Hier und jetzt: Studien zur lokalen und temporalen Deixis im Deutschen [Reprint 2010 ed.] 9783111353937, 9783484302839

Die Buchreihe Linguistische Arbeiten hat mit über 500 Bänden zur linguistischen Theoriebildung der letzten Jahrzehnte in

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German Pages 194 [196] Year 1992

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Table of contents :
Vorwort
1. Einleitung
2. Positionale Lokaldeixis
2.1. Das Wortfeld der lokalen Deixis
2.2. Die Oppositionen der positionalen Situationsdeixis im Deutschen
2.3. Positionale Diskursdeixis
2.4. Zusammenfassung
3. Temporale Deixis I: Tempus und Aktionsart
3.1. Sprachliche Kategorien der temporalen Bedeutung
3.2. Die Analyse des bloßen Tempus im Deutschen
3.3. Aktionsarten
3.4. Situationssemantische Deutung der Reichenbach-Kategorien
3.5 Perfekt und Präteritum im Deutschen
3.6. Zusammenfassung
4. Temporale Deixis II: Tempus und Temporaladverbien (TADV)
4.1. Die lexikalische Bedeutung der Temporaladverbien
4.2. Tempus und Adverbien: Die adverbiale Modifikation der Vergangenheitstempora
4.3. Zusammenfassung
5. Temporale und lokale Anaphorik im Diskurs
5.1. Prinzipien der Diskursorganiation: Chronologieprinzip und Rahmenprinzip
5.2. Die Suspendierung der Diskursprinzipien
5.3. Die temporale Festlegung räumlicher Referenz
5.4. Zusammenfassung
6. Schlussbemerkungen: Ergebnisse und offene Fragen
Literatur
Quellen
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Hier und jetzt: Studien zur lokalen und temporalen Deixis im Deutschen [Reprint 2010 ed.]
 9783111353937, 9783484302839

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Linguistische Arbeiten

283

Herausgegeben von Hans Altmann, Peter Blumenthal, Herbert E. Brekle, Gerhard Heibig, Hans Jürgen Heringer, Heinz Vater und Richard Wiese

Veronika Ehrich

Hier und Jetzt Studien zur lokalen und temporalen Deixis im Deutschen

Max Niemeyer Verlag Tübingen 1992

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Ehrich, Veronika: Hier und jetzt: Studien zur lokalen und temporalen Deixis im Deutschen / Veronika Ehrich. - Tübingen : Niemeyer, 1992 (Linguistische Arbeiten ; 283) NE:GT ISBN 3-484-30283-6

ISSN 0344-6727

© Max Niemeyer Verlag GmbH & Co. KG, Tübingen 1992 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Druck: Weihert-Druck GmbH, Darmstadt Einband: Hugo Nadele, Nehren

Inhalt Vorwort 1. Einleitung 2. Positionale Lokaldeixis 2.1. Das Wortfeld der lokalen Deixis 2.2. Die Oppositionen der positionalen Situationsdeixis im Deutschen 2.3. Positionale Diskursdeixis 2.3.1. Verwendungsweisen der positionalen Diskursdeixis 2.3.2. Positionale Diskursdeixis und syntaktische Bindungstheorie 2.3.3. Positionale Diskursdeixis und Thema-/Rhemagliederung 2.3.4. Diskursreferenten für die positionale Diskursdeixis 2.4. Zusammenfassung

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3. Temporale Deixis I: Tempus und Aktionsart 3.1. Sprachliche Kategorien der temporalen Bedeutung 3.2. Die Analyse des bloßen Tempus im Deutschen 3.3. Aktionsarten 3.3.1. Zur Abgrenzung von Aktionsart und Aspekt 3.3.2. Klassifikation der Aktionsarten 3.3.3. Situationssemantische Deutung der Aktionsarten 3.4. Situationssemantische Deutung der Reichenbach-Kategorien 3.5 Perfekt und Präteritum im Deutschen 3.5.1. Hypothesen zu den deutschen Vergangenheitstempora 3.5.2. Die Analyse des bloßen Perfekts 3.5.3. Das bloße Präteritum als anaphorisch.es Tempus 3.6. Zusammenfassung

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4. Temporale Deixis : Tempus und Temporaladverbien (TADV) 4.1. Die lexikalische Bedeutung der Temporaladverbien 4.1.1. Subkategorien von TADV 4.1.2. Semantische Differenzierungen im Bereich der situativen Temporaladverbien 4.1.3. Semantische Differenzierungen im Bereich der anaphorischen Temporaladverbien 4.1.4. Situative Temporaladverbien in diskursdeiktischer Funktion 4.1.5. Rahmen- und Orientierungsadverbiale

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VI

4.2. Tempus und Adverbien: Die adverbiale Modifikation der Vergangenheitstempora 4.2.1. Die adverbiale Modifikation von Präteritum und Perfekt 4.2.2. Die Modifikation des Perfekts durch situative Orientierungsadverbien der Kategorien POST und SIM 4.2.3. Die Modifikation des Präteritums durch situative Orientierungsadverbien der Kategorien POST und SIM 4.2.4. Die adverbiale Modifikation des Plusquamperfekts 4.2.5. Doppelperfekt und Doppelplusquamperfekt 4.3. Zusammenfassung

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5. Temporale und lokale Anaphorik im Diskurs 5.1. Prinzipien der Diskursorganiation: Chronologieprinzip und Rahmenprinzip 5.2. Die Suspendierung der Diskursprinzipien 5.3. Die temporale Festlegung räumlicher Referenz 5.4. Zusammenfassung

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6. Schlussbemerkungen: Ergebnisse und offene Fragen

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Literatur

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Quellen

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Wo sich berühren Raum und Zeit, Am Kreuzpunkt der Unendlichkeit, Ein Pünktchen im Vorüberschweben Das ist der Stern, auf dem wir leben. Wo kam das her, wohin wird es wohl gehen? Was hier erlöscht, wo mag das auferstehen? - Ein Mann, ein Fels, ein Käfer, eine Lilie Sind Kinder einer einzigen Familie. Das All ist eins. Was "gestern" heißt und "morgen" Ist nur das Heute unserm Blick verborgen. Ein Köm im Stundenglase der Äonen Ist diese Gegenwart, die wir bewohnen. Dein Weltbild, Zwerg, wie du auch sinnst, Bleibt ein Phantom, ein Hirngespinst. Dein Ich - das Glas, darin sich Schatten spiegeln, Das "Ding an sich" - ein Buch mit sieben Siegeln. ... Wo sich berühren Raum und Zeit, Am Kreuzpunkt der Unendlichkeit Wie Windeswehen in gemalten Bäumen Umrauscht uns diese Welt, die wir nur träumen. Mascha Kaleko

Vorwort Das vorliegende Buch geht inhaltlich zurück auf verschiedene Projekte am Max-PlanckInstitut für Psycholinguistik in Nimwegen. Die Mitglieder des Projekts "Reference to Space and Time", allen voran Manfred Bierwisch und Wolfgang Klein, haben meine Arbeit stark beeinflußt, mehr als ich gelegentlich wahrhaben mochte. Wertvolle Hinweise verdanke ich auch Bernard Comrie und Michael Herweg sowie meinem immer gesprächsbereiten Kollegen Claus Heeschen. Heinz Vater hat zahllose Anregungen und kritische Hinweise beigesteuert. Die Zusammenarbeit mit ihm hat den Grundstein zu diesem Buch gelegt, ohne seine selbstlose Unterstützung hätte ich es nicht geschrieben. Ganz besonders möchte ich Yves W. Fuchs danken, der unzählige Vorfassungen wieder und wieder getippt hat, ohne je die Geduld zu verlieren. Sylvia Aal hat mit großer Sorgfalt die Druckvorlage hergestellt, Inge Tarim die Zeichnungen. Schließlich sind mein Söhne, Johannes und Fabian, zu nennen, die mich täglich an die außersprachliche Realität erinnerten. Dafür kann ich nicht dankbar genug sein.

Nimwegen, im April 1992

1. Einleitung Was wir tun und was wir erfahren, vollzieht sich an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit. Alles Handeln und alle Erfahrung ist orts- und zeitgebunden. Das gilt für materielle Handlungen und Erfahrungen (wie das Pflanzen eines Baumes, das Bauen eines Hauses, das Geborenwerden oder das Heranwachsen) ebenso wie für symbolische Handlungen (Begrüßen und Abschiednehmen, Auffordern und Versprechen, Zustimmen und Verneinen). Materielle Handlungen haben nicht notwendig einen symbolischen Gehalt, symbolische Handlungen sind aber immer an materielle Realisationen gebunden: Einer Begrüßung wird durch das Lüften des Hutes, durch Verbeugen, Kopfnicken, Lächeln oder durch das Äußern einer entsprechenden Folge von Sprachlauten Ausdruck gegeben; in jeder dieser Handlungen kann sich derselbe symbolische Gehalt mit einer anderen Realisationsform verbinden. Es ist diese Verknüpfung mit materiellen Handlungen, die symbolische Akte in Raum und Zeit einbindet. Zeigegesten sind symbolische Handlungen, die sich materiell durch eine Bewegung des Arms, der Hand, des Fingers oder des Kopfs realisieren und die symbolisch für Personen, Dinge oder Handlungsanweisungen stehen (wenn z.B. das Zeigen in Richtung Türe soviel heißt wie 'Geh raus!'). Der Symbolwert des Zeigens ist nicht nur abhängig von Ziel und Richtung der Geste, sondern auch von ihrem Ursprung (der origo). Stehen sich zwei Personen gegenüber und jede zeigt geradeaus, so verweist die "gleiche" Handlung auf verschiedene Personen oder Orte. Der Zeigegeste kann also unabhängig von den Umständen ihrer Verwendung (und dazu gehört der Ursprung der Handlung ebenso wie ihre Umgebung und ihr Ziel) keine symbolische Deutung zugeschrieben werden. Dies ist der Kernpunkt der Bühler'schen Theorie der (sprachlichen) Deixis (Bühler 1934; cf. auch Cassirer 1923) und der Ausgangspunkt (die origo) der vorliegenden Arbeit. Für die Referenz auf Raum und Zeit spielt die Deixis eine zentrale Rolle, nicht nur deshalb, weil unsere sprachlichen Handlungen durch ihre materielle Realisation selbst an Raum und Zeit gebunden sind (das gilt auch für die Verwendung anderer Teilsysteme der Sprache), sondern weil für die kognitive Orientierung in Raum und Zeit der Bezug auf die Position des Selbst unumgänglich ist: In der Weite des Raums müssen wir uns Fixpunkte setzen, die es erlauben, den Raum in einer der begrenzten Wahrnehmung zugänglichen Weise zu strukturieren. Das ego als Ursprung (origo) ist dabei nicht der einzige, wohl aber der zentrale (weil unter allen Umständen verfügbare) Fixpunkt. Die Trennung des 'Hier* vom 'Nicht-Hier' ist daher grundlegend für die Strukturierung des Raums. Die Sprachen haben dementsprechend ein mindestens zweigliedriges System der räumlichen Deixis, das die Umgebungen von ego und alter einander gegenüberstellt, viele Sprachen haben ein weitaus komplexeres System (Weissenborn & Klein 1982). Die Setzung von Fixpunkten (reference points) und (imaginären) Verbindungslinien zwischen ihnen erlaubt es uns, Grenzen zu definieren, die den allumfassenden Raum in Teilräume untergliedern. Jeder durch Fixpunkte abgegrenzte Teilraum hat eine unmit-

telbare Nachbarschaft und schließt andere Teilräume in sich ein. Die topologisehen Grundrelationen "Enthaltensein" und "Nachbarschaft" spielen daher eine zentrale Rolle für die kognitive Strukturierung des Raums. In den Sprachen schlägt sich dies auf zweifache Weise nieder. Zum einen haben viele, wenngleich nicht alle, Sprachen topologische Raumbegriffe (wie dt. an, bei, in, um), die auf Inklusions- und Nachbarschaftsrelationen zwischen Raumregionen Bezug nehmen. Zum anderen bauen die Teilsysteme der sprachlichen Raumdeixis auf topologischen Begriffen auf: Das 'Hier' schließt die Position des Sprechers als origo ein und die distale 'Dort'-Region schließt sie aus. Auch die Erfahrung der Dreidimensionalität des Raums ist gekoppelt an das Selbst als Ursprung der räumlichen Wahrnehmung und seine psychobiologische Ausstattung:1 Die vertikale Dimension (oben, unten) wird uns vermittelt durch die vestibular gesteuerte Erfahrung der Schwerkraft, die beiden Horizontalen durch die davon abhängige Erfahrung der Lateralität (links, rechts) und durch die Gerichtetheit der visuellen Wahrnehmung (vorn, hinten). Die sprachlichen Richtungsbegriffe (Präpositionen und Adverbien), welche auf dimensionale Eigenschaften von Raumkonstellationen Bezug nehmen, reflektieren den Bezug auf das Selbst als Ursprung der Dimensionserfahrung: Sie sind grundlegend deiktischer Natur, ihre semantische Interpretation hängt ab von der (aktuellen oder kanonischen) Orientierung eines (imaginären) Betrachters. Dabei ergibt sich aus der Tatsache, daß Präpositionen ein gegebenes Objekt (Thema) nicht nur relativ zur Sprecherorigo, sondern auch relativ zu einem vorgegebenen Bezugsobjekt (Relatum) lokalisieren, eine Perspektivenmehrdeutigkeit zwischen der Betrachterorientierung (deiktische Interpretation) und der Orientierung des Relatums (intrinsische Interpretation). (Vgl. dazu Fillmore 1971, 1982; Miller & Johnson-Laird 1976; Wunderlich 1982; Ehrich 1985). Die Erfahrung der Zeit ist wesentlich abstrakter als die des Raums, Zeigegesten erfassen nur die räumliche Umgebung, zeitliche Gegebenheiten können wir dagegen weder sehen noch darauf zeigen. Der Zeitbegriff orientiert sich an Wechsel und Wiederkehr astronomischer Raumkonstellationen (Mondphasen, Stand der Sonne und der Gestirne) und entwickelt sich im Zusammenhang mit der Erfahrung von Bewegung und Veränderung in der Umgebung der Alltagswelt (die Mutter kommt und geht, es wird hell und dunkel und wieder hell, die Bäume werden grün, die Blätter fallen etc.) Die Erfahrung der Zeit basiert auf der Wahrnehmung und dem Erfassen von Zustandsveränderungen im Raum und ist damit gegenüber dem Raumbegriff und dem Ereignisbegriff sekundär. Daraus erklärt sich, daß die Zeit in wesentlichen Punkten gleich oder ähnlich wie der Raum konzeptualisiert wird, nämlich als infinit, dicht und (ein)dimensional. Entsprechend gibt es in den Sprachen neben den deiktischen, topologischen und dimensionalen Raumbegriffen auch deiktische, topologische und dimensionale Zeitbegriffe (vgl. dt. hier, jetzt; am Bahnhof, am Abend; vor dem Haus, vor dem Abendessen).

l Trotz dieser Koppelung sind die dimensionalen Richtungsbegriffe aber nicht universal; z.B. hat das Guugu Yimidhirr keine sprachlichen Dimensionsbegriffe, sondern geographische Kennzeichnungen ("dort, wo die Sonne aufgeht") (Haviland 1979).

Ich unternehme in dieser Arbeit den Versuch, Raum- und Zeitdeixis in einem weitgehend einheitlichen Begriffsrahmen zu analysieren. Das legt den Verweis auf den in der Relativitätstheorie entwickelten Begriff der Raumzeit nahe, der Raum und Zeit als Koordinaten eines gemeinsamen Bezugssystems faßt. Der physikalische Begriff von Raum und Zeit spielt in dieser Arbeit jedoch keine Rolle. Die Entwicklung der physikalischen Theorien hat im 20. Jahrhundert einen rasanten Verlauf genommen (vgl. Hawking 1988), mit dem die sozialen Alltagstheorien über Raum und Zeit und die darauf basierenden Sprachbegriffe nicht schritthalten können. Das liegt daran, daß physikalische Theorien durch technische Messungen bestätigt oder verworfen werden, die der Wahrnehmung mit dem bloßen Auge nicht zugänglich sind und sich unserer Vorstellungskraft daher entziehen. Wohl ändert sich auch der nicht-physikalische, soziale Zeitbegriff in dem Maße, in dem etwa die Zeitrechnung von der bloßen Beobachtung der Gestirne auf mechanisierte Meßinstrumente (z.B. Uhren) verlagert oder durch sie abgesichert wird (Elias 1984). Eine feststellbare Auswirkung auf die Sprachbegriffe hat diese Verlagerung vornehmlich im Bereich der Kalenderangaben im weitesten Sinne. Ein Beispiel dafür ist in jüngster Zeit die Verdrängung analoger Uhrzeitangaben (halb vier) durch digitale (15.30). Die deiktischen Sprachbegriffe für Raum und Zeit sind jedoch von wenigen Kalenderadverbien (wie gestern, heute, morgen) abgesehen nicht-metrischer Natur. Sie denotieren Positionen in Raum und Zeit, die sich relativ zu der als origo etablierten Sprecherposition topologisch, aber nicht metrisch differenzieren lassen. Insofern erscheint es mir legitim, hier auch von einer kultursoziologischen Darstellung der Alltagsbegriffe von Raum und Zeit wie sie Elias vornimmt abzusehen. Im Zentrum der vorliegenden Arbeit steht das Problem der origo-Sctzung: Wie stellen wir (als Sprecher) den sprachlichen Verweis auf Räume und Zeiträume so her, daß (für den Hörer) deutlich wird, von welchem Ursprung her eine gegebene Raumkonstellation gesehen oder eine zeitliche Zuordnung getroffen worden ist? Welche Ausdrucksmittel stellt uns eine bestimmte Sprache (in unserem Fall das Deutsche) für die Lösung dieser Aufgabe zur Verfügung, welches ist die kontextunabhängige Bedeutung dieser Ausdrucksmittel und wie werden sie in einem gegebenen Situationskontext oder Textzusammenhang interpretiert? Die Semantik der deiktischen Ausdrücke hat zwei Aspekte, den Sinnaspekt und den Referenzaspekt (Frege 1892). Einerseits nämlich kommt den verschiedenen Zeigwörtern eine eigene, vom Kontext ihrer Verwendung unabhängige, begriffliche Bedeutung (= Sinn) zu, was sich schon daran zeigt, daß sie nicht füreinander substituierbar sind: Hier gehört zu einem anderen Begriffssystem als jetzt (Lokalität vs. Temporalität), vorhin benennt eine andere Zeitrelation als bald (Anteriorität vs. Posteriorität), vorn bezieht sich auf eine andere Dimension als oben (Horizontalität vs. Vertikalität). Andererseits ist die Deutung eines gegebenen Zeigwortes nicht unabhängig von den Parametern der jeweiligen Sprechsituation (Sprecher, Hörer, Ort, Zeit). Wer ich ist und wer du, wo hier ist und wo dort, wann jetzt ist und wann später, das ist so flüchtig wie die Rede selbst und wie die Zeit, in der sie verläuft. Jeder Zug (turn) in einem Dialog legt den Bezug der deiktischen Ausdrücke im Prinzip neu fest.

Die Analyse der begrifflichen Bedeutung (Sinnbedeutung) wird traditionell und über die Grenzen der verschiedenen Theorieansätze hinweg der Ebene der Semantik zugerechnet. Wenn es überhaupt eine Rechtfertigung gibt für eine gegenüber den Ebenen der kognitiven Repräsentationen und der Pragmatik autonome Ebene der Semantik, so ist es die, daß in der Semantik die kontextinvariante Bedeutung der sprachlichen Ausdrücke repräsentiert wird. Der spezielle Charakter der semantischen Repräsentationen - in Bedeutungspostulaten, Merkmalskomplexen oder Funktor-/Argumentstrukturen spielt dabei für die Frage nach der Autonomie der Semantik keine Rolle. Der referentielle Aspekt der sprachlichen Bedeutung läßt sich der Pragmatik zurechnen, weil die Referenz eines (deiktischen) Ausdrucks nicht unabhängig vom Kontext seiner Verwendung ermittelt werden kann. Eine pragmatische Theorie der Referenz wird im Rahmen der sprachanalytischen Philosophie z.B. von Strawson (1950) und von Donnellan (1966, 1978) vertreten. In der modelltheoretischen Semantik haben sich dagegen Ansätze zur Semantisierung der referentiellen Bedeutung durchgesetzt. Montague (1973) und mit ihm vor allem Lewis (1972) fassen den Sinn bzw. die Intension eines sprachlichen Ausdrucks als Funktion auf, die einem n-Tupel von Kontextparametern in ihrem Argumentbereich ein Element aus ihrem Wertebereich als Extension zuordnet. Stalnaker (1974, 1979) argumentiert, daß die Analyse der Referenz, selbst wenn man sie der Semantik zuordnet, auf zwei Ebenen operieren muß. Auf der ersten Ebene werden Sätze in dekontextualisierte Propositionen übersetzt, in denen die kontextabhängigen, also vor allem die deiktischen, Ausdrücke eliminiert, d.h. durch ihren jeweils absoluten Wert substituiert werden. (So wird z.B. hier auf dieser Ebene durch in Kleve ersetzt). Auf der zweiten Ebene kann dann der dekontextualisierten Proposition ein Wahrheitswert zugeordnet werden. Verzichtet man auf den Zwischenschritt der Dekontextualisierung, läßt sich die synthetische Bedeutung eines Satzes wie Ich bin hier nicht rekonstruieren, und es bleibt allein eine analytische Lesart (Der Sprecher ist, wo er ist) übrig. Bierwisch (1983) zeigt in seiner Analyse von Institutionsbegriffen wie Schule, Theater, etc., daß über den Bereich der Individuenausdrücke hinaus von einer dualen Bedeutungstheorie auszugehen ist. Bierwisch unterscheidet zwei Ebenen der Bedeutungsanalyse: Auf der Ebene der Semantischen Repräsentation wird einem Ausdruck eine invariable, abstrakte Bedeutung (Semantische Form, SF) zugeordnet, welche bestimmte Kontex tparameter spezifiziert, die auf dieser Ebene offen bleiben. Auf der Ebene der Konzeptuellen Struktur (CS) werden die Kontextparameter fixiert, so daß auf dieser Ebene einem Ausdruck - unter Zugrundelegung seiner SF und mit Rekurs auf den Kontext seiner Verwendung - eine konkrete Deutung (interpretation-in-context) zugewiesen werden kann. Eine radikale Alternative zur dualen Bedeutungstheorie vertritt Jackendoff (1983, 1990). Er geht davon aus, daß die Bedeutung sprachlicher Ausdrücke ausschließlich auf der Ebene mentaler Konzepte zu spezifizieren ist, womit das Postulat einer autonomen Ebene der semantischen Repräsentation entfällt. "Semantic structure is conceptual structure" - diese auf der Basis vor allem gestaltpsychologischer Argumente zum Programm erhobene These ist, wenn man Prozesse der Sprachverarbeitung (Produktion und Verstehen) berücksichtigt, empirisch allerdings widerlegbar (cf. Levelt 1989; Levelt & Schriefers 1987). Vom linguistischen Standpunkt her gesehen kommt in

Jackendoffs Ansatz vor allem der Gesichtspunkt der Referenz und damit insbesondere der der Deixis zu kurz. Auch wenn man, wie Jackendoff es vorschlägt, die Referenten von Namen, Pronomen und definiten Deskriptionen in der vorgestellten Welt (projected world), statt in der realen aufsucht, bleibt analytisch zu trennen zwischen der generellen Feststellung, daß THE DOG, die token-Instantiierune des Typs DOG ist, und der besonderen Feststellung, daß sich THE DOG in einer bestimmten Situation auf einen ganz bestimmten Hund (Fido) bezieht. Ich gehe den Vorschlägen von Bierwisch folgend in dieser Arbeit von einer dualen Bedeutungstheorie aus und unterscheide zwischen der invariablen Bedeutung sprachlicher Ausdrücke einerseits und ihrer kontextuellen Deutung andererseits. Die Unterscheidung zwischen Bedeutung und Deutung entspricht dabei im wesentlichen der von Bierwisch getroffenen Unterscheidung zwischen Semantischer Form (SF) und konzeptueller Struktur (CS). Allerdings enthält die vorliegende Schrift anders als die Arbeiten von Bierwisch keine expliziten Konjekturen hinsichtlich des Formats, in dem konzeptuelle Information repräsentiert ist. Annahmen dieser Art reichen über den Bereich dessen hinaus, was in der Linguistik begründet vertreten werden kann, und sprengen den Rahmen einer primär auf die Behandlung einzelsprachlicher Fakten ausgerichteten Analyse. Ich beschränke mich daher auf die Teilbereiche der konzeptuellen Information, für die die linguistische Pragmatik gut begründete Beschreibungs- und Erklärungsmodelle entwickelt hat (Wunderlich 1972, 1974, 1976; Levinson 1983). Zentral ist dabei die von Grice (1967) entworfene Theorie der Konversationellen Implikaturen und ihre Weiterentwicklung durch Gazdar (1979); AÜas & Levinson (1981); Hörn (1985); und Levinson (1987a,b, 1988). Konversationelle Implikaturen sind pragmatische Schlußfolgerungen, welche die wörtliche Bedeutung einer Äußerung bzw. die Folgerungen daraus (teilweise) außer Kraft setzen. Sie operieren auf der Basis von vier Konversationsmaximen (der Qualität, der Quantität, der Relevanz und der Transparenz), denen ein allgemeines Kooperationsprinzip zugrundeliegt. In der Grice-Nachfolge spielen die - von den Randbedingungen der jeweiligen Kommunikationssituation unabhängigen Generalisierten Konversationellen Implikaturen (GKI) eine besondere Rolle. Sie werden zur Interpretation von "logischen" Ausdrücken (Quantoren, Konjunktionen etc.) sowie zur Auflösung von syntaktisch nicht gebundenen Anaphern im Diskurs herangezogen. Diese Weiterentwicklung der Grice'sehen Maximen zwingt dazu, das Verhältnis von Grammatik und Pragmatik neu zu überdenken. Die klassische, von Grice selbst nahegelegte Position ist die, daß auf der Basis der wörtlichen Bedeutung der verwendeten Ausdrücke der propositionale Gehalt einer Äußerung rekonstruiert wird (Ebene der Semantik). Läßt sich dieser in einem gegebenen Kontext nicht mit den Konversationsmaximen in Einklang bringen, dann (und nur dann) wird auf dem Wege einer konversationellen Implikatur eine andere als die der wörtlichen Bedeutung entsprechende Interpretation gesucht. Die Pragmatik ist damit der Semantik klar nachgeordnet. Wenn es nun jedoch so ist, daß der propositionale Gehalt einer Äußerung erst auf der Basis einer pragmatischen Schlußfolgerung identifiziert werden kann, weil Quantorenausdrücke, Konjunktionen und Anaphern ihre Deutung auf der Grundlage von GKIs erhalten, kehrt sich das Verhältnis von Semantik und Pragmatik um: Pragmatische Prinzipien operieren,

bevor einer Proposition ein Wahrheitswert zugeordnet werden kann. Ist die pragmatische Bedeutungsanalyse der semantischen damit logisch übergeordnet bzw. läßt sich überhaupt zwischen Semantik und Pragmatik eine klare Grenze ziehen? Dies ist die auch für andere Bereiche der Sprachtheorie gestellte - Frage nach der Modularität der verschiedenen Analyseebenen. Sie hat einen prozeß- und einen repräsentationsspezifischen Aspekt. Unter Prozeßgesichtspunkten ist zu fragen, wie Sprecher und Hörer auf verschiedene Wissenssysteme Wif Wj zugreifen, in einer strikt seriellen Abfolge (modulares Prozeßmodell), in der erst alle Information von Wj und dann alle Information von Wj verarbeitet wird, oder in einer gemischten Abfolge, in der Operationen auf den verschiedenen Ebenen sich wechselseitig beeinflussen (interaktives Prozeßmodell) (vgl. Ehrich 1987). Ein modulares Prozeßmodell ist nur mit einem modularen Repräsentationsmodell verträglich. Interaktive Prozeßmodelle verlangen aber keineswegs ein interaktives Repräsentationsmodell, bei dem die verschiedenen Ebenen der Wissensrepräsentation ineinandergreifen. Selbst wenn der Zugriff auf verschiedene Wissensbereiche interaktiv verläuft, können diese doch auf getrennten Ebenen, d.h. in verschiedenen Modulen, repräsentiert sein. Die Modularität der Zugriffsprozesse ist damit unabhängig von der Modularität der Repräsentationsebenen zu begründen. Ich mache in dieser Arbeit keine speziellen Annahmen über die Prozeßcharakteristiken der Sprachverarbeitung (vgl. dazu Levelt 1989) und vertrete im Hinblick auf die Repräsentation sprachlichen Wissens den konservativ-modularen Standpunkt, d.h. ich fasse Semantik und Pragmatik als getrennte Ebenen auf, wobei ich die Pragmatik als ein Teilsystem konzeptuellen Wissens betrachte. Die auf den Gesichtspunkt der Wissensrepräsentation eingeschränkte Modularitätshypothese ist mit der neueren Entwicklung der Linguistischen Pragmatik durchaus vereinbar. Skalare Implikaturen, aufgrund derer wir einige Studenten als nicht alle Studenten deuten, operieren nämlich - systematisch, also nicht prozeßorientiert betrachtet - auf der wörtlichen Bedeutung der zu interpretierenden Ausdrücke, welche uns z.B. sagt, daß alle semantisch stärker, weil umfassender, ist als einige, In der hier vorgelegten Analyse unterscheide ich zwischen der semantisch festgelegten Bedeutung und der pragmatisch determinierten Deutung deiktischer Ausdrucksmittel. Die lexikalische Bedeutung der deiktischen Adverbien wird - entsprechend den Vorschlägen von Bierwisch - auf der Grundlage topologischer Charakterisierungen im -Format (Kap. 2.1.; 4.1.) charakterisiert. Die pragmatische Deutung ergibt sich aus skalaren Implikaturen im Sinne von Hörn und Levinson. Die grammatische Bedeutung der Tempusformen (Kap. 3.2.) rekonstruiere ich im Rahmen einer situationssemantisch interpretierten Version des Reichenbach-Schemas (Reichenbach 1947) mit seiner Unterscheidung zwischen Ereigniszeit, Referenzzeit und Sprechzeit. Die jeweilige Deutung einer Tempusform ergibt sich aus der Tempusbedeutung und der Aktionsartbedeutung des temporalisierten Verbs. Die Unterscheidung nach Aktionsarten spielt damit für die Tempusanalyse eine zentrale Rolle (Kap. 3.3.). In der zusammenhängenden Rede, in der verschiedene Ereignisse zu Geschichten und komplexen Situationen zusammengefaßt werden, reicht die elementare Sprecher/Hörer-origo zur Strukturierung der Zusammenhänge zwischen einzelnen Subregionen eines komplexen Ereignisraums oder einzelnen Episoden einer Geschichte nicht aus.

Nicht nur wie das Erzählte sich zum primären hie et nunc der aktuellen Rede verhält, sondern auch wie die einzelnen Elemente des Erzählten (Berichteten) sich zueinander verhalten, muß deutlich werden. Es sind daher sekundäre origines (als verschobene oder als zusätzliche Referenzpunkte) einzuführen und sprachlich zu markieren, die die wechselseitigen Bezüge zwischen den in der Rede erwähnten (oder vorausgesetzten) Ereignissen mitsamt ihrer Situierung in Raum und Zeit deutlich machen. Sprachlich wird auf sekundäre origines durch Lokal- und Temporalanaphem (z.B. dt. da, dort, damals, dann, danach) Bezug genommen. Anaphorische Ausdrücke sind in der Regel funktionale Ableitungen aus dem System der primären Deixis und lassen sich linguistisch mit einem ähnlichen oder sogar demselben Analyseinventar wie die primären Deiktika beschreiben. Im Zentrum der vorliegenden Arbeit stehen daher die lokalanaphorischen (Kap. 2.3. und Kap. 5.) und die temporalanaphorischen (Kap. 3.5.; 4.1.) Beziehungen zwischen Sätzen. Eine zentrale Rolle kommt in dieser Arbeit ferner den Prinzipien für die Kombination von Tempus und Adverbien zu (Kap. 4.2.). Ich nehme in diesem Zusammenhang die traditionelle Unterscheidung zwischen Ereigniszeit- und Referenzzeitmodifikation wieder auf. Damit bleibe ich - vom Standpunkt eines formal-logisch orientierten Ansatzes her gesehen - unter dem Anspruchsniveau der gegenwärtig kursierenden kompositionellen Theorien, in denen die verschiedenen Deutungen für Tempus/Adverbkombinationen durch den Skopus des jeweiligen Adverbs erklärt werden. Ich halte eine Skopusanalyse im Prinzip für richtig und wünschenswert, ihre Ausformulierung, z.B. durch Ballweg (1988a,b), vom Standpunkt einer Theorie der Deixis her gesehen aber für explanativ inadäquat, weil sie die Distinktion zwischen der situativ-deiktischen und der anaphorischen Deutung von Adverbien nicht berücksichtigt. Die anaphorische Referenz auf Raum und Zeit wird im Diskurs durch globale Prinzipien der Diskursorganisation (Kap. 5.1.) gesteuert, die unter bestimmten Bedingungen suspendiert werden können und müssen. Einige dieser Bedingungen diskutiere ich in den Kapiteln 5.2. und 5.3. Diese Diskussion ist nicht erschöpfend. Sie kann es nicht sein, weil in der hier vorgelegten Arbeit der Beitrag der lexikalischen und der grammatischen Bedeutung zur Interpretation von Texten den Vorrang hat gegenüber dem Beitrag der Diskursprinzipien. Damit soll über die tatsächliche Gewichtung mikro- und makrostruktureller Strukturmechanismen für Diskursproduktion und Diskursverstehen in der aktuellen Rede keine Vorentscheidung getroffen sein. Wie, d.h. in welcher Reihenfolge und mit welcher Gewichtung, Sprecher und Hörer auf lexikalisches und grammatisches Wissen (Mikrostrukturebene) bzw. auf rhetorisches Wissen (Makrostrukturebene) zugreifen, das übersteigt den Rahmen einer rein linguistischen Betrachtung und bedarf einer psychologisch-empirischen Untersuchung, für die die vorliegende Arbeit allenfalls eine sprachwissenschaftliche Ausgangsbasis legen kann.

2. Positionale Lokaldeixis 2.1. Das Wortfeld der lokalen Deixis Brugmann (1904b), der das Interesse der Indogermanistik auf die Zeigwörter lenkte, unterscheidet vier Zeigarten: ic/z-Deixis, dw-Deixis, der- und y'ener-Deixis. Der Terminus Zeigarten ist bei Brugmann eine Analogiebildung zu dem ebenfalls von ihm geprägten Begriff der Aktionsarten. Brugmanns primäres Interesse ist sprachhistorisch, es geht ihm um die diachronische Rückführung der verschiedenen Zeigwörter auf jeweils eine idg. Wurzel. Bühlers Wiederaufnahme der Lehre von den Zeigarten ist vor allem sprachpsychologisch und systematisch, ihm geht es darum, die Funktion der Zeigwörter in der menschlichen Rede auf elementare Bestandteile des sprachlichen Austausche zurückzuführen: auf die Rollen von Sprecher und Angesprochenem, auf den Ort und die Zeit der sprachlichen Handlung. Er vertritt, wenn man so will, eine Art aristotelischer Dramentheorie der Deixis und kleidet diese begrifflich in eine aus den Pioniertagen des Radios stammende Metaphorik von "Sendern" und "Empfängern".1 Neben den Zeigarten (personale, lokale, temporale) Deixis unterscheidet Bühler verschiedene Modi des Zeigens: das "sachliche Zeigen", das "syntaktische Zeigen" und die "Deixis am Phantasma". Die demonstratio ad oculos et aures bildet dabei die Grundsituation der gestischen wie der sprachlichen Deixis, den paradigmatischen Fall: Man zeigt auf das, was in einer gegebenen Situation der unmittelbaren Wahrnehmung zugänglich ist. Der gemeinsame Wahrnehmungsraum von Sprecher und Angesprochenem bildet, so Bühler, das elementare Zeigfeld der Sprache.2 "Allein das konkrete Sprechereignis unterscheidet sich vom unbewegten Dastehen des hölzernen Armes im Gelände in dem einen wichtigen Punkte, daß es ein Ereignis ist. Noch mehr es ist eine komplexe menschliche Handlung. Und in ihr hat der Sender nicht nur wie der Wegweiser eine bestimmte Position im Gelände, sondern er spielt auch eine Rolle, die Rolle des Senders abgehoben von der des Empfängers. Denn es gehören zwei nicht nur zum Heiraten, sondern zu jedem sozialen Geschehen, und das konkrete Sprechereignis muß am vollen Modell des Sprechverkehrs zuerst beschrieben werden. Wenn ein Sprecher auf den Sender des aktuellen Wortes "verweisen will", dann sagt er ich, und wenn er auf den Empfänger verweisen will, dann sagt er du. Auch 'ich' und 'du' sind Zeigwöiter und primär nichts anderes. Wenn man den üblichen Namen Personalia, den sie tragen, zurückübersetzt ins griechische Prosopon gleich 'Antlitz, Maske oder Rolle', verschwindet etwas von dem ersten Erstaunen über unsere These; es ist primär nichts anderes als die Rolle des Senders im aktuellen Signalverkehr, was den jeweils mit ich getroffenen Menschen charakterisiert und primär nichts anderes als die Rolle des Empfängers, was den du charakterisiert. Das haben die ersten griechischen Grammatiker mit voller Klarheit erfaßt und die Personalia unter die deiktischen Sprachzeichen eingereiht" (S. 79) "Daß es in der Sprache nur ein einziges Zeigfeld gibt und wie die Bedeutungserfüllung der Zeigwörter an sinnliche Zeighilfen gebunden, auf sie und ihre Äquivalente angewiesen bleibt, ist die tragende Behauptung, die ausgelegt und begründet werden soll. Die Modi des Zeigens sind verschieden; ich kann ad oculos demonstrieren und in der situationsfernen Rede dieselben Zeigwörter anaphorisch gebrauchen. Es gibt noch einen dritten Modus, den wir als Deixis am Phantasma charakterisieren werden. Phänomenologisch aber gilt der Satz , daß der Zeigefinger, das natürliche Werkzeug der demonstratio ad oculos zwar ersetzt wird durch andere Zeighilfen; ersetzt schon in der Rede von präsenten Dingen. Doch kann die Hilfe, die er und

In der Bühlemachfolge wird der Begriff "Deixis" einerseits als Oberbegriff für die verschiedenen Zeigarten verwendet und andererseits dem Begriff der Anaphorik kontrastiv gegenübergestellt (cf. Reinhart 1983). Die in dem zweiten, eingeschränkteren, Sinne "deiktischen" Ausdrücke dienen dem "sachlichen" Zeigen im Sinne von Bühler, also dem direkten, durch die Redesituation bestimmten, Verweis auf Dinge, Personen, Räume und Zeiträume in der außersprachlichen Umwelt. Demgegenüber bringen die anaphorischen Sprachmittel den indirekten, durch Inhalt und Form der Rede bestimmten, "syntaktischen" Verweis hervor, sie zeigen auf Ausdrücke, die in der Rede für Einheiten der außersprachlichen Umwelt stehen. Ich verwende im folgenden den Begriff "Deixis" im ersten Sinne, als Oberbegriff für die verschiedenen Zeigarten3 und -modi und unterscheide terminologisch hinsichtlich der Zeigarten zwischen personaler, lokaler und temporaler Deixis, hinsichtlich der Zeigmodi zwischen situativer, anaphorischer und imaginativer Deixis. Gelegentlich verwende ich den Begriff "Diskursdeixis" (vgl. Fillmore 1971) als Oberbegriff für die beiden letztgenannten Modi des Zeigens. Im Bereich der situativen Lokaldeixis gibt es im Deutschen das positionale Referenzsystem mit dem dreifachen Kontrast von hier, da, dort und das dimensionale Referenzsystem mit dem Kontrast von vor(n), hinte(r,n) / links, rechts (von) / oben, unten. Das positionale System lokalisiert Regionen im Raum in Abhängigkeit von der Position des Sprechers oder Hörers, die Orientierung (Wahrnehmungsrichtung) der Gesprächsbeteiligten spielt dabei keine zentrale Rolle. Das dimensionale System denotiert Beziehungen im Raum in Abhängigkeit von der Position und der Orientierung des Sprechers oder Hörers. Beide Systeme haben unterschiedliche sekundärdeiktische Verwendungen, das positionale System im Bereich der anaphorischen und der imaginativen Deixis, wo von der Position des aktuellen Sprechers/Hörers abgesehen wird; das dimensionale System im Bereich der situationsunabhängigen, sog. intrinsischen Verwendung, bei der von der Orientierung des aktuellen Sprechers/Hörers abgesehen wird. In deiktischer, d.h. betrachterabhängiger Orientierung ist eine Äußerung wie Der Stuhl steht vor dem Schreibtisch daher als "Der Stuhl steht an der mir zugewandten Seite des Schreibtischs" zu interpretieren, in intrinsischer Orientierung als "Der Stuhl steht an der Vorderseite des Schreibtischs". Herrmann (1990) hebt gegenüber dieser einfachen Unterscheidung zwi-

seine Äquivalente leisten, niemals schlechterdings wegfallen und entbehrt werden; auch nicht in der Anaphora, dem merkwürdigsten und spezifisch sprachlichen Modus des Zeigens. Diese Einsicht ist der Angelpunkt unserer Lehre vom Zeigfeld der Sprache." (S. 80) 3 Mit dieser Zuordnung der Anaphorik (Kataphorik) zur Deixis befinde ich mich im Gegensatz zu der Auffassung von Vater (1990), der nicht die Qualität des Zeigens als primär für die anaphorischen Ausdrucke ansieht, sondern den Gesichtspunkt der Koreferenz. Anaphern verweisen auf Referenten, die bereits vorerwähnt wurden und sind daher, so Vater, nicht der Deixis zuzurechnen. Nach meiner Auffassung ist Koreferenz für die Semantik der Anaphern zwar prototypisch, aber keineswegs notwendig. Es gibt auch Anaphern in nicht-referentieller Verwendung (cf. Kap. 2.3.), die als gebundene Variablen fungieren. Trotzdem verweisen auch diese Anaphern auf ihr Antezedens zurück und sind insofern ganz im Sinne von Bühlers Formulierung "syntaktische" Mittel des Zeigens. Vom linguistischen Standpunkt aus gesehen liefert die Zuordnung der Anaphorik zur Deixis im übrigen eine einfache Erklärung dafür, daß viele im engeren Sinne deiktische Ausdrucke sich auch anaphorisch verwenden lassen.

10 sehen Deixis und Intrinsik hervor, daß mehrere deiktische Perspektiven voneinander unterschieden werden müssen - die Sprecher-, die hörer- und die drittbezogene Perspektive. Herrmann unterscheidet ferner Dreipunkt- und Zweipunktlokalisationen und kommt damit zu einem sechsstufigen "6 -Modell" für deiktische Lokalisationen. Hill (1982) hat darauf hingewiesen, daß für den Gebrauch der dimensionalen Deixis nicht allein die Perspektivenambiguität zwischen Deixis und Intrinsik eine Rolle spielt, sondern auch die Ambiguität zwischen den verschiedenen Betrachtungsweisen, in denen eine räumliche Konfiguration gesehen wird. Hill unterscheidet die der Betrachtung des eigenen Spiegelbildes analoge Modalität des Facing und die einer Tandemkonfiguration analoge Modalität des Aligning. In Ehrich (1985) habe ich dafür die Übersetzungen Gegenrichtung und Gleichrichtung gewählt. In den europäischen Sprachen werden, so Hill, statische Konfiguration in Gegenrichtung, dynamische in Gleichrichtung beschrieben (Vgl. zur Kritik Levelt 1986). In Haussa spielt die Unterscheidung zwischen Statik und Dynamik dagegen eine untergeordnete Rolle, primär ist hier der Gesichtspunkt der Okklusion: Wird das Themaobjekt vom Relatumobjekt verdeckt, so ist die Konfiguration in Gegenrichtung zu beschreiben, liegt keine Okklusion vor, wird die gleichgerichtete Modalität gewählt. In den europäischen Sprachen spielt die Ambiguität zwischen Gleichrichtung und Gegenrichtung nach meiner Auffassung nur für intrinsische Beschreibungen eine Rolle: Was als Vorderseite eines Gegenstandes des alltäglichen Gebrauchs zählt, kann nämlich entweder die Seite sein, die dem Benutzer zugewandt ist (das ist z.B. bei Schränken, Kommoden, Fernsehern oder Radios der Fall), oder die Seite, die "in dieselbe Richtung blickt" wie der Benutzer (das ist z.B. bei Sitzmöbeln und Fahrzeugen der Fall). Im ersten Fall liegt Gegen-, im zweiten Gleichrichtung vor. Von Miller & Johnson-Laird (1976) stammt die Hypothese, daß die intrinsische der deiktischen Perspektive überlegen ist: Hat das Relatumobjekt eine intrinsische Vorderseite, so wird das Themaobjekt dem Relatum intrinsisch zugeordnet. Levelt (1986) hat daraufhingewiesen, daß diese Hypothese nur dann Geltung beanspruchen kann, wenn die beteiligten Objekte ihre kanonische Position einnehmen. In Ullmer-Ehrich (1978) und Ehrich (1985) habe ich für Sprecher des Niederländischen und des Deutschen ferner gezeigt, daß die Wahl der Perspektive nicht allein von den räumlichen Eigenschaften des zu beschreibenden Arrangements abhängt, sondern vor allem von Erfordernissen der Diskursorganisation. Die Hypothese von Miller & Johnson-Laird gilt für die Beschreibung von Einzelkonfigurationen (z.B. einen Schreibtisch und einen Stuhl in kanonischer Position), für die Beschreibung komplexer Arrangements wird hingegen die deiktische Perspektive bevorzugt. Neben den Ausdrücken der positionalen und der dimensionalen Lokaldeixis stehen im Deutschen Positionsdirektionale wie her und hin und Bewegungsverben wie kommen, sich nähern bzw. gehen oder sich entfernen (Fillmore 1971, 1982; Vater 1991a). Her bezieht sich auf die Richtung zum Sprecherstandort hin, hin auf die Richtung vom Sprecherstandort weg. Kommen hat seinen Zielpunkt in der Sprecherumgebung, gehen hat ihn außerhalb davon. Her und hin verbinden sich mit dimensionalen und topologischen Raumpräpositionen zu positionalen Richtungsadverbien wie herein, heraus, herauf, herunter, herab, herüber bzw. hinein, hinauf, hinunter, hinab, hinüber. In den ab-

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geleiteten Formen rein, raus, rauf, runter, rüber ist der deiktische Kontrast zwischen der Richtung auf den Sprecherort zu bzw. vom Sprecherort weg neutralisiert. Während hereingehen und hineinkommen in der Regel semantisch abweichend sind, weil sie inkonsistente deiktische Merkmale miteinander kombinieren, sind reingehen und reinkommen gleichermaßen wohlgeformt. Die deiktische Information wird in diesen Zusammensetzungen allein von den Bewegungsverben zum Ausdruck gebracht. Zusammensetzungen aus Bewegungsverben und Positionsdirektionalen wie z.B. rauf steigen, runtergehen etc. unterscheiden sich in ihrer lokalen und temporalen Interpretation von den entsprechenden Verben mit präpositionalen Komplementen: Auf den Berg steigen ist eine räumlich und zeitlich gebundene Handlung, die ihren Abschluß in der Zielposition auf dem Berg hat. Den Berg raufsteigen gibt demgegenüber allein eine Richtung an und ist nicht notwendig zielgebunden.4 Die positionale und die dimensionale Deixis unterscheiden sich hinsichtlich ihres Verhaltens in der indirekten Rede. Die Ausdrücke der positionalen Deixis müssen in der indirekten Rede aus der Perspektive des zitierten Sprechers in die des zitierenden übersetzt werden: Hier ist es kalt wird (unter der Voraussetzung, daß der Zitierende und der Zitierte sich nicht am selben Ort aufhalten) in der indirekten Rede zu Er sagte, es sei da (dort, *hier) kalt. Für Ausdrücke der dimensionalen Deixis ist eine solche Übersetzung nicht notwendig und auch nicht möglich: Der Stuhl steht rechts wird nicht in Der Stuhl steht links übersetzt. Einer Übersetzung bedürfen hier nur die Indizierungen der personalen Deixis, sofern sie in der Ausgangsäußerung explizit gemacht sind: Der Stuhl steht rechts von mir wird dann zu Er sagte, der Stuhl stehe rechts von ihm. Diese Asymmetrie macht deutlich, daß die Ausdrücke der positionalen (wie der personalen) Deixis viel enger an die Rollenverteilung im Gespräch gebunden und in ihrer Deutung davon abhängig sind als die der dimensionalen Deixis, die sich nur indirekt, vermittelt über die Personalpronomen, an diese Rollen binden.5 Die Ausdrücke der positionalen Deixis beziehen sich in allen Sprachen auf Koordinaten der Sprechsituation, mit der Position des Sprechers als "Nullpunkt". Das auf die Umgebung des Sprechers bezogene hier kann unterschiedlich weiträumig ausfallen und sich von dem aktuell eingenommenen Platz (wie in Hier sitze ich ziemlich hart) bis zu einer globalen Umgebung (wie in Hier herrscht das Gesetz der Schwerkraft) ausdehnen. Klein (1978) nennt dies das Abgrenzungsproblem der lokalen Deixis. In Kontrast zu dem durch das Sprecher-Hier gegebenen Nullpunkt läßt sich das Nicht-Hier in verschiedener Weise aufgliedern. Nähe und Distanz zum Nullpunkt spielen für die Art und Weise der Aufgliederung eine zentrale Rolle, sie sind dabei nicht allein metrisch definiert, sondern umfassen verschiedene psychologische Dimensionen, z.B. kann die ferner-

4 Ich verdanke diesen Hinweis Henriette Hendriks, MPI Nijmegen. 5 Das Verhalten in der indirekten Rede hängt zusammen mit dem Umstand, daß nur die Ausdrücke der positionalen Deixis sekundär eine anaphorische Verwendung zulassen. Die Richtungspräpositionen der dimensionalen Deixis haben keine anaphorischen Entsprechungen. Da es in dieser Arbeit vor allem um das Verhältnis von situativer und anaphorischer Deixis geht, werde ich im folgenden auf die Richtungspräpositionen nicht mehr zurückkommen.

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liegende Region die den Adressaten umgebende sein, sodaß das Nicht-Hier des Sprechers mit dem Hier des Adressaten zusammenfällt;6 Nähe und Distanz sind in diesem Fall durch die (wechselnden) Gesprächsrollen festgelegt, die die Beteiligten bezüglich eines gegebenen turns jeweils innehaben. Weitere Dimensionen eines psychologisch verstandenen Distanzbegriffs betreffen z.B. die optische, akustische, olfaktorische oder taktile Zugänglichkeit: Sprecher und Hörer, die durch eine Glasscheibe oder gar eine Wand getrennt sind, mögen einander metrisch näher sein als Gesprächspartner, die sich in einem großen Zimmer gegenübersitzen, dennoch kann die psychologische Nähe im ersten Fall geringer sein als im zweiten und möglicherweise eher eine Trennung von Sprecher-Hier und Hörer-Hier nahelegen. Neben den wahrnehmungspsychologischen Dimensionen von Distanz spielen ferner soziokulturelle Gegebenheiten (wie die Zugehörigkeit zu bestimmten Schichten, ethnischen Gruppen oder das natürliche Geschlecht) eine Rolle: Die "Territorien des Selbst" sind durch gesellschaftlich variable Konventionen festgelegt (Goffman 1971); es ist insofern nicht verwunderlich, daß die sprachlichen Systeme der positionalen Deixis, welche auf die unterschiedlichen Dimensionen von Nähe und Distanz Bezug nehmen, schon in relativ nahe verwandten Sprachen recht unterschiedlich ausfallen. Neben dem situativ-deiktischen Verweis auf den konkreten Wahrnehmungs- und Bewegungsraum steht der Verweis auf abstrakte Räume, die z.B. durch den Inhalt einer Rede oder Schrift gegeben sind (la) oder durch den in einer Institution festgelegten Spielraum erforderlicher und erwünschter Handlungen (Ib): (l) a ...Hymnen an die Nacht. Hier findet die Todessehnsucht, wie sie Novalis' ganzes Werk durchzieht, ihren tiefsten Ausdruck. (Klein 1978) b Der Zeuge Meyer, der ist heute nicht hier. (Ehrich 1983) Ein Richter, der (Ib) bei einer Gerichtsverhandlung zu einem Zeitpunkt äußert, zu dem alle erschienenen Zeugen sich außerhalb des Verhandlungsraums auf dem Flur aufhalten, bezieht sich mit hier nicht auf das Verhandlungszimmer, in dem er selbst zugegen ist, (in diesem Sinne wäre keiner der erschienenen Zeugen "hier"), er bezieht sich auch nicht auf das Gerichtsgebäude als ganzes. In der für (Ib) relevanten Interpretation von hier wäre der Zeuge auch "hier", wenn er vor dem Gebäude auf der Straße seine Verhandlung abwarten würde. Die relevante Umgebung ist in (Ib) institutionell gegeben, aber nicht durch die Institution Amtsgericht als solche, sondern durch das von dieser Institution in Gang gesetzte Interaktionsgeschehen "Hauptverhandlung gegen X". Bei mir, bei dir, die in vielen Fällen für hier oder da substituierbar sind, haben diesen institutionellen Bezug nicht, so läßt sich hier in (Ib) in der angegebenen Situation nicht durch bei mir ersetzen.

6 "Streng genommen wird mit hier die momentane Position des Sprechers angezeigt und diese Position kann mit jedem Sprecher und mit jedem Sprechakt wechseln". (Buhler, a.a.O. p. 103)

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(2) a Der Opa ist bei mir zu Besuch, b Der Opa ist hier zu Besuch, c Ist die Chefin bei dir? d Ist die Chefin da? Mit (2a) kann man sich auf das eigene Zuhause beziehen, auch wenn man dort nicht anwesend ist, (2b) verlangt dagegen, daß der Verweisraum mit der räumlichen Situierung der Rede zusammenfallt. Die Frage (2c) bezieht sich in einem nicht-institutionellen Sinn auf die aktuelle Umgebung des Adressaten, z.B. auf das Zimmer, in dem sich dieser aufhält, während mit (2d) auch die Anwesenheit der Chefin in einer institutionalisierten Arbeitsumgebung erfragt werden kann. M.a.W. hier und da beziehen sich grundsätzlich auf Koordinaten der aktuellen Sprechsituation, lassen aber neben der aktuellen Umgebung auch die institutionalisierte als Referenzrahmen zu, während für die präpositionalen Korrelate bei mir und bei dir der Bezug auf die aktuelle räumliche Situierung der Rede fakultativ und die institutionenbezogene Deutung ausgeschlossen ist. Wie der relevante Bezugsraum strukturiert ist, geometrisch bzw. sensomotorisch konkret oder begrifflich abstrakt, ist aus dem jeweiligen Verwendungskontext zu entnehmen. Klein (1978) nennt dies das Raumproblem der lokalen Deixis. Dieses Problem ist nicht auf die deiktischen Raumausdrücke beschränkt, sondern betrifft die sprachlichen Raumbegriffe insgesamt. Wendungen wie in diesem Gedicht, an diesem Punkt meiner Ausführungen, auf dieser These aufbauend, in dieser Verhandlung, bei dieser Tagung, auf dieser Konferenz, in denen mittels topologischer Raumbegriffe propositionale oder soziale Strukturen als räumliche behandelt werden, liegt ebenfalls die Verwendung eines abstrakten bzw. metaphorischen Raumbegriffs zugrunde. Verschiedene Einzelsprachen verhalten sich unterschiedlich im Hinblick darauf, welche Bereiche sie quasi-lokal strukturieren. Auch insofern unterscheiden sich die verschiedenen Einzelsprachen im Hinblick auf die möglichen Anwendungsbereiche der positionalen Lokaldeixis.

2.2. Die Oppositionen der positionalen Situationsdeixis im Deutschen Das Deutsche hat mit hier, da, dort ein dreigliedriges System der positionalen Deixis. Es macht, grob gesagt, einen Unterschied zwischen einer den Sprechort umgebenden Region (hier) und zwei ihn ausschließenden (da, dort). Bühler unterscheidet die beiden ausschließenden Regionen (unter Verwendung eines handlungstheoretischen Begriffs von Distanz und Nähe) danach, ob sie im Interaktionsbereich des Redenden liegen (da) oder nicht (dort).7 (3a) bezieht sich danach auf die Umgebung des Sprechers, z.B. auf das "Wenn ein Kranker am eigenen Körper dem Arzt eine schmerzende Stelle zeigen will, so wird er mit da berühren, was er erreichen kann, und unter Umständen mit dort fortfahren, um auf eine ihm im Augenblick unerreichbare eigene Körperstelle hinzuweisen. Um objektiv große Fernen geht es gewiß nicht bei derart verwendetem 'jener Fleck dort* oder 'dort'. [...] Es kommt mir vor, als wäre so etwas wie der

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Museum , in dem er sich aufhält (Ktxtl), (3b) bezieht sich auf einen Ort in seinem möglichen Zugriffsbereich (Ktxt2), während (3c) auf einen Ort außerhalb davon referiert (KtxtS). (3) a Hier b Da hängt mein Lieblingsbild c Dort Kontextl: Kontext2: KontextS: Kontext4:



Wie die Oppositionen zwischen den verschiedenen Adverbien semantisch zu charakterisieren sind, ist ein schwieriges Problem. Einerseits steht nämlich hier zu da und dort in Kontrast - in Kontextl ist als Verweis auf das Museum als ganzes nur (3a) möglich, nicht aber (3b) oder (3c), m.a.W. nur hier läßt zu, daß der Verweisraum (VL) den Sprechort (SL) einschließt (Tab. 1). Andererseits kontrastieren hier und da mit dort: In Kontext 2 und Kontext 4 ist die /Vr-oder die da-Version möglich, während dort ausscheidet (Tab. 1); nur dort verbietet, daß der Verweisraum (VL) im Zugriffsbereich (ZL) von S liegt.

II 2 VL

VL 2 SL

h ier

+

+

da

+

dort

-

Tab. 1: Oppositionen der positionalen Deixis im Deutschen Für hier ist die Festlegung auf einen positiven Wert in der ersten Spalte von Tab. l jedoch zu stark: (3a) ist im Ktxt2 möglich, ohne daß wir die Wand als den Sprechort umschließend annehmen wollen. Für da sind die Festlegungen in beiden Dimensionen von Tab. l zu stark: Zum einen gibt es das (unbetonte) da der bloßen Anwesenheit, mit dem man sich z.B. in einer Telefonkonversation auf die Umgebungsregion des Hörers beziehen kann, auch und gerade wenn diese dem Zugriffsbereich des Sprechers entzogen ist (4a). Dies spricht gegen die positive Festlegung für da in der zweiten Spalte von Tab. 1. Zum anderen kann man sich mit dem da der Anwesenheit aber auch auf die

gerade in Rede stehende räumliche Aktionsbereich des Sprechers der geometrische Ort, worin man mit da zu zeigen pflegt und von dem sich das dort entsprechend abhebt". (Bühler, 1934, S. 100, 101)

15 eigene Umgebung beziehen (4b), dies spricht gegen die negative Festlegung von da in der ersten Spalte von Tab. 1. (4) a A:"Ist Hans da (bei dir)?" b B:"Ja, er ist da (bei mir)." Können wir unter diesen Voraussetzungen für das Deutsche überhaupt an einem echt dreigliedrigen System der positionalen Deixis, in dem jedes Element seinen distinkten Stellenwert hat, festhalten? Auf diese Frage sind zunächst drei verschiedene Antworten möglich: (i) Im Deutschen koexistieren zwei diadische Systeme nebeneinander, das eine betont den Kontrast zwischen hier und da, das andere setzt da und dort zueinander in Opposition. Das hier/da-System ist in den norddeutschen, das da/dort-System in den süddeutschen Varietäten des Deutschen vorherrschend. Diese dialektorientierte Sichtweise ist m.E. zu beschränkt, sie berücksichtigt nicht, daß zumindest in der geschriebenen Standardsprache alle drei Elemente des Systems vorkommen. (ii) Es gibt keine echte Opposition zwischen hier und da bzw. zwischen da und dort. Da ist ein neutrales Element im System der deiktisehen Oppositionen; insofern hat das Deutsche kein im eigentlichen Sinne triadisches System der lokalen Deixis. Diese Sichtweise wird dadurch gestützt, daß es abgesehen von hier, da, dort im System der primären Lokaldeixis sonst nur diadische Kontraste gibt: Wir unterscheiden her und hin, hüben und drüben, diesseits und jenseits, anwesend und abwesend ohne jeweils ein drittes Element als weiteren Kontrast angeben zu können. Die Neutralitätshypothese bezüglich des räumlichen da wird aber dadurch geschwächt, daß zumindest in der Standardvarietät sich hier und da ebenso wie da und dort in bestimmten Kontexten wechselseitig ausschließen. (iii) Mit hier auf einen Raum zu verweisen, der den Sprechort nicht mit umfaßt (wie in dem obigen Kontext 2), heißt - in Bühlers Begrifflichkeit ausgedrückt - eine origoVerschiebung vorzunehmen. Durch eine Zeigegeste etwa wird der Bezugsort vom Sprechort weg in den Verweisraum verlegt. Die gedachte Verlängerung des Arms gibt dann die neue, verschobene orieo an. Entsprechend dieser Analyse ersetzt das verschobene hier (Beispiel (3a) in Kontext 2) ein unverschobenes da. Die Verschiebung der origo unterliegt allerdings gewissen Beschränkungen: Der Raum, auf den verwiesen und in den die origo verschoben wird, muß nämlich bezüglich der über ihn ausgesagten Eigenschaft im unmittelbaren Bezugsfeld des Sprechers oder Hörers liegen. (5) z.B. ist dann nicht angemessen, wenn man aus der Ferne auf eine Fischfabrik zeigt, den Fischgeruch aber vom gegebenen Standort aus nicht unmittelbar wahrnehmen kann. (5) Hier riecht es nach Fisch

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Das relevante Bezugsschema ist nämlich in diesem Fall nicht das Gesichts-, sondern das Geruchsfeld. Deiktische Referenzen mit verschobener origo sind offenbar nur innerhalb eines gegebenen Feldes bzw. in kongruenten Wahrnehmungsfeldern möglich. Ist ein gegebenes Feld bezüglich der von einem Ort ausgesagten Eigenschaft irrelevant, muß eine unverschobene Deixis verwendet werden. Ich führe an diesem Punkt einige einfache topologische Begriffe ein: Der Sprecherort L. ist die Region, die der Sprecher sozusagen physisch besetzt hält. Die proximale Umgebung PROX(L.) des Sprecherortes ist eine Region, die den Sprecherort einschließt, aber (weit) darüber hinausgehen kann. Die unmittelbare Umgebung des Sprecherortes IMM(L.) ist eine echte Teilregion von PROX(L0), die ebenfalls L0 einschließt. Die periphere Umgebung des Sprecherortes PER(L.) ist eine Region, die mit PROX(L„), nicht aber mit IMM(L0) überlappt. PER(L0) ist damit die Komplementärregion zu IMM(L0). DIST(L.) schließlich ist die Komplementärregion von PROX(L0), d.h. DIST(L0) hat keine Überlappung mit PROX(L0). Definitionen (Dl) PROX(L0) ist eine Raumregion L, für die gilt: L 3 L0 (D2) IMM(L0) ist eine Raumregion L, für die gilt: L c PROX(L0) & L 2 L0 (D3)PER(L0) ist eine Raumregion L, für die gilt: L n PROX(L0) ^ 0 & L n IMM(L0) = 0 (D4) DIST(L0) ist eine Raumregion L, für die gilt: L n PROX(L0) = 0 DIST

IMM (L 0 )

Abb. l Topologische Regionen* für die positionale Deixis

8 Diese Unterscheidungen bilden eine topologisch präzisierte Variante von Unterteilungen des deiktischen Raums wie sie Rauh (1983a,b) in Anlehnung an Schmid (1972) vornimmt Rauh unterscheidet:

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Von Bierwisch (1988) stammt der Vorschlag, Lokaladverbien als einstellige Präpositionen zu behandeln, also als Präpositionen mit abgebundenem zweiten Argument. Präpositionen drücken, allgemein gesagt, eine Beziehung aus zwischen einem Thema und einem Relatum. Lokale Präpositionen setzen den Ort des Themas Loc(Th) in Beziehung zu dem Ort des Relatums Loc(Rel). Dabei ordnen die verschiedenen lokalen Präpositionen (in, auf, an, etc.) dem Ort des Relatums eine bestimmte Umgebungsregion zu, den IN*-Raum, AUF*-Raum, AN*-Raum etc., d.h. lokale Präpositionen sind als regionenkonstituierende Funktionen analysierbar. Mit PRÄP* als einer Variablen für die den verschiedenen Präpositionen entsprechenden verschiedenen Funktionen und x,y als Variablen für Thema bzw. Relatum läßt sich die allgemeine Form einer Lokalisierung durch doppelte -Abstraktion so angeben: (6)

(Loc(x) c PRÄP* (y))

Die allgemeine Form für die entsprechende einstellige Präposition ist dann (7)

(Loc(x) c PRÄP* (a))

Es sei z.B. (8) die semantische Form von an, so ist (8') die semantische Form von daran: (8) An: (8') Daran:

(Loc(x) c AN* (y)) (Loc(x) c AN* (a))

Hier und dort können auf dieser Basis als topologisch distinkte einstellige Präpositionen semantisch wie folgt dargestellt werden: (9) Hier: (10) Dort:

(Loc(x) c PROX(LJ) (Loc(x) c DIST(L0))

Sprecherort in direkter Beziehung zu l, stehend in 1,-12 definit in 1,-lj indefinit außerhalb von 1,-12 definit außerhalb von 1,-12 indefinit indefinit Der Gesichtspunkt der Defmitheit ist m.E. von dem der topologischen Charakterisierung des Verweisraums zu trennen. Deswegen beschränke ich mich hier auf vier topologische Kategorien.

18 Die Ausdehnung und wechselseitige Abgrenzung der topologisch unterschiedenen Bereiche ist gegeben durch das jeweils relevante Wahrnehmungsfeld (taktile, visuelle, auditive, olfaktorische) Wahrnehmung bzw. durch das Feld möglicher, zulässiger oder erforderlicher Handlungen. Der Bezug auf das jeweils einschlägige Feld wird über die Deutung der verwendeten Prädikate gesteuert. Riechen (Beispiel 5) etwa verweist auf den Bereich der olfaktorischen Wahrnehmung als relevantem Bezugsfeld. M.a.W, PROX(L0) ist die bezüglich einer bestimmten Eigenschaft relevante Umgebung von L0. PROX(L0) und DIST(L„) sind komplementär nur bezüglich desselben Wahrnehmungsoder Handlungsfeldes. Eine bestimmte Raumregion kann daher 'hier* sein im Hinblick z.B. auf die akustische Wahrnehmung, aber 'dort' im Hinblick auf die optische. (Der Lärm 'hier', den meine Kinder machen, die ich 'dort' spielen sehe). Die in (9) gegebene Bedeutungsspezifikation für hier ist verträglich mit verschiedenen Verwendungsweisen (Interpretationen) von hier. In (lla) bezieht sich hier auf die unmittelbare, in (lib) auf die periphere Umgebung von L0, in (llc) auf einen Ausschnitt aus der peripheren Umgebung von L0. Alle diese Verwendungsweisen sind auf der Grundlage der topologischen Definitionen für IMM(L0) bzw. PER(L0) (s.o.) mit der Bedeutungsfestlegung von hier auf PROX(L„) verträglich. (11) a Es ist hier (wo ich sitze) zu dunkel. PROX

die Ware bekommen

3.3. Aktionsarten 3.3.1. Zur Abgrenzung von Aktionsart und Aspekt Aktionsart10 und Aspekt werden in der Literatur nicht immer säuberlich geschieden. Tatsächlich ist die Abgrenzung zwischen beiden auch problematisch." Das formorientierte Kriterium, wonach die Aktionsart eine lexikalische Eigenschaft des Verbstamms ist, die morphologisch z.B. durch Präfixbildungen wie erblühen, verblühen, aufblühen zustande kommt, während Aspekt auf einer grammatischen Veränderung des Stamms beruht (weshalb terminologisch auch zwischen lexikalischem Aspekt (=Aktionsart) und grammatischem Aspekt unterschieden wird), ist unzureichend: Schon Andersson (1972) und Verkuyl (1972) haben gezeigt, daß die 'lexikalischen' Eigenschaften von Verben durch die hinzutretenden Komplemente beeinflußt werden. So geben essen oder schreiben ebenso wie Kartoffeln essen oder an einem Brief schreiben zeitlich offenen Aktivitäten Ausdruck, wahrend fünf Kartoffeln essen, den Brief schreiben zeitlich geschlossene Aktionen (accomplishments in Vendlers Terminologie) bezeichnen. Das, was landläufig als 'lexikalisch' klassifiziert wird, ist, da abhängig von den Eigenschaften der Verbkomplemente, also eigentlich grammatischer Natur. Verkuyl (1972, 1988) spricht denn auch konsequent von 'Verbalphrasenaspekt'. Andersson (1972) unterscheidet zwischen 'lexematischen' und 'rektioneilen' Aktionsarteigenschaften.

10 Brugmann (1904), von dem der Terminus 'Aktionsart' stammt, unterscheidet (da die Distinktion zwischen Aspekt und Aktionsart für das Deutsche weniger auf der Hand liegt) zwischen Tempus und Aktionsart kurz und präzise so: "Aktionsart ist, im Gegensatz zu Zeitstufe, die Art und Weise, wie die Handlung vor sich geht". (S. 492). 11 Überblicksdarstellungen über die Abgrenzungsdiskussion im Bereich der traditionellen Philologie geben Gross (1974), Klein (1974) und Kunert (1984).

74 In inhalts- oder konzeptorientierter Sichtweise12 wird der Unterschied zwischen Aktionsart und Aspekt wie folgt angegeben: Aktionsarten beziehen sich auf kategoriale Eigenschaften von Sachverhalten. Sie betreffen Unterscheidungen wie die zwischen Zuständen und Zustandsveränderungen. Diese Eigenschaften sind sachverhaltsinhärent, unabhängig von der Sicht des Sprechers, und in diesem Sinne objektiv, Aspekt hingegen gibt der subjektiven Perspektive Ausdruck, unter der ein Sachverhalt (vom Sprecher) als zeitlich offen (imperfektiver Aspekt) oder geschlossen (perfektiver Aspekt) gesehen wird (z.B. Isacenko 1962; Comrie 1976; v. Stutterheim 1986). Die so getroffene Unterscheidung berücksichtigt allerdings nicht, daß es auch von der Perspektive abhängt, ob ein Sachverhalt kategorial als zeitlich offener Zustand (Die Rose blüht) oder als geschlossener Prozeß (Die Rose verblüht) gesehen wird. Beide, Aktionsart und Aspekt, bringen zum Ausdruck, wie eine Situation gesehen wird, von innen in ihrem zeitlichen Verlauf oder von außen als zeitlich abgeschlossenes Ganzes. Der Unterschied zwischen Aktionsart und Aspekt liegt darin, daß Aspekt die aktuelle, Aktionsart die konventionalisierte oder 'gefrorene' Perspektive wiedergibt.13

3.3.2. Klassifikation der Aktionsarten Die Aktionsarten der Verben sind für das Deutsche vielfach beschrieben und analysiert worden, am umfassendsten in Andersson (1972). Ich unterscheide hier (in Übereinstimmung mit Klein 1991) zwischen zeitneutralen Eigenschaften und zeitlich gebundenen Situationen. Zeitneutrale Eigenschaften sind in ihrer Dauer unbegrenzt und allenfalls gebunden an die Lebensdauer des Individuums, welches sie charakterisieren. Dabei kann es wegen der zeitlichen Beschränkungen, denen der Träger der Eigenschaft unterliegt, geboten sein, ein zeitneutrales Eigenschaftsprädikat der Vergangenheit zuzuordnen (Napoleon war (?ist) klein).1* Bestimmte Eigenschaften vermögen ihre Träger aber auch zu überdauern (Goethe ist (war) ein großer Dichter). 'Klavierspielen' als Fähigkeit ist eine Eigenschaft, 'Klavierspielen' als Aktivität eine Situation. Situationen sind zeitlich gebunden, sie haben eine bestimmte Dauer und ein Ende. Letzteres kann durch die inhärente Begrenzung einer Situation zwingend gegeben oder durch äußere Faktoren

12 Diese Sichtweise geht zurück auf Agrell (1911): "Unter Aktionsart verstehe ich [...] nicht die beiden Hauptkategorien des slavischen Zeitwortes, die unvollendete und die vollendete Handlungsform (das Imperfeküvum und das Perfektivum) - diese nenne ich Aspekte. Mit dem Ausdruck Aktionsart bezeichne ich bisher fast gar nicht beachtete - geschweige denn klassifizierte - Bedeutungsfunktionen der Verbalkomposita (sowie einiger Simplicia und Suffixbildungen) die genauer ausdrücken wie die Handlung vollbracht wird, die Art und Weise ihrer Ausführung markieren". (S. 78). 13 Smith (1986) unterscheidet in ähnlicher Weise zwischen 'situation aspect' (Aktionsart) und 'viewpoint aspect* (grammatischer Aspekt). 14 Napoleon ist klein ist natürlich auch gegenwärtig eine mögliche Zuschreibung, aber nur, wenn z.B. von einem Bild Napoleons die Rede ist.

75

kontingent gesetzt sein. Ich untergliedere Situationen dementsprechend nach zwei Aktionalitätsmerkmalen, dem der Resultativität und dem der Durativität.15 Damit ergeben sich die ff. Aktionsartenkategorien: Aktionsarten

(9)

Eigenschaften

Situationen [+RES]

[-RES] [+DUR]

[+DUR]

[-DUR]

Aktionen Prozesse

Akte Aktivitäten Vorkommnisse Zustände

Ein Haus bauen Eintreten Genesen Finden

Tanzen Sitzen

[-DUR] Akte Vorkommnisse

Husten Blond sein Aufschrecken

Die Kategorien [+DUR.+RES] und [-DUR.+RES] entsprechen den Vendler-Kategorien der accomplishments bzw. achievements (Vendler 1967b). Die Kategorie [-RES,-DUR], die ich in Übereinstimmung mit Comrie (1976) auch semelfaktiv nenne, umfaßt Verben, deren Denotat weder eine Dauer noch ein Ergebnis hat. Sie werden in der Regel punktuell verstanden, nehmen unter bestimmten Bedingungen (s.u.) aber auch eine iterative Deutung an. Semelfaktive Verben sind als Benennungen für punktuelle Vorkommnisse trivialerweise zeitlich begrenzt und insofern möglicherweise als 'terminativ' einzustufen, es fehlt bei ihnen aber der für Resultative charakteristische Bezug auf das Resultat einer Zustandsveränderung.

IS In der philologischen Literatur ist statt von 'durativen' häufig von 'imperfektiven' (z.B. Grimm 1837; Streitberg 1889), 'kursiven' (Delbrück 1897; Brugmann 1904) oder 'kontinuierlichen' (Brinkmann 1962) Verben die Rede. Die hier 'resultativ' genannten Verben werden traditionell 'perfektiv' (Grimm, Streitberg), 'terminativ' (Delbrück, Brugmann), 'konklusiv' (Jespersen 1924) oder 'nicht-kontinuierlich' (Brinkmann) genannt. Ich verwende die Bezeichnungen 'perfektiv/imperfektiv' hier ausschließlich als Namen für Aspektkategorien, die Bezeichnungen 'durativ' und 'resultativ' ausschließlich als Namen für Aktionsartkategoricn. In diesem Punkt weiche ich von meiner früheren Terminologie in Ullmer-Ehrich 1977 ab. Die hier verwendete Kategorisierung nach dem Merkmal [±RES] entspricht weitgehend der von Andersson vorgenommenen Unterscheidung nach dem Merkmal [tgrenzbezogen]. Anstatt von 'resultan'ven' konnte ich insofern auch von 'terminativen' Verben reden. Ich ziehe die hier gewählte Terminologie deshalb vor, weil in ihr der Gesichtspunkt der Zustandsveränderung und der Bezug zum Ergebnis dieser Veränderung deutlicher zum Ausdruck kommt.

76

Ich sehe den Unterschied zwischen Aktivitäten und Zuständen, die ich derselben Kategorie [+DUR,-RES] zurechne, hier nicht als zentral an16 und stehe damit im Gegensatz zu den Analysen von Vendler (1967b). Vendlers primäre Unterscheidung ist die zwischen Zuständen auf der einen und Ereignissen auf der anderen Seite, wobei Aktivitäten der Kategorie der Ereignisse zugerechnet werden. Vendler motiviert seine Klassifikation u.a. mit dem englischen progressive. Ereignisverben lassen nach Vendler progressive zu, Zustandsverben nicht (Vgl. He is dancing vs. *He is knowing the answer). Dieses Argument ist, wie schon Brown (1973) gezeigt hat, so nicht haltbar, denn es gilt nicht für lokale Zustandsprädikate wie z.B. sit (Vgl. He is sitting in a chair)" 'Wissen' ist ein Zustand, den man nicht willkürlich beenden kann. Wenn man ihn einmal erreicht hat, begründet er eine zeitneutrale Eigenschaft. Es erscheint mir insofern sinnvoller, die Regularitäten der englischen progressive-Bildung durch die Unterscheidung von zeitiich neutralen Eigenschaften und zeitlich gebundenen Situationen zu erklären und Zustände den letzteren zuzurechnen. Einige romanische Sprachen, wie z.B. das Spanische, machen den Unterschied zwischen Eigenschafts- und Zustandsprädikaten lexikalisch durch verschiedene Kopulaverben explizit: span, estar steht bei Zustande-, span, ser bei Eigenschaftsprädikaten. Estd cansado heißt entsprechend: 'Er ist (jetzt) müde', es cansado heißt: 'Er ist (immer) müde (ein schläfriger Typ)'. Im Deutschen spielt (außer in einigen regionalen Varietäten) die Verlaufsform keine Rolle, und es gibt auch keine Kopulaunterscheidung wie im Spanischen. Bezeichnungen für Eigenschaften und Zustände unterscheiden sich hier allein hinsichtlich der Kombinierbarkeit mit Temporal- und Lokaladverbien: Zustandsprädikate, welche zeitlich gebundene Situationen bezeichnen, lassen sich temporal und lokal einschränken, Eigenschaftsprädikate nicht: (10) a Hans war müde. bHans war am Morgen schon müde, c Hans war in der Oper müde.

16 Ich bestreite selbstverständlich nicht, daß zwischen Zuständen und Aktivitäten im Hinblick auf Intentionalität und Dynamik grundlegende kategoriale Unterschiede bestehen. Ich nehme lediglich an, daß diese Unterschiede im Hinblick auf die Semantik der deutschen Tempora (anders als der englischen oder spanischen) vernachlässigt werden dürfen. 17 Bach (1986) unterscheidet deshalb zwischen dynamischen Zuständen (wie sit, stand, lie + LOC) und statischen wie (love, own x, resemble x). Fur Galton (1984) ist die Unterscheidung zwischen Zuständen und Ereignissen ebenfalls primär. Er macht ferner einen Unterschied zwischen telischen und atelischen Ereignissen oder Zuständen. John swam a length gibt ein telisches. John had a swim ein atelisches Ereignis wieder. Die progressive-Formen John was swimming a length, John was swimming beziehen sich auf telische bzw. atelische Zustände. Atelischen Zuständen kann außerdem durch Zustandsverben Ausdruck gegeben werden John liked swimming. Allerdings trifft Galton keine klare Unterscheidung zwischen Aktionsart und Aspekt. Damit bleibt die Beziehung zwischen den einfachen Formen (John swam a length) und den periphrasüschen progressive-Formen (John was swimming a length) undeutlich.

77

(11) a Hans war blond. Eigenschaft bHans war am Morgen blond. Zustand c Hans war in der Oper blond. Zustand Eigenschaftsprädikate, die durch Temporal- oder Lokaladverbien modifiziert sind, werden als Zustandsprädikate umgedeutet. In (11 b,c) wird entsprechend blond nicht als Bezeichnung der natürlichen Haarfarbe verstanden. Aktionen und Prozesse teilen mit Aktivitäten und Zuständen das Merkmal der Durativität, mit Akten und Ereignissen das der Resultaü'vität. Semelfaktive teilen mit Akten und Ereignissen das Merkmal der Nicht-Durativität, mit Aktivitäten und Zuständen das der Nicht-Resultativität. Traditionell werden in der germanistischen (und vor allem auch der slavistischen) Literatur weitere Aktionsartunterscheidungen getroffen, z.B. zwischen Ingressiva (wie entflammen), Inchoativa (wie erblühen), Egressiva (wie platzen) oder Konklusiva wie verblühen (vgl. Flämig (1965)). Für Verben wie aufessen, austrinken, abfahren ist es allerdings schwer, die Grenze zwischen der ingressiven Bezeichnung des Nachzustandes und der egressiven Bezeichnung des Vorzustandes zu ziehen. (Bezeichnet abfahren das Ende von 'hier sein' oder den Beginn von 'weg sein'?) Klar ist nur, daß alle diese Verben auf den Übergang von einem Vorzustand e in einen Nachzustand e' Bezug nehmen. Verben der Ortsveränderung (nach Florenz fahren, aas Zimmer verlassen) werden gelegentlich als telische Verben von resultativen Verben bzw. Verbphrasen (ein Haus bauen, ein Buch schreiben) unterschieden.18 In der Regel sind Verben der Ortsveränderung intransitiv, resultative Verben transitiv. Bei ersteren bezieht sich der Nachzustand auf den Referenten der Subjekt-NP, bei letzteren auf den der Objekt-NP. (Hans ist nach Florenz gefahren z> Hans ist in Florenz; Hans hat ein Buch geschrieben z> Das Buch ist geschrieben). Dies ist zweifelsohne ein wesentlicher grammatischer Unterschied, aber für die Tempusinterpretation spielt er keine entscheidende Rolle. Hans fährt nach Florenz und Hans baut ein Haus, Die Rose erblüht und Die Rose verblüht sind deshalb in derselben Weise als Verben der Zustandsveränderung zu deuten. Ich rechne also ingressive und egressive, inchoative und konklusive, telische und resultative Verben einer gemeinsamen Kategorie zu und beziehe mich auf diese unter dem Kategoriennamen [+RES]. Das übliche, von Vendler eingeführte, linguistische Testkriterium für die Klassifikation der Aktionsarten ist die Kombinierbarkeit mit Durativadverbialen (vgl. auch UllmerEhrich 1977). Nicht-resultative Durative lassen sich uneingeschränkt mit Durativadver18 Eine ähnliche Unterscheidung trifft Behaghel (1924), der die "räumlich perfektive" und die "rein perfektive" Bedeutung nebeneinander stellt Behaghel unterscheidet die ga-Komposita von anderen Verbalkomposita, z.B. auf a/-. Ga-hat, so Behaghel, ursprunglich eine räumliche Bedeutung, die aber in den perfektiven gaKomposita verloren gegangen ist Komposita auf of-können eine rein räumliche Bedeutung haben (äs. afstandan), eine räumlich perfektive Bedeutung (äs. qfhebbian) oder eine rein perfektive Bedeutung (äs. afheldian). (Cf. Behaghel 1924, B d.II, S. 105. 106).

78

bialen kombinieren (12); resultative Verben verbieten diese Kombination (13). Semelfaktive Verben haben in Kombination mit Durativadverbialen eine iterative Interpretation (14): (12) a Hans war zwei Wochen lang krank. b Maria übte zwei Stunden lang Klavier. c Maria dachte seit langem über den Sinn des Lebens nach. (13) a*Hans löste das Problem zwei Stunden lang, b *Maria kam zwei Minuten lang an. c *Maria fand zwei Minuten lang eine Muschel. (14) a Hans fragte tagelang nach der Uhrzeit. bHans hustete zwei Wochen lang. c Maria nickte eine Stunde lang. + Zeitangabe' hat in Kombination mit durativ-resultativen Verben zwei verschiedene Interpretationen: als duratives oder als temporales Adverbial. In durativer Lesart bezieht es sich auf die Dauer (a), in temporaler Lesart auf das Einsetzen eines Geschehens (b). (15) Hans löst das Problem in zwei Stunden. a Hans braucht zwei Stunden zum Lösen des Problems.

b Hans wird das Problem nach Ablauf von zwei Stunden lösen. Durative, resultative und semelfaktive Verben lassen nur die temporaladverbiale Lesart zu. Die Sätze in (16) beziehen sich daher auf zukünftige Ereignisse: (16) a Maria übt in 2 Stunden Klavier. bHans kommt in 2 Stunden an. c Hans fragt in 2 Stunden nach der Uhrzeit. Für das Deutsche ist die Kombination mit durativen Begrenzungsadverbialen nicht das einzige Testkriterium zur Abgrenzung der Aktionsarten. Zentral ist hier vor allem das Verhalten des Partizips II (vgl. Andersson 1972; Weber 1971). Resultative Intransitiva (einschlafen, auf die Straße gehen), welche die Perfektumschreibung mit sein bilden, lassen ein attributives Partizip II zu (17), nicht-resultative Intransitiva, welche die Perfektumschreibung mit haben bilden, verbieten es (18). (17) a Die Kinder schlafen ein - Die eingeschlafenen Kinder. b Der Mann geht auf die Straße - Der auf die Straße gegangene Mann.

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(18) a Die Kinder schlafen - *Die geschlafenen Kinder. b Der Mann geht auf der Straße - *Der auf der Straße gegangene Mann. Das attributive Partizip II nicht-resultativer Transitiva (des fozten-Paradigmas) entspricht semantisch einem präsentischen Vorgangspassiv (19), das attributive Partizip II resultativer Transitiva entspricht dem präsentischen Zustandspassiv bzw. dem perfektischen Vorgangspassiv (20): (19) a Das geliebte Buch. b Das Buch wird geliebt. (20) a Das gefundene Buch. bDas Buch ist gefunden (worden). Die Verbaktionsart spielt eine zentrale Rolle bei der Interpretation von Perfekt und Präteritum in Kombination mit durativen Begrenzungsadverbialen wie 'seit + Zeitangabe'. Das Präteritum durativer Verben ist mit Ji/f-Phrasen nur dann verträglich, wenn das Verb zur Kategorie [-RES] gehört: (21) a Hans schrieb seit ein paar Tagen an dem Brief, b Maria besaß das Buch seit zwei Wochen. c Wir bewohnten das Haus seit einem Jahr. (22) a *Hans schrieb den Brief seit ein paar Tagen. b *Maria brachte das Buch seit fünf Wochen zur Bibliothek zurück, c *Wir verkauften das Haus seit einem Jahr. Das Perfekt ist weniger restriktiv als das Präteritum.19 Es ist mit j«Y-Phrasen auch dann verträglich, wenn V zur Kategorie der Resultativa gehört. (23) a Hans hat den Brief seit ein paar Tagen geschrieben. b Maria hat das Buch seit fünf Wochen zur Bibliothek zurückgebracht, c Wir haben das Haus seit einem Jahr verkauft. Das Durativadverbial bezieht sich dann freilich nicht auf die Dauer der von dem Verb denotierten Handlung, sondern auf die des daraus resultierenden Folgezustands. Vgl.

19 Ich beziehe mich hier ausschließlich auf haben + V-Formen, die als Perfekt zu analysieren sind. Bildungen wie Maria hat die Haare (seit zwei Monaten) kurz geschnitten sind präsentisch; das Partizip II fungiert hier als Pradikalivum. Eine ausführliche Diskussion von Bildungen dieser Art findet sich in Vater (1983).

80

(24) a Der Brief ist seit ein paar Tagen geschrieben, b Das Buch ist seit flinf Wochen zurückgebracht, c Das Haus ist seit einem Jahr verkauft. Es gibt allerdings eine lexikalische Einschränkung: 'seit + X' kann mit dem Perfekt resultativer Verben nur dann kombiniert werden, wenn es zu dem jeweiligen Verb eine Zustandspassivform gibt. Für heiraten und geben etwa ist das nicht der Fall. Dementsprechend ist das Perfekt in Kombination mit 'seit + X* bei diesen Verben abweichend. (25) a *Maria ist geheiratet. b "'Das Buch ist Hans gegeben. (25')a*Hans hat Maria seit drei Jahren geheiratet. b '"Maria hat Hans das Buch seit fünf Wochen gegeben. 'Seit + X' läßt sich situativ-deiktisch verwenden oder anaphorisch. In situativ-deiktischer Verwendung wird der Beginn der in Rede stehenden Situation von der Sprechzeit S her bestimmt. In anaphorischer Verwendung wird von einer (durch den Kontext zu bestimmenden) Antezedenszeit Ej.n aus zurückgerechnet. Es zeigt sich nun, daß die ieiY-Phrase beim Perfekt immer von der Sprechzeit her, beim Präteritum hingegen von der Antezedenszeit aus berechnet wird. Dementsprechend ist 'seit + X* mit dem Präteritum dann nicht kombinierbar, wenn X als eine situativ-deiktische Zeitangabe verwendet ist. Vgl.: (26) a?Hans schrieb seit gestern an dem Brief. b?Hans wartete seit der vorigen Woche auf Maria. (26) läßt sich akzeptieren, wenn die Sätze als Äußerungen der imaginativen Deixis interpretiert werden. In diesem Fall sind gestern, vorige Woche, letztes Jahr aber wiederum nicht auf die aktuelle Sprechzeit bezogen zu interpretieren, sondern werden relativ zu einer fiktiven Sprechzeit gedeutet. Beim Perfekt ist die sprechzeitrelative Deutung hingegen zwingend:

(27) a Hans hat seit gestern an dem Brief geschrieben. b Hans hat seit der vorigen Woche auf Maria gewartet.

3.3.3. Situationssemantische Deutung der Aktionsarten Die folgende Darstellung basiert auf Begriffen der Situationssemantik (Barwise & Perry 1983; Cooper 1986), die ich hier in einer leicht abgewandelten Terminologie einführe: Eine Situation e ist, allgemein gesagt, eine Menge von Gegebenheiten e, die sich über

81

eine bestimmte Raum/Zeit-Region erstrecken. Eine Gegebenheit ist ein Paar bestehend aus einer Raum/Zeit-Region l und einer Tatsache [ej. Daß Mitterand französischer Staatspräsident ist, ist eine Tatsache; (). Daß er nicht auch französischer Ministerpräsident ist, eine andere. (). Mit anderen Worten, Tatsachen bringen Sachverhalte [e]* in Verbindung mit Wahrheitswerten {0,1}, wobei ein Sachverhalt durch eine n-stellige Relation P mit ihren n Argumenten gegeben ist. (28)

Situation: e norigo

e: Gegebenheit

^^^[e]: Tatsache

l: Raum/Zeitregion

[e]* Sachverhalt P

X....X,,

W-Wert {1,0}

Eine Situation e ist genau diejenige Menge von Gegebenheiten, die von einem bestimmten Referenzpunkt r (origo) aus zugänglich ist. Der Situationsbegriff ist damit ein deiktischer Begriff. Im Grenzfall kann es sein, daß die von einem bestimmten Referenzpunkt aus gesehene Situation nur eine einzige Gegebenheit umfaßt. Der Einfachheit halber beziehe ich mich im folgenden immer auf diesen Fall. Situationen sind Ereignisse im Sinne von Davidson. Ereignisse in diesem Sinne umfassen auch Zustände und Aktivitäten. Um Irritationen über einen derart weitgefaßten Begriff von 'Ereignissen' zu vermeiden, verwende ich im folgenden den neutralen Begriff 'Situation' und schränke den Begriff 'Ereignis' auf Ereignisse im engeren Sinne, nämlich auf Zustandsveränderungen ein, denen durch resultative Verben [+RES] Ausdruck gegeben wird. In Anlehnung an Reichenbach spreche ich aber weiter von der 'Ereigniszeit' als der zeitlichen Lokalisierung einer Situation und dem 'Ereignisort' als ihrer räumlichen Lokalisierung. Aktivitäten, Aktionen, Zustände, Prozesse, Vorkommnisse und Akte sind unterschiedliche Kategorien von Situationen. Wie eine bestimmte Situation, z.B. Peters Kuchenessen, gesehen wird, als zeitlich unbegrenzte Aktivität ('Peter ißt Kuchen') oder als zeitlich geschlossenes Ereignis ('Peter ißt den Kuchen') hängt im wesentlichen davon ab, ob sie von innen her in ihrer zeitlich/räumlichen Ausdehnung und damit als zeitlich offen gesehen wird oder von ihrem Abschluß her als ein zeitlich und räumlich abgeschlossenes Ganzes.20 Verben der verschiedenen Aktionsarten kodifizieren verschiedene 20 Auch diese Unterscheidung hat unter sprachhistorischen Gesichtspunkten schon Behaghel in ähnlicher Weise getroffen: "Es ist wahrscheinlich, daß schon das Idg. zwei Aktionsarten unterschieden hat, die i m p e r f e k t i v e ( d u r a t i v e ) u n d d i e p e r f e k t i v e . [...] Bei der i m p e r f e k t i v e n Aktionsart wird ein Vorgang vorgestellt ohne Gedanken an seine Begrenzung, er wird als etwas Entfaltetes, als sich Erstreckendes aufgefaßt. [...] B e i d e r p e r f e k t i v e n Aktionsart wird ein

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gefrorene Perspektiven: nicht-resultative Verben die situationsinteme Perspektive, resultative Verben die Grenzperspektive. Die jeweilige Perspektive determiniert die Art und Weise, in der eine Situation lokalisiert ist. Ich unterscheide im folgenden zwischen der aktuellen Lokalisierung l einer Situation und ihrer Diskurslokalisierung (symbolisch: L). L ist die konzeptuelle Repräsentation von l in einer Diskursrepräsentation (DR) und mit l nicht isomorph. Die Unterscheidung von aktueller Lokalisierung und Diskurslokalisierung ist aus dem folgenden Grund notwendig: reale Situationen erstrecken sich immer über eine gewisse Zeitspanne, dennoch haben wir eine Vorstellung von nicht-dauerhaften, punktuellen Ereignissen, die sprachlich in der Kategorie der punktuellen Verben (also Verben der Kategorie [-DUR.+RES] und [-DUR.-RES]) einen Niederschlag findet. Eine Situation wird in einem Punkt oder in einem Intervall lokalisiert (punktuelle vs. sequentielle Lokalisierung). Die Lokalisierung kann vollständig sein oder partiell. Bei einer vollständigen Lokalisierung wird die Situation als ganze durch ein Intervall (oder einen Punkt) T lokalisiert. Bei einer partiellen Lokalisierung kann jedes Teilintervall von T oder ein beliebiger Ausschnitt aus der Nachbarschaft von T ebenfalls eine Lokalisierung der fraglichen Situation sein. Definitonen D 1.1 L ist eine sequentielle Lokalisierung von e, wenn es mindestens ein L' c L und ein L" c L gibt, sodaß: L' < L". D 1.2 L ist eine punktuelle Lokalisierung von e, wenn sie nicht sequentiell ist, d.h. wenn für alle L' c L und L" c L, gilt: L' = L". D2.1 L ist eine vollständige Lokalisierung von e, wenn es kein L·' außerhalb von L gibt, das e lokalisiert und wenn es kein L* c L gibt, das e lokalisiert. D2.2 L ist eine partielle Lokalisierung von e, wenn sie nicht vollständig ist, d.h. wenn jeder Teilausschnitt L' c L und jeder unmittelbare Nachbar L" von L ebenfalls eine Lokalisierung von e ist. Durative Verben lokalisieren eine Situation sequentiell, nicht-durative Verben lokalisieren punktuell. Resultative Verben lokalisieren vollständig, nichtresultative Verben lokalisieren partiell. M.a.W. die situationsinterne Perspektive induziert partielle Lokalisierungen, die situationsexterne Perspektive induziert vollständige Lokalisierungen. Durativresultative Verben wie heilen, genesen, einen Brief schreiben teilen mit nicht-resultativen Durativa wie nachdenken, Klavier üben, krank sein die sequentielle LokaliVorgang vorgestellt im Hinblick auf seine Begrenzung; man kann theoretisch sagen: er scheint als eine unzerlegte Einheit." (Behaghel 1924, Bd. , S. 95).

83

sierung. Mit nicht-durativen Resultativa wie finden, verlieren, ankommen teilen sie die vollständige Lokalisierung. Iterative Verben lassen sich als partiell und punktuell lokalisierend analysieren.

(29)

e 'ein Haus bauen'

Vollständige und sequentielle Lokalisierung

(30)

e

'ankommen'

Vollständige und punktuelle Lokalisierung

(31)

e

'nachdenken 1

L"

Partielle und sequentielle Lokalisierung

84

(32)

e

'husten 1 > S < E , R, vgl. 37). Bei der 'Sportreporter-Zukunft' (38) kommt die Zukunftslesart dadurch zustande, daß einerseits s in e zeitlich enthalten ist und andererseits r mit dem Abschluß von e zusammenfällt. Damit ergibt sich für die Diskurslokalisierungen: E D S, E ^ R und S < R. (36) Sportreporter-Präsens: Kasparow gewinnt e

s=r

S,R,E

86

(37) Verschobenes Präsens: Kasparow gewinnt

S

(38)


R). Das bloße Perfekt resultativer Verben ist in diesem Sinne ein Präsensperfekt. b Nicht-resultative Durativa ([+DUR, -RES]) etablieren nur eine partielle Lokalisierung. Die intrinsische Bedeutung E < R gilt daher nur für den jeweils betrachteten Ausschnitt aus der Gesamtzeit von e, und es bleibt offen, ob e eine weitere, über R hinausreichende Ereignislokalisierung E' hat.Das bloße Perfekt nicht-resultativer Durativa denotiert in diesem Sinne die unbestimmte Vergangenheit c

Semelfaktive Verben ([-DUR, -RES]) haben weder ein Resultat, noch eine Dauer. Ihre Ereigniszeit liegt in der unmittelbaren Umgebung der Referenzzeit (E c IMM(R)). Das bloße Perfekt dieser Verben bezieht sich in diesem Sinne auf die unmittelbare Vergangenheit

Für die verschiedenen Bedeutungsvarianten des bloßen Perfekts ergeben sich damit die folgenden Darstellungen: (55) Hans hat geheiratet. / Präsensperfekt E/res E

S

* (56)

—iR

—>

Hans hat gehustet, l Unmittelbare Vergangenheit E T

S 1 R

-

97

(57) Hans hat (um 5 Uhr) Klavier geübt. / Unbestimmte Vergangenheit S

·!-

-·—-1-

5.00

R

Die Darstellung in (56) scheint der Deutung des Perfekts als unmittelbare Vergangenheit zu widersprechen: Zwischen E und R liegt ein gewisser Zeitabstand. Die lexikalische Zusatzbedingung d (E c IMM(R)) verlangt jedoch nicht, daß zwischen der Ereigniszeit und der Referenzzeit kein Zwischenraum besteht, sondern lediglich, daß E der Referenzzeit innerhalb ihrer unmittelbaren Umgebung vorausgeht. Diese Bedingung ist in (56) gewährleistet. Gegenüber Ehrich & Vater (1989) habe ich hier die lexikalischen Zusatzbedingungen modifiziert. In dem genannten Aufsatz wurde bei resultativen Verben die Referenzsituation als durch den Resultatzustand gegeben betrachtet und dementsprechend die Referenzzeit mit der Resultatzeit gleichgesetzt (R=E/res). Diese Annahme habe ich hier aufgegeben, weil sie in Sequenzen wie (59) zu unnötigen Komplikationen führt. (58) Hans hat 1969 geheiratet (e^. 1986 hat er sich scheiden lassen (e2). Die oben formulierte lexikalische Zusatzbedingung (E/res 2 R) wird in (59) unter der - durch die kontextuelle Grundbedeutung des Pefekts gegebenen - Voraussetzung R=S allerdings ebenfalls verletzt, da (59) natürlich nicht so zu verstehen ist, daß Hans zur Sprechzeit verheiratet und geschieden ist. Der zweite Satz von (59) kennzeichnet den Resultatzustand E,/res als vor S (=R,) abgeschlossen. (59) hat demnach die folgende Analyse: (59)

E t /res '

E2 '__ v

E 2 /res

s

· g R,=R 2

Generell müssen wir festhalten, daß die lexikalischen Zusatzbedingungen defaultInterpretationen spezifizieren, die durch den Kontext aufgehoben werden können. Das unterscheidet diese Bedingungen von der grammatischen Tempusbedeutung, die nicht aufhebbar ist, sondern allenfalls verschoben werden kann (s.o. Cl, C2). Äußerungen wie (60) scheinen für die vorgeschlagene Analyse zunächst problematisch. (60) Ich habe gewußt, daß du kommst.

98

(60) drückt aus, daß ein jetzt vorhandenes Wissen auch früher schon bestand. Insofern liegt die Ereigniszeit von wissen nicht vor R (=S), sondern schließt R ein. Wissen ist ein nicht-resultatives Durativ, es bezieht sich auf einen (nach vome) zeitlich unbegrenzten Zustand. Anders als andere durative Verben der propositionalen Einstellung läßt es sich auch nicht durch Adverbien perfektivieren. Vgl.: (61) a'"Ich wußte zwei Stunden lang, daß du kommen würdest, blch glaubte zwei Stunden lang, daß du kommen würdest. (62) a '"Ich habe bis gestern gewußt, daß du kommst, blch habe bis gestern geglaubt, daß du kommst. Das liegt daran, daß Wissen (nicht notwendiger-, aber doch üblicherweise) relativ permanent ist: es hat zwar einen (mehr oder weniger) deutlichen Beginn, aber gewöhnlich kein deutliches Ende. Der Hinweis auf ein vorhandenes Wissen in Äußerungen wie ich weiß, daß p ist obsolet in Situationen, in denen es offensichtlich ist, daß ich p weiß (weil z.B. p selbst offensichtlich ist). Man wird einen Ankömmling daher nicht mit der Äußerung (63) begrüßen, (63) ist aber angemessen, wenn das Kommen des Adressaten für die Zukunft erwartet wird: (63) Ich weiß, daß du kommst. (60) bezieht sich auf eine dem Zeitpunkt der Äußerung vorausgehende Situation, in der mein Wissen von p noch nicht offensichtlich war und der Hinweis darauf noch als informativ gelten konnte. Was bezüglich R in der Vergangenheit liegt, ist nicht das Wissen von p selbst - dieses besteht fort -, sondern die Umstände, unter denen der Hinweis auf dieses Wissen relevant war. Hier spielt der Gesichtspunkt der partiellen Lokalisierung wiederum eine zentrale Rolle: Da e in E lediglich partiell lokalisiert ist, bezieht sich das Perfekt in seiner intrinsischen Komponente lediglich auf einen Ausschnitt aus der gesamten Ereigniszeit von e und für diesen Ausschnitt gilt E < R. Problematisch für die hier vorgeschlagene Analyse scheint zunächst auch das bloße Perfekt von bleiben. (Vgl. dazu auch Fabricius-Hansen (1975)). (64) a Peter ist in Berlin geblieben. D Peter ist in Berlin, b Peter ist verheiratet geblieben. r> Peter ist verheiratet, c Peter ist Raucher geblieben. z> Peter ist Raucher. Bleiben ist nach den oben angegebenen Kriterien ein Zustandsverb der Kategorie [+DUR,-RES]. Es läßt sich mit durativen Begrenzungsadverbialen kombinieren (65a) und erlaubt ein attributives Partizip (65b): (65) a Hans bleibt drei Jahre in Berlin.

99

bDer in Berlin gebliebene Mann. Bleiben drückt aus, daß ein zur Zeit t gegebener Vorzustand eVOR (z.B. 'Hans ist in Berlin') über t hinaus erhalten bleibt: (66)

'Hans ist in Berlin' 6

VOR

'Hans ist in Berlin' t

6

NACH

Der Zeitpunkt t trennt hier Vor- und Nachzustand, wobei letzterer die Fortsetzung des Vorzustandes ist. (D3) Definition Fortsetzung e' ist die Fortsetzung von e welche in E/fort lokalisiert ist, gdw.: Für alle Individuen und alle Eigenschaften P gilt: Wenn P in e auf zutrifft ([P (x)]e), dann trifft P auch in e' auf zu ([P (x)]e.) und E < E'. Für bleiben ist daher die lexikalische Zusatzbedingung b entsprechend zu ersetzen: b': R ist in der Fortsetzung E/fort von E enthalten (E/fort 2 R)· Wo R mit der Sprechzeit zusammenfällt, wird ein Zustand als über S hinaus bestehenbleibend charakterisiert. Wo R - wie beim Präteritum - mit der Ereigniszeit zusammenfällt, kann das durch bleiben ausgedrückte Fortbestehen des fraglichen Zustandes vollständig in der Vergangenheit liegen: (67) a Peter blieb in England, b Peter blieb verheiratet. c Peter blieb Raucher.

^s Peter ist in England, ^ Peter ist verheiratet, ;z Peter ist Raucher.

3.5.3. Das bloße Präteritum als anaphorisches Tempus Perfekt und Präteritum unterscheiden sich in Reichenbachs Schema der Tempusanalyse durch die kontextuelle Anbindung der Referenzzeit. Beim Perfekt ist die Referenzzeit an S gebunden (R , S) und damit situativ festgelegt. Beim Präteritum gibt es keine Anbindung an S, die Referenzzeit muß daher beim Präteritum anders festgelegt werden. Peter ist gekommen gibt eine vollständige Mitteilung wieder, Peter kam verlangt nach zusätzlicher zeitlicher Information, genauer gesagt nach einer Festlegung der Referenzzeit. Deswegen gibt unser Motto Goethe ist gestorben eine vollständige (wenn auch im Jahre 1982 etwas merkwürdige) Mitteilung wieder, während der korrespondierende Präteritumsatz Goethe starb ohne eine z.B. adverbiale Ergänzung unvollständig bleibt.

100 Die Referenzzeit ergibt sich beim Präteritum immer aus dem sprachlichen Kontext. In diesem Sinne ist das Präteritum ein anaphorisches Tempus. Im isolierten Satz, in dem die notwendige Kontextinformation nicht aus dem Diskurszusammenhang gewonnen werden kann, muß R adverbial spezifiziert werden wie in Peter kam gestern. Die Charakterisierung des Präteritums als eines anaphorischen Tempus darf aber nicht dahingehend fehlgedeutet werden, daß es im isolierten Satz eine anaphorische Lesart hätte. Das ist wegen des fehlenden Antezedens gar nicht möglich. "Anaphorisch" ist das Präteritum insofern, als es die Referenzzeit grundsätzlich nicht aus dem Situationskontext bezieht, sondern nur aus dem Redekontext (der seinerseits auf den Satzkontext schrumpfen kann). Diese Feststellung verdeutlicht zugleich, warum das Präteritum vorzugsweise in Erzählungen verwendet wird: Hier kann die Referenzzeit aus den Antezedensäußerungen gewonnen werden. Dazu gibt es für das bloße Präteritum zwei Möglichkeiten: I

Die Referenzzeit R; der Themasituation Cj ist identisch mit der Ereigniszeit der Antezedenssituation R^ = E^.

II Die Referenzzeit Rj der Themasituation ist identisch mit der Zeit, die den Resultatzustand der Antezedenssituation lokalisiert; Rj ist damit durch die Resultatzeit des Antezedensereignisses gegeben: ^ = Ej.,/res. Im ersten Fall ergibt sich eine assoziative Interpretation der anaphorischen Zeitbeziehung (Ej, EJ.J. Dieser Fall ist typisch, aber nicht obligatorisch, für Sequenzen, in denen die Antezedenssituation durch ein nicht-resultatives Verb (68) denotiert wird. Im zweiten Fall ergibt sich eine sukzessive Interpretation (Ej > EUB). Dieser Fall ist typisch, aber nicht obligatorisch (s.u., Kap. 5.), für Sequenzen, in denen die Antezedenssituation durch ein resultatives Verb wiedergegeben wird (69). (68) Hans saß im Sofa (e,) und Ias.(e2) (69) Hans setzte sich ins Sofa (ej und las. (e2) Diese Sätze habe die folgenden temporalen Repräsentationen:2*

28 R! ist in diesen Repräsentationen nicht festgelegt. Die Analyse unterscheidet sich von der von Hinrichs (1981, 1986) technisch vor allem dadurch, daß hier jeder im Diskurs erwähnten Situation eine eigene Referenzzeit zugeordnet wird, die dann in Abhängigkeit von Tempus und Aktionsart unterschiedlich verankert wird. Bei Hinrichs führen nur Ereignisse, auf die mit accomplishments oder achievements Bezug genommen wird, eine eigene Referenzzeit ein. Zustände, auf die man sich mit state-Verben bezieht, etablieren keine eigene Referenzzeit und fallen zeitlich in die zuletzt eingeführte Referenzzeit (vgl. auch Kamp & Rohrer 1983: Partee 1984; Klein & v. Stutterheim 1987). Hinrichs Analyse beschränkt sich auf das (englische) Präteritum. Sein Ansatz gilt hauptsächlich dem Beitrag der Aktionsarten zur temporalanaphorischen Deutung von Diskursen. Dabei gerät die Frage nach dem Beitrag der verschiedenen

101

(70) Hans saß im Sofa und las. .


(71) Hans setzte sich ins Sofa und las. E, _

»-

_,

--........-

S

Die deiktische Interpretation eines Tempus folgt aus der intrinsischen Bedeutung und der kontextuellen Bedeutung (s.o. Abs. 3.1.). Sie kann situativ sein oder anaphorisch. Die situative Deutung betrifft die Beziehung zwischen Ej und S (E{ ... S). Die anaphorische Deutung betrifft die Beziehung zwischen der Lokalisierung der Themasituation und der Lokalisierung der Antezendessituation (EJ...EJ.J. Die situative und die anaphorische Lesart ergeben sich im Prinzip in derselben Weise als Beziehung zwischen Es und ;. (bzw. EiVres). Wenn wir E„ statt S schreiben, so gilt für die situative Deutung Ej.n = E0, für die anaphorische Deutung gilt: Ej.„ > E0. Die anaphorische Beziehung ist sukzessiv (Ej > Ej_n), wenn Rj durch die Resultatzeit der Antezedenssituation gegeben ist (Rj = Ej.,/res). Sie ist assoziativ (Eit Ej.J, wenn R; durch die Ereigniszeit der Antezedenssituation etabliert wird (R; = Ei.n). Die Festlegung der Referenzzeit (auf die Ereignis- oder Resultatzeit der Antezedenssituation) ist, da u.a. abhängig von der Aktionsart des Antezedensverbs, Gegenstand lexikalischer Zusatzbedingungen, die der kontextuellen Bedeutung des Präteritums hinzuzufügen sind. Die Bedeutungsanalyse des bloßen Präteritums läßt sich damit wie folgt zusammenfassen: Die Bedeutung des bloßen Präteritums Intrinsische Bedeutung: E, , R, Kontextuelle Bedeutung: R, < E, EJ lokalisiert die Themasituation. R; lokalisiert die Referenzsituation. E0 lokalisiert die Sprechsituation.

Tempora etwas aus dem Blick. Insbesondere bleibt unklar, inwieweit (unabhängig von der jeweiligen Aktionsart) einem gegebenen Tempus eine einheitliche Bedeutung zugeschrieben wird.

102 Lexikalische Zusatzbedingungen: a R, £ EI.,, vorzugsweise wenn das Antezedensverb nicht-resultativ ist ([±DUR, -RES)], b R, £ E^Jres, vorzugsweise wenn das Antezedensverb resultativ ist ([±DUR, +RES)]. c R, = T, im isolierten Satz. EJ.B lokalisiert die Ereigniszeit der Antezedenssituation. ,,,/res lokalisiert den Resultatzustand der Antezedenssituation. \ ist der Verweisbereich eines Temporaladverbials. (68) und (69) haben damit diese Analysen:

(72) Hans saß im Sofa (ej und las (e2). intrinsisch kontextuell

E, , Rj R, < E0

E2 , R2 R2 < E0

& R2 = El

deiktisch

E, < E 0 T situativ

E2 E, t anaphorisch

Die Assoziationsbeziehung E j , R^ ist semantisch unterdeterminiert und kann in verschiedener Weise ausbuchstabiert werden, als "Ej D R/1, als ; c R,", als E( = Rj oder einfach als "Ej j| R/'. Wie die Assoziationbeziehung im konkreten Fall auszubuchstabieren ist, hängt von sprachlichem Wissen bezüglich verschiedener Aktionsarten ebenso ab wie von nicht-sprachlichem Wissen hinsichtlich der relativen Dauer von bestimmten Typen von Situationen. Wenn eine Sequenz assoziativ gedeutet wird, wenn also Rj mit der Ereigniszeit Ej.n der Antezedenssituation zusammenfällt, ergeben sich die folgenden Interpretationsmöglichkeiten: (74)

Ej,Rj-> Ej c Rj / Rj = Ej.n a Wenn E; ein punktuelle Situation (-DUR) und Rj (= ,. ) eine sequentielle Situation (+DUR) lokalisiert: Hans fuhr mit dem Rad zum Bahnhof (Ej.n = RJ). An einer Ampel traf er Paul

103

b Wenn E; eine resultative Situation (+RES) und Rj eine nicht-resultative Situation (-RES) lokalisiert: Es war ein sonniger Morgen ( ;. = Rj). Hans trank ein Glas Milch (E;). c Wenn Es eine Teilhandlung von Rj lokalisiert: Hans und Paul brachten den Garten in Ordnung (E^ = Rj). Paul mähte den Rasen (E,). d Wenn Ei nach allem, was wir wissen, eine geringere Dauer hat als R E; :D Rj, wenn

a EJ eine sequentielle Situation (+DUR), Rf eine punktuelle Situation (-DUR) lokalisiert: Hans traf Paul in der Straßenbahn (Ej.n = Rj). Er trug einen Lederhut (E;). b E j eine zeitlich offene Situation (-RES), Rj eine geschlossene Situation (+RES) lokalisiert: Hans trank ein Glas Milch (Ej.„ = Rj). Es war ein sonniger Morgen (Ej). c Wenn Rj eine Teilhandlung von E, lokalisiert: Hans band sich die Krawatte (Ej.n = RJ). Er zog sich lustlos an (E,). d Wenn Rj, nach allem, was wir wissen, eine geringere Dauer hat als EJ: Hans ging ins Haus ( (. = Rj). Es wurde langsam Abend (EJ. (76)

E i ,R i -->E i =R i Wenn E; den Inhalt einer Wahrnehmung und Rj die Wahrnehmungsituation lokalisiert: Hans sah (Ej.n = Rj), daß Paul kam (EJ.

Betrachten wir nun ein authentisches Beispiel: (77)

Als ich wach wurde (1), war es Tag (2), und wir waren durch Schweinfurt durchgefahren (3) und näherten uns Würzburg (4). Langsam wurden nach und nach alle auf unserem Waggon wach (5) und wünschten sich einen guten Morgen (6). Mir taten alle Knochen weh (7), denn ich hatte ganz unglücklich, halb auf der Kante eines Balkens und auf einem Fahrrad zwischen Lenker und Stange gelegen (8). Doch wie mir ging es den anderen auch (9). Jede fühlte an irgendeiner Stelle Folgen der unbequemen Lage (10). Um zehn Uhr fuhren wir durch Würzburg (11), welches unseren Blicken nur Trümmer bot (12). (Breloer, Mein Tagebuch, Rita H.)

104

Dies ist eine Tagebucherzählung aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs, geschrieben ein bis zwei Tage nach dem geschilderten Eisenbahntransport. Die Ereigniszeit des einleitenden Temporalsatzes (Als ich wach wurde) gibt die Referenzzeit für den folgenden Hauptsatz (war es Tag) ab. Es gilt: E! = R2. Damit ist die kontextuelle Beziehung festgelegt. Für die intrinsische Beziehung gilt: "E, , R2", dies ist als E2 z> R2 (s E2 D Ej) auszubuchstabieren. Das ergibt sich aus den Aktionsarten der beteiligten Verben und aus dem Wissen über die relative Dauer der beteiligten Ereignisse: Wach werden ist ein zwar durativer, aber doch zeitlich geschlossener und relativ kurzer Vorgang, kürzer jedenfalls als ein Tag. Insofern darf man annehmen, daß die Lokalisierung EI (=R2) in die Lokalisierung E2 eingeschlossen ist. E2 gibt die Referenzzeit für die folgenden Sätze (3, 4) ab. Kontextuell gilt damit die Festlegung "Ej = RM". Das Plusquamperfekt in Satz (3) kennzeichnet die intrinsische Beziehung als "(E3 < R3 (=E2)". Für Satz (4) ist die auf "E4 , R/ festgelegte intrinsische Beziehung unterdeterminiert. Da man die Strecke von Schweinfurt nach Würzburg mit der Bahn in weniger als einem Tag zurücklegen kann, ist anzunehmen, daß E4 in R, (=E2) enthalten ist, es gilt also "E4 c R/1. Die temporale Analyse für den ersten Abschnitt des Textes sieht damit so aus: (78)

(79)

... wach wurde intrinsisch E, , R, kontextuell R, < E0

... war Tag E2 i> R2 R2 = E,

deikt./anaph.

E2 3 E,

E, < E0

... hatten S. durchfahren intrinsisch E3 < R3 kontextuell R3 = Ej

... näherten uns W. E4 c R4 R4 = Ej

anaphorisch

E4 c E2

E3 < Ej

Aus den anaphorischen Beziehungen zwischen Ej und Et sowie E3 und E2 ergibt sich die zwischen £3 und Et als "Ej < E,". Die anaphorische Beziehung zwischen E4, der Annäherung an Würzburg, und E„ dem Wach werden der Tagebuchschreiberin, bleibt offen. Das Prinzip der natürlichen Reihenfolge (s.u. Kap. 5.) legt E4 > E, nahe, die sequentiell lokalisierten Aktionsarten erlauben aber auch eine inklusive Deutung, z.B. E4 D E,. Die in den Sätzen (5-10) geschilderten Situationselemente sind zeitlich auf E4 bezogen. E4 gibt damit die Referenzzeit für diese Sätze ab. Eg liegt vor, die anderen Ereigniszeiten liegen in dieser Zeit. In Satz (11) führt das Adverbial um zehn Uhr eine neue Referenzzeit Rn=Tn ein. Diese Zeit folgt auf E4 (die Annäherung an Würzburg ist mit dem Fahren durch Würzburg abgeschlossen). Tu ist der Verweisbereich des Temporaladverbs. Es gilt En r> R n . E„ etabliert die Referenzzeit für den letzten Satz (E„ = RI2). Die Assoziationsbeziehung

105

wird hier durch das Wahrnehmungsverb in (12) auf Identität festgelegt. Zwar lag Würzburg auch vor und nach der Durchfahrt der Tagebuchschreiberin in Trümmern, aber da "bot es sich ihren Blicken nicht dar". Wir erhalten also die folgende temporale Analyse: (80) fuhren durch W. intrinsisch Eu ^ R n kontextuell R„ > E4 anaphorisch

En > E4

bot unseren Blicken EJ2 = R12 R12 = Eu Eu = E12

Die Kennzeichnung des Perfekts als situativ-deiktisch und des Präteritums als anaphorisch, die auf der Bindung der Referenzzeit an die Sprechzeit (Perfekt) bzw. an die Antezedenszeit (Präteritum) beruht, bestimmt auch die Deutung des folgenden Beispiels: (81) Mit einem Kleinbus bereisten wir zwei Wochen lang die "Ressorts"-Gemeindeverbände des Distrikts Silindung (ej). Dabei kamen wir in entlegene Dörfer (e2), in denen kaum ie ein Europäer aufgetaucht ist (63). ("Das Evangelische Kleve", September 1988). Der Perfektsatz am Ende dieser Sequenz lokalisiert die Situation e, in einem Zeitraum, der sich von einer unbestimmten Vergangenheit bis zur Sprechzeit erstreckt: Daß in Silindung selten Europäer auftauchten, ist bis in die Gegenwart und darüber hinaus der Fall, anders ausgedrückt, R3 ist an die Sprechzeit situativ gebunden: (82)

intrinsisch kontextuell

E2 Ej) oder (partiell) gleichzeitig (SIM: T, , E^, Nicht-deiktische Adverbien (-DEIKT) bezeichnen eine absolute Position, die allein aufgrund historischen Faktenwissens als vor-, nach- oder (partiell) gleichzeitig mit einer gegebenen Bezugszeit einzuordnen ist. Die deiktischen Adverbien gliedern sich in situative und nicht-situative Ausdrücke. Situative Deiktika (+DEIKT, +SIT) haben im isolierten Satz eine sprechzeitrelative Deutung (Ej = E0). Im Diskurs lassen sie sich (mit gewissen Ausnahmen, s.u.) auch antezendenszeitrelativ (= anaphorisch) interpretieren (Ej = £;.„ oder Ej = E^res). Nicht-situative Deiktika (+DEIKT, -SIT) sind auf die anaphorische Verwendung beschränkt.

ANT

SIM

+K +K -

r> EJ POST +

-

+DEIKT +SIT j=0 gestern

+DEIKT -SIT

-DEIKT

j^i

am Tag vorher

vorhin

vorher

heute momentan

an diesem Tag

morgen gleich

am nächsten Tag danach

indessen

+K 44 vor Christus -K In der Römerzeit

Tab. 1: Subkategorien von TADV In allen Gruppen gibt es kalendarische (+K) und nicht-kalendarische (-K) Ausdrücke. Die Deiktika gliedern sich in lexikalisierte Einheiten und komplexe; die absoluten Zeitadverbiale sind allesamt komplex. Die Tatsache, daß es im System der situativen Temporaldeixis lexikalisierte Kalenderadverbien (wie gestern, heute, morgen) gibt, hebt einerseits die zentrale Stellung der Deixis im Bereich der Zeitadverbiale hervor und

109 reflektiert andererseits die essentielle Bedeutung der konventionalisierten Zeitmessung für unsere Konzeptualisierung von Zeit. Im Zentrum der folgenden Betrachtungen stehen lexikalisierte Deiktika. Dazu gehören die folgenden Temporaladverbien: [+ANT, +DEIKT, +SIT, +K] [+ANT, +DEIKT, +SIT, -K] [+SIM, +DEIKT, +SIT, +K] [+SIM, +DEIKT, +SIT, -K] [+POST, +DEIKT, +SIT, +K [+POST, +DEIKT, +SIT, -K] [+ANT, +DEIKT, -SIT, -K] [+SIM, +DEIKT, -SIT, -K] [+POST, +DEIKT, -SIT, -K]

gestern, vorgestern-, vorhin, eben, grade, kürzlich, neulich, früher, einst, heute, heuer, jetzt, nun, grade, momentan, augenblicklich, gegenwärtig, derzeit, neuerdings, mittlerweile; morgen, übermorgen; gleich, sofort, augenblicklich, nachher, bald, demnächst, später, einst; vorher, davor, zuvor; indessen, unterdessen, derweil, zugleich, gleichzeitig, da, damals; danach, dann, darauf, anschließend, schließlich, endlich;

Auf die deiktischen Kalenderadverbien (gestern, heute, morgen) gehe ich im folgenden nur am Rande ein, da ihre lexikalische Bedeutung klar ist. Worauf es mit ankommt, ist der Versuch, die Bedeutung der nicht-kalendarischen Temporaldeiktika zu charakterisieren.

4.1.2. Semantische Differenzierungen im Bereich der situativen Temporaladverbien. Die einzelnen Situationsdeiktika unterscheiden sich voneinander im Hinblick auf topologische Eigenschaften wie Nähe bzw. Ausdehnung einer Region relativ zum Bezugszeitpunkt. So liegt vorhin weniger weit zurück als einst, und heuer umfaßt eine weitere Zeitspanne als heute. Im folgenden werden Differenzierungen dieser Art auf der Grundlage der oben in ähnlicher Weise für die positionale Ortsdeixis eingeführten topologischen Kategorien der Proximität und Distalität beschrieben: Definitionen (Dl) Die proximale Umgebung PROX(Ej) von E, ist ein vollständig geschlossenes Zeitintervall Tä, für das gilt: T, 2 E,.

110

(D2) Die unmittelbare Umgebung IMM(Ej) von Ej ist ein vollständig geschlossenes Zeitintervall T, für das gilt: T; ist ein echtes Teilintervall von PROX(Ej) & Tf 2 E, (D3)Die periphere Umgebung PER(Ej) von Ej ist ein vollständig geschlossenes Zeitintervall Ts, für das gilt: Ts n PROX(Ej) ±0 & T( n IMM(Ej) = 0. (D4) DIST(Ej) ist ein Intervall Tj in distaler Entfernung zu Ej, sodaß gilt: T, n PROX(Ej) = 0. Die Grenzen der proximalen Umgebung einer Zeitregion Ej sind variabel. Das Abgrenzungsproblem (Klein 1977) gilt insofern nicht allein für die lokale, sondern auch für die temporale Deixis (vgl. dazu Ehrich 1992). Was als Jetzt-Teti. zählt, kann sich über einen unterschiedlich weiten Zeitraum erstrecken, ist aber nicht unbegrenzt, fällt also nicht einfach mit Vergangenheit oder Zukunft zusammen. In (la) ist die von jetzt erfaßte Gegenwart kürzer als in (Ib), welche ihrerseits kürzer ist als in (Ic): (1) a Johannes schaut jetzt aus dem Fenster, b Johannes ist jetzt in Ferien. c Johannes besucht jetzt die Realschule. Derart unterschiedliche Zuschreibungen von Dauer kommen auf der Basis unseres Alltagswissens zustande: Aus dem Fenster schaut man nicht tage- oder wochenlang, Ferien dauern Wochen oder Monate, aber nicht Jahre, eine bestimmten Schule besucht man dagegen über Jahre hinweg. In allen Beispielen von (1) steht das Jetzt im Gegensatz zum Nicht-Jetzt: 'Johannes schaut jetzt aus dem Fenster - vorher hat er es nicht getan', 'Johannes ist jetzt auf der Realschule - vorher hat er eine andere Schule besucht/später wird er eine andere Schule besuchen'. M.a.W. die proximale Umgebung von E0 hat zwar variable Grenzen, aber sie ist nicht unbegrenzt. Genau darauf beruht der Unterschied zwischen (1) und (2): (2) a Johannes schaut aus dem Fenster, b Johannes ist in Ferien. c Johannes besucht die Realschule. Das durch jetzt adverbial modifizierte Präsens nicht-resultativer Verben lokalisiert die Ereigniszeit F^ von es in der proximalen Umgebung von E0. Das bloße Präsens nichtresultativer Verben etabliert keine derartige Beschränkung. Es bezieht sich auf eine im Prinzip unbegrenzte und damit möglicherweise über PROX(E0) hinausreichende Gegenwart, welche nicht zu Zeiten außerhalb von PROX(E0) in Kontrast gesetzt wird. Ein gegebenes Intervall kann vollständig oder partiell geschlossen sein. Bei einem vollständig geschlossenen Intervall liegen Beginn und Ende fest (von drei bis vier Uhr).

Ill

Gelegentlich kennen wir nur den Beginn (ab drei Uhr) oder nur das Ende (bis vier Uhr). Im ersten Fall sprechen wir von einem initial geschlossenen, im zweiten von einem final geschlossenen Intervall. Definitionen (D5) Tj ist ein initial geschlossenes Intervall, gdw. (i) Es gibt ein Tta c T; und (ii) F r alle T' < T^ gilt: - T' c T,. (D6) Tj ist ein final geschlossenes Intervall, gdw. (i) Es gibt ein Trm c T\ und (ii) F r alle T' > Tfin gilt: - T' c Ts. (D7) Tj ist ein vollst ndig geschlossenes Intervall, gdw. es initial und final geschlossen ist. Die semantische Form der Temporaladverbien l t sich im Prinzip in derselben Weise wie die der Positionsdeiktika angeben. Wenn (3a) die semantische Form von hier ist (s.o. Abs.2.2.), so reprsentiert (3b) die semantische Form von jetzt: (3) a hier: λχ (Loc(x) c PROX(L0) b jetzt: λχ (Temp(x) c PROX(E0) Temp(x) gibt die zeitliche Lokalisierung einer Situation in derselben Weise wieder, in der Loc(x) die r umliche Lokalisierung einer Situation repr sentiert. Angewendet auf ein bestimmtes Ereignisargument (ej, gehen (3a,b) in die Formeln (4a,b) ein: (4) Λ hier, λχ (Loc(x) c PROXCLJXe,) b jetzt: λχ (Temp(x) c ΡΚΟΧ(Ε0))(β() Aus (4) wird durch λ-Konversion (5): (5) Λ hier. Locfe) c PROX(L0) b jetzt: Tempfa) c PROX(E0) j) ist die Ereigniszeit Ej der durch TADV zeitlich lokalisierten Situation e^ Statt (5b) schreiben wir daher auch (6): (6) jetzt: E( c PROX(E0)

112

Temporaladverbien lokalisieren, wie wir unten (Abs.4.2) noch sehen werden, nicht immer die Ereigniszeit der Themasituation e,. Sie können stattdessen auch die Referenzsituation r, auf einen bestimmten Bereich der Zeitachse einschränken. In diesem Fall ist (3b) nicht auf e„ sondern auf anzuwenden, und es ergibt sich (7a) bzw. durch Konversion (7b): (7) a jetzt: (Temp(x) b jetzt: (TempO-j) c PROX(E0)) Temp(rj) ist die Referenzzeit. Statt (7a) schreiben wir deshalb auch (7) c jetzt: R; c PROX(E0) Ob TADV die Ereigniszeit (6) oder die Referenzzeit (7c) lokalisiert, hängt vom Tempus des durch TADV modifizierten Verbs ab. Auf diesen Punkt komme ich in Abs. 4.2. zurück, für die Wortbedeutung der verschiedenen Temporaladverbien spielt er keine Rolle. Die Bedeutungen der anterioren Situationsdeiktika lassen sich nun wie folgt bestimmen: (8) eben, vorhin lokalisieren eine Situation in einem Intervall T„ welches in der unmittelbaren Vergangenheit von Ej liegt. SF: (Temp(x) < Ej & Temp(x) c IMM(Ej)) default-Vfen: Ej = E0. (9) kürzlich, neulich lokalisieren eine Situation in einem Intervall peripheren Vergangenheit von Ej liegt. SF: (Temp(x) < Ej & Temp(x) c (PER(Ej)). default-Wcrt: Ei = E0.

(,

welches in der

(10) früher lokalisiert eine Situation in einem Intervall T{, welches in der distalen Vergangenheit von Ej liegt. SF: (Temp(x) < Ej & Temp(x) c DIST(Ej)).' default-Vfert: Ej = E0.

Die unmittelbare Vergangenheit liegt nach meinem Gefühl nicht mehr als eine oder höchstens ein paar Stunden zurück, die proximate Vergangenheit ein paar Tage oder höchstens ein paar Wochen, die ferne Vergangenheit dagegen mehrere Jahre. In diesem Bereich mag es jedoch individuelle oder soziokulturelfe Differenzen geben. Deswegen will ich mich hier auf eine Zuordnung der topologischen Bedeutungsmerkmale zu kalendarischen Einheiten nicht festlegen.

113 Der Kontrast zwischen (8) und (9) läßt sich als skalare Opposition auffassen. So bilden eben und neulich eine Skala, in der neulich den schwächeren Term abgibt (): Eben ist auf IMM(Ej) eingeschränkt, neulich ist in dieser Dimension wegen seiner Festlegung auf PROX(Ej) neutral und nimmt daher für T, c IMM(Ej) vorzugsweise den negativen Wert an:

(H)

PROX(E 0 ) DIST(E 0 ) ////

früher einst

PER(E 0 ) ////

kürzlich neulich

( )

////—I

vorhin eben

>

Diesen Bedeutungsbestimmungen entsprechend sind Behauptungen wie (12a-c) mit dem am Ende des 20. Jahrhunderts gültigen historischen Faktenwissen inkonsistent: (12) a Caesar ist neulich ermordet worden. b Napoleon ist eben von Elba geflohen, c Ghandi war kürzlich im Gefängnis. Feststellungen wie diese können wir nur als Bestandteile von Erzählungen (Berichten) akzeptieren, bei denen die fiktive Erzählzeit weit vor unserer aktuellen Gegenwart liegt. Die Bedeutungen der posterioren Situationsdeiktika lassen sich in analoger Weise wie folgt bestimmen: (13) sofort, gleich lokalisieren eine Situation in einem Intervall T„ welches in der unmittelbaren Zukunft von Ej liegt. SF: (Temp(x) > Ej & Temp(x) c IMM(Ej)) De/au/f-Wert: Ej = E0. (14) bald, demnächst lokalisieren eine Situation in einem Intervall Tjt welches in der peripheren Zukunft von Ej liegt. SF: (Temp(x) > Ej & Temp(x) c (PER(Ej)) Defitult-W&t: Ej = E0. (15) später lokalisiert eine Situation in einem Intervall Tf, welches in der fernen Zukunft von Ej liegt. SF: (Temp(x) > Ej & Temp(x) c DIST(Ej))

114 Default-Wen: E, = E0. Einst, welches anterior oder posterior verwendbar ist, hat in seiner Bedeutungsspezifikation keine relationale Festlegung und ist allein topologisch gekennzeichnet. (15') einst: (Temp ( ) c DIST(Ej)) Default-Wtrt: Ej = E0. Da DIST(Ej) gemäß D3 keine Überlappung mit PROX(Ej) hat, kommt eine assoziative (= koinzidentelle) Deutung nicht in Betracht. (16)

PROX(E0) IMM(E 0 ) A

PER(E 0 )

DIST(E 0 )

A

A

E0

g le ich sofort

bald demnächst

einst

später

Eine Aufforderung wie (17a) wird dementsprechend mit (17b) eher als mit (17c) zufriedenstellend beantwortet: (17) a "Mach Deine Schulaufgaben!" b"Ja, gleich". c "Ja, bald". Die koindizentellen Situationsdeiktika (SIM) beziehen sich allesamt auf die Gegenwart. Topologische Differenzierungen in diesem Bereich betreffen die Ausdehnung von 4 innerhalb von PROX(Ej). So umfaßt grade ein Intervall von geringerer Ausdehnung als gegenwärtig, weshalb man (18a) vorzugsweise als auf eine aktuelle Handlung, (18b) hingegen eher als auf eine Gewohnheit bezogen verstehen wird: (18) a Hans putzt sich gerade die Zähne bHans putzt sich gegenwärtig die Zähne Sich die Zähne putzen bezeichnet eine Handlung, die gewöhnlich recht wenig Zeit braucht und in gewissen (mehr oder weniger regelmäßigen) Abständen wiederholt wird. Die Modifikation durch ein Adverb wie gerade, welches ein Ereignis in einem relativ kurzen Zeitraum lokalisiert, legt daher eine kontinuative Deutung der Kombination TADV (V-bar) nahe, derzufolge eine einzige, in sich zusammenhängende, Lokalisierung der Ergeigniszeit des modifizierten Verbs in das von TADV spezifizierte Intervall fällt. Lokalisiert TADV eine Situation in einer vergleichsweise weiträumigen Zeitspanne, so ist es (nach der Erfahrung) unwahrscheinlich, daß diese eine in sich zusammenhängende

115 Lokalisierung der Ereigniszeit von V erfaßt, weshalb eine diskontinuative (habituelle) Deutung naheliegt. Es ist freilich nicht so, daß die verschiedenen Adverbien als solche die kontinuative und damit aktuelle bzw. die diskontinuative und damit habituelle Deutung eines jeden (oder auch nur eines jeden durativen) Verbs nahelegen oder erfordern. Zuschreibungen dieser Art ergeben sich aus der Verbindung von semantischem Wissen über die topologischen Eigenschaften von Adverbien mit faktischem Wissen über die durchschnittliche Lebensdauer von Situationen eines gewissen Typs. Semantisches Wissen sagt uns, daß gegenwärtig einen weiteren Zeitraum erfaßt als gerade, faktisches Wissen, daß 'um die Welt reisen' länger dauert als 'Zähne putzen', weshalb gegenwärtig um die Welt reisen vorzugsweise kontinuativ (und damit nicht-habituell) gedeutet wird, während gegenwärtig sich die Zähne putzen diskontinuativ (und damit habituell) zu interpretieren ist. Feststellungen dieser Art lassen sich zu den folgenden Interpretationsmaximen generalisieren: (11) Bezeichnet V-bar eine vergleichsweise kurzlebige Situation, die durch TADV in einem relativ weiträumigen Intervall Tj lokalisiert wird, so ist für die Kombination TADV (V-bar) die Ereigniszeit des finiten Verbs innerhalb von Ts diskontinuativ zu lokalisieren (< ^, ^, ... £ „ > £ ; £ Tf). Die Kombination hat dann eine habituelle Deutung. (12) Bezeichnet V-bar eine eher langlebige Situation, die durch TADV in einem relativ engen Zeitraum lokalisiert wird, so ist für die Kombination TADV (Vbar) die Ereigniszeit des finiten Verbs innerhalb von Ts kontinuativ zu lokalisieren (Ej £ TJ). Die Kombination hat dann eine nicht-habituelle (= aktuelle) Deutung. II und 12 setzen voraus, daß der Kontrast zwischen aktueller und habitueller Deutung mit Rekurs auf die Lokalisierungseigenschaften (kontinuativ vs. diskontinuativ) zu rekonstruieren ist. Diese lassen sich wie folgt definieren: Definitionen (D8) E ist eine kontinuative Lokalisierung von e in T, gdw. für jedes Paar c E gilt: Es gibt mindestens ein T', sodaß E' < T' < E" und T' ist keine Lokalisierung von e. Im Hinblick auf die Opposition zwischen kontinuativer und diskontinuativer Deutung der Ereigniszeit in Beispielen wie (18a,b) verhält sich augenblicklich wie gerade,

116 während derzeit mit gegenwärtig übereinstimmt: Augenblicklich präferiert die kontinuative, nicht-habituelle Lesart, derzeit legt eine diskontinuative (und damit habituelle) Interpretation nahe. Momentan ist in dieser Hinsicht neutral: (19) a Hans putzt sich augenblicklich die Zähne. bHans putzt sich derzeit die Zäh c Hans putzt sich momentan die Zäh

(-habituell) (+habituell) (± habituell)

Eben, augenblicklich und gerade sind im Gegensatz zu momentan, gegenwärtig und derzeit zeitrelational nicht auf T, 2 E0 eingeschränkt. Gerade und eben lokalisieren neben simultanen auch anteriore und posteriore Situationen, augenblicklich schließt die Lokalisierung von anterioren, nicht aber die von posterioren Situationen aus:2

gerade (20) Hans war eben beim Bäcker. ""augenblicklich

(T; < E0)

gerade (21) Ich bringe Ihnen eben die Speisekarte. (Tj > E„) augenblicklich Gerade und eben beziehen sich in Kombination mit Zustandsverben häufig auf den relativ zu Ej anterioren Beginn des betreffenden Zustandes:

(22) a Ich bin gerade zu Hause. =Ich bin gerade zu Hause angekommen. bEben kochen die Kartoffeln. Eben haben die Kartoffeln zu kochen begonnen. Augenblicklich, momentan, derzeit oder gegenwärtig schließen diese Lesart aus, vgl.: (23) a Ich bin gegenwärtig zu Hause.

^*Ich bin gegenwärtig zu Hause angekommen. b Momentan kochen die Kartoffeln. ^Momentan haben die Kartoffeln zu kochen begonnen. 2 Natürlich lassen augenblicklich, gegenwärtig und derzeit ebenfalls die Kombination mit einem Vergangenheitstempus wie dem Prateritum zu. Anders als gerade und eben, die in dieser Kombination sprechzeitoder antezedenszeitrelativ gedeutet werden können, sind augenblicklich, gegenwärtig und derzeit in diesem Fall aber nur mit Bezug auf eine zuvor etablierte Antezedenszeit interpretierbar, (i) ist daher im isolierten Satz nicht möglich: (i) Hans war augenblicklich (gegenwärtig, derzeit) Ministerpräsident.

117

Jetzt ist im Hinblick auf die bisher diskutierten Unterschiede zwischen den einzelnen SIM-Adverbien neutral. Es erfaßt unterschiedlich weite Zeiträume (s.o. Beispiel 1) und läßt dementsprechend in Kombination mit Verben, welche kurzfristige Aktivitäten bezeichnen, unterschiedslos die habituelle oder die nicht-habituelle Lesart zu. Jetzt lokalisiert femer neben simultanen auch anteriore und posteriore Situationen: (24) a Hans putzt sich jetzt die Zähne, (lhabituell) bHans war jetzt beim Bäcker. (+ANT,±SIT) c Ich bringe Ihnen jetzt die Speisekarte. (+POST,+SIT) Jetzt lokalisiert auch final offene Zustände wie z.B. alt sein oder tot sein, die als das Ergebnis irreversibler Prozesse angesehen werden müssen: (25) a Meine Mutter ist jetzt alt. b Bernstein und Karajan sind jetzt tot. Mit Ausnahme von mittlerweile sind die übrigen SIM-Adverbien in dieser Kombination entweder nicht möglich, oder sie drücken eine andere Mitteilung aus: (26) a *Meine Mutter ist gerade, (augenblicklich, momentan, derzeit, gegenwärtig, neuerdings) alt. b Meine Mutter ist mittlerweile alt. (27) a '"Bernstein und Karajan sind gerade, (augenblicklich, momentan, derzeit, gegenwärtig, neuerdings) tot. b Bernstein und Karajan sind mittlerweile tot. In Kombination mit Zuständen, die als langfristig, aber nicht unumkehrbar, anzusehen sind, bringen jetzt und mittlerweile lediglich den Gegensatz zu dem komplementären Vorzustand zum Ausdruck, während gegenwärtig, derzeit oder momentan den fraglichen Zustand auch im Hinblick auf die Zukunft als zeitlich befristet charakterisieren: (28) a Bernd hat jetzt (mittlerweile) eine Stelle in Berlin, b Oskar ist jetzt (mittlerweile) verheiratet.

c Barbara hat das Problem der Kinderbetreuung jetzt (mittlerweile) gelöst. (29) a Bernd hat gegenwärtig (derzeit, momentan) eine Stelle in Berlin, b Oskar ist gegenwärtig (momentan, derzeit) verheiratet.

c Barbara hat das Problem der Kinderbetreuung gegenwärtig (momentan, derzeit) gelöst.

118

Die Feststellung (28b), wonach Oskar jetzt (bzw. mittlerweile) verheiratet ist, sagt nichts ber die Dauer oder die Zahl seiner Verheiratungen aus. Demgegen ber suggeriert die Feststellung (29b), derzufolge Oskar gegenw rtig verheiratet ist, da Oskar sich mehrfach verheiratet und/oder da seine gegenw rtige Ehe nicht von Dauer sein wird. Die beobachteten Unterschiede hinsichtlich der Deutung der verschiedenen SIMAdverbien lassen sich auf der Basis der bisher eingef hrten topologischen Kategorien wie folgt rekonstruieren: (30) gerade, eben lokalisieren eine Situation in einem Intervall Tj, welches ein echtes Teilintervall der unmittelbaren Umgebung von E, ist. SF: λχ (Temp(x) c IMM(Ej)) Default-Weit: E, = E0. (31) momentan lokalisiert eine Situation in einem Intervall Tj, welches mit der unmittelbaren Umgebung von Ej identisch ist. SF: λχ (Temp(x) = IMM(Ej)) De/aw/i-Wert: E, = E0. (32) augenblicklich lokalisiert eine Situation in einem Intervall Τ(, das in der unmittelbaren Umgebung von Ej liegt oder mit ihr identisch ist. SF: λχ (Temp(x) c IMM(Ej) & ~ Temp(x) < Ej) De/flM/r-Wert: Ej = E0. (33) jetzt lokalisiert eine Situation in einem Intervall Tj, das in PROX(Ej) echt oder unecht enthalten ist. SF: λχ (Temp(x) £ PROX(Ej)) Default-Wert: Ej = E0. (34) gegenw rtig, derzeit lokalisieren eine Situation in einem Intervall Tj, das mit PROX(E0) identisch ist. SF: λχ (Temp(x) = PROX(Ej)) De/aw//-Wert: Ej = E0. (35) neuerdings lokalisiert eine Situation in einem Intervall Tf, welches in IMM(Ej) initial geschlossen ist. SF: λχ (Temp/in(x) c (IMM(Ej)) Ej = E0. (36) mittlerweile lokalisiert eine Situation in einem Intervall T,, welches in PROX(Ej) initial geschlossen ist. SF: λχ (Temp/in(x) c (PROX(Ej) - IMM(Ej)) Default-W&t: Ej = E0.

119

Die Festlegung von grade und eben auf ein echtes Teilintervall von IMM(Ej) läßt die relationale Beziehung zu Ej unbestimmt: T; kann, solange es in IMM(Ej) enthalten ist, vor oder nach Ej liegen oder mit Ej zeitlich assoziiert sein (vgl. (39)-(41)). Für momentan ist Tj mit IMM(Ej) identisch. Daraus folgt, daß Ej in Tj enthaltensein muß, weshalb anteriore oder posteriore Verwendungen ausscheiden. Augenblicklich ist im Hinblick auf das echte oder unechte Enthalten sein von T{ in IMM(Ej) neutral. Deswegen ist eine zusätzliche zeitrelationale Festlegung erforderlich, die anteriore Verwendungen ausschließt. Die Festlegung von gegenwärtig und derzeit auf ein Intervall T;, das mit PROX(Ej) identisch und damit durch PROX(Ej) geschlossen ist, impliziert eine zeitrelationale Beschränkung. Ebenso wie momentan sind sie auf T| z> Ej festgelegt. Der Unterschied zwischen momentan einerseits und gegenwärtig, derzeit andererseits besteht lediglich in der Ausdehnung von T,: Momentan schließt Tj durch IMM(Ej) ab, gegenwärtig und derzeit werden erst durch PROX(Ej) geschlossen. Aus diesem Unterschied erklärt sich, daß kurzfristige Aktivitäten, die durch momentan in IMM(Ej) zeitlich geschlossen werden, eine kontinuative Lokalisierung mit nicht-habitueller Lesart haben, während sie, wenn sie durch gegenwärtig in PROX(Ej) zeitlich geschlossen sind, als diskontinuativ lokalisiert aufzufassen und damit habituell zu deuten sind. (Die Dauer z.B. eines einmaligen Zähneputzens reicht einfach nicht über IMM(Ej) hinaus). Dieser Kontrast zwischen momentan und gegenwärtig läßt sich als skalare Opposition auffassen. Momentan ist für IMM(Ej) positiv spezifiziert, gegenwärtig ist wegen seiner Festlegung auf PROX(Ej) in dieser Dimension neutral. Damit ist gegenwärtig in der Skala der schwächere Term und nimmt entsprechend der GCI für die Dimension IMM(E0) vorzugsweise einen negativen Wert an: T, = IMM(E0)

Momentan Gegenwärtig

(-)

Tab. 2: Schwacher semantischer Kontrast Neuerdings ist innerhalb von IMM(Ej), mittlerweile innerhalb von PROX(Ej) initial geschlossen; neuerdings lokalisiert damit den Beginn einer Situation in der unmittelbaren, mittlerweile in der nahen Vergangenheit von Ej. Auch hier liegt eine skalare Opposition vor, in der mittlerweile als schwächerer Term für IMM(E0) vorzugsweise den negativen Wert annimmt:

120 Temp/in c IMM(Ej)

neuerdings mittlerweile

(-)

Tab. 3: Schwacher semantischer Kontrast Jetzt lokalisiert eine Situation in einem in PROX(Ej) echt oder unecht enthaltenen Intervall TV Dieses kann auf IMM(Ej), ja sogar auf Ej selbst, beschränkt sein oder über IMM(Ej) hinausreichen. Deswegen läßt jetzt in Kombination mit Aktivitätsverben, die wie Zähneputzen kurzlebige Handlungen denotieren, neben der kontinuativen auch die diskontinuative Deutung zu. Da PROX(Ej) das lokaliserende Intervall Tj echt oder unecht enthalten kann, ist keine zeitrelationale Festlegung gegeben, T, kann dementsprechend relativ zu Ej vor-, nach- oder (partiell) gleichzeitig sein. Im Unterschied zu gegenwärtig ist jetzt darüberhinaus in PROX(Ej) offen. Dies erklärt den Umstand, daß final offene und irreversible Zustände wie alt sein durch jetzt, nicht aber durch gegenwärtig modifiziert werden. Gegenwärtig lokalisiert nur Situationen, deren Grenzen mit den Grenzen von PROX(Ej) zusammenfallen. Jetzt lokalisiert auch Situationen, die in PROX(Ej) lediglich eine partielle Lokalisierung haben und damit auch unbegrenzt sein oder ihre Grenzen außerhalb von PROX(Ej) finden können. M.a.W. gegenwärtig ist ebenso wie z.B. von 1989 bis 1990 ein duratives Begrenzungsadverbial, welches zeitlich offene Zustände und Aktivitäten kontingent abschließt, während jetzt (ebenso wie gerade oder augenblicklich) keine Begrenzung ausdrückt. 4.1.3. Semantische Differenzierungen im Bereich der anaphorischen Temporal adverbien Topologische Differenzierungen werden im Bereich der anaphorischen Temporaladverbien häufig durch Kombination mit Kalender- oder Maßangaben bzw. mit Dimensionsadjektiven ausgedrückt: drei Jahre zuvor, wenig nachher, lange davor, kurz danach. Eine weitere Möglichkeit ist die Kombination mit topologisch markierten Elementen der situativen Deixis: gerade vorher, gleich danach, bald danach. Die anterioren Anaphern vorher, zuvor, davor drücken übereinstimmend Vorzeitigkeit relativ zur Antezedenszeit aus (Tj < EjJ. Sie sind in topologischer Hinsicht äquivalent und sollen uns deshalb hier nicht weiter beschäftigen. Bei den posterioren Anaphern lokalisieren danach und nachher das Themaereignis in einem Intervall, welches vollständig auf die Antezedenszeit Ej folgt (T, > Ej). Dabei bleibt offen, ob die Antezedenszeit Ej durch die Ereigniszeit des Antezedensereignisses oder durch seine Resultatzeit Ej.,/res gegeben ist: (37) Maria geht ins Kino. Danach trifft sie sich mit Freunden. ( , >

121 (38) Maria schaut sich einen Film an. Danach trifft sie sich mit Freunden.

,>

(39) Maria geht spazieren. Danach trifft sie sich mit Freunden. (

(

> E^)

Was als Antezedenszeit gilt, die Ereignis- oder die Resultatzeit der Antezedenssituation, ist hier jeweils verschieden. Aber nur der Kontrast zwischen (37) und (39) läßt sich mit den Aktionsarten der adverbial modifizierten Verben erklären: Spazierengehen ist im Unterschied zu ins Kino gehen ein Aktivitätsverb, welches keinen Resultatzustand etabliert. Insofern kann es auch keine Resultatzeit als Antezedenszeit zur Verfügung stellen. Danach bezieht sich daher in diesem Fall auf die Ereigniszeit der Antezedenssituation und schließt so zugleich die im Prinzip offene Ereignislokalisierung für Spazierengehen kontingent ab. Der Kontrast zwischen (37) und (38) läßt sich nicht auf Aktionsarten zurückführen. Einen Film anschauen ist ein resultatives Verb, welches ebenso wie ins Kino gehen ein Resultat etabliert, das in E^res seine zeitliche Lokalisierung hat. Der Unterschied besteht in der Dauerhaftigkeit des Resultatzustandes. Während (37) einen (in der Regel) auf ein paar Stunden begrenzten Zustand ('im Kino sein') etabliert, ist das Resultat von (38) ('den Film gesehen haben') im Prinzip final unbegrenzt, weshalb es sinnvollerweise kein 'danach' haben kann. Insofern kommt für (38) eine ereigniszeitrelative Deutung der Anapher nicht in Frage. Im Hinblick auf die Wahl der Antezedenszeit verhält sich anschließend nicht anders als danach oder nachher. (40) Maria geht ins Kino. Anschließend trifft sie sich mit Freunden. (

;

> E^res)

(41) Maria schaut sich einen Film an. Anschließend trifft sie sich mit Freunden.

,>

(42) Maria geht spazieren. Anschließend trifft sie sich mit Freunden. (Ts > Diese Sequenzen werden so verstanden, daß die Themasituation unmittelbar auf die Antezedenssituation folgt. Anschließend ist lexikalisch auf Kontiguität festgelegt. Für danach und nachher gilt dies nur im default-Fall und kann durch entsprechende Modifikatoren (z.B. einige Stunden danach, lange nachher) aufgehoben werden. Dann ist im Hinblick auf die Kontiguität des Anschlusses von Thema- und Antezedenszeit ebenfalls neutral: (43) Unter meinem Lieblingsfenster, durch das die Kiefernstämme aussehen wie eine festgefügte Bretterwand, preßte ich das Ohr an die Mauer und gab mir Mühe, die Waldgeräusche auszufiltern. Sekunden später hörte ich einen kleinen Schrei, der hatte nichts Fürchterliches an sich. Ich lächelte gewiß, ich dachte: dieser

122

Kwart. Denn der Schrei schien mir von der Sorte zu sein wie sie in Liebschaften vorkommt, und Kwart war kaum jünger als mein Vater, ich schätze ihn auf Ende fünfzig. Dann (*anschließend) schrie es zum zweitenmal, ein wenig lauter, das hatte nichts mehr mit Zärtlichkeiten zu tun, eher mit Schmerz. (J. Becker, "Bronsteins Kinder", S. 19). (44) Heute verpasse ich den Postboten: Heute kommt der hellgrüne Brief von der Universität. Rahel Lepschitz überreicht ihn mir wie eine Reliquie, sie flüstert: "Es möge darin stehen, was du dir am meisten wünschst." Dann (anschließend) läßt sie mich allein, um mich nicht in einem solchen Augenblick zu stören. (J. Becker, "Bronsteins Kinder", S. 50) In (43) ist nicht von einem unmittelbaren Anschluß der durch dann eingeführten Situation an die Antezedenssituation (des ersten Schreis) auszugehen. Was gesagt wird, ist lediglich, daß irgendwann dem ersten ein zweiter Schrei folgt. Dann kann daher in diesem Fall nicht ohne weiteres durch anschließend ersetzt werden. (44) deutet demgegenüber auf die Kontiguität des Anschlusses von Thema- und Antezedenssituation hin, deshalb ist dann in diesem Fall durch anschließend substituierbar. Dann unterscheidet sich von danach, nachher und anschließend nicht allein im Hinblick auf das Merkmal der Kontiguität: (45) Maria sitzt auf einer Parkbank. Sie blinzelt schläfrig in die Sonne und schaut mit halbem Auge den Kindern beim Spielen zu. Dann (*danach, "'anschließend, *nachher) setzt sich eine ältere Dame zu ihr. (46) Ich bin auf der rechten Spur so ungefähr fünfzig gefahren. Und dann ^anschließend, *danach, *nachher) ist einer vor mir ganz plötzlich ausgeschert. (AB)3 (45) und (46) beschreiben Antezedenssituationen, die sich über eine gewisse Zeitspanne hinziehen. Dann schließt die Themasituation zeitlich in die Antezedenssituation ein. Tj folgt in diesem Fall nicht auf die Ereigniszeit des ganzen Antezedenszustandes, sondern lediglich auf ihren Anfang (T; > E^m)· Eine teilweise posteriore Interpretation dieser Art ist nur möglich, wenn das Antezedensverb zur Kategorie der Durativa gehört. Allerdings lassen durative Antezedensverben auch die vollständig posteriore Deutung (T, > £,.„) zu: (47) Hans schreibt einen Brief (an einem Brief). Dann bringt er ihn zur Post.

,>

3 Die mit AB gekennzeichneten Belege stammen aus einem Datenkorpus, das Monika Rothweiter 1984/85 an der Universität Köln für mich erhoben hat.

123

(48) Hans schreibt einen Brief (an einem Brief). Dann klingelt das Telefon, ( > Ej.,, oder T, > E^res) (47) nötigt zu der Annahme, daß die durch dann eingeleitete Situation vollständig auf die Antezedenssituation folgt, und zwar auch dann, wenn diese (wie bei an einem Brief schreiben) zeitlich offen ist. Diese Annahme beruht auf außersprachlichem Alltagswissen. Zur Post werden nur fertig geschriebene Briefe gebracht. Zwischen dem Schreiben eines Briefes und dem Klingeln des Telefons gibt es keinen derartigen Zusammenhang. (48) läßt deshalb zwei Deutungen zu, die eine, wonach das Telefon klingelt, während Hans den Brief schreibt, und die andere, derzufolge das Telefon klingelt, nachdem Hans den Brief fertiggeschrieben hat. Nur in dieser Deutung ist dann durch danach, nachher oder anschließend substituierbar. Dann ist also zwischen der vollständig und der teilweise posterioren Lesart neutral, während anschließend, danach und nachher auf die vollständig posteriore Lesart beschränkt sind. Dann ist in der Literatur auch als bloßes Gliederungssignal behandelt worden (z.B. Quasthoff 1979), bei dem die diskursorganisierende Funktion die temporale Bedeutung überlagert oder sogar aufhebt. Ich halte diese Auffassung für explanativ wenig hilfreich. Die entscheidende Frage, warum gerade dann diese Funktion übernimmt (und nicht z.B. danach) gerät so aus dem Blick. M.E. muß die diskurssteuernde Funktion von dann aus seiner gegenüber den anderen Posteriora neutralen zeitlichen Bedeutung erklärt werden, was nicht gleichbedeutend ist damit, daß dann keine zeitliche Bedeutung hat. Ebenso wie dann lassen auch schließlich und endlich neben der vollständigen die teilweise posteriore Lesart zu. (49) Maria sitzt auf einer Parkbank. Sie blinzelt schläfrig in die Sonne und schaut mit halbem Auge den Kindern beim Spielen zu. Schließlich (endlich) setzt sich eine alte Dame zu ihr. (50) Ich bin auf der rechten Spur so ungefähr fünfzig gefahren. Schließlich (^endlich) ist einer vor mir ausgeschert.4 Im Unterschied zu anschließend, das auf Kontiguität festgelegt ist, und zu danach oder dann, die wie wir sahen in dieser Hinsicht neutral sind, bringen schließlich und endlich eine relativ große zeitliche Distanz zwischen der Thema- und der Antezedenszeit zum Ausdruck. (49) etwa besagt, daß Maria schon lange blinzelnd in der Sonne sitzt, als die alte Dame sich zu ihr gesellt. (50) drückt aus, daß der Erzähler schon eine ganze Zeit vierzig, fünfzig gefahren ist, als schließlich einer vor ihm ausschert.

4 Endlich hat neben der rein zeitlichen auch eine modale Bedeutungskomponente: Es bezieht sich auf lange erwartete oder erhoffte Ereignisse (vgl. Endlich kommst du! vs. *Schließlich kommst du!). Da man das plötzliche Ausscheren eines Verkehrsteilnehmers gemeinhin weder erwartet noch erhofft, ist die Akzeptabilität von endlich in (SO) geringer als die von schließlich.

124

Die unterschiedlichen Wortbedeutungen der posterioren Temporalanaphern lassen sich nun wie folgt charakterisieren: (51) anschließend: E = E. oder

(Temp(x) > Ej & Temp(x) c IMM(Ej))

(52) danach: (Temp(x) > Ej & Temp(x) c PROX(Ej)) EJ = Ej.n oder (53) dann: Ej*E0

(Temp(x) > Ej)

(54) schließlich, endlich:

(Temp(x) > Ej & Temp(x) c DIST(Ej)

Danach, anschließend und schließlich sind in diesen Bedeutungsangaben topologisch unterschieden, dann ist topologisch unmarkiert. Die Festlegung von anschließend auf IMM(Ej) berücksichtigt, daß anschließend auf Kontiguität zur Antezendenssituation festgelegt ist. Danach erlaubt Kontiguität oder Nicht-Kontiguität. Die Festlegung auf PROX(Ej) läßt beide Möglichkeiten zu. Anschließend und danach bilden eine Skala mit danach als schwächerem Term: anschließend, danach>. Anschließend ist für T, c IMM(Ej) positiv spezifiziert, danach ist in dieser Dimension entsprechend seiner Festlegung auf PROX(Ej) neutral und nimmt gemäß der GCI vorzugsweise den negativen Wert an. Ts = IMM(E) anschließend danach Tab. 4: Schwacher semantischer Kontrast Anschließend, danach> Dann ist nicht nur topologisch unmarkiert, weshalb es die Themasituation unmittelbar, proximal oder distal an die Antezedenssituation anschließen kann, dann ist auch hinsichtlich der Antezedenszeit nicht festgelegt, daher kommt neben Ej.n und EjVres aucn die Initialphase E^in der Antezedenssituation als Antezedenszeit in Frage. Dasselbe gilt für schließlich und endlich, welche sich hinsichtlich der topologischen Festlegung auf DIST(Ej) aber sowohl von dann als auch von anschließend und danach unterscheiden. Derweil, indessen, unterdessen und inzwischen lokalisieren eine Situation in einem Intervall Tf, das vollständig in der Antezedenszeit enthalten ist (Tj c Ej):

125

(55) Hans liegt auf dem Sofa. Derweil kocht Maria das Abendessen. Die Antezedenszeit Ej ist dabei grundsätzlich ein 'echtes', also nicht-punktuelles, Intervall. Beispiele wie (56), bei denen die Antezedenssituation punktuell lokalisiert ist, scheinen dem zu widersprechen: (56) Hans kommt nach Hause (Ej). Inzwischen (indessen, derweil) ist es Abend (Ei). In diesem Beispiel begründet jedoch nicht die Ereigniszeit des im ersten Satz erwähnten Nachhausekommens von Hans die Antezedenszeit. Diese muß vielmehr aus einem größeren Diskurszusammenhang bezogen werden, der ein weiteres Antezedens enthält. (57) Um vier Uhr fährt Hans ab (E(). Um sechs Uhr kommt er zu Hause an (E2). Inzwischen ist es Abend. (E3) (Ej = & T3 c Ej) Anders als indessen, inzwischen etc. nimmt da neben der Ereigniszeit auch die Resultatzeit der Antezedenssituation als Antezedenszeit ( ( ; E^res): (58) Die Kugel trifft das Tier (E^). Da fällt es tot um.

(59) Die Mutter kommt herein (EUn). Da schreit das Baby. ( T, = ,,,,/res)

= £,.„ oder

(58) legt aufgrund des inhaltlichen Zusammenhangs zwischen Thema- und Antezedensereignis eine resultatzeitbezogene Deutung nahe. ('Die Kugel traf das Tier. Als es getroffen ist, fällt es tot um'). (59) erlaubt neben der resultatzeitbezogenen Deutung ('Die Mutter kommt herein. Als sie drinnen ist, schreit das Baby'), auch eine ereigniszeitrelative Interpretation ('Als die Mutter hereinkommt, schreit das Baby schon'). In (58) kann da nicht durch indessen, inzwischen ersetzt werden, in (59) ist - für die ereigniszeitrelative Deutung - eine Ersetzung möglich (unter der Voraussetzung, daß ein zweites Antezedens (s.o.) zur Verfügung steht): (60) Die Kugel trifft das Tier. ""Indessen fällt es tot um. (61) Die Mutter kommt herein. Indessen schreit das Baby. In vielen Fällen sind da und dann füreinander substituierbar, nämlich immer dann, wenn dann teilweise posterior zu deuten ist:

126

(62) Maria sitzt auf einer Parkbank. Sie blinzelt schläfrig in die Sonne und schaut mit halbem Auge den Kindern beim Spielen zu. Da (dann) setzt sich eine alte Dame zu ihr. (Vgl. 63). (63) Ich bin auf der rechten Spur so ungefähr vierzig, fünfzig gefahren. Und da (dann) ist einer vor mir ganz plötzlich ausgeschert. (Vgl. 64). Da und dann lassen sich jedoch nicht immer - salva veritate - für einander substituieren: (64) Ich habe mir mal den Arm gebrochen. Da (*dann) war ich zehn. (AB) (65) Gegen sechs ist der Norbert gekommen und wir haben zu Abend gegessen. Dann (*da) hab ich noch telefoniert mit Freunden. (AB) (64) bringt zum Ausdruck, daß die Erzählerin zur Zeit des Unfalls zehn war. Dann ist hier deshalb nicht möglich, weil es auf Posteriorität bezüglich der Antezedenszeit festgelegt und diese in (64) nicht-durativ ist, sodaß Ej nicht durch die Initialphase der Antezedenssituation gegeben sein kann. (65) drückt aus, daß die Erzählerin nach dem Essen telefoniert hat. Die Substitution durch da würde demgegenüber besagen, daß das Telefongespräch während des Essen geführt wurde. Da teilt mit dann die Möglichkeit einer resultatzeitrelativen Verwendung. Anders als dann legt da in dieser Verwendung in der Regel eine kausale Interpretation nahe. (66) Die Kugel trifft das Tier. Dann (da) fällt es tot um. (Vgl. 58). (67) Die Mutter kommt herein. Dann (da) schreit das Baby. (Vgl. 54). In (66) und (67) wird bei einem Anschluß durch da das Antezedensereignis als Ursache des Themaereignisses gesehen. ('Die Kugel trifft das Tier. Als Folge davon fällt es tot um'. 'Die Mutter kommt herein. Als Folge davon schreit das Baby (fängt an zu schreien')). Der Anschluß durch dann gibt demgegenüber lediglich der zeitlichen Aufeinanderfolge Ausdruck, m.a.W. da enkodiert das propter hoc, dann lediglich das post hoc. Es scheint mir trotzdem nicht angezeigt, da vor dann lexikalisch als kausales Konnektiv auszuzeichnen (obwohl sich dies gut mit der Tatsache in Übereinstimmung bringen läßt, daß da auch eine Verwendung als kausale Konjunktion hat.) Die kausale Deutung von da ist vielmehr eine pragmatische Nahelegung, die sich aus seinen temporalen Bedeutungseigenschaften ergibt. Zwei Ereignisse (Cj, e^,) werden nämlich immer dann kausal aufeinander bezogen wahrgenommen (konzeptualisiert), wenn sie unmittelbar aufeinander

127

folgen (Michotte 1954).5 Der Unterschied zwischen da und dann läßt sich dadurch erklären, daß die Denotatzeit von da mit der Antezendenszeit zeitlich assoziiert ist (Tj, EJ.B oder TJ , E^n/res), während die Denotatzeit von dann in einem topologisch nicht festgelegten Abstand auf die Antezedenszeit folgt. Da in (66) und (67) die Antezedenszeit durch die Resultatzeit der Antezedenssituation gegeben ist (Ej = E^res), schließt da die Themasituation innerhalb von IMM^J an die Ereigniszeit der Antezedenssituation an, einfach deshalb, weil die Resultatzeit eines Ereignisses unmittelbar auf die Ereigniszeit folgt. Damit ist Michottes Bedingung für die Zuerkennung von Kausalität erfüllt. Dann drückt demgegenüber Posteriorität bezüglich der Antezedenszeit in einem topologisch nicht festgelegten Rahmen aus. Damit kann die durch dann angeschlossene Themasituation außerhalb von IMM(E,.J auf die Antezedenssituation folgen. Michottes Bedingung ist dann nicht erfüllt. Da und dann kontrastieren im Hinblick auf das Merkmal der Kausalität auch bei semelfaktivem (= nicht-resultativem) Antezedens. (68) Der Dirigent hustet. Da (dann) läßt der Geiger den Bogen fallen. Der Anschluß durch da ist hier so zu deuten, daß der Geiger den Bogen als Folge davon fallen läßt, daß der Dirigent hustet (z.B. vor Schreck darüber). Der Anschluß durch dann besagt lediglich, daß der Bogen irgendwann nach dem Husten des Dirigenten fallen gelassen wird. In diesem Fall ist der Kontrast darauf zurückzuführen, daß da in die (diskontinuativ lokalisierte) iterative Ereigniszeit von husten fällt, während dann wiederum lediglich Nachzeitigkeit ausdrückt. Gleichzeitig und zugleich drücken strikte Simultaneität von Adverbialzeit und Antezedenszeit aus (Tj = Ej.n). Aus diesem Grund verbieten sie den Anschluß einer durativen Themasituation an ein punktuelles Antezedens: (69) Die Mutter kommt herein. *Gleichzeitig schreit das Baby. Aus demselben Grund ist der Anschluß durch zugleich in der Regel nicht-kausal zu deuten: (70) Die Mutter kommt herein. Zugleich fängt das Baby an zu weinen. ... Als Folge davon fängt das Baby an zu weinen. Kausale Interpretationen verlangen stets, daß zwischen Thema- und Antezedensereignis eine Reihenfolgebeziehung (e, < e2) hergestellt werden kann. (70) ist demgegenüber auf strikte Simultaneität festgelegt, deswegen kommt eine kausale Deutung nicht in Betracht.

S Voraussetzung dafür ist, daß dieselben Individuen an e,, &„, partizipieren. Wenn ich das Femsehen anschalte (ej und kurz darauf klingelt es (eitl), wird man diese Abfolge als zufällig deuten. (Hinweis von B. Comrie).

128 Damals unterscheidet sich von den übrigen SIM-Adverbien dadurch, daß Tt auch situativ festgelegt ist, und zwar auf Vorzeitigkeit relativ zu E0. Ts bezeichnet dabei relativ zu E0 die ferne Vergangenheit. (71) Gestern hat die Mutter das Baby gebadet. Da (*damals) hat es geschrien. (72) Als Junge hat der Opa Fußball gespielt. Da (damals) war er ein guter Spieler. Die Bedeutungen der anaphorischen SIM-Adverbien lassen sich zusammenfassend wie folgt kennzeichnen: (73) denveil, indessen, unterdessen, inzwischen: (Temp(x) c Ej) Ej = Ei.n oder Ej = n (74) da: (Temp(x) , Ej) Ej*E0 (75) zugleich, gleichzeitig: Ej = E,n (76) damals:

(Temp(x) = Ej)

(Temp(x) c Ej & Temp(x) < E0 & Temp(x) £ DIST(E0))

4.1.4. Situative Temporaladverbien in diskursdeiktischer Funktion Situative Temporaldeiktika lassen sich nicht nur E0-relativ, sondern auch in diskursdeiktischer Funktion, also imaginativ oder anaphorisch, verwenden. Bei der imaginativen Deixis (Bühlers Deixis am Phantasma) gibt der in die Erzählsituation verlegte Standpunkt des (der) Protagonisten eine fiktive Sprechzeit E* ab, die als Bezugszeit fungiert. Bei der anaphorischen Deixis spielt allein der Bezug auf die im Diskurs etablierte Antezedenszeit eine Rolle. Kalendarische Situationsdeiktika sind auf die imaginative Funktion beschränkt. Dasselbe gilt für die anterioren Situationsdeiktika: (77) Das Unglück wollte, daß sie an diesem Abend mit ihren Eltern zu Bekannten gehen mußte. Da sie erst heute eingeladen worden war, hatte sie mir gestern nichts sagen können, das mußte ich einsehen. (Becker, "Bronsteins Kinder", S. 74). (78) Wo war der Junge? Vorhin hatte sie ihn im Garten gesehen.

129

Der, wie es zunächst scheinen mag, minimale Unterschied zwischen imaginativer Deixis und Anaphorik kann für die temporale Bedeutung einer Sequenz maximale Folgen in Gestalt unterschiedlicher Wahrheitswerte haben. Dies zeigt sich, wenn man situationsdeiktische und anaphorische Kalenderadverbien vergleicht. (79) a Am Donnerstag kam Hans in Köln an. (e^ b Gestern war er aus Singapur abgeflogen, (ej) cVor zwei Tagen hatte er das Flugzeug in Shanghai bestiegen, (80) a Am Donnerstag kam Hans in Köln an. (ej) b Am Tag vorher war er aus Singapur abgeflogen, fe) c Zwei Tage davor hatte er das Flugzeug in Shanghai bestiegen, (79b) ist wahr, wenn Hans am Mittwoch aus Shanghai abgeflogen ist, ebenso (80b). Für (79c) und (80c) ergibt sich ein Unterschied: (79c) ist wahr, wenn Hans am Dienstag das Flugzeug in Shanghai bestiegen hat, (80c), wenn er das Flugzeug am Montag bestiegen hat. In (80) hat damit die Reise von Shanghai nach Köln einen Tag länger gedauert als in (79). Posteriore Deiktika lassen - mit Ausnahme von demnächst und einst - in der Regel neben der imaginativen auch die anaphorische Verwendung zu: (81) Der Lehrer kam. Sofort beugten sich die Kinder über ihre Hefte. (82) Hans fuhr weiter. Bald begann es zu schneien. Tatsächlich sind in Beispielen wie diesen die Grenzen zwischen der imaginativen und der anaphorischen Verwendung fließend. In besonderem Maße gilt dies für /c/i-Erzählungen, bei denen Protagonist und Erzähler identisch sind, sodaß die Perspektiven der erzählten und der aktuellen Rede sich miteinander vermischen. Aufschluß kann hier aber die verwendete Tempusform geben: (83) Mir war klar, was gleich geschehen würde, ich wußte es so genau, als hätten wir es schon hinter uns. (Becker, "Bronsteins Kinder", S. 72) (84) Es kostete mich Überwindung, ihn zu bitten, daß er mein Kommen geheimhielt, doch ich mußte es tun. Er versprach es grinsend. Sofort aber wurde sein Gesicht wieder ernst, und er fragte, ob ich denn nicht gekommen sei, ihm zu helfen. (Becker, "Bronsteins Kinder", S. 59) Das Konditional in (83) macht deutlich, daß sich gleich auf die aus der Sicht des Protagonisten zu erwartende Zukunft bezieht, welche aus der Sicht der aktuellen Erzähl-

130

situation Vergangenheit ist (vgl. dazu Thieroff 1992). Gleich ist hier also posterior relativ zur fiktiven Sprechzeit E* und anterior relativ zur aktuellen Sprechzeit E„ (E* < TI < E0). Das Konditional fungiert als Futur der Vergangenheit und kennzeichnet den Gebrauch von gleich als imaginativ-deiktisch. Demgegenüber läßt das Präteritum in (84) darauf schließen, daß der Anschluß durch sofort anaphorische Funktion hat. Die Denotatzeit des Adverbs folgt unmittelbar auf die Ereigniszeit der Antezendenssituation. Bei den situativen Adverbien der Kategorie SIM ist die Unterscheidung zwischen imaginativer und anaphorischer Deixis vollends verschwommen. In Kombination mit dem Präteritum beziehen sich diese Adverbien auf die 'erzählte Gegenwart', und es ist - auch bei Erzählungen, Berichten etc. in der dritten Person - schwer, zu unterscheiden, ob die erzählte Situation aus der Sicht des Protagonisten oder aus der Sicht des Erzählers 'vergegenwärtigt' wird: (85) Erst einmal gab es einige Erfolge. 1893 wurde er von der Akademie mit einer silbernen Medaille ausgezeichnet, und 1985 schloß er sein Studium mit den Arbeiten "Freudenschrei" und "Krautpflückerin" ab. Trotzdem fühlte er jetzt eine Leere in sich, eine Ungewißheit, wohin er sich nun wenden sollte. (I. Kleberger "Ernst Barlach", S. 48) (86) Nach Hamburg zurückgekehrt, ging er nun neben dem Zeichenkurs doch bei einem Bildhauer in die Lehre. (I. Kleberger, "Ernst Barlach", S. 33) In (85) mag das 'psychologische' Verb fühlen einen Hinweis darauf geben, daß hier der Sichtweise Barlachs Ausdruck gegeben wird. In (86) scheint demgegenüber die Perspektive der Biographin prädominant. Trotz der - vor allem in Kombination mit dem Präteritum bestehenden - Schwierigkeit, imaginative und anaphorische Deixis gegeneinander abzugrenzen, müssen beide Funktionen im Prinzip auseinandergehalten werden. Das zeigt sich außer an Beispielen wie (79, 80) insbesondere daran, daß situative und anaphorische Deiktika sich bei Referenz auf die Zukunft ganz unterschiedlich verhalten: (87) Am nächsten Donnerstag trifft sich Hans mit seiner Freundin (Ej). Vorher (*vorhin) geht er zum Friseur. (T; < Ej) (88) Heute abend wäscht die Mutter dem Kind die Haare (Ej). Da (*jetzt) wird es wieder weinen. (Tf £ Ej) (89) Heute abend bringt die Mutter das Kind zu Bett (Ej). Dann (*gleich) liest sie ihm eine Geschichte vor. (T, > Ej)

131 In diesen Beispielen läßt sich der Bezug auf die (relativ zu E0 zukünftige) Antezedenssituation nur mit anaphorischen Deiktika ausdrücken. Die korrespondierenden Situativa werden ausschließlich E0-relativ gedeutet, und zwar unabhängig davon, ob sie mit dem Präsens Futuri oder mit dem wercten-Futur kombiniert werden. Daher sind die Anschlüsse durch jetzt und gleich in (88) und (89) zwar als solche nicht abweichend, sie haben aber eine andere Interpretation als die korrespondierenden Anschlüsse durch anaphorische Adverbien. Generell läßt sich festhalten: Imaginative und anaphorische Diskursdeixis müssen im Prinzip auseinandergehalten werden. Sie geben unterschiedlichen Perspektiven Ausdruck (Protagonisten- vs. Erzählerperspektive) und fuhren unter bestimmten Bedingungen zu unterschiedlichen Wahrheitswerten. Allein bei den SIM-Adverbien in Kombination mit dem Präteritum fallen die imaginative und die anaphorische Deixis zusammen. Für die 'erzählte Gegenwart' verschwimmt die Grenze zwischen der Protagonisten- und der Erzählerperspektive. Das ist aus dem Wechselspiel zwischen Tempus und Adverbien zu erklären: Das Präteritum gibt - da es die Referenzzeit grundsätzlich mit der Ereigniszeit assoziiert - als solches schon einer situationsinternen Perspektive Ausdruck. Temporaladverbien modifizieren in Kombination mit dem Präteritum die mit der jeweiligen Themasituation verknüpfte Referenzzeit und heben damit die Trennung zwischen der erzählten und der aktuellen Rede auf.

4.1.5. Rahmen- und Orientierungsadverbiale Kalenderadverbien wie gestern, heute, morgen fungieren als Rahmenadverbiale. Sie legen die Ereigniszeit der Themasituation auf einen Bereich innerhalb von Tt fest. Nicht-kalendarische Adverbien wie jetzt, gleich, vorhin fungieren als Orientierungsadverbiale, ihre Denotatzeit ist in der zeitlichen Lokalisierung der Themasituation enthalten. Die Art des Enthaltenseins, echt oder unecht, vollständig oder partiell, hängt dabei von der Aktionsart des jeweils durch TADV modifizierten Verbs ab. Betrachten wir zunächst durative Verben. Sind diese resultativ [+DUR,+RES], so fällt bei Rahmenadverbialen nur die Schlußphase der Themasituation mit Notwendigkeit in das von TADV spezifizierte lokalisierende Zeitintervall Tj (T; D ,/fin). Bei Orientierungsadverbialen ist das lokalisierende Intervall mit der Schlußphase der Themasituation identisch (Tt = E/fm). Antje hat das Problem gestern gelöst besagt demgemäß weder, daß nur der gestrige Tag mit dem Lösen des Problems ausgefüllt war (die Lösung kann Wochen oder Jahre in Anspruch genommen haben), noch, daß der gestrige Tag ganz damit ausgefüllt war (die Lösung kann z.B. schon am frühen Morgen gefunden worden sein). Was gesagt wird, ist lediglich, daß die fragliche Situation 'gestern* ihren Abschluß gefunden hat. Antje hat das Problem eben gelöst besagt, daß die Lösung zu einem als eben einzuordnenden Zeitintervall (also vor E0, aber innerhalb von IMM(E0)) gefunden wurde, es kann aber schon lange an der Lösung gearbeitet worden sein.

132 Nicht-resultative Durativa, also Aktivitäts- und Zustandsverben der Kategorie [+DUR, -RES], haben in E jeweils nur eine partielle Lokalisierung. Diese fällt bei Rahmenadverbialen in die lokalisierende Zeit des Adverbs (Tj z> E4). Bei Orientierungsadverbialen ist umgekehrt die Denotatzeit von TADV in der Ereigniszeit der Themasituation (echt oder unecht) enthalten (T, c Ej). In beiden Fällen bleibt freilich offen, ob die von Vbar bezeichnete Themasituation zeitlich über Ts hinausreicht oder nicht. Da das Adverb lediglich eine partielle Ereignislokalisierung E; von e; auf den Bereich T, festlegt, kann nicht ausgeschlossen werden, daß e; eine weitere, umfassendere Lokalisierung E' hat, die über Tj hinausgeht. Hans hat gestern Klavier geübt ist daher weder darauf festgelegt, daß (i) Hans gestern den ganzen Tag Klavier geübt hat, noch darauf, daß (ii) er jetzt nicht mehr übt. Hans hat eben Klavier geübt heißt nicht, daß Hans nur eben geübt hat, sondern daß eben einen Ausschnitt aus der möglicherweise ausgedehnten Zeit seines Übens lokalisiert. Betrachten wir nun nicht-durative Verben. Hier gilt für Rahmenadverbiale in Kombination mit Resultativa ([-DUR.+RES]) und Semelfaktiva ([-DUR,-RES]) übereinstimmend Tj D Ej. Bei nicht-durativen Resultiva, welche in Ej vollständig lokalisiert sind, ist demnach die Ereigniszeit der Themasituation echt in der Denotatzeit Tj von TADV enthalten. Bei Semelfaktiva, die in Es nur partiell lokalisiert sind, kann die Themasituation in Tj oder außerhalb von T; noch weitere Lokalisierungen E', E" ... etc. haben. Hans ist gestern angekommen besagt, daß der Zeitpunkt der Ankunft von Hans in die Denotatzeit von gestern fällt, Hans hat gestern gehustet, daß Hans in der Denotatzeit von gestern mindestens einmal (möglicherweise aber auch mehrmals) gehustet hat. In Kombination mit Orientierungsadverbialen gilt für Resultativa ([-DUR, +RES]) wie für Semelfaktiva ([-DUR,+RES]) Tf = (. Die Denotatzeit des Adverbs schrumpft in diesem Fall auf einen Zeitpunkt zusammen. Dabei lassen Semelfaktiva wiederum offen, ob die Themasituation neben E; weitere, über T, hinausreichende Lokalisierungen E', E"... etc. hat. Hans ist vorhin angekommen bringt zum Ausdruck, daß der Zeitpunkt der Ankunft von Hans identisch ist mit der als vorhin gekennzeichneten Zeit T; (Ej = T(), welche, wie wir oben sahen, der Sprechzeit E0 unmittelbar, d.h. innerhalb von IMM(E0) vorangeht. Für die Beziehung zwischen dem von TADV spezifizierten Bereich T, und der Ereigniszeit Ej der Themasituation gilt damit zusammengefaßt das folgende: (90) Rahmenadverbiale Tj z> E/fm \ [+DUR,+RES] Sonst: T => E

133

(91) Orientierungsadverbiale T( = Ei/fin T, c Ei =^

\ [+DUR.+RES] \ [+DUR.-RES] \ [-DUR,±RES]

4.2. Tempus und Adverbien: Die adverbiale Modifikation der Vergangenheitstempora 4.2.1. Die adverbiale Modifikation von Präteritum und Perfekt Das Perfekt bindet die Referenzzeit Rj grundsätzlich an die aktuelle Sprechzeit E0. Es ist in diesem Sinne ein situatives Tempus. Demgegenüber läßt sich das Präteritum als anaphorisches Tempus kennzeichnen, weil es die Referenzzeit immer aus dem sprachlichen Kontext gewinnt (s.o. Abs. 3.5.3.). In der zusammenhängenden Rede stellt der Diskurszusammenhang die notwendige Kontextinformation zur Verfügung, die Referenzzeit kann in diesem Fall durch die Antezedenszeit, also entweder durch die Ereigniszeit (Ej.n) oder durch die Resultatzeit (EjVres) der Antezedenssituation gegeben sein. Im isolierten oder im redeeinleitenden Satz, in dem die notwendige Kontextinformation nicht aus dem Diskurszusammenhang gewonnen werden kann, muß die Referenzzeit adverbial spezifiziert werden. Die unterschiedliche Anbindung der Referenzzeit bringt es mit sich, daß Perfekt und Präteritum sich hinsichtlich der Modifikation durch Adverbien unterschiedlich verhalten. Beim Präteritum modifiziert (bzw. etabliert) TADV grundsätzlich die Referenzzeit, beim Perfekt kann Referenz- oder Ereigniszeitmodifikation gegeben sein: (92) Hans kam vorhin. (R-Modifikation) (93) Hans ist vorhin gekommen. (E-Modifikation) (94) Hans ist jetzt gekommen. (R-Modifikation) Die lexikalische Bedeutung für vorhin bestimmt: [Temp(x) < E0 & Temp(x) c IMM(E0)], die für jetzt ist auf [Temp(x) £ PROX(E0)] festgelegt. Diese Festlegungen der lexikalischen TADV-Bedeutung sind der Bedeutungsspezifikation des Tempus jeweils hinzuzufügen. Damit gilt für vorhin (Prät) unter der Annahme, daß TADV die Referenzzeit modifiziert: Rj < E0 & Rj c IMM(E0). Diese Bestimmung ergibt sich aus der lexikalischen Bedeutung, wenn die SF von vorhin auf , den Namen der Referenzsituation, angewendet wird: (95)

[Temp(x) < E0 & Temp(x) £ IMM(E0)] (rs)

134

Durch

-Konversion ergibt sich:

(96) Tempfc) < E0 & Tempft) c IMM(E0) Temp(ri) ist die zeitliche Lokalisierung der Referenzsituation: Tempfc) = R,. Damit gilt: (97) R, < E0 & R, c IMM(E0) (97) ist in seinem ersten Konjunkt identisch mit der kontextuellen Grundbedeutung des Präteritums. Die topologische Spezifizierung im zweiten Konjunkt ist der kontextuellen Grundbedeutung des Präteritums hinzuzufügen. Als situativ-deiktische Interpretation ergibt sich dann: Ej < E0 & Ej c IMM(E0). (92') Hans kam vorhin. (R-Modifikation)

E,/res

vorh in IMM(E 0 )

(92") Präteritum \ vorhin: intrinsisch: Ef , Rj kontextuell: Ri < E0 &R; £ IMM(E0) deiktisch:

Ei < E0 &ES £ IMM(E0)

Für vorhin (Perf) gilt unter der Annahme, daß TADV die Ereigniszeit modifiziert: E, < E0 & EJ Q IMM(E„). Diese Bestimmung ergibt sich aus der lexikalischen Bedeutung, wenn die SF von vorhin auf Cj, den Namen der Thema-Situation angewendet wird. (98)

[Temp(x) < E0 & Temp(x) c IMM(E0)] (e()

Durch -Konversion erhalten wir (99) Tempte) < E0 & Tempfc) c IMM(E0) ist die zeitliche Lokalisierung von der Themasituation (Temp^) = EJ. Damit gilt

135

(100) ^ < E0 & Ei c IMM(E0) Diese Feststellung ist in ihrem ersten Konjunkt identisch mit der situativen Interpretation der Grundbedeutung des Perfekts. Die topologische Spezifikation im zweiten Konjunkt geht über die situative Interpretation des bloßen Perfekts hinaus und ist dieser hinzuzufügen. (93') Hans ist vorhin gekommen. (E-Modifikation)

,/res

,= vorhin

R,

IMM(E 0 ) (93") Perfekt \ vorhin intrinsisch: Ej < R kontextuell: Ri , E0 deiktisch:

E{ < E0 & E; c IMM(EJ

Für jetzt (Perf) gilt unter der Annahme daß TADV die Referenzzeit modifiziert: (i) Eyres 2 Ri und (ii) Ts £ PROX(E0). (i) ist die lexikalische Zusatzbedingung für das Perfekt, (ii) ergibt sich aus der lexikalischen Bedeutung von jetzt durch Anwendung auf rlt den Namen der Referenzsituation (101)

[Temp(x) c PROX(E0)] (r,)

(102)

Temp(ri) c PROX(E0)

(103)

^

c PROX(E0)

Unter der Voraussetzung Tj = Rj folgt: E/res z> T(. (94') Hans ist jetzt gekommen (R-Modifikation) E,/res E,

EO

R,=T, jetzt V

PROX(E 0 )

136 (94") Perfekt \ jetzt intrinsisch: Ei < Rj kontextuell: R< = E0 deiktisch:

E, < E0

& &

R, = Tt E/res 2

& E/res 2 T,

(92) und (93) sind situativ äquivalent. Adverbien der unmittelbaren Vergangenheit wie vorhin werden aber in der Regel mit dem Perfekt eher als mit dem Präteritum kombiniert. (92) ist insofern von geringerer Akzeptabilität als (93). Dies hat gelegentlich (zuletzt Herweg 1990) zu der Auffassung geführt, daß das Perfekt auf die proximate, das Präteritum hingegen auf die distale Vergangenheit verweist. Dieser Auffassung stehen jedoch Beispiele wie (104) entgegen:

(104) Hans kam vorhin und bat mich um 5 Mark. Beispiele dieser Art zeigen, daß topologische Distinktionen nicht Bestandteil der Tempus-, sondern nur der Adverbbedeutung sind. Der Akzeptabilitätsunterschied zwischen (92) und (93) beruht nicht auf topologischen Merkmalen der Tempusbedeutung, sondern auf der jeweils unterschiedlichen Anbindung der Resultatzeit an die Referenzzeit. Das Perfekt bindet die Resultatzeit Ej/res eines Verbs der Kategorie [+RES] an seine im default-Fall mit E0 assoziierte Referenzzeit R^ Resultatzeit und Referenzzeit haben denselben Index. Dies ist in der lexikalischen Zusatzbedeutung für das Perfekt resultativer Verben (E/res 2 RI) festgehalten. Das Präteritum bindet die Resultatzeit einer Situation an die Referenzzeit der Folgesituation. Resultatzeit und Referenzzeit haben verschiedenen Index. Dies ist in der lexikalischen Zusatzbedingung für das Präteritum festgehalten (Rj = E^res) (s.o. 3.5.3.). Das isolierte Präteritum in (92) kann anders als das in eine Sequenz eingebundene Präteritum in (93) die lexikalische Zusatzbedingung nicht erfüllen, da kein E^res zur Verfügung steht. Das ist der Grund dafür, daß (91) von geringerer Akzeptabilität ist als (93). Kommen wir noch einmal auf den Klever Abrißkalender zurück: (105) Nach dem zweiten Weltkrieg (T^ ist Kleve immer mehr zu einer Klinkerstadt geworden.(l) Von der weißen Stadt - wie Kleve im vergangenen Jahrhundert (T2) einmal genannt wurde (2) - ist so gut wie gar nichts übriggeblieben (3). Weiß verputzte Häuser sind hier inzwischen (T4) zur Rarität geworden (4) - wie das noch nicht verklinkerte Museum Haus Koekoek und einige klassizistische Häuser in der Tiergartenstraße. (...) Gegenüber dem Museum stand früher (T,) ein anderes weißes Haus, bekannt unter dem Namen Haus van Rossum (5). (...)

137

Seine äußere Gestalt ist im Klinkerstil der 80er Jahre so verändert worden (6), daß die frühere herrschaftliche Eleganz verloren gegangen ist (7). Dahin ist auch die Romantik des angrenzenden Turme (8), nachdem man ihn vom Efeu befreit hat (9).

(...) Vom Mittelalter bis in das 19. Jahrhundert (T10) wohnte an dieser Stelle viel Klever Prominenz (10) wie der Kammerpräsident von Raesfeld und der Kriegsrat Heinberger. Das alte Haus überlebte den Abbruch des Stadttores (11) und wurde in den Jahren 1816 - 1818 (TI2) (...) neu aufgebaut (12) und 1855 (Tn) mit einem Turm (...) versehen (13). Unklar ist bis heute (T14) (14), wer den Turm eigentlich bezahlt hat (15). (...) In diesem Text wechselt das Tempus mehrmals zwischen Perfekt und Präteritum. Dabei ist im Perfekt wiedergegeben, wie das Haus van Rossum zu seiner heutigen Fassade kam. Im Präteritum wird die Geschichte des Hauses vom Mittelalter bis zu seinem Umbau in den 80er Jahren unseres Jahrhunderts charakterisiert. Die Perfektformen des ersten Absatzes werden zu und übrig bleiben gehören der Kategorie (+DUR.+RES) an. Sie etablieren eine Resultatzeit E/res, welche die Sprechzeit (und die mit ihr gegebene Referenzzeit) einschließt. Damit gilt E/res a Ri. Wegen der deiktischen Bindung von R an E0 ist das Perfekt in den betrachteten Sätzen nicht ohne Bedeutungsverschiebung durch das Präteritum ersetzbar (s.o. 3.5.1.). Natürlich etabliert auch das Präteritum resultativer Verben einen unmittelbar auf e; folgenden Resultatzustand e/res. Die zeitliche Lokalisierung dieses Zustandes E/res fällt aber beim Präteritum im default-Fail nicht mit der Sprechzeit zusammen (E/res 0) und kann vollständig vor E0 liegen. Aus diesem Grund würden die zu (1,3,4) korrespondierenden Präteritumsätze nicht die von den Verfassern des Abrißkalenders intendierte gegenwartsrelevante Interpretation erzeugen. (Man beachte, daß der Comrie'sche Terminus "Gegenwartsrelevanz" hier in den theoretischen Begriffen der Reichenbachtheorie interpretiert und auf Verbaktionsarten bezogen ist.) Da jede der betrachteten Perfektformen an die Sprechzeit als Referenzzeit gebunden ist, bleiben E; und Et.n jeweils unverbunden. Es wird also keine temporalanaphorische Beziehung zwischen den einzelnen Sätzen hergestellt. Diese etablieren keine Chronologie, sie kommentieren sich wechselseitig und beschreiben damit eine gemeinsame Situation. Das Temporaladverb im ersten Satz modifiziert direkt die Ereigniszeit E,. Damit ergibt sich für die Perfektformen des ersten Absatzes die folgende temporale Analyse:

138 (105a)

EI ,3 , 4 / res £4

,

E3 '—

2

! EC

11

1

'2

^1,3,4

T! :"nach dem zwe i ten WeJtkrieg" In Satz (2), der parenthetisch in Satz (3) eingeschoben ist, wechselt das Tempus vom Perfekt zum Präteritum. Weder der vorhergehende Satz (1) noch der übergeordnete Satz (3) liefern die Referenzzeit für die zeitliche Einordnung von E2. Diese wird vielmehr direkt etabliert durch das Temporaladverb T2 (im vergangenen Jahrhundert). T2 liegt vor T, (enzyklopädisches Wissen). Damit kann unter der Voraussetzung "T! , Eu>4" inferentiell "E2 < E U4 " gewonnen werden. Die direkte adverbiale Etablierung der Referenzzeit R2 durch T2 macht hier ein Abgehen vom Prinzip der natürlichen Reihenfolge (s.u. Kap. 5) möglich und deutlich, ohne daß ein Plusquamperfekt Verwendung finden müßte. Im zweiten Abschnitt des Textes wird der frühere Zustand des Hauses im Präteritum (5) seinem jetzigen (6, 7) gegenübergestellt. R5 wird durch T5 (früher) wiederum direkt etabliert, die Referenzzeiten für (6, 7) sind durch die Sprechzeit E0 gegeben und in den Resultatzeiten E6,7/res enthalten. In Satz (8) beziehen sich die Verfasser mit einem präsentischen Zustandsverb direkt auf einen gegenwärtig noch andauernden Zustand, die Sprechzeit liefert damit auch die Referenzzeit R8. Das Perfekt in (9) ist auf den Resultatzustand ,/res von e, bezogen, welcher entsprechend den lexikalischen Festlegungen für das Perfekt ebenfalls E0 umspannt. Damit ergibt sich für den zweiten Absatz die folgende temporale Analyse (105b)

P E 6 l 7 t 9 /res E5 A

E6 ' 1

R 5 =T 5 : früher

E7

E9

E0 ^6,7,8

Da alle Perfektformen hier auf E0 als Referenzzeit bezogen sind, ergibt sich wiederum keine temporalanaphorische Beziehung zwischen den einzelnen Sätzen der Sequenz. Daß E, vor den Ereigniszeiten der folgenden Sätze liegen muß, folgt nicht allein aus der Anwendung des Chronologieprinzips, sondern auch aus der topologischen Charakterisierung des Adverbs früher, die T5 der Distalregion von E0 zuweist. Auf Grund dessen

139

kann E, auch als vor E 1J4 liegend aufgefaßt werden (hier ist das Prinzip der natürlichen Reihenfolge also wiederum aufgehoben). Die relative Anordnung von E6 und £7 ergibt sich aus der Interpretation der finalen Konjunktion so daß. Die relative Anordung von Eg und E, ergibt sich aus der Bedeutung der Tempora (Wechsel von Präsens zu Perfekt). Die relative Anordnung von E67 und E, bleibt offen. In (105b) habe ich sie willkürlich auf Sukzession festgelegt. Die Sequenz läßt aber auch eine assoziative Deutung (E67, E,) zu. Der Wechsel vom Präteritum zum Perfekt bewirkt in dieser Sequenz, daß die anaphorische Verknüpfung der einzelnen Sätze untereinander unterbrochen wird. Im dritten Abschnitt geht es um die Geschichte des "alten" Hauses van Rossum. Die einzelnen Stationen dieser Geschichte sind im Präteritum berichtet, die Referenzzeit wird in jedem Satz durch Kalenderangaben direkt adverbial eingeführt. Aus diesen Angaben ergibt sich direkt und in Übereinstimmung mit dem Prinzip der natürlichen Reihenfolge die relative zeitliche Zuordnung der berichteten Ereignisse. In Satz (14, 15) wechselt das Tempus wieder zum Präsens bzw. zum Perfekt. Hier wird die Ereigniszeit E13 direkt an die Gegenwart und an die in (14) konstatierte heutige Unklarheit über die Bezahlung des Turms gebunden. Zu den vorhergehenden Sätzen des Absatzes wird keine temporalanaphorische Beziehung hergestellt. (105c)

EC

R« R.13-Tl3

E

"1855" Da ein einmal bezahlter Turm für alle Zeit bezahlt ist, die Resultatzeit E13/res also in diesem besonderen Fall die Sprechzeit umspannt, haben der der Perfektsatz und der korrespondierende Präteritumsatz hier äquivalente Deutungen, doch ergeben sich diese allein aus faktischem Wissen hinsichtlich der Permanenz von Zuständen wie "Bezahlt sein" und nicht aus den Bindungseigenschaften der verwendeten Tempora.

4.2.2. Die Modifikation des Perfekts durch situative Orientierungsadverbien der Kategorien POST und SIM Adverbien der Kategorien POST und SIM sind als Modifikatoren der Referenzzeit oder der Ereigniszeit des Perfekts analysierbar. Als R-Modifikatoren induzieren sie eine

140 situative (= sprechzeitrelative) Deutung: T, > E0 für POST-Adverbien bzw. T, , E„ für SIM-Adverbien. Als E-Modifikatoren sind sie anaphorisch (= antezedenszeitrelativ) zu deuten: Tj > Ei.n bzw. T, , Ej.„. Im ersten Fall (R-Modifikation) verschieben POSTAdverbien die kontextuelle Grundbedeutung des Perfekts, im zweiten Fall (E-Modifikation) halten sie diese konstant. (106) Hans hat den Rasen gleich gemäht. (107) Das Zelt hat sich bald erwärmt. In situativer Deutung lokalisieren gleich und bald eine Situation in einem relativ zu E0 posterioren Zeitintervall, das in IMM(E0) (gleich) bzw. in PER(E0) (bald) enthalten ist. Das Perfekt ist in diesem Fall zukunftsbezogen zu deuten und mit dem Futurperfekt (108, 109) äquivalent: (108) Hans wird den Rasen gleich gemäht haben. (109) Das Zelt wird sich bald erwärmt haben. In anaphorischer Deutung lokalisieren gleich und bald eine Situation in einem relativ zu einer im Diskurs etablierten Antezedenszeit Ej.n posterioren Zeitintervall (Tj > E;.n), das in IMMiE^J bzw. in PER(Ei_n) zu lokalisieren ist: (110) Maria hat auf den Mäher gezeigt (Ej), und Hans hat den Rasen gleich gemäht. (E2) (l 11) Die Sonne ist aufgegangen (EJ, und das Zelt hat sich bald erwärmt. (E2) In der situativen (mit dem futurischen Perfekt äquivalenten) Deutung etabliert TADV die in die Zukunft verschobene Referenzzeit (R; , E0 => Rj > E0). Entsprechend der lexikalischen Zusatzbedingung für das Perfekt gilt dabei: E/res 2 Rj. Die Ereigniszeit liegt gemäß der unverschiebbaren intrinsi sehen Bedeutung des Perfekts vor der Referenzzeit (Ej < Rj) und natürlich auch vor der Resultatzeit. Die Relation zwischen der Ereigniszeit und der Sprechzeit wird nicht festgelegt (Ef E0): Hans kann zur Sprechzeit schon mit dem Rasenmähen beschäftigt sein oder erst nachher damit beginnen. Im ersten Fall (assoziative Deutung) schließt die Ereigniszeit die Sprechzeit ein (Ej 3 E0), im zweiten (sukzessive Deutung) folgt sie ihr (Ej > EJ. (106') repräsentiert die sukzessive, (107') die assoziative Deutung:

141

(106') Hans hat den Rasen gleich gem ht. (R-Modifikation, situativ)

Ε,/res E,

-HIHIg Je ich

IMM(E 0 ) (106") Perfekt \ gleich intrinsisch: Ej < Ri kontextuell: R, > E0 (Verschiebung) & E, A E0

deiktisch:

IMM(E0)

& Es c IMM(E0)

(107') Dos Ze/f A f si'c/i bald erw rmt. (R-Modifikation, situativ) E,

Ε,/res

bald

PROX(E 0 ) (107") Perfekt \ bald intrinsich: kontextuell: deiktisch:

< > E0 (Verschiebung) &

PROX(E0)

& E, £ PROX(E0)

In anaphorischer Deutung spezifiziert TADV die relativ zur Antezendenszeit (Ej.,,) posteriore Ereigniszeit E; der Themasituation. Da gleich lexikalisch auf λχ (Temp(x) > Ε,.η & Temp(x) c IMMCE^J) festgelegt ist und bald auf λχ (Temp(x) > E,.,, & Temp(x) c PER(E,.J), gelten als anaphorische Deutungen: E| > £,.„ & Ej c IMM(Ei.n) f r gleich und E, > E^ & E, £ PER(E,J f r bald:

142

(110') Maria hat auf den Mäher gezeigt, Hans hat den Rasen gleich gemäht. (EModifikation, anaphorisch)

-77/7/77/7 T2 gleich

IMMCEJ (110") Perfekt \ ßleich intrinsisch: Es < Rj kontextuell: R^ = E0 deiktisch:

Ei < E0 situativ

& Ej > Ej.n& % c IMM(E0) anaphorisch

(111') Die Sonne ist aufgegangen. Das Zelt hat sich bald erwärmt. (E-Modifikation, anaphorisch) E, 2 /res EI

'

E2

-iniiiuHiiui--PER(EJ (111") Perfekt \ bald intrinsisch: Es < R^ kontextuell: R^ = E0 deiktisch:

E; < E0 situativ

&

> ;. & anaphorisch ;

{

£ PROX^.»)

Jetzt, welches zur Kategorie der SIM-Adverbien gehört, kann in Kombination mit dem Perfekt ebenfalls als Ereignis- oder als Referenzzeitmodifikator fungieren, da es relational nicht auf Gleichzeitigkeit mit E„ eingeschränkt ist. Die lexikalische Festlegung der Denotatzeit auf T, c PROX(E0) läßt offen, ob { relativ zu E0 vor-, nach- oder partiell gleichzeitig ist. Da Posteriorität (anders als z.B. bei vorhin) und Anteriorität (anders als z.B. bei gleich) nicht ausgeschlossen werden können, ist die -Modifikation durch jetzt ambig zwischen einer anterioren Lesart, in der jetzt als situativ-deiktisches Element fungiert, und einer posterioren Lesart, in der jetzt als anaphorisches Element fungiert:

143

(112) Jetzt hat das Publikum gelacht. (Ε-Modifikation, situative Lesart, anterior: E Fi ^> < *-w. F1 (113) Der Hauptdarsteller ist gestolpert. (E,) Jetzt hat das Publikum gelacht (Ej). (EModifikation, anaphorische Lesart, posterior: E2 > E! & Ej c PROX(E,) (1121) Jetzt hat das Publikum gelacht. (Ε-Modifikation, situative Lesart, anterior) E, Λ , E0

T,: Jetzt PROX(EJ (112") Perfekt intrinsisch: kontextuell: deiktisch:

E; < E0 situativ

& E, £ PROX(E0)

(113') Der Hauptdarsteller ist gestolpert. (E,) Jetzt hat das Publikum gelacht. (E2) (Ε-Modifikation, anaphorische Lesart, posterior)

T2:je"tzt

Rl.2

PROX(E,) (113") Perfekt intrinsisch: kontextuell: deiktisch:

E; < R; Rj , E0 E; < E0 situativ

& E, £ PROX^J anaphorisch

Ballweg (1988a,b) behandelt die Ambiguit t zwischen E- und R-Modifikation als Skopusambiguit t. Er geht von einer strikt kompositionalen Analyse aus: Die komplexe Zeitform des Perfekts ist danach aus einer Pr sens- und einer Perfektkomponente zusammengesetzt:

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(114) Präs (Perf)

l l ist (gekommen)

Adverbien können engen Skopus haben oder weiten. Bei engem Skopus ist das Perfekt als Vergangenheitstempus (analytisches Präteritum) zu analysieren, bei weitem Skopus als Aspekt (Präsensperfekt). (115) Analytisches Präteritum Hans ist vorhin gekommen Präs (TADV (Perf)) l l l ist (vorhin (gekommen)) (l 16) Präsensperfekt Jetzt ist Hans gekommen TADV (Präs (Perf)) l

l

jetzt

(ist

l

(gekommen))

Diese Variante der Ambiguitätshypothese suggeriert eine strukturelle Parallele zwischen semantischer und syntaktischer Struktur: Adverbien in Vorfeldposition wären danach als Operatoren mit weitem Skopus zu analysieren, die eine aspektuelle Deutung des Perfekts induzieren, und Adverbien in Mittelfeldposition als Operatoren mit engem Skopus, die eine präteritale Deutung des Perfekts induzieren. Diese Annahme läßt sich jedoch nicht durchhalten. Zwischen den Varianten (a) und (b) in (117) und (118) besteht zwar ein Unterschied hinsichtlich der Thema-/Rhema-Verteilung - in (a) ist die temporale, in (b) die personale Referenz thematisch - hinsichüich der zeitrelationalen bzw. aspektuellen Deutung sind (a) und (b) jedoch äquivalent. (l 17) a Vorhin ist Hans gekommen bHans ist vorhin gekommen (l 18) a Jetzt ist Hans gekommen b Hans ist jetzt gekommen In (117) sind (a) und (b) übereinstimmend 'präteritaT deutbar, d.h. TADV ist in beiden Varianten mit engen Skopus analysierbar. In (118) lassen beide Varianten eine 'aspektuelle' Deutung und damit eine Analyse von TADV mit weitem Skopus zu. Ballwegs Weiterführung der Ambiguitätshypothese scheint mir aber vor allem aus einem anderen Grund verfehlt: Ballweg läßt Skopusambiguität unabhängig von der lexikalischen Bedeutung der Adverbien zu. In Kombination mit anterioren Adverbien hat das

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Perfekt in seinem Ansatz zwei Analysen, die präteritale (mit engem Skopus) und die aspektuelle (mit weitem Skopus). Tatsächlich ist das Perfekt in Kombination mit anterioren Adverbien aber auf eine Lesart beschränkt, und zwar auf diejenige, in der TADV die Ereigniszeit modifiziert, bzw. - in Ballwegs Begrifflichkeit -, in der TADV engen Skopus hat:

(l\9)Hans hat den Rase n vor hin

gemäht.

gestern a Präs l

(TADV(Perf)) l l

hat

vorhin gemäht gestern

b TADV l

vorhin gestern

(Präs l

(Perf)) l

hat

gemäht

Die Variante (119b) besagt, daß das Rasenmähen von Hans 'gestern' ('vorhin') bereits Vorgegenwart war (aspektuelle Deutung). Dieser Lesart muß aber im Deutschen durch das Plusquamperfekt (Gestern (vorhin) hatte Hans den Rasen gemäht) oder durch das Doppelperfekt (Gestern (vorhin) hat Hans den Rasen gemäht gehabt) Ausdruck gegeben werden. "Einfaches" Perfekt ist in dieser Lesart nicht möglich. In Kombination mit posterioren Adverbien ist aber in der Tat eine strukturelle Ambiguität zwischen E- und R-Modifikation gegeben (s.o.). Analysiert man diese als Skopusambiguität, so ergeben sich die folgenden Repräsentationen: (l2ö)Hans hat den Rasen gleich gemäht. a TADV l

gleich b Präs l

(Präs l

(Perf)) l

hat

gemäht

(TADV(Perf)) l l

hat gleich gemäht Diese Repräsentationen lassen jedoch die essentielle deiktische Information, daß gleich im einen Fall (a) posterior relativ zu E0 und im anderen Fall (b) posterior relativ zu Ej.,, ist, unberücksichtigt. M.a.W., die Skopusanalyse in dem Ansatz von Ballweg kann nicht unterscheiden zwischen der situativen und der anaphorischen Deutung von

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TADV/Perfekt-Kombinationen. Ich ziehe es deshalb vor, zwischen Ereigniszeit- und Referenzzeitmodifikation zu unterscheiden.

4.2.3. Die Modifikation des Präteritums durch situative Orientierungsadverbien der Kategorien POST und SIM

Da das Präteritum nur R-Modifikation zuläßt und die auf Vorzeitigkeit festgelegte kontextuelle Bedeutung des Präteritums (Rj < E0) nicht verschiebbar ist, sind die situativen Adverbien der Kategorien POST und SIM nicht Sprechzeit- sondern allein antezedenszeitrelativ analysierbar. Sie beschränken sich damit auf eine anaphorische Deutung: (121) Johannes kam gleich. (121) drückt aus, daß das Kommen von Johannes innerhalb von PROXiEj.,,) auf das Rufen der Mutter folgt und hat daher im isolierten oder einleitenden Satz keine sinnvolle Interpretation, sondern verlangt den Bezug auf die Ereignis-öder Resultatzeit eines Vorgängersatzes: (122) Die Mutter rief zum Essen. (EJ Johannes kam gleich. E!

E2

E

T 2 =R 2 g Je ich ( ,)

(122') Präteritum \ eleich intrinsisch: E, , Rj kontextuell: Rj < E0 & R, > Ej.„ & R, deiktisch:

Ei < E0 situativ

Ej anaphorisch

Das Präteritum in Kombination mit koinzidentellen Adverbien wie jetzt ist ebenfalls primär antezedenszeitrelativ zu deuten

(123) Die Mutter rief zum Essen. (EJ. Jetzt kam Johannes. (£2) E: E2 E

*

»—

T 2 =R 2 jetzt V

PROX(EJ

i

>

147

(123') Präteritum \ jetzt intrinsisch: Es , R^ kontextuell: Ri < E0 & deiktisch:

> E,.n & R, c PROX(EiJ

E, < E0 & Es > Ej.n & Ej situativ anaphorisch

Da jetzt relational nicht festgelegt ist (eine anteriore Deutung Tf < E0 ist im Prinzip möglich), kann für die Kombination von jetzt mit dem Präteritum eine situative Interpretation aber nicht prinzipiell ausgeschlossen werden. Die kontextuelle Bedeutung des Präteritums (Rj < E0) ist unter der Annahme T, = Ri mit der lexikalischen Bedeutung von jetzt (Tj : PROX(E0)) vereinbar. Tatsächlich sind Bildungen wie Fabian war jetzt beim Bäcker in einer Interpretation, derzufolge Fabian vor E0 beim Bäcker war, möglich: (124) Fabian war jetzt beim Bäcker E,

jetzt PROX(E 0 )

(124') Präteritum \ jetzt intrinsisch: Ej , Rj kontextuell: R, < E0 & R, c PROX(E0) deiktisch:

E, < E0 & E, c PROX(E0) situativ

4.2.4. Die adverbiale Modifikation des Plusquamperfekts Das Plusquamperfekt ist wie das Präteritum ein anaphorisches Tempus. Anders als beim Präteritum ist beim Plusquamperfekt der Bezug auf eine relativ zur Ereigniszeit E, der Themasituation posteriore Antezedenszeit Ej obligatorisch. Das adverbial modifizierte Plusquamperfekt (125) ist im isolierten Satz ebenso unangemessen wie das bloße Plusquamperfekt (126):

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(125) Hans war gestern gekommen. (126) Hans war gekommen. Der Bezug auf die Antezedenszeit kann anaphorisch sein oder kataphorisch. Bei anaphorischem Bezug wird die Antezedenszeit E, vor der Ereigniszeit der Themasituation in den Diskurs eingeführt, technisch gesprochen heißt das: Die Antezedenszeit hat einen niedrigeren Index als die Ereigniszeit der Themasituation (E, < EjJ. Bei kataphorischem Bezug wird umgekehrt die Ereigniszeit der Themasituation vor der Antezedenszeit in den Diskurs eingeführt. Letztere hat dann einen höheren Index (Ej < Ei+n). (127) Anaphorischer Bezug Es begann zu regnen (E^, Hans hatte grade die Wäsche aufgehängt (E2): E2