Ethik und Technik: Grundfragen. Meinungen. Kontroversen [Reprint 2019 ed.] 9783110853155, 9783110134759


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German Pages 266 [268] Year 1992

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Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Zum Dialog zwischen Ethik und Technik: Die Ausgangslage
Warum Technikethik? Gründe
Woran soll sich der Umgang mit Technik orientieren?
Technik als Kulturfaktor
Die Herausforderung zu einer vorausschauenden Technologiepolitik
Zusammenfassung und Ausblick
Literaturverzeichnis
Namensregister
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Ethik und Technik: Grundfragen. Meinungen. Kontroversen [Reprint 2019 ed.]
 9783110853155, 9783110134759

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de Gruyter Studienbuch

Christian Walther

Ethik und Technik Grundfragen — Meinungen — Kontroversen

W G DE

1992

Walter de Gruyter • Berlin • New York

© Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über die Haltbarkeit erfüllt.

Die Deutsche

Bibliothek



CIP-Einheitsaufnahme

Walther, Christian: Ethik und Technik : Grundfragen — Meinungen — Kontroversen / Christian Walther. - Berlin ; New York : de Gruyter, 1992 (De-Gruyter-Studienbuch) ISBN 3-11-013475-6

© Copyright 1992/by Walter de Gruyter & Co., Berlin 30 Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Druck: Arthur Collignon GmbH, Berlin Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz und Bauer GmbH, Berlin

Vorwort Dieses Buch geht auf Lehrveranstaltungen zurück, die ich in den letzten Jahren mit Studenten der Ingenieurswissenschaften durchgeführt habe. Es hat den Charakter eines Studienbuches. Damit verbindet sich die Absicht, in die Diskussion einzuführen, Probleme darzustellen, die Gründe für eine Technikethik zu erörtern und anwendungsbezogene Prinzipien für den Umgang mit Technik zu entwickeln. Schon seit längerem wird ja eine ethische Reflexion technologischer Entwicklungen gefordert. Der Grund dafür wird allerdings nicht nur in Gefährdungen gesehen, die durch Technik hervorgerufen werden, sondern vor allem darin, daß traditionelle Legitimationsgrundlagen für Entscheidungen und Handlungen, wie sie sich besonders seit dem 18. Jahrhundert herausgebildet haben, brüchig geworden sind. Das macht neue Orientierungen erforderlich. Aber gerade sie nötigen auch dazu, über die Kritik an der Technik hinaus wieder zu bedenken, welches die positive Funktion von Technik ist. Kriterien für ihre Bewertung sind deshalb vordringlich zu entwickeln. Das wird in enger Bezugnahme auf Äußerungen zur Sache angestrebt, die aus dem Raum der Technik selber kommen. Die Anstöße, die in ihnen liegen, aufzunehmen, war mein besonderes Anliegen. Sie, wenn möglich, weiterzuentwickeln, war meine Absicht. Diesem Ziel dienen Überlegungen, die in dieser Arbeit angestellt werden. Sie nehmen dazu

VI

Vorwort

auch dankbar auf, was die neu entstandene Diskussion über ethische Probleme der Technik bereits an Einsichten hervorgebracht hat. Mein besonderer Dank gilt meinen Kollegen: Prof. Dr. rer. nat. Günther Guthöhrlein, Prof. Dr. Fritz Kath und Prof. Dr. Ing. Heinz Dieter vom Stein. Ihnen habe ich vielfältige Anregungen zu verdanken. Herrn Dipl.-Theol. Carsten Pfeiffer habe ich für seine tatkräftige Assistenz bei der Beschaffung der Literatur zu danken. Frau Helga Giese gebührt mein Dank für ihre Umsicht bei der Fertigstellung eines druckreifen Manuskripts. Den Studenten aber gilt mein Dank für ihre Bereitschaft, mitgedacht und durch kritische Anfragen die Diskussion immer wieder angeregt zu haben. Hamburg, im Frühjahr 1992 Der Verfasser

Inhaltsverzeichnis

Zum Dialog zwischen Technik und Ethik: Die Ausgangslage -

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Technik als kompensatorischer Faktor Technik als verändernder Faktor Zum Problem der Wertneutralität Beispiel: Arbeit - Entwertung eines Wertes? Die Forderung nach einem reflektierten Umgang mit Technik - Was ist Technikethik?

7 12 17 22 31 40

Warum Technikethik? - Gründe

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- Das Ende handlungsleitender und legitimierender Universalentwürfe - Kritik des Herrschaftsgedankens - Kritik des Fortschrittdenkens - Rückgewinnung des Steuerungsvermögens - Zum Umgang mit Technik

60 63 68 72 86

vm

Inhaltsverzeichnis

Woran soll sich der Umgang mit Technik orientieren?

106

-

106 116 122 133 145

Zur Frage nach der Bedeutung des Glaubens Zum Problem der Freiheit Leben und Lebensdienlichkeit Überlegungen zum Problem der Verantwortung Humanität als Orientierungsgröße

Technik als Kulturfaktor - Die Kulturaufgabe - Kultur und Ethik - Die Kulturaufgabe als Bildungsproblem - Technik und Muße

151 152 165 176 197

Die Herausforderung zu einer vorausschauenden Technologiepolitik

211

Zusammenfassung und Ausblick

229

Literaturverzeichnis

238

Register

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Z u m D i a l o g zwischen Ethik u n d Technik: Die A u s g a n g s l a g e In diesem Buch wird eine Thematik aufgegriffen, die innerhalb der beiden letzten Jahrzehnte zunehmende Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat: die Frage nach den von Technik

und Ethik.

Beziehungen

Diskutiert werden vor allem die im-

mer noch bestehenden Defizite im Hinblick auf den Einbezug der Ethik in die Ingenieursausbildung. Zugleich verbindet sich damit der lebhafte Wunsch nach einer nachhaltigen Besserung der Lage.l Diese Arbeit wendet sich aber nicht nur an den Techniker, sondern an jeden, der mit Technik umgeht. Die Frage nach dem Umgang mit Technik ist eben längst nicht mehr auf den Kreis der Techniker allein zu beschränken. Vielmehr rückt sie eine Problematik in den Mittelpunkt, die in einem bis dahin unbekannten Maß Stellung und A u f gabe des Menschen in der heutigen Welt betrifft. Ihre Bewältigung verlangt nach neuen konzeptuellen Ansätzen, in denen Wissenschaft und Technik nicht mehr als Verödungen des Geistes begriffen werden, sondern als Ermöglichungsgrund

1

So vor allem zuletzt Hans Lenk, Ethikkodizes für Ingenieure, in: Hans Lenk und Günter Ropohl (Hg.), Technik und Ethik, S. 205 ff. Uber die Schwierigkeiten einer Spezialethik für Ingenieure informiert ausdrücklich Earl Mac Cormac, Das Dilemma der Ingenieurethik, ebd. S. 226 ff.

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Die Ausgangslage

sinnerfüllter Existenz.2 Es geht dabei auch nicht mehr um die Perpetuierung der Materie - Seele - Problematik mit dem fruchtlosen Versuch, wenigstens die Seele vor der Technik zu retten.3 Die Gegenwart zeichnet sich vielmehr dadurch aus, daß die Fragestellung jetzt lautet: "wie reflektiert und begreift sich das Ich als eine Tätigkeit in der Welt."4 Insofern will dieses Buch also nicht als eine Sonderethik für Ingenieure verstanden werden. Die Erörterungen, die mit der genannten Thematik aber verbunden sind, konnten angesichts des hohen Schwierigkeitsgrades der mit ihr zusammenhängenden Fragestellung zwangsläufig nur kontrovers verlaufen. Schließlich hatte man sich im Verlauf der Wissenschaftsgeschichte der letzten 150 Jahre daran gewöhnt, daß Technik und Ethik im Grunde kaum mehr etwas miteinander zu tun haben. Generell hatten sich, wenn einmal diese Unterscheidung beibehalten werden soll, Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften auseinanderentwickelt. Eine Situationsanalyse aus dem Jahr 1875 macht diesen Sachverhalt kenntlich: Die praktische Philosophie, also die Ethik, schleppe "gegenwärtig ihr Dasein nur noch auf den Kathedern" hin und beginne, "selbst auf diesen auszusterben". Den Grund dafür suchte man in einer abstrakten theoretischen Position, auf die sich die Geisteswissenschaften überhaupt zurückgezogen

2

Auf diese Aufgabe macht Hans Seigfried, Zur Ambivalenz des Fortschritts bei Nietzsche und Heidegger, Allg Ztschr. f. Philosophie, Jg. 16 (1991), S. 23-47, aufmerksam.

3

Diesen Aspekt verdeutlicht jetzt sehr schön Gotthard Günther, Beiträge zur Grundlegung einer operationsfähigen Dialektik, Bd. 3: Philosophie der Geschichte und der Technik, Hamburg 1980, S. 211-235.

4

Ebd. S. 230.

Zum Dialog zwischen Ethik und Technik: Die Ausgangslage

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hatten, auf der sie aber auch keine "affektive Macht", d.h. eine Menschen zum Handeln herausfordernde und motivierende Kraft mehr darstellten. Demgegenüber wird für die Naturwissenschaften eine ungleich günstigere Position ausgemacht nicht zuletzt deswegen, weil "die einfachen Tatsachen", die sie erschließen müssen, "in der Wahrnehmung" gegeben sind und sich wegen ihrer Anschaulichkeit dem praktischen Denken ungleich leichter vermitteln lassen. Aus der entstandenen Lage wird darum die Konsequenz gezogen, daß "die strengen Grundlagen von Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften [...] nicht mehr in demselben Kopf zusammengefaßt" werden können.5 Daß sich an dieser allgemeinen Lage in der Gegenwart bereits nachhaltig etwas geändert habe, wird in einschlägigen Untersuchungen nicht vermerkt. Vielmehr wird hervorgehoben, daß z.B. in Arbeiten zur "Systemanalyse, Planung, Operations Research usw. ethische Fragen kaum" Berücksichtigung finden.6 Im Hinblick auf die besondere Lage in der Technik wird gar von einem ethischen Dilemma gesprochen, dessen Ursache darin zu suchen sei, daß der Techniker immer wieder gezwungen ist, Zielen zu dienen, die seinem Ethos zuwiderlaufen. 'Indem sie [sc. die Techniker] pflichtgetreu den Unternehmens- und Regierungszielen folgten, waren sie verführt worden, die unangenehme Rolle zu übernehmen, gelegentlich zur Erfüllung von Zielen beizutragen, die wohl

5

6

Siehe dazu Wilhelm Dilthey, Über das Studium der Geschichte der Wissenschaften vom Menschen, der Gesellschaft und dem Staat, Ges. Sehr. V, S. 33 ff. C. West Churchman, Der Systemansatz und seine «Feinde», S. 163.

4

Die Ausgangslage

eher zerströrerisch als nützlich für die Menschheit sind." 7 Die Situation auf diesem Gebiet ist dann generell dadurch gekennzeichnet, daß ökonomische oder politische Zwecke die Ethik ebenfalls in den Hintergrund drängen. Demgegenüber ist es eine mit diesem Buch verfolgte Absicht, die trotz der ausgemachten Trennung wieder entstandene Diskussion über die zwischen Technik und Ethik bestehenden Zusammenhänge aufzunehmen und, wenn möglich, weiterzuführen. Ein solches Vorhaben wird sich allerdings kaum anders als in der Weise eines Dialogs mit denjenigen Stimmen aus dem Bereich der Technik verwirklichen lassen, denen ebenfalls daran gelegen ist, den Zusammenhang von Technik und Ethik wieder sichtbar zu m a c h e n . 8 Es geht also darum, an die Stelle des Redens über Technik das Gespräch mit der Technik zu setzen. Dazu ist es jedoch unerläßlich, bestimmte Positionen der Ethik zu überdenken und gegebenenfalls zu revidieren. Dies betrifft vor allem die Annahme, dem Geistigen sei gegenüber der Natur eine höhere Wertigkeit beizumessen.9 Solche Bewertung stellt im Grunde eine Abwertung der Technik dar, die doch auch eine Tätigkeit des Geistes ist. Sie kann desweiteren nur zur Zementierung oder

7

Carl R. Mac Cormac, Das Dilemma der Ingenieurethik, in: Hans Lenk u. Günter Ropohl (Hg.), Technik und Ethik, S. 224.

8

An der sonst so verdienstlichen Aufarbeitung gerade auch der amerikanischen Diskussionslage durch Heiner Hastedt, Aufklärung und Technik, bleibt es jedoch fraglich, ob der Dialog eine Förderung erfährt, wenn die Technik aus einer formalen Diskursethik abgeleiteten, unversalisierten Normen unterworfen wird, an deren Findung der Techniker faktisch aber weitgehend unbeteiligt bleibt (vgl. ebd. S. 204 ff.).

9

Vgl. dazu z.B. Wilhelm Dilthey, Das Wesen der Philosophie II. Teil, Ges.Schr. V, S.409f.

Zum Dialog zwischen Ethik und Technik: Die Ausgangslage

5

Entstehung von Fronten führen, die den notwendigen Dialog geradezu verhindern. Sofern Kritik an der Technik aus jener Bewertung hervorging, kann sie auch nicht erwarten, akzeptiert zu werden, sondern gerät weit eher unter den Verdacht einer unzeitgemäßen, an den wirklichen Problemen vorbeigehenden Position. Für die Beantwortung der Frage nach den Beziehungen von Ethik und Technik ist es weiterhin erforderlich, diejenigen Faktoren und Kräfte in den Blick zu nehmen, denen die Entwicklung der Technik so viele Antriebe in den beiden letzten Jahrhunderten verdankt. Zweifellos gehören dazu die immer subtiler werdenden Erforschungen der Natur, die einerseits durch den Rückgriff auf bereits entwickelte Technologien vorangetrieben werden, andererseits aber auch wieder durch ihre Ergebnisse in den Bereich der Technik zurückwirken und dort zu technologischen Innovationen anregen. Die Technikgeschichtsschreibung hat sich der hier bestehenden Zusammenhänge und Prozesse in besonderer Weise angenommen. Darüber hinaus ist nun aber ebenfalls nach den Vorstellungen zu fragen, in denen Stellung und Aufgabe des Menschen in der Welt ihren Ausdruck gefunden haben. Es sind hier vor allem das neuzeitliche Freiheitsverständnis, der mit diesem eng verbundene Gedanke von der Herrschaft des Menschen über Natur und Welt sowie bestimmte Konzeptionen glückhaften Lebens in einer von Endzielen geleiteten Gestaltung der Welt, aus denen Einschätzungen und Wertungen der Technik hervorgehen. Sie alle haben stimulierende Wirkung auf die Technikentwicklung selbst gehabt und sollten darum nicht unterschätzt werden. Denn von eben der Technik wurde ja erwartet, daß sie einen wesentlichen Beitrag zur Höherent-

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Die Ausgangslage

wicklung der Menschheit leistet, indem sie ein von Belastungen, Einschränkungen und Zwängen befreiteres Dasein ermöglicht. Das hat beispielsweise den Glauben begründet, Techniker seien als "Retter der Menschheit" zu betrachten.10 Erst heute erkennt man, daß hierin auch eine Überschätzung der Technik angelegt war, die ja den Kern des Technizismus als einer im Grunde unkritischen Technikgläubigkeit ausmacht. Sie wird dem wirklichen Vermögen der Technik nicht gerecht. Dieses aber zur Geltung zu bringen, und damit auch die im technischen Können ebenso gelegenen Probleme zu bedenken wie die, welche sich aus dem Umgang mit seinen Konstruktionen ergeben, muß die Absicht einer zeitgemäßen Technikethik sein. Die geschichtliche Situation selbst und die an ihr sichtbar gewordene Ambivalenz der Technik, die sie als beides erscheinen läßt: als Bedingung des Daseins und zugleich auch als ein Moment seiner Gefährdung, wird so zur Forderung, eine Technikethik auszubilden, von der erwartet werden kann, daß sie und nicht allein die Lösung technischer Probleme die Zukunft bestimmen wird.H

10 Max Cormac, ebda. S. 223. 11 So z.B. bei Hans Sachsse, Technik und Verantwortung, S. 122. Anders als in dem hier erörterten Zusammenhang wird Technikethik in den USA gesehen. Vgl. dazu u.a. Robert J. Baum, Ethics and Engineering Curricula; bereits an der Definition von Engineering Ethics (S. 2 f.) wird deutlich, daß hier eine individualethische Sicht im Gegensatz zu der heute weithin geforderten sozialethischen vorliegt.

Zum Dialog zwischen Ethik und Technik: Die Ausgangslage

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Technik als kompensatorischer Faktor Eine Bewertung der Lage muß dabei ebenfalls berücksichtigen, daß die Technik eine aus dem gesellschaftlichen Lebenszusammenhang nicht mehr wegzudenkende Größe ist. Es ist darum einem weiteren Aspekt Rechnung zu tragen, der für die Erörterung des Verhältnisses von Technik und Ethik von großer Bedeutung ist. Er wird durch die unumstößliche Tatsache gebildet, daß es ohne Technik nicht geht. Sie ist eine entscheidende Bedingung des menschlichen Daseins und seiner Entwicklung. Doch sie hat zudem wie kaum eine andere Erscheinung der späten Neuzeit immer wieder aufs Neue Bemühungen herausgefordert, sie zu verstehen; und wenn mit dem Prozeß des Verstehens die Integration in die Lebens- und Erfahrungswelt untrennbar verbunden ist, dann ist es, spätestens seit dem Entstehen der modernen Technik im 19. Jahrhundert, auch immer um solche Integration gegangen. Die Auseinandersetzung mit dieser daseinsbestimmenden Größe hat nun jedoch auch eine Vielzahl höchst unterschiedlicher Interpretationen hervorgebracht. Eine davon ist der bekannte aber auch schwer verständliche Vortrag Heideggers über: "Die Frage nach der Technik", den er im November 1953 in München gehalten hat. 1 2 Gerade er wird heute als Exponent eines Geschichtsverständnisses gesehen, in dem die Geschichte als Verfallsgeschichte interpretiert w i r d . 1 3 Sie bringt Gefahren für das Menschsein des Menschen hervor. Manifest werden diese in der Technik, insofern sie mit der "Weltnacht"

12 Veröffentlicht u.a. in: Die Künste im technischen Zeitalter, S. 48-72. 13 So jetzt vor allem bei Gotthard Günther, Beiträge zur Grundlegung einer operationsfähigen Dialektik, 3. Bd., S. 260-296.

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Technik als kompensatorischer Faktor

und einem einzigen endlosen "Winter" droht. 1 4 Erstaunlicherweise ist in dieser Interpretation jener Vortrag Heideggers nicht berücksichtigt. Er zeigt aber nun gerade auch, daß Heidegger durchaus der Frage nach der Rettung aus der Gefahr volle Aufmerksamkeit gewidmet hat, indem in diesem Vortrag der Versuch gemacht wird, die Instrumentali tat der Technik mit ihrem Entbergenden, und das heißt mit ihrem ins Dasein bringenden und dadurch menschliche Verantwortung begründenden Wesen zu verbinden, so daß sie eben nicht mehr nur Mittel bleibt. 1 5 Heute wird Technik dagegen generell als instrumentelles Hilfsmittel begriffen. Einer ganz jungen Definition zufolge umfaßt der Begriff Technik: "(a) die Menge der nutzorientierten, künstlichen, gegenständlichen Gebilde (Artefakte); (b) die Menge menschlicher Handlungen und Einrichtungen, in denen Artefakte entstehen, und (c) die Menge menschlicher Handlungen, in denen Artefakte verwendet werden."16 Doch damit ist die Frage, wozu Technik, noch nicht zureichend beantwortet. Wenn man nicht unterstellen will, daß Technik im Grunde etwas ist, worauf auch gut verzichtet werden könnte, dann bedarf die Frage nach dem Wozu, die ja in sich bereits auch die Frage nach dem Nutzen enthält, einer detaillierten Beantwortung. Dazu bedient man sich gegenwärtig auch evolutionstheoretischer Einsichten. Die dahiner stehende These besagt, daß, weil der Mensch ein Produkt der Evolution 14 Ebd. S. 266. 15 Auf diesen Vortrag Heideggers nimmt offenkundig Martin Honecker, Folgen der Technik, Bezug, wenn er den Begriff "Ge-stell" gebraucht (S. 474), der von Heidegger a.a.O. S. 59 definiert wird. 16 Günter Ropohl, Das neue Technikverständnis, in ders.: (Hg.), Interdiziplinäre Technikforschung, S. 14.

Zum Dialog zwischen Ethik und Technik: Die Ausgangslage

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ist und seine Denk- und Erkenntnisstrukturen evolutiv entstanden und erklärbar sein müssen, sich schließlich auch die Technik aus der Evolution heraus erklären lassen muß.*? Mit ihr muß sich ein selektiver Vorteil für den Menschen verbinden. Denn: "In der genetischen Evolution des Menschen gab es keinen Selektionsvorteil für Erkenntnis ohne Anwend u n g . " ^ Der durch Technik bedingte Selektionsvorteil läßt sich nun darin sehen, daß sie einen kompensatorischen Charakter besitzt: sie hilft dem Menschen, Mängel in seiner psychischen und physischen Konstitution auszugleichen. In diesem Sinne läßt sich Technik, "als eine Weiterentwicklung und Vervollkommnung unserer natürlichen Organe" begreifen, "um die Bereiche der Wahrnehmung und des Handelns zu erweitern und zu vergrößern."i9 In dieser Sicht tritt der Hilfsmittel-Charakter der Technik deutlich hervor: mit ihr schafft der Mensch jeweils diejenige Wirklichkeit, in der er trotz seiner natürlichen Mängel relativ sicher zu leben vermag. Eine absolute Sicherheit freilich vermag die Technik nicht zu gewähren. Sie bleibt vielmehr selbst risikoreich. In welchem Ausmaß das der Fall ist, wird an der gegenwärtigen paradoxen Situation sichtbar, daß der Mensch eine an Möglichkeiten der Daseinsgestaltung so reiche Technik entwickelt hat und doch damit zugleich auch ein Potential, das Dasein nachhaltig zu zerstören vermag. Insofern ist es durchaus berechtigt, die

17 Vgl. dazu Hans Mohr, Natur und Moral, S. 18 ff.; ferner Franz Wuketits, Evolution, Erkenntnis, Ethik, S. 763 ff. 18 H. Mohr, ebd. S. 36. 19 Hans Sachsse, Ökologische Philosophie, S. 22.

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Technik als kompensatorischer Faktor

Forderung auszusprechen: "Die Defekte und Regreßerscheinungen unserer wissenschaftlich-technischen Kultur können (wenn überhaupt) nur durch wissenschaftlich-technischen Progreß, durch die äußerste Konzentration von Sachverstand, Intelligenz und Schöpferkraft überkompensiert w e r d e n . " 2 0 Doch dies stellt bereits eine ethische Folgerung aus Überlegungen dar, wie die entstandene prekäre Situation überwunden werden kann. Diese Frage wird an anderer Stelle wieder aufgenommen. Hier ist zunächst einer anderen Konsequzenz nachzugehen, die sich aus dem instrumentellen Verständnis der Technik ergibt. Sie erstreckt sich auf die Dimensionen, in denen die Technik ihre mittelbaren und unmittelbaren Wirkungen entfaltet. Es sind hier vor allem drei zu nennen: die Dimension des Humanum, des Natürlichen und der Gesellschaft. 21 Die Wirkungen in der humanen Dimension erstrecken sich sowohl auf die Lebensbedingungen als auch auf das Wertsystem. In welchem Maße sich die individuellen Lebensbedingungen durch Technik verändern, läßt sich an dem Prozeß der Industrialisierung ablesen. Als Beispiel für die Wirkungen auf das Wertsystem mögen die nachhaltigen Veränderungen im Verständnis der Arbeit dienen. Gerade die Industriearbeit mit den Schichtsystemen hat tief in das Leben des Einzelnen wie in das der Familie eingegriffen. In der entfalteten wissenschaftlich-technischen Zivilisation scheint der ur-

20 H.Mohr,ebd. S. 116. 21 Diese Einteilung entnehme ich Günter Ropohl, Das neue Technikverständnis, S. 15, bei dem aber Probleme der Technikbewertung und dazu geeigneter Methoden im Vordergrund stehen.

Zum Dialog zwischen Ethik und Technik: Die Ausgangslage

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sprüngliche Wert der Arbeit jetzt aber einem offenkundigen Prozeß der Entwertung zu unterliegen.22 Die Wirkungen im Bereich der Natur treten beispielsweise nicht nur durch Landschaftsveränderungen in Erscheinung, wie sie der Straßenbau oder die Ansiedlung von Industrien hervorgerufen haben, sondern heute vor allem auch als ökologische Schäden mit teilweise irreparablem Charakter. Die Sorg- und Bedenkenlosigkeit, mit der nur zu häufig technischen und ökonomischen Nutzenerwägungen höhere Priorität als den Erfordernissen umweltgerechten Handelns zuerkannt worden ist und noch wird, stellt gegenwärtig einen erheblichen Kritikpunkt in der Technikdiskussion dar. Dabei ist die Technik von Hause aus keineswegs naturfeindlich, sondern durchaus auf den Respekt vor und den Dialog mit der Natur angelegt.23 Die Wirkungen im Bereich der Gesellschaft schließlich sind komplexer Art. Aber am Begriff »Industriegesellschaft« wird erneut sichtbar, daß Technik ein konstitutiver Bestandteil der heutigen Gesellschaft und ihrer Lebensformen ist. Ohne die elektronischen Kommunikationstechniken, um nur ein Beispiel anzuführen, könnten bestimmte Funktions- und Handlungsabläufe in dieser Gesellschaft gar nicht mehr oder nur sehr eingeschränkt erfolgen. Mit Hilfe von Technik ist es zudem möglich, Prosperität zu erhöhen bei gleichzeitiger Ver-

22 Vgl. dazu z.B. Peter Atteslander, Geht die Arbeitsgesellschaft ihrem Ende entgegen? In: Günter Ropohl (Hg ), Arbeit im Wandel, S. 9-24; Alfred Lang, Das Ende der Arbeitswelt, in: Hermann Ringeling u. Maja Svilar (Hg.), Die Zukunft der Arbeit, S. 98-131; Hans Lenk, Verfiel der Wert der Arbeit in der Bundesrepublik, in: Albert Manne (Hg.), Philosophische Probleme von Arbeit und Technik, S. 90-111. 23 So H. Sachsse, Ökologische Philosophie, S. 24.

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Technik als verändernder Faktor

kürzung der Arbeitszeit und Erleichterung der Arbeit überhaupt. Nicht zu übersehen ist jedoch, daß hochtechnisierte und damit hochkomplexe Gesellschaften durch den Grad technischer Vernetzung auch verwundbarer werden.

Technik als verändernder Faktor Zusammen mit der kompensatorischen Funktion besitzt die Technik jedoch auch eine verändernde Kraft, die tief in die Gesellschaft hineinwirkt. Die komplexen Beziehungen zwischen Technik und Gesellschaft, die damit angesprochen werden, haben einen kaum noch zu überblickenden Niederschlag in der Literatur gefunden. Hier sollen jedoch lediglich diejenigen Aspekte berücksichtigt werden, die für die ethischen Fragestellungen bedeutsam sind. In diesem Zusammenhang handelt es sich besonders auch um die Frage, ob ethische Überlegungen überhaupt noch eine Chance haben, dort berücksichtigt zu werden, wo Technik sozialisiert und die Gesellschaft technisiert wird. In einem Aufsatz aus dem Jahr 1953 hat Helmut Schelsky bereits darauf hingewiesen, daß hier jedenfalls ein Problem vorliegt.24 Die damals schon erkennbaren Veränderungen, bewirkt vor allem durch Entwicklungen in der Mikroelektronik und in der Computertechnik, veranlaßten ihn zu der Annahme, daß "die personalen Bildungswerte des humanistischen Ideals" sich ebensowenig noch sozialisieren lassen werden, wie die Substituierung der "alten

24 Zukunftsaspekte der industriellen Gesellschaft, in: ders.: Auf der Suche nach Wirklichkeit, Düsseldorf 1965, S. 99 ff.

Zum Dialog zwischen Ethik und Technik: Die Ausgangslage

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konkreten, materiell eindeutigen, substantiellen Wertsysteme [...] durch abstrakte Wertvorstellungen wie Humanität, Toleranz" etc. lediglich in eine "moralische Hilflosigkeit" hineinführt. 25 Erneut wird in solchen Aussagen nur noch einmal das Ende der traditionellen Ethik beschworen. Denn das Vordringen der Selbststeuerungsapparate wird zwangsläufig mit einer "Minimisierung der ethischen Steuerungsmöglichkeiten" sowie überhaupt mit einer "Vergröberung unserer moralischen Raster" verbunden sein.26 Zwar spricht Schelsky noch davon, "daß zur moralischen Beherrschung der industrielltechnischen Gesetzlichkeiten unseres Daseins nur ein in den Fundamenten gegenläufiges Handlungs- und Wertsystem imstande sein wird."27 Aber wie dieses System aussieht, bleibt dann doch eigentümlich verborgen. Im Grunde drückt sich darin eine gewisse Ohnmacht gegenüber der technischen Entwicklung aus, deren einschneidende Folgen auf anderen Gebieten durchaus scharfsichtig angezeigt werden. So macht Schelsky auf Veränderungen in der Arbeitswelt, in der Politik und in Kultur sowie Moral aufmerksam. Technologien bringen einen neuen Typ des Arbeiters hervor. Er hat nur noch wenig oder überhaupt nichts mehr mit dem Industriearbeiter alten Schlages zu tun. Die Arbeit wird "immer mehr in die Nähe des Technikers" gedrängt.2** Die Kultur wird durch die Massenmedien nachhaltig beeinflußt.29 Die Politik schließlich gerät unter das Diktat der von Computern gestalteten

25 Ebd. S. 99 und S. 103. 26 Ebd. S. 102. 27 Ebd. S. 103. 28 Ebd. S. 96. 29 Ebd. S. 98.

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Technik als verändernder Faktor

Planungen. Moralische Entscheidungen gibt es allenfalls noch in den "Planungen der Führungsbürokratien".30 Das Bild, das sich von den Wirkungen technischer Entwicklung auf die Gesellschaft in solchen Aussagen abzeichnet, scheint jedwedem Versuch, die "Willensfreiheit und (das) Recht auf Irrtum gegen die Maschine" 3 ! zu retten, jedenfalls entschieden zu widersprechen. Bedacht werden muß allerdings, daß es sich hier um analytische Aussagen handelt, die nicht bewerten wollen. Dennoch steht hinter ihnen ein Maßstab, an dem Veränderungen überhaupt gemessen werden. Es spricht vieles dafür, daß es sich hierbei um die neuzeitliche Subjektivitätsvorstellung handelt, die allein in dem völligen Selbst-sein des Menschen dessen einzig mögliche Bestimmung gesehen hat. Darin eingeschlossen war dann selbstverständlich die Vorstellung von dem Menschen als dem alleinigen Subjekt in bezug auf das, was in der Welt zu geschehen hat. Die nun entstandene Sachlage, daß die Technik dieses Subjekt-sein in Frage zu stellen scheint, hat dann unmittelbar den Verdacht auf deren dehumanisierende Wirkungen hervorgerufen. Aber es ist darüber hinaus ernsthaft zu fragen, ob die Vorstellung von der Subjektivität je mehr gewesen ist als ein Ideal. Die Realität hat demgegenüber doch immer gezeigt, daß dieses Ideal nicht zu verwirklichen ist. Kants Bezeichnung des Menschen als ein krummes Holz, aus dem nichts Gerades werden könne, hat dieser Lage Ausdruck zu geben versucht. Nicht ausgeschlossen ist es darum, daß, wenn der Subjektivitätsgedanke in seiner idealistischen Fassung zum Maßstab gemacht wird, der Zugang zu einer konstruk30 Ebd. S. 101. 31 Ebd. S. 95.

Zum Dialog zwischen Ethik und Technik: Die Ausgangslage

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tiven Lösung des Problems »Technik und Gesellschaft« mit schweren Hindernissen versehen wird. Dann ist eine Dämonisierung der Technik ebensowenig fern wie die Feststellung einer Aporie: Die alten Leitbilder sind obsolet geworden, wir brauchen neue, aber die gibt es (noch) nicht. Doch ist es wirklich unumgänglich, dabei stehen zu bleiben? Ist die "moralische Hilflosigkeit" das unabwendbare Geschick, das der Mensch zu tragen hat? Sind die traditionellen Wertvorstellungen wie Humanität, Toleranz, Verantworlichkeit endgültig dazu verurteilt, fortan ein abstraktes Dasein führen zu müssen? Die sich im Subjektivitätsgedanken ausdrückende Sicht des Menschen und seiner beherrschenden Stellung im Kosmos hat in der spätneuzeitlichen Wissenschaftsentwicklung zunehmend an Boden verloren. Das bedeutet indessen nicht, daß nun überhaupt nicht mehr von einem Subjektsein des Menschen gesprochen werden darf. Aber es wird heute anders als in absoluten Kategorien zu bestimmen versucht. Aus der Evolutionstheorie ergab sich als Konsequenz, daß es immer am Menschen selbst liegt, sein relatives Subjektsein darin zu bewähren, daß er sich ihm eröffnende Möglichkeiten verantwortlich nutzt. 32 Eine Entlastung dergestalt, daß dabei auf »ewige« Zwecke zurückgegriffen werden könnte, die die Selektion solcher Möglichkeiten vorentscheiden, wird als Illusion desavouiert. "Der Mensch muß sich selbst zum Gegenstand objektiver Überlegung machen, um zu sehen, welche Chancen er in dieser Welt hat, die ihm teils vorgegeben ist, die aber er selbst zum anderen Teil als seine Welt sich geschaffen hat." 3 3 32 Siehe z.B. Franz Wuketits, Evolution, Erkenntnis, Ethik, S. 181 ff. 33 Ebd. S. 180.

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Technik als verändernder Faktor

Aber inwiefern gilt das auch in bezug auf die Frage, auf welche Weise mit den Veränderungen zurechtzukommen ist, die die Technik in der Gesellschaft hervorgerufen hat? Denn für die entstandene Lage ist gerade die Erörterung des Problems bezeichnend, welches Defizit an menschlichem Steuerungsvermögen sichtbar wird. Den Zugang zu einer Klärung der Situation dürfte zweifellos eine erneute Hinwendung zu dem, was Technik ist, eröffnen helfen. Technik ist, so definierte sie Arnold Gehlen, "fortschreitende Objektivation menschlicher Arbeit und Leistung." Ihr Sinn sei in einer "zunehmenden Entlastung des Menschen zu suc h e n . 3 4 In der Technik wird folglich gegenständlich anschaulich, was sonst mittels einer physikalischen Formel erfaßbar war. Ihre gegenständliche Art verleiht der Technik vor allem soziale Bedeutung, indem sie Möglichkeiten für einen vielfältigen Gebrauch ihrer Geräte, Maschinen oder Apparate eröffnet. Diesen Sachverhalt drückt Günter Ropohl präzise aus, wenn er im Hinblick auf die Technik im Alltag feststellt, "daß dem einzelnen nunmehr gesellschaftlich verallgemeinertes, überindividuelles Können, Wissen und Wollen in technischer Vergegenständlichung verfügbar ist." 35 Solche Verfügbarkeit ist freilich nicht nur auf den privaten Bereich zu beschränken, sondern steht als vergesellschaftete Größe allen offen, die von der technischen Objektivation menschlichen Vermögens Gebrauch machen wollen. In besonderer Weise trifft das eben auch für den ganzen Bereich industrieller Fertigung zu. Insgesamt spricht darum manches dafür, Technik ebenfalls "als

34 Die Seele im technischen Zeitalter, rde 53, Hamburg 1957, S. 19. 35 Zum gesellschaftlichen Verständnis soziotechnischen Handelns im privaten Bereich, S. 131 f.

Zum Dialog zwischen Ethik und Technik: Die Ausgangslage

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Objektivation sozialer Strukturen und Prozesse" zu vers t e h e n d Ausschlaggebend ist dabei aber vor allem, daß Technik als Vergegenständlichung Bestandteil von Handlungssystemen wird, die dadurch entlastend wirken, daß jetzt für Problemlösungen allgemein zugängliche Möglichkeiten bereitstehen.

Zum Problem der Wertneutralität Aber Technik besteht nicht nur aus Maschinen, Apparaten oder Geräten. Sie umfaßt ebenfalls Fertigkeiten, die, systematisch erlernt und planmäßig ausgeübt, eine entscheidende Voraussetzung für den Umgang mit Technik als vergegenständlichtem Können, Wissen und Wollen bilden. In dieser Beziehung erweist sich die Gesellschaft selber als ein Zusammenhang, indem die Vermittlung von Technik in dieser doppelten Gestalt an den Menschen geschieht. Die Nutzung von Technik aber übt nun einen verändernden Einfluß auf das Handeln selber aus. 37 Die Skala solcher Veränderungen ist groß. Im Kern wird das Handeln jedoch potenziert sowohl im Hinblick auf Geschwindigkeit und Distanzüberwindung als aber auch im Hinblick auf Qualität und Quantität seiner Produkte. Entscheidend dabei ist, woran sich der handelnde Mensch im Umgang mit ihr orientiert, sei es im informellen Bereich privater Nutzung oder im hochformalisierten Bereich industrieller Nutzung der Technik. Der Zugang zur Be36 Ebd. S. 144. 37 Dazu ebenfalls Ropohl, ebd. S. 140 f.

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Zum Problem der Wertneutralität

antwortung dieser Frage wird jedoch erheblich erschwert, wenn die Anschauung von der angeblichen Wertneutralität der Technik zum einzigen Kriterium gemacht w i r d . 3 8 Technik muß vielmehr als ein Tun verstanden werden, das auch einer ethischen Prüfung unterworfen ist, um der bedenklichen Folge auf diese Weise zu begegnen, daß durch das Neutralitätsargument der Technik eine legitimierende Funktion in bezug auf die Nutzung jeder von ihr gebotenen Möglichkeit zuerkannt wird: weil etwas möglich ist, darum ist es auch erlaubt. Das ethische Urteil hingegen, das aus einer Prüfung der Möglichkeit an Maßstäben wie: Humanität, Lebensdienlichkeit, Umweltverträglichkeit hervorgeht, wird durch die Beliebigkeit entwertet, die der Beschränkung der Handlungsorientierung auf die im Sinne der Ethik leere Möglichkeit zueigen ist. Die Möglichkeit selber wird dann bereits als legitimierende Norm und als Imperativ verstanden, sie zu nutzen. Es ist nicht zu bestreiten, daß es sich hierbei um eine vielfach anzutreffende Geisteshaltung handelt, die sich unter dem Deckmantel von Sachlichkeit und Wissenschaftlichkeit auf reines Nützlichkeitsdenken beschränkt. Kriterien der Lebensdienlichkeit oder des Menschengerechten müssen ihm notwendigerweise fremd sein. Was zählt ist alleine die Zweckmäßigkeit. Doch auch eine solchermaßen konsequent ausgedeutete Anschauung von der Wertneutralität der Technik vermag nicht darüber hinwegzutäuschen, daß der Umgang mit Technik in jedem Fall von wertgeleiteten Entscheidungen bestimmt 38 Zur Kritik dieses »Neutralitätsarguments« vgl. jetzt Kurt Bayertz, Wissenschaft, Technik und Verantwortung. Grundlagen der Wissenschafts- und Technikethik, in: Ders. (Hg.): Praktische Philosophie, S. 172-209.

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wird. Technik so oder so zu nutzen, muß als der Mühe wert vorgängig entschieden sein, sonst läßt man die Finger davon. Es ist kaum anzunehmen, daß ein Unternehmer Techniken entwickeln und einsetzen läßt, wenn er das aus Gründen der Vergrößerung seiner Produktpalette, der Verbesserung der Qualität, der Intensivierung des Absatzes und der Verbesserung der Rendite nicht für der Mühe wert hielte. Dabei mag es dann durchaus auch eine Rolle spielen, daß technische Innovationen selbst einen bestimmten Zwang ausüben, sie aus Wettbewerbsgründen in das eigene Unternehmen zu übernehmen. Weithin gilt ja bereits, daß die Wirtschaft es sich gar nicht mehr leisten kann, Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung, die ökonomisch verwertbar sind, zu ignorieren. Es ist, um ein weiteres Beispiel anzuführen, auch nicht anzunehmen, daß jemand sich eine technisch ausgezeichnet bestückte Werkstatt einrichtet, wenn er gar nicht gewillt ist, von ihr Gebrauch zu machen. Wenn man so etwas tut, dann muß es für den eigenen Daseinsvollzug und die ihn leitenden Ziele schon einen Wert haben, Technik und die sie jeweils bietenden Möglichkeiten zu nutzen. Verallgemeinernd läßt sich darum durchaus die Feststellung wagen, daß es die in Handlungsentwürfen wirksamen Wertsetzungen sind, die den Umgang mit Technik mitbestimmen. Solche Werte - für wie unaufgeklärt man diesen Begriff trotz einer über Jahrzehnte hinweg geführten Diskussion darüber auch immer noch halten mag - weisen aber ihrerseits auf die Gesellschaft als den Raum ihrer Entstehung und Vermittlung zurück. Kultur, Bildung, Religion, aber vor allem auch wirtschaftliche und politische Zustände formen an dem, was man für wert hält, in individuellen und kollektiven Handlungsintentionen berück-

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Zum Problem der Wertneutralität

sichtigt zu werden. Das alles schließt einen Mißbrauch technischer Möglichkeiten noch nicht aus. In einer Gesellschaft herrschende Ideologien und Ismen der unterschiedlichsten Art können zudem solche Veränderungen in den Werthaltungen hervorrufen, daß damit auch Verstöße gegen die Menschenrechte ebenso wie in extremen Fällen Verbrechen im Namen und zum Ruhm einer Partei als gerechtfertigte Handlungen erscheinen. Gerade dieser, am Extrem sichtbar werdende Umstand erfordert es, Werte ethisch zu überprüfen, um über ihr Recht oder ihr Unrecht befinden zu können. Eine apriorische Verbindlichkeit von Werten, die sie außerhalb jeder Notwendigkeit einer solchen Prüfung stellen würde, kann es jedenfalls nicht geben. Die Aufgabe der Gesellschaft angesichts dieses Sachverhaltes muß es dann sein, ihrerseits dafür Sorge zu tragen, daß Risiken und Gefährdungen ebenso wie die Mißbrauchsmöglichkeiten der Technik bewußt gemacht werden und dieses Bewußtsein in den bildungsmäßigen Erwerb von technischen Fertigkeiten integriert wird. Darüber hinaus verdient in diesem Zusammenhang aber noch ein weiterer Aspekt Beachtung, auf den gerade die Erforschung des Einflusses von Technisierungsprozessen auf Handlungsstrukturen im Alltag nachdrücklich aufmerksam macht. Daran zeigt sich, daß es unbegründet ist, allgemein von einer "moralischen Hilflosigkeit" zu sprechen. Zwar stellt die Technik "geronnene Normen" insoweit dar, als sie "auf die Erfüllung von Zwecken festgelegte Systeme repräsentiert."39 Insofern bedeutet es auch immer eine "Disziplinierung" als "Außerkraftsetzen von Normen, die nicht in der Sprache der-

39 Bernward Joerges, Gerätetechnik und Alltagshandeln, in: ders. (Hg.):, Technik im Alltag, S. 31.

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artiger Regelsysteme formuliert und formulierbar sind" 40 , wenn Technik in Gebrauch genommen wird. Aber damit ist keineswegs bereits prinzipiell schon die Möglichkeit genommen, im Umgang mit technischen Systemen auch andere Handlungsnormen zu berücksichtigen. "Wie jedes Ding können auch technische Dinge alle nur denkbaren Bedeutungen annehmen, die in den formalisierten Regelsystemen, denen sie gehorchen, überhaupt nicht vorkommen."4l Menschliche Entscheidungen und Willenshandlungen werden folglich nicht durch den Gebrauch von Technik unmöglich gemacht. Daraus folgt, daß das Verhältnis zwischen Mensch und Technik im gesellschaftlichen Vermittlungszusammenhang noch nicht zureichend erfaßt ist, wenn es nur mit den Kategorien der Depersonaliserung oder Dehumanisierung beschrieben wird. 42 Zureichender wäre dagegen die Beschreibung dieses Verhältnisses als eine Form von kooperativer Wechselwirkung. Dafür spricht, daß, wenn Technik Vergegenständlichung menschlicher Leistung ist, sie zwar anonym bleibt, trotzdem aber auch auf diese Weise Mitmenschlichkeit vermittelt. Sie gewährt so Anteil an den Leistungen entweder von Einzelpersonen oder Teams. Damit ist noch nichts über ihre ethische Qualität ausgesagt. Diese zu bestimmen bedarf es, wie bereits mehrfach hervorgehoben, der spezifischen ethischen Reflexion. Erst durch sie kann festgestellt werden, welches technische System Vertrauen verdient. Allgemein wird das dort der Fall ein, wo solche ethischen Prinzipien zur An-

40 Ebd. 41 Ebd. S. 35. 42 Ebd. S. 45.

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Beispiel: Arbeit - Entwertung eines Wertes?

Wendung gelangen, die zu einer differenzierenden Analyse und Bewertung technischer Phänomene führen und ein pragmatisches, auf Näherungslösungen ethischer Probleme bedachtes Handeln begünstigen.

Beispiel: Arbeit - E n t w e r t u n g eines Wertes? Ein aktuelles, die Lage kennzeichnendes Problemfeld, auf dem der Konflikt zwischen technischer Entwicklung und Wertorientierung und damit die verändernde Funktion der Technik heute sichtbar wird, stellt die Arbeit, vorzüglich als Industriearbeit, dar. In den Ethiken nehmen Arbeit und Beruf eine zentrale Stelle ein. Sie gelten als entscheidende Faktoren in der Gestaltung der menschlichen Lebenswelt. Ihre sittliche Qualität wurde vor allem darin gesehen, daß sie einen wesentlichen Beitrag zur Herbeiführung jener besseren Welt leisten, in der der Mensch seiner wahren Bestimmung gemäß überhaupt erst zu leben vermag. Die Kritik der Entfremdungserscheinungen im Zuge der Industrialisierung hat an der Arbeit als einem hohen gesellschaftlichen Wert prinzipiell nichts geändert. Erst die mit der Industrialisierung verbundene, fortschreitende Technik hat dies vermocht, folgt man der Debatte über die Entwertung der Arbeit. Nun hat bereits Hegel weitsichtig erkannt, daß die zunehmende Technisierung dazu führen werde, daß der Mensch "an seine Stelle die Maschine eintreten lassen kann."43 Die "Be-

43 Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 198.

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friedigung der Bedürfnisse aller [...]", die die individuelle Arbeit zu leisten hat, 4 4 kann auch auf die neue Weise durch Technik bewerkstelligt werden, wenn sicher auch nicht total. In welchem Ausmaß sich aber die Arbeit durch Technik verändert hat, zeigte sich erst in den letzten Jahrzehnten.45 Dies h a t jedoch eine kontroverse Diskussion hervorgerufen. Sie macht kenntlich, wie sehr Günter Ropohl mit seiner Feststellung im Recht ist, daß mit ihr bereits "der Begriff der Arbeit äußerst schillernd geworden ist." 46 Je nach dem Standort, von dem her man sich den eingetretenen Veränderungen nähert, erhält die Lage, in der sich die »Arbeit« befindet, ihre Färbung. So kann sie für den, der unter psychologischen Aspekten die Arbeit als Medium individueller Selbstverwirklichung begreift, die fast unerträglich erscheinende Verhinderung des Identitätsgewinns darstellen. Die gegenwärtige Welt trägt dann geradezu alptraumähnliche Züge, weil das Menschenbild computergeneriert erscheint, indem der Computer Expertensysteme vordringen läßt, die neue Eliten aber auch ihren neuen Sklaven ausbilden helfen. Selbstzerstörung im Dienst des Systems statt Selbstverwirklichung wäre in jedem Fall die unausbleibliche Folge. Die Technisierung der Lebenswelt kann in äußerster Zuspitzung schließlich als Amoklauf der

44 Ebd. §199. 45 Diese Sachverhalt wird in folgenden Arbeiten eingehend untersucht: Heinz-Günther Dachrodt, Arbeit und Gesellschaft im Umbruch, Köln 1987, S. 25-43; Franz Decker, Arbeit und Beruf im Umbruch, Sindelfingen 1985, S. 28-57; Meiser. Wagner. Zander, Personal und neue Technologie, München/Wien 1991, S. 9-20. 46 Der Sinn der Technik und die gesellschaftliche Organisation der Arbeit, in: Günter Ropohl (Hg.), Arbeit im Wandel, Berlin 1985, S. 109.

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Beispiel: Arbeit - Entwertung eines Wertes?

Menschheit interpretiert werden.47 Nur vage erscheint am Horizont die Aussicht, sich der »Apokalypse« noch einmal entgegenstemmen zu können, nämlich dann: "Wenn es uns gelingen sollte, ihre Errungenschaften (sc. die der Technik) das erleichterte Leben - mit dem ideellen Anliegen der Menschen als einzelne - die Würde der Person - wie als Gesellschaft - die Teilhabe an einer höheren Ordnung - zu versöhnen, so könnten wir noch einmal davonkommen."48 Den Kontrast zu dieser negativen Bewertung bildet eine entgegengesetzte Beurteilung der entstandenen Lage. Als Beispiel dafür mögen Überlegungen dienen, die Walther Ch. Zimmerli in Rückbesinnung auf die Antike zum Problem der Arbeit angestellt hat.49 Er knüpft an Aristoteles' Politik an, in der die Vision einer Übernahme aller Arbeit durch Maschinen ausgesprochen ist, und formuliert auf diesem Hintergrund die These: "Es ist, ohne daß wir es schon wüssten, nahezu soweit, daß die aristotelische Utopie realisiert ist. Wir bewegen uns auf ein neues Athen zu."50 Hier wird die technologische Entwicklung zum Anlaß genommen, die Entlastung des Menschen von physischer Arbeit durchaus als Befreiung zu interpretieren und in Veränderungen des menschlichen Selbstverständnisses bereits einen Anpassungsvorgang an die neue Lage zu sehen. Es ist dann nur konsequent, den Men-

47 Vgl. hierzu Alfred Lang, das Ende der Arbeitswelt, in: Hermann Ringeling u. Marga Svilar (Hg.), Die Zukunft der Arbeit, Bern 1987, S. 9-31. 48 Ebd. S. 31. 49 "Das neue Athen", oder: "Vom Glück der Arbeitslosigkeit", in: Hermann Ringeling u. Marga Svilar (Hg.), Die Zukunft der Arbeit, S. 135155. 50 Ebd. S. 135 f.

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sehen auch nicht mehr durch "körperlich-materielle Arbeit" definiert sein zu l a s s e n . 5 1 Arbeits-los zu sein, stellt so etwas durchaus Begrüßenswertes dar, denn sie ist der "Zustand der Abwesenheit des Zwanges der Notwendigkeit, seine eigenen Subsistenzmittel im Schweiß des eigenen Angesichts produzieren zu müssen. Abwesenheit von Zwang und Mühsal ist nur erst die negative Definition des von allen erstrebten Zustandes, des Glücks."52 Diese Interpretation der entstandenen Lage kann sich darauf berufen, daß es der Sinn der Technik sei, dem Menschen die Last physischer Arbeit a b z u n e h m e n . 5 3 Darin bewährt sich eben ihre kompensatorische Funktion: Technik als Vergegenständlichung von Leistung und Arbeit wird in ihrer gesellschaftlichen Verfügbarkeit zum Mittel der Aufhebung von Arbeit. Das kann indessen nicht bedeuten, daß nunmehr der Entstehung von Schlaraffenland ähnlichen Zuständen entgegengesehen werden dürfte. Zimmerli will mit einer Schlußbemerkung vielmehr darauf aufmerksam machen, daß die Bewältigung dieses Glücks noch erhebliche Anstrengungen erfordert: "Ob eine positive Realisierung desselben möglich werden wird, hängt nicht zuletzt auch davon ab, welchen Gebrauch wir vom »Glück« der sich ankündigenden allgemeinen Arbeitslosigkeit machen. Hier gibt es, obwohl es keine Arbeit mehr gibt, noch viel zu t u n . " 5 4

51 Ebd. S. 149. 52 Ebd. S. 153 f. 53 Vgl. dazu auch Günter Ropohl, Der Sinn der Technik und die gesellschaftliche Organisation der Arbeit, S. 100 ff. 54 A.a.O. S. 154.

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Zweifellos eilt Zimmerli mit seiner Einschätzung der Entwicklung voraus. Noch ist es ja nicht soweit, daß dieses "Glück" bereits sichtbar in Erscheinung getreten wäre, wenn es das überhaupt gibt. Vorherrschend ist vielmehr nach wie vor die Arbeitsgesellschaft, 55 und arbeits-los zu sein wird von der Mehrheit der mit Arbeit ihren Lebensunterhalt bestreitenden Bevölkerung durchaus nicht als Glück, sondern als Unglück betrachtet. Darüber hinaus ist auch keinesweg davon auszugehen, daß die Entlastung von physischer Arbeit der Arbeit überhaupt jedwede Art von Mühsal nimmt. Feststeht bereits, daß neue Belastungen im psychisch-mentalen Bereich a u f t r e t e n . ^ Dies betrifft vor allem die Arbeit in Kontrollzentren und am Bildschirm. Und ob die mit Hilfe der Technisierung weithin erreichte Freistellung des Wochenendes von Arbeit in jedem Fall wird weiter beibehalten werden können, ist auch keineswegs sicher. Bereits in den frühen 60iger Jahren erwies sich der Durchfahrbetrieb an Sonn- und Feiertagen in der Eisen- und Stahlindustrie als unumgänglich, ja er führte bei Einführung einer neuen vierten Schicht sogar zu einer Vermehrung von Arbeitsplätzen bei gleichzeitiger Verringerung der Arbeitszeit und Vermehrung der von Arbeit freien Sonn- und Feiertage. 57 Es zeichnet sich heute

55 So auch Ropohl ebd. S. 110. 56 Siehe dazu auch Meiser.Wagner.Zander, Personal und neue Technologien, S. 96 ff., und Friedrich Fürstenberg, Organisationsweisen der Arbeit in der modernen Gesellschaft, in: Arthur Rieh/Eberhard Ulich (Hg.), Arbeit und Humanität, Königstein/Ts. 1978, S. 86 ff. 57 Siehe hierzu die ausführliche Darstellung von Otto Neuloh, Rudolf Braun, Erich Werner, Die durchlaufende Arbeitsweise. Sonntagsarbeit im Urteil der Stahlarbeiter, Tübingen 1961.

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ab, daß z.B. in Bereichen der Mikroelektronik in ähnlicher Weise Sonn- und Feiertage in die Arbeitszeit wieder miteinbezogen werden müssen. Das braucht dann aber ebensowenig zu einer Rücknahme der Wochenarbeitszeit zu führen, wenn vor einer Schaffung neuer Arbeitsplätze und einer neuen Schichtgestaltung nicht zurückgeschreckt wird. Als sicher kann heute jedoch gelten, daß Technik menschliche Arbeit ersetzt. Inwieweit sie darüber hinaus aber auch keine Freisetzungseffekte besitzt, sondern in den Entwurfs- und Herstellungsprozessen sogar zusätzliche Beschäftigung fordert, ist jedoch nicht mit gleicher Sicherheit zu b e h a u p t e n . 5 8 Was sich aber, trotz mancher Gegensätzlichkeiten, gleichsam als der vielbeschworene "rote Faden" durch die Diskussion zieht, das ist die Einsicht, zu einem neuen Verständnis der Arbeit selber kommen zu müssen. 59 Die Notwendigkeit dazu liegt in dem modernen Arbeitsbegriff selbst begründet. Denn er führte zu einer folgenreichen Zweck-Mittel-Vertauschung: Die Arbeit wurde zu dem Zweck, dem das Leben zu dienen hatte. Diese Vertauschung wird jetzt als "ideologischer Schein", d.h. als ein Eingenommensein vom Schein, das die Erscheinungen noch nicht in ihren Bedingtheiten erfassen läßt, denunziert. "Die Interpretation des Lebens als Arbeit ist ein paradigmatischer Fall von Ideologie, verstanden als geschichtlich bedingter Schein, der mit der Absolutsetzung indu-

58 Günter Ropohl, Der Sinn der Technik, S. 103. 59 Vgl. dazu vor allem den informativen Überblick, den Hans Lenk, Verfiel der Wert der Arbeit in der Bundesrepublik?, in: Albert Menne (Hg.), Philosophische Probleme von Arbeit und Technik, Darmstadt 1987, S. 90-109, gibt.

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strieller, sozialer und politischer Erscheinungen am Übergang von der Neuzeit zur modernen Welt entsteht."60 In dieser Fassung stützte er jenen eigentümlichen Hedonismus in der Moderne, der sich im Begriff des »Bedürfnisses« niederschlägt und in dessen Befriedigung geradezu der Sinn des Lebens als Glück gesucht wurde. Für diese Bedürfnisbefriedigung, also die Besorgung von Glück, wurde die Arbeit zur entscheidenden Voraussetzung.61 Keine Arbeit zu haben und dadurch von der Besorgung des Glücks gewissermaßen abgeschnitten zu sein, mußte dann konsequent als Unglück erscheinen. In der dramatischen Betonung, die die Arbeitslosigkeit bis in die Gegenwart hinein erfährt, schwingt jenes Verständnis des Unglücks als einer geradezu existentiellen Katastrophe noch mit. Konkret bedeutet es nämlich, sich nicht oder doch nur in begrenztem Maße am Konsum jener Güter beteiligen zu können, die aber zu besitzen im Bewußtsein einer werbepsychologisch erfolreich manipulierten Öffentlichkeit für die Erfüllung des Glücks unerläßlich erscheint. Daß in dieser hedonistischen Interpretation des Lebenssinns dessen seichte Verflachung im Sinne einer kaum noch zu überbietenden Oberflächlichkeit erfolgt, bedarf keiner weiteren Begründung. Politisch aber hat sie sich als erfolgreich erwiesen: Wer Stimmen bei einer Wahl gewinnen will, braucht nur an das hedonistische Glücksverständnis mit Versprechen und Wahlgeschenken zu appellieren.

60 Manfred Riedel, Arbeit als Lebenssinn?, in: Günter Ropohl (Hg.), Arbeit im Wandel, S. 19. 61 Vgl. ebd. S. 23.

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Die Neuinterpretation des Arbeitsbegriffs verfolgt infolgedessen das Ziel, die Perversion dieses Begriffs in der Moderne und mit ihm die "Perversion der Arbeitsgesellschaft" zu überwinden. Das heißt im Klartext: den Arbeitsbegriff aus den Fesseln einer ideologischen Interpretation zu befreien und ihm seine Weite zurückzugeben, in der eben nicht mehr nur die Erwerbsarbeit, sondern auch jede andere selbstbestimmte, freie Eigenarbeit ihren Platz hat. Man vermutet, daß "der historische Augenblick nicht mehr fern" sei, "in dem wir die Arbeitsgesellschaft mit ihren Einseitigkeiten und Perversionen hinter uns lassen können, weil es die soziotechnische Arbeitsteilung möglich macht, das Großteil der Zwangsarbeit der Technik zu ü b e r t r a g e n . " 6 2 Sollte es darüber hinaus aber auch möglich sein, daß die technische Entwicklung den ethischen Sinn der Arbeit wieder freilegen hilft? Eine Neuinterpretation des Arbeitsbegriffs wird jedenfalls das verkehrte Zweck-Mittel-Verhältnis wieder zurechtzurücken haben. Arbeit wird dann zum Medium sittlich orientierter Lebensführung, nicht aber mehr der bloße Zweck des Lebens ein. Mit ihr ist das Lebensdienliche zu verfolgen. Das schließt Arbeit als Mittel zur Subsistenz nicht aus. Wohl aber ist sie nicht mehr allein in der Perspektive zu sehen, daß durch Arbeit die Mittel nur zum individuellen Wohlergehen beschafft werden. Immer nachdrücklicher macht sich dagegen eine andere Sicht bemerkbar: "Es muß im Bewußtsein wieder Platz greifen, daß 'Eigenleistung', Eigenhandlung wichtig sind für die Entwicklung eines stabilen Selbstbewußtseins und Lebenssinnes, daß

62 Günter Ropohl, Vom Sinn der Technik, S. 111.

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Beispiel: Arbeit - Entwertung eines Wertes?

Eigenhandeln dem Leben Sinn verleihen kann - und das nicht nur im beruflichen B e r e i c h . " 6 3 Mit diesem Bewußtseinswandel ist eine Forderung erhoben, deren Erfüllung freilich an die Wurzeln jenes eigentümlichen Egozentrismus geht, der im Gefolge des modernen Hedonismus die Gegenwart kennzeichnet. Denn es wird ja nicht mehr aber auch nicht weniger gefordert, als den in der Arbeit immer schon mitgesetzten sozialen Bezug mindestens ebenso zu beachten wie das eigene Wohl-Leben, ja unter Umständen sogar diesem Bezug eine deutlich höhere Priorität zuzuerkenn e n d Es geht darin um eine weitgefaßte Interpretation des Arbeitsbegriffs, die Arbeit auch als Tätigsein im mitmenschlich-sozialen Bezug als sinnvoll zu verstehen sucht. 6 5 Darin wird schließlich die Erkenntnis wieder lebendig, daß eine Gesellschaft, deren Institutionen für die individuelle Lebensführung eine konstitutive Bedeutung haben, nur so lange ihre lebensdienliche Funktion ausüben kann, so lange in ihre Institutionen menschliche Leistung investiert wird. Im Gegensatz dazu steht ein bloßes Anspruchsdenken, das immer nur haben, aber nicht geben will. Es ist die äußerste Verkümmerung, zu der die individuelle Lebensführung gelangen kann.

63 Hans Lenk, Verfiel der Wert der Arbeit in der Bundesrepublik?, S. 109; vgl. dazu auch Peter Atteslander, geht die Arbeitsgesellschaft ihrem Ende entgegen?, in: Günter Ropohl, Arbeit im Wandel, bes. S. 10; ferner: Hermann Lübbe, Der Wertwandel und die Arbeitsmoral, Köln 1984, S. 24 ff. 64 In dieser Hinsicht ist Arthur Rieh, Arbeit als Beruf, in: Rich/Ulich, Arbeit und Humanität, S. 17, zuzustimmen: "Es erfordert eine gesellschaftliche Zielsetzung der Arbeit, die von ihrer einseitigen Ökonomisierung wegführt und ihren Grundcharakter als mitmenschlichsozialer Veranstaltung wieder erfahrbar macht." 65 Siehe dazu Manfred Riedel, Arbeit als Lebenssinn?, S. 25.

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Die Ansätze zur Neuinterpretation der Arbeit lassen jedenfalls erkennen, daß das Verhältnis von Technik und Arbeit keineswegs nur aus einer Entfremdungsperspektive heraus begriffen werden muß. Vielmehr gibt die Technik zusammen mit ihren verändernden Wirkungen Anlaß, den lebensdienlichen und mitmenschlich-sozialen Sinn der Arbeit wiederzuentdecken. Ein Grund aber zu fürchten, daß uns die Arbeit ausginge, besteht trotz innovativer Technologien in den Industrialisierungsprozessen nicht. Aber "die Menge der beruflichen Tätigkeiten, die als 'unentfremdete', subjektiv förderliche, ja bereichernde Tätigkeiten erfahren werden können", hat sich vergrößert. 66

Die F o r d e r u n g n a c h einem reflektierten U m g a n g mit Technik Die historische Situation, in der sich der Dialog zwischen Ethik und Technik neu zu formen beginnt, ist vor allem von der Forderung nach einem reflektierten Umgang mit Technik gekennzeichnet. Diese Forderung selbst ist keineswegs neu. Implizit wurde sie bereits vor Jahrzehnten erhoben, als die Folgen sich immer stärker aus-differenzierender technischer Systeme ins Bewußtsein drängten. Damals wurde eine Argumentationsstruktur entwickelt, die immer noch aktuell ist, auch wenn der technische Fortschritt seitdem weitergegangen ist.

66 Hermann Lübbe, Der Wertwandel und die Arbeitsmoral, S. 29.

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Die Forderung nach einem reflektierten Umgang mit Technik

Unter denjenigen Analytikern, deren Aussage über die Lage des Menschen in der neuzeitlichen Lebenswelt Gewicht haben, ragt Ortega y Gasset hervor. Der Schüler und Freund Max Schelers stellt mit seinen Überlegungen ein notwendiges Korrektiv zu Erwartungen dar, die aus einer optimistischen Bewertung der Entwicklung hervorgehen. Denn was berechtigt zu der Annahme, daß der Entwurf eines Planes, mit dem der Mensch seine geistige Herrschaft über die Welt zurückerlangen will, und die Aktivierung der sittlichen Kräfte bereits ausreichen werden, um die entstandene Lage und die in ihr ansichtig werdenden Gefährdungen nachhaltig zu bessern? Ortegas Antwort auf diese Frage könnte nur lauten: Nichts! Und es ist seine Einsicht in die Verfassung des Menschen, die ihn lediglich erwarten läßt, daß auch mit immer neuen Theorien des Lebens nur die Zahl der menschlichen Irrtümer vermehrt wird. "Aber diese Irrtümer, als solche erprobt und ausgestanden, sind das einzige, woran wir uns halten können, sind das einzig wirklich Erreichte und Feststehende. Zum mindesten weiß der Mensch heute, daß die von ihm in der Vergangenheit erfundenen Weltbilder nicht die Wirklichkeit sind. Mit Hilfe von Irrtümern wird der Bereich des möglichen Gelingens abgegrenzt. Darum ist es so wichtig, die Irrtümer im Gedächtnis zu bewahren, denn dieses ist die G e s c h i c h t e . " 6 7 Der Irrtum ist folglich nicht etwas nur Negatives, sondern Bestandteil der Verfassung des Menschen. Er gründet darin, daß diese Verfassung selbst wesentlich Ungewißheit ist, und daß darum der Mensch ständig erproben muß, auf welche Weisen er sein Selbstsein zu verwirklichen vermag. Hier liegt 67 Ortegay Gasset, Ideen und Glaubensgewißheiten (1934). In: Ders.: Signale unserer Zeit, S. 337.

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auch der Grund dafür, daß "der Mensch zum Unterschied von den übrigen Wesen des Universums niemals mit Sicherheit Mensch" ist; "Mensch sein bedeutet vielmehr gerade, immer im Begriff sein, es nicht zu sein, ein lebendes Problem, ein absolutes und gefahrvolles Abenteuer sein [...]"68 Doch auch dieser Sachverhalt verdient keine nur negative Beurteilung. Denn darin steckt eben der Impuls, der den Menschen ständig antreibt, nach besseren Wegen zu suchen, auf denen er sein Menschsein immer wieder neu aus den Gefahren des Nicht-seins zu befreien vermag. In diesem Zusammenhang gilt es eben zu beachten, daß die Kehrseite des ontologisch-verfassungsmäßigen Irrtums nicht die totale Resignation ist, sondern der ständige Anreiz, die Herausforderung, aus den Irrtümern zu lernen und dadurch das Gelingen der Versuche des Menschseins zu verbessern. Aber es handelt sich trotz allem nicht um die simple Anwendung des ReizReaktions-Schemas, das u.a. vom Behaviorismus als Anpassungsmittel ausgebildet und propagiert wurde. Es ist ebenfalls nicht zu verkennen, daß Ortega die von Scheler entwickelte Vorstellung von der »Weltoffenheit« des Menschen modifiziert weiterführt. Sofern eben diese Vorstellung zum Ausdruck bringen wollte, daß der Mensch das seine Selbstvervollkommnung hervorbringende Wesen ist, zeigt Ortega, daß das nicht gelingt. "Der Mensch ist dazu verurteilt, Dichter seines Romans zu sein. Das mögliche Gelingen seiner Phantasmagorien mag noch so unmöglich sein, wie man will; aber sei's drum, es ist die einzige Wahrscheinlichkeit, mit der der Mensch rechnen kann, um sein Leben zu 68 Ortega y Gasset, Selbst-Versenkung und Selbstentfremdung (1939), in: ebd. S. 431.

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Die Forderung nach einem reflektierten Umgang mit Technik

bestehen."69 Es gibt demzufolge keine uneingeschränkte Weltoffenheit, sondern immer nur eine durch die menschliche "Einbildungskraft" gebrochene Beziehung zur Wirklichkeit.7*) Allein in dieser Brechung vermag sich der Mensch zu sehen, wenn er nicht jedes Empfinden für Wahrhaftigkeit verloren hat. Darum ist für Ortega nur der Glaube der Ort, an dem der Mensch Gewißheit empfangen kann. Er versetzt, wie er es formuliert, in eine "unzweideutige Wirklichkeit, und darum fühlen wir uns in ihm auf festem Boden."7i Diese positive Würdigung des Glaubens darf indessen nicht darüber hinwegtäuschen, daß das, was Ortega darunter versteht, eigentümlich unbestimmt bleibt. Darum läßt sich auch die Gefahr nicht von der Hand weisen, daß mit dem Begriff »Glauben« selber nur eine Verlegenheit verdeckt wird: Nämlich das Unvermögen der neuzeitlichen Rationalität, die an sie gerichteten Erwartungen uneingeschränkt befriedigen zu können. Der Glaube könnte hier in die Gefahr geraten, nur zu einer Art »Trostpflaster« zu werden. Er verlöre damit jedoch gerade seine hervorstechendste Eigenschaft: nämlich eine ständige Herausforderung der Vernunft im Hinblick auf ihre Grenzen zu sein. Ungeachtet dieses Einwandes aber bildet dies alles den Hintergrund, vor dem jetzt Ortega um so nachdrücklicher daran erinnern kann, daß der Mensch trotz existentieller Gebrochenheit, trotz beschränkter und einseitiger Wirklichkeitserfahrung und trotz konstitutioneller Irrtumsfähigkeit an seiner Welt gestaltend arbeiten und darin zugleich nach 69 Signale unserer Zeit, S. 337. 70 Ebd., S. 336. 71 Ortega y Gasset, Signale unserer Zeit, S. 320.

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seinem Selbstsein streben muß. "Nichts, was wesentlich ist, ist dem Menschen geschenkt worden. Alles muß er sich selbst s c h a f f e n . " 7 2 Und Freiheit ist dann dieVoraussetzung für das Schaffenkönnen, auch wenn dieses selbst in Zweideutigkeit verharrt: es kann dem Menschen zum Segen ebenso wie zum Fluch werden. Die Analyse der geschichtlichen Lage läßt allerdings auch erkennbar werden, daß der Mensch an dieser Aufgabe, sich in Freiheit zu bewähren, in der Neuzeit versagt hat. Sein Umgang mit der Freiheit ist für sein Dasein zu einer folgenschweren Belastung geworden. Den Gründen dafür ist Ortega ebenfalls nachgegangen.73 Daraus geht vor allem hervor, daß Freiheit heißt: dieMöglichkeit haben, Folgen zu bedenken. Dies ist offenkundig nur unzureichend beachtet worden. Im einzelnen wird dabei auf folgende Weise argumentiert: Die Aufgabe des Menschen besteht darin, sein Selbstsein mit dem Material, das die Natur bereitstellt, zu realisieren. Das soll auf die Art geschehen, "daß zwei heterogene Seiende - der Mensch und die Welt - gezwungen sind, sich zu vereinigen, dergestalt, daß es einem von beiden - dem Menschen - gelingt, sein außernatürliches Sein in das andere, das eben die Welt ist, einzufügen. Dieses fast technische Problem ist die Existenz des Menschen "74 Mit dem Adjektiv »außernatürlich« wird nur die besondere Stellung des Menschen gegenüber der Natur und der Welt unterstrichen. Nicht dagegen soll bestritten werden, daß der

72 Ebd., S. 425. 73 Vgl. dazu insbes. Betrachtungen über die Technik (1939), in: ebd., S. 447 ff. 74 Ebd. S. 476.

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Mensch auch immer Natur und Welt ist. Die besondere Stellung des Menschen äußert sich darin, daß er das Vermögen besitzt, "sich von ihnen (sc. Natur und Welt) zu trennen und frei zu bleiben."75 Das Medium aber, mittels dessen sich der Mensch in die Welt einfügt und doch zugleich auch seine Freiheit ihr gegenüber behauptet, ist die Technik. Ihr Wesen wird geradezu darin gesehen, "dem Menschen die Freiheit zu geben, er selbst sein zu können."76 In dieser Sicht erscheint die Technik als "das Gegenteil der Anpassung des Subjekts an das Mittel, weil sie die Anpassung des Mittels an das Subjekt ist." 77 Im Menschen, in diesem besonderen Subjekt, hat die Technik ihre Notwendigkeit. Das aber heißt nichts anderes, als den Menschen per se als "Techniker" zu begreifen, "mögen seine Fähigkeiten dazu größere oder geringere sein."78 Doch Ortega meint nun, für die Welt des 20. Jahrhunderts behaupten zu müssen, daß der Mensch seiner Aufgabe, er selbst zu sein, nicht gerecht geworden ist. Seine »Betrachtungen über die Technik« lassen sich in dieser Hinsicht auch als Versuch begreifen, den Prozeß zu rekonstruieren, in welchem der Mensch statt zu sich selbst zu finden, sich eben diesem Selbst entfremdet. Die Moderne ist geradezu dadurch gekennzeichnet, daß eine Ersatzreligion ausgebildet wird: ein Glauben an die Technik. Damit wird dem, was eigentlich nur

75 76 77 78

Ebd. S. 415 ff. Ebd. S. 475. Ebd. S. 455. Ebd. S. 489.

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Mittel sein sollte, daß Prädikat eines eigenen Subjekts zugebilligt. Von ihm allein wird dann alles erwartet, was dem menschlichen Leben Qualität verleiht. Am Ende steht jedoch ein gerade seiner Qualität beraubtes Leben. Denn "die Technik die einerseits eine prinzipiell unbegrenzte Fähigkeit zu sein scheint, bewirkt, daß sich dem Menschen, der vom Glauben an die Technik und nur vom Glauben an sie leben soll, das Leben entleert. Denn Techniker und nur Techniker zu sein ist, alles sein können und folglich gar nichts Bestimmtes sein. Voller Möglichkeiten ist die Technik nur leere Form [...] und unfähig, den Inhalt des Lebens zu bestimmen."79 Um die Kritik Ortegas zu verstehen, muß man sich vor Augen halten, daß sie nicht an die anonyme Technik gerichtet ist, die doch nur Werkzeug - wenn auch ein sehr raffiniertes in den Händen des Menschen ist, sondern daß der Adressat seiner Kritik der Mensch selber ist, der mit eben dieser Technik nicht in einer, weder seiner menschlichen Aufgabe noch dem Wesen der Technik als intelligentem Hilfsmittel entsprechenden Weise umgeht. Diese Aufgabe aber besteht darin, das, was der Mensch sein will, planend zu entwerfen und in die Verwirklichung dieses Plans die Technik einzubeziehen. "In diesem Sinn ist der Mensch nicht ein Ding, sondern ein Anspruch, der Anspruch, dies oder jenes zu sein. Jede Epoche, jedes Volk, jedes Individuum modifiziert auf verschiedene Weise den allgemeinen Anspruch des Menschen."80 Ortega behauptet nun, daß der Mensch eben diesem Anspruch nicht gerecht wird.

79 Ebd. S. 501. 80 Ebd. S. 471.

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Die Forderung nach einem reflektierten Umgang mit Technik

Woran liegt es jedoch, daß der Mensch an seiner Aufgabe versagt? Ortega sieht den Grund dafür in dem Verzicht, Technik im Entwurf des Lebens verantwortlich einzusetzen. Statt dessen wurde ihr eine eigengesetzliche Natur zuerkannt, die der Mensch zu respektieren hatte. Er unterstellte sich der Herrschaft des technischen Verstandes im Vertrauen darauf, daß das ausreicht, um der Aufgabe seines Menschseins zu entsprechen. "Aber wenn das Leben nicht Verwirklichung eines Planes ist, wird der Verstand zu einer bloßen mechanischen Funktion ohne Disziplin oder Orientierung. Man vergißt allzusehr, daß der Verstand, und sei er noch so stark, aus sich nicht seine eigene Richtung wählen, daher nicht zu wirklichen technischen Eigenschaften gelangen kann. Er weiß aus sich nicht, welche unter den unendlichen Dingen, die man erfinden kann, er vorziehen soll und verliert sich in seinen unendlichen Möglichkeiten. Nur in einer Ganzheit, in der der Verstand im Dienst einer nicht technischen, sondern schöpferischen, Lebensentwürfe erfindenden Phantasie steht, kann sich die technische Fähigkeit bilden."81 Die Kritik, die hier laut wird, wendet sich also an den Menschen, der gegenüber der von ihm entwickelten Technik seine Aufgabe eines am Entwurf seines Lebens orientierten Einsatzes eben dieser Technik nicht verantwortungsvoll wahrnimmt. In diesem Kontext erhält dann die Aussage: "es ist so, daß der Mensch große Lust am Leben, am "In-der-Welt-sein" hat, obwohl er das einzige bekannte Seiende ist, das die Fähigkeit besitzt, die ontologisch und metaphysisch so seltsame,

81 Ebd. S. 490.

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so paradoxe, so erschreckende Fähigkeit, sich vernichten zu können [...]", ihre geradezu beklemmende Aktualität über das J a h r 1939 hinaus.82 Wir brechen die Darstellung der Position Ortega y Gassets hier ab. Sie sollte auch nur dazu beitragen, den Hintergrund auszuleuchten, auf dem jetzt die Forderung nach einem der historischen Gegenwart angemessenen Dialog zwischen Ethik und Technik um so deutlicher hervortritt. Es geht darum, einer Verengung des Selbstverständnisses entgegenzuwirken, die darin besteht, die eigene Existenz im wesentlichen nur unter dem Aspekt der Vermittlung und Aneignung von Kenntnissen und Fertigkeiten zu begreifen, die lediglich eine instrumentelle Funktion haben. Jetzt hingegen zeichnet sich ab, daß an die Stelle eines vordergründigen »Wissenwollen-wie« ein vertieftes Verständnis der Lage des Menschen und seines Vermögens treten muß, wenn Angemessenheit an das Mensch-sein des Menschen als Aufgabe erreicht werden soll. Der Dialog zwischen Ethik und Technik hat es in diesem Zusammenhang auch damit zu tun, das Vermögen wiederzugewinnen, oder überhaupt auszubilden, die technischen Mittel so beherrschen zu können, daß sie dem Menschen helfen, diese Aufgabe wahrzunehmen und darin sich als Denkender und Freier zu erweisen. Diese Bildung besitzt, wenn wir Ortega folgen, eine ontologische Dimension. Sie ist im Sein des Menschen begründet, dessen Wesen "Ungewißheit" ist und der in ständiger Gefahr lebt, "sich zu entmenschlichen"^ Sie zielt also darauf ab, das Risiko, "nicht

82 Ebd. S. 450. 83 Ebd. S. 431.

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Mensch zu sein"84 ( zu mildern, soweit dies jeweils Menschen überhaupt möglich ist. Aber das ist kein rein »technisches« Problem mehr im herkömmlichen und oft bestürzend oberflächlichen Sinne. Es geht vielmehr darum, daß der Mensch sich zuerst als der wiederentdeckt, dem die technische Kultur, sein Geschöpf, zu dienen hat, und nicht umgekehrt er der Technik. Damit ist zunächst jedoch nur die Aufgabe beschrieben. Nicht aber ist darin schon mitgesagt, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit die Aufgabe erfüllt werden kann. Die starke Betonung des Sich-selbst-herstellens, die bei Ortega vorherrscht, könnte sich eben auch so auswirken, daß der Mensch, weil er an diesem Sich-selbst-herstellen ständig scheitert, im Grunde wegen einer vollkommenen Unerfüllbarkeit jener Aufgabe resigniert.

Was ist Technikethik? Die Analyse der Lage, verbunden mit der Erfassung in ihr aufbrechender Probleme, defizitärer Entwicklungen und schließlich auch großer Gefährdungen, hat zunehmend die Frage nach den Möglichkeiten der Ethik stellen lassen, ob und gegebenenfalls welchen konstruktiven, im Sinne einer produktiven Bewältigung der im einzelnen erhobenen situativen Negativbestände, Beitrag sie zu leisten vermag. Allgemein wird so nach dem Potential der Ethik für Problemlösungen, für die Regulierung von Wertkonflikten und über

84 Ebd.

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haupt für die Überwindung menscheitsgeschichtlicher Krisen gefragt werden k ö n n e n . 8 5 Als ein besonderer Bereich ist nun die Technik in solche Fragestellungen miteinbezogen worden. Das Stichwort lautet hier: Technikethik. Der Begriff Technikethik stellt zunächst eine Wortschöpfung dar, die nicht von vornherein mit Zustimmung rechnen kann. Er wird aber verstehbar, und damit auch akzeptabel, wenn man sich einer Sicht nicht verschließt, wie sie beispielsweise bereits von Ortega y Gasset in seiner "Meditación de'la técnica" 1939 vertreten worden i s t . 8 6 Als Konsequenz einer Situationsanalyse ergab sich für ihn ja die Aufforderung: "Mögen daher die Techniker erkennen, daß es, um Techniker zu sein, nicht genügt, Techniker zu s e i n . " 8 7 Und er trifft schließlich die Feststellung: "Die höchste Fähigkeit zu leben verbürgt nicht irgendein Amt oder irgendeine Wissenschaft, sie ist die Gesamtheit aller Berufe und aller Wissenschaften und vieler anderer Dinge m e h r . " 8 8 Gerade die Fähigkeit zu leben aber ist ein zentraler Gegenstand der Ethik. In dieser Hinsicht ist sie, die danach fragt, was das Gute ist, das durch Handeln hervorgebracht werden soll, eine Theorie des gelingenden Lebens und wie jede Theorie korrekturoffen. Darin ist notwendigerweise ebenso der reflektierte Umgang mit dem technischen Können wie auch mit seinen Ergebnissen einge-

85 Siehe hierzu zuletzt J. Ronald Engel, The Ethics of sustainable Development, in: Engel and Engel, Ethics of Environment and Development, London 1990, S. 6 ff. 86 Ders., Signale unserer Zeit, Essays, S. 445-512. 87 Ebd. S. 462 88 Ebd. S. 462

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schlössen. Was das technische Können angeht, so hat es seine Reflexion mit der Frage zu tun, welche sich ihm eröffnenden Möglichkeiten für welche Zwecke genutzt, welche nur bedingt genutzt und welche überhaupt nicht genutzt werden sollen. Es geht hier also um eine Güterabwägung. Wo die aber stattfindet, da spielt immer auch eine Wertbeziehung hinein. Schließlich soll ja dem Rechnung getragen werden, was der Mühe Wert ist, gegenüber dem, was solche Anstrengung nicht lohnt. Reflexion bedeutet in diesem Zusammenhang darum notwendigerweise auch eine Relativierung des technologischen Imperativs. Dieser besagt ja, daß etwas getan werden muß, was getan werden kann. Der reflektierte Umgang mit den Ergebnissen technischen Könnens hingegen richtet sich auf die Weisen des Gebrauchs der Technik, und zwar so, daß zugleich Ziele mitreflektiert werden, die zu verfolgen technologische Errungenschaften nahelegen. Als exemplarisches wenn auch banales Gebiet, an dem demonstriert werden kann, was damit gemeint ist, mag der Straßenverkehr dienen. Die Technik in Gestalt des Fahrzeugbaus hat hier Möglichkeiten für eine differenzierte individuelle Nutzung geschaffen, um Entfernungen zu überbrücken. Sie hat damit auch in bestimmter Weise Freiheitsräume geschaffen, die es dem Einzelnen erlauben, selbst zu bestimmen, womit, wann und in welcher Zeit er von einem Ort zu einem anderen gelangen will. Entscheidet er sich dafür, das Auto zu benutzten, dann wird ihm, weil er hier mit anderen Verkehrsteilnehmern zusammentrifft, die Verantwortung zugemutet, sich so im Verkehr zu verhalten, daß er mit der Behauptung seiner Freiheit nicht die Freiheit der anderen einschränkt. Das bedeutet damit von vornherein, die Möglichkeiten, die ihm die Technik in Gestalt des Autos bietet, bedachtsam und verantwortlich zu

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nutzen. Der Verzicht, die volle Leistungsfähigkeit seines Fahrzeugs einzusetzen, ist so z.B.eine Weise bedachten und verantwortlichen Umgangs, wie es der Verzicht auf den Gebrauch des Kraftwagens zu besonderen Zeiten ebenfalls darstellt. An diesem Beispiel läßt sich aber gleichzeitig verdeutlichen, worauf in der Beantwortung der Frage nach den Beziehungen zwischen Technik und Ethik vordringlich geachtet werden muß: darauf, daß ein sittlich gerechtfertigter Umgang mit Technik einen erheblichen Anspruch an Erziehung, Bildung und Selbstdisziplin stellt. Mehr als fraglich ist es jedoch, ob die gegenwärtigen Formen, in denen Erziehung und Bildung geschehen, diesem Anspruch bereits gerecht zu werden vermögen. Technikethik ergibt sich so vor allem als Konsequenz aus dem Sachverhalt, daß mit der Technik dem menschlichen Handeln neue Dimensionen eröffnet werden. Diese Dimensionen auszuloten bildet eine entscheidende Aufgabe für die ethische Reflexion. Die Überprüfung und wenn nötig auch Überwindung eingeschliffener Denk- und Verhaltensweisen stellt darin ein wesentliches Element dar. Dabei ist mit zwei prinzipiellen Schwierigkeiten zu rechnen: Die eine besteht darin, daß "die wissenschaftlich-technische Rationalität der Neuzeit [...] in der Gegenwart eine Mobilisierung der ethischen Vernunft zugleich als notwendig herauszufordern und als unmöglich zu erweisen" scheint. 89 Die andere Schwierigkeit ergibt sich aus dem Umstand, daß "das Problem, wie der gewaltigen Verantwortung entsprochen werden kann, die der

89 Karl-Otto Apel, Weshalb benötigt der Mensch Ethik? In: Funkkolleg Praktische Philosophie, S. 134.

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schier unwiderstehliche wissenschaftlich-technische Fortschritt sowohl auf seine Träger wie auf die [...] Allgemeinheit legt, noch gänzlich ungelöst (ist), und die Wege zu seiner Lösung [.„] im Dunkeln" liegen.90 Beide Schwierigkeiten lassen nicht erwarten, daß der Dialog zwischen Ethik und Technik zu schnellen Ergebnissen führt. Aber sie sollten auch nicht zur Resignation verleiten. Vielmehr sind sie Teil der großen Herausforderung, vor die Wissenschaft und Technik den Menschen stellen. Ihr nicht auszuweichen besteht um so mehr Grund, als man sich dessen bewußt wird, daß das Bestehen selber nicht nur von einer Berücksichtigung technischer Betriebsanleitungen, sondern von geistig-moralischen Kräften abhängt. Die von der Biologie vermittelte ethische Einsicht sollte jedenfalls zum Anlaß für die Entwicklung dieser Kräfte genommen werden: "Wer Freiheit in Anspruch nimmt, muß sich die moralische Kraft zutrauen, die genetischen Determinanten seines Verhaltens durch eine wertorientierte, kultivierte Disziplin zu bändigen."91 Der verantwortliche Umgang mit Technik fordert, so muß an dieser Stelle hinzugefügt werden, den disziplinierten Menschen, wobei Disziplin ebenso als ein Moment seiner Erziehung und Bildung zu sehen ist. Die vorangegangenen Erörterungen erlauben es, den Begriff »Technikethik« zu präzisieren, allerdings nicht in einem definitorischen Sinne. Sie ist auch keine Sonderethik. Der Begriff dient zunächst nur als Bezeichnung für den Versuch, überhaupt so etwas wie eine Verständigung zwischen ethi-

90 Hans Jonas, Technik, Medizin und Ethik, S. 108. 91 Hans Mohr, Natur und Moral, S. 105.

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scher Vernunft und technischer Rationalität in Gang zu setzen; und in dieser Hinsicht steht er in Zusammenhang mit einer in den letzten Jahren verstärkt über diese Thematik geführten D i s k u s s i o n . 9 2 Die Technikethik als Reflektionsprozeß will eine Klärung der Steuerungskräfte, Orientierungen und Regulative herbeiführen, damit technische Entwicklungen so gelenkt werden können, daß Leben gefördert wird, lebensbedrohende Folgen dagegen möglichst vermieden und bereits eingetretene Schädigungen behoben werden können. In dieser Hinsicht geht es dann darum, in die Erinnerung zurückzurufen, was das allgemeine Interesse ist, das hinter der Technik steht; und das wird dort gesucht werden müssen, wo es um die prinzipielle Lebensdienlichkeit der Technik geht. Aber die Ethik gibt keine Rezepte. Sie hilft vielmehr nur, Entscheidungen vorzubereiten und Begründungen zu überprüfen. Fragen des Gebrauchs der Macht, die dem Menschen durch Technik zuwächst, sind in diesen Klärungsvorgang ebenfalls eingeschlossen. Denn je größer dieser Zuwachs, um so größer wird auch die Herausforderung an die sittliche Vernunft, den mit dieser Macht verbundenen Möglichkeiten ihres Mißbrauchs entgegenzuwirken. Das Zugehen auf die Technik als Macht von Seiten der Ethik ist so jedenfalls in ausgezeichne-

92 Aus der Fülle der Arbeiten, in denen sie ihren Niederschlag gefunden hat, seien hier nur erwähnt: Hans Sachsse, Technik und Verantwortung, S. 121-148; Andreas G. van Meisen, Ethik und Naturwissenschaft; Walther Chr. Zimmerli (Hg.), Technik - Oder wissen wir, was wir tun? Simon Moser u. Alois Hüning (Hg.), Werte und Wertordnungen in Technik und Gesellschaft; Heinrich Beck, Kulturphilosophie der Technik; Felix Hammer, Selbstzensur für Forscher? Schwerpunkte einer Wissenschaftsethik; Elisabeth Ströcker (Hg.), Ethik der Wissenschaften? Hans Lenk und Güner Ropohl (Hg.), Technik und Ethik.

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ter Weise Ausdruck ihrer Zeitgemäßheit, 93 und darin geht es dann ebenfalls um die Entdeckung, daß "neue Dimensionen im Ethischen" zu bewältigen sind.94 Sie schließen das Problem der Zukunft vordringlich ein. Die ethische Reflexion der Technik kann darum nicht an der Frage vorbeigehen, auf welche Weise die Macht der Technik und ihrer Entwicklungen in der Gegenwart bereits bestimmen, wie das Leben in einem überschaubaren Zukunftsraum aussehen k a n n . 9 5 In dieser Beziehung muß es einer spezifischen Technikethik darum gehen, ihren Beitrag dazu zu leisten, daß "die Entwicklung neuer Wertkonzeptionen, neuer Orientierungsleitlinien für die Langfristplanung, neuer »Führungsgrößen« für den technischen Fortschritt" vorangetrieben w i r d . 9 6 Über die Erörterung von detaillierten Sachfragen hinaus obliegt wie der Ethik überhaupt so auch der Technikethik dann vor allem die Vermittlung von "allgemeinen Sachprinzipien der Sittlichkeit [...] mit den besonderen Problemen der Zeit", um daraus "die zeitgerechten und situationsgemäßen Verbindlichkeiten zu gewinnen."9? Sie soll ausschließen, daß die Ethik "entweder zu einer abstrakten Theorie jenseits der tatsächlichen Wirklichkeit oder zu einer Ideologie des Beste93 Zeitgemäßheit der Bthik hat Walter Schulz, Philosophie in der veränderten Welt, S.631,gefordert, wenn er schreibt: "Im Gegenteil: eine zeitgemäße Ethik muß sich kritisch an wissenschaftliche Fragestellungen »anschließen«, um den realen Menschen der Gegenwart in seinem durch die Wissenschaft bestimmten Selbstverständnis zu treffen." Diese Forderung gilt es, auch auf Technik auszudehnen, die eine ebenso bedeutende Bestimmungsgröße für Selbstverständnis und Dasein ist. 94 Andreas G. van Meisen, Ethik und Naturwissenschaften, S. 130. 95 Vgl. dazu auch Hans Jonas, Technik, Medizin und Ethik, S. 45 ff. 96 Hans Lenk/Günter Ropohl, Praxisnahe Technikphilosophie, S. 137. 97 Ottfried Höffe, Sittlich-politische Diskurse, S. 16 f.

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henden" degeneriert. Vielmehr geht es darum, daß sie ihre "normativ-kritische Kompetenz" zur Geltung bringt.9** Mit der Übertragung dieses Gedankens auf die Technikethik wird nur erneut abgewehrt, daß sie als Sonderethik eine Existenz gegenüber der Technik führt. Vielmehr will sie ihre Gedanken in technische Überlegungen einbringen und dort wirksam werden lassen. Darüber hinaus ist jedoch noch eine weitere Forderung an eine Technikethik zu stellen: Sie muß individualethische Aspekte und die darin erfolgende Konzentration auf Handlungen und Handlungsfolgen allein in den Beziehungen zwischen Individuen wirksam ergänzen. Dies kann dadurch geschehen, daß die "traditionell ausschließlich individualistisch orientierte Ethik der moralischen Einzelverpflichtung" in Richtung auf eine Einbeziehung des Umgangs mit Natur und Umwelt erweitert wird und so auch für kollektiv Handelnde oder auch für Träger von Verfügungsmacht einen gleichermaßen verpflichtenden Rang erhält." Dabei muß jedoch darauf geachtet werden, daß eine solchermaßen konzipierte Technikethik vor einem "Dogmatismus der ethischen Theorie" ebenso bewahrt bleibt wie die Ethik allgemein.100 Nicht eine herrschende, sondern allein eine dienende Funktion kann die Technikethik haben: Sie soll den Dialog der verschiedenen Lebensbereiche mit der Technik fördern und darin die Argumentationskultur pflegen helfen. Vor allem die in diesem Zu-

98

Ebd. S. 15.

99

Siehe Hans Lenk, Zum Verantwortungsproblem in Wissenschaft und Technik, S. 98.

100 Für die Ethik insgesamt erhebt Trutz Rendtorff, Ethik, Bd. 1, S. 60, diese Forderung.

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sammenhang zu stellende Forderung, Natur und Umwelt in die ethische Reflexion der Technik einzubeziehen, macht jedoch nur insoweit einen Sinn, als sie auch auf ein Überdenken des seit der Renaissance geltenden Prinzips der Herrschaft des Menschen über Welt und Natur drängt, mithin dieses Prinzip bereits im Ansatz relativiert. In die damit zusammenhängende Frage nach Stellung und Aufgabe des Menschen in einer Welt, die durch Technik weithin ihre Prägung erhalten und für die Technik und der Umgang mit ihr auch eine Bedingung ihres Bestehens ist, spielt erneut das Problem der Werte und Wertsysteme hinein. Gerade die immer wieder behauptete Wertneutralität der Technik hat der Diskussion über ihre Beziehung zu Werten und Wertsystemen ständig Auftrieb gegeben. Denn wie anders als wert-geleitet kann der Umgang mit Technik sein? Gegenwärtig werden im Umfeld technik-ethischer Diskurse drei Merkmale einer zeitgemäßen Werttheorie erörtert, mit denen versucht wird, der historischen Situation Rechnung zu tragen: Erstens geht es darum, ein Defizit der praktischen Philosophie auszugleichen. Es besteht darin, daß "zu lange den Extremen einer pessimistischen Kulturkritik einerseits und einer euphorischen Technikapologie andererseits" gehuldigt worden ist. 101 Zweitens handelt es sich um den angemessenen Ausdruck eines zeitgemäßen Werteverständnisses. Werte, so wird nunmehr betont, "sind keine Gegenstände, keine idealen Entitäten mit einer besonderen ontologisch zu ermittelnden Existenzweise. Werte können auch nicht als solche direkt be-

101 So Hans Lenk/Günter Rohpohl, Praxisnahe Technikphilosophie, S. 138.

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obachtet, sondern nur im Zusammenhang mit Bewertungsprozessen unterstellt, erschlosssen oder angenommen (im doppelten Sinne!) werden".i02 Dennoch eignet ihnen nicht der Charakter der Beliebigkeit, wie sie auch nicht auf den Geschmack allein zu beziehen sind. Vielmehr verbindet sich mit ihnen ein gewisser "Anspruch auf [...] rationale Rechtfertigung."i03 Ihnen liegen schließlich auch idealtypische Vorstellungen von einem der Mühe werten Handeln zugrunde, die auf Verwirklichung in der Praxis des Alltags drängen.104 Das dritte Merkmal wird von dem Versuch gebildet, wissenschaftlich-technische Entwicklungen und "Bedürfnisse der Menschen" sowie "geltende Grundüberzeugungen der Gesellschaft und ihrer Gruppen" in "soziotechnische Systeme als zielorientierte Handlungssysteme" zu integrieren.105 Während sich die beiden ersten Merkmale auf den Sachverhalt beziehen, daß Handeln, in welchen Bereichen auch immer, wertgeleitet ist, wobei Werte selbst aber immer geschichtlich wandelbar und stets rechtfertigungsbedürftig bleiben, richtet sich das dritte Merkmal auf die Frage, wie Werte im Handeln wirksam werden. Bemerkenswerterweise taucht in diesem Zusammenhang der Systembegriff auf. Fragen des Verhaltens und Handels unter systemtheoretischen Aspekten zu betrachten übt gegenwärtig eine gewisse allgemeine Faszination aus. In der Tat h a t die Systemtheorie eine heuristische Funktion. Mit ihrer Hilfe lassen sich die Zusammenhänge von Stetigkeit und Veränderung in bestimmter Weise erklären 102 Hans Lenk, Werte und Handlungsanalysen, S. 188 f. 103 Ebd. S. 143. 104 Ebd. S. 151. 105 Günter Ropohl, Praxisnahe Technikphilosophie, S. 13 ff.; vgl. ferner auch Friedrich Rapp, Analytische Technikphilosophie, S. 200 f.

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und auch berechenbar machen.106 Das Handeln selbst wird durch die Systemtheorie aus dem Bereich des individuell Zufälligen in den des allgemein Verbindlichen überführt. In unserem spziellen Fall ist zudem im Begriff des »soziotechnischen Systems« offenkundig die Zielvorstellung Enthalten, das menschliche Handeln und die es beeinflussenden Wertvorstellungen mit Hilfe eines Systems an die durch die technische Entwicklung geschaffenen Bedingungen anpassen und so den zum Handeln Gezwungenen vom ständigen Entscheidungsdruck entlasten zu können. Im System selbst erhält so das Handeln die Funktion eines Elementes oder Mittels, dessen es sich zur Selbststeuerung, Selbstrückkoppelung und schließlich Selbsterneuerung bedient. 1 07 Für das Handeln wird folglich die Autonomie des Systems und seine Selbsterhaltungstendenz zu einer bestimmenden Größe. Von ihnen allein erhält es darum auch eine Richtung vorgezeichnet, die stets auf die Erfüllung systembedingter Zwecke weist. Auf solche Festlegungen des Handelns hatte bereits 1956 Hans Freyer hingewiesen.108 Nun werden Systeme keineswegs als starre Größen betrachtet. Sie sind keinesfalls nur geschlossen. Gerade weil sie dynamisch sind, sind sie gleichfalls offen. Sie stehen in prozeßhaften Wechselwirkungen mit ihrer Umwelt. Die von ihr ausgehenden Impulse nehmen sie aber so auf, daß weder ihre

106 Statt vieler Einzelhinweise sei hier nur auf Talcott Parsons, Soziologische Theorie, S. 28 ff., verwiesen. 107 Aufschlußreich in dieser Hinsicht ist ebenfalls Niklas Luhmann, Autopoiesis, Handlung und kommunikative Verständigung, Ztschr. f. Soziologie Jg. 11 (1987), S. 366-379. 108 Theorie des gegenwärtigen Zeitalters, Stuttgart 1956, S. 79 ff.

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Selbststeuerung noch ihre Selbsterhaltung dadurch gefährdet werden. Das von den Systemen generierte Handeln ist dieser prinzipiellen Zwecksetzung unterworfen. Es kann danach kein Handeln in einem System geben, das dieses in seinem Bestand ernsthaft infrage stellen könnte. Ein systemtheoretischer Grundsatz lautet darum, daß jede Veränderung oder gar Beseitigung eines Systems von außen kommen muß. Die sich zunächst als sehr abstrakt darstellende Systemtheorie erweist sich dennoch als durchaus geeignet, als heuristisches Mittel für die Betrachtung und Erklärung konkreter Erscheinungen in der Gesellschaft angewandt zu werden. Sie werden so in ihren je individuellen, systembedingten Funktionsweisen analysierbar. Hierin liegt sicher auch der Anlaß, Einsichten der Systemtheorie für das Verständnis der Wirtschaft furchtbar zu machen. Luhmann hat selber dazu anger e g t . ^ Er macht kenntlich, daß Geld jenes entscheidende Element im System Wirtschaft ist, mittels dessen es Selbststeuerung, Selbstreferenz und Selbstreproduktion sicherstellt. Das von ihm generierte Handeln findet konsequent in Zahlungen respektive Nichtzahlungen seinen Ausdruck.HO "Die Sonderfunktion der Wirtschaft wird mit einem eigenen autopoietischen System versorgt. In diesem System ermöglichen Zahlungen Zahlungen. Dadurch ist eine im Prinzip unbegrenzte Zukunft eingebaut. Alle Dispositionen im System sichern zugleich die Zukunft des Systems. Jenseits aller Ziele, aller Gewinne, aller Befriedigung geht es immer weiter. Das

109 Eine gute Übersicht bietet er in seinem Aufsatz: Die Wirtschaft der Gesellschaft als autopoietisches System. Zeitschr. f. Soziologie Jg. 13 (1984), S. 308-327. 110 Ebd. S. 312 ff.

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System kann sich nicht beenden, da der Sinn des Geldes im Ausgeben des Geldes liegt. "Hl Ein solcher Versuch wirft allerdings in ethischer Perspektive eine Reihe von Fragen auf: Welche Bedeutung besitzt ein soziotechnisches System für den freien sittlichen Willen des Menschen? Und welche Konsequenzen ergeben sich daraus für das Verständnis der Verantwortung? Ohne die Freiheit des sittlichen Willens ist sie nicht denkbar, weil sie aus der Zurechenbarkeit, als ein verursachendes Subjekt gehandelt und mit diesem Handeln bestimmte zu verantwortende Folgen hervorgerufen zu haben, hervorgeht. Doch inwiefern kann vom Menschen noch als von einer freien sittlichen Persönlichkeit gesprochen werden, wenn das, was er zu tun hat, ihm allein vom System vorgegeben wird? Zudem liegt der Systemtheorie auch die Anschauung von dem Selbststeuerungsvermögen der Systeme zugrunde. Dadurch drängt sich der Eindruck auf, daß mit dem System, seiner komplexitätsreduzierenden Wirkung und seiner empirischen Überprüfbarkeit zugleich auch weitere ethische Überlegungen überflüssig werden. Denn das Gute, das Handeln hervorbringen soll, wird nunmehr vom jeweiligen System definiert und nicht mehr von der Ethik. Es scheint somit ausgemacht zu sein, daß Ethik allenfalls ein Notbehelf sein kann, der um so weniger gebraucht wird, je stärker der »Entlastungseffekt« des Systems, will sagen: seine durch Komplexitätsreduzierung erfolgende Selektion von Handlungsmöglichkeiten und damit zugleich die Determinierung der Handlungsziele selbst ist. Das System hat damit die offenkundige Funktion, Handlungsentscheidungen abzuneh-

111 Ebd. S. 317 f.

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men und das Handeln selbst zu rechtfertigen, sofern es auf die Verfolgung der vom System ausgewiesenen Eigenzwecke konzentriert bleibt, also der Selbststeuerung, der Selbstreferenz und der Selbstreproduktion nützlich ist. Unübersehbar liegen solcher Sicht aber Prämissen zugrunde, die einer näheren Klärung bedürfen. Hier soll lediglich die Frage in den Mittelpunkt gerückt werden, wer oder welche Instanz bewertet, welche Möglichkeiten für das Handeln genutzt werden sollen. Der Beobachter sieht nur das Ergebnis von Selektions- und Kommunikationsprozessen. Aber wie es zu einer bestimmten Auswahl gekommen ist und warum welche Kriterien dabei eine Rolle spielten, dies zu wissen, ist für den wichtig, der die beschriebenen Sachverhalte in die Alltagswelt zurückübersetzt. Aus methodischen Gründen kann der Mensch ausgeblendet werden. Luhmann selber erklärt in diesem Zusammenhang, "daß die Gesellschaft ein soziales System ist, das heißt: ein System, das aus Kommunikationen und nur aus Kommunikationen besteht. Die Gesellschaft besteht, mit anderen Worten, nicht aus Menschen."! 12 Aber trotz der Begründung dieser Ausblendung, weil sonst der theoretische Begriff des Systems unhandlich würde,H3 läßt sich nicht daran vorbeisehen, daß Selektion, Kommunikation und Bewertung durch Menschen vorgenommen werden. Denn wer oder was wäre es sonst, was sich da verständigt? Können sich »Systeme« überhaupt verständigen? Ist Kommunikation nicht vielmehr etwas, was nur Menschen vorbehalten ist? Und wer verständigt sich im System? Es wäre widersinnig an112 Niklas Luhmann, Kann die moderne Gesellschaft sich auf ökologische Gefährdungen einstellen? in: Rhein.-Westf. Akad. d. Wiss., Vorträge G 278, Opladen 1985, S. 21. 113 Ebd.

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zunehmen, daß das Computer wären. Wer anderes als Menschen können darüber hinaus Zahlungen leisten und damit das System aufrechthalten? Schließlich, wer entwirft die Ziele und Zwecke, die ökonomisches Handeln verfolgt? Alle solche Vorgänge lassen sich mit technischen Mitteln leichter und effizienter gestalten, sie können aber nicht den Menschen ersetzen. Es ist zuzugestehen, daß die Möglichkeit und Freiheit des Menschen, anders handeln zu können, als es das System vorzeichnet, das system-theoretische Gedankengebäude nachhaltig stört. Aber diese Störung ist in der Wirklichkeit vorhanden. Sie läßt sich nicht auf Dauer ausblenden. Dieser die Logik störende Faktor ist aber vor allem der Mensch in seiner ganzen Fraglichkeit auf der einen Seite und der trotzdem für all sein Tun verantwortliche Mensch auf der anderen Seite. Diese Spannung muß ausgehalten werden, auch wenn sie die prognostische Funktion der Theorie immer wieder negativ tangiert. Auch in hochformalisierten Organisationen, wie sie industrielle oder wirtschaftliche Betriebe darstellen, die wegen hoher Effizienzforderungen auf bestimmte Vereinheitlichungen der Handlungs- und Funktionsabläufe drängen müssen, ist die personale Entscheidung ebenfalls immer wieder gefordert. Das gilt nun keineswegs nur für Vorstandsetagen, sondern auch für die Ebenen des mittleren Managements, der Techniker und der Facharbeiter. Aber damit gehört auch das Risiko des Irrtums und der Fehlentscheidung in den Umkreis dessen, was mitbedacht werden muß. Die durch das System vorgezeichnete Linie für Entscheidungen und Handlungen ist jedenfalls niemals so absolut, daß sie das personale Element gänzlich außer Kraft setzen und dadurch gleichfalls jenes Ri-

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siko beseitigen könnte. Gerade deswegen müssen Entscheidungen und Handlungen korrekturoffen gehalten werden. Korrekturoffenheit und damit auch die Bereitschaft, sich zu revidieren, sind Bestandteile der Verantwortung. Das System braucht sie nicht zu kennen. Die Systemtheorie läßt sich als ein später, aber durchaus plausibler Versuch verstehen, eine Aporie aufzulösen, die in der Neuzeit dadurch entstanden war, daß eine sich wesentlich als Forschung auslegende Wissenschaft, die ihrem Wesen nach immer unabgeschlossen bleiben muß, nicht im gleichen Maße, wie sie die wissenschaftliche Neugierde befriedigt, auch die Bedürfnisse der praktischen Vernunft zu befriedigen vermag. Wissenschaft - und das gilt in gewisser Weise auch für die als wertneutral erklärte Technik - konnte sich "mit den Ansprüchen praktischer Lebensgewißheit und praktischen Handlungswissens" nur schwer in Ausgleich bringen.! 14 Der Versuch erscheint sinnvoll, die entstandene Lücke jetzt mit Hilfe der Systemtheorie schließen zu wollen und damit das Handeln selbst auf eine andere Basis als die unberechenbarer, individueller Möglichkeiten zu stellen. Davon zu unterscheiden ist jedoch eine gewisse, mit diesem Versuch verbundene Systemgläubigkeit. Sie besteht darin, daß die Steuerungsmöglichkeiten und die Handlungsvorgaben eines Systems für bereits ausreichend gehalten werden, um ein sittlich Gutes hervorzubringen und demzufolge zusätzliche ethische Reflexionen weitgehend überflüssig machen. Allenfalls dort, wo solche Vorgaben fehlen und darum Grauzonen entstehen, die Handlungs- und Entscheidungsdruck entstehen lassen, kann eine eigene ethische Reflexion noch sinnvoll

114 Hans-Georg Gadamer, Lob der Theorie, S. 97.

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erscheinen.! 15 Aber stimmen die solcher Sicht zugrundegelegten Prämissen? Sind Systeme wirklich so autonom, daß sie ohne ständige Rückfrage an die Legitimität ihrer Zwecke das Handeln der in ihnen direkt tätigen oder von ihnen indirekt beeinflußten Menschen zu lenken vermögen? Hat es ebenfalls als ausgemacht zu gelten, daß die heute geforderte Bereitschaft zur Verantwortung durch Systemintgration ersetzt werden darf, nur weil Moral sich einer der Systemtheorie eigenen Systematik entzieht? Wird an dieser Stelle nicht erneut ein Grundwiderstreit sichtbar, auf den Albert Schweitzer immer wieder aufmerksam machte und dem er kategorisch sein Humanitätspostulat entgegensetzte, indem er forderte, die Bestimmung der Handlungsziele und -inhalte nicht anonymen Größen zu überlassen, sondern sie wieder zur Sache des denkenden Menschen zu machen?! 16 Die Applikation systemtheoretischer Beobachtungen legt darum als notwendige Ergänzung die ethische Reflexion nahe. Denn es ist unumgänglich, der Frage nachzugehen, was überhaupt verantwortet zu werden vermag. Diese Frage läßt sich nicht schon von der bloßen Möglichkeit her beantworten. Sie zeigt lediglich an, was man tun kann bzw. was man wollen 115 Ein eindrucksvolles Beispiel für diese Sichtweise findet sich gegenwärtig in der Betriebswirtschaftslehre: "Soweit Marktwirtschaft ein autonomes Funktionssystem bildet, besteht kein Anlaß für moralische Intervention. Selbst der Marktteilnehmer mit der geringesten moralischen Urteilsfähigkeit wird nicht überfordert. Das hinsichtlich der aktuellen Ereignisse instabile, bezogen auf längerfristige Entwicklung dynamische - stabile System Marktwirtschaft leistet diese Entlastung. Ethische Orientierungshilfe ist nur dort gefragt, wo die Regisseure selbstorganisatorischer Gestaltung versagen." Wilhelm Bierfelder, Das Problem der Steuerungsfähigkeit komplexer sozio-technischer Systeme, in: Michael Wörz u.a. (Hg.), Moral als Kapital, S. 200. 116 Vgl. Ges.W. Bd. 2, S. 399 ff.

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kann. Aber sie sagt nicht, was man wollen soll. Die Reduktion der Vielzahl von Möglichkeiten auf eine überschaubare Anzahl durch das System ist nur der eine Schritt. Ihm muß der andere in Gestalt einer Bewertung der Möglichkeiten, d.h. auch der Prüfung, welche davon unbedingt, welche nur bedingt, welche unter keinen Umständen im Handeln verfolgt zu werden verdienen, folgen. Ethik erweist sich in dieser Hinsicht gerade nicht als ein System, das gegen andere abzugrenzen ist und nur einen eigenen Platz in einer Nische abseits von allem gesellschaftlichen Geschehen beanspruchen darf, sondern sie ist eine Denkbemühung, die in andere Systeme eindringen will und deren Handlungsvorgaben damit zwangsläufig relativiert. Wie die Systemtheorie überhaupt der Kontingenz der Wirklichkeit Rechnung zu tragen versucht, so müht sich die Ethik darum, den neuen Dimensionen gerecht zu werden, die sich dem zu verantwortenden Handeln durch die geschichtliche Entwicklung besonders von Wissenschaft und Technik eröffnen. Sie ist nach dieser Seite hin durchaus der Reflex jenes Sachverhalts, daß der Mensch in Differenz zu Systemen treten kann. Ethische Reflexion wird so zum Ausdruck eben solcher Freiheit. Sie ist jedoch keine Ermächtigung zu allem und jedem. Die Verantwortung ist die Reflexionsgestalt dieser Freiheit. Der Dialog zwischen Ethik und Technik wird diese Fragen aufnehmen müssen, wenn Kriterien entwickelt werden sollen, die zu einem rationalen Umgang mit Technik beitragen sollen. Sich eben nicht auf einen Glauben an die Selbstorganisation und Steuerungsfähigkeit von Systemen zurückzuziehen, sondern Ethik als reflektierten Umgang mit technischen Systemen bewußt einzusetzen, um nicht schließlich in einer "Weltverwaltung ohne Freiheit" zu landen, das ist es, was als

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"Mut zum Denken" heute gefordert wird. 117 Die Absicht eines solchen Dialogs kann es schließlich nur sein, einer Verständigung mit dem Ziel zu dienen, Übereinstimmungen unter den Dialogpartnern zu bewirken, zu verbessern und auszuweiten. Es sind die sich ins Bewußtsein drängenden Probleme der wissenschaftlich-technischen Zivilisation, die die Kommunikation unter den Wissenschaften fordern. Dabei stehen Fragen künftiger Entwicklung und ihrer Steuerung zweifellos im Mittelpunkt. Gerade darum aber kann die Kommunikation selber nicht allein auf den Bereich der Wissenschaften beschränkt bleiben. Sie muß vielmehr die Gesellschaft miteinschließen. Diese hat ein Anrecht darauf zu wissen und mitzuentscheiden, welche Entwicklungen eingeleitet oder weiter verfolgt, welche aber abgebrochen werden sollten. Es gehört in den Bereich ihrer sozialen Verantwortung und deren konkreter Wahrnehmung, daß der engere Bereich der »scientific Community« mit ihren strengen Regeln hin zur Gesellschaft geöffnet und einer öffentlichen Informationspflicht genügt wird.

117 Vgl. dazu insbes. Hans-Georg Gadamer, Lob der Theorie, S. 98. 118 Mit Recht macht Bentley Glass, Science and Ethical Values, S. 81 ff., auf diesen Aspekt aufmerksam; vgl. ferner auch Christian Walther, Soziale Verantwortung in Wissenschaft und Technik, in: Moderne Zeiten - soziale Gerechtigkeit?, hrsg. v. Ulf Claußen, S. 121-125.

Warum Technikethik? Gründe Im voraufgehenden Kapitel wurde dargestellt, daß die gegenwärtige Situation von einer neuen Fragestellung gekennzeichnet ist: der Frage nach der Ethik in der Technik. Das unerhört Neue daran wird besonders vor dem Hintergrund deutlich, daß seit dem 16. Jahrhundert die Trennung von Moral und Wissenschaft überhaupt zu einem bestimmenden Grundsatz geworden war.1 Implizit wird in der neu entstandenen Situation bereits die Notwendigkeit einer Technikethik erkennbar. In dem folgenden Kapitel geht es nun vor allem darum, sich ausdrücklich den Gründen zuzuwenden, warum es eine Technikethik geben soll. Die Bemerkung Ortega y Gassets, daß man, um Techniker zu sein, nicht nur Techniker sein darf, enthält einen ersten Hinweis. Er wollte deutlich machen, daß die Verantwortung des Ingenieurs nicht mit der Entwicklung einer spezifischen Technik und der durch sie herbeizuführenden Problemlösung endet.

1

Zum Problem Ethik und Wissenschaft vgl. vor allem: Verantwortung und Ethik in der Wissenschaft, hg. von der Generalverwaltung der Max-Planck-Gesellschaft, s. dort z.B. den Beitrag von Benno Hess, S. 84 ff.

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Das Ende legitimierender Universalentwürfe

Das Ende handlungsleitender und legitimierender Universalentwürfe Die mit der neuentfachten Wertdiskussion erfolgte Relativierung des Wertfreiheitspostulats macht auf einen Sachverhalt aufmerksam, der für die Beantwortung der Frage: Warum Technikethik? von großer Bedeutung ist. Hierbei handelt es sich um universale Entwürfe, an denen sich individuelle und kollektive Entscheidungen orientieren. Solche Entwürfe bringen Entscheidungen und Handlungen mit dem in einen Zusammenhang, was entweder als prinzipiell erstrebenswertes, menschheitsgeschichtliches Ziel zu beachten ist und damit dann gleichsam zum Gegenstand einer Pflicht wird, oder was als unabänderlicher Gang der Geschichte angesehen wird, in den sich menschliches Handeln einzupassen hat. Wenn solche Entwürfe obsolet werden, dann bricht in aller Regel die Frage nach der Ethik auf. Von ihr wird erwartet, daß mit ihrer Hilfe der entstandenen Orientierungskrise begegnet werden kann. Der in der gegenwärtigen Situation laut werdende Ruf nach einer Technikethik ist dafür ein beredtes Beispiel. Bei dem Versuch, sich die Gründe für eine solche Ethik zu verdeutlichen, wird man zunächst auf den eigentümlichen Sachverhalt gestoßen, daß die Entwicklung der technischen Daseinsbedingungen von einer Kritik begleitet wird, die sich vornehmlich an die Überschätzung des menschlichen Vermögens wendet, die im Technizismus ihren Ausdruck findet. Diese Überschätzung hat den Glauben zum Inhalt, daß mittels Technik der Mensch sein Sein selbst herzustellen vermag, es also keiner anderen Macht verdankt. Doch dieses Bild hat sich vornehmlich in den letzten Jahrzehnten erheblich ge-

Warum Technikethik? Gründe

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wandelt. Jetzt tritt vielmehr das Unvermögen des Menschen, Grund seines Selbst-sein-könnens zu sein, in den Blickpunkt. Hier wird dann auch die Forderung nach einer radikalen Umorientierung laut. Die hierin zur Geltung drängende Erfahrung kann präzise als ein Gewahrwerden jenes eigentümlichen und immer wieder irritierenden Sachverhalts begriffen werden, daß der politischen Durchsetzung des Prinzips der Freiheit im staatlichen und gesellschaftlichen Bereich nicht in gleicher Weise auch schon die Verwirklichung des Selbstseins des Menschen entspricht. Vielmehr wird die Lage, in der sich der Mensch in der gegenwärtigen Welt vorfindet, geradezu als von einem Gegensatz beherrscht gesehen. Er läßt sich folgendermaßen kennzeichnen: Auf der einen Seite steht die ständige Ausweitung von Möglichkeiten, in die Wirklichkeit, bis hinein in den Mikrobereich, Eingriffe vorzunehmen oder sogar ganz neue Wirklichkeiten zu schaffen; auf der anderen Seite verringern sich die Möglichkeiten für den Menschen zunehmend, überhaupt zu dem in Universalentwürfen projektierten Zustand vollendeten Selbstseins zu gelangen. Die tatsächliche Zahl der Möglichkeiten, Wirklichkeit zu ordnen und zu strukturieren, geht über den in solchen Universalentwürfen projektierten Möglichkeitsrahmen stets hinaus. Offenbar gelangt der Mensch erst durch einen primären Freiheitsverzicht, d.h. auch durch eine Reduktion von Möglichkeiten, in den Genuß von Annehmlichkeiten, die von der Technik und der Politik bereitgehalten werden. Unter den Bedingungen der von Wissenschaft und Technik bestimmten Gegenwart wird jetzt aber gefordert, daß dieser Verzicht eine völlig neue, andere Wendung nehmen soll. Es geht gar nicht mehr darum, den von Wissenschaft und Technik gebotenen Rahmen für

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Das Ende legitimierender Universalentwürfe

den Daseinsgenuß nach allen Möglichkeiten zu nutzen. Vielmehr tritt heute zunehmend deutlicher ins Bewußtsein, Freiheit geradezu auch als die Grundbedingung für ein Abstandnehmenkönnen von der Nutzung solcher Möglichkeiten um jeden Preis zu begreifen. So ist unter diesem Aspekt z.B. die kritische Rückfrage an einen offenkundigen Grundsatz heutigen Wirtschaftsverhaltens im Blick auf Innovationen zu stellen, ob denn wirklich alle wissenschaftlichen Entdeckungen und technologischen Entwicklungen, die wirtschaftlich verwertet werden können, auch verwertet werden müssen. Gerade an der Prüfung vorhandener Möglichkeiten auf ihre Lebensdienlichkeit hin und nicht an deren unkritischer Nutzung muß sich der intelligente Umgang mit Technik erweisen. Insofern ist das, was im folgenden erörtert werden soll, prinzipiell von einer Sicht unterschieden, wie sie mit der Theorie vom "cultural lag" ausgedrückt werden sollte. Dieser Theorie liegt ein Anpassungsmotiv an den vermeintlichen Fortschritt zugrunde. Doch es geht längst nicht mehr um die Frage, wie der Mensch den technischen Möglichkeiten angepaßt werden kann, sondern wie er das Vermögen entwickelt, unter technischen Möglichkeiten die Wahl so zu treffen, daß zerstörende Folgewirkungen weitgehend vermieden werden können. Gerade in dieser Hinsicht ist es darum unerläßlich, endlich den Gedanken zu revidieren, daß in einer letzten Beziehung alles - auch das Negative - dem Menschen und seiner Entwicklung dienstbar sein muß. Bereits diese knappen Hinweise machen deutlich, daß hier in ungleich weiterem Horizont von der Bildung eines dem technischen Entwicklungsstand angemessenen Ethos zu sprechen ist als dem, das durch die Normativität bloßer Verwen-

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dungsmöglichkeiten bestimmt ist, die technische Entwicklungen eröffnen. Dies dann aber auch praktizieren zu können schließt in besonderer Weise Wandlung des menschlichen Selbstverständnisses auf dem Hintergrund eines verstehenden Durchdringens der Lage des Menschen in der von ihm durch Technik gestalteten Welt ein. Was damit gemeint ist, wenn davon gesprochen wird, daß Universalentwürfe obsolet geworden sind, soll an zwei Beispielen verdeutlicht werden: 1. an dem Gedanken von der Herrschaft des Menschen über die Natur und die Erde sowie 2. an einem, den Gang der Geschichte als linearen, ständig vom Niederen zum Höheren aufsteigenden Prozeß verstehenden Fortschrittsgedanken.

Kritik des Herrschaftsgedankens Der Gedanke von der Herrschaft des Menschen umgreift einen komplexen Sachverhalt. In der modernen Wissenschaftsgeschichte ist er außerordentlich einflußreich geworden. Die in der Renaissance bereits angestrebte "Steigerung der Erkenntnis" wird seit dem 17. Jahrhundert als zunehmend verwirklichbar angesehen. Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang der von Francis Bacon formulierte Grundsatz: Natura enim non nisi parendo vincitur (Die Natur wird nicht anders als durch Gehorsam besiegt). In der Aufklärung wurde es überdies für ausgemacht gehalten, "daß dem menschlichen Geiste wirklich eine einheitliche, unerschütterliche und voll befriedigende Erkenntnis zugänglich

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Kritik des Herrschaftsgedankens

ist, die alles Dunkle aufzuklären versprach".2 "[...] Souveränität des Willens, [...] Verantwortlichkeit der Handlungen, ein Vermögen, alles dem Gedanken zu unterwerfen [...]" sind die Attribute, die dem die Welt in Verfügung nehmenden modernen Menschen beigelegt werden.3 Im Zusammenhang damit bildete sich die Vorstellung von der prinzipiellen Beherrschbarkeit aller Dinge durch den Menschen als eine leitende Idee heraus. Es bedarf keiner weiteren Erläuterung, daß die zu Beginn des 19. Jahrhunderts aufstrebende Technik eine bedeutende Rolle in dem sich in jenen Aussagen widerspiegelnden menschlichen Selbst- und Weltverständnis spielt. Denn sie stellt die Mittel bereit, mit denen Errichtung und Festigung der Herrschaft über den Kosmos gelingen sollte. Dies geschieht, indem ein "stilles Wachstum der Wissenschaft", das bislang die Entwicklung geleitet hat, auf dem Wege einer dramatischen Veränderung der ganzen Mentalität in bewußt gewählte Formen der Wissenschaft und der Technik überführt wird. 4 Diese Transformation macht den Menschen der Moderne erfolgreich. Das schlägt sich wiederum in seinem Selbstverständnis nieder, Herr aller Entwicklung überhaupt zu sein. Als dieser sucht er sich fortan mit ständig verfeinerten oder neu entwickelten Methoden zu bestätigen. Es ist keineswegs übertrieben zu behaupten, daß die Selbstkonstitution des modernen Menschen als autonomes Subjekt

2

3 4

Adolf v. Harnack, Geschichte der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin Bd. 1,2, Nachdruck Hildesheim-New York 1970, S. 8. Wilhelm Dilthey, Ginleitung in die Geisteswissenschaften (1883), Ges. Sehr. I, S. 6f. Darauf macht besonders Whitehead, Science and the modern World, S. 2 ff., aufmerksam.

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durch diesen Prozeß entscheidend beeinflußt worden ist. 5 In dem Maße, in dem er der Grundforderung Bacons nacheiferte und sich darin erfolgreich wähnte, die Natur zu besiegen, wuchs schließlich auch das Bewußtsein seiner Freiheit. Sie sollte sich in einer nach ihren Erfordernissen gestalteten Welt verwirklichen, indem sie zum Anlaß wurde, eine Kultur der Freiheit zu schaffen, in der der Mensch dann zugleich die Erfüllung seiner Bestimmung finden konnte.^ Indessen ist es eine alte Forderung, von dem Ideal, in diesem Fall dem einer Herrschaft des Menschen, die Möglichkeiten seiner Verwirklichung zu unterscheiden. In dieser Hinsicht tritt in der Neuzeit eine unübersehbare Differenz auf, die anzeigt, daß das Ideal nicht verwirklicht werden kann. Eine Identität des im Ideal angestrebten Endziels mit der geschichtlichen Wirklichkeit läßt sich offenkundig nicht herbeiführen. Vielmehr gibt es Grenzen, die das Vermögen des Menschen erheblich einschränken, durchgehende universelle Zwecke zu verwirklichen. Die der Selbstkonstitution des Menschen als autonomes Subjekt und dem daraus hervorgehenden Herrschaftsanspruch beigelegten Attribute: Ablösung von der Bestimmung durch die Natur, das Hinausstreben in die Unendlichkeit und nicht zuletzt die "Vorstellungskraft", die jene Bilder entwirft, nach denen dann die Welt gestaltet werden soll,? erweisen sich letztlich als Ideal-Beschreibungen. In der Wirklichkeit ist die Herrschaft über die Erde und 5 6

7

Zur Selbstkonstitution der Subjektivität vgl. Walter Schulz, Die Vollendung des deutschen Idealismus in der Spätphilosophie Schellings. Fichte erweist sich in dieser Hinsicht als bedeutender Denker der Freiheit; vgl. dazu vor allem Walter Schulz, Ich und Welt, Philosophie der Subjektivität, bes. S. 111-131. Siehe dazu Johann G. Fichte, Ges. Ausg. Bd. 1,3, S. 172-182.

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Kritik des Herrschaftsgedankens

die Natur jedoch nicht vollendet zu erreichen, weil der Mensch unter endlichen Bedingungen selber nicht zu der Autonomie gelangen kann, die er für die Etablierung seiner Herrschaft brauchte. Er bleibt eben auch immer ein in vielfältiger Weise Beherrschter und Abhängiger. Der Prozeß der Ablösung von der idealistisch überhöhten Selbsteinschätzung, der gleichzeitig mit einer Desillusionierung über das wirkliche Vermögen des Menschen einherging, brachte es mit sich, daß das Gefühl, im Dasein obenauf zu sein, verloren ging. Betroffen wurde davon auch die Bewertung der Technik. Sie, von der immer erwartet worden war, daß sie mithelfen würde, immer höhere Stufen vollendeten Menschseins zu ersteigen, geriet jetzt ebenfalls in eine desillusionierende Perspektive. Plötzlich erschien sie im Licht eines Schreckgespenstes. Aber die sich nun einstellende Technikkritik verdeckt bisweilen, daß die der Technik nachgesagte Krise in Wirklichkeit die Krise des Menschen ist. 8 Um aus ihr herauszufinden, erweist es sich als notwendig, die fehlerhafte Selbsteinschätzung des Menschen, wie sie sich in die neuere Geistesgeschichte eingeschlichen hat, zu korrigieren. Und diese Korrektur ist in vollem Gange: "Man fühlt sich aufgerufen, die Position des Lebens, des Menschen in dieser Welt neu zu bestimmen."9 Universelle Bestimmungen, wie es die von einer Herrschaft über Erde und Natur ist, zu ent8

Diese Sicht vertritt zutreffend Karl Jaspers, Die geistige Situation der Zeit, S. 135. Ebenfalls macht Martin Heidegger, Die Frage nach der Technik, S. 64, darauf aufmerksam, daß die Bedrohung des Menschen ... nicht erst von den möglicherweise tödlich wirkenden Maschinen und Apparaturen der Technik" kommt, sondern daß die "eigentliche Bedrohung ... den Menschen bereits in seinem Wesen angegangen" hat.

9

Franz Wuketits, Evolution, Erkenntnis, Ethik, S. 1.

Warum Technikethik? Gründe

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wickeln, gilt nunmehr als Ausdruck einer letzten Irrationalität, die beharrlich nicht zur Kenntnis nehmen will, daß solche Universalien nichts anderes als eine 'Trojektion illusionären Denkens" sind. 10 Als bedenkliche Folge der Einbindung in solche für universell und unabänderlich gehaltenen Zwecke wird die Entbindung von jeder Verantwortung gesehen.n Damit aber scheint hier bereits ein wichtiges Argument im Hinblick auf die Begründung von Verantwortung durch: sie gibt es offensichtlich nur unter den Bedingungen einer spezifischen Begrenztheit des Menschen und den darin eingeschlossenen Zurechenbarkeiten geschehener Handlungen und deren Folgen an menschliche Kausalität. Um es kürzer zu sagen: Verantwortung gründet in der Anerkenntnis von Grenzen, denen der Mensch unterliegt, die aber zugleich dem Handeln auch dessen überschaubaren Raum zuweisen. Wo alles einem universellen Ziel zugerechnet und jede Handlung aus ihm begründet wird, bedarf es keiner spezifischen Verantwortung des Menschen mehr. Es ist das universelle Ziel selbst, dessen Durchsetzung, ganz gleich mit welchem Mitteln auch immer, von im Grunde jeder Verantwortung entbindet. Zu welchen tragischen Irrtümern das führt, zeigt die Geschichte moderner Ideologien und ihrer Umsetzung in politische Strukturen. Demgegenüber tritt jetzt die Notwendigkeit hervor, statt an universeller Weite das Handeln an den Erfordernissen der unmittelbaren Nähe auszurichten, die durch die konkrete historische Situation und die in ihr entstandenen Probleme gebildet wird und damit auf die Orientierung durch solche uni10 Ebd. S. 53 ff. 11 Ebd. S. 58.

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Kritik des Fortschrittsgedankens

verseilen Zwecke zu verzichten. Zugleich wird aber auch nach einer neuen Selbsteinschätzung des Menschen gefragt, für das als Orientierungsmarke "Humilitas" (Bescheidenheit, Demut) vorgegeben wird, verbunden mit der Absage an ein Selbstverständnis, das den Menschen für "die schlechthin nicht mehr zu übertreffende Krone der Schöpfung" e r k l ä r t e 2 Im Licht dieser ernüchternden Einsicht erhält eine andere Feststellung ihr volles Gewicht: "Die uns aus der Evolution der Hominiden überkommene geistige Kraft hat ausgereicht, diese Welt intuitiv zu verändern; sie scheint aber nicht auszureichen, die geänderte Welt zu verstehen und aus diesem Verstehen heraus eine Überlebensstrategie zu schaffen."i3 Das scheint auf den ersten Blick nicht mehr als eine deprimierende Diagnose zu sein. In Wahrheit jedoch enthält diese Feststellung die Herausforderung, sich einem "Erlahmen unserer geistig-moralischen Kraft" entgegenzustellen, und zwar gerade auch auf die Weise, daß man jede Selbstüberschätzung vermeidet und sich auf diejenigen Potentiale beschränkt, die für die Lösung entstandener Probleme z.B. des Überlebens bereits vorhanden sind. 14

Kritik des F o r t s c h r i t t s g e d a n k e n s Die andere Orientierungsmarke, die in der neuzeitlichen Geistesgeschichte eine große Rolle gespielt hat, ist der Fort12 Konrad Lorenz, Das sogenannte Böse, S. 326 u. S. 332. 13 Hans Mohr, Natur und Moral,S. 104. 14 Ebd. S. 104 f.

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schrittsgedanke. Ihm liegt die Annahme zugrunde, daß die Entwicklung unaufhaltsam vom sog. Niederen zum Höheren geht. Aufklärung heißt in diesem Bezug dann: Entdeckung des letzten Endziels der Entwicklung, also ihres Endpunktes und Erfassung des daran abzulesenden Zustandes, den die letzte Stufe der Entwicklung bildet. Damit verbindet sich die weitere Annahme, daß wenn dies einmal erkannt und begründet worden ist, es auch möglich sein muß, daran das Handeln auszurichten, selbst wenn das Endziel zunächst überhaupt nicht erreichtbar erscheint. Dieser Mangel wird aber durch die Geschichte selbst ausgeglichen, die sich unaufhaltsam auf das erkannte Endziel zubewegt; und in diese Bewegung ist der Mensch unablösbar eingebunden. Folgt man Hegel, dann kann er gar nicht anders als den Fortschritt zu befördern. Ob der Mensch will oder nicht, er ist der List der sich selbst verwirklichenden, absoluten Vernunft unterworfen. In den Fortschrittsgedanken wirken allerdings auch Endzeitvorstellungen hinein, die aus der christlichen Tradition stammen. Dort finden sie sich im Reich Gottes Begriff zusammengefaßt. Dieser Begriff wurde in der Philosophie spätestens seit Leibniz aber auch für geeignet gehalten, dem auf den Fortschritt gerichteten Denken als ein Begriff zu dienen, der, wie Kant es ausdrückte, allein der Vernunft zu genügen vermochte. 15 Im Fortschrittsdenken öffnet sich jedenfalls ein Horizont, innerhalb dessen ganz bestimmte Erwartungen manifest werden. Sie richten sich im wesentlichen auf Glück und die Herstellung der Einheit des Menschen mit seinem Wesen. Zugleich werden Überlegungen angestellt, wie innerhalb dieses 15 Vgl. dazu die ausführliche Darstellung dieser Rezeption bei Christian Walther, Eschatologie als Theorie der Freiheit, S. 60-117.

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Kritik des Fortschrittsgedankens

Horizonts solche Erwartungen auch erfüllt werden können. In diesem Zusammenhang erhalten Wissenschaft und Technik erneut ihre besondere Bedeutung. Sie werden neben anderen Faktoren zu Garanten dafür, daß jene Erwartungen keine Illusionen sind, sondern sich auch erfüllen lassen. Die Rückfrage jedoch, ob sie solche Garantiefunktion überhaupt zu leisten vermögen, stellt sich erst gut ein Jahrhundert später. Wie schon der Herrschaftsgedanke so gerät auch der Fortschrittsglaube unter den prinzipiellen Vorbehalt, daß es das mit ihm verbundene universelle Ziel allenfalls nur als Projektion eines illusionären Denkens gibt. Was die christliche Tradition angeht, die in den Fortschrittsglauben hineinspielt, so stellt in ihr das Reich Gottes, das sich am Ende aller Zeiten einstellt, ohnehin etwas völlig Neues und der Verfügbarkeit des Menschen Entzogenes dar. 16 in anderer Sichtweise ergibt sich eine nicht minder eindeutige Absage an den Fortschrittsglauben. So bleibt beispielsweise unter einem evolutionstheoretischen Aspekt "kein Platz mehr [...] für die Teleologie". 17 Damit soll angezeigt werden, daß die Entwicklung nicht als Vorgang der Realisierung eines vermeintlichen Endzieles gesehen werden darf. Eine Einwirkung der Technik auf den Geschichtsverlauf im Sinne des Fortschrittsgedankens wird ebenfalls nicht als tatsächlich gegeben angesehen. Denn im Bereich der Technik geschieht nur, was "durch menschliche Handlungen zutande kommt". 18 Die vollziehen sich aber, wie sogleich ergänzt werden muß, innerhalb bestimmter Grenzen. Sie lassen "sich nach keiner Theorie zum voraus berech16 Vgl. ebd. S. 183-267. 17 Franz Wuketits, Evolution, Erkenntnis, Ethik, S. 53 18 Friedrich Rapp, Technikgeschichte, S. 81.

Warum Technikethik? Gründe

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nen".i9 Mithin können sie auch nicht der Realisierung eines angenommenen Endzwecks der Geschichte zugeordnet werden. Von dem allgemeinen Fortschrittsgedanken muß indessen der technische Fortschritt unterschieden werden. Hierbei handelt es sich um ständige innovative Entwicklungen mit dem jeweils durch bestimmte Rahmenbedingungen festgelegten Ziel, Technik wirksamer zu machen. Bezieht man solche Optimierungsvorgänge auf den anthropologischen Kern der T e c h n i k , 2 0 dann bedeutet dies zunächst nur, daß ihre kompensatorischen Leistungen verbessert werden, mit denen sie konstituionelle Mängel des Menschen ausgleicht. Dies ist jedoch eine Leistung des die Rahmenbedingungen entwerfenden menschlichen Geistes. Seit den Anfängen menschlicher Entwicklung gilt: ohne diesen Geist keine Technik, aber ohne Technik auch keine Wendung des Geistes nach außen. Technik verhilft dem Geist gestalthaft zu werden. Insofern stellt Technik eine notwendige Bedingung dar. Sie ist aber keineswegs schon hinreichend in dem Sinne, daß der Geist sich auch als kreative und lenkende Kraft zu behaupten vermag. Dies geschieht vielmehr dort, wo die Entwicklung gleichzeitig auch zur Ausbildung von spezifischen Formen der Verantwortung und ihrer Wahrnehmung führt. Ein solcher Prozeß spielt sich aber wiederum nur in überschaubaren Bereichen ab. Ein universeller Rahmenbezug jedoch, wie ihn der Fortschrittsgedanke mit der darin enthaltenen Zwangsläufigkeit unterstellt, verhindert dagegen die Ausbildung von Verantwor-

19 Ebd. S. 85. 20 Dazu vgl. die Ausführungen von Hans Sachsse, Anthropologie der Technik, S. 34-57.

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Rückgewinnung des Steuerungsvermögens

tung. Er bedeutet im Grunde die Negation des Menschen als eines verantwortlichen Wesens, weil er in diesem Bezug selber nur als Werkzeug bei der Durchsetzung eines Weltzwecks oder irgendeiner universellen Idee begriffen zu werden vermag.2i

Rückgewinnung des Steuerungsvermögens Die Frage nach den Gründen für eine Technikethik stellt sich jedoch nicht nur im Kontext obsolet gewordener Universalentwürfe, indem danach Ausschau gehalten wird, wodurch sie ersetzt werden können. Sie stellt sich vor allem auch in einer sehr spezifischen Weise als Anfrage und Herausforderung an das menschliche Steuerungsvermögen: Welche Potentiale sind vorhanden oder lassen sich entwickeln, um die Entwicklung der Technik so zu steuern, daß z.B. die von vielen Zeitgenossen befürchtete Zerstörung der Erde nicht eintritt? Die Rückgewinnung des Steuerungsvermögens erweist sich jedenfalls als eine Thematik, die sich gerade auch aus der spätneuzeitlichen Technikkritik immer deutlicher herausschält. Im Jahre 1911 war bereits Georg Simmel im Rahmen kulturphilosophischer Überlegungen auf eigentümliche Spannungen in der modernen Kultur gestoßen.22 Für ihn gingen sie noch aus der Subjekt-Objekt-Problematik hervor: Der menschliche Geist wird in der geschichtlichen Welt gegenständlich. Er gibt sich als frei Entwerfender darin seinen Aus21 Vgl. dazu auch Franz Wuketits, a.a.O. S. 57 ff. 22 Vgl.: Philosophische Kultur, bes. S. 245-277.

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druck. Aber Simmel bemerkt ebenfalls, daß diese Vergegenständlichung sich von dem sie schaffenden Subjekt absetzt und dabei das Verhältnis umkehrt. Das Subjekt wird jetzt zum Objekt, "der Mensch wird [...] der bloße Träger des Zwanges [...]"23 Den Grund für diese Verkehrung, die ja zugleich auch ein Indiz dafür ist, daß eine Selbstverwirklichung nicht gelingt, sucht Simmel in der Verfassung des Menschen. An ihm vollzieht sich "ein Schicksal [...], das in ihm selbst angelegt und sozusagen die logische Entwicklung eben der Struktur ist, mit der das Wesen seine eigene Positivität aufgebaut hat." 24 Darunter ist aber etwas durchaus Negatives zu verstehen: Das Positive tritt jetzt als bloße Autorität auf, die nur noch gehorsame Unterwerfung statt innere Bejahung verlangt. Die Entwicklung der neuzeitlichen Lebenswelt gestattet ihm danach nur folgendes Urteil: "Das große Unternehmen des Geistes, das Objekt als solches dadurch zu überwinden, daß er sich selbst als Objekt schafft, und mit der Bereicherung durch diese Schöpfung zu sich selbst zurückzukehren, gelingt unzählige Male, aber er muß diese Selbstvollendung mit der tragischen Chance bezahlen, in der sie bedingenden Eigengesetzlichkeit der von ihm selbst geschaffenen Welt eine Logik und Dynamik sich erzeugen zu sehen, die die Inhalte der Kultur mit immer gesteigerter Beschleunigung und immer weiterem Abstand von dem Zwecke der Kultur abführt.'^ In bezug auf die Technik ergibt sich aus solcher Betrachtung dann nur die Konsequenz, sie als eine solche Größe zu 23 Ebd. S. 272. 24 Ebd. 25 Ebd. S. 277.

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Rückgewinnung des Steuerungsvermögens

verstehen, die dem sie ins Leben rufenden Menschen im Grunde keine Steuerungsmöglichkeit mehr läßt. Die Schere zwischen dem Faktor »Mensch« und dem Faktor »Technik« hat sich geöffnet. Aber wie läßt sie sich wieder schließen? Unberüht von dieser Frage bleibt zunächst, daß der Technik Bereicherungen des Lebens zu verdanken sind. Die Entlastungen, die sie in das Alltagsdasein gebracht hat, sollen ebensowenig preisgegeben werden, wie man von ihr weitere Entlastungen erwartet. Die Kritik, die an ihr geübt wird, ist dessen ungeachtet aber zu einem auslösenden Moment für die ethische Diskussion geworden. Deren volle Tragweite wird jedoch erst erkannt, wenn sie auch als Antwort an kulturkritische Anfragen begriffen wird. Diese machen zunächst kenntlich, daß die Einstellung zu Wissenschaft und Technik von eigentümlicher Zwiespältigkeit ist. Zugleich spiegelt sich darin aber ein Unbehagen wider, das die Moderne von Anbeginn begleitet: Enthusiastischen Erwartungen an die Entwicklung steht ein tiefer Skeptizismus gegenüber, der die Moderne immer auch als etwas Umstrittenes sehen läßt. Solche zwiespältigen Einstellungen durchziehen die Analysen der neuzeitlichen Lebenswelt. Das findet zu Beginn des 20. Jahrhunderts beispielsweise in der Feststellung seinen Niederschlag, daß trotz aller Erfolge der Naturwissenschaften, die "dem Menschen die Herrschaft über die Erde" verschafft haben, die Gegenwart von einem tiefen Widerspruch durchzogen sei, insofern keine Klarheit mehr darüber bestehe, "worin das letzte Ziel des Handelns für die Einzelperson und das Menschengeschlecht gelegen sei". 26 Ja, es wird die Ansicht vertreten, daß

26 Wilhelm Dilthey, Die Kultur der Gegenwart und die Philosophie, Ges.Schr. VIII, S. 191 und 193.

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das Widersprüchliche als eine "Anarchie des Denkens" verstanden werden müsse, die "sich in unserer Zeit auf immer mehr Voraussetzungen unseres Denkens und Handelns" erstrecke. Dies verleihe dem "menschlichen Erkenntnisstreben selbst etwas Tragisches'". Es decke den "Widerspruch zwischen Wollen und Können" auf. 2 ? So sei eine "Dissonanz der Souveränität des wissenschaftlichen Denkens und der Ratlosigkeit des Geistes über sich selbst und seine Bedeutung im Universum entstanden, die zu einer "Leere des Bewußtseins" und konsequent dann zum "Schmerz seiner Inhaltlosigkeit" geführt habe.28 Es ist trotz aller Kritik ja nicht verborgen geblieben, welche Steigerung das Können durch die wissenschaftlich-technische Entwicklung erfahren hat. Was aber offensichtlich bedrückte war, daß diese Steigerung eine Unsicherheit darüber im Gefolge gehabt hat, was der Mensch »können wollen soll«. Der Widerspruch, von dem so nachdrücklich gesprochen wird, bestand demnach zwischen der steten Steigerung des Könnens im technischen Sinne und der zunehmenden Unklarheit darüber, ob man dieses Können auch in jedem Fall betätigen darf. Damit ist aber bereits der Nerv der ethischen Problematik berührt, die Wissenschaft und Technik generell aufwerfen, und zwar jenseits von Überschätzung oder Dämonisierung. Karl Jaspers tiefgründige und nachhaltig wirksame Analyse der Gegenwart ist ein beredtes Zeugnis für den eigentüm-

27 Ebd. S. 194. 28 Ebd.

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Rückgewinnung des Steuerungsvermögens

liehen Antagonismus, in dem man sich zur entstandenen Welt vorfindet. Die von Wissenschaft und Technik mitgeschaffene neue "Daseinsordnung" wird als Zerstörung der "eigentlichein) menschliche(n) Daseinswe/i" gekennzeichnet.2^ Eine allgemeine Reduktion des Menschseins, wie sie z.B. in einer Eingrenzung auf bloße »Funktionen« stattfindet, wird als der deutlichste Ausdruck dieser Zerstörung gewertet: 30 "Was unser Dasein hervorbrachte und darum uns unentbehrlich wurde, gefährdet den Menschen in seinem Selbstsein. Das Bewußtsein

im Zeitalter

der Technik

u n d d e r Herrschaft

des Ap-

parats scheinen ihn zu verengen, indem sie ihn reich machen."3l Scharfsichtig bemerkt Jaspers aber auch, daß die von Wissenschaft und Technik in so hohem Maße bestimmte Daseinsordnung sich nur mittels eines »Glaubens« an die sich als Forschung auslegende Wissenschaft habe durchsetzen können.32 Doch weil dieser Glaube den Sinn von Wissenschaft verfehle, bezeichnet er ihn sogleich als "Aberglauben", der zudem in der Gefahr stehe, in "Wissenschaftsfeindschaft" umzuschlagen. 33

29 Die geistige Situation der Zeit (1931), S. 37. 30 Ebd. S. 41 ff. 31 Ebd., S. 41 - Wolfgang Schadewald: Die Anforderungen der Technik an die Geisteswissenschaften, hat diesen Widerstreit folgendermaßen gekennzeichnet: Das ursprüngliche Wesen der Technik sei es, "den Menschen zu sichern, ihn für ein menschenwürdiges Dasein auszustatten, ihn frei zu machen für seine spezifischen Aufgaben als Mensch". Sie bringe ihn aber "um das einfache Glück [...], ein Mensch zu sein" und gefährde ihn "schließlich sogar in seiner nackten Existenz" (ebd., S. 27). 32 Vgl. Ebd., S. 138. 33 Ebd.

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In der deutschen Philosophie der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts führt die Analyse der neuzeitlichen Lebenswelt vor allem zur Hervorhebung der Entfremdungssituation des Menschen. Das Gefühl, im Dasein nicht mehr obenauf zu sein, drückt die Grundstimmung aus. 34 Eine sich von den hochgespannten Erwartungen des 19. Jahrhunderts total unterscheidende Ernüchterung ließ den Menschen als schlechthin in Frage gestelltes Wesen erscheinen, das zudem auch eine Vollendung seiner Pläne gar nicht hätte erwarten dürfen. Denn in der Welt, das ist jetzt die ernüchternde Einsicht, gibt es keine Vollendung.35 Demgegenüber werden beispielsweise in der englischen Philosophie andere Aspekte hervorgehoben. Ein so hervorragender Vertreter wie Alfred North Whitehead sieht die entstandene Krise im Zusammenhang eines Evolutionsprozesses.36 Den Durchbruch des wissenschaftlichen Denkens im 19. Jahrhundert führt er auf drei historische Quellen zurück: die Romantik, die Fortschritte in den Naturwissenschaften und die Entwicklung von Technologien, die zu einer tiefgreifenden Veränderung der Lebensbedingungen führten.37 Bei aller Würdigung der Vorzüge, die solche Veränderungen mit sich gebracht haben, sieht er sich jedoch gleichfalls genötigt, negative Erscheinungen deutlich zu benennen. Hierzu rechnet er vor allem das sich im Zusammenhang von Spezialisierungen ausbreitende Unvermögen, noch ein Ganzes wahr-

34 Diese Grundstimmung untersucht Wilhelm Kamiah, Der Mensch in der Profanität, vgl. dort bes. S. 7 ff. und S. 15 ff. 35 So Karl Jaspers, Philosophie, 2. Bd.: Existenzerhellung, S. 249 ff. 36 Science and the modern World. 37 Ebd. S. 97.

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nehmen zu k ö n n e n . 3 8 Im Hinblick auf die Politik merkt er an, daß die Steuerungskraft politischer Vernunft geschrumpft sei. Sie ermangele eines Ausgleichsvermögens, so daß die Fortschritte in Einzelbereichen nur noch die Gefahren vergrößern, die durch Schwächen der Koordination hervorgerufen werden. Zur Signatur der entstandenen Lage gehört es ferner, daß das Ganze in Teilaspekten verlorengeht.39 Whitehead läßt es aber nicht dabei bewenden, den Niedergang der Gesellschaft zu beschreiben und sich im übrigen damit abzufinden. Er sucht vielmehr nach Möglichkeiten, die erkannte Situation zu verbessern. Ein Weg dazu besteht für ihn in der Bildung »große(r) Gesellschaften«.40 Dieser Begriff steht im Kontrast zu dem der »großen Menschen in der Geschichte«. Damit soll angezeigt werden, daß die Geschicke der Menschheit künftighin nicht mehr auf den Schultern großer welthistorischer Individuen allein ruhen, sondern vor allem von gemeinschaftlichen Anstrengungen abhängen. Ihnen fällt die Aufgabe zu, jene notwendigen Steuerungskräfte auszubilden, die den negativen Folgen der wissenschaftlich-technischen Entwicklung entgegenzuwirken vermögen. Whitehead hat diese Sicht als Konsequenz aus einer »Philosophie der Evolution« entnommen. Denn erfolgreiche Organismen verändern ihre Umwelt. Aber nur solche Organismen sind erfolgreich, die ihre Umwelt so verändern, daß daraus zugleich eine Hilfe füreinander wird. Das betrachtet er geradezu als

38 Ebd. S. 196; vgl. zum Unvermögen des Spezialistentums jetzt auch: Hansjörg Schneider-Poetsch, Technologiefeindlichkeit, S. 1165 f. 39 Ebd. S. 197. 40 Ebd. S. 205.

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ein Gesetz, dessen Wahrheit die Natur im weitesten Sinne sichtbar macht. 41 Die historische Situation jedenfalls, das soll erkennbar werden, stellt keinen Anlaß dar, sich einem Zukunftspessimismus anheimzugeben. Man brauchte nur auf den Evolutionsprozeß zu schauen, um daraus jene Gelassenheit den Unsicherheiten und der mangelnden Stabilität gegenüber zu gewinnen, die eine niemals zu beseitigende Grundbedingung der geschichtlichen Entwicklung überhaupt sind. Ihr aber so zu begegnen, daß daraus erwachsende Gefahren abgewehrt werden, das ist dann eine gemeinschaftliche Aufgabe. 42 Nach dem Zweiten Weltkrieg hat sich das Bewußtsein der Krise dort einen neuen Ausdruck gegeben, wo in den 60er Jahren intensive Versuche zur Entwicklung einer Theorie der spätkapitalistischen Gesellschaft unternommen wurden. Auf diesem Feld haben neben anderen vor allem die Arbeiten von Jürgen Habermas einen besonders gewichtigen Rang eingenommen. In Auseinandersetzung mit Max Weber und Herbert Marcuse wird vor allem der Begriff der »Rationalisierung« einer gründlichen Prüfung unterzogen. Dabei geht er davon aus, daß dieser Begriff seine Bedeutung nicht zuletzt der besonderen Stellung verdankt, die gerade die Wissenschaft seit dem 19. Jahrhundert erhalten hat. Sie hat ja, nachdem traditionelle Legitimationsmodelle für das Handeln auch dank ihrer Mithilfe brüchig geworden waren, dessen Orientierung

41 Ebd., S. 206. Im deutschen Sprachraum hat Hans Sachsse: Technik und Verantwortung. Probleme der Ethik im technischen Zeitalter, S. 39 f., auf die Notwendigkeit einer "Ethik der Gemeinschaft" als Bildungsziel hingewiesen. 42 Ebd. S. 208.

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Dadurch wurde aber ein wesentlich instrumentales, sich an technische Regeln haltendes Denken eingeführt, das in der Folge zu einem Stabilisierungsfaktor der Herrschaftsverhältnisse in der spätkapitalistischen Gesellschaft geworden ist. 4 4 Diese Entwicklung bildet den Hintergrund für die "These von der Doppelfunktion des wissenschaftlich-technischen Fortschritts (als Produktivkraft und Ideologie)". 45 Gerade in ihrer ideologischen Funktion tragen Wissenschaft und Technik jetzt entscheidend dazu bei, daß "an die Stelle des kulturell bestimmten Selbstverständnisses einer sozialen Lebenswelt die Selbstverdinglichung des Menschen" tritt. 4 6 Eine Änderung wird im Rahmen von Emanzipation, Individuierung und von herrschaftsfreien Verständigungsprozessen gesucht. 47 übernommen.43

Der Versuch, aus den Analysen der neuzeitlichen Lebenswelt einen gemeinsamen Nenner herauszufiltern, ergibt, daß die Unterwerfung des Menschen unter das Diktat von Wissenschaft und Technik verbunden mit der Beseitigung seines Selbstsein-könnens durch Funktionalisierung als diejenigen Schäden hervorgehoben werden, deretwegen die wissenschaftlich-technische Zivilisation unter Anklage gestellt wird. Gleichzeitig wird jedoch dem Humanismus selbst höchste Priorität gegenüber dieser Zivilisation wieder eingeräumt. Angesichts dieses Sachverhalts meinte ein so renommierter Naturwissenschaftler wie Sir Julian Huxley bereits davon

43 Technik und Wissenschaft als »Ideologie«, S. 71 ff. 44 Ebd. S. 63 ff. 45 Ebd. S. 60. 46 Ebd. S. 81. 47 Vgl. ebd. S. 64 und S. 100 ff.

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sprechen zu können, "daß heute ein neues dominantes Ideensystem im Entstehen begriffen ist, das ich »evolutionären Humanismus« nennen will". 48 Darunter ist zweifellos von ihm auch eine Zielorientierung für die Entwicklung menschengerechter Zustände auf der Erde verstanden worden. Die Betonung einer menschengerechten Gestaltung weltlicher Zustände erhält ihre Dringlichkeit angesichts der von Wissenschaft und Technik selber geweckten Besorgnisse und Mißtrauen. Sie werden beispielsweise durch die Anwendung der Nuklearphysik oder der Molekularbiologie hervorgerufen. Störfälle oder gar Unglücksfälle in Kernkraftwerken, oder im Rahmen der Gentechnologie möglich gewordene Manipulationen, werden als Bestätigung dafür genommen, daß es berechtigt ist, besorgt zu sein. Darin liegt auch der Grund für die Frage, ob "die Wissenschaft, die im 19. Jahrhundert auszog, um der Menschheit das Glück zu bescheren, an ein fürchterliches Ende" gelangt sei. 49 Darüber hinaus aber wird bereits von einem "apokalyptische(n) Potential der Technik" gesprochen und daran die weitere Bemerkung geknüpft, daß man jetzt schon mit der Frage konfrontiert sei, "ob und warum es eine Menschheit geben soll; warum daher der Mensch so, wie ihn die Evolution hervorgebracht hat, erhalten bleiben, sein genetisches Erbe respektiert werden soll; ja, warum es überhaupt Leben geben soll."50

48 Die Zukunft des Menschen - Aspekte der Evolution, S. 35. Eine gute Zusammenfassung der Technikkritik und zugleich Replik bietet Hans Sachsse, Ökologische Philosophie, S. 46-77; vgl. aber auch Martin Honecker, Folgen der Technik, Z ThK 87. Jg. 1990, H . 4, S. 471-486. 49 Friedrich Cramer, Erkennis und Interesse in der Erforschung des Lebendigen, S. 19. 50 Hans Jonas, Technik, Medizin und Ethik, S. 48.

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Die Kritik an Wissenschaft und Technik hat wiederum Gegeneinwände hervorgerufen - nicht zuletzt deswegen, weil sie "fast ausschließlich unter skeptischen oder pessimistischen Akzenten" geäußert wurde. Denn, so lautet jetzt der Vorwurf, die "großen Möglichkeiten der Humanisierung der Daseinsbedingungen aller oder sehr vieler Menschen durch technische Entwicklungen" haben nicht die Beachtung erfahren, die sie verdienten.51 Dieser Einwand, vornehmlich gegen eine kritische Betrachtung der wissenschaftlich-technischen Zivilisation gerichtet, wie sie insbesondere Helmut Schelsky angestellt hat 5 2 , will damit auf ein generelles Defizit in der Wissenschafts- und Technikkritik aufmerksam machen. Diese Kritik muß sich vor allem den Vorwurf gefallen lassen, daß ihren Analysen und Einwänden zum Trotz die von ihr festgestellte Lage der Menschen in der wissenschaftlichtechnischen Zivilistion im Grunde unüberwunden geblieben ist. Darum richtet sich jetzt die Frage an die Kritiker, ob ihr theoretisches Fundament nicht überprüft und vor allem der weiteren Frage nachgegangen werden muß, ob das auf der Basis eines Antagonismus von Mensch und wissenschaftlichtechnischer Zivilisation entwickelte Erklärungsmodell überhaupt geeignet ist, die entstandene historische Situation zu verstehen, geschweige denn sie nachhaltig zu bessern.

51 Hans Lenk/Günter Ropohl, Praxisnahe Technikphilosophie. Entwicklung und Aktualität der interdisziplinären Technologiediskussion, S. 133; vgl. auch ders. (Hrsg.): Technokratie als Ideologie. Sozialphilosophische Beiträge zu einem philosophischen Dilemma, S. 9 ff., S. 105 ff., S. 154 ff. 52 Helmut Schelsky, Der Mensch in der wissenschaftlichen Zivilisation (zuerst erschienen als Nr. 96 der AGFNRW, Köln/Opladen 1961), in: Helmut Schelsky: Auf der Suche nach Wirklichkeit, S. 439-471.

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Unter den zeitgenössischen Philosophen hat sich der Niederländer Egbert Schuurman dieser Frage im besonderen zugewandt. Er leugnet keineswegs, daß die wissenschaftliche und technische Entwicklung tiefgreifende und dabei keineswegs nur positiv zu beurteilende Veränderungen im gesamten Lebensgefüge hervorgerufen hat. Zudem erwartet er durchaus noch gefährlichere Entwicklungen: "The unscrupulous use of technocracy and the dehumanization it brings continue to grow, both in proportion and in complexity."53 Dennoch hält er es für unbefriedigend, Vorzüge und Nachteile gegeneinander aufzurechnen und daraus Folgerungen in bezug auf die Richtung abzuleiten, in welche sich die Technologie bewegen sollte. Eine solche Methode besitzt zwar ihren Wert in begrenztem Rahmen, sie ist jedoch gänzlich ungeeignet, die Probleme in ihrer Tiefenschicht anzugehen, vor die Wissenschaft und Technik stellen.54 So wendet er gegen die von Existenzphilosophie und Positivismus eingenommenen Positionen ein, daß sie keine tragfähige Grundlage darstellen, um eine Zukunftsperspektive zu eröffnen, in der "science and technology have a legitimate place and in which human freedom is neither excludet nor made absolute." 55 Gegen marxistisches Denken erhebt er den Vorwurf, daß dessen Freiheitsverständnis außerordentlich eingeschränkt sei, insofern Freiheit nur innerhalb der von einer Elite determinierten Grenzen möglich werde. Im übrigen aber seien die hoffnungsvollen Erwartungen, die sich auf technologische Entwicklungen und deren Beitrag zum Fortschritt der Menschheit überhaupt 53 Reflections on the Technological Society, S. 44. 54 Egbert Schuurman, Technology and the Future, S. XIX. 55 Ebd.S.327.

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richten, nichts anderes als Ausdruck einer »Religion der Technokratie«, die den Menschen zudem auf ein »geplantes Lebewesen« reduziere.56 Eine Möglichkeit, unfruchtbar gewordene Positionen zu überwinden, sieht Schuurman nur dort, wo neu nach dem Sinn von Wissenschaft und Technik gefragt wird. In diesem Zusammenhang liegt ihm besonders viel daran, christliche Traditionen wieder zu erschließen, in dem er sie daraufhin befragt, ob und welche Möglichkeiten in ihnen enthalten sind, Lösungen für die entstandenen Probleme zu finden.57 An diesen Einwänden läßt sich ablesen, daß die theoretischen Grundlagen der Kritik selbst immer auch in einen Prüfungsprozeß miteinzubeziehen sind, wenn die durch Wissenschaft und Technik wesentlich beeinflußte Situation verstehend durchdrungen werden soll. Es gibt keinen unverrückbaren, weil dogmatisch gesicherten Standpunkt, der es erlaubte, ohne Rückfragen an ihn selbst, über die geschichtliche Lage und z.B. in ihr anzutreffende Sinndefizite zu urteilen.58 Dies trifft vor allem auch auf einen heute oft lautstark auftretenden, apokalyptischen Typ der Kritik zu, der die Lage mit Hilfe der Kategorie des Dämonischen zu erklären versucht und darum folgerichtig dann auch nur noch den Exorzismus als Heilmittel anzubieten vermag. Es ist eben doch so, daß die wissenschaftlich-technische Zivilisation weder schon einen endgültigen inhumanen noch einen endgültigen humanen Ausdruck

56 Ebd. S. 310 f. 57 Schuurman, ebd., S. 328 ff. und S. 360 ff.; vgl. auch ders.: A Christian Philosophical Perspektive on Technology, S. 107-122. 58 Zum Problem des Sinndefizits vgl. jetzt auch Hermann Krings, Bedenken zur Wissenschaftsethik, S. 14 ff.

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gefunden hat.59 In dieser geschichtlichen Unentschiedenheit und Schwebe liegen aber gerade Möglichkeiten, die für die Förderung des Lebens überhaupt zu nutzen, dann die eigentliche Herausforderung darstellen. Die kompensatorische Funktion der Technik, der Mängelausgleich also, bewirkt allerdings auch eine unbestreitbare Potenzierung menschlichen Vermögens. Kontinente werden trotz bleibender geographischer Entfernung durch Kommunikationstechniken näher aneinandergerückt. Mit Satelliten lassen sich aber nicht nur Telefongespräche und Fernsehsendungen bis in fast jeden Winkel der Erde vermitteln, damit lassen sich auch Überwachungen durchführen. Flugzeuge können nicht nur relativ schnell Menschen und Waren über größere Entfernungen transportieren, sie lassen sich auch zu kriegerischen Unternehmungen gebrauchen. Die vom Menschen angstrebte Herrschaft über Natur und Welt ist janusköpfig. Beides, Segen und Fluch, liegt in der Technik dicht beieinander. An dieser Banalität tritt aber ein entscheidendes Moment hervor: Es ist der mit Technik umgehende Mensch, der entscheidet, welche ihm von der technischen Entwicklung eröffneten Möglichkeiten er nutzen will. Nicht die Technik schreibt ihm vor, ob er sie konstruktiv oder destruktiv einsetzen soll. Aber wenn einmal die Entscheidung gefallen ist, wozu Technik dienen soll, dann stattet sie den Menschen auch mit der Macht aus, seine Ziele zu verfolgen; wobei allerdings, wenn die Entscheidung in eine bestimmte Richtung gefallen ist, eine eigene Entwicklungslogik entstehen kann, die sich unter Umständen einer weiteren menschlichen Kontrolle ent-

59 Alois Hüning, Technisches Handeln unter ethisch-gesellschaftspolitischem Anspruch, S. 96 f. bringt diesen Aspekt sehr schön zur Geltung.

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zieht. Das ist beispielsweise das Risiko bei der Verwendung von Kernkraft oder, um ein anderes Gebiet zu erwähnen, bei der Verwendung chemischer Mittel zur Erzielung höherer Ernteerträge. Die dem Menschen von der Technik eingeräumte Macht als gesteigertes Vermögen, etwas intensiver bewirken zu können, legt ihm gerade darum eine Verantwortung auf, die das Bedenken von Technikfolgen geradezu zur Pflicht macht, auch wenn die Abschätzung solcher Folgen notwendigerweise immer schwierig und unabgeschlossen bleiben muß.60

Zum U m g a n g mit Technik Aus den vorangehenden Erörterungen läßt sich nun eine Hauptfrage herausschälen, die einen gewichtigen Grund darstellt und darum im Dialog von Ethik und Technik einer weiteren Klärung unterzogen werden muß: Es ist die Frage nach dem Umgang mit Technik und welche Faktoren ihn bestimmen. Ein erster Schritt bei der Beantwortung dieser Frage führt zunächst zur Betrachtung eines prinzipiellen Sachverhalts. Ohne seine Berücksichtigung ließe sich das Problem nicht zureichend lösen. Dieser Sachverhalt besteht näherhin darin, die Überprüfung der den Umgang mit Technik bestimmenden 60 Zur Technikfolgenabschätzung vgl. PascheiVGresser/Conrad, Technology Assessment, s.z.B. S. 26 ff.; Herbert Paschen, Technologie Assessment - Ein strategisches Rahmenkonzept, in: Meinolf Dierkes (Hg.), Technolgiefolgen-Abschätzung: Konzepte, Erfahrungen, Chancen, S. 21-45.

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Faktoren als notwendig anzuerkennen und damit aus dem Bereich der heute weithin fraglos hingenommenen Normativität des Möglichen überhaupt herauszutreten. Gegenwärtig vollzieht sich in dieser Hinsicht in den Naturwissenschaften eine bemerkenswerte Entwicklung, in der die Fragen nach dem Guten, dem Richtigen und dem Falschen wieder virulent geworden sind. Darin liegt der Anstoß, jene Faktoren daraufhin zu befragen, ob sie gefundenen Antworten auf jene Grundfragen noch oder nicht mehr genügen, das heißt: ob sie noch verbürgen, daß ein von ihnen geleitetes Handeln das Richtige anstrebt. 61 Es steht außer Frage, daß mit solcher Fragestellung ein äußerst komplexes Problemfeld betreten wird. Denn es handelt sich schließlich um eine Fülle von Werten, das heißt auch von Zielen, deren Verfolgung für der Mühe Wert erachtet werden, die hierbei von Belang sind. Zudem differieren sie noch, je nach dem aus welchen Gesellschaften und Kulturen sie hervorgegangen sind. Eine wesentliche Rolle für den Umgang mit Technik spielt darin auch, wie Stellung und Aufgabe des Menschen in der Welt bestimmt werden. Die Entwicklung in Europa, und das trifft auch auf Nordamerika zu, ist in dieser Hinsicht maßgebend von der Vorstellung geleitet worden, daß der Mensch die eigentlich dominierende Größe in aller Entwicklung ist. Macht man sie zum alleinigen Maßstab, dann ist es nur konsequent, den in Übereinstimmung mit dieser vermeintlichen Machtposition entworfenen Zwecken der Natur- und Weltbeherrschung eine solche Priorität zu geben, daß ihnen die Technik in jedem Falle dienen muß bzw., falls

61 Aus der Sicht biologischer Erkenntnis hat z.B. Franz Wuketits, Evolution, Erkenntnis, Ethik, S. 179-201, den hier angesprochenen Sachverhalt erörtert.

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die Möglichkeiten dazu noch nicht vorhanden sind, spezifische Techniken zu entwickeln, mit denen sich die gewünschte Zweckerfüllung dann erreichen läßt. In jedem Falle aber bedeutete das, daß die Berücksichtigung anderer Belange, etwa die der Umwelt, der Gesundheit, der Familie u.a., entweder mit minderer Priorität versehen oder gänzlich ausgeblendet wurde. 62 Diese Ausblendungen aber zum Zweck der besseren Beherrschbarkeit von Teilen der Lebenswirklichkeit haben jene Probleme mit bedingt, die beispielsweise unter dem Stichwort »ökologische Krise« heftig diskutiert werden. Dafür kann man jedoch nicht die Technik zum Schreckgespenst erklären, wie sie auch nicht "die schlechthin geschichtsbestimmende Macht" ist. 63 Es sind vielmehr immer der Mensch selber und seine Weltanschauung sowie die Wertsysteme, denen er sich verpflichtet weiß, die über Grad und Umfang der Ausblendungen sowie deren Auswirkungen auf den Umgang mit Technik entscheiden. Wenn darum eine nachdrückliche Änderung im Umgang mit Technik eintreten soll, dann muß sie 62 Hierzu bemerkt Friedrich Rapp, Technikgeschichte und die Grenzen der Machbarkeit, in: Meinolf Dierkes (Hg.), Technolgiefolgen-Abschätzung, S. 77 f., zutreffend: "In Wirklichkeit beschränkt sich die bewußte, zielgerichtete Planung, Kontrolle und Vorausschau aber lediglich auf die unmittelbare ingenieurtechnische Funktionserfällung, die etwa im Fall der Verkehrstechnik in einer möglichst schnellen und sicheren Fortbewegung besteht. Die weiterführenden Auswirkungen technischer Maßnahmen auf die physische Umwelt und die anthropologische, soziale und kulturelle Lebenssituation kommen dabei zunächst gar nicht ins Blickfeld. Die im Sinne der instrumentalen Rationalität auf eine bestimmte Funktion hin konstruierten technischenGebilde werden dann ohne Rücksicht auf die darüber hinausgehenden Resultate in den Strom des sozialen und kulturellen Geschehens entlassen, wo sie ihre eigene, über die ursprüngliche Zielsetzung hinausgehende, unkontrollierte und voher im einzelnen gar nicht absehbare Wirksamkeit entfalten." 63 Darauf weist ebenfalls F. Rapp, ebda. S. 79, hin.

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hier ihren Ausgang nehmen. In dieser Hinsicht stehen wir aber erst am Anfang eines Emanzipationsprozesses, der, wenn er einmal voll eingesetzt hat, die Wirkungen jener anderen, ideologischen Emanzipationsbewegung korrigieren muß, die im wesentlichen in der Heranzüchtung eines Egoismus bestehen. Gerade nicht der Selbstbestimmungsegoismus ist gefragt mit einer Sucht zur Durchsetzung um fast jeden Preis und die ihm eigene Respektlosigkeit gegenüber allem, was sein beschränkter Horizont nicht zu umfassen vermag, sondern gerade der Verzicht. Es geht heute darum, wieder zu begreifen, daß der Mensch nur Teil eines umfassenden Ganzen ist, in dem er möglicherweise eben nicht die dominierende Rolle besitzt, die er sich selbst in der Neuzeit beimißt. Verzicht auf den Herrschaftsanspruch zugunsten dieses Ganzen ist dann nur die andere Seite der Selbstbestimmung. In bezug auf den Umgang mit Technik könnte darin aber gerade die Motivation liegen, diesen Umgang an den Erfordernissen der anderen Teile des Ganzen auszurichten und darum den Gebrauch von Möglichkeiten so abzustimmen, daß sie nicht ausschließlich nur partikularen menschlichen Zwecken dienen. Es ist hier jedenfalls an einen Prozeß des Umdenkens und Umlernens gedacht, um nicht an der Technik und ihren Möglichkeiten letzten Endes doch zugrunde zu gehen. Im Bereich der Technik selbst sind die darin angelegten Forderungen bereits zum Anlaß für eine vertiefende Diskussion geworden. Beispielhaft ist dafür die Technologiefolgen-Abschätzung. Der Umgang mit Technik wird durch sie in einer spezifischen Weise thematisiert. Technologiefolgen-Abschätzung ist ein strategisches Konzept zur Erforschung der Folgen des Einsatzes von Technik in gerade jenen Bereichen, die bis-

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lang ausgeblendet worden sind. Die darin behandelten Grundfragen beziehen sich auf einen Einsatz von Technik, durch den positive Wirkungen in Staat, Gesellschaft und Wirtschaft verstärkt, negative hingegen vermieden oder, wenn sie bereits eingetreten sind, nach Möglichkeit behoben werden k ö n n e n . 6 4 Ursprünglich hatten sich hochgespannte Erwartungen an diesen neuen Forschungszweig geknüpft. In den letzten Jahren sind sie aber einer realistischeren Einschätzung der Möglichkeiten zur Folgenabschätzung gewic h e n . 6 5 Methodisch stellt die Abschätzung von Folgen der Technik vor erhebliche Probleme; und es ist sicher auch nicht möglich, in einer abschließenden und umfassenden Weise vorauszusagen, wo und welche Folgen eintreten werden, wenn die oder die Technik eingesetzt wird. Dazu fehlt die Einsicht in alle Faktoren, die auf das Entstehen von Folgen Einfluß nehmen. Zudem bilden sich solche Faktoren bisweilen auch erst im Gefolge des Technikeinsatzes. Sie lassen sich also gar nicht von vornherein ausmachen. Dennoch ist es nicht erlaubt in Anbetracht einer zwangsläufig begrenzten prognostischen Aussagekraft, den Technologiefolgen-Abschätzungen bereits zu unterstellen, daß mit ihnen "offensichtlich wenig erreicht"

64 Zu den Methoden vgl. Alan L. Porter u.a. (Hg.), A Guidebook for Technology-Assessment and Impact Analysis, New York/Oxford 1980; Günter Ropohl (Hg.), Interdisziplinäre Technikforschung, Berlin 1981; Gudrun-Anne Eckerle, Forschung, Wissensanwendung und Partizipation, Baden-Baden 1987. 65 Dies zeigt vor allem die Arbeit von Ingeborg Paul, TechnikfolgenAbschätzung als Aufgabe für Staat und Unternehmen, bes. S. 31-49; ferner Josef Bugl, Das Parlament und die Herausforderung durch die Technik, in: Meinolf Dierkes (Hg.), Technologiefolgen-Abschätzung, S. 277-295, und Renate Mayntz, Lernprozesse: Probleme der Akzeptanz von TA bei politischen Entscheidungsträgern, in: ebda. S. 183-203.

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worden sei. 66 Denn dieser junge Forschungszweig schärft in eigener Weise die Probleme des Umgangs mit Technik, indem er beispielsweise durch die Sichtbarmachung bereits eingetretener Folgen oder durch die Benennung bereits erkennbarer künftiger Folgen Signale setzt, in welche Richtung weitergegangen werden kann bzw. nicht weitergegangen werden sollte. Im übrigen aber läßt sich durch eine ständige Verfeinerung der aus einer umweltbezogenen Systemforschung entwickelten Modelle auch die prognostische Aussagekraft verbessern. Die Klimaforschung ist hierfür ein aussagekräftiges Beispiel. Die Auseinandersetzung mit der wissenschaftlich-technischen Zivilisation, die spezielle Kritik der Technik und die zunehmende Beachtung der aus dem Umgang mit Technik entstehenden Probleme bilden den Hintergrund, vor dem sich jetzt der Einbezug der Technik in die ethische Reflexion vollzieht. Von besonderer Bedeutung für diesen Vorgang ist es, daß von der Seite der Technik entscheidende Impulse dazu ausgehen. Es ist jedenfalls bemerkensweret, daß jetzt, runde 200 Jahre nach dem Entstehen der wissenschaftlich-technischen Zivilisation, die Technik als ein Gegenstand für die Ethik ins Bewußtsein tritt, obwohl sie dies von ihrem instrumentellen Charakter her eigentlich von Anfang an hätte gewesen sein müssen. So ist es nicht verwunderlich, wenn diesem Defizit ebenfalls Beachtung zuteil wird 67 , und das nicht

66 So Martin Honecker, Folgen der Technik, S. 477. 67 So insbesondere bei Hans Sachsse, Technik und Verantwortung. Probleme der Technik im technischen Zeitalter, S. 16 ff. u. S. 32-44; ders.: Ethische Probleme des technischen Fortschritts, in: Hans Lenk/ Günter Ropohl, Technik und Ethik, S. 61-75; ferner Hans Mohr, Natur und Moral, S. 76-80.

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nur in bezug auf die Vergangenheit, sondern gerade auch im Blick auf die in Hinsicht einer Technikethik immer noch defizitäre Lage in der Gegenwart. Die folgende Feststellung macht das kenntlich: "Charakteristischerweise findet man in der heutigen Literatur kaum eine adäquate Auseinandersetzung mit dem doch alles überschattenden Phänomen der Technik; zumeist wird Technik als anonymes Schreckgespenst dargestellt, also es fehlen völlig die Vorschläge zu einem sinnvollen Umgang mit dieser Grundlage und diesem konstituierenden Faktor unserer Existenz."68 Der Beitrag, der von seiten der Technik kommt, ist darum als Aufforderung und als Bereitschaft zu verstehen, das entstandene Defizit beseitigen zu helfen. Als Schwerpunkte für ein ethisches Engagement werden in diesem Zusammenhang neben den Fragen des Umgangs mit Technik und der TechnologiefolgenAbschätzung folgende Bereiche noch genannt: der Einbezug der Technikethik in die akademische Ausbildung, die Herausarbeitung der Bedeutung der Technik für die Gesellschaft und schließlich die Ökologie.69 Der Einbezug der Technik und der durch sie hervorgerufenen Probleme in die Ethik findet gegenwärtig aber auch in anderen wissenschaftlichen Fächern immer stärkere Befürwortung. Exemplarisch wird das an den von Hans Jonas genannten Gründen e r k e n n b a r , 7 0 wenngleich sich auch nicht übersehen läßt, daß er vornehmlich negative Seiten der Technik hervorhebt, um daran zu verdeutlichen, welche Verant-

68 H. Sachsse, Ethische Probleme des technischen Fortschritts, S. 73. 69 Vgl. dazu ebd. S. 76 ff. 70 Warum die Technik ein Gegenstand für die Ethik ist: fünf Gründe, in: Hans Lenk/Günter Ropohl, Technik und Ethik, S. 81-91.

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wortung dem Menschen auferlegt ist. Mit ihr will er erreichen, daß "das apokalyptische Potential der Technik"?! und "das tyrannische Element" in ihr72 sich nicht weiter ungehindert entfalten können. Exemplarisch läßt sich auch an theologischen Ethiken aufzeigen, welche Entwicklungen in dieser Beziehung innerhalb der letzten Jahrzehnte Platz gegriffen haben. Grundsätzlich gilt dabei, daß es sich hier weithin um eine "konstruktivkritische Auseinandersetzung mit der neuzeitlichen Freiheitsgeschichte" handelt. 7 3 Im Horizont ihrer Erwägungen werden die Technik sowie die durch sie entstandenen Probleme nun durchaus zu speziellen Gegenständen differenzierender ethischer Erörterungen. Dies läßt sich an Ethiken, die nach dem Zweiten Weltkrieg veröffentlicht wurden, zeigen. Helmut Thielicke z.B. steht der Technik noch kritischdistanziert gegenüber. Bei ihm ist der Vorbehalt, der in der Theologie auch immer das Verhältnis zu ihr bestimmt hat, noch deutlich spürbar. Aber er stellt die Technik als Problem in einen anthropologischen Kontext. Er fragt, was der Mensch sei und welche Stellung er im Kosmos habe. In diesen Fragenzusammenhang bezieht er dann die Technik in die ethische Erörterung ein.74 Während ihm dabei einerseits das »Maschinenzeitalter« generell als Ort "einer Degeneration des humanuni" erscheint 75 , kann er an anderer Stelle davon sprechen, 71 Ebd. S. 87. 72 Ebd. S. 91; zum Begriff der Verantwortung vgl. seine Interpretation in: ders.: Das Prinzip Verantwortung, S. 153-244. 73 So Franz Böckle: Anthropologie und Sachgesetzlichkeit im Dialog zwischen Moraltheologie und Wirtschaftsethik, S. 57. 74 Theol. Ethik 11,1, S. 328 ff. 75 Ebd. S. 332.

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daß die "theologische(n) Grundfragen hinsichtlich des Verhältnisses von Mensch und Gesellschaft, Mensch und Wirtschaftsordnung, Mensch und Dingwelt" durch die Technik eine besondere Zuspitzung erfahren. 76 Deren eigentümliche Ambivalenz im Hinblick auf den anthropologischen Kontext wird dann von ihm auf folgende Weise verdeutlicht: "Die Technik intensiviert nicht nur die Größe und das Elend des Menschen - indem sie seine Möglichkeiten nach beiden Richtungen erweitert -, sondern sie intensiviert damit auch die Grundfragen seiner Existenz. Sie stellt der anthropologischen Frage ein erweitertes Beobachtungsfeld und maßstäblich günstigere, weil ungleich vergrößerte, Modelle zur Verfügung."?'? Bei Helmut Thielicke findet aber, wenn man seine Aussagen näherhin überprüft, die Technikkritik, deren Anfänge schon in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts weisen, keine uneingeschränkte Fortsetzung mehr, wie es der Hinweis auf die degenerativen Wirkungen der Technik auf das »humanuni« noch vermuten ließe. Vielmehr vermag er in der Technik durchaus auch ein Medium zu sehen, das erfüllte Existenz ermöglicht etwa im Sinne der Arbeitserleichterung, der Freizeitvennehrung und damit schließlich auch im Hinblick auf die Gewährung von Freiheit. In der Ethik von Wolfgang Trillhaas7^ spiegelt sich die Entwicklung wider, die das Problembewußtsein von den fünfziger zu den siebziger Jahren durchlaufen hat. Fragestellungen, die in der wissenschaftsethischen Diskussion der letzten 10 Jahre aufgegriffen worden sind, klingen bei ihm schon an. Wissen76 Ebd. S. 499. 77 Ebd. 78 3. Aufl. Berlin 1970.

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Schaft und Technik widmet er je ein eigenes Kapitel. 7 9 Bedeutsam sind die ethischen Konsequenzen, die Trillhaas aus der jeweiligen Analyse zieht. In bezug auf die Technik gilt für ihn der Grundsatz, daß hinter die moderne Technik nicht mehr zurückgegangen werden kann.80 Die Kritik an der Techniköi, die aus einem Bemühen erwächst, das Wesen der Technik zu verstehen^, wird ihm zum Anlaß, die Verantwortung des Einzelnen "für sein Tun und für die Folgen seines Tuns" besonders hervorzuheben.83 Er erkennt, daß die Probleme, die die Technik aufwirft und die in einer Fraglichmachung der "Menschlichkeit des Menschen" kulminieren, zu ihrer Lösung eine Umkehr des Menschen voraussetzen, eine Metanoia, die dem sehr nahekommt, was vielerorts heute als Bewußtseinsänderung begriffen wird. Eine "innere Bewältigung der Technik" muß darum der äußeren Problemlösung vorausgehen.84 Die Kategorie des Einzelnen, seine Entscheidungsfreiheit, aber auch seine Verantwortung im Hinblick auf einen Gebrauch oder Nichtgebrauch technischer Möglichkeiten, stehen somit im Zentrum dieses ethischen Ansatzes. Das Problem "der Beherrschbarkeit schaftlich-technischer

der Mittel naturwissen-

Weltgestaltung"

stellt

Trutz Rendtorff in das Zentrum ethischer

79 Ebd. S. 249 ff. und S. 267 ff. 80 Ebd. S. 249 und S. 260. 81 Ebd. S. 253 ff. 82 Ebd. S. 249 ff. 83 Ebd. S. 260. 84 Ebd. 85 Ethik, Bd. II, S. 68 ff.

neuerdings

Überlegungen.85

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Damit verbindet er zugleich auch die Frage nach ihrer "Begrenzbarkeit". 86 Sie wird für ihn dort akut, wo die Gefahr droht, daß "die kulturelle Lebenswelt einschließlich der Umwelt insgesamt zum Experimentierfeld von Wissenschaft und Technik" gemacht wird. 87 Rendtorff geht es entscheidend darum, daß beide ihren Ort in der Lebenswelt zugestanden bekommen, daß sie aber zugleich auch davon zurückgehalten werden, die allein dominierenden Faktoren in der Lebenswelt zu sein. In diesem Zusammenhang hält er an der "Unterscheidbarkeit zwischen der menschlichen Kultur insgesamt und dem in ihr agierenden naturwissenschaftlich-technischen Handeln" fest. 88 Wissenschaft und Technik sind danach Teile der Kultur. Aber die Kultur ist nicht einfach die Summe von beiden. Sie bleibt vielmehr das alle wissenschaftliche Erkenntnis, auch die wissenschaftliche Wertung ihrer selbst, Übergreifende. Damit wird die Kultur zu dem Raum, in dem Wissenschaft und Technik nicht nur vermittelt, sondern von dem sie auch umgrenzt werden.^ Es ist deutlich, daß es in den ethischen Überlegungen um folgendes geht: sichtbar werden zu lassen und zur Geltung zu bringen, was angesichts einer tiefgreifenden Bestimmung des Lebens durch Technik und mitten in ständigen Bemühungen, dieses Leben zu bereichern, als erlaubt und geboten kenntlich gemacht werden kann, um so Leben und Lebensmöglich-

86 Ebd. S. 69. 87 Ebd. 88 Ebd. 89 Ebd. S. 70; vgl. auch ders.: Strukturen und Aufgaben technischer Kultur, S. 9-21; Technik als Kulturfaktor wird ferner von Arthur Rieh: Wirtschaftsethik, Bd. 1, S. 46 ff., betont.

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keiten zu fördern. Dieser Aufgabe hat man sich in den letzten Jahren mit besonderer Intensität dort angenommen, wo akute Probleme wie z.B. in der Biotechnologie entstanden w a r e n . 9 0 Hierbei ging es vor allem auch um die Einführung komplementärer Sichtweisen zu natur- und sozialwissenschaftlichen Daten. Prägnant bringt dies Alfons Auer zum Ausdruck: "Die Komplementarität verschiedener Betrachungsweisen korrigiert und vervollkommnet die einseitige Betrachung einer Spezialwissenschaft. Doch alle Human- und Sozialwissenschaften zusammen vermögen zwar Konstitution und Situation des Menschen zu analaysieren, nicht aber Orientierung aufzuweisen, nach der sich menschliche Selbstverwirklichung auszurichten hat. Es ist Sache der Philosophie und Theologie, die analytischen Einzeldaten auf ein umgreifendes Gesamtverständnis des Menschen hin zu integrieren."9i Für ein solches integratives Vorgehen plädiert ebenfalls Franz Böckle. Es soll damit aber keinem "Denkverbot" das Wort geredet und schon gar nicht die "Neugierde [...] (als) Triebkraft neuer Erkenntnisse" neutralisiert werden. Vielmehr wird "ein waches Bewußtsein" in den Mittelpunkt gerückt, "das nicht nur in den Kategorien der Machbarkeit denkt und nicht nur von den

90 Statt vieler Einzelhinweise seien hier einige Veröffentlichungen ge nannt, an denen das sichtbar wird: Alois J. Buch/Jörg Splett (Hrsg.): Wissenschaft, Technik, Humanität. Beiträge zu einer konkreten Ethik; Carl Mitcham und Jim Grote (Hrsg.): Theology and Technology. Essays in Christian Analysis and Exegesis; Rainer Flöhl (Hrsg.): Genforschung - Fluch oder Segen? - darin die Beiträge von Franz Böckle (S. 86 ff.); Christofer Frey (S. 97 ff.); Johannes Hoffmann (S. 104 ff.); Martin Honecker (S. 144 ff.); Jürgen Hübner (S. 161 ff.); Karl Rahner (S. 173 ff.); Günter Altner: Bestialisierung der Forscherphantasie? Ev. Komm. 19 Jg. (1986), S. 68 ff. 91 Darf der Mensch, was er kann?, S. 17.

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Tücken des Objekts, sondern auch von dessen eigenem Wert und gegebenenfalls von dessen Würde s p r i c h t . " 9 2 In den ethischen Erörterungen erhält darüber hinaus die Frage einen besonderen Rang, welche Wege aus der erkannten Krise herauszuführen vermögen und welche Voraussetzungen dazu erfüllt sein müssen. In der Ausarbeitung dieser Fragestellung gerät das Selbstverständnis des Menschen zunehmend in das Zentrum der Auseinandersetzung. Es bildet nach wie vor die Basis der Ethik.93 Dem handelnden Menschen stellt sich ja die Frage, als was er sich zu verstehen hat. Sie wurde auch zum Anlaß, das große historische Mißverständnis abzubauen, das sich mit der Auslegungs- und Rezeptionsgeschichte der biblischen Vorstellung vom Menschen als Ebenbild Gottes eingestellt hat. Aus ihm hat man eine Schöpferkraft des Menschen abgeleitet, mit der er über die eigene Geschöpflichkeit und über die ihm durch die Natur gezogenen Grenzen erhoben wurde und Herren- und Eigentümerrechte über die Erde zugesprochen erhielt.94 Die Ebenbildlichkeit Gottes wurde demgemäß im Sinne einer dem Menschen innewohnenden Eigenschaft interpretiert. Diese Sicht wird jetzt einer nachhaltigen Revision u n t e r z o g e n . 9 5 Im Zusammenhang damit kommt jetzt in der Ethik auch ein verändertes Naturverständnis zum tragen. Das führt da92 Gentechnologie und Verantwortung, S. 91. 93 Zu dem Themenkreis »Ethik und Anthropologie« vgl. vor allem Walter Schulz, Philosophie in der veränderten Welt, S. 463 ff. 94 Diesen Aspekt hebt W. Perpet, Art.: Kultur, Kulturphilosophie, HWP Bd. 4, Sp. 1320 f., hervor 95 Eine differenzierende Kritik der traditionellen Lehre bietet Gerhard Ebeling: Dogmatik des christlichen Glaubens Bd 1, S. 38 ff.; Mißverständnisse, die die Ethik gezogen hat, versucht Gerhard Sauter: Mensch sein - Mensch bleiben,S. 71-118, zu korrigieren.

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zu, ein anderes historisches Mißverständnis zu beseitigen. Es besteht darin, die Natur als unbeseelte Materie zu begreifen, die dem Menschen übergeben ist und erst durch seine Formung oder, wie es im 19. Jahrhundert ausgedrückt wurde, durch die Beseelung mit seiner Vernunft ein eigentliches Dasein gewinnen zu lassen. Ein Verständnis dieser Art legt den Gedanken nahe, daß außerhalb des Bezuges zur schöpferischen Potenz des Menschen der Natur kein eigenes Sein zukomme. Hierin liegt zweifellos der Grund dafür, daß man schließlich meinte, mit der Natur machen zu können, was man wollte. Für die Planungs- und Manipulationshypertrophie der Moderne konnten aus solcher Anschauung nur um so intensivere Anregungen für ihre Betätigung hervorgehen. Mit Überlegungen zum Themenbereich »Ethik und Recht« wird schließlich ein drittes Moment in die Diskussion eingeb r a c h t . 96 Gerade die durch die Molekularbiologie und besonders die Gentechnologie ausgelöste Debatte erweist sich als exemplarisches Feld, das zu Überlegungen zwingt, auf welche Weise einem Mißbrauch oder unerwünschten Folgewirkungen bei ihrer Anwendung am wirkungsvollsten begegnet werden kann. Mit notwendiger Konsequenz führt das auch zu rechtlichen Erwägungen. Martin Honecker macht in diesem Zusammenhang auf den Kulturzusammenhang aufmerksam, in dem Ethik und Recht gemeinsam stehen.97 In ihm besitzt das Prinzip der Unantastbarkeit der Menschenwürde eine zentrale Bedeutung. Sie stellt die Grundnorm dar, deren Gel-

96 Unter dieser Überschrift thematisiert Martin Honecker: Humangenetik und Menschenwürde, S. 77, ausdrücklich diesen Gegenstandsbereich. 97 Ebd.

100

Zum Umgang mit Technik

tung weder von der Wissenschaft noch von der Technik außer Kraft gesetzt werden darf. Insofern ist es durchaus berechtigt, darauf hinzuweisen, daß im Hinblick auf die Gentechnologie "eine scharfe Trennlinie zwischen rein theoretisch orientierter Grundlagenforschung und praktischer Anwendung nicht zu ziehen" ist. 9 8 Die Ethik kann hierbei durchaus auf Gemeinsamkeiten mit den Rechtswissenschaften hinweisen. So hebt vor allem Albin Eser hervor, daß die "höchste Alarmstufe [...] zweifellos dort erreicht" sei, "wo durch Biotechnologie die "Würde des Menschen' verletzt werden könnte." 99 Er weist jedoch auch darauf hin, daß es außerordentlich schwer ist, »Menschenwürde« "positiv zu umschreiben."i00 Trotz dieser Einschränkung wäre sie aber sicher dort gefährdet oder gar schon verletzt, wo durch Biotechniken "die menschliche Individualität willkürlich manipuliert oder gar aufgehoben werden kann." Das wäre in zwei Fällen gegeben: beim "Klonieren von menschlichem Erbgut" und bei einer "Neukombination von Genen."10l Grundsätzlich ergibt sich für ihn, gewissermaßen als Summe aller Überlegungen, in die ebenfalls der Schutz von Ehe und Familie, des ungeborenen Lebens und des genetischen Erbes überhaupt eingeschlossen ist, daß "die Forschungsfreiheit [...] jedenfalls dort ihre Grenze" findet, "wo durch ein humangenetisches Verfahren ein zivil- oder strafrechtlicher Tatbestand verwirklicht wird, der dem Schutz eines grundrechtlich garantierten Gutes dient: Das ist namentlich bei 98

Honecker, ebda. S. 78

99

Genetik, Gen-Ethik, Gen-Recht, S. 251

100 Ebd. 101 Ebd. S. 252.

Warum Technikethik? Gründe

101

Schutztatbeständen zur Wahrung der Menschenwürde sowie des Lebens und der körperlichen Integrität der Fall."102 Die konstruktive Bedeutung des Rechts für die Lösung entstandener Probleme kann freilich nicht übersehen lassen, daß es "nur die letzte 'Notbremse' sein" darf. Ungleich wichtiger ist demgegenüber eine "schnelle und wirksame Selbstkontrolle", der sich Forscher unterwerfen. !03 Es wird hinzugefügt werden können: auch Techniker. Die gegenwärtige Lage in der ethischen Diskussion gibt jedoch auch zu erkennen, wie sehr man noch am Anfang steht, dem gesteckten Ziel näherzukommen, regulierend und orientierend in den durch Wissenschaft und Technik bedingten Machtzuwachs und in die Machtausübung selbst einzugreifen. Das wird sich aber auch nicht auf nur einem Weg erreichen lassen. Die Diskussion macht in dieser Beziehung vielmehr deutlich, daß nur ein Zusammenwirken verschiedener Disziplinen die Ausbildung eines erfolgversprechenden Ansatzes fördern wird. Dennoch weist gerade die Hervorhebung der »Selbstkontrolle« daraufhin, daß einem Faktor besondere Aufmerksam102 Ebd., S. 250; - Im Hinblick auf die Gentechnologie lassen sich aber auch Stimmen vernehmen, die sehr viel weniger zurückhaltend formulieren. Vgl. dazu Erwin Chargaff, Wenig Lärm um Viel, S. 312 ff.; Reinhard Low, Menschenrechte - oder Rechte eines "Sechsfüßlers einer Aminosäure"? Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt Nr. 47/1985, S. 16; Günter Altner, Bestialisierung der Forscherphantasie?, Ev. Komm. 19.Jg./1986, S. 68 ff. Der von Chargaff formulierte Grundsatz: "das Vermeidliche zu vermeiden", weil "immer noch genug Unvermeidliches" übrigbleibt (S. 315 f.) impliziert nicht nur einen Apell, sich beim Erforschung der Gene Zurückhaltung aufzuerlegen, sondern er kann auch zum Anlaß für die Forderung nach einer rigorosen Einschränkung der Genforschung überhaupt werden; wie sie offenkundig hinter Altners Attacken steht (vgl. a.a.O., S. 69 ff.). 103 Eser, ebd. S. 258.

102

Zum Umgang mit Technik

keit zuzuwenden ist. Es handelt sich hierbei um das Selbstverständnis des Menschen und mit ihm um das Verständnis seiner Aufgabe in der Welt, vor allem gegenüber den Mitmenschen und der Natur. Erst ein aus vielfältigen Klärungsprozessen neugewonnenes Selbstverständnis kann die Grundlage für eine wirkungsvolle Selbstkontrolle bilden. Die Diskussion hat diese Notwendigkeit deutlich gemacht und darüber hinaus angeregt, das in der Neuzeit ausgebildete Selbstverständnis und was ihm folgt einer kritischen Prüfung zu unterziehen. In dieser Hinsicht ist geradezu eine Fortsetzung der Aufklärung unter den Bedingungen der späten Neuzeit zu fordern. Ihre Aufgabe wäre es, die "Vorurteile unserer Zeit, die sich in einer 'Benommenheit von dem technologischen Traum' und in einer 'Besessenheit von der emanzipatorischen Utopie' ihren Ausdruck geben und darin auch zu Zeugen einer faktischen Unmündigkeit werden, zu reflektieren."104 Befragung dieser Vorurteile nach den vielfältigen Weisen, mit denen sie auf Wissenschaft und Technik Einfluß ausüben bis hin zur kommerziellen Auswertung, und dabei zugleich die Erarbeitung und Vermittlung von anderen Grundorientierungen und Kriterien, die dem Prinzip der Ehrfurcht vor dem Leben und dem Grundsatz der Achtung vor der Menschenwürde folgen, stellen in der jetzt entstandenden Lage eine mit Priorität zu versehende Aufgabe für die Ethik dar. Ihre Bewältigung wird allerdings mit erheblichen Schwierigkeiten versehen sein. Denn nicht nur die Differenz von Wissenschaft und Ethik hat zu längst fest eingeschliffenen Denk- und Verhaltensweisen geführt, auch die Empfindlichkeiten im Hinblick auf Freiheit und Autonomie der Wissenschaft sind be104 Hans-Georg Gadamer: Lob der Theorie, S. 98.

Warum Technikethik? Gründe

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trächtlich. Zudem stoßen Umdenkungsforderungen zunächst immer auf breite Ablehnung. Die Ethik wird zudem noch einen weiteren Aspekt einzuführen haben, wenn sie dieser spezifischen Aufgabe gerecht werden will. Sie wird sehr deutlich das Phänomen Schuldlos zu behandeln haben. Schuld entsteht eben auch dort, wo der Mensch in Seinsgefüge eingreift, über die er im Grunde nicht mit letzter Autorität verfügt. Solche Eingriffe können zwar notwendig sein und in guter Absicht erfolgen, um schwereren Schaden abzuwehren. Sie können aber auch aus Willkür, aus Unbedachtsamkeit oder aus berechnendem Vorsatz zur Befriedigung egoistischer Interessen erfolgen. In jedem Fall wird der Mensch schuldig und damit vergebungsbedürftig. Schuld wieder empfinden zu können, statt sie auf vielfältige Weise zu verdrängen, ist eine - wenn nicht die - entscheidende Voraussetzung für die Bereitschaft, Verantwortung zu praktizieren. Einstellungen und Haltungen, die das respektieren, können jedoch nur in einer Kultur gedeihen, in der die Achtung der Menschenwürde ein ebenso unangefochtener Grundsatz ist, wie auch der Natur ihre Würde belassen wird, in der aber vor allem nicht ausschließelich die Kosten-NutzenAnalyse das letzte Wort hat. Gelingt es, begreiflich zu machen, daß die Aufgabe des Menschen in der Welt sich heute nur noch in sinnvoller Weise in der Wahrnehmung einer fürsorgenden Verantwortung für Mitmensch und Natur erfüllen läßt, dann wird auch der Technik eine Perspektive vorgezeichnet, innerhalb derer ihre Ausübung sinnhaft bleibt.

105 Vgl. dazu jetzt die beachtenswerten philosophischen und juristischen Beiträge in: Hans Michael Baumgartner/Albin Eser (Hrsg.): Schuld und Verantwortung.

104

Zum Umgang mit Technik

Die Ausgangsfrage: Warum Technikethik? kann zum Abschluß dieses Teiles zusammenfassend so beantwortet werden: Technikethik ist bedingt durch ein die bloße Intuition hinter sich lassendes technisches Können und den Umgang mit den aus diesem Können hervorgehenden Geräten, Maschinen und Apparaturen. Die ständige Ausweitung und Verfeinerung dieses Könnens und der dadurch bedingte technische Fortschritt machen den reflektierten Umgang mit Technik zwingend erforderlich. Die Ambivalenz der Technik, ihre Janusköpfigkeit, ist dabei nur als Katalysator, nicht aber als Grund für eine Technikethik zu werten. Daß technisches Können und der Umgang mit Technik die ethische Reflexion bedingen, ist allerdings erst spät zur Kenntnis genommen worden. Dem mit Technik umgehenden Menschen wird dadurch aber eine Aufgabe zugewiesen, die über das bloße mechanische Gebrauchen nur mit dem Ziel systembedingter Zweckerfüllung hinausgeht. Die Erfüllung dieser Aufgabe macht es hingegen erforderlich, jene Konzeptionen einer Prüfung mitzuunterziehen, in denen das menschliche Selbst- und Weltverständnis seinen Niederschlag gefunden hat und die die Bewertung der Technik wesentlich beeinflussen. 106 Diese Forderung ist eine Konsequenz aus den Kritiken an der Zivilisationsentwicklung und an der Technik. Es ist der Mensch, der mit Technik umgeht und schließlich auch umgehen muß. Darum wird ihm eine sittliche Verantwortung auferlegt. Er kann sich ihrer nicht dadurch entledigen, daß er sich einem Systemegoismus unterwirft, der vorschreibt, welche Möglichkeiten der Technik jeweils zur Erfüllung welcher systemeige-

106 Diesen Aspekt hebt ebenfalls nachdrücklich Friedrich Rapp, Technikgeschichte und die Grenzen der Machbarkeit, S. 83 ff., hervor.

Warum Technikethik? Gründe

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ner Zwecke zu nutzen seien. Vielmehr bedingt die Verantwortung ebenso die ständige Überprüfung der Zwecke wie der technischen Voraussetzungen ihrer Erfüllung. Damit ist aber bereits die weitergehende Frage impliziert, woran sich solche Reflexion inhaltlich orientieren kann. Welche Größen sind hier zu nennen, mit deren Hilfe sich der Umgang mit Technik ihrem kompensatorischen Charakter gemäß, das heißt: lebenssichernd, vollziehen kann?

Woran soll sich der Umgang mit Technik orientieren?

Zur F r a g e n a c h d e r Bedeutung des Glaubens Technikethik ist reflektierter Umgang mit Technik. So läßt sich das Ergebnis aus den vorangehenden Erörterungen zusammenfassen. Reflektion aber bedeutet, daß Größen eingeführt werden, mit deren Hilfe abgeklärt werden kann, woraufhin Handeln sich orientieren soll. Dafür sind Prinzipien zu entwickeln, die eine Differenzierung des Gebrauchs von Technik in unterschiedlichen Zusammenhängen ermöglichen. Von ihnen wird auch als von "mittleren ethischen Prinzipien" gesprochen.! Dem Umgang mit Technik wird durch solche Orientierung zudem die Möglichkeit eröffnet, einen unmittelbaren, systembedingten Zweck-Mittel-Bezug zu überschreiten. Dies ist aus dem Grund erforderlich, weil die Entwicklung und der Gebrauch von Technik immer auch mittelbar in Lebens- und Wirklichkeitsbereiche hineinwirken, die einen

1

So Hans-Martin Sass, Für präzise und differenzierte Begriffe. Forschungsorientierte Anwendung differentialethischer Methodik, in: Mitteilungen des Hochschulverbandes 5 / Oktober 91, S. 234. Das kommt den "middle axioms" sehr nahe, die im Rahmen der Ökumene besonders von John Oldham entwickelt wurde (vgl. dazu weiter unten S. 225 f.).

Woran soll sich der Umgang mit Technik orientieren?

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direkten Zusammenhang mit dem durch die Anwendung von Technik verfolgten Zweck nicht erkennen lassen und darum weithin unberücksichtigt bleiben. Das in den Auseinandersetzungen über Fragen der Steuerung technologischer Entwicklungen immer wieder anklingende Problem schädlicher Nebenfolgen im Umgang mit Technik wird sich nur lösen lassen, wenn das bislang Unberücksichtigte nicht mehr länger unbrücksichtigt bleibt. Die Aufgabe der Technikethik ist es, dazu Hilfen zu leisten. Eine entscheidende Voraussetzung dafür aber ist die Kraft, sich aus eingeschliffenen Denk- und Verhaltensweisen beim Umgang mit Technik lösen zu können. In dieser Beziehung richten sich gegenwärtig die Blicke wieder auf den christlichen Glauben und seine Tradition. Der Wert universaler Entwürfe, von denen entscheidende Impulse auf die Entwicklung der wissenschaftlich-technischen Zivilisation ausgegangen sind, ist für die Beantwortung von Fragen, die in der gegenwärtigen historischen Situation aufgebrochen sind, nur noch, wenn überhaupt, gering zu veranschlagen. Dies sollten die Erörterungen in den vorangehenden Abschnitten deutlich machen. Solche Entwürfe dienen allenfalls noch der Erklärung vergangener Entwicklungen. Um so stärker tritt jetzt die Frage in den Vordergrund, woher Hilfe für die Beantwortung von Gegenwartsfragen zu erhalten sei. In diesem Zusammenhang wendet sich die Aufmerksamkeit auch von seiten der Technik wieder dem christlichen Glauben zu. So stellt ein bekannter Kommunikationsforscher fest: "Die christliche Tradition bringt dem Menschen Denkund Verhaltensformen, die ihn aus seiner Verlassenheit herauslösen. Unsere Kultur hat außerhalb der christlichen Tradition keine vergleichbaren Hilfen für die existenziellen Fra-

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Zur Frage nach der Bedeutung des Glaubens

gen des Menschen unserer Zeit t...]"2 Der christliche Glaube hatte schließlich ethische Traditionen geschaffen, die selbst unter säkularisierten Bedingungen noch in vielfältiger Weise Wertsysteme beeinflußten, aus denen heraus Entscheidungen auch über den Umgang mit Technik erwuchsen. In bezug auf die Einschätzung des Glaubens gibt es heute allerdings zwei markante Varianten. Die eine vermag in ihm nur noch den Ausdruck eines tiefreichenden "Bedürfnisses nach Geborgenheit in der Welt" zu erblicken, das selber aber nur "einer weitgehend anthropomorphen Weltdeutung" entspricht. 3 Wenn eine solche Deutung dem neuen Weltbild, wie es sich in den Naturwissenschaften herausgebildet hat, jedoch nicht mehr zu entsprechen vermag, dann ist der Schluß in der Tat unvermeidlich, daß der Glaube keine Hilfe für die Lösung von Gegenwartsproblemen mehr bereithält, infolgedessen bedeutungslos wird. Es ist nicht zu übersehen, daß diese Konsequenz bereits weithin gezogen worden ist und damit den Grundsatz hat verbreiten helfen, die Religion sei überhaupt für die Gewinnung von Erkenntnis entbehrlich. Die andere Variante schränkt den Glauben und die für ihn verbindlichen Imperative seiner Tradition ausschließlich auf den Bereich des institutionellen Christentums ein, spricht ihm also eine universale Geltung ab, 4 oder läßt ihm, und hier durchaus in Übereinstimmung mit bestimmten Ergebnissen der neuzeit-

2 3 4

Karl Steinbuch, Ja zur Wirklichkeit, S. 261. So F. Wuketits, Evolution, Erkenntnis, Ethik, S. 53. So zuletzt Alasdair Maclntyre, Geschichte der Ethik im Überblick, S. 107 ff.

Woran soll sich der Umgang mit Technik orientieren?

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liehen Wissenschaftsgeschichte, seinen Platz allein noch in der Privatheit. 5 Schließlich darf auch nicht übersehen werden, daß die Nachwirkungen des Nietzsche'schen Verdikts über das Christentum, es sei eine von der geschichtlichen Entwicklung bereits überholte, bloße Mitleidsreligion, vielerorts die Bewertung des christlichen Glaubens beeinflussen. Wenn man sich mit solchen Einschätzungen indessen nicht zufriedengeben will, dann bleibt nur der Versuch, dennoch die Bedeutung des Glaubens gerade auch für die hier verfolgte Absicht, einen Beitrag zum Dialog von Technik und Ethik zu leisten, sichtbar zu machen. Daß dies ein relevantes Unterfangen ist, wird daran deutlich, daß die Frage nach einer neuen Ethik, das heißt: besonders die Frage nach neuen Orientierungsmöglichkeiten für die Lösung ethischer Probleme in einer entfalteten wissenschaftlich-technischen Zivilisation, virulent ist. Es wäre mindestens leichtfertig, von vornherein ausschließen zu wollen, daß in dem, dem Glauben eigenen Traditionswissen Möglichkeiten enthalten sind, die für die Erfüllung dieser Aufgabe nutzbar gemacht werden können. Damit verbindet sich zudem die weitere Frage nach den Energien, die dazu benötigt werden, aus den Orientierungen Konsequenzen für Entscheidungen und daraus notwendig werdendes Handeln zu ziehen; Energien, die es aber auch ermöglichen, aus bisher Entscheidungen und Handeln leitenden Denk- und Wertsystemen gegebenenfalls herauszutreten. Es

5

Dies wird erneut an der Einschätzung sichtbar, die H. Sachsse, Technik und Verantwortung, S. 61 f., vornimmt; vgl. auch ders.: Ökologische Philosophie, S. 28 ff., wo das Christentum in den Zusammenhang mit der "vorwiegend personal und individualistisch" ausgerichteten abendländischen Geistesgeschichte gestellt wird (S. 29).

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Zur Frage nach der Bedeutung des Glaubens

geht also ebenfalls darum, zu ergründen, ob es Möglichkeiten gibt, einen Standpunkt außerhalb etablierter Denkweisen zu finden, von dem her es möglich wird, sie, wenn erforderlich, zu reformieren oder durch neue zu ersetzen. In der entstandenen Situation, in der die Probleme des technischen Fortschritts aufbrechen, nützt es offenbar wenig, Auswege aufzuzeigen, wenn die Kraft fehlt, sie dann auch konsequent zu beschreiten. Aber gerade an ihr scheint es ebenso zu mangeln wie an richtigen Einsichten. In die Erörterungen, wie aus diesem Dilemma ein Ausweg gefunden werden kann, sollte auch der Glaube einbezogen werden. Es wäre jedoch gänzlich verfehlt, den hier skizzierten Sachverhalt auf das alte Streitthema: Religion und Moral zu beschränken. Entscheidend ist vielmehr allein, was dem Menschen hilft, im Umgang mit Technik ein verantwortliches Subjekt zu sein und zu bleiben. Der Glaube, von dem hier die Rede ist, geht aus der Begegnung mit Gott als der alle Wirklichkeit bestimmenden Macht hervor. Er lebt aus der sich ständig durch Wort und Sakrament erneuernden Gemeinschaft mit Jesus Christus. Durch ihn erfährt der Glaube Gott als lebenschenkenden und lebenfördernden Willen. Gleichzeitig transzendiert er Leben auf das hin, "was ihm Grund, Sinn, Ziel, Identität, Freiheit, Wahrheit verleiht."6 Glaube als "Lebensakt" 7 wird zudem getragen von dem Vertrauen in die Heilszusagen Gottes. Er ist in dieser Hinsicht ein "Vertrauensakt", 8 der gleichzeitig das

6

Gerhard Ebeling, Dogmatik Bd. I, S. 108.

7

Ebd. S. 105.

8

So formuliert Arthur Rieh, Wirtschaftsethik Bd. 1, S. 105 sehr zutreffend.

Woran soll sich der Umgang mit Technik orientieren?

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Zutrauen ausdrückt, daß Gott, der Herr, seine Zusage auch Wirklichkeit werden läßt. 9 Der Glaube hat im Laufe der Jahrhunderte seine eigenen Traditionen geschaffen. Sie sind von Dogmatisierungen und Ideologisierungen nicht verschont geblieben. Aber in ihnen ist trotz allem ein Wissen gespeichert worden, in dem Erfahrungen im Umgang mit Welt und aus der Mitwirkung an ihrer lebenswerten Gestaltung ihren Niederschlag gefunden haben. Die Beantwortung der Frage nach der Bedeutung des Glaubens für die Lösung deijenigen Probleme, die sich aus der Technik und ihrer rapiden Weiterentwicklung ergeben, wird an diesem Traditionswissen nicht vorbeigehen können. Sie wird vielmehr seine hermeneutische Erschließung mitbetreiben müssen, wenn sie nicht auf Möglichkeiten für die Lösung aktueller Probleme von vornherein verzichten will. Für den hier erörterten Problemzusammenhang, der von der Frage nach dem Umgang mit Technik gebildet wird, beinhaltet der christliche Glaube drei Momente, die einen bedeutungsvollen Beitrag darstellen. Im einzelnen handelt es sich dabei um folgendes: Das erste Moment wird durch die Erfahrung gebildet, daß die menschliche Existenz selbst sich nicht menschlicher Anstrengung allein verdankt. Der Glaube erkennt, daß ihr das Sein gleichsam im Rücken steht, der Mensch also von dem Zwang entlastet wird, sein Sein selbst besorgen zu müssen. Er weiß sich in in dieser Beziehung vielmehr an Gott gewiesen, und das dem Glauben eigene Grundvertrauen gewährt so eine tiefe Unbesorgtheit gerade auch im Blick darauf, daß kein Leben und keine Entwicklung einfach

9

Zum Vertrauen und seiner Bedeutung für die Ethik vgl. auch Trutz Rendtorff, Ethik, Bd. I, S. 79 ff.

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Zur Frage nach der Bedeutung des Glaubens

nach einem berechenbaren Plan verläuft, sondern durchaus von kontingenten Faktoren beeinflußt wird. Daß der Glaube also die Erfahrung einschließt, daß der Mensch eben nicht im Vollsinne Herr über alle Lebensbestände ist, stellt im Licht dieses Grundvertrauens dann eben nichts Negatives dar, sondern bildet die Grundlage für ein Bestehen in der Welt auf eine zutiefst menschliche Weise. Noch einmal wird daran wieder deutlich, daß die auch hierin enthaltene Absage an den neuzeitlichen Herrschaftsgedanken zur Voraussetzung dafür wird, die Probleme der Technik in ihrer eigentlichen Tiefendimension, und die ist eine zutiefst menschliche, überhaupt erst angehen zu können. Die Kraft dazu erwächst dort, wo aus der Erfahrung schlechthinniger Abhängigkeit, wie Schleiermacher es genannt hat, auch die Bejahung eines "Lebens anderer Art" erwächst und die gewährte Teilhabe an ihm angenommen wird. 10 Dieses "Leben anderer Art" kann aber kein weltloses Leben sein; und weil das so ist, kann es auch keine techniklose Lebensführung geben. Aber die Annahme und Bejahung dieses anderen Lebens, nach christlichem Verständnis ein Leben aus dem Geist und der Liebe Christi, führt zu einer Relativierung der die Lebensführung bisher bestimmenden Größen. Insbesondere gilt das in bezug auf die Technik. Die Regeln, nach denen sich bisher der Umgang mit ihr richtete, werden dadurch einer prinzipiellen Kritik ausgesetzt: Haben sie wirklich einer Lebensführung gedient, die das Prädikat »verantwortlich« verdient oder haben sie nicht möglicherweise einen Umgang gefördert, der in jener Hinsicht als bedenkenlos bezeichnet werden kann?

10 Siehe hierzu Gerhard Ebeling, a.a.O. S. 108.

Woran soll sich der Umgang mit Technik orientieren?

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Das zweite Moment hat es mit der Hinwendung zu jener Wirklichkeit zu tun, die sich im weitesten, allerdings dann auch zunächst unpräzisesten Sinne als Welt in unsere Erfahrung drängt. Es gehört zu den festen Beständen christlicher Erkenntnis, daß durch den Glauben Welt allererst zu einer auf eine sehr spezifische Weise angehenden Wirklichkeit wird. Indem der Glaubende durch den Glauben außerhalb seiner selbst versetzt wird, was doch nur heißt, die ihn bislang einfangenden Lebenszüge distanzieren, sie sich gegenüberstellen zu können, weil sie nicht mehr das im Letzten alles Bestimmende sind, wird der Blick frei für eine neue Bewertung der Welt und der sie bewegenden Kräfte und Mächte. "Der Glaube hat darum seinen Ort gerade in der Konkretion. Er ist auf die Lebenssituation bezogen und hat mit komplexer Lebenserfahrung zu tun, nicht mit der isolierten Empirie eines künstlich gestellten Experiments. Der Glaube ist endlich den Externbezügen zugeordnet, die ein Bewegtwerden des Menschen im Innern und die Frage seiner Abhängigkeit von anderen betreffen."! 1 Die neue Bewertung der Welt steht dann aber auch im Zusammenhang mit einer spezifischen Relation, in die der Glaube zur Vernunft tritt. In der christlichen Tradition ist sie und nicht ein bloßer Gegensatz die Regel. Prinzipiell gilt, daß der Glaube "einen redlichen und gewissenhaften Gebrauch der Vernunft" f o r d e r e . 12 Dies bezieht sich gerade auch auf das Erfassen der Welt als komplexer Wirklichkeit. Hierin wird, so kann gefolgert werden, der Glaube zu einem Impulsgeber, nicht mehr nur noch Optimierungen in der Verfolgung von in dieser Wirklichkeit jeweils 11 Gerhard Ebeling, ebd. 151. 12 Gerhard Ebeling, Das Wesen des christlichen Glaubens, S. 91.

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Zur Frage nach der Bedeutung des Glaubens

angelegten politischen, ökonomischen oder gar militärischen Zwecken zu suchen, sondern durchaus jene Bereiche wieder in den Blick zu nehmen, die bei der Verfolgung solcher Zwecke ausgeblendet werden. Zusammenhänge wollen wieder beachtet werden, die durch Spezialisierungen und Fraktionierungen zerrissen worden sind. Es kommt darauf an, in die spezielle Sichtweisen die Frage mitaufzunehmen, welche lebensfördernden oder lebensgefährdenden Wirkungen jeweils beim Verfolgen partikularer Zwecke auf das Ganze der Lebenswirklichkeit ausgehen können. In dieser Hinsicht kann es die Wirkung des Glaubens sein, die Fraktionierungen der Wirklichkeit, wie sie im Spezialistentum ihren Ausdruck finden, ausgleichen zu helfen. Das dritte Moment schließlich beinhaltet die Freiheit des Glaubens, Wege zu suchen, an der Formung einer lebenswerten Welt mitzuwirken. Als Akt des Lebens und des Vertrauens wird er in dieser Perspektive zu einem Akt gelebter Verantwortung. In ihm liegen die Anstöße, dieser Verantwortung in der bestehenden Welt mit ihren Möglichkeiten, ihren Spannungen und Friktionen gerecht zu werden, nicht aber in Versuchen, eine Gegenwelt zur wissenschaftlich-technischen Zivilisation zu errichten. Es mag sein, wie von vielen Seiten skeptisch eingewandt wird, daß die bisherige Praxis, die ja auf weite Strecken hin auch nichts anderes als Befolgung des Liebesgebotes sein will, nicht mehr ausreicht, um den Umgang mit Technik so zu gestalten, daß sie in ihrer kompensatorischen Funktion möglichst uneingeschränkt zur Geltung kommt. Doch es ist auch keineswegs zwingend, daß der Glaube nur auf jene Praxis beschränkt bleibt. Aus seinem Wurzelgrund werden ihm vielmehr immer wieder neue Energien zu-

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geführt, so daß er seine Praxis kreativ und innovativ verändern kann. Nicht die Bewahrung irgendwelcher, durchaus altehrwürdiger Formen steht im Vordergrund, sondern allein eine Welt, "in der das Leben geführt wird."!3 Das kann dann jedoch nur heißen, daß es weder sich selbst überlassen bleibt wie bei einem Wildwuchs, noch daß es einfach Kräften und Mächten überlassen wird, die mit ihm machen können, was sie wollen. Das Leben »führen« ist jenseits dieser beiden, aus dem Blickwinkel der Verantwortung im Grunde Un-Möglichkeiten, die möglicherweise intensivste Herausforderung, Verantwortung wahrzunehmen. Nur wird dabei nicht übersehen werden dürfen, daß die Denk- und Verhaltensformen, mit denen existenzielle Fragen des Menschen beantwortet werden können, nicht bereits fertig im Glauben vorliegen und von dort nur abgerufen zu werden brauchen. Sie müssen vielmehr immer erst entwickelt werden. Das ist die Leistung, die von den Gläubigen und ihrer Gemeinschaft, der Kirche, erwartet wird. Die Aufgabe selbst ist aber nur zu erfüllen, wenn der Dialog mit den das Geschehen in der Welt bestimmenden Kräften geführt wird. Dazu aber bedarf es der Offenheit; sie ist das Gegenteil von der den Dialog hemmenden Haltung, die der Pflege von ideologischen Voreingenommenheiten oder utopischen Illusionen den Vorrang einräumt.

13 Trutz Rendtorff, Ethik, Bd. I, S. 75.

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Zum Problem der Freiheit

Zum Problem der Freiheit Die zentrale Frage der Technikethik lautet: Woran soll sich der Umgang mit Technik orientieren? Eine Konsequenz aus dem vorangehenden Teil könnte nun lauten: am Glauben. Doch solche Antwort würde sich doch als sehr vorschnell gegeben und auch kurzschlüssig erweisen. Der Glaube kann anregen, nach Lösungen zu suchen; aber er besitzt sie nicht schon. Zu äußerstem Mißtrauen geben daher normative Forderungen Anlaß, die mit dem Pathos der Glaubensüberzeugung und des Bekennens vorgetragen werden und "richtige Lösungen anbieten."! 4 Der Grund dafür, daß es überhaupt so schwierig ist, einen Ausweg aus einer scheinbar selbstzerstörerischen Situation zu finden, wird darin gesehen, daß der Mensch wohl das Vermögen besitzt, mit Technik die Welt zu verändern, daß es ihm aber offenkundig an der Kraft fehlt, mit ihr lebensdienlich umzugehen. Dennoch kann man sich in dieser Hinsicht nicht mehr allein an evolutionstheoretische Einsichten halten. Mit ihrer Hilfe läßt sich wohl erklären, wie es zur Ausbildung beispielsweise technischer Fähigkeiten gekommen ist und welchen Stellenwert sie für den Steinzeitjäger besaßen. Aber wenn man nicht annehmen will, daß der Mensch des 20. Jahrhunderts immer noch keine anderen Verhaltensmerkmale im Umgang mit Technik zeigt als sein steinzeitlicher Vorfahre, dann ist die Frage unumgänglich, wie sich die Schere zwischen dem Faktor »Mensch« und dem 14 Vgl. dazu Martin Honecker, Folgen der Technik, S. 485. 15 Vgl. hierzu: Technik und Gesellschaft III: Grenzen der Anpassung an die technische Entwicklung?, hrsg.v. der Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Generaldirektion Informationsmarkt u. Innovation, s. bes. S. 5 ff.

Woran soll sich der Umgang mit Technik orientieren?

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Faktor »Technik« schließen läßt. Die Antwortrichtung weist darauf, "Impulse hierfür folglich im nicht-biologischen »Bereich zu s u c h e n . " l 6 Vcm einer ganz anderen Seite wird hier ein Grundsatz der Kybernetik bestätigt, demzufolge ein "System [...] sich nur unter Kontrolle bringen" läßt "von einer Position aus, die außerhalb dieses Systems gelegen ist." 17 Auf den hier erörterten Fragenkreis bezogen besagt dieser Grundsatz, daß der Mensch einen genetisch codierten Sinn für Instrumentalität und die aus der Erfahrung mit seiner Anwendung gewonnenen und in die Erbinformation eingegangenen Erkenntnisse jetzt kraft seiner Intelligenz wieder an eine neue Situation anzupassen gezwungen ist, weil ihm aus dem überlieferten System offenkundig keine oder doch nur noch unzureichende Hilfe zur Schließung der Schere erwachsen. Es geht also darum, daß und wie der Mensch sich unter jeweils neuen geschichtlichen Bedingungen weiterentwickelt und dazu mit seinem genetischen Erbe rational umzugehen lernt. Hielte man dagegen die instrumenteile Intelligenz des Steinzeitjägers für das letzte Wort zur Sache, dann müßte jeder Gedanke an eine Änderung schon im Ansatz fallengelassen werden. Die Evolution wäre damit in der Tat in einer sehr spezifischen und unwiderruflichen Weise zum Abschluß gekommen. Doch damit wäre dann auch jeder Gedanke an eine, wenigstens nächstüberschaubare Zukunft hinfällig. Übrig bliebe nur das dumpfe Empfinden, buchstäblich am Ende zu sein und dem Leben keinen Sinn mehr abgewinnen zu können. Wie aber in solcher Perspektive dann noch eine sinnhafte Existenz möglich sein kann, müßte unbeantwortet bleiben. Dem16 So M. Härter, ebd. S. 61. 17 Hans Sachsse, Probleme des technischen Fortschritts, S. 79.

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Zum Problem der Freiheit

gegenüber ist es sicher nicht unberechtigt, auch anzunehmen, daß die Fähigkeit wenn schon nicht zu totaler so doch wenigstens zu partialer Änderung erhalten geblieben ist. Sich dieser Fähigkeit bewußt zu werden und sie zu aktivieren, ist ein Impuls, der aus dem christlichen Glauben kommt. Jenseits von Resignation und Weltveränderungspathos richtet sich die Aktivierung der instrumentellen und moralischen Intelligenz auf das, was in der gegebenen Situation notwendig und möglich ist. Die entscheidende Voraussetzung dafür aber ist Freiheit. Es ist nicht zu übersehen, daß gegenüber dem Freiheitspathos vergangener Zeiten eine neue Lage entstanden ist. Das Wort Freiheit geht angesichts der sich in das Bewußtsein drängenden Zwänge, die mit dem Dasein unabtrennbar verbunden sind, nicht mehr leicht über die Lippen. Oft erwecken Determinanten wie z.B. genetische Bedingungen menschlicher Handlungsweisen den Anschein, daß sie die eigentlich konstitutiven Faktoren in bezug auf die praktische Gestaltung des Lebensvollzuges sind. Aber die eigentümliche Ambivalenz der Lage fordert doch auch dazu heraus, den Gedanken der Freiheit nicht einfach fallen, sondern Freiheit gerade in kultivierter Sittlichkeit und damit in der Pflege des Lebens wirksam werden zu lassen. Das hebt die Ambivalenz der Situation nicht auf, wie man ebenfalls nicht versuchen sollte, sie durch Eindeutigkeitsformeln zu camouflieren Es bleibt wohl nur die Feststellung, daß der Mensch als vernunftbegabtes Wesen "die Vorstellung sittlicher Freiheit für die Ethik ebensowenig aufgeben (kann) wie die der kausalen Notwendigkeit für die Wissenschaft." Die Anerkennung kausaler Notwendigkeit läßt die Subjektivität als etwas Fiktives und Ohnmächtiges

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erscheinen. Und doch kann der Mensch nicht ohne die Voraussetzung existieren, als moralisches Subjekt "gleichzeitig an Freiheit, an Verantwortung und Kreativität" zu glauben "und damit eine Intervention des Geistes in den Vorgängen der Materie" als gegeben anzusehen.18 Um der ganzen Tiefe der Veränderungen ansichtig zu werden, die sich in der Geschichte des Freiheitsverständnisses eingestellt hat, muß man sich nur einmal vor Augen halten, welche Vorstellungen sich mit dem Freiheitsbegriff in einer Phase der neuzeitlichen Geschichte verbanden, in der die stürmische Entwicklung der Technik einsetzte. Als Beispiel dafür mag Fichte dienen. Er definierte Freiheit als Zustand der "völligen Unabhängigkeit von allem, was nicht wir selbst, unser reines Selbst ist." 19 Als des Menschen Aufgabe und Pflicht ging aus diesem Verständnis sodann die Vorstellung hervor, daß er alle Kräfte anzuspannen habe, diesen Zustand herbeizuführen. Freiheit wird so auch zur Bestimmung des Menschen, der er nicht ausweichen kann, ohne seine Menschlichkeit zu verraten. Aber sie und in gewisser Weise damit die Menschlichkeit verwirklichen sich nur in der Form einer nach ihren Erfordernissen gestalteten Welt. Technische und sittliche Intelligenz werden auf diese Weise zusammengesehen, um den einzig möglichen "Endzweck des Menschen [...], insofern er ein Theil der Sinneswelt ist", zu e r r e i c h e n . 2 0 Doch die hinter dieser Formulierung stehende Differenz von Geist und Natur läßt die Freiheit dann wieder nur zu einem "rein theo-

18 Hans Mohr, Natur und Moral, S. 91. 19 Ges. Ausg. 1,1, S. 245. 20 Ebd. S. 243 an anderer Stelle spricht Fichte auch von der "Vernunftkunst", mit der der Endzweck erreicht werden soll.

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retische(n) Bestimmungsprinzip" werden.2i Als umfassender Begriff für völlige Unabhängigkeit des Selbst und für völlige Identität mit sich selbst h a t er nichts, was in der "Sinneswelt" mit ihm zur Deckung gebracht werden könnte. Fichte sieht sehr deutlich, daß der Mensch in Abhängigkeiten steht, die sich nicht beseitigen l a s s e n . 2 2 Damit läßt sich unter endlichen Bedingungen die Idee der Freiheit nicht realisieren. Ihre Verwirklichung kann nur noch in der Unendlichkeit erfolgen.23

Heute dagegen sucht man Freiheit dialektisch aus dem Wechselspiel von "Selbst- und Weltbezug" zu bestimmen.24 Freiheit wird jetzt konsequent nicht mehr in absoluten Kategorien gedacht. Wie alles Endliche unterliegt sie Einschränkungen. Leben in Freiheit läßt sich deshalb nur im "Bewußtsein der Bescheidung" führen. Es liegt ebenfalls nicht mehr ausschließlich am Willen des Einzelnen, wie sein Leben sich gestaltet.25 Vielmehr ist das von einer Vielzahl anderer Faktoren (genetischen, bildungs- und sozialisationsbedingten sowie gesellschaftlichen) abhängig. Dies alles bedeutet, daß "die Grenzen der Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeit" mitreflektiert werden müssen,26 aber eben nicht nur sie allein, sondern ebenfalls auch die Möglichkeiten, die für eine Lebensführung in Freiheit gegeben sind.

21 22 23 24 25 26

Ges. Ausg. 1,5, S. 82. Ebd. S. 111. Ebd. S. 141. Walter Schulz, Grundprobleme der Ethik, S. 301. Ebd. S. 302 f. Ebd.

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Bei der Behandlung des Problemkomplexes: Umgang mit der Freiheit werden die »Intervention des Geistes« und das »Bewußtsein der Bescheidung« als sich gegenseitig ergänzende Momente gesehen werden müssen. Das aber heißt dann, auf Absolutheitsforderungen zu verzichten. Gerade die Technik, der sich Möglichkeiten für eine sinnvolle Daseinsgestaltung verdanken, verträgt es nicht, zum Sündenbock im Sinne der rigiden Forderungen z.B. eines moralistischen Fundamentalismus gemacht zu werden. Denn es wird eben auch bedacht werden müssen, daß der Umgang mit ihr in der Mehrzahl der Fälle als wenig problematisch empfunden wird. Ein Prozeß der Gewöhnung an sie hat zu eingeschliffenen Kooperationsformen von Mensch und Technik geführt. Sie wird darum weithin auch gar nicht als Beeinträchtigung der Freiheit, sondern im Gegenteil als Freiheit ermöglichende Größe betrachtet. Dort allerdings, wo Wirkungen der Technik die Lebensführung nachhaltig negativ beeinflussen, oder wo vermutet wird, daß sie dies tun könnten, da wird sie als eine schwere Last empfunden. Es bedarf nur einiger weniger Stichworte, um kenntlich zu machen, worum es sich dabei handelt: Strahlenschäden, Schadstoffbelastungen der Luft und des Wassers, Entsorgungsprobleme, Lärmbelästigungen. Technik ist aber ein Instrument, das eine kompensatorische Funktion hat. Sie schafft sicher kein Leben, aber sie hilft, es unter der Bedingung von anders nicht ausgleichbaren Mängeln beim Menschen besser führen zu können. Freiheit bedeutet in dieser Perspektive: aus jenen Kreisläufen heraustreten zu können, die Technik an ihrer Grundfunktion hindern; und sie bedeutet weiter: Alternativen anzuregen, damit Technik ihrer Grundfunktion wieder gerecht werden kann, soweit das alles über-

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haupt noch im jeweiligen Vermögen von Menschen liegt. Freiheit ist folglich kein bloßer Ermächtigungsgrund, Technik nur mit Rücksicht auf die Lösung von irgendwelchen Problemen zu entwickeln. Sie weist vielmehr jede Technikentwicklung auf ein unhintergehbares Wozu. Dieses Wozu ist, Leben erhalten und fördern zu helfen. Die Evolutionsgeschichte zeigt, daß Arten vergehen können. Leben aber bleibt das letzte Ziel der Evolution. Technik verliert ihren Sinn, wenn sie nicht mehr auf dieses Ziel hin orientiert bleibt. Freiheit aber ist eine entscheidende Voraussetzung und Verpflichtung auf Seiten des Menschen, sie in dieser Zielrichtung zu halten. Dies schließt nicht aus, daß Entscheidungen nötig werden, mit Technik in Leben einzugreifen, damit größeres Übel vom Leben abgewendet wird. Freiheit kann aber auch negativ dazu mißbraucht werden, um mit Technik Leben bewußt zu vernichten. In beiden Fällen wird der Mensch schuldig. Wieweit sie im moralischen Sinne vergebbar ist, wäre nicht nur von der Schwere der Schuld und vom eigenen Gewissen, sondern vor allem auch von der Vergebungsbereitschaft der Mitmenschen abhängig.

Leben und Lebensdienlichkeit Freiheit kann sich, zieht man die Konsequenz aus den vorangegangenen Erörterungen, nur in einem Verstehen und Handeln erfüllen, das die Möglichkeit ihres Mißbrauchs einschließt, ohne ihr allerdings nachzugeben. Technik ist als Instrument für den guten Gebrauch wie den Mißbrauch der

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Freiheit darin einbezogen. Das Bewußtsein davon macht eine Umorientierung des Umgangs mit Technik notwendig. Gerade im Anblick ihrer Unentbehrlichkeit einerseits und des hohen Grades der Selbstgefährdung, den sie gleichfalls mit sich bringt, andererseits ist ein bloßes Weitermachen im Sinne eines unreflektierten Umgangs buchstäblich lebensgefährlich. Die kompensatorische Funktion beinhaltet offenkundig nicht nur im positiven Sinn einen Mängelausgleich, indem sie die physischen Kräfte des Menschen verstärkt, sondern auch im negativen Sinn, indem sie zerstörerische Kräfte potenziert. Es kommt aus diesem Grund darauf an, im Bewußtsein der negativen Potenzen, die positive kompensatorische Funktion an dem zu orientieren, was alleine der Mühe wert ist: Leben zu wahren und zu fördern. Diese Zielrichtung ließe sich am besten mit dem Wort »Lebensdienlichkeit« beschreiben. Die Eingängigkeit einer solchen Formel wie die von der »Lebensdienlichkeit«, die zweifellos einer hohen Zustimmung sicher sein kann, darf allerdings nicht verdecken, daß es sich um einen komplexen, sich eindeutigen Bestimmungen entziehenden Sachverhalt handelt. Bereits das Wort »Leben« ist so vielschichtig, daß es immer wieder zu kontroversen Diskussionen Anlaß gegeben hat. 2 7 Die geradezu verwirrende Fülle von Versuchen zu bestimmen, was Leben sei, ist zugleich auch immer die Fülle ihrer Vergeblichkeit, zu einem konsensfähigen Verständnis zu gelangen. Die Geschichte des Lebens-Begriffs vor allem seit dem 19. Jahrhundert macht dies deutlich.28 Aus dem biologischen Lebens-Begriff gezoge-

27 Vgl. hierzu den ausführlichen und informativen Art.: Leben: HWP Bd. 5, S. 51-103. 28 Siehe dazu ebd. S. 91 ff.

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ne sozialdarwinistische Konsequenzen haben dann noch einmal die Lage erschwert. Die in der NS-Ideologie getroffene Unterscheidung zwischen lebenswertem und lebensunwertem Leben hat in einer brutalen Radikalität sichtbar werden lassen, wohin es führt, von einem rassistischen Lebens-Begriff auszugehen und ihn in die politische Praxis einzuführen. Es scheint also mehr als gewagt, in eine Darstellung der Grundprobleme der Technikethik den Begriff des Lebens einzuführen und das noch zudem in Verbindung mit dem Begriff der Lebensdienlichkeit. Denn wer oder was soll oder kann überhaupt dienlich sein, wenn noch nicht einmal feststeht, was Leben ist? Ohne die Schwierigkeiten verharmlosen zu wollen, soll im folgenden von der Erfahrung ausgegangen werden, die sich mit einer Fülle von Erscheinungen konfrontiert sieht, die alle für sich in Anspruch nehmen dürfen, als Ausdrucksformen des Lebens angesprochen zu werden. Das umschließt Geburt und Tod ebenso wie die Stufen der Adoleszenz und des Alterns. Es bezieht sich weiter auf die Formen der Gemeinschaftsbildung von der Zweierbeziehung über die Familie bis zu größeren sozialen Gruppierungen und endlich der politischen Gemeinschaft als Staat oder Nation. Zum Leben gehören aber ebenso Arbeit und Beruf, Engagement an der Gestaltung sozialer und politischer Verhältnisse, wie Forschung, Bildung und Kultur davon nicht getrennt werden dürfen. Schließlich darf die Wirtschaft nicht unerwähnt bleiben. Sie hat eine entscheidenden Anteil an der Bereitstellung der Mittel, ohne die eine materielle Sicherung der Existenz kaum möglich wäre. Doch diese Aufstellung wäre gänzlich unvollständig, wenn sie nicht auch die Natur einschlösse. Die Pflan-

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zenwelt und die Tierwelt sind Erfahrungsgegenstände des Lebens, und zwar eines Lebens, das in einer ganz intensiven Weise mit dem Leben des Menschen verbunden ist. Wer wollte angesichts des durch die Ökologiedebatte ans Licht gekommenen Beziehungsgeflechts zwischen Mensch und Natur noch behaupten, daß erst eine vom Menschen gewissermaßen ins Leben gerufene Natur den Namen »Leben« verdiente, wenn möglicherweise es eben diese Natur ist, die darüber entscheidet, ob es für den Menschen noch Lebensmöglichkeiten in absehbarer Zeit gibt? Aber auch wenn die Anwort auf diese Frage zur Zeit weder mit einem Ja oder Nein beantwortet werden kann - es sei denn man wollte einem gänzlich ungerechtfertigten Optimismus trotz oder einem apokalyptischen Pessimismus wegen der bereits nachgewiesenen Umweltschäden und Zerstörungen huldigen - so läßt sich doch nicht übersehen, daß die vielfältigen Erscheinungsformen des Lebens heute immer in irgendwie gearteten Zusammenhängen mit dem Gebrauch von Technik stehen. Dies festzustellen mag manchem als banal erscheinen, und sicher ist es das auch. Aber sich dem Leben in der vollen Breite seiner Erscheinungsformen zuzuwenden heißt, sich nicht nur auf geistigen Höhen, sondern sich vielmehr in den Niederungen des Daseins zu bewegen. Wenn in dieser Hinsicht von Zusammenhängen im Gebrauch von Technik gesprochen wird, dann ist beispielsweise an medizinische Technik zu denken, die in allen Phasen eines menschlichen Daseins Krankheiten erkennen helfen, Leben retten und Heilung bringen kann. Es ist aber ebenso auch an die Technik im Haushalt oder an Fahrzeuge zu denken. Unser Gemeinschaftsleben ist beispielsweise ohne Kommunikationstechniken nicht mehr zu denken; und Verständigung ist

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ein wesentliches Moment im Gelingen sowohl sozialen Lebens als aber auch in der Gestaltung internationaler Beziehungen. Der Friede, um nur ein weiteres aktuelles Beispiel in diesem Zusammenhang zu erwähnen, beruht auf Verständigungsprozessen zwischen den Nationen. Die Arbeitswelt ist ohne den Einsatz von Technik ohnehin nicht mehr zu denken. Nicht nur eine Entlastung des arbeitenden Menschen, sondern darüber hinaus auch die Verkürzung der Arbeitszeit und wirtschaftliche Prosperität verdanken sich ihr. Die Liste ließe sich noch beliebig lang fortsetzen. Es sollte aber deutlich geworden sein, was gemeint ist, wenn von dem Einfluß der Technik auf das Leben die Rede ist. Zudem werden noch an anderer Stelle damit angerührte Fragen wieder aufgenommen. Es ist heute eine vielverhandelte Frage, was die Qualität des Lebens ausmache. 29 Die Beschaffenheit des Lebens, die die auszeichnende Bezeichnung »Qualität« erhält, ist eine komplexe Größe und durch mehr als die Summe ökonomischer und technischer Lebensvorzüge bestimmt. Lebensqualität ist auch und zu allererst abhängig von "Freiheit und Selbstbestimmung des M e n s c h e n " . 3 0 Aber sie ist dadurch nicht gegen materiellen Wohlstand und Technik gerichtet. In Freiheit selbstbestimmt sein Leben zu führen, ihm eine dem eigenen Lebensentwurf folgende Gestalt zu geben, bedingt die Integration von beidem. Die Erscheinungsweisen, in denen sich Lebensqualität äußert, schließen nun einmal so alltägliche Dinge wie eine zureichende Behausung, eine ausreichende Ernährung, Teilhabe an kulturellen Ereignissen, Nutzung von Erholungsmöglichkeiten und die Möglichkeiten zu 29 Vgl. dazu jetzt Trutz Rendtorff, Ethik, Bd. II, S. 171 ff. 30 Ebd. S. 173

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kreativer Betätigung ebensowenig aus wie das Anrecht auf eine gesunde Luft, reines Wasser und eine intakte Umwelt als mitentscheidende Voraussetzungen für den Erhalt und die Förderung der Gesundheit. Es ist nicht anzuznehmen, daß dies alles ohne materiellen Wohlstand und ohne Technik zu erreichen wäre. Die wissenschaftlich-technische Zivilisation hält dafür auch die Möglichkeiten bereit, und der hohe Grad der Bestimmtheit des Daseins durch sie läßt es als wenig aussichtsreich erscheinen, in Lebensformen zurückkehren zu wollen, die vor dieser Zivilisation liegen. Aber in welcher Weise solche Möglichkeiten genutzt werden hängt entscheidend daran, in welchem Maße das Freiheitsbewußtsein Verantwortungsbereitschaft weckt, und von ihr hängt wiederum entscheidend ab, ob diese Möglichkeiten in einer dem Leben dienenden Weise eingesetzt werden. Nun ist jedoch durchaus strittig, was solche Lebensdienlichkeit ausmacht. Es läge darum nahe, diese Frage mit dem Hinweis auf Lebensqualität zu beantworten: Lebensdienlichkeit ließe sich dann als das verstehen, was solche Qualität fördert. Eine Gleichsetzung von Qualität des Lebens und Lebensdienlichkeit stieße indessen auf eine große Schwierigkeit: Es gibt für die Lebensqualität keine einheitlichen Normen, wie sie beispielsweise für die Reinheit der Luft oder des Wassers gelten. Was jeweils als Lebensqualität angesehen wird, bestimmt sich in besonderer Weise auch von subjektiven Präferenzen, von in der jeweiligen Gesellschaft vorhandenen Wertsystemen, kulturellem Umfeld, Bildung, wirtschaftlichem Prosperitätsgrad und nicht zuletzt vom politischen System, in dem man lebt. Ausschlaggebend ist in allem die individuelle Selbstbestimmung, die vorgegebene Wertsysteme und beste-

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hende Möglichkeiten in die individuelle Sicht dessen, was als Lebensqualität anzusehen ist, integriert und das Handeln daran ausrichtet. So entstehen aber auch erhebliche Unterschiede. Für den einen ist beispielsweise die Benutzung eines Kraftfahrzeuges, um mittels seiner an einen Urlaubsort zu gelangen und dort beweglich zu sein, Ausdruck selbstbestimmter Lebensführung und ein Ausweis für Lebensqualität. Für einen anderen hingehen ist es das ganz und gar nicht, weil damit keine wirkliche Entlastung der Umwelt erreicht und zudem noch am Urlaubsort selber durch Motorenlärm und Auspuffgase die Erholung anderer Erholungssuchender beeinträchtigt wird. An diesem Beispiel läßt sich ablesen, daß die Mittel, die für die Erreichung von Lebensqualität eingesetzt werden, nicht auch schon lebensdienlich z.B. im Sinne der Gesundheitsforderung sein müssen. Zweifelhaft ist auch, um ein anderes Exempel zu erwähnen, ob der Einsatz medizinischer Technik zur Erhaltung des biologischen Lebens in jedem Falle als Förderung der Lebensqualität angesehen werden kann oder ob er nicht auch bisweilen die bloße Verlängerung der Agonie ist. Darum kann es als menschlicher im Sinne der Wahrung von Menschenwürde angesehen werden, die Agonie nicht zu verlängern. Schließlich, um ein letztes Beispiel zu nennen, kann es keineswegs mehr zweifelhaft sein, daß Schädlingsbekämpfungsmittel, die zur Verbesserung der Versorgung mit Nahrungsmitteln eingesetzt werden, einen Beitrag zur Förderung eines Moments der Lebensqualität, nämlich ausreichender Ernährung, darstellen sollen. Dabei läßt sich dann aber auch nicht darüber hinwegsehen, daß, wie an Dioxin erkennbar geworden ist, sowohl bei der Herstellung

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als auch bei der Anwendung Wirkungen auf Mensch und Natur auftreten, die alles andere als lebensdienlich sind. Lebensdienlichkeit kann so mit einiger Sicherheit von seinem erkennbaren Gegenteil, dem Lebensfeindlichen oder auch nur Lebensbedrohenden, her bestimmt werden. Wie bei der Freiheit, so kann sich auch Lebensdienlichkeit in einem Verstehen und Handeln erfüllen, das immer mit der Möglichkeit des Beförderns von Lebensfeindlichkeit oder Lebensbedrohung rechnet, ihr aber doch bewußt widersteht. Lebensdienlichkeit verlangt folglich, stets genau zu prüfen, welche technischen Möglichkeiten bedenkenlos genutzt werden können, welche nur eingeschränkt genutzt werden dürfen und welche völlig ungenutzt bleiben müssen. Ein solches Postulat stößt allerdings dort auf Schwierigkeiten, wo es aus systemtheoretischer Sicht für unnötig erachtet wird, für die Bewertung der von einem System generierten Zwecke noch andere Kriterien voranzustellen als solche, welche das System von sich aus anerkennt. Technische Innovationen können in dieser Sichtweise zu Mitteln der Marktbeherrschung werden, indem sie helfen, wenigstens temporär eine Monopolstellung zu gewinnen, die Preisdiktate und Renditeabschöpfungen erlaubt. Von anderen möglichen Wirkungen ist dabei nicht mehr die Rede; so wird beispielsweise es auch nicht für erforderlich gehalten, Auswirkungen auf Mensch und Umwelt zu prüfen. Das solche Innovationen generierende System erhält vielmehr bereits a priori das Prädikat: ethisch aus sich selbst gerechtfertigt. So geschieht es beispielweise gegenwärtig mancherorts mit dem System: Soziale Marktwirtschaft. Dabei schwingt die Annahme mit, daß alle ethischen Forderungen an die Wirtschaft von diesem System bereits abge-

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deckt werden. Daneben überhaupt noch ein übergeordnetes Gemeinwohl als notwendig anzusehen, wird offenkundig für überflüssig gehalten.3l Die Orientierung des Umgangs mit Technik am Grundsatz der Lebensdienlichkeit ist dagegen aber als ein kritischprüfendes Moment zu begreifen, mit dessen Hilfe die selbstbestimmte Lebensführung zur Reflexion der durch Technik eröffneten Dimensionen für das Entscheiden und Handeln angeleitet wird. Dieser kritisch-prüfenden Funktion liegt die Annahme zugrunde, daß systembedingte Zwecke keineswegs schon allein sicherzustellen vermögen, daß mit ihrer Verfolgung bereits auch das Gute erfüllt wird, dem sich ein von ethischen Prinzipien geleitetes Handeln verpflichtet weiß. Gefordert ist vielmehr die Berücksichtigung von außerhalb des Systems gelegene Kriterien, mit deren Hilfe jene Lebensbereiche wieder in Entscheidungen einbezogen werden können, die die Verfolgung systembezogener Zwecke oder allein auf technische Problemlösungen konzentriertes Handeln unberücksichtigt lassen. Dieser Aspekt will in besonderer Weise auch der Umwelt Rechnung tragen. Es gilt heute zu erkennen, daß die Umwelt nicht gegen die Technik eine Zukunft hat, sondern nur mit ihr, und daß die Technik ebenfalls nur eine Zukunft hat, wenn sie sich der Umwelt bewußter zuwendet. Eine Technik, die uns auf Kosten der Umwelt noch mobiler machen wollte, müßte demzufolge auf Dauer die eigene Existenzgrundlage vernichten. Aber es ist einzuräumen, daß es einem rein technizistischen Denken schwerfällt, dieses auch zu akzeptieren. 31 So z.B. Günther Dlugos, Unternehmensinteresse und Gemeinwohl als fragwürdige Orientierungsgrößen,S. 123-128.

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Eine entscheidende Voraussetzung dafür ist darum die Abkehr von dem, was gegenwärtig als Anthropozentrismus kritisiert wird. Gemeint ist damit die Kritik jener Sichtweise, die nur den Menschen und sein Können als allgemeine Macht alles Endlichen anzuerkennen vermag: Er allein steht im Mittelpunkt aller kosmologischen Erörterungen. Dann kann konsequent auch nur sein Wille in bezug auf Welt allein maßgebend sein. Rücksichtnahme auf anderes, was Eigenrechte behauptet, wie z.B. die Natur, braucht nicht geübt zu werden. Demgegenüber liegt dem Verzicht auf den Anthropozentrismus die Einsicht zugrunde, daß die Welt den Menschen keineswegs zum Mittelpunkt hat. Vielmehr ist er selber nur Teil eines Ganzen, sich als solcher zu wissen ist etwas prinzipiell anderes, als sich dem Ganzen des Seins gegenüber zu wissen. Konkret bedeutet es, den Akzent auf die Schicksalsgemeinschaft zu legen, in der Mensch und Natur sich vorfinden. Der Umgang mit Technik darf sich dann nicht mehr nur an dem Sich-selbst-wollen des Menschen und den daraus abgeleiteten Zwecken orientieren. Die Ermächtigung zu einer alleinigen Verfügung über Welt, die aus dem Freiheitsbegriff der Moderne gefolgert wurde, ist darum heute im Zeichen der Umweltproblematik durch das Leitbild einer Pflege des Daseins als zeitgerechter Aufgabe zu ersetzen. Dies hat dann weiterhin zur Folge, daß Welt als Natur anders gewußt werden muß. Sie ist nicht nur Materie, die darauf wartet, vom Menschen ins Sein gerufen zu werden. Sie verdankt ihm also nicht ihr Leben, sondern sie hat ihr Sein; und es geht nun allein darum, mit zu bedenken, wo mit Technik darin eingegriffen werden darf, ohne es so zu beschädigen, daß auch das Sein des Menschen in letzter Konsequenz in Mitleidenschaft gezogen wird.

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In dieser Sicht erscheint der Mensch freilich nicht mehr als Herr der Welt . Ihm wird vielmehr jetzt die Aufgbabe eines fürsorgenden Verwalters zuteil.32 Es ist absehbar, daß bei ihrer Erfüllung Technik eine bedeutende Rolle spielt. Ihre kompensatorische Funktion wird sich dann vor allem darauf ausrichten, bereits eingetretene Schädigungen beseitigen und weitere Schädigungen vermeiden zu helfen. Dabei kann auf Erfahrungen zurückgegriffen werden, die z.B. schon mit verbesserten Abwasserreinigungstechniken oder mit Recyclingverfahren gemacht worden sind. Darüber hinaus gewinnt die technische Erschließung sich selbst reproduzierender Energiequellen immer größere Bedeutung. Die Einsicht in entstandene Umweltschäden und eine nicht mehr auszuschließende Klimakatastrophe, wenn sich beispielsweise das Verhalten beim Eneregieverbrauch nicht drastisch ändert, scheinen jedenfalls zu Triebfedern für die Entwicklung einer umweltbezogenen Technik geworden zu sein, so daß vieles dafür spricht, daß das Prinzip der Lebensdienlichkeit sich auch darin seinen Ausdruck sucht und zum Impuls für die Schaffung von Möglichkeiten wird, Lebensqualität unter individuellen Bedingungen verantwortlich zu realisieren.

32 Darauf weisen jetzt Hans-Georg Gadamer, Lob der Theorie, S. 99 ff. und Hans Jonas, Technik, Medizin und Ethik, S. 47, hin, daß die Technik dem Menschen eine Rolle zuweist, "die nur die Religion ihm manchmal zugesprochen hatte: die eines Verwalters oder Wächters der Schöpfung."

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Ü b e r l e g u n g e n zum P r o b l e m d e r V e r a n t w o r t u n g Die bisherigen Erörterungen lassen sich jetzt unter dem einheitlichen Thema einer verantwortlichen Lebensführung, zusammenfassen. Die Ausgangsfrage lautete ja: Woran soll sich der Umgang mit Technik orientieren? Angesichts der im Gefolge technologischer Entwicklung entstandenen neuen Lage gilt es demzufolge, Anstöße, wie sie durchaus u.a. auch vom christlichen Glauben und seiner Tradition ausgehen können, aufzunehmen und nach neuen Orientierungsmarken Ausschau zu halten. Als solche erwiesen sich ein kritisch revidiertes Freiheitsverständnis und das Prinzip der Lebensdienlichkeit als durchaus richtunggebend. Die Integration beider Orientierungsmarken in den reflektierten Umgang mit Technik bildet selber aber wieder nur einen wesentlichen Bestandteil dessen, was unter dem Begriff »Verantwortung« als konkrete Gestalt der Lebensführung in Erscheinung tritt. Dieser Begriff steht in der Diskussion ethischer Probleme gegenwärtig im Zentrum der E r ö r t e r u n g e n . 3 3 Er hat, wie Rendtorff zutreffend bemerkt, "eine Art Schlüsselfunktion"

33 Aus der Fülle der Literatur seien hier nur exemplarisch einige Arbeiten genannt: Walter Schulz, Wandlungen der Begriffe "Schuld" und "Verantwortung", JB f. Psychologie, Psychotherapie u. med. Anthropologie 16. Jg. (1968), S. 196-205; Hans Sachsse, Technik u. Ver antwortung - Probleme der Ethik im technischen Zeitalter; Hans Jonas, Das Prinzip Verantwortung; Trutz Rendtorff, Vom ethischen Sinnder Verantwortung, HCE Bd. 3, S. 117-129; Martin Honecker, Verantwortung für die Zukunft, Ev. Kom. 19. Jg. (19..), S. 506-509; HansLenk, Gewissen und Verantwortung als Zuschreibungen, Ztschr. f. Phil. Forschg., H. 4/1987, S. 571-591; Wolfgang E. Müller, Der Begriff der Verantwortung bei Hans Jonas; Walther Zimmerli, Können oder Dürfen. Gibt es ethische Grenzen des Technischen?, S. 23-41.

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zugewiesen erhalten.34 Sie weist aber ebenfalls auf Wandlungen hin, die dieser Begriff durchlaufen hat. Damit ist zunächst eine historische Dimension angesprochen, in der drei Momente für Wandlungen im Verständnis von Verantwortung maßgebend sind. Das eine besteht darin, daß die ehemalige Trennung von Wissenschaft und Moral sowie deren Abdrängung in die Privatheit gegenwärtig einer Revision unterliegt. Am Beispiel Descartes hat Walter Schulz deutlich gemacht, daß, "weil Verantwortung und Schuldbewußtsein als innere Werte nicht nachprüfbar sind, [...] man für das äußere Zusammenleben diese beiden Bestimmungen nun möglichst eindeutig nach dem Prinzip der reinen Legalität" festsetzen muß.35 Mithin bleiben dann ethische Begriffe gegenüber den Gewißheiten, die durch wissenschaftliche Rationalität begründet werden können, unsicher und vorläufig, so daß "die ganze Lebensdimension einschließlich der das Handeln leitenden Moral von der Wissenschaft her gesehen eigentümlich suspekt erscheint." 36 Dieser Standpunkt wird jetzt revidiert. Auf ein weiteres Moment hat Dietrich Bonhoeffer hingewiesen. Er hatte vor allem eine ganz bestimmte Denaturierung und Perversion der Verantwortung im Auge, wenn er im Zusammenhang mit ihr auf eine Überdehnung des Pflichtstandpunktes hinwies: "Hier wird das Befohlene als das Gewisseste ergriffen, die Verantwortung für den Befehl trägt der Befehlsgeber, nicht der Ausführende. In der Beschränkung auf das Pflichtgemäße aber kommt es niemals zu dem Wagnis der auf 34 Vom ethischen Sinn der Verantwortung, S. 117. 35 Wandlungen, S. 199. 36 Ebd. S. 200.

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eigene Verantwortung hin geschehenden Tat, die allein das Böse im Zentrum zu treffen und zu überwinden vermag." 3 7 Hinter dieser Aussage steht das Phänomen, sich dadurch aus der Verantwortung fortzustehlen, daß man sie einem anderen zuschiebt und sich nur als Instrument von dessen Willen begreift. Auch in dieser Beziehung zeichnet sich jetzt ein Wandel ab. Das dritte historische Moment erstreckt sich schließlich auf die unmittelbare Gegenwart. Das Problem der Verantwortung tritt hier vor allem im Umkreis der intensiven Durchdringung von Forschung und technologischer Entwicklung auf. Angesichts dieser Lage verstärkt die Erörterung des Verantwortungsbegriffs einmal mehr die praktische Frage nach dem Umgang mit den durch Wissenschaft und Technik eröffneten Möglichkeiten. Damit ist vor allem auch erneut das Problem einer Überwindung der historischen Trennung von wissenschaftlich-technischer Rationalität und Ethik in aller Eindringlichkeit gestellt. Hierzu sind von Walther Zimmerli bedenkenswerte Erwägungen angestellt worden. Er bezeichnet Verantwortung als "die sprachlich reflexive Stufe des bloßen Faktums der Relationalität."38 Gemeint ist mit dieser Formulierung ein Bedenken der Art und Weise, wie eine handelnde Person beim Zustandekommen einer Sache direkt oder indirekt beteiligt gewesen ist. Für solches Beteiligtsein ist Rechenschaftsablegung gefordert. Mit seiner Analyse des Verantwortungsbegriffs will er darüber hinaus deutlich machen, daß Menschen nicht nur für Handlungen verantwortlich sind, deren Subjekt sie sind. Es wird vielmehr zunehmend deut37 Widerstand und Ergebung, S. 13. 38 Können oder Dürfen, S. 29.

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licher, worauf Hans Lenk hingewiesen hat, daß sie ebenfalls für Handlungen verantwortlich zu machen sind, deren Handlungssubjekt sie nicht oder nicht allein gewesen sind. Eine moralische Veranwortung besteht eben auch in den Fällen, in denen Folgen eintreten, mit denen der einzelne nicht gerechnet hat oder aufgrund der spezifischen Beschaffenheit der neuen Technologien gar nicht rechnen konnte.39 Die Verantwortung des Menschen kann nicht mehr durch den Hinweis auf entweder keine oder nur eine eingeschränkte Beteiligung an Handlungen und die Nichtabsehbarkeit von deren Folgen hintergangen werden. Zugleich wird damit der Begriff Veranwortung aber um das Moment der Voraussicht erweitert. Nicht nur die bloße Handlung und das, was mit ihr unmittelbar bezweckt wird, macht den Menschen rechenschaftspflichtig, sondern auch das Maß an erkannten und abgeschätzten Folgen, die sie über die bloße Zweckerfüllung hinaus haben kann. Die rechtliche Zurechenbarkeit von Verantwortung, die einschränkende Bedingungen kennt und hinter die man sich ebenfalls gerne zurückzieht, hebt jedenfalls die moralische Zurechenbarkeit nicht auf. Alles in allem hat der Verantwortungsbegriff durchaus die neue Dimension einer »gemeinschaftliche Verantwortung« erhalten.40 "Der Erweiterung der individualistischen Verantwortlichkeit müssen die Entwicklung einer sozial anteilig zu tragenden (Mit)Verantwortung sowie eine Sensibilisierung des moralischen Gewissens entsprechen [...]. Die Ethik muß sich den Herausforderungen durch neue Handlungsmöglichkeiten und Auswirkungen stellen, ohne ihre 39 Gewissen undVerantwortung, S. 585 ff. 40 Ebd. S. 588.

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konstanten Grundüberzeugungen zu verleugnen. Angesichts wachsender Systemabhängigkeiten und der Zunahme von Großprojekten und kollektiv Handelnden kann keine rein individualistische Moral der bloßen Nächstenliebe mehr genügen."4l Der damit beschriebene Sachverhalt macht dann Überlegungen erforderlich, die den Zusammenhang von Freiheit und Verantwortung wieder verdeutlichen. Trutz Rendtorff hat sich dieser Aufgabe unterzogen. Er sieht in der Verantwortung "die Steigerung und Einlösung des ethischen Sinnes der Freiheit." 42 Sie bleibt damit nicht mehr in der Unbestimmtheit des sich so oder so Entscheidenkönnens. Vielmehr findet sie ihre Bestimmtheit darin, daß sie einen "produktiven Umgang von Freiheit mit Abhängigkeit" darstellt.43 Der Umgang selber ist konkret als Dienst am gemeinsamen Leben zu begreifen, der die Bereitschaft zum Kompromiß in "Anerkennung übergreifender Verantwortung unter Bedingungen begrenzter Handlungsfähigkeit" 4 4 zur Voraussetzung hat. Die gegenwärtigen Entwicklungen in der Verantwortungstheorie führen einen Abklärungsprozeß fort, der unter anderem bereits von Max Weber eingeleitet worden war.45 Mit seinem Verständnis von Verantwortungsethik wollte er auf die Notwendigkeit aufmerksam machen, die Folgen einer Handlung mitzubedenken und nicht nur die Übereinstim-

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Ebd. S. 588 f. Vom ethischen Sinn der Verantwortung, S. 121. Ebd. S. 120. Ebd. S. 122.

45 Max Weber, Der Beruf zur Politik, in: ders.: Soziologie, Weltgeschichtliche Analysen, Politik, S. 173 ff.

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mung einer Handlung mit dem durch sie zu verwirklichenden Ziel, wie er es der Gesinnungsethik unterstellte. Man hat "für die (voraussehbaren) Folgen seines Handelns aufzukomm e n . " ^ Das bedeutete vor allem auch, die zu verfolgenden Zwecke - vorab politische - im Blick auf mögliche nicht gewollte Folgen hin zu prüfen. Weber sah dabei deutlich die immer wiederkehrende Widersprüchlichkeit, daß bejahenswerte Ziele mit bedenklichen oder gar verderblichen Nebenfolgen verfolgt werden; "und keine Ethik der Welt kann ergeben: wann und in welchem Umfang der ethisch gute Zweck die ethisch gefährlichen Mittel mit Nebenfolgen 'heiligt'." 47 Darum befürchtete er, daß die Gesinnungsethik diese Widersprüchlichkeit, die für ihn Ausdruck der "ethische(n) Irrationalität der Welt" war, aufheben und statt dessen eine fragwürdige und bedenkliche »Eindeutigkeit« an deren Stelle setzten könnte. Das mußte nach seinem Verständnis dann aber zu Handlungen führen, die sittlich nicht zu rechtfertigen waren.48 Doch der von Weber beschriebene und als irrational bezeichnete Sachverhalt führte noch zu keiner Lösung der Widersprüche und Konflikte. An ihr besteht darum nach wie vor ein lebhaftes Interesse. Denn wie läßt es sich vermeiden, beispielsweise Frieden durch unfriedliche Gewalt, Freiheit durch Unterdrückung, Wohlstand durch Ausbeutung herzustellen? Ist dafür überhaupt eine moralische Übereinstimmung denkbar, oder bleibt es dabei, daß sie durch keine rationale Methode erreichbar ist? Kommt es dann schließlich nicht doch auf den jeweiligen Erfolg des Machteinsatzes an? Diese Fragen 46 Ebd. S. 175. 47 Ebd. S. 176. 48 Ebd. S. 177.

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bleiben unbeantwortet. Sie werden letztlich an das Individuum als die sie je für sich beantwortende Instanz zurückverwiesen. Die Überwindung der historischen Trennung von Moral und Rationalität wird von ihm aber auch noch nicht als ein eigenes Thema aufgegriffen. Das hat Weber den Vorwurf eingetragen, auch nur eine Geisteshaltung zu repräsentieren, die als "Emotivismus" bezeichnet wird. Darunter versteht man eine Theorie, derzufolge "alle wertenden Urteile oder genauer alle moralischen Urteile nur Ausdruck von Vorlieben, Einstellungen und Gefühlen sind, soweit sie ihrem Wesen nach moralisch oder wertend sind (...]."49 Zu fragen wäre darüber hinaus, ob nicht die Unterscheidung von Gesinnungsethik und Verantwortungsethik inzwischen unscharf geworden ist, nachdem Verantwortung auch in der moralischen Gesinnung eine feste Verankerung gefunden hat. Die Betonung des gemeinschaftlichen Charakters der Verantwortung50 mit der Zielrichtung: strategische Verhinderung von Gefährdungen und Erhaltung des Lebens sowie seiner Möglichkeiten stellt jetzt einen weiteren, bedeutsamen Schritt dar, den Verantwortungsbegriff aus der Beliebigkeit einer rein individualistischen Interpretation herauszuführen. Dies ist aber ein unbestreitbar voraussetzungsvolles Unter-

49 Alasdair Maclntyre, Der Verlust der Tugend, S. 26; vgl. dort auch S. 44 f. 50 Ob diesem Charakter durch Ethikkommissionen oder andere Formen institutionalisierter und vergesellschafteter Verantwortung bereits hinreichend Rechnung getragen werden kann, wie neuerdings wieder Bayertz, a.a.O. S. 206 ff., fordert, muß zweifelhaft bleiben, wenn nicht generell Verantwortung auch als individualethische Forderung beherzigt wird. Andernfalls kann die Vergesellschaftung der Verantwortung auch wieder leicht zum Anlaß für die Flucht aus der Verantwortung werden.

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fangen: Verantwortung verlangt die Ausbildung von Voraussicht und die Fähigkeit zur Folgenabschätzung, um Prozesse in der Gesellschaft so zu steuern, daß Leben wenig oder gar nicht beeinträchtigt wird. Dieses Ziel erfordert das Vermögen, nicht nur Entwicklungen einzuleiten, sondern auch zu beenden, wenn sie die ihnen gesetzten Zwecke zu verfehlen drohen, und Gegenbewegungen zu entwickeln, um eingetretenen Gefährdungen wirksam begegnen zu können. Das alles wirft zudem noch die Frage auf, welche Veränderungen in den Menschen selber, in ihren Weltsichten, Berufsverständnissen, in ihrer moralischen Verhaltensausstattung sowie in ihren Gewohnheiten erfolgen müssen, um die Forderung nach einer gemeinschaftlichen Verantwortung überhaupt erfüllen zu können. Entscheidende Impulse, solchen Fragen nachzugehen, sind dazu vor allem von Hans Jonas ausgegangen.51 Er sieht in der "Verantwortung überhaupt nichts anderes [...] als das moralische Komplement zur ontologischen Verfassung unseres Zeitlich-seins."52 Wenn das aber so ist, dann steht es gar nicht im Belieben des Menschen, ob er verantwortlich sein will oder nicht: er ist es! Und weil zu dem Zeitlich-sein die Dimension der Zukunft gehört, erstreckt sich die Verantwortung dann auch auf diese. Doch nicht in der Weise, daß damit Zukunft im 51 Von seinen Arbeiten seien in diesem Zusammenhang nur erwähnt: Das Prinzip Verantwortung, dort bes. S. 172-242; Philosophische Betrachtungen über Versuche am Menschen, in: Helmut Piechowiak (Hg.), Ethische Probleme der modernen Medizin, S. 105-119; Warum wir heute eine Ethik der Selbstbeschr&nkung brauchen, in: Elisabeth Ströker (Hg.), Ethik der Wissenschaften?, S. 75-86; Technik, Medizin und Ethik; zu Jonas siehe auch Wolfgang E. Müller, Der Begriff der Verantwortung bei Hans Jonas. 52 Das Prinzip Verantwortung, S. 198.

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Sinne ihrer Planbarkeit verfügbar gemacht werden könnte, sondern so, daß auf sie gerichtete Hoffnungen von der auf Erfüllung von Gegenwartsaufgaben konzentrierten praktischen Vernunft gleichsam "als ihrem Kompaß" gefordert werden.53 Seine Auseinandersetzung mit Blochs Hoffnungsphilosophie soll diesen Grundsatz untermauern: Zukunft hat man nicht, indem man sich ihrer dadurch zu bemächtigen versucht, daß man den Exodus aus der Gegenwart vollzieht, sondern daß man das Vermögen des Menschen, sein politisches und wirtschaftliches, aber vor allem auch sein wissenschaftliches und technisches Vermögen so in der Gegenwart einsetzt, daß nach menschlichem Ermessen Leben auch in Zukunft möglich bleibt. Jonas weist überzeugend nach, und die historischen Umbrüche in Osteuropa in den letzten Jahren bestätigen im Grunde seine philosophische Analyse, daß die Utopie, der Bloch folgt, Zukunft geradezu unmöglich macht.54 Um der »Selbstgültigkeit« der Gegenwart willen übt er Kritik an der Utopie, deren historische Bedeutung er im übrigen gar nicht bestreitet. Nur für die Lösung der Gegenwartsprobleme trägt sie s. E. nichts mehr aus. Darum kann er fordern, daß man sich die Utopie, "das unbescheidene Ziel par exellence, [...] aus dem Kopfe schlagen [muß], mehr noch weil schon ihre Anstrebung zur Katastrophe führt, als weil sie auch auf keine in sich lohnende Dauer existieren kann."55 Dem "unbescheidenen Ziel" setzt Jonas die "Ethik der Verantwortung" entgegen, doch wohl in der Erwartung, daß in

53 Vgl. Warum wir heute eine Ethik der Selbstbeschränkungen brauchen, S. 79. 54 Vgl. Das Prinzip Verantwortung, S. 285 ff u. S. 386 ff. 55 Ebd. S. 339.

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dieser Bescheidung ein wirkungsvolleres Handeln auch im Blick auf die Zukunft entbunden wird. Mindestens hegt er die Erwartung, daß auf diese Weise "heute, nach mehreren Jahrhunderten postbaconischer, prometheischer Euphorie (der auch der Marzismus entstammt), dem galoppierenden Vorwärts die Zügel" angelegt werden können. "Insofern andernfalls und wenig später die Natur es auf ihre schrecklich härtere Weise tun würde, wäre dies nicht mehr als kluge Vorsicht, gepaart mit schlichtem Anstand gegen unsere Nachkomm e n . ' ^ Mit diesem deutlichen Hinweis auf die Tugend der Klugheit soll der Blick gleichzeitig auf ein konstruktives Moment gelenkt werden, auf "ein vorwiegend bewahrendes und schützendes Amt", das in der durch die wissenschaftlichtechnische Entwicklung mitgeschaffenen Situation jetzt dem Menschen obliegt. 57 Die so begründete Ethik der Verantwortung läßt allerdings doch noch entscheidende Fragen offen. Es geht dabei keineswegs nur um Fragen der Vermittlung der geforderten Tugend der Klugheit, sondern vor allem ist die Frage aufzuwerfen, ob auch die situativen Rahmenbedingungen - politische und ökonomische Zielsetzungen, ideologische Komponenten, individuelle Gewohnheiten - hinreichend mitreflektiert werden, unter denen sich sowohl die Entwicklung von Technik als auch deren Gebrauch vollzieht. Ob es bereits genügt, "neue Werte für die Welt von morgen" zu f o r m u l i e r e n , 5 8 und ob es ausreicht, um der "Freiheit in der Welt von morgen" willen "Verzichte auf Freiheit" heute zu leisten, wird sich nicht zuletzt 56 Ebd. S. 388. 57 Ebd. S. 389. 58 Technik, Medizin und Ethik, S. 52.

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daran erweisen, welche Änderungen möglicherweise in diesen Rahmenbedingungen vorgenommen werden können, die seinen Forderungen die Durchsetzung zu verweigern scheinen. Das Dunkel, das er noch über dem Problem liegen sieht, "wie der gewaltigen Verantwortung entsprochen werden kann, die der schier unwiderstehliche wissenschaftlich-technische Fortschritt sowohl auf seine Träger wie auf die [...] Allgemeinheit legt", könnte sich erst dann möglicherweise zu lichten beginnend Immerhin ist mit dem Wort »Verzicht« bereits eine Richtung gewiesen, in der weiter gedacht werden muß. Was heißt aber: "Verzicht auf Freiheit"? Dieses Wort hat zunächst eine negative Konnotation. Es steht in engster Nähe zum »Entsagen«. Das aber meint den schmerzlichen Verzicht auf etwas durchaus Liebgewordenes. Er ist mit Überwindung verbunden. Weil es aber schwer ist, etwas Liebgewordenem zu entsagen, bedarf es schon der überzeugenden Gründe, die zur Einsicht führen und so zu der notwendigen Selbstüberwindung motivieren. Es ist darum ebenfalls notwendig, den negativen Beigeschmack des Verzichts als Zwang zu überwinden. Das läßt sich dadurch erreichen, daß der Verzicht als notwendige, positive und konstruktive Bedingung für die Veränderung einer als bedrohlich erfahrenen Situation begriffen wird. In dieser Hinsicht ist er die Konkretion der Klugheit. Nun geht es aber gar nicht allgemein um das Verzichten, sondern sehr spezifisch um den Verzicht auf Freiheiten. In dem hier verhandelten thematischen Zusammenhang ginge es also darum, auf Freiheiten im Umgang mit Technik aus Einsicht zu verzichten. Doch auf welchen Gebieten sollte das der Fall 59 Ebd. S. 108.

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sein? Es kann sich ja nicht um einen generellen Verzicht auf Technik überhaupt handeln. Das hätte, wie schon in anderem Zusammenhang festgestellt, keine Aussicht, Wirklichkeit zu werden. Es kann ebenfalls nicht auf die Freiheit der Forschung verzichtet werden. Denn Forschung ist eine Grundbedingung für das Dasein. Verzicht kann also auch kein Neugierverbot in forscherischer Hinsicht einschließen. Daß Forscher sich allerdings Selbstbeschränkungen auferlegen, indem sie sich beispielsweise Experimente am Menschen versagen, oder indem sie sich an Forschungen für bakteriologische Kriegführung nicht beteiligen, ist eine freiwillige Option, die, wenn sie gewählt wird, die Freiheit der Forschung nicht prinzipiell außer Kraft setzt. Selbstbeschränkung in dem erwähnten Sinn ist vielmehr Ausdruck der Freiheit der Forscherpersönlichkeit. Ein Verzicht auf Freiheit aus Klugheit wird sich in jedem Fall dort nahelegen, wo der Umgang mit Technik zu erkennbaren Beeinträchtigungen, wenn nicht gar Gefährdungen der für die Lebensführung so notwendigen Bedingungen führt. Dazu gehörten, um nur ein Beispiel zu wiederholen, reine Luft und ein gesundes Klima. Schadstoffe, die von Industrieabgasen ebenso stammen wie von Kraftfahrzeugen, schränken jene Bedingung erheblich ein. Es ist ein Gebot der Klugheit und einer mit ihr gepaarten Sensibilität für die Gefährdungen des Daseins, das Klima nicht noch weiter zu belasten, sondern statt dessen alles zu tun, um es intensiv zu entlasten. Der Verzicht auf Freiheit kann in diesem Falle also dazu führen, auf den Gebrauch von Kraftfahrzeugen wenigstens temporär zu verzichten und im übrigen durch Gesetze die Ausrüstung nicht nur der Kraftfahrzeuge, sondern vor allem der Indu-

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strieanlagen und Kraftwerke mit Schadstoffausstoß vermindernden Techniken zwingend vorzuschreiben. Das kann durchaus zu zeitweiligem Verzicht auf erhöhten Gewinn oder Bequemlichkeit führen. Führt man solche und gleichgeartete Überlegungen weiter, dann wird auch erkennbar, daß Verzicht auf Freiheit im Umgang mit Technik eine spezifische Weise der Wahrnehmung von Verantwortung ist. Darüber hinaus aber kommt auch im Verzicht der ethische Sinn von Freiheit zur Geltung. Ihm steht die Technik nicht im Wege. Denn ihr Sinn ist es ja, wie Ortega y Gasset bereits 1939 sichtbar gemacht hat, "dem Menschen die Freiheit zu geben, er selbst sein zu können."60 Technik macht folglich ein in freier Selbstbestimmung geführtes Leben nicht unmöglich. Die freie Selbstbestimmung schließt aber ebenfalls den Verzicht als Akt der Klugheit nicht aus. Darüber hinaus kann sich schließlich der Verzicht als Akt freier Selbstbestimmung möglicherweise als ein wirksamer Weg erweisen, die vielbeklagten technologischen Zwänge, deren entfremdender Charakter hinreichend oft kritisiert worden ist, einzuschränken.

Humanität als Orientierungsgröße Die hier erörterte Frage, an welchen Größen sich der Umgang mit Technik orientieren soll, führt dazu, abschließend noch auf den Gedanken der Humanität einzugehen, dem in den hier diskutierten Zusammenhängen ebenfalls Überlegungen gewidmet werden. 60 Signale unserer Zeit, S. 475.

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Humanität als Orientierungsgröße

Der Versuch, ein allgemeines Interesse in bezug auf die Gestaltung der Lebenswelt zu formulieren, führte dazu, Humanismus und Humanität als Leitziele mit höchster Priorität zu versehen. Humanität gilt darüber hinaus als Voraussetzung dafür, "daß der Mensch die nächsten Jahrhunderte überlebt", indem er vor allem sein "Wissen um die Voraussetzungen unserer eigenen Existenz in den Dienst eines menschlichen Lebens" stellt. 6 1 Wahres Menschentum zeichnet sich demnach durch Vernunft aus. 6 2 Und mit direktem Bezug zur Begründung einer zeitgerechten Ethik heißt es dann, daß sie "nur die Leistung einer humanen Vernunft" sein kann, "d. h. die Leistung des Menschen, der kraft seiner Einsicht sein Leben und Überleben sinnvoll zu planen vermag und darob die Humanität nicht vergißt [...]."63 Im Blick auf Technik wird die Erwartung gehegt, daß sie als Vernunftleistung des Menschen einer Humanisierung der Lebens- und Arbeitswelt durchaus Möglichkeiten eröffnet. 64 Die Begriffe »Humanität« und »Humanismus« sind jedoch bei weitem nicht so eindeutig, wie es ihre häufige Verwendung erscheinen läßt. Reicht beispielsweise die Verbindung von humanum und Vernunft bereits aus, um präzise auszudrücken, was es mit Humanität auf sich hat? Dies wäre möglich, wenn Vernunft in der Politik, in der Wirtschaft und auch im Bereich der Technik nicht ebenfalls zur beabsichtigten oder unbeabsichtigten Verletzung der Humanität dienen müßte. Daraus kann aber nur gefolgert werden, daß es noch

61 Franz Wuketits, Evolution, Erkenntnis, Ethik, S. 5. 62 Ebd. S. 89u.ö. 63 Ebd. S. 187. 64 Vgl. dazu Hans Sachsse, Ökologische Philosophie, S. 43 ff.

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anderer Bestimmungsgrößen bedarf, um angemessener zu erfassen, was von dem Begriff »Humanität« umfaßt wird. Doch die Durchführung dieser Absicht trifft auf weitere Schwierigkeiten. Es läßt sich ja nicht übersehen, daß es eine Vielzahl von Interpretationen gibt. Man spricht von: "pragmatischer, technischer, nationaler, moderner, realer, sozialer, sozialistischer, existenzialistischer, personaler, christlicher" Humanität. 6 5 Für diese Spielarten gilt aber, daß sie oft nur noch in einem losen Zusammenhang mit der ursprünglichen Bedeutung stehen. Diese bezieht sich vor allem darauf, das human im Hinblick auf die Persönlichkeit und ihre Bildung gebraucht wird. Von der allseitig durchgebildeten Persönlichkeit wird erwartet, daß sie der Bestimmung des Menschen am nächsten kommt und damit die Verwirklichung des Menschheitsideals überhaupt vorantreibt. Aber die Konzentration auf das geistige Leben und die dadurch erfolgte Ausgrenzung von Politik, Wirtschaft und Technik führte zu einer massiven Kritik des Bildungshumanismus, wie sie nachhaltig beispielsweise von K. Marx geübt worden ist. 66 Unbeschadet aller Kritik hat sich der Begriff »Humanität« dann aber doch ganz bestimmte, vor allem aus seiner lateinischen Tradition stammende Konnotationen bewahrt. So verbinden sich mit ihm beispielsweise: Edelmut, Ehrbarkeit, Güte, Milde, Menschenfreundlichkeit. Er umgreift folglich alle "geistigen Normen und praktischen Verhaltensweisen, die den Menschen zum Menschen machen." 6 ? Das, was den Menschen zum Menschen macht, kann indessen nicht von der realen Lebenswelt, also

65 Art.: Humanismus, Humanität, HWP Bd. 3, Sp. 1217. 66 Vgl. ebd. Sp. 1218 fT. 67 Art: Humanität, HWP Bd. 3, Sp. 1231.

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von Staat, Gesellschaft, Wirtschaft, Kultur getrennt gesehen werden. Aus diesem Sachverhalt hat Arthur Rieh die Konsequenz gezogen, Humanität als Mühe um das Menschengerechte in der Lebenswelt zu bestimmen.68 Damit erweiterte er zugleich den Bestimmungsrahmen für das, was als Humanität zu kennzeichnen ist. Den Grund dafür sucht er im christlichen Glauben, dort also, "wo der Mensch sein Dasein nicht in sich selbst, sondern in seinem Schöpfer begründet weiß".69 In diesem Glauben erfährt sich der Mensch "zu einem Leben in der Freiheit tätiger, schöpferischer und kritischer Verantwortung" berufen.70 Die umfassende Beschreibung für ein solches Leben aber ist: Dienst am Recht des Mitmenschen, das unter den von den gesellschaftlichen Verhältnissen gebildeten Bedingungen gesucht wird.? 2 Weil und insofern menschliches Dasein zudem nicht anders als auch immer in Bezogenheit auf die Umwelt geführt werden kann, muß die Befolgung des Prinzips des Menschengerechten deren Belange mit berücksichtigen.73 Rieh weist in diesem Zusammenhang aber auch zu Recht auf die Gefahren eines neu aufkommenden Naturromantizismus hin, der übersehen läßt, daß menschliche Lebensführung auf die Indienstnahme der Natur nicht verzichten kann. Sie kann aber nur als gerechtfertigt gelten, solange die Natur nicht überfordert oder gar vergewaltigt wird. Der Umgang mit ihr setzt darum voraus, daß jeder

68 Vgl. Wirtschaftsethik Bd. 1, S. 172-221. 69 Ebd. S. 178. 70 Ebd. S. 179. 71 Vgl. ebd. S. 187. 72 Vgl. ebd. S. 201 ff. 73 Vgl. ebd. S. 193 ff.

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Indienstnahme das Verstehen dessen vorausgeht, was man billigerweise der Natur abverlangen darf. Technik geht, wie Hans Sachsse wieder deutlich gemacht hat, aus solchem Verstehenspropzeß h e r v o r . 7 4 Als eine weitere Bestimmungsgröße, mit deren Hilfe Humanität in ihrem Bedeutungsgehalt erfaßt werden kann, hat Martin Honecker die »Menschenwürde« genannt. 75 Er macht kenntlich, daß Humanität zur Achtung der Menschenwürde ständig herausfordert. Sie verlangt vor allem, in einem kommunikativen Prozeß unter Beteiligten sich darüber zu verständigen, was unter jeweiligen situativen Bedingungen als menschenwürdig anzuerkennen ist. Mit Recht wird darüber hinaus in diesem Zusammenhang Sensibilität für die Verletzbarkeit der Menschenwürde verlangt.76 Die Benennung von Orientierungsgrößen für den Umgang mit Technik hat nur das eine Ziel, eine Überprüfung und, falls erforderlich, auch eine Revision der das je eigene Handeln bestimmenden Normensysteme anzuregen. Die Ethik bewährt sich in dieser Hinsicht als Dialogpartner, indem sie eben nicht als eine "anweisende" Instanz auftritt. Ihr kann nur daran gelegen sein, daß ihre Anregungen aufgenommen und bedacht werden. Eines ist dabei allerdings unausbleiblich: Das bloße Spezialistentum und bloße Einzelzwecksetzungen werden auf jene Bereiche hin transzendiert, die durch Spezialisierungen aus dem Blick geraten. Die Technikethik rät, sie wieder in den Blick zu nehmen und dies aus keinem anderen Grund, als der Technik ihre lebensdienliche kompensatorische Funktion 74 Ökologische Philosophie, S. 22 ff. 75 Einführung in die theologische Ethik, S. 192 ff. 76 Vgl. ebd. S. 195.

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zu erhalten. Sie wird beeinträchtigt, wenn die angestrebte Lösung eines Einzelproblems sich abträglich in den Lebensbereichen auswirkt, die mit dem Problem selber in überhaupt keinem direkten Zusammenhang stehen. Mit diesem Hinweis ist dann bereits der Schritt getan, sich einem anderen Gegenstandsbereich zuzuwenden, der nicht minder stark in den gegenwärtigen Erörterungen über Technik bedacht wird.

Technik als Kulturfaktor Im folgenden geht es um eine Thematik, die in den letzten Jahrzehnten immer wieder diskutiert worden ist: In welcher Beziehung stehen Kultur und Technik? Seit der Kulturkritik des frühen 20. Jahrhunderts hat sich die Meinung hartnäckig gehalten, daß zwischen Kultur und Technik mehr Gegensätze als harmonisches Miteinander vorherrschend sind. Es ist nicht auszuschließen, daß darin auch eine gewisse Enttäuschung ihren Niederschlag findet. Die technische Entwicklung hatte eben nicht der Erwartung entsprochen, daß mit ihr zwangsläufig auch eine Höherentwicklung der Menschheit einhergehen werde.1 Gefragt worden war indessen auch gar nicht, ob sie diese Erwartung je hätte befriedigen können. Insofern korrigierte die Geschichte jetzt, was sich als offenkundige Illusion erwiesen hatte. Doch damit war das Thema: Kultur und Technik noch keineswegs erledigt. Allem Gegensätzlichen zum Trotz hat es bis in die unmittelbare Gegenwart hinein die Frage wachgehalten, auf welche Weise sich Kultur und Technik aneinander vermitteln lassen. 2 Bestimmte, auch heute noch beachtenswerte Sichtweisen sind unter anderem in den kritischen Auseinandersetzungen 1

Dieser Aspekt wird von Herbert Lüthy, Geschichte und Fortschritt, in: Rudolf W. Meyer (Hg.), Das Problem des Fortschritts - heute, Darmstadt 1969, S. 1-28, eingehend behandelt.

2

Siehe dazu Egbert Schuurman, Reflections on the Technological Society, Jordan Station, Ontario/Can., 2. Aufl. 1983.

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Die Kulturaufgabe

mit der modernen Zivilisationsentwicklung im frühen 20. Jahrhundert ausgebildet worden. Daran hat neben anderen vor allem auch Albert Schweitzer einen bedeutenden Anteil gehabt. Seine Argumente finden gerade in unseren Tagen wieder ein aufmerksames Gehör.

Die Kulturaufgabe Sein Urteil über die Lage des Menschen in der Moderne ist von erheblicher Schärfe. 3 Er charakterisiert sie folgendermaßen: "Ein Unfreier, ein Ungesammelter, ein Unvollständiger, ein sich in Humanitätslosigkeit Verlierender, ein seine geistige Selbständigkeit und sein moralisches Urteil an die organisierte Gesellschaft Preisgebender, ein in jeder Hinsicht Hemmungen der Kulturgesinnung Erfahrender: so zog der moderne Mensch seinen dunklen Weg in dunkler Zeit."4 Es wäre falsch, diese Aussage lediglich als Ausdruck eines tiefen Kulturpessimismus anzusehen und nicht auch hinter der Kritik das humanitäre Pathos eines aufgeklärten, den Fortschritt bejahenden Denkens wahrzunehmen, dem es wesentlich darum geht, daß "das Sein höher als das Nichts" gestellt "und so die Welt und das Leben als etwas an sich Wertvolles" bejaht wird. "Aus diesem Verhältnis zur Welt und zum Leben ergibt sich der Trieb, das Sein, soweit es von uns beeinflußbar ist, auf seinen höchsten Wert zu bringen. Daraus entsteht dann die auf die Verbesserung der Lebensverhältnisse 3 4

Vgl.: Verfall und Wiederaufbau der Kultur, bes. S. 9 ff. Ebd. S. 19 f.

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des Einzelnen, der Gesellschaft, der Völker und der Menschheit gerichtete Tätigkeit, aus der sich die äußeren Kulturerrungenschaften, die Herrschaft des Geistes über die Naturkräfte und die höhere soziale Organisation, ergeben."5 Darüber hinaus tritt an der Kritik Schweitzers aber noch ein weiterer Zug hervor, der in besonderem Maße Aufmerksamkeit verdient. Er macht nämlich darauf aufmerksam, daß es eines bestimmten Ethos bedarf, um sich als freier und denkender Mensch zu bewähren. In einem, allerdings mehr skizzenhaften Überblick über die philosophiegeschichtliche Entwicklung untermauert er seine Forderung. 6 Dabei setzt er sich zugleich mit dem positivistischen Wirklichkeitsverständnis auf der einen und mit einem auf das bloße Registrieren von historischen Ereignissen beschränkten Geschichtssinn auf der anderen Seite auseinander.? Beides hält er im Blick auf die Gegenwartsaufgaben, an denen sich der Mensch zu bewähren hat, indem er "um die Ideale, auf denen unsere Kultur beruht" 8 , kämpft, für schlechterdings nicht ausreichend. Denn die positivistische Sicht der Wirklichkeit enthält noch keine Angaben, für welche Ziele der Mensch seine Energien einsetzen soll, um die Entwicklung in einer dem Menschsein des Menschen förderlichen Weise zu steuern. Seinen Einwand formuliert er in folgender Aussage: "Da uns die zielbewußte Absicht auf ein zu verwirklichendes Ganzes fehlt, fällt unsere Aktivität unter den Begriff des Naturgeschehens. [...] In vernunftlosester Weise reagieren wir auf die Tatsachen. Ohne

5

Ebd. S. 57.

6

Vgl. ebd., S. 2 ff.

7

Ebd. S. 24 ff.

8

Ebd. S. 7.

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Die Kulturaufgabe

Plan und Fundament bauen wir unsere Zukunft in die Verhältnisse hinein und setzen sie der zerstörenden Wirkung der chaotischen Verschiebungen aus, die in diesen auftreten."9 Die historische Sicht genügt deswegen nicht, weil sie alles Gegenwärtige bereits im Vergangenen sucht und darüber die aus der Eigenart der Gegenwart hervorgehenden Aufgaben übersieht. "Die Faszination durch die früheren Ereignisse wird zur Religion erhoben. Geblendet von dem, was als gewesen von uns angesehen oder ausgegeben wird, verlieren wir den Blick für das, was werden soll [...] wie wir durch unseren Wirklichkeitssinn in den gegenwärtigen Ereignissen versinken, so durch unseren geschichtlichen in den vergangenen."! 0 Dem hält Schweitzer nun entgegen, daß der Mensch in je seiner geschichtlichen Gegenwart herausgefordert ist, die von ihm entdeckten und entbundenen Kräfte auf ein Ziel hin zu lenken, statt sie ungesteuert sich entwickeln zu lassen im Glauben, eine unsichtbare Hand werde sie schon so leiten, daß am Ende eine harmonische Welt steht. "Der wahre Wirklichkeitssinn besteht in der Einsicht, daß wir allein durch ethische Vernunftideale in ein normales Verhältnis zur Wirklichkeit kommen. Nur durch sie gewinnen der Mensch und die Gesellschaft so viel Macht über das Geschehen, als sie besitzen können. Ohne sie sind wir, wir mögen tun, was wir wollen, dem Geschehen ausgeliefert." 11 Der Begriff »ethisches Vernunftideal« verlangt jedoch eine Erläuterung. In unserem Sprachschatz kommt er kaum noch vor. Die Frage ist darum, ob damit etwas gemeint ist, was 9

Ebd. S. 26.

10 Ebd. S. 28 f. 11 Ebd. S. 36.

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auch für die gegenwärtige Generation noch relevant sein kann. Folgt man der Argumentation Schweitzers, dann werden durch diesen Begriff zwei Momente miteinander verbunden. Das Adjektiv »ethisch« meint einerseits die in ihrem Handeln von »Gesinnung« bestimmte Person. »Gesinnung« aber ist der Ort reflektierter Bindungen gerade auch an das Prinzip Freiheit und an den Umgang mit ihr. Andererseits ist das Adjektiv »ethisch« auf den Entwurf dessen bezogen, woraufhin ein sittliches Handeln erfolgen soll. Für dieses Woraufhin, an das sich das Individuum gesinnungshaft bindet, wird Rationalität beansprucht, d.h. im wesentlichen Allgemeinheit, Begründbarkeit und Vermittelbarkeit. So kann er die Aussage formulieren: "Nur die Gesinnung, in der ethische Vernunftsideale wirksam sind, ist fähig, ein freies, das heißt ein planvollzweckmäßiges Handeln hervorzubringen."^ Aber diese Aussage zeigt auch, daß die Gesinnung selbst noch keine ausreichende ethische Qualifikation besitzt. Diese erhält sie vielmehr erst dort, wo die "Herrschaft der Vernunft über die Gesinnungen" besteht. Darunter versteht Schweitzer, "daß die Einzelnen und die Kollektivitäten ihr Wollen durch das materielle und geistige Wohl des Ganzen und der Vielen bestimmt sein lassen, das heißt ethisch sind."!3 Das, was mit dem Begriff »ethisches Vernunftideal« umgriffen werden soll, weist, wie die Argumentationsweise zeigt, auf jene Erscheinung zurück, der die geschichtliche Entwicklung der Neuzeit ein so hohes Maß an immer wieder neuen Anregungen verdankt: die Aufklärung. Mit den in ihrem Rah12 Ebd. S. 25. 13 Ebd. S. 22.

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Die Kulturaufgabe

men ausgebildeten Vernunftidealen, also den rationalen Entwürfen und Begründungen von Zielen, auf die hin sich das individuelle Handeln auszurichten hat, wenn es den Anspruch auf Kultiviertheit und Sittlichkeit erheben will, setzt Schweitzer sich auseinander. Denn er sieht in ihnen verbindlich ausgedrückt, was "die Entwicklung des Einzelnen zum wahren Menschentum [...] seine Stellung in der Gesellschaft, [...] deren materielle und geistige Aufgaben, [...] das Verhalten der Völker zueinander und ihr Aufgehen in einer durch die höchsten, geistigen Ziele geeinten Menschheit" angeht. Es ist schließlich die "Ehrfurcht vor der Wahrheit", die Schweitzer, trotz aller im einzelnen auch von ihm als berechtigt angesehenen Kritik an der Aufklärung, am Rationalismus festhalten läßt.15 Dessen ungeachtet aber erspart Schweitzer dem erreichten Zustand der Zivilisation nicht den Vorwurf, im Grunde das angestrebte Ziel der menschheitlichen Entwicklung verfehlt zu haben. Der Fortschritt hat nur auflösend gewirkt. Es fehlte eine richtungsweisende Zielangabe, die neben dem wissenschaftlichen und technischen Verstand gerade auch humanitäre Energien hätte entwickeln helfen. Diesem Defizit will er mit einer Überlegung zur »Weltanschauung« begegnen. Die Weise, in der eine Zeit ihren Bezug zu den Vernunftidealen ausdrückt und darin zugleich ihr Selbstverständnis, nennt Schweitzer »Weltanschauung«. Dieser, seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert außerordentlich belastete, weil mit dem ständigen Vorwurf der Wirklichkeitsverschätzung versehene Begriff, wird hier in einer neuen positiven Bedeutung 14 Ebd. S. 2. 15 Ebd. S. 53.

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gesehen. Denn nach Schweitzer ist es geradezu die "große Aufgabe des Geistes [...], Weltanschauung zu schaffen. In ihrer Weltanschauung sind die Ideen, Gesinnungen und Taten einer Zeit begründet." 16 Damit rückt die »Weltanschauung« in die Nähe einer »Theorie der Zeit«. Sie wird als 'Inbegriff der Gedanken" bezeichnet, "die die Gesellschaft und der Einzelne über Wesen und Zweck der Welt und über Stellung und Bestimmung der Menschheit und des Menschen in ihr in sich bewegen."i? Solche Zusammenschau wird Theorie genannt, auch wenn die ursprüngliche Bedeutung des griechischen Wortes darin nicht mehr zu erkennen ist. Dennoch hat »Weltanschauung« hier nicht den Charakter des Totalen. Sie stellt nicht eine theoretische Grundlage für Weltbemächtigung und Weltbeherrschung dar. Ebensowenig intendiert sie die Umwandlung der Erde in ein Paradies. Der Theologe Schweitzer wußte sich von solchen, in der Moderne durchaus immer wieder angestellten Überlegungen durch seinen Glauben an die Unverfügbarkeit des Gottesreiches für den Menschen geschieden. Mit einer so begrifflich abgeklärten »Weltanschauung« meinte Schweitzer aber dem Kulturverfall wirkungsvoll begegnen zu können.18 Sie für die Zeit des 20. Jahrhunderts neu zu entwickeln, stellt für ihn darum die eigentliche Bildungsaufgabe dar. Oder anders ausgedrückt: Im Überdenken der eigenen Lage gilt es Rechenschaft abzulegen über das, was geschehen ist und was darin die treibenden Kräfte gewesen sind. Darauf sind sodann diejenigen Ziele zu entwerfen und 16 Ebd., S. 49. 17 Ebd. 18 Vgl. ebd. S. 58 ff.

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die Energien auf ihre Verwirklichung zu konzentrieren, von denen der Mensch erhoffen darf, daß er, im Streben nach ihnen, seiner menschlichen Aufgabe gerecht wird. "Die Zukunft der Kultur hängt also davon ab, ob es dem Denken möglich ist, zu einer Weltanschauung zu gelangen, die den Optimismus, das heißt die Welt- und Lebensbejahung und die Ethik sicherer und elementarer besitzt als die bisherigen."19 Allerdings läßt sich zunächst nicht übersehen, daß sich mit dem Begriff Kultur ein durchaus vielschichtiger und kontrovers interpretierter Sachverhalt verbindet. In der Kulturphilosophie des frühen 20. Jahrhunderts wird Kultur als der in der Welt gegenständlich gewordene menschliche Geist begriffen. Er gibt sich darin als der seine Welt Entwerfende seinen Ausdruck. Zugleich wird daran aber auch sichtbar, als was sich der Mensch im Rahmen einer kosmischen Ordnung begreift: als der nämlich, der die Dinge ins Sein ruft und damit zu seinem Selbst gelangt. Religion, Kunst, Wissenschaft, Bildung, Wirtschaft und Politik stehen von dort her in engem Zusammenhang mit der Kultur. Georg Simmel hat sie das "große Unternehmen des Geistes" g e n a n n t . 2 0 Es geht aus den immerwährenden Bemühungen des Menschen hervor, einen Gegensatz zu überwinden, in dem er zur Welt steht. Erst mittels der Kultur findet er zu sich selbst und zu seinem Ort in der Welt. Die Kultur ist der nun aufgehobene Gegensatz. 21 In den sozialwissenschaftlichen Erörterungen zur Kultur, die vornehmlich im Rahmen von Institutionentheorien erfolgen, wird Kultur ebenfalls als der vom Menschen geschaffene 19 Ebd. S. 58. 20 Philosophische Kultur, Leipzig, 1911, S. 277. 21 Ebd. S. 245-277.

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Lebensraum verstanden. Besonders hervorgehoben werden aber die von ihr ausgehenden, den Menschen disziplinierenden und sein Handeln normierenden Einflüsse. "Kultur ist die Gesamtheit der Handlungsregeln, Wertmaßstäbe und Sinnvorstellungen, der Kenntnisse, Überzeugungen, Geschmacksrichtungen und Vorurteile, die für eine (Klein- oder Groß-) Gruppe eigentümlich ist und die durch die Teilnahme am Leben dieser Gruppe ermöglicht wird."22 In diesem Sinne ist dann Kultur die Kodifikation des moralisch Erlaubten und damit die Festsetzung dessen, was als unerlaubt, was als anständig oder als unanständig gilt. "Die Kultur ist", so urteilt schließlich auch Arnold Gehlen, "das Unwahrscheinliche, nämlich das Recht, die Gesittung, die Disziplin, die Hegemonie des Moralischen."23 Kodifikationen dieser Art sind für das Überleben menschlicher Lebensgemeinschaften unerläßlich. 24 Ihnen eignet auf der anderen Seite darum der Charakter eines Zwanges, der sich auf das Individuum sowie auf kollektive Größen erstreckt. Sie sehen sich Einschränkungen unterworfen, die verhindern sollen, daß das Gleichgewicht im Zusammenleben der Gemeinschaften nachhaltig gestört wird. Mit der Kultur legt sich der Mensch Verzichtleistungen auf. Durch Freuds Arbeiten ist vor allem der Triebverzicht zu einer bekannten Form der Einschränkung geworden. "Allgemein gilt, daß die Kultur nicht das Schlaraffenland der kindlichen Phantasie

22 So Ottfried Höffe: Ordnungsbedürftigkeit und Zukunftsoffenheit des Handelns, S. 254, im Anschluß an Malinowski. 23 Anthropologische Forschung, S. 60. 24 Dies hat Arnold Gehlen: Urmensch und Spätkultur, S. 231 ff., nachgewiesen.

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sein kann, sondern vielmehr in hohen Maße auf Triebverzicht aufgebaut ist, daß sie gerade die Nichtbefriedigung, die Unterdrückung und Verdrängung von mächtigen Trieben zur Voraussetzung hat."25 Durch zwangsweise (regressive) Einschränkungen entsteht allerdings eine Konfliktsituation. Der einzelne empfindet gegenüber der Kultur ein aus seiner Einschränkung erwachsendes Unbehagen. Steigert sich dieses, dann kann das z u A u f l e h n u n g e n führen.26

In diesem Gesamtkontext ist dann auch die Bedeutung der Technik für die Kultur erörtert worden. Sowohl die wissenschaftlichen Anstrengungen als auch die technischen Entwicklungen gelten als entscheidende Faktoren in der Konstruktion der Natur "als eine(r) Ordnung nach Gesetzen".27 Vorab die Technik wird so mit dem "bedeutenden menschlichen Auftrag" versehen, Kultur als Grundvoraussetzung für ein "gepflegtes Dasein" zu ermöglichen, das selbst wieder durch die Führung eines menschenwürdigen Lebens qualifiziert ist.28 Kultur als gestalteter Lebensraum, als Konstruktion einer Ordnung nach menschlichem Willen und menschlicher Vorstellung - die 'nature artificielle' - ist danach eine für die Entwicklung und Entfaltung von Lebensformen unerläßliche Bedingung. Der Mensch muß sich die Wirklichkeit im25 Ottfried Höffe: Politik und Glück, S. 927; sehr schön kommt dieser Aspekt auch bei Norbert Elias: Über den Prozeß der Zivilisation, 2. Bd., bes. S. 316 ff., zum Tragen. 26 Auf diesen Konflikt macht Simmel, a.a.O., S. 261, aufmerksam. Vgl. aber auch Höffe, a.a.O., S. 927 und Gehlen, a.a.O., S. 59 f. 27 Wilhelm Dilthey: Der Aufbau der geschichtlichen Welt in den Geisteswissenschaften (1907), Ges. Sehr. VII, S. 83. 28 Wolfgang Schadewaldt: Die Anforderungen der Technik an die Geisteswissenschaften, S. 10 f.

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mer erst schaffen, in der er zu leben vermag. Kultur als diese Wirklichkeit enthält so stets auch einen »Entlastungseffekt«. Sie vermittelt darüber hinaus das Gefühl, behaust zu sein. Heute entdeckt man jedoch, daß darin zugleich auch immer Gefährdungspotentiale mitgeschaffen werden. Doch dies ist nur die eine Seite. Auf der anderen Seite sind es Wissenschaft und Technik, die zu einer ständigen Ausweitung der Handlungsmöglichkeiten führen. Daraus geht ein besonderer Konflikt hervor. Kultur ist über den gestalteten Lebensraum hinaus stets auch ein Ensemble von Mustern, mit deren Hilfe zum einen Informationen aus der umgebenden Welt entschlüsselt und gedeutet werden. Zum anderen werden durch sie Handlungsmuster vermittelt, an denen sich individuelles Handeln orientiert. 29 Wissenschaftliche Forschung bedeutet dagegen eine ständige Erweiterung der Kenntnisse über die umgebende Welt und damit eine Korrektur oder gar Zerstörung überlieferter kultureller Deutungsmuster. Technik ihrerseits stellt eine ständige Erweiterung des Handlungsspielraums dar und führt so zu einer Korrektur oder Zerstörung überlieferter Handlungsmuster. Eine aus dem gestalteten Lebensraum dem Menschen zugewachsene Vertrautheit und Sicherheit im Umgang mit der Welt wird dadurch zwangsläufig immer wieder erschüttert. Das Neue tritt als Fremdes, ja als Bedrohliches auf. Die Anpassung der Deutungs- und Handlungsmuster an die neue Situation vollzieht sich dagegen, wenn überhaupt, langsam. Das vielzitierte Schlagwort vom Menschen als »weltoffenem« Wesen kann je29 Einen guten Überblick über den Stand der Informations- und Kommunikationstheorie vermittelt immer noch das im Umschau Verlag, Frankfurt/M. 1973, unter dem Titel: Kommunikation veröffentlichte Sonderheft von »Scientific American«.

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denfalls nicht eine unbegrenzte Anpassungsfähigkeit meinen, die sich zudem noch mit der gleichen Geschwindigkeit aktualisiert, mit der Deutungs- und Handlungsmuster überholt werden.30 Ein weiterer Kritikpunkt gegenüber der wissenschaftlichtechnischen Zuvilisation besteht darin, daß die in der modernen Wissenschaftsentwicklung vollzogene Zuwendung zu den bloßen Tatsachen, der Positivismus im weitesten Sinne, zu der Befürchtung Anlaß gibt, daß die Ideale, denen die neuzeitliche Kultur Ausdruck verleihen sollte, verlorenzugehen drohen.3i Damit verschwänden aber auch Ziele, auf deren Verwirklichung alle sittliche Energie gerichtet sein sollte. Gegenwärtig wird noch ein weiterer Vorwurf gegen die wissenschaftlich-technische Welt erhoben: Sie wird im Extremfall der Inhumanität, ja der Lebensfeindlichkeit schlechthin bezichtigt. Damit ist der Gegensatz von Kultur und Technik auf seine äußerste Zuspitzung gebracht. Im Hintergrund steht dabei ebenfalls die Vorstellung eines zur Struktur verfestigten Gegensatzes von Mensch und Technik, der eine Depersonalisierung im Gefolge hat.32 Was indessen den Charakter eines Schicksals zu besitzen scheint: der der Technik unterworfene Mensch, der widerstandslos von ihr sein Leben

30 In seiner Vorlesung über: "Endlichkeit und Unendlichkeit der Zeit", in: Marxismus ohne Dogma - Naturwissenschaft und Weltanschauung, 1964, S. 63 fT., hat Robert Havemann nachdrücklich auf den Umstand hingewiesen, daß es außerordentlich schwierig ist, überhaupt solche Anpassungsvorgänge zeitlich exakt zu erfassen. 31 So etwa Simmel, a.a.O., S. 270 ff. Diese Sicht findet sich auch bei Helmut Schelsky, Der Mensch in der wissenchaftlichen Zivilisation. In: ders.: Auf der Suche nach der Wirklichkeit, S. 444 ff. 32 Vgl. dazu die kritische Betrachtung von Egbert Schuurman, Technology and the Future, S. 36 ff.

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formen und verändern lassen m u ß , 3 3 erweist sich bei differenzierter Betrachtung als eine Entscheidung des Menschen selber. Er hat sich in dem Prozeß Technik miteingeplant, indem er sich selber als Funktionselement zum Bestandteil ihres Fortschritts machte. Darüber wurde aber vergessen, daß die Technik ein menschliches Phänomen ist, vom Menschen geschaffen, ihn zu entlasten, aber nicht den Sinn seines Daseins zu bestimmen. Schließlich steht sich der Mensch "in der Selbstvernichtung seiner Welt ausschließlich sich gegenüber. Dies ist gewiß kein erhebender Anblick, aber doch der Augenblick der Wahrheit, in dem wir das Wesen des Menschen und seine Rolle im Kosmos b e g r e i f e n . " 3 4 Hier ist der Grund dafür zu suchen, daß, wie es der Psychologe v. Uslar formuliert, "die Technik als ein menschliches Phänomen zu durchschauen und dadurch die Unabhängigkeit des Menschen von ihr zu gewährleisten i s t . " 3 5 Das bedeutet vor allem, daß mit der Planung und Entwicklung von Technik der Mensch sich nicht gleichzeitig auch zu einem Gegenstand dieser Planung machen darf. Die bloße Anklage gegen die Technik, sie sei inhuman, reicht folglich nicht aus, um dem Problem beizukommen. Vielmehr gilt es durch sie und ähnlich geartete Vorwürfe hindurchzustoßen, um auf den Kern des Problems zu kommen: den sich von seiner Rolle als verantwortlicher Schöpfer der Technik zurückgezogen habenden Menschen, der sich mit der minderen Rolle eines ihre Entlastungen und Gewährung 33 Siehe dazu E. Schuurmann, A Christian Philosophical Perspective on Technology, in: Carl Mitcham and Jim Grote (Hg.), Theology and Technology, S. 114. 34 Wolfgang Schirmacher, Ereignis Technik, Wien 1990, S. 36. 35 Psychologie und Technik, in: Rudolf W. Meyer (Hg.), Das Problem des Fortschritts - heute, S. 101.

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Die Kulturaufgabe

von Lebensvorzügen Genießenden zufriedengab. Die Frage nach der Beziehung von Kultur und Technik hat aber die Frage nach dem verantwortlichen Schöpfer zum Inhalt, nach demjenigen also, der sich nicht hinter die vermeintlich unabänderlichen Sachgesetzlichkeiten einer Entwicklung zurückgezogen hat, sondern der Technik ständig an Kultur als "gepflegtes Dasein" vermitteln und in sie integrieren k a n n . 3 6 Die Leistung einer kritischen Betrachtung des gewordenen Verhältnisses zwischen Kultur und Technik besteht darin, daß sie die spannungsvolle Lage aufgedeckt hat, in der sich die Kulturentwicklung befindet. Sie hat den Enthusiasmus des Fortschrittsglaubens problematisiert und die Leistungen von Wissenschaft und Technik relativiert. Sie hat zugleich aber auch die Lage selber als Herausforderung an den Menschen zu neuen Kulturleistungen begreifen gelehrt. Der Ruf: "Zurück zur Kultur" - zunächst gegen einen rousseauistischen Kulturpessimismus gewendet - drückt diese Seite der Kulturkritik in prinzipieller Hinsicht aus.37 Kultur, so ließe sich das Ergebnis summarisch zusammenfassen, ist für die Pflege des Daseins notwendig, aber sie ist kein sicherer Bestand, sondern bleibt eine ständige Aufgabe. Mit ihr ist freilich auch eine Veränderung im Verständnis der Rolle der Ratio verbunden. Es wird jedenfalls als zunehmend problematisch empfunden, der instrumentalen, allein auf Wissenschaft und Technik sich stützenden Vernunft zuzutrauen, sie werde ohne Berücksichtigung der sittlichen Ver-

36 Diesen Aspekt hebt ebenfalls E. Schuurman, Technology and the Future, S. 327 ff., hervor, den er von einem betont christlichen Ansatz her beleuchtet. 37 Arnold Gehlen: Anthropologische Forschung, S. 59 f.

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nunft Kultur schaffen. Denn die tröstliche Gewißheit der Aufklärung, daß die Vernunft sich ständig höher entwickeln werde, ist im 20. Jahrhundert nachhaltig erschüttert worden.

Kultur und Ethik Die wissenschaftlich-technische Zivilisation muß indessen kein Störfaktor sein. Ihre Integration in Kultur verleiht ihr durchaus die Möglichkeit, zur Pflege des Daseins beizutragen und damit dem Leben jenes Maß an Kontinuität, Geborgenheit und Vertrauen in seine tragenden Kräfte wiederzugeben, ohne das es nicht bestehen kann. Die Technik in neue Deutungs- und Handlungsmuster der Kultur zu integrieren statt sie nur als deren Bedrohung zu kritisieren, ist die entscheidende Herausforderung. Sie eröffnet eine neue Dimension in den ethischen Fragestellungen der Gegenwart. Gerade deswegen ist es nicht ohne Reiz, daß die Beziehungen zwischen Kultur und Ethik im 19. Jahrhundert schon in Schleiermacher einen starken Förderer gehabt haben. Ihm erschien es "abgeschmackt", wenn es in der Ethik "Widersacher der Kultur" geben sollte. Denn sie ist für das "sittliche Leben" eine absolut notwendige Voraussetzung.38 Da Schleiermacher die Sittlichkeit noch nicht dem bloßen Privatbereich zuordnet, sondern sie für alle Lebensbereiche gelten läßt, wird bei ihm die Kultur zu dem die Einheit der Sittlichkeit garantierenden Element. Neben dem Staat und der Religion läßt er vor allem

38 Brouillon zur Ethik, S. 31 f.

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von ihr noch die Wissenschaft als diejenige Größe umgriffen sein, die einen entscheidenden Einfluß auf die Pflege des Daseins überhaupt zu nehmen in der Lage ist.39 Die problembehaftete Spannung zwischen Kultur und wissenschaftlichtechnischer Zivilisation wird aber an solchen Aussagen noch gar nicht sichtbar. Erst ein Jahrhundert später wird sie bewußt und findet hier in Forderungen nach einer neuen Kultur ihren Niederschlag.40 In diesem Zusammenhang stellt sich die entscheidende Frage, welche Handlungsmuster und Ziele jetzt zu entwickeln sind, damit die Technik ihre Möglichkeiten zur Pflege des Daseins als der umfassendsten Kulturaufgabe ausschöpfen kann. Hierbei handelt es sich primär um den Entwurf von Zielen, auf die hin sich individuelles und kollektives Handeln ausrichten können, wenn sie den Anspruch auf Kultiviertheit und Sittlichkeit erheben wollen. Technikethik ist so auch die Reflexion der Kulturbedeutung der Technik. Beide, Handlungsmuster und Handlungsziele, müssen nun im Rahmen der Technikethik drei Bedingungen Rechnung tragen: Erstens der heute von den Wissenschaften vermittelten Einsicht, "daß die Welt nicht zu unseren Zwecken gebaut ist und daß wir nicht der Mittelpunkt der Welt sind".4l Die anthropozentrische Verengung, wie sie in der Wissenschaftsgeschichte der Moderne erfolgte, ist zugunsten eines Partnerschaftsverhältnisses mit der Natur und einer Fürsor39 Vgl. ebd. S. 33 f. und Ethik, S. 202 ff.; vgl ferner auch Richard Rothe: Theologische Ethik, 2. Bd., S. 35-55. 40 So eben bei Albert Schweitzer: Verfall und Wiederaufbau der Kultur, S. 28 ff. 41 Robert Havemann, a.a.O., S. 61, vgl. aber auch Egbert Schuurman: Theology and Technology, S. 116.

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geverantwortung für die Pflege des Lebens überhaupt zu überwinden. Zudem ist, weil die Welt nicht zum Zwecke des Menschen geschaffen wurde, der Umgang mit ihr von dem Verstehen ihres Sinnes her, also sinnzentriert zu gestalten. Zweitens wird damit bereits eine weitere Bedingung kenntlich. Bei ihr handelt es sich um einen für das Handeln in allen Lebensbereichen verbindlichen Grundsatz. Dem von Albert Schweitzer aufgestellten Prinzip der »Ehrfurcht vor dem Leben« ist in diesem Zusammenhang eine aktuelle Bedeutung beizumessen. 42 Danach ist Ethik davon bestimmt, "daß ich die Nötigung erlebe, allem Willen zum Leben die gleiche Ehrfurcht vor dem Leben entgegenzubringen wie dem eigenen. Damit ist das denknotwendige Grundprinzip des Sittlichen gegeben. Gut ist, Leben erhalten und Leben fördern; böse ist, Leben vernichten und Leben hemmen".43 Obwohl der undifferenzierte Gebrauch des Begriffs Leben nicht unproblematisch ist, denn es ist sehr fraglich, ob auch das Leben von Viren ein erhaltenswertes Gut darstellt, wird hier vor allem damit ernst gemacht, daß das Leben, vornehmlich das menschliche Leben, Selbstzweck und nicht Mittel zum Zweck zu sein hat. Gleichzeitig soll andererseits aber auch "dem Menschen die Gedankenlosigkeit schwer" gemacht w e r d e n . 4 4 In diesem Zusammenhang kommt dem Begriff der »Gesinnung« eine besondere Bedeutung zu. Denn Aufgabe der Ethik ist es schließlich auch, ethische Gesinnung hervorbringen zu 42 Ausdrücklich weist Walter Schulz, Philosophie in der veränderten Welt, z.B. S. 633 und S. 880, auf Albert Schweitzer und sein Prinzip hin. Vgl. dazu jetzt auch Peter Ernst, Ehrfurcht vor dem Leben, S. 1 6 6 ff.

43 Ges. Werke, Bd. 2, S. 378. 44 Ebd. S. 376.

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helfen.45 Gesinnung aber meint hier die Bereitschaft, das Grundprinzip der Ethik uneingeschränkt gelten zu lassen und aus der Bindung an die Ehrfurcht vor dem Leben alle Notwendigkeiten und Zweckmäßigkeiten kritisch daraufhin zu prüfen, welche Folgen damit für das Leben verbunden sind. Es ist gerade die Gesinnung, die den bloßen Rückzug der sittlichen Person hinter Zwecke, mögen sie nun wissenschaftlicher, wirtschaftlicher oder politischer Natur sein, verwehrt. Sie verlangt vielmehr im Konfliktfall: »Zweckmäßigkeit versus Humanität«, den vollen Einsatz der Person für die Humanität. "Ethik geht nur so weit, als die Humanität, das heißt die Rücksicht auf die Existenz und auf das Glück des einzelnen Menschenwesens geht. Wo die Humanität aufhört, beginnt Pseudoethik."46 Die prinzipielle Strenge dieser Aussage kann indessen nicht über jenen tragischen Schatten hinwegsehen lassen, der über dem menschlichen Dasein in der Welt liegt: "Alle fühlen wir uns einer kalten, sich in Prinzipien versteifenden, unpersönlichen und gewöhnlich noch unintelligenten Opportunitätsmentalität ausgeliefert, die, um kleinste Interessen zu verwirklichen, größter Inhumanität und größter Torheit fähig ist." 47 Es ist letzten Endes diese Mentalität, der Schweitzer die Ethik der »Ehrfurcht vor dem Leben« entgegensetzt, um wieder dem Geltung zu verschaffen, "was sich mit der Humanität verträgt". 4 8 Damit wird jedoch keinem verschwommenen Ideal das Wort geredet, sondern ein mächtiger Antrieb zu

45 Ebd. S. 396 ff. 46 Ebd. S. 397. 47 Ebd. S. 399. 48 Ges. Werke, Bd. 2, S. 401.

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einem die Kultur planvoll gestaltenden Handeln sichtbar gemacht. Auch darin spielt Gesinnung wieder eine zentrale Rolle. Sie ist gleichsam der Katalysator, mittels dessen "Vernunftideale" wirksam werden, um "ein freies, das heißt ein planvoll-zweckmäßiges Handeln hervorzubringen".^ Schweitzers Formulierung von der »Ehrfurcht vor dem Leben« ergänzt nun in der Tat Überlegungen, wie sie im Zusammenhang mit dem Prinzip der Lebensdienlichkeit angestellt worden sind. Sie stellt zudem einen Beitrag zur Überwindung der im Gefolge wissenschaftlich-technischer Entwicklungen entstandenen und immer wieder entstehenden Gefährdungen des Lebens dar. Vor diesem Hintergrund gewinnt abert auch die Formulierung eines neuen kategorischen Imperativs, wie sie durch Hans Jonas erfolgt istfo, ihre Bedeutung. Sie lautet: "»Handle so, daß die Wirkungen deiner Handlung verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden«, oder negativ ausgedrückt: »Handle so, daß die Wirkungen deiner Handlung nicht zerstörerisch sind für die künftige Möglichkeit solchen Lebens« [...]".5l Das ist nun in der Tat nicht grunsätzlich verschieden von Schweitzers "Grundprinzip des Sittlichen". Auch Jonas will mit dem neuen kategorischen Imperativ erreichen, daß Leben erhalten und gefordert statt vernichtet oder gehemmt wird. Die Einblicke, die in die Gefährdungspotentiale von Wissenschaft und Technik gewonnen werden konnten, ma49 Verfall und Wiederaufbau, S. 25. Daß Vernunftideale in der verfallenen Kultur der Moderne überhaupt unwirksam geworden sind, das hat Schweitzer schon am Ende seiner großen Arbeit über die "Geschichte der Leben-Jesu-Forschung", S. 636 ff. behauptet. 50 Hans Jonas, Das Prinzip Verantwortung, S. 35 ff. 51 Ebd. S. 36.

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chen einen solchen Imperativ plausibel. Seine Praktikabilität jedoch hängt weitgehend davon ab, daß Begriffe wie »Verträglichkeit«, »zerstörerisch« und »Hemmung« sowie »Förderung« präzise definiert werden können. Doch das birgt wiederum Schwierigkeiten in sich. Denn ob etwas als »verträglich«, »zerstörerisch« oder »hemmend« einzustufen ist, liegt auch in dem oder den Wertsystemen begründet, die in einer Kultur konsensfähig geworden sind und aus diesem Grund Geltung gefunden haben. Ein historisches Beispiel dafür ist die Bewertung, die der Eisenbahn ursprünglich zuteil wurde. Ihre Einführung kollidierte mit Wertsystemen, die sie suspekt erscheinen ließen. Zudem wurde sie u.a. seinerzeit als in hohem Maße gesundheitsgefährdend eingestuft. Heute dagegen würde es niemandem mehr einfallen, die Eisenbahn generell als schädlich oder gar zerstörerisch abzulehnen. In der Bewertung technischer Errungenschaften hat innerhalb eines Jahrhunderts ein radikaler Wandel stattgefunden. Veränderungen im Wertsystem gehen darauf zurück, daß sich die Akzeptanz der Technik durchgesetzt hat. Heute kündigt sich erneut ein Wandel an. Er hat seinen Grund in dem bereits mehrfach angesprochenen Phänomen, daß tragende Säulen der technischen Entwicklung wie der Herrschaftsgedanke und der Fortschrittsglaube weggebrochen sind und durch neue ersetzt werden müssen. Darum wird dem Wertproblem in der ethischen Diskussion wieder verstärkte Aufmerksamkeit zugewendet. Allerdings steht man erst am Anfang einer neuen Werttheorie. Insofern ist es verständlich, wenn einstweilen das postulatorische Element hervorsticht. Das trifft z.B. auf die Forderung zu, "Reichweite, Anwendungsbereiche und Ausführungsmodalitäten wie normative Regelungen der

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Sekundärwerte zu diskutieren"52. Oder es wird gefordert, "geeignete Zielsysteme zu konstruieren und zur Diskussion zu stellen".53 Die dritte Bedingung hat es mit der Praktizierung einer verantwortlichen

wissenschaftlichen Neugierde zu tun. Sie ist

zweifellos wie in der Wissenschaft so auch ein motorisches Element in der Kultur. Aber die Kultur setzt ihr auch die Grenze. Sie kann sich jedenfalls nicht ohne Schaden für das Ganze über das, was erlaubt ist und als »anständig« gilt, hinwegsetzen. Damit wird kein Neugierverbot ausgesprochen. Es wäre auch illusionär zu meinen, auf den Drang nach Kenntniserweiterung könne verzichtet werden. Wohl aber muß darauf geachtet werden, daß Grenzen gewahrt bleiben. In diesem Zusammenhang ist die Forderung nach Tabus erneut zu bedenken. Leszek Kolakowski hat wieder auf den engen Zusammenhang von Tabu und Kultur

hingewiesen.54

Tabu ist nicht

einfach nur ein Verfügungsverbot über Personen oder Sachen, sondern es bezeichnet vor allem eine Grenze, die nicht ohne Schuld überschritten werden kann. Beim Uberschreiten dieser Grenze wird zugleich eine Ordnung verletzt, die aber um des Lebens und seiner Unversehrtheit willen nicht ohne Not verletzt werden darf. Wissenschaftliche Neugierde darf folglich nicht zur Verdrängung der Schuldempfindung führen. Kenntnisse erweitern und vertiefen wollen, Probleme lösen und Fragen beantworten wollen, wissen wollen, wie etwas zustande kommt und wie es wirkt, sind alles notwendige Weisen

52 Hans Lenk: Werte und Handlungsanalyse, S. 132. 53 Günter Ropohl: Systemtheorie und Techniktheorie, S. 25. 54 Falls es keinen Gott gibt, S. 180 ff.

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des Umgangs mit der Welt. Aber sie sollten auch noch die Scheu vor der Verletzung des Heiligen kennen und mit ihr das Wissen darum, sich für ein Schuldigwerden bei der Verletzung der Lebensordnung verantworten zu müssen. Wissenschaftliche Neugierde hat keinen ethischen Freiraum. Ein Schuldigwerden findet aber nicht nur dort statt, wo z.B. zur Erforschung und Bekämpfung einer Krankheit Leben gefährdet wird, etwa durch die Verabreichung von noch nicht in ihren Wirkungen hinreichend erprobten Arzneien. Denn in einem solchen Fall ist man vielleicht sogar gezwungen, Schuld auf sich zu laden, um des großen Zieles willen, das ja in der wirksamen Bekämpfung der Krankheit besteht, zumal dann, wenn Patienten - womöglich im Bewußtsein eines unheilbaren Stadiums ihrer Krankheit - ihre Zustimmung zu solchen Arzneimittelerprobungen gegeben haben. Schuldig wird man vielmehr auch, wenn man in voller Kenntnis der Gefahren, die aus einem entdeckten Mittel erwachsen können, dennoch nichts tut, den Gebrauch dieses Mittels und seine Herstellung und Verbreitung zu unterbinden. Der Hinweis auf das Tabu und das Heilige nötigt allerdings auch, erneut nach der Rolle der Religion in der Kultur zu fragen. Es ist nur schwer vorstellbar, daß die Kategorie des Heiligen ohne Religion überhaupt zur Geltung gebracht werden kann. Religion geht ja aus der Begegnung mit dem Heiligen hervor. Das Heilige selber ruft, wenn man den Begriff nicht völlig formalisieren will, Religion ins Leben. Heute stößt man zudem auch auf den bemerkenswerten Sachverhalt, daß nach 100 Jahren Religionskritik das Interesse an ihr wieder in einem erstaunlichen Maß wächst. Ziel einer solchen Besinnung kann es allerdings nicht sein, die Wiederherstellung

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alter Zustände anzustreben. Vergangenes läßt sich nicht nahtlos und ohne Vergewaltigungen der Gegenwart in diese überführen. Wohl aber ist es sinnvoll, die Gegenwart im Spiegel der durch die Tradition in sie hineinreichenden, vergangenen Wirklichkeit zu betrachten, um auf diese Weise Anregungen für die Lösung aktueller und akuter Probleme zu erhalten. Religion ist eine spezifische Weise des Bestehens in der Welt, die sich darüber hinaus noch als eine besondere Form der Freiheit erweist, die, weil sie die Dinge der Welt zu distanzieren vermag, Denken in Alternativen wachrufen kann. Gerade weil Religion den Menschen nicht als letzten Grund des Seins verstehen und ihn darum auch nicht total im Diesseits aufgehen läßt, weckt sie Kräfte, die über die unmittelbare Gegenwart und ihre Probleme hinaussehen lassen. Dadurch werden wiederum Energien entbunden, die gestaltend auf die Gegenwart zurückwirken durchaus im Sinne einer Verbesserung der Lebensbedingungen. Es wird jedenfalls zunehmend deutlicher, daß Religion keineswegs ein Hinderungsgrund für eine lebensgerechte Gestaltung der Welt sein muß, wie es ihr so beharrlich vorgeworfen worden ist. Vor allem aber ist Religion ein spezifisches Wissen darum, daß der Mensch mit Schwächen zu leben hat, die er von sich aus nicht vollkommen beseitigen kann. Daran hat sich einst die Kritik in besonderem Maße entzündet. Das Selbstverständnis der Moderne, mit dem Glauben an die unendliche Schöpferkraft des Menschen im Zentrum, ließ den Gedanken nicht zu, daß das Ideal vollkommenen Menschseins, dem es nachstrebte, nur höchst unvollkommen verwirklicht werden konnte. Sofern auch das Rationalitätsverständnis der Moderne von jenem Selbstver-

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ständnis beeinflußt war, mußte das zu einem unaufhebbaren Grundkonflikt mit der Religion führen, der in dem ständigen Vorwurf ihrer Unvernunft gipfelte. Die Kritik des neuzeitlichen Vernunftsbegriffs und der Nachweis der geschichtlichen Bedingungen, die über seine Geltung entscheiden^ geben der Religion allerdings das Recht zurück, auch für sich Vernunft zu reklamieren. Damit soll die Unterscheidung zwischen den Erkenntnismöglichkeiten und -grenzen der Religion und denjenigen wissenschaftlicher Rationalität durchaus in ihrem Recht gewahrt bleiben. Religion hat es immer mit dem Glauben an die Gottheit zu tun. Dieser geht im Sinne von »Vertrauen« jeder Argumentation voraus. Ein solches Vertrauen ist dann allerdings auch kein Bestandteil einer logischen Beweisführung. Es ist ein Akt moralischen und nicht intellektuellen Engagements. Als dieses erfährt es in Bindung an solche Prinzipien seinen Ausdruck, die sich der Erfahrung des Glaubens mit dem Heiligen verdanken und dadurch in Geltung gehalten werden. Vertrauen läßt sich in dieser Hinsicht als eine Anerkennung und ein Geltenlassen dessen zur Sprache bringen, "wovon wir handlungssinntranszendent schlechthin abhängig sind".56 Gegen alle intellektuellen Einwände, wie sie spätestens seit Hume in der abendländischen Geistesgeschichte gegen Glauben und Religion immer wieder erhoben worden sind, ist geltend zu machen, daß eben der Glaube "ganz und gar unfalsifizierbar" sei und es

55 So insbesondere bei Kurt Hübner: Kritik der wissenschaftlichen Vernunft, S. 189-199; vgl. aber auch Leszek Kolakowski: Der Mensch ohne Alternative, S. 257-286; und ders.: Falls es keinen Gott gibt, S. 116127. 56 Hermann Lübbe: Philosophie nach der Aufklärung, S. 83; vgl. auch ebd. S. 25 iT.

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deshalb auch keine "vorstellbaren empirischen Umstände geben könne, die meinen Glauben widerlegen oder beeinträchtigen könnten".57 Die Eigenständigkeit des Glaubens und die Geltung seines Sinnanspruchs hebt unter den zeitgenössischen Philosophen besonders Erich Heintel hervor.58 Er mißt der Vernunft des Glaubens eine entscheidende Rolle bei der Sinnfindung überhaupt zu. Der Beitrag der wissenschaftlichen Vernunft dazu bleibt vergleichsweise gering, weil sie den Unterschied zwischen dem scheinbaren Sinn, der nur eine Projektion menschlicher Wünsche ist, und dem eigentlichen Sinn nicht zu beseitigen vermag. Auch in dieser Hinsicht stellt die Religion eine Herausforderung der Grenzen natürlicher Erkenntnis dar. Damit relativiert sie zugleich den Monopolanspruch wissenschaftlicher Vernunft, allein darüber zu entscheiden, was Erkenntnis ist und was nicht, was legitimerweise gedacht werden darf und was nicht, welche Alternativen real und welche eingebildet sind. Zu kritisieren ist demnach nicht die Vernunft schlechthin, sondern nur ein verengtes und zum Dogma erhobenes Verständnis der Vernunft. Ein darauf aufbauender Monopolanspruch kann darum nur als Anmaßung gewertet werden. Mit ihm täuscht man sich darüberhinweg, daß die rationale Erkenntnisfähigkeit unaufhebbaren einschränkenden Bedingungen unterliegt. Der Religion muß es folglich erlaubt sein, für eine Vernunft zu optieren, die nicht Anmaßung ist, sondern Weisheit enthält, die ihren Ausdruck vor allem in der Anerkenntnis findet, daß der Mensch

57 Kolakowski: Falls es keinen Gott gibt, a.a.O., S. 39. 58 Vgl. dazu ders.: Gottes Transzendenz. In: NZtschr. f. Syst. Theol. und Reli. Phil., 14. Bd. (1972), S. 277-293; ders.: Glaube und Religionskritik, S. 291-305; ders.: Das Totalexperiment des Glaubens, S. 5-39.

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sein Sein nicht sich selbst verdankt. In dieser Anerkenntnis aber wird heute in den Auseinandersetzungen mit der wissenschaftlich-technischen Zivilisation der tiefste Grund einer menschlichen Verantwortung für die Schöpfung gesehen.59 Darum läßt sich Religion geradezu als ein konstitutiver Faktor in einer »Kultur der Verantwortung« begreifen, die damit der »Kultur der Herrschaft über die Welt« diametral entgegengesetzt ist.

Die Kulturaufgabe als Bildungsproblem Die Erfüllung der Kulturaufgabe weist indessen noch auf einen anderen Aspekt. Die Änderungen im Selbstverständnis und die Überwindung der historischen Trennung von Technik und Ethik in einem gestalteten Lebensraum, in dem das Menschliche in praktizierter Verantwortung für alles geschöpfliche Leben seinen Ausdruck findet, erfordern einen in seiner Art neuartigen und tiefgreifenden Bildungsprozeß. Darauf wurde bereits in den 50er Jahren aufmerksam gemacht, indem eine Erziehung gefordert wurde, "welche Menschenbildung, Persönlichkeitsbildung und zugleich soziale Gesinnungsbildung ist", um auf diesem Wege Wissenschaft und Technik einen, ihrem Wesen als Ausstattung des Menschen in seinen geschöpflichen Grenzen, angemessenen Ort zu

59 Dieser Aspekt tritt jetzt besonders markant bei Egbert Schuurman: Technology and the Future, S. 327 ff und ders.: Theology and Technology, S., 114 ff. hervor.

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geben.60 Einer ihrem Wesen entfremdeten Technik, die zur Gefährdung des Lebens zu werden droht, kann, so wird es zunehmend deutlicher, in letzter Konsequenz nicht anders wirkungsvoll begegnet werden als durch einen in der Tiefe seines Bewußtseins gewandelten Menschen. Das kann jedoch nur durch einen, mit neuen Zielvorstellungen versehenen Bildungsprozeß erreicht werden. Dazu gehört vor allem, daß originäre humane Aspekte in den Vordergrund gestellt werden. Es geht darum, daß die durch Wissenschaft und Technik geschaffenen Rahmen substantiell ausgefüllt werden. Dies aber setzt ein Bewußtsein voraus, das nicht mehr den Akzent nur auf menschliche Herrschaft legt, sondern auf ein sinnhaftes menschliches Dasein. Gerade an dieser Forderung wird nun ein Problem sichtbar, mit dem die Ethik ständig befaßt ist: Wie läßt sich solche Vermittlung bewerkstelligen, so daß überhaupt Sensibilität für jene Fragen entsteht, die hinter den eingeschliffenen Weisen der Lebensführung aufbrechen? Am Beispiel Martin Bubers soll dieses Problem erörtert werden. Unter denjenigen Denkern, die der Frage nachgegangen sind, auf welche Weise ein gerade der Mitmenschlichkeit Rechnung tragendes Ethos entsteht, hat er nach wie vor einen anregenden eigenen Ansatz ausgebildet. 61 Sein Vortrag über: "Bildung und Weltanschauung'^, den er noch 1935 im Freien Jüdischen Lehrhaus in Frankfurt/ 60 Wolfgang Schadewaldt: Anforderungen der Technik an die Geisteswissenschaften, S. 28 ff., ferner Helmut Schelsky: Auf der Suche nach Wirklichkeit, S. 461 ff. 61 Siehe dazu neuerdings auch Hartmut Kreß, Religiöse Ethik und dialogisches Denken, bes. S. 193-238. 62 In: ders., Reden über die Erziehung, Heidelberg 1966.

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Die Kulturaufgabe als Bildungsproblem

Main gehalten hatte und über dem bereits der schwere Schatten der Judenverfolgung lag, legt davon ein beredtes Zeugnis ab. Er ist von einer programmatischen Klarheit, die auch heute noch nichts von ihrer aktuellen Bedeutung eingebüßt hat. Eine Zuwendung zu den Gedanken dieses großen Philosophen und Humanisten, verbunden mit dem Bemühen, sie der heutigen Situation zu erschließen, erfolgt in der Erwartung, auch daraus Anregungen für die Lösung von Gegenwartsproblemen zu bekommen. Buber geht es hier um einen wirklichkeitsgerechten und zeitnahen Bildungsbegriff, den er auf der Einsicht begründet sein läßt, "daß um irgendwo hinzugelangen es nicht genötig, auf etwas zuzugehen, sondern daß man auch von etwas ausgehen muß."63 Damit erfolgt eine notwendige Ergänzung derjenigen Sichtweisen, die alleine auf Ziele in der Zukunft konzentriert sind. Aber dieses »Von-woher« ist keine verfügbare und beliebig manipulierbare Größe, wie es Ziele sind. Diese sind zweckbestimmt und können demzufolge auch mit der Veränderung der Zwecke selber verändert werden. Im Unterschied dazu ist das »Von-woher« kein Bestandteil der Zwecke, "sondern ein rechter Stand und Urständ [...] : eine Urwirklicheit, die mich auf dem Wege zu meinem Ziel nicht verläßt, sondern, wiewohl ich selber es mir erwählt habe, mich leitet, damit ich es nicht im Gehen verwechsle und so verfehle, die mir beisteht."64 Die Besinnung auf das »Von-woher«, zu der ein neues Verständnis von Bildung den Zugang wieder eröffnen will, soll in-

63 Ebd. S. 51. 64 Ebd.

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indessen nicht den Entwurf des »Worauf-hin« verdrängen oder überflüssig machen. Statt Entwurf verwendet Buber auch den Begriff »Weltanschauung«. Weltanschauungen haben in seinem System den Charakter aspekthafter Ausdeutungen von Welt, in denen durchaus auch zweckhafte Vorstellungen, an denen sich das individuelle Handeln notwendigerweise immer konkret orientiert, ihren Platz finden können. Aber sie verlieren darin ihren weithin alles bestimmenden Charakter. Für den "Aufbau der Person und somit auch für den Aufbau der aus Personen und ihren Beziehungen wachsenden großen Gemeinschaft" sind solche »Weltanschauungen« unentbehrlich.65 l n dieser Hinsicht ist erneut an Schweitzers Hervorhebung der Bedeutung von »Weltanschauung« als zielorientiertem Handlungsplan zu erinnern. Schweitzers Forderung nach einer neuen »Weltanschauung« und deren Ausgestaltung in Form einer Lebensanschauung auf dem Hintergrund seines Prinzips der »Ehrfurcht vor dem Leben« hat bei Buber ein analoges Bemühen. Dieser betont dabei stärker die praktische pädagogische Notwendigkeit, aspekthafte Ausdeutungen von Welt in Richtung "auf die reale Einheit hin, die sich hinter der Vieldeutigkeit der Aspekte verbirgt"*»**, zu überschreiten und dabei die Einheit selbst in ihrer Bedeutung für den verantwortlichen Lebensvollzug zu erschließen. Es ist eine Sensibilität für das Ganze, die durch die Bildung geweckt werden soll. Dieses Ganze ist aber keine objekt-

65 Ebd. S. 52f. 66 Ebd. S. 52.

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hafte Größe, sondern das "gemeinsam tragende Leben". Das aber "wird nicht gemacht, es wächst. "67 Was will Buber damit erreichen, wenn er so zwischen den notwendigen, aber immer auch überholbaren aspekthaftweltanschaulichen Ausdeutungen von Welt und jenem Ganzen, das die verborgene Einheit hinter den vielzähligen Aspekten bildet, unterscheidet? Zunächst ergibt sich für ihn aus seinem Ansatz, daß er weltanschauliche Entwürfe dort zurückzuweisen vermag, wo sie absolut gesetzt und zur alles dominierenden Erkenntnisquelle gemacht werden. "Der ideologische Anteil an dem, was jeder einzelne Wahrheit nennt, ist unausschmelzbar; aber was er vermag, das ist, im eigenen Geist Einhalt zu gebieten der Politisierung der Wahrheit, der Utilitarisierung der Wahrheit, der ungläubigen Gleichsetzung von Wahrheit und Verwendbarkeit." 68 Des weiteren aber gelingt es Buber, mit diesem Ansatz die Grundlagen für ein soziales Ethos freizulegen, das auf aktive Teilnahme an Mitmenschlichkeit in der Gesellschaft drängt. Diese äußert sich einmal im Dienst an der Gemeinschaft. Es ist in diesem Zusammenhang äußerst bemerkenswert, daß er mit dem Begriff »Gemeinschaft« nicht Gleichgesinntheit als notwendige Voraussetzung der Gemeinschaftsbildung verbindet, sondern ein eigenes Modell in die Diskussion einführt, das ein "echtes Miteinanderleben der Gleichartigen oder Artverschmolzenen, aber Verschiedengesinnten" ermöglichen helfen soll.69 Er hat dieses Gemeinschaftsmodell in Israel,

67 Ebd. S. 55; zum Verhältnis Buber-Schweitzer vgl. jetzt auch Peter Ernst, Ehrfurcht vor dem Leben. 68 Ebd. S. 54. 69 Ebd. S. 55.

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nach seiner Emigration 1938, durchzusetzen versucht, erwartend, daß seine Verwirklichung das friedliche Zusammenleben von Juden und Arabern fördern würde. Das ist nicht gelungen, wie die Entwicklung nach 1948 gezeigt hat. Aber das spricht nicht gegen, sondern in hohem Maße für dieses Modell und seine immer noch aktuelle politische Relevanz, wenn man auf die internationalen Beziehungen überhaupt blickt. Das soziale Ethos findet weiterhin in einer »Solidarität« seinen Ausdruck, die "lebendiges Füreinanderstehen, und Mutualität, lebendige Wechselwirkung" ist. 7 0 Solange Solidarität nur unter Gleichgesinnten zu bewähren ist, hat sie ihre Bewährungsprobe noch gar nicht bestanden. Das geschieht vielmehr erst dort, wo sie unter Verschiedengesinnten geübt wird. Es bedarf allerdings eines hohen Maßes an Toleranz, mit Menschen anderer Rasse, anderer politischer Überzeugung, anderer Religionen und anderer Bildungsschichten solidarisch zu sein. Aber sie ist wiederum die unerläßliche Voraussetzung für die Wahrnehmung einer gemeinsamen Verantwortung.71 Bildung hat es also in der Sicht Bubers damit zu tun, daß der Mensch "zum gelebten Zusammenhang mit seiner Welt" geführt wird und "ihn von da aufsteigen läßt zu Treue, zu Erprobung, zu Verantwortung, zu Entscheidung, zu Verwirklichung."^ Die Absicht, die den Versuch, zu einem neuen Bildungsbegriff zu kommen, leitet, wird jetzt kenntlich. Es geht gar nicht darum, die Objektwelt auszublenden, wie bisweilen bei ihm 70 Ebd. S. 56. 71 Vgl. ebd. 72 Ebd. S. 60

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vermutet wird, sondern sein Bestreben ist es, durch rein funktionale Bezüge hindurchzustoßen, damit ein Zusammenleben und Zusammenwirken von Menschen mit Menschen ermöglicht wird, das auf einer sinnhaften Basis steht, wie sie nach seinem Urteil der moderne Utilitarismus nicht zu bilden vermag. Die Gemeinschaft von Menschen, die Buber anstrebt, läßt sich aber nur so denken, daß dabei die herkömmlichen Kategorien des Individualismus und Kollektivismus als obsolet erkannt werden. Denn beide Kategorien sind unzureichend, um mit ihnen noch erfassen zu können, was es heißt, im Mit-sein mit Anderen verantwortlich in der Welt zu leben. Ein solches verantwortliches Leben läßt sich aber an der Lage des Menschen in der Gegenwart nur sehr unscharf ablesen. Sie ist vielmehr generell durch "das Zurückbleiben des Menschen hinter seinen Werken" gekennzeichnet. 73 Worin dieses Zurückbleiben besteht, macht er an drei Bereichen deutlich, in denen sich die das 20. Jahrhundert prägenden Kräfte zu erkennen geben. An erster Stelle wird die Technik genannt. Erneut tritt in bezug auf ihre Beurteilung ein Grundzug hervor, der auch das Urteil der zuvor bereits angesprochenen Kulturkritik bestimmt hat. In der Technik vermag er nicht mehr "eine Verlängerung des menschlichen Arms" zu sehen, sondern er merkt an, daß "der Mensch [...] zu ihrer Verlängerung, zu einem herbeitragenden und hinwegtragenden Glied an ihrer Peripherie" geworden ist. 74 In der Umkehrung der MittelZweck-Beziehung stellt sich der eigentlich negative Gehalt der menschlichen Situation in der modernen Gesellschaft dar. 73 Buber, Das Problem des Menschen, S. 83. 74 Ebd. S. 83 f.

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Als zweiten Bereich führt Buber die Wirtschaft an. Er vermißt vor allem eine rationale Koordination der wirklich menschlichen Bedürfnisse und des ökonomischen Vermögens des Menschen. Statt dessen weist eben die faktische Lage darauf hin, "als wüchse der Betrieb der Erzeugung und Verwertung von Gütern über den Menschen hinaus und entzöge sich seinem Gebot." 75 Der dritte Bereich ist der des politischen Geschehens. Vor allem die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg, mit dem die Grundproblematik der menschlichen Existenz in so dramatischer Weise manifest wurde, wirkt hier auf die Bewertung des Politischen ein. Deutlich erkennbar tritt darin die eigentümliche Dialektik von Macht und Ohnmacht als jener Problembereich hervor, der den Vollzug der menschlichen Existenz unter den Bedingungen der expandierenden wissenschaftlichtechnischen Rationalität so risikoreich geraten läßt. Der Erste Weltkrieg hat die Erfahrung vermittelt, wie schnell Macht in Ohnmacht und Zerstörung umzuschlagen vermag. "So fand sich der Mensch der furchtbaren Tatsache gegenüber, daß er ein Vater von Dämonen war, deren Herr er nicht werden konnte. Und die Frage, was für einen Sinn diese Macht und Machtlosigkeit in einem habe, mündete in die nach dem Wesen des Menschen, die nun eine neue, eine gewaltige praktische Bedeutung bekam."76 Auf dem Hintergrund der menschlichen Situation erweist sich für Buber "Kants anthropologische Frage in aller Deutlichkeit als ein Vermächtnis an unser Zeitalter."77 Es zielt 75 Ebd. S. 84. 76 Buber, Das Problem des Menschen, S. 89. 77 Ebd. S. 41.

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eben nicht darauf, die Planungs- und Manipulationshypertrophie der Moderne samt dem damit zusammenhängenden Aktionsdruck noch zu vermehren, sondern dieses Vermächtnis richtet sich in erster Linie an das Selbstbesinnungsvermögen des Menschen. Das aber möchte Buber auch seinerseits stärken. An Hegel wird ihm dabei einsichtig, wie wenig es eine Aussicht auf Erfolg für alle Versuche gibt, die Sicherung des menschlichen Selbstseins zu befördern, indem ein Weltbild entworfen wird, das auf dem Prinzip der Vernunft in der Geschichte begründet ist. 7 8 Es sind im wesentlichen zwei Grunderkenntnisse, die Bubers Skepsis hervorrufen: Einmal vermag er überhaupt in dem "Umkreis der Menschenwelt, der durch das Problem des menschlichen Seins gegeben ist, [...] keine Sicherheit der Zukunft" zu erblicken.79 Sodann aber drängt sich ihm die Notwendigkeit einer Unterscheidung zwischen dem, was man denken und dem, womit man leben kann, auf. Gerade angesichts des Hegeischen Versuchs, die Vollendung der Geschichte und mit ihr das vollendet gesicherte Selbstsein des Menschen in seinem System ausdrücklich zu machen, sieht Buber sich zu dem Einwand veranlaßt, daß die "Vollendung in die Wirklichkeit des Seienden einzubeziehen", durchaus "im Vermögen des menschlichen Gedankens" liege. Doch davon müsse unterschieden werden, was "im Vermögen der lebendigen menschlichen Vorstellung" liegt. Hegels Vorstellung von der Vollendung "ist etwas, was man denken kann, aber mit dem man nicht leben kann. Ein denkerisches Weltbild, das "das Ziel der Weltgeschichte" in sich aufnimmt, 78 Ebd. S. 46 ff. 79 Ebd. S. 49.

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hat in diesem Teil keine sichernde Kraft [...] Eine Ausnahme bildet nur ein Weltbild, daß auf den Glauben gegründet ist: die Kraft des Glaubens - und sie allein - kann auch die Vollendung als etwas Gesichertes erfahren, weil als etwas, das uns verbürgt ist von jemand, dem wir vertrauen, - dem wir als einen Bürgen auch für das noch nicht in unserer Welt Seiende vertrauen. "80 Von einer anderen Seite her greift Buber noch einmal die Frage auf, was dem Menschen in der Welt Halt gibt. Gegen Heidegger wendet er ein, daß dieser den Menschen sich immer nur zu sich selbst verhalten lasse. Doch eben dies stelle eine Reduktion des Lebens dar. "Das Leben vollzieht sich nicht darin, daß ich mit mir selbst das rätselhafte Brettspiel spiele, sondern darin, daß ich vor die Gegenwärtigkeit eines Seins gestellt bin, mit dem ich keine Spielregeln vereinbart habe und mit dem sich keine vereinbaren lassen."81 Sich der Gegenwärtigkeit dieses Seins in seiner ganzen Andersgeartetheit zu stellen und sich für das, was es mir mitteilen will, zu öffnen, dazu wollen Bubers Überlegungen anleiten helfen. Die Voraussetzung für die Begegnung mit diesem anderen Sein aber besteht darin, daß das menschliche Sein kein "geschlossenes System" ist, daß es nicht in "Verschlossenheit gegen alle echte Verbindung mit dem Anderen und der Andersheit" verharrt.82 Dieses Andere ist jedoch keineswegs nur der Mitmensch. Es umgreift vielmehr auch die Welt der Dinge ß 3 und vor al80 Ebd. S. 49 f. 81 Ebd. S. 99. 82 Ebd. S. 111. 83 Vgl. Buber, Urdistanz und Beziehung, S. 20 ff.

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lern die "göttliche Wahrheit". An dieser Stelle nun erfolgt sein stärkster Einwand gegen Heidegger. Er wirft ihm vor, daß "das Werden des Einzelnen oder, wie er (sc. Heidegger) sagt, des Selbstseins für ihn das Ziel" verloren hat, "in die Beziehung zur göttlichen Wahrheit zu treten und dadurch eine menschliche Wahrheit zu w e r d e n . " 8 4 Versucht man nun die eigentliche Stoßrichtung dieser Gedanken zu erfassen, dann trifft man auf den eigentümlichen Sachverhalt, daß er nicht in gleicher Weise wie die Soziologie oder die Tiefenpsychologie am Aufbau des menschlichen Selbst interessiert ist. Die Konstitution des Selbstseins gewinnt für ihn erst dort an Interesse, wo es um die Ganzheit der Lebenswelt und darin um das Gemeinschafthaben des Menschen mit dem Mitmenschen, mit der Natur und den Dingen geht. Das ist aber auch etwas gänzlich anderes als das Anund-Für-sich-Sein des transzendentalen Idealismus. Es ist ebenfalls etwas völlig anderes als das Selbstsein der Existenzphilosophie. Das Selbstsein, so wie Buber es sieht, ist immer nur der Vollzug eines verantwortlichen Mitseins. Die Konstitution des Selbst durch das Du des Mitmenschen ist so gerade nicht als gedankliche Konstruktion zu begreifen, sondern als Befreiung zu einem neuen Mitsein, das ein ebenfalls neues Ethos des Umgangs mit der Welt und darin auch eines veränderten Umgangs mit Technik aus sich hervortreibt. Darin liegt schließlich auch die Alternative zu der von ihm kritisierten Ich-Es-Beziehung, unter welcher er ein ständiges »Verfügenwollen über« versteht. Eine Betrachtung eben dieser Alternative zeigt nur, daß es Buber keineswegs um eine völlige Eliminierung der Ich-Es84 Buber, Das Problem des Menschen, S. 112.

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Beziehung gegangen ist, sondern nur um deren Integration in eine sinnhafte Wirklichkeitsbegegnung. Die Wirklichkeit ist aber nicht nur ein Geschöpf des wissenschaftlich-technischen Verstandes, sondern sie bleibt trotz aller Konstruktionen des Menschen (der nature artificielle) immer auch ein Empfangenes, in dem sich "jeder nur mit der Einigkeit seines Wesens und in der Einigkeit seines Lebens" zu bewähren vermag.85 Dieses Sich-bewähren ist aber nur eine andere Bezeichnung für den »Dienst an der Schöpfung«. Denn Dienst ist zweifellos ebenso ein Üben im Bewahren und Fürsorgen für die anvertraute Wirklichkeit, wie der diesen Dienst Versehende ihn auch als ein gestaltendes In-Verfügung-nehmen begreifen muß. "Gestalt ist Mischung auch von Du und Es", bemerkt Buber einmal. 8 6 Mit seinen Unterscheidungen will er aber provozieren, daß wir "aus unseren Denkgewohnheiten" 8 ? heraustreten, um mit einem veränderten Sinn für das Von-woher und die Richtung unseres Handelns das zu überwinden, was er so plastisch "die Verwendungssucht" genannt hat, die den von ihr Besessenen vor allem "in seinem Verhältnis zu den Menschen als in einem Verhältnis zu Dingen" beharren läßt, und zwar zu Dingen, zu denen er nie in Beziehung treten wird, ja die er ihres Distanzseins und ihrer Selbständigkeit zu berauben beflissen ist. 88 Die »Verwendungssucht« als Folge einer mit Hilfe von Wissenschaft und Technik angestrebten und exekutierten Herrschaft über die Schöpfung ist vielleicht der sublimste 85 Buber, Das dialogische Prinzip, S. 111 f. 86 Ebd. S. 119. 87 Ebd. S. 129. 88 Buber, Urdistanz und Beziehung, S. 31.

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Ausdruck für die Gefährdung der Freiheit durch den Menschen, deren brutale Aktualität in Gestalt biologistischen Rassenwahnes Buber selber leidvoll erfahren mußte. Der Gefährdung der Freiheit setzt er darum nachdrücklich das Selbstsein als Dienst an der Schöpfung entgegen. Im Mit-sein mit Anderen sich in der Wirklichkeit der Welt zu bewähren, indem an dem "lichte(n) Bau der Gemeinschaft" gebaut wird, um so der "Massierung beziehungsloser Mensch-Einheiten" entgegenzuwirken, wird hier zum Ausdruck wirklich ergriffener Freiheit. 8 9 Soziales Ethos ist in dieser Sicht reflektierter Umgang mit der Freiheit. Deren Bewährung in der Wirklichkeit fordert angesichts der in der Geschichte heute für den Menschen eingetretenen Lage verstärkte Anstrengungen, ihren Anforderungen zu genügen. Bildung muß darum jetzt vor allem zwei Aspekten Rechnung tragen: Sie kann nicht mehr nur individualistisch als umfassende Durchbildung der Einzelpersönlichkeit begriffen werden. Sie muß darüber hinaus der historischen Situation, darin insbesondere dem gesellschaftlichen Umfeld und der Umwelt überhaupt uneingeschränkt Rechnung tragen. Sensibilität für die Gefährdungen des Lebens zu wecken und das Lebensdienliche zu fördern, stellt sich so als Aufgabe mit Priorität dar. Von ihrer Bewältigung wird es abhängen, inwieweit Kultur als Pflege des Daseins noch gelingen kann. Gegenwärtig ergeben sich weitere Forderungen an die Bildung. Die neuen Kommunikationstechniken bilden den Anlaß dazu.9° Die Analyse der gegenwärtigen Lage unter dem 89 Vgl. Das dialogische Prinzip, S. 108. 90 Vgl. dazu jetzt Klaus Haefner: Die neue Bildungskrise, bes. S. 203 ff und ders.: Mensch und Computer im Jahre 2000, S. 307 ff.

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Aspekt von Entlastungen, die durch die Verwendung von Computern erreicht werden, macht deutlich, daß vor allem die Bildung humaner Substanz in das Zentrum der Überlegungen gerückt werden muß: "Viele Kritiker der Informatisierung glauben, daß die Informationstechniken Menschen überflüssig macht, ihn verdrängt, seine Antiquiertheit bloßstellt. Einige dieser Gefahren sind ernst zu nehmen - wenn es uns nicht gelingt, den Menschen dahin zu führen, sich selbst zu finden und sich in die Welt, die er sich schafft, positiv einzupassen. Der Mensch muß lernen, Mensch zu sein und mit diesem Menschsein in einer computerisierten Welt fertig zu werden."9l Damit muß dann aber gerade auch die kulturelle Einbettung der wissenschaftlichen und technischen Leistungsfähigkeit des Menschen einhergehen. Es geht darum, Einstellungs- und Verhaltensmuster auszubilden, die als Ergänzung zu den Fähigkeiten, Wirklichkeit wissenschaftlich-technisch zu gestalten, durchaus dazu befähigen, den Umgang mit eben dieser so gestalteten Wirklichkeit in einer Weise sicherzustellen, daß die heute befürchteten Gefährdungen durch Wissenschaft und Technik von der Kultur abgefangen werden. "Hier können neue Gebiete geistigen und gefühlsmäßigen Verstehens und Handelns gefunden werden, die es noch über viele Jahrzehnte, ja vielleicht Jahrhunderte, gestatten, Dinge zu tun und zu empfinden, die jenseits der Leistungsfähigkeit der Informationstechnik liegen. Damit kann der Mensch ein neues Feld erschließen, welches jenseits der rationalen Informationswirtschaft anzusiedeln ist. Das Wissen um diese Möglichkeiten und dessen Vermittlung im Bildungswesen würde

91 Die neue Bildungskrise, S. 196 f.

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breiten Schichten der Jugend eine Chance geben, sich auf eine neue Welt von Aktivitäten vorzubereiten."92 Solche Möglichkeiten und Erfordernisse haben bisher allerdings noch keineswegs jene breite Beachtung gefunden, die ihnen zukommt. Die allseitig durchgebildete, autonome Einzelpersönlichkeit - man spricht heute auch treffend vom Computer auf

Beinen93

. stellt nach wie vor das Bildungsmodell

dar, an dem man sich orientiert. Für eine Änderung der Lage bietet sich beispielsweise aber der Philosophie- und Ethikunterricht an. Die in den Lehrplänen formulierten Ziele stellen ausbaufähige Ansätze dar. So heißt es im "Lehrplan für das Unterrichtsfach Ethik an den Gymnasien, Realschulen und Wirtschaftschulen" in Bayern, daß der Ethikunterricht befähigen soll, "über eigene und fremde Wertentwürfe zu reflektieren, zwischen subjektiv bedingten und allgemeinverbindlichen Werten zu unterscheiden, sich im Bereich ethischer Verantwortung sachgemäß zu orientieren und hieraus die Bereitschaft zu entwickeln, eigenverantwortlich zu entscheiden und zu handeln".94 Die Befähigung selbst soll u.a. durch eine Auseinandersetzung mit ethischen Problemen der Zeit, zu denen ausdrücklich auch solche aus dem Bereich von Wissenschaft und Technik gerechnet werden, erworben

werden.95

Der Lehrplan, der dem Ethikunterricht im Saarland zugrunde liegt, sieht unter dem Thema: "Verantwortung der

92 Ebd. S. 263. 93 Ebd. S. 205. 94 Amtsblatt des Bayr. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus, Teil I, Sondernummer 16, Jg. 1984 (28.09.1984), S. 370. 95 Ebd. S. 386 f.

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wissenschaftlich Kompetenten" Lernziele folgenden Inhalts vor: "[...] aufweisen können, daß wissenschaftliche Erkenntnisse Veränderungen im Verhalten des Menschen und in seiner Welt verursachen; aufweisen können, daß wissenschaftliche Erkenntnisse Grundlagen für Macht sind; humane Interessen erläutern können, die das wissenschaftliche Erkennen leiten sollen; begründen können, daß Gesellschaft und Individuen ein Interesse an Planung und Kontrolle von wissenschaftlicher Forschung und Lehre haben; die Verantwortung dessen erörtern können, der über wissenschaftliche Erkenntnisse verfügt". 96 Der Schleswig-Holsteinische Lehrplan für Philosophie nennt, um noch ein drittes Beispiel zu erwähnen, "Lebensorientierung und Weltverständnis" als zu vermittelnde Ziele, indem u.a. Wissenschaft und Technik in ihren Leistungen, aber auch in den von ihnen hervorgerufenen Problemen, zum Erörterungsgegenstand gemacht werden.97 Es ist vor allem immer wieder die Frage, ob die entstandene Lage noch dadurch beherrscht werden kann, indem Bildung auch als Faktor in der Ausbildung eines Steuerungsvermögens begriffen wird. Denn Kultur bedingt eben auch dies, daß der Mensch seine Freiheit dafür einsetzt. Zwei Richtungen haben sich bei der Beantwortung dieser Frage herausge-

96 Saarland: Der Minister f. Kultus, Bildung und Sport: Vorläufiger Lehrplan Gymnasium - Allgemeine Ethik. Grundkurs, 1980, S. 39 f. 97 Schleswig-Holstein: Der Kultusminister: Lehrplan Philosophie, Kiel 1985, S. la, S. 3 und S. 9.

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bildet: In der einen wird die Lösung in einem bewußten Gegensatz zur technischen Rationalität im weitesten Sinne gesucht. Freiheit wird hier als Negation von Zwang begriffen. In der anderen sucht man die Antwort gerade in der Bestimmung der Freiheit als technisches Entscheidenkönnen.98 Es ist aber durchaus die Frage, ob es bei einer bloßen Gegensätzlichkeit bleiben muß oder ob sich nicht auch der Versuch anbietet, eine Versöhnung zwischen der Frage nach dem Menschsein des Menschen und der wissenschaftlich-technischen Verfassung der neuzeitlichen Lebenswelt anzustreben. Unter Versöhnung soll dabei in einem Hegeischen Sinne die Aufhebung von Trennung verstanden werden, in diesem Falle die Aufhebung einer starren Entgegensetzung von Freiheit und Technik, wie sie die Diskussion der letzten zwei Jahrzehnte beherrscht hat. Ein möglicher Lösungsweg zeichnet sich dort ab, wo die "dialektische Vermittlung von Wissenschaft und Leben [...]" gegenwärtig als einzige Chance dargestellt wird, "durch die dem Menschen heute eine mögliche Selbstverwirklichung" eröffnet werden kann.99 Darin sind allerdings zwei Voraussetzungen enthalten: Die erste erstreckt sich darauf, die Entgegensetzung von Wissenschaft und Leben als nichts Endgültiges zu betrachten. Die zweite Voraussetzung als Konsequenz der ersten hat es damit zu tun, daß das Menschsein des Menschen sich nicht gegen, sondern mit Wissenschaft und Technik in einem menschenmöglichen Maße verwirklichen lassen muß.

98 Siehe die erhellenden Darstellung bei Schulz, Philosophie in der veränderten Welt, S. 647 ff. 99 Ebd. S. 465.

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Beide Voraussetzungen verbinden sich mit der Aufgabe, den Ort und die Stellung des Menschen in der heutigen Welt abzuklären. Dies bedeutet vor allem, davon Abstand zu nehmen, weder in einer vergangenen Gesellschaft noch in einer zukünftigen den Ort menschlichen Selbsteinsatzes suchen zu wollen, sondern allein die durch die wissenschaftlich-technische Verfassung bestimmte Situation als den Ort möglicher Einsatzchancen anzunehmen. 100 Zum anderen aber muß mit der Einsicht Ernst gemacht werden, daß seine Stellung in der Welt immer schon durch die "Einbezogenheit des Menschen in die »umgreifenden« Superstrukturen des verwissenschaftlichten Zeitalters" bestimmt ist. Nur in Utopien gelingt es, über dieses Zeitalter hinauszukommen, während das Handeln allein den in ihm bereitgestellten Möglichkeiten folgen kann. 101 Die Geltung einer zeitgemäßen Ethik wird darum eher dort gesucht werden müssen, wo der Mensch von sich selbst in seiner individuellen Einzelheit absieht und sich so selbst-los an das sachlich Mögliche macht. 102 Es ist nun allerdings damit zu rechnen, daß solche Überlegungen im Aspekt von Emanzipation und Selbstverwirklichung als geradezu rückschrittlich verdächtigt werden. Denn Begriffe wie Selbstlosigkeit und Versachlichung legen von vornherein den Verdacht auf Zementierung von Selbst-

100 Ebd. S. 466. - Vgl. dazu aber auch Ritter, Subjektivität, S. 11 ff. Seine Mahnung trifft durchaus das, was Schulz auch im Blick hat: "Wir sind blind dafür geblieben, daß in der geschichtlichen Wirklichkeit, wo sich die Entzweiung erhalten hat, gegen alle Theorie und alles Bewußtsein die Freiheit der Subjektivität und die Gesellschaft zusammengeblieben sind." (S. 34 f.) 101 Schulz, Philosophie in der veränderten Welt, S. 466. 102 Ebd. S. 467.

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entfremdung, Verdinglichung, Angepaßtheit und Manipulation nahe. Solchem Verdacht gegenüber ist es jedoch hilfreich, sich vor Augen zu halten, daß damit nur etwas wieder ins Bewußtsein gerufen wird, was illusionäre Vorstellungen über das wirkliche Vermögen des Menschen immer wieder zu Unrecht verdrängt haben: Ein Handeln, für das beansprucht wird, daß es im Zusammenhang mit der gemeinsamen Aufgabe einer Gestaltung der Lebenswelt steht, geht ins Leere, wenn es nicht die wissenschaftlich-technischen Grundbedingungen der gegenwärtigen Lebenswelt zu integrieren vermag. Zum Begriff der Selbstlosigkeit im Sinne des bewußten Zurückstellens des Selbst ist im besonderen noch anzumerken, daß er seine wesentliche inhaltliche Bestimmung dadurch erhält, daß mit ihm ein »Sich-freigeben« für andere gemeint ist. In dieser Hinsicht ist Selbstlosigkeit gleichbedeutend mit »Dasein für andere«. Freiheit ist demnach kein Gegenstand des Selbstgenusses, sondern eine Verpflichtung im Blick auf das Recht des Lebens schlechthin. Darüber hinaus aber erinnert der Begriff der Selbstlosigkeit auch an die Diensttradition, deren Ausbildung und Vermittlung sich nicht zuletzt dem Christentum verdankt, wie dies wieder von Arthur Rieh aufgewiesen worden ist. Der Begriff der Sachlichkeit verweist seinerseits darauf, daß Fragen zu beantworten sind und Probleme zur Lösung anstehen, die ihren Entstehungsort in Bereichen haben, die den Einzelnen übergreifen. Ein Beitrag zur Lösung erfordert darum neben Erfahrung und Sachverstand die Bereitschaft, die Eigenleistung in kooperative Unternehmungen einzubringen. Das Wir tritt gleichberechtigt neben das Ich. Unter den Be-

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dingungen der neuzeitlichen Lebenswelt kann das eine entscheidende Voraussetzung dafür sein, dem Gemeinwohl eine neue, zeitgemäße und verpflichtende Gestalt zu geben. Darüber hinaus aber schließt der Begriff der Sachlichkeit noch einen wichtigen Aspekt ein: Sachlichkeit bedeutet danach auch "verantwortliche S t e u e r u n g " . 103 Sachlichkeit ist also keineswegs schon identisch mit einer Haltung, die wesentlich nur Unterordnung unter Eigengesetzlichkeiten und ihre jeweiligen wissenschaftlichen Begründungen bedeutet. Damit wird nicht in Abrede gestellt, daß es sie gibt. Die Ethik leugnet sie nicht. Aber sie mißt die Wirkung solcher Eigengesetzlichkeiten, seien es nun Marktgesetze oder die Selbststeuerung hochkomplexer Systeme, daran, was sie für das Leben und Überleben von Mensch und Natur austragen. Dies im Namen des Eigenlebens von Funktionssystemen zu untersagen, mußte nicht weniger bedeuten, als nun doch dem Menschen zu bestreiten, daß er in Alternativen zu einem durch die Funktionssysteme festgelegten Handeln zu denken und dementsprechend auch alternativ zu handeln vermag. Die immer wieder geforderte Berechenbarkeit und Voraussagbarkeit menschlichen Handelns kann sich auch zu einer Despotie entwickeln, die dem Menschen gerade das nimmt, was ihn als Menschen auszeichnet: einen freien Willen zu haben und damit im Letzten unberechenbar zu sein. Sachlichkeit ist also nicht nur darauf zu beschränken, lediglich das zu akzeptieren, was man will und was man allenfalls noch wollen kann. Sie drängt vielmehr, recht verstanden, gerade auch darauf, das Gewollte daraufhin zu prüfen, ob es

103 Ebd. S. 466 f.

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auch das Gesollte ist. 1 0 4 Insofern ist sie auch nicht auf bloße Pragmatik einzugrenzen. Gerade sie läßt ja wieder die Forderung nach der Ausbildung einer ethischen Steuerungsrationalität entstehen, wie wir sie bereits bei den Kritikern der Moderne ausgedrückt fanden, und zwar gerade im Bewußtsein des gefährdeten Menschseins. Diese Rationalität kann sich folglich nicht damit zufrieden geben, daß etwas nur möglich, allgemein üblich und nützlich ist. Für die Entwicklung solcher Rationalität gilt folgende, von Walter Schulz genannte Voraussetzung: "Der Mensch ist heute gezwungen, sich selbst zu planen, und das heißt, mit sich selbst zu experimentieren, denn gerade der Mensch der gegenwärtigen Gesellschaft ist mehr denn je als das nicht fertige Wesen zu bestimmen."! 05 Der Selbsteinsatz in der Forschung und in der Entwicklung neuer, lebensdienlicher Technologien ist so durchaus ein Gefordertes. Aber er kann erst dort sinnvoll erfolgen, wo zugleich mitbedacht wird, welche Möglichkeiten, die daraus hervorgehen, genutzt werden können, ohne die Gefährdungspotentiale noch zu vergrößern. Sich selbst zu planen, kann darum auch nicht heißen, nach einem »Menschenbild« jetzt Menschen formen zu wollen. Es steht nicht eine spezifische Konditionierung zur Diskussion, wie sie von radikalen Behavioristen bisweilen gefordert wird. Im Wägen und Verfolgen oder Vermeiden eröffneter Möglichkeiten findet vielmehr das seinen geschichtlichen Ausdruck, worin der Mensch seine Aufgabe in der Welt meint erkennen zu können. Aber dieser Ausdruck ist, wie Ortega y Gasset gezeigt

104 Einen wichtigen Beitrag zu eben dieser Frage leistet Jonas, Prinzip Verantwortung, vgl. bes. S. 172 ff. 105 Philosophie in der veränderten Welt, S. 467.

Das

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hat, nichts Dauerndes, sondern er bleibt, was die Wiedergabe des Selbstverstädnisses des Menschen betrifft, ungewiß und drängt zu neuen geschichtlichen Ausdrucksformen.

Technik und Muße In den letzten Jahren ist das Bewußtsein dafür gewachsen, daß zu dem in der Industriegesellschaft entwickelten Verständnis der Arbeit als notwendiger Gegenpol die Muße treten muß. Die Erfüllung der Kulturaufgabe kann nicht nur in der Arbeit ihr einziges Medium sehen. Lapidar und eindrücklich heißt es darum bei Günter Ropohl am Ende seiner Betrachtung über den "Sinn der Technik und die soziale Organisation der Arbeit": "Wenn wir uns weiterhin von den Automatismen einer verselbständigten Wirtschaft überrollen lassen, werden wir noch lange zu entfremdeter Arbeit gezwungen werden, bloß um Produkte herstellen und Produkte konsumieren zu können, die uns von schöpferisch tätiger Muße ablenken. Wir müssen schon unsere Geschichte selber machen. Wir müssen die realen Möglichkeiten erkennen, und dann müssen wir die Weichen anders stellen. Wir müssen die Verteilung von Arbeit und Einkommen neu ordnen, und wir müssen über unser Bildungssystem dafür sorgen, daß die Menschen lernen, was die Weisen und Privilegierten schon immer wußten: Der Sinn des Lebens liegt nicht in erzwungender Erwerbsarbeit, sondern in schöpferisch tätiger Muße."!06

106 Ders.: Arbeit im Wandel, S. 111.

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Abgesehen von der sozialpolitischen Forderung nach einer Neuverteilung von Arbeit und Einkommen wird an diesen Aussagen erkennbar, wie stark jetzt die Zurückdrängung der Muße durch den modernen Arbeitsbegriff auf eine Revision drängt. Der Begriff »Muße« steht in engstem Zusammenhang mit der griechischen Vorstellung, die im Begriff der OÄq (das deutsche Wort: Schule leitet sich von ihm ab) ihren Niederschlag gefunden hat. 1 0 7 In der Antike bedeutete Muße, daß man von politischen und ökonomischen Tätigkeiten frei war. Dennoch wurde sie nicht als Untätigkeit schlechthin verstanden, sondern als eine Beschäftigung anderer Art, in der Bildung, Kunst und Kultur überhaupt ebenso ihren Platz hatten wie Feste, Feiern und Freunde. In begriffsgeschichtlicher Entwicklung wird Muße zur Grundvoraussetzung der Besinnung auf den eigenen Lebensweg und im Zusammenhang damit zur Grundvoraussetzung für die Beantwortung der Frage, woraufhin Leben geordnet werden soll. Wer sich also ganz an die in der Neuzeit entstandenen zweckrationalen Systeme gebunden hat, mit denen Arbeit organisiert wird, sieht zwar die damit verfolgten Ziele. Seinem Blick verhüllen sich aber andere Bereiche der Wirklichkeit, die für ein sinnvoll gelebtes Leben nicht minder wichtig sind. Ohne Muße als Frei-sein von einer im Spezialistentum aufgehenden, aber damit das Ganze der Wirklichkeit verfehlenden Geschäftigkeit kann folglich die Ordnung des Daseins nicht gelingen. In der Gegenwart wächst darum das Bewußtsein dafür, daß dem modernen Arbeitsverständnis zwar ein entscheidender Beitrag für die Herausbildung von Wohlstand zu verdanken ist, daß aber der damit verbundene Verlust der Polarität, in der Muße 107 Zum Ganzen vgl. den Art.: Muße, HWP Bd. 6, Sp. 257-260.

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zum zweckorientierten Handeln steht, auch einen Wirklichkeitsverlust zur Folge hat und darum durchaus einen Verarmungsprozeß inmitten wachsenden materiellen Reichtums darstellt. Dieser Entwicklung mit Hilfe von Freizeittheorien kompensatorisch zu begegnen führt aber, so wird es jetzt ebenfalls deutlich, zu keinem wirklich nachhaltigen Erfolg. Eine Aussicht auf ihn eröffnet sich darum erst dort, wo wieder radikal nach der Bedeutung der Muße für das Dasein und seine Pflege gefragt wird. Einen entschiedenen Schritt in diese Richtung ist Josef Pieper gegangen. 108 Antike und christliche Traditionen werden von ihm neu erschlossen und daraus Erkenntnisse gewonnen, die für die Lösung von Gegenwartsproblemen fruchtbar gemacht werden. Die Muße als eine im aristotelischen Sinn sich vollziehende Tätigkeit der Seele erhält ihre Bedeutung für die Bewahrung des Menschlichen wieder zurück: "In der Muße - nicht in ihr allein, aber unverzichtbar auch in der Muße! - wird das wahrhaft Menschliche dadurch gewahrt und gerettet, daß der Bezirk des "eigentlich Menschlichen" immer wieder einmal verlassen wird - und dies nicht in einer äußersten Anstrengung des Auslangens, sondern wie in einer Entrückung [...]."109 Dieses Heraustreten aus dem "Bezirk des »eigentlich Menschlichen«, das eben auch ein Heraustreten aus den durch das moderne Arbeitsverständnis gezogenen Grenzen ist, bildet darüber hinaus die Voraussetzung für eine Begegnung mit der Wirklichkeit, in der "die Welt als Ganzes" wieder in den Blick kommt. Arbeitsteiligkeit und Speziali-

108 Siehe dazu seine bedeutende Arbeit: Muße und Kult, 16.-20. Tsd. München 1955. 109 Ebd. S. 59.

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stentum haben die Wirklichkeit fraktioniert - auch den Menschen, dessen Menschsein dann von der Zugehörigkeit zu einer jeweiligen Fraktion bestimmt wurde. Die ganze Hintergründigkeit und Abgründigkeit des Begriffs »Fraktionszwang« leuchtet hier schlaglichtartig auf. Denn durch ihn wird der Mensch nur noch auf einen Teil seines Menschseins festgelegt. Angesichts dieses Sachverhalts fragt Pieper zu recht, "ob gegen den Anspruch der totalen Arbeitswelt die Berufung auf ein humanum genügen könne."! 1° Das kann sicher erst dort genügen, wo der Mensch sich nicht mehr als Teil eines Teils, sondern wieder "als ein auf das Ganze des Seins angelegtes Wesen" begreift. 111 Die Muße "als die Haltung der Nicht-Aktivität, der inneren Ungeschäftigkeit, der Ruhe, des Geschehen-lassens, des Schweigens", wird jetzt als die Kraft identifiziert, die entscheidende Bedingungen schafft,und so zur Voraussetzung "für das Vernehmen von Wirklichkeit w i r d . " 1 1 2 In dieser Hinsicht ist Muße mehr als ein bloßes Ausspannen und Entspannen, um neue Kräfte für das Eingespanntsein in die Arbeitswelt und die in ihr wirksamen Technologien zu sammeln. Man wird vielmehr auch sehen müssen, daß durch sie eine Sammlung von Kräften stattfindet, die eben aus der Zerstreuung in einer fraktionierten Welt und damit aus ihrer Verlorenheit zurückgeholt und neu versammelt werden. Es vollzieht sich darin auch eine neue Hinordnung des Menschen auf die Lebenswelt, die es ihm er-

110 Ebd. S. 63; zum Problem der Wirklichkeit vgl. auch Wilhelm Weischedel, Wirklichkeit und Wirklichkeiten, Berlin i960, bes. S. 118141. 111 Ebd. S. 58. 112 Ebd. S. 52.

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möglicht, als Person in ihren Spannungen und Konflikten zu bestehen. In dieser Hinsicht verbindet sich die von Ropohl angesprochene Frage nach dem Lebenssinn mit der Muße. Wie die Muße aus ihrem Gegensatz zu dem völligen Eingespanntsein in Systeme der Arbeitsorganisation zu begreifen ist, so kann auch der Sinn des Lebens sich erst erschließen, wenn die Bereitschaft besteht, die bloße Fixiertheit auf das moderne industriegesellschaftliche Arbeitsverständnis zu durchbrechen: Er ist in der modernen Arbeitsorganisation und dem ihr zugrunde liegenden Kosten-Nutzen-Denken sowie dem damit verbundenen Effektivitätsprinzip allein nicht zu finden. Und ohne Muße kann der Lebenssinn gewiß auch nicht gefunden werden. Der gegenwärtig häufige Gebrauch des Wortes »Sinn« in allen möglichen Verbindungen darf allerdingss nicht darüber hinwegtäuschen, daß gerade die Sinnfrage zu den schwierigsten zählt, die sich dem nachdenkenden Menschen stellen. Es wird darum auch gar nicht erwartet werden können, daß sie sich auf eine einfürallemal gültige Weise beantworten läßt, sondern stets neue Anstrengungen erfordert: Ich kann mich der Sinnfrage nur immer wieder je neu aussetzen. So setzt sie eine Bewegung in Gang, die immer nur zu einer Annäherung an eine endgültige Beantwortung führt. Wilhelm Weischedel hat dies in seinen Überlegungen zur Frage nach dem Sinn kenntlich gemacht. 113 Es sind von ihm fünf Wesensmerkmale herausgearbeitet worden, die den formalen Begriff des Sinnes näher bestim-

113 Vgl. dazu Weischedel, Der Gott der Philosophen, 2. Bd., S. 165 ff.

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men. Das erste Merkmal kennzeichnet den Sinn als das, was verstehbar ist. "Überall also bedeutet Sinn im ersten und weitesten Aspekt soviel wie Verstehbarkeit. Als sinnlos dagegen erscheint das, was man nicht versteht oder nicht verstehen kann."ii4 Das zweite Wesensmerkmal bezieht sich auf die Objektivität des Sinnes. Damit soll zum Ausdruck gebracht werden, daß Sinn nicht eine beliebige, von subjektiver Sinngebung abhängige Größe ist. "[...] Sinn wird verstanden als objektiver Sinn; er liegt im Verstehbaren; er wird von diesem her entgegengenommen. [...] Überall ist das Verstehen darauf aus, den in der Sache liegenden Sinn herauszuheben."! 15 Dieses Merkmal verliert auch dann seine Gültigkeit nicht, wenn der Mensch sich selber als sinnverleihendes, sinnschaffendes oder sinnstiftendes Subjekt begreift. Denn auch als dieses Subjekt ist er davon abhängig, was sich ihm als in der Sache liegender Sinn zu erkennen gibt. "Man kann also einer Sache nur dann Sinn verleihen, wenn man dabei auf ein als objektiv sinnhaft Vermeintes blickt."! 16 Der Frage nach dem, worauf das vermeinte Sinnhafte als das ihm Sinn Gebende verweist, dient das dritte Wesensmerkmal. Es bezieht sich darauf, daß der Begriff »Sinn« etwas meint, "von dem her Bedeutung und Sinn kommen". 117 In dieser Bestimmung liegt die prinzipielle Unterscheidung zwischen dem, das Sinn verliehen erhält, und dem, was Sinn ver-

114 Ebd. S. 166. 115 Ebd. 116 Ebd. S. 167. 117 Ebd.

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leiht: "Das Sinnhafte hat den Sinn; das andere, worauf es deutet, ist der S i n n . " " 8

Hier handelt es sich in der Tat um eine außerordentlich weitreichende Unterscheidung. Denn sie besagt im Grunde, daß der Sinn etwas ist, worauf man nur zugehen kann in der Hoffnung, daß er verstehbar wird. Er ist aber gerade nicht etwas, was von vornherein planbar, organisierbar und kontrollierbar ist. Im Letzten bleibt der Sinn immer ein unverfügbar Übergreifendes. Als viertes Wesensmerkmal des Sinnbegriffs führt Weischedel an, daß "Sinn als rechtfertigender und fraglos machender Grund" zu verstehen ist. 1 1 9 Diesem Verständnis liegt die Beobachtung zugrunde, daß die Sinnfrage selbst wesentlich aus der Legitimationsproblematik hervorgeht und demzufolge nicht nur auf Verstehensprozesse und Verweisungszusammenhänge gerichtet ist. Wo daher nach dem Sinn einer Sache gefragt wird, da liegt auch immer das Moment der Fraglichkeit eben dieser Sache vor. Fraglichkeit aber meint zunächst nur, daß nicht schon von vornherein feststeht, ob eine Sache sinnhaft ist oder nicht. Eben dieser Umstand läßt danach fragen, woher es kommt, daß eine Sache so ist, wie sie ist, und ob sie auch so sein soll. Während es weniger schwierig ist, den ersten Teil der Frage zu beantworten, bildet der zweite Teil den Kern einer sich durch alle Lebensbereiche hindurchziehenden Problematik. Es ist evident, daß sie durch Zweckmäßigkeitserwägungen allein keineswegs zu lösen ist. Eine bloße Beschränkung auf das Zweckdenken in allen seinen Spielarten zeigt nur eine Verarmung des Denkens an. Es 118 Ebd. S. 168. 119 Ebd. S. 168 f.

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müssen vielmehr noch andere Überlegungen hinzutreten, die nicht erfolgs- und zweckorientiert sind. Der Sinnbegriff ist in dieser Hinsicht die umgreifende Bezeichnung dafür. E t w a s als sinnhaft zu bezeichnen, heißt dann, es nicht n u r in seinem tatsächlichen Bestand anzuerkennen, sondern ihm auch die Dignität zuzuerkennen, daß es so sein soll, wie es ist. Sinn meint demzufolge "Enthebung aus der Fraglichkeit", in die die Frage danach, ob etwas sein soll, stets hineinführt. "Der Sinn als das Rechtfertigende und Fraglosmachende k a n n auch als der Grund des Sinnhaften bezeichnet werden [...] Grund bedeutet also hier: das, von woher es kommt, daß etwas sinnhaft ist."l20 Der allgemeinen Aufgabe nun, den Sinn-Grund freizulegen, ist in grundsätzlicher Hinsicht das fünfte Wesensmerkmal zuzuordnen. Weischedel bezeichnet es als das "Phänomen einer Sinnkette mit ihrer unumkehrbaren und expansiven Richtung".l2l Mit dem Begriff »Sinnkette« wird angezeigt, daß es sich bei der Freilegung des Sinn-Grundes nicht um die Erledigung einer einmaligen Aufgabe, sondern um einen andauernden Prozeß handelt, in dem die einzelnen Phasen ineinandergreifen wie ein Glied der Kette in das andere. Der Grund dafür liegt darin, daß auch "der sinnverleihende Sinn [...] u n t e r der Notwendigkeit" steht, "seine Sinnhaftigkeit zu rechtfertigen und fraglos zu machen". 122 Es ist folglich nicht schon damit getan, einen freigelegten Grund als den einzigen sinnstiftenden Sinn herauszustellen. 120 Weischedel, Der Gott der Philosophen, S. 168 f. 121 Ebd. S. 170. 122 Ebd. S. 169

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Denn auch dieser Grund erweist sich selbst wieder nur als ein Sinnhaftes, daß auf einen anderen Sinn-Grund verweist. So endet also stets jede Antwort auf die Sinnfrage in einer erneuten Frage nach dem Sinn, oder positiv: Jede Antwort verweist auf ein anderes Sinngebendes. Diese immer neuen Verweisungen bilden die Kette. Der bildhafte Begriff »Kette« macht indessen auch deutlich, daß alles Mühen um den Sinn immer nur ein stets neues Versuchen sein kann. Indem er aber von einer "unumkehrbaren [...] Richtung" spricht, die diese Kette besitzt, will er darauf hinweisen, daß sich das Fragen nach dem Sinn immer in Richtung auf einen höheren Sinn bewegt, der zugleich auch der umfassendere ist. Das stets neue Versuchen, Sinn zu ergründen, ist so von dem negativen Beigeschmack befreit, ein Sich-Drehen-im-Kreise zu sein, bei dem nichts herauskommt. Vielmehr "kommt es, ausgehend von dem einzelnen Sinnhaften zu einer Kette der Verweisungen auf ein jeweils höheres sinngebendes Sinnhaftes [...] Wenn es also überhaupt Sinnhaftes gibt, dann steht dieses innerhalb eines umfassenden Sinnzusammenhanges, in dem jedes einzelne Sinnhafte seine Sinnhaftigkeit von einem je höheren Sinnhaften her erhält. Das Verstehen von Sinn aber vollzieht sich so, daß es sich gleichsam an der Kette der Sinnverweisungen und Bedeutungen entlangtastet, um einen immer umfassenderen Sinn zu f i n d e n " . 123 Das Aussein auf einen "umfassenderen Sinn" macht dann das »Expansive« der Richtung aus. Im Zusammenhang dieses fünften Wesensmerkmals stellt sich unabweisbar die Frage, ob die unumkehrbare und expansive Richtung der Sinnkette nicht in letzter Konsequenz in ei123 Ebd. S. 169 f.

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nem unbedingten Sinn ihr Ende findet, der zugleich auch das letzte, auf keinen anderen Sinn mehr verweisende, umfassendste Sinngebende ist. Traditionellerweise hat die Theologie diesen unbedingten Sinn, den Sinn selbst, im Rahmen ihres Gottesbegriffes begründet und entfaltet. Die Erfahrung dieses umfassendsten Sinngebenden blieb aber immer dem Glauben vorbehalten. Ihn vermag die Philosophie nicht, wie Weischedel erneut versichert, in die "Voraussetzungen eines ernstlichen Philosophierens" eingehen zu lassen.124 Hier scheint sich eine unüberbrückbare Kluft aufzutun. Es zeigt sich jedoch, daß auch die Philosophie davon ausgeht, "daß, wenn es überhaupt etwas gegründet Sinnhaftes geben soll, damit implicite ein unbedingter Sinn gesetzt ist".125 Dies heißt indessen nur, daß der Glaube als Akt des Vertrauens in Gott als unbedingten Sinn immer schon jeder Argumentation vorausgeht.126 Dieser als Vertrauen qualifizierte Glaube bleibt der Akt eines moralischen Engagements, das sich der Erfahrung mit dem Heiligen verdankt. Daraus folgt, daß der sich dem Glauben zu erfahren gebende Gott als absoluter Sinn-Grund nicht zum Gegenstand der Sinnkette werden kann. Die »Frage nach« und das »Mühen um« den Sinn bleiben so in letzter Konsequenz in einer nicht aufzuhebenden Unabgeschlossenheit und Offenheit. Sie weisen in einen Horizont, in dem die Fraglichkeit des Sinns stets gegenwärtig ist. Dieser eigentümliche Sachverhalt mutet dem Menschen den Verzicht zu, die im Glauben erfahrene Gewißheit, daß es einen unbedingten Sinn gibt, selbst bereits zum Ende dieser

124 Ebd. S. 173. 125 Ebd. S. 172. 126 Dazu vgl. Kolakowski,

Falls es keinen Gott gibt, S. 28.

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Fraglichkeit zu machen. Aber die Glaubensgewißheit stellt ihrerseits eine Ermutigung dar, sich der Fraglichkeit zu stellen, in ihrem Horizont zu bleiben und darin neue Erfahrungen des Glaubens mit der Geschichte zu machen. Ropohls Bemerkung, daß der Sinn des Lebens in schöpferisch tätiger Muße liege, bezieht sich demnach auf einen komplexen Sachverhalt. Er bildet aber keineswegs schon den Grund, Lebenssinn mit Muße ineinszusetzen. Die Zeitdiagnosen haben zweifelloss ein Defizit an Muße festgestellt. Jetzt gilt es aber, nicht erneut einen Fehler zu machen, indem Arbeit durch Muße verdrängt wird. Sinn ist eben nicht ausschließlich auf Muße zu beziehen. Auch der Arbeit, und zwar durchaus in ihren gewandelten Formen, darf ihre Sinnhaftigkeit nicht abgesprochen werden. Sicher ist Muße jedoch eine entscheidende Voraussetzung, dem Sinn gewissermaßen nachzusinnen. Das gelingt gewiß nur, wie gezeigt wurde, wenn Weisen des bloßen Verhaftetseins in Systeme durchbrochen werden. Dem Sinn nachzusinnen bedingt Freiheit. Aber diese hat ihren Ort in dem Spannungsfeld zwischen Arbeit und Muße, und diese Polarität gehört zu den Grundbedingungen menschlichen Daseins. Technik als in der Gesellschaft vermittelte Vergegenständlichung von Leistung und Arbeit hebt sie nicht auf. Doch sie schafft durch ihre Entlastung jene Voraussetzungen, die es gestatten, die Muße wieder in ihr Recht zu setzen. Fraglich bleibt allerdings auch dann noch, ob die damit eröffnete Chance, Leben orten und Handeln im Sinne der Lebensdienlichkeit orientieren zu können, auch ergiffen wird. Diese Frage zeigt ein Problem an, das durchaus kontrovers diskutiert wird. So fragt Helmut Schelsky besorgt: "Was wird es für den Menschen bedeuten, daß es ihm gelingt,

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die Zeit in einem ähnlichen Maße zu raffen, wie er durch den modernen Verkehr den Raum gerafft hat? Oder, da j a dieses Verhältnis zur Zeit sich nur auf einen Teil der menschlichen Fähigkeiten, auf das zweckrationale Planungsdenken bezieht: Wie werden sich die anderen menschlichen Fähigkeiten, Gemüt und Phantasie usw. dieser intellektuellen Veränderung des Menschen anpassen?"! 27 Seine Besorgnis ist berechtigt. Die Gefahr, daß gewonnene Zeit zweckrational verplant und die Muße erneut zurückgedrängt wird, ist nicht von der Hand zu weisen. Die Chance, die die Technik bietet, könnte vertan sein: Statt Entlastung und Zeitgewinn Terminhäufungen und Streß. Überhaupt scheint in bezug auf das Vermögen des Menschen, mit Technik so umzugehen, daß das Dasein gepflegt wird, eine gewisse Skepsis vorzuherrschen. Sie betrifft einmal die Möglichkeit, daß die technischen Entwicklungen den Menschen überfordern. Skeptisch wird aber auch das Vermögen der Menschen betrachtet, sich die Erkenntnisgrundlagen anzueignen, die notwendig sind, um Technik überhaupt zu verstehen und aus dem Verstehen heraus sinnvoll in den je eigenen Lebensvollzug zu integrieren. Befürchtet wird statt dessen, daß noch immer die Auffassung vorherrscht, daß die Technik als ein von menschlichen Steuerungsfähigkeiten weitgehend losgelöstes, autonomes Gebilde zu betrachten sei, bei dem es lediglich auf die richtige, anleitungsgemäße Bedienung ankomme. Schließlich läßt sich auch die Frage nicht mehr umgehen, ob denn überhaupt noch mit einer Weiterentwicklung des Menschen gerechnet werden könne, oder ob nicht vielmehr damit

127 Zukunftsaspekte der Industriegesellschaft, a.a.O. S. 94.

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gerechnet werden müsse, daß er hinsichtlich seiner Verhaltensausstattung ein "Steinzeitjäger im Atomzeitalter" bleiben werde. So bliebe vielleicht nur noch die vielerorts vertretene Meinung, daß der Mensch der "Endpunkt der Evolution" allenfalls in dem Sinne sein werde, "daß er möglicherweise - und vieles spricht heute leider dafür - sich selbst ausrotten und durch einen atomaren Holocaust alles weitere Leben auf diesem Planeten verhindern wird."!28 Doch ein solches Schicksal ließe sich nicht der Technik aufs Schuldkonto buchen, sondern allein dem unfähigen Menschen, der aus Borniertheit oder Dummheit mit der Technik nicht so umzugehen vermag, daß er gerade die von ihr gewährten Chancen für ein gepflegtes Dasein auch nutzt. Dieses gepflege Dasein aber, so sagten wir an anderer Stelle, ist im Grunde nichts anderes als Kultur. Sollte man annehmen müssen, daß der Mensch der späten Neuzeit nur noch als kulturunfähig einzustufen sei? Diese Frage mit einem uneingeschränkten Ja zu beantworten, hieße jedoch, die Möglichkeit zu leugnen, daß es allen widersprechenden Erscheinungen zum Trotz doch zur Hinordnung des Daseins auf andere, humane und lebensdienliche Ziele kommen kann. Die Technik macht das nicht unmöglich, ja, sie fordert dazu geradezu heraus. Diese Herausforderung nun aber auch in voller Breite anzunehmen bedeutet, noch andere Fähigkeiten zu aktivieren als nur die, welche bisher in Fort- und Weiterbildungsveranstaltungen gefördert werden sollen. Die Vermittlung von Kompetenz, Technologie in Industrie und Wirtschaft effektiver nutzen zu können, ist zweifellos ein Erfordernis der gesamten industriegesellschaftlichen Entwick128 Franz Wuketits, Evolution, Erkenntnis, Ethik, S. 53.

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lung mit Einschluß eben der sie mitbedingenden technologischen Entwicklung. 129 Demgegenüber ist mit den anderen Fähigkeiten die Zuwendung zur Wirklichkeit der Welt als Ganzer, die Ausbildung von Mitmenschlichkeit, die Kultivierung des Verhältnisses zu Natur und Umwelt gemeint Fähigkeiten im Letzen also, für die die sonst herrschenden Maßstäbe des Gewinns und des Nutzens in hohem Maße relativ geworden sind. Ihre Pflegstätte ist die Muße als Gegenpol zur Erwerbsarbeit. Im Zusammenspiel von Muße und Arbeit, so ist zu hoffen, werden sich schließlich auch Kräfte wecken lassen, die sich dem befürchteten Verschwinden der Welt in Geist- und Seelenlosigkeit wirksam entgegenzustellen vermögen. Die Gesellschaft aber, die sich bereits als Vermittlungszusammenhang von Technik erwiesen hat, kann so auch zum Vermittlungszusammenhang jener Kräfte werden, die Kultur als gepflegtes Dasein anstreben.

129 Vgl. dazu zuletzt Meister, Wagner, Zander, Personal und neue Technologie, S. 101-127.

Die Herausforderung zu einer vorausschauenden Technologiepolitik Die Einführung in Grundprobleme der Technikethik soll mit einer Erörterung des Themenkreises »Technik und Politik« abgeschlossen werden. Es legt sich nahe, die zentrale Frage nach einem sinnvollen - und das heißt in unserem Kontext: nach einem lebensdienlichen - Umgang mit der Technik gerade auch in einem solchen Rahmen zu diskutieren. Dafür spricht nicht nur, daß in den letzten Jahrzehnten die politische Förderung technischer Entwicklungen und vor allem des Technologie-Transfers, das heißt der Überführung wissenschaftlicher Erkenntnisse in die technische Praxis, einen hohen Stellenwert bekommen hat. Die Prüfung der sich daraus ergebenden Möglichkeiten für Entwicklungen in der Gesellschaft und besonders der darin eingebetteten Lebensbedingungen der Menschen muß folglich ebenfalls einen hohen Rang beanspruchen. Ist es wünschenswert, jeder Möglichkeit zu folgen? Bei welchen ist das der Fall? Welche dürfen nur bedingt genutzt werden? Und welche müssen völlig von jederNutzung ausgeschlossen bleiben? Allein dieser Hinweis macht bereits deutlich, welche Verantwortung auf den Politikern lastet, die über die Mittel für technologische Entwicklungen zu befinden haben. Darüber hinaus ist eine Erörterung des Themenkreises »Technik und Politik« aber noch aus einem weiteren Grund wichtig: Die Erarbeitung neuer Orien-

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Die Herausforderung

tierungsgrößen für den Umgang mit Technik, die Ausbildung von Sensibilität für Gefährdungen durch Technik und überhaupt für die Möglichkeiten ihres Mißbrauchs, der Prozeß der Integration der Technik in Kultur und die Nutzung durch sie eröffneter Möglichkeiten für die Pflege des Daseins sowie schließlich die Ausbildung und Konzentration von Energien im Spannungsfeld von Arbeit und Muße zur Verfolgung dieser Zwecke verlangen nach der Unterstützung aus dem politischen Raum. Sie stellt eine wichtige Voraussetzung dafür dar, daß das Notwendige begriffen und das Richtige getan wird. Es ist eine seit langem gesicherte Erkenntnis, daß das durch einen Bewußtseinswandel zu verändernde Individualverhalten gerade nach dieser Seite hin der politisch-institutionellen Absicherung bedarf, wenn es Wirkungen zeigen soll, die den einzelnen dazu ermutigen, den als richtig erkannten Weg weiterzugehen. Die aus der historischen Situation erwachsende Herausforderung zu einem kreativen und dem Leben dienenden Umgang mit Technik kann darum den Raum des Politischen gar nicht unberücksichtigt lassen. Es geht darum, daß in ihm Steuerungskompetenz ausgebildet und aktiv wird, durch die nicht nur klare rechtliche Rahmenbezüge und Zielvorstellungen für den Umgang mit Technik entwickelt werden, sondern mittels derer schließlich auch eine demokratische Kontrolle der technologischen Entwicklung ausgeübt werden kann. Schließlich ist aber noch auf einen wissenschaftstheoretischen Grund hinzuweisen, der die Erörterung des in Frage stehenden Themenkreises geradezu notwendig macht: Die heutige Ethik würde ihrer Aufgabe nicht gerecht, wenn sie sich wieder nur auf den engeren Bereich der Individualethik beschränken und konkreten Problemen der heutigen Lebens-

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weit, die überindividuellen Charakter besitzen, nicht die gleiche Aufmerksamkeit zuwenden wollte. Sie wird dadurch allerdings mit einem jetzt zunehmend deutlicher werdenden, grundsätzlichen Konflikt konfrontiert, auf den Hans Lenk aufmerksam macht: "Wir haben unsere ganzen ethischen Kategorien entwickelt im Handeln von Mensch zu Mensch, von Angesicht zu Angesicht, in der Kleingruppe oder maximal über die Kleingruppe hinaus, jedoch im unmittelbaren Umgang mit Menschen. Mit dem gesamten Instrumentarium der Technologie sind wir jetzt in der Lage, abstrakte Wirkungen, die nicht im unmittelbaren Handeln deutlich werden und deren Konsequenzen wir nicht sofort übersehen, zu veranlassen. Diese werden nicht in unserem ethischen Normen-Katalog repräsentiert."! Es ginge dann also vor allem darum, ethik-freie Räume zu beseitigen. Nun ist die Politik ein solcher Raum allerdings niemals gewesen. Sie bildet im Gegenteil einen Gegenstand, der in der Ethik seit der Antike intensiv bearbeitet worden ist. Die Technik spielt dabei aber keine oder doch nur eine höchst untergeordnete Rolle. Das mag nicht zuletzt damit in Zusammenhang stehen, daß bislang auch die Politik gegenüber der technischen Entwicklung eine mehr permissive Haltung eingenommen hat, was bedeutet, daß sie unter Verzicht auf eigene Steuerungskompetenz gewähren ließ und allenfalls sich darauf beschränkte, technologische Innovationen in wirt-

1

Technik und Gesellschaft III, S. 7; vgl. auch ders.: Zum Verantwortungsproblem in Wissenschaft und Technik, in: Elisabeth Ströker (Hg.), Ethik der Wissenschaften?, Paderborn/München 1984, bes. S. 98-102.

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schaftlicher Absicht zu fördern.2 Diese permissive Haltung beklagte bereits der englische Philosoph Alfred North Whitehead. In seiner Analyse wird das entstandene politische Unvermögen zur Koordination von technischer Entwicklung und übergreifenden Zielvorstellungen hervorgehoben. Bemerkenswerterweise weist Whitehead bereits 1925 auf die Notwendigkeit hin, Steuerungsvermögen auszubilden, damit Desaster vermieden werden, die eine wildwüchsige Entwicklung leicht zur Folge haben kann. Das Ziel müsse folglich in einer Balance bestehen, die zwischen wissenschaftlichtechnischer Entwicklung und den gesellschaftlichen Erfordernissen herzustellen die neue Aufgabe darstellt.3 Heute hat sich der Zwang, politische Steuerungskompezenz auszubilden, angesichts der Einsichten, die in die Notwendigkeit und die Risiken technischer Entwicklungen gewonnen worden sind, noch verstärkt. Schelsky erkannte, daß damit Fragen aufgeworfen werden, die im Letzten solche "der politischen Verfassung und Führungsweise" sind. 4 Noch deutlicher wird gegenwärtig hervorgehoben, daß die "Wahrnehmung technischer Risiken ... (zu) Handlungsdruck auf die Politik" führt. 5 Von ihr wird jetzt erwartet, daß "die im Modernisierungsprozeß fortgeschrittener Industriegesellschaften mitproduzierten Risiken und Gefährdungen" offengelegt und "Alternativen einer 2

Siehe hierzu Günter Ropohl, Die unvollkommene Technik, Frankfurt/M. 1985, S. 230 ff.

3

Science and the Modern World, S. 197 ff.

4

Zukunftsaspekte der industriellen Gesellschaft, S. 92.

5

Klaus Lompe, "Verwissenschaftlichung" der Politik als Element der Modernisiserung der Industriegesellschaft? Wissenschaft und Technologiepolitik in der "Risikogesellschaft", in: Siegfried Bachmann u.a. (Hg.), Industriegesellschaft im Wandel. Chancen und Risiken heutiger Modernisierungsprozesse, Hildesheim 1988. S. 10.

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sozialverträglichen Gestaltung" erarbeitet werden.6 In diesem Zusammenhang stellt sich für eine verantwortliche Technologiepolitik die hier bereits mehrfach erörterte Frage nach dem Umgang mit Technik besonders eindringlich: wie soll sie die technologischen Systeme handhaben und auf welche Weise können ihre technologiepolitischen Entscheidungen gesellschaftliche Akzeptanz finden?? Damit ist ein außerordentlich sensibler Sachverhalt angesprochen. Denn auf der einen Seite sind Industrie und Wirtschaft angesprochen, deren Handlungsspielraum tangiert ist. Auf der anderen Seite geht es um Einkommenssicherung, um Arbeitsplätze, aber vor allem auch um Wählerstimmen. Welches Dilemma sich hier auftut, mögen einige herausgegriffene Beispiele deutlich machen: Werden sich Industrie und Wirtschaft durch Auflagen zur Verbesserung des Umweltschutzes, zur Behebung von Verkehrsinfarkten in Ballungsräumen, zur Entlastung der Umwelt und Natur vom Schwerverkehr auf den Straßen, zur eingeschränkten Nutzung der Gentechnologie, ihre Chancen, technologisch die Wettbewerbssituation für sich zu verbessern und dadurch auch höhere Gewinne zu sichern, durch politische Rahmenvorgaben verringern lassen? Die Ausbildung des Lobbyismus gerade von Seiten der Industrie und der Wirtschaft zeigt, daß diese Frage nicht einfach mit J a beantwortet werden kann? Die Politik wird vielmehr zu Kompromissen genötigt. Aber es besteht keine sichere Aussicht, daß auf ihnen ruhende Entscheidungen die Zustimmung in der Bevölkerung

6

Ebd.

7

Ebd. S . l l .

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dann auch finden. Der Widerstand gegen Kernkraftwerke und nukleare Entsorgungseinrichtungen macht das ebenso deutlich wie Bürgerinitiativen gegen neue Autobahntrassen. Der Politiker muß nach dieser Seite den Kompromiß mit dem Bürger suchen, andernfalls riskiert er, nicht oder nicht mehr gewählt zu werden. Er muß zudem bei seinen Abwägungen mitberücksichtigen, welche Risiken noch für tragbar, welche hingegen für gänzlich untragbar zu halten sind. Es ist verständlich, daß man sich in solchen Konfliktlagen nach Hilfen umsieht. In erster Linie wendet man sich an die Wissenschaft. Von ihr erwartet man eine präzise Aufkunft über mögliche Risiken. Allerdings wird die Frage, ob die Problemlösungskapazität der Wissenschaft wirklich noch eine Hilfe darstellt, nicht mehr uneingeschränkt bejaht.8 Zudem wirkt sich einschränkend aus, daß die Wissenschaft zwar sagen kann, was ist, was möglich ist und was man allenfalls wollen kann, aber sie kann eben nicht verbindlich sagen, daß man sich nur für das oder das und sonst für gar nichts anderes entscheiden muß. Es würde sie letztlich überfordern, von ihr normative Entscheidungs- und Handlungsanweisungen in politicis erwarten zu wollen. So gilt, daß die Basis für solche Entscheidungen von denen, die sie zu fällen haben, selbst erarbeitet und verantwortet werden muß. Eine Rückversicherung des eigenen Verantwortungsrisikos bei der Wissenschaft ist ausgeschlossen. Der Grund dafür liegt in der Wissenschaft selbst. Ihre Aussagen unterliegen dem Falsifizierungs-Postulat. Das

8

In diesem Sinne äußert sich beispielsweise Hans Mohr, in: Technik und Gesellschaft III, S. 4, und ders.: Natur und Moral, S. 53 ff.

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bedeutet, daß sie nicht ein für allemal gültige Aussagen macht, sondern daß alle Aussagen prinzipiell korrigierbar und überholbar sind. Aber sie kann dessen ungeachtet beraten und begutachten. Die Politik muß sich darum über die von der Wissenschaft vermittelten Kenntnisse, die zur Beurteilung anstehender Sachverhalte unerläßlich sind, hinaus noch anderer Orientierungshilfen versichern. Dabei stößt sie auf die Tatsache, daß für sie in ethischer Perspektive weder Sonderrechte bestehen, noch besitzt sie eine nur für sie geltende Sonderethik. Sie sieht sich vielmehr den gleichen sittlichen Anforderungen ausgesetzt wie jede menschliche Praxis überhaupt. Von einer eigenen politischen Ethik kann man folglich erst dann sprechen, wenn die allgemeinen Grundsätze der Sittlichkeit auf die spezifischen Probleme der Politik angewendet werden. Mithin handelt es sich dabei um eine notwendige Spezifizierung und Konkretisierung der Grundsätze. Das gilt nun vorzüglich für die bereits erörterten Prinzipien, vor allem das der Lebensdienlichkeit. Wie jedes auf Sittlichkeit Anspruch erhebende menschliche Handeln, so ist auch das politische Handeln der Hervorbringung des Guten verpflichtet. Daß dieses Gute bereits hervorgebracht werde, wenn man nur den von Wissenschaft und Technik eröffneten Möglichkeiten folgte, unterliegt starkem Zweifel. Am Beispiel der von der chemischen Forschung geschaffenen Möglichkeit, Giftgas herzustellen, wird sichtbar, daß die Nutzung dieser Möglichkeit keineswegs als Hervorbringung eines Guten bewertet werden kann. Das gilt auch für die von der biologischen Forschung eröffneten Möglichkeit, bakterielle Kampfmittel zu entwickeln. Im Unterschied zum frühen 20. Jahrhundert als das Giftgas noch

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als Mittel "humaner" Kriegsführung gefeiert wurde, 9 gelten heute andere Maßstäbe, die ein posives Urteil nicht mehr erlauben. Dies ist sicher ein extremes Beispiel. An ihm läßt sich aber besonders gut demonstrieren, daß bloße Möglichkeiten überhaupt, mögen sie auch noch so wissenschaftlich begründet erscheinen, nicht schon deshalb, weil es sie gibt, auch eine normative Entscheidungs- und Handlungsvorgabe in dem Sinne darstellen, daß das, was möglich ist, dann auch bereits in die Praxis überführt werden muß. Ob sich das Mögliche tatsächlich in Handeln umsetzen läßt, entscheidet sich vielmehr erst, wenn man bestimmte Maßstäbe anlegt und fragt, ob solches Mögliche ihnen genügt. Das Gute, das die Politik hervorbringen helfen soll, hat man traditionellerweise mit allgemeinen Begriffen wie Recht, Gerechtigkeit, Frieden und Wohlfahrt umschrieben. Die besondere Bedeutung, die die Technik für das Leben der Menschen bekommen hat, läßt die Frage entstehen, wie mittels einer spezifischen Politik Technik darin einbezogen werden kann. Präziser wird zu fragen sein, weil ja die Politik Technikentwicklungen immer nur anregen kann, welche Impulse für welche Entwicklungen heute von der Politik erwartet werden müssen. Gegenwärtig steht die Praxis der Technologiepolitik im Kreuzfeuer der Kritik. Anlaß dafür sind die mit dieser Politik verbundenen wirtschaftlichen Überlegungen. Der gewünschte und geförderte technische Fortschritt wird als Wirtschaftsfaktor gesehen, weil er eine entscheidende Quelle für 9

Der englische Biochemiker und Gegenspieler von Fritz Haber, J.B.S. Haidane, verteidigte noch 1925 den Einsatz von Giftgas, vgl. ders.: Callinicus. A Defense of Chemical Warfare (1. Aufl. 1925) 2. Aufl. London 1925, indem er es als bedeutenden Fortschritt in der Humanisierung der Feindbekämpfung darstellte (vgl. ebda. S. 33 ff.)

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Wohlstand ist. Nun ist Wohlstand sicher auch ein erstrebenswertes Ziel, nicht zuletzt weil er auf die Wohlfahrt einen erheblichen Einfluß hat. Ein wirtschaftlich reiches Land kann sich z.B. ein dichtgeknüpftes Netz sozialer Sicherheit leisten. Aber Wohlstand selbst stellt doch kein so absolutes Ziel dar, daß nicht auch gefragt werden dürfte, ob die Mittel, mit denen er zustandekommt, beispielsweise dem Maßstab der Lebensdienlichkeit, in jedem Fall gerecht zu werden vermögen. Was nützt eigentlich noch der ganze Wohlstand, wenn die Natur weiterhin irreparable Schäden davonträgt, wenn die negative Beeinflussung des Klimas nicht aufhört, wenn Wasser und Luft nach wie vor schwer schadstoffbelastet bleiben und die sog. Zivilisationskrankheiten sich immer weiter ausbreiten? Die Balance, die Whitehead als Richtziel genannt hat, gilt es eben auch in der Technologieförderung anzustreben. Dabei ist unbestritten, daß die Politik auch in ihr eine wichtige Aufgabe zu sehen hat. Aber es muß auch der Einwand beachtet werden, daß es heute zunehmend schwerer wird, "Technologiepolitik allein darauf zu beschränken, durch staatliche Initiative die schnellstmögliche Förderung und Entwicklung neuer Technologien und Verfahrensweise voranzutreben und deren Umsetzung in Produke zu beschleunigen, um eine führende Rolle am Weltmarkt zu behaupten."10 Als Alternative zur gegenwärtigen Technologiepolitik schlägt Günter Ropohl jetzt eine "normative Technopolitik" vor. Darunter versteht er eine Politik, die, im Gegensatz zu einer "permissiven Technopolitik", "nicht geschehen läßt, sondern aufgrund entschiedener Zielvorstellungen aktiv gestal10 Klaus Lompe, a.a.O. S. 10; vgl. dazu auch Friedrich Rapp, Analytische Technikphilosophie, Freiburg/München 1978, S. 105 ff.

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tet." 1 1 Zweierlei soll damit erreicht werden: 1. wäre die technische Entwicklung so zu beeinflussen, "daß sie unerwünschte Neuerungen gar nicht erst hervorbringt, sondern zielstrebig auf das gesellschaftlich Erwünschte hinarbeitet"; 2. soll ein Konflikt überwunden werden, "der in der gegenwärtig praktizierten Technopolitik unvermeidlich ist: der Konflikt zwischen ungelenkter Innovationsförderung und nachträglicher Kontrolle durch reaktive Technikbewertung."12 Dieser Vorschlag wirft zwei Fragen auf: 1. Könnte das Adjektiv »normativ« nicht den Verdacht erregen, hier werde einem politischen Eingriff in die Freiheit der Wissenschaft das Wort geredet? 2. An welche »Zielvorstellungen« ist zu denken, und wie sollte das »gesellschaftlich Erwünschte« aussehen? Im Hinblick auf die erste Frage ist auf die wissenschaftsethische Diskussion hinzuweisen, in der die Stimmen überwiegen, die sich gegen jede normative Einflußnahme der Politik auf die Wissenschaft aussprechen. Eine durch Politisierung denaturierte Wissenschaft, und sie würde ja auch die Ingenieurswissenschaften umschließen, wird als Gefahrenquelle für die Aufrechterhaltung der Gewaltenteilung angesehen. Sie könnte sogar einer erneuten Despotisierung der politischen Welt Vorschub leisten, indem sie durch die vermeintliche Letztgültigkeit einer wissenschaftlichen Aussage der Politik den Vorwand für eine Beendigung von demokratischen Verständigungsprozessen und die Rechtfertigung für die Durchsetzung der Ansichten einer jeweils herrschenden Partei liefert. Um solche Entwicklung bereits ansatzweise zu verhindern, plä11 Die unvollkommene Technik S. 230 u. S. 236. 12 Ebd. S. 236.

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diert man darum für die Pflege der vorhandenen Institutionen der politischen Liberalkultur, die eine Pflege und Wahrung der Selbständigkeit der Wissenschaften und ihre Freiheit zur »Neugierde« selbstverständlich einschließt. 1 3 Auf die Notwendigkeit, die Forschungsfreiheit nicht als Freibrief zu betrachten, der alles erlaubt, wird allerdings auch nachdrücklich hingewiesen. Diese Freiheit findet am Schutz eines grundgesetzlich garantierten Gutes ihre Grenze, d.h. sie darf nicht zivil- oder strafrechtliche Tatbestände schaffen, durch die Menschenwürde, Leben und körperliche Integrität verletzt werden. 14 Die zweite Frage macht auf ein bestehendes Defizit aufmerksam. Es fehlen bisher gerade solche "Zielvorstellungen für eine Technik unter ethisch-gesellschaftspolitischem Anspruch/'l 5 Und man wird analog dazu auch behaupten können: sie fehlen für die gewünschte Technologiepolitik. Im politischen Raum gibt es eine Vielzahl von Vorstellungen darüber, was als Bedürfnis der Menschen beachtet werden sollte, aber keinen Konsensus darüber, was politische Priorität beanspruchen darf. 13 Zu dieser Problematik siehe vor allem Odo Marquardt, Neugier als Wissenschaftsantrieb oder die Entlastung von der Unfehlbarkeitspflicht, in: Elisabeth Ströker (Hg.), Ethik der Wissenschaften?, S. 24 ff.; ferner Hermann Krings, Bedenken zur Wissenschaftsethik, in: Hans Michael Baumgartner/Hansjürgen Staudinger (Hg.), Entmoralisierung der Wissenschaften? Paderborn/München 1985, S. 11-24; u. Hermann Lübbe, Die Wissenschaften und die praktische Verantwortung der Wissenschaftler, ebda. S. 67-73. 14 Siehe hierzu insbesondere Albin Eser, Humangenetik. Rechtliche und sozialpolitischeAspekte, in: Johannes Reiter/Ursel Theile (Hg.), Genetik und Moral, Mainz 1985, S. 132 f. 15 Alois Hüning, Technisches Handeln unter ethisch-gesellschaftspolitischen Anspruch, in: Alois J. Bruch u. Jörg Splett (Hg.), Wissenschaft, Technik, Humanität. Beiträge zu einer konkreten Ethik, Frankfurt/M. 1982, S., 96 f.

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Angesichts dieser Sachlage legt es sich nahe, angemessener von einer Technologiepolitik zu sprechen, die das Moment der Vorausschau zu ihren wesentlichen Bestandteil macht. Sie kann dabei an Veränderungen anknüpfen, die sich beispielsweise in der Mensch-Umwelt-Relation vollziehen. Hier hat sich eine Sensibilität herausgebildet, die der Beseitigung von Umweltbelastungen und -Schäden eine immer größere Bedeutung beimißt. Einer vorausschauenden Technologiepolitik wird es dann sicher gelingen, solche Entwicklungen zu fordern, die dieser Bedeutung in angemessener Weise Rechnung tragen. Es ist ja heute bereits absehbar, daß sich damit durchaus auch ein ökonomischer Effekt derart einstellt, daß solche Technologien Gewinne abwerfen. Vorausschauend gilt es vor allem auch auf dem Gebiet des Verkehrs zu sein. Hier den Wildwuchs weiter treiben zu lassen, ist angesichts der schon eingetretenen Verkehrsinfarkte in Großstädten und Ballungsräumen nicht länger zu verantworten. Die Lage wird sich sicher nur meistern lassen, wenn man mutig zu einschneidenden Schritten bereit ist. Aber das Auto durch verbesserte Nahverkehrssysteme zu ersetzen kann auch bedeuten, die Autoproduktion, einschließlich der von Lastkraftwagen, zu verringern. Nicht minder wichtig ist es, vorausschauend Technologien zu fördern, mittels derer neue Energieträger gefunden und Energieeinsparungen erreicht werden. Hierbei handelt es sich nicht nur darum, fossile Brennstoffe zu ersetzen, sondern auch darum, einem Klimakollaps entgegenzuwirken. Diese Beispiele, wie alltäglich auch immer, illustrieren nur, was unter einer vorausschauenden Technologiepolitik zu verstehen ist. Keineswegs soll damit schon die Liste ihrer Betätigungsfelder abgeschlossen

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sein. So wird man es ebenfalls ihren Aufgaben zuzurechnen haben, daß dort, wo aus Gründen der Lebensdienlichkeit überhaupt alte Techniken durch neue ersetzt werden müssen, es zu einer gezielten Innovationsförderung gehört, neue Arbeitsplätze schaffen zu helfen. Eine solche Technologiepolitik, die nicht nur ein Faktor in der Verwaltung bestehender Besitzstände sein will, wird darum sinnvollerweise auf übergreifende Zusammenhänge achten, wenn sie Förderungsmaßnahmen einleitet. Ob das allerdings schon in ausreichendem Maße gewährleistet ist, wenn die Technologieforderung auf verschiedene Ressorts aufgesplittert bleibt, kann bezweifelt werden. Statt dessen könnte es sich als wesentlich effektiver erweisen, die vielen politischen Förderungsaktivitäten in einem Technologieressort zusammenzufassen und eine Förderung im Systemverbund zu betreiben. Darin ließe sich auch die Umweltpolitik miteinbeziehen; denn sie ist ja in einem ganz erheblichen Maße technologieabhängig, wenn sie erfolgreich sein will. Ölkatastrophen z.B. lassen sich nicht politisch wegdiskutieren, zu ihrer Bekämpfung braucht man wirkungsvolle Techniken. Als eine wesentliche Hilfe für eine effektive Technologiepolitik muß die Technologiefolgen-Abschätzung betrachtet werden. Dahinter verbirgt sich, worauf bereits in anderem Zusammenhang hingewiesen wurde, ein strategisches Konzept, das in den 60er Jahren in den USA als Maßnahme gegen einen Wildwuchs in der Technikentwicklung und dessen negative Folgen in Gesellschaft und Umwelt entwickelt und von anderen Staaten wenn auch mit Abänderungen übernommen worden ist. 1 6 Mit diesem Konzept werden nach Herbert Paschen drei Hauptziele zu erreichen versucht:

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"1) die Bedingungen und (potentiellen) Auswirkungen der Einführung und (verbreitete) Anwendung von Technologien systematisch zu erforschen und zu bewerten, 2) gesellschaftliche Konfliktfelder, die durch den Technikeinsatz entstehen können, zu identifizieren und zu analysieren, und 3) Handlungsmöglichkeiten zur Verbesserung der betrachteten Technologie bzw. ihrer Anwendungsmodalitäten aufzuzeigen und zu überprüfen (policy analysis)."17 Es ist deutlich, daß es sich bei der TechnologiefolgenAbschätzung nicht primär um ein reaktives Verfahren handelt, das erst dann zum Einsatz kommt, wenn der Schaden bereits entstanden ist, sondern um ein Verfahren, mit dem präventiv möglichen negativen Folgen begegnet werden soll. Daran sind ursprünglich zunächst hochgespannte Erwartungen geknüpft gewesen. Die weitere Entwicklung hat dann jedoch einsehen gelehrt, daß trotz ständig verfeinerter Forschungsmethoden Aussagen über mögliche Folgen nur einen Näherungswert besitzen. Vieles läßt sich bei der Planung und Einführung von neuen Technologien nur annehmen, manchens wiederum entzieht sich auch der Annahme, weil es vielleicht erst Jahrzehnte nach der Einführung in Erscheinung tritt und davor überhaupt nicht einschätzbar war. Trotz be-

16 Über diesen neuen Forschungsbereich informieren Frieder Naschold, Technologiekontrolle durch Technologiefolgenabschätzung, Köln 1987, S. 9-13; ferner Alan L. Porter, Frederick A. Rossini e.a. (Hg.), A Guidebook for technology assessment and impact analysis, New York/Oxford 1980, S. 2-9 u. S. 26-41. 17 Herbert Paschen, Technologie Assessment - Ein strategisches Rahmenkonzept für die Bewertung von Technologien, in: Meinolf Dierkes (Hg.), Technik und Parlament: Technologiefolgen-Abschätzung, Berlin 1986, S. 22 f.

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stehender Schwierigkeiten bilden die Untersuchungsergebnisse wertvolle Hilfen für die Entscheidungsfindung im politischen Raum. 18 Sie können auf Gefährdungsmomente aufmerksam machen und damit der Politik die Chance zu rechtzeitigen Gegenmaßnahmen eröffnen helfen. Zwar wird im Hinblick auf Gegenmaßnahmen überhaupt gerne der Grundsatz angeführt, daß eine Gefahr erst eindeutig nachgewiesen sein muß, bevor man aktiv wird. Das hat jedoch den erkennbaren Nachteil, daß dann Gegenmaßnahmen oft überhaupt nicht mehr oder nur unzureichend greifen und die Beseitigung eines eingetretenen Schadens teurer wird, als wenn man auf Verdacht hin gehandelt hätte. Ein schlagendes Beispiel dafür, warum es gerechtfertigt ist, auch dann bereits Gegenmaßnahmen einzuleiten, wenn noch nicht mit letzter Sicherheit jede Ursache für einen erkennbaren Schaden geklärt ist, stellt das Klima dar. Wenn es darum überaus wahrscheinlich ist, daß z.B. Autoabgase an einer Schädigung des Klimas und darüber hinaus auch der Natur mitbeteiligt sind, und wenn der Schadstoffausstoß proportional mit der Geschwindigkeit trotz Katalysator steigt, dann muß die Politik, will sie nicht unverantwortlich handeln, für eine weitere nachhaltige Begrenzung des Schadstoffausstoßes ebenso auf dem Wege der Rechtssetzung Rechnung tragen wie mit einer Geschwindigkeitsbegrenzung und einem Fahrverbot z.B. an Wochenenden

18 Darauf weist auch Ingeborg Paul, Technologiefolgen-Abschätzung als Aufgabe für Staat und Unternehmen, Frankfurt/M./Bern/New York 1987, hin; auf Schwierigkeiten in der Rezeption von Untersuchungsergebnissen durch Politiker macht Renate Mayntz, Lernprozesse: Probleme der Akzeptanz von TA bei politischen Entscheidungsträgern, in: M. Dierkes (Hg.), Technik und Parlament, S. 183-202, aufmerksam.

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und Feiertagen. Das stellte zwar einen Eingriff in individuelle Freiheiten dar, wäre aber aus Gründen des Gemeinwohls und der Lebensdienlichkeit durchaus zu rechtfertigen und zuzumuten. Die Methoden, derer sich die Technologiefolgen-Bewertung bedient, sind von interdisziplinärem Zuschnitt.^ Durch die Beteiligung einer Mehrzahl wissenschaftlicher Disziplinen wird dem Ziel Rechnung getragen, daß die Folgen des Technikeinsatzes möglichst breit, d.h. nicht nur in unmittelbar technischer oder ökonomischer, sondern vor allem auch in sozialer und ökologischer Hinsicht untersucht werden können. Als ein schwer zu lösendes Problem stellen sich nach wie vor »Zielvorstellungen« dar, auf die hin Entwicklungen generell auszurichten wären. Es bekommt seine Dringlichkeit zweifellos davon, daß historische »Zielvorstellungen«, die durchaus auf die technische Entwicklung Einfluß genommen haben, obsolet geworden sind. Darauf wurde bereits im zweiten Teil dieses Buches eingegangen, als das Konzept der Herrschaft des Menschen über Welt und Natur sowie der Fortschrittsglaube erörtert wurden. Als letzte Zielvorstellung, die ihre Wurzeln in jenen kritisierten hat, hat jetzt die sozialistische Vorstellung von einer klassenlosen Gesellschaft ihre Brüchigkeit gezeigt. Der Weg zu einer Neuorientierung könnte aber der Anlaß sein, sich wieder Gedanken zuzuwenden, die am Anfang dieses Jahrhunderts in England zur Frage nach Axiomen ausgebildet wurden, die das Handeln im Raum ùer 19 Sie sind in Kürze aufgeführt z.B. bei Richard Huisinga, Technikfolgenbewertung, Frankfurt/M. 1985, S. 97-103; vgl. aber auch Paschen/Gresser/Conrad, Technology Assessment - TechnologiefolgenAbschätzung, hg. v.d. Stiftung Gesellschaft und Unternehmen, Frankfurt/New York 1978.

Vorausschauende Technologiepolitik

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Gesellschaft leiten sollen.20 Es ist vor allem der Begriff der »verantwortlichen Gesellschaft«, der beachtet zu werden verdient. Er wurde besonders 1948 auf der Gründungsversammlung des Ökumenischen Rates der Kirche in Amsterdam auf dem Hintergrund des eben überstandenen Krieges und der Überwindung der NS-Diktatur diskutiert. Insofern ist es verständlich, wenn politische Freiheit und Gerechtigkeit als Gabe und Aufgabe im Mittelpunkt des Interesses standen. Heute ist darüber hinaus jedoch zu fragen, ob dieser Begriff nicht auch für die Technologiepolitik und das Problem des Umgangs mit technischen Systemen aussagekräftig ist. Bedenkt man, in welchem Maße Technik mit darüber entscheidet, was aus politischer Freiheit und Gerechtigkeit wird, dann kann es nicht schwerfallen, in ihre Wahrung und Förderung auch den Umgang mit Technik miteinzubeziehen. Eine »verantwortliche Gesellschaft« wäre dann in dieser Perspektive eine Gesellschaft von Freien, die mit dem Reichtum, den die Technik gerade als Vergegenständlichung von Arbeit und Leistung darstellt, verantwortlich umgehen. Was aber »verantwortlich« heißt, das bestimmt sich von den Möglichkeiten des Mißbrauchs und den Gefährdungen durch Technik her: Verantwortlich mit Technik umgehen meint dann, im Bewußtsein dieser Möglichkeiten ihnen nicht nachzugeben, auch nicht die Technik im Vertrauen auf Selbstheilungskräfte sich selbst zu überlassen, sondern technologische Entwicklungen zu fördern, die solchen Möglichkeiten entgegenwirken. Die technologiepolitische Förderung der Technik in einer verantwortlichen Gesellschaft wird es folglich als ihre Aufgabe betrach-

20 Ein guter Überblick findet sich bei Hans-Joachim Kosmahl, Ethik in Ökumene und Mission, Göttingen 1970, bes. S. 58-67.

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Die Herausforderung

ten, die in der kompensatorischen Funktion der Technik angelegte Tendenz zur Lebensdienlichkeit möglichst ungehindert zur Geltung kommen zu lassen. Es wird dann nicht ausbleiben, daß sich eine solche Technologiepolitik auch immer wieder mit systembedingten Egoismen in Industrie, Wirtschaft, Verbänden und Gruppen auseinandersetzen muß. Aber wie für jede Politik so wird auch für sie nicht Konflikt und Antagonismus, sondern die Verständigung über das jeweils bestmögliche und auch realisierbare Ziel den Vorrang haben.

Zusammenfassung und Ausblick Grundprobleme einer Technikethik sind in den vorangehenden Abschnitten erörtert worden. Den Anstoß dazu bilden Bestrebungen im Bereich der Technik selber, den Dialog zwischen Technik und Ethik wieder aufzunehmen. Um diesen Dialog geht es und nicht um eine Sonderethik. Sein Ziel wird darin gesehen werden müssen, Grundprinzipien der Ethik im Umgang mit der Technik zur Geltung kommen zu lassen. Insofern kann Technikethik als von solchen Prinzipien geleiteter, reflektierter Umgang mit Technik begriffen werden. Die Öffnung der Technik für den Dialog mit der Ethik stellt eine bemerkenswerte neue Phase in der Wissenschaftsgeschichte dar. Diese war seit der frühen Aufklärung davon geprägt, daß zwischen Wissenschaft und Moral überhaupt keine Beziehungen mehr bestehen sollten, wie schwer ein solcher Grundsatz sich auch immer verwirklichen ließ. Solange Wissenschaft und Technik sowie ihre jeweiligen Entwicklungen ihre Rechtfertigung aber aus jenen großen Universalideen wie der der Herrschaft des Menschen über den Kosmos und der eines Fortschritts bis zur Vollendung der vollkommenen menschlichen Gesellschaft bezogen und solange die Technik zudem als wertneutral betrachtet wurde, bestand für solchen Dialog kein genereller Anlaß, was nicht heißt, daß es nicht auch solche Kreise in jenen Bereichen gegeben hat, die ihn trotzdem führten. Erst der Wegfall jener historischen

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Zusammenfassung

Legitimationsbasen und der vor allem durch die Mißbrauchsmöglichkeiten der Technik geweckte Zweifel an der Richtigkeit der Wertneutralitätsformel haben der Wiederaufnahme des Dialogs mit der Ethik kräftige Impulse verliehen. Das bedeutet zugleich auch, daß eine im Gedanken von der Wertneutralität der Technik angelegte Irreführung im Begriff steht, überwunden zu werden. Sie besteht in der Verleitung zu der Annahme, weil die Technik im Grunde keiner Wertbindung unterliegt, sei auch der Umgang mit ihr an keine Werte gebunden. Damit wird aber nur das, was man mit ihr und den durch sie eröffneten Möglichkeiten machen kann und will, der Beliebigkeit preisgegeben. Das Mögliche selbst wird zur Handlungsnorm unabhängig davon, was immer auch durch seine Realisierung bewirkt werden mag. Die mit der immer stärker werdenden Ausdifferenzierung der Technik ebenfalls verbundene Erhöhung ihres Gefährdungspotentials lassen diesen Beliebigkeitsstandpunkt jedoch als eine unverantwortliche Position erscheinen. Tatsächlich gibt es auch keine absolute Wertneutralität. Alles Handeln, auch der Umgang mit Technik, geschieht immer im Blick auf das, was man für der Mühe wert hält. Ob dies dann aber auch vor der sittlichen Vernunft zu bestehen vermag, das eben ist die Frage, die jetzt zur Beantwortung ansteht. Wozu jedoch Technik gebraucht wird, ob zu lebensdienlichen oder lebenszerstörenden Zwekken, entscheidet allein der Mensch. Die Technik gibt ihm nur die Mittel an die Hand, das zu verwirklichen, wozu er sich entscheidet. Mit ihr können nicht nur lebenserhaltende und lebensfordernde Kräfte, sondern gerade auch zerstörerische Kräfte des Menschen verstärkt werden. Nicht die Technik, wie vollkommen oder unvollkommen sie auch immer sein

Zusammenfassung und Ausblick

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mag, sondern allein der Mensch bestimmt die Regeln des Umgangs. Er wird aber seine Chance, Technik nicht lebensgefährdend einzusetzen, nur nutzen können, wenn er Freiheit nicht länger als Ermächtigung zur Beliebigkeit versteht. Der reflektierte Umgang mit Technik bedingt dann geradezu auch den reflektierten Umgang mit Freiheit. Immer stärker tritt darum heute ins Bewußtsein, daß Technik und der lebensdienliche Umgang mit ihr zu einer Aufgabe für den Menschen geworden ist. Er kann mit ihr nicht machen, was er will, in der Erwartung, daß ihm alles zum Nutzen ausschlägt. Im Gegenteil, die Erde und die Umwelt wehren sich! Das aber trifft den Menschen hart. So, wenn ihm Luft und Wasser buchstäblich ausgehen, die Rohstoffe knapp werden, abgeholzte Wälder das Land veröden lassen und das Klima nachhaltig verändern sowie Treibgase die Ozonschicht zerstören. Daß die Entwicklung innerhalb des letzten Jahrhunderts Gefahren in sich birgt, ist bekannt gewesen. Heute jedoch wird erfahrbar, was weitsichtige Menschen früherer Zeiten nur zu ahnen vermochten. Vor dem Menschen tut sich jetzt ein Dilemma auf: Er kann sein Leben nicht anders als durch Eingriffe in die Natur sichern. Aber er schafft das nur mit Mitteln, die langfristig wieder neue Unsicherheiten und Gefährdungen erzeugen, ja ihn überhaupt auslöschen können. Ortega y Gasset hat dieses Dilemma präzise beschrieben, darum soll sein aussagekräftiger Satz an dieser Stelle noch einmal wiederholt werden: "Wie dem auch sei: es ist so, daß der Mensch große Lust am Leben, am "In-der-Welt-Sein" hat, obwohl er das einzige bekannte Seiende ist, das die Fähigkeit besitzt, die ontologisch und metaphysisch so seltsame, so pa-

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Zusammenfassung

radoxe, so erschreckende Fähigkeit, sich vernichten zu können und aufzuhören, hier in der Welt zu sein."l Wie jedoch soll man sich dieser Möglichkeit gegenüber einstellen? Soll man sich einer apokalyptischen Grundstimmung hingeben, die schon alles in einen Abgrund fallen sieht und die, vielleicht als letzte Trotzreaktion, in Anlehnung an ein bekanntes Luther-Wort noch ein Apfelbäumchen pflanzen läßt? Oder soll man wie bisher fatalistisch dahinleben nach dem Motto: nach uns die Sintflut? Leben entwickelt sich bekanntlich jedoch zwischen den Extremen, und so werden auch in diesem Fall Entscheidungen auf einer Diagonalen gesucht werden müssen. In diesem Zusammenhang bricht die Frage neu auf, welche Rolle Wissenschaft und Technik zu übernehmen haben. Es ist das Selbstverständnis des Menschen, sein Weltverständnis, es sind kultur- und erziehungsbedingte Einstellungs- und Haltungsmuster, welche darauf einen entscheidenden Einfluß nehmen, welche Rolle beiden zugewiesen wird. Wenn also eine Änderung eintreten soll, dann muß sie hier ihren Ausgang nehmen; und das heißt vor allem: den Herrschaftsanspruch über die Erde aufzugeben. Unbestritten bleibt, daß die geschichtliche Entwicklung den Menschen in eine besondere Position allem übrigen Geschöpflichen gegenüber gebracht hat. Die Tatsache jedoch, daß er seine Intelligenz zur Sicherung seines Daseins einzusetzen vermag, rechtfertigt keine andere Haltung gegenüber der Erde als die einer verantwortlichen Fürsorge statt rücksichtsloser Ausbeutung und in diesem Zusammenhang dann eben auch einen haushälterischen Umgang mit dem Reichtum, den die Technik darstellt. 1

Signale unserer Zeit, S. 450.

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Diese Forderung richtet sich direkt auch an den in Wissenschaft und Technik tätigen Menschen. Von ihm wird vor allem ein größeres Maß an Bedachtsamkeit und Voraussicht gefordert werden müssen. Es ist eine erprobte und erfolgreiche Methode, Probleme isoliert Lösungen zuzuführen. Doch das reicht heute nicht mehr. Rücksicht auf die belastete Erde verlangt, den Zusammenhang zu beachten, in dem Probleme stehen, und die Wirkungen zu bedenken, die Einzellösungen auf den Gesamtzusammenhang haben. Das läßt sich an einem so banalen Beispiel wie dem von Waschmitteln verdeutlichen: Die Lösung des Problems »reine Wäsche« berührt in höchstem Maße den Problemkomplex Abwasser, Grundwasser und Natur im weitesten Sinne. Das Problem selbst kann also ohne Rücksichtnahme auf diesen Gesamtzusammenhang gar nicht verantwortlich gelöst werden. Jede isolierte Lösung, mag sie auch noch so gut verkäuflich sein, ist dann im Grunde nicht zu verantworten. Für die Bereiche, in denen Wissenschaft und Technik zur Anwendung gelangen, also im wesentlichen Industrie und Wirtschaft, wird darum ebenfalls ein hohes Maß an Bedachtsamkeit und Voraussicht gefordert werden müssen. Allen Marketingstrategien zum Trotz können eben jene Gesamtzusammenhänge, die Produktion und Absatz übergreifen, nicht länger außer Betracht bleiben. Es genügt nicht mehr, sein Produkt nur gut zu verkaufen, man muß auch wissen, wo rein man mit ihm eingreift, welche Wirkungen es darin auslöst und ob man das jeweils verantworten kann. Die Nutzung der Atomenergie ist dafür ein beredtes Beispiel: Rechtfertigt das Ziel »Energieversorgung« das Maß an bereits absehbaren Nebenwirkungen, welche sind durch bessere technische Maß-

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Zusammenfassung

nahmen zu beheben und welche bestehen weiter? Ist das dann verbleibende Risiko noch zumutbar? Der wiederaufgenommene Dialog zwischen Technik und Ethik hat darüber hinaus die Notwendigkeit betont, daß es jetzt auch um die Kraft geht, aus Denkgewohnheiten herauszutreten und das System vom Prinzipien, das die eigenen Entscheidungen bestimmt, zu überprüfen. Um auch diese Forderung an einem Beispiel zu erläutern, kann auf die Biotechnik hingewiesen werden. In ihr stecken ohne Zweifel Möglichkeiten, z.B. Krankheiten wirkungsvoller zu bekämpfen oder Ernährungsprobleme einer befriedigenderen Lösung näherzubringen. Aber sie bietet, wie alle wissenschaftlichen Entdeckungen, auch Möglichkeiten des Mißbrauchs. Angesichts dieses Sachverhalts ist der Gesetzgeber gefordert, Rahmenbedingungen festzulegen, um möglichem Mißbrauch zu wehren. Die Anordnung biotechnischer Verfahren kann jedenfalls nicht kommerziellen Zwecksetzungen allein überlassen bleiben, nur weil darin enorme Gewinnmöglichkeiten stecken und Entwicklungskosten dadurch wieder mehr als ausgeglichen werden können. Es ist die zunehmende Kenntnis der in wissenschaftlichen und technischen Entwicklungen liegenden Gefahrenpotentiale, die nicht mehr nur bestimmte Gruppen von Menschen, sondern die Menschheit schlechthin betreffen, welche es erfordern, Entscheidungen in einem größeren Horizont zu treffen als in dem von Kosten-Nutzen-Rechnungen. Es gehört aber auch zum ethischen Realismus, Entwicklungen sich vollziehen zu lassen, statt ungeduldig auf Veränderungen zu drängen. Bewußtseinswandlungen und Änderungen von Denkgewohnheiten und Einstellungen brauchen

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ihre Zeit. Die Stimmen, die vor kurzatmiger Hektik und bloßem Moralisieren warnen, verdienen uneingeschränktes Gehör. Und es bewegt sich doch auch schon etwas. Die Zeit ist gekommen, wo kleinliche fundamentalistische Rechthabereien und Lust an Polemik höchstens noch lächerlich wirken. Vor den Menschen des ausgehenden 20. Jahrhunderts steht als Kulturaufgabe, die Erde bewohnbar bleiben zu lassen. Sie läßt die Frage, ob die oder jene politische Heilslehre - grün oder rot, konservativ oder progressiv - besser ist, einfach verblassen. Sie verlangt zu ihrer Erfüllung vielmehr, daß sich alle gestaltenden Kräfte dem Ziel einer lebensgerechten Gestaltung der Welt unterordnen. Dieses Ziel wird dann aber nicht identisch sein mit einem Zustand äußerster Vollendung, wie es noch in der Philosophie des 19. Jahrhunders erwartet worden war, als man von der Vernunftkunst sprach, mit deren Hilfe das Paradies auf Erden geschaffen werden sollte. Heute herrscht im Hinblick darauf, was durch menschliche Anstrengungen geschaffen werden kann, eher eine ernüchternde Sicht vor. Messianismus jeder Art, vor allem aber ein politischer, ist wenig gefragt, weil er günstigstenfalls in steriler Aufgeregtheit, meistens jedoch in tötender Despotie endet. Die Kulturaufgabe, welche darin besteht, die Erde bewohnbar zu erhalten, ist ein nüchternes Geschäft, das Augenmaß und Leidenschaft gleichermaßen erfordert neben der Bereitschaft zu immer wieder neuen Anläufen, wenn der Gang der Dinge mal ins Stocken gerät oder wenn Rückschläge zu entmutigen drohen. Es geht nicht darum, Endlösungen zu suchen, sondern nur bessere Lösungen zu finden. Dafür muß jedoch die Bereitschaft geweckt werden. Das ist die Bildungsaufgabe, vor die wir in diesem Zusammenhang

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Zusammenfassung

gestellt sind. Sie umfaßt zwei große Aufgabengebiete: einmal eine Besinnung darauf, was Stellung und Aufgabe des Menschen in der Welt sind. Dabei wird es sich nicht vermeiden lassen, Vorurteile, wie sie beispielsweise im Herrschaftsverständnis liegen, zu überwinden. Sodann geht es um die Vermittlung von Fähigkeiten, die aus der Besinnung erwachsenden Konsequenzen praktisch werden zu lassen. Bildung, das macht die technik-ethische Diskussion kenntlich, ist heute mehr als nur eine Zurüstung für die Übernahme von Funktionen in der Industriegesellschaft. Darum wäre es überaus gefährlich, die Bildungsstandards exklusiv von den Anforderungen aus Industrie und Wirtschaft und damit von der Marktgängigkeit der Berufe abzuleiten. Die Wirtschaft ist ein wichtiger Faktor in der Erfüllung der Kulturaufgabe. Aber die humane Substanz, die heute für eine lebensförderliche Nutzung der von Wissenschaft und Technik eröffneten Möglichkeiten gefordert ist, hat noch ganz andere Quellen. Dazu zählen Kenntnisse der Geschichte ebenso wie die von Sprachen, fremden Kulturen und Religion. Eine Bildungspolitik, die sich darauf beschränkt, nur noch jene Fächer an Schulen und Universitäten zu fördern, welche sich industriell und wirtschaftlich nutzen lassen, handelt kurzsichtig und wenig zukunftsorientiert. Sie geht im Grunde an der Kulturaufgabe vorbei; und Mäzenatentum seitens Industrie und Wirtschaft, so ehrenwert es ist, vermag diesen Mangel nicht auszugleichen. Der Dialog zwischen Technik und Ethik steht erst am Anfang. Da wird man realistischerweise auch nicht erwarten dürfen, daß außer einer Präzisierung der Problembeschreibungen bereits auch schon für alle Probleme Lösungen gefun-

Zusammenfassung und Ausblick

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den sind. Es zeichnen sich aber Schwerpunkte ab. Einige davon sind in den vorangehenden Studien hervorgehoben worden. Damit verbindet sich keine andere Hoffnung als die, daß der Dialog weitergehen möge, damit immer deutlicher werde, welches die Aufgaben sind, vor die uns der erreichte Stand der historischen Entwicklung stellt.

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Namensregister Altner, Günter 97,101

Decker, Franz 23

Apel, Karl-Otto 43

Dilthey, Wilhelm 3 f , 63,74, 158

Aristoteles 24

Dlugos, Günther 128

Atteslander, Peter 11, 29 Auer, Alfons 97

Ebeling, Gerhard 98,109, l l l f . Eckerle, Gudrun-Anne 90

Bacon, Francis 63f.

Elias, Norbert 158

Baum, Roberg J. 6

Engel, Ronald J. 40

Baumgartner, Hans-Michael 143

Ernst, Peter 165

Bayertz, Kurt 18,138

Eser, Albin 100f„ 105, 219

Beck, Heinrich 44 Bierfelder, Wilhelm 55

Fichte, Johann G. 65,117f.

Bloch, Ernst 139

Flöhl, Rainer 97

Bonhoeffer, Dietrich 133

Freud, Sigmund 157

Boukte, Franz 93, 97

Frey, Christopher 97

Braun, Rudolf 26

Freyer, Hans 50

Buber, Martin 175ff.

Fürstenberg, Friedrich 26

Buch, Alois 97 Bügl, Josef 90

Gadamer, Hans-Georg 54, 57, 102,130

Chagraff, Edwin 101

Gehlen, Anold 16,157f, 162

Churchman, Charles W. 3

Glass, Bentley 58

Cramer, Friedrich 81

Gotthard, Günther 2,7 Grote, Jim 97

Dachrodt, Heinz-Günther 23

Namensregister Haber, Fritz 216

253

Krings, Hermann 84,219

Habermas, Jürgen 79 Häfner, Klaus 186

Lampe, Klaus 212, 217

Haidane, J.B.S. 216

Lang, Alfred 11,23

Hammer, Felix 44

Leibniz, Gottfried W. 69

Harnack, Adolf v. 63

Lenk, Hans 1,4,11,27ff„ 44fT., 48,

Hastedt, Heiner 4

81,134,168,211

Havemann, Robert 160,164

Loew, Reinhard 101

Hegel, Gottfried W. 22,69ff., 182

Lorenz, Konrad 67

Heidegger, Martin 7f., 66,183

Lübbe, Hermann 219,172,219

Heintel, Erich 173

Lüthy, Herbert 149

Hess, Benno 59

Luhmann, Niclas 49ff.

Höffe, Ottfried 46,157f. Honecker, Martin 80,90,97, 99, 114,132,147

Mac Cormac, Carl R. 4, 6 Mac Intyre, Alasdaire 107,132

Hübner, Kurt 172

Marcuse, Herbert 79

Hume, David 172

Marquardt, Odo 219

Hüning, Alois 44, 84, 219

Mayntz, Renate 90, 223

Huisinga, Richard 224

Meisen, Andreas-G. van, 44f.

Huxley, Julian Sir 80

Mitcham, Carl 97 Mohr, Hans 9f., 43, 68, 91,117, 214

Jaspers, Karl 66,75f., 77

Moser, Simon 44

Joerges, Bernward 20

Müller, Wolfgang E. 132,139

Jonas, Hans 43, 45,84, 92,130, 139ff„ 162

Naschold, Frieder 222 Neuloh, Otto 26

Kamiah, Wilhelm 76

Nietzsche, Friedrich 107

Kant, Immanuel 14, 69 Kolakowski, Leszek 169,172f., 204 Kosmahl, Hans-Joachim 225

Ortega y Gasset 31ff., 40, 59, 143,229

254

Register

Parsons, Talcott 49 Paschen, Herbert 86, 222, 224

Schleiermacher, Friedrich D. 110, 163

Paul, Ingeborg 90, 223

Schneider-Poetsch, Hansjörg 77

Perpet, W. 98

Schulz, Walter 45, 64f., 98,118,

Pieper, Josef 197ff. Porter, Alan L. 90,222

132,165,190f., 194 Schuurman, Egbert 82fT., 149, 160ff., 174

Kapp, Friedrich 48, 70, 8 8 , 1 0 4 , 2 1 7 RendtorfT, Trutz 47, 95f. 109,113, 124, 132,135 Rieh, Arthur 26, 30, 9 6 , 1 0 9 , 1 4 7 , 192 Riedel, Manfred 27, 30

Schweitzer, Albert 55, 150ff., 164f. 177 Seigfried, Hans 2 Simmel, Georg 77f., 1 5 6 , 1 5 8 , 1 6 0 Steinbuch, Karl 106 Svilar, Marga 11, 24

Ringeling, Hermann 11, 24 Ritter, Joachim 191

Thielicke,Helmut 93f.

Ropohl, Günter 1,4,8fr., 11,16,

Trillhaas, Wolfgang 94f.

23, 25, 27ff., 44f., 48, 81, 90, 168, 1 9 5 , 2 0 4 , 2 1 2 , 2 1 7

Ulich, Eberhard 216, 30 Uslar, Detlev v. 161

Sachsse, Hans 6 , 9 , 1 1 , 4 4 , 71, 78, 80,91f., 1 0 7 , 1 1 5 , 1 3 2 , 1 4 7

Walther, Christian 58, 69

Sass, Hans-Martin 105

Weber, Max 79,136f.

Sauter, Gerhard 98

Weischedel, Wilhelm 198fT.

Schadewaldt, Wolfgang 76,158,

Werner, Erich 26

174 Scheler, Max31f. Schelsky, Helmut 12f., 82,160, 174, 205f., 212 Schirmacher, Wolfgang 161

Whitehead, Alfred, N. 64,77f., 212,217 Wuketits, Franz 9,15, 66,70f. 87, 107,128 Zander 23, 26 Zimmerli, Christoph W. 24f., 4 4 , 1 3 4

Sachregister Anthropozentrismus 129,164

Emotivismus 137

ArbeitlOfT., 16, 22iT., 94, 124,

Energie 220

1951T., 204iT.

Entfremdung 22, 30

ArbeitsbegrifT27f., 30

Entwicklung 153f.

Arbeitsgesellschaft 28

Ethik lfT., 51fT., 56, 59ff„ 91fT.,

Arbeitslosigkeit 25, 28 Arbeitsplätze 26 Arbeitszeit 26

lOOff. Evolution 9, 68, 70,78, 81,115f., 120,206

Aufklärung 153, 162

Existenzphilosophie 83

Autonomie 64ff.

Exorzismus 84

Axiome, mittlere 105, 225 Fortschritt 43, 45, 68ff., 83,154, Behaviorismus 33, 194 Beruf41 Bildung 19, 42,155,174ff., 233f. Biotechnik 232

162,168,216 Freiheit 34f., 42, 53ff., 61ff., 83, 94, 112,114ff., 153,185ff. 205, 224f„ 225 - der Forschung 100f., 142,218f. Freizeit 196

Christentum 106ff.

Friede 124

cultural lag 62 Geld 50f. Demut 67

Gemeinwohl 128,192, 224

Depersonalisierung 160

Gentechnologie 81,99f.

Disziplin 43f., 157

Gerechtigkeit 225

256

Register

Geschichte 7, 60ff., 70ff„ 117f.

Kontingenz 56

Gesellschaft lOff., 15ff„ 24, 52,

Kultur 13,19,39, 64f„ 73, 87, 96,

57,77fT., 87,89,92

103,123,149ff., 196, 207,234

Gesinnung 153

Kulturpessimismus 150

Gesittung 157

Kulturverfall 155

Gewissen 135

Kultur u. Ethik 163ff.

Glaube 33f„ 105ff.,204

Kunst 196

Glück 25,27f., 69,81

Kybernetik 115

Güterabwägung 41 Lebensdienlichkeit 18, 30, 44, 62, Hedonismus 271T. Herrschaft 5,31, 37, 47,63ff„ 76, 85,87,110,151,153,168,174

121 ff., 224fT. Lebensentwurf 38,125 Lebensqualität 124ff.

Humanisierung 81 Humanismus 80

Macht 45, 85, 87, 101

Humanität 13,15, 18, 55f., 118,

Marxismus 83

144fT., 150,166 Humanum 10, 12

Menschenrechte 20 Menschenwürde 100ff., 147f. Mitmenschlichkeit 207

Imago Dei 98

Molekularbiologie 81, 99

Industrie 11,26

Moral 13, 20,109,157

Industrialisierung 22, 30

Moralismus 119

Innovation 218, 221

Muße 195ff.

Irrtum 32fT., 54 Natur 5,10f., 35, 47,63fr., 78,99ff., Kernkraft 215, 231

103, 123,129,147, 207, 217, 231

Kirche 114

Naturwissenschaften 2fT.

Klonieren 100

Neugier, wiss. 169

Kommunikation 11, 52ff., 57,. 80,

Normen 20

85, 186fT.

Nuklearphysik 81

Sachregister Ökologie 11, 88,92,123

- forschung 91

Operations Research 3

- Selbsterneuerung 49

Ordnung 158

- Selbstrückkoppelung 49

Organisation 53

- Selbststeuerung 49ff.

257

- soziotechnisch 48f. Pflicht 60,85,117

Systemtheorie 49ff., 54ff., 127f.

Politik 13,210ff.

Szientismus 76

Positivismus 83,151 Prosperität, Wohlstand 11,125f., 137,196,216f.

Tabu 169 Technik 48 - Ambivalenz d.T. 6

Rationalität 34,153

- Dämonisierung d.T. 15,75

Recht 99ff., 157

- Technikapologie 48

Regelsystem 21

- Technikethik 40fT., 59ff., 721T.,

Religion 19, 36, 893,107ff„ 170ff., 234

86ff., 104ff. - Technikfolgen 85f., 89f., 217,221ff.

Resignation 33,43

- Technikkritik 66,73,82,94

Romantik 77

- Technokrate 82f. -Technologie 13,30

Schuld 103f„ 169

- Technizismus 6,60

Selbstbeschränkung 143 f.

Teleologie 70

Selbstkontrolle lOlf.

Triebverzicht 157

Selbstverwirklichung 72,97

Tugend 140ff.

Sinn 173ff„ 199ff. Sinndefizit 84

Überlebensstrategie 68

Soziale Sicherheit 217

Umwelt 47, 87,123,129f., 147

Staat 89,123 Subjektivität 14f.

Verantwortung42ff., 54f., 57, 59,

System 49ff.

67,71,85,103,112,117,131ff„

- analyse 3

174,180

258

Register

Verkehr 42,110

- Werttheorie 47ff.

Verzicht 61, 89,141dd., 157

Willensfreiheit 14, 51f. Wirtschaft 19,50f, 53f., 89, 216

Weltanschauung 88

Wohlfahrt 217

Weltbild 32ff., 107,138 Weltoffenheit 33

Zivilisation 10

Wert 10,13,15,171T., 22ff. 41,

- wiss.techn. 10,75, 80, 82ff., 91,

451T., 60,87f„ 106ff., 126, 141,167ff. - Wertneutralität 17ff., 227f.

108,113,125 Zukunft 45

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Walter de Gruyter Berlin • New York

CHRISTIAN WALTHER

Eschatologie als Theorie der Freiheit Einführung in neuzeitliche Gestalten eschatologischen Denkens Oktav. XII, 307 Seiten. 1991. Ganzleinen DM 128,ISBN 3-11-012811-X (Theologische Bibliothek Töpelmann, Band 48) Historisch-systematische Untersuchung zum Zusammenhang des neuzeitlichen Freiheitsverständnisses mit bestimmten Interpretationsmustern christlicher Endzeiterwartung. - Kritik der daraus gezogenen vernehmlich ethischen Konsequenzen in bezug auf Gedanken von der Herrschaft des Menschen über Natur und Welt. - Erörterung der Stellung und Aufgabe des Menschen in der Welt im Rahmen der eschatologisch orientierten Verantwortungstheorie.

PAUL TILLICH

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Walter de Gruyter Berlin • New York

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