Experimentelle Studien zur Flexion und Wortbildung: Pluralmorphologie und lexikalische Komposition im unauffälligen Spracherwerb und im Dysgrammatismus [Reprint 2017 ed.] 9783110914702, 9783484303768

This is a comparative analysis between ,normal' language acquisition and dysgrammatism. To this end the study conce

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German Pages 216 [220] Year 1998

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Inhaltsverzeichnis
Kapitel 1. Einleitung
Teil I: Unauffälliger Spracherwerb
Kapitel 2. Repräsentationsformen morphologischen Wissens im mentalen Lexikon
Kapitel 3. Plural und Komposition in der deutschen Nominalflexion
Kapitel 4. Plural und lexikalische Komposition im Erstspracherwerb des Deutschen
Kapitel 5. Experimentelle Studien zur Pluralmorphologie und zur lexikalischen Komposition im unauffälligen Spracherwerb
Kapitel 6. Relationen zwischen Pluralmorphologie und Komposition
Teil II: Dysgrammatismus
Kapitel 7. Dysgrammatismustheorien
Kapitel 8. Plural und lexikalische Komposition im Dysgrammatismus
Kapitel 9. Experimentelle Studien zur Pluralmorphologie und zur lexikalischen Komposition im Dysgrammatismus
Kapitel 10. Resümee
Literaturverzeichnis
Anhang A. Experiment 1: Elizitationsverfahren mit existierenden Wörtern zur Plural- und Kompositabildung (fixierte Zweitkonstituente)
Anhang B. Experiment 2: Produktionsexperiment mit variierender Zweitkonstituente zur Elizitation von Komposita
Anhang C .Experiment 3: Beurteilungsexperiment zur Pluralbildung bei Kunstwörtern
Anhang D. Experiment 4: Elizitationsverfahren zur Pluralbildung bei erfundenen und existierenden Wörtern
Anhang E. Inkorrekte Pluralformen in der Spontansprache
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Experimentelle Studien zur Flexion und Wortbildung: Pluralmorphologie und lexikalische Komposition im unauffälligen Spracherwerb und im Dysgrammatismus [Reprint 2017 ed.]
 9783110914702, 9783484303768

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Linguistische Arbeiten

376

Herausgegeben von Hans Altmann, Peter Blumenthal, Herbert E. Brekle, Gerhard Heibig, Hans Jürgen Heringer, Heinz Vater und Richard Wiese

Susanne Bartke

Experimentelle Studien zur Flexion und Wortbildung Pluralmorphologie und lexikalische Komposition im unauffälligen Spracherwerb und im Dysgrammatismus

Max Niemeyer Verlag Tübingen 1998

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Bartke, Susanne: Experimentelle Studien zur Flexion und Wortbildung : Pluralmorphologie und lexikalische Komposition im unauffälligen Spracherwerb und im Dysgrammatismus / Susanne Bartke. Tübingen : Niemeyer, 1998 (Linguistische Arbeiten ; 376) ISBN 3-484-30376-X

ISSN 0344-6727

D 61 © Max Niemeyer Verlag GmbH & Co. KG, Tübingen 1998 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Druck: Weihert-Druck GmbH, Darmstadt Buchbinder: Industriebuchbinderei Hugo Nädele, Nehren

Inhaltsverzeichnis Kapitel 1

Einleitung

Teil I

Unauffälliger Spracherwerb

Kapitel 2

Repräsentationsformen morphologischen Wissens im mentalen

1

Lexikon 2.1 Deskriptive Theorien der Morphologie 2.2 Unitäre Modelle 2.2.1 Symbolorientierte Ansätze: symbolische Regeln 2.2.2 Konnektionistische Ansätze: frequenzbasierte Netzwerke 2.3 Das dualistische Modell 2.4 Zusammenfassung

7 8 16 16 18 24 29

Plural und Komposition in der deutschen Nominalflexion 3.1 Pluralmarkierung am Substantiv 3.2 Das Kompositum 3.3 Das Verhältnis zwischen Pluralflexion und lexikalischer Komposition 3.4 Zusammenfassung

31 32 45

Kapitel 4

Plural und lexikalische Komposition im Erstspracherwerb des Deutschen ... 4.1 Plurale in der Spontansprache 4.2 Elizitierte Daten 4.2.1 Experimentelle Studien mit existierenden Items 4.2.2 Experimentelle Studien mit Kunstwörtern 4.3 Zusammenfassung

51 51 59 59 63 66

Kapitel 5

Experimentelle Studien zur Pluralmorphologie und zur lexikalischen Komposition im unauffälligen Spracherwerb 5.1 Allgemeine Beschreibung der Untersuchung 5.2 Experiment 1: Elizitation zur Plural- und Kompositabildung (fixierte Zweitkonstituente) 5.3 Experiment 2: Elizitation zur Kompositabildung mit variierender Zweitkonstituente 5.4 Experiment 3: Beurteilungsexperiment zur Pluralbildung bei Kunstwörtern 5.5 Experiment 4: Elizitation zur Pluralbildung bei erfundenen und existierenden Wörtern 5.6 Zusammenfassung

Kapitel 3

47 49

69 69 71 86 91 96 102

VI Kapitel 6

Relationen zwischen Pluralmorphologie und Komposition 6.1 Reguläre/irreguläre Flexion und Reihenfolgebeschränkungen 6.2 Zusammenfassung

Teil II

Dysgrammatismus

Kapitel 7

Dysgrammatismustheorien 7.1 Nicht-linguistische Erklärungsansätze 7.1.1 Auditive Beeinträchtigungen 7.1.2 Kognitions-psychologische Erklärungsansätze 7.2 Linguistische Erklärungsansätze 7.2.1 Die Oberflächenstruktur-Hypothese (Surface Account) 7.2.2 Das Feature-Defizit und das Regel-Defizit (Feature Blindness bzw. Rule Deficit Hypothesis) 7.2.3 Der Ansatz der Fehlenden Grammatischen Kongruenz 7.3 Zusammenfassung

117 118 118 120 122 123

Plural und lexikalische Komposition im Dysgrammatismus 8.1 Qualitative Unterschiede zwischen Dysgrammatismus und normalem Spracherwerb 8.2 Gemeinsamkeiten im unauffälligen Spracherwerb und im Dysgrammatismus 8.3 Zusammenfassung

136

Kapitel 8

Kapitel 9

Experimentelle Studien zur Pluralmorphologie und zur lexikalischen Komposition im Dysgrammatismus 9.1 Subjekt-Verb-Kongruenz in der Spontansprache von Dysgrammatikern 9.2 Pluralmorphologie in der Spontansprache 9.3 Experiment 1: Elizitation zur Plural- und Kompositabildung (fixierte Zweitkonstituente) 9.4 Experiment 2: Elizitation zur Kompositabildung mit variierender Zweitkonstituente 9.5

Zusammenfassung

105 105 113

125 130 134

137 144 150

151 154 162 164 172 177

Kapitel 10 Resümee 10.1 Morphologie im Dysgrammatismus 10.2 Dysgrammatismus als ein selektives Defizit 10.3 Zusammenfassung

179 179 184 187

Literaturverzeichnis

189

VII Anhang A: Experiment 1: Elizitationsverfahren mit existierenden Wörtern zur Pluralund Kompositabildung (fixierte Zweitkonstituente)

197

Anhang B: Experiment 2: Produktionsexperiment mit variierender Zweitkonstituente zur Elizitation von Komposita

199

Anhang C: Experiment 3: Beurteilungsexperiment zur Pluralbildung bei Kunstwörtern

201

Anhang D: Experiment 4: Produktionsexperiment zur Pluralbildung bei erfundenen und existierenden Wörtern

204

Anhang E: Inkorrekte Pluralformen in der Spontansprache

207

Kapitel 1 Einleitung Einma hatten wir auch son Sprachpuzzle. Muß man so Wörter - . Die warn in Silben aufgeteilt. Sin immer so Anfangssilben. So Anfangsilben. Manchmal auch Mittesilben. (Dieter, 12;6) Wörter lassen sich in Untereinheiten aufgliedern, die in Dieters Intuition als Silben bezeichnet werden können. Er hat beobachtet, daß es Silben gibt, die präferiert am Anfang eines Wortes oder aber in der Mitte stehen können. In der Linguistik, und dort speziell im Bereich der Morphologie, stehen Worteinheiten im Mittelpunkt, die als Morpheme bezeichnet werden. Ein Morphem stellt den geringsten Unterschied in der äußeren Form eines Wortes dar, der mit dem geringsten Unterschied in der Wort-/Satzbedeutung oder in der grammatischen Struktur korreliert. Je nach ihrer Position und Funktion im Wort spricht man von Präfixen (öe-sprechen, ge-pflückt), Wurzeln (duft-en, Buch) und Suffixen (gelauf-ew, Regal-e). Die Verwendung von Präfixen und Suffixen ist durch grammatische Regeln mehr oder minder festgelegt, was in der vorliegenden Arbeit an einem speziellen Fall von Suffixen, nämlich denen der Pluralflexion am Substantiv detailliert untersucht werden soll. Daneben wird der Frage nachgegangen, wie die Interaktion zwischen Flexion und Wortbildung, hier insbesondere der lexikalischen Komposition, zu charakterisieren ist. Die psycholinguistische Forschung bemüht sich darum, Modelle zu entwickeln, die darstellen und erklären können, in welcher Form Sprache im allgemeinen und Grammatik im speziellen mental repräsentiert sein kann. Syntaktische, phonologische und auch morphologische Regeln, ähnlich denen, wie sie im Grammatikunterricht formuliert werden, waren lange Zeit eine bevorzugte Form der Beschreibung und führten zu Sprachrepräsentationssystemen, die ausschließlich aus symbolischen Regeln bestehen. Doch neuere Erfahrungen auf dem Gebiet der Informatik haben zusammen mit Erkenntnissen aus der Neurologie einen großen Einfluß auf die psycholinguistische Forschung ausgeübt. Speziell in der mit Konnektionismus bezeichneten Forschungsrichtung wird in den der Psycholinguistik nahestehenden Studien versucht, nach dem neuronalen Vorbild des Gehirns Computersimulationen auszuarbeiten, die auf der Basis von Netzwerken sprachliches Wissen verarbeiten, speichern und produzieren können. Im Gegensatz zu den regelbasierten Modellen wird in vielen konnektionistisch orientierten Ansätzen auf die Formulierung von symbolischen Regeln vollständig verzichtet. Allein assoziativ arbeitende Netzwerkstrukturen dienen hier zur Sprachverarbeitung und Sprachproduktion. In neueren Computersimulationen werden neben einem Netzwerk auch Mechanismen eingearbeitet, die dem Simulationsmodell das Erkennen von Regularitäten und das Formulieren entsprechender Regeln ermöglichen.

2 Inwieweit symbolische Regeln oder aber konnektionistische Netzwerke das adäquate Beschreibungsinstrument für die mentale Repräsentation grammatischen Wissens sind, soll der Gegenstand dieser Arbeit sein. Dabei liegt der Schwerpunkt auf dem Erwerb der Pluralmorphologie in der normalen und der gestörten Sprachentwicklung. In Kapitel 2 werde ich die einzelnen Modelle, die zur Repräsentation morphologischen Wissens entwickelt worden sind, kritisch diskutieren. Es wird sich zeigen, daß unitär angelegte Ansätze, die allein auf konnektionistischen Mechanismen bzw. allein auf Regelstrukturen basieren, erhebliche Nachteile haben. Statt dessen werde ich für ein dualistisches Modell argumentieren, das das mentale Lexikon als ein in zwei qualitativ verschiedene Bereiche untergliedertes System darstellt. Der eine Bereich läßt sich in Form eines assoziativen Netzwerkes darstellen, während der andere auf ein sehr effektives Regelsystem mit einer minimalen Anzahl morphophonologischer Regeln zurückgreift. In Kapitel 3 werde ich die deutsche Pluralflexion am Substantiv im Rahmen der zuvor dargestellten Ansätze beschreiben. Die Pluralmorphologie des Deutschen, die auf vier overten und einem nicht-overten Pluralflexiv aufbaut, bietet die Möglichkeit zu untersuchen, inwieweit ein dualistisch angelegtes Modell zur Beschreibung des Spracherwerbs des Deutschen herangezogen werden kann. Bereits vorliegende Studien zum englischen Pluralerwerb, die im Rahmen des dualistischen Modells argumentieren, können kaum entscheiden, was die zugrundeliegenden Prozesse bei der (inkorrekten) Verwendung, d.h. bei der Übergeneralisierung, des einzigen overten Pluralmorphems (-(e)s) ist. Mit dem Terminus Übergeneralisierung wird eine spezifische Form von Fehlern bezeichnet, eben die Markierung eigentlich irregulärer Formen (z.B. goose, sg. - geese, pl.; fish, sg. - fish-0, pl.) mit dem -s Flexiv. Diese inkorrekten Formen treten sehr häufig auf. Zwei Argumente, weshalb gerade das -s Flexiv so häufig in den Übergeneralisierungen zu beobachten ist, stehen nun zur Diskussion. Einerseits läßt sich sagen, daß das -s Pluralmorphem deshalb in Übergeneralisierungen, (z.B. mouse, sg. - *mouses, pl.; statt korrekt: mice, pl.) zu beobachten ist, weil es im Pluralsystem des Englischen und damit im an Kinder gerichteten Input sehr viel häufiger zu finden ist als irregulär gebildete Pluralformen: 86% der Substantive bilden den regulären Plural (z.B. car, sg. - cars, pl.) gegenüber 14% der Substantive, die eine irreguläre Pluralform bilden (z.B. mouse, sg. - mice, pl.). Konnektionistisch orientierte Studien beschreiben die Fehler in der kindlichen Sprachproduktion mittels frequenzbasierter Netzwerkstrukturen, die gleichzeitig aber auch die regulären und irregulären Pluralformen erzeugen, die in der Erwachsenengrammatik korrekt sind. Andererseits läßt sich argumentieren, daß das englische Pluralflexiv deshalb von den Kindern übergeneralisiert wird, weil dieses Affix mit dem Defaultstatus belegt ist. Das bedeutet, daß die Kinder dieses Flexiv immer dann zur Pluralbildung verwenden, wenn die korrekte Form der Erwachsenengrammatik (im Englischen dann in der Regel eine endungslose, irreguläre Form) nicht zur Verfügung steht. Irreguläre Pluralformen werden laut dualistischem Modell auf der Basis phonologischer Analogien über ein assoziatives Netzwerk gebildet. Das deutsche Pluralsystem ist nun deswegen so interessant, weil das reguläre Pluralflexiv (-.v Affix) im Vergleich zu den übrigen drei overten Pluralallomorphen zugleich dasjenige mit der niedrigsten Frequenz im Input ist. Daher erlaubt das Deutsche einen konstruktiven Beitrag

3 zur Diskussion zwischen konnektionistisch und dualistisch ausgerichteten Untersuchungen, die sich derzeitig besonders auf die Analyse englischer Korpora stützen. Doch ist die Pluralflexion noch aus einem weiteren Grund von Interesse. Es zeigt sich hier eine enge Verknüpfung mit der Nominalkomposition: Blätter + Wald = Blätterwald / *Blattwald\ Teddys + Mantel = * Teddysmantel / Teddymantel. Wie diese beiden Beispiele zeigen, entsteht durch die Beibehaltung der Pluralform des Simplex in der Erstkonstituente eines Kompositums im ersten Fall ein korrektes Kompositum (Blätt-er-wald), während im zweiten Fall durch die Beibehaltung ein inkorrektes Kompositum (*Teddy-s-mantel) entsteht. Komposition ist also keine einfache Gleichung, was sich auch in Dieters Äußerung widerspiegelt, wenn er sich von Anfang-s-silben zu Anfang-silben korrigiert. Der Wortbildungsprozeß der Nominalkomposition ist statt dessen mit anderen morphologischen Prozessen wie der Pluralmorphologie am Simplex eng verbunden. Die gemeinsame Betrachtung dieser beiden grammatischen Phänomene erlaubt Einblicke in die Organisation morphologischer Vorgänge, d.h. in deren Interaktion, und darüber hinaus in die Struktur des mentalen Lexikons. Die leitende Frage in der vorliegenden Arbeit ist die, inwieweit anhand des dualistischen Modells die Verarbeitung grammatischer Informationen sowohl im normalen als auch im auffälligen Spracherwerb beschrieben werden kann. Anhand empirischer Untersuchungen zum unauffälligen Spracherwerb des Deutschen werde ich zunächst zeigen, daß unitäre Systeme tatsächlich allein nicht ausreichend sind. Statt dessen werde ich in den Kapiteln 4 bis 6 empirische Evidenz für ein dualistisches Konzept erbringen, das bereits sehr jungen, sprachunauffälligen Kindern (3 Jahre) zur Verfügung steht. Im zweiten Teil der vorliegenden Arbeit steht der Spracherwerb sprachgestörter Kinder im Mittelpunkt. In jüngsten Studien zum auffalligen Spracherwerb des Englischen (vgl. u.a. Goad & Rebellati 1994; Ullman & Gopnik 1994) wird erneut für eine unitäre Sprachrepräsentation in Form konnektionistischer Netzwerke argumentiert (Kapitel 7 und 8). In der Diskussion, inwieweit sprachauffällige (insbesondere dysgrammatische) Kinder, wenn auch verzögert, die Phasen des normalen Spracherwerbs durchlaufen oder nicht, würde dieser Befund darauf hinweisen, daß dysgrammatisch sprechende Kinder ein qualitativ anderes Sprachsystem entwickeln (Kapitel 8). Die mentale Grammatikrepräsentation im Dysgrammatismus würde den o.g. Autoren zufolge aus einem unitären Mechanismus bestehen, wohingegen hier für die Grammatikrepräsentation der unauffälligen Kinder gezeigt werden kann, daß diese auf ein dualistisch organisiertes Prinzip zurückgreifen können. Zur Untersuchung dessen stehen wiederum die Pluralmorphologie und die lexikalische Nominalkomposition im Mittelpunkt der Untersuchung, wobei ich versuche zu zeigen, daß auch Dysgrammatiker in der Lage sind, symbolische Regeln zu erwerben (Kapitel 7 bis 9). Im abschließenden Kapitel 10 werden die Ergebnisse aus der Studie zum unauffälligen Spracherwerb mit denen aus der Studie zum dysgrammatischen Spracherwerb vergleichend diskutiert. Dabei werde ich aufgrund der zuvor erbrachten empirischen Evidenz dafür argumentieren, daß sowohl die unauffälligen als auch die dysgrammatischen Kinder über ein dualistisch angelegtes mentales Lexikonkonzept verfügen. Die hier vorgestellten Dysgram-

4 matiker erwerben im Vergleich zu den sprachunauffalligen Kindern kein qualitativ abweichend strukturiertes Lexikon. Solch ein Unterfangen wie die vorliegende Arbeit läßt sich nie allein bewerkstelligen und so möchte ich an dieser Stelle all denen danken, die mich dabei hilfreich unterstützt haben: Den Kindern mit ihren Eltern, die sich für mein ungewöhnliches 'Spielzeug' Zeit genommen haben; meinen Kolleginnen und Kollegen der Universität Düsseldorf, die mir ihren fachlichen Rat und ihre Freundschaft geschenkt haben; meinen beiden Betreuern Harald Clahsen und Richard Wiese, die mir in hilfreichen Diskussionen Anregungen und Einsichten ermöglichten, die sich nicht auf diese Arbeit allein beschränkten; und ganz besonders meiner Familie, die mich immer liebevoll umsorgt hat.

Teil I

Unauffälliger Spracherwerb

Kapitel 2 Repräsentationsformen morphologischen Wissens im mentalen Lexikon Stellt man die mentale Repräsentation morphologischer Prozesse in den Mittelpunkt einer Untersuchung, so muß man sich u.a. mit der Problematik beschäftigen, in welcher Weise morphologische Formen beschreibbar sind. Kann man sie als das Ergebnis der Applikation symbolischer Regeln oder aber eher als Output assoziativer Strategien ansehen? Dabei müssen sowohl bei einem regelorientierten Ansatz als auch bei einem Modell, daß sich auf ein assoziativ arbeitendes Netzwerk stützt, lernbarkeitstheoretische Anforderungen berücksichtigt werden, die den Erwerb der Regeln bzw. den Aufbau eines Netzwerkes erklären können. Neben der Frage nach der Art und Weise, mit der morphologische Veränderungen zustande kommen, ergeben sich zusätzlich noch Fragen nach der Interaktion unterschiedlicher morphologischer Prozesse wie z.B. die der Flexion mit denen der Wortbildung. Der Schwerpunkt insbesondere in diesem Kapitel liegt darauf, inwieweit die deutsche Pluralmorphologie und die Nominalkomposition miteinander verknüpft sind oder aber eher als zwei eigenständige Prozesse zu beschreiben sind. Im Rahmen dieses Kapitels sollen zunächst Ansätze vorgestellt werden, die Erklärungen zu der Problemstellung ausarbeiten, in welcher Komponente eines Grammatikmodells Flexion, insbesondere die Pluralflexion, anzusiedeln ist. Anschließend werden Theorien diskutiert, die jeweils unterschiedliche Vorstellungen unterbreiten, nach denen Flexionsprozesse darstellbar sind. Drei Ansätze sollen hierbei berücksichtigt werden. Die Grundidee der einen Erklärungsrichtung ist, Flexionsprozesse ausschließlich mit Hilfe von symbolischen Regeln zu beschreiben. Eine zweite Möglichkeit, die aus dem Bereich des Konnektionismus stammt, lehnt symbolische Regeln vollkommen ab und erstellt ein Modell, das allein auf Netzwerkstrukturen aufbaut. Die Basisidee eines dritten, alternativen Ansatzes berücksichtigt die qualitative Distinktion zwischen unterschiedlichen Flexionsprozessen. Besonders in der Pluralflexion ist ein Unterschied zwischen regulärer und irregulärer Flexion zu beobachten, wobei innerhalb dieses dritten Ansatzes für die regulären Prozesse symbolische Regeln als zugrundeliegend angenommen werden. Die irregulären Prozesse werden mit Hilfe eines Netzwerkes repräsentiert. Hier wird also den zwei unterschiedlichen Flexionsprozessen durch zwei unterschiedliche Generierungsmechanismen Rechnung getragen. Gegenüber den zwei erstgenannten, unitär konstruierten Modellen wird die dritte Alternative als ein dualistisch ausgelegtes Modell bezeichnet. Jedes der drei diskutierten Modelle macht unterschiedliche Vorhersagen in bezug auf den Spracherwerb und bietet jeweils eine andere Erklärungsmöglichkeit für inkorrekt flektierte Formen, wie sie in der Kindersprache zu finden sind. Zusätzlich unterscheiden sich die drei Ansätze darin, wie sie die Komponente der Flexion, insbesondere der Pluralflexion, in Zusammenhang mit der der Wortbildung, genauer: der Nominalkomposition, bringen. Es geht darum zu klären, wie die mentale Grammatik struktu-

8

riert sein muß, daß Kinder die korrekte Pluralform von z.B. Blatt generieren könnten (d.h. Blätter) und ein Kompositum der Form Blätterwald bilden könnten, daß sie aber ein Kompositum wie z.B. Autosberg aus grammatischen Gründen nicht bilden würden.

2.1 Deskriptive Theorien der Morphologie Eine Frage, die auch heute noch diskutiert wird, ist die nach dem Ort und damit der Selbständigkeit einer Grammatikkomponente namens 'Morphologie'. Chomsky (1965) nahm an, daß morphologische Veränderungen eine Konsequenz aus der Anwendung syntaktischer Regeln sind und daher kein autonomes Modul in der Sprechergrammatik darstellen. Auch Baker (1988, 1992) nimmt für Flexionsprozesse keine eigenständige Komponente an, sondern geht davon aus, daß Flexion eine Subkomponente der Syntax ist. Where's Morphology? betitelt Anderson (1982) seinen Aufsatz und argumentiert für eine Darstellung (Extended Word and Paradigm Modell), in der er unterschiedliche morphologische Prozesse unterschiedlichen Komponenten seines Sprachverarbeitungsmodells zuordnet (vgl. ebd. S.594). Demnach ist die Derivation Teil des mentalen Lexikons, das wiederum im wesentlichen aus einer Liste lexikalischer Einträge besteht. Diesem nachgeordnet ist u.a. die Komponente der Phonologie, die diejenigen Flexionssprozesse beinhaltet, welche eng mit der Syntax verknüpft sind (z.B. Kongruenzmorphologie). Im Gegenzug entwickelten Jensen und Stong-Jensen (1984) die prompte Antwort: Morphology is in the lexicón! Neben methodologischen Einwänden und Theorie-immanenten Unklarheiten, die später näher besprochen werden sollen, führen sie lerntheoretische Argumente an, die ein Grammatikmodell im Sinne der lexikalischen Ansätze als plausibler erscheinen lassen. Gegen Anderson's Modell ist einzuwenden, daß syntaktische Eigenschaften in Form von Flexionselementen dem jeweiligen Wort zugewiesen sind, welche über syntaktische Regeln bzw. postlexikalische spell-out rules phonologisch realisiert werden. In einem lexikalischen Ansatz hingegen kann auf Zuweisungsregeln verzichtet werden, da hier alle Charakteristika eines Wortes bereits im Lexikoneintrag notiert sind. Gelernt werden muß lediglich, ob eine Regel lexikalisch oder aber postlexikalisch operiert, sowie die Zuweisung der Affixe zu unterschiedlichen Flexionsebenen (vgl. Jensen & Stong-Jensen 1984:478). Das Grammatikmodell, auf das sich Jensen und Stong-Jensen (1984) beziehen, wurde von Kiparsky (1982) entwickelt, und verknüpft morphologische und phonologische Prozesse miteinander. Die Morphologie wird als eine vollständige Einheit innerhalb des Lexikons angesiedelt, wodurch eine sinnvolle Verknüpfung mit denjenigen phonologischen Regeln ermöglicht wird, die sowohl mit Derivationsprozessen als auch mit Flexionsprozessen verwoben sind. Dazu gehört zum Beispiel im Deutschen der Prozeß der Umlautung in Diminutiva wie Daumen - Däumchen und in Pluralformen wie Buch - Bücher, oder die Betonungsverschiebung bei bestimmten Derivationsaffixen (englisches Beispiel: 'morpheme - mor'phemic; Phy'sik - 'Physiker). Eine derartige Verknüpfung ist im extended word and paradigm model nicht möglich.

9 Die grundlegende Idee Kiparskys ist die Zuordnung von morphologischen und phonologischen Regeln zu bestimmten Ebenen, d.h. eine hierarchische Anordnung. Den Annahmen der Lexikalischen Phonologie nach erfolgt diese Zuordnung aufgrund des phonologischen Verhaltens eines Affixes in Verbindung mit seinem morphologischen Verhalten. Auch die Reihenfolge der Affixe innerhalb eines Wortes werden als Kriterium zur Ebenenzuordnung genutzt. Beispielsweise ergibt die Abfolge x-lich-keit im Deutschen eine grammatisches Wort (z.B. Friedlichkeit), dagegen ergibt die Abfolge x-keit-lich niemals ein akzeptables Wort des Deutschen (* Friedkeitlich). Die Ebenen werden im Wortbildungsprozeß nacheinander abgearbeitet, wobei der Output der vorangehenden Ebene als Input der nachfolgenden dient (vgl. Abbildung 1). Damit geht die Bedingung einher, daß die lexikalischen Regeln der jeweiligen Ebene strukturbewahrend sind, d.h. der Output darf die Wohlgeformtheitsbedingungen, die die Form eines möglichen Wortes bestimmen, nicht verletzen.

10 unflektierte lexik. Einträge (d.h. ein Lexikon mit Morphemen)

Ebene 1-Morphologie Affixe der + - Grenze', z.B. +ian, +al\ irreguläre Plurale

Ebene 1-Phonologie z.B. Wortakzent

Ebene 2-Morphologie Affixe der # - Grenze, z.B. #ism; Komposition

Ebene 2-Phonologie z.B. Konversion von Substantiven zu Verben

Ebene n-Morphologie z.B. reguläre Flexion

Ebene n-Phonologie

Î Lexikon i postlexikalisch postlexikalische Phonologie, z.B. Vokalepenthese; Satzakzent

Abb.l

Ebenen im Lexikon für das Englische (nach Kiparsky 1982:132 und Jensen 1990:86)

Verschiedene Arbeiten haben dieses Modell aufgegriffen und die Zahl der Ebenen (besonders für das Englische) diskutiert: 2 Ebenen bei Siegel (1979) und Katamba (1993); 3 Ebenen bei Kiparsky (1982); 4 Ebenen bei Halle und Mohanan (1985). Doch soll dies hier nicht weiter besprochen werden, da die Grundidee der Morphologie- und Wortbildungsrepräsentation im Rahmen der Lexikalischen Morphologie/Phonologie bestehen geblieben ist. Im folgenden werde ich daher dieses Lexikonmodell in der Form beschreiben, in der es von Kiparsky (1982) dargestellt wurde. Wie schon von Siegel (1979) (nach Spencer 19933:79ff) für das Englische beobachtet, werden Affixe in bestimmten, wohlgeordneten Reihenfolgen mit Wurzeln bzw. Wortstämmen verknüpft, d.h. an den Verbstamm institute läßt sich das Affix -ion affigieren, wodurch das Substantiv institution entsteht, an welches wiederum das Affix -al geknüpft werden kann, 1

Mit dem Zeichen +- wird eine Morphemgrenze bezeichnet; mit dem Zeichen #- wird auf eine Wortgrenze referiert.

11

woraus sich das Adjektiv institutional ergibt. Ableitungen lassen sich in dieser Art beinahe endlos fortsetzen und mit beinahe jedem beliebigen Wortstamm des Englischen durchführen, wobei aber eine Vertauschung der Affixreihenfolge zu ungrammatischen Wortbildungen fuhren würde. Eine mehr oder weniger gut motivierte Ebenenzuweisung konkreter morphologischer und phonologischer Prozesse im Englischen garantiert aber, daß genau das nicht geschehen kann. Die Interaktion von morphologischen und phonologischen Prozessen auf bestimmten Ebenen kann daraus abgeleitet werden, daß bestimmte Affixe die Betonung verschieben (prodüctive -» productivity, Beispiel vgl. Spencer 19913:79). Diese sind auf der Ebene 1 angeordnet, während betonungsneutrale Affixe {prodüctive —> pordüctiveness, Beispiel vgl. Spencer 19933:79) auf der Ebene 2 affigiert werden. Das Prinzip der Strict Cyclicity (Kiparsky 1982) sorgt dafür, daß die zur jeweiligen Ebene gehörenden morphologischen und phonologischen Regeln unbedingt abgearbeitet werden. Desweiteren wird hierdurch sichergestellt, daß nur Regeln der betreffenden Ebene auf dieselbe Struktur Zugriff haben. Das heißt an einem Beispiel, daß betonungsändernde Regeln, die sich im Englischen zusammen mit bestimmten DerivationsafFixen auf der Ebene 1 befinden, nicht Strukturen (Worte) verändern können, die den Output von z.B. Ebene 3 darstellen. Ein Vorgang, der die Strict Cyclicity unterstützt, ist die sog. Brächet Erasure Convention (Pesetsky 1979, zitiert nach Katamba 1993). Dies bedeutet, daß nach Abarbeitung aller Regeln einer Ebene alle Informationen bezüglich der internen Struktur eines Wortes gelöscht werden, bevor es in die folgende Ebene eintritt. Beispielsweise entsteht aus dem Adjektiv [schöri]^ durch Affigierung des Derivationssuffixes [-heit]DERAFF das Nomen [ [ J C Ä Ö « ] [ / I E R 7 ] . Bevor es jedoch in der nächsten Ebene für beispielsweise die Pluralflexion bereitstehen wird, wird die wortinterne Struktur (hier durch eckige Klammern symbolisiert) gelöscht, so daß das Wort mit der Struktur [Schönheit] für den Plural flektiert werden kann. Für die Zielsetzung der vorliegenden Arbeit ist vor allem die Anordnung der morphologischen Flexionsmechanismen von Interesse. Im Ebenenmodell werden reguläre und irreguläre Flexionsprozesse separat behandelt. Irreguläre Flexive werden auf den Ebenen 1 und 2 angesiedelt, während reguläre Flexion (Affigierung des -s Pluralallomorphs) auf der Ebene 3 stattfindet. Auf Ebene 2 finden zudem Prozesse der lexikalischen Komposition statt. Für den konkreten Fall der englischen Pluralmarkierung am Substantiv heißt dies, daß Lexeme mit irregulärem Pluralflexiv vor der Komposition zur Verfügung stehen und deshalb in der Erstkonstituente eines Nominalkompositums auftreten könnten (z.B. teeth-marks, Bißmale). Hingegen erscheinen regulär flektierte Pluralformen niemals in der Erstkonstituente eines Kompositums, weil reguläre Flexion erst nach Abschluß des Kompositionsprozesses erfolgt. Die Bracket Erasure Convention ist die Erklärung dafür, daß wortinterne Strukturen nicht mehr für Flexionsprozesse der nachfolgenden Ebene sichtbar sind und daher nicht mehr auf die Erstkonstituente eines Kompositums zugreifen können. Am Beispiel des Kompositums carpark (Autoparkplatz) verdeutlicht heißt dies, daß das Lexem car längst in das Kompositum eingebunden ist, bevor es für die reguläre Pluralflexion überhaupt zur Verfügung hätte stehen können. Daß reguläre Flexion derivationellen und kompositioneilen Vorgängen nachgeordnet sein muß, erweist sich durch die Ungrammatikalität von Wortbildungen wie *nails marks (Nagel-/Kratzspuren) oder *cars radio (Autoradio).

12 Die morphologischen Prozesse auf Ebene 3 kommen nach dem Prinzip der Elsewhere Condition zur Anwendung (vgl. Kiparsky 1982, Pinker & Prince 1988, Spencer 1993 3 :109f). Damit ist gemeint, daß der Defaultprozeß, der als der am geringsten spezifische Prozeß charakterisiert werden kann, immer dann angewendet wird, wenn eine spezifischere Regel nicht aktiv wurde. Die disjunktive Anordnung von spezifischen Regeln und defaultartigen Regeln garantiert gleichzeitig, daß der Output einer spezifischeren Regel die Anwendung der Defaultregel blockiert. Am Beispiel der Pluralbildung verdeutlicht heißt dies, daß entweder eine symbolische Regel für die Affigierung eines der irregulären Plurale aktiviert wird, oder aber die am geringsten spezifische symbolische Regel, die Defaultregel, stellt den regulären Plural für die overte Markierung bereit. Daß die Differenzierung von irregulärer und regulärer Flexion psychische Relevanz besitzt, zeigt eine experimentelle Studie von Gordon (1985), mit deren Ergebnissen der Autor zeigen konnte, daß Kinder bereits im Alter von 3 Jahren über die hierarchische Anordnung von Grammatikprozessen verfugen. Die Phänomene, die unter dem Begriff der sogenannten bracketing paradoxes zusammengefaßt werden, zeigen daß die festgelegte Zuordnung zu bestimmten Ebenen problematisch sein kann. Ein erstes Paradoxon betrifft die Brocket Erasure Convention, welche die wortinternen Strukturen nach dem Durchlaufen einer Ebene auslöscht. Doch einige morphologische Regeln scheinen Informationen von weiteren Ebenen als der eigenen zu benötigen. Die kritischen Beispiele werden hier anhand des Englischen vorgestellt, indem die Derivationsaffixe unund -ity näher betrachtet werden. Durch das Suffix -ity werden Wortstämme in Substantive verwandelt, was ein hier nicht näher beschriebener Prozeß der Ebene 1 ist. Die Präfigierung mit dem Affix un- erfolgt hingegen auf Ebene 2 (vgl. Katamba 1993). Durch diese Reihenfolgebeschränkung der beiden Derivationsprozesse sollte daher die Generierung von Wörtern wie unacceptability oder ungovernability ausgeschlossen sein. Statt dessen handelt es sich bei diesen Beispielen aber um völlig korrekte Ausdrücke des Englischen (Beispiele vgl. Katamba 1993:144). Ein weiteres Paradoxon stellt die Komparation englischer Adjektive dar. Einsilbige Adjektive wie small und zweisilbige Adjektive mit einer leichten Endsilbe wie clever bilden den Komparativ mit -er (smaller bzw. cleverer), d.h. drei- und mehrsilbige Adjektive müssen in der Regel in Verbindung mit lexikalischen Mitteln verwendet werden (* beautifuller, aber more beautiful). Diesen Formen stehen allerdings Adjektive gegenüber, die durch das Präfix un- eine dreisilbige Struktur erhalten haben wie z.B. unhappier. Aufgrund der mit der Silbenzahl begründeten Beschränkung müßte man annehmen, daß aus happy zunächst durch Suffigierung von -er das Wort happier entsteht, aus dem durch Präfigierung von un- das Adjektiv unhappier generiert wird. Diese Reihenfolge der Derivation könnte zwar dem Kriterium der Silbenzahl gerecht werden, spiegelt aber nicht die korrekte Bedeutung des Wortes wider (vgl. Beispiel l.a und l.b, nach Katamba 1993:147).

13 (1)

Semantische Analyse von unhappier

a)

[ A un [happy er A ]] *[not [more happy]] [[ A un happy] er A ] [[not happy] more]

b)

Die korrekte semantische Analyse entspricht dagegen der Klammerung, wie sie in (l.b ) dargestellt wird. Ein drittes Paradoxon besteht in der Nähe von Affixen unterschiedlicher Ebenen zum Wortstamm. Die Reihenfolgebeschränkungen des Ebenenmodells sagen vorher, daß Affixe der Ebene 1 dem Wortstamm näher sind als Affixe der Ebene 2. In Wörtern wie reliability aber geht dem Ebene 1-Affix -ity das Ebene 2-Affix -able voraus. Eine Auflösung der bracketing paradoxes könnte mit der Annahme von Schleifen, also Rekursivmöglichkeiten erreicht werden (vgl. Halle & Mohanan 1985). Allerdings wird damit die Grundidee der hierarchischen Anordnung von unterschiedlichen morphologischen und phonologischen Prozessen stark geschwächt. Eine Alternative zum Ebenenmodell wird von Booij (1993, 1994) vorgeschlagen. Ohne den Rahmen der Lexikalischen Phonologie verlassen zu müssen, gibt er die Idee der Ebenenzuweisung auf und entwickelt einen Ansatz, der prosodische Faktoren betont. Booij (1994) nimmt eine Unterscheidung zwischen s-Affixen, die an Stammkonstituenten s (stem constituents, vgl. ebd., S.19) herantreten, und co -Affixen, die an prosodische Wortkonstituenten co (phonological word constituents, vgl. ebd., S.19) affigiert werden, vor. Auf diese Weise stellt er eine präzise Beschreibung der Affixfolge innerhalb eines Wortes bereit. Hierbei entsprechen die Regeln der Ebene 1 des morphophonologischen Modells von Kiparsky denjenigen Regeln, die auf Stammkonstituentenebene operieren, während Regeln der Ebene 2 des Ebenenmodells denjenigen Regeln entsprechen, die in Booijs Ansatz mit Wortkonstituenten arbeiten. Die zielsprachliche Abfolge der Affixe wird dadurch garantiert, daß der co -Knoten den s-Knoten dominiert. Der entscheidende Unterschied zu dem Ausgangsmodell von Kiparsky besteht darin, daß die Regeln entweder in der s-Domäne oder aber in der co -Domäne aktiv sind. Was Booij (1994) aus dem Affixklassifikationsschema des Ebenenansatzes beibehält, ist die Unterteilung der Affixe in native (co -Affixe) und nicht-native Affixe (s-Affixe). Durch diese stipulierte Unterteilung ergibt sich innerhalb seines Modells die folgende Analyse für Derivations- und Flexionsprozesse des Wortes ungrammatical-ity (vgl. Abbildung 2).

14 (0

(0

(0

(0

s

s

s

/ un

grammatical

un

grammatical

\ ity

Abb. 2 Stamm- und Wortkonstituentenoperationen nach Booij (1994:20)

Unsicherheiten in der Ebenenzuweisung, wie sie innerhalb des Ebenenmodells vorkommen, werden also umgangen, indem das Suffix -ity auf der .y-Ebene an die Stammkonstituente affigiert wird. Das Präfix un-, das zwar ein gebundenes Morphem ist, wird als ein CO -Affix klassifiziert und kann von daher nur an co -Konstituenten herantreten. Der Interaktion zwischen Morphologie und Phonologie wird schließlich dadurch Rechnung getragen, daß die Bedingung Inflection must occur at the edge of (O (vgl. ebd., S. 20) dafür sorgt, daß Derivationsaffixe vor Flexionsmorphemen appliziert werden und demzufolge die Beobachtung berücksichtigen, daß Derivationsaffixe eine größere Nähe zum Stamm aufweisen als Flexionsaffixe. Unklar bleibt in Booijs Ansatz (1993, 1994) jedoch die Frage nach der Lernbarkeit der Klassifikation von nativen versus nicht-nativen Morphemen, wie sie zur Deskription von Derivationsprozessen vorgenommen wurde. Obwohl native und nicht-native Morpheme sich unterschiedlich verhalten, d.h. nicht-native Morpheme treten niemals an native Morpheme bzw. Stämme, bietet dies für ein Kind allerdings keinen Anhaltspunkt. Das liegt darin begründet, daß ein Kind nicht in der Lage ist zu entscheiden, ob das betreffende Morphem bzw. der betreffende Stamm eine Entlehnung oder aber ein natives Lexem seiner Erstsprache ist. Die Differenzierung in native versus nicht-native Affixe/Morpheme kann das Kind nicht vornehmen. In einem weitergehenden Vorschlag entwickelt Booij (1996) ein Modell, in dem er inhärente Flexion (inherent inflection) von kontextueller Flexion (contextual inflection) unterscheidet. Die inhärente Flexion ist der Derivation sehr ähnlich, da beide Prozesse vor der Wortbildung (Komposition) erfolgen können. Zur inhärenten Flexion zählt Booij z.B. den Nominalplural, die Komparativ- und Superlativformen des Adjektivs, sowie Partizipformen des Verbs (vgl. Booij 1996:2ff). Zur kontextuellen Flexion rechnet Booij Flexionsprozesse, die von der Syntax her gefordert werden, d.h. z.B. Kongruenzmarkierungen am Verb für die Subjekt-Verb-Kongruenz, Kongruenzmarker am Adjektiv und die Marker am Substantiv für strukturellen Kasus (vgl. Booij 1996:2). Neben der Beobachtung, daß die inhärente Flexion mit einem semantischen Wechsel einhergeht, gilt die strukturelle, prosodisch orientierte Bedingung, daß Flexive der inhärenten Kategorie ausschließlich an der rechten Seite eines prosodischen Wortes angefügt werden

15 können. Sie selbst bilden allerdings keine prosodischen Wörter2. Derivationsaffixe können sowohl prosodische Wörter darstellen oder aber auch nicht, wodurch der Unterschied zwischen inhärenter Flexion und Derivation deutlich wird. Allerdings finden diese beiden Prozesse vor der Komposition statt, da beide Typen von Affixen in Komposita zu finden sind. Diese Beobachtung läßt sich für Affixe der kontextuellen Flexion nicht machen. Daß auch Kinder diesen Unterschied machen können, schließt Booij aus den Ergebnissen einer Studie von Clahsen et al. (1992), in der 19 dysgrammatisch sprechende Kinder und ein sprachunauffalliges Kind untersucht wurden. Die Dysgrammatiker hatten keine Schwierigkeiten mit den Affixen der inhärenten Flexion (hier: Nominalplural), dafür aber im Vergleich zum Kontrollkind enorme Probleme beim Erwerb der Affixe, die unter die kontextuelle Flexion fallen (hier: Subjekt-Verb-Kongruenz). Auch wenn sich die Erwerbsdaten von Clahsen et al. (1992) in Booijs Sinn interpretieren lassen, so ist doch fraglich, ob die Kinder eine Einteilung nach inhärenter versus kontextueller Flexion vorgenommen haben. Außer dieser theoretisch stipulierten Distinktion unterscheidet die beiden Kategorien von Flexion nichts in bezug auf ihre prosodische Natur. In beiden Flexionskategorien finden sich Affixe, die selbst keine prosodischen Wörter darstellen (mit Ausnahme von einigen Derivationsaffixen). Sowohl Flexive der inhärenten als auch der kontextuellen Flexion werden an der rechten Seite eines bestehenden prosodischen Wortes angefügt. Hier finden die Kinder also keine Möglichkeit, eine Differenzierung im Sinne von Booijs Ansatz (1996) vorzunehmen. Eine weitere Frage, die in Booijs neuerem Ansatz offen bleibt, ist die, weshalb die Kinder bestimmte (Plural-)Flexive im Kompositum beibehalten können, andere jedoch nicht. Alle Kinder der Gruppe, die Clahsen et al. (1992) untersucht hatten, nahmen eine klare Distinktion zwischen einem Defaultflexiv vor, das nicht im Kompositum auftritt, gegenüber den übrigen (irregulären) Pluralflexiven, die im Kompositum sowohl beibehalten als auch ausgelassen werden konnten. Resümierend ist festzuhalten, daß sowohl der Ebenenansatz als auch Booijs Alternativen (1993, 1994, 1996) jeweils ein Beschreibungsinstrument liefern, das die Affixabfolge innerhalb der Wörter sowie die Relation der unterschiedlichen Wortbildungsprozesse zueinander darstellt. In beiden Ansätzen wird plausibel erläutert, daß Flexion, Derivation und Komposition Teil des Lexikons sind und den Input für Syntax und weitere postlexikalische Prozesse (z.B. für die Flexion von Phrasenkomposita) bereitstellen. Dabei wird zugleich die Interaktion mit phonologischen Prozessen berücksichtigt.

2

Ein Morphem, sei es ein Stamm, Präfix oder Suffix, erhält automatisch den Status eines phonologischen Wortes. Suffixe erhalten in dem Fall nicht den Status eines phonologischen Wortes, in dem es mit einem Vokal beginnt oder Uberhaupt keinen Vokal enthält (vgl. Wiese 1996: 67).

16

2.2 Unitäre Modelle Was in den bisher vorgestellten Modellen ohne größere Diskussion aufgegriffen wurde, ist die symbolische Repräsentation von Flexionsprozessen als morphologische Regeln. Allein symbolische Regeln repräsentierten morphologische und phonologische Prozesse. Derartige regelbasierte Ansätze mußten zum Teil lange Ausnahmelisten formulieren, um Abweichungen von den Regeln nicht zu vernachlässigen (vgl. z.B. Mugdan 1977). Seit Mitte der 80er Jahre rückte jedoch in den Untersuchungen der kognitiven Linguistik die Erstellung mentaler Sprachverarbeitungsmodelle in den Mittelpunkt des Interesses, die in Anlehnung an die neuronalen Netze des menschlichen Gehirns assoziative Netzwerkstrukturen entwickelten. In diesen Modellen wurde ganz auf die Repräsentationsform durch symbolische Regeln verzichtet. Beide Theorierichtungen sollen jeweils am Beispiel eines Ansatzes vorgestellt werden. 2.2.1 Symbolorientierte Ansätze: symbolische Regeln Wie von Booij (1994) dargestellt, sind die Verfechter der Lexikalischen Phonologie (welcher Variante auch immer) bestrebt, ihr Grammatikmodell auf der minimalen Anforderung Apply a rule when possible aufzubauen (vgl. Booij 1994:4). Hierbei wird versucht, Modelle zu entwickeln, die allein auf der Basis symbolischer Regeln beruhen. Auch Halle (1990) entwirft ein sehr differenziertes Bild der Wortbildungsprozesse, wobei das Lexikon, das er mit dem Begriff vocabulary belegt, von größter Einfachheit ist: Es enthält Lexikoneinträge, die jeweils mit einem spezifischem Bündel an phonologischen, semantischen und syntaktischen Merkmalen verknüpft sind. Halles Ausgangspunkt ist, daß ein Sprecher eine Reihe von phonologischen Merkmalen aufruft, wenn er aus dem mentalen Lexikon ein Lexem abruft. Für freie Morpheme wie dog, usurp, difficult nimmt der Autor keine interne morphologische Struktur an (vgl. Halle 1990:150). Doch nicht nur freie Morpheme, sondern auch gebundene, also Flexions- und Derivationsaffixe, sind im Lexikon gespeichert. Das bedeutet, daß diese jeweils mit einem Index versehen sind, der die für den Wortbildungsprozeß relevanten Informationen trägt, d.h. mit welchen Wortstämmen sich das Affix verbinden kann und von welcher (syntaktischen) Art das neu entstandene Wort ist. Das englische Affix un- beispielsweise wird laut Halle in der Form A[w«A[x]] gespeichert, was anzeigt, daß es sich hier um ein Präfix handelt, das nur an Adjektive herantreten kann und nach dem Wortbildungsvorgang ein anderes Adjektiv als Output zurückläßt. Eine interessante Perspektive eröffnet Halles Ansatz (1990) in der Frage der Allomorphie. Während die oben genannten Morpheme eine bestimmte, zugrundeliegende phonologische Repräsentation haben, ist dies bei Allomorphen wie z.B. den Pluralallomorphen nicht der Fall. Sie werden als abstrakte Morpheme bezeichnet, die aufgrund ihrer phonologischen Variabilität keine feste zugrundeliegende Repräsentation im Lexikoneintrag besitzen. Statt dessen sind abstrakte Morpheme, zu denen die der Kasus-, Numerus-, Genus verbi- und Tempusmorphologie gezählt werden, Einheiten der untersten Ebene eines syntaktischen Baumdiagrammes. Sogenannte spell-out Regeln sorgen dafür, daß die abstrakten Morpheme jeweils

17 durch die passende phonologische Variante an dem betreffenden Lexem realisiert wird. Doch gerade im Englischen werden nur wenige morphologische Prozesse durch overte Affigierung sichtbar (z.B. Plural: car - car-s (Auto)). Alternativ werden beispielsweise bei der Pluralmarkierung von Substantiven häufig Stammvokalveränderungen vorgenommen3 (z.B. Plural: louse - lice (Laus)). Derartige wortinterne Veränderungen werden im Halle'schen Modell mit Hilfe von readjustment Regeln beschrieben. Auch sie greifen in der untersten Ebene eines Baumdiagramms, also nach dem Durchlaufen etwaiger Oberflächenstrukturvorgänge und dem Erfüllen eventueller Anforderungen auf der PF-Ebene. Auf der Grundlage einer detaillierten Analyse des Russischen und Lateinischen (Halle 1990), sowie an exemplarischen Ausschnitten des Georgischen, Englischen und Potawatomi (Halle & Marantz 1993) und des Niederländischen (Collins 1990) wird die Arbeitsweise des mit spell-out und readjustment Regeln arbeitenden Modells erläutert. Doch gerade am Russischen und Niederländischen wird sehr schnell deutlich, daß der starre Regelapparat sehr viele Subregeln und Ausnahmeformulierungen erforderlich macht. Für die Nominalflexion des Russischen müssen 4 Flexionsklassen angenommen werden, deren Affixklassifikation auf der Korrelation zwischen Genus und Deklinationsform beruht. In der Klasse 1 beispielsweise befinden sich mehrheitlich Substantive, die feminin sind. Gleichwohl der Anteil von Feminina recht hoch ist, werden auch einige Maskulina sowie zahlreiche Namen nach demselben Muster in bezug auf Kasus und Numerus flektiert (vgl. Halle 1990: 164ff). Doch auch die Klasse 3 wird bis auf die von Halle genannte Ausnahme put 'Weg' ausnahmslos durch Feminina gebildet. In Klasse 2 hingegen sind alle Nicht-Feminina zusammengefaßt, ergänzt durch all die Substantive, die auf Referenten natürlichen weiblichen Geschlechts Bezug nehmen. Wie Halle selbst einschränkend anmerkt (vgl. Halle 1990:164), läßt sich für Substantive der Deklinationsklasse 0 keine derartige Genus/Deklination Korrelation herausarbeiten. In die deskriptive Analyse der russischen Nominalflexion bezieht Halle die Substantive der Klassen 1 bis 3 ein, wobei er einen sehr detaillierten Regelapparat entwickelt (vgl. Halle 1990: 165ff). Die problematische Klasse 0 wird an dieser Stelle nicht weiter beachtet. Hierfür hätte Halle zwei Möglichkeiten zur Alternative. Zum einen könnte er annehmen, daß das komplett flektierte Wort bereits im Lexikon eingetragen ist. Das allerdings ergäbe einen Widerspruch zu der Annahme, daß das Lexikon aus (gebundenen und ungebundenen) Morphemen besteht. Zum anderen hätte er die Möglichkeit, für jede noch so kleine Gruppe, die notwendigenfalls aus nur einem einzigen Substantivstamm besteht, jeweils die entsprechenden spell-out und readjustment Regeln zu formulieren. Auf diese Weise würde allerdings eine noch größere Anzahl von Regeln entstehen, deren Erwerb nur schwer zu erklären wäre. Doch soweit Halle (1990) sein Modell ausformuliert, sieht sich der Lerner neben dem Erwerb dessen, was alles nicht von einer betreffenden Regel flektiert wird, zusätzlich der Aufgabe gegenübergestellt, Wortbildungsprozesse unterschiedlichen Komponenten der Grammatik zuzuweisen: Konkrete Morpheme sind mit morphologischen Indizes 3

Es existieren drei Ausnahmen, bei denen der Plural mittels eines irregulären Pluralaffixes generiert wird: children 'Kinder', brethren 'Brüder' (auf religiöse Kontexte beschränkt), oxen Ochsen'. Diese drei Pluralformen sind stark lexikalisiert und das -en Pluralaffix wird im heutigen Englisch nicht mehr produktiv verwendet.

18 (,morphological features) verknüpft und stehen vollständig im Lexikon (vocabulary) zur Verfugung; abstrakte Morpheme (Allomorphe) sind mit den terminalen Knoten der syntaktischen Struktur verbunden und werden in der Komponente 'Morphologische Struktur' (.Morphological Structure) durch spell-out und readjustment Regeln mit dem geforderten phonologischen Material gefüllt. Das Kind muß also zusätzlich zum Erwerb eines immensen Regelwerkes eine Differenzierung zwischen konkreten und abstrakten Morphemen vornehmen, die unterschiedlichen grammatischen Komponenten, nämlich einerseits dem Lexikon und andererseits der Syntax, zugewiesen werden sollen. Dies sind Aufgaben, die in einer Spracherwerbstheorie nur sehr schwer zu beschreiben sind. Den Ansätzen, die ausnahmslos regelbasiert arbeiten, stehen Modelle gegenüber, die aus der als Konnektionismus bezeichneten Forschungsrichtung hervorgegangen sind (Rumelhart & McClelland 1986, MacWhinney & Leinbach 1991, Plunkett & Marchman 1991, 1993; Ling & Marinov 1993; Westermann & Goebel 1995 u.v.a.). 2.2.2

Konnektionistische Ansätze: frequenzbasierte Netzwerke

Die generelle Idee der konnektionistischen Arbeiten ist, im Sprachsimulationsmodell, d.h. mit einem Computer, in Anlehnung an neuronale Netzwerke mögliche Formen der mentalen Sprachrepräsentation im allgemeinen und den Spracherwerb im speziellen nachzuahmen. Das heißt, daß das Computermodell zunächst über keinerlei Sprachwissen verfügt und erst im Laufe des Erwerbs sich sowohl Lernstrategien als auch sprachliche Formen aneignen muß. In den ersten Imitationsmodellen wurde versucht, das Netzwerk so anzulegen, daß eine assoziative Strategie das Computermodell durch das bereits vorhandene Formeninventar fuhrt, um bestehende oder neu zu generierende Flexionsformen als Output zu liefern. Auf diese Weise wird zweierlei erforderlich: i) Ein deskriptives Grammatikmodell muß erstellt werden; ii) Die Generierung von Worten (und Sätzen) muß simuliert werden, d.h. es müssen Annahmen über die Erwerbsstrategie gemacht werden. Die Idee, neuronale Netzwerke als Ausgangspunkt zur modellhaften Konstruktion kognitiver Repräsentationen zu nutzen, wurde schon seit längerem intensiv diskutiert (vgl. McClelland, Rumelhart & Hinton 1986 und die dort zitierte Literatur). Doch mit dem Modell von Rumelhart und McClelland (1986) erreichte diese Diskussion große Aufmerksamkeit auch in weiten Bereichen der Psycholinguistik. Das Modell von Rumelhart und McClelland (1986) ist innerhalb des Ansatzes des Parallel Distributed Processing (PDP) entstanden. Ziel der PDP-Forschungsgruppe war und ist es, die grundlegenden Mechanismen menschlicher kognitiver Prozesse wie z.B. der Informationsverarbeitung zu erforschen und im (Computer-)Modell zu simulieren. Das in dieser Forschungsgruppe entworfene Kognitionsmodell sollte sowohl zum Verständnis von Lernmechanismen beitragen als auch das Verstehen und Abbilden genereller kognitiver Prozesse ermöglichen. Im folgenden soll zunächst das sprachverarbeitende Simulationsmodell von Rumelhart und McClelland (1986) eingehender beschrieben werden, weil gerade ihre Forschungsarbeit initialen Charakter für die Linguistik besitzt, um anschließend von neueren Entwicklungen zu berichten.

19 Rumelhart und McClelland (1986) konnten im Rahmen des Ansatzes des Parallel Distributed Processing ein Computersimulationsmodell präsentieren, das allem Anschein nach in der Lage war, das past tense System des Englischen zu 'erlernen'. Darüber hinaus spiegelten einige der Fehler, die das Computermodell hierbei machte, Fehler wider, die im Erwerbsverlauf englischsprachiger Kinder zu beobachten sind. Da die architektonische Technik nicht im Mittelpunkt dieser Arbeit steht, werde ich nur kurz darauf eingehen, um dann die psycholinguistisch relevanten Ergebnisse Rumelharts und McClellands in die Diskussion der psycholinguistischen Forschung einzuordnen. Im wesentlichen beinhaltet das Simulationsmodell zwei Komponenten: i) ein Netzwerk, das als Musterassoziierer bezeichnet wird (pattern associator, vgl. Abbildung 3/Bereich 4) und ii) ein Netzwerk zur De- bzw. Enkodierung phonologischer Repräsentationen (vgl. Abbildung 3/Bereich 2 bzw. 6).

1

2

3

4

5

6

7

1 = Units zur phonologischen Repräsentation des Wortstammes (hier: Verbstamm); 2 = enkodierendes Netzwerk; 3 = 460 Wickelfeature-Einheiten für die Repräsentation des Wortstammes (hier: Verbstamm); 4 = Musterassoziierer; 5 = 460 Wickelfeature-Einheiten für die Repräsentation des flektierten Lexems; 6 = dekodierendes Netzwerk; 7 = Units zur phonologische Repräsentation des flektierten Lexems; Abb. 3 Schema des Netzwerkmodells nach Rumelhart & McClelland (1986:222, modifiziert)

Zwischen den Netzwerkbereichen liegen jeweils die Knoten (units), die die Kodierung der Wortrepräsentationen enthalten. In Bereich 1 der Abbildung 3 befinden sich die Einheiten, die die phonologische Repräsentation der Stammform eines Wortes enthalten. Das Enkodierungsnetzwerk (Abbildung 3/Bereich 2) stellt die Verbindung zu der Ebene dar, in der die Stammformen in dem sogenannten Wickelfeatureformat (Abbildung 3/Bereich 3) gespeichert sind. Ein Wickelfeature (nach W. A. Wickeigren benannt (Wickeigren 1969)) kodiert jeweils ein Segment eines Wortes, indem es kontext-sensitive Phonemeinheiten (Wickelphone; keine Buchstaben des orthographischen Alphabets!) zu einem Tripel zusammenfaßt. Der Muster-

20 assoziierer (Abbildung 3/Bereich 4) stellt das Kernstück des Systems dar und besteht aus veränderbaren Verbindungen zwischen den Inputeinheiten der Stamm-Wickelfeaturerepräsentationen und den Outputeinheiten der Flexionsform-Wickelfeaturerepräsentationen. Innerhalb des Musterassoziierers wird die Verbindung zwischen der eingegebenen Stammform und der auszugebenden flektierten Form hergestellt, wobei die flektierte Form zunächst als Wickelfeatures kodiert (vgl. Abbildung 3/Bereich 5) und dann über das dekodierende Netzwerk weitergegeben wird (Abbildung 3/Bereich 6). Die Weiterleitung des flektierten Lexems erfolgt an diejenigen Einheiten, welche die flektierte Form als eine phonologische Repräsentation ausgeben (Abbildung 3/Bereich 7). Am Beispiel des Lexems sagen sähe der Ablauf folgendermaßen aus. Die phonologische Repräsentation zunächst des Stammes sagen hat im Wickelfeatureformat die in (2) aufgeführte Form (aus Gründen der Einfachheit wird hier die orthographische Form wiedergegeben): (2)

Wickelfeature-Repräsentation des Stammes sagen #sa sag age gen en#

Die Generierung der Vergangenheitsform entsteht, indem der Verbstamm —in Form der Wickelfeatures-- in den pattern associator (Musterassoziierer) übertragen wird. Aufgrund vorherigen Lernens, auf das ich im folgenden noch näher eingehen werde, wird hier die Vergangenheitsform gebildet und im Wickelfeatureformat an das Dekodierungsnetzwerk weitergegeben. Dieses wandelt die maschinenlesbare Repräsentation in die phonologische Repräsentation, nämlich sagte, um. Das oben schon angesprochene Lernen, das allein im pattern associator stattfindet, besteht aus einer ausgedehnten Trainingsphase, in der Rumelhart und McClelland (1986) in das Netzwerk insgesamt 420 sowohl reguläre als auch irreguläre Verbpaare (Präsens- und die dazugehörige Vergangenheitsform) eingaben. Hierbei haben die Autoren mit Referenz auf Brown (1973) die Beobachtung aus dem natürlichen Spracherwerb berücksichtigt, daß der ukurvenformige Sprachentwicklungsverlauf bei Kindern (d.h. nach einer anfanglichen Phase korrekt flektierter Formen werden vorübergehend falsche Formen produziert) eng mit der Expansion des Wortschatzes zusammenhängt. Die Prüfung des Simulationsmodells erfolgte über die Eingabe von 86 niedrig-frequenten Verben, die niemals zuvor während einer der Trainingsphasen verwendet wurden. Das Simulationsmodell sollte aufgrund seines Vorwissens, das im Musterassoziierer gespeichert war, zu diesen 86 Stammformen die jeweilige Vergangenheitsform bilden. Schon während der Trainingsphase zeigte sich, daß auch das Simulationsmodell dem ukurvenförmigen Erwerbsverlauf folgte. Inkorrekte Formen waren als Übergeneralisierungen

21 beschreibbar, in denen das Modell an einen irregulär zu flektierenden Stamm die reguläre Flexionsendung (-ed) affigierte. Gegen Ende der Trainingsphasen wurden die Vergangenheitsformen der regulären Verben zu fast 100% korrekt erzeugt (vgl. Rumelhart & McClelland 1986:242, Graphik 4), während sich die Korrektheitsrate der irregulären Verben zwischen 80% und 90% bewegte (vgl. ebd., S.243, Graphik 5). In der Testphase, in der dem Modell 86 völlig neue Verbstämme präsentiert wurden, wurden die Verben insgesamt zu 91% korrekt flektiert, wobei die regulären Verben mit 92% besser beherrscht wurden als die irregulären Verben, die zu 84% korrekt gebildet wurden. Zusammenfassend läßt sich über die Arbeit von Rumelhart und McClelland sagen, daß die Autoren weite Teile des Spracherwerbs bezüglich der englischen past tense Morphologie simulieren konnten, sowie ein Computersimulationsnetzwerk zur Produktion der Vergangenheitsformen neuer Verben veranlassen konnten. Das Simulationsmodell beruht auf einem einzigen Mechanismus, nämlich dem des frequenzbasierten Netzwerkes, das ähnlich den neuronalen Netzwerken (menschlicher) Gehirnstrukturen veränderbare Verbindungen zwischen einzelnen Speichereinheiten aufbauen kann. Auf diese Weise hatten die beiden Autoren ein Modell zur mentalen Repräsentation morphologischen Wissens, insbesondere dem der (Verb-)Flexion, entwickelt, das auf die Verwendung symbolischer Regeln verzichtete. Damit wurde eine intensive Diskussion über die Annahme von symbolischen Regeln ausgelöst. Auch wenn das Simulationsmodell von Rumelhart und McClelland dem Anschein nach beschreibungs- und erklärungsadäquat in bezug auf den natürlichen Spracherwerb ist, ist es einer scharfen Kritik unterzogen worden (Pinker & Prince 1988, 1991; Plunkett & Marchman 1991, 1993; MacWhinney & Leinbach 1991; Marcus, Pinker, Ullman, Hollander, Rosen & Xu 1992; Prasada & Pinker 1993; Marcus 1995). Im allgemeinen bezieht sich die Kritik sowohl auf architektonische Mängel als auch auf die Strukturierung der Trainingsphasen und die erwerbstheoretischen Vorannahmen seitens Rumelharts und McClellands. So zum Beispiel gelangte das Computermodell niemals in ein Erwerbsstadium, das dem eines erwachsenen Sprechers entsprechen würde. Hinzu kommt, daß neben Übergeneralisierungen, wie sie auch bei Kindern zu beobachten sind (z.B. goed für went 'ging'), in der Computersimulation Formen auftraten, die niemals von englisch-lemenden Kindern generiert werden (z.B. membled für mailed; dieses und weitere Beispiele vgl. Rumelhart & McClelland 1986:264). Zudem war die Lernsituation des Modells im Vergleich zur natürlichen sehr unrealistisch, da der Input der Kinder nie aus Verbpaaren der Art 'Präsensform — Vergangenheitsform' besteht. Ein weiterer, schwerwiegender Einwand von Pinker und Prince (1988), Marcus et al. (1992) und Marcus (1995) läßt ernsthafte Zweifel am psychologischen Anspruch eines unitären, frequenzbasierten assoziativen Netzwerkes aufkommen. Pinker und Prince (1988), Marcus et al. (1992) und Marcus (1995) konnten anhand einer breiten Datenbasis zum Erwerb der englischen Vergangenheits- und Pluralmorphologie zeigen, daß der ukurvenförmige Spracherwerbsverlauf nicht mit einem explosionsartigen Anstieg des Vokabulars zusammenhängt. Ferner gaben Pinker und Prince (1988) zu bedenken, daß das Netzwerk bestimmte Regularitäten des Englischen in der Lautassimilation und Vokalepenthese nicht als solche zu erkennen vermag (z.B. die Schwa-Epenthese im past tense Affix /od/ und im Pluralaffix /az/).

22 Die Konsequenzen, die die einzelnen Forschungsgruppen aus ihren Kritikpunkten am Modell von Rumelhart und McClelland (1986) gezogen haben, sind sehr vielfaltig. Plunkett und Marchman (1991, 1993) und MacWhinney und Leinbach (1991) entwickelten Computersimulationen, die ebenfalls auf einem einzigen Netzwerk beruhen. Das Computersimulationsmodell nach MacWhinney und Leinbach (1991) unterscheidet sich von dem PDPorientierten Ansatz Rumelhart und McClellands (1986) in architektonischer Hinsicht dadurch, daß MacWhinney und Leinbach ein sogenanntes back-propagation Netz zugrunde gelegt haben. Die Speichereinheiten basieren nicht auf einem System von Wickelphonen oder Wickelfeatures, sondern die 14 Vokale des englischen Phonemsystems sind durch 8 distinktive Merkmale (vorne, mitte, hinten, rund, hoch, mittel, unten und diphthong) repräsentiert, die 22 Konsonanten durch 10 Merkmalseinheiten (betont, labial, dental, palatal, velar, nasal, liquid, trill, frikativ und interdental). Zwischen einer einzigen Inputebene und einer einzigen Outputebene befinden sich zwei innere Ebenen (layers of hidden units), die die Inputeinheiten mit den Outputeinheiten verbinden. Die grundlegende Idee ist die, daß das Kind —hier vom Computermodell simuliert- davon ausgeht, daß die Vergangenheitsform auf irgendeine Weise eine modifizierte Variante der Stammform ist. Im Gegensatz dazu wurde in dem PDPModell (Rumelhart & McClelland 1986) implizit angenommen, Stamm und flektierte Form seien zwei separate Einträge, die durch Netzwerkstrukturen miteinander verbunden sind. Der back-propagation Mechanismus beruht darauf, daß man auftretende Fehler ermittelt, die das Netz produziert, und diese dann rückwärts durch das Netz schickt, um die Gewichte in den einzelnen Einheiten entsprechend abzuändern. Dadurch wird ein anderer Lernmechanismus ermöglicht. Aus (psycho-) linguistischer Sicht ist als wichtigster Unterschied zum zuvor beschriebenen PDP-Modell der eingegebene Datenkorpus zu nennen. Es wurden die 6949 hoch-frequentesten Verbformen als Input verwendet, worunter sich sowohl Präsensformen, Präteritum, Partizipien und auch für die 3.Pers.sg. flektierte Formen befanden. Sowohl Homophone als auch Verben mit mehr als 3 Silben wurden ausgeschlossen. 5481 Formen bildeten das Trainingsset, das u.a. 118 irreguläre Vergangenheitsformen beinhaltete. Die Ergebnisse, die MacWhinney und Leinbach (1991) erzielten, zeigten, daß auch ein Simulationsnetzwerk nach anfänglichen Fehlern in der Lage war, einen Korrektheitswert, d.h. korrekt gebildete Vergangenheitsformen, von nahezu 100% zu erlangen (vgl. ebd., S.146). Die Fehler bestanden vor allem in der Übergeneralisierung der regulären Endung -ed auf Formen (hit, cut), die zielsprachlich nicht overt für die Vergangenheit markiert werden (sog. Nullformen). Den Autoren gelang es damit, Schwachpunkte zu beseitigen, die bei dem Modell von Rumelhart und McClelland (1986) nachteilig ins Gewicht fielen. So z.B. war ihr Netzwerkmodell in der Lage, regelorientiertes Verhalten bei der past tense Bildung nachzuahmen. Dafür aber konnten MacWhinney und Leinbach in ihrer Computersimulation den u-kurvenförmigen Spracherwerbsverlauf nicht nachvollziehen. Zudem war ihr Modell im Gegensatz zu dem vom Rumelhart und McClelland nicht in der Lage, die Vergangenheitsform von völlig unbekannten Stämmen zu erzeugen: Bei 9 von 13 unbekannten, irregulär zu flektierenden Stammformen hatte das Netzwerk entweder die Vergangenheitsform eines ganz anderen

23 Stammes gebildet (n = 6) oder überhaupt keine Vergangenheitsform generiert (vgl. MacWhinney & Leinbach 1991:146). Das Simulationsmodell von Plunkett und Marchman (1991) basierte ebenfalls auf einem back-propagation Mechanismus, wurde aber von drei Verarbeitungsebenen getragen. Bei der Auswahl des Sprachmaterials haben die Autoren der Differenz Rechnung getragen, die zwischen der Type- und der Tokenfrequenz bestehen kann. Unter Typefrequenz versteht man die Zahl der verschiedenen Grundverben (z.B. gehen, essen, schlafen = 3 Types). Die Tokenfrequenz hingegen gibt an, wie viele Vorkommen eines spezifischen Grundverbs, also eines Types, zu beobachten sind (geht, gehe, gehen = 3 Tokens, 1 Type). Für irreguläre Verben ist beispielsweise eine sehr hohe Tokenfrequenz anzunehmen, wohingegen die Typefrequenz recht gering ist. Reguläre Verben sind sowohl in bezug auf die Type- als auch auf die Tokenfrequenz auf dem gesamten Kontinuum zu finden. Plunkett und Marchman nahmen an, daß ein Verb mit hoher Tokenfrequenz schneller gelernt wird als ein Verb mit niederer Tokenfrequenz (WiederholungsefFekt). Durch die Verwendung einer Kunstsprache waren die beiden Autoren in der Lage, neben der Frequenz auch die Wortlänge zu kontrollieren: Jedes Verb bestand aus im Englischen möglichen CVC, VCC und CCV Einheiten, wodurch die theoretischen und technischen Schwierigkeiten der Wickelfeatures vermieden wurden. Die Aufgabe des Netzwerkes in der Trainingsphase bestand darin, die Verbindung einer Stammform zu ihrer Vergangenheitsform zu erlernen. Zusammenfassend läßt sich das Ergebnis dieser Studie dahingehend interpretieren, daß das Simulationssystem unterschiedliche Vergangenheitsformen unterschiedlich schnell lernte. Am einfachsten erlernte das System Verben, deren Form sich nicht veränderte (z.B. hit - hit), weil die Ausgabe der Vergangenheitsform nach dem Vergleichsprozeß keine weiteren Erzeugungsschritte (z.B. Affigierung) verlangte. Doch auch reguläre Formen wurden sehr schnell beherrscht, wohingegen Vergangenheitsformen, die bei der Erzeugung eine Stammvokalveränderung erforderten (z.B. sing - sang), die größten Schwierigkeiten im Erwerbsprozeß darstellten. Die Beherrschung der irregulären Flexion erreichte zudem auch in diesem Simulationsmodell für bestimmte Verbcluster lediglich die 80%-Marke korrekter Bildungen. Nachteilig an diesem Simulationsmodell ist auch hier wieder, daß die Lernsituation des Netzwerkes in keinster Weise der des natürlichen Spracherwerbs ähnelt, da ein Kind einer anderen Inputsituation ausgesetzt ist als es das Simulationsmodell war. Die Übertragung der Interaktion zwischen Frequenzen und Flexionstyp auf den natürlichen Spracherwerb sollte nur unter Vorbehalt erfolgen. Problematisch ist zudem die zugrundeliegende Lernstrategie. Plunkett und Marchman gingen davon aus, daß durch Vergleichsprozesse (mapping) zwischen der Stammform (Input) und der Frequenz der entsprechenden Vergangenheitsformen (Output) die korrekte Vergangenheitsform als Output realisiert wurde. Allein die phonologische Form in Verbindung mit der Frequenz bildeten die Kriterien für die Auswahl der Vergangenheitsform. Generierungsprozesse in Form von symbolischen Regeln, wie sie z.B. in der Lexikalischen Phonologie angenommen werden oder in dem Dual Mechanism Model (Pinker & Prince 1988, 1991) für die regulären Flexionsprozesse formuliert werden, sind demnach auch in diesem Computersimulationsmodell nicht von Bedeutung. Die Integration einer symbolischen Regel hätte aber

24 den Generierungsprozeß womöglich so beeinflussen können, daß das Simulationsmodell sehr viele Kunststämme und reguläre Stämme statt zu irregularisieren oder unmarkiert zu belassen (vgl. Plunkett & Marchman 1991:91ff) mit der regulären Vergangenheitsform des Englischen markiert hätte. Dies wäre eine Beobachtung, die dem natürlichen Spracherwerb sehr nahe käme. Pinker und Prince (1988, 1991), Marcus et al. (1992) und Marcus (1995) hingegen schlugen ein Konzept vor, daß weder einseitig mit einem Regelapparat arbeitete, noch einseitig auf einem Netzwerk aufbaute. Sie griffen statt dessen das von Pinker (1984) vorgeschlagene Konzept des sogenannten Dual Mechanism Modells auf. In diesem Ansatz werden reguläre Flexionsprozesse, die zudem zu vorhersagbaren Flexionsformen fuhren, in Form von symbolischen Regeln repräsentiert. Extrem unvorhersagbare Formen werden durch ein assoziativ strukturiertes Netzwerk dargestellt, das allerdings nicht auf Inputfrequenzen basiert. Daß ein solches, modular strukturiertes Modell in einer Computersimulation durchfuhrbar ist, konnten Westermann & Goebel (1995) zeigen. Sie entwickelten ein Netzwerk, das nach dem Vorbild des Dual Mechanism Models (Pinker 1984, Pinker & Prince 1988, 1991) irreguläre Partizipien des Deutschen in einem assoziativen Netzwerk repräsentierte, wohingegen die regulären Partizipformen des Deutschen mittels einer Regel generiert wurden. Auch das Simulationsmodell von Ling und Marinov (1993) basiert auf einer Distinktion von zwei qualitativ unterschiedlichen Flexionsmechanismen. Anhand der englischen past tense Bildung wurde hier zusätzlich noch untersucht, inwieweit die Komponente der irregulären Flexionsmorphologie mittels Clusterbildung eine gewisse Strukturierung aufweist. Zwar konnten Ling und Marinov (1993) hiermit keine eindeutigen Analysen zur Strukturierung der Netzwerkkomponente erzielen. Doch die Ergebnisse der Simulation spiegelten deutlich die von Pinker und Prince (1992) vorgeschlagene Distinktion zwischen einer regulären und irregulären Komponente wider. Ohne im weiteren auf die Computersimulation einzugehen, soll die von Pinker (1984) und Pinker und Prince (1988, 1991) vorgeschlagene Alternative zu den hier besprochenen unteren Ansätzen genauer dargestellt werden.

2.3 Das dualistische Modell Eine Alternative zu den unitären Modellen stellt das dual mechanism Modell nach Pinker und Prince (1988, 1991) dar. Innerhalb dieses Modells wird das Lexikon als ein nach zwei qualitativ unterschiedlichen Prinzipien arbeitendes Modul charakterisiert. In dem einen Bereich befinden sich die Lexikoneinträge. Sie enthalten für jeden Eintrag die relevanten Informationen bezüglich grammatischer Anforderungen (d.h. in Bezug auf Phonologie, Morphologie und Syntax). Hierdurch entsteht ein lexem-spezifisches Paradigma (construction, vgl. Pinker 1984: 337ff). Das sogenannte Unique Entry Principle sorgt dafür, daß 'no construction can be realized by more than one lexicalform' (vgl. ebd. S.337).

25 Lexem-spezifische Paradigmen (word-specific paradigms) dienen als Basis zum Aufbau genereller Paradigmen (general paradigms), die wiederum die erfolgreiche Kategorisierung und Flexion neuer Lexeme erlaubt. Der Bereich der Lexikoneinträge wird durch den Bereich mit dem Regelinventar ergänzt. Die Regeln versetzen den Sprecher in die Lage, die Informationen eines jeden (unflektierten) Lexikoneintrages auf ein Höchstmaß an Effizienz und Ökonomie zu bringen. Solche Regeln —oder auch in der Terminologie Pinkers (1984): generelle Paradigmen— entstehen, indem diejenigen Informationen aus den lexem-spezifischen Paradigmen herausgenommen werden, die in allen Paradigmen auftreten. Mit Hilfe eines solchen Strukturierungsmechanismus ist das Kind in der Lage, Stämme von Affixen zu unterscheiden und allgemeine Prinzipien bezüglich der Morphologie, Phonologie und Syntax seiner Sprache zu erstellen. Ein generelles Paradigma (z.B. die Applikation des englischen past tense Affixes -ed oder des englischen Pluralmarkers -s) kommt immer dann zur Anwendung, wenn die betreffende Zelle des wort-spezifischen Paradigmas keinen Eintrag hat. Das Affix des jeweiligen generellen Paradigmas wird also nach dem schon bekannten Prinzip der Elsewhere Condition mit dem betreffenden Lexem verknüpft. An dieser Stelle trägt der Dual Mechanism Ansatz wie schon zuvor das Ebenenmodell den beiden unterschiedlichen Flexionsprozessen (regulär versus irregulär) Rechnung: Sie werden auf unterschiedliche Weise im mentalen Lexikon repräsentiert. In dem weiterentwickelten Ansatz (Pinker & Prince 1988, 1991) erfolgt eine detaillierte Analyse der mentalen Repräsentation regulärer und irregulärer Flexionsformen. Dabei nehmen Pinker und Prince (1991) eine Differenzierung in reguläre versus irreguläre Flexion vor. Die reguläre Flexion wird mit dem Defaultstatus belegt, auf den ich in den Kapitel 2 und 3 verstärkt eingehen werde. Für den Moment ist es ausreichend zu wissen, daß dasjenige Flexionsaffix, das in den Übergeneralisierungen auftritt, mit Hilfe einer produktiven, symbolischen Regel beschrieben werden kann. Sie kommt immer dann zur Anwendung, wenn kein anderweitiger, spezifischer Eintrag vorliegt. Dieser würde die Aktivierung der Regel verhindern, die also immer in der £/iew/?ere-Bedingung verwendet wird (vgl. Pinker & Prince 1988, 1991; Marcus et al. 1992; Marcus et al. 1995; Clahsen 1996). Für die wort-spezifischen Einträge, die irregulären Formen also, nehmen die oben genannten Autoren nach neueren Analysen eine qualitativ völlig andere Organisationsstruktur an. Das Lexikon enthält nicht einfach eine zusammenhanglose Liste wort-spezifischer Paradigmen, sondern statt dessen sind die Lexikoneinträge in einem wohlstrukturierten Netzwerk, das auf phonologischen Ähnlichkeiten beruht, miteinander verknüpft. Die Strukturierung nach phonologischen Ähnlichkeiten läßt sich besonders gut am Beispiel des englischen Verbsystems erläutern. So bilden beispielsweise die Verben drink 'trinken', shrink 'schrumpfen', sink 'sinken', stink 'stinken' aufgrund ihrer phonologischen Ähnlichkeit eine Gruppe. Aber auch in morphologisch-phonologischer Hinsicht gehören sie einer Klasse an, da die Vergangenheitsformen einander phonologisch ähnlich sind: drank, shrank, sank, stank. Aufgrund der phonologischen Ähnlichkeiten in den Präsensformen erlauben derartige Cluster in unterschiedlichen Graden Vorhersagen in bezug auf die Präteritumformen. Daß phonologisch basierende assoziative Strategien eine bedeutende Rolle sowohl bei der Wortfindung als auch bei der Steuerung von Flexionsprozessen spielen, konnte in unter-

26 schiedlichen Untersuchungen zur past tense und Numerusflexion gezeigt werden (vgl. Bybee & Moder 1983; Pinker & Prince 1991; Marcus et al. 1992; Marcus 1995). So konnten Bybee und Moder (1983) demonstrieren, daß die Wahrscheinlichkeit, ein Kunstverb in phonologischer Analogie zu einem existierenden englischen, irregulären Verb zu flektieren, in dem Maße stieg, in dem der Kunstverbstamm einem existierenden Verbstamm ähnelte: Das Partizip des Kunstverbes spling wurde mit splung angegeben —in Analogie zu den existierenden Verben wie string, cling oder sing. Weitere Reaktionszeitexperimente konnten belegen, daß die Frequenz, also die Auftretenshäufigkeit der betreffenden Form in der gesprochenen bzw. geschriebenen Sprache, eine wichtige Leitstrategie ist. Längere Reaktionszeiten bei der Präsentation niedrig-frequenter irregulärer Verben im Vergleich zu hoch-frequenten Verben lassen darauf schließen, daß hoch-frequente Lexeme schneller zur Verfügung stehen. Weitere empirische Evidenz erhielt das Dual Mechanism Modell durch eine Untersuchung zum deutschen Pluralsystem. Marcus, Brinkmann, Clahsen, Wiese und Pinker (1995) haben im Rahmen eines Fragebogenexperimentes erwachsenen Sprechern des Deutschen 24 Kunstwörter und deren Pluralformen zur Beurteilung vorgelegt. Die Kunstwörter wurden in unterschiedlichen Bedingungen (als Name, als normaler Begriff, als Entlehnung) eingeführt. Die eine Hälfte der erfundenen Items hatte phonologische Ähnlichkeit mit existierenden Wörtern, die andere Hälfte nicht. Resümierend läßt sich das Ergebnis so darstellen, daß die Erwachsenen die reguläre Pluralform (d.h. den -s Plural) im Vergleich zu den irregulären Formen immer dann als die beste Form beurteilten, wenn i) keine phonologische Analogie zu existierenden Wörtern bestand, ii) das Kunstwort als Entlehnung eingeführt wurde, iii) das Kunstwort als Name eingeführt wurde, iv) die drei zuvor genannten Bedingungen zusammen auftraten. Bestand hingegen aufgrund von Analogien zu existierenden irregulären Pluralformen die Möglichkeit, eine irregulär flektierte Form zu bilden, wurde diese als die bessere beurteilt, was die Autoren auf assoziationsgeleitete Suchstrategien seitens der Versuchspersonen zurückführen. Damit sehen die Autoren ihre Hypothese bestätigt, nach der ein Lexem irregulär flektiert wird, wenn dies durch phonologische Analogien ermöglicht wird. Die Form eines assoziativen Netzwerkes erleichtert die Suche nach der gespeicherten, irregulären Form. Bleibt die Suche erfolglos, wird ein reguläres Flexiv mittels einer Defaultregel appliziert. Das Dual Mechanism Modell nach Pinker und Prince (1988, 1991), das zunächst anhand des Englischen entwickelt wurde, trägt also auch dem flexionsreichen Pluralsystem des Deutschen Rechnung. Eine spezifische Pluralendung konnte als der reguläre Plural identifiziert werden (das -s Affix), wohingegen die verbleibenden Pluralendungen -e, -er und -(e)n als die irregulären Pluralaffixe bezeichnet werden konnten. Kunstwörter können aufgrund ihrer phonologischen Ähnlichkeit zu existierenden Wörtern mit Hilfe eines assoziativen Netzwerkes eine irreguläre Pluralendung erhalten. In der Theorie der Minimalist Morphology nehmen Wunderlich und Fabri (1994) ebenfalls eine Analyse im Rahmen des Dual Mechanism Modells vor. Sie jedoch haben eine leicht abweichende Form der Repräsentation der irregulären Formen vorgeschlagen, indem sie nichtmonotone Vererbungsbäume sowie Paradigmen annehmen.

27 Mit Hilfe der nicht-monotonen Vererbungsbäume können Wunderlich und Fabri (1994) ein System bereitstellen, das geordnete lexikalische Einträge beschreibt. In den lexikalischen Einträgen sind all diejenigen Informationen enthalten, die nicht vorhersagbar sind, insbesondere Informationen über die lexikalische Kategorie, die phonologische Form und die Semantik des betreffenden Stamms. Am Beispiel der Stämme Tag/Tage, Mutter/Mütter und Oma sind die folgenden lexikalischen Einträge anzunehmen (vgl. Beispiel unter (3)). (3)

Beispiele für lexikalische Einträge (Wunderlich & Fabri 1994:36) Tag/Tage [ta:g]+N,+masc 1I [,...X]+pl

Mutter/Mütter [m[+h,+r]tr] +N)+fem 1 1 [....[+f]....]+pl

Oma [o:ma] +Nj+fem

Im Gegensatz zu den lexikalischen Einträgen der Stämme zeichnet sich Flexion durch drei Prinzipien aus: i) Strikte Monotonizität, d.h. der Output muß mehr Information enthalten als der Input; ii) Unterspezifikation, d.h. der Output enthält nur'+' Werte; jede nicht-spezifizierte Information ist mit einem '-' Wert versehen; iii) Input-Spezifität, d.h. ein Affix wird an die meist-spezifische Form angefugt. Für das letztgenannte Prinzip formulieren Wunderlich und Fabri eine weniger strikte Alternative, die sie als Nicht-Redundanz bezeichnen, womit ausgedrückt wird, daß eine bestimmte Information nur einmal eingefugt werden kann (vgl. Wunderlich & Fabri 1994:28f). Auf diese Weise werden Doppelmarkierungen für z.B. den Plural am Substantiv verhindert. Die Informationen der Affixe können in Paradigmen dargestellt werden, die unter Umständen Subparadigmen enthalten. Paradigmen müssen dem Prinzip der Vollständigkeit (completeness, vgl. Wunderlich & Fabri 1994:33) sowie dem Prinzip der Uniqueness (vgl. ebd.) Folge leisten. Das Prinzip der Vollständigkeit verlangt im Gegensatz zu den Paradigmen Pinkers, daß jede Zelle des Paradigmas mit phonologischem Material gefüllt sein muß. Dies hat weitreichende Konsequenzen, wie z.B. die Ablehnung von Nullmorphemen. Durch das Prinzip der Uniqueness wird sichergestellt, daß nur eine einzige Wortform in die Syntax weitergegeben wird, wobei a) die spezifischere Form einer weniger spezifischen vorgezogen wird (Kriterium der Spezifität, vgl. ebd. S.34), und b) die einfachere Form gegenüber einer komplexeren Form bevorzugt wird (Kriterium der Einfachheit, vgl. ebd., S. 34).

28 Für die Beschreibung der Deklination der Substantive werden die folgenden Affixe benötigt (vgl. (4)): (4) /n/; [+min] 4 ; +dat/+pl /s/; [+min];

+gen/-fem

/s/; [+min];

+pl/+N

Daraus lassen sich die nachstehenden Paradigmen ableiten (vgl. Tabelle l.a - l.c, nach Wunderlich & Fabri 1994:36). l.a -Pl +gen

Tags

-gen

Tag

l.b +Pl +dat

Tagen; Müttern

-dat

Tage; Mütter

l.c +N +pl

Omas

-pl

Oma; Mutter

Tab.l

Paradigmen deutscher Substantive

Wichtig hervorzuheben ist, daß in der jeweils zweiten Zeile der Tabellen 1 .a -c die Zellen durch den Stamm belegt sind, der im lexikalischen Eintrag gegeben ist. 4 Affixe haben ihren eigenen lexikalischen Eintrag und sind als gebundene Elemente fllr das Merkmal [+min] spezifiziert. Erst in Verbindung mit einem Stamm können sie ihre Information syntaktischen Vorgängen zur Verfügung stellen (vgl. Wunderlich & Fabri 1994:26).

29 Paradigmen bestehen also nicht aus einzelnen Wortformen, sondern aus dem Affix, welches die Wortformen (hier die Pluralformen) bildet. Auf diese Weise haben Wunderlich und Fabri (1994) ein paradigmenorientiertes Modell für die Verbmorphologie und das Pluralsystem (am Beispiel des Deutschen und Klassisch-Arabischen) erstellt, in dem die irregulären Formen in itemspezifischen lexikalischen Einträgen notiert sind, wohingegen das produktive, reguläre Affix (das -s Allomorph im Bereich der Pluralmorphologie) in Form eines generellen Paradigmas repräsentiert ist. Der Unterschied zum Modell nach Pinker besteht darin, daß dieser in den spezifischen Paradigmen Lexem und Affix getrennt voneinander analysiert, wohingegen Wunderlich und Fabri (1994) Vollformen annehmen, was sich in den nichtmonotonen Vererbungsbäumen der irregulären Formen widerspiegelt. Zugleich können Wunderlich und Fabri (1994) in den nicht-monotonen Vererbungsbäumen und den Subparadigmen bestimmten Subregularitäten einzelner Flexionsklassen Rechnung tragen. Damit widersprechen sie deutlich der Annahme von Pinker und Prince (1991) von nur einem einzigen Defaultflexiv. Statt dessen wird im Rahmen der Minimalist Morphology vorgeschlagen, daß für jede einzelne Klasse ein Defaultaffix existieren kann. Wunderlich und Fabri fugen aber einschränkend hinzu, daß sich derartige Subregularitäten deutlich vom vollständig regulären und damit produktiven Flexiv unterscheiden (vgl. ebd., S.25). Die beobachteten Regularitäten in der Flexion werden allein von den Affixen selbst getragen. Die Leistung der Paradigmen im Ansatz von Wunderlich und Fabri besteht letztendlich in einer Kontrollfimktion, die im Interface zwischen Syntax und Morphologie aktiviert wird.

2.4 Zusammenfassung Unitäre Sprachrepräsentationssysteme, seien sie auf Regelsystemen oder auf konnektionistischen Strukturen aufgebaut, haben Schwierigkeiten damit, qualitativ unterschiedliche (Flexions-)Prinzipien adäquat darzustellen. Ansätze, die sich allein auf symbolische Regeln stützen, müssen Subregeln und Ausnahmefälle formulieren. Konnektionistische Simulationsmodelle haben unterschiedliche Nachteile. Entweder wurden Fehlbildungen beobachtet, die niemals in der Kindersprache auftreten (Rumelhart & McClelland 1986), oder das Modell hatte große Schwierigkeiten bei der Erzeugung irregulärer Formen (MacWhinney & Leinbach 1991; Plunkett & Marchman 1991). Vielversprechender erscheint ein Simulationsmodell, daß dem Dual Mechanism Ansatz (Pinker & Prince 1988,1991) folgt (Ling & Marinov 1993; Westermann & Goebel 1995). Der Dual Mechanism Ansatz versucht, aus den beiden unitären Theorierichtungen ein verbindendes Modell zu erstellen. Es werden für die Beschreibung von zwei qualitativ distinkten Flexionstypen (regulär versus irregulär) zwei qualitativ unterschiedliche Flexionssysteme (Regel für Defaultprozesse versus assoziative Netzwerkstrukturen für irreguläre Flexion) entwickelt. Das Modell der Minimalist Morphology (Wunderlich & Fabri 1994) berücksichtigt ebenfalls die Distinktion zwischen regulärer und irregulärer Flexion, wobei die struktu-

30 rierten, lexikalischen Einträge alle nicht vorhersagbaren Informationen enthalten und gleichzeitig bestimmten Subregularitäten Rechnung tragen können. Inwieweit die einzelnen Theorieansätze psychische Relevanz besitzen, soll in dieser Arbeit anhand empirischer Daten zum Erwerb der Pluralmorphologie und der lexikalischen Komposition im Deutschen diskutiert werden. Bevor die empirischen Ergebnisse vorgestellt und analysiert werden, wird die deutsche Pluralmorphologie in Verbindung mit der lexikalischen Komposition dargestellt.

Kapitel 3 Plural und Komposition in der deutschen Nominalflexion

In diesem Kapitel sollen zunächst die Phänomene aus dem Bereich der Substantivflexion beschrieben werden, die der zentrale Gegenstand der nachfolgenden empirischen Untersuchungen sind: i) Plural am Substantiv und ii) die Nominalkomposition. In einem anschließenden Kapitel werde ich von bereits vorliegenden Ergebnissen aus der Forschung zum ungestörten Spracherwerb berichten. Plural wird innerhalb der Nominalphrase (NP) bzw. der Determiniererphrase (DP) im Deutschen sowohl am Artikel, als auch am Adjektiv und Substantiv markiert (vgl. a) das große grüne Auto -* die großen grünen Autos; b) ein großes grünes Auto -* große grüne Autos). NP-interne Kongruenzmarkierungen werden in der vorliegenden Studie jedoch nicht untersucht, so daß ich mich an dieser Stelle auf die Phänomene der Pluralmarkierung am Substantiv konzentrieren werde. Anschließend werde ich eine Verknüpfung mit den Prozessen der Nominalkomposition herstellen. Die Pluralmorphologie wird unter dem Gesichtspunkt der regulären vs. irregulären Flexion betrachtet. Wie sich in Studien zum Englischen herausgestellt hat, kann das englische -s Pluralaffix als der reguläre Pluralwert bezeichnet werden (sg. car, pl. cars), wohingegen die verbleibenden Pluralformen (sg. mouse, pl. mice), die aus einer Stammumlautung bestehen, als irregulär betrachtet werden können. Es entsteht demnach eine Opposition zwischen dem Defaultaffix und den irregulären, stammumlautenden Pluralformen. Allerdings besteht das Affixsystem der englischen Pluralmorphologie aus allein diesem Morphem, dem -s Affix, das zudem die häufigste Möglichkeit der Pluralbildung darstellt. Aus diesen Beobachtungen ergeben sich mehrere, konkurrierende Annahmen über die zugrundeliegende mentale Repräsentation morphologischen Wissens. Zum einen könnten frequenzorientierte Netzwerke sowohl korrekte als auch inkorrekte Pluralformen mit dem -s Flexiv simulieren. Dies entspricht den Beobachtungen zum Erwerb der englischen Pluralmorphologie (vgl. Kap.5). Zum anderen können rein regelbasierte Ansätze den Default und die Subregularitäten der irregulären Pluralformen in morphologischen Regeln repräsentieren und in Verbindung mit anderen Wortbildungsprozessen sowie phonologischen Vorgängen in einem Ebenenmodell veranschaulichen (Kiparsky 1982; empirische Evidenz durch Gordon 1985). In Verbindung mit der Nominalkomposition des Englischen konnte zudem die Beobachtung gemacht werden, daß das -5 Flexiv in der Erstkonstituente eines Kompositums niemals in der Funktion eines Pluralmarkers auftritt. Dies wurde als Argument im Rahmen des Ebenenmodells für die Nachordnung des Defaultplurals nach allen anderen Flexions- und Wortbildungsprozessen gewertet. Statt eine Ebenenstruktur anzunehmen, geht Clark (1993) ~ für die kindliche Grammatik— davon aus, daß Affixe prinzipiell von einer komposituminternen Position ausgeschlossen sind (vgl. Kap.5). Als eine weitere Möglichkeit besteht die Argumentation im Sinne des Dual Mechanism Modells (Pinker 1984; Pinker & Prince 1988,

32 1991), in dem der regelgeleitete Prozeß allein dem Defaultflexiv, d.h. dem -s Flexiv, vorbehalten wird, und in dem alle anderen Pluralformen aber über ein assoziatives Netzwerk, das sich an phonologischen Ähnlichkeiten orientiert, gebildet werden. Auch in der Minimalist Morphology (Wunderlich & Fabri 1994), die sich an die Theorie von Pinker anlehnt, wird die Distinktion zwischen regulärer und irregulärer Pluralflexion durch unterschiedliche Flexionsprozesse repräsentiert (vgl. Kapitel 2). Im Gegensatz zum Englischen besteht das Deutsche aus vier overten und einem nichtoverten Pluralflexiv, die jeweils mit unterschiedlicher Häufigkeit verwendet werden. Durch die Analyse der Interaktion mit der Nominalkomposition kann gezeigt werden, welcher Art die Reihenfolgebeschränkungen zwischen Pluralflexion und Komposition sind. Daß eine spezifische Reihenfolgebeziehung zwischen der Pluralmorphologie und der lexikalischen Nominalkomposition besteht, konnte durch Studien zum Englischen gezeigt werden (vgl. Gordon 1985; Alegre & Gordon 1996). Im Gegensatz zu irregulären Pluralformen ließen Kinder Pluralformen, die sie mit dem Defaultwert markiert hatten, in der Erstkonstituente eines Kompositums aus (vgl. Gordon 1985). In diesen Fällen verwendeten sie dann die Singularform. Diese Ergebnisse lassen sich allerdings sowohl als Evidenz für ein regelbasiertes Modell als auch für ein konnektionistisches, frequenzorientiertes Netzwerk interpretieren. Der Grund ist, wie bereits gesagt, daß der Defaultwert des englischen Pluralsystems zugleich auch die frequenteste Pluralmarkierung darstellt: das -s Flexiv. Eine Untersuchung des Deutschen kann einen wertvollen Beitrag zu dieser Diskussion leisten, da hier mehrere unterschiedliche Pluralflexive zur Verfügung stehen, wobei sich außerdem dasjenige Flexiv als Defaultwert des deutschen Pluralsystems erweist, das die geringste Frequenz besitzt. Demgegenüber können die verbleibenden Pluralformen als irreguläre Pluralbildungen bezeichnet werden. Auffällig ist zudem die Beobachtung, daß zwar irreguläre Pluralformen in der Erstkonstituente eines Kompositums beibehalten werden können, daß aber Pluralformen, die mit dem Defaultwert markiert werden, nicht in dieser Position stehen können. Aufgrund dieser Gegebenheiten im Deutschen kann eine Analyse erstellt werden, die einen konstruktiven Beitrag zur oben angeführten Theoriendiskussion leisten kann. Bevor der Erwerb des deutschen Pluralsystems und der Nominalkomposition untersucht wird (Kap. 5 und 6), soll eine Darstellung dessen folgen.

3.1 Pluralmarkierung am Substantiv Je nachdem, welche Beschreibung des deutschen Pluralsystems herangezogen wird, variiert die Zahl der deutschen Pluralallomorphe. Abhängig davon, wieviele Allomorphe (bis zu acht) und zusätzliche Umlaut- und/oder Schwa-Epenthese Prozesse einer Analyse zugrunde gelegt werden, muß auf eine unterschiedlich hohe Zahl an Flexionsprozessen zurückgegriffen werden (vgl. Tabellen 1 .a bis 1 .d). Die hier exemplarisch dargestellten Studien zeigen nicht nur, daß Uneinigkeit über die Zahl und Art der Pluralallomorphe besteht, sondern auch über die Art und Weise, nach der sie einem Lexem zugewiesen werden.

33 Kopeke (1987, 1988; vgl. Tabelle l.a) erstellt ein System mit acht Pluralallomorphen, wobei er das jeweilige Genus eines Lexems als Indikator für eine spezifische Pluralform verwendet. Für die Pluralformen mit Umlaut nimmt er eine gesonderte Realisierung an, womit er Wurzel (1970) folgt. Wurzel (1970) sieht den Umlaut als einen von der Phonologie völlig unabhängigen Prozeß, und verlegt ihn vollständig in die Morphologie, was ihn dazu zwingt, für jedes Lexem a) einen entsprechenden Vermerk im lexikalischen Eintrag anzunehmen, falls überhaupt Umlautung stattfinden soll, und b) für jede Form der Umlautung (von -a- zu -ä-, von u- zu-ü-, von -o- zu -ö-) eine Reihe von morphologisch orientierten Annahmen zu machen. Auf diese Weise entwickelt Wurzel ein System aus 13 morphologischen Redundanzbedingungen, die in eine redundanzfreie Matrix überführen, welche wiederum die Basis für die sieben morphologischen Interpretationsregeln sowie die drei Regelschemata zur Stammbildung und Flexion darstellen. Unter Zuhilfenahme weiterer Ausnahmeregeln ('minor rules', vgl. Wurzel 1970:51) entwirft Wurzel schließlich sein Konzept zur Beschreibung der deutschen Substantivflexion. Eine alternative Analyse, in der Umlaut als phonologischer Prozeß beschrieben wird (vgl. Wiese 1988, 1989, 1994, 1996), wird in einem späteren Abschnitt dieses Kapitels dargestellt.

34 Pluralallomorphe masc. -e Fische

Beispiele' neut. fem.

Generalisierungen

Jahre

iCenntnisse Einsilbige Maskulina und Neutra;

-(e)n Bauern

Augen

Türen

-er Geister

Kinder

-

-s Parks

Autos

- 0 Adler

Fenster

- 0 + Umlaut Brüder

-e+ Umlaut Söhne

~

Muttis

Konsonantisch oder auf Diphthong auslautende Feminina; ~

Stämme auf Voll vokal; Maskulina mit Pseudosuffix -el, -er oder -en im Stamm;

Mütter;Töchter Umlautfähiger Stammvokal muß umgelautet werden;

Flöße

-er + Umlaut Wälder

Völker

definiter Artikel der/die;

das/die;

Kühe

-

Umlautfahige Stämme müssen umgelautet werden; Umlautfahige Stämme müssen umgelautet werden;

die/die

Tab.l.a Die Beschreibung des dt. Pluralsystems nach Kopeke (1987, 1988)

Kopeke geht (1987) von assoziativen Schemata aus, die aufgrund der Generalisierungen entstehen. Sie erhalten besonders dann Relevanz, wenn z.B. von einem unbekannten Substantiv der Plural gebildet werden soll. Sie können aufgrund phonologischer Ähnlichkeiten, die das unbekannte Substantiv eventuell zu einem im Lexikon bereits vorhandenen Substantiv aufweist, die dort gespeicherte Pluralendung auf das unbekannte Nomen übertragen. Wie die Beispiele in der zweiten Spalte der Tabelle 1 .a allerdings zeigen, sind zu den Generalisierungen, die jeweils in der letzten Spalte aufgeführt sind, immer wieder Ausnahmen zu finden, so daß auch hier die von Kopeke angeführten Generalisierungen nur einen Ausschnitt des deutschen Pluralsystems beschreiben können. Interessant wird die Frage nach assoziativen Schemata, wenn der Plural zu einem Wort gebildet werden soll, zu dem ein Schema entweder nicht zugriffsbereit ist oder aber gar nicht existiert. Auf diesen Punkt werde ich später zurückkommen. Weiter anzumerken ist, daß bei Kopeke ebenso wie auch später bei

In den nachstehenden Tabellen und Beispiellisten ist das orthographische -e in unbetonten Silben als Schwa zu lesen.

35 Gawlitzek-Maiwald (1994) keine Distinktion zwischen den Prozessen vorgenommen wird, die zur Generierung regulärer bzw. irregulärer Pluralformen aktiviert werden. Unter den hier besprochenen Studien ist Köpckes Arbeit die einzige, die die Flexion des definiten Artikels explizit in die Beschreibung der Substantivflexion integriert. Diese Verknüpfung halte ich für verzichtbar, da die Pluralflexion am Determinierer die Wahl des overten Pluralallomorphs am Substantiv nicht beeinflußt. Statt dessen ist die Determiniererflexion eine Frage, die separat oder aber in Verbindung mit der DP-internen Kongruenzmarkierung diskutiert werden sollte. Für den Generierungsprozeß hat Kopeke (1987, 1988) jedoch ein anderes Modell entwickelt als z.B. Gawlitzek-Maiwald (1994), die sich in der Darstellung des Pluralsystems an das Modell von Kopeke anlehnt. Gawlitzek-Maiwald (1994) unternimmt sowohl z.T. auf der Basis des Genus des betreffenden Lexems als auch z.T. aufgrund der phonologischen Endung des Wortes den Versuch, das deutsche Nominalpluralsystem zu strukturieren und Pluralformen vorherzusagen. Für die verbleibenden Ausnahmen nimmt die Autorin an, daß diese Pluralformen als lexikalische Einträge im mentalen Lexikon aufgelistet sind (vgl. ebd. S.228). Gawlitzek-Maiwald verwendet zwei Kriterien zur Identifizierung von Regularitäten, wobei manchmal aber nur eines der beiden Kriterien relevant zu sein scheint (vgl. Spalte Generalisierungen in Tab. l.b). Die Ausnahmen, die aus dem Bereich der Regeln herausfallen, sind zahlreich (vgl. Spalte Beispiele in Tab. 1 .b), so daß die von der Autorin vorgeschlagenen Regeln nur einen Teil der Beschreibung ausmachen können. Auffällig am Deskriptionssystem von Gawlitzek-Maiwald ist, daß eine Distinktion zwischen regulärer und irregulärer Pluralmorphologie, wie sie sowohl im Ebenenmodell von Kiparsky (1982) als auch im Dual Mechanism Modell (Pinker & Prince 1988, 1991) vorgenommen wird, nicht berücksichtigt wird. Trotz empirischer Evidenz (Gordon 1985 für das Englische, Clahsen et al. 1992 u.w. für das Deutsche) für eine solche Differenzierung hat die Autorin keinem Pluralflexiv einen Status im Sinne eines Defaultflexives zugesprochen.

36 Pluralallomorphe masc.

Beispiele neut. fem.

-0

Tadel

Segel

- 0 + Umlaut

Väter

Klöster

Mütter

Fische

Rohr

Erlebnisse

Ärzte

Flöße

Kühe

Leiber

Kinder

Männer

Häuser

Staaten

Ohren

Blumen

I. d. R. bilden Feminina den Plural mit -en. Nicht-Feminina mit Schwa-Endung bilden den Plural mit -(e)n.

Tests

Autos

Loks

Endungen auf unbetontem Vokal erhalten den -s Plural.

-e -e + Umlaut -er -er + Umlaut -(e)n

-s

Generalisierungen

Nicht-Feminina mit Endung auf -el, er oder -en erhalten den -0Plural.

-

Umlautung erfolgt bei -er, -e & - 0 Plural, wenn ein [-vorn] Stammvokal vorhanden ist. Tab. 1 .b

Die Beschreibung des dt. Pluralsystems nach Gawlitzek-Maiwald (1994)

Im Vergleich zu Kopeke (1987, 1988; vgl. Tabelle l.a), Gawlitzek-Maiwald (1994; vgl. Tabelle l.b), und Wegener (1992; vgl. Tabelle l.d) erarbeitet MacWhinney (1978; vgl. Tabelle 1 .c) eine Analyse, die sich allein an der phonologischen Form des Substantivs orientiert.

37 Pluralallomorphe -e

Beispiele Teppiche

Generalisierungen Stammendung auf -ling, -nis, -oss, oder -ich erhält den -e Plural;

-n

Tanten

Stammendungen auf /e/ oder /ai/ bekommen den -n Plural;

Regierungen

Endungen auf -heit, -keit, -in, -Schaft, & -ung erhalten den -en Plural;

-en

-en mit -e Tilg.

-s

-0

Umlaut

Watt-e-en -» Watten Schwa-Tilgung nach Vokalen und Liquiden; Autos

Stämme, die auf Vokal (außer /e/ & /ai/) enden, bekommen den -s Plural;

Mädchen

Endungen mit -chen, -le, -lein, -sal und -erl erhalten das - 0 Affix;

Brüder

Neutra und viele Maskulina, die auf /el/, /en/ oder /er/ enden, werden umgelautet;

Tab.l.c Die Beschreibung des dt. Pluralsystems nach MacWhinney (1978)

Zum -er Plural hat MacWhinney selbst keine Angaben gemacht, so daß dieses Flexiv auch hier nicht berücksichtigt wurde (vgl. Tab. 1 .c). Etwas verwirrend in seiner Beschreibung des deutschen Pluralsystems ist die Zuordnung einiger der von ihm angeführten Beispiele an Derivationsaffixen, so etwa, wenn er die Endung -sal in die Liste der - 0 Plural fordernden Kontexte einreiht, obwohl dieses Derivationsflexiv den -e Plural erfordert. M a c W h i n n e y betont, daß die in Tabelle l . c wiedergegebenen (productions)

Flexionsprozesse

niemals mehr als einige wenige Ausnahmen haben. Diese Aussage hat ihre

Berechtigung, solange es sich um Derivationsaffixe handelt, deren Pluralform absolut festgelegt und damit sogar ausnahmslos vorhersagbar ist. Jedes Wort, das beispielsweise auf Hing/ endet, wird im Plural das -e Affix erhalten, wie die nachstehenden Beispiele verdeutlichen: Schmetter/inge; Find/zwge; Kohlweiß/i'wg«; usw. Häufigere Ausnahmen gibt es hingegen in den anderen phonologischen Kontexten, die MacWhinney auffuhrt. Die Kategorisierung des deutschen Pluralsystems, wie sie von Wegener (1992; vgl. Tabelle 1 .d) vorgeschlagen wird, unterscheidet sich von den anderen Studien dadurch, daß sie auf die explizite Annahme eines Nullmorphems verzichtet. Auch den Umlaut behandelt sie in anderer Weise als dies in den vorhergehenden Studien geschah.

38 Pluralallomorphe

Beispiele

-s Omas

Generalisierungen Die Hauptregeln: 1. Markierte Nomina werden mit dem -s Plural markiert;

-(e)n Uhren Zeitungen

2. Unmarkierte Feminina werden mit dem -(e)n Plural flektiert;

-(e) Jahre - 0 Balken-0

3. Unmarkierte Neutra und Maskulina erhalten den -(e) -s Affix (3)

Ulf (7;7); Übergeneralisierungen mit -e -e Übergeneralisierungen a) *Clöwne b) *Kloe

-e ist aus den Komposita ausgeschlossen Clown-0-fresser Klo-0-fresser

-e korrekt flektiert c) Schwämme d) Kränze

-e ist aus den Komposita ausgeschlossen Schwamm-0-fresser Kranz-0-fresser

reguläres Pluralflexiv —> -e Affix (4)

Maren (3; 10); Übergeneralisierungen mit -(e)n -(e)n Übergeneralisierungen a) *Clownen b) * Pflastern c) *Dübeln d) *Gläsern e) *Tuchen f) ""Kränzen

-(e)n ist aus den Komposita ausgeschlossen Clown-0-fresser Pflaster-0-fresser Dübel-0-fresser Glas-0-fresser Tuch-0-fresser Kranz-0-fresser

-(e)n korrekt flektiert g) Federn h) Schrauben i) Münzen

-(e)n ist aus den Komposita ausgeschlossen Feder-0-fresser Schrauber- 0-fresser Münz-e«-fresser

reguläres Pluralflexiv —»-(e)n Affix Die Auslassungsraten der Gruppe (n = 30) insgesamt zeigen, daß, obwohl unterschiedliche Allomorphe übergeneralisiert werden können, alle Kinder dieses übergeneralisierte Affix in gleicher Weise morphologisch einordnen (vgl. Tabellen 4.a bis 4.c). Die Tabellen 4.a bis 4.c sind so aufgebaut, daß sie neben dem Namen und dem Alter die Anzahl der irregulären und

82 regulären Pluralformen von jedem Kind enthalten. In der dritten und sechsten Spalte ist jeweils die absolute Anzahl der Pluralbildungen notiert. Die vierte bzw. siebte Spalte enthält jeweils Angaben darüber, in wievielen Komposita eine Pluralform in der Erstkonstituente ausgelassen wurde. Lisa (3;10; vgl. 1. Datenzeile in Tabelle 4.a), beispielsweise, verwendet sechs overte irreguläre Pluralformen in Experimentschritt 2. Von diesen sechs Formen hat sie drei, d.h. 50%, in der Erstkonstituente des Kompositums (d.h. in Experimentschritt 3) nicht beibehalten. Drei Simplizia hat sie mit dem regulären Affix für den Plural flektiert. Zur Bildung des korrespondierenden Kompositums hat sie in diesen drei Fällen ausnahmslos das reguläre Affix aus der Erstkonstituente ausgeschlossen. Name Alter

Lisa Julia Hannah Katja Marius Tobias Marvin Benjamin Mathias Wolf Fabio Andreas Max Alberta Heinz Anne-Kristin Sebastian Romina Alison Freddie

3.10 4.0 4.4 4.5 5.3 5.6 5.9 5.11 6.2 6.3 6.8 6.9 6.10 6.11 7.3 7.8 7.8 7.10 8.8 8.10

irreguläre Pluralformen reguläre Pluralformen Plural Plurale, ausAuslasPlural Plurale, Auslasabs. gelassen ausgelassen sungsrate sungsrate im abs. im Komp. Komp. 6 3 0.50 3 3 1.00 4 0.57 7 7 7 1.00 4 1 0.25 3 3 1.00 2 2 1 0.50 1 0.50 4 0.50 6 8 3 0.50 4 4 2 0.50 3 0.75 0.60 8 6 5 3 0.75 0.60 5 5 3 5 1.00 3 0 0.00 5 4 0.80 7 3 0.43 5 4 0.80 0.40 4 4 5 2 1.00 2 0.33 8 8 1.00 6 4 0.50 7 1.00 8 7 5 7 1 0.14 5 1.00 1 0.17 8 6 6 0.75 4 0.50 6 8 5 0.83 0.17 7 4 0.57 6 1 5 7 2 0.29 5 1.00 7 5 0.71 8 8 1.00 0.63 6 1.00 8 5 6

Tab.4.a Gruppe der Kinder, die mit dem -s Affix übergeneralisieren (n = 20)

83 Name

Fabian Nico Miriam Thomas Marco Ulf Sandra

Alter

3.10 4.2 4.11 4.11 6.2 7.7 7.8

irreguläre Pluralformen re guiare Pluralformen Plural Plurale AuslasPlural AuslasPlurale abs. ausgelassen sungsrate im abs. ausgelassen sungsrate Komp. im Komp. 7 4 0.57 2 2 1.00 6 3 0.50 3 1 0.33 7 3 0.43 1 1 1.00 7 4 4 3 0.43 1.00 9 7 2 2 0.78 1.00 8 4 4 4 0.50 1.00 6 3 0.50 1 1 1.00

Tab.4.b Gruppe der Kinder, die mit dem -e Affix übergeneralisieren(n = 7)

Name

Alter

re guiare Pluralformen irreguläre Pluralformen Plurale AuslasPlural Plurale Auslasausgelassen sungsrate im abs. ausgelassen sungsrate Komp. im Komp. 1 0.33 3 1 0.33 3 6 0.66 1 0 0.00 9 4 2 0.50 3 3 1.00

Plural abs. Leona Maren Jens

3.6 3.10 5.1

Tabelle 4.c Gruppe der Kinder, die mit dem -(e)n Affix übergeneralisieren (n = 3)

Statistische Analysen, die ungeachtet des individuellen Wertes (s, -e, -(e)n) den regulären Plural den irregulären Pluralen gegenüberstellen, ergeben einen signifikanten Unterschied zwischen der Auslassungsrate des regulären Pluralflexivs versus der Auslassungsrate der irregulären Pluralallomorphe (MW: .84 vs .44, WILCOXON: T = 4.13,/? < .0001). Der quantitative Unterschied darf demnach dahingehend interpretiert werden, daß die Kinder einen qualitativen Unterschied zwischen einem regulären und (mehreren) irregulären Pluralflexiven ziehen, wobei der reguläre Plural signifikant häufiger aus dem Erstglied eines Kompositums ausgeschlossen wird als irregulär gebildete Pluralfomen. Die Ergebnisse dieser dritten rechnerischen Auswertung bestätigen also die Vorhersagen der Modelle, die bestimmte Reihenfolgebeschränkungen zwischen Flexions- und Wortbildungsprozessen annehmen (u.a. Kiparsky 1982, 1985; Borer 1988). Im kindlichen Pluralsystem wird das reguläre Pluralflexiv im Gegensatz zu den irregulären Pluralflexiven systematisch aus den Komposita ausgeschlossen. Es zeigt sich, daß ein großer Teil der Kinder bereits die qualitative Distinktion verwendet, wie sie in dem Pluralsystem der Erwachsenensprache erscheint, und das -s Affix als das reguläre Pluralaffix klassifiziert hat.

84 Komposita von Kindern mit mehr als einer Übergeneralisierung eines Affixes Ein Einwand gegen die bisher geleistete Analyse könnte darin bestehen, daß das Kriterium für Übergeneralisierungen (mindestens eine einmalige, inkorrekte Applikation) als zu schwach definiert ist. Um diesem Argument nachzukommen, habe ich die gleiche statistische Berechnung für die Kinder (n = 14) wiederholt, die ein spezifisches Affix mindestens zweimal übergeneralisieren (d.h. im Sinne der Erwachsenengrammatik inkorrekt verwenden). Die Gruppe dieser Kinder besteht aus Maren, Lisa, Julia, Thomas, Marius, Marvin, Andreas, Max, Heinz, Ulf, Sebastian, Anne-Kristin, Alison und Freddie (Daten vgl. Tabellen 4.a bis 4.c). Wie schon zuvor, so ist auch hier die Differenz zwischen den Auslassungsraten des regulären Pluralwertes bzw. denen der irregulären Pluralwerte statistisch signifikant (MW: .86 vs. .43; T = 3.18, p = .001). Reguläre Pluralmarkierungen werden von den Kindern deutlich häufiger ausgelassen als irreguläre Pluralformen.

Komposita von Kindern mit zwei Affixen in den Übergeneralisierungen Eine weitere Analyse betrifft die Daten aus der Gruppe der Kinder (n = 21), die mehr als ein Affix in den Übergeneralisierungen verwenden. Neben dem -s Affix verwenden die Kinder das -(e)n und/oder das -e Allomorph in den Übergeneralisierungen. Drei Kinder dieser Gruppe (Tim, Robin und Jacqueline) übergeneralisieren niemals mit dem -s Allomorph, sondern mit den Affixen -(e)n und -e. Diese drei Kinder bleiben auch im weiteren unbe rücksichtigt. Für die verbleibenden 18 Kinder möchte ich die Auslassungsraten für das in der Erwachsenengrammatik als reguläres Flexiv kategorisierte -s Affix den Auslassungsraten der irregulären Affixe gegenüberstellen. Dies beruht auf der Hypothese, daß diese Kinder eventuell wie der Großteil der Kinder der vorherigen Gruppe (vgl. Tabellen 4.a bis 4.c) das -s Affix als den regulären Pluralwert klassifiziert haben, allerdings aufgrund von assoziativen Strategien zusätzlich eine inkorrekte irreguläre Pluralform generiert haben. Insgesamt haben die Kinder dieser Gruppe in Schritt 2 des Experimentes in 56% der Fälle (n = 33) das -s Affix übergeneralisiert, in 37% (n = 22) das -e Affix, und zu nur 7% (n = 4) das -(e)n Affix. Für die Analyse der Komposita aus Schritt 3 sind die hier relevanten Daten in der Tabelle 5 dargestellt. In die Berechnung der jeweiligen Auslassungsrate im Kompositum ist die prinzipielle Applikation des regulären Affixes bzw. des irregulären Affixes am Simplex eingeflossen. D.h., es wurde keine Unterscheidung zwischen, beispielsweise, einem korrekt applizierten -s Flexiv und einem inkorrekt applizierten -s Flexiv getroffen, da aus der Sicht der Grammatik des Kindes eine solche Beurteilung nicht greift. Frieda, zum Beispiel, hat das -s Affix insgesamt fünf Mal in Schritt 2 zur Pluralmarkierung verwendet (vgl. Tabelle 5, 4. Spalte). In allen fünf Fällen hat sie dieses Flexiv zur Bildung des Kompositums in Experimentschritt 3 aus dem Kompositum ausgeschlossen (vgl. Tabelle 5, Spalte 5), was zu einer Auslassungsrate von 1.00 führt. Sechs Simplizia hat Frieda mit einem irregulären Pluralflexiv markiert (vgl. Tabelle 5, Spalte 7), von denen sie vier bei der Bildung eines Kompositums ausgelassen hat (vgl. Spalte 10, Tabelle 5). Für die irregulären Pluralmarkierungen ergibt sich

85 demnach in den Daten dieses Kindes eine Auslassungsrate von 0.67, die geringer ausfällt als die für die regulären Pluralformen. Diese Tendenz ist ebenfalls bei allen weiteren Kindern dieser Gruppe zu beobachten (vgl. Tabelle 5). Auslassungsrate des regulären PluralafFixes Name Alter reg absolut, ausgeRate Äff gesamt lassen Frieda 3;10 -s 5 5 1.00 Stefan 4;1 -s 6 6 1.00 Lara 4;1 -s 2 1 0.05 Alexander 4;3 -s 4 4 1.00 Nils 4;9 -s 4 4 1.00 Daniel 4;11 -s 1.00 6 6 Milan 5;1 -s 7 6 0.86 Anna 5;2 -s 4 3 0.75 Kai 5;3 -s 2 2 1.00 0.86 Marcel 5;7 -s 7 6 Anja 5;8 -s 3 1.00 3 Frauke 5; 10 -s 5 4 0.80 Imke 6;3 -s 3 2 0.67 1.00 Danilo 6;3 -s 6 6 Christina 6;4 -s 4 3 0.75 Diana 6;9 -s 5 1.00 5 4 Frank 6;9 -s 5 0.80 Jessica 8;12 -s 3 1.00 3 Tab.5

Auslassungsrate der irregulären Pluralaffixe absolut, ausgeRate gesamt lassen 6 4 0.67 5 4 0.80 6 4 0.67 7 4 0.57 9 4 0.44 0.37 8 3 9 5 0.55 7 5 0.71 9 5 0.55 2 3 0.67 9 5 0.55 7 4 0.57 10 5 0.50 9 3 0.33 7 3 0.43 8 5 0.62 0.62 8 5 8 4 0.50

Plurale in Komposita

Wie die statistischen Kalkulation zeigt, darf der quantitative Unterschied zwischen der Auslassungsrate regulärer Flexive (MW: .86) versus der Auslassungsrate irregulärer Flexive (MW: .56) in der Weise interpretiert werden, daß auch diese Kinder den -s Plural als den regulären Pluralwert verwenden (WILCOXON: T = 3.03; p=.002). Auch in dieser Gruppe wird demnach ein qualitativer Unterschied zwischen einem als regulär eingesetzten Flexiv und anderen, irregulären Pluralflexiven gezogen. Desweiteren kann gezeigt werden, daß die hier untersuchten Kinder das -s Affix in der Weise verwenden, in der es von der Erwachsenengrammatik verlangt wird. Die inkorrekt verwendeten irregulären Flexive gehen möglicherweise auf assoziative Strategien zurück, auf die zu einem späteren Zeitpunkt näher eingegangen wird. Zusammenfassend konnte mit den Ergebnissen dieses Elizitationsverfahrens gezeigt werden, daß selbst die jüngsten Kinder (3 Jahre) der Untersuchungsgruppe eine lineare Abfolge von Prozessen der irregulären und regulären Pluralflexion einerseits und denen der lexikalischen Komposition andererseits befolgen. Es werden genau die Reihenfolge-

86 beschränkungen beachtet, die auch für das Erwachsenensystem beobachtet worden sind. Der Defaultwert wird von den meisten Kindern mit dem -s Flexiv belegt, was dem Defaultwert des Deutschen entspricht. In nur wenigen Fällen wird das -e bzw. -(e)n Affix als Defaultwert verwendet.

5.3 Experiment 2: Elizitation zur Kompositabildung mit variierender Zweitkonstituente Gegen das Elizitationskonzept des vorherigen Experimentes läßt sich einwenden, daß die strenge Abfolge mit der Erstabfrage des Plurals und der direkten Aufforderung zur Bildung des (synthetischen) Kompositums mit fixierter Zweitkonstituente methodologische Artefakte produzieren könnte. Möglicherweise treten die Pluralmarkierungen deshalb in der Erstkonstituente auf, weil die Kinder unreflektiert das Item aus Schritt 2 in Schritt 3 imitieren. Der stark schematisierte Experimentverlauf (vgl. Abschnitt 4.1) könnte zudem vermuten lassen, daß die Phonologie der Zweitkonstituente, die immer aus dem Wort Fresser besteht, das (Nicht-) Auftreten einer Pluralmarkierung beeinflußt. Um diesen möglichen Einflußfaktor auszuschalten, wurde ein zweites Experiment entwikkelt, durch dessen Technik die Bildung ebenfalls synthetischer Komposita ermöglicht wird. Der Unterschied der Komposita zu denen des vorangegangenen Verfahrens besteht darin, daß die hier elizitierten Komposita eine variierende Zweitkonstituente enthalten. Insgesamt haben 57 Kinder im Alter von 4;2 bis 8;12 Jahren (Durchschnitt: 6;3 Jahre) an diesem Experiment teilgenommen. Die Gruppe besteht aus 27 Mädchen und 30 Jungen. Eine Untergruppe von 41 Kindern (Alter; 4;2 bis 8; 12; Durchschnitt: 6;5 Jahre) hat ebenfalls an dem zuvor beschriebenen Verfahren (Experiment 1) teilgenommen. Diese Teilgruppe wurde dem Zufall nach zusammengestellt. Daß keine dreijährigen Kinder in der Teilnehmergruppe sind, erklärt sich dadurch, daß keines der dreijährigen Kinder ausreichend motiviert werden konnte, dieses Experiment vollständig durchzuführen. Erste Ergebnisse dieses Verfahrens wurden in Clahsen et al. (1996) vorgestellt. Im Vergleich zu der dort vorgestellten Teilnehmergruppe wurde die Teilnehmerzahl hier erweitert. Damit wurde erreicht, daß sich (fast) jede Altersklasse aus mindestens 10 Kindern zusammensetzt und keine Altersgruppe eventuell unterrepräsentiert ist. Das Experimentmaterial besteht aus zwei Kartensets, von denen das eine 18 Bildkarten mit Abbildungen jeweils mehrerer Exemplare eines Gegenstandes, das andere beliebig viele Karten (hier: 32) mit Abbildungen jeweils eines einzelnen Gegenstandes enthält. Eine Liste der Items ist in Tabelle 6 enthalten. Die farbigen Fotos wurden Zeitungs- und Zeitschriftenbeilagen entnommen und auf postkartengroße Karten aufgeklebt. Auch hier wurden - w i e im vorhergehenden Experiment- Items für die Pluralkontexte verwendet, die laut Ruoff (1981) eine niedrig-frequente Auftretenshäufigkeit im Input haben. Wiederum beziehe ich mich auf die Type-Frequenz, die in Klammern hinter dem jeweiligen

87 Item notiert ist. Die Reihenfolge der Items im Pluralkontext wurde ein Mal quasi-randomisiert und in jeder Durchfuhrung identisch angewendet. 6.a

Items im Pluralkontext

-e Plural Gänse (0.01%) Ringe (0.02%) Schränke (0%) Stühle (0.02%) 6.b

-er Plural Gläser (0.04%) Häuser (0.85%) Kinder (0.77%) Männer (0.8,2%)

-(e)n Plural Brillen (0.01%) Puppen (0.01%) Rosen (0%) Socken (0.01%) Uhren (0.07%)

-5 Plural Babies (k.E.) Colas (k.E.) Radios (0.02%) Sofas (0%) Teddies (k.E.)

Items im Singularkontext

Baby; Bett; Fernseher; Flasche; Frau; Fön; Glas; Honig; Junge; Kaffee; Kamera; Kanne; Koffer; Küche; Lampe; Leiter; Mann; Marmelade; Pfanne; Puppe; Radio; Ring; Rose; Schrank; Schuh; Sessel; Sofa; Stuhl; Tasse; Teddy; Tisch; Uhr Tab. 6 Der methodische Ablauf wird hier nur kurz geschildert. Ein Beispiel zur Illustration sowie der Transkriptionsbogen (Muster) ist in Anhang B festgehalten. Dem Kind wird eine Bildkarte vorgelegt, die mehrere Exemplare eines Gegenstandes zeigt. Dieses Bild repräsentiert das Wort, das später im Erstglied des zu bildenden Kompositums stehen soll. Wenn das Kind zur Benennung dieser Karte eine Pluralform verwendet, die nicht der Form der Erwachsenensprache entspricht, übernimmt der/die Experimentleiter/in dennoch die vom Kind generierte Form. Dieser Experimentschritt wurde nicht konsequent bei allen Kindern durchgeführt. Als nächstes wird das Kind aufgefordert, sich aus den Karten mit den Singularitems, die gemischt auf dem Tisch liegen, eine beliebige Karte herauszusuchen. Um sicher zu gehen, daß das Kind den betreffenden Gegenstand benennen kann, wird es nach dem Namen gefragt. Im letzten Schritt werden die beiden Bildkarten so zusammengelegt, daß sie ein Kompositum verbildlichen, wobei das Pluralitem immer vor dem Singularitem liegt. Selbst die jüngsten Kinder, die noch nicht zur Schule gehen, haben verstanden, daß - i n Anlehnung an die Schreibrichtung-- auf diese Weise das Lexem des Pluralkontextes in der Erstkonstituente erscheinen soll, während die Karte mit dem Singularitem den Kopf des Kompositums bilden soll.

Plurale in Komposita Ein erster allgemeiner Überblick über die Daten aller 57 Kinder zeigt, daß die meisten Komposita ein Affix in der Erstkonstituente enthalten: von insgesamt 917 Komposita enthalten 473 (52%) eine Pluralmarkierung im Erstglied. Diese Beobachtung läßt sich in allen Altersgruppen machen (vgl. die Tabelle 7).

88

Altersgruppe

Anzahl der VPs

4 Jahre 5 Jahre 6 Jahre 7 Jahre 8 Jahre Summe

10 12 15 11 9 57

Anzahl aller Komposita, absolut 151 190 251 178 146 916

Komposita mit Plural im Erstglied absolut in Prozent 61 40.4 92 48.4 130 51.8 106 59.5 84 57.5 473 51.6

Tab. 7 Pluralformen in der Erstkonstituente von Komposita

Wie bereits im ersten Experiment, so kann auch hier beobachtet werden, daß kein Kind prinzipiell Pluralaffixe aus den Komposita ausschließt. Diese Beobachtungen sprechen also gemeinsam mit denen des ersten Experimentes gegen eine Analyse im Sinne des Prinzips Einfachheit der Form, wie es von Clark et al. (1986) und Clark (1993) vorgeschlagen wurde. Eine Analyse mit Hinblick auf die Fragestellung, ob irreguläre Pluralflexive in Komposita erscheinen, reguläre aber nicht, ergibt, daß die Kinder aller Altersgruppen eine ganz bestimmte qualitative Differenzierung vornehmen. Mit den folgenden Auswertungen wird der Hypothese nachgegangen, inwieweit die Kinder das Erwachsenensystem zur Pluralbildung verwenden, d.h. inwieweit der -s Plural als das reguläre Pluralflexiv verwendet wird. Daher ist ein Vergleich zwischen der Auslassungsrate des -s Plurals, also dem regulären Flexiv, mit der Auslassungsrate der irregulären Pluralaffixe von Interesse. Es zeigt sich, daß die Kinder den regulären Plural (-s) signifikant häufiger aus den Komposita auslassen als irreguläre Plurale ( M W : .88 vs. .33; WILCOXON T = 6.11 ; p < .00015). Diese Tendenz läßt sich für alle Altersgruppen belegen (vgl. Tabelle 8). Altersgruppe

Auslassungsrate des regulären Affixes ( s )

Auslassungsrate der irreg. Affixe (-e, -(e)n, -er)

4 Jährige (n = 10) 5 Jährige (n = 12) 6 jährige (n = 15)

0.90 0.90 0.94 0.84 0.80

0.45 0.40 0.30

7 Jährige (n = 11) 8Jährige (n = 9) Gesamt (n = 57)

0.88

0.24 0.30 0.33

Statistische Kalkulation T T T T T T

= = = = = =

2.66; p = .0077; 2.27; p = .0229; 3.41; p = .0007; 2.93; p = .0033; 2,66; p = .0077; 6.1 l ; p < . 0 0 0 1 ;

sign. sign. sign. sign. sign. sign.

Tab. 8

5

In diesem Experiment wurden 8 Teiluntersuchungen durchgeführt. Alle Ergebnisse können auf dem .05 Niveau als signifikant interpretiert werden. Dies bedeutet, daß keine Teiluntersuchung in die AlphaAdjustierung eingeht, a* = a = .05.

89 Doch wie die Ergebnisse aus dem ersten Experiment bereits gezeigt haben, hat nicht jedes Kind der Probandengruppe notwendigerweise den -s Plural als das reguläre Pluralflexiv klassifiziert. Um die Hypothese zu überprüfen, ob die Kinder spezifische Relationen zwischen Flexions- und Wortbildungsprozessen beachten, ist es notwendig, den jeweiligen regulären Pluralwert zu ermitteln. Da dies auf der Grundlage des zweiten Experimentes nicht konsequent möglich ist, werden hierzu die Ergebnisse aus dem ersten Experiment herangezogen. Es werden die Daten der Kinder für die Analyse verwendet, die in dem vorherigen Experiment ein einziges Affix mindestens ein Mal übergeneralisiert haben. Insgesamt stehen für diese Berechnung die Daten von 19 Kindern (Alter: 4;5 bis 8;10 J.; Durchschnitt: 6;8 J.) zur Verfugung (vgl. Tabellen 9.a und 9.b). Die Berechnung der Auslassungsraten erfolgte wiederum nach den bereits bekannten mathematischen Formeln (vgl. Abb. 1 und 3). Name

Alter

Katja Marius Tobias Marvin Benjamin Mathias Wolf Fabio Andreas Max Alberta Anne-Kristin Sebastian Romina Alison Freddie

4;5 5;3 5;6 5;9 5;11 6;2 6;2 6;8 6;9 6;10 6; 11 7;8 7;8 7;10 8;8 8;10

irreguläre Pluralformen Plural Plurale aus- Ausi.rate" gelassen abs. im Komp. 10 2 0.20 0.42 11 5 10 6 0.60 0.23 13 3 8 3 0.37 4 0.44 12 13 4 0.31 4 0.36 11 13 4 0.31 10 1 0.10 0 0.00 10 11 3 0.24 12 1 0.08 11 2 0.18 12 0 0.00 12 4 0.33

reguläre Pluralformen Plural Plurale Ausl.rate ausgelassen im Komp. abs. 4 4 1.00 5 5 1.00 4 4 1.00 5 5 1.00 4 4 1.00 3 3 1.00 5 5 1.00 4 4 1.00 5 4 0.80 4 5 0.80 5 1.00 5 4 3 0.75 5 1 0.20 5 5 1.00 5 5 1.00 5 5 1.00

Tab.9.a Kinder, die den -s Plural als reguläres Flexiv verwenden Name

Miriam Ulf Sandra

Alter

4.11 7;7 7.8

irreguläre Pluralformen Plural Plurale Ausl.rate abs. ausgelassen im Komp. 0.54 14 8 13 6 0.45 0.54 13 7

reguläre Pluralformen Plural Plurale Ausl.rate abs. ausgelassen im Komp. 4 1.00 4 4 4 1.00 4 4 1.00

Tab.9.b Kinder, die den -e Plural als reguläres Flexiv verwenden

A usl. rale ist die Abkürzung für' Auslassungsrate'.

90 Es zeigt sich, daß die Kinder (n = 19) den regulären Pluralwert wesentlich häufiger vom Kompositionsprozeß ausschließen (MW: .92) als die irregulären Pluralaffixe (MW: .30); t = 3.82;p < .0001; sign. Werden die Selektionskriterien für diese Analyse in der Weise verschärft, indem nur die Kinder betrachtet werden, die ein spezifisches Affix in Experiment 1 mindestens zweimal übergeneralisieren, erhält man eine Gruppe von 9 Kindern: Marius, Marvin, Andreas, Max, Ulf, Anne-Kristin, Sebastian, Alison und Freddie (Daten vgl. Tabellen 9.a und 9.b). Der WiLCOXON-Test bestätigt die zuvor erhaltenen Ergebnisse und ergibt auch hier einen signifikanten Unterschied zwischen der Auslassungsrate des regulären Affixes (MW: .84) versus der Auslassungsrate der irregulären Affixe (MW: .24): t = 2.66,p = .0077; sign.). Zur Illustration der erstellten Analysen sollen die Antworten von Alison (8;8) exemplarisch angeführt werden (vgl. Beispiel 5). Alison ist eines der Kinder, in dessen Daten sich der qualitative Unterschied zwischen regulärer versus irregulärer Pluralflexion in Zusammenhang mit der Nominalkomposition am deutlichsten widerspiegelt. Aus den Daten des ersten Experimentes läßt sich ableiten, daß sie den -s Plural als regulären Wert verwendet, da dieser Plural in den Übergeneralisierungen auftritt, aber in den Komposita niemals erscheint. Auch in diesem Elizitationsverfahren ist in den von ihr gebildeten Komposita zu beobachten, daß alle Pluralaffixe in der Erstkonstituente auftreten und nur das -s Allomorph nicht in der Erstkonstituente beibehalten werden kann. Neben den von Alison generierten Komposita ist in den Beispielen unter (5) die zielsprachliche Pluralform der Erstkonstituente aufgeführt. (5)

Alison (8;8) Kompositum

a. b. c. d. e. f. gh. i. jk. 1.

m. n. 0.

Pq-

r.

Sofa-0-kaffee Baby-0-töpfchen Teddy-0-sofa Radio-0-sofa Cola-0-glas Rose-n-leiter Socke- n-marmelade -

Brille- n-bär Puppe-n-tasse Männ-er-frau Häus-er-flasche Kind-er-kaffee Gläs-er-mann Ring-e-rosen Gäns-e-kodak Schränk-e-kind Stühl-e-topf

Plural des Simplex in der Erstkonstituente Sofa-s Baby-s Teddy-s Radio-s Cola-s Rose-n Socke-n Uhr-en Brille-n Puppe-n Männ-er Häus-er Kind-er Gläs-er Ring-e Gäns-e Schränk-e Stühl-e

91 Zusammenfassend läßt sich über das zweite Experiment sagen, daß sich hier neben dem Ausschließen methodologischer Artefakte die Ergebnisse aus dem ersten Elizitationsverfahren bestätigen. Zwischen der Pluralmarkierung am Simplex und der Nominalkomposition besteht ein systematischer Zusammenhang: Der als reguläres Flexiv kategorisierte Plural tritt nicht in der Erstkonstituente von Komposita auf, wohingegen irreguläre Pluralallomorphe fakultativ im Erstglied erscheinen können. Die Mehrzahl der Kinder, unter ihnen gehören selbst Kinder der jüngsten Altersgruppe, hat den -s Plural als reguläres Pluralaffix in ihrem Pluralsystem kategorisiert.

5.4 Experiment 3: Beurteilungsexperiment zur Pluralbildung bei Kunstwörtern In den zwei bisher berichteten Experimenten wurden existierende Wörter verwendet. Dafiir wurden Items mit geringer Type-Frequenz verwendet. Auf diese Weise sollte die Wahrscheinlichkeit eingeschränkt werden, mit der die zielsprachlichen Pluralformen als zugriffsbereiter Eintrag im kindlichen mentalen Lexikon vorhanden sein könnten. So konnten die Kinder mit Wörtern in einem Kontext konfrontiert werden, der in erhöhtem Maße die Applikation eines regulären Pluralflexivs erfordert. Doch lassen sich auf eine weitere Weise die Bedingungen für die Anwendung der regulären Pluralflexion versus der irregulären Pluralbildung kontrollieren. Bei der Verwendung von Kunstwörtern als Testitems kann ganz sicher davon ausgegangen werden, daß die zu elizitierende Pluralform nicht als Lexikoneintrag zur Verfügung steht, sondern statt dessen produktiv gebildet werden muß. Das Experiment wurde nach einer Pilotreihe ein Mal optimiert, um sowohl die Kontexte als auch die Genera in einem optimalen Zahlenverhältnis zueinander präsentieren zu können. Im folgenden werden die Daten aus der zweiten Testreihe, der Hauptstudie, untersucht werden. 58 Kinder im Alter von 3;4 bis 8; 11 Jahren (Durchschnitt: 6;2 Jahre) haben an der Pilotstudie teilgenommen (27 Mädchen; 31 Jungen). Weitere 37 Kinder im Alter von 3;6 bis 6;6 (Durchschnitt: 4;11 Jahre) haben an der zweiten Testreihe teilgenommen (16 Jungen; 21 Mädchen). Ergebnisse aus dieser zweiten Reihe wurden auch in Bartke et al. (1995) vorgestellt. Es wurden für die Pilotstudie 14 Bildkarten verwendet, deren Anzahl für die Hauptstudie um weitere 24 Bildkarten erweitert wurde, so daß hier insgesamt 38 Bildkarten zur Verfugung stehen. Zwei der Bildkarten dienen jeweils als Einführungsbeispiele. Desweiteren werden zwei kleine, identisch aussehende Spielzeugteddies benötigt. Um die Effekte der Phonologie eines Items auf die Auswahl einer Pluralform zu untersuchen, werden zwei verschiedene Kategorien von Kunstwörtern entwickelt. In der einen Gruppe befinden sich solche Kunstwörter, deren phonologische Form im Anlaut mit existierenden Substantiven reimt, wie z.B. das Kunstwort klot mit dem existierenden Wort Brot reimt. Die Auftretenshäufigkeit der existierenden Lexeme in der gesprochenen Sprache ist

92 hinter dem jeweiligen, möglichen Reimwort in Klammern notiert und bezieht sich auf die Type-Frequenz nach Ruoff (1981, vgl. Tabelle 10). In der zweiten Gruppe sind solche Kunstwörter enthalten, die eine im Deutschen mögliche Lautstruktur besitzen, aber nicht mit existierenden Substantiven des Deutschen reimen wie z.B. pröng. Jede Gruppe besteht aus zwölf Items (Pilotstudie: sechs Items). In der zweiten Testreihe wurden zudem zwölf existierende Wörter als Ablenkitems hinzugefügt. Items mit Reim bral kach klot mur nuhl pind pisch pund raun spand spert wak

Reim möglich mit... Saal (.03%) Tal (.01%) Dach (.05%) Bach (.05%) Brot (.19%)

Items ohne Analogie bnaupf

Ablenkitems

bneik

Blatt

bnöhk

Brief

Schnur (.02%) Kur (.01%) Stuhl (.02%)

fnähf

Dach

fneik

Gespenst

Kind (.77%) Rind (.01 %) Tisch (.07%) Fisch (.04 %) Hund (.03%) Grund (.05 %) Zaun (.01%) Clown (k.E.) Hand (.47 %) Land (.10%) Pferd (.08%) Wert (.11%) Tag (1.59%)

fnöhk

Koch

plaupf

Leiter

pläk

Nadel

pleik

Schrank

pnähf

Schwamm

pröng

Schwert

snauk

Ohr

Bett

Tab. 10 Itemliste der 2. Testreihe in alphabetischer Reihenfolge

Um den Einfluß unterschiedlicher Kontexte zu untersuchen, wurden die Items als normaler Begriff und als Name eingeführt. Diese zweifache KontextdifFerenzierung geht auf ein Experimentdesign zurück, wie es von Marcus et al. (1995) im Rahmen eines Ankreuzverfahrens mit erwachsenen Probanden verwendet wurde. Aus Gründen der besseren Vergleichbarkeit zwischen den Ergebnissen der Erwachsenen und denen der Kinder wurde diese Dreiteilung in der Pilotstudie zunächst beibehalten. In der Hauptstudie jedoch wurde auf den Kontext Entlehnung verzichtet, weil sich herausstellte, daß die Kinder Items in diesem Kontext eher wie normale Begriffe behandelten. Das geht wahrscheinlich darauf zurück, daß Kinder dieser

93 Altersstufen nicht entscheiden können, ob der neue Begriff aus einer anderen Sprache entlehnt wurde oder ein noch unbekannter, normaler Begriff der Erstsprache darstellt. Daher wurde in der zweiten Testreihe jedes einzelne Item der einen Hälfte der Untersuchungsteilnehmer als Name, der anderen Hälfte als normaler Begriff präsentiert; Beispiele für die unterschiedlichen semantischen Kontexte sind im Anhang C aufgeführt. Um einen möglichen Einfluß auf die Pluralbildung seitens des Genus einzuschränken, wurde in der einen Hälfte der Versuchspersonengruppe die Hälfte der Items mit femininem Genus und die andere Hälfte mit maskulinem Genus präsentiert. Die andere Hälfte der Versuchspersonengruppe sah die betreffenden Items mit dem alternierenden Genus. Die Reihenfolge der Items wurde so variiert, daß die Hälfte der Testdurchführungen mit dem Item 1 begonnen wurde, die andere Hälfte der Durchfuhrungen jedoch in der umgekehrten Itemreihenfolge, d.h. mit dem jeweils letzten Item beginnend, vorgenommen wurde. Um die obengenannten Faktoren jeweils zu berücksichtigen, entstehen mehrere Versionen für die Hauptstudie7 (vgl. Anhang C). Bei der Vorgabe der Pluralformen muß berücksichtigt werden, daß das Experiment mündlich durchgeführt wird. Das bedeutet, daß mehr als zwei Pluralalternativen die Merkfahigkeit der Kinder überfordern würden. Das Abtesten aller jeweils fünf bzw. acht im Deutschen möglichen Pluralalternativen würde den zeitlichen Rahmen des Experimentes erheblich erweitern. Eine Durchführungsdauer von mehr als 12 bis 15 Minuten ist allerdings bei Kindern nicht ratsam, da sonst die Konzentration und Aufmerksamkeit der Kinder überfordert würde. In der Hauptstudie wurde daher mit der Kontrastierung des -s Plurals versus des -(e)n Plurals angestrebt, die Hypothese zu überprüfen, ob die Kinder den Plural mit der geringsten oder denjenigen mit der höchsten Inputfrequenz bevorzugen und inwieweit diese Wahl mit dem semantischen Kontext (Name versus normaler Begriff) korreliert, in dem das jeweilige Item präsentiert wird. Der methodische Ablauf ist wie folgt. 8 In einem ersten Schritt wird durch den/die Experimentator/in in Form einer kleinen Geschichte (zwei bis drei Sätze) ein Kunstwort im entsprechenden Kontext eingeführt, das zusätzlich durch ein Bild (Phantasiegegenstand bzw. Phantasietier) veranschaulicht wird. Der untere Teil der Bildkarte, der den Pluralkontext illustriert, bleibt während dieser Phase noch verdeckt. In einem zweiten Schritt wird das entsprechende Bild mit mehreren Exemplaren des gleichen Phantasiegegenstandes gezeigt. Jetzt geben die zwei Spielzeugteddies nacheinander zur Beschreibung dieser Illustration zwei im Deutschen mögliche Pluralformen vor. Die Aufgabe des Kindes besteht darin, eine der beiden Pluralformen als die richtigere oder bessere zu bewerten. Zusätzlich hat das Kind die Möglichkeit, eine eigene Pluralform zu generieren, wenn es beide Vorgaben ablehnt.

7 8

Für die Pilotstudie gilt gleiches, was hier aber nicht weiter ausgeführt wird. Der methodische Ablauf war in beiden Testreihen identisch.

94 Ergebnisse der Hauptstudie Zunächst werden die Ergebnisse aus den Beurteilungen zum semantischen Kontext normaler Begriff vorgestellt. Der Alpha-Wert für die rechnerischen Analysen dieser 2. Testreihe ist mit a* = .Ol9 anzugeben. In Abbildung 4 sind die Beurteilungen graphisch dargestellt worden (vgl. auch Bartke et al. 1995). 100 80 Zahl der Beurteilungen (in %)

60 40

20

0

1 Reim

1

1

ohne Analogie

phonologischer Kontext

Abb. 4 Kunstwörter im semantischen Kontext Normaler Begriff Wenn die Kunstwortitems als normale Begriffe präsentiert werden, so ist die generelle Tendenz zu beobachten, daß reguläre Pluralformen häufiger bevorzugt werden als irreguläre Formen (vgl. die Linie mit weißen Kästchen in Abb.4). Items ohne Analogie werden etwas häufiger mit der regulären Pluralendung bevorzugt als die reimenden Items (MW: .59 vs. .54; Vorzeichentest; Z = 1.4924; p = .0678; n.s.). Dagegen werden für reimende Items häufiger irreguläre Pluralformen gewählt als dies bei nichtreimenden Wörtern der Fall ist (MW: .46 vs. 41; Vorzeichentest; Z = .9805; p = .01634; marginal sign..). In der Reimbedingung wurden regulär und irregulär flektierte Formen nahezu gleichhäufig als die jeweils bessere Form beurteilt (MW: .54 vs .46; Rang-Summen Test; Z = .8852, p = .1882; n.s.), während für die Kunstwörter ohne Analogie deutlich häufiger die -s Pluralformen den -(e)n Pluralformen vorgezogen werden (MW: .59 vs. .41; Rang-Summen Test; Z = .19795; p = .0238). Dieses Ergebnis repliziert die Ergebnisse vorangegangener Studien und erbringt weitere empirische Evidenz dafür, daß für Items im Kontext normaler Begriff die phonologische Form einen Einfluß auf die Beurteilungen ausübt. Läßt die phonologische Gestalt des Items keine Analogiebildungen in Anlehnung an existierende, irreguläre Pluralformen zu, weichen die Untersuchungsteilnehmer auf die Verwendung einer regulären Pluralform aus und beurteilen die -s Pluralformen als die besseren.

9

In diesem Experiment wurden 8 Teiluntersuchungen vorgenommen, von denen 3 auf dem .05 Niveau signifikant sind. Es sind 5 Teiluntersuchungen in die Adjustierung des Alpha-Wertes einzubeziehen: a * = .05 / 5 = .01.

95 Die Analyse des semantischen Kontextes Name ist in Abbildung 5 illustriert. Hier zeigt sich eine deutliche Bevorzugung der regulären Pluralformen (vgl. auch Bartke et al. 1995). 100 i 80 Zahl der Beurteilungen (in %)

60 40

20

0

1

1

Reim

1

ohne Analogie

phonologischer Kontext -

-(e)n

~

-

s

Abb. 5 Kunstwörter im semantischen Kontext Name

Dieses Ergebnis gleicht dem der Studie von Marcus et al. (1995), d.h. wie die erwachsenen Probanden bevorzugen hier die Kinder ungeachtet der phonologischen Gestalt des Items die regulär flektierte Pluralform. Dabei werden bei den Kunstwörtern ohne Analogie nur wenig mehr Urteile für -s Pluralformen abgegeben als für Kunstwörter mit Reim (MW: .68 vs. .61; Vorzeichentest; Z = 1.6432, p = .1006; n.s.). Im Gegenzug werden für Wörter ohne Analogie auch nur unbedeutend seltener Urteile zugunsten des irregulären Plurals abgegeben als dies für reimende Items der Fall ist (MW: .21 vs. 31; Vorzeichentest; Z = 1.4855; p = .0687; n.s.). Sowohl für reimende als auch für nicht-reimende Wörter als Name haben die Kinder jeweils deutlich die regulär flektierten Formen als die besseren beurteilt. Für die -s Formen versus die -(e)n flektierten Formen wurde bei den reimenden Items ein statistisch marginal signifikantes Ergebnis erzielt (MW: .61 vs. .31; Rang-Summen Test; Z = 1.7961 ,p = .0362). Im Vergleich hierzu werden in der Nicht-Reim Bedingung signifikant häufiger die regulären Pluralformen gegenüber den irregulären vorgezogen (MW: .68 vs. .21; Rang-Summen Test; Z = 3.2986, p = .0004). Hieraus kann man schließen, daß der semantische Kontext Name allein schon als Hinweis zu genügen scheint, um eine regulär flektierte Form als die besser Pluralform zu beurteilen. Zusammenfassend zeigen die Ergebnisse der Hauptstudie, daß sowohl der semantische Kontext als auch die Lautstruktur der erfundenen Wörter die Kinder in ihrem Beurteilungsprozeß beeinflußt. Es konnte gezeigt werden, daß Items ohne Analogie mindestens genauso häufig, in der Regel aber deutlich häufiger, mit einer regulären Pluralendung bevorzugt werden. Desweiteren konnte gezeigt werden, daß die Kinder für Items im semantischen Kontext Name unabhängig von der Lautstruktur eindeutig häufiger die reguläre Pluralendung als die bessere beurteilen. Hiermit werden ähnliche Ergebnisse erzielt, wie sie in der Studie von Marcus et al. (1995) für Erwachsene vorgestellt wurden. Daher ist die Schlußfolgerung

96 erlaubt, daß selbst die jüngsten Kinder der Teilnehmergruppe auf ein Grammatiksystem zurückgreifen, wie es für die Erwachsenensprache angenommen wird. Für die Verwendung bzw. Bevorzugung der irregulären Pluralformen nehmen Marcus et al. (1995) assoziative Prozesse an. Sie gehen davon aus, daß bei den reimenden Items über assoziative Strategien das Pluralflexiv des reimenden existierenden Wortes auf das Kunstwort übertragen wird. Diese Strategie kann in dem hier durchgeführten Beurteilungsdesign nicht detailliert untersucht werden. Erstens wird nur ein einziges irreguläres Pluralflexiv angeboten: das -(e)n Flexiv. Dadurch wird es schwierig, direkt zu schließen, ob der irreguläre Plural aufgrund von Assoziationsstrategien anhand phonologischer Analogien als die bessere Form bevorzugt wird. Zweitens ist es fast unmöglich, Kunstwortitems zu konstruieren, die sich auf nur eine einzige Pluralform des Deutschen reimen. Das Item spand beispielsweise reimt sowohl mit Wörtern, die den Plural mit -e bilden (vgl. Hand - Hände) als auch mit Wörtern, die den Plural mit -er bilden (vgl. Land - Länder). Aus den Daten zum Spracherwerb ist die Interpretation zulässig, daß die phonologische Form der Kunstwörter einen entscheidenden Einfluß auf die Beurteilung der jeweiligen Pluralform hat. Sobald also ein Kunstwort in einem Kontext präsentiert wird, der die Bedingungen für die Regelanwendung erfüllt, beurteilen die Teilnehmer das regulär flektierte Item besser als das irregulär flektierte. Sind im Gegensatz die Bedingungen für die Verwendung einer Regel nicht gegeben, dann wird eine irreguläre Pluralbildung bevorzugt. Dabei muß hier offen bleiben, welche spezifischen Faktoren auf den Prozeß der assoziativen Pluralbildung einen Einfluß haben. In einem weiteren Elizitationsexperiment, in dem erfundene Wörter verwendet wurden, konnte zwar durch die andersartige Elizitationsweise (Produktion) dem ersten Einwand entgegnet werden. Das zweitgenannte Problem konnte allerdings nicht gelöst werden.

5.5

Experiment 4: Elizitation zur Pluralbildung bei erfundenen und existierenden Wörtern

Das Experiment ist als ein Produktionsexperiment ausgerichtet und beinhaltet sowohl Kunstwörter als auch existierende Wörter. Die Aufgabe der Kinder besteht in der Produktion einer Pluralform zu einem gegebenen Item. Auf diese Weise ist es möglich, neben der regulären Pluralgenerierung auch die Faktoren näher zu untersuchen, die bei der Produktion irregulärer Pluralformen eine Rolle spielen könnten. Dabei handelt es sich speziell um die Frage, wie stark der Einfluß der phonologischen Analogie zwischen dem Kunstwort und dem existierenden Wort auf die Pluralgenerierung des Kunstwortes ist. An diesem Experiment haben 53 Kinder im Alter von 3;6 bis 8; 11 Jahren (Durchschnitt: 6;2 Jahre) teilgenommen (26 Mädchen; 27 Jungen).

97 Dazu wurde ein Spielbrett, zwei Spielfiguren, ein Würfel, ein Kartenset mit existierenden Wörtern und drei Kartensets mit erfundenen Wörtern benötigt. Die Kärtchen sind z.T. illustriert, um einerseits einige der Kunstwortitems besser einfuhren zu können und um andererseits die Texte generell spielerischer zu gestalten. Die Itemliste beinhaltet zusätzlich 12 existierende Wörter, die aus Gründen der spielerischen Gestaltung und zur besseren Motivation der Untersuchungsteilnehmer in die Itemliste aufgenommen wurden (vgl. Tabelle 11 .a). In Tabelle l l . b ist die Liste der erfundenen Items aufgeführt. Sie setzt sich aus 6 reimenden Items und 6 Items ohne Analogie zu existierenden Wörtern zusammen. Für die realen Wörter (vgl Tabelle 11 .a) wurde die Auftretenshäufigkeit im Input kontrolliert. Es wird jeweils hinter dem Item die Type-Frequenz in Klammern hinzugefugt, wie sie bei Ruoff (1981) notiert ist. - 0 Plural Schlüssel (.01%) Kuchen (.04%) Wecker (k.E.) Tab. 11 .a

-(e)n Plural Tasse (.01%) Nadel (.01%) Leiter (.02%)

-e Plural Maus (.01%) Koch (.01%)

-er Plural Gespenst (k.E.) Blatt (.01%)

Itemliste der existierenden Wörter

Items mit Reim bral klot mur pind spert wak

Tab. 11 .b

-s Plural Lok(0%) Taxi (k.E.)

Reim möglich mit... Saal (.03%) Tal (.01%) Brot (.19%)

Items ohne Analogie bneik

Schnur (.02%) Kur (.01%) Kind (.77%) Rind (.01 %) Pferd (.08%) Wert (.11%) Tag (1.59%)

fnähf

bnöhk

fneik plaupf pleik

Itemliste der erfundenen Wörter

Die Kunstwörter wurden wiederum aus dem Experiment mit Erwachsenen von Marcus et al. (1995) entnommen und wie in dem Beurteilungsexperiment (vgl. Kapitel 5.4) in den drei unterschiedlichen Kontexten normaler Begriff, Name und Entlehnung mit variierendem Genus (feminin, maskulin, neutrum) angeboten. Der semantische Kontext und das Genus wurden in systematischer Weise variiert, damit gleichhäufig reimende und nicht-reimende Items in jeder Bedingung angeboten werden können. In jedem semantischen Kontext wurden insgesamt 4 Kunstwörter (zwei reimende und zwei ohne Analogie) getestet.

98 Beim Zusammenstellen der Itemlisten der Kunstwörter wurde darauf geachtet, daß sich sechs Items auf existierende Wörter reimen und weitere sechs Items keinerlei Analogie zu existierenden Wörtern zeigen. Jedes Kunstwort entspricht der Lautstruktur des Deutschen. Daraus entstehen drei Textversionen, wobei jede der Textversionen mit der gleichen Anzahl von Kindern durchgeführt wurde. Beispiele für die drei unterschiedlichen semantischen Kontexte sowie ein Beispiel zur exemplarischen Durchfuhrung sind in Anhang D zu finden. Die hier in Tabelle 11 .a und 11 .b präsentierte Reihenfolge entspricht nicht der tatsächlich verwendeten Reihenfolge. Diese wurde ein Mal quasi-randomisiert und entweder bei Item 1 beginnend oder bei Item 24 beginnend durchgeführt. Auf diese Weise erhält man sechs verschiedene Testreihenfolgen (vgl. Anhang D). Dieses Experiment ist als Satzergänzungsexperiment konzipiert worden. Hierzu werden im Rahmen eines Würfelspieles 24 Kärtchen präsentiert, die abwechselnd ein existierendes Wort und ein Kunstwort im Singularkontext einführen. Das Ziel ist, auf diese Weise die Bildung der entsprechenden Pluralform zu elizitieren. Das Kind und die Experimentator/in bekommen jeweils eine Spielfigur, um sich auf dem Spielbrett bewegen zu können. Das Kind würfelt und darf die gewürfelte Augenzahl erst dann setzen, wenn es 'das kleine Rätsel1 (den Lückensatz) gelöst hat. Das Kind setzt die von ihm gewürfelte Augenzahl, wohingegen der Experimentator die Differenz zur höchsten Augenzahl (Sechs) weitersetzt. So wird sichergestellt, daß das Kind als erster das Ziel auf dem Spielbrett erreicht. Die letzte Karte trägt die Aufschrift 'Rücke vor bis zum Ziel'.

Ergebnisse Da hier die realen Wörter nur zur Ablenkung der Versuchspersonen verwendet wurden, bleiben diese in den gesamten, folgenden Analysen unberücksichtigt. Sämtliche Auswertungen beziehen sich ausschließlich auf die Kunstwortitems. Insgesamt sind in diesem Experiment 642 Kunstwort-Pluralformen elizitiert worden, wobei 62% (n = 397) overte Pluralformen darstellen und 38% (n = 243) keine Pluralmarkierung tragen. Dieser Wert der null-markierten Formen liegt durchaus im üblichen Rahmen. In der Studie von Jean Berko (1958) bildeten die Kinder in etwa 35% der Fälle inkorrekte Pluralformen, was aufgrund der Pluralmorphologie des Englischen in der Regel bedeutet, daß keine Pluralmarkierung vorgenommen wurde. Gawlitzek-Maiwald (1994) elizitierte in ihrer Studie in etwa 64% der Fälle nicht markierte Formen in Pluralkontexten, während in den Daten von Schöler et al. (1989) zu etwa 39% Pluralformen ohne Pluralmarkierung zu finden sind. Aufgrund der uneindeutigen Interpretation der nicht-overten Pluralformen werden im folgenden lediglich die overt flektierten Pluralantworten zu den Auswertungen herangezogen. Der Fokus der Analysen für dieses Elizitationsverfahren soll auf die Einflußgrößen gelegt werden, die zu einer irregulären Pluralendung bei Kunstwörtern führen. Daher werde ich in den hier durchzuführenden Berechnungen nur diejenigen Kunstwörter berücksichtigen, die im

99 Kontext normaler Begriff präsentiert wurden. Diese Beschränkung beruht darauf, daß Items aus dem Kontext Name wenig zur Klärung dieses Punktes beitragen können, da aus den vorhergehenden Analysen (vgl. Kapitel 5.4, siehe auch Marcus et al. 1995; Bartke et al. 1995) bekannt ist, daß im Kontext Name Kunstwörter überwiegend mit dem regulären Flexiv markiert werden. Die Ergebnisse der Bedingung Entlehnung waren schwer zu interpretieren, weshalb ich auf die Präsentation dieser Items hier verzichten werde. Zusammenfassend bedeuten die Einschränkungen, daß die Antworten zu vier Items der Liste an dieser Stelle untersucht werden: zwei reimende Items (klot; pind) und zwei Items ohne Analogie zu existierenden Wörtern {plaupf; fiieik). Daraus resultieren insgesamt 211 Pluralformen, von denen 131 (62%) overt markiert worden sind. Ein erster Überblick (vgl. Abbildung 6) zeigt, welches Flexiv die Kinder am häufigsten zur Pluralbildung verwendet haben. 100 80

Affix

Abb. 6 Prozentuale Häufigkeiten der Pluralaffixe

Das -s Affix ist das mit Abstand am häufigsten verwendete Pluralflexiv, während das -er Affix hier überhaupt nicht verwendet wurde. Daß das -e Allomorph häufiger verwendet wird als das -(e)n Allomorph, ist schon in den Ergebnissen von Experiment 1 beobachtet worden (vgl. Kapitel 5.2). Da es sich hier aber wie in Experiment 3 um Kunstwörter mit einer speziell kontrollierten Phonologie in der semantischen Umgebung normaler Begriff handelt, ist auch hier die Frage von Interesse, inwieweit die Phonologie (Reim versus Nicht-Reim) des Items einen Einfluß auf die Generierung der Pluralformen hat. Für die rechnerischen Analysen, die zur quantitativen Auswertung herangezogen wurden, ist der Alpha-Wert mit a* = .016 10 anzugeben.

In Experiment 4 wurden 4 Teiluntersuchungen durchgeführt, von denen 1 auf dem .05 Niveau signifikant ist. Demnach sind drei Teiluntersuchungen in die Adjustierung des Alpha-Wertes miteinzubeziehen: a * =.05 / 3 = .016.

100 Für die betreffenden Kunstwörter ist in Abhängigkeit von der phonologischen Form ein unterschiedliches Antwortverhalten zu beobachten (vgl. Abbildung 7). Bei der Auswertung wurden Pluralformen mit dem -5 Flexiv als regulär gewertet; alle anderen Pluralformen {-e, -(e)n, -er) wurden als irregulär gewertet. 100 80 Antworten in %

60

'

40

20 •

0 Reim

ohne Analogie

irreg. Forni "

Abb.7

'reguläre Form

Pluralmarkierung im Kontext normaler Begriff

Wie Abbildung 7 illustriert, bestätigt sich die Tendenz, die bereits in Experiment 3 (vgl. Abb. 4) zu erkennen war. Zeigt ein Kunstitem eine Analogie zu realen Wörtern, wird es signifikant häufiger mit einem irregulären Affix markiert (MW: 56), als wenn ein Item ohne Analogie präsentiert wird (MW: .42; Vorzeichentest; Z = 2.9398, p = .0016; sign.). In der Bedingung Ohne Analogie werden häufiger reguläre Pluralbildungen beobachtet (MW: .58) als in der Bedingung Reim (MW: .44), doch bleibt die statistische Kalkulation ohne Signifikanz (Vorzeichentest; Z = 1.1180, p = .2512). Gleichzeitig ist festzustellen, daß die Kinder in der Bedingung Reim tendenziell die Bildung einer irregulären Pluralform (MW: .56) einer regulären (MW: .44) vorziehen (Vorzeichentest; Z = .3481, p = .3638). Wenn hingegen ein Item keine Analogie zu einem existierenden Lexem aufweist, wird es bevorzugt mit dem regulären Pluralaffix (-s Affix) flektiert (MW: 58 vs. .42), wobei auch hier allerdings der statistische Nachweis kein signifikantes Ergebnis erbringt (Vorzeichentest; Z lA667,p = .1216). Diese quantitativen Analysen zeigen die Tendenz, daß die Kinder das Kriterium der phonologischen Form anwenden und bei Kunstwörtern, die keine Assoziationen zu bekannten, irregulären Pluralbildungen erlauben, auf die Anwendung einer symbolischen Regel ausweichen, d.h. das -s Affix zur Pluralmarkierung verwenden. Bei Items mit Reimmöglichkeit zeigt sich zumindest eine Tendenz dafür, daß die Kinder sich u.a. eine Analogiebildung zunutze machen. Allerdings läßt sich nicht uneingeschränkt sagen, daß die Kinder hier bevorzugt Analogiebildungen generieren, da reguläre und auch irreguläre Pluralbildungen fast gleichhäufig auftreten. Dieses Produktionsexperiment erlaubt, den Einfluß der Reimbedingung auf die Pluralbildung näher zu untersuchen. Die weiterführende Frage ist daher, auf welche Weise die irre-

101 gulären Pluralmarkierungen für die Reimwörter selektiert werden. Einerseits besteht die Möglichkeit, daß die Kinder eine auf der Phonologie basierende Assoziationsstrategie verwenden, andererseits könnte eine frequenzgeleitete Strategie die Pluralbildung beeinflussen. In einer ersten Annäherung werden für die einzelnen Kunstwörter mit Analogie die entsprechenden existierenden Wörter und deren Pluralformen ermittelt. Die Items, die im Mittelpunkt der nachfolgenden Auswertung stehen, lauten klot und pind (vgl. auch Itemliste in Tab ll.b). Die Items klot und pind, die als normale Begriffe präsentiert werden, können mit einer -e Pluralform {Brote) bzw. mit einer -e oder -er Pluralform (Winde; Kinder) assoziativ verbunden werden. Die Pluralformen der Kinder sind in Tabelle 12 notiert, wobei die schattierten Felder die über Assoziation zu den existierenden Wörtern erreichbaren Flexive darstellen.

Item klot pind

Tab. 12

-s 33% (10) 55% (21)

Pluralendung -e -fein 17% 50% Ü5) (5) 16% 29% (6) an

-er -

-

Die produzierten Pluralformen für die Items klot und pind

Während pind am häufigsten mit dem regulären -s Affix für den Plural markiert wird, ist für das Item klot eindeutig die irreguläre Form mit dem -e Allomorph die häufigste Form. Inwieweit es sich bei den irregulären Pluralbildungen um die spezifische, vorhersagbare Pluralform handelt, kann dadurch ermittelt werden, indem die -s Pluralmarkierungen herausgenommen werden. Auf diese Weise wird ein direkter Vergleich der einzelnen irregulären Pluralgenerierungen möglich. In einer detaillierten Analyse werden die Häufigkeiten der Pluralformen zusammengefaßt, die über assoziative Strategien gebildet werden könnten und so denjenigen Häufigkeiten gegenübergestellt, die mit den verbleibenden irregulären Formen erzeugt wurden. Das Ergebnis ist in Abbildung 8 dargestellt.

102 100 80

75%

Zahl der 6 0 Plurale in % 40

15%

20

0 klot

pind

Item • Assoziative Form • übrige irreguläre Form

Abb. 8 Häufigkeiten der assoziativ möglichen Pluralformen vs. übrige irreguläre Formen

Hier zeigt sich deutlich, daß die irregulären Pluralmarkierungen zu einem großen Übermaß aus denjenigen Formen bestehen, aus denen auch die Pluralformen der korrespondierenden existierenden Wörter bestehen.

5.6 Zusammenfassung Die hier präsentierten Analysen sollen zur Diskussion dessen herangezogen werden, ob Kinder eine qualitative Distinktion zwischen regulärer und irregulärer Pluralflexion ziehen können. Mit Hilfe der Ergebnisse aus Experiment 1 konnte gezeigt werden, daß selbst die jüngsten Kinder der hier untersuchten Teilnehmergruppe ein spezifisches Affix als reguläres Affix verwenden und dieses als Defaultwert kategorisiert haben. Im überwiegenden Maße haben die Kinder dasjenige Affix mit dem Defaultstatus belegt, das auch im Pluralsystem erwachsener Sprecher den Defaultwert darstellt: das -s Affix. Es hat sich herausgestellt, daß selbst für die Kinder, die mehr als ein spezifisches Affix in den Übergeneralisierungen verwenden, ebenfalls das -s Affix als den Defaultwert erkannt und klassifiziert haben. Dies konnte anhand der Daten, die aus dem Bereich der Kompositaelizitation stammen gezeigt werden: Während diese Kinder das -s Flexiv prinzipiell aus den Komposita ausschließen, können die übrigen Affixe, die zwar auch in den Übergeneralisierungen verwendet werden, dennoch fakultativ in der Erstkonstituente der Komposita beibehalten werden. Die Ergebnisse aus Experiment 1 konnten durch weitere empirische Evidenz aus Experiment 2, das sich auf die Morphologie der lexikalischen Komposition konzentriert, gestützt werden. Hiermit ist eine experimentell erhobene Grundlage dafür gefunden worden, daß der

103

Defaultprozeß mit zwei Eigenschaften beschrieben werden kann, die zugleich zwei morphologische Teilbereiche des mentalen Lexikons miteinander verknüpfen: i) Das Defaultflexiv wird dann eingesetzt, wenn der spezifischere Eintrag, d.h. die zielsprachliche Pluralform, (noch) nicht zur Verfugung steht. In Übergeneralisierungen wird demzufolge dasjenige Flexiv bevorzugt verwendet, das das Kind mit dem Defaultstatus belegt hat. ii) Das Defaultflexiv ist von den Prozessen der lexikalischen Komposition ausgeschlossen, d.h. es kann nicht innerhalb der Erstkonstituente auftreten. Unter Berücksichtigung dieser Eigenschaft kann dasjenige Pluralflexiv als der Default ermittelt werden. Das Beurteilungsexperiment hat dazu gedient, die näheren Bedingungen herauszufiltern, unter denen die Verwendung eines Defaultplurals stattfindet. Wie die Ergebnisse zeigen konnten, spielen der semantische Kontext sowie die phonologische Form des präsentierten Items eine große Rolle. Während Namen prinzipiell mit einer regulären Pluralendung, also der Defaultform, gegenüber einer irregulär flektierten Form bevorzugt werden, zeigt sich in dem Kontext normaler Begriff klar der Effekt der phonologischen Form, da Items ohne Analogie häufiger mit einer regulären Pluralendung als die bessere Form beurteilt werden, als dies bei Items mit Analogie der Fall war. Die hier erzielten Ergebnisse gleichen den Daten, die aus einem Experiment mit gleichen Items bei Erwachsenen elizitiert wurden. Es ist die Schlußfolgerung erlaubt, daß die hier untersuchten Kinder, darunter selbst die Jüngsten der Gruppe, bereits das Pluralsystem der Erwachsenensprache erworben haben. Während mit den Resultaten aus dem Beurteilungsverfahren die Anwendungsbedingungen für die Defaultstrategie charakterisiert werden können, muß die Frage nach den Mechanismen zur Verwendung der irregulären Pluralflexive offen bleiben. Zwischen den zwei hier gebotenen Antwortalternativen kann nicht entschieden werden. Wie Marcus et al. (1995) aus den Beurteilungen der Erwachsenen schließen konnten, beruhen die Bevorzugungen der irregulären Plurale auf assoziativen Strategien, die sich phonologische Ähnlichkeiten zunutze machen. Aufgrund der hier eingesetzten Versuchskonzeption ist aber eine Grundlage für eine derartige Aussage nicht gegeben. Hierfür können jedoch die Daten aus dem Experiment 4, einem Produktionsexperiment mit Kunstwörtern, herangezogen werden. Die Analysen zu Experiment 4 erbrachten einen starken Effekt aufgrund der Phonologie des jeweiligen Items. Sobald die Phonologie keine Analogie zu einem existierenden Wort ermöglichte, produzierten die Kinder mehr reguläre Pluralformen (-s flektierte Formen) als irregulär gebildete Pluralformen. Eine detaillierte Analyse der irregulären Pluralbildungen bei den Items mit Analogie gibt Hinweise darauf, daß die über assoziative Bahnen gebildeten Formen (Plurale mit dem -e Affix) gegenüber den verbleibenden irregulären Pluralformen im quantitativen Übergewicht sind. Gleichzeitig aber könnte die Verwendung des -e Flexivs das Ergebnis einer frequenzgeleiteten Strategie sein, da das -e Flexiv zugleich das häufigste, im Input auftretende

104 Pluralflexiv ist. Daher ist es verfrüht, bei der Verwendung des -e Pluralflexivs bei Kunstwortitems allein assoziative Strategien anzunehmen, die auf der phonologischen Form des präsentierten Items beruhen. Hiermit soll die Datenpräsentation für die Pluralmorphologie und lexikalische Komposition im unauffälligen Spracherwerb abgeschlossen werden und im anschließenden Kapitel im Rahmen der hier relevanten theoretischen Modelle diskutiert werden.

Kapitel 6 Relationen zwischen Pluralmorphologie und Komposition

6.1 Reguläre/irreguläre Flexion und Reihenfolgebeschränkungen Die zuvor dargestellten Daten (Kapitel 5) können zusammen mit den Ergebnissen vorhandener Studien einen Beitrag zu der Diskussion leisten, auf welche Weise morphologisches Wissen mental repräsentiert ist. Zwei unterschiedliche Modelltypen werden dazu herangezogen: i) unitär angelegte Modelle (vgl. Kapitel 2.2); ii) das Dual Mechanism Modell (vgl. Kapitel 2.3). Die Ansätze unter dem erstgenannten Punkt können als unitär strukturiert bezeichnet werden, da sie alle morphologischen Prozesse auf jeweils einen einzigen Generierungsmechanismus zurückfuhren. Dabei sind zwei gegensätzliche Modellvorstellungen zu berücksichtigen. Einerseits werden konnektionistisch orientierte Simulationsmodelle entwickelt, deren Kernstück - d e r Musterassoziierer- als ein frequenzbasiertes Netzwerk angelegt ist. Allein Assoziationsstrukturen generieren unter Zuhilfenahme von Inputfrequenzen die jeweilige Outputform (vgl. auch Kap. 2.2.1). In anderen Modellen wie z.B. dem Ebenenmodell (Kiparsky 1982) oder dem Flußdiagramm-Modell von Mugdan (1977) werden alle Outputformen ausschließlich mittels symbolischer Regeln gebildet. Demgegenüber greift das Dual Mechanism Modell (Pinker & Prince 1991) auf zwei qualitativ verschiedene Mechanismen zur Generierung der Nominalplurale zurück, die der qualitativen Distinktion zwischen regulärer und irregulärer Pluralflexion Rechnung tragen: eine Defaultregel und ein phonologieorientiertes Netzwerk 1 . In konnektionistischen Netzwerkmodellen mit Musterassoziierer werden Plurale rein über frequenzbasierte Netzwerkstrukturen gebildet. Im Englischen ist das -s Flexiv die frequenteste overte Pluralmarkierung; die drei mit -en flektierten Formen oxen (Ochsen), brethren (Brüder, relig.) und children (Kinder) sind nicht mehr produktiv und können als Ausnahmen angesehen werden. Die Beobachtung, daß Übergeneralisierungen im natürlichen Spracherwerb des Englischen überwiegend mit dem -s Flexiv beobachtet werden, kann also auf die erhöhte Inputfrequenz zurückgeführt werden. Die hohe Inputfrequenz veranlaßt die Kinder zu Übergeneralisierungen mit eben dem -s Flexiv. Die Chance, eine korrekte Form zu bilden, ist daher relativ hoch. Ein frequenzorientiertes Netzwerk wäre damit eine adäquate Repräsentation. Allerdings läßt sich die Beobachtung im Spracherwerb auch mit z.B. dem Ebenenmodell erklären: Die hohe Zahl der -s Übergeneralisierungen geht auf den Defaultstatus des -s Flexivs zurück (vgl. Gordon 1985).

1

Assoziationen können auch auf z.B. semantischer Basis erfolgen, doch sowohl in Pinker & Prince (1991) als auch hier wurde untersucht, inwieweit ein phonologieorientiertes Netzwerk als ein adäquater Mechanismus zur mentalen Repräsentation der Pluralmorphologie angenommen werden darf.

106 Wäre die Annahme eines frequenzorientierten Netzwerkes als adäquat anzusehen, so würde man in den Ergebnissen der hier präsentierten Daten zum Deutschen erwartet, daß die inkorrekt gebildeten Pluralformen am häufigsten mit dem -(e)n und/oder -e Flexiv zu beobachten seien, da Pluralformen mit eben diesen Affixen am häufigsten im an Kinder gerichteten Input auftreten. Diese Vorhersage scheint sich in Daten der Studien von Veit (1986), Schaner-Wolles (1988) oder Gawlitzek-Maiwald (1994) zu bestätigen. Allerdings muß berücksichtigt werden, daß gerade in der Studie mit Kunstwörtern von Gawlitzek-Maiwald (1994) die Kunstwörter nicht dafür geeignet sind, den Defaultplural zu elizitieren. Sie erlauben aufgrund phonologischer Ähnlichkeiten zu existierenden Wörtern Assoziationsbildungen mit irregulären Pluralflexiven. Wie die Ergebnisse der hier vorgelegten Studie (z.B. Schritt 2 des ersten Experimentes; Experiment 3 und 4) belegen können, werden nicht das -(e)n bzw. -e Affix am häufigsten inkorrekt affigiert (vgl. Kapitel 5, Abbildung 2). Statt dessen ist das -s Allomorph dasjenige Flexiv, das am häufigsten in den Übergeneralisierungen der Kinder aller Altersstufen zu beobachten ist, obgleich dies das Affix mit der geringsten Inputfrequenz ist (vgl. Kapitel 2, Tabellen 3 und 4). Diese Resultate lassen darauf schließen, daß ein konnektionistisch orientiertes Flexionsmodell, das sich auf frequenzbasierte Netzwerkstrukturen stützt, nicht erklärungsadäquat sein kann. Die Daten zur deutschen Pluralmorphologie erlauben die Zurückweisung eines solchen Modells.

Distinktion zwischen regulärer und irregulärer Pluralflexion Die Ergebnisse der hier präsentierten Experimentdaten sowie die der vorhandenen Spontansprachuntersuchungen ermöglichen es, die vier Leitfragen der Untersuchung zu beantworten (vgl. Kap. 4, Zusammenfassung). Die Ergebnisse aus den Experimenten 1, 3 und 4 zeigen, daß die Kinder einen qualitativen Unterschied zwischen regulärer und irregulärer Pluralflexion machen. Dabei wurde das -s Flexiv, das reguläre Flexiv, nach dem Elsewhere Prinzip verwendet. Im Vergleich zu den übrigen Pluralaffixen ist das -s Affix dasjenige, das am häufigsten in Übergeneralisierungen auftrat, also in Kontexten, in denen ein spezifischerer Plural für die Kinder nicht verfügbar war. Für die Mehrzahl der Kinder ist demzufolge das -s Affix mit dem Defaultstatus belegt, wohingegen für eine kleine Gruppe das -e Affix bzw. eine weitere sehr kleine Gruppe das -(e)n Affix als Default zu benennen ist. Obwohl also eine leichte Variation in bezug auf die konkrete Ausfüllung der Defaultvariable zu finden ist (s; -e; -(e)ri), konnte gezeigt werden, daß doch alle Kinder ihr spezifisches Defaultaffix nach denselben morphologischen Flexionsund Kompositionsprinzipien einsetzen. Die theoretischen Ansätze orientieren sich an dem Grammatiksystem erwachsener Sprecher, wohingegen hier Daten aus dem Spracherwerb zur Diskussion stehen. Die Teilnehmergruppe setzt sich aus Kindern zwischen dem Alter von 3;1 Jahren und 8; 11 Jahren zusammen; in der Langzeitstudie von Clahsen et al. (1992) wird das Kind Simone im Alter von 1;7 bis 3;9 Jahren untersucht. In den Ergebnissen der hier vorgestellten Experimente

107 (insbesondere in den Experimenten 1, 3 und 4) sowie in der Langzeitstudie von Clahsen et al. (1992) wird deutlich, daß bereits die jüngsten Kinder der Teilnehmergruppe das Grammatiksystem der Erwachsenen beherrschen: Von Beginn an wird eine qualitative Distinktion zwischen regulärer und irregulärer Pluralflexion vorgenommen. Welche Erklärung für die Auswahl des -e bzw. -(e)n Affixes als Default in den Daten einer sehr kleinen Teilgruppe gefunden werden kann, muß an dieser Stelle offen bleiben. Auch die Frage danach, wann, durch welche Auslöser und ob überhaupt diese Kinder im Laufe des weiteren Lernprozesses sich umorientieren, d.h. letztendlich ebenfalls das -s Affix als Defaultwert des deutschen Pluralsystems erkennen, kann hier nicht geklärt werden. Zusammengenommen erlauben diese Daten die Interpretation, daß von Beginn an die kindliche Grammatik bezüglich der Pluralflexion und, wie im folgenden noch zu zeigen sein wird, der Komposition genauso strukturiert ist wie die Grammatik erwachsener Sprecher.

Die Selektion des Defaultflexivs Besondere Aufmerksamkeit gilt nun der Frage, welche Hinweise im sprachlichen Input die Kinder dazu veranlassen könnten, das -s Flexiv in die Defaultregel einzusetzen. Die kindliche Grammatik ist dabei auf Informationen aus dem Input angewiesen, die das -s Flexiv als mögliches Defaultflexiv kennzeichnen. Es sind die zahlreichen Bedingungen, in denen in der Grammatik der Erwachsenen die Defaultregel und damit das -s Affix angewendet wird. In der experimentellen Studie von Marcus et al. (1995) konnten 13 Kontexte identifiziert werden, die für erwachsene Sprecher des Deutschen die Verwendung eines Defaultplurals erfordern. Die Liste der defaultfordernden Kontexte habe ich hier in Abbildung 1 wiederholt (vgl. Marcus et al. 1995:59). 1. 2. 3. 4. 5.

Erfundene Wörter, für die kein anderweitiger Lexikoneintrag vorhanden sein kann. Beispiel: klots Erfundene Wörter, die eine sehr ungewöhnliche Lautstruktur haben. Beispiel: frieiks Onomatopoetische Wörter. Beispiel: Wauwaus Zitate. Beispiel: Drei 'Manns' sind in dem Satz enthalten. Familiennamen. Beispiel: Thomas Manns

Abb.l

Kontexte der Defaultverwendung; Erwachsenensystem (nach Marcus et al. 1995:59)

108 (Abb. 1, Fortsetzung) 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13.

Nicht-assimilierte Entlehnungen. Beispiel: Kiosks Abkürzungen. Beispiel: Sozis Akronyme. Beispiel: GmbHs Nominalisierte Konjunktionen. Beispiel: die Wenns und Abers Eponyme. Beispiel: Fausts Produktnamen. Beispiel: Golfs, Kadetts Nominalisierte VPs. Beispiel: Tunichtguts, Rührmichnichtans Normale Versprecher in der Alltagskonversation. Beispiel: *Laserstrahls

Das -s Flexiv kann also, wie bereits in Kapitel 3 dargelegt und durch die Merkmalsliste in Abb. 1 nochmals illustriert, dadurch charakterisiert werden, daß es in bezug auf die phonologische Umgebung sehr viel freier ist als die übrigen Flexive. Es tritt nicht präferiert mit einem bestimmten Genus auf. Es zeichnet sich durch seine extrem seltene Auftretenshäufigkeit aus. Diesem 'Profil' kann an dieser Stelle eine weitere wichtige Eigenschaft hinzugefügt werden. Und zwar ist das -s Allomorph bezüglich der semantischen und syntaktischen Bedingungen (vgl. Abb. 1) ebenfalls sehr viel ungebundener als die übrigen Pluralaffixe. Gegenüber den anderen Affixen tritt das -s Flexiv in Kontexten auf, die vom Kunstwort über Namen (welche auch in der vorliegenden Studie untersucht wurden) bis hin zu normalen Versprechern reichen. In den oben aufgelisteten Kontexten ist die Affigierung eines irregulären Pluralallomorphs nahezu unmöglich. Man könnte die Zahl der Auftretenskontexte des -s Flexivs ebenfalls als eine Art von Frequenz bezeichnen (Kontextfrequenz), doch ist diese von fundamental abweichender Qualität als die bisher erwähnte Auftretensfrequenz, die im Rahmen des Computersimulationsmodells von Rumelhart und McClelland (1986) von Bedeutung war. Während sich die vergleichsweise hohe Frequenz der irregulären Flexive durch ihr generelles Auftreten auszeichnet (Oberflächenfrequenz), wird die Besonderheit des Defaultflexivs durch die extrem niedrige Oberflächenfrequenz einerseits und die extrem hohe Kontextfrequenz andererseits bestimmt. Die Kontextfrequenz ist es, die die Aufmerksamkeit des Lerners auf das -s Affix lenkt. Ohne notwendigerweise über alle möglichen Bedingungen zur Defaultanwendung gleichzeitig verfügen zu müssen, kann der Lerner erkennen, daß hier ein Pluralflexiv erscheint, das in bezug auf Genus oder Phonologie extrem flexibel ist.

109 Die nächstfolgende Frage ist, ob und ab wann die Kinder sich die Kontextfrequenz zunutze machen können, um daraus genügend Hinweise für die Defaultklassifizierung zu erlangen. Wie besonders die Ergebnisse zur Pluralmarkierung von Kunstwörtern aus Experiment 3 zeigen, können die Kinder eine extrem ungewöhnliche Lautstruktur als Kontext für die Defaultapplikation erkennen, da hier selbst die jüngsten Kinder der Probandengruppe bevorzugt die regulär flektierten Pluralformen (d.h. mit -s flektiert) als die besseren angeben. Im Kontext Name, wie in Experiment 3 empirisch belegt, wird deutlich, daß auch diese Bedingung von den Kindern als defaultfordernd erkannt wird, da hier die Phonologie der angebotenen Kunstwörter in den Hintergrund rückt: Sowohl reimende als auch Nicht-reimende Kunstwörter werden als regulär flektierte Formen den irregulären Pluralbildungen deutlich vorgezogen. Zusammenfassend lassen sich die Ergebnisse in der Weise interpretieren, daß selbst die jüngsten Kinder der Teilnehmergruppe zumindest diese beiden Bedingungen als Defaultbedingungen erkannt haben. Sie sind Teil der Liste (vgl. Abb. 1), die die Kontextfrequenz des -5 Affixes bedingt.

Irreguläre Pluralbildung Für die Darstellung der irregulären Pluralbildung stehen in einem rein regelbasierten Modell (vgl. Mugdan 1977, MacWhinney 1978, Kiparsky 1982) Regeln, Subregeln und Ausnahmelisten zur Verfügung. Alternativ wird im Dual Mechanism Modell (Pinker 1984; Pinker & Prince 1991) ein assoziatives Netzwerk herangezogen, das sich auf phonologische Analogien stützt. Einem regelbasierten Modell zufolge wäre für die Daten aus dem Erwerb des Deutschen erwartet worden, daß die irregulären Affixe nahezu gleichhäufig in den Fehlmarkierungen auftreten, da die Kontextbedingungen der jeweiligen Regel abgesehen von dem -(e)n Affix eher arbiträr sind. Die Kinder müßten deshalb für jedes Affix gleichhäufig 'ausprobieren', ob sie damit eine zielsprachliche Form generieren oder nicht. Dieser Effekt sollte sich besonders bei den Kunstwörtern zeigen. Wie die Ergebnisse aus Experiment 1, 3 und besonders 4 aber zeigen, sind die irregulären Affixe nicht gleichhäufig in den inkorrekten Pluralbildungen repräsentiert. Das -e Affix wird am häufigsten verwendet, wobei das -er Affix am seltensten auftritt. Diese Beobachtung spricht gegen die Annahme, daß irreguläre Pluralallomorphe durch symbolische Regeln repräsentiert werden. Die Ergebnisse aus Experiment 4 legen die Vermutung nahe, daß phonologische Analogien einen Einfluß auf die Pluralgenerierung bei reimenden Kunstwörtern haben. Dort zeigte eine itemspezifische Analyse, daß neben dem -s Affix vor allem dasjenige irreguläre Flexiv zur Generierung einer Pluralform verwendet wird, das in den Pluralformen der existierenden Pluralformen erscheint: das -e Flexiv. Dieses Ergebnis kann in Verbindung mit Ergebnissen zum Erwachsenensystem (Marcus et al. 1995) also eher mittels einer Beschreibung und Erklärung im Sinne des Dual Mechanism Modells interpretiert werden. Nicht über symbolische Regeln werden irreguläre Pluralformen generiert, sondern durch ein assoziatives Netzwerk. Im Gegensatz zu den frequenzbasierten Netzwerken der konnektionistisch

110 orientierten Arbeitsgruppen basiert jedoch in diesem Modell das Netzwerk auf phonologischen Ähnlichkeiten. Dabei geht der Lerner in der Weise vor, daß er zunächst aufgrund der Lautstruktur des Items entscheiden muß, inwieweit diese einem ihm bekannten Wort ähnelt. Findet er in seinem mentalen Lexikon ein Wort, das in seiner phonologischen Gestalt dem unbekannten Wort (hier: Kunstwort) ähnlich ist, kann die Pluralform des existierenden Wortes auf das neue übertragen werden. Auf diese Weise kann ein Kunstwort mit einem irregulären Plural flektiert werden. Problematisch an den hier präsentierten Daten ist, daß die hier verwendeten Kunstwörter eine phonologische Analogie zu existierenden Wörtern aufweisen, die den Plural mit dem -e Affix bilden. Das -e Pluralflexiv stellt aber gleichzeitig dasjenige Flexiv dar, das die höchste Inputfrequenz besitzt, wenn man bei der Frequenzauswertung die Lexeme unberücksichtigt läßt, die aufgrund einer Subregel das -(e)n Flexiv erhalten haben (vgl. Kapitel 3/ Tabelle 4). Mit den hier präsentierten Daten allein läßt sich also nicht eindeutig eine analogiegesteuerte Netzwerkrepräsentation empirisch belegen. Weitere empirische Evidenz liefern jedoch Studien, die ebenfalls Elizitationsverfahren mit Kunstwörtern durchgeführt haben (u.a. Mugdan 1977, MacWhinney 1978, Schöler & Kany 1988, Gawlitzek-Maiwald 1995; vgl. Kapitel 4). Das in diesen Studien verwendete Kunstwortmaterial zeigte sehr starke phonologische Ähnlichkeit zu existierenden Wörtern des Deutschen. Auf diese Weise wurden in der jeweiligen Untersuchung statt der Defaultflexion Pluralbildungen mit irregulären Pluralaffixen elizitiert. Dieses Ergebnis führe ich auf eine analogiegesteuerte Assoziationsstrategie zurück, bei der das Kunstwort dasjenige Pluralaffix erhalten hat, das im lexikalischen Eintrag des entsprechenden existierenden Wortes notiert war.

Die mentale Repräsentation irregulärer Pluralformen Die Speicherung von irregulären Pluralformen kann einerseits in der Anlage einer simplen Liste bestehen. Einen attraktiveren Vorschlag aber, der zusammen mit der Idee der phonologischen Analogien eine höchst effiziente, assoziative Netzwerkstruktur darstellen würde, ist der Prototypen-Ansatz. Am Beispiel der englischen Verbflexion für Tempus haben Bybee und Moder (1985) eine Kategorisierung der englischen Verben vorgenommen, die sich an der phonologischen Ähnlichkeit orientierte. Beispielsweise bilden die Verben drink, shrink, sink und stink eine Gruppe (Cluster), da sie bei der Tempusmarkierung derselben Ablautreihe folgen (vgl. drank, shrank, sank und stank; Beispiele nach Bybee & Moder 1985:252). Allerdings gibt es hierbei auch Verben, die trotz der phonologischen Ähnlichkeit im Präsens eine andere Vergangenheitsform bilden (vgl. bring vs. * brang/brought), so daß diese einem anderen Cluster zugeordnet werden müssen. In dem Minimalist Morphology Modell von Wunderlich und Fabri (1994) werden alle unvorhersagbaren Informationen in die nicht-monotonen Vererbungsbäume eingetragen, wobei Flexion ein monotoner Prozeß ist. Dabei können in allgemeinen lexikalischen Templates (general lexical templates) auch Clusterphänomene berücksichtigt werden. Alle Formen, die nicht im Lexikoneintrag erscheinen, werden regulär flektiert. Dadurch wird die

111 Darstellung strukturierter Lexikoneinträge möglich (Wunderlich & Fabri 1994:36; vgl. auch Kap.2). Beispielsweise könnten Tisch/Tische und Fisch/Fische als einem gemeinsamen Cluster, d.h. einem allgemeinen lexikalischen Template, zugehörig analysiert werden, Hand/Hände und Wand/Wände einem anderen Template, Land/Länder und Rand/Ränder wieder einem anderen (vgl. Beispiel 1). a)

b)

C)

Fisch/Fische;

Land/Länder

Hand/Hände

[•••X]+pi

[ l[a]nt ] +N 1 1 [...[+f]...R]+pl

[ h[a]nt ] + N 1 1 [...[+f]..X]+pi

Beispiel 1 Lexikalische Einträge für Plural (nach Wunderlich & Fabri 1994:36)

Mittels einer solchen Annahme ließen sich unterschiedliche Pluralbildungen für z.B. das Kunstwort spand (Exp. 3 und Exp. 4) erklären, die mal mit spande, und mal mit spander angegeben werden. Wenn einer Versuchsperson (hier ein Kind) ein Kunstwort wie z.B. spand vorgegeben wird, so hat sie die Möglichkeit, aufgrund der phonologischen Ähnlichkeit sowohl das Template l.b als auch das Template l.c als Muster zu verwenden.

Reihenfolgebeschränkungen im mentalen Lexikon In verschiedenen Erklärungsansätzen werden Reihenfolgebeschränkungen zwischen der Pluralflexion und der lexikalischen Komposition in die Darstellung des mentalen Lexikons miteinbezogen (Borer, 1988; Clahsen et al. 1996; di Sciullo & Williams 1987; Kiparsky 1982; Wiese 1987, 1988, 1996). Aufgrund der bereits ausführlich beschriebenen Reihenfolgebeschränkungen (vgl. Kap. 3) ist zu erwarten, daß die Kinder irreguläre Pluralmarkierungen in der Erstkonstituente eines Kompositums beibehalten können, während das reguläre Pluralflexiv nicht innerhalb eines Kompositums erscheinen kann (Brächet Erasure Convention). In den Ergebnissen der Experimente 1 und 2 wird deutlich, daß in den hier präsentierten Daten ein Zusammenhang zwischen der Pluralmorphologie und den Prozessen der lexikalischen Komposition besteht. Aus den Daten der Kinder, die in den Übergeneralisierungen ein spezifisches Affix verwenden, läßt sich schließen, daß es sich hierbei um den Defaultwert des jeweiligen Kindes handelt. Die enge Verknüpfung von Pluralflexion und lexikalischer Komposition läßt vermuten, daß die mentale Repräsentation der Grammatik spezifisch strukturiert ist. Sowohl die experimentell erhobenen Daten als auch die Spontansprachanalysen legen nahe, daß diese Strukturierung bereits zu einem frühen Zeitpunkt des Erwerbs zur Verfügung steht. Das

112 Defaultpluralflexiv wird signifikant häufiger in der Erstkonstituente eines Kompositums ausgelassen, als dies für die irregulären Pluralallomorphe zu beobachten ist. Reihenfolgebeschränkungen garantieren dafür, daß spezifische Mechanismen für die irreguläre Pluralflexion aktiviert werden, bevor Komposition stattfindet, so daß irreguläre Pluralbildungen innerhalb von Komposita zur Verfügung stehen. Die reguläre Pluralflexion, d.h. die Defaultflexion, jedoch erfolgt erst in dem Moment, in dem ein spezifischer, d.h. irregulärer Pluraleintrag für das betreffende Item nicht vorhanden ist bzw. nicht zugriffsbereit ist. Auf diese Option kann erst nach der Abarbeitung aller anderen morphologischen Prozesse wie z.B. dem der Komposition zurückgegriffen werden. Eine solche Analyse ist mit dem Dual Mechanism Modell von Pinker und Prince (1988, 1991) kompatibel. Hier wurden ursprünglich keine Relationen zwischen den qualitativ unterschiedlichen Flexionstypen einerseits und der lexikalischen Komposition andererseits berücksichtigt. Doch die Nachordnung des Defaultprozesses nach Prozessen der irregulären Pluralflexion und nach der lexikalischen Komposition läßt sich mit der Grundidee des Dual Mechanism Modells verbinden. Eine gleiche Anordnung von Flexions- und Wortbildungsprozessen wäre im Ansatz der Minimalist Morphology (Wunderlich & Fabri 1994) denkbar. Daß spezifische Relationen zwischen Prozessen der Flexion und Komposition nicht nur im Deutschen zu beobachten sind, zeigte die Untersuchung von Gordon (1985). Die Kinder seiner Studie verwendeten in 98% der Fälle das Defaultflexiv nicht im Kompositum (vgl. auch Kap.3). Gordon interpretierte seine Ergebnisse als empirische Evidenz für das Ebenenmodell (Kiparsky 1982, 1985). Eine Alternative zur Festlegung von Lexikonebenen, die alle Flexionsprozesse erfassen, bietet der in Kapitel 2 näher beschriebene Ansatz der Parallel Morphology, wie er von Borer (1988) vorgeschlagen wurde. In diesem Konzept wird die Defaultflexion als ein dem Lexikon vollständig nachgeschalteter Prozeß analysiert, der als solcher in die syntaktischen Komponente integriert wird. Die Unterschiede der beiden o.g. Konzepte bestehen darin, daß der Defaultprozeß in dem einen Modell als lexikalischer Prozeß dargestellt wird, in dem anderen jedoch als syntaktischer Prozeß. Die Gemeinsamkeit der beiden Modelle besteht jedoch darin, daß in beiden Modellen eine klare Distinktion zwischen der regulären und der irregulären Pluralflexion sowie der Komposition vorgenommen wird. Die Anordnung der drei morphologischen Prozesse zueinander ist jeweils so getroffen worden, daß die Defaultflexion sozusagen 'zu spät' erfolgt um regulär pluralmarkierte Simplizia für die Komposition bereitstellen zu können. Für eine Entscheidung zwischen diesen beiden unterschiedlichen Theorien sind die hier präsentierten Daten nicht geeignet. Es kann an dieser Stelle nicht bestimmt werden, ob der Defaultmechanismus der Pluralmorphologie eher im mentalen Lexikon oder aber postlexikalisch in der Syntax anzusiedeln ist. Aber sie stellen eine ausreichende Datenbasis dafür dar, um eine Form von Verknüpfung und eine Form von Reihenfolge zwischen der Flexion und der Komposition anzunehmen. Zusammenfassend für die hier vorgelegten Ergebnisse ist festzuhalten, daß fast alle Kinder der Untersuchungsteilnehmergruppe das -s Flexiv als den Defaultwert des deutschen Pluralsystems identifiziert haben. Der Defaultwert wird nach dem Elsewhere Prinzip zur Plural-

113 markierung von Simplicia verwendet. Die Elsewhere Bedingung findet Anwendung, wenn spezifischerer Flexionsprozesse nicht zur Verfugung stehen und gegebenenfalls andere Wortbildungsprozesse abgearbeitet worden sind. Deshalb können zwar irreguläre Pluralmarkierungen in Komposita erscheinen, aber nicht der Defaultplural. Aufgrund der hier präsentierten Beobachtungen kann die Forderung nach einer Re-Definition des Defaultbegriffs, wie sie von Gawlitzek-Maiwald erhoben wird, als nicht erforderlich abgewiesen werden. Ihre Anmahnung, den Begriff des Defaults neu zu überdenken geht auf eine ganz anders gelagerte Analyse der Komposition und deren Verbindung zur Pluralmorphologie zurück. Gawlitzek-Maiwald (1994) hatte vorgeschlagen, Morpheme im Erstglied von Komposita prinzipiell als Fugenelemente zu analysieren. Dieser Ansatz würde vorhersagen, daß alle Flexive gleichhäufig in den von den Kindern gebildeten Komposita, insbesondere den Spontankomposita ohne jegliche Möglichkeit auf eine Lexikalisierung, auftreten müßten. Denn laut Gawlitzek-Maiwald gibt es kein Merkmal, das die einzelnen Affixe voneinander unterschiedlich charakterisiert (vgl. Kapitel 4). Dies sehe ich aber weder in ihren Daten bestätigt, noch sprechen die hier vorgelegten Elizitationsdaten für eine derartige Analyse. Da die Kinder sich eines mentalen Grammatiksystems bedienen, wie es in der Erwachsenensprache beobachtet werden kann, ist eine Re-Definition des Defaultbegriffs nicht notwendig.

6.2 Zusammenfassung Drei konkurrierende Modelle standen zur Diskussion, um die Daten zum Morphologieerwerb zu beschreiben. Neben einem regelorientierten Ansatz wurde ein rein netzwerkbasierter Ansatz herangezogen. Die Ergebnisse zur Pluralmorphologie zeigten, daß bereits die jüngsten Kinder der Teilnehmergruppe den Defaultwert des Deutschen als solchen in ihr Grammatiksystem integriert haben: Das -s Flexiv, das zugleich die geringste Inputfrequenz besitzt. Daher müssen frequenzbasierte Netzwerkmodelle als Beschreibungsinstrument zurückgewiesen werden. Gegenüber den konnektionistischen Simulationsmodellen sind Ansätze geeignet, die die Reihenfolgebeschränkungen der einzelnen Wortbildungs- und Flexionsprozesse in der kindlichen Grammatik in der Weise berücksichtigen, wie sie auch im Erwachsenensystem beobachtet worden sind. Hierzu bieten sich Ansätze sowohl im Sinne der Parallel Morphology (Borer 1988) als auch der Minimalist Morphology (Wunderlich & Fabri 1994) oder des Ebenenmodells (Kiparsky 1982; Wiese 1996) an. Für die Analyse der irregulären Pluralmorphologie allerdings müssen unitär angelegte Ansätze wie z.B. das Ebenenmodell zurückgewiesen werden, da jeweils Lücken in den Vorhersagen entstehen, die die Erklärung bestimmter Phänomene in der Kindersprache offen lassen. Statt dessen erwies sich das Dual Mechanism Modell (Pinker & Prince 1988, 1991) als beschreibungsadäquat, da mit Hilfe dieses Ansatzes die empirischen Ergebnisse mitein-

114 bezogen werden konnten, die zeigten, daß bereits die jüngsten Kinder der hier untersuchten Gruppe eine qualitative Distinktion zwischen regulärer und irregulärer Pluralflexion zu treffen wissen. Während assoziative Netzwerkstrukturen zur Bildung irregulärer Pluralformen dienen, wird die reguläre Pluralflexion, also die Defaultapplikation, über die Aktivierung einer Defaultregel gesichert. In der vorliegenden Arbeit wurden spezifische Reihenfolgebeschränkungen zwischen einzelnen Flexions- und Kompositionsprozessen in das Dual Mechanism Modell integriert. Die Annahme lautet, daß die Defaultregel zur Pluralbildung erst dann aktiv wird, wenn alle weiteren eventuellen Wortbildungsprozesse (z.B. Komposition) abgeschlossen sind. So kann das Defaultflexiv von der (lexikalischen) Komposition ausgeschlossen werden. Auf diese Weise trägt das Dual Mechanism Modell nicht nur der qualitativen Distinktion zwischen regulärer und irregulärer Pluralflexion Rechnung, sondern kann auch die spezifische Relation zwischen Flexion und Komposition adäquat repräsentieren.

Teil II

Dysgrammatismus

Kapitel 7 Dysgrammatismustheorien

Der Begriff Dysgrammatismus wird als Oberbegriff für ein sehr differenziertes, und ebenso variantenreiches Störungsbild im Spracherwerb verwendet. In der Logopädie werden darunter sowohl Sprachentwicklungsverzögerungen als auch krankhafte Verluste verstanden, die sich in Form von morphologischen, syntaktischen und semantischen Störungen des Sprechens und Schreibens zeigen (vgl. Wirth 1990: 318). Die Suche nach der oder den Ursachen von Dysgrammatismus hat zu einer Vielzahl von Erklärungsansätzen geführt. Den Arbeiten, die diese Sprachstörung auf physiologische (vgl. Amorosa 1984; Korkman & Häkkinen-Rihu 1994; Aram & Nation 1975) Ursachen zurückfuhren oder aber mit Hilfe kognitions-psychologischer Erklärungen beschreiben (z.B. Bishop & Edmundson 1987; Bishop, North & Donlan 1995; Kürsten & Schöler 1991; Schöler et al. 1992; Schöler & Kany 1989), stehen rein linguistisch basierte Ansätze gegenüber (vgl. u.a. Clahsen 1988, 1989, 1993/1994; Clahsen et al. 1992; Clahsen & Rothweiler 1993; Ingram & Carr 1994; Lindner 1994; Morehead & Ingram 1973; Oetting 1992; Rice & Oetting 1993; Rothweiler 1988; Smith-Lock 1992; van der Lely 1993). Die Untersuchung des Dysgrammatismus soll einen Beitrag zu der Diskussion leisten, inwieweit der Erwerb und die mentale Repräsentation sprachlichen Wissens im Dysgrammatismus dem unauffälligen Spracherwerb gleicht oder aber als qualitativ abweichend zu betrachten ist. Dazu werden im Rahmen dieser Untersuchung sowohl die Verbmorphologie als auch die Pluralmorphologie gezielt untersucht. Gerade die Pluralmorphologie, und in diesem Zusammenhang auch die lexikalische Nominalkomposition, können die Frage klären, ob dysgrammatische Kinder über ein mentales Lexikon verfugen, das in der gleichen Weise strukturiert ist wie das der unauffälligen Kinder (vgl. Teil I). In der Pluralmorphologie besteht eine Unterscheidung in reguläre und irreguläre Flexion, die zusätzlich bestimmte Relationen zur lexikalischen Komposition aufweist. Die Reihenfolgebeschränkungen, die sowohl in der Erwachsenensprache (vgl. Kap. 3) als auch im unauffällligen Spracherwerb (vgl. Kap. 4 und 5) sichtbar werden, sollen ebenfalls im Dysgrammatismus untersucht werden. Mögliche Parallelen zwischen unauffälliger Kindersprache und dem Dysgrammatismus könnten als Hinweis interpretiert werden, daß der Dysgrammatismus den gleichen Prinzipien folgt wie der unauffällige Spracherwerb. Die vorliegende Untersuchung ist als vergleichende Erwerbsstudie angelegt worden, d.h. die Ergebnisse zum Dysgrammatismus werden mit den Ergebnissen zum unauffälligen Erwerb in Beziehung gesetzt. Dazu werden sowohl Sprachdaten einer kleinen Gruppe von Kindern, die sich in derselben Erwerbsphase wie die dysgrammatisch sprechenden Kinder befinden, als auch die Daten einer größeren Untersuchungsteilnehmergruppe (vgl. Teil I) herangezogen.

118 Zu Beginn dieses zweiten Teils werden unterschiedliche Ansätze vorgestellt, in denen jeweils unterschiedliche Erklärungen entwickelt wurden, welche Ursachen dem Störungsbild Dysgrammatismus zugrunde liegen könnten. Einerseits besteht die Möglichkeit, daß Dysgrammatismus auf organischen oder kognitions-psychologischen Defiziten (z.B. im Bereich der Hörwahrnehmung) beruht. Diese Erklärungsmöglichkeiten können allerdings nicht für alle Dysgrammatiker gültig sein, weil bei einigen Dysgrammatikern keine organisch bedingte Ursache diagnostiziert werden kann. In diesen Fällen können linguistisch orientierte Erklärungsansätze einen sinnvollen Beschreibungsrahmen für die sprachlichen Probleme der Kinder bieten. Innerhalb der Linguistik werden hauptsächlich drei Argumentationslinien verfolgt: 1. die Oberflächenhypothese (Surface hypothesis); 2. die Theorie des Feature-Defizits {Missing Features); 3. der Ansatz der Fehlenden Grammatischen Kongruenz. Alle hier angesprochenen Ansätze sollen im folgenden ausführlich dargestellt werden. Mit Hilfe bereits vorhandener Studien und eigener Untersuchungen soll ein Beitrag dazu geliefert werden, welcher der linguistischen Ansätze als am ehesten beschreibungs- und erklärungsadäquat bezeichnet werden kann. Es wird sich zeigen, daß sich der Dysgrammatismus, der auf keinerlei organischen Ursachen beruht, am besten im Rahmen der Theorie der Fehlenden Grammatischen Kongruenz beschreiben läßt.

7.1

Nicht-linguistische Ansätze

7.1.1

Auditive Beeinträchtigungen

Bereits Eisenson (1977^) hat Defizite in der auditiven Wahrnehmung als Ursache nicht nur für Dysgrammatismus, sondern für Sprachstörungen im allgemeinen benannt. Was sich schon in seinen Arbeiten zeigte, haben Tallal und Piercy (1973, 1974) empirisch überprüft, indem sie 12 dysgrammatisch sprechende Kinder englischer Erstsprache in bezug auf ihre auditiven Wahrnehmungsfähigkeiten unter kontrollierten Bedingungen untersucht haben. Die Testergebnisse der dysgrammatischen Kinder wurden mit denen von 12 sprachunauffälligen Kindern verglichen, wobei die Vergleichskriterien auf der Basis von Alter, Geschlecht und non-verbaler Intelligenz ermittelt wurden. Die Aufgabe des Kindes bestand darin, zunächst in einer Übungsphase eines ReizReaktions-Experimentes bei Reiz 1 die Taste A zu betätigen; anschließend wurde Reiz 2 eingeführt, der die Betätigung der Taste B erforderte. In einem zweiten Schritt wurde das Kind aufgefordert, die Tasten in der gleichen Reihenfolge zu drücken, in der es meinte, die auditiven Reize wahrgenommen zu haben. In der eigentlichen Untersuchungsphase wurden dem Kind mit Hilfe eines Tonbandes Reiz 1 und Reiz 2 (jeweils mit zunächst einer Dauer von 75 ms) in einer nicht festgelegten Reihenfolge als Zwei-Ton-Sequenzen vorgespielt. Der zweite Untersuchungsabschnitt wurde so gestaltet, daß die Präsentation der Reize nach 3 bestimmten

119 Kriterien variiert wurde (Varianz in der Reizdauer; Varianz der Zeitabstände zwischen den Reizen 1 und 2; Erhöhung der Sequenzlänge auf drei, dann auf vier Reize). Tallal und Piercy (1973, 1974) konnten auf diese Weise feststellen, daß die auditive Wahrnehmung der sprachauffalligen Kinder ihrer Stichprobe vor allem von der zeitlichen Präsentation der (non-verbalen) Reize abhängig war. Die Unterscheidung der beiden Töne verschlechterte sich, wenn die zwischen ihnen liegende Pause (inter-sound Intervall, IS1) weniger als 30 ms betrug. Die Kontrollgruppe hingegen konnte selbst bei einem Pausenintervall von nur 8 ms die Töne in der korrekten Reihenfolge wiedergeben. Dieses Ergebnis konnten Tallal und Stark (1981), Tallal, Stark und Mellits (1985) sowie Fellbaum et al. (1995) mit Daten aus einer größeren Stichprobe bekräftigen, für deren Elizitation sie non-verbales und verbales Material verwendeten. In der Untersuchung von Tallal und Stark (1981) bestanden die Reize aus sechs Minimalpaaren, während Fellbaum et al. (1995) in einem Bilderkennungsverfahren spezielle morphologische Strukturen (z.B. Possessivmarkierung, Adjektivflexion, 3.Pers.Sing., Nominalplural u.a., vgl. ebd. S.208, S.210 und S.212) untersuchten. Was die Interpretation der Ergebnisse aus den obigen Studien einschränkt, ist die Zusammensetzung der Versuchspersonengruppe. Zwar zeigten alle Kinder eine Form der Sprachstörung, doch aus linguistischer Sicht stellen die Sprachstörungen ein heterogenes Bild dar. Ebenso wäre der Vergleich mit einer Kontrollgruppe interessant, die sich in der gleichen Sprachentwicklungsphase befindet wie die Gruppe der sprachauffalligen Kinder. Letztere zeigen in bezug auf die chronologische Sprachentwicklung häufig einen verzögerten Erwerbsverlauf. Es wäre durchaus möglich, daß die hier untersuchten Kinder auch im Bereich der auditiven Perzeption eine alterskorrelierende, zeitliche Verzögerungen zeigen. Die oben vorgestellten Ergebnisse sind zudem alternativ erklärbar. Es könnte sein, daß die Kinder noch mit der akustischen Verarbeitung des Reizes beschäftigt waren, wenn bereits Reiz 2 geboten wurde. Die Aufmerksamkeit der sprachauffalligen Kinder war noch auf den ersten Reiz gerichtet, so daß die Wahrnehmung der zweiten Tonsequenz eingeschränkt war und möglicherweise deshalb falsch wiedergegeben wurde (Auswahl der falschen Tastenkombination). Dieser Argumentation zufolge liegt die Hauptschwierigkeit der dysgrammatischen Kinder nicht in der Fähigkeit der phonologischen Diskrimination, sondern im Behalten der Ton- bzw. Lautsequenzen und damit in der Organisation des mentalen Kurzzeitspeichers. Allerdings muß die zeitliche Verarbeitung akustischer Reize nicht notwendigerweise Konsequenzen für die mentale Repräsentation sprachlicher Systeme haben, wie dies im Rahmen von kognitionspsychologischen Erklärungsmodellen angenommen wird (vgl. Kirchner & Klatzky 1985, Kürsten & Schöler 1991, Schöler et al. 1992).

120 7.1.2

Kognitions-psychologische Erklärungsansätze

Kirchner und Klatzky (1985) verwendeten ausschließlich sprachliches Material in ihrer Untersuchung der Behaltensleistungen. Die Autorinnen konzentrierten sich auf die Leistungen des Kurzzeitgedächtnisses, da hier nicht nur die Speicherung von Informationen erfolgt, sondern auch generelle (nicht näher spezifizierte) kognitive Prozesse stattfinden (vgl. Kirchner & Klatzky 1985:556). Die Experimentaufgabe der Kinder war, auditiv gebotene Listen existierender Wörter, deren Darbietung visuell unterstützt wurde, zu wiederholen. Zusammenfassend erbrachten die Daten von 12 sprachauffälligen Kindern und 12 unauffälligen Kindern der gleichen Altersstufe (Alter: etwa 7 bis 13 Jahre), daß sowohl semantisch motivierte Fehlbenennungen auftraten (z.B. bread - butter, apple - pear, tire - wheel (Beispiele von Kirchner & Klatzky 1985:561)) als auch Abweichungen in der phonologischen/ morphologischen Form, d.h. das vom Kind genannte Wort unterschied sich vom vorgegebenen Wort in einem einzigen Konsonanten oder Konsonantencluster. Zum letztgenannten Fehlertyp ist anzumerken, daß er bei den sprachauffälligen Kindern wesentlich seltener auftrat (zu ungefähr 12% der Gesamtfehler) als bei den sprachunauffälligen Kindern (zu ungefähr 37% der Gesamtfehler (vgl. hierzu ebd. S.561, Tabelle 5)). Das hauptsächliche Problem der dysgrammatischen Kinder bestand dagegen in der semantisch begründeten Fehlwiedergabe (etwa 53% der Gesamtfehler), während bei den unauffälligen Kindern dieser Fehlertyp einen Anteil von nur etwa 5% ausmachte. Die Autorinnen interpretierten die Ergebnisse dahingehend, daß die sprachauffalligen Kinder sich bei der Speicherung der Begriffe an semantischen Merkmalen orientierten, und beim späteren Erinnern zwar nicht immer das spezifische Item, aber immerhin die richtige semantische Kategorie benennen konnten. Eine auditive Ursache kann den quantitativen Unterschied der Fehlertypen nicht erklären. Statt dessen nahmen Kirchner und Klatzky ein Defizit bei all den Prozessen an, die in Relation zum Kurzzeitgedächtnis stehen. Diese Prozesse umfassen die (visuelle) Wahrnehmung der zu benennenden Items, die Speicherung der Benennungen im Gedächtnis, sowie die artikulatorische Wiedergabe. Da die sprachauffälligen Kinder aber in der Lage waren, ein Item wenigstens nach seinen semantischen Merkmalen zu analysieren und zu kategorisieren, gingen Kirchner und Klatzky davon aus, daß nicht das Kurzzeitgedächtnis als Ganzes beeinträchtigt ist. Auf der Basis eines modularen Gedächtnismodell nahmen die Autorinnen statt dessen an, daß bei dysgrammatischen Kindern die sprachspezifische Verarbeitungskomponente in ihrer Leistungsfähigkeit begrenzt ist. Diese Studie konnte deutlich zeigen, daß ein beeinträchtigtes Hörvermögen oder eine defizitäre auditive Verarbeitung für diese Probandengruppe nicht zur Ursachenerklärung der Sprachauffälligkeit herangezogen werden konnte. Doch kritische Anmerkungen zu dieser Studie betreffen sowohl die Methodologie als auch die theoretischen Schlußfolgerungen. Es wirkt zirkulär, wenn festgestellt wird, daß entwicklungsverzögerte Kinder im Vergleich zu altersgleichen Kindern verzögert sind. Desweiteren zeigen die Ergebnisse nicht notwendigerweise, daß eine sprachspezifische Komponente des Kurzzeitgedächtnisses beeinträchtigt ist. Charakteristika eines Gegenstandes wie z.B. die Art der Farbe, der Form oder der Größe

121 müssen nicht unbedingt verbalisiert werden, um die Wiedergabe einer Wortliste möglichst vollständig zu erfüllen. Gathercole und Baddeley (1990) sahen ebenfalls die Ursache für Dysgrammatismus im mentalen Arbeitsspeicher. Das Speichermodell, von dem die beiden Autoren ausgingen, enthält u.a. eine artikulatorische Komponente (articulatory loop, ebd.: S.336). Diese wiederum besteht aus einem phonologischen Speicher einerseits und einem artikulatorischen Wiederholungsprozeß andererseits. In ihrem Experiment ließen Gathercole und Baddeley (1990) sechs dysgrammatische Kinder Kunstwörter nachsprechen, sowie Bilder in analoger Reihenfolge zu einer gesprochenen Liste von (existierenden) Wörtern anordnen. In der verbalen, wie auch in der visuell-auditiven Experimentphase zeigten diese Kinder starke Leistungsbeeinträchtigungen. In einem weiteren Experimentabschnitt stellte sich heraus, daß die Leistungen mit steigender Silbenzahl der Kunstwörter weiter abnahm. Dieser Effekt fiel in der Kontrollgruppe nur sehr schwach aus. Die Ergebnisse ließen Gathercole und Baddeley (1990) zu dem Schluß kommen, daß die dysgrammatischen Kinder ein selektives Defizit im Bereich der phonologischen Gedächtnisleistungen hatten. Kürsten und Schöler (1991), sowie Schöler, Fromm, Jeutner und Kürsten (1992) interpretierten ihre Ergebnisse ebenfalls als empirische Evidenz dafür, daß die Schwierigkeiten der sprachauffalligen Kinder auf einer verminderten Gedächtnisleistung beruhten. Während Kürsten und Schöler (1991) das Erkennen, Beurteilen und Produzieren von Rhythmen bei sprachauffalligen und sprachunauffälligen Kindern untersucht haben, bezogen Schöler et al. (1992) zusätzlich Zahlen, Symbole, Figuren und Wörter in ihre Untersuchung mit ein. Die Zahlen wurden dabei in kontinuierlich länger werdenden Folgen (von zwei Zahlen an beginnend) per Tonband vorgesprochen. Das sprachliche Material, die Wörter, wurden in Form von zwei Wortlisten präsentiert (vgl. Schöler et al. 1992:9). Die Frage, die die Autoren in dieser Studie u.a. verfolgten, war, inwieweit "ein sensorisches Subsystem, nämlich ein defizientes sprachunspezifisches akustisches Verarbeitungssystem bedingend (ist, SB) für kindlichen Dysgrammatismus" (vgl. Schöler et al. 1992:5). Die Einzelergebnisse zeigten, daß bei der freien Wiedergabe der Wortlisten eine erhebliche Leistungsdifferenz zwischen den dysgrammatischen Kindern einerseits und den sprachunauffalligen Kindern andererseits bestand. Allerdings beobachteten Schöler et al., daß die dysgrammatischen Kinder mit zunehmendem Alter den anfänglichen Leistungsrückstand von ungefähr einem Jahr teilweise kompensierten bzw. aufholten. Dies führten die Autoren auf verbesserte Lernstrategien zurück. Anzumerken ist an dieser Stelle, daß der Alterseffekt kontrovers diskutiert wird. Wie Hasselhorn (1992) in einer empirischen Studie nachweisen konnte, waren unterschiedliche Behaltensleistungen akustischen Materials eher auf die Instruktionsanweisungen durch den Versuchsleiter zurückzuführen. Viertklässler zeigten in der Untersuchung Hasselhorns (1992) höhere Behaltensleistungen, wenn indirekte Kategorisierungshinweise die Kinder zu Strategien anregten, die das Strukturieren und anschließende Memorisieren des Lernmaterials erleichterten. Wurden keinerlei Hinweise gegeben, blieb der zuvor beobachtete Unterschied zwischen Zweit- und Viertklässlern aus (vgl. Hasselhorn 1992: 327ff).

122 Die zusammenfassende Schlußfolgerung Schöler et al.'s (1992) lautete jedoch, daß die Annahme eines rein linguistischen Defizits zurückgewiesen werden muß. Die Autoren gingen statt dessen davon aus, daß Dysgrammatismus auf eine sprachunspezifische Ursache zurückführbar ist. Insbesondere die akustische Informationsverarbeitung ist beeinträchtigt, wodurch dysgrammatische Kinder akustisch gebotenes Material schlechter strukturierten, im Gedächtnis speicherten und später memorisieren konnten, als dies bei sprachunauffälligen Kindern der Fall war. Während Fellbaum et al. (1995), Gathercole und Baddeley (1992), Kirchner und Klatzky (1985), Schöler et al. (1992), Tallal und Stark (1981) und Tallal und Piercy (1973, 1974) zwar die Bedeutung eines zentralen akustischen Verarbeitungssystems sowie einer Gedächtniskomponente hervorhoben, können sie jedoch nicht spezifische Probleme wie z.B. fehlende Kongruenzmarkierungen in der Sprache einer spezifischen Gruppe von dysgrammatisch sprechenden Kindern erklären. Die kritische Frage lautet, weshalb bestimmte Lautsequenzen wahrgenommen werden können, sofern sie als Teil einer Wortwurzel oder eines Wortstammes auftreten (Beispiel: Herbst), aber nicht wahrgenommen werden sollen, wenn sie als Verbflexiv verwendet werden (Beispiel: du wirbst). Beeinträchtigungen der akustischen Perzeption wie auch Artikulation können in dieser Hinsicht als Hauptursache nicht herangezogen werden. Die Verwendung von Konsonanten ist in dem Moment problematisch, in dem sie als Morphem z.B. Tempus bei den Verben markieren (vgl. u.a. Clahsen & Rothweiler 1993; Dromi, Leonard & Shteiman 1993; Gopnik & Crago 1991; Leonard, McGregor & Allen 1992a; Morehead & Ingram 1973; Smith-Lock 1992; Veit 1986). Stellt ein Konsonant oder Konsonantencluster ein Flexionsmorphem dar, ist ein Anstieg inkorrekt flektierter Formen zu beobachten. Demnach sind gebundene Morpheme als ein zentrales Problem im Dysgrammatismus zu sehen. So ist es meines Erachtens wenig erfolgversprechend, diese Beobachtungen allein durch akustische Verarbeitungsdefizite oder mentale Speicherungsbeeinträchtigungen erklären zu wollen. Statt dessen müssen psycholinguistisch motivierte Erklärungsmodelle entwickelt werden, die Einblicke in die mentale Sprachverarbeitung der Kinder erlauben, deren Sprachauffälligkeit nicht auf organischen, neuro- oder kognitions-psychologischen Faktoren beruht.

7.2 Linguistische Erklärungsansätze Dysgrammatiker sind nicht in allen Bereichen der Sprache gleichermaßen auffallig. Einige grammatische Bereiche sind stärker beeinträchtigt als andere. So bereiten bestimmte Bereiche der Morphologie (z.B. Subjekt-Verb-Kongruenz), größere Schwierigkeiten als andere morphologische Prozesse (z.B. Nominalplural). Linguistisch orientierte Erwerbsmodelle, die ein psychologisch und linguistisch plausibles Konzept der Sprachverarbeitung im Dysgram-

123 matismus erstellen wollen, müssen diese unterschiedlichen Lernfortschritte in den verschiedenen Bereichen der Grammatik berücksichtigen. Einer der drei Erklärungsansätze, der in der aktuellen Theoriediskussion besonders mitbestimmend ist, ist der Ansatz der Oberflächenstruktur (Surface Hypothesis). Dieses Modell stützt sich auf die Hypothese, derzufolge vor allem die Rolle der phonetischen Struktureigenschaften (z.B. Betonung, Silbenstruktur) einer Sprache berücksichtigt werden müssen (vgl. Leonard 1979, 1987 u.w.). Der Ansatz des Feature-Defizits {Missing Feature Account) von Gopnik und Crago (1991) trug der Beobachtung Rechnung, daß dysgrammatisch sprechende Kinder systematisch grammatische Merkmale nicht overt markieren konnten. Der Ansatz der Fehlenden Grammatischen Kongruenz von Clahsen (1988) hingegen trägt der Beobachtung Rechnung, daß spezifische grammatische Relationen nicht ausgedrückt werden konnten.

7.2.1

Die Oberflächenstruktur-Hypothese {Surface Account)

Mit diesem Ansatz wurde von Leonard und seiner Arbeitsgruppe (1987, 1988, 1992a, 1992b u.w.) ein Vorschlag zur Erklärung der Erwerbsstörung gemacht, der von der Beeinträchtigung der auditiven Perzeptionsfähigkeit ausging. Im Rahmen der sogenannten OberflächenstrukturHypothese {Surface Hypothesis) nahmen die Autoren an, daß die phonetische Oberfläche bestimmter Morpheme die Sprachperzeption erschwerten. Konsequenterweise sollten sich daraus Unvollständigkeiten in der mentalen Sprachrepräsentation ergeben, die sich in einer verzögerten Sprachentwicklung sowie in einer fehlerhaften Sprachproduktion ausdrückten. Die theoretischen Annahmen basierten u.a. auf der Analyse von Dysgrammatikern mit englischer und italienischer Erstsprache (Leonard 1989, Leonard et al. 1987, 1988). Leonard und seine Mitarbeiter untersuchten in verschiedenen Studien die Spontansprache (gelenktes Interview) von englischsprechenden und italienischsprechenden Dysgrammatikern (Alter: 3;6 bis 6;11 Jahre). Im Mittelpunkt stand jeweils der Erwerb von Auxiliaren, Determinierern und von bestimmten gebundenen Morphemen. Das Interesse an speziell diesen Morphemen bestand darin, daß gerade in diesen Fällen die Dysgrammatiker die größten Schwierigkeiten hatten. Das verbindende Charakteristikum der genannten Morpheme besteht in ihrem phonetischem Gehalt: Sie alle sind durch geringe phonetische Substanz gekennzeichnet. D.h., diese Morpheme sind nicht-syllabische Konsonantensegmente oder unbetonte Silben, die in ihrer zeitlichen Dauer kürzer als die benachbarten Morpheme sind und häufig von niedriger phonetischer Frequenz und Amplitude sind (vgl. Leonard 1989:186). Morpheme mit geringer phonetischer Substanz {low phonetic substance) haben laut Leonard (in Anlehnung an Pinker [1984:182f]) eine bedeutende Rolle im Spracherwerb. Pinker (1984:185) hatte in Analysen zum Englischen im normalen Spracherwerb festgestellt, daß Morpheme mit geringem phonetischem Gehalt später erworben wurden als solche, die aufgrund auffälligerer Merkmale eindeutiger zu identifizieren waren. Die Schwierigkeit, ein Morphem zu erkennen, erhöhte sich, wenn es neben dem Merkmal Numerus noch mit einem weiteren Merkmal wie z.B. Genus verknüpft ist (vgl. die Verbflexive des

124 Italienischen). Leonard geht davon aus, daß der Spracherwerb dysgrammatischer Kinder dem Verlauf des ungestörten Erwerbs folgt. Die Vorhersage zum Erwerb grammatischer Einheiten lautet dementsprechend, daß auch im Dysgrammatismus diejenigen grammatischen Elemente zuerst erworben werden, die am einfachsten zu erkennen sind. Demnach können Morpheme geringer phonetischer Substanz sehr viel schwieriger identifiziert werden und bleiben deshalb eher bei der Erstellung einer mentalen Grammatik unberücksichtigt. Das trifft sowohl auf den englischen Pluralmarker (-s Affix) als auch auf das verbale -ed Affix zur Bildung des past participle zu. Ebenso sind hier der englische Possessivmarker -s, das verbale -s Suffix zur Markierung der englischen 3.Pers.sing.Präs., Determinierer (a, the), BE in der Funktion einer Copula als auch in der Position eines Auxiliars, das Modalverb will, das Infinitivelement to, und das Reflexivpronomen that zu nennen (vgl. eine ausfuhrlichere Liste mit englischen und italienischen Beispielen in Leonard 1989:187f). In experimentellen Studien zeigte sich, daß eben gerade die oben genannten grammatischen Marker häufig in der dysgrammatischen Sprache fehlten (Leonard 1987; Leonard, McGregor & Allen 1992; Leonard, Bortolini, Caselli, McGregor & Sabbadini 1992). Im Vergleich zu Kindern der gleichen Sprachentwicklungsstufe zeigte sich bei den Dysgrammatikern sogar ein erhebliches Defizit (vgl. Leonard et al. 1992b: 159). In einer weiteren Studie wurden die Daten von Dysgrammatikern mit italienischer Erstsprache untersucht. Im Vergleich zum Englischen, in dem sehr viele semantische Relationen über die Wortstellung markiert werden, enthält das Italienische ein reiches overtes Morpheminventar zur Darstellung grammatischer und semantischer Relationen. Aus dem Blickwinkel der Oberflächenstruktur-Hypothese waren der Substantivplural, die Substantiv-Adjektiv-Kongruenzmarkierungen, Determinierer, das Verbflexiv der 3.Pers.pl.Präs. (-ano, -ono), Copulae und Clitica von Interesse, weil diese Morpheme aufgrund der geringen phonetischen Substanz für Dysgrammatiker eine besondere Schwierigkeit darstellten. Es zeigte sich, daß Auslassungen der betreffenden Elemente seltener zu beobachten waren, als dies in den Äußerungen englischsprechender Dysgrammatiker der Fall war. Die Analysen zum Italienischen in bezug auf den Nominalplural, das Verbflexiv (3.Pers.pl.Präs.) und die Substantiv-Adjektiv Kongruenzmarkierungen erbrachten keinen Unterschied zwischen den Dysgrammatikern und den Kindern gleicher Sprachentwicklungsstufe (Leonard et al. 1992b: 168). In durchschnittlich 93% der obligatorischen Kontexte markierten die Dysgrammatiker das Verb für die 3.Pers.sing. overt. Dies ist das gleiche (quantitative) Ergebnis, das auch bei den Kindern der entsprechenden Sprachentwicklungsstufe sowie den Kindern der gleichen Altersstufe zu beobachten war (vgl. ebd. S.167, Tabelle 5). Dieses Resultat konnte nicht als eindeutiger empirischer Beleg für die Ausgangshypothese interpretiert werden. Die Beobachtungen bezüglich unterschiedlicher Sprachen wurden zusätzlich heterogener, als die Untersuchungsergebnisse hebräischsprechender Dysgrammatiker hinzugezogen wurden (Dromi, Leonard & Shteiman 1993; Leonard & Dromi 1994). Dysgrammatische Kinder mit Hebräisch als Erstsprache beherrschten das hebräische Verbflexionsparadigma ebenso gut wie die Kinder der Kontrollgruppen (vgl. ebd., S.295), obwohl sich einige Morpheme durch geringe phonetische Substanz auszeichnen.

125 Die Erklärung für die unterschiedlichen Ergebnisse in unterschiedlichen Sprachen ist die folgende (Dromi et al. 1993; Leonard & Dromi 1994): Die Aufmerksamkeit der dysgrammatisch sprechender Kinder wurde durch die extrem ausgeprägte Morphologie, sowie die Silbenbetonung des Hebräischen auf die strukturellen Eigenschaften der Sprache gelenkt. Dadurch konnten auch Morpheme mit geringer phonologischer Substanz wahrgenommen und in die mentale Grammatikrepräsentation integriert werden (Ansatz der reichen Morphologie [Rieh Morphology Account]; vgl. Leonard & Dromi 19941). Da das Englische im Gegensatz zum Italienischen und Hebräischen wesentlich weniger overte Morphologie aufweist, die sozusagen eine Analysehilfe (parsing aid, Leonard 1989:197) darstellen könnte, erhielten die englischen Dysgrammatiker wesentlich weniger Hilfe als die Kinder der beiden anderen Sprachgemeinschaften (Italienisch und Hebräisch). Was die Aussagekraft der Hypothese der Oberflächenstruktur etwas einschränkt, ist, daß sie sehr stark auf quantitative Analysen beschränkt. Sie läßt kaum qualitative Aussagen darüber zu, inwieweit sich die mentale Grammatikrepräsentation der Dysgrammatiker von denen der unauffälligen Kinder unterscheidet. Was Leonard und seine Mitarbeiterinnen mit Hilfe des Oberflächenstruktur-Ansatzes zu erklären vermögen, ist die erhöhte Auslaßrate der betreffenden Morpheme. Eine verminderte Aufmerksamkeit sowohl bei der Sprachwahrnehmung als auch bei der Sprachproduktion könnte durchaus auf geringere mentale Sprachverarbeitungskapazitäten bei Dysgrammatikern zurückzuführen sein. Doch eine verminderte Aufmerksamkeit muß nicht unbedingt zur Folge haben, daß die mentale Repräsentation sprachlicher Systeme qualitativ abweichend ist. Der Vorstellung, daß phonetische Eigenschaften den Spracherwerb negativ beeinflussen könnten, soll ein alternativer Vorschlag gegenübergestellt werden. Im Rahmen des Merkmalsdefizit-Ansatzes hat Myrna Gopnik mit ihrer Arbeitsgruppe den Versuch unternommen, die Sprachstörung nicht auf den Input an sich oder die Perzeptionsfähigkeiten an sich, sondern auf lückenhafte mentale Repräsentationen im Sprachsystem des Sprachlerners (das Kind) zurückzuführen. Das soll Gegenstand des folgenden Abschnittes sein.

7.2.2

Das Feature-Defizit und das Regel-Defizit (Feature Blindness bzw. Rule Deficit Hypothesis)

In einer longitudinal angelegten Fallstudie beschrieb Gopnik (1990a) die Grammatik eines sprachentwicklungsgestörten Jungen (8 Jahre alt), der bilingual Französisch/Englisch aufwuchs. Zu den grammatischen Phänomenen, die im Fokus dieser Studie standen, gehörten Numerus-, Genus- und Tempusmorphologie, sowie Person- und Aspektmarkierungen. Eine detaillierte Analyse sowohl der englischen als auch der französischen Morphologie in den Äußerungen dieses Kindes widersprach jeder Performanz- und Verarbeitungshypothese. Beispielsweise wurde das englische -s Suffix niemals zur Markierung der Subjekt-VerbAn anderer Stelle ist dieses Modell unter dem Begriff sparse morphology entwickelt worden (vgl. Dromi et al. 1993).

126 Kongruenz (3.Pers.sing. Präs.) verwendet, aber in Pluralkontexten wurde das -J Flexiv adäquat verwendet, auch wenn nicht jeder Pluralkontext zielsprachlich korrekt mit dem -s Affix flektiert wurde. Dennoch ist hervorzuheben, daß weder Wahrnehmungsbeeinträchtigungen des Kindes, noch phonologische Eigenschaften des sprachlichen Inputs als Quelle der Sprachstörung herangezogen werden konnten. Derartige Ansätze können nicht erklären, weshalb das -s Flexiv in der Funktion eines Verbflexivs nicht wahrgenommen werden kann, wohingegen die Wahrnehmung des -s Flexivs als Pluralmarkierung nicht beeinträchtigt zu sein scheint. Gopnik ging in ihrer Analyse davon aus, daß in Verbindung mit den systematischen Auslassungen wie z.B. die von Tempusmarkierungen, französischen Determinierern und verbalen Suffixen Defizite in der zugrundeliegenden Grammatikrepräsentation die Ursachen waren. Der Junge war sozusagen blind in bezug auf die grammatischen Merkmale (features) seiner Sprache, die syntaktisch-semantische Relationen ausdrücken. Die Autorin vermutete, daß dem Sprachdefizit ein genetisches Korrelat zugewiesen werden könnte. Eine Bestätigung dessen sah sie in den Ergebnissen, die die Datenanalyse des Sprachmaterials einer ganzen Familie ergab. Da sich alle weiteren Fortentwicklungen von Gopniks Theorie auf einen großen Datenkorpus von eben dieser Familie stützten, soll diese hier etwas ausführlicher vorgestellt werden. Die Familie, die bereits durch Hurst et al. (1990) vorgestellt wurde, bestand aus 30 Familienmitgliedern und umfaßte drei Generationen. Sechzehn Familienmitglieder waren sprachentwicklungsauffällig, darunter sowohl das älteste Familienmitglied (die Großmutter, 74 Jahre alt), als auch das jüngste (ein zweijähriges Mädchen). Es wurde von phonologischen und grammatischen Schwierigkeiten berichtet, wobei die phonologischen Beeinträchtigungen bis weit in das Erwachsenenalter hinein bestehen blieben (Gopnik & Crago 1991). Die Datenbasis bezog sich nicht nur auf Spontansprachaufhahmen, sondern umfaßte ebenso experimentell elizitierte Daten gesprochener Sprache und Notizbuchaufzeichnungen. Die Notizbuchaufzeichnungen wurden nur von einigen Familienmitgliedern angefertigt. Die Rahmenbedingungen dieser Studie erlaubten, die externen Faktoren wie z.B. das soziale Umfeld für alle Familienmitglieder auf gleichem Niveau zu halten, da alle in der gleichen Dorfgemeinschaft lebten und ein enges nachbarschaftliches und familiäres Verhältnis pflegten. Unterschiedliche soziale Variablen konnten daher als Erklärungsmöglichkeit für die Sprachauffälligkeit ausgeschlossen werden. Desweiteren konnte Gopnik davon ausgehen, daß alle Familienmitglieder den gleichen sprachlichen Input erhielten, so daß dialektale Varianten in den Analysen nicht berücksichtigt werden mußten. Weiterhin bot ihr der direkte Vergleich der sprachauffälligen Familienmitglieder mit den sprachunauffälligen Mitgliedern die Möglichkeit, Überlegungen zur genetischen Kodierung von Sprache und Sprachstörungen zu formulieren. Die Autorin und ihre Arbeitsgruppe interpretierten die Sprachentwicklungsstörungen als Folge einer Nicht-Funktion eines autosomal dominant vererbten Genes (Gopnik 1990b, 1990c, 1992, 1994; Paradis & Gopnik 1994). Die Vererbung von (Sprach-)Verhalten ist ein sehr komplexes Gebiet. Das Verhältnis zwischen Anlage (genetische Kodierung) und Umwelteinflüssen (Erziehung) ist umstritten. Zudem beruhen viele phänotypische Merkmale

127 auf dem Zusammenspiel von nicht nur einem Gen, sondern auf dem von sehr vielen2. Hinzukommt, daß die Erforschung familiärer Häufungen von Sprachstörungen noch am Anfang steht und äußerst konträre Berichte liefert (vgl. u.a. Bishop, North & Donlan 1995; Fletcher 1990; Vargha-Khadem & Passingham 1990 und die dort zitierte Literatur). Den Berichten von Gopnik und von Bishop stehen solche gegenüber, die keine familiäre Häufungen finden bzw. in denen die betroffenen Familienmitglieder jeweils unter einer anderen Sprach- oder Sprechstörung leiden und daher ein einziges Gen als Ursache fraglich erscheinen lassen (vgl. Whitehurst et al. 1991). Mit der vorliegenden Arbeit kann und soll kein Beitrag zur genetischen Basis von Sprach- und/oder Sprechstörungen geleistet werden. Daher möchte ich auf die genetische Kodierung von sprachlichem Verhalten nicht weiter eingehen. Die Ergebnisse der Untersuchung (Gopnik 1994) zeigten, daß sich die Sprachleistungen der Dysgrammatiker in allen morphologischen Kontexten in erheblicher Weise von denen der unauffälligen Familienmitglieder unterschieden. Im Untertest zur Elizitation von Tempusmarkierungen (zehn Items) beispielsweise gaben die normalen Versuchspersonen sieben bis zehn richtige Antworten, die Dysgrammatiker hingegen ein bis sieben. Das ließ vermuten, daß Dysgrammatiker generell nicht in der Lage sein könnten, Tempusmarkierung vorzunehmen. Es zeigte sich schließlich, daß sie im Vergleich zur Kontrollgruppe (acht bis zehn Tempusmarkierungen) Verben für Tempus (vgl. Gopnik & Crago 1991: 28) signifikant seltener markierten. Die hier zitierten Ergebnisse für die Verbflexion spiegeln bereits ein Problem wider, das sich in den Ergebnissen der anderen Untertests wiederholte: die sehr hohe interindividuelle Varianz in der Gruppe der Dysgrammatiker. Dennoch nahmen die beiden Autorinnen an, daß alle sprachauffalligen Familienmitglieder unter demselben Störungsbild litten. Sie entwickelten eine Theorie, die die Beeinträchtigung eines spezifischen Bereiches der Grammatik miteinbezieht: Es sind die grammatischen Merkmale (features) für Genus, Numerus, Belebtheit, Massen-/Zahlnomina, Tempus und Aspekt, die lückenhaft mental repräsentiert sind. Daraus ergeben sich sehr viele Folgefehler in den Äußerungen, wie z.B. die inkorrekte Wahl und Flexion des Determinierers, oder das mangelhafte Feature-checking für den Possessivmarker und die Auslassung des Subjekts vor Verben, die nicht für Tempus markiert sind (vgl. Gopnik & Crago 1991:34). Grammatische Merkmale fehlten nicht nur in der Spontansprache, sondern das Merkmalsdefizit beeinflußte ebenso Grammatikalitätsbeurteilungen von vorgegebenen Aussagen und die einfache Wiederholung von vorgegebenen korrekten Sätzen. Durch fehlende grammatische Merkmale (missing features) in der mentalen Sprachrepräsentation von Dysgrammatikern entstand also ein qualitativer Unterschied zum mentalen Sprachsystem unauffälliger Sprecher. Es durften nach Ansicht von Gopnik und Crago die äußerlich korrekt flektierten Verben (z.B. watch-ed) oder Substantive (z.B. book-s) nicht auf die Anwendung einer 2

Das Rh-System, beispielsweise, ist eines von den 14 bekannten Blutgruppensystemen des Menschen. Der genetische Kode ist auf mindestens 30 Allelen (vgl. Strickberger 1988:154) fixiert. Da Mikrobiologen und Gentechniker selbst die genetische Kodierung solcher physiologischen Merkmale noch nicht vollständig beantworten können, wird die Frage umso schwerer zu beantworten sein, wo und welche Anteile menschlichen Verhaltens, zu dem auch die Sprache zählt, genetisch fixiert ist.

128 Flexionsregel zurückgeführt werden. Statt dessen galten diese Formen, obwohl sie normalerweise mit Hilfe einer entsprechenden Regel flektiert werden (= reguläre Flexion), genau wie irreguläre Formen (z.B. ate4, mice) als Einzeleinträge im mentalen Lexikon gespeichert. Detaillierter Analysen, die neben der Flexion für Tempus, Subjekt-Verb-Kongruenz und den Nominalplural auch den Einfluß phonologischer sowie prosodischer Faktoren miteinbezogen, haben zu einer Weiterentwicklung der Theorie geführt. Ein Merkmalsdefizit allein konnte nicht alle Phänomene erfassen. Es wurde statt dessen die Hypothese aufgestellt, daß Dysgrammatiker nicht in der Lage waren, (symbolische) Regeln zu erstellen, wie sie z.B. für die Flexion und Derivation angenommen wurden. Als Alternative zu derartigen linguistischen Prinzipien wie z.B. morphologische Regeln (z.B. die reguläre Flexion für den Nominalplural: book-s) verwendeten Dysgrammatiker konzeptuelle Prinzipien (vgl. Gopnik 1994:vii). Die Vorhersage dieser Hypothese lautete, daß das Defizit symbolischer Regeln sich besonders deutlich in Kontexten zeigen sollte, in denen die Anwendung einer produktiven Regel erforderlich gewesen wäre. Goad und Rebellati (1994) haben dies am Beispiel der Pluralmorphologie untersucht. Bei einem Experiment, dem Erweiterten Wug-Test (Extended Wug Test; Design nach Berko 1958), konnten die Autorinnen zwei Beobachtungen machen: i) die ungewöhnliche Aussprache des -s Lautes in wortfinaler Position; ii) die Strategie von zwei Teilnehmern, die sich während des Experimentes explizit die Pluralisierungsregel 'add an s' bzw. 'you have to put asto it, all the time' (Goad & Rebellati 1994:27; Hervorheb. SB) vorsprachen. Im Gegensatz hierzu bildeten die unauffälligen Familienmitglieder keine Pluralformen mit phonologischen oder grammatischen Abweichungen. Zusammenfassend ergaben die Untersuchungen, daß die Regel für die reguläre Pluralbildung in der mentalen Repräsentation des Pluralsystems im Dysgrammatismus nicht vorhanden ist. Die Autorinnen gingen statt dessen davon aus, daß auch existierende, regulär flektierte Wörter als Einzeleinträge in einem Netzwerk des Lexikons gespeichert sind — genauso, wie dies für irregulär flektierte Pluralformen angenommen wird (vgl. Kapitel 3, 6 und 10). Interessant an den Ergebnissen war, daß in allen Untertests eine starke Variation zwischen den einzelnen Untersuchungsteilnehmer beobachtet wurde. Die altersabhängige Entwicklung war laut Gopnik und ihrer Arbeitsgruppe nicht nur im Bereich der Pluralmorphologie zu beobachten, sondern spiegelte sich in allen weiteren Analysen zu anderen Grammatikbereichen wider: in inkorrekten Pluralmarkierungen im allgemeinen (Gillon & Gopnik 1994), im Tempussystem (vgl. Ullman & Gopnik 1994; Hadzipetros, Crago & Gopnik 1994) und in der Adjektivflexion (Dalalakis 1994). In diesen Grammatikbereichen schienen sich Dysgrammatiker im Laufe der Zeit immer mehr der Grammatik des Englischen anzugleichen. Wie konnte das sein, wenn doch —wie in allen Analysen empirisch belegt— Defizite in der mentalen Repräsentation für die Sprachstörung verantwortlich gemacht werden konnten? Gopnik und ihrer Arbeitsgruppe interpretierten ihre Befunde als Indiz dafür, daß Dysgrammatiker kompensatorische Strategien entwickelten und mit fortschreitendem Alter erfolgreicher anwendeten. Zu den kompensatorischen Strategien zählten so einfache Hinweise wie 7 can't seem to think the word' (Paradis & Gopnik 1994:148), aber auch die explizit vorgesprochene Regel zur Pluralisierung von Substantiven (siehe Kapitel 8) bzw. zur Markierung

129 der past tense bei Verben, wie es der Dysgrammatiker AD (19 Jahre alt) gegenüber Gopnik erklärte: '...at school [I] learned it at school. In the past tense put e-d on it. Ifit's today it's in-g' (vgl. Ullman & Gopnik 1994:89; Hervorheb. SB). Daß explizit erworbene Regeln gelegentlich zu abweichenden Formen fuhren können wie sie im normalen Spracherwerb ebenfalls beobachtet wurden (vgl. Xu & Pinker 1995), demonstrierte AD direkt im Anschluß an die zuvor zitierte Äußerung, indem er ein Beispiel für seine metatheoretische Reflexion gab: Like swimming: 7went swimming today'and 'yesterday I swammed'.' (ebd., S.87) Allerdings ergaben die Daten in dieser Studie (Ullman & Gopnik 1994) nicht den zwingenden Schluß, daß Dysgrammatiker prinzipiell keine Regel zur Bearbeitung regulärer Flexionsprozesse erworben haben. Einige Probanden erreichten höhere Korrektheitswerte, wenn die existierenden Verben eine reguläre Flexionsform forderten als bei irregulären Verben. Kunstverben erhielten sehr häufig gar keine overte past tense Markierung, so daß eine sichere Analyse aus meiner Sicht kaum machbar ist. Zudem hatten die Kunstverben den Nachteil, daß sich alle 26 Kunstitems auf existierende Verben reimten. Es ist also kaum erkennbar, ob ein regulär flektiertes Kunstverb aufgrund von Assoziationsprozessen oder aufgrund einer Regel (sei sie implizit generiert oder explizit erworben) ein Affix erhielt. Leider haben Ullman und Gopnik keine Verben in ihre Studie aufgenommen, die sich nicht mit existierenden Verben reimen. Die Vergangenheitsformen dieser Kunstverben hätten Aufschluß darüber geben können, inwieweit Regelwissen im Dysgrammatismus vorhanden ist. Nichtsdestotrotz gingen die beiden Autoren davon aus, daß die Dysgrammatiker reguläre wie auch irreguläre Formen im Lexikon gespeichert haben und ansonsten auf kompensatorische Strategien ausweichen würden. Trotz der bisher verschiedentlich genannten Einwände, die sich gegen die Annahmen und Analysen zur Theorie der fehlenden Regelbildung erheben lassen, erlaubt dieser Ansatz aus dem Blickwinkel der Autorengruppe eine einheitliche Erklärung, mit Hilfe derer der Dysgrammatismus englischer Sprecher erklärt werden kann. Die Ergebnisse wurden dahingehend interpretiert, daß Dysgrammatiker keine symbolischen Regeln entwickelten, sondern statt dessen auf explizit erworbenes grammatisches Wissen zurückgreifen müssen (metalinguistisches Wissen). In vielerlei Hinsicht ähnelte die Grammatik der auffalligen Sprecher der Grammatik von Sprechern, die die Regeln des Englischen in der Schule erworben hatten, wie z.B. Fremd- und Zweitsprachlemer (vgl. Paradis & Gopnik 1994: 142). Allerdings halte ich die Schlußfolgerungen der Arbeitsgruppe nicht für notwendig zwingend. Genau diese Fähigkeit, ein morphologisches Phänomen entweder mit oder ohne externe Interventionen in eine (symbolische) Regel zu fassen und diese auch anwenden zu können, wobei Übergeneralisierungen wie im unauffälligen Spracherwerb entstehen können, zeugt davon, daß Dysgrammatiker sehr wohl zum Regelerwerb in der Lage sind.

130 Die bisher genannten Erklärungsansätze beziehen sich hauptsächlich auf Daten der Flexionsund Derivationsmorphologie. Keine der Analysen hat die Rolle der morphologischen Prozesse für die Syntax mitberücksichtigt. Da aber die Morphologie eng mit syntaktischen Vorgängen verknüpft ist, sollte man erwarten, daß sich Lücken in der Flexion negativ auf syntaktische Relationen auswirken. Diese Überlegungen sollen Gegenstand des anschließenden Abschnittes sein.

7.2.3

Der Ansatz der Fehlenden Grammatischen Kongruenz

In Studien zum Deutschen, in denen unterschiedliche Flexionsprozesse untersucht wurden, wie z.B. die Subjekt-Verb-Kongruenzmarkierungen am Verb, die Plural-, Komparativ- und Partizipmorphologie, konnten spezifische Defizite im Grammatiksystem von Dysgrammatikern beobachtet werden. So zeigten die Analysen von Clahsen und seinen Mitarbeitern (1988, 1989, 1990, 1992, 1993), daß Flexionsprozesse, die mit der Markierung von Kongruenzbeziehungen verknüpft waren, primär von der Beeinträchtigung betroffen waren. Beispielsweise Artikel können korrekt für Definitheit markiert werden, aber das Genussystem beherrschen Dysgrammatiker nicht. Im Dysgrammatismus können lokale Präpositionen und Modalverben korrekt verwendet werden, wohingegen grammatische Funktionswörter fehlen (vgl. Clahsen 1988). In der Analyse der Verbmorphologie stellte sich heraus, daß Verben häufig nicht korrekt für die Subjekt-Verb-Kongruenz markiert wurden (vgl. Clahsen 1988:178, Tabelle 11). Darüber hinaus konnte Clahsen zeigen, daß die dysgrammatischen Kinder nicht über das vollständige Formeninventar zur Numerus- und PersonFlexion am Verb verfugten. Insbesondere das -st Suffix, dem beim Aufbau des Verbparadigmas eine besondere Rolle zukommt, schien nicht im Grammatiksystem bereitzustehen. Dies wurde in zahlreichen obligatorischen Kontexten deutlich, die nicht zielsprachlich markiert wurden. Gleichzeitig hatte Clahsen erhebliche Wortstellungsprobleme feststellen können. In detaillierten Analysen zeigte sich, daß die Wortstellungsprobleme allein aus Problemen mit der Stellung des Verbs im Satz bestanden. Dysgrammatiker verwendeten sehr häufig Satzstrukturen, in denen das Verb in satzfinaler Position stand. Auffällig war das Ergebnis, daß in satzfinaler Position überwiegend infinite Verbformen zu finden waren, wohingegen finite Verbformen (häufig mit dem -t Flexiv markiert, vgl. Clahsen 1988) überwiegend in der zweiten Position zu finden waren. Dieses Ergebnis zeigte, daß Dysgrammatiker keine Defizite in der syntaktischen Struktur haben, sondern [...] daß die erforderliche Konfiguration auch beim Dysgrammatismus verfugbar ist und daß sich die Besetzung der syntaktisch angebotenen Verbpositionen im wesentlichen danach richtet, wie die verbalen Elemente im Lexikon kategorisiert werden. Die Defizite der Kinder betreffen in erster Linie die Morphologie.

(Clahsen 1988:213)

131 Clahsen (1988) entwickelt in Anlehnung an Gazdar (1985) im Rahmen der Generalisierten Phrasenstrukturgrammatik (GPSG) ein linguistisches Erklärungsmodell und stellt resümierend fest, daß die beobachteten Defizite die Relationen betreffen, die unter das Prinzip der Kongruenzkontrolle (control agreement principle [CAP], Gazdar 1985:89) fallen. In der GPSG wird die Kongruenzbeziehung als eine asymmetrische Beziehung aufgefaßt, in der die eine Kategorie als Funktor bezeichnet wird, und die andere Kategorie diesen Funktor kontrolliert. Der Dysgrammatismus zeichnet sich dadurch aus, daß grammatische Merkmale, die einer Kategorie von einer anderen zugewiesen werden, nicht identifiziert und genutzt werden können, um Paradigmen wie z.B. das Verbparadigma aufzubauen. In einer Reformulierung dieses Ansatzes im Rahmen des Minmalist Programs (Chomsky 1995) können Clahsen et al (1997) Ergebnisse aus der Dysgrammatismusforschung mit neuen Ergebnissen aus der (generativen) Syntaxforschung verknüpfen. Innerhalb des Ansatzes des Minimalist Programs wird ein detailliertes System von morphosyntaktischen Merkmalen entwickelt, das sich in intrinsische Merkmale und fakultative Merkmale unterteilt. In diesen beiden Gruppen gibt es jeweils Merkmale, die [+interpretierbar] bzw. [-interpretierbar] sind (vgl. Chomsky 1995: 276fi). Interpretierbar unter den fakultativen Merkmalen ist z.B. das Merkmal für Numerus am Substantiv. Nicht-interpretierbar sind z.B. O-Merkmale des Verbs. Eine mögliche Reformulierung von Clahsens Theorie würde alle nicht-interpretierbaren Merkmale umschließen, die von der Beeinträchtigung betroffen sind. Eine engere Reformulierung würde ein Defizit für die nicht-interpretierbaren Merkmale allein in dem Bereich der fakultativen Merkmale annehmen. Erste Ergebnisse scheinen darauf hinzuweisen, daß genau letzteres der Fall ist (vgl. Clahsen, Bartke, Göllner 1997). In weiterfuhrenden Untersuchungen wurden Flexionsprozesse, die Kongruenzrelationen ausdrückten, mit solchen Flexionsprozessen direkt verglichen, die von jeglichen Kongruenzbeziehungen unabhängig waren. Auf diese Weise konnte eine Dissoziation zwischen dem Erwerb der Subjekt-Verb-Kongruenzmorphologie einerseits und dem der Pluralmorphologie (Clahsen, Rothweiler, Woest & Marcus 1992) bzw. Partizipmorphologie (Rothweiler & Clahsen 1993) andererseits beobachtet werden. Im Rahmen einer longitudinal angelegten Studie, in deren Mittelpunkt die Spontansprache von 19 dysgrammatischen Kindern (Alter: 3;1 bis 6;11) stand, hat die Analyse des Pluralsystems bei dysgrammatischen Kindern ergeben, daß neben korrekten Formen auch viele Übergeneralisierungen gebildet wurden (vgl. Clahsen et al. 1992:244). In Verbindimg mit den Ergebnissen aus den Kompositaanalysen zeigte sich, daß auch Dysgrammatiker eine morphologische Regel verwendeten, wie dies für die Kontrolldaten des Kindes Simone angenommen werden durfte. Der Unterschied zu den Daten aus dem normalen Spracherwerb bestand lediglich darin, daß das Kontrollkind den im Deutschen als Defaultplural verwendeten -s Plural einsetzte, während fast alle Dysgrammatiker den -(e)n Plural als Defaultwert kategorisiert hatten. Eine Erklärung für diesen Unterschied in der Kategorisierung des Defaultplurals konnte aber nicht gegeben werden. Zusammenfassend kamen die Autoren zu dem Schluß, daß im Dysgrammatismus die gleichen Prinzipien greifen, wie sie für den normalen Spracherwerb beobachtet wurden. Dysgrammatismus ist durch eine divergente Entwicklung in unterschiedlichen grammatischen

132 Bereichen gekennzeichnet. Selektiv sind diejenigen Morphologieprozesse vom Defizit betroffen, die Kongruenzbeziehungen markieren, während andere morphologische Prozesse, wie z.B. die Pluralmorphologie oder Partizipbildung, nicht beeinträchtigt sind. Gleichzeitig enthielten die vorgelegten Analysen weitere empirische Evidenz für den lerntheoretischen Ansatz des Lexikalischen Lernens (Clahsen, Vainikka & Young-Scholten 1990). Solange die Kinder nicht das Verbparadigma für die Präsensflexion vollständig erworben haben, beherrschen sie das Prinzip der Subjekt-Verb-Kongruenz nicht. Dies hat zur Folge, daß das Verb nicht in der Satzposition stehen kann, in der das Verb normalerweise im deutschen Hauptsatz steht (in der 2. Position). Die V2- Position kann deswegen nicht mit dem unflektierten Verb besetzt werden, da hier nur für die Subjekt-Verb-Kongruenz markierte Verben stehen können. Alternativ sind die Verben auf die satzfinale Position beschränkt. In dem Moment, in dem die Kinder über das vollständige Verbparadigma verfugen, werden die Verben korrekt für die Subjekt-Verb-Kongruenz markiert und können in der V2-Position stehen (vgl. Clahsen 1989, Clahsen, Eisenbeiß & Penke 1996). Die Erwerbsphase, die von fehlender Subjekt-Verb-Kongruenz gekennzeichnet ist, ist auch im dysgrammatischen Spracherwerb wiederzufinden. Aber Dysgrammatiker kommen über diese Stufe in bezug auf die Verbflexion und -position im Satz nicht hinaus. Sie erwerben die Morphologie zur Markierung der Subjekt-Verb-Kongruenz nicht, wodurch nicht-finite Verb in satzfinaler Position verbleiben. Ergebnisse aus Studien zum Partiziperwerb (Rothweiler & Clahsen 1993) stützten die Analysen im Sinne eines selektiven Defizites. Die Defizite in der Subjekt-Verb-Kongruenzmorphologie konnten nicht überwunden werden, während sich die Partizipmorphologie weiterentwickelte. Neben der Verwendung einfacher Stämme (*abgemach; *hochbrach, Beispiele nach Rothweiler & Clahsen 1993:51) in Partizipkontexten produzierten die Kinder auch übergeneralisierte Formen. Diese bestanden in allen Fällen aus der Affigierung des -t Suffixes (*ausgetrinkt; *weggereitet; *gefallt, Beispiele ebd., S.52). Dies ist ein Fehlertyp, der auch im normalen Spracherwerb belegt werden konnte (Clahsen & Rothweiler 1993; Weyerts & Clahsen 1994) und auf die Verwendung einer Defaultregel schließen läßt. Resümierend ergaben die Analysen zweierlei. Zum einen konnte eine Dissoziation zwischen der Entwicklung zur Markierungen von Kongruenzrelationen und der der Flexionsmorphologie ohne Kongruenzrelationen nachgewiesen werden. Zum anderen konnte dargelegt werden, daß sich das Grammatiksystem der sprachauffalligen Kinder trotz der Unterschiede nicht qualitativ von dem normaler Kinder unterschied. Zusammengenommen konnte dies als weitere empirische Evidenz für den Ansatz des Grammatischen Kongruenzdefizits (Grammatical Agreement Deficit) gewertet werden (Clahsen 1988, 1989, 1993/1994). Weitere empirische Belege für die Hypothese von Clahsen kamen von Daten aus dem Englischen, Italienischen, Schwedischen und Niederländischen. Die Ergebnisse ließen vermuten, daß der Ansatz des Grammatischen Kongruenzdefizits mehr als eine Erklärung einzelsprachspeziflscher Phänomene darstellt (vgl. Morehead & Ingram 1973; desweiteren Oetting 1992, Rice & Oetting 1993, Ingram & Carr 1994). Morehead und Ingram (1973) beispielsweise untersuchten die Spontansprache von 15 sprachauffalligen und 15 unauffälligen Kindern, die gemäß Brown (1973) den fünf unterschiedlichen Entwicklungsstufen zuge-

133 wiesen werden konnten. Die Autoren stellten fest, daß die sprachauffälligen Kinder in der Verwendung von Satzkonstruktionen, die komplizierte Transformationen erforderten, im Vergleich zu den Kindern der jeweils gleichen Sprachentwicklungsstufe i) wesentlich weniger unterschiedliche Strukturen verwendeten und ii) wesentlich entwicklungsverzögert waren. Für die Flexionsmorphologie, wie sie im Rahmen der past tense Morphologie, der Pluralflexion oder auch bei Possessiven sichtbar wird, zeigte sich jedoch kein signifikanter Unterschied zwischen den Probandengruppen. Für die Kinder in den ersten drei Entwicklungsstufen konnte nachgewiesen werden, daß die Dysgrammatiker wesentlich häufiger flektierte Formen verwendeten als die Kinder der entsprechenden Kontrollgruppen. Für die Erklärung der Sprachauffälligkeit gingen Morehead und Ingram von der Entwicklung syntaktischer Transformationen aus und zogen deren möglichen Einfluß auf die Fortschritte im Bereich Flexion in Betracht (vgl. ebd. 1973:342). Was diese breitgefächerte Analyse schon andeutete, konnte auf der Basis einer späteren Fallstudie —ebenfalls zum Englischen— präziser formuliert werden (Ingram & Carr 1994). Die Daten aus der Longitudinalstudie legten den Schluß nahe, daß die auffalligste Eigenschaft von Dysgrammatismus darin bestand, daß grammatische und semantische Merkmale nicht ausreichend genutzt werden konnten um syntaktische Prinzipien zu erweitern bzw. überhaupt erst aufzubauen (vgl. Ingram & Carr 1994:5). Zu einem ähnlichen Ergebnis gelangte Smith-Lock (1992) in ihrer Studie, in der sie syntaktisches Wissen (z.B. Passiv-Strukturen) ebenso untersucht wie auch Flexionsmorphologie (wie z.B. Numerus am Substantiv). Bei den englisch-sprachigen dysgrammatischen Kindern waren im Vergleich zur Sprach-Kontrollgruppe weder im Bereich der Pluralmorphologie noch in dem der Passivmorphologie signifikante Unterschiede zu finden (Smith-Lock 1992: 82ff). Bei den Dysgrammatikern waren sogar erhöhte Zahlen an Übergeneralisierungen zu beobachten, die auf regelbasiertes Wissen schließen ließen (vgl. ebd., S.57). Rice und Oetting (1993) untersuchten die Daten englischer Dysgrammatiker daraufhin, ob zwischen der Pluralmorphologie einerseits und den Subjekt-Verb-Kongruenzmarkierungen andererseits die Dissoziation zu beobachten sei, wie sie die Theorie von Clahsen (1988) vorhersagt. Oetting und Rice (1993) konnten anhand der Daten von 18 sprachgestörten Kindern, 18 unauffälligen der gleichen Sprachentwicklungsstufe sowie 19 unauffälligen Kindern der gleichen Altersstufe Evidenz dafür erbringen, daß sich das Pluralsystem nicht von dem der sprachgleichen Kontrollgruppe unterschied. Darüber hinaus zeigten sie in einer groß angelegten Studie (Rice & Oetting 1993), daß die Dysgrammatiker statt dessen erhebliche Probleme in der Markierung der Subjekt-Verb-Kongruenz hatten. Allerdings konnten Rice und Oetting (1993) zusätzlich feststellen, daß nicht alle Kongruenzbeziehungen gleichermaßen beeinträchtigt waren. Innerhalb von Nominalphrasen waren die dysgrammatischen Kinder sehr wohl in der Lage, allen Elementen kohärent Numerus zuzuweisen. Dieser Widerspruch zu den Ergebnissen aus dem Deutschen könnte womöglich darauf beruhen, daß Rice und Oetting ein sehr eng begrenztes Datenumfeld zur Verfügung hatten: Der Artikel the, der am häufigsten von den Kindern verwendet wurde, trägt keine Markierungen für Numerus. Dennoch wurden diese Äußerungen als korrekt flektiert gewertet. In Quantifizierer-Substantiv Kontexten hingegen traten an den Substantiven erheb-

134 liehe inkorrekte Markierungen (meistens eine nicht-overt flektierte Form) auf. Die Autorinnen präsentierten letztendlich also ein recht heterogenes Bild, das noch weiterer Forschung bedarf.

7.3 Zusammenfassung Modelle, welche Dylsgrammatismus auf ein generelles kognitives oder auf ein auditives Performanzdefizit zurückführen, werden den Beobachtungen zum Deutschen nicht gerecht. Sie können das selektive Defizit nicht erklären. Die Notwendigkeit linguistisch basierter Argumentationen ist offensichtlich. Doch die Diskrepanzen zwischen den einzelnen Erklärungsansätzen sind deutlich. Der Ansatz der Oberflächenstruktur (Surface Account) und die These der Reichen Morphologie (Rieh Morphology Account) gehen von sprachimmanenten Schwierigkeiten aus. Der Feature-Defizit Ansatz erklärt die Defizite der Dysgrammatiker über eine fehlende mentale Repräsentation: Die Fähigkeit zur Regelbildung ist nicht vorhanden und muß u.a. durch ein stark ausgeprägtes assoziatives Netzwerk kompensiert werden. Hingegen zeigt die Theorie der Fehlenden Grammatischen Kongruenz, daß auch im dysgrammatischen System Regeln aufgebaut und produktiv verwendet werden. Diese Modellvorstellung trägt den Beobachtungen Rechnung, daß die Schwierigkeiten auf Flexionsprozesse beschränkt sind, die grammatische Kongruenzrelationen ausdrücken. Um die Beschreibungs- und Erklärungsadäquatheit der drei in diesem Kapitel diskutierten Ansätze zu untersuchen, bietet das Sprachsystem von Dysgrammatikern mit deutscher Erstsprache eine ideale Ausgangsbasis. Zum einen besteht das deutsche Flexionssystem aus einem Flexivinventar, das durch low phonetic substance gut zu charakterisieren ist. Zum anderen verfugt das Deutsche über ein reiches morphologisches Inventar, und zwar sowohl in der Verb- als auch in der Pluralmorphologie. Aus Sicht der Hypothese der Oberflächenstruktur (Leonard und Mitarbeiter) wäre daher für das Grammatiksystem deutscher Dysgrammatiker zu erwarten, daß die Kinder unabhängig davon, ob der Konsonant als Suffix für die Verbflexion verwendet wird (geh-ew, geh-f, gemach-/) oder zur Pluralmarkierung dient (Bett-ew, Auto-s). In Verknüpfung mit der neueren Annahme der Reichen Morphologie sollten Verb- und Pluralmorphologie mehr oder minder in gleichem Ausmaß beeinträchtigt sein. Beide Flexionsbereiche zeichnen sich im Deutschen durch ein reiches Flexivinventar aus. Deshalb sollten beide Systeme ausreichend morphologisches Material enthalten, das die Kinder beim Erwerb und Aufbau von Flexionsparadigmen und Regeln unterstützen kann. Beeinträchtigungen wären demnach weder im Bereich der Verbmorphologie noch in dem der Pluralmorphologie zu erwarten. Der Ansatz des Merkmalsdefizites (Gopnik & Mitarbeiter 1994) läßt für die deutschen Erwerbsdaten erwarten, daß bei der Pluralmarkierung Auslassungen und Übergeneralisierungen alle vier overten Suffixe gleichermaßen betreffen. Kein Affix wird durch die Zuweisung des Defaultstatus' von den übrigen Affixen qualitativ distinkt klassifiziert. Statt dessen würde ein Äquivalent zu der Strategie 'addan s' bzw. 'put e-d on it' zu finden sein.

135 Dem Ansatz der Fehlenden Grammatischen Kongruenz (Clahsen 1988) zufolge wird erwartet, daß sich in den experimentell erhobenen Daten die Dissoziation zwischen der Markierung der Subjekt-Verb-Kongruenz einerseits und Flexionsprozessen ohne Kongruenzrelationen (wie bei der Pluralmorphologie beispielsweise) andererseits bestätigen läßt.

Kapitel 8 Plural und lexikalische Komposition im Dysgrammatismus

Wie sich schon im ersten Teil der vorliegenden Arbeit zeigte, kann die Untersuchung der Pluralmorphologie des Deutschen in Verbindung mit der Nominalkomposition Hinweise darauf geben, welche Relationen zwischen Flexionsprozessen und Wortbildungsprozessen bestehen. Für den normalen Spracherwerb konnte gezeigt werden, daß die irreguläre Flexion in Form eines phonologisch orientierten assoziativen Netzwerkes repräsentiert werden kann. Die reguläre Flexion hingegen wird mittels einer morphologischen Regel, die die Defaultbedingungen erfüllt, repräsentiert. Im Deutschen ist das -s Pluralallomorph mit dem Defaultstatus belegt. Wie die vorliegende Studie und weitere Spontansprachuntersuchungen zeigen konnten, haben bereits sehr junge Kinder diese Differenzierung im Sinne der Erwachsenengrammatik vorgenommen. Die mentale Repräsentation von Flexionsprozessen im unauffälligen Spracherwerb konnte mit Hilfe des Dual Mechanism Modells beschrieben werden (vgl. Kapitel 6). Mit experimentell erhobenen Daten zum Pluralerwerb und zur lexikalischen Komposition im Dysgrammatismus möchte ich einen Beitrag zur Diskussion leisten, inwieweit der dysgrammatische Spracherwerb dem unauffälligen gleicht bzw. davon abweicht. Doch zuvor sollen bereits vorliegende Arbeiten vorgestellt werden, die sich mit eben diesem Bereich des Flexionserwerbs beschäftigt haben. Zu Beginn werden am Beispiel der Pluralmorphologie Studienergebnisse präsentiert, in denen für einen qualitativen Unterschied argumentiert wird. Dieser sei darauf zurückzufuhren, daß der dysgrammatische Spracherwerb anderen Prinzipien und Mechanismen in der mentalen Repräsentation unterliegt als der normale Erwerb (Schöler & Kany 1989; Goad & Rebellati 1994; Grimm & Weinert 1990; Veit 1986, 1992). Anschließend werden Untersuchungen eingehender betrachtet, die im Bereich der Pluralmorphologie keine Anhaltspunkte für einen solchen qualitativen Unterschied finden können. Die beobachtbaren Differenzen beruhen nicht auf andersartigen Erwerbsmechanismen, sondern entstehen durch Defizite in spezifischen Bereichen der grammatischen Repräsentation im mentalen Lexikon (Oetting 1991, Clahsen et al. 1992, Rothweiler & Clahsen 1993; Smith-Lock 1992; Rice & Oetting 1993; Oetting & Rice 1993).

137

8.1 Qualitative Unterschiede zwischen Dysgrammatismus und normalem Spracherwerb Neuere Arbeiten zum auffälligen Spracherwerb untersuchen, inwieweit im Dysgrammatismus die mentale Repräsentation sprachlichen Wissens durch die Annahme symbolischer Regeln beschrieben werden kann. In den Arbeiten von Myrna Gopnik und ihrer Arbeitsgruppe wurde die Lautstruktur (Polka 1994), Pluralmorphologie (Goad & Rebellati 1994) und die Partizipmorphologie (Ullman & Gopnik 1994) untersucht. Es zeigte sich, daß Dysgrammatiker nicht in der Lage waren, eine produktive Regel für reguläre Flexionsprozesse zu verwenden. Statt dessen interpretierten alle o.g. Autoren ihre Befunde als Evidenz dafür, daß im Dysgrammatismus das mentale Lexikon (und damit auch das Morphologiesystem) ausnahmslos in einem frequenzbasierten, assoziativen Netzwerk repräsentiert ist. Dieser Befund steht allerdings im Gegensatz zu den Ergebnissen zur ungestörten Sprachrepräsentation, für die neben Netzwerkstrukturen auch Regelkonstruktionen von Bedeutung sind. Im folgenden sollen zunächst Ergebnisse zum Englischen und Deutschen vorgestellt werden, die jeweils zu dem Schluß kommen, daß sich die Grammatik im Dysgrammatismus von der im normalen Spracherwerb klar unterscheidet.

Goad und Rebellati (1994) In ihrer Studie mit englischsprechenden Dysgrammatikern haben Goad und Rebellati (1994) die Frage nach der Anwendung einer produktiven Morphologieregel in den Mittelpunkt gerückt. Während im ungestörten Grammatiksystem morphologische Regeln eine wichtige Rolle spielen (vgl. Teil I dieser Arbeit), scheinen sie nach Meinung der beiden genannten Autorinnen im Dysgrammatismus nur wenig von Bedeutung zu sein bzw. die Fähigkeit zur Regelanwendung scheint völlig zu fehlen. Dies haben Goad und Rebellati (1994) am Beispiel der englischen Pluralmorphologie gezeigt. Ihre Untersuchungsgruppe bestand aus einer drei Generationen umfassenden Familie, in der sowohl sprachauffällige als auch -unauffällige Familienmitglieder lebten 1 . In den experimentell erhobenen Daten zur Pluralmarkierung stellten Goad und Rebellati (1994) fest, daß zum einen der -s Laut ungewöhnlich ausgesprochen wurde, wenn er in der Funktion eines Pluralmarkers verwendet wurde. Zum anderen beobachteten die Untersucherinnen, daß zwei Probanden sich selbst zur Unterstützung explizit Pluralregeln vorsprachen (Goad & Rebellati 1994:27; vgl auch Kapitel 7.2.2). Daraus ergab sich für die theoretischen Schlußfolgerungen, daß offenbar keine mentale Repräsentation in Form einer symbolischen Regel für die reguläre Pluralbildung vorhanden ist. Die Autorinnen gingen statt dessen davon aus, daß auch existierende, regulär flektierte Wörter als Einzeleinträge in einem Netzwerk des Lexikons gespeichert sind — genau so, wie

1

Eine ausführliche Beschreibung der Familie ist in Kapitel 7.2.2 zu finden.

138 dies im Rahmen des Dual Mechanism Modells (Pinker & Prince 1991; Clahsen 1996) für irregulär flektierte Lexeme angenommen wird. Es bleibt aber zu erklären, weshalb die nicht-existierenden Wörter des Experimentes ohne die Hilfe einer produktiven Regel mit dem -s Pluralaffix für den Plural markiert werden konnten. Goad und Rebellati gehen hierbei von Prozessen aus vorgeschlagen, die in einem anderen Netzwerk lokalisiert sind. In Abbildung 1 ist dargestellt, wie mit Hilfe assoziativer Strategien das -s Pluralflexiv an ein erfundenes Substantiv affigiert wird (Abb. l.a); Abbildung 1 .b illustriert die mentale Repräsentation, wie sie von Goad und Rebellati für ein existierendes Wort angenommen wird, das mit dem -s Plural gebildet wird.

a)

N \ N

wAg

s

I

Abb.l

b)

/ N

I

N | |

I

bAgz

Pluralbildung im Dysgrammatismus (nach Goad & Rebellati 1994:36)

Der Vorgang aus Abbildung 1 .a entspricht im ungestörten Sprachsystem dem der Komposition, übernimmt aber im dysgrammatischen System den Anwendungsbereich der morphologischen (Plural-)Regel, wie sie für das unauffällige Sprachsystem postuliert wird. Im Vergleich dazu wird in Abbildung 1 .b die Speicherung der Pluralform eines existierenden Wortes illustriert; die Form, in der man sich die Speicherung irregulärer Pluralformen vorstellen kann. Allerdings treffen Dysgrammatiker an dieser Stelle keine Unterscheidung zwischen regulär und irregulär flektierten Formen. Die Autorinnen nehmen an, daß Dysgrammatiker nicht in der Lage sind, morphologisch komplexe Wörter in ihre Untereinheiten aufzulösen, um über verallgemeinernde Schlußfolgerungen Regularitäten (z.B. die Festlegung des -s Pluralaffixes als reguläres Pluralflexiv, eingebettet in eine morphologische Regel) zu formulieren. Im unauffälligen Spracherwerb beginnen Kinder damit, Singular- und Pluralformen eines Wortes zunächst als zwei einzelne lexikalische Einträge zu speichern. Wenn eines Tages eine von den Autorinnen nicht näher definierte Schwelle überschritten ist, werden Muster (patterns) bemerkt. Genau dies ist der Moment, in dem sich nach dem hier vorgeschlagenen Ansatz das unauffällige und das dysgrammatische Grammatiksystem unterschiedlich weiterentwickeln. Während sprachunauffällige Kinder die Muster in symbolischen Regeln repräsentieren, verbleibt im Dysgrammatismus das System bei der separaten Notierung für flektierte und unflektierte Formen desselben Stammes (vgl. Goad & Rebellati 1994:37). Aus den Ergebnissen der Dysgrammatiker läßt sich eine weitere Schlußfolgerung ableiten. Die interindividuelle Variation, die hier von 0% bis 100% korrekter Antworten für existie-

139 rende Wörter schwankt (vgl. ebd., S.28, Tabelle 1), ist nach Meinung der Autorinnen mit dem Alter des jeweiligen Sprechers verknüpft. So waren zum Beispiel bei Zo (11 Jahre alt) die Testwörter mit einem finalem Sibilanten nicht einziges Mal mit einem Pluralmarker oder einer pluralaffixä/w/i'c/ie« Markierung versehen. Ka (77 Jahre alt) hingegen gab im genannten phonologischen Kontext immerhin zu etwa 96% Antworten mit einer Pluralendung, Ps (42 Jahre alt) sogar in allen Fällen (d.h. zu 100%). Problematisch für diesen Erklärungsansatz ist, daß St (11 Jahre) ähnlich gute Ergebnisse erzielte wie Ps (42 Jahre). Schwierig zu erklären wäre auch, aus welchen Gründen St (11 Jahre) erheblich mehr korrekte Antworten geben konnte als Zo (11 Jahre) oder To (13 Jahre). Eine andere, weiterführende Frage wäre, ob sich die Pluralbildung von Kunstwörtern auf der Basis von Reimmöglichkeiten zu existierenden Wörtern in quantitativer und qualitativer Hinsicht von Analogieprozessen unterscheidet, die für Kunstwörter angenommen werden können, die sich nicht auf existierende Wörter reimen. Kunstwörter, die sich auf existierende Wörter reimen, würden über assoziative Prozesse den entsprechenden Plural 'übernehmen'. Kunstwörter ohne Analogie hingegen werden von normalen Sprechern bevorzugt mit dem Defaultplural flektiert, d.h. im Englischen mit dem -s Pluralflexiv markiert (Pinker & Prince 1991). Solche Items wären ein idealer Testfall für die Hypothese von Goad und Rebellati. Doch sind Rückschlüsse in Verbindung mit der phonologischen Form der verwendeten Testitems nicht möglich. Ein Nachteil für die Interpretation der Ergebnisse dieser Studie ist, daß Auslassungen als einziger Fehlertyp bezüglich der Morphologie auftreten und somit ein enorm starkes Gewicht in der Diskussion der Ergebnisse erhalten. Das halte ich für bedenklich, da im Rahmen des sog. Wug-Designs schon von seiner Urheberin J. Berko (1958) viele nicht-flektierte Formen in den Antworten beobachtet wurden. Die Interpretation von nicht overt markierten Formen in Pluralkontexten läßt jedoch zweierlei Rückschlüsse zu. Diese Formen können einerseits als aus Sicht des Sprechers korrekte null-markierte Formen (wie z.B. fishlsg. - fish-0/pl. oder sheep/sg. - sheep-0/p\.) interpretiert werden, oder aber als eine bloße Imitation der vom Versuchsleiter vorgegebenen Singularform gesehen werden. Aufgrund der äußeren Form jedoch läßt sich das nicht entscheiden. Unter Berücksichtigung dieser Überlegungen würde sich allerdings die Datenbasis von Goad und Rebellati verringern und die Aussagekraft der Ergebnisse einschränken. In Arbeiten zum Deutschen sind zwischen Dysgrammatikern und sprachunauffälligen Kindern ebenfalls Unterschiede im Erwerb der Pluralmorphologie beobachtet worden. Auch hier werden die Differenzen auf Unterschiede in der mentalen Grammatikrepäsentation und in der Verarbeitung zurückgeführt werden (Schöler & Kany 1989).

Schöler und Kany (1989) In einer als vergleichende Erwerbsstudie angelegten Untersuchung haben Schöler und Kany in zwei Untersuchungsabschnitten den Erwerb der deutschen Pluralmorphologie bei 43 sprachunauffälligen Kindern (1;5 bis 11 ;6 Jahre alt) und 100 Dysgrammatikern (7; 10 bis

140 15; 11 Jahre alt) untersucht. In diesem Abschnitt sollen die Ergebnisse aus dem zweiten Untersuchungszeitraum besprochen werden, da hier eine größere Probandengruppe und eine gezieltere Analyse der Ergebnisse zur Verfügung steht. Das Erhebungsverfahren sowie das Testmaterial aus dem ersten Untersuchungsabschnitt gehen auf einen Untertest des H-S-E-T (Grimm & Schöler 1978) zurück; im zweiten Untersuchungsabschnitt wurden analoge Verfahren entwickelt, in denen mittels vorgelegter Bildkarten die Versuchspersonen die entsprechende Pluralform bilden sollten. Sowohl existierende als auch erfundene Substantive wurden als Testmaterial verwendet. Für die Pluralbildung im normalen Spracherwerb nehmen die Autoren vier unterschiedliche Generierungsmechanismen an: Neben dem Auswendiglernen von Pluralformen kann der Plural auch durch Generalisierungen in Form von Rahmenbildung oder in Form von Analogien gebildet werden. Als vierte Möglichkeit wird die Verwendung einer morphologischen Regel genannt (vgl. Schöler & Kany 1989: 129-133). Eine Beobachtung, die auch in anderen Studien mit vergleichbarem Erhebungsverfahren (Gawlitzek-Maiwald 1994, Goad & Rebellati 1994, Schaner-Wolles 1988, Berko 1958) gemacht wurde, ist die der hohen Zahl von Nichtmarkierungen. In dieser Studie generierten die dysgrammatischen Kinder bedeutsam seltener eine overt markierte Pluralform als die sprachunauffälligen Kinder. Hierbei schien allerdings der Bekanntheitsgrad der Testwörter in beiden Teilnehmergruppen eine Rolle zu spielen, da die existierenden Wörter häufiger für den Plural overt markiert wurden als die Kunstwörter. Das Alter der Teilnehmer war ebenfalls in beiden Gruppen von Bedeutung, da mit zunehmendem Alter die Substantive häufiger für den Plural overt markiert wurden. Aus den Ergebnissen zu den existierenden Wörtern ist festzuhalten, daß in beiden Untersuchungsgruppen in der Regel das korrekte Flexiv zur Pluralmarkierung verwendet wurde, wobei die Dysgrammatiker bei jedem Testwort eine geringere Anzahl an korrekten Bildungen produzierten als die Kinder aus der Vergleichsgruppe. Auffallend ist der höhere Anteil von Nichtmarkierungen in der Gruppe der dysgrammatisch sprechenden Kinder. In Tabelle 1 wurde für jedes einzelne Substantiv (n = 5) in Prozent die Pluralform angeben, wobei die Ergebnisse beider Gruppen zur besseren Vergleichbarkeit direkt nebeneinander eingetragen wurden (nach Schöler & Kany 1989:155f). Hierbei ergeben die Werte jeweils für jede Gruppe (N = unauffällige Kinder; D = Dysgrammatiker) 100 Prozent. Die Angaben hier beruhen auf den Berechnungen von Schöler und Kany (1989).

141

-0 Auto Streichholz Gabel Schmetterling Kissen

N 6

D 11 10 28 16 95

-

13 6 100

-(e)n N D 1 2 83 61 2 11 -

-

IMuralmarku :rungen in /o -s -er -e N D D D N N 94 87 1 100 81 1 2 4 7 92 65 2 1 -

andere N D 1 4 1 -

-

-

-

Pluralmarkierungen für die existierenden Substantive2

Tab. 1

Die Generierung von nicht-overten Pluralformen nimmt bei den Kunstwörtern in beiden Gruppen zu. Dabei tendieren die unauffälligen Kinder häufiger dazu, die Kunstwörter overt zu markieren als dies bei den Dysgrammatikern der Fall ist. Die Ergebnisse sind in Abbildung 1 für beide Teilnehmergruppen wiedergegeben.

100

80- •

60-.

52

in %

40.. 37

I 29

16

20 ..

-O

,

15

• I -(e)n

3

0,2

2

H -er

andere

Plural markierun gen

i unauff. Kinder • Dysgr.

Abb.l

2

Pluralformen der erfundenen Substantive (nach Schöler & Kany 1989: 155f)

Die häufigsten Pluralformen pro Testwort sind durch eine graue Unterlegung des Feldes hervorgehoben worden.

142 Die hohe Anzahl von nicht overt markierten Kunstwörtern in beiden Teilnehmergruppen interpretieren die Autoren als Beibehaltung der vorgegebenen Singularform. Sie beruhe auf Unsicherheit seitens der Kinder, welches der overten Pluralflexive verwendet werden könnte. Da nicht overt markierte Formen immer sehr schwer zu interpretieren sind, möchte ich mich statt dessen den overten Pluralbildungen zuwenden. Während die unauffälligen Kinder zur Bildung einer overt markierten Pluralform häufiger das -e Pluralflexiv verwendeten, ist bei den dysgrammatisch sprechenden Kindern eine leichte Bevorzugung des -(e)n Flexivs zu beobachten. Allerdings ist eine Abhängigkeit mit dem Alter festzustellen, d.h. mit zunehmendem Alter gleichen sich die Ergebnisse der beiden Gruppen an. Diesen Befund erklären Schöler und Kany (1989) nicht damit, Dysgrammatismus als einen zeitlich verzögerten Spracherwerbsprozeß zu sehen, da ihnen die Verzögerung von vier bis fünf Jahren als zu hoch erscheint. Statt dessen argumentieren sie für einen Ansatz, in dem für den Dysgrammatismus qualitativ andere Erwerbs- und/oder Verarbeitungsprozesse angenommen werden. Sie leiten dies von der Tatsache ab, daß viele der Kunstwörter von den dysgrammatischen Kindern overt markiert worden sind. Es wird angenommen, daß metasprachliches Wissen die Kinder dazu führt, eine overt markierte Pluralform zu bilden. Den sprachunauffalligen Kindern stehen dieser Annahme zufolge neben der Regelanwendung noch drei weitere Generierungsmechanismen zur Verfügung: i) Abrufen einer auswendiggelernten Pluralform aus dem Gedächtnis; ii) Rahmenbildung; iii) Analogiebildung. Zwei Anmerkungen hinterfragen allerdings die Aussagekraft dieser Interpretation. Es befinden sich in der Gruppe der Dysgrammatiker Kinder mit unterschiedlichen Ausprägungen dieser Spracherwerbsstörung. Es könnte daher durchaus sein, daß unterschiedliche Schweregrade auf unterschiedliche Bereiche in der Grammatikrepräsentation zurück zu führen sind. Kinder mit leichtem Dysgrammatismus haben vielleicht ein Repräsentationssystem der Pluralmorphologie, das im Vergleich mit dem der unauffälligen Kinder identisch ist. Das heißt, daß diese Kinder ebenfalls mit Hilfe der drei Generierungsmechanismen Pluralformen bilden könnten. Kinder mit stärkerem Ausprägungsgrad würden eventuell andere Flexionsprozesse verwenden, um eine Pluralform zu bilden. Doch diese möglichen Unterschiede können in dieser Studie nicht genau untersucht werden. Eine weitere Anmerkung betrifft das Testmaterial. Da es sich um Kunstwörter handelt, die eine starke phonologische Ähnlichkeit zu existierenden Wörtern mit irregulärer Pluralform aufweisen, ist es nicht verwunderlich, daß die unauffälligen Kinder an Stelle des Defaultflexivs -s bevorzugt irreguläre Pluralflexive verwenden (ausführliche Diskussion siehe Kapitel 4). Eine ähnliche Annahme wäre zur Erklärung der Ergebnisse der Dysgrammatiker möglich, wenn man davon ausgeht, daß kein qualitativer Unterschied in der mentalen Repräsentation vorhanden ist. Dann ließe sich argumentieren, daß die Dysgrammatiker ebenfalls die Anwendung eines regulären Plurals verwerfen, weil sich durch Analogie zu einem existierenden Wort eine irreguläre Form für das Kunstwort generieren läßt. Damit wäre man zu einer genau gegenteiligen Interpretation der Ergebnisse aus der Studie von Schöler und Kany (1989) gelangt.

143 Veit (1992) In ihrer Studie hat Veit (1992) 15 dysgrammatische Kinder (Alter: 6; 4 bis 7;1 Jahre) und 15 sprachunauffallige Kinder (Alter: 3;8 bis 4;7 Jahre) aus dem Münchner Raum untersucht. Neben Sprachperzeptionstests hat sie auch Produktionsdaten erhoben. In dem Produktionsexperiment verwendete sie ein Satzergänzungsverfahren, wobei Bildkartenmaterial die Präsentation des Sprachmaterials unterstützte. Insgesamt wurden 30 existierende Substantive zur Elizitation von Pluralformen präsentiert. In zwei Testdurchgängen wurden den Kindern jeweils dieselben Materialien präsentiert, um das Antwortverhalten der Kinder auf Konsistenz zu prüfen. In den Ergebnissen zeigte sich, daß die Dysgrammatiker deutlich mehr inkorrekte Pluralformen (im Durchschnitt 55%) generierten als die sprachunauffälligen Kinder (im Durchschnitt 22%), wobei die Autorin eine starke interindividiuelle Varianz sowohl bei den Dysgrammatikern als auch bei den Kindern der Vergleichsgruppe hervorhebt. Die allgemeine Tendenz in dem Gruppenergebnis ist, daß die Dysgrammatiker am häufigsten in inkorrekten Markierungen das -(e)n Allomorph verwendeten (51%; vgl. Veit 1992:124, Tab.38). Daß Dysgrammatiker in Übergeneralisierungen und in Pluralformen von Kunstwörtern bevorzugt das -(e)n Flexiv verwendeten, ist auch in anderen, hier vorgestellten Studien beobachtet worden. Weiterhin auffallig in diesen Daten ist, daß die Dysgrammatiker prinzipiell weniger overte Pluralflexive verwendeten als dies bei unauffälligen Kindern der Fall war. Diese und weitere Beobachtungen aus anderen Subtests sowie der Befund, daß die dysgrammatischen Kinder in beiden Testdurchgängen sehr ähnliche Ergebnisse erzielten, d.h. sie zeigten ein konstantes Antwortverhalten, ließ die Autorin zum Schluß kommen, daß dem Dysgrammatismus ein generelles kognitives Defizit zugrundeliegt. Dieses Defizit führe dazu, daß die Dysgrammatiker zur Markierung des Plurals an Substantiven stärker als die Kinder der Vergleichsgruppe auf die Verfügbarkeit einer Strategie (Veit 1992), d.h. die Anwendung einer morphologischen Regel, angewiesen sind. Veit betont, daß ihre Ergebnisse sowohl mit dem theoretischen Ansatz einer zugrundeliegenden Sprachwahrnehmungsstörung als auch mit dem einer zugrundeliegenden Sprachverarbeitungsstörung vereinbar wären. Letzteres geht nach Veit auf eine zentrale Verarbeitungsstörung zurück, die sich besonders im sprachlichen Bereich auswirkt (Veit 1992:173). Bei der Bewertung dieser Ergebnisse ist allerdings zu bedenken, daß die Kinder aus einem Sprachraum stammen, in dem sehr viele Pluralformen im Sinne des Dialektes korrekt mit dem -(e)n Pluralmorphem flektiert werden, obwohl sie im Standarddeutschen eine andere Pluralform bilden würden. Daher ist es nur sehr eingeschränkt möglich, diese Ergebnisse mit denen aus Studien zu vergleichen, in denen der Einfluß eines Dialektes nicht vorhanden ist. Schwierig einzuschätzen ist die Untersuchung von Veit auch deshalb, weil sie keine Differenzierung unterschiedliche Flexionstypen wie die von regulärer versus irregulärer Flexion vornimmt. Eine Betrachtung ihrer Ergebnisse unter diesem Gesichtspunkt ist nachträglich leider nicht möglich.

144 Zusammenfassend ist deshalb lediglich festzuhalten, daß auch in diesem Ansatz für einen qualitativen Unterschied zwischen der Sprachrepräsentation im normalen Spracherwerb und der im Dysgrammatismus argumentiert wird. Dieser Argumentation stehen Beobachtungen aus Untersuchungen mit Spontansprachproben entgegen. Im folgenden werden Arbeiten zunächst zum Englischen und anschließend zum Deutschen vorgestellt.

8.2 Gemeinsamkeiten im unauffälligen Spracherwerb und im Dysgrammatismus In einer Reihe von Spontansprachstudien, die ebenfalls in Form von vergleichenden Analysen angelegt worden sind, konnte für spezifische Bereiche kein Unterschied zwischen der mentalen Repräsentation im unauffälligen und der im dysgrammatischen Spracherwerb festgestellt werden. Besonders für die Pluralmorphologie hat man keine Abweichungen im Dysgrammatismus gefunden, die darauf hinweisen könnten, daß die Sprachrepräsentation in qualitativer Weise vom normalen Erwerb abweicht.

Smith-Lock (1992) In einer vergleichenden Studie hat Smith-Lock 17 englischsprachige dysgrammatische Kinder im Alter von 5;4 bis 7;3 Jahren auf ihre morphologischen Kenntnisse hin untersucht. Die Ergebnisse aus dieser Gruppe setzte sie in Bezug zu Ergebnissen aus zwei unterschiedlichen Vergleichsgruppen. In der ersten Vergleichsgruppe wurden 16 unauffällige Kinder im Alter von 3;3 bis 4;3 Jahren untersucht, die demselben Sprachentwicklungsniveau zugeordnet werden konnten wie die Dysgrammatiker. Die zweite Vergleichsgruppe bestand aus 16 sprachunauffälligen Kindern, die sich in derselben Altersgruppe (5;7 bis 6;5 Jahre) befanden wie die Dysgrammatiker. Die Aufgabe der Kinder bestand darin, im Rahmen eines Beurteilungsverfahrens die Äußerungen einer Puppe zu beurteilen und anschließend zu korrigieren. In 50% der vorgegebenen Strukturen waren die Äußerungen der Puppe korrekt; weitere 50% enthielten grammatische Fehler, die aus der Auslassung eines Flexionsmorphems bestanden. Hierbei handelte es sich bei jeweils sechs Testwörtern um das Präteritum, Genetivus possessivus und den Nominalplural. Alle drei Flexionsphänomene sind von Kongruenzbeziehungen wie die der Subjekt-Verb-Kongruenz frei. Dieses Experiment wurde in drei identischen Durchgänge mit den Kindern durchgeführt. In einem Produktionsexperiment wurden die Kinder aufgefordert, die Rolle zu übernehmen, die die Puppe zuvor hatte und entsprechende Kommentare zum Spielgeschehen zu geben. Dabei hatten sie die Aufgabe, das entsprechende Flexiv auszulassen: Auf die Äußerung two eyes wäre die korrekte Antwort des Kindes two eye gewesen (vgl. Smith-Lock

145 1992:58). Die Ergebnisse zum Nominalplural, die aus der Gruppe der Dysgrammatiker und der der Sprachkontrollgruppe stammen, sollen hier detailliert besprochen werden. Die Ergebnisse zum Berteilungsexperiment zeigten deutlich, daß zwischen den dysgrammatischen und den sprachgleichen Kindern kein Unterschied in bezug auf die hier untersuchte Flexionsmorphologie festzustellen war. In Tabelle 2 werden die von Smith-Lock erzielten Ergebnisse wiederholt (vgl. Smith-Lock 1992:52), wobei lediglich die neun inkorrekten Formen in die Analyse aufgenommen worden sind.

Beurteilungen Fehleridentifikation Korrektur Tab. 2

Dysgrammatiker 5.293 2.94 3.77

sprachgleiche Kinder 5.88 3.0 4.0

Beurteilungsexperiment (nach Smith-Lock 1992:52)

Weder in der Beurteilung einer korrekten bzw. inkorrekten Vorgabe, noch in der Identifikation des Fehlertyps (Possessiv, Präteritum, Nominalplural), noch in der Korrektur des Fehlers unterschieden sich die dysgrammatischen Kinder von den Kontrollgruppenkindern. Auch in dem Produktionsexperiment, bei dem alle Untersuchungsteilnehmer schlechtere Ergebnisse erzielten als in dem Beurteilungsexperiment, erreichten die Dysgrammatiker vergleichbare Werte zur Kontrollgruppe. Gerade in Zusammenhang mit der Tempus- und Passivflexion, die jeweils in beiden Teilnehmergruppen eine hohe Anzahl von Übergeneralisierungen beobachten ließen, führten Smith-Lock zur Schlußfolgerung, daß Dysgrammatiker auf regelbasiertes Wissen zurückgreifen können. Mit diesem Resultat hat Smith-Lock empirische Gegenevidenz zum Ansatz von Gopnik (1992) und Goad und Rebellati (1994) geliefert, so daß die Annahme von fehlenden Features bzw. fehlenden Regeln sehr fragwürdig geworden ist. Eine detailliertere Studie zum Morphologieerwerb englisch-sprachiger Dysgrammatiker ist von Oetting (1992) vorgelegt worden, deren Resultate im folgenden Abschnitt beschrieben werden.

Oetting (1992) Es wurden 18 englischsprechende dysgrammatische Kinder (Alter: 4;7 bis 5;8) und 37 sprachunaufFällige Kinder untersucht. Die unauffälligen Kinder wurden in zwei Gruppen unterteilt. Die erste Vergleichsgruppe wurde auf der Basis des chronologischen Alters erstellt: 19 Kinder im Alter von 4;9 bis 5;7 Jahre. Die zweite Vergleichsgruppe mit 18 Kindern befand 3

Höchstwert ist 9.

146 sich in derselben Sprachentwicklungsstufe wie die dysgrammatischen Kinder, setzte sich aber aus jüngeren Kindern zusammen (Alter: 2;6 bis 3;4 Jahre). Das Kriterium zum Vergleich aufgrund einer linguistischen Variable wurde mittels des MLU-Wertes errechnet (MLU in Morphemen und in Worten). Mittels zweier Elizitationsverfahren, die die Untersuchung sowohl des Pluralsystems als auch der Nominalkomposition erlaubten, hat die Autorin empirische Evidenz zur Kontroverse zwischen dem Feature-Defizit Ansatz von Gopnik (1990) und dem Dual Mechanism Modell von Pinker und Prince (1988, 1991) beigetragen. Das Model von Gopnik unterstellt eine qualitative Distinktion zwischen der Grammatikrepräsentation im normalen und gestörten Spracherwerb, während die Erklärung der Sprachauffälligkeiten im Rahmen des Dual Mechanism Modells es ermöglichen würde, keine derartige Distinktion annehmen zu müssen. Die Ergebnisse von Oettings Studie zeigten deutlich, daß sich im Bereich der Pluralmorphologie die dysgrammatisch sprechenden Kinder nicht von den Kindern der gleichen Sprachentwicklungsstufe unterschieden (vgl. Tabelle 3, nach Oetting 1992:56). Bei der Analyse der Pluralgenerierungen regulärer Pluralformen wurden die drei unterschiedlichen phonologischen Möglichkeiten des -s Plurals (d.h. drei Pluralallomorphe) berücksichtigt.

häufig pluralisierte Substantive -z -s -dz sprachgleiche Kinder Dysgrammatiker Tab.3

3.784 3.66

3.50 3.72

2.11 1.50

selten pluralisierte Substantive -z -dz 3.50 3.17

3.50 3.17.

1.72 1.39

Pluralgenerierungen im Produktionsexperiment (nach Oetting 1992)

Statistische Analysen ergaben keinerlei interpretierbare Differenzen zwischen den Ergebnissen der beiden Teilnehmergruppen. Auch die Analysen irregulärer Pluralformen zeigten, daß die dysgrammatischen Kinder auf ein grammatisches Repräsentationssystem zurückgreifen, daß dem im unauffälligen Spracherwerb gleicht. Diese Schlußfolgerung wurde durch Ergebnisse aus der Analyse der irregulären Pluralbildungen und der Pluralgenerierungen von Kunstwörtern weiter empirisch gestützt. In beiden Gruppen wurde eine vergleichbare Anzahl von korrekt gebildeten irregulären Pluralformen bzw. regulär flektierten Kunstwörtern beobachtet. Allein diese Ergebnisse lassen darauf schließen, daß beide Teilnehmergruppen eine Distinktion zwischen regulärer und irregulärer Pluralflexion vornahmen, die im Sinne des Dual Mechanism Modells (Pinker & Prince 1991) beschreibbar ist.

4

Durchschnittlicher Wert; Höchstwert pro Zelle ist 4.

147 Analysen zur Nominalkomposition erbrachten weitere Argumente gegen einen Ansatz, der auf der Annahme von Feature- und Regeldefiziten beruht, wie er von Gopnik (1990, 1994) vorgeschlagen wurde. In dem Kompositionsexperiment, das nach dem Vorbild von Gordon (1985) gestaltet worden war, hatten die Kinder die Aufgabe, von 14 existierenden Wörtern den Plural zu bilden. Sieben der Wörter erforderten eine regulärer Pluralform; Fünf weitere erforderten eine irreguläre Pluralform; Zwei Substantive werden im Erwachsenensystem nicht overt markiert ( d e e r \ f l s h \ vgl. Oetting 1992:53). In bezug auf die Pluralbildungen konnte beobachtet werden, daß die Dysgrammatiker annähernd genauso häufig das reguläre Pluralflexiv übergeneralisierten (n = 52; 27%), wie es sich in den Daten der MLU-Vergleichsgruppe zeigte (n= 54; 32%; vgl. Oetting 1992:80). In den Ergebnissen zur Komposition zeigte sich, daß die Dysgrammatiker irreguläre Pluralformen zu 80% und das reguläre Pluralaffix nur zu 18% im Kompositum beibehielten (vgl. Oetting 1992:83). Dieses Ergebnis ist in bezug auf den regulären Plural auch bei den Kindern der Kontrollgruppe (Vergleich nach MLU) zu beobachten. Diese Ergebnisse können als ein weiterer Hinweis interpretiert werden, demzufolge Dysgrammatiker die reguläre Pluralflexion mittels einer produktiven morphologischen Regel anwenden. Als theoretischen Rahmen für ihre Beobachtungen zieht Oetting das Dual Mechanism Modell (Pinker & Prince 1991) heran, mit dem sie sowohl die Ergebnisse zum unauffälligen als auch zum dysgrammatisehen Spracherwerb optimal beschreiben und erklären kann. In weiteren, detaillierteren Studien zum Englischen konnten Oetting und Rice (1993) und Rice und Oetting (1993) zeigen, daß die zugrundeliegenden Probleme englisch-sprachiger Dysgrammatiker außerhalb der Komponente der Pluralmorphologie liegen. Die Datenbasis bestand aus Spontansprachproben, die von 81 Dysgrammatikern (Alter: 4; 11 bis 5; 10 Jahre) und 92 sprachunauffälligen Kindern (Alter: 2;4 bis 4;1 Jahre) erhoben wurden (Rice & Oetting 1993). Die Kinder beider Teilnehmergruppen befanden sich in der gleichen Sprachentwicklungsstufe, die auf der Basis des MLU-Wertes ermittelt wurde. Untersucht wurden neben der Nominalpluralmorphologie Kongruenzphänomene, die sowohl phraseninterne Kongruenz (agr) als auch Kongruenzbeziehungen auf Satzebene (Agr) mit einbezogen. Unter phraseninterner Kongruenz wird die Relation zwischen dem Substantiv, dem Determinierer und einem möglichen Adjektiv verstanden. Die Kongruenz auf Satzebene umfaßt die Beziehung zwischen dem Verb und dem Subjekt des Satzes. Es zeigte sich, daß die Dysgrammatiker bedeutend seltener die /igr-Relation morphologisch korrekt markierten als die Kinder der MLU-Kontrollgruppe. Hingegen wurden keine interpretierbaren Unterschiede zwischen den beiden Gruppen in der Markierung der Kongruenz zwischen Determinierer und Substantiv beobachtet. Die korrekte Markierung der agrKongruenz wurde für die dysgrammatisch sprechenden Kinder dann zum Problem, wenn eine agr-Beziehung zwischen einem Quantifizierer und einem Substantiv hergestellt werden sollte. In diesem Fall bildeten die Kinder der Vergleichsgruppe eine erheblich höhere Zahl an korrekt markierten Phrasen. Zusammenfassend stellten Rice und Oetting (1993) fest, daß sich Dysgrammatismus als eine Sprachauffälligkeit mit einem selektiven Defizit beschreiben läßt. Nicht alle die Morphologie betreffenden Komponenten waren defizitär, sondern bestimmte Teilbereiche der Morphologie, im speziellen die der Kongruenzmorphologie.

148 Mit dieser Interpretation der Analysen zum Englischen bestätigten Rice und Oetting (1993) den Ansatz, der von Clahsen (1988) anhand von Daten deutschsprachiger Dysgrammatiker ausgearbeitet wurde. Der Ansatz der Fehlenden Grammatischen Kongruenz wird im folgenden anhand einer Studie, in der die Pluralmorphologie und die Komposition im Deutschen untersucht wurde, ausführlicher vorgestellt.

Clahsen, Rothweiler, Woest und Marcus (1992) Im Rahmen einer longitudinal angelegten Studie, in der die Spontansprache von 19 dysgrammatischen Kindern (Alter: 3;1 bis 6; 11) und einem sprachunauffälligen Kind (Simone, Alter: 1;7 bis 3;9) untersucht wurde, stand neben der Markierung der Subjekt-Verb-Kongruenz die Pluralmorphologie im Vordergrund. Die Analysen der Pluralbildungen ergaben, daß neben korrekten Formen auch viele inkorrekte Formen generiert wurden (vgl. Clahsen et al. 1992:244). Sowohl von den dysgrammatischen Kindern als auch von dem Kontrollkind Simone wurden verschiedene Pluralallomorphe zur Bildung inkorrekter Pluralformen verwendet (vgl. Clahsen et al. 1992/Tabelle 7). In den inkorrekten Pluralbildungen zeigte sich für Simone (Kontrollkind), daß sie zwar das -s Pluralflexiv ebenso häufig übergeneralisierte wie ein zweites, das -(e)n Flexiv. Aber setzte man die Anzahl korrekter -s Pluralformen in Relation zu den inkorrekten -5 Pluralbildungen (gleiches mit den übrigen Formen), so stellte sich heraus, daß bei den -s Bildungen der Anteil übergeneralisierter Formen weit höher ausfiel als bei den anderen Affixen insgesamt (12,5 % vs. 3%). Dieses Ergebnis und weitere Beobachtungen (vgl. Kapitel 4) erlaubte den Autoren die Interpretation, daß Simone entsprechend dem Erwachsenensystem das -s Pluralaffix als das reguläre Pluralflexiv (Defaultflexiv) spezifiziert hatte. In der Gruppe der Dysgrammatiker ließ sich ebenfalls ein spezifisches Pluralflexiv als dasjenige bezeichnen, das als produktives Flexiv verwendet wurde: das -(e)n Flexiv. Es ist hinzuzufügen, daß bei drei dysgrammatischen Kindern allerdings das -s Flexiv fast ebenso häufig in den inkorrekten Pluralgenerierungen auftrat wie das -(e)n Flexiv. Als Ergebnis kann festgehalten werden, daß Dysgrammatiker analog zu den unauffälligen Kindern ein spezifisches Pluralaffix produktiv verwendeten. Auch im Dysgrammatismus ist wie im unauffälligen Spracherwerb eine Unterscheidung zwischen regulärer und irregulärer Pluralbildung zu beobachten. Der Unterschied zwischen dem Dysgrammatismus und dem normalen Spracherwerb besteht lediglich darin, daß die Dysgrammatiker anstelle des -s Flexivs das -(e)n Flexiv als Defaultwert kategorisierten. Zusätzliche Analysen zur Nominalkomposition konnten zeigen, daß auch im Dysgrammatismus spezifische Reihenfolgebeschränkungen zwischen Wortbildungs- und Morphologieprozessen bestehen. In den Komposita von Simone erschien niemals das -s Flexiv (vgl. Clahsen et al. 1992:239), obwohl irreguläre Pluralformen (mit dem -(e)n und dem -er Flexiv) in Komposita verwendet wurden. Auch in den Komposita der Dysgrammatiker wurde das -s Flexiv nicht beobachtet. Das fuhren die Autoren auf den Input zurück, der niemals Komposita mit dem -s Pluralflexiv enthält. Wichtiger ist die Beobachtung, daß das

149 -(e)n Flexiv von den Dysgrammatikern aus den Komposita ausgelassen wird. Es wird selbst dann ausgelassen, wenn es in der Erwachsenensprache gefordert ist (vgl. Beispiele in 1 .a l.c).

(1)

a. b. c.

tanne-bäum (David) osser-hase-kind (René) kranke-wagen (Michaela) (Clahsen et al. (1992:250)

Dagegen wird das -n Affix beibehalten, wenn es nicht als Pluralmarkierung dient, wie die Beispiele rasenmäher (Dieter), regentmütze (René) und regenjacke (Michaela) illustrieren (Beispiele vgl. Clahsen et al. 1992). Der Unterschied zwischen den Ergebnissen der beiden Untersuchungsgruppen bestand also nicht in einem qualitativen Unterschied zwischen den mentalen Reräsentationen der Grammatik, sondern in der spezifischen Festlegung dessen, welches der Pluralflexive als Defaultwert eingesetzt werden soll. Im Grammatiksystem des sprachunauffalligen Kindes hatte das auch im Erwachsenensystem geforderte Flexiv (-s Flexiv) diesen Status erhalten, wohingegen fast alle Dysgrammatiker den -(e)n Plural als Defaultwert kategorisiert haben. Eine Erklärungsmöglichkeit dafür, wie dieser Unterschied zustande gekommen sein kann, soll im Rahmen der vorliegenden Arbeit entwickelt werden. Zusammenfassend konnten Clahsen et al. (1992) feststellen, daß im Dysgrammatismus die gleichen Prinzipien greifen, wie sie für den normalen Spracherwerb beobachtet wurden (vgl. Teil I). Dysgrammatismus ist durch eine divergierende Entwicklung in unterschiedlichen grammatischen Bereichen gekennzeichnet. Zusätzliche empirische Evidenz hierfür lieferte eine Analyse der Subjekt-Verb Kongruenz und der Partizipmorphologie (Rothweiler & Clahsen 1993). Durch die Analyse von Spontansprachdaten derselben Untersuchungsgruppe konnte nachgewiesen werden, daß die Morphologie der Subjekt-Verb Kongruenz erheblichen Defiziten unterlag, aber die Partizipmorphologie völlig unbeeinträchtigt war. Im Dysgrammatismus ist also nicht die morphologische Komponente an sich defizitär. Selektiv sind diejenigen Morphologieprozesse betroffen, die Kongruenzen markieren, während andere morphologische Prozesse, wie z.B. die Partizipmorphologie oder die Pluralmorphologie, nicht beeinträchtigt sind. Die Kontrollgruppe in der Studie von Clahsen et al. (1992) bestand aus nur einem Kind. Doch die Befunde konnten in anschließenden Studien zum unauffälligen Spracherwerb bestätigt werden (Clahsen et al. 1996; Bartke et al. 1995). Ein Nachteil ist allerdings, daß keine spezifische Vergleichsmethode (z.B. Alter oder Sprachentwicklungsstufe) eingesetzt wurde. Wie sich in einer Studie zum Dysgrammatismus herausstellte (Rothweiler & Clahsen 1993), muß zudem berücksichtigt werden, daß die sprachauffalligen Kinder vier unterschiedlichen Ausprägungsstufen von Dysgrammatismus zugeordnet werden konnten, d.h. Clahsen et al. (1992) analysierten Daten einer recht heterogenen Gruppe von Dysgrammatikern.

150

8.3 Zusammenfassung Inwieweit die Sprachrepräsentation im Dysgrammatismus von derjenigen im unauffälligen Spracherwerb abweicht wird kontrovers diskutiert. Am Beispiel der Pluralmorphologie und lexikalischen Nominalkomposition haben einige Forschergruppen auf der Basis experimenteller Arbeiten für einen qualitativen Unterschied argumentiert (Goad & Rebellati 1994, Schöler & Kany 1989, Veit 1986, 1992). In anderen Studien, die sich auf Spontansprachanalysen stützten, könnte diese Annahme zurückgewiesen werden (Smith-Lock 1992, Oetting 1992, Rice & Oetting 1993, Clahsen et al. 1992, Rothweiler & Clahsen 1993). Aufgrund der sehr stark gegensätzlichen Ergebnisse läßt sich also nicht entscheiden, ob Dysgrammatismus vom normalen Spracherwerb qualitativ abweicht. Mit der vorliegenden Arbeit zum Deutschen sollen sowohl Spontansprachproben als auch experimentell erhobene Daten untersucht werden. Durch den Vergleich der Ergebnisse mit denen aus einer Kontrollgruppe, die sich auf der gleichen Sprachentwicklungsstufe befindet, soll eine Basis geschaffen werden, von der aus sich beurteilen läßt, ob sich die mentale Grammatikrepräsentation im Dysgrammatismus qualitativ vom unauffälligen Spracherwerb unterscheidet.

Kapitel 9 Experimentelle Studien zur Pluralmorphologie und zur lexikalischen Komposition im Dysgrammatismus Neben Spontansprachanalysen von sechs Dysgrammatikern1 werden von dreien dieser Kinder zusätzlich experimentell erhobene Daten ausgewertet. Für die Datenelizitation zur Pluralmorphologie und der lexikalischen Komposition werden genau die Erhebungstechniken verwendet, die bereits im ersten Teil der vorliegenden Untersuchung zur Erhebung von Daten sprachunauffälliger Kinder angewendet wurden. Sie werden mit den Resultaten einer Gruppe unauffälliger Kinder verglichen, die sich in einem vergleichbaren Spracherwerbsstadium befinden. Im folgenden werden zunächst die Spontansprachdaten analysiert, bevor die Ergebnisse der experimentell erhobenen Daten vorgestellt werden. Die Spontansprachdaten der Dysgrammatiker Sebastian, David, Peter und Dieter (7;2 Jahre) wurden im Rahmen des Projektes 'Grammatikerwerb und Dysgrammatismus'2 erhoben. Die Spontansprachproben der Dysgrammatiker Connie, Michael und Dieter (12;6) und der Kontrollgruppe sowie alle experimentellen Untersuchungen wurden von den Mitarbeitern des Projektes 'Die Entwicklung der regulären und irregulären Flexionsmorphologie beim Erwerb des Deutschen'3 erhoben. Die experimentell elizitierten Daten der dysgrammatischen Kinder werden fur jedes einzelne Erhebungsverfahren mit den Kindern der Kontrollgruppe verglichen. Zusätzlich werden die Ergebnisse aus dem dysgrammatischen Spracherwerb in Beziehung zu den Daten des unauffälligen Erwerbs gesetzt, die in Teil I dieser Arbeit diskutiert worden sind. Im anschließenden Kapitel werden die Resultate beider Erhebungsverfahren gemeinsam diskutiert. Dabei wird es vorrangig um die Frage gehen, ob die dysgrammatischen Kinder einem Spracherwerbsverlauf folgen, der als qualitativ verschieden von dem unauffälligen Spracherwerb bezeichnet werden muß, oder ob der dysgrammatische Spracherwerb durch dieselben Prinzipien bestimmt wird wie der normale Erwerb. Für diesen Zweck werden die Ergebnisse aus dem unauffälligen Spracherwerb denen des dysgrammatischen Erwerbsverlaufs gegenübergestellt. Dort wird diskutiert, welches theoretische Modell zur Darstellung der Pluralmorphologie und lexikalischen Morphologie im dysgrammatischen Spracherwerb als beschreibungs- und erklärungsadäquat herangezogen werden kann.

'

Eines der Kinder hat etwa 5 Jahre nach der ersten Aufnahme ein weiteres Mal an dieser Studie teilgenommen, so daß eine Form von follow-up Studie möglich war. 2 Gefördert von der DFG im Schwerpunktprogramm 'Spracherwerb' unter der Leitung von Prof. Dr. H. Clahsen, Universität Düsseldorf (University of Essex); Az.: Wu 86/9 3 Gefördert von der DFG im Schwerpunktprogramm 'Spracherwerb' unter der Leitung von Prof. Dr. H. Clahsen, Universität Düsseldorf (University of Essex); Az.: C197/5-1

152 Untersuchungsteilnehmer Die Teilnehmergruppe der dysgrammatischen Kinder besteht aus sechs Kindern im Alter von 6;3 bis 12;6 Jahren, die durch Logopäden bzw. Mitarbeiter von Sprachheileinrichtungen als dysgrammatisch diagnostiziert wurden. Eines der Kinder, Dieter, wurde bereits zu einem früheren Zeitpunkt durch die Mitarbeiter des Projektes 'Grammatikerwerb und Dysgrammatismus' (im weiteren: Projekt 'Dysgrammatismus') untersucht. Im Rahmen einer Nachfolgestudie nahm dieses Kind fünf Jahre später erneut an einer Studie teil, die durch die Mitarbeiter des Projektes 'Die Entwicklung der regulären und irregulären Flexionsmorphologie beim Erwerb des Deutschen' (im weiteren: Projekt 'Flexionserwerb') durchgeführt wurde. Im Laufe dieses Kapitels wird sich zeigen, daß Dieter im Alter von zwölf Jahren nicht mehr die Symptome des Dysgrammatismus zeigt wie zum früheren Erhebungszeitpunkt, d.h. im Alter von sieben Jahren. Die Analyse seiner Sprachdaten wird ergeben, daß Dieter eine positive Entwicklung durchlaufen hat, derzufolge er sich in seinem Sprachverhalten deutlich von den übrigen, als dysgrammatisch zu bezeichnenden Kindern abhebt. Obwohl Dieter (12;6) also nicht mehr als Dysgrammatiker einzustufen ist, werde ich die neuen Ergebnisse zur besseren Vergleichbarkeit mit den früheren Ergebnissen sowohl in der Analyse der Spontansprache als auch in der Analyse der experimentell erhobenen Daten jeweils in der Gruppe der dysgrammatisch sprechenden Kinder vorstellen. Dieters Sprachentwicklungsverlauf wird in der anschließenden Diskussion besonders berücksichtigt. Drei weitere Kinder (Sebastian, David und Peter) haben ebenfalls an der früheren Untersuchung teilgenommen, deren Ergebnisse von Clahsen et al. (1990,1992) und Rothweiler und Clahsen (1993) im Rahmen einer breiteren Untersuchung bereits vorgelegt worden sind. Im Unterschied zu der dort erfolgten Analyse wird hier nur ein bestimmter Ausschnitt der Spontansprachaufnahmen herangezogen, der aber detaillierter analysiert wird. Es handelt sich dabei um die Sprachproben, zu deren Aufnahmezeitpunkt sich die Kinder in einer fortgeschrittenen Erwerbsphase befanden (MLU-Phase IV). Diese außerlinguistische Beschränkung ist notwendig gewesen, um eine kohärente Kontrollgruppe zusammenstellen zu können, was in der von Clahsen et al. (1992) vorgelegten Studie nicht stattgefunden hat. Um die Befunde der Dysgrammatiker mit denen sprachunauffalliger Kinder vergleichen zu können, wurde für jedes Kind der mittlere Wert der Äußerungslänge (mean length of utterance; im weiteren: MLU) auf der Basis der Spontansprachproben berechnet. Die Anzahl der hierzu verfügbaren analysierbaren Äußerungen können Tabelle 1 bzw. Tabelle 2 entnommen werden. In die Kalkulation der hier angegebenen MLU-Werte ist nicht wie ursprünglich von Brown (1973) angegeben die Zahl der Morpheme, sondern die Zahl der Wörter pro Äußerung eingegangen. Damit wird sichergestellt, daß durch ein neutrales Vergleichskriterium keine Asymmetrien entstehen. Das bedeutet, daß die Dysgrammatiker durch die Vergleichskriterien nicht unrechtmäßig mit zu jungen, unauffälligen Kindern verglichen werden. Die Morphologie, die hier im Mittelpunkt der Untersuchung steht, wird auf diese Weise nicht als unabhängiges Kriterium eingesetzt. Einen Überblick zu den verfügbaren Daten der Dysgrammatiker gibt Tabelle 1.

153 Name

Korpus

Sebastian Projekt Peter 'Dysgrammatismus' David Dieter Dieter Projekt Connie 'Flexionserwerb1 Michael Tab. 1

Alter 5;8-6;6 6;6-7;6 7;11 7;2 12;6 6;3 6;3

Zahl der analysierbaren Äußerungen 658 779 436 1123 503 301 410

MLU

Phase4

2.6-3.5 3.5-3.8 4.10 3.3-3.6 4.69 4.22 3.63

IV IV IV IV IV IV IV

Die Gruppe der Dysgrammatiker

Die Kontrollgruppe setzt sich aus acht sprachunauffalligen Kindern (Alter: 3;6 bis 6; 19 Jahre) zusammen. In Tabelle 2 ist eine Übersicht über die Daten der Kontrollkinder festgehalten. Diese Kinder haben auch an den Untersuchungen teilgenommen, die bereits in Teil I dieser Arbeit vorgestellt wurden. Sie wurden zufällig für die im Rahmen einer vergleichenden Erwerbsstudie notwendigen weiterfuhrenden Untersuchungen in diese Vergleichsgruppe aufgenommen. Alle Kinder wachsen monolingual (Standard-)Deutsch auf. Name David Mario Anja Danilo Imke Frank Max Alberta

Korpus

Alter

Projekt 'Flexionserwerb'

3.6 5.1 5.8 6.3 6.4 6.9 6.10 7.2

Zahl der analysierbaren Äußerungen 163 643 176 212 224 135 463 251

MLU

Phase

4.02 5.00 5.13 5.28 5.52 3.69 4.22 4.42

IV IV IV IV IV IV IV IV

Tab. 2 Die Kinder der Kontrollgruppe

Dadurch, daß sich alle Kinder der beiden Teilnehmergruppen in der Erwerbsphase IV befinden, können Ergebnisse einer in bezug auf die Erwerbsstufe homogenen Probandengruppe präsentiert werden. Im vorangegangenen Kapitel konnte beobachtet werden, daß Dysgrammatiker nicht in allen Bereichen der Morphologie unter einer Beeinträchtigung leiden. Morphologische Mar4 Einteilung der MLU-Phasen nach Rothweiler und Clahsen (1993). MLU-Phasen sind folgendermaßen unterteilt: 1.75 und darunter = I; 1.75 - 2.75 = II; 2.75 - 3.5 = III; 3.5 - 5.75 = IV

154 kierungen stellen besonders dann ein Problem dar, wenn sie zur Kennzeichnung von Kongruenzrelationen dienen. Bevor ich auf den Erwerb der Pluralmorphologie und der lexikalischen Komposition im Dysgrammatismus eingehen werde, möchte ich daher einen anderen Bereich aus der Flexion untersuchen: den Bereich der Subjekt-Verb-Kongruenz und deren Verknüpfung mit der Syntax, insbesondere mit der Stellung des finiten Verbs im Satz.

9.1 Subjekt-Verb-Kongruenz in der Spontansprache von Dysgrammatikern In bis dato vorliegenden Studien, die sich auf die Untersuchung des unauffälligen Spracherwerbs konzentrierten, wurde die Relation zwischen der Entwicklung des Verbparadigmas zur Markierung der Subjekt-Verb-Kongruenz und der Entwicklung der Syntax deutlich (vgl. Clahsen 1990; Clahsen, Vainikka & Young-Scholten 1990, Clahsen & Penke 1992; Clahsen, Eisenbeiß & Penke 1996; Clahsen, Parodi & Penke 1994). In den genannten Studien, denen Spontansprachanalysen zugrunde liegen, konnte gezeigt werden, daß die vier unterschiedlichen Verbsuffixe zur Person- und Numerusmarkierung nicht zur selben Zeit vom Kind erworben und produktiv verwendet werden. Statt dessen kann eine zeitliche Reihenfolge beobachtet werden, derzufolge das -t Flexiv am Beginn steht, während das -st Flexiv zuletzt erworben wird. In der Phase vor der Beherrschung der Subjekt-Verb-Kongruenz verfügen die Kinder nicht über das vollständige Paradigma, das angibt, wann ein Verb mit welchem Flexiv für Finitheit markiert werden muß. Vielfach sind falsch markierte Verben zu beobachten, d.h. die Subjekt-Verb-Kongruenz ist inkorrekt markiert, sofern die Kinder überhaupt das betreffende Verb overt flektieren. Wie Clahsen und Penke (1992) und Clahsen, Eisenbeiß und Penke (1994) zeigen konnten, kommt dem Verbflexiv -st innerhalb des normalen Spracherwerbs eine ausschlaggebende Bedeutimg zu. Zum einen ist es das Flexiv, das als letztes erworben wird, und somit das Verbparadigma vervollständigt. Die Verwendung dieses Flexivs ist allein auf den Kontext der 2. Pers. sg. beschränkt. Es wird niemals auf andere, inadäquate Kontexte übergeneralisiert. Im Gegensatz dazu wurde für die anderen Suffixe des Verbparadigmas beobachtet, daß sie unabhängig vom Subjekt in jedem beliebigen syntaktischen Kontext auftreten konnten. Doch die Beliebigkeit, mit der die Verbsuffixe scheinbar verwendet wurden, geht in dem Moment verloren, in dem das -st Flexiv das Formeninventar des Verbparadigmas vervollständigt. Die Zahl der korrekten Verbmarkierungen für die Subjekt-Verb-Kongruenz steigen an. Diese Beobachtung erlaubt die Schlußfolgerung, daß die Kinder ab diesem Moment die morphologischen Möglichkeiten zur Markierung der Subjekt-Verb Kongruenz erworben haben. Zum anderen ist mit dem Auftreten des -st Flexivs, d.h. mit der Vervollständigung des Formeninventars des Verbparadigmas, eine qualitative Veränderung im syntaktischen Bereich zu beobachten, wobei hier die Syntax des deutschen Hauptsatzes im Mittelpunkt des Inter-

155 esses steht. Die Verknüpfung von morphologischer und syntaktischer Entwicklung wird im Bereich der Verbflexion besonders transparent. Parallel zur Vervollständigung des Verbparadigmas wird die Beobachtung gemacht, daß die Stellungsfehler des finiten Verbs innerhalb von Matrixsätzen signifikant zurückgehen. Zuvor standen die finiten Verben bevorzugt satzfinal, wodurch eine ungrammatische Satzstruktur erzeugt wurde. Ab dem Moment jedoch, ab dem das gesamte Formeninventar zur Verfügung steht, und zwar in seiner Bedeutung als Markierungen zur Subjekt-Verb-Kongruenz, werden die finiten Verben gemäß der syntaktischen Forderungen des Deutschen in erster bzw. zweiter Position plaziert. Zwischen der Entwicklung im morphologischen und im syntaktischen Bereich wird ein Zusammenhang angenommen, der mittels der Annahme des lexikalischen Lernens (Pinker 1984, Clahsen et al 1990; Clahsen, Eisenbeiß & Penke 1996) erklärt werden kann. Erst durch den Erwerb der morphologischen Mittel zur Kennzeichnung der Subjekt-Verb-Kongruenz erhält die Entwicklung im Bereich der Syntax den Auslöser dafür, die syntaktischen Strukturen zu erweitern. Der syntaktische Strukturbaum, basierend auf dem X-bar-System, wird um den Knoten erweitert, der es ermöglicht, i) das finite Verb in die im Deutschen geforderte Zweitstellung zu bewegen, und der ii) eine syntaktische Position bereitstellt, in die hinein das Subjekt bewegt werden kann (für eine detaillierte Diskussion siehe Clahsen, Eisenbeiß & Penke 1994).

Subjekt-Verb-Kongruenz im Dysgrammatismus Daß sprachunauffällige Kinder der MLU-Phase IV das Kongruenzsystem vollständig erworben haben und beherrschen, ist aus der Literatur bekannt (vgl. Clahsen 1988) und kann hier repliziert werden (vgl. Tabelle 3.a). Dort ist individuell aus den Daten jeden Kindes für jedes einzelne Affix berechnet worden, wie häufig es korrekt verwendet wurde.

David Mario Ania Danilo Imke Frank Max Alberta

- 0 korr. -e korr. in % in % 100 100 100 100 100 99 99 100 100 100 100 100 100 100 100 100

-n korr. -t korr. in % in % 100 100 95 99 100 100 100 100 100 100 100 100 100 100 100 100

-st korr. in% 100 100 -

100 100 -

100 100

Tab.3.a Verbflexion in der Spontansprache unauffälliger Kinder

156 Für das -st Flexiv ist zusätzlich notiert worden (vgl. Tabelle 3.b), in wievielen obligatorischen Kontexten (2.Pers.sing.) es korrekt verwendet wurde; diese Angabe erfolgt sowohl in absoluten Zahlen als auch in Prozent. Name

Zahl der vorhandenen korrekt flektierte -st -st Kontexte (absolut) Kontexte (in %) David 10 100 Mario 8 100 Anja Danilo 5 100 Imke 3 100 Frank Max 3 100 6 Alberta 100

Tab.3.b Anzahl und Markierung der obligatorischen Kontexte für die 2.Pers.sing.präs.; sprachunauffallige Kinder Die Tabellen 3.a und 3.b zeigen, daß alle sprachunauffälligen Kinder die Verbflexive in jeweils über 90% der obligatorischen Kontexte im Sinne der Subjekt-Verb-Kongruenz korrekt einsetzen. Treten Kontexte für die 2.Pers.sing.präs. auf, so werden diese Verben ausnahmslos zu 100% korrekt mit dem -st Flexiv overt flektiert. Im Gegensatz dazu zeigen die Ergebnisse der Dysgrammatiker, daß diese erhebliche Probleme bei der Kongruenzmarkierung haben (vgl. Tabellen 4.a und 4.b). Abgesehen von Dieter erreicht nicht ein einziges Kind für die Applikation der gesamten Verbflexive Korrektheitswerte von mindestens 90%. Erst bei einer korrekten Verwendung von mindestens 90% für jedes einzelne Verbflexiv gehe ich davon aus, daß das jeweilige Kind die Flexive zur Markierung der Subjekt-Verb-Kongruenz benutzt.

Sebastian Peter Connie Dieter, 7;2 Dieter, 12;6 David Michael

- 0 korr. in% 82 69 74 74 98 58 63

-e, korr. -n korr. in % in % 94 45 73 82 57 82 14 71 100 98 33 50 15 55

-t korr. in % 67 99 92 94 97 89 54

-st korr. in % 100 100 100 . 100 100 100

Tab.4.a Verbflexion in der Spontansprache der Dysgrammatiker5 5

Die Berechnungen für Sebastian und Peter umfassen die Daten von vier bzw. zwei Erhebungszeitpunkten. Für die Aufschlüsselung pro Erhebung verweise ich auf Rothweiler und Clahsen (1993). Die Berechnungen für David und Dieter 7;2 sind direkt der dortigen Analyse entnommen.

157 Die starke Variation in den Korrektheitswerten bezüglich der Subjekt-Verb-Kongruenz Markierung, die abgesehen vom -st Flexiv für nahezu jedes Verbflexiv zu beobachten ist, lassen zunächst vermuten, daß die Dysgrammatiker das Verbparadigma zur Markierung der SubjektVerb-Kongruenz nicht vollständig erworben haben. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Beobachtung, daß alle Kinder den Kongruenzmarker der 2.Pers.sing. (-st Flexiv) adäquat verwenden, was durch die Korrektheitswerte von 100% sichtbar wird. Dies ist deshalb bemerkenswert, da gerade das -st Flexiv die morphologische Ausstattung des Verbparadigmas vervollständigt und die Kinder hiermit beginnend die Flexive i) als Finitheitsmarker und ii) als Subjekt-Verb-Kongruenzmarker einsetzen sollten. Allerdings lassen die übrigen, niedrigen Korrektheitswerte nicht auf ein derartiges Wissen bei den Kindern schließen. Daher ist eine genauere Betrachtung dieser Kontexte notwendig (vgl. Tabelle 4.b).

Name Sebastian Peter Connie Dieter, 7;2 Dieter, 12;6 David Michael

Zahl der vorhandenen korrekt flektierte -st -st Kontexte (absolut) Kontexte (in %) 8 37 2 50 3 33 5 3 100 2 100 4 25

Tab. 4.b Anzahl und Markierung der obligatorischen Kontexte für die 2.Pers. sing.präs.; Dysgrammatiker

Wie die Werte der Tabelle 4.b illustrieren, werden im Gegensatz zu den Kindern der Kontrollgruppe (vgl. Tabelle 3.b) nicht alle obligatorischen Kontexte der 2.Pers.sing. dementsprechend overt markiert. Einige Beispiele (vgl 1 .a-d) sollen die Befunde veranschaulichen. (1) a. b. c. d.

Fehlende -st Markierung in obligatorischen Kontexten bei Dysgrammatikern vielleicht kenn-0 (vielleicht kennst du das) was schreib-0 dul (was schreibst du?) inge inge denn denn du ja aussuch-en weise bild das is (denn du suchst ja aus, welches Bild das ist) wie du aussieh-tjetzt (wie du jetzt aussiehst)

(Connie) (Dieter, 7.2) (Michael, 7;2) (Sebastian, 5;8)

158 Obwohl David das -st Flexiv in jedem obligatorischen Kontext korrekt verwendet (vgl. Tabellen 4.a und 4.b), zeigt er dennoch Probleme in der Verwendung der verbleibenden Flexive des Verbparadigmas. Daher kann neben den anderen Kindern auch für David angenommen werden, daß er das Verbparadigma und damit die Subjekt-Verb-Kongruenz nicht vollständig erworben hat, obwohl er die Verwendung des entscheidenden Flexivs (-st Flexiv) fehlerlos meistert. Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß Dysgrammatiker trotz der fehlerlosen Verwendung des -st Flexivs nicht jeden obligatorischen -st Kontext adäquat flektieren. Aufgrund der inkorrekten Markierungen mit den verbleibenden Affixen darf geschlossen werden, daß die Dysgrammatiker dieser Untersuchungsgruppe das Formeninventar des Verbparadigmas zur Markierung der Subjekt-Verb-Kongruenz zwar beherrschen, aber dieses nicht immer korrekt zur Bezeichnung von grammatischen Kongruenzrelationen verwenden. Einzige Ausnahme bildet das Kind Dieter zum Zeitpunkt der späteren Datenaufnahme. Er hat das vollständige Verbparadigma erworben und verwendet im Sinne der Subjekt-Verb-Kongruenz alle Flexive korrekt. Da der Erwerb des vollständigen Verbparadigmas im normalen Spracherwerb in enger Verbindung mit einem spezifischen Phänomen aus dem Syntaxerwerb steht (d.h. Verbstellung), wird für die Kinder der Vergleichsgruppe erwartet, daß sie keinerlei Auffälligkeiten im Bereich der Syntax zeigen werden; hingegen wird für die Dysgrammatiker erwartet, daß bei ihnen in eben diesem Bereich ebenfalls erhebliche Schwierigkeiten beobachtet werden können.

Verbstellung Ein erster Blick auf die Daten der unauffälligen Kinder zeigt, daß sie weder Fehler bei der Markierung der Subjekt-Verb-Kongruenz noch bei der Stellung des finiten Verbs im Hauptsatz machen. Lediglich eine Ausnahme ist zu beobachten6. In diesem einem Fall steht das finite Verb, das übrigens korrekt flektiert worden ist, dennoch in der satzfinalen Position (VEND). Im Gegensatz zu diesen Ergebnissen ist bei den dysgrammatischen Kindern eine extrem starke Präferenz für die satzfinale Verbposition festzustellen, obwohl in allen betreffenden Äußerungen die zweite Position obligatorisch ist (vgl. Abbildung 1).

6

Der Fehler besteht aus der folgenden Äußerung: immer ein der immer der Weltmeister ist (Frank).

159

Sebastian

Peter

Connie

Dieter, 7 2

Dieter 12 6

David

Michael

Kinder • V-2 • V-END

Abb. 1

Verbstellung im Hauptsatz, Dysgrammatiker

Abgesehen von Dieter (12;6) und womöglich auch Peter, haben alle dysgrammatisch sprechenden Kinder Schwierigkeiten hinsichtlich der Verbstellung im Matrixsatz. Zu einem erheblich höheren Prozentsatz erscheinen Vollverben in satzfinaler Stellung (V-END) statt in der obligatorischen Zweitstellung (V-2). Die folgenden Beispiele (vgl. 2.a-d) verdeutlichen die Schwierigkeiten der Dysgrammatiker. (2)

Verbstellungsfehler im Dysgrammatismus

a.

un die anner junge auffahrta

(= fahrrad) fahr-0

(Connie)

b.

un ein mensch zwei autos # em # in hand hat

(Connie)

c.

un schwein Sicherheit bring-0

(Peter)

d.

warum das arm so haben (= warum hat die Frau den Arm so?)

(Peter)

Die hohen Korrektheitswerte, die Dieter in bezug auf die Verbflexion erreicht, lassen vermuten, daß er neben der Verbstellung auch das Verbflexionsparadigma erworben hat. Interessanterweise ist zu beobachten, daß er die Verbzweitposition sogar in den Kontexten verwendet, in denen eine finale Verbstellung gefordert wäre, d.h. in Nebensätzen (vgl. Beispiele 3.a -c).

160 (3)

Dieter (12.6), vormals dysgrammatisch

a.

un -wenn hat man erst drit ersten platz

b.

wo wo wollten wir wegfahren

c.

später wo hab isch mal in fernseh gesehn

Worauf die Überanwendung der Verbzweitstellung zurückzufuhren ist, läßt sich zu diesem Zeitpunkt allerdings nicht eindeutig erklären. Diese für den Nebensatz auffällige Verbstellung ist in Verbindung mit den Konjunktionen wenn und wo (umgangssprachlich für als) zu beobachten. Für die spätere Diskussion ist es wichtig hinzuzufügen, daß Dieter zu einem früheren Zeitpunkt der Untersuchung (im Alter von 6;1 - 6;11 Jahren) nicht über das Subjekt-VerbKongruenzsystem verfügte (vgl. Collings, Puschmann & Rothweiler 1989:14ff). Allerdings kann eine Entwicklung des Verbstellungssystems beobachtet werden: Während zunächst die Verben überwiegend in satzfinaler Position stehen, werden sie später (Dieter, 6; 11 und 7;2 Jahre) bevorzugt in der zweiten Position verwendet (vgl. Collings et al. 1989:19). Diese Entwicklung im syntaktischen Bereich, die innerhalb der Probandengruppe lediglich bei Dieter zu beobachten war, führen die Autoren darauf zurück, daß Dieter unabhängig von der lexikalischen Entwicklung des Verbflexionsparadigmas eine V2-Struktur entwickelt. Diese Lösung ist innerhalb des Rahmens der Universalgrammatik möglich und kann ohne den Rückgriff auf das Subjekt-Verb-Kongruenzsystem verwirklicht werden (vgl. Collings et al. 1989: 19f). Die Entwicklung im syntaktischen Bereich, die bereits im Alter von 6;11 Jahren deutlich wurde, hat sich fortgesetzt. Die Festlegung auf eine V2-Struktur erfaßt nicht nur Matrixsätze, sondern auch bestimmte Nebensätze, vornehmlich solche, die mit der Konjunktion wenn bzw. wo eingeleitet werden (vgl. Beispiele unter (3)). In den hier vorgelegten Daten der anderen Dysgrammatiker wird zwar der Erwerb des Formeninventars des Verbflexionsparadigmas deutlich, doch haben sie deren Bedeutung, nämlich die Markierung der grammatischen Subjekt-Verb-Kongruenzrelation offenbar nicht erkannt. Auch die syntaktischen Restriktionen zur Verbstellung haben die Kinder in ihrer mentalen Grammatikrepräsentation nicht zur Verfügung. Die bisher dargestellten Resultate lassen darauf schließen, daß die dysgrammatisch sprechenden Kinder Schwierigkeiten sowohl beim Erwerb des Verbflexionsparadigmas als auch beim Erwerb der syntaktischen Restriktionen zur Stellung des finiten Verbs im Hauptsatz haben. In bezug auf das Verbparadigma ist festzustellen, daß die sprachauffalligen Kinder zwar das -st Flexiv zu nur einem geringen Prozentsatz in den obligatorischen Kontexten verwenden, aber wenn sie das -st Flexiv einsetzen, so gebrauchen die Kinder dieses Flexiv niemals in anderen grammatischen Kontexten als dem der 2.Pers.sing. Im Gegensatz dazu können die anderen Verbflexive in jedem beliebigen grammatischen Kontext auftreten (vgl. zur Illustration die Beispiele von Sebastian in (4)).

161 (4) a. b. c.

Sebastian -t in -en Kontext die eier grad auf feuer steht -t in -st Kontext wie du aussieht jetzt -t in -e/-0 Kontext ich schoma das pferd nehmt

Das -st Flexiv, dem im normalen Spracherwerb eine entscheidende Rolle zukommt, wird also selten, aber korrekt im Sinne der Subjekt-Verb-Kongruenzmorphologie verwendet. Dennoch läßt sich für die dysgrammatischen Kinder nicht sicher die Aussage machen, daß sie die Verbflexive in Form eines Verbparadigmas kategorisiert haben, das zur korrekten Subjekt-VerbKongruenzmarkierung herangezogen werden kann. Legt man für jedes einzelne Flexiv die 90% Schwelle als Kriterium für Erwerb an, muß man eher davon ausgehen, daß die Dysgrammatiker dieser Untersuchungsgruppe zwar über das morphologische Inventar verfügen, das zur grammatischen Markierung der Subjekt-Verb-Kongruenz notwendig ist, dieses aber nicht in diesem Sinne anwenden. Indirekt sind mit dem morphologischen Defizit Schwierigkeiten in der Entwicklung der Syntax verknüpft. Da die Dysgrammatiker die Bedeutung der Verbflexive als Markierung der Subjekt-Verb-Kongruenz nicht erkannt haben, können sie (regulär) flektierte Verben nicht immer als solche Elemente kategorisieren, die in der Zweitposition eines Satzes stehen sollten (vgl. Clahsen 1990 und Clahsen et al. 1996 u.w. für den unauffälligen Spracherwerb, Clahsen 1988 und Collings et al. 1989 u.w. für den Dysgrammatismus). Die Mehrzahl der Verben steht also in satzfinaler Position. Dem -st Flexiv kommt hierbei die zentrale Funktion eines lexikalischen Triggers zu, der im unauffälligen Spracherwerb die Entwicklung in der Syntax steuert. Diese Beobachtungen sind aus dem unauffälligen Spracherwerb bekannt und können mit Hilfe des Ansatzes des Lexikalischen Lernens beschrieben und erklärt werden (Clahsen 1990, Clahsen, Eisenbeiß & Penke 1994, Clahsen, Parodi & Penke 1994, Clahsen & Penke 1992). Nachdem bislang in diesem Abschnitt die Verbmorphologie im Dysgrammatismus untersucht wurde, soll im folgenden die Pluralmorphologie sowie die lexikalische Komposition im Mittelpunkt stehen. Hiermit soll ein direkter Vergleich der Morphologie, die zum Ausdruck grammatischer Kongruenz dient, und der Morphologie, die keine Kongruenzrelationen ausdrückt, angestrebt werden. Die Untersuchung der lexikalischen Komposition soll einen Beitrag dazu leisten, inwiefern die Strukturierung des mentalen Lexikons im Dysgrammatismus derjenigen im unauffälligen Spracherwerb gleicht.

162

9.2 Pluralmorphologie in der Spontansprache Bevor ich auf die experimentell elizitierten Daten zur Pluralmorphologie eingehe, werde ich die Pluralformen in der Spontansprache untersuchen. Ein erster Blick auf die allgemeine Anzahl der Fehler in gesprochener Sprache zeigt, daß die Dysgrammatiker häufiger inkorrekte Fehlmarkierungen generieren als dies bei den unauffälligen Kinder zu beobachten ist (vgl. Tabelle 5, Spalte 2 und 6). Doch wie aus der Literatur bekannt ist, produzieren Dysgrammatiker häufig nicht-overt markierte Formen. Diese Beobachtung findet sich auch in diesen Daten wieder (vgl. Tabelle 5, Spalten 3 und 7). Deshalb wurde in den Spalten 4 und 8 der Tabelle 5 ohne Berücksichtigung der Singularformen in Pluralkontexten der prozentuale Anteil der inkorrekten, overten Pluralformen an der Gesamtheit aller produzierten Pluralformen angegeben. Auf diese Weise soll ein direkter Vergleich zwischen dem Pluralsystem im Dysgrammatismus und demjenigen im unauffälligen Spracherwerb auf der Ebene der overten Markierungen erreicht werden (vgl. Tabelle 5).

Dysgrammatiker7 Name

inkorrekte Pluralformen gesamt,

Sebastian Peter Connie Dieter, 7;2 Dieter, 12;6

David Michael

Kontrollgruppe

absolut

Singularformen, abs.

6 16 4 16 4 11 19

3 10 4 9 3 8 15

Name

Übergeneralis., abs

(%) 3 (4%) 6 (10%)

David Mario — Anja 7 (8%) Danilo 1 (2%) Imke 3 (8%) Frank 4 (12%) Max Alberta

inkorrekte Pluralformen gesamt, absolut

Singularformen, abs.

2







1 1 1 2 2 ~



1 — — — -

Übergeneralis., abs

(%) 2 (20%) —

1 (11%) —

1 (3%) 2 (9%) 2 (9%) -

Tab. 5 Inkorrekte Pluralmarkierungen8

Eine statistische Überprüfung durch den M A N N - W H I T N E Y U T E S T erbrachte keine signifikante Differenz zwischen der Anzahl der inkorrekten overten Pluralformen der Dysgrammatiker

7

8

Die Daten von Sebastian, Dieter,7;2, Peter und David stellen einen Ausschnitt der Daten dar, die in Clahsen et al. (1992) untersucht wurden. Ebenso wurden Teile der hier präsentierten Daten dieser vier Kinder bereits in Clahsen et al. (1992) vorgestellt. Differenzen in den Tabellen zwischen der Auswertung von 1992 und der hier vorgelegten Zahlen beruhen darauf, daß 1992 noch nicht alle hier ausgewerteten Daten zur Verfügung standen. Alle inkorrekten Pluralformen, einschließlich der Nullformen, sind für jedes Kind in Anhang E aufgelistet.

163 gegenüber denen der Kontrollgruppenkinder (MW: .29 vs. .26; z = .17;p = .48)9. Diese rechnerische Analyse erlaubt demzufolge die Interpretation, daß Dysgrammatiker nicht häufiger inkorrekte Pluralformen bilden als sprachunauffällige Kinder der gleichen Sprachentwicklungsstufe. Die inkorrekten overten Pluralbildungen bestehen bei den Dysgrammatikern überwiegend (44%, vgl. Tabelle 6, letzte Zeile) aus Übergeneralisierungen mit dem -(e)n Flexiv.

Name -s 66% (2)

Sebastian Peter Connie Dieter, 7;2 Dieter, 12;6 David Michael 25% (1) Summe 12% (3) Tab.6

Pluralaffix -n -e 33% (1) 100% (6) 29% (2) 100% (1) 33% (1) 25% (1) 50% (12)

-er

57% (4)

14% (1)

67% (2) 50% (2) 33% (8)

4% (1)

Inkorrekte Pluralformen, Dysgrammatiker

Allerdings zeigt sich hier eine leichte kindspezifische Variation, da Sebastian beispielsweise bevorzugt das -s Flexiv verwendet. Die insgesamt neun inkorrekten Pluralformen Connies bestehen in diesem Datenkorpus aus Nullmarkierungen (n = 4) und einer nicht im Deutschen existierenden Pluralendung: -a {kint-a (= Kinder; n = 1), bük-a (= Bücher; n = 4). Diese Endung erscheint ausschließlich in Kontexten des -er Pluralflexivs. Es ist könnte sein, daß es sich hierbei um eine undeutliche Aussprache des -er Affixes handelt und damit um die korrekte Pluralform. Doch in anderen Kontexten erscheint diese Pluralendung in korrekter Aussprache (hühn-er; gespens-er (= Gespenster)), weshalb ich die Endungen auf -a nicht eindeutig interpretieren kann und aus den Analysen ausschließe. Die hier vorgelegten Befunde bestätigen hiermit die Resultate, die in einer früheren Studie von Clahsen et al. (1992) vorgestellt wurden. Dort konnte aufgrund von Spontansprachanalysen festgestellt werden, daß kein interpretierbarer Unterschied zwischen den Fehlerraten der auffälligen Kinder im Vergleich zu denen des unauffälligen Kindes Simone besteht, dessen Sprachdaten als Kontrolldaten herangezogen wurden. Daraufhin konnte die Annahme formuliert werden, daß zwischen der Pluralgrammatik im Dysgrammatismus und der im un-

9

Alle in diesem Kapitel verwendeten statistischen Verfahren sind nicht-parametrische Verfahren. Bei Probandengruppen von n = 8 und weit darunter kann nicht von einer Normal verteilung ausgegangen werden. Alpha-Adjustierungen wie in Kapitel 4 sind hier nicht notwendig, da für jedes Untersuchungsverfahren jeweils nur ein statistischer Test durchgeführt wurde. Das Signifikanzniveau liegt bei a = .05.

164 auffälligen Spracherwerb kein qualitativer Unterschied besteht. Diese Annahme soll im folgenden durch experimentell erhobene Daten weiter untersucht werden.

9.3 Experiment 1: Elizitation zur Plural- und Kompositabildung (fixierte Zweitkonstituente) Die Zielsetzung, das Design, das Material sowie die Durchführung dieses Experimentes sind identisch mit Experiment 1, das bereits in Kapitel 5.2 detailliert erläutert wurde. Aus diesem Grund möchte ich an dieser Stelle nur kurz auf die Beschreibung des Materials und der Methode eingehen, die von einem Experiment von Gordon (1985) übernommen und an das Deutsche adaptiert wurde. Unter Verwendung von 16 Spielzeug- und Haushaltsgegenständen, die jeweils in mehrfacher Ausführung zur Verfugung standen, sollte durch Benennung die jeweilige Pluralform ('X-pl) elizitiert werden. In einem nächsten Experimentschritt wurde eine Handpuppe als 'Fresser' eingeführt. Das Kind hatte nun die Aufgabe zu sagen, wie ein Fresser genannt werden kann, der X-pl frißt (= 'X-(pl)-Fresser'). Die Itemliste ist bereits in Kapitel 5/Tabelle 1 angegeben worden und wird hier in Tabelle 7 wiederholt. - 0 Plural Dübel (k.E.) Kabel (0.01%) Pflaster (0%) Haken (0.04%) Tab.7

irreg. Plural Glas (0.04%) Tuch (0.04%) Schwamm (k.E.) Kranz (0.01%)

-(e)n Plural -s Plural Feder (0.01%) Auto (0.23%) Fassung (k.E.) Clown (k.E.) Schraube (0.01 'o) Klo (0%) Münze (0%) Bonbon (0%)

Itemliste von Experiment 1

Zur Illustration der Durchführung ist ein Beispiel in Anhang A angegeben worden. Die Zusammensetzung der Kontrollgruppe für diesen Untersuchungsabschnitt ist identisch mit dem des vorangegangenen Abschnittes. Die Gruppe der Dysgrammatiker hingegen besteht aus zwei Dysgrammatikern (Connie und Michael) sowie einem vormals dysgrammatisch sprechenden Kind (Dieter). Dieter wurde aus Gründen der Vergleichbarkeit zu den früher erhobenen Daten mit in diese Gruppe aufgenommen.

Ergebnisse: Pluralformen bei Simplizia In etwa 77% der Fälle markieren die Kinder der Kontrollgruppe die Pluralform mit dem korrekten, d.h. dem der Erwachsenensprache entsprechenden Pluralallomorph. Von den verbleibenden, inkorrekt markierten Pluralformen sind 26% nicht eindeutig interpretierbar. In

165 diesen Fällen haben die Kinder keine overte Pluralmarkierung gewählt, so daß offen bleiben muß, ob sie eine nicht-overt markierte Pluralform intendiert haben oder aber ob sie das Singularitem lediglich wiederholt haben ohne dabei eine Pluralbildung generiert zu haben. Aufgrund dieser doppelten Interpretationsmöglichkeiten, die keinerlei Rückschlüsse auf das mentale Pluralgrammatiksystem der Kinder zulassen, bleiben hier die null-markierten Formen entsprechend zu Kapitel 5 in den weiteren quantitativen Analysen unberücksichtigt. In den Daten der Kontrollgruppe (vgl. Abbildung 2) kann man beobachten, daß in den meisten Fällen das -J Affix (70%; n = 14) in den Übergeneralisierungen verwendet wird. Das -e Allomorph ist dasjenige Affix der irregulären Allomorphe, das an zweithäufigster Stelle in den Übergeneralisierungen zu finden ist (30%; n = 6).

-s

-e

-(e)n

-er

Pluralflexive

Abb.2

Häufigkeiten der übergeneralisierten Pluralaffixe in Schritt 2, Kontrollkinder

Im Vergleich zu der weit größeren Untersuchungsgruppe, deren Ergebnisse im ersten Teil der vorliegenden Arbeit vorgestellt wurden, sind also nur zwei Pluralallomorphe in den inkorrekt gebildeten Pluralformen benutzt worden. Doch die generelle Tendenz ist dieselbe: Das -s Pluralaffix wird sowohl in dieser kleinen als auch in der zuvor vorgestellten größeren Probandengruppe am häufigsten in inkorrekten Pluralmarkierungen verwendet. Wird das Ergebnis aus der Kontrollgruppe direkt mit dem Ergebnis der Dysgrammatiker verglichen, so scheint sich das Pluralsystem im Dysgrammatismus von dem im unauffälligen Spracherwerb zu unterscheiden (vgl. Abbildung 3).

166 100 80

60

in%

40%

40 20

0

Abb.3

0 -s

-(e)n -e Pluralflexive

-er

Häufigkeiten der übergeneralisierten Pluralaffixe in Schritt 2, Dysgrammatiker

Nicht das im normalen Erwerb als regulär kategorisiertes Flexiv ist dasjenige, das am häufigsten in den Übergeneralisierungen auftritt, sondern ein Allomorph, das im zielsprachlichen Pluralsystem als irregulär kategorisiert wird, erscheint am häufigsten in den inkorrekten Pluralformen: das -(e)n Allomorph. Hiermit ist ein weiterer quantitativer Unterschied zu den Kindern der Kontrollgruppe festzustellen. Dieses Ergebnis bestätigt auf experimenteller Basis die Befunde von Clahsen et al. (1992), die in der Analyse von Spontansprachdaten gemacht wurden. Auch sie haben im Vergleich zum unauffälligen Spracherwerb häufiger das -(e)n Flexiv in Übergeneralisierungen beobachtet. Ein Phänomen, das sich weniger deutlich in der hier untersuchten Kontrollgruppe, sich dafür aber umso stärker in der größeren Gruppe unauffälliger Kinder aus Teil I zeigte, ist, daß zwar die Mehrzahl der Untersuchungsteilnehmer das -s Flexiv als das reguläre Flexiv kategorisiert haben, daß es daneben aber auch eine kleine Gruppe von Kindern gibt, die das -e bzw. das -(e)n Allomorph als regulären Pluralwert eingesetzt haben. Dieses Ergebnis ist aus der Literatur bekannt (Clahsen et al. 1995). Die kindspezifischen Daten der Dysgrammatiker zeigen, daß diese interindividuelle Varianz auch im dysgrammatischen Spracherwerb zu beobachten ist (vgl. Abbildung 4).

167 4

3

Absolute Werte

2

1

0 Connie

Michael

Dieter

Kinder

• -s B -e • -(e)n

Abb.4

Kindspezifische Übergeneralisierungen, Dysgrammatiker

Demnach hat Connie genauso wie die Kinder der Kontrollgruppe das -s Flexiv als regulären Pluralwert klassifiziert. Dagegen hat Michael das -e Allomorph und Dieter - a l s vormaliger Dysgrammatiker- das -(e)n Allomorph als reguläres Pluralflexiv verwendet. Die Interpretation fallt aufgrund der sehr kleinen Probandengruppe aus folgenden Gründen schwer. Zum einen können die Beobachtungen die Vermutung nahelegen, daß im dysgrammatischen Pluralsystem kein fester regulärer Pluralwert vorhanden ist. Das hieße, daß sich das dysgrammatische Pluralsystem auch qualitativ, d.h. in der mentalen Repräsentation, vom Pluralsystem im ungestörten Spracherwerb unterscheidet. Zum anderen ist die Interpretation möglich, daß die mentale Repräsentation der Pluralgrammatik im Dysgrammatismus zumindest nicht in qualitativer Hinsicht von derjenigen im unauffälligen Erwerb abweicht. Das heißt, nur zufälligerweise ist aus jeder der drei im normalen Spracherwerb beobachteten Möglichkeiten, einen regulären Pluralwert zu bestimmen, jeweils ein dysgrammatisch sprechendes Kind in die Untersuchungsgruppe mit eingeschlossen. Ob es sich bei den jeweils in den Übergeneralisierungen beobachteten Flexiven in der Tat um das Defaultflexiv handelt, kann mit Hilfe der Ergebnisse zur Elizitation der lexikalischen Komposition herausgefunden werden.

168 Simplexplurale und lexikalische Nominalkomposition In den 127 von den unauffälligen Kindern generierten Komposita enthalten 32% (n = 41) eine Pluralmarkierung in der Erstkonstituente. Die Dysgrammatiker generierten insgesamt 48 Komposita, von denen in 27% (n = 13) die Erstkonstituente eine Pluralform enthält. Nicht ein einziges Kind hat sich der Strategie bedient, bei der Kompositabildung prinzipiell die Pluralmarkierung aus Experimentschritt 2 von dem Lexem der Erstkonstituente für Experimentschritt 3 wieder abzutrennen, d.h. bei jedem einzelnen Kind sind sowohl Komposita mit einer Pluralmarkierung als auch ohne eine solche im Erstglied eines Kompositums zu beobachten. Diese Strategie, die von Clark (1993) als beschreibungsadäquat vorgeschlagen wurde, findet also weder im unauffälligen noch dysgrammatischen Spracherwerb des Deutschen empirische Evidenz. Mit Bezug auf die Ergebnisse aus Teil I, denen zufolge das reguläre Pluralaffix im Gegensatz zu den irregulären Pluralflexiven nicht in der Erstkonstituente erscheinen kann, sollen auch hier im folgenden die Erstkonstituenten genauer analysiert werden. Für eine erste quantitative Annäherung an die Daten werden die Übergeneralisierungsraten für jedes Kind berechnet. Unter Übergeneralisierung wird auch hier wie bereits in Kapitel 5 die inkorrekte Verwendung (mindestens einmal) eines Pluralflexives verstanden. Zur Berechnung der Übergeneralisierungsrate wird die in Kapitel 5/Abbildung 1 eingeführte Formel verwendet, die ich in Abbildung 5 noch einmal wiederhole. (Zahl der Übergeneralisierungen) Übergeneralisierungsrate: (Zahl der Übergeneraiis. + Zahl der korr. Formen) Abb. 5

Bezüglich der Übergeneralisierungsrate kann festgestellt werden, daß sich die Ergebnisse der dysgrammatischen Kinder kaum von denen der Kinder aus der Kontrollgruppe unterscheiden. Wie die Graphik in Abbildung 6 illustriert, fällt die Differenz zwischen den beiden Untersuchungsgruppen nicht extrem groß aus.

169 l 0,8

Übergeneralisierungsrate

0,6

0 4

' .

0,32 0,2

0,2

0 Dysgrammatiker

Kontrollgmppe

Teilnehmergruppe

Abb. 6 Übergeneralisierungsraten; Dysgrammatiker vs. Kontrollgruppe

Um zusätzlich die Beziehung zwischen der Pluralform aus Experimentschritt 2 mit den Prozessen der lexikalischen Komposition aus Schritt 3 in Verbindung setzen zu können, wird die Auslassungsrate sowohl für das reguläre Flexive als auch für die irregulären Pluralaffixe kalkuliert. Dieses geschieht mit der in Abbildung 7 wiederholten Formel, die ebenfalls in Kapitel 5 eingeführt wurde. (Zahl der in Komposita ausgelassenen Plurale) Auslaßrate: (Zahl der in Komposita ausgelassenen Plurale + Zahl der in Komposita beibehaltenen Plurale) Abb. 7

Für die Kinder der Kontrollgruppe wiederholt sich das Ergebnis, das bereits aus den Analysen der weitaus größeren Gruppe sprachunauffalliger Kinder (vgl. Teil I) bekannt ist. Das als regulärer Plural identifizierte Flexiv wird wesentlich häufiger aus den Komposita ausgelassen als die Affixe, die als irregulär klassifiziert wurden (vgl. Abbildung 8). In der Kontrollgruppe konnte ausschließlich das -s Affix als der reguläre Pluralwert angenommen werden, da dieses Flexiv entweder als einziges übergeneralisiert wurde oder aber im Vergleich zu den verbleibenden Affixen, die ebenfalls in den Übergeneralisierungen beobachtet werden konnten, deutlich anders behandelt wurde (für eine eingehendere Diskussion vgl. Kapitel 5.2).

170

reguläre Flexive

irreguläre Flexive

Flexiv Abb.8

Auslassung von Übergeneralisierungen vs. Auslassungen korrekt verwendeter Flexive; Kontrollkinder

Die Differenz zwischen der Auslassung des regulären Pluralwertes gegenüber den irregulären Pluralaffixen erzielte ein rechnerisch interpretierbares Ergebnis (WILCOX, MW: .83 vs. .43; z = 2.38,p = .0086). Der Unterschied darf also dahingehend interpretiert werden, daß reguläre PluralafFixe signifikant häufiger aus Komposita ausgelassen werden als irreguläre Pluralallomorphe. Dieses Ergebnis steht hiermit in Einklang mit denjenigen, die zuvor in Teil I für eine größere Gruppe von sprachunauffalligen Kindern gemacht wurde. Irreguläre Flexive können ohne jegliche morphologischen Restriktionen innerhalb von Komposita beibehalten werden, wohingegen das reguläre Pluralflexiv nur selten in der Erstkonstituente von Komposita beobachtet werden kann. Dies läßt Rückschlüsse auf spezifische Reihenfolgebeschränkungen in der Strukturierung des mentalen Lexikons zu. Stellvertretend für die Gruppe der Kontrollkinder sollen die Pluralformen von Max hier aufgelistet werden (vgl. (5)). Max ist ein Kind, das ohne Ausnahme das -s Affix in den Übergeneralisierungen verwendet. Wie die Beispiele in (5) illustrieren, ist auch dies genau dasjenige Flexiv, das niemals in der Erstkonstituente eines Kompositums auftritt. (5)

Max, (6.10), Kontrollkind

-s Übergeneralisierungen a) "Dübels b) Kabels c) Pflasters

-s ist aus den Komposita ausgeschlossen Dübel-0-fresser Kabel-0-fresser Pflaster-0-fresser

-s korrekt flektiert d) Autos e) Clowns f) Bonbons g) Klos

-s ist aus den Komposita ausgeschlossen Auto-0-fresser Clown-0-fresser Bonbon-0-fresser Klo-0-fresser

171 In den oben angeführten Beispielen von Max wird deutlich, daß das übergeneralisierte Pluralflexiv dasjenige ist, das in der Pluralgrammatik des Kindes den Status des regulären Pluralflexivs besitzt. Zum einen wird es immer dann affigiert, wenn die korrekte Pluralform nicht zugriffsbereit ist. Zum anderen unterliegt genau dieses Flexiv den Reihenfolgebeschränkungen, denen zufolge das Defaultaffix nicht in der Erstkonstituente eines Kompositums auftreten kann. Der Grund ist, daß der Prozeß der Komposition abgeschlossen ist, bevor die reguläre Pluralflexion aktiviert werden könnte. Die Ergebnisse aus den Analysen der Kontrollgruppe stehen in Einklang mit denjenigen, die bei der Untersuchung der Daten aus der größeren Probandengruppe (Teil I) erzielt wurden. In Anlehnung daran darf ich schließen, daß die unauffälligen Kinder einen qualitativen Unterschied zwischen regulärer und irregulärer Pluralflexion machen. Das reguläre Affix wird immer dann eingesetzt, wenn die irreguläre, korrekte Pluralform nicht zur Verfügung steht. Sollte die Analyse der Daten der Dysgrammatiker zu einem ähnlichen Ergebnis führen, obwohl sie vielleicht ein anderes Flexiv als reguläres Pluralflexiv kategorisiert haben, so sollte dies als Evidenz für die Beschreibung von Dysgrammatismus im Sinne der Hypothese der Fehlenden Grammatischen Kongruenz gewertet werden dürfen. Sollte sich im Gegensatz dazu zeigen, daß sich in den Daten der Dysgrammatiker keine derartige Verbindung zwischen der Pluralmorphologie und der lexikalischen Komposition bestätigt, muß der Spracherwerb eines dysgrammatischen Kindes als qualitativ unterschiedlich von dem eines unauffälligen Kindes interpretiert werden. In einem solchen Falle muß dann überlegt werden, ob eines der alternativen Modelle, die in den Kapiteln 7 und 8 dargestellt wurden als beschreibungsadäquat herangezogen werden kann.

Plurale in Komposita von Dysgrammatikern Um eine mögliche Verknüpfung zwischen Pluralmorphologie und Komposition offen zu legen, muß für jedes dysgrammatische Kind eine individuelle Analyse durchgeführt werden. In Tabelle 9 ist für jedes der drei dysgrammatisch sprechenden Kinder aufgeschlüsselt worden, ob das reguläre Pluralflexiv im Kompositum ausgelassen oder beibehalten wurde. Dieses Ergebnis wird mit den Auslassungsraten der irregulären Pluralaffixe verglichen. Als reguläres Flexiv wird hierbei dasjenige Flexiv identifiziert, das mindestens zweimal in den Übergeneralisierungen verwendet wurde. Für Michael wird das -e Flexiv als regulärer Pluralwert angenommen, auch wenn es nur einmal in den Übergeneralisierungen auftritt, da es sich hierbei um das einzige übergeneralisierte Pluralflexiv handelt. Bei dieser geringen Teilnehmerzahl ist eine statistische Kalkulation nicht durchführbar. Doch wie die individuellen Zahlen und auch die Gesamtberechnung zeigen können, ist ein Unterschied in der Behandlung der einzelnen Pluralallomorphe bei den Dysgrammatikern festzustellen. Das reguläre Pluralaffix erscheint wesentlich seltener in der Erstkonstituente eines Kompositums als die irregulären Pluralflexive: die Auslassungsrate variiert von 0,25 für Dieter bis 0,60 für Connie; Michael produziert in diesem Elizitationsverfahren keine irregu-

172 lären Pluralformen. In Verbindung mit den Ergebnissen aus den Spontansprachuntersuchungen läßt sich also sagen, daß auch die beiden dysgrammatisch sprechenden Kinder Connie und Michael eine qualitative Differenzierung zwischen regulärer Pluralmarkierung, d.h. der Defaultflexion, und der irregulären Flexion vornehmen. Der individuelle reguläre Pluralwert wird immer dann verwendet, wenn die korrekte Pluralform nicht zugriffsbereit ist. Dieselbe Beobachtung hinsichtlich der qualitativen Zweiteilung des Pluralsystems läßt sich für Dieter machen. Da die Kinder beider Teilnehmergruppen genau dieses Flexiv in der Regel aus der Erstkonstituente eines Kompositums ausschließen, kann man daraus ableiten, daß die Pluralmorphologie und lexikalische Komposition auch im Dysgrammatismus bestimmten Reihenfolgebeschränkungen unterworfen ist. Zusammenfassend lassen sich die Ergebnisse des ersten Experimentes dahingehend interpretieren, daß im Dysgrammatismus dieselben Verknüpfungen und Reihenfolgebeschränkungen zwischen Pluralmorphologie und lexikalischer Komposition beobachtet werden können, wie sie für den unauffälligen Spracherwerb gelten. Diese Ergebnisse erlauben die vorläufige Schlußfolgerung, daß kein qualitativer Unterschied zwischen dem System der Pluralflexion eines dysgrammatischen Kindes und dem eines unauffälligen Kindes besteht.

9.4 Experiment 2: Elizitation zur Kompositabildung mit variierender Zweitkonstituente Das Material, die Itemliste sowie die Methode sind bereits in Kapitel 5.3 ausführlich dargestellt worden. Da es sich hier um das identische Elizitationsverfahren handelt, möchte ich an dieser Stelle nur kurz auf die Beschreibung des Verfahrens eingehen. Mit Hilfe von 18 Bildkarten, die jeweils mehrere Gegenstände bzw. Personen darstellen und 32 weiteren Bildkarten, die jeweils einen einzelnen Gegenstand bzw. eine einzelne Person zeigen, sollen synthetische Komposita elizitiert werden. Während die Abfolge der 18 Karten mit den Mehrfachdarstellungen ein Mal quasi-randomisiert und für jedes Kind beibehalten wurde, blieb die Auswahl der Karte mit der Einzeldarstellung dem Kind überlassen. Die Benennung der Mehrfachgegenstände sollte dabei in die Erstkonstituente des zu bildenden Kompositums eingesetzt werden; die Benennung des Einzelgegenstandes sollte in der Zweitkonstituente erscheinen (zur Durchführung vgl. Kapitel 5.3 und Anhang B). Die Itemlisten, die aus Kapitel 5.3 bekannt sind (vgl. dort Tabelle 6), werden hier in Tabelle 8 wiederholt. -e Plural Gänse (0.01%) Ringe (0.02%) Schränke (0%) Stühle (0.02%)

-er Plural Gläser (0.04%) Häuser (0.85%) Kinder (0.77%) Männer (0.8,2%)

Tab.8.a Items im Pluralkontext

-(e)n Plural Brillen (0.01%) Puppen (0.01%) Rosen (0%) Socken (0.01%) Uhren (0.07%)

-s Plural Babies (k.E.) Colas (k.E.) Radios (0.02%) Sofas (0%) Teddies (k.E.)

173 Baby; Bett; Fernseher; Flasche; Frau; Fön; Glas; Honig; Junge; Kaffee; Kamera; Kanne; Koffer; Küche; Lampe; Leiter; Mann; Marmelade; Pfanne; Puppe; Radio; Ring; Rose; Schrank; Schuh; Sessel; Sofa; Stuhl; Tasse; Teddy; Tisch; Uhr Tab.8.b

Items im Singularkontext

Die Kontrollgruppe besteht hier nur aus 7 Teilnehmern, da das jüngste Kind (David, 3;1) dieses Experiment nicht beendet hatte. Die teilnehmenden dysgrammatisch sprechenden Kinder sind dieselben wie in dem zuvor besprochenen Untersuchungsabschnitt: Connie, Michael und Dieter (12;6).

Ergebnisse In beiden Untersuchungsgruppen (Dieter 12;6 ist wieder in die Gruppe der Dysgrammatiker eingeordnet) generieren die Kinder Komposita, deren Erstkonstituenten sowohl mit einem Pluralaffix als auch ohne Pluralmarkierung in den Kompositionsprozeß eingegangen sind (vgl. Tabelle 9).

Kontrollkinder Dysgrammatiker Tab.9

Komposita, gesamt absolut 122 54

Komposita mit F luralmarkierung in der Erstk onstituente in % absolut 54 44 25 46

Pluralmarkierungen in der Erstkonstituente; Dysgrammatiker und Kinder der Kontrollgruppe

Inwieweit ein wohlstrukturiertes, grammatisches Repräsentationsschema hinter der Beibehaltung bzw. der Auslassung von Pluralmarkierungen steht, soll im folgenden analysiert werden. Daher ist es erneut notwendig, auf die Ergebnisse aus Experiment 1 zurückzugreifen, in dem der individuelle reguläre Pluralwert eines jeden Kindes identifiziert werden konnte. Für die unauffälligen Kinder kann dabei von dem -s Affix als das reguläre Pluralaffix ausgegangen werden. Für die Dysgrammatiker haben sich drei unterschiedliche Werte als regulärer Plural, der mittels einer symbolischen Regel angewendet wird, erwiesen. Die Frage ist, ob die Kinder der beiden Untersuchungsgruppen in Experiment 2 das betreffende Flexiv ebenfalls wie ein reguläres Pluralaffix behandeln. Für die Kinder der Kontrollgruppe ergibt sich, daß sie auch in diesem Experiment eine Unterscheidung zwischen dem regulären Pluralflexiv und den übrigen, irregulären Pluralaffixen vornehmen. Das zeigt sich darin, daß die irregulären Pluralmarkierungen fakultativ in

174

der Erstkonstituente beibehalten werden können, wohingegen das reguläre Flexiv aus den Komposita ausgeschlossen ist (vgl. Abbildung 9). Eine statistische Kalkulation erbringt rechnerische Evidenz dafür, daß das Defaultflexiv häufiger aus den Komposita ausgelassen wird als die irregulären Pluralflexive (WILCOX, MW: .97 vs. .27 z = 2.20; p = 0.01). Dieses Ergebnis läßt wiederum, wie in Experiment 1, auf bestimmte Reihenfolgebeschränkungen rückschließen, die eine Flexion mit dem regulären Pluralaffix vor dem Kompositionsprozeß gar nicht erst zulassen.

! _

°-97

0,8

Auslas-o,6 sungsrate °>4 0,2

0

Kontrollkinder

Dysgrammatiker Teilnehmergruppe

• regulärer Plural O irreguläre Plurale

Abb. 9

Auslassungsraten der regulären / irregulären Pluralaffixe

Gegensätzlich stellen sich die Ergebnisse aus der Gruppe der Dysgrammatiker dar (vgl. Abbildung 9). Sie scheinen sich vollkommen gegen den in Experiment 1 auch für sie ermittelten Trend zu verhalten. Irreguläre Pluralaffixe werden sogar häufiger aus Komposita ausgeschlossen als der reguläre Pluralwert. Eine statistische Analyse ist für die Gruppe der Dysgrammatiker nicht durchführbar, da die Zahl der Teilnehmer zu gering ist. Bei der Interpretation ist zu berücksichtigen, daß die in Abbildung 9 wiedergegeben Ergebnisse hauptsächlich durch ein Kind, Dieter, beeinflußt werden, was durch die Daten in Tabelle 10 zusätzlich illustriert wird. Für Dieter wurden die Berechnungen in der ersten Zeile seiner Datenreihe aufgrund der Annahme gemacht, daß das -(e)n Flexiv der Default sei; in der zweiten Zeile seiner Datenreihe wurde davon ausgegangen, daß das -s Flexiv wie ein Defaultflexiv verwendet wurde.

175

Name Connie Michael Dieter

Affix -s -e -(e)n -s

Regulärer Plural Plural Plurale Ausl.-rate abs. ausgelassen im Komp. 5 3 5 5

4 1 0 4

0.80 0.33 0.00 0.80

Irregulärer Plural Plural Plurale Ausl.abs. ausgelassen rate im Komp. 7 0.54 13 4 6 0.67 4 13 0.31 0 0.00 13

Tab. 10 Auslassungsraten regulärer bzw. irregulärer Plurale im Kompositum; dysgrammatische Kinder (mit Dieter 12;6) Die Kompositabildungen von Dieter sind in den Beispielen in (9) wiedergegeben. (9) a.

b.

Dieter, 12;6 (Dysgrammatiker) -s ausgelassen (eine Ausnahme) Sofa-0-glas Babie-s-topf Cola-0-fernseher Teddy-0-flasche Radio-0-puppe -(e)n nicht ausgelassen Rose-n-stuhl Socke-n-küche Brille-n-fön Puppe-n-glas

Die Daten von Dieter (12;6) sind in zweifacher Weise interpretierbar. Die erste Möglichkeit wäre, daß Dieter ein qualitativ anderes Grammatiksystem generiert hat, das keinerlei Trennung zwischen Defaultflexion und Nicht-Defaultflexion vornimmt. Eine solche Schlußfolgerung halte ich allerdings aus folgendem Grund nicht für plausibel. Hiermit läßt sich nicht die Systematik erklären, mit der Dieter das -(e)n bzw. das -s Allomorph vom Kompositionspozeß ausschließt, welche wiederum trotz der widersprüchlichen Ergebnisse aus den beiden Elizitationsverfahren auf eine gewisse Reihenfolgebeschränkung schließen läßt. Aufgrund dieser Reihenfolgebeschränkungen kann man also davon ausgehen, daß Dieter eine qualitative Distinktion von regulärer und irregulärer Pluralflexion vornimmt. Die zweite Interpretationsmöglichkeit basiert auf eben der Annahme, daß auch Dieter einen regulären Pluralwert verwendet. Die Antwort auf die Frage, weshalb er sowohl das -s als auch das -(e)n Flexiv wie ein reguläres Flexiv behandelt, muß dabei im Bereich der Spekulation bleiben. Die Beobachtung, das ein Kind zwei verschiedene Pluralallomorphe in den Übergeneralisierungen verwendet, wurde schon in der Teilnehmergruppe, die in Teil I untersucht wurde, gemacht. Eine Gruppe von 18 (sprachunauffälligen) Kindern haben neben dem -s Affix noch ein weiteres Pluralallomorph in den Übergeneralisierungen verwendet.

176 Dabei stellte sich heraus, daß diese Kinder das -s Affix in den Komposita auslassen, wohingegen das verbleibende, inkorrekte verwendete irreguläre Flexiv durchaus in den Erstkonstituenten beibehalten werden konnte (vgl. Tabelle 5 in Kapitel 5.2). Als Zwischenergebnis konnte dort festgehalten werden, daß auch für diese Kinder das -s Flexiv den Defaultwert darstellt. Zieht man die Möglichkeit in Betracht, daß Dieter eventuell zwei Affixe nach dem Muster eines Defaultwertes behandelt, d.h. das -(e)n Flexiv (siehe Spontansprachdaten und Experiment 1) und das -s Flexiv (siehe Experiment 2), so verändert sich das Bild für das Experiment 2 folgendermaßen (vgl. Tabelle 11). Allerdings muß hier offen bleiben, aus welchem Grund Dieter in diesem Elizitationsverfahren vom -(e)n Flexiv zum -s Flexiv wechselt. Name

regulärer Plural

reg. Plural

Plural Plurale abs. ausgelassen Connie Michael Dieter Gesamt

-s -e -s

4 1 4 9

5 3 5 13

irregulärer Plural

Ausl.-rate im Komp.

Plural Plurale abs. ausgelassen

0.80 0.33 0.80 0.69

13 6 13 32

7 4 0 11

Ausl.rate im Komp. 0.54 0.67 0.00 0.34

Tab. 11 Auslassungsraten des regulären bzw. irregulären Flexivs; Dysgrammatiker (mit Dieter 12;6)

Dadurch gleichen die Ergebnisse der Dysgrammatiker denen der unauffälligen Kinder, so daß die Ergebnisse in einem direkten Vergleich zwischen den beiden Gruppen folgendermaßen dargestellt werden können (vgl. Abbildung 10).

! _

°'97

0,8

Auslas-o,6 sungsrate °-4 0,2

Kontrollkinder

Dysgrammatiker

Teilnehmergruppe • Default-Auslassung QNicht-Default Auslassung

Abb. 10

Auslassungsraten der regulären / irregulären Pluralaffixe

177 Zusammenfassend können die Ergebnisse des Experimentes 2 die Ergebnisse aus Experiment 1 bestätigen. Für die Kontrollkinder konnte erneut die Dissoziation des Pluralsystems zwischen einem regulären Pluralaffix und als irregulär zu bezeichnenden Affixen empirisch bestätigt werden. Die Reihenfolgebeschränkungen, die die Abfolge zwischen irregulärer Pluralmorphologie, lexikalischer Komposition und regulärer Pluralflexion ordnen, konnten auch im dysgrammatischen Grammatiksystem hier beobachtet werden. Zu berücksichtigen ist die geringe Datenbasis der experimentellen Fallstudie. Dennoch läßt sich als wichtigste Tendenz festhalten, daß sich auch in diesem Experiment bestätigt, daß die dysgrammatischen Kinder sich in bezug auf die Repräsentation der Pluralmorphologie und der Komposition nicht von den Kindern der Kontrollgruppe unterscheiden. Dysgrammatische Kinder belegen wie die unauffälligen Kinder ein Pluralaffix mit dem Status eines regulären Pluralflexivs, das mit Hilfe einer symbolischen Regel affigiert wird.

9.5 Zusammenfassung In dieser Studie wurden sowohl Dysgrammatiker als auch sprachunauffällige Kinder der gleichen Sprachentwicklungsstufe untersucht. Die Analyse des Subjekt-Verb-Kongruenzsystems hat zeigen können, daß die dysgrammatischen Kinder mit einer Ausnahme zwar das morphologische Formeninventar des Verbparadigmas erworben haben, dieses aber nicht immer im Sinne der Subjekt-Verb-Kongruenz verwenden. Im Gegensatz dazu zeigten die hohen Korrektheitswerte in der Kontrollgruppe, daß die unauffälligen Kinder alle Verbflexive korrekt zur Markierung der Subjekt-VerbKongruenz einsetzten. Neben der Beobachtung, daß die Dysgrammatiker das Subjekt-Verb-Kongruenzsystem nicht erworben haben, war auffällig, daß sie die Verbstellung nicht beherrschten. Sie plazierten, im Gegensatz zu den Kindern der Vergleichsgruppe, das Verb bevorzugt an der Endposition des Satzes. Dadurch erhielten die Sätze eine ungrammatische syntaktische Struktur. Die Ergebnisse aus dem Bereich der Pluralmorphologie hingegen erbrachten keinen derartigen Unterschied zwischen der Gruppe der Dysgrammatiker und der Gruppe der Kontrollkinder. Die Dysgrammatiker generierten ebenfalls Pluralformen, die mit einem Pluralflexiv overt markiert wurden (Übergeneralisierungen). Eine genauere Analyse der Nominalkomposita zeigte, daß das übergeneralisierte Flexiv dasjenige war, das bevorzugt in den Komposita ausgelassen wurde. Hiermit spiegelte sich in den Ergebnissen der Dysgrammatiker dasjenige wider, das sich auch bei den Kindern der Kontrollgruppe beobachten ließ: Ein spezifisches Pluralallomorph wurde fast nie innerhalb von Komposita beobachtet, wohingegen die verbleibenden Flexive ohne morphologische Beschränkungen fakultativ innerhalb von Komposita auftreten konnten. In der Höhe der Fehlerrate war ein Unterschied zwischen den beiden Teilnehmergruppen festzustellen. Doch dieser war rein quantitativer Art. In der Art und Weise, mit der die übergeneralisierten Flexive innerhalb von Komposita behandelt

178 werden, war dagegen kein Unterschied zwischen den beiden Teilnehmergruppen festzustellen. Der Unterschied in der mentalen Repräsentation des Pluralsystems und der lexikalischen Komposition beschränkt sich lediglich auf die Spezifizierung desjenigen Flexivs, das als reguläres Pluralflexiv kategorisiert wird. Die unauffälligen Kinder der Vergleichsgruppe behandelten das -i Flexiv als reguläres Pluralaffix. In der größeren Stichprobe (vgl. Teil I) verwendete eine sehr kleine Teilgruppe von Kindern auch das -e bzw. das -(e)n Flexiv als reguläres Pluralaffix. Die Dysgrammatiker kategorisierten bevorzugt das -(e)n Affix als reguläres Pluralflexiv, wobei auch hier interindividuelle Variationen zu beobachten waren, d.h. auch das -s Affix konnte als reguläres Flexiv behandelt werden. Zusammenfassend zeigt sich, daß sich der Unterschied zwischen unauffälligem und dysgrammatischem Spracherwerb auf morphologische Bereiche beschränkt, die zur Markierung von Kongruenzrelationen zwischen zwei syntaktischen Konstituenten dienen (hier: Subjekt und Verb). Andere morphologische Bereiche wie die der Pluralmarkierung und der lexikalischen Nominalkomposition werden nicht vom Defizit berührt.

Kapitel 10 Resümee Aus der Literatur sind verschiedene Ansätze bekannt, die die Auffälligkeiten im Dysgrammatismus zu erfassen versuchen. Das zentrale Problem im Dysgrammatismus stellt der Erwerb der Morphologie dar, wobei allerdings der Ansatz der Fehlenden Grammatischen Kongruenz (Clahsen 1988) der Beobachtung Rechnung trägt, daß spezifische Bereiche der Morphologie beeinträchtigt sind: derjenige Bereich der Morphologie, der zur Markierung von Kongruenzrelationen dient. Dabei wird in diesem Ansatz davon ausgegangen, daß sich die Dysgrammatiker in einem Erwerbsstadium befinden, das auch von unauffälligen Kindern durchlaufen wird. D.h., daß sich die mentale Repräsentation grammatischen Wissens im Dysgrammatismus nicht von deijenigen im unauffälligen Spracherwerb unterscheidet. Um einen Beitrag zu dieser Diskussion zu leisten, wurden in dieser Arbeit neben der Spontansprache auch experimentell erhobene Daten analysiert. Dabei stand neben dem Subjekt-VerbKongruenzsystem die Pluralmorphologie und die lexikalische Komposition im Mittelpunkt.

10.1

Morphologie im Dysgrammatismus

In den Ergebnissen zum Morphologieerwerb im Dysgrammatismus zeigte sich im vorangegangenen Kapitel eine divergente Entwicklung zwischen unterschiedlichen Bereichen der Morphologie wie sie im unauffälligen Spracherwerb nicht zu beobachten ist. Die Dysgrammatiker zeigten im Vergleich zu den Kindern der Kontrollgruppe größere Schwierigkeiten bei der Markierung der Subjekt-Verb-Kongruenz. Dabei konnte festgestellt werden, daß die Dysgrammatiker zwar das gesamte morphologische Formeninventar des Verbparadigmas erworben haben, aber deren Bedeutung nicht identifizieren konnten (vgl. Kapitel 9/Tabelle 4.a). Eine Ausnahme in dieser Gruppe bildet Dieter, und zwar sowohl in der früheren Datenerhebung als auch in der jetzigen, worauf ich noch im weiteren näher eingehen werde. Diese Ergebnisse bestätigen Resultate vorangegangener Studien (Clahsen 1988, Clahsen et al. 1992; Clahsen, Rothweiler & Woest 1992; Clahsen & Rothweiler 1993; Rothweiler & Clahsen 1993), in denen Spontansprachanalysen für eine bestimmte Gruppe von Dysgrammatikern genau diese Schwierigkeiten zeigen konnten. Der Theorie des Lexikalischen Lernens zufolge (Pinker 1984, Clahsen, Rothweiler & Woest 1990; Clahsen 1992; Clahsen et al. 1994, 1996) hat der Erwerb morphologischen Wissens ~ eine Komponente des mentalen Lexikons— einen indirekten Einfluß auf die Entwicklung syntaktischen Wissens. Im unauffälligen Spracherwerb wurde die Beobachtung gemacht, daß Kinder keine Fehler mehr in der Markierung der Subjekt-Verb-Kongruenz machen, sobald sie das vollständige Formeninventar zur Verfügung haben. Damit einher geht die Beobachtung,

180 daß ab diesem Moment korrekt markierte Verben aus der satzfinalen Position hinaus in die Zweitposition des Satzes bewegt werden (vgl. u.a. Clahsen et al. 1994). Bezogen auf den Dysgrammatismus bedeutet dies, daß die Kinder —da sie das Subjekt-Verb-Kongruenzsystem nicht beherrschen— im Bereich der Syntax Auffälligkeiten zeigen. In den Daten der unauffälligen Kinder dieser Studie konnte beobachtet werden, daß sie erwartungsgemäß keinerlei Schwierigkeiten im Bereich der Syntax hatten. Das finite Verb stand den Anforderungen des deutschen Hauptsatzes gemäß in der zweiten Position. Bei der Analyse der Daten der Dysgrammatiker, in der die Ergebnisse von Dieter im Moment zurückgestellt seien, stellte sich dagegen heraus, daß sie wesentlich häufiger das Verb an das Satzende stellten. Hiermit ist weitere empirische Evidenz für die Theorie des Lexikalischen Lernens erbracht worden. Die korrekte Markierung der Subjekt-Verb-Kongruenz ist ein Indiz dafür, daß die Kinder die (formale) Relation zwischen dem Subjekt und dem Verb erkannt haben. Gleichzeitig stehen ihnen hierdurch die morphologischen Mittel zur Verfügung, das Merkmal Finitheit [+finit] am Verb zu markieren. Erst durch diese Grundvoraussetzung wird für die syntaktische Struktur die Möglichkeit bereit gestellt, entsprechend umorganisiert zu werden, d.h. durch Hinzufügen eines entsprechenden Knotens kann nun das Verb in die erforderliche zweite Position bewegt werden (vgl. Clahsen, Eisenbeiß & Penke, 1996). Den dysgrammatisch sprechenden Kindern fehlt aber das morphologische Basiswissen, um das Verb korrekt für die grammatische Subjekt-Verb-Kongruenzrelation zu flektieren. Das defizitäre Wissen in der Verbmorphologie zieht Probleme in der Repräsentation syntaktischer Strukturen nach sich, und zwar in der Weise, daß die Position für die Verb-Zweit Stellung nicht als solche erkannt wird. Daher sind die Verben so häufig in der satzfinalen Stellung zu finden. Diese Beobachtung, wie sie für den dysgrammatischen Spracherwerb gemacht wurde, spiegelt eine Phase wider, wie sie auch im unauffälligen Spracherwerb durchlaufen wird, wenn auch zu einem sehr viel früheren Zeitpunkt.

Dieter Unauffällige Kinder überwinden die Phase inkorrekter Verbmarkierungen und Satzstrukturen. Eines der Kinder der Kontrollgruppe ist 3;2 Jahre alt und hat sowohl das Verbparadigma als auch die korrekten syntaktischen Strukturrepräsentationen erworben, wohingegen unter den dysgrammatisch sprechenden Kinder selbst Michael im Alter von 7;2 Jahren weder das eine noch das andere erworben hat. In einer Studie von Clahsen (1988) hingegen wurden zwei Kinder mit Dysgrammatismus beschrieben, Petra und Julia, die zwar finite Verben verwendeten, diese aber dennoch nicht in die erforderliche Zweitposition des Satzes bewegten. Petra hatte sogar das Subjekt-Verb-Kongruenzsystem vollständig erworben (für eine ausführliche Diskussion verweise ich auf Clahsen 1988:208ff). Da in anderen Bereichen der mentalen Grammatik wie z.B. der Pluralmorphologie oder der Partizipflexion keine Differenzen zwischen den Dysgrammatikern einerseits und den Kon-

181 trollkindern andererseits beobachtet werden konnte, ist der Dysgrammatismus als ein selektives Defizit im Bereich der Kongruenzmorphologie charakterisierbar. Dieser Annahme stehen allerdings Ergebnisse entgegen, wie sie hier bei Dieter im Alter von 12;6 zu beobachten waren. Ein Blick auf Tabelle 4.a (Kapitel 9) bestätigt, daß Dieter 12;6 sowohl das Verbparadigma zur Subkjekt-Verb-Kongruenzmarkierung als auch die syntaktischen Eigenschaften des Hauptsatzes beherrscht. Diese Ergebnisse bestätigen Beobachtungen aus einer Studie von Hansen (1993; vgl. auch Clahsen & Hansen 1993). In einer longitudinal angelegten Studie untersuchte Hansen vier Dysgrammatiker. Trotz mehrjähriger sprachtherapeutischer Behandlung konnten die Kinder keine der Therapien erfolgreich abschließen und wurden als extrem sprachauffällig eingeschätzt. In den Eingangsdiagnosen, die in Form einer computerunterstützten Profilanalyse (Clahsen & Hansen 1991) erstellt wurden, zeigte sich unter anderem, daß die Kinder nicht in der Lage waren, das Verb korrekt für die Subjekt-Verb-Kongruenz zu markieren. Zudem verwendeten sie für das Verb bevorzugt die satzfinale Stellung (vgl. Hansen 1993:124ff. und dort Kapitel 11). In einer von Hansen speziell konzipierten Therapie wurden den Kindern einfache Sätze dargeboten, in denen die gleichen (Grund-)Verben mit verschiedenen Subjekten verwendet wurden, d.h. mit allen im Deutschen möglichen Flexionsendungen für die Subjekt-Verb-Kongruenz versehen waren. Ziel war es, die mentale Repräsentation des Formeninventars der Verbflexive zu erweitern (vgl. ebenda, S. 146f.). Wie sich beim Abschluß des Untersuchungszeitraumes herausstellte, hatten alle Kinder allein durch die explizite therapeutische Maßnahme bezüglich der Subjekt-Verb-Kongruenz diesen Bereich der Morphologie erworben. Weiterhin hatten sie, obwohl keine spezifische Therapieeinheit dafür entwickelt worden war, die korrekte syntaktische Struktur für den deutschen Hauptsatz erworben (Hansen 1993; Clahsen & Hansen 1993). Diese Ergebnisse zeigen also, daß es sich in bezug auf die Verbmorphologie zwar um ein Defizit handelt, daß dieses aber nicht notwendigerweise unüberbrückbar ist. Inwieweit die von Hansen verwendeten Therapiemaßnahmen den Erwerbsweg von Dieter widerspiegeln, muß hier offen bleiben, da der Untersuchungsabstand in der vorliegenden Arbeit zu groß ist. Ebenso muß an dieser Stelle offen bleiben, ob sich diese Entwicklung in der Kongruenzmorphologie auch bei den anderen Kindern der Teilnehmergruppe zeigen wird oder aber ob es sich um zwei Subgruppen handelt: i) Die eine Gruppe erwirbt, wenn auch sehr spät, das Kongruenzsystem (und damit die syntaktische Struktur); ii) Die andere Gruppe wird das Defizit in der Verbmorphologie nicht überbrücken können. Auch wenn bei den Kindern, die im Laufe ihrer Sprachentwicklung das Repräsentationsdefizit der Kongruenzmorphologie überwinden lernen, nicht sicher ist, inwieweit sie damit dem Verlauf des unauffälligen Erwerbsverlauf gefolgt sind oder aber auf explizit erlerntes Regelwissen zurückgreifen müssen wie Zweitsprachlemer, so konnte durch die Studien von Clahsen (1988) und Hansen (1993), zumindest deutlich gemacht werden, daß ein sehr enger Zusammenhang zwischen dem Erwerb morphologischer und syntaktischer Strukturen besteht. Der Ansatz des Lexikalischen Lernens kann somit nicht nur zur Erklärung des unauffälligen Spracherwerbs herangezogen werden, sondern dient auch der Beschreibung des Defizits im Dysgrammatismus.

182 Pluralmorphologie und Nominalkomposition Im Gegensatz zu den Ergebnissen in der Subjekt-Verb-Kongruenzmorphologie konnte zwischen den beiden Teilnehmergruppen dieser Studie kein Unterschied in der Pluralmorphologie gefunden werden. Die Rate der inkorrekten Pluralformen im Dysgrammatismus war nicht wesentlich höher als die im unauffälligen Spracherwerb: 0,32 vs. 0,2 (Dysgrammatiker versus Vergleichskinder; vgl. Kapitel 9/Abbildung 6). Sowohl in den Spontansprachdaten als auch in den elizitierten Daten zeigte sich, daß die übergeneralisierten Flexive genau die Flexive waren, die nicht innerhalb von Komposita auftreten konnten. Dies ist eine Beobachtung, die sich in den Daten der Vergleichskinder und der Dysgrammatiker gleichermaßen zeigte. Ein bestimmtes Pluralflexiv wurde als das reguläre Pluralflexiv kategorisiert und unterlag spezifischen Reihenfolgebeschränkungen, wie sie für unauffällige Kinder einer größeren Probandengruppe im Rahmen des Dual Mechanism Modells beschrieben werden konnten (vgl. Kapitel 6). Da keine qualitativen Differenzen im Bereich der Pluralflexion und der Nominalkomposition zwischen den beiden Gruppen festzustellen waren, kann die Annahme gemacht werden, daß dieser Bereich der Morphologie im Dysgrammatismus nicht beeinträchtigt ist. Es sind keine qualitativen und quantitativen Unterschiede zwischen der mentalen Repräsentation der Pluralmorphologie und Komposition im unauffälligen und dysgrammatischen Spracherwerb zu konstatieren. Auch im Dysgrammatismus kann man von einem Repräsentationsschema ausgehen, das geprägt ist von der Distinktion zweier unterschiedlicher Flexionsprozesse: dem regulären und dem irregulären. Während die reguläre Pluralflexion, d.h die Defaultflexion, durch eine symbolische Regel repräsentiert wird, erlaubt ein Netzwerk mit Hilfe phonologischer Analogien eine höchst effiziente mentale Repräsentation irregulärer Pluralformen. Die lexikalische Komposition kann in der Weise integriert werden, als daß die Komponente der Defaultflexion dem phonologieorientierten Netzwerkbereich und den Prozessen der Komposition nachgeordnet ist. Inwieweit dabei eine Anordnung im Sinne der Parallelen Morphologie (Borer 1988) oder aber eines Ebenenmodells (Kiparsky 1982, 1985) angenommen werden sollte, kann mit den hier präsentierten Ergebnissen nicht entschieden werden. Mit den Ergebnissen dieser Untersuchung wurden auf experimentelle Weise Resultate vorhandener Studien repliziert (Clahsen 1988, Clahsen et al. 1992; Clahsen, Rothweiler & Woest 1992; Clahsen & Rothweiler 1993; Rothweiler & Clahsen 1993), die neben der Verbmorphologie die Plural- und Partizipmorphologie zum Gegenstand hatten.

Die Selektion des Defaultplurals So sehr sich auch die grundlegende mentale Repräsentation der Pluralmorphologie und der lexikalischen Komposition im dysgrammatischen und unauffälligen Spracherwerb gleichen, so sind doch hier und in allen anderen zuvor vorgestellten Untersuchungen eindeutige Unter-

183 schiede zwischen den beiden Probandengruppen feststellbar (vgl. Kapitel 8 und 9). Und zwar manifestiert sich der Unterschied in der Selektion des Defaultaffixes. Für die unauffälligen Kinder konnte gezeigt werden, daß sie in der überwiegenden Mehrzahl das -s PluralafFix als den Defaultwert kategorisiert haben, wohingegen das -e, -(e)n und er Allomorph als irreguläre Pluralaffixe eingeordnet werden. Bei den Dysgrammatikern aber fallt das -s Affix in die Gruppe der irregulären Affixe. Sie zeigen statt dessen eine größere Tendenz, bevorzugt das -(e)n Allomorph als den regulären Pluralwert, d.h. Defaultwert, zu behandeln (Dieter zu beiden Aufnahmezeitpunkten, Peter und David); zwei Kinder (Connie und Sebastian) verwendeten das -s Affix als regulären Plural und ein Kind (Michael) wählte das -e Flexiv als Defaultplural. Diese interindividuelle Variation in der Wahl des Defaultflexivs scheint kein spezifisches Charakteristikum für dysgrammatisch sprechende Kinder zu sein. Eine vergleichbare interindividuelle Variation zeigte sich bereits in der größeren Teilnehmergruppe von sprachunauffälligen Kindern (vgl. Teil I). Vereinfachend läßt sich aber zusammenfassen, daß unauffällige Kinder bereits sehr früh das Defaultflexiv des Erwachsenensystems als solches erkannt und klassifiziert haben, obwohl dieses die geringste Auftretenshäufigkeit im Input besitzt. Dysgrammatische Kinder dagegen gehen bevorzugt von dem (e)n Allomorph als den Defaultwert des Pluralsystems aus. Die Frage ist nun, welche sprachlichen Hinweise bei der Selektion des Defaultflexivs in der jeweiligen Probandengruppe relevant sind. An anderer Stelle habe ich eine Unterscheidung zwischen Kontextfrequenz und Oberflächenfrequenz getroffen (vgl. Kapitel 6). Unter Kontextfrequenz verstehe ich die unterschiedlichen semantischen (Namen, Abkürzungen etc.) und auch strukturellen (unabhängig vom Auslaut oder Genus des Substantivs etc.) Kontexte, in denen ein Pluralflexiv auftreten kann. Oberflächenfrequenz bezieht sich auf die im an Kinder gerichteten Input auftretenden Häufigkeiten (vgl. Kapitel 3, Tabellen 3 und 4). Die Kontextfrequenz ist im Erwachsenensystem das entscheidende Kriterium, das den Defaultplural auszeichnet. In der deutschen Pluralmorphologie wird der Default durch -s Affix ausgefüllt. SprachunaufFällige Kinder sind in der Lage, anhand der Kontextfrequenz genau dieses Pluralallomorph ausfindig zu machen. Dysgrammatische Kinder hingegen scheinen in der Mehrzahl nicht dazu befähigt zu sein, die Kontextfrequenz entweder als solche wahrzunehmen oder aber daraus dieselben Schlußfolgerungen zu ziehen. Statt des -s Pluralflexivs klassifizieren sie bevorzugt das -(e)n Flexiv als den Defaultwert des Pluralsystems. Dies läßt vermuten, daß sie sich nach der Oberflächenfrequenz richten, die keine Berücksichtigung irgendwelcher Subregularitäten beinhaltet. Demnach ist das -(e)n Affix im deutschen Pluralsystem dasjenige mit der höchsten Oberflächenfrequenz, weshalb Dysgrammatiker bevorzugt eben dieses Flexiv als das Defaultflexiv klassifizieren. An dieser Stelle zeigt sich nun eine Gemeinsamkeit mit Netzwerkmodellen, die frequenzorientiert angelegt sind (vgl. Rumelhart & McClelland 1986). Wie sich für das Englische zeigte, hat das Simulationsmodell von Rumelhart und McClelland (1986) dasjenige past tense Affix als reguläres Affix behandelt, das im Englischen auch die höhere Auftretenshäufigkeit zeigte: das -ed Flexiv. Doch der entscheidende Unterschied zu der hier vorgeschlagenen Analyse des dysgrammatischen Spracherwerbs ist, daß das Simulationsmodell auf der Basis

184 eines einzigen Generierungsmechanismus arbeitete und alle Allomorphe qualitativ gleich behandelte. Für die Dysgrammatiker konnte jedoch gezeigt werden, daß diese eine deutliche Trennung zwischen regulärer und irregulärer Pluralbildung vornahmen. Lediglich die Selektion des Defaultwertes ist im Dysgrammatismus frequenzorientiert, so daß das Pluralallomorph mit der häufigsten Inputfrequenz als Default eingeordnet wird. Zusammenfassend konnte auf experimenteller Basis gezeigt werden, daß die dysgrammatisch sprechenden Kinder ein Defizit in der Subjekt-Verb-Kongruenzmorphologie zeigten, aber nicht in der Pluralmorphologie bzw. der Nominalkomposition. Darüber hinaus konnte dargelegt werden, daß die Dysgrammatiker genauso wie die Kinder der Vergleichsgruppe eine Trennung zwischen irregulärer und regulärer Flexion vornehmen. Dies läßt auf eine entsprechende unterschiedliche mentale Repräsentation der jeweiligen Flexionsform schließen: Irreguläre Flexion ist in einem phonologiebasierten Netzwerk repräsentiert, während reguläre Flexion in Form einer Regel gespeichert ist. Diese Befunde sollen im folgenden in die aktuelle Diskussion über die zugrundeliegenden Ursachen von Dysgrammatismus eingebunden werden.

10.2

Dysgrammatismus als ein selektives Defizit

Drei unterschiedliche Theorieansätze stehen zur Verfügung, um die im vorhergehenden Abschnitt diskutierten Ergebnisse beschreiben zu können.

Der Ansatz der Oberflächenstruktur Im Rahmen der Hypothese der Oberflächenstruktur (Leonard 1986 u.w.) wird davon ausgegangen, daß die dysgrammatisch sprechenden Kinder nicht in der Lage sind, Phoneme mit geringer phonetischer Substanz wahrzunehmen. Dies hat zur Folge, daß entsprechende Morpheme nicht in die mentale sprachliche Repräsentation integriert werden können. Im Deutschen wäre das -st Affix als ein Laut mit geringer phonetischer Substanz zu bezeichnen. Allerdings ist fraglich, weshalb die Dysgrammatiker dieses Flexiv in der Verbmorphologie immer korrekt verwenden. Der einzige Punkt diesbezüglich ist nur, daß sie dieses Flexiv sehr selten in den obligatorischen Kontexten verwenden (vgl. Kapitel 9, Tabelle 4.b). Die Verwendung, sei sie korrekt oder inkorrekt, wäre nicht möglich, wenn die Kinder dieses Flexiv aus Gründen mangelnder phonetischer Substanz nicht wahrnehmen könnten. Desweiteren bliebe im Rahmen dieses Ansatzes ungeklärt, weshalb irreguläre Verbformen wie z.B. des Verbes sein (hier: ist) und die Flexion der Hilfs- und Modalverben immer korrekt für die 2.Pers.sing.Präs. erfolgt (vgl. Clahsen 1988, Rothweiler 1996). Zusammenfassend müssen die Erklärungen, wie sie in der Oberflächenstruktur-Hypothese angeboten werden, für die hier präsentierten Daten als nicht ausreichend abgewiesen werden.

185 Daß die grundlegende Idee der mangelnden phonetischen Substanz nicht für jede Sprache zutreffend ist, konnten Untersuchungen sowohl zum Englischen als auch zu anderen Sprachen zeigen (Clahsen 1989, 1994, Gopnik 1994, Oetting & Rice 1993, Rice & Oetting 1993). Diese Ergebnisse hatten Dromi, Leonard und Shteiman (1993) sowie Leonard und Dromi (1994) auch bei einem Vergleich zwischen sprachauffalligen Kindern hebräischer und englischer Erstsprache bestätigen können. Hebräische Kinder zeigten in der Verbmorphologie weniger Auffälligkeiten als die englisch-sprachigen Kinder. Diese Ergebnisse führten zur Formulierung des Hypothese der reichen Morphologie, d.h. ein reiches Flexionsparadigma unterstützt wesentlich als sogenannte Analysehilfe {parsing aid, Dromi & Leonard 1994) den Erwerbsprozeß. Dieser Ansatz würde für den Morphologieerwerb des Deutschen die Vorhersage aufstellen, daß sowohl im Bereich der Verbmorphologie als auch in dem der Pluralflexion keinerlei Beeinträchtigungen zu beobachten sein sollten. Beide Flexionssysteme beinhalten Affixe, die sich durch geringe phonetische Substanz auszeichnen. In jeweils beiden Systemen stehen jeweils vier verschiedene Affixe zur Verfügung (im Englischen jeweils nur ein einziges). Doch wie die Ergebnisse der vorliegenden Studie zeigen konnten, wurden im Bereich der Verbmorphologie beträchtliche Defizite beobachtet, während das Pluralsystem in dieser Beziehung völlig unbeeinträchtigt war. Aus diesem Grund muß auch die Hypothese der Reichen Morphologie als nicht hinreichender Erklärungsansatz für das hier beschriebene Störungsbild zurückgewiesen werden.

Die Theorie der Fehlenden Merkmale Innerhalb dieser Theorie haben Gopnik und Mitarbeiter (Gopnik 1994) die Schlußfolgerung gezogen, daß Dysgrammatiker überhaupt keine grammatischen Merkmale (features) für morphologische Phänomene wie die Verbflexion, die Partizipbildung und die Pluralmorphologie besitzen. Dies wurde aus der hohen Anzahl fehlender overter Markierungen in der Sprache englisch-sprachiger Dysgrammatiker geschlossen. Doch wie die Daten zum Deutschen belegen konnten, ist die Zahl der overten Pluralmarkierungen höher als die der nicht-overten Formen. Gerade die Verwendung mehrerer unterschiedlicher Pluralflexive illustriert, daß die dysgrammatisch sprechenden Kinder das Merkmal [+plural] morphologisch kennzeichnen können und sich der Vielfalt des deutschen Formeninventars bewußt sind. Eine Weiterführung im Rahmen dieses Ansatzes schlägt vor, daß Dysgrammatiker die overten Markierungen nicht auf der Basis eines Generierungsmechanismus verwenden, sondern alle Pluralformen als Ganzes abrufbereit im mentalen Lexikon gespeichert haben (Gopnik 1994, Goad & Rebellati 1994 für die Pluralmorphologie). Dies ist die Repräsentationsform, wie sie im Dual Mechanism Modell für die irregulären Pluralformen angenommen wird. Eine regelgeleitete Pluralbildung gibt es nach Goad und Rebellati nicht. Unbekannte Substantive erhalten —wenn überhaupt— eine overte Pluralmarkierung, indem das Flexiv über einen der Komposition verwandten Mechanismus mit dem Substantiv verbunden wird.

186 Die hier präsentierten Daten legen allerdings einen anderen Schluß nahe. Die dysgrammatisch sprechenden Kinder nehmen wie die sprachunauffälligen Kinder eine Unterteilung zwischen regulärer und irregulärer Flexion vor. Das ist daran erkennbar, daß die Dysgrammatiker ein spezifisches Affix als den regulären Wert klassifizieren. Aufgrund spezifischer Reihenfolgebeschränkungen, denen nur der regulärer Pluralwert, d.h. der Default, unterliegt, wird genau dieses Pluralflexiv am Auftreten in der Erstkonstituente eines Kompositums gehindert. Wohl aber irreguläre Affixe können in der Erstkonstituente erscheinen. Diese Befunde sprechen deutlich gegen die Analyse von Goad und Rebellati (1994). Statt dessen scheint das Dual Mechanism Modell am besten die mentale Repräsentation des Pluralsystems sowohl im dysgrammatischen als auch im unauffälligen Spracherwerb widerspiegeln zu können. Allerdings ist damit noch nicht die Dissoziation im Erwerb unterschiedlicher Flexionssysteme beschrieben worden. Hierfür besitzt die Theorie des selektiven Defizits, das ausschließlich die Morphologie zur Markierung von Kongruenzrelationen betrifft, die höchste Erklärungs- und Beschreibungsrelevanz zu besitzen (Clahsen 1988, Clahsen 1989, Clahsen 1994, Clahsen et al. 1992; Rothweiler & Clahsen 1993; Rothweiler 1996).

Der Ansatz der Fehlenden Grammatischen Kongruenz Diese Theorie geht davon aus, daß der Dysgrammatismus als ein selektives Defizit beschreibbar ist, das sich in der Beeinträchtigung der Morphologie zur grammatischen Kongruenz bemerkbar macht. Das gründet sich auf der Beobachtung, daß nicht alle morphologischen Bereiche gleichermaßen von der Sprachauffälligkeit betroffen sind. Während die Partizipmorphologie (Rothweiler & Clahsen 1993) und die Pluralmorphologie (Clahsen et al. 1992; vgl. auch Kapitel 8) völlig intakt sind, ist vor allem die Kongruenzmorphologie, insbesondere die Subjekt-Verb-Kongruenzmorphologie sehr stark beeinträchtigt (Clahsen 1988, Clahsen 1989, Clahsen 1994, Clahsen et al. 1992, Clahsen & Hansen 1993, Hansen 1993). Die gleiche Dissoziation läßt sich bei der hier untersuchten kleinen Gruppe von Dysgrammatikern beobachten, die direkt mit einer Kontrollgruppe von Kindern der gleichen Sprachentwicklungsstufe verglichen wurde. Die Pluralmorphologie und die lexikalische Komposition ist im Vergleich zu den unauffälligen Kindern nicht defizitär, wohingegen die Ergebnisse zur Verbmorphologie den Schluß nahelegen, daß die Dysgrammatiker das Subjekt-Verb-Kongruenzsystem nicht erworben haben. Darüber hinaus ist es innerhalb dieser Theorie möglich, den Dysgrammatismus als eine Form von Spracherwerb zu charakterisieren, die den Prinzipien des normalen Erwerbs folgt. Es besteht kein prinzipieller qualitativer Unterschied zwischen normalem und dysgrammatischem Spracherwerb. Die qualitativen Auffälligkeiten betreffen lediglich die Kongruenzmorphologie, in der allerdings ein deutliches Defizit sichtbar wird. Die Sprachauffälligkeiten im Bereich der Kongruenzmorphologie dürfen aber nicht dahingehend interpretiert werden, daß Dysgrammatismus eine gänzlich andere Spracherwerbsfolge darstellt. Dieses Defizit spiegelt eine Stufe wider, die auch im unauffälligen Spracherwerb zu beob-

187

achten ist. Doch während bei unauffälligen Kinder alle Bereiche der Morphologie durch permanente Weiterentwicklungen gekennzeichnet sind, zeigten die hier untersuchten Dysgrammatiker ein spezifisches, selektives Entwicklungsdefizit in der Kongruenzmorphologie. Der Ansatz des selektiven Defizites trägt aber nicht nur den divergenten Entwicklungen im Morphologieerwerb Rechnung, sondern unterstützt Hypothesen über Lernbarkeitsprinzipien, wie sie für den unauffälligen Spracherwerb angenommen werden. Speziell die Theorie des Lexikalischen Lernens (Pinker 1984, Clahsen, Parodi & Penke 1994; Clahsen, Eisenbeiß & Penke 1996) kann den Zusammenhang zwischen dem Erwerb des Verbparadigmas und der Syntax beschreiben. Die Idee ist, daß mit dem vollständigen Formeninventar des Verbparadigmas den Kindern die morphologischen Mittel zur Markierung der Subjekt-Verb-Kongruenz zur Verfügung stehen. Diese Beobachtung steht in enger Verbindung mit Entwicklungen in der Syntax. Zunächst verbleibt das nicht für Finitheit markierte Verb in der entsprechenden syntaktischen Position, d.h. in der Regel in satzfinaler Position. Nach dem Erwerb der Subjekt-Verb-Kongruenz aber kann das finite Verb in die für das Deutsche erforderliche zweite Position bewegt werden (Clahsen 1989, Clahsen, Eisenbeiß & Penke 1996). Der Umkehrschluß ist, daß ohne die morphologische Grundvorraussetzung, d.h. ohne das Verständnis der Markierungen zur grammatischen Relation zwischen Subjekt und Verb, auch keine Fortschritte in der syntaktischen Entwicklung zu beobachten sein sollten. Diese Beobachtung spiegelte sich in den hier präsentierten Ergebnissen wider und bestätigte damit Resultate vorhandener Spontansprachstudien.

10.3

Zusammenfassung

In diesem Kapitel wurden die Ergebnisse zum dysgrammatischen Spracherwerb mit Hilfe von drei unterschiedlichen Ansätzen zum auffälligen Spracherwerb diskutiert. Hierbei stellte sich heraus, daß sowohl der Ansatz der Oberflächenstruktur (Leonard 1989 u.w.) als auch die daraus abgeleitete Hypothese der Reichen Morphologie (Leonard & Dromi 1994) als nicht erklärungsadäquat für das hier beschriebene Bild von Dysgrammatismus herangezogen werden konnte. Die Annahme der Reichen Morphologie hatte für den Morphologieerwerb eine generelle Nicht-Beeinträchtigung vorhergesagt. Dies hat sich in den vorliegenden Ergebnissen aber nicht nachweisen lassen, so daß diese Erklärungsmöglichkeit ausschied. Ebenso mußte die Annahme von Fehlenden Merkmalen zurückgewiesen werden (Gopnik 1990a). Für den Bereich der Pluralmorphologie konnten keine Unterschiede in der Struktur der mentalen Repräsentation zwischen den dysgrammatisch sprechenden Kindern und den Kindern der Vergleichsgruppe festgestellt werden. Defizite zeigten sich dagegen lediglich in der Verbmorphologie. Darüber hinaus konnte gezeigt werden, daß sich die Dysgrammatiker einer mentalen Repräsentation der Pluralmorphologie und Nominalkomposition bedienen, wie sie zuvor in einer größeren Studie zum unauffälligen Spracherwerb (vgl. Teil I) nachgewiesen werden konnte. Dysgrammatiker differenzieren zwischen regulärer und irregulärer Plural-

188 flexion, wobei die reguläre Pluralflexion durch eine symbolische Regel repräsentiert wird. Dabei unterliegt im Dysgrammatismus der reguläre Pluralwert in Verbindung mit den Prozessen der lexikalischen Nominalkomposition denselben Reihenfolgebeschränkungen, wie sie innerhalb des unauffälligen Spracherwerbs beobachtet werden konnten. Der Unterschied zum unauffälligen Spracherwerb liegt lediglich darin, daß die Dysgrammatiker ein anderes Pluralflexiv als Defaultwert klassifiziert haben. Die Annahme, Dysgrammatiker könnten im frühkindlichen Spracherwerb keine Regeln erwerben (Gopnik 1994, Goad & Rebellati 1994), konnte mittels dieser Datenbasis ebenfalls nicht empirisch belegt werden und wurde zurückgewiesen. Die Annahme eines selektiven Defizits, das ausschließlich die Morphologie zur Markierung von grammatischen Kongruenzrelationen betrifft, konnte als einzige Möglichkeit herangezogen werden, um die hier untersuchte Form von Dysgrammatismus adäquat zu beschreiben und die unterschiedlichen Entwicklungsfortschritte zu erklären. Die vorliegende Studie hat empirische Evidenz dafür erbracht, daß diese Form von Dysgrammatismus als ein spezifisches, selektives Defizit, das Kongruenzmorphologie betrifft, charakterisierbar ist.

Literaturverzeichnis

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Anhang A Experiment 1: Elizitationsverfahren mit existierenden Wörtern zur Plural- und Kompositabildung (fixierte Zweitkonstituente) 1.

Beispiel zum Ablauf

(vgl. Bartke 1994; Clahsen et al. 1996) E = Experimentatorin; K = Kind E: K: E: K: E: K:

2.

Weißt du, was das ist ? Eine Feder. Jetzt gebe ich dir noch mehr. Was hast du nun ? Viele Feders. Jetzt kommt der Bernie und frißt die vielen Feders auf. Was ist das dann für ein Fresser ? Ein Federfresser

Transkriptionsbogen

Nachfolgend ist der für dieses Experiment entwickelte Transkriptionsbogen aufgeführt. In der ersten Spalte sind die vorgegebenen Wörter enthalten. In der zweiten Spalte wird die vom Kind gegebene Benennung des einzelnen Gegenstandes eingetragen. Wenn die Benennung durch die/den Untersucher/in vorgegeben wurde, wurde kein Eintrag vorgenommen. In die dritte und vierte Spalte wird die vom Kind generierte Pluralform bzw. das Kompositum eingetragen.

198 Flexion, Aufnahmedatum: Kind, Alter: Transkriptor: Test: Gordon Band: Item -n Plural Feder, die Fassung, die Schraube, die Münze, die -s Plural Auto, das Clown, der Bonbon, das Klo, das - 0 Plural Dübel, der Kabel, das Pflaster, das Haken, der irreg. Plurale Glas, das Tuch, das Schwamm, der Kranz, der

Singular

Plural

Kompositum

Anhang B Experiment 2: Produktionsexperiment mit variierender Zweitkonstituente zur Elizitation von Komposita 1.

Beispiel zum Ablauf

(vgl. Bartke 1994; Clahsen et al. 1996): E = Experimentatorin; K = Kind E K: E: E: K: E: K:

2.

(zeigt eine Karte mit mehreren Exemplaren eines Gegenstandes): Was siehst du auf diesem Bild ? Männer. Genau. Dann such dir mal irgendeine Karte dazu. (Kind sucht.) Was siehst du auf deiner Karte ? Das ist ein Fön. Und wenn ich jetzt deine Karte hinter die Karte klebe, auf der die Männer drauf sind, was für ein Wort bekomme ich dann ? Männerfön.

Transkriptionsbogen

Nachfolgend ist der für dieses Experiment entwickelte Transkriptionbogen angeführt. In die zweite Spalte des Bogens wird jeweils das vom Kind gebildete Kompositum eingetragen. Wenn das Kind eine Pluralform des vorgegebenen Gegenstandes (vgl. Spalte 1) nennt, so wird diese ebenfalls in diese Spalte eingetragen.

200 Flexion, Aufnahmedatum: Kind, Alter: Transkriptor: Test: KOMPI-Spiel Band:

Item -i Plural Sofas Babies Colas Teddies Radios -n Plural Rosen Socken Uhren Brillen Puppen -er Plural Männer Häuser Kinder Gläser -e Plural Gänse Ringe Schränke Stühle

Kompositum-Bildung des Kindes

Anhang C Experiment 3: Beurteilungsexperiment zur Pluralbildung bei Kunstwörtern Es wird hier nur das Material der Hauptstudie (2.Testreihe) vorgelegt (vgl. Bartke 1994; Bartke et al. 1996).

1.

Beispiele für die zwei unterschiedlichen semantischen Kontexte E = Experimentatorin; T1 = Teddy 1; T2 = Teddy 2 a) normaler Begriff E: Wußtest du, daß dieses kleine schwarze Dingsbums eine klot ist? T1: Ich hätte auch gerne Stiefel, an denen hinten solche kloten dran sind. T2: Du meinst Stiefel, an denen solche klots dran sind. b) Name E: Pröng, das Pferd, ist ein Arbeitspferd. In seinem Wägelchen kann pröng Lasten ziehen. Sein Sohn pröng hilft ihm oft dabei. T1: Die zwei pröngen sind wirklich fleißig. T2: Es sind die zwei pröngs, die so fleißig sind. c) existierendes Lexem Dach E: Dieses Haus gehört Tilko und Tanja. Sie wohnen so gerne darin, weil sie das Dach aus Stroh so schön finden. T1: Mir gefallen auch Dachs aus Stroh. T2: Du meinst Dachen, die aus Stroh gemacht sind.

2.

Beispiel zur Durchführung E = Experimentatorin; K = Kind; T1 = Teddie 1; T2 = Teddie 2 E: (zeigt ein Bild mit einem Phantasie-Tier) Dies ist BNAUPF. Sie liebt die Mittagsspaziergänge im warmen Sand. Aber am liebsten geht sie wohl mit ihrer kleinen Cousine Bnaupf spazieren. T1: Dann sind es ja die zwei bnaupfen, die hier spazieren gehen. T2: Ich denke, es sind die zwei bnaupfs, die wir hier sehen. K: 'Bnaupfs' ist richtig.

3.

Transkriptionsbogen

Der nachstehende Transkriptionsbogen, der speziell für dieses Experiment entwickelt wurde, enthält sowohl die im Experiment verwendete Reihenfolge der Testwörter als auch alle näheren Angaben zum jeweiligen Testwort. Die Beurteilung des Kindes wird durch einen Kreis um das entsprechende Flexiv angezeigt. Ebenso wird bei der Notierung der Version verfahren 1 . '

Die Abkürzungen in der Tabelle bedeuten: norm. = normaler Begriff, m = maskulin, f = feminin, ~ = kein grammatisches Genus.

202 Flexion, Datum: Name, Alter: Transkriptorin: Test: Die Weltreise Band: 1

Version 1

a

Item

vorgegebene Pluralkombination

Kontext/Genus

Leo

s - en

DEMO, Name

Tasse

en - s

DEMO,

b

c

d

existier. Wort en - s

Name/~

Name/-

norm./f

norm./m

mur

s - en

norm./f

norm./m

Name/-

Name/-

Gespenst

s - en

pund

en - s

Name/-

Name/-

norm./m

norm./f

fnöhk

en - s

norm./f

norm./m

Name/~

Name/-

Schwamm

s - en

__

__

__

bral

s - en

Name--

Name/-

norm./f

norm./m

fneik

en - s

norm./m

norm./f

Name/-

Name/-

Leiter

en - s



raun

s - en

norm./m

norm.f

Name/-

Name/-

pläk

s - en

Name/-

Name/-

norm./f

norm./m

Schwert

en - s norm./m

Name

Name/-

Name/-

norm./m

norm./f

__

__

fnähf

__

__

en - s

norm./f

pisch

s - en

Name/-

Koch

s - en

klot

snauk

__

en - s

norm./f

norm./m

Name/-

Name/-

pnähf

en - s

norm./m

norm./f

Name/-

Name/-

Nadel

s - en

plaupf

s - en

Name/-

Name/-

norm./f

norm.rn

spand

en - s

Name/-

Name/-

norm./m

norm./f

__

__



__

Blatt

en - s

kach

s - en

norm.f

norm./m

Name/-

Name/-

bnaupf

s - en

Name/-

Name/-

norm./m

norm./f

Schrank

en - s

-

-

-

-

203 (Fortsetzung Transkriptionsbogen)

pind

en - s

Name/~

Name/~

norm./f

norm./m

bneik

s - en

norm./m

nor./f

Name/-

Name/~

Bett

s - en









spert

en - s

norm./f

norm./m

Name/-

Name/-

pröng

en - s

Name/-

Name/~

norm./m

norm./f

Dach

s - en









wak

s - en

norm./m

norm./f

Name/-

Name/-

pleik

en - s

Name/~

Name/-

norm./f

norm./m

Brief

en - s









nuhl

s - en

Name/~

Name/-

norm.f/

nor./m

bnöhk

s - en

norm./m

norm./f

Name/~

Name/~

Ohr

en - s









Version 2

a

b

c

d

t

Die Testreihenfolgen der Versionen la bis ld. beginnen jeweils mit dem Item ftiähf und enden mit dem Item Ohr. Die Testreihenfolgen der Versionen 2a bis 2d beginnen jeweils mit dem Item Ohr und enden mit Item fnähf. Die beiden Items zur Einführung in das Ablaufschema sind in jeder Experimentdurchfuhrung identisch (Leo und Tasse).

Anhang D Experiment 4: Elizitationsverfahren zur Pluralbildung bei erfundenen und existierenden Wörtern 1.

Beispiele für die drei unterschiedlichen semantischen Kontexte

Wie in der Pilotstudie zu Experiment 3 wurden auch hier drei unterschiedliche semantische Kontexte zur Einfuhrung der Kunstwörter verwendet: normaler Begriff, Name und Entlehnung. Sie wurden nach dem Muster erstellt, das bereits in Anhang C/1.2 dargestellt wurde. a) Als normaler Begriff Das pind an meinem Fenster war ganz zerrissen. Jetzt habe ich vorsichtshalber gleich zwei neue gekauft.

b) Als Name Dieses Kind heißt pleik. Sein Onkel heißt auch pleik. So sind es schon zwei

.

c) Als Entlehnung Ira hat eine grüne bneik, die aus Italien kommt, gelutscht (Abbildung eines besonders geformten Bonbons), Sie hat noch viele .

2.

Beispiel zur Durchführung E = Experimentatorin; K = Kind

a) Mit einem Kunstwort als Name (Kind würfelt; E liest den Text des Kärtchens vor) E: Dieses Häschen heißt wie seine Geschwister fnähf. Du siehst also viele . K: Viele fnähfs. (K setzt die gewürfelte Zahl; E setzt die entsprechende Differenz zur Sechs.)

b) Mit einem existierenden Wort (Kind würfelt; E liest den Text des Kärtchens vor): Köchen) kochen klasse Kartoffelbrei. E: Viele (Abbildung von drei K: Viele Köche. (K setzt die gewürfelte Zahl; E setzt die entsprechende Differenz zur Sechs.)

3.

Transkriptionsbogen

Nachfolgend ist der für dieses Experiment entwickelte Transkriptionsbogen aufgeführt. Der erste Teil des Bogens enthält die Antworten für die existierenden Wörter, wobei die Antwort des Kindes in die zweite Spalte eingetragen wird. Im zweiten Teil des Bogens werden die Pluralbildungen der Kunstwörter notiert. In der Spalte der vorgegebenen Kunstwörter wird zusätzlich das Genus des entsprechenden Testwortes aufgeschrieben.

205 Flexion, Datum: Kind, Alter: Transkriptorin: Test: Blumenspiel (Anlegekarten) Band:

A) reale Wörter Item - 0 Plural 1. Schlüssel, der 2. Kuchen, der 3. Wecker, der -(e)n Plural 4. Tasse, die 5. Nadel, die 6. Leiter, die -s Plural 7. Lok, die 8. Taxi, das -e Plural 9. Maus, die 10. Koch, der -er Plural 11. Geist, der 12. Blatt, das

Äußerung des Kindes

206 B) Kunstwörter Item l.klot, normaler Begr. 2. pind, normaler Begr. 3. pnähf, normaler Begr. 4. fheik, normaler Begr. 5. spert Name 6. wak Name 7. pleik Name 8. fnähf Name 9. mur, Entlehnung lO.bral, Entlehnung 11. bnöhk, Entlehnung 12. bneik, Entlehnung

Äußerung des Kindes

Anhang E Inkorrekte Pluralformen in der Spontansprache Die Angaben in den Klammern stellen jeweils Kommentare zu der Äußerung des Kindes dar, die den Inhalt oder den Kontext der Äußerung erläutern.

1.

Dysgrammatiker

1.1 a) b) c) d) e) f)

Sebastian welch gefangen (= Ich habe welche gefangen...) un dann muß er schnür dranmachen hier sin pa pfeil (pa=paar, pfeil= Pfeile, die den Weg anzeigen) bis sehn sauriern (=bis man Saurier sieht) die auch sin vaters tigersl

1.2 a) b) c) d) e) f) g) h) i) j) k) 1) m) n) o) p) q) 1.3 a) b) c) d)

Peter bäum (Antwort auf: Gibt's denn hier Verstecke?) zwei schwein mit (=mitgehen) (Pluralkontext) engelchen chen wirft die bäum wieder um ich krieg rolläd der Christoph und ich krieg zwei rolläd un Christoph hab. drei heizung und ich hab nur zwei heizung und drei heizung i hab grei hei grei grei. heizung (= ich hab drei Heizungen) und zwei mutier da fliegt mehr fedel runtter (=bei dem Kanarienvogel fliegen mehr Federn runter) Schweinen (Peter zeigt auf ein Bild) fischen (Peter sagt, was er sieht) bäumen und Schweinen gewehren ich hab viele paketen schon Connie un velleick zwei loch schneiden der die emma die ham vier jacke und die vampir müssen aufpassen paar teil weg sind

208 1.4 a) b) c) d) e) f) g) h) i) j) k) 1) m) n) 0) p)

Dieter, 7;2 apfelbäum zokobanane (= Schokobanane) (Pluralkontext) zwei kink (= zwei kinder) zwei Schmetterling schmettterling (Antwort auf die Frage: Was sind das? Zwei?) zwei birne zwei apfel drei hut unser aufgabe (Antwort auf die Frage: Was macht der weg?) (Pluralkontext) der vater da lauf auch manchmal paar tieren rum (= Der Vater läuftmit den Tieren .../ Beim Vater laufen .../Um den Vater laufen .../...?) ich muß die Stühlen noch haben wir ham n hof für die autosse (=Autos) jetz hol ich die mensche ich brauch auch autosse (=Autos) autosse (=Autos) das is Streichhölzer (Singularkontext)

1.5 a) b) c) d)

Dieter, 12; 6 ham wir so bü/ so buch ge bekommen da liegen pizza auf der strecke da sin magnet so eh hügeln

1.6 a) b) c) d) e) f) g) h) 1) j) k)

David zwei film kenn ich noch da vorne is bi ganz viel pferd (=Da vorne sind ganz viel Pferde.) da war au paar bäum (=Da waren auch ein paar Bäme.) ... dann is'e kein bäum (=Und wenn Wüste kommt, dann gibt es keine Bäume) zwei auto zwei bürn (=Birnen) zwei stühl zwei Schmetterling so stocken drei stühlche da habe ähm wir gehört wie ganz obe diese mensche brechen (=Da haben wir gehört, wie ganz oben diese Menschen sprechen)

1.7 a) b) c) d) e) f) g) h) i) j)

Michael diese paar pflanze ganz viel pflanze esse da lachen die fis (=Da lachen die Fische) diese pflanze esse (=Diese Dinosaurier essen Pflanzen) mi (=Michi) noch sieh lauter tane (=Tannen) zwei junge paar bunte (=ein paar Blumen) drei miesekatze un eine fliege so drei mücke draas (=Gras) und und bume (Pluralkontext)

209 k) 1) m) n) o) p) q) r) s)

zwei junge fußball piel und paa bunte ( paar Blumen) ein/ drei junge (Pluralkontext) diese ei nummer eins pfei (=zwei) auto habe in hänte (=Hände) die pflanze esse (=Die Dinosaurier essen Pflanzen) dreihörnern (Saurierart; Pluralkontext) nur hip (=Supermarkt) hat dinosauriers dies diese manne (=Männer) einmal Schokolade und paar buche

2.

Kontrollkinder

2.1 a) b)

David zwei kochs und wenn ihr zwei koffers habt?

2.2

Mario

2.3 a)

Anja jungs (Pluralkontext)

2.4 Danilo a) die hero-turtel im fernseher sind märchen (in allen weiteren Pluralkontexten (n=5) verwendet Danilo hierfür eine -s Pluralform, z.B. in und die hero-turtels wolln das verhindern) 2.5 a)

Imke und # und pedalen

2.6 a ) b)

Frank jungem mädchens

2.7 a) b)

Max wo man hufen oder 'ne ei (=eins) oder 'ne oder 'ne eins gekriegt hat und vier hufen

2.8

Alberta