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German Pages 328 [336] Year 1968
UNIVERSALISMUS UND PARTIKULARISMUS IM MITTELALTER
M I S C E L L A N E A MEDIAEVALIA VERÖFFENTLICHUNGEN DES THOMAS-INSTITUTS DER UNIVERSITÄT ZU KÖLN H E R A U S G E G E B E N VON PAUL WILPERT f
BANDS UNIVERSALISMUS UND PARTIKULARISMUS IM MITTELALTER
W A L T E R DE
GRUYTER
& CO · B E R L I N
V O R M A L S G. J. G Ö S C H E N ' S C H E V E R L A G S H A N D L U N G · J. G U T T E N T A G , VERL A G S B U C H H A N D L U N G · GEORG R E I M E R . KARL J. T R Ü B N E R . VEIT & COMP.
1968
UNIVERSALISMUS UND PARTIKULARISMUS IM MITTELALTER
HERAUSGEGEBEN VON PAUL W I L P E R T f
W A L T E R DE
GRUYTER
& CO ·
BERLIN
V O R M A L S G. J. G Ö S C H E N ' S C H E V E R L A G S H A N D L U N G · J. G U T T E N T A G , V E R L A G S B U C H H A N D L U N G · G E O R G R E I M E R · K A R L J. T R Ü B N E R · V E I T & COMP.
1968
Mit einem Frontispiz und zwei Bildtafeln
Archiv-Nr. 3621681 Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege (Photokopie, Mikrokopie) zu vervielfältigen ©
1968 by Walter de Gruyter & Co.
vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung · J. Guttentag Verlagsbuchhandlung · Georg Reimer Karl J. Trübner · Veit & Comp., Berlin 30 Printed in Germany Satz und Druck: Walter de Gruyter & Co., Berlin 30
VORWORT In der Silvesternacht 1966/67 starb völlig unerwartet der Herausgeber der Miscellanea Mediaevalia und Direktor des Thomas-Instituts der Universität zu Köln, Professor Dr. Paul Wilpert. Sein Vorgänger, Prälat Professor D. Dr. Josef Koch, übernahm es trotz des hohen Alters auf Bitten der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln, das von ihm gegründete Thomas-Institut bis zur Ernennung eines Nachfolgers zu verwalten. Wenige Wochen später, am 10. März 1967, wurde auch er heimgeholt. Damit gesellte sich zur Trauer über den Tod zweier bekannter Forscher und Lehrer die Sorge um manche wissenschaftlichen Aufgaben, die von ihnen nicht mehr vollendet werden konnten. Dem Nachfolger ist nun zunächst einmal aufgetragen, die wichtigen und noch nicht abgeschlossenen Arbeiten weiterzuführen und zu beenden. Darum erfüllt es mich mit Genugtuung, nun endlich den Band 5 der Miscellanea Mediaevalia vorlegen zu können. Ganz sicher wäre er früher erschienen, hätte Paul Wilpert sich noch selbst um ihn kümmern können. Man wird mir aber zugute halten, daß es sich bei der Verspätung um eine nicht zu vermeidende Folge des Todes meines Vorgängers handelt. Herrn Privatdozent Dr. Karl Bormann, der vertretungsweise das Thomas-Institut leitete, gebührt Dank dafür, daß er sich um die Manuskripte bemühte und alles tat, um ein allzu spätes Erscheinen zu verhindern. Der vorliegende Band enthält die Vorträge, die während der Kölner Mediävistentagung des Jahres 1965 gehalten wurden. Paul Wilpert leitete die Tagung, deren Rahmenthema „Universalismus und Partikularismus im Mittelalter" dieser Publikation den Titel gibt. Von ganzem Herzen hoffe ich, daß die Miscellanea Mediaevalia und die Kölner Mediävistentagungen ihren guten Ruf und ihre Freunde behalten. Köln, Februar 1968
ALBERT ZIMMERMANN
INHALTSVERZEICHNIS ALBERT ZIMMERMANN, Vorwort
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JOHANN AUER, Heilsuniversalismus und Praedestinationspartikularismus im Mittelalter
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LUDWIG HÖDL, Universale christliche Ethik und partikulares kirchliches Ethos im unterschiedlichen Verständnis der scholastischen Theologie von der,,perfectio evangelica" 20 PIERRE MICHAUD-QUANTIN, La conscience individuelle et ses droits chez les moralistes de la fin du moyen-äge 42 ERNST STADTER, Die Seele als „minor mundus" und als „regnum". Ein Beitrag zur Psychologie der mittleren Franziskanerschule . 56 SALVADOR GOMEZ NOGALES, Universality et particularity de l'äme humaine dans la philosophic musulmane et spdcialement chez Ihn 'Arabi 72 GEORGES C. ANAWATI, Universalisme et particularisme dans la pense"e musulmane au moyen-äge 97 HEINRICH Roos, Der Unterschied zwischen Metaphysik und Einzelwissenschaft nach Boetius von Dazien 105 KARL LANGOSCH, Die mittellateinische und die europäische Literatur 121 WILLY KROGMANN f, Universalität und Partikularität des Mittelalters im Spiegel der Sprache 145 JAN PINBORG, Die Erfurter Tradition im Sprachdenken des Mittelalters 173 JÜRGEN SYDOW, Elemente von Einheit und Vielfalt in der mittelalterlichen Stadt (im Lichte kirchenrechtlicher Quellen) . . . 186 FRITZ ARENS, Wimpfen, ein neuer Mittelpunkt der staufischen Macht am unteren Neckar (mit 3 Abb.) 198
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Inhaltsverzeichnis
HANS MARTIN KLINKENBERG, Unus Petrus — generalitas ecclesiae bei Augustinus. Zum Problem von Vielheit und Einheit . . . 216 GÜNTHER WOLF, Universales Kaisertum und nationales Königtum im Zeitalter Kaiser Friedrichs II. (Ansprüche und Wirklichkeit.) 243 WALTER MOHR, Alexander von Roes — Die Krise in der universalen Reichsauffassung nach dem Interregnum 270 Namenregister
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Sachregister
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HEILSUNIVERSALISMUS UND PRAEDESTINATIONSPARTIKULARISMUS IM MITTELALTER Von JOHANN AUER Es ist ohne mein Verschulden geschehen, daß ich als Theologe das erste Referat im Rahmen dieser philosophisch orientierten Mediävistentagung halte. Man mag dies damit entschuldigen, daß der Patronus des philosophischen Thomas-Institutes in Köln, das seit vielen Jahren uns die Freude dieser Mediävistentagungen bereitet, Thomas von Aquin, auch, vielleicht primär Theologe war, und schließlich damit, daß Mediävistik die Philosophie dieser Zeit nicht ganz verstehen könnte, wenn sie nicht ihren Zusammenhang mit den großen theologischen Problemen, denen die Entwicklung der Philosophie im Mittelalter, wenigstens im Hoch-Mittelalter, primär gedient hat, beachten würde. — Auch unsere mohamedanischen Kollegen, über deren Mitwirken in diesen Forschungen wir sehr glücklich sind, werden in ihrer mittelalterlichen Philosophie dieselbe Verbindung von Philosophie und Theologie auf weite Strecken hin vorfinden. Das theologische Problem, das ich im Rahmen des Gesamtthemas dieser Tagung „Universalismus und Partikularismus im Mittelalter"1 behandeln will, möchte ich in die Formulierung kleiden: Heüsuniversa1
Dieses Rahmenthema der Tagung ist bereits aus dem Weltverständnis und Begriffsverständnis des Mittelalters gestellt. Die Problematik, die in dieser Themenstellung von unserem modernen Weltverständnis her liegt, wird deutlich, wenn wir uns kurz vor Augen halten, wie die mittelalterliche Gegenüberstellung von „universale" und „particulare" in der primär-intentionalen Differenzierung unseres heutigen Weltbildes aussähe: In der Welt der sogenannten toten Materie entspräche diese Disjunktion der Unterscheidung „das Ganze und der Teil", dem Partikulare müßte also das Totale (nicht das Universale) gegenüberstehen. In der Welt der geistigen Realitäten fände sie ihre Entsprechung etwa in der berühmten Frage nach der „Einheit oder Vielheit der Ideen" oder in der Frage nach der Möglichkeit der „Reduktion der Vielheit der Werte auf einen übergreifenden Seinswert", wie es etwa in der Lehre von den „Transzendentalien des Seins" zum Ausdruck kommt. In der Welt des Personalen wäre das Problem angerührt durch die „Universalienfrage", wo dem „universale" das „individuale vel singulare" (nicht das „particulare") entgegenzustellen wäre. Hier wird auch deutlich, wie diese Disjunktion bei zunehmender Vertiefung der Seinsbetrachtung immer mehr die erkenntniskritische Unterscheidung zwischen real und ideal, konkret und abstrakt, erster und zweiter Intention der Erkenntnis berührt und einschließt. — Nur in der übergreifenden Metaphysik der hochmittelalterlichen Denkweise ist diese Disjunktion universale-particulare sinnvoll und berechtigt. Eine andere Frage ist, ob sie nicht auch für uns heute „notwendig" ist. Med.V
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lismus und Praedestinationspartikidarismus. Ich hoffe wenigstens mit einigen Andeutungen zeigen zu können, wie gerade in diesem Thema die Philosophie in ganz besonderer Weise in Anspruch genommen werden mußte und muß, wenn das theologisch-wissenschaftliche Problem überhaupt verstanden und vielleicht gar auch noch irgendwie menschlich etwas Vernünftiges dazu gesagt werden soll, auch wenn natürlich das eigentlich theologische Sachproblem als Glaubensfrage aus philosophischem Denken, ja überhaupt im menschlichen Verstehen keine endgültige Antwort finden kann. Ich will versuchen, mein Thema in drei kurzen Gedankenkreisen vorzuführen: 1. In einem ersten Teil muß ich, um das spezifisch Mittelalterliche nachher klarmachen zu können, einen ganz kurzen Überblick über das geschichtliche Werden dieses Problems aus der Offenbarung vorstellen. 2. In einem zweiten Teil will ich dann einige, wie ich hoffe die wichtigsten, Lösungsversuche des hier angesprochenen Grundproblems im Mittelalter aufzeigen, die ausschließlich mit philosophischen Mitteln durchgeführt werden. 3. In einem kurzen Schlußteil endlich will ich versuchen, das Problem so zu zeigen, wie es der Mensch von heute zu sehen vermag, der Mensch, der von dem recht verstandenen Problem mehr Trost gewinnt als von den verschiedenen philosophischen Lösungsversuchen des Mittelalters. Diese Schlußbetrachtung gehört meines Erachtens noch zur mittelalterlichen Betrachtung, insofern wir das mittelalterliche Problem nicht verstehen, wenn wir das Problem nicht in unserer eigenen Zeit zu verstehen vermögen. I. Vom geschichtlichen Werden des Problems: Heilsuniversalismus und Praedestinationspartikularismus. Das hier anstehende Problem lautet in unserem heutigen Verständnis etwa also: der in unserer konkreten Geschichtlichkeit erfahrene unheile, sündige Mensch verlangt nach einer inneren Heilung und Heiligung, Erfüllung und Vollendung seines Wesens, die wir Heil2 nennen und die ihm nur von Gott, dem Schöpfer und Herrn, dem Ursprung und Ziel des Menschen, geschenkt werden kann. Ausgehend von der Erkenntnis, daß sich das Sein des Menschen in dieser Weltzeit irgendwie ausformen, ausreifen, erfüllen und vollenden muß, läßt die Tatsache, daß dies nur wenigen Menschen und keinem Menschen ganz gelingt, die Frage aufkommen: Woher erlangt der Mensch in dieser Welt seine Erfüllung und Vollendung und nach dem Tode sein ewiges Heil ? Das 2
Vgl. W. Trilling — O. Semmelroth: Heil. In: Handb. theolog. Grundbegr. l (1962) 623—633; W. Foerster — G. Fohrer: , . In: Theolog. Wörterb. z. N. T. 7 (1964) 966—1004.
Heilsuniversalismus und Praedestinationspartikularismus
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gläubige Wissen um die absolute Abhängigkeit des geschaffenen Menschen vom Schöpfer Gott führt hier zu den Fragen: Will Gott das Heil aller Menschen (Heilsuniversalismus) oder hat er von Ewigkeit nur einzelne Menschen oder Menschengruppen zum ewigen Heil bestimmt (Praedestinationspartikularismus) oder ist es mit unserem Gottesbild der Offenbarung vereinbar, ja im Gegenüber zum christlichen Menschenbild dafür sogar wesentlich, daß beide Aussagen zugleich miteinander wahr sind ? Gibt es für die Praedestination einzelner Menschen oder einzelner Gruppen einen Grund in Gott oder im Menschen, ganz besonders, gibt es auch für die ewige Verwerfung (Reprobation) einen Grund und welchen ? Stehen endlich irdische Erfüllung durch Gnade und ewiges Heil ebenso wie irdisches Versagen in Sünde und ewige Verdammnis in einem je eigenen inneren Zusammenhang, oder sind sie je einzeln von Gott selbst bestimmt? Wenn wir auf diese Fragen hin die Offenbarung und die Theologie bis ins Mittelalter befragen, zeigt sich in kurzen Linien folgendes Bild für die Entwicklung unseres Problems und seiner möglichen Beantwortungen: 1. Von Anfang an lebt die jüdische Offenbarungsreligion aus der Glaubensüberzeugung, daß Jahwe, der vielleicht anfangs mehr als Stammesgott, wenigstens seit der Landnahme als universaler SchöpferGott und Herr der Welt verstanden ist, das Volk Israel erwählt und mit ihm einen Bund3 als Zeichen dieser einmaligen Erwählung* geschlossen hat. Der Bund beginnt in der jahwistischen Überlieferung primär bei Moses, in der jüngeren elohistischen Überlieferung schon bei Abraham und den Stammvätern Israels, und diese letztere Vorstellung setzt sich für die Erwählungsfrage endgültig durch, wie die Heils- und Erlösungsfrage mit der Befreiung aus Ägypten unter Moses verknüpft bleibt. Sinn dieser Offenbarungswahrheit ist: alles Heil kommt allein von Gott und ist reines Gnadengeschenk Gottes, und Israel soll dafür Gott danken und Gott dienen, denn Erwählung bedeutet „Verantwortung und Gericht". Immer wieder heben die Propheten diesen Sinn des Erwählungsglaubens hervor, weil das Volk Israel auf diesen Glauben irrigerweise seinen „Erwählungsstolz" baut, in dem es immer mehr die Heiden (Gojim) als Nichterwählte verachtet und für verloren hält. Ganz besonders nach dem Exil entwickelt sich dieser nicht ursprüngliche, menschlich verstandene „Heilspartikularismus" im jüdisch-pharisäischen Denken, dem gegenüber ein ebenso menschlich verstandener Heilsuniversalismus aus dem hellenistischen Geist durch 3
Vgl. J. Haspecker: Bund. In: Handb. theolog. Grundbegr. l (1962) 197—204; J. Moltmann: Föderaltheologie. In: Lex. f. Theol. u. Kirche 4 (1960) 190—192; E. Przywara: Alter und Neuer Bund. München 1956. 4 Vgl. P. v. Imschoot: Erwählung. In: Bibel-Lex. (1951) 424—431. Paulus entwickelt das Heilswirken Gottes gegenüber dem Menschen in Rom 8, 29 f. mit den Bestimmungen: praescivit, (elegit), praedestmavit, vocavit, iustificavit, glorificavit. l«
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das Institut des Proselytismus5 ermöglicht und verwirklicht werden soll, besonders zur Zeit Christi. 2. Schon Johannes der Täufer greift auf die prophetische Idee von der eschatologischen Bekehrung aller Völker zu Jahwe zurück6, als er gegen den Stolz der ,,Kinder Abrahams" Stellung nimmt mit den Worten: „Gott kann dem Abraham aus diesen Steinen da Kinder erwecken" (Mi 3, 9). Christus stellt dem fleischlichen Verständnis der Juden sein geistiges Verständnis der Abrahamskindschaft gegenüber, wenn er in den Streitreden am Laubhüttenfest (Jo 8, 33—40) zu ihnen sagt: „Wäret ihr Kinder Abrahams, würdet ihr auch Abrahams Werke tun". Wie die Propheten, so betont auch er, daß das sittliche Tun, nicht die leibliche Abstammung über Sein und Wert des Menschen entscheidet. Von besonderer Bedeutung aber ist, daß Christus in seinen eschatologischen Reden die prophetischen Aussagen von der endzeitlichen Scheidung der Menschen zwischen solchen, die das ewige Heil erlangen, und solchen, die in die ewige Pein eingehen, aufnimmt (Dn 12, 2; Mi 25, 46; Jo 5, 29). Die Visionen vom Ende der Welt in der Apokalypse veranschaulichen diese Lehre Jesu (cap. 18—20). 3. Wiederum eine neue Gestalt gewinnt unser Problem bei Paulus. Durch die Macht der Gnade von seinem pharisäischen Heilspartikularismus in der Konversionsstunde vor Damaskus (Apg 9) geheilt, wird bei ihm die ethische Forderung der Propheten entscheidend ergänzt und überrundet durch die Lehre von der „Macht der Gnade" und durch den „Glauben an Christus". Diese Lehren sind die notwendige Folge aus seinem Christuserlebnis: In Christus Jesus ist für ihn der alttestamentliche „Gott des Heiles" Mensch (Phil 2, 5—11; l Jo 4, 14) und darin „Heil aller Menschen" (l Tim 4, 10) geworden, „Heiland der Welt" (Jo 4, 42). Der Erwählungsgedanke wird nun wie in die Konkretheit des geschichtlichen Jesus hinein (Phil 3, 7—11) ebenso auch in die Ewigkeit Gottes zurückgeführt in dem großen Hymnus auf die Heilsgeschichte der neuen Menschheit in Christus, mit dem Paulus seinen Brief an die Epheser einleitet (Eph l, 4—10). Gegen die Werkheiligkeit der Pharisäer wird das recht verstandene ethische Element auch in die „Glaubensgerechtigkeit" (Rom 3,21f.) als Gnade aufgenommen durch die berühmten paralogischen Sätze: „Denn sein Geschöpf sind wir, geschaffen in Christus Jesus für gute Werke, die Gott im voraus bereitet hat, damit wir in ihnen wandeln" (Eph 2, 10). „Wirket euer Heil in Furcht und Zittern; denn Gott ist es, der in euch sowohl das Wollen wie auch das Vollbringen bewirkt zu seinem Wohlgefallen" (Phil 2,12f.). Dazu kommt für ihn, den gebürtigen Juden (2 Kor 11, 22) 6
Vgl. K. G. Kühn: . In: Theolog. Wörterb. z. N.T. 6 (1959) 727—745. Die Werbung geschah von Mensch zu Mensch; eine offizielle Heidenmission kannte die Synagoge nicht. 6 Vgl. Is 2, 2f.; Mich 4, Iff.
Heilsuniversalismus und Praedestinationspartikularisinus
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und erwählten Heidenapostel (Gal 2, 7f.), noch ein zweites geschichtliches Ereignis, das nun seinen neuen christlichen Heilsuniversalismus bis in den existentiellen Kern der Frage hinein gefährdet: die Tatsache, daß eben das auserwählte Volk des Alten Bundes, das Judenvolk, Christus nicht angenommen, nicht anerkannt, ja verworfen hat. Römer 9—II 7 ringt der in der Tempel-Theologie ausgebildete Theologe Paulus mit diesem Problem. Seine Antwort ist: Alles kommt von Gott, alles ist seine Gnade: auch noch die Verstockung des einen Teiles des Volkes Israel: Sie wurden aus dem alten ölbaum Gottes (dem wahren Israel) ausgebrochen, damit die Heiden als neues Reis eingepfropft würden. Am Ende aber wird sich ganz Israel bekehren, denn „unwiderruflich sind die Gnadengaben und die Berufungen Gottes" (Rom 11, 29). Auch hier steht im Hintergrund das Problem „pharisäische Werkgerechtigkeit und christliche Glaubensgerechtigkeit". Am Ende bleiben in seiner Theologie unvermittelt die scheinbar sich widersprechenden Sätze stehen: „Gott will, daß alle Menschen selig werden und zur Erkenntnis der Warheit gelangen," (l Tim 2, 4) und: „so erbarmt sich Gott also, wessen er sich erbarmen will, und verstockt, den er verstocken will" (Rom 9, 18; Mal l, 2f.). Das Problem mündet ein in das anbetende Stehenbleiben vor dem Geheimnis Gottes: „O Tiefe des Reichtums der Weisheit und der Erkenntnis Gottes: Wie unergründlich sind seine Ratschlüsse und wie unerforschlich sind seine Wege" (Rom 11, 33). 4. In den ersten Auseinandersetzungen der christlichen Lehre mit Stoa und Gnosis wird dieses Problem auf den „einzelnen" hin mehr verstanden, und die „Freiheit des Menschen" wird gegenüber dem stoischen Fatalismus besonders zum Problem8. Das heilsgeschichtliche Denken der jüdischen und der ethische Idealismus der griechischen Tradition stehen nebeneinander, ergänzen einander. Zu einer eigentlichen Auseinandersetzung kommt es noch nicht. Aber die Praedestinationslehre ist stärker von der Gotteslehre zur Anthropologie übergegangen: der „praedestinierte Mensch" interessiert mehr als der „praedestinierende Gott". 5. Die Fülle der Fragen, die mit diesem Problem zusammenhängen, begegnet uns bei Augustinus9, der sich ebenso mit dem pessimistischen 7
Vgl. K. L. Schmidt: Die Judenfrage im Licht der Kapitel 9—11 des Römerbriefes. Göttingen 1943. In: Theologische Studien 13. 8 Vgl. Irenäus: Adversus haereses libri quinque IV c. 37, V c. 10. In: PG 7/1, 1099— 1104; PG 7/2 1147—1149; Tertullian: Adversus Marcionem II, 5—8. In: Quinti Septimi Florentis Tertulliani Opera. Pars I: Opera Catholica, Adversus Marcionem. Turnholti 1964. S. 479—484. * Vgl. F. Saint Martin: La pensee de S. Augustin sur la pr£destination d'apres ses derniers Berits. Paris 1930; V. Boublick: La predestinazione. S. Paolo e S. Agostmo. Rom 1961; J. Auer — K. Rahner: Prädestination. In: Lex. f. Theol. u. Kirche 8 (1963) 662—670.
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Manichäismus wie mit dem optimistischen Pelagianismus auseinandersetzen muß. Vor allem die Frage nach dem ,,Heilsuniversalismus" wird hier eigentlich akut, als Augustinus seine Erbsündenlehre ausbaut und damit das Problem von Praedestination und Reprobation im eigentlichen Sinne weckt. In der anthropologischen Sicht des hl. Augustinus ergeben sich somit folgende Grundgedanken: Alle Menschen sind durch die Sünde Adams in der Erbsünde zu einer „massa damnationis" geworden. Alles Heil der Menschen ist reine Gnade, für die die Menschen von Anfang an in Jesus Christus praedestiniert sind. Es gibt Menschen, die nicht praedestiniert sind, also nicht aus dieser „massa damnationis" herausgenommen sind, sondern darin bleiben und damit als reprobiert anzusehen sind. Grund für diese Reprobation als Nichtpraedestination ist der Unglaube der Menschen, den Gott vorher weiß. Wie steht es dann mit dem allgemeinen Heilswillen Gottes ? Augustinus zitiert seit 421 l Tim 2, 4 nur noch in dem Sinne: „Alle", d. h. „alle diejenigen, die praedestiniert sind", sollen nach dem Willen Gottes selig werden (depraed 8, 14). Nach 450 lehrt ein Presbyter Lucidus, über Augustinus entscheidend hinausgehend, daß Gott auch absolut reprobiert, zur Verdammnis (und zur Sünde) vorherbestimmt, eine Ansicht, die im Über praedestinatus wieder vorgetragen und widerlegt wird. Besonders Faustus von Rei hat dagegen Stellung genommen. Der Irrtum des Lucidus scheint auf einer falschen manichäischen Vorstellung vom Menschen zu fußen. 6. Was bei Lucidus angeklungen war, wird in der karolingischen Theologie von der ganz anderen Seite einer existentiellen Betrachtung her durch den unglücklichen Mönch Gottschalk von Orbais10 wieder aufgegriffen: die Idee der „gemina praedestinatio". Für die Beschränkung des allgemeinen Heilswillens berief sich Gottschalk auf Augustinus, dessen Autorität gegenüber dem herrschsüchtigen Hinkmar von Reims manche Theologen der Zeit zu Verteidigern Gottschalks, der die positive Reprobation widerrufen hatte, werden ließ. Dazu kam, daß sich im Namen des hl. Paulus und Augustinus auch mehrere Theologen gegen die, im Resultat wenigstens, richtige Lehre von der allgemeinen Praedestination Gottes durch Scotus Eriugena, den Hinkmar von Reims zu Hilfe gerufen hatte, wendeten, weil diese seine Lehre mit der neu-platonischen Aussage über die Einfachheit Gottes begründet wurde, was dem biblischen Gottesbild (der Freiheit Gottes) in nichts entsprechen konnte. Die Auseinandersetzung mit dem Manichäismus eines Lucidus wie noch mehr die Auseinandersetzung mit dem Neu-Platonismus des Scotus Eriugena im Namen des rechten Gottes- und Menschenbildes der Offenbarung drängten dazu, das in der Offenbarung offen gebliebene 10
Vgl. K. Vielhaber: Gottschalk der Sachse. Bonn 1956.
Heilsuniversalismus und Praedestinationspartikularismus
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Problem um das Verhältnis von Heilsuniversalismus und Praedestinationspartikularismus nun auf dem Wege rationaler Überlegungen einer Klärung zuzuführen. Dieser großen Aufgabe widmete sich die durch die Philosophie ausgestaltete Theologie des Mittelalters. II. Die Lösungsversuche des Mittelalters für das Problem: Heilsuniversalismus und Praedestinationspartikularismus Am Anfang des Mittelalters steht Anselm von Canterbury's Monographie De concordia praescientiae et praedestinationis et gratiae Dei cum libero arbitrio11 (verfaßt 1107—8), die den ganzen Fragenkomplex zusammenfaßt und durch wichtige Unterscheidungen zur Lösung zu bringen sucht. Anselm unterscheidet eine wesenhafte und faktische „necessitas" von der von außen kommenden „coactio" (I 1) und eine Betrachtungsweise des Problems „in aeternitate", die die „immutabilitas", eine andere „in tempore", die die „mutabilitas" sichtbar und verständlich mache (I 2). Er führt dazu den Terminus „rectitudo voluntatis" ein, der sowohl die ethische Freiheit (I 3, III l—2) wie auch die zu Heilstaten befähigende Gnade (III 3—4) umfaßt, einen Terminus, der, wenn ich recht sehe, erst bei Scotus und den Scotisten bessere Beachtung findet. Das Werk wendet sich gegen jene, die „hoc tempore" an der Freiheit verzweifeln, offenbar gegen den germanischen Schicksalsglauben. Das folgende Frühmittelalter, vor allem Abailard12 (t 1142) und seine Schule, fügt dem noch aussage-logische Unterscheidungen bei (per coniunctionem—per disiunctionem; praedestinatio principalis — praedestinatio designata) und setzt sich besonders mit dem dem biblischen Gottesbild widerstreitenden Neu-Platonismus auseinander, in dem auch für das göttliche Vorherwissen Wahrheiten von Kontingenten! „quae ad futurum spectant", gefordert werden. Deutlich wird vor allem bei Petrus von Poitiers (| 1205)13 gefragt, ob die 11
PL 168, 507—541. S. Anselmi Opera omnia. Ed. Franciscus S. Schmitt. Bd. 2. Romae 1940. S. 243—288. Vgl. dagegen Wilhelm von St. Thierry, Meditativae or. l: Contemplatur anima praescientiam Dei, praedestinationem et reprobationem. In: PL 180, 205—208 (unter Bernhard von Clairvaux). 12 Vgl. Theologia Christiana V. In: PL 178, 1321; Introductio ad theologiam III c. 4 u. 5. In: PL 178, 1093, 1099; Sie et non c. 33. In: PL 178, 1394. 13 Vgl. Sententiarum libri quinque I c. 14—15. In: PL 211. 844—857. Ph. S. Moore: The works of Peter of Poitiers. Notre Dame (Indiana) 1936. S. 128—153. Vgl. Praepositinus (f 1210): Summa theologica, q. 13. Erlangen ÜB Cod. 353 fol. 7r~v; Gaufried von Poitiers (f nach 1231): Summa. Paris NB Cod. lat. 15747 fol. 13V—17V, Bologna Archoginnasio A 1036 fol. 12V—14V: 1. Utrum p. sit aliquid ? 2. Utrum reprobatio sit causa non appositionis gratiae ? 3. Qui praedestinatus est ex semine David . . . Darauf folgt: Utrum divina voluntas semper sit expleta ?; Wilhelm von Auxerre (f 1237): Summa aurea I c. 10. Paris 1500 fol. 22r—24r: 1. Quid sit p. et effectus eius ? 2. Utrum Deus reprobans sit causa non appositionis gratiae in praesenti ? 3. Utrum aliquid bonum insit praedestinato ex eo quod est praedestinatus ? 4. De illo verbo . . . quos praedestinavit (Rom 8, 29) ... Darauf folgt: Utrum prae-
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Praedestination im Menschen und die Reprobation in Gott „aliquid ponat". Ebenso wird hier zwischen „temporalis gratiae appositio" bzw. „subtractio" und der „finalis aeternae vitae retributio" bzw. „poenae afflictio" unterschieden. Die Autorität des hl. Augustinus gibt dieser Zeit besondere Probleme auf; so wird die Aussage im Liber 83 Quaesiionum q. 68 n. 4, daß für die Praedestination im Sünder „occultissima merita" vorhanden seien, im 12. und 13. Jh. in mannigfachster Weise gedeutet, um sie mit der allgemeinen Gratuität der Praedestination in Einklang zu bringen. Von besonderer Bedeutung für die Hoch-Scholastik wurde es, daß die beiden Seiten des Problems, die Frage nach der Praedestination wie die Frage nach dem allgemeinen Heilswillen Gottes, in ihrer theologischen Konvergenz auch in dem Sentenzenwerk des Petrus Lombardus (um 1150)14 Eingang gefunden hatten und hier im Rahmen der Gotteslehre sehr ausführlich erörtert wurden. Wenigstens seit den Quaestiones disputatae des Alexander von Haies15 „Antequam esset frater", also um 1230, waren mit mehr oder weniger Vollständigkeit diese Fragen im Anschluß an den Lombarden zusammengestellt und, wenn ich recht sehe, unter sieben in sich dialektisch gebauten und sich oft überschneidenden Fragen vorgelegt worden. Die sieben Fragengebiete sind im wesentlichen folgende: 1. Der allgemeine Heilswille des absoluten Gottes und die Wirklichkeit der Verdammnis; 2. Die reale Wirkung der Praedestination Gottes im Menschen und die Freiheit des Menschen; 3. Die Zeitlosigkeit der Praedestination des ewigen Gottes und der in der Zeit wandelnde Mensch; 4. Zwang oder Freiheit bzw. innere Notwendigkeit und geschichtliche „certitudo in eventu"; 5. Wissen und Wollen, Vorherwissen und Vorherbestimmen; 6. Innere Freiheit und Motivation; 7. Praedestination und Reprobation: woher das Böse? Reprobation aus dem Bösen oder aus Gott ? scientia Dei infert necessitatem rebus vel singularibus vel universalibus . . . Philipp der Kanzler und Wilhelm von Auvergne (vgl. De Trinitate. In: Opera Omnia. Paris 1674. Suppl. c. 47 fol. 62b—63*.) bringen keine eigenen Fragen zu diesem Thema. 14 Vgl. Sententiarum libri quatuor I d. 40 c. l—2, d. 41 c. l—3: Praedestination mit der Frage nach dem Wissen Gottes verbunden, d. 46 c. l—2, d. 47 c. l—3: allgemeiner Heilswille mit der Frage nach dem Willen Gottes verbunden, In: Petri Lombardi libri IV sententiarum. Tom 1. Studio et cura PP. collegii S. Bonaventurae. Quaracchi 1916. S. 249—291. 15 Vgl. Quaestiones 10 d. l—4. In: Magistri Alexandri de Haies quaestiones disputatae. Studio et cura PP. collegii S. Bonaventurae. Quaracchi 1960. In: Bibliotheca Franciscana Scholastica 19. S. 104—141. Vgl. auch S. th. I nn 220—265. In: Doctoris irrefragibilis Alexandri de Haies summa theologica. Studio et cura PP. collegii S. Bonaventurae. Quaracchi 1924. S. 315—359; Glossa I d. 40—41, 46—47. In: Magistri Alexandri de Haies glossa in quatuor libros sententiarum Petri Lombardi. Studio et cura PP. collegii S. Bonaventurae. Quaracchi 1951. In: Bibliotheca Franciscana Scholastica 12. S. 400—426, 458—481.
Heilsuniversalismus und Praedestinationspartikularismus
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Versuchen wir diese Fragenkomplexe und die dafür gegebenen Antworten uns kurz vor Augen zu führen. 1. Beginnen wir mit der Frage nach dem allgemeinen Heilswillen Gottes. Das Problem16 wird in Form eines klaren Syllogismus entwickelt. Am Anfang steht die Aussage der Hl. Schrift vom allgemeinen Heilswillen Gottes (l Tim 2, 4). Im Untersatz wird dargetan, daß dieser Wille Gottes nie vergeblich ist (Psalm 113, 11; Rom 9, 19): „quod voluntas Dei, quae ipse est, in nullo cassari potest". Daraus müßte folgen, daß alle Menschen notwendig gerettet werden. Dieser Schlußfolgerung widerspricht aber auch die hl. Schrift: Dafür wird immer wieder angeführt Mt 23, 37: „Jerusalem, wie oft wollte ich Deine Kinder versammeln . . . Du aber hast nicht gewollt". Dazu wird die dem Mittelalter selbstverständliche Lehre angeführt: „plures damnantur quam salvantur"17. Dieser scheinbare Widerspruch zwischen den Aussagen der Hl. Schrift selbst muß gelöst werden durch entsprechende Auslegung der einzelnen Stellen. Ganz allgemein antworten zunächst die großen Scholastiker Bonaventura und Thomas18, daß in jedem Fall der Wille Gottes geschehen müsse; denn es ist eine „voluntas beneplaciti, non signi" (Bonaventura) und der absolute Wille Gottes, der er selber ist, kann nicht frustriert werden (Thomas). Die Lösung muß also gesucht werden, indem diese Schriftstellen auf ihren „modus dicendi" hin untersucht werden, wofür verschiedene Autoritäten angeführt werden, oder indem der „modus volendi Dei" neu bestimmt wird. Im wesentlichen werden vier Deutungsversuche vorgelegt: a) mit Augustinus19 wird der Satz l Tim 2, 4 dahin gedeutet, daß „alle" Menschen, die selig werden, nur deshalb selig werden, weil Gott es will (Umdeutung des universalen „alle" als Prädikatsnomen in ein 16
So schon bei Petrus Lombardus in Sententiarum I d. 46 c. 1. a. a. O., S. 278f. Vgl. A. Michel: Nombre des Elus. In: Dictionnaire de Theologie Catholique IV, 2 (1939) 2356—2370; F. X. Godts: De paucitate salvandorum quid docuerunt sancti. Brüssel 1899. Godts stellte als Lehre der Kirche heraus, daß die meisten Menschen verlorengehen. Die klassischen Stellen dafür sind Mt 7,13f.; 22, 14; Lk 13, 23 f. Dagegen wandte sich A. Castelein: Le rigorisme, le nombre des dlus et la doctrine du salut. Brüssel 1899; W. Schamoni: Die Zahl der Auserwählten. Paderborn 1965. 18 Vgl. Bonaventura: Sententiarum I d. 46 a. l q. 1. In: Doctoris Seraphici S. Bonaventurae commentaria in quatuor libros Sententiarum Magistri Petri Lombardi. Opera omnia. Tom. 1. Studio et cura PP. collegii S. Bonaventurae. Quaracchi 1882. S. 819—822. In den folgenden Anmerkungen gebrauchen wir das Sigel SC; Thomas von Aquin: S. th. I q. 19 a. 6 ad 1. 19 Vgl. Enchiridion c. 103/27. In: PL 40, 280f. [um 421]; De civitate Dei XXII c. 2. In: PL 41, 752f. [um 426]; De corruptione et gratia c. 14/44. In: PL 44, 913 [um 427]; De praedestinatione sanctorum I c. 8. In: PL 44, 970—973 [um 428]. Im Anschluß an Jo 6, 45: „omnis qui audivit a Patre et didicit . . ." wird hier l Tim 2, 4 ausgelegt und gelehrt: „Omnes Deus docet venire ad Christum, non quia omnes veniunt, sed quia nemo aliter [nicht von Gott belehrt] venit." Zum Beweis für diese Deutung von omnes verweist er auf Rom 9, 22: — vasa irae — vasa misericordiae. 17
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partikulares „alle" als Subjekt), b) Eine andere L sung greift die aus der Abailard-Schule kommende Unterscheidung auf, da „alle" „non pro singulis generum sed pro generibus singulorum" stehe, c) Eine dritte L sung schlie t an Mt 23, 37 an und erkl rt es also: Gegen Deinen Willen habe ich alle jene gesammelt, die ich sammeln wollte. Das „alle" wird aus einem Konjunktim-Gebrauch in einen Disjunktim-Gebrauch (connotatum) umgewandelt, d) Wenigstens seit den Quaestiones disputatae des Alexander erscheint vor allem die Unterscheidung, die schon Johannes Damascenus20 eingef hrt hat: die Unterscheidung zwischen einer „voluntas Dei antecedens vel beneplaciti", die von Ewigkeit allen Menschen gilt, und einer „voluntas Dei consequens vel permissionis", die in der Zeit sich verwirklicht und die M glichkeit des Versagens einzelner Menschen offenl t. Damit sind zwei Fragenkomplexe aufgebrochen, die in den folgenden Darstellungen er rtert werden m ssen: die Frage nach der Wirksamkeit der Praedestination im Menschen in der Zeit und die Frage nach der Zeit als Faktor in der Praedestination. 2. Da f r das mittelalterliche Denken in Gott, dem absolut Einfachen, der ewige, allgemeine Heilswille und die ewige Praedestination zusammenfallen m ssen, mu der Grund daf r, da einzelne Menschen nicht gerettet werden, irgendwie im Menschen gesucht werden. So entsteht hier als n chstes die Frage, ob Praedestination auf Sein oder Nicht-Sein gehe (Alexander von Haies)21 oder ob Praedestination im Praedestinierten eine Wirklichkeit setze (seit dem Sentenzenwerk des Thomas)22. Der biblische Ausgangspunkt f r dieses Problem ist Jo l, 48 („Ehe Philippus dich rief . . . hab ich dich gesehen, Nathanael"), das von der Glossa ordinaria realistisch-geschichtlich verstanden wird. Alexander deutet die Glosse bereits um in dem Sinne: „nee existentis est praedestinatio". Thomas macht in seinem Sentenzenkommentar23 schon eine genauere Unterscheidung: Praedestination und Wirkung im Praedestinierten h ngen nach seiner Ansicht nicht notwendig sondern zuf llig zusammen, so wie etwa das Sprechen und das Geh rtwerden des gesprochenen Wortes. Zugleich beruft er sich bereits auf Metaphysik li. 824, wo Aristoteles „factio" und „actio" unterscheidet, und erkl rt: Die Praedestination ist in Gott keine „factio", deren 20
De fide orthodoxa II 29. In: PG94, 968: „λέγεται οΰν το μεν πρώτον προηγούμενον θέλημα καΐ ευδοκία, εξ αύτοϋ δν, το δε δεύτερον Θέλημα καΐ παραχώρηση, εξ ημετέρα? αΐτίαζ." 21 Vgl. S. th. I q. 10 m. 4. In: Doctoris irrefragibilis Alexandra de Hales summa theologica. Studio et cura PP. collegii S. Bonaventurae. Tom. 1. Quaracchi 1924, S. 75. 22 Commentum in lib. I sententiarum d. 40 q. 1 a. 2; S. th. I q. 23 a. 2. 23 SC I d. 40 q. 1 a 1 : , , . . . esse in alio . . . non necessario simul sed vel prius vel posterius sicut auditus ponit percussionem sonantem simul aut prius, et hoc modo dico quod praedestinatio ponit aliquid in praedestinato . . . " 24 Vgl. Metaphysik Θ 1060 a 22—36.
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Resultat notwendig in der Wirklichkeit erscheint, sondern eine „actio", der wiederum nicht notwendig eine „passio" im Praedestinierten entspricht. In seiner theologischen Summe lehrt er eindeutig: „praedestinatio non est aliquid in praedestinatis sed in praedestinante tantum". Im Hintergrund dieser Auseinandersetzung steht bereits die bedeutsame Lösung, die später in formal-logischer Weise Ockham26 vorlegen wird, daß nämlich das Wollen Gottes auch auf Real-Kontingentes geht. 3. Damit hängt die erneute Frage zusammen, ob Praedestination eine ewige oder eine zeitliche Wirklichkeit (aeterna vel temporalis) sei. Bonaventura26 sammelt die verschiedenen Definitionen von „praedestinatio" aus Augustinus, interpretiert sie und kommt zu der Gesamtantwort : „Praedestinatio est aeterna, ratione principalis significati (Dei providentia) et antecessionis ad connotatum (hominem vel gratiam vel gloriam)". Thomas27 kommt zu demselben Resultat wenn er schreibt: „omnium ordinatio ratioque transmissionis rationalis creaturae in ultimum finem in ipso Deo praeexistit". Ausdrücklich wird also hier die Praedestination in den ewigen Gott, in seine praeexistente Wirklichkeit verlegt. Es wird somit einer neuen Anstrengung bedürfen, die partikulare Praedestination in ihrer Wirkung vom allgemeinen Heilswillen Gottes recht unterscheiden zu können. Das muß in den folgenden Fragen geschehen. 4. Immer mehr spitzt sich die Frage auf eine Wirklichkeitsbetrachtung hin zu, in der notwendige Sachordnung und personale Freiheit auf Seiten Gottes wie auf selten des Menschen trotz ihrer scheinbaren Unvereinbarkeit zusammen geschaut werden müssen. Dies wird deutlich in der folgenden Frage, ob der ewigen Praedestination Gottes im Menschen „certitudo in eventu" zukomme, ob sie mit Sicherheit im Menschen ihr Ziel erreiche. In seiner Antwort betont Bonaventura28 mehr die Unveränderlichkeit und Irrtumslosigkeit Gottes, wenn er schreibt: „praedestinatio a parte rei evenientis non habet certitudinem in eventu, a parte Dei praeordinantis (praecognoscentis et disponentis) habet certitudinem et infallibilitatis et immutabilitatis". Thomas29 scheint in dieser Frage mehr an der Freiheit des Menschen interessiert zu sein, denn er schreibt: „praedestinatio certissime et infallibiliter consequitur suum effectum; nee tarnen imponit necessitatem". 25
Vgl. The tractatus de praedestinatione et de praescientia Dei et de futuris contingentibus of William Ockham. Ed. by Ph. Böhner. S. Bonaventure (N. Y.) 1945. In: Franciscan Institute Publications Nr. 2. In seinem Kommentar zu Perihermeneias c. 9,18 a 33—19 b 4 und in seiner Summa logicae III c. 30 legt er dar, daß gegenüber zukünftigen Tatsachen das Gesetz vom ausgeschlossenen Dritten nicht gilt. 24 SC I d. 41 a. l q. 1. a. a. O., S. 728—731. 27 Vgl. SC I d. 40 q. 2; S. th. I q. 23 a. 1. 28 Vgl. SC I d. 41 a. 2 q. 2. a. a. O., S. 738—741. 29 S. th. I q. 23 a. 6.
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Für diese Aussage verweist er auf seine vorausgehenden Ausführungen „de divina scientia et de divina voluntate, quae contingentiam a rebus non tollunt, licet certissima et infallibilia sint". Als Begründung für die Unveränderlichkeit der göttlichen Praedestination auch dort, wo „in praedestinato" sich etwas ändert, verweist schon Alexander von Haies in seinen Quaestionen30 auf die Lehre des Boethius über die Relationen, die sich ändern, wenn sich beide Relate oder eines der Relate ändert, aber auch wenn kein Relat in sich verändert wird, sondern nur die Relation als solche. 5. Einen Schritt weiter und tiefer in die Sache hinein führt uns die in diesem Zusammenhang oft erörterte Frage, wie sich dann in Gott „praedestinatio" und „praescientia" zueinander verhalten. Das Problem ist besonders bedeutsam, einmal weil Intellekt und Wille31 bekanntlich in ganz verschiedener Weise ihrem Objekt gegenüberstehen. Dazu kommt, daß der Mensch selbst als Person in den verschiedenen Schulen entweder mehr von seinem Geist-Sein (Thomas) oder mehr von seinem freien Person-Sein (Bonaventura, Scotus) her gesehen wird. Dabei ist in jeder der Schulen vor allem der Wille selbst in ganz verschiedener Weise gesehen, bei Thomas mehr vom natürlichen „appetitus" her, bei Bonaventura und Scotus mehr von der personalen „libertas"32 her. Schon Alexander von Haies33 wendet sich mehrfach gegen die Behauptung, die „praedestinatio", die nach Augustinus „praeparatio gratiae in praesenti et gloriae in futuro"34 ist, gehöre der „scientia Dei" zu. Vor allem in Anschluß an l Tim 2, 4 (Gott will, daß alle Menschen selig werden) betont er, daß die „praedestinatio Dei" der „voluntas Dei" zuzuschreiben sei. Etwas vorsichtiger hebt Bonaventura35 dieselbe Antwort hervor, wenn er sagt: „praedestinatio quae est causa gratiae et gloriae, importat et scientiam et potentiam et voluntatem, sed principalius est in genere voluntatis". Scotus36 endlich deutet auch das göttliche Vorherwissen noch voluntaristisch, wenn er 30
Vgl. Quaestiones disputatae 10 d. 4m. 3. a. a. O., S. 136f. Vgl. auch Boethius: De Trinitate c. 5. In: PL 64, 1264 A B: Mutatio . . . non in eo quod est in comparatione aliquo modo se habere nee semper ad aliud sed aliquoties ad idem [e. g. dexter — sinister] . . . Augustinus: De Trinitate V c. 16/17. In: PL 42, 922. 31 Vgl. J. Auer: Die Entwicklung der Gnadenlehre in der Hochscholastik. II: Das Wirken der Gnade. In: Freiburger theologische Studien 14 (1961) 146 Anm. 106; Q. 4 n. 1. In: Fr. Gonsalvi Hispani quaestiones disputatae et de quodlibet. Ed. cum introductione historico-critica cura P. L. Amoros. Quaracchi 1935. In: Bibliotheca Franciscana Scholastica Medü Aevi 9. S. 60. 32 Vgl. J. Auer: Die menschliche Willensfreiheit im Lehrsystem des Thomas von Aquin und Johannes Duns Scotus. München 1938. 33 Vgl. Q. 10 d. l m. 2 n. 13. a. a. O., S. 107. 34 Vgl. auch Petrus Lombardus: In Epistolam ad Ephesios l, 4. In: PL 192,171 a. 3i Vgl. SC I d. 41 a. l q. 2. a. a. O., S. 731—736. 38 Ord. I d. 41 n. 36. In: loannis Duns Scoti opera omnia. Bd. 6. lussu et auctoritate P. A. Sepinski. Ed. a P. C. Bali. Vatican 1963. S. 330.
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lehrt: „Deus non praevidet istum beneusurumlibero arbitrio, nisi quia vult et praeordinat istum bene usurum eo". Für Thomas37 hingegen ist „praescientia et praeparatio" ein Teil der „providentia in intellectu provisoris", zu der wiederum als ein Akt des Intellektes die „praeparatio ad finem" (salutem aeternam) hinzukommt. Die Rettung der Kontingenz des menschlichen Handelns kommt hier aus der Bestimmung, daß Erkenntnis nicht „necessitas" setze, sondern auch Kontingenz belasse. Im Grunde lehrt Bonaventura38 wohl dasselbe, wenn er sagt, daß der „praescientia" in der Wirklichkeit nur eine „necessitas consequentiae non consequentis" zukomme. Doch er wie Scotus, beide sind an der personalen Freiheit mehr als an der der Erkenntnis zugeordneten sachlichen „praescientia contingentis" interessiert. Warum wird also der allgemeine Heilswille nicht zu einer allgemeinen Praedestination ? Legt Gott seiner eigenen Freiheit selbst eine Beschränkung auf oder wird sie ihm durch eine sachliche Ordnung auferlegt ? 6. Das führt zur nächsten Frage, die hier zur Klärung des Problems beantwortet werden muß, zur Frage, ob es für die „praedestinatio divina" „causae vel rationes" gebe. Schon die Unterscheidung zwischen „causa" und „ratio" ist von höchster Bedeutung, auch wenn sie im Denken dieser Zeit nicht immer in gleicher Weise durchgeführt wird. Im Anschluß an die Bemerkung des hl. Augustinus39, daß für die „praedestinatio" und ,,reprobatio" im Menschen „occultissima merita" vorhanden seien, entwickelt Alexander von Haies40 die Frage und lehrt: „praedestinatio est causa efficiens gratiae; praedestinatio secundum quod importat in se voluntatem miserendi vel propositum, rationem habet (in Deo) et non causam". Diese „ratio" sieht er in der „praescientia beneplaciti Dei". Auf die schweren Sätze Rom 9, 11—13: „Da sie nämlich noch nicht geboren waren und weder etwas Gutes noch Böses getan hatten, . . . gilt von ihnen schon: Jakob habe ich geliebt, Esau aber gehaßt," antwortet er durch die Unterscheidung von „praescientia" gegenüber „praedestinatio" und „reprobatio" gegenüber „dilectio et odium". Die „occultissima merita" sieht er primär in den Verdiensten Christi, ohne die unser Verdienst nichts ist. Unsere Verdienste müssen für die Praedestination nicht vorliegen, sie brauchen nur in der „praescientia Dei" zu sein für die „praedestinatio aeterna". Gott hat für die Praedestination ebenso wie für die Schöpfung eine „ratio", nämlich das Gute; so wie in der Schöpfung ist auch in der Praedestination jedoch nicht eine Antwort auf vorhandenes Gut gegeben, beide setzen und schaffen vielmehr das Gute. Bonaven37
Vgl. SC I d. 40 q. l a. 2; S. th. I q. 23 a. 2 c. Vgl. SC I d. 41 a. 2 q. 1. a. a. O., S. 736—738. 3 » De diversis quaestionibus LXXXIII, q. 68 n. 4. In: PL 40, 72. 40 Vgl. oben Anm. 15: Q. 10 d. 2 mm. 2 u. 4. a. a. O., S. 119—127. 38
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tura41 nimmt in seinen Fragen, .praedestinatio'' und „reprobatio'' zusammen und fragt sowohl nach der „causa meritoria in nobis" wie nach der „ratio motiva in Deo". Seine Antwort lautet, daß das „propositum aeternum" in Gott ohne jedes „meritum" in uns sei. Die „temporalis gratificatio" fällt nicht unter unser Verdienst, aber auch nicht außerhalb unseres Verdienstes; die „temporalis obdurationis ratio" ist schlechthin nur aus unserem Mißverdienst zu erklären. Die „aeterna glorificatio" ebenso wie die „aeterna damnatio cadunt sub merito". Auf die Frage nach dem Motiv für „praedestinatio" und „reprobatio" in Gott antwortet er, daß hierfür eine „ratio generalis" vorliege: für die „praedestinatio" die Liebe Gottes und für die „reprobatio" die Gerechtigkeit Gottes. Für den einzelnen Fall gibt es auch eine „ratio specialis congruentiae", die jedoch „nobis sic nota non sit". Thomas42 faßt die Frage nach der „causa" und der „ratio" in dem „medium" der „praescientia" zusammen, wenn er fragt: „utrum praescientia meritorum sit causa praedestinationis". Seine Antwort lautet: „praedestinatio causam non habet, sed habet rationem ex parte effectus, secundum quam rationabilis et iusta dicitur". In seiner Summe43 lehrt er: „impossibile est quod totus praedestinationis effectus in communi habeat aliquam causam ex parte nostra". Für die Anwendung in particulari läßt er gelten: „sicut si dicamus quod Deus praeordinavit se daturum alicui gloriam ex meritis; et quod praeordinavit se daturum alicui gratiam, ut mereretur gloriam". Deutlich sind hier die Grundlagen für den durch den Scotismus noch weiterentwickelten Thomismus zu finden, der schlechthin eine „praedestinatio ante praevisa merita" lehrt. Alexander und Bonaventura geben in ihren Lehren hingegen in gewisser Hinsicht die Grundlagen dafür ab, was in einer großen Weiterentwicklung später im Molinismus als eine „praedestinatio quodam modo post praevisa merita" erscheint. Im Hintergrund dieser Unterscheidung steht die Vorentscheidung für eine mehr abstrakte (in communi) Betrachtung der Frage im Thomismus und für eine mehr konkrete Betrachtung der Frage im Molinismus. Diese methodische Vorentscheidung wirkt sich vor allem auch in der Auffassung des Universalismus aus, wie es sich in der folgenden letzten Frage zeigt. 7. Seit Augustinus ist einheitliche Lehre der katholischen Kirche, daß nicht nur für die „reprobatio aeterna" Schuld des Menschen vorausgesetzt ist, daß auch die „obduratio temporalis" nicht ohne Ursache im Menschen geschieht, daß hierfür ein „demeritum" im Menschen vorliegen müsse, das in der „praescientia Dei" wenigstens gegeben ist. Bonaventura44 unterscheidet in dieser Frage drei Arten von 41
Vgl. SC I d. 4l a. l q. 1. a. a. O., S. 728—731. « SC I d. 41 q. l a. 3. 43 S. th. I q. 23 a. 6. 14 Vgl. SC I d. 40 a. 4 q. 1. a. a. O., S. 716.
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„obduratio": einmal die Unfähigkeit der Seele Gnade aufzunehmen (anima inhabilis), und dies ist zu verstehen als „poena peccati", wenn auch als Folge der Erbschuld; die zweite Art der „obduratio" nennt er das Festhalten an der Sünde (stabilitum in peccato), und das ist Sünde oder Disposition einer vorausgehenden Sünde; die dritte Art von „obduratio" nennt er das Widerstreben der Seele gegen Gott (cor rebelle), und das ist Schuld besonderer Art, nämlich Sünde wider den Hl. Geist. Auf die Frage nun „utrum obduratio (temporalis) sit a Deo"45 antwortet er: Nur insofern sie „poena" ist, d. h. Strafe für Schuld, ist die göttliche Gerechtigkeit Grund dieser „obduratio" ebenso wie für die „aeterna damnatio". Weil aber alle drei Arten von „obduratio" entweder eine „poena" oder eine „culpa" treffen, gilt: „reprobatio (quantum ad connotatum) cadit sub merito simpliciter". Ebenso lehrt Thomas46 gemäß Rom 9, 13, daß Gott Menschen reprobiert, und er erklärt diese „reprobatio" also: „sicut enim praedestinatio includit voluntatem conferendi gratiam et gloriam, ita reprobatio includit voluntatem permittendi aliquem cadere in culpam et inferrendi damnationis poenam pro culpa". Ganz ähnlich hatte er schon im Sentenzenkommentar47 gelehrt: „praedestinatio est causa gratiae et gloriae ad quam ordinatur. Sed quia malum non subiacet providentiae ut intentum vel causatum sed solum ut praescitum et ordinatum [beachte: nichtprae-ordinatum], ideo reprobatio est tantum praescientia culpae, et non causa; sed poenae, per quam culpa ordinatur, est praescientia et causa". Im Sinne des hl. Augustinus lehrt er, daß Gott für die „obduratio" nur „causa" sein könne „non quidem immittendo malitiam sed non impartiendo gratiam". Diese „permissio" freilich ist nicht ein „defectus voluntatis", sondern „subest voluntati". So wird vor dieser Frage der „reprobatio" das Problem zwischen Heilsuniversalismus und Praedestinationspartikularismus in seiner ganzen Härte sichtbar, einmal, weil diese „pars reproborum" nach den Aussagen der Schrift in jedem Fall erhalten bleibt; zum anderen, weil diese „voluntas permittendi aliquem cadere" schlechthin den allmächtigen (alleinwirkenden) Willen Gottes in Frage stellt; endlich, weil die „voluntas non impartiendi gratiam" den Universalismus des Heils willens fragwürdig macht. Die Lösung wurde versucht in einem mehr personalistischen Voluntarismus bei Scotus durch seine Lehre von der „praeordinatio voluntatis Dei"48, die später im Thomismus ihre Ausgestaltung fand, bzw. in einem erkenntniskritischen Intellektualismus, der sowohl die Psychologie wie die Metaphysik bestimmte und bei Ockham vor allem in der Weiterbildung der aristo46 48 47 48
Vgl. SC I d. 4l a. l q. 1. a. a. O., S. 729. S. th. I q. 23 a. 3. SC I d. 40 q. 4 a. 1. Vgl. Anm. 36.
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telischen Logik einen Ausdruck fand, in der Auflösung der Lehre vom ausgeschlossenen Dritten49, was zu einem neuen Verständnis des Kontingenten führte, wie es schon bei Thomas angeklungen war und später im Molinismus seine Weiterentwicklung fand in der Lehre von der ,, scientia media"50. III. Um das Verständnis des Problems in unserer Zeit und an sich Den modernen Menschen bewegt dieses Problem faktisch religiös eigentlich nicht, auch wenn er gläubiger Christ und gebildeter Theologe ist. Der Gründe hierfür sind viele; doch wenn wir sie genauer ins Auge fassen, müssen wir feststellen, daß diese Gründe nicht etwa in einer Bewältigung des Problems wurzeln, daß sie vielmehr meist auf Orientierungen des modernen Menschen hinweisen, die nicht gerade positiv im christlichen Sinne gewertet werden können. Der moderne Mensch hat kein lebendiges Bewußtsein mehr von der Wahrheit, daß er als Geschöpf wesenhaft abhängig ist in Sein und Wirken vom Schöpfergott. Er fühlt sich vielmehr schlechthin als Partner Gottes, der in keiner Weise mehr Allherrscher-Gott, Jahwe der Offenbarung, ist. Desgleichen ist beim modernen Menschen das Verständnis für konkrete verpflichtende Seinsordnungen schwach geworden. Er bewältigt die Fragen um sein Handeln mit den Lehren von irgendwie subjektiv bedingten „Werten", die er zu beantworten sucht, mit der Lehre von den subjektiven „Motiven" und mit einem lebendigen Gefühl für eine idealistisch verstandene „autonome Freiheit" der eigenen Person, die nur durch die für das soziale Zusammenleben notwendigen zwischenmenschlichen „sozialen Spielregeln" bedingt, vielleicht auch noch bestimmt ist. Auch dies ist in keiner Weise das Menschenbild der Offenbarung. Von diesen Voraussetzungen her gilt es als selbstverständlich, daß der größte Teil der Menschheit, ja vielleicht mit ganz wenigen Ausnahmen alle Menschen, ihr Ziel, das ewige Heil, erreichen und die wenigen, die vielleicht verlorengehen (— dieser Ausdruck „verlorengehen" allein erscheint uns Menschen von heute beinahe anstößig, wenn wir ihn konkret bedenken —), eben einzig durch ihre Schuld verlorengehen. Weil wir sehr konkret denken, also die Frage jeweils auf einzelne anwenden müssen, weil wir aber nunmehr aus einem richtigen christlichen Empfinden heraus ein konkretes Urteil, daß dieser oder jener Mensch nach unserer Meinung verlorengehe oder gehen müsse, uns 49
Vgl. Anm. 25. Vgl. F. Schmitt: Die Lehre des heiligen Thomas vom göttlichen Wissen des künftig Kontingenten bei seinen großen Kommentatoren. Nijmegen 1950. 50
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pharisäisch erscheint, bleibt es dabei, daß wohl alle Menschen gerettet werden. Das, was in der Offenbarung ,,Gottesfurcht" genannt wird, ist im modernen Menschen nicht mehr lebendig, ja begrifflich nicht mehr recht verständlich. Dabei dürfen wir nicht übersehen, daß auch wir bei Festhalten unserer Glaubenswahrheiten in unserem lebendigen Gefühl zu diesen modernen Menschen oft oder meistens zu rechnen sind. Ja, vielleicht müssen wir sogar gestehen, daß gerade die katholische Entwicklung des modernen Christusbildes51 hinreichend Grund für die Aussage gibt, daß alle Menschen nicht nur in abstracto, sondern geschichtlich und konkret erlöst sind und darum ihre Erfüllung finden werden und müssen. Es ist vielleicht Resultat nicht nur einer liberalen Denkweise, sondern ebenso des reformatorischen Ernstes (vgl. R. Bultmann), wenn in der evangelischen Theologie52 ein ganz anderes Christusbild sich in unserer Zeit entwickelt hat, das die lutherische Frage „wie finde ich einen gnädigen Gott" in ihrem Ernst neben dem freilich nach unserer katholischen Auffassung zu unbiblisch verstandenen „Christusbild" bestehen läßt. Doch die Mängel in unserem konkreten Gottesbild und Menschenbild können nicht darüber hinwegtäuschen: der allgemeine Heilswille Gottes ist nicht nur in der Schrift ausgesprochen (l Tim 2, 4), sondern auch wesenhaft zum geoffenbarten Gottesbild gehörig, wonach Gott, der Schöpfer des Alls, zugleich sein alleiniges und ganzes und sicheres Heil ist, weil seine Allmacht seine Liebe und seine Liebe seine Allmacht ist, und wonach Gott Mensch geworden ist, um das All und damit alle Menschen heimzuholen (Kol l, 14—20). Ebenso gehört zum Gottesbild der Offenbarung, daß er absoluter Gesetzgeber und Richter ist, daß er Heiligkeit und Gerechtigkeit ist, vor der alles Unheilige und Ungerechte ein Greuel ist, für immer und absolut entschwinden muß, entweichen muß in einen Lebensraum, in dem es für den Menschen zumal, der nach Gottes Bild ihm ähnlich erschaffen ist, keine Erfüllung, wesenhafte Unerfülltheit geben muß (Mt 25, 41. 46), die für das wesenhafte Ebenbild des unsterblichen Gottes (l Tim l, 17) ewig, d. h. bis in die Überzeitlichkeit des unsterblichen Wesens hinein währen wird als ewige Verdammnis, so wie die Erfüllung des gottgefälligen Menschen ewiges, d. h. in der Ewigkeit Gottes begründetes wesenhaftes Heil und Seligkeit bedeutet. So besteht für die Offenbarung und für einen offenbarungsgetreuen Glauben auch heute das Problem Heilsuniversalismus und Praedestinationspartikularismus in seinem ganzen biblischen und wesenhaften 61
Vgl. H. Riedlinger: Die kosmische Königsherrschaft Christi. In: Concilium 2 (1966) 53—62; G. Rousseau: Die Idee des Königtums Christi. In: Concilium 2 (1966) 63—69. 82 Vgl. R. Bultmann: Jesus Christus und die Mythologie. Hamburg 1958; D. Solle: Stellvertretung. Köln 1965. Med.V
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Ernst. Doch schon in den Lösungsversuchen des Mittelalters, das noch ein geschlossenes christliches Weltbild besaß, in dem Gott und Mensch einander im Sinne der Offenbarung zugeordnet blieben und sachlich notwendige, ethisch verpflichtende und personal freie Ordnung irgendwie in einer metaphysischen Weltbetrachtung zusammen geschaut werden konnten, war deutlich geworden, daß die Begründung der beiden Ordnungen Universalismus und Partikularismus von verschiedenen Seins- und Wirklichkeitsebenen aus gesehen und eine Antwort für das Problem des Zueinander von Heüsuniversalismus und Praedestinationspartikularismus nur in einer Aussage gefunden werden könne, die gebaut ist auf dem Prinzip der analogia proportionalitatis: das Verhältnis des Universalismus zu seiner Begründung ist proportional dem Verhältnis des Partikularismus zu seiner Begründung63. Es gibt für das Verständnis dieses Problems im menschlichen Denken keine Seinswirklichkeit mehr, die der gemeinsame Boden für die beiden Glieder des Problems sein könnte; dennoch wäre es auch ein wesenhafter Irrtum, dem Problem seinen positiven Sinn absprechen zu wollen und etwa eine „Antinomie" in ihm zu suchen. Für den gläubigen Christen wird hier einfach offenbar, daß für das Bedenken einer Wirklichkeit, die das absolute Sein mit einschließt, mitmeint, unser menschlicher Verstand nicht hinreicht. Das hat der hl. Paulus empfunden, als er seine großen theologischen Gedanken zu unserem Problem in der konkreten Fassung der Frage nach der Erwählung des Judenvolkes abschloß mit den berühmten Worten der Bewunderung und der Anbetung: „O Tiefe des Reichtums der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unergründlich sind seine Ratschlüsse und wie unerforschlich seine Wege. — Aus Ihm und durch Ihn und zu Ihm hin ist alles (das AU), Ihm ist die Ehre in Ewigkeit!" (Rom 11, 33—35). Aber auch der kritische Theologe Johannes D. Scotus, der vor dem Denken nicht leicht kapitulierte, sagte am Schluß seiner Untersuchungen dieses Themas im Anschluß an die genannte Römerbriefstelle64: „ideo ne scrutando de prof undo . . . eatur in profundum, eligatur quae magis placet, dum tarnen salvetur libertas divina (sine aliqua iniustitia) et alia quae salvanda sunt circa Deum ut liberaliter eligentem; et qui aliquam opinionem tenuerit, respondeat ad illa quae tacta sunt contra earn". Deutlich wird hier verlangt, daß auch das gründliche Denken seine Grenzen erkenne, um nicht im Grundlosen sich zu verlieren, daß aber auch in jedem Fall die „libertas divina" ebenso wie die „iustitia divina" gewahrt werden muß. Schließlich muß jeder seine persönliche Entscheidung persönlich begründen, und darin sein Gottesbild und sein Menschenbild offenbaren und retten. 63
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Vgl. Anm. 1. Ord. I d. 41 n. 52. a. a. O., S. 336f.
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Am Ende, nach Betrachtung unseres Problems, wäre höchstens die Frage zu stellen, ob nicht, so wie hier, das Problem UniversalismusPartikularismus in jedem Fall nur durch eine Antwort zu lösen ist, die nach dem Gesetz der Analogia Proportionalitatis gebaut ist. Die kommenden Referate werden auf diese Frage vielleicht verschiedene Antworten zu geben haben.
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UNIVERSALE CHRISTLICHE ETHIK UND PARTIKULARES KIRCHLICHES ETHOS IM UNTERSCHIEDLICHEN VERSTÄNDNIS DER SCHOLASTISCHEN THEOLOGIE VON DER „PERFECTIO EVANGELICA". Von LUDWIG HÖDL In den Auseinandersetzungen um das Verständnis der evangelischen Armut disputierte während der siebziger Jahre des 13. Jahrhunderts Petrus Johannis Olivi in Montpellier die Frage des Wertvorranges der biblischen Armut. „Ist der Stand der höchsten Armut schlechthin besser als jeder Besitzstand, sei es der des Privat- oder Gemeineigentums oder irgend eines anderen Verhältnisses zu den zeitlichen Gütern?"1. Zum Erweis des absoluten Vorrangs der Armut legte der Lektor (unter verschiedenen Argumenten) vor allem zwei Gedankengänge breit dar: Die vollkommene Armut ist die wirksamste Form und Übung der sittlich-religiösen Vollendung. In der reinen Armut ist das ganze Potential der Tugenden angelegt, so daß sie als beste Disposition der ethischen Vollkommenheit gelten kann2. Sie schafft ferner jenen Status, jene Lebensform, die in Jesus Christus und den Aposteln ursprünglich und urbildlich vorgegeben ist, in Franziskus, dem Heiligen und Armen, aber endgültig und endzeitlich erfüllt wurde. Die evangelische Armut rückt das Leben und Streben des Christen entschieden und endgültig ins Ziel. Im Armutsethos kommt die christliche Ethik zur Vollendung. Der Stand der Armen ist der Stand der Vollkommenen und der Vollendeten. Mit dieser These stieß Olivi auf eine tiefgegliederte Front der Ablehnung. In dem Traktat Contra damnantes paupertafem, den er kurz nach 1280 schrieb, sondierte er die Gegner und gegnerischen Lager sehr genau3. Die Theologen aus dem Weltklerus hatten seit je und je 1
Cod. Vat. lat. Borgh. 358, fol. 166ra-188vb; (Vat. lat. 4986, fol. 23r-47v): „An status altissimae paupertatis sit simpliciter melior omni statu divitiarum sive propriorum sive communium sive quocumque modo se habendi ad temporalia." 2 Ebd., fol. 168ra: „ . . . paupertas altissima inter omnia quae cogitari possunt et fere super omnia valet ad altissimam et universalissimam virtutum et statuum perfectionem." 3 Bibl. Com. Assisi, Cod. lat. 654, fol. l r. Dieser Traktat, den ich in Bälde in einer Edition vorlegen möchte, war bislang in folgenden Hss. bekannt: Cod. Vat. lat. 4986, fol. 49r-63v; Cod. Conv. O. F. M., Capestrano XXVI, fol. 121r-164r; ebd. Cod. XV, fol. 47—77. Vgl. L. Öliger O. F. M.: Descriptio codicis Capistranensis continentis aliquot opuscula fratris Petri Johannis Olivi. In: Arch. Francisc. Histor. l (1908) 617—622.
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gegen das Vollkommenheitsideal der Mendikantenorden Einspruch erhoben. In den letzten Jahrzehnten des 13. Jahrhunderts vertraten Heinrich von Gent und Gottfried von Fontaines diesen Protest. Der ethisch-religiösen Vorrangstellung der Armut und der monastischen Lebensform widersetzte sich aber auch Thomas von Aquin. Im Korrekt orienstreit, in der Auseinandersetzung der Schüler des Thomas mit der Kritik des Wilhelm von La Märe an der thomasischen Theologie, wurde diese Kontroverse zwischen den beiden Mendikantenorden ausgetragen. Widerstand gegen Olivis Lehre von der evangelischen Vollkommenheit erhob sich aber auch aus dem Orden selbst. Dessen Selbstverständnis wehrte sich ebenso gegen die These von der totalen Armut, wie vor allem auch gegen den heilsgeschichtlichen Horizont der Armutstheologie, den der Lektor von den Quaestiones de paupertaie bis zur Apokalypsenerklärung immer düsterer sah. Mit gesteigerter Unerbittlichkeit verfolgte er in der Auseinandersetzung das Ethos der Vollkommenheit und der Vollendung. I. Die evangelische Vollkommenheit und das Ethos des Weltklerus 1. In den Auseinandersetzungen um die Pastoralprivilegien der Mendikantenorden waren die Theologen aus dem Weltklerus sehr bemüht, den Stand der Presbyter als ursprünglichen, d. h. von Christus der Kirche eingestifteten, und vollkommenen Stand zu erweisen. Heinrich von Gent kam in den Quaestiones de quolibet wiederholt auf dieses Anliegen zu sprechen. Im 11. Quodlibet, Quaestio 27, das der Magister 1286, mitten in den Auseinandersetzungen, disputierte, handelte er von der geistlichen Vaterschaft4. Die wahren Patres sind nicht die Mendikantenseelsorger, sondern die Bischöfe und Presbyter, denen unmittelbar die Leitung der Gemeinden, die Verkündigung des Wortes und die Spendung der Sakramente anvertraut sind. In diesen geistlichen Akten gründet die Auctoritas der Hirten und Vorsteher der Gemeinden. In diesem Sinne bekannten sich der Apostel Paulus (l Kor 4, 15) und Bischof Augustinus als Patres5. Die Mendikantenseelsorger können nur in einem übertragenen Sinne Patres genannt werden. Heinrich von Gent bestritt ihnen keineswegs diesen Ehrennamen, er sprach ihn aber primär den Praelati zu. Sofern die Mendikantenprediger die Ungläubigen zum Evangelium bekehren, rücken sie 4
Quodlibeta Magistri Herici Goethals a Gandauo doctoris solemnis: Socü Sorbonici: et archidiaconi Tornacensis. cum dupüci tabella. Paris 1518. Unveränderter Nachdruck. Louvain 1961. Quodl. 11 q. 27. fol. 477r—482r: „Utrum scilicet ille qui ex privilegio habet potestatem praedicandi: et alios praedicatione sua instruendi, ex eo quod aliis praedicat, et eos instruit, maior sit et verius sit pater quam qui hoc potest facere et facit iurisdictione ordinaria." 6 Ebd., fol. 477 r und 479 r.
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ebenfalls in die von Gott her begründete geistliche Vaterschaft ein; sie können und dürfen aber dadurch die Vaterschaft und väterliche Autorität der Presbyter nicht einengen. Aufgabe des geistlichen Vaters ist es aber, Vorsteher, Erster und Richter zu sein. Die Lebensform der Presbyter muß an dieser Aufgabe bemessen und bewertet werden. Das überkommene Ideal der Vita contemplativa kann darum kein absoluter Maßstab des presbyteralen Lebens sein. Ja, nicht einmal die evangelische Vollkommenheit kann im monastischen Verständnis und in der monastischen Überlieferung und Zurüstung Norm der Lebensform des Weltklerus sein. Im 12. Quodlibet, Quaestio 28 bestimmte er das Verhältnis zwischen der Vita contemplativa und der Vita activa6. Unbeschadet des grundsätzlichen Vorranges des betrachtenden und beschaulichen Lebens kommt in der gegenwärtigen Situation gegebenenfalls der Tat der Wertvorrang zu. Sofern nämlich die Not bzw. das Wohl der Mitmenschen oder Untergebenenden eigenen tätigen Einsatz fordern, ist dieser dringlicher, wertvoller und verdienstlicher als die Kontemplation7. Für diese Feststellung konnte sich Heinrich von Gent ausdrücklich auch auf Thomas von Aquin berufen8. Darum erachtete der Magister die Vita activa als Lebensform der Presbyter. Er leugnete aber dabei keineswegs die Bedeutung des kontemplativen Ethos. Seiner Substanz nach steht es sogar höher als das Ethos des Vorstehers, Leiters und Presbyters. In der Betrachtung des Wahren gewinnt der Mensch einen einmaligen Bezug zur Transzendenz; ja, in der Erkenntnis des Wahren, in der Weisheit, überrundet er die Welt und ihre Wissenschaft9. Die gegenwärtige Situation erlaubt es aber nicht, das werktätige und beschauliche Ethos einseitig zu sehen und in eine eindeutige Beziehung der Über- und Unterordnung zu bringen. Die beiden Lebensformen müssen in allen Zusammenhängen analysiert werden. Es geht nicht an, die biblische Erzählung von Martha und Maria (Lk 10, 38—42) einseitig im Sinne der Überordnung des meditativen Lebens über das aktive zu interpretieren. In diesem Sinne hatte bereits Augustinus vorgearbeitet10. Heinrich von Gent trug alle Stellen aus den Erklärungen Augustins zusammen, um seine These einer reziproken Priorität der beiden Lebensformen zu stützen. Das tätige Leben kann aber nur in der Kraft der sittlichen und religiösen Tugen* Ebd., fol. 606v—609r: „Utrum opera vitae activae sint praeferenda operibus vitae contemplativae tamquam meliora." 7 Ebd., fol. 506v. 8 Ebd., Quodl. XII q. 29, fol. 517r, zu vergleichen mit Thomas von Aquin, S. th. II—II q. 182 a. 2. 9 Ebd., fol. 606r. 10 Ebd., fol. 507r. Vgl. Quodl. XIII q. 14, fol. 644r.
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den gemeistert werden. Die Tugenden haben in der Vita activa ihren Ort und ihre Bedeutung11. Die andere Grenze des Presbyterstandes und -ethos gegenüber der Lebensform der Mendikantenorden zog Heinrich von Gent in der folgenden 29. Quaestio des 12. Quodlibet: „Ist der Stand der Prälaten höher und vollkommener als der Stand der Religiösen"12? Unter den Religiösen verstand er die Mendikanten. Die beiden Grundbegriffe „status" und „perfectio" erörterte er überaus kritisch. Zunächst griff er den in der ganzen Diskussion führenden Standesbegriff auf13. Er ließ die Auffassung der Ordenstheologen, nach der nur eine qualifizierte Verpflichtung und Beständigkeit die Zugehörigkeit zu einem Stande begründen könnte, nicht gelten. Die ernste und freie Entscheidung für einen Stand genügt, um Glied desselben zu werden14. Selbst wenn ein Presbyter aus Gewissensüberzeugung Rang und Stand verlassen kann, um in einen Orden einzutreten, so bedeutet doch die freie Übernahme der Dienste, Pflichten und Weisungen des Presbyteramtes eine ständige Bindung, einen bindenden Stand. Der Presbyter gehört nicht weniger einem Stande an als der Religiöse. Das Gelübde als solches kann keine höhere Beständigkeit begründen als die freie Entscheidung. Das Votum ist nur eine Form einer ständigen Entscheidung; es darf nicht absolut gesetzt werden. Heinrich von Gent wagte den nicht nur für die Ohren seiner Zeitgenossen aufregenden Satz: „Wären die Apostel und die Jünger von Christus durch keinerlei Verpflichtung zu ihren Diensten angehalten worden, sondern hätten diese allein freien Willens ausgeführt, und zwar auf Grund fester Entscheidung und gemäß der von Christus verfügten Art und Weise der Ausführung, so existierten sie in dem nämlichen Stande wie vermöge der Bindung durch ein Gelübde"15. Die kanonische Verpflichtung kann nicht mehr wahren als die freie Entscheidung. Sowenig die Form des Status religionis für den Presbyterstand verbindlich und normierend sein kann, sowenig können die Inhalte des Ordensstandes für das weltpriesterliche Ethos verbindlich und verpflichtend sein16. Jeder Stand hat unterschiedliche Wesensgehalte. Zum Ordensstand gehören die drei Gelübde, der Verzicht auf Eigentum, auf Ehe und Eigenbestimmung. Der Stand des Presbyters aber 11
Ebd., fol. 508v: ,, . . . pro tempore vitae praesentis melior est et perfectior virtutibus praeditis quibus valeant prodesse ..." 12 Ebd., fol. 509r—517 v. 13 Ebd., fol. 509 v—511 r. 14 Ebd., fol. 510r, 511 v: ,, . . . ad statum simpliciter non requiritur obligatio simpliciter, sie nee ad statum perfectionis simpliciter requiritur ulla obligatio ad faciendum ilia opera perfectionis, sed sufficit firmum propositum, et habere ritum vivendi qui ad operum perfectorum executionem requiritur." 15 Ebd., fol. 511v. " Ebd., fol. 511r-v.
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fordert die Vollkommenheit des Vorstehers17. Von seinem Stande und von seiner Aufgabe her ist also weder die Ehelosigkeit noch die Besitzlosigkeit gefordert. Sofern beide nicht zur Standesvollkommenheit gehören, können Ehe und Eigentum der Presbyter im Grunde genommen diesen nicht als Unvollkommenheit angelastet werden. Der Presbyter muß sich in der Leitung und Fürsorge, im öffentlichen Dienst der Gemeinde bewähren. Gregor der Große entwarf in der Regula pastoralis das Grundgesetz der pastoralen Lebensform. Der Magister las fleißig in diesem Buche18, in dem das ganze Mittelalter einen Hirtenspiegel sah. Rang und Stand verpflichten den Vorsteher zur lauteren Gesinnung, zuvorkommenden Tat und zurückhaltenden Diskretion. Der Presbyter braucht das rechte Wort, die helfende Nähe, die weise Überlegenheit, die Verbundenheit; er braucht den Eifer gegen das Unrecht und die Sorge um das Heil des Menschen19. Dieses Ethos des Hirten ist im Grunde genommen biblischer als die Vita contemplativa, die allgemein als biblische Vollkommenheit galt20. Obgleich vom Stande und Ethos des Presbyters aus die religiösen Akte der Armut, des Gehorsams und der Enthaltsamkeit nicht gefordert sind, so gehören sie (nach der Meinung des Magisters) doch zum Ganzen der Perfectio evangelica, und zwar als Wege und Werkzeuge der persönlichen Vollkommenheit. Diese Wendung des Gedankens, die nicht im Zuge der bisherigen Ausführungen des Magisters lag, war durch das vorherrschende Verständnis der biblischen Vollkommenheitsbotschaft bedingt. Danach waren die religiösen Akte wesentliche Inhalte des Lebens der Apostel. Aus dem Gottesstaat Augustins lasen die mittelalterlichen Theologen die Meinung, die Apostel hätten die Armut gelobt21. Ja, sie ergänzten diese Nachricht und sprachen davon, daß die Apostel die drei Gelübde gelobt hätten22. Im Leben der Apostel ist aber Urbild und Urform der christlichen Vollkommenheit vorgegeben, der auch die Presbyter im persönlichen Vollkommenheitsstreben verpflichtet sind. Diese Verpflichtung ist aber nur ein integrierendes, kein wesentliches Moment der Standes Vollkommenheit. Bedenkt man die Zölibatsverpflichtung in der Ostkirche und die Eigentumsordnung der Presbyter in der Westkirche, so wird deutlich, daß diese persönliche Verpflichtung Wandlungen unterworfen war. Sie kann darum mitnichten als feststehende Norm gelten23. Heinrich von 17 18 19 20 21
Ebd., Ebd., Ebd., Ebd.,
fol. fol. fol. fol.
511 v. 614v. 514v. 517r.
Ebd., fol. 611 v. Vgl. Augustinus: De Civitate Dei XVII c. 4. In: PL 41, 530. (Ed. B. Dombart, A. Kalb. Bd. 2. Leipzig 1929. S. 207 Z. 19 — S. 209 Z. 5.) 22 Ebd., fol. oliv: „ . . . apostoli tria vota religionis voverunt, sicut dicit Augustinus XVII De civitate Dei eos vovisse paupertatem." 23 Ebd., fol. Ö12r—513r.
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Gent hielt dafür, daß in diesem Wandel eine von Christus selbst herrührende Dispensatio wirksam ist. Die Apostel waren Träger der Vollmacht und der Vollkommenheit, der Sendung und der Heiligkeit. Sie begründeten die apostolische Nachfolge der Bischöfe; ferner legten sie den Grund für die Vita apostolica der Religiösen. Was im Ursprung vereinigt war, differenzierte sich in der Geschichte24. Der Status religionis übernahm Erbe und Übung der Vita apostolica; der Stand der Bischöfe und Presbyter versieht das Hirtenamt der Apostel. Den Orden fiel damit die Aufgabe der persönlichen Heiligung zu, den Hirten aber das Amt der sakramentalen Heiligung. Der Magister ging noch einen Schritt weiter: Der Ordensstand führt zur Vollkommenheit, das Presbyteramt setzt sie aber bereits voraus25. Damit hat er den Unterschied der beiden Stände auf eine einfache Formel gebracht, die sich in der Auseinandersetzung um den Vorrang im Amte gut verwenden ließ. Diese einseitige und polemische Überspitzung kann aber nicht als der gültige und wesentliche Beitrag des Heinrich von Gent zur Theologie der christlichen Vollkommenheit gelten. Die differenzierenden, ausgleichenden Aussagen verdienen Beachtung. Der Magister sah die wechselseitigen Bedingungen zwischen dem Amt und dem Ethos der Presbyter, wenngleich er vielfach im Begriff des Status beide Momente unkritisch einsetzte. Er war bemüht, Ethos und Spiritualität des Weltklerus aus der unterschiedlichen Situation des Presbyters zu begreifen. Die monastische Lebensform hat für den Weltklerus nicht konstitutive, sondern nur regulative Bedeutung. Er eröffnete auch den Mendikantenorden pastorale Wirkmöglichkeit, und zwar im Sinne der Evangelisation, der Verkündigung des Evangeliums an jene, die vom Wort und Wirken des Presbyters nicht mehr erreicht werden. Er war aber nicht bereit, die Mendikantenpriester als Patres der Gemeinden anzuerkennen. Darum führte er den unerbittlichen Kampf gegen die Pastoralprivilegien der beiden Orden26. Selbst aber auch in diesem Kampfe liegt nicht seine Bedeutung und seine Größe. Es spricht sehr für seine Größe, daß der Duns Scotus zugeschriebene Traktat De perfecüone stafuum wesentliche Grundgedanken des Heinrich von Gent aufgriff und fortführte27. Der Autor dieses Traktates 24
Ebd., fol. 512r: ,, . . . status apostolatus ratione suae perfectionis requirebat ab institutione sua opera perfecta in apice perfectionis secundum omnem modum perfectionis, ..." 26 Ebd., fol. 514v: „Religionis enim est de imperfectis perfectos facere, . . . Praelationis est iam perfectos in opus perfectius . . . inducere." Quodl. XIII q. 17, fol. 662r: „ ... in statu perfectionis exercendae: ut sunt praelati: sive in statu perfectionis generandae: ut sunt religiosi, ..." 2 « Vgl. Quodl. XII q. 31. fol. 618 r—623 r. 27 Der Traktat ist unter den Werken des Duns Scotus ediert. Opera omnia, Bd. 26, par Wadding, Paris 1895, S. 499—561.
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begründete das Zusammensein und Zusammenwirken der Mendikantenseelsorger und der Presbyter in dem auch von Heinrich von Gent angedeuteten Sinne der Gemeindearbeit und der Evangelisation. — Dieses Thema muß aber in anderem Zusammenhang eingehender behandelt werden! — Schließlich darf auch nicht verkannt werden, daß die theologische Auseinandersetzung über das Armutsethos der Mendikanten erst von den Nachfolgern des Heinrich von Gent, Gottfried von Fontaines und Johannes von Pouilly, polemisch überspitzt wurde. 2. Gemeinsam mit Heinrich von Gent disputierte Gottfried von Fontaines gegen die Vollkommenheitslehre der Mendikantenorden, vornehmlich gegen das franziskanische Ideal der Vollkommenheit der Armut. Die Ansätze seiner geistlichen Theologie stimmen auffallend mit denen des Thomas von Aquin überein. Die menschliche Vollkommenheit ist die Vollkommenheit der Tugenden bzw. die vollkommene Liebe Gottes und des Nächsten. In diesen allgemeinen Rahmen spannte er das dreifach unterschiedliche Ethos der drei kirchlichen Stände der Vorsteher, der Asketen (Enthaltsamen) und der Verheirateten28. Das sittlich-vollkommene Leben ist an den Mandaten Gottes orientiert. Die biblischen Weisungen und Ratschläge des Verzichtes, der Armut, der Kreuzesnachfolge usw. betreffen den Weg der Vollkommenheit. Die evangelischen Räte sind wegweisend; sie sind der vollkommene Weg. Die auf die Tugenden und Taten bezogenen Mandate Gottes betreffen die Vollkommenheit in ihrem Wesen selbst. Die Hirten und Vorsteher müssen sich im tätigen Leben bewähren. Der Stand legt ihnen diese sittliche Verpflichtung auf. Sie stehen auf Grund ihres Amtes und Dienstes unter der besonderen sittlichen Forderung. Die Religiösen haben sich für den vollkommenen Weg entschieden und leisten der biblischen Weisung Folge. Sie stehen unter dem besonderen Anspruch des evangelischen Ratschlags. Aus diesen Überlegungen folgt für den Magister die Erkenntnis, daß der Stand der Presbyter und Bischöfe Stand der Vollkommenen, der Stand der Religiösen aber Stand der zu Vervollkommnenden ist29. Diese überspitzte Formel kann aber nur bedeuten: „Der Stand der Vorsteher fordert einen vollkommeneren Menschen als der Stand der Religiösen"30. Den Anspruch der Religiösen, der Mendikanten, in Statu perfectionis zu sein, ließ der Magister nur in einem sehr eingeschränkten Sinne 28
Vgl. Quodl. V q. 16 in: Les Quodlibet cinq, six et sept de Godefroid de Fontaines. Par M. de Wulf et J. Hoff mans. Louvain 1914. S. 72. In: Les Phüosophes Beiges 3. 2 » Ebd., S. 76. Vgl. Quodl. XII q. 20 in: Les Quodlibet onze-quatorze de Godefroid de Fontaines. Par J. Hoffmans. Louvain 1932. S. 166. In: Les Philosophes Beiges 6. 30 Ebd., S. 83.
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gelten. Er wies die thomasische Begriffsbestimmung von Status ebenso zurück wie die Analyse der Perfectio evangelica31. Er ließ aber auch die Unterscheidung des Heinrich von Gent zwischen dem (endgültigen) Wesen der Vollkommenheit und dessen zeitbedingter, situationsgerechter Ausformung nicht gelten. Er hielt sie für nichtig, ja, für leichtsinnig32. Wenn nämlich die kontemplative Lebensform an und für sich vollkommener wäre, — eine These, die Heinrich von Gent zugunsten des monastischen Vollkommenheitsideals zugegeben hatte, — so müßte auch deren Ausübung jederzeit vollkommener sein und den Vorrang haben33. Die ethischen Kräfte allein qualifizieren den Menschen als gut. Die meditativen Kräfte als solche vermögen den Menschen nie gut zu machen. In dieser Weltzeit ist keiner so gänzlich für sich, daß er nicht auf den anderen angewiesen wäre. Jeder braucht des anderen Dienst. Die,Welt ist ,,locus merendi", der Ort des Verdienstes34. Von Verdienst kann aber theologisch nur dort die Rede sein, wo gedient wird. Die Patria ist das Jenseits der Welt, des Dienstes und des Verdienstes, d. h. der Ort der seligen Schau. Deren diesseitiger Ansatz ist nichts anderes als die Vita activa. Die gegenwärtige Weltsituation kann nicht in der meditativen Kraft, sondern nur in den sittlichen Kräften der Tugenden (Virtutes morales) bewältigt werden. Hierzu bedarf der Mensch und der Christ der Bona temporalia, der zeitlichen Güter. Diese dienen nicht nur dazu, das Leben zu erhalten und zu verwirklichen, sondern vor allem auch dazu, Gutes zu tun35. Der Mensch kann darum weder ,,actu" noch „affectu", weder in der Gesinnung noch in der Tat, auf die zeitlichen Güter verzichten. Diese These, die Gottfried von Fontaines im Quodl. VIII, q. 11 breit entfaltete, richtete sich gegen die Mendikantenorden, vornehmlich aber gegen das franziskanische Armutsethos. Erst nach vielen Distinktionen konnte der Magister der freiwilligen Armut Sinn und Bedeutung einräumen. Die Weltgüter sind an und für sich gut. Sie sind die Aktmaterie vieler sittlicher Tugenden. Die Armut, d. h. der Mangel an irdischen Gütern, kann darum niemals um ihrer selbst willen erstrebt und gewollt werden. Sie muß gegebenenfalls ertragen werden, so wie sie viele sogenannte Arme und Bettler erdulden36. 31
Ebd., S. 77. Quodl. XI q. 6 in: Les Quodl. onze-quatorze de Godefroid de Fontaines. Par J. Hoff mans. Louvain 1932. S. 35. In: Les Philosophes Beiges 6. 33 Ebd., S. 35. 34 Ebd., S. 37. 36 Quodl. VIII q. 11 in: Le Huitieme Quodlibet de Godefroid de Fontaines. Par J. Hoffmans. Louvain 1924. S. 102: „Utrum perfectio vitae humanae exigat relinquere bona exteriora et quantum ad actum sive possessionem et quantum ad affectum sive amorem." In: Les Philosophes Beiges 4. 36 Neben den freiwilligen Mendikanten gab es die vielen unfreiwilligen Bettler. Sie wurden im Volke („vulgariter et communiter") „pauperes mendicantes" ge32
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Der Verzicht auf die irdischen Güter hat nur so weit Sinn, als er die Gefahr bannt, den Dingen der Welt anheimzufallen. Um dieser aus der Welt drohenden Gefahr zu begegnen, genügt es aber, dem Reichtum und dem Übermaß zu entsagen. Die philosophische Ethik sieht keinen Weg, die totale Armut im Sinne des franziskanischen Ethos zu begründen. In der 19. und 20. Quästion des 12. Quodlibet polemisierte er außerdem scharf gegen die Armutstheologie37. Er warf dabei auf der einen Seite dem Orden einen aufwendigen Gebrauch der Güter vor, auf der anderen Seite stellte er das Armutsideal als solches in Frage. Er bestritt den Fratres minores das Recht, sich für das Ethos der totalen Armut auf Christus und die Apostel zu berufen. Er behauptete, daß sich für diese Auslegung des biblischen Armutsimperativs keine einzige Stimme aus der Tradition geltend machen läßt. Und er betonte wiederum mit Nachdruck den Vorrang des Standes und der Spiritualität der Prälaten. Gottfrieds Ausführungen über die unterschiedliche Spiritualität der Mendikanten und Presbyter lassen sich auf diese Grundgedanken reduzieren : 1. Das Ethos des Weltklerus und der Religiösen ist eindeutig an der universalen Ethik des vollkommenen Tugendlebens zu orientieren. 2. Das Ethos des presbyteralen Standes steht unter der Norm des universalen Gottesgebotes. Das Ethos der Religiösen ist von den evangelischen Weisungen erfüllt. 3. Die biblische Weisung betrifft den vollkommeneren Weg zur vollkommenen Tugend. Die evangelischen Räte (zur Armut, zum Gehorsam und zur Enthaltsamkeit) sind Werkzeuge, mit denen sich der Religiöse entschieden für die Vollkommenheit ins Zeug legt. Sie sind Disposition der Vollkommenheit. — Sie sind aber keine zwingende Disposition, sondern nur Vorbereitung und Voraussetzung. — 4. Der monastische Weg der Vollkommenheit ist wesentlich Einübung in die menschlich-christliche Vollkommenheit der Tugenden. Er ist Weg der Vervollkommnung. Er bannt die Gefahren. Die evangelischen Weisungen betreffen die Askese des Unvollkommenen. 5. Das Ideal der totalen Armut, des Verzichtes auf Privat- und Gemeineigentum, entspricht weder der Ethik noch dem Evangelium. In der fortgesetzten Auseinandersetzung nahm dieses Thema immer mehr Raum in Anspruch, und die Polemik erhielt immer schärfere Züge. In dieser Konzeption der evangelischen Vollkommenheit, die nannt. Vgl. Quodl. VIII q. 11, S. 109: ,, . . . prout videmus in illis qui vulgariter et communiter vocantur pauperes mendicantes qui multas penurias et anxietates involuntarias sustinent..." 37 Quodl. XII q. 19—20 in: Les Quodlibet onze-quatorze de Godefroid de Fontaines. Par J. Hoffmans. Louvain 1932. S. 139—155, 155—165. In: Les Philosophes Beiges 5.
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von Johannes von Pouilly, dem Schüler und Nachfolger des Gottfried von Fontaines, noch schärfer akzentuiert wurde38, vermißt man ebenso die redlichen und sachlichen Bemühungen um das biblische Ethos der Nachfolge Christi, in der die biblischen Weisungen zur Armut, Enthaltsamkeit und zum Gehorsam ihren Sitz haben, wie auch eine differenzierende Analyse der Bedeutung eines partikularen Ethos für das Ganze der christlichen Sittlichkeit und Spiritualität. Die berechtigten Anliegen der Theologen aus dem Weltklerus hätten in dieser Sachlichkeit mit noch größerer Überzeugungskraft vertreten werden können. II. Die evangelische Vollkommenheit als Lebensform der Mendikantenorden in der Theologie des Thomas v. Aquin 1. Thomas von Aquin hat in das Ganze der Theologie, in die Summa theologiae auch die Behandlung der christlichen Ethik und des kirchlichen Ethos einbezogen. Unter dem Titel De officiis et statibus hominum erörterte er Wesen und Unterschiede der kirchlichen Lebensformen39. Er ging diese Analyse nicht in der Horizontalen sozialer Gegebenheiten, sondern in der Vertikalen der sittlich-religiösen Vollkommenheit an. In dieser Ausrichtung fragte er nach dem Status perfectionis, nach dem unterschiedlichen Stand der Bischöfe, Presbyter und Religiösen im Ganzen der Bewegung zur Vollkommenheit. Das besondere Augenmerk richtete er dabei auf die Vollkommenheit der Religiösen, die er in einzelnen Schriften bereits gegen die Angriffe von Seiten der Theologen aus dem Weltklerus (Wilhelm von S. Amour und Gerhard von Abbeville) verteidigt hatte. Diese Auseinandersetzung kennzeichnet auch die Ausführungen der Summa in Themenwahl und Problemstellung. Die evangelische Vollkommenheit mit den verschiedenen Verhaltensweisen der Armut, der Keuschheit und des Gehorsams ist nicht die Vollendung des christlichen Lebens schlechthin. Diese ist die Liebe, die Gottes- und die Nächstenliebe. In ihr kommt der Christ zur Vollendung. Der Weg der vollkommenen Liebe ist die Nachfolge Christi in Armut und Demut. Die Perfectio evangelica ist nicht das Ziel, sondern der Weg. Armut, Keuschheit und Gehorsam sind darum nicht Selbstzweck. Sie sind hingeordnet auf jene Bewegung, in welcher der Christ Christi und der Apostel Gottes- und Nächstenliebe nachahmt40. Die Idee der Nachfolge Christi, die echte Mimesis ist, beinhaltet nach 38
Johannes de Polliaco: Quodl. V q. 12, Cod. lat. Paris. 16372, föl. 169 vb—171 vb: „Utrum scilicet infra statum praelatorum maiorum sit aliquis status perfectior, ut puta curatorum, statu religiöser u m." q. 13, ebd., fol. 171v—178r: „Utrum status religiosorum mendicantium sit perfectior statu religiosorum habentium bona in communi sufficientia ad vivendum." 3 » S. th. II—II q. 183. « Ebd., q. 184 a. 3; q. 188 a. 7.
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Thomas einmal die Weisungen zum armen, demütigen und gehorsamen Leben und zum anderen den in diesen Lebensweisen lebendigen Hinweis auf Jesus Christus. Das arme und gehorsame Leben Jesu Christi und der Apostel ist beispielhaft für den Jünger Christi. Die Bettelmönche gingen den Weg der Nachfolge Jesu in der klösterlichen Lebensform, d. h. in der Gehaltenheit durch die Gelübde und in der brüderlichen Gemeinschaft. Die Festigung des Willens durch die Gelübde ist die einmalige Entscheidung für die Perfectio evangelica, die Verankerung in das Ideal der Vollkommenheit. Aus dieser Festlegung des Geistes und Willens für den Weg zur Vollkommenheit begründet Thomas den Anspruch der Mendikanten, in Statu perfectionis zu sein41. Dieser Anspruch bedeutet nicht die Anmaßung, im Besitze der Vollkommenheit zu sein. Die monastische Lebensform setzt den Religiösen auf die Bahn der Vollendung. In ähnlicher Bindung an eine vorgegebene Ordnung sah Thomas den Bischof. Er sprach darum auch den Bischöfen den Status perfectionis zu42. Ja, er erkannte ihnen den höchsten Status zu, da sie auf Grund dieses Standes die Vollkommenheit zugleich auch anderen mitteilen können43. Den niederen Prälaten sprach er aber den Status ab, da die Bindung des Presbyters an das Amt nicht unauflöslich ist44. Dagegen setzten sich aber gerade die Theologen aus dem Weltklerus zur Wehr45. Diese hohe Schule der Vollkommenheit fordert nach Thomas die gegenwärtige Situation des Menschen, der „post Christum natum et passum" dazu befähigt und berufen ist. In der Bewegung der Gnadengaben und Kräfte des Geistes gehen Menschen den anstrengenden Weg der Nachfolge Christi in der Bindung und Gehaltenheit der einmaligen und unwiderruflichen Entscheidung für die Perfectio evangelica. In dieser Gnadenbewegung beschreiten andere den Weg in der Bindung an Ehe und Beruf, in der Bindung an Gemeinde und Kirche. Die Kirche bedarf nach Thomas aller dieser Lebensformen, damit so die Fülle der Gnade und des Lebens offenbar werde. Die Würde und Wirklichkeit der Kirche ist wesentlich dadurch bestimmt, daß in ihr für die vielfältigen Gestalten der Nachfolge Raum ist46. Die Kirche ist keine Mönchskirche, kein heiliger Berg Athos. Jede Einengung der christlichen Lebensformen käme der Entleerung oder Schmälerung der Gnade gleich. Die Kirche braucht aber auch als Ganzes den Status perfectionis derer, die alles verlassen haben und Jesus nachfolgten, um so die Anstrengung in der Vollkommenheit zu dokumentieren und 41
Ebd., q. 183 a. 1; q. 184 a. 5. Ebd., q. 184 a. 6—8. 48 Ebd., q. 184 a. 7. 44 Ebd., q. 184 a. 8. 48 Vgl. Absatz I dieses Artikels. 4 « S. th. II—II q. 183 a. 2. 42
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zu demonstrieren. Der Ordensstand ist Exercitium. „Status religionis est quoddam spirituale exercitium ad consequendam caritatis perfectionem"47. Die Kirche braucht das hochgespannte Ethos des Ordensstandes, ähnlich wie jede Gesellschaft das vorrangige Ethos der Gruppe nötig hat. Der Ordensstand ist der Weg zur Vollkommenheit und so gesehen auch der Weg für die Unvollkommenen. Ja, die Sünder finden leichter den Zugang als die vermeintlich Frommen48. Diese grundsätzliche Offenheit war ein Wesenszug der beiden Mendikantenorden im 13. Jahrhundert. Darin ist auch die alte und große Überlieferung lebendig, daß der Ordensstand Büßerstand ist. Ja, Thomas meint, er wäre „perfectae poenitentiae status"49. Die Bettelorden nahmen sich darum auch der Gescheiterten, der Suchenden und der Sünder an. Thomas wies gegenüber böswilligen Vorwürfen von Seiten des Weltklerus gerade darauf hin, daß alle, denen die Mandate Gottes schwerfallen, in besonderer Weise jene Festigung des Willens brauchen, die der Weg der Bekehrung und Buße gewährt50. Die Mahnung an den Eintritt in den Orden richtet sich nicht nur an jene, die sich in der Tugend bewährten, sondern an jene, die in der Sünde lebten51. Diese Mahnung hatte noch etwas von der biblischen Aufforderung Jesu an die Sünder an sich. Sie fand offensichtlich auch Gehör in den Kreisen der Pariser Universität62. Kern und Stern der Perfectio evangelica ist nicht die Armut und nicht die Enthaltsamkeit, sondern der Gehorsam. Der Gehorsam ist das Fundament der auf den Ruf der Gnade und des Wortes Gottes hin getroffenen Entscheidung53. Der totale Verzicht auf das Eigentum, auf jede Form des Gemeingutes, erschien Thomas nicht tunlich54. Die Armut ist auch für ihn kein absoluter Wert. Sie ist Zeichen und Ausdruck der Freiheit des Menschen in der Welt für Gott und den Nächsten. Der absolute Verzicht auf jedes Gut würde diese Freiheit selbst aufheben. Mit dieser These über die Bedeutung der Armut und mit anderen Auffassungen (z. B. über Wesen und Verpflichtung der Regel) setzte sich Thomas in Gegensatz zum Franziskanerorden. Dessen Theologen haben die thomasische Lehre von der Perfectio evangelica scharf angegriffen. Neben Petrus Johannis Olivi, dessen Kontroverse mit Thomas bereits eingangs erwähnt wurde, setzte sich vor allem Wilhelm 47
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Ebd., q. 189 a. 1.
Ebd., q. 189 a. 1. ** „Contra retrahentes homines a religionis ingressu" in: Opuscula omnia, hrsg. von P. Mandonnet, Paris 1927, c. 5 n. 753. 50 Ebd., n. 754. « Ebd., n. 754. " Ebd., c. 13 n. 826. 68 S. th. II—II q. 186 a. 8. 84 Ebd., q. 188 a. 7.
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von La Märe in dem von den Studenten so genannten Correctorium fratris Thomae mit der thomasischen Vollkommenheitslehre auseinander. 2. Wilhelm von La Märe widmete die Hälfte der kritischen Anmerkungen zur II-II der Summa Fratris Thomae dessen Lehre von der evangelischen Vollkommenheit55. Das Verhältnis der Schöpfungsgebote zu den biblischen Ratschlägen, d. h. das Verhältnis der christlichen Ethik zum religiösen Ethos, stellt sich für ihn grundlegend anders dar5e. Mandat und Consilium gehören in gleicher Weise zum Wesen der christlichen Vollkommenheit, denn beide Weisungen beinhalten nichts anderes als das tugendliche Tun des Menschen. Was Thomas als Mittel und Werkzeug der Vollkommenheit dem Wesen vorordnet, gehört für den Franziskanertheologen mit zum Vollzug der Vollkommenheit. Im konkreten Vollzug religiös-sittlicher Handlungen muß man das grundlegend Notwendige und das überschüssig Verdienstliche unterscheiden. Beides gehört zum Wesen des sittlich-religiösen Aktes, der das je-nochGrößere und je-noch-Vollkommenere anstrebt. Die Mandata betreffen das Grundlegende, die biblischen Imperative das je-noch-Höhere. Der Religiöse nimmt die größere Anstrengung auf sich. Er ist der strengeren sittlichen Disziplin unterworfen. Er darf mit dem höheren Verdienst rechnen. Das biblische Ethos ist das Ethos des angestrengten Tugendstrebens. Aus dieser Sicht muß das Wesen der religiösen Akte der Armut, Keuschheit und des Gehorsams begriffen werden57. Sie sind die Vollzugsgestalt hoher Tugend. Die freiwillige Armut, die einmal und ein für allemal alles hergibt, ist die hohe und höchste Form der Freigebigkeit. Sie ist Vollzugsform der Liebe. Die Liebe Christi äußerte sich von Anbeginn an — „a primo instanti suae conceptionis" — in dieser Gestalt. Die Armut ist die Entäußerung der Liebe. Sie ist weder Werkzeug noch Disposition, im Gegenteil: sie ist die Frucht und der Austrag der vollkommenen Liebe. Die evangelische Armut muß also anders gesehen und gewürdigt werden. Sie ist nicht nur das Exercitium, die Einübung in die Vollkommenheit, sondern ein wesentlicher Bestandteil derselben58. Der Kritiker wollte damit keineswegs sagen, daß die Armut das Wesen der christlichen Vollkommenheit wäre, aber diese vollzieht und ver66
Art. 68—77 in: Le Correctorium Corruptorii „Quare". Edition critique par P. Glorieux. Le Saulchoir 1927. S. 279—323. In: Bibliotheque Thomiste IX. 66 Ebd., S. 282—286, Art. 69: „Quod perfectio vitae christianae consistit in consiliis et praeceptis." 67 Ebd., S. 298—302, Art. 73: „Quod paupertas, continentia et obedientia pertinent ad perfectionem instrumentaliter." 68 Begreiflicherweise beschäftigen sich die meisten Artikel der Kritik mit der Armutstheologie. Es sind die Artikel 71 (XI in II—II), 72 (XII), 73 (XIII) partim, 76 (XV), S. 292, 295,298,308.
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wirklicht sich in der Armut. Die größere Armut ist darum auch die höhere Vollkommenheit. Es ist die tiefe Überzeugung des Franziskaners, daß die totale Armut höchster Vollzug der christlichen Vollkommenheit ist59. Die Armut darf nicht ausschließlich als Funktion einer Regel oder eines Ordenszweckes betrachtet werden, sie muß als hohe und reine Form der Vollendung begriffen werden. Dementsprechend mahnte der Kritiker gegenüber Thomas auch das wörtliche Verständnis der biblischen Armutsbotschaft an60. Die franziskanische Theologie verstand den Status perfectionis als Inbegriff der religiösen Lebensakte und bewertete diese in ihrem Verlauf und Vollzug. Sie trug darum auch den Affekten, dem persönlichen Einsatz und der Anstrengung Rechnung. Sie konnte darum auch die andere Meinung des Thomas von Aquin vom Vorrang des bischöflichen Standes nicht ohne Einschränkung gelten lassen. Die höhere bischöfliche Autorität, Würde und Vollmacht, die der Franziskanertheologe durchaus gelten ließ, sind nur Aktmaterie des vollkommenen Lebens. Die Vollkommenheit selbst bemißt sich nach dem sittlich-religiösen Einsatz der Person. Weil sich aber der Religiöse in einem ungleich höheren Einsatz für das vollkommene geistliche Leben befindet, darum kommt nach der Meinung des Kritikers den Religiösen und deren Status das Prae der Vollkommenheit zu61. Die Lehre von der Perfectio evangelica des Wilhelm von La Märe ist an der Natur des sittlich-religiösen Aktes orientiert. Die sittliche Wertordnung ist Voraussetzung für das persönliche und partikuläre Ethos. Dieses steht unter dem Gesetz des je-noch-größeren Einsatzes, des je-noch-höheren Strebens. Das Ethos der Gruppe (des Ordens) erlangt so eine eindeutige Vorrangstellung gegenüber dem allgemeinen Wertbewußtsein. In der Vollkommenheitslehre der Spiritualen nahm dieses Gruppenethos intolerante Züge an. Der Traktat des Wilhelm von La Märe über die Vollkommenheit ist kein Zeugnis der Theologie der Spiritualen, sowenig wie die diesbezüglichen Traktate des Bonaventura. Sie zeigen aber jenes unterschiedliche Verständnis des biblischen Vollkommenheitsethos, das in Gefahr ist, Ethik und Ethos in der Welt zu überrunden. 3. Schüler und Freunde des Thomas von Aquin haben sich sofort mit dem kritischen Traktat des Wilhelm von La Märe, der um 1277 veröffentlicht wurde, angelegt. Von den vier Streitschriften gegen die 1. Redaktion der Kritik — Correctorium Corruptorii benannt — kamen 59
Ebd., Art. 75, S. 310: „ . . ., credimus et asserimus quod maioris est perfectionis penitus nihil habere nee in communi nee in proprio." Art. 73, S. 299: „Paupertas igitur et continentia et abstinentia ad perfectionem caritatis eius non pertinebant instrumentaliter et dispositive . . . sed pertinebant ad earn consequenter." «o Ebd., Art. 72 (XII), S. 295—298. 81 Ebd., Art. 70 (X), S. 289—292. MeiV
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nur zwei bis zu einer Stellungnahme gegen die Angriffe auf die thomasische Vollkommenheitslehre, das Correctorium „Quare" des Richard von Knapwell und das Correctorium „Sciendum" des Robert von Orford62. Beide Streitschriften entstanden kurz vor bzw. nach 1280. Die Verteidiger der thomasischen Vollkommenheitslehre, die unabhängig voneinander schrieben, wandten sich einhellig gegen die Unterscheidung zwischen einer „perfectio sufficientiae et necessitatis" und einer „perfectio abundantiae et supererogationis". Wilhelm von La Märe entwarf die franziskanische Konzeption von der christlichen Vollkommenheit gerade auf Grund dieser Unterscheidung, die er, wie er sagt, von den Magistern übernahm63. Richard von Knapwell wies sie als falsch zurück64. Die Vollkommenheit ist eine und besteht in der von der Liebe durchformten Tugendlichkeit65. Die Liebe aber und die zu ihr gehörenden Tugenden kennen kein Maß. Sowenig das Gebot der Liebe eine Grenze hat, sowenig dürfen ihr die Tugenden in irgendeiner Begrenzung zugeordnet werden. Die Liebe ist in allen Tugenden in der je-noch-größeren Vollkommenheit wirksam66. Hinsichtlich der Aktualität und der Intensität kennt die Tugend kein Maß. Die Unterscheidung eines notwendigen hinlänglichen Maßes und eines überschießenden nicht-geforderten Übermaßes läuft dem Wesen der Tugend zuwider. Damit ist auch die Verteilung von Mandat und Consilium hinfällig. Die biblischen Imperative der Armut, Keuschheit und des Gehorsams sind Weisungen zur Vollkommenheit. Beide Verteidiger der thomasischen Konzeption der Vollkommenheit heben mit Nachdruck die alle Gefahren und Hindernisse bannende Kraft der evangelischen Räte hervor. „Die evangelischen Räte", so stellt Knapwell fest, „sind bestimmt, die Hindernisse aus dem Weg zu räumen"67. Robert von Orford zeigte im einzelnen diese bannende Wirkung der biblischen Weisungen auf68. Diese bannen die Gefahren, 62
Le Correctorium Corruptorii ,,Sciendum". Edition critique par P. Glorieux. Paris 1956. In: Bibliotheque Thomiste XXXI (Le Saulchoir 1921 ff.)· Über dieliterarkritischen Fragen der Korrektorien handelte ich in einer eigenen Untersuchung: „Geistesgeschichtliche und literarkritische Erhebungen zum Korrektorienstreit (1277—1287)". In: Rech, de Theol. Anc. et ., Bd. 33. Louvain 1966. S. 81— 114. 83 Corr. „Quare", a. a. O. (Anm. 55), Art. 69, S. 284. Vgl. Art. 71, S. 294. ·« Ebd., Art. 69, S. 287; Art. 71. S. 294. •5 Ebd., Art. 69, S. 287: „Omnis enim perfectio consistit in virtutibus caritate informatis, ad quas, ut dictum est, praecepta legis divinae ordinantur." Vgl. Corr. „Sciendum", Art. 69. S. 266. Corr. „Quare", Art. 69, S. 287: „ . . . praecepta moralia . . . non ordinantur ad ipsas seil, virtutes sub aliqua certa mensura . . ., sed ordinantur ad ipsas sub quocumque gradu quamtumcumque perfecto." 87
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Ebd., S. 287. Corr. „Sciendum", Art. 69, S. 265.
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die der ungeteilten Hingabe an Gott von Seiten der Weltgüter, der Ehe und Familie und von selten des eigenen Ichs drohen69. Sie schaffen jene Freiheit, in der sich das Dasein vor Gott entfalten kann. Um die Funktion und Leistung der biblischen Weisungen genügend von den Mandaten abzugrenzen, haben die Schüler und Verteidiger des Thomas allzusehr die privative, bannende Wirkung der monastischen Lebensweisen unterstrichen. Sie haben damit dem Verständnis einer Askese Vorschub geleistet, die mehr auf die Gefahren der Vollkommenheit achtet als auf deren Wirklichkeit und Wesen. Die freiwillige Armut kann aus dem genannten Grund keinen höheren Rang und keine größere Bedeutung beanspruchen als die übrigen Akte der Religiösen. Richard von Knapwell sah den grundlegenden Fehler der franziskanischen Armutstheologie darin, daß sie die Armut als Tugend gelten ließ70. Für ihn ist sie ähnlich wie das Fasten und Wachen „eine gewisse freiwillig übernommene Buße" (quaedam poenalitas). Sie sei überhaupt nicht an und für sich gut, schrieb Robert von Orford71. Letztlich haben die beiden Dominikanertheologen der religiösen Armut nicht wesentlich mehr Verständnis entgegengebracht als die Theologen des Weltklerus. Es blieb den Spiritualen Petrus Johannis Olivi und Jacopone von Todi vorbehalten, die Armut als Form und Disposition der Tugenden darzutun. Ein anderes Moment der Verteidigung der thomasischen Vollkommenheitslehre verdient noch Beachtung. Um den vorrangigen Status der Bischöfe gegen die franziskanische Kritik zu verteidigen, transponierte Robert von Orford die monastischen Lebensakte und -ideale in die Situation des bischöflichen Wirkens, das auf andere Weise den evangelischen Weisungen zur Armut, Enthaltsamkeit und Folgsamkeit unterliegt72. Gerade diese Wendung des Gedankens, die im Ganzen der Vollkommenheitstheologie zu wenig zum Zuge kam, macht die Bedeutung und Funktion des monastischen Gruppenethos in der Kirche deutlich. Dieses demonstriert beispielhaft Wesen und Bedeutung der angestrengten Einübung in die christliche Vollkommenheit. Das hohe Ethos eines Standes und einer Gruppe trägt die Sittlichkeit und Religiosität des Ganzen in einem entscheidenden Maße. Die monastischen und außermonastischen Armutsbewegungen des Trecento sind ein unübersehbares Indiz einer großen Spiritualität. Deren Zeuge ist auch Petrus Johannis Olivi. «· Ebd., S. 265. 70 Corr. „Quare", Art. 71, S. 294. 71 Corr. „Sciendum", Art. 71, S. 272. 72 Ebd., Art. 70, S. 268; zu vergleichen mit der Erwiderung des Robert von Orford auf die Quodlibeta des Heinrich von Gent, Quodl. XII q. 29, Cod. Vat. lat. 987, fol. 116ra. 3*
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III. Das biblische Ethos der vollkommenen Armut im Verständnis des Petrus Johannis Olivi Ein Blick auf die Folge der Quästionen De perfectione, die F. Ehrle seinerzeit beschrieb73, zeigt, daß sich Olivis Interesse in Fragen der evangelischen Vollkommenheit zusehends auf die vollkommene Armut konzentrierte. Diese Konzentration ist ebenso durch die Auseinandersetzung bestimmt, wie durch das Bestreben, die vollkommene Armut als Armut der christlichen Vollkommenheit zu begründen. Die vollkommene, totale Armut ist die Armut vollkommener Jugendlichkeit! Olivi setzte zunächst die Armut keineswegs an die Stelle der Tugend; er identifizierte beide nicht. Er sah in der Armut das Vermögen hoher sittlicher und religiöser Tugenden74. Er betrachtete sie als „Gefäß und Werkzeug aller Tugenden"75. In einer breitangelegten Analyse stellte er die von der gänzlichen Armut erweckten und erfaßten Tugenden vor76. Zur Tugendlichkeit der Armut gehört die Demut, die Schwester der Armut, wie Jacopone Olivis Gedanken im Lied verdichtete77. Ihr gehören ferner an: Nüchternheit und Strenge im Lebenswandel, Reinheit und Weisheit, Freigebigkeit und Frömmigkeit. Sie weckt den Brudersinn und die Güte, die Tapferkeit, den Großmut und die Glaubensstärke, das Vertrauen, die Liebe und die kontemplative Kraft. Sie sichert dem Orden Bestand und Zukunft. Sie ist die Voraussetzung der Seelenführung und der Seelsorge. Sie schützt vor den Anfechtungen und Gefahren der Welt. Die vollkommene Armut ist die Form der Vollkommenheit des Frater minor. Darin verwirklicht und verkörpert sich das Idealbild der christlichen Vollkommenheit. Darin spiegelt sich das Bild des hl. Franz von Assisi, das Olivi ohne Zweifel vor Augen hatte. Von den Aposteln abgesehen, hat niemand anders das Leben und die Vollkommenheit Christi deutlicher enthüllt und offenbar gemacht als der Arme aus Assisi78. Er war in der Tugend vollkommen, bewährt in den evangelischen Ratschlägen. Über allem bewahrte er die Armut, die ihn zu einem hohen Leben der Offenbarung befähigte79. Die in den biblischen 73
F. Ehrle: Petrus Johannis Olivi, sein Leben und seine Schriften. In: Arch. f. Lit.- u. Kirchengesch. d. MA, hrsg. v. H. Denifle u. F. Ehrle. 7 Bde. (Berlin) Freiburg 1885—1900. Bd. 3 (1887). S. 497—553. 74 Quaestiones De perfectione evangelica, q. 8: „An status altissimae paupertatis sit simpliciter melior omni statu divitiarum sive propriarum sive communium sive quocumque alio modo se habendi ad temporalia." In: Cod. Vat.lat. 4986,fol.23r—47v. 76 Ebd., fol. 35r: ,, . . sicut enim supra probatum est, haec paupertas est quasi vas et quasi instrumentum omnium virtutum." 78 Ebd., fol. 25r—33r. Vgl. „De perfectione evangelica", q. 16, fol. lOOr. 77 Vgl. Anm. 46. 78 „De perfectione evangelica", q. 8. In: Cod. Vat. lat. 4986, fol. 37r. 79 Ebd., ,, . . . nulli enim omnium sanctorum post apostolos ita data est notitia vitae Christi seu evangelicae perfectionis Christi, sicut isti."
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Weisungen bewahrte und sich bewährende Jugendlichkeit ist das große und vollkommene Vermögen der Armut. Als Erläuterungen zu diesen Aussagen lese man das schon erwähnte Lied Jacopones von Todi über die Armut80. Diese Bedeutung der evangelischen Armut erhellt sich ferner aus deren Ursprung und aus der Geschichte ihrer Erneuerung. Die vollkommene Armut hat einen großen Anfang und bewegt sich in einer großen Geschichte hin auf die Vollendung der Geschichte. Der Anfang der Armutsbewegung ist Christus. Die evangelische Armut ist eine Stiftung Jesu Christi. Christus hat sie in seinem eigenen Leben gestiftet. Er hat sie nicht diktiert oder verfügt, sondern zur Nachahmung und Nachfolge gestiftet. Die christliche Armut kann darum weder als soziales, gesellschaftliches oder ökonomisches Phänomen gesehen werden, sie muß als Perfectio evangelica betrachtet werden. Die christliche Armutsbewegung empfing weder von den mittelalterlichen gesellschaftlichen Verhältnissen noch von den vorherrschenden ökonomischen Bedingungen Weisung, sondern vom Evangelium. Jede andere Betrachtung verwechselt Voraussetzung und Weisung einer Bewegung81. Die Geschichte der Erneuerung und Vollendung der evangelischen Armut ist für Olivi der beste Beweis für die Bedeutung der Armut. Die Geschichte der Vollkommenheit ist die Vollkommenheit der Geschichte! Diese These will besagen: Die Geschichte der Erneuerung der biblischen, vollkommenen Armut — es ist die Geschichte des hl. Franz und seiner Brüdergemeinde — ist die Vollendung der Geschichte. Die vollkommene Armut ist die Vollendung der Heilsgeschichte. Olivis Lehre von der vollkommenen Armut hat endzeitlichen, eschatologischen Charakter. Die Endzeitlehre Olivis ist darum ein wesentliches Moment seiner Vollkommenheitslehre und umgekehrt. Aus der Vollkommenheitslehre und aus der Armutstheologie ergeben sich auch wesentliche Erkenntnisse für das Verständnis der Geschichtstheologie Olivis, die in der Forschung unterschiedlich ausgelegt wird. In der erwähnten 8. Quästion betrachtete Olivi die vollkommene Armut als die die Geschichte der Kirche vollendende Vollkommenheit82. Sie führt als 6. christlicher Zeitraum die Vollendung der letzten Zeit herbei. Diese Vollkommenheit wurde zwar in Christus und den Aposteln offenbar, sie erlangte aber in der Spätzeit, im 6. Zeitalter, 80
Ausgewählte Gedichte Jacopones da Todi, deutsch von E. Schlüter und W. Storck, Münster 1864. S. 62—64; La Satire di Jacopone da Todi Ricostituite nella loco piü probabile Lezione originaria con le varianti dei Mss. piü da un saggio sulle stampe e sui codici Jacoponici per Cura di Biordo Brugnoli. Firenze 1914. 81 Diesen Vorwurf kann man gewiß B. Töpfer nicht ersparen. B. Töpfer: Das kommende Reich des Friedens. Zur Entwicklung chiliastischer Zukunftshoffnungen im Hochmittelalter. In: Forsch, z. ma. Gesch. 11. Berlin 1964. 82 Cod. Vat. lat. 4986, fol. 37r—v.
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ihren Höhepunkt83. Nähere Erklärungen über den Zusammenhang der letzten Zeiten der Kirche mit dem vorgängigen fünften Zeitalter muß sich Olivi an dieser Stelle versagen, da der Gedankengang ohnehin schon für ein Argument zu lang geworden ist84. In den späteren Schriften verbreitete er sich aber ausführlich über die Bewandtnis der Armut für die Vollendung und die Endzeit der Kirche. In dem umfangreichen Traktat über den Usus pauper, den er kurz nach 1280 Contra damnantes paupertatem schrieb, brachte er die Angriffe gegen die totale Armut im Orden mit den von der Heiligen Schrift verkündigten Anfechtungen durch den Antichrist in Verbindung. Die Verhöhnung und Verfälschung des Ideals der gänzlichen Armut ist die Vorbereitung der Partei des Antichrist86. Wiederum verschob aber Olivi eine eingehende Begründung dieser Feststellung und verwies auf bereits erfolgte bzw. noch ausstehende Darlegungen86. In der 16. Quästion (De perfectione evangelica), in der er vor allem den Usus pauper gegen das Institut der Prokuratoren verteidigte, betrachtete er seine Widersacher, die bereitwillig von allen Seiten Unterstützung annahmen, ganz und gar in den eschatologischen und apokalyptischen Farben. Er bezog die berühmte apokalyptische Zahl 666, mit der in der Geheimen Offenbarung (13, 18) der Name des Tieres (verbergend-offenbarend) umschrieben wird, auf . den Fälscher des Ideals der evangelischen Vollkommenheit. Er bezeichnete ihn als Vorläufer des Antichrist, als mystischen Antichrist. Er enthüllte ihn auf Grund der Zahlensymbolik als „Lügen-Kreuz" und „Irrlicht"87. Diese apokalyptische Brandmarkung wiederholte Olivi in der Apokalypsenerklärung, in der er das Armutsideal mit letzter Entschiedenheit und Unerbittlichkeit gegen seine Widersacher verteidigte88. 83
Ebd., fol. 37: ,, . . . oportuit Christum cum suis Apostolis cum tali perfectione in principio fundationis Ecclesiae apparere, quamvis consumatio perfectionis eorum magis aspiceret tempora Ecclesiae finalia quam primordialia." 84 Ebd., fol. 37: ,,Et de isto quidem ordine ad evidentiam sexti et septimi temporis Ecclesiae plura essent dicenda, quae hie ommitto propter responsionis huius iam nimiam prolixitatem." 88 Cod. lat. 654, B. Com. Assisi, fol. 48r: „Septimum (periculum) est praeparatio viae ad infernalem sectam Antichristi. Sicut enim alibi plenius est probatum et adhuc suo loco clarius ostendetur, nihil ita viam praeparat suae sectae ut blasphemia altissimae paupertatis." 86 Vgl. Anm. 85. 87 Cod. Vat. lat. 4986, fol. 99ra: „Et mira fraude mutat tempora et leges evangelici status. Et est, ut aestimo, praecursor novissimi Antichristi, existens et ipse mystice Antichristus. Propter quod numerus et nomen bestiae unico competit sibi, ut scilicet vere nominetur ,doli-crux', falso vero et hypocritaliter ,dicor-lux'. In utroque enim praedictorum nominum litterae numerates significant 666; et ultra hoc in quolibet restat syllaba duarum litterarum, scilicet ,or', seu duae litterae, scilicet ,o' et ,r'." 88 In Apk. 13, 18, Cod. lat. oct. 432, Berlin Staatsbibliothek, fol. 3476vb: „In quadam vero quaestione de paupertate evangelica posui duo nomina latina, scilicet
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In seiner letzten, 1298 verfaßten Erklärung der Geheimen Offenbarung betrachtete er die vollkommene Armut nicht nur mehr als Vollzug und Form hoher Tugendlichkeit; er verstand sie vielmehr als evangelische Vollkommenheit schlechthin. Die vollkommene Armut ist die Armut der Vollkommenheit! In den Quaestiones de paupertate hatte er in das Ethos der Armut alle sittlichen und religiösen Tugenden eingeholt, in der Apokalypsenerklärung rückte er die Armut selbst in die Mitte der Botschaft von der evangelischen Vollkommenheit. Beide Begriffe, „Biblische Vollkommenheit" und „Armut um Christi willen", decken sich geradezu. Darüber hinaus sah er nun in der vollkommenen Armut die endzeitliche Lebensform und hielt die Brüdergemeinde der Armen des hl. Franz für das eschatologische Geschlecht. Die vielfältigen Anfechtungen und Anfeindungen des Armutsideals durch den Weltklerus, die Ordenstheologen und die falschen Brüder haben darum den Charakter endzeitlichen Unheils. Zum Verständnis der apokalyptischen Ausführungen Olivis darf die Bedeutung des „prophetischen Futurs" nicht übersehen werden. Der große Antichrist wirft seinen Schatten voraus. In den Ereignissen, Verhältnissen und Zuständen des endenden Jahrhunderts zeichnet sich die Endzeit ab, so daß Olivi im Blick auf die Gegenwart die zukünftigen Unheilsgestalten und -mächte rekognoszieren und ansprechen kann89. In dieser Schau deutete er die beiden apokalyptischen Tiere, die nach dem 13. Kapitel der Geheimen Offenbarung die Macht des Antichrist verkörpern, auf die der vollkommenen Armut feindlichen Mächte: das Tier aus dem Meere mit den vielen Hörnern und Köpfen (Apk 13, l—10) deutete er auf die Masse der fleischlich gesinnten und verweltlichten Christen samt deren fleischlichen Fürsten und Prälaten und das Tier vom Lande mit den beiden Hörnern (Apk 13, 11—18) auf die falschen Mönche und Propheten. Diese, sowie falsche Messias sind an ihren Zeichen als gegenwärtige und je-noch-größere zukünftige Unheilsmächte zu erkennen. Sie werden die biblische Vollkommenheitsbotschaft verkehren und verfälschen und mit kirchlicher Gewalt unterdrücken90. Sie stützen sich dabei auf die heidnische Weltweisheit ,dicor-lux* et ,doli-crux', in quibus ultra litteras numerales est una syllaba duarum litterarum, scilicet ,or' quae quid significet ibidem exposui." 89 Ebd.: „Attente sciendum quod ubicumque in hoc libro agitur de Antichristo magno implicatur ibi more prophetico tempus mystici Antichristi praecurrentis ilium magnum." Diese „apokalyptische Zwielichtigkeit" ist grundlegend für das Verständnis dessen, was Olivi über den großen Antichrist und den „mystischen" (vorgängigen) Antichrist sagt. B. Töpfer: Das kommende Reich des Friedens. Berlin 1964, trug dieser Beleuchtung der Zeitgeschichte durch Olivi zu wenig Rechnung, vor allem in der Beurteilung des Papstes Bonifaz VIII. 90 Ebd., fol. 3476rb: „ . . . tunc erit validissima tentatio mystici Antichristi. Surgent enim tunc Pseudo-Christi et Pseudo-Prophetae qui facient ab omnibus
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und die Weltmeinung, und sie verurteilen jede gegenteilige Überzeugung als irrig, falsch und häretisch91. Sie werden sich ferner auf Vernunftgründe, verdrehte Schriftstellen und überkommene Ansichten vom monastischen Leben berufen, und sie möchten am liebsten über jeden, der anders denkt, das Feuer vom Himmel herabrufen92. Schließlich werden sie alle Unbequemen und Unbotmäßigenexkommunizieren und, wenn möglich, der weltlichen Gewalt zur Bestrafung ausliefern93. Endlich werden sie für das Bild des Tieres, den Pseudo-Papst, eifern, damit er göttliche Ehren erfahre und ihm mehr Glaube geschenkt werde als Christus und seinem Evangelium94. Diesen Lügen-Papst werden dessen Irrtümer über „die Wahrheit der evangelischen Armut und Vollkommenheit" entlarven. Nach dieser Zeit der Anfechtungen wird aber im 7. und letzten Aon der Geschichte die Zeit des Friedens anbrechen. Dann wird die Kirche, soweit es im Pilgerstand möglich ist, allem Weltlichen entsagen und sich der Betrachtung widmen. Aus den Katastrophen der Endzeit geht die Kirche vollends als Geist-Kirche in vollkommener Armut hervor95. Diese Zuspitzung des Ethos und Standes der evangelischen Vollkommenheit in Olivis Apokalypsenerklärung läßt deutlich deren Grenzen erkennen. Ohne zu fragen, ob das evangelische Armutsethos noch tatsächlich evangelisch und die Lehre von der Vollkommenheit noch wirklich vollkommen ist, erklärte er die monastische Lebensform vollkommener Armut als sittlich-religiöse Vollkommenheit und eschatologische Vollendung. In dieser Überfunktion gefährdet das Ethos nicht nur seine eigene eigentümliche Aufgabe, sondern hebt zugleich das umgreifende Ganze der christlichen Ethik auf. Das Ethos des moadorari cupiditatem et carnalitatem seu terrenam gloriam bestiae saecularis, dabuntque ad hoc signa magna: Primo scilicet suae ecclesiasticae auctoritatis cui contradicere videbitur inoboedientia et contumacia et rebellio scismatica." 91 Ebd.: „Secundo universalis sententiae omnium magistrorum et doctorum suorum et etiam totius multitudinis seu communis opinionis omni cui contradicere videbitur stultum et insanum et etiam haereticum." 92 Ebd.: „Tertio dabunt signa rationis et scripturarum falso intortarum." 93 Ebd.: „Statuent etiam ut qui non oboedierint anathematizentur et de synagoga eiciantur, et si oportuerit, brachio saeculari bestiae prioris tradantur." 94 Ebd.: „Facient etiam quod imago bestiae, id est Pseudo-papa a rege bestiae sublimatus adoretur, ita ut sibi plusquam Christo et eius Evangelio credatur et ut adulatorie quasi Deus huius saeculi honoretur." 96 In der Erklärung zum 21. Kapitel schildert Olivi den Endzustand der Geistkirche. Apk 21, 23 (Cod. lat. oct. 432, Berlin Staats-Bibl., fol. 3476rb): „ . . . Christus et eius vita et doctrina est eius templum et sol et lucerna lucis Solaris suae deitatis. In Ecclesia autem VII. status hoc plenius complebitur, ita ut multis doctrinis prioribus non egeat pro eo quod per contemplationis excessum absque ministerio exterioris vocis et libri docebit earn Christi Spiritus omnem veritatem et temporalibus denudata adorabit Deum patrem in spiritu et veritate."
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nastischen Vollkommenheitsstrebens hat seine eindeutige Funktion im Ganzen des kirchlichen Ethos. Die mittelalterliche Lehre von der evangelischen Vollkommenheit vermochte nur mit Mühe, das partikulare Ethos in das rechte Verhältnis zum pluralen benachbarten Ethos und zum umgreifenden kirchlichen Ethos zu setzen.
LA CONSCIENCE INDIVIDUELLE ET SES DROITS CHEZ LES MORALISTES DE LA FIN DU MOYEN- GE. Par PIERRE MICHAUD-QUANTIN La premiere chose que je souhaite faire est de bien expliquer le titre de cette communication: la formule «droits de la conscience individuelle», je l'ai pourtant choisie moi-m£me, ne me satisfait pas entierement en effet, mais je n'ai pu trouver mieux. Dans le cadre des rapports de l'universel et du particulier qui forment le theme genoral de ce Colloque, je voudrais degager la pensde des morah'stes sur le point suivant: Quels sont les droits de l'individu, quand il n'est pas d'accord avec la εοαέίέ dont il est membre, en fait l'Eglise, universitas fidelium, les regies de pensoe et de conduite qui y sont en vigueur ? Les expressions «liberto de conscience», «liberto individuelle», auxquelles on pourrait songer, seraient encore moins approprioes, elles repr sentent des categories de pensoe moderne, qui restent tout a fait otrangeres, inintelligibles m£me, la mentalite" m£di£vale, comme nous le constaterons en otudiant ses reactions. Quant aux «moralistes de la fin du moyen- ge», ce seront essentiellement quatre auteurs dont les oeuvres expriment la doctrine commun&nent regue dans l'Eglise au tournant du XVI« siecle: ils recue lent les regies que la double tradition thoologique et canonique a formule'es, surtout depuis le ΧΙΠΘ siecle, pour diriger la conduite humaine et les organisent en de vastes monuments d'Erudition et d'odification la fois: Antonin, archev£que de Florence, avec s Somme theologique, et trois sommes de casuistique: la Summa angelica d'Ange Carletti de Chiavasso, la Summa baptistina compile dans la Rosella casuum de Baptiste Trovamala de Salis et la Summa summarum de Sylvestre Mazzolini de Prierio. Antonin est mort en 1459, les trois autres ceuvres s'echelonnent dans les vingt annees qui precedent ou suivent le changement de siecle1. 1
Sur ces ouvrages, P. Michaud-Quantin: Sommes de casuistique et manuels de confession au moyen- ge. Louvain 1962. P. 98—103, Editions signale"es p. 113 et 116. Sur Antonin de Florence, R. Morcay: Saint Antonin, fondateur du couvent, archeveque de Florence. Tours — Paris 1914; P. Mandonnet: Antonin (Saint). Dans: Diet. TheOl. cathol. I, 2 (1931) 1450—1454; R. Morcay: Antonin (Saint). Dans: Diet. Hist. GeOgr. eccle"s. 3 (1924) 856—860. Un bon re"sume" des problemes litteYaires et doctrinaux pose's par la „Somme theOlogique" est αοηηέ par I. Colosio dans la preface a la re"impression anastatique (Graz 1959) de l'^dition de V^rone 1740. Dans les notes seront employe's les sigles: R. C. pour la «Rosella casuum», S. A. pour la «Summa angelica», S. S. pour la « Summa summarum ».
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II nous faut alors chercher comment se pr&ente pour eux la question de la liberto individuelle, la seule re"ponse ä faire est qu'en theOrie, doctrinalement, eile ne se pose pas! Leur but est d'exposer les principes indiscutables, ils ont pour fondement l'autorite" de Dieu hii-mome, qui Präsident aux activite"s de la sociote" humaine ou chre"tienne, c'est tout un ä leurs yeux, et de chacun de ses membres, d'en tirer ensuite les conclusions pratiques qui gouverneront la conduite que les individus devront tenir dans les circonstances particulieres oü us sont place's. Dans une teile proble*matique, ou une teile absence de proble"matique, on ne peut concevoir la discussion theOrique d'une attitude personnelle en contradiction avec les regies posoes par la sociote". Dans le domaine des faits, dans la pratique, il y a cependant des «cas» ä rosoudre: Certains hommes refusent de se plier ä ces regies, ils se placent hors du cadre trace" par la societe"; que doit on alors faire ä leur e"gard? C'est la une question que ne peuvent refuser d'envisager les moralistes, leur täche est en effet de se placer au niveau des re*alit6s concretes, de se confronter avec elles. Nous pouvons alors analyser 1'attitude qu'ils adoptent devant ces situations particuli£res, et, en partant de lä, formuler les principes qu'ils utilisent et sur lesquels ils s'appuient pour les räsoudre, nous parviendrons ainsi ä trouver une re"ponse ä la question ge"n£rale pos£e. Pour y parvenir, il est logique d'utiliser les categories qu'ils distinguent eux-memes: II y a d'abord ceux qui sont totalement Strangers ä la socie"te" chre"tienne, les Juifs et les paiens, en pratique les Musulmans, dosigne"s sous le nom gonorique d'infideles; puis ceux qui appartiennent a l'Eglise mais cherchent ä lui e"chapper, les he"re"tiques et les apostats; enfin les chrotiens qui s'y maintiennent et entendent bien y rester, mais se trouvent sur quelque point particulier en contradiction avec la quasi unanimite* ou la majorite" de ses membres. L'examen successif de ces trois groupes formera le cadre de notre enqußte. En ce qui concerne le premier groupe, les hommes qui n'ont jamais cm et ne croient pas au Christ, qui n'appartiennent done de nulle fagon ä son Eglise, le principe est tres nettement pose": II ne faut pas faire violence ä leur conviction, mais essayer de les gagner, de les convaincre, de les amener ä la foi chrotienne par I'amiti6 et la charitd qu'on leur tomoigne. On peut leur promettre ou leur assurer des avantages matoriels, sous roserve qu'il ne s'agisse pas brutalement d'acheter leur conversion, ce qui serait tomber dans la simonie; on a simplement le droit de les garantir contre les dommages matoriels qu'entrainerait pour eux l'abandon du groupe auquel ils appartenaient jusqu'alors2. II est encore licite de faire de leur adhesion au christianisme la condition pre"alable au mariage qu'ils souhaitent contracter avec un ou une fid le3. Mais il est bien entendu qu'il faut rejeter toute 3 8
S. A. Judaeus n. 33, Simonia III n. 26; Antonin, II, 12. 2 § 1 col. 1146. S. S. Judaeus n. 11; Antonin, ib. § 2 col. 1147sv.
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contrainte, eile serait d'ailleurs inutile. «Nul ne doit £tre oblige recevoir la foi» et le motif principal invoque* est le principe de saint Thomas: «La foi est affaire de volonte"» et celle-ci est, comme on le sait, un acte purement interieur4. La doctrine parait done bien claire. toutefois une distinction vient en troubler quelque pen la nettete. Th£ologiens et canonistes reconnaissent en effet deux sortes de violence, 1'une est absolue, on peut immobiliser de force un infidele et lui administrer ainsi le bapte'me malgro ses protestations; un tel acte ne servirait de rien, le malheureux ne recevrait pas le sacrement. Mais il y a aussi la violence conditionnelle, la menace de la mort et de la torture, 1'emploi de mauvais traitements; le bapt£me regu dans de telles conditions est parfaitement valide, quelque soit la violence de la pression exerce"e; de"sormais 1'ancien infidele ainsi converti bon gre" mal gre est devenu un chretien membre de l'Eglise, soumis toutes les obligations qu'elle est en droit d'imposer aux siens5; s'il manifeste le d£sir de retourner a s foi premiere, il sera traite" en reVolto, heretique ou apostat, et s'exposera aux chatiments pre*vus dans ce cas. Les moralistes roprouvent d'ailleurs comme illicite 1'emploi de la menace de mort ou de torture, encore plus l'application de celle-ci, mais si ces proc6d£s ont ete utilises, le r^sultat n'en sera pas moins valide pour avoir ete obtenu par des moyens illicites. Quant aux mauvais traitements, disons en termes modernes une sorte de discrimination ou de segregation sociale basoe sur la religion, us ne sont pas prohibos. Ange de Chiavasso recommande ΓηέΊηβ express6ment une teile fa9on de faire: «II faut les brimer et les reduire en servitude au point de leur faire venir la volonte" de se convertir, mais la violence directe est interdite, car Dieu veut que Γόη soit volontaire dans son armoe»6. Cette doctrine appelle quelques remarques, theOriques aussi bien que pratiques. Sur le plan moral et juridique, eile constitue une anomalie: en regie generate, la violence conditionnelle annulle Γ acte accompli par celui qui en est victime; c'est une position ferme et constante chez les theOlogiens et les canonistes d'affirmer que le mariage contracte dans de telles conditions est nul, le consentement extorquo par les coups ou la menace n'existe pas. Dans un cas encore plus proche de celui que nous examinons, des Chretiens qui sous l'empire de la peur ou de la souffrance accomplissent des actes d'idol trie ne sont pas considers comme ayant abandonne" l'Eglise, saint Antonin declare: «Bien qu'ils ne soient ni horotiques ni apostats, ils pechent cependant mortellement, aussi violente que soit la crainte qui les fait agir.» Leur acte ne les a done pas engage's, m&ne s'ils ont commis une faute de la 4 6 6
Antonin, ib. Antonin, ib; R. C. Baptismus IV n. 9. S. A. Baptismus IV n. 12.
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plus haute gravite7. On se trouve ici, croyons nous, en presence d'une conception purement materielle de l'efficacito du bapt&ne ex opere operato: celui qui a accepte et regu, aussi imparfaite, aussi indirecte qu'ait ete la volonte" dans cette acceptation, ne peut ddsormais ediapper aux consequences et ressortir de l'Eglise dont il est ainsi devenu membre, l'appartenance ä la societe des fideles est, en raison du caractere sacramentel par lequel eile est re"alise"e, un phonomene irreversible. II n'est en effet pas question chez les moralistes d'obligations definitives contractees par une promesse, un engagement de devenir chrotien, voire par une profession de foi purement verbale, seule compte la reception effective du bapteme. L'autre remarque, et c'est plutot une question que nous voudrions poser sans pretendre lui donner une reponse, vise le plan des faits concrets. La maniere dont les auteurs parlent de la conversion forcee, pour la condamner, montre ä qui sait les lire qu'il ne s'agit pas pour eux d'un simple exercice d'ecole, mais d'un examen d'evenements reels. Quels etaient ceux-ci ? II y a certainement eu des explosions de colere populaire, dont les motifs etaient sou vent peu honorables et fort loin des vraies preoccupations religieuses; nous parlions plus haut de segregation, ici en termes modernes, il y aurait Heu de parier de lynchage des infideles et surtout des Juifs. Ces manifestations ont ete particulierement marquees en Espagne, en 1436 Eugene IV devait prendre dans une bulle spedale la defense des Juifs contre leurs persecuteurs; son effet semble avoir ete limite, puisqu'en 1449 edate ä Tolede avant de secouer tout le royaume une serie d'emeutes antijuives, en rebellion m£me contre l'autorite royale8. En d'autres endroits on trouve de la part des princes ou des pouvoirs locaux certains abus de pouvoir qui depassent les traitements defavorables recommandes par Ange de Chiavasso et constituent de veritables violences contre les infideles. Nous ne pouvons que faire ici une breve allusion ä cet arriere-plan que les evenements constituent pour les ouvrages des moralistes, il importe cependant de ne pas l'ignorer. Un cas particulier du respect de la Hberte d'autrui est pose par la question du bapteme des enfants des infideles contre la volonte de leurs parents. L'ensemble des auteurs condamne l'administration du sacrement dans de telles conditions: le droit naturel reconnait ä 1'egard des enfants la responsabilite unique des parents, ceux-ci peuvent seuls prendre les decisions qui les concernent; d'autre part, en pratique, il y aurait toute chance pour que ces pretendus petits chretiens soient par la suite eleves d'une maniere qui ne tiendrait aucun 7
S. A. Fides n. 9; Antonin II, 12. 6 col. 1169. On peut consulter sur ces faits L. Poliakeff: Histoire de l'antis^mitisme. T. 2. De Mahomet aux Marranes. Paris 1961; F. Baer: Die Juden im christlichen Spanien. T. 1. Urkunden und Regesten. Berlin 1929. 8
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compte du sacrement re?u. II y a bien des gens pour affirmer que Juifs et pai'ens, les premiers surtout, doivent e~tre trait^s comme des esclaves et en conse*quence de*chus de leurs droits paternels comme de tous autres. C'est la, re*pondent presque tous les moralistes, une conclusion fausse, car, selon les termes de Sylvestre de Prierio, «il n'y a pas d'esclave dans les questions qui relevent du droit naturel ou du droit divin». C'est la un probleme «d'oquito naturelle». Un argument de tradition vient renforcer la position: Aucun P£re de l'Eglise n'a sugge*re* ou demand aux empereurs Chretiens de faire conforer le bapteme aux enfants de leurs sujets demeure*s pai'ens. M£me en cas de danger de mort, 1'hypothese avait έίέ introduite dans la discussion par Guillaume de Rennes au XIII« siecle, on ne doit pas aller centre la volonte des parents9. Ici encore, toutefois, Ange de Chiavasso adopte une position personnelle plus severe; il reconnait avec tout le monde qu'il n'est pas question de laisser n'importe qui donner le bapte'me n'importe quel enfant, ne serait-ce qu'en raison des risques en ce qui concerne la perse*vorance. Mais si 1'autorite publique prend l'affaire en mains, intervient officiellement pour faire baptiser les enfants des infideles et prend des mesures pour assurer dans la suite leur education chr tienne, eile agit d'une fa$on louable et Γόη ne peut que 1'approuver. D'ailleurs, c'est la roponse l'argument de tradition, teile fut la maniere de faire de Constantin10. La validity du bapteme confe"r£ aux enfants des infideles contre le gre des parents souleve un probleme particulier; en fait, au XV8 siecle, personne ne la met vraiment en doute. Toutefois le dossier de la question contenait un long texte de Pierre de la Palud, qui avait notablement deVeloppo les effets de la puissance paternelle. Pour etre baptise", disait le maitre dominicain, il faut en avoir la volonte, chez les enfants il s'agit d'une volonte interpretative, eile est manifested par le consentement donne par les parents ou au moins 1'un d'entre eux. Si ce consentement est refuse*, il n'y a pas de volonte du tout, ni reelle ni interpretative et le sacrement est mil11. Pour rofuter cette argumentation, saint Antonin explique que la volonte interpretative requise peut e*tre celle des personnes qui pr^sentent 1'enfant au bapt£me, ou encore celle de l'Eglise12. Sans discuter theoriquement le probleme les autres moralistes rejoignent dans la pratique ses conclusions; us considerent e*videmment comme trop absolue la conception que Pierre de la Palud se fait de la puissance paternelle. Le consentement des parents est pour eux une condition stricte de 9 10 11 18
n. 9.
R. C. Judaeus n. 1; S. S. Baptismus IV n. ; Antonin.II, 12. 2 § 4 col 1149sv. S. A. Baptismus VI n. 11. Pierre de la Palud: In IV Sent. Paris 1514. Fpl. 19vb—20vb. Antonin, III, 14. 13 § 9 col. 717; S. S. Baptismus IV n. 7; R. C. Baptismus IV
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mais il ne touche pas la validito du sacrement. La situation de l'enfant baptist centre le gr£ de ses parents est done analogue celle de l'adulte qu'une violence conditionnelle a contraint a devenir chrotien; ceux qui ont pris la responsabilite' de son entroe dans l'Eglise ont pu agir illogitimement, il n'en est pas moins irre'versiblement devenu membre de la societo des fideles et soumis a toutes les obligations qui s'imposent ceux-ci; en particulier il faudra dosormais prendre toutes les mesures ne"cessaires, meine l'encontre de ses parents, pour qu' soit convenablement έίενέ dans la foi chrotienne. Nous pouvons, dans le cadre d'une problomatique moderne, dire ici un mot de la liberto de culte, qui nous parait comme otroitement Ιΐέβ celle de conscience. Les modieVaux font une distinction sur ce point entre les Juifs et les autres infideles: On tolorera plus facilement les ceremonies Israelites, elles sont une survivance de l'Ancien Testament et de ce fait portent en faveur de la religion chrotienne le tomoignage involontaire de ses ennemis. II n'en faut pas moins oviter tout ce qui favoriserait indument le judaisme: on respectera les synagogues mais on s'opposera leur agrandissement ou leur embellissement13. Comme pour la question des violences personnelles, il est nocessaire d'evoquer ici la situation concrete, les pouvoirs locaux et les foules etaient loin de toujours respecter les principes affirmed par les moralistes, les actions brutales contre le culte et les Edifices religieux juifs n'etaient pas des eVenements exceptionnels. Quant aux autres rites infideles, la seV^rite" est encore plus grande contre eux, on ne tolerera de la part de leurs tenants aucune ceremonie exterieure, sinon pour leur donner le temps et la possibilito de se convertir au christianisme. Une autre hypothese est envisaged, celle dans laquelle la tolerance s'impose en vue d'e"viter un plus grand mal, en pratique le cas ou les infideles en cause seraient si nombreux que les mesures prises leur encontre aboutiraient croer des troubles plus graves que ceux auxquels il s'agit de reme'dier14. Mais cette position n'affaiblit en rien le principe, eile ne fait qu'appliquer la doctrine classique du droit canonique modioval sur le ρέΰηέ de la multitude, on se rosigne le tolorer afin d'eviter une repression qui entrainerait des inconvonients pires que le mal initial15. Les horetiques et les apostats sont des fideles qui appartiennent l'Eglise, us sont baptises, mais qui rejettent tout ou partie du dogme chrotien, c'est- -dire de l'Ecriture, du Symbole, des croyances dofinies par 1'autorito ecclosiastique. Pour constituer formellement 13
Antonin, II, 12. 3 § 2 col 1153; S. S. Judaeus n. 12. Antonin, ib; S. S. Infidelis n. 4. 15 De"cret D. 44 c. 1, D. 60 c. 22, C. 23 q. 4 d. a. c. 32 «On ne doit pas porter de condamnation quand une foule est en cause ou que piche un individu qui a la foule pour complice", doctrine que 1'on retrouve dans la Close ordinaire de Matth. 13, 29. 14
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il faut qu'ä cette attitude intellectuelle s'ajoute dans la volonto la pertinacia, l'attachement ä sä position personnelle qui refuse et repousse toute rectification, « Quiconque se trompe tout en etant dispose a accepter une correction n'est pas un he're'tique »le. On peut toutefois se demander quelle est l'etendue precise de cette pertinacia, Nicolas Eymerich, dont le Directoire des Inquisitewrs fait autorite ä cette epoque, affirme qu'il n'y a aucune difference juridique entre 1'erreur et rheresie; il parait bien exiger que celui qui s'est trompo non seulement accepte la correction intellectuelle de Terreur commise, mais encore se soumette ä un chätiment qui le punira d'y etre tombe", Ange de Chiavasso demande aussi qu'en revenant ä la purete de la foi chretienne, celui qui s'en est e"carte" «abjure aux termes fixes par le praesidens (ev£que ou inquisiteur) et accepte une satisfaction convenable »17, la bonne foi constituerait done une excuse a tanto mais non a toto. Cette position n'est toutefois pas adoptee par tous les auteurs, saint Antonin n'envisage pas qu'il y ait lieu d'ajouter une peine quelconque a la retractation des erreurs involontairement commises. Pour donner lieu ä une action de l'Eglise centre 1'heretique, il faut enfin que celui-ci manifeste exterieurement, en paroles ou en gestes, sa conviction; il n'y a pas ä intervenir dans les fautes «ou ä la pensöe intime aucun acte ne vient s'ajouter, Dieu seul les punira», dit Ange de Chiavasso18. Ainsi caracterisee, l'horesie, l'apostasie n'en est ä ce point de vue qu'une espece, est I'objet d'une repression inexorable. Elle presente pour les moralistes de la fin du moyen-äge, interpretes de tous leurs contemporains, un double aspect. Au plan individuel du coupable, eile constitue un tres grave p6che contre la foi, et ä ce titre est sanctionnee par la plus severe des peines, rexcommunication majeure; toutefois celle-ci, saint Antonin le rappelle, est une peine medicinale ordonnee ä la guerison de celui qui en fait I'objet. S'il se repent sincerement, il sera admis ä la penitence et pourra recevoir rEucharistie, aussi profondement qu'il se soit enfonce dans 1'erreur, quelque soit le nombre de ses rechutes19. Au plan de la societe, c'est la son second aspect, 1'heresie est un crime. Une comparaison qui remonte ä saint Thomas et que tous les auteurs reprennent, assimile 1'heretique au faux-monnayeur: il adultere et corrompt la foi, base de la vie religieuse, comme 1'autre adultere et corrompt les pieces d'argent sur lesquelles repose tout le fonctionnement de la vie sociale. Quand on avait affaire a un pecheur, on devait s'efforcer de le convaincre, de 18
Antonin, II, 12. 5 § 1 col 1166; S. S. Haeresis I n. 4. Nicolaus Eymerich: Directorium inquisitorum. Paris 1687. 2e p. q. 3 p. 236, q. 2 p. 233; S. A. Haereticus n. 17. 18 S. A. Haereticus n. 2. 19 Antonin, II, 12. 4 § l col. 1157. 17
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le convertir, de le ramener ä Dieu par une reconciliation sincere; si se trouve en face d'un criminel, attitude est tout autre, il faut exercer ä son ga d la vengeance de la societe qu'il a mise en danger, lui faire expier 1'acte commis; son repentir oventuel, les bonnes dispositions dans lesquelles il a pu revenir, n'effacent nullement la culpability qu'il a encourue: il est et demeure en tout etat de cause justiciable d'une procodure repressive. Celle-ci vu la gravite et le danger social represente par 1'acte commis, doit etre particulierement severe, eile est confiee ä une institution spetiale, I'inquisitio haereticae pravitatis, dont le seul but est de proteger l'Eglise et ses fideles contre le danger que represente le criminel. Le probleme de la bonne foi, de la liberte de conscience, ne se pose pas plus pour les moralistes medievaux dans le cas de 1'heretique que dans celui de l'assassin ou du voleur qui se croirait justifie ä tuer ou ä s'approprier le bien d'autrui. La procedure juridique de for externe, la procedure inquisitoriale, employee contre lui ne vise done ni ä le convaincre ni ä le convertir: eile tend d'abord ä obtenir l'aveu du crime, ensuite a mettre en garde la societe contre celui-ci, tel est le but de la coremonie d'abjuration et des rites dont eile est entouree, enfin ä proteger les fideles en retranchant le coupable de leur milieu par la prison perpetuelle ou la mort, ces chätiments ayant en m£me temps valeur exemplaire pour detourner du mal ceux qui seraient tenths d'imiter le criminel. Dans certains cas, nos auteurs admettent une indulgence relative, c'est dans la mesure ou 1'heretique ne constitue pas pour la societe chretienne un danger tellement grave, ou encore si des circonstances particulieres, par exemple le rang ou la dignite du coupable, suggerent praecipue ad tollendum scandalum un adoucissement aux mesures normalement prises20. L'organisation de I'inquisitio haereticae pravitatis, sa procedure, meme l'octroi eventuel de circonstances attenuantes, montrent done que les dispositions personnelles du criminel, ses intentions, sa bonne foi, ne sont 1'objet d'aucune prise en consideration. L'ensemble en est fonde sur la notion du peril constitue pour toute l'Eglise par la re volte d'un de ses membres et n'est que la systematisation d'une reaction de defense sociale contre ce danger. L'infidele et l'heretique posaient aux moralistes des problemes concernant la foi, 1'adhesion ä la doctrine; celui que nous avons maintenant ä examiner concerne la conduite morale. Un chretien a 1'intention, la volonte de bien agir; pour atteindre ce resultat, dans quelle mesure peut-il fixer et determiner lui-m£me la nature et les modalites de action qu'il va poser? Ici intervient la notion medievale de la conscience; sans entrer dans les discussions d'ecole sur sa nature exacte, puissance ou acte, eile est ce qui, de l'interieur de lui-mßme, indique ä 20
id. ib.
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1'homme ce qu'il doit faire et ce qu'il doit £viter, porte un jugement sur sä conduite. La roponse unanime des moralistes est que 1'homme doit öcouter et suivre ce que lui dicte sa conscience, «Qui facit contra conscientiam, aedificat ad gehennam», selon la formule donnoe par Gratien21, nous sommes la en presence d'une affirmation tres claire de la valeur et des droits de la conscience individuelle, mais eile est remise en question par ce que disent les auteurs de la conscience erronoe. II peut arriver, pr£cisent-ils en effet, que cette regle de conduite soit faussoe, qu'elle prosente comme bonne et prescrive une action roellement mauvaise, ou inversement; eile ne possede pas en effet de valeur absolue et autonome, eile n'agit que pour exprimer la loi divine, I'interproter en 1'appliquant aux circonstances particulieres de chaque action humaine et ne possede pas rinfaillibilite' dans l'exercice de ce role; eile est susceptible de donner une traduction inexacte et infidele de la loi divine, d'induire ainsi rhomme en erreur. Dans ce cas, il ne faut pas la suivre, mais, d'autre part, eile n'a pas perdu sa valeur propre de guide de l'action, il ne faut pas non plus aller centre ses indications. La situation peut sembler sans issue, les moralistes en ont toutefois preVu une: on doit commencer par la rectifier et n'agir qu'ensuite; une expression technique a 6i6 forgoe pour dosigner cette oporation: rhomme doit commencer par deponere conscientiam, lui fake abandonner la position qu'elle avait prise et adopter 1'attitude contraire22. Comment s'apercevra-t-on que la conscience est erronea et que 1'homme a le devoir de la deponere avant d'en suivre les indications ? II est curieux que les auteurs ne se posent pas la question. Saint Antonin analyse longuement les causes qui peuvent cre"er Terreur, ignorance, negligence, complaisance excessive envers soi-m£me, orgueil etc., mais, pas plus que les autres moralistes, il ne cherche comment on de"cele le rösultat de ces doficiences; tout au plus parle-t-il de la tristesse ressentie en suivant une conscience erron^e et de la joie que procure 1'obelssance aux donnoes d'une conscience droite, mais cette affirmation largement deVeloppoe a certainement dans son ceuvre une valeur plus par£ne"tique que psychologique23. Essayant de supplier a ce silence, nous ne voyons pas la possibility de dogager un autre principe que celui-ci: il faut accepter les directives de l'Eglise, eile est aussi, comme la conscience, l'interprete de la loi divine mais eile possede dans ce role 1'inf aillibilito; 1'homme connaitra et assurera la rectitude du jugement de sa conscience en s'informant lui-m£me, s'il 21
C. 28 q. 1 d. a. c. 15. R. C., S. A., S. S. Conscientia; Antonin, I, 3. 10 col. 179svv. 28 Antonin, ib. § 6 col. 185. II reprend la question ailleurs, I, 11. 1 § 3 col. 615 sv. mais c'est dans un chapitre a. forme homile'tique, ce qui confirme la nature du contexte dans laquelle 1'auteur deVeloppe cette ide"e. 22
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en est capable, de ce qu'est la volonte divine ä regard des problemes de conduite qu'il a ä rosoudre; s'il n'en a pas personnellement la possibiüte, il ecoutera ceux qui sont charges de le guider et de l'aider, son euro, son confesseur, les pre"dicateurs qu'il peut entendre. Cette information, directe ou indirecte, est präcisoment le but que visent les redacteurs des ouvrages de morale: faire connaitre aux inte'resse's, mais surtout ä leurs pasteurs, ce qu'ordonne la loi divine, comment ses prescriptions s'appliquent dans les diverses circonstances ou rhomme est appeie ä agir, ou sä conscience doit lui prescrire une conduite qui soit une interpretation fidele, recta, de cette loi supreme. On ne peut toutefois ^carter l'hypothese dans laquelle la conscience, sans aucune responsabilite de la part de rhomme, est irre'mödiablement erronee, ou il est impossible ä cet homme de se rendre compte de la faussete des indications qu'il et de les rectifier; en termes techniques de l'ecole on est dans le cas de l'erreur invincible. La conscience garde alors sä valeur preceptive et obligatoire; m^rne si eile amene ä commettre une action objectivement mauvaise, la conduite du sujet qui l'accomplira est subjectivement bonne et moritoire24. Une teile hypothese forme un cas-limite, il semble que dans l'esprit des moralistes eile reste assez thoorique, il est en effet pour eux impossible d'ignorer ou de moconnaitre les proceptes de la loi naturelle et les principales prescriptions du droit divin, et ils semblent estimer que, dans la realite des faits, il y a presque toujours moyen de de"celer et de rectifier une conscience erronee. II n'en reste pas moins que l'exposo et la solution de ce probleme montrent que la conscience de chacun est vraiment la regle immediate et absolue de sä conduite et possede en ce domaine une valeur inamissible. II arrive aussi, et lä ce n'est pas une question theorique mais un etat de fait qui n'est pas m£me exceptionnel, que la conscience de l'individu oppose celui-ci ä la societe dans laquelle il se trouve ou ä ses reprosentants qui en incarnent l'autorite. Le probleme de la loi ne merite qu'une breve mention dans la probiematique adoptee par nos moralistes, il est universellement admis qu'une loi juste doit £tre obei'e et que c'est un devoir de refuser la soumission ä une loi injuste. 24
Cf. textes cite"s n. 22. L'erreur invincible de la conscience correspond a l'ignorance invincible. Celle-ci est susceptible pour les moralistes de s'inscrire dans un cadre trfes strictement limite: Elle vise surtout des questions de fait (ignorantia facti), ainsi j'ignore qu'il y a un homme sur la trajectoire du projectile que j'envoie, en prenant toutes les precautions voulues. En ce qui concerne les questions de droit (ignorantia juris) nul ne peut ignorer les dispositions du droit naturel et du droit divin, non plus que les prescriptions qui correspondent a sa situation (quae scire tenetur secundum statum suum), ce qui restreint notablement le domaine dans lequel 1'ignorance est admissible. Toutefois au seul for interne, meme sur le plan du droit naturel, eile peut, ce qui est une innovation ä cette e'poque, constituer une excuse partielle, non a toto mais a tanto. (R. C., S. A., S. S. Ignorantia; Antonin I, 4. 3 § 3 col. 320svv.) 4*
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Les auteurs ne consid&rent pas en consequence 1'attitude que sa conscience present a I'individu devant la legislation existante comme une question qui concerne cette conscience directement, us se occupent bien davantage des caracteristiques de la loi elle-m^me pour en determiner la justice et l'injustice, ce sont ces qualitos qui font l'objet de leur examen, 1'attitude du sujet ne sera que la consequence du jugement porte sur elles26. Au contraire, le conflit possible avec le procepte, 1'ordre personnel re$u d'un sup6rieur, leur apparait bien comme un probleme individuel: Que doit faire le sujet, subditus, a qui celui qui a autorite* sur lui present un acte, que, lui, estime contraire aux indications donnoes par sa conscience ? Les moralistes s'y Interessent d'autant plus qu'ils sont des religieux et pensent ä l'application du voeu d'obeissance qu'eux-m£mes et leurs confreres ont Imis, d'ou räsultent parfois des situations personnelles deiicates; la question de la loi ne leur apparaissait au contraire que comme un ph^nomene social, qui, du point de vue moral, concerne en premier lieu et essentiellement le legislateur charge de proteger et de promouvoir le bien commun. Soit done un subditus, qui regoit de son superieur un ordre; s'il est certain que sa conscience lui interdit de l'accomplir, il s'abstiendra, 1'obeissance n'est jamais une excuse et il devra resister; quelles que soient les consequences de son attitude, il lui faut suivre la voix de sa conscience. S'il n'a pas de certitude, il appredera la valeur des doutes qui lui sont venus et agira en consequence; si ces doutes persistent, sans qu'il arrive ä y voir bien clair, il executera 1'ordre pro bono obedientiae, au moins jusqu'a ce qu'il soit parvenu ä saisir avec evidence la verite qui resoudra ce conflit26. Sylvestre de Prierio conseille dans le cas d incertitude prolongee de recourir aux conseils d'un bonus vir, i. e. peritus et conscienciatus, un homme de bien qui ait de l'experience et une conscience droite; on s'en tiendra alors ä son avis, si celui-ci se trouve par malheur errone, il cree une situation d'erreur invincible27. La conscience individuelle peut aussi se heurter ä la maniere de penser ou de faire du milieu dans lequel vit 1'interesse. Celui-ci peut ainsi se trouver en conflit avec une coutume, un usage, adopte par les autres; ä moins qu'elle n'ait acquis valeur legislative, on retomberait alors dans le cas de la loi, une teile coutume ne peut prevaloir et l'individu a le devoir de s'en tenir aux prescriptions que lui dicte sa 25
S. A. Lex n. 4; S. S. Lex n. 9. Les moralistes enumerent les cas, Ange de Chiavasso en cite 11, dans lesquels la loi n'est pas obligatoire en conscience, mais ces cas tiennent ä la nature meme de la loi. 28 S. A. Conscientia n. 4; Antonin, II, 4. 2 col. 560sv et pour les religieux III, 16. 1 § 9 col. 861 sv. 27 S. S. Dubium n. 2. Cette response est donne"e pour e"viter a 1'individu embarasse" de se perdre dans des scrupules ind^finis.
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conscience28. Ce peut e"tre aussi un e"tat d'esprit diffus, l'opinion publique selon l'expression moderne, qui condamne l'attitude qu'il adopte pour satisfaire aux injunctions de s conscience. Dans ce cas deux έΐέπιεηίε sont prendre en considέration: d'une part les dispositions ge"ne"rales de la soci^te* en cause: si eile est bien intentionne*e, cherchant sincerement trouver la meilleure conduite a tenir, on s'efforcera de lui donner satisfaction, de ne choquer personne par son attitude; si au contraire eile est a priori hostile, cherchant critiquer pour le plaisir de critiquer, on ne se croira pas tenu de lui donner satisfaction. II faut d'autre part tenir aussi compte de la personnalito qui s'expose la critique: un religieux ou un prelat pourront se plier aux exigences de l'opinion publique, afin d'eViter que le jugement dofavorable porte" sur lui ne rejaillisse sur son e"tat; au contraire 1'isole, qui n'a tenir compte que de soi-mome, s'en tiendra aux injunctions de sa conscience et moprisera ce que Γόη pense ou que Γόη dit de lui29. Ce sont la evidemment des principes qui requierent une appr ciation assez dolicate et fine des circonstances et de leur application. A la limite, Baptiste de Salis concede que Γόη donne quelques monnaies un amuseur public, un histrio, pour eviter que devant le refus de cette aum ne il ne vous couvre d'injures et provoque un scandale, et pourtant en bonne morale il faudrait lui refuser quoi que se soit30. On remarquera dans ce contexte de l'opinion publique, ou les principes moraux cessent d'etre en cause, I'ind^pendance plus large reconnue a la conscience et aussi le detail des analyses auxquelles les moralistes soumettent les situations qu'ils envisagent. Teiles sont les principales solutions qu'offrent nos auteurs aux problemes que leur posent les conflits eVentuels entre la liberte" personelle de pense"e ou d'action et les cadres ou regies qu'impose aux individus la socioto dont us sont membres. Au point de depart ils admettent tres fermement le principe de cette liberte": l'acte de foi est volontaire, il ne peut etre le rosultat d'une contrainte exte"rieure. La voix inte"rieure de la conscience doit etre ocoutoe et son autorite s'impose pour la direction de sa conduite31. 28
R. C. Feria n. 5; S. S. Jejunium n. 3. R. C. Conscientia; S. S. Fama n. 8; Antonin, I, 3. 10 § 5 col. 185sv. 30 R. C. Histrio n. 1. Meme doctrine dans S. A. ib. 31 Le temps nous manquerait pour traiter un probleme connexe a celui de la conscience: comment se former une opinion pour re"soudre un probleme dont la solution n'est donnee ni par la Revolation ni par l'Eglise et reste objet de discussion parmi les doctores ? Ange de Chiavasso (S. A. Opinio n. 1) ropond que «en cas de doute il faut prosumer en faveur du grand nombre» en d'autres termes se ranger a Γ avis de la majorite; mais ce n'est la qu'une presomption que peut d truire «un argument certain en sens contraire» ou l'opinion d'une seule personne: «I'avis d'un isole, peut-etre infe*rieur aux autres, (unius et forte deterioris), peut 1'emporter dans une question quelconque sur le grand nombre». Cette notion de la valeur qu'il peut 29
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En fait cependant, I'autonomie d'adhesion et de döcision se trouve fort otroitement circonscrite. A la limite la sociote1 dans laquelle il vit peut declarer criminelle une attitude et une conviction donne"e, c'est le cas de l'horosie, en raison du danger qu'elle präsente pour ses structures m£mes et son existence; la question des droits de la personne n'est alors me"me pas posoe, la liberte" du sujet est completement oblitoroe dans l'application de la vieille maxime pai'enne formuloe par la Loi des XII tables: Saluspopuli suprema lex esto. Sans aller jusqu'ä ce cas extreme, la libert personnelle n'est jamais consideräe comme un absolu, eile trouve sä contre-partie et sä limitation dans le devoir qui s'impose ä eile de se conformer ä des valeurs suporieures, qui, elles, revetent ce caractere d'absolu: le vrai pour 1'intelligence, le bien pour la , tels que les font connaitre dans le concret la Revelation divine dont I'Eglise est la dopositaire, charged de la faire connaitre et respecter par tous les homines. Pour atteindre ce rosultat eile agira au plan purement religieux par la collation de la grace dans les sacrements, la promotion de la vie chrotienne dans la priere, I'enseignement, eVentuellement l'application de sanctions spirituelles. Toutefois, disposant aussi en liaison avec les autoritos soculieres qui lui sont soumises en ce domaine, de la puissance mat6rielle, eile l'utilisera pour renforcer et appuyer les moyens d'action spirituelle qui lui sont propres. Pour un esprit moderne, il y a eVidemment la une contradiction: comment peut-on jouir de la liberte" dans le cadre d'une contrainte qui en dirige l'application en un sens dotermine" ? Les moralistes mödiövaux ne voyaient pas lä de contradiction. On retrouve chez les theOlogiens de l'e"poque une attitude analogue en ce qui concerne le libre-arbitre: cette faculto est d'autant plus libre qu'elle choisit le bien de fa$on necessaire: Dieu, l'ange et le saint confirm^s dans le bien, sont plus libres que le viator place" devant alternative du bien et du mal; le plus esclave de tous est le pocheur dont le choix se porte sur le mal. Correlativement I'ob4issance ä la loi n'entre en conflit avec la liberte" que chez le mochant, qui se soumet ä contre-coeur par crainte du chätiment divin ou humain; le juste, lui, accomplit les proceptes «librement, par amour de la justice et de Tobelssance ». Pour les moralistes du moyenäge, la veritable liberto se trouve chez 1'homme dont 1'esprit adhere de soi-m^me au vrai, dont la conscience lui prescrit de maniere autonome une regle de conduite bonne qu'il adopte volontiers, dont 1'attitude qu'il prend personnellement est conforme aux proceptes de y avoir lieu d'attacher ä une opinion isole"e est une tradition constante dans la pensee des canonistes m^di^vaux; eile remonte ä Gratien, D. 31 c. 12, citant l'exemple de Paphnuce qui, tout seul, a convaincu tous les Peres du concile de Nice"e de changer leur position sur la question du celibat sacerdotal. II convient de la rappeler en traitant des rapports de l'individu et de la multitude.
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la loi ext&ieure qui lui est donnoe ä accomplir. On voit comment une teile maniere d'envisager la situation est encore plus qu'oppose"e, absolument otrangere ä certaines conceptions modernes: l'antagonisme entre la liberte" individuelle dans son exercice et les cadres sociaux auxquels eile a le devoir de se soumettre est dejä par sa seule existence une de"ficience et une deviation. Vous comprendrez alors clairement les difficultos que je signalais au d but de cette communication lorsqu'il s'agissait d'en expliquer le titre, on ne peut trouver une formule qui exprime la question pos£e ä la fois en fonction de la mentalite" moderne et de la me"die*vale. La proble"matique moderne suppose l'existence d'un conflit, legitime, entre rindividu et la socie"t6; on ne peut meme pas en rapprocher au moyenäge le cas de resistance ä une loi injuste, car le conflit qui se produit alors est non pas entre une personne et cette loi, mais entre l'ob&ssance due aux hommes et celle due ä Dieu. La pens6e contemporaine, meTne pour ceux qui admettent l'existence d'une absolue, reconnait un droit ä l'erreur, c'est-ä-dire une possibilit£ de se tromper de bonne foi. La societe" au nom de laquelle parlent nos auteurs est convaincue que son autorite* doctrinale et morale, dont Dieu lui a confio le , possede une force d'ovidence teile que ne peut s'y opposer ä moins d'etre de mauvaise foi. Nous avons vu qu'ü n'y a pas d'erreur invincible dans le tres large domaine de la loi naturelle et des principes essentiels de la loi divine. La socioto a done le droit et le devoir d'imposer ä l'individu l'adh^sion ä la vonte" et la pratique du bien; certes, eile reconnait que personne n'a prise sur l'attitude intime et la decision de la volonte": on ne peut baptiser un infidele de force ou empecher le m4chant de commettre le pe"che\ Mais tous les efforts de l'Eglise tendront ä ce que l'infidele accepte le baptßme de plus ou moins bon gre", ä ce que le pocheur renonce ä ses fautes, et en tous cas que leur attitude ne puisse faire de tort aux au tres membres de la socioto; la seule cause de tolerance reste d'ordre social: eile intervient quand la lütte contre l'erreur entrainerait un dosordre pire que l'erreur ellememe. Pour raccomplissement de cette mission, la soci£t£ emploie tous les moyens de pression extörieure en son pouvoir, enveloppant et assiegeant la personne pour obtenir d'elle cet assentiment aux regies de la croyance et de la conduite qu'elle est chargoe de promouvoir.
DIE SEELE ALS „MINOR MUNDUS" UND ALS „REGNUM". EIN BEITRAG ZUR PSYCHOLOGIE DER MITTLEREN FRANZISKANERSCHULE
Von ERNST STADTER L Einführung In der mittleren Franziskanerschule, zwischen Bonaventura und Duns Scotus, tauchen immer wieder zwei psychologische Vorstellungen auf, an denen sich das Verhältnis von „Universalität und Partikularität" gut illustrieren läßt, 1. die Seele als Darstellung des dem einzelnen Individuum übergeordneten politischen Gefüges, des Reiches, bzw. des Imperiums, 2. die Seele als Darstellung des Kosmos, d. h. als Mikrokosmos. Im ersten Fall drückt sich das aus in den Bildern „regnum", „regnum animae", „regnum virium animae", im anderen Fall wird die Formel „minor mundus"1 oder „anima est quodammodo omnia" zugrunde gelegt. Der geistesgeschichtliche Hintergrund Wir müssen uns kurz den geistesgeschichtlichen Hintergrund vergegenwärtigen2, auf dem diese beiden Vorstellungen sich gebildet haben; denn sonst kann man nicht verstehen, warum gerade diese Formulierungen konzipiert wurden. Das Jahr 1277 stellt einen wichtigen Einschnitt im 13. Jahrhundert dar. In Paris wird von Bischof Tempier eine Verurteilung ausgesprochen. Sie betrifft Lehren der radikalen Aristoteliker, betrifft Siger von Brabant, Boetius von Dacien und deren Anhänger, aber auch Thomas. Das Datum ist deswegen so wichtig, weil die große Auseinandersetzung mit Aristoteles in eine entscheidende Phase getreten ist. Die Krise bahnte sich schon seit Beginn des 13. Jahrhunderts an, und so ist 1277 der Endpunkt einer langen Entwicklung. Die weitere Entfaltung der aristotelischen Lehre wird zunächst etwas gehemmt, denn es ist bei Androhung der Exkommunikation verboten, die verurteilten 1
Walter von Brügge verwendet diese Formel, siehe unten Anm. 7. Der Gedanke, daß sich in der Seele die Welt im ganzen darstellt, findet sich jedoch auch bei anderen Autoren der mittleren Franziskanerschule. 2 Siehe dazu J. Ratzinger: Die Geschichtstheologie des heiligen Bonaventura. München 1959. S. 121—161; A. Forest, F. van Steenberghen, M. de Gandillac: Le mouvement doctrinal du XIe au XIVe siecle. Saint-Dizier 1951. In: Histoire de 13. S. 193—348. Wir zitieren: van Steenberghen: Le mouvement doctrinal.
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Thesen zu vertreten. Andererseits ist 1277 der Anfangspunkt einer Bewegung, da das orthodoxe Lager durch die Verurteilung gegenüber den Fortschrittlichen einen Vorsprung gewonnen hat und in einem Gegenschlag durch Rückkehr zur Tradition, vor allem zu Augustinus, die bisherige Theologie zu konsolidieren sucht. In diese Zeit der Reaktion gegen die Aristoteliker gehört nun der Gegenstand unserer Analysen, und auf dem angedeuteten Hintergrund ist die Fragestellung zu verstehen. Einer der heiß diskutierten Punkte der Verurteilung war im Rahmen der Freiheitsfrage der intellektuelle Determinismus. Es ist folgende aristotelische Lehre3, welche leidenschaftliche Erörterungen ausgelöst hat: Der Mensch strebt bei allem, was er will und tut, nach einem Gut. Das Gute ist es also, das den Willen in Bewegung bringt. Es selbst ist unbewegt, bewegt aber die Willenspotenz: es ist ein „movens non motum". Der Wille jedoch stellt eine passive Potenz dar und wird durch das erkannte Gut, das „bonum apprehensum", von der Potenz in den Akt übergeführt und dadurch bewegt. Nur weil er durch das Gute in Bewegung gesetzt ist, kann er seinerseits die seelischen Kräfte und den Menschen zur Tätigkeit bewegen. Er bewegt zwar, ist aber zuerst schon bewegt worden: er ist ein „movens motum". Diese Theorie hat scharfe Reaktionen provoziert. Die Gegner der Aristoteliker sahen darin die Vernichtung der Freiheit. Denn sie verstanden die These — gleichsam im Sinne einer mechanistischen Konzeption — folgendermaßen: Wenn der Wille vom erkannten Gut bewegt wird, dann ist der Mensch völlig hineingespannt in den kosmischen Kausalnexus; denn er wird ja bei seinen Tätigkeiten angestoßen, getrieben, und zwar von außen, nämlich durch das Objekt. Der Wille ist dann gar nicht schöpferischer Ursprung seiner Akte, sondern seine Tätigkeiten sind bereits das Resultat von Impulsen, die er von außen empfängt. Gegen diese Anschauung wird ein neues Menschenbild bzw. eine neue Psychologie konzipiert; die diesbezüglichen Bemühungen schlagen sich nieder in der Vorstellung der Seele als einem hierarchischen Gefüge, als „regnum", und als einem Mikrokosmos. Die Analyse der beiden Vorstellungen vermittelt uns daher einen lebendigen und plastischen Eindruck von den großen geistigen Bewegungen, die das 13. Jahrhundert prägen. Einteilung Wir wollen uns im Zusammenhang mit diesem Referat folgende Fragen stellen: 3
Siehe z. B. Walter von Brügge: Quaestiones disputatae. Q. 4. In: Quaestiones disputatae du B. Gauthier de Bruges. Par E. Longprä. Louvain 1928. In: Les Philosophes Beiges 10. S. 34—38.
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1. Wie stellt sich die Lehre von den beiden Seelen Vorstellungen im Zeitraum zwischen Bonaventura und Duns Scotus dar? Es geht um eine rein historische Feststellung. Aus Zeitgründen sollen nur typische Vertreter befragt werden: Walter von Brügge, John Peckham, Petrus Olivi. 2. Wie zeigt sich auf dem Hintergrund der Ergebnisse die geistesgeschichtliche Entwicklung in dem wichtigen Zeitraum von Bonaventura bis zu Duns Scotus hin ? II. Der historische Befund Daß der Mensch dazu neigt, sich zu übergreifenden Ordnungen in Beziehung zu setzen, ist nicht neu. Platon4 sieht die Seele in ihrem inneren Aufbau analog dem Staat gestaltet. Von Aristoteles5 hat das Mittelalter den Satz „anima est quodammodo omnia". Aus der Bibel weiß der mittelalterliche Denker, daß der Mensch Ebenbild Gottes ist. Das Mittelalter liebt es, in Entsprechungen zu denken, Analogien herzustellen, die ganze Wirklichkeit der Welt und der Geschichte in einer differenzierten und wohlausgewogenen Ordnung zu sehen. Die hochinteressante, aber doch sehr schwierige Frage, wie es zu diesen Analogiebildungen kommt, wollen wir ausklammern. Sie könnte lauten: Nimmt die mittelalterliche Psychologie die Bilder aus anderen Bereichen nur als willkommene Illustrationsmittel auf, oder besteht ein kausaler Zusammenhang in dem Sinne, daß die Weltvorstellung — Kosmos, Imperium — auf das Selbstverständnis des Menschen sich auswirkt und umgekehrt ? Doch dieses Problem ist zu delikat, als daß es in unserem Zusammenhang befriedigend gelöst werden könnte. Walter von Brügge Der Franziskaner Walter von Brügge schreibt seine Quaestiones disputatae6 wahrscheinlich 1267—1269, also kurze Zeit nachdem die Auseinandersetzungen beginnen. Sein Denken ist noch sehr ausgewogen und aristotelesfreundlich, wenngleich er der franziskanischen Richtung im wesentlichen treu bleibt. Walter sieht eine strukturelle Verwandtschaft, eine Analogie zwischen dem Makrokosmos und dem Mikrokosmos „Mensch": „assimilatio minoris mundi, hoc est hominis, ad maiorem mundum"7. Aufschlußreich ist der Satz: Wie Gott im ,,maior mundus" nach freiem Ermessen handelt, ohne an ein Gesetz gebunden zu sein, und wie der 4
Politeia, 441 c. De anima, . 8, 431 b 21. * Siehe oben Anm. 3. 7 Ebd., q. 4, S. 39. Zitat wörtlich: Tertio hoc patet per minoris mundi, hoc est hominis, ad majorem mundum assimilationem. 8
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König im Reich allen voransteht und alle Dinge ihm unterworfen sind . . , so ist es auch im Reich der Seelenkräfte, im „regnum virium animae". Der Wille „präsidiert" allen Kräften und bewegt sich und alles nach freiem Ermessen, „prout übet"8. Wenn wir den Vergleich analysieren, haben wir eine Hierarchie von Ordnungen: 1. Gott steht dem Universum voran und herrscht nach freiem Ermessen, ist an kein Gesetz gebunden. Der juristisch-politische Gesichtspunkt ist betont. 2. Der König steht an der Spitze des Reiches. Auch hier ist charakteristisch die Freiheit vom Gesetz. In dem angeführten Bild sind zwei Vorstellungen verbunden, eine hierarchisch-politische und eine kosmologische. Beide werden auf die Psychologie übertragen. Es wird eine formale Ähnlichkeit zwischen Seele und Reich einerseits, Seele und Makrokosmos andererseits statuiert. Die Bildelemente gehen ineinander über und lassen sich nicht restlos trennen. Fassen wir die Übertragung des politisch-hierarchischen Modells auf die Seele ins Auge. Walter führt den Vergleich in der Psychologie systematisch und bis in Einzelheiten durch. Die Seele ist ein „Reich von Kräften": „regnum virium animae"9. Die Formulierung findet sich in der ganzen mittleren Franziskanerschule. Der Wille ist der „rex". Der Verstand übernimmt die Rolle, die im Reich die Ratgeber haben. An diesem Vergleichspunkt, nämlich am Verhältnis des Ratgebers „Verstand" zum Alleinherrscher „Willen", wird die Beziehung von Erkennen und Wollen und der intellektuelle Determinismus diskutiert. Der Ratgeber kann zwar Vorschläge machen, Anregungen geben, aber der König ist demgegenüber vollkommen frei. So kann auch der Verstand dem Willen ein Objekt vorlegen, Motive ins Feld führen, doch der Wille ist als „rex" souverän gegenüber dem Verstand. Er akzeptiert nach Beheben oder verwirft. Denn alle Kräfte sind ihm „unterworfen"10. Auch dieser von Anselm stammende Vergleich erscheint in der ganzen Schule. Das Verhältnis zwischen dem herrscherlichen Willen und den unterworfenen Kräften ist anhand des hierarchischen Modells präzise herausgearbeitet. Man kann feststellen, wie das Modell die Seelen- und Willenslehre bis in differenzierte Details hinein durchdringt und bestimmt. Vor allem ist die Phänomenologie des Willenserlebnisses ganz vom Urbild des „rex", also vom Archetypus der herrscherlichen „potestas" her entwickelt. So heißt es: Im Willen ist eine Art herrscherlicher Macht, „quaedam dominativa potestas"11. Der Wille ist eine mit Macht ausgestattete 8
Ebd., q. 4, S. 39f. • Ebd., q. 4, S. 40. « Ebd., q. 6, S. 60f.;q. 4. S. 40. 11 Ebd.. q. 4 ad 8, S. 44.
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Potenz: „potentia potestativa"12. Überhaupt spielt der Begriff der „potestas", der abgelesen ist an der Autarkie königlicher Machtvollkommenheit, eine wichtige Rolle in der ganzen Schule. Der freie Wille ist die am meisten mit Macht ausgestattete Instanz unter Gott: „liberum arbitrium est potentissimum sub Deo"13. Selbst die Tätigkeit des Willens zeigt die Analogie zum herrscherlichen Gestus und zum Pathos des Imperators. Der Wille handelt in Machtausübung: „potestative"14. Er akzeptiert vom „Ratgeber" Verstand, was ihm beliebt, und verwirft, wenn es ihm beliebt: „accipit si vult et dimittit si vult"16. — Man sieht, wie konsequent das politische Modell in der Psychologie durchgebildet ist. Auch die kosmologische Vorstellung ist sichtbar, wenngleich sie nur schwach und andeutungsweise ausgeprägt ist. Im Hintergrund steht möglicherweise der aristotelische Kosmos als eine Bewegerreihe mit einem ersten Beweger an der Spitze. Die Seele ist als „minor mundus", als „Welt im Kleinen", strukturverwandt mit dem Makrokosmos16. Gott steht an der Spitze des Alls, der Wille an der Spitze der Seele. Hier ist zwar auch eine biblische Vorstellung mitgegeben, aber es ist nicht ausgeschlossen, daß — vielleicht nicht ganz bewußt — der aristotelische „erste Beweger" Pate gestanden hat; denn der Wille wird als „quasi motor universalis"17 der Seele gesehen. Doch, wie gesagt, ist der Zusammenhang von Seele und aristotelischem Kosmos nur in schwachen Konturen sichtbar, er wird jedoch explizit von Olivi formuliert. Petrus Olivi Olivi verwendet wie Walter beide Vorstellungen. Allerdings erfährt die Konzeption bei ihm eine wesentliche Verschärfung. Was heißt das ? Es soll durch den Vergleich mit dem politischen Modell ausgedrückt werden. Walter von Brügge ist in seinem Denken noch sehr ausgewogen. Seine Seele ist ein „regnum", der Wille ist zwar Alleinherrscher und alle anderen Kräfte sind ihm „unterworfen", aber bei Olivi wird dieses „regnum" eine Art Diktatur. Der Wille wird zum Tyrannen. Die niedrigen Kräfte werden rigoros beherrscht und unterworfen. Olivi spricht von der Herrscherlichkeit des Willens: „imperiositas"18. 12
Ebd. q. 4 ad 14, S. 45. Ebd. q. 6 ad 9, S. 63. 14 Ebd. q. 4 ad l, S. 41. 18 Ebd. q. 6 ad 9, S. 63. 16 Ebd. q. 4, S. 39. 17 Ebd. q. 6 ad 2, S. 62; q. 5,1 ad 3, S. 53; q. 6 arg. 10, S. 57: „generalis motor virium animae". 18 Summa quaestionum super Sententias. Q. 67. In: Fr. Petrus lohannis Olivi: Quaestiones in secundum librum Sententiarum. Ed. B. Jansen. Bd. 2. Quaracchi 1924. S. 332. Wir wählen für die von B. Jansen unter dem Titel „Quaestiones in 13
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Unser Wollen ist ein höchst herrscherlicher Akt: „actus summe imperiosus"19. Es wäre sehr verlockend, auf die Gefahr und die neurotische Komponente in diesem Menschenbild einzugehen, da hier ein zentrales Problem der christlichen Anthropologie überhaupt erscheint. Doch sei dieser Gesichtspunkt nur angedeutet. Die kosmologische Vorstellung, die bei Walter nur skizziert ist, wird bei Olivi ausgebaut. Hier erscheint nun tatsächlich in der Psychologie die Vorstellung des aristotelischen Kosmos als Bewegerreihe mit einem ersten Beweger. Der Wille wird als „primus motor" bezeichnet, denn ihm eignet das Wesen eines ersten Bewegers: „habet rationem primi motoris"20. Die Seele wird zwar konstituiert durch eine Vielzahl von Bewegern, aber an der Spitze steht der Wille als erster Beweger: „primum in ordine motorum"21. Wir müssen uns bewußt machen, was durch diese Vergleichung geschehen ist, um die Bedeutung der Aussage zu ermessen, denn der Sachverhalt ist in etwa typisch für die Methode Olivis und wichtig für die geistesgeschichtlichen Folgerungen. 1. Olivi übernimmt die kosmologische Vorstellung des aristotelischen Kosmos als Bewegerreihe mit einem ersten Beweger. 2. Er überträgt diese Vorstellung auf Psychologie und Anthropologie: Die Seele stellt einen Konnex von Bewegern dar, an deren Spitze der Wille als erster Beweger fungiert. 3. Das Ergebnis, das er dabei erzielt, steht in direktem Gegensatz zur aristotelischen Psychologie. Die aristotelische These hat gelautet: Der Wille ist passive Potenz. Er wird durch das „bonum apprehensum" in Bewegung gesetzt. Er ist zwar ein movens, aber ein ,,movens motum". Das geradezu Paradoxe ist, daß Olivi mit einer aristotelischen Vorstellung (primus motor), mit einem Baustein, den er der aristotelischen Philosophie entnimmt, eine anthropologische These entwickelt, die der aristotelischen Intention diametral entgegengesetzt ist. Diese antiaristotelische Tendenz ist bezeichnend. Wir wollen den Gedanken für die geistesgeschichtliche Auswertung festhalten. Zum anderen ist interessant, daß so divergierende Scholastiker wie etwa Thomas und Olivi aristotelische Gedanken aufnehmen und je eine ganz verschiedene Theorie daraus entwickeln, der eine mit intellektuasecundum librum Sententiarum" Bd. l—3. Quaracchi 1922—1926. In: Bibliotheca Franciscana Scholastica 4—6 edierten Schriften Olivis die neue Zitationsweise „Summa quaestionum super Sententias". Vgl. dazu V. Heynck: Zur Bußlehre des Petrus Johannas Olivi. In: Franziskanische Studien 38 (1966) 39f. 19 Ebd., q. 57, S. 332. 40 Ebd., q. 57, S. 332. 21 Ebd., q. 57, S. 333.
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listischem Akzent, der andere eine voluntaristische. Thomas übernimmt die Idee der Theoria und macht sie zu einem systematischen Angelpunkt seines Denkens. Die Theoria erscheint in der „scientia Dei", in der Theologie als einer „scientia subalternata" und in der „visio beatifica". Olivi wählt den Gedanken des ersten Bewegers und macht daraus eine voluntaristische Anthropologie22. John Peckham Der Franziskaner John Peckham gilt als der Initiator des sogenannten „Neo-Augustinismus"23, dessen Tendenz darin lag, den radikalen Aristotelismus abzuwehren und sich am traditionellen, augustinischen Denken zu orientieren. Peckham bekämpft leidenschaftlich den Aquinaten und erläßt sogar selbst als Bischof von Canterbury zwei Verurteilungen24. Der Ansatz in seinem Kampf gegen die Aristoteliker ist ganz anders als etwa bei Olivi. Der Einfluß des Neuplatonismus ist stark. Für die Fragestellung der Tagung — Universalität und Partikularität — ist von Bedeutung, daß Peckham wie Thomas in seine Psychologie den Satz aufnimmt: „anima est quodammodo omnia"25. Doch ist auch hier das neuplatonische Element bezeichnend. Die Seele ist dadurch gleichsam alles, daß sie das Universum durch Erkennen in sich abspiegelt. Sie ahmt darin ihr göttliches Urbild nach. Gott jedoch schaut die Gesamtwirklichkeit auf diese Weise, daß die Wirklichkeit in ihm die Gestalt des göttlichen Lebensaktes angenommen hat: „in quo [seil. Deo] sunt omnia unita vel vita"26. Und hier haben wir einen zentralen Begriff des Peckham'schen Systems: vita, Leben. Das Universum Peckhams ist konstituiert durch eine Hierarchie des Lebens. Dieses Leben geht aus von Gott und steigt hernieder auf die rein geistigen Wesen, die menschliche Seele und das Tierreich bis in das vegetative Sein27. Die Psychologie Peckhams ist daher aufgebaut auf dem Begriff des Lebens und der lebendigen Kraft: „vigor", „vigor vitae". Die Vorstellungen und die Begriffe finden sich schon in der Schrift De inteüigentiis, die von Baeumker dem Witelo zugeschrieben wurde, die jedoch nach späteren Darstellungen auf einen Autor mit dem Namen Adam pulchrae mulieris zurückzugehen scheint28. Das Entscheidende 22
Vgl. E. Stadter: Das Problem der Theologie bei Petrus Johannis Olivi O F M. Auf Grund gedruckter und ungedruckter Quellen dargestellt. In: Franziskanische Studien 43 (1961) 116—141. 23 Siehe van Steenberghen: Le mouvement doctrinal. S. 318f. 309. 24 Siehe ebd., S. 323. 28 Tractatus de Anima loannis Pecham. Ed. G. Melani. Firenze 1948. In: Biblioteca di Studi Francescani 1. Cap. 3, S. 11. a « Ebd., cap. 3, S. 9. 27 Vgl. ebd., cap. 2, S. 6—9. 28 Vgl. van Steenberghen: Le mouvement doctrinal. S. 211.
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ist nun, daß der Lebensbegriff für Peckham die Grundlage bildet, um der aristotelischen Lehre von der Passivität des Willens eine andere Theorie entgegenzusetzen. Die Konzeption ist folgende: Leben besagt Streben nach Selbstverwirklichung und Selbstvollendung29. Das geschieht durch Anziehung des Förderlichen und Abstoßung des Bedeutungslosen30. Diese formalen Bestimmungen gelten für alle Stufen des geschöpflichen Lebens. Auf der geistigen Stufe ist das Leben zum Rang der Freiheit avanciert. Im „liberum arbitrium" als der höchsten Form der geschöpflichen Lebenskraft („ultimus gradus creati vigoris") wird das Erkannte in freier Entscheidung angenommen oder abgestoßen31. Im Streben der lebendigen Substanz nach Selbstverwirklichung zeigt sich deutlich die Entelechievorstellung des Aristoteles. Doch ein wesentlicher Unterschied liegt darin, daß die lebendige Substanz nach Peckham nicht von außen durch das erstrebte ,,bonum" von der Potenz in den Akt übergeführt wird, sondern das Charakteristikum des Lebendigen ist, daß es bereits von sich aus (ex se)32, und zwar auf wirksame Weise (efficaciter)33, auf seine Selbstverwirklichung hingeordnet ist. Neben der aristotelischen Entelechie erscheint also die platonische Selbstbewegung des Lebendigen. Aber weder mit dem Begriff der Entelechie noch dem der Selbstbewegung ist das Spezifische an Peckhams Lehre erfaßt, nämlich jenes Element, das sich im Begriff des „vigor" manifestiert: das Element der Kraft, der Energie, der schöpferischen Dynamis, die auf der Ebene des Geistes sogar den Sinn von Macht bzw. von Selbstmächtigkeit annimmt. Denn auf der höchsten Stufe des geschaffenen „vigor" erlangt das Leben im „liberum arbitrium" eine solche Macht der Selbstgestaltung, daß es durch nichts in der Welt gezwungen werden kann — „liberum arbitrium quia constituitur . . . in ultimo gradu creati vigoris, a nulla re cogi potest"34. In dem 1948 edierten Tractatus de anima35, der übrigens mit seinen 49 Seiten eine ganz reizvolle christliche Weltsumme in Miniaturform darstellt und wie ein Prisma die geistesgeschichtlichen Bewegungen der Epoche aufzeigt, in diesem Tractaius de anima ist die Anthropologie in eine umfassende Hierarchie des Lebens hineingestellt, das von Gott bis zum vegetativen Sein reicht. Da die Basis dieser Weltsicht z9
Tractatus de anima, a. a. O., cap. 2, S. 7f.; cap. 6, S. 22. Ebd., cap. 12, S. 42; cap. 10, S. 33; cap. 2, S. 9. 31 Ebd., cap. 11, S. 41; vgl. auch H. Spettmann: Johannis Pechami Quaestiones tractantes de anima. Münster 1918. In: Beiträge zur Geschichte der Philosophie des Mittelalters 19. S. 198. 3i Ebd., cap. 2, S. 6. 88 Ebd., cap. 2, S. 7f. 34 Ebd., cap. 11, S. 41. 35 Siehe oben Anm. 26. 30
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der Begriff des Lebens und der lebendigen Kraft ist, zeigt sich diese kleine Summe in mancher Hinsicht als eine Antithese zum radikalen Aristotelismus. Denn das Lebendige, und vor allem das Leben des Geistes, entfaltet sich aus der eigenen Substanz (ex se)3e; es ist nicht von außen bewegt wie der Wille der Aristoteliker, der als passive Potenz vom erkannten Gut in Bewegung gesetzt ist. Die diametrale Entgegensetzung ist evident. Zusammenfassend können wir bei Peckham zwei Vorstellungen konstatieren: 1. Eine aristotelische: Die Seele bildet durch Erkennen das Universum ab. 2. Die Idee des Lebens und der lebendigen Kraft („vigor vitae"); sie bedeutet autokinetische Energie. Der Geist ist in der Hierarchie der geschaffenen Lebensstufen die höchste und stellt ein Maximum an Lebensenergie, d. h. an Möglichkeit der Selbstverwirklichung dar. III. Geistesgeschichtliche Folgerungen Rekapitulieren wir das über die drei Vertreter der Franziskanerschule Gesagte und versuchen wir zu sehen, ob sich daraus etwas ableiten läßt für die Erkenntnis der geistesgeschichtlichen Epoche, in der sie stehen, und vor allem für die Beurteilung der großen Auseinandersetzung mit dem Aristotelismus. Walter von Brügge bringt die hierarchisch-politische Seelenvorstellung. Der Mensch wird in Beziehung zum „regnum" und zum Kosmos gesetzt. Der Wille ist nicht passive Potenz, sondern autonome Instanz, ausgestattet mit der Autarkie eines Königs. Petrus Olivi übernimmt die politische Vorstellung und verschärft sie. Der diktatorischen Selbstherrlichkeit des Willens stehen die niedrigen Kräfte in radikaler Unterwerfung gegenüber. Olivi baut auch das bei Walter nur angedeutete kosmologische Modell aus. Die Seele ist in Analogie zum aristotelischen Kosmos als Bewegergefüge mit einem „primus motor" gesehen. Wir haben gesehen: das Paradoxe liegt darin, daß Olivi einen aristotelischen Gedanken so verwendet, daß das, was dabei herauskommt, ein umgekehrtes Vorzeichen trägt. Der Wille ist nicht passive Potenz und „movens motum", sondern „erster Beweger". John Peckham übernimmt den aristotelischen Gedanken „anima est quodammodo omnia". In der Einführung des Begriffs der lebendigen Kraft kommt eine organologische Vorstellung in die Diskussion. Das historisch Bedeutsame liegt darin, daß diese Philosophie des Lebens von Olivi assimiliert wird und über ihn weiterwirkt, wahrscheinlich bis zu Duns Scotus hin. 38
Tractatus de anima, a. a. O., cap. 2, S. 6.
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Olivis Synthese Diesen Gesichtspunkt müssen wir noch etwas verfolgen, um die geistesgeschichtliche Entwicklung differenzierter sehen zu können. Wir finden bei Olivi neben der hierarchisch-politischen Vorstellung der Seele und neben der kosmologischen noch die organologische. Der Wille ist nicht nur „rex"37, „primus motor", sondern „vita pura"38, reine Lebendigkeit, lebendige Kraft, „vigor"39, „summa vivacitas"40. Hier taucht also der eigenartige Begriff des „vigor" wieder auf. Das Leben der einzelnen Seelenbezirke stammt aus dem Geistigen. Dem Geist, und damit auch dem Willen, kommt Leben an sich und ursprünglich zu: „cui soli per se et primo competit ratio vitae"41. Das Wesen des Lebendigen wiederum schließt Aktivität in sich. Was später für Duns Scotus charakteristisch ist42, steht bereits bei Olivi: die Abhebung der Sondernatur des Willens gegenüber allen aktiven Prinzipien. Der Wille übersteigt alle anderen aktiven Kräfte durch eine qualitative Bestimmung, die nicht mehr kategorial aussagbar ist: „ineffabiliter debet excedere omnes"43. Der Wille übertrifft alle anderen Seienden um eine Unendlichkeit: „in infinitum"44. Dieser Gesichtspunkt reiner Aktivität und lebendiger Energie in der Willenspotenz wird unterstrichen durch eine weitere Vorstellung, die aus der Optik stammt und den arabischen Neuplatonismus über Alhazen noch stärker zur Wirkung kommen läßt. Olivi überträgt die Eigenschaften der Lichtquelle auf den Willen. Wie die Lichtquelle in reiner Aktivität das Licht ausstrahlt, nichts vom Gegenstand empfängt, so strömt der Wille auf die Welt der Objekte Energie aus. Das Objekt hat keinerlei Einfluß auf den Willen. Es begrenzt nur die ausgestrahlte Energie, die gleichsam aktiv gegen das Objekt prallt. 37
De perfectione evangelica, q. 2 ad 3. Ed. A. Emmen in: La dottrina dell'Olivi sulla contemplazione, la vita attiva e mistica. In: Studi Francescani 61 (1964) 22. 38 Summa quaestionum, q. 58, a. a. O., S. 412. „Vita pura" ist die mens, also auch der Verstand. Doch da nach Olivi der Wille den Verstand „ineffabiliter" überragt (Summa quaestionum, q. 57, a. a. O., S. 335), gilt die Bestimmung in ausgezeichneter Weise vom Willen. 39 Ebd., q. 58 ad 10, S. 432; q. 61, S. 109. 40 Ebd., q. 54 ad l, S. 274. Olivi interpretiert an dieser Stelle Augustinus. Die Kennzeichnung der Akte des Geistes durch die Formel „summa vivacitas" geschieht jedoch ganz im Sinne Olivis (vgl. ebd. q. 58, S. 412). Natürlich gilt die Aussage auch von den Akten des Willens; vgl. oben Anm. 38. 41 Ebd., q. 58, S. 412. 42 Vgl. Quaestiones subtilissimae super libros Metaphysicorum Aristotelis. Lib. 9, q. 15. In: Joannis Duns Scoti opera omnia. T. 7. Paris 1893. S. 612 a-b. Ferner J. Auer: Die menschliche Willensfreiheit im Lehrsystem des Thomas von Aquin und Johannes Duns Scotus. München 1938. S. 187, 190 Anm. 98. 43 Summa quaestionum, q. 57, a. a. O., S. 335. 44 Ebd., q. 57, S. 334. MedV
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„(Voluntas) non est minus actualis quam lux"45. Das Beispiel von der Sonne46 als einer Licht und Energie ausstrahlenden Instanz, die nur aktiv ist und nichts an Einflüssen empfängt, findet sich von Walter von Brügge47 bis Duns Scotus48, und man gewinnt den Eindruck, daß die Willensvorstellung nicht nur bei Olivi, sondern auch bei Duns Scotus von dieser Verbindung der organologischen und der optischen Vorstellung wesentlich mitgeprägt ist. In der Gegenüberstellung zur aristotelischen Anschauung von der passiven Willenspotenz zeigt sich die Lehre Olivis in ihrer Konzeption als Antithese. Das wird um so deutlicher dadurch, daß die meisten Autoren dieser Zeit harmonisieren und der Meinung sind: der Wille ist sowohl aktiv als auch passiv, er ist in dieser Hinsicht aktiv, in einer anderen passiv usw. Bei Olivi ist der Wille eine autonome, absolut aktive Größe: als „rex", als ,,primus motor", als „vita pura" und als „lux". Duns Scotus Von dieser Perspektive her zeigt sich auch die Willens- und Freiheitslehre des Duns Scotus, die für dessen Denken und auch für die Entwicklung zu Ockham hin entscheidende Bedeutung hat, in einem ganz neuen Licht. Wenn man den Zeitraum zwischen Bonaventura und Duns Scotus hinsichtlich der Willenslehre untersucht, erlebt man zwei große Überraschungen, die man nicht erwartet hätte49: 1. daß Walter von Brügge die Entwicklung in hohem Maße bestimmt, in mancher Hinsicht vielleicht mehr als etwa Bonaventura, 2. daß eine Reihe von Thesen, die typisch für Duns Scotus zu sein scheinen, weithin bei Olivi, manchmal auch bei Heinrich von Gent und Richard von Mediavilla stehen und auch die deutliche Abhängigkeit zeigen, z. T. bis in die Formulierung hinein, z. T. nur dem sachlichen Gehalt nach. Somit erscheint die Position des Duns Scotus in einem veränderten Feld. Er ist einerseits weniger originell, als es scheinen möchte, wenn 46
Quaestiones in II Sententiarum. Ed. F. Simoncioli. In: II problemadellaliberta umana in Pietro di Giovanni Olivi e Pietro de Trabibus. Milano 1956. S. 188. Ferner Summa quaestionum, q. 58 ad l—3, a. a. O., S. 414—420. 48 Vgl. Summa quaestionum, q. 57 ad 19, a. a. O., S. 364. 47 Vgl. Quaestiones disputatae du B. Gauthier de Bruges. Ed. par E. Longpre. Louvain 1928. In: Les Phüosophes Beiges 10. Q. 4 ad 5. S. 42. 48 Vgl. Quaestiones in secundum librum Sententiarum. Dist. 26, q. unica. In: Joannis Duns Scoti opera omnia. T. 13. Paris 1893. S. 209. Ferner J. Auer: Die menschliche Willensfreiheit, a. a. O., S. 147—149. 49 Da diese Behauptung und die im weiteren Verlauf des Referats aufgestellten Thesen in einem anderen Zusammenhang eine ausführliche Begründung erfahren werden, verzichten wir hier auf die Beweisführung im einzelnen.
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man ihn unabhängig von der Tradition betrachtet; andererseits kommt gerade durch das Sichtbarwerden der Abhängigkeit die eigenständige Leistung des Duns Scotus besonders deutlich zum Vorschein. Denn jetzt sieht man zwar, daß er sachlich bisweilen wenig Neues bringt und daß die Probleme vorher schon gedacht und durchdacht wurden; aber das Besondere an Duns Scotus ist, daß er das Ergebnis dieser Entwicklung auf eine unüberbietbare Weise formuliert, mit einer Präzision und Treffsicherheit, wie es bis dahin nicht da war, wie es aber nur möglich war, weil er am Ende einer Entwicklungsepoche steht50. Die Entwicklung ist dann dieser Art: Walter von Brügge hat den sachlichen und schon weit vorwärts weisenden Ansatz. Von ihm sind fast alle Autoren abhängig. Bei Olivi verfolgt man die ganze Dynamik des Ringens und der Auseinandersetzung mit den Problemen und bei Duns Scotus die letzte und klassische Formulierung. Diese Linie ist deutlich erkennbar. Es bietet sich hier ein Schulbeispiel von Ideenentwicklung dar: wie gegen die Aristoteliker bei Walter von Brügge ein Ansatz konzipiert ist, wie dieser in gewaltigem Denkprozeß bei Olivi durchgearbeitet und mit souveräner Präzision bei Duns Scotus terminiert wird. Allerdings muß man sagen, daß der große Reichtum an phänomenologischen Analysen der Willenskraft, der sich bei Olivi findet, bei Duns Scotus fast völlig verlorengegangen ist. Im Zusammenhang dieses Referats ist es nicht möglich, die Entwicklung im einzelnen durch Belege zu demonstrieren. Das soll an anderer Stelle geschehen. Aber wenigstens ein Beispiel für die Abhängigkeit des Duns Scotus von Olivi sei angeführt, das durch viele ergänzt werden könnte. J. Auer hat in seinem Buch über Die mensch50
Es ist für die geistesgeschichtliche Entwicklung von Bonaventura bis Duns Scotus sehr interessant und nicht ohne Bedeutung, daß Jansen hinsichtlich der Distinctio formalis zu überraschend ähnlichen Ergebnissen kommt, wie wir sie für die Willenslehre gewonnen haben. Siehe B. Jansen: Beiträge zur geschichtlichen Entwicklung der Distinctio formalis. In: Zeitschrift für Katholische Theologie 53 (1929) 317—344, 517—544. „Auf diese Angaben Olivis gestützt, wagen wir zu behaupten, daß Scotus sachlich außer der erkenntniskritischen Begründung und der Berufung auf die Väter nichts Neues hinzugefügt hat, sondern sie bloß sprachlich und begrifflich schärfer gefaßt, methodischer und abgerundeter systematisiert und vor allem tatsächlich weitreichender angewandt und durchgeführt hat" (S. 519f.). — „Überblicken wir diese Ausführungen Olivis, so sehen wir, daß dieser über die Distinctio formalis weit klarer und eindeutiger formuliert und dargestellt hat als jener" (S. 528). — „Halten wir zum Schluß Rückschau über die Zeit von Bonaventura bis Scotus und Alexander von Alessandria, so könnte man die Entwicklung fast als ein Paradigma ideengeschiclitlichen Wandels nennen, die ganz den natürlichen Gesetzen folgt . . . Dabei stoßen wir immer von neuem auf all das Unsichere, Unfertige und Unsystematische, wie es dem Wandel menschlicher Gedankenverbindungen anhaftet. Scotus bringt System hinein und zwar in entschiedener Stellungnahme. Dadurch sichert er der neuen Theorie ihren sieghaften Durchbruch und der von ihm begründeten Schule. Das ist seine geschichtliche Stellung" (S. 543f.). 5*
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liehe Willensfreiheit im Lehr system des Thomas von Aquin und Johannes Duns Scotus61 sehr schön und m. E. auch treffend herausgearbeitet, daß Duns Scotus im Unterschied zu Thomas das Willensphänomen von der Kategorie des Lebendigen her sieht und daß dieser Gesichtspunkt die Freiheitslehre mit ihren speziellen Problemen wesentlich bestimmt. Das ist sicher richtig. Auer weist insbesondere darauf hin, daß Duns Scotus in der schwierigen Frage der Selbstbewegung des Willens, die immer im Zusammenhang mit dem Akt-Potenz-Schema abgehandelt wird, neben „aktiv" und ,,passiv" die Bestimmung des „rezeptiv" einführe, daß das etwas ganz Neues gegenüber den Vorgängern sei52 — übrigens wird diese These neuerdings von Walter Hoeres in seinem Scotus-Buch zustimmend referiert53 —. Nun, was das „ganz Neue" betrifft: die Bezeichnung „rezeptiv" steht bei Olivi, im selben Zusammenhang und in derselben Bedeutung54. Auer sagt weiter: „Damit ist von Duns Scotus, soviel ich sehe zum erstenmal, auf Grund der neu erarbeiteten und metaphysischen Basis die Spontaneität des Willens in dieser metaphysisch unterbauten Psychologie des Mittelalters klar herausgestellt worden, der primäre Ichbezug des Wollens, eine Leistung von allergrößter Bedeutung"55. Dem kann man zustimmen, wenn man diese „Leistung von allergrößter Bedeutung" aufteilt. Olivi hat die Dinge weithin gedacht, und Duns Scotus hat die Präzision und Treffsicherheit der Formulierung gegeben. Es steht uns nicht die Zeit zur Verfügung, diesen einen Gesichtspunkt durch eine Reihe anderer zu erhärten. Aber wie die Kategorie des Lebendigen über John Peckham und Olivi in die Willenslehre des Duns Scotus kommt, dürfte ziemlich klar geworden sein. Wenn sich diese These, daß die Willenslehre des Scotus schon z. T. vorweggenommen ist, halten läßt — und ich glaube, daß es möglich ist —, dann wäre an einem wichtigen Punkt der historischen Entwicklung die Lücke zwischen Bonaventura und Duns Scotus geschlossen. Die überraschenden Perspektiven in der Willenslehre des Duns Scotus würden in ihrer Genese evident. Die Neo-Augustinismus-These Wenn man in Erwägung zieht, daß Olivi in seiner Willenslehre — aber man könnte es auch an anderen Punkten nachweisen — eine 81
Vgl. z. B. S. 255—273. Vgl. ebd., S. 262—273. 83 W. Hoeres: Der Wille als reine Vollkommenheit nach Duns Scotus. München 1962. In: Salzburger Studien zur Philosophie 1. S. 269f. 64 Siehe Summa quaestionum, q. 57 ad 8, a. a. O., S. 346; ad 9, S. 347; ad 19, S. 364. 65 J. Auer: Die menschliche Willensfreiheit... a. a. O., S. 272. 52
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Sicht der Probleme entwickelt, die in diametralem Gegensatz zur aristotelischen steht, wenn man vor allem realisiert, daß er damit zu der These des radikalen Aristotelismus eines Siger von Brabant die Antithese erarbeitet, dann wird die Ansicht, man könne die Franziskanerschule zwischen Bonaventura und Duns Scotus weithin unter dem Terminus Neo-Augustinismus subsumieren56, fragwürdig. Ob bei van Steenberghen der Begriff Neo-Augustinismus außer der Tatsache, daß hier viele nicht genuin augustinische Gedankenströmungen am Werk sind, auch den reaktionären und vor allem restaurativen, epigonenhaften Charakter dieser Bewegung ausdrückt, wie Ratzinger meint67, soll hier nicht beurteilt werden. Jedenfalls will mit der Formel ausgesagt werden, daß durch Rückkehr zur augustinischen Tradition die Gefahren des Aristotelismus gebannt werden sollten. Nun trifft der Terminus Neo-Augustinismus, wenn wir ihm tatsächlich eine etwas abwertende Bedeutung unterlegen, sicher für eine ganze Reihe von Autoren dieser Zeit zu. Man kann als typischen Fall das Conectorium fratris Thomae des Wilhelm de la Mare anführen, das von van Steenberghen wohl mit Recht als die Kodifikation des NeoAugustinismus bezeichnet wird58. Hier ist ohne weiteres ersichtlich, daß es sich um Reaktion und Restauration handelt, daß keine wirklich schöpferische Konzeption dahintersteht. Man gewinnt den Eindruck, daß ein kleiner Geist sich an den spekulativen Riesen Thomas heranmacht und, ohne die Intention des Gegners zu erfassen, diesem an allen möglichen Stellen am Zeug flickt. Gerade von diesem Gesichtspunkt her ist es nicht möglich, das Werk Olivis sozusagen in einem Atemzug mit dem Correctortum unter die Formel des Neo-Augustinismus zu bringen. Das Spezifische dieses Denkers ist damit nicht erfaßt. Einmal wird nicht gesehen, daß es sich um eine echte Antithese zum Aristotelismus handelt, die bis in die spekulativen Fundamente durchdacht ist. Zum anderen ist Olivi im Gegensatz zu zahlreichen anderen Autoren dieser Zeit ein schöpferischer Geist. Er hat eine Konzeption. Sein Denken ist von einer erstaunlichen Geschlossenheit, es zeigt in seiner Art einen einheitlichen Wurf. Zusammenfassung Wenn wir unter dem Blickwinkel der Willenslehre (!) die geistesgeschichtliche Entwicklung von Bonaventura zu Duns Scotus betrachten, dann lassen sich verschiedene Strömungen voneinander abheben. Es sollen vier solche Strömungen herausgestellt werden. Damit 56
Summa quaestionum, q. 57 ad 8, a. a. O., S. 346; ad 9, S. 347; ad 19, S. 364. J. Ratzinger: Die Geschichtstheologie des heiligen Bonaventura. A. a. O., S. 130, Anm. 48. 68 van Steenberghen: Le mouvement doctrinal. S. 319. 57
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wird aber nicht behauptet, daß der eine Autor diese und der andere jene Richtung vertritt, sondern es sind Tendenzen gemeint, die in verschiedenen Kombinationen auftreten können. 1. Es gibt in der Franziskanerschule, das ist bekannt, eine aristotelesfreundliche Richtung, etwa im Sinne eines eklektischen Aristotelismus. Ihr gehören beispielsweise Walter von Brügge und Richard von Mediavilla an. Diese Autoren bleiben zwar der Ordenslehre im wesentlichen treu, vertreten jedoch eine harmonisierende Tendenz. 2. Es gibt eine deutlich neuplatonisierende Strömung, die stark ausgeprägt ist bei John Peckham. Im Mittelpunkt steht bei ihm der Begriff des Lebens und der lebendigen Kraft (vigor vitae). Und zwar haben diese Begriffe systematische Bedeutung. Das Universum wird unter dem Gesichtspunkt einer Hierarchie des Lebens gesehen. Die christliche Motivation ist deutlich. Der biblische Gott ist es, der den Geschöpfen das Leben „eingibt"59. Das organologische Denken prägt die Darstellung Peckhams bis in die Einzelheiten. Diese Philosophie des Lebens wirkt stark auf Petrus Olivi ein, bei dem der Geist, und damit auch der Wille, „vita pura" ist. Wahrscheinlich ist von Olivi Heinrich von Gent beeinflußt60. Bei Duns Scotus ist der Einfluß nicht mehr so offenkundig, aber in deutlichen Spuren erkennbar, was sich dann manifestiert in dem Satz „actus voluntatis est vita"81 und vor allem in der grundsätzlichen Sicht des Willensphänomens als einer lebendigen Realität, wie durch Auer gezeigt wurde62. 3. Es läßt sich tatsächlich eine Richtung feststellen, die man mit Recht als Neo-Augustinismus bezeichnen mag. Man könnte etwa Roger Marston63, vielleicht auch Nikolaus Ockham64, insbesondere aber Wilhelm de la Mare nennen. Diese Gruppe trägt restaurative Züge, es fehlt die schöpferische Kraft der Assimilation oder der echten Auseinandersetzung, es fehlt die eigenständige Konzeption. Typisch dafür ist das Correctorium Fratris Thomae*5. 4. Einer weiteren Strömung liegt eine ausgesprochen antiaristotelische Konzeption zugrunde. Sie manifestiert sich in Olivi. Das Bezeichnende ist, daß sie den diametralen Gegenpol zu den radikalen Aristoteli69
Tractatus de anima, cap. 2, a. a. O., S. 7. •° Siehe Quodl. 11, q. 6 und Quodl. 13, q. 11. In: Magistri Henrici a Gandavo aurea quodlibeta. Cura A. Piccione. Venetiis 1613. 61 Quaestiones quodlibetales, q. 16. In: Joannis Duns Scoti opera omnia. T. 26. Paris 1895. S. 200b—201 a. 62 Siehe oben Anm. 48. 63 Siehe Fr. Rogeri Marston Quaestiones disputatae. Ed. a PP. Collegii S. Bonaventurae. Quaracchi 1932. In: Bibliotheca Franciscana Scholastica 7. S. 430—452. 84 Siehe II Sent. d. 25. Oxford Merton College, Cod. 134, fol. 93vaff. 66 Enthalten in: Le correctorium corruptorü „quare". Ed. par P. Glorieux. Le Saulchoir, Kain 1927. In: Bibliotheque Thomiste 9. Siehe S. 106, 230—232, 234, 236—242. 331—333.
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kern, wie etwa Siger von Brabant66, darstellt. Daraus ergibt sich eine interessante Perspektive. In Olivi und Siger stehen sich zwei unversöhnliche Extreme gegenüber, sie bilden die am weitesten voneinander entfernten Pole des 13. Jahrhunderts. Thomas und Bonaventura — d. h. der frühe Bonaventura — sind demgegenüber Männer der Mitte. Das bedeutet also, daß die extreme heidnische These, nämlich der radikale Aristotelismus im Mittelalter, eine ebenso einseitige Antithese provoziert hat, die spiritualistische — um nicht zu sagen hypertroph religiöse — Position Ohvis. Denn für Olivi sind es nicht einfach Kontroversen, bei denen es irgendwie um das Christliche geht, sondern er sieht die Situation heilsgeschichtlich, wie das für Bonaventura durch Ratzinger nachgewiesen wurde67. In den Augen Olivis handelt es sich um so etwas wie die endzeitliche Auseinandersetzung zwischen Christ und Antichrist. Er verschärft die Gegensätze zwischen Christentum und Aristotelismus nicht nur ins Absolute, Metaphysische, sondern sieht sie eben sogar heilsgeschichtlich68. Das antithetische Element zeigt sich auch, wenn Olivi der aristotelischen Theoria als der zweckfreien Schau der Wirklichkeit, wie sie dann von den radikalen Aristotelikern als die ideale menschliche Lebensform propagiert wurde, den spiritualistisch verstandenen Begriff der „contemplatio" — es ist die Übersetzung von Theoria — gegenüberstellt, und zwar als einen Liebesakt bzw. einen Akt personaler Ganzhingabe an Gott. Der gleiche Begriff hat bei den Aristotelikern und bei dem Spiritualen Olivi genau entgegengesetzte Bedeutung. Hier die Idee einer autonomen rationalen philosophischen Existenz und dort die religiöse Totalzuwendung an Gott69. Wenn man die genannte antiaristotelische Linie verfolgt, dann zeigt sich folgendes: Bei Walter von Brügge beginnt eine Abhebung gegenüber Aristoteles. In den späteren Schriften Bonaventuras70 wird eine antiaristotelische Tendenz sehr scharf spürbar. Und diese Bewegung erreicht bei Olivi ihren Höhepunkt. Man könnte sagen, bei Olivi springt die Kurve am weitesten vor ins Extrem. Doch diese impulsive Bewegung wird sofort schon wieder vom sogenannten Vgl. O. Lottin: Psychologie et morale aux XIIe et XIII e siecles. T. 1. Gembloux 1957. S. 262—271. 67 Siehe J. Ratzinger: Die Geschichtstheologie des heiligen Bonaventura. A. a. O., S. 148—160; Zusammenfassung S. 159—161. 68 Siehe E. Stadter: Das Glaubensproblem in seiner Bedeutung für die Ethik bei Petrus Johannes Olivi OFM (f 1298). Ein Beitrag zur Ethik und Religionsphilosophie des Mittelalters. In: Franziskanische Studien 42 (1960) 225—231. 69 Ders.: Das Problem der Theologie bei Petrus Johannes Olivi. In: Franziskanische Studien 43 (1961) 121—141. 70 Siehe J. Ratzinger: Die Geschichtstheologie des heiligen Bonaventura. A. a. O.. S. 136—140.
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„getreuen Schüler" Olivis, Petrus de Trabibus71, wesentlich abgeschwächt, ja eigentlich zurückgenommen. Die große Geschlossenheit der antiaristotelischen Konzeption ist bereits wieder durchbrochen. Bei Duns Scotus findet dann diese Auseinandersetzung mit dem Aristotelismus eine relativ gemäßigte Formulierung im Sinne einer Gegenthese. Aber Duns Scotus ist ohne seine Vorgänger überhaupt nicht zu denken. Er bildet den Abschluß einer Entwicklungslinie. Man gewinnt tatsächlich, wie es in der Forschung gesehen wird, den Eindruck, daß Bonaventura mit seinen Konferenzen über das Hexaemeron im Franziskanerkonvent zu Paris die Schüler zu einer groß angelegten Opposition inspiriert hat72. Es ist bezeichnend, daß einer der wesentlichen Vorwürfe, die er gegen den Aristotelismus erhebt, nämlich der des heidnischen Determinismus, und dessen Diskussion Bonaventura selbst nicht mehr auf philosophischer Ebene austrägt, von Olivi aufgegriffen und zu einer grandiosen und umfassenden, wenn auch etwas einseitigen Philosophie der Freiheit ausgearbeitet wird. Aufs Ganze gesehen scheint die Neo-Augustinismusthese doch zu undifferenziert zu sein, als daß sie dem historischen Sachverhalt gerecht werden könnte. Van Steenberghen sagt ganz mit Recht, daß Geschichte etwas so Komplexes ist, daß man sie nicht in einer einfachen Formel fassen kann73. Und er bringt auch in anderen Punkten sehr ausgewogene und nuancierte Definitionen74. Doch wird die Forschung wahrscheinlich zeigen, daß die Formel „Neo-Augustinismus" nicht hinreicht, um die Bewegung gegen den Aristotelismus nach Bonaventura exakt und erschöpfend zu erfassen. Eine genaue Untersuchung der ganzen Epoche könnte einerseits neues Licht auf das Problem des Anti-Aristotelismus bei Bonaventura werfen. Doch wichtig wäre andererseits, daß der Charakter der antiaristotelischen Bewegung überhaupt besser erkannt und vor allem in seinem Zusammenhang mit der Genese des Scotismus gesehen wird. Denn in diesem Zeitraum werden nicht zuletzt die Grundlagen gelegt für die Entwicklung im 14. Jahrhundert. 71
Siehe die edierten Texte bei F. Simoncioli: II problema della libertä umana in Pietro di Giovanni Olivi e Pietro de Trabibus. Milano 1966. S. 189—232. 72 Siehe van Steenberghen: Le mouvement doctrinal. S. 318f. 73 74
Siehe ebd., S. 302. Siehe ebd., S. 249, 302.
UNIVERSALITE ET PARTICULARITY DE L'ÄME HUMAINE DANS LA PHILOSOPHIE MUSULMANE ET SPECIALEMENT CHEZ IBN 'ARAB! Par SALVADOR GOMEZ NOGALES Dans le theme goneYal «Universality et particularity » un des sujets les plus passionnants de la philosophie m£di6vale est celui relatif ä l'äme humaine. On le consideYa comme une these propre ä Averroes, et l'averroi'sme latin se 1'appropria, en suscitant des pole"miques acharnos dans le monde chre"tien. D'une part se prasenta la particularity de l'äme humaine: chaque homme a sa propre äme. Mais d'autre part depuis la philosophie grecque, on reconnaissait qu'un principe intellectuel inde'pendant du corps agissait en tout homme. Comme eile e"tait inde"pendante de la matiere, on se posait le probleme de son destin apres la mort. Quand eile se soparait du corps, le principe de sa singularite' ou individuality cessait. Comme la matiere etait le principe d'individualito, il ne pouvait subsister apres la mort qu'une forme se"pare*e non singuliere. De lä surgit la these de l'unicito ou de l'universalito de 1'entendement pour 1'espece toute entiere. Le probleme 6ta.it de" ja pos& par la philosophie grecque. C'est un des problemes que preOccupa le plus Aristote et dans lequel il n'arriva jamais ä voir clairement la solution1. A travers Aristote et ses commentateurs, le probleme passa ä la philosophie musulmane. Et dans celleci il acquiert trois modalites. La premiere est celle du courant philosophique reprosento principalement par Avicenne et Averroes. La seconde est la modalito theOlogique influencoe par le Coran, et la troisieme finalement est la direction du mysticisme. Disons quelques mots sur chacune d'elles. Dans le courant philosophique, Avicenne se docida pour la particularito de l'äme humaine, bien qu'avec une attitude peu nette. On pourrait multiplier les textes. Qu'il nous suffise d'en citer un, certes bien significatif, car les raisons y mentionnoes pr^occuperent plus tard Averroes quand il traita cette question: «L'idoe appeltee universelle existe seulement dans 1'entendement, non dans les individus roels. Quand nous entendons que quelquesuns 1
Nous nous sommes dejä occup6s dans un autre lieu de cette question. Voyez: La immortalidad del alma a la luz de la noetica de Averroes. Dans: Pensamiento 15 (1959) 155—176.
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Salvador Gomez Nogales
disent, par exemple: ,Tous les hommes sont un en raison de l'humanite, ou toutes les choses noires sont une en raison de la noirceur, us s'imaginent que la noirceur universelle est un e"tre qui existe ä part, ou que 1'homme universel est un etre qui marche la, et que l'äme universelle signifie nume'riquement une äme qui existe dans les singuliers nombrables, de la m£me fagon que 1'un en nombre est le pere de beaucoup d'enfants, ou comme le soleil, un en nombre, illumine ä la fois plusieurs territoires. Mais c'est une pure erreur ce qu'on s'imagine comme . Si Zayd et 'Amr avaient num£riquement la meme äme, et si Zayd e"tait savant et cAmr ignorant, il serait ne"cessairement la meme äme savante et ignorante, mais cela est absurde. Si le me'me animal universel existait dans les singuliers, un meme animal marcherait et volerait a la fois, et il marcherait aussi avec deux pieds et avec quatre pieds ä la fois: c'est une chose ogalement absurde. L'etre universel, done, existe seulement dans 1'entendement »2. Pourtant, il restart ä Avicenne une difficult^. L'individualito e"tait pour mi quelque chose d'accidentel, surajoutoe ä l'essence au moyen des accidents materiels. Toute essence s'individualisait par la matiere revetue des dimensions spacio-temporelles. Toute essence qui ne serait pas regue dans une matiere extense, e"puiserait toute la perfection de 1'espece3. Cela constitue pr£cis£ment un des arguments les plus forts qu'il ait pour nier la proexistence des ämes depuis roternite"; si elles avaient exist e" e"ternellement avant leur existence dans les corps, il ne pourrait y avoir des ämes diffeYentes, mais elles vivraient toutes sous l'unite" de 1'espece4. Mais alors, selon le dogme musulman, les ämes apres la mort devraient se soparer du corps. Est-ce qu'elle cesserait, alors, la particular^ de l'äme humaine pour devenir une universalito spe"cifique? Avicenne se de"bat dans une se"rie de considerations qui ne laissent pas voir clairement la solution. Mais l'affirmation de la particularity de l'äme humaine, me'me apres la separation de la matiere, ne peut pas 2
Avicenna: Dänesh-näme (Livre de Science). Traduit par M. Achena et H. Masse. Paris 1955, pp. 116—117. Traduit ä l'espagnol par M. Alonso: Accidente, accidental y numero. Dans: Al-Andalus 28 (1963) 124—125. Insere aussi par Algacel dans son ouvrage: Maqäsid al-falasifa. Traduit ä l'espagnol par M. Alonso. Barcelona 1963, pp. 108—109. 3 «Si anima autem esset tantum absque corpore, una anima non posset esse alia ab alia numero. Et hoc generaliter est in omnibus». De anima pars V c. 3 fol. 24r; c. 4 fol. 24v. Dans: Avicenna: Opera philosophica. Venetiis 1508. R&mpression en fac-simile' agrandi Louvain 1961. Voyez aussi: Metaphysica tract. IX c. 4. Dans: Avicenna: Metaphysica sive prima philosophia. Venetiis 1495. Relmpression en fac-simila agrandi Louvain 1961. * De anima pars Vc. 3 fol. 24a et b. Voyez: Metaphysica tract. Vc. 2: «Exbis autem naturis ilia quae non eget materia ad permanendum vel incipiendum si est, impossibile est earn multiplicari, et species huiusmodi est una numero ».
Universalite et particularite de l'äme humaine chez Ihn 'Arab!
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etre plus decisive: une fois que l'äme s'est singularise'e, eile ne pourra jamais perdre cette singularity5. Si nous voulions discuter maintenant le sujet de la particularity ou universalite" de Tarne humaine chez Averroes, cela prendrait ä lui seul toute une commence. Sur ce sujet, nous avons dJt. C'est le centre de la ruiniere, d'ou s'irradie toute illumination. II s'agirait d'un moment ant&ieur l'intellect m^me. En dehors de la circonforence c'est le noant absolu iJub, Ce serait comme le deuxieme moment dans Involution rythmique de l'Un. Ce serait «la nu^e lumineuse» ou r«0pollet"44. In diesem Sinne des „prae", nicht des „super" kann der Kaiser sagen: „etsi omnis terra, quantum inhabitatur, regni mei terminus esset". Das ist im Sinne unseres Themas die Ordnung des früheren Mittelalters46. Hier setzen nun um die Mitte des 11. Jahrhunderts zwei, wenn man so will, „störende" Momente ein. 1. Vorbereitet durch uralte, seit dem oben erwähnten Brief des Papstes Gelasius I. nicht mehr zur Ruhe gekommene Vorstellungen kommt dem „sacerdotium" gegenüber dem „regnum" ein Vorrang zu, wie der Sonne gegenüber dem Mond, wie der Seele gegenüber dem Leib, wie dem Himmel gegenüber der Erde46. Diese, schon infolge der äußeren politischen Machtverhältnisse lange latenten Vorstellungen47 brechen nun bei Gregor VII. mit ungeheurer Gewalt in den Grundsätzen seines „dictatus papae" hervor48. Der „römische Bischof allein", heißt es da, „darf sich der kaiserlichen Insignien bedienen". „Des Papstes Füße allein haben alle Fürsten zu küssen". „Kein Name ist dem seinen in der Welt zur Seite zu stellen". „Ihm ist erlaubt, Kaiser abzusetzen". „Er selber darf von niemandem gerichtet werden." — Kurz: Gregor sieht sich selbst als den „princeps super regna mundi"49. Der Papst 43
1146 der ungarische Prätendent Boris an Konrad III. Otto von Freising: Chronica VII, 34. In: Monum. Germ. Hist., Script, rer. Germ. Bd. 40. 1912. Vgl. auch Rahewin von Freising: Gesta Friderici. In: Monum. Germ. Hist., Script, rer. Germ. Bd. 40.1912. S. 162—346. („Romanus Imperium totius orbis esse asylum"). 44 Wibald von Stablo (1137). In: Ph. Jaffe: Bibl. rer. Germ. I. Berlin 1864. S. 92 44 Kaiser Heinrich IV. an den König von Frankreich. 1106. In: Monum. Germ. Hist., Epistolae IV, 39. Vgl. auch R. Folz: L'idde d'empire en Occident du Vc au XIV« siecle. Paris 1953. 46 Dazu: L. Knabe: Die gelasianische Zweigewaltentheorie bis zum Ende des Investiturstreits. Diss. Berlin 1936; G. Post: Some unpublished glosses (ca. 1210—1214) on the Translatio imperil and the two swords. In: Arch. f. kath. Kirchenrecht 117 (1937) 403ff. 47 Zur Ideenwelt Gregors VII. allgemein: A. Nitschke: Die Welt Gregors VII. Diss. Göttingen 1950. Vgl. auch die einzelnen einschlägigen Aufsätze in den „Studi Gregoriani" (1947ff.). 48 Registrum Gregorii VII. In: Monum. Germ. Hist., Epistolae selectae II, l—2. Dazu K. Hofmann: Der dictatus papae Gregors VII. Paderborn 1933. Ders.: Der dictatus papae Gregors VII. als Index einer Kanonessammlung. In: Studi Gregoriani l (1947) 636. Hier wird m. E. zu Recht auf die enge Verbindung mit der zeitgenössischen Kanonistik hingewiesen. 49 Das Papsttum versucht hier erstmals den weltlichen Herrscher und seinen Bereich von ,,sacramentum"-Vorstellungen zu lösen und selbst auch in den Sakralbereich des Imperators einzudringen, was auch die grundlegende Beanspruchung des „pro temporis necessitate novas leges condere" im Dictatus papae (dazu P. Hinschius: Syst. d. kath. Kirchenrechts. Bd. 3. Berlin 1865—1887. S. 726 und Mochi-Onory, a. a. O., [Anm. 18] S. 124.135) zeigt. Dieser Anspruch usurpierte aber gerade ein Spezifikum des Imperator als legum conditor. Interessant scheint im Zusammenhang der frühmittelalterlichen Vorstellung der Ewigkeit des Rechts einerseits und der eher römisch-rechtlichen Vor-
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allein ist nach Gregor die Spitze des „orbis Christianus", Herr über die Könige dieser Welt mit echter Befehlsgewalt, nicht mehr also mit beanspruchter „auctoritas" „prae regibus", sondern mit „potestas" „super reges"50. Es liegt auf der Hand, daß diese Vorstellungen und Ziele den bisherigen „ordo" störten51 und eine Gefährdung der kaiserlichen Stellung in sich schlössen. Kein Wunder also, daß ein Streit mit allen Konsequenzen und bis dahin nicht gekannter Härte entbrannte, den man nur unzulänglich nach einem Teilbereich den Investiturstreit nennt. Immerhin, und das bleibt festzuhalten, bleibt auch bei diesen Vorstellungen das Weltbild monistisch-christozentrisch, auf das „spirituale", von dem eben man die Höherwertigkeit des Papstes als des „homo spiritualis" schlechthin ableitet, gerichtet, wenngleich hier erstmals seit Beginn des Mittelalters eine radikale Abwendung von jenem ,,duo quippe sunt" sichtbar wird, die in eben ihrer Radikalität kompromißlos war und daher ebenso kompromißlose Reaktionen herausforderte. Es ist nicht verwunderlich, daß in diesem zeitlichen wie gedanklichen Zusammenhang jene beiden Theorien auftauchen, deren eine, die des erblichen Reiches, zwar immer schon mitschwang, deren andere aber seit Jahrhunderten erstmals und bezeichnenderweise als „argumentum contra regem" erscheint: die Idee der Volkssouveränität. Beide Vorstellungen, in der hier vorliegenden Ausprägung dem römischen Recht, das jetzt allenthalben gegen Ende des 11. Jahrhunderts wieder klarer faßbar wird, entstammend, haben gegeneinander und bisweilen in ungleicher Verbindung die Staatslehre der kommenden Jahrhunderte bis in die Neuzeit hinein beeinflußt. 2. Gerade die Vorstellungen vom souveränen Volk, das aus Gründen der Nützlichkeit, der Rechtssicherheit etc. sich einem Herrscher anvertraut, fallen zeitlich, und, wie ich meine, nicht nur zeitlich, zusammen mit einer Umgestaltung des gesamten mittelalterlichen Weltbildes, das im Verlauf des 12. Jahrhunderts die ersten Stellung der Setzung völlig neuen Rechts das „pro temporis necessitate", das auch sonst noch (Registrum Gregorii, a. a. O., VII. VI, 2, S. 393, 1) etwa in der Wendung „(leges) ... si necessitas vel utilitas maior exegerit, licenter valent commutari" angesprochen erscheint. Das aber liegt wohl gerade unter dem Einfluß römischen Rechts und unmittelbar der Kanonistik auf der Linie — cum grano salis —, die man gemeinhin als Staatsraison bezeichnet und bislang für das Mittelalter glaubte verneinen zu müssen. Diese „necessitas temporis"-Vorstellungen erscheinen auch denen Friedrichs II. verwandt. (Für freundlichen Hinweis auf die Bedeutung des „novas leges condere" als kaiserliches Spezifikum in der Diskussion nach meinem Vortrag am 18. 9.1965 auf dem Kölner Mediävistentag habe ich Herrn Prof. H. M. Klinkenberg, Aachen, zu danken. Auf seinen Aufsatz: Die Theorie der Veränderbarkeit des Rechts im frühen und hohen Mittelalter. Demnächst in: Misc. Mediaev. 6. sei hier nachdrücklich hingewiesen.) 50 Registrum Gregorii, a. a. O. (Anm. 48), I, 63 der Papst als „princeps super regna mundi"; vgl. Mochi-Onory, a. a. O. (Anm. 18), S. 19 („papa pater regnum"). 61 Vgl. W. Ullmann: The growth of the papal government in the middle ages. London 1955.
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bescheidenen Ansätze des Weltbildes zeigt, das wir heute ein pluralistisches nennen52. Nicht mehr nur die „spiritualia" verlangen ihr Recht, auch die „temporalia" des Menschen und der Menschen erhalten ihr eigenes Gewicht. Das Kreuzzugserleben hat in der Begegnung mit der arabischen Welt und der durch sie verhältnismäßig unverwandelten Antike diese, wenn man so will, Kehrseite. Zu dieser neuen Weltsicht, der im staatlichen Bereich erste Ansätze dessen entsprechen, was man seit Friedrich Meinecke die ,,Staatsraison" zu nennen pflegt, hatten aber im 11. und 12. Jahrhundert die Normannen die größte Affinität. Wo sie staatliche Gebilde schaffen, ob in der Normandie, in England nach der Invasion von 1066, oder in Süditalien-Sizilien, da haben wir es mit „instituta" zu tun, die in erster Linie auf die „temporalia", auf die eigengesetzlichen Belange des Staates und des ihn uneingeschränkt repräsentierenden Königs ausgerichtet sind. Das aber ist etwas Neues, was zunächst in England, Frankreich und Sizilien über das frühe Mittelalter hinausführt und das „regnum" auf sich selbst gründet, gewissermaßen löst von der Verbindung mit dem ursprünglichen Traditionsgedanken des ,,imperium Romanum" als eines „singulare Imperium", dessen Kaiser als „antecessores" der mittelalterlichen Kaiser deutscher Herkunft gegolten hatten. Erstarken im 12. Jahrhundert in Byzanz die Bestrebungen, die Tradition der römischen Imperatoren und des „Imperium Romanum" zu erneuern, so finden wir auch in Westeuropa Rückgriffe auf diese Tradition seit dem Ende des 11. bzw. seit dem Beginn des 12. Jahrhunderts. Das Reich Wilhelms des Eroberers ist ein „regale Imperium", sein Szepter ein „imperiale et regale", er selbst ist größer und edler als Caesar usw. Freilich, universal ist dieses „Imperium" nicht — wie sollte es von seiner Idee her gesehen auch —, sondern greift eher zurück auf jene oben angedeuteten etwa angelsächsischen Vorstellungen einer partikularen Hegemonie53. Differenzierter liegen die Dinge im Hinblick auf Frankreich54. Seit dem 11. Jahrhundert machen sich auch hier grundsätzliche Lösungsbestrebungen bemerkbar55, die einmal immer wieder auf die besondere Rolle des heiligen Öles, das einst bei der Salbung Chlodwigs, des Begründers des Frankenreiches, verwendet worden, rekurrieren; diesem Faktum hat kein anderes Volk des Mittelalters etwas Vergleichbares 52
Dazu J. Spörl: Grundformen der mittelalterlichen Geschichtsanschauung. München 1935. 63 P. E. Schramm: Das englische Königtum im Lichte der Krönung. Weimar 1937. S. 249. 51 Vgl. W. Kienast: Deutschland und Frankreich in der Kaiserzeit. Leipzig 1943. 56 Nach Suger von St. Denis wohl erstmals 1124 anläßlich des Zweifrontenkrieges gegen Heinrich I. von England und Kaiser Heinrich V. In England wohl erstmals, nach der Historia regum Britanniae des Gottfried von Monmouth, im Jahr 1148 nachweisbar.
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entgegenzustellen56. Zum anderen fühlt man sich in Frankreich als die wahren Erben der Franken, wie schon Suger von St. Denis um 1140 meint57. Auch der Ludus de Antichristo gibt etwa 20 Jahre später die Ansicht der Franzosen wieder: „non nos imperio, sed nobis hoc debetur; hoc enim seniores Galli possederunt atque posteris nobis reliquerunt"58. Es ist in Frankreich die Zeit des „reditus ad stirpem Caroli Magni"59, der, besonders gepflegt in St. Denis, die Legitimität der französischen Könige als der wahren Erben Karls des Großen und seines „Imperium" und die Frage „Karl der Große" oder „Charlemagne"60 — wie sie modern komprimiert wurde — zugunsten Frankreichs entscheiden soll. In diese Zeit fällt nun nicht von ungefähr das Ereignis, das sich heuer 1965 zum 800. Male jährt und den Europarat zu der großangelegten Kaiser-Karl-Gedächtnisausstellung in Aachen be wog: die Elevation Karls des Großen Weihnachten 1165 auf Veranlassung Friedrichs I. Barbarossa, römischen Kaisers. Diese Elevation ist unseres Erachtens ein Programm61. Sie zeigt, daß Friedrich I. die von Konrad III. (den man wie seinen ersten namensgleichen Vorgänger wohl gemeiniglich unterschätzt) aufgenommene Auseinandersetzung mit Byzanz um die Rangfolge und rechte Ordnung seinerseits fortgesetzt62, durch längst von der Forschung zu Recht betonte antikrömische rechtliche Vorstellungen erweitert63, aber auch durch einen 56
P. E. Schramm: Der König von Frankreich. 2. Aufl. Darmstadt 1960. S. 138, 139 und 145ff. und oft. Sowie ders.: Das englische Königtum. A. a. O., (Anm. 63) S. 224ff. Zur sacra unctio allgemein Mochi-Onory, a. a. O., (Anm. 18) S. 189. Dieses Buch ist für die Betrachtung wesentlicher Wurzeln der neuen Staatsanschauungen unentbehrlich. 57 Schramm: Der König von Frankreich, a.a.O., (Anm. 56) S. 180 u. Anm. 6. 68 Ebd., S. 181, bes. Anm. 1. Dieses Überlegenheitsgefühl steigert sich bis zu jener Vision des Amalrich von Chartres, wo für Philipp August und seinen Sohn die Unterwerfung aller Reiche prophezeit wird (vgl. auch ebd., S. 185 Anm. 1). 69 Vgl. K. F. Werner: Die Legitimität der Kapetinger und die Entstehung des „Reditus regni Francorum ad stirpem Caroli". In: Welt als Geschichte 12 (1952) 203—225. Ders.: Die Entstehung des Reditus regni Francorum ad stirpem Caroli. Diss. Heidelberg 1950. R. Folz: Le souvenir et la legende de Charlemagne dans 1'Empire modieval. Paris 1950. Schramm: König von Frankreich, a. a. O. (Anm. 56) S. 137 und Anm. eo Ygi_ (jen ebenso titulierten Sammelband von 1936. 61 Dazu M. Schwarz: Heiligsprechungen im 12. Jh. und die Beweggründe ihrer Urheber. In: Arch. f. Kulturgesch. 39 (1957) 43—62. Dies.: Politische und religiöse Bedeutung der Kanonisation in der Stauferzeit. Diss. Münster 1956. R. Folz: La chancellerie de Fredoric I e r et la canonisation de Charlemagne. In: Le Moyen Age 70 (1964) 13—31. 62 Vgl. einschlägigen Briefwechsel Konrads III. Demnächst in Mon. Germ. Hist., Diplomata Konrads III.; dazu: P. Lama: Comneni e Staufer. Ricerche sui rapporti fra Bisanzio e l'Occidento nel secolo XII. vol. l (1957). Rez. W. Ohnesorge in: Byzant. Zeitschrift 60 (1957) 464ff.; W. Ohnesorge: Kaiser Konrad III. In: Mitt. d. Inst. f. östrr. Geschichtsforsch. 40 (1932) 343ff.; R. Holtzmann, a. a. O., (Anm. 16) S. 261 f. 63 Vgl. auch immer noch M. Pomtow: Über den Einfluß der altrömischen Vorstellungen vom Staat auf die Politik Kaiser Friedrichs I. Halle 1885. und nebst Dahlmann-
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staufischen „reditus ad Carolum Magnum" im Geistigen abgerundet hat. Bei Friedrich I. wird so die Fülle dessen, was man als den staufischen Reichsgedanken bezeichnet hat, sichtbar, das „Imperium" wird durch Aufnahme römisch-rechtlicher Bezeichnung — wobei dennoch all' das mitschwingt, was an Vorstellungen des früheren Mittelalters tradiert ist64 — zum ,,sacrum Imperium", die Maxime der Politik der „honor imperil"65. Wie oben bereits für die normannischen Staatsgründungen angedeutet, wie sich in Westeuropa langsam vorbereitend, ist auch im staufischen Deutschland die Emanzipierung des Staatlichen von der Universalität der von Gregor VII. auf die Bahn der Superiorität gedrängten „sancta ecclesia" in ihren ersten Anfängen spürbar. Dem Bereich des Kirchlich-Sakralen, des „sanctus", steht nun ein Bereich des Weltlich-Sakralen, des „sacrum" gegenüber . Dadurch aber verliert das Imperium das Eigentliche, dem es seinen echten Vorrang vor den anderen Nationen verdankte, jenes „a Deo decretum", jenes „ad praedicationem unius Dei singulare . . . constitutum", jenen Auftrag also als helfendes Heilsinstitut für den „populus Christianus". So sehr auch noch im 12. Jahrhundert die Anschauung, gestützt durch die realen Machtverhältnisse zu Zeiten Friedrichs I. und Heinrichs VI., vorhanden war, „daß die souveräne Gewalt der westlichen Könige letzten Endes von der kaiserlichen als der Quelle aller irdischen Macht Waitz: Quellenkunde zur Deutschen Geschichte. 9. Aufl. Leipzig 1931. Nr. 6566. H. Koeppler: Frederic Barbarossa and the schools of Bologna. In: Engl. Hist. Rev. 54 (1939). M Bei Friedrich II. scheint mir die Art der Königswahl Heinrichs (VII.) 1220 und erst recht die Konrads IV. 1237 auch an Vorstellungen vom karolingischen Unterkönigtum zu gemahnen, was sich insbesondere für Konrad auch aus Kanzleibeobachtungen erweisen läßt (vgl. P. Zinsmaier: Studien zu den Urkunden Heinrichs VII. und Konrads IV. In: Zeitschr. f. d. Gesch. d. Oberrheins 100 (1952) bes. 559ff.; siehe auch E. Franzel: König Heinrich VII. von Hohenstaufen. Prag 1929. S. 36f.). 65 Vgl. P. Rassow: Honor imperil. Neudruck Darmstadt 1961. bes. S. 60f., wo auf P, Kehr: Die Belehnungen der süditalienischen Normannenfürsten durch die Päpste (1059—1192). In: Abh. d. Berl. Akad., phil.-hist. Klasse l (1934) S. 40 Anm. l und D. Schäfer: Honor, citra, eis im mittelalterlichen Latein. In: Sitz.-Ber. d. Berl. Akad., phil.-hist. Klasse 1921. S. 376 verwiesen wird. Dennoch glaube ich, daß, sooft der Begriff des honor imperil auch in der Literatur auftaucht, er bislang noch nicht genügend untersucht ist. Derlei Begriffe, die so gefüllt sind, erscheinen nicht aus heiterem Himmel von einem Tag auf den anderen. Die Bedeutung von honor imperil (seil, papatus) scheint einerseits bis zum Interesse zu gehen. (Vgl. G. Post: Ratio publicae utilitatis, ratio status und „Staatsräson" [1100—1300]. In: Welt als Geschichte 21 [1961] 72f.) Vgl. aber auch meinen Vortrag auf dem Kölner Mediävistentag 1966: ,,Der honor imperii als Spannungsfeld zwischen lex und sacramentum", in dem ich, anknüpfend an H. Grundmanns Besprechung von 1941, glaube, den im Hochmittelalter auch sakramentalen Charakter von honor nachgewiesen zu haben. Dieser Vortrag wird erscheinen in: Misc. Mediaevalia 6. Vgl. G. Ladner: Das heilige Reich des mittelalterlichen Westens. In: Welt als Geschichte 11 (1951) 143—153, bes. 148.
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delegiert (abgeleitet) ist und daß es den gemeinsamen Zielen der Christenheit entspricht, wenn die Könige der ,auctoritas' des Kaisers folgen"67, was auch in dem bekannten Schreiben Heinrichs II. von England an Barbarossa von 1157 zum Ausdruck kommt68, so entschwindet doch eben für das Kaisertum im Zuge der oben angedeuteten Verwelth'chung das singuläre Moment singulärer „auctoritas", das ihm das ,,prae" gegenüber den „reges" insbesondere Westeuropas, die sich allein vergleichen lassen, sichert. Nehmen wir noch (rekurrierend auf die eingangs erwähnte normative Kraft des Faktischen) die Entwicklung im Imperium nach dem plötzlichen Tod Kaiser Heinrichs VI. 1197 hinzu, so haben wir die Situation, die Walther von der Vogelweide seine Klage entlockte und seine Mahnung an den Staufer Philipp, dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten, die „reguli" Europas, die westeuropäischen Könige also, hinter sich treten zu lassen — eine Mahnung also zum „restaurare". Wir haben nun nach langer, aber wohl notwendiger Vorbetrachtung eben die Lage, vor die sich der junge Staufer Friedrich II., der im Mittelpunkt unserer Betrachtung über die Entwicklung des Verhältnisses von universalem Kaisertum und nationalem Königtum stehen soll, bei Beginn seiner Regierung gestellt sah69.
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R. Holtzmann, a. a. O., (Anm. 16) S. 256. Vgl. auch Otto von Freising: Gesta Friderici I. prol. II, 3,10, 26. In: Monum. Germ. Hist., Scriptores rer. Germ. Bd. 40. 1912. Rahewin von Freising: Gesta Friderici III, 16, ebd. Neuerdings wird diese Anschauung sehr in Frage gestellt durch H. Löwe, a. a. O., (Anm. 37) S. 629ff. und besonders durch K. F. Werner: Das hochmittelalterliche Imperium im Bewußtsein Frankreichs (10.—17. Jh.). In: Hist. Zeitschr. 200 (1965) 1—60. So sehr beider Einzelbeobachtungen gerade hinsichtlich der westeurop. Länder und hier wiederum besonders Frankreichs, für das ja insbesondere Werner eine Vorliebe hegt, weiterführen und das Bild differenzierter und bunter im Sinne einer „Staatengemeinschaft" erscheinen lassen, so messen sie doch m. E. den jeweiligen „nationalen" Stimmen zu viel Bedeutung zu. Historiker sind immer wieder — die berühmte Kontroverse um die Kaiserkrönung Karls des Großen ist das beste Beispiel — geneigt, die normative Kraft des Faktischen zu unterschätzen, d. h. theoretische Betrachtungen von der realen Machtlage zu abstrahieren. Ich möchte daher für das 10. und 11. Jh. das Bild insbesondere Werners doch etwas zugunsten eines „prae" des Kaisers modifiziert wissen. 88 Rahewin, a. a. O., (Anm. 67) S. 172: „imperandi — auctoritas — voluntas — obsequendi". Vgl. P. E. Schramm, Engl. Königtum, a. a. O., (Anm. 53) S. 53, S. 256; Grünewald, a. a. O., (Anm. 18) S. 268ff. über die europ. Geltung des Kaisertums, besonders eben bei den englischen Geschichtsschreibern (zur Stelle richtig S. 292f.). Grünewalds S. 296 ff. ausgesprochenen Grundauffassungen können wir im ganzen zustimmen. 89 Zu Friedrich II. neben den für die früheren Jahre (bis 1233) heranzuziehenden Jahrbüchern Kaiser Friedrichs II. von E. Winkelmann, Leipzig 1889—97. Unveränd. Neudr. Wiss. Buchges. Darmstadt 1963. noch immer maßgebend: E. Kantorowicz: Kaiser Friedrich II. Textband. Berlin 1927. Ergänzungsband 1931. und die zum Teil recht verstreuten Einzeluntersuchungen K. Hampes. Eine Übersicht über nach
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Nach dem Tode von Vater (1197, Sept. 28) und Mutter (1198, Nov. 28) kam der kleine, im Dezember 1196 von den deutschen Fürsten zum deutschen König gewählte vierjährige Friedrich, nun Vollwaise, als Mündel gemäß väterlichem und mütterlichem Wunsch unter die Obhut des Mannes, der zwar einerseits Gewähr zu bieten schien für eine gewisse Stetigkeit, der aber andererseits der natürliche Gegner des „sacrum Imperium" der Staufer sein mußte: Papst Innozenz III. Innozenz, hervorragender Jurist vor allem und einst Schüler jenes berühmten Kanonisten Huguccio von Pisa, der gesagt hatte „credo, quod ex electione populi et principum sit imperator" und „ante enim fuit imperator quam papa, ante Imperium quam papatus" und „neutrum pendet ex altero", wandelte nicht in den Fußstapfen seines Lehrers, sondern begann nicht nur territorial dem Papsttum in Mittelitalien eine neue Grundlage zu geben, sondern beanspruchte auch im deutschen Thronstreit, ja darüber hinaus, das höchste Schiedsrichteramt. Freilich, seinen Mündel Friedrich vermochte er bis zu dessen Volljährigkeit im Dezember 1208 bei allem guten Willen nicht vor der Gewalt sizilischer und deutschblütiger Barone zu schützen. Auch hier ein sichtbarer Zwiespalt von Anspruch und Wirklichkeit. Der deutsche Thronstreit war von Anfang an kein „Internum". Obwohl die auf dem Kreuzzug befindlichen Reichsfürsten in Beirut ihren Treueid für den jungen Friedrich erneuerten und an Erzbischof Adolf von Köln die Mahnung richteten, eine Spaltung zu verhüten, schickte sich gerade letzterer, der schon den Erbreichsplan Heinrichs VI. maßgeblich verhindert hatte70, an, mit Hilfe des ihm verbundenen England eine stauferfeindliche Kandidatur zu begünstigen, zu der er beim englischen König Richard Löwenherz, der zudem seine Erfahrungen mit Kaiser Heinrich VI. noch nicht vergessen hatte, desto Kantorowicz wesentliche Forschungen gibt jetzt ,,Stupor mundi". Zur Geschichte Kaiser Friedrichs II. von Hohenstaufen. Hrsg. v. G. Wolf. In: Wege der Forschung, Bd. 101. Wiss. Buchges. Darmstadt 1966. Zu speziellen Fragen unseres Themas vor allem W. v. d. Steinen: Das Kaisertum Friedrichs II. nach den Anschauungen seiner Staatsbriefe. Leipzig 1922 und O. Vehse: Die amtliche Propaganda in der Staatskunst Kaiser Friedrichs II. In: Forschungen z. mittelalt, u. neueren Gesch. l (1929) passim und das oben bereits erwähnte Buch von H. J. Kirfel (Anm. 18). 70 Dazu noch immer: E. Perels: Der Erbreichsplan Kaiser Heinrichs VI. Berlin 1927; V. Pfaff: Kaiser Heinrichs VI. höchstes Angebot an die römische Kurie. Heidelberg 1927; ders.: Die Gesta Innozenz' III. und das Testament Heinrichs VI. In: Zeitschr. d. Savigny-Stift. f. Rechtsgesch., Kanon. Abt. 81 (1964) 78ff., bes. 116ff.; J. Haller: Heinrich VI. und die Römische Kirche. In: Mitt. d. Inst. f. österr. Gesch. 35 (1914) 648 ff. (unveränd. Neudruck Wissenschaftl. Buchgesellsch. Darmstadt 1962.) E. Jordan: In: Molanges F. Lot. Paris 1925; C. E. Perrin: Les nogociations de 1196 entre l'empereur Henri VI et le pape Celestin III. In: Melanges L. Halphen. Paris 1951. 565ff. Ich selbst hoffe, in absehbarer Zeit in dem größeren Zusammenhang der Untersuchung der Entwicklung des staufischen Erbreichsgedankens darauf zurückkommen zu können. MedV
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größere Bereitwilligkeit vorfand, weil das mit England verfeindete Frankreich schon seit 1187 seinerseits mit den Staufern verbündet war. Demgegenüber stand bald infolge der Verhältnisse die staufische Kandidatur Philipps von Schwaben, der nun Otto IV., dem Weifen, in altem Geschlechtergegensatz gegenüberstand. Das staufisch-kapetingische Bündnis wurde erneuert und die innerdeutsche Auseinandersetzung so mit der Rivalität England-Frankreich verbunden. Es kann als erwiesen gelten, daß für England wie für Frankreich jeweils die eigenen Interessen das eigentliche Motiv des Handelns waren. Am Ende dieses Kampfes stand die Schlacht von Bouvines vom 27. Juli 1214, in der der regierende Kaiser Otto IV. und seine englischen Verbündeten geschlagen wurden und der französische König siegte. An dieser entscheidenden Schlacht war der junge Friedrich nicht beteiligt. Der König von Frankreich schickte dem ihm verbündeten Staufer den Reichsadler, dessen Schwingen gebrochen waren, zu. Von Bouvines ging eine neue Epoche in der Geschichte des Verhältnisses von universalem Kaisertum deutscher Nation und nationalem Königtum aus, die ein Zeitgenosse als Eindruck zusammenfaßt: „Seitdem wurde der Name der Deutschen von den Welschen mißachtet"71. Das war es, was Friedrich II. nach seinem eigentlichen Herrschaftsantritt 1215 übernahm. An Macht konnte er sich in Wirklichkeit zu diesem Zeitpunkt weder mit dem König von England noch erst recht mit dem von Frankreich messen. Das ,,regnum Teutonicum" und mittelbar das ihm verbundene Kaisertum war nur noch ein Schatten. Überflüssig zu erwähnen, daß eine Restauration der Zustände der Ottonen- und Salierzeit sich von selbst verbot72, zumal auch die staatstheoretische Untermauerung insbesondere in Frankreich im Anschluß an die Äußerung Innozenz' III. gegenüber dem Grafen von Montpellier über den König von Frankreich aus dem Jahre 1202: „. . . cum rex ipse seperiorem in temporalibus minime recognoscat"73 begann und zu der klassischen Formulierung des Alanus von Lilie (um 1208) sich verdichtete: „Unusquisque (rex) enim tantum iuris habet in regno suo, quantum imperator in imperio"74. Von da war es dann nicht mehr weit zu der staatsrechtlichen Formel „Rex imperator in regno suo"75. 71
Chronica Montis Sereni in: Monum. Germ. Hist., Scriptores XXII, 186, 5: „Ex quo tempore nomen Teutonicorum satis constat apud Gallicos viluisse." Vgl. auch A. Cartellieri:Die Schlacht von Bouvines im Rahmen der europ. Politik. Leipzig 1914. S. 17, S. 22 f.; A. Brackmann: Kaiser Friedrich II. In: Stupor mundi, a. a. O., (Anm. 69) S. 184 bezeichnet Bouvines als „den ersten Sieg des europäischen Staatensystems über das mittelalterliche Imperium." 72 Vgl. aber den Versuch, den dänischen König Waldemar zur Lehnsabhängigkeit zu bringen. (Mon. Germ. Hist., Const. II. Nr. 101.) 73 Potthast: Regesta Pontificium Romanorum. Berlin 1874f. Nr. 1794. 74 Vgl. Mochi-Onory, a. a. O., (Anm. 18) S. 162, 165 und oft. Vgl. auch H. Löwe, a. a. O., (Anm. 37) S. 533 u. a.
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Sein Kaisertum stellte Friedrich II. in die Spannung zwischen dieser Wirklichkeit und dem Anspruch des staufischen „sacrum imperium", den er steigernd aufnahm, hinein76. Von kaum einem Kaiser des Mittelalters haben wir so viele Zeugnisse, auch, insoweit man davon reden kann, Selbstzeugnisse, über die herrscherliche Auffassung. Friedrich hat es seit eh und je, von Kindheit an, ernst genommen mit seinem Herrschertum, stets fühlte er sich als der Gesalbte des Herrn, der Auserwählte Gottes. Wir haben keinen Anlaß, daran zu zweifehl, daß es Friedrich damit ernst war; auch sein Verhalten gegenüber Rebellen gegen die Majestät und die — gleichsam als Rebellen gegen Gott und damit auch gegen den Kaiser zu sehenden — Ketzer beweist das77. Er ist Gott unmittelbar verantwortlich, ,,vicarius Dei", „vicarius Christi", „cooperator Dei", „divus", ,,lex animata", „famulus Dei", Friedensfürst, Gottgezeugter, den Elementen gebietend, Mittler, Christus vergleichbar, Herr der „aurea aetas", „homo" und „imago Dei", „minister Domini", „rex novus", „rex iustitiae", „summum movens", „alter David", „dominus mundi"78. Alle diese Bekundungen finden wir in Friedrichs großen, an die Welt gerichteten Manifesten, stets sich steigernde — besonders seit seiner Jerusalemischen Krönung vom März 1229 — Epitheta, deren jedes einzelne nicht nur an die alten Kaiseraussagen gemahnt, sondern über sie hinausführt. In der Tat: hier wird im Anspruch nach den Sternen gegriffen, es war letztlich die Vergottung des Staatlich-Sakralen als des Heilsinstituts, das Gott als ordnende Macht in der Person des Kaisers nach Adams Fall und seinen Folgen der Menschheit gegeben hatte. Vergleicht man derartige Aussagen und Ansprüche, an deren universaler Geltung nicht zu zweifeln ist, mit den realen politischen Gegebenheiten als „modernrealistisch" denkender Mensch des 20. Jahrhunderts, so wird uns jenes 13. Jahrhundert lächerlich oder unverständlich wie kaum das 10. Jahrhundert, allem Gerede über die „Modernität" des 13. Jahrhunderts zum Trotz79. Aber für jene Zeit und ihre Vorstellungswelt war auch das, was uns in den Manifesten Friedrichs in heute fast 75
Dazu noch F. Calasso: I glossatori e la teoria della sovranitä. 3. Aufl. Milano 1957; ders.: Origini italiane della formola „rex in regno suo est imperator". In: Riv. stör. dir. ital. 3 (1930) 247 ff. 7 « Kirfel, a. a. O., (Anm. 2) S. 145ff.; v. d. Steinen, a. a. O., (Anm. 69) S. 63 und oft; vor allem aber allenthalben: E. Kantorowicz: Kaiser Friedrich II. a. a. O., (Anm. 69). 77 Kantorowicz: Ergänzungsband, a. a. O., (Anm. 69) S. 109L; Gabrieli: Friedrich II. und die Kultur des Islam. In: Stupor mundi, a. a. O., (Anm. 69) S. 274; Giunta: Die Politik Friedrichs II. gegen die Ketzer. Ebd., S. 287ff., bes. S. 291. 78 Vgl. die einzelnen Nachweise bei Kantorowicz, Ergbd. a. a. O., (Anm. 69) und die neueren Beiträge im Sammelband Stupor mundi, a. a. O., (Anm. 69). 79 Dazu H. M. Schaller: Kaiser Friedrich II., Verwandler der Welt. Göttingen 1964. bes. S. 84ff. 17*
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blasphemisch anmutender Weise entgegentritt, wirklich, wahr, Realität. Freilich, gegenüber den Königen insbesondere Westeuropas, die längst schon, wie wir sahen, souverän waren, wäre es töricht gewesen, sich als „dominus mundi" im alten Sinne zu bezeichnen80 (selbst wenn man sich als solchen wußte), ihren Widerstand gegen das universale Kaisertum zu lenken in einer Zeit, in der der monistischuniversale Herrschaftsanspruch der Päpste sich langsam gegen jegliche andere Souveränität auszuwirken begann. Das bedeutete, daß nicht mehr nur die Auseinandersetzung zwischen Papsttum und Kaisertum stattfand, sondern auf das Herrschertum jeglicher Art, vor allem der westeuropäischen Königreiche, sich ausdehnte. Sie betraf also nicht mehr nur einen Herrscher, sondern alle Herrscher als solche81. Das hat Friedrich klar erkannt und sich zunutze gemacht. Indem er auf den bekannten Satz des römischen Rechtes „Quod omnes tangit, ab omnibus iudicetur"82 zurückgriff, wurde er einmal zum ersten eigentlichen Initiator des Konziliarismus83, zum anderen zum Vorkämpfer der neuen Idee des „corpus principum secularium"**. Im Zusammenhang unseres Themas interessiert allein das letztere. In dem gewaltigen Manifest Levate in circuitu vom 20. April 1239 läßt sich m. E. der Rückgriff auf den oben zitierten römischen Rechtssatz am unmittelbarsten nachweisen, wenn der Kaiser schreibt: „honor omnium tangitur, quicumque de corpore principum secular ium offendatur"86. Immer wieder, vorzüglich seit den dreißiger Jahren des 13. Jahrhunderts, betont der Kaiser die Gemeinschaft der weltlichen Fürsten86 und ihre gemeinsamen Interessen „Ad domos vestras cum aqua concurrite, dum ignis accenditur in vicinis" (1239)87, „honor et desiderium commune regnantium super potentiam dominorum protervitas con80
Vehse, a. a. O., (Anm. 69). S. 180. Vgl. auch M. David: Le serment du sacre du IX s au XV* siecle. Contribution ä l'ötude des finites juridiques de la souveraineto. 2 Bde. Strasbourg 1951; ders.: La souveraineto et les limites juridiques du pomoir monarchique du IX e au XV* siecle. Paris 1954; Marongiu: Ein „Modellstaat im italienischen Mittelalter". In: Stupor mundi, a. a. O., (Anm. 69) S. 751 ff. bes. 764f. 81 Vehse, a. a. O., (Anm. 69) S. 176ff. 82
Vgl. etwa C. 5, 59. 5, 2. Darüber demnächst G.Wolf: Kaiser Friedrich II. und die Anfänge des Konziliarismus. Einstweilen B. Tierney: Foundations of the Conciliar Theory. Cambridge 1955. S. 77ff. Abgedruckt in Übersetzung in: Stupor mundi, a. a. O., (Anm. 69) S. 455ff. 84 Vehse, a. a. O., (Anm. 69) S. 48ff.; v. d. Steinen, a. a. O., (Anm. 69) S. 47, 49ff., 61ff., 55 und oft. Kantorowicz, a. a. O., (Anm. 69) S. 514ff., Ergbd. S. 218f.; Kirfel, a. a. O., (Anm. 2) S. 145ff., bes. S. 191ff., der allerdings in der Sicht der Dinge etwas schwankt. Vehse, v. d. Steinen, Kantorowicz und Kirfel sind jedenfalls für meine folgenden Ausführungen, auch wo dies nicht jedesmal vermerkt ist, stets heranzuziehen. 85 Mon. Germ. Hist., Const. II. Nr. 215. S. 299, 8 — 1239. April 20. oe Dazu Kirfel, a. a. O., (Anm. 2), Kantorowicz, Ergbd., a. a. O., (Anm. 69) S. 218f. 87 Mon. Germ. Hist., Const. II. Nr. 215. S. 298,14. 83
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culcetur" (1240)88, „Habemus enim omnes reges orbis et principes . . . odium publicum . . ." (1248)89, ,,Sed sie in negocio ipso iura nostra defendimus, ut non solum nobis, sed vobis et principibus aliis gloriam de nostra defensione portemus" (1250)90. Man könnte die Zahl der Belegstellen noch um viele vermehren91. Nun ist freilich die Anschauung, daß Herrscher zur Erhaltung des inneren Friedens und gegebenenfalls zur Wahrung auch kirchlicher Interessen einander zur Hilfe verpflichtet seien, nicht neu92. Schon in karolingischer, ottonischer und salischer Zeit läßt sie sich belegen, und auch bei Papst HonoriusIII.wie bei FriedrichII. selbst findet sich dieser Gedanke. Er ist freilich etwas anderes als das, was wir im Anschluß an den Rechtssatz „Quod omnes tangit. . ." zu beobachten begonnen haben. Die moralische Verpflichtung der Herrscher zu gegenseitiger Hilfe, oft in Verbindung mit einem Appell an verwandtschaftliche Beziehungen, ist alt. Sie taucht auch gelegentlich bei Friedrich II. auf, ist hier allerdings nicht von primärem Gewicht93. Neu ist hingegen bei Friedrich der Gedanke der ausgesprochenen Standeskorporation der „regnantes", die konstituiert ist durch gemeinsamen Ursprung und gemeinsame Aufgabe94. Damit aber sind wir beim Kernsatz von Friedrichs Staatsanschauung überhaupt: „. . . sicque ipsa rerum necessitate cogente95 nee minus 88
Huillard-Breholles ( -B): Historia diplomatica Friderici II. 6 Bde. Paris 1852 ff. V, 1052 — 1240, Oct. ·— an den König von Frankreich. 8 » -B, a. a. O., VI, 685 —1248 ex. — an den Kaiser von Nicäa. 90 -B, a. a. O., VI, 770 —1250, Mai/Juni — an den König von Kastüien. 91 Vgl. v. d. Steinen, a. a. O., (Anm. 69) S. 49ff. und S. 51ff.; Vehse, a. a. O., (Anm. 69) bes. S. 175ff. und die dortige Übersicht S. 239ff. 92 Vgl. Th. Mommsen: Studien zum Ideengehalt der deutsch. Außenpolitik im Zeitalter der Ottonen und Salier. Diss. Berlin 1930. S. 43ff.; Kantorowicz, Ergbd., a. a. O., (Anm. 69) S. 218f.; Werner, a. a. O., (Anm. 67) passim. Dieses Moment erscheint mir bei Kirfel überbetont. 93 Dafür, daß oft nicht nur wirkliche Verwandtschaft im heutigen Sinne damit gemeint war: F. Dölger: Die Familie der Könige im Mittelalter. In: Hist. Jahrb. 60 (1940) 397ff., wo im Hinblick auf Byzanz die Abstufung in der verwandtschaftlichen Anrede als rechtlich fixiert und als auf ptolemäische und letztlich altpersische Vorbilder zurückgehend nachgewiesen wird. Es ist kein Zweifel, daß auch etwa bei Konrad III. und Friedrich II. das bekannte byzantinische System aufgegriffen wurde und Rückschlüsse auf die Rechtsstellung anderer Souveräne in jeweils eigener Hinsicht zuläßt. Für frühere Zeit — Otto III. vgl. R. Holtzmann, a. a. O., (Anm. 18) S. 258f. für Friedrich II. Kantorowicz, Ergbd., a. a. O., (Anm. 69) S. 221. 84 Vgl. Vehse, a. a. O., (Anm. 69) S. 188; v. d. Steinen, a. a. O., (Anm. 69) S. 54ff. 95 Über diese necessitas vor allem Kantorowicz, Ergbd., a. a. O., (Anm. 69) S. 96ff., S. 99ff., S. 102ff. und passim. Der Begriff der necessitas, antikem Sprachgebrauch entstammend, findet sich in ähnlicher Bedeutung auch bei Dante, De monarchia I, 12 und — cum grano salis — bei Machiavelli. Vgl. P. G. Post, a. a. O., (Anm. 65) bes. S. 20 ff. und S. 83 ff. Vgl. auch demnächst G. Wolf: Kaiser Friedrich II. und das Recht. Es ist einleuchtend, daß die Idee der „Staatsraison" im weitesten Sinne ebensowenig \vie das römische Recht auch im Mittelalter völlig tot war.
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divine provisionis instinctu principes gentium sunt creati", wie es im Proöniium des sizilischen Gesetzbuches zu lesen ist. Dieser Satz enthält eine Doppelaussage über die Begründung des Staates: einmal in gewohnter Weise, aber hier bezeichnend genug erst an zweiter Stelle genannt, die ,,divina provisio", also Gott; zum zweiten aber, hier zuerst genannt, die ,,ipsa rerum necessitas cogens", die zwingende Notwendigkeit also, die den Dingen innewohnt. Diesem Doppelursprung entspricht der Doppelsinn des Prädikats „creati sunt": „geschaffen worden" und „gewählt worden". Kaum etwas ist besser geeignet die Ambiguität von Friedrichs Vorstellungen zu illustrieren als dieser Satz96. Gleichviel aber: die „principes" sind von Gottes Gnaden und kraft der Naturnotwendigkeit, um dem Sinn der „res" gerecht zu werden. Der Staat hat also demnach (begründet wiederum auf dem römischen Recht — Gaius: Institutiones I. 2, 2 — und aristotelischen Gedankengängen) eine Grundlage auch in sich selbst, der „status regni aut regis" ist „sacer", ein Anschlag oder eine Widersätzlichkeit schlechthin ein „sacrilegium". Das aber ist der gemeinsame Grund: durch den Sündenfall ist die Welt so wie sie ist. Um also die Selbst Vernichtung des Menschengeschlechtes zu hindern, sind Fürsten gesetzt. Die Fürsten, die „regnantes", sind also notwendig, man kann fast sagen: heilsnotwendig97. In der Tat — und das verdient im Hinblick auf unser Thema festgehalten zu werden — alle Fürsten. Eben das aber schweißt sie nach Friedrichs Anschauung zusammen zum „corpus principum secularium". Daher ist seiner Ansicht nach auch ein Widerstand oder eine Auflehnung gegen ein Mitglied dieses „corpus" etwas, „quod omnes similiter tangit", was aber auch ein Paktieren mit eben diesen Rebellen ausschließt. Rebellion ist nachweisbar das erste „Quod omnes tangit"98. Schon 1223 schließt Friedrich au pair mit dem französischen König einen Vertrag, in dem festgelegt wird, daß Friedrich und Ludwig VIII. gegenseitig Rebellen nicht aufnehmen noch in irgendeiner Weise unterstützen99. Und es ist auch nicht von ungefähr, daß die eigentlichen Solidaritätsschreiben mit dem erneuten Ausbruch der Lombardenfrage 96
Dazu Kantorowicz, Ergbd., a. a. O., (Anm. 69) S. 96ff. und die daran anschließende Kontroverse mit A. Brackmann, vgl. jetzt in Stupor mundi, a. a. O., (Anm. 69). Über Friedrich II. und sein Verhältnis zur aristotelischen und arabischen Philosophie M. Grabmann: Friedrich II. und die aristotelische und arabische Philosophie. In: Stupor mundi, a. a. O., S. 134ff. Über Friedrichs insbesondere geistiges Verhältnis zum Judentum G. Wolf, ebd., S. 774ff. 97 Kantorowicz, Ergbd., a. a. O., (Anm. 69) S. 98: „Der Staat wird zum Heilsgut." 98 So auch Kantorowicz, Ergbd., a. a. O., (Anm. 69) S. 218. 99 1223, Nov. (Mon. Germ. Hist., Const. II, 99), 1227, Aug. (Const. II, 115), 1232, Mai (Vertrag von Pordenone, Const. II, 174).
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etwa 1236 beginnen100, Friedrich Gesandte „omnium regum occidentalium partium" auf dem Hof tag von Piazenza erwartet, um Maßnahmen gegen die Rebellen zu treffen „ad quod nostrum precipue et totius Christiane universitatis presiduum iam non tantum utilüas, sed ipsa necessitas instanter invitat"101. Wiederum ist es die „necessitas"102, die zu gemeinsamem Handeln' geradezu zwingt. Tatsächlich haben die Fürsten Europas und anderer Länder, trotz des Scheiterns des für den Johannistag 1237 geplanten Fürstentreffens zu Vaucouleurs103, Friedrich auch Hilfe zuteil werden lassen, wenngleich diese nie bedeutend war104. Eng und kausal mit dem ersten verbunden ist das zweite „Quod omnes tangit" für die „regnantes": der Streit mit dem Papst. „Romane sedis antistes . . . se ducem et principem nostrorum rebellium stabiliret"105 und „Causam motus pontificalis attendite: quod hec in favorem nostrorum rebellium procurantur"106. Der Papst als „fautor rebellium" wird zum Antipoden der Gesamtheit der „regnantes", denen Friedrich auch schreibt: „Similia vobis in vestris imminere pericula timeatis"107. Und noch allgemeiner bald und an die Wurzel dessen rührend, was wir oben als den die weltlichen Herrscher bedrohenden Supremat der Kirche erwähnt haben: „Habemus enim omnes reges orbis et principes, presertim orthodoxe religionis zelatores, odium publicum et commune cum prelatis et cum Ecclesie nostre primatibus speciale dissidium sed occultum. Illi quidem pestifere libertatis abusum ambiunt. . ."108. 100
Die auf Römer 13 und Augustinus, De civ. Dei 19, 5. 5, l gegründete Gleichsetzung von Rebellion und Sakrileg bzw. Häresie ist alt. Sie findet sich im Mittelalter z, B. bei Petrus Crassus c. 6 (Mon. Germ. Hist., Libelli de Cite I, S. 444ff.) und Wenrich von Trier c. 4 (ebenda I, S. 289). 101 Const. II. Nr. 200. (1236, Mai) S. 268, 13. 102 Ygj_ Anm. 92. Vgl. auch Markus-Evangelium 2, 25. 26 und Gratian: PseudoIsidor. Canon. De cons. Dist. l c. 11 „quoniam necessitas non habet legem". los Vgl. Böhmer, Ficker, Winkelmann: Regesta Imperii. Nr. 2258a. Kantorowicz, Ergbd., a. a. O., (Anm. 69) S. 173, 185, 218ff. Vgl. auch in diesem Zusammenhang den Fürstentag von Konungshalla 1101; zu dessen Bedeutung Mitteis: Staat des hohen Mittelalters. 3. Aufl. Weimar 1948. S. 474; Matth. Paris, schreibt über die Themen von Vaucouleurs, a. a. O., (Anm. 121) ,, . . . de negociis arduis tarn Imperium quam alia regna contingentibus tractari", wobei ja im „contingentibus" wiederum das „quod omnes tangit" durchscheint. 104 Immerhin hat sogar der nicaanische Kaiser wohl Truppen geschickt. Vgl. Borsari: Friedrich II. und der byzantinische Osten. In: Stupor mundi, a. a. O., (Anm. 69) S. 234 f. 105 1240, Sept. 13 (Mon. Germ. Hist., Const. II. Nr. 233. S. 318, 34). 106 1239, Aprü 20 (Const. II. Nr. 215. S. 298, 24), vgl. aber auch -B, a. a. O., (Anm. 88) V, 1038 und oft. 107 Const. II. Nr. 215. 108 So z. B. die Liegen der französischen Barone seit 1235 bis etwa 1257. Dazu Matth. Paris. IV, 593: „credebatur haec a consensu Fretherici emanasse". Über den
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Wir haben es also — abgesehen von der Tartarengefahr als äußerer Bedrohung — mit einer dreifachen Solidaritätsgrundlage der weltlichen Herrscher zu tun: 1. gegen die Rebellen, 2. gegen den Papst, der mit diesen gemeinsame Sache macht, 3. gegen die Kirche selbst schließlich, insoweit sie sich damit identifiziert. Es kann nicht verwundern, daß Friedrich mit diesen seinen Auffassungen und Aufrufen zur Solidarität des „corpus principum secularium" ein gewisser Erfolg beschieden war, wenn auch weniger bei den Königen selbst als in der öffentlichen Meinung Englands und Frankreichs vor allem, wo ja seine Begründungen noch im Kampf Philipps des Schönen mit dem Papsttum verwendet wurden109. So scheint es nach unseren bisherigen Betrachtungen, als habe sich Friedrich als „par inter pares regnantes" eingeordnet, als habe er sich als „rex inter reges" begriffen, als partikularer Herrscher unter partikularen Herrschern. Das würde freilich schwerlich zu jenen Selbstaussagen passen, die wir oben, wenn auch nur summarisch, angeführt haben. Und in der Tat fühlte sich Friedrich zu keiner Zeit als ,,par inter pares", eher schon als „primus inter pares", genauer: als Prototyp des Herrschers schlechthin. Sein Kampf gegen die Rebellen, gegen den sie unterstützenden Papst, die Abwehr der Tartaren usw. sind typisch in dem Sinne von stellvertretend, beispielhaft für die übrigen „regnantes". Sehr deutlich wird dieses Bild des Vor-Kämpfers, wenn Friedrich im Manifest Levate in circuitu ausführt: „Facilis etenim aliorum omnium regum et principum humiliatio creditur, si cesaris Romani potencia, cuius clipeus prima iacula sustinet, conteratur"110. Immer wieder taucht die Wendung auf: wenn schon der Kaiser — dann erst recht die „singuli reges". Er ist nicht einer von vielen, sondern eben der Kaiser. „Dominus omnipotens . . . de speciali gratia pietatis sue
Einfluß des Manifestes „Illos felices" auf das Manifest (BFW 11497, Matth. Paris. IV, 592) der französischen Barone vom November 1246: BFW 7722, H-B VI, 483, Epp. pont. II Nr. 203. Über den Einfluß in England: Matth. Paris. IV, 614 und 560, wo „fretherizare" als Modewort geradezu ein typisches Verhalten bedeutet. Auch erkennt nach wie vor Ludwig von Frankreich trotz Bannsentenz Friedrich als Kaiser an. (H-B VI, 501) und Thaddäus von Suessa erreicht ja bekanntlich auf dem Konzil von Lyon 1245 den Aufschub der Sentenz gerade mit englischer und französischer Hilfe. Auch interveniert Ludwig IX. zugunsten Friedrichs beim Papst (Matth. Paris. VI, 99—112). Dazu auch Vehse, H. Wieruszowski und Kantorowicz passim. 109 \7gj o. Vehse: Die amtliche Propaganda in der Staatskunst Kaiser Friedrichs II. In: Forschungen z. mittelalt, u. neueren Gesch. l (1929) 190ff. Siehe auch vorhergehende Anmerkung. 110 Const. II. Nr. 215; ähnlich H-B VI, 770, 14 (1250 Mai, Juni) an den König von Castilien: „Quis enim cautele modus in vobis et regibus aliis in casu simili remaneret, si causam ipsam Romanus Augustus desereret."
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inter orbis principes nos mirabiliter exaltavit"111. Auch seine Affinität zur Spitze der Kirche ist singular: „Nobis tarnen j>re ceteris mundi principibus deffectus est talis summi pontificis merito deplorandus, qui veluti sibi viciniores loco et propinquiores officio honores congerimus et onera persentimus". Erinnern wir uns nun der Theorien der Zeit, die wir oben angeführt haben und die in ihrer Mehrheit die „fictio iuris" beinhalten, daß zwar de facto die übrigen Könige souverän seien, de iure aber der „auctoritas" des „Imperium Romanum" unterworfen112, so will uns scheinen, als ob Friedrich im Verlaufe seiner Herrschaftszeit gegenüber den Zuständen zur Zeit von Walthers Klage und der Schlacht von Bouvines einiges erreicht habe, was das Gewicht des „Imperium" wieder stärker werden ließ, freilich nicht in dem Sinne lehnsrechtlicher Abhängigkeit der „regna" vom „Imperium"113. Es ist hier schwierig, aber doch reizvoll, danach zu fragen, wie das rechtliche Verhältnis, dieses „prae"114 des Kaisers gegenüber den nationalen Königen in der langsam alle Rechtsverhältnisse überlagernden römischrechtlichen Begrifflichkeit, deren enorme Bedeutung wir ja auch im Laufe unserer Ausführungen schon mehrfach feststellen konnten, zu fassen ist. Wir haben oben gesehen, wie immer wieder vom „corpus principum secularium", der Korporation gewissermaßen der weltlichen Fürsten, die Rede ist. Nun wissen wir, daß nach der Zeit Innozenz' III. die „corporate representation", wie Gaines Post sie nennt, durch „actores plena potestate" ständig zunahm, und Post sagt weiter: „Nor can it be entirely an accident that the first secular ruler definitely known to have summoned proctors with mandates or powers was Frederick II."115. Es ist kein Zweifel, daß das Rechtsinstitut der „procuratores" oder „syndici" (auch „defensores" oder „actores")116, ausgestattet mit „plena potestas", allgemein bekannt war: Richard I. von England 1215 an Innozenz III., Heinrich III. 1230 an Ludwig IX. von Frankreich schicken „procuratores plena potestate", Philipp von Schwaben 1208 an Innozenz III.117, Friedrich II. oft118. Es ist ein altes römisches 111
Const. II Nr. 215. Siehe oben S. 255f. Vgl. auch Grünewald, a. a. O., (Anm. 18) S. 209 (zu Matth. Paris. XXVIII, 180), wo allerdings auch über die Besonderheit Frankreichs gehandelt ist. 113 Dazu vor allem R. Holtzmann, a. a. O., (Anm. 18) und Kirfel, a. a. O., (Anm. 2) S. 145ff., bes. S. 288ff. Anders sieht die Dinge ja K. F. Werner, a. a. O., (Anm. 67), indem er einen Wandel der Anschauungen ablehnt. 114 BF 1698: „Imperium prae regibus orbis terrae sublime constituit." 115 G. Post: Studies, a. a. O., (Anm. 18) S. 88. 116 C. 2, 12, 10. 117 Const. II. Nr. 14. S. 17f. 118 Z. B. 1244 für Raymund von Toulouse, Petrus von Vinea und Thaddaeus von Suessa (Matth. Paris. IV, 331 „specialem ad plenam potestatem"). 112
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Rechtsinstitut119, vor allem in Italien wieder aufgelebt und erörtert von Placentinus, von Azo in seiner Summa codicis von 1209 und von vielen anderen120: „procurator" oder ,,syndicus" einer Korporation. Genauso aber läßt zum Jahre 1240 Matthäus Parisiensis Friedrich selbst sich im Verhältnis zu den Königen und Fürsten bezeichnen: „Reges orbis et principes, quorum etiam causam, eorum factus sindicus, foveo . . ,"121. Dieser Begriff des „sindicus corporis principum secularium", nicht zufällig hier in enger Verbindung mit der römischen Rechtsformel des „causam fovere" und durch diese als präzise gekennzeichnet122, scheint uns einmal dem Selbstverständnis Friedrichs im Hinblick auf seine Stellung zu den weltlichen Fürsten einigermaßen zu entsprechen, vor allem aber zeigt uns die Belegstelle, wie die Zeitgenossen den Kaiser begreifen konnten. Dabei handelt es sich ja auch nicht um einen beliebigen Zeitgenossen, sondern um Matthäus Parisiensis, der ausgezeichnet ist „vornehmlich durch sein ausgedehntes Wissen, seine Objektivität und sein reifes Urteil"123, angesprochen auch von seinem besten Kenner: „one of the fullest and most elaborate of all medieval chronicles"124, einen Mann aber auch, der „seems to have been fascinated by the character and career of the Emperor Frederick II."125. Wir haben also allen Grund, unserer Belegstelle Wert beizumessen. Rekurrieren wir jetzt auf jenen zentralen Satz „. . . sicque ipsa rerum necessitate cogente nee minus divine provisionis instinctu principes gentium sunt creati", so gilt mutatis mutandis also auch für den Kaiser eben als Prototyp des „princeps", daß er „de speciali gratia pietatis" Gottes „pre ceteris principibus exaltatus" ist. Insoweit greift Friedrich II. durchaus in seinem Verhältnis zu den nationalen Königen im Ideebereich auf frühere Vorstellungen zurück; auch für ihn ist noch das „Imperium Romanum" „velut ad predicationem euvangelii preparatum"126, ist es das „singulare Imperium", 119
Vgl. Buchland: Textbook of Roman Law. 1932. S. 161—166: „ . . . each consors was entitled to the whole, subject to the claims of the others; but all the consorts might arrange that one should act for them." 120 G. Post: Studies, a. a. O., (Anm. 18) S. 64. 121 Chronica maior. In: Monum. Germ. Hist., Scriptores XXVIII, 202, 16. zu 1240. Dazu Grünewald, a. a. O., (Anm. 18). 122 Vgl. auch Realencyclopädie III (1897) 1809f.; V. A. Georgescu: Le mot „causa" dans le latin juridique. 1936; zu fovere: 1. 9 C. 4, 54; 2. 48; 1. 2 C. 1, 3. 123 van Caenegem-Ganshof: Kurze Quellenkunde des westeuropäischen Mittelalters. (Deutsche Übers.) Göttingen 1964. S. 17. 124 R. Vaugham: Matthew Paris. In: Cambridge studies in medieval life and thought 6 (1958) 11. Über Matthäus' Beziehungen zum englischen Hof ebd. S. 3ff. Zu sonstigen wesentlichen Informationsquellen ebd. S. 13f. 125 Vaugham, ebd., S. 147f.; vgl. auch Grünewald, a. a. O., (Anm. 18) S. 205ff. 126 Vgl. den bei Matth. Paris., a. a. O., (Anm. 121) S. 210, 5 (zu 1241, Juli) anläßlich der Tatarengefahr zitierten Brief, wo es heißt: „ . . . Romanum Imperium, velut ad
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auch für ihn ist der römische Caesar der eigentliche „dominus mundi" im Gegensatz zu den „singuli reges." Dennoch deckte sich dieser Anspruch nach 1198 und 1214 weniger als je mit der Wirklichkeit der Machtverhältnisse, die den Kaiser und etwa den französischen König bestenfalls gleichstellte. Hier schlägt nun — und das ist das Novum — Friedrichs Vorstellung und Selbstverständnis als „sindicus corporis principum secularium", gegründet auf das haltbarste aller denkbaren Fundamente solange es nur Menschen gibt, das des gemeinsamen Interesses127, die Brücke zwischen Realität und Anspruch. Das aber ist durchaus eine neue Art und Möglichkeit, die Weltmonarchie angesichts der weitgehenden Selbständigkeit der einzelnen Könige einerseits und der allenthalben einsetzenden Loslösung des weltlichen Staates von der Kirche andererseits zu erhalten. Dadurch hat Friedrich, wie auch gegenüber den deutschen Fürsten und den Stadtrömern, indem er gegen die vorherrschenden Strömungen nicht ankämpfte, sondern sie nutzte, auch im Hinblick auf die nationalen Bestrebungen die Spitzen abgebrochen, die gegen das universale Weltkaisertum, an dem er festhielt, gerichtet waren128. Freilich, mehr als in der Vergangenheit je einen Kaiser zwang ihn diese Entwicklung, nur noch Kaiser zu sein, nur noch imperial zu denken129. So erklärt sich auch sein Verhalten gegenüber Deutschland, dessen scheinbare Vernachlässigung man in der älteren deutschen Geschichtsschreibung ihm glaubte zur Last legen zu müssen130. Friedrich war kein deutscher König mehr mit deutschen Interessen und konnte das auch nicht sein: es hätte im Zeitalter der aufkommenden Nationalstaaten und des beginnenden europäischen Staatensystems eine Verstrickung in nationale Gegensätze, damit die Spaltung des „corpus principum secularium" und letztlich das Ende des unipredicacionem euvangeli preparatum", was ja sowohl an die oben Anm. 12 zitierte Hieronymus-Stelle erinnert, als auch eben noch für das 13. Jh. das Spezifikum des Imperium Romanum, das es über andere Herrschaftsbereiche heraushebt, erweist. 127 So expliziert ja in allen einschlägigen Belegstellen Friedrich den Rechtssatz des „quod omnes tangit". 128 Kantorowicz, a. a. O., (Anm. 69) S. 515. 128 So m. E. mit Recht Kantorowicz, a. a. O., (Anm. 69) S. 514. Anders Kirfel, a. a. O., (Anm. 2). 130 Noch in der 8. Aufl. des Gebhardt'schen Handbuches der deutschen Geschichte (1954) teilt H. Grundmann (S. 343) diese Meinung, ganz zu schweigen davon, daß diese Auffassung noch in allen gängigen Schulbüchern herrscht und so die Jugend bestimmt. Wir wissen aber seit den neueren großen Untersuchungen von Mitteis in: Zeitschrift d. Savigny-Stift. f. Rechtsgesch. Germ. Abt. 62 (1942)., Klingelhöfer in: Quellen und Studien z. Verfassungsgesch. des deutschen Reiches im Mittelalter und Neuzeit VIII, 2 (1955). und Schrader in: Zeitschr. d. Savigny-Stift. f. Rechtsgesch. Germ. Abt. 68 (1951) 354—396 und in Stupor mundi, a. a. O., (Anm. 69) S. 403ff. zu den Reichsgesetzen von 1220, 1232 und 1235, daß das Urteil, das Friedrich Vernachlässigung und schuldhafte Förderung der Territorialherrschaft, somit am „Verfall des Reiches" vorwarf, so nicht mehr haltbar ist.
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versalen Kaisertums bedeutet. Die eigene imperiale Neidlosigkeit131, das fast göttliche Sich-selbst-Genügen — wenn auch von Frankreichs und Englands Königen mit Mißtrauen vermerkt — wird immer wieder mit gutem Grund betont; dieses Moment aber war eigentlich das Ende des Deutschland-bezogenen Kaisertums; es verbot auch jegliche Art von Sonderbündnissen etwa mit England, das ein solches anbot. Dieses Moment aber war auch geeignet, beispielhaft zu wirken und andere Nationen ihre Gegensätze vor den gemeinsamen Fragen, vor dem, „Quod omnes tangit. . .", hintanstellen zu lassen. Fassen wir zusammen: Friedrich II., deutscher König als Kind schon, übernahm das Römische Imperium 1220 zu einer Zeit, als realiter dieses Imperium ein Schatten seiner selbst war und auch schon theoretisch seine Rechte in Zweifel gezogen, als erstarkende Nationen eine eigene Souveränitätstradition zu pflegen begannen und damit zentrifugal wurden. Es war eine Zeit, die dem Gedanken eines universalen Kaisertums kaum eine Chance mehr bot. Friedrich wäre aber nicht ein Staufer gewesen, wenn er sich damit einfach abgefunden hätte. Also mußte er versuchen, die Entwicklung umzuleiten, entweder durch Gewalt (wie Walther von der Vogelweide in dem eingangs zitierten Gedicht es wohl meint: durch ein Beanspruchen und Durchsetzen der Superiorität — die es aber, wie wir gesehen haben, im eigentlichen Sinne nie gegeben hatte), — dazu fehlten alle Voraussetzungen; oder es mußten neue Wege beschritten werden132, die neuen, durch die Wandlungen im Laufe des 12. Jahrhunderts bedingten Strömungen zu nutzen und so zu leiten, daß sie neues Wasser auf die Mühlen des weltbeherrschenden Imperators brachten. Friedrich ist letzteren Weg gegangen und hat damit irgendwie etwas vorweggenommen, was uns seit Machiavell unter der Bezeichnung „Staatsraison" begegnet133. Er hat jene u. a. von Dante, dessen 700. Geburtstages wir heuer als des zweiten Jubiläums im Bereich der mittelalterlichen Geistesgeschichte gedachten, aufgegriffene Aufgabe134 der Erhaltung des Weltfriedens und damit der Einheit 131
Etwa Böhmer-Ficker: Regesta imperii. Nr. 3600; Huillard-Breholles, a. a. O. (Anm. 88), VI, 685. 132 vgl. F. A. v. d. Heydte, a. a. O., (Anm. 18) S. 99: „Diese Wendung vom Treueanspruch zum Appell an die Solidarität war jedenfalls ein entscheidender Schritt auf dem Wege zu einem neuen politischen Weltbild." Kantorowicz, a. a. O., (Anm. 69) S. 622: „Das corpus saecularium principum unter Führung des Kaisers war durchaus eine Schöpfung Friedrichs II. und eine völlig neue Art, die Welt als eine Art Genossenschafts-Staat zu begreifen." 133 Vehse, a.a.O., (Anm. 69) S. 189; F. Meinecke: Die Idee der Staatsraison. München, Berlin 1924. S. 34; Schaller, a. a. O., (Anm. 79) S. 9ff.; Brackmann in: Stupor mundi, a. a. O., (Anm. 69) S. 181; G. Post in: Welt als Geschichte 21 (1961) 22f. 134 Zu Dantes Staatsauffassung unter vielen anderen: M. Seidlmayer: Dantes Reichs- und Staatsidee. Heidelberg 1952. H. Meyer: Geschichte der abendländischen Weltanschauung. Würzburg 1947—50. Bd. 3. S. 241 ff.
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eben der christlichen Monarchie des Kaisers dem universalen Kaisertum zugewiesen, das vor anderen und für andere stellvertretend handelte135. Zu sehr aber war diese große Konzeption Friedrichs auf seine große Persönlichkeit, seine „auctoritas", zugeschnitten, als daß die aufgezeigte Möglichkeit universaler Politik ihn selbst hätte überleben können. Sein Tod bedeutet de facto das Ende des Gedankens, der eigentlich das Mittelalter ausmacht: die Universalität der weltlichen ebenso wie der geistlichen Gewalt als der beiden einander zugeordneten und tragenden Säulen des ,,orbis Christianus". Nach diesem Ende 1250 hat auch das Papsttum in seiner universalen Rolle das Kaisertum nicht lange überlebt: Rache der Weltgeschichte, nachdem es zunächst alles getan, um das nationale Königtum gegen die Universalität des Kaisertums zu stärken. Der nunmehr emanzipierte Nationalstaat gründete sich auf andere Fundamente. Die universale, die kaiserliche Aufgabe bleibt allein in den Vorstellungen der Theoretiker136 und den Herzen derer, die unter der Last der Vielherrschaft, die nicht gut ist137, und den Gegensätzen der unausgeglichenen Einzelinteressen seufzen, zurück — als Sehnsucht: ,,vivit et non vivit"138. Das Pendel der Geschichte hat in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts zugunsten des Partikularismus ausgeschlagen. Ein universales Kaisertum im Abendland gibt es nicht mehr. Das eigentliche Hohe Mittelalter ist zu Ende139. 135
Dante: De monarchia I, 14: „Sed sic intetegendum est, ut humanum genus secundum sua communio que omnibus competunt, ab eo (unus supremus princeps) regatur et communi regula gubernetur ad pacem." Vgl. auch G. Ladner: Das heilige Reich des mittelalterlichen Westens. In: Welt als Geschichte 11 (1951) 150. Schon bei Joh. v. Salisbury (Pol. IV, 1; IV, 25) finden sich ähnliche Gedanken. Vgl. auch PseudoThomas: De eruditione principis I, 2, Gilbert von Tournay, Thomas von Aquin: de reg. princ. I, 2 und später bei Machiavelli: Discorsi III, l und I, I, Principe c. 13. ise Vgl. den anschließenden Vortrag von W. Mohr in diesem Band über Alexander von Roes. Aber auch z. B. bei Engelbert von Admont und anderen finden sich diese Vorstellungen. Vgl. aber auch Vilko Miitemaa: Der Kaiser und die Nordische Union bis zu den Burgunder kriegen. In: Ann. Acad. Scient. Fenniae Bd. 116. Helsinki 1960, der nachweist, daß auch noch Karl IV. und Friedrich III. auf Grund der universalistischen Kaiseridee in nordische Verhältnisse eingriffen, wenngleich kaum noch mit realer Anerkennung. 137 Ilias II, 204. 138 Dazu Kantorowicz: Zu den Rechtsgrundlagen der Kaisersage. In: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters. 13 (1956) llöff., bes. 127 (abgedruckt in Stupor mundi, a. a. O., (Anm. 69) S. 482ff.; R. M. Kloos: Ein Brief des Petrus de Prece zum Tode Friedrichs II. Ebd. S. 525ff.; N. Cohn: Kaiser Friedrich II. als Messias. Ebd. S. 617 ff. 139 viele Einzelnachweise mußten hier unerwähnt bleiben, wie auch die Literaturnachweise keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Auch soll vorstehender Vortrag nicht etwa schon die notwendige Auseinandersetzung mit den Arbeiten von Löwe und Werner leisten, sondern nur als Anregung zur Beachtung des konkreten legistischen Einflusses auf die Staatsauffassung Friedrichs II. verstanden werden. Dazu allerdings bedurfte es einer, angesichts des Stoffumfanges jedoch etwas umfangreichen Skizzierung der Vorgeschichte unseres Themas.
ALEXANDER VON ROES — DIE KRISE IN DER UNIVERSALEN REICHSAUFFASSUNG NACH DEM INTERREGNUM VON WALTER MOHR Im Streit zwischen Papsttum und Staufern, der um die Mitte des 13. Jahrhunderts mit der Niederlage der Staufer einen deutlichen Einschnitt in das historische Geschehen brachte, wickelte sich zu gleicher Zeit eine Auseinandersetzung um die Grundlagen der universalen Reichsidee ab. Man kann im Universalismus des Mittelalters in diesem Augenblick zwei Richtungen erkennen, wovon die eine sich auf die christliche Gemeinschaftsidee, die andere auf die Staatslehre des römischen Rechts stützte. Die Gegensätzlichkeit beider Richtungen wurde durch das sogenannte Interregnum noch in einem besonderen, prinzipiellen Sinne verstärkt. Der Ursprung dieses Verhältnisses lag zeitlich schon weit zurück, denn auch damals, als die Zielsetzung des mittelalterlichen Universalismus einheitlich auf die christliche Gemeinschaft, den „populus christianus", ausgerichtet war, ergab sich bereits die für die späteren Zeiten charakteristische Problematik der Gewaltenregelung innerhalb dieser Gemeinschaft. Das alles beherrschte ja weitgehend dann die gesellschaftlichen Manifestationen im 13. Jahrhundert. Einige der Gründe für diese Entwicklung dürften letzten Endes wohl in der tiefgreifenden Invektive gelegen haben, die ehedem durch Augustinus in ideologischer Hinsicht gegen das Römische Reich geführt worden war1. Eine solche kritische Einstellung mußte bei der Wirksamkeit der christlichen Ideen auf die ins Römische Reich eindringenden Germanen deren ursprünglich bewundernde Vorstellung vom römischen Imperium entsprechend beeinflussen. Das wurde noch dadurch verstärkt, daß seinerseits das Christentum in der Idee des ,,populus christianus" eine viel stärker wirkende Kraft dem auf der römischen Staatsrechtsgemeinschaft basierenden Universalismus entgegensetzen konnte, eine Kraft, die z. B. in karolingischer Zeit weitgehend die Gemeinschaft gestaltet hat. Aber andererseits lag die Zwiespältigkeit der Gewaltenfrage in der Entwicklung der christlichen Gemeinschaft selbst begründet. Das offenbarte sich deutlich ebenfalls in der Zeit der Karolinger. Die Idee des Davidischen Königtums, auf die sich Karl d. Gr. stützte, die auf der Tradition des Volkes Gottes mit seinem 1
Vgl. dazu Wilhelm Kamlah: Christentum und Geschichtlichkeit. 2. Aufl. Stuttgart, Köln 1961. S. 166ff.; S. 175ff.; S. 28lff.; S. 317ff.
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König David beruhte und von Christus bei seinem Kommen auf die Erde erneuert worden sei, war geeignet, der Entwicklung der Kirche mit der steigenden Bedeutung der päpstlichen Hierarchie im Wege zu stehen. Für das Papsttum war das alte römische Kaisertum problemloser, weil sich hier durch die Taufe Konstantins und die sogenannte Konstantinische Schenkung klarere Abhängigkeitsverhältnisse ergaben. Diese Linie gewann denn auch mit dem Abklingen der politischen Macht der Karolinger unter Papst Johann VIII. ersichtlich an Bedeutung. Mit dieser Idee hing die Erneuerung des Kaisertums im 10. Jahrhundert zusammen, wobei jedoch auch diese Erneuerung als römisches Kaisertum problematisch im Verhältnis zum Papsttum blieb. Die Meinungsverschiedenheiten gestalteten sich dabei im weiteren Verlauf prinzipieller, je mehr sich das Kaisertum auf Anschauungen des römischen Rechtes zu stützen suchte. Für die wachsende Problematik des Universalismus der christlichen Gemeinschaft wirkte sich vor allem schwerwiegend das Streben des Papsttums aus, ein Abhängigkeitsverhältnis in einem hierarchischen Sinne zu seinen Gunsten zu bilden. Dabei zerschlug diese Entwicklung aus sich heraus, ohne es eigentlich zu wollen, den Universalismus dadurch, daß sie ihn als eine unbedingte Einheit hier auf Erden mit einer hierarchischen Spitze auffaßte. Der transzendentale Sinn seiner Einheit in Gott ging auf diese Weise verloren, um so mehr, als von päpstlicher Seite eine ausgesprochene Vorherrschaft angestrebt wurde. Das Interregnum war nun zwar ein äußerer Ausdruck der Niederlage des Kaisertums, es bedeutete aber umgekehrt nicht einen vollen Sieg der päpstlichen Herrschaftsansprüche. Das Kaisertum war seit 1250 tatsächlich erloschen, und es gab Zeitgenossen, die glaubten, es sei mit dem Tode Friedrichs II. auf immer beendet2. Das Papsttum hatte jedoch nicht beabsichtigt, das Kaisertum an sich zu beseitigen, sondern es sollte nur eine unbedingte Ausschaltung des Staufergeschlechtes erreicht werden. Auf Grund der dadurch entstandenen Lücke trat nun tatsächlich eine Krise ein, denn jetzt bemühten sich außerhalb Deutschlands liegende Kräfte, das Kaisertum an sich zu ziehen. Das stellt zunächst wohl nur einen Einbruch in die Tradition dar, unbeachtet der Rechte, die etwa von deutscher Seite geltend 2
Vgl. dazu Salimbene: Cronica. In: Monum. Germ. Hist., Script. XXXII. S. 349f. Er stützt sich dabei auf einen angeblichen Ausspruch der Sybille, den er jedoch nicht ausschließlich spekulativ auffaßt. Er gibt zu, daß von Seiten der Kirche noch weitere Anwärter für das Kaisertum erhoben worden seien, wie der Landgraf von Thüringen, Wilhelm von Holland und Rudolf von Deutschland; sie hätten aber alle nicht die wirkliche Stellung eines Kaisers erreichen können. Da dieser Standpunkt in den achtziger Jahren des 13. Jahrhunderts ausgedrückt wurde, läßt sich daran die tatsächliche Krise im Imperiumgedanken zu der Zeit ermessen, da Alexander von Roes schrieb. (Vgl. auch a. a. O., S. 629)
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gemacht werden konnten. Diese neuen Kräfte sahen im Grunde genommen das Kaisertum in einer prinzipiellen Bedeutung, die es, zumindest in diesem Augenblick, nicht auf wies. Denn es war nicht ein in einem realen Sinne den übrigen weltlichen Mächten übergeordnetes Amt, so weit hatte sich sein universaler Charakter noch nicht durchgesetzt, vielmehr war die Tradition noch anders3, sie band das Kaisertum an ein bestimmtes Volk, die alte Vorstellung vom Reichsvolk hatte noch nicht alle Aktualität verloren. Sobald nun kein Kaiser vorhanden war, wurde natürlich die Gewaltenfrage in einem speziellen Sinne vorangetrieben, weil dementsprechend sich das Problem geltend machte, wer zur Führung der kaiserlichen Befugnisse berechtigt sei. Dadurch wurde jetzt die ZweiSchwerter-Lehre zum eigentlichen Zentralpunkt in der Krise des Universalismus und hat vor allem von kurialer Seite einen starken Ausbau erfahren. Natürlich schwand das Andenken an den Kaiser und sein Wirken nicht, die Idee von seiner Pflicht zur Aufrechterhaltung der christlichen Ordnung besaß immer noch ihre Berechtigung und behielt deshalb ihre Anziehungskraft. Aber gerade in seiner christlichen Aufgabe lag ein schwacher Punkt für dieses Kaisertum in der Gewaltenfrage im Hinblick auf den Nachfolger des hl. Petrus. Um eine selbständige rechtliche Stellung zu erhalten, haben deshalb die Staufer ihr Amt betont auf die Basis des alten römischen Kaisertums zurückzuführen gesucht4. In der Zeit des Interregnums machte sich dann besonders in Italien für das Papsttum der Ausfall des Kaisertums als Ordnungsmacht geltend. Papst Gregor X. hat die Konsequenzen aus diesem Zustand gezogen, doch begann mit seiner Politik der Wiederaufrichtung des Kaisertums die tiefgreifende Diskussion um die gesamte Problematik, die sich zuvor in der Stauferzeit angehäuft hatte. So setzte in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts eine Streitschriftenliteratur ein, die sich um die fernere Gestaltung des Reichsgedankens bemühte. Gewissermaßen am Beginn und durch ganz besondere Umstände veranlaßt steht das sogenannte Memoriale des Alexander von Roes, jenes Kölner Kanonikers, der während seines Aufenthaltes an der päpstlichen Kurie seinem Gönner, dem Kardinal Jakob Colonna, im Jahre 1281 eine Denkschrift über den Vorrang des Römi3
Die Auffassung des Kaisertums von einem den weltlichen Gewalten übergeordneten Amte findet sich erst zu Ende des 13. Jahrhunderts bei den Kurialisten, bedingt durch deren Streben, eine durchgehende Hierarchie der Gewalten aufzustellen. Vgl. z. B. Aegidius Romanus: De ecclesiastica potestate I, 5; II, 6; Jacobus de Voragine: De regimine christiano II, 6. 4 Deshalb das Wiederaufgreifen der Sage von der Abstammung der Franken von den Trojanern. Vgl. Johannes Haller: Das Papsttum, Idee und Wirklichkeit. 5 Bde. Neue Auflage. Urach-Stuttgart 1950—53. Bd. 4. S. 360.
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sehen Reiches einreichte5. Diese Schrift ist in unserer Zeit als eine nationale Verteidigung des speziell deutschen Standpunktes in der Kaiserfrage aufgefaßt worden6. Sie befaßt sich nun zwar mit der seit 5
Er stützt sich dabei auf eine Abhandlung des Kanonikers Jordanus von Osnabrück, die wir hier unbeachtet lassen können, weil Alexander voll und ganz dessen Ansichten übernimmt. Die Frage indes, ob die drei Schriften „Memoriale", „Noticia seculi" und ,,Pavo" wirklich nur auf einen einzigen Autor zurückgehen, dürfte immer noch nicht endgültig gelöst sein. Für „Noticia seculi" und „Pavo" besteht zwar kein Zweifel, dagegen scheint es mir nicht sicher, daß die gesamte „Noticia seculi" vom Verfasser des „Memoriale" stammen soll. Die Frage kann hier nur gestreift werden. Auszugehen ist von der grundlegenden Arbeit von Wilhelm Schraub: Jordan von Osnabrück und Alexander von Roes. Ein Beitrag zur Geschichte der Publizistik im 13. Jahrhundert. Heidelberger Abhandlungen z. mittleren u. neueren Geschichte, Heft 26. Heidelberg 1910. Die weitere Literatur und die Zusammenfassung des Problems ist bei Herbert Grundmann: Über die Schriften des Alexander von Roes. In: Deutsches Archiv f. Erforschung d. Mittelalters 8 (1950 )154ff. zu ersehen. Natürlich sind die näheren historischen Erläuterungen in der „Noticia seculi" aus dem „Memoriale" entnommen. Sie sind dabei erweitert und geändert, und es fragt sich, ob das durch Alexander von Roes geschehen ist. Dabei dürfte der Wechsel im Ausdruck von „Germani" zu „Theutonici" doch größerer Beachtung wert sein. Die Bemerkung in cap. XVI der „Noticia seculi": „et gentem Teutonicam sive Germanorum, quod est unum" ist zwar noch kein zwingender Beweis, daß hier ein anderer Autor die Bezeichnung „Germani" in Alexanders „Memoriale" erläutern will, sie muß jedoch in dieser Richtung gewertet werden angesichts der speziellen Bedeutung des Begriffs „Germani" für Alexanders Anschauungen. Auch die weitere Betonung: „nee est dubium, quin Karolus fuisset Teutonicus" (cap. XVIII) kann angesichts des Bildes des Kaisers im „Memoriale" als „gloriosus christiani nominis propugnator" (cap. XXII) und seiner Charakterisierung: „considerans quod ipse de Grecorum, Romanorum et Germanorum germine directa linea processisset" nicht einfach mit einer inneren Weiterentwicklung von Alexanders Ansichten erklärt werden. Die Darlegungen im „Memoriale" erscheinen vielmehr besser geeignet, die Ansprüche der Franzosen zu bekämpfen, als die Betonung des „Karolus theutonicus" in der „Noticia seculi". Deren Charakter ist sowieso stark kompilatorisch, und in ihrer Zielsetzung kann sie nicht mit dem „Memoriale" verglichen werden. Auch ist sie nicht eine nationale Streitschrift gegen die Franzosen (vgl. dazu W. Schraub, a. a. O., S. 112ff., der wesentlich überzeugender ist als Fritz Kern: Die Anfänge der französischen Ausdehnungspolitik bis zum Jahre 1308. Tübingen 1910. S. 123ff.). Nach des Autors Worten ist sein Hauptziel, denjenigen Lesern zu helfen, die nicht gern umfangreiche und schwer verständliche Werke lesen (cap. II). Damit sind die von ihm behandelten eschatologischen Spekulationen gemeint. Seine Worte über Europa und seine Völker und damit über die Ansprüche der Franzosen bezeichnet er als Beifügsei, das den Zusammenhang der Schrift unterbreche, in der er die zum Herrschen Berufenen zur Beachtung der Verschiedenheiten der Zeiten usw. bringen wolle (cap. XVI). Den gleichen Eindruck ergeben auch die drei Schlußkapitel. Es dürfte daher das „Memoriale" von einem anderen Autor in der „Noticia" mit der Schrift „De semine scripturarum" zusammengearbeitet worden sein. Für uns gilt das „Memoriale" möglichst aus sich selbst, weil wir die Ideen seines Verfassers im Zeitpunkt der Abfassung seiner Schrift zu untersuchen haben. 6 Für Fritz Kern war im Jahre 1910 Jordan von Osnabrück, hier gleichzusetzen mit Alexander von Roes, der „erste vaterländische Rassetheoretiker" (Analekten zur Geschichte des 13. und 14. Jahrhunderts. In: Mitt. d. Instit. f. Österreich.Geschichtsforsch. 31 [1910] 69). Jean Riviere sprach im Jahre 1926 von „manifestation du nationalisme allemand" (Le probleme de l'eglise et de l'etat au temps de Philippe le Bei. In: SpiciMed. V
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Innozenz IV. aktuell gewordenen Translationsfrage des Imperiums auf Karl d. Gr., die jetzt Züge nationaler Gegensätze auf zuweisen begann, aber schon in der Überschrift heißt es, es werde hier über den Vorrang des Römischen Reiches gehandelt, im Vordergrund steht also nicht die nationale Frage, sie spielt nur im Rahmen der besonderen Zeitumstände eine Rolle, dem Autor geht es in erster Linie um den konservativen Standpunkt, um die Wahrung des Römischen Reiches in seiner alten universalen Stellung. Der anders geartete Eindruck konnte vor allem dadurch entstehen, daß Alexander auf die theologisch fundierten Fragen, die sich mit der Translation verknüpften, nur kurz eingeht und dabei die ausgedehnten Probleme der Tradition gar nicht berührt. Das ist allerdings erstaunlich, da wir aus einer fast gleichzeitig erschienenen Schrift wissen, wie stark diese Probleme auch zu diesem Zeitpunkt diskutiert wurden. Es ist die dem Tholomaeus von Lucca zugeschriebene Determinatio compendiosa de iurisdictione imperii. Er begründet eingehend an Beispielen aus der Tradition das Translationsrecht der Kirche bezüglich des Imperiums, wie auch die untergeordnete Stellung des Kaisers gegenüber dem Papst. Bei Alexander dagegen sieht es so aus, als habe er geglaubt, auf die Behandlung dieser Fragen insofern verzichten zu können, als es ihm nur um den Erhalt des römischen Imperiums geht, der an sich nicht durch die Translationslehre bedroht war. Deshalb nimmt er auch an manchen Punkten, wie wir sehen werden, einen etwas zugeblichen Standpunkt gegenüber seinen Meinungsgegnern ein, weil er offensichtlich glaubt, für die dringenden augenblicklichen Aufgaben Fragen der Tradition außer acht lassen zu können. So steht bei Tholomaeus im Vordergrund die theologisch-philosophische Begründung der Vorrangstellung des Papsttums, allerdings auch bei ihm noch nicht so stark ausgebaut, wie etwa später bei Aegidius Romanus in dessen Traktat De ecclesiastica potestate, der in der Zeit Bonifaz' VIII. eine maßgebliche Bedeutung errang und der eine starke Tradition aus dem alttestamentlichen Königtum ableitete7. legium Sacrum Lovaniense. Fase. 8. Louvain, Paris 1926. S. 315f.). Herbert Grundmann schrieb im Jahre 1936 (Das deutsche Nationalbewußtsein und Frankreich. In: Jahrbuch d. Arbeitsgemeinschaft d. rheinischen Geschichtsvereine 2 [1936] 55 u. 59) von einem Aufruf zu nationaler Selbstbesinnung, zu geschichtlicher Begründung und geistiger Berechtigung der Weltstellung des deutschen Volkes und der Sendung seines Reiches. Diese Gesinnung sei auch der modernen verwandt, gelte als ein nationales Bekenntnis echt deutscher Art und müsse in jeder künftigen Völkerordnung lebendig wirken. In der Ausgabe von Alexanders Schriften in Monum. Germ. Hist., Staatsschriften des späteren Mittelalters I, l spricht die Einleitung nur noch von einem patriotischen und kirchenfrommen Kölner, Franken, Deutschen im französisch infiltrierten Italien (S. 16). In der gleichen Einleitung wird festgestellt, daß Alexander wahrscheinlich jüdischer Abstammung gewesen ist (S. 4ff.). 7 Diese Ideen, die an sich schon zur Karolingerzeit aufgeworfen wurden, gehen im 13. Jahrhundert wohl direkt auf Thomas von Aquin: De regimine principum zurück.
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Bei Tholomaeus liegt der Schwerpunkt der Beweisführung vielmehr auf dem Neuen Testament und der Philosophie. Durchaus zentral steht dabei in der Gewaltenfrage die Erscheinung Christi, die nicht nur heilsgeschichtlich, sondern auch philosophisch begründet wird. Christus ist das Haupt, von dem jeder „motus" und „sensus" geistiger Aktion im mystischen Körper ausgeht8. Er ist das „primum movens" des ewigen Prinzips, auf das alle Dinge zurückgehen9. Daraus ergibt sich, daß er sich ,,rex et sacerdos" nennen kann und daß diese beiden Ämter ihm ,,per se" zukommen, während alle übrigen Personen lediglich daran teilhaben können: Christus besitzt die priesterliche und königliche Würde im höchsten Grade10. Als „primum movens" geht von ihm alle Bewegung und folgerichtig also auch alle Herrschaft aus, weil im Regieren die Herren der Welt ,,motores orbis" sind, die auf den ersten Beweger zurückgeführt werden müssen11. Dem „primum movens" als Ausgangspunkt steht am nächsten der Papst, dem Christus mit der Übertragung der Binde- und Lösegewalt an Petrus die volle geistliche und weltliche Jurisdiktion gewährte, woraus wiederum notwendig folgt, daß das „imperiale dominium" vom Papst abhängig sei12. Da das Amt des Papstes sich zu dem des Kaisers wie Geistiges zum Körperlichen verhält, gebraucht der Papst das kaiserliche Amt als Werkzeug, wie die Seele den Körper als Werkzeug benutzt. So fließt die Kraft der kaiserlichen Jurisdiktion gewissermaßen aus der des Papstes als einer Quelle der Herrschaft, aus der, in Stellvertreterschaft Gottes, jegliche Jurisdiktion ihren Ursprung findet13. Allerdings gibt Tholomaeus bei der Betrachtung der tatsächlichen Entwicklung zu, daß auf Erden weltliche Herrschaft zeitlich vor der geistlichen vorhanden gewesen sei, jedoch in einer gestörten Ordnung, denn der erste Herrscher unter den Menschen sei der böse Kain gewesen. Alle diese schlechten Herrscher hätten in einem schlimmen Tod geendet, wodurch Gott seine Verabscheuung über sie zu erkennen gegeben habe. Das „dominium" war also „in principio mundi" ein böses14. Somit kommt Tholomaeus zum Schluß, daß bei der weltlichen Herrschaft das Kriterium nicht auf dem Alter, sondern auf der Begründung (Vgl. dazu M. Grabmann: Studien über den Einfluß der aristotelischen Philosophie auf die mittelalterlichen Theorien über das Verhältnis von Kirche und Staat. In: Sitz.-Ber. d. Bayr. Akad. d. Wissensch., phil.-hist. Abt. 1934. S. 8ff.). 8 Tholomaeus vonLucca: Determinatio compendiosa de iurisdictione imperii. Ed. M. Kramer in: Fontes iur. Germ, antiqui. Hannover, Leipzig 1909. cap. VI. 9 Ebd., cap. XV. 10 Ebd., cap. VI. 11 Ebd., cap. VII, XIX. 12 Ebd., cap. VI, XV. 13 Ebd., cap. VII, XV. Vgl. auch Riviere, a. a. O., S. 322f. 14 Ebd., cap. XVII. 18*
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durch Gott liegt, was notwendig eine Unterordnung unter die Kirche mit sich bringt. Deshalb haben auch die Päpste immer wieder Kaiser abgesetzt, was er in einem eigenen Kapitel an den historischen Beispielen von Papst Zacharias zu Zeiten König Pippins bis auf Friedrich II. darlegt15. Und so ist auch das Imperium von den Päpsten transferiert worden. Papst Leo III. hat es von den Griechen auf die Franzosen übertragen. Als dann das Geschlecht Karls d. Gr. daniederlag, usurpierte der Herzog Hugo das ,,regnum Franciae", während das Imperium aufhörte und in viele Teile zerrissen wurde. Schließlich riefen die Kardinale den sächsischen König Otto zu Hilfe, und Papst Leo VIII. gab ihm das Imperium in den Formen, wie das bei Karl d. Gr. geschehen war. Dagegen war die erste Translation des Imperiums von Konstantin auf Papst Sylvester nur eine scheinbare, denn Konstantin war ja als Heide Träger der ungerechten Macht, die von Gott verabscheut wurde. Sobald er Christ geworden war, erkannte er, daß Christus die Herrschaft seinem Stellvertreter übertragen hatte, und trat deshalb seine eigene Herrschaft diesem vollständig ab16. Neben dieser Ableitung der Gewalten hat sich indes Tholomaeus viel stärker an die Erfüllung der Danielsvision von den vier Reichen gehalten. Für ihn ist dabei das 4. Reich, das Römische, bereits zu Ende gegangen: es kehrte zum wahren Herrn, zu Christus, zurück. Der Stein, der sich ohne Mithilfe von Händen löste und das Bild der Vision zertrümmerte, stelle Christus dar, weil er ohne Zeugung aus der Jungfrau geboren wurde, und die Zertrümmerung bedeute, daß Christus sich alle Reiche und alle Herrschaft unterwarf, worauf er diese Gewalt seinem Stellvertreter übertrug17. Damit gibt es also für Tholomaeus keine Erwartung des Reiches Christi auf Erden mehr, es ist vielmehr schon da. Leider läßt sich gegenüber dieser Auffassung seine Einstellung zu den weiteren eschatologischen Erwartungen nicht erkennen. In der Aufhebung der Tradition durch Christus, der seinerseits einen neuen prinzipiellen Beginn geschaffen hat, liegt für ihn das Translationsrecht und damit das Verhältnis zwischen päpstlicher und kaiserlicher Jurisdiktion eigentlich verankert. Aus dem unmittelbaren Ausfluß der päpstlichen Gewalt aus Christus und der Unterordnung des Kaisers unter sie wird der Kaiser vom Apostel Paulus „minister dei" genannt, und daraus wird für Tholomaeus der Kaiser auch zum „minister ecclesie", ja gewissermaßen zum Lehensmann der Kirche, weshalb die 15
Ebd., cap. XIV. Ebd., cap. XI, XII, XXV. Derartige Ideen sind schon bei Innozenz IV. zu erkennen. Vgl. dazu Friedrich Graefe: Die Publizistik in der letzten Epoche Kaiser Friedrichs II. In: Heidelberger Abhandlungen z. mittleren u. neueren Gesch. Heft 24. Heidelberg 1909. S. 206, S. 219f.; Riviere, a. a. O., S. 441 17 Ebd., cap. XXV. Die Idee ist übrigens schon vor Tholomaeus ausgesprochen worden. Vgl. dazu Werner Goez: Translatio Imperii. Tübingen 1958. S. 215ff. 16
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Kirche ihn auch leichter als die übrigen Fürsten absetzen kann18. Der Grundgedanke ist bei alledem im wesentlichen der augustinische: auch den Römern sei die Herrschaft nicht etwa auf Grund irgendeines Naturrechtes übertragen worden, sondern allein, weil Gott es so wollte19. Das zeige sich auch an der Nachfolgeregelung im Kaisertum, die zeitweise erblich gewesen sei, bis Papst Gregor V. auf Ansuchen der deutschen Fürsten die sieben Kaiserwähler eingesetzt habe, wonach dann diese Art von Wahl erhalten blieb und so lange erhalten bleiben werde, als es der römischen Kirche gut dünkt, die die Reiche übertragen und die Fürsten absetzen kann20. Der zum Kaiser Erwählte müsse daher auch erst die Bestätigung auf Grund seines Treueides durch anschließende Salbung und Krönung vom Stellvertreter Christi erhalten, bevor er die kaiserliche Gewalt ausüben dürfe21. Wir wissen nicht, inwieweit Alexander von Roes die Ansichten des Tholomaeus direkt gekannt hat. Indes sehen wir, daß er in seinem Memoriale derartige Ansichten widerlegt, aber auch bis zu einem gewissen Grade berücksichtigt. Auch er geht von dem durch die Schöpfung bedingten Universalismus aus, doch sieht er diese Schöpfung nicht hierarchisch, sondern nebeneinander geordnet, indem Gott in einer unmittelbaren Verbindung mit jedem Teil seiner Schöpfung bleibt. Die Teile sind dabei in ihrer Existenz gegenseitig voneinander abhängig, und nur in dieser Abhängigkeit finden sie ihr Leben in Gott. So, wie der Adler der Römer nicht mit einem Flügel allein fliegen könne, argumentiert er, könne auch das Schifflein Petri durch die Stürme der Welt nicht mit einem Ruder geradeaus gelenkt werden. Die Kirche kann also im Grunde genommen ohne das Imperium nicht bestehen22. Damit treten für ihn beide gleichberechtigt nebeneinander: wie die römische Kirche die Kirche Gottes ist, ist das Römische Reich in ähnlicher Weise das Reich Gottes23. Gerade die Lehre von den zwei Schwertern faßt er in diesem Sinne auf. Wenn Christus auf den Hinweis der Apostel auf die zwei Schwerter gemäß Lukas antwortete: „satis est", dann habe dies lediglich bedeutet, daß die Schwerter, die die zwei Gewalten darstellten, in der gegenwärtigen Welt genügten. Damit habe aber Christus selbst erklärt, daß die Welt zur Leitung der geistlichen und weltlichen Dinge nichts weiter als der priesterlichen und der kaiserlichen Gewalt bedürfe. Das sind also die Grundgewalten, durch die Gott dem Menschengeschlecht sein Recht zukommen läßt, damit es durch die Regeln dieses Gesetzes 18 19
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Ebd., cap. XVI, XXX. Ebd., cap. XXV. Ebd., cap. XIII. Ebd., cap. XXX, XXXI. Memoriale, cap. II. Ebd., cap. XXXII.
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zum Guten geleitet und vor dem Bösen bewahrt werde24. Er wollte also das Kaisertum dem Papsttum nicht unterordnen. Das ließe sich auch daran erkennen, daß Christus während seines Lebens hier auf Erden das Römische Reich auf vielerlei Art geehrt habe und daß er in dieser Hinsicht als Herr und Lehrmeister selbst ein Beispiel für alle Menschen gegeben habe26. Ganz besonders sei sein Verhalten gegenüber Pilatus zu beachten, durch das er bekundete, daß die Gewalt des Kaisers über allen anderen weltlichen Gewalten stehe. Hier sei zu erkennen, daß Gott an erster Stelle26 der Urheber der Gewalt des Pilatus sei, die diesem wiederum unmittelbar vom Kaiser gegeben war27. Wie das seinerzeit verstanden worden sei, zeige auch das Verhalten des Apostels Petrus, dem Christus das Regiment seiner Kirche übertrug. Denn Petrus folgte in dieser Hinsicht seinem Herrn und gebot, den Kaiser zu ehren, indem er schrieb: „Deum timete et regem honorificate"28. Deutlich klingt hier der Vorwurf an, daß die Päpste das Gebot des hl. Petrus nicht befolgt hätten. Als besonders wesentlich erscheint es dabei, daß nach Alexanders Ansicht Christus kein Reich begründet, sondern das bestehende Römische Reich anerkannt hat. Das richtet sich sehr klar gegen die Meinung, wie sie im Werk des Tholomaeus von Lucca ihren Niederschlag gefunden hat. Allerdings setzt sich Alexander nicht mit den tieferen Argumenten auseinander, die dieser Meinung aus der Tradition erwachsen sind. Die einfache Ehrung, die Christus dem römischen 24
Ebd., cap. VII. Zur Geschichte der Zwei-Schwerter-Theorie vgl. H.-X. Arquilliere: Origines de la theorie des deux glaives. In: Studi Gregoriani l (1947) 501 ff.; Wilhelm Levison: Die mittelalterliche Lehre von den beiden Schwertern. In: Dtsch. Arch. f. Gesch. d. Mittelalters 9 (1961/52) 14ff., besonders 33ff. Neuerdings wurde die Ansicht vertreten, Alexander habe diese Zwei-Gewalten-Lehre „durchbrochen" und „entgegen allen Überlieferungen und Autoritäten von drei höchsten Gewalten, Prinzipaten und universalen Ämtern in der Christenheit" gesprochen. (H. Grundmann: Sacerdotium, Regnum, Studium. In: Arch. f. Kulturgesch. 34 [1952] 5ff.). Indessen bezeichnet Alexander das „Studium" niemals als eine „potestas", sondern es bildet für ihn zusammen mit dem Kaisertum und Papsttum eine „virtus", und die Wirkung der drei erstreckt sich auf die Kirche Gottes, die durch sie „spiritualiter vivificatur, augmentatur et regitur" (Memoriale, cap. XXV). Kaisertum und Papsttum sind auch für Alexander die beiden ordnenden Gewalten, die andererseits mit dem „Studium" zusammen die erhaltenden Kräfte der Christenheit darstellen, indem das „Studium" ihnen die geistigen Grundlagen für ihre ordnende Gewalt schafft. Im übrigen geht es nicht gut an, den in „Noticia seculi" (cap. XII) gebrauchten Ausdruck „principatus" mit „potestas" gleichzusetzen. „Principatus" geht mehr auf die einfache Vorrangstellung, während in „potestas" der Begriff der Gewalt in ihrer Auswirkung liegt. Ebenso fällt es schwer, in dem Dreiklang „fides-sapientia-militia" das gleiche zu sehen wie Alexanders „sacerdotium-studium-imperium". Demgemäß fehlt den von Grundmann (a. a. O., S. 9ff.) gezogenen Vergleichen die überzeugende Kraft. 28 Memoriale, cap. IV; vgl. auch cap. V, VI. 26 „auctor primarius". 27 Memoriale, cap. VII. 28 Ebd., cap. IX.
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Kaisertum erwiesen hat, genügt ihm hier zur Begründung seiner Auffassung. Der Übergang des heidnischen römischen Kaisertums zum Christentum, das Verhalten Kaiser Konstantins gegenüber Papst Sylvester, auch die Grundfragen des Königtums und Priestertums Christi, all das wird von ihm mit keinem Wort gestreift. Auffallend ist es auch, daß die Prophezeiung Daniels über die vier Reiche bei ihm keine besondere Rolle spielt. Seine Arbeit richtete sich durchaus nach den praktischen Forderungen seiner Zeit aus. Daraus ergibt sich dann Alexanders Vorstellung über die augenblickliche Lage, wobei er von einem eigenen Erlebnis ausgeht. Er fand nämlich bei einem Aufenthalt in Italien ein Meßbuch aus der päpstlichen Kapelle, in dem in den Fürbitten der Papst erwähnt war, aber der König bzw. der Kaiser nicht. Das erschien ihm symptomatisch für die Lage seiner Zeit, und es kam ihm darauf ein Vergleich in den Sinn: Wie ehedem, als das Priestertum des Alten Bundes zu Ende ging, die Juden vor Pilatus riefen: „Wir haben keinen König, denn den Kaiser", schien ihm dies hier ein Ausruf zu sein etwa in dem Sinne: „Wir haben keinen König, denn den Papst". Er fragte sich deshalb, ob dies nicht ein ähnliches Vorzeichen einer kommenden Bedrängnis für den Klerus sei, wie damals bei den jüdischen Priestern29. Hier sah er die eigentliche Ursache für die Krise seiner Zeit. Grundlegend ist ihm dabei die Ansicht, daß der Antichrist nicht vor dem Ende des Römischen Reiches kommen wird, was er im übrigen ebenfalls als eine besondere Ehrung des Römischen Reiches durch Christus auffaßt30. Dieses Reich gilt ihm als jetzt noch bestehend, er folgt darin also der üblichen Auslegung der Prophezeiung Daniels, wobei er selbst sich allerdings auf den Apostel Paulus beruft31. Im übrigen steht er allen Prophezeiungen über Einzelheiten der kommenden historischen Entwicklung skeptisch gegenüber. Er spricht in diesem Zusammenhang von zwei Weissagungen: die eine sei schon seit langer Zeit in Deutschland umlaufend, daß aus dem Geschlecht Kaiser Friedrichs II. ein neuer, sündiger Friedrich hervorgehen werde, der Kirche und Klerus bedrücken werde, die zweite stelle eine volkstümliche Prophezeiung dar, daß aus dem Geschlecht des Königs Karl aus dem Hause der Frankenkönige ein Kaiser namens 29
Ebd., cap. II. Ebd., cap. VIII. 31 In der „Noticia seculi" z. B. wird das noch etwas weiter ausgeführt und mit scharfen Worten die Meinung einiger abgelehnt, der Antichrist sei bereits gekommen (cap. XIX). Im allgemeinen werden die Spekulationen über das Weltende abgelehnt (cap. XXII), und auch beim Ende des Römischen Reiches wird nicht an ein sofortiges Kommen des Antichrist geglaubt (cap. XIX). Fest steht hier nur: wie Christus nicht vor der Vernichtung des jüdischen Reiches kam, wird auch der Antichrist nicht vor der Vernichtung des Römischen Reiches kommen (cap. XX). 30
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Karl hervorgehen werde, ein Monarch über ganz Europa, ein Reformator von Kirche und Reich, mit dem das Kaisertum sein Ende finden werde. Diese beiden Prophezeiungen lokalisiert er also in Deutschland, sie scheinen zu seiner Zeit in Beziehung zueinander gesetzt worden zu sein, indem nach der Bedrückung durch das Staufergeschlecht ein Nachkomme der Karolinger das Ende in Frieden herbeiführen werde. Denn Alexander betont abschließend, er selbst sei sich gewiß, daß nach Gottes Ratschluß die Kirche zeitweise einen Beschützer, zeitweise keinen und zeitweise an Stelle eines Königs einen Tyrannen zur Strafe für die Verworfenen und zur Zucht für die Auserwählten haben werde32. Man hat die zweite Prophezeiung speziell auf Karl von Anjou beziehen wollen33. Aber da erhebt sich die schwerwiegende Frage, ob zum damaligen Zeitpunkt in Deutschland eine wirkliche französischangiovinische Partei vorhanden gewesen sein kann, die eine solch weitgehende und tiefgreifende Hoffnung gerade auf diesen Vertreter des französischen Hauses gesetzt hätte. Ein solcher Sinn scheint nicht in den Worten Alexanders zu liegen, für ihn stehen die beiden Prophezeiungen im Rahmen der Auseinandersetzung um den Klerus und die Kirche, sie berühren keine außenpolitischen Probleme mit Frankreich. Es wird wohl besser sein, sie mehr allgemein aufzufassen und den „de Karlingis, id est de stirpe regis Karoli et de domo regum Francie imperator" im konservativen Sinne einer weiterwirkenden Legitimität Karls d. Gr. zu sehen34, denn diese Ausführungen schließen sich unmittelbar an das Kapitel an, in dem Alexander heftige Kritik an der innenpolitischen Reichsführung der Staufer geübt hat. 32
Memoriale, cap. XXX. Vgl. Hermann Grauert: Zur deutschen Kaisersage. In: Hist. Jahrbuch 13 (1892) 110f.; Franz Kampers: Kaiserprophetien und Kaisersagen im Mittelalter. In: Hist. Abhandl. Hrsg. v. Th. Heigel u. H. Grauert. München 1895. Heft 8. S. 123. Bernhard Töpfer: Das kommende Reich des Friedens. Berlin 1964. S. 186. Anm. 136. Von vorneherein ergibt sich für Grauerts Deutung die Schwierigkeit, daß die Friedrich-Prophezeiung nicht, wie er annimmt, in Italien lokalisiert wird, sondern ausdrücklich in Germania. Natürlich schließt das nicht aus, daß sie letzten Endes von der in Italien aufgekommenen stauferfeindlichen Sage abstammt; für Alexander aber war sie offenbar eine echt deutsche Prophezeiung, die er also im Lichte der politischen Auseinandersetzungen in Deutschland sah. 34 Das ist auch die Auffassung von Ernst Dümmler: Zur deutschen Kaisersage. In: Hist. Zeitschrift 29 (1873) 491 ff. Er sieht in diesem Text Alexanders das erste Zeugnis einer Annäherung zwischen Friedrichs- und Karlssage. In der Tat dürfte dieses Nebeneinanderstellen der beiden Prophezeihungen im „Memoriale" eine erste Stufe auf dem Wege zur Verschmelzung der beiden Sagen gewesen sein, wie sie von der Forschung diskutiert worden ist. Vgl. Georg Voigt: Die deutsche Kaisersage. In: Hist. Zeitschrift 26 (1871); Sigmund Riezler: Zur deutschen Kaisersage. In: Hist. Zeitschrift 32 (1874); Moritz Brosch: Die Friedrichssage der Italiener. In: Hist. Zeitschrift 35 (1876); Daniel Völter: Die Secte von Schwäbisch-Hall und der Ursprung der deutschen Kaisersage. In: Zeitschrift für Kirchengesch. 4 (1881); Friedrich Bezold: Zur deutschen Kaisersage: In: Sitz.-Ber. d. Bayr. Akad. d. Wissensch., phil.-hist. Klasse. 1884. 33
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Man darf dabei diese zweite Prophezeiung wohl in Verbindung bringen mit solchen, die bei Otto von Freising über Palästina überliefert sind35. Grundlage bildet dabei die in der Schrift Adsos von Moutier-en-Der, De ortu et tempore Antichristi, überlieferte Vorhersage von dem großen römischen Endkaiser, „cuius nomen erit C. rex Romanorum totius imperil". Der Buchstabe C war von der tiburtinischen Sibylle mit „Constans" gedeutet worden36. Offensichtlich aus dieser Urform war in Frankreich eine spezielle Prophezeiung auf den französischen König Ludwig entstanden, der die königliche Stadt und auch das alte Babylon erobern werde und dessen Name von L. in C. geändert werde. Dieser letzte Frankenkönig werde das Reich einigen, nach Jerusalem ziehen, dort Krone und Szepter niederlegen, um das Reich Gott zu übergeben. Das Ganze scheint dann in der sogenannten Pilgergott-Schrift vereinigt worden zu sein, über die uns Otto von Freising ebenfalls berichtet37, die offensichtlich der Förderung des Kreuzzugs-Gedankens diente, dessen furchtbaren Rückschlag dann im zweiten Kreuzzug Otto von Freising selbst miterlebt hat. Er hat deshalb den ganzen Ideenbereich nochmals überdacht, worauf Palästina für ihn zurücktrat, er erwartete nur noch den Friedenskaiser, der das Reich noch einmal einigen werde, und er erblickte diesen Friedenskaiser offensichtlich im Staufer Friedrich I.38. Die Verwandtschaft der Ausführungen Alexanders von Roes mit diesen Ideen ist zweifellos gegeben, obwohl eine unmittelbare Benutzung der Schrift Ottos von Freising durch ihn nicht zu ersehen ist. Er hat allerdings die von Otto überlieferte Prophezeiung als eine im deutschen Volke verbreitete Weissagung ausgegeben. Wir sehen, daß sich die Deutung des Buchstabens C jetzt auf „Carolus" verschoben hat und daß er die Verbindung zu Karl d. Gr. sucht. Die Grundlagen einer Wandlung in diesem Sinne sind vielleicht schon durch Adso bedingt, der den ,,rex Romanorum" seiner Vorlagen in ,,rex Francorum" gewandelt hatte39. Alexander indes steht solchen Prophe35
Vgl. zum folgenden Walter Mohr: Zum Geschichtsbild Ottos von Freising. In: Perennitas. Festschrift für P. Thomas Michels. Hrsg. v. H. Rahner und E. v. Severus. Münster 1963. S. 274. Auf joachimitische Einflüsse schließen Beatrice Hirsch-Reich: Alexander von Roes Stellung zu den Prophetien. In: Mitt. d. oesterr. Inst. f. Geschichtsforsch. 67 (1959) 306 f. und Bernhard Töpfer, a. a. O., S. 174f. 38 Zur Geschichte der Urform vgl. u. a. Riezler, a. a. O., S. 67ff.; Franz Kampers: Die Sibylle vonTibur und Vergil. In: Hist. Jahrb. 29 (1908) 16 ff., 21ff.; Gaston Zeller: Les rois de France candidate ä l'Empire. In: Revue Historique 173 (1934) 278; Franz Kampers: Vom, Werdegang der abendländischen Kaisermystik. Leipzig, Berlin 1924. S. 121 ff. 37 Quellen und Literaturhinweise bei Walter Mohr: Zum Geschichtsbild Ottos von Freising, a. a. O., S. 274—293. 38 Einzelheiten bei Mohr, ebd., S. 290ff. 39 Vgl. dazu Robert Konrad: De ortu et tempore antichristi. Antichristvorstellung und Geschichtsbild des Abtes Adso von Moutier-en-Der. In: Münchener Hist. Studien,
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zeiungen durchaus skeptisch gegenüber. Er sieht in der Geschichte die Fürsorge eines gerechten Gottes wirkend, dessen Eingreifen bedingt ist durch die Verdienste bzw. Verfehlungen des Menschengeschlechtes, so daß die Lage jeweils nach solchen Gesichtspunkten zu beurteilen sei. Von dieser Grundlage her findet Alexander die Erklärung seiner Ansichten in der historischen Entwicklung des Kaisertums. Zunächst widerlegt er ein Argument, das seiner Meinung nach durch ein Mißverständnis über die Entstehung der abendländischen Völker eine große Verwirrung angerichtet hat. Es wurde nämlich von einigen in ziemlich gereizten Worten gefragt, warum der Papst das Kaisertum von den Griechen auf die Germanen übertragen habe, die dafür ganz untauglich seien, das Kaisertum hätte entweder bei den Römern bleiben, oder doch allenfalls auf die Gallier, d. h. in diesem Falle die Franzosen, übergehen sollen. Deshalb will Alexander nachweisen, daß nicht zufällig diese Translation des Reiches erfolgte, wie überhaupt ihm die Ordnung des Reiches durch den Hl. Geist gemäß den Erfordernissen der Zeit und den Verdiensten der Menschen geschehen erscheint40. Den grundlegenden Irrtum für das Ganze glaubt er darin zu finden, daß man aus der Existenz von verschiedenen Herrschaften, wie etwa der Germanen, Franken, Franzosen auf gallischem Boden irrtümliche Schlüsse zog und solche Namen in unterschiedlicher Bedeutung für Völker gebrauchte, die in Wirklichkeit zu einer Einheit gehörten41. Diese Einheit der in Gallien auftretenden Völker erweist er durch ihre gegenseitige Verwandtschaft. Vor allem stammen Germanen und Römer vom gleichen Volk ab, nämlich von den Trojanern durch Äneas und den jüngeren Priamus. Äneas gründete ein Reich in Italien, aus dem das Römische hervorging. Priamus ging mit seinem Heer nach Gallien, wo seine Soldaten sich teutonische Frauen nahmen und auf diese Weise ebenfalls ein neues Reich gründeten. Der Schwerpunkt lag am Niederrhein und bei Trier. Äneas und die Seinen in Italien bezeichneten den Priamus mit seinem Volk als Germanen, das heißt als ihre Verwandten42. Als Caesar dann nach Gallien kam, wurde Abt. mittelalterl. Gesch. Bd. 1. Kallemünz 1964. S. 46f. Allerdings werden die Meinungen dieser Arbeit über die politische Ideenbüdung bei einer tiefer gehenden Diskussion nicht alle haltbar sein, weil nicht die gesamte Literatur zur jeweiligen Problematik eingesehen wurde. So wird für Alexander v. Roes die Ausgabe von 1930 angegeben, und die Zitierung der darstellenden Literatur endet mit Heimpels Arbeit von 1935, um nur ein Beispiel zu nennen. Im übrigen wird auf die Problematik einer möglichen Verbindung zwischen Alexander und Adso nicht eingegangen. 40 Memoriale, cap. XIV. 41 Ebd., cap. XIX. 42 Ebd., cap. XVI. Vgl. dazu auch Edouard Jordan: Dante et la thoorie romaine de l'Empire. In: Nouvelle Revue Historique de droit fran9ais et ötranger 46 (1922) 372. Die Stelle bei Alexander dürfte wohl kaum auf Gottfried von Viterbo (Monum. Germ. Hist., Scriptores XXII. S. 201) zurückgehen, es gibt doch zu viele Unterschiede zu seiner Darstellung.
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speziell in den Rheinlanden die Bruderschaft zwischen Römern und Germanen erneuert. Als die Germanen später auf Aufforderung des römischen Senats die abgefallenen Alanen wieder unterwarfen, wurden sie Franken genannt, weil sie wegen dieser Tat eine Steuerfreiheit erhalten hätten43. Von diesen Franken nun ging Pippin eine Ehe mit der Schwester des oströmischen Kaisers ein, aus der Karl d. Gr. stammt44. An diesem Punkt setzt allerdings bezüglich des abendländischen Kaisertums eine doppelte Tradition ein. An sich hätte man jetzt erwartet, daß von der Verwandtschaft zwischen Germanen und Römern unmittelbar auf die Translation des Kaisertums übergegangen werde. Es klingt auch da etwas vom Recht der Germanen an, den Kaiser zu wählen45, das wird aber dann sehr stark durch ein christliches Element verändert, das seinerseits wieder mit einer eigenen Auffassung von Karl d. Gr. verbunden ist. Speziell ist das alles mit der MaternusLegende verknüpft, also, von Alexander aus gesehen, der Kölner Überlieferung. Aber es sind weitere Überlieferungen dabei verarbeitet. Einige Andeutungen lassen den Aufbau auf einem Gegensatz heidnisch — christlich erkennen, so, wenn betont wird, daß alle Könige der Gallier, Germanen und Franken von Priamus bis auf Chlodwig Heiden gewesen seien, wobei die fränkischen Könige auch noch als besonders schlechte Charaktere hingestellt werden46. Sogar bei der Taufe Chlodwigs wird noch versucht, diese in ihrem Wert herabzusetzen. Und schließlich ist auch der letzte Merowinger in einem ganz abträglichen Lichte geschildert47. Bei den ersten Karolingern ist es nicht viel anders, sie erscheinen keineswegs als sympathische Menschen48. Erst bei dem letzten Pippin ändert sich das. Er heiratete nun, wie schon erwähnt, die Schwester des Kaisers Michael und aus dieser Ehe ging Karl d. Gr. hervor, der dann vom Papst zum Kaiser gekrönt wurde49. Durch diese Legende wird ein bedeutsamer Endpunkt erreicht: die Frankenkönige werden durch die Verbindung mit dem Kaiserhause geheiligt, und der Sproß 43
Ebd., cap. XVII. Wir halten uns an diese Version der Verwandtschaft zwischen Germanen und Römern, die offensichtlich eine Überarbeitung des cap. XI darstellt, um die dort gebrachten Fakten in eine kontinuierliche historische Folge zu bringen. Vgl. zu dem Problem W. Schraub, a. a. O. (Anm. 5), S. 33f. 44 Ebd., cap. XXII. Diese Version dürfte wohl kaum auf Gottfried von Viterbo (Monum. Germ. Hist., Scriptores XXII. S. 206f.) zurückgehen, denn bei ihm heißt es: „cum sit Teutonicus patre et Romanus sive Grecus a matre Berta", während Alexander sehr präzise schreibt: ,,Et duxit in matrimonio Tebergam, sororem Michaelis imperatoris Romanorum". 45 Ebd. cap. XI. « Ebd. cap. XX. 47 Ebd. cap. XXI. 48 Ebd. cap. XXI. 49 Ebd. cap. XXII.
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dieser Verbindung ist „sanctus Karolus Magnus Imperator", der mit Zustimmung und im Auftrage des Papstes von Gott inspiriert anordnet, daß das Imperium der Römer auf ewig beruhen solle bei der „electio canonica" der germanischen Fürsten50. An diesem Punkt fließt dann diese Tradition mit der Maternus-Legende zusammen51. Alexander zieht hierbei aus der Übergabe des Petrus-Stabes an Eucharius und Valerius, um damit ihren im Elsaß gestorbenen Gefährten Maternus wieder zum Leben zu erwecken, symbolische Schlüsse zur Erklärung der Translation des Kaisertums auf die Germanen52. Petrus, der Apostelfürst und das Fundament der Kirche, bedeutet das königliche Priestertum. Sein Hirtenstab ist das priesterliche Königtum. Dieses aus dem Alten Testament stammende Bild soll die von Alexander vertretene Idee erläutern, daß kaiserliche und päpstliche Gewalt nebeneinander in ein Ganzes geordnet sind. Der Hirtenstab, also das priesterliche Königtum bzw. das Kaisertum, bildet für den Papst eine Stütze, z. B., wenn bei Unordnung in der Kirche auf Anordnung des Papstes der Kaiser mit dem weltlichen Schwert die Einheit des Glaubens wiederherstellt oder wenn bei drohender Gefahr von den Feinden des Christentums diese auf Grund der Autorität des Papstes durch den Kaiser vernichtet werden. Diese Auffassung vom Kaiser als „defensor fidei" und als „defensor sanctae Romanae ecclesiae" in seiner Eigenschaft als Träger des „sacerdotale regnum" zeigt doch, wie stark die von Karl d. Gr. begründete Vorstellung über das Ver50
Ebd., cap. XXIV. Die Formulierung: „de consensu et mandato Romani pontificis ordinatione sibi divinitus inspirata instituit et precepit" deutet auf eine gewisse Zurückhaltung Alexanders; er scheint nicht offen jegliche Mitwirkung des Papstes beim Wahlrecht der Fürsten ablehnen zu wollen. Vgl. zur Geschichte dieser Auffassung überhaupt Max Buchner: Die Entstehung und Ausbildung der Kurfürstenfabel. In: Hist. Jahrb. 33 (1912) 56ff., insbesondere 78ff. Er betrachtet diese Fassung der Kurfürstenfabel als eine eigenständige, im nationalen Sinne gefärbte Auffassung Alexanders. Es ergibt sich dabei allerdings die Schwierigkeit, daß Alexander seine Meinung durch die Beifügung erläutert: „considerans quod ipse de Grecorum, Romanorum et Germanorum germine directa linea processisset, et quod ipse pater suus Pipinus primo et ipse Karolus secundo per Francorum, id est Germanorum auxilium Romanam urbem et ecclesiam dei de Lombardorum infestatione liberasset." Ausschlaggebend ist also die Tradition des Römischen Reichs und der Kirche: weil Karl mit den früheren Trägern des Reichs, den Griechen, Römern und Germanen, verwandt war und weil er sich um die Kirche verdient gemacht hatte, konnte er diese Rolle spielen. Hier dürfte die Tendenz zu einem Kompromiß zwischen verschiedenen Ansichten vorliegen. Auch Edmund Stengel: Der Kaiser macht das Heer. Weimar 1910. S. 80, vgl. auch S. 88, faßt Alexanders Meinung als eine Mittelstellung zwischen den extremen Auffassungen auf. 61 Die ist in Memoriale, cap. XXXV erzählt. Zur historischen Entwicklung der Legende vgl. Wilhelm Levison: Die Anfänge rheinischer Bistümer in der Legende. In: Ann. d. hist. Vereins f. d. Niederrhein 116 (1930) 20ff. 62 Memoriale, cap. XXXVI. Vgl. dazu auch Ernst Winheller: Die Lebensbeschreibungen der vorkarolingischen Bischöfe von Trier. In: Rhein. Archiv 27 (1935) 46f.
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hältnis der beiden Gewalten53 in der Tradition bis auf das 13. Jahrhundert weitergelebt hat. Alexander nun leitet aus seiner symbolischen Deutung der MaternusLegende ab, daß durch die Sendung des Petrus-Stabes vorausgedeutet worden sei auf die Übertragung des römischen Kaisertums von den Griechen auf die Germanen. Das erhält dann noch ein besonderes Gesicht durch die Betonung, der Petrus-Stab sei nach ,,Galliam Belgicam" gesandt worden, wodurch die Christlichkeit dieses Gebietes hervorgehoben wird. Die „Gallia Belgica" sei schon lange vor der Bekehrung der fränkischen Könige dem christlichen Glauben gewonnen gewesen, sie habe auch unter eigenen Fürsten gelebt und sich um die fränkischen Könige nicht gekümmert, die meist in der „Gallia togata" residiert hätten54. Hier fließt demnach die bereits erwähnte abträgliche Behandlung der Frankenkönige mit der Maternus-Legende zusammen. Das Ganze hat gewiß einen gegen die französischen Könige gerichteten Unterton gehabt und wollte deren Streben nach dem Kaisertum bekämpfen, was jedoch bei Alexander noch nicht offen zu erkennen ist55. Die Betonung der besonderen Christlichkeit der „Gallia Belgica" soll vielmehr hier eine Verbindung zu dem Faktum schaffen, daß die ursprünglichen Wahlfürsten des Kaisers in diesem Gebiet beheimatet sind. Darin läßt sich nämlich der eigentliche Sinn des angeblich von Karl d. Gr. angeordneten Modus für die Kaiserwahl erkennen. Da Köln den oberen Teil des Petrus-Stabes besitzt, hat der Kölner Erzbischof auch Vorrang bei der Kaisererhebung, indem er die Weihe des gewählten römischen Königs vornehmen darf. Zusammen mit der oben erwähnten Betonung der Christlichkeit der „Gallia Belgica" findet Alexander dadurch eine entsprechende Basis für den Modus der Kaiserwahl, die Germanen aus den Gebieten von Köln, Trier und Mainz, die den Kaiser wählen56, sind eben Germanen besonderer Art in ihrer Beziehung zum Christentum und zur römischen Verwandtschaft. Der Vorgang wird von ihm „electio canonica"57 genannt. Man könnte darunter einfach eine regelmäßige Wahl verstehen oder auch einen Bezug zur Verwandtschaft mit dem Wahlmodus der kirchlichen Wahlen erkennen, wobei der Nachdruck auf der eigentlichen Wahl durch eine einzige 63
Vgl. dazu auch W. Mohr: Karl d. Gr., Leo III. und der römische Aufstand von 799. In: Archivum Latinit. Medü Aevi 30 (1960) 52ff. 54 Memoriale, cap. XX. 56 Schraub, a. a. O. (Anm. 5), S. 32 f. hat schon darauf hingewiesen, daß die aufkommenden französischen Ansprüche zu einer gewissen Umarbeitung des „Memoriale" geführt haben, wodurch sich zu der anfänglich erkennbaren Zweier-Gruppierung Deutsche—Italiener jetzt eine Dreier-Gruppierung Deutsche—Italiener—Franzosen fügte. 58 Memoriale, cap. XI. Vgl. dazu auch Fran? Wilhelm: Die Schriften des Jordanus von Osnabrück. In: Mitt. d. Inst. f. österr. Gesch. 19 (1898) 629f. 57 Ebd., cap. XXIV.
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Person liegen würde, auf die die übrigen Wähler ihre Stimmen delegieren58. Indes hat dieser letztere Wahlmodus sonst nicht die Bezeichnung „kanonisch" erhalten. Die von Alexander gebrauchte Formulierung steht jedoch in Verbindung mit Faktoren, die wohl eine für ihn charakteristische Bedeutung ergeben. Zunächst einmal wird dieses Anordnen Karls durch die Betonung seiner Abstammung aus griechischem, römischem und germanischem Stamme und seiner Verdienste um die Kirche legitimiert, aber wichtiger noch ist der Hinweis, daß eine Wahl des Kaisers deshalb geschehen müsse, weil es sich nicht zieme, daß das Heiligtum Gottes, nämlich das „regnum ecclesie", in erblichen Besitz überginge, wozu weiter noch gehört, daß „regnum" und „sacerdotium" gewissermaßen gleichen Ursprungs seien59. Speziell war das wahrscheinlich im Hinblick auf das bekannte Dekretale Innozenz' III. gesagt60, um die Beweisführung des Papstes zu entkräften, auf die er seinen Anspruch auf Prüfung des von den Fürsten gewählten Kaisers begründete. Innozenz erklärt nämlich darin, die Fürsten könnten ja auch einen Exkommunizierten, einen Tyrannen, einen Narren, einen Häretiker oder Heiden wählen und dann sei er verpflichtet, einen solchen zu salben, zu weihen und zu krönen. Indem nun Alexander vom „regnum ecclesie" als dem „sanctuarium dei" spricht, das durch „electio canonica principum" besetzt wird, trifft für diese Wahl zu, daß sie wie alle anderen kanonischen Wahlen unter dem Einfluß des Hl. Geistes steht, so daß die Argumentation Innozenz' hinfällig wird. Die Kaiserwahl ist eben ein Vorgang innerhalb der Kirche, sie ist eine christliche Wahl, indem und weil sie auf den drei rheinischen Erzbischöfen beruht, wozu noch der Pfalzgraf bei Rhein kommt, der gewissermaßen ein Vertreter des karolingischen Hausmeieramtes ist61. 68
Zu dieser Ansicht vgl. Alfred Wretschko: Der Einfluß der fremden Rechte auf die deutschen Königswahlen bis zur Goldenen Bulle. In: Zeitschr. d. Savigny-Stift. f. Rechtsgesch. germ. Abt. 20 (1899) 167 ff. Gegen eine unmittelbare Abhängigkeit vom kanonischen Recht hat sich Karl Gottfried Hugelmann: Die deutsche Königswahl im corpus iuris canonici. In: Unters, z. dt. Staats- u. Rechtsgesch. Hrsg. v. O. Giercke. H. 98. Breslau 1909. S. 145ff. ausgesprochen, der diesen Wahlmodus schon im 10. Jahrhundert bei den Königswahlen angewandt sieht, also zu einer Zeit, da ihn das kanonische Recht noch nicht gekannt habe. Für Abhängigkeit von den kanonischen Formen ist in unserer Zeit Robert Folz: Le Souvenir et la Logende de Charlemagne dans rEmpire germanique medioval. Paris 1950. S. 388 eingetreten. Zu der Form ,,electio communis per unum" bei den Königswahlen des 13. Jahrhunderts vgl. Oswald Redlich: Rudolf von Habsburg. Innsbruck 1903. S. 141, S. 167; Karl Zeumer: Die Böhmische und die Bayrische Kur im 13. Jahrhundert. In: Hist. Zeitschr. 94 (1905) 229f.; Mario Krammer: Kurrecht und Erzkanzleramt im 13. Jahrhundert. In: Festg. f. K. Zeumer. Weimar 1910. S. 350ff. 69 Memoriale, cap. XI, cap. XXIV. 60 PL 216, 1065; nr. LXII. 61 Memoriale, cap. XI, cap. XXIV.
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Aus diesem Grunde wird dann auch noch erklärt, warum damals der Herzog von Sachsen und der Markgraf von Brandenburg noch nicht zur Wahlkorporation gehörten. Ihre Völker waren nämlich noch nicht oder erst ganz kürzlich zum Christentum bekehrt62. Deren Zulassung zur Wahl wird zurückgeführt auf die Degeneration des Kaisertums unter den Nachfolgern Karls d. Gr. Voll Entrüstung wählten die deutschen Fürsten überhaupt keinen Kaiser mehr, worauf die Langobarden dieses Kaisertum usurpierten. Das wiederum wollten die Germanen nicht dulden. Sie wandten sich deshalb an die Sachsen, die ja durch die Siedlungspolitik Karls d. Gr. auch mit ihnen verwandt geworden waren, und erhoben nun mit den Sachsen zusammen deren Herzog Otto zum römischen König und künftigen Kaiser. Somit wurden also von jetzt an auch die Fürsten von Sachsen, und das waren der Herzog von Sachsen und der Markgraf von Brandenburg, wahlberechtigt63. Nun handelt es sich für Alexander noch darum, die Tradition des Kaisertums bis auf seine eigene Zeit zu umreißen und dabei die Rolle Frankreichs zu erklären. Ein Teil dieser Tradition liegt in dem geschilderten Entstehen des ottonischen Kaisertums. Zu diesem Zeitpunkt meldeten aber auch schon die französischen Könige Ansprüche an, die sie auf ihre Abstammung von Karl d. Gr. stützten. Karl war ja, bevor er Kaiser wurde, „rex Francorum", er besaß dabei das fränkische Reich auf Grund der Erbfolge. Als Kaiser jedoch war seine Stellung nicht erblich, sondern beruhte auf Wahl. Er wollte nun seine Nachkommen nicht des fränkischen Erbrechtes berauben, weil das ungerecht und nicht geziemend gewesen wäre, und bestimmte deshalb, daß die „Francigene" gemäß ihrem bisherigen Erbrecht einen eigenen König aus königlichem Geschlechte mit einem Teil des Frankenreiches haben sollten64. Es handelt sich also dabei um eine Regelung innerhalb der Verwandtschaft. Denn diese „Francigene" gehen auf die von Priamus abstammenden und mit den Römern durch Caesars Aktion verwandten Germanen zurück, die man auch Franken oder „Gallici comati" nennt und die am Niederrhein wohnten. Als diese Franken sich so vermehrten, daß das Land nicht mehr für ihre Ernährung ausreichte, wanderte ein Teil von ihnen in das Gebiet zwischen Seine und Loire aus, wo sie sich mit gallischen Frauen verbanden, deren Abkömmlinge man „Francigene" nannte, also gewissermaßen „aus den Franken Geborene", und deren Land „Francia" heißt. Die „Francigene", also die Franzosen, sind somit lediglich die jüngeren Verwandten der Ger«2 Ebd., cap. XII. 63 Ebd., cap. XXVII. Wir bleiben für unsere Darlegung bei der Formulierung mit Otto I. C'ber die spätere Wandlung zu Heinrich I. vgl. H. Grundmann, in: Deutsches Archiv 8 (1950) 174. 64 Ebd., cap. XXIV.
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manen65. Diese „reges Francigenarum" nun ließen sich ,,reges Francorum" nennen. Die eigentlichen Könige der Franken, das sind nämlich die der Germanen, nahmen als Höherstehende den Titel Könige oder Kaiser der Römer an66. Die Ansprüche nun der französischen Könige auf das Kaisertum sind ehedem schon von Kaiser Otto kraftvoll zurückgewiesen worden67. Aber auch die sächsischen Kaiser degenerierten68, und so wandten sich die Fürsten den Staufern zu, die allerdings von vorneherein schlecht regiert haben69. Erst jetzt erscheint unter Rudolf von Habsburg ein neuer Hoffnungsstrahl70. Hieraus werden dann Schlüsse auf die Lösung der Krise in der Gegenwart gezogen. Zunächst einmal richtet Alexander einen eindringlichen Appell an die Germanen, das sind zwar praktisch die Deutschen, es wäre aber nach allem, was er über die Bezeichnung geschrieben hat, irreführend, dies hier mit „Deutsche" zu übersetzen. Den Germanen ist also „mundi regimen" übertragen und „ecclesie regimen" anvertraut. Wenn sie doch dabei Einsicht bewiesen und auf die Folgen bedacht wären! Sie sollten sich der Bedeutung des Römischen Reichs bewußt bleiben und zu ihm stehen und sollten bedenken, was das Ende dieses Reiches für die Welt bedeuten würde71. Da es feststeht, daß der Antichrist erst dann kommen wird, wenn das Römische Reich zerstört sein wird, sind also alle diejenigen für das Kommen des Antichrist mitverantwortlich, die auf die Zerstörung des Römischen Reiches hinarbeiten. Dieses Kommen lasse sich zwar nicht abwenden, aber trotzdem machten sich doch diejenigen schuldig, die dazu mithelfen würden72. Daraus ergibt sich natürlich, daß die Welt einer bestimmten Ordnung folgen muß, um das Reich aus der bestehenden Krise zu retten. Als Lösung ist eine universale ganz einfach und leicht durchzuführen, weil es im Grunde genommen keinen Unterschied bei den Völkern des Reiches gibt, denn sie sind eben alle miteinander verwandt. Aus dem Verwandtschaftsverhältnis zwischen Römern und Germanen ergibt sich für Alexander als richtige Folge, daß den Römern als den älteren das „sacerdotium" gehöre, den Germanen als den jüngeren das „regnum", das verlange die rechte Ordnung73. Was die „Francigene" es
Ebd., cap. XVIII. Ebd., cap. XXVI. « 7 Ebd., cap. XXVII. 68 Ebd., cap. XXVIII. 69 Ebd., cap. XXIX. 70 Ebd., cap. XXXI. 71 Ebd., cap. X. 72 Ebd., cap. XIII. 73 Ebd., cap. XI. Die „Noticia Seculi" geht dabei noch weiter, indem sie diese Ordnung so weit gewahrt wissen will, daß immer ein „Romanus" zum Papst, ein,, Germanus" zum Kaiser gewählt werden sollte (cap. XVI).
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anbetrifft, hat Karl d. Gr. seinen Erben, die deren Könige geworden sind, als Entschädigung für die Begrenzung ihrer Herrschaft durch das Kaisertum das „Studium philosophic et liberalium artium" geschenkt, das er von Rom nach Paris überführte74. Diese Dreierordnung sei also notwendig, indem die Standhaftigkeit der Römer im Glauben bewahrt, die Hochherzigkeit der Germanen in der Kaisermacht für die Bewahrung des Glaubens sorgt und die Scharfsinnigkeit und Beredsamkeit der Gallier die Verbindlichkeit des Glaubens nachweist75. Bei alledem liegt also der Vorrang beim christlichen Glauben und damit doch auch bis zu einem gewissen Grade beim Papsttum. Der Papst müsse dafür sorgen, daß das „Studium" bei den Galliern in Blüte bleibe, um die Irrlehren zu bekämpfen, daß das „Imperium" bei den Germanen in seiner Autorität erweitert werde und daß das „sacerdotium" bei den Römern sich festige, um die Söhne der Kirche zu einigen76. Das Imperium sieht Alexander sehr stark wie eine Art kirchliches Amt, ein „sanctuarium dei, idestregnumecclesie"77. Er lehnt es in diesem Zusammenhang weitgehend ab, moralische Vergleiche unter den Völkern anzustellen, man solle die auftretenden Fehler nicht so schwer nehmen78. Seine Hoffnung geht darauf aus, daß der Universalismus wiederhergestellt werde, wie er es zu Ende des Memoriale betont, indem Gott nach seinem Willen das „regnum" und „sacerdotium" reformiert und vereinigt, damit Friede herrsche79. Wir müssen aber nun noch einmal zurückgreifen auf die durchaus nationale Bewertung, die Alexanders Schrift zeitweilig erfahren hat, 74
Ebd., cap. XXIV. Die Translation des Studiums zuerst bei Vinzenz von Beauvais und Martin von Troppau. Vgl. dazu W. Goez, a. a. O. (Anm. 17), S. 122f.; Monum. Germ. Hist., Staatsschriften d. spät. Mittelalt. I, 1. S. 15f. 75 Ebd., cap. XXV. In der „Noticia seculi" wird dieses Verhältnis noch etwas symbolischer gesehen. Die „summa universalis regimini" dreht sich hier um die römische Kirche (cap. XVI). Die „res publica ecclesie Romane" wiederum beruht auf Europa, speziell auf dem „regnum" der Römer und Franken. Dieses Gebiet wird in drei Teile geteilt: Italien, Deutschland (Teutonia) und Gallien. Die Hl. Dreifaltigkeit, die hier offensichtlich in Beziehung zu dieser Einteilung gesetzt wird, hat nämlich bestimmt, daß „sacerdotium", „regnum" und „Studium" eine einzige Kirche bilden. So ist in diesen drei Territorien die „res publica fidei Christiane" zu finden (cap. XII). Die Römer sind die Wurzel, die Germanen der Stamm und die Gallier die Zweige eines Baumes, der Blüten und Früchte hervorbringt (cap. XVIII). 78 Ebd., cap. XXXIII. 77 Ebd., cap. XXIV. Vgl. dazu Hermann Heimpel: Alexander von Roes und das deutsche Selbstbewußtsein des 13. Jahrhunderts. In: Arch. f. Kulturgesch. 26 (1936) 35f. 78 Ebd., cap. XXXIII. Auch in der „Noticia seculi" werden die Völker als unter sich gleich in den guten wie in den schlechten Eigenschaften dargestellt (cap. XIII). Allerdings wird hier auch gewarnt, bei der Regierung den Wandel der Zeiten und die Verschiedenheit im Charakter der Landschaften und Menschen unbeachtet zu lassen, ein Gedanke, der offensichtlich von Aristoteles übernommen ist. Als warnendes Beispiel wird die allzu pro-französische Politik Papst Martins IV. angeführt (cap. XVI). 79 Ebd., cap. XXXVIII. Med.V
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und die Frage stellen, ob es sich nicht doch in Wirklichkeit hier um ein Werk handelt, das in nationalem Bewußtsein den Anspruch der Deutschen auf die Herrschaft der Welt verteidigen wollte, und das speziell gegenüber dem Bestreben der Franzosen, sich an die Stelle der Deutschen zu setzen. Man müßte in diesem Falle übrigens große Teile der Ausführungen Alexanders, die dem nicht entsprechen, unter einer Absicht sehen, die Gegner seiner Ansicht irre zu führen. Nun wurde das Memoriale geschrieben, um der im Jahre 1281 herrschenden politischen Lage zu begegnen. Die Schrift war dem Kardinal Jakob Colonna gewidmet, einer Persönlichkeit von einer ganz bestimmten weltanschaulichen und auch politischen Prägung80. Die Zielsetzung Alexanders muß also vornehmlich in den Gegebenheiten an der Kurie gesucht werden. Beherrscht wurden diese vom Streben Karls von Anjou, der politisch das Erbe der Staufer anzutreten suchte, was in besonderem Maße für das Jahr 1281 gilt, denn es war gerade ein Wechsel auf dem päpstlichen Thron erfolgt, durch den ein unbedingt ergebener Anhänger Karls, Martin IV., erhoben worden war. Damit stand also die Verwirklichung des angiovinischen Programms zu erwarten, bzw. zu befürchten. Als Gegner dieses Programms spielte der Kardinal Colonna seine besondere Rolle, und in diesem Lichte ist auch das Memoriale zu sehen. Alexander ließ sich, nach seinen eigenen Worten, bei der Abfassung der Schrift durch die Ungeduld der Liebe, d. h. den Eifer für das Haus Gottes treiben81. Der hier gebrauchte Ausdruck „domus dei" ist nicht nur eine Redefloskel, sondern immer wieder läßt sich erkennen, wie Alexander kirchliche und weltliche Ordnung als eine organische Einheit auffaßte, in der das eine nicht von dem ändern getrennt werden darf, daß das Ganze materiell und geistig wie ein Haus ist, dessen Teile zu seiner Existenz unbedingt zusammengehören. Dieses Haus ist prinzipiell geordnet durch die zwei Gewalten, die priesterliche und die kaiserliche, die „potestates principales", von denen Christus selbst sagte: „satis est"82. Die Auseinandersetzung im Memoriale geht im wesentlichen um dieses Wort Christi. Wenn die zwei Schwerter genügen, dann bedarf es also nicht eines dritten Faktors, um die Welt zu regieren. Dieser dritte Faktor muß in den Auseinandersetzungen an der päpstlichen Kurie gesucht werden, denn die Schrift will ja durch Beeinflussung der Kurie die rechte Ordnung im Hause Gottes finden. Das gleiche Kapitel, das über die zwei Schwerter berichtet, deutet auch an, worauf dieses „satis est" zu beziehen ist. Die Worte Christi besagten nämlich, daß die Gewalt des Kaisers den ändern weltlichen Gewalten übergeordnet sei und diese in sich enthalte. Die grundle80 81 82
Vgl. dazu Schraub, a. a. O. (Anm. 5), S. 48 ff. Memoriale, cap. I. Ebd., cap. VII.
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gende Gefahr für die universale Ordnung sah Alexander also in der Aufspaltung der kaiserlichen Gewalt. Das konnte sich nur auf das Streben des französischen Königs Philipps III. nach dem Kaisertum oder auf die Ziele Karls von Anjou beziehen. Da nun die Kandidatur Philipps sowieso von Karl betrieben wurde, geht es also ausschließlich um dessen Pläne83, die eine Sicherung seiner Macht in Oberitalien durch ein Kaisertum seines Neffen erstrebten. Es fragt sich nun, inwieweit Alexanders Bedenken bei der Abfassung des Memoriale beim Programm Karls von Anjou zu suchen sind. Dessen endgültige Ziele sind nicht einwandfrei zu erkennen, denn er vermied es in geschickter Weise, dem Papsttum Anhaltspunkte zu einem Eingreifen gegen ihn zu verschaffen, und so etwas mußte er fürchten, sobald er offen nach dem Kaisertum strebte. Immerhin lassen sich seit der endgültigen Eroberung Siziliens im Jahre 1267 seine Ziele in einem begrenzten Ausmaß erkennen, insoweit sie sich auf einen Erwerb des Kaisertums in Konstantinopel richteten, wie es sein Vertrag mit Kaiser Balduin II. verrät84. Die zweite Stufe des Programms Hegt in der Annahme des Titels König von Jerusalem im Jahre 1277, nachdem er sich durch Vertrag von Maria von Antiochien deren Ansprüche auf das Königtum hatte abtreten lassen85. Es mag sich hierbei um das Streben gehandelt haben, die volle Erbschaft der Staufer auch in Syrien und Palästina anzutreten, man wird das Ganze aber auch im Zusammenhang mit den Plänen auf Konstantinopel zu werten haben. Die Stellungnahme Alexanders von Roes ist grundsätzlich wohl dadurch bedingt, daß die französischen Könige sich seit der Wende des 12. zum 13. Jahrhundert als Abkömmlinge der Karolinger propagierten und deshalb als Nachfolger Karls d. Gr. das Kaisertum beanspruchten, dessen Träger die deutschen Könige waren86. Dabei 83
Vgl. Johann Heller: Deutschland und Frankreich in ihren politischen Beziehungen vom Ende des Interregnums bis zum Tode Rudolfs von Habsburg. Göttingen 1874. S. 24ff.; Folz, a. a. O. (Anm. 68), S. 306f. e * Vgl. J. E. Kopp: Der Geschichten von der Wiederherstellung und dem Verfalle des Heiligen Römischen Reiches 1. bis 4. Buch. In: Die Geschichte der eidgenössischen Bünde. Leipzig 1845/47, Berlin 1871. Hälfte 2, Abt. 2, Bd. 2, S. 225ff.; Fritz Walter: Die Politik der Kurie unter Gregor X. Diss. Berlin 1894. S. 41 ff.; Haller, a. a. O. (Anm. 4), Bd. 4, S. 342; Jean Lognon: L'Empire latin de Constantinople et la principaute de Moree. Paris 1949. S. 235ff.; Emile G. LeOnard: Les Angevins de Naples. Paris 1954. S. 103; Steven Runciman: The Sicilian Vespers. Harmondsworth 1960. S. 152 ff. 86 Reno Grousset: Histoire des Croisades. Paris 1936. Bd. 3, S. 672ff.; E. G. Leonard, a. a. O., S. 129f.; St. Runciman, a. a. O., S. 188f. 86 Vgl. dazu die Zusammenstellung der Beispiele bei Kampers, a. a. O. (Anm. 33), S. 119 f.; A. Dürrwaechter: Die Gesta Caroli Magni der Regensburger Schottenlegende. Bonn 1897. S. 82ff.; F. Kern, a.a.O. (Anm. 6), S. 15; Zeller, a.a.O. (Anm. 36), S. 279 ff.; R. Folz, a. a. O. (Anm. 68), S. 1781; Robert Folz: L'idoe d'empire en Occident du V'au XlV'siecle. Paris 1953. S. 148f.; Percy Ernst Schramm: Der König von Frankreich. 2. Aufl. Darmstadt 1960. S. 179. 19*
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lassen sich bei ihm in der Bekämpfung des angiovinischen Programms Faktoren feststellen, die auf eine besondere Richtung, nämlich auf die Bekundungen der Anhänger Karls von Anjou in Italien hindeuten. Dieser wurde dort auch als Nachkomme und Nachfolger Karls d. Gr. gesehen, aber nicht in der französischen Form der Karlssage, sondern in einer eigenen italienischen Fassung. Eine solche Fassung dürfte in den Gesta Karoli Magni der Regensburger Schottenlegende vorhegen87. Sie betrachtete Karl d. Gr. als einen Römer, in freundschaftlicher Verbindung mit den „Francigene"88, der das deutsche Gebiet erobernd sich unterwarf. Wenn man auch mit Rückschlüssen von dieser Legende auf eine italienische Karlssage etwas zurückhaltend sein muß, darf man wohl aus dem Ganzen soviel ersehen, daß in Italien Karl von Anjou als Nachfolger Karls d. Gr. in einer Art nationalitalienischem Sinne galt, wodurch es nötig war, den Franzosen in der Geschichte eine eigene Stellung einzuräumen. Es ist durchaus wahrscheinlich, daß Karl sich die italienischen Meinungsströmungen zunutze machte, womit das angiovinische Programm eine bestimmte italienische Färbung erhalten hätte, die wir, wie gesagt, bei Alexander von Roes erkennen können. Darunter fallen bei ihm die Zurückweisung der lombardischen Ansprüche und die selbständige Stellung Frankreichs89, die er z. B. nicht anzutasten wagt, die er aber dadurch ausgleicht, daß er Karl d. Gr. durch seine Germanen-Theorie verwandtschaftlich in Verbindung mit den Römern bringt. Man könnte darin das Bestreben sehen, die Unberechtigtheit der nationalen Härten in der angiovinisch-italienischen Argumentation abzubiegen durch eine Restauration des alten Universalismus90. Die Verbindung der Pläne Karls von Anjou mit dem byzantinischen Kaisertum spielt an sich bei Alexander von Roes keine Rolle. Für ihn besteht keine Problematik zwischen oströmischem und abendländischem Kaisertum91, für ihn gibt es in prinzipiellem Sinne der Ge87
Vgl. zum folgenden Dürrwaechter, a. a. O., insbesondere S. 87 ff.; Folz, Souvenir de Charlemagne, a. a. O. (Anm. 68), S. 299, S. 302 ff. 88 In der Schottenlegende wird zwar vom „rex Franciae" gesprochen, dessen Tochter Pippin, der ,,rex Romanorum", heiratete, doch erfahren wir sonst nichts über diesen König und auch nichts über die Franken. 89 Vgl. zu den historischen Grundlagen dieser selbständigen Auffassung Frankreichs Zeller, a. a. O. (Anm. 36), S. 282ff., S. 2921; Folz, Souvenir de Charlemagne, a. a. O. (Anm. 68), S. 279. 90 In dieser Hinsicht ist es auch beachtenswert, daß Karl d. Gr. im,,Memoriale"noch als „rex Francorum" auftritt (cap. XXIV), während er in der „Noticia seculi" ein „Teutonicus" genannt wird (cap. XVIII). Daran läßt sich erkennen, daß in der Zeit zwischen der Abfassung des „Memoriale" und der „Noticia seculi" das Problem sich stärker auf eine deutsch-französische Gegenüberstellung verschoben hat, denn mit der Thronbesteigung des französischen Königs Philipp IV. setzte eine neue Kaiserpolitik von dessen Seite ein. Vgl. dazu F. Kern, a. a. O. (Anm. 6), S. 125 f. 91 Vgl. für diese Problematik Goez, a. a. O. (Anm. 17), S. 201f.
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waltenordnung nur ein einziges Kaisertum, das ehedem vom Osten auf den Westen übertragen worden war. Eine Unsicherheit in seiner Auffassung könnte man vielleicht darin erkennen, daß er eine Verwandtschaft Karls d. Gr. mit dem griechischen Kaiserhause konstruiert92. Das sollte möglicherweise auch ein Gegengewicht gegen das angiovinische Programm sein, indem den orientalischen Kaiserplänen Karls ebenfalls die legitime Grundlage entzogen wurde. Dieses Programm bedeutete jedenfalls eine Spaltung der einheitlich konzipierten Kaiseridee, und so können das erwähnte „satis est" und die von Alexander entwickelte Auffassung sich gerade darauf beziehen. Daß mit der Erhebung Martins IV. die Sorge um eine bedeutende Aktivierung im Vorgehen Karls von Anjou steigen mußte, ist ohne weiteres verständlich. Und gerade in diesem Zeitpunkt läßt sich erkennen, daß Karl sein Orientprogramm an die erste Stelle rückte93. In der Frage, gegen welche möglichen unmittelbaren Auswirkungen der angiovinischen Absichten sich Alexander gerichtet hat, wird der Schwerpunkt wohl darin liegen, was damals von der Politik des neuen Papstes zu erwarten war, bzw. inwiefern er dem Beginnen Karls nachhelfen konnte. Dabei ist man doch wohl gezwungen, auf die Pläne zurückzukommen, die seit dem Eintreten des Interregnums über die Gestaltung des Reiches von verschiedenen Seiten vorgebracht wurden und die auch in Verbindung zum Namen des einen oder anderen Papstes gekommen sind. Inwieweit solche Ideen auf Papst Martin selbst haben einwirken können, entzieht sich unserer Kenntnis, doch hielt man es damals wohl für möglich, daß er in diesem Sinne zugunsten Karls von Anjou handeln könnte, und vielleicht hat die Besorgnis davor Alexander die Feder in die Hand gedrückt. Hierbei sind zwei Pläne zu nennen: der dem ehemaligen General der Dominikaner Humbert von Romans zugeschriebene und das sogenannte Vierstaatenprojekt. Bei Humbert von Romans hat es sich inzwischen herausgestellt, daß dieser Plan in sein Opus tripartitum interpoliert wurde. Der Zeitpunkt dieser Interpolation ist nicht einwandfrei zu bestimmen, doch sprechen gute Gründe für die Monate vor der Eröffnung des Lyoner Konzils des Jahres 1274 und nicht für den Beginnn des 14. Jahrhunderts, wie zunächst angenommen worden war94. Somit kommt diese Interpolation in vollem Sinne für unsere Darstellung in Betracht. 92
Memoriale, cap. XXII. Die Problematik selbst ist um die Jahrhundertwende von Johann von Paris aufgegriffen worden. Er lehnt den Gedanken ab, als habe eine „translatio imperil" stattgefunden, weil es ja doch bei den Griechen weiterhin Kaiser gegeben habe. Allerdings erklärt er sich gegen eine Geltung des Universalismus an sich im Imperium. Vgl. Richard Scholz: Die Publizistik zur Zeit Philipps des Schönen und Bonifaz VIII. In: Kirchenrechtl. Abh., Heft 6—8. Stuttgart 1903. S. 327f. 93 Vgl. dazu Haller, a. a. O. (Anm. 4), Bd. 5, S. 60; Leonard, a. a. O. (Anm. 84), S. 134f. 84 Gegenüber der Annahme, als sei die Interpolation in einem Auszug des Bernhard
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In dem fraglichen Kapitel hat Humbert von den „nationes in quibus fuit regmim Arelaten. et similes" geschrieben. Diese befänden sich in einer üblen Lage, weil sie keinen „dominus generalis" besäßen, an den sie sich bei Notständen um Hilfe wenden könnten, und es erscheine daher gut, ihnen einen solchen zu setzen, oder daß wenigstens der Kaiser, bzw. bei Vakanz des Imperiums der Papst, ihnen einen „vicarius" ernenne, zu dem sie ihre Zuflucht nehmen könnten. Es geht bei diesem Vorschlag also in erster Linie um das Königreich Arles, das indes andererseits als ein Beispiel für „multas nationes" steht95. Man kann dabei an Ober- und Mittelitalien denken, die sich in einer ähnlichen Lage befanden96. Der Vorschlag, diesen „nationes" einen „dominus generalis" zu setzen, zielt offensichtlich darauf, die in sich zersplitterten Gegenden wieder zusammenzufassen. Das Ziel lag wohl in einem Wiederaufleben der alten Reichsverwaltung, sei es durch eine Wiedereinsetzung der früheren Generallegaten oder der Generalvikare. Das Amt des Generallegaten war seit dem Jahre 1249 eingestellt worden. Der Titel galt hauptsächlich in Italien. Für die burgundischen Gebiete, von denen Humbert hier vornehmlich spricht, findet er sich zwar auch hin und wieder, doch wurde hier vorwiegend die Bezeichnung Generalvikar gebraucht. Es scheint, daß die Generallegaten, solange dieses Amt existierte, eine gewisse Befehlsgewalt über die Generalvikare ausübten. Die Vikare indes dürften in den letzten Zeiten Kaiser Friedrichs II. nicht mehr von den Generallegaten ernannt worden sein, sondern direkt vom Kaiser97. Daraus muß wohl auch die Unterscheidung in Humberts Vorschlag verstanden werden. Durch die Ernennung eines „dominus generalis" wäre ein ziemlich selbständiges Amt geschaffen worden. Falls man das nicht tun wollte, sollte man dann doch wenigstens einen Vikar ernennen, der in einer stärkeren Abhängigkeit von der Reichsgewalt blieb und auch keine Gui geschehen, den dieser sich aus Humberts Schrift zu Beginn des 14. Jahrhunderts anfertigte, Fritz Heintke: Humbert von Romans, der 5. Ordensmeister der Dominikaner. In: Hist. Studien. Heft 222. Berlin 1933. S. 139ff.; Friedrich Bock: Kaisertum, Kurie und Nationalstaat zu Beginn des 14. Jahrhunderts. In: Römische Quartalschr. f. christl. Altertumskunde u. f. Kirchengesch. 44 (1936) 116ff. wurde von Haller, a. a. O. (Anm. 4), Bd. 5, S. 321 die Ansicht von Bertha Birckman: Die vermeintliche und wirkliche Reformschrift des Dominikanergenerals Humbert de Romanis. Diss. Freiburg i. Br. 1916. S. 17 ff. mit beachtlichen Argumenten gestützt, die aus dem Wortlaut des Textes auf eine Interpolation im Jahre 1274 schloß, wobei allerdings der Urheber dieser Interpolation nicht gewiß ist. Auch die Histoire littdraire de France 35 (1934) 175 hatte schon darauf hingewiesen, daß es bei der Gewissenhaftigkeit des Bernhard Gui gegenüber seinen Quellen unwahrscheinlich sei, daß er selbst die Erweiterungen in seinem Text vorgenommen habe; sie glaubt u. a. an die Möglichkeit, daß ihm ein bereits durch einen Unbekannten erweitertes Manuskript vorgelegen hätte. 95 Die Texte sind am besten bei Birckman, a. a. O. (Anm. 94), S. 27 ff. zu benutzen. Vgl. Birckman, a. a. O., S. 29. 97 Julius Ficker: Forschungen zur Reichs- und Rechtsgeschichte Italiens. Innsbruck 1869. Bd. 2. S. 167, S. 499f., S. 621f.
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solch weitgehenden Befugnisse besaß, wie das Generalamt sie enthielt. Wir wissen nun, daß Humbert im Gewaltenstreit auf päpstlicher Seite stand98. In seinen Vorschlägen scheint er auf eine Stützung der angiovinischen Pläne zu zielen. Seit dem Jahre 1267 war Karl von Anjou vom Papst zum „paciarius", im Jahre 1268 zum Reichsvikar in der Toskana ernannt worden". Versuche, seine Macht auf die Lombardei auszudehnen, mißlangen angesichts des von lombardischer Seite geleisteten Widerstandes. In der Provence wurde seine Nachfolge durch die Ansprüche seiner Mutter Margarethe gehindert, die später sogar zeitweise die Unterstützung Rudolfs von Habsburg erhielt. Da es im Augenblick keinen Kaiser gab, seit April aber eine Kirchenversammlung nach Lyon einberufen war, war von dieser bei dieser Gelegenheit auch ein Eingreifen in die weltliche Ordnung zu erwarten. Humberts Schrift, die im Rahmen der vom Papste für dieses Konzil angeforderten Denkschriften zu werten ist, ging also allem Anschein nach darauf aus, Karl von Anjou auch das Reichsvikariat über die Lombardei und über Arles zu verschaffen. Die genannte Interpolation steht nun in einem Auszug, der aus dem Opus tripartitum angefertigt wurde, worin der eben aus Humberts Schrift wiedergegebene Eindruck unterstützt wird. Dieser Auszug ist speziell in diesem Punkt wie eine erklärende Glosse aufgezogen. Gewissermaßen Humberts Absicht zusammenfassend, heißt es zu Beginn: bezüglich des vakanten Imperiums solle man einen Vikar einsetzen, womit hier anscheinend das gleiche wie Humberts „dominus generalis" gemeint ist. Dann kommt ein Zusatz, der sich nicht nur auf die Ordnung dieses Gebietes, sondern auf das ganze Reich bezieht, indem das deutsche Königtum von einem Wahl- in ein Erbkönigtum verwandelt werden soll, dessen König sich auf die Herrschaft über Deutschland zu beschränken habe. In Italien seien ein oder zwei Erbkönigreiche einzurichten, und zwar in der Lombardei und in der Toskana, deren Könige in bestimmten Fällen vom Papst abgesetzt werden könnten. Ausgegangen wird dabei davon, daß die Langobarden ehedem einen König besessen hätten. Bei dem zweiten zu schaffenden Reich handelt es sich um die Toskana. Der nächste Satz im Text ist wohl so zu verstehen, daß man, da das Kaisertum vakant sei, den König der Lombardei zum Vikar des Reiches in der Toskana ernennen könne. Auf diese Weise, so muß offensichtlich ergänzt werden, werden die beiden 98
Vgl. die Belege bei Heintke, a. a. O. (Anm. 94), S. 21 ff. Zur Begriffsunterscheidung vgl. Ficker, a. a. O., Bd. 2, S. 460; Arnold Busson: Die Idee des deutschen Erbreichs und die ersten Habsburger. In: Sitz.-Ber. d. Akademie Wien, phil.-hist. Klasse 88 (1878) 642ff.; C. Rodenberg: Zur Geschichte der Idee eines deutschen Erbreichs im 13. Jahrhundert. In: Mitt. d. Inst. f. österr. Gesch. 16 (1895) 127; Augustin Demski: Papst Nikolaus III. In: Kirchengesch. Studien, Bd. 4. Münster i. W. 1903. S. 47f.; Folz: Souvenir de Charlemagne, a. a. O. (Anm. 58), S. 301. 99
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Reiche vereinigt, und wenn der neue Kaiser einmal bestätigt und gekrönt sei, solle dieses Königreich nur durch den apostolischen Stuhl und nicht auf andere Weise als Vasall anerkannt werden. Denn das Imperium sei gewissermaßen auf ein Nichts herabgesunken, und seit einer Reihe von Jahren sei von den in das Imperium Erhobenen viel Schlechtes in die Herrschaft gekommen, Friede und Einheit seien gestört, die Menschen gemordet worden, und wenig Gutes sei gefolgt. Das ergäbe genügend Gründe, sich Gedanken über einen zu findenden Modus der Regelung zu machen, wenn es dazu überhaupt noch der Mühe wert sei100. Die Meinung des Autors dieses Exzerptes geht zweifellos dahin, das Kaisertum aufzuheben, deshalb macht er den Vorschlag, an seiner Stelle zwei oder drei Erbreiche einzurichten. Seine Ausführungen zeigen aber auch, daß man mit der Erhebung eines neuen Kaisers zu rechnen hatte, was bei den politischen Plänen Gregors X. schon bei der Einberufung des Konzils von Lyon zu erkennen war. Deshalb machte er seinen letzten Vorschlag, in dem die Stellung des Kaisers nicht in positivem Sinne umrissen wird, wobei aber in jedem Falle in negativem Sinne Italien der kaiserlichen Herrschaft entzogen wird. Vom Königreich Arles hören wir hier nichts, es besaß eben in Wirklichkeit für die großen politischen Probleme keine Bedeutung und war wohl andererseits von Humbert nur deshalb herausgestellt worden, weil es seine Heimat war und als solche eine Rolle in der angiovinischen Politik spielte. Dagegen liegt für den Verfasser des Exzerptes der Schwerpunkt auf der Lombardei, für ihn steht Italien im Mittelpunkt des Interesses, was übrigens zu der Annahme geführt hat, der damalige Dommikaner100 Vgl. dazu auch Demski, a. a. O., S. 169ff. Allerdings bezieht er in dem Satz: „et alia multa sunt, que racionabiliter persuadent, ut quaeratur modus aliquis conveniens ad providendum circa hoc" das „circa hoc" auf die aufgezählten Übelstände, während es doch wohl das „Imperium" bedeutet. Ebenso ist das abschließende „si valeat inveniri" mit dem „Imperium enim quasi ad nihilum est redactum" in Verbindung zu bringen, so daß es nicht zu übersetzen ist: „wenn ein Modus gefunden werden könne", sondern: „wenn es überhaupt wert ist, daß einer gefunden werde", nämlich angesichts des Zustandes des Imperiums. Die Lehensabhängigkeit ist wohl in dem angegebenen Sinne zu verstehen, indem das „per apostolicam sedem et non aliter" auf „recognosceret" und nicht auf „Imperatore confirmato et coronato" (so Birckman, a. a. O. [Anm. 94], S. 31) bezogen wird. Diese Erklärung ist ehedem bereits von Franz Wilhelm: Das Aufkommen der Idee eines deutschen Erbreiches. In: Mitt. d. Inst. f. österr. Gesch. Erg.-Bd. 7 (1907) 14f. vorgeschlagen worden. In der Diskussion darüber hat Albert Hauck: Kirchengeschichte Deutschlands. 5. Aufl. Berlin-Leipzig 1953. Bd. 5. S. 49, Anm. 2 stärker zu Wilhelms Ansicht geneigt. Er nimmt mit Wilhelm aber an, daß gemeint sei, der lombardische König solle den Kaiser als Lehnsherrn durch den päpstlichen Stuhl anerkennen, so daß der Papst Oberlehnsherr des lombardischen Königs sei. Das „et non aliter" deutet aber doch wohl auf gänzliche Ausschließung des Kaisers, denn es folgen im nächsten Satz die bezeichnenden Ausführungen über das Imperium. Im ganzen gesehen ist das doch eine recht kräftige Stellungnahme gegen das Kaisertum.
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general Johann von Vercelli könnte diesen Auszug aus der Schrift des früheren Generals gemacht haben101. Dieser Plan ist wohl antikaiserlich, aber er ist deshalb nicht angiovinisch, und er ist gerade in dieser Eigenart auf die Politik Gregors X. abgestimmt, der den angiovinischen Einfluß in Italien eindämmen wollte. Zweifellos ging Humberts von Romans Meinung nicht so weit, das Kaisertum ganz aufzulösen. Die Nationen, von denen er spricht, schildert er als unter dem Imperium stehend, ohne irgendwelche Andeutung, daß dieses etwa seine Kraft verloren hätte. Aber sein Plan bedeutet doch eine Umgruppierung des Reichs mit einer notwendig folgenden Schwächung desselben, denn das Reichsvikariat sollte eingerichtet werden, ungeachtet ob ein Kaiser fehle oder vorhanden sei102. Bei diesem Gedanken einer Umgestaltung des Reichs ist aber nicht zu erkennen, ob er nur ein einziges Reichsvikariat für alle von ihm gemeinten Gebiete vorschlug, oder ob hier an mehrere Teile im Sinne von Reichen gedacht war. Bei dem Autor des Exzerptes jedoch geht es deutlich um drei neu zu schaffende Reiche, und das Kaisertum will er offensichtlich nicht mehr als Macht in diesem Sinne betrachtet wissen. Es läßt sich bei ihm höchstens noch als Würde fixieren, der kein eigenes Reich zugeteilt ist. Zu diesen Ideen besteht zumindest äußerlich ein Zusammenhang mit dem Vierstaatenprojekt, das uns durch Tholomaeus von Lucca zu Beginn des 14. Jahrhunderts unter Bezugsetzung zur Regierung Papst Nikolaus III. überliefert wurde. Danach wäre das Reich in vier Königreiche aufzugliedern. In Deutschland sollte das Haus Habsburg herrschen, im Reich Vienne das Haus Anjou, dazu sollten in Italien noch die Königreiche Lombardei und Toskana kommen, für die die Herrscher noch nicht genannt werden. Tholomaeus hat davon sowohl in seinen Annalen wie in seiner Kirchengeschichte gesprochen103, wobei die von ihm gebrachte Überlieferung nicht einheitlich ist. Die erste Fassung der Annalen, entstanden 1303 oder wenig später, spricht noch nicht von einem Teilungsplan. Die zweite, die kurz darauf folgte, berichtet, der Papst habe mit Rudolf von Habsburg über die Umwandlung des Reiches verhandelt, und zwar bezüglich Deutschlands, der Toskana, der Lombardei und des Reiches Vienne. Erst die im Jahre 1317 datierte Kirchengeschichte bringt den Plan in den oben angegebenen Einzelheiten104. Die Annalen lesen sich dabei wie ein Bericht aus eigener 101
Haller, a. a. O. (Anm. 4), Bd. 5, S. 321. Das ist wohl auf die Verpflichtung zu beziehen, die Karl von Anjou ehedem bei seiner Ernennung zum „paciarius" eingehen mußte, nämlich nach der Bestätigung eines neuen Kaisers durch den Papst sein Amt niederzulegen. 103 Ann. 1279; Hist. eccl. 1279. 104 Vgl. zur Problematik des vielumstrittenen Projektes Ficker, a. a. O. (Anm. 97), Bd. 2, S. 460f.; Hermann Grauert: Jourdain d'Osnabruck et la „Noticia seculi". In: Molanges Paul Fabre. Paris 1902. S. 345ff.; Demski, a.a.O. (Anm. 99), S. 162ff.; 102
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Kenntnis, in der Kirchengeschichte wird auf „ut tradunt historic" verwiesen105. Es ist natürlich möglich, daß seine Ausführungen teilweise Mißdeutungen darstellen, aus den Worten in der Kirchengeschichte, der Papst habe mit Rudolf über Neuerungen verhandelt, die im Imperium vorzunehmen seien, geht jedoch hervor, daß nicht an einen Plan zur Auflösung des Kaisertums gedacht war, sondern nur an eine Umgestaltung der Organisation des Reiches. Über die vier Reiche sollte wohl eine Oberhoheit des Kaisers bestehen bleiben. Wenn wir nun in diesen Zusammenhang das Memoriale Alexanders von Roes einbeziehen, ist zu beachten, daß zwar noch zu Nikolaus' III. Zeiten nicht daran gedacht war, Rudolf von Habsburg das Kaisertum zu verweigern106, daß aber das alles unter Martin IV. anders werden konnte, so daß jetzt die Gefahr einer Begünstigung der Pläne Karls von Anjou durch solche Projekte bestand. Zu Besorgnissen war deshalb für Alexander Anlaß gegeben und damit auch Grund zum Aufstellen eines Gegenprojektes. Aus dem Schluß der Denkschrift ersehen wir, wie stark er sich mit der Übertragung des Imperiums auf die Germanen beschäftigte107. In diesem Zusammenhang betont er auch in besonderem Sinne die Maßgeblichkeit der Stellungnahme des Papstes für die Aufrechterhaltung der Ordnung108. Seine Sorge geht auch darum, daß die Kirche das Kaisertum zugunsten des Papsttums beseitigen könne109. Demgegenüber spielen die Ansprüche der Franzosen auch in den speziell Alexander gehörenden Teilen des Memoriale nur eine geringfügige Rolle. Allerdings wird Martin IV. in diesem Zusammenhang nicht genannt, doch muß man beachten, daß es für den Autor wohl zu gefährlich gewesen wäre, sich speziell gegen ihn zu äußern. Jedenfalls ist aus seinen Ausführungen und besonders aus denen über den Antichrist zu schließen, daß er eine Aufhebung des Kaisertums für möglich hielt. Dies kann nun sehr gut in Verbindung mit den oben erwähnten umlaufenden Plänen stehen. Humbert von Romans und das aus seiner Schrift gemachte Exzerpt tendieren ja in diese Richtung. Die Worte des Exzerptes: „Aliquando enim Lombardi Redlich, a. a. O. (Anm. 58), S. 420ff.; Franz Joseph Voller: Teilungspläne des Papstes Nikolaus III. In: Hist. Jahrbuch 25 (1904) S. 62 ff.; Hauck, a.a.O. (Anm. 100). Bd. 5, S. 454ff.; Heintke, a.a.O. (Anm. 94), S. 141 f.; Haller, a.a.O. (Anm. 4), Bd. 5, S. 511 106 Das könnte z. B. in Verbindung stehen mit dem Beschluß des geheimen Rates der Stadt Siena vom 25. September 1278, über den Robert Davidsohn: Forschungen zur Geschichte von Florenz. Berlin 1908. Bd. 4. S. 230 berichtet hat, der sich mit einem Empfang für den Nepoten des Papstes beschäftigte: „electus sicut fertur vicarius generalis in Tuscia pro Romano Imperio". 108 Vgl. dazu Demski, a. a. O. (Anm. 99), S. 188ff. 107 Memoriale, cap. XXXVII. 108 Ebd., cap. XXXIII. 108 Ebd., cap. II, cap. XXXII; vgl. auch cap. XIV und cap. XXIX. Vgl. dazu auch Wilhelm, a. a. O. (Anm. 100), S. 6321, S. 635.
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Regem habuemnt" erinnern sofort daran, daß Alexander sich ziemlich eingehend mit dem Königreich der Lombarden beschäftigt hat und z. B. nachdrücklich betont, daß Karl d. Gr. ihnen mit Recht die Königswürde entzogen und Otto I. ihre Ansprüche auf das Kaisertum für immer beseitigt habe110. Man darf des weiteren annehmen, daß Alexander eine Übertragung des Kaisertums auf Karl von Anjou im gleichen Sinne wie eine Auflösung empfunden haben würde, denn die Ordnung, wie sie im Augenblick bestand, galt ihm ja als vom Hl. Geiste in dieser Weise eingerichtet111. Es gibt nun einen Punkt, an dem man sagen könnte, hier zeige sich eine Verbindung zu den tieferen Besorgnissen Alexanders. Bei dem Vergleich des „Ordo" mit einem Hause spricht er von den vier Hauptsitzen des Reiches in Aachen, Arles, Mailand und Rom, die er in Bezug zu den vier Wänden des Hauses setzt, wobei er gleichzeitig warnt, die Wände zu zerstören, da sonst auch das Haus einstürzen würde112. Äußerlich fällt das mit der Vierteilung des Reiches bei Humbert von Romans und dem Vierstaatenprojekt zusammen, innerlich allerdings ergibt sich nicht ohne weiteres eine Gleichsetzung. Auf den ersten Blick handelt es sich hier nicht um zukünftige Reichspläne, sondern Alexander zählt die klassischen Kaiserresidenzen aus der historischen Entwicklung des Römischen Reiches auf. Er mag dieses Bild aus dem Pantheon Gottfrieds von Viterbo entnommen haben, er könnte auch diese vier Städte nur deshalb genannt haben, um die Vorstellung der vier Mauern zu symbolisieren113. Aber trotzdem ist es auch möglich, diese Stelle in Verbindung zu den genannten Aufteilungsplänen zu bringen. Die Warnung, daß man sich hüten möge, die Mauern zu zerstören, kann zwar allgemein gemeint gewesen sein, kann aber auch einen speziellen Bezug haben, denn diese Aufteilungspläne gingen ja auf eine Zerstörung der Mauern hinaus, weil sie an ihrer Stelle erbliche Königreiche schaffen wollten. Wir besitzen übrigens aus der Zeit Papst Honorius' IV. einen schriftlichen Protest des Kölner Klerus, in dem Befürchtungen über die Trennung des Königtums vom Kaisertum durch Einsetzung eines erblichen Königs geäußert werden114. Diese immer wieder auftauchende Dis110
Ebd., cap. XXVII; vgl. auch cap. XXII. Darauf hat bereits Wilhelm, a. a. O. (Anm. 100), S. 17, Anm. l aufmerksam gemacht. 111 Ebd., cap. XIV. 112 Ebd., cap. XXV. 113 Die Stelle bei Gottfried von Viterbo findet sich in Monum. Germ. Hist., Script. XXII. S. 221. Vgl. zum Ganzen Schraub, a. a. O. (Anm. 5), S. 64ff. Allerdings hat er übersehen, daß Gottfried doch auch Rom genannt hat, denn man muß zu dem von ihm zitierten Text noch die sechs weiteren Zeilen hinzunehmen. 114 Vgl. dazu auch Hauck, a. a. O. (Anm. 100), S. 458, Anm. 6; Voller, a. a. O. (Anm. 104), S. 72ff.; Georg Gaisberg-Schöckingen: Das Konzil und der Reichstag zu Würzburg im Jahre 1287, ihr Verlauf und ihre Bedeutung. Diss. Marburg 1928. S. 65ff.
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kussion um den Erbreichsgedanken ist bei Alexander eine Sorge um das Wesen des Kaisertums, das wegen seines heiligen Charakters nicht erblich sein darf115 und das daher für ihn eben durch den Erbreichsgedanken in seinem Bestand bedroht war118. Immerhin scheint sein Lösungsvorschlag für die Krise sich gerade gegen dieses Vierstaatenprojekt zu richten, denn dieses auf vier Stützen aufgebaute Reich will er mit der Kirche zusammen in einer Dreiteilung organisieren, die im Fundament, den Wänden und dem Dach das Haus darstellt, in dem alles untergebracht ist. Damit kommt er zu einer neuen Betonung der universalen Einheit, indem durch die Dreiteilung die in der Entwicklung der Völker neu gewachsenen Faktoren mit der alten Struktur des Reiches auf den vier Wänden in Einklang gebracht werden. Germanen, „Francigene" und Römer nehmen durch die ihnen zugeteilten „regnum", „Studium" und „sacerdotium" in gleichem Maße am Leben und den Aufgaben des Reiches in tragendem Sinne teil. Wahrung des alten Imperiums unter einer gewissen inneren durch die moderne Entwicklung bedingten Strukturänderung, das sind die Grundgedanken, die Alexander von Roes zu dem wichtigen Zeitpunkt des Papst wechseis im Jahre 1281 vortrug, um zu einer Lösung der Krise des universalen Reichsgedankens beizutragen. 115
Memoriale, cap. XXIV. lie Vgl. dazu Heimpel, a. a. O. (Anm. 77), S. 33f., der allerdings das Exzerpt aus Humberts Schrift, den Ausführungen Heintkes folgend, in den Anfang des 14. Jahrhunderts setzt.
NAMENREGISTER Abaüard 7 Abenarabi 73, 78—96 Abd-er Rahman 169 Abenhazam 76, 77, 81 Abenmasarra 82, 86—88, 89 Abu Bekr 168 Abu Jakub Jußuf 170 Abul Abbas 169 Abuyecid 93 Achena, M. 74 Adam 99 Adam, K. 229 Adam pulchrae mulieris 62 Adamek, J. 246 Adamnan von St. Jona 136 Adamy, R. 203 Adolf von Köln 257 Adso von Moutier-en-Der 281, 282 Aeddi 140 Aegidius Romanus 176, 272, 274 Aelfric 142 Aethelwold 140, 142 Aetius 164 Agobard von Lyon 246 Alanus de Insulis 115 Alanus von Lilie 258 Alarich 163 Albertus Magnus 104, 110, 112, 175 Albertus Swebelinus 175 Albwin 164 Aldfrith von Northumbrien 138 Aldhelm 138, 139 Alexander von Alessandria 67 Alexander von Haies 8, 10, 12—14 Alexander Hegius 184 Alexander d. Gr. 152, 153, 245 Alexander von Roes 269—274, 277 bis 293, 298—300 Alfred d. Gr. 140, 142 Algazel 74, 78, 79, 84, 88, 91 Alhazen 65 Ali, Kalif 169 Alkuin 139, 247 Al-Manßur 169 Alonso, M. 74 Alverny, M.-Th. d' 115
Amalrich von Chartres 254 Ambrosius 193, 220 Amoros, L. 12 'Amr 74 Anawati G. C. 88, 98 Äneas 282 Ange Carletti de Chiavasso 42, 44—46, 48, 52, 53 Anselm von Canterbury 7 Antonin von Florenz 42, 44—48, 50 bis 53 Antonius Augustinus 194, 196 Aponius 220 Areios 157 Arens, F. 198, 202, 203, 207, 211 Aristoteles 10, 56, 58, 63, 65, 71, 73, 83, 88, 105, 111, 114, 117, 118, 152, 183, 289 Arnaldez, R. 75 Arnold, E. 179 Arquilliere, H.-X. 278 Asin Palacios, M. 76, 78, 79, 82, 83, 88, 91, 93—96 Athaulf 163 Auer, J. 5, 12, 65—68 Augustinus 5, 6, 8, 9, 11—15, 21, 22, 24, 57, 65, 105, 190, 216—218, 220, 225—233, 235—242, 263, 264, 270 Aurelian 156 Aurelius 229 Aurifaber, Johann 174, 178—184 Autenrieth, J. 200, 201 Auxentius von Dorostorum 156 Averroes 73, 75, 77, 104, 114, 115, 117, 119 Avicenna 73, 74, 104, 118—120 Azo 266 Baer, F. 45 Baeumker, C. 62 Balduin II. 291 Balid, C. 12 Baptiste Trovamala de Salis Barbi, M. 161 Barraclough, G. 250 Basileios I. 165
42, 53
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Namenregister
Beda Venerabilis 124, 139, 142, 249 Bernhard von Clairvaux 7 Bernier de Nivelles 109, 110 Bernt, A. 201 Beumann, H. 246, 249 Bezold, F. 280 Bezzola, G. A. 249, 250 Binding, G. 200, 201 Birckman, B. 294, 296 Blume, C. 135 Boch, J. 149 Bock, F. 294 Boethius 12 Boetius (Schwedischer Magister) 110 Boetius von Dazien 56, 105—120, 175 Boetius Roschildensis 110 Böhmer, J. F. 263, 268 Böhner, Ph. 11 Bonaventura 9, 11—14, 56, 58, 66—69, 71, 72 Bonifatius v. Rom 233 Bonifaz 136 Bonifaz VIII. 39, 193, 274, 293 Boris 251 Borsari 263 Bosl, K. 193, 199, 200 Bott, G. 203 Boublick, V. 5 Brackmann, A. 258, 262, 268 Braunfels, W. 190, 201 Brosch, M. 280 Brugnoli, B. 37 Brühl 246 Brunns, L. 203 Brun von Querfurt 132, 249 Buchland 266 Buchner, M. 284 Bührlen, R. 198, 203 Bultmann, R. 17 Bursill-Hall, G. L. 177 Busson, A. 295 Butingen, von 215 Büttner, H. 202 Caecilianus 228 Caedmon 141 Caenegem, van 266 Caesar 155, 253, 267, 282, 287 Caesarius v. Heisterbach 131 Calasso, F. 248, 259 Carlyle, A. J. 249 Carlyle, R. W. 249 Cartellieri, A. 258 Caspar, E. 221, 223—225, 228—233, 248
Cassiodor 135 Castelein, A. 9 Celestin III. 257 Chadwick, J. 151 Chenu, M.-D. 106 Chlodwig 253, 283 Chosrau Parw^s 168 Cicero 190 Classen, P. 200, 246 Clemen, P. 200 Clemens 220 Cohen, M. 171, 172 Cohn, N. 269 Colosio, I. 42 Columba 136 Constantin 46, 157 Cuchuimne 135 Curtius, E. R. 121, 122 Cuthberctus 139 Cynewulf 141 Cyprian v. Carthago 217, 219—223, 230, 231, 237—239, 241, 242 Dahlmann, F. Ch. 254 Damasus I. 162, 221 Daniel 279 Dante 145, 146, 159—162, 261, 268, 269, 282 David, M. 260 Davidsohn, R. 298 Dehio, G. 199 Deicke, H. 212 Demski, A. 295—298 Denifle, H. 36, 107, 174, 176 Doig, J. C. 119 Dölger, F. 245, 247, 261 Dombart, B. 24, 240 Donat 183 Donatus v. Fiesole 137 Dondaine, A. 109, 110 Drescher, H. 212 Dressler, F. 202 Drögereit, R. 249 Dümmler, E. 280 Dürrwaechter, A. 291, 292 Eadmer von Canterbury Ebert, A. 132, 133 Eckehart, Meister 112 Eckermann 128 Egbert 139 Ehrhard, A. 229 Ehrle, F. 36, 108 Eichmann, E. 248
166
Namenregister Einhard 247 Eibern, V. H. 203 Eisener, B. F. 189, 193 El-Walid 169 Emmen, A. 65 Engelbert von Admont 269 Ennen, E. 186 Erdmann, C. 250 Erer von Heilbronn 209 Erhardus Knaab de Zwifalten 182 Ermoldus Nigellus 248 Esch, H. 147 Ettinghausen, R. 101 Eugen IV. 45 Eusebius von Nikomedia 156 Eusebius Pamphilius 220 Eymerich, N. 48 Fabre, P. 297 Farabi 104 Fatima 169 Ferdinand I. 204 Ferdinand II. 170 Ficker, J. 263, 268, 294, 295, 297 Finke, H. 247 Firth, J. R. 177 Fischer, H. 203 Flavius Arcadius 154 Flavius Honorius 154 Flavius Josephus 245 Foerster, W. 2 Fohrer, G. 2 Folz, R. 251, 254, 286, 291, 292, 295 Forest, A. 56 Franzel, E. 255 Franziskus 20, 36, 37, 39 Fridegod 140 Friedrich I. (Barbarossa) 200, 201, 203, 250, 254—256, 281 Friedrich II. 202, 203, 205, 214, 243, 247, 252, 255—269, 271, 276, 279, 294 Friedrich III. 269 Fridugis 140 Frisch, K. von 146—149 Frohnhäuser, L. 198 Fuhs, A. 203, 211 Gabrieli 259 Gaiserich 163 Gaisberg-Schöckingen, G. 299 Gaius 262 Galene 76 Gall, E. 199 Gandillac, M., de 56
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Ganshof, F. L. 248, 266 Gardet, L. 88, 98, 100 Gaudentius von Brescia 220 Gauert, A. 199 Gaufried von Poitiers 7 Gauthier, R.-A. 111 Gelasius I. 251 Geoffrey von Winchester 166 Georgescu, V. A. 266 Gerhard von Abbeville 29 Giercke, O. 286 Gilbert de la Porree 115 Gilbert von Tournay 269 Güdas 138 Gillmann, F. 192, 195, 196 Gilson, E. 110 Giordano da Rivalto 190 Giunta 259 Glorieux, P. 32, 34, 70 Godts, F. X. 9 Goethe 128 Goez, W. 246, 276, 289, 292 Gollwitzer, H. 122, 126 Gonsalvus Hispanus 12 Goswin de la Chapelle 109, 110 Gottfried von Fontaines 21, 26—29, 106 Gottfried von Monmouth 253 Gottfried von Viterbo 282, 299 Gottschalk von Orbais 6 Grabmann, M. 111, 115, 174, 175, 262, 275 Graefe, F. 276 Gratian 50, 54, 157, 188, 189, 191, 193 bis 195, 221, 263 Grauert, H. 280, 297 Gregor I. (d. Gr.) 24 Gregor V. 277 Gregor VII. 162, 251, 255 Gregor IX. 192 Gregor X. 272, 291, 296, 297 Gregor von Tours 124 Grundmann, H. 246, 255, 267, 273, 274, 278, 287 Grünewald, W. L. 248, 256, 265, 266 Grousset, R. 291 Gui, B. 293, 294 Guillaume de Rennes 46 Gundahari 164 Haase, C. 188 Hadrian (Abt) 138 Hadrian (Kaiser) 155 Haller, J. 220, 223—226, 230, 231, 239, 257, 272, 291, 293, 294, 297, 298
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Namenregister
Halphen, L. 257 Hampe, K. 256 Harith VII. 168 Hartger von Lüttich 136 Härtung, J. 247 Harun al Raschid 169 Haspecker, J. 3 Hauck, A. 296, 298, 299 Hauck, K. 199 Heidegger, M. 177 Heigel, Th. 280 Heiler, F. 242 Heimpel, H. 122, 243, 282, 289, 300 Heinrich I. 123, 250, 287 Heinrich II. 250, 256 Heinrich III. 201, 249, 250, 265 Heinrich IV. 247 Heinrich V. 253 Heinrich VI. 201, 203, 243, 255—257 Heinrich (VII.) 203—205, 207, 209, 211—213, 255 Heinrich I. (von England) 253 Heinrich von Gent 21—27, 35, 66, 70 Heinrich der Löwe 201, 214 Heinrich von Saarbrücken 204 Heintke, F. 294, 295, 298, 300 Heldmann, K. 246 Heller, J. 291 Henry, D.P. 179 Heraklius 168 Hesiod 245 Heydte, A. von der 247, 268 Heynck, V. 61 Hibernicus exul 136 Hieronymus 162, 220, 246 Hinkmar von Reims 6 Hinschius, P. 251 Hippolyt von Rom 221, 222 Hirsch, H. 246 Hirschhorn, H. von 212 Hirsch-Reich, B. 281 Hirt, H. 153 Hödl, L. 34, 107 Hoeres, W. 68 Hoffmans, J. 26—28 Hofmann, K. 251 Kölscher, U. 198 Holtzmann, R. 247, 250, 254, 256, 261, 265 Holtzmann, W. 247 Honorius (weström. Kaiser) 163 Honorius III. 261 Honorius IV. 299 Hotz, W. 203
Hrabanus Maurus 190 Hrotsvitha von Gandersheim 131 Hruodland 169 Hübinger, P. E. 171 Hugelmann, K. G. 247, 286 Hugo Capet 276 Hugo von St. Viktor 106, 115 Hugot, L. 201 Huguccio von Pisa 194, 195, 257 Huillard-Broholles, A. 261, 263, 264, 268 Humbert von Romans 293—300 Ibn Arabi (siehe Abenarabi) Ibn Hazm de Cordoue (siehe Abenhazam) Ibn Masarrah (siehe Abenmasarra) Imschoot, P. von 3 Innocenz I. 223—225, 227, 229—233, 238, 240, 241 Innocenz III. 195, 249, 257, 258, 265, 286 Innocenz IV. 274, 276 Instinsky, H. U. 228 Irenäus 5, 220, 226 Isabella die Katholische 170 Isidor von Sevilla 190, 195 Jacobus de Placentia 75 Jacobus de Voragine 272 Jacopone von Todi 35, 36, 37 Jaff6, Ph. 222, 251 Jakob Colonna 272, 290 Jaläl al-Din Rüml 103 Jansen, B. 60, 67 Jathro 223 Jensen, S. 109, 110 Joachim von Fiore 124 Johann von Paris 293 Johann von Vercelli 297 Johannes (Ap.) 221, 223, 237 Johannes VIII. 167, 248, 271 Johannes XII. 166 Johannes Avicula von Lothringen 175 Johannes Damascenus 10 Johannes von Dazien 175 Johannes Duns Scotus 7, 12, 13, 18, 25, 56, 58, 64—70, 72, 176, 177, 179 Johannes Galensis 192 Johannes de Polliaco (von Poully) 26, 29, 107 Johannes von Salisbury 115, 118, 269 Johannes Scotus Eriugena 6, 136 Johannes Theutonicus 194, 196 JohnPeckham 58, 62 — 64, 68, 70, 109, 110
305
Namenregister Jordan, E. 257, 282 Jordan, K, 247 Jordanus von Osnabrück Justinian 246 Juvencus 141
273, 285, 297
Kalam 76 Kalb, A. 24, 240 Kaltenbrunner, P. 222 Kamlah, W. 270 Kampers, F. 280, 281, 291 Kantorowicz, E. 247, 256, 257, 259 bis 264, 267—269 Karl II. (der Kahle) 136, 248 Karl IV. 174, 204, 269 Karl V. 204 Karl von Anjou 280, 290—293, 295, 297—299 Karl der Einfältige 166 Karl der Große 124, 135, 136, 139, 140, 142, 164, 165, 169, 171, 201, 246 bis 248, 254—256, 270, 273, 274, 276, 280, 281, 283—287, 289—293, 299 Karl Martell 169 Kautzsch, R. 198 Kehr, P. 255 Kern, F. 273, 291, 292 Kienast, R. 243, 244 Kienast, W. 243, 247, 253 Kindi 104 Kirfel, H. J. 243, 247, 257, 259, 260, 261, 265, 267 Klingelhöfer 267 Klinkenberg, H. M. 242, 252 Kloos, R. M. 269 Knabe, L. 251 Knut der Große 134, 250 Koeniger, A. M. 229 Koeppler, H. 255 Konrad II 250 Konrad III. 251, 253, 261 Konrad IV. 255 Konrad der Pfaffe 169 Konrad, R. 281 Konstantin IX. 171 Konstantin der Große 218, 228, 271, 276, 279 Konstantin der Slawenapostel siehe Kyrill Kopp, J. E. 291 Kramer, M. 275 Krammer, M. 286 Krogmann, W. 163 Kühn, K. G. 4 Med. V
Kuksewicz, Z. 75 Kunigunde (hl.) 202 Kyrill 167 Kyros 245 Ladner, G. 255, 269 Lama, P. 254 Lang, A. 115 Langosch, K. 132 Laurentius Hispanus 194, 195 Laurentius Pignon 110 Lehmann, P. 174, 177, 178 Leistikow, D. 209 Leo III. 164, 248, 276 Leo VIII. 166, 276 Leo d. Gr. 224, 242 Ldonard, E. G. 291, 293 Levison, W. 278, 284 Lindauer, M. 148 Lognon, J. 291 Lomba, J. 75 Longpro, E. 57, 66 Lorent, A. von 198 Lothar 165 Lettin, O. 71 Löwe, H. 246, 249, 250, 256, 258, 269 Lucidus 6 Ludwig II. 165, 248, 249 Ludwig VIII. 262 Ludwig IX. 264, 265 Ludwig der Fromme 162, 165, 248 Machiavelli 261, 268, 269 Mahomet (Mohammed) 45, 81, 88, 98, 168, 171 Maildulf 138 Mandonnet, P. 31, 42, 109 Manitius, M. 133 Mansion, A. 75 Ma^ais, G. 101 Marc Aurel 155 Margarete von Österreich 209 Margarethe (Mutter Karls von Anjou) 295 Maria von Antiochien 291 Marongiu, A. 260 Martin IV. 289, 290, 293, 298 Martin V. 109 Martin von Troppau 289 Martinus de Dacia 109, 175, 177 . 74 &33 , Massignon, L. 100 Matthaeus Parisiensis 263—266 Maximin 220 20
306
Namenregister
Mayer, H. 202, 245 Meersseman, G. 110 Meillet, A. 153, 171, 172 Meinecke, F. 253, 268 Meissner, B. 245 Melani, G. 62 Meltzer, H. 153 Merlan, Ph. 75 Merzbacher, F. 189 Mesrop 166 Method 167 Meuthen, E. 187 Meyer, H. 268 Michael III. 167 Michael (oström, Kaiser) 283 Michael, W. 250 Michaud-Quantin, P. 42, 108, 193 Michea 246 Michel, A. 9 Michels, Th. 281 Mütemaa, V. 269 Miller, M. 213 Miltiades (röm. Bischof) 228 Mitteis, H. 243, 247, 250, 263, 267 Moiwija 169 Mochi Onory, S. 191, 194—196, 248, 251, 252, 254, 258 Mohammed siehe Mahomet Mohr, W. 246, 269, 270, 281, 285 Moltmann, J. 3 Mommsen, Th. 261 Moore, Ph. S. 7 Morcay, R. 42 Moses 223 Mühlestein, H. 151 Müller, O. 199 Murad 171
Näf, W. 243, 248 Narses 164 Nellmann, E. 243, 248 Nicolas Hereford 166 Nikolaus III. 295, 297, 298 Nikolaus Ockham 70 Nitschke, A. 251 Notker Balbulus 131 Öchelhäuser, A. von 214 Ockham siehe Wilhelm Ockham Octavian 155 Odilo von Cluny 249 Odowakar 157, 164 Oeing-Hanhoff, L. 176 Ohnsorge, W. 164, 254
Öliger, L. 20 O'Mahony, B. E. 177 Oman I. 170 Omar 168 Onclin, W. 193, 196 Orchan 170 Origenes 219, 220, 222, 237, 246 Osten, G. von der 198 Ostrogorsky, G. 250 Otfrid 163 Othmän 168, 169 Otto I. (der Große) 123, 166, 249, 250, 276, 287, 288, 299 Otto II. 250 Otto III 249, 261 Otto IV. 258 Otto von Freising 251, 256, 281 Paradi, E. G. 161 Patrick (St.) 135 Paul VI. 104 Paulinus von Aquileja 246 Paulus 6, 18, 21, 216 — 218, 220, 221, 223, 240, 276, 279 Pelagius 225 Pellegrini, F. 161 Pelster, F. 176 Perels, E. 257 Perrin, C.E. 257 Peter von Ailly 181, 182 Peter von Candia 108 Petrus 157, 216, 217, 219—224, 228, 229, 231—234, 236—240, 242, 248, 272, 278, 284 Petrus Crassus 263 Petrus Damianus 247 Petrus Johannes Olivi 20, 21, 31, 35 bis 40, 58, 60, 61, 62, 64—72, 112 Petrus Lombardus 8, 9, 12 Petrus von Poitiers 7 Petrus de Prece 269 Petrus de Trabibus 66, 72 Petrus von Vinea 265 Peyer, H. C. 197 Pfaff, V. 257 Philipp II. (August) 250, 254 Philipp III. 291 Philipp IV. (der Schöne) 264, 273, 292, 293 Philipp der Kanzler 8 Philipp von Schwaben 205, 243, 256, 258, 265 Philippos 152 Philostorgius 156, 157
307
Namenregister Piccione A. 70 Pierre de la Palud 46 Pilatus 278, 279 Pinborg, J. 174, 175, 185 Piper, O. 212 Pippin d. J. 276, 283, 284 Pippin („Rex Romanorum") 292 Pirenne, H. 171 Placentinus 266 Planitz, H. 186, 203
Platon 58, 83, 89 Plotin 78, 81, 83 Poliakoff, L. 45 Polykrates 220 Pomtow, M. 254
Post, G. 248, 251, 255, 261, 265, 266, 268 Potthast 258 Praepositinus 7 Prantl, C. 176 Priamus 282, 283, 287 Priscian 183 Priscianus Minor 175 Proklos 86 Przywara, E. 3 Pseudo-Isidor 263 Pseudo-Thomas 269 Ptolemaios 168 Radulfus Brito 175 Rahewin von Freising 251, 256 Rahner, H. 225, 281 Rahner, K. 5 Rajna, P. 145 Rassow, P. 255 Ratzinger, J. 56, 69, 71 Rauch, Ch. 201 Raymund von Toulouse 265 Redüch, O. 286, 298 Reginald von Canterbury 166 Rekkared 163 Renouvin, P. 248 Reuter, H. 228—231, 233 Richard I. (Löwenherz) 257, 265 Richard von Knapwell 34, 35 Richard von Mediavilla 66, 70 Riedlinger, H. 17 Riezler, S. 280, 281 Riviere, J. 273, 275, 276 Roger Bacon 105, 106, 115 Roger Marston 70 Robert II. 250 Robert von Orford 34, 35 Rodenberg, C. 295 Roderich 163
Rohlfs, G. 158 Roos, H. Ill, 174, 178 Rörig, F. 243 Rostislav 167 Rousseau, G. 17 Rudolf III. 250 Rudolf von Habsburg 204, 271, 286, 288, 291, 295, 297, 298 Rufinus 154 Runciman, S. 291 Ruotger 131 Rupp, J. 249 Rüsener, W. 247 Sage, W. 201 Saint Martin, F. 5 Saitta, A. 249
Sajo, G. 107, 111, 112, 113, 116, 117 Salimbene 271 Sancho von Portugal 170 Sargon I. 245 Sattler, R. J. 122 Schaab, M. 205 Schadewaldt, W. 125 Schäfer, D. 255 Schäfer, G. 198 Schaller, H. M. 247, 259, 268 Schamoni, W. 9 Schannat, J. F. 204 Scheiding-Wühlkopf, I. 247 Schieder, Th. 122 Schlag, G. 198, 203 Schlesinger 246 Schlierer, R. 247 Schlüter, E. 37 Schmeller, J. A. 162 Schmidt, K. L. 5 Schmitt, F. 16 Schmitt, F. S. 7 Schneider, H. 128, 132 Scholz, R. 293 Schrader 267 Schramm, P. E. 246, 248, 250, 253, 256, 291 Schraub, W. 273, 283, 285, 290, 295 Schulte, A. 199 Schulte, F. von 196 Schumacher, K. 202 Schwarz, M. 254 Secundus (Bischof) 227 Sedulius Scottus 136 Seidlmayer, M. 268 Semmelroth, O. 2 Senko, W. 75 20*
308
Namenregister
S