Begründungsmuster weiblicher Genitalverstümmelung: Zur Vermittlung von Kulturrelativismus und Universalismus [1. Aufl.] 9783839419113

Die Auseinandersetzungen um Universalismus und Kulturrelativismus weisen eine lange und kontroverse Geschichte auf. Jann

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German Pages 212 Year 2014

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Table of contents :
Inhalt
Einleitung
I Die Diskussionen um Menschenrechte zwischen Kulturrelativismus und Universalismus
I.1 Historie und Herkunft des Kulturrelativismus
I.2 Das Phänomen des Universalismus
I.3 Zum Begriff von Kultur
I.4 Universalismus vs. Kulturrelativismus: Sackgasse oder Lösungsmöglichkeit?
II Kulturrelativismus und Universalismus konkret: Weibliche Genitalverstümmelung/Genitalbeschneidung
II.1 Die gegenkoloniale Perspektive
II.2 Die gesundheitliche Perspektive
II.3 Die Perspektive kultureller Rechte
II.4 Die Perspektive des freien Willens
III (Minimal-)Bedingungen einer vermittlungslogischen universalistischen Konzeption
Glossar
Bibliographie
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Begründungsmuster weiblicher Genitalverstümmelung: Zur Vermittlung von Kulturrelativismus und Universalismus [1. Aufl.]
 9783839419113

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Janne Mende Begründungsmuster weiblicher Genitalverstümmelung

Kultur und soziale Praxis

Janne Mende hat Ethnologie, Politikwissenschaft und Psychologie studiert. Sie forscht zur Problematik kollektiver Menschenrechtsforderungen, zu Moralphilosophie, Kritischer Theorie, Kultur- und Identitätskonzepten.

Janne Mende

Begründungsmuster weiblicher Genitalverstümmelung Zur Vermittlung von Kulturrelativismus und Universalismus

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Hans-Böckler-Stiftung sowie der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2011 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Lektorat & Satz: Janne Mende; Stefan Müller Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-1911-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Einleitung | 7 I

Die Diskussionen um Menschenrechte zwischen Kulturrelativismus und Universalismus | 17

I.1 Historie und Herkunft des Kulturrelativismus | 17 I.2 Das Phänomen des Universalismus | 26 I.3 Zum Begriff von Kultur | 37 I.4 Universalismus vs. Kulturrelativismus: Sackgasse oder Lösungsmöglichkeit? | 52 II

Kulturrelativismus und Universalismus konkret: Weibliche Genitalverstümmelung/ Genitalbeschneidung | 59

II.1 Die gegenkoloniale Perspektive | 66 II.2 Die gesundheitliche Perspektive | 84 II.3 Die Perspektive kultureller Rechte | 98 II.4 Die Perspektive des freien Willens | 115 III (Minimal-)Bedingungen einer vermittlungslogischen universalistischen Konzeption | 165 Glossar | 177 Bibliographie | 179

Einleitung

Das Verhältnis von Universalismus und Kulturrelativismus kann als ebenso vielfältig wie umstritten beschrieben werden. Die Diskussionen um ihr Gegen- oder auch Miteinander weisen eine lange und umfangreiche Geschichte auf. Entscheidende Dimensionen von universalistisch und kulturrelativistisch geprägten Argumentationen bleiben jedoch ungeklärt, vor allem, wenn der Blick auf scheinbar diametral und unversöhnlich gegenüberstehende Pole dominiert. Wurde häufig bereits das Ende des einen oder des anderen Konzepts verkündet, lässt sich die Relevanz beider für zahllose aktuelle Debatten nicht übersehen. Heutige Fragen nach dem Umgang mit kulturellen Differenzen, mit Phänomenen wie Zwangsehen und Ehrenmorden oder Forderungen einer sogenannten Leitkultur, Fragen nach dem (proklamierten) Scheitern des Multikulturalismus, nach Interventionen, nach Konstellationen in einer gleichzeitig sich globalisierenden und lokalisierenden Welt werden sich ohne den fundierten Rückgriff auf die zugrundeliegenden Konzepte von Universalismus und Kulturrelativismus nur schwerlich beantworten lassen. Ebenso deutlich gilt das für Problematiken, die sich innerhalb des Rahmens universeller Menschenrechte ergeben. Das Recht auf die eigene Kultur, auf die eigene Sprache und auf eine eigene Identität ist mittlerweile in verschiedenen Kontexten menschenrechtlich verfasst. Doch führen parallel existierende Menschenrechts-

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erklärungen, Konventionen und Zusatzabkommen zu Konflikten und Widersprüchen – nicht nur auf unterschiedlichen Ebenen (regionale, staatliche und internationale Mikro-, Meso- und Makroebenen). Die jeweiligen basalen Annahmen der verschiedenen Ansätze lassen sich in gewisser Hinsicht und mit unterschiedlicher Tragweite auf universalistische Begründungsstrategien, denen kulturrelativistischen Einsprüche gegenüberstehen, zurückführen. Die ständigen Reibungen, die Komplexität der Auseinandersetzungen und die Begrenztheit dichotomer Auswege führten teilweise zu einer sozial- und geisteswissenschaftlichen Absage an die Konzepte von Kulturrelativismus und Universalismus. In dieser Perspektive scheint die Antwort ebenso klar wie eindeutig: Beide Pole mündeten in eine Sackgasse und Diskussionen müssten das Feld verlassen, um sinnvoll weitergeführt werden zu können. Eine andere Umgangsweise besteht darin, eine Mittlerposition zwischen beiden Seiten zu suchen (vgl. zu beiden Ansätzen Kapitel I.4). So werden allerdings allzu häufig die inhaltlich entscheidenden Differenzen verwischt und die sachhaltigen Problematiken verdeckt. In der folgenden Untersuchung wird deutlich, dass weder der eine noch der andere Ausweg einen produktiven Umgang mit der Konstellation sich diametral gegenüberstehender Normen und Praxen bietet. Ohne die Reflexion ihrer sozial- und moralphilosophischen Grundlagen, ohne den Einbezug ihrer stets inhärenten normativen Dimensionen würden die Konzepte Kulturrelativismus und Universalismus tatsächlich lediglich in einer Sackgasse münden. Quer zu dichotomen oder eindimensional verkürzten Lösungsbestrebungen soll daher eine Verhältnisbestimmung von Kulturrelativismus und Universalismus aufgezeigt werden, die es erlaubt, mögliche Stärken und Schwächen auf beiden Seiten zu erkennen und zu benennen. Unter Berücksichtigung gesellschaftstheoretischer und sozialphilosophischer Überlegungen wird ein vermittlungslogisches Modell einer reflexiven Sozialwissenschaft vorgeschlagen. Dies ermöglicht es, Verkürzungen, die nicht nur an den beiden Polen von Kulturrelativismus und Universalismus, sondern auf zahlreichen weiteren verschlungenen Pfaden lauern, aufzunehmen und

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aufzuheben. Dazu werden die zugrundeliegenden Präsuppositionen und Implikationen der entsprechenden universalistischen und kulturrelativistischen Argumentationsgänge herausgearbeitet und offengelegt. In einem nächsten Schritt kann auf einer erweiterten Ebene gezeigt werden, dass die beiden Pole keineswegs ausschließlich in einem dichotomen Verhältnis zueinander stehen: Universalistische Begründungsstrategien, paradigmatisch in Form universeller Menschenrechte herangezogen, sind selbst historisch verortet und entwickeln sich kontextspezifisch. Zugleich sind universelle Menschenrechte stets mit dem Anspruch verbunden, für ausnahmslos jeden Menschen zu gelten. Ein kulturrelativistisches Vorgehen fordert demgegenüber den Respekt vor einer jeden Kultur ein, da keine Gesellschaft mit externen Kriterien bewertet werden dürfe. Zugleich kann allerdings nachgezeichnet werden, dass der kulturrelativistische Anspruch auf Toleranz und Respekt selbst auf universelle Grundannahmen zurückgreifen muss. Kulturrelativistisch verfahrende Argumentationen beinhalten konstitutiv einen (impliziten) Anspruch universalistisch geprägter Normen. Insgesamt erweist sich, dass beide Zugänge Probleme aufwerfen, wenn auf ihre jeweiligen Vorannahmen und auf ihre inneren Vermittlungen nicht reflektiert wird: Mit dem Anspruch auf Universalismus können einerseits Werte, Ideen oder Normen zwangsverordnet und repressiv durchgesetzt werden. Kulturrelativistische Argumentationen können andererseits repressive Praxen legitimieren. Ein sozial- und moralphilosophisch reflektierter Rückgriff auf die Hinweise der Kritischen Theorie ermöglicht eine produktivere Konzeption des zugrundeliegenden Verhältnisses der beiden Pole. Sowohl innere Vermittlungen, in denen der eine Pol dem anderen inhärent ist und ihn mit konstituiert, als auch strikte Gegensätze können dargestellt und im Blick auf eine stets verstellte und doch zugleich mögliche befreite Gesellschaft nachgezeichnet werden. Unterstützt wird dabei nicht nur die theoretische und begriffliche Rahmung der beiden Pole, sondern es kann zugleich eine freiheitstheoretische Perspektive eröffnet werden. Unter Zurückdrängung der repressiven Elemente beider Seiten und bei gleichzeitiger Beibehaltung und Stärkung der jeweiligen emanzipatori-

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schen Elemente lässt sich produktiv auf die Pole von Kulturrelativismus und Universalismus zurückgreifen, ohne sie ihrer Unmöglichkeit überführen zu müssen. Ein solcher Zugang ist eng mit einer Reflexion der zugrundeliegenden normativen Vorannahmen verknüpft. Gleichzeitig muss daher ein Maßstab diskutiert und offengelegt werden, der es erlaubt, repressive und emanzipatorische Momente zu benennen und zu unterscheiden. Eine besonders widersprüchliche Diskussion des Verhältnisses von universalistischen und kulturrelativistischen Ansätzen zeigt sich im genaueren Blick auf die Auseinandersetzungen um weibliche Genitalverstümmelung/Genitalbeschneidung. Obwohl in den Debatten im beginnenden 21. Jahrhundert die Praxis nahezu einhellig verurteilt wird, bestehen erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieser Wertung. Größe, Grenzen und Tragweite einer fundamentalen Kritik an Genitalverstümmelung/Genitalbeschneidung bleiben umstritten. Zudem zeigt das nach wie vor existierende Fortbestehen der Praxis, dass die theoretischen Konzeptualisierungen in gewisser Hinsicht scheitern. Kontrovers diskutiert wird nicht nur die Frage nach dem konkreten Umgang mit der Praxis als einem extremen Fall schädigender Traditionen, sondern auch ihre Benennung als solcher. Die Auseinandersetzungen gelten sowohl Abschaffungsbemühungen in den Primärländern als auch legislativen und exekutiven Umgangsweisen mit Genitalverstümmelung/Genitalbeschneidung innerhalb von migrantischen Gruppen in Staaten, in denen die Praxis nicht von der Mehrheitsgesellschaft ausgeführt wird. Die Effekte und Funktionen der Praxis dienen, trotz höchst unterschiedlich auftretender Ausführungsformen und Begründungsmuster, der Herstellung von (kollektiven) Identität(en). Deutlich wird spätestens an dieser Stelle, dass den Diskussionen stets eine normative Ebene inhärent ist, die um das Problem eines angemessenen Einbezugs individuellen Leidens zentriert ist. Subjektivierung als gesellschaftlicher Prozess und diesem gleichzeitig basal entgegenstehend ist in die Diskussion konstitutiv mit einzubeziehen.

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Daher wird im Folgenden eine Herangehensweise entwickelt, die universalistisch den Wert der Verringerung individuellen Leidens auszuweisen erlaubt, dies gesellschaftstheoretisch absichert, dabei kontextsensibel und historisch spezifisch vorgeht und die Gefahr, selbst in eine statische und repressive Konzeption zu entgleiten, reflexiv aufnimmt. Es geht, zusammengefasst, um die Offenlegung und Begründung eines unabgeschlossenen, reflexiven Zugangs, der den universalistisch verankerten Anspruch auf Autonomie- und Freiheitsbestrebungen der Subjekte weder verwirft noch statisch hypostasiert und ihn kontextsensibel ausweist. Um das zu erreichen, wird sich der Thematik im vorliegenden Buch aus unterschiedlichen Blickwinkeln genähert. Im ersten Teil wird das Problemfeld Kulturrelativismus versus Universalismus auf einer konzeptuellen Ebene diskutiert. Sowohl die frühen kulturrelativistischen Argumentationen zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts als auch die erste kulturrelativistische Kritik am Entwurf der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 entstammen ethnologischen Zusammenhängen. Die Entwicklung dieser Ansätze, die sich in den siebziger Jahren ausdifferenzieren, sich dann aber mit immer vehementeren Kritiken konfrontiert sehen, wird im Kapitel I.1 nachgezeichnet. Im Kapitel I.2 stehen komplementär dazu universelle Zugänge zur Menschenrechtsthematik im Mittelpunkt. Deutlich wird bereits in dieser ausgewählten Darstellung die innere Problematik kulturrelativistischer Begründungsmuster auf der einen und eines proklamatorischverkürzten Verständnisses universalistischer Ansätze auf der anderen Seite. Gleichzeitig stellen sich aber auch anhand des jeweils Kritisierten, das die Herausbildung einer kulturrelativistischen beziehungsweise universalistischen Betrachtung erst erforderlich erscheinen ließ, deren Stärken heraus. Für die Offenlegung der entsprechenden Argumentationsmuster ist es bedeutsam, die jeweils zugrundeliegenden Begriffe, Ideen und Vorstellungen von Kultur zu analysieren. Im Kapitel I.3 wird aus diesem Grund eine konzeptuelle Annäherung an verschiedene Ausprägungen

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des Kulturbegriffes herausgearbeitet und es werden jeweilige Größen und Grenzen aufgezeigt. Die Diskussionen dieser ersten drei Kapitel sind, hinsichtlich des Umfangs und der Begriffsgeschichte, keineswegs erschöpfend – und müssen es auch nicht sein. Vielmehr geht es darum, grundlegende Argumentationsverfahren auf beiden Seiten offenzulegen. Dazu werden bedeutende Aspekte der jeweiligen Begriffe sowie Konsequenzen skizziert, um eine Grundlage für die Klärung des Verhältnisses beider Pole und deren Bedeutung für eine reflexive Sozialwissenschaft zu erhalten. Da die zentralen kulturrelativistischen Überlegungen aus dem Bereich der Ethnologie und der (Sozial-)Anthropologie stammen, stehen ethnologische Herangehensweisen auch bei der Untersuchung der Konzepte des Universalismus der Menschenrechte und von Kultur im Mittelpunkt. Erst im Ergebnis dieser Darstellung kann die Frage, ob Kulturrelativismus und Universalismus in eine Sackgasse führen (müssen), genauer beantwortet werden. Im Kapitel I.4 wird entgegen dieser resignativen These eine andere Verhältnisbestimmung beider Pole vorgeschlagen. Dabei geht es nicht um das bloße Zusammenmischen beider Seiten. Vielmehr wird ein vermittlungslogisches Verfahren im Mittelpunkt stehen, das ebenso widersprüchliche Verhältnisbestimmungen zu denken und darzustellen ermöglicht, wie es auch die entscheidenden Differenzen benennen kann. Zudem wird die Frage nach dem Umgang mit repressiven und emanzipatorischen Elementen auf beiden Seiten der Verhältnisbestimmung einbezogen werden. Im zweiten Teil gilt es, diese konzeptuellen Überlegungen an dem konkreten Beispiel weiblicher Genitalverstümmelung/Genitalbeschneidung zu überprüfen, zu erweitern und deutlicher zu konturieren. Das Beispiel wurde ausgewählt, weil es die Widersprüchlichkeiten der Auseinandersetzungen um universalistische und kulturrelativistische Verfahrensweisen besonders einprägsam zu diskutieren erlaubt. Anhand der Debatten innerhalb vier spezifischer Perspektiven und Begründungsmuster lassen sich die vielschichtigen Überlagerungen, aber auch die diametral entgegenstehenden Elemente von kulturrelativis-

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tisch und universalistisch argumentierenden Positionen aufzeigen. Möglichkeiten und Grenzen sowie repressive und emanzipatorische Momente beider Seiten werden sich hier verdeutlichen lassen. Die fast schon intuitive Selbstverständlichkeit, mit der Gegner/innen die Praxis ablehnen und bekämpfen, gerät in antikolonialen und in postkolonialen Zugängen stark in die Kritik. Diese unter dem Begriff gegenkolonial – der Unterschiede zwischen den verschiedenen Herangehensweisen nicht verwischen, sondern Gemeinsamkeiten unter einen Nenner bringen soll – zusammengefassten Hinweise werden im Kapitel II.1 analysiert. Dabei wird zum einen auf den Gegenstand der gegenkolonialen Kritik eingegangen, der in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts von kolonialen, im letzten Drittel des zwanzigsten Jahrhunderts von feministischen Abschaffungsbemühungen gebildet wird. Zum anderen gilt die Analyse den möglichen Engführungen der gegenkolonialen Kritik selbst. Eine zweite Perspektive, unter der die Frage nach Abschaffung oder nach Toleranz der weiblichen Genitalverstümmelung/Genitalbeschneidung kontrovers diskutiert wird, umfasst den Bereich der gesundheitlichen Folgeschäden der Praxis. Der gesundheitliche Komplex erschöpft sich nicht in körperlichen Beeinträchtigungen und Schädigungen, sondern birgt auch psychische, psychosexuelle und psychosoziale Problemdimensionen. Im Kapitel II.2 werden die gesundheitlichen Konsequenzen, ihre potentielle instrumentelle Hypostasierung sowie ihre jeweiligen Bedeutungen für eine politische Praxis diskutiert. Zudem wird die Frage nach den begrenzten Möglichkeiten der Erforschung des reellen Ausmaßes des Eingriffes berührt. Auch an dieser Stelle wird sich die (inhärente) normative Dimension verdeutlichen, da subjektives Leiden sich nur stark eingeschränkt anhand quantifizierbarer Daten messen lässt. Aktuelle Auseinandersetzungen sind von dem Aspekt geprägt, dass ein Menschenrecht auf eigene Kultur eine immer zentralere Bedeutung gewinnt. Damit verbunden sind weitere Fragen, denen sich im Kapitel II.3 genähert wird: Welche Vorstellungen von Kultur liegen diesen Diskussionen zugrunde? Gibt es Grade der Veränderung, die eine alte

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Kultur in eine neue übergehen lassen? Die Diskussionen um statische und dynamische Kulturvorstellungen werden hier eine ebenso zentrale Rolle spielen wie normative Überlegungen. Inwiefern kann und soll ein Recht auf Kultur alle Praxen einschließen, die Leiden erzeugen? Anhand welcher Kriterien kann zwischen ‚harmlosen‘ und ‚leidenverursachenden‘ Praxen unterschieden werden? Gibt es eine besondere Schutzbedürftigkeit bestimmter Gruppen wie Kinder oder Frauen? Diese Problemstellungen werden im Kapitel II.3 vor allem im Blick auf die juristisch-legale Dimension dargestellt und analysiert. Ein Aspekt, der sich unmittelbar an all die genannten Perspektiven anschließt, sowohl an die gegenkoloniale als auch an die gesundheitliche und vor allem an die Debatte um ein Recht auf Kultur, ist die Dimension, in der der freie Willen der Betroffenen selbst zur Diskussion gestellt wird. Darf und soll, gleichermaßen von ‚außen‘, in eine Praxis interveniert werden, mit der die Betroffenen einverstanden sind? Inwiefern liegt ein solches Einverständnis vor? Für eine adäquate Beantwortung dieser zentralen Fragen wird im Kapitel II.4 ausführlich den Funktionen der weiblichen Genitalverstümmelung/Genitalbeschneidung sowie ihrer gesellschaftlichen Einbettung nachgegangen. Es lassen sich sieben zentrale Begründungsdimensionen für die Praxis herausarbeiten, die sich unter den Komplexen 1) Tradition, 2) Religion, 3) Distinktionsmerkmal, 4) Sexualität, 5) Patriarchat, 6) Heiratsfähigkeit und 7) Übergangsritus erklären lassen. In dieser Typologisierung wird deutlich, dass die verschiedenen Muster eine gemeinsame basale Funktion eint: Alle Formen dienen der Herstellung von Identität. Nur auf der Grundlage der immensen Bedeutung für die individuelle und die kollektive Identität, die die Praxis einnimmt, kann die Frage nach dem freien Willen verhandelt werden. Auf diese Weise wird deutlich, dass ein Einverständnis mit repressiven Praxen kaum ausschließlich den betroffenen Subjekten zugeschrieben werden kann. Stattdessen ist die normative Verpflichtung, sich einem derart stark gesellschaftlich besetzten Eingriff zu unterziehen, auf mehreren Ebenen zu diskutieren, um die individuelle Entscheidung für oder gegen die Praxis differen-

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ziert betrachten zu können. So zeigen sich die erschwerten Bedingungen für diejenigen, die sich dennoch als Widerständige erweisen. Die Auseinandersetzung mit allen vier Perspektiven wird verdeutlichen, auf welche Weise und aus welchen Gründen die Praxis der weiblichen Genitalverstümmelung/Genitalbeschneidung abgelehnt werden kann und muss – ohne dass es sich dabei (in theoretischer Hinsicht) um einen ‚kulturimperialistischen‘ Ansatz handeln muss. Dieses Fazit wird anhand einer reflexiven Konzeption begründbar sein, allerdings nicht ohne die Hinzunahme einer normativen Dimension, die die eigenen Bezugspunkte offenlegt und einer Diskussion zugänglich macht. Ohne diese würde die Verhältnisbestimmung der beiden Pole eine abstrakte und inhaltsleere bleiben. Daher werden im abschließenden dritten Teil die basalen Parameter einer angemessenen Vermittlungskonzeption zusammengefasst und ausgebaut. Die Vermittlungsbestimmung wird weder die eine noch die andere Seite unter Absehung von inhaltlich entscheidenden Bestimmungen überhöhen; sie wird weder alleinig äußere Maßstäbe setzen noch gleichgültig gegenüber den Beschädigungen der Subjekte verbleiben; sie wird weder unsensibel noch relativistisch argumentieren. Bedingung dafür ist ein reflexiver Zugang, der seinen eigenen Anspruch nicht hypostasiert, aber auch nicht in Beliebigkeit auflöst. Die repressiven und die emanzipatorischen Dimensionen sowohl auf kulturrelativistischer als auch auf universalistischer Seite können so aufgezeigt werden, um erstere zu überwinden und letztere zu stärken.

I

Die Diskussionen um Menschenrechte zwischen Kulturrelativismus und Universalismus

I.1 H ISTORIE UND H ERKUNFT K ULTURRELATIVISMUS

DES

Die Entwicklung und Ausprägung kulturrelativistischer Argumentationen lässt sich in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts vorrangig im Bereich der Ethnologie nachzeichnen. Im Blick auf das ausgehende neunzehnte Jahrhundert sollten damit die Schwächen des zeitgenössischen kulturellen Evolutionismus gekennzeichnet werden. Die wichtigsten Vertreter des Evolutionismus Edward Tylor, Herbert Spencer und Lewis Henry Morgan gingen von der Existenz allgemeingültiger menschlicher Kulturmuster sowie von der psychischen Einheit aller Menschen aus. „Zu einer Zeit, als viele Wissenschaftler begannen, die Menschheit in Rassen oder gar Subspezies einzuteilen, betonten die evolutionistischen Altmeister der Ethnologie die Einheit der Menschheit.“ (Antweiler 2007: 78) Die evolutionistische Argumentation verblieb dennoch in einem recht begrenzten Analyserahmen. Die Entwicklung der Menschheit wurde in hierarchisierte Stufen eingeteilt:

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Höhere Entwicklung und ‚Zivilisation‘ wurden den sogenannten westlichen Gesellschaften zugeordnet, während die ‚primitiven‘ oder ‚wilden‘, grundsätzlich als dunkelhäutig gefassten Gesellschaften nicht nur als weniger entwickelt, sondern auch als weniger intelligent galten (vgl. Hatch 1983: 26, Renteln 1988: 57). Gegen die unilineare Annahme, dass in der Entwicklung von Gesellschaften ein stetiger Aufstieg existiere, der in den westlichen Zivilisation kulminiere, wandte sich der Ethnologe Boas erstmals 1887 mit der These, dass Konzepte von Zivilisation und Wahrheit stets auch relativ seien (Boas 1887: 588). Boas, der als Begründer der US-amerikanischen Anthropologie bezeichnet werden kann, sowie seine Schüler/innen Benedict, Herskovits und Mead entwickelten die Grundmuster einer Argumentation, die unter dem Begriff Kulturrelativismus die Sozialwissenschaften nachhaltig prägen sollte.1 Boas kritisiert fundamental den Bias einer westlichen Herangehensweise und betont, dass es durchaus andere als westlich geprägte Maßstäbe zur Bewertung von Fortschritt gebe, die anerkannt werden müssten (Boas 1901: 11). Benedict fordert mit ihrem System der „gleichwertigen Lebensmuster“2 (Benedict 1934: 278) in erster Linie Toleranz. Herskovits führt aus, dass jede kulturelle Handlung nur vor dem jeweiligen betreffenden Hintergrund und anhand des jeweiligen kulturellen Normensystems zu bewerten sei. Er unterstreicht die „Würde, die in jedem Brauchtum enthalten ist, und die Notwendigkeit von Toleranz der Konventionen, auch, wenn sie von den eigenen abweichen mögen“3 (Herskovits 1950: 76). Allen Ansätzen des frühen

1

Die philosophische Idee des Relativismus reicht wesentlich weiter zurück bis in die altgriechische Philosophie. Durch Boas und seine Nachfolger/innen erfuhr sie jedoch erstmals ihre spezifische, für den Kulturrelativismus bis heute relevante Ausprägung.

2

„equally patterns of life“. Wenn nicht anders angegeben, stammen Übersetzungen fremdsprachiger Zitate von der Autorin. Das Original findet sich in den jeweils beigefügten Fußnoten.

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„the dignity inherent in every body of custom, and on the need for tolerance of conventions though they may differ from one’s one“

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Kulturrelativismus ist gemeinsam, dass sie sich gegen eine eurozentrische Bewertung nicht-westlich geprägter Gesellschaften, gegen die Annahme westlicher Überlegenheit und gegen einen oftmals damit einhergehenden oder davon abgeleiteten Rassismus positionieren. Toleranz und Würde bilden die normativ-moralische Grundlage jener Theorien. In der ersten Stellungnahme der Exekutivkommission der American Anthropological Association (AAA), die auf Wunsch der Vereinten Nationen (UN) zum Entwurf der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verfasst wurde, spiegelt sich diese Herangehensweise deutlich wider. Herskovits, der maßgeblich an der Verfassung des Papiers beteiligt war (vgl. Goodale 2006a: 486), hebt hervor, dass die Allgemeinen Menschenrechte nicht universell seien und es auch nicht sein könnten, weil sie ausschließlich die Werte der westlichen Gesellschaften beinhalten würden. „Wie kann die vorgeschlagene Erklärung auf alle Menschen übertragbar sein, und nicht eine Rechtserklärung sein, die auf Werten aufbaut, welche nur in den Ländern Westeuropas und in Amerika verbreitet sind?“4 (AAA 1947: 539) Denn alle menschlichen Regungen, handele es sich um Verhalten, Hoffnungen, Gedanken oder Ideen, seien geformt von den Gewohnheiten der Gruppe, zu der man gehöre (ebd.: 539f.). Daher könne es keine statischen und invarianten wissenschaftlichen Kriterien geben, mit denen sich fremde Kulturen als gut oder als schlecht beurteilen ließen (ebd.: 542). Zeitgenössische und spätere Kritiken werfen die Frage auf, wie mit dieser Argumentation Gesellschaften kritisierbar seien, innerhalb derer unmenschliche Zustände durchaus akzeptiert seien. Herskovits’ geforderter Verzicht auf einen allgemeingültigen Kritikmaßstab wird mit dem Vorwurf des Nihilismus und der Tatenlosigkeit konfrontiert (u.a. Steward 1948, Bennet 1949, Kluckhohn 1955, vgl. Renteln 1988: 58).5

4

„How can the proposed Declaration be applicable to all human beings, and not be a statement of rights conceived only in terms of values prevalent in the countries of Western Europe and America?“

5

Siehe aber Kapitel I.3 zu anderen Deutungsversuchen.

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Demgegenüber müssten eine sozialwissenschaftliche Kritik (gesellschaftlicher) Werte sowie eine aktive und parteiische Stellungnahme möglich sein (Steward 1948, Bennet 1949). Vor allem Herskovits’ Annahme, dass auch repressive politische Systeme durch Besinnung auf die einer Gesellschaft „zugrundeliegenden kulturellen Werte“6 immanent kritisiert und geändert werden könnten (AAA 1947: 543), wirft einige Unklarheiten auf: Um welche Werte kann es sich dabei handeln, die nicht universell, aber dennoch Bestandteil jeder Kultur sind? Wie wird der Zusammenhang von Kultur mit Politik, welche nur ein kleiner Bestandteil ersterer sei (ebd.), konzeptualisiert? Wie genau kann eine Besinnung auf nicht-repressive Werte erfolgen? Was bedeutet das für die gesellschaftswissenschaftliche Theoriebildung und welche Vorstellungen von Gesellschaft und Kultur liegen dem zugrunde? Auf die sich hier abzeichnenden Problemkonstellationen innerhalb früher kulturrelativistischer Argumentationslinien wird später zurückgekommen werden. In den 1970er Jahren entwickelte sich eine radikalisierte Form des ethnologischen Kulturrelativismus, der epistemologische Relativismus, der alle Annahmen und Konzepte von universeller Wahrheit oder Objektivität gänzlich ablehnt (u.a. Geertz 1973, Schneider 1984, Rosaldo 1984). Kulturen seien hiernach keinesfalls vergleichend zu betrachten, sondern ließen sich nur im Rahmen der jeweils eigenen Begriffe und Bedeutungen interpretieren (vgl. Edgerton 1994: 42). Wissenschaft sei kein kohärentes System von Verifizierungen und Falsifizierungen, sondern lediglich eine westliche Art zu denken, analog zu nichtwestlichen Denkmustern der Zauberei oder Hexerei (vgl. kritisch Zechenter 1997: 325). Es sei die nachhaltige und tiefgehende Prägung des Menschen durch sein Umfeld, die „zum Aufstieg des Begriffs der Kultur und zum Niedergang der einheitlichen Auffassung vom Menschen führte“ (Geertz 1992: 58). Dennoch hält Geertz als wichtiger Vertreter des epistemologischen Relativismus daran fest, dass er sehr eindeutige Standpunkte darüber habe, was richtig und was falsch, was kritikwür-

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„underlying cultural values“

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dig sei (Geertz 1984: 275). Er kritisiert deutlich die vom frühen Kulturrelativismus postulierte bedingungslose Achtung aller kulturellen Praxen (vgl. Edgerton 1994: 51): Kritik und Bewertungen seien notwendig, so Geertz. Die Forderung, andere Kulturen nach deren Maßstäben zu verstehen, sei selbst eine moralische. Problematisch sei es nur, wenn Moral und Wissen unabhängig von Kulturen und Geschichte proklamiert werden würden (Geertz 1984: 275f.). Einige Fragen, die der frühe Kulturrelativismus aufwirft, werden so von Geertz aufgenommen, bleiben in der Konsequenz jedoch unbearbeitet: Wie kann Kritik an kulturellen Praxen umfassend begründet werden, wenn sie selbst nur partikularen Verhältnissen entspringt? Liegt die Entscheidung darüber allein im subjektiven Zugriff des Wissenschaftlers? Ab welchem Punkt ist eine partikulare Kritik unangemessen? Und welche Vorstellung von Wissenschaft liegt hier zugrunde? Die kulturrelativistische Skepsis gegen jedwede Form von (wissenschaftlicher) Verallgemeinerung kann in ihrer Zuspitzung durchaus als „atheoretisch“ bezeichnet werden (Antweiler 2007: 102).7 Eine zunehmende Anzahl fundierter Kritiken an kulturrelativistischen Argumentationen (u.a. von Clyde Kluckhohn, Alfred L. Kroeber, Robert Redfield, Ralph Linton und George Peter Murdock, vgl. Edgerton 1994: 52) führte bis heute dazu, dass die wissenschaftliche Bezugnahme auf den Kulturrelativismus mit Einschränkungen versehen wird. Der Vorwurf erstarkte, dass der Kulturrelativismus vorrangig dazu diene, die Ungleichheiten zwischen dem globalen Norden und dem globalen Süden zu legitimieren, zu rationalisieren und zu perpetuieren (vgl. Farmer 2003: 48). Im Bereich der Politik wurde eine kulturrelativistische Argumentation vermehrt von postkolonialen Regierungen und Gruppierungen benutzt, um die eigenen unterdrückenden Praxen zu legitimieren (vgl. u.a. Nagengast 1997: 352, Wilson/Mitchell 2003: 2).

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Zentral für eine weitere Auseinandersetzung ist das Konzept von Kultur, das diesen Ansätzen zugrundeliegt. Es wird im Kapitel I.3 ausführlich behandelt.

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„Als diese neuen Gesellschaften Freiheit in einer Art und Weise definierten, dass Millionen ihrer Mitglieder flohen, wenn sie konnten, oder ermordet wurden, wenn sie es nicht konnten […], wurden Anthropologen mit einem theoretischen und praktischen Dilemma konfrontiert. […] Noch beschämender für westliche Anthropologen war es, dass jene in den Westen, vornehmlich in die USA flohen.“8 (Washburn 1987: 940f.)

Diese Entwicklung, so die Kritik am Kulturrelativismus, stelle nicht erst den Missbrauch kulturrelativistischer Argumentationen dar, sondern sei dem Konzept mit seinem totalisierenden, funktionalistischen und marginalisierte Stimmen ausblendenden Kulturbegriff inhärent (Zechenter 1997: 328ff.). Bezüge auf den Kulturrelativismus erfolgten nur mehr beschämt und defensiv (Washburn 1987: 939) oder kritisch (Hatch 1997: 371). Auch außerhalb der Ethnologie galt „das Urteil über den Relativismus für viele Philosophen als besiegelt“9 (Li 2006: 55), als die wohl absurdeste Theorie, welche die Moralphilosophie je hervorgebracht habe (Williams 1972: 20). Sie sei selbstwidersprüchlich, da sie universelle Bewertungen ablehne, selbst aber einen universellen Anspruch auf Gültigkeit und Wissenschaftlichkeit erhebe (Schmidt 1955, Zechenter 1997: 327ff.). Die kulturrelativistische Forderung nach Toleranz sei ein genuin westlicher Wert, der verfälschend als universal deklariert werde (Renteln 1988: 58). Kultur gelte als einzige Determinante der menschlichen Persönlichkeit, indem Menschen wahlweise entweder als leere tabula rasa oder als black box konzeptualisiert würden (Spiro 1987: 21ff.). Dagegen gebe es jedoch bestimmte menschliche Grundeigenschaften wie die Abhängigkeit kleiner Kinder von ihren Betreuungs-

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„But when these new societies defined freedom in such a way as to cause millions of their members to flee if they could, or, if they could not, to be slaughtered […], anthropologists faced a theoretical and practical dilemma. […] It was even more embarrassing to Western anthropologists that they fled to the West and particularly to the United States. “

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„for many philosophers, the verdict on relativism is sealed“

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personen. Es müssten weitaus komplexere und adäquatere Modelle menschlicher Persönlichkeit herangezogen werden, denn soziales Verhalten sei ein Produkt komplizierter inner- und außerpsychologischer Vorgänge, nicht nur Ausdruck kultureller Normen (ebd.). Deutlich wird an Spiros Kritik, dass nicht nur die Universalisierbarkeit von Normen und Werten in den Blick geraten, sondern auch basale Eigenschaften menschlichen Verhaltens unter der Prämisse von Kulturrelativismus oder Universalismus zur Diskussion stehen. Es lässt sich an dieser Stelle zunächst festhalten, dass die Bestimmung des Menschen, dessen biologische, soziale und gesellschaftliche Prägung – mit anderen Worten: das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft – über die Erforschung kultureller Faktoren hinausgehen muss. Weder individuelle noch gesellschaftliche Prozesse können adäquat konzeptualisiert werden, wenn sie auf Kultur reduziert sind, da so die Eigenständigkeit politischer, ökonomischer und sozialer Dimensionen kaum ausreichend in das Blickfeld der Analyse gerät. Trotz der umfassenden Kritiken bleiben kulturrelativistische Argumentationen – explizit oder implizit – ein wichtiger Bestandteil sozialwissenschaftlicher Debatten um die (Un-)Möglichkeit von Universalismus und universellen Menschenrechten. „Die Theorie des Kulturrelativismus wurde weithin falsch verstanden und zu schnell verworfen, sowohl von Seiten ihrer Kritiker als auch ihrer Befürworter.“10 (Renteln 1990: 61) Mit einem Verständnis von Kulturrelativismus als „wahrscheinlich harmlos, bestimmt wahr und überhaupt ein nützliches Korrektiv für genau die Gefahren, die ihm gemeinhin zugeschrieben werden“11 (Unwin 1985: 205), gibt es zahlreiche Rekonzeptualisierungen und Ergänzungen kulturrelativistischer Argumentationen, die den Kritiken Rechnung tragen wollen. Paradigmatisch dafür steht der Versuch, das Hauptargument der Selbstwidersprüchlichkeit zu entkräften.

10 „The theory of cultural relativism has been greatly misunderstood and unfairly dismissed not only by its critics but also by its proponents.“ 11 „certainly harmless, probably true, and if anything a useful corrective to precisely the sort of dangers with which it is often associated“

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Selbstwidersprüchlich seien kulturrelativistische Aussagen dann, wenn alle existierenden Bewertungen in diese Aussagen eingeschlossen würden, denn in dem Fall wäre der eigene Anspruch als partikularer seiner Kraft beraubt. Beschränke man sich jedoch auf bestimmte Bewertungen, so könnten relativistische Aussagen über den Relativismus anderer Aussagen durchaus Gültigkeit beanspruchen (Renteln 1990: 69ff.). Die Kategorisierungen verschiedener Konzepte des Kulturrelativismus sollen bestimmte Formen als tatsächlich selbstwidersprüchlich verwerfen, andere jedoch als spezifizierte wissenschaftlich fundieren können. So wird prominent eine Unterscheidung zwischen deskriptivem, normativem und epistemologischem Kulturrelativismus (Spiro 1986: 259ff.) oder zwischen offensichtlichem, deskriptivem und präskriptivem ethischen Relativismus (Schmidt 1955, Renteln 1990: 69ff.) getroffen. Toleranz, die Basis des frühen Kulturrelativismus, wird in dem Rekonzeptualisierungsversuch Rentelns als US-amerikanisches, somit partikulares und ethnozentrisches Prinzip, das keinen Anspruch auf Universalismus erheben dürfe, verworfen (Renteln 1990: 73). Ferner kritisiert sie, dass das Konzept der Toleranz einen inneren Widerwillen impliziere, d.h. Toleranz bedeute, gegen einen scheinbar zunächst immer vorhandenen Widerstand moralisch durchgesetzt werden zu müssen. Nun sei der deskriptive Kulturrelativismus, laut dem „es keine Werturteile gibt, die unabhängig von einer spezifischen Kultur wahr, d.h. objektiv gerechtfertigt sein können“12 (Schmidt 1955: 782), auch ohne das Prinzip universeller Toleranz fundierbar (Renteln 1990: 74). Eine adäquatere Grundlage des deskriptiven Kulturrelativismus sei das Konzept der Kulturalisierung (enculturation). Demnach internalisierten Menschen unbewusst die Kategorien und Standards ihrer Kultur, wodurch „automatische, unkritische Wahrnehmungen“13 gebildet würden. Weil diese Prozesse unbewusst stattfänden, wüssten Menschen zunächst nicht, dass ihre Anschauungen und Werte kulturgebunden seien

12 „there are or there can be no value judgements that are true, that is, objectively justifiable independent of specific cultures“ 13 „automatic, uncritical perceptions“

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(ebd.: 74f.) – daher stamme ihr Anspruch auf Universalismus. Der ‚pragmatische Kulturrelativismus‘ (Turner 1997: 278) schließe außerdem nicht aus, dass universelle Gemeinsamkeiten zwischen Menschen existierten (Renteln 1990: 71ff.), ebenso wenig wie er Kritik an anderen Kulturen verunmögliche. Ein Phänomen könne entweder nach internen Maßstäben einer Kultur, nach Maßstäben krosskultureller Gemeinsamkeiten oder nach Maßstäben der Kultur des Außenstehenden kritisiert werden. Letztere Alternative sei zwar immer ethnozentrisch, verkörpere aber in gewissen Fällen das geringere Übel und sei mit Kulturrelativismus vereinbar, solang kein universeller Maßstab proklamiert werde (ebd.: 78). Ähnliche Überlegungen stellt Rorty unter dem Begriff des ethnozentrischen Pragmatismus an, der jegliche Auffassung von innerer oder metaphysischer Wahrheit verabschiedet (Rorty 1995: 15f.).14 In diesen modernisierten kulturrelativistischen Herangehensweisen wird einerseits die Universalität von Menschenrechten oder anderen ‚Wahrheiten‘ als abstrakte Kategorie verworfen. Da jede Kritik und jede Bewertung an spezifische kulturelle Hintergründe oder aber an existierende, krosskulturelle Gemeinsamkeiten gebunden sei, könne die Annahme einer universalistischen Kategorie nicht wissenschaftlich fundiert und angemessen begründet werden. Kulturrelativistische Argumentationen werden als Korrektiv gegen solch einen abstrakten Universalismus herangezogen. Andererseits werden die universellen Menschenrechte als konkreter Bezugsrahmen für gesellschaftspolitische Auseinandersetzungen explizit nicht in Frage gestellt: „universelle Menschenrechte sind möglich“15 (Renteln 1990: 9). Nur drehe sich die sozialwissenschaftliche Forschung um die Suche nach ihrer empirischen statt einer abstrakten und somit potentiell repressiven Legitimierung.

14 Da dem Pragmatismus keinerlei Erkenntnistheorie zugrundeliege, handele es sich dabei nicht um Relativismus, dem Rorty seinen Anspruch auf Wahrheit vorwirft (Rorty 1995: 16). 15 „universal human rights are possible“

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Die Problemkonstellation, Urteile und Bewertungen nicht-eigener Kulturen objektiv begründen zu können, ohne dabei auf repressive Argumentationsmuster zurückzugreifen, die einer impliziten Hierarchisierung verhaftet bleiben, bietet eine nicht geringe Herausforderung. Deren Thematisierung bildet die Stärke kulturrelativistischer Argumentationen. Zudem scheint die Notwendigkeit von Selbstreflexion in den Sozialwissenschaften mit dem Rückgriff auf einen modernisierten Kulturrelativismus abgesichert werden zu können: Die partikulare Bedingtheit eigener Anschauungen und Beurteilungen wird wissenschaftlich ausweisbar. Offen bleibt jedoch, welcher Umgang mit kulturellen Phänomenen anhand welcher Wertmaßstäbe begründbar ist. In welchem Rahmen, auf welche Art und Weise wird menschliches Verhalten durch Kulturalisierung bedingt und welcher (stets auch subjektiv geprägte) Handlungsspielraum bleibt vorhanden, um „nicht-willkürlich, inter-subjektiv und somit kross-kulturell Bewertungen zu untersuchen und zu überprüfen“16 (Li 2006: 142)? Welche Referenzpunkte gibt es, auf denen eine kulturrelativistisch geprägte Vorstellung von Akzeptanz und ethnozentrischem Eingreifen basiert? Im Weiteren führt dies zu der Frage, inwiefern Kritik ausweisbar und legitimierbar sein kann, wenn sie selbst stets partikularistisch verhaftet ist.

I.2 D AS P HÄNOMEN

DES

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Diese kurze Einführung in die Problematik, d.h. in die Stärken und Schwächen einer kulturrelativistischen Argumentation wird im Folgenden durch die Betrachtung des Gegenmodells ergänzt und erweitert. Universalistische Argumentationen zielen auf die Problemkonstellation ab, ob und inwiefern ein Phänomen kultureller Normen und Werte verallgemeinerbar sein kann. Häufig werden damit Vorstellungen von ‚wahr‘ und ‚falsch‘ in moralisch-normativer Hinsicht angeführt. Die basale, universalistischen Herangehensweisen zugrundeliegende Frage

16 „non-arbitrarily, inter-subjectively and hence cross-culturally, examine and verify these value claims“

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lautet, an welchem übergeordneten Kriterium sich eine Norm oder eine Praxis messen lassen beziehungsweise wie Moral allgemeinverbindlich begründbar sein kann. Seit Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts konzentrieren sich universalistische Argumentationen zunehmend auf den Bereich universeller Menschenrechte, auf den daher nach einer kurzen Skizzierung der Entwicklung universalistischer Argumentationsgänge fokussiert wird. Das Naturrecht nimmt für philosophische Begründungen universeller Menschenrechte des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts eine bedeutende Funktion ein. Naturrechtstheorien sind gekennzeichnet durch den Glauben an übergeordnete und von subjektiven Interessen unabhängige Prinzipien. Klassischerweise werden diese Prinzipien in den verschiedenen Naturrechtsannahmen entweder als durch göttliche Autorität oder durch allgemeine, objektive Vernunft gegebene vorgestellt. Quer dazu kann unterschieden werden zwischen einem Naturrechtsverständnis, das zur Legitimation von Herrschaft herangezogen wird, und einem vor allem in der Aufklärung systematisch ausgearbeiteten Naturrecht, das eine grundlegende Hinterfragung von Herrschaft gestattet (vgl. Salzborn 2005: 121). Den Ausgangspunkt von Aristoteles’ Naturrechtstheorie bildet ein allgemeiner Begriff von Gerechtigkeit (iustitia universalis). Für Kant ist die „Freiheit (Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür), sofern sie mit jedes anderen Freiheit nach einem allgemeinen Gesetz zusammen bestehen kann“, das unhintergehbare Naturrecht jedes Menschen (Kant 1983: 345, Herv. entf.). Die entscheidenden sozialphilosophischen Bezugnahmen lassen sich im Spannungsfeld von utilitas vel honestas, Nützlichkeit oder Sittlichkeit ausmachen (Ritsert 2004: 215ff., 1997a). Universalistisch verfahrende Argumentationen beziehen ihren Referenzpunkt zur Beschreibung einer höheren Ordnung oder Moral entweder aus einem utilitaristischen Kriterium, welches das Gesamtwohl der Mitglieder einer Gesellschaft (zuungunsten Einzelner) zum Ausgangspunkt hat, oder aus dem Kriterium des Allgemeinwohls, das sich auf das Lebensniveau jedes einzelnen Mitglieds einer Gesellschaft bezieht. Eine dritte idealtypische Herangehensweise beruft sich auf das Ideal der Gleich-

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heit, welches sich an der Gleichheit des Lebensniveaus aller bestimmt (Mortimore 1968: 255f., vgl. Ritsert 1997a: 89f.). Begründungsbestrebungen und Prinzipien von Nützlichkeit, Gerechtigkeit, Freiheit und/oder Gleichheit sind demnach bestimmend für die Debatten um einen universalistischen Zugang. Neben Naturrechtsannahmen bilden bedürfnisorientierte, fähigkeitszentrierte oder interessenbasierte Ansätze den theoretischen Ausgangspunkt für Menschenrechtserklärungen und menschenrechtliche Begründungsstrategien (vgl. Kreide 2008: 17). Die Idee von Menschenrechten ist keine historisch neue und schon in der altgriechischen, römischen und mittelalterlichen Philosophie nachzuzeichnen (vgl. Szabo 1982: 11f.). Zahlreiche naturrechtliche, bürgerliche und völkerrechtliche Vereinbarungen vor 1948 können – mit spezifischen Brüchen – als Vorläufer der Allgemeinen Menschenrechte betrachtet werden, von der englischen Magna Charta 1215 über die Unabhängigkeitserklärung 1776 in den USA, die französische Erklärung der Menschenrechte 1789 und europäische Abkommen zur Abschaffung der Sklaverei 1890, bis zu weiteren Übereinkünften der League of Nations und der International Labour Organization (ILO) nach dem Ersten Weltkrieg über den Schutz von Minderheiten (vgl. Renteln 1990: 18ff.). Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR), die die generelle Grundlage für Menschenrechte sowie für regionale und spezifizierende Erweiterungen bildet, wurde 1948 von der UN verabschiedet und war das erste verbindliche Menschenrechtsabkommen auf internationaler Ebene. Mit den beiden UN-Pakten von 1966 über bürgerliche und politische Rechte sowie über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte bildet sie die Internationale Menschenrechtscharta (Riedel 2004: 14). Historisch entstand die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkriegs und der Verfolgung und Ermordung der europäischen Jüdinnen und Juden im deutschen Nationalsozialismus. Bis dahin hatte das Prinzip der völkerrechtlich verankerten absoluten Staatssouveränität Vorrang vor universalistischen Ansprüchen des einzelnen Menschen gehabt (Finkielkraut 1989: 16, Menke/Pollmann 2007: 34ff.). Dass das Individuum auch Schutz vor dem

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Staat brauche und somit eine Instanz nötig sei, die diesen Schutz bieten könne, indem sie in bestimmten Fällen die staatliche Souveränität einschränke, rückte durch die Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus in den Mittelpunkt. Dem lagen sowohl „die Gründlichkeit der Nazis, das heißt ihre Widerlegung der Moral durch das Reglement, des Legitimen durch das Legale, der ethischen Strenge durch die Unbeugsamkeit der Disziplin“, als auch „das Ausmaß der Zerstörung, das heißt die Einmischung des Verbrechens in die Angelegenheiten aller besetzten Länder“ zugrunde (Finkielkraut 1989: 18, Herv. entf.). Als Ausgangspunkt sowohl der Nürnberger Prozesse als auch der UNMenschenrechtserklärung dienten die als „ewige Prinzipien“ aufgefassten „Gesetze der Menschlichkeit“ (ebd.: 16). Die neu verstandene Rolle des Staates als potentieller Aggressor, der grundsätzliche Universalismus der Menschenrechte, die rechtliche Positivierung und Institutionalisierung und vor allem der ‚Zivilisationsbruch‘ (Diner) durch die Shoah, auf den die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte zurückgeht, unterscheidet sie grundlegend von den vorhergehenden Vereinbarungen. Sie nimmt zwar Elemente letzterer in sich auf und führt sie fort, stellt aber angesichts des historischen Bruchs und ihrer neuen zentralen Bedeutung zugleich eine fundamentale Neuformulierung dar (Menke/Pollmann 2007: 16ff., vgl. auch Arendt 1949). Die Verortung und die Begründungsbestrebungen der Allgemeinen Menschenrechte stehen demnach einerseits innerhalb eines bestimmten politischen und historischen Zusammenhangs. Ohne diese historische Situiertheit zu leugnen,17 werden sie andererseits durch den Rückgriff auf universelle menschliche Würde begründet, die allen Menschen unabhängig von ihrer Geburt zukomme: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren“ (Artikel 1, AEMR).

17 Im Gegenteil: In der Präambel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte heißt es explizit, dass „die Nichtanerkennung und Verachtung der Menschenrechte zu Akten der Barbarei geführt haben, die das Gewissen der Menschheit mit Empörung erfüllen“.

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Die allgemeine Eigenschaft eines ‚Menschseins‘ wird in der sozialwissenschaftlichen Diskussion um Menschenrechte jedoch als theoretisch und empirisch unterbestimmt kritisiert (vgl. allgemein Ritsert 2004: 31ff.). Trotz scheinbarer Evidenz wird kaum ein Begriff von Menschsein ohne normative Setzungen definiert. Historisch ist der Personenkreis, der im Begriff des Menschseins eingeschlossen wird, variabel. Frauen, Schwarze, Arbeiter und Flüchtlinge haben diese Anerkennung in verschiedenem Ausmaße erst nach langen Auseinandersetzungen errungen (vgl. Menke/Pollmann 2007: 105ff.). Nach wie vor werden in einigen Gesellschaften Frauen, Alte, Kinder, Fremde oder körperlich und geistig beeinträchtigte Menschen nicht als vollwertige Gesellschaftsmitglieder betrachtet (Messer 1996: 165ff.). Zwar besteht der basale Charakter der Idee der Allgemeinen Menschenrechte darin, für ausnahmslos alle Menschen zu gelten. Bemängelt wird jedoch, dass das vorkulturelle, psychobiologische Menschsein nicht als Grundlage für Rechte ausreiche (Turner 1997: 274). Die ‚faktischen Verschiedenheiten‘ (Lévi-Strauss) zwischen Menschen seien zu gewaltig. „Es scheint offensichtlich, dass sich Kulturen wesentlich darin unterscheiden, wie sie den Menschen verstehen.“ (Menke/Pollmann 2007: 87, Herv. J.M.) Universalistische Zugänge, so eine Kritik von Wilson und Mitchell, würden zu zwei sozialwissenschaftlichen Idealtypen tendieren: Dem Menschenkonzept als ‚volles Gefäß‘ oder als ‚leeres Gefäß‘. Während der Mensch als ‚volles Gefäß‘ grundsätzlich bestimmte Bedürfnisse und Fähigkeiten wie Vernunft, Rationalität und Selbst-reflexion besitze (dies bildet die Grundlage für bedürfnis- und fähigkeitsorientierte menschenrechtliche Begründungsstrategien), verkörpere er als ‚leeres Gefäß‘ das bloße Leben und sei auch dann noch Mensch, wenn er alle anderen Qualitäten verloren habe (Wilson/Mitchell 2003: 7f.). In der Ethnologie dagegen, die im Folgenden als Pendant zur Diskussion um kulturrelativistische Ansätze besonders in den Blick genommen wird,18 würden Menschenrechte weder als

18 Vgl. zur Diskussion in anderen sozialwissenschaftlichen Bereichen bspw. Schweppenhäuser 2005.

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Konsequenz aus dem essentialistischen, a-sozialen Individuum noch aus dem auf pures Menschsein reduzierten Lebewesen konzeptualisiert, sondern als „Eigenschaft von Beziehungen und Zusammenhängen zwischen sozialen Personen, die moralisch handeln“19 (ebd.: 8). Als Vorbedingung für soziale Aktivitäten werden Vertrauen und Solidarität angeführt (ebd.: 9). Damit greifen die Autoren implizit auf die normative universalistische Annahme zurück, dass Vertrauen und Solidarität Grundlage jeder Gesellschaft seien. Noch deutlicher wird eine normative Dimension, wenn Menschenrechte nicht als Produkt sozialer Beziehungen apostrophiert werden, sondern als letzteren immanent gelten (Wilson 1997a: 14). Dem Vorwurf der Normativität will dagegen die empiriebasierte Forschung entgehen. Zum einen würden de facto alle Gesellschaften, Regierungen oder Kulturen die Existenz universeller Menschenrechte mittlerweile anerkennen. Aus diesem Grund seien sie tatsächlich universell im Sinne von hegemonial (Zechenter 1997: 321, Wilson 1997a: 10, Merry 1997). Zum anderen wird in ethnographischen Ansätzen die Beziehung zwischen Kulturen und Menschenrechten empirisch untersucht mit dem Ziel einer großen, Vergleiche ermöglichenden Datenbasis, die Aussagen über konkrete Bedeutungen von Menschenrechten oder über universell geteilte, krosskulturelle Gemeinsamkeiten zulässt (Goodale 2006c: 4). Eine Verbindung normativer und empirischer Zugangsweisen findet sich, wo Menschenrechte als empirisch nachweisbare, universelle Kategorie die Grundlage für eine menschliche Ontologie, den unhintergehbaren Bestandteil von Menschsein bilden können sollen (Josephides 2003: 245). Wenn Menschenrechte normativ auf ‚Menschsein‘ beruhten, müssten umgekehrt Menschenrechte dieses empirisch absichern können (Baxi 1989: 153). Baxi kritisiert an dieser Stelle die Allgemeinen Menschenrechte als unzureichend für die Sicherung von Menschsein, aber Menschsein selbst setzt er als unhintergehbare, uni-

19 „property of relationships and interconnections between social persons who exercise moral agency“

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verselle Kategorie, die den Ausgangspunkt seiner Kritik bildet. Häufig wird kritisch auf die historische bürgerliche Situiertheit der Allgemeinen Menschenrechte hingewiesen. Rechte könnten nicht allein auf dem empirischen Menschsein beruhen, weil Rechte, ebenso wie andere Begriffe, sich kontextspezifisch entwickelten und in unterschiedlichen Staatsformen institutionalisiert seien (Turner 1997: 274f.). So gebe sich das Gesetz zwar neutral und gleich gegenüber allen Menschen, aber in der gesellschaftlichen Realität seien nicht alle Menschen gleich: Klasse, Geschlecht, Herkunft und weitere Differenzachsen nehmen Einfluss auf Reichweite und Wirkungsgrad von Rechten (Griffiths 2001: 104f.). Die Stärke der Allgemeinen Menschenrechte, sich nicht auf die jeweils konkreten Beziehungen zwischen Individuum und Staat zu beziehen und somit dem Individuum mehr Möglichkeiten gegen den Staat zur Verfügung zu stellen, bilde gleichzeitig ihre Schwäche, da sie sich nur auf bestimmte Staatsmodelle anwenden ließen (Mills 2003: 58). Dies hänge mit der Ambiguität der Menschenrechte zusammen, die einerseits das Individuum gegen den Staat schützen sollen, andererseits aber den Staat für die Ratifizierung und Umsetzung der Menschenrechtskonventionen verantwortlich machen. Dennoch sei das Individuum nicht mehr nur Objekt internationalen Rechts, sondern werde durch die Möglichkeit, selbst Forderungen einbringen und Menschenrechtsverletzungen anklagen zu können, zum handelnden Subjekt (Renteln 1990: 35, vgl. auch Menke/Pollmann 2007). Sogenannten schwachen Staaten mit fehlender Infrastruktur und unzureichender Durchsetzungskraft, Diktaturen, Theokratien oder auch Exilregierungen fehlten jedoch der Wille beziehungsweise die Wege, Menschenrechte durchzusetzen (Schirmer 1997, Stoll 1997, Samson 2001, Mills 2003). Allgemein existierten Praxen, die außerhalb des staatlichen Zugriffsbereichs liegen würden (Constable 2008: 516). Frauen, so die Kritik im Sinne eines Staatsskeptizismus, müssten für die Gewährleistung ihres Schutzes die Allianz mit ihrem Ehemann durch eine Allianz mit dem Staat ersetzen, was „ein Problem für diejenigen Frauen dar-

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stellt, die nicht unbedingt ‚den Staat heiraten‘ möchten“20 (Adelman 2008: 512). Die internationalen Beziehungen zwischen Staaten selbst seien von strukturellen Ungleichheiten geprägt (Merry 2006b). Auch in demokratischen Staaten, deren politisches System den Hintergrund für die Menschenrechtserklärung bildet, sei die Durchsetzung von Menschenrechten nicht immer gewährleistet:. In der ‚weltweit größten Demokratie‘ Indien würden Menschenrechte systematisch verletzt (Kothari/Sethi 1989). Rassistische Strukturen und Praxen prägten die ‚ganze Welt‘ (Harrison 2008). Interventionen im Namen der Menschenrechte könnten zudem repressiven Charakter annehmen (Wilson 2005). Bezogen auf die konkrete Umsetzung von Menschenrechten wird betont, dass die entsprechenden Prozesse nicht nur top-down, sondern auch bottom-up stattfänden (Messer 1997: 307). Der Weg hin zur Verabschiedung einer UN-Menschenrechtskonvention auf internationaler Ebene und anschließend zu deren Umsetzung ist lang und endet nicht bei der Ratifizierung durch die einzelnen Staaten auf der nationalen Ebene. Sondern die Konvention muss zur lokalen Implementierung sowohl mit empirischen Gegebenheiten als auch mit vorfindlichen normativen Vorstellungen, die im Gegensatz zur Konvention stehen können, einen Umgang finden. Die vielfältigen mit der Frage allgemeiner Menschenrechte verknüpften Zugangsweisen, Streitpunkte und Aspekte zeigen eindrücklich, dass eine simple Kritik an deren Universalismus als starr und unflexibel allenfalls oberflächlich verbleibt. Vielmehr ist eine menschenrechtliche konkrete Umsetzung stets mit lokalen Faktoren vermittelt. Die Um- und Übersetzungen sind politisch hochgradig umkämpft (Sieder/Witchell 2001: 204, vgl. auch Dembour 1996, Merry 2006b). Übersetzungsprozesse (vernacularization, Merry 2006a, 2006b) bringen einen Bedeutungswandel der übersetzten Inhalte mit sich, der unterschiedliche Momente stärken kann: Auf einer Skala zwischen Replikation, also der Übernahme transnationaler Ideen, und Hybridisierung, der starken Vermischung dieser Ideen mit lokalen Auffassun-

20 „is a problem for those women who may not wish to ‚marry the state‘“

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gen, d.h. auf einer Skala zwischen dominanter Quelle und dominantem Ziel, gibt es eine Vielfalt von Übersetzungsvarianten (Merry 2006a: 44ff.). „Die Universalität der Menschenrechte (oder anderer) wird so zu einer Frage des Kontextes, die eine Situations- und Handlungsanalyse benötigt. Kontextualisierung ist ohne Relativierung möglich“21 (Wilson 1997a: 12) und läuft mitnichten „der Menschenrechtslogik direkt zuwider“22 (Riles 2006: 54) – zumindest nicht automatisch.23 Die zentrale sozialwissenschaftliche Forderung nach Kontextsensibilität zielt darauf ab, lokale Verhältnisse und Sichtweisen in Überlegungen und Entscheidungsfindungen mit einzubeziehen. So könne in Menschenrechtsberichten die „Erfahrungslücke“24 zwischen Opfern von Gewalt und denjenigen, die durch die Berichte angesprochen werden, verringert werden, ohne deshalb in einen Relativismus zu verfallen (Wilson 1997b: 156). Kontextsensibilität könne zur Verbesserung des Menschenrechtsschutzes beitragen, während eine starre Übersetzung ohne Rücksicht auf die Gegebenheiten vor Ort Menschenrechte sogar unterminieren könne, beispielsweise wenn lokale Komplexitäten nicht erfasst und mit dichotomen Zuschreibungen übergangen werden (exemplarisch Stoll 1997, Schirmer 1997). Problematisch wird die Forderung nach Kontextsensibilität allerdings dann, wenn lokale Strukturen als unveränderbare oder als zu konservierende gefasst werden oder wenn übersehen wird, dass lokale und kulturelle Normen auch in einem unauflösbaren Widerspruch zu

21 „The universality of human rights (or otherwise) thus becomes a question of context, necessitating a situational analysis. It is possible to have contextualisation without relativisation“ 22 „is directly at cross-purposes with the logic of human rights claims“ 23 Vgl. aus philosophisch-sozialwissenschaftlicher Perspektive auch Menke/Pollmann 2007: 82f., die den Anspruch der Menschenrechte auf Richtigkeit nicht aufgeben, aber als Exemplarizität fassen: Als dynamische und prozessuale Wiederholung, die den jeweiligen normativen Gehalt in einer neuen Situation wiederholend verändert und erneuert. 24 „experiental gap“

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universellen Menschenrechten stehen können.25 Obzwar lokale Werte mit Menschenrechten selbst dann kompatibel sein können, wenn sie auf anderen Prämissen beruhen (Eriksen 2001: 135), können ebenso unüberbrückbare Gegensätze auftreten. Die Schwierigkeit der Übersetzung besteht darin, dass einerseits Menschenrechte lokal ‚attraktiv‘ gestaltet werden wollen und sie durch diesen Prozess selbst transformiert werden. Andererseits müssen die den Menschenrechten zugrundeliegenden Ideen bewahrt werden, soll ihr Potential für die Abschaffung von Leiden nicht verloren gehen (Merry 2006a: 49). Hier kristallisiert sich die deutliche Spannung zwischen Universalismus und Kulturrelativismus heraus. Welche Grenze kann, soll und darf lokalen Sichtweisen gesetzt werden? Innerhalb universalistischer Menschenrechtskonzeptionen lassen sich auf analytischer Ebene zwei idealtypische Begründungsstrategien und Bezugnahmen nachzeichnen (sieht man von der völligen Ablehnung universalistischer Vorstellungen ab): Universalismus kann zum einen als empirische konkretistische Grundlage gefasst werden. Menschenrechte, Universalien und/oder kross-kulturelle Gemeinsamkeiten werden als empirisch vorfindbar anerkannt und deskriptiv beziehungsweise vergleichend herausgearbeitet. Demgegenüber gehen normative Konzepte nicht von einem Ist-Zustand aus, sondern streben ein bislang nicht in Gänze verwirklichtes, implizit oder explizit normatives Ideal an. Dieses Ideal kann positiv in Form konkreter Utopien oder negativ in Form von Kritik am Bestehenden formuliert sein. Die Begründungen für das Ideal sind vielfältig und reichen von basalen Bedürfnissen über Fähigkeiten zu allgemeinen Vorstellungen von Vernunft, Menschenwürde, Gerechtigkeit, Gleichheit oder Freiheit. In allen Fällen bildet es einen Maßstab für die Verbesserung der Lebensbedingungen von Menschen. Konkretistische und normative Ebenen stehen in vielfältigen Bezugnahmen zueinander und lassen sich kaum trennen. Eine analytische Unterscheidung hilft zwar, Vorannahmen und normative Setzungen, die als selbstverständlich gelten, bewusst zu machen. Dann

25 Vgl. Eriksens Kritik an dem UNESCO-Report von 1995 (Eriksen 2001).

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wird jedoch zugleich deutlich, dass keine Deskription ohne normative Vorstellungen und keine Norm ohne Bezugnahmen auf die empirische Lebenswelt sinnvoll oder auch nur möglich ist. Dennoch gibt es konstitutive Unterschiede, die in beiden Herangehensweisen sowohl weiterführende als auch begrenzende Motive aufscheinen lassen. Ein deskriptives Menschenbild, das auf empirisch zugänglichen Sachverhalten beruht, kann normative Vorstellungen korrigieren, die Menschsein an ein autoritäres, willkürlich gesetztes (und unerreichbares) Ideal knüpfen (Horkheimer 1936: 162). Andererseits bewegen sich konkretistische Herangehensweisen, die ihre normativen Setzungen allein aus existierenden Gesellschaftsformen und universell geteilten Eigenschaften ableiten, innerhalb eines vorgegebenen Rahmens und bleiben dem Bestehenden deutlich verhaftet. Sie geben einen möglichen Anspruch auf Besseres auf, wenn „von dem Effekt einer geistigen Ordnung her auf ihre Legitimität geschlossen wird, ohne daß die Wahrheit oder Unwahrheit dieser sogenannten geistigen Ordnung selbst in Erscheinung tritt“ (Adorno 2001: 323). Zum einen ist die bloße Allgegenwart einer Praxis kein hinreichendes Kriterium für die Qualität von Lebensbedingungen. Zum anderen würde „die Frage, ob die Kultur und das, wozu diese sogenannte Kultur geworden ist, überhaupt so etwas wie richtiges Leben zuläßt“ (Adorno 2010: 28), abgeschnitten werden. Damit wäre Sozialwissenschaft ihres zentralen Gegenstands beraubt, denn gerade der Widerspruch und zugleich der Zusammenhang zwischen dem empirisch Gegebenen und dem Anspruch auf etwas Besseres benötigt reflexive Zugänge, die dem Wesen dieses Verhältnisses auf den Grund gehen und keine der beiden Seiten konkretistisch oder willkürlich normativ hypostasieren. Die Gemeinsamkeit konkretistischer und normativer Herangehensweisen besteht in dem Rekurs auf ein universales (allgemeines) beziehungsweise universelles (allgemeingültiges) Kriterium als Maßstab zur Kritik kultureller Handlungen. Damit ist die Frage, die innerhalb kulturrelativistischer Argumentationen offen bleiben muss, zunächst gelöst: Wann ein Eingreifen und wann eine Akzeptanz kultureller Handlungen angebracht ist, wird anhand des jeweils zugrundegeleg-

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ten universellen Kriteriums entschieden. Ungeklärt bleibt jedoch der Umgang mit gewichtigen kulturrelativistischen Einwänden: Wann wird ein (äußerer) Zugriff derart repressiv, dass er nicht mehr mit universellen Kriterien gerechtfertigt werden kann? Wie können universelle Kriterien legitimiert und begründet werden und wie verhalten sie sich zu diametral entgegenstehenden Ansichten? Wird im Universalismus das Besondere beziehungsweise das Partikulare vom Allgemeinen untergraben?

I.3 Z UM B EGRIFF

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Die Fragen, die sowohl auf kulturrelativistischer als auch auf universalistischer Seite aufgeworfen werden, können schwerlich angemessen ohne die Hinzunahme weiterer entscheidender sozialwissenschaftlicher Analysekategorien beantwortet werden. Dem jeweils zugrundeliegenden Konzept von Kultur kommt in den Argumentationen eine zentrale Bedeutung zu. Kaum ein Begriff ist jedoch so vieldeutig, so verschiedenartig assoziiert und so umstritten wie der Begriff der Kultur. Er wird verwendet zur Beschreibung lokaler Gegebenheiten, zur Skizzierung bestimmter Gesellschaftsformen oder zur Benennung einer bestimmten Dimension sozialen Zusammenlebens. Diesen einzelwissenschaftlichen Ansätzen steht ein erweiterter, generalisierender Rekurs auf Kultur gegenüber. Deskriptive und normative Kulturbegriffe lösen einander regelmäßig ab, als schlichte Beschreibung von Lebenswelten oder in Abgrenzung zur Natur, zur Zivilisation oder zu Un-Kulturen (vgl. u.a. Sahlins 1999, Ort 2003, Bachmann-Medick 2006, Elias 1976, Williams 1981). Historisch wurde der Begriff zunächst in zwei entgegengesetzten Bedeutungen verwendet. Diente er im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert zum einen als Synonym für die Zivilisation und Entwicklung der ökonomisch stärksten Länder (Williams 1976: 89), kritisierte Herder diese Einschränkung und forderte, den Kulturbegriff auf alle möglichen Nationen, Gruppen und historischen Phasen anzuwenden. In der deutschen Romantik avancierte der Kulturbegriff einerseits zum

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Gegenmodell zur Zivilisation, welche im ausgehenden neunzehnten Jahrhundert zunehmend mit den westlichen Nationen England und Frankreich identifiziert und als oberflächlich und rationalistisch kritisiert wurde (Elias 1976: 2ff.). Andererseits diente er als Bezeichnung von als traditionell vorgestellten Gesellschaften (Williams 1976: 89). So wurde die Imagination des ‚edlen Wilden‘ geschaffen, dem Naturnähe, Ursprünglichkeit und Authentizität zugeschrieben wurden. Sowohl dieses als auch das Bild primitiver, unentwickelter Gesellschaften, welches deren Kolonialisierung, Versklavung und Ausbeutung in hohem Maße legitimierte (vgl. Scott 2002), beruhten auf den gleichen Stereotypen: Dieselben Zuschreibungen, welche die Vorstellungen von einem ‚naturhaften‘ Paradies speisten, bildeten die Grundlage für die Wahrnehmung der ‚Anderen‘ als Barbaren (Hall 1994a: 164ff.). Der vielschichtige und komplexe Kulturbegriff soll im Folgenden insbesondere im Hinblick auf seine Entwicklung innerhalb der Diskussionen analysiert werden, die relevant für das Spannungsfeld von Kulturrelativismus und Universalismus seit dem zwanzigsten Jahrhundert sind. Im sozialwissenschaftlichen Rückblick werden sie in zwei historische paradigmatische Phasen unterteilt: Das frühe, klassische Kulturkonzept wurde demnach abgelöst von einem postmodernen Verständnis, in dem der Kulturbegriff heterogen angereichert und ausdifferenziert wird. Quer zu dieser begriffsgeschichtlichen Entwicklung lassen sich zwei gesellschaftliche widersprüchliche Tendenzen erkennen, die als Globalisierung einerseits und als Lokalisierung andererseits gekennzeichnet werden können. Dem klassischen Kulturkonzept bis zur Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts habe, so die rückblickende Kritik, eine Vorstellung von Kultur als geschlossener, homogener, allumfassender, statischer und deterministischer Container zugrundegelegen (vgl. u.a. Li 2006: 10, Eriksen 1997: 50). Kultur sei verstanden worden als ein Behälter mit einem klaren Innenraum und einem deutlich davon abgegrenzten Außenraum, in welchem sich wiederum andere Kulturcontainer befänden. Zwar sei „zuallererst die Vielfalt der Kulturen“ (Antweiler 2007: 102) betont worden. Ein Austausch zwischen den Kulturen wurde jedoch

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nicht vorgesehen beziehungsweise sei die Möglichkeit einer interkulturellen Beeinflussung und Veränderung tendenziell als bedrohlich wahrgenommen worden (vgl. Zechenter 1997: 335). Die Kulturcontainer stellten im klassischen Konzept den einzigen und allumfassenden Einfluss auf den Menschen dar – sie determinierten ihre Bewohner/innen. Ein Widerspruch oder Konflikt zwischen dem einzelnen Menschen und ‚seiner‘ Kultur wäre innerhalb dieses Rahmens kaum theoretisch ausweisbar (vgl. Spiro 1987). In den Afterological Studies (Sahlins 1999: 404 nach Jacqueline Mraz), d.h. in den postmodernen, postkolonialen, poststrukturellen Ansätzen wird das Konzept von Kultur als homogen, abgeschlossen, statisch und entwicklungsunfähig fundamental kritisiert. „Ethnologische Theorie weist das Konzept von Kultur als integrativ, harmonisch, konsensual und abgegrenzt nun zurück zugunsten eines Verständnisses von Kultur als historisch produziert, global verbunden, intern in Frage gestellt 26

und gekennzeichnet durch mehrdeutige Grenzen von Identität und Praxis“ (Merry 2001: 41).

Es setze sich zusammen aus „Ideen und Praxen, die nicht homogen sind, sondern sich ständig verändern, aufgrund von Widersprüchen zwischen ihnen oder weil Mitglieder neue Ideen und Institutionen übernehmen“27 (Merry 2006b: 11). Kultur sei kein invariantes Objekt, sondern Praxis; etwas, das geschehe, das prozesshaft sei und das als Produkt ökonomischer, sozialer, politischer, lokaler und internationaler Entwicklungen analysiert werden müsse. Sie bestehe aus divergieren-

26 „Anthropological theory now rejects the concept of culture as integrated, harmonious, consensual, and bounded in favour of an understanding of culture as historically produced, globally interconnected, internally contested, and marked with ambigious boundaries of identity and practice“ 27 „ideas and practices that are not homogeneous but continually changing because of contradictions among them or because new ideas and institutions are adopted by members“

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den und sich widersprechenden Interessen (Eriksen 1997: 53f., Zechenter 1997: 332ff., Nagengast 1997: 356, Griffiths 2001: 102, Appadurai 1996, Gruenbaum 2005). Zentrale Bräuche könnten geändert werden, ohne dass deshalb die betreffende Gesellschaftsform kollabiere (Zechenter 1997: 335). Kultur als sinngebende Praxis stelle ein „Repertoire von Bedeutungen“ zur Verfügung, das von Individuen genutzt werden könne, um der Welt Inhalt zu verleihen und Zusammenhänge herzustellen, „ohne dass sie sich von ihnen in jedem Aspekt ihrer Existenz einbinden lassen“ müssen (Hall 2004: 208, Herv. entf.). Keine Kultur sei in sich homogen oder authentisch, sondern immer schon different und hybrid (Bhabha 1994). Das klassische Kulturkonzept befürchte dagegen lapidar die ‚Zerstörung von Kultur‘ und ignoriere die faktische Globalisierung von kulturellen, politischen und ökonomischen Prozessen, die Entwicklung globaler Netzwerke durch neue Kommunikations- und Transporttechniken sowie durch Migrationsbewegungen (Wilson 1997a: 10). Davon ‚unberührte Kulturen‘ gebe es nicht mehr (Merry 1997: 29). Darüber hinaus wird im Menschenrechtsdiskurs der Schutz der Fähigkeit zu Kultur eines jeden Menschen betont, nicht der Schutz bestimmter Kulturen (Cowan et al. 2001a, AAA 1999, vgl. Merry 2001: 39). Eine Verweigerung dieses Rechts auch vonseiten der jeweils eigenen Kultur wird kritisiert (AAA 1999) und damit anerkannt, dass innerhalb einer Kultur verschiedene und sich widersprechende Interessen existieren. Der emphatische Paradigmenwechsel vom klassischen zum postmodernen Kulturkonzept hat eine Vielzahl neuer sozialwissenschaftlicher Zugänge zu Fragen von Universalismus, Kulturrelativismus und Menschenrechten geschaffen, wie die Erforschung globaler Prozesse, transnationaler Bereiche, globaler Institutionen oder Nichtregierungsorganisationen (NGO) (Wilson/Mitchell 2003: 9, Riles 2006, Merry 2006b) sowie der Übersetzungsprozesse zwischen verschiedenen lokalen und globalen Ebenen (Merry 2006a, Wölte 2008). Der Anspruch, sich von einem klassischen Kulturkonzept abzugrenzen, führte zu unterschiedlichen Umgangsstrategien. Kultur wird kritisiert, transzendiert, rekonzeptualisiert, reaktualisiert und bewegt

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(vgl. kritisch Gonzáles 1999: 431, Brightman 1995). Kultur wird ersetzt durch andere Begriffe wie Habitus, Hegemonie oder Diskurs (vgl. Brightman 1995: 510). Mitunter resultiert diese Entwicklung in dem Vorschlag, gänzlich auf den Kulturbegriff zu verzichten: Weil er immer eine homogene und statische Bedeutung mit sich führe (Samson 2001: 228), weil der Kulturbegriff wichtige Aspekte außer Acht lasse und Phänomene auch ohne ihn adäquat benannt werden könnten (Eriksen 2001) oder weil er schlicht eine Erfindung von Ethnolog/innen sei, um ihre Erfahrungen zu sortieren (Wagner 1975: xii). Darüber hinausgehend finden sich Versuche, das klassische und das postmoderne Kulturkonzept in einer nicht-binären Definition zusammenzubringen. Kultur könne demnach verstanden werden als „eine Ansammlung informellen Wissens, das historisch vererbt und verändert wird, enthalten in und herausgefordert durch Traditionen, aufgenommen und verändert in Praxen, weitergegeben und modifiziert durch soziales Lernen in einer Community mit sich entwickelnden und porösen Grenzen“28 (Li 2006: 18). Die Gleichzeitigkeit von Statik und Dynamik in Kultur könne damit gefasst werden, dass Kulturen zwar in ständigem Wandel begriffen sind, aber dennoch zu jedem bestimmten Zeitpunkt eine festes Gefüge aufweisen (Werbner 2001: 134). Damit wird in gewisser Hinsicht den Kritiken Rechnung getragen, die in der afterological Abgrenzung lediglich eine „wissenschaftliche Technik“ (Sahlins 1999: 404)29 identifizieren, die zur Emphase der eigenen, neuen Konzepte die retrospektive Konstruktion eines klassischen Kulturkonzepts benötige, das all die abgelehnten Attribute in sich vereine. Dem wird die These gegenübergestellt, dass auch die Zugänge in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts nicht mit einer statischen Kulturdefinition gearbeitet hätten (ebd., Brightman 1995: 509f.).

28 „a body of informal knowledge that is historically inherited and transformed, embodied and contested in traditions, incorporated and innovated in practices, and transmitted and altered through social learning in a community of evolving and porous boundaries“ 29 „scholarly technique“

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Motiviert sind die frühen kulturrelativistischen Ansätze von dem Anspruch, ethnifizierende oder rassistische Zuschreibungen und Annahmen westlicher Überlegenheit substantiell zu kritisieren. Deutlich wird das an der Stellungnahme der Exekutivkommission der AAA zur Menschenrechtserklärung (AAA 1947). Herskovits betont darin die Gleichwertigkeit aller Kulturen und verurteilt die Diskriminierung und Herabsetzung anderer Formen des Zusammenlebens. Er verweist darauf, dass Unterschiede zwischen Kulturen historisch, nicht biologisch bedingt seien (ebd.: 542). Daraus leitet er die Forderung ab, andere Kulturen normativ nicht zu bewerten, da es dafür schlechterdings keinen allgemeingültigen Maßstab geben könne (ebd.). Die aus diesem Diktum resultierende Schwierigkeit, Gesellschafts- oder Kulturkritik zu begründen, kann durchaus auf ein spezifisches klassisches Kulturverständnis zurückgeführt werden. Wenn Kultur hier im Sinne eines „kleinen, eroberten Volkes“30 (Merry 2001: 34) verwendet wird, lässt sich die Stellungnahme der AAA als Schutz dieser ‚kleinen Völker‘ statt als Legitimierung mächtiger Nationen verstehen. Diese Lesart impliziert tatsächlich ein Kulturkonzept, das die Verschiedenheit, Homogenität und Abgeschlossenheit von Kulturen in den Vordergrund stellt. An anderen Stellen weist Herskovits solche Annahmen jedoch von sich: „Eine einzelne Kultur sich nur als ein einziges Muster vorzustellen, verzerrt die Realität und erschwert sachkundige Analyse, denn keine Kultur ist zu simpel, um nicht mehrere Muster aufzuweisen […], einige von größerer Anwendbarkeit als andere, einige sogar im Konflikt miteinander stehend.“31 (Herskovits 1945: 158)

30 „small, conquered people“ 31 „To think in terms of a single pattern for a single culture is to distort reality and make competent analysis more difficult, for no culture is too simple to have various patterns […], some of wider applicability than others, some even in conflict with others.“

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Die konstatierte Verschiedenheit von Kulturen wurde in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts ausdrücklich weder mit Abgeschlossenheit gleichgesetzt (vgl. Sahlins 1999: 404) noch mit interner Homogenität: Nicht einmal Individuen seien ohne Widersprüche und konfligierende Werte. Wie sollten es dann erst Kulturen sein? (so Linton 1936: 362, vgl. Sahlins 1999: 405) Herskovits’ oben (Kapitel I.1) diskutierte Hoffnung, dass repressive Kulturen auf der Grundlage eigener Werte auch ohne äußere Einflüsse (und ohne universelle Menschenrechte) immanent kritisiert werden könnten (AAA 1947: 543), erscheint vor diesem Hintergrund eingängiger – auch wenn die Frage nach der Gewichtung beziehungsweise nach der normativen Einordnung der jeweiligen Werte weiterhin offen bleibt. Die Feststellung, dass Differenzen innerhalb von Kulturen ebenso wichtig sein können wie es Differenzen zwischen Kulturen seien (Li 2006: 215f.), war potentiell schon vor dem afterological Paradigmenwechsel formulierbar. Wie immer auch der Kulturbegriff in den paradigmatischen Zugängen konkret ausformuliert wird, ist er nur dann sozialwissenschaftlich angemessen verwendbar, wenn zwei zentrale, miteinander in direktem Zusammenhang stehende Aspekte konstitutiv in die Analyse einbezogen und offengelegt werden. Es handelt sich zum einen um den Aspekt des Zwangs, der von Kultur ausgehen oder durch Kultur legitimiert werden kann, und zum anderen um die Interdependenz von Kultur und Politik beziehungsweise Ökonomie. Unbestreitbar findet sich eine Vielzahl zentraler Arbeiten, die den Zwangscharakter von Kultur und deren politisierte Funktion für die Aufrechterhaltung gesellschaftlicher Macht- und Herrschaftsverhältnisse herausstellen und in diesem Zusammenhang auf die Bedeutung der ökonomischen Dimension hinweisen (exemplarisch Zechenter 1997: 332, Nagengast 1997: 360, Cowan 2003, 2006, Merry 2006a, Baxi 1989, Farmer et al. 1996, Farmer 2003). Nichtsdestotrotz gehen weder im klassischen noch im postmodernen Kulturkonzept32 die Aspekte von Macht, Repression, Politik

32 An der paradigmatischen Unterteilung zwischen klassischen und postmodernen Kulturkonzepten wird festgehalten, da diese auch unabhängig von

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und Ökonomie tatsächlich konstitutiv in die Theorie- und Begriffsbildung ein. Dies wird daran deutlich, dass es ohne weiteres möglich ist, sowohl das klassische als auch das postmoderne Kulturkonzept zu favorisieren beziehungsweise zu proklamieren, ohne dabei den stets vorhandenen Zusammenhang mit gesellschaftstheoretischen Aspekten einzubeziehen. Es erweisen sich bei der genaueren Betrachtung eines statischen oder eines fluiden Kulturbegriffs Leerstellen, die auf der Achse zwischen Universalismus und Kulturrelativismus vor allem in der fehlenden Reflexion auf eine sozial- und moralphilosophische Ebene erscheinen. Leicht geraten damit wesentliche und konstitutive Aspekte, die eine sozialwissenschaftlich angemessene Analyse erst ermöglichen, in den Hintergrund. Kultur erscheint dann gleichsam unabhängig, als erste oder gar als einzige Determinante gesellschaftlichen Zusammenlebens, und wird allzu schnell hypostasiert. Die dem gegenüberstehende Möglichkeit birgt Emanzipations- und Konfliktpotential zugleich. „Das sinnvolle individuelle Leben ist immer in kulturelle Kontexte eingebettet, nur in ihnen ergibt seine ‚freie Wahl‘ Sinn.“ (Hall 2004: 214)33 Die oben eingeführte Kulturalisierung prägt und rahmt also individuelles Handeln, ohne es gänzlich zu determinieren. Bewusstes Verhalten und freie Wahl werden durch das Ausmaß an unbewusst produzierten und reproduzierten Normen und Werten beeinflusst. Sozialer, politischer, familiärer oder ökonomischer Druck kann die Entscheidung gegen eine bestimmte kulturelle Tradition verhindern oder in hohem Maße erschweren – auch dann, wenn die betreffende Praxis auf gesetzlicher Ebene bereits verboten wurde.34 Eine Diskussion kultureller Phänomene kommt somit nicht ohne die Analyse struktureller, politischer und ökonomischer Ursachen für kulturell begründete Unterdrückungs- und Ungleichheitsmechanismen

ihrer adäquaten historischen Zuordnung aktuellen verschiedenen Zugängen (mindestens implizit) zugrundeliegen. 33 Siehe auch Cowan 2006: 12ff., Gellner 2001, VanderWal 1990. Einen anders pointierten Zugang bietet dagegen Kymlicka 1991, 1995. 34 Zur Problematik der freien Wahl vgl. ausführlich Kapitel II.4.

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aus. Dabei müssen auch diejenigen Momente in die Betrachtung aufgenommen werden, die nicht (nur) durch bloße Beobachtung oder durch biographische Erzählungen zu fassen sind, da sie auch unabhängig von Willen und Wissen des Einzelnen verlaufen. Objektivierte Strukturen sind insofern verselbständigt, als dass sie den Menschen als unabhängige, quasi-natürliche und unveränderbare Tatsachen erscheinen. Deren scheinbare Naturhaftigkeit ist zwar zum einen zu durchbrechen und als menschengemachte zu reflektieren. Sie haben zum anderen aber tatsächlich einen gewissen Grad von Unabhängigkeit erreicht und sind somit weder ohne weiteres und direkt veränderbar noch überhaupt unmittelbar erfassbar. Die Prämisse, dass die prozesshafte Struktur basaler ökonomischer, politischer und sozialer Bestimmungen nicht ausschließlich auf einer bewussten Ebene anzusiedeln ist, macht die Schwierigkeit, aber auch die Stärke eines reflexiven Zugangs aus. Sie ermöglicht es, die dem Bewusstsein der Menschen entzogenen Momente, die gleichwohl eine zentrale Rolle für die spezifische Vergesellschaftung bilden, in das Blickfeld konstitutiv mit einzubeziehen. Mit dem Schwerpunkt auf Vergesellschaftungsmechanismen statt allein auf dem Phänomen der Kulturalisierung können Wechselwirkungen von Ökonomie, Politik und Kultur analysiert werden. „Ohne dramatische und umfassende, weitreichende Veränderungen in den ökonomischen und sozialen Lebensstrukturen“35 (Nagengast 1997: 363) kann Menschenrechtsverletzungen kaum nachhaltig begegnet werden. So sind übrigens auch die unterschiedlich gefassten exkludierenden Konzepte vom Menschsein (vgl. Kapitel I.2) nicht nur kulturell oder durch Mythen begründet, sondern beruhen stets auf konkreten ökonomischen, politischen und sozialen Verhältnissen (Messer 1996: 182). Die Möglichkeit, sich gegen kulturelle Normen entscheiden oder ihnen gänzlich entkommen zu können, ist konstitutiv vermittelt mit strukturellen Bedingungen. „Praktisch haben die wenigsten Menschen, die in traditionellen und indigenen Gesellschaften leben, ökonomische

35 „Without dramatic and overall far-reaching changes in the economic and social fabric of life“

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oder andere Alternativen und sind unfähig, schädigenden oder brutalen Gebräuchen auf einer umfassend informierten Basis zuzustimmen.“36 (Zechenter 1997: 339, s.a. Cowan 2006: 14f.) Anders formuliert: Kultur ist nicht lediglich weitergegebenes und sich veränderndes Wissen, sondern kann als – politischer, ökonomischer, sozialer oder kultureller – Zwang auftreten. Dabei ist es nicht das Objekt Kultur, das zum Zwang erstarrt, sondern der instrumentelle Bezug darauf. Es gibt jedoch in Abgrenzung zu zweckgebundenen Bezügen auf Kultur keine ‚authentische‘ Kultur, die einer ‚instrumentellen‘ Kultur gegenübergestellt werden könnte. Der Rekurs auf Kultur steht immer, bewusst oder unbewusst, implizit oder explizit, in gesellschaftlich induzierter Auseinandersetzung mit anderen politischen, ökonomischen, sozialen und individuellen Dimensionen menschlichen Zusammenlebens. Der Zwangscharakter und die Verwobenheit von Kultur mit anderen Dimensionen zeigen sich besonders deutlich an der widersprüchlichen Entwicklung des postmodernen Kulturkonzepts. Auf der einen Seite nehmen sozialwissenschaftliche Analysen Abstand von einem (sei es reellen oder projizierten) klassischen Kulturbegriff. Auch gesellschaftlich nähern sich im Prozess der Globalisierung verschiedene Gesellschafts- und Lebensformen einander an; Tendenzen hin zu einer globalen Kultur zeichnen sich ab, die Identitäten von bestimmten Zeiten und Räumen ablösen (vgl. Hall 1994b: 212). Auf der anderen Seite erstarkt ein Differenzbestreben, das sich durch den Rekurs auf einen klassischen Kulturbegriff Ausdruck verleiht. Mit der Betonung lokaler, indigener oder ethnischer Identitäten findet eine signifikante Renaissance von Kultur statt. „Kulturelle Homogenisierung und ethnische Fragmentierung finden gleichzeitig statt; sie resultieren aus einander

36 „In practice, most individuals living in traditional and indigenous societies have few, if any, economic or other options and are incapable of giving an informed consent to harmful or brutalizing customs.“

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und bedingen einander in dynamischen Wechselverhältnissen“37 (Eriksen 1997: 52) – sei es, weil die Globalisierung als Bedrohung wahrgenommen wird oder um eigenen kollektiven Forderungen Gehör zu verschaffen (ebd., Hall 1994b: 213ff., Thomas 1994, Jackson 1995, Cowan 2001, Nagengast/Turner 1997, vgl. auch Sahlins 1999). Die (menschenrechtliche) Gesetzgebung und internationale Abkommen können entscheidend zur Renaissance des Kulturbegriffes beitragen. Wenn sie auf einem starren Kulturcontainerkonzept beruhen, zwingen sie Gruppen mit kollektiven Forderungen förmlich dazu, sich auf ‚authentische‘, kulturelle Identitäten zu beziehen, um gehört zu werden (vgl. Merry 2001). Auch in den Sozialwissenschaften lässt sich neben den heterogenen, dynamischen Kulturkonzepten des cultural turn parallel ein Rückgriff auf den klassischen Kulturbegriff beobachten. Zumindest implizit ist er in zweiwertigen Gegenüberstellungen des ‚Westens‘ und des ‚Anderen‘ enthalten. Diese statische Dichotomisierung wird (re-) produziert, wenn die Allgemeinen Menschenrechte als „westlich“38 (u.a. Renteln 1990: 30) beziehungsweise als westliches „Trojanisches Pferd“39 (Panikkar 1982: 90f.) bezeichnet werden oder wenn die an der Erarbeitung der Menschenrechtserklärung beteiligten Delegierten aus sogenannten nicht-westlichen Ländern als „verwestlicht“40 (Asad 1997: 120) oder „westlich trainiert“41 (Merry 2001: 35) gelten, da sie nicht die „traditionellen Wertesysteme“42 ihrer Bevölkerungen vertreten würden (Renteln 1990: 53; vgl. kritisch Nagengast 1997). Für die Befürwortung westlicher Werte, die in diesem Zusammenhang auch den

37 „Cultural homogenisation and ethnic fragmentation take place simultaneously, they are consequences of each other and feed on each other in dynamic interplay“ 38 „western“ 39 „Trojan horse“ 40 „westernised“ 41 „Western-trainend“ 42 „traditional value systems“

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Allgemeinen Menschenrechten zugeschrieben werden, hat sich das Pejorativum „moralischer Imperialismus“43 (Hernández-Truyol 2002) etabliert. Die scheinbare Universalität der Menschenrechte sei ein Partikularismus neben vielen, dem es lediglich gelungen sei, sich durchzusetzen. Die Forderung nach einer ‚nativen Ethnologie‘ (Jones 1970, Harrison 1991b) oder einer ‚authentischen Anthropologie‘ (Harrison 1991a) führt diese Kritik konsequent weiter. Erkenntnis und Wissenschaft, die auf Freiheit und Gleichheit ausgerichtet seien, könnten und würden nur von nicht-weißen Sozialwissenschaftler/innen vorangebracht werden (Harrison 1991b: 88), so lautet an dieser Stelle der binäre Kurzschluss. Der dichotomisierenden Herangehensweise liegt die Vorstellung zugrunde, die zivil-politischen Rechtsforderungen seien im Zuge der internationalen Menschenrechtsdiskussionen von westlichen Staaten, die ökonomischen Rechtsforderungen von nicht-westlichen und den ehemaligen Ostblock-Staaten verfolgt worden. Tatsächlich findet sich die (obzwar verschieden gewichtete) Betonung der zivil-politischen Rechte und der ökonomischen Selbsterhaltung historisch und gegenwärtig auf allen Seiten (Messer 1993, 1997, Gledhill 1997: 70). Ökonomische und politische Rechte bedingen einander; sie sind intrinsisch miteinander verbunden und können in einer angemessenen Betrachtung kaum gegeneinander diskutiert werden (vgl. auch Farmer 2003: 219). Problematische Verkürzungen treten dann auf, wenn „strukturelle Gewalt mit kulturellen Differenzen verwechselt wird. So finden sich immer noch viel zu viele Ethnographien, die Armut und Ungleichheit, die Endprodukte eines langen Verarmungsprozesses, mit ‚Anderssein‘ durcheinanderbringen“44 (Farmer 2003: 48). Mit einer kulturrelativistischen Argumentation, die keine externen Bewertungen zulässt und die moralische Unantastbarkeit ‚anderer‘ Kulturen in den Vordergrund

43 „moral imperialism“ 44 „confuse structural violence with cultural difference. Far too many ethnographies have conflated poverty and inequality, the end results of a long process of impoverishment, with ‚otherness‘“

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stellt, wird Leiden lediglich als kulturelle Differenz behandelt, die unangetastet bleibt. Aber „ Kultur‘ erklärt Leiden nicht; im schlimmsten ’ Falle liefert sie ein Alibi.“45 (ebd.: 49) Wenn Erfahrungen von Gewalt und Repression nicht auf allen Seiten analysierbar sind, wird das Leiden daran unmittelbar reproduziert (vgl. auch Stoll 1997, Kothari/Sethi 1989, Washburn 1987). Beispielhaft dafür steht die offizielle Ablehnung der Weltfrauenkonferenz in Peking durch den kenianischen Präsident Moi 1995 mit der Begründung, dass sie von westlichen, vergnügungssüchtigen und lesbischen Frauen dominiert sei, die ihre Familien zerstören wollten (Wölte: 2008: 167f.).46 Wenn mit dem Bezug auf das klassische Kulturkonzept „nicht braune Engländer oder schwarze Franzosen, sondern die authentische Theorie und Praxis der Intelligenz der Dritten Welt“47 (Baxi 1989: 159) menschenwürdige Bedingungen schaffen sollen, entsteht die Frage, auf welche Kriterien diese ‚Authentizität‘ zurückgreift. Hinzu kommt ein weiterer zentraler Aspekt: „Was ist mit der Gewalt, die die Armen und Unterdrückten oder ihre Organisationen sich selbst und sich gegenseitig antun?“48 (Kothari/Sethi 1989: 13) Angesichts dessen, dass von allen gesellschaftlichen Gruppierungen, auch von den jeweils unterdrückten, Leiden verursacht werden kann, muss der Maßstab der Kritik ein anderer sein als der Rekurs auf scheinbar authentische Identitäten. Eine auf Kultur, Herkunft oder Klasse beruhende ‚höhere Moral‘ (Baxi 1989: 162) oder privilegierte Einsicht in den Charakter gesellschaftlicher Machtverhältnisse gibt es – außer in Projektionen oder Wunschvorstellungen – nicht. Gleichwohl werden Macht und herrschaftliche

45 „ Culture‘ does not explain suffering; it may at worst furnish an alibi.“ ’ 46 Wölte versäumt es jedoch, die theoretische Grundlage dieser Diffamierungen näher zu diskutieren, die sich im Spannungsfeld von Kulturrelativismus und Universalismus verorten lässt (vgl. Mende 2009a). 47 „not brown English or black French persons but an authentic thought and praxis by Third World Intelligentsia“ 48 „But what of the violence that the poor and the opressed, or their organisations, perpetrate on themselves and each other?“

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Zurichtung im ökonomischen, politischen und gesellschaftlichen Gesamtzusammenhang kontextabhängig erfahren. Kontextspezifik darf jedoch weder im Sinne von Dichotomisierung noch im Sinne von Kulturalisierung verkürzt werden. „Für ein muslimisches Land, genauso wie für alle anderen komplexen Staatsformen, betrifft die dringlichste Menschenrechtsfrage nicht lokale kulturelle Vorlieben oder religiös-kulturelle Authentizität, sondern den Schutz der Individuen vor einem Staat, der Menschenrechte verletzt, unabhängig von seiner kul49

turell-ideologischen Ausprägung.“

(Afshari 1994: 249)

Sowohl aus einem normativen als auch aus einem empirischen Blickwinkel heraus ist es irreführend, das Konzept universeller Menschenrechte als ausschließlich westliches zu kennzeichnen oder zu beschränken. Die Implikationen solcher dichotomen Verkürzungen verweisen direkt auf die Problemkonstellation von Universalismus und Kulturrelativismus: Sollen Menschenrechte, Individualität, das Recht auf Gleichheit oder auf körperliche Unversehrtheit nur den Bewohner/innen westlicher Nationen zukommen? Das Diktum, dass es „nicht so etwas wie weiße, schwarze, gelbe, östliche oder westliche Menschenrechte [gibt, sondern] universelle Rechte, die für menschliche Wesen und deren einzigartige wie universelle Charaktere gelten“ (Nzouankeu 1991: 377),50 müsste dann als ‚unauthentisch‘ und ‚verwestlicht‘ zurückgewiesen werden. Die Analyse von Dynamiken in

49 „For a Muslim country, as for all complex state societies, the most pressing human rights issue is not local cultural preferences or religious-cultural authenticity, it is the protection of individuals from a state that violate human rights, regardless of its cultural-ideological façade.“ 50 Weiter heißt es bei Nzouankeu: „Es ist im Namen der Universalität, daß es unseren Teil der Erde etwas angeht, wenn diese Rechte irgendwo anders verletzt werden. Ihre Anerkennung und Wahrung ist für Afrika eine dringliche Angelegenheit.“ (ebd.: 383, die deutsche Übersetzung stammt aus Melber 1992: 119)

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und zwischen Kulturen oder gar die Dekonstruktion und kritische Hinterfragung von dichotomen Kategorien wie ‚westlich‘ und ‚traditionell‘ wäre innerhalb dieses Rahmens kaum möglich. Stattdessen würden der Seite des ‚Westens‘ ausschließlich repressive Momente und der Seite des ‚Anderen‘ ausschließlich emanzipatorische Elemente zugeordnet. Der begrenzte und dadurch selbst repressive Charakter der gegenwärtigen Renaissance des klassischen Kulturkonzepts erscheint hier in aller Deutlichkeit. Demgegenüber und quer dazu wäre ein sozialwissenschaftliches Verfahren anzustreben, das es ermöglicht, repressive und emanzipatorische Momente auf beiden Seiten herauszuarbeiten. Es wäre die Aufgabe einer reflexiven Analyse, die mit anderen Dimensionen vermittelten, die verdinglichten und die verselbständigten Momente eines jeden kulturellen Zusammenhangs herauszuarbeiten. Die Kritik am statischen Kulturkonzept und an Dichotomisierungen ist nicht als Zurückweisung kultureller Differenz zu verstehen (Eriksen 1997: 66, Messer 1993). Nicht Variation und Differenz bergen ein repressives Potential, sondern der spezifisch eingeschränkte Rückgriff auf einen Kulturbegriff, der nicht gesellschaftstheoretisch eingebettet wird. Im Gegenteil können Menschenrechte das Recht auf Differenz gewährleisten – aber nicht den Zwang zu Differenz. Kaum sinnvoll wäre es aber auch, einer ‚bösen Logik der Identität‘ eine ‚gute Logik der Differenz‘ entgegenzustellen und das Differenzkonzept als ein den Menschen und sozialen Beziehungen Vorhergehendes zu essentialisieren (kritisch Turner 1997: 287ff.). Diese Schwachstelle teilen auf Differenz basierende postmoderne Kulturansätze mit dem klassischen Begriff, gegen dessen Essentialismus sie antreten. Weder kulturelle Identität noch Differenz können hypostasiert werden, wenn eine fundierte Analyse gesellschaftlicher Verhältnisse möglich bleiben soll. Das verweist unmittelbar auf die spezifische Beziehung zwischen Individuum und Kultur: Weder durch eine vollständige Determinierung des Individuums durch seine Kultur noch durch dessen völlige Unabhängigkeit ist ihr Verhältnis angemessen beschrieben. Basal für eine reflexive, sozialwissenschaftlich angemessene Theorie der Kultur ist demnach, den konstitutiven Doppelcharakter von

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Kultur anzuerkennen und die Elemente von Autonomie und Heteronomie, von Freiheit und Zwang in die Analyse aufzunehmen. Kultur existiert nicht in einem luftleeren Raum, sondern steht stets in vermittelter Beziehung mit ökonomischen, politischen und sozialen Prozessen. Diese Eingebundenheit macht einen Teil des schwerfälligen, nur langfristig zu ändernden und gesellschaftlich abzusichernden Charakters von Kultur aus. Aber sie zeigt zugleich die Möglichkeit von Veränderung auf. Würden kulturelle Phänomene von den jeweiligen ökonomischen Strukturen und den spezifischen politischen Systemen abgelöst, so wären sie nicht mehr als von Menschen geschaffene und veränderbare fassbar. Die Phänomene ließen sich nicht mehr auf der Grundlage ihrer inneren Beschaffenheit analysieren und somit auch kaum adäquat bearbeiten. Kultur würde zu einem Fetisch, zum rein verdinglichten, vom Menschen unabhängigen Objekt.

I.4 U NIVERSALISMUS VS . K ULTURRELATIVISMUS : S ACKGASSE ODER L ÖSUNGSMÖGLICHKEIT ? Die bisherigen Ausführungen zeigen, dass differenzierte und unterschiedliche Bestimmungen von Kultur und Menschenrechten, von universalistischen und kulturrelativistischen Zugängen nur verkürzt in zwei sich diametral gegenüberstehende Pole einzuordnen wären. Es verdeutlicht sich, dass ein erweiterter Rahmen jenseits einseitig dominierender, dichotomer Argumentationen erforderlich ist, nicht zuletzt im Blick auf die ‚Maßstabsfrage‘ (Ritsert 2009). Im Anschluss wird eine produktive Lösungsmöglichkeit der Bestimmung des Verhältnisses von Kulturrelativismus und Universalismus skizziert, die die bisherigen Überlegungen umgreift und darüber hinausweist und die in den Teilen II und III sukzessive erweitert werden wird. Kulturrelativistische Argumentationslinien bestehen in erster Linie in dem Hinweis auf die unbedingte Kontextabhängigkeit des je spezifischen Wissens. Aber wie kontextualisiert ist der Kontext? Wird sich mit der Unmöglichkeit allgemeingültiger wertender Aussagen begnügt oder wird diese selbst wiederum reflexiv in die Analyse aufgenom-

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men? Deutlich wird eine konstitutiv antinomische Ausgangssituation bei genauerer Betrachtung. Eigenschaften, Werte, Normen und Ideen sollen nur vor dem Hintergrund der jeweiligen Kultur erklärbar sein, in der sie geprägt wurden. Gleichzeitig gehen kulturrelativistische Herangehensweisen mit der Forderung nach Toleranz einher, diese bildet sogar deren Entstehungsgrundlage. Inhärent ist dem Anspruch auf Toleranz oder (später) auf Respekt nun seinerseits ein universelles Moment. Bereits in der Stellungnahme von 1947 betont Herskovits, als einer der zentralen Vordenker einer kulturrelativistischen Fundierung der Sozialwissenschaft, die Gemeinsamkeiten zwischen den Kulturen (AAA 1947: 540). Er unterstreicht, dass der Mensch eine einheitliche Spezies sei (ebd.: 541). Der spätere pragmatische Kulturrelativismus erkennt nicht nur empirisch fixierte, sondern auch abstrakte Grundlagen als Gemeinsamkeiten aller menschlichen Gesellschaften an (Turner 1997: 278). Damit verbindet sich der emanzipative Anspruch kulturrelativistischer Argumentationen, die gegen Rassismus und Annahmen westlicher Überlegenheit eine Reflexion auf die eigenen Bedingtheiten und Voraussetzungen einfordern. Gegen einen abstrakten Universalismus legen sie einen Schwerpunkt auf lokale und historische Kontexte. Universalistische Herangehensweisen dagegen stützen die Annahme, dass allen Menschen, unabhängig von ihrem Stand, ihrer Geburt, ihrer Herkunft, ihrem Geschlecht oder anderen Differenzachsen die gleichen basalen Menschenrechte zukommen. Insofern argumentieren diese Ansätze abstrakt und scheinbar homogenisierend. Die Forderung nach gleichen Rechten geht jedoch nicht mit dem Anspruch auf Gleichheit im Sinne einer repressiven Egalität in allen Bereichen einher: Diversität ist möglich und sogar konstitutiv – so lang dadurch universelle Prinzipien nicht verletzt werden. Die Abstraktion ist notwendig, um den gleichen Anspruch aller auf bestimmte Rechte zu formulieren. Sie stellt einen Maßstab bereit, anhand dessen repressive Praxen kritisiert und zurückgedrängt werden können. Andererseits sind die Allgemeinen Menschenrechte – ebenso wie das Konzept von Menschsein – selbst historisch geprägt und bringen beständig neue Formen hervor.

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Kulturrelativismus lässt Gemeinsamkeiten und universelle Forderungen zu; Universalismus schließt Unterschiede nicht aus und ist historisch kontingent. Sind die dargelegten Hinweise bereits Ausdruck ihrer inhaltlichen Annäherung? In diesem Falle träfe es zu, dass die Gegenüberstellung von Kulturrelativismus und Universalismus nur mehr in eine Sackgasse führe (Cowan et al. 2001b: 5), angemessene Diskussionen die Gegenüberstellung also überschreiten müssten. Nach dieser Lesart müsse die Dichotomie zwischen Universalismus und Kulturrelativismus transzendiert werden, da sie nutzlos sei, die Forschung paralysiere und die wirklich wichtigen Debatten umgehe (so Schirmer 1997: 180, Wilson 1997a: 3 und 15, 1997b: 156, Merry 1997: 45, Griffiths 2001: 102, Korieh 2005: 126, Goodale 2006b: 29, Merry 2006a: 39, Cowan 2006: 18, Wilson 2006: 78, Speed 2006: 66f.). Nicht ernsthaft kann jedoch auf die Begriffe von Kulturrelativismus und Universalismus verzichtet werden. Die zugrundeliegenden Problematiken und Konflikte wären nicht gelöst, sondern der Möglichkeit ihrer Benennung und analytischen Durchdringung beraubt. Die grundlegenden Widersprüche zwischen den beiden Denkmustern offenbaren sich vor allem an der Frage nach einem Maßstab für Kritik und an der Frage, welche Reichweite sozialwissenschaftliche Forschung und Analyse einnehmen. Es zeigt sich, dass „das Denken, das an sich selber den Anspruch der Widerspruchslosigkeit stellt, in Widersprüche führt.“ Dagegen vermag „ein Denken, das von den Widersprüchen der Wirklichkeit ausgeht, einen Teil eben jener Widersprüche aufzudecken“ (Adorno in Horkheimer 1985: 479). Eine andere Möglichkeit des Umgangs mit der antinomisch strukturierten Gleichzeitigkeit und der nachzuzeichnenden Gegensätzlichkeit der beiden Konzeptionen besteht darin, das Verhältnis von Kulturrelativismus und Universalismus nicht als dichotomes, sondern als vermittlungslogisches herauszuarbeiten. Es gibt bereits Versuche, die diesen Anspruch formulieren: Die Spannung zwischen den Polen solle produktiv fruchtbar gemacht werden (Speed 2006: 74), da der eine nicht ohne den anderen Pol diskutiert werden könne (Hatch 1997: 373, Hastrup 2003: 17). Beide stünden in einem komplementären Verhältnis

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zueinander (Antweiler 2007: 31) und seien „auf schwierige Weise verquickt“ (ebd.: 30), da Universalismus nur eine Außenperspektive, Kulturrelativismus dagegen nur eine Innenperspektive einnehme. Auf keine der beiden könne eine humanistische Wissenschaft verzichten (ebd.: 51). Die Forderung nach einem „vermittelten und parteiischen Universalismus“51 (Nagengast 1997: 349) stelle die Dialektik zwischen materiellen Bedingungen, Macht und abwertenden Differenzen in den Vordergrund, statt unvermittelt nur Universalismus oder Kulturrelativismus hervorzuheben (ebd.: 363). Die Spannung als Teil steter Prozesse dürfe nicht einfach beiseite geschoben werden, sondern müsse konstitutiv in die Analyse eingehen (Cowan et al. 2001b: 6ff.). Die Suche nach einem ‚Mittelweg‘ zwischen beiden Positionen (Cohen 1989: 1016, Panikkar 1982) verweist ebenfalls auf einen Lösungsvorschlag, der die Debatte nicht gänzlich verlassen will. Die Stärke eines konsequent vermittlungslogischen Denkens zeichnet sich allerdings durch eine Argumentationsfigur aus, die nicht annähernd als ein bloßes ‚Dazwischen‘ beschrieben werden kann. Einer strikten Vermittlung kommt das Sinnbild eines ‚Pendels‘ (Dembour 2001) bereits etwas näher: Da die Pole aufeinander verwiesen seien und eine Entscheidung zwischen beiden unmöglich sei, bestehe die Notwendigkeit, sich zwischen ihnen in einer Art Pendelbewegung ständig hin- und herzubewegen. Demnach befinde man sich „in einem Rätsel“52 (ebd.: 59). Das „Rätsel“ bestehe darin, „das Partikulare und das Universelle, de[n] Anspruch auf Differenz und auf Gleichheit“ anzuerkennen. „Dieser Antagonismus mag einer formalen Lösung im Abstrakten nicht zugänglich sein, aber in der Praxis kann er ausgehandelt werden.“ (Hall 2004: 219f., Herv. J.M.) Letztendlich bleibt der Ansatz des ‚rätselhaften Pendels‘ unzureichend. Die sozialwissenschaftliche Anforderung besteht darin, das Rätsel offenzulegen, die zugrundeliegende Verhältnisbestimmung genau herauszuarbeiten und der jeweiligen Praxis die theoretischen Implika-

51 „mediated and partial universalism“ 52 „in a conundrum“

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tionen ebenso aufzuzeigen wie umgekehrt die praktischen Dimensionen von Theorie. Legt man der Beziehung von Universalismus und Kulturrelativismus einen scharfen dialektischen Widerspruchsbegriff zugrunde, wie er im Anschluss an Hegel und an die Kritische Theorie Adornos diskutiert wird, kann ihr Vermittlungsverhältnis genauer in der Form einer strikten Antinomie gefasst werden (Ritsert 1997b, Knoll/Ritsert 2006, Müller 2011, Kesselring 1984). Eine strikte Antinomie ist dadurch gekennzeichnet, dass sich sowohl äußere als auch innere Vermittlungen zwischen den beiden entgegengesetzten Polen auffinden lassen. Ihr liegt ein Widerspruchsverhältnis zugrunde, in dem das eine Moment konstitutiv im entgegengesetzten Moment enthalten ist: Das Ausgangsmoment wird nicht schlicht negiert, sondern es wird zugleich erst konstituiert durch sein ihm Entgegengesetztes, und zwar sowohl in sich selbst (innere Vermittlung) als auch im entgegengesetzten Moment (äußere Vermittlung). Diese Bestimmung lässt sich bei genauerer Betrachtung im Verhältnis von Universalismus und Kulturrelativismus ausmachen. In gewisser Hinsicht wird ein universalistisch geprägter Ansatz nicht nur durch seine Negation – den Kulturrelativismus – auf der anderen Seite der Verhältnisbestimmung charakterisiert, sondern seine Negation findet sich auch in ihm selbst: Die konstitutive Möglichkeit von Differenz, die historische und regionale Situiertheit, die Notwendigkeit konkreter und spezifischer Umsetzung bilden eine Negation innerhalb seiner eigenen Bestimmung. Parallel lässt sich im entgegengesetzten Pol des Kulturrelativismus nachweisen, dass er seine Negation sowohl im Gegenpart Universalismus als auch in sich selbst impliziert: Sein universeller Anspruch, die Zulassung von Gemeinsamkeiten und Universalien bilden die Negation des Kulturrelativismus im Kulturrelativismus selbst. Auf diese Weise lässt sich die Gleichzeitigkeit von Äquivalenzen und Widersprüchen in der Verhältnisbestimmung zwischen den beiden Polen Universalismus und Kulturrelativismus genauer klären und vor allem sozialwissenschaftlich angemessen konzipieren. Es kann nachvollzogen werden, dass die Momente von Homogenisierung und

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abstrakter Vereinheitlichung, die dem Universalismus vorgeworfen werden, nur dann greifen, wenn die Gesamtkonstellation einseitig auf die Seite des Universalismus aufgelöst werden würde. Ähnliches gilt für die Hypostasierung eines alles akzeptierenden Kulturrelativismus. Beide Pole werden dann repressiv, wenn auf ihre innere und äußere Vermittlung mit dem strikten Gegensatz nicht reflektiert wird! Weil beide Seiten sich wechselseitig implizieren, weist ein dialektisches Verhältnis entlang einer strikten Antinomie immer „zwei sich gegenseitig negierende und zugleich implizierende Seiten (bzw. Bedeutungen) auf“ (Kesselring 1984: 98). Die beiden Pole sind in sich vermittelt: Sie sind getrennt voneinander und bilden als aufeinander Verwiesene dennoch eine Einheit. Gemeinsamkeiten und Unterschiede können somit gleichzeitig in die Betrachtung eingehen. Das ist nur unter Beachtung des prozesshaften Charakters der gesamten Konstellation nachvollziehbar. „Man muss ständig von A auf Nicht-A und von Nicht-A auf A schließen. Das verwirrt die gewohnte Logik. Anders ausgedrückt: Zwei Aussagen stehen in einem strengen Gegensatzverhältnis zueinander, aber ihr Wahrheitswert bleibt vom gleichwohl gegensätzlichen (negierenden) Wahrheitswert der andern logisch abhängig.“ (Knoll/Ritsert 2006: 28)

Der oben diskutierte Vorschlag einer Pendelbewegung zwischen den Polen Universalismus und Kulturrelativismus (Dembour 2001) kommt diesem Ansatz scheinbar bereits recht nahe. Verkürzt ist dieses Sinnbild allerdings, weil es einem ständigen Pendeln verhaftet bleibt und nicht die zugrundeliegende Argumentationsfigur explizieren kann: Ist eine Problemlage durch Kulturrelativismus gekennzeichnet, muss in der Pendelbewegung universalistisch dagegen argumentiert werden und umgekehrt. Sozialwissenschaftliche Analyse und Praxis bleibt als bloße Gegenreaktion, als Hypostasierung des jeweils Entgegenstehenden dem Kritisierten wiederum nur einseitig verhaftet. Im Rückgriff auf die Struktur einer strikten Antinomie kann dagegen aufgezeigt

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werden, dass die prozesshafte Bewegung stets dynamisch und hinsichtlich der Gleichzeitigkeit ihrer Momente betrachtet werden muss: „Aufgrund der scheinbaren Sinnlosigkeit des Hin- und Herlavierens zwischen den beiden Möglichkeiten wird erst rückblickend die Komplexität des ganzen Verhältnisses deutlich. Erst nach dem Durchgang durch die Reflexion, die mindestens zwei Möglichkeiten durchlaufen […] muss, tritt die Gesamtheit der Aussage zutage. Die spezifische Besonderheit der strikten Antinomie besteht darin, dass zunächst keine der beiden nach der klassischen Logik vorhandenen Möglichkeiten greift. Erst rückblickend kann reflexiv darauf rekurriert werden, dass […] die eine Aussage zwar auf die gegensätzliche führt, sie aber dennoch in ihrer Eigenständigkeit unberührt lässt. Obwohl die eigene Negation in der Gesamtheit der Aussage auftritt (und auftreten muss), kann trotzdem nicht auf die Falschheit der Aussage geschlossen werden.“ (Müller 2011: 43, Herv. i.O.)

Das (dialektische) Verhältnis von Kulturrelativismus und Universalismus muss vollständig durchlaufen und reflexiv aufgenommen werden, sofern repressive und emanzipatorische Momente ernsthaft diskutiert werden sollen. Unabdingbar notwendig ist der Einbezug der Gesamtkonstellation, der bewussten und unbewussten Mechanismen, einschließlich der Vorbedingungen und eigenen Prämissen. Dann verdeutlicht sich auch eine spezifische Gewichtung im Verhältnis der beiden Pole zueinander, die in Form einer Präponderanz des Universalismus hervortritt (vgl. Teil III). Der daraus resultierende sozialwissenschaftliche Zugang verbleibt seinerseits offen und kann wiederum den Ausgangspunkt für eine weitere Reflexion bilden. Eine abschlusshafte, statische Bestimmung ist in einem strikten Dialektikkonzept konstitutiv ausgeschlossen. Gleichzeitig kann für den historischen Moment Gültigkeit und Wahrheit allgemeinverbindlich beansprucht werden.

II Kulturrelativismus und Universalismus konkret: Weibliche Genitalverstümmelung/ Genitalbeschneidung

„Obwohl ich in Erziehung und Ausbildung ein Verständnis für medizinische Fragen erworben habe, konnte ich damals nicht begreifen, warum man die Mädchen einer so barbarischen Prozedur unterwirft. Immer und immer wieder fragte ich mich: Warum? Warum? Aber ich fand nie eine Antwort – nur die Frage wurde immer dringender. Ebenso wenig hatte ich je Antwort für jene Fragen gefunden, die sich am Tag, als meine Schwester und ich beschnitten wurden, in meinem Kopf überstürzten.“ El Saadawi 1980: 39

Im ersten Teil wurde ein vermittlungslogisches Modell des Verhältnisses von Kulturrelativismus und Universalismus herausgearbeitet. Beide Pole werden als sich strikt gegenüberstehend konzeptualisiert, gleichzeitig jedoch sind Momente des einen Pols stets konstitutiv im anderen enthalten. Mit dieser Struktur kann erklärt werden, dass Gemeinsamkeiten zwischen den Gegensätzen bestehen, ohne dabei das Gegensatzverhältnis selbst aufzulösen. Die Gleichzeitigkeit von Differenz und Einheit ist denkbar, dennoch werden die Begriffe nicht ihrer analytischen Schärfe beraubt. Damit wurde im ersten Teil eine Grundstruktur

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aufgezeigt, die zunächst allgemeine Aussagen über das zugrundeliegende Verhältnis von Kulturrelativismus und Universalismus erlaubt. Dieses Modell wird nun im zweiten Teil in inhaltlicher Hinsicht genauer betrachtet und erweitert. Dazu wird die Praxis female genital cutting (FGC) beziehungsweise female genital mutilation (FGM), also die weibliche Genitalverstümmelung/Genitalbeschneidung unter besonderer Berücksichtigung der jeweiligen kulturrelativistischen und universalistischen Begründungsstrategien und hinsichtlich der normativen Ein- und Ausschlussdimensionen diskutiert. Mit dem Rekurs auf weitere basale sozialwissenschaftliche Bestimmungen kann so der reflexive Durchgang durch die gesamte Konstellation von Kulturrelativismus und Universalismus auf einer konkreten Ebene erarbeitet werden. Paradigmatisch werden in den folgenden Kapiteln die hochgradig kontroversen Debatten an den zentralen Perspektiven auf Kolonialismus, auf Gesundheit, auf kulturelle Rechte und auf den freien Willen untersucht. Zunächst wird ein Überblick über die typologisierten Formen der Praxis, ihre Ursprünge, ihren Verbreitungsgrad sowie über Schwierigkeiten bei ihrer Benennung in das Feld der weiblichen Genitalverstümmelung/Genitalbeschneidung einführen. Die ausgeprägte Umstrittenheit und emotionale Besetzung der Thematik erweist sich bereits bei der Benennung der Praxis. Lange Zeit wurde sie als Beschneidung bezeichnet. Zum einen ist das die direkte Übersetzung einiger lokaler Begriffe wie des arabischen khitan, zum anderen galt sie als das weibliche Pendant zur männlichen Beschneidung. Menschenrechtsaktivist/innen, Nichtregierungsorganisationen und Feminist/innen verwiesen seit den siebziger Jahren auf die mit diesem Begriff einhergehende Verharmlosung, da er impliziere, dass es sich wie bei der üblichen Form der männlichen Beschneidung um ein bloßes ‚Herumschneiden‘ handele.53 Um den repressiven Charakter der Praxis und deren weitreichende Folgeschäden für die betroffenen Frauen und Mädchen zu verdeutlichen, setzten Kritiker/innen die

53 Deutlicher wird diese Konnotation im Englischen: Circumcision stammt von lateinischen circumcere, d.h. herumschneiden, ab.

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Bezeichnung FGM durch. Allerdings wurde in der Zusammenarbeit mit praktizierenden Gruppen und Gemeinden deutlich, dass der Begriff Verstümmelung auf Ablehnung stoßen und kontraproduktive Verletzungen hervorrufen kann. Teilweise lehnen betroffene Frauen die Selbstbezeichnung als ‚verstümmelt‘ ab (Rust 2007: 22). In der Aufklärungsarbeit kann der Begriff derart aufgefasst werden, dass er den Beschneider/innen und den zustimmenden Familienangehörigen schlechte Intentionen unterstellt, ohne dabei nach ihren Handlungsgründen zu fragen (vgl. auch Shell-Duncan/Hernlund 2000: 6). Verletzungen können produziert und die Zusammenarbeit vor Ort mit denjenigen Menschen, welche die Praxis (potentiell) ablehnen, aber die Bezeichnung ‚Verstümmelung‘ zurückweisen, kann gefährdet werden. „Als Ärztin bin ich absolut davon überzeugt, dass die Praxis eine Verstümmelung der Geschlechtsorgane ist. […] Aber es ist schwierig, den Begriff female genital mutilation in Alltagsgesprächen zu gebrauchen. […] Denn Eltern, Beschneidern und respektierten Führern derart absichtliche Böswilligkeit zu unterstellen, ist beleidigend genug, um das Gespräch zu beenden; jegliche Möglichkeit untergrabend, Menschen davon zu überzeugen, die Praxis kritisch zu 54

überdenken und produktiv zu verändern.“ (Abdel Hadi 2006: 108)

Um Kontextsensibilität oder auch kulturelle Toleranz zu demonstrieren, wurden Begriffe wie female genital operation, female cirumcision, genital surgeries, Modifikation, Exzision und FGC eingeführt. Einige dieser Termini wurden wiederum für ihr relativierendes Potential kritisiert (vgl. Gifford 1994). Beispielsweise impliziert die Charakterisierung als Operation eine medizinische Notwendigkeit, die nicht gegeben

54 „As a physician, I am deeply convinced that the practice is a mutilation of the genital organs. […] Yet it is very difficult to use the term female genital mutilation in everyday interactions. […] Implying such deliberate ill-will on the part of the parents, circumcisers, and respected leaders is offensive enough to end the conversation, short-circuiting any chance of persuading people to reconsider the practice and embrace positive change.“

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ist. Im Folgenden wird der Begriff Exzision gebraucht, da er als physisch treffende Bezeichnung – bei fast allen Formen der Praxis wird etwas herausgeschnitten55 – nicht ohne Weiteres als verharmlosend oder als kontextunsensibel interpretiert werden kann. Weder werden durch diese Bezeichnung die schädigenden Folgen oder die zugrundeliegenden und durch die Exzision (re-)produzierten spezifischen Machtverhältnisse aus dem Blickwinkel der Analyse fallen. Denn Kontextsensibilität ist nicht zu verwechseln mit der Suche nach einem Begriff, der „sachlich“ und „wertfrei“ (Rust 2007: 23), gleichsam in vermeintlich neutraler Beschreibung verharrt. Noch soll der ebenfalls übliche Gebrauch der Bezeichnung FGM delegitimiert werden. Ohnehin ist die bloße Wahl eines Begriffs nicht so wirkmächtig, als dass damit ein völlig „neues Forschungsparadigma“ (Hrzán 2005: 57) begründet oder Machtverhältnisse geändert werden könnten. Handeln wird zwar auch durch Sprache reproduziert, aber nicht allein durch Sprache erzeugt. Emanzipative oder repressive Momente einer Praxis hängen mitnichten nur von der Benennung ab, sondern sind eingebettet in Ebenen, die dem unmittelbaren sprachlichen Zugriff durchaus entzogen sein können. Weltweit gibt es circa 100 bis 140 Millionen Mädchen und Frauen, die mit den Konsequenzen der Exzision leben müssen, etwa 92 Millionen davon leben in Afrika. Allein in den betreffenden afrikanischen Regionen sind jährlich etwa drei Millionen weiterer Mädchen von der Praxis bedroht (WHO 2010). Weitere Exzision praktizierende Gesellschaften finden sich in Indien, in Malaysia, auf der arabischen Halbinsel, in Indonesien, in migrantischen Communities in westlichen Ländern und, bislang in der Rezeption vergleichsweise unbeachtet, in kurdischen Gebieten im Nord-Irak, in der Ost-Türkei und in einem kleinen Teil des Iran. In all den praktizierenden Gesellschaften existieren höchst verschiedene Formen des Ausmaßes, der Art, des Kontextes und der Begründung von Exzision. Sie wird bei Mädchen im Alter von einigen Tagen bis hin zu Frauen in den frühen Zwanzigern durchge-

55 Das lateinische excidere bedeutet herausschneiden.

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führt; hygienisch oder mit bereits benutzten, mitunter stumpfen Instrumenten in nicht steriler Umgebung; durch medizinisch geschultes oder ungeschultes Personal; mit oder ohne Zeremonie; Zeremonien können wenige Tage bis mehrere Wochen lang andauern. Es hat sich eine Unterscheidung der verschiedenen Formen des physischen Eingriffs in vier Haupt-Typen durchgesetzt (WHO 2010), wobei die Übergänge fließend sein können. Typ I wird als Klitoridektomie bezeichnet: Die Klitoris oder Teile der Klitoris werden entfernt, mitunter auch die die Klitoris umgebende Vorhaut. Für Typ II wird der enger gefasste Begriff von Exzision verwendet. Es werden die Klitoris, die inneren Schamlippen und/oder die äußeren Schamlippen ganz oder teilweise entfernt. Typ III, die Infibulation, ist die radikalste Form des Eingriffes. Nach der ganzen oder teilweisen Amputation der Klitoris, der inneren und/oder der äußeren Schamlippen wird die vaginale Öffnung durch das Zusammenheften der übrig gebliebenen Hautteile mit Dornen oder Nähten verengt. Es verbleibt nur eine winzige Öffnung für eingeschränktes Urinieren und Menstruieren, die während des langen Heilungsprozesses mit einem kleinen Stock oder einem ähnlichen Gegenstand offen gehalten werden muss. Vor dem ersten Geschlechtsverkehr und bei Geburten muss die Öffnung mit einem scharfen Instrument erweitert werden. Dieser Vorgang wird als Deinfibulation oder Defibulation bezeichnet. In bestimmten Gegenden wie dem Sudan wird eine Defibulation nur in Ausnahmefällen zugelassen, da sie die weibliche oder auch die männliche Ehre verletze (Okroi 2001: 89). Nach Geburten, Scheidungen oder Verwitwungen, um vorehelichen Geschlechtsverkehr zu verbergen oder um das Eheleben regelmäßig zu ‚erfrischen‘, wird in den betreffenden Regionen eine Reinfibulation vorgenommen, um die vaginale Öffnung wieder zu verengen (ShellDuncan/Hernlund 2000: 4, Okroi 2001: 90ff.). Unter dem Typ IV sind alle anderen Formen des Eingriffes an weiblichen Geschlechtsorganen zusammengefasst, die nicht medizinisch indiziert sind, unter anderem das Einschneiden der Scheidenwand, das Auftrennen des Hymen, das Einschneiden des Gebärmutterhalses, das Dehnen oder das Verätzen der Klitoris beziehungsweise der Schamlippen oder das Ausschaben

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der Vagina (Shell-Duncan/Hernlund 2000: 5, Mandara 2000: 98). Selten wird auf eine Form Bezug genommen, in der ausschließlich die Vorhaut der Klitoris beschnitten wird. Für die Existenz dieser Durchführungsart mit der geringsten Tragweite gibt es kaum Nachweise (Toubia/Izett 1998). Der historische Ursprung der Praxis ist bislang nicht ausreichend erforscht und bleibt in den Sozialwissenschaften umstritten. Verbreitet ist die Auffassung, dass der Brauch in der Region zwischen Niltal und Rotem Meer entstand und sich von dort ausbreitete (u.a. Cloudsley 1983: 101). Es gibt aber auch die Vermutung, dass sich die Praxen unabhängig voneinander an verschiedenen Orten entwickelten (u.a. KosoThomas 1987: 15). Weitere Forschungen siedeln den Ursprung der Exzision bei ägyptischen Frauen aus Dynastien des Mittleren Reiches (ca. 2000 v.C.) oder bei Phönizierinnen (ca. 500 v.C.) an. Frühe Hinweise auf Beschneidung, jedoch nicht explizit weibliche, lassen sich bei Herodot finden (ca. 480-425 v.C.). Der erste gesicherte Beleg findet sich in einem Papyrus von 163 v.C. (vgl. Peller 2002: 13ff.). Dokumentierter Widerstand gegen die Praxis ist noch weniger erforscht. Sicher ist jedoch, dass es bereits vor der Kolonialisierung der jeweiligen Regionen Widerstand gegen die Exzision gegeben hat: In Uganda werden Mädchen, die sich der Exzision entziehen wollen, traditionell crying the knife genannt (Goldschmidt 1986: 102; s.a. Abusharaf 2001: 118f. und El Bashir 2006: 143 für den Sudan). Kritik an der Praxis ist daher nicht das rein westliche Importprodukt, als das sie mitunter behandelt wird. Nur wenige Autor/innen halten Exzision bemerkenswerterweise nicht für „schmerzhaft“ (Elwert in Peller 2002: i, vgl. auch ScheperHughes 1991: 27) und gehen nicht von der „Schädlichkeit des Eingriffes“ aus (Peller 2002: 3), mithin davon, „dass die Praxis enden muss, wenn den Frauen basale Menschenrechte zukommen sollen“56 (Abusharaf 2000: 152). Dennoch gilt sie auch als eine Praxis, die den als ‚anders‘ Imaginierten zugestanden werden soll. Der aktuelle Haupt-

56 „that the practice must end if women are to enjoy basic human rights“

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konflikt zwischen Befürworter/innen und Gegner/innen dreht sich dementsprechend vorrangig um das Motiv, ob es sich um eine Misshandlung oder um eine Tugend handele, um weibliche Entmächtigung oder um weibliche Ermächtigung, um Schande oder um Ehre. Die Auseinandersetzungen lassen sich letztlich zu der Frage zuspitzen, was vorrangig geschützt werden müsse: Die Kultur einerseits oder das Individuum andererseits. Zudem wird diskutiert, ob sich der sogenannte Westen in die Praxis einmischen solle oder ob Abschaffungsbemühungen ausschließlich in den Händen der Betroffenen liegen sollten. Die Debatten um Exzision verorten sich damit im Rahmen der Auseinandersetzungen zwischen kulturrelativistisch und universalistisch geprägten Positionen. Extrempositionen ließen sich folgendermaßen charakterisieren: Radikale Kulturrelativist/innen betonen die moralische Gleichwertigkeit kultureller Normen, die nicht von einem externen Beobachterstandpunkt oder einem anderen Kontext aus bewertet werden dürfen. Sie erkennen die Exzision als ein Ritual an, das eine zentrale und unhintergehbare Rolle für das jeweilige individuelle und/oder kollektive Leben spielt. Konsequente Universalist/innen hingegen führen einen sozial- und moralphilosophischen Standpunkt von außen an und verweisen auf den Ausdruck von Gewalt und Macht, der dem Eingriff zugrunde liegt. Sie charakterisieren die betroffenen Frauen als hilflose und benachteiligte Opfer. Nun zeigt bereits ein kurzer Blick auf gegenwärtige und historische Auseinandersetzungen mit Exzision auf, dass eine Vielzahl der Perspektiven weder der einen noch der anderen Extremposition zugeordnet werden kann. Dennoch lassen sich bestimmte grundlegende Argumentationsfiguren herausarbeiten, denen kulturrelativistische oder universalistische Herangehensweisen zugrundeliegen. Diese spezifischen Begründungsmuster werden im Folgenden untersucht, um sie auf ihre expliziten und impliziten Annahmen, auf ihre Größen und Grenzen hin zu überprüfen. Im Anschluss daran kann die Diskussion um das Verhältnis von Universalismus und Kulturrelativismus im Hinblick auf die Exzision, auf Menschenrechte und auf einen Maßstab für Kritik einer fundierten Analyse auf erweiterter Ebene zugeführt werden.

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II.1 D IE

GEGENKOLONIALE

P ERSPEKTIVE

Eine zentrale Argumentslinie in der Debatte um Exzision, die insbesondere von kulturrelativistischer Seite eingebracht wird, findet sich im Verweis auf die koloniale Vergangenheit der Kritik an der Praxis. Der Zusammenhang heutiger Kritikformen mit immer noch andauernden kolonialen Denkmustern sei vor allem durch eine hierarchisierende Trennung des Eigenen vom Anderen gekennzeichnet (James/Robertson 2005b: 13, allgemeiner Spivak 1994). Um diese Perspektive genauer zu analysieren, werden im Folgenden die kolonialen Auseinandersetzungen um Exzision exemplarisch in zwei Ländern nachgezeichnet. An antikolonialen und (zeitlich späteren) postkolonialen Diskussionen können die jeweils zugrundeliegenden Annahmen und zentralen Aspekte herausgearbeitet werden. (Die Überschneidungen antikolonialer und postkolonialer Ansätze werden im Begriff gegenkolonial zusammengefasst, sofern damit wichtige Unterscheidungen nicht übergangen werden.) Anschließend werden spezifische Verkürzungen innerhalb der Debatten aufgezeigt, um ihre autonomieeinschränkenden Momente offenzulegen. Bewahrt werden können zugleich die innovativen Stärken. Die erste folgenreiche westliche Beschäftigung mit der Praxis der Exzision auf dem afrikanischen Kontinent fand im Zuge der Kolonialisierung statt. Missionar/innen und Angehörige der Kolonialverwaltung waren teilweise geschockt von der Praxis (wie auch von anderen Gewohnheiten der ‚Anderen‘) und bemühten sich um deren Abschaffung. Besonders kontrovers wurden die Auseinandersetzungen in Kenia und im Sudan ausgetragen. In Kenia setzten sich britische Missionare seit 1910 für eine Veränderung der Praxis ein. Vor allem die Missionarin Stevenson kämpfte für die Beendigung von Exzision, die sie als schiere Brutalität bezeichnete. Sie suchte und fand kenianische Mitstreiterinnen wie Lizzi Mwarania, Ruth Wangui und Julia Mukani, welche die ersten überregional noch heute bekannten Gegnerinnen der Tradition in Kenia wurden (Browne 1991: 252f.). Allerdings richteten sich die missionarischen Bemühungen in Kenia nicht nur gegen die Exzision, son-

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dern auch gegen die sexuell konnotierten Zeremonien und Tänze, in deren Kontext sie stattfand. Der britische Eingriff war eng verbunden mit der Opposition gegen die Elemente der lokalen Kultur, die als der westlichen Missionierung entgegenstehend wahrgenommen wurden (Skinner 1988: 205, Murray-Brown 1979: 50f., vgl. allgemein auch Fanon 1968: 42). Teile der einheimischen Bevölkerung reagierten auf die Missionierung mit Widerstand. Exzision entwickelte sich in dem Konflikt für beide Seiten rasch zum Politikum. Die Versuche, Exzision abzuschaffen oder in einen medizinischen Kontext zu verlagern, wurden als imperialistische und koloniale Bedrohung der lokalen Kultur, der indigenen Identität und der Selbstbestimmung wahrgenommen. Vor diesem Hintergrund wurde umso stärker an der Praxis festgehalten, obwohl es unter Kenianer/innen zuvor ebenfalls kritische Diskussionen der Praxis gegeben hatte. „Was als eine Debatte über Klitoridektomie begann, in der viele afrikanische Christen durchaus bereit waren, die Praxis zu ändern, wurde zu einem Cause célèbre des afrikanischen Kampfes um kulturelle und politische Freiheit.“57 (Skinner 1988: 207) Kenyatta, Anthropologe und antikolonialer Aktivist, der 1963 zum ersten kenianischen Präsidenten gewählt wurde, schlug zunächst ebenfalls vor, Klitoridektomie eventuell durch Bildung, keinesfalls aber durch Zwang zu beenden (Murray-Brown 1979: 140f.). Später wandte er sich jedoch gegen jegliche Abschaffungsversuche und verteidigte Klitoridektomie als wichtigen Bestandteil der lokalen Kultur (Kenyatta 1971: 75, vgl. Bekers 2010: 16). Dass Befürworter/innen der Praxis der Zugang zu britischen Institutionen erschwert wurde (Browne 1991: 255), erhärtete den Standpunkt der antikolonialen Aktivist/innen, für die die Exzision zum Symbol politischer Kontrolle und Unabhängigkeit avancierte. Die britische Kolonialregierung lenkte angesichts des breiten Widerstandes schließlich ein und akzeptierte Klitoridektomie zunächst, wenn sie nicht unter Zwang ausgeführt würde.

57 „What has started out as an issue over clitoridectomy, and a practice which many African Christians were prepared to change, became a cause célèbre over the issue of African cultural and political freedom.“

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Die Kämpfe hielten jedoch weiter an und bis heute ist die kenianische Auseinandersetzung um Exzision in einer engen Verknüpfung von Kultur und Politik zu verorten (ebd.: 259). Im Nordsudan, wo die extremste Form der Exzision, die Infibulation, praktiziert wird, begegnete die britische Kolonialregierung der Praxis in den 1920er Jahren zunächst durch Versuche der Aufklärung und Bildung von Hebammen, die für die Infibulation zuständig waren. Dies führte teilweise zu einer Verbesserung hygienischer Bedingungen, hatten aber keinen Einfluss auf den Verbreitungsgrad der Praxis (Boddy 2008: 6ff.). 1945 wurde eine Regierungserklärung in Umlauf gebracht, welche die Infibulation verurteilte und deren gesetzliches Verbot ankündigte. Dem folgte eine Welle überstürzter Infibulationen, um dem Verbot zuvorzukommen. Im selben Jahr wurde die Praxis für ungesetzlich erklärt. Als daraufhin eine Hebamme in Haft genommen und für die Durchführung von Infibulationen verurteilt wurde, kam es zu einem Aufstand, in dessen Verlauf das Gefängnis gestürmt und der schließlich niedergeschlagen wurde. Mehrere gewalttätige Demonstrationen gegen das Verbot fanden statt, die von nationalistischen Bestrebungen der Muslimbruderschaft weiter angefacht wurden (Gruenbaum 1982: 6, Boddy 1991: 16, 2008: 11). Für muslimische sudanesische Nationalisten war die Infibulation ein Zeichen zur Distinktion von sowohl europäischen als auch ägyptischen und afrikanischen Gesellschaften, daher avancierte sie zum hochpolitischen Gegenstand des sudanesischen Nationalismus (Sharkey 2003: 130, Bekers 2010: 15f.). „So wurde die pharaonische Beschneidung58 zum ambivalenten Sinnbild für die sudanesischen antikolonialen Kämpfe.“59 (Boddy 2008: 5)

58 In muslimischen Gesellschaften wird die Infibulation als pharaonische Beschneidung bezeichnet. Sunna-Beschneidungen stehen für Exzisionen des Typs I, bei denen Teile der Klitoris entfernt werden. Mitunter werden aufgrund mangelnder Kenntnisse oder ungenügender Unterscheidungskriterien auch Exzisionen des Typs II als Sunna bezeichnet. 59 „Thus, pharaonic circumcision figured, ambivalently, in struggles to extricate Sudan from colonial rule.“

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Letztendlich wurde die Ausübung der Praxis aufgrund des enormen Widerstands der Bevölkerung gerichtlich kaum verfolgt, aber die stark polarisierenden Abschaffungsbemühungen hielten bis zur Unabhängigkeit 1956 und darüber hinaus an. Mit der zweiten Frauenbewegung in den siebziger und achtziger Jahren setzte im Westen eine verstärkte Auseinandersetzung mit der Exzision ein. Die darauf reagierenden gegenkolonialen Kritiken an einem universalistisch-feministischen Ansatz, der die Unterschiede der Lebensbedingungen zwischen Frauen ausblende, fokussieren hauptsächlich auf die Hinweise von Hosken (1994), die die Gesundheitsschäden durch Exzision untersucht und auf deren Abschaffung abzielt; auf Daly (1981), die Exzision als Teil eines weltweiten Patriarchats diskutiert; sowie später auf Walkers Arbeiten (v.a. Walker/Parmar 1993). Diesen Autorinnen wird vorgeworfen, exemplarisch für die USamerikanische Frauenbewegung zu stehen, die „rückhaltlos die missionarische Positionierung zu diesem Thema übernommen“60 habe (Browne 1991: 261). Hosken wird angelastet, dass sie afrikanische Frauen als hilflose, passive Opfer zeichne (Abusharaf 2001: 112), wenn sie schreibt: „Es ist somit eindeutig, dass Männer für die sich verschlechternden Lebensbedingungen in Afrika verantwortlich sind: Frauen und Kinder sind die missbrauchten und stimmlosen Opfer.“61 (Hosken 1994: 69) Sie nehme nicht wahr, dass es Frauen selbst seien, die Exzision praktizierten und reproduzierten, und sie unterschätze die Handlungsmacht, die Frauen in afrikanischen Gesellschaften inne hätten (Caplan 1981: 878). Ihre Ausdrucksweise mache deutlich, dass sie nicht nur die Praxis, sondern auch die Praktizierenden und deren gesamte Kultur ablehne, mithin ethnozentrisch und vorurteilsbehaftet argumentiere (Gruenbaum 1996: 456). Ihre Daten über das Ausmaß der Exzision und deren Folgen werden als nicht vertrauenswürdig eingestuft (u.a. Obermeyer 1999: 85, Shell-Duncan/Hernlund 2000: 7, Peller

60 „wholeheartedly embraced the missionary position on this subject“ 61 „It is, therefore, clear that men are responsible for the worsening conditions of Africa: women and children are the abused and voiceless victims.“

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2002: 129). Trotz der Wichtigkeit ihrer Forschung, die ihr auch von einigen ihrer Kritiker/innen zugestanden wird (Abusharaf 2000: 160, Mackie 2003: 139), sei Hoskens Bericht aufgrund seines Rassismus und Ethnozentrismus, seiner Simplifizierungen und Dichotomisierungen nicht tragbar. Eine ähnlich reduktionistische, vereinfachende, rassifizierende und kontextlose Herangehensweise wird Walker vorgeworfen, auch wenn ihr anzurechnen sei, dass sie, genau wie Hosken, das Thema Exzision überhaupt (wieder) in die Öffentlichkeit eingebracht habe (James 1998: 1031ff., Walley 1997: 419).62 Das in diesem Rahmen herrschende Unverständnis und die Ablehnung der Praxis werden von gegenkolonialen Kritiken als Fortsetzung der Bemühungen der Kolonialregierungen betrachtet. Den kolonialen Akteur/innen Anfang und Mitte sowie den Feminist/innen Mitte und Ende des zwanzigsten Jahrhunderts wird gleichermaßen vorgeworfen, kontextunsensibel zu argumentieren (Walley 1997: 118). In der UNFrauendekade 1975-1985 wurde Exzision zu einem zentralen und kontrovers diskutierten Thema. Auf der internationalen UN-Konferenz 1980 in Kopenhagen drohten Frauen aus Ländern des globalen Südens, die Konferenz zu verlassen: Nicht, weil sie Befürworterinnen der Praxis seien, sondern weil sie die „wütend emotionale“63 Art und Weise (Abusharaf 2001: 115), in der die Exzision verhandelt würde, kritisierten. Frauen aus praktizierenden Ländern, die sich selbst bereits gegen die Praxis engagiert hatten, hätten sich dadurch genötigt gesehen, sie nun zu verteidigen (Gilliam 1991: 278). Die Herangehensweise der Frauenbewegung sei, ebenso wie die koloniale, rassistisch, dichotomisierend und kontextunsensibel. Exzision, so lautete die antikoloniale und die sich etablierende postkoloniale Kritik in unterschiedlichen Ausprägungen, würde als Ausdruck der barbarischen, primitiven Zurückgebliebenheit der sogenannten Dritten Welt angesehen werden. Afrikanische Frauen würden als einheitlicher Block homogenisiert, sie

62 Die Vorwürfe an Hosken, Walker und Daly als Vertreterinnen der zweiten Frauenbewegung werden im Kapitel II.4 ausführlicher besprochen. 63 „angry emotional“

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würden entmächtigt und der Kontrolle weißer Feminist/innen unterworfen. Der soziokulturelle Rahmen der Praxis sowie die auf Ungleichheit basierenden ökonomischen Machtbeziehungen zwischen globalem Norden und Süden würden nicht ausreichend thematisiert werden. Neokolonialismus und Imperialismus würden so reproduziert (Zenie-Ziegler 1985, Gilliam 1991: 278, Anthias/Yuval-Davis 1992: 101, Toubia 1996: 101, Walley 1997: 119, Abusharaf 2001: 115, Nnaemeka 2001: 172). Prominent wird die Problematik des Othering durch westliche Intervention mit Spivaks paradigmatischem Satz „weiße Männer retten braune Frauen vor braunen Männern“64 (Spivak 1994: 92) beschrieben. In Kritiken am westlichen Feminismus wird er auch in der Fassung der ‚weißen Frauen, die braune Frauen vor braunen Männern retten‘, diskutiert. Am indischen Ritual der Witwenverbrennung legt Spivak dar, wie sowohl der native indische als auch der kolonialistische britische Diskurs die Stimmen der Frauen systematisch ausblenden und zum Schweigen bringen würden (ebd.: 92ff.). Postkoloniale Kritiken, die sich aus antikolonialen und literaturwissenschaftlichen Zugängen entwickelt haben und diese nicht nur fortführen, sondern auch kritisch reflektieren, weisen auf die Fortdauer internationaler Abhängigkeiten nach der formalen Beendigung des Kolonialismus hin. Sie käme nicht nur in ökonomischen Ungleichheiten, sondern auch in Entwicklungshilfeprojekten, kulturellen Dimensionen und anhaltendem missionarischen Eifer zum Ausdruck. Postkoloniale Ansätze verfolgen das Ziel, eurozentrische und homogenisierende Blicke auf den Kolonialismus zu hinterfragen und dichotomisierende Zuschreibungen zu überwinden (Lentz 2002: 27). Mit dem Konzept der postkolonialen Transformation sollen Entwicklungsprozesse, rassistische Strukturen und Ungleichheiten, die nach der formalen Dekolonisierung anhielten, in den Blick einbezogen, der Analysezeitraum so bis heute erweitert werden. An die Stelle von einseitigen Zuschreibungen soll die Wahrnehmung komplexer und regional spezifischer Interaktionen verschiedener Akteure, ihrer Interessen und Handlungsspielräume,

64 „white men are saving brown women from brown men“

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die Anerkennung kultureller Auseinandersetzungen, von Brüchen und von Kontinuitäten treten. Jenseits von und quer zu der gängigen Einteilung in die vorkoloniale, die koloniale und die postkoloniale Epoche sollen im postkolonialen Blick auch andere und regionalspezifische historische Entwicklungslinien aufgedeckt werden (ebd., vgl. exemplarisch Hall 2004: 191f., Thomas 1994, Bhabha 1994). Anderenfalls würden „Menschenrechtsverletzungen depolitisiert, indem die Beachtung struktureller Prozesse ethnischer oder Klassenmacht unterminiert wird und die Verletzungen auf eine Ansammlung technischer Probleme reduziert werden“65 (Wilson 1997b: 148, s.a. Unnithan-Kumar 2003: 200). Um die Praxis der Exzision also in ihrer ganzen Breite zu verstehen, muss sie in ihrem sozialen, kulturellen und ökonomischen Kontext sowie innerhalb des jeweiligen Wertesystems der praktizierenden Gesellschaft erforscht werden.66 Einer ethnisierenden oder rassifizierenden Zuschreibung kann entgangen werden, wenn darüber hinaus der Blick auf die westliche Gesellschaft mit einbezogen wird. Der emanzipatorische Gehalt dieses postkolonialen Blickwinkels ist keineswegs zu unterschätzen. Nicht zuletzt bildet er die Grundlage für eine breite sozialwissenschaftliche Erforschung der genauen und kontextspezifischen Umstände von Exzision, die in den verschiedenen Gesellschaften eklatant voneinander abweichen. So wird eine Herangehensweise ermöglicht, die Herrschaftsverhältnisse, insbesondere geschlechtsspezifische und rassistische Diskriminierung, in der sozialwissenschaftlichen Diskussion offenlegt und hinterfragt. Wie rasch jedoch eine verkürzte Perspektive auf gesellschaftliche Machtverhältnisse in einem kulturrelativistischen Zugang einseitig hypostasiert werden kann und sich (zunächst implizit) gegen die eigene

65 „depoliticise human rights violations by drawing attention away from structural processes of class or ethnic power, and reduce violations to a set of technical problems“ 66 Innerhalb postkolonialer Ansätze lassen sich zudem verschieden gewichtete Schwerpunkte auf politisch-ökonomischen oder kulturellen Analysen finden. Vgl. ausführlicher Langenohl 2007: 221ff.

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Intention wendet, zeigt sich im genaueren Blick auf Argumentationslinien, die ganz allgemein westliche Kritiken an Exzision als „neoorientalistische Harems-Lehre“67 (Morsy 1991: 21, s.a. Abu-Lughod 1989), als „westliches Zivilisationsprojekt“68 in der Tradition des Kolonialismus (Morsy 1991: 19), kurzum: als (neo-)kolonial oder (neo-) imperialistisch zurückweisen. Hier kommt ein Verharren in dichotomen Kategorien zum Vorschein, welches sich auch in den vorangegangenen antikolonialen Perspektiven findet. In dem Versuch, gegen die Erzählung anzuschreiben, dass der Kolonialismus ausschließlich Fortschritt und Vorteile mit sich gebracht hätte, schlug die antikoloniale Perspektive Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts in einen Opfer-Mythos um (Brandstetter 1997: 78ff.). Demnach hätten der Kolonialismus und der Kapitalismus als weltumspannendes System den Kolonisierten jegliche Handlungsfähigkeit und Eigenständigkeit genommen. Mit dem Opfer-Mythos wurden Brandstetter zufolge auf diese Weise Geschichte und Geschichtlichkeit der Kolonisierten selbst negiert. Ausbleibende strukturelle Veränderungen nach der formalen Unabhängigkeit ehemals kolonisierter Länder wurden mit der weltweiten Dependenz erklärt, die genauere Informationen über lokale Entwicklungen überflüssig machte. In dieser Betrachtung von Kolonialismus gab es nur dichotom sich gegenüberstehende Kollektive der Kolonisierten und der Kolonialherren als gleichsam homogene statische Blöcke. In den sechziger Jahren entwickelte sich mit Brandstetter parallel dazu eine Herangehensweise, die dem Opfer-Mythos und dem Kolonialismus den Blick auf die wirkliche afrikanische Geschichte und auf die afrikanischen Handlungsspielräume entgegensetzen wollte. Hier wurde die Unversehrtheit vorkolonialer Gesellschaften betont und eine ungebrochene Verbindung hergestellt zwischen vorkolonialer Politik, frühem Widerstand und antikolonialem Nationalismus. Mit der Einebnung von Komplexitäten, internen Widersprüchen und Machtbeziehungen blieb jedoch auch diese Perspektive der Dichotomie von Unterdrückern und

67 „neo-orientalist harem scholarship“ 68 „Western civilizational project“

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Widerstandskämpfern verhaftet. Der Widerstands-Mythos kann so als Kehrseite des Opfer-Mythos gekennzeichnet werden (ebd.: 84f.). In der Entwicklung neuer Zugänge, so auch in den postkolonialen Herangehensweisen, wurde versucht, auf diese Leerstellen zu reflektieren. Doch weisen auch Teile der aktuelleren Ansätze Verkürzungen und Dichotomisierungen auf. Eine westliche kritische Auseinandersetzung mit Exzision sei demnach aufgrund der kolonialen Vergangenheit und der neokolonialen Gegenwart schlechterdings nicht möglich, ohne selbst wiederum kolonialistisch oder rassistisch zu sein: „ Westliches‘ ’ Mitgefühl kann nicht weniger als ein Todeskuss sein.“69 (Morsy 1991: 22) Denn westliche Zugänge zu Exzisionsdebatten seien grundsätzlich nichts anderes als das „anhaltende Vermächtnis des westlichen Kulturimperialismus“70 (Korieh 2005: 115), „direkte Nachkommen kolonialer Ideologie und imperialistischer Propaganda, die von Feministen und anderen Kommentatoren weder abgelegt noch reformiert wurden“71 (ebd.: 119). Forderungen nach Kontextsensibilität und nach dem Einbezug des historischen Blickwinkels sitzen, auf diese Art zugespitzt, einer recht eindimensionalen Analyse der westlichen Auseinandersetzungen mit Exzision auf. Aktuelle sowohl wissenschaftliche als auch praktische Umgangsformen werden nicht in ihrer Komplexität auf ihre jeweiligen Implikationen untersucht, sondern ihr vermeintlich per se kolonialistischer Charakter wird gesetzt. Der Vorwurf, dass Kritiken an der Praxis die Exzision nur wie eine „Plage statt“ eingebettet in „Völker, Gesellschaften, Kulturen und Werte“72 behandeln würden, dass sie Problema-

69 „ Western‘ compassion can be nothing less than the kiss of death.“ ’ 70 „continuing legacy of Western cultural imperialism“ 71 „direct offshoots of colonialist ideology and imperialist propaganda, which feminists and other commentators have neither abandoned nor reformed“ 72 „plague instead of“; „peoples, societies, cultures, and values“

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tiken von Bildung, Gesundheit und Armut ignorierten (ebd.: 121), geht jedoch an der Realität einer Vielzahl der Forschungen vorbei.73 Wenn gegenkoloniale Kritik und der Verweis auf koloniale Kontinuitäten derart überhöht werden, dass jede westliche Beschäftigung mit der Praxis verunmöglicht wird, so werden mindestens fünf Aspekte aus der Diskussion ausgeblendet, die an anderen Stellen von postkolonialen Einwürfen selbst etabliert wurden und nicht in den Hintergrund geraten dürfen. Daraus resultiert eine verkürzte und verzerrte Sichtweise auf den gesamten Komplex von Exzision, Kolonialismus und Gegenkolonialismus. Erstens stehen in solch einem Zugang nicht mehr das Interesse und das Leiden der Betroffenen, das heißt der Frauen und Mädchen (und in einem zweiten Schritt auch das der Männer) im Mittelpunkt. Im kolonialen Kenia wurden Frauen (sofern sie über das Alter, das Wissen und die Handlungsfähigkeit verfügten, diese Entscheidung überhaupt selbst zu treffen) strukturell vor die Alternative gestellt, sich entweder nicht beschneiden zu lassen und von der eigenen Bezugsgruppe verstoßen zu werden, somit keinerlei Rechte zu erlangen und beispielsweise nicht heiraten zu dürfen. Oder sie ließen sich Teile ihrer Geschlechtsorgane entfernen, um in der lokalen patriarchalen Gesellschaft sozial akzeptiert zu werden und Zugang zu Land und Besitz durch eine Ehe zu erhalten. Für die Interessengruppen der kolonialen Gegner/innen und der lokalen Befürworter/innen in Kenia war Exzision ein Politikum. Kulturelle, politische und ökonomische Kämpfe wurden um und am Körper von Mädchen und Frauen ausgetragen – durchaus auch von Frauen selbst getragen. Deren nichtsdestotrotz damit einhergehende eingeschränkte Handlungsfreiheit muss vor dem Hintergrund verstanden werden, dass Frauen struktureller und ökonomischer Gewalt, die mit der kulturellen Sphäre interdependent verbunden ist, in anderem Maße ausgesetzt sind als Männer (vgl. ausführlich Kerner 2000, Boserup 1970). Frauen gelten in nationalen und kulturellen Kämpfen als ‚Kul-

73 Das zeigt sich allein an einem Großteil der in den folgenden Kapiteln herangezogenen Literatur.

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turträgerinnen‘, da sie für den Nachwuchs und dessen ideologische Prägung sorgen (sollen) und für die häusliche Sphäre als zuständig gelten, die für die kulturell-identitäre Ideologiebildung eine zentrale Rolle spielt (Nagengast 1997: 359, Castro Varela/Dhawan 2006: 430ff.). Unterdrückung von Frauen wird nicht zuletzt mit kulturellen Motiven gerechtfertigt (Zechenter 1997: 331). Somit sind Frauen von kultureller, sozialer und politischer Gewalt auf besondere Weise betroffen. Frauen sind diesen Zwängen nicht nur kulturell, sondern auch ökonomisch unmittelbarer ausgesetzt als Männer, handelt es sich dabei um Heirat, Scheidung, die Möglichkeit von Abtreibung oder um die Versorgung der Familie (vgl. auch Nagengast 1997). Auch in postkolonialen Ansätzen wird treffend herausgearbeitet, wie der körperliche Zugriff auf Frauen zum wirkmächtigen Symbol von Tradition und lokaler Selbstbestimmung avanciert. Der weibliche Körper bildet das Schlachtfeld zwischen Kolonisierten und Kolonisatoren. Exzision, die den weiblichen Körper zum kulturellen Körper erhebt und die Verbindung zwischen Ethnie und Geschlecht herstellt, wird zum Kristallisationspunkt. Dies hängt sowohl auf der Seite der Kolonisatoren als auch auf der des antikolonialen Widerstands mit einem statischen und homogenen Kulturkonzept zusammen, welches eng an den Körper von Frauen gebunden ist (vgl. Anthias/Yuval-Davis 1992: 113, Walley 1997: 426ff., Bekers 2010: 14f., Spivak 1994, Castro Varela/Dhawan 2006). Der gegenkoloniale Kampf um Unabhängigkeit gerät damit teilweise zu einem verhärteten Festhalten an als unveränderlich wahrgenommenen Riten und Praxen. Diese Riten sind dadurch gekennzeichnet, dass sie dem Westen beziehungsweise dem Kolonialismus als völlig Entgegengesetztes und Anderes gegenübertreten. In dieser Funktion dürfen sie weder als dynamisch und veränderbar gedacht noch auf ihre Effekte für die Betroffenen hin befragt werden. Solch eine Form des Widerstands wird eng verknüpft mit dem Bewahren einer scheinbar ursprünglichen, authentischen Kultur. Es wird vorausgesetzt, dass dieses kollektive Interesse von allen Mitgliedern der betreffenden Kultur geteilt wird. Dabei wird übergangen, dass stets verschiedene Stimmen existieren, die von unterschiedlichen Interessen und Machtpositionen

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geprägt sind und unterschiedliche Möglichkeiten des Sprechens und Gehörtwerdens aufweisen. Potentielle Widersprüche werden ebenso unsichtbar wie repressive, Leiden verursachende und geschlechtsspezifische Elemente der kulturellen Dimension. Eng damit verbunden ist der zweite Aspekt der fehlenden (kritischen) Analyse bestimmter kolonialer und antikolonialer Auseinandersetzungen und der damit einhergehenden Konzepte von Kultur und Identität. Auch diese Leerstelle wird an anderen Stellen von postkolonialen Theorien selbst kritisch aufgenommen (so Spivak 1994, Bhabha 1994, Hall 1994a, 2004). Kenyatta entwirft im antikolonialen Kampf mit seiner ethnologischen Arbeit über die kenianischen Kikuyu ein idealisiertes, präkoloniales harmonisches Zusammenleben, zu dem zurückgekehrt werden müsse. Wer davon abweiche, habe nicht länger ein Recht auf die Angehörigkeit zu den Kikuyu (Kenyatta 1971, vgl. James 1998: 1035, Bekers 2010: 16). Kultur wird als monolithischer Block konzeptualisiert, als dessen unverzichtbarer Bestandteil die Exzision gilt (Kenyatta 1971: 75 und 86). Kikuyu-Identität und Exzision werden eng an das statische Kulturverständnis geknüpft. Im Kapitel I.3 wurde dieses Kulturkonzept seiner gesellschaftstheoretischen Verkürzungen überführt: Weder ist Kultur statisch noch homogen noch bricht sie gänzlich zusammen, wenn bestimmte Bestandteile in ihr geändert werden. Im Gegenteil werden ständig Außenimpulse aufgenommen und verarbeitet. Zudem gibt es vielfältige und widersprüchliche Stimmen in einer Kultur, die potentiell verschiedene Konzepte von Identität entwickeln können. Kenyattas „kulturelle Vision ist nicht nur durch die zum Schweigen gebrachten Frauenstimmen begrenzt, sondern auch durch die fehlende Anerkennung der Vielfältigkeit von Identitätskonzepten“74 (James 1998: 1036). Der gegenkolonialen Kritik an der Kontinuität zwischen Kolonialismus und gegenwärtigen Anti-ExzisionsBemühungen muss demnach eine Kritik an der Kontinuität statischer

74 „cultural vision is diminished not only by the silenced voices of women but also by his failure to acknowledge and ascertain the multiplicity of arguments about identity“

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Konzepte von Kultur und Identität an die Seite gestellt werden. Kultur muss in ihrem Doppelcharakter, konstituiert durch die gesellschaftliche Vermittlung auch hinsichtlich der Vergegenständlichungen und Verdinglichungen begriffen werden: Als fluide und veränderbar einerseits, als träge, scheinbar statisch andererseits. Drittens existierte die oftmals unterstellte Spaltung zwischen Exzisionsgegner/innen und Exzisionsbefürworter/innen entlang der Herkunft aus einerseits kolonialisierenden beziehungsweise westlichen Ländern und andererseits kolonialisierten beziehungsweise Exzision praktizierenden Gesellschaften in dieser strikten Form zu keiner Zeit. Es handelt sich selbst um einen Mythos, der zu dekonstruieren ist. Die Wahrnehmung, dass Kolonialverwalter die Praxis abschaffen wollten, um missionarische und koloniale Ziele durchzusetzen, während die lokale Bevölkerung sich umso vehementer auf die Praxis berief, um die eigene Identität und Kultur zu wahren, beschreibt nur einen Teil der Geschichte. Dies lässt sich an den bereits herangezogenen Fallbeispielen Kenia und Sudan deutlich zeigen. Im Sudan gab und gibt es breiten lokalen Widerstand gegen Exzision. 1951 gründete sich die Sudanese Women’s Union (SWU), deren führende Frauen Fatima Ahmed Ibrahim und Nafisa Ahmed El Amin sich explizit gegen Exzision aussprechen, nur suchen sie die Lösung auf anderen als auf repressiven Wegen: „Selbstverständlich erkennen wir Beschneidung als Problem an, aber wir wollten die Frauen ermächtigen, selbst dagegen zu kämpfen. Wir setzten uns ein für Bildung und die Möglichkeit, außerhalb des Hauses zu arbeiten. Wir haben von Anfang an erkannt, dass für die Beendigung unterdrückender Praxen basale 75

Fähigkeiten nötig sind, welche die Frauen selbst besitzen müssen.“

(Nafisa

Ahmed El Amin in Abusharaf 2000: 158)

75 „Of course we recognize that circumcision is a problem, but we wanted to give women the weapons in their hands to fight it with. We emphasized education and the ability to work outside the home. We recognized from

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Im kolonialen Kenia durchzog die Auseinandersetzung um Exzision alle Teile der Gesellschaft. So wurden die kenianischen Frauen, die sich an der Seite der Missionarin Stevenson gegen Klitoridektomie einsetzten, vom lokalen Frauenrat ausgestoßen, weil ihre Loyalität zu den Kikuyu in Frage gestellt wurde. Die kenianische Gesellschaft spaltete sich in den zwanziger Jahren in kirore, Gegner der Exzision, und deren karinga (‚Reine‘) genannte Befürworter. Während karinga von einigen britischen Institutionen ausgeschlossen wurden, hatten kirore zunehmend Schwierigkeiten in kenianischen Institutionen (Browne 1991: 253ff.). Sowohl die britische als auch die lokale Seite agierte demnach repressiv, um die jeweils eigene Politik zu verteidigen. Auf beiden Seiten fanden sich jedoch sowohl Befürworter/innen als auch Gegner/innen der Praxis. Als 1956 im kenianischen Distrikt Meru ein Verbot der Exzision ausgesprochen wurde, protestierte eine Gruppe adoleszenter Mädchen dagegen. Für sie bedeutete die Exzision eine Initiation in den Erwachsenenstatus und daher beschnitten sie sich selbst beziehungsweise sich gegenseitig oder mithilfe ihrer (ungelernten) Mütter (Thomas 2000: 134ff.). Dies kann als in jener Zeit verbreiteter antikolonialer Widerstand gegen die gesetzliche Einmischung in lokale Bräuche interpretiert werden. Bemerkenswert ist allerdings zweierlei: Bei keinem der Mädchen war tatsächlich die Klitoris entfernt worden, wie es dem Brauch entsprochen hätte, sondern es war, ob aus Unwissenheit oder aus Unwollen heraus, bei oberflächlichen Einschnitten geblieben (ebd.: 138f.). Diese ngaitana genannte, ungenügende Selbstbeschneidung änderte daraufhin gemeinsam mit Aufklärungsprojekten und schulischer Bildung langfristig die allgemeine Einstellung zur Klitoridektomie, die in Teilen der Gesellschaft letztendlich als nicht mehr notwendig angesehen wurde. Viele der Frauen aus der ngaitanaGeneration entschieden sich gegen eine Exzision ihrer eigenen Töchter (ebd.: 146).

the beginning that ending oppressive practices requires basic tools that women should possess.“

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In den feministischen Auseinandersetzungen mit Exzision seit den siebziger Jahren und davor finden sich fundamentale Kritiken an der Praxis auch von Frauen aus nicht-westlichen Ländern, die mit ihren Analysen die Debatten nachhaltig prägten. El Saadawi (1980) betont die internationalen ökonomischen und politischen Konstellationen, die Frauen in unterdrückten Positionen halten. Thiam (1986) diskutiert Exzision ebenso wie Polygynie, Hautaufhellung und sexuelle Initiation im Rahmen männlicher Herrschaft. El Dareer (1982), Koso-Thomas (1987) und Dorkenoo (1994) beleuchten die Praxis aus medizinischer Perspektive vor dem Hintergrund des Menschenrechts auf Gesundheit (vgl. Bekers 2010: 18ff. für einen weiteren Überblick). Solch eine Aufzählung birgt zwar die nicht unerhebliche Problematik, dass sie durch den Hinweis auf die Herkunft der Autorinnen die kritisierte Dichotomisierung von Westen und Nicht-Westen reproduziert. An dieser Stelle soll jedoch zunächst der Mythos einer einheitlichen nicht-westlichen Befürwortung gegenüber einer ebenso wenig existierenden einheitlich westlichen Ablehnung der Praxis aufgedeckt werden. Es verdeutlicht, dass die Dichotomie bereits auf einer basalen empirischen Ebene nicht haltbar ist. Mit der gegenkolonialen Perspektive geht die Forderung einher, das ‚Eigene‘, den Westen mit in die Analyse einzubeziehen. Das betrifft nicht nur den Blick auf die koloniale Vergangenheit und auf die vom Nord-Süd-Gefälle geprägte Gegenwart, sondern es werden vor diesem Hintergrund auch innergesellschaftliche Praxen des Westens thematisiert. Daraus resultieren jedoch als vierter Aspekt schiefe, willkürliche und häufig fragwürdige Vergleiche. Wenn Exzision mit Praxen wie Diät und Epilation (Boddy 1991: 16), mit Brustvergrößerungen, Nasenoperationen beziehungsweise allgemein mit Schönheitsoperationen (Browne 1991: 265, Korieh 2005: 120) oder sogar mit Blinddarmoperationen und Mandeloperationen (Erlich 1990: 156) gleichgesetzt wird, dann steht das dem Anspruch auf Kontextualisierung direkt entgegen. Noch deutlicher wird die Herrschaftsblindheit solcher Argumentationen bei Vergleichen mit Abtreibungen (u.a. Shweder 2002:

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225, Erlich 1990: 162) oder Kaiserschnitten (The Women’s Caucus 2005: 2). „Es ist beispielsweise scheinheilig, wenn viele westliche Feministen und Regierungen sich der Kriminalisierung weiblicher Beschneidung verschrieben haben, während sie unverhohlen Abtreibungen und Pro-Choice-Extremismus verteidigen. […] Man fragt sich zum Beispiel, welches Vorgehen moralisch schockierender ist, weibliche Beschneidung oder halb-geburtliche Abtreibung“76 (Korieh 2005: 119f.).

Die Parallelisierung von Abtreibung und Exzision könne mit „einer Sichtweise auf Schwangerschaft als ‚natürliche‘ Konsequenz weiblicher Sexualität [begründet werden], so wie die Klitoris als ‚natürlicher‘ Teil des weiblichen Körpers angesehen werden kann“77 (Lionett 2005: 104). Nun ist der Hinweis darauf, dass eine Entscheidung für Schönheitsoperationen im Westen stets auch durch gesellschaftliche Vorstellungen und Werte geprägt ist, evident und fast schon banal. Ein ureigenes, ungesellschaftliches Bild von Körper und Schönheit existiert nicht. Allerdings gehen diese Mechanismen mit gänzlich anderen sozialen und gesellschaftlichen Zwängen einher, die eben auch weitere Alternativen, Handlungsspielräume und Identitäten offen lassen. „Es hat noch nie Eltern gegeben, die ihre Tochter enterbt haben, weil sie ihre Brüste nicht vergrößern lassen wollte, aber wohl, weil sie nicht beschnitten oder verheiratet werden wollte.“ (Irshad Manji in Hirsi Ali 2005: 93) Medizinisch indizierte Eingriffe wie Blinddarmoperationen

76 „It is hypocritical, for example, that many Western feminists and governments have devoted themselves to criminalizing female circumcision, while blatantly supporting abortions and pro-choice-extremism. […] One wonders, for instance, which procedure is more morally shocking, female circumcision or partial-birth abortion“ 77 „a view of pregnancy as a ‚natural‘ consequence of female sexuality, just as we might see the clitoris as a ‚natural‘ part of the female body“

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mit Exzision gleichzusetzen, entbehrt noch deutlicher einer substantiellen Grundlage. Das Recht auf Abtreibung gar ist Ergebnis beziehungsweise Ziel langwieriger gesellschaftspolitischer Auseinandersetzungen um das Recht auf körperliche Selbstbestimmung von Frauen. Es kann daher nur in einer unhistorischen und herrschaftsblinden Lesart mit einer Praxis gleichgesetzt werden, die auf einem starken sozialen Druck beruht und das Recht auf körperliche Selbstbestimmung unterminiert (vgl. auch Winter 1994: 957f.). Kaiserschnitte abzulehnen, wenn sie medizinisch nicht notwendig sind, beruht darüber hinaus auf einem Ideal ‚natürlicher Geburt‘, einer Phantasie, die Schmerzen mit wahrer Weiblichkeit und Mütterlichkeit gleichgesetzt. „Implizit wird den Frauen, die sich wirksamer Schmerzmittel bedienen oder sich gar für den Kaiserschnitt entscheiden, suggeriert, daß sie sich um das wahrhaftig Weibliche gedrückt hätten“ (Azoulay 1998: 205). Dabei steht im Zentrum feministischer Exzisionskritik gerade nicht das Ideal körperlicher Natürlichkeit, wie es unbeschnittenen Genitalien oder nicht-operierten Brüsten in einer verkürzten Lesart zugeschrieben werden könnte. Sondern es wird auf basale menschenrechtliche Begründungen zurückgegriffen, die körperliche Selbstbestimmung, Gesundheit, menschliche Würde oder freie Wahl dem Zwang zur Exzision entgegensetzen. Die gegenkoloniale beziehungsweise kulturrelativistische Forderung nach dem Einbezug des ‚Eigenen‘ verliert – derart unmittelbar und kurzgeschlossen – jeglichen Anspruch auf Kontextualisierung. Es tritt eine fünfte Problematik einseitig kulturrelativistischer Argumentationsgänge hinzu. Die dichotome Aufteilung von ‚gut‘ und ‚böse‘ entlang der Grenzen von Kolonialismus und globalem Norden versus (ehemals) kolonialisiertem Süden verhindert die Wahrnehmung von Leiden verursachenden Phänomenen, die sich innerhalb dieses Manichäismus nicht greifen lassen. Denn es macht in vielerlei Hinsicht tatsächlich einen Unterschied ums Ganze, ob eine Frau unter „dem Staat (Frankreich) oder dem herrschenden Patriarchat (Mali)“78 lebt:

78 „the state (France) or the ruling patriarchy (Mali)“

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Eine qualitative Unterscheidung zu treffen zwischen demokratischen und patriarchalen oder sogar diktatorischen Staatsformen ist keineswegs „sinnlos“79 (Lionnet 2005: 108), sondern kann repressive und emanzipatorische Momente jeweiliger Gesellschaftsformen erkennen und benennen. Mit der Hypostasierung des Hinweises, dass Wahrheit immer konstruiert sei, wird letztlich jede Möglichkeit von Wahrheit überhaupt negiert. Ohne eine moralphilosophische Vorstellung davon, dass Leiden abzuschaffen, nicht zu perpetuieren ist, ist keine sozialwissenschaftlich tragfähige Herangehensweise möglich. Paradigmatisch verdeutlicht das ein Sammelband über Exzision in „imperialistischen Diskursen“, der mit einem Zitat Lévi-Strauss’ eingeleitet wird: „Der Barbar ist zuvörderst derjenige, der an die Barbarei glaubt.“80 (LéviStrauss in Nnaemeka 2005: 3) Barbarei existiert demnach nur im kolonialen Blick des Westens auf andere Kulturen, nicht aber in der Realität barbarischer Zustände. Zusammenfassend lässt sich begründen, dass die gegenkolonialistisch motivierte Forderung nach der Reflexion der kolonialen Vergangenheit, des gegenwärtigen Machtgefälles und der eigenen Positionierung unabdingbar ist für eine der Komplexität der Thematik angemessene Auseinandersetzung mit Exzision. Problematisch wird sie dann, wenn sie unreflektiert auf einen einseitig kulturrelativistischen Standpunkt zurückfällt. Wird Emanzipation nur auf der Seite des globalen Südens oder des antikolonialen Widerstands verortet, ohne deren geschlechtsspezifische repressive Elemente kritisch in die Analyse aufzunehmen, gerät die Auseinandersetzung allzu schnell auf eine verkürzende und sozialromantische Ebene. Wird eine westliche Beschäftigung mit der Exzision als grundsätzlich repressiv gefasst, kann der potentiell ermächtigende und Emanzipation ermöglichende Impetus eines universalistischen Ansatzes leichtfertig übergangen werden. Ähnlich verkürzt ist eine unreflektiert universalistische Argumentation, die auf der Seite des sogenannten Westens ausschließlich emanzipatorische

79 „pointless“ 80 „Le barbare, c’est d’abord l’homme qui croit à la barbarie.“

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Momente verortet, während sie diese den betreffenden nativen Gesellschaften grundsätzlich abspricht. In beiden Fällen wird eine Dichotomisierung hergestellt, die strukturell jedem rassistischen Stereotyp zugrundeliegt. Die Wahrnehmung von repressiven Verhältnissen, mit dem Ziel, sie ihrer Abschaffung zu überführen, wird so verunmöglicht. Ohne die Reflexion auf eine moralphilosophische Dimension, die begründen kann, warum eine Abschaffung von Leiden dessen Perpetuierung jederzeit vorzuziehen ist, werden die benannten Einseitigkeiten nicht zu überwinden sein. Der Einbezug einer normativen Ebene ist konstitutiv für die Bestimmung des Vermittlungsverhältnisses von Kulturrelativismus und Universalismus (vgl. konklusiv Teil III).

II.2 D IE

GESUNDHEITLICHE

P ERSPEKTIVE

Quer zu der Debatte über westliches Eingreifen in die Praxis der Exzision liegt die Frage, ob und in welchem Ausmaß die Exzision gesundheitsschädigende Folgen nach sich zieht. Das Menschenrecht auf Gesundheit und auf körperliche Unversehrtheit bildet einen wichtigen Referenzpunkt für Abschaffungsbemühungen. Diese gesundheitliche Perspektive schließt nicht nur körperliche Folgeschäden der Exzision, sondern auch die sexuelle, die psychische und die psychosoziale Dimension ein. In zahlreichen frühen Aufklärungskampagnen gegen Exzision wurden gesundheitliche Schädigungen als Hauptargument angeführt. Dementsprechend avancierte auf der anderen Seite der Versuch, Exzision als nicht oder kaum gesundheitsschädigend nachzuweisen, zu einer zentralen Verteidigungsstrategie der Praxis. Das umstrittene Ausmaß von Folgeerkrankungen wird im Folgenden nicht nur an den Parametern körperlicher, sexueller und psychischer Beeinträchtigungen und der Frage der Medikalisierung diskutiert. Die Problemstellungen für empirische Untersuchungen konkreter Konsequenzen werden ebenso in den Blick genommen wie das zugrundeliegende Verständnis des Verhältnisses von Theorie und Praxis. Eine der ersten Forschungen zu den Folgeschäden von Exzision wurde Anfang der sechziger Jahre von Koraim und Ammar durchge-

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führt (Koraim/Ammar 1965b). Größere Beachtung in der Rezeption fand die Studie der selbst beschnittenen Ärztin El Dareer zwischen 1977 und 1981 im Sudan (El Dareer 1982), die den Startpunkt für zahlreiche weitere Feldforschungen legte. In der Regel werden die medizinischen Schäden seitdem in drei Kategorien eingeteilt: in akute, in folgende/langfristige Komplikationen und in Komplikationen bei der Geburt beziehungsweise während der Schwangerschaft (Dirie 1985: 25ff., van der Kwaak 1992: 779, WHO 2010). Diese Einteilung kann unter anderem um Komplikationen beim ersten Geschlechtsverkehr, um postnatale Schwierigkeiten und um Schäden für das Neugeborene erweitert werden (Koso-Thomas 1987: 25ff.). Zu den unmittelbaren Komplikationen zählen neben Schmerzen und Blutungen auch Schockzustände, Entzündungen, Infektionen, Frakturen oder Inkontinenz. Unter unhygienischen Bedingungen können Hepatitis und andere Virusinfektionen übertragen werden. Zu den später auftretenden oder chronischen Schäden gehören ebenfalls Schmerzen, Fieber, verschiedene Entzündungen, Inkontinenz und Infektionen. Zudem können Tetanus, Anämie, Urinstau, Menstruationsprobleme, Fissuren, Verwachsungen, Abszesse, Nieren- und Blasensteine, Vernarbungen, Zysten und Fisteln auftreten. Wenige Fälle sind dokumentiert, in denen der Eingriff zum Tode des Mädchens führt. Wo verschiedene Mädchen mit den gleichen unsterilen Instrumenten beschnitten werden, wird zudem ein Zusammenhang mit der Übertragung des HI-Virus vermutet. Bestimmte Krankheiten haben darüber hinaus Auswirkungen auf die Fruchtbarkeit, die Schwangerschaft, den Geburtsvorgang und das Leben des Kindes.81 In den Studien wird betont, dass die „Auswirkungen der Beschneidung von der Form der Ausführung, den Kenntnissen des Beschneiders, den hygienischen Bedingungen, unter welchen der Eingriff stattfand, von der Kooperation des Kindes und von dessen Gesundheit

81 Die aufgezählten Konsequenzen und Schäden finden sich dokumentiert in El Dareer 1982, Dirie 1985, Koso-Thomas 1987, van der Kwaak 1992, Okroi 2001: 58ff., Rust 2007: 27ff.

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während des Eingriffes abhängt“82 (Koso-Thomas 1987: 25). Ungeachtet dessen gibt es Kritiken an einer Interpretationsart, die Komplikationen allen Arten der Exzision gleichermaßen zuschreibt, ohne zwischen den Formen und ihren Folgen zu unterscheiden (vgl. Shell-Duncan/Hernlund 2000: 15). Überhöht mündet jene Kritik in einer kulturrelativistischen Abqualifizierung gesundheitlicher Folgen als ‚Standarderzählung‘, die sich in einem selbstbezüglichen System bewege und über keinerlei Aussagekraft über die Realität von Exzision verfüge (so Leonard 2000b: 213, Hrzán 2005: 57f.). Tatsächlich und auf einer ganz realen Ebene für die Betroffenen auftretende gesundheitliche Konsequenzen werden auf diese Weise mit einem Handstreich aus den Betrachtungen hinausbefördert. Ohne weiteres können zwar undifferenzierte Verallgemeinerungen in medialen Inszenierungen und unmittelbare Fotografien von Geschlechtsteilen Betroffener als voyeuristisch aufgezeigt werden und auch medizinisches Wissen befindet sich stets innerhalb eines spezifischen gesellschaftlichen Kontextes (Kirby 2005: 91). Nichtsdestotrotz sind medizinische Diskurse nicht ausschließlich „nur eine Methode, um Körper zu vermessen“83 (ebd.: 88), sondern die darin aufgezeigten gesundheitlichen Aspekte zeitigen höchst reale und wirksame Konsequenzen, die in einer solchen Argumentationslinie hinsichtlich ihrer leidensauslösenden Dimension verdeckt werden. Auf der anderen Seite sind konkrete Abschaffungskampagnen, die sich strategisch auf die Aufklärung über gesundheitliche Schäden beschränken, selten erfolgreich. Sie stoßen vor allem dann auf Misstrauen, wenn über Komplikationen, die vorrangig im Zusammenhang mit Infibulation entstehen, in Gebieten berichtet wird, in denen weniger radikale Formen der Exzision durchgeführt werden. Diese sogenannten Gesundheitsrisiko-Ansätze (health risk approaches) oder Ansätze

82 „effects of circumcision depend on the type performed, the expertice of the circumciser, the sanitary conditions under which the operation was conducted, the co-operation and the health of the child at the time of the operation“ 83 „just one method of mapping bodies“

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schädigender traditioneller Praxen (harmful traditional practice approaches) gehören zwar zu den ältesten Strategien von Abschaffungskampagnen, aber es gibt kaum Nachweise für ihren Erfolg, sofern sie nicht in Kombination mit anderen Methoden angewandt werden (Hernlund 2000: 241, PRF 2001: 17). Eine der Ursachen dafür ist in der Diskrepanz zwischen den vorgeführten Gesundheitsrisiken und den persönlichen Erfahrungen der betroffenen Frauen zu finden. Die konzeptionelle Beachtung dieser Diskrepanz ist daher unabdingbar für eine Diskussion und Verbesserung von Abschaffungsstrategien und keineswegs zu vernachlässigen. Obermeyer formuliert auf der Grundlage solcher Diskrepanzen die These, dass Exzision bei weitem nicht so schädigend und folgenreich sei, wie es von Gegner/innen angenommen werde (Obermeyer 1999: 92). Sie untersucht zahlreiche Studien, die zwischen 1966 und 1996 veröffentlicht wurden, und kritisiert viele davon – so auch den Report von Hosken – für ihre ‚unsaubere Datenerhebung‘ (ebd.: 85). Daraufhin kommt sie zu dem Ergebnis, dass die „Erforschung der Konsequenzen für reproduktive Gesundheit und Sexualität eindeutig unzulänglich ist. Der mächtige Diskurs, der weibliche Genitaloperationen als unvermeidlich zum Tode oder zu schweren Erkrankungen führend darstellt, ist nicht ausreichend durch Beweise unterlegt“84 (ebd.: 97). In einer Folgeuntersuchung gesteht sie mit dem Blick auf aktuellere Forschungen zu, dass sich die Nachweise für bestimmte gesundheitliche Beeinträchtigungen verdichteten. Dennoch blieben sie statistisch insignifikant (Obermeyer 2005: 458). Obermeyers Ausführungen stellen eine wichtige Referenz für Argumentationen von Exzisionsbefürworter/innen und zugleich für die Frage relevanter (und erfolgreicher) Begründungsstrategien zur Abschaffung der Exzision dar. Es werden methodische Schwachstellen

84 „research on their consequences for reproductive health and sexuality is clearly insufficient. The powerful discourse that depicts female genital surgeries as inevitably causing death and serious ill health ist not sufficiently supported by the evidence“

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bei der empirischen Erforschung gesundheitlicher Folgeschäden aufgezeigt und damit wird zur existierenden sozialwissenschaftlichen Metadebatte über mögliche Gründe für Schwierigkeiten bei der Datenerhebung beigetragen, die sich wie folgt zusammenfassen lassen: Zunächst ist die Exzision ein sehr intimes Thema. In vielen Gesellschaften ist es lange Zeit tabu gewesen, darüber überhaupt zu sprechen (Mackie 2003: 148, WADI 2010: 30f.). Durch Aufklärungskampagnen von NGO und anderen Organisationen sowie durch eine größere Zugänglichkeit zu Medien wie Radio, Fernsehen und Zeitungen konnte in Teilen das Tabu bereits durchbrochen werden. Forschungen, die sich auf die Aussagen der Frauen verlassen, d.h. die auf gynäkologische Untersuchungen verzichten, stehen darüber hinaus vor weiteren Problemen. Frauen, die einen unbeschnittenen Zustand überhaupt nicht kennen, weil sie in frühem Kindesalter beschnitten wurden, sind exzisionsinduzierte Probleme nicht unbedingt bewusst. Sie kennen einen anderen körperlichen Zustand nicht und nehmen ihren eigenen daher nicht als ungesund wahr. Urinieren, das sich stundenlang hinzieht, oder ständige Schmerzen können dann für den Normalzustand gehalten werden. Nicht immer herrscht jedoch Unwissenheit über den Vorgang der Exzision. Zumindest das Wissen um die bloße Tatsache, dass man beschnitten wurde, kann auch in denjenigen Gebieten relativ hoch sein, in denen die Exzision an sehr jungen Mädchen durchgeführt wird.85 Zudem werden auch solche Probleme, die als Krankheiten wahrgenommen werden, nicht unbedingt ursächlich auf die Exzision zurückgeführt (vgl. Mackie 2003: 147, Peller 2002: 115). Nach einer vorangehenden Gesundheitsaufklärung würde daher eine Umfrage unter Umständen zu gänzlich anderen Ergebnissen führen. Solch eine Aufklärung würde das Wissen über den eigenen Körper erhöhen und könnte betroffene Mädchen und Frauen ermächtigen, sich für eigene Inte-

85 Das belegen Studien, die auf einer Kombination aus gynäkologischen Untersuchungen und Eigenberichten beruhen (u.a. Larsen/Okonofua 2002, Snow et al. 2002).

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ressen einzusetzen. In Obermeyers Kritik jedoch wird gesundheitliche Aufklärung in empirisch-methodischer Hinsicht abgelehnt und als subjektiver Bias bezeichnet, der die Objektivität von Studienergebnissen und Datenerfassungen verzerren würde (Obermeyer 1999: 100, vgl. kritisch Mackie 2003: 148). Eine weitere methodische Schwierigkeit entsteht aufgrund des beschränkten Zugangs von Frauen zu medizinischen Einrichtungen. Zahlreiche Umfragen werden in Krankenhäusern durchgeführt (Jackson et al. 2003: 4). Das bedeutet, diese Forschungen sind auf Frauen eingegrenzt, die sowohl über den Mut als auch über das Wissen und über die Ressourcen verfügen, ihre gesundheitlichen Probleme behandeln zu lassen. Auf einen zusätzlichen Aspekt verweist die Frage, inwiefern die Aussagen von Frauen nicht auch hinsichtlich ihres sozialen Umfelds eingeordnet und interpretiert werden müssen. Aus Angst vor Repression (weil Exzision im Staat illegalisiert oder weil das Reden über Exzision tabu ist), weil bei Befragten generell die Möglichkeit besteht, dass sie die Antworten geben, die sie für erwünscht halten, oder auch aufgrund zu oft wiederholter oder unprofessionell durchgeführter Befragungen kann es zu falschen oder verzerrten Angaben kommen (Jackson et al. 2003: 17ff.).86 Hinzu tritt die Problematik, dass Forschungen teuer und auf finanzielle Unterstützung angewiesen sind (Mackie 2003: 145, Jackson et al. 2003: 4). Daran schließt sich die Überlegung an, ob es nicht sinnvoller wäre, die wenigen zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel auf Abschaffungsbemühungen und auf die Unterstützung von betroffenen oder bedrohten Frauen und Mädchen zu konzentrieren. Diesem Vorschlag liegt der Gedanke zugrunde, dass die Erforschung der Folgeschäden nicht mehr unabdingbar notwendig sei, um die Abschaffung der Praxis zu rechtfertigen (so Toubia/Izett 1998: 37ff.).

86 Beispielsweise weist eine Studie nach, dass Frauen in Ghana die eigene Beschnittenheit verleugnen (Jackson et al. 2003).

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Gerade dieses Fazit wird von Obermeyer jedoch in Zweifel gezogen. Zum einen sei trotz des veränderten Schwerpunkts von Abschaffungskampagnen das Wissen über gesundheitliche Konsequenzen für die Betroffenen wichtig, um eine informierte Entscheidung treffen zu können (Obermeyer 2005: 458). Zum anderen hat auf einer generelleren Ebene ihre These, dass Exzision keine gravierenden Schäden verursache, gegenteilige Implikationen für den sozialwissenschaftlichen und den konkreten Umgang mit der Praxis. Nicht nur die Signifikanz körperlich-medizinischer Komplikationen stellt Obermeyer dabei in Frage, sondern auch verallgemeinerbare negative Auswirkungen auf das sexuelle Lustempfinden (Obermeyer 1999: 96). Tatsächlich lassen sich in der Literatur Hinweise auf eine eingeschränkte oder zerstörte Sexualität einerseits, auf eine intakte Sexualität andererseits finden (so auch Obermeyer 2005: 456). Für Mediziner/innen ist die Reduzierung von Lustfähigkeit aufgrund der anatomischen Veränderung evident (Toubia 1995: 17, Gordon 1991: 7). Frauen, die eine Einschränkung ihres sexuellen Empfindens schildern, bestätigen diese Einschätzung (Gruenbaum 1996: 462, Walley 1997: 412, Koraim/Ammar 1965a, El Dareer 1982, Ahmadu 2007). Es gibt ausführliche Selbstberichte, in denen verdeutlicht wird, wie schmerzhaft und angstbesetzt sexueller Kontakt nach der Infibulation sein könne (Abdalla 2006: 194ff.) oder dass Sex zwar unter Umständen genossen werden könne, dies aber etwas völlig anderes als Orgasmusfähigkeit bedeute (Dirie 1998: 227). Andere Frauen geben demgegenüber an, dass sie durchaus orgasmusfähig seien (Gruenbaum 1996: 462, Lightfood-Klein 1989, Ahmadu 2000, 2007). Der Grund für die stark voneinander abweichenden Einschätzungen kann in verschiedenen Ursachen gefunden werden. Die oben diskutierten methodischen Schwachstellen von Umfrageergebnissen spielen auch für den sexuellen Bereich eine entscheidende Rolle. Die jeweilige Bedeutung von Sexualität und Lustfähigkeit bildet eine besondere Herausforderung für die Operationalisierung und Quantifizierung von Daten (vgl. Obermeyer 2005: 455f.). In medizinisch-physischer Hinsicht lassen sich eine Reihe weiterer möglicher Begründungen finden. Mit-

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unter werden bei der Exzision nicht alle Teile der Klitoris entfernt, so dass ein Orgasmus noch möglich sein könnte (Gruenbaum 1996: 462). Nach neueren medizinischen Forschungen könne die Klitoris im Inneren des Körpers größer sein als zuvor angenommen, es könnten also bei einer Exzision der äußeren Teile durchaus innere Teile intakt bleiben (Shell-Duncan/Hernlund 2000: 17). Je später im Leben der Betroffenen die Amputation erfolge, umso wahrscheinlicher könnten sich vorher Nerven entwickeln, welche die Lustfähigkeit potentiell ermöglichen (Peller 2002: 120). Weitere Studien vermuten, dass die Lustfähigkeit auf andere, noch vorhandene Geschlechtsteile transferiert werde (Toubia/Izett 1998). Es wird zudem darauf hingedeutet, dass nicht nur anatomische Faktoren eine Rolle für die Lustfähigkeit von Frauen spielten (Obermeyer 2005: 455) und dass es auch unbeschnittene orgasmusunfähige Frauen gebe: „Wie wichtig ist dann überhaupt die Klitoris für weibliche Sexualität?“87 (Ahmadu 2007: 278) In diesem Zusammenhang findet sich auch der Hinweis, dass die Bedeutung, die der weiblichen Klitoris eingeräumt werde, allgemein einer ethnozentrischen Sichtweise entspreche. Denn sexuelles Empfinden sei in anderen Gesellschaften beziehungsweise für deren feministische Kämpfe nicht so wichtig wie andere Aspekte der weiblichen Emanzipation (Ahmadu 2000: 284, Abusharaf 2000: 161, Obermeyer 1999: 96). An dieser Stelle zeigen sich jedoch spezifische Verkürzungen einer kulturrelativistisch motivierten Kritik an einer scheinbar eurozentrischen Fixiertheit auf Sexualität. Wenn andere Dimensionen von Frauenunterdrückung derart übermächtig sind, dass eine sexuelle Befreiung (zunächst) von geringer Bedeutung ist, so kann es zwar durchaus sinnvoll sein, auf jene zu fokussieren und in feministischen Auseinandersetzungen nicht nur am sexuellen Empfinden der Frauen anzusetzen. Eine profunde Analyse jeweils zugrundeliegender Konzepte von Sexualität geht jedoch über diese strategische Überlegung hinaus. Einigen kulturrelativistischen Argumentationen entgeht diese Doppeldeutigkeit nicht – auch wenn sie nicht bewusst aufgenommen wird: So zeigt sich

87 „How essential, then, is the clitoris to female sexuality?“

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beispielsweise in demselben Text, in welchem Exzision als unschädlich präsentiert und verteidigt wird, ein deutlicher Hinweis darauf, dass es sich ausschließlich um heterosexuellen und vaginalen Geschlechtsverkehr handele, der durch die Exzision nicht nur nicht eingeschränkt, sondern sogar hervorgebracht werde (Ahmadu 2000: 304). Selbstbefriedigung oder die Stimulation der Klitoris durch Männer oder Frauen sollen explizit unterbunden werden (ebd.: 297). Obwohl Ahmadu die Unschädlichkeit der Exzision begründen möchte, verweisen ihre Schilderungen ungewollt und implizit doch darauf, dass der Eingriff eine deutliche Einschränkung von Sexualität darstellt. Universalistische Spekulationen darüber, aus welchen anatomisch-physischen Gründen Lustfähigkeit trotz Exzision möglich sein könne, blenden die gesellschaftliche Hervorbringung und Zurichtung von Sexualität ebenfalls aus. Lustfähigkeit oder die Verlagerung der Orgasmusfähigkeit auf andere Körperregionen sind nur dann möglich, wenn weibliche Sexualität als solche nicht tabuisiert, schambesetzt oder von Angst und Unwissenheit geprägt ist. Mit der quer dazu liegenden, kontextsensiblen Beschreibung, dass sexuelles Empfinden im Allgemeinen oder der klitorale Orgasmus im Besonderen für Frauen in den von Exzision betroffenen Gesellschaften unwichtig sei, wird zwar die je spezifische Zurichtung von Sexualität anerkannt. Verkürzt wird sie aber, wenn den Konstitutionsbedingungen einer heteronormativen Sexualität, verbunden mit einer bestimmten Machtasymmetrie und mit einem Eingriff in den Körper des Mädchens beziehungsweise der Frau nicht nachgegangen wird. Erst im Einbezug einer reflexiven, moralphilosophischen Ebene kann die gesellschaftliche Konstitution eines fragwürdigen Zustands erkannt werden, ohne ihn damit zugleich zu affirmieren und zu hypostasieren. Eine dritte Ebene schädigender Konsequenzen neben den körperlichen und sexuellen Folgen spielt in vielen kulturrelativistischen Argumentationen nur eine untergeordnete Rolle oder wird ganz außer Acht gelassen (u.a. Obermeyer 1999, Shweder 2002). Es handelt sich um die psychischen und psychosozialen Auswirkungen. Dabei existieren eindringliche Nachweise für Traumatisierungen und lebenslange psychi-

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sche Probleme (u.a. Toubia 1995: 40, Toubia/Izett 1998: 31ff.). Der Vorgang der Deinfibulation wird von somalischen Frauen als zweites Trauma beschrieben, dem sie durch Flucht vor der Ehe nicht selten zu entkommen versuchen (Warsame et al. 1985: 10f.). Eine Pilotstudie im Senegal belegt signifikante Hinweise auf Posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) und Begleiterscheinungen wie depressive oder Angststörungen bei beschnittenen Frauen (Behrendt/Moritz 2005). Somalische infibulierte Frauen zeugen von weiteren psychosozialen, psychosexuellen und sozialen Folgen, beispielsweise wenn sie während ihrer Schwangerschaft kaum Nahrung zu sich nehmen, aus Angst, das Neugeborene würde zu groß für die verengte vaginale Öffnung werden (van der Kwaak 1992: 780). Der Vertrauensbruch durch den Schmerz, der den Mädchen von meist nahestehenden Familienangehörigen oder Bekannten angetan wird, kann zusätzlich bleibende emotionale Probleme hervorrufen (Bauer/Hulverscheidt 2003: 73). Die Anzweifelung gesundheitlicher Folgeschäden von Exzision führt nicht nur zu strategisch-instrumentellen Relativierungen in Abschaffungsdebatten, sondern auch zu Verschiebungen in der kontrovers geführten Diskussion über Medikalisierung. Mit Medikalisierung ist die Verlagerung der Durchführung von Exzision in hygienische Umgebungen wie Krankenhäuser oder Arztpraxen und in die medizinisch geschulten Hände von Mediziner/innen oder Pfleger/innen gemeint. Damit sollen die gesundheitlichen Risiken reduziert werden, da Infektionsrisiken, Blutungen und weitere Probleme (auch) durch unsachgemäße Eingriffe ausgelöst werden. Für Befürworter/innen der Exzision ist mit der Medikalisierung ein ausreichender Schutz für die Gesundheit und das Leben der Mädchen gewährleistet (Ahmadu 2000: 285). Gegner/innen der Exzision diskutieren die Frage, ob Medikalisierung ein notwendiger Zwischenschritt sei, da die Durchführung selbst nicht kurzfristig verhindert werden könne. Auf diese Art könne auf dem langen Weg zur Abschaffung der Praxis zumindest ein minimaler Schutz der Betroffenen erreicht werden (Shell-Duncan et al. 2000: 111, Peller 2002: 165ff.).

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Aber, so betonen Kritiker/innen der Medikalisierungsstrategie, „Krankenschwestern und Ärzte sind darauf vereidigt, die Gesundheit zu erhalten, und für die Zerstörung eines Kinderkörpers gibt es innerhalb unseres Berufsethos keinerlei Spielraum.“ (Toubia 1999: 78) Die WHO bezieht in ihrer Ablehnung der Medikalisierung und der damit einhergehenden Institutionalisierung von Exzision eine eindeutige Position. Denn durch die derartige Professionalisierung könne Exzision erst recht legitimiert werden, beispielsweise wenn medizinisches Personal explizit für Exzision wirbt, um das eigene Einkommen aufzubessern (Mohamud et al. 2006: 96, El Bashir 2006: 147, Diop/Askew 2006: 130). Medikalisierung kann eine Einstellungsänderung gegenüber Exzision verlangsamen oder stoppen, wenn medizinisches Personal großen Einfluss auf die Meinung der Menschen ausübt (Mackie 2000: 277). Für Indonesien ist eine Verbreitung der Praxis erst durch ihre Medikalisierung und der damit einhergehenden Kommerzialisierung belegt. Dadurch wurden symbolische Rituale ohne Schneiden und minimalinvasive Schnitte durch extremere Formen abgelöst (Budiharsana et al. 2003: 10f., Putranti 2008: 30). Potentiell wird mit der Medikalisierungsstrategie denjenigen Stimmen mehr Gewicht verliehen, die Exzision nicht nur als unschädlich, sondern sogar als gesundheitsfördernd bezeichnen, weil dadurch beispielsweise Krebs verhindert werde (vgl. kritisch El Bashir 2006: 154). Vor allem aber täuscht eine Konzentration auf Medikalisierung darüber hinweg, dass langfristige gesundheitliche, sexuelle und psychische Komplikationen davon in nur geringem Ausmaße berührt werden. Wird die Signifikanz dieser Komplikationen bei Obermeyer allerdings im Allgemeinen als gering eingeschätzt, könnte die Frage der Medikalisierung daran anschließend sogar als unnötig vernachlässigt und die Praxis generell toleriert werden. Es lässt sich festhalten, dass – abhängig von der Durchführungsart in verschiedenem Ausmaße und Verbreitungsgrade – trotz methodischer Unklarheiten und voneinander abweichender Resultate reale negative, nicht zu unterschätzende und vielfältige gesundheitliche Konsequenzen für beschnittene Mädchen und Frauen existieren. Dabei sind die Daten immer auch auf Interpretation angewiesen und vermittelt mit

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dem – stets vorhandenen – subjektiven sozialwissenschaftlichen Forschungsinteresse. Dadurch wird bestimmt, ob entweder die Heterogenität der Erfahrungen, Erzählungen über vorhandene Orgasmusfähigkeit, fehlende abschließende objektive Daten oder Berichte über schmerzvolle Einschränkungen des Sexuallebens in den Vordergrund gerückt werden. Ähnliches gilt für die Umstrittenheit über die Verallgemeinerbarkeit körperlicher Komplikationen. Zwar gesteht Obermeyer zu, dass die wenigen Schäden, die vorkommen können, nicht hinnehmbar seien (Obermeyer 1999: 92). Aber die Betonung einer vermeintlich weitaus häufigeren Harmlosigkeit hat weitreichende Konsequenzen. Sie „liefert in der öffentlichen Debatte eine Rechtfertigung für die Behauptung, dass FGC nur minimal schädigend sei und daher für Minderjährige in den USA (dort ist sie momentan legal für einwilligende Erwachsene) und in anderen Einwanderungsländern legalisiert werden solle; dass Asylanträge aufgrund von FGC zweifelhaft seien und dass internationale Akteure wie WHO und UNICEF ihre Unterstützung für Programme zur Beendigung von FGC in den betreffenden Regionen Afrikas einstellen sollten“88 (Mackie 2003: 135).

Es liegt recht nahe, von der bei Obermeyer konstatierten (weitestgehenden) Schadlosigkeit der Exzision auf deren Legitimation zu schließen. Zunächst jedoch zielt Obermeyer auf die Eigenständigkeit von Theoriebildung ab. Sie fordert, dass Forschungen über Exzision nicht unter der Prämisse ihrer Abschaffung durchgeführt werden sollten (Obermeyer 1999: 97) und schildert das Verhältnis von Theorie und Praxis als eines, das weder von kompletter Übereinstimmung noch von völligem Widerspruch gekennzeichnet sei (Obermeyer 2003: 396).

88 „has entered public debate as warrant for the claim that FGC is of minimal harm, and, thus, that it should be legalized for minors in the United States (it is presently legal for consenting adults) and other immigrant-receiving countries; that claims for asylum based on FGC are spurious; and that international agencies such as WHO and UNICEF should cease supporting programs for abandonment of FGC in practicing areas of Africa“

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Dem muss präzisierend hinzugefügt werden, dass das Verhältnis von Theorie und Praxis nicht nur durch eine solche äußere Vermittlung, sondern auch und zentral durch innere Vermittlungen geprägt ist (vgl. Adorno 1997a). Das bedeutet, dass Praxis im Sinne von ethischmoralischen, politischen oder aufklärerischen Motivationen immer schon in der Theoriebildung aufzufinden ist und dass, allgemeiner, Theorie nie völlig unabhängig von der ‚praktischen‘ Lebens- oder Alltagswelt formulierbar ist. Umgekehrt ist eine Praxis ohne Theorie – sei es als Reflexion bestimmter Konzepte, als Lernen aus Erfahrungen oder als abstrakte Handlungsmotivation – ebenso wenig vorstellbar. Obwohl Obermeyer auf die grundsätzliche Vermittlung von Theorie und Praxis, von Forschung und Engagement hinweist: „Ich sehe die beiden als komplementär“89 (Obermeyer 2003: 395), gibt sie doch Anlass zu der Annahme, dass sie schlicht Forschungen zurückweise, die sich der Abschaffung von Exzision verpflichten, ihre eigene Untersuchung dagegen als praxisunabhängig darstelle (so Mackie 2003: 138ff.). Sowenig jedoch auf eine starre Theorie-Praxis-Trennung rekurriert werden kann, so verkürzt ist die Vorstellung eines scheinbar neutralen und objektiven Standpunktes. Es gibt kein ungesellschaftliches Außen. Stets sind wissenschaftliche Abstraktionen und Begrifflichkeiten auch gesellschaftlicher Natur und nicht unabhängig von ihr. „Mittlerweile dürfte allerdings offenbar geworden sein, daß bei Untersuchungen, die nicht von Ideen geleitet werden, auch nichts herauskommt. Recht verstanden kann keine Untersuchung mehr an Resultaten abwerfen, als geistig in sie investiert war; nur will das nicht etwa sagen, daß die investierten Ideen auch als Resultate herauskommen müßten.“ (Adorno 1979a: 541, vgl. auch Horkheimer 1937).

Die innere Vermittlung von Theorie und Praxis ist für dieses Verständnis grundlegend: Das eine Moment ist immer schon konstitutiv im anderen enthalten. Die beiden Pole lassen sich nicht dichotom voneinan-

89 „I see the two as complementary“

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der trennen. Zugleich bestehen sie aber auch als Eigenständige. Sollen die Stärken der Unabhängigkeit von Theorie einerseits und von Praxis andererseits bewahrt werden, muss die Diskontinuität zwischen beiden zur vollen Geltung kommen. Es führt kein linearer Weg von einem zum anderen und keines richtet sich nach den unmittelbaren Vorgaben des anderen (Adorno 1997a: 780). Obermeyers Hinweis, dass Theorie und Forschung insofern nicht praxisgeleitet sein sollten, dass Ergebnisse durch den politischen Wunsch bereits vorherbestimmt sind, ist insofern basal für eine reflexive Sozialwissenschaft. Wird aber auf Implikationen und eigene Vorannahmen im Forschungsprozess nicht reflektiert, in der Annahme, dass bloße, neutrale Beschreibung möglich sei, dann geraten eben jene praktischen Konsequenzen, die jede Forschung zeitigt, aus dem Blick: Aus der kritischen Überprüfung von Methoden und Datenmaterial, die die objektive Gültigkeit von durch Exzision verursachten gesundheitlichen, sexuellen oder psychischen Komplikationen anzweifelt, resultiert – gewollt oder ungewollt – eine Legitimation von Exzision und gleichzeitig eine Entwertung der Erfahrungen von Frauen, die mit eben jenen Komplikationen zu leben haben. Es zeigt sich, dass eine moral- und sozialphilosophische Reflexion des Theorie-Praxis-Verhältnisses und des Forschungsprozesses in all seinen Dimensionen gerade in diesem sensiblen und durch Schwierigkeiten geprägten Feld unabdingbar ist. Zudem verdeutlicht sich, dass die Diskussionen über Exzision nicht allein unter der gesundheitlichen Perspektive geführt und nicht auf methodisch-empirische Auseinandersetzungen reduziert werden können. Obermeyer gibt selbst einen entscheidenden Hinweis auf eine mögliche Erweiterung, den sie allerdings nicht weiter verfolgt: „liegt der Schaden weniger in den spezifischen Konsequenzen der Operationen als in der Tatsache, dass sie ohne wirkliche Einwilligung des Individuums durchgeführt werden?“90 (Obermeyer 1999: 94)91

90 „is the harm less in the exact consequences of the operations than in the fact that they are carried out without the true consent of the individual?“ 91 Diese Frage steht im Mittelpunkt des Kapitels II.4.

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II.3 D IE P ERSPEKTIVE

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Auseinandersetzungen zwischen kulturrelativistischen und universalistischen Zugängen spielen sich verstärkt vor dem Hintergrund universeller Menschenrechte ab. Die Allgemeinen Menschenrechte und ihre Erweiterungen beziehen sich maßgeblich auf eine universalistische Grundlage. Insbesondere in den Formulierungen kultureller Rechte werden andererseits gleichzeitig Bemühungen sichtbar, kontextsensibel mit jeweiligen Problematiken umzugehen. Sie gründen auf Kritiken an einem eurozentrischen Rechtsverständnis, das nur auf westliche Gesellschaften ausgerichtet sei, weisen auf dessen potentielle Unvereinbarkeit mit nicht-westlichen Konzepten von Recht, Individualität und Tradition hin und rücken das Recht auf kulturelle Identität in den Vordergrund.92 Im Bereich der Exzision spielt der Bezug auf kulturelle Rechte eine übergeordnete Rolle für die Frage, wie in Immigrationsländern mit Einwanderungsgruppen, die Exzision betreiben, umgegangen werden kann. Im Folgenden wird, nach einem kurzen Überblick über den veränderten Charakter transnationaler Migrationsbewegungen und deren Bedeutung für Identitätsbildung, der gesetzliche Umgang mit Exzision sowohl in Immigrationsländern als auch in Primärländern dargestellt. Am Beispiel Frankreich zeigt sich die Kollision kultureller Rechte mit individuellen Menschenrechten besonders prägnant. Verdeutlicht werden kann an diesem Beispiel, dass die in kulturellen Rechten erhobene Forderung nach Kultursensibilität Verkürzungen aufweist, wenn sie auf einer subjektiven oder intersubjektiven Ebene verbleibt sowie macht- und herrschaftssoziologische Überlegungen nicht berücksichtigt. Abschließend werden Möglichkeiten und Grenzen von Abschaffungsbemühungen sowie die in diesem Zusammenhang ste-

92 Einen Überblick über die Diskussion kultureller Menschenrechte, die sowohl individuell als auch kollektiv formuliert sein können, bieten u.a. Burgers 1990, Stavenhagen 1990, Kukathas 1992, Eide 1995, An-Na’im 1995. Vgl. auch Cowan et al. 2001a zum Recht auf Kultur.

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henden Stärken und Schwächen von universalistischen und kulturrelativistischen Argumentationsmustern andiskutiert. Die Debatte um eine Anerkennung kultureller Rechte wurde nicht zuletzt durch den veränderten Charakter von Migrationsbewegungen im ausgehenden zwanzigsten Jahrhundert intensiviert. Nicht nur quantitativ wird Migration zu einer immer bedeutenderen Konstante menschlichen Lebens, da „noch nie in der Geschichte so viele Menschen – über einhundert Millionen – als (Arbeits-)Migranten und Flüchtlinge ihr Geburtsland verließen wie am Ende dieses Millenniums.“ (Pries 1997: 15) Auch qualitative Veränderungen zeichnen sich ab. Die internationale, unidirektionale und einmalige Migrationsbewegung wird ergänzt durch eine transnationale, stetige, unabgeschlossene Migration, bei der zwischen verschiedenen Wohnorten neue soziale Räume aufgespannt werden. Sozialer und geographischer Raum stehen zunehmend in neuen Beziehungen zueinander. In sogenannten global cities können sich verschiedene soziale Räume in derselben Fläche nachzeichnen lassen, ohne miteinander zu korrespondieren, während sich in sogenannten global villages ein sozialer Raum über verschiedene geographische Flächen ausdehnen kann. Parallel entwickelt sich aber auch eine verstärkte Politik der Abschottung und Einkapselung des sozialen Raums im Flächenraum, durchgesetzt durch striktere Einwanderungspolitiken und eine verstärkte Sicherung von Außengrenzen (ebd.: 17ff.). Der Alltag transnationaler Migrant/innen ist von Verbindungen über Grenzen hinweg geprägt. Individuelle, kollektive und kulturelle Identität setzen sich somit aus vielfältigen Beziehungskonstellationen zusammen (Glick Schiller et al. 1997: 121). In klassischen Zugängen zur Migration wird von Migrant/innen erwartet, dass sie sich nach einer einmaligen Wanderbewegung am neuen Ort niederlassen, sich assimilieren und sich mit der neuen Nation identifizieren. Bei sogenannten Gastarbeitern wurde insbesondere in Deutschland demgegenüber davon ausgegangen, dass sie keinerlei Bindungen zum neuen Ort aufbauen und nach einer Periode des Arbeitens an ihren Herkunftsort zurückkehren würden. Tatsächlich aber bildeten sich auch bei frühen Migrationsbewegungen vielfältige Formen von Netzwerken und

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Verbindungen zwischen den verschiedenen Räumen heraus, unterstützt durch Verwandtschaft, Landbesitz oder politisches Engagement für nationale Bewegungen am Herkunftsort. Seit dem Ende des zwanzigsten Jahrhunderts lässt sich dennoch eine neue Dimension transnationaler Bewegungen und transnationaler Netzwerke charakterisieren. Zum einen sind durch die rasante Entwicklung von Kommunikations- und Transporttechnologien neue Möglichkeiten der Aufrechterhaltung von Kontakten und des Pendelns zwischen verschiedenen Lebensorten geschaffen worden. Zum zweiten entwickelt sich eine Strategie des LongDistance-Nationalismus, der Migrant/innen ideologisch und finanziell an den Herkunftsort binden soll. Diese Inklusion der Diaspora in den Herkunftsstaat knüpft an eine Ideologie an, die Nation an Blut, gemeinsame Herkunft, Kultur und Erzählungen bindet, nicht an das Territorium (Fouron/Glick Schiller 2001: 543ff.). Zum dritten werden Transnationalismus und Multikulturalismus auch als produktive Ressource in den Ankunftsländern entdeckt. Zugleich jedoch existiert jedoch nach wie vor ein nationaler Konsens in vielen Immigrationsländern, der Außengrenzen und (besser bezahlte) Arbeitsplätze gegen Migrant/innen verteidigen will. Alltagsrassismus und Ausgrenzung tragen zu einer ständigen Unsicherheit im Ankunftsland bei und bilden verstärkende Faktoren für die Bindung an das Herkunftsland (Glick Schiller et al. 1997: 123f.). Alle drei Faktoren konstituieren eine Identitätsform, die ebenfalls als transnationale bezeichnet werden kann. Dabei werden nicht nur vollkommen neue Identitäten ausgebildet, sondern auch alten Symbolen, Gegenständen und Praxen kann eine neue Bedeutung zukommen (vgl. Salih 2001: 666f.). Identitätsbildung ist nie monokausal, eindimensional und linear zu verstehen. Zusätzlich eröffnen sich im transnationalen Raum wesentlich mehr Einflüsse, Eindrücke und Möglichkeiten. Allerdings birgt transnationale Migration auch neue Problemkonstellationen in sich. Es wäre daher verkürzt, transnationale Migration ausschließlich als Basar neuer Identitätsfragmente zu begreifen, ohne deren repressive Dimensionen in den Blick zu nehmen. Ein unsicherer oder fehlender Aufenthaltsstatus kann in die ständige Bewegung zwin-

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gen (Morokvasic 2003: 119). Ressourcen müssen auf zwei Nationen verteilt werden, um beispielsweise die eigenen Kinder hier, die Familienangehörigen dort zu befriedigen. Die ständige Bewegung kann Ängste und Spannungen verursachen und zudem mit der Frage konfrontieren, in welchem Land in die eigene Zukunft und die Zukunft der Kinder investiert werden solle (Salih 2001: 668f.). Für migrierende Frauen können sich einerseits durch erhöhte Bewegungsfreiheit, erweiterte Handlungsfelder und Netzwerke neue Möglichkeiten und Lebensräume öffnen. Andererseits können sie durch die Einschränkung der Bewegungsfreiheit in Flüchtlings- und Asylsituationen oder durch schlechte Zugangsbedingungen zu Arbeits- und Bildungsmärkten umso heftiger auf (unter Umständen repressive) Familienstrukturen zurückgeworfen werden. In welcher Art und Weise sich transnationale Identitäten zusammensetzen, ob eher handlungserweiternde oder handlungseinschränkende Elemente zusammengeführt werden und wie mit widersprüchlichen Fragmenten umgegangen wird, kann nur auf einer konkreten Ebene untersucht werden. Das Beharren auf Exzision in der Immigration kann sowohl für das Festhalten an vertrauten Praxen in unvertrauter Umgebung stehen als auch für die selbstbewusste Betonung einer distinkten Identität. Es kann als notwendiges Mittel angesehen werden, um jederzeit in die Herkunftsgesellschaft zurückkehren und dort Anerkennung erhalten zu können. Es kann beeinflusst werden von der Haltung der Mehrheitsgesellschaft wie auch von der Haltung der migrantischen Community. Die Konfrontation mit der mehrheitlichen Ablehnung von Exzision oder eine neu gewonnene Erkenntnis über mögliche Zusammenhänge zwischen der eigenen Exzision und körperlichen sowie psychischen Beeinträchtigungen kann zu einer erschütterten Selbstwahrnehmung führen, die zutiefst verwirrend und belastend sein kann (Lightfoot-Klein 1999: 102). Einige traditionelle Werte können aufrechterhalten werden, während sich nichtsdestotrotz die Einstellung zur Notwendigkeit von Exzision ändern kann (Johnsdotter 2007: 108f.). Ideen und Einflüsse können auf verschiedenste Weise interagieren, neue beziehungsweise hybride Handlungsmuster und Denkformen

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ausbilden und dabei auch konfligieren (Bhabha 1994). In jedem Fall stellt sich die Frage nach dem Umgang mit dem kulturellen Recht auf traditionelle Praxen im Verhältnis zu Menschenrechten, die Körper, Gesundheit und die freie Wahl schützen sollen. Damit einher geht die Frage nach gesetzlichen Verfahrensweisen mit Exzision auf der nationalstaatlichen Ebene. In einigen westlichen Staaten existieren explizite Gesetze gegen Exzision, so in den USA, in Kanada, in Australien, in Dänemark, in Frankreich, in Großbritannien und in Schweden (u.a. Kalthegener 1999, Oboler 2001, Gunning 2005). Auf dem afrikanischen Kontinent ist Exzision in Burkina Faso, der Elfenbeinküste, der zentralafrikanischen Republik, Eritrea, Dschibuti, Ghana, Guinea, Niger, Tansania, Togo, Benin, im Senegal, dem Tschad, in mehreren nigerianischen Bundesstaaten, in Kenia, Ägypten, Äthiopien und Uganda durch jeweils unterschiedlich weit reichende Beschlüsse verboten worden (u.a. Rahman/Toubia 2000). In anderen Staaten gelten die vorhandenen Gesetze zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit als ausreichend, um Exzision als illegal einzustufen, so in Deutschland, in Italien und im Sudan (Ahmed 2006: 184, Peller 2002: 185ff., Grassivaro Gallo/Viviani 1999: 125). In anderen Ländern kam es entweder bislang zu keiner Lösung oder die Regierung hat sich gegen ein Verbot von Exzision entschieden. Die Existenz von Gesetzen hat jedoch wenig Aussagekraft über die tatsächliche Verbreitung der Exzision, da Gesetze stets umgangen und unterlaufen werden können. Exzision kann ins Ausland oder ins Verborgene verlagert oder offen und dennoch unsanktioniert vorgenommen werden. Zudem spielt nicht nur der nationale Kontext eine grundlegende Rolle, sondern auch substaatliche Bedingungen, die durch den zivilrechtlichen Status der Betroffenen, medizinische Versorgungsbedingungen, eine ländliche oder urbane Umgebung, die jeweilige Community und den Zugang zu Ressourcen geprägt werden (s.a. Hernlund/Shell-Duncan 2007: 3). In den wenigsten Ländern, ob mit oder ohne explizite Gesetzgebung zur Kriminalisierung von Exzision, finden tatsächlich Strafverfolgungen statt (Rahman/Toubia 2000, Oboler 2001). Kommt es doch zu Prozessen, so schwanken die gerichtlichen

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Entscheidungen zwischen dem Insistieren auf kultureller Anpassung und dem Verweis auf kulturelle Differenz (Obiora 1996/1997: 281). Frankreich nimmt in gewissem Sinne eine Sonderrolle ein, weil es nur in diesem westlichen Land tatsächlich regelmäßig zu Prozessen gegen Eltern und Beschneider/innen kommt.93 Die Verhandlungen werden stets von breiten zivilgesellschaftlichen Debatten über die Legitimität von kulturellen Praxen, über die Bedeutung kultureller Menschenrechte und über den Sinn von Illegalisierung begleitet (Winter 1994). Auch auf allgemeiner sozialwissenschaftlicher Ebene wird die Frage der Abschaffung durch die Legislative kontrovers diskutiert. Eine entsprechende Gesetzgebung könnte diejenigen Frauen, Mädchen und Gruppen unterstützen, die Exzision bekämpfen (Mackie 2000: 278). Sie würde wichtige und notwendige Diskussionen entfachen (Ginsburg 1991: 18, Abdalla 2006: 203). Gesetze können notwendig, aber dennoch nicht ausreichend zur Abschaffung von Exzision sein (Abusharaf 2006: 9, Oboler 2000). Dagegen wird jedoch auf die Gefahr verwiesen, dass eine Illegalisierung potentiell diskriminierend, rassistisch und zudem wirkungslos sei. In Einwanderungsländern würden spezifische Gesetze gegen Exzision nur bestimmte Gruppen mit Migrationshintergrund betreffen, es handele sich demnach um Gesetze, die nicht alle Menschen gleichermaßen erfassen würden (Peller 2002: 180, vgl. Winter 1994: 940). Würden Gesetze verabschiedet, die nicht in Zusammenarbeit mit Betroffenen oder deren Vertreter/innen entwickelt werden, könnten sie unbeabsichtigte Folgen wie die Angst vor dem Gynäkologenbesuch zeitigen, was dem Ziel der Abschaffung nicht dienlich sei (Gunning 2005: 122). Gerade Gesetze auf nationaler Ebene, die in einem konkreten Umfeld wirken, müssten den auf internationaler Ebene durchaus sinnvollen Symbolcharakter hin zu sensibler und realer Umsetzung überschreiten (ebd.: 120). In den Primärländern dagegen würden durch Verbote nahezu alle Mitglieder einer Bevölkerung kri-

93 Der erste Prozess wurde 1979 geführt, als ein Säugling an den Folgen einer Exzision starb (Winter 1994: 944).

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minalisiert werden, was ohne Methoden von „Massenterror“94 kaum durchsetzbar sei (Mackie 2000: 278). Zudem könnten Gesetze keine Einstellungen ändern und keinen kulturellen Wandel herbeiführen (van der Kwaak 1992: 784). So bestehe die Gefahr, dass die Praxis weiterhin betrieben werde, nur könne sie durch die Illegalisierung in den Untergrund gedrängt werden, was mit einem erheblich höheren Gesundheitsrisiko für die Mädchen einhergehe (Peller 2002: 188, ShellDuncan/Hernlund 2000: 33). Es sei für Migrant/innen außerdem nicht begreifbar, warum Werte, die in ihrer Herkunftsgesellschaft von zentraler Bedeutung waren, nun im Einwanderungsland als etwas Schlechtes und Verbotenes gelten würden (Peller 2002: 181). Das werfe das zentrale ethische Problem auf, Eltern für etwas zu bestrafen, das sie für das Beste für ihre Kinder hielten (Oboler 2001). Exzision könne der Suche nach Sicherheit und Vertrautheit dienen, da Migrant/innen mit Identitätsproblemen zu kämpfen hätten (Talle 2008). Die Möglichkeit oder die konkrete Ankündigung eines kommenden Verbotes könne dazu führen, dass Eltern ihre Töchter wesentlich jünger der Exzision unterziehen, um dem Verbot zuvorzukommen. Dies war 1945 im Sudan der Fall (Boddy 2008: 5) und zur Jahrtausendwende in Gambia (Hernlund 2000: 243). Das könne wiederum Exzisionen in noch größerem Ausmaße oder „versehentliche Infibulationen“95 zur Folge haben, weil bei den Geschlechtsorganen sehr junger Mädchen kaum exakt bestimmbar sei, wie viel amputiert werde (ebd.: 244). Den Diskussionen in Frankreich kommt besondere Bedeutung zu. Hier lassen sich Argumentationsgänge nachzeichnen, denen zentral der Respekt vor anderen Kulturen, das Recht auf ein privates Familienleben und auf die Ausübung der eigenen Kultur und Religion zugrundeliegt (Verdier 1991: 5, vgl. Winter 1994: 952ff.). Bewertungen seien demnach nur auf Basis eigener kultureller Anschauungen und nicht von außen möglich; die Definition darüber, was Verstümmelung bedeute, sei somit immer abhängig vom jeweiligen kulturellen Hinter-

94 „mass terror“ 95 „accidental infibulations“

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grund (Erlich 1990: 162). Die französischen Diskussionen der 1990er Jahre wurden von einem Manifest geprägt, das von zahlreichen Soziolog/innen, Ethnolog/innen, Psychoanalytiker/innen und anderen Wissenschaftler/innen unterzeichnet wurde. Hierin wird betont, dass die „strafrechtliche Verurteilung eines Brauches, der, wie beispielsweise die Beschneidung, nicht die Ordnung der Republik bedroht und ihr damit entgegensteht, sie daher nur als in den Bereich privater Entscheidungen gehörend verstanden werden kann“96, ein Zeichen größter Intoleranz sei (Lefeuvre 1989: 162f.). Problematiken kulturrelativistisch geprägter Argumentationen lassen sich im Anschluss daran auf mehreren Ebenen aufweisen. In der Herangehensweise von französischen Exzisionsbefürworter/innen wie Verdier und Erlich wird auf ein klassisches und rassifizierendes Kulturkonzept zurückgegriffen, da ‚die afrikanische Kultur‘ als statisch und unbeeinflussbar homogenisiert wird. Es wird unterstellt, dass afrikanische Frauen Exzision grundsätzlich mit Freude ertragen und generell weniger unter solch einem Eingriff leiden würden als weiße Frauen (vgl. kritisch Winter 1994: 955f.). In französischen Gerichtsprozessen gegen Beschneider/innen und Eltern wird als zentrale Verteidigungsstrategie angeführt, dass jene lediglich gemäß kollektiver Traditionen handelten und individuell nicht schuldfähig seien. Unterstützt wird dieses Argument in einer extremen Ausprägung durch psychiatrische Gutachten, die den Betreffenden attestieren, dass sie nur über ein „Gruppen-Überich“ verfügten, das ihre Handlungen kontrolliere (Bitoun und Ferrey in Winter 1994: 949). Afrikaner/innen seien demnach nicht in der Lage, Individualität auszubilden. Im Gegensatz zu westlich Sozialisierten seien sie nur zu kollektiven Handlungen fähig (vgl. ebd.: 951). Daraus wird kurzerhand geschlossen, dass sie keiner Rechte bedürften, die ihre Individualität in der Privatsphäre schützen.

96 „la condamnation pénale d’une coutume qui ne menace pas l’ordre républicain et dont rien ne s’oppose à ce que, comme la circoncision par exemple, elle ressortisse à la sphère des choix privés“

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Unterstellt wird in dieser Perspektive unter anderem, dass die öffentliche von der privaten Sphäre dichotom getrennt werden könne. Letztere solle frei von allen staatlichen Einmischungen sein. Damit jedoch wird ein Bereich geöffnet, in dem Menschenrechte scheinbar keine Rolle spielen (dürfen). „Die Verbindlichkeit von gemeinsam geteilten Werten scheint nicht zu gelten, zumindest nicht nach Ansicht der Kulturrelativisten, wenn die körperliche Unversehrtheit von Frauen betroffen ist, und noch weniger für Frauen von Minderheitengruppen.“ Volle Rechte gelten dann für Frauen als Zivilbürger, aber nicht, wenn sie „nur geschlechtlich definiert werden, wenn ihre soziale Funktion auf ihre biologische Rolle zurückgeführt wird: Als Mutter und Sexualpartnerin (von Männern). So wird jede Frage bezüglich der Körper von Frauen in den Bereich der ‚privaten Sphäre‘ verbannt.“97 (Winter 1994: 952f.) In zweigeschlechtlich und hierarchisch organisierten Gesellschaften sind es Frauen, die der privaten Sphäre verhaftet bleiben und dort bereits strukturell einem Machtungleichgewicht ausgesetzt sind. In westlichen wie in nicht-westlichen Gesellschaften sind Frauen und Kinder von Misshandlungen und Unterdrückungen nach wie vor zuvörderst im häuslichen, im sogenannten privaten Bereich betroffen. An der geschilderten Argumentation zeigen sich deutlich die repressiven Dimensionen, die mit einer Hypostasierung der Kultur oder des Kollektivs in kulturellen Rechtsforderungen einhergehen können. Das unbedingte und uneingeschränkte Recht auf die Ausübung von Tradition, Religion oder Kultur bedeutet gleichzeitig die Schädigung von Individuen, in diesem Fall von Mädchen und Frauen, und steht der Idee der Allgemeinen Menschenrechte diametral entgegen. Die Betrof-

97 „adherence to a common set of values does not seem to apply, at least not in the opinion of the cultural relativists, where women’s bodily integrity is concerned, and particularly not where minority women are concerned.“; „defined purely in terms of gender, in which case their social function reverts to what is perceived as their biological role: that of mothers and sexual partners (of men). So any question relating to women’s bodies becomes relegated to the ‚private sphere‘ only.“

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fenen werden einer spezifischen, als homogen und abgeschottet vorgestellten Kultur zugeordnet, der sie sich nicht zu widersetzen haben. Individualität und individuelle Rechte müssen delegitimiert werden, um Exzision zu legitimieren. Dabei ist eine ethnifizierende und letztlich rassistische Argumentation nötig, um beides zu bewahren: Einerseits um in Einwanderungsländern das ‚eigene‘ individuelle Recht zu schützen, andererseits um die Legalisierung von Exzision der ‚Anderen‘ unter dem Schirm kultureller Rechte zu unterstützen. Denn die westliche Einforderung kultureller Rechte für die ‚Anderen‘ geht stets zugleich mit einer Abgrenzung des eigenen Rechtsraumes einher. Die kulturrelativistische Forderung nach verschiedenen Rechten für vermeintlich unterschiedliche Kulturen in einem Rechtsraum hypostasiert die Bedeutung, die Kultur für die Identität und die Lebenswelt eines Menschen einnimmt, und blendet alle anderen Faktoren und Dynamiken aus. Diesen Kulturalismus teilt sie mit dem auf völlige Anpassung abzielenden Nationalismus der sogenannten Leitkultur der Mehrheitsgesellschaft (vgl. kritisch Eriksen/Stjernfelt 2008). Das Recht auf Kultur kollidiert mit universellen Menschenrechten, wenn damit schädigende Praxen legitimiert werden. Auf der anderen Seite sind auch Abschaffungsbemühungen auf ihre Vorannahmen, Implikationen und Strategien hin zu befragen. Die Ablehnung von Exzision kann verschiedensten Zwecken dienen, „von der Verdeckung internationaler Ungerechtigkeiten; zur Unterbietung der Authentizität traditioneller […] Kultur unter dem Banner der islamischen Bewegung; zur Stärkung der Frauenbefreiung bis hin zur Durchsetzung strengerer islamischer Interpretationen zur Einengung von Frauenrollen.“98 (Gruenbaum 1996: 472) Zentral wird der Bezug auf Allgemeine Menschenrechte argumentativ für die Illegalisierung der Exzision eingesetzt. Die Praxis verletzt Rechte von Frauen, Kinderrechte, das

98 „from hiding international injustices to undercutting authenticity of traditional […] culture under the banner of the Islamist movement; to advocating women’s liberation; to advocating stricter Islamic interpretations of limitations on women’s roles.“

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Recht auf körperliche und sexuelle Unversehrtheit, das Recht auf Gesundheit oder auch das Recht auf Schutz vor Folter (vgl. BoulwareMiller 1985, Gunning 1991, Shell-Duncan/Hernlund 2000, Hernlund/Shell-Duncan 2007). Auch die menschenrechtliche Argumentation birgt jedoch Widersprüchlichkeiten und Schwierigkeiten. Sie kann ihr Ziel des Schutzes der Betroffenen verfehlen, wenn auf einer abstrakten Ebene weder soziale, ökonomische und politische Dimensionen noch die konkreten Lebensbedingungen von Mädchen und Frauen in der Migration in den Blick genommen werden. „Wir können darauf verweisen, dass Kultur eine Rolle spielt, aber in welchem Ausmaß sollte sie eine Rolle spielen und für wen?“99 (Moore 2007: 311) In der UNKinderrechts-Erklärung von 1959 beispielsweise wird das Recht der Kinder auf eine ‚normale‘ Entfaltung gesichert. Nun ist aber Exzision in den betreffenden Kontexten durchaus ‚normal‘ und wird von den Eltern im Interesse ihrer Kinder intendiert (Shell-Duncan/Hernlund 2000: 27, Boulware-Miller 1985, vgl. auch Eide 1995: 238f.). Der Bezug auf Allgemeine Menschenrechte ist auf deren Verankerung und auf Verbindungslinien zu den Betroffenen angewiesen. Zugleich – und das bildet die zentrale Schwierigkeit – kann er nicht auf lokal bereits vorhandene Ideen und Gegebenheiten beschränkt werden. Denn mit der vielbeschworenen Forderung nach Kontextsensibilität kann ausgeblendet werden, dass Repression keine nur subjektive oder intersubjektive Frage ist. Vielmehr müssen Strukturen und Verhältnisse in die Analyse eingehen, die den Menschen selbst zunächst verborgen sind, weil sie sich entweder subjektiv im Unbewussten oder objektiv ‚hinter dem Rücken der Beteiligten‘ (Marx) abspielen. Wesen und Erscheinung gesellschaftlicher Phänomene fallen auseinander. Das bedeutet auch, dass sie nicht allein durch bloße Erfahrung oder Beobachtung zugänglich sind. Eine reflexive Herangehensweise kann die dem Bewusstsein zunächst verborgenen Mechanismen und Dimensionen erforschen und offenlegen.

99 „We might argue that culture matters, but how much should it matter and to whom?“

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Aus diesem Grund kann eine Analyse der Exzision sich nicht ausschließlich auf individuelle Aussagen von Menschen aus den betreffenden Gesellschaften beschränken. Wenn Forscher/innen die wissenschaftlichen „Märchen“100 (Leonard 2000b) und die allgemeine „Standarderzählung“ (Hrzán 2005: 58) über Exzision ablehnen, wird zugleich ignoriert, dass es sich dabei nichtsdestotrotz um Ergebnisse umfangreicher Untersuchungen handelt. Wenn diesen ‚Märchen‘ als paradigmatisches Gegenbeispiel das kleine Dorf Myabé im Tschad entgegenhalten wird, in dem sich die Mädchen seit zwanzig Jahren ‚selbst‘ für eine Exzision entscheiden (denn vorher gab es die Praxis dort nicht) (Leonard 2000a, 2000b), dann werden ausschließlich subjektiv verhaftete Aussagen in den Bereich der Objektivität projiziert, ohne übergreifende Strukturen und Rahmenbedingungen oder gar die eigenen Vorannahmen in die Analyse mit einzubeziehen. Die befragten Mädchen in dieser Studie berichten, dass die Exzision schmerzhaft, aber nötig sei (Leonard 2000a: 185), dass sie dafür Geschenke und Bevorzugungen erhielten (ebd.), dass der Fokus auf der begleitenden Zeremonie und nicht auf der Exzision liege (ebd.: 183) und dass der genaue Vorgang nicht weitererzählt werden dürfe (ebd.: 186). Nicht nur in Myabé, sondern häufig ist die Unwissenheit der Mädchen über die konkrete Durchführung eine der basalen Bedingungen für die Exzision. Die Einwilligung in die schmerzhafte Praxis wird durch Belohnungen und Vorteile erkauft und kompensiert. Offen liegt als Begründung der Gruppendruck zutage, der von Gleichaltrigen ausgeht: „Ich musste es tun.“101 (ebd.: 185). Dokumentiert wird, dass die Exzision auch in Myabé Schmerzen verursacht, gesundheitliche Probleme bewirkt und mit der Beeinträchtigung sexueller Empfindsamkeit einhergeht (Leonard 2000b: 221, 2000a: 185). Anstatt nun auf einer scheinbar neutralen Analyseebene zu verharren, die behauptet, dass „[d]a nichts ist. Es nichts bedeutet“102 (Leonard 2000b: 223), wären vielmehr ergänzende

100 „tales“ 101 „I had to do it.“ 102 „There is nothing. It means nothing“

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(sozioökonomische) Untersuchungen notwendig, die aufzeigen, inwiefern das Aufkommen der Exzision in Myabé möglicherweise mit geringeren alternativen Zukunftschancen, steigender Armut oder anderen Faktoren korreliert. Sowohl auf Seiten von Exzisionsgegner/innen als auch auf Seiten von Exzisionsbefürworter/innen ist es verkürzt, alleinig an subjektiv verhaftete Aussagen oder an lokale Interessen und Werte anzuknüpfen. Vielzitierte ‚Authentische Stimmen‘, betroffene Frauen lassen sich von beiden Seiten instrumentalisieren. Ein nachvollziehbarer und verbindlicher Maßstab für Kritik ist damit noch nicht abgesichert. Es gilt, gerade auch Alltagskonzepte von Kultur, Identität und Authentizität ideologiekritisch zu hinterfragen. Anderenfalls lassen sich emanzipatorische kaum von repressiven Elementen trennen. Eine Unterscheidungslinie zwischen diesen Elementen verläuft zuallerletzt zwischen scheinbarer Authentizität und Künstlichkeit (im Sinne eines Einflusses von außen). Eine kulturelle Perspektive bleibt repressiven Dimensionen verhaftet, wenn sie unmittelbar an einem scheinbar authentischen Alltagsverständnis ansetzt, statt dieses selbst kritisch in die Analyse aufzunehmen (vgl. Mende 2009b: 120). Notwendig ist eine Ideologiekritik, die individuelle Interessen auf ihre gesellschaftlichen Bestimmungen hin überprüft, in die sie eingebettet sind. Exzision kann dann nicht einfach strategisch instrumentalisiert werden, sondern Konzepte von Identität, Kultur, Zweigeschlechtlichkeit, Heteronormativität, Authentizität, Patriarchat oder ethnischem Chauvinismus können analysiert und hinterfragt werden – von Nicht-Betroffenen gleichermaßen wie von Betroffenen. Die universelle Gültigkeit von Menschenrechten hat sich für ein größeres Verständnis eigener Diskriminierungs- und Unrechtserfahrungen als von zentraler Bedeutung herausgestellt (Wölte 2008: 218ff.). Das Bewusstsein, dass Exzision eine Menschenrechtsverletzung ist, wächst durch entsprechende Bildungsangebote. In vielen Forschungen ist ein positiver Zusammenhang zwischen Bildung und einer kritischen Einstellung gegenüber Exzision aufgewiesen worden (Koraim/Ammar 1965a, 1965b, El Dareer 1982, Oboler 1985: 91, Robert-

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son 1996: 629f., Orubuloye et al. 2000, PRF 2001: 15, Mackie 2003: 142). Das Wissen über Machtverhältnisse, über Ungleichheiten und über die Existenz von Rechten, die grundsätzlich allen Menschen zukommen, stärkt Betroffene, sich gegen Repressionen einzusetzen (Wölte 2008, Afkhami 1996). Dementsprechend wird ein breites Bildungsangebot als fester Bestandteil in zahlreichen Programmen gegen Exzision installiert (u.a. Diop/Askew 2006, El Bashir 2006, Abdalla 2006, Oboler 2001, Mackie 2000). „Traditionen und Verhaltensweisen mit solch einer langen Geschichte zu ändern, ist nicht leicht. Wenn jemand ein Problem nicht versteht, kann er es nicht leicht richtig einschätzen. Wenn man seine Gesundheit nicht versteht, kann man nicht die Folgen von FGC einschätzen, und wenn man nicht damit fortfährt, Menschen zu bilden, werden sie es nicht verstehen. Alles, wonach wir 103

streben, ist Wissen. Wissen wird die Einstellung der Menschen ändern.“

(Mansata, ehemalige Beschneiderin aus Gambia im Jahr 2000 in Abusharaf 2006: 1)

Voraussetzung für eine Einstellungsänderung ist jedoch nicht nur ein auf Wissen basierendes Verständnis der relevanten gesellschaftlichen Verhältnisse. Bildung allein ist kein Garant für die Beendigung der Praxis. Keineswegs ist kultureller Wandel ausschließlich „das Produkt denkender Menschen, die aktiv ihre besten Interessen aufspüren und die argumentieren und entscheiden“104 (Gruenbaum 2000: 51). Vielmehr sind die Möglichkeiten und Grenzen solch eines angestrebten

103 „Changing traditions and behaviors that have such long histories is not easy. When one does not understand a problem it is not easy to appreciate it. If you do not understand your health, you cannot appreciate the problems of female genital cutting, and if you do not continue to educate people they will not understand. All we are seeking is knowledge. Knowledge will change people’s attitudes.“ 104 „the product of thinking human beings who actively search out their best interests and who argue and decide“

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Wandels von Machtinteressen, Hierarchien, strukturellen Zwangsverhältnissen und Widersprüchen durchsetzt. In Kenia beispielsweise stieg mit dem sich verbreitenden Schulbesuch von Mädchen die Exzisionsrate (wieder) an, da von ihren Familien befürchtet wurde, sie würden durch die Bildung unabhängiger werden und sich nicht mehr ihren (zukünftigen) Ehemännern unterwerfen. Dieser Entwicklung sollte mit der Exzision entgegengesteuert werden (Thomas 2000: 147 für den Distrikt Meru, Shell-Duncan et al. 2000: 121 für die Rendille). Deutlich zeigt sich der Doppelcharakter von Kultur auch innerhalb von Abschaffungsbemühungen auf. Individuell lässt sich in den wenigsten Zusammenhängen die Exzision beenden. Selbst Gegner/innen der Praxis müssen sich beziehungsweise ihre Töchter beschneiden lassen, um innerhalb des gegebenen Rahmens handlungsfähig zu bleiben. Aber wenn „man dem tragischen Umstand nicht entkommen kann, dass man ein Leiden ertragen muss, um daraus einen Vorteil zu ziehen, bedeutet das nicht zu glauben, dass es sich dabei nicht um Leiden handele.“105 (Mackie 2003: 150) Für eine Veränderung durch Bildung braucht es zudem Zeit und die finanziellen Mittel, um Bildungsangebote wahrnehmen und sie für das eigene Leben fruchtbar einsetzen zu können. Urbanisierung trägt als weiterer Faktor zu einer Ausdifferenzierung und Vervielfältigung von Lebensweisen und Identitäten bei und verringert die soziale Kontrolle (vgl. auch Peller 2002: 148, Mackie 2000: 272, Orubuloye et al. 2000: 92). Dementsprechend ist im sogenannten Modernisierungs- und Entwicklungsansatz (development and modernization approach) nicht nur Bildung, sondern auch die Schaffung ökonomischer Alternativen zentral, die es Frauen ermöglicht, unabhängig von Familie und/oder Ehemann zu agieren (u.a. Sargent 1991, Gruenbaum 1982, 1996, PRF 2001: 18). Ein solches Empowerment ermöglicht Frauen verbesserte Zugänge zu politischer und ökonomischer Partizipation. Doch auch hierbei gibt es keine Automatismen und Erfolg

105 „one cannot escape from the tragic circumstance of having to suffer a harm in order to obtain a greater benefit, that does not mean that one believes there is no harm.“

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ist nicht zwangsläufig garantiert. Die ökonomische Dimension kann zudem kaum ohne Einbeziehung internationaler Beziehungen und Verhältnisse diskutiert werden (Gruenbaum 2000: 52). Vielfältige Kampagnen, die mit den Frauen und Männern vor Ort gemeinsam Handlungsstrategien entwickeln (community-based approaches), stellen sich als bislang erfolgreichste heraus (PRF 2001: 18, Mohamud et al. 2006, Abdel Hadi 2006, Diop/Askew 2006). Tatsächlich gibt es, entsprechend der verschiedenen Formen und Funktionen von Exzision, nicht die eine ideale Vorgehensweise, die Exzision ein für allemal an jedem Ort nachhaltig abschaffen kann. Ergänzend muss die Herstellung ökonomischer Unabhängigkeit von Frauen durch entsprechende rechtliche Absicherung unterstützt werden – nicht nur das Verbot von Exzision betreffend, sondern es ist eine Zivilgesetzgebung nötig, die in Bezug auf Ehe, Eigentum, Erbe, Versorgung der Kinder etc. Geschlechtergleichheit herstellt und garantiert. Exzision „ist nur eines von Dutzenden von Hindernissen, die einem ausgewogenen Leben von Frauen entgegenstehen“106 (Gruenbaum 2000: 52, 1982: 8). Die Diskussionen um Exzision haben mittlerweile – glücklicherweise – längst ein internationales Niveau erreicht, hinter das nicht mehr zurückgefallen werden kann: Betroffene Frauen setzen sich vermehrt für westliche Hilfe ein und verwalten westliche Hilfsgelder selbst (ShellDuncan/Hernlund 2000: 24). Internationale Konferenzen finden statt, die den Austausch und die Zusammenarbeit zwischen Menschen und Organisierungen verschiedener Regionen und unterschiedlicher politischer Ebenen ermöglichen (Orubuloye et al. 2000: 28f., Merry 2006b). Migrationsbewegungen haben die zeitgenössische Exzision zu einem relevanten Thema für Einwanderungsländer gemacht. Die Thematisierung und Kritik von Exzision ist zudem zentral für geschlechtsspezifische Reformierungen des Asylrechts, welches für Frauen eine Möglichkeit bieten könnte, der Exzision zu entkommen (Mackie 2003: 135, Shell-Duncan/Hernlund 2000: 38, Kalthegener 1999). Spätestens all diese Entwicklungen lassen Forderungen nach einer westlichen Nicht-

106 „is only one of dozens of obstacles to balanced lives for women“

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Einmischung in lokale Macht- und Herrschaftsverhältnisse (mindestens) unangemessen erscheinen. Eine eingehende Analyse von Exzision kommt trotz der Kenntnis ihrer verschiedenartigen Formen, Bedeutungen und gesellschaftlichen Funktionen nicht umhin, die Praxis als repressive und als Verstoß gegen die Menschenrechte zu kennzeichnen. Diese Einschätzung ist nur auf der universellen Grundlage möglich, dass Menschenrechte wie das Recht auf körperliche Unversehrtheit und auf Selbstbestimmung allen Menschen zukommen. Mit einer kulturrelativistischen Analyse, welche die Hintergründe für Exzision zunächst offenlegt, ist es möglich, die Mechanismen der Praxis zu verstehen und daraufhin Abschaffungsstrategien zu entwickeln. „Was zu oft bei Geißelungen des Kulturrelativismus vergessen wird, ist die Tatsache, dass das Verstehen einer Praxis nicht dasselbe bedeutet wie sie zu billigen.“107 (Boddy 1991: 16, s.a. Gruenbaum 2005: 429) Abschaffungsstrategien selbst können wiederum nur vor dem Hintergrund einer universalistischen Perspektive auf Emanzipation oder auf die Verminderung von Leiden formuliert werden. Kulturrelativismus hat somit seine Grenzen nicht, wie vielfach von universalistischer Seite behauptet, an der Exzision, „der Stelle, wo ein Schlussstrich gezogen werden sollte“108 (Konnor 1990: 5). Andererseits sollte dies nicht zu dem Kurzschluss führen, dass „genug genug sei“ und man die „Hände davon lassen“109 müsse (Scheper-Hughes 1991: 26). Die Grenzen des Kulturrelativismus liegen in ihm selbst, wenn Kritik und Reflexion im herrschaftsblinden Blick verunmöglicht werden. Die Problematiken, aber auch die Herausforderungen kontextsensibler Abschaffungsstrategien führen vor Augen, dass eine statische, hypostasierte und abschlusshafte Formel für eine universalistische oder eine kulturrelativistische Perspektive nicht zu konzeptualisieren ist. Vielmehr ist eine ständige Reflexion auf ihre Vermittlung und

107 „What is too often elided in castigations of relativism is the fact that understanding a practice is not the same as condoning it.“ 108 „one place where we ought to draw the line“ 109 Im Original lautet die Forderung: „Hands off! Enough is enough!“

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eine Hinterfragung der jeweiligen Gegebenheiten notwendig. Deutlich zeigt sich dann die Verwobenheit der politischen, ökonomischen, kulturellen und sozialen Dimensionen. Die Feststellung von Verwobenheit allein, dass schlicht alles mit allem verbunden sei, genügt jedoch nicht. Der spezifischen Art der Interdependenzen, der Widerspruchsverhältnisse und ihrer Bedeutungen muss nachgegangen werden. Der Reflexion obliegt es, die jeweils vorhandenen repressiven und emanzipatorischen Momente herauszuarbeiten, konstitutiv in sich aufzunehmen und weiterzuentwickeln zu einer Verfahrensweise, die das Verhältnis von Emanzipation und Repression mitdenkt und bearbeitbar macht.

II.4 D IE P ERSPEKTIVE

DES FREIEN

W ILLENS

Eine basale Perspektive für die Diskussion um Exzision, um Kolonialismus, Gesundheit und kulturelle Rechte, um Kulturrelativismus und Universalismus, ist zentriert um die Frage nach dem freien Willen. Die Annahme, dass die Einwilligung der Betreffenden fehle, bildet ein zentrales Element universalistisch argumentierender Exzisionsgegner/innen. Für Zugänge, die der Exzision aus kulturrelativistischer Motivation heraus affirmativ gegenüberstehen, ist die Behauptung eines Konsenses ein ebenso starkes Argument. Auf beiden Seiten wird sich positiv auf die Frage des freien Willens bezogen, freilich unter verschiedenen Prämissen. Eine genaue Analyse der jeweiligen Vorannahmen und Implikationen ist daher unabdingbar. Zunächst werden im folgenden Kapitel anhand zentraler Thesen kulturrelativistische Argumentationsgänge offengelegt, um sie daraufhin im komplexen Feld der Begründungsmuster für Exzision auf ihre Haltbarkeit und Angemessenheit hin zu überprüfen. Im Anschluss daran können die Stärken und Schwächen kulturrelativistischer Zugänge im Verhältnis zu universalistischen Ansprüchen fundiert diskutiert werden. Der Kulturanthropologe Shweder (2002) stützt sich maßgeblich auf die Annahme eines Konsenses der von Exzision Betroffenen, um die

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von ihm favorisierten „Werte des Pluralismus“110 (ebd.: 212) zu verteidigen. Unterstützend liegt seiner Ausführung die (in Kapitel II.2 besprochene) These zugrunde, dass gesundheitliche Komplikationen nach der Exzision die Ausnahme und nicht die Regel seien (ebd.: 213). Shweder kritisiert Exzisionsgegner/innen dafür, dass sie ‚FGM als Totschlagargument‘ einsetzten (ebd.: 212) und bezeichnet das traurige Leitmotiv menschlicher Bewertungen als „gegenseitiges Igitt“111 (ebd.: 216). Damit soll beschrieben werden, dass allgemein die Praxen der jeweils ‚Anderen‘ als ekelerregend empfunden würden. Demgegenüber solle ein unbedingter kultureller Pluralismus gestärkt werden, der auf Toleranz basiere. Shweder greift damit auf die klassischen Motive einer kulturrelativistischen Argumentation zurück. Er bezeichnet die Infibulation, bei der alle externen Genitalien entfernt werden und anschließend die vaginale Öffnung bis auf einen kleinen Durchgang verschlossen wird, als „glatt streichen“112 (ebd.: 218). Die Exzision im Allgemeinen nennt er eine ‚Verbesserung‘ (ebd.: 224). Er zählt all die Faktoren auf, welche Exzision als etwas nicht Schmerzhaftes erscheinen lassen: Es handele sich um gewollte und beliebte Zeremonien (ebd.: 211), es entspreche anderen Schönheitsvorstellungen (ebd.: 216), es sei eine Verbesserung von Schönheit, Zivilisation, Weiblichkeit und Ehre (ebd.: 218), es sei ein Zeichen von Gleichheit, dass nicht nur Jungen, sondern auch Mädchen beschnitten würden (ebd.: 221). Frauen führten den Eingriff aus und Mädchen freuten sich auf ihn und auf das den Eingriff begleitende Fest (ebd.: 222). Nun entsprechen viele dieser Beschreibungen tatsächlich einzelnen Aspekten in Exzision praktizierenden Gesellschaften. Allerdings läuft solch eine kontextlose Aneinanderreihung von Versatzstücken und Oberflächenphänomenen allzu leicht Gefahr, die gesamte herrschende Praxis zu affirmieren und ihre repressiven Effekte zu legitimieren. Werden Einzelaspekte aus dem Zusammenhang gerissen oder gar hy-

110 „values of pluralism“ 111 „mutual yuck“ 112 „smoothing out“

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postasiert, wird eine informierte Einschätzung der sozialen, kulturellen und gesellschaftlichen Dimensionen der Praxis verunmöglicht. Somit verlässt Shweder zugleich den Boden einer kulturrelativistischen Argumentation, die dem eigenen Anspruch nach die spezifische Kontexteingebundenheit betont, und greift selbst auf ‚Totschlagargumente‘ zurück. Derart entkontextualisiert kann Shweder nun sein Argument des freien Willens ausführen: „[M]an stelle sich eine sechzehnjährige somalische Teenagerin vor, die in Seattle lebt und denkt, dass genitale Veränderung ‚eine gute Sache‘ sei. Sie mag das Aussehen des Körpers ihrer Mutter und des Körpers ihrer vor kurzem beschnittenen Cousine wesentlich mehr als das ihres eigenen. Sie will eine erwachsene und schöne Frau sein, im Somali-Stil. Sie will einen somalischen Mann heiraten oder zumindest einen Mann, der das Aussehen eines initiierten Frauenkörpers zu schätzen weiß. Sie will ihrer Solidarität mit anderen afrikanischen Frauen Ausdruck verleihen, die auf diese Art ihren Sinn für Schönheit, Höflichkeit und weibliche Würde demonstrieren, und sie teilt deren Sinn für Ästhetik und Anständigkeit. Sie sichtet die medizinische Literatur und entdeckt, dass die Operation sicher, hygienisch und ohne größere Auswirkungen auf ihr sexuelles Lustempfinden durchgeführt werden kann. Nach der Beratung mit ihren Eltern und mit der vollen Unterstützung anderer Mitglieder ihrer Community entscheidet sie sich für die Fortsetzung der Tradition. Welches Gerechtigkeitsprinzip verlangt, dass ihr kulturelles Erbe ‚ausgerottet‘ und beendet werden müsse?“

113

(ebd.: 226f.)

113 „[I]magine a sixteen-year-old female Somali teenager living in Seattle who believes that a genital alteration would be ‚some thing very great.‘ She likes the look of her mother’s body and her recently circumcised cousin’s body far better than she likes the look of her own. She wants to be a mature and beautiful woman, Somali style. She wants to marry a Somali man or at least a man who appreciates the appearance of an initiated woman’s body. She wants to show solidarity with other African women who express their sense of beauty, civility, and feminine dignity in this way, and she shares their sense of aesthetics and seemliness. She

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Ähnlich argumentiert die Ethnologin Ahmadu, die die Erfahrung ihrer eigenen Beschneidung in Sierra Leone thematisiert (Ahmadu 2000), wo sie, die in den USA aufgewachsen ist und lebt, einen Aufenthalt bei ihrer Familie verbrachte. Sie kritisiert die Perspektive auf Abschaffung von Exzision als westlichen Zugriff und wirft diesem eine unzureichende Konzeptualisierung der Praxis vor. Demgegenüber stellt sie ihre eigene Exzision, bei der Klitoris und innere Schamlippen abgetrennt wurden, als ermächtigende Möglichkeit dar, sich zwischen den Welten zu bewegen (ebd.: 310) und mit verschiedenen Identitäten zu jonglieren (ebd.: 305). „Letztendlich ist es die Sache jeder Generation von Frauen zu entscheiden, ob sie diese Tradition aufrechterhalten oder ablehnen, ohne Angst und Druck von außen oder von innen.“114 (ebd.: 294) Ahmadu kontextualisiert zunächst ihren Zugang. Sie beschreibt, wie sie kurz vor ihrer eigenen Exzision, die von einem langen, ermüdenden und die Sinne benebelnden Fest begleitet wurde, darüber informiert wurde, was genau die Exzision beinhalten würde und dass diese Informationen gegen das sonst übliche und streng eingehaltene „Schweigegebot“115 verstießen (ebd.: 292). In vielen Gesellschaften ist die Exzision ein geheimnisumwobener Vorgang, über den die Mädchen vorher nicht in Kenntnis gesetzt werden (u.a. Thomas 2000). In Sierra Leone wird das Schweigegebot besonders aufmerksam gehütet. Die Exzision ist hier Bestandteil des Aufnahmerituals in den Geheimbund der Frauen – Bundo-, Bundu- oder Sande-Gesellschaft genannt.

reviews the medical literature and discovers that the surgery can be done safely, hygienically, and with no great effect on her capacity to enjoy sex. After consultation with her parents and the full support of other members of her community, she elects to carry on the tradition. What principle of justice demands that her cultural heritage should be ‚eradicated‘ and brought to an end?“ 114 „Ultimately, it is up to each generation of women to decide whether to continue or to reject this tradition without fear and coercion from outside as well as inside.“ 115 „code of silence“

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Der einflussreichste Männergeheimbund ist die Poro-Gesellschaft. Die transethnischen, dualgeschlechtlich organisierten Geheimbünde sind zentral für die zivilgesellschaftlichen Strukturen in Sierra Leone. Bundo verfolgt die sogenannten weiblichen Interessen Frieden durch Heiraten, sexuelles Verhalten, Fruchtbarkeit und Reproduktion. Poro ist für die sogenannten männlichen Interessen Krieg, Jagen und Landangelegenheiten zuständig. Eine Überschreitung dieser Trennung ist nicht erlaubt (Ahmadu 2000: 287).116 Geheim sind diese Bünde nicht aufgrund ihrer Existenz oder die Mitgliedschaft betreffend. Ihr Vorhandensein ist allgemein bekannt; in ländlichen Gebieten beläuft sich die Mitgliedschaft in den Bünden auf 95 Prozent der Bevölkerung (Rust 2007: 32). Geheim ist das Wissen um die Inhalte und eben auch um die Initiation in den Bund. Mädchen müssen, um in den Bund aufgenommen und somit überhaupt ein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft werden zu können, einen Initiationsritus durchlaufen, dessen Bestandteil die Exzision der Klitoris und der inneren Schamlippen bildet. Dadurch wird Kindern, die als biologisch geschlechtslos beziehungsweise als zweigeschlechtlich angesehen werden, ein kulturelles Geschlecht zugewiesen, durch das sie der weiblichen oder der männlichen Geheimgesellschaft zugeordnet werden können. Die heterosexuelle und dualgeschlechtliche Matrix basiert auf der Exzision der weiblichen Genitalien. Obwohl auch männliche Beschneidung durchgeführt wird, nimmt letztere keine derart zentrale Bedeutung im gesellschaftlichen Gefüge ein. Ein unbeschnittener Mann wird nicht als dieselbe Bedrohung wahrgenommen wie eine unbeschnittene Frau (ebd.: 42f.). Ohne Exzision ist eine Frau vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen. Die Fähigkeit, gesunde Kinder zu gebären, wird ihr abgesprochen

116 Das zeigt sich auch in den jüngsten Bemühungen von Elizabeth Simbiwa Sogbo-Tortu, den Posten des paramount chief zu erhalten, der ihr nach geltendem Erbfolgerecht zustünde, ihr als Frau aber verweigert wird. Gegen ihre Kandidatur setzten sich vor allem Mitglieder der Poro ein (http://www.sierraexpressmedia.com/archives/4472, Zugriff 30.12.2009).

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(Ahmadu 2000: 288f.). Politischer, ökonomischer und sozialer Erfolg ist ohne die Mitgliedschaft im Geheimbund kaum möglich. Ein weiterer Bestandteil des Initiationsrituals ist die Einweisung in angemessenes Verhalten einer Frau und Ehefrau, wozu auch Sexualerziehung gehört im Sinne von Wissen, wie ein Mann befriedigt werden könne. „Die Erziehung verfolgte das allgemeine Ziel, kulturelles Wissen weiterzugeben, das auf der Übernahme der traditionellen Sozialordnung abzielte und das Mädchen oder die junge Frau auf ein Leben in einem polygynen Haushalt vorbereitete“ (Rust 2007: 36). Allerdings verändert sich der Initiationsablauf in den letzten Jahren. Statt einer mindestens einjährigen Schulung wird der Initiationszeitraum auf eine bis drei Wochen in den Schulferien reduziert. Eine Tendenz zum cutting without ritual, zum Schneiden ohne Ritual zeichnet sich ab (ebd.: 100). Verstöße gegen das zentrale Schweigegebot werden sanktioniert und sind dementsprechend mit Angst besetzt. Das Tabu um die Initiation bewirkt zweierlei. Zum einen könnte das Wissen um die Praxis zu erhöhtem Widerstand unter den Mädchen und Frauen führen. Selbst nach der Exzision wissen viele Betroffene nicht, welcher Art von körperlichem Eingriff sie genau unterlagen (ebd.: 94). Das erzwungene Schweigen verhüllt die Heterogenität der Perspektiven auf die Praxis. Die in jüngster Zeit tatsächlich stattfindende teilweise Enttabuisierung der Thematik – unter anderem eine Errungenschaft von Aufklärungskampagnen – führt neben verstärktem Widerstand aber auch zu einer Zunahme von Zwangsexzisionen und der Vorverlagerung des Eingriffs auf ein jüngeres Alter, teilweise auf die ersten Lebensjahre eines Mädchens (ebd.: 101ff.). Ein zweiter Aspekt des die Initiation umgebenden Tabus wird demgegenüber dadurch gebildet, dass das Geheimnisvolle eine durchaus attraktive und anziehende Wirkung auf junge Mädchen ausüben und den Wunsch bestärken kann, Teil des Geheimnisses zu werden (ebd.: 77f.). Auch Ahmadu formuliert diesen Wunsch, den sie als den unbefangenen freien Willen der Mädchen kennzeichnet, und sie betont den ermächtigenden Charakter einer Mitgliedschaft in der Bundo-Gesellschaft (Ahmadu 2000: 299ff.). Tatsächlich bietet Bundo für

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die Frauen auch einen Rückzugsort vom Alltag, an dem (beispielsweise Genussmittel konsumierend) Grenzen überschritten werden dürfen. Zugleich wird damit die Funktion der Bundo-Gesellschaft, angemessenes weibliches Verhalten im Alltag herzustellen, aber keineswegs unterlaufen – im Gegenteil: Die Grenzüberschreitungen sind auf einen engen, nicht zu übertretenden Rahmen beschränkt (Rust 2007: 64ff.). Weitaus schwerwiegender wird der von Ahmadu betonte ermächtigende Charakter, der durch den Zugang zu gesellschaftlichen Handlungsräumen sicherlich hergestellt wird, auf einer weiteren Ebene beeinträchtigt: Das Verhältnis von Bundo und Poro ist kein gleichberechtigtes oder auch nur komplementäres, wie es zuweilen impliziert wird. Sondern die männliche Poro-Gesellschaft ist vor allem in ländlichen Gebieten117 der Bundo als Kontrollinstanz übergeordnet. Ranghohe Mitglieder der Poro fungieren nicht nur als Unterstützer, Berater, Supervisoren und Lehrer für Bundo-Praxen, sondern treffen letztendlich auch Entscheidungen. Über einen umgekehrten Einfluss von BundoMitgliedern auf die Poro-Gesellschaft liegen dagegen keine Berichte vor (ebd.: 68f.). All diese Aspekte werden von Ahmadu kaum berührt. Obwohl sie die Form ihrer eigenen Exzision als Ausnahmesituation erkennt, reflektiert sie nicht auf die Privilegiertheit ihrer Position – darauf, dass die Möglichkeit der Wahl keineswegs allen Mädchen zur Verfügung steht. Beide Autor/innen, Shweder und Ahamdu, imaginieren die Exzision als auf freier, informierter Wahl ohne sozialen oder ökonomischen Druck beruhend, keine Schädigungen nach sich ziehend und nahezu durchweg handlungsermächtigend. Die Behauptung einer Einwilligung der Betroffenen in die Praxis ist vergleichbar mit dem von Spivak am Beispiel der indischen Witwenverbrennung als zentrales nativistisches Argument herausgearbeiteten Postulat: „Die Frauen wollten tatsächlich sterben“118 (Spivak 1994: 93). Die gesellschaftstheoretische Blindheit

117 Zum Machtabfall der Poro in der Hauptstadt Freetown vgl. Knörr 2000: 81f. 118 „The women actually wanted to die“

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gegenüber Herrschafts- und Unterdrückungsverhältnissen zeigt sich besonders deutlich, wenn der scheinbar subjektive Standpunkt zum allgemeingültigen Konzept erhoben wird: Wenn sich die Frauen von der Praxis unterdrückt fühlen würden, so würden sie sie einfach abschaffen (Ahmadu 2000: 301). Um sich der Frage des freien Willens in allen Aspekten adäquat zu nähern, bietet es sich an, die vielfältigen Begründungsmuster für Exzision zu systematisieren und zu kategorisieren, um den jeweils erreichbaren Grad an Ermächtigung und Freiwilligkeit überprüfen zu können. Einerseits wird so der Kurzschluss abstrakter Aussagen vermieden, die der Komplexität und Verwobenheit von Exzision in gesellschaftlichen Moral- und Normensystemen nicht gerecht werden. Andererseits wird ein Zugang eröffnet, der einer kontextimmanenten Mystifizierung und einer scheinbaren kulturellen Unantastbarkeit entgegensteht. Folgende gesellschaftliche, politische, soziale und strukturelle Begründungsmuster lassen sich mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen zur Legitimation und Aufrechterhaltung der Exzision aufweisen: • • • • • • •

1) Tradition 2) Religion 3) Distinktionsmerkmal 4) Sexualität 5) Patriarchat 6) Heiratsfähigkeit 7) Übergangsritus

In Exzision praktizierenden Gesellschaften können durchaus mehrere Begründungsmuster Anwendung finden. Ebenso ist es möglich, dass von verschiedenen Mitgliedern derselben Gesellschaft verschiedene Legitimationsstrategien angeführt werden. Zudem kann am konkreten Fall zwischen Funktionen auf einer bewussten und auf einer unbewussten Ebene unterschieden werden.

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1) Tradition Tradition ist das von Befragten am häufigsten angegebene Motiv für das Festhalten an der Exzision (vgl. bspw. El Dareer 1982: 67, Carr 1997: 27, Orubuloye et al. 2000: 81). Der Verweis auf Tradition klärt jedoch noch nicht, wie und in welchem Zusammenhang die Praxis entstand und somit zu einer Tradition wurde. Vielmehr wird in Untersuchungen und Umfragen immer wieder deutlich, dass auf Tradition als Begründungsmuster zurückgegriffen wird, wenn ein weitergehender Einblick in Sinn und Zweck der Exzision fehlt. Tradition fungiert dann nicht nur als Platzhalter für mangelndes Wissen, sondern sie steht einerseits für scheinbare Selbstverständlichkeiten, letztlich für Unhinterfragtes. Andererseits geht mit dem Rekurs auf Tradition auch eine Verpflichtung einher, sowohl gegenüber der Gesellschaft als auch gegenüber den eigenen Ahnen: „Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass es unsere Tradition ist. […] Den dahinter liegenden Sinn kenne ich nicht. Wir übernahmen es von unseren Großeltern, die daran beteiligt waren, und darum beteiligen wir uns auch daran.“119 (Sameh Koromah in Rust 2007: 34) Der Bezug auf Tradition ist in diesen Fällen gleichbedeutend mit dem Unwillen oder auch der Angst davor, gesellschaftliche Konventionen zu brechen (Orubuloye et al. 2000: 81). Tradition steht somit in einem engen Zusammenhang mit Macht und gesellschaftlichem Zwang. „[W]ie alle Traditionen sind die sexuellen Verstümmelungen von Frauen nur insofern Traditionen, als dass die Betroffenen keine anderen Möglichkeiten haben als sie zu erleiden, unter Strafe der Exklusion aus ihrer Gemeinschaft. Sobald sie herausgefordert werden, erscheinen Traditionen als das, was sie

119 „I don’t know. I only know it’s our tradition. […] I don’t know the actual benefit behind it. We met it from our grandparents who were involved in it and that is why we are also involved in it.“

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sind: Als Ausdruck von einem Machtverhältnis, als Argumente der Gewalt.“120 (Quiminal 1990: 183)

Dem Begründungsmuster Tradition kommt darüber hinaus eine zentrale Bedeutung in den westlichen Diskussionen über Exzision zu. Lange Zeit diente Tradition als Marker zur Unterscheidung der ‚Anderen‘ von der eigenen, westlichen Gesellschaft und begründete die Dichotomie, die zwischen Tradition und Moderne eröffnet wurde. In kulturrelativistischen Ansätzen wurde der Begriff der Tradition positiv umgedeutet. Demnach sei eine Tradition innerhalb ihres eigenen, kulturellgesellschaftlichen Rahmens begründet und sinnvoll. Ein mangelndes Verständnis ihres Sinnes aus der Perspektive anderer Kulturen rechtfertige keine Einmischung. Tradition bilde die Grenze der Möglichkeit externer Bewertung. In einer zugespitzten Variante sei ein externes Verständnis schlechterdings nicht möglich. Nur „diejenigen, welche die selbe kulturelle Sprache sprechen“121, verstünden den Sinn einer Tradition und hätten das Recht, sie zu hinterfragen (Bishop 2004: 490). Innerhalb dieses engen kulturrelativistischen Rahmens wird der genuine Zusammenhang von Tradition und Macht außer Acht gelassen.122 Tradition wird als ein „Endpunkt ethischer Beurteilungen“ gesetzt, oh-

120 „[C]omme toutes les traditions, les mutilations sexuelles des femmes ne sont traditions que dans la mesure où les intéressées n’ont d’autres possibilités que de les subir sous peine d’être exclues de leur communauté. Dès lors qu’elles sont contestées, les traditions apparaissent pour ce qu’elles sont: expression d’un rapport de force, arguments d’autorité.“ 121 „those who speak the same cultural language“ 122 Es spielt für die Implikationen eines Argumentationsganges übrigens nur eine untergeordnete Rolle, ob zu Beginn eines Textes die Proklamation zu finden ist, man selbst sei ‚gegen‘ die Exzision (Bishop 2004: 474, Nnaemeka 2005: 3). Entscheidend sind die Argumentationsmuster, auf die zurückgegriffen wird und die sich in diesen Beispielen als kulturrelativistisch herausstellen.

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ne die Bedeutungen dieses „inhärent vagen“123 (Putman 2008: 395) und daher höchst unterschiedlich besetzbaren Begriffs zu analysieren. „Eine Tradition wird von einem Glaubensnetz gebildet. Eine Tradition stellt Menschen ihre Vorstellungen über telos, menschliche Natur, Gerechtigkeit und Rationalität zur Verfügung; diese existieren bereits als Prämissen, die der Person gestatten, Urteile über Handlungen oder Urteile darüber zu fällen, ob ein von der Tradition abgeleitetes Prinzip angemessen ist“124 (Bishop 2004: 485, Herv. i.O.).

Hier zeichnet sich dasselbe Problem ab, das bereits für einen klassischen Kulturbegriff diskutiert wurde (vgl. Kapitel I.3). Die Definition von Tradition als unhinterfragbarer Maßstab gerät in eine Statik, die kaum mehr auflösbar ist – erst recht nicht von außen. Dem liegt zum einen eine fehlende Vorstellung von Austausch und Einflüssen zwischen verschiedenen Kulturen und von unterschiedlichen Stimmen innerhalb einer Kultur zugrunde. „Welche ‚kulturelle Sprache‘ sprechen die jungen Frauen, die vor den Schmerzen und Leiden der weiblichen Beschneidung fliehen? Sind wir nicht fähig, ihre Schmerzen, ihre Ängste und ihre Hoffnungen zu verstehen?“125 (Putnam 2008: 397) Zum anderen fehlt im statischen Traditionskonzept ein Verständnis für Reflexionsmöglichkeiten, d.h. für einen bewussten individuellen Umgang mit der Tradition. Das Verhältnis von Tradition und Individuum wird als einseitig und unilinear unterstellt. Nicht eine bloße Umkeh-

123 „end point for ethical judgement“; „inherently vague“ 124 „A tradition is the web of beliefs. A tradition gives to people their notions of telos, human nature, justice and rationality; these already exist as the premises that will allow the person to go on to make a judgement about action or to make a judgment as to when a principle derivative from within the tradition is applicable“ 125 „What ‚cultural language‘ are the young women speaking who run away from the pain and suffering of female circumcision? Are we not capable of comprehending their pain, their fears, and their hopes?“

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rung des Verhältnisses wäre dem entgegenzusetzen, in der das Individuum völlig frei von Tradition, Kultur, sozialen Normen und Gesellschaft agiert, sondern dem Verhältnis liegt eine Beziehung zugrunde, in der beide Seiten miteinander vermittelt sind und sich gegenseitig konstituieren. Derart können gesellschaftliche Bezugssysteme als grundsätzlich hinterfragbar, kritisierbar und reflektierbar gefasst werden, in unterschiedlichem Ausmaße eingeschränkt oder ermöglicht durch Macht- und Herrschaftskonstellationen. Letztere können dann im Weiteren daraufhin überprüft werden, ob sie für die Individuen einer Gesellschaft handlungserweiternd oder handlungseinschränkend sind. Ein statischer Traditionsbegriff verhindert diese Analysezugänge. Die Frage nach den Möglichkeiten eines freien Willens kann so kaum adäquat beantwortet werden beziehungsweise wird das Verhältnis strukturell zuungunsten des Letzteren aufgelöst. 2) Religion Religion kann sowohl einen direkten Einfluss auf die Praxis der Exzision ausüben als auch einen indirekten Einfluss als zentrale Dimension im sozialen Zusammenleben. Vor allem dann, wenn „Religion einer der Hauptfaktoren ist, der das soziale Verhalten definiert“126 (Wangila 2007: 15), korrelieren die Begründungsmuster Tradition und Religion. Die unscharfe Trennung zwischen Säkularem, Kulturellem und Religiösem verstärkt die Rolle der Religion als allgemeine soziale Ordnung: Christliche, muslimische und indigene Verhaltensnormen oder mythische Vorstellungen bilden eine verbindliche und kaum hinterfragbare Melange aus Tradition, Mythos, Kultur und Religion.127

126 „religion is one of the main factors that define the social behaviour“ 127 Vgl. beispielsweise Wangila 2007: 106ff. für Kenia, Boddy 1991: 15 für den Sudan, Budiharsana et al. 2003: 9 für Indonesien, Abdalla 2006 für Somalia und Hicks 1996: 63ff. für den muslimischen Nordosten Afrikas.

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Obwohl Exzision in verschiedenen religiösen Gruppen verbreitet ist128 und darüber hinaus nicht in allen muslimischen Gesellschaften praktiziert wird, so stellt der Islam doch die am häufigsten mit Exzision in Verbindung gebrachte und diskutierte Religion dar. In GuineaBissau ist die Exzision bei muslimischen Gruppen (bei den Madinga, den Fula und den Biafada) zentral für die religiöse Identität: Nur beschnittene Frauen gelten als rein genug für religiöse Tätigkeiten. Religiös legitimiert wird die Exzision durch Stellen im Koran, anhand derer scheinbar ein Beleg für die Notwendigkeit der Praxis gefunden sei. Jedoch, so die lokale Begründung, seien diese Stellen so heilig, dass nicht jeder sie lesen könne (Johnson 2000: 220f.). In den kurdisch geprägten Gebieten im Nord-Irak ist Exzision mit einer Rate von 75,4 Prozent am stärksten unter sunnitischen Glaubensangehörigen verbreitet (WADI 2010: 18). Die shafi’i-Lehre, eine der vier sunnitischen Rechtslehren, bewertet Exzision im Gegensatz zu den anderen sunnitischen Schulen nicht nur als ehrenwert, sondern als unabdingbar, und sie gewinnt mit dieser Vorgabe zunehmend Einfluss in Südostasien (Clarence-Smith 2008: 15). In dieser Region tritt die Exzision, vorrangig in einer gemäßigten Variante, historisch erstmals mit der Verbreitung des Islam im dreizehnten Jahrhundert auf. Exzision markiert seitdem, neben ihrer Funktion der Kontrolle weiblicher Sexualität, vornehmlich die volle Aufnahme der Frauen in den Glauben, die mit dem Recht zu heiraten, zu gebären und in Moscheen zu beten verbunden ist. Mit dem selbstbewussteren Auftreten fundamentaler Bewegungen seit den 1970er Jahren weitet sich die Exzision in Südostasien nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ aus: Das Alter der betroffenen Mädchen nimmt ab, die ausgeführte Form wird allmählich extremer (Clarence-Smith 2008: 15ff., Budiharsana et al. 2003: 9f.). Auf der anderen Seite sind islamische Bewegungen historisch129 und gegenwärtig

128 In Kenia erhielten Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts die römischkatholischen und die orthodoxen Kirchen aufgrund ihrer Toleranz gegenüber Exzision großen Zulauf (Browne 1991: 247). 129 So 1821 im Sudan (Abusharaf 2001: 118).

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auch Initiatoren von Gegenkampagnen (El Bashir 2006: 156f.). Es existieren Fatwas (islamische Rechtsgutachten) sowohl für als auch gegen Exzision. In den vierziger Jahren etwa wurde im Sudan eine Fatwa erlassen, welche der Klitoridektomie gegenüber der dort verbreiteten Infibulation den Vorzug gibt (Gruenbaum 1996: 464). Ägyptische Fatwas von 1951 und von 1981 befürworten Exzision (Aldeeb AbuSahlieh 2006: 59). Auf einer Kairoer Konferenz sunnitischer Gelehrter wurde die Praxis 2006 verboten (Nehberg 2006). Die Haltung des Islam zu Exzision ist damit insgesamt kontrovers und es existieren sehr unterschiedliche Interpretationen und Auslegungen (vgl. auch Dorkenoo 1994: 37ff.). Zudem kann der gelebte Islam verschiedene Formen annehmen. In Gegenden mit hoher Analphabetismusrate finden eher populistische Versionen des Islam Verbreitung, welche die Praxis befürworten (El Bashir 2006: 155). Tatsächlich gibt es im Koran selbst keine expliziten Hinweise auf Exzision. Bekannt ist allerdings ein Hadith (Überlieferung des Propheten Mohammed), der eine eingeschränkte Form der Exzision statt der Infibulation nahelegt. Ein weiterer Hadith bezeichnet sie als ehrenwert (makruma) (Ali 2006: 105). Des Weiteren tragen die gängigen Koraninterpretationen über Jungfräulichkeit, Reinheit, Polygynie, die Gefährlichkeit weiblicher Sexualität und die gesellschaftliche Stellung der Frau zum Glauben an die Notwendigkeit der Exzision bei. Nichtsdestotrotz ist es sowohl Gegner/innen als auch Befürworter/innen der Exzision möglich, sich positiv auf den Islam zu beziehen. Ein strategischer Bezug auf den Islam in Abschaffungskampagnen gestaltet sich jedoch als zweischneidig. Abschaffungsbemühungen könnten einerseits als religiöse Beleidigung aufgefasst werden und fundamentalistische Bewegungen stärken (Clarence-Smith 2008: 20). Wenn dann religiöse Gründe für die Exzision gefunden oder hergestellt werden, könnte sich die Praxis auch in denjenigen muslimischen Ländern ausbreiten, in denen sie bisher nicht üblich ist (El Guindi 2006: 39). Die Elemente im Islam, die indirekt zu der Praxis beitragen, indem sie weibliche Ehre, Jungfräulichkeit und Reinheit in den Mittelpunkt stellen oder die nicht gleichberechtigte soziale Position von Frauen un-

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terstützen, sind zudem kaum zu unterschätzen. Die Abschaffung von Exzision unter Beibehaltung dieser anderen Momente verbleibt ein recht verkürztes Ziel. Kann andererseits kein religiöser Nachweis für die Praxis gebracht werden, könnte das zu ihrer Unterminierung beitragen. Jedoch sind islamische Interpretationen, die zur Bekämpfung der Praxis herangezogen werden, „nur erfolgreich mithilfe einer gut gemeinten, aber trügerischen Manipulation der Texte“ (Ali 2006: 109), die die tatsächlich mögliche und gelebte Bedeutung der Exzision in den islamischen Rechtsschulen verschleiert. Die enge Fragestellung, ob Exzision islamisch oder unislamisch sei, birgt letztendlich die Problematik, dass sie einem religiös-autoritären Rahmen verhaftet bleibt. Statt islamische Lesarten herzustellen, die Exzision kraft religiöser Autorität verbieten, wäre es demgegenüber vorstellbar, eine Lesart der Ahadith (Plural für Hadith) als historische Texte, die Transformation und Dynamik ermöglichen, zu stärken (ebd.: 109ff.). So könnten ein bewusster Umgang und Reflexion an die Stelle von religiöser Autorität treten. Letztlich dient das Begründungsmuster Religion oft eher als unhinterfragte Erklärung für gegebene soziale Normen und weist als solche strukturelle Ähnlichkeiten zum Muster Tradition auf. Allein mit den Parametern Tradition und Religion bleibt die Aussagekraft über Möglichkeiten und Räume des freien Willens auf einzelne empirische Fälle beschränkt. Dennoch lässt sich bereits auf dieser basalen Ebene eine deutlich repressive Tendenz erkennen. Weiterführend ist eine Perspektive auf die enge Verknüpfung von Religion und Tradition mit der jeweiligen Gruppenidentität sowie mit weiteren sozioökonomischen, ökonomischen und politischen Faktoren. 3) Distinktionsmerkmal Die Begründungsmuster Tradition und Religion sind eng verbunden mit der Funktion von Exzision als Distinktionsmerkmal. Während jedoch Religion und Tradition von den Betreffenden selbst als Grund für die Exzision angegeben werden, ist die Distinktionsfunktion meist auf

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einer anderen, unbewussten oder zumindest nicht explizit angeführten strukturell-gesellschaftlichen Ebene angesiedelt. Sie ermöglicht es, sich von anderen Gruppen abzuheben und stellt in der Regel ein Überlegenheitsgefühl her. Die Distinktionsfunktion lässt sich entlang verschiedener Parameter herausarbeiten. Zum einen diente und dient die Exzision als identitätsstiftendes Moment in antikolonialen Kämpfen. Exzision wird als Zeichen kultureller Selbstbestimmung und Unabhängigkeit stilisiert und soll eine eindeutige Trennlinie zwischen dem Traditionellen und dem Westlichen bilden. Das bewusste Bekenntnis zur Tradition wird als Gegenentwurf zur westlichen Lebensweise verstanden. Zum anderen markiert Exzision die eigene ethnische Kultur und Identität im Gegensatz zu anderen nicht-westlichen Ethnien oder Nationen. Im muslimischen Sudan dient die Infibulation zur Abgrenzung von ägyptischen, anderen afrikanischen und nicht-muslimischen Gesellschaften. Hier erfüllt sie die Doppelfunktion als ethnischer und als religiöser Marker (Sharkey 2003: 130). In Guinea-Bissau verschmelzen religiöse und ethnische Identität der Mandinga in der Exzision (Johnson 2000: 231). In Kenia spielt die Exzision eine zunehmend zentrale Rolle in interethnischen Auseinandersetzungen (Walley 1997: 417). Da Exzision als Distinktionsmerkmal nur dann funktioniert, wenn die Praxis in den jeweils anderen Gesellschaften nicht ausgeübt wird, geht ein weiterer untrennbarer Aspekt mit der ethnischen, religiösen und/oder antikolonialen Positionierung einher: Exzision verhilft zur Überlegenheit über Unbeschnittene. Unbeschnittene Frauen werden nicht als Frauen anerkannt. „Einige Leute machen so, wenn du sprichst: ‚Psst! Sie ist ein Feigling! Sie ist ein Feigling! Sie ging nicht da durch. Oooh! Bist du eine Frau? Oh, sieh dir das an, du bist keine Frau! Wenn du eine Frau bist, dann durchlauf die Initiation!

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Lass uns wissen, dass du eine Frau bist. Ich bin eine Frau!‘“130 (Aminata Marrah in Rust 2007: 73)

Damit wird gleichzeitig die Distinktionsfunktion verdoppelt und in die eigene Gesellschaft hineingetragen. Nicht nur zur Abgrenzung nach außen, sondern auch zur Abgrenzung von Frauen innerhalb der eigenen Gruppe wird Exzision genutzt. Unbeschnittene Frauen werden an den Rand der Gesellschaft gedrängt, der Zugang zur sozialen, ökonomischen oder politischen Sphäre und allgemeine Anerkennung wird ihnen verwehrt. Exzision wird zur Grundlage von Privilegien und zur unhintergehbaren Bedingung für Gruppenzugehörigkeit. Beschnittene Frauen in Sierra Leone „erhalten ihre kulturelle Überlegenheit über nicht initiierte/unbeschnittene Frauen aufrecht“131, stellt Ahmadu affirmativ fest (Ahmadu 2000: 301), ohne das herrschaftskonforme und ressentimentbehaftete Moment dieser Strategie zu reflektieren. Unbeschnittene Frauen werden in Sierra Leone bestenfalls mit Schimpfwörtern und Schmähliedern bedacht. Im Extremfall werden sie aus der Gemeinschaft ausgestoßen, indem sie nicht für die Gruppe kochen oder indem sie die einzige für Frauen erlaubte Wasserstelle im Dorf nicht benutzen dürfen (Rust 2007: 72ff.). Unbeschnittene Frauen der eigenen Gruppe oder anderer Gesellschaften als schmutzig, unwert oder als Prostituierte abzuwerten, legitimiert soziale Ausschlüsse und begünstigt zudem patriarchale Strukturen. Durch die konstruierte moralische Überlegenheit von Beschnittenen gegenüber Nicht-Beschnittenen wird nicht nur ein innergesellschaftlicher repressiver Grundkonsens produziert und reproduziert. Darüber hinaus kann neben der sozialen Ausgrenzung auch die öko-

130 „Some people do it when you are talking: ‚Zzzt! She is a coward! She is a coward! She didn’t went through. Oooh! Are you a woman? Oh, look at that, you are not a woman! If you are a woman, go through the initiation! Let us know that you are a woman. I am a woman!‘“ 131 „maintain their cultural superiority over uninitiated/uncircumcised women“

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nomische Ausbeutung und die politische Unterdrückung Unbeschnittener und anderer Ethnien gerechtfertigt werden (vgl. Gruenbaum 1988). Die Funktion als identitätsstiftender Marker verweist somit auf unterschiedliche, miteinander verwobene Dimensionen: Zum einen wird eine gemeinsame religiöse, geschlechtliche oder ethnische kollektive Identität gestärkt, welche bestimmte Machtkonstellationen innerhalb einer Gruppe unterstützt. Zum anderen sind damit auch handfeste ökonomische, soziale und politische Interessen im Verhältnis zu anderen Gruppen verbunden. Gemeinsam ist den Begründungsmustern Tradition, Religion und Distinktionsmerkmal, dass in relativ homogenen Gruppen eine sanktionslose Abweichung kaum möglich ist, da anderenfalls die für die Gruppenidentität zentralen Konstitutionsbedingungen unterlaufen werden würden. Exzision beruht in diesen Kontexten nicht auf autonomer, reflektierter Entscheidung, sondern auf Gruppenprozessen, die individuell und innerhalb der betreffenden Gesellschaft nur schwerlich durchbrochen werden können. Eine infibulierte Frau aus dem Sudan beschreibt dieses Dilemma: „Bräuche sind nicht zu durchbrechen. Darum glaube ich an Beschneidung. […] Aus diesem Grunde widersprach ich nicht der Beschneidung meiner Tochter. Ich unterstützte ihre Beschneidung, weil das der Brauch ist, und ich wollte so sein wie alle anderen in meiner Familie und in meiner Nachbarschaft. Meine Tochter hat jetzt Probleme; wenn sie ihre Periode hat, kann sie sich nicht bewegen. Ich denke, dass die Probleme, die ich mit meiner Familie hätte, wenn ich mich gegen diesen Brauch entschieden hätte, größer und schwerer lösbar wären. […] Ich bin überzeugt davon, dass Beschneidung schmerzhaft ist, aber unsere Familienangehörigen tun es nicht, um uns weh zu tun. […] Ich weiß, dass meine Familienangehörigen mir das im Namen des Brauches angetan haben, und im Namen des Brauches tat ich es meinen Töchtern an. All diese Din-

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ge sind mir bewusst. Ich verstehe sie, aber ich habe keine Möglichkeit, sie zu 132

ändern“

(Asha in Abusharaf 2001: 134).

Diese Aussage verdeutlicht nicht nur den repressiven Charakter der Exzision. Sie zeigt auch, dass Bräuche, die auf traditionellen, religiösen oder Distinktion bewahrenden Gründen beruhen, nicht automatisch und unhinterfragt von allen Mitgliedern einer Gesellschaft übernommen werden. Die Erkenntnis ist zentral, dass auch in homogen strukturierten Gesellschaften keine zwangsläufige Identität von kollektiven und individuellen Interessen vorliegt. Diese analytische Ausgangsbestimmung fehlt dem kulturrelativistischen Hinweis darauf, dass die indigene Konzeptualisierung von Rechten keine individuellen Rechte kenne, sowie dem damit einhergehenden Vorwurf, dass die individuelle Rechtskonzeption eine westliche (zugespitzt formuliert: eine imperialistische) sei. Aber schon das einfache Bewusstsein über den machtvollen Zwang kollektiver Sitten und Gebräuche, der gegen eigene Interessen verstoßen kann, deutet auf eine unhintergehbare Trennung von Individuum und Gesellschaft hin: Gesellschaftliche, kulturelle und/oder kollektive Interessen sind mit individuellen nicht unbedingt identisch. Diese Trennung negiert nicht das gleichzeitige Aufeinanderverwiesensein der beiden Pole. Aber sie deutet auf Möglichkeiten von

132 „Customs are unbreakable. That is why I believe in circumcision. […] For that reason I did not object to my daughter’s circumcision. I supported her circumcision because it is the custom, and I wanted to be like everybody else in my familiy and my neighborhood. My daughter is now experiencing trouble; when she gets her period she can’t move. I think that the problems I would face with my family would be greater and harder to deal with had I decided to abandon the custom altogether. […] I am convinced that circumcision is painful, but our relatives do not want to do it to us to hurt us. […] I feel that in the name of custom my relatives did that to me, and in the name of custom, I did it to my daughters. All of these things are in my mind. I understand them, but I have no way of changing them“

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Widerstand hin und darauf, dass kollektive, traditionelle und religiöse Bräuche einen potentiellen individuellen freien Willen fundamental beeinträchtigen können. 4) Sexualität Der weite Bereich der Sexualität umfasst Vorstellungen von (ritueller) Reinheit, (körperlicher) Sauberkeit, von Ehre, Jungfräulichkeit und weiblichem Sexualverhalten. Die jeweils mit unterschiedlichen Schwerpunkten versehenen Funktionen sind eng miteinander verwoben. Das Begründungsmuster Sexualität beziehungsweise die darunter fallenden Spezifika sind in der Regel auf einer bewussten Ebene der Funktionalität von Exzision angesiedelt. So werden Reinheit und Sauberkeit von Befragten oft als Grund für die Praxis angegeben (El Dareer 1982: 73). Die Notwendigkeit ritueller Reinheit tritt häufig in Verbindung mit Religiosität auf. Frauen, die als unrein gelten, müssen erst beschnitten werden, bevor sie des Gebetes beziehungsweise der jeweiligen religiösen Praxen würdig sind. Es gibt den Glauben, dass Beschneider/innen nach dem gelungenen Eingriff einen Wurm (el duda) herausspringen sehen, der das nun beseitigte Unreine verkörpert (Gordon 1991: 13). Einigen lokalen Bezeichnungen der Praxis ist dieses Begründungsmuster sprachlich eingeschrieben: Der in Ägypten gebräuchliche Begriff tahara bedeutet rituelle Reinheit. Das sudanesische khitan (Siegel) steht für Jungfräulichkeit. Die klassischen arabischen Ausdrücke khitan al inath und khifad verknüpfen den Eingriff mit religiösen Erfordernissen (Abdel Hadi 2006: 107, Okroi 2001: 15). Daneben ist auch körperliche Sauberkeit ein Motiv. Sekrete der weiblichen Geschlechtsorgane gelten in einigen Regionen als höchstgradig schmutzig oder sogar gefährlich. Die Entfernung der externen Geschlechtsorgane wird daher für notwendig gehalten, um der Verschmutzung vorzubeugen (Koso-Thomas 1987: 7). Diese Auffassungen können so wirkmächtig sein, dass die eigenen Genitalien vor der Exzision als physisch störend und krankheitserregend empfunden werden. Exzision wird dementsprechend vorgestellt als „eine gute Sache.

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Denn wenn du eine Klitoris hast, juckt es.“133 (Mami Saio in Rust 2007: 34) Die durch Exzision erlangte Reinheit dient wiederum der Distinktion von vermeintlich unreinen Frauen und der Erhöhung des eigenen sozialen Status. „Eine unbeschnittene Frau ist im Vergleich zu einer sunna-beschnittenen Frau nicht sauber, egal, wie sehr sie sich bemüht.“134 (Zakia in Abusharaf 2001: 126, Herv. i. O.) Eine unbeschnittene Vagina gilt nicht nur als unrein, sondern oft auch als hässlich und deformiert (ebd.: 122). Die Vorstellungen von Reinigung und Verschönerung der weiblichen Genitalien greifen so tief, dass Männer wie Frauen davon überzeugt sein können, Männer würden nur den Geschlechtsverkehr mit infibulierten oder beschnittenen Frauen genießen (Gruenbaum 2000: 50, 1996: 461, van der Kwaak 1992: 783). Das erhöhte Sexualempfinden des Mannes wird meist dem verengten Introitus zugeschrieben und bildet einen häufigen Grund für Reinfibulationen (Okroi 2001: 16). Nur wenige Forschungen weisen auf gegenteilige Aussagen von Männern hin (Koso-Thomas 1987: 11 und 36, Rust 2007: 105f.). Vor allem die Form der Infibulation, aber auch andere Exzisionstypen dienen zuvörderst der Kontrolle weiblicher Sexualität. Obwohl mitunter betont wird, dass es nicht um eine völlige Zerstörung der Lustfähigkeit gehe (El Guindi 2006: 37), so ist deren Einschränkung und Kontrolle ein in den betreffenden Gesellschaften anerkanntes und bekanntes Ziel. Dabei geht es zum einen um die Bewahrung von Jungfräulichkeit, um die Verhinderung von vorehelichem Geschlechtsverkehr, von Promiskuität, von Masturbation oder von vorehelichen Schwangerschaften. Einige Forschungen sprechen für die These, dass diese Funktion der Exzision sich vor allem in denjenigen Gesellschaften entwickelt hat, in denen sich eine räumliche Trennung zwischen den Geschlechtern als schwierig erweist, beispielsweise bei nomadisch lebenden und Hirtengruppen (Gordon 1991: 9, Hicks 1996: 219, Peller

133 „a good thing. Because if you have the clitoris it itches.“ 134 „The woman who is uncircumcised in comparison to one who is circumcised sunna is not clean no matter how hard she tries.“

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2002: 163). Zum anderen soll die Exzision die weibliche Sexualität im Allgemeinen eindämmen, da sie anderenfalls ungezügelt und nicht zu bändigen sei. „Diejenige, die da nicht durchgegangen ist [durch die Exzision, J.M.], wird nie befriedigt werden, sie wird nie müde. Auch wenn sie Tag und Nacht Sex hat, wird sie nie Befriedigung erlangen.“135 (Beschneiderin in Rust 2007: 47) Vor allem in polygynen Gesellschaften, in denen ein Mann mehrere Frauen befriedigen können soll, wird es als wichtig erachtet, die Leidenschaft der Frau so weit einzudämmen, dass sie vom (Ehe-)Mann beherrschbar bleibt und nicht selbst promiskuitiv wird. Umgekehrt sind diejenigen Frauen, deren Lustfähigkeit durch die Exzision entscheidend beeinträchtigt wurde, erleichtert, wenn sie in ihren sexuellen Pflichten von Mit-Ehefrauen entlastet werden. Eng verbunden mit der Kontrolle von Jungfräulichkeit vor der Ehe und von weiblicher Sexualität im Allgemeinen ist das Konzept der Ehre (Gruenbaum 1996: 461, van der Kwaak 1992: 781). Die Ehre des Mannes und die Ehre der Familie sind dann abhängig vom (Sexual-) Verhalten der Frauen. „Jede Familie oder Sippe muss diese Art von Ehre besitzen, die sie erwirbt, indem sich die Frauen der Familie gemäß diesen Anstandsregeln verhalten. Diese Ehre wird im Konfliktfall als wichtiger betrachtet als ein Menschenleben, denn ohne diese Ehre kann niemand in der tribal geprägten Gesellschaftsstruktur überleben.“ (Schirrmacher 2009: 13) Vor allem – wenn auch nicht ausschließlich – in muslimischen Gesellschaften sind die Konzepte von Ehre, Reinheit und sexueller Kontrolle zentral. Jenseits der männlichen oder familiären Kontrolle weiblicher Sexualität wird der weiblichen Kontrolle über die eigene – sonst als unbändig wahrgenommene – Sexualität auch eine Ermächtigung zugesprochen (Shell-Duncan/Hernlund 2000: 27, Silverman 2004: 431):

135 „The person who has not gone through will never get satisfied, never gets tired. Even if she has sex all day and night, she will never get satisfaction.“

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„Zum Beispiel, wenn sie einen Streit hat oder wenn sie will, dass ihr Mann etwas für sie tut, dann erlaubt ihr die Beschneidung die Kontrolle und die Fähigkeit, für eine lange Zeit auf Sex zu verzichten, bis sie ihn dazu bringt, das Problem exakt aus ihrer Perspektive zu betrachten. Ich glaube nicht, dass unbeschnittene Frauen das tun können; solche Frauen, wenn sie mit Männern streiten, und wenn sie der Mann vielleicht zwei Tage nach einem Streit berührt, werden sie erregt und vergessen sofort alle Probleme, nur, um Sex zu haben. Darum sind Frauen in sudanesischen Familien sehr, sehr stark. Ich schwöre, dass in einigen Haushalten die Frau so stark ist, dass der Mann keinen Atemzug ohne ihre Einwilligung machen kann. Das ist so, denke ich, wegen ihrer Macht über ihre sexuellen Bedürfnisse. Männer sind schwach, schwach und nochmals schwach. Sie würden alles tun, um eine Frau zum Sex zu besänftigen. Und die beschnittene Frau weiß daraus ihren Vorteil zu gewinnen […]. Obwohl ich in meinen Flitterwochen gelitten habe […], denke ich, dass der Schmerz verfliegt, aber die Beziehungen zwischen Männern und Frauen werden sehr gleichbe136

rechtigt und stark. Beschneidung verleiht einer Frau diese Macht.“

(Najat in

Abusharaf 2001: 130)

136 „For example, if she has a fight or if she wants her husband to do something for her, her circumcision will allow her to take control and be able to refrain from sex for a long time until she brings him to see the problem exactly from her view. I don’t think that uncircumcised women can do that; those women, when they fight with men, maybe two days later after a fight, if the man touches them, they become aroused and immediately forget the problems just to have sex. That is why in Sudanese families, women are very, very strong. I swear that in some houses the woman is so strong that her husband cant’t breathe without her consent. I think this is true because of her power over her sexual desire. Men are weak, weak, and weak. They will do everything to appease a woman for sex. And the circumcised woman understands how to take advantage […]. Although I suffered on my honeymoon […] I think the pain goes away, but the relationships between men and women become very equal and strong. Circumcision gives a woman that power.“

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Wenn die eigene Sexualität kontrolliert werden könne, könne der Ehemann mit Sexentzug erpresst und die eigene Macht in Haushaltsentscheidungen ausgeweitet werden. Nur so sei eine gleichberechtigte Beziehung zwischen Mann und Frau überhaupt möglich. Letztendlich, so die Schlussfolgerung, „erscheint Sexualität als zweischneidiges Schwert: Kontrolliert und geschützt kann sie die Quelle enormer Macht sein, ebenso kann sie aber auch die Quelle von Schwäche, Abweichung und Wehrlosigkeit sein“137 (Abusharaf 2001: 133f.). Wenn die Aussagen von Beforschten auf erweiterter Ebene kritisch in die Analyse eingehen und nicht als letztgültige Instanzen gesetzt werden, kann ein solches Verständnis von Gleichberechtigung dekonstruiert werden. Zudem liegt ihm der Glaube an eine unkontrollierte und irrationale weibliche Sexualität zugrunde, der übrigens auch in anderen gesellschaftlichen und kulturellen Zusammenhängen die Unterdrückung von Frauen legitimiert. Zwar gibt der Rekurs auf Gleichberechtigung innerhalb eines spezifischen Rahmens einen bestimmten egalitären Anspruch wider und beschreibt mögliche Umgangsformen mit Macht in repressiv organisierten beziehungsweise patriarchalen Gesellschaftsordnungen. Der Machtzuwachs für Frauen wird allerdings genau an der Stelle verortet, die die Abtrennung der eigenen Geschlechtsorgane bedeutet. Das ist die unreflektierte Kehrseite der Ermächtigungsthese. Sie blendet nicht nur den erlittenen Schmerz und die Preisgabe (weiblicher) Sexualität aus, sondern auch die repressive Grundstruktur, die eine solche Legitimierungsstrategie erzwingt. Die Anerkennung lokaler Begründungsmuster und Rationalisierungen kann sich daher nicht auf die bloße Affirmation vorfindlicher Sitten und Gebräuche beschränken. Vielmehr wird erst der Blick auf die unterschiedlichen Formen im Umgang mit patriarchalen, repressiven Verhältnissen einen Weg öffnen, um Möglichkeiten einer substantiellen Verbesserung zu erarbeiten. Dass das gelingen kann, zeigen erfolgreiche Pro-

137 „sexuality is represented as a double-edged sword: it can be a source of tremendous strength if controlled and safeguarded, but it can also be a source of weakness, deviance and feebleness“

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jekte, wenn genau diese „Vorstellungen [von Sexualität, J.M.], die die Macht des Patriarchats dokumentieren, in [dem ägyptischen Dorf] Deir El Barsha hinterfragt und geändert wurden, als die Praxis von FC/FGM abgeschafft wurde“138 (Abdel Hadi 2006: 122). 5) Heiratsfähigkeit Das Begründungsmuster der Herstellung von Heiratsfähigkeit wird in nahezu allen Exzision praktizierenden Gesellschaften bewusst und explizit angeführt. Unter anderem in Kenia, im Tschad, in Somalia und im Sudan ist die Heiratsfähigkeit einer der zentralen Aspekte der Praxis.139 Der hohe Verbreitungsgrad dieser Begründungsstrategie gibt Anlass zu der Vermutung, dass die verschiedenen Bedeutungen und Formen von Exzision sogar in allen betreffenden Gesellschaften auf die eine oder andere Art und Weise mit der Funktion der Heiratsfähigkeit verbunden seien (so Mackie 2000: 270, Peller 2002: 95). Ohne an dieser Stelle einer monokausalen Begründung Vorschub zu leisten, ist zumindest die Häufigkeit dieser Funktion signifikant, die äußerst unterschiedlichen Ausführungen der Praxis zugrundeliegt. Auch das oft angegebene Begründungsmuster Tradition kann in vielen Fällen auf die Sorge um die Heiratsfähigkeit der eigenen Töchter zurückgeführt werden. Diese Erklärung kennzeichnet die Eltern nicht schlicht als mit einem bösen Willen versehen, die ihren Töchtern Unrecht und Schmerzen zufügen, sondern als Eltern, die gemäß der lokalen Bräuche, denen

138 „attitudes, which register the power of patriarchy, were called into question and transformed in Deir El Barsha as the practice of FC/FGM was abolished“ 139 Vgl. Shell-Duncan et al. 2000: 127 und Mohamud 2006: 96 für Kenia, Leonard 2000a für den Tschad, van der Kwaak 1992: 777 und Abdalla 2006: 102 für Somalia, Gruenbaum 1982 und Abusharaf 2001: 131 für den Sudan. In ländlichen Gegenden in Ägypten werden nach der Exzision Zertifikate über die Bestätigung der Heiratsfähigkeit ausgestellt (ZenieZiegler 1985).

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sie individuell kaum entkommen können, die Zukunft ihrer Töchter sicherstellen wollen. Denn die Möglichkeit der Heirat kann für Frauen in rigiden Gesellschaftsformen gleichbedeutend sein mit dem bloßen Überleben. Insbesondere wenn der Zugang zu Löhnen, zu Besitz, zu Land oder zu Tieren nur über Männer möglich ist, stellt Heirat die nahezu alternativlose Option auf eine gesicherte Zukunft dar. Zentral für dieses Begründungsmuster ist darüber hinaus der soziale Gruppendruck, dem Eltern und Mädchen ausgesetzt sind. Auch hier gelten Unbeschnittene als unrein oder unwert, sowohl in den Augen potentieller Ehemänner als auch in den Augen weiblicher Altersgenossinnen. Das Muster der Heiratsfähigkeit ist gekennzeichnet durch eine starke lokale Interdependenz in der Entscheidung für oder gegen die Exzision: Nur in Verbund mit anderen kann innerhalb des gegebenen gesellschaftlichen Rahmens die Praxis beendet werden, ohne einen hohen sozialen Preis dafür zu bezahlen (Mackie 2000: 264f.). Der freie Wille der Frauen in diesem Rahmen beschränkt sich auf die Wahl zwischen der Exzision mit all ihren Folgen inklusive Heirat und Besitzrecht einerseits und dem Verzicht auf Exzision und damit dem Verlust eines angesehenen Status andererseits. Diese grundsätzliche Problematik weist auf die Tragweite der gesellschaftlichen Zumutungen für die Betroffenen hin. „Solange es keine akzeptablen Alternativen zu weiblicher ‚Beschneidung‘ gibt, bleiben Rendille-Frauen Frauen ohne eine Wahl.“140 (Shell-Duncan et al. 2000: 127) Wenn diese dichotom konzipierte Situation auch noch theoretisch legitimiert und unterstützt wird, scheint kaum ein ernsthafter Alternativenspielraum in Aussicht. Erst die Vervielfältigung von Handlungsoptionen ermöglicht eine nachhaltige Abwehr von repressiven Praxen. Abschaffungsstrategien mit solch einem erweiterten Ziel fokussieren beispielsweise auf die Bildung von Frauen und auf die Verbesserung ihrer ökonomischen, politischen und sozialen Situation. Eine andere Strategie konzentriert sich, gekoppelt an Bildung und Aufklärung, auf die ‚Entwicklung einer

140 „Until acceptable alternative solutions to female ‚circumcision‘ are found, Rendille women are women without choices.“

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kritischen Masse‘ von Exzisionsgegner/innen, die sich gemeinsam für die Beendigung der Praxis entscheiden und die einen eigenen Heiratsmarkt für Unbeschnittene bilden können (Mackie 2000, 2003, ähnlich auch das Projekt TOSTAN). Ergänzend wäre vielerorts die Schaffung neuer Zivilgesetze jenseits von Islam und Tradition notwendig, die die Rechte von Frauen auf Eigentum, auf Scheidung, auf ihre Kinder, auf Kinderbetreuung und auf ökonomische Unabhängigkeit stärken beziehungsweise zunächst einmal herstellen (Gruenbaum 1982: 8). Diesen Ansätzen liegt das Bewusstsein zugrunde, dass „selbst wenn jedes Individuum in der relevanten Gruppe einen Abbruch der Praxis bevorzugen würde, niemand individuell handelnd erfolgreich sein könnte“141 (Mackie 2000: 255). Dem Begründungsmuster der Heiratsfähigkeit liegt demnach keine autonom zu nennende Entscheidung des einzelnen Individuums oder der einzelnen Familie zugrunde. Zu sehr ist es von kollektiven Prozessen und sozialen Gegebenheiten abhängig und vorstrukturiert. Eine Abweichung von der Praxis ist nur bei Strafe des eigenen sozialen oder ökonomischen Untergangs möglich. Auch wenn die Betroffenen sich innerhalb des bestehenden Rahmens freiwillig für den Eingriff entscheiden, wird das durch die gegebene Alternativlosigkeit konterkariert. Von einem freien Willen der Frauen und Mädchen kann kaum die Rede sein. 6) Übergangsritus Die Funktion der Exzision als Übergangsritus (rite de passage) lässt sich meist nicht von dem Zweck der Heiratsfähigkeit trennen. Zugleich weist sie aber eigene zentrale Dimensionen auf, die sich nicht darunter subsumieren lassen. Übergangsrituale markieren immer das Überschreiten einer Schwelle (van Gennep 1986: 181f.). Sie bestehen aus

141 „even if each individual in the relevant group thinks that it would be better to abandon the practice, no one individual acting on her own can succeed“

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den drei Phasen der Trennung vom alten Zustand, zweitens der liminalen Phase, in der Tabus zeitweilig aufgehoben werden,142 gleichzeitig aber auch Identität nivelliert wird und Prüfungen bestanden werden müssen, sowie drittens der Eingliederungsphase in den neuen Zustand (Peller 2002: 31f., van Gennep 1986). „Für die Gesellschaft im historischen Kontext stellen Übergangsrituale eine regelmäßige Wiederkehr der sozialen Prozesse dar und ermöglichen so deren raum-zeitliche Ordnung.“ (Peller 2002: 29) Für die Initiandinnen dagegen sind die einzelnen Übergänge und Stationen einmalige Erlebnisse. Das Übergangsritual der Exzision dient der Markierung des Übergangs vom Kindes- in den Erwachsenen- beziehungsweise Frauenstatus. Bestandteil des Rituals sind häufig Ausbildungsphasen, die angemessenes weibliches Verhalten, die Unterordnung unter höhergestellte Frauen und unter (Ehe-)Männer, Rechtschaffenheit und Moral, unter Umständen auch die Fähigkeit, eigene Interessen innerhalb des vorgegebenen gesellschaftlichen Rahmens durchzusetzen, lehren (Ahmadu 2000: 300). Eine wichtige Rolle spielt die Funktion des Schmerzes bei Exzisionen. Schmerz wird positiv konnotiert. Er soll abhärten, erziehen, Ungehorsam abstrafen, auf das Leben vorbereiten, auf den Geburtsschmerz. Mit dem Zeigen von Stärke, indem der Schmerz still ertragen wird, soll die Lebensfähigkeit als Erwachsene unter Beweis gestellt werden. Auch Schläge, das Verätzen, das Wiederöffnen oder das Bestreuen der Wunde mit geriebenem Glas können Bestandteil des Rituals sein (Rust 2007: 56ff., Peller 2002: 34f.). Diese Funktionen bleiben auch bei veränderten Ritualabläufen bestehen, wenn beispielsweise der Initiationszeitraum verkürzt oder die Exzision medikalisiert wird. Das Ritual kann zeitlich mit der Pubertät zusammenfallen, es gilt aber auch dann als Übergangsritual, wenn es früher (beispielsweise im

142 Die Annahme, dass Exzision die männliche Überlegenheit herausfordere, weil während des Rituals Tabus gebrochen werden (so Skinner 1988), ist daher eine völlige Verkennung der liminalen Phase, die gesellschaftliche Machtverhältnisse durch den gesonderten Ausnahmecharakter letztlich bestätigt.

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Kleinkind- oder Kindesalter) oder später (zum Beispiel vor der Hochzeit) stattfindet, da der soziale Status im Mittelpunkt steht und körperliche und soziale Adoleszenz getrennt voneinander verhandelt werden können (vgl. Peller 2002: 99f., van Gennep 1986: 71f.). Wenn der Schwerpunkt auf der Herstellung nicht nur der Erwachsenen-, sondern der Frauenidentität liegt, dient die Exzision der Vereindeutigung zu einem weiblichen Geschlecht, indem alle vermeintlich männlichen Geschlechtsteile amputiert werden. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass eine unbeschnittene Klitoris ins Unermessliche wachsen und so dem männlichen Penis ähneln würde. Häufig ist diese Vorstellung mit dem Glauben an eine ursprüngliche Bisexualität oder Androgynität von Menschen oder von Göttern verbunden.143 Die Exzision stellt eine heterosexuelle und eindeutige Geschlechtsidentität her, der im jeweiligen gesellschaftlichen Kontext eindeutige geschlechtsspezifische Interessen, Fähigkeiten und Möglichkeiten zugeordnet werden. Gemeinsam ist den verschiedenen Formen, dass sie eine angemessene Erwachsenenidentität erschaffen sollen, die in GuineaBissau als knowing the eye bezeichnet wird (Johnson 2000: 223). Erst nach der Exzision als Übergangsritual erhalten Frauen alle geschlechtsspezifischen Rechte und Pflichten.144 Damit ist in der Regel auch das Recht auf Heirat und auf eigene Kinder verbunden.145 In mus-

143 Vgl. Strathern 1987b für die Hagen in Papua-Neuguinea, Ahmadu 2000: 295ff. für Sierra Leone, Abusharaf 2001: 123 für den Sudan. 144 Vgl. Browne 1991: 253 für die kenianischen Kikuyu und El Guindi 2006: 30 für die ägyptischen Nubier. 145 Vgl. bspw. Kenyatta 1971: 75ff. und Skinner 1988: 202 für Kenia. Die nigerianischen Yoruba dagegen führen die Notwendigkeit der Exzision auf die Überzeugung zurück, dass Neugeborene sterben, wenn ihr Kopf von der Klitoris berührt werde. Die Exzision der Klitoris nimmt zwar nicht die explizite Bedeutung eines Übergangsritus ein, dennoch sind auch hier die Fähigkeit und das Recht Kinder zu gebären und damit die Chancen auf Heirat daran gekoppelt. Zudem gilt die Klitoris als Opfergabe für erhöhte Fruchtbarkeit (Babatunde 1998: 181). Allerdings konnten

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limischen Dörfern im Sudan und in Somalia, wo das Übergangsritual vor oder während der Pubertät durchgeführt wird, müssen sich die Mädchen nach der Infibulation wie Frauen benehmen. Das bedeutet, sie dürfen nicht mehr mit Jungen spielen, sie müssen im Haus bleiben und sind einem strikten Verhaltenskodex unterworfen (Antoun 1968: 672, El Dareer 1982: 71, van der Kwaak 1992: 782). Zentral ist mit dem Übergangsritus in den Erwachsenenstatus die Konsolidierung gesellschaftlicher Ordnung verbunden. „Aus dem Individuum wird ein vergesellschafteter Körper, ein ‚Stück Wir‘. In diesem Sinne ist die Exzision, wie andere Übergangsrituale auch, eine Machtdemonstration der Gesellschaft gegenüber dem Individuum. […] Uniformierung und der Schmerz [sind] doch obligatorisch. Folgt die Initiandin diesen Maximen nicht, hat sie mit Sanktionen zu rechnen.“ (Peller 2002: 33)

Die Markierung der Gruppenzugehörigkeit findet am Körper als dem Medium für soziale Kontrolle statt und dient als Kennzeichen der Loyalität zur Gemeinschaft. Es wird eine Identität erschaffen, für die nicht das Individuum, sondern das Kollektiv zentral ist (ebd.: 35ff.). Auch die oben beschriebene Initiation in den Geheimbund in Sierra Leone, deren Freiwilligkeit von Ahmadu betont, von der gesellschaftlichen Wirklichkeit allerdings konterkariert wird, kann als Übergangsritual konzeptualisiert werden. Wer sich ihm nicht unterzieht, gilt als Kind, als Verworfene, als Ausgestoßene. „Mit anderen Worten ist das Sein des Individuums an den Besitz oder die Beschneidung der Klitoris gekoppelt.“ (Rust 2007: 46) Die Exzision wird als Tatsache hingenommen, nur selten erscheint Widerstand als überhaupt denkbare Option (Knörr 2000: 92). Bei der Exzision als Übergangsritual in all ihren Formen existiert demnach ein hoher sozialer Druck auf die Mädchen und Frauen, sich der Praxis zu unterwerfen. Wenn Exzision den Status einer erwachse-

Aufklärungskampagnen und Bildungsangebote bereits umfassende Einstellungsveränderungen erzielen (Orubuloye 2000).

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nen Frau herstellt, wenn sie der erste Schritt in der obligatorischen Abfolge der Lebensschritte einer Frau ist, dem Heirat und Geburt des ersten Kindes folgen müssen (Peller 2002: 95), so ist die Freiheit der Entscheidung für oder gegen Exzision nur als höchst eingeschränkte zu verstehen. Das Ausmaß von konkreten Sanktionen ist unterschiedlich und reicht von Verachtung und sozialen, politischen und ökonomischen Ausschlüssen bis hin zu Zwangsexzisionen. Die durch die Exzision vollzogene Bindung an die Gemeinschaft und die Subordinierung des Individuums146 stehen der Annahme eines freien Willens diametral entgegen. Es griffe jedoch ebenfalls zu kurz, dem Ritual schlicht die Forderung nach dem Recht auf (erwachsene) Selbstbestimmung entgegenzusetzen. Das würde zu der Argumentation führen, dass die Exzision erst bei erwachsenen Frauen durchgeführt werden dürfe, nicht bei Kindern: „Das Übergangsritual müßte um Jahre nach hinten verlegt werden, was zur Folge hat, daß das sittliche Verhalten der Mädchen über einen wesentlich längeren Zeitraum überwacht werden muß.“ (Peller 2002: 189f.) Hier offenbart sich die Herrschaftsblindheit einer Analyse, die den Fokus auf die Exzision beschränkt, ohne deren Funktionen für die Kollektivierung des Individuums, für die Reproduktion von Machtmechanismen und für eine repressive Sexualmoral zu hinterfragen. 7) Patriarchat Das Begründungsmuster, das Exzision als Ausdruck des Patriarchats bezeichnet, unterscheidet sich von den bisher diskutierten. Es ist keine von praktizierenden Gesellschaften selbst angeführte Funktion der Exzision, sondern eine sozialwissenschaftliche und politische Kategorie, die vor allem seit den 1970er Jahren weite Verbreitung fand, daraufhin jedoch auf ebenso breite Kritik stieß. Neben den bereits angeführten

146 Bei den südäthiopischen Arbore werden Männer und Frauen nach der zweiten Hochzeitsnacht nicht mehr mit ihrem Vornamen angesprochen, sondern mit ihrem Beziehungsstatus zu anderen (Peller 2002: 64).

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Autorinnen Hosken und Walker (Kapitel II.1) gilt Daly als eine der prominenten Verfechterinnen einer hypostasierten Patriarchatsthese. Sie identifiziert einzig Männer als die Verantwortlichen für Praxen wie Exzision, während Frauen sich daran nur beteiligten, weil sie geistig abgestumpft und durch die ihnen zugefügten Schmerzen unterwürfig geworden seien (Daly 1981: 242f.). Sowohl bei Daly als auch bei Walker, Hosken und anderen Feministinnen wird die Dichotomisierung zwischen Männern als Tätern und Frauen als passiven und bewusstlosen Opfern kritisiert. Sie verallgemeinerten ein „planetarisches Patriarchat“147 (Leonard 2000a: 172), ohne auf gesellschaftliche Verhältnisse einzugehen (Gruenbaum 1996: 462, El Guindi 2006: 42, Abusharaf 2001: 116f., 2006: 12, Walley 1997: 418ff.). Die Beschreibung passiver afrikanischer Frauen als mit einem falschen Bewusstsein ausgestattet greife nicht nur zu kurz, sondern sei arrogant und potentiell rassistisch. Die Bezeichnung afrikanischer Frauen als „Gefangene des Rituals“148 (Lightfood-Klein 1989) werde der gesellschaftlich geprägten Dynamik und Anpassungsfähigkeit nicht gerecht (Abusharaf 2006: 13). Dass Exzision eine patriarchale Praxis sei, könne nicht hinreichend bewiesen werden (Peller 2002: 119). Mit dem Argument, dass Exzision fast ausschließlich in den Händen von Frauen, in der Regel von weiblichen Familienangehörigen und traditionellen Beschneiderinnen liege, wird die Patriarchatsthese dezidiert zurückgewiesen (Abusharaf 2001: 122, Thomas 2000: 131, Skinner 1988: 196). Einige Autoren interpretieren Exzision, die immer nur gemeinsam mit männlicher Beschneidung auftrete, als ein Zeichen von Gleichstellung zwischen den Geschlechtern (Shweder 2002: 221, Skinner 1988: 204). Tatsächlich weist Daly eine höchst problematische Herangehensweise auf, wenn sie „unterschiedlichen Kulturen“ bescheinigt, dass sie „im Grunde lediglich vielfältige Manifestationen der einen globalen Kultur Androkratie“ seien, in denen Frauen „mit Hilfe der Mythen und Bräuche ihres jeweiligen sozialen Umfeldes eingelullt und hirnampu-

147 „planetary patriarchy“ 148 „prisoners of ritual“

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tiert worden sind“ (Daly 1981: 242f.). Die Strukturen der ‚weltweiten Männerherrschaft‘ kennzeichnet sie nicht nur implizit als eine „Verschwörung“ (ebd.: 179). Aus ihrer Perspektive sind alle Praxen Ausdruck ein- und derselben „Folterkreuz-Gesellschaft“ (ebd.: 315): Exzision ebenso wie Gynäkologie; zeitgenössische ärztliche Behandlung von Frauen in den USA ebenso wie medizinische Experimente im Nationalsozialismus (ebd.: 311ff.). Auch weitere Unterdrückungs- und Machtachsen gingen auf das Modell des „patriarchalen Frauenmordes“ zurück (ebd.: 315). Das Entgleiten eines hypostasierten Universalismus wird bei Daly nicht nur an dieser Stelle überdeutlich: Soziale, politische und kulturelle Phänomene aller Gesellschaften werden monokausal auf ein einziges Erklärungsmuster zurückgeführt; Unterschiede gelten, wenn sie denn wahrgenommen werden, nur als Mittel zum immergleichen Zweck der „Kolonisation“ von Frauen (ebd.: 21). Weder werden die Spezifika verschiedener Ungleichheitsmechanismen noch historische und regionale Besonderheiten oder die Differenzen zwischen unterschiedlich strukturierten Gesellschaftsformen wahrgenommen. Walkers Arbeiten sind durch einen weniger stark verschwörungstheoretischen Zugang zum Thema Exzision gekennzeichnet. Nachvollziehbar ist die Kritik an Walkers Parallelisierung von Exzision mit ihrer teilweisen Erblindung durch einen Schuss ihres zehnjährigen Bruders. Beides nennt sie eine „patriarchale Wunde“149 (Walker/Parmar 1993: 17, kritisch James 1998: 1031f.). Walkers/Parmars Herangehensweise ist stark emotionalisiert, von Wut und Trauer geprägt (James 1998: 1032, vgl. Walker/Parmar 1993: 27ff.). Implizit unterstellen sie den Frauen ein falsches Bewusstsein und beschreiben Mädchen als „perfekt indoktriniert und programmiert, nicht über ihre Gefühle [über die kurz zuvor verübte Exzision, J.M.] zu reden“150 (Walker/Parmar 1993: 49). Ihre Werke sind geprägt vom Anliegen, das vorhandene Leiden der Mädchen und Frauen sichtbar zu machen, um es einer Verbesserung zuzuführen. Deutlich betonen sie ihr Verzweifeln an den

149 „patriarchal wound“ 150 „perfectly indoctrinated and programmed to say nothing they felt“

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geringen Möglichkeiten zur Veränderung. Hier wird eine andere Problematik als bei Daly sichtbar: Es muss gefragt werden, inwiefern stark emotionalisierte Beschreibungen und agitatorische Absichten nicht ebenfalls einem strategisch-instrumentellen Zugriff unterliegen und damit einem reflexiven, fundierten Zugang entgegenstehen, der für eine Analyse (und eine Veränderung) der komplexen Verhältnisse unabdingbar ist. Hosken geht in ihrer umfangreichen und vielzitierten Studie über Exzision und Abschaffungsbemühungen konkreten Fallbeispielen aus verschiedenen Ländern nach. Trotz der Bedeutung, die sie den Stimmen lokaler Frauen beimisst (Hosken 1994: 338), zeichnet auch sie die Frauen fast durchweg als Opfer männlicher Herrschaft. Ähnlich wie bei Walker wird das Machtgefüge personalisiert dargestellt und Männer werden personifiziert in die Verantwortung genommen (ebd.: 5ff. und 324ff.). Wie jede Kritik, die individuelle Handlungen Einzelner über strukturelle Zwänge stellt, läuft sie Gefahr, in Verkürzungen und Dichotomisierungen zu verfallen oder sich stellenweise Verschwörungstheorien151 anzunähern. Eine angemessene Auseinandersetzung mit Exzision kommt nicht umhin, gesellschaftliche Bedingungen, vor allem Macht- und Unterdrückungsverhältnisse, historisch und lokal konkret zu analysieren. Weder ist personalisierte Kritik angemessen, sinnvoll oder hilfreich, noch kann das Muster eines idealtypischen Patriarchats beliebig auf andere Gesellschaftsformen projiziert werden. Gegen die Patriarchatsthese wird nun vorrangig das Argument angeführt, dass Frauen persönlich an der Praxis beteiligt seien und diese daher nicht patriarchal sein könne (u.a. Skinner 1988: 196). Damit erliegt es jedoch selbst der simplifizierenden Dichotomie zwischen Männern und Frauen. In dieser Form der Dichotomisierung wird der Kurzschluss begangen,

151 Vgl. Hoskens Formulierung einer „Verschwörung des Schweigens“ („conspiracy of silence“) (Hosken 1994: 315) – eine Wortwahl, die sich nicht zufällig in derselben Form auch bei Daly findet (Daly 1981: 179).

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„die Unterdrückten zu idealisieren, als ob deren Politik und Kultur von den Auswirkungen der Herrschaft ganz frei bleiben, als ob die Menschen nicht an ihrer Unterjochung mitwirkten. Herrschaft aber auf eine simple Beziehung zwischen Opfer und Täter zu reduzieren, heißt, die Analyse durch moralische Empörung zu ersetzen. Solch eine Simplifizierung reproduziert schließlich nur die Struktur der Geschlechter-Polarität unter dem Vorwand, sie zu attackieren.“ (Benjamin 1990: 13)

Die aktive Beteiligung von Frauen an den eigenen Unterdrückungsmechanismen ist demnach kein Indikator dafür, dass es sich nicht um ein patriarchales Machtverhältnis handelt – also um eine Struktur, in der Frauen in sozialen, politischen, kulturellen und/oder ökonomischen Aspekten Männern untergeordnet sind. Erforderlich ist demnach eine mehrdimensionale, interdependente Analyse der Überschneidung von Machtachsen wie Geschlecht, Klasse, Herkunft, Alter oder Religion. Die auf solcher Analyse beruhende Kennzeichnung einer gesellschaftlichen Struktur als patriarchales Verhältnis bedeutet dann weder Frauen als ‚passive‘ oder ‚dumme‘ Opfer zu konzipieren noch Frauen als die ‚Guten‘ zu betrachten, die der schlechten Struktur entgegengesetzt sind. Gesellschaftliche Verhältnisse bleiben weder Männern noch Frauen äußerlich, sie gehen gleichsam in sie ein. Es wird aus gesellschaftstheoretisch fundierter Perspektive nicht möglich sein, die individuellen und die gesellschaftlichen Verhältnisse im Individuum auseinanderzuhalten. Individuum und Gesellschaft sind so miteinander vermittelt, dass eine dichotome Sichtweise, die sie nur äußerlich gegeneinander setzt oder einen Pol hypostasiert, unweigerlich in Verkürzungen verfällt. Gesellschaftliche Verhältnisse und Strukturen sind konstitutiv für die Ausbildung von Individualität und somit auch im Innersten der je individuellen Identität. So lässt sich nachvollziehen, dass es nicht selten Frauen sind, die patriarchale Verhältnisse mit reproduzieren. Ebenso widersprüchlich sind die Identitäten von Männern durch gesellschaftliche Strukturen vermittelt. Der Widerstand gegen patriarchale Verhältnisse ist daher nicht nur eine Angelegenheit von Frauen, son-

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dern verlangt den Einbezug aller Geschlechter.152 Den Maßstab für die Kritik an Strukturen und Praxen bildet nicht das Geschlecht der Handelnden, sondern die (fehlenden und verstellten) Möglichkeiten von Autonomie. Denn es verläuft „auch die ‚innere Vergesellschaftung‘ der Menschen nicht reibungslos, sondern brütet ebenfalls Konflikte aus, die sowohl das erreichte zivilisatorische Niveau bedrohen, wie positiv darüber hinausdeuten. Allein darin, daß die Vergesellschaftung heute nicht mehr unmittelbar den Menschen als Naturwesen widerfährt, sondern auf einen Zustand auftrifft, in dem sie längst gelernt hatten, sich als mehr denn bloße Gattungswesen zu wissen, liegt beschlossen, daß die totale Vergesellschaftung ihnen Opfer zumutet, die sie kaum ohne weiteres zu bringen fähig und willens sind.“ (Adorno 1956b: 36).

Das bedeutet, dass Handlungsfähigkeit, freier Willen und Autonomie zumindest als Idee stets verfügbar sind. Die fehlende Übereinstimmung gesellschaftlicher oder kollektiver Mechanismen mit individuellen Interessen und deren repressives Potential kann aus dieser Perspektive überhaupt erst offengelegt und wahrgenommen werden. Auf der Grundlage dieses redigierten Verständnisses vom Patriarchat lassen sich nun zahlreiche Hinweise auf patriarchale Strukturen in Gesellschaften aufdecken, in denen Exzision praktiziert wird. Mit der Exzision als Übergangsritual ist in der Regel die Lehre über Gehorsam und angemessenes Verhalten einer Frau und Ehefrau verbunden (vgl. Mohamud et al. 2006: 81 und Browne 1991: 249 für Kenia). Die südäthiopischen Arbore-Frauen dürfen keine Schulen besuchen und dürfen in der Ehe vergewaltigt werden (Peller 2002: 68ff.). Männliche Beschneidung bei den Dii in Kamerun dient zur Erhöhung der männlichen Dominanz über ihre Ehefrauen, die weibliche Exzision dagegen explizit zur Einschränkung weiblicher Sexualität (Muller 1993). Die Durchführung der Praxis bei beiden Geschlechtern ist also keineswegs

152 Das ist im Übrigen kein Spezifikum des afrikanischen Feminismus, wie es Abusharaf (2000: 157) vermutet.

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ein Zeichen für ‚Gleichstellung‘, wie von Gegnern der Patriarchatsthese vermutet wird. Diese und viele der bereits angeführten empirischen Beispiele für die anderen Begründungsmuster verdeutlichen, wie tief die Praxis in herrschaftsförmige, patriarchale Strukturen einbettet ist. Angesichts dessen kann der freie Wille der Betroffenen nur als stark eingeschränkter konturiert werden. Zwar sind individuelle Entscheidungen stets auch gesellschaftlich konstituiert und nur im Blick auf die intrinsische Verflochtenheit innerhalb des Gesamtzusammenhangs denkbar. Autonom zu nennende Entscheidungen setzen aber die Möglichkeit zur auf Wissen beruhenden Reflexion und vor allem die Existenz von gangbaren Alternativen voraus. „Eine Person ist (signifikant) autonom, wenn sie ihr Leben gestalten und dessen Verlauf bestimmen kann. Sie ist nicht bloß ein rational Handelnder, der zwischen Optionen wählen kann, nachdem er relevante Informationen begutachtet hat, sondern ein Handelnder, der zusätzlich persönliche Projekte und Beziehungen entwickeln und sich für Dinge einsetzen kann, durch die sich seine persönliche Integrität und sein Sinn für Würde und Selbstrespekt konkretisieren.“153 (Raz 1988: 154)

Für gangbare, relevante Alternativen ist sowohl die ökonomische, politische und soziale Unabhängigkeit von Frauen als auch die Existenz vielfältiger (Frauen-)Identitäten notwendig.154

153 „(Significantly) autonomous persons are those who can shape their life and determine its course. They are not merely rational agents who can choose between options after evaluating relevant information, but agents who can in addition adopt personal projects, develop relationships, and accept commitments to causes, through which their personal integrity and sense of dignity and self-respect are made concrete.“ 154 Weitere Handlungsspielräume könnten durch Identitäten entfaltet werden, welche die heteronormative Zweigeschlechtlichkeit überschreiten.

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„Tatsächlich verlangen umfassende Vorschläge von somalischen Frauengruppen die soziale, ökonomische und politische Verbesserung der Position von Frauen. Diese Verbesserungen sind nicht nur der Schlüssel zur Abschaffung von Traditionen, die deren Wohlbefinden und Wohlstand einschränken, sondern auch zur Nachhaltigkeit von Einstellungsveränderungen gegenüber der Abschaffung von weiblicher Beschneidung.“155 (Abdalla 2006: 204)

Für Abschaffungsbemühungen sind diese Überlegungen in mehrfacher Hinsicht relevant. Die „ungünstige Beziehung“156 zwischen Sozialanthropologie und Feminismus (Strathern 1987a) kann produktiv gestaltet werden, wenn Handlungsgründen und Lebenssituationen betroffener Frauen Beachtung geschenkt wird und Voraussetzungen für eine Zusammenarbeit geschaffen werden. Weder kann von einem invarianten Patriarchatsmodell ausgegangen werden, noch ist es angemessen, patriarchale Unterdrückungsstrukturen völlig aus der Analyse auszublenden und Exzision als eine nicht patriarchale oder gar geschlechtergerechte Praxis zu imaginieren. Gleichzeitig ist es unzureichend, nur den Akt der Exzision als patriarchal zu kennzeichnen und alle anderen gesellschaftlichen Konstitutionsbedingungen unhinterfragt zu belassen. Abschaffungsstrategien, die sich ausschließlich auf das Beenden der Exzision konzentrieren, müssen auf diese Gefahr hin reflektiert werden. Wenn einzig die Exzision als isolierter Akt bekämpft wird, ohne sie auf ihre sozialen und gesellschaftlichen Funktionen hin zu untersuchen, werden die Lebensumstände von Mädchen und Frauen kaum umfassend verbessert. Das ist der Fall, wenn die Funktion von Exzision in einem ritual without cutting, einem Ritual ohne Schneiden kompensiert

155 „Indeed the comprehensive proposals of Somali women groups call for social, economic, and political improvement in the status of women. This improvement is not only key to eliminating traditions that affect their well-being and prosperity but also for the sustainability of attitudinal shifts towards the abolition of female circumcision.“ 156 „awkward relationship“

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werden soll.157 Auf diese Weise soll die Isolierung der Praxis durchgesetzt werden, um „durch das Angebot alternativer Wege dasselbe Ziel zu erreichen“158 (Mandara 2000: 107, ähnlich Ahmadu 2000: 308) und um weder „das Ritual an sich, die Autorität der organisierenden Personen, noch die soziale Rolle des Rituals in Frage zu stellen“ (Peller 2002: 164). So könne weiterhin „eine anstößig von einer tugendhaft Handelnden“ unterschieden werden (ebd.: 161). Beziehungen von Macht und Ausschluss sollen hier also explizit unangetastet bleiben! Demgegenüber käme es darauf ein, ebenjene Konzepte von ‚Anstößigkeit‘ und von ‚Tugendhaftigkeit‘, mit denen eine voreheliche Schwangerschaft genauso wie der Wunsch nach Mädchenbildung denunziert werden kann, auf ihre gesellschaftlichen und individuellen Funktionen hin zu überprüfen. Der Vergleich der Exzision praktizierenden Arbore mit der benachbarten, ähnlich strukturierten Gesellschaft der Hamar, wo es keine Exzision gibt, verdeutlicht das: Die Frauen bei den Hamar sind auf einer manifesten Ebene einer rigideren sozialen Kontrolle unterworfen als bei den Arbore. Das Hamar-Äquivalent zur Anpassungsfunktion der Exzision, die bei den Arbore weitergehende Mechanismen überflüssig macht, sind Auspeitschungen durch den Ehemann, die bei ‚widerspenstigen‘ Ehefrauen durchaus zum Tode führen können (ebd.: 83ff.). Angesichts dieser sehr drastisch geschilderten Möglichkeit der Kompensation von Exzision, wenn sie nicht mit der Infragestellung patriarchaler Strukturen und Werte einhergeht, ist die im selben Text formulierte Forderung nach genau solch einer herrschaftsblinden Ersetzung unverständlich (ebd.: 164 und 189). Die damit einhergehende Feststellung, dass kein Zusammenhang zwischen Exzision und Frauenunterdrückung nachweisbar sei (ebd.: 119), geht ins Leere.

157 Es existieren allerdings auch Programme des rituals without cutting, die der darin eingebetteten Ausbildung Elemente hinzufügen, welche die Fähigkeiten und Rechte von Frauen stärken sollen (Hernlund 2000: 250, Mohamud et al. 2006: 99). 158 „by offering alternative ways of achieving the same objective“

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Die kulturrelativistisch motivierte Forderung nach Kontextsensibilität kann sich also einer Überprüfung repressiver Mechanismen und Konzepte entziehen, wenn deren autonomieeinschränkender Charakter ausgeblendet wird. Soll dieser konstitutiv in die Analyse eingehen, muss (mindestens implizit) auf eine universalistisch begründete Ebene zurückgegriffen werden. Gleichzeitig verlieren feministische Forderungen ihren Sinn, wenn sie abstrakt und kontextunsensibel proklamiert werden und an der Lebensrealität der Betroffenen vorbeigehen. Auf der Grundlage der vorangegangenen Typologisierung lässt sich ein Merkmal herausarbeiten, das allen Formen der Exzision trotz ihrer Unterschiedlichkeit hinsichtlich der Begründung, der Ausführung und der Relevanz gemeinsam ist. Alle aufgeführten sieben Begründungsmuster weisen die Funktion der Exzision als Herstellung von Identität auf. Exzision als fest installierte Tradition oder als unhintergehbarer religiöser Akt sichert die ethnische beziehungsweise die religiöse Identität. Ebenso wie in der Funktion als Distinktionsmerkmal von anderen Ethnien, anderen Religionen oder von Unbeschnittenen beweisen beschnittene Genitalien die Loyalität zur eigenen Gemeinschaft, erlauben die Durchführung religiöser Handlungen und gestatten das Gefühl kultureller Überlegenheit. In den Begründungskomplexen Sexualität, Heiratsfähigkeit und Übergangsritus stellt die Exzision eine eindeutige und erwachsene Geschlechtsidentität her. Am deutlichsten wird das in der Funktion als Übergangsritus. Der Übergang vom Kind zum Erwachsenen, vom Mädchen zur Frau wird durch die Praxis markiert und unmittelbar in den Körper eingeschrieben. Nur einer beschnittenen Frau werden die Erlaubnis, die Möglichkeit und die Fähigkeit zugesprochen, zu heiraten und Kinder zu gebären. Die zentrale Stellung, die Exzision für die Identitätsbildung einnimmt, sowie die Illustration patriarchaler Machtgefüge verdeutlichen, wie alternativlos die Praxis in den betreffenden Gesellschaften zunächst ist. Um ein sozial akzeptiertes Leben führen zu können, um gesellschaftliche Anerkennung zu erlangen, um im Rahmen der jeweiligen Normen und Werte handlungsfähig zu sein, müssen Frauen und Mädchen sich beschneiden lassen. Vor diesem Hintergrund ist es

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nachvollziehbar, dass sie das auch selbst wollen können. Jedoch zeigt sich, dass die Kennzeichnung dieses Wunsches als freie, autonome Entscheidung irreführend und falsch ist. Hinzu kommt das in vielen Fällen junge bis sehr junge Alter der Mädchen. „In Anbetracht ihrer Jugend […] ist die betroffene Person, selbst wenn sie angemessen informiert sein sollte, nicht in der Lage, die Konsequenzen ihrer Entscheidung einzuschätzen.“159 (Ouguergouz 2003: 106) Die zentrale Bedeutung der Exzision für die Konstitution und Konstruktion von Identität ist allerdings nicht invariant. Sowohl der historisch frühe, unorganisierte und vereinzelte oder der organisierte Widerstand von Frauen und Mädchen gegen die Exzision als auch der Erfolg von gegenwärtigen Kampagnen zeigen auf, dass die Identitätsbildungsprozesse dynamisch sind. Bei Bemühungen um die Abschaffung repressiver Praxen gerät keineswegs zwangsläufig die „Gesellschaft ins Wanken“ (Peller 2002: 31), wie zuweilen als Befürchtung geäußert wird. Wenn jedoch wirklich Anlass zu der Vermutung besteht, „dass die native Identität zerfallen könnte ohne eine Hierarchie […], in der Frauen den Männern untergeordnet sind“160 (Smith 1992: 2472), dann muss in der Tat eine Entscheidung getroffen werden zwischen der Aufrechterhaltung einer hierarchisch organisierten Gemeinschaft und dem Wohl der Einzelnen. Solch eine Entscheidung ist eng gekoppelt an sozial- und moralphilosophische Überlegungen. Unverkennbar greift eine ausschließliche Konzentration auf die Beendigung der Exzision zu kurz: Einerseits lässt sich die Praxis nur schwerlich aus dem Geflecht von Sinnzusammenhängen und Funktionen herauslösen. Abschaffungsbemühungen auf dieser Grundlage sind wenig erfolgversprechend. Andererseits würden repressive soziale Mechanismen bestehen bleiben, würde nur die Exzision verhindert oder

159 „indeed, owing to her youth […] the person concerned, even if duly informed, will not be in a position to assess the consequences of her decision.“ 160 „that tribal identity would disintegrate in the absence of hierarchy […] in which women are subordinate to men“

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ihre Funktion durch Ersatzhandlungen übernommen. Die Lebenssituation der Mädchen und Frauen würde allein damit nicht nachhaltig und umfassend verbessert werden können. Das führt zu den eingangs zitierten kulturrelativistischen Argumentationslinien zurück, die Exzision als das Ergebnis freier Wahl bewerten. Ahmadu bezeichnet ihre eigene Exzision als Möglichkeit, sich zwischen den verschiedenen Welten bewegen zu können: Der westlichen akademischen Welt und der Welt der Geheimgesellschaften in Sierra Leone (Ahmadu 2000: 310). Sie reflektiert jedoch nicht, dass ihre Geschlechtsgenossinnen, die in Sierra Leone leben, genau diese Wahl nicht haben. Deren Geschlecht, das an die Vollführung der Exzision bei Strafe des Verstoßenwerdens unabdingbar geknüpft ist, legt sie auf einen Handlungsspielraum fest, der nicht übertreten werden darf. Beschnittenen Frauen in Sierra Leone werden positiv konnotierte, unbeschnittenen Frauen demgegenüber durchweg negativ konnotierte Zuschreibungen entgegengebracht und die Frauen und Mädchen dementsprechend behandelt. Zwangsexzision ist kein seltenes Mittel, um Mädchen und Frauen zu maßregeln und abweichendes Verhalten zu bestrafen (Rust 2007: 46 und 72ff.). Bei den Sebei in Uganda allerdings kann auch die Zwangsexzision161 nicht „vor der sozialen Stigmatisierung bewahren. Eine Frau bezahlt mit mehreren Strafen für das Weinen. Ihr ist es nicht gestattet, die erste Ehefrau eines Mannes zu werden, da ihr Mann in Kämpfen durch sie geschwächt werden würde. Sie wird von allen späteren Beschneidungen ferngehalten, da sie den Initiandinnen Unglück bringen könnte. Von den anderen Frauen wird sie verachtet.“162 (Goldschmidt 1886: 104f.)

161 Die vier Männer, die das Mädchen währenddessen festhalten, erhalten für den zusätzlichen Aufwand eine Kompensation (Goldschmidt 1986: 102). 162 „prevent the social stigma. A woman pays several penalties for crying. She is not allowed to be a man’s first wive, for her husband cannot fight in wars, as he would be weakened by her. She is kept away from all later

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Da keine Kultur oder Gesellschaft monolithisch ist, stellt sie die Frage, wer und in welchem Interesse einen Brauch als unentbehrlich bezeichnet. Die Notwendigkeit der Förderung und Unterstützung vielfältiger Identitäts- und Handlungsmöglichkeiten innerhalb einer Gesellschaft zeichnet sich prägnant ab. Erst dann, wenn spezifische Interessen und Verhaltensweisen nicht mehr eng an ein Geschlecht, an eine Religion oder an das Aussehen der Geschlechtsorgane geknüpft werden, sind Handlungsalternativen eröffnet. Shweder führt aus und betont, dass ‚auch afrikanische Frauen‘ das Recht auf freie Meinungsäußerung, das Recht auf Glauben, das Recht der Eltern auf eigene Erziehung und das Recht auf private Entscheidungen ohne staatliche Einmischungen hätten (Shweder 2002: 225f.). Eine universalistische Grundlage seiner kulturrelativistischen Argumentation tritt hier offen zutage: Alle Menschen sollten das Recht auf die von ihm aufgeführten Werte haben. Was Shweder allerdings nicht klärt, ist zum einen, warum gerade diese Rechte für alle gelten sollten und nicht ethnozentrisch sind, und warum zum anderen nur diese Rechte und nicht beispielsweise das Recht auf körperliche Unversehrtheit genauso für alle gelten sollten. Eine Reflexion auf die von ihm so explizit angeführte universalistische Dimension fehlt. Aus diesem Grund ist es ihm möglich, bei einem hypostasierten Kulturrelativismus zu verharren, der die beschriebenen Verhältnisse nicht auf ihre repressiven Momente hin befragt. Kritiker wie Shweder „gehen zu weit, wie wir an den Frauen sehen, die sagen, dass weibliche Beschneidung nur eine weitere kulturelle Praxis ist. Dieser Kulturrelativismus ist ein Beispiel für Arroganz.“163 (Afkhami 1996: 17) Ebenso begrenzt wäre allerdings ein unreflektierter Universalismus, der lokale Gegebenheiten nicht zur Kenntnis nimmt, der den

circumcisions because she might bring bad luck to the initiates. She is also despised by other women.“ 163 „go too far, as we see among those women who say that female circumcision is just another cultural practice. This cultural relativism is an example of arrogance.“

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Hinweis auf die vielfältigen Gründe für Exzision als bloße Affirmation verwirft oder der statische Konzepte unverändert auf andere Gesellschaften überträgt, ohne deren spezifischen Verhältnisse und Besonderheiten zu analysieren. Relevant ist diese Einsicht auch deshalb, weil auf einer solchen Grundlage Abschaffungsbemühungen scheitern. Sie gehen entweder an der Realität der Betroffenen vorbei oder sie werden als arrogant und potentiell rassistisch wahrgenommen und können einen kulturellen backlash hervorrufen, also eine Art Trotzreaktion, eine Reaktanz, die die Angesprochenen umso stärker an ihren Traditionen festhalten lässt (Mackie 2000: 277, Shell-Duncan/Herlund 2000: 6, Hernlund 2000: 242, Gruenbaum 1982: 11). Dennoch kann auch der Charakter der Reaktanz kritisch hinterfragt werden. Gegenkampagnen werden von Abschaffungsgegner/innen mit diffamierenden und sicherlich nicht nur aus Unwissenheit aufgestellten Behauptungen delegitimiert. So findet sich die Phantasie, dass sie „sexuelle Aktivitäten adoleszenter Mädchen fördern, die Mädchen zwingen, unter Eid Blut zu trinken, ihnen Verhütungsmittel in die Klitoris injizieren“164 (kritisch Mohamud et al. 2006: 91). Den Aufklärungskampagnen wird „Ethnozid oder ein Versuch, die indigene Kultur zu zerstören, als die wahre, aber heimliche Motivation“165 (Browne 1991: 246) unterstellt. Die solchen Annahmen zugrundeliegenden Ressentiments, Projektionen und Ängste vor dem eigenem Machtverlust können ohne weiteres aufgezeigt werden. Kulturrelativistische Erforschungen der Exzision, die sie eingebettet in ihrem spezifischen Kontext zunächst verstehbar machen, bilden damit zugleich die Basis für die Entwicklung von (menschenrechtlichen) Abschaffungsstrategien. Der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte wird in kulturrelativistischen Zugängen ihr individualisierender Charakter vorgeworfen,

164 „promotes sexual activity among adolescent girls, forces girls to drink blood under oath, involves injecting contraceptives into the girl’s clitorises“ 165 „ethnocide or an attempt to destroy their indigenous culture as the real but hidden driving force“

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da sie auf das Individuum als Rechtssubjekt abziele. Individualität sei ein westliches Konzept und nicht ohne weiteres auf andere Gesellschaften übertragbar, in denen das Kollektiv im Mittelpunkt stehe (vgl. kritisch Dembour 2001: 59, Messer 1997: 293, Amin 1989). Der Vorwurf verfehlt jedoch zum einen sein eigenes Ziel einer kontextsensiblen Herangehensweise. Menschenrechts-Abkommen wie die CEDAW (Convention on the Elimination of all Forms of Discrimination Against Women) bilden für Frauenbewegungen weltweit einen wichtigen und unhintergehbaren Bezugspunkt, um Frauen-Menschenrechte durchzusetzen (vgl. bspw. Wölte 2008). Zum anderen entbehrt der Verweis darauf, dass indigene Gesellschaften kein Konzept von Individualität kennen würden und somit individuelle Rechte nicht auf sie anwendbar seien, der sozialwissenschaftlichen Fundierung. Er verkennt, dass die Trennung von Subjekt und Objekt unhintergehbar ist und Individuum und Gesellschaft nicht schlicht in eins fallen können. Nichtsdestotrotz ist Individualität eine historische Kategorie und kann sich verschieden ausprägen. Vor diesem Hintergrund wird in kulturrelativistischen und kollektivistischen Argumentationslinien betont, dass Individuen erst durch und innerhalb von Gruppen existierten und diese dem Individuum vorausgingen (vgl. Cowan 2006: 15). Nun ist die gesellschaftliche Konstitution von Individualität eine Einsicht, hinter die keine universalistische Argumentation zurückfallen darf. Die Allgemeinen Menschenrechte stellen selbst einen Faktor dar, der als Bezugspunkt Identitäten, Subjektivitäten und Beziehungen zwischen den Menschen, zwischen Geschlechtern oder verschiedenen sozialen Gruppen ändern kann. Nur birgt die Argumentation, dass das Individuum als gesellschaftlich konstituiertes der Gesellschaft nachgeordnet sei, in einer missverstandenen Lesart die Forderung zur Unterwerfung unter das kollektive Interesse in sich. Sie lässt, konsequent gedacht, kein der sozialisierenden Instanz entgegenstehendes, eigenständiges Moment zu. Wird die gesellschaftliche Konstitution von Individualität hypostasiert, lässt sich ein Widerspruch zwischen individuellen und kollektiven Interessen gar nicht erst konzeptualisieren. Ähnlich verkürzend wäre jedoch ebenso eine Hypostasierung des Indi-

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viduums als abgetrennte, irreduzible, abstrakte Einheit, das unabhängig, neben oder überhalb gesellschaftlicher Prozesse existiert. Beide Denkfiguren, „die Scylla [der] Unterdeterminierung und die Charybdis [der] Überdeterminierung des Individuums“166 (Cowan 2006: 15) können nicht entscheidend weiterführen. Die in diesem Kapitel bereits andiskutierte vermittlungslogischreflexive Verhältnisbestimmung von Individuum und Gesellschaft kann die Eigenständigkeit objektiver und subjektiver Momente ebenso denken kann wie ihre inneren Vermittlungen und ihre Gemeinsamkeiten. Das Individuum „entsteht, indem es gewissermaßen sich selbst setzt, und sein Für-sich-sein, seine Einzigkeit zu seiner eigentlichen Bestimmung erhebt“ (Adorno 1956a: 46), d.h. ein Selbstbewusstsein ausbildet. „Gerade dies Selbstbewußtsein des Einzelnen jedoch, das ihn erst zum Individuum macht, ist ein gesellschaftliches, und es verdient hervorgehoben zu werden, daß gerade die philosophische Konzeption des Selbstbewußtseins über das ‚abstrakte‘, für sich seiende Individuum hinausführt zur gesellschaftlichen Vermittlung. […] Erst in der Beziehung des Selbstbewußtseins auf ein anderes entsteht das Individuum, ein neues Selbstbewußtsein, ebenso wie das Allgemeine, die Gesellschaft“ (ebd.: 46f.).

Individuelle Autonomie hat stets ihr eigenes Gegenteil, nämlich die gesellschaftliche Bestimmung, zur Bedingung. Erst heteronome Anforderungen konstituieren den Kern dessen, was als ureigenstes, autonomes Moment von Subjektivität erscheint. Vor diesem Hintergrund zeichnet sich eine deutlich strengere Relationierung des Verhältnisses von Individuum und Gesellschaft ab: Nicht dichotom stehen sich beide gegenüber, sondern der eine Pol bildet die Voraussetzung für den jeweils entgegenstehenden Pol. Individualität wird durch Gesellschaft konstituiert, Gesellschaft durchs Individuum. Autonomie konstituiert

166 „the Scylla of […] underdetermination and the Charybdis of […] overdetermination of the individual“

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die Heteronomie, Heteronomie die Autonomie – auf beiden Seiten der Verhältnisbestimmung. Die Konstellation zeichnet sich durch innere ebenso wie durch äußere Vermittlungsbeziehungen aus. Erst durch die gesellschaftliche Vermitteltheit hindurch ist auch Individualität im Sinne autonomer Handlungsfähigkeit möglich. Die Gesamtheit dieser Konstellation bildet die Schwierigkeit und gleichzeitig die Stärke einer vermittlungslogischen Konzeption des Verhältnisses von Individuum und Gesellschaft. Um es noch einmal anders zu formulieren: Obwohl das Individuum gesellschaftlich konstituiert ist, bedeutet das nicht eine völlige gesellschaftliche Determination des Menschen. Individualität weist stets eigenständige Momente auf. Obwohl die Fähigkeit und Möglichkeit von Autonomie selbst erst durch gesellschaftliche Bedingungen hergestellt wird, fallen Individuum und Gesellschaft nicht ununterscheidbar und identisch in eins. Möglichkeiten von autonomer Entscheidung, von Reflexion, auch und vor allem über gesellschaftliche Zumutungen, wie sie sich im Zwang zur Exzision besonders eindrücklich zeigen, sind beides: Sie sind eng an die Konstitution von Individualität geknüpft, gleichzeitig bedürfen sie der gesellschaftlichen Absicherung. Es zeichnet sich das Merkmal ab, dass der Ausgangspunkt der Kritik an Exzision zwar das Individuum ist – das individuelle Leiden der Subjekte an den objektiven gesellschaftlichen Bedingungen, die Exzision erforderlich scheinen lassen. Abschaffung aber und eine Verbesserung der Lebensbedingungen von Frauen lassen sich nicht abstrakt oder proklamatorisch erreichen. Rassifizierende oder ethnifizierende Grenzen sind dabei ebenso hinderlich wie die Einsicht erforderlich ist, dass Inhalt und Form der Kritik die entscheidenden Parameter bereitstellen, nicht die kulturelle oder die regionale Sozialisierung der Kritiker/innen. Ohnehin ist das Geflecht von Gegenkampagnen auf lokaler, nationaler und internationale Ebene zu komplex, als dass es sich auf die Parameter ‚westlich‘ und ‚nicht-westlich‘ reduzieren ließe. Die spezifisch vermittelte Verknüpfung der Pole Universalismus und Kulturrelativismus tritt hier sehr deutlich hervor: Aus einem universalistischen Anspruch heraus, nämlich einem, der sich gegen Rassismus, Ko-

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lonialismus und Unterdrückung ausspricht, kann die kulturrelativistische Forderung nach einem kontextsensiblen Umgang eingelöst werden. So kann eine Beschäftigung mit Exzision „nicht-imperialistisch“167 (James 1998: 1034) und nicht-ethnozentrisch gestaltet werden. Daran angelehnt können auch Abschaffungsbemühungen zu einem nachhaltigen Erfolg führen. Gleichzeitig erlaubt es erst eine universalistische Grundlage, repressive und Leiden verursachende Verhältnisse als solche zu erkennen und zu kritisieren. Ohne einen Begriff von individuellem Leiden, das universell nachvollziehbar ist, wäre das nicht möglich. Auf einer universalistischen, moralphilosophischen Ebene können Ziele von Emanzipation formuliert und nachhaltig diskutiert werden. Die Perspektive des freien Willens wird kulturrelativistisch verkürzt, wenn er unter Missachtung repressiver Verhältnisse als gegeben angenommen wird. Die Perspektive des freien Willens wird universalistisch verkürzt, wenn er unter Missachtung spezifischer, komplexer gesellschaftlicher Verhältnisse als unmittelbar umsetzbar angenommen wird. Nicht die Perspektive des freien Willens selbst wäre allerdings abzulehnen. Vielmehr wäre eine Perspektive des freien Willens anzustreben, die auf die Förderung und Unterstützung von Emanzipation und autonomen Entscheidungsmöglichkeiten abzielt, die aber zugleich die Hindernisse, die der Verwirklichung im Wege stehen, erkennt und ernst nimmt. Was der Begriff der Emanzipation beinhalten kann oder soll, wäre selbst Gegenstand der Diskussion. Dass sowohl kulturrelativistische als auch universalistische Argumentationen sich auf das Ideal eines freien Willens berufen, kann als richtungweisend aufgenommen werden. Dann wären im Fall der Exzision die Verhältnisse so einzurichten, dass die Praxis weder ökonomischer noch politischer oder sozialer Zwang ist, dass Mädchen und Frauen Zugang zu Ressourcen und Bildung haben und über umfassende Rechte verfügen, dass es weder Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen noch zwischen dem globalen Norden und dem globalen Süden gibt. Diese Aufzählung ließe

167 „nonimperialist“

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sich ausbauen und sie gestattet zumindest die Vermutung, dass unter all diesen Bedingungen sich kaum mehr eine Frau aus freiem Willen für die Entfernung ihrer Genitalien entscheiden würde.

III (Minimal-)Bedingungen einer vermittlungslogischen universalistischen Konzeption

Den Ausgangspunkt der vorangegangenen Überlegungen bildet die scheinbar unvermittelbare und allzu häufig dichotom gegenüberstehende Bestimmung von Universalismus und Kulturrelativismus. Deren Verhältnis wurde im ersten Teil vor allem auf einer theoretischen, im zweiten Teil auf einer konkreten Ebene untersucht. Um mit den Unterschieden und den gleichzeitig existierenden Überschneidungen zwischen den beiden Theorieansätzen einen produktiven Umgang zu finden, wurde ein vermittlungslogisches Verhältnis zwischen Kulturrelativismus und Universalismus aufgezeigt und herausgearbeitet. Darauf aufbauend sollen zum Abschluss weitere ausgewählte gesellschaftstheoretisch relevante Einsichten herangezogen werden, um zusammenfassend die Bedingungen einer vermittlungslogischen universalistischen Konzeption skizzieren zu können. Eine konsequente kulturrelativistische Argumentation kann in (mindestens) zwei Strategien münden. Sie kann einerseits innerhalb bloßer Affirmation, im Nachvollzug des je schon Gegebenen, in einer scheinbar neutralen Beschreibung verharren. Diese kann rasch ihres gesellschafts- und herrschaftsblinden Charakters überführt werden, denn der „Gelehrte und seine Wissenschaft sind in den gesellschaftlichen Apparat eingespannt, ihre Leistung ist ein Moment bei der Selbst-

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erhaltung, bei der fortwährenden Reproduktion des Bestehenden, gleichviel, was sie sich selbst für einen Reim darauf machen.“ (Horkheimer 1937: 252) Es stehen schlechterdings keine Analyse- und Beschreibungsmöglichkeiten zur Verfügung, die nur Gegenstände an sich beschreiben würden. Sondern stets wird eine je spezifische und sowohl gesellschaftlich als auch subjektiv geprägte Auswahl aus der Forscher/innenperspektive getroffen. Ausschließlich auf der Grundlage eines (scheinbar) nicht-normativen Nachvollzugs, eines bloßen Verstehens oder eines rein affirmativen Bezugs auf das Dargestellte – sei es aus Respekt vor ‚anderen‘ Kulturen oder zur Durchbrechung kolonialer Herrschaftsmechanismen – können repressive Verhältnisse kaum als solche in all ihren Dimensionen benannt beziehungsweise im weiteren kritisiert werden. Weder können eventuelle Notwendigkeiten einer Veränderung gekennzeichnet noch Möglichkeiten für Veränderung eruiert werden. Ein hypostasierter Kulturrelativismus führt notwendigerweise in die Beliebigkeit, in der alles und jedes jederzeit möglich ist, und damit zu einer Konzeptualisierung, die selbst repressiven Charakter annimmt. Wird auf die universalistischen Momente, die im Kulturrelativismus konstitutiv enthalten sind, reflektiert, zeigt sich, dass bloßes Beschreiben nicht neutral sein kann und stets an – wenn auch nur implizit vorhandene – subjektive Intentionen und objektive Dimensionen gebunden ist: Die kulturrelativistische Kritik an kolonialem und sogenanntem neokolonialen Rassismus tritt explizit mit einem herrschaftskritischen Anspruch an. Keineswegs ist sie als wertfrei zu begreifen, im Gegenteil bezieht sie daraus ihre normative Stärke (vgl. Kapitel II.1). Den frühen kulturrelativistischen Forderungen nach Toleranz und Respekt gegenüber anderen Kulturen liegt die universalistische Annahme der Gleichwertigkeit aller Menschen zugrunde (vgl. Kapitel I.1). Moderne kulturrelativistische Theorien rekurrieren auf kulturelle Selbstbestimmung oder Religionsfreiheit (vgl. Kapitel II.3). Wird eine kulturrelativistische Herangehensweise nicht – mit der Konsequenz von Willkür oder Beliebigkeit – verabsolutiert, dann weist sie, explizit oder implizit, einen inhärenten Universalismus auf. Wenn in kulturre-

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lativistischen Ansätzen auf diesen universalistischen Ausgangspunkt reflektiert wird (und wenn er bewahrt werden soll!), ergibt sich die Möglichkeit, in einem nicht-ausschließenden Universalismus zu münden, der auf einer allgemeinen Ebene mit der subjektiven und objektiven Abschaffung von Leiden oder mit der Verbesserung von Lebensbedingungen umschrieben werden könnte. Eine vergleichbare innere Gegenläufigkeit lässt sich auf der anderen Seite innerhalb universalistischer Argumentationen beschreiben. Verbleibt eine universalistisch geprägte Herangehensweise statisch und abstrakt, dann weist sie rasch einen repressiven Charakter auf, der für die Bestimmung und die differenzierte Analyse von Herrschaftsformen ebenfalls blind ist. Besonders deutlich zeigt sich dies in dem Fall, wenn universalistische Ansätze von den jeweils zugrundeliegenden Besonderheiten abstrahieren (vgl. Kapitel II.4) oder wenn eine hypostasierte Norm proklamatorisch verkündet und mit allen Mitteln durchgesetzt wird. Ein verkürzter universalistischer Ansatz greift so auf eine starre und abgeschlossene Konzeption zurück, die sich letztlich selbst untergräbt. In dieser Form kann der universalistische Anspruch und der Bezug auf die Allgemeinen Menschenrechte auch als Ideologie angewendet werden, die repressive Verhältnisse legitimiert, verschleiert oder fortschreibt, statt sie zu überwinden. Um diesen Kurzschlüssen, die einen hypostasierten Universalismus kennzeichnen, zu entgehen, ist die Reflexion auf die kulturrelativistische Implikation innerhalb einer universalistischen Argumentation notwendig. Durch die kulturrelativistische Bedeutung einer kontextsensiblen Herangehensweise, welche lokale, historische und konkrete Bedingungen in die Analyse aufnimmt, kann eine universalistische Argumentation ihren progressiven Charakter aufrechterhalten. NichtIdentisches, Besonderes und Partikulares können so nicht nur bewahrt werden, sondern sie bilden ein konstitutives Moment innerhalb einer reflexiven, universalistisch verfahrenden Analyse. Ein potentieller Zwang zur Nivellierung des Einzelnen, zur Subsumtion des Besonderen unter das Allgemeine, kann aufgehoben werden. Dieses Vorgehen überführt keineswegs die Idee universeller Menschenrechte selbst ihrer

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Unwahrheit. Vielmehr verdeutlicht sich, dass kein Begriff, keine Theorie und kein Konzept ungesellschaftlich und vor repressiven Zugriffen geschützt ist. Damit kommt der Kategorie der Reflexion eine entscheidende Bedeutung zu – für kulturrelativistische Argumentationen ebenso wie für universalistische Bezüge auf Menschenrechte. Durch die Reflexion auf die kulturrelativistischen Momente im Universalismus lässt sich auch der spezifische Charakter der Allgemeinen Menschenrechte genauer klären. Sie schließen kulturrelativistische Momente in sich ein, indem sie auf ihre eigene Gewordenheit und ihre Historizität rekurrieren, ohne damit ihren Allgemeinheitsanspruch aufzugeben (vgl. Kapitel I.2). Sie können in konkreten Situationen spezifisch analysiert, behandelt, umgesetzt und übersetzt werden, ohne dass damit ihr grundsätzlich allen Menschen zukommender Charakter erodiert wird. Diskussionen um die Ermöglichung oder die Bewahrung von Menschenrechten können damit den scheinbar unüberwindlichen Widerspruch von Kulturrelativismus und Universalismus konstitutiv in die Reflexion mit einbeziehen, statt ihn schlicht zu übergehen, zu verdecken oder gar eindimensional zu verkürzen. Eine vermittlungslogische universalistische Konzeption kann die (Minimal-)Bedingung für eine sozial- und moralphilosophisch angemessen fundierte Grundlage innerhalb der Diskussionen um die Möglichkeiten von Menschenrechten bilden. Dass die konkret-juristischen Allgemeinen Menschenrechte von ihrem Ideal abweichen können und es notwendig ist, sie stets daraufhin zu reflektieren, darf dabei nicht aus dem Blickfeld geraten. Eine abstrakte, allgemeingültige Antwort auf Konflikte und stets aufzufindende Widersprüche lässt sich nicht formulieren und wird durch den Anspruch auf Reflexion und die Achtung des Besonderen ausgeschlossen. Universalistische Argumentationen müssen sich keineswegs auf eine naturrechtliche oder religiöse Grundlage einschränken lassen. Sie sind nicht überhistorisch oder zeitlos, sondern immer schon eingebettet in spezifische Verhältnisse. Gleichzeitig führt das nicht zu der Annahme, dass die normative Dimension, die universalistischen Positionen inhärent ist, lediglich kulturell oder historisch relativ sei. Ein Streben

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nach Freiheit beziehungsweise nach der Abschaffung von (inneren und äußeren) Zwängen kann in allen Gesellschaftsformen nachgewiesen werden, die eine basale Ausbildung von Subjektivität gestatten. Keineswegs lassen sich daher universalistische Ideen nur dem politischen Westen zuschreiben – ebenso wenig, wie mit kulturrelativistischen Ansätzen oder einem statischen Kulturbegriff nicht-westliche Gesellschaften angemessen beschrieben wären. Auch eine Dichotomisierung, die emanzipatorische Momente einzig sogenannten Graswurzelbewegungen, d.h. Bewegungen ‚von unten‘ zuspricht (u.a. Robertson 2005: 80), unterliegt entscheidenden Verkürzungen. Interventionen ‚von oben‘ (in ihren unterschiedlichen rechtstaatlichen Formen) können durchaus Bemühungen gegen Exzision oder gegen andere Menschenrechtsverletzungen unterstützen, wenn nicht gar erst fundamental ermöglichen. Die Nähe zum Geschehen, die Graswurzelbewegungen zugeschrieben wird, gestattet nicht zwangsläufig eine angemessenere Perspektive. Gerade in gesellschaftlichen Verhältnissen, in denen Exzision als mehrheitsfähig gilt und wenig Wissen über die genauen Umstände kursiert, ermöglicht erst Distanz die Grundlage für einen Blickwinkel auf das Leiden Betroffener. Dies bedeutet im Umkehrschluss nicht, dass innerhalb von Exzision betreibenden Gesellschaften Initiativen gegen Exzision nicht möglich seien oder gar nicht existierten, im Gegenteil. Häufig basieren Abschaffungserfolge auf der Zusammenarbeit zwischen lokalen Initiativen, internationalen Nichtregierungsorganisationen und Regierungen. Eine dichotome Zuschreibung, die Emanzipation entlang ethnischer, geschlechtlicher oder Klassengrenzen von Repression trennt, kann dies kaum angemessen erfassen. „Anzunehmen, dass nur diejenigen das ‚Recht‘ zu sprechen haben, die eine Praxis erlebt haben oder die aufgrund von rassischer oder ethnischer Identität Anspruch auf sie erheben können, essentialisiert sowohl Praktizierende als auch Nichtpraktizierende“168 (Walley 1997: 408).

168 „To suggest that only those who have experienced a practice or those who can lay claim to it on the basis of racial or ethnic identity have the ‚right‘ to speak essentializes both practitioners and nonpractitioners“

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Für die theoretische Konzeptualisierung erweist sich, dass eine vermittlungslogische Herangehensweise die repressiven Fallstricke einer verkürzt universalistischen ebenso wie einer konsequent kulturrelativistischen Argumentation aufheben kann. Dies wird jedoch nicht lediglich durch den Rekurs auf sowohl universalistische als auch kulturrelativistische Elemente innerhalb einer Argumentation gewährleistet. Kaum vielversprechender wäre ein Zugang, der die beiden Pole Kulturrelativismus und Universalismus in Gänze hinter sich lassen möchte. Notwendig ist stets eine Reflexion auf all die Implikationen und Vorannahmen der jeweiligen Forschungen, zumal nur in den wenigsten aktuellen sozialwissenschaftlichen und politisch-praktischen Herangehensweisen an die Problematik von Exzision ein ausschließlich kulturrelativistischer oder universalistischer Standpunkt nachgezeichnet werden kann. Zahlreiche Versuche mit dem Ziel der Abschaffung der Exzision streben stattdessen an, zugleich kultursensibel zu agieren (u.a. James/Robertson 2005a) oder zunächst beide Seiten ohne Maßstab betrachten zu wollen. Positionen, die wahlweise als „extrem relativistisch“169 einerseits (The Women’s Caucus 2005: 1) und als universalistisch „sensationalisiert“170 (James/Robertson 2005b: 5), als „militante Herangehensweisen“171 (ebd.: 7) oder als „moralische Empörung“172 (Walley 1997: 429) andererseits rezipiert werden, finden in den Debatten wenig Zustimmung. Häufig wird ein „dritter Weg“173 (James/Robertson 2005b: 7) verkündet, doch ebenso oft findet sich eine theoretische Konzeptualisierung, die genau dies nicht erlaubt. Ansätze, die sich um eine Vermeidung dichotom verkürzter Positionen bemühen, können einer inhaltlichen Diskussion der jeweils zugrundeliegenden Vorstellungen kulturrelativistischer oder universalistischer Ele-

169 „extreme relativist“ 170 „sensationalized“ 171 „militant approaches“ 172 „moral outrage“ 173 „third course“

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mente nicht entbehren. Erst diese Reflexion ermöglicht eine vermittlungslogische Konzeption. Subjektkonstitution ist – ‚westlich‘ oder ‚nicht-westlich‘ – stets gesellschaftlich präkonfiguriert. Sozial- und gesellschaftswissenschaftliche Einsichten sind daher notwendig, um tatsächlich kontextsensibel vorgehen zu können. Insbesondere das Verhältnis von Gesellschaft und Individuum sowie der Begriff von Kultur nehmen hierfür eine hervorgehobene Stellung ein. Sofern die verdinglichten gesellschaftlichen Strukturen, der Doppelcharakter von Kultur, die Relevanz ökonomischer Prozesse und die spezifische Vermittlungsbeziehung zwischen Individuum und Gesellschaft nicht in ihrer konstitutiven Bedeutung ernst genommen und sozialwissenschaftlich angemessen berücksichtigt werden, bleiben sozialwissenschaftliche Diagnosen der Forderung nach einem ‚kritischen Dialog‘ (Speed 2006: 74, Bowen 2003: 48ff.) oder einem verkürzten Verständnis von ‚Intersubjektivität‘ (Goodale 2006a: 496) verhaftet. Eine reflexive Sozialwissenschaft auf der Grundlage eines vermittelten Universalismus zeichnet sich demgegenüber dadurch aus, dass sie die emanzipatorischen Momente beider diskutierten Pole reflexiv in sich aufnimmt, während sie zugleich die repressiven Momente beider Seiten ihrer Unhaltbarkeit überführt und überwindet. Die Annahme, dass „Widersprüche einander nicht negieren“, muss nicht lediglich zu der simplen Schlussfolgerung führen, dass sie „in mysteriöser Einheit im Herzen der Realität zusammenhalten“174 (Palmer 2000: 99, zitiert in James/Robertson 2005b: 7, Herv. J.M.), sondern es handelt sich um ein spezifisches Widerspruchsverhältnis, dessen Bestimmungen genau ausgelotet werden können. ‚Moralische Empörung‘ wäre nicht zu kritisieren, weil sie einen universalistischen Standpunkt einnimmt, sondern weil sie ihren Standpunkt nicht reflektiert: Proklamationen oder Setzungen zeichnen sich (unter anderem) durch Abstraktheit, Kontextlosigkeit und fehlende Reflexion aus, und dadurch untergraben sie ihre eigene Substanz.

174 „opposites do not negate each other“; „cohere in mysterious unity at the heart of reality“

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Kritik und Reflexion verweisen auf einen Maßstab, an dem die zu untersuchenden Gegenstände orientiert werden. Zumeist geht es dabei um die Offenlegung von Vorannahmen, um implizites Wissen, das herangezogen wird, um eine bestimmte Situation, auch und vor allem gesellschaftliche Macht- und Herrschaftsverhältnisse, verstehen zu können. In diesem Sinne kann es nicht um die bloße Proklamation einer Wahrheit gehen. Denn dann könnte die Setzung eines Maßstabs durch die Setzung eines beliebigen anderen Maßstabs schlicht und einfach ausgetauscht werden. Weder kann ein Maßstab für Kritik allein dem Bestehenden verhaftet bleiben, noch kann er willkürlich von einem scheinbar außenstehenden Ort aus gesetzt werden. Ein vermittlungslogischer Universalismus kann einen kontextsensiblen, aber verbindlichen und zugleich universellen Ansprüchen genügenden Maßstab für Kritik zur Diskussion stellen und explizieren. Die Unhintergehbarkeit dieser normativen Ebene begründet zugleich eine Verschiebung im Verhältnis von Kulturrelativismus und Universalismus. Nicht stehen sich ein universalistisch vermittelter Kulturrelativismus und ein kulturrelativistisch vermittelter Universalismus äquivalent (und damit in gewisser Hinsicht auch austauschbar) gegenüber. Vielmehr wird ein Vorrang, eine Präponderanz des vermittelungslogisch konzipierten Universalismus sichtbar. Nur so kann die normative Dimension, die Verringerung von Leiden, konstitutiv in die Theoriebildung mit einbezogen werden. Normative Vorstellungen von Menschenwürde und Freiheit, von der Abschaffung von Leiden sind, wie sich im Laufe der vorliegenden Ausführungen herauskristallisierte, auf das je konkrete Subjekt bezogen. Gleichzeitig ist eine Freiheit von struktureller Unterdrückung und Gewalt nur möglich, sofern die gesellschaftlichen Voraussetzungen dafür geschaffen sind. Eine Konzeption, die das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft als ein vermittlungslogisches begreift, in dem das eine konstitutiv in das andere eingeht, kann die Schwierigkeit eines Maßstabs für Kritik, der sich am Individuum festmacht, gleichzeitig aber nur gesellschaftlich denk- und durchsetzbar ist, aufzeigen und bearbeiten. Auch Individualität ist eine historische Kategorie und weder

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zu allen Zeiten noch in allen Gesellschaften in gleicher Art und Weise ausgeprägt. Individualität lässt sich vorrangig an der subjektiven, intersubjektiven und objektiven Fähigkeit ablesen, selbstbewusst und selbstbestimmt denken und handeln zu können (vgl. Ritsert 2009: 172, Adorno 2001: 124). Sie hängt von den vorhandenen und verstellten Möglichkeiten von Reflexion ab. „An der Möglichkeit oder Unmöglichkeit von individueller Freiheit als Autonomie des Individuums in der jeweiligen geschichtlichen Situation wird die Qualität der gesellschaftlichen Verhältnisse gemessen.“ (Ritsert 2009: 172) Individuelle Freiheit ist somit nur als gesellschaftliche Kategorie denkbar. Mit Autonomie wird nicht die völlige Abwesenheit äußerer und innerer Bedingungen bezeichnet, welche ein scheinbar an sich existierendes Individuum einschränken würden. Ein ungesellschaftliches Individuum, das unter der Schicht gesellschaftlicher Zurichtungen verborgen ist, gibt es nicht und wäre „die allerleerste und ärmste Bestimmung, die von menschlichen Dingen überhaupt gewonnen werden kann“ (Adorno 1979b: 449). Dennoch ist das Individuum, obwohl durch gesellschaftliche und kulturelle Bedingungen erst geschaffen, durch diese nicht vollständig und in jeder Hinsicht determiniert. Dementsprechend ist das Verhältnis von Individuum und Kultur beziehungsweise von Individuum und Gesellschaft als von inneren Vermittlungen geprägt zu konzeptualisieren. „Der Gegensatz besteht also nicht zwischen unbedingter Autonomie und Heteronomie.“ (Ritsert 2009: 173, Herv. i.O.) Vielmehr muss dem Doppelcharakter des Begriffs Heteronomie Rechnung getragen werden. Zum einen können heteronome, gesellschaftliche Verhältnisse in der Tat höchst repressiv sein. Zum anderen aber sind es erst die gesellschaftlichen Verhältnisse, welche die Existenzbedingungen für Individualität und Autonomie zur Verfügung stellen (ebd.). Es verdeutlicht sich, wie sehr „Freiheit, die uns so erscheint, als ob es lediglich eine Qualität der Subjektivität wäre, als ob über ihre Möglichkeit im subjektiven Bereich allein befunden und geurteilt werden könnte; wie sehr diese Freiheit von dem Objektiven abhängt“ (Adorno 2001: 282). „Denn von ihr, von der Einrichtung der Welt und der Be-

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schaffenheit der Welt hängt eben tatsächlich ab, wieweit das Subjekt zu Autonomie kommt, wieweit sie ihm gewährt wird oder verweigert. Losgelöst davon ist sie fiktiv – oder ein so dünnes und abstraktes Prinzip, daß mit ihm über das reale und wirkliche Verhalten der Menschen überhaupt gar nichts mehr besagt werden kann.“ (ebd.: 308)

Reflexion aber und Vorstellungen von Freiheit sind keinesfalls bestimmten Gesellschaftsformen vorbehalten. Keine Repression ist so umfassend und total, dass sich das Subjekt vollständig und in jeder Hinsicht den objektiven Verhältnissen angleichen und mit ihnen, unter Ausschaltung aller subjektiven Eigenschaften, identisch werden würde. In der wechselseitigen Konstitutionsbeziehung bringen gesellschaftliche Verhältnisse nicht nur Individualität hervor, sondern sie sind selbst von Menschen geschaffen und geformt. Gleichzeitig mit der gegenseitigen Konstitution von Subjekt und Objekt, von Individuum und Gesellschaft, stehen beide in einem strikten Gegensatz zueinander (vgl. Adorno 1997b). Dieser Gegensatz ermöglicht stets den Gedanken an Freiheit selbst in unfreien Verhältnissen. Differenz, die Nicht-Identität sowohl zwischen individuellen und kollektiven Interessen als auch zwischen Menschen, ist somit unhintergehbarer Bestandteil eines vermittelten Universalismus. Die Annahme, dass Gesellschaften existieren, in denen es keine Individualität gebe und in denen individuelle Interessen mit gesellschaftlichen oder kulturellen Zurichtungen vollständig übereinstimmen würden, kann vor diesem Hintergrund fundiert zurückgewiesen werden. Um jene Zugänge offenzulegen, zu kritisieren und zu durchbrechen, können universelle, jedem Menschen zustehende Menschenrechte ein basales Instrument sein. Individualität, Autonomie und Reflexionsmöglichkeiten bilden dann zentrale Kriterien für einen möglichen universellen Maßstab. „Damit lautet die Grundfrage auch so: Welche Chancen bestehen in der jeweiligen Gesellschaftsformation, dass Individuen zu Subjekten werden und welche Herrengewalten, sozialen Einrichtungen, Strukturen und Prozesse haben den Effekt einer Gefährdung oder gar Zerstörung von Willensfreiheit?“ (Ritsert 2009: 172)

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Fehlende Ausprägung von Individualität wäre dann keine zu konstatierende Eigenschaft des ‚Anderen‘, sondern eine Einschränkung von Freiheit, die nachhaltig zu kritisieren wäre. Individualität, Freiheit und Autonomie jedoch zu ‚westlichen‘ Werten zu erklären, die nicht für die ‚Anderen‘ gelten würden, ist gleichbedeutend mit der Essentialisierung von Repression. Der reflexive, offene Wahrheitsanspruch eines vermittelten Universalismus ist dabei nicht das idealisierte, abstrakte Gegenstück zum Bestehenden. Er ist durch die jeweils dominierenden gesellschaftlichen Bestimmungen vermittelt und weist gleichzeitig über sie hinaus.

Glossar AAA: American Anthropological Association, Vereinigung amerikanischer Anthropologen AEMR: Allgemeine Erklärung der Menschenrechte CEDAW: Convention on the Elimination of all Forms of Discrimination Against Women, Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau FC: Female circumcision/female cutting, weibliche Beschneidung FGC: Female genital cutting, weibliche Genitalbeschneidung FGM: Female genital mutilation, weibliche Genitalverstümmelung ILO: International Labour Organization, Internationale Arbeitsorganisation NGO: Non-governmental organization, Nichtregierungsorganisation PTBS: Posttraumatische Belastungsstörung SWU: Sudanese Women’s Union, Sudanesische Frauenpartei TOSTAN: Wolof für ‚Durchbruch‘, Nichtregierungsorganisation UN: United Nations, Vereinte Nationen UNESCO: United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization, Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur UNICEF: United Nations International Children’s Emergency Fund, Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen WADI: Association for Crisis Assistance and Development CoOperation, Verband für Krisenhilfe und solidarische Entwicklungszusammenarbeit, Nichtregierungsorganisation. WHO: World Health Organization, Weltgesundheitsorganisation

Bibliographie

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208 | B EGRÜNDUNGSMUSTER WEIBLICHER GENITALVERSTÜMMELUNG

Zenie-Ziegler,Wedad (1985): La face voilée des femmes d’Egypte, Paris: Mercure de France.

Kultur und soziale Praxis Sylke Bartmann, Oliver Immel (Hg.) Das Vertraute und das Fremde Differenzerfahrung und Fremdverstehen im Interkulturalitätsdiskurs September 2011, ca. 240 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1292-9

Isolde Charim, Gertraud Auer Borea d’Olmo (Hg.) Lebensmodell Diaspora Über moderne Nomaden Dezember 2011, ca. 400 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1872-3

Sabine Hess, Nikola Langreiter, Elisabeth Timm (Hg.) Intersektionalität revisited Empirische, theoretische und methodische Erkundungen September 2011, ca. 280 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1437-4

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Kultur und soziale Praxis Silja Klepp Europa zwischen Grenzkontrolle und Flüchtlingsschutz Eine Ethnographie der Seegrenze auf dem Mittelmeer September 2011, ca. 422 Seiten, kart., ca. 34,80 €, ISBN 978-3-8376-1722-1

Anne C. Uhlig Ethnographie der Gehörlosen Kultur – Kommunikation – Gemeinschaft Oktober 2011, ca. 340 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1793-1

Erol Yildiz Die weltoffene Stadt Wie Migration Globalisierung zum urbanen Alltag macht September 2011, ca. 200 Seiten, kart., ca. 19,80 €, ISBN 978-3-8376-1674-3

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Kultur und soziale Praxis Anıl Al-Rebholz Das Ringen um die Zivilgesellschaft in der Türkei Intellektuelle Diskurse, oppositionelle Gruppen und Soziale Bewegungen seit 1980 September 2011, ca. 408 Seiten, kart., ca. 33,80 €, ISBN 978-3-8376-1770-2

David Johannes Berchem Wanderer zwischen den Kulturen Ethnizität deutscher Migranten in Australien zwischen Hybridität, Transkulturation und Identitätskohäsion September 2011, ca. 592 Seiten, kart., ca. 39,80 €, ISBN 978-3-8376-1798-6

Thomas Fröhlich, Yishan Liu (Hg.) Taiwans unvergänglicher Antikolonialismus Jiang Weishui und der Widerstand gegen die japanische Kolonialherrschaft. Mit einer Übersetzung von Schriften Jiang Weishuis aus dem Chinesischen und Japanischen August 2011, 362 Seiten, kart., 36,80 €, ISBN 978-3-8376-1018-5

Daniel Gaxie, Nicolas Hubé, Marine de Lassalle, Jay Rowell (Hg.) Das Europa der Europäer Über die Wahrnehmungen eines politischen Raums März 2011, 344 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1626-2

Jörg Gertel, Ingo Breuer (Hg.) Alltags-Mobilitäten Aufbruch marokkanischer Lebenswelten September 2011, ca. 350 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-89942-928-2

Martina Grimmig Goldene Tropen Zur Koproduktion natürlicher Ressourcen und kultureller Differenz in Guayana September 2011, ca. 320 Seiten, kart., ca. 34,80 €, ISBN 978-3-89942-751-6

Jürg Martin Meili Kunst als Brücke zwischen den Kulturen Afro-amerikanische Musik im Licht der schwarzen Bürgerrechtsbewegung Mai 2011, 320 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1732-0

Minna-Kristiina Ruokonen-Engler »Unsichtbare« Migration? Transnationale Positionierungen finnischer Migrantinnen. Eine biographieanalytische Studie November 2011, ca. 348 Seiten, kart., ca. 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1876-1

Verena Schreiber Fraktale Sicherheiten Eine Kritik der kommunalen Kriminalprävention Juni 2011, 302 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1812-9

Anja Sieber Egger Krieg im Frieden Frauen in Bosnien-Herzegowina und ihr Umgang mit der Vergangenheit Mai 2011, 428 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 34,80 €, ISBN 978-3-8376-1624-8

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