auf erweiterte Suchfunktionen zurückgriffen.12 Dabei verwendeten sie breite, allgemeine Suchbegriffe, die zu umfangreichen, aber wenig präzisen Trefferlisten führten. Dies erhöhte die Chance, nicht nur die eigentlich gesuchten Sammlungsstücke zu finden, sondern nebenbei auch Entdeckungen in den Suchergebnissen zu machen (Serendipity-Effekt).13 Zur Unterstützung dieses Suchverhaltens wurden Interfaces entwickelt, die ein fortlaufendes, endloses Scrollen durch Abbildungen der Sammlungsbestände erlauben.14 Scrollt eine Nutzerin oder ein Nutzer langsam durch den Bestand und klickt dabei mehrmals Exponate an, werden ihm fortlaufend weitere Objekte gezeigt. Bei mittlerer Geschwindigkeit des Scrollens und seltenem Anklicken werden weniger ähnliche Objekte präsentiert, während bei schneller Geschwindigkeit Zufallsobjekte zu sehen sind. In einer Studie fanden 70 % der Befragten diese Form der Interaktion besonders anregend und abwechslungsreich und gaben an, sich mit Objekten beschäftigt zu haben, die sie sonst nicht bemerkt hätten. Recherchen in digitalen Sammlungen zeichnen sich zudem durch ihren ausgeprägten bildlichvisuellen Charakter aus. Nutzerinnen und Nutzer bevorzugen die Ergänzung der Listen von Suchergebnissen um kleine bildliche Vorschauen (Thumbnails) ebenso wie die Verfügbarkeit qualitativ hochwertiger und hochauflösender Abbildungen, mit der Möglichkeit, in die Darstellungen zu zoomen, um Details zu betrachten.15 Darüber hinaus ermöglichen es räumlich-dreidimensionale Scans, Gegenstände von unterschiedlichen Seiten zu erkunden.16 Je nach Art der Abbildung können daraus unterschiedliche Wahrnehmungseindrücke resultieren. Beispielsweise rief die Fotografie einer antiken chinesischen Pferdeskulptur bei

challenges, in: IEEE transactions on visualization and computer graphics 25.6 (2018), S. 2311– 2330. 12 Vgl. Skov, Ingwersen: Museum Web Search Behavior. Siehe zu diesem Befund auch den Beitrag von Werner Schweibenz in diesem Band. 13 Vgl. Allen Foster, Nigel Ford: Serendipity and information seeking. An empirical study, in: Journal of documentation 59.3 (2003), S. 321–340. 14 Vgl. John Coburn: I don’t know what I’m looking for: Better understanding public usage and behaviours with Tyne & Wear Archives & Museums online collections, in: MW2016: Museums and the Web 2016. https://mw2016.museumsandtheweb.com/paper/i-dont-know-what-imlooking-for-better-understanding-public-usage-and-behaviours-with-tyne-wear-archivesmuseums-online-collections/ (letzter Zugriff: 07.02.2021). 15 Skov, Ingwersen: Museum Web Search Behavior. 16 Vgl. Stephan Schwan, Frank Papenmeier: Learning from Animations. From 2D to 3D?, in: Richard Lowe, Rolf Plötzner (Hrsg.): Learning from dynamic visualizations: Innovations in research and application, Berlin 2017, S. 31–49.

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Digitale Ausstellungen aus Besuchersicht 

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Betrachterinnen und Betrachtern einen starken Eindruck von Kraft und Aggressivität hervor, während in einem entsprechenden dreidimensionalen Computerscan Bilddetails besser erkannt wurden und der Raumeindruck intensiver war.17 Als weiteren Service bietet eine Reihe von Museen den Nutzerinnen und Nutzern ihrer digitalen Bestände an, die Ergebnisse ihrer Recherchen dauerhaft als eigene digitale Sammlung zu speichern und mit anderen Interessierten zu teilen. In Fragebogenstudien wurden diese Funktionalitäten zwar von einem substanziellen Teil der Befragten gewünscht (43 %),18 in der Praxis allerdings nur von einer kleinen Minderheit genutzt.19 Diejenigen, die eigene Sammlungen anlegten, beschränkten sich häufig auf das Hinzufügen neu gefundener Objekte, waren aber kaum an der weiteren Bearbeitung, Kommentierung oder Veröffentlichung ihrer Sammlungen interessiert. Häufig wurden diese Sammlungen nach wenigen Besuchen wieder aufgegeben.20

Besuch von digitalen Ausstellungen  Die Recherche interessierter Nutzerinnen und Nutzer digitaler Museumsbestände erschöpft sich typischerweise nicht darin, bestimmte Objekte zu finden oder überraschende Entdeckungen zu machen. Ein weiter gehendes Ziel vieler Besucherinnen und Besucher besteht darin, den gefundenen Objekten eine Bedeutung zuzuschreiben und sie sinnvoll miteinander zu verknüpfen. Dementsprechend gab in der Studie von Mette Skov und Peter Ingwersen mehr als die Hälfte der Befragten an, dass den Objekten längere Texte beigegeben werden sollten, die beispielsweise über historische Begleitumstände und Ereignisse informieren und auf weiterführende digitale Angebote verweisen.21 Hierbei wird mit zunehmendem Umfang von Erklärungen und Zusatzmaterialien und deren themenbezogener Organisation der Übergang von Sammlungsdatenbanken hin zu digitalen Ausstellungen vollzogen.22 Letztere unterscheiden sich von Datenbanken in einer Reihe von Merkmalen: inhaltliche Kohärenz, Beschränkung auf

17 Vgl. Fabrizio Galeazzi, Paola Di Giuseppantonio Di Franco, Justin L. Matthews: Comparing 2D pictures with 3D replicas for the digital preservation and analysis of tangible heritage, in: Museum Management and Curatorship 30.5 (2015), S. 462–483. 18 Vgl. Marty: Museum websites and museum visitors. 19 Vgl. Coburn: I don’t know what I’m looking for; Paul F. Marty: My lost museum. User expectations and motivations for creating personal digital collections on museum websites, in: Library & information science research 33.3 (2011), S. 211–219. 20 Vgl. ebd. 21 Skov, Ingwersen: Museum Web Search Behavior. 22 Vgl. Dennis Niewerth: Dinge – Nutzer – Netze. Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen, Bielefeld 2018.

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eine ausgewählte Gruppe von Sammlungsgegenständen, umfassende Kontextualisierung der präsentierten Objekte durch multimediale Begleitmaterialien, modulare Gliederung in einzelne Kapitel sowie Verzicht auf Eingabemasken für Suchbefehle. Zu der Frage, ob Nutzerinnen und Nutzer Sammlungsdatenbanken oder digitale Ausstellungen bevorzugen, liegen bislang nur wenige Daten vor. In einer älteren Studie gaben 65 % der Besucherinnen und Besucher der Webseiten mehrerer internationaler Museen an, dass sie die dort verfügbaren Sammlungsdatenbanken nutzen, während 45 % der Befragten berichteten, dass sie sich online Galerien und interaktive Ausstellungen ansehen, wobei sich die beiden Antwortmöglichkeiten nicht ausschlossen.23 Dabei wurden Online-Touren durch die Ausstellungen bevorzugt vor dem Besuch des physischen Museums genutzt, während nach dem Besuch die Suche nach spezifischen Sammlungsobjekten im Vordergrund stand. Allerdings verbirgt sich hinter der Bezeichnung digitale Ausstellung eine breite, heterogene Palette von Gestaltungsvarianten. Sie reicht von Pfaden, denen Nutzerinnen und Nutzer durch Sammlungsdatenbanken unverbindlich folgen können (‚narrative model‘) über netzwerkartig verknüpfte Seiten (‚mosaic model‘) bis hin zu einer strikt linearen Abfolge von inhaltlich aufeinander aufbauenden Bildschirmseiten, die nur ein Minimum an Navigationsentscheidungen erfordern (‚mirror model‘).24 Zudem unterscheiden sich digitale Ausstellungen darin, ob sie ihre Inhalte in Form klassischer zweidimensionaler Webseiten präsentieren, bei denen multimediale Materialien (Texte, Fotografien, Videos) flächig auf dem Bildschirm angeordnet sind, oder ob sie die Verhältnisse eines physischen Museums imitieren und die Besucherinnen und Besucher per Mausklick durch begehbare, dreidimensional wirkende virtuelle Räume leiten. Im Hinblick auf diese Vielfalt wurde eine Reihe von Kriterienkatalogen vorgeschlagen, um abschätzen zu können, ob eine digitale Ausstellung die Bedürfnisse der Besucherinnen und Besucher hinreichend berücksichtigt und den Anforderungen an Benutzerfreundlichkeit genügt.25 23 Vgl. Paul F. Marty: Museum websites and museum visitors. Before and after the museum visit, in: Museum management and curatorship 22.4 (2007), S. 337–360; Marty: Museum websites and museum visitors. 24 Vgl. Santos M. Mateos-Rusillo, Arnau Gifreu-Castells: Museums and online exhibitions. A model for analysing and charting existing types, in: Museum Management and Curatorship 32.1 (2017), S. 40–49. 25 Vgl. Katerina Kabassi: Evaluating websites of museums. State of the art, in: Journal of Cultural Heritage 24 (2017), S. 184–196; Aleck C. H. Lin, Walter D. Fernandez, Shirley Gregor: Understanding web enjoyment experiences and informal learning. A study in a museum context, in: Decision Support Systems 53.4 (2012), S. 846–858; Irene Lopatovska: Museum website features, aesthetics, and visitors’ impressions. A case study of four museums, in: Museum Management and Curatorship 30.3 (2015), S. 191–207; John Pallas, Anastasios A. Economides: Evaluation of art museums‘ web sites worldwide, in: Information Services & Use 28.1 (2008), S. 45–57; Stella

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Digitale Ausstellungen aus Besuchersicht 

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Im Museum Sites Evaluation Framework (MUSEF) werden Museumswebsites aus Sicht der Besucherinnen und Besucher auf sechs Dimensionen beurteilt.26 Die Inhaltsdimension (Content) erfasst die Qualität, Quantität und Angemessenheit der präsentierten Informationen. Die Dimension der Darbietungsformate (Presentation – Media – Format – Appearance) bezieht sich auf die Qualität und Quantität des multimedialen Angebots, des Einsatzes personalisierter Formate und auf Ästhetik und Stil des Webauftritts. Für die Dimension der Bedienungsfreundlichkeit (Usability) werden Struktur und Organisation der Präsentation, Navigationsmöglichkeiten, Orientierungshilfen und Suchoptionen erfasst. Die Interaktivitätsdimension (Interactivity & Feeedback) umfasst interaktive Multimediaangebote sowie die Möglichkeiten synchroner oder asynchroner Kommunikation mit den Kuratorinnen bzw. Kuratoren oder anderen Website-Besuchenden. Zwei weitere Dimensionen betreffen schließlich die Qualität von E-Services und die technische Implementation der Website. Auf die Gestaltung von digitalen Ausstellungen im engeren Sinn konzentriert sich der Kriterienkatalog von Aleck C. H. Lin.27 In einer umfangreichen Studie wurden anhand des Webangebots des National Palace Museums in Taipeh mehr als tausend Personen befragt, welche Merkmale einer Museumswebsite ihrer Ansicht nach unterhaltsame Erfahrungen und informelles Lernen fördern. Die Befragten nannten ein ästhetisch ansprechendes visuelles Design, Verfügbarkeit von neuen Inhalten, Funktionen und Schnittstellen sowie leichte Bedienbarkeit und Interaktivität als wichtige Merkmale digitaler Ausstellungen. Aufbauend auf diesen Befunden leiten die Autorinnen und Autoren der Studie eine Reihe von Gestaltungsempfehlungen für Kuratierende solcher Ausstellungen ab. Sie umfassen Neuheit durch regelmäßigen Wechsel der Inhalte, eine harmonische Abstimmung von Inhalt und Form, Verlinkungen mit weiterführenden Informationsquellen, Strukturierung der Inhalte anhand Storylines, Verwendung von spielerischen Elementen sowie Möglichkeiten der sozialen Interaktion. Die Besonderheiten digitaler Ausstellungen, in denen sich Nutzerinnen und Nutzer durch eine dreidimensionale Darstellung von Ausstellungsräumen bewegen, die also einen physischen Museumsbesuch simulieren, werden von Katerina Kabassi thematisiert.28 Neben den bereits genannten generellen Merkmalen benutzerfreundlicher Museumswebsites beziehen sich weitere Qualitätskriterien darauf, wie intuitiv sich Besucherinnen und Besucher durch diese

Sylaiou, Kateraina Mania, Ioannis Paliokas, Laia Pujol-Tost, Vassilis Killintzis, Fotis Liarokapis: Exploring the educational impact of diverse technologies in online virtual museums, in: International Journal of Arts and Technology 10.1 (2017), S. 58–84. 26 Vgl. Pallas, Economides: Evaluation of art museums’ web sites. 27 Vgl. Lin, Fernandez, Gregor: Understanding web enjoyment experiences. 28 Vgl. Kabassi: Evaluating websites of museums.

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Räume bewegen können, ob ihre Interaktionsmöglichkeiten an vertraute Alltagshandlungen angelehnt sind und ob es einer solchen virtuellen Realität gelingt, ein Gefühl der räumlichen Präsenz zu erzeugen. Für Orientierung und Präsenz-Erleben hat sich dabei das Vorhandensein animierter digitaler Führungspersonen als hilfreich erwiesen.29

Fazit  Die bisher vorliegenden, wenigen empirischen Studien mögen einen ersten Einblick in die Bedürfnisse und das Nutzungsverhalten von Besucherinnen und Besuchern digitaler Ausstellungen geben. Von einer systematischen Aufarbeitung dieses Themas ist die Forschung aber noch weit entfernt. Viele der beschriebenen Untersuchungen wurden bereits vor mehr als zehn Jahren an Webangeboten durchgeführt, die heute als veraltet gelten und nicht den gegenwärtigen Standards einer nutzerfreundlichen Schnittstellengestaltung entsprechen. Darüber hinaus beruhen sie meist auf Befragungen von Nutzerinnen und Nutzern. Dass deren verbale Angaben nicht unbedingt mit ihrem tatsächlichen Verhalten übereinstimmen, zeigt sich beispielsweise an der Frage, ob und wie intensiv das Angebot aufgegriffen wird, aus Sammlungsdatenbanken eigene Exponat-Zusammenstellungen zu generieren. Doch trotz dieser Forschungsdefizite und der Lückenhaftigkeit der Daten lassen sich Schlussfolgerungen über die Sichtweisen von Besucherinnen und Besucher auf digitale Ausstellungen ziehen. Informationen zu Öffnungszeiten, Anfahrtswegen und Eintrittspreisen des physischen Museums sind zwar der häufigste Grund, eine Museumswebseite aufzusuchen, aber die Recherche in digitalen Sammlungen, das Erkunden digitaler Ausstellungen und das unterhaltsame Flanieren durch das Angebot sind ebenfalls attraktiv. Mehrheitlich ist den Besuchenden bewusst, dass digitale Ausstellungen das physische Museum nicht ersetzen, dafür aber eine Vielzahl von Möglichkeiten der Erkundung und Aufbereitung musealer Bestände bieten, die im physischen Museum verschlossen sind. Sie erwarten, dass Museen diese Optionen in kreativer Weise nutzen, indem sie digitale Ausstellungen kuratieren, die den Standards nutzerfreundlicher Gestaltung entsprechen, ihre Themen anschaulich vermitteln und der Vielfalt der Nutzerinnen und Nutzer, ihres Kenntnisstands, ihrer Interessen und ihrer Motive Rechnung tragen. 29 Vgl. Rufat Rzayev, Gürkan Karaman, Katrin Wolf, Niels Henze, Valentin Schwind: The Effect of Presence and Appearance of Guides in Virtual Reality Exhibitions, in: Florian Alt, Andreas Bulling, Tanja Döring (Hrsg.): Mensch und Computer 2019 – Tagungsband, New York 2019, S. 11–20.

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Innovative Strategien und Vermittlungskonzepte

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Einführung

Innovative Strategien und Vermittlungskonzepte 

Die „Kultur der Digitalität“1 hat Archive, Bibliotheken und Museen in ihrem Umgang mit dem kulturellen Erbe tiefgreifend erfasst. Mit den diesbezüglich von Felix Stalder identifizierten Formen Referentialität, Gemeinschaftlichkeit und Algorithmizität lassen sich dabei durchaus auch im GLAM-Bereich vorhandene Befunde greifen. Das betrifft etwa die Reziprozität des technologischen Wandels mit verschiedenen museologischen Paradigmenwechseln, die zur Neujustierung von Kuratierungs- und Vermittlungspraktiken geführt haben und auch für die Gestaltung digitaler Ausstellungen richtungsweisend sind. Dies gilt insbesondere für den Einsatz publikumsorientierter, interaktiver und partizipativer Ansätze, um Besucherinnen und Besucher unmittelbar anzusprechen und zu involvieren. Das Kapitel „Innovative Strategien und Vermittlungskonzepte“ widmet sich einer Auswahl dieser Konzepte mit exemplarischen bzw. in das jeweilige Themenfeld einführenden Beiträgen. Das Spektrum umfasst ausgehend von einem innovativen Ansatz im Bereich digitaler Ausstellungskonzeption Beispiele für Interaktionstechniken, Partizipation, Storytelling und Gamification, die aus bisherigen, zum Teil physischen Kontexten in Richtung digitale Ausstellungen weitergedacht werden. Sylvia Asmus stellt unter dem Titel „Wie stellt man Exil aus? Die Dauerausstellung Exil. Erfahrung und Zeugnis und die virtuelle Ausstellung Künste im Exil“ eine federführend vom Deutschen Exilarchiv der Deutschen Nationalbibliothek (DNB) entwickelte und seit 2013 online zugängliche Ausstellung vor. Diese basiert auf einem explorativen Ansatz, der die Ausstellung als unbegrenzt erweiterbares, kooperatives und kollaboratives Netzwerkprojekt versteht. Die Ausstellung ist solchermaßen offen für neue Ansätze, die künftig auch stärker in Richtung Partizipation und Interaktion gehen sollen.

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Felix Stalder: Kultur der Digitalität, Berlin 2016.

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Einführung 

Alexander Kulik, Stephan Beck, André Kunert und Bernd Fröhlich setzen sich in ihrem Beitrag „Soziale virtuelle Realität? Neue Technologien für gemeinsame Erlebnisse in Museen“ mit Mixed-Reality-Ansätzen auseinander, die auch in digitalen Ausstellungen soziale Interaktionen und gemeinsame Erlebnisse ermöglichen können. Mit dem Ziel, eine Kohärenz gemeinsamer Interaktionsund Erlebnisräume zu schaffen, entwickeln die Autoren Mehrbenutzer-3D-Interaktionstechniken für ortsunabhängig gemeinsame Erfahrungen. Mit Ansätzen wie diesen kann die Verzahnung physischer und digitaler Ansätze in der Ausstellungskuratierung weiter ausgeformt werden. Cassandra Kist und Franziska Mucha weiten in ihrem Beitrag „Platforms as bridging digitally enabled participation with exhibitions“ den bisherigen Blick auf digitale Kuratierungspraktiken. Dabei beziehen sie in das Verständnis von musealen Ausstellungen als medial vermittelte Bedeutungsräume (Kathleen Adams) auch digitale Plattformen ein. Anhand von verschiedenen Museumsprojekten beleuchten sie partizipative Ansätze im Sinne einer „Digitally Enabled Participation“, die Ausstellungen strategisch mit dem Einsatz von Social-MediaPlattformen verbindet. Die Autorinnen sehen hier eine auch gesellschaftspolitisch relevante Brückenfunktion zwischen Museen sowie deren Nutzerinnen und Nutzern. Neben partizipativen Ansätzen kommt dem Narrativen in der publikumsorientierten Kuratierung und Vermittlung eine zunehmende Bedeutung zu. Jana Hawig widmet sich dem Thema unter dem Titel „Erzählungen im digitalen Raum. Formen und Perspektiven des Storytellings in digitalen Ausstellungen“. Hawig identifiziert in der digitalen Ausstellungspraxis Bottom-Up und TopDown-Zugänge zum digitalen Erzählen, die sie exemplarisch vorstellt. Sie plädiert für eine Kombination erzählerischer Herangehensweisen, um die Vorteile, die interaktive und partizipative Elemente sowie hypermedial verknüpfte Inhalte bieten, besser auszuschöpfen zu können. Eng mit dieser Perspektive verbunden sind Gamification-Ansätzen, die digitale Ausstellungskonzeptionen grundieren oder mit Spielelementen verbinden. Bastian Schlang stellt diese unter dem Titel „Gamification. Perspektiven für physische und digitale Ausstellungen“ vor. Er zeigt, inwiefern eine spielerische Auseinandersetzung mit Ausstellungsinhalten eine handlungsorientierte, interaktive Publikumseinbindung ermöglicht. Besucherinnen und Besucher werden dabei zu Handlungsakteurinnen und -akteuren sowie Ko-Konstrukteurinnen und -konstrukteuren. Anhand eines aktuellen Beispiels wird deutlich, wie sich Game-Elemente konkret in Ausstellungen integrieren lassen.

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Sylvia Asmus

Wie stellt man Exil aus? Die Dauerausstellung Exil. Erfahrung und  Zeugnis und die virtuelle Ausstellung Künste im Exil 

Das Ausstellen von Sammlungen ist eine Kulturtechnik, die auf eine jahrhundertelange Tradition zurückgeht. Mit den digitalen Medien eröffnen sich neue Möglichkeiten für die Präsentation von Exponaten. Welche Auswirkung hat die Digitalisierung auf das Format Ausstellung? Wie unterscheiden sich Expositionen im physischen Raum von virtuellen Ausstellungen, welche Möglichkeiten und Grenzen charakterisieren beide Formate und wie grenzen sich Ausstellungen von anderen Formaten der Kulturvermittlung im virtuellen Raum ab? Digitalisierung bedeutet Chance und Herausforderung zugleich. Sie hat Folgen für die Erhaltung, Erschließung, Erforschung, aber eben auch für die Präsentation von Objekten. Digitalisierung steht für eine Verbesserung der Zugänglichkeit zu Quellen – oder zumindest zu bestimmten, ausgewählten Quellen. Für die bestandshaltenden Institutionen verspricht Digitalisierung eine stärkere Sichtbarkeit dieser Bestände. Aber Digitalisierung ist mehr als das Zugänglichmachen von Quellen im Internet. Digitalisierung verändert Kommunikation, Perspektiven auf Objekte und Themen sowie Strukturen der Zusammenarbeit und sie schafft neue Formate, wozu virtuelle Ausstellungen zählen.

Das Format Ausstellung   Digitale wie physische Ausstellungen lösen Exponate aus ihrem Überlieferungszusammenhang und vereinzeln sie. Die Objekte werden aus einer thematisch bestimmten Perspektive betrachtet und in veränderte Kontexte gebracht. Überlieferungen aus Nachlässen, die im Deutschen Exilarchiv 1933–1945 der Deutschen Nationalbibliothek (DNB) häufig das Ausstellungsmaterial stellen, werden so ein weiteres Mal aus einer überlieferten oder bibliothekarisch-archivarischen Ordnung und einem entsprechenden Bedeutungszusammenhang gelöst. Eine Ausstellung ist eine Inszenierung, in der mittels Exponaten bestimmte

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Sylvia Asmus 

Aussagen getroffen werden.1 Diese Aussagen sind den Dingen einerseits immanent, andererseits durch die Kontextualisierung und Musealisierung erzeugt, denn auch bei der Präsentation historischer Exponate sind es die Ausstellungsmacherinnen und -macher, die durch die Objekte sprechen und ihre Themen darüber entfalten. Eine Ausstellung ist kuratiert. Das Erarbeiten eines Konzeptes, die Definition und Interpretation des Themas, die Exponatauswahl und -anordnung, die Kontextualisierung und gestalterische Umsetzung, die Produktion und Vermittlung von Wissen, die Entwicklung ästhetischer und pädagogischer Perspektiven sind Bestandteile des Prozesses. Das gilt für physische wie virtuelle Ausstellungen.

Physische Ausstellungen  Physische Ausstellungen, hier verstanden als objektbasierte Präsentationen, wirken im Raum und arbeiten da, wo möglich, mit Dreidimensionalität. Objekte werden in Ausstellungen räumlich und in Bezug zueinander angeordnet, sie werden in Spannung gesetzt.2 Der Besuch einer solchen Ausstellung ist an bestimmte Zeiten gebunden. Das ist einerseits eine Einschränkung, andererseits ist der Museumsbesuch eine herausgehobene Situation, ein sich Wegbewegen vom alltäglichen Tun, eine örtliche Veränderung. Ein Museumsbesuch stellt eine bewusste Entscheidung dar – zum Schauen, zur Auseinandersetzung mit dem Thema, zum Lernen und Kennenlernen neuer Inhalte und Perspektiven. Zudem ist der Museumsbesuch oft eine geteilte Erfahrung. Studien belegen, dass diese sozialen Aspekte stärker zum Museumsbesuch anregen als inhaltliche. Der Wunsch nach sozialer Aktivität ist oft sogar der Hauptgrund für einen Museumsbesuch.3 Darüber hinaus ist es die Realpräsenz der Exponate und ihre expositorische Auratisierung, die Ausstellungsbesuche zu einer herausgehobenen Erfahrung machen. Diese Erfahrung, einem authentischen historischen Zeugnis aus nächster Nähe gegenüberzutreten, stellt einen Wert an sich dar, der physischen Expositionen vorbehalten bleibt. In der im März 2018 eröffneten Dauerausstellung

1 Siehe dazu: Sylvia Asmus: Exil ausstellen – online, in: Harald Jele, Elmar Lenhart (Hrsg): Literatur – Politik – Kritik. Beiträge zur Österreichischen Literatur des 20. Jahrhunderts, Göttingen 2014, S. 155–163. 2 Siehe dazu Heike Gfrereis, Ulrich Raulff: Literaturausstellungen als Erkenntnisform, in: Anne Bohnenkamp, Sonja Vandenrath (Hrsg.): Wort-Räume, Zeichen-Wechsel, Augen-Poesie. Zur Theorie und Praxis von Literaturausstellungen, Göttingen 2011, S. 101–109, hier S. 109. 3 Vgl. Birgit Mandel: Kontemplativer Musentempel, Bildungsstätte und populäres EntertainmentCenter, in: Hartmut John, Anja Dauschek (Hrsg.): Museen neu denken. Perspektiven der Kulturvermittlung und Zielgruppenarbeit, Bielefeld 2015, S. 75–87, hier S. 77.

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Wie stellt man Exil aus? 

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des Deutschen Exilarchivs 1933–1945 Exil. Erfahrung und Zeugnis (Abb. 1) werden fast ausschließlich Originalexponate präsentiert.4

Abb. 1: Blick in die Dauerausstellung des Deutschen Exilarchivs Exil. Erfahrung und Zeugnis, Foto: Anja Jahn Photography.

Anhand von 250 archivalischen und musealen Exponaten und 300 Publikationen widmet sich die Ausstellung den Erfahrungen des Exils. Annähernd 500.000 deutschsprachige Menschen waren nach 1933 zur Flucht aus der nationalsozialistischen Diktatur gezwungen. Die Ausstellung gewährt Einblicke in die Erfahrungen und Prozesse, die mit der Flucht einhergehen: Dargestellt werden Fluchtanlässe und Fluchtzeitpunkte, Fluchtrouten, das Ankommen in den Aufnahmeländern, die Gestaltung von Alltag und Arbeit, Politisierungsprozesse und Positionierungen bis zur Entscheidung zwischen dauerhaftem Aufenthalt und Rückkehr. Die real-authentische Überlieferung hat in dieser physischen Ausstellung einen besonderen Wert. Sie schafft Vertrauen, löst Emotionen aus und beglaubigt durch die physische Existenz der Objekte das Narrativ der Ausstellung.

4 Zur Ausstellung siehe Sylvia Asmus (Hrsg.): Exil. Erfahrung und Zeugnis. Deutsches Exilarchiv 1933–1945 der Deutschen Nationalbibliothek, Göttingen 2019.

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Sylvia Asmus 

Abb. 2: Koffer von Walter Meckauer, Deutsches Exilarchiv 1933–1945, EB 85/028, Foto: Stephan Jockel, DNB.

Der Koffer des Schriftstellers Walter Meckauer, den er bei seinen Exilstationen mit sich führte, mag dies verdeutlichen (Abb. 2). Er diente dem Schriftsteller als portables Büro, das ihn in die Schweiz, nach Italien, in unterschiedliche Städte Frankreichs, dann wieder in die Schweiz, in die USA und zurück nach Deutschland begleitet hat. 900 Manuskripte sind darin überliefert, insgesamt 3.205 gefaltete Seiten. Das physische Gewicht des Koffers lässt die Mühen erahnen, die es kostete, dieses Stück zu transportieren – und damit auch das ideelle Gewicht, die Bedeutung, die der Koffer offenbar für den Schriftsteller hatte. Auch die Carte d’Identité für die nach Frankreich ins Exil geflohene Jüdin Betty Isolani verdeutlicht die Funktion der authentischen Überlieferung. Es war dieses Ausweisdokument, das in dem widerständigen französischen Ort Dieulefit für Betty Isolani ausgestellt worden war und ihr nach Beginn der Deportationen und schließlich der vollständigen Besetzung Frankreichs das Überleben unter dem falschen Namen Berthe Imbert sicherte. Den Exponaten sind solche Erzählungen eingeschrieben. Sie tragen Gebrauchsspuren, sind gealtert, vergilbt, beschädigt und dennoch aufbewahrt worden. Bei Führungen durch die Ausstellungen ist zu beobachten, dass es für viele Besucherinnen und Besucher durchaus einen Unterschied macht, einem Original oder einem Faksimile zu begegnen. Immer wieder versichern sich Ausstellungsbesuchende der Authentizität der Exponate. Bei Führungen durch das Archiv, bei denen die Stücke nicht durch Vitrinen von den Gästen getrennt sind,

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Wie stellt man Exil aus? 

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entsteht häufig der Wunsch, die Stücke anfassen zu dürfen. Ein Akt, der deutlich macht, wie stark die Glaubwürdigkeit einer Erzählung – noch – an das Begreifen der materiellen Existenz der Objekte gebunden ist. Die Besucherinnen und Besucher gehen dabei eine Verbindung mit den Exponaten ein, sie setzen diese in Relation zur eigenen Person und werden so in die Lage versetzt, die Erfahrungen des Exils anders als nur beim Lesen eines Textes zu verstehen.

Virtuelle Ausstellungen  Was bedeutet das für virtuelle Ausstellungen? Der Begriff der virtuellen, digitalen oder Online-Ausstellung ist ähnlich unscharf, wie jener der digitalen Literatur oder der digitalen Edition. Das Medium hat sich noch nicht wirklich gefunden und aktuell entstehen neue Formate. Beim Ausstellen im virtuellen Raum werden Made-digital oder Born-digital-Exponate online präsentiert. Aber nicht immer, wenn Quellen in digitaler Form präsentiert werden, handelt es sich um eine virtuelle oder digitale Ausstellung. Der Begriff ‚Ausstellen‘ hat ebenso wie das Wort ‚Kuratieren‘ im digitalen Raum an Kontur verloren und muss unter den veränderten Bedingungen des Digitalen wieder neu definiert werden. In Abgrenzung zu anderen digitalen Formaten sind virtuelle Ausstellungen durch einen vertieften inhaltlichen Zugriff, eine Neukontextualisierung der Exponate, und ihre Bildzentrierung, also die visuelle Repräsentation eines Narrativs, gekennzeichnet.5 Von analogen Formaten unterscheiden sich Ausstellungen im virtuellen Raum – einen Zugang zum Internet vorausgesetzt – zunächst durch ihre raum- und zeitunabhängige Zugänglichkeit. Virtuelle Ausstellungen haben keine Öffnungszeiten, Besucherinnen und Besucher müssen sich nicht zu bestimmten Zeiten an bestimmte Orte begeben, die Ausstellung kann vom Arbeitsplatz aus, von der eigenen Wohnung aus, von unterwegs, auch nur für kurze Zeit besucht und wieder verlassen werden. Es muss keine Zeit dafür eingeplant werden, die Betrachtung eines Ausstellungsexponats kann sich ohne Vorsatz aus anderen Kontexten und überall ergeben, beispielsweise aus einer Internetrecherche. Der Besuch einer virtuellen Ausstellung, das Betrachten der Exponate erfolgt ohne Medienbruch. „Die digitalen Medien treten in unsere Welt an einem neutralen, standardisierten, gewissermaßen globalen Ort, dem Bildschirm.“6 Der Prozess der Wissensbildung sowie bestimmte Erfahrungen sind damit nicht

5 Zur Abgrenzung zwischen Bestandsdigitalisierung und digitalen Editionen siehe Patrick Sahle: Digitale Editionen. http://www.uni-koeln.de/~ahz26/digedi.htm (letzter Zugriff: 19.10.2019). 6 Wolfgang Schmale: Digitale Geschichtswissenschaft, Wien/Köln/Weimar 2010, S. 16.

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Sylvia Asmus 

mehr an besondere physische Orte wie Archive, Museen und Bibliotheken gebunden.7 Auf die digitale Geschichtswissenschaft bezogen verwendet Wolfgang Schmale deshalb die Begriffe ‚entgrenzen‘ und ‚verlebendigen‘, was sich auf digitale Ausstellungen übertragen lässt. Zumindest für eine Übergangszeit kann mit dieser Entgrenzung eine Verunsicherung einhergehen, der Begriff des ‚digitalen Surrogats‘, dem etwas von ‚zweitrangig‘, ‚nicht vollwertig‘, vielleicht auch von ‚nicht glaubwürdig‘ anhaftet, weist darauf hin. Andererseits beinhaltet die Nutzung digitalen Contents die Chance der individuellen Kontextualisierung und der Nutzung ganz unterschiedlicher Ressourcen in einer egalisierenden, Trennungen aufhebenden Umgebung. Die virtuelle Ausstellung als reine Imitation des physischen Museums hat sich nicht durchgesetzt. Mit der fortschreitenden Professionalisierung der Virtual-Reality-Technologie, die in der Realität nicht erreichbare Orte und Welten erfahrbar macht und Interaktion in diesen ermöglicht, entstehen aktuell neue Formate, die den musealen Raum um zusätzliche digitale Dimensionen erweitern. Noch kommt der überwiegende Teil digitaler Ausstellungen jedoch weniger spektakulär daher. Unabhängig vom Format der virtuellen Ausstellungen gilt, dass sie einem digitalen Paradigma folgen, wenn sie neue Potenziale erschließen wollen. Virtuelle Ausstellungen verabschieden sich von der Idee der begrenzenden Räume und Vitrinen, von linearen Strukturen, und davon, dass sie irgendwann abgeschlossen werden, sie lassen solche traditionellen Beschränkungen hinter sich, sind dafür aber neuen ausgeliefert. Virtuelle Ausstellungen sollten sich daher nicht darauf beschränken, Inhalte in digitaler Form zugänglich zu machen, sondern sie sollten genuin für das digitale Medium konzipiert sein. Digitale Formate werden dann nicht mehr als neue Medien im Gegensatz zu den analogen, traditionellen Formaten verstanden, sondern so eingesetzt, wie es für das jeweilige Anliegen adäquat erscheint. Für die Zukunft zeichnet sich zudem ab, dass sich virtuelle und materielle Welten immer stärker durchdringen und sich durch diese Wechselwirkungen neue Interaktionsmöglichkeiten für die Besucherinnen und Besucher eröffnen. Schon jetzt ist zu beobachten, dass sich Kommunikationsstrukturen wie die Beziehung zwischen Exponaten sowie Besucherinnen und Besucher unter den Bedingungen der Digitalität verändern.

7 Ebd., S. 13–15. Dazu auch Daniel Bernsen, Ulf Kerber: Medientheoretische Überlegungen für die Geschichtsdidaktik, in: dies.: Praxishandbuch historisches Lernen, Leverkusen-Opladen 2017, S. 21–36, hier S. 24.

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Wie stellt man Exil aus? 

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Künste im Exil  Das Konzept des bereits 2012 konzipierten und 2013 online gestellten Netzwerkprojekts Künste im Exil ist wesentlich davon bestimmt, dass die Ausstellung nur digital stattfindet.8 Die Exponate, die auf Künste im Exil gemeinsam präsentiert werden, liegen in der realen Welt verteilt, an unterschiedlichen Orten und in unterschiedlichen Kontexten vor. Dabei bestimmen zwei Leitgedanken das Konzept der Ausstellung: – Das Grundmotiv der Ausstellung ist das Netz, und das in mehrfacher Hinsicht. – Die Ausstellung bleibt bewusst immer unabgeschlossen.

Vernetzung 

Auch wenn „Vernetzung bereits eines der aufdringlichsten Schlagwörter der Gegenwart geworden und kurz davor ist, zum Unwort zu werden, [handelt es sich um ein] kraftvolles Instrument“.9 Dieses bestimmt zum einen die inhaltliche Ebene von Künste im Exil, indem die historische Perspektive auf das Exil aus dem Machtbereich der NS-Diktatur in der Ausstellung mit dem Blick auf gegenwärtige Phänomene verbunden ist: Die Flucht aus dem nationalsozialistischen Machtbereich, aus der DDR und auch die Zuflucht in Deutschland nach 1945 sind in der Ausstellung ineinander verwoben.10 Wie diese unterschiedlichen Exile sind auch unterschiedliche künstlerische Disziplinen Teil eines Netzes: Architektur, Darstellende Kunst, Bildende Kunst, Film, Fotografie und Literatur. Ebenso bewusst kombiniert Künste im Exil unterschiedliche Exponatgattungen und verbindet somit in gleicher Präsentationsweise Elemente der Kunst- und der Archivausstellung. Gezeigt werden Kunstwerke, also dreidimensionale Exponate, die zur Betrachtung geschaffen wurden, aber auch archivalische Objekte wie Briefe, Lebens- und Alltagszeugnisse, Literatur sowie audiovisuelle Quellen. Jedem Exponat ist in der Ausstellung eine dynamische Objektgalerie zugeordnet, über die unterschiedliche Exponate miteinander in Beziehung gesetzt werden. Dafür wird die im digitalen Raum mögliche Reproduzierbarkeit der Exponate bewusst 8 https://kuenste-im-exil.de/ (letzter Zugriff 19.10.2019). 9 Stefan Kutzenberger: Gasförmig, flüssig und fest. Visualisierungsstrategien der Aggregatzustände der Literatur am Beispiel Robert Musil, in: Katerina Kroucheva, Barbara Schaff (Hrsg.): Kafkas Gabel. Überlegungen zum Ausstellen von Literatur, Bielefeld 2013, S. 168–184, hier S. 180. 10 Sylvia Asmus, Jesko Bender: Klickpfade durchs Exil, in: Exilforschung 31 (2013), S. 186–196 sowie Sylvia Asmus: Exilnetzwerk. Die virtuelle Ausstellung Künste im Exil, in: Politik & Kultur. Zeitung des Deutschen Kulturrats 6 (2019), S. 17.

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genutzt. In unterschiedlichen Kontexten trifft ein und dasselbe Exponat in der Ausstellung unterschiedliche Aussagen, potenziell kann alles mit jedem verbunden sein. Zum offenen Konzept der Ausstellung gehört auch ihre bewusste Unabgeschlossenheit. Das Exil ist kein historisch abgeschlossenes Thema, sondern ein unsere Gegenwart prägendes Phänomen. Es ist Gegenstand künstlerischer Auseinandersetzungen und prägt bis heute die Lebenswirklichkeit verfolgter Künstlerinnen und Künstler. Die Ausstellung ist deshalb so angelegt, dass sie potenziell unbegrenzt um Themen, Akteure und Objekte anwachsen kann. Wie das Inhaltskonzept und die Präsentation der Exponate ist auch die Rollenverteilung im Projekt Künste im Exil von Vernetzung bestimmt. Nicht nur verteilt vorliegende Exponate finden in der Ausstellung zueinander, sondern auch verteilt verfügbare Expertise, denn Digitalisierung kann und soll auch Arbeitsweisen verändern. Die Federführung für die Ausstellung liegt beim Deutschen Exilarchiv der DNB, aber Künste im Exil ist als kooperatives Netzwerkprojekt angelegt, dem mittlerweile 37 Institutionen angehören. Dieser Netzwerkcharakter, der besonders in den ersten Jahren des Projektes auch in konkreten Netzwerktreffen Ausdruck fand, verfolgt das Ziel, Sichtweisen, Positionen und Expertise einer zunehmenden Anzahl von Akteuren aus unterschiedlichen Disziplinen in die Ausstellung einfließen zu lassen. Dabei kann sich die Bedeutung der Akteure in der physischen und der virtuellen Welt stark unterscheiden, denn unter den Bedingungen der Digitalität verändern sich solche Bewertungsmaßstäbe. Künste im Exil ist folglich als Kollaborationsprojekt konzipiert, das geeignet ist, Eigenlogiken aufzubrechen und mit anderen Perspektiven zu konfrontieren. Die Position des ‚autorisierten Sprechers‘ wurde zugunsten einer Expertisenvielfalt aufgelöst. Dem Netzwerk gehören bisher Institutionen in Deutschland, Österreich, der Schweiz, in den USA und Israel an, darunter Archive, Bibliotheken, Museen, Universitäten, Schulen und wissenschaftliche Gesellschaften. Das Netzwerk Künste im Exil ist somit geeignet, institutionelle Einhegungen und Ansprüche aufzubrechen. Die Startseite des Projektes (Abb. 3) trägt dem Netzwerkcharakter Rechnung. Ohne institutionelle Zuordnung, aber unter dem Logo und der Domain Künste im Exil weist sie die Ausstellung als Ergebnis der Arbeit einer Kuratorengemeinschaft aus. Klickbare Bildkacheln bieten eine Vielzahl von Einstiegspunkten: Sie ermöglichen entweder gebündelte Zugänge, beispielsweise zu Kurzdarstellungen der Netzwerkpartner, thematischen Überblickstexten, Personen- und Objektübersichten und Sonderbereichen oder führen direkt auf die Exponatebene der Ausstellung.

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Wie stellt man Exil aus? 

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Abb. 3: Startseite der virtuellen Ausstellung Künste im Exil, Quelle: https://kuenste-im-exil.de/ (letzter Zugriff: 07.11.2019).

Der Weg durch die Ausstellung 

Das Konzept der Ausstellung soll durch einen exemplarischen Klickweg durch Künste im Exil verdeutlicht werden: Von der Startseite führt das Selbstporträt Ellen Auerbachs zu einer Kurzbiografie der Fotografin, mit der ein Themenbeitrag New York verlinkt ist. Im Thementext ist eine Kurzbiografie Lion Feuchtwangers verknüpft, die weiterführt zu einem Text über den Ort Pacific Palisades. Als Exponat ist dort die Publikation Exil von Michael Lentz angebunden, die wiederum mit Klaus Modicks Sunset verknüpft ist. Über den damit verbundenen Themenbeitrag Exil als Thema künstlerischer Arbeit gelangt man beispielsweise zu einem Interview mit der Literaturwissenschaftlerin Doerte Bischoff und von dort zum Thema Exilforschung. Hier führt ein Beitrag zum Thema Heimat und zu einem Interview mit Herta Müller sowie Liao Yiwu. Künste im Exil ist ein wachsendes Netz, in dem Themen, Personen und Objekte miteinander verwoben werden und Wechselwirkungen sichtbar gemacht werden. Die Ausstellung ist als dynamisches Format angelegt, in dem sie sukzessive um neue Exponate, Inhalte und Verlinkungen anwächst. Der Zugang für Besucherinnen und Besucher ist ein vorwiegend assoziativer, der zusätzlich zu den

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strukturierten Einstiegen zahlreiche Möglichkeiten zum explorativen Erschließen der Inhalte bietet. So entstehen viele individuelle Wege durch die Ausstellung. Anders gestaltet ist die virtuelle Ausstellung Exil. Erfahrung und Zeugnis,11 die parallel zur gleichnamigen physischen Dauerausstellung erarbeitet wurde. Hier steht nicht das dynamische Moment im Mittelpunkt, nicht das assoziative Erschließen und freie Flanieren von Ausstellungsbesucherinnen und -besucher, sondern die Wissensbildung. Die Ausstellung dient der Vor- und Nachbereitung eines Vor-Ort-Besuchs. Zugleich bietet sie aber zusätzliche Funktionen. Etwa Bündelungen von Themen und Objekten, die in der physischen Ausstellung voneinander getrennt sind. Aus dieser Zusammenschau lassen sich zusätzliche Erkenntnisse gewinnen.

Zukunftsperspektive  Das Netzwerkprojekt Künste im Exil ließe sich noch weiterdenken. Besucherinnen und Besucher könnten durch eine aktivere Rolle im kollaborativen Produktionsprozess vom „Konsumenten zum Prosumenten“ werden, der die Ausstellung durch nutzergenerierte Inhalte und Kommentare anreichert.12 Individualisierte, persönliche Bereiche könnten entstehen, die Besucherinnen und Besucher selbst kuratieren und die von deren Perspektiven auf das Thema geprägt sind. Das wäre ein weiterer Schritt weg von der Position des autorisierten Kuratorenkollektivs hin zu einem partizipativen Format. Das Netzwerk von Künste im Exil könnte damit viel stärker international ausgreifen und die virtuelle Ausstellung noch stärker zu einem transnationalen Exil-Archiv formen. Auch der Exponatfundus ließe sich erweitern. Für die Zeit 1933 bis 1945 bleibt die Ausstellung auf digitalisierte analoge Medien angewiesen, aber heutige Exilantinnen und Exilanten kommunizieren über digitale Formate wie Weblogs, Tweets oder Posts, die es in geeigneter Form einzubinden gilt. Auch der Zugriff auf die Exponate könnte ausgeweitet werden. Eine Tiefenerschließung und Auszeichnung der Exponate würde die virtuelle Ausstellung für digitale Werkzeuge und Methoden und damit für diese spezifische Form des digitalen Kuratierens öffnen. Für physische wie virtuelle Ausstellungen zeichnet sich ab, dass Formate im raschen Wandel entstehen werden, deren Zuschnitt und Potenzial wir aus unserer gegenwärtigen Perspektive noch kaum absehen können. Die Präsentation virtueller Exponate in physischen Räumen beispielsweise liegt gegenwärtig im 11 https://exilarchiv.dnb.de/ (letzter Zugriff: 23.10.2019). 12 Steffi de Jong: Von Hologrammen und sprechenden Füchsen. Holocausterinnerung 3.0. https://erinnern.hypotheses.org/465#more-465 (letzter Zugriff: 23.10.2019).

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Wie stellt man Exil aus? 

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Trend. Der besondere Ort Museum bleibt gleichwohl erhalten, auch wenn das Erlebnis im physischen Raum ein virtuelles ist. Analoge und virtuell erlebbare Wirklichkeiten und damit analoge und digitale Vermittlungsformen durchdringen sich zunehmend, kollaborative Prozesse und partizipative Methoden werden selbstverständlicher. Dabei ist zu bedenken, dass digitale Medien nicht nur die jeweilige Gegenwart, in Ausstellungen etwa das Besuchserlebnis, verändern können, sondern auch den Blick auf und den Umgang mit Geschichte. Eine Studie des Auswandererhauses Bremerhaven hat kürzlich belegt, dass „traditionelle Vermittlungsmethoden (in diesem Fall Objekte in Vitrinen, Texttafeln an der Wand und Audiostationen) den Besucherinnen und Besuchern helfen, eine emotionale Verbindung zu den entsprechenden Ausstellungsinhalten aufzubauen“.13 Die virtuellen Formate hingegen stärkten die erfahrungsbezogenen Emotionen, also beispielsweise das Vergnügen oder die Zufriedenheit mit dem Ausstellungsbesuch. Eine Vielfalt der Vermittlungsformate ist notwendig, um unterschiedliche Ausstellungsnarrative angemessen zu präsentieren und sowohl Wissenserwerb wie ‚kognitive Empathie‘ sowie einen unterhaltsamen und interessanten Ausstellungsbesuch zu ermöglichen, der nachhaltig wirkt. Es gilt also, die Kraft der authentischen Überlieferung und der analogen musealen Vermittlung so durch digitale Formate zu erweitern, dass beide Formen ihre Potenziale dem jeweiligen Gegenstand angemessen entfalten können.

13 Katie Heidsiek: Deutsches Auswandererhaus Bremerhaven (Hrsg.): Berührt es mich? Virtual Reality und ihre Wirkung auf das Besuchserlebnis in Museen – eine Untersuchung am Deutschen Auswandererhaus, Bremerhaven 2019. https://doi.org/10.5281/zenodo.3611352 (letzter Zugriff 23.10.2019).

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Soziale virtuelle Realität? Neue Technologien für gemeinsame  Erlebnisse in Museen 

Museen bewahren Kunstwerke, historische Artefakte, Reproduktionen wissenschaftlicher Experimente oder auch Zeugnisse tradierter kultureller Praktiken. Sie ermöglichen vor allem deren Erlebnis in didaktisch aufbereiteter Form. Anders als die frühen Kuriositätenkabinette sind moderne Museen meist spezialisiert. Sie präsentieren ein ausgewähltes Thema oder Sammelgebiet möglichst vollständig und mit Kontextinformationen, um Besucherinnen und Besuchern ein Verständnis der Zusammenhänge zu erlauben. Oft sind relevante Museumsobjekte jedoch an unterschiedlichen Orten verteilt. Teilweise müssen sie aus Platzmangel oder konservatorischen Gründen für die Öffentlichkeit unsichtbar in Depots verwahrt werden. Die Präsentation hochdetaillierter digitaler Kopien, die inhaltliche Verknüpfung verwandter Exponate in digitalen Ausstellungen und deren interaktive Erweiterung mit interessanten Zusatzinformationen bildet daher eine längst etablierte Form virtueller Ausstellungen. In diesem Artikel beschreiben wir einige Beispiele dafür und diskutieren die Chancen und Herausforderungen sozialer virtueller Realität als neues Ausstellungsmedium.

Digitale Technologien für Museen  Ein besonders sehenswertes Beispiel digitaler Ausstellungsformate stellt die interaktive Präsentation von Hieronymus Boschs Garten der Lüste dar.1 Kein Besucher könnte das Original in vergleichbarer Detailliertheit betrachten. Auch die gezielte Platzierung erläuternder Texte innerhalb der unzähligen Szenen in diesem frühen ‚Wimmelbild‘ wäre im Kontext des Originals in dieser Fülle

1 http://archief.ntr.nl/tuinderlusten/ (letzter Zugriff: 19.05.2020).

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kaum möglich. Ähnlich beeindruckend sind die hochauflösenden Online-Präsentationen der Werke von Pieter Bruegel dem Älteren2 oder Jan van Eyck3. In letzterem Fall gestattet die virtuelle Ausstellung die Verknüpfung von Werken des Künstlers, die in verschiedenen Museen in Europa und Nordamerika bewahrt werden. Die Qualität der online verfügbaren virtuellen Ausstellungen schmälert dabei nicht die Bedeutung der physischen Galerien. Im Gegenteil, beide Ausstellungsformen ergänzen und fördern einander. Aus einem Gelegenheitsbesuch im Museum erwächst oft erst ein neues Interesse an den ausgestellten Artefakten, dem Besucher etwa durch Bücher und entsprechende OnlineMedien nachgehen können. Andersherum steigert das damit zuvor erworbene Vorwissen von Besucherinnen und Besuchern deren Motivation, die Originale zu sehen. Die dynamische Vernetzung von Daten in digitalen Medien bietet optimale Bedingungen, solche Vor- und Nachbereitungen sowie den individuellen Museumsbesuch selbst eng miteinander zu verknüpfen.4 Die direkte Integration digitaler Ausstellungselemente im Kontext der Originale kann auch Besucherinnen und Besuchern vor Ort ein besseres Verständnis ermöglichen und dadurch deren Interesse an den physischen Exponaten steigern. Anders Ynnerman, Thomas Rydell und weitere Mitforschende berichten beispielsweise über die Installation eines digitalen Bildschirmtisches im Britischen Nationalmuseum, der die Präsentation einer ägyptischen Mumie um eine interaktiv explorierbare Computertomographie mit Erläuterungstexten erweitert. Die Ergebnisse einer umfangreichen Nutzerstudie zeigen, dass die Aufenthaltszeit der Besucherinnen und Besucher um 40 % stieg. Dabei verbrachten sie diese zusätzliche Zeit nicht nur am interaktiven Exponat. Der Anteil jener, die der physischen Mumie ihre Aufmerksamkeit schenkten, stieg von 59 auf 83 %. Die Autoren der Studie berichteten, dass die neue Installation sogar das Interesse an anderen Ausstellungsstücken steigerte.5 Neue Technologien wie die 3D-Digitalisierung und die interaktive 3D-Visualisierung ergänzen bzw. erweitern die Exposition dreidimensionaler Räume und Objekte um realitätsnahe virtuelle Präsentationen. Allein aus konservatorischen

2 https://insidebruegel.net/ (letzter Zugriff: 19.05.2020). 3 http://closertovaneyck.kikirpa.be (letzter Zugriff: 19.05.2020). 4 Tsvi Kuflik, Alan J. Wecker, Joel Lanir, Oliviero Stock: An integrative framework for extending the boundaries of the museum visit experience: linking the pre, during and post visit phases, in: Information Technology & Tourism 15.1 (2015), S. 17–47 oder auch: Daniela Petrelli, Mark. T. Marshall, Sinéad O’Brien, Patrick McEntaggart, Ian Gwilt: Tangible data souvenirs as a bridge between a physical museum visit and online digital experience, in: Personal and Ubiquitous Computing 21.2 (2017), S. 281–295. 5 Anders Ynnerman, Thomas Rydell, Daniel Antoine, David Hughes, Anders Persson, Patric Ljung: Interactive visualization of 3d scanned mummies at public venues, in: Communications of the ACM 59.12 (2016), S. 72–81.

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Soziale virtuelle Realität? 

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Gründen ist eine umfassende und detaillierte 3D-Digitalisierung musealer Exponate sinnvoll und im Gange.6 Ähnlich wie die vorher erwähnten Makrophotographien von Meisterwerken der Malerei können die resultierenden 3DModelle in höherem Detailgrad betrachtet werden als die Originale und bieten dadurch eine neue Erlebnisqualität: Arbeitsspuren an Skulpturen werden sichtbar, Gebäude und Stadtmodelle werden virtuell begehbar. Durch interaktive Simulationen auf Basis dieser Modelle werden technische Funktionen und soziale Prozesse leichter begreifbar. Nicht zuletzt können diese digitalen Exponate grundsätzlich an jedem Ort der Welt gleichzeitig erlebt werden. Eine immersive virtuelle Realität bietet hier eine attraktive Plattform für die Präsentation und weitergehende wissenschaftliche Erforschung solcher 3D-Modelle. Die Technologie ermöglicht unter anderem das Erlebnis der Objekte in ihrer tatsächlichen Größe und auch deren intuitive Betrachtung durch direkte 3D-Navigation und Manipulation.7 Zum Teil werden auch haptische und akustische Qualitäten in der virtuellen Simulation erlebbar, während die Originale in Vitrinen und Archiven geschützt bleiben.

Virtuelle Realität  Virtuelle Realität eignet sich besonders für die Präsentation und Analyse dreidimensionaler Objekte in Relation zu einem räumlichen Kontext, z. B. die historische Umgebung eines rekonstruierten Gebäudes. Die unmittelbare Wahrnehmung solcher räumlichen Zusammenhänge aus einer individuellen Egoperspektive ist in vielen Fällen der Architektur- und Regionalgeschichte oder auch der Archäologie eine wichtige Verständnisgrundlage, die bisher nur vor Ort möglich war. In hochauflösenden virtuellen Modellen können Besucherinnen und Besucher nun jegliche Perspektive einnehmen. Die fließende virtuelle Navigation zwischen Überblicksansichten und winzigen Details vereinfacht die Analyse der dargestellten Objekte in ihrem jeweiligen Umfeld. Im Rahmen des europäischen Verbundprojektes 3D-Pitoti untersuchte unsere Arbeitsgruppe an der Bauhaus-Universität Weimar, die Virtual Reality and Visualization Research Group, die Möglichkeiten und Herausforderungen einer virtuellen Landschaftsrepräsentation mit einer Vielzahl archäologisch und kunstgeschichtlich relevanter Felsgravuren (Petroglyphen). Valcamonica, ein

6 Pedro Santos,Martin Ritz, Constanze Fuhrmann, Dieter W. Fellner: 3D Mass Digitization: A Milestone for Archeological Documentation, in: Virtual Archaeology Review 8.16 (2017), S. 1–11. 7 Paola Di Giuseppantonio Di Franco, Carlo Camporesi, Fabrizio Galeazzi, Marcelo Kallmann: 3d printing and immersive visualization for improved perception of ancient artifacts, in: Presence: Teleoperators and Virtual Environments 24.3 (2015), S. 243–264.

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UNESCO-Weltkulturerbe in der Lombardei, umfasst die größte europäische Sammlung dieser prähistorischen Kunstform. In einem Zeitraum von etwa 3.500 v. Chr. bis ins späte Mittelalter hinein entstanden hier über 300.000 einzelne Petroglyphen, die sich über das gesamte ‚Tal der Camuni‘ mit etwa 70 Kilometern Länge erstrecken.8 In den meisten dieser Petroglyphen sind Abstraktionen von Mensch, Tier und Gegenständen erkennbar. Die Einheimischen nennen sie auch ‚Pitoti‘, was im Dialekt der Camuni ‚Püppchen‘ bedeutet.9 Traditionell wurden diese Figuren von Archäologen mit Zeichnungen, Frottagen, Abgüssen und Fotos dokumentiert.10 Diese Methoden sind zeitaufwendig und erfassen weder die drei-dimensionale Struktur der Meißel- und Kratzspuren noch die Wölbungen der Felspaneele oder deren Beziehung zur Landschaft. Aktuelle archäologische Theorien legen eine gezielte Platzierung dieser Kunstwerke im Tal nahe.11 In einer Ausstellung von Fotos und Zeichnungen lassen sich entsprechende Theorien mit einer geschickten Kombination von Übersichtskarten und Detailansichten vermitteln. Es ist aber eine ganz andere Erfahrung, die prähistorischen Kunstgalerien aus einer individuellen ‚vor-Ort‘-Perspektive, eingebettet in die umgebende Landschaft, wahrzunehmen. Virtuelle Realität kann solche Erfahrungen ermöglichen. Auch die Tiefe und Textur der Gravuren sind relevant, um etwa die angewandten Techniken zu unterscheiden oder die zeitliche Reihenfolge übereinanderliegender Figuren zu bestimmen. Die dreidimensionale Struktur der Petroglyphen und ihre Platzierung im Tal sind letztlich entscheidend für deren visuelle Präsenz. Die meisten Figuren sind nur in Form eines Schlagschattens durch Beleuchtung aus einem sehr flachen Winkel sichtbar. An einigen Orten im Tal führt das zu einem optisch beeindruckenden Spektakel während der Morgen- und Abenddämmerung. Dies könnte auch ein relevanter Hinweis auf die historische Bedeutung dieser Kunstwerke sein. Um sich dieser anzunähern, erstellten unsere Projektpartner mit verschiedenen digitalen Messmethoden hochauflösende 3D-Modelle ausgewählter Motive auf zwei Felspaneelen im erweiterten Kontext des gesamten Tals. Unser integriertes Mo-

8 Alberto Marretta: Age of the heroes: a brief overview of valcamonica rock-art during the iron age (1. millennium bc), in: Valcamonica world heritage, Adoranten 2013. 9 Christopher Chippindale, Frederick Baker: Pitoti: Digital rock-art from prehistoric Europe: Heritage, film, archaeology, Skira 2012. 10 Emmanuel Anati: Methods of recording and analysing rock engravings, in: Studi Camuni Brescia 7 (1977) S. 3–61. 11 Alberto Marretta: Forma, funzione e territorio nell’arte rupestre camuna: il caso delle figure ornitomorfe, in: Valcamonica symposium 2007: l‘arte rupestre nel quadro del Patrimonio Culturale dell‘Umanità, Darfo Boario Terme 2007, S. 1; Craig Alexander: Valley of pitòti: Gis-based sociospatial analysis of rock-art in valcamonica (bs), lombardy, Italy, Ph. D. thesis, University of Cambridge 2011.

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Soziale virtuelle Realität? 

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dell des virtuellen Valcamonica setzte sich aus vielen einzelnen 3D-Scans zusammen, die sich in Größe und Auflösung unterscheiden.12 Die Daten wurden auf drei verschiedenen Maßstabsebenen erfasst. Erstens, das Umgebungsmodell des Tals mit einer räumlichen Auflösung von etwa 10 cm, zweitens, beispielhafte Felspaneele mit einer Auflösung zwischen 2 und 8 mm und drittens, einzelne Pitoti-Figuren mit einer Genauigkeit von ca. 0,1 mm (Abb. 1). Die hochdetaillierten Aufnahmen der Petroglyphen ermöglichen nun die vergrößerte Betrachtung geometrischer Merkmale, die für das menschliche Auge vor Ort kaum sichtbar sind.

Abb. 1: Das digitale Modell von Valcamonica in drei Auflösungsstufen, Quelle: Alexander Kulik, André Kunert, Stephan Beck, Carl-Feofan Matthes, Andre Schollmeyer, Adrian Kreskowski, Sue Cobb, Mirabelle D’Cruz, Bernd Froehlich: Virtual Valcamonica: Collaborative Exploration of Prehistoric Petroglyphs and Their Surrounding Environment in Multi-User Virtual Reality, in: Presence: Teleoperators and Virtual Environments 26.3 (2018), S. 304–306, hier S. 301.

Das integrierte Modell enthält 14 Milliarden 3D-Punkte, die weder in Echtzeit verarbeitet, noch auf aktueller Grafikhardware gespeichert und direkt dargestellt werden können. Darüber hinaus würde das sogenannte Rendern aller 3DPunkte zu störenden Aliasing-Artefakten13 führen. Die interaktive Visualisierung solch hochauflösender Modelle erfordert daher einen ausgabesensitiven Ansatz, der die Daten in unterschiedlichen geometrischen Auflösungsstufen aufbereitet. Für die Darstellung kann nun eine an die jeweilige Betrachtungsperspektive angepasste Auflösungsstufe des Modells verwendet werden, die in etwa der Auflösung des physikalischen Displays entspricht.14 Unsere Anwendungsentwicklung fokussierte in diesem Projekt grundlegende Werkzeuge für die archäologische Datenanalyse. Dies umfasste unter anderem Navigationstechniken zur schnellen Exploration der weitläufigen Umgebung auf wechselnden Skalierungsstufen sowie einfache Techniken für die Selektion und räumliche Vermessung der Felsgravuren. Die involvierten Archäologen 12 Craig Alexander, Axel Pinz, Christian Reinbacher: Multi-scale 3D rock-art recording, in: Digital Applications in Archaeology and Cultural Heritage 2.2–3 (2015), S. 181–195. 13 Darstellungsfehler durch Über- oder Unterabtastung der Originaldaten. 14 Kulik, Kunert, Beck u. a.: Virtual Valcamonica.

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legten besonderen Wert auf Werkzeuge für Schnittansichten, auf die interaktive Beleuchtung der Modelle sowie auf Möglichkeiten zur illustrativen Falschfarbenvisualisierung von segmentierten Figuren und deren geometrischen Merkmalen.15 Im Grunde können solche interaktiven, virtuellen Umgebungen völlig ortsunabhängig präsentiert, erlebt und analysiert werden. Viele Beispielprojekte zeigen beeindruckende virtuelle Ausstellungen, die in Museen, aber auch zu Hause erlebt werden können.16 Bei näherer Betrachtung erscheint jedoch letzteres Szenario wenig attraktiv. Die Anschaffung der notwendigen Hardware wird zwar immer kostengünstiger, ihr Betrieb immer einfacher, aber die Systeme sind längst nicht alltagstauglich. Zudem ist auch der Umfang detaillierter 3D-Datensätze immens. Die Größe des erwähnten Datensatzes der Pitoti in Valcamonica beläuft sich beispielsweise auf mehrere Hundert Gigabyte. Die notwendige Infrastruktur für den Transfer und die Speicherung dieser Daten sowie für deren Echtzeitprozessierung ist sicher nicht überall verfügbar. Selbst wenn die Hardware bald alltagstauglicher wird, die nötige Infrastruktur weiter ausgebaut und die Anwendungen kostenfrei angeboten werden, bleibt die Zeit und Aufmerksamkeit potenzieller Nutzer eine knappe Ressource.

Soziale Dynamiken in realen und virtuellen Ausstellungsräumen  Menschen sind soziale Wesen. Unser Verhalten ist wesentlich durch den Austausch mit anderen geprägt. Wir arbeiten mit Kolleginnen und Kollegen, unsere freie Zeit verbringen wir gern mit Freunden und Familie. Das gemeinsame Erlebnis ist daher auch einer der wichtigsten Gründe für den Besuch von Museen.17 Die Beobachtungen von Sophia Diamantopoulou und Dimitra Christidou legen nahe, dass das Erlebnis und die Lernerfahrung in Museen stärker von sozialen Dynamiken geprägt sind als vom Ausstellungsdesign der Kuratorinnen und Kuratoren.18 Auch virtuelle Ausstellungen dienen der Vermittlung und der Kommunikation. Die eingesetzten Technologien müssen daher den direkten Austausch mehrerer Nutzerinnen und Nutzer miteinander und deren Diskussion über die ausgestellten Objekte ermöglichen und fördern. Heimsysteme virtueller Realität 15 Ebd., S. 306–310. 16 https://dom360.wdr.de/, https://www.annefrank.org/de/uber-uns/was-wir-tun/unsere-publikationen/dasanne-frank-haus-virtual-reality/, https://museumgoerlitz.senckenberg.de/de/museum-digital/virtualreality/ (letzter Zugriff: 19.05.2020). 17 Stéphane Debenedetti: Investigating the role of companions in the art museum experience, in: International Journal of Arts Management 5.3 (2003), S. 52–63. 18 Sophia Diamantopoulou, Dimitra Christidou: Museum encounters: a choreography of visitors’ bodies in interaction, in: Museum Management and Curatorship 34.4 (2019), S. 344–361.

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sind für solche sozialen Erlebnisse nicht ausgelegt. Die populären Head-Mounted Displays (HMD) entkoppeln die Benutzerinnen und Benutzer von der Wahrnehmung ihres eigenen Körpers und ihrer unmittelbaren physischen und sozialen Umgebung. In vielen Wohnungen mangelt es zudem schlicht am notwendigen Platz für das gemeinsame Erleben virtueller Umgebungen. In Museen kann hingegen die öffentliche Verfügbarkeit und Zugänglichkeit der notwendigen technischen Infrastruktur sichergestellt werden: Die digitalen Technologien erweitern die permanente Ausstellung und schaffen soziale Ereignisse. Die Unterstützung sozialer Interaktion und gemeinsamer Erlebnisse ist nicht nur in Museen relevant, sondern auch für wissenschaftliche Analysewerkzeuge. Für unsere Entwicklungen im Rahmen des europäischen Verbundprojektes 3DPitoti untersuchten wir daher zunächst die technischen und gestalterischen Bedingungen für eine angenehme und erfolgreiche Zusammenarbeit. Eine der wichtigsten Voraussetzungen stellt die gegenseitige Wahrnehmung aller beteiligten Akteure und ihrer Aktivitäten dar. Carl Gutwin und Saul Greenberg definierten dafür das Konzept von workspace awareness19 nach drei zentralen Fragen: 1. Wer? Präsenz und Identität aller Teilnehmer sowie ihre Urheberschaft in Bezug auf Veränderungen im gemeinsamen Arbeitsraum, 2. Was? Involvierte Objekte, Handlungsprozesse und dahinterstehende Absichten sowie 3. Wo? Standort, Blickrichtung und Aktionsradius der Teilnehmer. Workspace awareness beinhaltet zudem das Bewusstsein über die Veränderung von Objekten und die Abfolge von Ereignissen (wie und wann?). Gutwin und Greenberg diskutierten auch den Ursprung der Informationen über die jeweils aktuelle Situation und die laufenden Prozesse in realen Arbeitsumgebungen. Neben der expliziten Kommunikation durch Worte und Gesten (intentional communication) identifizierten sie dabei implizite körperliche Aktivitäten (consequential communication) und multisensorische Indikatoren (z. B. Geräusche), welche die Benutzung und Veränderung von Objekten im Arbeitsraum (feedthrough) betreffen. Zusammen mit Kevin Baker spezifizierten Gutwin und Greenberg auf dieser Basis konkrete Heuristiken für die Abschätzung der Benutzungsmöglichkeiten kollaborativer Arbeitsumgebungen (groupware).20 Die meisten der hier definierten Anforderungen finden sich im Konzept von workspace

19 Carl Gutwin, Saul Greenberg: A descriptive framework of workspace awareness for real-time groupware, in: Computer Supported Cooperative Work 11.3 (2002), S. 411–446. 20 Kevin Baker, Saul Greenberg, Carl Gutwin: Empirical development of a heuristic evaluation methodology for shared workspace groupware, in: Proceedings of the 2002 ACM Conference on Computer Supported Cooperative Work, New York 2002, S. 96–105.

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awareness wider. Sie betonen aber auch den Bedarf eines einfachen Wechsels zwischen enger und loser Zusammenarbeit sowie den nötigen Schutz vor Interaktionskonflikten. In Studien wurde beobachtet, dass diese Bedürfnisse in physischen Umgebungen typischerweise zu Territorialitätsverhalten führen, d. h. zur spontanen Entstehung implizit getrennter Bereiche für private Interaktion und gegenseitigen Austausch.21 Auf Basis dieser und verwandter Arbeiten entwickelten wir drei Kriterien für die Gestaltung kollaborativer Systeme:22 1. Workspace coherence: Die räumlich-zeitliche Kohärenz des gemeinsamen Arbeitsraums erleichtert die implizite Wahrnehmung der Präsenz und der Aktivitäten aller Beteiligten. 2. Complementary capabilities: Eine Vielfalt verfügbarer Werkzeuge und Interaktionstechniken mit ergänzender Funktionalität erleichtert die Koordination gleichzeitiger Aktivitäten. 3. Emergent territoriality: Die Unterstützung dynamischer Territorialität erleichtert die gegenseitige Koordination mit minimaler Interferenz und fördert häufige Übergänge zwischen eng und lose gekoppelter Zusammenarbeit. Kohärenz gemeinsamer Interaktions- und Erlebnisräume ist eine grundlegende Alltagserfahrung, die in der medial vermittelten Kooperation oft verloren geht. Bei der gemeinsamen Nutzung von 2D-Bildschirmen vor Ort bleibt diese Kohärenz und die damit einhergehende Tatsache, dass man sich gegenseitig wahrnehmen kann, erhalten. In Videokonferenzen ist dagegen nicht mehr nachvollziehbar, wohin die anderen Teilnehmer gerade schauen oder womit sie sich tatsächlich beschäftigen. Systeme sozialer virtueller Realität können dieses Problem durch einen gemeinsamen 3D-Interaktionsraum lösen, doch die populären HMDs behindern typischerweise die Wahrnehmung des eigenen Körpers und weiterer Personen. Als Alternative dazu entwickelten wir projektionsbasierte VR-Systeme, die aktuell bis zu sechs Personen eine eigene Stereo-Perspektive bieten.23 Im Gegensatz zu HMDs bleibt in diesem Fall die Wahrnehmung anderer Personen, der unmittelbaren Umgebung und des eigenen Körpers bestehen. Wie bei einem Blick durch ein Fenster bietet die gemeinsame 3D-Projektionsfläche allen Beteiligten eine

21 Stacey D. Scott, M. Sheelagh T. Carpendale, Kori M. Inkpen: Territoriality in collaborative tabletop workspaces, in: Proceedings of the 2004 ACM conference on Computer supported cooperative work, New York 2004, S. 294–303. 22 Alexander Kulik: User interfaces for cooperation. PhD thesis, Bauhaus-Universität, Weimar 2016. 23 Alexander Kulik, André Kunert, Stephan Beck, Roman Reichel, Roland Blach, Armin Zink, Bernd Froehlich: C1x6: a stereoscopic six-user display for co-located collaboration in shared virtual environments, in: ACM Transactions on Graphics (TOG) 30.6 (2011), S. 1–12.

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Soziale virtuelle Realität? 

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perspektivisch korrekte Sicht auf eine zusätzliche virtuelle Umgebung. Zeigegesten mit der bloßen Hand erleichtern die Kommunikation über Details der dargestellten 3D-Modelle. Die Kombination dieser Technologie mit einer Echtzeit-3D-Video-Erfassung der Nutzerinnen und Nutzer ermöglicht zudem die ortsunabhängige Zusammenarbeit von Kleingruppen, ohne mit der Kohärenz des gemeinsamen Interaktionsraums zu brechen (Abb. 2).24 Durch die gegenseitige Bestätigung gemeinsam erlebter Räume und Objekte wird aus der virtuellen eine soziale Realität.

Abb. 2: Vier Personen treffen sich virtuell in einem rekonstruierten Modell des Weimarer Schlossplatzes. Alle Beteiligten werden an ihren jeweiligen Orten dreidimensional erfasst und als so genannte 3D-Videoavatare in der gemeinsamen virtuellen Umgebung dargestellt, Darstellung der Verfasser.

Die Möglichkeit zur simultanen Bedienung einer digitalen Anwendung durch mehrere Personen führt schnell zu Konflikten. Die Veränderung globaler Parameter, die zu plötzlichen Veränderungen der Szene oder des Kontextes führen können, muss daher limitiert werden.25 Wir etablierten für solche gruppenbezogenen Eingaben daher ein gut sichtbares und für alle gleichermaßen zugängliches Gruppennavigationsgerät.26 Für eine möglichst aktive Einbindung mehrerer Personen 24 Stephan Beck, André Kunert, Alexander Kulik, Bernd Froehlich: Immersive group-to-group telepresence, in: IEEE Transactions on Visualization and Computer Graphics 19.4 (2013), S. 616–625. 25 Siehe auch: Ynnerman u. a.: Interactive visualization of 3d scanned mummies at public venues. 26 Kulik, Kunert, Beck u. a.: C1x6.

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bieten unsere Anwendungen weitere Eingabemöglichkeiten, die sich nicht gegenseitig behindern, sondern durch ihre Kombination erweiterte Funktionalitäten bieten. So können beispielsweise mit einem Zeigestrahl Referenzpunkte in der Szene definiert werden, die als Anker für die Navigation dienen. Gleichzeitig können einzelne Nutzerinnen und Nutzer zusätzliche Ansichten einer Szene durch sogenannte Portalfenster erzeugen und darin separat von der Hauptansicht zu anderen Orten navigieren.27 Diese können wiederum direkt mit weiteren Werkzeugen wie dem Zeigestrahl oder einer virtuellen Taschenlampe kombiniert werden, um beispielsweise verschiedene Teile der Szene unter den selben Beleuchtungsbedingungen zu vergleichen.

Abb. 3: Unser Mehrbenutzer-VR-System bietet mehrere unabhängige 3D-Betrachtungsfenster, zum Beispiel zur Darstellung der gleichen Szene in verschiedenen Maßstäben. Dem Paradigma eines kohärenten 3D-Interaktionsraums folgend, funktionieren weitere virtuelle Werkzeuge, wie ein Zeigestrahl oder eine virtuelle Taschenlampe, konsistent in allen Anzeigefenstern, Darstellung der Verfasser.

Das erwähnte Portalfenster implementiert auch das Konzept dynamischer Territorialität, indem es Nutzerinnen und Nutzer einen separaten Interaktionsraum bietet. Dort können sie individuellen Aktivitäten nachgehen oder ihre Ergebnisse mit anderen teilen. Dies erwies sich beispielsweise als hilfreich, um individuell neue Zielorte in einer weitläufigen virtuellen Umgebung, wie dem oben

27 André Kunert, Alexander Kulik, Stephan Beck: Bernd Froehlich: Photoportals: shared references in space and time, in: Proceedings of the 17th ACM conference on Computer supported cooperative work & social computing, New York 2014, S. 1388–1399.

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Soziale virtuelle Realität? 

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beschriebenen Modell von Valcamonica, zu finden und die Gruppe durch einen ‚Einstieg‘ in das Portalfenster direkt dorthin zu navigieren. Diese Möglichkeiten bauten wir weiter aus, indem wir unseren Hardwareaufbau um einen mehrbenutzerfähigen 3D-Tischbildschirm erweiterten (Abb. 3).28 Die beschriebenen Entwicklungen existieren bisher nur als Versuchsaufbauten. Einige Annahmen bezüglich der Effekte unserer Mehrbenutzer-3D-Interaktionstechniken auf die Erfahrung und das Verständnis der gezeigten virtuellen Modelle und Umgebungen konnten wir in kontrollierten Studien bestätigen29. Im Zuge der Kommerzialisierung der grundlegenden Displaytechnologie werden nun auch Feldversuche mit Installationen in ausgewählten Museen möglich. In Anlehnung an die oben erwähnte Online-Ausstellung zu Jan van Eyck sehen wir hier ein immenses Potenzial, die Attraktivität unterschiedlicher Ausstellungen zu ähnlichen Themen durch deren Verbindung in gemischter Realität signifikant zu steigern. Für Kuratoren und Ausstellungsdesigner ergeben sich daraus neue Möglichkeiten und Herausforderungen bezüglich der inhaltlichen und räumlichen Verschränkung verschiedener Ausstellungsorte, der dynamischen Einbettung von Zusatzinformationen und der didaktischen Begleitung lokal anwesender wie räumlich getrennter Besuchergruppen.

28 André Kunert, Tim Weissker, Bernd Froehlich, Alexander Kulik: Multi-window 3D interaction for collaborative virtual reality, in: IEEE transactions on visualization and computer graphics 26.11 (2020), S. 3271–3284. https://doi.org/10.1109/TVCG.2019.2914677 (letzter Zugriff: 19.05.2020). 29 Z. B. Kunert, Weissker, Froehlich, Kulik: Multi-Window 3D Interaction; Beck, Kunert, Kulik, Froehlich: Immersive Group-to-Group Telepresence; Kulik, Kunert, Beck u. a.: C1x6.

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Platforms as bridging digitally enabled participation with exhibitions 

Web 2.0 and social media have developed in parallel with a shift towards twoway communication and the participatory turn in museums, often leading to broad assumptions that the digital fosters participation.1 ‘Participation’ we acknowledge and will discuss further, is a loaded term, having been used in so many ways that its definition has become ambiguous within the noise of academic literature. In this article, we challenge a generalised “promise of the digital”2 as critical friends to contribute more nuanced perspectives on distinctive forms of digitally enabled participation and the underlying structures that enable or hinder their connection to socio-political goals. The structures we examine in this context are understood as platforms, a concept which curator and media theorist Kathleen Adams uses to reframe museum exhibitions as mediated meaning-making spaces. We follow her perspective of media being constitutive of the museum to expand the metaphor of platform to encompass the in-gallery and online infrastructures that it overlaps with and “lives comfortably within”.3 As such, we focus not only on ‘branded’ digital platforms such as Instagram, Facebook and Twitter, but also on other digital platforms. Three museum projects serve as examples to illuminate different uses of platforms: Decoding Inequality by the Glasgow Women’s Library, Getty Unshuttered by the J. Paul Getty Museum, and Der Balkon, eine Baustelle by the Haus der Geschichte Österreich. Based on project descriptions by these museums and

1 Cf. Nina Simon: The Participatory Museum, Santa Cruz, California 2010; Susana Smith Bautista: Museums in the Digital Age: Changing Meanings of Place, Community, and Culture, Lanham 2014. 2 Jenny Kidd: Public Heritage and the Promise of the Digital, in: Angela M. Labrador, Neil Asher Silberman (Eds.): The Oxford Handbook of Public Heritage Theory and Practice, New York 2018, pp. 197–208, p. 197. 3 Kathleen Pirrie Adams: Assets, Platforms and Affordances. The Constitutive Role of Media in the Museum, in: Kirsten Drotner, Vince Dziekan, Ross Parry, Kim Schrøder (Eds.): The Routledge Handbook of Museums, Media and Communication, Abingdon, Oxon/New York 2019, pp. 290–305, p. 300.

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an analysis of their online platforms we critically reflect on their potential to foster social values and strengthen a “participatory democratic culture”.4 Thus, underpinning our analysis are pivotal questions which ask if platform-thinking might push museums to think beyond the “traditional curation of objects, to address social curation that includes social interaction, connection and collaboration as part of curatorial and educational thinking”.5 In doing so, we take on the understanding that “materiality (technology), practice, and politics are essentially entangled”.6 Following, we will firstly define the notion of the exhibition as platform and relate it to media participation. Secondly, we will introduce our examples and analyse the role of these platforms as enablers for distinct forms of collaboration. In the final discussion we will reflect on the relation between platform, intensity of participation and socio-political impact.

Exhibitions as Platforms and Digitally Enabled Participation   In this chapter we use the term ‘platform’ to highlight the continuity of in-gallery and online infrastructures in today’s “Kultur der Digitalität”.7 Following this idea of an encompassing digital condition in which museums, as well as any other sphere of public and private life, are impacted by the digital and vice versa, Adams suggests to look at exhibitions as platforms.8 She is building on the notion of the postdigital museum9 and within this new normativity she considers the benefits of merging museology and media theory. Adams proposes: “Imagined as a ‘platform’, the exhibition evokes new associations with shared space, multimodality, multi-media and non-monopolistic agency. It helps reveal the symbolic forms and social bonds that constitute the underlying structures of the exhibition, but it does not erase the sense of the exhibition as a site of staged display.”10

4 Henry Jenkins, Nico Carpentier: Theorizing Participatory Intensities: A Conversation about Participation and Politics, in: Convergence: The International Journal of Research into New Media Technologies 19.3 (2013), pp. 265–286, p. 271. 5 Dagny Stuedahl: Participation in Design and Changing Practices of Museum Development, in: Drotner, Dziekan, Parry, Schrøder: The Routledge Handbook of Museums, pp. 219–231, p. 219. 6 Tarleton Gillespie, Pablo J. Boczkowski, Kirsten A. Foot: Introduction, in: Tarleton Gillespie, Pablo J. Boczkowski, Kirsten A. Foot (Eds.): Media Technologies, Cambridge 2014, pp. 1–20, p. 3. 7 Felix Stalder: Kultur der Digitalität, Berlin 2016. 8 Adams: Assets, Platforms and Affordances. 9 Cf. Ross Parry: The End of the Beginning: normativity in the Postdigital Museum, in: Museum Worlds 1.1 (2013), pp. 24–39. 10 Adams: Assets, Platforms and Affordances, p. 300.

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Platforms as bridging digitally enabled participation with exhibitions 

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The term platform foregrounds activity over traditional exhibitions and sheds light on the structures which are framing and facilitating museum communication and participation. Consequently, it calls centralised authority into question and promotes shared and multimodal meaning making. In this text, we build on three examples to make these theoretical assumptions tangible and explore how such a platform-thinking could digitally enable or hinder participation. The discussion of digitally enabled participation in museums has gained a lot from Mia Ridge’s work on crowdsourcing which she understands as: “a powerful platform for audience engagement with museums, offering truly deep and valuable connection with cultural heritage through online collaboration around shared goals or resources.”11

In this vein, our examples range between crowdsourcing and user-generated content projects and make use of digital platforms to engage online audiences in collecting, creating, sharing and discussing. An in-depth analysis of the term participation and the variety of ways it has been used in and out of the GLAM (short for galleries, libraries, archives, museums) sector is beyond the scope of this text. However, we acknowledge that participation is commonly understood as having a bottom-up aspect, in which diverse voices come together to contribute to an activity that has an intended social output or the process in itself, is envisioned as socially empowering.12 As Nico Carpentier has pointed out, careful considerations of power relations and decision-making are central to avoid diluting and undermining the political dimension of participation. Thus, he introduces the access-interaction-participation model (AIP) to draw a (theoretically) clear line between these terms: “Access and interaction do matter for participatory processes in the media – they are actually its conditions of possibility – but they are also very distinct from participation because of their less explicit emphasis on power dynamics and decision-making.”13

Following Carpentier’s thinking we consider how museum platforms that span across in-gallery and online dimensions are allowing more people to access and interact in “socio-communicative relationships”.14 For the participatory intensity we are specifically considering the projects’ contextualisation within different shaping structures and its relevance for social goals. 11 Mia Ridge: From Tagging to Theorizing: Deepening Engagement with Cultural Heritage through Crowdsourcing, in: Curator: The Museum Journal 56.4 (2013), pp. 435–450, p. 435. 12 Jennie C. Schellenbacher: Museums, Activism and Social Media (or, how Twitter challenges and changes museum practice), in: Robert R. Janes, Richard Sandell (Eds.): Museum Activism, London/New York 2019, pp. 380–387. 13 Nico Carpentier: Media and Participation: A Site of Ideological-Democratic Struggle, Bristol 2011, p. 69. 14 Ibid., p. 130.

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Crowdsourcing Shared Experiences: Decoding Inequality (Glasgow  Women’s Library, UK)  Decoding Inequality15 is a project that Glasgow Women’s Library (GWL) conducted in 2019 to develop a feminist approach to object interpretation. It consisted of a temporary exhibition, learning programme, outreach activities and a sectoral event where resources and learnings were shared with museum and archive practitioners. The project aimed to “support visitors to consider the social history of objects relating to women’s history, illustrating their historical and contemporary inequality – and linking interpretation with political campaigns for reform such as reproductive rights, domestic abuse, maternity leave, equal pay, women’s suffrage, sexual harassment, and sexual violence.”16

With this social and political mission, the institution asked for personal experiences with certain objects (or themes encoded in these objects) to enrich their interpretation.17

Fig. 1: GWL twitter thread for the Decoding inequality exhibition, 2018, source: https://twitter.com /womenslibrary/status/1064513707768770560 (last access: 12.08.2021).

15 See the exhibition here which was published after this text was written: https://womenslibrary.org.uk/ discover-our-projects/decoding-inequality/decoding-inequality-online-exhibition/ (accessed on: 10.08.2021). 16 Glasgow Women’s Library: Decoding Inequality. https://womenslibrary.org.uk/discover-ourprojects/decoding-inequality/ (accessed on: 02.12.2019). 17 Rachel Thain-Gray: Decoding Inequality: Analysing narratives of Inequality in Objects. Glasgow Women’s Library, Glasgow 2019.

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Platforms as bridging digitally enabled participation with exhibitions 

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The main platform used was GWL’s social media channel – an active Twitter account with 32,9 K followers.18 On Twitter, GWL created one long thread in which 30 objects were introduced. Every tweet by GWL followed the same structure: object number, object name and some metadata, object photo, #decodinginequality and the question “Do they stir any memories, emotions or stories that you’d like to share?”19 The aim of this approach was to “gather memories, stories and emotions from people to provide interpretation that was a balance of political analysis and experience”.20 The project team collected all responses and following user consent, added them to the in-venue exhibition’s object labels and marked as user stories. This initiative is a typical form of crowdsourcing in that it is pursuing a shared goal and inviting the public to contribute to a clearly defined task.21 The dynamic is facilitated by a clear structure on how to interact with content which makes use of Twitter’s tools such as threads and hashtags. Tapping into their well-established Twitter community, GWL brought their questions to where their users already were. This way of combining branded platforms with in-gallery exhibitions is a fruitful way to expand access and interaction and indicates a more substantial impact of this crowdsourcing process by combining multiple platforms to stage participant’s voices. However, using social media poses other challenges: dealing with terms and conditions of the social network and questioning how content and social context can be easily saved and copied to the collection management system. Taken together Decoding Inequality deploys platform-thinking by leveraging both, exhibition and Twitter to connect user’s voices with social concerns which is rooted in GWL’s inherent logic as a grassroots museum. Power dynamics and the fight against inequalities are at the heart of the project itself which turns the Twitter thread into an amplifier and invitation to join GWL’s activism. In that sense interacting with the Twitter thread enabled participation in a political struggle for more equality, albeit, very closely scaffolded by the platform’s affordances and the museum’s call to action.

A Safe Place for Youth Photography: Getty Unshuttered (J. Paul Getty  Museum, US)   This example directly opposes the underlying structures of branded social media platforms such as Instagram which can limit participatory projects and their connection to social value by using an alternative digital platform. In 2018 the 18 As of 4 June 2020. 19 Glasgow Women’s Library: Twitter Post. https://twitter.com/womenslibrary/status/1064513707 768770560 (accessed on: 02.12.2019). 20 Rachel Thain-Gray: Decoding Inequality, p. 5. 21 Mia Ridge: From Tagging to Theorizing.

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J. Paul Getty Museum in Los Angeles created an app called Getty Unshuttered which is described on the Google Play store as “... a positive community for teen photographers like you to share your unique view of the world, grow your skills, and build your portfolio”.22 The app was created under the assumption that art can initiate social change by connecting people to each other, to emotions and to new ideas.23 The app grew out of a larger museum programme called Unshuttered which served as a launch pad for 23 young artists from underserved communities in Los Angeles, by facilitating their growth and providing them with resources such as mentors, curators and art. These young artists through storytelling and photography workshops, created their own photo narratives, which were on display in an exhibit called LA#Unshuttered until summer 2020. Through their art they address important social issues such as sexual assault and homelessness and thus, through production of media they contributed their voice and perspective on social issues. In doing so, their participation was contextualised by the institution as connecting to both a democratic and a social value.

Fig. 2: Screenshot of Getty Unshuttered app, updated 2021, source: https://www.unshuttered.org/ (last accesss: 12.08.2021).

The app is intended to continue this participatory learning experience by widening the call for contribution to other young artists who want to share their work, learn from the museum and share ideas. The app, like the in-venue programme educates users by providing short videos on photography tips or lessons. The museum emphasises its success, in that “[t]housands of teens continue to answer the call with images from their own lives shared in the app’s positive, artistic, online community.”24 However, their focus on positivity and safety 22 J. Paul Getty Trust: Getty Unshuttered. https://play.google.com/store/apps/details?id=edu. getty.android.unshuttered (accessed on: 02.12.2019). 23 MW19: Museums and the Web 2019. Getty Unshuttered. https://mw19.mwconf.org/glami/gettyunshuttered/ (accessed on: 02.12.2019). 24 Ibid.

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which makes the platform unique from Instagram, does create limitations. While the platform is intended to let youths share their perspectives which may include social justice issues, as it did with the original 23 participants – their photography ‘lessons’ seem to be focused on aesthetics, such as light, perspective and colour, and base photography skills, perhaps over message. Further, commenting is not a part of the social platform. Such restrictions inhibit hateful commentary and create a unique safe space for youth expression; however, this limits communication and in turn, the connections between users. In comparison to the in-venue programme, communication between participants and the museum on the app may be hindered and may lead to a greater power asymmetry between the users and institution. This could negatively impact participants’ media production but also the connection between their participation and intended social value. That being said, by using multiple platforms (app, invenue programme, exhibit) and a scaffolded approach to the Unshuttered project, the Getty provided a unique opportunity for participants to exert agency in connecting their voices to social issues in safe spaces.

Reflecting Collective Memory: Der Balkon, eine Baustelle (Haus der  Geschichte Österreich, AT)  In 2018, the Haus der Geschichte Österreich (hdgö) opened aiming to be a forum for negotiation and discussion of the ambiguous history of Austria. In this context, the web platform25 of the museum was developed as an independent space with two functions. Firstly, serving as a tool for education, the website offers orientation and resources to navigate Austrian history. Secondly, as a forum for negotiation the platform invites users to interact with each other and participate in thematic discussions with user-generated content.26 Exemplary for this forum function, the project Der Balkon, eine Baustelle27 is introduced here. It addresses the issue of Heldenplatz – the square where hdgö is located and Hitler held a speech prefacing Austria’s annexation by the German National Socialist regime in 1938. The so called ‘Hitler-balcony’ belongs to the institution’s exhibition space and during guided tours the question was raised how this biased site should be used. This visitor-initiated discussion led to the project that is

25 Haus der Geschichte Österreich. https://www.hdgoe.at/ (accessed on: 02.12.2019). 26 Mia Ridge: Sharing Authorship and Authority: User Generated Content and the Cultural Heritage Sector. http://www.miaridge.com/projects/usergeneratedcontentinculturalheritagesector.html (accessed on: 05.06.2020). 27 Haus der Geschichte Österreich: Der Balkon, eine Baustelle. https://heldenplatz.hdgoe.at/ (accessed on: 02.12.2019).

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consequently conceptualised as a co-creative open process. On their web platform hdgö invites users to state their opinion asking: “Wenn dieser Ort öffentlich zugänglich wäre, wie sollte er Ihrer Meinung nach genutzt werden? Auch wenn kein Bauprojekt unmittelbar geplant ist, ist es der Auftrag des Hauses der Geschichte Österreich, Diskussionen zum Umgang mit der Vergangenheit anzustoßen. Stimmen Sie hier über Vorschläge ab oder tragen Sie Ihre eigene Idee bei!”28

To take part in the discussion, different activities are offered: users can upload visual drafts that propose a reuse of the balcony (this can also be done on paper templates in the exhibition pictured below) or they can vote for the best idea – as of 4 June 2020 the top idea is “Verwaldung” and has 934 votes. These platform functions structure different layers of contribution ranging from creative expressions to a simple click and enable a basic interaction between users.

Fig. 3: In-gallery participatory station, Haus der Geschichte Österreich in Vienna, Foto: Guido Fackler, 2020.

Since the project was launched a gallery of ideas has been co-created which displays artistic, ironic or political comments on the issue. As pointed out in hdgö’s statement, the actual repurposing of the balcony is not going to happen in the near future which reduces the impact of the user-generated content on the actual 28 Haus der Geschichte Österreich: Der Balkon, eine Baustelle.

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exhibition site. Yet, the platform catalyses potential ways of dealing with difficult heritage, such as the politically charged Heldenplatz, and constructively calls into question a part of Austria’s collective memory. Instead of implementing one idea, hdgö displays a variety of user perspectives on screens in their physical gallery spaces and organises events to discuss the balcony proposals. This way of connecting different platforms potentially opens access and mobilises multiple perspectives towards a larger goal, that is reflecting on past and present approaches to identities and injustices through multi-perspectivity and discussion.

Discussion and Conclusion  In this text we shed a light on different museum projects which use digital platforms to enable access, interaction and participation in curatorial practices. As Nico Carpentier points out four areas play a role when thinking about participation and media: content, technology, people and organisations.29 In every project they became manifest in different relational patterns, which shaped the possibilities of participation. Generally, all projects shared a focus on the creation of content by users to increase multi-perspectivity in their in-gallery exhibitions. For instance, GWL used Twitter contributions to co-create knowledge which informed a physical exhibition, the Getty Unshuttered App intersected with an in-venue exhibit and a teen programme broadening conversations around social issues, while hdgö collated contributions into their exhibitions and enabled conversations around contentious heritage which frames the museum’s interpretation. In terms of the technology, all digital platforms used, offered access implying “the opportunity for people to have their voices heard”.30 However, while all projects were openly accessible, they implicitly defined and addressed certain user groups, which became tangible in the chosen digital tools. Platforms were ranging from a purpose-built website for user-generated content, to an app for photography and a social network for discussion. Interaction as a socio-communicative relationship between people and organisations was often realised not only on the digital platform – as in some instances the technological features were very limited in this respect – but rather in conjunction with in-gallery workshops, events or exhibitions. The limitations are evident by a need for human mediators, conveying potential value for participants through invitations and the uncontrollable sometimes ‘dangerous’ context of digital platforms. However, this also led to a strong role of the organisation as in each project the sharing of power and decision-making between museum and users was not 29 Nico Carpentier: Media and Participation, p. 130. 30 Ibid., p. 129.

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Cassandra Kist / Franziska Mucha 

structurally reflected. Yet, all projects involved users in the curatorial process on the content level which following Nico Carpentier can be defined as contentrelated participation. Using digital platforms allowed more people to join the conversation and opened up internal processes to create content together. Platform-thinking helps to connect cultural heritage with many different users across in-gallery and online spaces. Digital forms of communication have the potential to tie in with changing user expectations as a report by the UK government lately stated: “Digital experiences are transforming how audiences engage with culture and are driving new forms of cultural participation and practice. As technology advances, so do the behaviours of audiences, especially younger audiences. We are no longer passive receivers of culture; increasingly we expect instant access to all forms of digital content, to interact and give rapid feedback. Audiences are creating, adapting, and manipulating, as well as appreciating art and culture.”31

Due to the projects’ contextualisation within a socio-political sphere, there is an indication that the co-created outputs have value beyond digital platforms. This active partnership with larger social aims may speak to successful participatory projects. Importantly, having clear social aims may also extend online participation in the museum sector from being perceived mainly as quantitative outputs such as likes, comments, shares, and numbers of contributions32 to re-centre the meaning-making experiences of users and their relevance for shared social goals. Such an approach is indicative of an increasingly important part of museum work in addressing social issues through participatory projects since as George Hein describes, museums can fulfill their social role and strengthen democracy by focusing on the skills of visitors which enable them to learn and act as critical thinkers.33 Opening up possibilities of sharing control and decision-making further between museum and users could potentially bring ‘participation’ closer to the intended social goals, and requires further critical attention. In this context, digital platforms as part of a larger ‘ecology’ of museum exhibitions, bridged the gap between museums and their users, in turn amplifying user voices to achieve social goals.

31 Department for Digital, Culture, Media & Sport: Culture Is Digital. https://assets.publishing.service.gov.uk/ government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/687519/TT_v4.pdf (accessed on: 30.09.2018). 32 Sebastian Chan: Towards New Metrics of Success, in: Jennifer Trant, David Bearman (Eds.): Museums and the Web 2008: Proceedings, Toronto 2008. https://www.archimuse.com/mw2008/papers/chanmetrics/chan-metrics.html (accessed on: 29.08.2021). 33 George E. Hein: John Dewey’s “Wholly Original Philosophy” and Its Significance for Museums, in: Curator: The Museum Journal 49.2 (2006), pp. 181–203, p. 199.

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Jana Hawig

Erzählungen im digitalen Raum. Formen und Perspektiven   des Storytellings in digitalen Ausstellungen  

Viele Museumsausstellungen sind in den letzten Jahrzehnten publikumsorientierter geworden: Inhalte werden bewusst mit den Lebenswelten von Besucherinnen und Besuchern in Verbindung gebracht, didaktisch reduziert und mittels Interaktionsmöglichkeiten anschaulicher dargestellt. Eine andere Herangehensweise, Inhalte besser verständlich zu machen, stellt das sogenannte Storytelling dar. Hierbei integrieren Ausstellungsmacherinnen und -macher narrative Elemente in die Präsentation der Ausstellungsthemen. Diese folgt dann nicht mehr einem dominant fachspezifischen, argumentativen oder beschreibenden Modus, sondern einem mehr oder weniger stark ausgeprägten erzählerischen Modus. Storytelling1 verspricht, unterhaltsame Lernerfahrungen zu ermöglichen und den Ausstellungsbesuch besonders für das Freizeit- und Familienpublikum zum Erlebnis werden zu lassen. Die Grundlage hierfür bilden die in der Kognitionspsychologie oder Narratologie beschriebenen Funktionen von Erzählungen. Diese dienen dazu, neue Erkenntnisse zu erlangen, diese zu ordnen sowie soziale und emotionale Bezüge herzustellen.2 Mehrere Museen setzen Erzählungen seit einigen Jahrzehnten in physischen Ausstellungen ein: Die Bandbreite reicht von vereinzelten Objektgeschichten, zum Beispiel im Museum of Broken Relationships, Zagreb, bis hin zu der sich durch die gesamte Ausstellung ziehenden Erzählungen, etwa im Deutschen Auswandererhaus, Bremerhaven, in denen die

1 Eine umfangreiche Definition von Storytelling in Ausstellungen wird derzeit durch die Verfasserin im Rahmen einer Dissertation an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg erarbeitet. 2 Siehe beispielsweise Jerome Bruner: Making Stories. Law, Literature, Life, Cambridge 2003; Roger C. Schank: Tell Me a Story. Narrative and Intelligence, Evanston 1995; Werner Wolf: Das Problem der Narrativität in Literatur, bildender Kunst und Musik. Ein Beitrag zu einer intermedialen Erzähltheorie, in: Vera Nünning, Ansgar Nünning (Hrsg.): Erzähltheorie transgenerisch, intermedial, interdisziplinär, Trier 2002, S. 23–104.

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unterschiedlichen Inhalte der Ausstellung in Form von Erzählungen miteinander verschmelzen.3 Auch in der Ausweitung des Ausstellens auf den digitalen Raum kann Storytelling ein wichtiger Schlüssel zur Steigerung der Aufmerksamkeit der Besucherinnen und Besucher sein. Denn besonders in der Flut von konkurrierenden Angeboten im Netz gilt es, Ausstellungsinhalte relevant und kurzweilig zu gestalten. Dieser Beitrag gibt einen Überblick zu aktuellen erzählerischen Herangehensweisen in der digitalen Ausstellungspraxis und zeigt Perspektiven für die zukünftige Nutzung auf. Dabei werden digitale Ausstellungen in den Blick genommen, die der derzeitigen Definition der Arbeitsgruppe „Digital Exhibitions“4 entsprechen: Sie basieren auf einem klaren Konzept, sind kuratiert und verbinden verschiedene digitale Medien mit Nutzerinteraktion, um Themen innovativ zu vermitteln.5

Storytelling – (k)eine Definition   Der Begriff Storytelling ist im Ausstellungskontext nicht einheitlich definiert, weshalb für diesen Zusammenhang zur besseren Verständlichkeit eine Arbeitsdefinition gefunden werden muss. Grundlegend wird der Begriff als „Sammelbezeichnung für alle Narrationsformen in den aktuellen Massenmedien“ verwendet,6 deren Kern das strategische Erzählen einer Geschichte bildet, um zuvor definierte Ziele zu erreichen.7 Geschichten sind dabei medienunabhängig und bestehen aus verschiedenen Bausteinen, als wichtigste gelten eine Figur und eine Handlung, in welche diese Figur eingebunden ist. Die Geschichten orientieren sich dabei fast immer an bekannten Handlungsschemata, wie David-gegen-Goliath oder Vom-Tellerwäscher-zum-Millionär: Hier werden verschiedene Handlungsstränge miteinander verknüpft, können schnell wiedererkannt werden und erleichtern somit die Rezeption.8 Mithilfe von dramaturgischen 3 Ein laufendes Forschungsprojekt der DASA Arbeitswelt Ausstellung betreibt eine Wirkungsevaluation von Storytelling in einer erzählerischen Sonderausstellung. Die Ergebnisse werden 2022 erwartet. 4 Die Arbeitsgruppe operierte zwischen 2011 und 2015 im Rahmen des AthenaPlus-Projekts und bestand aus verschiedenen Fachleuten aus der Museumswelt, https://www.digitalexhibitions.org/ ?lan=en&q=Contact (letzter Zugriff: 22.10.2019). 5 https://www.digitalexhibitions.org/?lan=en&q=References/Definition (letzter Zugriff: 03.10.2019). 6 Werner Früh, Felix Frey: Narration und Storytelling. Theorie und empirische Befunde, Köln 2014, S. 87. 7 Vgl. Annika Schach: Von der Gründerstory bis zum Ergebnisprotokoll. Textlinguistische Analyse der Unternehmensgeschichte, in: Annika Schach (Hrsg.): Storytelling. Geschichten in Text, Bild und Film, Wiesbaden 2017, S. 61–80, hier S. 62. 8 Matías Martínez: Erzählen, in: Matías Martínez (Hrsg.): Handbuch Erzählliteratur: Theorie, Analyse, Geschichte, Stuttgart 2011, S. 1–11, hier S. 5–6.

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Erzählungen im digitalen Raum 

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Hilfsmitteln wie Überraschungen, Kontrasten, Humor oder Wendepunkten wird Spannung aufgebaut, die eine Art Haltekraft entwickeln, welche wiederum die Aufmerksamkeit der Rezipientinnen und Rezipienten bindet.9 Außerdem ist – je nach darstellendem Medium – der Raum, in dem die Erzählung sich entfaltet, ein wichtiger Träger narrativer Bedeutung, auch im Bereich des digitalen Erzählens. Hierzu kursiert in Anlehnung an die Computerspiele-Branche der Begriff der Storyworld.10 In dieser wird keine lineare, chronologische Erzählung entwickelt, sondern es sind verschiedene (Teil-)Erzählungen innerhalb eines Settings angeordnet, die erst durch die Bewegung der Spielerinnen und Spieler im virtuellen Raum zu einem Ganzen verschmelzen. Mit ähnlicher Intention wendet Joachim Friedmann die Theorie des semantischen Raums nach Jurij Lotman auf die Sinnproduktion von Computerspielerzählungen an.11 Hierbei ist die Raumbeschreibung ein elementarer und handlungsunterstützender Teil der Erzählung, da diese „sinnvolles Handeln“ erst möglich mache.12 Zur Gestaltung einer Erzählung gehören hier zum einen Grenzüberschreitungen innerhalb narrativer Räume, etwa wenn die Protagonistin das ihr vertraute Heim verlässt, um eine Aufgabe in unbekanntem Terrain zu erfüllen, zum anderen sogenannte Basisoppositionen, zum Beispiel hell vs. dunkel, weit vs. eng, mobil vs. statisch. Ein solches Verständnis von Erzählung eröffnet auch für die Umsetzung von Storytelling in Ausstellungen innovatives Potenzial. Ausgehend von diesen Ausführungen wird Storytelling im Folgenden als Strategie verstanden, die in digitalen Ausstellungen bewusst eingesetzt wird, um mit Hilfe von erzählerischen Elementen – Figuren, Handlung, Dramaturgie, Raumwechsel etc. – narrative Räume zu erschaffen. Ziel ist es, Nutzerinnen und Nutzern eine handlungsorientierte, bedeutsame und unterhaltsame Lernerfahrung zu ermöglichen.

9 Simon Sturm: Digitales Storytelling. Eine Einführung in neue Formen des Qualitätsjournalismus, Wiesbaden 2013, S. 34–36. 10 Siehe hierzu Axel Vogelsang, Barbara Kummler, Bettina Minder: Social Media für Museen II. Der digital erweiterte Erzählraum: Ein Leitfaden zum Einstieg ins Erzählen und Entwickeln von Online-Offline-Projekten im Museum, Luzern 2016, S. 65–67; David Herman: Basic Elements of Narrative, Hoboken 2011. 11 Joachim Friedmann: Transmediales Erzählen. Narrative Gestaltung in Literatur, Film, Graphic Novel und Game, Köln 2017, S. 35–39. 12 Ebd., S. 36.

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Digital Storytelling   Dabei bietet die digitale Welt für Rezipientinnen und Rezipienten einer Erzählung insbesondere interaktive und partizipative Möglichkeiten, da sie beispielsweise in Computerspielen zur handelnden Figur werden oder Handlungen selbst kreieren. Diesbezüglich unterscheidet man zwischen Storytelling und Storycreation. Bei ersterem ist nur der Erzählvorgang interaktiv, das heißt, die hypermedial aufgebauten Handlungen sind vorgegeben und die Rezipientinnen und Rezipienten entscheiden, wie sie sich diese aneignen. Bei letzterem werden die Erzählungen vom Nutzer selbst gesponnen bzw. beeinflusst, etwa bei Rollenspielen.13 Auch bieten sich neue Chancen der Teilhabe, indem eigene erlebte Geschichten geteilt oder kommentiert werden. Neben der bereits genannten Interaktivität bilden Integration, Verfügbarkeit und Vernetzung weitere Besonderheiten des digitalen Erzählens. Den Erzählerinnen und Erzählern stehen in der digitalen Welt erweiterte Möglichkeiten der Verbreitung von Inhalten zur Verfügung. Mit dem Begriff Integration ist die verteilte Darstellung von Inhalten gemeint: Es ist möglich, die Erzählung auf diversen Geräten, Plattformen, Anwendungen und Medienobjekten zu verteilen und diese zu einem Gesamtkunstwerk verschmelzen zu lassen. Verfügbarkeit meint, dass die Erzählung unabhängig von Zeit, Raum oder Speicherkapazitäten zugänglich ist. Die Vernetzung ist verknüpft mit dem Begriff der Hypermedialität:14 Die Geschichte ist modular und nicht linear aufgebaut und jedes Element, das einen Teil zur Erzählung beiträgt, kann miteinander verlinkt werden.

Erzählen in der digitalen Ausstellungspraxis  Bei der Betrachtung verschiedener digitaler Ausstellungen ergeben sich zwei Zugänge zum digitalen Erzählen, die sich am besten mit den Begriffen Bottom-Up und Top-Down charakterisieren lassen. Anhand von drei Beispielen werden diese beiden Herangehensweisen und Perspektiven vorgestellt sowie zuletzt miteinander verbunden. Beim Bottom-Up-Prinzip greifen Nutzerinnen und Nutzer auf bereitgestellte technologische Infrastrukturen zurück. Sie tragen so auf eine einfache Art und

13 Vgl. Ulrike Spierling, Dieter Grasbon, Norbert Braun, Ido Iurgel: Setting the Scene: Playing Digital Director in Interactive Storytelling and Creation, in: Computers & Graphics 26 (2002), S. 31–44. 14 Vgl. Dieter Georg Adlmaier-Herbst, Thomas Heinrich Musiolik: Digital Storytelling als intensives Erlebnis. Wie digitale Medien erlebnisreiche Geschichten in der Unternehmenskommunikation ermöglichen, in: Annika Schach (Hrsg.): Storytelling. Geschichten in Text, Bild und Film, Wiesbaden 2017, S. 33–60, hier S. 42–47.

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Erzählungen im digitalen Raum 

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Weise persönliche, authentische und (auto-)biografische Geschichten partizipativ bei.15 Ein paar Museen haben in den letzten Jahren das Bottom-up-Prinzip des digitalen Erzählens ausprobiert und untersucht.16 Zum Beispiel realisierte das Stadtpalais Stuttgart in einem Projekt die Plattform Stuttgart neu erzählt, auf der Bürgerinnen und Bürger persönliche Erzählungen aus ihrem Leben in Stuttgart hochladen können (User-Generated Content). Die Beiträge wurden von den Verantwortlichen nach einem vorgegebenen Konzept verschlagwortet und konnten von Nutzerinnen und Nutzern bewertet werden (Abb. 1). Diese Art der Kontextualisierung und Einbettung ist in digitalen Ausstellungen leichter möglich als in physischen.

Abb. 1: Stuttgart neu erzählt, Quelle: MFG Medien- und Filmgesellschaft Baden-Württemberg mbH: Stuttgart neu erzählt. Schlagworte. Pressematerial (04.11.2019).

Das Besondere hierbei ist, dass biographische Erzählungen die Ausstellungsexponate darstellen, die sich wiederum am übergeordneten Thema Stuttgart neu erzählt orientieren. Die Wahl der darstellenden Medien und auch der Einsatz narrativer Elemente (Figur, Handlung, Raumwechsel) ist den Nutzerinnen und 15 Julie Woletz: Digital Storytelling from Artificial Intelligence to YouTube, in: Sigrid Kelsey, Kirk St. Amant (Hrsg.): Handbook of Research on Computer Mediated Communication, Pennsylvania 2008, S. 587–602, hier S. 596. 16 Vgl. Ellen Krähling: Digital Storytelling, in: MFG Innovationsagentur Medien- und Kreativwirtschaft Baden-Württemberg (Hrsg.): Open Up! Museum. Wie sich Museen den neuen digitalen Herausforderungen stellen. Ein Leitfaden aus Baden-Württemberg, Stuttgart 2016, S. 32–37.

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Nutzern selbst überlassen. Es entstehen somit individuelle narrative Räume, die sich in den großen Raum des Stadtgebiets einfügen. Letzterer wird als topografische Karte veranschaulicht, mittels der Besucherinnen und Besucher einzelne Erzählungen auswählen können.17 Bei der Anwendung des Top-Down-Prinzips handelt es sich dagegen meist um einen institutionalisierten Wissenstransfer, der dazu genutzt wird, bestimmte Inhalte zu vermitteln. Nutzerinnen und Nutzern wird ein vorgegebener Spannungsbogen mit festem Ausgang bereitgestellt, den sie sich individuell aneignen.18 Dabei generieren sie – anders als beim Bottom-Up-Prinzip – aber keine neuen Erzählungen. Ein Beispiel dafür bildet die Ausstellung Pioneers auf der Sammlungsplattform Europeana. Hier werden europäische Frauen aus den letzten Jahrhunderten vorgestellt, die eine wichtige Rolle in den Bereichen Kunst, Wissenschaft oder Gesellschaft innehatten (Abb. 2).

Abb. 2: Pioneers, Quelle: Europeana, Wellcome Collection, https://www.europeana.eu/portal/en/ex hibitions/pioneers/maria-sklodowska-curie, CC BY (letzter Zugriff: 07.10.2019).

Am Beispiel von Marie Curie wird das Erzählmuster gleich zu Beginn deutlich: „In the chapter, we learn how Curie rose from humble beginnings to become the first woman to win a Nobel Prize.“19 Das erwähnte Handlungsschema Vom-Tellerwäscher-zum-Millionär ist eine weit verbreitete Vorlage für solche Geschichten und bestimmt die Tellability, die Erzählwürdigkeit, gerade dieser Erzählung: 17 Siehe auch das Stadtlabor Digital des Historischen Museums Frankfurt. https://historischesmuseum-frankfurt.de/de/stadtlabor-digital (letzter Zugriff: 04.11.2019). 18 Michael Mangold: Bildung, Wissen, Narrativität: Wissensvermittlung durch Digital Storytelling nicht nur für Museen, in: Michael Mangold, Peter Weibel, Julie Woletz (Hrsg.): Vom Betrachter zum Gestalter. Neue Medien in Museen, Baden-Baden 2007, S. 33–48, hier S. 46. 19 Pioneers, Quelle: Europeana, Wellcome Collection. https://www.europeana.eu/portal/en/exhibitions/ pioneers/maria-sklodowska-curie, CC BY (letzter Zugriff: 07.10.2019).

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Erzählungen im digitalen Raum 

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Die Protagonistin wird im Laufe der Ausstellung durch Fotografien in ihrem Aussehen beschrieben und im Text durch verschiedene Attribute wie unbezwingbar, bescheiden oder würdig charakterisiert. Verschiedene Räume werden sowohl sprachlich als auch visuell (historische Fotografien) dargestellt, z. B. eine geheime Universität (die sie in Warschau besucht hat, da Frauen nicht studieren durften), das Labor in Paris (in dem Curie und ihr Mann arbeiteten), eine mobile Röntgenstation im Ersten Weltkrieg und wieder ein Labor. Schon die Betrachtung der Räume impliziert diverse Oppositionen wie sichtbar vs. geheim, geschützt vs. ungeschützt und geachtet vs. unterdrückt. Zudem werden im Text Spannungen aufgebaut und Konflikte beschrieben, die Curie erfolgreich meistert. Die Erzählung ist nicht partizipativ, die linear aufgebaute Handlung verantworten die Ausstellungsmacherinnen und -macher, die das Motiv der Pionierfrau dazu nutzen, um verschiedene Digitalisate aus Europeana miteinander in Verbindung zu setzen und sie in eine sinnvolle, benutzerfreundliche Ordnung zu bringen. Die Nutzer eignen sich die linear aufgebaute Handlung individuell an, indem sie auf der Seite hinunter scrollen und sich die gezeigten Objektabbildungen im Detail anschauen können.20

Abb. 3: Virtuelles Migrationsmuseum, Bahnhofshalle, Zeitebene 1989–2017 (DOMiD: Virtuelles Migrationsmuseum, https://virtuelles-migrationsmuseum.org/download/ (letzter Zugriff: 04.11.2019).

Ein letztes Beispiel, das beide Herangehensweisen – Top-Down und Bottom-Up – miteinander verknüpft, verkörpert das Virtuelle Migrationsmuseum (Abb. 3).

20 Eine in der Interaktion wenig herausfordernde, aber in ihrer Form doch recht elaborierte Form der Online-Erzählung ist das sogenannte Scrollytelling (aus dem Englischen to scroll und telling). Der Nutzer scrollt mit der Maus oder dem Finger immer weiter nach unten und verfolgt so die Geschichte.

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Hier bewegen sich die Besucherinnen und Besucher in drei verschiedenen Zeitschienen durch neun Räume, in denen sie persönliche Erzählungen (Audio, Video), Objekte und Zitate entdecken und sammeln können. Die Ausstellung erzählt die Geschichten mehrerer Personen, die modular auf verschiedene Räume und Themen verteilt sind. Die Art und Weise der inhaltlichen Aneignung geschieht spielerisch und orientiert sich an Adventure bzw. Point-and-Click Spielen: Nutzerinnen und Nutzer bewegen sich selbst durch die Räume und können die Wege von Migrantinnen und Migranten durch deren Erzählungen und eigenständige Raumwechsel nachvollziehen (Bahnhof, Wohnheim, Schule etc.). An der Ausstellung kann sich jede und jeder beteiligen und eine eigene Geschichte einsenden, die von den Ausstellungsmacherinnen und -machern in die Erzählräume integriert wird. Dabei werden die Erzählungen bestimmten Räumen und Themen zugeordnet. Detailansichten von Objekten und Medien werden durch Texte erläutert, die durch ihren meist biografischen Aufbau sehr narrationsnah, allerdings eher beschreibend als erzählend, gestaltet sind. Auch die Zuordnung von Basisoppositionen ist bei Texten eher schwierig, wie sich am Beispiel der Winterjacke (Abb. 4) zeigen lässt: Sie könnte für Vergangenheit vs. Gegenwart, aber auch für Verzweiflung vs. Hoffnung oder kalt vs. warm stehen.

Abb. 4: Virtuelles Migrationsmuseum, Detail Erinnern und in Erinnerung bleiben, DOMiD: Virtuelles Migrationsmuseum, https://virtuelles-migrationsmuseum.org/download/ (letzter Zugriff: 04.11.2019).

 

 

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Erzählungen im digitalen Raum 

Perspektiven 

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Die drei Beispiele zeigen, dass in digitalen Ausstellungen bereits Methoden des Storytellings berücksichtigt werden, um den Mehrwert für Lernerfahrungen zu nutzen. Hierzu zählen: – partizipative Plattformen unter Einbeziehung der handlungsorientierten Nutzerinnen- und Nutzererzählungen (Stuttgart neu erzählt), – narrative Sammlungspräsentationen, die mit Hilfe von Text, Bild, Raumwechseln und Basisoppositionen kurzweilig und nachvollziehbar werden (Pioneers), – eine individuell erfahrbare digitale Welt, in der Alltagsgeschichten in für Besucherinnen und Besucher bekannten wie relevanten Lebenswelten erspielt werden (Virtuelles Migrationsmuseum). Ausstellungsmacherinnen und -macher haben im Netz die Möglichkeit, kuratierte Inhalte anhand einer Erzählung hypermedial vielfältig zu entfalten. Dabei profitieren sie davon, dass Erzählungen unterschiedliche Funktionen im digitalen Ausstellungskontext erfüllen: Sie ordnen Ereignisse bzw. setzen sie miteinander in Beziehung und können für eine emotionale und zielgruppenrelevante Vermittlung eingesetzt werden. Sie haben es dabei selbst in der Hand, welche Figuren und Handlungen entstehen, in welchem Maße sich Nutzerinnen und Nutzer interaktiv und partizipativ beteiligen können. Letzteren bieten BottomUp-Erzählungen und Möglichkeiten zur interaktiven Aneignung digitaler Erzählungen ein breiteres Spektrum zur Partizipation, unabhängig von Zeit und Ort. Damit wird eine neue Form der Teilhabe geschaffen, die sich an einer für viele Nutzerinnen und Nutzer gewohnten Kommunikationssituation orientiert. Durch die Art der digitalen Erzählung kann die ausstellende Institution somit unterschiedliche Ziele realisieren. Die narrativen Elemente Figur, Handlung und Raumwechsel dienen hier als Voraussetzungen für die Realisierung von Storytelling in digitalen Ausstellungen. In Pioneers wird deutlich, dass diese auch ohne großen technischen Aufwand erfüllt werden können, sofern sich Besucherinnen und Besucher auf das Lesen von Texten einlassen. Das letzte Beispiel hat demgegenüber gezeigt, dass die Computerspiele-Branche insbesondere im Hinblick auf eine interaktive Storyworld in Verbindung mit Gamification als Vorbild dienen kann. Dies bietet weitere Möglichkeiten, über die gebräuchliche Kombination der hypermedialen Verknüpfung von Texten und audiovisuellen Medien hinauszugehen. Außerdem scheint es sinnvoll, die vorgestellten erzählerischen Herangehensweisen zu kombinieren: Nur so können die Vorteile einer stärkeren Interaktivität und Partizipation von Nutzerinnen und Nutzern in Verbindung mit durch

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vorgegebenen hypermedial verknüpften Inhalten unter Berücksichtigung der zur Verfügung stehenden Ressourcen voll ausgeschöpft werden. Gelingt dies, bietet Storytelling Museen und anderen sammlungshaltenden Institutionen im digitalen Raum die Chance, das Publikum weltweit anzusprechen und teilhaben zu lassen: Damit sind Ausstellungserzählungen keine physischen Grenzen mehr gesetzt.

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Bastian Schlang

Gamification. Perspektiven für physische und digitale  Ausstellungen  

Gaming und Gamification sind derzeit Schlagwörter, worunter verschiedenste Angebote in Museen entwickelt werden. In diesem Beitrag wird der Frage nachgegangen, welche spezifischen Merkmale Gamification-Prozesse in Museen auszeichnen. Besonders der didaktische Mehrwert in der individuellen Erschließung zeichnet spielorientierte Ausstellungen aus. Es muss allerdings auch definiert werden, welche Form von ‚Spiel‘ unter diesem Blickwinkel von Relevanz ist, da der deutsche Spiele-Begriff eine Vielzahl unterschiedlicher Interaktionen beinhalten kann. Die aktuelle Entwicklung von Games in immer mehr Museen steht dabei in der Tradition einer handlungsorientierten Ausstellungsdidaktik. Anhand eines aktuellen Beispiels wird aufgezeigt, wie sich Game-Elemente konkret in Ausstellungen integrieren lassen.

Hinführung: Zu Besuch im Römischen Reich  Das Rheinland im 2. Jahrhundert nach Christus: Eine Stadt voller Leben möchte erforscht werden.1 Ob in den lauten Tavernen, den Thermen oder in der Schule: die Spielerinnen und Spieler des interaktiven Online-Lernspiels Römer-Experiment erkunden Schritt für Schritt die virtuelle Welt einer lange zurückliegenden Zeit und tauchen digital in das Provinzleben des Römischen Reichs vor ca. 2.000 Jahren ein. An jeder Station, welche die Spielenden in dieser, an das antike Colonia Claudia Ara Agrippinensium (also dem heutigen Köln) angelehnten Stadt entdecken, warten kleine Aufgaben, die gelöst werden können. Nachdem ein größerer Teil der Stadtfläche erkundet ist, erscheinen schließlich verschiedene 1 SWR/WDR (Hrsg.): Spielerläuterung auf dem Online-Portal von Planet Schule. https://www.planetschule.de/sf/multimedia-lernspiele-detail.php?projekt=roemer-experiment (letzter Zugriff 15.11.2019, bis zur Aktualisierung der Seite nicht mehr verfügbar, Stand: 11.08.2021). Die folgende Zusammenfassung orientiert sich an der auf Planet Schule hinterlegten Spielbeschreibung.

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Bastian Schlang 

‚Quests‘ auf dem Bildschirm, die die Spielerinnen und Spieler vor neue Herausforderungen stellen: Ob es die Planung des Festessens für den Statthalter ist oder das Lösen eines alten Mordfalls, die Playerinnen und Player vertiefen auf spielerische Art und Weise ihr Wissen über die römische Antike und wenden es im Rahmen der Spielhandlung zielgerichtet an. Im Römer-Experiment wird Wissen somit nicht zu einem sogenannten ‚trägen Wissen‘, sondern besitzt Handlungsrelevanz. Als Belohnung bekommen die Spielerinnen und Spieler entweder Ausstattungsgegenstände für ihre römischen Häuser und Wohnungen oder SpielDenare, die wiederum innerhalb der virtuellen Stadt eingetauscht werden können. Das auch in lateinischer Sprache verfügbare Lernspiel aus dem Jahr 2012 richtete sich in erster Linie an Schulen und stellt ein zusätzliches Medien-Lernangebot dar, welches auf der gleichnamigen SWR/WDR-Sendereihe im Rahmenprogramm von Planet Schule basiert.2 Dieses im Schulfernsehen vor bald zehn Jahren publizierte Spiel kann im engeren Sinne als Serious Game bezeichnet werden. Solche Spiele sind dadurch gekennzeichnet, dass sie ein pädagogisches Ziel verfolgen, mithin also keinem Selbstzweck dienen.3 Das RömerExperiment zeigt ferner, dass es bereits vor einigen Jahren technisch-pädagogisch möglich war, das Spielen und Lernen auf virtueller Ebene zu kombinieren. Aus museologischer Perspektive interessant ist bei diesem Beispiel die Integration von Prozessen des räumlichen Lernens mit einer starken Objektbezogenheit in einer fiktiv nachgebildeten, sozialräumlichen Umgebung.4 Dabei lässt sich ein Transfer dieser spielorientierten Lernprozesse auf das didaktische Potenzial musealer Lern- und Erlebnisumgebungen einfach durchführen.5 Hierbei handelt es sich ebenso um konstruierte Lernumwelten. Genauso wäre aber auch ein ähnlich konzipiertes Spiel als rein digitales Angebot eines Museums eine sinnvolle mediendidaktische Erweiterung digitaler Vermittlungsangebote und könnte die Vorteile eines Storytelling-orientierten ‚Lernmuseums‘ aufweisen.6 Ein solches Angebot stellt Museumsinformationen 2 SWR/WDR (Hrsg.): Das Sendeportal zum Römer-Experiment. https://www.planetschule.de/sf/php/sendungen.php?reihe=1157 (letzter Zugriff: 21.11.2019). 3 Felix Raczkowski: Digitalisierung des Spiels. Games, Gamification und Serious Games, Berlin 2018, S. 191. 4 Zu den Prinzipien der Vermittlungsarbeit in Museen vgl. Tobias Nettke: Was ist Museumspädagogik? Bildung und Vermittlung in Museen, in: Beatrix Commandeur, Hannelore Kunz-Ott, Karin Schad (Hrsg.): Handbuch Museumspädagogik. Kulturelle Bildung in Museen, München 2016, S. 1–42. 5 Eine exemplarische Beschreibung verschiedener digitaler Spielanwendungen im Kulturbereich findet sich bei: Michela Mortara: Learning cultural heritage by serious games, in: Journal of Cultural Heritage 15.3 (2014), S. 318–325. 6 Werner Schweibenz: Das virtuelle Museum im Internet als Lernort. Konstruktivismus, Flow, Narration und digitales Storytelling, in: Uwe Danker, Astrid Schwab (Hrsg.): Historisches Lernen

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Gamification 

kontextorientiert zur Verfügung. Es ist zudem didaktisch-pädagogisch aufbereitet und ermöglicht durch einen stark motivationalen Zugang die Chance, dass bei Mehrfachbesuchen des virtuellen Angebots aufgrund seiner aktiv-handlungsorientierten Herangehensweise auch Neues entdeckt werden kann. Dadurch stellt ein solches Angebot schließlich mehr als die reine digitalisierte Zusatzinformation zu Objekten eines physisch existierenden ‚Offline-Museums‘ dar. Sowohl der virtuelle Auftritt eines Museums als auch das ‚Offline-Museum‘ können dabei als eigenständige didaktische Räume verstanden werden und sind somit Teil von personaler wie medialer und ausstellungsbezogener Vermittlungsarbeit.7

Spielräume und museale Ausstellungen   Stichworte wie ‚Entdecker-Parcours‘, ‚Erlebnis Geschichte‘8 oder ‚Abenteuerlandschaft‘ prägen Freizeit- und Bildungsangebote ganz unterschiedlicher Art und haben doch eines gemeinsam: Sie nehmen für sich in Anspruch, uns nicht durch eine primär formal-kognitive Methodik Wissen im strengsten Sinne des Wortes zu vermitteln, sondern betonen einen auf Besucherinnen und Besucher bezogenen, subjektorientierten und informellen Ansatz.9 Wir finden solche Entwicklungen von Erfahrungsräumen vor allem außerhalb von Museen. Das Erleben eines begehbaren Spiels etwa ist ein Phänomen, das sich nicht zuletzt in der Popularität neuartiger Freizeitattraktionen wie den Escape-Rooms manifestiert.10 Die Idee zu solchen Live-Escape-Games stammt aus Japan und besteht im Wesentlichen darin, das Prinzip der Adventurespiele vom PC auf Live-Situationen zu übertragen. Escape-Rooms wurden ab 2007 in Japan entwickelt, später folgten die ersten Anbieter auf dem europäischen Kontinent, ab 2013/2014 in im Internet. Geschichtsdidaktik und Neue Medien, Schwalbach/Ts. 2008, S. 154–168, hier S. 161–162. 7 Karin Maaß: Positionspapier Museumspädagogik, Saarbrücken 2006, S. 2. 8 So der Titel des ersten Begleitbandes des Hauses der Geschichte in Bonn. Vgl. Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland (Hrsg.): Erlebnis Geschichte. Deutschland vom Zweiten Weltkrieg bis heute, Bonn 2000. 9 Dabei ist nicht mehr nur allein das inhaltliche Wissen lernrelevant, sondern vor allem ein eher erlebnisdidaktischer Ansatz des ‚Lernens über sich selbst‘. Vgl. Kurt Grötsch: Merkwürdig – Lernen in Museum oder Lernen in Erlebniswelten. Was können Museen von lernbasierten Erlebnisorten lernen?, in: Hartmut John, Anja Dauschek (Hrsg.): Museen neu denken. Perspektiven der Kulturvermittlung und Zielgruppenarbeit, Bielefeld 2008, S. 107–130, hier S. 121. Grötsch spricht in diesem Zusammenhang von einer ‚autotelischen Revolution‘. 10 Zur Geschichte der Escape-Rooms zum Beispiel branchenintern vgl. Mark Heinrich: Die Geschichte der Escape Games. https://labyrintoom.berlin/die-geschichte-der-escape-games (letzter Zugriff: 21.11.2019).

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Deutschland. So handelt es sich um ein noch sehr junges Phänomen, das eine Transformation von der digitalen Welt über die physische Raumerfahrung bis jüngst hin zum Brettspiel durchgemacht hat und schließlich in analog-digitalen Mischformen zunehmend selbst in Museen eine Rolle spielt.11 Wenngleich solche Ansätze vor allem ein jüngeres Publikum, die sogenannten Digital Natives,12 ansprechen, wobei selbst diese mittlerweile schon weit über 30 Jahre alt sind, so bilden Escape-Rooms nicht nur ein jugendkulturelles Phänomen. Spielorientierte Formate besitzen zudem ein großes lerntheoretisches Potenzial, das nicht zwangsweise etwas mit dem Alter der Teilnehmenden zu tun hat.13 Lernorientierte Raumspiele können aber auch in Museumsausstellungen integriert werden. Hierfür ist eine museale Ausstellung als Feld didaktischer Überlegungen zu verstehen. Durch den enormen Bedeutungsgewinn der Idee der ‚Visitor Experience‘, der Publikumsorientierung und des ‚Educational Turn‘ ab Mitte der 1990er Jahre hat sich diese Haltung mittlerweile weitgehend etabliert.14 Dies bedeutet einen grundlegenden Paradigmenwechsel, der Museumsausstellungen stärker aus der Besuchsperspektive als Lern-, Erfahrungs- oder Erlebnisorte definiert. Dabei geht es nicht nur darum, die Inhalte methodisch weniger instruktiv, sondern zunehmend ko-konstruktiv aufzubereiten. Schließlich wandelt sich das gesamte Konzept einer Ausstellung, sei sie nun physisch oder digital, von einer am Bildungskanon orientierten Wissensvermittlung hin zu einem aktiven Aushandlungsort gesellschaftlicher Diskurse.15 In diesem Kontext erweitern sich aktuell die Tätigkeitsbereiche der Museumspädagogik: Sie sind nicht mehr nur auf die Entwicklung personaler Vermittlungsangebote zu bereits existierenden physischen Ausstellungen begrenzt, sondern beinhalten zunehmend die Mitarbeit bei der Ausstellungskonzeption

11 Zu einer umfangreichen Zusammenfassung vgl. Kosmos Spieleverlag (Hrsg.): Live-EscapeGames. https://www.kosmos.de/content/spielware/spiele/erwachsenenspiele/escape-games/liveescape-games/ (letzter Zugriff am 21.11.2019). Zu den analog-digitalen Wechselwirkungen von Spielen siehe auch: Christoph Deeg: Gaming als Blaupause für eine neue partizipative, digitale Kulturvermittlung, in: Birgit Mandel (Hrsg.): Teilhabeorientierte Kulturvermittlung. Diskurse und Konzepte für eine Neuausrichtung des öffentlich geförderten Kulturlebens, Bielefeld 2016, S. 227–235, hier S. 230. 12 Zur Begriffsverwendung vgl. Marc Prensky: Digital Natives, Digital Immigrants, in: Horizon 9.5 (2001), S. 2–6, hier S. 2. 13 Eilean Hooper-Greenhill: Museum and education. Purpose, pedadogy, performance, London 2007, S. 172. Hooper-Greenhill setzt sich in diesem Zusammenhang kritisch mit den Stufen der kognitiven Entwicklung auseinander, wie sie vor allem Jean Piaget entwickelt hat. 14 Zum ‚educational‘ bzw. ‚learning turn‘ vgl. Peter van Mensch, Léontine Meijer-van Mensch: New trends in museology, Celje 2011, S. 35–36. 15 Zur Bedeutung des Konstruktivismus für die Museumspädagogik vgl. z. B. George E. Hein: Konstruktivistische Lerntheorie, in: Kunibert Bering (Hrsg.): Visual Learning. Positionen im internationalen Vergleich, Oberhausen 2013, S. 423–431.

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wie die inhaltliche Ausweitung in Richtung digital-medialer Vermittlung.16 Dabei war der hier durchscheinende Ansatz einer spezifischen Ausstellungsdidaktik schon in der Anfangszeit der modernen Museumspädagogik entwickelt worden. Bereits 1975 attestierte Werner Hilgers: „Eine brauchbare Ausstellung kann eigentlich nur im Zusammenwirken von fachwissenschaftlichen, pädagogischen, ästhetischen und technischen Überlegungen entstehen; sie wird und muss in jedem Fall ein Kompromiß [sic!] sein“.17 Die konstruktivistische Wende forcierte letztlich die pädagogische Begründung solcher ausstellungsdidaktischer Überlegungen:18 Indem die lernende Person in den Mittelpunkt allen didaktischen Interesses rückte, konnte expositorisches Handeln nun stärker von den Besuchenden her gedacht werden.19 Dabei sind aus einer didaktischen Perspektive folgende Fragen entscheidend: Welches Ziel verfolgen wir mit einer Ausstellung? Was sollen die Besuchenden am Ende mehr gelernt oder erfahren haben? Worin liegt aus der Besuchendenperspektive der Mehrwert eines Museumsaufenthaltes und letztlich: Was kann überhaupt erinnert werden?

Spielen und Gamification aus (museums‐)pädagogischer Perspektive  Für die Fragestellung dieses Beitrags rückt nun ein bestimmtes Vermittlungsformat in den Fokus: das Spiel als handlungsorientierte methodische Option (im Physischen oder Digitalen). Die in der Literatur vorgeschlagenen Definitionen für den Spielebegriff sind vielfältig. Der bekannte Spieleentwickler Sid Meier verweist in seinem Vorschlag stärker auf das Handeln in Abhängigkeit von verschiedenen Spielelementen: „A game is a series of interesting and meaningful 16 Annette Noschka-Roos: Besucherforschung und Didaktik. Ein museumspädagogisches Plädoyer, Opladen 1994, S. 73. Die drei großen Formen von Vermittlungsarbeit werden unter personaler und medialer Vermittlung sowie Ausstellungsdidaktik zusammengefasst (siehe ebd., S. 76–80). Wenngleich zu Beginn der 1970er Jahre Ausstellungsdidaktik als museale Querschnittsaufgabe aufgefasst wurde, so blieb die Konkretisierung des Begriffs weithin ungenau und strittig. Genauso strittig bleibt bis heute auch das Verhältnis zwischen Ausstellungsdidaktik und Allgemeindidaktik bzw. den anderen Feldern museumspädagogischen Handelns (siehe ebd., S. 80–84, 85–88). Noschka-Roos plädiert zur Integration bestimmter Merkmale des didaktischen Feldes und bezieht sich dabei vorwiegend auf die Überlegungen Wolfgang Klafkis (siehe ebd., S. 117–119). 17 Werner Hilgers: Gedanken über ein Stiefkind. Wohin geht die Museumspädagogik?, in: Das Rheinische Landesmuseum Bonn. Berichte aus der Arbeit des Museums 1 (1975), S. 11–13, hier S. 12. Zitiert nach: Annette Noschka-Roos: Besucherforschung und Didaktik. Ein museumspädagogisches Plädoyer, Opladen 1994, S. 79. 18 Doris Lewalter: Museumspädagogik – eine pädagogisch-psychologische Perspektive, in: Commandeur, Kunz-Ott, Schad: Handbuch Museumspädagogik, S. 121–124, hier S. 121. 19 Kersten Reich kennzeichnet ein didaktisches Handeln im konstruktivistischen Sinne auch als partizipative Ausdeutung des Lernens. Siehe Kersten Reich: Konstruktivistische Didaktik. Beispiele für eine veränderte Unterrichtspraxis, in: Schulmagazin 5–10. Impulse für den kreativen Unterricht 3 (2005), S. 5–8, hier S. 5.

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choices made by the player in pursuit of a clear and compelling goal.“20 Der Bildungsforscher Wolfgang Einsiedler hält fest, dass es trotz vielfacher Definitionsbemühungen des Spiels sinnvoller sei, den stark durch Kategorisierungen geprägten Spielebegriff eher injunkt, also im fließenden Übergang zu anderen ähnlichen (didaktischen) Formaten, zu verstehen.21 Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass die Nicht-Erfüllung eines Spielmerkmals nicht automatisch dazu führt, eine bestimmte Handlungssituation nicht mehr als Spiel zu verstehen. Der Game-Studies-Forscher Jens Junge plädiert hingegen dafür, eine terminologische Fassung des Spielebegriffs bereits auf einer begrifflichen Ebene vorzunehmen. Hierbei bietet die englische Sprache etwas mehr Eindeutigkeit, indem zwischen ‚Play‘ (dem freien Spiel), ‚Game‘ (dem strukturierten Spiel), ‚Toy‘ (Spielzeug), ‚Sport‘ (dem Sportspiel) und ‚Gambling‘ (Glücksspiel) unterschieden wird.22 Der Pädagoge Marc Prensky differenziert ausgehend vom allgemeinen Spielebegriff ‚Play‘ das freie, spontane ‚Play‘ und das organisierte ‚Game‘.23 Auch die ‚Games‘ an sich können wieder in verschiedenen Kategorien unterteilt werden, nämlich in solche mit, und solche ohne Wettkampfcharakter; die mit Wettkampfcharakter können sowohl kognitiver wie physischer Natur sein. Prensky gibt sechs definierende Strukturelemente vor, die ein ‚Organized Game‘ (Regelspiel) beinhalten muss, um als solches zu gelten. Es gibt demnach Regeln, Ziele und Lösungswege, Ergebnisse und Rückmeldungen, Konflikte, Wettkämpfe, Herausforderungen und Gegen-/Mitspieler, Interaktionen sowie eine Geschichte bzw. eine Form von narrativer Darstellung.24 Die grundlegende menschliche Tätigkeitsform des Spiels hat letztlich weitgehend gemein, dass ihr Zweck der Selbstzweck ist oder sich in einer simulativen ‚Als-Ob-Situation‘ darstellt.25 Moderne Formen spielorientierter Arbeitsumwelten weichen diesen Aspekt allerdings mittlerweile teilweise auf, so dass die zuvor erörterte Aussage nur noch eingeschränkt Gültigkeit besitzt.26 Spiele sind aber 20 Sid Meier zitiert nach Sangkyun Kim: Gamification in Learning and Education. Enjoy Learning Like Gaming, Cham 2018, S. 15. 21 Wolfgang Einsiedler: Das Spiel der Kinder. Zur Pädagogik und Psychologie des Kinderspiels, Bad Heilbrunn 1991, S. 12–13. Eine pädagogische Systematisierung von Spielen in personenorientierte, spielorientierte und pragmatische Klassifikationen findet sich bei Jürgen Fritz: Theorie und Pädagogik des Spiels. Eine praxisorientierte Einführung, Weinheim/München 1991, S. 49–50. 22 Jens Junge: Spielen? Was ist das? (o. O. 2018). https://www.spielen.de/blog/spielen/ (letzter Zugriff: 22.04.2020). 23 Marc Prensky: Digital Game-based Learning, Saint Paul 2001, S. 118. 24 Ebd., S. 118–119. 25 Kurt Aregger: Didaktische Prinzipien. Studienbuch zur Unterrichtsgestaltung, Aarau/Frankfurt am Main/Salzburg 1994, S. 74–79. 26 Z. B. können Arbeitsprozesse selbst spielorientierten Charakter aufweisen (Wettbewerb mit Punktevergabe und Ranking etc.), aber auch die Interaktion zwischen Unternehmen und Kunden (z. B. ein gamifizierter Kaufprozess bei einem Online-Händler) oder ganz klassisch das Sammeln von ‚Belohnungen‘ (Sticker etc.).

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auch aus pädagogischer Sicht Methoden didaktischer Reduktion, um Lernziele leichter zu erreichen und können somit ebenfalls einem Zweck außerhalb der Spielhandlung dienen.27 Der Unterschied zwischen einem Spiel als Element eines anderen didaktischen Rahmens, zum Beispiel einer physischen bzw. digitalen Ausstellung, und einer gesamten didaktischen Umwelt als Spiel liegt vor allem im Umfang dessen, was das Spiel ausmacht (punktuell-ergänzend bzw. grundierend). ‚Gamification‘, ein Neologismus, der diesen Trend beschreibt, ist daher in erster Linie „a set of activities and processes to solve problems by using or applying the characteristics of game elements“28 und somit die Übertragung von Spielprozessen in primär nicht spielerische Kontexte.29 Dabei hat das Konzept seinen Ursprung in digitalen unternehmerischen Arbeitsprozessen. Firmen organisieren zunehmend Arbeits- als Spielprozesse. Dies soll vor allem die Motivation von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern fördern und letztlich die Produktivität steigern. Bereits vor 100 Jahren begannen Firmen, diese Prozesse auch in der Kunden-Unternehmen-Interaktion zu implementieren. Mittlerweile arbeiten sogar Bildungsinstitutionen wie Schulen oder Universitäten vermehrt ‚gamifiziert‘. Neu ist bei ‚gamifizierten‘ Ausstellungen, dass Handlungsorientierung und Interaktion nicht nur gestärkt werden, sondern zentrale Elemente sind, ohne die ein solcher Ansatz nicht funktionieren kann.30 Besucherinnen und Besucher werden also zu Handlungsakteurinnen und -akteuren sowie Ko-Konstrukteurinnen und -konstrukteuren ihrer räumlichen Erfahrungen in musealen Ausstellungen. Dabei sind die Spiele kein Mittel der Instruktion von Wissen, sondern die Methode zur Umsetzung eines handlungs- und erlebnisorientierten Prinzips der Inhalts-Erschließung, also Orientierungshilfen für selbstgesteuerte Lern- und Erfahrungsprozesse. Spiele sind somit nicht länger nur ‚Tools‘ in Ausstellungen, sondern grundieren diese elementar.    

27 Für den Nutzen von Spielen in der Museumspädagogik auch: Tobias Nettke: Personale Vermittlung in Museen – Merkmale, Ansätze, Formate und Methoden, in: Commandeur, Kunz-Ott, Schad: Handbuch Museumspädagogik, S. 173–183, hier S. 175–176. 28 Kim: Gamification, S. 27–28. 29 Zur Bandbreite von Gamification-Definitionen ebd., S. 27. Zur Entwicklung von Gamification ebd., S. 28. 30 Zum Potenzial von Handlungsorientierung aus einer eher konstruktivistischen und pragmatistischen Sicht auf das Lernen siehe Bärbel Völkel: Handlungsorientierung im Geschichtsunterricht, Schwalbach/Ts. 2012, hier S. 14–17.

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Fallbeispiel  Ein prägnantes Beispiel für diese Entwicklung war die von 2017 bis 2018 gezeigte Sonderausstellung energie.wenden im Deutschen Museum München. Ziel dieser ‚partizipativen Ausstellung‘31 war es, das „Nachdenken und […] aktive Handeln jedes Einzelnen“ zu fördern,32 also letztlich eine Art Forum für gesellschaftliche Diskurse zu bieten. Dabei nahmen die Besucherinnen und Besucher die Sichtweisen von Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern in Bezug auf die Energiewende ein und erspielten sich eine individuelle Spielkarte, die am Schluss ausgewertet wurde. Während des Spiels wechselten analoge und digitale Elemente einander ab, so dass ein für Gamification-Prozesse in Kulturbetrieben typischer Mittelweg zwischen analoger und digitaler Vermittlung gegangen wurde. Allerdings war die Auseinandersetzung mit der haptisch-analogen Objektausstellung, die in Teilsegmenten den unterschiedlichen Stationen zugeordnet war, nicht zwingend notwendig, um Entscheidungen zur Energiewende an verschiedenen Spielautomaten zu treffen. Vielmehr genügte es weitgehend, den Ausführungen exemplarischer Vertreterinnen und Vertretern eines bestimmten Standpunktes zuzuhören und auf dieser Basis in den Spiel-Entscheidungsprozess einzusteigen. Ein gesellschaftlicher Diskurs wie der Umgang mit der Energiewende steht exemplarisch für die Aushandlung von Inhalten in handlungs- und spielorientierten Ausstellungen, bei denen am Ende oftmals ein mentales und/oder haptisches Produkt entsteht.

Perspektiven für digitale Ausstellungen  Serious Games müssen als gamifizierte Ausstellungsformate nicht rein digital oder analog verstanden werden – auch ein in diesem Sinne übertragenes, digitales Römer-Experiment in ein physisches Museum könnte beide Ebenen nutzen und die Spielelemente bestmöglich verknüpfen. Dabei ergänzt die gebaute Ausstellung die Spiele um Elemente, die im Digitalen in dieser Form nicht vorhanden sind, etwa im Bereich der Haptik oder der unmittelbaren personalen Interaktion. Die Verknüpfung zwischen digitalen und analogen Spielelementen ist in der praktischen Umsetzung in einer Ausstellung allerdings nicht immer einfach

31 Wolfgang Heckl: Vorwort des Generaldirektors, in: Christina Newinger, Christina Geyer, Sarah Kellberg (Hrsg.): Energie.wenden. Chancen und Herausforderungen eines Jahrhundertprojekts, München 2017, S. 6–7, hier S. 6. 32 Ebd., S. 6–7.

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herzustellen. So stellt sich beispielsweise die Frage, wie durch Vitrinen geschützte Objekte tatsächlich in eine Spielhandlung eingebaut werden können. Gerade die Verwendung von (originalen) Exponaten als weitere Vertiefungsebene kann schnell dazu führen, dass das eigentliche Spiel genauso gut ohne sie funktioniert. Hier müssen zukünftig verstärkt Lösungsansätze konzipiert werden, so dass gamifizierte Ausstellungen bzw. Ausstellungen als Serious Games nicht nur für die Auseinandersetzung mit immateriellem Kulturerbe oder gesellschaftlichen Diskursfeldern relevant sind, sondern für vielfältige Vermittlungsansprüche nutzbar gemacht werden können.33 Der Paradigmenwechsel im Sinne von ‚Gamification‘ liegt letztlich gerade in dem Anspruch, Besucherinnen und Besuchern nicht länger zu eher passiven Rezipientinnen und Rezipienten von Ausstellungen zu machen, sondern zu aktiv handelnden Akteurinnen und Akteuren einer durch das Spiel definierten Lern- und Erlebnisumwelt zu befähigen.

33 Dazu auch Mortara: Learning cultural heritage, S. 319.

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Ausblick

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Guido Fackler

Museologische Perspektiven für die Weiterentwicklung digitaler  Ausstellungen  

Bei digitalen Ausstellungen werden mehrere museologische Paradigmenwechsel, die Museen wie physische Ausstellungen in den letzten Jahrzehnten durchlaufen haben, bislang kaum berücksichtigt. Sie sollen abschließend skizziert werden, da sie Perspektiven für die Weiterentwicklung digitaler Ausstellungen bieten.1

Alltagskulturell‐narrative Wende  Der grundlegende Wandel im Ausstellungswesen betrifft mit der alltagskulturell-narrativen Wende zunächst die Öffnung der Sammlungen für Alltagsdinge. Bei digitalen Ausstellungen kann dies hinsichtlich der alltagskulturell-gegenwartsbezogenen Erweiterung des Kanons der Exponate, deren Beschreibung und Präsentation nutzbar gemacht werden. Denn mit der ‚Entdeckung‘ der Alltagskultur hat sich die Zahl ‚museumswürdiger‘ Objekte – „Museumsdinge“2 nach Gottfried Korff – stark erweitert: Neben den seit Jahrhunderten gesammelten schönen, seltenen, exotischen, wertvollen und anderswie herausragenden Objekten finden seit den 1970er-Jahren vermehrt ‚normale‘, gleichwohl aussagekräftige Dinge unserer Alltagskultur und gegenwärtigen Lebenswelt den Weg ins Museum. Der neue Fokus auf die „soziale und kulturelle Existenzweise alltäglicher Dinge und Artefakte“3 ging im Kontext innovativer Ansätze der Material Culture Studies seit den 1980/90er Jahren mit anderen Objektnarrationen

1 Hierzu siehe den Beitrag von Hendrikje Carius und Guido Fackler in diesem Band. Vgl. auch Guido Fackler, Astrid Pellengahr: Chancen, Perspektiven und Missverständnisse der Digitalisierung am Beispiel virtueller Ausstellungen, in: Museumskunde 84 (2019), S. 34–41. 2 Gottfried Korff: Museumsdinge. Deponieren – Exponieren, Köln/Weimar/Wien 2007. 3 Gudrun M. König: Dinge zeigen, in: Dies. (Hrsg.): Alltagsdinge. Erkundungen der materiellen Kultur, Tübingen 2005, S. 9–28, hier S. 9.

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einher. So versucht man heute, Exponate nicht mehr entkontextualisiert mit rudimentären Text-Informationen und mehreren Vergleichsobjekten in einer Vitrine zu präsentieren, sondern über exemplarische Objekte Geschichte und Geschichten sowie sonstige Kontexte zu erzählen. In diesem Zusammenhang treten in Ausstellungen neben traditionell fachspezifisch-disziplinäre Erläuterungen zu den Objekten (also rein archäologische, ethnologische, historische, kunsthistorische o. ä. Objekttexte), alltagskulturell, persönlich bzw. biografisch gefärbte Sichtweisen. Das Aufkommen der Provenienzforschung und der postkolonialen Museologien führte wiederum zu Objektbeschriftungen, welche die eigene Sammlungsgeschichte reflektieren. Zudem werden einzelne Exponate verstärkt multiperspektivisch dargestellt, indem gleichzeitig diverse Sichtweisen, Interpretationen oder Deutungen vermittelt werden. Trotzdem setzt man im Expositorischen weiterhin auf „Objektbezogenheit“.4 Im Vordergrund stehen nun aber häufig Einzel- bzw. Leitobjekte, welche „die Struktur einer Ausstellung ‚kommunizieren‘“,5 indem man sie räumlich „nach Maßgabe einer Deutung“ besonders inszeniert,6 während darum herum gruppierte Objekte mit „vermeintlich geringerer Bedeutung […] eine stärker kommentierende Funktion haben“.7 Daneben setzt man bei der Exponatpräsentation etwa auf die Kombination unterschiedlicher Objekte: Ausgeklügelte ObjektCollagen im Sinne eines „Contextual Mode of Display“, bei denen mehrere Exponate so arrangiert werden, dass sie ein dichtes atmosphärisches Gesamtbild ergeben, wobei die Summe der Objekte eine Geschichte erzählt.8 Dem stehen etwa sogenannte Tableaus gegenüber, bei denen über Objekte argumentiert wird, indem diese so montiert bzw. inszeniert sind, dass sie Kontraste offenlegen, Brüche verdeutlichen oder Überraschungen beinhalten. Sie zielen im Verständnis einer „intelligenten Objektaufbereitung“9 im Korffschen Sinne mit ihrer „ästhetische Brechung und Kommentierung der historisch-symbolisch

4 Stefan Paul: Kommunizierende Räume. Das Museum, in: Alexander C. T. Geppert, Uffa Jensen, Jörn Weinhold (Hrsg.): Ortsgespräche. Raum und Kommunikation im 19. und 20. Jahrhundert, Bielefeld 2005, S. 341–357, hier S. 351. 5 Ebd. 6 Gottfried Korff: Die Eigenart der Museums-Dinge. Zur Materialität und Medialität des Museums, in: Kirsten Fast (Hrsg.): Handbuch der museumspädagogischen Ansätze, Opladen 1995, S. 17–28, hier S. 23. 7 Paul: Kommunizierende Räume, S. 352. 8 Katherine Molineux: Permanent Collection Displays, in: Barry Lord, Maria Piacente (Hrsg.): Manual of museum exhibitions, 2. Aufl., Boulder/New York/Toronto/Plymouth 2014, S. 121– 132, hier S. 127. 9 Uwe Meiners: Kommentar zum Tage. Gedanken und Überlegungen, in: König: Alltagsdinge, S. 127–137, hier S. 136.

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Museologische Perspektiven für die Weiterentwicklung digitaler Ausstellungen 

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‚aufgeladenen‘ Objekte“ auf einen „reflektierte(r)[n] Umgang mit musealen Geschichtsbildern“.10 Auf digitale Ausstellungen bezogen, können Objektbeschriftungen also auch andere, heterogene und multiperspektivische Erzählungen beinhalten oder neue kuratorische Ansätze (Storytelling, Gamification) einbeziehen. Da Objekte im Digitalen meist separiert in linearer Reihung gezeigt werden, stellen sich Fragen hinsichtlich ihrer Zusammenstellung und Präsentation: Wie kann man die Ausstellung um Objekte oder Digital Born Objects mit Gegenwarts- und Alltagsbezug ergänzen? Welche kontextualisierenden Begleitobjekte oder kontrastierenden Leitobjekte lassen sich mit den bereits vorhandenen Objekten kombinieren? Welcher kuratorischer Strategien und technischer Voraussetzungen bedarf es, um eine „auratische Anmutung“11 von Einzelobjekten, Objekt-Collagen, Tableaus o. ä. digital zu inszenieren? Wie lassen sich globale, lineare oder hypermediale Vernetzungen von Exponaten, Inhalten, Institutionen und Personen in digitalen Ausstellungen inszenatorisch überzeugend umsetzen?

Gestalterische und mediale Wende  Mit der alltagskulturell-narrativen Wende eng verbunden ist die gestalterische Wende. Sie bezieht sich auf die lange weniger stark beachteten, gestalterischen und räumlichen Kontexte einer Ausstellung. Eine gezielte architektonische Gestaltung bzw. Szenografie der Ausstellungsräume mit individuellem Design kreiert stattdessen spezifische Raum-Atmosphären, die das Ausstellungsthema sinnlich-emotional erleben lassen, unterstützt das inhaltliche Narrativ und ‚verbindet‘ Exponate: Man verabschiedet sich damit von der alleinigen „Vorherrschaft des Objekts“ und stellt stärker räumlich-narrative Strukturen in den Vordergrund.12 Zusätzlich führte der enorme Fortschritt im Feld digitaler Medien zu einer medialen Wende im gesamten Ausstellungssektor, d. h. zu einem zunehmenden und kaum mehr wegzudenkenden Einsatz von elektronischen bzw. digitalen Medien resp. Multimedia, mit deren Hilfe man Exponate kommentieren, vermitteln, erweitern, rekonstruieren etc. kann.13

10 Jan Gerchow: Museen, in: Michael Maurer (Hrsg.): Aufriss der Historischen Wissenschaften, Bd. 6: Institutionen, Stuttgart 2002, S. 316–399, hier S. 376. Siehe auch Nina Henning: Immer dasselbe? Museale Präsentationsmöglichkeiten und ihre Deutungsfolgen, in: Informationen der Gesellschaft für Volkskunde in Rheinland-Pfalz 20 (2006), S. 40–51. 11 Siehe den Beitrag von Dennis Niewerth in diesem Band, S. 181. 12 Paul: Kommunizierende Räume, S. 350. 13 Vgl. Guido Fackler: eCulture. Und keine Alternative, in: Hans-Jörg Czech, Kareen Kümpel, Rita Müller (Hrsg.): Transformation. Strategien und Ideen zur Digitalisierung im Kulturbereich, Bielefeld 2021, S. 94–99.

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Guido Fackler 

Im Zusammenhang der gestalterischen und medialen Wende ist zu bedenken, wie die bei physischen Ausstellungen gemachten Erfahrungen im Digitalen gehandhabt werden können bzw. zu transformieren sind, aber auch, wie physische und digitale Ausstellungen, die sich bei gleichen oder ähnlichen Thematiken unterschiedlichen Rahmenbedingungen fügen müssen, zukünftig zusammenspielen und hybrid genutzt werden können. Dies betrifft ebenso den Einsatz digitaler Medien. Dabei kommt Fachrichtungen wie Social Design, Mediengestaltung, Webgestaltung, Human Computer Interaction (HCI), Informationsdesign, Interfacedesign (Screen-, Informations- und Interaktionsdesign) und Informationsvisualisierung eine wichtige Bedeutung zu. In diesem Zusammenhang ist neben einer intuitiven Navigation und Besucherführung14 wichtig, wie sich die verschiedenen Ausstellungselemente – Digital Born Objects, digitale Exponate, Begleitmaterialien, Medien (z. B. Texte, Audios, Videos, Timelines, Zeitreisen-Features, virtuelle Animationen, Viewer, interaktive Grafiken, Augmented/Virtual Reality) etc. – zusammenfügen und in digitale Inszenierungen eingebettet und integriert sind, um ein besucherfreundliches oder gar immersives Besuchserlebnis zu generieren: „Contextually embedded installations invite visitors to draw connections between the content provided by a digital installation and surrounding exhibits.“15 Dabei erlauben digitale Technologien die individualisierte bzw. personalisierte, interaktive und kontextsensitive Aufbereitung von Inhalten („Information on Demand“16) ebenso wie die selbstständige Auswahl der Art und Dichte der Informationen durch Besucherinnen und Besucher. Sie eignen sich ferner zur gezielten Bildungsvermittlung wie zu legitimen Unterhaltungs- und Spielzwecken, wobei Storytelling und Gamification neue konzeptionelle Wege weisen.

14 Siehe den Beitrag von Martin Siefkes in diesem Band. 15 Eva Hornecker, Luigina Ciolfi: Human-Computer Interactions in Museums, Williston/Vermont 2019, S. 40, siehe auch S. 39: „Contextually Embedded and Integrated“. Es bleibt zu prüfen, inwieweit die Ergebnisse der an physischen Ausstellungen erzielten Forschungen etwa im Bereich der HCI oder im Rahmen des Projekts „EyeVisit. Intuitive und personalisierte Besucherinformation im Museum“ ins Digitale übertragbar sind. Zu HCI siehe Hornecker, Ciolfi: Human-Computer Interactions. Für weiterführende Informationen zu „EyeVisit“ siehe https://www.iwm-tuebingen.de/www/de/forschung/projekte/projekt.html?name=Eyevisit (letzter Zugriff: 04. 08.2021); siehe dazu insbesondere auch den Abschlussbericht: https://www.leibnizgemeinschaft.de/fileadmin/user_upload/Bilder_und_Downloads/Forschung/Wettbewerb/Vorhaben/ Abschlussberichte/Sachbericht_komplett_SAW-2011-IWM-6_DE.pdf (letzter Zugriff: 04.08.2021). 16 Uwe Brückner, Linda Greci: Szenografie – Zeitgemäße Inszenierungsdisziplin für Resonanz- und Identitätsräume im Museum, in: Guido Fackler, Brigitte Heck (Hrsg.): Identitätsfabrik reloaded?! Museen als Resonanzräume kultureller Vielfalt und pluraler Lebensstile, Marburg 2019, S. 181– 193, hier S. 184.

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Museologische Perspektiven für die Weiterentwicklung digitaler Ausstellungen 

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Educational bzw. Learning Turn  In dieser Hinsicht wie im Hinblick auf die Ausstellungsdidaktik ist der „Educational“ bzw. „Learning Turn“17 beim Wandel der Museen „von einer am Bildungskanon orientierten Wissensvermittlung hin zu einem aktiven Aushandlungsort gesellschaftlicher Diskurse“18 entscheidend gewesen. Diese Wende fokussiert die Bedürfnisse von Ausstellungsbesucherinnen und -besuchern im Sinne einer konsequenten Publikumsorientierung, wie sie mit der Erforschung der Visitor Experience19 und der Etablierung der Visitor Studies (Publikumsforschung) zunehmend in den Blick genommen wurde. Anstatt im Museum nur passiv zu lesen und zu schauen, werden Besucherinnen und Besucher deshalb vermehrt durch Hands-on- bzw. Mitmach-Stationen, interaktive Medien, funktionsfähige Modelle oder Versuchsanordnungen aktiv einbezogen. Dies ist lerntheoretisch untersetzt, indem man sich auf verschiedene Lerntypen und Besuchsmotivationen eingestellt hat und das Lernen nicht mehr nur als kognitiv-rational gelenkt versteht, sondern das emotionale Lernen durch eigenes Erleben, Erfahren und Handeln mit möglichst vielen Sinnen als ebenso wichtig anerkennt. Dies basiert wiederum auf der konstruktivistischen Wende in der Pädagogik: Besucherinnen und Besucher sollen sich ihr Wissen in einer Ausstellung selbstbestimmt aneignen, ja erarbeiten und nicht instruktivistischautoritär dargeboten bekommen.20 Im Kontext weiterer Diskurse um kulturelle Bildung, lebenslanges und intergenerationelles Lernen evozierte der Educational Turn „an important paradigmatic change in the perception of the role of a museum. The perspective changed from institution (the museum with a mission to provide education, especially for the uneducated masses) to user (the individual as learner)“.21

17 Sharon Macdonald: Revolutions, turns and developments in museum education: some anthropological and museological reflections, in: Beatrix Commandeur, Hannelore Kunz-Ott, Karin Schad (Hrsg.): Handbuch Museumspädagogik: Kulturelle Bildung in Museen, München 2016, S. 96–105, hier S. 97. 18 Siehe den Beitrag von Bastian Schlang in diesem Band, S. 252. 19 Vgl. z. B. John Howard Falk, Lynn Diane Dierking: Learning from Museums: Visitor Experiences and the Making of Meaning, Lanham, MD 2000. Zu digitalen Ausstellungsbesucherinnen und -besuchern vgl. die Beiträge von Werner Schweibenz und Stephan Schwan in diesem Band. 20 Vgl. z. B. Georg Hein: Konstruktivistische Lerntheorie, in: Standbein Spielbein 43 (1995), S. 26–31. 21 Peter van Mensch, Léontine Meijer-van Mensch: New Trends in Museology II., Celje 2015, S. 35. Vgl. Hildegard Bockhorst, Vanessa-Isabelle Reinwand-Weiss, Wolfgang Zacharias (Hrsg.): Handbuch Kulturelle Bildung, München 2012; Deutscher Museumsbund (Hrsg.): Museen und Lebenslanges Lernen – Ein europäisches Handbuch, Berlin 2010; Franziska Reinhard Dürr, Migros – Kulturprozent (Hrsg.): Auf Augenhöhe: GiM - Generationen im Museum, Baden 2014.

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Partizipatorische Wende  Die hier angedeutete Öffnung der Museen für Teilhabe, Vielfalt und Diversität (partizipatorische Wende) steht nicht zuletzt in direktem Zusammenhang der musealen Erneuerungsbewegung der New Museology (Nouvelle Muséologie) seit den 1970er Jahren: Museen sollten sich nicht – wie bisher – nur mit ihren traditionellen Museumsaufgaben Sammeln, Bewahren und Erforschen beschäftigen, sondern auch mit den (sozialen) Problemen der Gesellschaft, um einen Beitrag zur Integration und gesellschaftlichen Entwicklung zu leisten.22 Dies beinhaltete u. a. eine Vernetzung mit diversen Partnern und eine Zusammenarbeit mit den lokalen Communities im Sinne einer ‚public participation‘. In Portugal und Brasilien entwickelte sich daraus die Richtung der Museologia Social (Sociomuseology),23 während in Großbritannien unter anderen Vorzeichen „Museums as Agents of Social Inclusion“ fungieren.24 In Deutschland wurde diese Öffnung der Museen durch die Themen Inklusion25 und Partizipation vorangetrieben, wenn auch deutlich später und weniger als museale Querschnittsaufgabe, sondern als Aufgabe der Abteilungen für Museumspädagogik, Bildung und Vermittlung. Dabei versteht das Konzept Partizipation Besucherinnen und Besucher nicht länger als passive Konsumentinnen und Konsumenten, sondern als aktive Benutzerinnen und Benutzer: Sie sollen inhaltlich – also nicht nur durch vorgeplante Interaktionsformate, sondern im Sinne von „User Generated Content“ – einbezogen werden und mitreden.26 Im Hinblick auf digitalisierte Sammlungen kann man entsprechende partizipative Formate gemäß dem Konzept „Sharing is Caring“ im Digitalen sogar einfacher realisieren als im Analogen: „When 22 Vgl. Andrea Hauenschild: Neue Museologie. Anspruch und Wirklichkeit anhand vergleichender Fallstudien in Kanada, USA und Mexiko, Bremen 1988; Peter Vergo: The New Museology, London 1989. Die New Museology brachte mit den Ecomuseées sogar einen neuen Museumstyp hervor. Vgl. Peter Davis: Ecomuseums: A Sense of Place, London 2011. 23 Vgl. Mário Moutinho: Sobre o conceito de museologia social, in: Cadernos de Museologia 1993, S. 7–9; Mário Moutinho: Evolving definition of Sociomuseology: Proposal for Reflection, in: Cadernos de Sociomuseologia 2007, S. 39–44. 24 Richard Sandell: Museums as Agents of Social Inclusion, in: Museum Management and Curatorship 17.4 (1998), S. 401–418. 25 Vgl. Patrick S. Föhl, Stefanie Erdrich, Hartmut John, Karin Maaß (Hrsg.): Das barrierefreie Museum. Theorie und Praxis einer besseren Zugänglichkeit, Bielefeld 2007; Deutscher Museumsbund (Hrsg.): Das inklusive Museum – Ein Leitfaden zu Barrierefreiheit und Inklusion, Berlin 2013. 26 Susanne Gesser, Angela Janelli, Martin Handschin, Sibylle Lichtensteiger (Hrsg.): Das partizipative Museum. Zwischen Teilhabe und User Generated Content. Neue Anforderungen an kulturhistorische Ausstellungen, Bielefeld 2012. Vgl. Nina Simon: The participatory museum, Santa Cruz/Calif 2010. http://www.participatorymuseum.org/ (letzter Zugriff: 20.08.2021); Anja Piontek: Museum und Partizipation. Theorie und Praxis kooperativer Ausstellungsprojekte und Beteiligungsangebote, Bielefeld 2017.

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Museologische Perspektiven für die Weiterentwicklung digitaler Ausstellungen 

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cultural heritage is digital, there is nothing standing in the way of sharing and reusing it. It can be sampled, remixed, embedded, it can illustrate new stories and move into new media, it can adorn books, posters, and public spaces, advance research and make ideas and creativity blossom. When cultural heritage is digital, open and shareable, it becomes common property, something that is right at hand every day. It becomes a part of us.“27 Dabei bezieht sich der Sharing-Gedanke nicht nur auf analoge bzw. digitale Objekte, sondern rückt auch den Umgang mit ihnen sowie die damit zusammenhängenden Erinnerungen und Bedeutungszuschreibungen durch konkrete Menschen in den Vordergrund (vgl. die alltagskulturell-narrative Wende). Da in postmodernen, postkolonialistischen und internetdominierten Zeiten die Einheit von kulturellem Erbe, Ort und Gemeinschaft überdies nicht mehr gegeben ist, können sich Museen bei alldem nicht länger auf vermeintlich homogene Communities fokussieren, sondern sollten sich an eine offene (digitale) Crowd wenden.28 Diesbezüglich bietet Partizipation im Analogen wie im Digitalen eine Möglichkeit, Besucherorientierung und Publikumsbindung eines Hauses durch inhaltliche und emotionale Nähe zu den Partizipierenden zu fördern. Hierdurch verliert das Museum keine fachliche Glaubwürdigkeit, sondern gewinnt außerwissenschaftliche Deutungskompetenzen und Sichtweisen externer Personen. In partizipativen Formaten teilen Kuratorinnen und Kuratoren zwar Deutungsmacht, sind als Expertinnen und Experten aber nach wie vor gefragt und werden zusätzlich zu Moderatorinnen und Moderatoren resp. ‚partizipativen Kuratoren‘ mit zusätzlicher sozialer Verantwortung.29 Gleichwohl steht hierzulande bei Ausstellungen immer noch die wissenschaftliche Verantwortung im Fokus von Ausstellungsmacherinnen und -machern, und nicht die gesellschaftliche Verantwortung im Zuge einer Neupositionierung von Museen als Orte des aktiven sozialen Austauschs, des gleichberechtigten Dialogs und der

27 https://www.smk.dk/en/article/sharecare-foreword/ (letzter Zugriff: 04.08.2021). Vgl. Merete Sanderhof (Hrsg.): Sharing is Caring. Openness and sharing in the cultural heritage sector, Copenhagen 2014. 28 Peter van Mensch: Generators of Culture or Generators of Identity? Museological Reflections on old and new approaches towards Identity and Community, in: Fackler, Heck: Identitätsfabrik reloaded?!, S. 197–205. Mit ‚Crowd‘ ist eine Interessengruppe gemeint, die gerade bei spezialisierten Themen meist ein „schmales Segment der Öffentlichkeit [darstellt], nämlich Liebhaber eines bestimmten Fachgebietes mit spezialisiertem Wissen“. Vgl. Jens M. Lill, Werner Schweibenz: Partizipative Erschließung von Bildmaterial durch Benutzerbeteiligung mit Social Tagging und Crowdsourcing, in: Fackler, Heck: Identitätsfabrik reloaded?!, S. 83–94, hier S. 87. 29 Vgl. Barbara Wenk: „Kuratorenteam 2.0“ für Partizipation an historischen Museen und Stadtmuseen. Objektbewahrer, Ausstellungsmacher, Vermittler und Facilitator in Kollaboration, in: Gesser, Janelli, Handschin, Lichtensteiger: Das partizipative Museum, S. 186–191.

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kritischen Auseinandersetzung.30 Eine solche Neupositionierung könnte auch digitalen Ausstellungen zu zusätzlicher gesellschaftlicher Relevanz verhelfen.

Selbstreflexive Wende   Die Neubestimmung des Museums als „soziale Institution“ forderten jüngst Robert R. Janes und Richard Sandell: Sie plädieren für eine „Öffnung und Demokratisierung dieser Institutionen, die immer noch als elitär wahrgenommen werden und auch elitär agieren“.31 Dieses neue Selbstverständnis von Museen (selbstreflexive Wende) betrifft neben einer gesellschaftlichen Öffnung ebenso das kritische Hinterfragen des eigenen Wissenschaftsverständnisses im Kontext des Reflexive Turn und der sogenannte Repräsentationskritik. Statt Wissenschaft und ihre Formen der Wissensproduktion etwa in Museen als „Tätigkeit im Dienste einer wertfreien Entdeckung immer genaueren Wissens zu sehen, gab es eine Bewegung dahin, dieses Wissen, sein Verfolgen, Verstehen und Anwenden, nun in zunehmenden Maße als inhärent politisch zu betrachten“.32 Damit sind Wissenschaft und wissenschaftliche Einrichtungen wie Museen als handelnde und gesellschaftspolitische verantwortliche Akteure zu begreifen. Folglich verstehen sich Museen „nicht mehr als objektiv und außerhalb der Zeit stehend“, sondern „als Teil eines kulturellen Systems der Produktion von Sichtbarkeit, Wissen und Identität. Postkoloniale und feministische Kritik führten zu heftigen Debatten zu Fragen des Ausstellens und der Beteiligung bzw. Teilhabe von bislang nicht repräsentierten gesellschaftlichen Gruppen an der Museumsarbeit.“33 Dementsprechend haben Janes und Sandell die Idee eines ‚neutralen‘ Museums als Mythos entlarvt und auf die vielfältigen Interdependenzen, Abhängigkeiten, Erwartungen, Traditionen, Zwänge und Machtstrukturen hingewiesen.34

30 Vgl. Volker Kirchberg: Gesellschaftliche Funktionen von Museen im Zeichen sozialer Verantwortung, in: Markus Walz (Hrsg.): Handbuch Museum, Stuttgart 2016, S. 300–304; Richard Sandell, Jocelyn Dodd, Garland-Thomson Rosemarie (Hrsg.): Re-Presenting Disability. Activism and Agency in the Museum, London/New York 2010, S. 3–22; Richard Sandell, Eithne Nightingale (Hrsg.): Museums, Equality and Social Justice, London/New York 2012. 31 Thomas Overdick: Kontaktzonen, dritte Räume und empathische Orte. Zur gesellschaftlichen Verantwortung von Museen, in: Hamburger Journal für Kulturanthropologie 10 (2019), S. 51–65, hier S. 52. Siehe Robert R. Janes, Richard Sandell (Hrsg.): Museum Activism, London/New York 2019. 32 Sharon MacDonald: Museen erforschen. Für eine Museumswissenschaft in der Erweiterung, in: Joachim Baur (Hrsg.): Museumsanalyse. Methoden und Konturen eines neuen Forschungsfeldes, Bielefeld 2010, S. 49–69, hier S. 52. 33 Monika Sommer: Museologie und Museumsgeschichten, in: ARGE schnittpunkt (Hrsg.): Handbuch Ausstellungstheorie und -praxis, Wien 2013, S. 13–22, hier S. 20. 34 Vgl. Overdick: Kontaktzonen, S. 52.

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Museologische Perspektiven für die Weiterentwicklung digitaler Ausstellungen 

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Engagierte Wende  Mit den genannten Problematiken, die nicht nur einzelne Bereiche der Museumsarbeit, sondern die Museumspraxis grundsätzlich betreffen, setzt man sich verstärkt in den letzten Jahren auseinander. Die in diesem Kontext geführten und oftmals ineinander verschränkten Diskurse implizieren als engagierte Wende eine weitere Öffnung der „müde“35 gewordenen Institution Museum, die freilich nicht monolithisch aufzufassen ist, sondern geprägt ist von „Themenvielfalt und Vielgestalt [… ,] Selbstbefragung und auch Wandelbarkeit.“36 Museen sollen demnach wieder relevant werden,37 indem sie im Sinne einer selbstreflexiv-kritischen Museumspraxis Haltung zeigen und Verantwortung übernehmen, sich als diskursive Kulturinstitution einmischen und aktuellen Herausforderungen stellen (Digitalisierung, Dekolonialisierung, ‚Gender‘, ‚Class‘, ‚Race‘, soziale Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit). Dabei reicht das von verschiedenen Fachvertreterinnen und Fachvertretern avisierte Spektrum für die (bereits vor einem halben Jahrhundert im Kontext der New Museology-Bewegung diskutierte) „Zukunft“ des Museums38 von „engagiert“,39 „empathisch“40 und aktivistisch41, über sozial, ökologisch und ökonomisch nachhaltig,42 „postkolonial“,43 diskriminierungsfrei,44 „radikaldemokratisch“45 und „post35 Daniel Tyradellis: Müde Museen. Oder: Wie Ausstellungen unser Denken verändern können, Hamburg 2014. 36 Angela Jannelli: Museum und Gefühle, in: Joachim Baur, Schnittpunkt (Hrsg.): Das Museum der Zukunft. 43 neue Beiträge zur Diskussion über die Zukunft des Museums, Bielefeld 2020, S. 151– 154, hier S. 151–152. 37 Vgl. Stephen E. Weil: Making museums matter, Washington, DC 2002. 38 Baur, Schnittpunkt: Das Museum der Zukunft. Siehe auch Gerhard Bott (Hrsg.): Das Museum der Zukunft, Köln 1970; Cristina Bechtler, Dora Imhof (Hrsg.): Museum of the Future, Zürich 2014; András Szántó: The Future of the Museum. 28 Dialogues, München 2020. 39 Graham Black: The engaging museum. Developing museums for visitor involvement, London u. a. 2005. 40 Overdick: Kontaktzonen, S. 55: Maria Vlachou spricht in diesem Zusammenhang vom Museum als „empathetic space“. Siehe Maria Vlachou: Dividing Issues and Mission-Driven Activism. Museum Responses to Migration Policies and the Refugee Crisis, in: Janes, Sandell: Museum Activism, S. 47–57, hier S. 54. 41 Vgl. Janes, Sandell: Museum Activism. 42 Vgl. Rheinform. Informationen für die rheinischen Museen 2021, Nr. 1: Themenschwerpunkt „Nachhaltigkeit in der Museumsarbeit“. https://www.museumsbund.de/themen/nachhaltigkeit/ (letzter Zugriff: 04.08.2021). 43 Belinda Kazeem, Charlotte Martinz-Turek, Nora Sternfeld: Das Unbehagen im Museum. Postkoloniale Museologien, Wien 2009; Anna Greve: Koloniales Erbe in Museen. Kritische Weißseinsforschung in der praktischen Museumsarbeit, Bielefeld 2019. 44 Vgl. Roswitha Muttenthaler, Regina Wonisch: Gesten des Zeigens. Zur Repräsentation von Gender und Race in Ausstellungen, Bielefeld 2007; Natalie Bayer, Belinda Kazeem-Kamiński, Nora Sternfeld (Hrsg.): Kuratieren als antirassistische Praxis, Wien 2017. 45 Nora Sternfeld: Das radikaldemokratische Museum, Berlin 2018.

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repräsentativ“46 bis hin zu der bereits erwähnten „Sociomuseology“ und einem Bekenntnis zu Subjektivität47 und Emotionalität48, die sich freilich „nicht auf die Präsentation subjektiver Befindlichkeiten“ beschränken, sondern „auch die strukturelle und politische Dimension in den Blick“49 nehmen. Diesbezüglich kann Fiona Camerons „Liquid Museum“, das angesichts der ‚flüchtigen Moderne‘ dynamisch auf ein immer komplexer und vernetzter werdendes Weltgeschehen reagiert, als theoretische Rahmung fungieren.50

Digitale Ausstellungen weiterdenken  Die beschriebenen Paradigmenwechsel führ(t)en alles in allem zu einem neuen Verständnis physischer Ausstellungen: Als Orte multimedialer Kommunikation sind sie räumlich-ästhetische Medien, die „auf die visuelle Betrachtung ausgerichtet“ sind und bei denen ein „Primat der Ästhetik“ herrscht,51 allerdings spielen Didaktik, Gestaltung und Funktion des Museums als „Contact Zones“,52

46 Nora Sternfeld: Im post-repräsentativen Museum, in: Carmen Mörsch, Angeli Sachs, Thomas Sieber (Hrsg.): Ausstellen und Vermitteln im Museum der Gegenwart, Bielefeld 2017, S. 189– 201. 47 Vgl. Susanne Gesser, Nina Gorgus, Angela Jannelli (Hrsg.): Das subjektive Museum. Partizipative Museumsarbeit zwischen Selbstvergewisserung und gesellschaftspolitischem Engagement, Bielefeld 2020. 48 Jannelli: Museum und Gefühle. 49 Ebd., hier S. 154. 50 Fiona Cameron: Liquid Governmentalities, Liquid Museums and the Climate Crisis, in: Dies., Lynda Kelly (Hrsg.): Hot Topics, Public Culture, Museums, Newcastle upon Tyne 2010, S. 112– 128; Fiona Cameron: Agencies, climate change and the museum for a complex world, in: Museum Management and Curatorship 27.4 (2012), S. 317–339; Fiona Cameron: The liquid museum: New Institutional Ontologies for a Complex, Uncertain World, in: Aandrea Witcomb, Kylie Message (Hrsg.): Museum Theory: an expanded field, Malden/Massachusetts/Oxford 2020, S. 345–362. Cameron bezieht sich u. a. auf Zygmunt Baumans Theorie der „Flüchtigen Moderne“. Vgl. Zygmunt Bauman: Flüchtige Moderne, Frankfurt am Main 2003. 51 Gerchow: Museen, S. 326, 373. 52 James Clifford: Museums as Contact Zones, in: Ders.: Routes. Travel and translation in the late twentieth century, Cambridge, Mass./London 1997, S. 188–219, hier S. 210. Der Ethnologe James Clifford bezieht sich hier auf Mary Louise Pratt, die „contact zones“ als soziale Orte beschreibt. James übertrug diesen Begriff auf Museen als Orte, an denen sich unabhängig von ‚Gender, Race and Class‘ verschiedene Gruppen begegnen und offen austauschen können. Siehe Mary Louise Pratt: Arts of the Contact Zone, in: David Bartholomae, Anthony Petroksky (Hrsg.): Ways of Reading. An Anthology for Writers, New York 1999.

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Museologische Perspektiven für die Weiterentwicklung digitaler Ausstellungen 

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„dritter Ort“,53 „Resonanzraum“,54 selbstreflexive Diskursinstanz und „Plattform gesellschaftlichen Wandels“55 und seine Öffnung für Vielfalt, Diversität kultureller Teilhabe des Publikums (Partizipation) eine immer größere Rolle. Dies wird zukünftig auch bei der inhaltlichen Konzeption digitaler Ausstellungen zu bedenken sowie hinsichtlich möglicher Chancen und Herausforderungen zu reflektieren sein. Dessen eingedenk ist die Definition der „International Working Group“56 museologisch zu schärfen und wie folgt weiter zu denken (kursiv gesetzt): „Eine digitale Ausstellung basiert auf einem klaren Konzept und ist inhaltlich, didaktisch wie gestalterisch kuratiert. Sie stellt digitale Multimedia-Objekte zusammen, verknüpft und verbreitet sie, um innovative Präsentationen einer Sammlung bzw. eines Themas oder einer Reihe von Themen zu liefern, die in hohem Maße die Interaktion von Benutzerinnen und Benutzern ermöglichen, sich aber auch dynamisch erweitern lassen. Im Sinne eines besucherorientierten EduCurating und neuer kuratorischer Ansätze berücksichtigen digitale Ausstellungen Möglichkeiten zur Kommunikation, sozialen Interaktion und kulturellen Teilhabe durch Partizipation. Sie sind als Instrument der Wissensvermittlung, Kontaktzone und Motor gesellschaftlichen Wandels offen für Vielfalt, Diversität und Selbstreflexivität.“

Insgesamt stellt sich angesichts zunehmender virtueller Realitäten die Frage nach dem „wirklich Authentischen“.57 Zugleich ist erörtern, wie sich angesichts konkurrierender Angebote im World Wide Web kuratierte digitale Ausstellungen hinsichtlich ihrer Auffindbarkeit behaupten können und wie sie rezipiert werden. Im Gegensatz zu physischen Ausstellungen, die in wechselnden räumlichen Settings und Gebäuden stattfinden, werden digitale nämlich nur über – kleinere und größere, meist jedoch unkalibrierte – Bildschirme betrachtet. Doch wie beeinflusst diese digitale Präsentation gegenüber einer physisch-analogen mit ihrer „Kluft zwischen Realität und Virtualität“58 die Wahrnehmung und Rezeption, aber auch die Erinnerung und Behaltensleistung bezüglich Exponaten, Inhalten und Themen? Welche Rolle 53 Z. B. Birgit Mandel: Das Museum als dritter Ort und guter Nachbar?, in: Museumskunde 85 (2020), Heft 1, S. 4–9; Sabine Marzinkewitsch: Das Museum als „dritter Ort“? (11.10.2019), in: Marta Blog. https://marta-blog.de/das-museum-als-dritter-ort/ (letzter Zugriff: 12.08.2021). Der Soziologie Ray Oldenburg unterschied 1989 den „ersten Ort“ (Zuhause, Familie), den „zweiten Ort“ (Arbeit, Beruf) und den „dritten Ort“ (Treffpunkte und Orte der Gemeinschaft als Ausgleich zu Familie und Beruf). Siehe Ray Oldenburg: The Great Good Place. Cafés, Coffee Shops, Bookstores, Bars, Hair Salons, and other Hangouts at the Heart Community, New York 1989. 54 Katrin Pieper: Resonanzräume. Das Museum im Forschungsfeld Erinnerungskultur, in: Baur: Museumsanalyse, S. 187–212. 55 Joachim Baur: Museum 2.0 – Notizen zum Museum als Plattform gesellschaftlichen Wandels, in: Museumskunde 73.2 (2008), S. 42–50. 56 https://www.digitalexhibitions.org/index.php?lan=en&q=References/Definition (letzter Zugriff: 04.08.2021). 57 André Thieme: Baudenkmäler mit historischer Ausstattung, in: Walz: Metzler-Handbuch Museum, S. 137–140, hier S. 139. 58 Werner Schweibenz: Virtuelle Museen, in: Walz: Metzler-Handbuch Museum, S. 198–200, hier S. 199.

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spielen hierbei Visualisierungssysteme und Benutzeroberflächen? Da sich die Anonymität des Internets mit seinem erheblichen Ablenkungspotential negativ auf die im Digitalen eh schon prekäre Besuchsdauer auswirkt, sind kuratorische, gestalterische, didaktische und kommunikative Strategien für digitale Ausstellungen zu erproben, evaluieren und reflektieren, die im Sinne einer „Experimental Museology“59 ebenso auf digitale und technische Rahmenbedingungen wie jüngere museologische Paradigmen abgestimmt sind.

59 Marianne Achiam, Michael Haldrup, Kirsten Drotner: Experimental Museology. Institutions, Representations, Users, London 2021.

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Autorinnen‐ und Autorenverzeichnis 

Udo Andraschke, M.A., Leiter der Stabsstelle Sammlungen und Museen an der Universität Erlangen-Nürnberg. Studium der Medizin- und Wissenschaftsgeschichte, Literaturwissenschaft und Philosophie an den Universitäten Erlangen und Regensburg. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Universitäten ErlangenNürnberg, München (LMU) und Berlin (HU) sowie regelmäßig als Kurator tätig. Seit 2011 Sammlungskustos in Erlangen. Dr. Sylvia Asmus, Leiterin Deutsches Exilarchiv 1933–1945 und des Ausstellungsbereichs der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt am Main. Studium der Germanistik, Kunstgeschichte und Kunstpädagogik in Frankfurt am Main und der Bibliothekswissenschaft in Berlin, dort Promotion. Dr. rer. nat. Stephan Beck, Gesellschafter der Consensive GmbH in Weimar und leitender Softwareentwickler. Diplom und Promotion in Informatik an der BauhausUniversität Weimar. 2009 bis 2021 wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Arbeitsgruppe Virtual Reality and Visualization Research unter Leitung von Prof. Dr. Bernd Fröhlich. Forschungsschwerpunkte in der Echtzeit-Computergrafik und zu immersiven Telepräsenzsystemen. 2021 Mitgründung der Consensive GmbH. Dr. Hendrikje Carius, stellvertretende Direktorin und Leiterin der Abteilung Benutzung und Digitale Bibliothek, Forschungsbibliothek Gotha der Universität Erfurt. Studium der Neueren Geschichte, evangelischen Theologie und Politikwissenschaft in Jena, München und Padua sowie Bibliotheks- und Informationswissenschaft in Berlin. Nach Promotion in Jena und Volontariat an der Universitäts- und Forschungsbibliothek Erfurt/Gotha seit 2010 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Forschungsbibliothek Gotha. Swantje Dogunke, M.A., Fachreferentin für Geschichte, Alte Geschichte, Volks- und Völkerkunde an der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena und verantwortlich für den Bereich Digital Humanities. Studium der Museologie in Leipzig,

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Autorinnen‐ und Autorenverzeichnis 

Bibliotheks- und Informationswissenschaft in Berlin. Anschließend wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Digital Humanities in der Klassik Stiftung Weimar, der Bauhaus Universität Weimar und Lehrkraft für besondere Aufgaben im Bereich der Informationstechnologie in Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen in Leipzig. Christian Eidloth, M. A., Leiter des Sachgebiets „Webentwicklung und Webinhalte“ an der Bayerische Staatsbibliothek München (BSB). Studium der Bibliothekswissenschaft, Bibliotheks- und Informationsmanagement. Berufstätigkeit im Softwareengineering, danach bei der BSB. Prof. Dr. Guido Fackler, Leiter der Professur für Museologie an der Universität Würzburg. Studium der Volkskunde, Musikwissenschaft und Völkerkunde in Freiburg (Promotion 2000). Danach Volontariat am Badischen Landesmuseum Karlsruhe sowie in verschiedenen Positionen wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fach Europäische Ethnologie/Volkskunde an den Universitäten Regensburg und Würzburg (Habilitation 2011). Ab 2010 Aufbau der Museologie. Dipl. Inf. Mark Fichtner, Leiter der Abteilung für Museums- und Kulturinformatik am Germanischen Nationalmuseum. Studium der Informatik mit Schwerpunkt Künstliche Intelligenz an der Universität Erlangen-Nürnberg. Danach wissenschaftlicher Mitarbeiter im DFG-geförderten Projekt WissKI am Zoologischen Forschungsmuseum Alexander Koenig in Bonn. Ab 2012 am Germanischen Nationalmuseum. Sebastian Fischer, M.A., Leiter des Teams Sammlung & Inventarisierung am Deutschen Optischen Museum (D.O.M.) in Jena und angehender Promotionsstudent (Thema: Digitale Sammlungen) der Museumswissenschaft an der Universität Würzburg. Studium der Museologie, (Kultur-)Geschichte und Volkskunde in Würzburg und Jena. Seit 2019 im Digitalisierungsprojekt des D.O.M. tätig. Prof. Dr. rer. nat. Bernd Fröhlich, Professur für Systeme der virtuellen Realität an der Bauhaus-Universität Weimar. Studium der Informatik und Promotion an der Technischen Universität Braunschweig. 1993 bis 1995 Postdoc am GMD in St. Augustin, 1995 bis 1997 Research Associate an der Stanford University, danach bis 2001 wissenschaftlicher Projektleiter am GMD St. Augustin. 2021 Mitgründung der Consensive GmbH. Jana Hawig, M.A., Kuratorin bei der DASA Arbeitswelt Ausstellung in Dortmund und Promotionsstudentin (Thema: Storytelling) der Museumswissenschaft an der

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY-SA 4.0 © 2022 V&R unipress | Brill Deutschland GmbH ISBN Print: 9783847112587 – ISBN E-Lib: 9783737012584

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Universität Würzburg. Studium der Medienwissenschaften und Geschichte in Trier und der Museum Studies in Newcastle upon Tyne (UK). Seit 2013 zunächst wissenschaftliche Volontärin im Bereich Ausstellungen und danach Kuratorin bei der DASA Arbeitswelt Ausstellung Dortmund. Dr. Stephanie Jacobs, Leiterin Deutsches Buch- und Schriftmuseum der Deutschen Nationalbibliothek Leipzig. Studium der Kunstgeschichte, Philosophie und Psychologie in Bamberg, Bonn und Berlin; Promotion an der FU Berlin zu Bild-Text-Theorien, Stipendium des Stifterverbands für die Deutsche Wissenschaft. Kuratorin am Institut für Auslandsbeziehungen in Stuttgart und am Haus der Geschichte in Bonn. Cassandra Kist, M.A., Marie-Curie-Fellow im europäischen Forschungsnetzwerk Participatory Memory Practices (POEM), Doktorandin der Information Studies an der University of Glasgow. Studium der Anthropologie an der Universität Alberta und Museum Studies an der Universität Toronto (Master 2018). Seit 2018 Forschung zu digitalen Infrastrukturen, sozialer Inklusion und Kulturerbe im Museumskontext. Dr. rer. nat. Alexander Kulik, Gesellschafter-Geschäftsführer der Consensive GmbH in Weimar. Diplom in Produktdesign, danach Promotion in Informatik an der Bauhaus-Universität Weimar. 2005 bis 2021 wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Arbeitsgruppe Virtual Reality and Visualization Research unter Leitung von Prof. Dr. Bernd Fröhlich. Forschungsschwerpunkt zu Benutzungsschnittstellen für kooperative Interaktion. 2021 Mitgründung der Consensive GmbH. Dr. rer. nat. André Kunert, leitender Softwareentwickler der Consensive GmbH. Diplom und Promotion in Informatik an der Bauhaus-Universität Weimar. 2007 bis 2021 wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Arbeitsgruppe Virtual Reality and Visualization Research unter Leitung von Prof. Dr. Bernd Fröhlich. Forschungsschwerpunkte zu Systemen kollaborativer virtueller Realität. Franziska Mucha, M.A., Marie-Curie-Fellow im europäischen Forschungsnetzwerk Participatory Memory Practices (POEM), Doktorandin der Information Studies an der University of Glasgow. Studium der Kulturwissenschaft an den Universitäten Hildesheim und Trondheim (Diplom 2013). Danach Volontariat und Aufbau der Digitalen Museumspraxis im Historischen Museum Frankfurt. Seit 2018 Forschung zu kreativer Weiternutzung von digitalen Sammlungen.

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Dr. Michael Müller, Mitgründer der Agentur Culture to go, Berlin. Studium der Kunstgeschichte, Neueren Geschichte und Klassischen Archäologie an den Universitäten Heidelberg und Berlin. Forschungen zur digitalen Vermittlung von kunstund kulturhistorischem Wissen und digitalen Wissensrepräsentation in Datenbanken. Mitarbeiter des Deutschen Forums für Kunstgeschichte, Paris, des Collège de France, Paris, der Freien Universität Berlin und der Humboldt-Universität zu Berlin. Dr. Dennis Niewerth, Leiter des wissenschaftsgeleiteten Digitalisierungsteams am Deutschen Schifffahrtsmuseum/Leibniz-Institut für Maritime Geschichte in Bremerhaven (DSM). Studium und Promotion der Medienwissenschaft und Geschichte an der Universität Bochum. Seit 2017 am DSM Auf- und Ausbau digitaler Infrastrukturen für Forschung, Vermittlung und Dokumentation. Carsten Resch, Geschäftsführer JUSTORANGE – Agentur für Informationsästhetik in Jena. Studium der Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Wirtschaftsinformatik an der Fachhochschule Jena. 2003 Gründung von JUSTORANGE, seit 2014 Aufbau von Portalsystemen im Kultur- und Wissenschaftsbereich. Bastian Schlang, StEx, Assistent des Direktors des NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln (NS-DOK) und Promotionsstudent (Thema: Ausstellung als Spiel) der Museumswissenschaft an der Universität Würzburg. Studium der Geschichte und Geographie für Lehramt Gymnasium an der Universität Köln mit anschließendem Referendariat. Ab 2010 freier Mitarbeiter bei verschiedenen Projekten des NSDOK, von 2015 bis 2020 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Museologie der Universität Würzburg. Prof. Dr. Stephan Schwan, Leiter der Arbeitsgruppe Realitätsnahe Darstellungen am Leibniz-Institut für Wissensmedien der Universität Tübingen (IWM), stellvertretender Direktor des IWM sowie Mitglied des Vorstands der Stiftung Medien in der Bildung. Studium, Promotion und Habilitation der Psychologie an der Universität Tübingen. Von 2002 bis 2004 Professor für e-Learning an der Universität Linz, danach Wechsel ans IWM, dort u. a. Forschungsprojekte zur Rolle digitaler Medien und authentischer Exponate für das informelle Lernen in Museen und Ausstellungen. Dr. Werner Schweibenz, Mitarbeiter im Dokumentationsverbund der Staatlichen Museen Baden-Württemberg (MusIS). Studium der Informationswissenschaft an der Universität des Saarlandes und der University of Missouri-Columbia. Danach wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Fachrichtung Informationswissenschaft, 2008 Promotion über das Thema „Vom traditionellen zum virtuellen Museum“. Seit 2007

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bei MusIS tätig in den Aufgabenbereichen Dokumentation, Digitale Kataloge im Internet und Kultur-Portale. Florian Sepp, M.A., Leiter des Referats Bavarica an der Bayerischen Staatsbibliothek München. Studium der bayerischen Geschichte, der Geschichtlichen Hilfswissenschaften und Musikwissenschaft in München, seit 2005 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Bayerischen Staatsbibliothek (Historisches Lexikon Bayerns, Bayerische Landesbibliothek Online, bavarikon). Dr. habil. Martin Siefkes, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Technischen Universität Chemnitz. Studium der Musik, Linguistik und Germanistik in Lübeck und Berlin (Promotion 2012). Danach zweijähriger Forschungsaufenthalt als HumboldtStipendiat in Venedig. Seit 2015 Mitherausgeber der Zeitschrift für Semiotik. 2015 bis 2018 Mitarbeiter im BMBF-Forschungsprojekt MANUACT, seit 2021 Assoziiertes Mitglied des SFB 1410 „Hybrid Societies“. Seit 2015 Aufbau und Leitung der Sektion „Digital Humanities“ der Deutschen Gesellschaft für Semiotik. Dr. Julia Spohr, Leiterin der Geschäftsstelle der Deutschen Digitalen Bibliothek. Studium der Neueren und Neuesten Geschichte in Berlin (Promotion 2013). Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Gedenkstätte Berlin Hohenschönhausen, zuletzt stellvertretende Geschäftsführerin der Stiftung Sächsische Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer politischer Gewaltherrschaft. Lidia Westermann, M.A., wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Deutschen Digitalen Bibliothek, Berlin. Studium der Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft, Buchwissenschaft, Physik sowie Wissenschafts- und Technikgeschichte in Mainz und Berlin. Nach Volontariat in den Technischen Sammlungen Dresden und Tätigkeiten als Kuratorin und Redakteurin im Bereich Wissenschaftskommunikation seit Anfang 2020 bei der Deutschen Digitalen Bibliothek verantwortlich für den Bereich „Virtuelle Ausstellungen“.

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