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German Pages 442 [444] Year 2005
Ethikbegründungen zwischen Universalismus und Relativismus
Ethikbegründungen zwischen Universalismus und Relativismus Herausgegeben von Kristina Engelhard und Dietmar H. Heidemann
w DE
Walter de Gruyter · Berlin · New York
© Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.
ISBN-13: 978-3-11-018235-4 ISBN-10: 3-11-018235-1 Bibliografische Information Der Deutschen
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Klaus Oüsing %um 65. Geburtstag
Vorwort An dieser Stelle möchten wir uns für die erneut unkomplizierte Zusammenarbeit mit dem Lektorat ,Philosophie' des Verlages Walter de Gruyter bedanken. Frau Dr. Gertrud Grünkorn und Frau Dr. Sabine Vogt danken wir für ihr Engagement zur Aufnahme des Bandes in das Verlagsprogramm sowie für ihre spontane Hilfsbereitschaft bei technischen Problemen. Während der Endphase der Fertigstellung des Bandes haben wir große Unterstützung durch unseren Kollegen Dr. Tobias Schlicht erhalten. Ihm gilt unser besonderer Dank. Köln, im September 2005
Kristina Engelhard Dietmar H. Heidemann
Inhalts verz eichnis Vorwort Knstina Engelhard/ Dietmar H. Heidemann Einleitung: Grundprobleme der Ethikbegründung
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Erster Teil Metaphysik und Ethikbegründung in Antike und Mittelalter Jens Halfwassen Piatons Metaphysik des Guten
13
Ada Neschke-Hentschke Die aristotelische Ethik - eine Ethik ohne Metaphysik?
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Jan A. Aertsen Ethikbegründung bei Thomas von Aquin
65
Zweiter Teil Rationalistische und empiristische Ethikbegründung Burkhard Tuschling „The Foole hath sayd in his heart, there is no such thing as Justice" und die Entgegnungen des Thomas Hobbes
87
Knstina Engelhard Leibniz' rationalistische Ethikbegründung
121
Kenneth R. Westphal Von der Konvention zur Sittlichkeit. Humes Begründung einer Rechtsethik aus nach Kantischer Perspektive
153
X
Inhaltsverzeichnis Dritter Teil Transzendentalphilosophische und idealistische Ethikbegründung
Manfred Baum Sittlichkeit und Freiheit in Kants Grundlegung.
183
Günter Zöller Konkrete Ethik. Universalität und Partikularität in Fichtes System der Sittenlehre
203
Michael Quante Hegels pragmatistische Ethikbegründung
231
Vierter Teil Systematische Paradigmen und Probleme der Ethikbegründung Ludwig Siep Die Aufhebung der Subjektivität in der Konkreten Ethik
253
Adrian Veper^ack Ethik und Interpersonalität
275
Tom Rockmore Die Diskursethik und das Problem der Begründung
289
Daniel O. Dahlstrom Ansätze zu einem pluralistischen Regel-Utilitarismus
317
Tobias Schlicht Der neuronale Angriff. Willensfreiheit, Neurobiologie und Ethik
339
Hein% Ksmmerle Ethikverständnis bei Derrida und in der interkulturellen Philosophie
365
Dietmar H. Heidemann Ethischer Relativismus. Die Pluralität der Moralvorstellungen als Problem der Moralepistemologie
389
Inhaltsverzeichnis Personenregister Sachregister
XI 423 429
Einleitung Grundprobleme der Ethikbegründung Kristina Engelhard/ Dietmar H. Heidemann
Was Schopenhauer von der Moral sagt, gilt allemal für die Ethik: sie zu „predigen ist leicht", sie zu „begründen ist schwer".1 Mit grundsätzlichen Problemen der Begründung läßt sich eine jede philosophische Theorie konfrontieren. Die systematischen Schwierigkeiten der Begründung einer Ethik aber sind von besonderer Art. Neben der Frage, welche die geeignete Methode der Begründung einer Ethik ist, sieht sich eine jede Ethik den spezifischen Problemen des Universalismus und Relativismus gegenüber. Diese Probleme stellen sich zwar auch den Disziplinen der theoretischen Philosophie wie der Erkenntnistheorie oder der Logik, für die Begründung einer Ethik aber scheinen Universalismus und Relativismus aufgrund eines im Grunde zu jeder Zeit empirisch verifizierbaren Pluralismus der Moralvorstellungen und ethischer Theorien systematisch noch vordringlichere Fragestellungen zu markieren. Während man in der theoretischen Philosophie in der Regel von vornherein die Allgemeingültigkeit zumindest basaler rationaler Prinzipien wie z.B. den Satz vom zu vermeidenden Widerspruch in Ansatz bringt, erwartet man im Zuge der Begründung einer Ethik auch und insbesondere Auskunft darüber zu erhalten, ob ihr Anspruch angesichts der Diversität realer menschlicher Praxis ein universalistischer oder ein bloß relativistischer ist und wie dieser Anspruch argumentativ gerechtfertigt werden kann.
„Moral zu predigen ist leicht, Moral begründen ist schwer.", so lautet das Motto, das Schopenhauer seiner Preisschrift über die Grundlage der Moral, S. 143 voranstellt.
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Kristina Engelhard/Dietmar Η. Heidemann
1. Universalismus und Relativismus in der Ethik Die Begriffe ,Universalismus' und ,Relativismus' charakterisieren — gleich ob in der theoretischen oder praktischen Philosophie — den normativen Status von Theorien und bezeichnen insofern metatheoretische Auffassungen. Der Universalismus vertritt die These der, wie man sie nennen kann, geltungstheoretischen Independenz von Theorien. Das heißt er geht davon aus, daß Theorien (bzw. Prinzipien, Begriffe, Kategorien usw.) allgemeine Gültigkeit in dem Sinne zukommt, daß sie unabhängig von räumlichen, zeitlichen oder sonstigen individuell-partikularen Bedingungen oder kontingenten Gegebenheiten als verbindlich anzusehen sind. Die Universalität von Theorien wird typischerweise auf die Annahme einer überindividuellen Rationalität zurückgeführt, die es jedem Menschen prinzipiell möglich macht, aufgrund von vernünftiger Überlegung den Gehalt einer sinnvoll formulierten Theorie zu erfassen, deren Geltung er sich zugleich nicht zu entziehen vermag. Demgegenüber vertritt der Relativismus die These der geltungstheoretischen Dependenz. Nach dieser Auffassung sind Geltungs- oder Verbindlichkeitsansprüche von Theorien gerade von individuell-partikularen Bedingungen oder kontingenten Gegebenheiten abhängig. Begründet wird die Relativität von Theorien zumeist durch Berufung auf soziale, kulturelle oder auch historische Umstände, unter denen Theorien entstehen und die die Reichweite ihrer Geltung begrenzen. Eine überindividuelle, globale Rationalität, die partikulare Unterschiede dominiert und von der sich Allgemeingültigkeitsansprüche ableiten ließen, legt der Relativismus nicht zugrunde. Wendet man diese metatheoretische Differenzierung auf das Problem der Ethikbegründung an, so besagt der Universalismus, daß eine Ethik unabhängig von Partikularbedingungen wie individuell-subjektiven, soziokulturellen, religiösen, ethnischen, geographischen oder historischen Verfassungen oder Umständen gerechtfertigt werden kann und Geltung besitzt. Vom Relativismus wird die Begründungsfähigkeit einer Ethik nicht generell bestritten. Dem Relativismus zufolge läßt sich eine Ethik jedoch nur im Hinblick auf solche Partikularbedingungen begründen und nicht unabhängig davon. Während also gemäß dem Universalismus in der Begründung einer Ethik Partikularbedingungen nicht bestimmend sein können, sucht der Relativismus sie als unhintergehbare normative Faktoren der Begründung einer Ethik geltend zu machen.
Grundprobleme der Ethikbegründung
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Die Universalität bzw. Relativität der Begründung einer Ethik hat unmittelbar Auswirkungen auch auf die Moral. Grundsätzlich kann man unterscheiden zwischen der Ethik als Wissenschaft und der Moral als ihr Gegenstand. Die Begriffe ,Ethikbegründung' und ,Moralbegründung' bezeichnen daher genaugenommen nicht ein und dieselbe Sache. Fragen der Begründung einer Ethik thematisieren das formale Verfahren der Rechtfertigung einer Theorie, nämlich der Ethik. Fragen der Moralbegründung hingegen betreffen den Gehalt einer Ethik, also das, was als moralisch gut oder schlecht angesehen wird wie bestimmte Pflichten, Werte, Vorschriften, Insdtudonen, Satzungen usw. Identisch mit der Unterscheidung von normativer Ethik und Metaethik ist diese Differenzierung allerdings nicht (siehe unten). Zieht man eine scharfe konzeptuelle Trennlinie zwischen der Ethik einerseits und der Moral andererseits, so kann man sagen, daß die Begründung einer Ethik im wesentlichen externe, die Begründung der Moral hingegen interne Probleme einer Ethik zum Gegenstand hat.2 Doch wird die Trennlinie zwischen Ethik und Moral von vielen Moralphilosophen nicht derart scharf gezogen, so daß sich Fragen der Ethik- und Moralbegründung nicht in jedem Fall klar voneinander unterscheiden lassen. Dies dokumentieren auch einige der Beiträge dieses Bandes. Fragen nach der Universalität und Relativität einer Ethik und ihrer Begründung haben in der jüngeren Vergangenheit gegenüber anderen moralphilosophischen Sachproblemen an Bedeutung gewonnen. Schon Mitte der siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts erblickte Karl-Otto Apel in den Bemühungen um eine Ethikbegründung eine „paradoxe Situation": Auf der einen Seite sei das „Bedürfnis nach einer universalen, d.h. für die menschliche Gesellschaft insgesamt verbindlichen Ethik noch nie so dringend wie in unserem Zeitalter" gewesen. Auf der anderen Seite jedoch „scheint die philosophische Aufgabe einer rationalen Begründung allgemeiner Ethik noch nie so schwierig, ja aussichtslos gewesen zu sein wie im Zeitalter der Wissenschaft". Als Ursache dieser „Paradoxie" macht Apel den unserer Gegenwart eigentümlichen Konflikt aus zwischen einem in alle Lebensbereiche eindringenden szientistischen Denken, das den Anspruch einer „normativ neutralen und wertfreien ,Objektivität'" erhebt, und der nicht von der Hand zu weisenden „Beharrungstendenz gruppen-
2
Eine ähnliche Unterscheidung trifft Quante, 2003, S. 149-151. Zu ethischen Grundlegungsfragen in diesem Kontext vgl. auch Düsing (2005), bes. Kap. 2.
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Kristina Engelhard/Dietmar Η. Heidemann
spezifischer Moralen".3 Dieser Konflikt besteht bis heute fort und hat sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts nicht zuletzt angesichts der Auswirkungen globalisierter Denk- und Handlungsweisen sogar noch verschärft. Der Bedeutungszuwachs des Themas .Ethikbegründungen zwischen Universalismus und Relativismus' hat andererseits aber auch innertheoretische Gründe und hängt zusammen mit der Entwicklung der Moralphilosophie in den vergangenen fünfzig Jahren. Man kann diese Entwicklung zumindest in ihren Grundzügen — als einen Übergang vom Nonkognitivismus zum Kognitivismus beschreiben.4 Auch wenn die klassischen Positionen der normativen Ethik wie die Tugendlehre (Piaton), der Eudämonismus (Aristoteles), die Deontologie (Kant), der Utilitarismus (Mill) oder auch die Wertethik (Scheler) im Grunde nie völlig aus dem Gesichtskreis aktueller ethischer Diskussionen verschwunden sind,5 galt das moralphilosophische Interesse in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts doch verstärkt metaethischen Fragestellungen, Fragen also nach dem Status normativer moralischer Überzeugungen, Urteile bzw. ethischer Theorien. Im Zentrum des Interesses stand zunächst der Emotivismus (A. J. Ayer, C. L. Stevenson), der als klassische From des ethischen Nonkognitivismus moralische Aussagen als Gefühlbekundungen versteht und ihnen die Wahrheitsfähigkeit abspricht. Unter dem zunehmenden Einfluß sprachphilosophischer Entwicklungen verlagerte sich das Interesse später auf den Präskriptivismus (R. M. Hare), der von der sowohl evaluativen als auch deskriptiven Bedeutung moralischer Urteile ausgeht. Aufgrund einer der Metaethik attestierten geringen Problemlösungskompetenz im Bereich realer menschlicher Praxis und angesichts drängender Probleme der politischen und sozialen Wirklichkeit, wurde diese Phase in den sechziger und zu Beginn der siebziger Jahre abgelöst zum einen durch die Fokussierung auf Fragen der neu entstandenen angewandten Ethik sowie zum anderen durch das Wiedererstarken der normativen Ethik. Symptomatisch für diese Entwicklung war das Erscheinen von John Rawls' Theory of Justice (1971), mit der in gewisser Weise nicht nur ein erneuter Bewußtseinswandel zugunsten moralphilosophischer Grundlegungsfragen, sondern auch zugunsten des Kognitivismus in der Ethik einherging.6 3 4 5 6
Vgl. Apel, 1976, S. 359f. So Arrington, 1989, S. 2. Vgl. für das Folgende ebd., S. 3ff. Zur typologischen Systematik der Ethik vgl. Düsing, 2005, Kap. 1 . Verantwortlich dafür war Arrington, 1989, S. 5ff, zufolge auch die geringe Attrak-
Grundprobleme der Ethikbegründung
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Mit dem Kognitivismus, demzufolge moralische Urteile wahr oder falsch sein können und also anders als im Nonkognitivismus moralisches Wissen möglich ist, blieb das Interesse an metaethischen Fragestellungen erhalten. Denn die Rechtfertigung der Wahrheit bzw. Falschheit moralischer Urteile und damit ethischer Theorien gehört zu den originären Aufgaben der Metaethik. Obgleich Universalismus und Relativismus auch zum Problembestand des Nonkognitivismus zu zählen sind - denn insbesondere den Emotivismus kann man durchaus auch als Negation objektiver moralischer Ansprüche verstehen —, läßt sich ihre grundlegende Bedeutung für die Begründungsproblematik der Ethik doch vor allem an der neuerlichen Aufmerksamkeit der Debatten auf kognitivistische Moraltheorien ersehen. Zwei Grundpositionen des Kognitivismus sind dabei zu unterscheiden: der ethischer Rationalismus und der ethische Intuitionismus bzw. Realismus. Der Rationalismus in der Ethik besagt, „that moral questions can be decided by determining what it is rational to believe."7 Rawls' Konzept des „Schleiers des Nichtswissens", hinter dem rationale Subjekte in Unkenntnis der sie betreffenden partikularen Bedingungen durch eine freie, ursprüngliche Wahl zu moralischen Übereinkünften gelangen, kann hier als ein Beispiel dienen.8 Dem ethischen Intuitionismus zufolge, den schon G. E. Moore in den Pnnäpia Ethica (1903) vertritt, werden moralische Eigenschaften durch ein spezifisches ethisches Wahrnehmungsvermögen intuitiv erfaßt. In der neueren Debatte tritt diese Theorie in - zumeist deutlich - weiterentwickelter Form als moralischer Realismus auf, der von der Existenz an sich bestehender, nichtreduzierbarer moralischer Tatsachen als Objekte moralischen Wissens ausgeht.9 An diese Differenzierung des ethischen Kognitivismus in die Theorien des Rationalismus und Intuitionismus bzw. Realismus schließt sich die jüngere Diskussion um die Probleme des Universalismus und Relativismus an. Denn auch wenn kognitivistische Theorien zeigen, daß moralische Urteile wahr oder falsch sein können, so folgt daraus nicht von selbst, daß diese Urteile uni-
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tivität des ethischen Intuitionismus und Naturalismus (siehe unten). Vgl. Arrington, 1989, S. 10. Vgl. Rawls, 1971, S. 118ff; dazu Düsing, 2005, S. 162ff, und Düsing, 2004, S. 234ff. Einen Uberblick zu den verschiedenen Formen des Intuitionismus bei Sidgwick, Moore, Ross u. a. verschafft Audi, 2004, bes. Kap. 1. Zu den diversen Varianten des moralischen Realismus siehe Shafer-Landau, 2003, ebenso Schaber, 1998. Zur Kritik an diesen Theorien vgl. Rawls, 1971, S. 30ff, und Graeser, 1996.
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Kristina Engelhard/Dietmar Η. Heidemann
versal sind und ihnen nicht bloß relative Geltung zukommt. Die Universalität oder Relativität einer Ethik muß eigens erwiesen werden. Neben der Konstatierung globaler moralischer Konflikte der politischen, sozialen und auch ökologischen Realität unserer Gegenwart zeigen sich diese innertheoretischen Gründe verantwortlich für die generelle systematische Bedeutung des Themas ,Ethikbegründungen zwischen Universalismus und Relativismus'. Wie aber ist die Begründung einer Ethik überhaupt zu konzipieren?
2. Grundmodelle der Ethikbegründung Wie in der Erkenntnistheorie so lassen sich auch in der Ethik zwei begründungstheoretische Grundmodelle unterscheiden: der Yundamentalismus, oder besser Fundationalismus, und der Kohärentismus. Der Fundationalismus führt die Begründung einer Ethik auf basale, epistemisch privilegierte Prinzipien, Uberzeugungen oder Aussagen zurück. Diese bilden die autarke Grundlage der Rechtfertigung und können als solche nicht selbst aus anderen Gründen inferentiell abgeleitet werden. Konzipiert werden können sie prinzipiell als fallible und insofern revidierbare wie auch als infallible, unkorrigierbare Fundamente.10 Die Rechtfertigungsarchitektur fundationalistischer Begründungsmodelle kommt dabei einem hierarchisch strukturierten Aufbau gleich, dem eine Basis zugrundeliegt, auf die sich alles Folgende stützt. Theoretisches Ideal eines fundationalistischen Modells ist mithin die Letztbegründung einer Ethik. Zwei Arten von Letztbegründungsfundamenten sind zu unterscheiden: rational-diskursive und intuitive Fundamente. Rational-diskursive Fundamente wer10
Die von den Rechtfertigungsfundamenten ausgehende Begründung kann u. a. sowohl deduktiv als auch induktiv verlaufen. Vgl. Sayre-McCord, 1996, S. 149f. Als eines der zentralen Probleme gilt dabei die Frage, ob die Begründung einer Ethik nur auf moralischen oder auch auf nichtmoralischen Fundamenten fußen kann. Wie einige der Beiträge dieses Bandes deutlich machen werden, führen Philosophen wie z.B. Piaton, Thomas von Aquin oder auch Leibniz die Begründung der Ethik auf übergeordnete Theorien oder Prinzipien zurück, die selbst nicht genuin ethisch sind.
Grundprobleme der Ethikbegründung
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den aufgrund vernünftiger Argumentation begrifflich erfaßt. Prominente Beispiele wären der kategorische Imperativ, wie ihn Kant in der Grundlegung %ur Metaphysik der Sitten begründet, oder auch die Prinzipien der Habermasschen Diskursethik. Intuitive Fundamente hingegen sind solche, die nicht rational-diskursiv erfaßt, sondern durch geistige oder sinnliche Intuition oder Anschauung eingesehen werden. Als Beispiele ließen sich nennen Piatons - von vielen, aber nicht allen Interpreten intuitionistisch verstandene - Schau der Idee des Guten, Moores intuitionistische Konzeption der nicht definierbaren moralischen Elementareigenschaft „gut" oder auch unter den Theorien des moralischen Realismus bestimmte Formen ethischer Wahrnehmung.11 Anders als das fundationalistische verzichtet das kohärentistische Begründungsmodell auf eine epistemisch privilegierte Klasse von Fundamenten der Rechtfertigung, auf denen eine Ethik bzw. alle moralischen Uberzeugungen ruhen. Gemäß dem Kohärentismus ergibt sich die Begründung einer Ethik aus den inferentiell-reziproken Stützungsbeziehungen zwischen moralischen Prinzipien, Überzeugungen oder Urteilen in ihrem systematischen Zusammenhang. Die Rechtfertigungsstruktur kohärentistischer Ethikbegründung ist also nicht hierarchisch, sondern holistisch-zirkulär angelegt. Zu den gegenwärtig am meisten diskutierten Modellen kohärentistischer Begründung in der Ethik zählt Rawls' Verfahren des „Uberlegungsgleichgewichts". Nach diesem Modell werden moralische Gründsätze in einer Prozedur des rationalen Abwägens und gegebenenfalls Revidierens von moralischen Urteilen begründet.12 Zwischen den ethischen Begründungsmodellen des Fundationalismus und Kohärentismus auf der einen Seite und den Theorien des Universalismus und Relativismus auf der anderen Seite besteht kein kongruentes begriffliches Verhältnis. Denn eine fundationalistisch begründete Ethik kann man sowohl als eine universalistische als auch relativistische Theorie 11
12
Vgl. z.B. McDowell, 2002. Im Grunde können auch nonkognitive Phänomene als intuitive Fundamente gelten, etwa das Gefühl der Liebe wie in Hegels frühen Ethikentwürfen. Vgl. dazu Düsing/Düsing, 2004, bes. S. 7ff. Allerdings lassen sich nonkognitive Phänomene nicht ohne weiteres in die Struktur der (epistemischen) Begründung einer Ethik integrieren. Im Grunde gilt das auch für Kants (kognitivistische) Lehre vom intuitiven Bewußtsein des Sittengesetztes als einem „Faktum der Vernunft" in der Kritik der praktischen Vernunft. Vgl. Rawls, 1971, S. 40ff. Siehe dazu Sayre-McCord, 1996, S. 141ff; Hare, 1996.
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konzipieren. Gleiches gilt für eine kohärentistisch begründete Ethik. Ohnehin ist zu konstatieren, daß die Differenzierungen zwischen Fundationaüsmus und Kohärentismus sowie Universalismus und Relativismus theoretische Idealisierungen darstellen, denen sich philosophische Ethiken und ihre Begründung nicht immer eindeutig zuordnen lassen. In dieser Hinsicht ein evidentes Beispiel ist Locke, der in seiner Ethik einerseits von dem starken universalistisch-fundationalistischen Anspruch ausgeht, „that Morality is capable of Demonstration, as well as Mathematicks", andererseits jedoch die Ethik quasirelativistisch abhängig macht von sozio-kulturell bedingten moralischen Uberzeugungen der „several Societies, Tribes, and Clubs of Man in the World".13 Trotz solcher Mehrdeutigkeiten von Theorien ist die grundsätzliche Differenzierung zwischen verschiedenen begründungstheoretischen Optionen in der Ethik jedoch insofern sinnvoll, als sie, was diese Einleitung beabsichtigt, eine erste Orientierung unter der Vielzahl der Theorien ermöglicht.
3. Die Beiträge des Bandes Daß sich die systematische Zuordnung von ethischen Positionen nicht in jedem Fall eindeutig vornehmen läßt, soll der Titel dieses Bandes Ethikbegründungen ^wischen Universalismus und Relativismus zum Ausdruck bringen. Die in ihm versammelten Beiträge zeigen anhand historischer ebenso wie systematischer Paradigmen und Positionen die grundlegenden Probleme der Ethikbegründung auf, wie sie im Spannungsbogen der Theorien zwischen Universalismus und Relativismus angesiedelt werden können. Ziel der Beiträge ist zum einen die Exposition dieser Probleme wie auch der Aufweis entsprechender Lösungsmöglichkeiten. Folgende Gliederung liegt zugrunde: I. Metaphysik und Ethikbegründung in Antike und Mittelalter. Die Beiträge des ersten Teils erörtern den vor allem in der Antike und im Mittelalter auftretenden Problemzusammenhang von Metaphysik und Ethikbegründung, und zwar bei Piaton anhand des Verhältnisses von Einheitsmeta13
Vgl. Locke, An Essaj Concerning Human Understanding, Buch III, ch. XI, § 16 und Buch II, ch. XXVIII, § 10.
Grundprobleme der Ethikbegründung
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physik und Ethik (J. Halfwassen), bei Aristoteles anhand einer kritischen Analyse der Frage nach den metaphysischen Grundlagen seiner Ethik (A. Neschke-Hentschke) sowie bei Thomas von Aquin anhand der Begründungsrelation zwischen Transzendentalienlehre und Ethik (J. A. Aertsen). II. Rationalistische und empiristische Ethikbegründung. Gegenstand des zweiten Teils sind rationalistische und empiristische Formen der Ethikbegründung. Dabei wird Hobbes' Ethikbegründung als eine antiskeptische Strategie rekonstruiert (B. Tuschling), Leibniz' Ethikbegründung als eine Form des moralischen Realismus auf metaphysischer Grundlage erwiesen (K. Engelhard) und Humes naturalistische Begründung der Rechtsethik als eine von Sittlichkeitsvorstellungen freie Moralphilosophie bestimmt (K. Westphal). III. Trans^endentalphilosophische und idealistische Ethikbegründung. Der dritte Teil widmet sich den bedeutendsten ethischen Konzeptionen der klassischen deutschen Philosophie, und zwar zunächst der Begründung des kategorischen Imperativs bei Kant (M. Baum), sodann dem Spannungsverhältnis von Universalität und Partikularität in Fichtes Ethik (G. Zöller) sowie dem spezifischen Typus einer pragmatistischen Ethikbegründung bei Hegel (M. Quante). IV. Systematische Paradigmen und Probleme der Ethikbegründung. Die Beiträge des vierten Teils setzen sich mit systematischen Fragen der Ethikbegründung vor allem der neueren Debatten auseinander. Diskutiert werden die Probleme der Ethikbegründung auf folgenden Themenfeldern: Subjektivität (L. Siep), Intersubjektivität (A. Peperzak), Diskursethik (T. Rockmore), Utilitarismus (D. O. Dahlstrom), Neurophilosophie (T. Schlicht), Postmoderne und interkulturelle Philosophie (H. Kimmerle) sowie ethischer Relativismus (D. H. Heidemann).
Literatur APEL, K.-O., 1976, Transformation der Philosophie, Bd. 2, Frankfurt/M. A R R I N G T O N , R. L., 1989, Rationalism, realism, relativism. Perspectives in contemporary moral epistemology, Ithaca/London. A U D I , R., 2004, The Good in the Right. A Theory of Intuition and Intrinsic Value, Princeton/ Oxford.
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Kristina Engelhard/Dietmar Η. Heidemann
DÜSING, E./DÜSING, K., 2004, Gesetz und Liebe. Untersuchungen %ur Kantkritik und %um Ethik-Entwurf in Hegels Frankfurter Jugendschriften, in: B. Merker/G. Mohr/M. Quante (Hrsg.), Subjektivität und Anerkennung, Paderborn, S. 1-14. DÜSING, K., 2004, Kants Ethik in der Philosophie der Gegenwart, in: Warum Kant heute? Systematische Bedeutung und Rezeption seiner Philosophie in der Gegenwart, Berlin/New York, S. 2 3 1 - 2 6 3 .
DÜSING, K., 2005, Fundamente der Ethik. Unzeitgemäße typologische und subjektipitätstheoretische Untersuchungen, Stuttgart-Bad Cannstatt. GREASER, Α., 1996, Moralische Beobachtung interner Realismus und Korporatismus, in: Zeitschrift für philosophische Forschung^, S. 51-64. HARE, R. M., 1996, Foundationalism and Coherentism in Ethics, in: W. Sinnott-Armstrong/M. Timmons (Hrsg.), Moral knowledge? New readings in moral Epistemology, New York/Oxford, S. 190-199. LOCKE, J., An Essay Concerning Human Understanding, hrsg. von P. H. Nidditch, Oxford 1975.
MCDOWELL, J., 2002, Werte und sekundäre Qualitäten, in: J. McDowell, Wert und Wirklichkeit. Aufsätze %ur Moralphilosophie, mit einer Einleitung von A. Honneth und M. Seel, übers, von J. Schulte, Frankfurt/M., S. 204-230. Qu ANTE, M., 2003, Einführung in die Allgemeine Ethik, Darmstadt. RAWLS, J., 1971, Theory of Justice, Oxford (ND 1999). SAYRE-MCCORD, G., 1996, Coherentist Epistemology and Coherentism in Moral Theory, in: W. Sinnott-Armstrong/M. Timmons (Hrsg.), Moral knowledge? New readings in moral Epistemology, New York/Oxford, S. 137-189. SCHABER, P., 1998, Moralischer Realismus, München/Freiburg. SCHOPENHAUER, Α., Preisschrift über die Grundlage der Moral, in: A. Schopenhauer, Die beiden Grundprobleme der Ethik, Zürcher Ausgabe, Bd. VI, Zürich 1977. SHAFER-LANDAU, R., 2003, Moral realism. A defence, Oxford/New York.
Erster Teil Metaphysik und Ethikbegründung in Antike und Mittelalter
Piatons Metaphysik des Guten Jens Halfivassen
I. Eine Ethik gibt es bei Piaton noch nicht, jedenfalls nicht im Sinne einer eigenständigen philosophischen Disziplin. Die Einteilung der Philosophie in verschiedene Disziplinen, die sich nach Gegenstandsbereich und Methode durch eine gewisse Eigenständigkeit auszeichnen, ist erst das Werk der Schülergeneration Piatons.1 Es war Xenokrates, Piatons zweiter Nachfolger als Haupt der Akademie, der die Philosophie in Dialektik, Physik und Ethik einteilte (Fr. 1 Heinze), eine Einteilung, die von allen Philosophenschulen des Hellenismus und der Kaiserzeit übernommen wurde. Und es war Aristoteles, Piatons bedeutendster und einflußreichster Schüler, der paradigmatisch zeigte, wie eine eigenständige Ethik ausgeführt werden kann. Die Ethik des Aristoteles gewinnt ihre Eigenständigkeit aus drei Grundlagen: 1. Ihr Thema, das sie von anderen Bereichen philosophischen Nachdenkens spezifisch unterscheidet, ist die Frage nach dem Guten (άγαθόν), die sie aber von Anfang an als Frage nach dem guten und gelingenden lieben des Menschen auffaßt. Der Aristotelische Terminus für ein als ganzes gelingendes, also erfülltes menschliches Leben ist bekanntlich: Glück (ευδαιμονία). 2. Methodisch basiert sie auf einer Analyse der immanenten Struktur menschlichen Handelns (πραξις), also auf der Besdmmung der speVgl. dazu Hadot, 1982. - Die spätere Antike hat aber seit Cicero die Dreiteilung der Philosophie schon Piaton zugeschrieben, vgl. Dörrie/Baltes, 1987-2002, Band 4 (1996), Nr. 101.2-9 mit dem Kommentar von Baltes ebd. S. 205ff, bes. S. 225231.
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Jens Halfwassen zifischen Vollzugsweise menschlichen Lebens. Dieser methodische Ansatz unterscheidet die Ethik von der Seinserkenntnis der Metaphysik, die auf die Erfassung des Unveränderlichen und Ewigen ausgeht, und ebenso von der Erkenntnisweise der Physik, deren Ziel die Erfassung des Bewegten ist. 3. Um zu bestimmen, was ein menschliches Leben im ganzen gelingen läßt, müssen wir wissen, was den Menschen vor anderem Seienden spezifisch auszeichnet und was dieses Auszeichnende ist: nämlich die Teilhabe am Geist (νοΰς). Dadurch, daß auf diese Weise der Geist auch Thema der Ethik ist, hängt diese mit der Metaphysik zusammen, ohne sie vorauszusetzen; denn die intellektuelle Anschauung (θεωρία) des Geistes ist nicht nur das Ziel, in dessen Erreichen spezifisch menschliches Leben gelingt, sondern der Geist ist die vollkommene Form des Seins schlechthin.
Aristoteles beginnt seine Nikomachische Ethik mit einer berühmt gewordenen Nominaldefinition des Guten: „Darum hat man das Gute zu recht als dasjenige bezeichnet, wonach alles strebt" (διό καλώς άπεφήναντο τάγαθόν, ού πάντ' έφίεται, 1094 a 3). Auch wenn Aristoteles hier nicht sagt, wem diese grundlegende Einsicht zu verdanken ist, so ist doch unverkennbar, daß er sich auf Piaton bezieht. Denn wir lesen in der Po/iteia, unmittelbar vor dem Sonnengleichnis, also dem Höhepunkt des Dialogs, daß jede Seele nach dem Guten strebt und um seinetwillen alles tut (505 E), während es im Philebos heißt, alles Erkennende jage dem Guten nach und strebe danach, es zu erlangen und zu besitzen (20 D). Die Frage nach dem Guten bestimmt Piatons Philosophie als ganze; sie steht im Zentrum der Dialoge und ebenso im Zentrum von Piatons innerakademischer Lehre, die unter dem Titel Über das Gute (περί τάγαθοΰ) vorgetragen wurde.2 Gleichwohl ist Piatons Philosophie im ganzen keine Ethik, sondern eine Metaphysik. Alle Themen, die Piaton in seinen Schriften und in seinen mündlichen Gesprächen innerhalb der Akademie philosophisch behandelt hat, bleiben einbezogen in eine einheitliche Denkbewegung, die in sich gedoppelt ist: Sie vollzieht sich einerseits als Aufstieg zu einem Absoluten (άνυπόθετον, απόλυτον), das als der „Urgrund des Gan-
Eine (unvollständige) Sammlung der antiken Zeugnisse zur „ungeschriebenen Lehre" Piatons bietet Gaiser, 1963, S. 443-557. - Eine kommentierte zweisprachige Ausgabe von Hans Krämer und Jens Halfwassen bei Reclam ist in Vorbereitung.
Piatons Metaphysik des Guten
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zen" (άρχή τοΰ παντός, Rep. 511 Β 7) weiterer Begründung weder fähig noch bedürftig ist, und andererseits als Abstieg von diesem Absoluten, der die ihm entspringende Wirklichkeit als ganze im Lichte des Absoluten und als dessen Prinzipiat begreift (vgl. Rxp. 511 B-D; Aristoteles, Eth. Nie. 1095 a 30-b 3 = Test. Plat. 10 Gaiser).3 Piatons eigener Name für diese doppelte Denkbewegung des Aufstiegs zum Absoluten und des Abstiegs vom Absoluten war bekanntlich Dialektik. Piatons dialektische Metaphysik ist durch die Frage nach dem Guten initiiert und gipfelt auch in ihr. Das Gute selbst (αυτό τό αγαθόν) ist das Absolute, zu dem sie aufsteigt und in dessen Licht sie absteigend die gesamte Wirklichkeit betrachtet. Piatons Metaphysik des Guten darf jedoch nicht so verstanden werden, als ob bei Piaton — gleichsam in Vorwegnahme des zentralen Gedankens von Emmanuel Levinas — die Ethik zur Ersten Philosophie würde. 4 Piatons Metaphysik des Guten ist vielmehr eine Metaphysik des Einen,5 eine Henologie, wie sie nach Pia ton und in Anknüpfung an ihn vor allem die Neuplatoniker konzipiert und ausgeführt haben.6 In ihrem Zentrum steht die Bestimmung des Guten selbst als absolute Einheit und die Ableitung aller Formen des Gutseins aus dem absoluten Einen (vgl. z.B. Aristoteles, Met. 988 a 14 f, 1084 a 34 f, 1091 b 13 ff; Eth. Eud. 1218 a 15 ff; Aristoxenos, Elem. harm. 40, 2; Theophrast, Met. 11 a 27 ff). Auch und gerade die Ethik als die Frage nach dem spezifischen Gutsein des menschlichen Lebens ist bei Piaton in die zum absoluten Einen aufsteigende und von ihm wieder absteigende Denkbewegung seiner Philosophie eingebunden und wird von ihr her beantwortet. Sie kann für Piaton nicht für sich behandelt und beantwortet werden, sondern bedarf der Fundierung durch eine Metaphysik, die nach dem Wesen des Guten schlechthin und als solchen fragt und diese Grundfrage durch die Bestimmung des Guten als das Eine beantwortet. Piatons Philosophie erhebt damit den Anspruch, als Theorie des Absoluten zugleich eine das menschliche Leben formende und bestimmende Kraft zu entfalten.7 3 4
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Vgl. dazu Halfwassen, 1992, und Halfwassen, 1998. So deutet Steel, 1999, Piatons Ansetzung des Guten als höchstes Prinzip. Mir scheint das evident unhistorisch. Grundlegend dazu Krämer, 1959; zusammenfassend Halfwassen, 2004 b. Dazu Beierwaltes, 1985, und Halfwassen, 2004 a. Zur Bedeutung der Philosophie als Lebensform in der Antike vgl. Hadot, 1991, und Hadot, 1999; ferner allgemein Albert/Jain, 2000. - Zur lebensformenden Kraft speziell des Denkens des Einen Beierwaltes, 2002.
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Eine solche henologische Fundierung ethischer Themen wirkt aus der Perspektive der Gegenwartsphilosophie befremdlich. Sie wirkte freilich schon auf Piatons Zeitgenossen so. Das beweist eine Anekdote des Aristoteles, die sein Schüler Aristoxenos überliefert. Piaton geriet gegen Ende seines Lebens in Athen politisch unter Druck. Nach der gescheiterten Herrschaft seines Freundes Dion über Sizilien wurde die Akademie als gefährliche Brutstätte antidemokratischer Umtriebe verdächtigt; der esoterische Charakter von Piatons innerakademischer Philosophie gab diesem Verdacht zusätzlich Nahrung. Um dem entgegenzutreten, entschloß sich Piaton, seine ungeschriebene Prinzipienlehre ein einziges Mal öffentlich vorzutragen.8 Dieser Vortrag wurde unter dem Titel Über das Gute angekündigt und zog ein großes Publikum an, das erwartete, nun über das menschliche Glück und über diejenigen Güter, die zur Erfüllung menschlichen Lebens beitragen, wie Reichtum, Gesundheit und Kraft belehrt zu werden. Piaton habe diese Erwartungen jedoch gründlich enttäuscht und über Zahlen gesprochen und schließlich das Gute als das Eine bestimmt, so berichtet Aristoxenos (Elem. harm. II 39-40 = Test. Plat. 7). Während die Ethik des Aristoteles heute vielen als eine attraktivere) Alternative zu Kants Modell einer Sollensethik gilt, entspricht Piatons Metaphysik des Guten den Erwartungen des gegenwärtigen Zeitgeistes genau so wenig wie seinerzeit denen des Athener Publikums. Das muß freilich nicht unbedingt gegen sie sprechen. Gerade in ihrer Fremdheit kann sie uns zeigen, wie sich die Frage nach der Lebenserfüllung des Menschen im Rahmen einer Philosophie verhandeln läßt, die mit dem starken Anspruch auf die Erkenntnis des Ganzen und seiner Begründung im Absoluten auftritt, den Piaton mit dem Namen der Philosophie verbunden hat.9
II. Die Frage nach dem Guten wird innerhalb des Platonischen Dialogwerks am weitesten gehend in der Politeia thematisiert.10 Im Sonnengleichnis (506 8
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Zur Datierung und zu den historischen Umständen Gaiser, 1980 und Eder, 1986; allgemein Trampedach, 1994. Vgl. dazu Halfwassen, 2003. Vgl. zum Folgenden Halfwassen, 1992, S. 220-264; Reale, 1993, S. 257-291; Krä-
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Ε ff), dem Höhepunkt des Dialogs, 11 stellt Piaton das Gute als den absoluten Ursprung der wahrhaft seienden Ideen dar: Die Ideen verdanken ihr Sein (είναι) und ihr Wesen (ούσία), also ihre Existenz und ihre inhaltliche Bestimmtheit dem Guten selbst (509 B), der „Idee des Guten" (Ιδέα τοΰ άγαθοΰ, 505 A), die aber selber nur mehr in einem uneigentlichen und übertragenen Sinne „Idee" ist, weil sie als Einheitsgrund der Ideen zu der Vielheit der Ideen in demselben Verhältnis steht wie jede einzelne Idee als die Einheit eines bestimmten Wasseins zur Vielheit ihrer Erscheinungen (507 B). Wie jede Idee als ewige und unveränderliche Seinsgestalt ihre Erscheinungen transzendiert, so transzendiert das Gute selbst wiederum die Ideen als den Inbegriff des Seins schlechthin: Es steht in absoluter Transzendenz „noch jenseits des Seins und überragt es an Ursprünglichkeit
und Mächtigkeit" (ετι έπέκεινα της ουσίας πρεσβεία και δυνάμει υπερ-
έχοντος, 509 Β 9 f). 12 Das überseiende Gute selbst ist ferner nicht nur Seinsgrund der Ideen und alles Seienden, sondern darüber hinaus auch Prinzip der Erkennbarkeit des Intelligiblen und Prinzip der Erkenntniskraft des erkennenden Geistes; wie die Sonne durch ihr Licht Sehkraft und Sichtbarkeit stiftet und das sehende Auge mit dem Gesehenen im Sehakt zu einer in sich unterschiedenen Einheit zusammenfügt, so vereinigt das Gute durch das von ihm ausgehende „Licht der Wahrheit und des Seins" (508 D) den Geist mit den erkannten Ideen im Akt des Erkennens, bleibt dabei aber selber „über Wahrheit, Erkenntnis und Geist erhaben" (ύπέρ ταΰτα
sc. αλήθεια, γνώσις, επιστήμη, νους) (508 Α-509 Α). Das Gute ist fer-
ner, wie angedeutet wird, das exakteste Maß für die Vollkommenheit aller Dinge (504 B-Ε) sowie konstituierendes Prinzip der αρετή, also der Tugenden wie Gerechtigkeit, Tapferkeit, Besonnenheit und Einsicht (505 A ff, 506 Α ff). Die Tugenden verschaffen der einzelnen Seele wie der Polis im ganzen mit der richtigen Ordnung der Seelenteile bzw. der Stände ihre höchstmögliche Einheit und damit ihre optimale Verfassung (443 D/E). Das Gute ist darum das höchste Prinzip, an dem sich die richtige Lebensführung des Einzelnen wie der Gemeinschaft zu orientieren hat (517 C, 540 A/B). Was aber das Gute selbst seinem eigentlichen Wesen nach ist, wird den Gesprächspartnern des Sokrates in der Politeia ausdrücklich und absicht-
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mer 1997; Szlezäk, 2003. Vgl. die genaue Analyse des Aufbaus und des Handlungsverlaufs der Voliteia bei Szlezäk, 1985, S. 271-326. Vgl. dazu Krämer, 1969, und Halfwassen, 2002 b.
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lieh vorenthalten (506 D/E, 509 C); sie erfahren nur, daß es weder mit der Lust (ηδονή) noch mit der Einsicht (φρόνησις) identifiziert werden darf, also kein inhaltlich konkretes Ziel bestimmter Handlungen ist, sondern vielmehr dasjenige, was solche konkreten Handlungsziele vorgängig allererst ermöglicht (505 Β ff). Auf die Frage nach dem Wesen des Guten weicht Sokrates in die Proportionsanalogie des Sonnengleichnisses aus, die gerade nicht das Wesen des Guten zu erkennen gibt, sondern nur dessen Verhältnis zum Seienden und zum erkennenden Geist, also seine Stellung als absoluter Ursprung (άνυπόθετος άρχή, 510 Β 7). Seine Benennung als „das Gute" bringt dabei eigentlich gar nichts anderes zum Ausdruck als eben diese Stellung als Grund des Seins — denn „das Gute" wird in einer auf Piaton zurückgehenden Definition bestimmt als „der Grund, der das Seiende im Sein erhält" (τό αίτιον της σωτηρίας τοις οΰσιν, Def. 414 Ε 9; vgl. Rep. 509 Β 7 f, 608 Ε 3 f).13 Piaton fordert in der Politeia aber ausdrücklich, der Dialektiker müsse das Wesen des Guten bestimmen können (534 B/C)14 - diese Wesensbestimmung des Guten ist das höchste Ziel der Dialektik und in diesem Sinne ist die Idee des Guten das μέγιστον μάθημα: das am meisten und vor allem anderen Einzusehende (505 A).15 Auch ist sich Piatons Sokrates über das Wesen des Guten keineswegs im Unklaren, sondern hält lediglich seine Meinung darüber zurück, weil sie die Gesprächspartner in der gegebenen Gesprächs situation, also im Kontext einer Diskussion über die Gerechtigkeit und den gerechten Staat, überfordern würde (506 D/E).16 Die in der Politeia anvisierte und geforderte, dort aber zurückgehaltene Wesensbestimmung des Guten referiert Aristoteles in wenigen Worten: „Von denen, die lehren, es gebe unbewegte Wesenheiten, behaupten die einen, daß das Eine selbst das Gute selbst sei; für sein Wesen halten sie jedoch im eigentlichsten Sinne das Eine" (των δέ τάς ακίνητους ουσίας είναι λεγόντων οί
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14 15 10
Vgl. zur Herkunft der unter Piatons Namen überlieferten Defmitionensammlung Krämer, 1983, S. 96: „Da für Speusipp eine Definitionensammlung bezeugt ist (Diog. Laert. IV 1, 5) und Aristoteles (Top. III 2, 140 a 3 ff; III 10, 148 a 15 f) sonst unbekannte Definitionen Piatons anführt, wird man in der erhaltenen Sammlung eine Auswahl aus einem größeren altakademischen Bestand an Definitionen sehen müssen." Vgl. dazu Krämer, 1966. Vgl. dazu Halfwassen, 1992, S. 226ff. Dazu Szlezäk, 1993, S. 92ff; Szlezäk, 2003, S. 121 ff.
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μεν φασιν αυτό τό εν τό αγαθόν αυτό ειναν οΰσίαν μέντοι τό εν ώοντο είναι μάλιστα , Met. 1091 b 13-15 = Test. Plat. 51).
Wenn Aristoteles hier sagt, das Eine sei die ούσία (Sein, Wesenheit) des Guten, so gebraucht er seine eigene Terminologie, derzufolge die ούσία das reine Ansich einer Sache meint, im Unterschied zu ihren Eigenschaften und zu den Beziehungen, in denen sie steht.17 Ein Widerspruch zu Piatons Aussage, das Gute selbst sei keine ούσία, sondern „jenseits des Seins und des Wesens" (Rep. 509 Β 9), ist nicht beabsichtigt und liegt auch nicht vor. Gemeint ist vielmehr folgendes: „das Eine selbst" bezeichnet das Absolute als solches in seiner Absolutheit und Transzendenz (vgl. auch Speusipp, Test. Plat. 50). Dagegen benennt „das Gute selbst" das Absolute nicht an sich selbst und als solches, sondern nur in seinem Verhältnis zu seinen Prinzipiaten: als den Grund des Seins und der Vollkommenheit für alles Seiende. Die beiden Benennungen des Absoluten sind also nicht gleichwertig, sondern allein „das Eine" benennt das Absolute „eigentlich", während die Benennung als „das Gute" nur seine Stellung als Seinsgrund zum Ausdruck bringt. Den beiden Benennungen korrespondieren die beiden von Piaton ausgebildeten Methoden zur Erkenntnis des absoluten Ursprungs, nämlich die Negation, die — paradigmatisch vorgeführt in der ersten Hypothesis des Parmenides — dem reinen Einen selbst alle denkbaren Bestimmungen abspricht, die stets nur seine Prinzipiate treffen, aber nie „Es Selbst" in seiner reinen Transzendenz (137 C-142 A; vgl. Test. Plat. 50),18 sowie die Analogie, die - paradigmatisch vorgeführt im Sonnengleichnis — das Absolute als den Urgrund und Ursprung aus dem Verhältnis seiner Prinzipiate zu ihm begreift. Dem Vorrang des Einen und seiner negativen Ausgrenzung entspricht es, wenn Piaton in der Politeia fordert, der Dialektiker müsse das Wesen des Guten begrifflich bestimmen, „indem er es von allem anderen wegnimmt" (άπό τών άλλων πάντων αφελών, 534 Β 9), also alle Bestimmungen des Seienden und Intelligiblen von ihm verneint: dies ist das Programm der negativen Theologie oder Henologie.
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Vgl. dazu Halfwassen, 1999, Sp. 497f£ Dazu eingehend Halfwassen, 1992, S. 265-405.
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III. Warum aber hat Piaton als das eigentliche Wesen des Guten das absolut Eine angesehen? Die Begründung dafür referiert Aristoteles in seiner Eudemischen Ethik (1218 a 15-32).19 Sie besagt: weil alles Seiende und zuhöchst die Zahlen nach dem absoluten Einen streben (έφίενταΐ), darum sei das Eine selbst das Gute selbst. Aristoteles setzt dabei offensichtlich die Nominaldefinirion des Guten als „das, wonach alles strebt" voraus. Der Grund für das Streben der ewigen und unveränderlichen Zahlen nach dem absoluten Einen ist ihr Charakter als Einheiten (μονάδες), den sie dem Einen selbst verdanken und der sich offenbar gerade in ihrem Streben zum Einen selbst konstituiert und erhält. Aus Aristoteles' Hinweis auf den Einheitscharakter der Zahlen ergibt sich, daß hier die Ideenzahlen gemeint sind und nicht die mathematischen Zahlen. Jede Idee nämlich ist einerseits die Einheit eines reinen Wasseins, andererseits aber schließt sie als eine bestimmte und definierbare Wesenheit notwendig eine Vielheit von Wesensmomenten in sich, von denen jedes einzelne wiederum Einheitscharakter hat, also selber eine Idee ist. Z.B. bestimmt sich die Idee der Gerechtigkeit als die Einheit der Ideen der Einsicht, der Tapferkeit und der Besonnenheit, die sie als Einheiten in ihrer eigenen Einheit umfaßt. Die Ideen sind somit keine einfachen, nicht weiter analysierbaren Einheiten, sondern prinzipiell synthetische Einheiten, d.h. Einheiten, die sich aus einer Vielheit von elementaren Einheiten aufbauen und damit den Charakter von Zahlen haben. Als zahlenhafte, in sich synthetische Einheiten setzen die Ideen die reine Einheit als solche, also: das Eine selbst immer schon voraus. Piaton zeigt im Varmenides (157 E-158 D), wie sich die Ideen als in sich selbst bestimmte, mit sich identische und von anderem verschiedene Einheiten erst durch die Teilhabe an dem überseienden Einen selbst konstituieren. 20 Diese Konstitution der Ideen als der seienden Einheiten setzt übereinstimmend mit den αγραφα δόγματα Piatons - eine an ihr selbst unbegrenzte und unbestimmte Vielheit (πλήθος άπειρον) voraus, die, als solche nichtig und seinslos (ούδέν, 158 Β 3), durch die Teilhabe an dem seinsjenseitigen Einen zum Sein erhoben wird, indem sie mit dem Charakter der Einheit zugleich Grenze, Bestimmtheit und Fürsichsein empfängt. 19 20
Vgl. dazu die eingehende Analyse von Brunschwig, 1971. Vgl. dazu Krämer, 1959, S. 135ff.
Platons Metaphysik des Guten
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Die ursprünglich unbestimmte Vielheit einigt und bestimmt sich durch diese Teilhabe an dem absoluten Einen zu der Einheit eines vollendeten Ganzen (εν δλον τέλειον, 157 Ε 1), das in sich selbst vielfältig gegliedert ist, weil es eine Vielheit von jeweils für sich bestimmten, gegeneinander abgegrenzten und mit sich identischen Einheiten (Ideen) in sich umfaßt, wobei sowohl das geeinte Ganze selber als auch jede einzelne der in ihm enthaltenen Teil-Einheiten (jede Idee) an dem absoluten Einen selbst teilhat und eben dadurch Einheit ist. Das so konstituierte Seinsganze ist somit keine reine, schlechthin einfache Einheit wie das Absolute, hat aber als in sich selbst vielheitliche Einheit an dem überseienden absoluten Einen teil (158 A, vgl. Soph. 245 A/B und ff). 21 Diese seinskonstitutive Teilhabe der Ideen an dem überseienden Einen faßt Piaton dem Aristotelischen Referat zufolge zugleich dynamisch als ein „Streben" (εφεσίς, ορεξίς), also als eine Art von ontologischer Intentionalität auf. Diese ontologische Intentionalität entspringt dem Einheitsbedürfnis, in dem sich das Sein alles Seienden konstituiert. Denn nur was Eines ist, kann überhaupt sein und etwas Bestimmtes sein (vgl. Alexander, In Met. 56, 30 f = Test. Plat. 22 B); was dagegen nicht Eines ist, ist überhaupt nichts (vgl. Parm. 165 E-166 C, spez. 166 C 1). Weil aber Seiendes, eben weil es immer zugleich seiend und Eines und eben damit schon Zweiheit ist (vgl. Parm. 142 Β ff), niemals reine, absolut einfache und vielheitslose Einheit sein kann wie das jenseitige Absolute (Parm. 158 A 5 f: νΰν δέ ένί μεν είναι πλην αύτω τω ένι άδΰνατόν που), darum kann alles Seiende überhaupt nur in der Weise Einheit sein, daß es nach dem Einen strebt und dabei stets nur eine eingeschränkte, vielheitliche Einheit realisiert, die sich als Einheit allererst durch die in ihr wirksame Macht des überseienden Einen selbst erhält. Darum kommt das Streben nach Einheit in dem realisierten Einheitscharakter des Seienden auch nicht zu abschließender Erfüllung, sondern bleibt über das Sein hinaus auf die Transzendenz des Absoluten gerichtet. Diese universale Intentionalität des Seienden zum Einen ist auch der Grund für die Teilhabebeziehung der werdenden und veränderlichen Erscheinungen zu den immerseienden Ideen, die Piaton ebenfalls als ontologische Intentionalität deutet, als ein „Streben" der Einzeldinge zu der sie bestimmenden Idee, so daß sie so sein wollen wie diese, aber stets hinter ihr zurückbleiben (Phaid 75 A/B); in diesem Streben realisieren die Erscheinungen die ihnen mögliche Einheit durch Teilhabe an der Einheit ihrer Idee. 21
Vgl. dazu Krämer, 1959, S. 541 ff.
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Die Intentionalität des Seienden läßt ferner weitreichende Rückschlüsse zu auf den ursprünglichen Intentionalitäts- und Strebecharakter des Vielheitsprinzips selber, der „unbestimmten Zweiheit" (αόριστος δυάς),22 und auf die darin liegende fundamentale Asymmetrie im Verhältnis der beiden Prinzipien zueinander.23 Denn Vielheit, auch und gerade ihr Prinzip, die unbestimmte Zweiheit, kann überhaupt nur gedacht werden als ein ursprüngliches Sich-Richten auf Einheit (vgl. auch Aristoteles, Met. 1087 b 9-12 = Test. Plat. 49). Darin zeigt sich eine Universalisierung des Eros-Gedankens und der „Angleichung an Gott" (όμοίωσις θεώ) zu einem Grundcharakter alles Seienden, ja alles Nicht-Absoluten schlechthin. Das „Streben" der Ideenzahlen verweist somit zurück auf ihre Konstitution durch das Vielheitsprinzip der unbestimmten Zweiheit, die an sich selbst reiner Mangel (vgl. Hermodor, Test. Plat. 31) und darum reines Streben, reine Intentionalität ist. Die von Aristoteles bezeugte Intentionalität des Seienden im allgemeinen und der Ideen im besonderen erhellt aber auch die in den Dialogen wiederholt und an zentralen Stellen vorgenommene Charakterisierung der Ideenwelt durch intelligible „Bewegung" (κίνησις), „Leben" (ζωή) und „Geist" (νοΰς) {Soph. 248 Ε ff, Tim. 30 C ff, 39 Ε u. ö.).24 Denn Intentionalität bedeutet immer zugleich Lebendigkeit, also ein Sich-Verhalten zu sich selbst, und der sich selbst denkende Geist, der sich selbst als Einheit weiß und darin ganz und gar bei sich ist, ist die höchste Erfüllung der Intention auf Einheit, die dem Seienden überhaupt möglich ist. Die letzte Konsequenz daraus zieht Plotin, indem er das intelligible Sein der Ideen mit dem absoluten Geist identifiziert, der sich als die Einheit aller Ideen intellektuell selbst anschaut.25 Bei Piaton ist das mindestens schon angebahnt.
IV. Piaton begründet das Gutsein, also die Seinsvollkommenheit der Ideen und zuletzt alles Seienden durch ihren Charakter als Einheit und als Ord22 23 24 25
Vgl. dazu Krämer, 1964, S. 326ff; Happ, 1971, S. 203-207. Dazu Halfwassen, 1997. Grundlegend dazu bleibt Krämer, 1964, S. 193ff, 407ff; vgl. Halfwassen, 2000. Dazu Halfwassen, 2004 a, S. 71-97; Beierwaltes, 1991; Beierwaltes, 2001.
Piatons Metaphysik des Guten
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nung (τάξις), d.h. als Einheit in der Vielheit, der sich ihrem Streben zum absoluten Einen verdankt. Das Gutsein der im menschlichen Handeln erstrebten Güter und hier speziell der Tugenden wie Gerechtigkeit und Gesundheit gründet wiederum in ihrem Einheitscharakter als Ordnungen (vgl. z.B. Gorg. 506 E), den sie den sie begründenden Ideen und damit in letzter Instanz dem absoluten Einen verdanken. Das transzendente Absolute teilt sich über die vollkommenen Seinsgestalten der Ideen allem Seienden und damit auf abgeleiteter Stufe auch den Gütern des menschlichen Lebens mit, indem es überall Einheit und Ordnung und ineins damit Vollkommenheit und Vollendung stiftet.26 Gutsein bedeutet auf allen Stufen des Seienden, daß etwas ganz und gar das ist, was es ist, sein eigenes Wesen also soweit wie möglich erfüllt und darin sich selbst genügt; das aber ist dann der Fall, wenn es mit sich selbst übereinstimmt und Eines ist, als ein in sich Vollendetes und Ganzes.27 Diese Einheit ist das Gute, in dem sich jedes Seiende erfüllt und seine Vollendung findet. Piatons Metaphysik des Guten führt nicht nur in die äußerste Transzendenz, durch die Gleichsetzung des Guten selbst mit dem nur noch via negationis aus allem anderen ausgrenzbaren jenseitigen Einen, sondern sie entfaltet diese Gleichsetzung auch im Abstieg der Seinsordnung bis in die einzelnen Tugenden und damit bis in das konkrete menschliche Glück hinein. Die Grundbegriffe und die Themen der Ethik kommen in Piatons Theorie des Guten also durchaus zu ihrem vollen Recht. Leitend ist dabei der Grundgedanke der Ordnung als Einheit in der Vielheit (vgl. z.B. Rep. 443 D 4 f, Ε 1 f, 500 C, 506 A 9, 540 Β l). 2 » Die Güterlehre, das grundlegende Thema antiker Ethik, hat ihren systematischen Ort bei Piaton in der absteigenden Dialektik, in der Entfaltung des Einen in die Ordnungen des Seienden. Ihr zentraler Begriff ist der Begriff der άρετη. Er vereinigt in sich axiologische, ontologische und theologische Aspekte in einer Weise, die zuletzt nur von der Gleichsetzung des Guten mit dem Einen her einsichtig wird und aus verschiedenen Hinsichten darauf zurückverweist. Der Ausdruck αρετή bedeutet wörtlich „Bestheit".29 In einem außermoralischen Sinne ist damit die funktionale Tauglichkeit von etwas gemeint, d.h. seine Fähigkeit zum Vollbringen einer Leistung (έργον), die der betreffenden Sache spezifisch ist und in der sich ihr Wesen realisiert. 26 27 28 29
Vgl. Krämer, 1959, S. 139ff, 536ff. Vgl. in diesem Sinne auch Gadamer, 1931, spez. S. 169; Gadamer, 1978. Maßgebend dazu Krämer, 1959, S. 118-145. Zur Bedeutungsbreite dieses Begriffs vgl. Horn, 1998, S. 133ff, zu Piaton S. 136ff.
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Piaton erläutert diesen Zusammenhang in der Politeia am Beispiel von Pferden, Rebscheren und Augen (352 D-354 D). So ist die spezifische Leistung der Augen das Sehen, die dazu nötige Tauglichkeit (αρετή) die Sehkraft. Dieses Verständnis von Bestheit überträgt Piaton auch auf den Menschen. Ein Mensch ist dann in seinem optimalen Zustand, wenn er fähig ist, die ihm spezifische Leistung zu vollbringen. Nur ist das Ergon des Menschen nicht so einfach zu bestimmen wie das Ergon des Auges. Es besteht nicht in einer einzelnen Handlung, sondern im Führen und Gelingen eines spezifisch menschlichen Lebens im ganzen. Piaton meint genau das mit seiner berühmten Formel von der „Idiopragie": 30 das Leben eines Menschen gelingt dann, wenn er „das Seine tut" (τά έαυτοΰ πράττείν, 433 Α) und sich nicht in „Vielgeschäftigkeit" (πολυπραγμοσύνη) zersplittert und verliert. Entsprechend ist eine Polis dann und nur dann gut eingerichtet, wenn sie ihren Bürgern ein Leben ermöglicht, in dem jeder das Seine tut. Den richtigen und guten Zustand der Polis und des Einzelmenschen, der ihn in die Lage versetzt, das Seine gut zu tun, bestimmt Piaton als „Gerechtigkeit" (δικαιοσύνη); Gerechtigkeit meint hier also nicht sozialdemokratisch eine bestimmte Verteilung von Gütern oder Lebenschancen, sondern die optimale innere Verfassung (die Arete) des Einzelnen und der Gemeinschaft. Sie entspricht der Gesundheit als der optimalen Verfassung (Arete) eines Organismus, die ihn in die Lage versetzt, seine Lebensprozesse gut und reibungslos auszuführen (444 C ff). Wenn die Gesundheit nicht nur als Mittel zu einem Zweck erstrebenswert ist, sondern vor allem um ihrer selbst willen, also als Selbstzweck, so erst recht die Gerechtigkeit als die Arete dessen, was den Menschen eigentlich ausmacht: nämlich seiner Seele (vgl. 357 C-358 A). Sie ist die spezifische Tugend des Menschen, die realisiert sein muß, damit ein menschliches Leben gelingen kann. Die Gerechtigkeit ist als Norm eines gelingenden Lebens derjenige Wert, den ein menschliches Leben um seiner selbst willen anzustreben und zu realisieren hat. Dies ist die axiologische Seite des Arete-Begriffs, die Piaton henologisch fundiert, indem er die Arete als Einheit bestimmt. Als Inbegriff menschlicher Bestheit umfaßt die Gerechtigkeit nämlich alle einzelnen Tugenden in sich, namentlich Weisheit (σοφία) oder Ein-
sicht (φρόνησις), Tapferkeit (ανδρεία) und Besonnenheit (σωφροσύνη), also die später so genannten Kardinaltugenden. Piaton bestimmt diese wichtigsten Einzeltugenden als die spezifischen Bestformen der drei See3(1
Zur Deutung der Idiopragie vgl. Bubner, 2002, S. 59ff.
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lenteile, die er im inkarnierten, handelnden Menschen unterscheidet (vgl. Rep. 435 B-444 A, Phaidr. 245 Α ff; Tim. 42 Α ff): der denkenden Geistseele (λογιστικόν), die einfach, unsterblich und vom Körper unabhängig für sich existiert, der begehrenden Triebseele (έπιθυμητικόν), die sich um die Bedürfnisse des leiblichen Organismus kümmert, und der zwischen Geistund Triebseele vermittelnden Emotionalität oder der Gefühlsseele (θυμοειδές).31 Die Seele eines Menschen ist dann richtig organisiert und in bestem Zustand, wenn in ihr nicht die Triebe oder die Emotionalität die Oberhand haben, sondern das, was den Menschen eigentlich zum Menschen macht: die Vernunftseele, die Piaton darum auch den „inneren Menschen" (εντός άνθρωπος, Rep. 589 A/B) nennt. Die spezifische Bestheit der menschlichen Seele, die Gerechtigkeit, besteht somit in der richtigen Ordnung der Seelenteile, in der die Vernunft mit Hilfe der Emotionalität über die Begierden herrscht, indem sie sie begrenzt {nicht sie ausschaltet oder ganz verneint!). Allein diese Ordnung, die das richtige Verhältnis der Seelenteile zueinander herstellt, realisiert die Einheit einer Menschenseele; überläßt sich der Mensch dagegen seinen Trieben oder seiner Emotionalität, so zersplittert sein Leben in eine Vielheit, weil er von gegenläufigen Strebungen wechselnd bald hierhin, bald dorthin gezogen wird. Das Gelingen eines Menschenlebens, das menschliche Glück, hängt somit an der Einheit der menschlichen Seele, die sich in der richtigen Ordnung ihrer Teile realisiert. In diesem Sinne besteht die Arete in der Einheit: „In Wahrheit aber war die Gerechtigkeit, wie sich zeigte, zwar etwas Derartiges [sc. das Seine tun], doch nicht in bezug auf das äußere Handeln des Menschen, sondern in bezug auf das innere, bei dem es wirklich um ihn selbst und um das Seine geht. Er erlaubt nämlich keinem Teil in sich, Fremdartiges zu tun, noch daß die Teile seiner Seele vielgeschäftig aufeinander übergreifen; vielmehr hat er sein Haus wohlbestellt, ist über sich selbst Herr geworden und hat Ordnung in sich geschaffen; so ist er mit sich selbst befreundet (φίλος) und hat jene drei Teile in eine harmonische Übereinstimmung (ξυναρμόσαντα) gebracht [...]. Alles das hat er in eins zusammengebunden und ist so aus vielen ganζ und gar einer geworden (παντα
ταϋτα ξυνδήσαντα και παντάπασιν ενα γενόμενον έκ πολλών)." {Rep. 443 C 9Ε 1; Übers. R. Rufener, leicht modifiziert). 31
Vgl. dazu Bormann, 1973, S. 140-148, 157-163. Eine gute Beschreibung der Tätigkeiten der Seelenteile und ihres Zusammenwirkens bei Piaton gibt Schmitt, 2003, S. 298ff.
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V. Diesen axiologischen Aspekt der Arete wendet Piaton zugleich ins Ontologische. Das geschieht durch die Bestimmung der Arete als der nchtigen Mitte (μεσότης), die für Piaton ebenso grundlegend ist wie für Aristoteles, die aber nur von Piaton ontologisch ausgewertet wird, während Aristoteles sie allein handlungstheoretisch analysiert. 32 Er kritisiert gerade (Magna Moralia 1182 a 26-30 = Test. Plat. 9), daß Piaton in der Behandlung des Guten das ontologische Thema des Seienden und der Wahrheit mit dem ethischen Thema der Tugend vermischt habe. Die Bestheit der Seele kann als diejenige innere Verfassung des Handelnden begriffen werden, die ihn beim Handeln stets das Angemessene (πρέπον), d.h. das dem richtigen Maß Entsprechende (μέτριον) treffen läßt; dieses ist das „Gesollte" (δέον). Angemessen und maßbestimmt ist dabei stets die richtige Mitte zwischen zwei Extremen, die gleichermaßen das Zuviel und das Zuwenig, Ubermaß wie Mangel vermeidet (vgl. Polit. 283 C-284 E). So besteht z.B. die Tapferkeit in der richtigen Mitte zwischen dem Zuviel und dem Zuwenig an Mut und Vorsicht, also in der Einheit zweier Emotionen, die an sich entgegenlaufen, in der Arete aber ausgeglichen und harmonisch miteinander vereint sind. Auf das richdge Maß und die richtige Mischung kommt es dabei an. Ein Zuviel wie ein Zuwenig zerstört die Arete; so ist ein Übermaß an Mut nicht tapfer, sondern Tollkühnheit, die keine Tugend, sondern ein charakterlicher Mangel ist; ebenso ergibt ein Zuviel an Vorsicht die Charakterschwäche der Feigheit. Am Maßstab des Guten gemessen, ist das Schlechte immer entweder ein Zuviel oder ein Zuwenig. Während Ubermaß und Mangel unbegrenzt vermehrt oder vermindert werden können, also unbestimmte Vielheiten darstellen, die nur bezogen auf das richtige Maß überhaupt meßbar und bestimmbar werden, ist das ethisch Gute als Maß und Mitte stets Einheit·, es kann nur getroffen oder verfehlt werden (Aristoteles, Eth. Nie. 1106 b 28), läßt sich aber weder vermehren noch vermindern. Weil die Arete kein Mehr und kein Weniger zuläßt, ist sie nicht quantitativ meßbar und befindet sich qualitativ nicht auf der gleichen Ebene mit den Fehlformen des Zuviel und Zuwenig, sondern stellt eine einfache und nicht steigerungsfähige Höchstform (άκρότης άνεπίτατος) dar (Sextus Empiricus, Test. Plat. 12
Vgl. dazu die umfassende Analyse von Krämer, 1959, S. 244-379.
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32 § 272). Gemessen an ihr sind die Fehlformen stets ungleich, nämlich entweder zuviel oder zuwenig, während die Arete für sich selbst wie bezogen auf Überschuß und Mangel stets das Gleiche und Ausgeglichene ('ίσον) ist. Piaton hat sie darum in seiner innerakademischen Lehre über die Gattung des Gleichen auf das Eine zurückgeführt, die Fehlformen dagegen über die Gattung des Ungleichen (ανισον) und über Überschuß (υπεροχή) und Mangel (ελλειψις) auf das Vielheitsprinzip der unbestimmten Zweiheit (Jest. Plat. 32 §§ 272-275). Das ethisch Gute und Wertvolle ist also Einheit nicht nur als die richtige innere Ordnung des Handelnden, sondern auch als das Gleiche gegenüber Übermaß und Mangel: Gleichheit nämlich ist ein Modus von Einheit (vgl. Aristoteles, Met. 1021 a 9-12 = Test. Plat. 35 b; Sextus Empiricus, Test. Plat. 32 § 275), Piaton bestimmt sie genauer als die Einheit des Maßes (Ρarm. 140 Β 5 f). Die Arete ist für Piaton indes nicht nur eine besonders ausgezeichnete Eigenschaft neben anderen Eigenschaften, die eine Person oder eine Sache sonst noch hat, sondern sie ist die spezifische Weise, in der die Erscheinungen überhaupt am Sein teilhaben können: sie ist das ihnen zugemessene Sein. 33 Piaton unterscheidet bekanntlich prinzipiell zwischen dem immerseienden InteLigiblen (Ideen, mathematische Entitäten, unsterbliche Geistseelen), das weder entstehen noch vergehen kann, und den entstehenden und vergehenden Erscheinungen, die nicht im eigentlichen Sinne seiend sind. Nur das Intelligible ist Sein im Sinne der ούσία. Die Erscheinungen haben dagegen für Piaton kein substantielles Sein, sondern nur eine (wandelbare und vorübergehende) qualitative Bestimmtheit (τοιούτον, ποίον), die durch ihre Teilhabe am substantiellen Wassein (τί) der Ideen zustande kommt (vgl. Tim. 49 D-50 A, Ep. VII 342 E-343 C); sie sind keine Substanzen, sondern nur „eine Art Zusammentreten von Materie und Qualitäten" (συμφόρησίς τις ΰλης και ποιοτήτων), wie Plotin später definierte (Enn. VI 3, 8, 20). Diese Qualitäten sind nun aber entweder so, daß sie die betreffende Idee wirklich realisieren, oder so, daß sie sie in mehr oder weniger großem Maße verfehlen. Und genau darin besteht ein ontologischer Unterschied zwischen der Bestform und den Fehlformen der erscheinenden Dinge. Nur die Bestform läßt die Idee wirklich erscheinen und ist darum „seiender" (μάλλον είναι, Rep. 585 C 3) als die Fehlformen; sie steht in Seinsgrad und Seinsrang über ihnen, denn sie allein hat teil am reinen Sein (vgl. 585 Β ff), während die Fehlformen in eben dem Maße, in dem sie die Idee verfehlen, dem Seinsmangel der Materie anheimfallen, in 33
Vgl. dazu Krämer, 1959, S. 297-306, bes. 304f.
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dem sich die unbestimmte Zweiheit auswirkt (vgl. Hermodor, Test. Plat. 31). Die Arete ist darum für Piaton „das notwendige Sein des Werdens"
(ή της γενέσεως αναγκαία φΰσις, Polit. 283 D 8 f), d.h. der dem Werden
überhaupt mögliche Anteil am Sein. Diese ontologische Bestimmung der Arete ist durchaus phänomennah: So ist z.B. die Gesundheit sicher keine beliebige Eigenschaft, die ein Organismus entweder haben oder nicht haben kann, sondern die Bedingung für das Gelingen seiner Lebensvollzüge; fehlt sie, so verliert der Organismus sein Leben und vergeht, hört damit also auf zu sein. Ebenso verwirklicht die gerechte Polis als einzige die „Staatheit" selbst, die in den unvollkommenen Staats formen nach dem Mehr und Weniger hin abnimmt und in „Un-Staaten" (ού πολιτεΐαι, Norn. 832 Β) endet. Sein und Gutsein fallen bei Piaton anders als bei Aristoteles nicht auseinander derart, daß etwas sein und — unabhängig davon — außerdem noch gut oder schlecht sein könnte. 34 Nur das Gute ist wirklich, während das Schlechte im Maße seiner Schlechtigkeit zum Nichtsein tendiert; es kann nur existieren, indem es dasjenige, an dem es erscheint, zerstört (vgl. Rep. 608 Ε ff mit Tim. 57 D ff und Polit. 272 Ε ff), während die Arete umgekehrt das, an dem sie erscheint, im Sein hält. Wirksamer als durch diese Ontologie läßt sich der intrinsische Wert des Guten kaum begründen. Die Arete der Seele ist hier freilich ein Sonderfall. Weil die Seele unsterblich ist und niemals vergehen kann, darum kann sie selbst durch die extremste Schlechtigkeit nicht zerstört werden (Rep. 608 D-612 A). Sie verliert durch Schlechtigkeit nur ihre spezifisch menschliche Lebensform und vertiert; denn der ungerechte Mensch, der sich nicht durch die Vernunft, sondern durch seine Emotionen und Triebe bestimmen läßt, führt kein eigentlich menschliches Leben, sondern das eines Wolfs oder eines Schweins, weil die beiden irrationalen Seelenteile tierisch sind (Rep. 588 C ff, 590 A; vgl. Phaidr. 253 D ff). Durch die Arete dagegen nähert sich die Seele der Seinsweise des Immerseienden und Göttlichen (Rep. 611 E) und damit derjenigen Seinsform, der sie als Geistwesen wesentlich zugehört (vgl. Phaid. 79 Β ff mit Tim. 35 A). 35 Durch die Verwirklichung der spezifisch menschlichen Arete vollzieht sich darum die „Angleichung an Gott"
(όμοίωσις θεφ κατά τό δυνατόν, Theait. 176 Β; vgl. Rep. 500 C), in der Piaton das Ziel des menschlichen Lebens sieht. Dies ist der theologische Aspekt der Arete. 34 35
So Krämer, 1959, S. 304. Vgl. dazu Szlezäk, 1976.
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VI. Der Zusatz κατά τό δυνατόν bedeutet wohl keine Einschränkung: „soweit das möglich ist", sondern gibt das Subjekt der Angleichung an Gott an: „gemäß dem, dem es möglich ist". So haben jedenfalls alle antiken Leser Piaton verstanden. Dasjenige, dem es allein möglich ist, sich Gott anzugleichen, darin waren sich ebenfalls alle antiken Platoniker einig, ist der νους in der Seele (vgl. z.B. Alkinoos, Oidaskalikos XXVII 2; Plotin, Enn. I 2, 6). Die „Angleichung an Gott" bedeutet also die Transformation unserer Geistseele in den göttlichen oder absoluten Geist. Mit „Gott" meint Piaton meistens das Ideenganze, das als das vollkommen Seiende (παντελώς δν) Geist im höchsten Sinne ist (Soph. 248 Ε; vgl. Tim. 30 C ff). 36 Weil dieser Inbegriff der Seinsfülle aber das Höchstmaß an Ordnung und Einheit verwirklicht (Rep. 500 C), darum bedeutet die Arete: die richtige Ordnung und Einheit der Seele ihre Angleichung an Gott. Sie besteht entweder (bei der inkarnierten Seele im irdischen Leben) in der Herrschaft der Geistseele über die irrationalen Seelenteile oder (nach dem Tod) in ihrer Trennung und Reinigung von diesen. Als Katharsis trennt diese „höhere" Arete (vgl. Phaid. 69 B/C), die sich nur auf die Geistseele bezieht, diese von den irrationalen Seelenteilen und verklärt sie zum reinen Geist. Piatons Lehre von der Gottwerdung des Menschen durch intellektuelle und moralische Vervollkommnung stimmt mit dem Ziel der Aristotelischen Ethik inhaltlich überein: Auch Aristoteles sieht die höchste Erfüllung eines spezifisch menschlichen Lebens im βίος θεωρητικός, in der intellektuellen Anschauung des Geistes, und auch Aristoteles deutet dies als Vergöttlichung (vgl. bes. De an. III 5), die dem Menschen in diesem Leben freilich immer nur punktuell gelingen kann: „Gottes Verfassung ist so wie die beste, die wir auf kurze Zeit kennen: So nämlich befindet Gott sich ewig" (Met. 1072 b 14 f). Piaton unterscheidet sich von seinem größten Schüler, der keine individuelle Unsterblichkeit kennt, dadurch, daß er als das Ziel des Menschenlebens die dauerhafte und nicht bloß punktuelle und vorübergehende Transformation der unsterblichen Geistseele in die Seinsform des göttlichen Geistes und der göttlichen Ideen annimmt, die freilich erst nach dem Tod möglich ist; darum ist Philosophieren für Piaton Sterbenlernen und Streben nach dem Tod (vgl. Phaid. 64 A-69 E). 36
Vgl. zu Piatons Gottesbegriff Halfwassen, 2000; Halfwassen, 2002 a; Enders, 1999; Enders, 2000, S. 77-89.
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Es gibt indes noch einen weiteren und fundamentaleren Unterschied. Piaton und Aristoteles sehen das Ziel des menschlichen Lebens übereinstimmend im — punktuellen oder dauerhaften — Erreichen der vollkommenen Seinsform des reinen Geistes, mithin in einem Transzendieren der Verfassung der inkarnierten menschlichen Seele. Bei Piaton zielt dieses Transzendieren aber zuletzt auch noch über den reinen Geist hinaus?1 Das zeigt sich paradoxerweise auch und gerade dort, wo Piaton Aristoteles vielleicht am nächsten kommt: nämlich in seiner Analyse des άνθρώπινον αγαθόν, des spezifisch menschlichen Guten, im Phi/ebos. Das άνθρώπινον αγαθόν ist dasjenige, in dessen Besitz die Seele sich vollkommen selbst
genügt (παντάπασιν ίκανώς) und so die ευδαιμονία erreicht (60 C). Im
Philebos stellt sich nun heraus, daß zu dieser vollkommenen Erfüllung weder die Lust noch der Geist für sich allein ausreichen, sondern nur eine Vereinigung von νοΰς und ηδονη (20 B-22 B). Das entspricht zunächst durchaus der Lehre des Aristoteles, für den die Tätigkeit des Geistes, die intellektuelle Anschauung, die höchste Lust darstellt, und zwar sowohl für
Gott als auch für uns: ή θεωρία τό ήδιστον και άριστον (Met. 1072 b 24;
vgl. b 17 ff). Während Aristoteles daraus aber die Selbstgenügsamkeit des Geistes entnimmt, betont Piaton gerade umgekehrt, daß Geist und Einsehen für sich allein nicht ausreichen, um uns vollkommen zu befriedigen, sondern auf das Hinzukommen der Lust angewiesen sind, deren höchste Form, die sich in der Anschauung des Vollkommenen einstellt, zwar intellektuell ist, die aber als solche etwas anderes ist als der Geist. Wenn aber schon für uns das vollkommene Gute nicht allein und ausschließlich im Besitz des νοΰς besteht, dann zeigt sich darin zugleich, daß das αγαθόν auch als solches nicht mit dem Geist identisch sein kann, sondern auch den vollkommensten Geist noch transzendiert. Hier wird deutlich, daß für Piaton die „Angleichung an Gott" sich nicht auf die Geistwerdung der Seele beschränkt, sondern zuletzt noch über Geist und Sein hinaus auf das absolute Eine zielt (vgl. auch Aristoteles, Über das Gebet, fr. 1); darum ist auch für uns das eigentlich und zuhöchst erstrebte Gute das Eine. Plotin hat daraus später gefolgert, die äußerste Erfüllung des Strebens zum Guten sei die mystische εκστασις, in der das transzendierende Selbst aus sich heraustritt und sich selbst transzendiert, um mit dem jenseitigen Absoluten, dem Einen selbst, in differenzloser Einung Eins zu werden (Enn. VI 9, 11). Daß die Theorie des Guten sich auch schon bei Piaton derart in mystischer Ekstasis überbietet, 37
Vgl. dazu eingehender Halfwassen, 1998; Halfwassen, 2002 b.
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läßt sich nicht beweisen. Doch fordert auch Piaton, den Lichtstrahl (αύγή) der Seele nach oben zu richten (άνακλίνειν), um das Gute selbst zu schauen (Rep. 540 A), in einer Schau, „die in keiner Weise sagbar ist wie alle anderen Einsichten", sondern „plötzlich (εξαίφνης) entsteht wie ein Licht, das von einem springenden Funken entzündet wird" (JEp. VII 341 C/D). Aristoxenos berichtet, die Hörer von Piatons Vorlesung Über das Gute hätten sich von ihr eine „wunderbare Glückseligkeit" erhofft (Test. Plat. 7). Piatons Metaphysik des Guten verspricht auch in der Tat eine solche. Aber sie ist nicht zu haben ohne den langen und schwierigen Umweg der Platonischen Dialektik in Aufstieg und Abstieg und sie erschließt sich einzig und allein dem, der Piatons Bestimmung des Guten als das Eine versteht. Denn es ist das Eine, nach dem jede Seele strebt und das allein ihr die absolute Erfüllung gewähren kann. „Das Eine macht uns selig", so sagt ganz in Piatons Sinne noch Meister Eckhart in seinem Buch der göttlichen Tröstung (Deutsche Werke, Bd. 5, S. 41, Z. 21). 38 Darin, daß sie die letzte Erfüllung des Menschen in seiner Beziehung zum Absoluten sucht, unterscheidet sich Piatons Theorie des Guten fundamental von den meisten ethischen Theorien in der Antike wie in der Moderne. Aber Piaton wurde damit zum Begründer einer „Metaphysik als Lebensform", deren Tradition über den Neuplatonismus zu Meister Eckhart und weiter zu Hegel und Schelling führt. 39 Sie trifft sich mit den großen religiösen Überlieferungen der Menschheit und zumal mit der Mystik.
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38 39
Vgl. dazu Beierwaltes, 1998, S. lOlff. Vgl. dazu Kobusch, 1999, und Beierwaltes, 2002.
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Die voluntaristische Erklärung von Willensfreiheit ist für Leibniz eine unhaltbare Position; in den Nouveaux Essais schließt er sich Philalethes (Lockes) Kritik, der Voluntarismus könne nur zirkulär bestimmt werden, an: „Car demander si un homme est en liberte de vouloir lequel il luy piaist, [...] c'est demander, si un homme peut vouloir ce qu'il veut, ou se plaire ä ce, ä quoy il se piaist, question qui ä mon avis n'a pas besoin de reponse." (GP V, 168). Theodicee, § 288. GP VI, 288. Vgl. dazu, wie zum Freiheitsproblem bei Leibniz insgesamt, die sehr differenzierte Darstellung von Liske, 1993, S. 203-209. Betrachtet man diese Auffassung, so müßte man Leibniz sicherlich als einen Inkompatibilisten einstufen. Der Kompatibilismus schien ihm keine mögliche Position zu sein. Zieht man jedoch seine Theorie selbst in Betracht, so wird man ihm dennoch eine kompatibilistische Position zuschreiben können, da Freiheit bei ihm rational-moralische Determination von Handlungen besagt, was er als eine Form der moralischen Notwendigkeit betrachtet, die für ihn jedoch zur Kontingenz zählt. Dabei wäre jedoch die Bedeutung dieser Termini klar zu bestimmen, insbesondere der Begriff des Determinismus ist in der Literatur häufig schillernd. Vgl. Theodicee. GP VI, 385. Hier findet sich Leibniz' Auffassung, daß das Rationalitätsprinzip für Handlungen nicht die Freiheit ausschließt, prägnant gefaßt. Das principium optimum ist ein Grundprinzip der Leibnizschen Metaphysik; es soll im folgenden Kapitel dargelegt werden.
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Vollkommenheit (imperfectio), die notwendig allen endlichen Wesen eignet. Ähnlich wie Kant bestimmt Leibniz Freiheit also als Autonomie des intelligenten Wesens, sich selbst gemäß seiner rationalen Einsicht Zwecke zu setzen; anders als bei Kant setzt sich das intelligente Wesen bei Leibniz sein moralisches Prinzip gleichwohl nicht selbst, vielmehr ist das principium optimum ein objektives, rationales Prinzip, das Gott zwar gleichsam als Gesetz verkündet, das er aber seinem Gehalt nach sich nicht selbst gibt. (b) Spontaneität. Spontaneität ist bei Leibniz eine Freiheitsbedingung. Doch ist sie in ihrer Bedeutung schwächer als etwa bei Kant, sie ist nicht Fähigkeit des Selbstanfangs eines intellektuellen Vermögens, sondern vielmehr ganz allgemein das Vermögen aller Monaden, eine Perzeption aus einer vorherigen hervorzubringen unabhängig von äußerem Einfluß. Da Monaden nicht in direkter Kommunikation mit anderen stehen, muß die Abfolge von Perzeptionen rein aus ihnen selbst heraus motiviert, d.h. spontan sein. 19 Alle Monaden sind somit spontan, auch diejenigen, denen keine Willensfreiheit zukommen kann. Leibniz meint, daß nur in den intelligenten Monaden Spontaneität Freiheit ermögliche, 20 wohl weil das, was ihr an Ereignissen widerfährt, Folge ihrer eigenen Ideen sein kann. Sind diese Ideen bewußte Ideen, oder gar Zweckideen, so ist es möglich, daß sich die Ereignisse mit diesen Ideen konform einstellen; d.h. daß eine bewußte Handlung als Körperbewegung ausgeführt wird und diese Handlung darüber hinaus das gewünschte Ziel erreicht. Bedingung dafür ist, daß das Handlungsereignis mit dem Weltverlauf insgesamt harmoniert. So bestimmte Spontaneität kann jedoch wohl nicht hinreichende Bedingung für Freiheit sein. (c) Kontingent Leibniz sieht das Hauptproblem des Labyrinths der Freiheit in der Möglichkeit von Kontingenz. Wenn die Monade in all ihren Perzeptionen seit Beginn der Welt auf einen bestimmten Verlauf festgelegt ist, so scheint es doch unmöglich, daß sie in ihrer Wahl frei ist. Denn dazu müßte sie die Möglichkeit haben, anders gehandelt haben zu können, als sie es tatsächlich getan hat, hätte sie sich anders entschieden. Zuvor muß die Möglichkeit bestehen, einen anderen Entschluß gefaßt zu haben. Leibniz ist dem Vorwurf eines Freiheit vereitelnden Determinismus mit unterschiedlichen Erklärungen entgegengetreten, die jedoch je für 19
20
Vgl. Liske, 1993, S. 204-209. Liske interpretiert diese Spontaneität als bloße „Störungsfreiheit". Discours de Metaphysique, § 32. GP IV, 457f.
Leibniz' rationalistische Ethikbegründung
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sich schwer einsehbar sind, in ihrem systematischen Zusammenhang insgesamt aber weit weniger schwach sind, als zumeist angenommen wird. 21 Üblicherweise wird das Problem einer durchgängigen Kausalität oder Kontingenz als Bedingung von Handlungs- und Willensfreiheit auf die Natur samt empirischen Bestimmungsgründen von Personen bezogen; Kontingenz wird damit im Gegensatz zur Notwendigkeit der Naturkausalität bestimmt. Kontingenz muß demzufolge in der Natur gegeben sein, damit eine Person Wahlfreiheit zwischen Handlungsalternativen hat. Bei lückenloser Naturkausalität, wenn man sie im Sinne eines transzendentalen oder metaphysischen Realismus versteht, wäre solche Wahlfreiheit damit unmöglich. Aufgrund dessen, daß bei Leibniz ein Determinismus auf den beiden Ebenen — erscheinende Natur und an sich seiende intelligible Monadenwelt — je unterschiedlich ist, und daß zwischen diesen beiden Ebenen eine klare ontologische Hierarchie besteht, der gemäß das eigentlich Seiende die intelligible Welt perzipierender Monaden ist, die Natur aber nur Erscheinung von solchen Monaden aus ihrer partikularen Perspektive, 22 muß man davon ausgehen, daß das Problem eines durchgängigen naturkausalen Determinismus für Leibniz metaphysisch betrachtet ohnehin von untergeordneter Bedeutung ist. Viel bedeutsamer ist die Frage, ob im intelligiblen Monadenkosmos Kontingenz oder ein strenger Determinismus herrscht und ob Leibniz sich in seinen Versuchen, darauf eine positive Antwort zu geben, nicht letztlich überflüssige Probleme einhandelt. Denn der eingeschränkte Determinismus, qua Kontingenz im Leibnizschen Sinne, besagt im Monadenkosmos nur, daß Handlungsentscheidungen bei vernunftbegabten Monaden, z.B. dem Menschen, determiniert werden durch deliberative Perzeptionen, die dann ethisch sind, wenn sie im Hinblick auf das Gute erfolgen. 23 Es wird im Folgenden der Frage nachgegangen, ob es Leibniz gelingt, einen praktischen Determi21
22
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Aussichtsreichste Verteidigungsstrategie ist m.E., seine Lehre von den möglichen Welten zur Grundlage zu nehmen und dabei die Lehre vom vollständig bestimmten Begriff dynamisch zu denken (ausgeführt ist eine solche Deutung in Engelhard, (a)). Vgl. dazu Gurwitsch, 1974, S. 352-424; Rutherford, 1995, S. 212-264; Engelhard, 2002. Noch immer maßgeblich zur Leibnizschen Ethik ist die Untersuchung von Heinekamp, 1969, hier S. 102ff. Einen ersten Überblick über Leibniz' Ethik gibt Hostler, 1975.
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nismus in der Monadenwelt zu konzipieren, der das Problem der Kontingenz überhaupt überflüssig erscheinen läßt. Nachdem also in Grundrissen, Leibniz' Freiheitsbehauptung diskutiert wurde, soll nun das Grundprinzip der Leibnizschen Ethik, das principium optimum näher thematisiert werden.
3. Vollkommenheitsprinzip und ethischer Realismus Das primäre ethische Grundprinzip bei Leibniz, das als Begründung seiner Ethik fungiert, ist das Vollkommenheitsprinzip oder auch principium optimum.24 Dieses Prinzip spielt in Leibniz' Metaphysik eine zentrale Rolle, da es diejenige Regel ist, die Grund für Gottes Wahl einer unter allen möglichen Welten zur Existenz ist. Diejenige Welt wurde durch Gott zur Existenz zugelassen (admettre), die diesem Prinzip am meisten gerecht wird; diese Welt ist die beste unter allen möglichen. Daher ist das Vollkommenheitsprinzip auch Grundprinzip des existierenden, kontingenten Universums. Es ist bei Leibniz zugleich aber auch Prinzip der Ethik. Zwei Fragen sind mit diesem Prinzip in diesem Zusammenhang vorrangig verknüpft: Arstens, inwiefern die Realisation des Prinzips des Besten als Ordnung des Kosmos von Gott abhängig ist - diese Frage betrifft seinen Geltungsgrund als ethisches Prinzip, d.h. ob es durch Gott oder Vernunft instantiiert wird — und zweitens, inwiefern das Prinzip des Besten überhaupt ein ethisches Prinzip ist, denn dies ist es keineswegs eindeutig diese Frage kann erst im folgenden Kapitel behandelt werden. Das Vollkommenheitsprinzip wird von Leibniz primär nicht in ethischen Begriffen, d.h. in Beziehung zum Guten, formuliert. 25 Es ist viel24
23
Leibniz selbst bezeichnet es mit unterschiedlichen Begriffen: Prinzip der Angemessenheit {principe de la convenance: Prinäpes de la Nature et de ta Gräce, § 1 1 . GP VI, 603), Prinzip der Vollkommenheit (prinape de la perfection·. Discours de Metaphysique, § 32. GP IV, 457). Im Deutschen wird es häufig als ,Prinzip des Besten' oder Vollkommenheitsprinzip' wiedergegeben. Diese These wird in der Leibniz-Forschung sehr häufig vertreten: beispielsweise Couturat ist dieser Auffassung (Couturat, 1901, S. 221). Anderer Meinung ist dagegen Parkinson, 1965, S. 114f. Gurwitsch meint, daß für Leibniz die logischontologische und die moralische Formulierung der Vollkommenheit zwei kom-
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mehr eine bloß formale relationale Systemeigenschaft. Der Begriff der Vollkommenheit selbst bedeutet bei Leibniz zunächst einen Maximalwert an Realität, d.h. an Sachbestimmtheit. Die Vollkommenheit eines Systems ist demnach eine solche Ordnung, bei welcher aus den einfachsten Prinzipien die reichhaltigsten Folgerungen fließen. 26 Ein solches System kann dann gegenüber anderen vollkommener sein, wenn es über einen höheren Grad an Realität verfügt. Das Prinzip der Vollkommenheit besagt nun, daß eine solche Ordnung von Essenzen zur Existenz gelangt, die die größte Vollkommenheit besitzt. Diese eher logische Ausgangskonzeption von Vollkommenheit hat nun auf die Theorie der besten Welt erhebliche Auswirkungen. Leibniz konzipiert die Rolle Gottes bei der Wirklichwerdung der besten Welt nicht einheitlich. Gängige Deutung dieses Theorems ist eine Schöpfungslehre, wonach Gott in seinem Verstand die unendlich vielen möglichen Welten untereinander vergleicht, darunter aufgrund seiner eigenen Vollkommenheit gemäß dem Vollkommenheitsprinzip die beste auswählt und sie in die Existenz setzt. Doch diesem theosophischen Schöpfungsmythos liegt nach einer anderen Deutungsrichtung ein autoevolutiver Gedanke zugrunde: Aufgrund der ihr eigenen Vollkommenheit selbst gelangt die beste Welt notwendig zur Existenz; Gott läßt diesen Prozeß gemäß seiner vollkommenen Güte nur zu. Diese Fassung der Existentwerdung der besten Welt beruht auf Leibniz' Theorie über den Zusammenhang von Realität, Vollkommenheit und Existenz. Die Prädikate einer Monade, die auf der metaphysischen Ebene ihren Perzeptionen entspricht, sind nach Leibniz kategorial Realitäten, Sachbestimmtheiten; jene Realitäten können in unterschiedlichem Grade erfüllt werden. Wird eine Realität von einer Monade maximal erfüllt, ist sie bezüglich dieser Realität vollkommen. 27 Da die Monaden dann einem System angehören, wenn sie mit anderen kompossibel sind und eine gewisse Ordnung bilden, ergibt sich für ein solches Gesamtsystem, ein Universum, eine Art Vollkommenheitsindex in Abhängigkeit von den Realitätsgraden, die die Monaden in ihm erreichen können. Hierbei muß ein Universum
26 27
plementäre Seiten desselben Sachverhaltes sind (Gurwitsch, 1974, S. 461ff). Er spricht daher auch von einer „logisch-moralischen Äquivalenz" (Gurwitsch, 1974, S. 463). Vgl. dazu auch Heinekamp, 1969, S. 183-190. Discours de Metaphysique, § 6. GP IV, 431 f. Vgl. dazu Brief an Eckhard. GP I, 266; vgl. insbesondere auch: De Kerum Originatione Radicali. GP VII, 305f.
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unter allen möglichen den größten Realitätsindex in der Gesamtheit aller seiner Monaden erreichen, da es nach Leibniz nicht denkbar ist, daß mehrere denselben Grad besitzen. Dasjenige Universum ist das vollkommenste, das den maximalen Realitätsindex erreicht, der für ein Universum möglich ist und zugleich die geringst mögliche Zahl an Prinzipien. Daß dieses Universum zur Existenz gelangt, schreibt Leibniz dabei in unterschiedlichen Kontexten entweder dem Willen Gottes zu oder aber dem Streben der Einzelmonaden in der besten Welt selbst. Nach Leibniz' Monadenlehre bedeutet ein höherer Realitätsindex der Monade auch eine stärkere aktive Kraft, d.h. einen größeren conatus und also zugleich eine stärkeres Streben nach Existenz. Die wechselseitige Beschränkung des Realitätsgrades und der sich daraus ergebende logische Ausschluß von möglichen Monaden untereinander führt zu einem Streben der Monaden nach Existenz. Da die Monaden aufgrund des prinapium identitatis ittdiscernibilium nicht dieselben Vollkommenheitsgrade der Realitäten aufweisen können, begrenzen sie sich in ihrem Streben nach Vollkommenheit in der Erfüllung einer Realität wechselseitig. Auf diese Weise stellt sich eine Konkurrenz (combat oder conflit)28 um formale Vollkommenheit unter den Monaden ein.29 Dieser Wettbewerb führt nun von sich aus dazu, daß sich diejenigen möglichen Monaden gegen andere durchsetzen, die mit anderen in der Weise kompossibel sind, daß das System als Ganzes dabei die größere Vollkommenheit hat. Gott kommt dabei nur die Rolle zu, aufgrund seiner Güte diesen autoevolutiven Prozeß von der Möglichkeit zur 28
Theodkee, § 201. GP VI, 236: „L'on peut dire qu'aussitost que Dieu a decerne de creer quelque chose, il y a un combat entre tous les possibles, tous pretendans ä l'existence; et que ceux qui joints ensemble produisent le plus de realite, le plus de perfection, le plus d'intelügibilite, l'emportent. II est vray que tout ce combat ne peut etre qu'ideal, c'est ä dire il ne peut etre qu'un conflit de raisons dans l'entendement le plus parfait, qui ne peut manquer d'agir de la maniere la plus parfaite, et par consequent de choisir le mieux." Vgl. dazu auch Gurwitsch, 1974, S. 454-458. Man ist versucht, dabei an den Hobbesschen Krieg aller gegen alle zu denken; Leibniz lehnt das dahinter stehende Menschenbild jedoch grundsätzlich ab (Nouveaux Essais, GP V, 253f).
29
„Car tous les Possibles pretendant ä l'existence dans l'entendement de Dieu, ä proportion de leur perfections, le resultat de toutes ces pretentions doit etre le Monde Actuel le plus parfait qui soit possible. Et sans cela il ne sont allees plustot ainsi qu'autrement." (Prindpes de la Nature et de la Gräce, § 10. GP VI, 603). Vgl. auch Monadologie, § 53ff. GP VI, 615f.
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Existenz des besten Universums zuzulassen [admettre).30 Das beste Universum hat, wie Leibniz auch sagt, ein Recht (droit) auf seine Existenz. 31 Daß Gott hierbei nur nach einem objektiven Prinzip, dem Vollkommenheitsprinzip, entscheidet, ob der Anspruch zu existieren von einem Universum rechtmäßig ist, und sein Streben nach Existenz also zugelassen werden muß, widerstreitet nach Leibniz nicht der Allmacht Gottes, denn er ist aufgrund seiner Güte dem Besten verpflichtet und ebenso auf prinzipiengemäßes Handeln. D.h. aufgrund seiner Güte unterwirft sich Gott selbst dem Prinzip des Besten, ohne dadurch seine Allmacht einzubüßen. 32 Dies aber bedeutet auch, daß mögliche Monaden nicht bloße Gedankeninhalte Gottes sind, sondern daß ihnen eine Form ,modaler Existenz' zukommt, die zwar unterhalb der Stufe realer Existenz ist, so daß sie aber dennoch Entitäten sind. Vielleicht faßt man die mögliche Monade am besten als ,ideale Entität im Verstand Gottes' auf. Unter diesen idealen Entitäten kommt es also aufgrund ihrer inneren Verfaßtheit notwendig zu einem Wettstreit oder Kampf um Existenz, wobei diejenigen Entitäten übrig bleiben, die in einer möglichst einfachen Ordnung mit möglichst vielen anderen Entitäten koexistieren können, denn dieses Universum weist dann notwendig einen höheren Realitätsindex auf. Diejenigen aber, deren Perzeptionenverlauf sie einem System, einem Universum, zugehörig sein läßt, das weniger Entitäten ermöglicht und dabei komplexer ist, müssen notwendig im Streben nach Perfektion unterliegen, da in ihm der ,Realitätsindex' geringer ist. Es scheint demnach, als sei das Vollkommenheitsprinzip primär überhaupt nicht ethisch bestimmt und als seien die ethischen Folgebestimmungen, die Leibniz an es knüpft, eher theologisch motiviert als einer inneren Folgerichtigkeit entsprechend. Dennoch: für Leibniz ist die logisch-metaphysische Bestimmung von Vollkommenheit notwendig mit moralischer Vollkommenheit verknüpft und zwar nicht insofern, als die 30 31 32
Vgl. Theodicee, § 42. GP VI, 126; Fünftes Schreiben an Clarke. GP VII, 407. Monadologie, § 54. GP VI, 616. Poser meint, daß das Streben der möglichen Welten nach Existenz eine „Projektion des göttlichen Strebens sei" (Poser, 1969, S. 63). Seiner Auffassung nach ist die hier vertretene Deutung nicht mit dem Gottesbegriff vereinbar, da ihr zufolge die Existentwerdung der Welt kaum mehr von Gott abhinge und so seine Allmacht verletzt würde (Poser, 1969, S. 64). Man wird dieser Auffassung jedoch entgegenhalten müssen, daß Leibniz den Voluntarismus grundsätzlich ablehnt.
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von Gott zugelassene Welt allein aufgrund göttlicher Wahl oder des göttlichen Willens die beste ist,33 sondern aus ihr selbst heraus. 34 Die Begründung dieser These lautet: Das Streben nach Vollkommenheit in allen Monaden hat für sich einen ethischen Grundcharakter, der in der ihnen eigenen reflektierten Finalkausalität begründet ist. Zunächst könnte man diese These auf Leibniz' Theorie beziehen, derzufolge ein höherer Vollkommenheitsgrad bei einer Monade mit zunehmender Repräsentationsfähigkeit verbunden ist, d.h. Monaden, deren Perzeptionen einen höheren Grad an Realität aufweisen, deren Repräsentationen sind — in mentalistischem Vokabular ausgedrückt — zunehmend mit Bewußtsein, bis hin zu Selbstbewußtsein verbunden und solche Monaden verfügen dann über rationale Einsichtsfähigkeit, Reflexionsvermögen und Erkenntnis. 35 Nach Leibniz' Rationalismus sind dies Grundbedingungen dafür, ein Wesen als moralisches Subjekt anzusehen.
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Leibniz bezieht in dieser traditionellen theologischen Streitfrage Stellung gegen einen göttlichen Voluntarismus, demgemäß etwas gut ist, weil Gott es will, vielmehr muß es unabhängig vom göttlichen Willen gut sein. An diesem Punkt kritisiert er die „Spinozisten" und Hobbes, denen er diese Auffassung zuschreibt (Discours de Metaphysique. GP IV, 427f; Theodicee. GP VI, 389ff).Wie später Kant geht Leibniz davon aus, daß Gott überhaupt nur als gut beurteilt werden kann, wenn das Gute unabhängig von seinem Willen durch Vernunft bestimmt ist. Schneiders dagegen meint, daß Leibniz den Willen Gottes als Grund der moralischen Weltordnung angenommen habe. Er unterscheidet drei Formen der Begründung des Naturrechts durch Gott: \ ; oluntarismus, Essentialismus und Rationalismus. Seiner Auffassung nach vertritt Leibniz einen rationalistischen Essentialismus (Schneiders, 1969, S. 88). Diese Bestimmung fußt auf Leibniz' Auffassung, daß Gott aufgrund der Güte seines Wesens das Beste will. M.E. beruht die Gültigkeit von Prinzipien, auch der moralischen, in Leibniz' Konzeption dennoch rationalistisch auf reiner Vernunfteinsicht. Die moralische Bestimmung von Vollkommenheit wird von Leibniz häufig auch als die primäre angegeben: z.B. Theodicee, § 201. GP VI, 236: „Cependant cette necessite n'est que morale: et j'avoue que si Dieu etoit necessite par une necessite metaphysique ä produire ce qu'il fait, il produiroit tous les possibles, ou rien; [...] Cependant Dieu est oblige par une necessite morale, ä faire les choses en sorte qu'il ne se puisse rien de mieux". Am klarsten findet sich die Theorie der Repräsentation, der Zusammenhang von Realitätsgraden und Reflexionsvermögen dargestellt bei Gurwitsch, 1974, S. 40-45,122.
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Die formal vollkommenste Welt ist dann auch moralisch die beste, weil in ihr die größte Anzahl solcher Monaden zur Existenz kommt, die aufgrund ihrer Rationalität zur Sittlichkeit fähig sind und auf diese Weise ein eigenes moralisches Reich bilden. D.h. in der formal vollkommensten Welt ist das „Reich der Gnade" gegenüber anderen möglichen Welten am größten. Das Prinzip des Besten läßt sich also als ein Vernunftprinzip interpretieren, das zugleich ontologisches Prinzip ist, da es zur Existenz einer für sich moralischen Weltordnung führt. Leibniz' Position ist daher eine starke Form des ethischen Realismus, insofern als das principium optimum zugleich kosmologisches und ethisches Grundprinzip ist. Der Rationalismus seiner Ethik wie Ethikbegründung zeigt sich darin, daß das Vollkommenheitsprinzip als ein ontologisch wirksames Vernunftprinzip gedacht ist. So bestimmt Leibniz das Gute als „das, was der allgemeinen Einrichtung Gottes gemäß mit der Natur oder der Vernunft übereinstimmt". 36 Was aber ist die logisch-metaphysische Grundlage der Annahme, daß die formale Vollkommenheit mit der moralischen Vollkommenheit übereinstimmt?
4. Praktische Kausalität im „Reich der Gnade" Das Vollkommmenheitsprinzip führt in erster Linie zur Existenz einer moralischen Weltordnung insofern, als in ihr intelligente, zu Reflexion und folglich zu rationalem und ethischem Handeln befähigter Wesen existieren. Diese Wesen bilden gemeinsam mit Gott als ihrem Oberhaupt das „Reich der Gnade" oder den Gottesstaat. 37 Dabei macht Leibniz jedoch unterschiedliche Aussagen darüber, ob das Universum nur um derjenigen Wesen willen existiert, die über Re flexions fähigkeit und folglich auch über Sittlichkeit verfügen, so daß alle anderen Wesen zu deren Mittel existieren,
36 37
Nouveaux Essais. GP V, 232. Besonders prägnant hat Leibniz diesen Gedanken in der Theodicee und in den Principes de !a Nature et de la Grace ausgeführt. Die Hintergründe der Idee des Gottesstaats bei Augustinus und die Entwicklung dieser Idee bei Leibniz zeigt Schneiders, 1977, S. 3-14, auf.
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oder aber ob alle Wesenheiten im Universum gleicherweise um ihrer selbst und um ihres Passens in die beste Welt willen existieren. 38 Für den spezifisch ethischen Charakter des Vollkommenheitsprinzips hat Leibniz unterschiedliche Argumente beigebracht, die für sich betrachtet wenig überzeugend sein mögen. Ein eher metaphorisch zum Ausdruck gebrachtes Argument formuliert er wie folgt: Weil Geister, d.h. intelligente und der Moralität fähige Wesen, metaphorisch gesprochen, den geringsten Raum einnehmen, d.h. sich wechselseitig am wenigsten behindern, 39 ist es möglich, daß ein Universum eine beträchtlich höhere Anzahl von Geistern als nicht reflexions fähige Wesen enthält, so daß ein Universum das vollkommenste ist, das über die größtmögliche Zahl an Geistern verfügt, da in ihm aus den wenigsten Prinzipien die größte Menge an Phänomenen folgt. Um diese letzte These zu plausibilisieren, muß man eine Leibnizsche
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Discours de Metaphysique, § 5. GP IV, 430f, §§ 35f. GP IV, 460ff. Vgl dazu auch Blumenfeld, 1995, S. 382-410, S. 402f. Blumenfeld weist auf Unterschiede hin zwischen dieser geistzentrierten Sichtweise des Discours und Aussagen von Leibniz in der Theodicee, in der er dies einschränkt und allen Monaden gleiches Recht auf Existenz und gleichen Wert zuschreibt (Theodicee, § 118. GP VI, 168). In der Theorie des Discours erblickt er die immanente Schwierigkeiten, daß der gleiche Wert aller Monaden aufgrund der A^ollkommenheit des Universums insgesamt angenommen werden muß, daher könne man nicht den Geistmonaden eine höhere Vollkommenheit zuschreiben. Leibniz habe dies Problem in der Theodicee lösen wollen. Mit dieser Aussage spielt Leibniz auf seine Theorie an, daß jede Monade über ein spezifisches Verhältnis aktiver und passiver Kraft verfügt (vgl. Discours de Metaphysique, § 15. GP IV, 440f). Die Spontaneität der Monade zielt auf ihre Vollkommenheit. Diese Spontaneität ist die aktive Kraft einer Monade. Diese aktive Kraft wird jedoch durch andere Monaden begrenzt, da aufgrund des Prinzips des Ununterscheidbaren nicht alle Monaden denselben Grad an Vollkommenheit erreichen können. Dies Einschränkungsmoment der aktiven Kraft ist das, was Leibniz die passive Kraft nennt. Denn da die Monaden nicht aufeinander einwirken, kommt das Beschränkungsmoment ihnen jeweils selbst als eine Bestimmung zu und wird daher als passive Kraft gefaßt. Sie zeigt sich in der Erscheinungswelt als ausgedehnte Masse. Da nun intelligente Monaden einen hohen Grad an Vollkommenheit erreichen, so ist bei ihnen das passive Moment und das Moment der Ausdehnung am geringsten, insofern können mehr intelligente Monaden miteinander koexistieren als nichtintelligente. Dennoch gibt es bei dieser Annahme das Problem, daß der Raum ontologisch von höchst geringer Bedeutung ist. D.h. auch dieser Teil der These müßte ontologisch reformuliert werden.
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Konzeption hinzunehmen, die er an anderer Stelle ausgeführt hat: Dieses Ökonomieprinzip der Prinzipien läßt sich am besten durch Gesetze erfüllen, deren Kausalität nicht Wirkkausalität, sondern Zweckkausalität ist, daher kommt einem System, in dem Gesetze der Zweck- oder Finalkausalität herrschen, Vorrang vor Systemen zu, die durch Wirkkausalität beherrscht werden. 40 Leibniz ordnet den beiden Formen von Kausalität zwei Reiche zu: das System, das durch Wirkkausalität {cause effective) bestimmt wird, bildet das „Reich der Natur" oder der „Wirkursachen" {„regne des causes efficientes")·, das System, das durch Finalkausalität {cause finale) beherrscht wird, ist das „Reich der Gnade" oder der „Finalursachen" {„regne des causes finales").41 Der Unterschied beider Reiche besteht — metaphorisch gesprochen — in der Richtung der Determinierung von Grund und Folge; sie ist bei beiden gegenläufig, wie Leibniz in De Ubertate et Gratia hervorhebt. 42 Hierbei geht es Leibniz wohl darum, aufzuzeigen, daß bei Wirkkausalität, die im Reich der Natur herrscht, das Vorliegen eines Ereignisses kausal zu einem Folgeereignis führt, während bei der Finalkausalität der Ereignisgrund durch die Ereignisfolge bestimmt wird. Ist hierbei die Spontaneität einer intelligenten Monade im Spiel, so muß man diese Finalkausalität als gewollte Zweck-Mittel-Relation ansehen. Die Monade setzt sich durch Perzeptio40
Vgl. Discours de Metaphysique, § 19. GP IV, 444ff. Die Priorität der Final- vor der Wirkkausalität zeigt sich Leibniz zufolge auch in der Einfachheit der Beschreibung von Erscheinungen mittels Finalursachen. Zur Illustration bringt Leibniz ein Beispiel: Die Einnahme einer wichtigen Stadt durch einen Fürsten. Eine Beschreibung dieses Vorganges nach ihrer Wirkkausalität hätte unendlich viele Faktoren und Ereignisreihen ineinander zu spinnen — eine geschlossene Ursachenkette, d.h. eine vollständige Beschreibung des Ereignisses wäre sogar unmöglich —, während die finalursächliche Beschreibung nur die Handlungsabsichten und den Plan des Fürsten darzulegen hätte. Vgl. auch Principes de la Nature et de la Grace, §§ 3,11. GP VI, 599, 603.
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Monadologie. GP VI, 620. Kants Begriff des „Reichs der Zwecke" hat hier sicherlich seinen Vorläufer. De Ubertate et Gratia. In: AA VI/4, 1455-1460 (Vorabedition), S. 1458: „In questione illa magna: utrum causa secunda determinet primam, an prima secundam, respondendum est, primam determinari a secunda sumta idealiter, seu ideam secundae deprehensam in intellectu divino determinate primae voluntatem. At secundam sumtam actualiter determinari a prima, seu omnem ab ea entitatem suam aeeipere."
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nen Zwecke gemäß dem, was sie als für sich gut hält, und determiniert sich selbst zu Handlungen als deren Mittel. Finalkausalität ist also für Leibniz praktische Kausalität' und in ihrer vorrangigen Form muß sie ,moralische Kausalität' sein. Denn das ökonomischste Prinzip für praktische Kausalität ist die Ausrichtung aller Zwecksetzung auf das, was objektiv gut ist und dies muß mit der Ordnung des Kosmos insgesamt übereinstimmen. Die intelligente Monade kann durch vernünftige, deliberative Perzepdonen, geleitet durch rationale Einsicht in das Prinzip des Besten, solche Zwecke setzen, die mit der Ordnung des Kosmos übereinstimmen und dem eigenen objektiv Besten dienen. Die formale Vollkommenheit des Universums führt mithin die moralische Vollkommenheit eines Subsystems, das in ihr vorrangig ist, mit sich. Das Prinzip des Besten etabliert dadurch eine Ordnung des Kosmos, der nicht nur formale, sondern zugleich — für Leibniz notwendig — moralische Vollkommenheit eignet. Der Zusammenhang von Vollkommenheit in formaler, metaphysischer und ethischer Bedeutung zeigt sich terminologisch am einfachsten in Leibniz' Unterscheidung dreier Formen des Guten, des bonum:4i das bonum metaphysicum entspricht der peifectio und ist kein im engeren Sinne ethischer Begriff; das bonumphysicum ist das Gefühl der Freude als Erscheinungsform des Guten in intelligenten, aber zugleich physischen Wesen, während erst das bonum morale im engeren Sinne eine ethische Bestimmung ist. Die Grundlage dieser Bestimmungen bildet gleichwohl das bonum metaphysicum, die peifectio. Das Reich der Gnade ist im Monadenkosmos ein Subsystem bestehend aus denjenigen Monaden, die über Rationalität verfügen. Nur sie sind in der Lage, sich selbst durch rationale Einsicht Zwecke zu setzen, wohingegen alle anderen, nicht-rationalen Monaden nicht bewußt gesetzten Zwecken folgen, sondern sich Zwecken gemäß verhalten, die mit dem Weltverlauf insgesamt harmonieren und von ihnen durch Instinkt wahrgenommen werden. 44 Der nicht-rationale Teil des Monadenkosmos wird 43
44
Vgl. Brief an Bayle. GP III, 32. Heinekamp meint, das bonum morale sei nur ein Sonderfall des bonum metaphysicum (Heinekamp, 1969, S. 183-190, bes. S. 190). Das Problem, wie die ethische Dimension in Leibniz' Metaphysik begründet ist oder was das bonum morale vom bonum metaphysicum unterscheidet, bleibt damit jedoch ungelöst. Den drei Formen des bonum entsprechen auch drei Formen des malum (vgl. Theodicee, § 21. GP VI, 115). Da bei Leibniz der gesamte Kosmos belebt ist, gilt Finalkausalität auch für Wesenheiten, die nicht über Instinkt verfügen, wie Pflanzen und die aus unserer
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durch Zwecke bestimmt, die er nicht selbst bewußt setzt, sondern die sich nur als dunkle Vorstellungen in den nicht bewußten Monaden spiegeln. All dies führt dazu, daß das Reich der Gnade als Kern des Universums insgesamt verstanden werden muß. 45 Dies ist für Leibniz der Grund dafür, daß die „Wurzel der Freiheit" darin liegt, daß der „Geist nicht aus Gründen der Notwendigkeit wählt, wozu er geneigt ist, sondern aus Gründen des wahren oder scheinbaren Guten." 46 Leibniz geht mit Aristoteles davon aus, daß vernunftbegabte Monaden natürlicherweise als Inhalt des Willens und als Endzweck ihrer Existenz das Gute haben; 47 dabei betrachtet er das Gute als angeborene Idee.48 Das Gute kann in adäquater Weise nur dann handlungsbestimmend sein, wenn es durch Vernunft erkannt wird. In Leibniz' metaphysischem Universum stimmt der Endzweck des Menschen damit mit der Ordnung des Kosmos insgesamt überein, da der Monadenkosmos insgesamt nach dem prinäpium optimum geschaffen und zudem auf das Gute hin ausgerichtet ist. Leibniz zufolge ist eine Handlung frei, wenn die Zwecksetzung gemäß rationaler
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Sicht unbelebte Natur. Leibniz geht wohl davon aus, daß sie einer Finalkausalität unterliegen, insofern als ihr Perzeptionenverlauf eine zweckrationale Ordnung aufweist, die ihnen selbst jedoch in keiner Weise als repräsentationaler Gehalt, als Instinkt oder aber rationale Einsicht, zugänglich ist. Liske dagegen meint, daß Leibniz' Lösung der Freiheitsproblematik auch deshalb scheitere, weil nach seiner Theorie den Naturgesetzen eine gleich starke Form der Notwendigkeit eigne, wie den Gesetzen im Monadenkosmos; zudem nehme er ein Isomorphic zwischen Wirk- und Zweckursachen an (Liske, 1993, S. 262-272). M.E. muß diese Isomorphie als ein Abbildungsverhältnis zwischen primärer Ebene des metaphysischen Monadenkosmos und der phänomenalen Ebene der Körperwelt verstanden werden. Die Natur bildet in der Gesamtheit ihrer Gesetze die moralische Gesetzmäßigkeit des Reichs der Gnade ab, natürlich ohne daß diese selbst moralische Gesetze wären. De Ubertate et Gratia. In: AA VI/4,1455-1460 (Vorabedition), S. 1456. Von Aristoteles mag auch seine von Piaton abweichende Vorstellung stammen, daß das Gute ein mehr oder weniger zuläßt; darauf geht die Vorstellung eines Optimum zurück (vgl. dazu den Beitrag von Neschke-Hentsche in diesem Band, S. 40f). Noveaux Essais. GP V, 80-93. Gegen Locke (alias Philalethe) vertritt Leibniz (alias Theophile) die Auffassung, daß moralische Regeln auf einer eingeborenen Idee beruhen, aber keine eingeborenen Prinzipien sind, weil sie begründet werden können.
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Einsicht in das Beste erfolgt, d.h. selbst dem Prinzip des Besten als Regel der Handlungen folgt. Der Monadenkosmos ist also grundsätzlich nach ethischen Prinzipien geregelt. Determination kann auf dieser Ebene nicht mechanische Kausalität bedeuten, sondern ist grundsätzlich praktische Determination. Es stellt sich nun die Frage, ob es Leibniz gelingen kann, solche praktische Determination mit Freiheit zu vereinbaren. Im Monadenkosmos herrscht eine intelligible Finalkausalität, die die Handlungen der unterschiedlichen Monaden ihrer Perzeptionsfähigkeit gemäß bestimmt. So werden Tiere durch Beweggründe motiviert, die durch Instinkt gefühlt werden. Rationale Wesen dagegen haben die Möglichkeit, ihr Handeln nicht allein durch den Instinkt, der täuschungsanfällig ist und nicht sicher zum je eigenen Besten führt, sondern durch rationale Überlegung und Einsicht in praktische Prinzipien zu handeln. Es ist für Leibniz kein Widerspruch zur Freiheit, daß die Handlung eines Vernunftwesens begründet ist durch rationale Überlegung. Es ist vielmehr eine Bedingung für Freiheit, gemäß Vernunftgründen zu handeln; entscheidend ist nur, daß der deliberative Akt selbst frei ist. So kann man bei Leibniz durchaus von einer Theorie der Selbstbestimmung des rationalen Wesens sprechen. 49 Zu einer moralischen Handlung gemäß rationaler Überlegung kann es jedoch auch nur dann kommen, wenn durch Vernunftüberlegung eine Erkenntnis zustande kommt, die sich einer adäquaten Erkenntnis des Besten — und das bedeutet zugleich der Ordnung der Dinge — annähert. Dann erst ist es einer Monade möglich, ein Handeln zu begründen, das nicht allein der eigenen Perspektive auf die Welt entspricht, dem eigenen Besten, sondern einer allgemeineren Perspektive, der besten Welt. Einer Monade ist dies möglich, obwohl sie perspektivisch gebunden ist, weil sie Spiegel des gesamten Universums ist, wie Leibniz metaphorisch sagt. Selbstbestimmung ist für Leibniz entscheidend für Freiheit: sie besagt, daß das Prinzip unserer Handlung in uns selbst liegt.50 Ob man hierbei jedoch von Autonomie sprechen kann, ist problematisch, da Leibniz aufgrund seines ethischen Realismus davon ausgeht, daß das ethische Grundprinzip — die Idee des Guten oder das Prinzip des Besten — zwar in der Monade selbst liegt, zugleich aber ist es gemäß der universellen Harmonie die bereits realisierte Ordnung des Kosmos und in seiner ontologischen Wirk49 50
Davon gehen beispielsweise Liske, 1993, S. 205, und Axelos, 1973, S. 350-373, aus. Theodicee, § 290. GP VI, 289.
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samkeit von der Monade und ihrem Willen unabhängig. Dennoch, da Leibniz in seiner spezifischen Theorie von der radikalen Innerlichkeit aller Prinzipien ausgeht, die nur dadurch allgemein und objektiv werden, als sie allen Monaden innerlich sind, ist man gleichwohl berechtigt, von einer gewissen Form der Autonomie zu sprechen. Die Monade gibt sich dieses Gesetz in einem eingeschränkten Sinne selbst, dann nämlich, wenn sie es durch Vernunft erkennt und seine Zwecke nach ihm ausrichtet, soweit es ihr als beschränkt einsichtsfähigem Wesen möglich ist. Man kann sagen, daß das Prinzip des Besten zwar unabhängig von der Rationalität der einzelnen Monade wirksam ist, aber eben nicht ethisch-praktisch, sondern metaphysisch. Innerhalb des Reichs der Gnade dagegen ist es ein normatives Prinzip und hat einen ähnlichen Status wie das Sittengesetz bei Kant als praktischer Grundsatz der universellen Vernunft, den sich das Vernunftwesen selbst gibt. Diese normative Seite des Prinzips des Besten prävaliert gegenüber der rein metaphysischen. Gott kommt im Reich der Gnade die Rolle des Repräsentanten des Vernunftgesetzes zu. Die rationale moralische Weltordnung weist nach Leibniz eine eigene, man könnte sagen: ,deontische' Logik auf, die er allerdings nicht ausgeführt, sondern nur in ihren Grundbestimmungen aufgestellt hat. So koppelt er normative Wertprädikate an seine Modallogik. 51 Dabei entsprechen den vier Modalbegriffen: possibile, impossibile, necessarium und contingent die vier normativen Prädikate: iustum (liatum), injustum (illicitum), aequum (debituni) und indifferens.52 Diese bezeichnet Leibniz auch als „modalia juris". Auch war er der Auffassung, daß sich die Jurisprudenz analog zur Geometrie ausgehend von einfachen Elementen, als deren Beispiele er „actus, promissum, alienatio" nennt, durch die ars combinatoria entwickeln ließe. 53 Nach Leibniz eigenen Vorstellungen soll die normative Grundordnung des Reichs der Gnade das Naturrecht sein.54 Es bildet den Gottesstaat oder die respublica universalis mit Gott als Repräsentant der höchsten Gerechtigkeit. Auf die Frage nach der normativen Instanz, die zu moralischem Handeln verpflichtet, gibt Leibniz eine Erklärung, die sich nicht unbedingt in seinen Rationalismus fügt. Es läge nahe, anzunehmen, daß Leibniz da51 52 53 34
Vgl. Schneider, 1967, S. 360f, Poser, 1969, S. 18. Blementa Juris Naturalis. AA VI/1, 480f (dt. in: Frühe Schriften ψηι Naturrecht, S. 245). Ars Combinatoria. GP IV, 58. Vgl. dazu Schneider, 1967, S. 346. Diese Annahme führt jedoch zu einem Problem innerhalb seiner Metaphysik, das im folgenden Kapitel angedeutet werden soll.
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von ausgeht, daß allein die Einsicht in gute, d.h. moralische Gründe des Handelns als Verpflichtung zum ethischen Handeln ausreichend seien.55 Doch dies ist nicht der Fall. Zum einen meint er, die Motivation zu moralischem Handeln psychologisch durch einen Eudämonismus unterstützen zu müssen, zum anderen setzt er Gott als letzten moralischen Verpflichtungsgrund ein. Als solcher letzter Verpflichtungsgrund übt Gott seine Gerechtigkeit durch Lohn und Strafe aus; alle moralisch guten Handlungen werden notwendig belohnt, alle schlechten bestraft. Moralische Verantwortung können demnach auch nur solche Wesen haben, die für Lohn und Strafe empfänglich sind; Bedingung dafür ist die „moralische Idenütät der Person", die Leibniz von der metaphysischen Identität der Monade unterscheidet. 56 Diesem Reich, in dem höchste Gerechtigkeit herrscht, kommt für alle anderen Rechtssysteme normative Geltung zu.57 Daraus folgt, daß es keinen Rechtspositivismus geben kann, den Leibniz insbesondere Hobbes und Locke, aber auch Grotius anlastet.58 Vielmehr gibt es Leibniz zufolge ein Naturrecht, das in der vollkommenen Einrichtung des Universums selbst bereits realisiert ist und an das sich bestehende, durch Menschen geschaffene, positive Rechtssysteme durch Einsicht in jene höhere Rechtsordnung anzunähern haben, sollen sie selbst gerechtfertigt sein. 59 Das positive oder bürgerliche Recht muß, wenn es gerechtes Recht " 56
37
58 39
Dies ist die Position des ethischen Rationalismus, dessen Problem der Motivation auch Shafer-Landau behandelt (Shafer-Landau, 2003, S. 190-214). Discours de Metaphysique, §34. GP IV, 459f; Nouveaux Essais. GP V, 87f, 218f. Leibniz knüpft die moralische Identität der Person, anders als Locke, nicht allein an das Erinnerungskriterium; vielmehr ist das Zeugnis anderer Personen ausreichend, um die \^erantwortlichkeit einer Person für einen Tatbestand festzustellen. Grundlage hierfür ist die metaphysische Identität. Vgl. zur Idee des Gottesstaates und insbesondere seiner normativen Funktion Schneiders, 1977, bes. S. 15-26. Schneiders betont, daß das Gottesreich ein solches Regulativ ist, das nicht rein ideal ist, sondern im Grunde bereits existiert. Dabei muß man sich klar machen, daß menschliche Staaten phänomenale Widerspiegelungen des monadischen Reichs der Gnade sind, die mehr oder weniger adäquat sein können. Dabei nimmt das Handeln der Menschen auf die Einrichtung dieser Staaten Einfluß. Nouveaux Essais. GP V, 232f. Auch Pufendorf wird von Leibniz kritisiert, weil er das positive Recht vom Naturrecht unterscheidet ('.Theodicee. GP VI, 398f). Zur Entwicklungsgeschichte des Naturrechtsdenkens bei Leibniz vgl. Schneider, 1967, S. 342-483.
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ist, mit dem Naturrecht in Einklang stehen, andernfalls ist es Unrecht. Dies zeigt sich deutlich an Leibniz' Überzeugung der unveräußerlichen Freiheit eines jeden Vernunftwesens und seiner Ablehnung der Sklaverei.60 Der Gottesstaat ist also auch eine Idealstaatskonzeption. Leibniz' Naturrechtslehre selbst folgt ihrem Grundgerüst nach traditionellen Mustern. So gelten auch bei ihm die drei, auf Ulpian zurückgehenden, Maximen: ,neminem laedere', ,suum cuique tribuere' und ,pie vivere' als basale Rechtsvorschriften. 61 Leibniz hat in seinem Bemühen um Systematisierung allerdings eine eigene Dreistufentheorie dieser drei Vorschriften konzipiert, die in die Naturrechtslehren des 18. Jahrhunderts eingeflossen ist. 62 Danach ist das ,pie vivere' oder die pietas der höchste Grundsatz der Gerechtigkeit, die dritte Stufe. Die erste Stufe bildet das ,,neminem laederi oder das jus strictum, die zweite Stufe ist das ,suum cuique tribuere' oder die aequitas. Diesen zwei unteren Stufen, die zusammen die iustitia particularis ausmachen, sollen zwei Bereiche des positiven Rechts entsprechen, die Leibniz aus dem römischen Recht übernimmt: Der aequitas (Jus commutativä) muß das öffentliche Recht — es regelt im Wesentlichen wechselseitige Hilfsverpflichtungen —, dem jus strictum (Jus distributive!) das Privatrecht — dies ist das Eigentumsrecht — entsprechen. Die pietas findet im positiven Recht keine Entsprechung, sie soll den Schlußstein der Gerechtigkeit bilden, damit Recht überhaupt Gerechtigkeit sein kann, sie ist iustitia universalis.
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Meditation sur la Notion Commune de ta Justice, dt. in: Hauptschriften %ur Grundlegung der Philosophie Bd. II, S. 514ff. Dies sind die drei Grundmaximen, die bereits Ulpian in seinem Naturrecht formuliert. Leibniz hatte, wie Heinekamp zeigt, den Plan, das Naturrecht deduktiv aus den Grunddefinitionen des Guten und Gerechten herzuleiten. Er meint, Leibniz habe dies Projekt niemals ausgeführt, weil seine Grunddefinition der Gerechtigkeit als Caritas sapientis zu inhaltsleer sei (Heinekamp, 1969, S. 126f). Nova Methodus, §§ 73ff, in: Frühe Schriften %um Naturrecht, S. 79-83; Meditation sur la Notion Commune de la Justice, in: Hauptschriften S(ur Grundlegung der Philosophie, Bd. II, S. 512f. Vgl. zur Dreistufentheorie Busche, 2003, S. LXVIII-CI.
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5. Die „Liebe des Weisen". Tugendethik und Eudämonismus bei Leibniz Wie in seiner Metaphysik überhaupt zeigt sich auch in Leibniz' Ethik das Bestreben, platonistische Elemente — Ethik als Lehre vom Guten und als Tugendlehre - mit aristotelischen - Ethik als Eudämonismus - zu verbinden. 63 Der Eudämonismus erscheint bei Leibniz in einer christlichen Form, die an der Liebe, insbesondere an der Nächstenliebe (cantas) orientiert ist. Diese Verbindung formt er um zu einer Theorie, deren Zentrum die Tugend der Gerechtigkeit ist, welche konkret in einer Rechtsphilosophie, der Naturrechtslehre, ausgestaltet wird. So sind das Gute und das Gerechte die beiden Grundbegriffe seiner Ethik. Beide sind nach Leibniz eingeborene Ideen. 64 Nach Leibniz müssen eingeborene praktische Prinzipien und eingeborene praktische Wahrheiten angenommen werden. 65 Der Begriff der Gerechtigkeit muß, so Leibniz, für Gott und Menschen gleich sein, da sonst ein prinzipieller Unterschied zwischen der Gerechtigkeit Gottes und den Menschen bestehen könnte und somit der Begriff ,Gerechtigkeit' keine einheitliche und folglich gar keine Bedeutung habe. 66 Nach seiner Begriffslehre sind die ursprünglichen praktischen Prinzipien, die diese beiden Ideen enthalten, Grundprinzipien, d.h. indemonstrable, unmittelbar evidente Wahrheiten. Gleichwohl ist die Ethik eine demonstrative Wissenschaft, die Normen der Gerechtigkeit aus diesen Grundprinzipien beweist. 67 Obwohl Leibniz einen starken ethischen Realismus vertritt, meint er, die ethischen Prinzipien gelten normativ und seien nicht deskriptiv. Die Leibnizsche Tugendlehre folgt traditionellen Mustern, die er selbst auf Piaton und Aristoteles zurückführt. Sie spielt jedoch bei Leibniz eine weit geringere Rolle als bei ihren antiken Vorbildern, nicht zuletzt deshalb, weil Leibniz die Theorie der Seelenteile nicht übernimmt, sondern vielmehr nur von der Dualität von Vernunft und Wille ausgeht. Die Tugend63 64 65 f'6 67
Zur Platonischen und Aristotelischen Ethik vgl. Düsing, 2005, S. 21-33 Nouveaux Essais. GP V, 83 f. Nouveaux Essais. GP V, 83 ff. Vgl. Meditation sur la notion commune de la justice, dt. in: Hauptschriften %ur Grundlegung der Philosophie, Bd. II, S. 509f. Nouveaux Essais. GP V, 81.
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lehre stellt die psychologische Seite der Ethik dar, die bei Leibniz letztlich von geringerer Bedeutung ist. Vollkommenheit zeigt sich auch auf der aus Leibniz' Blickwinkel eher nachrangigen psychologischen, für ihn physischen Ebene als ethische Dimension. Leibniz folgt Aristoteles in seiner Bestimmung der Tugend; sie ist die Verhaltensweise, vernunftgemäß (suivant la raison) zu handeln/'8 Die primäre Tugend ist für Leibniz die Gerechtigkeit. In seiner Definition der Gerechtigkeit koppelt er sie in einer für seine Rechtsethik eigentümliche Weise an einen christlichen Eudämonismus. Moralisches Handeln gründet motivational gesehen im Streben nach Glückseligkeit, wobei Glückseligkeit die Freude an der Vollkommenheit ist.69 Ist der Gegenstand der Freude nicht die eigene, sondern die Vollkommenheit oder Glückseligkeit anderer, so nennt Leibniz die Freude Liebe; solche Liebe nimmt unterschiedliche Formen an, je nachdem, für welchen Gegenstand sie empfunden wird. Freude und Liebe sind insofern psychologische Indikatoren von Vollkommenheit für endliche, nicht unendlich einsichts fähige Monaden. Gerechtigkeit bestimmt Leibniz als die „Liebe des Weisen": y Jus tili α est Caritas sapientis."70 Weisheit ist die Einsicht in das Gute oder die „Wissenschaft von der Glückseligkeit". Die Freude an der Vollkommenheit anderer ermöglicht es der Monade, zu größerer Vollkommenheit zu streben. Eine größere Glückseligkeit erfährt folglich derjenige, der auch Freude an der Vollkommenheit anderer empfinden kann. Dadurch gelangt auch er selbst zu größerer Vollkommenheit. Ist solche Liebe durch rationale Einsicht in die Vollkommenheit anderer entstanden, so führt solche Liebe zu Gerechtigkeit. Da der Grad der Liebe von der Vollkommenheit des geliebten Objekts abhängt, erfährt derjenige die höchste Liebe und erreicht selbst die für ihn höchst mögliche Vollkommenheit, der Freude durch die 68 69
70
Nouveaux Essais. GP V, 89. Vgl. Nouveaux Essais. GP V, 149; Von der Glückseligkeit, in: Kleine Schriften %ur Metaphysik, S. 391-401, S. 391 f; Brief an die Kurfürstin Sophie. GP VII, 546-549. Dies ist die Leibniz eigentümliche Definition der Gerechtigkeit (Ars characteristica, Praefatio pt. xi. GP VII, 47). Diese Lehre hat er bereits in seinen frühen Schriften zum Naturrecht entfaltet (vgl. Elementa Juris Naturalis, in: Frühe Schriften ^um Naturrecht, z.B. S. 246, 268ff, 286). Hier wird der vir bonus paradigmatisch als moralische Instanz aufgebaut und bestimmt als „quisquis amat omnes" (ebd., S. 246). Leibniz hat diese Definition aber auch noch in seiner reifen Philosophie in gleicher Weise vertreten (Nouveaux Essais. GP V, 149).
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Vollkommenheit Gottes empfindet. Leibniz versteht Gerechtigkeit weniger in Termini der Tugend als Habitus, sondern vielmehr juridisch als die durch das Recht und die Rechtsprechung ausgeübte Gerechtigkeit. Die Tugend wird einfach als spezifische Vollkommenheit intelligenter Monaden begriffen. Da die Vollkommenheit Leibniz zufolge in empfindungsfähigen Monaden Lust bereitet, ist das Streben der Monaden nach Vollkommenheit, ihre Handlungen auf der ontologischen Ebene, mit Freude verbunden, die, wenn sie dauerhaft ist, Glückseligkeit bedeutet. Daher ist das Streben nach Vollkommenheit zugleich auch ein Streben nach Glückseligkeit. Vollkommenheit der Geister meint dabei auch ihre Fähigkeit, Freude zu empfinden. 71 Dies ist die psychologische Beschreibung der metaphysischen conatus-Lehne. Das Streben nach Glückseligkeit ist damit aus monadeninterner Perspektive der primäre motivationale Grund zu ethischem Handeln in empfindungs fähigen und geistbegabten Monaden. Das Streben nach dem eigenen Besten hält Leibniz für Klugheit und er stimmt Karneades in seiner Auffassung zu, es sei Dummheit, nicht das eigene Beste zu wollen und sich zum eigenen Nachteil um den Vorteil anderer zu sorgen. 72 Dennoch kann der wahre eigene Vorteil bei Leibniz nicht ein Nachteil anderer sein, denn das je eigene Beste muß letztlich mit dem universellen Besten kongruieren. 73 Diese Auffassung ist bei Leibniz in seiner Lehre von der Existenz der besten Welt begründet: Damit eine Monade in die beste Welt paßt und also existieren kann, muß sie sich so entscheiden, daß ihre Handlungen in eine solche Ordnung von Monaden passen, in der das höchste Maß je einzelnen Glücks möglich ist. Zwar ist der Wille von Natur aus auf das Gute ausgerichtet und es besteht eine gewisse Determiniertheit der Monade in der Folge ihrer Perzeptionen, aber da Leibniz gleichwohl von der Freiheit der Monade ausgeht, ist das Gute in seinen Handlungen zu erstreben eine normierende Pflicht. 74 Die Normativität drückt Leibniz im Begriff der „moralischen Notwendigkeit" aus. Doch der Geltungsgrund sittlicher Normen liegt bei Leibniz nicht in einer spontanen Fähigkeit der Vernunft, wie etwa bei 71 72 73
74
Discours de Metaphysique, § 36. GP IV, 461 f. Frühe Schriften ^um Naturrecht, S. 90. G. Brown charakterisiert Leibniz' Theorie der Motivation daher als einen „psychological egoism" (Brown, 1995, S. 413). Dabei sieht er Leibniz' Leistung in der Ethik darin, den Egoismus mit einem Altruismus verbunden zu haben. Vgl. dazu Heinekamp, 1969, S. 98-107.
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Kant, sondern in der Rationalität, die zugleich Ordnung des Kosmos ist. Damit hängt die richtige Befolgung von sittlichen Pflichten von der Erkenntnis des Guten und Gerechten ab. Leibniz hat diesen Intellektualismus nicht konsequent durchführen wollen, da er zu absurden Konsequenzen führt. Denn wenn moralisches Handeln nur von intellektueller Einsicht in das Gute abhängig wäre, dann wäre die Moralität einer Person von ihrem intellektuellen Vermögen abhängig; doch dies widerspricht der Erfahrung. Um hier für dieses Phänomen eine Erklärung zu geben, nimmt Leibniz einen eingeborenen „Instinkt der Menschlichkeit" an (l'instinct de l'humanitf5). Der Instinkt der Humanität leitet das Handeln durch ein Gefühl des Angenehmen an. 76
6. Leibniz' Handlungstheorie Eine Schwierigkeit der Leibnizschen Handlungstheorie und Ethik ergibt sich aus der ontologischen Hierarchie von rein intelligiblem Monadenkosmos und erscheinender Natur. Dabei ist die Natur, oder auch das „Reich der Natur", nichts als die Erscheinung des Monadenkosmos aus der Perspektive endlicher Monaden. Diese Lehre führt zu dem spezifisch Leibnizschen Körper-Geist-Verhältnis, 77 das sich auf den Begriff der Handlung und auch der moralischen Handlung auswirkt. Denn in der Ethik wird moralisches Handeln begriffen als eine in der Welt ausgeführte Handlung leiblich verfaßter Personen gemäß Absichten, die ethischen Prinzipien, Normen oder Gesetzen folgen. Für Leibniz ist die Natur, in welcher Handlungen stattfinden, jedoch nur die Erscheinungsform zugrundeliegender intelligibler Wesenheiten. Leibniz' Beispiel einer Handlung: ,Caesar überschritt den Rubikon' oder einer amoralischen Handlung: 75 76 77
Nouveaux Essais. GP V, 82. Nouveaux Essais. GP V, 83. Von den zahlreichen Texten, in denen Leibniz zu diesem Problem Stellung genommen hat, seien nur der Briefwechsel mit Arnauld und der dazugehörige Discours de Metaphystque sowie der Briefwechsel mit Des Bosses erwähnt. Zum LeibSeele-Problem, aber auch dem Problem der Intersubjektivität bei Leibniz vgl. Gurwitsch, 1974, 240-260, und Rutherford, 1995, S. 265-282.
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Judas verriet Jesus' sind demzufolge bloß Erscheinungsformen zugrundeliegender intelligibler Prozesse im Monadenkosmos, die als Handlungen leiblich verfaßter Wesen in der Natur nur aus unserer endlichen Perspektive einen Sinn ergeben. Sowohl ,Caesar' als auch Judas', für uns leiblich verfaßte Personen in Raum und Zeit, ja selbst der Rubikon sind als Monaden nichts anderes als rein intellektuelle Essenzen, Perzeptionsfolgen, die durch Finalkausalität bestimmt sind. Es gibt also zwei Perspektiven und Beschreibungen von Handlungen: die ontologische und die phänomenale. Auf der ontologischen Ebene gibt es im engeren Sinne keine Handlungen, vielmehr reduziert sich der Handlungsbegriff auf die Spontaneität der intelligenten Monade. Die Handlung ergibt sich aus dem komplexen Zusammenspiel zwischen der intelligenten Zentralmonade eines Körpers und den Monaden, die in einer sehr spezifischen Weise den Körper der Monade ausmachen, und auch schließlich dem Kosmos insgesamt. Daß eine Handlung in der Natur zur Erscheinung gelangt, ergibt sich Leibniz zufolge erst durch das harmonische Zusammenspiel des Universums als Ganzem. Die Handlungen leiblicher Wesen in der Natur sind eigentlich naturkausale Ereignisse. Dabei kann der Lauf des Kosmos derart sein, daß die Handlungsintention nicht ihr Ziel erreicht und also nicht zur Erscheinung gelangt. Die ontologisch grundlegende Beschreibung ethischer Handlungen ist also eine rein intellektuelle Beschreibung rationaler Zwecksetzungen und deren rationaler Begründung. Doch, so wird man nun einwenden müssen, welchen Sinn haben Zwecksetzungen ohne Handlungen? Ein Versuch, dies Problem zu beheben, besteht darin, Leibniz' Theorem der notwendigen Materialität endlicher Monaden anzusetzen und davon auszugehen, daß zwar die eigentliche Seinssphäre der intelligible Monadenkosmos ist, die materielle Natur aber dennoch notwendig mit ihm zusammen existiere. Bobro geht noch darüber hinaus, indem er bei Leibniz eine für die Materialität der Monade spezifisch ethische Rechtfertigung aufzufinden glaubt. Er kann unter Hinzuziehung guter Textbelege die These glaubhaft machen, daß Monaden deshalb notwendig einen Körper haben, damit endliche Monaden indirekt in der Erscheinungswelt in interpersonale Relationen eintreten können, und ihre Moralität in Handlungen in Erscheinung treten kann. 78 So ansprechend diese Interpretation auch 78
In seinem sehr aufschlußreichen Aufsatz stellt Bobro die berechtigte Frage, weshalb Leibniz auf Grundlage seiner Monadologie überhaupt die These vertritt, daß jede Monade notwendig immer mit einem Körper verbunden sei (Bobro, 1999).
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sein mag, sie wird wohl nicht Leibniz' Philosophie in ihrer Tiefenstruktur gerecht, da der Körper, der jeder Monade notwendig eignet, nicht ein organischer Körper in unserem natürlichen Verständnis sein muß, vielmehr ist er Erscheinungsform des Moments der Unvollkommenheit an ihnen, er ist die dem Grad an aktiver Kraft [vis activa) korrespondierende passive Kraft (vis passiva), die nur in der ErscheinungsSphäre als ausgedehnte Masse auftritt, im Monadenkosmos selbst aber lediglich als Einschränkung des Realitätsgrades einer Monade verstanden werden muß. So ist eine Monade Leibniz zufolge vor ihrer Geburt und nach ihrem physischen Tod zwar mit Materie verbunden, doch ist sie nicht notwendig ausgedehnt und ermöglicht so nicht unbedingt ein in unserem Verständnis intersubjektives Verhältnis zu anderen Monaden. Es ist in der Leibniz-Forschung bisher zuwenig der Frage nachgegangen worden, was die Begriffe der ethischen Zwecksetzung und des moralischen Handelns letztlich im rein intelligiblen Monadenkosmos, dem Gottesstaat, besagen können, wenn man ihn als eine rein intelligible Welt körperloser Monaden begreift, so wie er aus der höchsten metaphysischen Perspektive betrachtet werden muß. Aus dieser Perspektive ist die physische Welt bloße Erscheinung zugrundeliegender individueller Substanzen. Wenn man also die Monadenlehre erneut in Betracht zieht, erscheint Leibniz' Auffassung, der Gottesstaat bestehe aus den Gesetzen des Naturrechts, problematisch, beinhalten doch die drei Ulpianschen Grundgesetze die Voraussetzung einer physischen Welt, d.h. interpersonale Beziehungen, Eigentum etc. Vielmehr erscheint es sinnvoll anzunehmen, daß Leibniz in der rein intelligiblen Welt die Aristotelische bioi-Lehre aufgenommen und monadologisch umgedeutet hat. Demnach wäre das ,ethos' im Monadenkosmos der ,bios theoretikos\ wobei die intelligenten Monaden in der Erkenntnis der rationalen Ordnung des Kosmos nach dem Prinzip des Besten, d.h. auch der Gerechtigkeit, und durch die reine Liebe zu Gott höchste Glückseligkeit erfahren. 79 Seiner Dreistufentheorie mag - neben der Systematisierung - die Absicht zugrunde liegen, das ,pie vivere' als eigent79
Leibniz geht von einem Fortschritt der Menschheit zu größerer Erkenntnis und folglich von einer zunehmenden Übereinstimmung zwischen menschlicher Gerechtigkeit auf Erden und der Gerechtigkeit Gottes im Reich der Gnade aus. Erkenntnisfortschritt wird damit zur moralischen Pflicht (zur Lehre vom bios theoretikos und dem Zusammenhang von Ethik und Metaphysik bei Aristoteles vgl. auch den Beitrag von Neschke-Hentschke in diesem Band S. 54-58).
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liehen Grundsatz des Gottesstaates auszumachen und die beiden anderen partikularen Gerechtigkeitsgrundsätze für die intermonadischen Relationen aus ihrer je partikularen Perspektive darzustellen. Die Begriffe von Zweck und Handlung müssen dann eine gänzlich andere Bedeutung erhalten.
7.
Schluß
Leibniz' Metaphysik der Monade stellt, wie zu zeigen versucht wurde, zu einem nicht unwesentlichen Teil einen Ansatz metaphysisch-ontologischer Ethikbegründung dar. Es ist sogar nicht illegitim, seine Metaphysik als Einheit von theoretischer und praktischer Philosophie zu deuten, die zu einem starken ethischen Realismus führt. Es wurde dabei insbesondere das prineipium optimum als derjenige Grundsatz ausgemacht, der die zentrale Doppelfunktion, theoretisch-formales und zugleich praktisches Prinzip zu sein, erfüllt. Doch blieb es, unabhängig von grundsätzlichen Einwänden beispielsweise gegen die Begründbarkeit einer Ethikotheologie, fraglich, ob es Leibniz gelungen ist, diese Zusammenführung stringent zu bewältigen, wie allein die Bedenken, die im letzten Abschnitt angedeutet wurden, zeigen. Dennoch muß man Leibniz zugestehen, daß er den ethischen Realismus konsequent und konsistent formuliert hat. Die metaphysischen Annahmen, die er zu seiner Begründung macht, dürften philosophisch jedoch nur schwer zu rechtfertigen sein. Obwohl man der Leibnizschen Ethik keine nennenswerte Wirkungsgeschichte nachsagt, mag dies für seine metaphysische Ethikbegründung vielleicht weniger gelten, sind doch die Idee eines „Reichs der Zwecke" als Regulativ und seine Unterscheidung vom „Reich der Natur", sowie die ihr zugrunde liegende, wenngleich nicht eigens thematisierte Vorstellung eines gemeinsamen Ursprungs von theoretischer und praktischer Vernunft Ansatzpunkte für spätere Neuansätze bei Kant, Fichte oder auch Hegel.
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RUTHERFORD,
SI-IAEER-LANDAU,
Von der Konvention zur Sittlichkeit Humes Begründung einer Rechtsethik aus nach-Kantischer Perspektive Kenneth Κ Westphal
1. Problemstellung Obwohl er eine Rechtsphilosophie bereits im dritten Buch des Treatise of Human Nature, die auch einen Kernpunkt seiner politischen Schriften bildet und nicht zuletzt für seine Geschichte Großbritanniens grundlegend ist, ausgearbeitet hat, wurde Hume erst nach seinem Tode im 20. Jahrhundert als bedeutender Rechtsphilosoph anerkannt.1 Seine gesamte praktische Philosophie ist dem Autonomiegedanken verpflichtet, in einem weiten, von J. B. Schneewind herausgearbeiteten Sinne,2 demzufolge Moralität uns Menschen und nicht Gott oder der Natur entstammt. Daß Hegel sich mit der „schottischen Schule" und insbesondere in seinen Grundlinien der Philosophie des Rechts mit der schottischen politischen Ökonomie intensiv auseinandersetzt, ist von der Forschung bereits herausgestellt worden.3 Noch nicht nachgewiesen aber wurde Hegels Lektüre auch des zweiten Teils des Humeschen Trea1
2 3
Vgl. Haakonssen, 1993; Haakonssen, 1996, Kap. 3; Buckle, 1991. Zur Einfuhrung in die praktische sowie in die Rechtsphilosophie Humes, siehe Baier, 1991, Kap. 10 und 11; Norton, 1993, Kap. 5-8. Humes Treatise wird im Folgenden mit „T" abgekürzt; die Seitenangaben beziehen sich auf Hume (2000/1904). Nur wenn das erste Buch des Treatise zitiert wird, steht „1:" der Seitenangaben von Hume, 1904 voran. Schneewind, 1998. Vgl. Waszek, 1998. Hegels Grundlinien der Philosophie des Rechts werden als „Rechtsphilosophie" zitiert.
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tise of Human Nature (Bücher 2, 3), der die praktische Philosophie behandelt.4 Diese historische Frage bleibt auch hier offen. Stattdessen möchte ich auf einige sachliche Querverbindungen zwischen den Rechtsphilosophien Humes und Hegels eingehen, um Stärken und Schwächen der Humeschen wie auch einige Einsichten und Fortschritte der Hegeischen Rechtsphilosophie zu erhellen. Hierdurch erhalten wir auch wichtige Hinweise auf die nähere Bedeutung des Untertitels von Hegels Grundlinien der Philosophie des Rechts, nämlich: oder Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse.5 Der Hauptgedanke meiner Überlegungen wird durch Hume wie folgt formuliert: „So gewiß die Regeln der Rechtsordnung künstlich sind, so sind sie doch nicht willkürlich. Es ist daher auch die Bezeichnung derselben als Naturgesetze nicht unpassend [...]" (T 311/227).
Diese These ist noch immer von großer Bedeutung, weil auch die heutigen Moralphilosophen in der Regel noch immer nicht begreifen, wie oder sogar ob Rechtsprinzipien „künstlich" - d.h. von uns gemacht - sein können, ohne doch zugleich willkürlich zu sein. Auch wenn Hegel diese wichtige These Humes teilt, verstehen die beiden Rechtsphilosophen die „Natürlichkeit" dieser Gesetze vollkommen unterschiedlich. Nach Hume handelt es sich bei dieser Natürlichkeit um die menschliche Natur: die obige Bezeichnung der Rechtsprinzipen als „Naturgesetze" gilt nur dann, „wenn wir unter natürlich das verstehen, was irgend einer Spezies gemeinsam ist, ja sogar, wenn wir das Wort so beschränken, daß nur das von der Spezies Unzertrennliche damit gemeint ist." (Γ 311/227).
Um Rechtsprinzipien auf diese Weise verstehen zu können, übt Hume einerseits scharfe Kritik an verschiedenen rechtsphilosophischen BegrünDer Nachweis von Hegels Lektüre des ersten Buches des Treatise wird in Westphal, 1998 erbracht. Wie im Original wurde auch in der deutschen Übersetzung das erste und die zwei letzten Bücher des Treatise getrennt voneinander veröffentlicht. Obwohl eine Rezeptionsgeschichte diesen Querverbindungen nachzugehen hätte, sind die hiesigen Überlegungen systematisch und nicht entwicklungsgeschichtlich. Auf die Bedeutung und Angemessenheit des Untertitels von Hegels Rechtsphilosophie wird - diese Untersuchung ergänzend - auch eingegangen in Westphal, 2005 a.
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dungsstrategien, andererseits versucht er, unsere praktischen Prinzipien, Urteile und Entscheidungen wissenschaftlich zu erklären, um sie richtig zu verstehen sowie auf geklärter Grundlage zu verwenden, um dadurch den beiden politischen Hauptgefahren, dem Aberglauben einerseits und dem Enthusiasmus andererseits, zu entgehen. Humes Ansicht nach hat die empirisch-wissenschaftliche Erklärung unserer Rechtsnormen und -praktiken Vorrang; ihre Begründung im Sinne einer normativen Rechtfertigung kommt in seiner Rechtsphilosophie nur nebenbei und nur unter stillschweigender Revidierung einiger seiner Grundthesen zur Sprache. Um diese Sachlage zu erfassen, muß an einige Hauptpunkte der Humeschen Rechtsphilosophie erinnert werden.
2. Grundzüge der praktischen Philosophie Humes (2.1.) Hume sucht die Grundlagen aller praktischen Prinzipien in der menschlichen Natur auf, weil er keine anderen entsprechenden Grundlagen anerkennt. Die ihm gegenwärtigen Begründungsalternativen verwirft er — kurz gesagt — aus folgenden Gründen: (2.1.1.) Als Begründungsvermögen versteht Hume die menschliche Vernunft als ein bloß deduktives Vermögen, das nur untergeordnete Prinzipien aus obersten Grundsätzen zu schließen vermag, gemäß dem damaligen Standardmodell der rationalen Wissenschaft als säentia. Der Humesche Verifikationsempirismus gesteht als erste Grundsätze allerdings allein analytische Sätze („relations of ideas") zu, aus welchen keinerlei handlungsleitende Prinzipien folgen. Darum seien Handlungsprinzipien synthetisch („matters of fact"); sie lassen sich nur empirisch und mithin nicht normativ nachweisen, gemäß Humes Entdeckung des später von G. E. Moore sogenannten naturalistischen Fehlschlusses vom „Sein" auf das „Sollen" (T 298/204). (2.1.2.) Begründungen unserer praktischen Prinzipien aus dem Willen Gottes kranken nach Hume daran, daß Gott überhaupt nur für einen unwissenden Aberglauben existiert (T 176/1:350). Historisch betrachtet, führt die politische Berufung auf Gott nur zu Fanatismus, Zwietracht und Unfrieden, wie unter anderem das Beispiel des Dreißigjährigen Kriegs zeigt, der ein entscheidender Ausgangspunkt für das neuzeitliche Naturrechtsdenken ist: nach diesem Krieg müssen Rechtsnormen normativ ge-
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rechtfertigt werden, ohne Rückgriff auf die Religion, selbst wenn man zu einer Religionsgemeinschaft gehört. Eben dies ist eine Grundaufgabe der neuzeitlichen Naturrechtslehren. (2.1.3.) Obwohl das Vertragsmodell zu einigen zutreffenden politischen Schlußfolgerungen führt - z.B. bezüglich der Grenzen von Untertanenpflichten (T 352/301 f) ist die Vertragsgründung eines Staates historisch nicht belegt. Einem bloß „impliziten" Sozialvertrag dagegen fehlt der reale Einfluß auf das menschliche Handeln, um eine Sozialordnung gewährleisten zu können. Ein tatsächlich geschlossener Sozialvertrag aber ist in der Geschichte nicht nachweisbar (T 350f/300f). Den „hypothetischen" Sozialvertrag erörtert Hume nicht, doch kann man seinen Einwand dagegen leicht antizipieren: ein bloß „hypothetischer" Vertrag kann keine wirkliche Verbindlichkeit begründen. Entscheidend jedoch ist für Hume das Bedenken, daß sich die Gesellschaft auf keinen Vertrag gründen kann, weil ein Vertrag wie ein Versprechen gerade voraussetzt, daß eine Gruppe die zu einer Gesellschaft erforderlichen Konventionen bereits etabliert und darum schon eine Gesellschaft samt ihren basalen Konventionen gegründet haben muß (T331f/262f; vgl. unten § 3.4.). (2.1.4.) Die früheren Naturrechtslehren verwirft Hume aufgrund seiner strengen Unterscheidung zwischen „Sein" und „Sollen" (T 302/211) sowie seiner Ablehnung der Naturteleologie. „Naturzwecke" seien bloße Hirngespinste, die nichts, insbesondere nichts Normatives zu begründen vermögen. Hume bewegt sich in einer schon entzauberten, wertfreien Welt, in der wir nur Tatsachen, aber keine Werte bzw. Normen entdecken können. (2.2.) Alle moralische Normativität, so schließt Hume, entstammt daher unseren Affekten, d.h. sie entstammt der menschlichen Natur, und zwar spezifischen Affekten, die durch etwas ausgelöst werden, was uns gefällt bzw. nicht gefällt, genauer, was wir loben bzw. tadeln:6 „Moralität wird also viel mehr gefühlt als beurteilt" (T 302/212).7 Wie Hume diese Ableitung der moralischen Normativität aus der menschlichen Natur ver6
7
Hume, Enquiries Concerning Human Understanding and Concerning the Principles of Morals, S. 294 (im folgenden zitiert als Enquiries)/Untersuchung über die Prinzipien der Moral, S. 145f. Humes Begriff „morality" wird von Lipps durch „Sittlichkeit" übersetzt. Stattdessen übersetze ich „morality" durch „Moralität", um „Sitdichkeit" für die Theorie Hegels zu reservieren.
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steht, wird im Folgenden diskutiert (§§ 3., 4.). Zuerst soll jedoch hervorgehoben werden, daß nicht nur die natürliche Welt an sich wertfrei ist, nach Hume sind auch unsere äußeren Handlungen wertfrei: „Das äußere Tun an sich hat keinen Wert." (T 307/219).
Genauer gesagt, begründen nur menschliche Motive den moralischen Status einer Handlung: „[...] keine Handlung ist recht und verdiensdich ohne ein besonderes Motiv, aus dem sie entspringt." (T 311/226).
Dies ist eine sehr starke These, obwohl Hume sie eher voraussetzt als beweist. Diese These macht die Grundausrichtung der gesamten Moralphilosophie Humes aus: Sein Ziel ist, die Moralität insgesamt aus den menschlichen Gefühlen (sentiments) abzuleiten und sie dadurch zu erklären. Diese These verträgt sich kaum mit seiner eigenen Rechtsphilosophie (unten § 5.2.). Aber zuerst betrachten wir einige ihrer Grundzüge.
3. Die Humesche Grundlage der Gerechtigkeit ist die Praxis (3.1.) Humes Rechtsphilosophie ist genetisch konzipiert. Sie versucht zu erklären, worin rechtsphilosophische Prinzipien und Praktiken bestehen, dadurch daß sie erklärt, wie diese durch menschliche Gefühle, Bedürfnisse, Fähigkeiten, Tätigkeiten und Umstände entstehen. Sein Verfahren ist jedoch auch analytisch, insofern jeder Bestandteil von Moralität zuerst durch eine Aufdeckung der Quellen der Moralität identifiziert und dann schrittweise in moralische Begriffe, Prinzipien und Praktiken aufgenommen und einbezogen wird. Der begriffsanalytische Ansatz der Methode Humes im Treatise wird ferner unterstrichen durch seinen späteren Aufsatz Über den Ursprung der Regierung,8 worin er versucht nachzuweisen, daß sich, historisch betrachtet, die Regierung aus der Militärgewalt entwickelt hat. Hume, Essays, moral, political, and literary, S. 39f.
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(3.2.) Allgemein betrachtet werden rechtsrelevante Prinzipien von Hume dadurch begründet, daß sie sich als die einzige Lösung einer Reihe von Problemen der Sozialordnung nachweisen lassen. Diese Probleme erweisen sich allesamt als Probleme einer gemeinsamen, wechselseitigen Koordination individueller Handlungen. Um die dafür erforderlichen Handlungsprinzipien zu begründen, muß Hume erstens erklären, warum wir gezwungen sind, diese Probleme der Sozialordnung zu lösen, dann zweitens wie und warum sie nur durch solche rechtsrelevanten Prinzipien zu lösen sind, die gewisse gesellschaftliche Konventionen strukturieren. Dies ist eine durchwegs funktionale Erklärung und Rechtfertigung rechtsrelevanter Prinzipien, die er auch auf das Staatsrecht anwendet (vgl. Τ 352f/306ff). Anders als die große Mehrheit seiner Vorgänger unterscheidet Hume strikt zwischen Gesellschaft und Regierung und verwirft die Fiktion einer nicht-gesellschaftlichen Vorgeschichte des Menschen. Hume sucht den Ursprung der Gerechtigkeit im Eigentum auf. Das heißt: als Nominalist versucht Hume, den Begriff der Gerechtigkeit (justice) durch unsere Verwendung des Wortes „Gerechtigkeit" in bezug auf die gesellschaftliche Regelungspraxis der Güterverteilung zu erklären (T 3.2.2).9 Dazu untersucht er zwei Leitfragen: Wie entwickeln sich Eigentumsregeln? und: Wie kommen wir dazu, solche Handlungen der Praxis gemäß moralisch zu loben bzw. Zuwiderhandlungen gegen die Praxis zu tadeln? Wir brauchen die Gesellschaft, um unsere natürliche Endlichkeit a b zugleichen: Als Einzelne haben wir zu viele Bedürfnisse, wie auch zu geringe Kraft und zu wenige Fertigkeiten, um die eigenen Bedürfnisse zuverlässig und ausreichend zu befriedigen. Nur in der Gesellschaft können wir unsere Kraft durch Zusammenarbeit vergrößern; durch Arbeitsteilung perfektionieren wir unsere Fertigkeiten; durch Zusammenarbeit vergrößern wir auch unsere Sicherheit gegen den Zufall. Aber wir müssen uns dieser Vorteile auch bewußt sein, um die Gesellschaft und die sie strukturierenden Praktiken aufrechtzuerhalten. Diese Bewußtwerdung fängt Obwohl Hume im ersten Buch des Treatise versucht, den Nominalismus zu rechtfertigen, hat er - von ihm selbst unbemerkt - alle Hauptprobleme des Nominalismus herausgearbeitet und ihn letztendlich widerlegt, auch aus Gründen, die Hegel im Kapitel „sinnliche Gewißheit" geltend macht (Westphal, 2005 b)! Persönliche Rechte auf z.B. körperliche Sicherheit erwägt Hume gar nicht. Er versteht Gerechtigkeit nur als Sachenrecht.
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schon in der Kindheit an, indem wir uns innerhalb der Familie an das Zusammenleben gewöhnen und uns vorbereiten, daran aktiv teilzunehmen. Aber unsere natürliche Selbstsucht und Parteilichkeit stehen größeren Gemeinschaften entgegen. Ihnen entgegen wirkt auch die leichte Ubertragbarkeit äußerlicher Güter. Unter Umständen der relativen Knappheit an solchen Gütern und aufgrund der begrenzten Freigebigkeit der Menschen brauchen wir eine Eigentumsordnung, um unsere Güterverteilung zu stabilisieren. Dies ist das erste Problem einer Sozialordnung, das nur durch eine gesellschaftliche Konvention gelöst werden kann. Es ist auch ein echtes Problem, weil der Hauptvorteil der Gesellschaft die Stabilität des Eigentums ist, obwohl die Hauptgefahr für die Gesellschaft zugleich die relative Knappheit und große Instabilität des Besitzes („leichte Übertragung") ist. (3.3.) Humes Lösung dieses Dilemmas ist künstlich, nicht nur, weil es durch eine von uns gemachte Konvention gelöst wird, sondern auch, weil unser natürliches, im wörtlichen Sinne „ungebildetes" Moralverständnis dieser Lösung entgegenwirkt, denn sie untermauert unsere Selbstsucht und Parteilichkeit, anstatt ihnen entgegenzuwirken (T 313f/231f). Humes Meinung hierzu läßt sich kurz anhand des Grundproblems der Naturrechtslehre Lockes verdeutlichen. Locke spricht uns im Naturzustand das Recht zu, rechtswidrige Handlungen zu bestrafen. 10 Aber aufgrund unserer Parteilichkeit, Selbstsucht und Lasterhaftigkeit gesteht Locke auch zu, daß wir im Naturzustand konventionswidrige Handlungen gar nicht rechtmäßig bestrafen können. 11 Aber „unrechtmäßiges Bestrafen" ist ein Unding. Darum können wir - gegen Locke - im Naturzustand überhaupt kein Strafrecht haben; im Naturzustand haben wir nur Rache, Selbstverteidigung und ihre kontra-gesellschaftlichen Auswirkungen. Hume zieht den treffenden Schluß: „Die Abhilfe entspringt also nicht aus der [sc. menschlichen bzw. weltlichen] Natur, sondern wird durch Kunst hervorgebracht, oder, richtiger gesagt, die N a t u r sorgt f ü r Abhilfe, indem sie uns das Unregelmäßige und Unzweckmäßige in unseren Zuneigungen beurteilen und verstehen lehrt." (T 314/232).
10 11
Locke, Two Treatises on Government, §§ 7, 8, 12. Locke, Two Treatises on Government, §§ 124ff, 128, vgl. § 13. Dies sind nach Locke eben jene „Unbequemlichkeiten" (inconveniences) des Naturzustandes.
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Das heißt, durch aufgeklärte Selbstsucht wie auch durch Sozialisierung und Gewohnheit sehen wir ein, daß wir einige unserer gegenwärtigen, aber nur vorübergehenden gesellschaftswidrigen Neigungen (Aneignungszwänge) aufgeben oder jedenfalls hemmen müssen, um die große Mehrheit unserer Neigungen auch in Zukunft befriedigen, wie auch die süßen Annehmlichkeiten unserer sozialen Verhältnisse weiterhin genießen zu können. (3.4.) Besonders wichtig in Humes Analyse der Eigentumsregeln ist, daß wir sie weder durch Vertrag, noch durch ein Versprechen, ja überhaupt nicht sprachlich etablieren. Stattdessen entwickeln sich die Eigentumsregeln als Handlungskonventionen, d.h. als eine gesellschaftliche Praxis: „Diese Konvention (convention)12 hat nicht den Charakter eines Versprechens·, auch das Versprechen entsteht [...] erst auf Grund einer Konvention; sondern eine solche Konvention beruht auf dem allgemeinen Bewußtsein des gemeinsamen Interesses; dies Bewußtsein geben sich alle Mitglieder der Gesellschaft wechselseitig kund und werden so veranlaßt, ihr Verfahren nach gewissen Normen 2u ordnen. Ich sehe, es liegt in meinem Interesse, einen anderen im Besitz seiner Güter zu lassen, vorausgesetzt., daß er in gleicher Weise gegen mich verfährt. Er seinerseits ist sich eines gleichen Interesses bei der Regelung seines Verhaltens bewußt. Wird dies Bewußtsein eines gleichartigen Interesses wechselseitig kundgegeben, ist es also beiden bekannt, so erzeugt es ein entsprechendes Wollen und Verhalten. Und dies kann füglich eine Konvention oder ein wechselseitiges Einverständnis genannt werden. Das Zwischenglied eines Versprechens ist dazu nicht erforderlich. Die Handlungen [sie.] eines jeden von uns beiden sind bedingt durch die Handlungen [sie.] des anderen und geschehen unter der Voraussetzung, daß auch von der anderen Seite etwas Bestimmtes geschieht. Auch wenn zwei Männer gemeinsam die Ruder eines Bootes bewegen, so tun sie dies auf Grund eines Einverständnisses oder einer Konvention, obgleich sie sich gegenseitig keine Versprechung gemacht haben." (T314/233, Herv. im Text). In dieser Passage betont Hume mehrfach, daß Konventionen aufgrund wechselseitiger Handlungen zustande kommen. Obwohl wir unser „Einver-
12
Lipps übersetzt „convention" durch „Übereinkunft". Das ist zwar kein Fehler, aber ich versuche nicht nur die Gemeinsamkeiten, sondern auch die Unterschiede zwischen den Humeschen „Konventionen" und den Hegeischen „Sitten" herauszuarbeiten. Dazu brauche ich die wörtliche Übersetzung des Humeschen Begriffs.
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ständnis" wechselseitig „kund geben" müssen, betont seine Anführung des Rudererbeispiels, daß diese Kundgabe nicht notwendigerweise in Sprachhandlungen bestehen muß. Auch hier ist Gewohnheit (custom) der Wegweiser im Leben.13 Diese gemeinsame Gewohnheit läßt sich nur durch wechselseitiges Verhalten äußern; es ist keine sprachliche Vermittlung dazu nötig. Die Eigentumsregel wird zuerst bloß als Verhaltenskonvention ermöglicht und dadurch etabliert. (3.5.) Aber damit, daß wir eine Güterverteilung, darunter das Eigentum anderer, achten müssen, ist noch nicht bestimmt, nach welchem Prinzip Güter als Eigentum verteilt werden sollen (T 323/247). Dies ist zumindest in der Analyse — wenn nicht auch zeitlich-historisch — betrachtet ein zweiter Schritt, der sich erst aufgrund des ersten als ein Problem einstellt, wohl aber auch als ein lösbares erscheint. Kurz gesagt ist nach Hume das einzige Verteilungsprinzip, das nicht zu gesellschaftszerstörenden Streitigkeiten führt, daß jedem Besitzer genau das als Eigentum zugerechnet werden soll, was er bereits besitzt (T 323/248). Dadurch wird der Besitz äußerer Güter nahezu so sicher gemacht wie die „festen und dauernden Vorzüge[] des Geistes und des Körpers" (T 314/232). (3.6.) Leider ist dieses Verteilungsprinzip zu streng. Die gegenwärtige Güterverteilung könnte nicht die vorteilhafteste sein und aller Wahrscheinlichkeit nach ist sie wegen verschiedener Zufälle der historischen Aneignung durch Menschen nicht optimal (T 330/260). So entspringt ein drittes Problem, das wiederum nur aufgrund der Lösung des zweiten entsteht, aber auch nur durch sie gelöst werden kann, nämlich durch ein Austauschprinzip: „daß Besitz und Eigentum beständig bleiben, außer wenn der Eigentümer einwilligt, sie einem anderen zu überlassen" (Γ 330/260). Diese Überlassung mag nun durch Geschenk, Ausleihung bzw. Güteraustausch stattfinden. Wichtig ist, daß sie nur aufgrund der ausdrücklichen Genehmigung des Eigentümers geschieht. (3.7.) Aufgrund der Zeitlichkeit und Räumlichkeit der Natur (z.B. beim Reifen bzw. Verderben von Lebensmitteln) wie auch der des Menschenlebens - so können wir nicht zugleich und am selben Ort arbeiten, sondern müssen an verschiedenen Orten und zu unterschiedlichen Zeiten arbeiten - ist es häufig unmöglich, Güter zugleich auszutauschen. Daraus ergibt sich ein viertes Problem, das sich nur aufgrund der vorigen drei Problemlösungen lösen läßt, nämlich durch das Versprechen und durch seine be13
Hume, Enquiries, S. 44/Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand, S. 46.
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sonders explizite Form, den Vertrag (Τ 335/270). Nur durch Versprechen und Vertrag ist es uns möglich, Güter zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten zuverlässig auszutauschen. Im Hinblick auf die vier vorigen Problemlösungen stellt sich das Erfordernis ein, das Versprechen einzuführen. Aber nur wenn wir über eigene Güter verfügen — Eigentum besitzen - ist es uns überhaupt möglich, etwas zu versprechen. Das Versprechen bloßer Dienstleistungen erwägt Hume nicht; aber man kann annehmen, daß die bloße Dienstleistung einer Person ohne Eigentum der anderen Person zwecklos wäre, wenn nicht gar unmöglich, weil die meisten Diensdeistungen in der Bearbeitung von etwas Besessenem bestehen. Ein Versprechen besteht nicht in der bloßen Satzformel, „Ich verspreche V auch nicht in dem Entschluß, dem Wunsch, dem Wollen bzw. der Absicht, eine zukünftige Handlung zur richtigen Zeit zu tun (bzw. zu unterlassen), sondern in der sich selbst auferlegten Verpflichtung, etwas in der Zukunft zu tun (T 332/263). Diese Verpflichtung, etwas Zukünftiges zu tun, besteht, sobald man jemandem gegenüber ein Versprechen äußert. Diese Verpflichtung regelt dann die Handlung bis zur Erfüllung der versprochenen Tat. Darum setzt das Versprechen schon ein Verständnis der Verpflichtung (vgl. unten § 4.), wie auch der das Versprechen regelnden Konventionen voraus. Aber diese Konventionen basieren bereits auf den oben (§§ 3.2.-3.6.) resümierten Konventionen. Deshalb beruht das Versprechen auch auf einer prinzipiengeregelten gesellschaftlichen Praxis. Das heißt: auch das Versprechen ist keine natürliche (institutionenunabhängige), sondern eine künstliche Einrichtung, eben eine Konvention. (3.8.) Es soll noch kurz ein weiterer Schritt des Gedankenganges von Hume betrachtet werden. Durch die oben skizzierten Überlegungen gewinnt Hume seine drei normativen Grundgesetze des Naturrechts, die er auch als „laws of nature" - als Naturgesetze - bezeichnet, „das der Sicherheit des Besitzes, das der Übertragung durch Zustimmung und das der Erfüllung von Versprechungen" (Γ 337/274). Aber aufgrund der menschlichen Natur gelten diese „Naturgesetze" nicht aus sich selbst heraus; sie verwirklichen sich nicht selbst, trotz ihres ungeheuer großen Vorteils für alle. Der Grund dieses Problems ist, daß der Vorteil konventionsgemäßer Handlungen — nämlich die Erhaltung der Gesellschaft, durch die allein wir die Vorteile, die die Einhaltung der drei Grundgesetze des Naturrechts gewähren, genießen dürfen - indirekt ist und auch mit der Zeit anscheinend verschwindet, insbesondere wenn sich die Gesellschaft differenziert und an Komplexität zunimmt (T 320/243). Die scheinbaren Vorteile einer
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jetzigen konventionswidrigen Aneignung (Diebstahl) sind dagegen direkt und unmittelbar, weil der Schaden anderen zufällt und daher vom Täter leicht unbeachtet bleibt. Daher neigen die Menschen dazu, das scheinbar direkte und unmittelbare dem echten, aber indirekten Interesse und den entfernter liegenden Folgen vorzuziehen. Um diese Naturgegebenheiten des Menschen auszugleichen und um die oben angeführten Eigentumsregeln aufrechtzuerhalten, wird die Regierung eingesetzt. Dazu stellt sie als erstes unparteiische Richter in öffentlichen Gerichtshöfen ein. Auf diese Weise entsteht die Rechtsausübung und damit können Rechtsentscheidungen gefallt werden, die schließlich eine für die Belange der Menschen höchst vorteilhafte Gesellschaft ermöglichen (T344f/286f). (3.9.) Es war im vorigen unvermeidlich, bereits vom Begriff „Recht" Gebrauch zu machen. Aber es ist für Hume sehr wichtig, das Interesse als Grundlage der Gesellschaft von der moralischen Verpflichtung zu unterscheiden (T 320/242). Bisher konnte daher eigentlich nur vom Interesse die Rede sein, um die Stufenleiter der Humeschen Analyse der praktischen Grundgesetze des Naturrechts möglichst klar zu verdeutlichen. Wir werden nun Humes Analyse der Grundlage der moralischen Verpflichtung kurz in Betracht ziehen.
4. Die Grundlage moralischer Verpflichtung bei Hume Hume erklärt moralisches Lob bzw. moralischen Tadel für konventionsmäßige bzw. -widrige Handlungen folgendermaßen (T 320f/242f): Wir erfahren selbst, daß Selbstsucht und begrenzter Großmut uns gesellschaftsunfähig machen, wie auch, daß die Gesellschaft für unser eigenes Leben und unser eigenes Wohlergehen vorteilhaft, ja unentbehrlich ist. Aber man selbst bemerkt in einer größeren Gesellschaft den Schaden und die Unordnung, die durch die eigenen Gesetzwidrigkeiten verursacht werden, nicht unmittelbar. Gleichwohl bemerken wir den Schaden, der durch die Konventionswidrigkeiten anderer entsteht, sehr wohl. Auch wenn der Schaden nicht unmittelbar uns selbst betrifft, empfinden wir ihn als unangenehm, weil er der Gesellschaft schadet und weil wir mit den Betroffenen sympathisieren. Allgemein ist nach Hume das, was für die Gesellschaft Unbehagen erregt, „Laster", während das, was Befriedigung
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verschafft, „Tugend" genannt wird. Deshalb ist unsere Sympathie mit dem öffentlichen Interesse die Quelle des moralischen Beifalls bzw. der Mißbilligung. Nur deshalb besinnen wir uns auf das moralisch Gute bzw. Böse hinsichtlich Gerechtigkeit und Rechtswidrigkeit. Diese moralischen Bewertungen wenden wir auch auf unsere eigenen Handlungen an und wir fühlen auch mit anderen mit und teilen ihre moralischen Gefühle, die sie für uns haben. Aus diesem Grunde fühlen wir uns moralisch verpflichtet, konventionsgemäß, aber nur mittelbar rechtsmäßig zu handeln. Diese Tendenzen, die sich in unserer menschlichen Natur, sogar im Eigennutz, verankert haben, werden auch durch Erziehung, Sozialisierung und besonders durch öffentliche Ansprüche weiter gestärkt und gefördert.
5. Kritische Überlegungen zur Rechtsphilosophie Humes (5.1.) Die neuzeitlichen Naturrechtslehren teilen die Aufgabe, nachweisen zu müssen, daß die Anforderungen des aufgeklärten Selbstinteresses mit denjenigen der Moralität weitgehend, wenn nicht völlig übereinstimmen. Deshalb müssen wir sorgfaltig untersuchen, wie und mit wieviel Tragfähigkeit eine Naturrechtslehre bzw. Moraltheorie zumindest diese drei Fragen beantwortet: (1) Identifiziert die Theorie die wesentlichen normativen Prinzipien bzw. Urteile? (2) Erklärt die Theorie unser Wissen von jenen Prinzipien oder Urteile, bzw. unsere sonstige Fähigkeit, sie zuverlässig zu verwenden? (3) Liefert die Theorie eine haltbare normative Rechtfertigung jener Prinzipien oder Urteile bzw. unseres Wissens von ihnen? Leider schwankt Humes Moraltheorie in der Beantwortung dieser Aufgaben, weil er nicht immer klar zwischen ihnen unterscheidet und auch seine eigenen Unterscheidungen nicht streng beachtet. 14 Genau diese drei Themen, (1) die Natur, (2) unser Wissen und (3) die Rechtfertigung morali-
14
Vgl. Harrison, 1976, bes. S. 110-125.
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scher Beurteilung, werden von Hume beispielsweise in dieser Passage vermischt: „Die unterschiedlichen Eindrücke, durch die wir das sittlich Gute und das sittlich Schlechte erkennen [sie.], sind also nichts anderes als besondere Lust- und Unlustgefühle; daraus folgt, daß es bei allen Untersuchungen über diese sittlichen Unterscheidungen genügt [sie.], wenn wir die Gründe aufweisen, die uns bei der Betrachtung eines Charakters Befriedigung oder Unbehagen empfinden lassen. Hierdurch wird uns dann auch klar, warum ein Charakter Lob oder Tadel verdient. Eine Handlung, ein Gefühl oder ein Charakter ist [sie.] tugendhaft oder lasterhaft. Warum? weil [sie.] seine Betrachtung eine besondere Art von Lust oder Unlust erzeugt. Wenn wir also einen Grund für diese Lust oder Unlust angeben, so erklären wir damit genügend [sie.] das Laster oder die Tugend. Unser Bewußtsein der „Tugend" besteht nur [sie.] darin, daß wir bei der Betrachtung eines Charakters eine besondere Art von Befriedigung^»/)/««." (T303/213; Herv. im Text).
Diese Passage beginnt mit Fragen der Moralepistemologie, geht aber gleich zur Frage des moralischen Verdienstes, d.h. der Richtigkeit bzw. Korrektheit jenes angeblichen Wissens sowie dann unmittelbar zur Frage der Natur von Tugend und Laster über. Hume will Tugend und Laster durch die Gefühle eines Beobachters und deren Gründe erklären. Aber am Ende der Passage kommt er zum Thema des moralischen Wissens zurück. (5.2.) Eine berühmte Bemerkung Humes besagt, daß die Vernunft die Naturgegenstände untersucht und entdeckt, wie sie eigentlich sind; daher ist unser Moralbewußtsein nicht der Vernunft, sondern dem Geschmack zuzurechnen, denn der Geschmack ist produktiv, indem er sozusagen „eine zweite Natur schafft", beispielsweise durch Vergoldung oder Bemalung von Naturgegenständen nach den von den inneren Gefühlen vorgestellten Farben. 15 Hume hat hiermit jedenfalls diese Wahrheit eingesehen: Isolierte, einzelne Gegenstände sind nicht als solche von moralischem Wert. Auch hat er erkannt, daß moralische Werte in Relation zu etwas bestimmt sein müssen. Aber sein resümierendes Schlußwort ist höchst irreführend, insofern es die Aufmerksamkeit davon ablenkt, daß die moralisch wertvollen Relationen nicht nur zwischen einzelnen Gegenständen und den Gefühlen eines einzelnen menschlichen Beobachters bestehen. Wie Humes Analyse der Gerechtigkeit zeigt (vgl. oben §§ 3., 4.), bestehen diese RelatilD
Hume, Enquiries, S. 294/Untersuchung über die Prinzipien der Moral, S. 145f.
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onen in Verhältnissen unter Sachen, Menschen, Gesellschaften und den sie strukturierenden Prinzipien und Praktiken. Wie Hume in der oben zitierten Passage (vgl. § 5.1.) am Ende zweimal betont, genügt es nicht, unsere Gefühle der Lust bzw. Unlust anzuführen; wir müssen auch einen „Grund" für diese Lust bzw. Unlust finden, um unsere moralischen Gefühle zumindest zu erklären. 16 Aber die starken, oben angeführten Thesen Humes (vgl. § 2.2.) - daß „das äußere Tun an sich [...] keinen [sie.] Wert" hat (T 307/219), und daß „[...] keine Handlung [...] recht und verdienstlich [ist] ohne ein besonderes Motiv, aus dem sie entspringt" (T 311/226) - werden zugleich durch seine eigene Analyse der Gerechtigkeit zurückgewiesen (vgl. oben §§ 3., 4.). Er selbst weist nach, daß das äußere gesetzwidrige Tun als Schädigung des Interesses anderer, wie auch als Schädigung der ganzen Gesellschaft als Rechtsordnung, die sich aus dem ersteren ergibt, durchaus negativen Wert hat, vollkommen unabhängig vom Motiv des Täters, abgesehen also davon, ob er nur aus Unaufmerksamkeit oder ob er aus Bösartigkeit handelt. Dies wird von Hume selbst hervorgehoben, dadurch daß er sich für den Regel- statt für den Handlungsutilitarismus erklärt, in dem das System der Rechtsordnung als ganzes seinen Wert beibehält und Vorteile ermöglicht, auch wenn einzelne Instanzen der Gerechtigkeit dem allgemeinen Wohl entgegenwirken. Die Gerechtigkeit, die darin besteht, auch einem Geizhals oder einem aufrührerischen Fanatiker sein großes Vermögen zurückzugeben, liegt demzufolge nicht in der Motivation des Rückgebenden (die Hume gar nicht erwägt), sei sie verdienstvoll und wohlwollend oder nicht, sondern darin, daß „das Eigentum [...] sicheren Bestand haben und [...] durch allgemeine Regeln festgestellt sein" muß (Γ 319/241). Auch wenn der Wert dieser Tat rein zweckrational ist, ist er doch innerhalb einer Rechtsordnung bedeutend. Aber der Wert solcher Handlungen ist der Humeschen Analyse zufolge ein durchaus moralischer, indem sie von unbetroffenen Beobachtern aus der Perspektive ihrer Rolle innerhalb der
16
Dieser Aspekt der Humeschen Moralphilosophie wird in der heutigen, besonders angelsächsischen Diskussion weitgehend ignoriert, besonders z.B. von Blackburn, 1993; Blackburn, 1998, der versucht, eine bloße „Projektionstheorie" moralischer Urteile auf Grundlage der Philosophie Humes zu errichten. Zur Einführung siehe Blackburn, 2002; kritisch dazu siehe Westphal, 1998 b, bes. § 5.3, Haie, 2002. Siehe auch unten § 5.4.
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Rechtsordnung im allgemeinen moralisch zu loben statt zu tadeln sind unabhängig vom Motiv des Täters. (5.3.) Möglicherweise erkennen wir das sittlich Gute bzw. Schlechte durch unterschiedliche Eindrücke von Lust bzw. Unlust, wie Hume meint. Aber selbst wenn dies der Fall ist, so folgt daraus nicht, daß eine Tat bzw. ein Charakter Lob oder Tadel verdient, bzw. tugend- oder lasterhaft ist, bloß weil ihre Betrachtung eine besondere Art von Lust oder Unlust erregt (T 303/213, vgl. oben § 5.1.). Denn nach Humes eigener Analyse von Gerechtigkeit gibt es einen sehr guten Grund, warum gewisse Handlungen Lob, gewisse andere aber Tadel verdienen, weil nämlich gewisse Handlungen gesetzmäßig, andere aber gesetzwidrig sind, wobei gesetzmäßige Handlungen sozialen Praktiken entsprechen, die für eine Gesellschaft samt ihren Mitgliedern in entscheidender Weise vorteilhaft sind. Dies sind Tatsachen ganz unabhängig davon, ob wir überhaupt auf Handlungen oder Charaktere durch Affekte reagieren. Unsere Gefühle können uns höchstens als moralische Erkenntnisquelle dienen, aber nicht als eine die Moral konstituierende Grundlage. Dies hat Hume selbst in der obigen Passage bestätigt. Sein zentraler Satz: „Eine Handlung, ein Gefühl oder ein Charakter ist [sie.] tugendhaft oder lasterhaft. Warum? weil [sie.] seine Betrachtung eine besondere Art von Lust oder Unlust erzeugt."(T 303/213).
steht im Text und der Analyse Humes nicht isoliert. Hume fährt fort: „Wenn wir also einen Grund [sie.] für diese Lust oder Unlust angeben, so erklären wir damit [sie.] genügend das Laster oder die Tugend."
Die Moraltheorie Humes beschäftigt sich also insbesondere mit der Auffindung der (angeblichen) Gründe unserer moralischen Gefühle. Aber diese Gründe sind nur für den Moraltheoretiker einsichtig. Die Alltagspraxis ist von solchen Entdeckungen kaum betroffen (T 302/211). Bei Hume sind moralische Gefühle grundsätzlich eine ausreichende Erkenntnisquelle für moralische Urteile: „Unser Bewußtsein [sie.] der „Tugend" besteht nur darin, daß wir bei der Betrachtung eines Charakters eine besondere Art von Befriedigung fühlen." (T 303/213; Herv. im Text).
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D.h. durch gewisse Gefühle erkennen wir, daß eine Tat tugend- oder lasterhaft, bzw. Recht oder Unrecht ist. Moralische Gefühle sind bei Hume moralische Indikatoren. Aber daß uns moralische Werte durch solche Gefühle bewußt werden, erkennen wir theoretisch nur durch Anführung des Grundes solcher Gefühle. (5.4.) Inwiefern gilt nun solche angebliche Erkenntnis durch Gefühle als moralisches Wissen? Hume vergleicht moralische Gefühle mehrfach mit sekundären Qualitäten, d.h., mit subjektiven, aber doch regelmäßigen, durch natürliche Gegenstände aufgrund fixierter Kausalgesetze verursachten Sinnesreaktionen, wie z.B. Farben oder Töne. Dieses Modell von die Wahrnehmung bestimmenden Kausalregeln wird von Hume weitgehend in seinem Aufsatz über Geschmacksurteile Of the Standard of Taste bestätigt und ergänzt.17 Dort gesteht Hume gleich zu Anfang zu, daß die Gefühlsgrundlage der Moralität voraussetzt, daß die menschliche Natur weitgehend uniform und stabil ist. Diese Gleichförmigkeit und Stabilität der menschlichen Natur will Hume hier durch den Kontrast zwischen einerseits dem großen und allgemein anerkannten Wert ausgezeichneter klassischer Kunstwerke, der konstant und unbestritten ist, und andererseits der völligen Umwandlung aller (angeblich rationaler) Spekulation in Theologie und Philosophie, aber auch in den Naturwissenschaften, sowie gleichermaßen in der Mode und den Sitten, ja selbst in der Moralität und im Anstandsgefühl aufweisen.18 Im Kontrast zu diesen Umwandlungen wird deutlich, daß die große und konstante Wertschätzung klassischer Kunstwerke deshalb gegeben ist, weil zwischen diesen Werken und der Natur des Menschen ein gewisses Verhältnis besteht, derart, daß ausgezeichnete Kunstwerke zu jeder Zeit sehr ähnliche, starke Gefühle des ästhetischen Wohlgefallens erregen. Jeder, der Kunstwerke genießt, erfährt solche Gefühle. Aber nur empfindsame und gebildete Experten sind in der Lage, Kunstwerke richtig (und darum wahrhaft) zu beurteilen und Laien zu erklären. Die Übereinstimmung in der Wertschätzung klassischer Kunstwerke zwischen diesen zwei Arten von Kunstfreunden, auch über die gesamte Menschheitsgeschichte hinweg, entstammt der Tatsache, die Hume fünf mal auf nur drei Seiten betont: daß nämlich unsere Gefühle von ästhetischer Lust bzw. Unlust genau wie unsere Sinneserfahrung von sekundären Qualitäten, durch primäre Qualitäten eines Gegenstandes, in diesem 17 18
Hume, Essays, moral, political, and literary, S. 226-249. Hume, Essays, moral, political, and literary, S. 242, 246
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Fall eines Kunstwerkes, ausgelöst werden.19 Deshalb sind auch unsere ästhetischen Gefühle regelmäßig und für gewöhnlich zuverlässige Indikatoren von nicht-mentalen, gegenständlichen Tatsachen. Wenn Humes Analyse des ästhetischen Urteils auch als Modell für das moralische Urteil gültig ist - was von Hume nur implizit, dennoch aber klar in seinem Aufsatz beabsichtigt wird —, dann können unsere Gefühle moralischer Lust bzw. Unlust wohl als moralische Erkenntnisquelle oder jedenfalls als zuverlässige moralische Indikatoren dienen. Es wäre eine schöne These, daß bereits Hume eine Zuverlässigkeitstheorie (Reliabilismus) moralischer Erkenntnis entwickelt hat. Aber dem steht die einfache Tatsache entgegen, daß Hume gerade in diesem Aufsatz behauptet, daß auch die Moralität unter diejenigen historisch-gesellschaftlichen Phänomene zu zählen sei, die starke Umwandlungen durch die Geschichte erfahren haben. Trotz seiner Behauptung, daß Moralprinzipien nicht dem ständigen und tiefgreifenden Wandel und Wechsel der Spekulation unterworfen sind, muß Hume doch, weil er parallel die Lasterhaftigkeit in der Darstellung lasterhafter Sitten in Kunstwerken nicht als 19
Die fünf Textstellen sind folgende: „The relation, which nature has placed between the form [sc. of the object] and the sentiment [...] " (Hume, Essays, moral, political, and literary, S. 233); „[...] the beauties, which are naturally fitted to excite agreeable sentiments [...]" (Hume, Essays, moral, political, and literary, S. 233); „It appears then, that, admidst all the variety and caprice of taste, there are certain general principles of approbation or blame, whose influence a careful eye may trace in all operations of the mind. Some particular forms or qualities [sc. of objects], from the original structure of the internal fabric, are calculated to please, and others to displease; and if they fail of their effect in any particular instance, it is from some apparent defect or imperfection in the organ. [...] In each creature, there is a sound and a defective state; and the former alone can be supposed to afford us a true standard of taste and sentiment" (Hume, Essays, moral, political, and literary, S. 233); „[...] some objects, by the structure of the mind, [are] naturally calculated to give pleasure" (Hume, Essays, moral, political, and literary, S. 234); „Though it be certain, that beauty and deformity, more than sweet and bitter, are not qualities in objects, but belong entirely to the sentiment, it must be allowed, that there are certain qualities in objects, which are fitted by nature to produce those particular feelings" (Hume, Essays, moral, political, and literaiy, S. 235). Diese klaren und äußerst emphatischen Äußerungen Humes, daß die Kunstschönheit eine tertiäre Qualität ist, werden von Blackburn, 1993; Blackburn, 1998 völlig außer acht gelassen (vgl. Westphal, 1998, S. 49 Anm. 103).
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wesentlichen ästhetischen Defekt einschätzt,20 zugestehen, daß auch die Moralprinzipien starken historischen Wandlungen unterworfen sind. Das bedeutet nicht, daß er die obige Deutung des Moralurteils durch das Modell des ästhetischen Urteils verwerfen muß, sondern nur, daß diejenigen moralischen Tatsachen, die angeblich durch moralische Gefühle angezeigt werden, zu anderen Zeiten bzw. in anderen geographischen Regionen unterschiedlich bewertet wurden oder werden. Diese Beobachtung führt zugleich zu der Frage, inwieweit und auf welche Weise Hume unsere auf Gefühl gegründeten moralischen Urteile normativ gerechtfertigt hat. (5.5.) Jene drei „Naturgesetze" oder normativen Grundgesetze des Naturrechts gelten nach der Analyse Humes als legitim, weil sie für die Gesellschaft unentbehrlich sind und weil die Gesellschaft für uns unentbehrlich ist (vgl. oben § 3.). Aber die Sache ist nicht so einfach, wie Hume meint, und zwar aus zwei Gründen: Erstens führt die Güterverteilungsregel, daß jeder genau das als Eigentum behalten soll, was er bereits besitzt (vgl. oben § 3.5.), nur zu einem plausiblen Ergebnis unter der Voraussetzung, daß bei Beginn der Herausbildung der organisierten Gesellschaft die Güter ausreichend gleich verteilt waren.21 Aber eine solch wohlwollende Annahme führt selbst nur dann auf ein „richtiges" - oder zumindest plausibles - Ergebnis, wenn die ursprünglich fehlende normative Rechtfertigung der Gleichheit der Güterverteilung durch ein unterstützendes Prinzip aufgeklärt werden kann.22 Dieses Problem wird auch nicht durch das dritte Grundgesetz, das der Güterübertragung nur bei Genehmigung des Eigentümers (vgl. oben § 3.5.), gelöst, weil es eine ungefähr gleiche Güterverteilung nicht fördert bzw. nicht herbeiführt. Die „Gerechtigkeit" dieser zwei Prinzipien kann ohne weiteres durch mächtige Mitglieder einer Gesellschaft - ob Einzelne oder Gruppen - zerstört werden.23 Aber Hume selbst hat diese Schwäche bemerkt, wie einige Stellen im Enquiry concerning the Prnciples of Morals zeigen, indem er nämlich einräumt, daß wirkliche Rechtsordnungen häufig zur Ausbeutung von Frauen, Armen wie auch besonders Sklaven geführt haben.24 Die drei Humeschen Grundgesetze 20 21 22 23 24
Hume, Essays, moral, political, and literary, S. 246. Baier, 1991, S. 239. Diese Sachlage wird von Baier, 1991, außer acht gelassen. Baier, 1991, S. 238. Hume, Enquiries, S. 191, 194/ Untersuchungen über die Prinzipien der Moral, S. 28, 31; Baier, 1991, S. 238f.
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des Naturrechts genügen also nicht zur Bestimmung einer im wahren Sinne rechtmäßigen Rechtsordnung; daher reichen sie auch nicht dazu aus, eine solche Rechtsordnung zu rechtfertigen. Dazu ist eine normative Rechtfertigungsstrategie nötig, nicht bloß eine Erklärung unserer Moralgefühle bzw. moralischen Urteile. Nur dieses letzte, nicht jedoch das vorige liefern die wissenschaftlichen Erklärungsabsichten Humes (vgl. oben § l.). 25 (5.6.) Wie anfangs (§ 1.) herausgestellt wurde, behauptet Hume: obwohl die „Regeln der Rechtsordnung künstlich sind, so sind sie doch nicht willkürlich." (T 311/227; Herv. im Text) Nur deshalb gelten sie als normative Grundgesetze des Naturrechts. Obwohl Humes drei „Naturgesetze" sicherlich für jede Gesellschaft notwendig sind (vgl. § 3.), haben wir nun gesehen, daß sie keineswegs zu einer Rechtsordnung im Vollsinn hinreichend sind (vgl. § 5.5.). Dieses Ergebnis entspricht auch Humes Zugeständnis, daß sich, anders als die Hochschätzung klassischer Kunstwerke, die Moralität durch die Menschheitsgeschichte hindurch stark gewandelt hat (vgl. § 5.4.). Aber für dieses Ergebnis gibt es in Humes Moralphilosophie einen tiefer liegenden Grund: „Alles aber an menschlichen Handlungen, das bei der einfachen [uninteressierten] Betrachtung Unbehagen erregt, wird Unrecht genannt; und alles, was unter der gleichen Voraussetzung Befriedigung erzeugt, nennen wir [sie.] Tugend." (T 320/243).
Diese nominalistischen Benennungen sind für Humes „Eklärung" davon, wie und warum gewisse Gefühle als moralische gelten (vgl. oben § 4.), unentbehrlich und absolut grundlegend. Ohne diese Prämissen hat Hume keine Erklärung anzubieten. Hume bestätigt diese These, wenn er schreibt: „Dies ist der Grund, weshalb das Bewußtsein des moralischen Rechtes und Unrechtes mit der Festhaltung der Rechtsordnung und Rechtswidrigkeit verbunden ist." (T320/243).
Der Moralphilosophie Humes zufolge gäbe es ohne unsere Benennungen überhaupt keine Moralität, keine besonderen moralischen Gefühle, wie auch keine moralische Verpflichtung (vgl. oben § 4.). Das Problem des Nominalismus in der Moraltheorie liegt auf der Hand: Was „mora25
Hume, Essays, moral, political, and literaiy, S. 14-31.
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lisch" genannt wird, läßt sich auch umbenennen. Solches ist in der Geschichte auch tatsächlich geschehen; derartige Beispiele sind nicht nur in unterschiedlichen Formen des Totalitarismus im 20. Jahrhundert - ob linkem oder rechtem — zu finden. Humes Nominalismus steht seiner Behauptung, daß die drei Grundgesetze des Naturrechts „nicht willkürlich" sind, diametral entgegen. Der Nominalismus kann der Willkürlichkeit unserer Benennungen nicht entgehen: Sobald diese Willkürlichkeit durch Anführung eines nicht-willkürlichen Grundes aufgehoben wird, beziehen sich unsere Benennungen auf nicht-konventionelle Tatsachen; daduch aber wird der Nominalismus unvermeidlich aufgegehoben. Eine haltbare normative Rechtfertigungsstrategie findet man in nominalistischen Moralphilosophien - ob Humes oder anderer - nicht. Sofern Hume sich mit der Untersuchung und Erklärung der menschlichen Moralität beschäftigt, stellt diese Diagnose keine Kritik dar, leider aber sind die rein deskriptiven, wissenschaftlichen Hauptabsichten Humes in der Moralphilosophie (vgl. oben § 1 .)26 von heutigen Anhängern der Humeschen Moralphilosophie (Moral-Humeanern) weitgehend unbeachtet geblieben.
6. Die Rechtsphilosophie Hegels im Hinblick auf Hume (6.1.) Die Stufenleiter in Humes Problemstellungen und -lösungen (vgl. § 3.) weist eine gewisse Gestaltung auf, wie Baier mit Bezug auf seine drei Grundgesetze des Naturrechts bemerkt: „The reflexivity increases as the general agreements succeed one another, correcting for their predecessors' limitations."27 „I have emphasized the dynamics and dialectical character of Hume's account. There is not one problem of cooperation; there are many, and the solution to
26 27
Hume, Essays, moral, political, and literary, S. 14-31. Baier, 1991, S. 243.
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one creates the conditions for the emergence of different and sometimes tougher ones." 28
Kin solches Verfahren ist wohl auch in der Rechtsphilosophie Hegels zu finden, wenngleich in viel weiter entwickelter und raffinierterer Form.29 Jedoch teilt Hegel das Grundmodell solch eines dialektischen Verfahrens nicht nur mit Hume, sondern auch mit Kant,30 wie auch teilweise mit den früheren Naturrechtslehren. Die Grundprobleme, die eine Naturrechtslehre zu lösen hat, sind durch unsere menschliche Endlichkeit gesetzt: Zunächst braucht ein jeder Mensch Platz, Luft und Lebensmittel, wie auch Gesellschaft. Aber genau deshalb brauchen wir auch Konventionen, um die daraus entstehenden Probleme der Sozialordnung zu lösen. Solche Konventionen bestehen in Prinzipien - ob implizite oder explizite - , die unsere gesellschaftlichen Praktiken leiten und dadurch eine Gesellschaftsordnung zustande bringen. Aber diese Praktiken müssen auch die Gesellschaft bewahren; so hat Frieden einen Vorrang bei Verwirklichung dieser Prinzipien in der Praxis, weil er Stabilität gewährleistet. Deshalb sind diese Rechtsprinzipien und -praktiken für uns Menschen notwendig. (6.2.) Hume betont mehrfach und dies sehr nachdrücklich, daß eine Gesellschaft ohne Konventionen unmöglich ist; wir brauchen sie dringend, um verschiedene Handlungen zu ermöglichen, dazu zählen insbesondere die Bewahrung des Eigentums, Güteraustausch, Versprechen, Vertrag und Erlaß und Erzwingung des öffentlichen Rechts durch die Regierung, in unparteiischen und damit gültigen Rechtsurteilen. Die der Gesellschaft unentbehrlichen Konventionen bzw. Gesetze sind Bedingungen der Ermöglichung vieler uns unentbehrlicher Tätigkeiten. Weil diese Tätigkeiten es uns ermöglichen, die eigenen Zwecke zu erreichen, bilden Konventionen und die darauf gegründete Gesetzgebung — zumindest in diesem zweckrationalen Sinn - Bedingungen der Ermöglichung individueller freier Tätigkeiten. Das Gesetz ist nicht bloß Hemmung menschlicher Tätigkeit; Handlungsfreiheit besteht nicht bloß in Bereichen, in denen uns das Gesetz nichts vorschreibt, wie es von Hobbes und noch immer von heutigen liberalen Individualisten begriffen wird, die meinen, Freiheit bestehe im ,Schweigen der Gesetze'. Weil die Gesetzgebung grundlegende 28 29 30
Baier, 1991, S. 248. Westphal, 1993 a; Westphal, 1993 b. Westphal, 1997; Westphal, 2002 c.
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Bedingung der Möglichkeit verschiedener Tätigkeiten, die sonst nicht möglich wären, ist, weil sie viele für uns unentbehrliche Tätigkeiten (am Beispiel des Eigentums: seine Aneignung, seinen Austausch und den Vertrag) überhaupt erst konstitutiert, bildet sie ein künstliches, von uns gemachtes Reich der Freiheit des tätigen Einzelnen, wie auch eine tätige Gesellschaft. Das ist keineswegs eine bloße Ausdehnung vorpositiver Freiheiten bzw. Rechte. Daß die Gesetzgebung ein ganzes Reich freier Handlungen konstitutiert, ist wohl Juristen und in der Regel auch Rechtsanwälten längst bekannt; leider aber wird diese wichtige Tatsache von Rechtsphilosophen, darunter besonders von denjenigen, die sich mit politischer Philosophie beschäftigen, noch immer außer acht gelassen. Für die Rechtsphilosophie Hegels ist diese sehr wichtige Einsicht dagegen grundlegend. (6.3.) Aus diesem Zusammenhang erhellt sich Hegels Interesse an der geschichtlichen Entwicklung gesellschaftlicher Sitten. „Sitten" bestehen bei Hegel in Prinzipkonventionen, die in sozialen Praktiken verwirklicht werden. Diese Sitten lassen sich als Versuche oder Strategien verstehen, menschliche Vernunft und Freiheit zu entwickeln, auch oder sogar besonders im Falle der ökonomischen Praktiken einer Gesellschaft. Wie Hume teilt auch Hegel die stärkere Betonung der Rationalität menschlicher Praxis, die neuzeitliche Naturrechtslehren im Vergleich zu philosophischen Moraltheorien auszeichnet. Wie Hume legt auch Hegel großes Gewicht auf die Rationalität menschlicher Praxis, die einer rationalen geschichtlichen Entwicklung Platz macht, und die der Betrachtung unserer gesellschaftlichen Institutionen durch alle neuzeitlichen Naturrechtstheorien menschlicher Institutionen durchgehend implizit ist.31 Hegel verwechselt die historische Entstehung der Sitten jedoch keineswegs mit ihrer normativen Rechtfertigung. Denn zum einen können positive Rechtsbestimmungen höchst ungerecht sein, zum anderen führt die Herleitung eines Gesetzes aus seinen historischen Umständen zu seiner Delegitimierung, weil diese historischen Umstände bereits vergangen sind. In diesem Zusammenhang unterscheidet Hegel ausdrücklich zwischen der normativen „Rechtfertigung" eines Gesetzes und der Darstellung des „Geschichtlichen" seines „Hervortretens".32 Damit widerlegt Hegel gerade nicht nur die historische Schule der Rechtswissenschaft, 31 32
Buckle, 1991, S. 254. Hegel, Rechtsphilosophie, § 3 Anm., S. 35.
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sondern den ganzen Konservatismus in bezug auf Rechtslegitimität; solches ist jedoch bei Hume der Fall (T 356/309). Dadurch macht Hegel einen großen und entscheidenden Schritt weit über die Erklärungsabsichten Humes hinaus (vgl. §§ 3., 4., 5.4.-5.6.). Daraus erklärt sich auch Hegels großes Interesse für die Spannung zwischen positivem Recht und Naturrecht in der Tragödie Antigone, in der Kreon das bloß positive Recht, Antigone das Naturrecht vertreten. Das Naturrecht beansprucht die Konventionsunabhägigkeit, Nichtwillkürlichkeit und darum normative Legitimität des Rechts. Die Spannung zwischen positivem und vorpositivem Recht bildet das sachliche Hauptinteresse Hegels an dieser Tragödie.33 Auch in dieser Hinsicht ist die Entstehung des römischen Naturrechts inmitten der weltgrößten, rein positiven Rechtsordnung, derjenigen des römischen Reiches, für Hegel von besonderer Wichtigkeit. Dies gilt auch obwohl Hegel in einigen Anmerkungen seiner Rechtsphilosophie die Einschränkungen und Defekte des römischen Rechts betont, um die historische Schule der Rechtswissenschaft, besonders in bezug auf die Freiheit und Gleichheit moderner Menschen, in impliziter Kritik wiederholt zurückzuweisen.34 (6.4.) Die Notwendigkeit einer normativen Rechtfertigung der basalen Rechtsprinzipien erweist sich hierdurch als dringendes Problem der Humeschen Rechtsphilosophie, das von ihm ungenügend gelöst wird (vgl. oben § 5.). Die Lösung muß dieser Untersuchung nach zwar „künstlich", aber sie darf nicht willkürlich sein (vgl. oben §§ 1., 5.6., 6.3.). Im Hinblick auf Humes Kritik am naturalistischen Fehlschluß kann sie nicht in einem rein empirischen Verfahren bestehen. Im Hinblick auf Humes Kritik am rein deduktiven Modell der Vernunft, darf sie auch nicht rein deduktiv sein. Im allgemeinen teilt Hegel die Einwände Humes gegen andere normative Rechtfertigungsstrategien in der praktischen Philosophie (vgl. oben §§ 2.1., 3.4., 3.7.). Eine Richtung der nicht-Humeschen Lösung des Problems der normativen Rechtfertigung praktischer Prinzipien läßt sich als „Konstruktivismus" bezeichnen. Diese Richtung ist in der heutigen Moralphilosophie sehr weit verbreitet. Eine besonders starke, eigentümliche Variante des Konstruktivismus, auf die ich hier nur am Rande verweisen möchte, ist 33
34
Westphal, 2002 b, S. 165 Anm. 22,172f Anm. 33; Westphal, 2003, S. 28 Anm. 17, 31 Anm. 6. Hegel, Rechtsphilosophie, § 3 Anm., S. 40, § 357, S. 511; Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, 12:32, 134,138, 349.
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diejenige Kants, wie erst kürzlich von Onora O'Neill herausgearbeitet wurde. 35 Diese Form des Konstruktivismus wurde aber auch bereits von Hegel in Kants Moraltheorie aufgefunden und von ihm in seine eigene Rechtsphilosophie übernommen und weiterentwickelt. 36 So wird beispielsweise die kontraktualistische Theorie der Einwilligung von Kant durch die basale Rolle des möglichen Zusammenbestehens menschlicher Maximen bzw. äußerer Handlungen ersetzt. Kants Grundprinzip ist dabei modal, wie Onora O'Neill es zugespitzt formuliert: „His basic thought is that when we think that others cannot adopt, a fortiori cannot consent to, some principle we cannot offer them reasons for doing so."37
„Annehmen" {adopt) heißt hier, eben diesem Prinzip in Gedanken und in der Praxis folgen können. Der Konstruktivismus in dieser Form rechtfertigt die Objektivität und Begründbarkeit praktischer handlungsleitender Prinzipien, ohne moralische Tatsachen — ob natürliche oder nicht-natürliche - heranzuziehen. 38 Dies Begründungsprinzip richtet sich an jeden Menschen als solchen. Nach Kant gibt es keinen öffentlichen Gebrauch der Vernunft ohne jenes Prinzip, das für sich keine bestimmte Autorität ob nun ideologischer, religiöser oder sozial-historischer Art - voraussetzt. Darin besteht die normative Autonomie der Vernunft. Kants Prinzip ist äußerst streng. Ihm zufolge sind Rechtsnormen dadurch konstituiert (oder bestimmt), daß wir das allgemeine Rechtsprinzip - „eine jede Handlung ist recht, die oder nach deren Maxime die Freiheit der Willkür eines jeden mit jedermanns Freiheit nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann" 39 - und das Prinzip hypothetischer Imperative - „wer den Zweck will, will auch (der Vernunft gemäß nothwendig) die einzigen Mittel, die dazu in seiner Gewalt sind" - auch in Anbetracht der allgemein menschlichen Fähigkeiten und Endlichkeiten ohne Ausnahme auf praktische Fragen und Aufgaben des Menschen anwenden. 40 Die Gefahr der Willkürlichkeit der Rechtsprinzipien wird dadurch umgangen, daß sich die legitimen 35 36 37 38 39 40
O'Neill, 1989; O'Neill, 1996; O'Neill, 2000; O'Neill, 2002 a; O'Neill, 2002 b. Westphal, 2003 b. O'Neill 2000, S. 200. O'Neill, 1989, 2002 b. Kant, Metaphysik der Sitten, ΑΑ VI, 230. Westphal, 1997; Westphal, 2002 c.
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Rechtsnormen als diejenige erweisen, für die wir jedem Betroffenen hinreichende normative Rechtfertigungsgründe anbieten können. Hierdurch werden Maximen, die unmoralisch sind, wie Gewalttätigkeit, Lüge, Ausbeutung, Nötigung, Betrug, unmittelbar als nicht-legitim ausgeschlossen, weil sie die bloße Möglichkeit der Mitteilung zureichender Rechtfertigungsgründe, der Zustimmung bzw. der Annahme derselben Maxime durch das Opfer, ausschließen. Deshalb ist die Achtung gegenüber jeder Person als frei handelndes Vernunftwesen in diese konstruktivistische Methode der Rechtfertigung basal eingebettet, ohne die umstrittene These des unbedingten, unverfügbaren Wertes des Menschen heranziehen zu müssen. Die Rechtsphilosophie Hegels folgt, in aller Kürze gesprochen, den Problemstellungen der neuzeitlichen Naturrechtslehren, beispielsweise Humes (vgl. oben §§ 3., 6.1.), um sie als unumgänglich nachzuweisen. Aber die Prinzipien, die diese Probleme als einzige legitim lösen können, werden von Hegel durch die konstruktivistische Rechtfertigungsmethode Kants bestimmt. Im wesentlichen will Hegel die Kantische Konstruktionsstrategie mit den Problemstellungen der neuzeitlichen Naturrechtslehre, samt ihrer Betonung der menschlichen Praxis, auch in der Geschichte, verknüpfen, um den „leeren Formalismus" der ausdrücklich „metaphysischen" Moralprinzipien Kants zu verbessern, indem er davon ausgeht, daß die Verwirklichung der Autonomietheorie Kants in der menschlichen Gesellschaft stattfindet. 41 Deshalb integriert die Sittlichkeit im Hegeischen Sinne die Normativität des Kantischen Konstruktivismus in das lebendige, konkrete Leben in der Gesellschaft, das er viel tiefgehender herausgearbeitet hat als die neuzeitlichen Naturrechtslehren.
7.
Schluß
Hume betrachtet sich als Naturrechtslehrer, obwohl er eine solche nur en passant angedeutet hat.42 Hegel hat durch seinen Untertitel ausdrücklich 41
42
Hegel, Rechtsphilosophie, § 135 Anm. Vgl. dazu Westphal, 1993 a; Westphal, 2003 b; Westphal, 2005 a. Buckle braucht ein ganzes Buch, um die Moraltheorie Humes als eine Naturrechtslehre nachweisen zu können. Buckle, 1991, 234f, 298.
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darauf hingewiesen, daß auch seine Rechtsphilosophie eine Naturrechtslehre ist. Leider wird dieser wichtige Hinweis in der Sekundärliteratur k a u m einmal zur Kenntnis g e n o m m e n . Hier konnte ich nur einige wichtige Aspekte der Hegeischen Rechtslehre hervorheben, u m ihre Zugehörigkeit zur Naturrechtstradition hervorzuheben. 4 3 O b w o h l kurz u n d skizzenhaft, h o f f e ich, durch diesen Beitrag nachgewiesen zu haben, daß wir durch Berücksichtigung der neuzeitlichen Naturrechtslehren unentbehrliche Ansätze z u m Verständnis der Hegeischen Rechtsphilosophie gewinnen, die insbesondere die Normativität seiner Rechtslehre zur Klarheit bringt, auch i m heutigen Kontext. 4 4
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Vgl. auch Westphal, 2005 a. Ich möchte mich an dieser Stelle bei Herrn Professor Düsing für Anregungen in Diskussionen und durch seine Forschungen bedanken. Den Herausgebern dieses Bandes sei für die sprachliche Überarbeitung meines Beitrages gedankt.
V o n der Konvention zur Sittlichkeit
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WESTPHAL, K .
Dritter Teil Transzendentalphilosophische und idealistische Ethikbegründung
Sittlichkeit und Freiheit in Kants Grundlegung Manfred
Baum
I. Die Grundlegung t(ur Metaphysik der Sitten von 1785 ist die erste moralphilosophische Schrift, mit der Kant nach der kritischen Wende von 1781 an die Öffentlichkeit trat. Ihre Wirkung auf die philosophischen Zeitgenossen und ihr bis heute sich erstreckender Einfluß auf das Verständnis der Kantischen Moral waren und sind unabsehbar. In der Kritik der praktischen Vernunft (1788) hat Kant selbst der Grundlegung %ur Metaphysik der Sitten die Funktion zugeschrieben, „mit dem Princip der Pflicht" „eine vorläufige Bekanntschaft" zu vermitteln und „eine bestimmte Formel desselben" [statt: derselben] anzugeben und zu rechtfertigen (AA V, 8).1 Erläuternd fügt Kant hinzu, daß in dieser Schrift „kein neues Princip der Moralität, sondern nur eine neue Formel aufgestellt worden" sei, wie ein Rezensent richtig bemerkt habe: „Wer wollte aber auch einen neuen Grundsatz aller Sittlichkeit einführen [...]? gleich als ob vor ihm die Welt in dem, was Pflicht sei, unwissend oder in durchgängigem Irrthume gewesen wäre" (ebd.). Seine neue Formel bestimme ganz genau, was Pflicht sei und zwar „in Ansehung aller Pflicht überhaupt" (ebd.). Nach Kants Urteil enthält die Grundlegung \-ur Metaphysik der Sitten also die Darlegung und Verteidigung einer neuen Formel des alten Prinzips aller Pflichten, nämlich des Prinzips der Moralität oder des Grundsatzes aller Sittlichkeit. Diese Bestimmung ihrer Aufgabe stimmt mit dem überein, was Kant in der Vorrede zur Grundlegung %ur Metaphysik der Sitten über deren „Hauptfrage" sagt: „Gegenwärtige Grundlegung ist aber nichts mehr, als die Aufsuchung und Festsetzung des obersten Princips der Moralität, welche alIch zitiere Kant nach der Akademie-Ausgabe, Kant's Gesammelte Schriften (AA) unter Angabe von römischer Band- und arabischer Seitenzahl.
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Manfred Baum
lein ein in seiner Absicht ganzes und von aller anderen sittlichen Untersuchung abzusonderndes Geschäft ausmacht." (AA IV, 392) Wenn aber das oberste Prinzip der Moralität oder Sittlichkeit zugleich das Prinzip aller Pflichten ist, dann scheint es auch das Prinzip der Moral insgesamt zu sein, sofern diese, als reine Moralphilosophie, „Metaphysik der Sitten" genannt werden kann. Und so nennt Kant im zweiten Abschnitt der Grundlegung %ur Metaphysik der Sitten das oberste Prinzip der Sittlichkeit auch einfach das „Princip der Moral" (AA IV, 440) und im dritten Abschnitt „das moralische Gesetz" (AA IV, 449f). Man könnte meinen, daß Kant hier unter „Moral" einfach dasselbe verstanden habe, was er sonst „Ethik" nennt, nämlich denjenigen Teil der „Sittenlehre", der von Pflichten handelt, die nicht unter äußeren Gesetzen (des Rechts) stehen können (vgl. AA VI, 220, 379). Das widerspricht aber nicht nur Kants oben zitierter Aussage, daß sein Prinzip der Pflicht „in Ansehung aller Pflichten überhaupt" gelte, sondern auch dem in der Grundlegung %ur Metaphysik der Sitten selbst bekanntgegebenen Plan: „Im Vorsatze nun, eine Metaphysik der Sitten dereinst zu liefern, lasse ich diese Grundlegung vorangehen." (AA IV, 391) Zwar sagt Kant an späterer Stelle, er behalte sich „die Eintheilung der Pflichten" für seine künftige Metaphysik der Sitten vor (AA IV, 42In), aber daß sich unter den Pflichten, die er an vier Beispielen erörtert, auch eine äußere oder Rechtspflicht befindet, ist offensichtlich. Es ist die „schuldige Pflicht gegen andere", kein lügenhaftes Versprechen (mir etwa Geld zu borgen und zu „versprechen es zu bezahlen, ob ich gleich weiß, es werde niemals geschehen" (AA IV, 422)) abzugeben. Verwiesen wird dabei auf die gleichartigen „Beispiele von Angriffen auf Freiheit und Eigenthum anderer", also Übertretungen der „Rechte der Menschen" (AA IV, 430), die eindeutig zur juridischen Gesetzgebung der Vernunft gehören. Auch die Rechtspflichten gehören demnach zu denen, deren korrespondierende Imperative sich „alle" aus Kants oberstem Prinzip der Moralität ableiten lassen (AA IV, 421). Das würde bedeuten, daß die reine Moralphilosophie oder Metaphysik der Sitten insgesamt von einem Prinzip abhängig wäre, das als Prinzip der Sittlichkeit, wie wir sehen werden, pflichtmäßiges Handeln aus Pflicht gebietet, was zu bedeuten scheint, daß die Ethik, die doch nur einen der beiden Teile der Metaphysik der Sitten ausmacht, auch die ihr entgegengesetzte Rechtslehre (ius) umfaßte. In welchem Sinne das der Fall ist, ergibt sich aus Kants Metaphysik der Sitten selbst. Dort heißt es, „die ethische Gesetzgebung [...] geht auf alles, was Pflicht ist, überhaupt", da sie „die Pflichten, die auf einer anderen,
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nämlich äußeren Gesetzgebung beruhen, als Pflichten in ihre Gesetzgebung zu Triebfedern [mit-]aufnimmt." (AA VI, 219) Das folgt daraus, daß es auch schon zur „gemeinen Idee der Pflicht und der sittlichen Gesetze" (AA IV, 389), von denen Kant in der Grundlegung %ur Metaphysik der Sitten ausgeht, gehört, pflichtmäßige Handlungen, d.h. Pflichten, „aus Pflicht" zu begehen, und pflichtwidrige Handlungen ebendarum zu unterlassen, weil sie „der Pflicht" widersprechen. „Hieraus ist zu ersehen, daß alle Pflichten [d.h. auch Rechtspflichten und die möglichen Pflichten gegenüber Gott] bloß darum, weil sie Pflichten sind, mit zur Ethik gehören; aber ihre Gesetzgebung ist darum nicht allemal in der Ethik enthalten [...]." (AA VI, 219).
In diesem Sinne kann also Kants oberstes Prinzip der Moralität oder Sittlichkeit sich auch auf Rechtspflichten erstrecken, sofern es möglich ist, daß diese „aus Pflicht" erfüllt werden oder das Bewußtsein, daß sie Pflichten sind, als Triebfeder ihrer Befolgung ausreicht. Die zweite Bemerkung, die Kant in der Vorrede der Kritik der praktischen 1/ernunft hinsichtlich der Grundlegung %ur Metaphysik der Sitten macht, ist von weiter reichender Bedeutung für das Verständnis von Kants Konzeption von Sittlichkeit und der Eigentümlichkeit ihrer Darlegung in dieser Schrift. Ein Rezensent der Grundlegung %ur Metaphysik der Sitten, Hermann Andreas Pistorius, hatte Kant in der Allgemeinen deutschen 'Bibliothek (Mai 1786) kritisiert: „Hiebey [sc. bei Prüfung des befremdlichen Grundsatzes „zur Schätzung des Werths des Willens" am Anfang des ersten Abschnitts der Grundlegung ψτ Metaphysik der Sitten\ wünschte ich nun, daß es dem V. beliebt hätte, vor allen Dingen den allgemeinen Begriff von dem, was gut ist, zu erörtern, und was er darunter versteht, näher zu bestimmen, denn offenbar müßten wir uns erst hierüber einverstehen, ehe wir über den absoluten Werth eines guten Willens etwas ausmachen können. Ich bin also berechtigt zuerst zu fragen, was ist überhaupt gut, und was ist insonderheit ein guter Wille?"2
An späterer Stelle der Rezension kommt Pistorius auf diese kritischen Fragen, die sich auf Kants berühmten Eingangssatz:
2
Zitiert nach Landau, 1991, S. 355.
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„Es ist überall nichts in der Welt, ja überhaupt auch außer derselben zu denken möglich, was ohne Einschränkung für gut könnte gehalten werden, als allein ein guter Wille" (AA IV, 393).
beziehen, zurück. Pistorius hatte zudem richtig erkannt, daß der von Kant nicht näher bezeichnete „erste Satz" des ersten Abschnitts, auf den er bei seinem „zweiten" (AA IV, 399) und „dritten Satz" (AA IV, 400) zurückverweist, kein anderer sein kann als der:3 „Der gute Wille ist nicht durch das, was er bewirkt oder ausrichtet, nicht durch seine Tauglichkeit zur Erreichung irgend eines vorgesetzten Zweckes, sondern allein durch das Wollen, d.i. an sich, gut" (AA IV, 394).
Auf diesen Satz kommt Kant vor seinem „zweiten Satz" noch zweimal zurück. Einmal verweist er auf die große Befremdlichkeit der in diesem Satz enthaltenen „Idee von dem absoluten Werthe des bloßen Willens, ohne einigen Nutzen bei Schätzung desselben" (AA IV, 394). Diese Befremdlichkeit bestehe trotz „aller Einstimmung selbst der gemeinen Vernunft" mit dieser Idee (ebd.). Es ist leicht zu sehen, daß Kant hier auf seine Weise den stoischen Begriff des honestum im Gegensatz zum utile, d.h. des höchsten, absoluten im Gegensatz zum bloß relativ Guten reformuliert hat, und ich habe an anderer Stelle gezeigt, daß Kant hier Gebrauch gemacht hat von Christian Garves Darstellung der stoischen Ethik in dessen Philosophische Anmerkungen und Abhandlungen Ciceros Büchern von den Pflichten.4 An der zweiten Stelle, an der Kant auf seinen „ersten Satz" zurückkommt, spricht er von dem „Begriff eines an sich selbst hochzuschätzenden und ohne weitere Absicht guten Willens, so wie er schon dem natürlichen gesunden Verstände beiwohnt und nicht sowohl gelehrt als vielmehr nur aufgeklärt zu werden bedarf, diese[m] Begriff, der in der Schätzung des ganzen Werths unserer Handlungen immer obenan steht und die Bedingung alles übrigen ausmacht" (AA IV, 397). 3
4
Schönecker/Wood, 2002, S. 60f geben als ersten Satz, dessen Wortlaut sie nicht dem Kantischen Text entnehmen, sondern selbst formulieren, an: „Eine Handlung aus Pflicht ist eine Handlung aus Achtung fürs Gesetz." Wood schlägt in seiner englischen Übersetzung als ersten Satz vor „an action has moral worth only if it is done from duty" (Kant, 2002, S. 15n). Baum, (im Druck), ergänzend zu Reich, 2001.
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Auch diese erneute Berufung auf den natürlichen gesunden Verstand bezieht sich auf den Begriff eines innerlich und nicht bloß zu etwas anderem guten Willens, von dem nicht selten angenommen wird, daß er nicht, wie Kant sagt, „der gemeinen sittlichen Vernunfterkenntniß" (AA IV, 393) entstamme, sondern Kants eigener Moralphilosophie. Diesen Verdacht hegte offenbar auch Pistorius, der von dem so befremdlichen „Grundsatz zur Schätzung des Werths des Willens" bemerkt, daß er nach Kant angeblich „die Beystimmung auch der gemeinen Vernunft haben soll".5 Während Pistorius am Anfang seiner Rezension nur skeptisch fragte: „läßt sich auch ein an und für sich, und ohne Beziehung auf irgend ein Object betrachteter guter Wille gedenken?",6 heißt es nun in entschiedener Kritik und zur Unterstützung der eigenen Behauptung, daß es immer zuerst darauf ankomme, ob das jeweilige Gesetz des Willens „auch gut sey": „Dies führt uns dann darauf, was ich im Anfang erinnerte, daß die sittliche Untersuchung mit dem Begriff von gut anfangen, und die Frage zuerst untersucht werden müsse, ob sich in Beziehung auf das Verhalten des Menschen irgend etwas anders, als gut angeben lasse, als was wirklich für den Menschen, als ein empfindendes und denkendes Wesen gut ist."7
Dieses vom bloßen vernunftbestimmten Wollen verschiedene objektive Gute für den Menschen kann offenbar nicht ohne Untersuchung der Natur des Menschen, wie wir ihn aus uns selbst und anderen kennen, definiert werden. Auf diesen „Einwurf' von Pistorius, den er einen „wahrheitsliebenden und scharfen, dabei also doch immer achtungswürdigen Recensenten" (AA V, 8) nennt, bezieht sich Kant in der Vorrede zur Kritik der praktischen Vernunft. Er umschreibt diesen Einwand so: „daß der Begriff des Guten dort [sc. in der Grundlegung %ur Metaphysik der Sitten] nicht (wie es seiner Meinung nach nöthig gewesen wäre) vor dem moralischen Prinzip festgesetzt worden" (AA V, 8f), und verweist auf das zweite Kapitel der Analytik der reinen praktischen Vernunft („Von dem Begriffe eines Gegenstandes der reinen praktischen Vernunft"), wo er hoffe, diesem Einwand „Genüge gethan" zu haben (ebd.). 5 6 7
Landau, 1991, S. 354. Landau, 1991, S. 355. Landau, 1991, S. 362.
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Schon in einem Entwurf zu dieser Vorrede hatte Kant seine Antwort an Pistorius vorweggenommen. Er habe in dem genannten Kapitel „den Grund angegeben [...], warum in der Betrachtung der Principien der [...] reinen practischen Vernunft der Begrif des Guten keineswegs den Anfang machen müsse [d.h. dürfe] sondern dieser den Grundsätzen als practischen Imperativen zustehe" (XXI 416).
Kant gibt an der angekündigten Stelle zunächst zu, daß in seiner Kritik der praktischen Vernunft ein „Paradoxon der Methode" ihres philosophischen Verfahrens vorliege, das darin bestehe, „daß [...] der Begriff des Guten und Bösen nicht vor dem moralischen Gesetze (dem er dem Anschein nach sogar zum Grunde gelegt werden müßte), sondern nur [...] nach demselben und durch dasselbe bestimmt werden müsse" (AA V, 62f).
Legte man nämlich den Begriff des Guten als Bestimmungsgrund des Willens zugrunde, so könnte das Kriterium seiner Bestimmung als eines Guten nur die Übereinstimmung dieses Gegenstandes des Wollens mit unserem menschlichen Gefühl der Lust oder Unlust bestehen, und das heißt, es könne „nur durch Erfahrung ausgemacht werden", was diesem Gefühl der Lust gemäß sei oder nicht (AA V, 63). Damit werde der Begriff des Guten zu einem bloß empirischen Bestimmungsgrund des Willens gemacht und die bloße Möglichkeit eines „reinen praktischen Gesetzes" von vornherein aufgehoben. Legt man aber den Begriff eines praktischen Gesetzes überhaupt und damit eines möglichen Bestimmungsgrundes (des Willens) a priori der Untersuchung zugrunde, dann findet man, „daß nicht der Begriff des Guten als eines Gegenstandes das moralische Gesetz, sondern umgekehrt das moralische Gesetz allererst den Begriff des Guten, so fern es diesen N a m e n schlechthin verdient, bestimme und möglich mache" (AA V, 64).
Diese Anmerkung zur Methode der moralphilosophischen Untersuchungen wirft nun ihrerseits ein Licht auf Kants eigenes methodisches Vorgehen in der Grundlegung %ur Metaphysik der Sitten. Denn dort wurde zwar zunächst nicht der Begriff eines schlechterdings oder höchsten Guten als eines Gegenstandes des Willens der Untersuchung zugrunde gelegt, son-
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dem der des guten Willens als des einzig möglichen uneingeschränkt Guten. Dieser Begriff des Guten blieb aber, worauf Pistorius mit Recht verwies, völlig Undefiniert. Ohne solche Begriffsbestimmung bleibt aber auch unbeantwortet, warum der gute Wille das höchste Gute sein soll und worin seine Güte besteht oder warum, wie bei den Stoikern, das honestum das summum bonum sein soll. Kant macht von dieser stoischen Lehre offenbar Gebrauch, wenn er dann sogar den Gegenstand eines vernunftgeleiteten, aber natürlichen Willens und seine Bestimmung innerhalb der Natur darin sieht, „einen nicht etwa in anderer Absicht als Mittel, sondern an sich selbst guten Willen hervorzubringen" (AA IV, 396). Der vernunftbestimmte Zweck der „Cultur der Vernunft" ist also die „Gründung eines guten Willens", von dem sich nun in der Weise der Stoiker sagen läßt, daß er selbst das höchste Gut sei: „Dieser Wille darf also nicht das einzige und das ganze, aber er muß doch das höchste Gut und zu allem Übrigen, selbst allem Verlangen nach Glückseligkeit die Bedingung sein [...]" (ebd.).
Schließlich wird der Wille eines vernünftigen Wesens als dasjenige bezeichnet, „worin [...] das höchste und unbedingte Gute allein angetroffen werden kann" (AA IV, 401), dann nämlich, wenn „die Vorstellung des Gesetzes an sich selbst [...] der Bestimmungsgrund des Willens ist". Diese den Willen bestimmende Gesetzesvorstellung ist selbst das „vorzügliche Gute, welches wir sittlich nennen", also das stoische honestum, welches aber kein bloß gewollter Zweck, sondern als guter Wille „in der Person selbst schon gegenwärtig ist" (ebd.). Es sieht also so aus, als habe Kant den von ihm gerügten Fehler, in einer Untersuchung der Grundlagen der Moral vom Begriff eines Guten auszugehen, im ersten Abschnitt seiner Grundlegung Metaphysik der Sitten selbst begangen, indem er bei der Aufsuchung des Prinzips der Pflicht von der „gemeinen sittlichen Vernunfterkenntnis" ausgeht und sich zu deren Konkretisierung stoischer Moraltopoi bedient.
II. Aus dem Begriff des sittlich guten Wollens lassen sich Begriffe der Pflicht und der des Prinzips aller Pflichten durch drei Abstraktionsschritte ge-
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winnen. Ist der gute Wille allein durch sein Wollen oder für sich selbst betrachtet gut, so habe ich dabei von allem Erfolg oder der Erreichung seines Zwecks abgesehen. Hat eine Handlung aus Pflicht ihren moralischen Wert oder ihr Gutsein in der Maxime, nach der sie beschlossen wird, so wird von allem Interesse an der Wirklichkeit des Gegenstandes der Handlung, also von der Beabsichtigung von begrifflich vorgestellten Zwecken als materiellen Triebfedern des Willens abgesehen. Ist schließlich Pflicht die „Nothwendigkeit einer Handlung aus Achtung fürs Gesetz" (AA IV, 400), so wird sogar von der durch ihren Zweck besonderten Maxime und von „irgend ein[em] auf gewisse Handlungen bestimmte[n] Gesetz" (AA IV, 402) abgesehen, so daß nur die Maxime überhaupt und die bloße Gesetzmäßigkeit überhaupt als Prinzip des Willens übrig bleibt. Das auf diese Weise gewonnene Gesetz ist dann der aus der so verstandenen Pflicht und damit indirekt aus dem so verstandenen guten Willen analytisch hergeleitete bloße Begriff eines Gesetzes, „niemals anders [zu] verfahren als so, daß ich auch wollen könne, meine Maxime solle ein allgemeines Gesetz werden" (ebd.). Dieses so gedachte Gesetz gebietet also „nichts als die allgemeine Gesetzmäßigkeit der Handlungen überhaupt" als Prinzip des Willens (ebd.). Kant legt wiederum Wert darauf, daß „die gemeine Menschenvernunft in ihrer praktischen Beurteilung" mit diesem Prinzip des Willens „vollkommen übereinstimme]" und es „jederzeit vor Augen" habe (ebd.). Aber dieses oberste Pflichtprinzip der gemeinen Menschenvernunft ist durch Abstraktionsschritte im Ausgang von einem Begriff des guten Willens und seines absoluten Wertes gewonnen, ohne daß die wichtigsten Begriffe der genannten drei Sätze eingeführt und definiert würden. Von dem Begriff der Pflicht wird nur gesagt, daß „wir" ihn „vor uns nehmen wollen", um den Begriff des guten Willens „zu entwickeln" (AA IV, 397). Er enthalte den Begriff „eines guten Willens, obzwar unter gewissen subjectiven Einschränkungen und Hindernissen" (AA IV, 397). Da der Begriff des guten Willens auch Gott als außerweltliches Wesen umfaßt, das keinen aus der Abhängigkeit endlicher Existenz folgenden Neigungen als Hindernissen bei der Befolgung praktischer Gesetze unterliegt, ist der populäre Pflichtbegriff nur auf solche endlichen Wesen anwendbar. Deren guter Wille handelt aus Pflicht. Handlungen aus Pflicht sind also Handlungen eines eingeschränkten guten Willens. Es fällt auf, daß der Begriff der Pflicht nicht definiert wird. In der Kritik der praktischen Vernunft wird Pflicht definiert als Handlung, zu der eine Verbindlichkeit durch ein objektives Gesetz besteht (AA V, 32), und in
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der Metaphysik der Sitten als „diejenige Handlung, zu welcher jemand verbunden ist" (AA VI, 222), wobei „der Grundsatz, welcher gewisse Handlungen zur Pflicht macht, [...] ein praktisches Gesetz" ist (AA VI, 225). Diese Definitionen stimmen überein mit Baumgartens Definition des o f f i äums·. „Actio legi conformis est officium" 8 . Eine Pflicht ist also eine gesetzmäßige, d.h. durch ein Gesetz gebotene Handlung (Begehung oder Unterlassung). Aber im ersten Abschnitt der Grundlegung %itr Metaphysik der Sitten ist Pflicht allenfalls diejenige Handlung, die aus gutem Willen geschieht, wenn dieser entgegenstehende Hindernisse überwindet. Es ist offensichtlich, daß dies keine allgemeine Definition, sondern ein auf den guten Willen (des Menschen) eingeschränkter wahrer Satz über die Pflicht ist. Noch weniger allgemein ist der sogenannte „dritte Satz": „Pflicht ist die Nothwendigkeit einer Handlung aus Achtung fürs Gesetz" (AA IV, 400). Denn hier wird unter Pflicht offenbar nicht die Handlung eines endlichen sittlich guten Willens selbst, sondern das Bewußtsein der inneren Nötigung zu einer solchen Handlung durch ein Gesetz verstanden, das nur derjenige hat, der „aus Pflicht", d.h. aus Pflichtbewußtsein, handelt. Eine Handlung „aus Pflicht" hat ihre Notwendigkeit aus der Achtung für ein Gesetz. Auch der Begriff der Maxime und sogar der des Gesetzes werden nur en passant (AA IV, 398, 399) im Zusammenhang des Handelns „aus Pflicht" eingeführt: bei einer Handlung aus Pflicht wird der Wille bestimmt, objekdv durch das Gesetz und zugleich subjektiv durch „reine Achtung für dieses praktische Gesetz, mithin [durch] die Maxime, einem solchen Gesetze selbst mit Abbruch aller meiner Neigungen Folge zu leisten" (AA IV, 400). Damit ist das umschrieben, was nach dem ersten Abschnitt der Grundlegung %ur Metephysik der Sitten die „Sittlichkeit" oder „Moralität" ausmacht, ohne daß diese Begriffe selbst vorkommen. Auch im zweiten Abschnitt wird der Begriff der Sittlichkeit (jetzt aber explizit) als bekannt vorausgesetzt und seine objektive Realität davon abhängig gemacht, „daß sein Gesetz von so ausgebreiteter Bedeutung sei, daß es nicht bloß für Menschen, sondern alle vernünftigen Wesen überhaupt [...] schlechterdings nothwendig gelten müsse" (AA IV, 408). Das Gesetz der Sittlichkeit wird also ebenfalls, und zwar als gültig, vorausgesetzt und, wie der Begriff des guten Willens, auf alle vernünftigen Wesen einschließlich Gottes bezogen, ohne daß seine behauptete apodiktische Geltung zunächst begründet würde. Zur Begründung eines solchen obersten Grundsatzes der Sittlichkeit bedürfe es der Philosophie, genauer der von allem Baumgarten, Initiaphilosophiaepracticaeprimae, § 83.
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Empirischen abgesonderten Metaphysik der Sitten. Diese diene nicht allein der theoretischen Erkenntnis der Pflichten, sondern erbringe auch den Nachweis, daß die Vernunft „für sich selbst auch praktisch sein" könne (AA IV, 410). Die Unabhängigkeit von aller empirischen Erkenntnis des Menschen und seiner Natur steht aber nicht im Widerspruch zu der Voraussetzung, daß alle sittlichen Begriffe, die zu obersten praktischen Prinzipien dienen, und alle moralischen Gesetze ihren reinen Ursprung in der „gemeinsten Menschenvernunft" haben (AA IV, 411), die als reine praktische Vernunft überhaupt das Prinzip der Ableitung dieser Gesetze „schon aus dem allgemeinen Begriffe eines vernünftigen Wesens überhaupt" liefert (AA IV, 412). So abgeleitet, statt aus der Analyse der gemeinen Begriffe von Pflicht und Sittlichkeit (qua Handeln aus Pflicht) gewonnen, wird der metaphysisch bestimmte Begriff der Pflicht nicht mehr etwas sein, bei dem man sich fragen muß, „ob nicht überhaupt das, was man Pflicht nennt, ein leerer Begriff sei" (AA IV, 421). Da aber der Begriff der Pflicht den eines praktischen Gesetzes voraussetzt, so wird er nur dann nicht mehr nur eine „gemeine Idee" (AA IV, 389) und der Begriff der Sittlichkeit nur dann nicht mehr nur ein „einmal allgemein im Schwange gehende[r] Begriff (AA IV, 445) sein, wenn ein oberstes praktisches Gesetz als Prinzip der Moralität und damit aller Pflichten in einer Untersuchung a priori gefunden ist und wenn die Möglichkeit eines solchen Gesetzes gleichfalls a priori begründet ist. Das letztere zu zeigen, ist nach Kant die Aufgabe des dritten Abschnitts der Grundlegung ψτ Metaphysik der Sitten. Die Aufsuchung und Festsetzung des Prinzips der Moralität im zweiten Abschnitt wird wiederum unter Zugrundelegung des Begriffs eines schlechterdings guten Willens durchgeführt, d.h. nach der analytischen Methode des Rückschreitens vom als gegeben angenommenen Begründeten zu seinen Gründen. Diese müssen im praktischen Vernunftvermögen selbst, dessen „allgemeinen Bestimmungsregeln" (AA IV, 412) liegen, aus denen sich dann erkennen lassen muß, was das praktisch Gute und der gute Wille denn sind, von denen wir bisher bloß als Undefinierten Voraussetzungen ausgegangen waren. Dabei wird sich die Bestimmung des Begriffs „gut" als abhängig von der des Gesetzes erweisen, d.h. das Gute ist nicht primär das Gewollte als Gegenstand eines Willens, sondern das Gesollte, zu dessen Wollen der Wille durch ein Gesetz genötigt wird. Damit wird auch der popularphilosophische Begriff der Pflicht durch den Begriff des moralischen Gesetzes bestimmbar werden.
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Die Metaphysik der Sitten geht, wie gesagt, aus von dem Begriff des Willens eines vernünftigen Wesens und seinen allgemeinen Bestimmungsregeln. Ein vernünftiger Wille handelt nach der Vorstellung von Gesetzen als Prinzipien der Ableitung seiner Handlungen, und insofern ist der Wille nichts als die praktische Vernunft selbst. Die so abgeleiteten Handlungen werden als praktisch notwendige erkannt, d.h. als „gute" Handlungen, aber ein Wille, der, wie der menschliche, nicht völlig durch die Vernunft, sondern außerdem durch seine Neigungen als Triebfedern bestimmt wird, kann nicht als ein „durchaus", sondern nur als ein eingeschränkt „guter Wille" (AA IV, 413) gedacht werden. Das Verhältnis der Gesetze zu diesem Willen ist das der „Nöthigung" (ebd.) zu Handlungen, seine Handlungen erfolgen nicht notwendig diesen Gesetzen gemäß, sondern sind ihm nur geboten. Ein solches Gebot wird sprachlich in einem Imperativ formuliert, der ein „Sollen" ausdrückt. Diese Sollenssätze „sagen, daß etwas zu thun oder zu unterfassen gut sein würde, allein sie sagen es einem Willen, der nicht immer darum etwas thut, weil ihm vorgestellt wird, daß es zu thun gut sei" (ebd.).
Damit ist der Begriff des praktisch Guten als dasjenige definiert, was aus Gründen, die für jedes vernünftige Wesen als solches gelten, den Willen bestimmt. Dieses praktisch Gute ist für den Menschen die gesollte oder durch Vernunft gebotene Handlung, während ein „vollkommen guter Wille" nach Bestimmungsregeln will (und handelt), die zwar (praktische) Gesetze des Guten, aber keine Vorschriften des Sollens sind. Ein göttlicher oder heiliger Wille steht also nicht unter Imperativen. Damit ist aus dem Begriff eines vernünftigen Willens überhaupt die Begriffsbestimmung des Guten als einer durch ein praktisches Gesetz notwendig gemachten Handlung und die des guten Willens als desjenigen erreicht, dessen Wollen diesem Gesetz gemäß ist. Für den menschlichen Willen erfolgt die Willensbestimmung entweder durch ein Gebot zu einer Handlung, die „als Mittel" zu einem Zweck „gut" vorgestellt wird oder als „an sich gut" (d.h. vernunftnotwendig gewollt). Im letzteren Falle ist die Formel des Gebots ein „kategorischer Imperativ" (AA IV, 414). Diesen Imperativ, der nicht durch einen beabsichtigten Zweck als Materie und Erfolg der Handlung bedingt ist, sondern nur die Form des subjektiven Handlungsprinzips selbst, d.h. der Maxime der Handlung, betrifft, nennt Kant den „Imperativ der Sittlichkeit" (AA IV, 416), oder, entsprechend der unbedingten Notwendigkeit des Gebotenen, das „Gesetz der Sittlichkeit" (AA IV, 420).
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Der Inhalt dieses kategorischen Imperativs wird nun aus dessen „bloße [m] Begriff hergeleitet. Seinem Begriff nach ist ein kategorischer Imperativ ein Gesetz der Vernunft für Maximen von menschlichen Handlungen, das die Form dieser Maximen unabhängig von ihrer Materie, dem jeweiligen Handlungszweck, betrifft und ein Gebot für die Beschaffenheit dieser Form enthält. Was in ihm geboten oder als notwendig vorgestellt wird, ist demnach (formaliter), daß die Maxime diesem Gesetz der Vernunft gemäß ist, und (materialiter), daß sie ihm darin gemäß ist, daß sie ihrerseits als Gesetz für alle handelnden Vernunftwesen fungieren kann. Für den gesuchten Inhalt des kategorischen Imperativs „bleibt nichts als die Allgemeinheit eines Gesetzes überhaupt übrig, welchem die Maxime der Handlung gemäß sein soll, und welche Gemäßheit allein der Imperativ eigentlich als nothwendig vorstellt" (AA IV, 420f).
Das Gesetz der Sittlichkeit ist also das Gesetz der Gesetzestauglichkeit meiner jeweiligen Maxime als formalen Kriteriums ihrer moralischen Möglichkeit (Erlaubtheit) bzw. Unmöglichkeit (Unerlaubtheit). Es lautet: „handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde." (AA IV, 421) Durch dieses Gesetz wird nun allererst a priori bestimmbar, was der Begriff „Pflicht" bedeutet, und dieses Gesetz der Sittlichkeit ist zugleich das Ableitungsprinzip aller inhaltlich bestimmten Pflichten (ebd.). Damit ist durch die „Metaphysik der Sitten" gezeigt, daß es ein „(völlig a priori) schon mit dem Begriffe des Willens eines vernünftigen Wesens überhaupt verbunden [es]" notwendiges Gesetz (AA IV, 426) für alle vernünftigen Wesen geben kann. Da ein solches Gesetz aber „ein synthetisch-praktischer Satz a priori" ist (AA IV, 420), so ergeben sich Bedenken hinsichtlich seiner Deduzierbarkeit, die Kant erst im dritten Abschnitt der Grundlegung %ur Metaphysik der Sitten zu beheben gedenkt. Kant hat seine eigene Neubestimmung des Prinzips der Sittlichkeit mit ,,alle[n] bisherige[n] Bemühungen, die jemals unternommen wurden, um [es] ausfindig zu machen" (AA IV, 432), verglichen und den Grund dafür angegeben, „warum sie insgesammt haben fehlschlagen müssen" (ebd.). Man dachte sich nämlich den Menschen als einem pflichtbegründenden Gesetz unterworfen, das nicht seinem eigenen Willen entsprang und dessen Nötigung zu gesetzmäßigem Handeln von etwas anderem als seiner eigenen praktischen Vernunft ausging. Damit war aber „alle Arbeit, einen obersten Grund der Pflicht zu finden, unwiederbringlich verloren" (AA
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IV, 433), denn an ein von etwas anderem als seinem eigenen Willen (sei es die Natur oder Gott) ausgehendes Gesetz, konnte er nur vermittelst eines Interesses, sei es „Reiz oder Zwang" (ebd.) gebunden sein. Es mußte also ein solches Interesse an der Befolgung eines auf Heteronomie beruhenden Gesetzes voraufgehen, um eine Nötigung durch den fremden Gesetzgeber zu begründen. So bekam man immer nur hypothetische Imperative, aber „niemals Pflicht, sondern Nothwendigkeit der Handlung aus einem gewissen Interesse heraus. Dieses mochte nun ein eigenes oder fremdes Interesse sein" (ebd.). Einzig das Prinzip der Autonomie des Willens, d.h. der Gesetzgebung durch den eigenen Willen des diesem Gesetz Unterworfenen, kann als Prinzip von Sittlichkeit und Pflicht dienen, da nur es unbedingte Imperative begründen kann. Denn das Gesetz der Sittlichkeit gebietet nur, „seinem eigenen [...] aber allgemein gesetzgebenden Willen gemäß zu handeln" (AA IV, 432) und gilt insofern unbedingt, als kein zugrundeliegendes Interesse denkbar ist, das den Handelnden an dieses Gesetz bindet. Die „Idee des Willens eines jeden vernünftigen Wesens als allgemeingesetzgebenden Willens", die die „Lossagung von allem Interesse beim Wollen aus Pflicht" (AA IV, 431 f) als Implikation der Autonomie des Willens zum Ausdruck bringt, wird nun aber von Kant im ^weiten Abschnitt der Grundlegung %ur Metaphysik der Sitten als etwas angesehen, das „dem Naturzwecke nach" (AA IV, 432) zum je eigenen Willen des Menschen gehört, da er seiner Natur nach als „das Subject aller Zwecke" und damit, wie jedes vernünftige Wesen, als „Zweck an sich selbst" zu denken ist (AA IV, 431). Dem entspricht, daß diese Idee der Selbstgesetzgebung von Kant zuerst eingeführt wird als Folge aus zwei besonderen Formeln des kategorischen Imperativs, die Kant in der Grundlegung %ur Metaphysik der Sitten seiner oben zitierten allgemeinen Formel zur Seite stellt (der Naturgesetzformel: „daß die Maximen so gewählt werden, als ob sie wie allgemeine Naturgesetze gelten sollten" (AA IV, 436) und der Mensch-Zweck-Formel: „daß das vernünftige Wesen als Zweck seiner Natur nach, mithin als Zweck an sich selbst jeder Maxime zur einschränkenden Bedingung aller bloß relativen und willkürlichen Zwecke dienen müsse" (ebd.)). Die Idee der Autonomie eines jeden vernünftigen Wesens wird demgemäß von Kant als „dritte Formel" (AA IV, 432) oder „das dritte praktische Prinzip" (AA IV, 431) bezeichnet. Ferner sagt Kant, daß dieses Prinzip der allgemeinen Gesetzgebung durch den Willen „eines jeden vernünftigen Wesens" (AA IV, 433), also das Autonomieprinzip, auf „einen ihm anhängenden sehr fruchtbaren Begriff, nämlich den eines Reichs der Zwecke" führe (ebd.), nämlich eines
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„Ganzen aller Zwecke (sowohl der vernünftigen Wesen als Zwecke an sich, als auch der eigenen Zwecke, die ein jedes sich selbst setzen mag) in systematischer Verknüpfung" (ebd.).
Auf dieses mögliche Reich der Zwecke be2ieht sich die autonome Gesetzgebung der Vernunftwesen. Es ist kein Zweifel, daß Kant im ^weiten Abschnitt der Grundlegung %ur Metaphysik der Sitten das Prinzip der Autonomie des Willens durch seine eigenen Maximen von der These abhängig gemacht hat, „der Mensch und überhaupt jedes vernünftige Wesen existirt als Zweck an sich selbst, nicht bloß als Mittel zum beliebigen Gebrauche für diesen oder jenen Willen" (AA IV, 428).
Von den beiden besonderen Formeln des kategorischen Imperativs, die die Vorstellungsart „der allgemein einer Naturordnung ähnlichen Gesetzmäßigkeit der Handlungen, oder des allgemeinen Zwecksvorzuges vernünftiger Wesen an sich selbst" enthalten und der „dritten Formel", d.h. der Autonomieformel, zugrunde liegen, sagt Kant ferner, daß sie „nur als kategorisch angenommen [wurden], weil man dergleichen annehmen mußte, wenn man den Begriff von Pflicht erklären wollte" (AA IV, 431), nämlich den Pflichtbegriff der „gemeinen" Vernunfterkenntnis oder der Popularphilosophie. Aber die Behauptung, daß die vernünftige Natur als Zweck an sich selbst existiere, wurde von Julius Ebbinghaus mit Recht als „dogmatischmetaphysischer Satz"9 bezeichnet, während sie und die höchst paradoxe Vorstellungsart der moralischen Gesetzmäßigkeit der Handlungen als ähnlich einer allgemeinen Naturordnung als Entlehnungen aus der stoischen Philosophie erkannt worden sind.10 Das zwingt zu der Einsicht, daß das Prinzip der Autonomie und der Sittlichkeit (bzw. Moralität) im feiten Abschnitt der Grundlegung Metaphysik der Sitten von Voraussetzungen abhängt, die nicht zur Kantischen Moralphilosophie selbst gehören, sondern zu deren erster und überwiegend analytischer Darstellungsweise in einer Schrift, die ihre Vorläufigkeit, ihren Einführungscharakter und die Spuren der Auseinandersetzung mit Garves Cicero-Übersetzung und -Kommentar deutlich genug zur Schau trägt. 9 10
Vgl. Geismann, 2002, S. 380f. Vgl. Anm. 3.
Sittlichkeit und Freiheit in Kants Grundlegung 197 Wenn Kant also sagt, daß Moralität in der Be2iehung aller Handlung auf eine Gesetzgebung besteht, durch die allein „ein Reich der Zwecke möglich" ist (AA IV, 434), und wenn er die Moralität als Bedingung denkt, unter der allein ein vernünftiges Wesen „Zweck an sich selbst sein kann, weil nur durch sie es möglich ist, ein gesetzgebend Glied im Reiche der Zwecke zu sein" (AA IV, 435), so macht er Moralität bzw. Sittlichkeit ebenso wie Autonomie von der Konzeption eines möglichen „Reiches der Zwecke" abhängig, das zugleich als ein „Reich der Natur" gedacht wird (AA IV, 436, 438f), wobei der wesentliche Unterschied von der stoischen Naturteleologie und Ethik nur darin besteht, daß die Natur von Kant als eine durch die menschliche Praxis mögliche Natur konzipiert wird, als praktische Idee, „um das, was nicht da ist [...] eben dieser Idee gemäß zu Stande zu bringen" (ebd.). Nach dem zweiten Abschnitt der Grundlegung %ur Metaphysik der Sitten ist somit die Autonomie des Willens zwar oberstes Prinzip der Sittlichkeit, denn Moralität bzw. Sittlichkeit der Handlungen ist gar nichts anderes als ihr Verhältnis zur möglichen allgemeinen Gesetzgebung durch die Maxime dieses Willens. Entsprechend ist ein Wille, dessen Maximen mit möglichen autonom gegebenen Gesetzen zusammenstimmen, ein guter Wille. Aber dieses Prinzip der Autonomie ist hier „durch bloße Zergliederung der Begriffe der Sittlichkeit" dargetan worden (AA IV, 440), durch die sich ergab, daß das Prinzip dieser Sittlichkeit „ein kategorischer Imperativ sein müsse, [der] nichts mehr oder weniger als gerade diese Autonomie gebiete" (ebd.). Damit zeigt sich, daß das Prinzip der Sittlichkeit als Autonomieprint^p hier, in der „Metaphysik der Sitten" des zweiten Abschnitts, bloß analytisch im Ausgang von einem „einmal im Schwange gehenden Begriff der Sittlichkeit", nämlich als ihm „zum Grunde liege[nd]" (AA IV, 445), gewonnen wurde und daß es dazu der ihrer Herkunft nach stoischen Konzeption des vernünftigen Wesens als eines Zweckes an sich selbst und der von Kant verwandelten gleichfalls stoischen Konzeption des Reiches der Zwecke als eines Reiches der Natur bedurfte. Wenn es also eine eigene, Kantische Konzeption von Autonomie und Sittlichkeit geben sollte, so ist sie allenfalls im dritten Abschnitt der Grundlegung %ur Metaphysik der Sitten zu suchen.
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III. Der Begriff der Autonomie wird in diesem dritten Abschnitt als der positive Begriff der Freiheit des Willens definiert, die, negativ bestimmt, als unabhängig von fremden Ursachen wirkende Kausalität gedacht wird. Daraus soll sich der positive Begriff der Willensfreiheit ergeben: „was kann denn wohl die Freiheit des Willens sonst sein als Autonomie, d.i. die Eigenschaft des Willens, sich selbst ein Gesetz zu sein?" (AA IV, 446f) Aus der Eigenschaft des Willens, durch seine Maximen selbst allgemein gesetzgebend für alle vernünftigen Wesen, einschließlich seiner selbst, zu sein, ist hier ein neuer, der kritische Begriff der Autonomie als mit der positiven Freiheit identischer Eigenschaft der Selbstbestimmung des Willens durch das in ihm als praktische Vernunft liegende Gesetz geworden. Das Wollen dieses Willens ist bestimmt durch „das Princip, nach keiner anderen Maxime zu handeln, als die sich selbst auch als ein allgemeines Gesetz zum Gegenstande haben kann." (AA IV, 447) Ein selbstbestimmter und im positiven Sinne freier Wille ist also dasselbe wie „ein Wille unter sittlichen Gesetzen" (ebd.), deren oberstes der kategorische Imperativ in seiner allgemeinen Formel ist. Aus der Idee der Freiheit des Willens folgt also analytisch die im Prinzip der Sittlichkeit geforderte Eigenschaft seiner Maximen, sich selbst als allgemeine Gesetze enthalten zu können. Ein positiv freier Wille ist also ein Wille, aus dessen Begriff das Gesetz der Sittlichkeit als sein eigenes Gesetz folgt. Aber nur wenn er zugleich ein schlechterdings guter Wille wäre, der, wie der heilige oder göttliche Wille, gänzlich durch sein eigenes Vernunftgesetz in seinem Wollen bestimmt wäre, hätten seine Maximen wirklich und immer die durch das Gesetz geforderte Eigenschaft. Umgekehrt hätten die Maximen eines schlechthin guten Willens nur dann wirklich die Eigenschaft, sich selbst als allgemeines Gesetz enthalten zu können, wenn schon vorausgesetzt werden könnte, daß er nur durch das Gesetz der Sittlichkeit zum Wollen bestimmt und also ein freier Wille wäre. ,,[D]enn durch Zergliederung des [bloßen] Begriffs von einem schlechthin guten Willen kann jene Eigenschaft [seiner] Maxime nicht gefunden werden" (ebd.). Aber diese positive Freiheit des Willens kann nicht als etwas Wirkliches vorausgesetzt werden, nur ihr Begriff läßt sich herleiten als diejenige Beschaffenheit des Willens, die ihm zukäme, wenn alle seine Maximen Gesetzescharakter hätten, was aber für einen durch Neigungen affizierten Willen durch das Prinzip der Sittlichkeit nur gefordert wird. Das heißt aber
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nicht, daß Freiheit des Willens durch das Gesetz der Sittlichkeit ihrerseits nur gefordert würde, denn es wäre unsinnig, Freiheit als Eigenschaft des Willens zu gebieten, so, als ob wir sie uns durch unsere Handlungen verschaffen könnten. Was durch das Gesetz der Sittlichkeit geboten wird, sind Handlungen, die wir immer schon ausübten, wenn die reine praktische Vernunft allein unser Wollen bestimmte, wenn wir also gänzlich frei wollten und handelten. Da dies aber nicht der Fall ist, so erhebt sich die Frage nach der Möglichkeit, d.h. nach der Rechtfertigung der Gültigkeit des Gesetzes der Sittlichkeit, welches ein Wollen gebietet, das mit dem bloß durch es bestimmten freien Wollen identisch ist. Wenn es also keinen von der bloß im Gesetz der Sittlichkeit implizierten Autonomie des Willens unabhängigen Beweis für die Wirklichkeit der positiven Freiheit gibt, d.h. wenn es keine „Deduction des Begriffs der Freiheit aus der reinen praktischen Vernunft" (ebd.) gibt, dann steht es schlecht um die Möglichkeit und den Sinn des kategorischen Imperativs. Die zwei Wege, die Kant im dritten Abschnitt der Grundlegung %ur Metaphysik, der Sitten beschreitet, um dem Begriff der Freiheit des Willens objektive Realität zu verschaffen, führen allerdings beide zu keinem positiven Ergebnis. Zum einen weist er darauf hin, daß Sittlichkeit uns bloß als vernünftigen Wesen, die einen Willen haben, geboten ist, und da dies bloß aus der Freiheit des Willens abgeleitet werden muß, so müsse auch diese Freiheit „als Eigenschaft des Willens aller vernünftigen Wesen bewiesen werden" (AA IV, 447). Das könne dadurch geschehen, daß man bedenke, daß ein „jedes Wesen, das nicht anders als unter der Idee der Freiheit handeln kann, [...] ebendarum in praktischer Rücksicht wirklich frei" sei (AA IV, 448). Ein vernünftiges Wesen müsse sich oder seine praktische Vernunft als frei ansehen, da der Wille nur unter dieser Idee der Freiheit als der eigene Wille dieses Wesens angesehen werden könne. Kant selbst findet, daß in dieser Argumentation „eine Art von Cirkel" stecke (AA IV, 450), da wir uns dabei als frei annehmen, um uns unter sittlichen Gesetzen unseres eigenen Willens denken zu können, und uns dann als diesen Gesetzen unterworfen denken, weil wir uns die Freiheit unseres Willens zugeschrieben haben. Der zweite Weg besteht in dem Versuch, sich auf den „gemeinsten Verstand" (AA IV, 450) zu berufen, um berechtigt zu sein, hinsichtlich des Willens oder der praktischen Vernunft einen „anderen Standpunkt" einzunehmen (ebd.), von dem aus sie als frei gedacht werden müsse. Dieser Standpunkt besteht darin, „hinter den Erscheinungen doch noch etwas anderes, was nicht Erscheinung ist, nämlich die Dinge an sich" (AA IV,
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451) anzunehmen, und dies gelte nicht bloß von den Erscheinungen der äußeren Sinne, sondern auch des inneren Sinnes, so daß er „nothwendiger Weise über diese aus lauter Erscheinungen zusammengesetzte Beschaffenheit seines eigenen Subjects noch etwas anderes zum Grunde Liegendes, nämlich sein Ich, so wie es an sich selbst beschaffen sein mag",
annehme (ebd.). So könne er sich selbst hinsichtlich seiner Empfindungen zur Sinnenwelt, „in Ansehung dessen aber, was in ihm reine Thätigkeit sein mag" (ebd.), zur intellektuellen Welt rechnen. Das gilt vor allem für die reine Selbsttätigkeit oder Spontaneität seiner Vernunft, die sie in ihren selbstgedachten und sinnenfreien Ideen beweise. Als „Intelligenz" müsse sich der gemeinste Verstand also als einer intelligiblen Welt zugehörig ansehen, deren Gesetze von der Natur unabhängig und bloß in der Vernunft gegründet seien. Die Gesetze der Kausalität seines eigenen Willens könne er sich nur unter der Idee der Freiheit denken, d.h. der Unabhängigkeit von den bestimmenden Ursachen der Sinnenwelt, und da Freiheit mit dem Begriff der Autonomie „unzertrennlich verbunden" sei (AA IV, 452), mit diesem aber das „allgemeine Princip der Sittlichkeit" (ebd.), so könne er sich als vernünftiges Wesen nur unter diesem denken. Damit hätte sich zirkelfrei die Freiheit und die Zugehörigkeit zur intelligiblen Welt aus dem Bewußtsein der reinen Spontaneität der Vernunft ergeben. Es besteht aber kein Widerspruch zum Bewußtsein unserer Abhängigkeit von Neigungen und dem Gebot des Sittengesetzes. Denn „wenn wir uns als frei denken, so versetzen wir uns als Glieder in die Verstandeswelt und erkennen die Autonomie des Willens sammt ihrer Folge, der Moralität; denken wir uns aber als verpflichtet, so betrachten wir uns als zur Sinnenwelt und doch zugleich zur Verstandeswelt gehörig" (AA IV, 453).
Das unmittelbar in seiner reinen Selbsttätigkeit seiner selbst bewußt werdende Ich an sich soll also nach diesem Raisonnement des gemeinsten Verstandes die Beantwortung der Frage ermöglichen „Wie ist ein kategorischer Imperativ möglich?" (AA IV, 453), ihm also eine Deduktion verschaffen (AA IV, 454, 463). Bin ich nämlich als Intelligenz dem Gesetz der Verstandeswelt, d.h. der Vernunft und ihrer Idee der Freiheit unterworfen, so gilt für mich das Gesetz der Autonomie des Willens oder der kategorische Imperativ.
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„Und so sind kategorische Imperativen möglich, dadurch daß die Idee der Freiheit mich zu einem Gliede einer intelligibelen Welt macht, wodurch, wenn ich solches allein wäre, alle meine Handlungen der Autonomie des Willens jederzeit gemäß sein würden, da ich mich aber zugleich als Glied der Sinnenwelt anschaue, gemäß sein sollen [...]" (AA IV, 454).
Aber die Idee der Freiheit, durch die ich mich als ein von keinen sinnlichen Neigungen affiziertes Verstandeswesen ansehe, dessen Wollen und Handeln also unausbleiblich dem Gesetz der Autonomie des Willens gemäß ist, hat durch dieses Raisonnement des gemeinsten Verstandes die erhoffte objektive Realität nicht erhalten. Denn die reine Spontaneität der Vernunft beweist auf keine Weise die Zugehörigkeit zur intelligiblen Welt, die zwar die notwendige Bedingung der Freiheit des Willens wäre, aber für sich nicht zureicht, um Freiheit als Kausalität einer intelligiblen Ursache, also meiner selbst, sofern ich praktische Vernunft habe, als wirklich einsichtig zu machen. Es bleibt also dabei, daß ich mein eigenes Wollen als nur von meiner eigenen Vernunft abhängig unter der Idee der Freiheit denken muß, und ebenso, daß ich mich widerspruchsfrei als zur intelligiblen Welt und ihren Gesetzen gehörig denken kann, in der ich mir meines guten Willens bewußt sein könnte und in der mein Wollen in allen seinen Maximen dem Gesetz der Sittlichkeit gemäß und somit frei sein könnte. Aber für diese Art von Freiheit meiner selbst als einer intelligiblen Ursache gibt es keinen von dem Bedürfnis der Begründung einer Ethik unabhängigen und überzeugenden Beweis, und so bleiben die Idee der Freiheit des Willens und das Praktisch- oder Wirksamwerden der reinen Vernunft mit ihren sittlichen Gesetzen lediglich im Zustand der widerspruchsfreien Denkbarkeit.
Literatur BAUM, M., Kant und Ciceros „De offiäis" (im Druck). BAUMGARTEN, A. G., Initiaphilosophiaepracticaeprimae, Halle 1760. GEISMANN, G., 2002, Die Formeln des kategorischen Imperativs nach H. J. Paton, Ν. N., Klaus Reich und Julius Ebbinghaus, in: Kant-Studien 93, S. 380f.
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KANT 'S gesammelte Schriften (AA), hrsg. von der Preußischen (später: Deutschen) Akademie der Wissenschaften, Berlin 1900ff. KANT, I., 2002, Groundwork for the Metaphysics of Morals, hrsg. und übers, von A. W. Wood, New Haven/London. LANDAU, Α. (Hrsg.), 1991, Rezensionen %ur Kantischen Philosophie, Bebra. REICH, K., 2001, Kant und die Ethik der Griechen [1935], in: K. Reich, Gesammelte Schriften,, Hamburg, S. 129-146. SCHÖNECKER, D./WOOD, A. W., 2002, Kants „Grundlegung
Ein einführender Kommentar, Paderborn u.a.
spr Metaphysik
der Sitten".
Konkrete Ethik Universalität und Partikularität in Fichtes System der Sittenlehre Günter Zöller 1. Ein unbekannter Ethiker Unter den von der klassischen deutschen Philosophie entwickelten Ethikbegründungen hat die Fichtes schon zu dessen Lebzeiten und bis heute am wenigsten Aufmerksamkeit, Beachtung und Wirkung gefunden. Dabei bemüht sich gerade Fichte in der Moralphilosophie um einen vielversprechenden Ausgleich zwischen Kants Insistieren auf der Universalität des moralisch Gesollten und Hegels Eingehen auf die Partikularität von Sittlichkeit und Sitte. In kritischer Auseinandersetzung mit Kants Grundlegungsschriften zur Moralphilosophie — der Grundlegung %ur Metaphysik der Sitten (1785), der Kritik der praktischen Vernunft (1788) und dem Ersten Stück der Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft (1793) — und in systematischer Kontinuität mit der eigenen Neubegründung der Transzendentalphilosophie als Wissenschaftslehre sowie in faktischer Konkurrenz mit Kants kurz zuvor erschienener ausgeführter Ethik — den Metaphysischen Anfangsgründen der Tugendlehre der Metaphysik der Sitten (1797) - publiziert Fichte bogenweise ab Dezember 1797 seine umfangreichste Schrift überhaupt, Das System der Sittenlehre nach den Vnnäpien der Wissenschaftslehre, die dann Ende März 1798 abgeschlossen vorliegt. Doch bedingt durch den Ausbruch des Atheismusstreits bald nach dem Erscheinen des Werkes, der Fichte schließlich seine Professur kosten und seine Präsenz in der gelehrten Öffentlichkeit nachhaltig verkümmern lassen sollte, blieb die unmittelbare Rezeption der Schrift auf einige wenige Rezensionen und informelle Stellungnahmen beschränkt. Kurze Zeit
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später trug Hegels weitgehende Assimilation von Fichtes Ethik an den Deontologismus der Kantischen Moralphilosophie1 da2u bei, daß der eigene und originelle Beitrag Fichtes zur Grundlegung und Ausführung einer systematischen Sittenlehre an den Rand gedrängt oder schlichtweg übersehen wurde. Auch die akademische Philosophiegeschichtsschreibung des späteren neunzehnten Jahrhunderts hat diese Fehlrezeption nicht nachhaltig zu korrigieren vermocht. Noch die Fichte überaus wohlgesonnene monumentale Studie zu dessen Ethik von Georg Gurwitsch aus dem frühen zwanzigsten Jahrhundert2 operiert unter der von Hegel lancierten Einschätzung von Fichtes früher praktischer Philosophie als essentiell kantisch, wenn sie die Fichte zugeschriebene Überwindung des „sittlichen Formalismus" nicht schon in dessen System der Sittenlehre aus dem Jahre 1798 lokalisiert, sondern erst in Fichtes Spätwerk, das dabei als mystisch und spiritualistisch orientiert eingeschätzt (oder vielmehr: fehleingeschätzt) wird. Schließlich hat auch die Rehabilitation der praktischen Philosophie im ausgehenden zwanzigsten Jahrhundert nicht zu einer Wiederbelebung des Interesses an Fichtes Ethik geführt, sondern allenfalls dessen Rechtsphilosophie wieder in den Blick gebracht, die aber in Fichtes, von Kant abweichender Systemarchitektonik nicht zur Moralphilosophie und nicht einmal zur praktischen Philosophie im engeren Sinne gehört.3 So hat Fichtes Ethik fast nur in der Spezialforschung zum deutschen Idealismus im allgemeinen und insbesondere im Rahmen der Renaissance der Fichte-Forschung im Zuge des Erscheinens
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Siehe Hegel, Gesammelte Werke, Bd. 4. Jenaer kritische Schriften, S. 48ff, bes. S. 59 (Differen^schrifi) und S. 387-412, bes. S. 402 (Glauben und Wissen). Gurwitsch, 1924. Zum systematischen Ort der Rechtsphilosophie bei Fichte und speziell zur Unableitbarkeit des Rechtsgesetzes aus dem Sittengesetz siehe Fichte-Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, (im folgenden „GA") I/3:387f {Grundlage des Naturrechts, § 7), GA IV/2:264 (Wissenschaftslehre nova methodo, Nachschrift Halle, „Deduction der Eintheilung der Wissenschaftslehre") sowie Johann Gottlieb Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo. Kollegnachschrift Κ Chr. Fr. Krause 1798/99, S. 241-243 („Deduction der Eintheilung der WissenschaftsLehre"). Zu Kants Identifikation der praktischen Philosophie mit der Moralphilosophie siehe Kant's gesammelte Schriften, (im folgenden „AA") V, 170 (Kritik der Urtheilskraft, Einleitung, I.). Zu Kants Inklusion der Rechtslehre in die Moralphilosophie oder Sittenlehre siehe AA VI, 205 und 216-221 (Metaphysik der Sitten, Vorrede und Einleitung, II. und III.).
Konkrete Ethik
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der J. G. Fichte-Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften Beachtung gefunden.4 Angesichts der teils verfehlten, teils fehlenden breiteren Rezeption und Wirkung von Fichtes Moralphilosophie empfiehlt sich ein genauerer Blick auf deren Eigentümlichkeiten und Errungenschaften, um die spezifische Form der Ethikbegründung bei Fichte zu sondieren und einzuschätzen. Im Vordergrund zu stehen hat dabei Fichtes moralphilosophisches Hauptwerk, Das System der Sittenlehre aus dem Jahr 1798, das in seiner Verbindung von systematischer Strenge und detaillierter Ausführung mit souveräner Disposition und überlegener Darstellung wohl zu den gelungensten Werken Fichtes zählen dürfte und von ihm selbst auch so eingeschätzt worden zu sein scheint.5 Dagegen bietet der späte Vortrag der Sittenlehre aus dem Sommer des Jahres 18126 eine im philosophischen wie kurrikularen Kontext der späten Berliner Darstellungen der Wissenschaftslehre (1809-1814) vorgenommene selektive Neudarstellung von Hauptgedanken des vierzehn Jahre zuvor publizierten Werkes, das sich damit indirekt als weiterhin maßgeblich erweist - ein Umstand, der auch aus Fichtes Rückverweisen auf das frühere Werk in der späten Sittenlehre hervorgeht.7 Die im folgenden unternommene Charakteristik von Fichtes Ethikbegründung im System der Sittenlehre verfährt in drei Abschnitten. Zunächst wird die systemarchitektonische Stellung der Ethik bei Fichte, insbesondere die Integration der Sittenlehre in die Wissenschaftslehre - der Moralphilosophie in die Transzendentalphilosophie - erörtert. Im Vordergrund steht dabei das doppelte Programm der Herleitung („Deduction") des Sittengesetzes selbst und als solchem und der Herleitung seiner Anwendbarkeit. Sodann kommt Fichtes Bestimmung des Verhältnisses von Natur 4
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6 7
Für genauere Angaben und Nachweise zur problematischen Rezeption von Fichtes Ethik und speziell des Systems der Sittenlehre durch die Zeitgenossen und im Laufe des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts sowie zur Rezeption des Werks in der Fichte-Forschung siehe Zöller, 2005 a. Fichte selbst soll in einem Gespräch im Jahre 1802 geäußert haben, er halte „was er in seiner Moral [System der Sittenlehre\ über die vornehmlichsten Punkte der Transzendentalphilosophie gesagt, für das Erleuchtendste, was er darüber geschrieben." Siehe Fichte im Gespräch, 3:113. GA 11/13:307-392. Siehe die impliziten und expliziten Verweise in der Sittenlehre (1812) auf das System der Sittenlehre in GA 11/13:324 und 380. Für einen systematischen Vergleich der Willenslehre Fichtes im System der Sittenlehre von 1789 und der Sittenlehre von 1812 siehe Zöller, 1999, S. 430-440.
206
Günter Zöller
und Freiheit in seiner transzendentalen Theorie praktischer Subjektivität zur Erörterung. Das Augenmerk gilt hier der Funktion der Trieblehre Fichtes für die Gewinnung einer integralen, Naturales wie Supranaturales umfassenden Ethikbegründung. Abschließend wird die Spezifizierung des Sittengesetzes zu partikularen Pflichten behandelt. Im Mittelpunkt steht dabei Fichtes Konzeption eines supraindividuellen, genetischen Vernunftbegriffs und seiner kontingenten Individuation. Durchweg wird Fichtes Moralphilosophie vor dem konkurrierenden Vor- und Parallelentwurf Kants betrachtet.
2.
Eine systematisch integrierte Moralphilosophie
Wie bereits dem Untertitel des Werkes zu entnehmen ist, entwickelt Fichte das System der Sittenlehre „nach den Principien der Wissenschaftslehre". Damit ist mehr angezeigt als die Zugehörigkeit der Ethik zu einem umfassenden System der Philosophie, als dessen einer, praktischer oder angewandter Teil die Ethik fungiert. Fichtes Ambition ist die Integration des Begriffs- und Prinzipiengefüges der Sittenlehre in die systematische Grundlegung allen Wissens wie seiner Gegenstände (des im Wissen Gewußten) im Rahmen einer umfassend konzipierten, in „Wissenschaftslehre" umbenannten Transzendentalphilosophie. Der Argumentationsgang der Sittenlehre setzt deshalb bei Fichte nicht mit genuin moralphilosophischen Überlegungen ein, sondern mit einem Reflexionsgang, der sich nahtlos an die transzendentale Grundlegung des Wissens und insbesondere an die Grundlegung der „Wissenschaft des Practischen"8 anfügen soll. Während Kant auf der strikten Trennung zwischen reiner theoretischer Philosophie (Transzendentalphilosophie) und reiner praktischer Philoso-
So die Formulierung im Titel des abschließenden, dritten Teils von Fichtes Grundlage dergesammten Wissenschaftslehre (1794/95; GA 1/2:385). Zum Verhältnis des Systems der Sittenlehre zu dieser ersten und einzigen von Fichte selbst veröffentlichten Darstellung der Wissenschaftslehre und zur chronologischen wie sachlichen Zugehörigkeit des Systems der Sittenlehre zur zweiten, „neuen Darstellung der Wissenschaftslehre" - der Wissenschaftslehre nova methodo (1796-1799) - siehe Breazeale/ Zöller, 2005.
Konkrete Ethik
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phie (Moralphilosophie)9 wie auch auf der strengen Disjungiertheit der korrelierten Grundbegriffe von Natur und Freiheit insistiert,10 betreibt Fichte die extensionale wie intensionale Inklusion der Moralphilosophie in die Transzendentalphilosophie. Strategisch betrachtet bewerkstelligt er dieses Revirement durch eine zweifache Operation. Zum einen stellt er der überkommenen Zweiteilung der Philosophie in einen theoretischen und einen praktischen Teil eine prädisjunktive Fundamentaldisziplin voran, deren Gegenstandsbereich die generische Fundamentalstruktur des Wissens sein soll.11 Zum anderen arbeitet Fichte im Hinblick auf die radikale Grundlegungsdimension des Wissens einen Grundzug allen Wissens heraus, der nicht am überkommenen theoretisch-kontemplativen Charakter des Wissens orientiert ist, sondern an dessen praktischer oder Handlungsnatur. In dieser Ansicht erscheint alles Wissen, sei es manifest theoretischer Art (Wissen dessen, was ist) oder manifest praktischer Natur (Wissen dessen, was sein soll), aber auch das prädisjunktive transzendentale Wissen (Metawissen über die Bedingungen der Möglichkeit allen Wissens), als eine Form von Tun und damit von Praxis - freilich einer okkulten oder klandestinen Praxis, die zunächst und zumeist unbemerkt bleibt und erst in philosophischer Reflexion zum Vorschein kommen soll. In der Ausführung seiner praktisch orientierten Tieferlegung der Wissensbegründung geht Fichte grundsätzlich so vor, daß er Züge und Merkmale des manifest praktischen Wissens und der manifesten Praxis in die vorausgesetzte Grundlegungsdimension überträgt und sie dabei als „transzendental" oder „rein" umdeutet. Darüber hinaus werden auch die wesentlichen strukturellen Differenzierungen des Wissens, nach theoretisch und praktisch ebenso wie nach Subjekt und Objekt, in den vorausgesetzten, oder vielmehr: vorauszusetzenden, Urgrund des Wissens zurückprojiziert, der damit als zugleich einheitlich-ursprünglich und als prä- oder proto-strukturiert erscheint, wie dies in den Benennungen der Grundstruktur des Wissens 9
10 11
Zum Unterschied von reiner und nicht-reiner theoretischer und praktischer Philosophie siehe AA IV, 388f ( übers, von Th. Wiemer, München. MAUSS, M., 1968, Die Gabe. Form und Funktion des Austauschs in archaischen Gesellschaften, übers, von E. Moldenhauer, Frankfurt/M. (Französisches Original (1950): Essai sur le don, Paris). SARTRE, J. P., 1991, Das Sein und das Nichts, Reinbek bei Hamburg SCHLEIERMACHER, F.E.D., Hermeneutik, hrsg. von H. Kimmerle, Heidelberg 2 1974. VRIES, H. DE, 1999, Philosophy and the Turn to Religion, Baltimore/London. WALDENFELS, B., 1997, Topographie des Fremden. Studien zur Phänomenologie des Fremden I, Frankfurt/M. WlREDU, K , 1996, Cultural Universals and Particulars. An African Perspective, Bloomington/Indianapolis.
Ethischer Relativismus Die Pluralität der Moralvorstellungen als Problem der Moralepistemologie Dietmar H. Heidemann
1. Einleitung Sollte der ethische Relativismus wahr sein, könnte uns dies zur Akzeptanz von moralischen Überzeugungen, Standards und Urteilen zwingen, die wir möglicherweise mit guten Gründen als unhaltbar erachten. Denn gemäß dem ethischen Relativismus gibt es keine objektive, universal gültige Moral. Ziel dieses Beitrags ist es, die Probleme und letztlich die Unhaltbarkeit dieser Auffassung aufzuzeigen. Der ethische Relativismus stellt ein ernstzunehmendes philosophisches Problem dar und kann nicht als bloß theoretische Verirrung oder Häresie moderner Wissenschaften abgetan werden. Seine konzeptionellen Formen sind komplex und geben — neben primitiven — zum Teil subtile Argumentationen zu erkennen. Die Herausforderung durch den ethischen Relativismus sollte dabei nicht primär als aktuelle Parallel- oder Folgeerscheinung einer seit einigen Jahren viel debattierten Globalisierung verstanden werden. Auf sie pflegt man sich heute vor allem in politischen, aber immer wieder auch in philosophischen Kreisen zu berufen, um die Notwendigkeit zu untermauern, in einen interkulturellen oder auch innergesellschaftlichen Dialog einzutreten, der die Perspektive prinzipiell anderer Lebensformen und Denkweisen als die eigene einschließt und respektiert. Diese Notwendigkeit besteht ohne Zweifel, doch besteht sie nicht erst seit unseren Tagen. Denn der ethische Relativismus ist nicht allein ein Problem unserer Gegenwart, sondern tritt bereits in der Antike in Erscheinung und bringt darüber hinaus eine grundsätzliche
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Dietmar Η. Heidemann
ethische Problematik zum Ausdruck, die unabhängig von konkreten geschichtlichen Diskussionszusammenhängen eine Lösung verlangt. Die folgenden Untersuchungen zum ethischen Relativismus verstehen sich als Beitrag zur „Moralepistemologie". Mit dem hier vorgeschlagenen Begriff „Moralepistemologie" wird Bezug genommen auf das im englischsprachigen Raum seit einigen Jahren verfolgte Projekt der „moral epistemology", das im deutschsprachigen Bereich — wenn ich richtig sehe — noch kaum größere Resonanz gefunden hat. Die „moral epistemology" oder Moralepistemologie versucht, Probleme der Ethik mit erkenntnistheoretischen Methoden zu lösen. Während die substantielle oder normative Ethik untersucht, was moralisch richtig oder falsch ist, fragt die Moralepistemologie als Teildisziplin der Metaethik danach, ob und wie man wissen oder in der Uberzeugung gerechtfertigt sein kann, daß etwas moralisch richtig oder falsch ist. Es geht ihr mithin in erster Linie um Fragen wie „Was sind gerechtfertigte moralische Uberzeugungen bzw. Theorien?" oder „Wie ist moralisches Wissen möglich?" 1 Diese Fragestellungen tangieren unmittelbar das Problem des ethischen Relativismus, insofern dieser behauptet, daß unsere moralischen Überzeugungen bzw. Theorien zwar begründet sein mögen, daß sie aber nie objektiv gerechtfertigt und auch nicht objektiv wahr sind. In der Auseinandersetzung mit dieser Auffassung gilt es, aus der Perspektive der Moralepistemologie die facettenreichen Argumente zu prüfen, die der ethische Relativismus für seine Behauptung vorbringt, Fragen der Moral seien objektiv nicht entscheidbar. Somit wird im Folgenden vor allem unter Heranziehung moralepistemologischer Methoden, d.h. von Methoden, mit denen sich die Rechtfertigungsstrukturen moralischen Wissens analysieren lassen, zu zeigen versucht, worin die argumentativen Schwächen des ethischen Relativismus bestehen und daß er aufgrund dieser Schwächen unmöglich wahr sein kann. Insofern ist die Absicht der hier angestellten Überlegungen in erster Linie kritischer Natur. Weitere metaethische Teildisziplinen bzw. -bereiche sind die Theorie der Moralsprache, die Ontologie der Moral oder auch die moralische Definitionenlehre. Vgl. Sinnott-Armstrong, 1996, S. 4ff. Zum Projekt der Moralepistemologie siehe u.a. die Beiträge in Sinnott-Armstrong/Timmons, 1996, sowie die Darstellungen von Johnson, 1966; Arrington, 1989; Brink, 1989; Carson/Moser, 2001; ShaferLandau, 2003, bes. Kapitel V. Einen umfassenden Literaturüberblick zur Moralepistemologie bietet Haney, 1996.
Ethischer Relativismus
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,Relativismus' ist ein schillernder Begriff. Bevor die Konzeption des ethischen Relativismus im einzelnen erörtert werden kann, ist es daher ratsam, vorab die generelle Bedeutung dieses Begriffs zu klären (2.). Auf der Grundlage einer allgemeinen Bestimmung von ,Relativismus' wird dann eine Annäherung an den Begriff des ethischen Relativismus durch den Aufweis seiner antiken Ursprünge unternommen. Dieser Abschnitt zeigt, daß bereits die antiken Pyrrhoneer entscheidende relativistische Argumente entwickelt haben, die noch von heutigen ethischen Relativisten verwendet werden (3.). Anhand seiner drei gängigen Sonderformen werden sodann die Argumente für und Einwände gegen den ethischen Relativismus vorgestellt und gegeneinander abgewogen. Es handelt sich um die Formen des deskriptiven, normativen und metaethischen Relativismus und ihre jeweiligen Spezifikationen. Resultat der Erörterungen dieses Abschnittes ist, daß jede dieser drei Formen an grundlegenden argumentativen Defiziten krankt (4.). Ein Fazit faßt die Untersuchungsergebnisse zusammen. Dabei wird abschließend der aus Sicht der Moralepistemologie bestehende Problemzusammenhang von moralischem Realismus und ethischem Relativismus bzw. ethischem Skeptizismus thematisiert (5.).
2. Vorbemerkungen zum Begriff des Relativismus Aufgrund der vielfältigen Bedeutungen von ,Relativismus' fällt es nicht leicht, für diesen Begriff eine eindeutige konzeptuelle Bestimmung festzulegen. Klammert man die zahlreichen Sonderformen seines gesamten Bedeutungsspektrums vorerst aus, so läßt sich unter .Relativismus' im allgemeinen die Auffassung verstehen, daß die Zuschreibung von Eigenschaften, gleich was es sei, ob in Beschreibungen von Sachverhalten, in reinen oder empirischen Erkenntnissen, in Wertungen oder Normierungen, immer relativ ist zu internen oder externen Faktoren der Zuschreibung. Dem Relativismus zufolge besagt z.B. das Urteil ,a ist groß' soviel wie ,a ist groß relativ zu b' oder das Urteil ,a ist arm' soviel wie ,a ist arm relativ zu b'. Die Relativierung der Zuschreibung von Eigenschaften ist in solchen Fällen selbst für einen Nichtrelativisten noch vergleichsweise unproblematisch, da es sich bei Prädikaten wie ,groß' oder ,arm' um genuin relative bzw. relationale Eigenschaften handelt. Demgegenüber macht die Relativierung von Eigenschaften, die nicht genuin relativ oder relational
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Dietmar Η. Heidemann
sind wie z.B. ,blau' oder ,gerade' die eigentliche Schwierigkeit aus. Denn der Relativist behauptet, daß auch Aussagen wie ,x ist blau' oder ,y ist gerade' relativ sind, und zwar insofern χ nur für denjenigen, der χ wahrnimmt, ,blau', für einen anderen Wahrnehmenden aber möglicherweise ,grau' ist, und y nur in einem bestimmten geometrischen System die Eigenschaft ,gerade' zukommt, in einem anderen System aber nicht. Diese Auffassung des Relativismus läßt sich auf negative Weise näher profilieren anhand der Positionen, die er dezidiert ablehnt. Für falsch hält der Relativismus erstens den Universalismus, der hinsichtlich bestimmter Sachfragen eine allgemeine Ubereinstimmung für möglich hält, Reitens den Objektivismus, demgemäß Eigenschaften von partikularen Standpunkten unabhängig sind, sowie drittens den Absolutismus, demzufolge es zeitlich und räumlich invariante Eigenschaften gibt. 2 Ohne zunächst eine positive inhaltliche Bestimmung zu liefern, kann der Relativismus folglich als Theorie beschrieben werden, die sich formal auszeichnet durch einen Anti-Universalismus, Anti-Objektivismus und Anti-Absolutismus. Relativistische Theorien unterstellen, daß alle Standpunkte, von denen aus die Zuschreibung einer Eigenschaft erfolgt, gleichberechtigt sind, also kein Standpunkt privilegiert ist. Inwiefern diese Unterstellung berechtigt ist, stellt ein gravierendes Problem dar. Denn die Gleichberechtigung aller Standpunkte muß der Relativist offenbar voraussetzen. Die positive Bestimmung des Relativismus und die Spezifikation seiner Varianten kann nun erzielt werden, indem man zwischen a) der inhaltlichen Seite, d.h. den Gegenständen der Relativierung und b) der begründungstheoretischen Seite der Relativierung differenziert: a) Inhaltlich lassen sich drei Gegenstandsklassen der Relativierung unterscheiden: kognitive Objekte sowie moralische und ästhetische Normen und Werte. Entsprechend ergibt sich die Unterscheidung zwischen dem 2
Nach Baghramian, 2004, S. 2 lehnt der Relativismus des weiteren den Monismus ab, demgemäß es in bestimmten Fällen nie mehr als eine richtige Meinung, Theorie, Beurteilung etc. gibt. Harre/Krausz, 1996, S. 24 führen darüber hinaus den Fundationalismus an, demzufolge es eine allgemeine, verläßliche Grundlage der Beschreibung oder Beurteilung von Sachverhalten gibt. Die Positionen des Monismus und Fundationalismus sind m.E. im Universalismus, Objektivismus und Absolutismus implizit enthalten und bedürfen keiner gesonderten Nennung. Vgl. auch Arrington, 1989, S. 193ff, der zusätzlich insbesondere zwischen speziellen Formen des Absolutismus differenziert.
Ethischer Relativismus
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kognitiven, ethischen und ästhetischen Relativismus. Der kognitive 'Relativismus ist gewissermaßen als der Prototyp des Relativismus anzusehen. In der Geschichte der Philosophie hat er in der Antike Prominenz erlangt durch den Satz des Protagoras: „[...] von allen Dingen Maß ist der Mensch, einerseits der seienden, wie/daß sie sind, andererseits der nicht seienden, wie/daß sie nicht sind." (Piaton, Theaitetos 152 a 2-4; meine Übers.). Piaton hat diesen Satz im Theaitetos einer scharfsinnigen und zugleich einflußreichen Kritik unterzogen. In seiner Deutung versteht er ihn zunächst als relativistisches Prinzip der sinnlichen Wahrnehmung, insofern nach Protagoras eine Empfindung immer relativ sei zu den kognitiven Eigenschaften des jeweiligen individuellen Wahrnehmungssubjekts: „Für mich ist alles so, wie es mir erscheint, für dich wiederum so, wie es dir erscheint" (Theaitetos 152 a).3 D.h. was z.B. Α als warm empfindet, mag Β als kalt empfinden, wobei sich nicht sagen lasse, ob der in Frage stehende Gegenstand in Wirklichkeit warm oder kalt ist. Dieses relativistischphänomenale Verständnis des homo-mensura-SztT.e.s erweitert Piaton im Theaitetos um eine relativistisch-veritative Deutung, wenn es heißt, Vorstellungen seien „für den, der sie hat, wahr", für einen anderen möglicherweise aber falsch (Theaitetos 158 d f). In einer kompliziert aufgebauten Argumentation, der sogenannten pentrope, versucht er dann zu zeigen, daß die Relativierung von Wahrheit zum Selbstwiderspruch führt, da der Relativismus seine eigene nichtrelative Wahrheit und Gültigkeit impliziere. 4 Piatons Protagoras-Kritik dürfte verantwortlich dafür sein, daß man unter ,Relativismus' schon in der Antike vorrangig den Wahrheitsrelativismus verstand, obwohl zu den Gegenständen des kognitiven Relativismus auch Rationalität, Normen epistemischer Rechtfertigung, logische ebenso wie ontologische Bestimmungen und Wissen im allgemeinen zu zählen sind. Demgegenüber richtet sich der ethische Relativismus gegen die objektive Wahrheit und Falschheit moralischer Überzeugungen, oft aber auch gegen die Objektivität sittlicher Gebräuche, obwohl diese nicht unbedingt ethische Inhalte darstellen. Dem werden wir uns noch im einzelnen zuwenden. Gegenstand des ästhetischen Relativismus sind entsprechend ästhetische Normen und Werte, deren Relativität in der Regel mit ähnlichen Argumenten wie im moralischen Relativismus begründet wird. 5 3 4 5
Übersetzungen von E. Martens: Piaton, Theätet, Stuttgart 1981. Vgl. dazu Heidemann, 2000, S. 25ff. Vgl. Baghramian, 2004, S. 6f.
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Dietmar Η. Heidemann
b) Für das Relativismus-Problem aufschlußreicher als die inhaltliche ist die begründungstheoretische Seite der Relativierung, also die Frage, im Hinblick worauf Wahrheit, Rationalität, etc. sowie moralische und ästhetische Normen und Werte relativiert werden. Auch diesbezüglich können drei Grundformen unterschieden werden: der subjektive, soziale und konzeptuelle Relativismus: Der subjektive Relativismus begründet die Relativierung mit der individuellen kognitiven Ausstattung und den psychologischen Zuständen der Subjekte von Eigenschaftszuschreibungen. Hier handelt es sich um interne Faktoren der Zuschreibung, von denen abhängig gemacht wird, ob ein Prädikat auf einen Gegenstand zutrifft oder nicht. Der sociale Relativismus rechtfertigt die Relativierung unter Berufung auf kulturelle und historische Bedingungen und damit auf externe Faktoren der Zuschreibung, deren Vorliegen die Wahrheit und Falschheit von Uberzeugungen, Urteilen, Bewertungen etc. bestimme. Die kulturelle und historische Begründung von Relativität wird traditionell von einer großen Mehrheit ethischer Relativisten in Anspruch genommen. Schließlich führt der kon^ptuelle Relativismus die Relativierung darauf zurück, daß unser mentaler bzw. epistemischer Zugang zur Welt durch Begriffsschemata, wissenschaftliche Paradigmen, kategoriale Systeme usw. geprägt ist, deren Adaption durch Individuen oder Gesellschaften variabel und deren Bestehen wiederum internen und externen Faktoren ausgesetzt sei wie den psychologischen Zuständen von Subjekten oder der kulturellen Situiertheit einer Gesellschaft. Durch die Kombination der inhaltlichen (a) mit der begründungstheoretischen (b) Seite der Relativierung können nun die unterschiedlichen Formen des Relativismus auf unterschiedliche Weise instantiiert werden. So läßt sich beispielsweise der kognitive Relativismus auf interne, subjektspezifische Faktoren zurückführen, etwa auf die psychologischen Zustände eines Subjekts, oder auch auf externe, soziale Faktoren wie kulturelle Bedingungen. Oder die Relativität ästhetischer Normen und Werte kann extern erklärt werden durch historische Bedingungen wie epochenspezifische Geschmackspräferenzen oder auch intern durch die sinnliche Wahrnehmungsfähigkeit von Subjekten. Welche Kombinationen zwischen Formen des Relativismus auf der einen und Begründungsweisen auf der anderen Seite insgesamt möglich und sinnvoll sind, ließe sich im einzelnen eruieren. 6 Die folgenden Erörterungen beschränken sich auf die DiskussiSiehe die Differenzierungen von Baghramian, 2004, S. 8f.
Ethischer Relativismus
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on der spezifischen Begründungsweisen des ethischen Relativismus. Dessen Spezifikation als deskriptiver, normativer und metaethischer Relativismus läßt sich der Sache nach schon in der antiken pyrrhonischen Skepsis nachweisen.
3. Antike Ursprünge des ethischen Relativismus Wie der Wahrheitsrelativismus tritt auch der Relativismus in der Ethik schon in der Antike auf. Die Sophisten waren es, die im politischen und akademischen Leben der Antike ein relativistisches Verständnis moralischer Normen und Werte propagierten. Als signifikantes Beispiel kann auch hier Protagoras gelten, dem Piaton im Theaitetos (167 c) die Auffassung zuschreibt: „was einer jeden Polis gerecht und gut erscheint, das ist es auch für sie, solange sie es glaubt". Allerdings sind von der Sophistik keine im Detail ausgearbeiteten Theorien moralischer Relativität bekannt. Erst die pyrrhonische Skepsis hat entsprechende Argumentationen entwickelt, und noch heute wird in den Debatten um den ethischen Relativismus wissentlich oder unwissentlich vielfach auf sie zurückgegriffen. Der Sache nach liegt sogar die Unterscheidung zwischen dem deskriptiven, normativen und metaethischen Relativismus schon in der pyrrhonischen Skepsis vor. Der ethische Relativismus ist systematischer Bestandteil des pyrrhonischen Zweifels an objektiven, universal gültigen Wissensansprüchen. Ob es Wahrheit gibt oder nicht, lasse sich nicht erweisen, argumentieren die Pyrrhoneer, da argumentative Streitfragen grundsätzlich unentscheidbar oder besser unentschieden seien. Denn die hinsichtlich einer Streitfrage entgegengesetzten Argumente seien gleichwertig, so daß man sich der Zustimmung für oder gegen eine Sache und damit des Urteils enthalten müsse. Die Urteilsenthaltung wiederum führe zur Seelenruhe, die der Pyrrhoneer als das Ziel seines Zweifeins zu erreichen hofft. 7 Die Gleichwertigkeit der Argumente in ihrer Entgegensetzung wird von den Pyrrhoneern jedoch nicht einfach vorausgesetzt, sondern mit Hilfe der sogenannten Vgl. Sextus Empiricus, Grundriß der pyrrhonischen Skepsis (abgek. PH mit der Angabe des Buches und des Abschnitts), hier PH 1.8-10.
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Dietmar Η. Heidemann
Tropen hergestellt. Tropen sind Argumentationswendungen oder Begründungsweisen, die — in verschiedene Gruppen zusammengestellt — demonstrieren sollen, z.B. daß phänomenale Eigenschaften Dingen nur relativ zum Wahrnehmungssubjekt zukommen und daher nicht objektiv sind, oder auch daß alles Begründen ins Unendliche iteriert und nichts objektiv bewiesen werden kann. 8 Gemäß der pyrrhonischen Skepsis läßt sich letztlich nur sagen, daß etwas so-und-so zu sein scheint, nicht aber daß es tatsächlich so-und-so ist. Dies gilt nicht nur für die sinnliche Erfahrungswelt und für theoretisches Wissen im allgemeinen, sondern auch für moralische Normen und Werte, so daß man sich darüber des Urteils zu enthalten habe, „ob etwas von Natur [d.h. objektiv, D.H.] gut oder übel oder überhaupt zu tun sei" (PH III.234). Ihren ethischen Relativismus haben die Pyrrhoneer mit zahlreichen Argumenten plausibel zu machen versucht. In der systematischen Anordnung dieser Argumente kristallisieren sich bestimmte Grundformen heraus: Ein erstes Argument begründet die Relativität der Moral mit dem Hinweis auf das tatsächliche Vorliegen von grundsätzlich unterschiedlichen, zum Teil inkommensurablen Moralkonzepten sowie durch das Vorkommnis moralischer Meinungskonflikte generell. Demnach spricht die Tatsache, daß zum einen innerhalb von Gesellschaften fundamentale Differenzen hinsichtlich ethischer Fragen zutage treten und zum anderen unterschiedliche Kulturen nach prinzipiell divergierenden, nicht miteinander vereinbaren ethischen Überzeugungen leben, gegen die Allgemeinverbindlichkeit von moralischen Normen und Werten. Die Pyrrhoneer berufen sich dabei in vielfarbigen Schilderungen insbesondere auf die unterschiedlichen moralischen und sittlichen Verhaltensweisen der Völker wie der Äthiopier, Perser, Inder, Römer, Ägypter, Rhodier etc. sowie auf philosophische Meinungskonflikte in Moralfragen, etwa zwischen Stoikern und Epikureern. Dieses erste Argument verfährt also rein deskriptiv. 9 8 9
Vgl. PH I.35ff, 164ff. Vgl. PH I.145ff, PH III.198ff. Schon bei den Pyrrhoneern wird deutlich, daß in der Diskussion um ethische Relativität zwischen Moral und Sitte oft nicht eindeutig unterschieden wird. Für das Problem des ethischen Relativismus ist zunächst moralisches Handeln und nicht sittliches Verhalten wie das Tätowieren von Neugeborenen oder sexuelle Neigungen bestimmter Völker u.a.m. ausschlaggebend, auf das die Pyrrhoneer moralische Relativität auch zurückführen. Interessant in
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In einem ^weiten Argument erweitern die Pyrrhoneer die bloß evidentielle Deskription der Pluralität der Moralvorstellungen um die Feststellung, daß alle Moral „konventionell und relativ" (PH III.232) sei. Demnach gründet der ethische Relativismus in der normativen Bedeutung, die die Moral für eine Gesellschaft oder Kultur hat. D.h. die in einer Gesellschaft oder Kultur geltende Moral ist für deren Mitglieder verbindlich, auch wenn sie nur relative Geltung besitzt, nämlich insofern sie in anderen Gesellschaften oder Kulturen nicht gilt. Denn unter einer ethischen „Lebensform" verstehen die Pyrrhoneer „die für einen oder viele [...] geltende Wahl eines Lebens oder bestimmten Tuns", so daß etwas als moralisch richtig oder falsch nur „bezogen auf diese und diese Lebensform" erscheint (PH 1.145, 163). Das zweite Argument verweist also auf die normative Kraft, die einer Moralvorstellung innerhalb eines definierten Bereichs, einer Gesellschaft oder Kultur, zukommt. Ein drittes Argument schließlich ist epistemologischer Natur und richtet sich auf das Problem des moralischen Wissens. Gemäß diesem Argument kann man nicht wissen, ob etwas (objektiv) gut oder schlecht ist, so daß wir uns wie im Bereich theoretischer Erkenntnis auch hinsichtlich Moralfragen aufgrund der Gleichwertigkeit der Argumente in ihrer Entgegensetzung des Urteils enthalten müssen. 10 Gleichwohl ist es nach pyrrhonischer Ansicht durchaus möglich, sinnvolle moralische Urteile zu formulieren. Die Zuschreibung moralischer Eigenschaften wie ,gut' oder .schlecht' habe in moralischen Urteilen aber nicht-objektive, oder besser phänomenale und insofern relative Bedeutung. So bedeuten die moralischen Eigenschaften in dem Urteil „Das eine Seiende ist gut, das andere schlecht" nicht ,ist objektiv gut oder schlecht', sondern „erscheint" gut oder schlecht (M XI.18f). Diese phänomenale Auffassung moralischen Wissens begründen die Pyrrhoneer durch den Aufweis von Rechtfertigungsparadoxien im Bereich der Moralepistemologie. So erkennen wir z.B. diesem Zusammenhang ist, daß bereits die Pyrrhoneer Phänomene wie Kannibalismus, Menschenopfer, Sexualität, Ernährungsgewohnheiten, Kleidung etc. als entscheidende Merkmale sittlichen Verhaltens werten. In seinen kulturanthropologischen Studien zum ethischen Relativismus beruft sich Westermarck - offenbar in Unkenntnis der pyrrhonischen Skepsis - auf ebensolche Phänomene. Vgl. Westermarck, 1909, S. 240ff, 367ff, 441 ff. 10
Vgl. PH III.235 sowie Sextus Empiricus: Gegen die Dogmatiker. Adversus mathematicos libri 7-11 (abgek. Μ mit der Angabe des Buches und des Abschnitts), Μ XI.144.
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Dietmar Η. Heidemann
das an sich Gute nur an seinen Eigenschaften, etwa daß es „nützt" oder „Glückseligkeit" verschafft. Um diese Eigenschaften dem an sich Guten zuschreiben zu können, muß uns das an sich Gute aber schon bekannt sein, so daß die Erkenntnis des an sich Guten durch seine Eigenschaften in einen Zirkel führt (M XI.36ff). Wie an solchen und ähnlichen erkenntnistheoretischen Gründen deutlich wird, ist objektives moralisches Wissen nach pyrrhonischer Auffassung nicht möglich, so daß Moralvorstellungen für Individuen, in Gesellschaften und Kulturen immer nur relative Gültigkeit beanspruchen können. 11 Diese drei Grundargumente der pyrrhonischen Skepsis zugunsten der Relativität der Moral kongruieren mit den noch in der gegenwärtigen Debatte unterschiedenen Grundformen des ethischen Relativismus, dem deskriptiven, dem normativen sowie dem metaethischen Relativismus. Im Folgenden sollen diese drei Grundformen des ethischen Relativismus im einzelnen analysiert sowie Einwände gegen sie entwickelt werden.
4. Drei Grundformen des ethischen Relativismus In seinem Aufsatz Four Types of Ethical Relativism hat Paul W. Taylor 1954 eine Klassifikation von vier Typen des ethischen Relativismus vorgenommen. Demnach sind zu unterscheiden: 1.) der soziale oder kulturelle Relativismus: moralische Normen und Werte haben Gültigkeit nur relativ zu einer sozialen Gruppe, Gesellschaft, Kultur etc.; 2.) der psychologische oder kontextuelle Relativismus: moralische Urteile gelten immer nur relativ in bezug auf bestimmte Zwecke und Situationen; 3.) der theoretische oder logische Relativismus: moralische Urteile können nur gerechtfertigt werden unter Voraussetzung bestimmter Rationalitätsstandards, die selbst nicht gerechtfertigt werden können; 4.) der methodologische Relativismus: die Methoden der Rechtfertigung moralischer Urteile lassen sich selbst
Genaugenommen müßte man sogar sagen, daß sich moralische Urteile in der pyrrhonischen Skepsis weder objektiv noch relativ oder subjekdv begründen lassen. Vgl. dazu sowie zu weiteren Argumenten der Pyrrhoneer gegen die Objektivität der Moral Heidemann, 2003, bes. S. 155ff.
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nicht rechtfertigen. 12 Obwohl diese Typologie die auch heute noch debattierten Grundformen des ethischen Relativismus implizit enthält, hat sie sich nicht durchsetzen können. Klassisch geworden ist in terminologischer Hinsicht die von Richard B. Brandt im Jahre 1959 eingeführte Unterscheidung zwischen dem deskriptiven, normativen und metaethischen Relativismus. Sie hat sich etablieren können, weil sich durch sie die spezifischen Thesen und Argumente des ethischen Relativismus klar differenzieren lassen und dabei zugleich deren systematischer Zusammenhang deutlich wird. 13 Aus Sicht der Moralepistemologie kommt es nun darauf an, zu prüfen, ob sich die Grundthese des ethischen Relativismus, dergemäß es eine objektive Moral bzw. objektives moralisches Wissen nicht geben kann, in diesen drei Grundformen jeweils rechtfertigen läßt. Entsprechend sind die hier gegen diese These vorzubringenden Einwände in erster Linie erkenntnistheoretischer Art. Berechtigte allgemeinere Einwände wie z.B. das Bedenken gegenüber der Reformierbarkeit oder dem starren Konventionalismus relativistischer Moralkonzepte u. ä. werden in dieser Untersuchung nicht gesondert berücksichtigt. 4.1. Deskriptiver Relativismus Die These des deskriptiven Relativismus lautet: Der ethische Relativismus ist wahr, weil es eine empirische Tatsache ist, daß verschiedene Individuen, Gesellschaften und Kulturen unterschiedlichen, grundlegend divergierenden Moralvorstellungen anhängen. 14 In der Formulierung der These des deskriptiven Relativismus wird in der Regel dessen Wahrheitsanspruch ausgespart. So beschränkt man sich zumeist darauf, daß der deskriptive Relativismus lediglich feststellt, daß verschiedene Individuen, Gesellschaften und Kulturen unterschiedliche Moralvorstellungen akzeptieren, daß diese untereinander inkompatibel und 12 13
14
Vgl. Taylor, 1954. Vgl. Brandt, 2001. Siehe Rippe, 1993, S. 209ff; Baghramian, 2004, S. 274ff; Carson/Moser, 2001, S. l f ; auch Patzig, 1971. In Harmans, 2000 b, Taxonomie tritt anstatt des deskriptiven ein „moral judgement relativism" auf (siehe unten). Zu den verschiedenen Formulierungen dieser These siehe u.a. Rippe, 1993, S. 209; Baghramian, 2004, S. 274ff; oder auch Carson/Moser, 2001, S. 1 f.
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nicht reduzierbar seien. Ferner wird auf die fundamentale Differenz der Moralvorstellungen nur selten aufmerksam gemacht, obwohl dies erforderlich ist, um den deskriptiven Relativismus nicht schon aus beliebigen, möglicherweise zu vernachlässigenden moralischen Meinungskonflikten ableiten zu müssen. Auf den Wahrheitsanspruch muß in der These des deskriptiven Relativismus m.E. ausdrücklich aufmerksam gemacht werden, da diese Theorie die tatsächliche Pluralität der Moralvorstellungen als empirischen Beleg für die Relativität der Moral ansieht und diese nicht in beliebiger Weise behauptet. Gemäß seinem Selbstverständnis beruht der deskriptive Relativismus auf einer wissenschaftlichen Basis, die nicht die Moralphilosophie selbst, sondern vor allem die Anthropologie, die Ethnologie und die Kulturwissenschaft liefert. Nicht ohne Grund ist der ethische Relativismus ein Problem, das in neuerer Zeit, etwa seit Beginn des 20. Jahrhunderts, Einzug in die philosophischen Debatten hielt. Denn insbesondere die anthropologischen, ethnologischen und kulturwissenschaftlichen Forschungen von Westermarck, Sumner, Boas, Benedict oder auch Herskovits bis zur Mitte des Jahrhunderts, die materialreich die Vielfalt moralischen und sittlichen Verhaltens verschiedener Kulturen belegen, haben wesentlich dazu beigetragen, daß man auf der Grundlage empirischer Erkenntnisse dazu überging, die Reichweite geltender moralischer Maßstäbe als begrenzt anzusehen und ganz grundsätzlich die Möglichkeit einer objektiven Moral in Zweifel zu ziehen. Insofern geht der ethische Relativismus ursprünglich nicht aus der Moralphilosophie selbst hervor. 15 Die These des deskriptiven Relativismus ist weitaus komplexer und problematischer als es auf den ersten Blick scheint. Erst die nähere Analyse zeigt, daß sie zwei Teilthesen und weitere Annahmen beinhaltet, die man auch unter Voraussetzung ihrer empirischen Grundlagen nicht ohne
15
Dies gilt auch für seine antiken Ursprünge in der pyrrhonischen Skepsis, die die Relativität aller Moral ja zunächst ebenfalls im Ausgang von einer empirischen Deskription kultureller Differenzen begründet. Einen Überblick zu den Grundlagen des ethischen (deskriptiven) Relativismus in der Anthropologie, Ethnologie und Kulturwissenschaft des 20. Jahrhunderts bietet Rudolph, 1968, mit Fallbeispielen auch Rippe, 1993, S. 22ff. Den spezifisch erkenntnistheoretischen Implikationen der kulturellen Pluralität der Moralvorstellungen widmen sich die Beiträge in Paul/Miller/Frankel, 1994.
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weiteres akzeptieren muß. So setzt sich die These des deskriptiven Relativismus aus a) der Differenz- und b) der Dependenzthese zusammen: a) Die Differen^these besagt nichts anderes als daß es erwiesenermaßen unterschiedliche Moralvorstellungen gibt. Zwischen diesen Moralvorstellungen sind fundamentale Unterschiede zu verzeichnen, die gegebenenfalls auf deren Inkommensurabilität hinauslaufen. Fundamentale Differenzen sind solche, die bestehen bleiben, auch wenn in allen anderen Fragen Einigkeit zwischen unterschiedlichen Individuen, Gesellschaften und Kulturen herrscht. 16 Nur wenn man von solchen radikalen Unterschieden ausgeht, macht die Differenzthese überhaupt Sinn, d.h. es muß sich nahe legen, daß unterschiedliche Moralvorstellungen nicht oder nur schwer vergleichbar bzw. inkommensurabel sind und zwischen verschiedenen Individuen oder sozialen Gruppen keine Vermitdung ihrer moralischen Auffassungen denkbar ist. Ansonsten wäre es ja möglich, moralische Differenzen zwischen Kulturen als unechte Differenzen zu verstehen, nämlich insofern man sie als divergierende Ausprägungen eines einheitlichen, objektiven Moralprinzips behaupten könnte. Dies würde die These des ethischen Relativismus hinfällig machen. Aus prinzipiellen Überlegungen zur Differenz von Vorstellungssystemen hat daher Bernard Williams seine Konzeption eines Relativismus der Distanz entwickelt. Demnach ist der ethische Relativismus nur in solchen Fällen wahr, in denen zwischen den Moralvorstellungen verschiedener Kulturen so große Unterschiede bestehen, daß man sie nicht miteinander vergleichen kann. Solche Unvergleichbarkeiten bestünden z.B. zwischen Kulturen zeitlich weit auseinanderliegender historischer Epochen. Unhaltbar ist der ethische Relativismus hingegen, wenn es sich nicht um eine „ideelle", sondern um eine „reale Konfrontation" zwischen Kulturen handelt, die sich dadurch auszeichnet, daß für die Mitglieder der einen die jeweils andere Kultur eine „reale Option" darstellt und damit die Vergleichbarkeit beider Kulturen garantiert ist. 17 16
17
Vgl. Carson/Moser, 2001, S. 1. Zu einzelnen Arten moralischer Differenzen siehe Salehi, 2002, S. 136ff. Vgl. Williams, 1984, S. 148ff und Williams, 1985, S. 161 ff, w o der vielzitierte Führer aus der Bronzezeit und der mittelalterliche Samurai genannt werden, deren Leben für uns keine „real options" darstellen, so daß in diesen Fällen der ethische Relativismus gilt. Williams' Relativismus der Distanz ist m.E. wenig überzeugend, da der Fall divergierender Moralvorstellungen in der „ideellen Konfrontation"
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b) Gemäß der Dependen^these hängen Moralvorstellungen von gesellschaftlichen oder kulturellen Bedingungen ab, oder radikaler formuliert, Moralvorstellungen sind nichts anderes als Produkte jeweils herrschender gesellschaftlicher und kultureller Einflüsse. 18 Um diese These behaupten zu können, muß der deskriptive Relativist jedoch eine kausale Unterstellung machen. Er muß davon ausgehen, daß sich prävalierende Kontexte in entscheidendem Maße auf die Genese der Moral auswirken. Für diese Annahme scheint es zwar empirische und wissenschaftliche Evidenzen zu geben, doch läßt sich aufgrund der Tatsache allein, daß die unterschiedlichen Moralauffassungen mit unterschiedlichen Gesellschaften und Kulturen kongruieren, nicht die Möglichkeit ausschließen, daß Moralauffassungen kontextunabhängig auf die Autonomie vernünftiger Subjekte zurückgehen. Diese Möglichkeit muß der Relativist allererst widerlegen bzw. er muß seine kausale Unterstellung beweisen, um sie auszuschließen. Nimmt man die Differenz- und Dependenzthese zusammen, so läßt sich die Argumentation des deskriptiven Relativismus durch folgenden Schluß wiedergeben: 1. Solange es moralische Unterschiede zwischen Individuen, Gesellschaften und Kulturen gibt, gibt es keine objektive Moral. 2. Es gibt solche Unterschiede. Also: Es gibt keine objektive Moral. Formal ist dieser Schluß korrekt. Empirisch läßt er sich wohl nicht widerlegen, da man davon ausgehen kann, daß sich moralische Differenzen immer nachweisen lassen. Dennoch beruht dieser Schluß auf einer falschen Annahme. Denn seine Konklusion besagt implizit, daß der ethische Relativismus wahr ist, weil es eine Vielfalt von Moralvorstellungen gibt. Doch ist diese Konklusion ungültig, da sie nicht aus der Tatsache, daß uns
18
von Kulturen letztlich nur denkbar ist unter der Bedingung, daß sich Kulturen, wie groß die Distanz zwischen ihnen auch sein mag, überhaupt wechselseitig moralische Auffassungen zuschreiben und damit ein minimales gemeinsames Grundverständnis von ,Moral' teilen müssen, was letzdich doch Ansatzpunkte zur Vergleichbarkeit bietet. Die strikte Inkommensurabilität von Moralsystemen scheint mir nicht einmal sinnvoll denkbar zu sein. Vgl. eine ähnliche Kritik von Foot, 2002 b, S. 33. Auch hier gibt es wieder unterschiedliche Fassungen dieser These. Vgl. Rippe, 1993, S. 209f; Salehi, 2002, S. 154ff.
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die empirische Wirklichkeit eine Pluralität von Moralvorstellungen zeigt, gefolgert werden kann. Schließlich könnte es ja sein, daß alle tatsächlich vertretenen Moralvorstellungen falsch sind und die einzig wahre Moral nur noch nicht entdeckt wurde. D.h. aus der tatsächlichen Pluralität von Moralvorstellungen kann nicht die Wahrheit des ethischen Relativismus geschlossen werden. Nun könnte eingewandt werden, der deskriptive Relativismus nehme — anders als etwa der ethische Kognitivismus — gar nicht an, daß moralische Urteile wahr oder falsch sein können, so daß es eine wahre Moral auch gar nicht geben kann. Dieser Gegeneinwand ist jedoch nicht zulässig. Der deskriptive Relativismus vertritt zwar eine nichtnormative, deskriptive These, die nichts über die Wahrheit oder Falschheit von moralischen Uberzeugungen aussagt. Doch läßt er die metatheoretische Aussage zu, daß der deskriptive Relativismus als Theorie wahr ist.19 Daher scheint mir die These des deskriptiven Relativismus aus logischerkenntnistheoretischen Gründen unhaltbar zu sein. 4.2. Normativer Relativismus Der normative Relativismus entwickelt die These des deskriptiven Relativismus um den geltungstheoretischen Aspekt gewissermaßen weiter. Während jener die Vielfalt der Moralvorstellungen lediglich zur Kenntnis nimmt und nicht weiter bewertet, legt dieser eine normative Deutung moralischer Pluralität vor. In ihrer allgemeinen Form lautet die These des normativen Relativismus wie folgt: Das, was eine Gesellschaft oder Kultur als moralisch richtig oder falsch akzeptiert, ist in dieser Gesellschaft oder Kultur auch moralisch richtig oder falsch. 20 Diese allgemeine Version beschränkt sich auf die Feststellung, daß der Geltungsbereich von Moralvorstellungen eingegrenzt ist auf die Gesell19
20
Darauf weist zutreffend Scanion, 1995, S. 220 hin. So müßten die Urteile des ethischen Relativismus die „Condition R" erfüllen, dergemäß moralische Urteile nicht absolut gelten. Als Aussage über moralische Urteile sei „R" aber nicht selbst von der Relativität betroffen. Ähnlich Carson/Moser, 2001, S. 13f. Ganz ähnlich klingt schon die Auffassung des Protagoras: „was einer jeden Polis gerecht und gut erscheint, das ist es auch für sie, solange sie es glaubt" (nach Piaton, Theaitetos 167 c).
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schaft oder Kultur, die sie anerkennt. Als solche ist sie jedoch nicht präzise genug, um die Gesamtproblematik des normativen Relativismus hervortreten zu lassen. In dieser Hinsicht exakter ist die folgende Formulierung: Unterschiedliche moralische Agenten können Subjekte unterschiedlicher fundamentaler moralischer Forderungen sein, so daß Handlungen nur relativ zu diesen Forderungen moralisch richtig oder falsch sind.21 Wie im Fall des deskriptiven Relativismus ist auch hier weiter zu differenzieren. Zu unterscheiden sind zwei Sonderformen des normativen Relativismus: der individuelle und der soziale normative Relativismus. Gemäß dem individuellen normativen Relativismus ist eine Handlung für eine Person nur dann moralisch verpflichtend, wenn die Handlung von den fundamentalen moralischen Prinzipien vorgeschrieben wird, die die Person akzeptiert, wobei unterschiedliche Personen unterschiedliche fundamentale moralische Prinzipien akzeptieren können. Der soziale normative Relativismus erweitert diese These um einen soziokulturellen Geltungsanspruch. Demzufolge ist eine Handlung für eine Person nur dann moralisch verpflichtend, wenn die Handlung von den fundamentalen moralischen Prinzipien vorgeschrieben wird, die die Gesellschaft oder Kultur akzeptiert, in der die Person lebt. Unterschiedliche Gesellschaften oder Kulturen können unterschiedliche fundamentale moralische Prinzipien akzeptieren. Diese letzte These stellt die ethisch eigentlich relevante Formulierung des normativen Relativismus dar.22 Implizite Voraussetzung des normativen Relativismus ist die Differenzthese des deskriptiven Relativismus, derzufolge es eine Pluralität von Moralvorstellungen gibt. Andernfalls wäre die sozial- bzw. kulturrelative Restriktion des Geltungsbereichs fundamentaler moralischer Überzeugungen im normativen Relativismus kaum verständlich. Die Dependenzthese muß der normative Relativismus hingegen nicht notwendigerweise in Kauf nehmen. Die relative Geltung von Moral läßt sich nämlich nicht nur auf die kausalen Einflüsse zurückführen, die eine Gesellschaft oder Kultur auf die Genese der Moral ausübt, sondern auch auf eine kontraktualistische Verhandlungsgrundlage, wie sie von Vertretern des normati21 22
Vgl. Baghramian, 2004, S. 278ff; Carson/Moser, 2001, S. lf; Rippe, 1993, S. 213. Vgl. Carson/Moser, 2001, S. 2.
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ven Relativismus zusammen mit einem moralischen Konventionalismus zuweilen veranschlagt wird. 23 Eine weitere zu klärende Voraussetzung stellt das Wahrheitsverständnis des normativen Relativismus dar. Während der deskriptive Relativismus nichts über die Wahrheit moralischer Urteile aussagt, sondern lediglich die Vielfalt der Moralvorstellungen konstatiert und nur von der Wahrheit des ethischen Relativismus als Theorie spricht, behauptet der normative Relativismus, daß normative moralische Urteile wahr sein können, wenn auch nur relativ zu den in einer Gesellschaft oder Kultur anerkannten moralischen Standards oder Prinzipien. Die Frage ist nun, was der normative Relativist eigentlich für wahr hält. An dieser Stelle muß schon vorab kurz auf die Beziehung zwischen ethischem Relativismus und moralischem Realismus eingegangen werden. Den moralischen Realismus hält der ethische Relativismus für falsch. Denn der moralische Realismus geht davon aus, daß es moralische Tatsachen gibt, die wahr oder falsch sind, d.h. für jedes moralische Urteil lasse sich prinzipiell entscheiden, ob es wahr oder falsch ist. Eine solche Auffassung lehnt der normative Relativist ab, da es seiner Theorie zufolge ein rationales Entscheidungsverfahren, mit dem sich die Wahrheit oder Falschheit moralischer Urteile feststellen läßt, nicht gibt. Die Wahrheit moralischer Urteile besteht nach normativ-relativistischer Lehre in nichts anderem als der kontextspezifischen Akzeptanz von moralischen Normen. Während der moralische Realismus, wie wir im nächsten Abschnitt noch näher sehen werden, mit einem wohldefinierten Wahrheitsbegriff operiert, muß der normative Relativismus die in seiner Theorie problematische Annahme eines Begriffs relativer Wahrheit machen, der die Existenz moralischer Tatsachen zwar ausschließt, die Propositionen moralischer Urteile aber dennoch irgendwie für wahr bzw. falsch hält. Die Wahrheitsfähigkeit moralischer Urteile ist allerdings ein Problem vor allem des metaethischen Relativismus (siehe unten). Die in der gegenwärtigen Debatte am meisten diskutierte Version des normativen Relativismus hat Gilbert Harman entwickelt. Nach Harmans Formulierung besagt der normative Relativismus, „that two people can be subject to different moral demands and not subject to some more basic demand that accounts for this given their situation." 24 Seinen Relativismus 23 24
Vgl. z.B. Harman, 2000 a, S. 10ff und Harman, 2000 c. Vgl. Harman, 2000 b, S. 22.
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hat Harman in einer Reihe von Abhandlungen ausgearbeitet, denen insgesamt die Ansicht zugrunde liegt, daß sich Moral durch die implizite Übereinkunft oder stillschweigende Verständigung von Personen über ihre sozialen Beziehungen etabliert, zu denen moralische Urteile dann relativ wahr oder falsch seien. Untermauert wird diese Konzeption des moralischen Relativismus durch ein naturalistisches Weltbild. Damit ist nicht gemeint, daß Moral naturalistisch zu begreifen sei, sondern eher im Gegenteil, daß das gültige naturalistische Weltbild den ethischen Relativismus vielmehr zur Folge habe. Denn da sich die Moral einer objektiven, naturwissenschaftlichen Erforschung entziehe, müsse man ihre Relativität akzeptieren. Insofern involviere der Naturalismus den normativen Relativismus, wohingegen der Antinaturalismus zum moralischen Absolutismus führe. 25 Obwohl Harman seinen normativen Relativismus als Position versteht, die sich wie der Humesche Nonkognitivismus gegen die Vernunft als Quelle der Moral ausspricht, bezeichnet er ihn als „soberly logical thesis". Die Wahrheit und Falschheit von moralischen Urteilen wird demnach auf deren logische Form reduziert. So seien moralische Urteile wie Urteile über Größenverhältnisse (,x ist groß relativ zu y4) rein komparativ. Den Kern dieser Konzeption bildet die Theorie des sogenannten „inner judgement". Sie geht davon aus, daß unterschiedliche Personen Gründe dafür besitzen, gemäß unterschiedlichen moralischen Forderungen zu handeln. Diese Forderungen hängen von den jeweiligen Moralsystemen ab, die diese Personen akzeptieren. Über die Handlungen einer Person fällen wir innere Urteile, wobei wir von der entsprechenden Handlungsmotivation dieser Person ausgehen. Logisch seien solche Urteile gekennzeichnet durch die abstrakte Relation zwischen einem Urteilenden, der von einer Person eine verpflichtende Handlung erwartet, für die diese Person Gründe hat, die sie selbst akzeptieren muß. Innere moralische Urteile sind also durch zwei Annahmen charakterisiert: Zum einen daß eine Person Gründe für ihr Handeln hat, und zum anderen daß der Urteilende und die Adressaten des inneren Urteils diese Gründe anerkennen. Welche Gründe anerkannt werden, hängt wiederum von dem jeweils geltenden Moralsystem ab.26 Damit legt Harman seiner Konzeption des normativen Relativismus einen moralischen Internalismus zugrunde. Der Begriff ,Internalismus' 25 26
Vgl. Harman, 2000 d, S. 79ff. Vgl. Harman, 2000 a, S. 3ff, 8ff.
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stammt aus der Erkenntnistheorie. Dort besagt er im wesentlichen, daß Wissen nur dann gerechtfertigt ist, wenn das Subjekt des Wissens die Gesamtheit der sein Wissen rechtfertigenden Gründe prinzipiell überblicken kann. Der Internalismus des normativen Relativismus ist dagegen nicht erkenntnistheoretisch zu verstehen; hier bedeutet er vielmehr, daß eine Person für eine Handlung von ihr akzeptierte Gründe hat. Das erkenntnistheoretische Verständnis des Intemalismus lehnt Harman für seine Theorie auch deswegen ausdrücklich ab, da eine Person ansonsten für eine Handlung eine unendliche Reihe von Handlungsgründen angeben können müßte. 27 Gemäß Harmans normativem Relativismus sind nun die eine Person motivierenden Gründe relativ zu den moralischen Konventionen von sozialen Gruppen, wobei verschiedene soziale Gruppen unterschiedliche Konventionen aushandeln können. So könne es eine allgemein verbindliche, wahre Moral nicht geben, da Moralvorstellungen jeweils relativ zum moralischen Rahmenwerk einer Gesellschaft sind. Die Brisanz dieser Auffassung besteht insbesondere darin, daß Personen nicht dafür verurteilt werden können, bestimmte Handlungen nicht ausgeführt zu haben, wenn sie keine Gründe hatten, zu handeln. Dies führt zu der problematischen Auffassung, daß z.B. Hitler für seine Untaten moralisch nicht verurteilt werden kann, weil seine Taten relativ zum nationalsozialistischen ,moralischen' Rahmenwerk nicht verboten waren. So sei es für den ethischen Relativisten unzulässig zu sagen: „It was morally wrong for Hitler to have acted that way." 28 Zwar hat Harman die wohl am weitesten ausgearbeitete Version des normativen Relativismus vorgelegt, doch scheitert auch sie trotz ihrer logischen, internalistischen Grundlagen an einem Problem, das dem naturalistischen Fehlschluß nahe verwandt ist. Bekanntlich hat Hume darauf aufmerksam gemacht, daß aus einem Sein kein Sollen abgeleitet werden kann. Den verbotswidrigen Übergang vom Sein zum Sollen hat G. E. Moore später als den naturalistischen Fehlschluß' in der Ethik bezeichnet. Ich gehe davon aus, daß der Kern der Humeschen Kritik ein überzeugendes Argument darstellt, nämlich insofern die Schlußfolgerung von prä27 28
Vgl. Harman, 2000 b, S. 30f. Vgl. Harman, 1996, S. 62. Mir ist nicht verständlich, wie man - Relativismus hin oder her - sich zu dieser Auffassung bekennen und sie nicht für dezidiert unhaltbar befinden kann, auch wenn Harman eindeutig keinerlei Sympathie für den Nationalsozialismus bekundet.
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skriptiven aus deskriptiven Sätzen unzulässig ist, weil die Konklusion eines solchen Schlusses, der präskriptive Satz, mehr enthält als die deskriptiven Sätze, aus denen er gefolgert wird. Auch Harman geht wie der normative Relativismus überhaupt von der Faktizität der Vielfalt der Moralvorstellungen aus. Wie Moral letztlich zustande kommt, dürfte sich durch einen bloßen Konventionalismus allein aber nur schwer erklären lassen. Dies jedoch ist nicht entscheidend. Ausschlaggebend ist die Ausgangsannahme des normativen Relativismus, nämlich daß eine Pluralität von Moralvorstellungen faktisch besteht, deren Geltung relativ zu sozialen oder kulturellen Kontexten bestimmt ist. Also geht der normative Relativismus analog zum naturalistischen Fehlschluß vom faktischen Bestehen moralischer Vorstellungen in unterschiedlichen Gesellschaften und Kulturen zu ihrer normativen Geltung über. Man kann diesen Übergang als relativistischen Fehlschluß bezeichnen. Denn gemäß dieser Auffassung eignet moralischen Vorstellungen deswegen normative Kraft, weil sie in einer Gesellschaft oder Kultur akzeptiert werden. Allein das faktische Bestehen einer moralischen Vorstellung, auch wenn sie durch Konvention zustande gekommen ist, reicht demnach aus, daß sie gilt oder wahr ist. Daß diese Geltung bloß relativ und nicht universal ist, spielt dabei keine Rolle. Für den Aufweis der Unhaltbarkeit des normativen Relativismus reicht der Nachweis aus, daß er einen relativistischen Fehlschluß von dem, was ist, auf das, was sein soll, begeht. 29 Dieser prinzipielle Einwand widerlegt m.E. die These, daß der Geltungsanspruch (fundamentaler) moralischer Überzeugungen durch Rekurs auf soziokulturelle oder allgemeiner kontextuelle Bedingungen gerechtfertigt werden kann. Bleibt zu eruieren, ob es dem metaethischen Relativismus gelingt, die Relativität der Moral durch die Analyse der Wahrheits- und Rechtfertigungsfähigkeit moralischer Urteile zu begründen. 4.3. Metaethischer Relativismus Man kann die Ethik, wie eingangs bereits angedeutet, grundsätzlich einteilen in die Gebiete der normativen und der Metaethik. Während die normative Ethik untersucht, was moralisch richtig oder falsch ist und damit im engeren Sinne die Moral als solche zum Gegenstand hat, beschäftigt sich die Metaethik mit dem epistemischen und rechtfertigungstheoreti29
Vgl. auch McClintock, 1963.
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sehen Status normativer ethischer Ansprüche sowie mit der Analyse von Moralsprache und ethischen Ausdrücken. Zum Bereich der Metaethik zählt auch der metaethische Relativismus. Ihm wird im allgemeinen die These zugeschrieben, daß konfligierende moralische Urteile gleichermaßen wahr sein können. 30 Doch ist diese Formulierung der Grundauffassung des metaethischen Relativismus nicht ausreichend präzise. Denn über die veritative Gleichwertigkeit konfligierender moralischer Urteile hinaus behauptet der metaethische Relativismus, daß es keine Methode oder Theorie gibt, mit deren Hilfe sich moralische Meinungskonflikte lösen lassen und ferner daß moralische Urteile überhaupt weder wahr noch falsch oder gerechtfertigt sind. Diese drei Teilthesen, die unabhängig voneinander sind, stellen eigenständige Aspekte des metaethischen Relativismus dar. Die veritative Gleichwertigkeit konfligierender moralischer Urteile begründet der metaethische Relativist letztlich soziokulturell; daß sich moralische Meinungskonflikte methodisch bzw. theoretisch nicht entscheiden lassen, führt er im wesentlichen auf epistemologische Gründe zurück; und daß moralische Urteile weder wahr noch falsch oder gerechtfertigt sind, belegt er mit subjektivistischen Argumenten. Gemäß diesen drei Teilaspekten lautet die These des metaethischen Relativismus also: Konfligierende moralische Urteile sind a) gleichermaßen wahr, b) gleichermaßen gerechtfertigt oder c) moralische Urteile sind weder wahr noch falsch noch gerechtfertigt. a) Die veritative Gleichwertigkeit konfligierender moralischer Urteile ist gewissermaßen die logische Konsequenz des normativen Relativismus. Gelten Handlungen in normativer Hinsicht relativ zu soziokulturellen Kontexten als moralisch richtig oder falsch, so sind in metaethischer Hinsicht konfligierende Urteile über solche Handlungen relativ zu soziokulturellen Kontexten als gleichermaßen wahr anzusehen. Während es dem normativen Relativismus in erster Linie um die Geltungsbeschränkung moralischer Prinzipien oder Standards geht, so daß divergierende Moralvorstellungen aufgrund ihrer kontextuellen Relativität koexistieren können, sucht der metaethische Relativismus eine Antwort auf die Frage zu geben, wie in einem moralischen Meinungskonflikt kontradiktorische Ur30
So z.B. von Harman, 2000 b, S. 28: „Meta-ethical relativism holds that actually conflicting moral judgements about a particular case can both be right in nonborderline cases."
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teile gleichermaßen wahr sein können. Ausschlaggebend sind auch hier wiederum nicht beiläufige moralische Meinungsverschiedenheiten, sondern fundamentale Meinungskonflikte wie der zwischen den Urteilen ,Mord ist moralisch verwerflich' und ,Mord ist moralisch zulässig'. Die gängige metaethische Strategie, die Wahrheit zweier sich logisch ausschließender moralischer Urteile zu erklären, besteht in der Indexikalisierung bzw. Kontextualisierung der Urteile, die einen Meinungskonflikt konstituieren. Demnach bedeutet das Urteil ,Mord ist moralisch verwerflich' nichts anderes als ,Mord ist für Α bzw. unter den Umständen amoralisch verwerflich' und das Urteil ,Mord ist moralisch zulässig' nichts anderes als ,Mord ist für Β bzw. unter den Umständen b moralisch zulässig'. Die Einführung des relativierenden Operators ,für x' bzw. unter den U m ständen x' soll den Erklärungsgrund dafür liefern, daß relativ gesehen das eine Urteil zugleich ebenso wahr ist wie das andere. Damit erweise sich der in moralischen Meinungskonflikten zutage tretende Widerspruch zwischen Urteilen als ein nur scheinbarer. Scheinbare Widersprüche lassen sich als Widersprüche zwischen Urteilen verstehen, die ,aufgelöst' werden können, ohne daß der Wahrheitswert eines der entgegengesetzten Urteile tangiert wird. Während bei einem logischen Widerspruch gilt ,entweder ρ oder nicht-p', so daß entweder ρ oder nicht-p wahr ist, wird der scheinbare, nicht-logische Widerspruch so interpretiert, daß sowohl ρ als auch nicht-p wahre Aussagen darstellen und trotz ihrer gegenseitigen logischen Exklusion koexistieren können. Angestrebt wird dies durch Indexikalisierung bzw. Kontextualisierung der Urteile, wobei sich der metaethische Relativist allerdings auf soziokulturelle Kontexte beruft. Auf eine solche Strategie läuft z.B. Foots Konzeption des ethischen Relativismus hinaus, wenn sie festhält: „there is, of course, no question of contradiction between speakers saying ,p' and ,not p' in relevantly different contexts." 31 31
Vgl. Foot, 2002 a, S. 13. Anhand einer kontrastierenden Untersuchung von Geschmacks- und moralischen Urteilen entwickelt Foot einen, wie man ihn nennen kann, ,Semi-Relativismus', der auf der einen Seite die Relativität moralischer Standards konzediert, um auf der anderen Seite aber an universal gültigen moralischen Prinzipien wie dem Mordverbot festzuhalten. Foots Ausführung dieser Relativismus-Konzeption bleibt m.E. aufgrund eines nicht schlüssig begründeten Dualismus von universalistischen und relativistischen ethischen Ansprüchen insgesamt unklar. Zu Foot vgl. auch Rippe, 1993, S. 236ff.
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Man könnte einer solchen metaethischen Analyse von moralischen Meinungskonflikten schlicht mit dem semantischen Argument begegnen, daß derjenige, der das Prädikat ,wahr' relativistisch verwendet, die Bedeutung von ,wahr' nicht erfaßt habe, die die Redeweisen ,wahr für x' oder ,wahr unter den Umständen x' als un2ulässig verbietet. Denn ,wahr' heißt immer ,uneingeschränkt wahr'. Wie Aristoteles in Buch IV der „Metaphysik" anhand grundsätzlicher Argumente zeigt, dürfte die relativistische Verwendung von ,wahr' darüber hinaus nicht durchzuhalten sein. Auf solche Argumente kann an dieser Stelle nur hingewiesen werden. Harman hat zudem darauf aufmerksam gemacht, daß der metaethische Relativist gezwungen ist, zwei sich widersprechenden moralischen Urteilen zugleich zuzustimmen. Dies aber sei inkonsistent, denn er könne nicht das eine ebenso wie das andere für wahr halten, etwa die Urteile ,Abtreibung ist richtig' und ,Abtreibung ist falsch'. Da die Proponenten der beiden Urteile im übrigen davon ausgehen, einander tatsächlich zu widersprechen, handle es sich hier um einen genuinen, und nicht um einen bloß scheinbaren Widerspruch. 32 Diesem Einwand ist zuzustimmen. Man kann ihn allerdings noch verschärfen, indem man auf eine zusätzliche argumentationsimmanente Schwierigkeit der metaethischen Strategie hinweist, die moralische Meinungskonflikte als scheinbare Widersprüche zu identifizieren sucht. Der verschärfte Einwand besagt, daß der Versuch, Widersprüche zwischen moralischen Urteilen durch Indexikalisierung bzw. Kontextualisierung zu lösen, im Grunde gar nichts erklärt. Denn daß rivalisierende moralische Urteile relativ zu den Urteils Subjekten bzw. soziokulturellen Kontexten wahr sind, stellt letztlich nichts anderes als die Reformulierung der eigentlichen metaethischen Behauptung dar, daß konfligierende moralische Urteile gleichermaßen wahr sind. D.h. durch den Hinweis auf die Indexikalisierung bzw. Kontextualisierung des Wahrheitswertes moralischer Urteile wird die Frage, warum der metaethische Relativist zwei sich widersprechende moralische Urteile zugleich wahr nennen kann, nicht beantwortet. Schließlich besteht ein Unterschied zwischen der Feststellung, daß für die Angehörigen des einen soziokulturellen Kontextes das Urteil ρ wahr ist, für die Angehörigen eines anderen soziokulturellen Kontextes aber das Urteil nicht-p, und der Behauptung, in einem moralischen Meinungskon32
Vg'· Harman, 2000 b, S. 28ff, zum scheinbaren Widerspruch auch Salehi, 2002, S. 184ff.
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flikt könne der metaethische Relativist 2wei sich widersprechende Urteile zugleich wahr nennen. b) Die zweite Teilthese des metaethischen Relativismus, derzufolge konfligierende moralische Urteile gleichermaßen gerechtfertigt sind, führt uns noch einmal zurück zur pyrrhonischen Skepsis. Die pyrrhonischen Skeptiker lehren, daß sich für entgegengesetzte Urteile gleich gute Gründe beibringen lassen, so daß sich Meinungskonflikte in einer Sache weder zugunsten der einen, noch der anderen Seite beheben lassen. Wie bereits kurz skizziert, üben die Pyrrhoneer daher in solchen Fällen Urteilsenthaltung. Das gilt auch für den Bereich der Ethik. Ob χ moralisch gut ist oder nicht, läßt sich nach pyrrhonischer Lehre nicht sagen, weil kein Kriterium zur Verfügung steht, mit dessen Hilfe ein solcher Meinungskonflikt objektiv entschieden werden kann. Es handelt sich hier mithin um ein epistemologisches Argument, da die Unlösbarkeit moralischer Meinungskonflikte in diesem Fall rein methodisch begründet wird. Das Argument stützt sich letztlich auf das pyrrhonische Begründungs trilemma, demzufolge alle deduktiv-inferentielle, letztbegründende Rechtfertigung von Wissen entweder zu einem unendlichen Regreß im Rückgang auf immer neue Gründe, zur dogmatischen Setzung eines Letztgrundes oder zum Zirkel in der Begründung führt. 33 Aus dieser Begründungsaporie ziehen die Pyrrhoneer die skeptische Schlußfolgerung, daß man letztlich mangels eines objektiven Kriteriums nicht wissen könne, ob eines von zwei konfligierenden Urteilen besser gerechtfertigt sei als das andere. Daher dürfe es nicht heißen ,x ist gut', sondern korrekterweise müsse man in phänomenaler Ausdrucksweise sagen ,x erscheint gut'; dabei ist das Urteil ,x erscheint nicht gut' jedoch als gleichermaßen gerechtfertigt anzusehen (Μ XI.Iff). Gerechtfertigt sind diese Urteile dann jeweils relativ zu bestimmten Rechtfertigungsstandards, die in dem einen soziokulturellen Kontext gelten, in dem anderen hingegen nicht. 34 Die metaethische Schlußfolgerung, konfligierende moralische Urteile seien gleichermaßen gerechtfertigt, hängt von der Gültigkeit des Begründungstrilemmas, also vom tatsächlichen Mangel an einem objektiven 33 34
Vgl. zu den Details und Problemen dieses Trilemmas Heidemann, 2006. Auch in diesem Fall kritisiert Harman, 2000 b, S. 28ff m.E. zurecht, daß moralische Meinungskonflikte aufgrund (soziokulturell) unterschiedlicher Rechtfertigungsstandards nicht als nur scheinbare Widersprüche ausgegeben werden können.
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Rechtfertigungsverfahren ab. Daß dieser Mangel wirklich besteht, läßt sich nun durchaus bezweifeln. Denn die Begründungsaporie setzt ein Konzept deduktiv-inferentieller, hierarchisch strukturierter Rechtfertigung voraus, zu dem es grundsätzlich Alternativen gibt. Wie die allgemeine Erkenntnistheorie hat auch die Moralepistemologie Rechtfertigungstheorien entwickelt, die das klassische fundamentalistische Begründungsprogramm in der Ethik, wie das des ethischen Intuitionismus, der von nichtdiskursiven basalen ethischen Einsichten ausgeht, verabschieden und sich beispielsweise am Modell kohärentistischer Rechtfertigung moralischen Wissens orientieren. Das Modell fundamentalistischer Rechtfertigung, von dem die Gültigkeit des Begründungstrilemmas abhängt, ist also nicht alternativlos. Darauf wird im Schlußteil dieser Untersuchung zurückzukommen sein.35 Die methodologische Frage nach dem korrekten Rechtfertigungsverfahren ethischer Theorien stellt überhaupt den zentralen systematischen Untersuchungsgegenstand der Moralepistemologie dar. Die diesbezügliche Diskussion ist gegenwärtig noch völlig offen. Für die Begründung einer Ethik, die den Relativismus überwindet, scheint mir allerdings eine kognitivistisch-internalistische Theorie am aussichtsreichsten zu sein, da sie die moralische Autonomie von Handlungssubjekten besser zu garantieren vermag als etwa ein rechtfertigungstheoretischer Externalismus, der die Geltung moralischer Normen auf statuierte moralische Fakten zurückführt. Die zweite Teilthese des metaethischen Relativismus, konfligierende moralische Urteile seien gleichermaßen gerechtfertigt, kann an dieser Stelle jedoch nur unter dem Vorbehalt als falsch angesehen werden, daß es objektive Methoden der Rechtfertigung moralischen Wissens tatsächlich gibt. c) Die dritte Teilthese des metaethischen Relativismus spricht moralischen Urteilen die Wahrheitswert- und Rechtfertigungsfähigkeit überhaupt ab. Sind moralische Urteile aber weder wahr noch falsch oder gerechtfertigt, so folgt daraus, daß es moralische Meinungskonflikte nicht geben kann. Denn sinnvollerweise können nur wahre bzw. falsche und damit rechtfertigungsfähige Urteile einander widersprechen. Dies ist die Auffassung des ethischen Nonkognitivismus. Der ethische Nonkognitivismus besagt generell, daß es kein moralisches Wissen gibt, d.h. daß Fragen der Moral nicht rational entschieden werden können. Seine klassische 35
Siehe die Beiträge zum Spektrum ethischer Rechtfertigungstheorien in SinnottArmstrong/Timmons, 1996.
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theoretische Gestalt hat er im Emotivismus erhalten, der die Funktion moralischer Aussagen im wesentlichen auf die billigende oder mißbilligende Kundgabe moralischer Einstellungen wie Absichten, Wünsche, Erwartungen etc. reduziert. Neben C. L. Stevenson ist Ayer einer seiner bedeutendsten Vertreter. Anhand des verifikationistischen Sinnkriteriums von Aussagen hat Ayer zu zeigen versucht, daß moralische Urteile weder synthetisch noch analytisch, mithin nicht wissenschaftlich sind und bloß emotive Bedeutung haben. Moralische Urteile und die in ihnen verwendeten Ausdrücke stellten nichts anderes dar als „expressions of emotion which can be neither true nor false." 36 Früher noch als Ayer hat Westermarck die Relativität der Moral durch eine Theorie moralischer Gefühle zu begründen versucht. Demnach spielt der Unterschied zwischen ,wahr' und ,falsch' in der Ethik keine Rolle, weil moralische Urteile auf Emotionen beruhen. Da moralische Gefühle von divergierenden soziokulturellen Gegebenheiten abhängen, könne es eine objektive, universale Moral folglich nicht geben. 37 Daß der Emotivismus überhaupt zum ethischen Relativismus zählt, ist allerdings umstritten. Der Emotivist, so wird zuweilen argumentiert, könne den Prinzipien seiner ethischen Theorie ja universale Geltung beimessen und sie von den Partikularbedingungen soziokultureller Kontexte ablösen. Daher müsse er nicht notwendigerweise eine Verbindung mit dem ethischen Relativismus eingehen. Diese Auffassung setzt allerdings die strikte Homogenität der emotiven bzw. emotionalen Ausstattung der menschlichen Natur voraus. D.h. der Emotivist muß davon ausgehen, daß sich Agenten in ihren moralischen Einstellungen wesentlich gleichen und in der Struktur ihres moralischen Gefühlslebens gleich veranlagt sind, so daß sie in denselben oder zumindest in ähnlichen Situationen dieselben oder ähnliche moralische Urteile fällen, die bei anderen dieselben oder ähnliche moralische Gefühle hervorrufen. 38 Diese From des Emotivismus ist tatsächlich nicht dem ethischen Relativismus zuzurechnen. Dies spricht im übrigen dafür, daß nicht alle nonkognitivistischen Theorien automatisch relativistisch sind. Varianten des Emotivismus wie die von Wester36 37 38
Vgl. Ayer, 1990, S. 104. Vgl. Westermarck, 1932, bes. S. 62ff, 89ff, 183ff. Sogar mit dem ethischen Naturalismus kann der Emotivismus kompatibel sein, etwa wenn er moralische Gefühle als (objektive) natürliche Eigenschaften von Handlungen ansieht. Vgl. Harman, 1981, S. 41 ff, sowie Harman, 2000 b, S. 25f.
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marck präsentierte Fassung stellen allerdings eindeutig relativistische Positionen dar, zumal wenn sie von der kultursensitiven, relativen Grundlage der Moral ausgehen. Darüber hinaus hat die emotive Deutung der Moral zur Folge, moralische Meinungskonflikte als scheinbare Widersprüche verstehen zu müssen, da moralische Gefühle einander nicht zu widersprechen vermögen. Die Behauptung moralischer Meinungskonflikte als scheinbare Widersprüche ist, wie wir bereits gesehen haben, ein Kennzeichen relativistischer Moralkonzepte. Gegen den Nonkognitivismus bzw. Emotivismus sind zahlreiche prinzipielle Einwände erhoben worden. Zu den zentralen Argumenten gegen ihn gehört die Feststellung, daß sich unsere moralischen Einstellungen nicht ad hoc ergeben, sondern Resultate einfacher oder auch komplexer Reflexionsprozesse sind, was der nonkognitivistischen Grundlage des Emotivismus widerspreche. Des weiteren hat man auf die Tatsache verwiesen, daß sich moralische Einstellungen ja auch als falsch erweisen können, was der zentralen Annahme des Emotivismus entgegensteht, moralische Urteile seien nicht wahrheitswert- und damit auch nicht rechtfertigungsfähig, obgleich sie in einem nonkognitiven, kausalen Sinn durchaus begründet sein können. Im übrigen sei es ohnehin die Regel, in ethischen Diskursen von der Wahrheit und Falschheit moralischer Urteile zu sprechen. An diese Stelle setzt ein Gegeneinwand von selten des metaethischen Relativismus an, der die Rede von wahren und falschen moralischen Urteilen oder auch Normen und Werten erklären soll. Es handelt sich um die sogenannte Irrtumstheorie von J. L. Mackie. Mackie sucht zu erklären, warum wir moralische Aussagen für objektiv halten, obwohl sie es nicht sind. Mackies skeptisch-relativistische Grundthese lautet: „there are no objective values." Objektive Werte könne es nicht geben, so Mackie, denn „value statements cannot be either true or false". 39 Bei der Begründung dieser Auffassung beruft sich Mackie nun nicht auf linguistische Argumente oder den Emotivismus, auch wenn er eine gewisse Nähe seiner Theorie zum ethischen Subjektivismus, der moralische Aussagen für Berichte über moralische Gefühle oder Einstellungen des Sprechers halte, nicht bestreitet. Daß moralische Urteile nicht objektiv sind, führt Mackie vielmehr zum einen auf die soziokulturelle Diversität moralischer Regelsysteme sowie zum anderen auf das offensichtliche Nichtvorhandensein von moralischen Entitäten, Qualitäten oder Relationen als Gegenstände 39
Vgl. Mackie, 1977, S. 25.
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objektiven Wissens zurück. Obwohl wir nach verschiedenen Moralvorstellungen leben und Entitäten, Qualitäten oder Relationen dieserart nicht existieren, halten wir unsere moralischen Uberzeugungen und Aussagen dennoch für objektiv - eben darin bestehe unser Irrtum. 40 Die dritte Teilthese des metaethischen Relativismus, derzufolge moralische Urteile weder wahrheitswert- noch rechtfertigungsfähig sind, scheitert im wesentlichen aus denselben Gründen wie die erste Teilthese, konfligierende moralische Urteile seien gleichermaßen wahr. Denn indem moralischen Urteilen die Wahrheits- und Rechtfertigungsfähigkeit abgesprochen wird, werden moralische Meinungskonflikte letztlich als nur scheinbare Widersprüche ausgegeben. Abgesehen davon, daß der metaethische Relativist, gleich ob als Emotivist oder Vertreter der Irrtumstheorie, die von ihm formulierten sinnvollen moralischen Aussagen wie ,Mord ist verboten.' oder .Nächstenliebe ist gut.' als unechte assertorische Sätze zu verstehen hat, muß er gemäß seiner Lehre die Aussagen ,Mord ist verboten.' und ,Mord ist nicht verboten.' für nicht widersprechend und ihre Kontradiktion also für unproblematisch halten. Auf die Inkonsistenz dieser Auffassung wurde bereits aufmerksam gemacht. — Im Schlußabschnitt sollen die Untersuchungsergebnisse nun noch einmal resümiert werden. Einzugehen ist dabei auch auf eine generelle Argumentationsvoraussetzung des ethischen Relativismus und seinen Zusammenhang mit dem ethischen Skeptizismus.
5. Schluß: Relativismus, Realismus und Skeptizismus in der Moralepistemologie Wenn die vorangegangenen Untersuchungen zutreffen, ist der ethische Relativismus eine unhaltbare Theorie. Im Anschluß an eine allgemeine Begriffsbestimmung von ,Relativismus' sowie einer Reminiszenz an den ethischen Relativismus der antiken pyrrhonischen Skepsis wurden drei
40
Vgl. Mackie, 1977, S. 36ff, 48f; Blackburn, 1993, S. 149f moniert nicht ganz zu Unrecht, daß Mackie trotz seiner Kritik seine eigene ethische Theorie im Vokabular des „Irrtums" formuliere.
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Grundformen des ethischen Relativismus unterschieden: der deskriptive, normative und metaethische Relativismus. Jeder dieser Formen konnten schwerwiegende argumentative Defizite nachgewiesen werden. Der deskriptive Relativismus gibt das faktische Bestehen moralischer Pluralität als Beleg für die Relativität der Moral aus, obwohl aus logischen Gründen die Vielfalt der Moralvorstellungen allein einen solchen Beweis nicht rechtfertigt, denn die Gesamtheit der tatsächlich vertretenen moralischen Auffassungen könnte sich als falsch erweisen. Der normative Relativismus scheitert letztlich am relativistischen Fehlschluß vom faktischen Bestehen einer Vielfalt von Moralvorstellungen auf deren Normativität. Schließlich kann der metaethische Relativismus nicht plausibel machen, daß moralische Meinungskonflikte nur scheinbare Widersprüche darstellen, in denen man konsistenterweise konfligierende moralische Urteile zugleich für wahr halten kann. Offengelassen werden mußte die moralepistemologische Frage nach dem korrekten objektiven Rechtfertigungsverfahren von moralischem Wissen. Stünde ein solches Verfahren zur Verfügung, so könnte man versuchen, den ethischen Relativismus aus rein erkenntnistheoretischen Gründen zurückzuweisen. Einige Aspekte dieser Überlegung sind nun abschließend in Form eines Ausblicks noch einmal aufzugreifen. Aufmerksam zu machen ist auf eine zuvor bereits angesprochene generelle Argumentationsvoraussetzung des ethischen Relativismus: die Falschheit des moralischen Realismus. Es ist offensichtlich, daß der ethische Relativismus nur dann wahr sein kann, wenn der moralische Realismus falsch ist. Da von Seiten des ethischen Skeptizismus jedoch grundsätzliche Einwände gegen den moralischen Realismus erhoben werden, besteht erhöhter Klärungsbedarf über das theoretische Beziehungsgeflecht zwischen dem Relativismus, Realismus und Skeptizismus in der Ethik. Klärungsbedürftig ist insbesondere, ob die mögliche Falschheit des moralischen Realismus automatisch die Wahrheit des ethischen Relativismus nach sich zieht. Wir haben bereits gesehen, daß der ethische Nonkognitivismus wie im Falle bestimmter Formen des Emotivismus nicht notwendigerweise zum ethischen Relativismus führen muß. Andererseits aber dürfte klar sein, daß nonrealistische Moraltheorien die Gefahr relativistischer Konsequenzen bergen. Denn die These des moralischen Realismus lautet, daß moralische Urteile moralische Tatsachen beschreiben; moralische Tatsachen seien unabhängig von Personen und deren subjektiven Erfahrungen, so daß moralische Urteile objektiv wahr oder falsch sein können. Da der moralische Realismus die (objektive) Wahrheitsfähigkeit moralischer Urteile vertritt,
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zählt er zum ethischen Kognitivismus, der von der Möglichkeit moralischen Wissens ausgeht. 41 Die Verneinung des moralischen Realismus durch nonrealistische Moraltheorien bedeutet dann, daß moralische Urteile weder wahr noch falsch sein können. Wie sich erwies, ist ebendies eine der Thesen des metaethischen Relativismus, so daß sich der Schluß nahe legt, nonrealistische ethische Theorien führten, sofern sie nicht bestimmten Formen des Emotivismus anhängen, zum ethischen Relativismus. Möchte man nun — aus noch zu skizzierenden Gründen — den moralischen Realismus vermeiden, so stellt sich aus Sicht der Moralepistemologie die Frage, ob es eine ethische Theorie geben kann, die zwar den moralischen Realismus ablehnt, aber gleichwohl einen (nicht naturalistischen) Kognitivismus zuläßt, auf den sich objektives moralisches Wissen gründet. Der moralische Realismus sieht sich insbesondere mit zwei Schwierigkeiten konfrontiert. Zum einen muß er den ontologischen Status moralischer Tatsachen klären. Denn auf den ersten Blick scheint die Rede von in der Welt an sich bestehenden moralischen Tatsachen, die sich jeglicher empirisch-wissenschaftlicher Untersuchung entziehen, nicht unproblematisch zu sein, nicht zuletzt weil der moralische Realismus damit ein eigenes Reich moralischer Tatsachen zu postulieren scheint, die wir in moralischen Urteilen korrespondenztheoretisch abbilden. 42 Mit dem ontologischen Status moralischer Tatsachen hängt zum anderen die zweite Schwierigkeit zusammen: Wenn moralische Tatsachen in dem Sinne objektiv sind, daß sie unabhängig davon existieren, was wir über sie denken, so stellt sich die spezifisch moralepistemologische Frage, welchen epistemischen Zugang wir zu ihnen haben. Eine des öfteren favorisierte Antwort auf diese Frage gibt der ethische Intuitionismus oder, wie Arrington ihn nennt, der „intuitionism-cum-realism". 43 Nach dieser Theorie werden moralische Tatsachen, z.B. Werte, durch ein besonderes intuitives Vermö41
42
43
Eine weitere klassische Form des ethischen Kognitivismus ist der Rationalismus. Gemäß dem ethischen Rationalismus gibt es rationale Beweise für die Moral. Als rationalistisch wird z.B. Rawls' Konzeption des „Schleiers des Nichtwissens" bezeichnet. Vgl. Arrington, 1989, S. 10 und 74ff, auch Shafer-Landau, 2003, S. 13ff. Die Frage, ob der moralische Realismus das Bivalenzprinzip voraussetzt, also voraussetzt, daß aufgrund der moralischen Realität moralische Urteile entweder wahr oder falsch sind, wird hier ausgeklammert. Vgl. dazu Harre/Krausz, 1996, S. 167ff. Vgl. Arrington, 1989, S. 11.
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gen erfaßt, das der sinnlichen Wahrnehmung analog funktioniere. Gemäß einem solchen Wahrnehmungsmodell verfährt z.B. McDowell in seiner Konzeption eines moralischen Realismus. In kritischer Auseinandersetzung mit Mackies ethischem Skeptizismus und in Anknüpfung an Locke versteht er Werte bzw. moralische Tatsachen wie z.B. Farben als „sekundäre Qualitäten", die letztlich „unabhängig von jeder ihrer einzelnen manifesten Erfahrungen bestehen." 44 Das mit dem Intuitionismus bzw. dem Wahrnehmungsmodell verbundene grundsätzliche Problem ist die Annahme, daß ethisches Erkennen überhaupt der sinnlichen Wahrnehmungsfähigkeit analog ist und was dies besagt. Bei der Annahme eines ethischen ,Wahrnehmungssinns' handelt es sich um eine starke epistemologische Annahme, da die Objekte solcher ethischen Wahrnehmung sich offensichtlich anders präsentieren als die der sinnlichen, so daß sie auch nicht durch ein sinnliches, sondern durch ein besonderes Intellektualvermögen erfaßt werden. Und sollte es ethisches Erkennen durch einen ,Wahrnehmungssinn' tatsächlich geben, so scheint entgegen der Voraussetzung der intendierte objektive Inhalt wie in der sinnlichen Wahrnehmung subjektiviert zu werden. Schwerwiegender noch als solche Bedenken ist der Zweifel des ethischen Skeptikers gegenüber dem moralischen Realismus. Der ethische Skeptizismus sucht im wesentlichen zweierlei zu zeigen: Als ethischer Rechtfertigungsskeptizismus hält er es für unmöglich, moralisches Wissen zu rechtfertigen. Als ethischer Wissensskeptizismus bezweifelt er, daß wir wissen können, ob unsere moralischen Uberzeugungen wahr sind. Zwei Argumente sind es nun, die der ethische Skeptizismus dem moralischen Realismus entgegenhalten kann: Erstens daß sich das Wissen moralischer Tatsachen auf der Grundlage des intuitionistischen Modells nicht rechtfertigen läßt, da es am skeptischen Begründungstrilemma scheitert. Denn ein evidentielles moralisches Wissen kann der moralische Realist letztlich nur dogmatisch voraussetzen, wenn er seine Begründung dem Regreß- und dem Zirkelvorwurf entziehen will. Zweitens kann der moralische Realist nicht ausschließen, daß er - wie in der sinnlichen Wahrnehmung - in seiner ethischen Wahrnehmung systematisch getäuscht wird. 45 Während der 44
45
Vgl. McDowell, 2002, S. 225, zu Mackie und Locke S. 207ff. Zum moralischen Realismus McDowells siehe Arrington, 1989, S. 119ff. Vgl. zum ethischen Skeptizismus und seinen Argumenten im einzelnen SinnottArmstrong, 1996), S. 8ff.
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moralische Realist gegen das erste skeptische Argument möglicherweise noch geltend machen kann, moralisches Wissen unmittelbar zu besitzen oder zu erwerben, muß er gegen das zweite stärkere Geschütze auffahren. Er muß zeigen, daß die Verbindung seiner moralischen Überzeugungen mit der moralischen Wirklichkeit sicher und gegen Angriffe von Seiten des ethischen Skeptizismus immun ist. Die Absicherung gegen den Skeptizismus als überspannte rechtfertigungstheoretische Forderung abzulehnen, scheint mir dabei ein argumentatives Ausweichmanöver darzustellen. 46 Falls sich der moralische Realismus als unhaltbar herausstellen sollte, was im einzelnen zu erweisen wäre, würde dies im Gegenzug allerdings nicht den ethischen Relativismus bewahrheiten. Denn daß sich die Objektivität moralischen Wissens nicht innerhalb eines moralischen Realismus rechtfertigen läßt, bedeutet nicht, daß sie sich gar nicht rechtfertigen läßt. Wie eine objektive Theorie der Rechtfertigung moralischen Wissens aussehen könnte, darin besteht eine der vorrangigen Aufgaben der Moralepistemologie.
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Ρ er s onenregis ter Albert der Große 38 Albert, Κ. 15 Allison, Η. Ε. 360 Apel, K.-0. 3f, 289, 295f, 307, 312, 386 Arendt, H. 36 Aristoteles 4, 9, 13, 16, 18, 20, 22, 26ff, 36ff, 65ff, 89, 95, 103, 139, 143, 149, 283, 329, 332, 376, 378, 411 Arneson, R. 333 Arlington, R. L. 4f, 390, 392, 418f Audi, R. 5 Augustinus 68, 135 Avicenna 76 Axelos, Chr. 140 Ayer, A. J. 4,414
Böhm, D. 384ff Bonitz, H. 41 Bormann, K. 25 Borradori, G. 373 Boyd, R. 336 Brandt, R. B. ,318, 325, 399 Breazeale, D. 206 Brink, D. 390 Broadie, S. 46 f Bröcker, W. 36 Brown, G. 146 Brunschwig, J. 20 Bubner, R. 24 Buckle, S. 153,174,177 Busche, H. 143
Baghramian, M. 392ff, 399, 404 Baier, A. 153,170,172,295 Bales, R. E. 321 Baltes, M. 13 Baum, Μ. 186 Baumgarten, A. G. 191 Baynes, Κ. 289 Beckermann, Α. 358, 360 Beierwaltes, W. 1 5 , 2 2 , 3 1 Beneke, F. Ε. 213 Benjamin, W. 375,382 Bentham, J. 323f, 329f Bien, G. 37,40 Blackburn, S. 166,169,416 Blakeslee, S. 342 Blumenbach, F. A. 214 Bobro, Μ. E. 148 Bodeüs, R. 46f, 50, 53 Boethius 74f
Carson, Τ. L. 390, 399, 401, 403f Chalmers, D . J . 359 Chang, R. 328 Cesa, C. 215 Cicero 13, 88ff Clark, T . W . 361 Cornell, D. 373 Couturat, L. 130 Crick, F. 342,352 D'Aquili, E. G. 342 DeVries, H. 373f Deecke, L. 343 Dennett, D. C. 342, 352f, 356 Derrida, J. 367f, 372ff, 382ff Descartes, R. 123,253,258 Detel, W. 359 Dewey, J. 232 Dörrie, H. 13
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Personenregister
Düsing, Ε. 7 Düsing, IC 3ff, 7, 41, 65,144, 236, 244f, 248, 253, 336, 339f, 355, 367 Ebbinghaus,}. 196 Eccles,J. C. 358 Eder, W. 16 Eimer, M. 342, 344, 351, 353ff Elger, C. 341 Enders, M. 29 Engel, A. 352 Engelhard, IC. 125,129 Feldman, F. 324 Fichte, J. G. 9,111,150, 203ff, 237, 254, 257 Figel, A. 366 Flashar, H. 35 Fleck, L. 303 Foot, Ph. 319,402,410 Forschner, Μ. 73 Fulda, H.-F. 256 Gadamer, H.-G. 23, 37ff, 372, 384ff Gaiser, K. 14 Garve, Chr. 186,196 Gastaldi, S. 52 Gehlen, A. 60 Geismann, G. 196 Graeser, A. 5 Grisez, G. 70 Grotius, H. 105,122, 142 Gurwitsch, A. 123, 125, 129ff, 147 Gurwitsch, G. 204 Gutschker, Th. 35ff Guzzoni, U. 261 Haakonssen, K. 153 Habermas, J. 7, 289ff, 340, 350, 356, 359ff, 385, 386 Hadot, P. 13,15 Haggard, P. 342, 344, 351, 353ff
Hahn, S. 264 Halbig, Chr. 235,265 Hale, B. 166 Halfwassen, J. 15ff, 19ff, 29f Haney, M. R. 390 Happ, H. 22 Hare, R. M. 4,7 Harman, G. 399, 405ff Harre, R. 392,418 Harrison, J. 164 Harsanyi, J. 325 Hegel, G.W.F. 9, 31, 37f, 103, 11 Of, 113ff, 150, 153f, 173ff, 204, 231ff, 253ff, 290f, 294, 296ff, 31 Iff, 372, 376 Heidegger, M. 35f, 38, 257, 260, 367ff, 384 Heidemann, D. H. 393, 398, 412 Heinekamp, A. 129,131,138,143,146 Helmrich, H. 357 Hennis, W. 36 Henrich, D. 257 Heraklit 378 Hobbes, Th. 9, 87ff, 122f, 132, 142 Höffe, O. 36f Hölderlin, F. 257, 378f Honneth, A. 266 Hooker, Β. 318 Horn, Chr. 23 Hospers,J. 318 Hostler, J. 129 Hume, D. 9, 153ff, 406f Hurka, T. 326f Husserl, E. 310, 371f Jacobi, F. H. 257 Jaeger, W. 35 Jaffa, Η. V. 38f Jahnke, W. 257 Jain, E. 15 James, W. 232 Johnson, O.A. 390
Personenregister Jolif, J. Υ. 47 Justinian 87 Kagan, S. 319,325, 336 Kant, I. 5, 7, 9, 16, 57, 87f, 99, llOff, 128, 134, 137, 141, 147, 150, 176f, 183ff, 203ff, 213f, 219, 226, 246, 253, 255, 277, 279f, 286, 290f, 293313, 321,365ff, 385 Karneades 89ff, 146 Kenny, A. 50 Kersting, W. 36 Kim, J. 359 Kimmerle, Η. 370, 381, 383, 385f Kluxen, W. 65, 70, 79f Kobusch, T. 31,37,61 Koch, Chr. 352 Komhuber, H. L. 343 Krämer, H.J. 16ff Kretzmann, Ν. 81 Krewani, Ν. 371 Kuhlmann, W. 289 Kuhn, Th. 303 Laks, A. 60 Leibniz, G. W. 9, 121ff Levinas, E. 15, 284, 367ff, 373f, 383, 385f Libet, B. 342ff Liske, M. Th. 122,127f, 134,140 Locke, J. 8, 98, 110, 115, 122, 127, 142, 159,360, 419 Lorenzen, P. 295 Lottin, O. D. 73 Löwith, K. 254 Luhmann, N. 253 Lukäcs, G. 291 f Maclntyre, A. 294f, 323 Mackie, J. L. 330, 334, 415f, 419 Marx, K. 290ff, 296f, 313, 374 Marx, W. 257
425
Maus, M. 374 McCarthy, T. 310 McClintock, T. 408 McDowell,J. 7,263,419 Mclnerny, R. 79 Meister Eckhart 31 Merleau-Ponty, Μ. 291 Mill, J. S. 4, 303, 317, 320ff, 334f Miller, F.D. 400 Miller, J. 342, 345, 351, 353ff Moore, G. E. 5,155,324,326,407 Moser, P. K. 390, 399, 401, 403f Nagel, T. 335 Neschke-Hentschke, A. 37ff, 58, 139, 149 Newberg, A. 342 Nietzsche, F. 37,313 Norcross, A. 318 Nozick, R. 327 O'Neill, O. 176 Oehler, K. 39 Parfit, D. 321,333 Parkinson, G.H.R. 130 Patzig, G. 399 Pauen, M. 354,356 Peghaire,J. 73 Peirce, C. S. 232, 296, 305, 307 Peperzack, A. 277f, 284 Pippin, R. 246 Pistorius, H. A. 185ff Platon 4, 8, 13ff, 59, 62, 89, 95, 103, 105,143,385,393,395, 403 Plotin 27,30,62 Popper, K. 358 Poser, H. 133,141 Protagoras 393,395,403 Pufendorf, S. 111,122,142 Putnam, H. 233,264,307
426
Personenregister
Quante, Μ. 3, 235, 238, 240f, 244, 246, 264 Ramachandran, V. S. 342 Raters, M.-L. 233 Rause, V. 342 Rawls, J. 4, 5, 7, 36, 121, 264, 289f, 295, 302, 305, 320, 336, 418 Raz, J. 264 Reale, G. 16 Rehg, W. 290 Reich, K. 186 Reinhold, K. L. 214ff Rescher, N. 302 Ricceur, P. 286 Rile)', P. 121 Rippe, Κ. P. 399f, 402, 404, 410 Ritter,J. 37,297 Rockmore, Τ. 291,312, Rorty, R. 308 Rosendial, D. M. 355f Roth, G. 342, 347ff Rousseau, J . J . 111, 115,118,258,302, 372 Rowe, C. 46f Rudolph, W. 400 Rutherford, D. 124f, 129, 147 Salehi, D. 401 f Sartre, J.-P. 385 Sayre-McCord, G. 6f Scanion, Τ. M. 403 Schaber, P. 5 Scheffler, S. 334 Scheler, M. 4 Schelling, F.W.J. 3 1 , 2 5 4 , 2 5 7 , 3 8 3 Schiller, F.C.S. 232 Schleiermacher, F.D.E. 383 Schmitt, A. 25 Schmitt, C. 376f, 379 Schneewind, J. B. 153 Schneider, H.-P. 121,141,143
Schneiders, W. 134f, 142 Schönecker, D. 186 Schopenhauer, Α. 1 Schräder, W. 225 Schweikard, P. D. 235, 245 Searle, J. 340, 350, 359, 361f Sellars, W. 305,360 Sen, Α. 326 Sextus Empiricus 26, 395ff Shafer-Landau, R. 5, 124, 142, 390, 418, 420 Sidgwick, H. 329,332 Siep, L. 237, 243ff, 253, 255f, 263ff, 271 f Singer, M. 295 Singer, W. 342, 349f, 352, 359 Sinnott-Armstrong, W. 320,390,419 Spence, S. 347 Sperry, R. 343 Spinoza, B. 123 Spitzer, M. 342 Steel, C. 15 Stevenson, C. L. 4, 414 Stump, Ε. 81 Suarez 50 Szaif, J. 4 1 , 5 0 , 5 2 Szlezak, Th. 17f, 28 Taylor, C. 269 Taylor, P. W. 398f Thomas von Aquin 9, 38f, 48f, 65ff, 95, 105,122 T h o m s o n , J . J . 319 Toninetti, L. F. 74 Touloumakos, T. 35 Trampedach, K. 16 T r e v e n a J . A. 342, 345, 351, 353ff Trottmann, C. 73 Tugendhat, E. 3 6 , 2 4 5 , 2 4 7 , 2 7 1 , 2 9 5 Ulpian 87, 143
Personenregister Voegelin, Ε. 37 Volckmann-Schluck, Κ. Η. 77 Van den Grind, W. 353, 356f Waidenfels, B. 384,386 Walter, H. 356 Waszek, N. 153 Weber, M. 37,263 Wegner, D. 347 Westermarck, E. 397, 414 Westphal, K. 154, 158, 166, 169, 173, 175ff
Wieland, G. 69,80 Wieland, W. 41 Willaschek, M. 233 Williams, B. 318,401 Wingert, L. 358,360 Wiredu, K. 365f Wood, A. W. 186 Zöller, G. 205f, 214ff, 225f
427
Sachregister Achtung 177,186,190f, 326, 332f, 385 Altruismus 146, 286 Anerkennung 235, 243, 260, 265, 293 Antiskeptizismus 233f, 237f Autonomie passim Begründung (Ethikbegründung) passim Billigkeit 40ff Bürger 8 8 , 1 0 2 , 1 1 1 , 1 1 5 , 2 4 3 Dekonstruktion 368, 372ff Determinismus 122ff, 347 Diskursethik 7, 289ff Eigennutz 9 6 , 1 0 1 , 1 1 2 , 1 1 6 Eigentum 97, 101, 114, 143, 149, 158, 166, 170, 173,272 Emotivismus 4f, 414f, 417 Epiphänomenalismus 349f Eudämonismus/Eudämonie 4, 57, 142, 144ff, 279 Evolutionstheorie 259f, 272 Externalismus 413 Fehlschluß, naturalistischer 155, 407f Freiheit 42, 54ff, 60ff, 93ff, 102ff, 109119, 122ff, 139f, 143, 146, 153, 173ff, 184, 198f, 200f, 206ff, 21 l f , 214ff, 222, 261, 267, 271f, 281, 286f, 298f, 326f, 340f, 357, 359, 361,366f Fundament/Fundierung passim Fundationalismus/fundationalistisch 6ff, 289, 312
Gefühl 157, 166ff, 188, 208, 220ff, 325, 341,349,383, 414 Gehirn 342ff Gerechtigkeit passim Gesetz passim Gewissen 212f, 226, 245ff, 254 Gleichheit 42f, 48, 113, 170, 285-333, 385 Glück 13, 16f, 39ff, 226, 277, 279, 284, 287, 317, 323-336, 339 Glückseligkeit 31, 145f, 277, 279, 282, 284, 324, 398 Gott 22, 28ff, 39, 50, 55f, 58ff, 62,123f, 127f, 130ff, 141 ff, 149f, 153, 155, 190f, 195, 224ff, 258f, 341, 370, 374, 379, 383 Gute, das 13ff, 40ff, 66, 78ff, 87, 95, 100, 117, 129f, 135, 138ff, 164, 186, 188f, 192f, 232, 236, 244, 282, 398 Handeln/Handlung (Praxis) passim Hexis (Habitus) 41 ff, 67 Ich
208, 210, 216ff, 255, 257f, 285ff, 348ff, 367, 370 Idealismus 204, 236, 257f, 292, 296 Imperativ, Formeln des kategorischen 195ff Imperativ, kategorischer 7, 9, 87, 193ff, 211,220, 226, 301f, 312, 365f Inkompatibilismus 123, 127 Internalismus 406f
430
Sachregister
Interpersonalität/Intersubjektivität 276ff, 296 Intuitionismus 5 , 7 , 4 1 8
9,
Kausalität 129, 135, 137f, 140, 198, 200f, 215, 222, 347, 361 Kognitivismus 4f, 289, 295, 297-312, 403,413,418 Kohärentismus 6, 413 Kommunitarismus 269, 297 Kompatibilismus 123, 127 Konsens/Konsenstheorie 296,301-312 Konsequentialismus 319f, 326, 328f Konstruktivismus 157ff Kontextualismus 290, 297f, 307, 309, 410f Konvention 153ff, 308, 407f Kultur 90, 101, 255, 258f, 261f, 265, 267, 269, 271 f, 275, 365, 367, 372, 374, 382, 384f, 396ff, 401 ff, 408 Lebensformen (bioi) 51, 53, 60f, 149 Marxismus 290ff, 297, 375 Materialismus 291 f, 306, 359 Menschenrecht 264, 271 Mesothes 26 Metaethik 3 ff, 241, 390, 409 Metaphysik 8f, 13ff, 121 ff, 254, 368 Monade 122ff Moral/Moralität passim Naturrecht 89f, 105, 111, 119, 121f, 141 ff, 149, 155f, 159, 162ff, 170ff, 177ff Naturzustand 159 Neigung 160, 190f, 193, 198, 200f, 213, 279ff, 285, 287f, 332 Nonkognitivismus 406, 413ff Person 61, 121, 142,147f, 177, 272, 276, 321,340, 404, 406
Pflicht 78f, 103f, 146f, 149, 183ff, 206, 222f, 255, 263, 268, 270, 277, 325, 339 Polis 24, 28, 61, 294, 403 Pragmatismus 231 ff, 308 Präskriptivismus 4 Prinzip (ethisches) passim Prioritarianismus 329 Rationalismus (ethischer) 5, 121 ff Realismus (ethischer) 5, 7, 130ff, 150, 336, 391, 405, 417ff Recht 89ff, 96-119, 153ff, 158f, 163f, 166ff, 170-178, 184f, 189, 196,199, 222, 242, 246f, 255f, 260ff, 265ff, 270ff, 285, 296ff, 306, 326f, 375 Rechtsethik 9, 121f, 153ff Reich der Zwecke 151, 196f Relativismus (ethischer) passim deskriptiver 399ff normativer 403ff metaethischer 408ff Selbstbewußtsein 125, 134, 208, 221, 247, 253, 340, 342, 362 Sittengesetz passim Skeptizismus/skeptisch/Skeptiker 90, 233f, 237ff, 242, 248f, 295, 297, 308, 391, 395ff, 412, 416f, 419f Sozialvertrag 156 Staat 28, 99, 108ff, 124, 135, 158, 224, 242f, 245, 255f, Subjekt 208ff, 223, 226, 253, 268f, 273, 353, 367 Subjektivität 9, 208f, 211, 236f, 248, 253ff, 313
142f, 149, 376, 380 255f, 265, 215, 218,
Tugend 17ff, 39ff, 144ff, 165, 321, 340 Transzendentalien/Transzendentalbegriffe 70ff Trieb 185, 190, 193, 206, 213ff, 220, 227, 254, 282f, 334
Sachregister Überlegungsgleichgewicht (reflective equilibrium) 7, 264, 366 Universalisierung(sgrundsatz)/Universalisierbarkeit 296, 299ff Universalismus/Universalität passim Utüitarismus 4, 9, 232, 268, 293, 302, 317ff, 339 Vernunft passim
431
Wille passim Willensfreiheit 339ff Würde 61,266, 286f,326f,332ff Zweck 114, 127, 137f, 150, 173, 176, 183, 186, 189f, 193, 195ff, 209f, 213f, 221, 223, 279, 281f, 339f, 398