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German Pages 302 Year 2002
KlausLange
Euripides und Homer
HERMES Zeitschrift für klassische Philologie Einzelschriften
HERAUSGEGEBEN VON
Jürgen Blänsdorf Karl-Joachim Hölkeskamp Wolfgang Kullmann
Heft86
Klaus Lange
Euripides und Homer Untersuchungen zur Homemachwirkung in Elektra,lphigenieim Taurerland, Helena, Orestesund Kyklops
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FranzStelnerVerlag
HERMES-EINZEi.SCHRIFTEN(ISSN 0341-0064) Redaktion: Am Römerl>erg lc, D-55270 Essenheim Prof. Dr. JOR.G!N BLANSDORF, (verantwortlich für Latinistik) Prof. Dr. lwu.-JoAOiIMH0LKl!SKAMP, Universität Köln, Institut für Altertumskunde/ Alte Geschichte, D-50923 Köln (verantwortlich für Alte Geschichte) Kuu.MANN, Bayemstr. 6, D-79100 Freiburg Prof. Dr. WOLFGANG (verantwortlich für Gräzistik) Erscheinungsweise: Jährlich ~ Bände verschiedenen Umfanges Bezugsbedingungen: Bestellung zur Fortsetzung möglich. Preise der Bände nach Umfang. Eine Fortsetzungsbestellung gilt, falls nicht befristet, bis auf Widerruf. Kündigung jede~eit möglich. Verlag: Franz Steiner Verlag Wiesbaden GmbH, Sitz Stuttgart. Birkenwaldstr. 44, D-70191 Stuttgart, Postfach 101061, D-70009 Stuttgart Die Herausgeber bitten, Manuskripte an die oben genannten Redaktionsadressen zu senden. Erwünscht sind für alle Manuskripte Schreibmaschinenblätter mit einseitiger Beschriftung (links 4 cm freier Rand erforderlich). Der Redaktion angebotene Manuskripte dürfen nicht bereits veröffentlicht sein oder gleichzeitig veröffentlicht werden; Wiederabdrucke erfordern die Zustimmung des Verlages. Textverarbeitung: Der Verlag begrüßt es, wenn möglichst viele Manuskripte über PC realisiert werden können. Nährere Auskünfte auf Anforderung
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Lange,Klaus: Euripides und Homer : Untersuchungen zur Homernachwirkung in Elektra, Iphigenie im Taurerland, Helena, Orestes und Kyklops / Klaus Lange. - Stuttgart : Steiner, 2002 (Hermes: Einzelschriften; H. 86) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1995 ISBN 3-515-07977-7
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IS09706
Jede Verwertung des Werkes außerhalb der Grenzen des Urheberrech:tsgesetzes ..ist unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Ubersetzung, Nachdruck, Mikroverfilmung oder vergleichbare Verfahren sowie für die Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen. Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigen Papier. 0 2002 by Franz Steiner Verlag Wiesbaden GmbH, Sitz Stuttgart. Druck: Druckerei Proff, Eurasburg. Printed in Germany
Meiner Mutter und dem Andenken meines Vaters
VORBEMERKUNG Dieses Buch stellt die überarbeitete und erweiterte Fassung meiner Dissertation dar, die 1995 von den Philosophischen Fakultäten der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau angenommen wurde. Während eines großen Teils ihrer Entstehungszeit wurde ich durch ein Stipendium der Landesgraduiertenförderung unterstützt. · Ich möchte all denen danken, die mir von Beginn meiner Beschäftigung mit „den alten Sprachen" bis zur Drucklegung dieser Arbeit auf verschiedenerlei Art geholfen haben. Nächst meinen Eltern bin ich meinem Lehrer und Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Dr. h. c. Wolfgang Kollmann, zu größtem Dank verpflichtet. Er hat mir das Handwerkszeug philologischer Methodik vermittelt und die griechische Literatur erschlossen, er hat mir gezeigt, was Wissenschaft bedeutet und mich in die Homerf orschung eingeweiht. Über etliche Semester hinweg war sein gräzistisches Forschungskolloquium in Freiburg i. Br., das in den allerersten Anfängen des Sonderforschungsbereichs 321 „Übergänge und Spannungsfelder zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit" wurzelte, mir und vielen anderen seiner Schüler ein fester Bezugspunkt des Arbeitens und eine Quelle förderlicher Kritik. Diese Untersuchung wurde durch ihn angeregt, und er hat ihre Entstehung stets mit wohlwollendem Zuspruch begleitet. Sowohl während als auch nach meiner Studienzeit hat er mich unablässig gefördert und mich oft vor Irrund Umwegen gewarnt, denen ich freilich nicht immer entgangen bin. Ich danke den Herren Dres. Harald Merklin, Werner Kühn und Bernhard Coppel, die mir eine Vorstellung davon vermittelt haben, was lateinischer und griechischer Stil bedeutet. Herr Prof. Dr. Hans-Christian Günther hat mich während der Arbeit an meiner Dissertation durch eine Stelle in seinem DFG-Projekt über die „Überlieferung der antiken Literatur" unterstützt und mir manches über Textkritik beigebracht. Frau Anne Bücheler verdanke ich mehr, als an solch einer Stelle gesagt werden kann. Sie hat mir noch während meiner Schulzeit eine Wegrichtung gewiesen und auch danach immer Rat bei Turbulenzen über das Wissenschaftliche hinaus gewußt. Frau Privatdozentin Dr. Monika Rener danke ich für ihre Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft. Wetzlar, im Februar 2002
INHALT LITERATURVERZEICHNIS..................................................................
13
I. EINLEITUNG.................................................................................... 1. Gegenstand, Zielsetzung und Methodik ..................................... 2. Doxographie ............................ ............... ...................................... 2.1. Mythos................................................................................. 2.2. Sprache ......................... .............. ......................................... 2.3. Bilder und Gleichnisse........................................................ 2.4. Euripides und Aischylos ..................................................... 2.5. Euripides und Homer .......................................................... 2.6. lntertextualität ..................................................................... 2.7. Verschiedenes ........................................... ............ ............ ...
21 21 27 28 29 32 32 33 33 35
II. EURIPIDES, DIE ODYSSEE UND DIE NOSTEN .......................... 1. Euripides und die Heimkehr der Atriden .................................... 1.1. Die 'A'tpEl6ii>v1ea806ocund der große Sturm................... 1.2. Der Menelaos-Nostos und die Helena ............................... 1.3. Ort und Zeitpunkt von Menelaos' Ankunft ........................ 1.4. Fahrtdauer............................................................................ 1.5. Zusammenfassung ...............................................................
37 37 38 46 49 58 59
2. Elektra ............................................................. ........... .................. 2.1. Nosten- und Odyssee-Nachwirkung ................................... 2.1.1. Das ,,Nostos-Schema ................................................ 2.1.1.1. Die Ausgangssituation ................................ 2.1.1.2. Die Rückkehr............................................... 2.1.1.3. Die Wiedererkennung ................................. 2.1.1.4. Die Restitution der Agarnemnonskinder .... 2.1.2. Der Schauplatz.......................................................... 2.1.3. Der „unheroische" Orest .......................................... 2.1.4. Die Rolle des Mythos ............. ......................... ...... ... 2.1.4.1. Das erste Stasimon (432-86) ...................... 2.1.4.2. Das zweite Stasimon (699-746) ................. 2.2. Zusammenfassung...............................................................
59 59 61 61 68 72 81 85 90 97 97 100 10l
10
Inhalt
3. lphigenie im Taurerland ............................ ............................. ..... 3.1. Nosten- und Odyssee-Nachwirkung: Das ,.Nostos-Schema" ......................... ......................... ....... 3 .2. Der troische Krieg ............ ......... .............. ..... ... ............. ... .... 3. 3. Zusammenfassung ............... .... ............ ............ ............. ..... ..
l 02
4. Helena .......................................................................................... 4.1. /Lias-Nachwirkung .............................................................. 4.1.1. Der troische Krieg in der Helena ............................. 4.1.2. Helena ....................................................................... 4.1.3. Menelaos ................................................................... 4.2. Nosten- und Odyssee-Nachwirkung ................................... 4.2.1. Ausgangssituation und Lokalität.. ............................ 4.2.2. Die Landung ............................................................. 4.2.3. Die Situation der wartenden Angehörigen ............... 4.2.4. Wiedervereinigung ................................................... 4.2.5. Intrige und Restitution .............................................. 4.3. Kyprien-Nachwirkung ......................................................... 4.4. Exkurse ................................................................................ 4.4.1. Verkleidung und Verwandlung ................................. 4.4.2. Phantastisches ........................................................... 4.5. Zusammenfassung ...............................................................
115 115 115 125 127 131 132 135 137 139 139 142 144 144 148 151
5. Orestes ......................................................................................... 5.1. Nosten- und Odyssee-Nachwirkung ................................... 5 .1.1. Das „N ostos-Schema'"' . ........................ ............. .... .. 5.1.2. Orest und Telemachos .............................................. 5.1.3. Der ,,heroische" Orest .............................................. 5.1.4. Argos und lthaka ...................................................... 5.1.5. Die Kpk \C 'Opectou ... .......... ............ ........................ 5.1.6. Helena ....................................................................... 5 .1. 7. Exkurse ........ ............... ... ..... ............ .. .......... .............. 5 .2. Zusammenfassung ...............................................................
152 152 152 153 158 167 170 174 188 190
6. Kyklops ......................................................................................... 6.1. Nosten- und Odyssee-Nachwirkung: Das ,.Nostos-Schema" ................................ ...... ........... ....... 6.1.1. Die Vorgeschichte (Prolog, 1-20) ............................ 6.1.2. Die Ausgangssituation (Prolog [21-40] und Parodos [41-80]) ··-··········································· 6.1.3. Die Ankunft ..............................................................
191
102 110 114
191 192 196 199
Inhalt
6.1.4. Die Sehnsucht nach dem abwesenden Dionysos und die Rolle des Weins ........................................... 6.1.5. Die Helfer und die Intrige ........................................ 6.2. Odysseus, der Trojakämpfer ............................................... 6.3. Motivische Synkrisis ........................................................... 6.4. Zusammenfassung ...............................................................
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200 204 208 217 219
7. Exkurs: Heroisierung in Alkestis und Medea .............................. 223 7 .1. Alkestis ................................................................................. 223 7 .2. Medea .................................................................................. 231 III. EURIPIDES UND HOMER .............................................................. 237 1. Typologie des euripideischen Homerrekurses ............................ 237 2. llias, Odyssee und der Kyklos bei Euripides .............................. 239 2.1. Dramenliste ......................................................................... 239 2.2. Stellensammlung ................................................................. 240 2.3. Euripides' Verhältnis zur llias und zu den Kyprien ........... 241 3. Mythologische Übersichten (EI., IT, Hel., Or., Kykl.) ................ 242 4. Tendenzen des euripideischen Homerrekurses ........................... 253 4.1. Archaisierung ...................................................................... 253 4.2. Heroisierung ........................................................................ 254 4.3. Figurenübemahme .............................................................. 255 4.4. Willkür und radikale Abänderung ...................................... 256 4.5. Dramatisierung .................................................................... 257 4.6. Dramaturgisch bedingte Unterdrückung von mythologischen „Fakten" ................................................... 258 4. 7. Komprimierung ................................................................... 258 4.8. Motivantizipation ................................................................ 259 4.9. Motivkumulation ................................................................. 260 4.10. Kritik ................................................................................... 260 4.11. Konservatismus und Innovation ......................................... 260 4 .12. Kontamination epischer Quellen ........................................ 261 4.13. Rekombination .................................................................... 262 4.14. Parodie ................................................................................. 263 4.15. ,,Palimpsestierung" und ,,Foliation" ................................... 264 5. Allgemeine Zusammenfassung ................................................... 269 IV. INDICES ............................................................................................
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LITERATURVERZEICHNIS Das Verzeichnis umfaßt im wesentlichen nur die wichtigsten Kommentare sowie eine Auswahl der einschlägigen Literatur. Weitere Angaben zur Sekundärliteratur finden sich passim in den Anmerkungen, besonders in dem doxographischen Kapitel 1.2. Arbeiten, die nicht eingesehen werden konnten, sind mit einem Asteriskus (*) markiert. Homer, die Tragiker, die Epikerfragmente, Apollodor und Proklos werden nach folgenden Ausgaben zitiert: HOMER: T. W. ALLEN,Homeri llias, 3 Bde., t. II: libros /-XII continens; t. III: libros XIII-XX/V continens, Oxford 1931 Homeri opera, 4 Bde., Oxford; t.111 (2. Ausg. 1917, Ndr. 1979[ 11908]) u. IV (2. Ausg. 1919, Ndr. 1980 ['1908)) (= Odyssee), hg. T. W. ALLEN AISCHYLOS: M. L. WEST, Aeschyli Tragoediae: cum incerti poetae Prometheo, Stuttgart/Leipzig 2 1998 [korr. Ausg.; Stuttgart '1990] SOPHOKLES: H. LLOvo-JoNESIN.G. W1LSON, Sophoclisfabulae, Oxford 1990 EURIPIDES: J. D100LE,Euripidis Fabulae, Oxford; t. 1: 1984; t. II: 1986 [korr. Ndr.; 1 1981]; t. III: 1994 EPIKERFRAGMENTE: A. BERNABt,Poetarum epicorum Graecorum testimonia et fragmenta: Pars /, [...] cum appendice iconographica a R. Olmos confecta, Leipzig 1987 M. DAVIES,Epicorum Graecorum Fragmenta, Göttingen 1988 APOLLODOR: Sir J. G. FRAZER,Apollodorus: The Ubrary, with an English translation, 2 Bde., Cambridge, Mass./London; Bd. I: 1976 [Ndr.; '1921]; Bd. II: 1989 [Ndr.; '1921]
PROKLOS: A. SEVERYNS, Recherches sur la Chrestomathie de Proclos, Bd. 4: La vita Homeri et les sommaires du cycle, Text u. Obers., Paris 1963
14
Literaturveneichnis
Kommentare 1. EURIPIDES
PALEY,Euripides = F. A. Paley, Euripides, with an English Commentary, 3 Bde., London; Bd. I [Rhes., Med., Hipp., Alk., HW., Suppl., Troad.]: 2 1872, Bd. II (Ion, Hel., Andr., EI., Ba., Helc.]: 2 1874, Bd. III [Her., Phoin., Or., IT, IA, Kykl.]: 1860 PARMENTtERIGRWIRE, Euripide IV= Uon Pannentier/Henri Gregoire, Euripide, t. IV: Lu Troyennes - /phigenie en Tauride - Electre, Paris 1959 WEIL,Spt. tr. = Henri Weil, {EURJP/DOU TRAGVIDIAI EPTA/ Sept tragedies d'Euripide, 2., überarb. Ausg., Paris 1879
Eleitra CROPP,EI. = Martin J. Cropp, Euripides Electra, Warminster, Wilts. 1988 DENN.,EI.= J. D. Denniston, Euripides Electra, Ndr., Oxford 1954 ['1939] WECKL.,EI.= N. Wecklein, Euripides Ele/ctra, Leipzig/Berlin 1906
lphigenu im Tallnrland PLATN.,IT= M. Platnauer, Euripides lphigeniti in Tauris, Ndr., Oxford 1952 [' 1938) WECKL.,/T= N. Wecklein, /phigenie im Taurierland, Leipzig 3 1904 ['1876]
Helena DALE,Hel. = A. M. Dale, Euripides Helen, Oxford 1967 KANNICHT, Hel., I / KANNICHT, Hel., II= Richard Kannicht, Euripides Helena, 2 Bde., Bd. I: Einleitung und Text; Bd. II: Kommentar, Heidelberg 1969 WECKL.,Hel.= N. Wecklein, Euripides Helena, Leipzig/Berlin 1907
Onstes D18., Or. = Vincenzo Di Benedetto, Euripidis Orestes, Firenze 1965 BIEHL,Or. = Werner Bichl, Euripides Orestes, Berlin 1965 WECKL.,Or. = N. Wecklein, Euripides Orestes, Leipzig/Berlin 1906 WEST,Or. = Martin L. West, Euripides Orestes, Warminster, Wilts. 1987 WILL.,Or. = Charles W. Willink, Euripides Orestes, Oxford/New York 1986
Kyklops AMMENDOLA, Cicl. = G. Ammendola, Euripide: II Ciclope, Florenz 1952 BrEHL,Ky/cl. = Werner Biehl, Euripides Ky/clops, Heidelberg 1986 DucHEMIN, Cycl. = Jacqueline Duchemin, Le Cyclope d 'Euripide, Paris 1945 (Bibliotheque de l'Ecole des Hautes Etudes,fasc. 288) SEAF.,Cycl. = Richard Seaford, Euripides Cyclops, Oxford 1984 UssHER,Cycl. = Robert G. Ussher, Euripides: Cyclops [.../, Rom 1978
Literaturveruichnis
15
Weitere Stücke
CoNACHER, Alcestis = D. J. Conacher, Euripicks Alcestis, Warminster, Wilts. 2 1993 ['1988) DALE,Alcestis = A. M. Dale, Euripides Alcestis, hg. mit Einl. u. Komm., Oxford 1961 (l 1954) WEBER, Al/cestis = Leo Weber, Euripides Al/cestis, Leipzig/Berlin 1930 Dooos, Bacchae = E. R. Dodds, Euripides Bacchae, hg. mit Einl. u. Komm., Oxford 2 1960 [Ndr. 1979; '1944, Ndr. 1953) BARLOW, Troades = Shirley A. BARL0W, Euripides Trojan Women, Warrninster, Wilts. 1986 LEE,Troades = K. H. Lee, Euripides Troades, hg. mit Einl. u. Komm., London 1976
2. HOMER WEST/ A Commentary on Homer's Odyssey, 3 Bde., Bd. 1: Alfred HEUBECKIStephanie Introduction and Boolc.s/-VIII ( 1988); Bd. 2: A. HEUBECKI John Bryan HAtNSWORTH, Boolc.sIX-XVI ( 1989); Bd. 3: Joseph Russo/Manuel FERNANDEZ-GAArie HoEKSTRA, Boolc.sXVII-XXIV (1992), Oxford' LIANol A. HEUBECK,
Andere In Abkürzung zitierte Literatur
Aa10N, heritier = Rachel A~lion, Euripide heritier d'Eschyle, 2 Bde., Paris 1983 ALStNACLOTA,.,Helena" = J. Alsina Clota, ,.Helena de Troya. Historia de un mito", Helmantica 8 (1957), 373-394 ALT,,,Anagnorisis" = Karin Alt, ,,Zur Anagnorisis in der Helena", Hermes 90 ( 1962), 624 ANDERS0N, Fall ofTroy = Michael J. Anderson, The Fall ofTroy in Ear/y Greek Poetry and Art, Oxford 1997 ARNOTT, ,,Parody" = Geoffrey Amott, ,,Parody and Ambiguity in Euripides' Cyclops", in: Antidosis: Festschrift für Walther Kraus zum 70. Geburtstag, hg. R. Hanslik, A. Lesky u. H. Schwabl (= WS, Beih. 5, 1972), 21-30 AssA~ .,transforrnations" = Jacqueline Ass~l. ,,Les transforrnations du mythe dans Helene d'Euripide", Pallas 33 (1987), 41-54 BARLOW, lmagery = Shirley A. Barlow, The /magery of Euripides: A study in the dramatic use of pictorial /anguage, London 1971 BERGMANN, Atridenmythos = Peter Bergmann, Der Atridenmythos in Epos, Lyrik und Drama, Diss. Erlangen-Nürnberg 1970 BETHE,Homer = Erich Bethe, Homer: Dichtung und Sage, 2. Bd.: Odyssee, Kyklos, Zeitbestimmung: Nebst den Resten des troischen Kyklos {.../, Leipzig/Berlin 1922 1 Das
Werk wird im folgenden mit dem Namen des Kommentators der jeweiligen
Stelle zitiert.
Litcraturvem:ichnis
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BOND,,,parody"= Godfrey W. Bond, ,.Euripidcs'parody of Aeschylus", HermatMna
118(1974), 1-14 BuRKERT,,,Absurdität"= WalterBurkert,,,Die Absurditätder Gewalt und das Ende der Tragödie: Euripides' Orestes", A&A 20 (1974), 97-109 BuRKERT,orientalisierende Epoche= ders., Die orientalisierende EpocM in der griechischen Religion und Literatur, Heidelberg 1984 (SBHeid 1984/1) BuRNETI,CatastropM = Anne Pippin Bumett, CatastropM Survived: Euripides' Plays o/ Mixed Reversal, Oxford 1971 CoNACHER, Euripidean Drama= D. J. Conacher, Euripidean Drama: Myth, Theme and Structure, Toronto/London 1967 CROPP,,,Odyssey" = Martin Cropp, ,Jferacles, Electra and the Odyssey", in: Greelc Tragedy and lts Legacy: Essays Presented to D. J. ConacMr, hg. M. Cropp, Elaine Fantham u. Samuel E. Scully, Calgary 1986, 187-199 DAv1ES,,,Oresteia" = Mark 1. Davies, ,,Thoughts on the Oresteia before Aischylos", BCH 93 (1969), 214-260 D1HLE,Medea = Albrecht Dihle, Euripides' Medea, Heidelberg 1977 (SBHeid 1977/5) D1LLER,,,Erwartung" = Hans Diller, ,,Erwartung, Enttäuschung und Erfüllung in der griechischen Tragödie", in: Serta philologica Aenipontana (lnnsbruclcer Beitriige zur Kulturwissenschaft, Bd. 7-8), 1962, 93-115 DINGEL,,,24. Gesang" = Joachim Dinge!, ,,Der 24. Gesang der Odyssee und die Elektra des Euripides", RhM, N. F. 112 (1969), l03-109 DüMMLER,,,Nekyia" = Ferdinand Dümmler, ,.Die Quellen zu Polygnots Nekyia. 1. Die Nekyia der Nosten", RhM, N. F. 45 (1890), 178-202 VONDUHN,iter Aegyptium = Friedrich von Duhn, De Menelai itinere Aegyptio Odysseae carminis IV episodio quaestiones criticae, Bonn 1875 (Diss. Bonn 1874) E1sNER,,,Myth" = Robert Eisner, ,,Euripides' Use of Myth", Arethusa 12 (1979), 153-
174 ErsNER,,,Echoes" = ders., ,,Echoes ofthe Odyssey in Euripides' Helen", Maia 32 (1980),
31-37 ERBSE,Studien = Hartmut Erbse, Studien zum Prolog der euripideischen Tragödie, Berlin/New York 1984 voN FRITZ,,,Orestessage" = Kurt von Fritz, ,,Die Orestessage bei den drei großen griechischen Tragikern", in: ders., Antilee und moderne Tragödie: Neun Abhandlungen, Berlin 1962, 113-159 FRYER,lphigeneia = Deborah J. Fryer, Euripides IPHIGENEIA AMONG THETA URIANS: Translation, introductory essay and notes, Diss. Princeton 1993 FuQUA,,,Studies" = Charles Fuqua, ,,Studics in thc use of myth in Sophoclcs' ,Philoctctes • and the ,Orestcs' of Euripidcs", Traditio 32 (1976), 29-95 FuQUA,,,myth" = ders., ,,The world of myth in Euripides' ,Orestes"', Traditio 34 (1978),
1-28 GARNER,Allusion = Richard Garner, From Homer to Tragedy: The Art o/ Allusion in Greelc Poetry, London/New York 1990 GENETTE, Palimpsestes= G~rard Genette, Palimpsestes: La litterature au second degre, Paris 1982
Literaturverzeichnis
17
GHALI-KAHIL. enlevements = Lilly B. Ghali-Kahil, Les enlevements et le retour d'Helene dans les textes et les docU1Mntsfigures, Paris 1955 GM0R, Wiedererkennungsmotiv = A. Gmür, Das Wiedererkennungsmotiv in den Dramen des Euripides, Stift Einsiedeln 1920 (Diss. Univ. Freiburg i. d. Schweiz) GoFP, ,,scars" = Barbara E. Goff, ,,The Sign of the Fall: The Scars of Orestes and Odysseus", C/Ant 10 (1991), 259-267 Gouw, ,,Tragic Moment"= John Gould, ,,Homeric Epic and the Tragic Moment", in: Aspects of the Epic, hg. T. Winnifrith, Penelope Murray u. K. W. Gransden, London/Basingstoke 1983, 32-45 GREENBERO, ,,Orestes" = Nathan A. Greenberg, ,,Euripides' Orestes: An Interpretation", HSPh 66 (1962), 157-192 HALPORN,,,Electra" = James W. Halpom, ,,The Skeptical Electra", HSPh 87 (1983),
101-118 HEUBECK.homerische Frage = Alfred Heubeck, Die homerische Frage: Ein Bericht über die Forschung der let1.1enJahnehnte, Darmstadt 1974 (EdF, 27) HoMMEL,,,Aigisthos" = Hildebrecht Hommel, ,,Aigisthos und die Freier: Zum poetischen Plan und zum geschichtlichen Ort der Odyssee", Studium Generale 8 ( 1955), 237-245 (auch in: ders., Symbola, Bd. I: Kleine Schriften zur Uteratur- und Kulturgeschichte der Antilee, hg. B. Gladigow, Hildesheim/New York 1976 (Collectanea,
5), 1-17) JouAN, Kyprien = Fran\:ois Jouan, Euripide et les legendes des Chants Cypriens: Des origines de la gue"e de Troie a I 'lliade, Paris 1966 JuFFRAS,,,Victims" = Diane M. Juffras, ,,Helen and other Victims in Euripides' ,Helen"\ Hermes 121 (1993), 45-57 et R~it~" = J. C. Kamerbeek,,,Mythe et R~lit~ dans l'Oeuvre d'Euripide", Entretiens sur l'antiquite classique (Fondation Hardt), t. VI: Euripide, Genf 1958/1960, 3-25 KAssEL,,,Bemerkungen"= Rudolf Kassel, ,,Bemerkungen zum Kyklops des Euripides", RhM N. F. 98 (1955), 279-286 KNOX,,,Comedy" = Bemard Knox, ,,Euripidean Comedy", in: The Rarer Action: Essays in Honor of Francis Fergusson, hg. A. Cheuse u. R. Koffler, New Brunswick, N. J.
KAMERBEEK,,,Mythe
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ICaA.WV t ~8Ö>V~ t 1tÄ.acµatCOV ~ 6'lµtOUP"f11µatCOVvA.0111:cov 61acp8apticii>vveci>vev tcoi 11:EÄ.ayei (Prokl., Z. 279-287 SEVERYNS). Vgl. Apollod. Epit. 6, l; vgl. auch Paus. 10, 25, 2. 12 So auch y 155ff. (bes. 168f.); dagegen vergröbernd y 276f. (fiµeic µev yap äµa ltMOµEVTpoht8EV iovi:tc, / 'Atpd6lle Kai.iyco, cpiÄ.aEi66tECaAA.TlAOlClV ·) und 6 487f. (i\ ff«V1:EC euv Vll\lCI.V am,µovtc 1\Ä&v 'Axmoi, / oüc Nec,:copKat t.ymXin:oµEVTpoill8Ev iovue). Apollodor (Epit. 6, l) spricht von gemeinsamer Abfahrt (äµa). Vgl. ROBERT, Heldensage, 1299 Anm. 1: ,,Nach Od. y 276ff. (vgl. 6 488) könnte es scheinen, daß Menelaos und Nestor ohne Diomedes von Troja abgefahren wären und ihren Weg direkt nach Sunion genommen hätten". Der Schluß ist nicht zwingend, da Diomedes wohl keine signifikante Rolle spielt (vgl. BETHE,Homer, 272: .,Wir haben keine Veranlassung anzunehmen, daß von Diomedes mehr erzählt war. 10"; Anm. l 0: ,.Höchstens, daß er das troische Palladion nach Argos gebracht habe, aber auch das ohne jede Gewähr."). Das gegenüber Nestor etwas spätere Auslaufen von Menelaos' Flotte ist jedenfalls fester Bestandteil der Sage. Möglicherweise muß man mit einem in kurzen Intervallen erfolgten Abfahren der einzelnen Kontingente rechnen - was ohne größere Bedeutung war, da man sich ohnehin vor der Hauptüberfahrt zum griechischen Festland auf einer der lcüstennahen Inseln (Tenedos oder Lesbos) sammelte. 13 Vgl. Apollod. Epit. 6, 1: XElµO>Vl 1tEpl1tECO>V.
II. F.uripides. die Odyssee unddie Nosten
40
Für den weiteren Gang der Untersuchung ist es erforderlich, auch die Erzählung von der Heimkehr Agamemnons und seiner Begleiter in den Nosten zu rekonstruieren. Die Ermordung des Atriden soll dabei ausgeklammert bleiben. Es interessieren hier zunächst nur die Fahrterlebnisse. Die Quellen sind dieselben. In der Teleniachie wird nur wenig von den Fahrtschicksalen Agamemnons und seiner Begleiter erzählt: 14 Zeus und Athene bringen aus Zorn den Achaiern auf der Heimfahrt schwere Verluste bei. 15 - Aias' Aottenkontingent geht im Sturm zugrunde. Ihn selbst treibt Poseidon gegen die (bzw. den) Gyraischen Felsen, 16 wo er sich aus dem Meer retten kann. So hätte er trotz Athenes Haß den Tod vermeiden können, wenn er nicht die Vermessenheit gehabt hätte, sich laut zu briisten, er sei dem Sturm gegen den Willen der Götter entronnen. Poseidon hört dies und stößt daraufhin mit dem Dreizack gegen den Felsen. Das Stück, auf dem Aias sitzt, wird abgespalten und versinkt im Meer; jener ertrinkt. - Agamemnon wird mit seinen Schiffen von Hera gerettet. Kurz bevor er Kap Malea erreicht, treibt ihn ein Sturmwind ab, und er gelangt zur Argolis. Erst nähert er sich dem Gebiet, wo Aigisthos wohnt, dann dreht sich der Wind erneut, und er geht in der Heimat17 an Land.
Bei Proklos finden sich die Angaben über Agamemnon (ebenso wie die über seinen Bruder) passim im ganzen Referat; das Schicksal der Atriden bildet auch den Schluß. Schon aus dieser knappen Inhaltsangabe scheint deutlich zu werden, was BE111Ebetont hat, 18 nämlich daß die 'A'tpElÖmv KV 7tEpl'tOV'Ayaµiµvova cix011:Ä.eov't0>V 'AxlWcoc Ei&>Ä.ov bncpavtv KElKaq)Tlpt&xc7tE'tpac pc'x'tatfüa,co,).:6etv 7tp0A.EyOV 'tCXcuµP,,coµEVa. ete·o 7tEpl'tCXC
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1. Euripides und die Heimkehr der Atriden
41
Bei Apollodor 21 erfährt man mehr Details: Agamemnon läuft nach Vollendung der Opfer zunächst Tenedos an und gerät dann auf der Weiterfahrt bei Tenos in einen Sturm, den Zeus auf Athenes Bitten gesandt hat und in dem viele Schiffe zugrunde gehen. Aias kann sich auf einen 22 Felsen retten, nachdem Athene sein Schiff mit einem Blitz zerstört hat. Sein anschließender Tod wird wie in der Odyssee geschildert; Apollodor fügt hinzu, daß der Leichnam in Mykonos von Thetis bestattet wird. Es folgt die Beschreibung des von Nauplios gelegten nächtlichen Hinterhalts an den euböischen Kaphereusfelsen; dabei erleiden viele von denen, die den Sturm überstanden haben, Schiffbruch und kommen ums Leben. 23 Bei Euripides findet sich eine ausführliche Erwähnung einer Sturmkatastrophe, die die Griechen auf der Heimkehr trifft, im Prolog der Troades. Dort wird dargestellt, wie Athene und Poseidon gemeinsame Sache machen (48-97). Athene will Poseidon dafür gewinnen, den Achaiem auf ihrer Heimfahrt von Troja schweren Schaden zuzufügen (65f.). Ihr Motiv ist der ungesühnt gebliebene Palladionfrevel des Aias (69-71). 24 Zeus werde Regen, Hagel und Sturm senden; ihr selbst habe er den Blitz zu geben versprochen, damit sie mit ihm die Achaierschiff e verbrennen könne. Poseidon soll die Ägäis aufwühlen und Euboias Küste mit Leichen anfüllen. Der Meeresgott willigt ein: Die Leichname der vielen Umgekommenen würden sich an den Küsten von Mykonos, Delos, Skyros und Lemnos sowie an den Kaphereusfelsen finden:
Aß. no. A8. no. A9.
'tOl'YO:P ccpEC'UV CO\l3ot>Ä.oµcn 6päcat x:ax:roc. E'tOlµ'ä. l3ot>AT1l 'ttl1t' eµou. 6po:CElC 6E 'tl; OOCVOC'tOV aU'tOlCVOC'tOV eµßaA.EtV8iA.ro. EV"flllµEVOV'tOOV ft x:a9' a.Aµupav ä>..a; Ö'ta.v1tpocOllCOUC V..iou. IC(X\ ZEuc µEVÖµßpov IC(X\ xo:>..a~a.v V ICOlAOV Eußoiac µuxov, rocäv tO AOUtOVtäµ, µa1epmv').J,yrov 6eitai· tapa~ro nilayoc Aiyaiac ä>..ix.. Vcroµa9' E~O'UClV VEICpO>V. all, Ep7t,"Oluµnov Kai ICEpauviouc ßoACXc Aaßouca natpoc i1exepmv ,capaOOICEl, Ötav ctpateuµ, 'Apyeiov i~lTtl ICc.
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80
85
90
Betrachtet man diese Verse auf dem Hintergrund des epischen Achaiemostos, wie er oben rekonstruiert wurde, so gewinnt man den Eindruck, daß Euripides hier den Sturm beschreibt, dem die zweite Hälfte der Griechenflotte unter Agamemnon zum Opfer fällt. In der Schilderung des göttlichen Wirkens scheint sich genuin Euripideisches mit homerischer bzw. vorhomerischer Motivik zu verbinden. Das Bündnis zwischen Athene und Poseidon, die in der traditionellen Götterparteiung der /lias getrennten Lagern angehören, dürfte Euripides' Erfindung sein. Vielleicht hat er dabei das vorsätzliche Paktieren Poseidons gegen die Griechen aus der spontanen Tötung des Aias, wie sie im Proteusbericht (6 505-11) geschildert wird, herausentwickelt. Die Odysseepassage enthält altes kyklisches Stoffgut, wie es übrigens auch dem Iliasdichter wahrscheinlich schon bekannt war: 25 Einige Verse der llias scheinen auf eine negative Charakterisierung des Lokrers Aias abzuzielen und ein feindseliges Verhältnis der Athene anzudeuten ('I' 473ff. und 754ff.); dem Dichter dürfte also der Palladionfrevel, wie er in der lliupersis geschildert wurde, bekannt sein. Dasselbe darf man füglich für den dadurch motivierten Untergang des Aias in der Nostensage annehmen. Auch Poseidons besonderes Verhältnis zu Aias wird in der /lias offenbar vorausgesetzt. Die freundschaftliche Einstellung des Gottes, wie sie in N 43ff. durchschimmert und in der Rettung des Aias aus dem Schiffsuntergang in 6 500f. manifest ist, 26 schlägt wegen der üßplc des Griechen in das Gegenteil um (6 503-10). 25
Die folgenden neoanalytischen Überlegungen bei
26
Siehe
KuLLMANN,
Quellen, 350 u.
356. ROBERT,
Heldensage, 1450 Anm. 2 (.,Hierbei schwebt wahrscheinlich die
1. Euripides und die Heimkehr der Atriden
43
In der Odyssee wird zwar nirgends ausdrücklich gesagt, wer den Sturm erregt, doch spricht alles dafür, daß an Zeus und Athene gedacht ist; Poseidon und Hera greifen punktuell ein, um ihre ,,Lieblinge" Aias bzw. Agamemnon zu retten (6 500f. und 512f.). Euripides übernimmt das Motiv, daß der Sturm von Zeus und Athene erregt wird, und führt Poseidon als zusätzlichen Bündnispartner ein. Der Meeresgott drängt sich in der Funktion als Sturmverursacher geradezu auf. Athene nimmt eine klare Aufgabenverteilung vor, die den traditionellen Zuständigkeitsbereichen von Zeus und Poseidon entspricht. Ob sich hinter der Leihgabe des Blitzes - ein Sonderfall - eine epische Reminiszenz verbirgt, kann man allenfalls vermuten. In 6 495ff. wird zwar nicht erwähnt, daß Aias' Schiff von einem Blitz aus Athenes Hand getroffen wurde, doch könnte die Formulierung 6 502b 1ea.lix96µEV6c1tep 'A9itVl'lt ein vager Hinweis darauf sein, daß dieses Detail in der vorodysseischen Nostensage und später in den Nosten vorkam. Bei der Lokalisierung des Unglücks schlägt Euripides einen geographisch weitgespannten Bogen: Die Leichen der Ertrunkenen sollen an Gestaden angespült werden, die von Mykonos im Süden bis Lemnos im Norden reichen - eine hyperbolische Bezeichnung des Ausmaßes der Katastrophe. 27 Die Inselnamen geben einen Hinweis auf die Fahrtroute der Griechen in der Nostensage. Proklos schweigt über diesen Punkt; Apollodor erwähnt Tenedos und Tenos. Hierzu und zu weiteren mythographischen Nachrichten kommt als wertvollstes Zeugnis y 169-72, wo Nestor erzählt, wie er und Diomedes auf Lesbos darüber nachdachten, welche Route sie für die Rückfahrt wählen sollten. 28 Für die vorodysseische Nostensage und für die Nosten ergibt sich aus alldem folgendes: Menelaos und Agamemnon mit ihren jeweiligen Begleitern wählen mit ihren Fahrtrouten zugleich die beiden Standardformen nautischer Methodik: Menelaos nimmt den kürzeren, aber gefährlicheren Weg über das offene Meer (er vollzieht also die direkte Überfahrt nach Euboia), Agamemnon den längeren, aber sichereren Weg in fast dauernder Nähe zum Land, sei es Festland oder seien es Inseln (die antike Schiffahrt Szene der Dias vor, wo Poseidon die beiden Aias zum Kampf gegen die Troer anfeuert und ihren Mut durch einen Schlag mit dem Szepter stärkt, N 43ff. Deshalb erweist er dem Lokrer auch jetzt noch seine Gunst."), sowie KuLLMANN, Quellen, 356. 27 Vgl. Aisch., Pers. 419ff. Siehe LEE, Troades, z. St. 28 evA&~on 6' l1ClXEV [seil. Menelaos] 6oÄ.lxovnA.OOv opµaivov'tac, i\ 1ecx&unep8e XiOlOveoiµe8a 7tCXl7tCXA.0tcCT1C, VTlCO'U E7tl'l'upi'lC, cxu-ritvtn. aplC'ttp. lxovtEC, 1ti>nevep8eXfoto, xap' ,\veµoev-ra Miµav-ra. Sonst erwähnt die Odyssee nur die Gyraischen Felsen (6 500f. und 507f.), deren Lokalisierung unsicher ist (s. u. Anm. 34).
II. Euripides, die Odyssee und die Nosten
44
war im wesentlichen Kilstenschiffahrt, auch oder gerade bei längeren Reisen); er schlägt also einen Bogen nach Silden durch die Kyltladcn hindurch. Dabei war Agamemnons Weg sogar besonders günstig und keineswegs länger als der seines Bruders, falls, wie noch zu zeigen sein wird, sein persönliches Fahrtziel in der alten Sage Sparta lautete. In den Gewässern der Kyk.laden fand dann der Seesturm statt, dem Aias zum Opfer fiel. Zunächst scheint nicht viel gegen die Annahme zu sprechen. daß die überlebenden Griechen - ohne Agamemnon - nach Euboia gelangten (auch ihre vorausgefahrenen Kameraden waren zuerst in Geraistos gelandet) und dort bei den gefährlichen Kaphereusf elsen, dem Südostkap der Halbinsel, in den Hinterhalt des Nauplios gerieten. Diese Naupliosepisode 29 stellt das größte Problem dar. In der besprochenen Passage des Troades-Prologs erscheinen die Kaphereusfelsen am Ende von Poseidons Aufzählung (90); Nauplios wird nicht genannt. 30 Die Odyssee erwähnt weder die Kaphereusfelsen noch Nauplios. Im Proltlosreferat wird das Unglück am Kaphereusfelsen nur als Sturm bezeichnet; das sieht wie die euripideische Version in den Troades aus. 31 Euripides kennt indessen die Naupliossage. Er erwähnt sie zweimal in der Helena, beide Male erstaunlicherweise im Zusammenhang mit dem Nostos des Menelaos. In 766ff. erzählt Menelaos seiner Gattin von den Ereignissen auf seiner Rückfahrt und führt dabei unter anderem das Unglück in der Ägäis und die Naupliosepisode an. Außerdem behandelt das Chorlied l l 26ff. den Hinterhalt des Nauplios an den euböischen Kaphereusfelsen. 32 BETHEnahm an, die Naupliosepisode sei in den Nosten lediglich in einer Digression berichtet worden, nämlich anläßlich Orests und Pylades' Kampf mit den Naupliossöhnen bei Aigisthos' Ermordung. 33 Vor allem das Zeugnis des Proklos wiegt schwer, und zwar in doppelter Hinsicht. Erstens spricht Prok.los lediglich von einem Sturm am Kaphereusfelsen und läßt die Naupliosepiso29
Siehe Apollod. Epit. 6, 7; 11. PALEY,Euripides, z. St., glaubt an eine Bezugnahme auf die Naupliossage; vgl. LEE, Troades, z. St. 31 da· 0 1tepl trtc Kacp11pi6ac7tEtpaC ÖT)M>\ltatXEtµcovical TlAfovtoc cp8opa tO\l Aoicpoü (Z. 294f. SEVERYNS). 32 In der athenischen Theaterproduktion dieser Jahrzehnte waren der Naupliosmythos und die damit verbundenen Sagen durch mehrere Stücke fest etabliert: Soph. frr. 425-438 RADT,Philokles (TrGF 24 T 1), Astydamas (TrGF 60 F 5), Lykophron (TrGF 100 T 3); vgl. RoeERT,Heldensage, 1293. Alle drei großen Tragiker haben einen Palamedes geschrieben; Euripides hat den seinen zusammen mit den Troades aufgeführt (zur Rekonstruktion siehe JouAN,Kyprien, 337-363; Aa10N, heritier, 41-59 [mit Lit.]). Die Möglichkeit einer euripideischen Selbstreferenz im Troades-Prolog ist umstritten; siehe hierzu Ruth ScooEL, The Trojan Trilogy of Euripides, Göttingen 1980 (Hypomnemata, H. 60), 66f.; BARLOW, Troades, zu V. 90. 33 Homer, 215f. 30
1. Euripides und die Heimkehr der Atriden
45
de unerwähnt; entweder kennt er sie also nicht. oder er betrachtet sie als untergeordnet. Der Hinterhalt des Nauplios kann aber nur dort und nirgendwo anders stattgefunden haben. Zweitens nennt er in demselben Satz - und zwar danach - den Untergang des Aias. Einige Testimonien lokalisieren dieses Ereignis bei Tenos oder bei Mykonos (wo man Aias' Grab zeigte und wo ein Felsen Anlaß zu einer aitiologischen Sage gegeben haben mag), andere und spätere am Kaphereusf elsen. 34 Faßt man all dies zusammen, so ergibt sich folgendes Bild: In der vorodysseischen Nostensage waren die Rückfahrten der-Atriden in klarem Gegensatz zueinander gestaltet. Die später abgefahrene zweite Hälfte der Flotte unter Agamemnon wählt die Südroute durch die Kykladen und gerät in einen verheerenden Sturm. Höchstwahrscheinlich hat es sich nur um einen einzigen Sturm gehandelt, und zwar mitten im Kykladen-Archipel; dabei war Aias, der Verursacher des göttlichen Zorns, das prominenteste Opfer. Irgendwann scheint dann eine Verschiebung des Geschehens an das notorisch gefährliche Sturmkap des Kaphereusfelsens, also an einen signifikanteren Ort für einen Schiffbruch, erfolgt zu sein; diese Version könnte, wie BETHE glaubt, 35 die des schriftlichen Nostenepos gewesen sein. Ob diese zweite Version durch das Eindringen der Naupliossage verursacht war oder auf das Bestreben zurückzuführen ist, durch die Lokalisierung des Schiffbruchs auf Euboia eine kontrastierende Parallelisierung zur glücklichen Landung der ersten Hälfte der Achaier an derselben Halbinsel zu erreichen, oder ob beides zusammenwirkte, läßt sich unmöglich entscheiden. Hier verliert sich jeder Rekonstruktionsversuch im Bereich der reinen Spekulation. Dazu gehört auch die bequeme Lösung, die darin besteht, daß man einen Mangel an Präzision bei maritimen Lokalisierungen und Entfernungsangaben in der alten Nostensage annimmt. Dann könnte man damit rechnen, daß in diesem Punkt Apollodor nicht etwa, wie er es sonst häufig tut, die vorhandenen Versionen miteinander harmonisiert, sondern vielmehr die urspüngliche Fassung konserviert hat, derzufolge die Hauptmasse der Griechenflotte von dem Sturm bei den Kykladen direkt in die Traufe des Nauplioshinterhalts bei den Kaphereusfelsen gerät. 36 Die Klippe, an der BETHEdiese Erklärung 34
Siehe die Testimoniensammlung bei RoeERT,Heldensage, 1450-1452 (vgl. BüRCH.,AKPA rYPEüNonce more", CR NER,REVIl s. v. ,Gyrai' und ,Gyras'; F. H. SANDBACH, 56 [1942], 6~5; Stephanie WESTzu 5 500f.). 35 „Helena 1126 spricht nur von Nauplios, ebenso 767, wo er Menelaos sogar davon erzählen läßt, der in den Nosten vorweg gefahren war. Es verdrängt die Naupliostat, mit der Rache für Palamedes motivirt, schon hier die ursprüngliche Erzählung von Athenes Zorn, zugleich das kaphcrische Vorgebirge die andere Lokalisation bei Mykonos [...)." (Homer, 276 Anm. 14.) 36 Epit. 6, 5-1 u. 11.
II. Euripides. die Odyssee und die Nosten
46
scheitern läßt - die Doppelung des Sturmmotivs sei aus kompositorischstilistischen Gründen nicht akzeptabel -, kann man getrost außer acht lassen. In der Tat muß die Erzählung von Nauplios' Hinterhalt mit der von einem Sturm verbunden gewesen sein; das Motiv erhält ja erst dann seinen rechten Sinn, wenn sich die Opfer des Hinterhalts bereits in Seenot befinden, die Katastrophe also schon im Gang ist.37 Alles wird aber ganz leicht erklärbar, wenn es nur einen einzigen Sturm gegeben hat, vorausgesetzt, man nimmt den Pferdefuß des etwas abenteuerlichen geographischen Hintergrunds in Kauf. Endgültige Klarheit zu gewinnen scheint hier kaum möglich zu sein.
1.2. DER MENELAOS-NOSTOS UND DIE HELENA
Zurück zu Menelaos. Im Prolog der Troades taucht er nicht auf. Seine Erlebnisse nach der Eroberung Trojas werden ausführlich in der Helena behandelt. Die einschlägigen Angaben ~mStück seien hier - in chronologischer Folge - aufgezählt: ( 1) Teukros erzählt Helena, daß sich Menelaos und Helena weder in Argos noch in Sparta befinden. Beide gälten als verschollen. (123-6) (2) In demselben Gespräch berichtet Teukros, daß die heimkehrende Griechenflotte mitten in der Ägäis von einem Sturm in alle Winde zerstreut worden sei. Menelaos sei vermißt und gelte in Griechenland als tot. (127-32) (3) Bei seinem Auftritt 386ff. erzählt Menelaos, daß er seit der Eroberung Trojas auf dem Meer umherirre. Auf langen Fahrten an der Küste Libyens sei er wiederholt der Heimat38 nahegekommen, aber immer wieder von widrigen Winden zurückgeworfen worden. (400--7) (4) Auf die Auskunft der -ypauc hin, er sei nach Ägypten gekommen, beklagt sich Menelaos selbst.39 ( 459-61) 37
Vgl. K.ANNICHT, II, Hel., 52 Anm. 26 (zu 128-130): .,[...] den Tragikern und Mythographen zufolge fiel ein großer Teil derer, die die Katastrophe bei Mykonos überlebt hatten, am euboiischen Kaphereus der Rache des Nauplios zum Opfer [...]. Ob diese Verknüpfung schon in den Nosten vorgegeben war, ist nicht sicher (die Telemachie schweigt darüber), aber wahrscheinlich; denn jedenfalls ist der Sturm im Inselmeer die Voraussetzung dafür, daß die m>paoi des Nauplios die, die entkommen waren, in ihrer Hoffnung auf sichere Häfen trügen konnten[ ...]." 38 ,i:atpa (402, 405, 407). Um welchen Teil der Peloponnes es sich handelt, wird nicht gesagt. 39 Siehe K.ANNtcHT, Hel., II, z. St.: .,Die Klage des Men. ergibt sich einerseits aus dem bisherigen Verlauf seines Nostos [...], andererseits daraus, daß Ägypten für den Griechen der mythischen Epoche zugleich der südliche Rand der Oikumene ist: darum zögert schon der Menelaos des epischen Nostos, von Pharos aus noch einmal Aiyu,i:-
l. Euripides und die Heimkehr der Atriden
47
(5) In seinem kurzen Lied 515ff. erzählt der Chor, er habe von Theonoe erfahren, daß Menelaos noch nicht tot sei, sondern seit der Abfahrt von Troja auf dem Meer umherirre und dabei in vielerlei Länder gelange. (515-27) (6) Auch Helena berichtet von dieser Auskunft der Seherin. Außerdem habe Theonoe gesagt, daß Menelaos, der gerade mit wenigen Gefahrten einen Schiffbruch überstanden habe, sich in der Nähe befinde. (529-39) (7) In dem knappen Bericht von seiner Heimkehr, den er Helena gibt, erwähnt Menelaos die Katastrophe in der Ägäis40, die Naupliosepisode und, als Stationen seines Umherirrens, Kreta, Libyen und Ägypten. - Nach dem zehnjährigen troischen Krieg sei er sieben Jahre lang zu Schiff unterwegs gewesen. 41 (766-9; 775f.) (8) In dem Lied l 107ff. erzählt der Chor von der durch Nauplios' Hinterlist herbeigeführten Katastrophe der Griechen an den euböischen Kaphereusfelsen und vom Sturm am Kap Malea, der Menelaos und das Eidolon von der Heimat entfernt habe. 42 (1126-36) (9) In ihrer Trugrede erzählt Helena dem Theoklymenos, ihr Gatte habe an der libyschen Küste Schiffbruch erlitten und sei dabei umgekommen. (1208-11) (10) In der ersten Strophe des dritten Stasimons läßt der Chor die Pontostochter Galaneia in fiktiver Apostrophe die Matrosen des phönizischen Schiffs anweisen, Helena nach Mykene zu bringen. (1459-64) 43 (11) In 1584-7 berichtet der Bote dem Theoklymenos, daß Menelaos bei dem fingierten Opfer vor der Küste zu Poseidon und den Nereiden t6vö' ievm, ÖOA.lX"lV oöov apyaUrtv 'tE (Ö 483) [...]", und zu 405-407: .,Aus der Anordnung der Aussagen folgt, daß Men. nach dem libyschen Periplus wieder vergeblich versucht hatte, die Peloponnes zu erreichen: deshalb weiß er jetzt nicht, wo er sich befindet (414-5) und ist später entsetzt zu hören, daß er wieder nach Afrika verschlagen ist (461-3)". 40 [ ••• ] tac i.v Aiyaimt cp&pac (766). 41 EV vaudv rov 11:poc'tOlClVi.v Tpoim öex:a / E'tEC\ Öti\Ä.8ovEfl:'tlX 11:EptÖpoµact'tO>V (775f.). Vgl. 112, wo Teukros von fast (oder ,ungefähr'?) 7 Jahren spricht: E1tta cxtö6v n Kaµ,tiµouc i.tfuv ICUICA.OUC. Menelaos scheint mit den 17 Jahren die Gesamtdauer seinerAbwesenheit von zu Hause zu benennen. Die 10 Jahre vor der Landung in Troja (teuthranische Expedition) werden ignoriert, wie das häufig der Fall ist. 42 Der Text dieser ersten Gegenstrophe ist voller Schwierigkeiten; siehe KANNICHT, Hel., U, z. St. 43 dµxovtEC EUA.tµevouc/ ntpcEimv otic0>v · EA.ivav i.x · a1Ctac (l 463f.). Vgl. KANNtCtrr,Hel., II, z. St. (,,Perseus als der mythische Gründer Mykenes ist hier und IA 1499-1501 [...] erstmals direkt bezeugt.") und zu 124. Es spricht nichts dagegen anzunehmen, daß ein bestimmter Anlegepunkt (Nauplia) vorschwebt; anders urteilt DALE, Hel., z. St.: ,,no more than a general direction here".
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II. Euripides, die Odyssee und die Nosten
gebetet habe, sie mögen ihn und seine Frau sicher nach Nauplia bringen. ( 12) Die Dioskuren verkünden als dei ex machina, daß es Menelaos von den Göttern bestimmt sei, auf den Inseln der Seligen zu wohnen. (1676-9) Der Menelaos-Nostos, wie er in der Helena erscheint, weicht in folgenden Punkten von dem der Telemachie ab: ( l) Menelaos gerät in die Sturmkatastrophe in der Ägäis. (2) Er wird ein Opfer von Nauplios' Hinterhalt bei den Kaphereusfelsen. Die Naupliosepisode hat im epischen Menelaos-Nostos nichts zu suchen. Nach den Angaben der Telemachie gehört Helenas Gatte zu dem Teil der Griechen, der unbeschadet das Mutterland erreicht (freilich gerät Menelaos anschließend kurz vor Erreichen Spartas in den Sturm beim Kap Malea). (3) Er selbst wird nach Kreta verschlagen (768). Die Erwähnung Kretas in 768 könnte eine Reminiszenz an y 291-9 sein, wo es heißt, daß durch den Sturm am Kap Malea ein Teil von Menelaos' Flotte (ohne ihn selbst) nach Kreta abgetrieben wurde. 44 (4) Er wird wiederholt aus der Nähe der Peloponnes nach Libyen zwückgeworfen (405-7) 45 • Offenbar kontaminiert Euripides verschiedene Mythologeme, nämlich die zentralen Ereignisse auf der Heimfahrt beider Atriden, um eine Anreicherung des Menelaos-Nostos mit beschwerlichen und gefahrvollen Momenten zu erreichen. Der Dichter zielt auf eine additiv-steigernde Berichterstattung katastrophaler Vorgänge ab. 46 Bei der Kontamination der Atridenno44
Apollodor (Epit. 6, 29) scheint die Angaben der Odyssee, der Nosten (?) und der Helena zu kombinieren: Menelaos hat überhaupt im ganzen nur fünf Schiffe, läuft Sunion an und wird von dort nach Kreta verschlagen. Dort wird er erneut abgetrieben; seine Irrfahrt führt ihn nach Libyen, Phoinikien, Zypern und Ägypten. Kap Malca und die Trennung der (ursprünglich größeren) Flotte werden nicht erwähnt. 45 Eine Motiviteration? Siehe KANNICHT, Hel., II, z. St. 46 Siehe KANNICHT, Hel., II, zu 128-30: ,,Die Tragiker haben diese Ereignisse (seil. von Menelaos' und Agamemnons Heimfahrt) zu einer einzigen, alle Heimkehrenden gemeinsam treffenden Katastrophe zusammengezogen (vgl. Ag. 617-80 und, für den sophokleischen Teukros, Pacuvius 320. 333-6. 411-5 Kun'Z, ferner den Prolog der Tro.): u. 776-7 und 1126-31 ist sogar die Katastrophe am Kaphereus in den Menelaosnostos integriert". Ob Euripides im Troades-Prolog vorschwebt, daß auch Menelaos (mit seinen Begleitern) dem Stunn zum Opfer fällt, läßt sich nicht entscheiden. Es geht ihm dort hauptsächlich darum, die verheerendste Katastrophe der Griechen auf der Heimfahrt und ihre Ursache, den Frevel des Aias, hervorzuheben. - ROBERT (Heldensage, 1291 Anm. 5; 1299 Anm. 1) glaubt, aus 767 gehe hervor, daß Agamemnon und
1. Euripides und die Heimkehrder Atriden
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sten ließ sich eine plausible Chronologisierung der Ereignisse ohne Schwierigkeiten erzielen. 47 Die Frage, in welchem Umfang Euripides auf weitere Quellen zurückgegriffen hat, läßt sich nur vermutungsweise beantworten. An erster Stelle ist hier natürlich Stesichoros zu nennen. Für das, was bei ihm über Menelaos' Erlebnisse zwischen der Abfahrt aus Troja und der Ankunft in Ägypten erzählt war, gibt es kaum verläßliche Zeugnisse. 48 Jedenfalls steht fest, daß sich bei ihm Helena während des troischen Kriegs in Ägypten aufgehalten hat.49 Ob er sich dabei stärker an die Nosten 50 oder an die Odyssee 51 anlehnte, ist sehr schwer zu entscheiden.
1.3. ORT UND ZEITPUNKT VON MENELAOS' ANKUNFf
Als nächstes gilt es, die Umstände von Menelaos' Ankunft in Griechenland zu untersuchen. Teukros, Äußerung OÜ'ICOUVEV"Apye1.tIlpcotei Kataµeiv[m schließt m. E. aus, daß bei Stesichoros Proteus noch der Meeresalte des 6 war. Bei Homer wird ja nur ein flüchtiges, stark phantastisch anmutendes Abenteuer geschildert; wie sollte ein Daueraufenthalt Helenas bei dieser Hel., l, 42.) Meeresgottheit ausgesehen haben? (Vgl. KANNICHT, 50 Vgl. KANNICHT, Hel., l, 31 Anm. 11: .,Stesichoros selbst ist zu der Wahl gerade des Proteus als Bewahrers und Ägyptens als Asyls der echten Helena offensichtlich von der Erzählung des epischen Menelaosnostos inspiriert worden, wie er aus dem y und 6 der Odyssee rekonstruierbar ist [...]"; vgl. dens. Hel., l. 41 Anm. 27. 51 Vgl. bes. unten S. 54-56. 52 Das Folgende im wesentlichen nach KULLMANN, .,Oral Tradition", 194-196 (= ders., Homerische Motive, 166-168).
II. Euripides. die Odyssee unddie Nosten
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herrscht Menelaos ebenfalls in Sparta (a 285; Ä.460; v 412-5), und Agamemnon wird in Mykene ermordet. Also offenbar Übereinstimmung. Nun lassen aber gewisse Details in der Telemachie auf zwei Tendenzen des Odysseedichters schließen: Orientierung an der vorodysseischen Nostensage einerseits und Angleichung an abweichende Sagenversionen aus der llias andererseits. In derTelemachie landen beide Atriden bei der Heimkehr in der Argolis, aber zuvor streben beide offenkundig Sparta zu, denn sie werden beide an Kap Malea von einem Sturm erfaßt und abgetrieben. Bei Menelaos überrascht die ursprünglich eingeschlagene Fahrtrichtung nicht. wohl aber bei Agamemnon. 53 Dem Odysseedichter steht die Sage vom Doppelkönigtum der Atriden in Sparta (und von der Ermordung Agamemnons ebendort) vor Augen, wie er sie wohl als Bestandteil des vorodysseischen Nostenmythos kannte. 54 An der Vorstellung vom gemeinsamen Herrschaftssitz der Atriden will er festhalten, 55 nicht aber am Lokal. Hier fühlt er sich der llias verpflichtet; der spartanischen Version trägt er lediglich mit der genannten Andeutung (ursprüngliche Fahrtrichtung: südliche Peloponnes) Rechnung. Die Iliasversion ~irkt auch in y 304f. nach, wo es heißt, Aigisthos sei, nachdem er Agamemnon umgebracht hatte, sieben Jahre lang Herrscher über Mykene gewesen. Agamemnon wird im Grenz-
53
y 286ff. (Menelaos),
ö 514ff. (Agamemnon). Siehe KANNICHT, Hel., II, 292: ..Kap
Malea war (und ist) bei Sturm eines der gefürchtesten [sie) Vorgebirge der griechischen Küsten: bei Südweststurm drohte Schiffbruch an der hafenlosen Steilküste, bei Nordsturm Abdrift in südliche Gewässer[ ...)". In der vorodysseischen Nostensage und in der Telemachie wird der Sparta zustrebende Menelaos durch einen Nordsturm nach Süden verschlagen; daran schließt sich sein libyscher Periplus. Dagegen erweist sich die Abdrift des Agamemnon nach Norden in ö 514ff. als ein Kunstgriff des Dichters, der zusätzlich die tatsächlichen nautischen Gegebenheiten außer acht läßt. - BETHEversteht die Stelle anders: .,Und an demselben Kap Malea wird der heimkehrende Agamemnon ö 514 vom Sturm gepackt: auch er kommt hier also nach Lakedaimon und wird hier von Aigisth ermordet" (Homer, 270). Zweifel finden sich auch bei ROBERT:•.Es ist wegen der Erwähnung von Malea nicht ganz ausgeschlossen, daß auch in der Odyssee wie bei Pindar Pyth. XI 32 Amyklai als Schauplatz des Mords gedacht ist [...]" (Heltknsage, 1294 Anm. 1 [mit Lit.)). 54 So auch Stesichoros,fr. 39 PAGE;Simonides,fr. 44 PAGE; Pindar, Pyth. 11, 31f. .,Oral Tradition'6, (Tod in Amyklai; vgl. Nem. 11, 34; Paus. 3, 19, 6). Vgl. KuLLMANN, 195 Anm. (= ders., Homerische Motive, 168 Anm. 52): .,Sicherlich hatten die Lyriker politische Gründe dafür, der spartanischen Version den Vorzug zu geben[ ...]. Sie haben sie aber offensichtlich nicht erfunden." Siehe auch KUNST,.,Schuld", 25f. 55 Darauf deuten auch die Äußerungen des Nestor y 255-61 (Er malt sich aus, wie Agamemnon von seinem Bruder gerächt worden wäre: Hätte der von Troja heimkehrende Menelaos Aigisthos lebend angetroffen, so hätte er ihm keine Bestattung zukommen Jassen.) und des Proteus ö 546f.: i\ yap µlV [seil. den Aigisthos] ~oov "fE1c:txi1cem,'i\1c:ev 'Opecn,c / lC'tElVEV Ü1tocp86:µevoc.CUöi lCEV tacpou avn~Aiicmc.
1. Euripides und die Heimkehr der Atriden
51
gebiet von Argos im Haus des Aigisthos getötet. 56 Auf derselben Linie liegt der auffallige Umstand, daß sich der heimkehrende Menelaos zunächst nach Mykene begibt, wo er am selben Tag eintrifft, an dem Orest das Leichenmahl für Klytaimestra und Aigisthos ausrichtet (y 311). Die zeitliche Koinzidenz war vermutlich schon in der alten Nostensage vorhanden, die Lokalisierung dagegen entspringt der mythenkontaminierenden Arbeitsweise des Odysseedichters. Welche Veranlassung sollte Menelaos gehabt haben, zuerst nach Mykene zu seinem Bruder zu fahren, zumal er von Süden kam? 57 Noch an drei anderen Stellen in der Odyssee wird Argos als Wohnsitz des Menelaos vorausgesetzt: ( 1) In y 248-52 gibt Telemachos dem Nestor gegenüber seinem Befremden darüber Ausdruck, daß Menelaos nicht anwesend war, als Agamemnon von Aigisthos getötet wurde (seil. um seinen Bruder zu verteidigen). 58 (2) In 6 171-80 sagt Menelaos, er habe Odysseus vor Troja versprochen, ihn im Falle einer gemeinsamen Heimkehr mitsamt seinem Volk von Ithaka nach Argos, in sein Herrschaftsterritorium, zu übersiedeln (Kai ICEoi. "ApyEivcicccx aycxyrovcuv imiµcxct IC(l\tEICElti>l/ IC(l\ 1t0A.\V IC(l\6roµcxt' Eteu;cx, / l; 'I8a1CT1C civaccovtCX\ 1tCK\VÄ.aoin, µicxv 1t0A.\Vl;aÄ.a1ta;acI a'i 1tEplVCllEtllOUClV, ipo\ ainmL / lCCXl lCE8aµ' MM3' EOVtEC Eµtcy6µe8' · [...] [ 174-8]). (3) Proteus prophezeit Menelaos, daß er nicht in Argos sterben wird: col ö · ou ir>MEV€A.cXE, / "ApyEliv lnoP6tml 8cxvEElVIC(l\1t08eccpat6v ECtl,ÖtotpEq>EC tµov E1tlc1teiv,/ aÄ.Ä.a c' EC'HÄ.unov neöiov iccxlneipcxtcxycxiT)c/ a.8civcxtot 1tEµ'f'OUCtv, [...] (Ö 561-4). 59 Da wird es schwierig zu entscheiden, was ausschlaggebend war: eine ,,Nebenwirkung" der obengenannten Sagenkontamination, geographische Unkenntnis des Dichters00 oder die permanente Polysemie von , "Apyoc' im Epos 61 •
a·
56
KuLLMANN, ,,Palast", 49-55 (= ders., Homerische Motive, 312-316), weist nach, daß Aischylos sich in der Orestie bei der Beschreibung der Ermordung Agamemnons nach den Nosten richtet, wo er nicht in seinem eigenen Haus, sondern in dem des Aigisthos getötet wird, aber das Palastmotiv der Odyssee entnommen hat. 57 Hier ließe sich allenfalls mit der Möglichkeit einer göttlichen Fahrtweisung rechnen, wie man sie in der Glaukosepisode in Eur. Or. 356ff. erblicken könnte (siehe aber zu dieser Annahme unten S. 54f.). 58 Vgl. Stephanie WESTzu y 249: ,,Telemachus is puzzled because Nestor's narrative at 168ft'. would suggest that Menclaus would have reached home before Agamemnon". 59 STEJNER (J/rgrE s. v., Sp. 1210) faßt an dieser Stelle das Toponym als Bezeichnung für ,Griechenland' (im Gegensatz zum Jenseits) auf. - Menelaos beginnt seine Erzählung von der Proteusepisode mit den Worten A iyl'.nt-ron µ' &E'i>po 8toi. µtµa(l)'ta VEEC8a1 / lcxov, [...] (6 351 f.) - das bezieht sich natürlich auf Sparta. 60 So StephanieWESTzu y 249 u. 251 sowie S. 64 (ein wohl eher unwahrscheinlicher Grund). 6 1 Siehe den Lexikonartikel von STEINER (wie oben Anm. 59).
en
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II. Ew ipides. die Odyssee und die NOSIDI
lnlercssanl für die ganze FngestelJung sind auch Menelaos• Worte 6 95-9. da hier erstens wieder an Argos als gemriosarncn Alrideowohnsitz gedacht m sein scheint und zweitens ein Hinweis darauf vctbolgcil sein könnte. da8 in der vorody~iscbeo Nostcosage (wo mit Sparta als Lokal zu rechnen ist) geschildert wurde. wie auch der Mitregent Mcoclaos durch die Machrubcmabrnc des Aigisthos materiellen Schaden nahm: [... ] iu:i µal.a •ol.l.a Jta6ov. acai ucoÄ.&a O\JCOV / EU µaA.a VOIEtClOV'ta.,. JCEiaYÖO'ta mu.ix IC(l\i.(8).a.. / UJV ~V tpl'ta'tTlV up qcov i:v Öq.aan µoipm· /vainv. oi 6' äv6ptx coot EµµEVat.o'i t.ot' ÖAAJvtO/ 62Apollodors Angabe ü.8cov6EEK Tpoi11t i:v rupt\111.. [lC(i( -AnmwI.mpT11VtllV i6iav mi,ccno fxutA.Eiav(Epir. 6, 29) scheint auf eine mit Schwierigkeiten verbundene Restitution des Meoclaos hinzuweisen; Proklos dagegen benutzt lediglich die neutrale Formulierung Mcvdaou Ek t11voiniav civamµtmt(Z. 303 SEVERYNS ).
Die erste der in 124 von Teutros ausgeschlossenen Alternativen - Menelaos in Argos - wird Euripides kaum in den Nost~n vorgefunden haben. Vielmehr bezieht er sich hier auf die besprochenen Stellen in der Telemachie. die ihre Entstehung dem Bestreben des Odysseedichters ven:lank:en. die Version aus der (wohl noch mündlichen) Nostensage vom gemeinsamen Sitz der Atriden in Sparta und Agamemnons Ermordung da.selbst mit der Version der llias von der Hem;cbaft Agamemnons in Argos/Mykene in Einklang zu bringen. Wichtig ist. daß der Odysseedichter die Vorstellung von einem gemeinsamen Herrschaftssitz der Atriden nicht aufgeben will. Das von Proklos zusammengefa&e Nostenepos. das zweifellos von Euripides als Quelle benutzt wurde. dürfte die Version der vorodys.seischen Sage konserviert haben; letzte Sicherheit ist hier freilich nicht zu erreichen. Wenn Euripides offenbar der argivischen Variante den Vorzug gibt, so zeigt dies. ~ie sehr er sich der Odyss~~ in dieser Einz.elheit verpflichtet fühlL 63 Mit K"sslCHT Menelaos · Landung ebenfalls in Aflos für das Nostenepos zu postulieren. 64 bei& die Arbeitsweise des Odysseedicbtas verkennen: Allein seiner k:ootaroioierenden Praxis dürfte der „Umweg„ des Meoelaos
entsprungen sein.
6.: Stephanie WEST (m 6 94-6) findel die Stelle suspekt: _We may find it hard to sympathiz.e with this lammt for b:-gone prospcrity in ,;cw of the pr-cccding emphasis on Menclaus' riches. The sptteb would in fact be fflOf'C coherent •ithout these lines: the antcccdent of 011V in 97 RWlSl be roia& nro~mc:n.v (93). and Bckker ,-,-asperhaps right to e1.cise •"21 mighr be regarded as an infelicitous attentp( to enhancc the padlos of Mcnelaus· situarioa.f>J PautOTT"- _0rcste·. 118. meint dagegen. Euriptdes sei hier von der O~srie und ,oo Sophokles bttinftu&.
t.a
K,..-,-,orr. Hel. ll. zu 124 u. l463f.
1. Euripides und die Heimkehr der Atriden
53
Dem auffälligen Sagenzug der Ankunft des heimkehrenden Menelaos in Mykene am Tag der Bestattung von Klytaimestra und Aigisthos folgt Euripides auch in der Elektra und - mit einer signifikanten Detailabweichung im Orestes. 65 Am Ende der Elektra (1276-83) verkündet Kastor (als deus ex machina) dem Orest, daß Aigisthos von den Argivem, Klytaimestra von Menelaos und Helena bestattet werden wird. Menelaos weile gerade in Nauplia, wo er, von Troja heimkehrend, eingetroffen sei. Helena sei nicht nach Troja gekommen, sondern bei Proteus in Ägypten gewesen, von wo sie gerade zurückgekehrt sei. Zeus habe nur ein Eidolon von ihr nach Troja geschickt, „COC Eplc YEVOl'tO 1eat cpovocJ}potrov"(1282). 66 Im Orestes erfährt man Genaueres über die Umstände von Menelaos' Ankunft: ( 1) Im Prolog sagt Elektra, der gegenwärtige Tag sei der sechste seit der Feuerbestattung der getöteten Klytaimestra (39f.). Orest sagt in 42lf. zu Menelaos, daß Klytaimestra seit sechs Tagen tot und ihr Scheiterhaufen noch warm sei. (2) Ebenfalls im Prolog sagt Elektra, daß Menelaos von Troja zurück und in Nauplia gelandet sei; er habe lange Irrfahrten hinter sich. Helena habe er „EC6&µ' ftµetepov" (60) vorausgeschickt (53ff.). (3) In 241f. und 245f. sagt Elektra zu dem erwachten Orest, daß Menelaos angekommen sei; seine Schiffe ankerten in Nauplia. Er bringe Helena aus Troja mit. (4) Besonders interessant ist Menelaos' Bericht 356-76. Als der Trojaheimkehrer auf Kap Malea zuhält, taucht der weissagende Meergott Glaukos aus den Fluten auf und erzählt ihm vom Schicksal Agamemnons. Menelaos landet in Nauplia. Helena reist sogleich weiter nach Mykene; Menelaos erfährt von einem Seemann, daß Klytaimestra von Orest ermordet wurde. (In 377f. [J}peq,ocyap ~V't0't. ev KAutaiµ11ctpac xepoiv / Öt. f.~EA.Et7tOV µila8pov ec T po(av ic.ov]schwebt offensichtlich dieselbe Situation wie in 63-5 vor: Menelaos kommt (mit Hermione) von Sparta nach Mykene und bricht von dort zusammen mit seinem Bruder zum Zug gegen Troja auf.)
65
Siehe hierzu STEIGER, Orestes, l lff.; ROBERT, Heldensage, 1326 mit Anm. 3; BETHE,Homer, 264 u. 266; WECKL.,Or., zu 53; BIEHL,Or., zu 54; D1 8., Or., zu 52; Umgestaltung, 159(. - Vgl. Apollod. Epit. 6, 29. - Zum Folgenden STEPHANOPOULOS, siehe im Orestes-Kapitel unten S. 152f. u. l 76f. 66 Man hat die Stelle oft als „Vorankündigung" der Helena bezeichnet. Siehe W1LL., Or., p. xxxi Anm. 33, und unten S. l 76f.
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II. Euripides, die Odyssee unddie Nosten
(5) In 471-3 sagt der auftretende Tyndareos, er habe bei seinem Opfer an Klytaimestras Grab 67 gehört, daß Menclaos mit seiner Gattin nach langjähriger Abwesenheit glücklich (xolueritc cumµivoc [473]) nach Nauplia gekommen ist. (6) In 682ff. erteilt Menelaos dem hilfesuchenden Orest eine Absage. Dabei weist er auf die Unzulänglichkeit der ihm zu Gebote stehenden Machtmittel hin. Wegen der zahllosen Mühen seines Umherirrens sei ihm nur ein kleines Kontingent von Kampfgefährten geblieben (68890; vgl. 712f.).68 Die größte Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang der Glaukosepisode (360ff.) zu. Sowohl WECKLEIN als auch WEILsind der Ansicht, in der Passage sei vorausgesetzt, daß Menelaos nach Sparta unterwegs ist; die Nachricht des Glaukos vom Tod Agamemnons erfülle die Aufgabe, den Kurswechsel des Menelaos nach Nauplia zu motivieren. 69 Die Glaukosepisode hätte somit die motivische Funktion einer Fahrtweisung. Zunächst gilt es festzuhalten, daß bei Euripides Fahrtziele und Richtungsänderungen explizit nicht erwähnt sind. Eine Ausnahme machen die Worte MaÄicl\ 1tpocic:xmv1tpiihpav in 362. Für sich genommen sind sie nicht aussagekräftig genug. Wenn Ägypten der Ausgangspunkt von Menelaos' Rückfahrt war, dann lag das Kap an seinem Weg,70 einerlei, ob sein Fahrtziel Sparta oder Argos lautete. Wenn Euripides das Bedürfnis gehabt hätte, die Diskrepanz zwischen der Lokalisierung von Agamemnons Ermordung in der Odyssee (Argos/Mykene) und der mutmaßlichen Nostenversion (Sparta) auszugleichen, dann hätte er, so darf man vermuten, einen diesbezüglichen Hinweis von angemessener Deutlichkeit eingefügt. Es dürfte indessen klar sein, daß es Euripides auf eine Fahrtweisung gar nicht ankommt. Die Glaukosepisode hat er nach dem Vorbild der Proteusepisode 71 der Odyssee eingeführt, wo Menelaos von dem Meeresalten über den 67
xoac XEµEvoc (472) ist ein Epizismus; vgl. ic: 518 (:xoflvXEk8m) und A.26 (XOTIV XEµ11v). Siehe WtLL.,Or., z. St. 68 BtEHL(Or., zu 688) bemerkt, daß das ,,Motiv der ,Vereinsamung' durch die Kriegsverluste" ,,ursprünglich episch" sei, und nennt als Beispiel e 32 ([Zeus zu Hermes] vuµq>lllEÜ1tA.01Cl El1tElV v11µep-teaj3oUA.TtV, / VOC'T.OV 'OOucc;,octaA.adq,povoc, öx ICEVElltat / oÜtE8Erov1toµ7t11l oÜtE~t(J)V av8pomrov· (30-32)), außerdemAisch. Pers. 733f., Her. 6, 15 u. Thuk. 6, 101, 6. 6 9 WECKL., Or., zu 362; WEIL,Spt. tr., z. St. 70 Vgl. WEST,Or., zu 36i: ,,If Menelaus is tobe thought of as coming from Egypt, Malea would be his first sight of mainland Greece, but nothing is said in this play of where he has been since leaving Troy, and Euripides' geography is often negligent". 71 Siehe hierzu H. HERTER, RE XXIII, Sp. 940-975 (s. v. ,Proteus'); vgl. K. O'NOLAN, „The Proteus Legend", Hermes 88 (1960), 129-138. - W1u1NK(Or., zu 362-5) rechnet mit Stesichoros als Vorbild. Das muß notwendig Spekulation bleiben. Stesichoros ist überhaupt in dem ganzen Zusammenhang der schwerwiegendste Unsicherheitsfaktor.
1. Euripides und die Heimkehr der Atriden
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Tod seines Bruders unterrichtet wird. Es geht ihm nur um die Todesnachricht als solche und um Menelaos' Reaktion darauf; letztere wird in Anlehnung an die seines homerischen Pendants in der Proteusepisode geschildert. 72 Den Proteus hatte er ja selbst in der Helena als Ägypterkönig eingeführt. Die ganze Passage dient auch dazu, Menelaos, der hier zum ersten Mal auftritt, indirekt zu charakterisieren. Übrigens ist das Fahrtweisungsmotiv auch im ö nicht genuin. 73 Dies war es in dem Vorbild, dem der Odysseedichter wohl bei der Gestaltung der Proteusepisode gefolgt ist, nämlich in der Prophezeiung des Teiresias, wie sie im ).. steht, 74 sowie in Kirkes Fahrtweisung, die ihrerseits wiederum aus der vorodysseischen Argonautensage stammen könnte. 75 Weit weniger wahrscheinlich ist die umgekehrte Möglichkeit, nämlich daß die Glaukosepisode schon in der vorodysseischen Nostensage (und später in den Nosten) vorkam und daß der Odysseedichter daraus die Proteusepisode entwickelt hat. Durch die Nachricht von Agamemnons Tod wird das Überraschungsmotiv, das im Eintreffen des Menelaos gerade am Tag des Begräbnisses von Bruder und Schwägerin liegt, abgeschwächt. Der Odysseedichter hat das in Kauf genommen, weil bei ihm die Proteusepisode als phantastisches Intermezzo 76 vor allem die Funktion des Nostenreferats 77 erfüllt und die Heimkehr des Menelaos nicht Gegenstand der eigentlichen epischen Erzählung ist. Erst Euripides hat die sukzessive Unterrichtung des Menelaos über den Tod Agamemnons eingeführt, vor allem aus dramaturgischen Gründen. Man darf sehr daran zweifeln, daß die Umstände von Menelaos' Ankunft so in den Nosten erzählt worden sind. 72
So WEST z. St. - 6 538-41: OOC lcpa-r', au-rap eµoi YEicau11)..ac8ri cpiA.Ov ~"top, ICA.alOV 6' ev vaµa8otCl ica9itµEVOC, ou6e vu µot ICllP ;\8u..' E'tl ~O>ElVical opuvcpaocTIEÄlOlO. au-rap EJtEt ICA.alO>V 'tEICUÄ.tv66µEVOC u icopic9Tiv,
[...].
Vgl. ic496-9 (zu den analytischen Problemen siehe HEUBECK z. St. und zu ic 539f. üeweils mit Lit.]). 73 Das weist BETHE nach (Homer, 264f.). 74 Siehe F. FOCKE, Die Odyssee, Stuttgart/Berlin 1943 (Tübinger Beiträge zur Alter.,Vermutungen zur Odyssee", MH 1 tumswissenschaft, 37), 202-204. Vgl. W. THEILER, (1950), 102-122 (hier 105); ders., .,Ilias ud Odyssee in der Verflechtung ihres EntsteUntersuchungen zur Odyssee, hens", MH 19 (1962), 1-27 (hier 13f.); R. MERKEi.BACH, 2 München 1969 (7.etemata, 2), 181; Stephanie WESTzu 6 384ff.; HEUBECK zu ic 539f. 75 Siehe KuLLMANN, Ergebnisse, 450 (= ders., Homerische Motive 126). Siehe auch unten S. 107 Anm. 299. 76 Ägypten eignet sich als Dekor hierfür besonders gut, da es schon an den Bereich der wundersamen Gefilde grenzt, in dem die meisten Odysseeabenteuer spielen. n Siehe Stephanie WESTzu 6 384ff.
II. Euripides. die Odyssu und die Nosten
56
Die Sagenversion der Telemachie, derzufolge die Atriden getrennte Wohnsitze haben und Menelaos am Ende seines Nostos unmittelbar nach der Ermordung seines Bruders in der Argolis landet, ist für Euripides verpflichtendes Vorbild gewesen. Der Neuerung des Aischylos, der in der Orestie beide Atriden in Argos herrschen läßt, 78 hat er sich nicht angeschlossen. Der communis opinio zufolge ließ sich Aischylos von politischem Raisonnement leiten: Argos, das Mykene im Jahr 467/466 zerstört hatte, war zu dieser Zeit ein Verbündeter Athens. 79 Übrigens ist Argos als tragischer Schauplatz durch starke topographische Unschärfen gekennzeichnet, wie Suzanne SAIDgezeigt hat 80 • Die schon im Epos angelegte 81 Lokalvarianz Argos/Mykene ist in der Elektra und im Orestes zur Synonymie geworden.82 Außerdem hat Euripides den epischen Hintergrund seines Argos durch zahlreiche Details, vor allem Eigennamen, besonders deutlich hervorgehoben. 83 Der Schauplatz der Elektra weist - anders als das sophokleische Pendant die Besonderheit auf, daß er von dem traditionellen Rahmen der Atridensage, nämlich Stadt und Burg, distanziert ist.84 Die Lokalisierung der Handlung in der ländlichen Sphäre des Grenzgebietes von Argos 85 dürfte kaum eine bloße Konsequenz von Euripides' Neuerung sein, die darin besteht, daß Elektra von Aigisthos dem autoupyoc zur Frau gegeben wurde (EI. 34ff.). Vielmehr scheint sich hier eine Motivanlehnung an die Odyssee zu manifestieren. Es ist charakteristisch für die Strategie, die der heimgekehrte Odysseus bei seinem Streben nach Restitution verfolgt, daß er zunächst bei Eumaios „unterschlüpft" und von dort ausgehend gleichsam das Terrain sondiert. Die ländliche Zwischenstation vor dem Eindringen in den städti78
KANNICHTs Feststellung, die Herrschaftssitze der Atriden seien bei den Tragikern streng getrennt (Hel., II, zu 124), trifft nicht zu; richtig dagegen BETHE:.,[...] bei Aischylos Ag. 41 ff., 617, 674, Choeph. 1041 ist Menelaos neben Agamemnon König in Argos" (Homer, 271 Anm. 9). 79 Siehe W1LL., Or., zu 46; SAYD, .,Tragic Argos", 170. 80 Ihr Fazit lautet: .,[...] there is not one tragic Argos, but numerous and varied pictures of a city without a firm identity" (.,Tragic Argos", 189). 8 1 Vgl. KANNICHT, Hel., II, zu 124, und oben S. 51 Anm. 61. 82 Siehe SAYD, .,Tragic Argos", 172. 83 Siehe SAYD, ebd., l 72f. 84 Zum Folgenden siehe das Eldrra-Kapitel, unten S. 64 u. 85-90. 85 Siehe SAYD, .,Tragic Argos", 180: .,The action is set in a place «far away from the city» (actE~ bcaEtc(130f.). 105 yfic ci1t11llax8,, cpuyac (32 (cpuyac Victorius: cpuÄ.a; L (DIOGLE,app. crit.)]); tÄ.itµovac cpuyac EXC.OV (233); cic8M1c 6e 6T\ cpEt>yC.OV avitp (236); ac8EVT1C cpEuyo>V avitp ctEVE\C(505); JCaÄ.atiit (352); civncpEt>yEt( 1091); i\ tac 'Opictou tÄ.itµovac cpuyac cpuyät (587). Vgl. 391 u. 1091. In 1194-7 beschwört Orest sein künftiges Schicksal als flüchtiger Muttermörder. - cic8Evitc ist ein Terminus, den Euripides in gleichsam nivellierender Weise für alle im Stück irgendwie sozial Benachteiligten oder Niedrigstehenden verwendet: für den autoupyoc (39 [Wortspiel!]), für den exilierten Orest (236, 352; nach 236 leidet er aber nicht mehr unter völliger Mittellosigkeit), für Elektras mögliche Nachkommenschaft aus der Verbindung mit dem autoupyoc (267). Siehe DENNISTONS Definition (EI., zu 39): ,,[...] ,insignificant', through lack of wealth and position. Cf. [...] Supp. 433 [...]". 106 131 (C'IY('YOV' aÄ.atEt>tlC Hartung: c,ryyove Ä.atpEt>EtCL [DIGOU!,app. crit. ]); 139 (,co6' aÄ.atav; siehe CROPP,EI., z. St.: ,,a noun used adjectivally: cf. 169-70 205, 207, 443, 993 etc.[ ...]." [mit Lit.]); 202 (ciMta); 589 (aÄ.aivcov); l l 12f. (l;co x8ovoc / [ ... ] ciÄ.T1tEt>Ovta [... ]). - In dem Gespräch zwischen Elektra und ihrem noch unerkannten Bruder wird der abwesende Orest als mittellos und als Person mit wechselndem Aufenthaltsort beschrieben (233-6; 234: EVa voµi~cov cp8EipEtUtxoÄ.Ec.oc v6µov); zum Vergleich mit Odysseus siehe D1NOEL, .,24. Gesang", IOS. 167 Siehe DENN.,EI., zu 202-20: ,,aÄ.ata, aÄ.aivc.ovdo not necessarily imply moving from place to place. They are often used to denote exile." (Ebd. Hinweis [mit Lit.] auf Ion 516 u. 1089; Hel. 934; Ky/cl.79; Suppl. 62; Troad. 1084.) Vgl. CROPP,EI., zu 130f.: ,..Wandering' may simply mean ,exile', ,displacement"'.
oux
2. Elek.tra
63
könnte die maritime Metapher "Ap- / "(Et KEACacnoo'cü.,citav ( l 38f.) deuten. 108 In 202-6 befürchtet Elektra, daß der in der Fremde Weilende, obgleich er der Sohn eines berühmten Vaters ist, ein Sklavenlos hat. Das könnte ein Anklang an die Worte Andromaches in X 484bff. sein. Sie entwickelt dort in einer Klage über den getöteten Hektor die Schreckensvision, ihr vaterlos gewordener Sohn Astyanax müßte künftig seinen Lebensunterhalt erbetteln. b) Die
„Wartenden"
Elektra steht unter keinem akuten Entscheidungsdruck wie die Penelope der Odyssee, sondern unter dem permanenten Leidensdruck ihres Kummers und ihrer sozialen Degradierung. Auch sie war für kurze Zeit das Objekt einer Brautwerbung gewesen, der dann von Aigisthos ein Riegel vorgeschoben wurde (20-4). 109 Eine motivische Gemeinsamkeit zwischen ihrer trotz der Ehe mit dem autoupyoc noch bestehenden Jungfräulichkeit (43-6, 50f., 255) und Penelopes standhafter Treue zu ihrem Gatten gegenüber den Freiern läßt sich kaum feststellen, da sich Elektra in dieser Frage auf die scheue und rücksichtsvolle Loyalität ihres Pseudogatten verlassen kann und es hierfür von ihrer Seite keiner Willensanstrengung bedarf. Möchte man großzügig urteilen, so könnte man allenfalls folgende Parallelen in den Situationen der beiden Frauen erkennen: Beide hüten ein Geheimnis, das dazu dient, ihre persönliche Integrität zu garantieren. Penelope betreibt ihre Weblist, Elektra verheimlicht dem Aigisthos ihren Zustand der Jungfräulichkeit (270f.). 110 Bei der heimlichen Aktivität von Odysseus' Gattin hat man es mit einem wesentlichen Bestandteil der alten epischen Erzählung zu tun. 111 Elektras trotz ihrer Ehe noch intakte Jungfräulichkeit ist eine zuge108
TARK0Werwägt die Möglichkeit, daß die Worte gar nicht metaphorisch, sondern konkret aufzufassen sind; aber: .,in any case the word is suggestive of an Odyssey-like atmosphere .. (.,scar", 145 Anm. 9). - Siehe WECKL.,EI., zu 139: .,KEÄ&xcou6EVoc~UVElOO'tOC, 87f; vgl. ll l ). 132 Später wird der Alte, der das frische Opfer auf Agamemnons Grab findet, eine heimliche Ankunft Orests erwägen (all' ~Ä.8' icmc JtOU coc acaciyvrrtocUt8pai. 518). 133 Elektra wendet sich strikt gegen eine solche Annahme; Orest würde sich niemals aus Angst vor Aigisthos verbergen: ouacä~1' civ6poc, cI> yipov, cocpoüÄtyelC, / Ei acpuJt't0V ic yi\v 'ttlv6' äv Aiyic8ou cpofko1/ 6oaceic µoA.Eiv(524-6). In ihrer stolzen, aber realitätsci6dq,ov 't0Veµov Ei>8apc11 134 femen Einstellung erinnert sie genauso an Penelope wie Orest in seiner klugen Vorsicht (94-7) an Odysseus. In seiner Auftrittsrhesis enthüllt Orest seine Pläne (87-9, 95-101). Die Anrede an Pylades (82f.) dient nicht nur dazu, den Zuschauer über die Identität des Begleiters aufzuklären. Indirekt exponiert er mit diesen Worten auch seine eigene Situation: Als ,.Verbannter" ist er in besonderem Maß auf verläßliche Freunde angewiesen. Aus Vorsicht will er die Stadt selbst noch nicht betreten (94). Das Gefahrenmoment wird dadurch betont, daß Orest mit der Erkennung durch eine Grenzbewachung rechnet (97). Trotz Aigisthos' Vorsichtsmaßnahmen (Kopfgeld: 32f.; Leibwache: 616f.) wird für ihn die Gefahr jedoch nie richtig akut. I35 Erstaunlich ist, wie arglos Aigisthos, der Fremden gegenüber höchst mißtrauisch sein müßte, später Orest einlädt, sich am Opferritus zu beteiligen (779ff.). Hier siegt die dramatische Notwendigkeit über die Wahrscheinlichkeit. Bei dem Gefährlichkeitsmotiv könnte es sich um einen aus der Odyssee stammenden topischen Bestandteil der Heimkehrerthematik handeln. Dort muß Odysseus wegen der unausweichlich bevorstehenden Konfrontation mit den Freiern einer Gefahr für Leib und Leben entgegensehen; für Telemachos Auch Eumaios' Gehöft befindet sich im llndlichen Abseits: lCUl'tO'fE 6fi p' '06ucija ica1COC 1to8Ev i\ya-yt:6aiµcov / aypoü bt' icxanriv, ö8t OO>Jla'tavaiE cuJwmlc (w 149f.);siehe CROPP, EI., zu 96. 132 Die Amphibolie des Wortes .~ivoc' wird so besonders signifikant (~tvOl in 216, 131
341,346,348,405,428,500,511,547,552,779,791,795). IJJ Vgl. sein Gedankenexperiment 538ff. ([...] Ei ,ca1 yijv ,cac1yvTt'tOC µouov / (...]). Vgl. auch V1CTOR1us' Konjektur
Aa9tiJvin 546; DENNISTON (EI., z. St.) plädiert ebenfalls
für A.CX8mv. 134
Siehe DENN.,EI., z. St.: ,,Electra scouts the idea of Orestes' having come by stealth. She cherishes a romantic conception of the ideal hero which is very different from reality: cf. 96. (lt is surprising that this admirable touch has been regarded as a ,slip' (...] or a sign of spuriousness (...].)... (mit Lit.) 13' Orests Vorsicht bei der Ankunft ist sehr kontrovers interpretiert worden; siehe TARKOW, "scar" (siehe unten S. 93).
2. Elektra
69
besteht sogar einmal ein besonders akutes Risiko, als ein gezielter Anschlag auf sein Leben angezettelt wird. Orest scheint nur vage Informationen über die Lage seiner Schwester zu besitzen (98f.) und nicht zu wissen, daß sie die Gattin eines Bauern ist, 136 ebensowenig, in welcher Gefahr er selbst wegen des von Aigisthos auf seinen Kopf ausgesetzten Preises schwebt. Der erste Grund, den Orest dafür nennt, daß er zunächst im Grenzgebiet (1tpoctEpµovac yr\c tiicö ·, 96) haltmacht (hier besteht eine günstige Ausgangsbasis für einen fluchtartigen Rückzug im Falle des Entdecktwerdens [96f.]) 137, mutet ein wenig gezwungen an. In der Hauptsache beabsichtigt er - wie der homerische Odysseus -, als Kundschafter in eigener Sache das Terrain zu sondieren ( l 03-6. 109-11; vgl. 354) und zu diesem Zweck zunächst Kontakt mit der Landbevölkerung aufzunehmen (104-6). Später gilt es, ,,dcro tEtXErov"(101) zu recherchieren. Der szenische Ablauf des Aufeinandertreffens zwischen Elektra und Orest läßt sich nur annähernd erschließen. 138 Orest versteckt sich mit seiner Begleitung 139 am Wegrand (E~(J)tpt~O\) touö' ixvoc &)J•.a~roµe0a, l 03 ); ob es sich dabei um ein auf der Bühne irgendwie angedeutetes Gebüsch oder den Altar handelt, läßt sich kaum entscheiden. 140 Elektra läßt ihre Begleiterinnen den Weg „hinunter" flüchten (Kat' oIµov, 218); sie selbst will sich ins Haus retten (218f.). Läßt sich hinter der konventionellen Form der Lauscherszene möglicherweise ein episches „Vorbild" ausmachen? Man könnte zunächst an die Begegnung zwischen Odysseus und Nausikaa denken, aber höchstens wegen der Szenerie, denn gelauscht wird dort eigentlich nicht, und es gibt überhaupt nur wenige Gemeinsamkeiten. Als Odysseus, von dem lauten Rufen der Spielgefährtinnen Nausikaas aufgeschreckt, sich aus dem Gebüsch(!) hervorwagt, fliehen diese (tpEccav ö' 136
Siehe DENN., EI., zu 98f.: .,If the text is sound, there is tragic irony in nap8ivov, since Electra is a virgin wife [...]. Orestes perhaps knows already that his sister is a farmer' s wife, though it is curious, if so, that he does not mention it. lf he does know. he conceals bis knowledge, in his assumed role, at 246 ff." 137 CROPP (EI., zu 96) vergleicht Odysseus' Vorsicht in u 30 und x 147. - Bei der Planung des Mordanschlags auf Aigisthos fürchtet Orest, von dessen Sklaven erkannt zu werden (630). 138 CROPP (EI., zu 217-27) stellt einen „pathetic and humorous contrast" zur entsprechenden Selbstoffenbarung Orests bei Aischylos (Choeph. 212ff.) fest. 139 Es ist unklar. ob Orest außer Pylades noch mehr Personen bei sich hat. CRoPP (EI., zu 215-27) rechnet mit mehreren Begleitern, aber zwingend ist das nicht. 140 Besondere Schwierigkeiten macht die Interpretation von Eq>Ectiouc(216; siehe DENN., EI., z. St., und CROPP, EI., zu 215-27); jedenfalls befindet sich das Versteck neben dem Haus: ~ivo1-nvec nap' olKov oi'.ö· iq,tctiouc / Euvac EXOV'tEC i;avic-rav,ai ¼o-u · (216f.); interessant ist auch der Jagdtenninus ,Euvac".
II. Euripides, die Odyssee und die Nosten
70
cxÄ.Ä.\>61c cxÄ.Ä.fl [... ] [~ 138); vgl. EI. 220: [... ] µfl 'tpi.c:11icEJl'lV xipa). Allerdings bleibt Nausikaa zurück (oiri 6' 'AÄ.nv()()'l)8-uya'tflp µivt:· [... ] [~ 139)), während Elektra die Flucht ergreifen will ([Orest:] µiv ••ib'taA.atva · [ ... ] [EI. 220)). Auch sonst finden sich nur Unterschiede. 141Eher fühlt man sich an die Episode im Laistrygonenland, bei der Quelle Artakie, erinnert. Odysseus hat drei Gefährten als Kundschafter ausgeschickt, welche - ebenfalls im ländlichen Randgebiet der Stadt - der Tochter des Laistrygonenkönigs Antiphates begegnen, die an der Quelle Artakie Wasser holt (K 103-8) - ebenso, wie dies Elektra am Fluß tut (EI. 55f., 77f., 107-9): 611tot. eyrov etapooc xpo·fo1v 1tt:-68&8a1 iov'tac o'i.'t\V& avip& Ett:VE1ttx8ovl Cl'tOVEÖOV't&, äv6pE 000 Kpivac, tptta'tOV 1C11PUX. äµ. 01taccac. 1nriv o&Sv. ~11tEp &ia$t oi 6' i'.cav ~ec Ö.C't\>6.acp. U""1ACÖV opimv Ka'taytVEOVÜA.TjV. ICOUP'l\ 6E ;uµßÄ.TjVtOspo&uoc u6p!001>C11t. 8-uyatip' iq,8iµrit Aa1c'tpuyovoc 'Avncpa'tao. i1µEv äp • ic 1qn1vqv mtEP'flcno mlltpu&pov •Ap'taKiriv · lv8evyap iS&>p 11:pot\ &w oi 6E 1taptc'taµEVOt 1tpOCEq>o>VEOV' EIC't' EpEOV'tO öc ttc 'tO>V6.Elfl ßactÄ.wc Kat otctv avaccot. Tl6E µaA.' QU'tllCQ1ta'tpOCE1ticppa6t:VU'lfEpEcpEC 6&.
100
105
,qw.cmv · 110 (IC100-11)
Doch das eigentliche Vorbild, dem Euripides folgte, ist, wie D1NoEL nachgewiesen hat, 142die Wiederbegegnung zwischen Odysseus und seinem Vater im 24. Odysseebuch. 143Odysseus findet Laertes in dessen Obstgarten. Er zeigt sich nicht sogleich, sondern tritt zuerst unter einen Birnbaum - er „ versteckt" sich -, weint wegen des Anblicks seines abgerissenen Vaters und überlegt, ob er sich ihm gleich zu erkennen geben oder ihn zuerst auf die Probe stellen soll (226--40). Die Ähnlichkeit zwischen Elektra und Laertes vor und bei der Wiedererkennung ist frappierend. Es hat wenig Sinn, die Motivverkettung bei Euripides' Homernachahmung in zerlegender Darstellung zu behandeln, damit ein weitgehendes Referieren von D1NGELsErgebnissen vermieden bleibt. Seine Beobachtungen werden hier schematisch und verkürzt wiedergegeben: Elektra will nicht mit den Mädchenchören tanzen (EI. 175-80)- Nausikaaspielt mit ihren Gefährtinnen. Orest will Elektra berühren (EI. 220, 223) - Odysseus scheut sich, ebendies mit Nausikaa zu tun(~ 14tb-47 u. 168f.). 142 „24. Gesang". 143 Vielleicht stellt diese das epische Urbild aller späteren Lauscherszenen im Drama dar. 141
2. Elelclra
71
Laertes lebt auf dem Land, arbeitet im Garten, ist zerlumpt (A 187-96; w 205ff.).
Elektra lebt auf dem Land, trauert um Agamemnon, macht die Hausarbeit (ihr Gatte die Feldarbeit); ihr Äußeres ist zerlumpt 144 (EI. 34ff., 108, 184f. usw.).
ro 250
- EI. 1107
Laertes' Ziegenfellkappe (c.o230f.)
El.s geschorenes Haar; Wasserkrug (EI. 55-8)
Lartes' Sklavenäußeres; Odysseus gibt vor, ihn für einen Knecht zu halten (m 248-57)
Elektras Sklavenhabitus; Orest hält sie für eine Sklavin (EI. 107-10)
Diskrepanz von Gestalt und Kleid (Laertes; w 253)
Diskrepanz von Herkunft und Aussehen (Elektra; EI. 304-6)
Verstecken und Lauschen (Odysseus ➔ Laertes) (c.o226--34)
Verstecken und Lauschen (Orest ➔ Elektra) (EI. 107-11)
Odysseus verheimlicht vor Laertes seine Identität; er fragt nach seinem ,,Gastfreund" Odysseus.
Orest verheimlicht vor Elektra seine Identität; er erzählt von seinem ,,Auftraggeber" Orest (EI. 220ff.).
Das Inkognito des Heimkehrers sowie seine Konfrontation mit einer geliebten Person, von der er lange getrennt war, gehören zu den Hauptbestandteilen des „Nostos-Schemas". Elektra bekommt wie Penelope die ersten Hinweise auf das Überleben des Vermißten von diesem selbst: 22830, 346f. und 349f. Orest tritt gleichsam als Vermittler (d. h. als Bote) in eigener Sache auf (siehe 237f., 292f.). Die Fiktion der räumlichen Distanz des Langersehnten ist in der Odyssee nicht so stark ausgeprägt. Orest ist zwar noch am Leben, so heißt es, hat aber nach wie vor den Status des Verbannten. Seine Rückkehr 145 findet nach langer Zeit statt (cbx.povro1 q,aveic [578], xpovtoc aµipa [585], 1tPfl;:C anörov. KaAOvaEiöntctV lapoc VEOV ktaµEVOlO, ÖEVÖpEO>V EV 1tEtc to oott: oouA.t:{ac -roxeiv (WECKL., EI.). Auf das Scholion A.Ei1tt:1 weist WECKLEtN (EI.) hin. - 811 f. µocxt:iav tpixa / tt:µcov ecp'a:yvov,rup e81,n 6t:~tih: vgl. ~ 422 aU' ö y' ciJtaPX6µevoc ncpaÄ.i\c tpixac iv m>pt pallEv (WEIL, Spt. tr.; WECKL., EI.). - 813 1eäccpa~':,.Ici Ja victime est egorgee vivante; dans )'Odyssee[ ...) [seil. in ; 422ff.] eile est d'abord assommee" (WEtL, Spt. tr.). - 8261ecivt:ito Äayovac: ,,opened up the flanks" (CROPP, EI.); vgl. p 299f. t:t>pt: 6' äpa µVT1cti\pac UYTIVOpac EVµt:yapotctV, / alyac civtt:µivouc (WEIL, Spt. tr. [dieser im Gefolge nicht namentlich genannter Kommentatoren)); WECKL., EI.); X 80 1e6A.Jtov civlt:µEVTI(WEtL, Spt. tr. [,.decouvrant son sein"]).
Zru
ev
he also killed Atreus at a sacrifice according to Hyginus/ab. 88 in an account thought to derive from one of Sophocles' Thyestes plays). Certainly the imaging of Aeg. 's muroer as a sacrifice responds to that of Ag.'s murder in A. Ag. 1118, 1433, 1504." (mit Lit.) 200 Siehe CROPP,EI., zu 8. - Siehe RosCHERs. v. ,Aigisthos ', Sp. 152: ,.Nach Hygin. / 117 töteten Aigisthos und Klytaimnestra den Agamemnon, als er gerade den Göttern ein Dankopfer für seine glückliche Rückkehr darbrachte, mit Beilen[ ...]". 201 Siehe aber zu der Frage nach dem genauen Schauplatz oben S. 50 und Kuu.MANN, ,,Palast", 51ff. (= ders., Homerische Motive, 3 l 2ff.). 202 Siehe DENN., EI., zu 79lff.; CaoPP, EI., zu 774-858. DENNISTON vergleicht besonders y 430-63, daneben!; 422; er führt aber auch zum Vergleich entsprechende Stellen aus dem Drama an.
II. Euripides, die Odyssee und die Nosten
84 -
835 nac't'lpta: von NAUCK aus dem überlieferten 1tact11p{av [L und P] nach Hesych [1tac't'lpta · cxM-yxva, 'ta tv'toc8ifüa, 1C01.Aia] emendiert; vgl. cxÄayxva Mcav'to (z. B. A 464, B 427) (WEIL, Spt. tr.; WECKL, EI. [,,Da es sich hier aber um die Eingeweideschau handelt, erwartet man 8eaaoJUa8a."); DENN.,EI.).
Die Art, in der Euripides bei der Schilderung der Ennordung des Aigisthos vom homerischen Epos beeinflußt wurde, läßt sich noch genauer bestimmen. Den richtigen Hinweis auf die genaue motivische Quelle hat auch hier D1NGEL geliefert, der eine Parallele zum Freiennord in der Odyssee zieht: „Orest ist noch öfter ,Nachfolger' des Odysseus, man vergleiche nur die Parallelen zwischen dem Freiermord und der Ermordung Ägisths: der fremde Gast unterzieht sich bei festlicher Gelegenheit einer Aufgabe (dort gegen den Willen, hier auf Wunsch des Opfers) und tötet sein Opfer dann mit dem Werkzeug, das er zur Ausführung der Aufgabe benutzt hat." (,,24. Gesang",108 Anm. 15)
In gewisser Weise läßt sich die ganze Szene als eine Art „Miniaturnostos" beschreiben, als stark komprimiertes Resümee der Handlungsstruktur der zweiten Odysseehälfte. Der aus dem „Exil" zurückgekehrte rechtmäßige in sein Haus aufgenomHerrscher wird unerkannt vom Usurpator als ~EVoc 203 men (787-90). Es folgt die Anweisung, den Ankömmlingen ein Bad zu bereiten (791). Die Diener legen ihre Waffen beiseite 204und beginnen mit der Opferhandlung (798f.). 205 Damit ist Aigisthos seiner Leibwache (6&1to'too q>pouP11µa'ta, 798) beraubt; das läßt an das Fortschaffen der Waffen aus dem µeyapov durch Telemachos und seine Helfer in der Odyssee denken. Nachdem Orest Aigisthos erschlagen hat, kommt es beinahe zu einem Kampf mit den 6µro& (844-7), also zu einem nachgeholten ,,Freierkampr•206 mit demselben ungleichen Zahlenverhältnis (1toA.Ao1. µaxec:8at 1tpoc 6u' · [8451) wie in der Odyssee. Orest gibt seine Identität preis (84751) und wird von einem alten Diener des Königshauses wiedererkannt 203
Die gastliche Aufnahme der ~01 durch Aigisthos läßt freilich mehr an die Aufnahme von Telemachos und Mentor/ Athene durch Nestor und seine Söhne in Pylos denken (y 3lff.) (dieselbe Beobachtung bei CROPP,EI., zu 774ff.). -Aigisthos' Begrüßungsworte (Xaipet', 6>;evoi· 'tlVEc / "6&v ,mpri>Ec8' icu 't' EK xoiac x8ov6c; [779f.]) erinnern an entsprechende stereotype Formulierungen bei Homer in vergleich(EI.) und CROPP,EI., z. St., nennen a 170 'tlC x68EV EU baren Situationen. WECK.LEIN av6pii>v; x681 'tOl ,wÄ.icit6E 'to'ICi\&;- DENN.,EI., z. St., führt folgende Parallelen aus dem Drama an: Aisch. Choeph. 657, Soph. Phil. 56, Eur. Ion 258f., Ba. 460 u. 465. 204 Zu Euripides' Technik des Spannungsaufbaus bei der Mordschilderung siehe G. ARNOTT, ,,Euripides and the Unexpected", G&R 20 (1973), 49-64, hier 55f. 205 Die epische Stilisierung tritt in der sprachlichen Gestaltung der Arbeitsaufteilung (oi µhr [...] oi 6' [... ] / &U.01 6t [ ...], 800-2) deutlich zutage. 206 Eine deutliche Parallele bei Euripides selbst ist der Kampf des Mene\aos und seiner Matrosen mit der ägyptischen Schiffsbesatzung am Schluß der Helena.
2. Ele/ctra
85
(852f.), worauf ihn die übrigen Diener freudig begrüßen (854f.). In der Odyssee gibt sich Odysseus Eumaios und Philoitios zu erkennen und erfährt dieselbe Reaktion (cp188-225). 207 Euripides intensiviert das intertextuelle Spiel mit Homer, indem er zwar einen odysseischen Hintergrund für sein Stück schafft, zusätzlich aber noch iliadische Obertöne anklingen läßt. Als Orest nach Aigisthos • Ermordung wieder die Bühne betritt. vergleicht Elektra in ihren Begrüßungsworten die Beseitigung des Usurpators mit Agamemnons Sieg über Troja: iI>KaMivtKE,Jtatpoc EKVtlCTICl)0pOl> / yqox., 'Opicta, 'ttlC UJt' 'IÄ.irotµaXTIC(880f.). Den Freund Pylades bezeichnet sie als 1tapac1ttct'Jlc (886). Orest bietet nun der Schwester den mitgebrachten Leichnam des Aigisthos zur Schändung an: [... ] autov t0V 8av6vta C0t cpepro, Öv EttE XPTlt~Etc&r,pd.v ap1ta"(T1V 1tp68Ec, 11clCÜÄ.ov oirovoictv, ai8epoc tEKVOtC, Jtfl~ac. epEtCOVCK0A.OJtt. [... ] (895-8) Die Erwähnung des troischen Kriegs in 881 eröffet die Assoziation an die llias, die in den Versen 896f. explizit wird: &r,pd.v µE8a/ xpoc-ri\c'tEICO'l>CTIC [...]) und 135-7:
ICCX'Y(O µev CXV't\OOUM>C, eicÖtxPTlµCX't(l)V tpE'UlCl>V '0p€C't11C &'t\V,o'iÖ' U1tEplCMCOC XA.\OUC\V µeya. ev 'tOiClcoic 1tOVO\C\
92
II. Euripides, die Odyssee und die Nosten
Die Homerimitatio in der Ele/ctrawurde in diesem Sinne oft als Kritik des archaischen Heldenideals auf gefaßt. T ARKOW faßt in seinem knappen Aufsatz über die Narbe des Orest zahlreiche ältere Bemerkungen zusammen. 234 Die von Euripides verwendeten Homeranklänge in der Ele/ctra fügen sich dieser Auffassung zufolge in die durchgängig negative Tendenz ein. Orest als unheroisch. als Antihelden zu zeichnen, und zwar auf der permanent durchscheinende Folie des Odysseus der Odyssee, so wie umgekehrt - also gleichsam mit positivem Vorzeichen - in der Odyssee die Figur Orests als Folie für Telemachos dient. 235 TARKOWstimmt mit D1NGELund dessen Vorgängern darin überein, daß der Dichter in der Wiedererkennungsszene auf die Narbe des Odysseus in den Niptra anspielt. Doch im Fall des epischen Narbenträgers handle es sich um eine Verletzung, die sich dieser im Verlauf einer heldischen Unternehmung zugezogen hat: Der junge Odysseus profiliert sich bei der Eberjagd. begleitet von seinen Onkeln als Jagdgenossen und in einem entsprechenden Dekor. Dagegen muteten die Umstände, unter denen Orest zu seiner Narbe gekommen ist. wie eine in allen Einzelheiten antiheroische Parodie der odysseischen Erzählung an: Orest hatte sich verletzt, als er in Kindertagen zusammen mit seiner Schwester im väterlichen Haus ein Hirschkalb jagte und dabei stürzte. 236 234
TARKOW, ,.scar"; siehe passim seine Literaturangaben. the poem's [seil. der Odyssee] sustained use of Orestes and Telemachus as foils to each other may weil serve as a foil against which we may understand the play's use of Orestes and Odysseus as foils to each other" (.,scar'', 145 Anm. 8). Zu diesem multiplen Folien-Spiel siehe unten Anm. 246 (Gofl'). Scharf trennen muß man zweifellos den homerischen von dem kyklischen Odysseus, wie er in der Hekabe und den Troades erscheint. Die Möglichkeit einer Potenzierung der Kritik an Orest durch eine kyklische Odysseus-Folie erwägt TARKOW nur zögerlich: ,.we may judge Orestes as even worse a hero than he appears to be because his model is one whom Euripides continuously criticizes in other plays" (148 Anm. 17). - Zu Recht betont TARKOW, daß die Narbe nur ein Element in einer ganzen Sequenz (im Sinne des ,.Nostos-Schemas") von Anspielungen auf den homerischen Odysseus ist (,,scar", 145). 236 „The contrasts with Odysseus and bis scar could be neither more forceful nor more explicit: the noble sons of Autolycus are contrasted with a sister, a ferocious boar with a harmless fawn, and glorious Mt. Pamassus with a father's estates" (,.scar'', 146). - Siehe A. HÄHNLE,I'NüPIIMATA, Tübingen, Phil.-Diss. 1929, 10; D1NGEL,,.24. Gesang", 103. - Zum Text vgl. WECKL.,EI., z. St.: ,.Nicht bloß die Störung der Stichomythie erregt Anstoß, sondern auch die seltene Nachstellung der Präposition, ohne daß diese am Ende des Trimeters steht [...]. Einern Hirschkalb läuft man nicht im Hause nach. Deshalb scheinen die Worte EVtta'tpo~ ooµol~ vef3pov 6troKmV 00\l µi8' nachträglich eingefügt ZU sein. - i)v nµax8,i (ouÄ:1ivnva aiµacrGElV) wie fl\V µlV i\A.acrEa. 0. Tiav6apooRN,,.Electra", 113 (mit Lit.).
2. Elelctra
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Barbara E. GoFPSVerdienst, im Anschluß an T ARKOFF u. a. gezeigt zu haben, mit welch konsequenter intertextueller Kontrapunktik Euripides seinen Orest diskreditiert, und zwar vor der Folie des homerischen Narbenträgers Odysseus. 241 GoFF betont richtig, daß das Motiv mit seinem homerischen Gepräge erst im Kontext aller Odyssee-Reminiszenzen vollständig zur Geltung kommt. 242 Kompositorisch befindet sich das Narbenmotiv an derselben Stelle im Handlungsverlauf des ,,Nostos-Schemas", nämlich am Kulminationspunkt unmittelbar vor dem gewaltsamen Rachevollzug durch den Heimkehrer. In formaler Hinsicht stelle die euripideische Rückblende nicht nur eine narrativische Komprimierung, 243 sondern auch eine inhaltliche Mikroskopierung oder Minimisierung der epischen Handlungsbestandteile dar: Großvater (Autolykos)/Pamaß - ev natpoc ooµoic (EI. 573); männliche, erwachsene Jagdgefährten - die Schwester als Jagdgefährtin; ,,echte" Eberjagd und Tötung des gefährlichen Tiers - spielerische Hirschkalb-,,Jagd"; Odysseus' Wunde wird vom Eber geschlagen - Orest verletzt sich beim Hinfallen (26lf.). Im Gegensatz zu TARKOFF erblickt GoFFden Dreh- und Angelpunkt der Kontrastierung zwischen Orest und Odysseus weniger im Gegensatz ,heroisch - unheroisch' als vielmehr im Spannungsfeld ,Kindheit - reife Männlichkeit' (262ff.). Dem athenischen Theaterbesucher des 5. Jahrhunderts mußte im epischen Bezugstext besonders die Bedeutung der Eberjagd als Initiationsritus bewußt werden. Die durch die Narbe provozierte und an einer für den Nostos entscheidenden Stelle der Handlungskurve plazierte Rückblende auf eine erfolgreiche Initiation und Mannbarwerdung des Protagonisten symbolisiert in der Odyssee einen Tauglichkeitsbeweis für den erwachsenen Rächer in der Gegenwart. 244 Eben diesen Schritt könne Orest nicht vollziehen. Seine Reifeprüfung hat in der Kindheit fehlgeschlagen. Die Folge ist, daß er die Rolle des den Vater rächenden Heimkehrers auszufüllen nicht imstande ist.245 Dies muß Elektra tun, die schon bei jener Hirschkalbjagd in Kindertagen die Partnerin war. 241
GOFF,,,scars". „Orestes already evokes Odyssean pattems of action in that he is retuming to reclaim his palace and possessions and to put a stop to sexual irregularities, and these patterns of action condition any reading of Orestes' scar" (260). 243 Eine „maßstabsgetreue" Umsetzung epischer Partien in dramatische Narrativik gibt es freilich nicht; vgl. unten S. 258f. 244 ,,[ •••] it [seil. the story of the boar hont] offers a version of the heroic persona that Odysseus nccds to build for himself again out of bis vulnerable position as a beggar in bis own house. His achievement in the bunt can be seen as a guarantee of bis future success against the Suitors." (263.) ,,It is as though the hero has to retum symbolically to the early period of bis life before he can take up bis adult inheritance" (267). - Siehe auch ebd. (267) zur Rolle des Laertes in der Odyssee und zur (verkürzten) Wiederholung der Narbengeschichte in m 331-5. 245 „the scene of rediscovery [...] deliberately denies him a confirmation of his 242
96
II. Euripides. die Odyssee unddie Nosten
Interessant ist vor allem der von GoFF richtig hervorgehobene Umstand, daß Orests fehlgeschlagene Initiation innerhalb des väterlichen Palastes der damals noch heilen Welt- stattfand (tv 1tatpoc ooµolc), wohin er in der Elektra keinen Zugang findet (264-6). Sowohl Aigisthos als auch Klytaimestra werden außerhalb des Palastes getötet. Die Rache ist vollzogen, aber der Nostos ist nicht „vollständig": Orest nimmt nicht auf dem väterlichen Thron Platz. Natürlich ist seine Verbannung im Anschluß an den Muttermord vom Mythos vorgegeben. Euripides hat sich aber alle Mühe gegeben, das innere Scheitern Orests in äußerer Hinsicht dadurch zu unterstreichen, daß sein Heimkehrer den Schritt aus der ländlichen, odysseischen Szenerie hinaus und in das väterliche Haus hinein nicht macht. Euripides hat Orest und Elektra viel von ihrem traditionellen heroischen Format genommen. Zwar ist der Spielrahmen des Dramas episierend überformt, aber die evozierte odysseische Ländlichkeit ist per se schon weniger „heroisch" als die Palastwelt, in der der Atridenmythos in den Nosten und vor allem in den (geradezu kanonischen) Choephoren gespielt hat. Euripides' Distanzierung vom alten Heroenmythos tritt in der Wiedererkenungsszene massiv zutage, wo mit höchster intertextueller Verdichtung, nämlich durch Anspielung an die beiden bekanntesten Wiedererkennungen der älteren Literatur, unmittelbar hintereinander erst die aischyleischen cr1µ.eiaund dann die odysseische Narbe in ein dubioses Licht getaucht werden. 246 achieved manhood" (264); ,,At the moment when Orcstes should be proving his manhood and his ability to talce on the murderers of his father, the story of his scar locks him into a symbolic childhood" (ebd.); ..[...] the story of the scar is consistent with the other strategies mobilized by the drama to disqualify Orestes, such as his anonymous arrival, his disinclination to be recognizcd [...]. and his dishonorable attack on Aigisthos" (265). 246 Vgl. GoFF, .,scars", 261: .,[...) the episode ofthe scar demonstrates that the whole drama is ,scarred, • both made and marred by its inescapable relations to anterior texts." GoFF zeigt auch, daß durch die im Mythos vorgegebenen paradigmatischen Bezüge zwischen Orest, Telemachos und Odysseus das intertextuelle Spiel sogar noch potenziert wird: ,.The Elektra deliberately complicates the relation betwecn model and copy in that Orcstes must follow the example of both the son who helps to avenge his father, and the retuming patemal hero" (266); .,These complicated relations of imitation constitute something like a literary-historical joke, since Orestes is anterior to Telemachos in the Odyssey, but the Odyssey as a text is anterior to the Elektra" (ebd. Anm. 24); vgl. S. Reading Greek Tragedy, Cambridge U. P. 1986, 163-5, 247-53. - Die TechGOLDHILL, nik des multiplen Folien-Spiels hat ihr mikroskopisches Korrelat auf metaphorischer Ebene: Zu den latenten Bezügen zwischen der Narbe und der Münzmetapher (558f., 572), zur Thematik des Bezugs zwischen äußerem Schein und innerem Wert (367-79, 550f., 93~) siehe TARKOW, .,scar'', 151 (mit Lit.); GoFF, .,scars", 260f. - T. B. L. WeesTERfaßt die c11µiia-Partie nicht als Kritik an Aischylos, sondern als eine wertfreie Transponierung des Motivs aus der alten epischen Sphäre in die reale Welt des 5. Jahrhunderts auf (Tragedies, 144; Greek Tragedy, Oxford 1971 [Greece and Rome, 5]. Euripidean Drama, 206). 34; ähnlich CoNACHl!R,
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2. Eleklra
2.1.4. Die Rolle des Mythos 2.1.4.1. Das erste Stasimon (432-86) Das erste Standlied kann als Programmlied der Elektra bezeichnet werden. Die Perspektive der mythischen Erzählung von Achills Rüstung ist einerseits „vergrößernder" Art (die auslaufende Griechenflotte [1. Strophe] Achlll als herausragender öopinovoc [438f .• 448-51, 479f.] -Achills Waffen), andererseits ist sie auf die Person Agamemnons (440,451, 479f.) und damit - in den Schlußversen - wieder auf dessen Schicksal, sprich Klytaimestras Verrat (4 79-81 ), fokussiert. In der Konsequenz dieses Gedankengangs wird der Blick in Form einer Drohung gegenüber Klytaimestra (göttliche Strafe) auf die Zukunft gelenkt (482-6). Die Pracht der beschriebenen Rüstung ist ein Teil des Heldenglanzes des jungen Achill; dieser Glanz Achills trägt bei zum Ruhm des Heerführers Agamemnon (seil. der noch manch anderen strahlenden Held mit sich führte); einen solchen Herrscher hat die ehebrecherische und heimtückische Klytaimestra gemeuchelt: 'tOlO>V6' ävalC"ta ÖOpl1tOVCOV / EKavevav6pci>v,Tuv6api, / A.ixea, KaKocppovKopa (479-81).
ca
Neben der in der Schlußstrophe explizit zum Ausdruck gebrachten „Moral" könnte der wichtigste Bezug zur Handlung des Stücks in der permanent durchscheinenden ,,Aufbruchstimmung" liegen. 247 Die Griechen flotte läuft aus zum Zug gegen Troja; der jugendliche Achill, der wichtigste Rückhalt der Griechen, erhält seine Waffen; die Darstellungen auf dem Schild verheißen den Troern Angst und Schrecken (454-7). Auch an der gegenwärtigen Stelle der Handlungskurve der Elektra stehen die Zeichen auf „Aufbruch". Das Warten wird für Elektra gleich ein Ende haben. Der potentielle Rächer Orest ist wiedergekehrt, mag auch seine Wiedererkennung noch nicht vollzogen sein. Orest wird als Rächer Agamemnons in Aktion treten, ähnlich wie Achill den Atriden gegen die Troer helfen wird (449-51 ). Sucht man nach homerischen Reminiszenzen, so fallen zunächst offenkundige Unterschiede ins Auge. Euripides wandelt gern abseits des Pfades kanonischer Sagenversionen und scheut sich nicht vor Neuerungen. Hier wird bereits die erste Rüstung Achills als ein speziell für ihn geschaffenes
247
Insofern sieht WecKLEJN(EI.) zwar das Wesentliche, aber dennoch zuwenig: ,.Der Inhalt steht mit der Handlung in losem Zusammenhang, welcher erst am Schlusse (479 ff.) angedeutet wird: ,Du, Klytämestra, wirst es mit dem Tode büßen, daß du den großen Führer des glänzenden Heereszuges gegen Troja ermordet hast.• Der Glanz des Heereszuges wird an dem glänzendsten Helden, Achilleus, gefeiert." (zu 432-486.)
II. Euripides, die Odyssee und die Nosten
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Werk des Hephaistos geschildert, während es sich in der llias um ein Hochzeitsgeschenk der Götter für Peleus handelt, das der Vater an den Sohn weitergegeben hat (I 84f. und indirekt P 194ff.).248 Offenbar hat Euripides hier erfunden. 249 In I l 39ff. schickt Thetis die Nereiden zurück ins Meer zu ihrem Vater; sie selbst begibt sich allein auf den Olymp, wo sie Hephaistos um neue Waffen für Achill bitten will. Euripides geht „umgekehrt vor. Er läßt die Waffen durch die Nereiden überbracht werden; Thetis wird - in der Funktion als Überbringerin - nicht erwähnt. 250 An der Schildbeschreibung im I hat man früh einen Kontrast zwischen dem Friedvollen der bildlichen Darstellungen und dem kriegerischen Zweck der Waffen registriert. 251 Euripides dagegen legt den Akzent auf das Schreckliche (die evozierte Furcht Hektors, die Gorgo, 252 die Ccp{yyecmit Beute, die Löwin), wobei er sich wohl von den hyperbolischen Schreckensdarstellungen auf der pseudohesiodeischen ~orte inspirieren ließ. 253 Besonders schwer ist das Detail des Aufenthaltsorts des jungen Achill zu beurteilen. 254 Euripides hat sich nioip(,c tE icaymMilvouc 1t'Upy0UC 1tEpll; 6p8oicw l8tµEV icav6ov, ouxot' tic q,ptvii'>v WVOl' ci1ttct'1'1 tiov tµci'>v4>puyci'>v JtOA.El · Siehe PLATN., IT, zu 1414-15. 273 Die Verse werdenvon ENGLAND getilgt. Vgl. PLATN., /T, zu 1414-15 u. 1414-19. 274 Daß sie Euripides' Erfindung ist, gilt allgemein als gesichert; siehe BuRNETT, Catastrophe, 73-75. 275 Unbehagen hat hier schon SraoER verspürt: .,Dieser Sturm ist doch ein arger Theaterstreich, der mit der Feindschaft Poseidons, an die im ganzen Stück kein Mensch gedacht hat, nur recht oberflächlich motiviert wird[ ...]. [...)" (.,Helena", 227). 276 116'-i IlOCEl6ci'>v Xta1top8µE'l>ElV JtÄ.at'l'IV (1444f.). 2n vauc 6', ecoc µev tvtOC ~V/ A.lµivoc, qcopEl CtOµla, 6la1tEpci'>ca fü:/ Ä.a~paus. Die Rückkehr des Chors wird in 1058f. thematisiert. Überlegungen zum gemeinsamen „voctoc" werden in I008b-J9 angestellt; vgl. 651 (,.xoJWX{ = voat~. Cf. Od. 6. 290 xoµ,ti\c; icai v6cnoto (tuXEiv)" [PLATN.,/T, z. St.]) und 1066(-8) (voctoc). 290 Anders als die odysseische Penelope und die euripideische Helena befindet sich lphigenie nicht in einer prekären Situation gegenüber einem freier- oder usurpatorähnlichen Mann. Thoas begegnet ihr mit Respekt, und das Priesteramt macht ihre Person weitgehend sakrosankt. Freilich ließe sich lphigenies sentenzartige Formulierung 1005f.,
106
II. Euripides. die Odysseeunddie Nosten
motiv scheinen allerdings das Traum- und das Webmotiv ihr unmittelbares Vorbild in der Odyssee zu haben. In ihrer Prologrede erzählt Iphigenie von einem Traum (42-57) 291; aus ihm glaubt sie schließen zu müssen, daß Orest tot ist. Faktisch bedeutet der Traum eine Vorausdeutung auf Orests Ankunft und die Umstände der Begegnung mit seiner Schwester. Zugleich motiviert Iphigenie so ihren Auftritt: Sie will dem Bruder axouc · ax6vn (62) einen Weihguß darbringen (61-4•). Die funktionalen und motivischen Parallelen zum Traum Penelopes in 't 535-53 sind evident. 292 In Penelopes Traum spricht der Adler mit menschlicher Stimme (545-51 ), in Iphigenies Traum tut dasselbe der c't'l>Äoc(52, ohne wörtliche Rede wie in der Odyssee). Iphigenie klagt über ihre Isolation in der Fremde293 und nennt dabei Tätigkeiten, die sie einst in Argos pflegte und denen sie hier nicht nachgehen kann oder will. Weder singt sie Kultlieder auf Hera noch gibt sie sich der Webarbeit hin:
oü 't(XV „Apyel µwouc. "Hpav oüö · ic'toic EV1eallup8oyyolC .
1eep1eiÖl IlailaÖOC 'A't8iöocei1ero Tl'tavcov 1toudllouc' [...] (221-4).
294
Man fühlt sich an Penelope, die berühmteste griechische Webarbeiterin, erinnert, auch wenn die spezifische Funktion des Webmotivs in der Odysseussage hier nicht vorliegt. Die Gemeinsankeit liegt in der (relativen) Einsamkeit der Wehenden. 295
mit der sie ihre Lage charalcterisiert ([ ...] ou yap all' avitp µtv h: 66µ0>v/ 8cxvow 11:o82lV6c, ta 6e yuvaucoc ac8evfi),ebensogut auch zur Beschreibung der paradigmatisch-archetypischen Situation der homerischen Penelope verwenden. 291 Vgl. 15~2. 348f., 569-71 (Träume sind Schäume). Träume werden auch in 1261ff. erwähnt. 292 Vgl. ScHWINDT, .,Traum": Iphigenies Traum habe sich in kompositorischer Hinsicht „freigemacht[ ...] vom Gleichnischarakter des homerischen (allegorischen) Traums" ( 13), sei aber sonst „die >tragische< Fassung eines >epischen< Traumes" (2) - nämlich eben von t 535ff. - und vielleicht auch in seiner Funktion als kunstvoll komprimierende Exposition des späteren Handlungsverlaufs dem odysseischen Vorbild verpflichtet. 293 vuv 6' a~dvou x6vtou ~iva / 6ucx6p-iouc oiKOuc vai0>, / äyaµoc äu,cvoc Cl1tOA.\CäcpiA.OC (218-20). 294 Siehe auch Pl.ATN., IT, zu 221: .,the reference [...] to the xbtÄ.oe'tov)überflüssig.
108
II. Euripides. die Odysseeunddie Nosten
richtet (238ff.), man wisse lediglich von einem der Fremden den Namen (248-51). Der avayvmplCµoc ist strukturell eng mit den anderen Wiedererkennungsszenen in den erhaltenen Dramen des Euripides verwandt, 302 wenn man von dem Sonderfall der Helena absieht. 303 Bereits in 221-4, in der Klage lphigenies, war das Webmotiv begegnet. Hier taucht es noch einmal in signifikanterer Weise auf, und zwar ( analog zu El. 539-44) 304 in der Funktion des tEKl,lllPlOVbei der Wiedererkennung. In 812-7 erinnert Orest daran, daß lphigenie daheim die Geschichte vom Goldenen Lamm und dem Thyestesfrevel ev EÜ1t11Volc i>q,aic(814) gewebt hat, und seine Schwester bestätigt den Wahrheitsgehalt des tEKl,lllPlOV.Das tE1eµ11plov-Motiv allgemein ist ein Erbe der Odyssee. Euripides hat sich nicht nur von dem Narbenmotiv, sondern auch von anderen odysseischen Erkennungszeichen beeinflussen lassen, wie DIN GEL auf gezeigt hat: ,.Euripides hat[ ... ] die Odyssee genau studiert. Daß die Homerischen Anagnorisisszenen sein besonderes Interesse gefunden haben, [ ... ] läßt sich auch an einem weiteren Beispiel zeigen. Dreimal weist sich Odysseus aus, indem er etwas anführt, was nur er oder gerade er wissen kann: Penelope überzeugt er, weil er die Geschichte des Ehebettes kennt (23, 183 ff). einige Gesänge zuvor hat der sich noch Verstellende ihr die Brosche des Odysseus und anderes beschrieben ( 19, 225 ff); dem 302
Es können hier nicht alle strukturellen und motivischen Parallelen zur HeleM und zu anderen Stücken (besonders zur Elelc.tra)genannt werden. Hierfür ist vor allem auf die vorzügliche Studie von MATIHIESSEN (Spätwerk) zu verweisen. Zur Anagnorisis siehe dort l 27f.: ,.[...] Es erkennt also wie in der Odyssee und in den bisher besprochenen Dramen zuerst der Ankömm-[128:Jling den eingesessenen und wie in allen Fällen, wo die Partner der Erkennung verschiedenen Geschlechts waren, zuerst der männliche den weiblichen Partner [...]. Auch hier liegt es beim Ankömmling, zu beweisen, daß er wirklich der ist, der er zu sein vorgibt." - Zu den verschiedenen intertextuellen Bezügen allgemein siehe FRYER,lphigeneia, 34-66 (,.This recognition scene [...] is a kind of metatext for the experience of the audience or reader of texts" [60). - .,lbe overall shape of he scene bears the recognizable influence of the recognition scenes of Homer and Aeschylus" (61 ].). 303 Siehe hierzu MA1TH1ESSSEN, Spätwerlc.,13lf.: ,.So stark auch sonst die Gemeinsamkeiten der ,Helena' mit der ,lphigenie' sein mögen, die Erkennungshandlungen jedenfalls sind [ 132:) völlig abweichend gestaltet. Die einzige Gemeinsamkeit derjenigen der ,Helena' mit den bisher beschriebenen Handlungen besteht darin, daß wie in der Odyssee das Wiedersehen von Ehegatten dargestellt wird, wobei freilich ähnlich wie in der ,Iphigenie' der Ort der Handlung von der heimischen Königsburg an den äußersten Rand des Erdkreises verlegt ist, so daß die Heimkehr nicht wie sonst zu den Voraussetzungen der Handlung gehört, sondern das Ziel der Handlung ist. Die Weise jedoch, wie sich in der ,Helena' die Erkennung vollzieht, ist gänzlich abweichend von allen früheren Beispielen." 304 Auch Sophokles hatte das Tuch als Wiedererkennungszeichen benutzt.
3. lphigenie im Taurerland
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Laerteserzählter von den geschenktenBäumen(24, 336 ff). Dieses Mittel sich zu legitimieren hat Euripides in der Taurischenlphigenie verwendet;wieder ist ein Motiv von Odysseus auf Orest übertragen:Orest beweist der Schwester seine Identität dadurch, daß er bestimmte Ereignisse und von lphigenie gewebte Bilder kennt (808 ff). " 305
Im folgenden seien in lockerer Aufzählung Details aus der Wiedererkennungsszene genannt, bei denen man die Möglichkeit eines homerischen Hintergrunds erwägen könnte. Ein direkter Homerrekurs soll aber nicht postuliert werden. Iphigenies einleitende Fragen an die Fremden nach ihrer Identität, ihrer Heimat usw. (473ff.) ergeben sich ganz natürlich aus der Situation, lassen aber auch an die stereotypen Formulierungen in homerischen Begrüßungsszenen denken. 306 Nach seinem Namen gefragt, nennt der ausweichende Orest in spielerischernster Weise einen „Kunstnamen", mit dem er sich selbst charakterisieren möchte (Aucrox,ic [499)). Berühmt ist das Spiel mit dem Namen beim Polyphemabenteuer, wo sich Odysseus als Oonc ausgibt (t 366f.). Die älteste Verwendung des Briefmotivs (582ff.) 307 in der griechischen Literatur findet sich im Z der llias (in Glaukos' Erzählung von Bellerophontes 145ff., hier 168h-70), und zwar in der orientalischen Motivvariante des Uriasbriefes. 308 Der Umstand, daß von zwei Freunden jeweils der eine für den anderen zu sterben bereit ist (595ff., 647ff.), erinnert an Achill und Patroklos in der /lias (aber auch an das dritte berühmte Freundespaar in der griechischen Mythologie, Theseus und Peirithoos). In 755-7 (ff.) erwägt Pylades die Möglichkeit eines Schiffbruchs; er beweist 1tpovota wie ein Odysseus und läßt das typische Odysseus-Schicksal anklingen. Das 'tex:µ11p1ovder in Iphigenies Gemach versteckten Peleuslanze (823-6) erinnert an den Bogen des Odysseus (cp 1-12 und 42-54).
305 OINOFJ.., 306
.,24. Gesang", 107. Siehe z. B. ; 187-90 (Eumaios zu Odysseus): 't\C x68ev Eie av6pci'>v; Jt08l 'tOl JtOA.lCt16e'tOIC11&;
01ffl0lTIC 't' bti. VTtOC cicptlCEO • JtÖ>c 6i CE vau-cal 1l'YU"fOV Eic 'l8ci1CT1v; tivec lµµevat EUXE't()(l)V-co; oü µh, yup'Cl CE JtE~OV o'foµmiv8a6' i.dc8m. 307Siehe Pl..ATN.,IT, zu 585: ,.An Athenian audience would not weil have understood a woman of the heroic age who could write. Hence Eur.'s care to have the letter written for Iph. lt is tobe remarked, however, that in the Hippolytus Phaedra herself writes a letter (856 sqq.)." - Euripides hat das Motiv des Briefes und des Eides (735ff.) (und der zusätzlichen mündlichen Absprache [760ff.]) auch im Prolog der /phigenie in Aulis eingesetzt. 308 Zur xiva; siehe W. BURKBRT, .,Oriental Myth and Literature in the Iliad", in: R. HAoo (Hg.), The Greek Renaissance ofthe Eighth Century B. C.: Tradition and Innovation, Stockholm 1983, 51-56, hier 51-53; ders, orientalisierende Epoche, 32f.
110
II. Euripides.die Odyssee unddie Nosten
Die µ11xaVT)µa-Handlungschließt sich wie üblich nahtlos an die Wiedererkennung an. Sorgfältig werden die Möglichkeiten der Vorgehensweise abgewogen (94ff.). Thoas soll mit Worten getäuscht werden (1049). Da die Intrige ( 10 l 7ff.) nicht nur auf den Raub des ~6avov, sondern zugleich auch auf Flucht und Rettung abzielt (vgl. 876-99, 904-6), wird in den einschlägigen Passagen nicht nur das Gefahrenmoment betont (995ff.), sondern auch immer wieder das Motiv der CCD'tTlpia verwendet (1020ff., 1033ff.; vgl. 99lff.). Konventionell ist auch das Motiv des Schweigens der Mitwisser (1063f. [Chor der cpiÄ:ta'ta1yuvai,cec (1056))). 309 Bei dem Motiv der Flucht übers Meer (1039ff.) finden sich besonders auffällige Parallelen zum Schluß der Helena, die oft diskutiert worden sind. 310
3.2. DER TROISCHE KRIEG
Wie in der Helena wird in den meisten Fällen die Erwähnung von Personen und Ereignissen aus dem troischen S~genkreis durch ein Inf ormationsvakuum der Protagonistin provoziert. Iphigenie wurde indessen anders als Helena sogar unmittelbare Zeugin des Kriegsbeginns und aufgrund der Vorfälle in Aulis gewissermaßen das erste „Kriegsopfer ... Wie in der Elektra gehören die personae dramatis im wesentlichen der Generation an, die auf die der Trojakärnpfer folgt. Dennoch sind die Schicksale ihrer Väter und Mütter, die teils in engem, teils in lockerem Zusammenhang mit den Ereignissen um und vor Troja stehen, auch auf sie von prägendem Einfluß. Zumindest sind sich die Personen der Tragweite dieser Ereignisse, deren Konsequenzen in ihre eigene Gegenwart hineinreichen, voll bewußt. 311 Nach der Eroberung Trojas interessiert nur eine Frage, nämlich wer überlebt hat und 309
Vgl. Theonoein der Helena (1017-23). Zum Beispiel STEIGER,,Jlelena", passim. Das zeitliche Verhältnis der beiden Tragödien zueinander kann in diesem Rahmen nicht diskutiert werden; siehe hierzu etwa PERROTTA, ,,Elena/lfigenia". - Ein großes methodisches Problem stellt hier (wie in vergleichbaren Fällen) die Abgrenzung von gewollter Motivanlehnung einerseits und ,,natürlichen" Handlungszusammenhängen und -abläufen sowie „generischen" Motivsequenzen andererseits dar. - Zur Odysseenachwirkung in der lphigenie im Taurerland allgemein siehe auch FRYER,lphigeneia, 18-20 (,,The contrast between barbarian and civilized behaviours, narrow escape through artifice, the recognition scene based on memory rather than tokens and the cult aetiology in the end are all reminiscent of the Odyssey. [...] lphigeneia's adventure becomes a kind of Odyssey [...]." (18) 311 Der von den Handelnden empfundene Abstand zur heroischen Vergangenheit allgemein (nicht nur im zeitlichen Sinn) wird auch in 508-10 deutlich: "Apyoc1tatpi6' iµ~v ixeuxoµal. Op. tO 1CÄ.e1VOV 310
lcp. 7tpOC 8ecöv,aA.118coc, i1~V·, et icei8ev"{f:YU)C; Op. iic tiov Mu1CT1vÖ>v 't(I)( oü6' äicpav't' TllCOUCCl'tE.
(517-20) Es wird nicht gesagt, wie lphigenie in den Besitz dieser Information gelangte. Als Quelle kommen Schiffbrüchige oder andere Reisende in Betracht, die zu opfern ja ihre Aufgabe ist. Jedenfalls soll mit q,adv in 519 die historische Tragweite von Trojas Fall betont werden. Daß die Iliupersis jedermann bekannt ist, wird offenbar vorausgesetzt. 312 lphigenie fragt aus ihrer persönlichen Perspektive, d. h. sie fragt nach den Personen, die bei den Ereignissen um ihre Opferung in Aulis eine Verantwortung trugen: Helena, Kalchas, Odysseus, Achill und schließlich Agamemnon. 313 Helena, die Ursache allen Übels, erscheint naturgemäß an erster Stelle. 314 Iphigenie erfährt, daß sie mit Menelaos nach Sparta heimgekehrt ist. Dort herrschen jetzt wieder die normalen Verhältnisse wie vor Paris' Ankunft. Das ist die harmonische Situation, wie sie in den Büchern y und 6 der Odyssee geschildert wird: 312
JIJ
5•):
In der Helena weiß freilich Helena nichts davon (105-8). Siehe Orests Rekapitulation der von seiner Schwester gestellten Fragen (66Qb[...] coc'EU:r1vuccix: 660 aviipE8' ftµfu: 'tOUC t' EV 'IA.ionltOVO'l>C voctov t' 'Axaui>vt6v t' i.v oimvo'ic cotpv
KaA.xavt. 'Ax1Wox 't. ovoµa, 1Cal'tOV ä8A.1ov 'Ayaµiµvov' cix0>11Ct1p' txVTll)µ.cx Mevü.Eco 7tCXÄ.tv; y' ü.Oouca 'tQ)Viµmv 'tlVl. 'tllCEl,IC(XICQ)C 1eai 1tou 'cn; 1eciµoiyaptt 1tpoucpewt 1ea1e6v. ;uvwvmit. C1tl
mpoc
(521-4)315 Auch der Chor weiß nichts von Helenas Heimkehr. In 439ff. wünscht er, Helena käme Tpmüi6a Ät1touca 1t6Ätv(442) ins Taurerland, um dort geopfert zu werden und so Buße zu leisten (1totvac 6ouc' av'tutcUouc, 446). 316 Sodann kommen die anderen „Schuldigen" an die Reihe. lphigenie verwendet dabei das fast schon programmatische Stichwort v6ctoc 'Axaimv (527). Auf die Nachricht 317 von Kalchas' Tod reagiert sie mit Genugtuung: lcp. KciÄxac 'tlC ~A.8Eµavnc EICTpoiac JtaÄtv; Op. ÖÄO>ÄEV, ox:~V.,[]EVMUICTIVJtO'tVl , O>CEU. . •. 315
Zu 522 siehe PLATN., IT, z. St.: .,nv1 = 'Ayaµiµvovl. Or. regards the retum of Helen as = the object, and therefore the end of the war, which led to the murder of A. This is much better than to take it as referring to Or. himself, as some have done, citing as parallel 1. 548 below and Haemon' s rcmark (S. Ant. 751) 116 • oov 8avei-tm 1Cai. 8avoüo' oÄ.Einva." - Ein geheimnisvoller Selbstbezug würde freilich mehr zu dem doppelbödigen Ton des Gesprächs zwischen der ahnungslosen Iphigenie und dem seine Identität verbergenden Orest passen. 316 Vgl. PuTN., IT, zu 439 (,.Neither Iph. [sec 1. 521) nor the chorus knew of Helen's rctum to Greece. These b>xai are general and need not rcfer to 1.354 [...).") und zu 354 (.,Because, in II. 438 sqq., the chorus express a wish that Helen should arrive among the Tauri therc is no need to accept herc Kirchhofrs emendation all' d8e ... i\ 11:op8µi~."). 317 ox: [...] Ähyoc.(532) muß nicht heißen, ,.that therc were various stories about C.'s death" (PuTN., IT, zu 532), und wird wohl nicht mehr bedeuten als cpadv in 519 oder dieselbe Formulierung in 534. 318 Die Umstände von Kalchas' Tod waren in den Nosten erzählt worden. Siehe Prokl., Z. 288-290 SevERvNs:oi 6e 11:epi. Kcv..xav-ra1Ca1. Aeov-ria 1Ca1. Il0Au11:oifflv 11:e~i\l11:opeu8ev-rec Eie KoAocpci>va Ttlpedav iv-raü8a -rEÄ.Eu'tTlcav-ra 86:floucl. Statt Telptdav muß doch wohl mit MEINEKE Ka>..xav-ragelesen werden; vgl. RzAcH,,KyQuellen, 56 (Proklos klos ', RE Xl, 2 (1922), Sp. 2347-2435, hier 2426; KULLMANN, 105). Ausführlicheres über den Seherwettstrcit erfährt man in Apollod. Epit. 6, 2 u. 4: 'AµcpiAoxoc6e ICa\Kcv..xacICa\AEOV'tEUC ICatnoooÄ.EtplOCICQ\IloÄ.u11:oiff1c iv 'IÄ.tO>l -rac vaüc a11:0Äl1t6v-rec i11:l. KoAocpci>va 11:e~i\l 11:opci>ov-ral, 1Ca1CEi 86:11:-roucl Kci:Ä.xav-ra 't0V µavnv· ~V y«p au'tci>lÄ.6y\OV 'tEA.EU'tT\CElV, ECJ.V taU'toÜ CocportEpO>l JtEPl't'l>X'll µav'tEl. [...] [4] [...] c!>vyevoµiv0>vKaAxac a8uµ11cac axi8ave ICQ\hacp11iv No-riO>L Siehe auch PLATN.,IT, zu 532: .,This compctition in prophecy betwcen Calchas and Mopsus secms to have formed a scene in Soph.'s 'EAiv11~axaifflal~ (sec S. fr. 180
3. /phigenie im Taurerland
113
Ähnliche Haßgefühle hegt Iphigenie gegenüber Odysseus: lcp. Op. lcp. Op.
[... ] ti yap oAaiptot> yovoc; 'Af,yoc. 0Ü1tmVEVOCtTIK' ol1eov, fcn 6 ', ci>c ÖA.oltO,VOCtOt> µ111tot• E.C 1tatpav tt>XC.OV. µ116hi 1eatEuxou · 1tavta taKEivou vocEi.
(533-6) In diesem Fall scheint Euripides eine bestimmte „Quelle" im Sinn zu haben, der Orest diese Information verdanken kann, nämlich 6 551h-60, wo Proteus dem Menelaos berichtet, daß Odysseus sich noch gezwungenermaßen bei Kalypso aufhält. 319 WEIL und PLATNAUER sind der Auffassung, 320 Menelaos habe diese Nachricht nach seiner Heimkehr in Griechenland verbreitet. Erstaunlich ist Orests Bemerkung navta taKEtvou vocEi (536h). Offensichtlich sind ihm auch die Vorgänge in lthaka, d. h. Penelopes Beclrängung durch die Freier, bekannt. Euripides verläßt sich hier auf die Homerkenntnis des Theaterpublikums. Orest hat gewissermaßen eine „metamythische" Quelle, eben die Odyssee. Die kurze Erwähnung Achills enthält ebenfalls eine abwertende Note: 321 lcp. Op. lcp.
0in6oc 6' otf\c N11pi\t6oc ECtl 1taic en; A.E1Ctp' €"(11µ'E.VAuli6t. OU1C fcnv · aU.COC OOA.layap, ci>c icaclV ol 1te1tov86tEC.
(537-9) [...])" (mit Lit.). Vgl. Strab. 14, 1, 27; Tzetz. in Lycophr. Alex. 427-30 ( 157, 16 SCHEER); Nosten,fr. 0 13 (=/r. dubium) BERNAB~: "(I) HERODT. 3, 91 a1to 6t no VT1tt1eou~ 1 AtulCTlV 1eat' a1m1v evt~ Eu;Eivou 1t6pou. For races run there by the ghosts of Ach. and other dead heroes cf. Schot. Pi. N. 4. 79 1eal 6poµou~ nvfu; 6tt1CVUOU(J\ 6ux ta 'tO\l ~p~ yuµvciata."
4. Helena
115
sammenhangs ausgestaltet ist. Sie ähnelt indessen darin dem Orestes und der ersten Hälfte der Helena, daß man hier wie dort (wie noch zu zeigen sein wird) den Eindruck hat, die Personen seien sich stets bewußt, in einer ,,Nachkriegszeit", nämlich nach dem troischen Krieg, zu leben. Dieser Krieg bestimmt den Horizont ihres Denkens, nicht nur in chronologischer Hinsicht. Mehrfach wird nach griechischen Helden und besonders ihren Schicksalen seit Trojas Fall gefragt. Iphigenie befindet sich ja wie Helena weit weg in der Fremde und ohne alle Kunde von der Heimat. Die Ereignisse, durch die die Vätergeneration der Protagonisten geprägt wurde, ziehen auch die Nachkommen noch in ihren Bann. Sogar der tragische Konflikt, den sie zu bestehen haben, ist im weitesten Sinn eine Folge jenes Kriegs. Dieses kausale Denken - Helena ist schuld, die Götter und das Schicksal sind schuld, ohne den Krieg wäre alles anders gekommen, Agamemnon wäre nicht ermordet worden usw. - findet sich schon in der 1/ias.
4.HELENA 4.1. ILIAS-NACHWIRKUNG
4.1.1. Der troische Krieg in der Helena Die Helena gilt als das Musterexempel für Euripides' Manier, frei mit dem überkommenen Mythos zu verfahren und in einen traditionellen Handlungsrahmen ein hohes Maß an Innovation zu pressen. Freilich bedeutet gerade hier Innovation auch wieder Anschluß an bereits Vorhandenes, wenn auch Abgelegenes. Der Kern der von Aristophanes verspotteten 1ea1vo'toµ{a (s. Thesm. 850), die Eidolonversion des Helenamythos, derzufolge die echte Helena niemals nach Troja kam und der gesamte Krieg nur um ein Schattengebilde geführt wurde, war gerade nicht Euripides' eigene Erfindung, doch wird der (hesiodeisch- )stesichoreische Mythos 323 kaum jedem Theaterbesucher geläufig gewesen sein. Im folgenden soll nicht der Versuch einer Gesamtinterpretation des Stücks unternommen, sondern - im Sinne der übergeordneten Fragestellung dieser Arbeit - gezeigt werden, wie Euripides in der Helena auf so vielfältige Art episches Stoff- und Motivgut berücksichtigt wie in vielleicht keiner anderen Tragödie. Wie in der Elektra hat der Dichter auch hier in größerem Umfang eingesetzte Homeranspielungen wie eine Folie großen Teilen seines Dramas unterge323 Siehe Hes.fr. 358 MERKELBACHIWEST; Testimonien für Stesichoros' Palinodie: Plat. Phaidr. 243a-b, Pol. 586c; Ep. 3, 319e. - Siehe ALSINA CLOTA, .,Helena", 384391.
116
II. Euripidcs, die Odyssee und die Nosten
legt und damit - zumindest in dezent andeutender Weise - eine Art homerischer Atmosphäre geschaffen. Im Fall der Elektra hatte die auf Ithaka spielende zweite Odysseehälfte mit ihrem ländlichen Rahmen das Vorbild für die Szenerie auf dem Gehöft des autoupy6c geliefert. Bei der Helena, deren Schauplatz im exotischen Ägypten liegt, scheint es nicht zum wenigsten die erste Hälfte der Odyssee mit ihren zum Teil „wunderbaren" Fahrtabenteuern gewesen zu sein, die dem Dichter vor Augen stand. Diese Feststellung ist keineswegs neu; vor allem STEIGER und E1sNERhaben sich ausführlich mit der Homerimitatio in dieser Tragödie beschäftigt. 324 Eine Zusammenstellung aller mythologischen Anspielungen in der HeJena liefert einen erstaunlich breiten Ausschnitt aus denjenigen Dichtungen, die der Autor und seine Zeit unter dem Verfassemamen 'Homer' subsumierten. Neben /Lias und Odyssee hat Euripides auch die Kyprien und die Nosten benutzt; daneben finden sich vereinzelte Mythologeme aus der Kleinen llias und der lliupersis. Dieser summarische Befund, der hier vorweggenommen sei, überrascht nicht. Betrachtet man den Inhalt der Helena, so wird sofort deutlich, daß keine andere Tragödie des Euripides von ihrer Anlage her so gut geeignet ist, wie in einem Aufriß die wichtigsten Fakten des epischen Kyklos widerzuspiegeln. Einerseits ist sie, sagenchronologisch gesehen, im stofflichen Zusammenhang der Nosten plaziert und thematisiert somit einen Teil der Konsequenzen des troischen Kriegs, andererseits präsentiert sie mit der schuldig/unschuldigen Helena des Unheils. Die Protagonistin und der Chor der die (personifizierte) apX'l cpi> •.at yuva'i1etc rekapitulieren mehrfach die aus den Kyprien bekannte unselige „Affäre" mit Paris, und die notwendig un-informierte Helena wird durch ihre Konfrontation mit dem „Kriegsopfer" Teukros und später mit ihrem Mann über die Folgen ihres Fehltritts und deren Ausmaß in Kenntnis gesetzt. Der Reiz des Stücks liegt nun nicht zum wenigsten darin, daß diese durch eine pessimistische Retrospektive hervorgerufene kyprisch-iliadische Düsternis mit der lichten, hoffnungsfrohen Odyssee- und NostenThematik der Wieder- und Heimkehr verquickt ist. Der Dichter setzt das Heimkehr- bzw. Ankunftsthema - also das ,,Nostos-Schema" - sogar zweifach ein: zuerst bei der Ankunft des totgeglaubten Menelaos und dann bei der glücklichen Flucht des wiedervereinigten Paars. Dadurch wird der endgültige Nostos nach Argos eingeleitet und so der Handlungsverlauf in die traditionelle Bahn des alten Mythos gelenkt. Es soll hier aber keinesfalls behauptet werden, daß der „odysseische Optimismus" den „iliadischen Pessimismus" völlig verdrängt. Im folgenden geht es um diejenigen Stellen in der Helena, an denen vom troischen Krieg und seiner Vorgeschichte die Rede ist. In einem ersten Teil 324
STEIGER, ,.Helena"; E1sNER, ,,Echoes".
4. Helena
117
wird dabei eine sagenchronologische Perspektive zugrundegelegt (vom Stoff der Kyprien bis zu dem der lliupersis); in einem zweiten, prosopographisch ausgerichteten Teil werden Helena und Menelaos und ihre Erlebnisse behandelt. Die ausführlichste Besprechung der mythischen Vorgeschichte325 des Kriegs findet sich naturgemäß im Prolog. Helena erzählt:
[...]
~A.9oy tpEtc 0Eal Kallouc Jttpt 'Iöaiov ic ICEu0µrov''AM~avöpov 1tapa, "Hpa Ku1tptctE ÖtoyEVTJC tE 1tap8evoc, 0eÄ.oucatÖta1tEpavac8a1ICptclV. µopcp11c ' ' S:' .!.'\'\ __ '\l. , touµov uE ICUJ\JWC.., El' ICa,wv tO's:uUCtUXEC, Ku1tptc1tpOtEivac.cix:'AM~avöpoc yaµEi, VllCµata. 'lfUxat
50
öeJtOAA.alÖt' eµ' EJtlC1Caµavöpio1c
poaictV e0avoV• fl ÖEJtlQC e~eÄ:flMµalx8ovoc. ''.I.' " ., , !:.' .l A..{.'l'l.. , 'tAT'lµA.flClV'A8,ivac A.aµ•
l3ave1,Aiac ö' eµµaV'ICyevoµevoc 'tflVte A.eiav'tO>V 'Axa1ii>vA.uµaivna1 KO.\EUU'tOV avaipti (Prokl., Z. 208-210 SEVBRYNS).
fr. 4, 7f. BERNABt(= 1, 7f. DAVJES)(Podaleirios hat Aias' Wahnsinn als erster diagnostiziert). 355
4. Helena
125
Aithiopis3 56 fand, in der Ersten Nekyia der Odyssee dagegen ausgespart bleibt (Ä 543-67), wird von Euripides (in Helenas Frage 97) nur angedeutet. Teukros geht dann nicht mehr darauf ein; Vers 102 klingt für sich genommen eher so, als hätte Aias sich aus Kummer das Leben genommen. KANNICHT bemerkt treffend: „In µavmu (,in einem Wahnsinnsanfall?') wird zwar die schon epische (Proclus Chrestom. p. 106, 22-3 ALLEN) und dann sophokleische Motivierung mitberücksichtigt; aber der explizierende E1tEl-Satz zeigt, daß schon in µaviVTa die aufgeklärte Beurteilung des Selbstmords gemeint ist, wie sie erstmals Eur. seine Personen äußern läßt[ ...). [...) - Es ist also eine sicher erstrebte poetische Pointe, daß Hel., die hier den Selbstmord des Aias spontan als einen Akt empfindet, der nur in geistiger Umnachtung begangen sein kann, wenig später selbst den genau motivierten Entschluß faßt, sich das Leben zu nehmen (267-305 ➔ 348-59)." (Hel., II, zu 97, mit Lit.)
4.1.2. Helena Helenas mythische Biographie läßt sich aus den verstreuten einschlägigen Angaben im Stück vollständig gewinnen. 357 Man erfährt von ihrer Heimat Sparta, ihren sterblichen Eltern Tyndareos und Leda und von ihrer Zeugung durch den göttlichen Vater Zeus. 358 Mehrfach werden ihre Brüder, die Dioskuren, erwähnt, die am Schluß als dei ex machina erscheinen. Schon an diesem Punkt der Bestandsaufnahme von Angaben zur Helenabiographie wird die das ganze Stück durchziehende Tendenz deutlich, das Ausmaß der negativen Auswirkungen ihres Fehltritts, den alle Welt für absichtlich begangen hält, als möglichst groß darzustellen. Von Leda heißt es an drei Stellen, sie habe aus Kummer Selbstmord verübt; dafür findet sich nirgends sonst ein Beleg. 359 Das gleiche Motiv führt Euripides auch für die 35 6 [ ••. ]
,cal xepl tci>v 'Ax1U.fox ÖXMl>v'06uccEi ical Afovn ctanc tµxi1ttt1 (Prokl., 202f. SEVBRYNS). 357 Für das Weitere siehe die mythologische Übersicht unten S. 247f. 358 Zusammenhängend werden die aufgezählten Grundfakten im Prolog von Helena selbst angeführt ( 16-22•): ilµiv 6i yi\ µev xatpk OUIC avmvuµoc C1tCXP'tT), 1tO"CT\P 6i TuvoopEO>C· EC'tlV6e 6il M'fOC'tlC V, Ei cacp'lc 'toc¼oc · 'EÄ.ivll 6' idT18'tv. [... ] 359 Siehe KANNICHT, Hel., Il, zu 13~: ,,Ledas Selbstmord ist mit hoher Wahrscheinlichkeit von Eur. zu dem Zweck erfunden, die Last der von Hel. schuldlos verschuldeten ,caiccizu vergrößern (s. u. 199-201. 218. 280-1. 686-7 [...))".
z.
e;expa;'
II. Euripides. die Odysue unddie Nosten
126
Dioskuren ein. Teulcros berichtet der Helena, daß es über das Schicksal ihrer Brüder zwei gegensätzliche ¼ot gibt: Apotheose und 1Ca'tactEpicµ6c oder Selbstmord aus Kummer über den Selbstmord Ledas (137-42). Der zweite ¼oV Kac'topa 8' bt1t66aµov 1Ca1. Jt'U~ aya8ov TioÄ:u6EUKEa t
,
,
,
,
,
f.1Tl't11P· i\ oux EC1tec8rtvAa1et:6aiµovoc i~ ipa'tElvtlC, i\ 6Et>pcoµev EJtOV'tOVEECC'EVl1tOV't01tOpolCl, vüv at>'t' O'UKi8EM>Uelf.10:XTlV 1Ca'taooµEValav6pö,v aicxt:a 6t:1616'tt:c1ea1.6vd6ro 1t6U' ä µoi icnv. "Oe cpa'to, 'tOUC6' ,i6'11ea'tEXEVcpud~ooc ata iv Aa1et:6aiµovt at>8t cplATlliv 1ta'tpi6t yaiT1t. aU't01Call"fV11'tCO, 'tCOµ01 µta "fElVa'tO
240
Die Reihe der ,,Daten„ zu Helenas Leben setzt sich fort. Acbill war einer ihrer Freier (dieses wohl vom Dichter erfundene Motiv war bereits genannt worden) 361; sie heiratet Menelaos und verläßt ihr Elternhaus; sie verfügt in Sparta über große Reichtümer; ihre Tochter Hermione ist noch unverheiratet. Schließlich wird sie Menelaos (angeblich) untreu und verrät ihn; sie verläßt Haus und Gatten und fährt (angeblich) nach Troja. Sie wird allerdings wieder heimkehren und vergöttlicht werden. Der Hauptakzent der Helenas Person betreff enden Aussagen im Stück liegt auf dem Umstand, daß sie die cipXT11Ca1eii>v ist und folglich in einem unsäglich schlechten Ruf steht. Das zweite Moment steht in direktem Zusammenhang mit der Grundlage der ganzen Tragödie, derzufolge die Schuld Helenas keine echte ist. 360
Siehe KANNICHT, Hel., 11,zu 137-42: ,.Die Möglichkeitihres [seil. der Dioskuren] Selbstmords ist von Eur. aus dem gleichen Grund erfunden worden wie der Selbstmord Ledas (vgl. u. 204-9.219-20. 284-5): allerdings läßt sich in diesem Fall, wie es scheint, in Horn. r 236-42 die Quelle erkennen, die ihn zu seiner Erfindung angeregt und legitimiert hat: als Hel. bei der ,Mauerschau' ihre Briider unter den griechischen Helden vermißt, vermutet sie, sie seien vielleicht nicht in den Kampf gezogen afoxea 6tl6untc 1Calovd6ea 1t6U', ä µo{ ia-nv. Der Dichtertrlgt dann 243 nach, daß sie zu dieser Zeit schon tot waren." - Der Tod der Dioskuren ist wahrscheinlich schon für die Kyprien vorauszusetzen; siehe KuLLMANN,Quellen, 254f. 36 1 Siehe oben S. l 23f.
4. Helena
127
Von allen Helenagestalten, die Euripides auf die Bühne gebracht hat, nimmt die Protagonistin dieses Stücks eine Sonderstellung ein. Das liegt nicht primär an den singulären stofflichen Implikationen des Eidolon-Plots, sondern vielmehr an ihrem Ethos. In den Troades begegnet Helena als eine souveräne Heroine, die kühl und rational Apologetik sophistischer Prägung zu handhaben weiß. Im Oresteserscheint sie nur in einer kurzen, aber dafür ungemein andeutungsvollen, ja doppelbödigen Szene, in der vor allem ihre weibliche Schwäche und Eitelkeit betont werden.362 Von alldem ist hier nichts zu spüren. Helenas Entsetzen über die Auswirkungen ihres Pseudo-Fehltritts scheint sich mit ihrer Besorgnis über ihre sachlich unbegründete Verrufenheit die Waage zu halten. Diese Helena mit ihrem (wegen der Eidolonversion notwendig ambivalenten) Schuldbewußtsein ist mit einer psychologischen Differenziertheit gezeichnet, wie sie sich vergleichsweise nur in der llias findet. Die für die Helenagestalt der /Lias so wichtige Teichoskopieszene war bereits als mutmaßliche Quelle für ein mythisches Detail (Tod der Dioskuren) erwähnt worden. Auch in der /Lias dominiert das Schuldbewußtsein Helenas, 363 allerdings gekoppelt mit dem Gefühl der Scham. 364
4.1.3. Menelaos Die Deutung der Menelaosgestalt 365 gehört zu den schwierigsten Problemen, die dieses Drama zu bieten hat. Überwiegend wird sie eindeutig 362
Siehe unten S. 174-187. Siehe besonders die berühmte Selbstanklage r 173-6: ox:~EM:V 86:vat6c µol a6tiv ICalC()( 01t1tOtE6tupo uie'l CCOl E1tOµTJV 8a:MXµovyvcotO'l>C tE >..l1tOuca xaiM 'tE tt1>..uyitt1vicai. oµt1>..l1Cl1'1V epatElVTJV. ciU,a ta y' O'UIC eyevovto· to icai. ICAalOUCa 'tttTJKa. Auch die berühmten Worte des Priamos r 164f. thematisieren die Schuldfrage: oü ti µot aitit1 icd, 8eoi vu µol ainoi EiclV / o'i µol ecpCDpµTJcav 1toMµov no>..u6aicpuv 'Axatci>v. Helena klagt in der llias nicht nur sich selbst an er 173-6, Z 344-8 u. 356, n 764; vgl. r 180 [icuvcmn6oc) und 404 [ctuyEpTJV}),sondern auch die Götter er 400-9 [Aphrodite), Z 349 u. 357). 364 r 410-2 (aus Furcht vor dem Tadel der Troerinnen weigert sie sich, zurück zu Paris zu gehen) und 242 eaicxea 6El6louc icai. övEi6Ea xoll' ä µoi ecnv. [s.o.)). 365 Die in der Helena erscheinenden Angaben zu Menelaos' Biographie betreffen naturgemäß im wesentlichen seine Doppelkarriere als Trojakämpfer und Spätheimkehrer (siehe die mythologische Übersicht unten S. 248f.). Der Nostenteil, der bereits in einem anderen Rahmen ausführlich behandelt wurde (siehe oben S. 46-49), soll später besprochen werden. Hier interessieren zunächst nur des Atriden Erlebnisse bis zur Iliupersis. - Zu Menelaos in der Helena und allg. bei Euripides siehe z.B. J. NEUMANN, 363
128
II. Euripides, die Odyssee und die Nosten
negativ beurteilt. In der Tat legt der erste Eindruck. den Menelaos mit seiner Auftrittsrhesis und in der darauffolgenden Szene mit der alten Türwächterin macht, das Urteil nahe, Euripides habe mit ihm nichts weiter als einen eitlen und prahlerischen Menschen auf die Bühne gebracht. Es fällt schwer abzustreiten, daß zwischen dem Ruhm des Menelaos als Heerführer und Trojasieger, auf den er mehrfach hinweist, und seinem Auftreten als mittelloser und abgerissener Schiffbrüchiger und vor allem seiner schmachvollen Abweisung durch die ypaüc ein auffälliger Kontrast besteht, aber man scheint Euripides nicht gerecht zu werden, wollte man ihm, wie es oft geschehen ist, nichts als destruktiv-parodistische Absichten unterstellen. Karin ALThat in einem feinfühligen Aufsatz auf die herb-realistischen Züge in der Menelaosszene hingewiesen, die ernst zu nehmen durchaus erlaubt ist. 366 Man kann zu Recht behaupten, daß der Theaterbesucher sich wirklich über die Odyssee-Assoziationen und die Komödienanklänge amüsieren konnte, wird aber auch „nicht vergessen dürfen, daß die Hel. ein Jahr nach dem Scheitern der sizilischen Expedition [ 16:] aufgeführt wurde, als man in Athen vielleicht über schiffbrüchige Generäle nicht nur lachen mochte ...367 Menelaos ist differenzierter zu beurteilen, als man dies vielfach zu tun pflegte. Euripides stellt ihn eher bedauernswert als lächerlich dar. Auch seine sogenannte Prahlerei ist vielschichtiger, als es zunächst aussieht. Eines der auffallendsten Dinge ist, daß von Agamemnon fast nirgends im Stück die Rede ist. Menelaos tritt augenscheinlich als der alleinige und oberste Heerführer der Griechen auf, dem allein der Ruhm der Eroberung Trojas zukommt. Euripides bezweckt damit folgendes: In Menelaos verdichten und vereinigen sich gewissermaßen alle positiven und negativen Folgen des großen Kriegszugs gegen Troja. Die Wiedergewinnung Helenas bzw. des Eidolons betrifft ihn nur in seiner durch die Tradition vorgegebenen persönlichen Sphäre. Hier in der Helena wächst er, der angeblich lächerliche Prahler, zu einem größeren Format heran. Nach den Nosten und dem Bericht in y6 der Odyssee muß zwar auch Menelaos lange Irrfahrten erdulden, aber der libysche Periplus, soweit man ihn rekonstruieren kann, 368 verläuft im wesentlichen recht angenehm und verschafft Menelaos viele Güter, in deren Genuß er in der Odyssee anzutreffen ist. Die unmittelbare physische Bedrohung eines Schiffbruchs scheint ihm erspart geblieben zu sein. Euripides macht hier offenkundige Anleihen bei der Odyssee - sie werden im einzelnen noch aufzuzeigen sein -, und dies kaum bloß in parodistischer Absicht. Menelaos und Helena in den Dramen des Euripides, Progr. Zittau 1893, 15 und passim; P. MASQUERAY, ,,Agamemnon, M~n~las,Ulysse dans Euripide", REA 6 ( 1904), 173-204, hier 181-195; GHALI-KAHIL, enlevements, 136f., 139f. u. 300.
ALT,,.Anagnorisis". ALT,,.Anagnorisis", 15f. 368 Siehe oben S. 38f.
366
367
4. Helena
129
An einer Stelle erwähnt Menelaos indessen doch den Bruder, und zwar in seiner Auftrittsrhesis (386ff.). Ein Detail der mutmaßlichen Textgestaltung kann dort als Beleg dafür gelten, daß das fast vollständige Schweigen über Agamemnon in der Helena nicht den Zweck haben kann, die Prahlerei des Menelaos' zu potenzieren und diesen dadurch umso größerer Lächerlichkeit preiszugeben, sondern vielmehr „dramaturgisch als Folge der poetischen Ökonomie" 369 erscheint, ,.da die Helena mit strenger Ausschließlichkeit als Helena-Menelaosdrama konzipiert und durchgeführt ist" 370• Interpungiert man wie etwa MuRRAYin seiner Oxoniensis 371 hinter JCÄ.E\vov ~uyov in V. 392 nur schwach, so würde die im folgenden Vers mit yap eingeleitete Begründung sich eben darauf beziehen. Menelaos würde dann den Heerführerruhm seines Bruders offenkundig ignorieren und alles für sich in Anspruch nehmen. yap begründet indessen „den µ11-q,uvcx1Wunsch 386-92 mit dem gesamten Aussagenkomplex 393--400ff.: ,denn ich glaube - und das ist keine Prahlerei - es ist das größte Heer gewesen, das ich zu Schiff hinübergeschafft habe nach Troja, ... und den einen Teil kann man (inzwischen längst) als nicht mehr am Leben zählen, den anderen als dem Meer glücklich entronnen (und) mit den Namen der Toten (heimgekehrt) - nur ich Armer muß noch immer über das Wellenmeer der dunklen See dahinirren ... '[ ...]." 372 Die ganze Argumentation dient also einzig der commiseratio. 373 KANNICHT weist überdies richtig auf die Odysseepassage ex 11--4 hin, die Euripides hier anklingen läßt: "Ev0' CV\.M)\µev Jt(lV'tEC,ÖCotq,uyov (ltJtUVÖÄ.E0pov. 011CO\ eccxv.JtoÄ.Eµov1:EJtEq>EUYO'tEC ,;6e 0aA.acccxv. 1:0V6' olov, VOC'tOU 1CEXP1lµEVOV ,;6e yuvcxucoc, vuµcp11JtO'tV\' epU1CE KcxÄU'lfW [... ) Mag man Menelaos auch nicht ganz von dem Vorwurf des 1Coµ1tocfreisprechen können, so muß man ihm doch auf der anderen Seite zugute halten 369
KANNICHT, Hel., II, zu 395-6. Wie oben Anm. 369. 371 G. MuRRAY (Hg.), Euripidisfabulae, t. III, Oxford 2 1913, Ndr. 1954 [11909]. 372 KANNICHT, Hel., II, zu 393-401. Ebenso faßt DALEdie Stelle auf: ,.lt [seil. yap) carries through in effect to 407, a miserable sequel to so much glory" (Hel., zu 393). 373 Vgl. KANNICHT, Hel., II, zu 395-6: .,Die sachliche (oder mythologische) Voraussetzung für das ic o a 1 v äp!;m ist die Verpflichtung der Freier Hel.· s (also praktisch aller PaatAi\~Griechenlands) durch den Eid, den sie dem Tyndareos geleistet hatten (Hes. fr. 96, 40-9 Rz. [ = fr. 204, 78-87 M.-W.]. IA 51-85). [...] Im vorliegenden Kontext hat die apologetische Aussage des Men. über sich selbst die argumentative Funktion, implizit nachzuweisen, daß sein Schicksal, als einziger Überlebender noch immer nicht heimgekehrt zu sein, unverdient ist." 37 0
e u
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II. Euripides, die Odyssee und die Nosten
müssen, daß er sich der Verantwortung als Heerführer und der aus dieser Position erwachsenden moralischen Verpflichtung bewußt ist. 374 In 832ft'. beschließen Helena und er für den Fall, daß Theonoe ihnen ihre Mithilfe verweigert, gemeinsam Selbstmord zu begehen. Helena legt Wert darauf, daß bei dem Freitod die 66;a nicht zu kurz kommt (1tmc ouv 8avo-6µ.e8' Ö>cte1ea1.66;av MXßeiv: [841]). Damit hat sie ihren Mann auf den Nerv des Kriegerstolzes getroffen (siehe 845). Dem Freitod will er einen Zweikampf um Helena vorausgehen lassen, damit implizite voraussetzend, daß er siegreich aus demselben hervorgehen wird (843-50; vgl. 977ff.): 1tpii>tov6' a:yrova µeyav ay0>vto-6µE8a Äl1C'tpmvi>1tepcrov · o6e 8ü.mv itm 1tü.ac. 'tO Tp0>t1COV yap O'U1Catatcxuvro 1CMOC ou6' 'E).).a6' eA8rov Afl'f'Oµat JtOA.UV 'l'O'YOV, öcttc eenv µev ectePflc • 'AvUf.mc, Tdaµa,v(ou 6' Alavtoc eicei6ov ccpayac 'tOVN11Umc't. cua16a.6ta 6e 'tTlV.iµ~v O'U1C a;tcocO> 1eat8aveiv ooµapt' eyco;
845
850
Nirgendwo sonst im Stück findet sich eine so offensichtliche Bezugnahme auf die homerischen Epen. Zunächst stammt das Zweikampfmotiv aus dem der llias. Menelaos will sich dem potentiellen Ehebrecher Theoklymenos genauso stellen, wie er in der llias mit dem tatsächlichen Ehebrecher Paris kämpft. Sodann hält er sich bei der Angabe seiner Beweggründe - er will nicht deshalb in Schande geraten, weil er nicht für seine eigene Frau zu kämpfen bereit ist, während führende griechische Helden für sie in den Tod gegangen sind - klar an den Katalog der äptctot, den Nestor in der Odyssee in y 108-12 gibt:
r
[... ] ev8a 6' eJttl'ta 1CO'tt1C'ta8ev ÖCCOlÖptc'tOl. ev8a µev Afac: 1CE\'t0l'Ap11i:oc,ev8a 6. 'Avll,ric, ev8a 6e ßcrtpodoc, 8eocptv µ11ct0>p(X'tCXMXV'tOC, ev8a ö' eµoc cpiA.ocuioc, äµa 1epatepoc 1Cataµ-6µmv, 'AV'tU.oxoc, 1tEpl µev 8eietv taxuc ,i6e µax,rrftc ·
110
Vielleicht hat bei der Umschreibung des Antilochos (tov NT1MO>C t' ä1tat375 6a, 849) die Aithiopis nachgewirkt. Die herausragende Rolle, die Antilochos dort spielt, machte ihn für die spätere Tradition zum bekanntesten Sohn Nestors. 376 Hier kommt es aber vor allem darauf an, daß Menelaos 374 375 376
Vgl. die Odysseusgestalt im Kyklops (unten S. 215). Siehe DmGLESApparat: ..N11Aic.oc Musgrave: &,,cec.oc L". Siehe KANNICHT, Hel., II (zu 847-50): .,die von MusoRAVE und LENTING gefunde-
4. Helena
131
sich in gewisser Weise für den Tod von Achill, Aias und Antilochos verantwortlich zu fühlen scheint.
4.2. NOSTEN- UND ODYSSEE-NACHWIRKUNG
Die Helena zählt zusammen mit der Elektra, dem Orestes, der Andromache und dem Kyklops zu den euripideischen Stücken, die von ihrer stofflichen Grundvoraussetzung her dem Sagenbereich der Nosten angehören. Die Personen des Teukros und des Menelaos, als irrf ahrende und „heimkehrende" Trojakämpfer eingeführt, evozieren die jüngste Vergangenheit (d. h. die Ereignisse des troischen Kriegs) und fungieren zugleich als Repräsentanten des „Nostos der Achaier", des letzten Kollektivereignisses der griechischen mythischen Geschichte. Die Helena ist nun freilich gerade keine konventionelle Nostenepisode. Aus der Sicht des Menelaos stellen die Ereignisse des Stücks mehr als bloß den Abschluß seines libyschen Periplus und den Auftakt zu seinem endgültigen und erfolgreichen Nostos nach Nauplia dar. Aufgrund der stesichoreisch-herodoteisch-euripideischen Mythenversion fällt für Menelaos durch die Wiedergewinnung seiner Frau, die die Stelle des aus Troja mitgebrachten Eidolons antritt, gewissermaßen die glückliche Beendigung des troischen Kriegs durch eine zeitliche Verzögerung mit der Schlußetappe seines Nostos zusammen. Die von Euripides durchgeführte 1ealvo-toµia hat auch für den Wissenshorizont der Helena Konsequenzen. Aus ihrer Prologrede erfährt man, daß sie vom troischen Krieg mit seinen furchtbaren Folgen sowie von ihrer eigenen Verrufenheit weiß (woher, bleibt unklar) und überdies von Hermes über die Möglichkeit einer glücklichen Heimkehr mit Menelaos nach Sparta informiert wurde. Von der Beendigung des Kriegs und der Zerstörung Trojas erfährt sie indessen erst aus Teukros' Mund. Die Ereignisse der llias und ihre mythischen Voraussetzungen werden vor allem in der ersten Hälfte des Stücks thematisiert. Durch die rekapitulierende Evozierung dieser Ereignisse wird gewissermaßen der Anschluß an die Gegenwart erreicht und der Blick auf das ne Emendation des überlieferten tov 8iiatox; 'tE 1taiöa ist evident, ( 1) weil die Theseussöhne Akamasund Demophon nicht unter den Opfern des Trojanischen Krieges waren, (2) weil sich Men. ersichtlich an Nestors Katalog der aptatot hält (y 109-12: Achilleus und Aias, Patroklos und Antilochos). cuat&xist allerdings nicht wörtlich zu nehmen; denn nach dem Tod des Antilochos hatte Nestor ja immer noch sechs Söhne (Horn. y 4 I 2-5 [Thrasymedes (K 255. IT 321) war aus dem Krieg heil heimgekehrt]). Aber Antilochos war eben durch seinen Opfertod (Procl. Chrestom. p. l 06, 4-5 ALLEN[...]) sozusagen d c r Sohn des Nestor geworden: Phil. 425-5 (Neoptolemos über Nestor) ICE\V~ YE Kptl'ta(E 130); vgl. Tl 252f.: ai>'tap fym 'tpolnY ay,cac Umv VEOC aµcp\EA.\CCTIC / evvfiµap cpEj)OµTIV · [...]
389a'Utap '06ucctue / ciµcp' EVl 6oupa'tl paivt, ICEA.118' ci>c'(1t1tOV EA.a'UV(l)V (E 370f.). 390'tOVa' äp' EK\-rp6,noc VEOC eicPmt1JC(l)V ECyaiav [...] (t 278f.). Vgl. Euripidis Tragoediae, rec. et commentariis instr. R. Kurrz, Vol.111, Sect. II continens lphigeniam Tauricam, Gotha/Erfurt 1860 (Bibliotheca Grtl!ca [...}; A. Poetanun vol. XII. continens Euripidis Tragoediarum vol. III, Sect. II; ed. A. /. E. Pjluglc,et R. Klotz), z. St. 391 Weitere Erwähnungen der Höhle finden sich in 573 und 607. 392 Siehe hierzu J. A. HARTIJNO, Euripides restitutus, 2 Bde., Hamburg 1843/44, Bd. 2,328.
136
II. Euripides, die Odyssee und die Nosten
nach Hilfe und Lebensmitteln (428f. und 432f.) die Bekanntschaft einer Frau, was für ihn indessen ein weit unangenehmeres Erlebnis darstellt als für Odysseus die Begegnung mit Kirke. Es handelt sich um die zänkische alte Türhüterin, die Menelaos eine herbe Abfuhr erteilt. In keiner anderen Szene des Stücks hat man eine so pointierte Odysseeparodie festgestellt. Es beginnt mit Menelaos' äußerer Erscheinung. 393 Sein Auftritt als zerlumpter Schiffbrüchiger gehört ohne Zweifel zu den deutlichsten motivischen Anlehnungen an die Odyssee. 394 Man kann sogar eine Art von Motivkombination feststellen. Bei Menelaos sind die unterschiedlichen Funktionen vereinigt, in denen das Motiv in der Odyssee vorkommt. Odysseus erscheint zweimal in physisch (negativ) verändertem Zustand. Auf Scheria tritt er als nackter Schiffbrüchiger auf; sein Erscheinungsbild spiegelt seine augenblickliche Mittellosigkeit wider. Auf Ithaka zeigt er sich als Bettler; die beabsichtigte, mit göttlicher Hilfe (Athene) bewerkstelligte Verkleidung ist Bestandteil, ja Voraussetzung der Intrige, die auf die Restitution des Heimkehrers Odysseus abzielt. Der in Lumpen gehüllte Menelaos, Überlebender einer Schiffskatastrophe, erinnert in seiner Situation primär an den Odysseus auf Scheria. 395 Natürlich kann ihn Euripides nicht so auftreten lassen wie sein episches Vorbild am Strand, nämlich nackt. Die durch das Lumpengewand bewirkte äußerliche Unkenntlichkeit wird für die anschließende Intrige gegen Theoklymenos dienstbar gemacht. Die eine Motivvariante mündet also übergangslos in die andere ein. 396
393
Zu Menelaos' Äußerem siehe 544f., 554, (567!), 1079f., 1081 (?), 1204, 1282, 1297, 1382. Vgl. DALE,Hel., zu 422: ,,one would like to know just what the audience saw Menelaus wearing. Aristophanes at least (Thesm. 935 civ11pian6ppacpoc;) took it as cobbled-up bits of sail, but the costume of his Eur.-Men. was doubtless much more striking, and we do not know how far a tragic actor could go in this respect. The emphasis on Menelaus' odd appearance (554, 1204) may have been needed to keep the matter sufficiently before the audience' s attention." 394 Zu berücksichtigen ist auch, daß die Szene den Palast des Theoklymenos darstellt (siehe 430-2: iorov OEOÖ)µa7tEplCpEpEc 8pl'y1Coict60E / Jt'l)A.a( tE CEµvac civopoc oA.ßiounvoc / 1tpoc11Ä8ov ·) und somit ein ähnliches Lokal wie auf Ithaka (Palast des Odysseus) gegeben ist. 395 Menelaos schämt sich seines Äußeren (415-7, 421 [vgl. 12041); siehe ~ 178. 396 In den anderen Heimkehrstücken des Euripides läßt sich das Verkleidungsmotiv kaum identifizieren. Orests Inkognito (CROPP spricht von einer „Odysseus-like protection of his identity" [,,Odyssey", 193]) in der Elektra wird bisweilen als deplazierte Odyssee-Nachahmung gewertet (MATTHIESSEN, Spiitwerk, 121; LESKY,Trag. Dicht., 396). Seltsam mutet der Versuch CROPPS an, das Verkleidungsmotiv auch im Heralcles wiederzufinden (,,Odyssey", 192). Herakles sei zwar nicht äußerlich verkleidet, mache aber eine Persönlichkeitswandlung vom Retter zum Zerstörer durch und schlüpfe im Wahnsinn in Lykos' Rolle. Lyssa zeige bestialisch-tierische Züge, die sonst auch dem traditionellen Herakles eigneten. Zumindest die erste Beobachtung ist richtig, jedoch
4. Helena
137
4.2.3. Die Situation der wartenden Angehörigen 397 Helena wird von Theoklymenos zur Heirat gedrängt, 398 ebenso wie Penelope von den Freiern bedrängt wird. Beide Frauen bleiben ihrem seit langem abwesenden 399 Mann treu.400 In dem Augenblick, da sie ihre Prologrhesis spricht, hat Helena noch die Hoffnung, Menelaos wiederzusehen und mit ihm zusammen heim nach Sparta zu gelangen, und zwar aufgrund der Prophezeiung, die ihr einst Hermes gemacht hat (seil. als er sie entführte) (56-8). Penelope steht im Augenblick der Ankunft ihres Mannes unmittelbar vor der Resignation. 401 Obgleich in der Odyssee die Angehörigen annehmen müssen, daß mit der Heimkehr des Abwesenden nicht mehr zu rechnen ist, wird dennoch die Möglichkeit einer erfolgreichen Rückkehr erwogen. 402 kann der Versuch, hier eine Nachwirkung der äußerlichen Veränderungen und Verwandlungen des Odysseus aufzuweisen, nur wenig Plausibilität in Anspruch nehmen. Zu epischen Vorläufern des Verkleidungsmotivs im Drama siehe den Exkurs unten S. 144-148. 397 Siehe hierzu STEIGER, ,,Helena", 203-205 u. 220; E1sNER,.,Echoes", 32-34; CROPP,.,Odyssey", 191-194, 196 Anm. 4, 197 Anm. 19, 198 Anm. 20, 21, 23, 24, 28 u. 31. 398 Theoklymenos' Anträge und Nachstellungen werden erwähnt in 48, 59-67. 123ff., 203f., 226-8 (allg. Menelaos' Tod!), 294-7, 314, 541f., 551f., 666-8, 783-93, 807, (833), 1185, 1643 (sein Anspruch auf Helenas Hand). - Siehe die Überlegungen zum Persephone-Mythos von D. B. Roe1NSON,,.Helen and Persephone, Sparta and Demeter: The ,Demeter Ode' in Euripides' Helen", in: Arktouros: Hellenic Studies presented to Bernard M. W. Knox[ .../, hg. G. W. Bowersock, W. Burkert u. M. C. J. Putnam, Berlin/New York 1979, 162-172, hier bes. 164-166; anders C. P. GoLANN, ,.The Third Stasimon of Euripides' Helena", TAPhA 76 (1945), 31-46. 399 Odysseus: 20 Jahre; Menelaos: 17 Jahre. 400 Zu Helenas Treue siehe 794-801 und 833-9. Helena weist Theoklymenos in l 229f. zurück und will Menelaos treu bleiben. In 1231-6 lenkt sie dann (zum Schein) ein. - Auch Merope im Kresphontes wird sexuell bedrängt, nicht aber Megara im Herakles (anders in Senecas HF). - In der Odyssee wird nicht allein Penelope, sondern der ganze oh:oc des Odysseus bedroht (X 51). Gegen Telemachos werden Mordpläne geschmiedet. Auch im Herakles werden alle Angehörigen des Abwesenden bedroht. Die potentiellen Helfer des Abwesenden (Freigeborene) sind in der Odyssee und im Herakles zu jung oder zu alt, um wirksam Hilfe leisten zu können. Man vergleiche auch Her. 217-21 und 272-4 mit ~ 229-40. - In der Odyssee und im Herakles sind die Usurpatoren jung und übermütig (~ 51, 96 u. passim; Her. 232-5). 401Das gleiche gilt für Megaraim Herakles (282-4, 295- 7, 307-11 ). 402 a 161-8, 195-205, 413-6; ~ 161-4, 365f. usw. Ebenso im Herakles (23-5, 97, l45f., 267f., 425-9, 490f.). Auch in der Elektra „warten" Elektra sowie der oticoc auf Orest. - In der Odyssee, in der Elektra und im Herakles wartet man auf die Wiederherstel1ung der ursprünglichen, rechtmäßigen Herrschaftsordnung und auf die Bestrafung
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II. Euripides, die Odyssee unddie Nosten
In dem Gespräch mit Teukros erfährt Helena von dem in der Heimat kursierenden Gerücht, Menelaos sei auf der Heimfahrt umgekommen ( 132);403 in 340ff. scheint sie zumindest noch einen Rest Hoffnung zu haben. In beiden Fällen liefert ein Verbannter der wartenden Frau Informationen über das Verbleiben ihres Mannes: Teukros erzählt Helena von Menelaos, Theoklymenos erzählt Penelope, Odysseus sei bereits auf Itha.ka (p 151-61). Helena, die sich nach der Hiobsbotschaft aus Teukros' Mund mit Selbstmordgedanken trägt (298-302, 404 352ff.), erhält die tröstende Prophezeiung über Menelaos' Rückkebr405von Theonoe (538; vgl. 56ff.). 406 Theonoe erinnert in ihrer Hilfsbereitschaft (und in ihrem Namen) an die Eidothea der Odyssee (6 366).407 Ein typisches Motiv des ,,Nostos-Schemas" besteht darin, daß der Ankömmling mit einer Mißachtung der Gastfreundschaft konfrontiert wird. Odysseus muß dies nicht nur auf Ithaka, sondern auch bei Aiolos (bedingt) und bei Polyphem (vgl. den Kyklops) erfahren. In der Helena erweist sich Theoklymenos, was die Handhabung der Gastfreundschaft anbelangt, als das genaue Gegenteil seines Vaters Proteus. 408 Ein untergeordnetes Motiv ist das der Warnung vor a~Evia: u 350-70 und Hel. l 627ff. der Usurpatoren. Die Rechtmäßigkeit der Herrschaft des Herakles wird in Her. 245f., 769f. und 809 betont (vgl. aber 45 und 539). - In der Odyssee und im Herakles werden die frflhere Position des Abwesenden und seine Leistungen kritisiert; die Kritiker diskreditieren sich selbst (~ 246-51; 6 332-46; Her. 151-64 ). 403 Um das Schicksal des Menelaos rankt sich ein Geflecht aus Vermutungen, Falschmeldungen und wahren Informationen, von dem das ganze Stück durchzogen ist. Sein Tod: 277-9 (Helenas Hoffnung auf Rückkehr des Gatten und Erlösung von ihren Leiden ist getäuscht), 292 (eine Heimkehr ist unmöglich), 308, 1055f., 1078, 1196, 1199, 1208f., 1216, 1287, 1289, 1430f., 1518 (Menelaos meldet seinen eigenen Tod), 1545. Menelaos lebt: 530f., 537, 1529. 404 D100LEathetiert die Verse im Anschluß an CLARK und HARTUNG (dieser [1837) nur 299-302). 405 Die Rückkehr/ Ankunft des Menelaos wird an folgenden Stellen thematisiert: 534f. und 538f. (bevorstehende Ankunft); 874, 891, 898f. (Helena); 566 und 651 (Rückkehr [aus Troja] nach vielen Jahren/nach langer Zeit). 406 Helena fragt (zusammen mit dem Chor) Theonoe, ob Menelaos noch lebt (3 l 5ff.). Vgl. Penelopes entsprechende Fragen sowie Telemachos' Nachforschungen bei Nestor und Menelaos im y und im 6. - In der Odyssee ist der Heimkehrer seinerseits vorgewamt und voller Argwohn (Ä.427-43). - Das Motiv der verheimlichten Identität ist besonders in der Elektra ausgestaltet. Orest ähnelt aber nicht nur Odysseus, sondern auch Telemachos (in der lphigenie im Taurerland weniger) (übrigens parallelisiert die Odyssee selbst den Telemachos mit Orest; siehe oben S. 89f. u. 92 und unten S. 153156, l 59f. u. 265). 407 Siehe STEIGER, ,.Helena", 223. - Im Herakles erscheint das Vorzeichenmotiv in Gestalt einer Warnung vor Lykos (596-8). 408 Bes. 44-8, außerdem 151-7, 449 u. 909ff. Vgl. Her. 2, 115.
139 4.2.4. Wiedervereinigung409 In der Helena (und nur hier bei Euripides) sind die Partner der Wiedererkennung wie in der Odyssee miteinander verheiratet. 410 In der Odyssee ('I' 107-10 und 177-206; vgl. 't 215-50) und allgemein in der attischen Tragödie erfolgt die Wiedererkennung anhand bestimmter Zeichen. In der Helena verhält sich dies etwas anders: Der Katalysator für Menelaos' die Erkennung ermöglichende Schlußfolgerung ist die Nachricht vom Verschwinden des Eidolons (605ff.).411
In der Helena und in der Odyssee geben sich die wiedervereinigten Ehepartner nach dem avayvmptcµoc einen kurzen Bericht ihrer überstandenen 1tÄavmv]; Hel. 765Mühen und Gefahren ('I' 310-40 [= Ka'taM>yoc'tOOV 71).412
4.2.5. Intrige und Restitution 413 Zur erfolgreichen Durchführung des µT1xav11µabenötigen Menelaos und Helena Unterstützung. Ihre Helferin ist Theoklymenos' Schwester Theo409
Siehe hierzu STEIGER, ,.Helena", 204f. u. 208; E1sNER,,.Echoes", 32f. Sowohl Penelope als auch Helena sind zuvor von der Möglichkeit eines civayv0>p1cµ6c überzeugt('!' 107-10; Hel. 290f.); s. u. Anm. 411. - Zur Wiedererkennung in der Helena siehe ALT, ,,Anagnorisis", passim. 411 Siehe hierzu ALT, ,,Anagnorisis", 17: .,Sonst muß die Erkennung durch bestimmte Zeichen (011µe'ia, uicµ11p1a, cruµJlA.O.) herbeigeführt werden - hier ist dies ohne Sinn, denn Menelaos und Helena werden sich sofort erkennen, wenn sie einander sehen". - Umstritten ist in diesem Zusammenhang der Aussagewert der Verse 290f.: (Helena spricht) Ei µev yap E~'l JlOC\C,civtyVcoc81iµEVäv, / Eie ;uµJlo).' ü..86vuc ä .«vepa µovo\C äv ~v. STEJoBR(,,Helena", 204) vergleicht hierzu 'II' I07b-lO: 410
Ei 6' EtEOV 6"
lct. '06uceuc ICCX\ olicov llCO.VE'tCXl, ~ µa.M. VO>l yvox:6µe9' cill11Ä.O>v ical Ä.rotov· lct1 yap iiµ'iv c11µa8·, ä 6" ICCXl VÖ>lICEICpuµµevai6µEV cix • &A.Ä.O>v. Vgl. Dn.LER, ..Erwartung", 106; ALT, .,Anagnorisis'\ 17 Anm. 2, u. 19 Anm. 2. Dt00LE tilgt die Passage Hel. 287-92 im Anschluß an Gooua. - Vgl. hierzu die Verse S78f.: EA.. cicb,a1 · 'tl CO\ 6t:i 71:lC'tEOX: caq,ecttpac; / Me. lo1icac. ~'tOl tOÜto y' l91pv11c~1. - Dazu ALT, .,Anagnorisis", 19 Anm. 2: .,Aus V. 578 ist nicht zu schließen, daß Helena Menelaos ein Mal an ihrem Körper zeige[ ...]. Der Bote 616ff. erkennt sie auch sofort, warum sollte es für Menelaos eines Mals bedürfen? Von einem Mal ist auch 290 f. nichts gesagt." (mit Lit.) 412 Vgl. MATTHIESSEN, Spiitwer/c, 142. ...,.Vgl. auch Kassandras Katalog von Odysseus' Fahrtstationen in Troad. 433-43. 413 Zur Intrige siehe SmoER, .,Helena", 207f. u. 217; EtsNER,,,Echoes", 33-35; CROPP, "Odyssey", 191f. u. 198 Anm. 23, 24, 28. Zur Restitution siehe STEIGER, ,,Hele-
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II. Euripides, die Odyssee und die Nosten
noe, die als Seherin Kontakt zur Sphäre des Göttlichen hat. Dies erinnert stark an die Odyssee, wo dem Heimkehrer bei seiner Auseinandersetzung mit den Freiern bzw. Usurpatoren von einer Göttin (Athene) geholfen wird. Auch auf seinen lrrf ahrten erfährt Odysseus den Beistand nicht nur Athenes, sondern auch weiterer (zumeist göttlicher bzw. halbgöttlicher) weiblicher Wesen (Kalypso, Kirke, Arete, Nausikaa, Leukothea). 414 Es gibt noch weitere Ähnlichkeiten in den jeweiligen lntrigenhandlungen. In der Odyssee sind die Usurpatoren zugleich Freier der Gattin des Abwesenden; in der Helena wird Theoklymenos durch ein Heiratsversprechen getäuscht (Hel. 1231-6). 415 Die Frau gibt eine entscheidende Hilfestellung bei der Überwältigung der Feinde: Penelope veranstaltet die Bogenprobe (t 570ff., cp 73-9), 416 Helena schlägt das ganze µ11xavriµa der fingierten Seebestattung vor (Hel. 1049ff.). 417 In beiden Fällen gelangen die Ehemänner durch die Intrige in den Besitz ihrer Waffen (q, 378f.; Hel. 1263, 1375ff.). Eine weitere Parallele im Rahmen der Intrigenhandlung mutet ein wenig kurios an: Sowohl Odysseus als auch Menelaos nehmen vor der Entscheidung ein Bad ('V 153-5; Hel. 1296f., 1383f.). Die Gemeinsamkeiten setzen sich in der gewaltsamen Schlußabrechnung fort. Beide ,,Heimkehrer" prüfen vor dem entscheidenden Einsatz ihre Waffen (cp404-11; Hel. 1300, 1375-81). Den Erfolg (d. h. die Tötung der Gegner) begünstigende Faktoren sind die Helfer (Odyssee: Telemachos, Eumaios, Philoitios; Helena: Menelaos' Schiffsmannschaft [siehe 1573-5]) und die ungenügende Bewaffnung der Gegner (X 21-5 [vgl. aber 139-56]; Hel. 1595-1609). Wichtig ist auch das Opfermotiv. Ein Opfer scheint eine Voraussetzung für den erfolgreichen Abschluß des Nostos darzustellen ( Odyssee: 6 582 na". 207f. u. 217; E1SNE.R, ,.Echoes", 33-35; CROPP,,,Odyssey", 191f; 192 Anm. 25 u. 27; 194; l 98f. Anm. 22 u. 35 (Lit.). 414 Außerdem hilft ihm auf Ithaka Eurykleia. 415 In 1278 und l 385f. dünkt sich Theoklymenos schon als Helenas künftiger Gatte (das Gegenteil in 1193), in 1484 nennt er sie tµ~v ooµapt(a). In 1431-9 gibt Theoklymenos Anweisungen für die Hochzeitsvorbereitungen (und ironischerweise damit dem Menelaos den Befehl zur Heimkehr). In 1399 bezeichnet Helena den Äypterkönig als ihren icmvoc 1t6c1c(Menelaos tut dasselbe in 1288f. und 1292), in 1407f. verspricht sie ihm, eine gute Ehefrau zu sein. Das Scheitern seiner yaµo1 beklagt der düpierte Theoklymenos in 1622. 416 Ob sie Odysseus zu diesem Zeitpunkt schon erkannt hat (so etwa E1sNER, ,.Echoes", 33 Anm. 9), wird verschieden beurteilt. 417 Im Herakles zögert Megara die Hinrichtung hinaus. Die Intrige wird in diesem Stück weniger von Herakles und den Seinen gegen Lykos als von Hera gegen Herakles unternommen. Der angestiftete Verwandtenmord wird hier vollzogen; im Ion, im Kresphontes und in der lphigenie im Taurerland wird er um Haaresbreite vermieden.
4. Helena
141
und der Freiennord, der gewissermaßen als Menschenopfer gewertet werden kann; Helena: 1255ff., 158lff. und 1595-1612). 418 In der Helena bedeutet der Sieg über die Ägypter zugleich einen Sieg der Griechen über Barbaren (1594). 419 Vergleichbar wäre hierzu in der Odyssee allenfalls der Triumph über den Muster- oder vielmehr Hyperbarbaren Polyphem. Die Thematik des Griechen-Barbaren-Konflikts ist indessen eher ein iliadisches Erbe. In der Helena begegnet sie exkursweise in der mehrfachen Erwähnung der Leiden des troischen Kriegs sowie in der Zitierung von Kyprienstoff (Paris und Helena). 420 Das Motiv der Flucht per Schiff aus dem Machtbereich eines grausamen Potentaten dürfte wohl aus der Odyssee stammen, wo Odysseus und seine Gefährten ebenfalls mehrfach zu Schiff einer Gefahr entkommen. Der eindrücklichste Fall ist sicher das Polyphemabenteuer, und schon oben bei der Behandlung der /phigenie im Taurerland war festgestellt worden, daß Euripides sich beim Botenbericht über den Fluchtversuch der Griechen höchstwahrscheinlich von dieser Odysseepassage beeinflussen ließ.421 Schlußkonflikte werden durch die Epiphanie einer Gottheit (oder mehrerer Gottheiten) ausgeräumt. In der Odyssee erscheint die von Zeus entsandte Athene (m 539-44), in der Helena erscheinen als dei ex machina die Dioskuren (1643-62; vgl. die Elektra). Die motivischen Vorbilder für deren Prophezeiung über die Zukunft des Ehepaars liegen vielleicht ebenfalls in der Odyssee: 6 563-9 (Proteus zu Menelaos) und).. 121-37 (Kalchas zu Odysseus). 422 Auch das Entrückungsmotiv findet sich in beiden Fällen, und beide Male ist Menelaos der Entrückte: 6 569 und Hel. 1676ff.423 418
Vgl. Her. 2, 119. Eine zentrale Rolle spielt das Opfermotiv in der /phigenie in
Aulis. 419
Diane M. JuPFRASfaßt den Kampf mit Theoklymenos' Männern als „reenactment of the Trojan War" auf (.,Victims", 46; vgl. ebd., 56); vgl. SEOAL,.,Two Worlds", 606 u. 613; SCHAAP, .,Stasimon", 74f. 420 Der Griechen-Barbaren-Konflikt ist in der /phigenie im Taurer/and deutlicher thematisiert. 4 21 Siehe oben S. 103f. 422 Vgl. l 528ff. und Kykl. 699f. 423 Siehe STEI0ER,,.Helena", 224. - Weitere ,,Nostos-Parallelen" kann man zwischen der Odyssee und dem Herakles feststellen. So wird etwa die Frage der göttlichen Gerechtigkeit thematisiert. Der Heimkehrer war immer fromm und gerecht. Er ist das Werkzeug der göttlichen Bestrafung der avoµia des Usurpators (a 60-70; Hu. 17780, 215f., 359f., 378f., 849-53, 52lf., 738-41, 755-9, 772-80, 813). -Odysseus gelangt zum Glück, Herakles dagegen wird zugrunde gerichtet (Motivumkehrung); siehe CROPP, „Odyssey•-, 198 Anm. 25: ,.Odysseus' final aethlon (23. 248, 261, 350: cf. 1. 18) will
142
II. Euripides, die Odyssee und die Nosten 4.3. KYPRIEN-NACHWIRKUNG
Die Assoziationen an das homerische Epos haben wahrscheinlich ein noch größeres Ausmaß. Im Vorangegangenen waren motivische Gemeinsamkeiten der crot11pia-Handlung mit der Odyssee aufgezeigt worden. Auf die Kyprien als wichtige epische Folie für die Helena hat Jacqueline AssAeL aufmerksam gemacht. 424Sie interpretiert das Stück als systematische parodistische Transformation der kanonischen Helenabiographie - die Entführung durch Paris als Ursache des troischen Kriegs und die Heimkehr Helenas nach der Wiedervereinigung mit Menelaos -, die auf den Kyprien, einigen Angaben in der llias4 25 sowie auf y6 der Odyssee beruht. 426 Dies bedeute eine Destruktion des gängigen mythisch-historischen Weltbilds, außerdem eine (vor allem sophistisch inspirierte) 427vehemente Erkenntniskritik;428 beides werde durch das revolutionäre Eidolonmotiv wie durch einen „Katalysator„ ermöglicht. Der als purer Schein diskreditierten homerischen Version supplantiere der Dichter seine eigene, pessimistische Sicht der Dinge. Tatsächlich läßt sich die Tragödie in manchen Teilen als ,,Destruktion„ oder, positiv ausgedrückt, ,,Rekonstruktion" der wesentlichen Bestandteile von Helenas homerischer Biographie lesen: 429 Helenas Charakter zeigt nicht die negativen Züge, die sie sonst bei Euripides hat. 430Theoklymenos hat nach AssAtL die Funktion des eifersüchtigen Ehemanns, die im Epos inaugurate a happy retirement. Heracles must engage Theseus' help in completing bis final aethlon in misery (HF 1379-1388)." 424 AssAlil.,,,transfonnations". - Zur Rolle Helenas in den Kyprien siehe GHALIKAHIL,enlevements, bes. 27-31. 425 Zum Beispiel r 442-6 (Zwischenhalt auf Kranaf); E 62f. (Phereklos hat die Schiffe des Paris gebaut); N 626f. (Paris wird in Sparta gastlich aufgenommen). 426 Die früher oft diskutierte Möglichkeit einer Selbstreferenz auf die lphigenie im Taurerland lehnt AssA&.ab; die Adaption des Motivs der Entführung zur See sei in der Helena primär: ,,II [= Euripides] s~me quelques indices qui pennettent de consid~rer l'utilisation de ce th~me comme une n~essit~ propre l la pi~e et l la l~gende remode1~. En effet, la premi~re ruction de M~n~las consiste l vouloir fuir en char. Mais sa femme d~montre la n~essi~ d'une fuite maritime." [seil. Hel. 1039-43•, 1047ff.] (,,transformations", 53 Anm. 12.) 427 Siehe Protagoras, fr. 80 B l OK; Gorgias, fr. 82 B 3 u. B 11 OK. Vgl. auch Heraklit,fr. 22 B 107 OK; Pannenides,fr. 28 B 7,4-6 OK; Anaxagoras,fr. 59 B 21 OK. 428 ,,La contestation du mythe apparait donc directement li~ [...] l l'expression d'une reflexion philosophique sur la connaissance. De meme, la transformation sys~ matique de la version traditionnelle semble indiquer qu'aucune v~rit~ ne doit ~re consid~ree comme d~finitive et stable." (,,transfonnations", 50.) 429 Siehe besonders „transformations", 45-47. 430 ,,[ •••] la reine de Sparte devient un personnage vertueux et chaste. Une teile m~tamorphose est rare dans tout le repertoire tragique." (,,transformations", 46.)
4. Helena
143
Menelaos zukam, und Menelaos übernimmt Paris' traditionelle EntführerRolle. Die idyllischen Züge, die die epische Liebesgeschichte von Paris und Helena enthält, entfielen und würden durch einen kruden Realismus ersetzt. Andernorts beschreibt der Dichter die reichen phrygischen Gewänder des Paris. 431 Hier tritt der Pseudo-Paris Menelaos in Lumpen auf: Euripides parodiere sich selbst. In den Kyprien entwendet Paris Helenas und Menelaos' Schätze; hier in der Helena nimmt Menelaos die Totengaben mit, die Theoklymenos bereitstellen ließ. In den Kyprien tritt Helena dem Paris als königliche Gastgeberin gegenüber; hier ist sie nur eine Gefangene. AssASLkommt das Verdienst zu, die Vielschichtigkeit der euripideischen Bezugnahme auf das Epos verdeutlicht zu haben. Natürlich ist das Eidolonmotiv hervorragend geeignet, agnostizistische und mythenkritische432Gedanken sophistischer Provenienz zu transportieren, wie sie Euripides immer wieder gern thematisierte. Es ist oft betont worden und steht gänzlich außer Frage, daß dies hier ein wichtiges Anliegen des Dichters ist und der Absicht dient, die Sinnlosigkeit des (troischen) Kriegs anzuprangern. Indessen läuft eine Interpretation der Helena als bloß mythendestruktivem Drama mit skeptizistisch-nihilistischer Tendenz Gefahr, zu einseitig zu werden und eine vom Dichter ausgeübte Wertschätzung Homers, die losgelöst ist von der Benutzung der Epen als Stoff- und Motivquelle, aus dem Blick zu verlieren. Euripides lehnt Homer nicht so konsequent ab, wie AssAtll.dies plausibel machen möchte. Sie betont selbst, daß die Protagonistin sich von den anderen Helenafiguren bei Euripides deutlich unterscheidet,433 bemerkt aber nicht, daß gerade diese Helena, die geläutert und leidensfähig ist, deutlich nach der unvergeßlichen Helena des r gezeichnet ist. Helena ahnt, was „ihretwegen" vor Troja passiert, und ist tief betroffen, als sie im Gespräch mit Teukros Näheres erfährt. Im „Nostenteil" des 431
JouAN (Kyprien, 186) hält das Motiv der Gewänder als Verführungsmittel für eine Erfindung des Euripides, bei dem es zuerst auftaucht (siehe Kykl. 182-4, Troad. 99lf.). Indessen wird es wohl schon in den Kyprien gestanden haben. Eine eiccppactc eines Prunkgewands ist ein episches Gestaltungsmittel par excellence. 432 So im Fall des Ledamythos (Hel. J7b-2J). Siehe hierzu F. GRAF,Griechische Mythologie: Eine Einführung, München/Zürich 1985, 161: ,,Die Frage nach der Realität des Mythos stellt Euripides nur für den Göttennythos, nicht für den der Heroen - die Häufigkeit, mit der seine Stücke einmünden in die Aitiologie gerade von Heroenkuhen, weist darauf, daß er seine Mythen als Vergangenheit in einer erlebbaren Gegenwan verankern will. Freilich stellt er durchaus Einzelheiten des Heroenmythos in Frage, doch trifft das nur Dinge, die auch ein Hekataios angezweifelt hätte: Ledas Beischlaf mit einem Zeus in Schwanengestalt etwa (lph.Aul. 794; Helena 18, wobei hier Helena durch diesen Skeptizismus als sophisticated lady gekennzeichnet werden soll), oder die Sage, daß die Sonne aus Abscheu über Atreus' gräßliches Mahl auf ihrer Bahn umgewendet hätte (Elektra 742)." 4 33 "transformations", 45f.
144
II. Euripides. die Odyssee und die Nosten
Dramas kommt dann stärker das Vorbild der odysseischen Penelope zum Tragen, die sich zusammen mit ihrem Gatten von Unterdrückung und Gefangenschaft befreien kann. In den Kyprien und in der llias werden die (von Phereklos erbauten) Schiffe des Paris thematisiert; 434 in der Helena ist es ein phönizisches Schiff, das Menelaos und Helena entführt ( 1451ff.; vgl. 229-37). Es reicht aber nicht aus, wie AssAtil.einfach die Ummünzung des homerischen Motivs als solche zu konstatieren. 435 Signifikant für den Tenor der euripideischen comipia-Handlung ist, daß die traditionelle pessimistische Deutung der epischen V11ECapxi1eaicot (vgl. E 62f.) in Hel. 229-37 am Ende in einen Preis des rettenden phönizischen Schiffs als Hoffnungsträgers umschlägt (1451ff.). Euripides' Stück hat eine durchaus ernsthaft gemeinte iliadisch-odysseische Basis. Das hindert ihn nicht, darauf stellenweise einen parodistischen „Überbau" zu setzen, in dem sich neben oydsseischen Motiven auch Stoffelemente der Kyprien tummeln. Das vielschichtige Spiel mit mehreren Textfolien ist eine für des Dichters Spätwerk charakteristische Tendenz; sie begegnet auch im Orestes.
4.4. EXKURSE
4.4.1. Verkleidung und Verwandlung436 Das Motiv der äußerlichen Veränderung einer Person (im weitesten Sinn) taucht sagenchronologisch schon früher im epischen Kyklos auf. 437 In der 434
Prokl., Z. 91 SEVERYNS; Kypr.fr. 37 (=fr. dubium) BERNABE; E 62f. „transformations", 46. 436 Literatur: E. W. HANDUlv/J. REA, The Telephus of Euripides, BICS Suppt. 5 (1957), 29, 33, 35f.; PIPPIN,,,Helen", 152 u. 155; STANFORD, Ulysses, 84 [ 11954); Story Patterns, 36--45; ]. DtNOEL, Das Requisit in der griechischen Tragö• LATTIMORE, die, Diss. Tübingen 1967, 139-144 u. 157-159; P. RAu, Paratragodia {...], München 1967 ('Zetemata, 45) [urspr. Kiel, Phil.-Diss., 1966), passim; L. SECHAN, Etudes sur la 2 tragedie grecque, Paris 1967*; DtNGEL,.,24. Gesang", l07; T. B. L. WEBSTER, So• phocles: Philoctetes, Cambridge 1970, 4; BuRNETT, Catastrophe, 81; MACLEOo..,Rags"; Disguised Guest, 15-99; 0. TAPLIN, Greek Tragedy in Action, Berkeley/Los STEWART, Angeles 1978, 76; EtSNER,,,Echoes", 32; F. FERRUCCI, The Poetics of Disguise: The Autobiography of the Work in Homer, Dante, and Shakespeare, übers. Ann Dunnigan, Euripides' Bacchtu: The Ithaca/London 1980, 34-65; MuECKE,,,Disguisc"; H. ÜRANJB. Play and lts Audience, Leiden 1984 (Mnemosyne, Suppl. 78), 93f.; TAPUN,,.Synkrisis", 170; ders., Stagecraft, 19 u. 12l f.; Kuu.MANN, ,,Bakchen". 437 Von der spontanen Verkleidung für einen einmaligen Zweck könnte man als motivischen Subtypus die Dauerverkleidung unterscheiden: Achill weilt auf Skyros am Hof des Lykomedes in Mädchenkleidern unter den Jungfrauen (Kypr. fr. 19 [I] BERNABE [= F incert. loc. intra Cycl. Ep. 4 DAVIES]). 4 35
4. He/ena
145
Kleinen Ilias wurde erzählt, wie Odysseus sich als x:atacx:01tocheimlich Zugang ins Innere Trojas verschaffte, und zwar nachdem er sich vorher zur Tarnung „verunstaltet" hatte; er wurde aber von Helena „wieder"-erkannt:438
'06ucceuc 'tE aix:tcaµevoc EV Tpci>mv EJtltac vaik acptlCVEl'tt 1totricaµevoc EWU'tOV Amjxttat Ä.roßriv CXV'JIICEC'tOV · , , , , "" , ,.... , , 7 , , , ..-. a1totaµmv yap Emutou 'tTIVptva Kat ta mta ICcn:µ'flOaveiv. EK. ECCOCa 6"1ta c' E~EJtEµ'lf« 'tEx0ov6c; 06. Ö>ct'ekopäv ye q,eyyoc11Ä.fou tooe.
240
245 246
249 250
247 248
4. Helena
147
Apollodor schließlich hat beide Unternehmungen kontaminiert (Epit. 5. 13):439
'06uccroc ÖEµEta &toµitöouc 1t1:0V IC'l:etVElV µT11:E µvaac0ai (XIC0\1:\V · EICyap 'Opic1:ao1:lC\C ECCE'l:Ut 'A1:ptl6ao, 01tK01: • äv t1ßilcT1t icai fic iµeipe1:ai «i'.T1c. 'Y306-8
1:Ö>t 6e oi oy6oa1:cotICUICOV 'JlA.U0e 6ioc 'OpECfflC ä,v an:' 'AEhlvacov,1Ca1:a6' EIC'l:UVE 11:a1:pocpovfia, ö oi 11:a1:epa ICA.U'l:OV EIC'l:a. Ai'.ytc0ov6oA.OµTl1:tV, 6 546f.
i\ yapµiv ~coovYEIClVICEal,i\ ICEV'OpECfflC IC'l:Eivev i,xocp0aµevoc· CU6e ICEV 1:acpouavnl3o).iicatc. Vgl. hierzu HoMMEL, ,,Aigisthos"; BBROMANN, Atridenmythos, 5--4l; GoULD, "Tragic Moment", 37f.; Kuu.MANN, .,Odyssee", 303. Vgl. S. GoLDHIU.. ReadingGree/c. Tragedy, Cambridge U. P. 1986, 147f. Siehe auch oben S. 89f. u. S. 138 Anm. 406. 460 Vgl. BuRKERT, orientalisierende Epoche, 91; vgl. ebd., 85 Anm. 1, 108. 459
5. Orestes
155
Frage, ob es dem Dichter tatsächlich auch um eine Polemik gegen Homer zu tun war - etwa um eine Kritik an der positiven Bewertung von Orests Tat durch Athene, so wie Elektra Apollons Weisung kritisiert -, 461 kann nur auf einer breiteren Basis versucht werden. Viel deutlicher ist der Homerrekurs in den interpolationsverdächtigen 462 Versen 588-90, wo die für die Odyssee so wichtige Parallelisierung zwischen Orest und Telemachos umgekehrt wird:
[opäic; 'Q&uccecoc ciÄoXOVO'UKatEK'taVEV T11Akµaxoc · O'Uyap E1tqaµE\ 1tOCE\ 1tOC\V,
µeve16' ev oiico1cuyii:c euvat11p1ov.]463
D1 BENEDETrOS Bemerkung, die Erwähnung eines ,,mito completamente estraneo a quello degli Atridi" sei „assai inopportuno a questo punto della tragedia" ( Or., z. St.), ist nur zum Teil gerechtfertigt. Bei der Behandlung der Elektra war deutlich geworden, wie stark Euripides von der Odyssee beeinflußt ist, wie intensiv er sich mit ihr beschäftigt hat. Über die künstlerische Bedeutung des Atridenparadeigmas für die Odysseehandlung muß er sich völlig im klaren gewesen sein. Um so naheliegender ist es, wenn er in einem Drama über Orest eine Umkehrung der odysseischen Parallelisierung Orest-Telemachos verwendet. Freilich läßt sich nur schwer abstreiten, daß ein Interpolator dieselbe Idee gehabt haben könnte; außerdem muß - im Anschluß an D1 BENEDETrO-überprüftwerden, wie gut die Verse an dieser Stelle der Argumentation passen. In der Tat wirken sie etwas seltsam, 464 aber dies liegt wohl im wesentlichen daran, daß das Mythenparadeigma in der „Umkehrung" (gegenüber seiner Verwendung in der Odyssee) notwendig an Schärfe verliert. In der Odyssee wirkt der Vergleich wie die Ankündigung eines drohenden Ereignisses. Telemachos braucht am Ende aber nicht mit letzter Konsequenz zum Orest zu werden, da Penelope an ihrer ehelichen Treue festhält. Man könnte fragen, woher Orest von der gegenwärtigen Situation Penelopes weiß. Rein pragmatisch gesehen ist es wohl möglich, daß in all den 461
Siehe z.B. Sll!IGER, Orestes, 14f. Zur Vermutung einer Interpolation siehe D. L. PAGE, Actors' Interpolations in Greek Tragedy, Oxford 1934, 52; D1B., Or., z. St. 463 Citat Clem. Alex. paed. 3, 41, 4; dell. Hartung ( 1837), Dindorf, Fraenkel (Agam. Iß 814 n. 3), Di Benedetto, Diggle. 464 Siehe dagegen WEST,Or., z. St.: ,.that Clytaemcstra was killed because she was bad is not controversial". Wen führt als Argument für die Authentizität der Verse an, daß in 591 op«lC in unnatürlicher Weise gebraucht sei und nur durch das voraufgehende opä\C in 588 gestützt werde. 462
156
ß. F.uripides,die Odyssee und die Nosten
Jahren Kunde von den Ereignissen auf Ithaka nach Argos gedrungen ist. 465 Aber es scheint eher, daß hier auf einer Art ,,metamythischer" Ebene gedanklich experimentiert wird. 466 Wer will entscheiden, ob das nur einem Interpolator zuzutrauen ist? Den naheliegenden Vergleich zwischen Penelope und Klytaimestra hat bereits der Odysseedichter gezogen. Agamemnons Seele verwendet ihn in der Ersten und in der Zweiten Nekyia: 467 (m 191-202:)
Tov 6' at'tE VUX1l 1tp0CEq>O)VEEV 'A'tpe"töao· • '06ucceu, ,.ÖA.(3\E AaEp'taOmii, 1toA.uµ11xav ~ äpa C'UV µ.E"faA.fll apE'rih EJC'tTlC(I) CllCO\'t\V. coc aya8a1. cppEVEC ~cav aµuµov\ n11vEA.01tElfll, 'I 1eapiou. O>C µEµVfl't.'Oöucnoc, ICOUpfll avöpoc ICOUplÖtou. 'tO>loi dioc o-ÜltO't. OA.E\'tQ\ ftc apEn1c, 'tEU~OUCl 6' ixlx8ovt0\C\Vao\Öflv a8civa'tOlxapieccav ixicppOV\n11vEA.01tElfll, oux O>C Tuvöapiou 1COUpTl ICQIC(l µ,;cato ep-ya, 1eoupi6lov1eteivaca 1tOClV, CtuyEf>TI öi 't' aolÖTl €CCE't' €1t'av8pcmtOUC, XVxaptV E~avatL--'l --• • , 'l"ll VU(;JUl&IUV ec atE\. I
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I
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825
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830
Die Nachwirkung von Odyssee-Motiven im Orestes wird weiter zu verfolgen sein. Zunächst soll jedoch gezeigt werden, daß heroische Paradeigmata auch unterschiedlicher Herkunft im Orestes eine große Rolle spielen. Ihre Beurteilung steht in engem Zusammenhang mit der Interpretation des euripideischen (Spät-) Werks schlechthin. Einige neuere Arbeiten haben hierzu wichtige Anregungen geliefert.
5.1.3. Der ,,heroische" Orest Überlegungen zur allgemeinen Funktion des mythischen Paradeigmas stellt C. FuQUAin seiner Untersuchung über den Philolctetes und den Orestes an. 470 Ältere Beobachtungen aufgreifend, entwickelt er die These, Sophokles habe seinen Neoptolemos nach dem Vorbild des Telemachos in der Odyssee gestaltet. Dadurch sei es ihm gelungen, die vorwiegend negativen Züge, die dieser Figur in der älteren Tradition eignen, in den Hintergrund zu drängen. Sophokles entwerfe einen Neoptolemos, der wie Telemachos einen Entwicklungsprozeß zur Selbständigkeit und reifen heroischen Männlichkeit durchläuft und sich bewußt wird, wessen Sohn er ist. Neoptolemos sei allerdings keine homogene Gestalt; in ihm vereinigten sich in vielschichtiger Weise verschiedene mythische Vorbilder und Paradeigmata, oder genauer gesagt: Assoziationen zweier verschiedener heroischer Prinzipien. Erstens ist er der Sohn Achills, der sich in der Bittgesandtschaft im 9. Iliasbuch als unbeugsam erweist. 471 Mit seinem Vater verbinde ihn die
°
47 FuQUA,
.,Stlldies". Der Aufsatz wird hier auch in gewisser Weise stellvertretend für manche ähnlich argumentierenden Arbeiten meist angelsächsischer Provenienz (siehe FuQUAS reichhaltige Literaturangaben) ausführlicher besprochen. - Vgl. auch den weiterführenden Artikel von dems., .,world of myth", und vor allem ZEm.tN,..Roleplaying" (siehe unten S. 265-268). 471 Die 1tptcl3Eia sei also ein wichtiges homerisches Vorbild für die dramatische Ausgangssitllation: .,[...] Sophocles explores a sitllation similar to that of lliad 9 with a character drawn from the Odyssey in order to produce a constant counterpoint between Homeric and contemporary standards of conduct" (.,Studies", 50); ,Jn the Philoctetes [...] Sophocles draws directly upon both epics combining the theme of personal matllra• tion from the Odyssey with the Embassy motif from the lliad'' (61).
5. Orestes
159
Fähigkeit zur Hingabe an das Ideal eines Heldenlebens in Mühsal und Einsamkeit. Zweitens liege eine gewisse Pikanterie darin, daß er in seinem Verhalten dem Paradeigma des Sohns eben des Odysseus folgt, der eine ganz andere, ,,moderne" Form von Heldentum verkörpert, 472 die von Philoktet und vom Autor abgelehnt werde. Neoptolemos vermittle zwischen der Einstellung des Philoktet, der sich den Forderungen der Gesellschaft nicht stellen will, weil er darüber seine persönliche Identität aufgeben müßte, 473 und der progressiv-pragmatischen Haltung des Odysseus. Er verkörpere im wesentlichen eine archaische, im Aussterben begriffene rigide heroische Haltung, die im Kontrast zu der moralisch bedenklicheren Form von Odysseus' Heldentum steht.
In einem zweiten Schritt entwickelt FuQuA die These, Euripides habe in dem nur ein Jahr später (408) aufgeführten Orestes in mancher Hinsicht auf die im Philoktetes entworfenen Verhaltensparadeigmata „geantwortet". Er argumentiert folgendermaßen: Telemachos in der Odyssee ist nach Orest, Neoptolemos im Philoktetes nach Telemachos gestaltet; Neoptolemos verkörpert das alte homerische Heldenideal. Im Orestes, der ein Jahr nach dem Philoktetes zur Aufführung gelangte, würden vor allem in der Gestalt des Orest traditionelle heroische Verhaltensmuster in Frage gestellt; 474 die paradigmatische Orest-Telemachos-Relation, wie sie aus der Odyssee vertraut ist, kommt dort explizit (und in Umkehrung) vor (Or. 588-90). Bei der beziehungsreichen Verwendung dieser Parallelisierung zwischen Orest und Telemachos zeige sich Euripides von Sophokles' Verfahren der Paradeigmata-Assoziation im Philoktetes inspiriert; der Kunstgriff des älteren Tragikers habe Euripides' Aufmerksamkeit auf das Epos gelenkt. Daß der 472
„Neoptolemus and Telemachos are the sons of those two figures who represent in Homer the interlocked ideal of pre-eminence in word and deed" (61 ); ,.(...) he [seil. Sophokles] sharpens the contrast between a passing age of heroism and that of expediency" (ebd.). 473 Dies ist ein typisch sophokleisches Thema; vgl. Aias und Antigone. 474 In Analogie zum sophokleischen Odysseus aus dem Philoktetes sei Menelaos entworfen: ,,Menelaus in the Orestes bears little resemblance to his Homeric prototype; he Jacksboth the stubborn courage of the Iliadic warrior and the gentle sagacity of the Telemacheia. lnstead he seems a caricature of the traditional aristocratic mentality doing its best to adapt to the new realities of political life. In this regard the characterization of Menelaus corresponds to that of Odysseus in the Philoctetes, and in my opinion there is a strong possibility that Euripides developed the Sophoclean portrait for his own purposes. Odysseus' appraisal of his own behaviour (Phil. 1049) [...) fonns an apt summary of Menelaus' conduct. Menelaus prides himself on his ,wisdom,' tA.olC, 8pacuc eic aA.KClV, ~'UVE'tOC 1toA.iµou,q,6vt6c 'tE6pcx1CO>V -486
1405
Die Anklänge an den troischen Krieg setzen sich fort, da noch mehr Trojakämpfer namentlich genannt werden. Das gewaltsame Eindringen der äp11c) hin (Euripides verwendet das Bild auch in 1555; siehe KLOTZ, WECKLEIN (Or.) und W1LL1NK (Or.) zu 1401 bzw. 1400f.). Allgemein und besonders zu den Homerparallelen 483, Aisch. Ag. 691 ff., Ar. Ran. 1431), B1EHL,Or. (K siehe die Hinweise bei KLOTZ (Cl> 297, E 554, Soph. Phil. 1436f. [mit Lit.]), und W1LL.,Or. (.,The 'lion' image [/L 5. 136, etc.] can be ,admiring'; it can also be pejorative [1555; cf. Ph. 1296 6i6uµo1 &i\p~."), z. St. 484 „Studies", 93. - Vgl. ebd. zu Menelaus: .,[...) again his posturc is rcvealed as simultaneously heroic and completely perverted". - Siehe auch „Studies", 64 Anm. 74. An anderer Stelle (,.Studies", 91 f. Anm. 133) meint er, hinsichtlich des Täuschungsmotivs (Or. 1419) sei eine Parallele zwischen dem Paar Pylades/Orest und dem Paar Odysseus/Neoptolemos im Philokletes zu ziehen. - Zu Pylades siehe auch BuRNETT, Catastrophe, 213-216. 485 Ein Wortspiel (wohl Ctpoq>toc - ctpecpt1v) vermutet ZEm1N, .,Role-playing", 61 (siehe unten S. 267): .,In both the Odyssey and the Orestes, the key to success lies in planning andin treachery, and the Phrygian slave makes refercnce to that similarity by comparing wily Odysseus with Pylades, the son of Strophius, in a pun upon his father's name (1403--06) .'' 486 Die negative Charakterisierung des Odysseus dominiert bei Euripides; siehe z. St. WECKL.,Or., BIEHL,Or., WILL., Or. (vergleicht Soph. Aias 379ff. u. Phil., passim) und WEST, Or. - Zu dem singulären icaic6µ11ttc in 1403 (siehe DIGGLESApparat: .,1eaic6µ11ttcPorson: -µTJtac codd.: -µT)fflCHesych. K 337") vergleicht BIEHL(Or., z. St.) .,Aesch. Pers. 107f. (60A.6µ11nc;),o 51 (1toA.uµ11ttc;),A 311.440", WILLINK(Or., z. St.) außerdem „A. Pers. 93 6oA.6µ11t1v".Letzterer bezeichnet das Wort als „a perversion of the epic 1t0Auµ11t1c; ( '06uooruc;)" (ebd.).
5. Orestes
165
bewaffneten Verschwörer in Helenas Gemächer und der „Kampf· mit der phrygischen Dienerschaft ist als eine Iliupersis im kleinen stilisiert. Der Phryger vergleicht Pylades mit Hektor und Aias487 : EVp
oCl>puytoci\ V cpopµ1-yya AlyEtaV TJµivTJ-ytic8m cp1Ä.oxaiyµovoc 0PX118µoio, UxICEV nc cpaiflyciµov lµµtvat EIC'tOC a1Cou0>v. 135 i\ civ' ooov c'ttixmv i\ o'intp1va1t'taouc 1· YEVfl'tat µ11xpoc8t lCA.tOC tupu cpovou1Ca'tllCXC'tU civ6pwv µvflC'tflpO>V, npiv y' TJµEaciÄ8eµtv E~(I) ciypov ic TJµE'tEpoV 1t0Äu6ev6ptov.[...] (11' 133-9). Siehe ZEITLIN, ,,Role-playing", 61 (vgl. u. S. 267), und WEST, Or., zu 1353-65: ,,[...] an idea borrowed from Od. 23.133 ff., though scarcely appropriate at a house whose owners are supposed tobe commiting suicide". Vgl. dens. zu 1354: ,,the model of Od. 23,137 may account for Euripides' use of this illogical phrase [seil. 1354] implying that the murder definitely has talcen place. The notion intended is prcsumably that Argives might be alerted by cries from Helen in time to save her." - Zu o 1tpax8tic cpovoc( 1354) siehe auch D1B., Or., und WtLL.,Or., z. St. 500 Vgl. KuLLMANN, ,,Palast", passim. 501 Unklar ist, welche Rolle hierbei die epische Thebais spielte.
170
II. Euripides, die Odyssee und die Nosten
Mauerkämpfe in der /Lias gehören zu diesem „Szenen••-Typus. Ein motivischer Berührungspunkt zu einer bestimmten homerischen Szene liegt aber auf einer anderen Ebene. Der vor seinem Palast (zusammen mit seinen Gefolgsleuten) stehende Menelaos muß ohnmächtig zusehen, wie seine Tochter Hermione von Orest und seinen „Komplizen" bedroht wird. In der /Lias müssen die Troer, allen voran Andromache und Priamos, ohnmächtig zusehen, wie Achill Hektor tötet und anschließend um die Stadt schleift. In beiden Fällen bildet die Mauer weniger ein umkämpftes Bollwerk als vielmehr ein räumliches Hindernis, das ein direktes Eingreifen in einen Vorgang, bei dem eine den „Zuschauern„ nahestehende Person in Lebensgefahr ist, verhindert.
5.1.5. Die Kpictc 'Opectou
Euripides hat die Versammlung, in der Orest und Elektra verurteilt werden, nicht deshalb eingeführt, weil er einen Rahmen schaffen wollte, in dem verschiedene Argumente bei der Beurteilung von Orests Tat bequem vorgebracht werden können. Dergleichen pflegt sich in der Tragödie nicht in Botenberichten, sondern in den ayfüvec der Personen auf der Bühne zu vollziehen. WESTbemerkt zu Recht, daß die in der Versammlung geäußerten Meinungen nichts enthalten, was nicht schon im ersten Epeisodion gesagt worden ist.502Euripides hat aber Wert darauf gelegt, die Verurteilung in einem formellen Rahmen stattfinden zu lassen. Natürlich assoziiert der Zuschauer sofort die Areopagszene aus den Eumeniden, und ohne Zweifel war dies das große dichterische Vorbild, auf das er einerseits anspielen wollte, das er andererseits aber - gerade wegen seiner Berühmtheit und Unnachahmlichkeit - nur umgehen konnte. Die von dem ,,Boten"503geschilderte Szene ist ein Gebilde, in dem sich verschiedene Einflußlinien kreuzen. Die nächstliegende Assoziation ist die der zeitgenössischen athenischen Volksversammlung. Schon in den Scholien wird der Demagoge mit einem gewissen Kleophon identifiziert, 504 und in der neueren Forschung wird vielfach die Ansicht vertreten, Euripides habe hier eine kritische Skizze des radikalen politischen Tagesgeschehens auf der athenischen Agora ins Mythische transponiert. 505 Zunächst ein formaler Gesichtspunkt: WESThat richtig angemerkt, daß es sich hier nicht um eine regelmäßig zusammentretende Volksversammlung wie die athenische iru11„The arguments and viewpoints reported have all becn hcard already in the scene with Tyndareos" (Or., zu 884-945). 503 Vgl. WEST, Or., zu 844-956. 504 Schol. zu 903 (u. 904). - Siehe WtLL., Or., zu 902-16; WEST, Or., zu 903. 505 Siehe z. B. SCHEIN, .,illusion", 59f. (mit Lit.). 5o2
5. Orestes
171
da handelt. 506 Die ad hoc erfolgende Einberufung5°7 und der rein iuristische Zweck ähneln mehr der forensischen Praxis und erinnern an die Szene auf dem Areopag in den Eumeniden. Spontane Versammlungen zu dem Zweck unmittelbarer Entscheidungsfindung sind zum ersten Mal in der llias anzutreffen, und man kann vermuten, daß die entsprechenden Passagen Euripides ebenfalls vorschwebten. 508 Von den Rednern sind die ersten beiden epische Figuren, die sonst im Drama (nicht nur bei Euripides) kaum eine Rolle spielen: Talthybios 509 und Diomedes. Besonders die letztere Gestalt ist interessant. Die Einführung des Diomedes in den argivischen Teil der Orestsage könnte eine euripideische Erfindung sein. 510 Jedenfalls gibt es dafür sonst keinen Beleg. 511 Immerhin ist er auch in den Nosten vorgekommen.s12 Die Form von Diomedes • Auftreten und die Reaktion der übrigen Anwesenden auf seine Rede zeigen Parallelen zu vergleichbaren Szenen bei Homer:
E1tl.tonÖEö' ,iyopEUEäioµt1Ö'flcäva~. f' \ ., OUtOCK'taVElVµev OUtEC OUtEcuyyovov Eta, cpuyi,tÖe ~llµtoÜvtac E'UCEßEiV. ö' oi µev coc x:aA.tÄ.otc. An einer früheren Stelle im Stück wird indessen ein Mitglied der Aigisthospartei namentlich genannt. Es ist Oiax, über dessen Agitation Orest sich seinem Oheim Menelaos gegenüber beklagt (431-4): Me. tf.vec 1t0Ättrov i~aµtUÖ>vtaf. ce ync; Op. Oia;, 'toTpo{ac µicoc avaq>eprov natpL Me. cuvi\Ka · IlaÄ.aµ11öouc ce nµropei cpovou. 'Y' ou µeti\v µot · öux tptrov ö' an6Uuµat. Op. O'O Oiax, Bruder des vor Troja einem Justizmord zum Opfer gefallenen Palamedes, 520 war bereits in Euripides' Palamedes von 415 v. Chr. aufgetreten. 521 sis ,.24.Gesang .., 108 mit Anm. 15. Siehe W1LL., Or., zu 902-16: ,,The ,type' is also very ancient; cf. the Homeric and alluded to in Thersites, abused in II. 2. 246 as a,c:pi-roµu8e,liyuc; 1tepeoovayOP11'f1lc;, S. Phil. 442 ff. lt is that epic precedent that enables such a speaker to follow ,king Diomedes' in the debate with no sense of incongruity; that, and the epic-toned fonnulaic repetition of Ka1t1. 'tcp6' avicna'tat ... (cf. 887)." - Nach dem Radikalen spricht ein positiv gezeichneter au-roupyoc (917-30); die Vermutung einer Selbstreferenz auf den (odysseisch stilisierten) au-roupyoc in der Elelclra drängt sich auf. Siehe ZEITLIN, ,,Roleplaying", 63, die auch das Kranzmotiv hervorhebt (EI. 581,591,614,675 u. Or. 924): ebd., 75 Anm. 36, u. dies., ,,Festival", 656f. S20 Vgl. /A 198: fla)..aµ~6ea 8', Öv 'ttlCE 1taic o nocetoovoc (seil. Nauplios; zu diesem siehe Hel. 1126-31). 521 Außerdem hatte er ihn seinem Philokletes (431) erwähnt; siehe WEST, Or., zu 432f. 519
174
Il. Euripides, die Odyssee und die Nosten
Dort scheint er nach dem Tod seines Bruders eine Anklagerede gegen die Griechen gehalten zu haben, 522 in der er vielleicht gegen ein von Agamemnon ausgesprochenes Bestattungsverbot protestierte. 523 Die Naupliossöhne spielen eine Rolle beim Frevel Klytaimestras 524 und bei Orests Rache525; vielleicht kamen sie auch in den Nosten vor. An dieser Stelle im Orestes wird also durch die Erwähnung des Oiax ein kurzes Streiflicht auf die troische Vergangenheit (Prozeß bzw. Urteilsspruch des Agamemnon) geworfen, die sich auf den gegenwärtigen Rechtsfall auswirkt. 5.1.6. Helena Helenas unvermutetes Auftreten (71) wird großen Eindruck gemacht haben. 526 Die von ihr ausgehende Wirkung hat etwas Geheimnisvolles. Schon seit Homer liegt eine eigentümliche Aura um Helenas Gestalt. Es gibt keine Figur des griechischen Mythos, deren bloßer Name so viele Assoziationen hervorruft. Helena ist die Ursache allen Übels; ohne sie hätte es weder den troischen Krieg noch die Morde im Haus des Agamemnon gegeben. Wenn die Gestalt. die mit einem solchen Stigma behaftet ist. erscheint oder genannt wird, kann man nicht umhin, sich jene gewaltige Kette blutiger Ereignisse ins Gedächtnis zu rufen. Geht man von der bloßen Bühnenpräsenz aus, so könnte man sich zu dem oberflächlichen Urteil verleiten lassen, Helena sei im Orestes eine eher marginale Erscheinung. Die genau
fr. 588 2N. - Vgl. WELCKER, Cyclu.s,S01f.;J. A. HARTUNO, Euripides restitutus, 2 Bde., Hamburg 1843/44, Bd. 2,260; ROBERT, Heldensage, 1135 Anm. I; L. PARMENTIER, TroyeMes (ed. Bu~; dort die Notice), 8; SotMmlSTAHUN477; JouAN, Kyprien, 353 Anm. 2; 339 (mit Lit.). 523 Siehe besonders JouAN, Kyprien, 352f. (mit weiterenTestimonien). Wichtig ist vor allem Stesieboros, Oresteia,fr. 213 PAGE. Siebe außerdem Rutb Scooa, TM Trojan Trilogy of Euripühs, Göttingen 1980 (Hypomnemata, H. 60), 43-63; Dt B., Or., und Wu.J...,Or., z. St. 524 Siehe Diktys 6, 2; Hygin. /ab. 117. 525 Siehe Paus. 1, 22, 6. Vgl. JOOAN, Kyprien, 419. -Zu Nauplios siebe oben S. 4446 und JOUAN, Kyprien, 35 u. 426. 526 Siehe die Beobachtung DI BEr-EDEI 1m (Or., zu 71-139) zu Euripides' Szenenfiihrung: ~ earatteristico dclla tecnica dmnmatica euripidea ehe prima della parodo si svolga un dialogo tra l'attore ehe ba pronunziato il prologo e un altro personaggio: cfr. Held.. And.. EI. e Hel. [...) E significativo ancora ncll' Oreste il fatto ehe il secondo interlocutore sia Elena. Nei primi drammi infatti si trattava sempre di uno schiavo o di una persona subaltema, in modo ehe la personnaliti dcl protagonista dominava la scena. lnveee gil ncll' Elenra i ruoli sono invertiti e nell' El~na il secondo arrivato ba, eomc qui, dignitl eroica. La ragione di questo fenomeno ~ ehe nel tardo Euripide una distinzione rigorosa tra eroico e non eroieo ~ ormai scomparsa. .. - Zu den Spekulationen über die szenischen Vorginge im Zusammenhang mit Helena (wird sie von xpocxoÄ.ol begleitet oder nicht?) siehe WD.L., Or., zu 71-125. 522
5. Orestes
175
entgegengesetzte Ansicht vertritt etwa Ph. VELLACOTT, der sie für die zen527 trale Figur dieser Tragödie hält. Jedenfalls beruht ihre Rolle zu einem wesentlichen Teil auf Verhülltem, Angedeutetem, lediglich Berichtetem und nachträglich Erklärtem, was wiederum zu dem Mysteriösen ihrer Person beiträgt. Nach dem Gespräch mit Elektra erscheint Helena nicht mehr auf der Bühne. Die dramaturgische Funktion von Helenas Auftritt ist offenkundig. Euripides geht sehr sorgfältig vor, damit die zentralen Ereignisse des Stücks, die Anschläge des Geschwisterpaars gegen Menelaos' Familie plausibel motiviert und vorbereitet werden. Im Prolog erzählt Elektra (53-68), sie warte auf Menelaos, der nach langen Irrfahrten ([ ... ] 6apov EKTpoiac xpovov / CXA.al.Ct 1tA.a-yx8Eic ·528 [55bf.]) von Troja heimgekehrt und im Hafen von Nauplia gelandet sei. Helena habe er nach Mykene vorausgeschickt, und zwar bei Nacht, damit sie unerkannt und so vor Repressalien von seiten der Angehörigen gefallener Trojakämpfer geschützt bleibt. Sie halte sich im Palast auf und trauere dort um ihre Schwester. Bei ihr befinde sich Hennione, die ihr Vater Menelaos vor der Abfahrt nach Troja von Sparta nach Mykene gebracht und Klytaimestra zur Pflege übergeben habe. 529 Später sagt Elektra zu ihrem erwachten Bruder, daß der angekommene Menelaos Helena aus Troja mitbringe (245f.). In seiner Auftrittsrhesis (356ff.) berichtet Menelaos, Helena habe sich nach der Landung von Nauplia nach Mykene begeben (370) 530 • In 377f. 531 schwebt dieselbe Situation wie in 63-5 vor: Menelaos kommt (mit Hennione) von Sparta nach Mykene und bricht von dort zusammen mit seinem Bruder zum Zug gegen Troja auf. In 471-3 schließlich sagt Tyndareos, er habe beim Opfer an Klytaimestras Grab gehört, daß Menelaos mitsamt seiner Gattin nach vielen Jahren der Abwesenheit heil nach Nauplia gekommen sei. Die Art und Weise, in der Euripides mit epischen Stoffen umgeht, wird dann besonders deutlich, wenn er eine aus dem Epos stammende Figur in mehr als einem Stück auftreten läßt oder denselben epischen Sagenzug 527
Helena sei ,.[...) from beginning to end at the centre of the drama" (Ironie Drama, 60). 5 28 Siehe BIEHL, Or., zu 56: ,.der Aor. komplexiv wie in a I f. ~ µa).a 1t0Ua / 1tMn8,,, woran die Stelle anklingt [...): vgl. dagegen 689 1t6votat µupiou; aMOµEv~" (mit Lit.). D1 BENEDETTO (Or., z. St.) konstatiert für 55f. einen homerisierenden Ton: e una „6apov ... xpovov e espressione omerica (cfr. Horn. //. XIV 206 e 305) e CXA.TI glossa omerica attestata assai raramente in tragedia". 529 Siehe STEPHANOPOULOS, Umgestaltung, 159f. - Die Überführung Hermiones nach Mykene dürfte Euripides' Erfindung sein (so D1B., Or .• und W1LL.,Or., z. St.). 530 i\6,i6aµap-roc tv8a6' el;opµ0>µM1c (dell. Willink, Diggte). 53I ~pEcpoc yap ~V t6-t' ev KA.utatµflctpac XEp0\V[seil. Orest] / Öt' il;EA.EUtOV µe).a8pov T poiav icov.
ec
176
II. Euripides.die Odyssee unddie Nosten
mehr als einmal dramatisch umsetzt. Helena ist die interessanteste der aus Homer vertrauten Sagengestalten im Werk des Tragikers; an ihr :zeigt sich Euripides' Manier der Mischung von Konservatismus und Innovation am klarsten. Dies betriffi nicht zum geringsten die Umstände ihrer Heimkehr nach Griechenland. Am Schluß der Elelctra verkündet Kastor als deus ex machina, daß für die Bestattung des getöteten Paars Aigisthos und Klytaimestra gesorgt werde. Helena und Menelaos, die eben heimgekehrt sind, würden die Königin beisetzen. Helena sei gar nicht in Troja gewesen, sondern habe sich bei Proteus in Ägypten auf gehalten. Bei der Helena in Troja habe es sich um ein von Zeus geschicktes Eidolon gehandelt (1276-83)5 32 :
'tov6e 6' Aiyk9ou VEIC'UV KCXA.'l>\jfOUC\V 'tacpmt. "Apyouc1tOA.i'ta\ "fTIC µ11'tepa6e 't'flVC'flV lipn Nau1tÄ.1av 1tapmv elÄ.ex86va, MeviÄ.aoc,i~ ot Tpmi:ICTlv 'EÄ.iV11 'tE8a'lfE\· IlpO>'ttCOC yap €Kooµmv llKE\A.\1t0UC, Aiyu1t'tOV ou6' ~Ä.ßev.Cl>puyac. iptc yivot 'tOKat cpovocßpotrov, Zeuc 6 ', mc ei6mÄ.ov'EA.iv11c e~i1tEµ\jf' '1Ä.tov.
1280
ec
Außer Frage steht, daß Euripides hier die berühmte Stelle aus dem y im Auge hat:
E1t'tClE'tEC 6' ilvacce 1toÄ.uxpucoto MU1C11VT1C IC'tetVac'A'tpe{S,,v,6i6µ11'to6e Ä.aoci>1t'aU'tQ)\. 'trot 6i ol oy6oatmt KaKovt1Äu8e6ioc 'Opict11c a1t' 'A8,,vamv, Kata 6' EIC'taVE 1tatpocp0Vfla, EIC'ta. Aiytc8ov 6oÄ.6µ11nv,ö ol 1ta'tepa ICA.U'tOV ~ tot o'tov IC'teivac6a(vu ta.cpov'Apyefo1.Ct µ11'tpOC 'tEctuyepfic Kat ava.ÄKt6ocAiyk9oto· a-6-ri\µap6i ol ~Ä8e ßo11vaya8oc MeviÄ.aoc, 1toÄÄ.cx IC'tTlµ«t'liymv,öca ol viec äx8oc lietpav.
305
a"'
310
(y 304-12)
Die zeitliche Koinzidenz 533 der Bestattung von Aigisthos und Klytaimestra und der Ankunft des Menelaos hat Euripides von Homer übernommen. Neu ist dagegen der Umstand, daß Klytaimestra von Menelaos (und nicht von Orest) bestattet wird. 534 Auf dieselben homerischen Vorgaben bezieht sich Siehe oben S. 53 mit Anm. 66. Siehe oben S. 53. 534 STEPHANOPOULOS (Umgestaltung, 159) hält dies für eine euripideische Improvisation. 532 533
5. Orestes
177
Euripides auch im Orestes, allerdings wieder mit einer Retuschierung. Zu Beginn des Stücks erfährt der Zuschauer von Elektra, daß dies der sechste Tag nach Klytaimestras Bestattung ist (39f.); das gleiche sagt später Orest zu Menelaos (42lf.). 535Den Zeitabstand zwischen Klytaimestras und Aigisthos' Ermordung und der Ankunft des Menelaos hat Euripides eingefügt, um die Ausgangssituation für sein Drama zu schaffen: Orest und Elektra sehen der drohenden Verurteilung durch die anberaumte Volksversammlung entgegen (48f.; 440-2) und sind so unter Druck geraten. Durch die Retardation und die Ankündigung von Menelaos' Ankunft wird Spannung aufgebaut.536
6e 6ri't06' ~µap i!; Ö'tOU ccpayaic / 8avouca µ~'tT)P1tupl. ICQ~yYl('tal 6iµac [39f.]; Mt:. ltOCOV xpovov 6e µ'l'tppaKA.U'ta1µ11ctpat. 7tpOCE\1tEV 6' 'Opictac Aa1eatvav 1e6pav· ...n ~lOC1tai, 8t:e ixvoc 1ti6ro16E"Up'anoct&ca d.1Cµou TIEA.07tOC E1tl1tpo1tatopoce6pava 1taA.a1&c ectiac, \V' Ei6t1tcA.oyoucEµO'UC.
1435
1440
1431 a 6' [-EAlVOV] / ,iÄ.aJCa'taWillink: ä 6e AlVOV ,iMKIX'tUlWest
stützt sich für seine Konjektur auf 6 131 und hält die odysseische Spinnszene für das Vorbild der euripideischen: 546
WEST
?Hoc otau8' ÖpµatVEKa'ta cppeva1ea1. 1Ca'ta8uµ6v, E1C 'EA.iv118aMiµoto8ucooEOC invopocpoto fi1CUia. 11lu8ev 'Aptiµ161 XP")CTIÄclmtmi 544
120
Siehe unten S. 182f. In der llias trimIris Helena beim Weben an (f 125-8). Als Hektor im Z Paris in seinem Haus aufsucht, ist dort Helena damit beschäftigt, den Mägden Anweisungen für 1tep11CAU'ta. tpya (Z 324) zu geben. 546 „the noun is too bare without an adjective, and the metre is unsatisfactory; my insertion gives an anapaestic dimeter. For Helen• s golden distaff sec Od. 4.131. That passage is Euripides • model for this spinning scene, and the word klismos in 1440 comes from there" (Or., zu 1431.) - ,,Euripides combines the Homeric picture of Helen spinning with the motif from earlier in the play of offerings for Clytaemestra" (Or., zu 1434). - Zu 1439 (Or.): .,from the footstool on which her feet rest (Od. 4.136 [...])". Siehe auch ZE1TL1N, ,,Role-playing", 61 (vgl. unten S. 182-187). - W1LL1NK (Or., z. St.) hegt gegen WESTSKonjektur Bedenken metrischer Art. - Vgl. 01 B., Or., z. St., u. F. CHAPOUTJER, ,,Apropos d'un eventail ou de l'exotisme dans Euripide", REA 46 (1944), 209-216. 5 .5-4
5. Orestes
tlll 6' äp' äµ' 'A6pt1c't11 dtd'llV eÜtuK'tove8,iicev, 'AÄ.ICl1t1tTJ 6e ta7tT1tacpipevµaÄ.aicouEplOlO, cl>uÄ.co 6' cxpyupeovtaÄ.apov cpipe,'tOVoi. e&>icev 'AÄ.icav6p11, IloÄ.uJ3oto6aµap, ÖcEVal' EVte,;Jtr,lc iv K'tTIJ.lataiceital · Aiyu1ttl1'1lC, ö0l nÄ.EictaOOJ.lOK öc MEVEA.aCl)l füoice6u' cxpyupiac cxcaµiv0ouc, 6otouc 6e tpi1to6ac, 6iica 6e xpucoio taÄ.avta. xropic 6' at 'EA.iv11täÄ.oxoc1topEicaUtµa 6ropa · x,,uci,ivt' f1Aam4n1v taÄ.apov 0 • UJtOICUICA.OV ÖJtacCEV cxpyupeov,xpucrot 6' E1ttXEtA.Ea ICEKpacxvto. tOVpa oi. cxµcp{noÄ.oc cl>uÄ.co JtClpE~ICE cpipouccx VTIJ.lCl'tOC CXCICTl'tO\O ßeßucµivov. ClUtcxpEJt.ClU't(l)t "'" -.......1.. , , ~ \ ? ,, 111\A&IU~fll 'tE'taVUC'tO tOuVEcpEC Etpoc fXOUCCl. E~E'tO6. EVd1q.ui1, foto 6e 0pf\vuc nodv ~EV.
181
125
130
135 (6 120-36)
hat sicher recht, was die Motivparallele anbelangt, auch wenn man seiner Konjektur nicht zustimmen will. Indessen wäre auch eine andere (aber in jedem Fall sekundäre) Anspielung zu erwägen: In der Odyssee ist Penelope diejenige Frau, gegen die Anschläge geplant werden, wenn auch keine von lebensbedrohlicher Art. Die Hinhaltetaktik, mit der sie den Anträgen der Freier begegnet, besteht darin, daß sie für Laertes ein Leichentuch webt (und bei Nacht das tagsüber Gewebte wieder auftrennt). Hier im Orestes verfertigt Helena für Klytaimestra - für eine Tote - CpOV yap f3i~ av6po~ avaA.1Cl6o~).but
182
II. Euripides, die Odyssee und die Nosten
Euripides verwendet dasselbe Motiv in EI. 1206-9, 551 in Bezug auf Klytaimestra; dies könnte für die Annahme sprechen, daß der Anschlag auf Helena den Muttermord motivisch rekapitulieren soll. 552 Im Orestes ist an die berühmte kyklische Episode vielleicht auch noch an einer anderen Stelle gedacht. In den Versen 74lf. wird Helena einmal mehr negativ charakterisiert: nu. icai 6aµapta tllV icarict11V vauctOMOVEA.'f\A.U8ev; Op. 0'\)ICEICE\VOC all' EICElVTI ICE\VOV ev8a6' i\-yayev.
Abzuwägen wären die beiden Möglichkeiten einer topischen Formulierung oder einer konkreten mythologischen bzw. literarischen Anspielung. 553 Die Rollenumkehrung bei der Partnerdominanz ist ein topischer Bestandteil der Schilderung weibischer Ehemänner, wofür Menelaos ein Paradebeispiel darstellt. Das Polyptoton unterstreicht formal diese Umkehrung. 554 Für eine Anspielung auf die Kleine llias könnte der Umstand sprechen, daß Menelaos' Abhängigkeit von Helena nicht in allgemeiner Hinsicht erwähnt wird, sondern im Zusammenhang mit dem Nostos der beiden; dessen Anfangspunkt aber bilden die Ereignisse der Iliupersis. Helenas Auftritt dient der dramaturgischen Vorbereitung der „HermioneHandlung .., ist für sich genommen aber pragmatisch schlecht motiviert. Dieser Mangel wird indessen künstlerisch wettgemacht durch eine auf knappem Raum durchgeführte Charakterisierung meisterlicher Art. WtLalready there the point is figurative; and here there is surely a double point (,deaf'/ ,blunt') following ,they hear not'". Vgl. D1 8., Or., z. St., der eine eindeutige ..rcminiscenza" der Iliasstelle annimmt und weiterreichende textkritische Schlüsse zieht: ,,il confronto con il passo omerico dimostra ehe le variae lectiones con il verbo al plurale sono da scartare". !ISI (Op.) 1Caui6Ec ofov tCXA.alV. E~Q)ltt7tMDV eJ»Ä.Ev E6El~EµactOV E.V fPOVO\ClV,
a
icoµOl, 7tpOC7tt6on
tl8Eica yOVlµa µtÄ.Ea; ta1Coµav 6' eyco. ~52 Siehe oben S. 179 mit Anm. 542 zu den Thesen von STEIGER, PERROTTA, GREENBERG,FuQUAund ZEITLIN. 5!\J So WEST,Or., z. St. ~~ 4 Siehe D1 8., Or., z. St., W1u. .• Or., z. St. und zu 638f. - Ein noch ausgeprägteres Beispiel für die Dominanz der Frau und die korrespondierende Abhängigkeit des Mannes ist das Paar Klytaimestra/Aigisthos. In ihrer Abrechnung mit dem toten Usurpator zitiert Elektra die Worte der Argiver: ff(XC\V 6' iv 'ApyEto\C\V;\ICOUEC ta6e· / ·o fflC '(\JVallCOC, ouxi. tav6poc Tlyuv~ (EI. 930f.). Siehe D1 8., Or., und W1u.., Or., zu 742. Siehe auch die Formulierung ex negativo in dem Penelope-Paradeigma Or. 589f. (vgl. Or. 558f.; siehe WEST,Or., und W1u.., Or., z. St.; FRAENKEL zu Aisch. Ag. 1625ff.).
5. Orestes
183
zweifellos recht mit der Feststellung, daß das von Helena an den Tag gelegte Verhalten der epischen Tradition entlehnt ist: LINK hat
„In this intimste ,domcstic' scene Helen comports herself with an amiable, gentle graciousness rcflccting thc Epic tradition [...]. This is the traditional Helen [...]. familiar from thc channingly ironical prcscntations in II. 3. 121-244 and Od. 4. 120 ff.[ ...]." (Or., zu 71-125.)
Es muß danach gefragt werden, ob und in welchem Umfang es möglich ist, eine Bezugnahme auf die homerische Helena noch genauer zu diagnostizieren und eine Aussage darüber zu machen, wie Euripides mit seinen homerischen Vorgaben umgegangen ist. In der llias hat Helena ihren großen Auftritt in der Teichoskopie. Erst nach 1608 Versen tritt die Verursacherin des Kriegs persönlich in Erscheinung. Nach WtLLINKist das retardierte und kurzzeitige Erscheinen der zentralen Gestalt Helena im Orestes ein „iliadischer" Kunstgriff und hat sein Gegenstück in der ganz anderen Darstellung derselben Figur in der Helena. 555 Tatsächlich gibt es gewisse Ähnlichkeiten zwischen der Auftrittsrhesis Helenas und der Szene im r. Die Selbstankla7tpOC"IÄ1ov / E7tA.e\>C' Ö1tcocrnÄrnca 9eoµavei 1tO'tµon (78bf.) ge E1tE1. 556 erinnert an r 173-6, die Schuldzuweisung an Apollon (ec «l>oifiov avacpipouca 'tflV µ01 aino{ EtctV/ 01. µ01 Eq>ropµ11cav1t6Ä.Eµov 1toÄuÖaKpuv 'Axa1rov (f 164f.). 557 Die Formulierung aia~ro -ruxac (80) erinnert an -ro Kat KÄaiouca 'tE'CTlKain r 176b (an ähnlicher Position, nämlich als Abschluß der einleitenden Worte und vor Beginn der eigentlichen Antwort). 558 555 ,.[ ... ]
the very brcvity of this direct view of one so much talked about is 'Iliadic' in technique, by contrast with thc prolongued exposurc given to the non-Iliadic Helen in Hel." (Or., zu 71-125). 556 cix:öcpwv 8ava'toc µoi afü:iv icaicoc01t1t6n:fü:upo uiil din bt6µTtV8aA.aµov yvattouc 'te Ä.ui:ouca xaioo 'te 'tTIA.U"fE'tTIV ical.OµTtA.llCi'l'IV ipa'te\VT)V. all.ex 'tll y • ouic i:yivov'to· 'tOicat icA.aiouca'tE't11'ca. Vgl. aber auch 6 260-4: [...] i\6'1'!µoi icpa6i'l'I'tt'tpa1t'to viec8ai a„otic6v6••li'tTIV6e µe'tECUVOV, 11v"Acppo6i't'Tl 6u,x', öu µ' i\yaye iceicecpiÄ.TtC axo1ta'tp{6ocaiTtc, 11:aioo't' iµ11vvoccpiccaµivTtv8aA.aµ6v 'te 11:ociv u oü 'tE'\l6EU6µevov,oÜ't' äp cppivac oüu 'tl et6oc. 557 Vgl. W,u.., Or., zu 75f. 558 In der /lias findet man sclbstanklagende und -verurteilende Äußerungen Helenas neben solchen, mit denen sie die Götter beschuldigt. Sich selbst kritisiert sie in r 17~. Z 344-8 und 356 sowie in O 764 (vgl. r 180 [1CUvcimi6oc] u. 404 [c'tuyepflv]),die Götter in r 400-9 (Aphrodite), Z 349 und 357.
II. Euripides, die Odyssee und die Nosten
184
W1LLINK beschreibt Helenas Verhalten als von ai&oc, q>tA.iaund aJxrulia 559 bestimmt. ai&oc und q>tA.iafinden sich in ihrer grundsätzlichen Haltung gegenüber Elektra 560 und in dem Plan der Grabspende für die tote Schwester; indessen kann man hier allenfalls von lockeren Parallelen zu Homer sprechen. In der Teichoskopie begegnet Helena dem Priamos mit Respekt und Zuneigung (ai6oi6c te µoi icct q,iÄ.ebrupe 6Etv6c tE· [f 172)). 561 Hinter ihrer Scham vor den Argivem steht freilich nackte Angst vor der Steinigung (56h-9). Die Helena der /Lias muß in Troja nicht um ihr Leben fürchten; aber auch sie schämt sich. In r 410-2 weigert sie sich gegenüber Aphrodite, zurück zu Paris zu gehen; sämtliche Troerinnen würden sie dafür tadeln. Als sie von der Mauer aus ihre Brüder Kastor und Polydeukes nicht sehen kann, nennt sie sich selbst zwei Erklärungsmöglichkeiten (f 236-42): entweder sind sie gar nicht aus Lakedaimon hergekommen, oder sie wollen nicht offen am Kampf teilnehmen, weil sie sich für ihre Schwester schämen (aicxEa 6EtÖtotECica1.ovti6Ea x6U' ä µoi icnv. [f 242)). Problematischer ist die Frage, ob die von W1LLINK hervorgehobene ajioulia Helenas in dieser Szene ein. homerisches Vorbild hat. Hier bei Euripides bestehe die aßouA.ia in folgendem: ( 1) Helena will Elektra in einem für diese sehr ungünstigen Moment mit einer unpassenden Aufgabe betrauen. (2) Als Grund dafür, daß sie nicht Hermione schickt, führt sie deren Jungfräulichkeit an, obwohl dasselbe für Elektra zutrifft (zweimal nennt sie sie xap8evE: in 72 und in 92). (3) Sie läßt sich sofort von Elektras Gegenargument überzeugen (1 lOf.). (4) Beim Wegschicken der Tochter ignoriert sie deren Dienerschaft. Wie tief Helenas Schuldbewußtsein reicht, ist schwer einzuschätzen. Aus den Worten 8toµavEi xotµrot (79) 562 erhellt, daß sie für ihre eheliche Untreue gewichtigere Gründe geltend macht als bloße Leichtfertigkeit und 559
Or., zu 71-125.
560
Das Scholion z. St. nimmt kleinlichen Anstoß an V. 72; Helena mache sich mit perfider Ironie über Elektralustig. Zu dem etymologisierendenWortspiel 'HA.i1Ctpasiehe ebd. cxÄ.E1Ctpoc 561 Siehe WtLL.,Or., zu 71-125: ,,The primarycharacteristicsof the lliadic Helen and qnÄ.ia,as in her opening words to Priam [...] II. 3. 172". are an unexpected aiOO>I; Priamos seinerseits nennt Helena zweimal cp{Ä.ov 'tEicoc(f 162 und 192). 562 Vgl. WECKL., Or., z. St.: ..[...] wie sich Agamemnonbei HomerT 87 entschulZE~ ical Moipa ical T1Epocpoinc; 'EplVi>c;,01. 'tE µ01 Eiv ciyopft cppEalv digt: eµßaÄ.oväyp1ov CX'tTJV". - Den euphemistischenCharakterder Formulienmg heben D1 B., Or. (unter Angabe von Parallelstellen), und WtLL.,Or., z. St. hervor. Vgl. WECKLEIN zu Aisch. Ag. 1170 (,,eine Ausdrucksweise, die durch Verschweigen das Schlimmste andeutet"); FRAENKEL zu Ag. 1171; DENN.,EI., zu EI. 1141; H. W. JoHNSTONE, ,,Pankoinon as a Rhetorical Figure in Greek Tragedy", Glotta 58 (1980), 49-62, hier bes. 56. Zu 8EoµavEi macht WtLLINK (Or., z. St.) auf die Parallele in 845 aufmerksam: "tÄ.itµcov 'Opic'tTJc8EoµavEi Ä.i>ccT11 6aµdc.
au.«
5. Orestes
185
Unbesonnenheit. Sie tendiert allerdings dazu, die gesamte Familientragödie als Folge göttlichen Wirkens zu sehen und subsumiert darunter auch ihren eigenen Fauxpas, bei dem der Einfluß des Schicksals noch hinzukomme. In der Ilias spricht Helena bei all ihren selbstkritischen Äußerungen einmal (Z 355f., zu Hektor) von ä't'Tl, ,Verblendung', aber in Bezug auf Paris: füiep, inei ce µaAlCta 1t6voc cppivac ciµcptßiß111eev/ e'ive1e· iµeio 1ruvoc 1ea1.'AÄ.E~av6pou eve1e'ä't'Tlc,/ [... ];563in Bezug auf sich selbst tut sie es in der Odyssee, in 6 261.564 Sonst wird bei Homer nirgends explizit gesagt, daß sie Paris aus Gedankenlosigkeit gefolgt ist. Die cißouA.ia, wenn man an diesem Begriff festhalten will, ist im Fall der euripideischen Helena eine ambivalente Eigenschaft. Zunächst ist es ein ganz allgemeiner Zug des traditionellen, nicht spezifisch homerischen Bilds von Helena als einer leichtfertigen Frau. Sodann hat Euripides aber wohl auch beabsichtigt, beim Zuschauer Sympathie für sie hervorzurufen. 565Gerade hierin könnte nun wiederum in indirekter Weise etwas Homerisches liegen. Sowohl in der Ilias (besonders im r) als auch in der Odyssee erscheint Helena als eine Gestalt, über die in absentia schlecht zu reden man leicht versucht (und auch sehr wohl berechtigt) ist, der man aber bei einer direkten Begegnung kaum Sympathie oder sogar Bewunderung verweigern kann. Nirgends wird diese Ambivalenz deutlicher als in den Worten der troischen Geronten in r 156-60:566 O'UVEµEClC Tproac 1ea1.EÜ1CVT1µt6ac 'Axatouc totiit6' ciµcpiyuvat1e1.1toA.uvxp6vov ä)..yea xacxew · aivroc ci0avxaEOt1CEV · ci'J.JJ:x. 1ea1.ck toi111tEpiouc · iv v11ud veic0w, µ116'iiµiv te1eiecd t' oxiccw Jtiiµa Ai1to1to.
160
Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß Euripides mit dieser Szene einen dramaturgischen und einen charakterisierenden Zweck verfolgt hat. Mit der Vorbereitung von Hermiones Kidnapping wird zugleich eine wirksame Konfrontation von Helena und Elektra erreicht. Elektra und Orest 563
Vgl. auch die beiden folgenden Verse oletv i1t1.Ztuc 9i\1CE1ca1Cov µopov, ci>e 1Ccx1. oxiccw / av8pamo\Cl 1tEMi>µt8'aoHhµol iccoµtvOlCl mit Or. 79 8toµcxvti xotµon. - In Z 352f. sagt Helena von Paris, er habe keinen Verstand (cppivtc). S64 Siehe oben S. 183 Anm. 556. S6 S Vgl. das Urteil von WECKLEIN, der Helena hier als „eitel und leichtfertig, aber nicht boshaft" bezeichnet (Or., zu 72), und von W1LLINK (Or., zu 71-125): ,.it is important that we should like Helen, whatever view we take of her calamitous career, that we may be the more shocked by the murderous violence surrounding and directed against her". 566 Siehe ALsINA CLOTA, ,.Helena", 381f.
186
ß. Euripides, die Odyssee und die Nosten
angetroffen in einer Positur, die ihr hilfloses Elend zum Ausdruck bringt sind in letzter Konsequenz auch „Opfer„ Helenas. Der Unterschied zwischen den beiden Frauentypen könnte kaum größer sein: hier die herbe, willensstarke, unerotische Jungfrau, dort das Muster der erotischen und leichtfertigen, weiblich-schwachen Frau.567 Der Kontrast manifestiert sich in einem äußerlichen Detail. Elektra mokiert sich über Helenas halbherzige Haarschur: Sie hat nur die Spitzen der Haare abgeschnitten, um nicht ganz die modische Fasson zu verlieren. 568 Den Gegensatz bildet der squalor Elektras und auch Orests. Bei diesem Anblick bricht Elektras Haß, der im Gespräch mit Helena nur unterschwellig zum Vorschein kam, offen hervor ( 126-31 ): 569
ibC,xavtec 6i µe XEq,piicanv. 575 Vgl. GHALI-KAHIL, enlevements, 25f.
188
II. Euripides. die Odyssee unddie Nosten
5 .1.7. Exkurse 5.1.7.1. Or. 4-10
0 yap µa1eap1oc (ICOUIC OVE16i~co n>xac)
Aloe 1tEqn.>1CCOC, coc AEfOUCl,Tav'ta.A.oc 1eopu4P'icUKEp'tÜ.Ä.oV'ta6E1µaivcov 1te'tpov ciip11tO'tU'tQ\. ICQ\'t\VE\ 'tQ'U'tTIV 6i1C11V. cocµh, ).i,youc1v, ön 8Eoic äv8pco,toc mv, ICOlvi\C'tpa1t€~1lCa;{coµ' qcov lCOV, a1eoA.actov &XEy'Aioccav, aicxic'ttlv vocov.
5
10
Euripides ignoriert die odysseische Version (Ä.582-92: Hunger- und Durstqualen). Dagegen gibt er die verbreitete Fassung (Furcht vor einem herabhängenden Felsen), die bereits bei Archilochos belegt ist (fr. 91, 14 WEST); 576 außerdem hat sie in den Nosten gestanden, 577 war also vielleicht auch Bestandteil der vorodysseischen (mündlichen) Nostensage. Dann wäre zu fragen, warum die Erste Nekyia eine andere, singuläre5 78 Version enthält. Vielleicht bezieht sich Euripides direkt auf die Nosten; WESThält eine Anspielung in Vers 10 auf die infr. 4 belegte Sagenfassung für möglich. 579 Daß Tantalos selbst ciip1 1t0't«'ta1, ist ein sonst nicht belegtes Detail und wohl euripideische Erfindung. 580 Das Bild wird in 982ff. (s. u.) genauer ausgeführt. 576
Vgl. Paus. 10, 31, 12; vgl. Wll.L., Or., zu 6; WEST,Or., zu 6-7. - Weitere Lyrikerbelege: Alkaios,fr. 365 Vo10T;Alkman,fr. 79 PAGE; Pind. 01. l, 57ff. u. 86ff.; lsthm. 8, IOf. u. 20ff. - Siehe auch Lukr. 3, 980f. (abhängig von Euripides [so WnL, Or., zu 61); Plat. Krat. 395d 9f.; Diod. 4, 74, 2; Cic.fin. 1, 18; Tusc. 4, 35ff. - Siehe R. PORSON (Hg.), Euripidis Hecuba. Orestes, Phoenissae et Medea {...], vol. II, 3., verb. u. erw. Aufl. [dt.], Leipzig 1824, 11-15; L. PREu.ER, Griechische Mythologie, Bd. 1: Theogonie und Goetter, 4. Aufl., bearb. v. C. ROBERT, Berlin 1894, 822 u. Anm. 2. 577fr. 4 BERNABt (= 9 DAvtES): cp1.A.11oovov 6. oi JtOlTl'ta\IC(l\'tOV«PXaiov cpao
UU'tOV yEVtc8al Tav'taA.OV·oyoüv fllV 'tO)V'A'tpt:l~ JtOlllCac1Ca8ooovcicpuCOf.1.2VOV Aqt:l xpoc 'tOUC 8t:ouc 1Ca1. cuvÖ\a'tpiPov'ta i~oudac -ruxt:ivxapa 'tO\l'1loc ai'tllcac8m Ötou E1tt8uµt:i.'tOVfü: 11:poc't(l( ci11:oÄ.auct:tC «JtA.'lC'tCIX Öla1CEiµt:vov UJttp UU'tO>V 'tE 'tOU'tCOV µvt:iav 1to1itcac8a1 1Ca1.'tO\l ~iiv 'tOVau'tov 'tpo1tov 'tOic 9t:oic · icp· ok QKO'tt:Ä.icat 6ux fllV UJtOCXEClV, ÖJtcoc6e µ116hr ayavalC'tll(aV'tU'tOV.:1iafllV µh EUXflV ci1toÄ.au111 'tcirv1tapa1Ct:1µivmvcilla ÖlauÄ.111'tapauoµEVoc, ÜJttp 'ttl' ict:.«XA,i;c E9)PfflCEVUU'tÖ)lKE'tp0V,6t' öv oi, 6uva-rat 'tÖ>V JtapalCElµivow'tUXElVou6EVOC,Vgl. Paus. 10, 31, 12; Schot. Pind. 01. 1, 91a (137-39 DRACHMANN). 571 Danebengibt es nur splte Belege: AP XVI. 89; Ov. m.et. 4, 458f.;10, 4lf.; vgl. Cic. Tu.sc. 1, 10. 579 Or., z. St. - Siebe auch DI B., Or., zu 7-10. SIO Vgl. WEST, Or., zu 6-7; Wll.L., Or., zu 7, und dens., ,,Prodikos, ,meteorosophists' and the ,Tantalos'-paradigm", CQ, N. S. 33 (1983), 25-33. Eine euripideische
5. Onstes
189
Die wichtige Frage, in welchem Zusammenhang in den Nosten eine Katabasis vorkam, ist kaum zu klären. Schon BETHEmußte hier eine Aporie eingestehen. Wo soll das relativ kurze Nostenepos (5 Bücher) Raum für solch eine Episode gehabt haben, die in jedem Fall, d. h. unabhängig von ihrer narrativischen Form, Exkurscharakter gehabt haben muß? Mehr als raten wird man nicht können (siehe BETHE),aber es wäre doch möglich, daß es gar keine Nekyia oder Katabasis gab, sondern Tantalos ähnlich wie bei den Tragikern 581 am Ende des Gedichts erwähnt wurde, als das Unglück des Atridenhauses - d. h. die Ermordung Agamemnons und Orests Rache geschildert wurde, vielleicht in Form einer Klagerede. 582 Dem könnte man allerdings entgegenhalten, daß eine derartige Klagerede dem gedrängten Erzählstil des Epos kaum entsprochen haben dürfte. Schwer wiegt vor allem das Zeugnis von fr. 3,583 demzufolge nicht allein Tantalos, sondern die ganze Serie der Unterwelts-6Eiµata in dem Nostenepos vorkam. Also muß es sich doch um einen Exkurs von beachtlicher Ausdehnung gehandelt haben - und das alles in einer Klagerede?
5.1.7.2. Or. 983ff.
µ6A.cnµ1ta.v oupavou
.
982
µecovx8ovoc tEtaµevav
, atc.opriµanv XP")Cmtc, 1tetpav cUucEC1 cpEpOµEVaV 6tVa\Cl,
j3ro>..ov e; 'OÄuµxou,
'iv' EV0pTJVO\C\V a.vaßoacc.o yepovn 1tatep1 TavtaÄc.ot, öc EtEKEVEtEKEYEVEtopaciµe0Ev, 66µmv äc 1eatEt6ov ätac ·
985
1tOtaVOVµev 6tc.oyµaJt(l)A.{.l)V,
tE8p11t1toßaµov1CtOA.c.ol
990
Neuerung liegt vielleicht auch in Vers 5 vor; siehe D1 B., Or., z. St.: ,,La patemitA di Zeus per Tantalo, a cui si fa riferimento anche a v. 346 e in /A. 504, non ~ attestata altrove, ma non siamo in grado di accertare se si tratti di una innovazione euripidea". 581 Tantalos als Archeget des Unglücks des Tantalidenhauses wird in Aisch. Ag. 1469, Eur. EI. 1176 und Hel. 856 genannt (siehe Wtu.., Or.• zu 4-10). ss2 Anders DüMMLER, der glaubt „dass die Nekyia der Nosten die Hadesfahrt des Agamemnon war" (,,Nekyia", 187; vgl. ebd. passim). 583ft 6e 'Oµt1pou 7t0lTIClC EC'06uccea ical ft MlVuac (fr. 2) 'tE icaÄ.ouµEVTI ical oi
NoctOl - µvt1µT1 yap &riev tautaic ical "A16ou icai.'tCOV EICEi 6t1µatA.Ov fr. 783 2N. (xpucia ßij>A.OC in Bezug auf (ta8Eic), D1 BENEDETTO die Sonne) und zur ursprünglichen Bedeutung ,Erdscholle' a 374 (Ei1eot~· foto ßij>A.OC apotpcot). Zu yipovn weist W1LL1NK (Or.) auf,_ 591 hin, zum Plural von (Or.) e 335 (siehe WILL., Or., zu 990f.) und bes. rciMyoc vergleicht D1 BENEDEITO hymn. H. 3, 73.
5.2. ZUSAMMENFASSUNG
Der Orestes zeigt keine Homerimitatio großen Stils, wie sie in der Elektra und in der Helena begegnet. Der Plot beruht auf einer offenkundigen (und genialen) Modifizierung des alten Sagenzugs der Nosten, demzufolge Menelaos am Tag der Bestattung von Aigisthos und Klytaimestra nach Argos kommt. Eine gewisse archaisch-heroische Stilisierung der Intrigenhandlung kann kaum als direkter Rekurs auf Homer gewertet werden. Erst recht 584
Siehe W1LL.,Or., und WEST,Or., z. St. (,,and we should imaginethe othcr end of it fastened to the peak of Olympus as in II. 8.25"). - Vgl. 0 18-30. 585 Siehe Anaxagoras,/r. 59 A42 u. 71 DK. Vgl. W1LL1NK (wie oben Anm. 580),der Anspielungen an zeitgenössische kosmologische Theorien feststellen zu können glaubt (vgl. seinen Kommentar zu 982-1012 [..,golden chains' are proper to suspensions effected by Zeus(//. 8. 19 ff., 15. 19-20), and so traditionally appropriate to T.'s rock, ,balanced' like a tcUavtov; but in sophistic (post-Anaxagorean) mythical interpretation they lent themselves to cosmological, andin particular solar, symbolism [...]" (mit Lit.).] und zu 4-10). Siehe auch D1B., Or., und WEST,Or., zu 985. - Vgl. D. COMPARETn, .,Die strafe des Tantalus nach Pindar. (01. I, 56 ff.)", Philologus 32 ( 1873), 227-251. - B1EHL (Or., z. St.) vergleicht dagegen „die merkwürdige Vorstellung von den ,Bändern des Lichtes', deren Enden vom Himmel aus ,gespannt' sind, bei Platon (Resp. X 616b 7 [...)" sq.)"; ,,Zur Vermischung der Bilder vgl. Ion 41 äµ' iutuOV't~ itÄ.iou JCUICMp (ebd., mit Lit.).
6. Kyklops
191
findet keine Kritik am homerischen Heldenideal statt, sondern eher an dem des Sophokles. Es begegnen aber nicht wenige Anklänge an die homerischen Epen, zumeist solche motivischer Art. Der Orestes ist ein Zeugnis dafiir, daß das in der Odyssee so wichtige Orest-Paradeigma in seiner künstlerischen Bedeutung Euripides voll bewußt war. Die Gestalt der Helena beweist eine deutliche Beeinflussung des Dichters durch die Erscheinung Helenas in /Lias und Odyssee. In der Schilderung vom Anschlag auf Helena im „Boten"-Bericht des Phrygers mischen sich Reminiszenzen an die Odyssee mit solchen an die lliupersis. Anklänge an die Nostenthematik lassen sich in der andeutungsweisen Parallelisierung des µ11xav11µamit den gegen die Freier gerichteten Aktionen des Odysseus und seiner Anhänger in der zweiten Odysseehälfte feststellen.
6. KYKLOPS 6.1. NOSTEN- UND ODYSSEE-NACHWIRKUNG: DAS „NOSTOS-SCHEMA"
Der Kyklops ist eine direkte dramatische Umsetzung einer homerischen Episode, nämlich der odysseischen Kyklopeia. 586 Neben dem Rhesos 587 stellt er dasjenige euripideische Drama dar, in dem der Homerrekurs des Dichters am offenkundigsten ist, als solcher a priori keines Beweises bedarf und schon früh erforscht wurde. 588 Es ist nicht das Ziel dieses Kapitels, 586
Andere Bühnenbearbeitungen der Kyklopeia stammen von Epicharm (KvK,l.coy, [CGF 1 1,/r. 81-83 KAIBEL]),Kratinos ( 'OOvcdjc[PCG IV, F 143-157 KAssEL/AusnN]; Hermes 30 [ 1895), siehe auch G. KA1BEL, ,,Kratinos' 'OOvccijcund Euripides' KvKA.CA>y,", 71-88; R. H. TANNER, .,The 'Oöucciic of Cratinus and the Cyclops of Euripides", TAPhA 46 [ l 915), 173-206) und Aristias (K VKA.lA>l/f [TrGF I, 9, F 4 SNELL]). 587 Aus Gründen der Stoffbeschränkung wird diese Dramatisierung des 10. lliasbuchs hier nicht behandelt. (Für die Echtheit plädiert W. RrrcHIE,The Authenticity of the Rhesus of Euripides, Cambridge 1964, der das Stück als Euripides' frühestes Werk ansieht und auf den Zeitraum zwischen 455 und 440 v. Chr. datiert.) 588 Die umfassende und präzise Abhandlung von W. WETZEL (Cyclops) stellt wohl das herausragendste specimen einer stofflich eingeschränkten Behandlung euripideischer Homerimitatio dar; wertvoll ist hier auch die Aufarbeitung der älteren Literatur. - Vgl. (De Cyclope Homerico atque Euripideo, Diss. Berlin die Arbeiten von C. B. NEWCOMER 1899) und P. MASQUERAY (.,Le Cyclope d' Euripide et celui d' Hom~re", REA 4 ( 1902), 165-190). 0. Zw1ERLEIN weist in seiner Rezension von WETZEL,Cyclops (Gnomon 39 ( 1967], 449-454, hier 450 Anm. l) auf P. ZINKE.Nachbildung der homerischen Cyclopeia in Euripides' Satyrdrama Cyclops, Progr. Budweis 1906•, hin. - .,Aus der ungedruckten Dissertation von Gabriele Brenner, Die Polyphemdichtungen des Euripides, Kratinos und Philoxenos und ihr Verhältnis zur Odyssee (Wien 1947) ist nichts zu gewinnen" (KAssa, ,,Bemerkungen", 283 Anm. 13) [•]. - Siehe auch A. MoMIGLIAN0, ,,Rileggendo il ,Ciclope' (Euripide „der Dichter der griechischen Aufklärung"?) .. , A&R
192
ß. Euripides. die Odyssee und die Nosten
im Kylclops die zahllosen Anspielungen auf die Odyssee im einzelnen darzulegen. 589 Vielmehr soll es im wesentlichen darum gehen. zu prüfen. ob Euripides auch in diesem Stück das „Nostos-Schema" angewendet hat, und außerdem en passant auf einige Tendenzen und Techniken des euripideischen Homerrekurses hinzuweisen. Ein schwerwiegendes methodisches Problem ist der Umstand. daß von der Gattung des Satyrspiels sehr wenig erhalten ist und sich deshalb kaum feststellen läßt, ob gewisse Motive im Kylclops weniger auf den Einfluß des homerischen Epos als vielmehr auf den älterer Satyrdramen zurückzuführen sind. 590 Übrigens sind Anklänge an die Odyssee nicht die einzigen Homerreminiszenzen im Kyklops. Die Beurteilung der zahlreichen Epizismen kommt einer ständigen Gratwanderung gleich. da man stets abwägen muß, ob Euripides einen direkten Homeranklang beabsichtigte oder sich nur auf der Schiene des gattungsspezifischen 1tapatpa-yon6t:iv bewegt. 591 Ferner zeichnet sich dieses einzige vollständig erhaltene Satyrdrama durch eine eigenartige Kombination genuiner und gattungsfremder Elemente aus. 592
6.1. l. Die Vorgeschichte (Prolog. l-20) Die Prologrede des Silens kombiniert iliadische und odysseische Motive. 593 Seine Lamentation über den ewigen Ärger (novouc, 1). den er mit 10 (1929), 154-160*; J. A. L6PEZFEREZ,,,EI C(clope de Eurfpides: Tradici6n e innovaci6n literarias", Minerva l (1987), 41-59. - Interessant, aber größtenteils kaum nachvollziehbar sind die Überlegungen von M. V1cKERS,.,Alcibiades on Stage: Philoctetes and Cyclops", Historia 36 (1987), 171-197. Er deutet den Kyklops als dramatische Behandlung des Politikums Alkibiades(Odysseus und der Silen = Alkibiades;Polyphem = ,der' Spartaner) (was für SEAFORDS Datierung auf 408 [siehe unten S. 222f. mit Anm. 708] spreche). 589 Das ist längst geleistet. Nachweise finden sich in den Kommentaren (besonders denjenigen von R. SEAFORD und W. BIEHLverdanken die folgenden Ausführungen viel) und vor allem bei WETZEL,Cyclops. - Weitere Kommentare: D. M. S1MM0Nos/R.R. TrMBERLAKE, Euripides: The Cyclops, Ndr. London 1997 [EA Cambridge 1927]; V. DE FALCO,II Ciclope, Neapel 1936; DucHEMIN,Cycl. 590 Siehe unten S. 198. -Siehe SEAF.s„Introduction" (Cycl., bes. 33-44) und seinen Kommentar passim. 591 Zu dieser grundsätzlichen methodischen Crux siehe unten S. 208 u. S. 262 (4.13.). 592 In letzteren zeigt sich oft Euripides' typische ,.Handschrift", so etwa bei Reflexen zeitgenössischen Gedankenguts: Polyphem ist als barbarischer Pseudointellektueller gezeichnet, in dessen Mund sophistische Modetheoreme ad absurdum geführt werden. 593 Man hat versucht, Vorbilder im Satyrspiel auszumachen, jedoch ist die Evidenz nicht ausreichend (siehe SEAF.,Cycl., zu 3f. und 5-9); vgl. unten Anm. 600,601 u. 605.
6. Kyklops
193
Dionysos hat. beginnt mit einer prahlerisch-wehmütigen Rückbesinnung auf bessere Zeiten, als er noch jung und kräftig war (2). 594Er habe seinem Schützling in der Gigantenschlacht 595als 1tapaoncTI1c (6) zur Seite gestanden und dabei eine „traumhafte" (8) Waffentat vollbracht, indem er Enkelados596 niederstreckte (5-9). Man fühlt sich sofort an Nestor erinnert, der in der llias von seinen Jugendtaten erzählt. In beiden Fällen wird eine narrative Brücke zu einer Vergangenheit geschlagen, in der man es mit (fast) übermenschlichen Gegnern zu tun haben konnte; 597 hier geschieht dies freilich mit der spaßhaften Färbung des Hyperbolischen. 598Die Formulierung von Vers 10, der den Übergang zum Bericht der jüngsten Fährnisse markiert, ist hochtrabend und para-heroisierend: Kat vuv EKEivrovµE'i~ov' E~avtÄw 1t6vov.599Der Silen hat Kriegserfahrungen aufzuweisen, und wie bei den Kämpfern der llias mündeten seine pedestren 1t6vot in maritime Leiden ein: Es beginnt der „odysseische" Teil ( 11ff.). Wie stark sich Euripides hier von der Odyssee beeinflussen ließ, ist schwer zu beurteilen. Hera verfolgt Dionysos (3f., 600 11f.) wie in der Odyssee Poseidon den Odysseus. SEAF.hält iv iiln11 für topisch: ,,In fact Sil. as xm66tpocpoc [sie] '11ovutou in vase-painting is never young" (Cyd., zu 3f.; vgl. zu 2); siehe unten Anm. 598. 595 Zu dem Thema auf Vasendarstellungen und im Satyrdrama siehe SEAF.,Cycl., zu 5-9 (,,probably the epic riyavtoµaxia had no mention of satyrs") (mit Lit.); vgl. USSHER,Cycl., ZU 5-8. 596 Euripides weicht hier von der üblichen Sagenfassung ab, nach der Enkelados von Athene besiegt wird (z.B. Ion 209-11; Her. 907f.; Apollod. Bibi. 1, 6, 2; Paus. 8, 47, 1). B1EHL(Ky/cJ., zu 7f.) vermutet, ,,daß die Zuhörer in dem Namen des Riesen ebenso wie in dem des Gottes (V. 1) - eine ironische Anspielung auf die Lärmfreudigkeit des Silens empfunden haben ('E-yKeM&~- iceA.a6eiv)."Oder liegt vielleicht eine Öt' ix' ci>1CUpoco1 KeM6ovn !...))vor (vgl. unten Anm. Assoziation zu H 133 (fi!Jii>1µ'ci>e 598)? 597 Siehe Ereuthalion in H 136-56 und die Aktorione/Molione in 'I' 638-42 (vgl. A 750-2). 598 SEAF.(Cycl., zu 2) scheint hier eine Retrospektive nicht auf der Basis eines biographischen Kontinuums, sondern vielmehr auf einer Art „meta-biographischer" oder metamythischer Ebene festzustellen, wie dies auch für Nestor gelte: ..Vase-painting suggests that Sil. may have become older in the course of the fifth century after various stories about etA.llVOlwere already known; and so the exploits of his relative youth would be remembered by others beside himself. (The same is true of Nestor if his reminiscences in the /liad reflect a lost epic.)" - Vgl. oben S. 113 zur lphigenie im 594
Taurerland. 599
Vgl. SEAF.,Cycl., zu 1: ,.Sil. is claiming heroic status". il;avtA.ii>x6vov hier in 10 und x6vov tov 6eivov il;11vtA.Tt1CotEC in 282 (vgl. 110!) zeigen, daß Euripides Odysseus' Schicksale und die des Silens parallelisiert; siehe KoNSTAN, ,,Anthropology", 97 u. 102 Anm. 27. - Was die Ziegenfellbekleidung der Satyrn (80) anbelangt, so erwägt SEAF.auch eine spaßhafte Anspielung auf EI. 184f. (und EI. 501, Alk. 818f., Hel. 416 u. 1079): ,.the satyrs are implicitly claiming tragic status" (Cycl., z. St.). 600 Siehe Plat. Nom. 672b; Apollod. Bibi. 3, 5, 1; Nonn. 32, 98-152. - Zum
194
II. Euripides, die Odyssee und die Nosten
Durch ihren Einfluß wird er von Piraten entführt. Das Entführungsmotiv als solches ist allerdings ein genuiner Bestandteil des Dionysosmythos. Euripides bezieht sich hier sicher auf den 7. homerischen Hymnos, wo die Tupc11voi (7f.) geschildert wird. 601 Entführung des Gottes durch A1ltcta1. Der Zweck der Entführung, coco&l8EiTtcJ&aq>aY ( 12h), mag auch von Polyphems Fluch in t 532-5 602 inspiriert sein. Das Entführungsmotiv taucht ferner in der Eumaiosgeschichte der Odyssee auf (o 403ff.). Die Phoinikier, die ihre Landsfrau und den kleinen Eumaios aus König Ktesios' Haus entführen, sind freilich keine Piraten, sondern Händler - allerdings wenig ehrenhafte (tpo>nm [o 416)). (Indessen wurde die yuv11IZ>oivtccavon Räubern entführt: ciÄ.A.aµ' rtV'Jlp1ta~av Tcxcp1011,rkwpec äv6pEC / aypo8Ev ipxoµEVTIV [ ... ] [o 427f.]) Das Händlermotiv, das im ersten Epeisodion des Kyklops eine so wichtige Rolle spielt, 603 kommt in der homerischen Kyklopeia überhaupt nicht vor.
Der Silen ist gezwungen, in die (odysseushafte) Rolle eines Schiffskapitäns zu schlüpfen 604 und sich mit seinen Satyrsöhnen als Rudermannschaft auf eine Suchfahrt (ce8Ev 1Cata ~~t11nv; 14) zu machen (11-7) - so wie Telemachos seinen Vater sucht (o 269f.). 605
Wahnsinnsmotiv vgl. den Herakles und SEAF.(Cycl., zu 3f.), der selbst einräumt, daß die Suche nach einem älteren Satyrspiel, in dem die x6vol dargestellt waren, wenig aussichtsreich ist. - Siehe unten Anm. 601. 601 Siehe SEAF.,Cycl., zu 11-17: .,The part of Hera in it and the satyrs' quest [...] may habe been relatively recent inventions by a satyric dramatist. Hera's malice is an obvious [...] and unnecessary explanation, and does not occur in any other extant version." - Zur Motivgeschichte siehe A. W. JAMES, .,Dionysus and the Tyrrhenian Pirates", Antichthon 9 ( 1975), 17-34.
aU' Etoi µoip' EC't\cpiA.ouc i6itlV ICO\ i1eic8m 0T1eovEÜIC'tiµevov 1eal.E'llVec 1tatpi6a yaiav, ö•l mrilc n&ot,o'AJ.c.ac CX1t0 1tl. 603 Das gilt vor allem in Bezug auf den Wein; siehe KoNSTAN, ,.Anthropology .., 90f., und bes. S. DouoLAsOuoN, ..Dionysus and the Pirates in Euripides' ,Cyclops"', Hermes 116 (1988), 502-504, hier 504. - Odysseus' Geldangebot in 160 könnte nach SEAF.(Cycl., z. St.) von t 302 angeregt sein, wo gesagt wird, daß Odysseus von Maron sieben Talente Gold empfangen hat. - Dem Kyklopen bietet Odysseus in 414f. den Wein mit einer ganz anderen Redeweise als in l 347-9 an; siehe SEAF.,Cycl., zu 414: „Unlike at Od. 9.348, Od. seems tobe speaking the language of a clever Greek trading with barbarians". 604 „In distinguishing between himself and his rowers Sil. follows epic practice (e.g. Od. 9.177-180)" (SEAF.,Cycl., zu 14-7) (siehe unten Anm. 608). Anders P. W ALTZ, ,,Le drame satyrique et le prologue du «Cyclope• d'Euripide", L'Acropole 6 (1931), 278-'-295, hier 289-292. 605 Dieser Zug kommt nur hier vor. P. WALTZ(wie oben Anm. 604) rechnet mit 602
6. Ky/clops
195
Ä.alJmvin 15 wurde verdächtigt (dagegen KAssEL606 nach Analogie von Sen. ad Marc. 6. 3 navem [clavum coni. Erasmus] tenentem). weil 6opu hier die Bedeutung ,Schiff' (nicht: ,Steuerruder') habe (siehe SEAF.• Cycl., z. St.). MuRRAY erwog - wenig plausibel - intransitives ßaA.cov, D100LE607 ßtßcoc, nach Troad. 6900 µev 1tap' oiax·. 06' bt1.Ä.aicpEClV ßtfkoc; SEAF.(Cycl .• z. St.) stimmt zu und 608 Einfacher ist B1EHLsErklärung von 6opu als vergleicht zusätzlich l 177-80. cino 1eotvoü-Konstruktion; dann ließe sich der ilberlieferte Text halten: ..zu MXßmv ist als Objekt an sich 7tT16aA.tovbzw. oi'a1ea zu denken. d.i. Teil des Schiffes. wofür oopu. d.i. Schiff als Ganzes, gesetzt ist" (Kykl., z. St.). In jedem Fall dürfte feststehen. daß Euripides hier auf die Odyssee anspielt. SEAF.vergleicht o 269f. (Telemachos zu Theoklymenos) 'tOÜVE'IC1t11veµocaüpa), Futter (notflpa ßotava; vgl. ou t&t6E vEµllt ICA.El't'UV 6pocepav; [50]) und Flußwasser (6tv&ev 0' ü6rop 7tOtaµrov) (448). Das Ganze ist nun sicher eine Anspielung auf den 1ep1ocnenrov des homerischen Polyphem, 614 von dem sein Herr sagt (t 449f.), daß er als erster auf den Blumenwiesen zu weiden (1toA.u1tprotocveµEat tEpEv' äv0Ea noiflc) und zur Tränke an den Flüssen (Plural!) (poa.c notaµrov) zu gehen pflegte, und zwar „weit ausschreitend" (µa1epa. ßtßac) 615 • Entsprechend nennen die Satyrn am Ende der Mesodos den Bock ,aypoßata' 616 (54). Euripides akzentuiert den homerischen Kontrast anders. Der Alleingang des Bocks wird in der Odyssee von Polyphem notwendig erzählt, da es sich um eine frühere Gewohnheit des Tiers handelt. Hier wird er vom Chor deshalb notwendig erzählt bzw. kommentiert, weil er zwar jetzt, aber außerszenisch stattfindet. Die (z. T. bukolischen) Details haben dabei eine umgekehrte Funktion: Der Bock ist (gegen den Willen der Hirten) dorthin unterwegs, wo er (angeblich) gerade nicht das finden kann, was sein odysseisches Urbild tatsächlich fern der Kyklopenhöhle fand und was hier statt
613
Siehe die bei ARNOTT,,,Parody", 27, und SEAF. (Cycl., zu 41-8) genannten Parallelen: Soph. EI. 129; Phil. 3, 96, 799; Eur. Ion 262f.; Hyps. fr. 8/9, 11; Lykophron, TrGF 100 F 2. - und Kykl. 286 ti>0toü xov'tiou yavvuit xai ( ..[...) partly also ironic [with reference to the Cyclops' grotesque ugliness]" [ARNOTT,a. a. O.]). 614 Siehe KAssEL,.,Bemerkungen", 28l f.; ARNOTT, ,.Parody", 26f.; SEAF.,Cycl., zu 41-8. 615 Auch diese Formulierung ist homerisch; es ist durchaus möglich, daß schon der Odysseedichter einen parodierenden Hintergedanken gehabt hat. SEAF.(Cycl., zu 41-8) schlägt Stellen wie H 212f. (vEp0t ÖExoccl.v / i\ü:µa1epcxJ}tl}ac [der Telamonier Aias]) und O 306f. (~PIE ö' ap · "E1C't0>p/ µa1epcx J}tl}ac) als mögliche Bezugspunkte für Euripides vor. 616 Konjektur von Triklinios für das aypoJ}o'ta von L. - Auf die intertextuelle Virulenz der Strophenanfänge und -schlösse im Drama weist GARNER, Allusion (passim) hin (s. S. 34 Anm. 61).
198
II. Euripides, die Odyssee und die Nosten
dessen in der Nähe (tfn6' vorhanden ist.
[44); JtEMXC ä.v- / tprov [47f.]; t&16e [50))
Ein wichtiger Grund für die „Versklavung" der Satyrn könnte in einer dramaturgischen „Notwendigkeit" liegen, die nichts mit der Nostenthematik zu tun hat. Wie bereits angedeutet wurde, hat man es bei der Untersuchung der Odyssee-Nachwirkung im Kyldops mit dem methodischen Problem zu tun, daß die gesuchten Motivelemente ihre Existenz nicht genosübergreifender Imitatio, sondern der Gattungskonvention verdanken können. 617 SEAFORD bemerkt hierzu: „The satyrs were also slaves of Dionysos (Cyc. 709). In Cyc. [...] they bitterly compare the service of Polyphemos with the lost service of Dionysos." (Cycl., 34.); ,.[...] the contrast between the old service of Dionysos and some newly adopted activity seems to have been a feature of the genre, although the attitude of the satyrs to the new activity may have varied greatly from play to play"(Cycl., 35).
Das Motiv der Gefangenschaft und Befreiung der Satyrn dürfte sich vor allem in solchen Satyrspielen gefunden haben, deren Thema die Beseitigung eines Unterdrückers war (es herrscht allerdings beträchtliche Unsicherheit darüber, welche Rolle die Satyrn jeweils genau spielten): 618 Aisch. Kerkyon, Soph. Amykos, Eur. Busiris (fr. 313 2N.); eine Versklavung der Satyrn scheint auch in Euripides' Eurystheus (fr. 375 2N.), Skiron und Syleus vorgekommen zu sein.619 617
Siehe hierzu auch SUTToN,.,Satyr Plays". Siehe hierzu DucHEMIN,Cycl., pp. XV-XVII; P. GuootSBERG,Das Satyrspiel, Zürich 1947 (Diss.), 60-63; I. M. F1scHER,Typische Motive im Satyrspiel[ ... }, Diss. Caropuca, Athen 2 1984 ( 11974); V. [masch.] Göttingen 1958•; N. CH. CHURMUZIADIS, STEFFEN, .,De fabularum satyricarum generibus", Eos 65 (1977), 187-192, hier 191f.; B. SEIDENSTICKER, ,.Das Satyrspiel", in: G. A. SEECK(Hg.), Das griechische Drama, Darmstadt 1979 (GrundrifJ der Literaturgeschichten nach Gattungen), 204-257 (231-255 abgedr. in: B. SEIDENSTICKER [Hg.], Satyrspiel, Dannstadt 1989 [WdF, 579), 332-361); SEAF.,Cycl., 33f. und zu V. 31; R. KRUMEICH, N. PECHSTEIN, B. SEIDENSTJCKER (Hgg.), Das griechische Satyrspiel, Darmstadt 1999 (Tt.F, 72), 666. 619 Skiron: P. Oxy. 2455 fr. 6, 74-90 = fr. 18, 74-90 AusnN (p. 94) (Hypoth.). Siehe N. PECHSTEIN,Euripides Satyrographos: Ein Kommentar zu den Euripideischen Satyrspielfragmenten, Stuttgart/Leipzig 1998 (Diss. Berlin 1997), 123-140, hier bes. 137f., 140 (zum Busiris), 145-176 (zum Eurystheus), 218-242 (zum Skiron), 243-283 (zum Syleus). - Vgl. A. LESKY,Geschichte der griechischen Literatur, Bern/München, 3 1971 [ 11957/58), 452: ,,Es mag für die Dichter von Satyrspielen nicht immer leicht gewesen sein, den Chor der geilen Waldteufel mit dem gewählten Sagenstoffe in Beziehung zu setzen. Ein beliebtes Auskunftsmittel, das Euripides hier und wahrscheinlich auch im Busiris, Skiron und Syleus verwendet hat, war es, die Satyrn in die Knechtschaft eines Unholdes geraten zu lassen. Das gab auch Gelegenheit, ihrer Feigheit und Verschlagenheit drastische Komik abzugewinnen." - Vgl. SU1TON,•.Satyric Qualities", 322; 324-6. 618
6. Kylc.Jops
199
6.1.3. Die Ankunft Der Silen sichtet die Ankömmlinge von weitem. Ihre Herkunft liest er an ihrem Schiff (vaoc 'Ell.a6oc cicacpoc, 85), ihre Absichten an den mitgebrachten leeren Behältnissen ab (87-9). Auch ihre Zugehörigkeit zur (episch-)heroischen Sphäre erkennt er sofort: iccmt11c 't' ävaK'tac cuv c'tpat11MX't11t'tlvt (86). Also kein echtes Inkognito. Die epenparodisierende Wortwahl620 des Silens markiert wuchtig das Eindringen des heroischen Elements in den ruralen Schauplatz des Dramas. Infolge der Perspektive - die Ankömmlinge beobachten nicht, sondern werden beobachtet - hat der Dichter den Gefährlichkeitstopos dem Silen in den Mund gelegt (89b93 )621 und ihm (sowie dem Chor) die Rolle des neugierigen Lauschers zuerteilt (94f.). Die Griechen (d. h. Odysseus und seine Gefährten 622 als personae mutae) kommen als Ahnungslose, und Odysseus tut mit drei Versen (9fr8) äußerst höflich sein Anliegen kund. 623Seine gehobene Wortwahl behält er auch dann noch bei, als er erkennt, daß er vor der Höhle einen Schwarm Satyrn angetroffen hat: 'ti xp11µa; Bpoµiou 1tOAlV loryµEv 624 ecßaA.etv · (99). In dem schnell in Gang kommenden Gespräch mit dem Silen gibt es keine Verstellung, kein vorsichtiges Abtasten. Nachdem Odysseus sich nicht ohne Stolz (und episch-tragische Stilisierung) vorgestellt hat ("18aicoc 'Oöuccroc, rilc KEcpaU11vrov&v~ [1031), kann ihn sein Gegenüber sofort genealogisch korrekt einordnen und im selben Atemzug einen spöttischen Seitenhieb anbringen: otö' ävöpa, 1Cpo1:aAOV Öp1µu, Ctcuq,ou 625 yevoc ( 104 ). Topisch ist Odysseus' Frage nach Land und Bewohnern und deren Einstellung gegenüber Fremden (113, 125).626 620
BtEHL,Kykl., zu 86: ,,hyperbolisch"; SEAF.,Cycl., zu 86: .,pompous". Siehe auch seinen Rat an Odysseus, sich möglichst schnell von der Höhle zu entfernen (191). BrEHL(Kykl., z. St.) weist auf 1 224-7 als Parallele hin (die Gefährten bitten Odysseus um eiligen Rückzug). 622 UssHER(Cycl., zu 96-101) meint, es müßten zwölf wie bei Homer (1 195) gewesen sein; SEAF.(Cycl., zu 96) hält eine geringere Zahl für wahrscheinlicher. 623 SEAF.(Cycl., zu 96f.) betont wie gewöhnlich die absurde Unangemessenheit von Odysseus' Fonnulierungen: ,.The double periphrasis [...], absurdly pompous in the humble setting, immediately detennines Od.'s status." 624 Siehe BtEHL,Kykl .• zu 99f.: ,,[... ] gehobener Sprechstil im Munde des Od. bzw. ~ xmpav. vi\aov; Hesych.s.v. JtOÄ.tv· -riiv xropav; s.v. JtOÄ.tc; · interpretatio Attica (1tOA.1V -riiv I11CEÄ.tav,av-i'\.-iot>vi\oov [...])". 625 Siehe SEAF.,Cycl., z. St.: .,lt must be disheartening and deflating for Od. to find that, epic hero though he is, his reputation for chatter and the unsavoury story of his parentage have preceded him to a faraway island, and that they should be weil known even to Sil.". 626 Er kann sich das Land kaum anders als besiedelt vorstellen: tElX'l fü:1tou 'cn 11:a'\. KOMOX m>pya,µa-ia; / Ct. OUIC tct'· EPTlµOlXpa)VECav8p(l)Jt(l)V,~EVE.(115f.) 621
II. Euripides, die Odyssee und die Nosten
200
Anders als sein homerisches Pendant wird der euripideische Odysseus nur von Hunger und Durst. nicht von Neugier hergetrieben (87h-9, 627 96-9, 133, 254f.). Er erscheint als Kaufwilliger, der sich mit Proviant versorgen will. 628 Nachdem er von dem menschenfressenden Kyklopen erfahren hat. fragt er den Silen sofort nach Fluchtmöglichkeiten ( 131). Die Szene zwischen Odysseus und dem Silen retardiert die Konfrontation mit dem eigentlichen „Herrn" Polyphem. Der plötzlich von der Jagd 629 zurückkehrende Kyklop verursacht eine kleine Panik. Odysseus denkt zuerst an Flucht ( 194b), bleibt dann aber doch. Erst nachdem Polyphem einigermaßen für Ruhe unter den Satyrn gesorgt hat, kommt es zum Kontakt mit den Ankömmlingen und zu deren konventionellen Befragung (275f.). Odysseus' Bitte um Kleidung (1tbtAOuc imxpx:icai, 30 l b) entspricht keinem konkreten Bedürfnis und scheint weniger der Hikesietopik anzugehören als vielmehr motivisch von der Nausikaa-Episode der Odyssee inspiriert zu sein. 630
6.1.4. Die Sehnsucht nach dem abwesenden Dionysos und die Rolle des Weins Die Ankunft zweier Abwesender wird erwartet, im einen Fall mit Furcht, im anderen mit Sehnsucht. Der Silen gibt dem fragenden Odysseus die Auskunft, der menschenfressende (126-8) Kyklop sei gerade auf Jagd ( 130). Wenig später löst Polyphems Eintreffen nicht gerade Freude aus ( l 93f. ). Von Beginn an sehnsüchtig vermißt wird dagegen der rechtmäßige Satyrn-Gebieter Dionysos. Das allgemein herrschende Gefühl der Isolation wird indirekt auch aus 251 bf. deutlich, wo der Silen sagt, daß in jüngster Zeit keine ~evoi gekommen sind. Der Silen erzählt im Prolog von der Suche nach dem gekidnapten äva~ ( l 7;631 vgl. 112). Die Parodos des Satyrnchors enthält das Motiv der Sehn627 B1EHL
(Kykl., z. St.) vergleicht zu 88b (~opac 1CEXPT1µivo1) a 13 v6ctou
KEXPflµivovti~eyuvm1C6c. 628 97bf., 133ff., 160ff. (vgl. 191f.; 254ff., 270f.); vgl. 1 228f. u. 266-8. - Siehe WETZEL, Cyclops, 51. DouoLAS ÜLSON (wie oben Anm. 603) sieht darin auch „an attempt to redeem the character of the Homeric thief, Odysseus (cf. Ody. 1 224-8; 464-6)" (504). - Zum Händlermotiv siehe auch oben S. 194. 629 Anders als der homerische Polyphem, aber wie Theoklymenos in Hel. 153f. (siehe SEAF., Cycl., zu 130). Vgl. Troad. 436bf.: [...] ope1J¼tf1c / Ku1CA.o>'lf [•••]. Die Jagdhunde mögen durchaus als Zeichen für den herrschaftlichen Reichtum Polyphems fungieren (so SEAF. ebd.), aber es schwebt auch als Parallele die Gestalt des Orion vor (siehe unten S. 217 Anm. 688). 630 ~ 144 u. l 78f.; vgl. Menelaos in Hel. 415ff. 631 Zu ava~ siehe KoNSTAN, ,.Anthropology", 103 Anm. 30: .,perhaps a contrast in
201
6. Kyk/ops
sucht nach dem Herrn (und der eigenen Versklavung: 76f.). Dionysos ist abwesend - und Wein ist auch keiner da:
a6 ia& Bp6µtoe,ou taÖE xopot Baqat 'tE &upcocpopot, ou tuµnavwv aÄ.aÄ.ayµoi,
65
a6x:oivou XM)pa\c-rcryove.c
67
1CpTlVQlC 1tap' UÖpüXU'tOlC
66
0
[...] t J>cpiM>cJ>cpiAEBaqEiE
73
1toi oio1toA.Eic
[...] t
i:yro 6' ococ 1tp61toM>c
76
Ku1CA.c.o1tl &i,tEuro
[...]
cäc xwpic cptÄiac.
(63-81)
Das Sehnsuchtsmotiv6 32 gipfelt in dem Wort qnÄia, das normalerweise zur Bezeichnung einer engen Beziehung auf rein menschlicher Ebene dient. 633 Ein wichtiger Unterschied zur homerischen Kyklopeia ist der Umstand, daß dem euripideischen Polyphem Wein gänzlich unbekannt ist. 634 Der Silen muß Odysseus gestehen, daß Wein in dieser Gegend nicht existiert ( l 23f.): 635
Oö. Bpoµiou Öt:1troµ' [XOUClV,aµ1tEÄoUpocic; Ct.
Tl1C\Cta·totyap äxopov oi1CO'l>C\ x86va.
the nature of their [seil. the satyr' s] relation to Polyphemus and to Dionysus is intimated in the choice of words anax ( 17) for the god and despoti!s (34) for the Cyclops." 632 Vgl. den Schluß des dritten Stasimons (62{}-3): Kayci>tov cp1A.o1C1l, 6>1 µii Piotoc JtOA.UC E\fl. 634 Siehe SEAF.,Cycl., zu 121-4; ARNOTT, ,.Parody", 29. 635 Zu V. 123: .,This question serves to introduce an important discrepancy with the Homeric model [...]. As for its motive, Od. may conceivably be testing the value of his own wine as harter [...]. But in fact it is a natural follower to his previous question: cf. Ba. 274-85 (esp. 279, 281) [...]." (SEAF.,Cycl., z. St. [mit Lit.))
202
II. Euripides, die Odyssee und die Nosten
Doch gleich darauf erhält der Silen eine frohe Botschaft. Der Abwesende ist angekommen - wenn auch nur in Gestalt von Wein. Dies ist die Hauptfunktion des Weins im Kyklops; sie ist unauflösbar mit dem Trennungsmotiv verbunden: 636
00. O'Uxpucov OAM Jtroµa ~iovucou cpepco. C i.
-r ''l , ' , " ,r COcpil\.'ta't EiJtCOV,Ol> cJtavi~oµev
, -i -
00. Ci. 00. Ci. 00.
Kat µ11vMapcov µot Jtroµ' t:6C01CE, Jtaic 9eoü. öv i~e9pewa 'taic6' iyro JtO't'a)'lCaAaic; 0 Baqfou Jtaic, (OCcacpec'tepovµaEhlic. iv celµacw VE(J)C icnv i\ cpepetcC'l)viv; Ö6' a.clCOC ÖC1CE'l>9Ei VtV,tov 'f1Et6ri6µmcovoi>6' aµcpt1t0Ml>V ivl Ol1C(1)t, tE cp{Ä:ri taµ{fl tE µ{' Olfl. all' ai>toc t11µeväv, 132b). Auch zwischen Odysseus und dem Chor der Satyrn, weiteren potentiellen Helfern (cpiA.Ot,176), wird rasch ein Band der Sympathie geknüpft. Die Initiative geht hier freilich von den übermütigen Satyrn aus ( 175f.), die bei dieser Gelegenheit eine scherzhafte, lüstern-misogyne Variation des Topos der Helena-Antipathie 644 zum besten geben. Der plötzlich erscheinende Polyphem überrascht die Satyrn, die erschreckt durcheinanderstieben (204ff.). 645 Der Silen wechselt mit perfider Feigheit sofort die Fronten- eine witzige Umkehrung der Helferrolle. Er verrät den 643
Siehe SEAF.,Cycl., z. St. Vgl. z.B. EI. 213f., /T525 u. SEAF.,Cycl., zu 177-87. - Siehe unten S. 210 mit Anm. 662. - Zu Helena als Haßobjelctvgl. auch ~ 68f.; Andr. 103-8, 248 u. 602ff.; EI. 479-86; Troad. 766-73 u. 1213b-5; Hel. 72-81 u. 85; IT 356 u. 439-46 (siehe R. HEJNZE, Virgils epische Technik. Leipzig/Berlin 3 1915 [Ndr. Darmstadt7 1982), 50 Anm. 1-3). 645 Siehe SEAF.,Cycl., zu 206-16: .,The tasks expected here of the satyrs Pol. performs himself at Od. 9.244-9 (as here, before he sees the Greeks). The similarity with Homer brings out Pol.'s new sophistication." ~
6. Ky/clops
205
Anschlag auf Polyphems Besitz, indem er behauptet, die Ankömmlinge hätten sich an den Lämmern und dem Käse vergriffen (228-34) und ihn, der sie daran hindern wollte, verprügelt. Zugleich erfindet er die Lügengeschichte von einem geplanten Attentat auf Polyphem selbst (234b-4Q).646 Odysseus verteidigt sich, trägt sein Anliegen vor und stellt die Dinge richtig: Sie, die Ankömmlinge, seien kaufwillige Seefahrer auf der Suche nach Proviant und hätten sich mitnichten an Polyphems Besitz vergriffen; vielmehr habe der lügnerische Silen heimlich die Waren verkauft (und damit seinen Herrn getäuscht) (253-60). Der Silen läßt eine umfangreiche paratragische Epiklese (homerischer) Meeresgottheiten (Poseidon, Triton, Nereus, Kalypso, die Nereiden) vom Stapel und streitet den Betrug ab (262-9). Die Satyrn unterstützen Odysseus und erweisen sich zumindest (270-2) - damit bei dieser Gelegenheit als loyale und hilfsbereite cpiA.1 allerdings auch als wenig loyale Söhne; es wird klar, was im Ernstfall von solchen Früchtchen zu erwarten ist. Der Kyklopenhöhle entschlüpft, kündigt Odysseus seinen Entschluß an, sich selbst und die Satyrn zu retten. In seinem Plan zur Blendung Polyphems teilt er - anders als in der Odyssee (1 326, 331-5, 380ff.) - seinen Gefährten keinen Part zu. Der Dichter will die Helferrolle gattungskonform den Satyrn zuschreiben, um der komischen Effekte willen. Die Ausgrenzung der Gefährten ließe sich dadurch begründen, daß sie sich noch verängstigt in der Höhle verstecken (vgl. 407f.), auch wenn sie diese ebenso leicht verlassen könnten wie Odysseus. 647 Odysseus sucht den Chor zu überreden, seine Jugendkraft für eine Flucht aus Polyphems Klauen einzusetzen. Der Silen, der selbst leider „am Becher klebe" und deshalb nicht einsatzfähig (ac:8EVTJC) sei (432-4), habe seine Zustimmung gegeben, und außerdem biete sich die Chance einer Wiedervereinigung mit dem apx,cxioccpiA.oc Dionysos (426b-36). Die Satyrn sind bereit zur tatkräftigen Mithilfe (46971, 473-5). In 450 behaupten die Satyrn, schon seit langem von Odysseus' cocpia gehört zu haben; da schwebt der Ruf des homerischen noÄ.uµiixavoc '06ucn:uc vor. Den homerischen Bohrervergleich t 383-8 komprimiert Odysseus in 4~ 3.648 SEAF.(Cycl., zu 460f.) bemerkt, daß die „metaphor" in einer Erzählung eher 646
Vv. 235bf. dürften doch wohl keineVorwegnahme des Blendungsmotivs enthalten (gegen B1EHL,Kykl., z. St.); zum Text siehe auch SEAF.,Cycl., z. St. 647 Zu der dramaturgisch problematischen Rolle der Gefährten siehe UssHER,,.Cyclops .., 176f. Vgl. SEAF.,Cycl., zu 469-75. 648 Siehe B1EHL (Kykl., 461) über Euripides' antizipatorische Technik: ,.Der Bildvergleich über die - in der Vorlage von dem Schiffszimmermann und seinen Gesellen gemeinsam vollzogene - Arbeit mit dem Drillbohrer konnte bereits, ohne daß es - bei
206
II. Emipides. die Odyssu und die Nonen
am Platz sei als in der Entwicklung eines Plans. 649 Das sarkastische Wortspiel in 462 (K"UKÄlocco) könnte einen Reflex von Odysseus' bösartigen Charakterzügen darstellen, wie sie in den kyklischen Epen hervortraten.
Polyphem möchte seine ,.Briider'' am Trunk teilhaben lassen und einen gemeinsamen Kyklopenkomos veranstalten. Daher will ihn Odysseus für den geplanten Anschlag von den anderen Kyklopen isolieren, das beißt, potentielle Zeugen und gegnerische Helfer müssen entfernt werden (445f., 451-3 ). Dies ist ein Standardmotiv des ,,Nostos-Schemas" und findet sich zuerst beim Freiermord in der Odyssee (s. o. S. 168). In der Kylclopeia hingegen werden die Kyklopen erst nach der Blendung ferngehalten, und zwar durch den Oonc-Scherz (13~14). Odysseus' Solidaritätsgefühl gegenüber seinen Gefährten, die er nicht im Stich lassen will (478-82), 650 erinnert mehr an sein Verhalten in der Kirke-Episode (z. B. JC273, 337f., 383-7) 651 als an die Kyldopeia. Dort sitzt er eben stets im selben Boot wie die etaipot (vgl. 1 421f.). In der Symposionszene, wohl einer_euripideischen Erfindung, 652 reden Odysseus und der Silen, wie es ihr Intrigenplan vorsieht, dem Kyklopen das
der Venrautheit der Zuhörer mit dem Gegenstand - näher ausgefühn zu werden brauchte, als Hinweis auf die unmittelbar danach verabredete Mithilfe der Satyrn (46~72) empfunden werden ... Die Satyrn bieten freilich von selbst ihre Hilfe an (469-71) - das erhöht die Komik ihres späteren Versagens (,.a stock joke" [SEAF.,Cycl., zu 469-75)) -, während in der Kyklopeia Odysseus auslosen liißt, wer ihm zur Seite stehen wird (t 331-3). 649 Derselbe Anstoß auch bei MASQUERAY [wie oben Anm. 588), 180ff., und AMCicl .• zu 460-63; vgl. KASSEL, "Bemerkungen", 284. MENOOLA, MO „Mit dieser Entscheidung erweist er sich wieder am Szenenschluß im vollen Sinne als tragischer Held (vgl. 201 )" (B1EHL,Kykl., zu 480). - D1GGLE athetien die schon länger verdächtigten Verse 480-2. Siehe seinen kritischen Apparat und die Diskussion, wie sie SEAF. (Cycl., z. St.) referiert; die Interpolation ist relativ deutlich (,.[...] The interpolator probably wanted to make explicit (esp. 480) the discrepancy with Homer (478-9)" [SEAF.]).In der Tat paßt 480 nicht zum ~Oocdieses Odysseus. 651 Vgl. don die Scheltrede des Eurylochos (ic 431-7), der Odysseus vorwirft. sich beim Kyklopenabenteuer gerade nicht verantwortungsbewußt verhalten zu haben. 652 Siehe B1EHL,Kykl., S. 185 (zu 519-607): ,,Der Vorgang [...] stellt offenbar eine ad hoc-Erfindung dar. [...] Hierbei läßt sich feststellen, wie die Elemente des Mythos, die durch Odysseus und den Kyklopen dargestellt werden, mit denen des Satyrspiels, für das der Silen repräsentativ ist, und der von der attischen Geselligkeit her gegebenen Form des Symposions im dramatischen Spiel zu einer künstlerischen Einheit verbunden werden." - (ebd.:) .,In der gesamten Szene ist[ ...] die causa movens der Wein, der als Bakchios identisch ist mit dem Gott, zu dessen Ehre dieses Spiel vor sich geht. Dionysos ist - trotz der zu Beginn des Stückes bestehenden Feme (63-81) - immerzu in seiner ganzen Mächtigkeit gegenwärtig. Er ist im Grunde der spiritus rector bei allem, was geschieht, und Odysseus ist der ,Sachkundige' (5 I 9f.), durch den sich das Wirken des
6. Kyklops
207
gemeinschaftliche Zechen und Schwännen aus (530-40). Polyphems Anwandlung von Solidarität steht nicht gerade in Übereinstimmung mit seinem Charakter, auch nicht, wenn sie durch Eitelkeit motiviert sein sollte (533). Die Gefährten des homerischen Odysseus sind wahre Helfer. Im Kyklops erfahrt dieses Motiv - durchaus gattungskonfonn - eine komische Brechung. Wie zu erwarten war, ist auf die Söhne des Silens im entscheidenden Augenblick keinerlei Verlaß. Eben noch haben sie auf Odysseus' Paränese hin 653 ihre „stählerne" Entschlossenheit versichert (596) 654 , da versagen die cuµµax,ol (642) unmittelbar vor der Blendung Polyphems kläglich und bringen die komischsten Ausflüchte vor (635ff.).655 Odysseus sieht sofort, daß er nun doch auf seine eigenen Leute zurückgreifen muß (650bf.);656 die Satyrn sollen wenigstens durch Anfeuerung helfen (651b_3). Euripides teilt dem Oonc-Witz eine von der homerischen Vorlage abweichende Funktion zu. Polyphem will (dies wie bei Homer) nach seiner Gottes vollzieht." - Siehe .KAtBEL(wie oben Anm. 586), 71 Anm. 1: .,Mag Euripides auch seinem Vorgänger [seil. Aristias] manches verdanken, die Gegenüberstellung des dionysisch durstigen Silen und des bestialisch gierigen Kyklopen ist seine eigene Erfindung und wohl das beste an seinem ganzen Drama." - Vgl. auch HAMILTON (wie oben S. 202 Anm. 636). 653 a.Ä.Ä.'Ö1tCIX av~p ECTll(595b); vgl. l 376f. [... ] EJtECC\tE !t1to6Eicacavaöu11; E 529 (Agamemnon spricht)q,iÄ.oiavEptc lctt Kat ciÄ.Kiµov~top eÄ.Ec8t(BtEHL,Kykl., z. St.). Zu Odysseus' Aufforderung und Instruktion 624-8 siehe BtEHL:,.Die Ausdrucksweise des Od. entfernt sich hier wieder weit von tragischer Diktion" (Kykl., zu 625ff.). 654 1thpac to Ä.11µaKaooµavtoc e~oµtv; siehe die Parallelen bei BtEHL,Kyk.l., zu 596 (,.ep. Motiv"), z. B. p 463f. 655 Zu 632-4 (ouKouv ci>ta~ElC ... ) siehe SEAF.,Cycl., z. St., der eine Anspielung auf die Auslosung in i 331-5 erwägt. Vgl. R. Sri PATHMANATHAN, .,A Playwright Relaxed or Overworked?", G&:R lO (1963), 123-130, hier 127. 656 Vgl. USSHER, .,Cyclops", 177. BIEHL(Kykl., zu 651 f.) meint, Odysseus stelle hier seine „Kompromißfähigkeit" und Reaktionsschnelligkeit unter Beweis. Das liegt auf derselben Linie wie die epische Charakterisierung des Odysseus als 1toÄ.uµ11xavoc.Siehe dens. zu 642ff.: ,.Das harte Urteil des Od. über die Satyrn [...] schließt die für den bisherigen Handlungsvorgang notwendige Teilnahme der Satyrn an der Planung und Vorbereitung des Mechanema endgültig aus und führt insofern wieder auf die epische Situation zurück, als die Durchführung der Blendungsaktion auf Odysseus und seine Gefährten beschränkt bleibt (d.i. Version des Mythos)" (vgl. dens. zu 654). - Die Feigheit der Satyrn ist Gattungskonvention; außerdem kann der Chor die Orchestra nicht verlassen (vgl. ARNOTT, .,Parody", 25 [,.(...) Euripides (...) playing deliberately with the conventions of drama"]; KoNSTAN, .,Anthropology", 99; BtEHL,Kykl., zu 635f.). Das ist keine unbedenkliche Vermischung der „Illusion der im mythischen Bereich spielenden Handlung" und der konkreten Aufführungsbedigungen, wie B1EHL(a.a.O.) meint, sondern eine geniale Kombination. Siehe SEAF.,Cycl., zu 652f.
II. Euripides. die Odyssee und die Nosten
208
Blendung die Griechen am Höhlenausgang abfangen. Die Satyrn lenken ihn durch ein grausames Spiel ab und geben dabei die Auflösung des Oo-rtcScherzes; die Gefährten des Odysseus verlassen wahrscheinlich in der Zwischenzeit unbehelligt die Höhle (679ff.). 657 Zusammenfassend kann man feststellen, daß sich der Kyklops wie ein Nostos-Stück par excellence liest. Hingegen läßt sich wegen der geringen textuellen Evidenz für die Gattung des Satyrspiels keine fundierte Aussage darüber machen, ob die Stellen, an denen die Knechtschaft und Unterdrükkung durch den despotischen Kyklopen, die Sehnsucht nach dem abwesenden Herrn (der nicht oder nur partiell mit dem rettenden Ankömmling identisch ist), die Freude über die Aussicht auf Befreiung, die Intrige gegen Polyphem usw. thematisiert werden, in Hinsicht auf Quantität und Emphase derart über den Rahmen des Gattungsüblichen hinausgehen, daß man einen Einfluß des „Nostos-Schemas" erwägen könnte. Spezifisch Odysseisches läßt sich nur schwer von satyrdramatischer Topik abgrenzen. Aus der oben durchgeführten Bestandsaufnahme, bei der dieses Drama unter demselben Blickwinkel wie die Stücke Elektra, lphigenie im Taurerland, Helena und Orestes betrachtet wurde, ergibt sich - mit einem unvermeidlich größeren Maß an Unsicherheit - als Ergebnis ein Beitrag zur kumulativen Evidenz, die von vornherein als wesentliches Ziel der gesamten Untersuchung angestrebt wurde.
6.2. ODYSSEUS, DER TROJAKÄMPFER
Euripides stellt das Kyklopenabenteuer deutlich in den ganzen Ereigniszusammenhang des troischen Kriegs, von seiner Ursache bis zu den Nosten. In der Odyssee dagegen benötigt die Kyklopeia keine mythologische Rahmenskizzierung, da sie nur eines von mehreren Fahrtabenteuern ist. Der troische Krieg wird dort nur bei der ersten Begegnung zwischen Polyphem und Odysseus erwähnt. Der Kyklop fragt den Ankömmling:
.,.n~ElVOt,tlVECicte;
1t68EV1t1..E'i8' frypcx1eü..eu8cx; Tltt 1ecxtcx 1tpft~tv~ µcx'lftOicoc a.Milnc0E ota tE A.fl\CtftpEC 'U1tElpäA.CX, toi t. (XM)(1)VtCXl 'lf'UXCXC 1tap8eµEVOt,ICCXICOV cxA.A.oOCX1toict q,epovtEc; (t 252-5) 657
So BtEHL. Kykl., zu 667f. u. 679. - Siehe dens. (ebd.) zu 672f.: .,der bekannte Fehlschluß der anderen Kyklopen bei Horn. (1 409-412) ist an dieser Stelle zum listigen Trugschluß (Sophismus) und Spott im Munde des Chors geworden".
6. Kyklops
209
In seiner Antwort erzählt Odysseus, wie er auf der Heimfahrt von Troja abgetrieben wurde, und stellt die Iliupersis als die Leistung des ruhmreichen Agamemnon dar:
'HµE°ic'tot Tpoin8ev axoxAv (12), Ä.11ic'tac [112) und hymn. H. 1, 7f.); vgl. oben S. 194, unten S. 211 und DouoLAsÜLSON (wie oben Anm. 603), 504. 660 Siehe i 172-6 und i 229 ( Öq,p'QU'tOV 'tE i'.ooiµt, ICQ\El µot l;Eivia 6oir1). 661 [ •••] QU't\lCQ yap µOl oica'tO 8uµoc OrrtVO>p äv6p • btEÄ.euce.c8aiµe.yaÄ.11v tJtlEiµivov aÄ.K11v. aypiov, OÜ'tE6iicac EUEiOO'taO'U'tE 8iµic'tac. (l 213-5)
210
II. Euripidcs, die Odyssee und die Nosten
Während der von Maron „überzeugte" Silen das Vieh, das er an Odysseus verkaufen will, aus der Höhle holt, nähern sich die Satyrn dem Ankömmling, um die dramaturgische Pause mit einem Witz aus der Truhe der traditionellen Helena-Antipathie zu füllen ( 177-87): 662
Xo.
Oo. Xo.
EA.a~EtETpoiav tTtV'EA.EVTIV tE XElpiav; 1Ca1.1tavtay' 0I1eovIlplaµl&'.i>V eupcaµEV. oü1eouv,E7tElÖ'rl tTtVVEClVlV ElA.EtE, ä1taVtECaut11V6lE1Cpot11cat'evµepEl, E1tEiye 1toU.Oic-i,6t:ta1yaµouµEVl'l, tTtV1tpo66nv, ;, touc 8'>Äa1eouctouc 1tol1CÜ..ouc 1tt:p1. toiv CICEA.oiv i6oüca 1ea1. tov xpuct:ov ICA.rolOV q,opoüvta 7tEplµecov tOVauxeva E~E1tto11fhl, Mt:ve~mv c:iv9pcmnov A.ro1CtOV A.11touca; µT16aµoüyivoc 1totE cp'ÜVal yuvallCO>V cÖq,EA.', El µ11'µ01.µOVQ)l.
180
185
Als der Silen plötzlich das Nahen Polyphems verkündet (193), denkt Odysseus im ersten Schrecken an Flucht ( 194b),663 reißt sich dann aber zusammen und lehnt den Vorschlag des Silens, sich in der Höhle zu verbergen, ab. Eine Flucht komme für ihn als Troja-Veteranen nicht in Frage ( 198-202) 664 : 662
Zu dem misogynen Gedanken vgl. Hipp. 6 l 6ff., Med. 573ff.; siehe ARNOTT, „Parody", 22; KoNSTAN, ,,Anthropology", l02 Anm. 24. - In dem Witz 187b und in der Tatsache, daß die Satyrn hier gewissermaßen Menelaos' Partei ergreifen, hat man einen selbstparodistischen Zug gesehen (UssHER,,,Cyclops", 171; ders., Cycl., zu 185-187; ARNOTT, ,,Parody", 22f.; KoNSTAN, ,,Anthropology", 96 u. l02 Anm. 24). - Die „Schonung" des Menelaos wird allerdings durch die Formulierung civ8p7nov/ A.o>tc'tov ( l 85f.) - wieder im traditionellen Sinne - relativiert; vgl. BIEHL.Ky/cl., z. St.; SEAF., Cycl., z. St. (mit Lit.). - Da die Diagnose ,Selbstparodie' nur auf der Basis einer gesicherten Chronologie getroffen werden kann, bemerkt ARNOTT, der selbst einen Spätansatz favorisiert (.,Parody", 23 Anm. IO), zu Recht: ,,The precise line between comically inspired self-parody and serious, possibly unconscious repetition of stock motifs is not always easy to draw" (ebd., 24). Im Fall von Hipp. 2/1461 - Kykl. 1n09 und Hel. 1029 - Kykl. 31Of. legt ARNOTT sich fest: Es handle sich um „accidental and unconscious rcpetitions of the same motif or technique by the same author in different plays" (ebd., 23). 66 J Seine Reaktion wurde bisweilen als eines Helden nicht ganz angemessen erachtet: Er will „beim ersten Anblick des Kyklopen ausreißen wie der Wursthändler in Die griechische Tragö• Aristophanes' Rittern 240, faßt sich aber sofort" (M. PoHLENZ, die: Erläuterungen, 2., neubearb. Aufl., Göttingen 1954, %). - BIEHLwertet diese Stelle als Indiz dafür, daß Odysseus „in diesem Sttick nicht in vollem Sinne trag. Figur" sei (Kykl., zu 193). Ein weiterer Beleg ist nach BIEHLdie „Wortklauberei" (Kykl., z. St.) in J 53f. - UssHERdagegen hält Odysseus im wesentlichen für eine „figurc of tragedy" (Cycl., 65). 664 Zu dem Gedanken vgl. Andr. 328bf., EI. 186-9, H~l. 948bf. (siehe 81EHL,Kykl.,
6. Kyk.Jops
ou mit'. E1tEi'tpuyrov 'U7tECfflV 1t0Ua.1etcC'UV ac:1ti61. aU', Ei8aveiv 6ei, 1eat8avouµe8' EU"(EVÖ>c i\ ~rovtec aivov tov mipoc cuccc.ocoµev.
211
200
Nach Polyphems Auftritt folgt eine lebhafte Dialogpartie von 70 Versen, in der der Kyklop die Situation zu klären und Ordnung in das Chaos vor seiner Höhle zu bringen sucht und in der sich der Silen als schamloser Lügner erweist. Erst in 275f. 665 kommt Polyphem dazu, an die vermeintlichen Ä.fltctai oder ICÄ.ro7tec (siehe 223) die homerisch stilisierte Frage nach deren 666 Identität zu stellen. Wie bei Homer spricht Odysseus von seiner Irrfahrt, aber die Iliupersis stellt er jetzt als (kollektive ithakesische) Eigenleistung dar; auch erwähnt er seine Heimat (277-9): 'I8a1C11C\O\ µEV'tOyevoc, 'IÄ.iou6' äno, 7tEpcavtECäctu, nveuµanv 8aÄ.acci01c C"flV yaiav E~COC8EVtEC fllCOµEV, KuKÄco'ljf. Polyphem erweist sich im Gegensatz zu seinem homerischen Pendant als bestens informiert und reagiert mit einer (topischen) 667 Attacke gegen Helena (280-4): Ku.
n't"llCICQICtCfflC o'iµEtT1Ä.8e8' ap1tayac
280
'EA.EVTtc C1eaµav6pou yeitov' 'IAiou 7t0A\V; z. St.). - ,,An dies. Stelle erweist sich zum erstenmal die charakteristische Verhaltensweise des Od., der im ersten Augenblick den Gedanken der Flucht erwägt ( 194). jedoch sofort neue Gefaßtheit zeigt und sich zu den ethischen Geboten, wie sie für griechische Trojakämpfer gelten, mit Leidenschaft bekennt (vgl. 478-482 [...))" (81EHL, Kykl., zu 20lf.). Vgl. WETZEL,Cyclops, 63: "Ulixis confirmantur partes ut primum fugere cogitantis, turn vero se erigentis." 665 „The disjointed nature of Pol. 's questions [...] derives from Od. 9.252-3" (SEAF., Cycl., z. St.). 666 Konventionell wie l 252-5 (= -y 71-4 u. hymn. H. 3, 452-5); vgl. Thuk. 1, 5, 2 (siehe SEAF.,Cycl., zu 223f.). Das Frage-und-Antwort-Spiel zwischen Polyphem und dem gvoc in 275ff. entspricht dem geläufigen Schema in vergleichbaren Situationen. ·de i>µfu:i~exai~~tv JtOÄ.lC;(276) ist freilich ganz unhomerisch. Die Frage scheint durch die sophistische Seite des euripideischen Pseudo-lntellektuellen Polyphem bedingt zu sein. 667 Siehe Ä.436-8; Hes. Erga l 64f.; Aisch. Ag. 225f., 445-9 u. 799-804; Her. 1, 4; Eur. Troad. 368f.; Hel. 109f., 196ff., 362ff. u. 608ff.; Or. 521bf.; /A 1392b-4. Vgl. Hel., l, 53ff.; ARNOTT,,,Parody", 22f.; KoNSTAN,,.Anthropology", 96 u. 102 KANNICHT, Anm. 23. - Vgl. oben Anm. 644.
212
II. Euripides, die Odyssee und die Nosten
" , ' 'I:: ' •~. ~ , 06. OU'tOl, JtOVOV tOV uE\VOV e-,11vt11.fl'ICO'tEC. ,
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Ku. aKxpov ctpateuµa y, onlvu: µlac xapw yuva\KOC il;e1tÄ.Eucat' ic yaiav Cl>puyii>v. Der misogyne Standardvorwurf paßt zu Polyphem besonders gut. Man darf nicht fragen, woher er seine Information hat. Es gilt hier dasselbe wie für die Titelheldinnen von lphigenie im Taurerlandund Helena:Auf ,,metamythischer„ Ebene sind Kenntnisse der Vorgänge um Troja allgemein präsenL 668 Odysseus rechtfertigt Helena mit einer Schuldzuwendung an die Götter (9eoü to 1tpayµa · µflÖEV'ainii> ßpo-rii>v,285); das ist ebenfalls topisch, hat seinen Ursprung aber schon in der llias. 669 In seiner anschließenden Hikesierede (286ff.) gebraucht er ungewöhnliche Argumente zu seinen Gunsten:670 Sie, die Griechen, Polyphems cpU.Ol(288), hätten den Fortbestand von Hellas im allgemeinen und von Poseidons Kultstätten im besonderen (Tainaron, Malea. Geraistos) 671 garantiert (290-6) und damit auch Polyphems unbehelligte Existenz in Sizilien gesichert (297f.). 672 Der Krieg habe genug griechische Opfer gefordert; 673also möge Polyphem die letzten Überlebenden schonen: · W..\CÖEIlpuxµou yai. EXllPO>C' 'EÄÄ.aöa 1toÄA.ii>v veKpii>v1t\0Üca ÖoputE'tll cpovov roÄ.u:ev ..iµEVOV 'tE,ccxpöicxv. 7 n-'). '). ,.!._ 7 6' A ' 0ECX, , 00 l.U\J\.W.., 00 EC1tOlVCX ulyEVEC vüv vüv äp11~ov· ,cpEiccovcxc ya.p 'I>..iou 1tOVOUC acpiyµcxt1Cil1tl ICtVÖuvou ßa0pcx. CU't '' 6) cpCXEVVClC actipmv OllC(J)V EÖpcxc ZEÜ~EVl'' Öpcxtaö •. Ei ya.p CXU'tCl µT]ßA.i1tEtC, ällcoc voµi~11t,ZEÜ,'tOµ116evrov 0Eoc.
350
(347-55)
Eine ähnliche Anrufung verwendet Odysseus im dritten Epeisodion. Sich zur Blendung des Kyklopen anschickend, fleht er um göttlichen Beistand (599--607)675: "Hcpcxtct',ävcx~AitvcxiE,yEttOVOC ICCXICOÜ AV, tc'x6atµ6vcov 6e t11ctUXTlCEÄ.accova. Nach dem Vollzug der Blendung und nach einer lebhaften Verspottung des hilflosen Polyphem durch die Satyrn (672ff.) - dabei wird der odysseische Düne-Scherz, der bei Euripides keine dramaturgische Relevanz hat, während er bei Homer dazu dient, potentielle Kyklopenhelfer Polyphems auszuschalten, 676 komisch übersteigert - gibt sich Odysseus zu erkennen, indem er seinen wahren Namen nennt (689-92). Er begründet seine Tat mit der Rache für seine Gefährten ( 693 )677 ; aber auch hier verwendet Euripides das Motiv des gekränkten Ehrgefühls des Trojakämpfers (693-5) 678 : 6rocEtV6' EµEA.A.Ec avodou ÖCE\ ta:xa) und 441f. (ÜICOUE 6'1vuv ¼\v EXmnµropiav / 9',poc1tavoupyou cj\c tE 6ouA.t:tac cpuyitv).- SEAF. (Cycl., zu 441) bemerkt richtig, daß das Motiv der Rache bei Euripides deshalb betont werden muß, weil Odysseus und die Gefährten leicht fliehen könnten: es befindet sich kein Stein vor der Höhle (vgl. dag. l 299-305), und Polyphem schläft (siehe 454, 627). Für den Vollzug der Rache muß Polyphem überredet werden, in der Höhle zu bleiben (siehe 445f., 451-3, 531-40). - Vgl. auch SEAF.,Cycl., zu 695. 678 Vgl. dagegen \ 475-9 (Zeus-Motiv). Siehe SEAF.,Cycl., zu 693-5: ,Jn Homer (479) Od. regards the inevitability of Pol.'s punishment as the justice of the gods, whereas here he ascribes it to his own stature gained at Troy (cf. 198-202, 304-9, 34752, 603-4)". 679 Siehe\ 176, 270f., 275-7, (294), 478f., (55lb-5). Vgl. die häufigen Wörter vom oder mit dem Stamm ;Ev- (vor allem ;ttv\ov/;ElVTJi'.ov): \ 176, 229, 252, 267f., 270f., 273, 356, 365, 370, 478, 517. - Vgl. aber BtEHL,Ky/cl., zu 91f.: ,.die Verletzung des Gastrechts durch Polyphem ist ein entscheidendes Motiv in diesem Stück (299-303. 340-344 u.ö.)".
6. Kyklops
215
8ov), also aus der „analogen" Verspartie bei Homer, 680 angeregt worden sein. Die Epiklese Athenes in 350-2, ja überhaupt die heroische Stilisierung der ganzen Intrige mag der Dichter aus dem Vers t 317 herausentwikkelt haben, der sich an einer kompositorisch vergleichbaren Stelle in der Kyklopeia findet, nämlich zu Beginn des Intrigenplans: [ ...] vciv8pmncov öq,8a)..µoü ElPl'ltat citlKEÄ.ll'IV aÄ.a(l)tUV, i~aÄ.aii>cm, ipcic8at 'OOucci,a .-rolurop8u,v uiov AatptECO,'186:ICTll EVloirci' i:xovta.
(l 502-5) BtEHLmeint, die sprachliche Form (Homoioteleuton) lege nahe, daß die Iliupersis hier ebenfalls als Strafe für Unrecht (vgl. dens., Kykl., S. 227) betrachtet wird; das liegt auf der Linie der das ganze Stück durchziehenden Tendenz, Odysseus mehr als Trojakämpfer denn als Seefahrer und Spätheimkehrer zu profilieren: .,Durch die Stilfigur wird die gegenseitige Zuordnung bzw. gleichwertige Einstufung der beiden Ereignisse, d. i. der Vernichtung Trojas bzw. der Blendung des Kyklopen, deutlich gemacht: in beiden Fällen liegt ,Brand' (nupoüc8m) bzw. ,Vergeltung' (nµcopeic8m) vor, jedoch erscheint jeder der beiden Verbbegriffe jeweils nur einmal" (Kylc.l., zu 694f.). - ..[...] Synkrisis im Munde des Odysseus, zugleich auch das fabula docet dieses Stückes; vgl. 198-200. 28~285. 35~352, 44l f., 599-605" (ebd.). 681 Hel. 808, 845, 948f. (vgl. 863f., 957f., 969-72); siehe DENN.,EI., zu 184-9; SEAF.,Cycl., zu 198-200 (,,Menelaos too in Hel. [...] regards the Trojan victory as requiring boldness from him among the dangers of Egypt. [...]"). - Es ist ein bekanntes humanum, daß Veteranen eines bedeutenden Kriegs trotz oft zwiespältiger Einstellung zum Erlebten sich von einem daraus gewonnenen (und nicht selten nostalgisch gefärbten) Richtmaß für ihr weiteres Leben nicht leicht freimachen. 682 Siehe oben S. 2 J J.
216
II. Euripides, die Odyssee und die Nosten
259-62 {,Wir sind Griechen und Trojaheimkehrer, die ohne eigenes Verschulden und vielmehr durch Zeus' Willen vom Weg abgekommen sind.') liefert zunächst die notwendige sachliche Information. Dabei präludiert der Hinweis auf Zeus (262) dem Appell an die Rücksichtnahme auf Zt:uc l;t:iv1oc, in dem die Hikesie kulminiert (266-71). Dazwischen eingeschlossen (263-6) befindet sich der diskrete (jedoch durchaus selbstbewußte: Ei>xoµdl' (263]) Hinweis auf den eigenen Rang, aber im pluralis modestiae. Die Gefahr eines kontraproduktiven 1Coµnoc biegt Odysseus dadurch ab, daß er sich dem 1CMOC Agamemnons unterordnet. Hikesie muß nicht Selbsterniedrigung bedeuten.
In der älteren Tradition ist Odysseus der vielschichtigste Charakter der gesamten griechischen Heldensage. 683 Im Kyklops hat sich Euripides bemüht, den Charakter seines Helden von dem odysseischen Vorbild, welches die humanste und sympathischste Version der Odysseusfigur darstellt, wegzuführen und an die - wegen des Hintergrunds der kyklischen Epen problematischere Variante des Trojakämpfers anzunähern. Da er eben diesen Odysseus mehrmals in seinem dramatischen Schaffen in ein sehr negatives Licht getaucht hat (Hekabe, Troades, lphigenie in Aulis), könnte man versucht sein, auch seine Charakterisierung im Kyklops konsequent im Sinn einer Herabsetzung zu interpretieren. 684 Aber auch bei einer ironisierenden Intention des Dichters gibt es graduelle Unterschiede in der Darstellung. In ihrer Inkarnation als Trojakämpfer eignete sich die facettenreiche Odysseusfigur besser als Hauptperson eines Dramas, dessen wesentliche Genoseigenschaft das 1tapatpayco16E'iv ist. Euripides ironisiert Odysseus ohne Frage, 685 aber nicht böswillig, sondern mit einer Sympathie, die er ihm sonst versagt hat. 686 683
Zu der Kombination seiner hauptsächlichenWesenszüge - Seefahrer, Spätheimkehrer,Trojakämpfer- siehe A. LESKY, Homeros, Stuttgart 1967 (Sonderdruck aus: RE Suppl. XI, Sp. 687-846), Sp. 116 (Z. 53) - 117 (Z. 7). - Siehe hierzu auch Ulysses, passim, STEWART, Disguised Guest, 31-74. STANFORD, 684 So KASSEL. .,Bemerkungen",284-286, der die drei Stellen Kykl. 102-4, 177-80, 275-84 als eine Klimax der Abwertungder Odysseusfigur versteht. Der abschließende Triumphdes Helden lasse durch seine Homerkonformität die vorhergangeneIronisierung nur um so deutlicher hervortreten; im Kyklops gehe es „um die skeptische Distanz des Dichters von seinem Geschöpr· (286). Die Formulierung µu8otcEiico-r',ou~' EJ>lOlC J}po-r&v(V. 376) in Odysseus' Ausruf 375f. sei programmatisch: ,,Hier bringt die Übersteigerung der Illusion handgreiflich ihre Aufhebung und damit den ironischen Umschlag hervor: die Taten und Leiden des Heros sind xA.aaµa-ra -rmv Kf)O'tEpo>V geworden"(286). 685 Vgl. UssHER,.,Cyclops", 172, zu Kykl. 198-200: .,[...) his self-conscious manner lacks conviction". 686 Dies verbindet den Odysseus des Kylclops mit dem Menelaos (der sonst bei Euripides eine sehr schlechte Figurmacht, vor allem in der Andromache), wie er in der eigenartigenHelena erscheint (und wo er immer starkkritisiertworden ist). Siehe oben S. 129f. mit Anm. 374.
6. Kyklops
217
6.3. MOTIVISCHE SYNKRISIS
Ein ausführlicher Vergleich zwischen dem Kyklops und der Kyklopeia konnte und sollte, wie gesagt, nicht das Ziel dieses knappen Kapitels sein. Im folgenden werden nur besonders wichtige Züge auf gezählt, die das euripideische Stück von der homerischen Episode unterscheiden. Manche sind gattungsbedingt, mit anderen wollte sich der Dichter möglicherweise bewußt von der allbekannten Vorlage absetzen. Vollständigkeit wird hier nicht angestrebt; unvergleichlich viel mehr bieten die minutiösen Arbeiten 687• Auch sollen einige „Techniken" zur Sprache von WETZEL und SEAFORD kommen, die Euripides bei seiner Adaptation des Odyssee-Stoffs anwendet. Bei Homer wird der Schauplatz nicht genau lokalisiert, bei Euripides spielt die Handlung in Sizilien, am Ätna. Der Stein vor Polyphems Höhle mußte im Kyklops aus bühnentechnischen Gründen fehlen, was weitreichende Folgen für die Dramaturgie hatte. Der homerische Kyklop ist einfach nur ein asoziales Monstrum, bei Euripides hat er „menschlichere" Züge und versteht es, seinen arroganten Amoralismus auf die Basis pseudosophistischer Theoreme zu stellen. In der Odyssee züchtet Polyphem nur Schafe und Ziegen, im Kyklops hält er sich außerdem Rinder und Sklaven (die Satyrn) und geht mit einer Hundemeute auf die Jagd. 688 Anders als bei Homer kennt er keinen Wein. Das Tierisch-Barbarische beim Verspeisen von Odysseus' Gefährten, wie es bei Homer begegnet, hat Euripides dergestalt verändert, daß in grausiger Weise Assoziationen an den zivilisierten attischen Ritus geweckt werden (382ff.). 689 Neu ist die Symposionszene 687
Siehe bei SEAF.,Cycl., bes. die Seiten 51 ff. Die euripideische Polyphemgestalt ist in manchem mit der Orions (siehe 213) verwandt: 130 (Jagd), 210 (Keule). In Ä.572-5 wird Orion als 1tEÄ.O"l>C oi..ofitc\)7C() xepciv 'Axcxtrov.
60
65 (60-5)
Admet zählt seinerseits all die Formen von Unglück auf, die ein Mann, der unverheiratet und kinderlos bleibt, vermeide: ~11AÖ> 6' ayaµouc Q'tElCVO'l>C 'tE ~potrov· 'ti\c uxepcxÄ.yeiv µia ya.p VUXTl, µEtptov äx8oc. 1tcxiörov ÖEv6couc 1ecxi vuµcptöiouc wva.c 8avatotc apattotaivac ou'tA.Tl'tOV opäv. E~OV Q'tElCVO'l>C ayaµouc t' dvcxt Öta.7CCXV'tOC.
885
(882-8)
729
Das Signalwort ist das Verb 1eepcx·{~e1v; im Passiv ist es außer an diesen beiden Stellen in der Dichtung nicht belegt.730 An die Stelle des kriegeri727
Beide Szenen gehören zu den berühmtesten der llias und haben von allen
epischen Passagen am stärksten nachgewirkt, wie sich an vielen Motivübernahmen, Zitaten und Anspielungen bei den Lyrikern und bei den Dramatikern ablesen läßt (siehe hierzu GARNER, Allusion, passim ). 728 Siehe 8LOMF1ELD, HADLEY usw. (bei GARNER, Allusion, 233 Anm. 41 ). 729 Siehe MoNKIHERRMANN 1824 zu 897: ,,,Imitator Homerum II. X. 63. Kal 8cxMiµou~ 1Ctpa1~oµivou~... Blomfield.'. 730 Siehe GARNER, Allusion, 68f.
228
II. Euripides, die Odyssee unddie Nosten
sehen Schreckens, den Priamos beschreibt (Eroberung und Brandschatzung), ist bei Euripides unkriegerisches, familiäres Leid getreten; jedoch die Brutalität der von dem König evozierten Szenen hat einen Nachhall in Euripides' Formulierung EÜvac [... ] KEpcxt~oµivac (886). Noch viel mehr als Euripides zeigt sich übrigens Sophokles von den genannten Iliaspassagen beeinflußt. Im Aias, der wie keine andere sophokleische Tragödie mit Homerreminiszenzen durchsetzt ist. hat der Dichter die Szene zwischen Aias und Tekmessa stark nach dem Abschied Hektors von seiner Familie im Z gestaltet. Eine Erleichterung war für ihn dabei insofern gegeben, als das Verhältnis der beiden Abschiednehmenden Mann und Ehefrau - dasselbe ist wie in der llias. Indessen liegt gerade in dem Umstand, daß in der Allcestis die Frau den ,,heldischen" Part der standhaft Sterbenden hat, ein besonderer dichterischer Reiz begründet. 7.1.5. In dem Kommos 861-934 begegnet eine weitere gedankliche Parallelisierung mit der Bestattung Hektors. Dabei wird deutlich, wie Euripides einen singulären homerischen Ausdruck gleichsam glossierend variiert und damit eine dezente Anspielung erreicht. Bei der Schilderung von Hektars Begräbnis, in den letzten Versen der /Lias, fällt eine semantische Variante des Wortes 1Ca1tEtocauf: cxlwcx6' äp' ECmU.TtVmRroV9eccxv, cxutap 'Ü1tEp8E 1tUICVO\ClV AaECClICCX'tECtOpECCXV µqaÄ.otct · ('1797f.) 1C7t0tvl', E~6e ÖOtflC. 1005
'tOÜI{ V\V 11:pocEf)OUC\ ~)ICI\.
Die Ankündigungdes Interesses,das die Nachweltdem (oder der) Verstorbenen und seinem (oder ihrem) Grab entgegenbringen wird, in Gestalt eines ,,Zitierens" der (hypothetischen) Anrede durch einen am Grab vorbeikommenden Reisenden weist topische Elemente auf, wie sie gehäuft im Epigramm begegnen. Besonders charakteristisch ist die rahmende Zitierformulierung (1eaittc ... [Partizip] ... too' epEi: [Zitat] ... toiai VlVn:pocepoun qriiµat).735 Auch in der llias kommen zwei solche „Gedankenexperimente" mit jeweils ähnlicher formaler Gestaltung vor. Eines davon stammt von Hektor. Als er im H die Achaier auffordert, .einen Zweikampfgegner zu stellen, prophezeit er prahlerisch, daß ihm das Grab des Besiegten zum Ruhm gereichen wird: tOV6e VEIC'UV E7tlvfiac E'ÜccÜ.µouc CL1t000>C(J), 1eoµ6rovtEC 'Axatoi, Önavm ~EVOU, Ö'tav 1t01' "Apyouc3\llfUIV eÄSmx8ova. (559f.)
Die Qualifizierung von Argos als „durstig" oder „dursterweckend" hat in der Dichtung nur zwei ältere Parallelen, nämlich Thebais,fr. 1 BERNAB~ (= l DAVIES) ("Apyoc äetöe, 8eci, m11>3{ywv,ev8ev ä.vmcrec) und eben die zweite Iliasstelle mit der oben beschriebenen fiktiven Grabanrede.736 In der Szene des Pandarosschusses befürchtet Agamemnon beim Anblick seines getroffenen Bruders, daß dessen Tod den Abzug der Achaier zur Folge hat. wodurch er selbst der Nachwelt in einem unrühmlichen Licht erscheinen werde: au.ci µ01 aivov äxoc ce8ev ECCE't3{-.u,v"Apyoci1eoiµnv· auti1ea ya.p µv11cov1a1'Axa101.1ta1piöoc ainc · 1Crt.Ö Öe 1CEV euxmA.ytV Ilptciµmt 1CCll T pmd A.l7tOtµev 'ApyElT\V 'EA.EVT\V. CEOö' octia 7t'UCEl ä.poupa 1CElµEVOU E.VTpOlT\lateA.EUt11'tmt E.7t1. Epymt. m{ d flC cl,l;• ipm Tpromv'U1tEpflVOpe6v1mv tuµßon E.1tt8pcinc1emv MeveMou KUÖc cuüauvoµE9. 1"',
,
•
....
-
Ola tt JtOCXOflEV EICt1lC µocapac
m, sm~
ri\c&uai~; (1405-7)
,_ Siebe 798-802. ,.., Siehe hierzudas einsdlllgige Kapitelbe1GARNB... Alt.siOII. po$SÜft. Die iibrigen Stellen: Med. 410 (.maµciw iq,ci,v) - ,c 348--51 (iq,ci,v 1t0fllf.l.GW(351)): Met! 412 (ooAAa,)- 9 492-5 (ooA.OV (494)): Mtd. 420 (6ucrD.a&,.c) - n 356f. (&Knl.a&u [357]): Mtd. 689 (x,pmc[...] cuV1'ffl\X') - t 204-9 (nl,cno [ ... ] xpo:- c:ucuci1icn• tTltroµn'Tlc - ninw): Mtd. 845 (JtCIYWUIC tipnö(:) - X 268 (aavtOt'flq,6voc kommt in der Dichtung vor Euripides nur an einer Stelle vor, nämlich in der Szene zwischen Achill und Priamos im O der /lias, wo eine ähnliche Situation vorliegt. Der König bittet um die Herausgabe seines getöteten Sohns:
' ' 6' t;;AU;lVotepoc .!~ -, , xep, [ •••] E"(O> E'tÄ.''lV6' ot· oü JtCO 'tlC bnx86vloc ßpotoc ci.U.oc,
av6poc 1"1~0\0
JtO'ttc-roµa xeip' opeyec8at.
(2) Wie bereits erwähnt, zeichnet sich das erste Stasimon durch eine besonders hohe Anzahl von literarischen Reminiszenzen aus. Die Klage des Chors der korinthischen Frauen über Iasons Eidbrüchigkeit und Treulosigkeit wird in ihrer Tragweite potenziert durch einen deutlichen Anklang an Hesiod. Hinter dem Motiv von der Umkehrung der Weltordnung in 41 Of. steht als Vorbild die berühmte Stelle in den Erga Hesiods, wo der allgemeine sittliche Zerfall am Ende des eisernen Zeitalters beschrieben wird ( l 90ff.). 748 Eine der offenkundigsten wörtlichen Anspielungen an das Epos in der griechischen Tragödie überhaupt 749 begegnet in der ersten Gegenstrophe. Apollon, so der Chor, habe den Frauen die göttliche Sangesgabe verweigert (424-6): ou yap EVaµetepal yvcoµal i.:6pac
chaca81.anvt'&o\Mv Cl>oißocciYT1-rrop µwcov · Die Formulierung cimace 8eCJttVc:iotoov taucht vor Euripides in der wohl berühmtesten „dichtungstheoretischen" Passage des Epos auf, nämlich im 8 der Odyssee, in den Worten, die Odysseus an Demodokos richtet:
6T]µot 'tUU'ta Kata µoipav KataA.el;fltc, aU'tllC: EyO> 1tCtClV µu8,,coµat av8pC01tOlCtv cixäpa -rol 1tpocpprov8eoc chaca81.anv t'&ot&f1v.
ai
ICE\'
0
(496-8)
748
Bei der Bewertung der Hesiodanklänge wird man GARNER zustimmen müssen. Problematischer ist seine Ansicht, der Dichter evoziere - durch Anklänge an Aischylos - die Frauengestalten der Klylaimestra und der Helena nur, um zu zeigen, daß ein Vergleich mit Medea nicht zutreffend wäre (Allusion, 97). 749 „one of the most striking exact Homeric quotations in all Greek tragedy" (GARNER, Allusion, 95).
236
II. Euripides.die Odysseeunddie Nosten
Will man die dichterische Absicht erfassen, die sich eventuell hinter derartigen Anklängen verbirgt, ist die Gefahr allzu weit gehender Schlußfolgerungen nicht gering. Mit GARNERin der genannten Anspielung einen Hinweis auf die für die gesamte Handlung der Odyssee konstitutive Treue der Penelope, also auf das weibliche Gegenbild zur hier angeprangerten Untreue Iasons, erblicken zu wollen, ist nicht gerade unmöglich, könnte aber leicht einen Schritt zu weit bedeuten. In einer Tragödie mag ein Anklang an einen Passus aus der älteren Dichtung zu einem gewissen Grad eine Art von Eigenleben führen, ohne daß dabei immer eine Verbindung zum tiefsten Sinngehalt des Stücks vorliegen muß. Auf den autonomen Charakter der Chorlieder, gerade auch was die Verwertung literarischer Vorbilder anbelangt, wurde bereits hingewiesen. Allenfalls könnte man eine gewisse Pikanterie darin finden, daß ausgerechnet das Lied, in dem - und zwar mit einem kaum zweifelhaften Zitat - den Frauen die göttliche Sangesgabe abgesprochen wird, mit literarischen Reminiszenzen besonders gesättigt ist.750
750
Siebe GARNER. A.llusion. 95.
III. EURIPIDES UND HOMER 1. TYPOLOGIE DES EURIPIDEISCHEN HOMERREKURSES
1
1.1. POETISCHES ,.MATERIAL"
1.1.1. Primäres Niveau: Sprache - Morphologie -Lexik - Syntax und Stilistik
1.1.2. Sekundäres Niveau - Gleichnisse - Sagenelemente:
< llias und Odyssee < kyklische Epen
1.2. EPISCHE EINFLÜSSE, DIE FÜR DAS BETREFFENDE DRAMA STRUKTURBILDENDE BEDEUTUNG HABEN
- Sujet:
1
- Kyklops -Rhesos
In dieser dürren Übersicht und überhaupt am Ende dieser Arbeit mag man einen Ansatz vermissen, der, von der Basis des Technischen, das Dichterhandwerk Betreffenden, also von dem bislang Behandelten ausgehend direkt hineinfühn in den Sinngehalt der Dramen und sich mit Euripides' ,.tieferem" Verhältnis zu Homer und seiner Auffassung vom Tragischen beschäftigt. Die Auseinandersetzung des Dichters mit dem in den homerischen Epen vorliegenden Götter-, Welt- und Menschenbild, die er bei der Entwicklung und dichterischen Ausformung seiner tragischen Konzeption geleistet hat, ist hier bewußt ausgeklammen worden. Ich kann an dieser Stelle nur auf einige wichtige Werke aus der umfangreichen Literatur hinweisen: SUTION,,.Satyr Plays"; R. 8. RuTHERFORD, .,Tragic Form and Feeling in tbe lliad'', JHS 102 (1982), 145-160; GouLD, „Tragic Moment"; D. KovAcs, The heroic muse: Studies in the Hippolytus and Hccuba of Euripitks, Baltimorc/London 1987; KuLl.MANN, ..Götter"; W. NtcOLAt,Euripiths' Dramen mit rettendem Deus ex machina, Heidelberg 1990, 20ff.
m.EuripidesundHomer
238
- Einzelne Partien: z. B. - lphigenie in Aulis: Parodos ( 164ff.) -Phoinissen: Teicboskopie (103ff.)
1.3. MOTIVÜBERNAHMEN
1.3.1. stoffgebunden:
- (Aiolos) (lnzestmotiv) v: 198; 281; 296; 178 - troischer Krieg: 107, 351 f. - Odysseus' Aristien vor Troja: 199bf.; 603f. - Menschenverluste durch den troischen Krieg: 304ft'. - Eroberung Trojas; Wiedergewinnung der Helena: 177 - Iliupersis: 178, 277bf., 694
26
Gekennzeichnet durch •, bei namentlicher Nennung durch ••. - Zu Apollon siehe WPST,Or. zu 28. 27 Vgl. J. R. WtLSON, ,,Eris in Euripides .., G&R 26 (1979), 7-20 (hier bes. l 5f.). 28 Vgl. Vv. 255-76, 1648-50. 29 Siehe W1u.., Or., z. St.: .,The mandate from Zeus puts Apollo's action beyond criticism (cf. Ba. 1349) [...]".
4. Tendenzen des euripideischenHomenclrurses
253
Odysseus' Nostos - Odysseus und seine Gefährten sind die letzten Überlebenden des troischen Kriegs(!): 307 - Odysseus' Abfahrt von Troja: 698 - Odysseus' Irrfahrten: 108f.; 278bf.
Verschiedenes -
Dionysos wird auf Anstiftung Heras von tyrrhenischen Seeräubern entführt: 11f. Ganymed: 582, 585f. Hephaistos, äva~ Ai-tvaioc: 599f. Hypnos, Sohn der Nacht: 601ff. Orion:213 Orpheus: 646
4. TENDENZEN DES EURIPIDEISCHEN HOMERREKURSES Angesichts des polymethodischen Eklektizismus, den Euripides bei seiner Benutzung der homerischen Epen walten läßt, erscheint es fraglich, ob hier überhaupt irgendwelche künstlerische Prinzipien oder zumindest Tendenzen festgestellt werden können. Dennoch wird im folgenden der Versuch unternommen, die Vielzahl der Erscheinungen wenigstens in einem groben Ordnungsmuster zu erfassen; die Übergänge sind nicht scharf markiert.
4.1. ARCHAISIERUNG
Dieser sehr vage oder - positiv ausgedrückt - universelle Terminus läßt sich auf verschiedene Ebenen dichterischen Gestaltens anwenden. Von ,,Archaisierung" kann überall dort gesprochen werden, wo Euripides so etwas wie eine „epische Patina" anstrebt, ohne sich dabei direkt auf bestimmte Homerverse zu beziehen. Auch klar umrissene Motivübernahmen fallen nicht darunter. Die Grenzen sind freilich sehr fließend. Am deutlichsten ist die Archaisierung auf sprachlicher Ebene; sie stellt natürlich kein spezifisch euripideisches Phänomen dar. Vor allem die Botenberichte haben bei allen Tragikern oft ein stark episches Gepräge. Wenn Euripides eine ganz bestimmte epische Partie im Blick hat, aber keine Motivübernahme im strengen Sinn durchführt, ist ein interessanter Sonderfall gegeben, in dem die Archaisierung über das konventionelle Maß hinausgeht. Beispiele sind vor allem die Teichoskopie in den Phoinissen 30 und die Parodos in der 30 Euripides
hat für den Prolog der Phoinissen, wo der xmöaycayocvom Dach des
254
m.Euripides und Homer
/phigenie in Aulis3 1 (vgl. auch Kassandras ,,zusammenfassende•• Prophezeiung der Irrfahrten des Odysseus in Troad.433-43) 32• Bei der Bewertung dieser Passagen, die sich unzweifelhaft sehr eng an das Epos anlehnen und auffälligerweise von der Antike bis in die neueste Zeit hinein besonders aus stilistischen Gründen in ihrer Echtheit angezweifelt oder zumindest hinsichtlich ihrer dichterischen Qualität kritisiert worden sind, 33 schießt jede ästhetische Kritik, die implizite mit dem Vorwurf arbeitet, dem Dichter sei es nicht gelungen, eine adäquate Umsetzung der epischen Diktion in den dramatischen Stil zu leisten, völlig am Ziel vorbei. Vielmehr muß hier von einer bewußten aemulatio ausgegangen werden, bei der der Dichter einem bekannten homerischen Passus in freier Weise ein eigenständiges, dramatisches Pendant an die Seite stellt und zugleich Wert darauf legt, daß der Zuschauer sich an das epische Vorbild erinnert fühlt. 34
4.2. HEROISIERUNG
Eine interessante Kategorie von Homerismen besteht in der Stilisierung von Bühnenfiguren im Sinne des archaischen Heldenideals, wie es seine Ausformung im homerischen Epos hat. Hier zeigt sich besonders deutlich, wie stark Euripides von /lias und Odyssee beeinflußt ist. Palasts aus der Antigone die Führer des feindlichen Heeres beschreibt, neben dem Hauptvorbild der aischyleischen Sieben gegen Theben mit Sicherheit die llias, vielleicht auch die Thebais verwendet. Methodisch gesehen ist die Bewertung des epischen Einflusses in einer solchen Passage mit besonderen Schwierigkeiten behaftet. Es gilt, die Möglichkeiten von Einflüssen durch eine oder mehrere epische Quellen oder durch eine dramatische Quelle, die ihrerseits wiederum auf denselben epischen Vorlagen fußen kann, gegeneinander abzuwägen. 31
32
Siehe hierzu unten Nr. 4.12. (S. 26lf.). [ •••] 6iica yap EIC1tA.~cac tt11 7tpoc'tO\C\Vtv8a6' l~E'ta\ µ6voc 7ttxtpav
< > tot 6ricttvov 6iauA.Ov cöuctctat dtpact 6El\'TlXapup61c coµopf)(l)C 't. ope1ßat11c KuJCÄ,(l)'lf At"f\)C'tlC Tlcurovµopcpartpta KiplCTI 8aA.ac:C11CcUµupac vauayia MO'tOÜt' lpcouc 'HA.tOU ixyvai Potc, a'i cap~i tp01via1C1v i\coudv 7totE 7tl1CpclV 'Q6uccti yi\puv. roc 6ECUVtEµO>, A.tµv,,cü6rop ~rovde• EC"A16ouicciicqnrycov IC(XIC'tv 66µ010 µupi' d>p~CElµoMi>v.
e· e·
33
435
e·
440
Zu Troad. 433ff. siehe LEE,Troades, z. St. Zum Phänomen der archaisch-heroischen Stilisierung von Tragödienfiguren siehe unten Nr. 4.2. und oben die beiden Exkurse zur Al/cestis und zur Medea (S. 223-236). 34
4. Tendenzen des euripideischen Homerrekurses
255
Beispiele für diese Erscheinung finden sich überall dort, wo mit Gewalt verbundene Handlungen geplant oder ausgeführt werden. In der zweiten Hälfte des Orestes etwa stilisiert Euripides die gegen Helena, Hermione und Menelaos gerichteten Anschläge des Verschwörertrios Orest, Elektra und Pylades deutlich als heldische Bewährung. Vielfach neigt man zu der Auffassung, daß der Dichter wegen der moralischen Verwerflichkeit dieser Aktionen implizite auch das archaische Heldenideal zu diskreditieren beabsichtige. 35 Am augenflilligsten ist das Phänomen der Heroisierung in der Alkestis und in der Medea, da hier die Stilisierung jeweils einer Frau gilt. Manches weist darauf hin, daß Euripides bei der Gestaltung der beiden weiblichen Rollen ein bestimmtes homerisch-heldisches Konzept verfolgt hat. Auf den ersten Blick läßt sich kaum ein größerer Gegensatz denken als der zwischen der bescheidenen Alkestis und der stolzen Heliosenkelin Medea. Und doch gibt es Gemeinsamkeiten. Beide Frauen werden in einer Entscheidungssituation von größter persönlicher Tragweite vorgeführt, beide Male hat ihre Entscheidung elementare Konsequenzen für ihre Rolle als Gattin und Mutter. Euripides hat sowohl Alkestis als auch Medea ein Format gegeben, das ihren jeweiligen männlichen Partner - Admet bzw. Iason - bisweilen kläglich erscheinen läßt. Ein Teil dieser charakterlichen Überhöhung wird nun durch eine besondere Färbung erzielt, die man als eine Art von Heroisierung bezeichnen könnte und für die es zumindest im Fall der Alkestis deutliche Vorbilder bei Homer gibt. 36
4.3. FIGURENÜBERNAHME
Anklänge an das homerische Epos werden mitunter dadurch erreicht, daß Gestalten des Mythos, die ihr Profil vor allem ihrem Vorkommen bei Homer verdanken, erwähnt werden, ohne irgendeine dramaturgische Relevanz zu besitzen. In solchen Fällen hat der bloße Name Signalfunktion und löst beabsichtigte Assoziationen an bestimmte epische Passagen aus. Im Orestes werden in dem Botenbericht von der Volksversammlung Talthybios (887-94) und Diomedes (898-902) erwähnt, 37 zwei Figuren, die sonst im Drama (nicht nur bei Euripides) kaum vorkommen. Talthybios mag durchaus in der alten Orestsage (besonders bei Stesichoros) eine Rolle gespielt haben 38 und erscheint auf einigen Vasenbildem im Zusammenhan~ 35
Siehe oben S. 158-167. 36 Freilich zeigt Euripides auch eine deutliche Neigung zur Entheroisierung epischer Stoffe, wie z.B. im Protesilaos. 37 Siehe oben S. 171-173. 38 Vgl. oben S. 76-78 (bes. S. 77 Anm. 172).
256
m.Euripidcs und Homer
mit der Ermordung des Aigisthos. 39 Dem athenischen Theaterpublikum ist er indessen vor allem als Agamemnons Herold in der llias vertraut. Auch der äva~ (898) Diomedes 40 ist eigentlich nur im Epos so recht ,,zu Hause" und hat gerade in der Orestsage nichts verloren. In der /Lias zeichnet er sich als Stellvertreter Achills und als forscher Redner im Rat aus. Dieses rhetorische Talent wird wohl der Grund für sein Auftauchen in der argivischen Volksversammlung sein. 4.4. WILLKÜR UND RADIKALEABÄNDERUNG
Euripides• stark willkürlich anmutenden Mytheneklektizismus hat BETIIE in einer Fußnote zu seiner Rekonstruktion der epischen Nosten beschrieben: - ,.[..] Euripides Helena 112, 776: sieben Jahre dauert Menelaos' Irrfahrt. im 8. kehrt er mit Helena zurück. Wie Euripides aus den ,Nosten' die Grundlage seines ,Orestes' entnommen hat, nämlich die Gleichzeitigkeit der Rückkehr des Menelaos mit Aigisths Ermordung, so hat er auch jene siebenjährige Dauer der Irrfahrt daher; vgl. y 305. Übrigens vermengt er in der Helena Versionen der Kyprien (25-30, 3740) mit Hesiodischen (90), lehnt sich l~l02 an die Aithiopis, 124-132 an die Nosten, führt aber 767 Nauplios ein, d. h. er nimmt selbstverständlich, was ihm gerade paßt, aus dem noch lebendigen Flusse der ,Sage' ohne Bewußtsein, welches für jeden Zug die Quelle sei." (Homer, 279 Anm. 15.)
hat einen eminent wichtigen Zug von Euripides' dichterischer Technik zwar sachlich richtig festgestellt, aber ästhetisch kaum angemessen gewürdigt. Übrigens ist es sehr fraglich, wie weit man für Euripides• 2.eit noch vom „lebendigen Flusse der ,Sage'" sprechen kann. Nirgends stellt sich Euripides auf umwälzendere Weise gegen die Tradition des homerischen Epos als in der Helena. Die stesichoreische Eidolonversion war wohl nur dem Kreis der literarisch Gebildeten bekannt. 41 Für den durchschnittlichen Theaterbesucher war die homerische „Vulgatfassung" mehr als nur irgendein mythisches Detail, mit dem er schon von den Anfangsgründen des Schulunterrichts her vertraut war: Sie war die BETHE
39
Siehe RoscHERs. v. ,Talthybios', Sp. 42 (WASBR);v. GEISAU,RE, 2. R., IV, 2 ( 1932) s. v. ,Talthybios', Sp. 2089; UMC VII, 2, 584f. 40 Siehe oben S. 171 Anm. 510 mit der Bemerkung WESTS. 41 DALE,Hel., p. xxiii, urteilt anders: ,.Euripides [...] took from Stesichorus both the phantom-Helen and the stay with the virtuous Proteus; [...] lt was a famous verslon, and though naturally it never displaced the Homeric story it was well enough known for him to be able to refer to it quite briefly in the exodos of the Electra - together with the depopulation-motive of Zeus, wether this was taken from Stesichorus or from the epic Cypria. lt appears in Helen's Prologue-speech as a piece of supplementary ,overcausation ', since for this play Euripides needed the Judgement of Paris as central cause." [Fettdruck von mir]
4. Tenden:zen des euripideischenHomerrekurses
257
Basis seines mythisch-historischen Weltbilds. 42 Die Geschichte vom troischen Krieg, von dem zentralen Ereignis der griechischen Vergangenheit, beruht zur Gänze auf dem Faktum, daß die von Paris entführte Helena sich 10 (bzw. 20) Jahre lang in dem belagerten und umkämpften Troja und nirgendwo anders aufhielt. Die radikale Sinnumkehrung oder vielmehr -entleerung dieses griechischen Ur-Credos durch die Präsentation der obskuren Eidolonversion im Rahmen der Helena barg ein Provokationspotential sondergleichen und hat gewaltigen Eindruck gemacht. 43
4.5. DRAMATISIERUNG
Bisweilen kann einer homerischen Vorgabe kleinsten Umfangs, nämlich einem Epitheton, dramatische Bedeutung verliehen werden; dabei dient es nach wie vor der Charakterisierung des Trägers der betreffenden Eigenschaft. In Or. 126-9 äußert Elektra hinter der abgehenden Helena, die soeben ihre Tochter Hermione zum Opfer an Klytaimestras Grab ausgeschickt hat, folgende Schmähworte:
6) (j)UClC, EVcxv9pro1totc1vcix:µey' EilC