Erziehungsvorrang und Gesetzesauslegung im Jugendgerichtsgesetz: Eine systematisch-methodologische Analyse jugendstrafrechtlicher Rechtsanwendungsprinzipien [1 ed.] 9783428458776, 9783428058778


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German Pages 459 Year 1985

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Erziehungsvorrang und Gesetzesauslegung im Jugendgerichtsgesetz: Eine systematisch-methodologische Analyse jugendstrafrechtlicher Rechtsanwendungsprinzipien [1 ed.]
 9783428458776, 9783428058778

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GERHARD NOTHACKER

"Erziehungsvorrang" und Gesetzesauslegung im Jugendgerichtsgesetz

Strafrechtliche Abhandlungen· Neue Folge Herausgegeben von Dr. Eberhard Schmidhäuser ord. Professor der Rechte an der Universitit Hamburg

in Zusammenarbeit mit den Strafrechtslehrern der deutschen Universitäten

Band 56

"Erziehungsvorrang" und Gesetzesauslegung im Jugendgerichtsgesetz Eine systematisch-methodologische Analyse jugendstrafrechtlicher Rechtsanwendungsprinzipien

Von

Dr. Gerhard Nothacker

DUNCKER & HUMBLOT / BERLIN

Zur Aufnahme in die Reihe empfohlen von Prof.Dr. Ulrich Eisenberg, Berlin CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek

Nothacker, Gerhard: "Erziehungsvorrang" und Gesetzesauslegung im Jugendgerichtsgesetz : e. systemat.-methodolog. Analyse jugendstrafrecht!. Rechtsanwendungsprinzipien / von Gerhard Nothacker. - Berlin : Duncker und Humblot, 1985. (Strafrechtliche Abhandlungen; N.F., Bd. 56) ISBN 3-428-05877-1 NE:GT

Alle Rechte vorbehalten

© 1985 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41

Satz: Irma Grininger, Berlin 62. Druck: Bruno Luck, Berlin 65 Printed in Germany ISBN 3-428-05877-1

Vorwort Die Arbeit ist im Sommersemester 1984 vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Freien Universität Berlin als Dissertation angenommen worden. Das Manuskript wurde im Januar 1984 abgeschlossen; soweit möglich wurde später erschienene Rechtsprechung und Literatur noch bis zur Drucklegung berücksichtigt. Herrn Prof. Dr. U. Eisenberg habe ich für die Publikationsempfehlung zu danken. Herrn Prof. Dr. E. Schmidhäuser bin ich für die Aufnahme der Abhandlung in die von ihm herausgegebene Schriftenreihe zu Dank verpflichtet. Berlin, im August 1985

Gerhard Nothacker

Inhaltsverzeichnis Vorwort .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

§ I Einführung

5

17

29

1.

Problemstellung

29

II.

Untersuchungsverlauf ..... .

31

§ 2 Erstes Hauptstück: Bedingungen der Analyse

33

A) Zur gesetzeshistorischen Entwicklung des Prinzips "Vorrang des Erziehungsgedankens"

I.

II.

Bedeutung des Erziehungsgedankens bis zum Inkrafttreten des JGG 1923 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Historische Beweggründe für die Konzeption eines selbständigen Jugendstrafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) "Entdeckung" von Kindheit und Jugend in Soziologie und Psychologie als Bedingung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) "Zweckdenken" in der Strafrechtswissenschaft . . . . . . . . . . c) Aussagen der Reichskriminalstatistik seit 1882 . . . . . . . . . .. 2. Analyse von Reformziel und Einzelkonzeptionen bis zum JGG 1923 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Phase praktischer Anwendung des JGG 1923 bis zum nationalsozialistischen Staat ab 1933........... . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verständnis eines "Vorrangs des Erziehungsgedankens" am Beispiel der Kommentatoren des JGG 1923 . . . . . . . . . . . . . . . .. a) Die Vorstellungen Hellwigs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Die Anschauung Franckes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Das Verständnis Kiesows . . . . . . . . . , . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der "Vorrang des Erziehungsgedankens" in der Praxis .... . . .. a) Reaktion auf die ungeklärte Reichweite des Erziehungsgedankens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) (Erneute) Forderung nach einem einheitlichen Recht der öffentlichen Erziehung von pädagogischer Seite. . . . . . . . . . ..

III. Bedeutung des Erziehungsgedankens in der nationalsozialistischen Zeit bis zum RJGG 1943 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Diskrepanz zwischen Begriff und Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . .

33 33 33 34 35 35 41 41 41 42 43 43 43 44 44 44

8

Inhaltsverzeichnis a) Begrifflicher Fortbestand. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Inhaltlicher Wandel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Repressive Umgestaltungen im Verordnungsweg . . . . . . . . . . .. a) Die Einführung des Jugendarrests (1940) . . . . . . . . . . . . . .. b) Die Einführung der unbestimmten Verurteilung (1941) ..... c) Veränderungen des Jugendstrafverfahrens . . . . . . . . . . . . .. 3. Zwischenergebnis: Das (nationalsozialistische) Verständnis des RJGG 1943 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

IV. Bedeutung des Erziehungsgedankens für die Neuordnung des f ugendstrafrechts bis zum fGG 1953 . . . . . . . . . . . . . . . . ; . . . . . . . .. 1. "Vorrang des Erziehungsgedankens" bei der Anwendung des RJGG 1943 um 1950 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verständnis im Regierungsentwurf zur Änderung des RJGG .. .. a) Konzeption des Regierungsentwurfs . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Umgestaltung im einzelnen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. c) Neufassung eines JGG 1953 durch den zuständigen Ausschuß des Bundestages und das weitere Gesetzgebungsverfahren . . 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

44 45 46 46 47 47 48 48 49 49 49 50 51 53

Bedeutung des Erziehungsgedankens im fGG seit 1953 ... 1. Reformansätze zur Änderung des JGG ab 1961 . . . . . . . . . . . . a) Die Denkschrift von Schüler-Springorum im Auftrag der DVJJ 1964 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Denkschrift der Arbeiterwohlfahrt von 1967 . . . . . . . . . 2. Das Scheitern der Reformbestrebung zu einem Jugendhilferecht .

53 53

VI. Resümee. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

57

V.

54 54 55

B) Das Auslegungsziel: Klärung des Erziehungsbegriffs im Hinblick auf die jugendstrafrechtliche Orientierung

I.

II.

Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Notwendigkeit der Bestimmung eines jugendstrafrechtlichen Erziehungsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Implikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Erforderlichkeit der Orientierung am Erziehungsbegriff außerjuristischer Wissenschaft und Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Berücksichtigung des eingeschränkten jugendstrafrechtlichen Ziels Legalbewährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Erziehungsbegriff und seine Ersetzung durch den Sozialisationsbegriff in der außerjuristischen Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Erziehungsbegriff der wissenschaftlichen Pädagogik . . . . . .. a) Traditionelle Unterscheidung zwischen funktionaler und intentionaler Erziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) überlegungen zu einer tendenziellen Ausweitung des Erziehungsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

59 59 59 60 60 61 62 62 63

Inhaltsverzeichnis

9

2. Erziehungswissenschaftliche Rezeption des Sozialisationsbegriffs . a) Herkunft des Sozialisationsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Sein umstrittenes Verständnis in der Erziehungswissenschaft .. c) Kritik der alternierenden Begriffe "sozial-individuale Integration" und "Enkulturation" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3. Der "Erziehungsbegriff" in der Psychologie . . . . . . . . . . . . . .. a) Diskussionsstand in der Erziehungspsychologie . . . . . . . . . .. b) Tendenzielle Rezeption des Sozialisationsbegriffs in der Entwicklungspsychologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Das Verhältnis zum Lernbegriff der experimentellen Psychologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

65 66 66

III. Die Verwendbarkeit des SozialisationsbegriJfs im Jugendstrafrecht.. 1. Allgemeine Gründe für eine Rezeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorzug eines definitorisch weiten, aber eindeutigen Begriffs .. b) Mögliche materiale Vorzüge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Anschluß an die Verständnisebene des Konzepts "Sozialisation und soziale Kontrolle" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Stand der Rezeption des Sozialisationsbegriffs in (anderen) Bereichen (vornehmlich) des Jugendrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) Jugendhilferecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Allgemeiner Teil des Sozialrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. c) Familien- und Vormundschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3. Verwendung des Sozialisationsbegriffs im Strafrecht . . . . . . . . .

70 71 71 72

IV. Die Orientierung des SozialisationsbegriJfs: Das Ziel des Jugendstrafrechts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Konsequenzen für die Rezeption aus dem spezifischen Ziel des Jugendstrafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) Die strafrechtliche Reduktion auf Legalbewährung . . . . . . ... b) Konsequenz einer Funktionsdifferenzierung zwischen Handlungsträgern im Jugendstrafverfahren . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Zur Möglichkeit entsprechender Funktionsdifferenzierung als Vorzug des Sozialisationsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

67 68 68 68

69

73 74 75 76 76 77 78 78 78

79 82

C) Zur Geltung von Rechtsanwendungsprinzipien

I.

Über die allgemeine Bedeutung juristischer Anwendungsprinzipien . 1. Stand der Auffassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Zur Frage der normativen Verbindlichkeit . . . . . . . . . . . . . . .. 3. Vorprüfung des Rechtsnormcharakters . . . . . . . . . . . . . .

84 84 85 86

II.

Zum Stellenwert topischen Denkens . ....... . 1. Der topische Ansatz von Viehweg . . . 2. Reaktionen auf Viehweg . . . . . . . . . . . . . . . a) Kritik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

87 88 88

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .. . ..

89

10

Inhaltsverzeichnis b) Diskussion der Kritik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Aspekte der Weiterentwicklung des topischen Ansatzes ..... 3. Stellungnahme zur methodologischen Bedeutung des topischen Ansatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

III. Bestimmung der Rechtsnatur und des Geltungsumfanges jugendstrafrechtlicher Anwendungsprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Notwendige Differenzierungen der Rechtsnatur .. . . . . . . . . .. a) Gesetzesprinzipien oder Rechtsfortbildungsprinzipien . . . . .. b) Konkreter Problembezug oder abstrakter Deduktionswert ... c) Normative oder informative Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . .. d) Prinzipien des Rechts oder Prinzipien der Rechtshandhabung . e) Institutionelle oder präinstitutionelle Prinzipien . . . . . . . . .. 2. Geltungsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verwendung in der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Systematisierung und Weiterentwicklung in der Rechtswissenschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zum Rangfolgeproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Systematik und Wertehierarchie ...... .. .. . . 2. Wertentscheidungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zur Ubiquität der Wertung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Leitende Gesichtspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3. Annex: Zum Verhältnis von "formellem" und "materiellem" Recht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) Stand der Meinungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Die Anregung von Peters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Konsequenz für das Jugendstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . .

§ 3 Zweites Hauptstück: Ermittlung und Überprüfung jugendstrafrechtlicher Rechtsanwendungsprinzipien

Erster Teil: Rechtssystematische Analyse von Einzelprinzipien

89 90 92

93 93 93 94 95 95 96 96 96 97 98 98 98 99 99 101 101 102 103

105 105

D) Analytische Differenzierungen des Grundsatzes erzieherischer Präponderanz und seiner Ergänzungen anhand normativer und rechtspraktischer Ausprägungen 1. ABSCHNITT: Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

105

I.

Vorrang der Erziehung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 105 1. Normativität ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 2. Bestimmtheit des Begriffs "Erziehung" . . . . . . . . . . . . . . . . .. 107

II.

Untersuchungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 108

Inhaltsverzeichnis

11

1. Normative Ausprägungen als Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . 108 2. Notwendigkeit der Einbeziehung von Rechtsprechung und Schriftturn ..... 108

2. ABSCHNITT: Im JGG dominante jugendspezifische Rechtsanwendungsprinzipien 1.

11.

Spezialitä't....................................... 1. Bedeutung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) Verhältnis zur Spezialität in der strafrechtlichen Konkurrenzlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ausprägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gesetzliche Ausprägungen des Grundprinzips. . . . . . . . . . .. b) Varianten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Darstellung der Reichweite anhand von Anwendungsfällen . . . .. a) Grundprinzip. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) "Eigenständigkeit des Jugendstrafrechts" . . . . . . . . . . . . . . c) "Jugendgemäße Anwendung außerjugendstrafrechtlicher Vorschriften" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Verhä'ltnismä'ßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bedeutung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. (Einfachgesetzliche) Differenzierungen außerhalb des Jugendstrafrechts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) Straf- und Strafverfahrensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Jugendwohlfahrts-, Familien- und Vormundschaftsrecht . . . .. 3. Differenzierungen im Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) "Geeignetheit", "Erforderlichkeit", "Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) "Effizienz" als Element von "Geeignetheit" . . . . . . . . . . . . 4. Gesetzliche Ausprägungen im Jugendstrafrecht. . . . . . . . . . . .. a) Geeignetheit (= Zwecktauglichkeit) . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Subsidiarität (= Erforderlichkeit) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. c) Angemessenheit (= Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne) . .. 5. Darstellung der Reichweite gesetzlicher Ausprägungen anhand von Anwendungsfällen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) Subsidiarität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 6. Darstellung der Reichweite von Anwendungsfällen außerhalb gesetzlicher Ausprägungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) Geeignetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Subsidiarität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

109 109 109 109 110 111 111 114 115 115 143 145 150 150 150 151 152 153 153 155 156 157 158 163 166 166 169 171 171 176 183

12

Inhaltsverzeichnis

III. Bestimmtheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Bedeutung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Verschiedenheit rechtlicher und außerrechtlicher Grundlagen ... 3. Unterschiede zum allgemeinen Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Gesetzliche Ausprägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verfahrensrecht ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Darstellung der Reichweite anhand von Anwendungsfällen . . a) Grundprinzip der Gesetzesbestimmtheit . . . . . . . . . . . . . . . b) Jugendstrafrechtliehe Bestimmtheit in ihren Varianten der Klarheit und der Konsequenz .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

189 189 190 190 191 191 192 192 192

IV. Flexibilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bedeutung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Prinzipienvariante der Kombination. . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3. Prinzipienvariante jugendstrafrechtlicher Beschleunigung . . . . .. a) Problematik der Abgrenzung zum allgemeinen Beschleunigungsgebot ...... " . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Bedeutung des allgemeinen Beschleunigungsgebots ...... .. c) Lösungsansatz zur Abgrenzung der Prinzipienvariante jugendstrafrechtlicher Beschleunigung vom allgemeinen Beschleunigungsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Gesetzliche Ausprägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundprinzip der Flexibilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Prinzipienvariante jugendstrafrechtlicher Beschleunigung . . 5. Darstellung der Reichweite anhand von Anwendungsfällen . a) Grundprinzip der Flexibilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Prinzipienvariante der Kombination . . . . . . . . . . . . . . . . .. c) Prinzipienvariante jugendstrafrechtlicher Beschleunigung . . ..

203 203 203 204

V. Einheit......................................... 1. Bedeutung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Differenzierungen des Grundprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) Prinzipienvariante jugendstrafrechtlicher "Einspurigkeit freiheitsentziehender Rechtsfolgen" . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Einheit in personeller und sachlicher Hinsicht . . . . . . . . . . . c) Entscheidungsnähe (= Einheit in örtlicher Hinsicht) . . . . . . . 3. Gesetzliche Ausprägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundprinzip der Einheit im Bereich der Rechtsfolgen (einschließlich der Prinzipienvariante der Einspurigkeit freiheitsentziehender Rechtsfolgen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Grundprinzip der Einheit in personeller und sachlicher Hinsicht (im Bereich von Gerichtsverfassungs-, Verfahrens-, Vollstreckungs- und Vollzugsrecht) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

235 235 236

195

205 206 208 209 209 219 225 225 228 229

236 236 237 238 238 241

Inhaltsverzeichnis

13

c) Prinzipienvariante der Entscheidungsnähe . . . . . . . . . . . . .. 4. Darstellung der Reichweite anhand von Anwendungsfällen . . . .. a) Grundprinzip der Einheit im Bereich der Rechtsfolgen (einschließlich der Prinzipienvariante der Einspurigkeit freiheitsentziehender Rechtsfolgen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Grundprinzip der Einheit in personeller und sachlicher Hinsicht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. c) Prinzipienvariante der Entscheidungsnähe . . . . . . . .

245 248

VI. Kooperation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bedeutung und Varianten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Gesetzliche Ausprägungen des Grundprinzips. . . . . . . . . . . . .. a) Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Verfahrensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Darstellung der Reichweite der Prinzipienvariante jugendstrafrechtlicher Entscheidungsbeteiligung anhand von Anwendungsfällen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Verfahrensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Vollstreckungs- und Vollzugsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

264 264 265 265 267

VII. Schutz (Nichtöffentlichkeit) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Bedeutung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Gesetzliche Ausprägung der Nichtöffentlichkeit in § 48 JGG ... 3. Darstellung der Reichweite anhand von Anwendungsfällen . . . .. a) Nichtöffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Jugendstrafverfahrensrechtlicher Schutz (außer Nichtöffentlichkeit ) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

275 275 276 277 278

248 255 262

269 269 271 274

279

E) Verfassungsrechtliche Grundlegung und Begrenzung 1. ABSCHNITT: Grundlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

Erzieherische Präponderanz (einschließlich Spezialitiit) nebst jugendstrafrechtlichem Schutz und Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG sowie Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 Satz 1 GG (Sozialstaatsprinzip) . . . . . . . . . . . 1. Erzieherische Präponderanz und Spezialität . . . . . . . . . . . . . .. a) Vorüberlegungen zur verfassungsrechtlichen Legitimation. . .. b) Rechtsgrundlagen in der Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Jugendstrafrechtlicher Schutz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 11. Jugendstrafrechtliches Kooperationsprinzip und (Art. 103 Abs. 1 GG sowie) Art. 20 Abs. 1 GG (Demokratieprinzip) . . . . . . . . . . ..

284

I.

284 284 284 285 291 292

14

Inhaltsverzeichnis. 1. Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) als Rechtsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Legitimation der Verfassungsnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Rechtsnatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. c) Reichweite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Demokratieprinzip als Rechtsgrundlage . . . . . . . . . . : . . . . . .. a) Legitimation als Verfassungsnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Reichweite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ableitung der (erweiterten) jugendstrafrechtlichen Kooperation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

II!. Prinzipielle jugendstrafrechtliehe Verhältnismäßigkeit, Bestimmtheit, Flexibilität sowie Einheit und Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG sowie Art. 20,28 Abs. 1 Satz 1 GG (Rechtsstaatsprinzip) . . . . . . . . . . . . . .. 1. Legitimation des Rechtsstaatsprinzips als Verfassungsnorm (auch aus seiner materiellen Basis in Art. 1 und 2 GG) . . . . . . . . . . .. 2. Ableitungjugendstrafrechtlicher Prinzipien . . . . . . . . . . . . . .. a) Jugendstrafrechtliche Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . .. b) Jugendstrafrechtliche Bestimmtheit . . . . . . . . . . . . . . . . .. c) Jugendstrafrechtliche Flexibilität. . . . . . . . . . . . . . . . . . .. d) Jugendstrafrechtliche Einheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

292 292 293 293 297 297 297 299

301 302 303 303 303 304 305

2. ABSCHNITT: Begrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . , 306 1.

I!.

Art. 3 Abs. 1 GG und die" Vermeidung der Benachteiligung Jugendlicher gegenüber Erwachsenen in vergleichbarer Verfahrenslage" ... 1. Zur Aussage des Art. 3 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) Legitimation der Verfassungsnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Bedeutung für das Jugendstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Substanz des jugendstrafrechtlichen Prinzips einer "Vermeidung der Benachteiligung Jugendlicher gegenüber Erwachsenen in vergleichbarer Verfahrenslage" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3. Darstellung der Reichweite an hand von Anwendungsfällen . . . .. a) Rechtsfolgenvoraussetzungen und Rechtsfolgen . . . . . . . . .. b) Zuständigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. c) Verfahrensrecht ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. d) Vollstreckungs- und Vollzugsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Art. 6 Abs. 2 und 3 GG und die "Prärogative erzieherischer Einwirkung im Jugendstrafverfahren durch die Erziehungsberechtigten" .. 1. Geltung von Art. 6 Abs. 2 und 3 GG im Jugendstrafverfahren . .. a) Der traditionelle Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die neuere Auffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. c)Prüfung im einzelnen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

306 307 307 308

310 312 312 318 320 331 332 333 334 337 338

Inhaltsverzeichnis

15

2. Gehalt und Reichweite des jugendstrafrechtlichen Prinzips einer "Prärogative erzieherischer Einwirkung im Jugendstrafverfahren durch die Erziehungsberechtigten" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 344 a) Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 b) Verfahrensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345

Zweiter Teil: Methodische Überprüfung anhand von Anwendungsprinzipien außerjuristischer Wissenschaft

350

F) Prüfungsmethodik einer übereinstimmung und Vergleich jugendstrafrechtlicher Rechtsanwendungsprinzipien mit Anwendungsprinzipien außerjuristischer Wissenschaft 1. ABSCHNITT: Einbeziehung angewandt er (Sozial-) Verhaltenswissenschaft in den unbestimmten Gesetzesbegriff der "Erziehung" . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 352 1.

II.

Unbestimmter GesetzesbegrifJ und Ergebnisse außerjuristischer Wissenschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Explikation am "Stand der Wissenschaft (und der Technik)" ... a) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Folgerung für den Gesetzesbegriff "Erziehung" im Jugendstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verwendbarkeit des methodischen Lösungsansatzes am Beispiel "Erziehung und Strafe" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Meinungsstand zum Verhältnis von Erziehung und Strafe im Jugendstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Identität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Erziehung als Bestandteil der Strafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Strafe als Bestandteil der Erziehung . . . . . . . . . . . . . . . . .. d) Antinomie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Begriffsinterpretation unter Einbeziehung des außerjuristischen Meinungsstandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) Bereich der Pädagogik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Bereich der Psychologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

352 352 353 353 355 356 357 358 ·358 360 361 362 362 363

2. ABSCHNITT: Zur tendenziellen Kongruenz von jugendstrafrechtlichen Rechtsanwendungsprinzipien und Leitvorstellungen außerjuristischer Wissenschaft (und Praxis) im Bereich der Sozialisation Minderjähriger . . . . . . . . . . . 365 1.

Spezialitiit . . . . . . . . . . . . . .

368

II.

Verhältnismäßigkeit ....... .

368

16

Inhaltsverzeichnis 1. Einzelne Prinzipien varianten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 368 2. Effizienz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 369

111. IV.

Bestimmtheit

370

Flexibilität . 371 1. Grundprinzip. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 2. Beschleunigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371

V.

Einheit........................................

372

VI.

Kooperation ......... .

373

VII. Schutz (Nichtöffentlichkeit)

374

VIII. Vermeidung der Benachteiligung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

375

IX.

375

Erziehungsberechtigtenprärogative . . . . . . . . . . . . . . . .

§ 4 Zusammenfassung' und Ausblick I.

Ergebnisse 1. Gesetzeshistorische Befunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bestimmung des jugendstrafrechtlichen Erziehungsbegriffs .... . 3. Methodologische Erörterung von Rechtsanwendungsprinzipien .. 4. Systematische Analyse von Rechtsanwendungsprinzipien in Gesetz, Rechtsprechung und jugendstrafrechtlichem Schrifttum ... 5. Verfassungsrechtliche Grundlegung, Konkretisierung und Begrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Methodische Überprüfung und Vergleich mit Anwendungsprinzipien außerjuristischer Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

377 377 377 377 379 379 380 381

11. Ausblick auf eine verstärkte Implementation der jugendstrafrechtlichen Rechtsanwendungsprinzipien in der Praxis . . . . . . . . . . . . .. 383 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

385

Gesetzesverzeichnis . . . . . . . . , . . . . .

438

Stichwortverzeichnis . . . . .'. . . .....

450

Abkürzungsverzeichnis

Art. AT Aufl. AV AVO

anderer Ansicht; am Anfang am angegebenen Ort ablehnend Absatz; Absätze Abschnitt abweichend Archiv für die civilistische Praxis. Tübingen Alternativ-Entwurf am Ende Änderungsgesetz Änderungsverordnung alte Fassung Amtsgericht allgemein Alternative(n) anderer Meinung Amtliche Begründung Amtsblatt Anlage Anmerkung Anwaltsblatt. Nachrichten für die Mitglieder des Deutschen Anwaltsvereins. München, Berlin Abgabenordnung v. 16.03.1976 (BGB!. 1,613), letztes ÄndG v. 22.12.1981 (BGB!. I, 1523) Archiv des öffentlichen Rechts. Tübingen Archiv für Kriminologie. Monatsschrift für naturwissenschaftliche Kriminalistik und Polizeiarchiv; vormals: Archiv für Kriminalanthropologie und Kriminalistik. Berlin u.a. argumentum e contrario Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie ; vormals: Archiv für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie. Wiesbaden Artikel Allgemeiner Teil Auflage Allgemeine Verfügung A usführungsverordn ung

BAnz.

Bundesanzeiger

a.A. a.a.O. ab!. Abs. Abschn. abw. AcP AE a.E. ÄndG ÄndVO a.F. AG allg. Altern. a.M. Amt!. Begr. Amtsb!. An!. Anm. AnwBl AO AöR ArchKrim

arg. e c. ARSP

2 Nothacker

18

BayObLG (St) BayVBI BayVerfGHE Bd. Bde. Begr. Bek. Besch!. BetMG BewHi BewHiSt. BGB BGB!. I, II BGH BGHSt BGHZ BildErz BlGefK BR BR-Dr. BT BT-Dr. BVerfG BVerfGE BVerfGG BVerwG BVerwGE bzg!. BZR BZRG

Ab kürz ungsverzeichnis

Bayerisches Oberstes Landesgericht (mit Zusatz: Sammlung von Entscheidungen in Strafsachen, N.F.; zitiert nach Jahr und Seite) Bayerische Verwaltungsblätter. Zeitschrift für öffentliches Recht und administrative Praxis. München Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bayerischen Verfassungsgerichtshofes Band Bände (Gesetzes-) Begründung Bekann tmach ung Beschluß Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln (Betäubungsmittelgesetz) v. 28.07.1981 (BGB!. I, 681, berichtigt 1187) Bewährungshilfe. Fachzeitschrift für Bewährungs-, Gerichts- und Straffälligenhilfe. Bonn Statistisches Bundesamt Wiesbaden (Hrsg.); Rechtspflege, Fachserie 10, Reihe 5: Bewährungshilfe Bürgerliches Gesetzbuch v. 18.08.1896 (RGB!. 195), letztes ÄndG v. 27.01.1983 (BGB!. I, 375) Bundesgesetzblatt Teil I, II Bundesgerichtshof Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen (zitiert nach Band und Seite) Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen (zitiert nach Band und Seite) Bildung und Erziehung. Zweimonatsschrift für Pädagogik. Stuttgart Blätter für Gefängniskunde (Organ des Vereins der Deutschen Strafanstaltsbeamten ). Heidelberg, Kassel Bundesrat Drucksache des Bundesrates Bundestag Drucksache des Bundestages Bundesverfassungsgericht Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (zitiert nach Band und Seite) Gesetz über das Bundesverfassungsgericht i.d.F. v. 20.03.1979 (BGBl. I, 357, 360) Bundesverwaltungsgericht Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (zitiert nach Band und Seite) bezüglich Bundeszentralregister Gesetz über das Zentralregister und das Erziehungsregister (Bundeszentralregistergesetz) i.d.F. der Bek. v.

Abkürzungsverzeichnis

19

bzw.

21.09.1984 (BGB!. I, 1229) bezieh ungsweise

CDU Civitas CSU

Christlich-Demokratische Union Deutschlands Civitas. Jahrbuch für Sozialwissenschaften. Mainz Christlich-Soziale Union

DAR

Deutsches Autorecht. Rechtszeitschrift des Allgemeinen Deutschen Automobil-Clubs. München Diskussionsentwurf eines Jugendhilfegesetzes derselbe Der Staat. Zeitschrift für Staatslehre, öffentliches Recht und Verfassungsgeschichte. Berlin das heißt dieselbe (n) Dissertation Uuristische, philosophische) Deutscher Jugendgerichtstag Deutscher Juristentag Deutsche Jugend. Zeitschrift für Jugendfragen und Jugendarbeit. München Deutsche Justiz. Berlin Deutsche Juristenzeitung. Berlin Deutsches Recht. Berlin Drucksachenn ummer Deutsches Richtergesetz i.d.F. der Bek. v. 19.04.1972 (BGB!. I, 713), letztes ÄndG v. 16.08.1980 (BGB!. I, 1451) Deutsche Richterzeitung. Organ des Deutschen Richterbundes, Bund der Richter und Staatsanwälte in der Bundesrepublik Deutschland e. V. Köln, Berlin Deutsche Rechtszeitschrift. Tübingen Die öffentliche Verwaltung. Stuttgart Deutsches Strafrecht. Berlin deutsch Deutsches Verwaltungsblatt. Köln u.a. Deutsche Vereinigung für Jugendgerichte und J ugendgerichtshilfen e. V. München Durchführungsverordn ung

DE-JHilfeG ders. Der Staat d.h. dies. Diss. (iur., phi!.) DJGT DJT DJugend DJustiz DJZ DR Dr.-Nr. DRiG DRiZ

DRZ DÖV DStR dt. DVB!. DVJJ DVO E 1962 ebd. EG EGBGB

2*

Regierungsentwurf eines Strafgesetzbuches mit Begr. (BT-Dr. IV/650, inhaltsgleich mit Initiativentwurf ohne Begr. BT-Dr. V/32) ebenda Einführungsgesetz Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche v. 18.08.1896 (RGB!., 604), letztes ÄndG v. 22.02.1983 (BGB!. I, 525)

20

EGGVG EGOWiG EGStGB EGStPO Einf. Einl. EJF Erw BildÖsterr. EuropMRK e.V. f.; ff. FamRZ FDP FGG

Fn. Forts. GA GBL GerS GG ggf. GjS

Ab kürzungsverzeichnis

Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz v. 27.01.1877 (RGBl., 77), letztes ÄndG v. 23.12.1982 (BGBL I, 2071) Einführungsgesetz zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten v. 24.05.1968 (BGBL I, 503), letztes ÄndG v. 02.03.1974 (BGBL 1,469,633) Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch v. 02.03.1974 (BGBL I, 469), letztes ÄndG v. 22.12.1977 (BGBL I, 3104) Einführungsgesetz zur Strafprozeßordnung v. 01.02. 1877 (RGBl., 346), letztes ÄndG v. 14.12.1976 (BGBL I, 3341) Einführung Einleitung Entscheidungen aus dem Jugend- und Familienrecht. München (bis 1961 Loseblattsammlung; zitiert nach der Gliederung des Werkes) Erwachsenenbildung in Österreich. Wien Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten v. 04.11.1950. Zustimmungsgesetz v. 07.08.1952 (BGBL 11, 685, 963) eingetragener Verein folgende; fortfolgende Ehe und Familie im privaten und öffentlichen Recht. Zeitschrift für das gesamte Familienrecht. Bielefeld Freie Demokratische Partei Gesetz über Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit v. 17.05.1898 (RGBl., 189) Ld.F. der Bek. v. 20.05.1898 (RGBl., 771); letztes ÄndG v. 29.03.1983 (BGBL I, 377) Fußnote Fortsetzung Goltdammer's Archiv für Strafrecht; vormals: Deutsches Strafrecht. Heidelberg, Hamburg Gesetzblatt Der Gerichtssaal. Zeitschrift für volksthümliches Recht. Stuttgart Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland v. 23.05.1949 (BGBl., 1), letztes ÄndG v. 23.08.1976 (BGBL I, 2383) gegebenenfalls Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften i.d.F. v. 29.04.1961 (BGBL 1,497), letztes ÄndG v. 10.03.1975 (BGBL I, 685, 689)

Abkürzungsverzeichnis

GKG GS GVBI. GVG

21

Gerichtskostengesetz i.d.F. der Bek. v. 15.12.1975 (BGBI. I, 3047), letztes ÄndG v. 08.09.1981 (BGBI. I, 947) Großer Senat Gesetz- und Verordnungsblatt Gerichtsverfassungsgesetz i.d.F. der Bek. v. 09.05.1975 (BGBI. I, 1077), letztes ÄndG v. 23.12.1982 (BGBI. I, 2071)

Hrsg. hrsg.

Halbsatz Höchstrichterliche Entscheidungen in Strafsachen (zitiert nach Band und Seite) herrschende Meinung Höchstrichterliche Rechtsprechung (zitiert nach Jahr und Nummer) Herausgeber herausgegeben

i.d.F. i.e.S. I.K.V. i.S. i.S.d. i.V.m. i.w.S.

in der Fassung im engeren Sinne Internationale Kriminalistische Vereinigung im Sinne im Sinne des(r) in Verbindung mit im weiteren Sinne

JA

Juristische Arbeitsblätter. Für Ausbildung und Examen. Bielefeld The Journal of Abnormal Psychology; vormals: The Journal of Abnormal and Sodal Psychology. Was hington, D.C. Gesetz zum Schutze der arbeitenden Jugend (Jugendarbeitsschutzgesetz) v. 12.04.1976 (BGBI. I, 1965), letztes ÄndG v. 15.10.1984 (BGBI. I, 1277) Verordnung über den Vollzug des Jugendarrestes (Jugendarrestvollzugsordnung) v. 30.11.1976 (BGBI. I, 3270) Juristische Blätter (Österreich). Wien, Berlin Journal of Educational Psychology. Washington, D.C. Jahrbuch für Entscheidungen in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit und des Grundbuchrechts Jugendgerichtsgesetz v.16.02.1923 (RGBl. I, 137) Jugendgerichtsgesetz v. 04.08.1953 (BGBl. I, 751) i.d.F. d. Bek. v. 11.12.1974 (BGBI. I, 3427), letztes ÄndG v. 08.12.1981 (BGBl. I, 1329) Entwurf eines Jugendhilfegesetzes (BT-Dr. 8/4010. 8/4080)

Halbs. HESt h.M. HRR

JAbnPsych JArbSchG JAVollzO JBl JEducPsych JFG JGG 1923 JGG (1953) JHilfeG-E

22

JMBl JMBl NW JöR JR JSocPsych Jura JurBüro JuS Justiz JW JWG JWohl JZ Kap. KE Kfz KG Krim KrimGegfr KrimJ krit. KritJ KZfSS

Ab kürz ungsverzeichnis

Justizministerialblatt Justizministerialblatt für das Land Nordrhein-Westfalen. Düsseldorf Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart. Tübingen Juristische Rundschau. Berlin Journal of Sodal Psychology. New York Juristische Ausbildung. Berlin Das juristische Büro. Fachzeitschrift für die Angestellten der Rechtsanwälte, Notare und verwandten Berufe. Flensburg Juristische Schulung. München Die Justiz. Amtsblatt des Justizministeriums BadenWürttemberg. Villingen Juristische Wochenschrift. Berlin Gesetz für Jugendwohlfahrt i.d.F. v. 25.04.1977 (BGBl. 1,633; berichtigt 795), letztes ÄndG v. 18.07. 1979 (BGBl. 1,1061,1067) Jugendwohl. Zeitschrift für Kinder- und Jugendhilfe (hrsg. v. Deutschen Caritasverband e. V.). Freiburg i. Br. Juristenzeitung; vormals: Süddeutsche Juristenzeitung und Deutsche Rechts-Zeitschrift. Tübingen Kapitel Kommissionsentwurf Kraftfahrzeug Kammergerich t Kriminalistik. Heidelberg Kriminologische Gegenwartsfragen; vor 1968: Kriminalbiologische Gegenwartsfragen. Stuttgart Kriminologisches Journal. München kritisch Kritische Justiz. Frankfurt/M. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie; vor 1955: Kölner Zeitschrift für Soziologie. Köln, Opladen

LS l.Sp.

Landgerich t (e ) Entscheidungen des Bundesgerichtshofs im Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs von LindenmaierMöhring Leitsatz linke Spalte

MDR

Monatsschrift für deutsches Recht. Köln, Hamburg

LG LM

Ab kürzungsverzeichnis

MiStra m.N. MschrKrim

MVollzG(e) m.w.N.

N.

NdsRpfl NDV Neue Praxis N.F. n.F. NJW Nr. n.S. NStZ

o. OGHSt o.J. OLG OLGSt

0.0. OrgStA o.V. OWiG

PädR PDV PolitMeinung PraxKiPsych

23

Anordnung über Mitteilungen In Strafsachen, Stand 15.03.1985 mit Nachweisen Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform; von 1937-1953: Monatsschrift für Kriminalbiologie und Strafrechtsreform; vor 1937: Monatsschrift für Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform. Köln, Berlin Maßregelvollzugsgesetz(e der Länder) mit weiteren Nachweisen Nachweis(e) Niedersächsische Rechtspflege. Celle Nachrichtendienst des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge. Frankfurt/M. Neue Praxis. Kritische Zeitschrift für Sozialarbeit und Sozialpädagogik. Neuwied Neue Folge neue Fassung Neue Juristische Wochenschrift. München, Frankfurt/M. Nummer(n) nächste Seite Neue Zeitschrift für Strafrecht. Frankfurt/M., München oben Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs für die Britische Zone in Strafsachen (zitiert nach Band und Seite) ohne Jahresangabe Oberlandesgericht (e) Amtliche Sammlung der Entscheidungen der Oberlandesgerichte zum Straf- und Strafverfahrensrecht (zitiert nach § § und Seite) ohne Orts angabe Anordnung über Organisation und Dienstbetrieb der Staatsanwaltschaften ohne Vornamen Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) Ld.F. der Bek. v. 02.01.1975 (BGBl. I, 80; berichtigt 520), letztes ÄndG v. 05.10.1978 (BGBl. I, 1645) Pädagogische Rundschau. Monatsschrift für Erziehung und Unterricht. Kastellaun Polizeiliche Dienstverfügung Die politische Meinung. Zweimonatshefte für Fragen der Zeit. Bonn Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie. Zeitschrift für analytische Kinder- und Jugendpsychologie, psychotherapie, Psychagogik und Familientherapie in Praxis und Forschung. Göttingen, Zürich

24

Prot. PsychErzUnterr PsychR

RAQ RdJB RE RE-1.JGGÄndG RE-J Hilfe G RegE RegE-JHilfeG RG RGBl.I RGSt RiStBV

RJGG RJWG RL RMBl. Rn. Rpfleger RPflG RPflSt. r.Sp. Rspr. RStGB RTheorie

Abkürzungsverzeichnis

Protokoll( e) Psychologie in Erziehung und Unterricht. Zeitschrift für Forschung und Praxis; vormals: Schule und Psychologie. München, Basel Psychologische Rundschau. überblick über die Fortschritte der psychologie in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Göttingen Reichsabgabenordnung v. 13.12.1919 (RGBl., 1993), letztes ÄndG v. 02.03.1974 (BGBl. 1,469) Recht der Jugend und des Bildungswesens. Zeitschrift für Schule, Berufsbildung und Jugenderziehung. Berlin Referentenentwurf Referentenentwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Jugendgerichtsgesetzes, Stand: 18.11.1983 Referentenentwurf eines Jugendhilfegesetzes Regierungsen twurf Regierungsen twurf eines Sozialgesetzbuches (SG B) -Jugendhilfe - (BT-Dr. 8/2571) Reichsgericht Reichsgesetzblatt Teil I Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen (zitiert nach Band und Seite) Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren in der ab 01.01.1977 (bundeseinheitlich) geltenden Fassung, letzte Änderung v. 02.06.1982 (BAnz Nr. 107) Reichsjugendgerichtsgesetz v. 06.11.1943 (RGBl. I, 637) Reichsgesetz für Jugendwohlfahrt v. 09.07.1922 (RGBl. I, 633) Richtlinien zum Jugendgerichtsgesetz v. 15.02.1955, letzte Änderung in Kraft getreten am 20.05.1980 Reichsministerialblatt Randnummer Der Deutsche Rechtspfleger. Bielefeld Rechtspflegergesetz v. 05.11.1969 (BGBl. I, 2065), letztes ÄndG v. 28.12.1982 (BGBl. 1,2090) Statistisches Bundesamt Wiesbaden (Hrsg.); Rechtspflege, Fachserie 10, Reihe 1: Ausgewählte Zahlen für die Rechtspflege, Reihe 2: Zivilgerichte und Strafgerichte rechte Spalte Rechtsprechung Reichsstrafgesetzbuch v. 15.05.1871 (RGBl., 127) Rechtstheorie. Zeitschrift für Logik, Methodenlehre, Kybernetik und Soziologie des Rechts. Berlin

Abkürzungsverzeichnis RuP RVO

s.

S.

SchlHA Schriftl. Ber. Sen. SGB SGB-AT SJZ s.o. sog. Sp. SPD StÄG StA-Statistik Steno Ber. StGB StGH Ba-Wü StPO str. StrafSt. StrEG StrRG st. Rspr. StVÄG StVert StVG StVO

25

Recht und Politik. Vierteljahreshefte für Rechts- und Verwaltungspolitik; vormals: ASJ -Mitteilungen. Berlin Reichsversicherungsordnung Ld.F. V. 30.04.1963 (BGBl., 241), letztes ÄndG V. 04.11.1982 (BGBl. I, 1450) siehe Seite Schleswig-Holsteinische Anzeigen. Justizministerialblatt Schleswig-Holstein. Kiel Schriftlicher Bericht Senat Sozialgesetzbuch Sozialgesetzbuch, Allgemeiner Teil, V. 11.12.1975 (BGBl. I, 3015), letztes ÄndG v. 04.11.1982 (BGBl. I, 1450) Süddeutsche Juristenzeitung. Tübingen siehe oben sogenannte Spalte Sozialdemokratische Partei Deutschlands Strafrechtsänderungsgesetz Statistisches Bundesamt Wiesbaden (Hrsg.); Staatsanwaltschaften, Arbeitsunterlage Stenographische Berichte Strafgesetzbuch V. 15.05.1871 (RGBl., 127) Ld.F. der Bek. V. 02.01.1975 (BGBl. I, 1), letztes ÄndG V. 08.12. 1981 (BGBl. I, 1329) Baden-Württembergischer Staatsgerichtshof Strafprozeßordnung V. 01.02.1877 (RGBl., 253) Ld.F. der Bek. V. 07.01.1975 (BGBl. I, 129, berichtigt 650), letztes ÄndG V. 08.12.1981 (BGBl. I, 1329) streitig oder strittig Statistisches Bundesamt Wiesbaden (Hrsg.); Rechtspflege, Fachserie 10, Reihe 3: Strafverfolgung Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaß· nahmen V. 08.03.1971 (BGBl. I, 157), letztes ÄndG v. 09.12.1974 (BGBl. I, 3393, 3413) Gesetz zur Reform des Strafrechts ständige Rechtsprechung Strafverfahrensänderungsgesetz Strafverteidiger. Frankfurt/M. Straßenverkehrsgesetz V. 19.12. 1952 (BGBl. I, 837) letztes ÄndG V. 28.12.1982 (BGBl. I, 2090) Straßenverkehrs-Ordnung V. 16.11.1970 (BGBl. 1565), letzte ÄndVO V. 28.04.1982 (BGBl. I, 564)

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StVollstrO

Ab kürzungsverzeichnis

StVRG s.u.

Strafvollstreckungsordnung v. 15.02.1956 (BAnz. Nr. 42; bundeseinheitlich), letzte ÄndAV v. 10.07.1979 (BAnz. Nr. 137) Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe und der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung (Strafvollzugsgesetz) v. 16.03.1976 (BGBl. I, 581, berichtigt 2088), letztes ÄndG v. 22.12.1981 (BGBl. 1,1523) Statistisches Bundesamt Wiesbaden (Hrsg.); Rechtspflege, Fachserie 10, Reihe 4: Strafvollzug Gesetz zur Reform des Strafverfahrensrechts siehe unten

teilw.

teilweise

u. u.a. überw. UVollzO UJ

unten unter anderem; und andere überwiegend Untersuchungshaftvollzugsordn ung Unsere Jugend. Zeitschrift für Jugendhilfe in Wissenschaft und Praxis. München, Düsseldorf Urteil und so weiter unter Umständen

StVollzG

StVollzst.

Urt. usw. u.U. v.

Verf. VerfGH Verh. VerwArch VGH vgl. VO VRS VV VVDStRL VVJug VVStVollzG VwVfG w.N. WRV WStG

vom oder von Verfasser Verfassungsgerichtshof Verhandlung( en) Verwaltungsarchiv. Zeitschrift für Verwaltungslehre, Verwaltungsrecht und Verwaltungspolitik. Köln u.a. Verwaltungsgerichtshof vergleiche Verordung Verkehrsrechtssammlung (zitiert nach Band und Seite) Verwaltungsvorschrift( en) Veröffentlichungen der Vereinigung Deutscher Staatsrechtslehrer . Berlin Verwaltungsvorschriften zum Jugendstrafvollzug Verwaltungsvorschriften zum Strafvollzugsgesetz Verwaltungsverfahrensgesetz v. 25.05.1976 (BGBl. I, 1253), ÄndG v. 02.07.1976 (BGBl. 1,1749) weitere Nachweise Verfassung des Deutschen Reiches v. 11.08.1919 (RGBl., 1383) ("Weiman~r Reichsverfassung") Wehrstrafgesetz i.d.F. v. 24.05.1974 (BGBl. I, 1213), ÄndG v. 21.12.1979 (BGBl. I, 2326)

Abkürzungsverzeichnis z.B. ZblJugR

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zum Beispiel Zentralblatt für Jugendrecht; vormals: Zentralblatt für Vormundschaftswesen, Jugendgerichte und Fürsorgeerziehung. Organ des Deutschen Instituts für Vormundschaftswesen. Köln, Berlin ZBR Zeitschrift für Beamtenrecht. Köln u.a. ZexPsych Zeitschrift für experimentelle und angewandte Psychologie. Göttingen ZfEntwPsychPädPsych Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und Pädagogische psychologie. Göttingen Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie. Bem u. a. ZfKiJPsychiatr zfpäd Zeitschrift für Pädagogik. Vierteljahresschrift. Weinheim u.a. ZfpsychoanalytPäd Zeitschrift für psychoanalytische Pädagogik. Wien Zeitschrift für Strafvollzug und Straffälligenhilfe ; vor ZfStVollz 1975: Zeitschrift für Strafvollzug. Darmstadt zit. zitiert Zeitschrift für Rechtspolitik. München, Frankfurt/M. ZRP Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft. Tübingen ZStaatsW Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft. BerZStW lin zust. zustimmend zweifelhaft zw. Zeitschrift für Zivilprozeß. Kölnu.a. ZZP zur Zeit z. Zt.

§ 1 Einführung I. Problemstellung

Das JGG bezieht die Grundlage seiner Legitimation aus dem Konsens über die Notwendigkeit altersgemäß spezifisch!,!r Einflußnahme auf eine der Altersgruppe der Jugendlichen (bzw. ggf. der Heranwachsenden) angehörige Person aus Anlaß ihres strafrechtlich bedeutsamen verhaltens. Die Anwendung jugendbezogenen Strafund Strafverfahrensrechts hat mithin in Form und Inhalt den Prinzipien persönlichkeitsbezogener, pädagogisch adäquater Einwirkung Rechnung zu tragen. Von dieser pädagogischen Grundlegung ausgehend wird folgerichtig für den Anwendungsbereich der jugendstraf(verfahrens)rechtlichen Normen weithin übereinstimmend der "Vorrang des Erziehungsgedankens" reklamiert l • Die Reichweite des Grundsatzes im Rahmen der Gesetzesanwendung ist hingegen in Rspr. und Schrifttum noch weithin ungeklärt. Zwar gewinnen aus dem Erziehungsgedanken abgeleitete Auslegungsprinzipien in der praktischen Rechtsanwendung Gestalt; es fehlt aber bislang an einer systematischen Erfassung der jugendstrafrechtlich begründeten Interpretationsregeln und ihrer Grenzen, welche über die Analyse von Einzelproblemen, insbesondere im Bereich der Rechtsfolgen, hinausweist. Einer solchen Systematik könnte zum einen im Hinblick auf eine analytische Durchdringung des Jugendstrafrechts als Rechtsgebiet, vor allem unter methodischen Aspekten, Bedeutung zukommen; dies gilt um so mehr, als mit einer Auflösung des Jugendstrafrechts in einem einheitlichen Jugendhilferech t nach wiederholtem Scheitern dies bezüglicher Versuche nicht zu rechnen ist 2 • Insbesondere aber scheint zum I s. z.B. Eisenberg 1985, etwa Einl. Rn. I, S 5 Rn. 13, S 37 Rn. 5, S 43 Rn. 9; Herz 1982,4,8 f.; vgl. Brunner 1984, Einf. 11 Rn. 4, § 18 Rn. 7;auch Lenckner 1972, 239 l,Primat des Erziehungsgedankens" Uedoch mit nachfolgender Einschränkung]). - Teilw. wird allerdings dieser Vorrang verfahrensbezogen variiert und auf das Gebot eines .,fairen Erziehungsstrafverfahrens" beschränkt (Battke 1983, 86 ff., zusammenfassend 102 f.; vgl. dazu noch u. D) VII.l. und Fn. 966). 2 Insofern versteht sich die Erarbeitung einer entsprechenden Systematik als theoretischer Beitrag zu einer .. verstärkte(n) Rückbesinnung auf die nicht ausgeschöpften Möglichkeiten des JGG und deren behutsame(r) Fortentwick-

30

S 1 Einführung

anderen eine entsprechende Systematik wegen der verfassungsrechtlich gebotenen Rechtsanwendungsgleichheit und der Notwendigkeit, Rechtswirklichkeit und soziale Wirklichkeit in Übereinstimmung zu halten, unumgänglich zu sein. Dabei hat sich das Bemühen um eine Rechtsverbindlichkeit anstrebende Systematisierung auf die Einordnung in den Bezugsrahmen der einheitlichen Rechtsordnung nach den geltenden Grundsätzen der Methodenlehre zu beschränken. Nicht übersehen wird, daß es sich zunächst nur um den Versuch handeln kann, der Leerformelhaftigkeit eines Grundsatzes und seiner damit verbundenen Unverbindlichkeit zu begegnen, wobei ein reduziertes Untersuchungsergebnis schlechtestenfalls nur darin gesehen werden könnte, zeitlich begrenzt die dogmatische Anwendbarkeit eines Prinzips (normativ) zu stabilisieren. Die Notwendigkeit eines entsprechenden ersten Schritts wird nicht durch das Grundsatzproblem aufgehoben, daß die Weiterverfolgung der Systematisierung eines (pränormativen) Prinzips nicht bis zu dem Extrem vorstoßen dürfe, daß für jeden Fall feststünde, ob der Grundsatz anwendbar sei oder nicht; denn der Gefahr, daß der Grundsatz seinen Sinn als Anti-Norm verlieren und so zu einer festgelegten Summe von Einzelnormen werden könnte 3 , kann durch die Wahrung eines gewissen Abstraktionsniveaus begegnet werden. Eine Systematik (vornehmlich) erzieherisch begründeter Auslegungsprinzipien des Jugendstrafrechts vermag ferner zu einer rechtlichen Verfestigung von Erziehungszielen und -methoden nicht beizutragen. Sie kann nur den rechtlichen Rahmen abgeben, in dessen Grenzen gesellschaftlicher Wandel im Bereich der Erziehungskonzeptionen für das Jugendstrafrecht juristisch faßbar bleibt. Eine Systematisierung jugenderzieherischer Anwendungsprinzipien unter rechtlichen Gesichtspunkten kann nur unter der genannten Prämisse lung" (so die Einschätzung aktueller Tendenzen in der jugendstrafrechtlichen Diskussion bei Kaiser 1983, 346 m.N.). • Ob eine entsprechende Systematisierung eines Grundsatzes aber ständig bedroht ist, weil die Asymmetrie (im Verhältnis zur Norm) zu seinen Gunsten es tendenziell begünstige, seine Anwendung auszuweiten, wie teilw. für den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz angenommen wurde (Hirschberg 1981, 238), muß für den Grundsatz erzieherischer Präponderanz bezweifelt werden; denn während sich z. B. der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz von einem verwaltungsrechtlichen Entscheidungsgesichtspunkt zu einem "Super-Grundsatz" entwikkelt hat (vgl. Hirschberg 1981,2 ff.), war der Grundsatz erzieherischer Präponderanz schon in den Anfängen selbständiger jugendstrafrechtlicher Kodifikation ein übergeordneter Grundsatz ohne klare und verbindliche Konturen (s. dazu u. A)).

Il. Untersuchungsverlauf

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ihre Differenzierungen nach Maßgabe eines gewissen Grundkonsenses über Kriterien erzieherischer Einwirkung innerhalb der sozialen Humanwissenschaften, insbesondere der Erziehungspsychologie und der Pädagogik, vornehmen. 11. Untersuchungsverlauf

Der Gang der Untersuchung ist im Ersten Hauptstück, dem Allgemeinen Teil der Abhandlung, davon bestimmt, in einer Grundlegung die Bedingungen für die systematische Analyse jugendstrafrechtlicher Rechtsanwendungsprinzipien zu schaffen. Ausgehend davon, daß die Legitimationsgrundlage eines Jugendstrafrechts gesetzgeberisch ebenso wie in Rspr. und Schrifttum mit dem topos "Vorrang des Erziehungsgedankens" verbunden ist, wird zunächst die gesetzeshistorische Entwicklung dieses topos analysiert, um ggf. bereits auf der historischen Ebene seinen Gehalt einschließlich seiner Reichweite ansatzweise zu bestimmen. Im Hinblick auf weiteren Konkretisierungsbedarf wird so dann versucht werden, zu einer begrifflichen Klärung von "Erziehung" im Jugendstrafrecht beizutragen, wobei eine unterschiedliche Funktionalität des Begriffs wegen der verschiedenen Orientierungen allg. "Erziehung" und spezifisch jugendstrafrechtlicher "Erziehung" zu berücksichtigen sein wird. Der damit erreichte Stand einer Bestimmung des topos "Vorrang des Erziehungsgedankens" läßt die Klärung seiner Reichweite und seines Verhältnisses zu in Rspr. und Schrifttum verwendeten sonstigen jugendstrafrechtlichen Rechtsanwendungsprinzipien noch weithin offen. Ob deren systematische Analyse zur weiteren Verhältnisbestimmung für die praktische Rechtsanwendung fruchtbar sein kann, ist zunächst davon abhängig, welchen Grad rechtlicher Verbindlichkeit diese Anwendungsprinzipien erreichen können. Die Lösung dieser methodologischen Fragestellung ist als dritte und letzte Bedingung der Analyse Gegenstand der abschließenden Ausführungen im Ersten Hauptstück. Im Zweiten Hauptstück, dem Besonderen Teil der Untersuchung, erfolgt die analytische Differenzierung des Grundsatzes "Vorrang des Erziehungsgedankens" und seiner Ergänzungen anhand normativer und rechtspraktischer Ausprägungen. Der Bedeutungsgehalt und die Reichweite der ermittelten Rechtsanwendungsprinzipien ist damit noch nicht endgültig geklärt. Vielmehr bedarf es ihrer verfassungsrechtlichen Grundlegung und erforderlichenfalls ihrer Begrenzung, weil das Jugendstrafrecht Teil der Gesamtrechtsordnung ist und die Rechtsanwendung das Verhältnis von jugendstrafrechtlichen

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S 1 Einführung

Prinzipien zu u. U. übergeordneten Rechtsprinzipien zu berücksichtigen hat. Die verfassungsrechtliche Konkretisierung jugendstrafrechtlicher Rechtsanwendungsprinzipien macht diese in ihrem Gebrauch in der Rechtspraxis nicht unabhängig von gesellschaftlichem Wandel in Bereichen der Sozialisation Minderjähriger, die mit dem Jugendstrafrecht in Beziehung stehen; denn auch die Verfassung anerkennt in gewissem Maße die Notwendigkeit der Neuinterpretation ihrer Prinzipien im Hinblick auf eine veränderte Verfassungswirklichkeit infolge sozialen Wandels. Für die jugendstrafrechtlichen Rechtsanwendungsprinzipien bedeutet dies die Erforderlichkeit der Prüfung, ob sie mit Prinzipien der Einflußnahme auf Minderjährige im Bereich der mit der Entwicklung und Sozialisation dieser Altersgruppe befaßten außerjuristischen Wissenschaft und Praxis tendenziell übereinstimmen.

§ 2 Erstes Hauptstück:

Bedingungen der Analyse A) Zur gesetzeshistorischen Entwicklung des Prinzips "Vorrang des Erziehungsgedankens" I. Bedeutung des Erziehungsgedankens bis zum Inkrafttreten des JGG 1923

1. a) Voraussetzung für (straf-)rechtliche Konzeptionen mit einer Blickausrichtung auf die Jugend ist das Bewußtsein von spezifischen Existenzbedingungen einer bestimmten, gegenwärtig durch eine konkrete Altersstufenzuordnung gekennzeichneten gesellschaftlichen Gruppe. Nach begründeter Vermutung innerhalb historisch orientierter soziologischer und sozialanthropologischer Forschung setzt ein solches Bewußtsein von (Kindheit und) Jugend im europäischen Kulturkreis erst ausgangs des 17. Jahrhunderts ein 1 • Sozioökonomische Veränderungen im Zuge der Entwicklung zur Industriegesellschaft und ein davon nicht unberührtes spezifisches Erkenntnisinteresse vornehmlich innerhalb der sich herausbildenden wissenschaftlichen Disziplinen der Pädagogik und der Psychologie 2 haben bis zum Ende des 19. Jahrhunderts bei der gesellschaftlichen Majorität der Erwachsenen ein Bewußtsein von dieser sozialen Stellung sowie davon verfestige, es bedürfe zu einer Integration von 1 s. vor allem Aries (1978 [1960]), der Belege dafür vorweist, daß noch im späten Mittelalter der Begriff einer Kindheit (als Vorstufe von Jugend) nicht existiert hat, Kindheit vielmehr "in der Lebenswirklichkeit nur eine Übergangszeit war, die schnell vorüberging und die man ebenso schnell vergaß" (a.a.O., 93); vgl. ferner Flitner/Homstein 1964. 2 Teilw. werden diese Disziplinen (einschließlich ihrer Entstehung) geradezu als funktionale Elemente eines Systems von Techniken sozialer Kontrolle (s. dazu u. B) III. 1. cl) verstanden (Foucault 1976 [1975], 382 f.); der Annahme eines Bedürfnisses nach neuartigen Mechanismen sozialer Kontrolle kommt hierbei ein Verständnis entgegen, nach welchem der Mensch des Industriezeitalters weniger durch Tradition oder innere Überzeugung, sondern eher durch Einflüsse der ihn umgebenden Außenwelt geleitet wird (Riesman u. a. 1958 [1950], z.B. 25). 3 In der Tradition eines soziologischen Ansatzes wird mitunter gar von einer "Konstruktion von Jugend im 19. Jahrhundert" gesprochen (v. Trotha 1982, 258).

3 Nothacker

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§ 2 A) Gesetzeshistorische Entwicklung

Personen 4 geringeren Alters in die Gesellschaft differenzierter und komplexer altersbezogener Einwirkungsformen. . b) Ein zentraler historischer Ausgangspunkt war die Entwicklung zum (spezial-)präventiven und auf Verhaltensänderung des Delinquenten hin orientierten Denken in der Strafrechtswissenschaft. Diese Entwicklung ist maßgeblich beeinflußt von der Konzeption Franz v. Liszts, wie sie insbesondere in seinem berühmt gewordenen Aufsatz "Der Zweckgedanke im Strafrecht"s niedergelegt ist. Obschon die Konzeption zunächst noch keine speziell jugendstrafrechtlichen Behandlungsintentionen umfaßte 6 , war sie aufgrund ihrer Gewichtigkeit innerhalb der Gesamten Strafrechtswissenschaft von maßgeblicher Bedeutung dafür, zukünftigen jugendstrafrechtlichen Regelungen den Weg zur praktischen Anwendung zu ebnen 7 • Zugleich war die spezialpräventive Orientierung eine wesentliche Voraussetzung für erzieherisch intendierte Einflußnahme. Die Bemühungen um eine Reform des Strafrechts, im besonderen seiner Rechtsfolgenzumessung, bildeten schließlich die Strömung, die auch die Bewegung trugS, die zu eigenständigen jugendrechtlichen Kodifikationen führen sollte 9 • 4 Offenbar unter dem Eindruck der Arbeit Foucaults (vgl. o. Fn. 2) bezeich~ net v. Trotha (1982, 258) den Vorgang als "Sozialdisziplinierung", zu welcher er unter historischem Aspekt auch die Entstehung des JGG rechnet (a.a.O., 260). - Entgegen der im Anschluß an Gillis (1980 [1974]) vertretenen, angesichts der Realität des J ugend(straf)rechts aber eher folgenlosen Auffassung v. Trothas (1982, 269), Jugend habe "als eine Organisationsform der Sozialisation und als System der sozialen Kontrolle ihren Zenit in den Industriegesellschaften überschritten", bildet es einen maßgeblichen Beweggrund der nachfolgenden Untersuchung, einer jedenfalls im Bereich der aktuellen Strafrechtspraxis eher vernachlässigten Berücksichtigung altersspezifischer Verhaltensbedingungen entgegenzuwirken, indem von solchen' getragene jugend(straf)rechtliche Prinzipien aufgedeckt werden. s 1882,1 (aufgenommen inDers. 1905,126 ff.). 6 Erst auf der ersten Jahresversammlung der 1.K.V. (Brüssel 1889), die 1888 von v. Liszt mitbegründet worden war, wurde die Reform strafrechtlicher Vorschriften im Interesse angemessener Behandlungjunger Täter eingehend behandelt (vgl.Miehe 1968,4 m.N.). 7 Ähnlich schon Miehe 1968, 1. - Insofern bedarf die Feststellung von Sieverts 1955, 15 ("Die Reform des Jugendstrafrechts nahm in dem kriminalpolitischen Gesamtprogramm des großen deutschen Kriminalisten Franz von Liszt und der von ihm mitbegründeten ,1. K. V.' von Anfang an [Hervorhebung vom Verf.] einen bedeutenden Teil ein.") der Korrektur. Hingegen wird in den auf die Entstehung eines Jugendstrafvollzugs begrenzten Überlegungen von Cornel (1981) die Bedeutung der modernen Strafrechtsschule für die Begründung selbständiger jugendstrafrechtlicher Regelungen eher unterschätzt (vgl. a.a.O., 379). 8 Und zwar auch die Jugendgerichtsbewegung i.e.S. selbst (so Ruscheweyh 1918,9).

J. Erziehungsgedanke bis zum Inkrafttreten des JGG 1923

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c) In demselben Jahr, in dem v. Liszt sein sog. Marburger Programm vorlegte, nämlich 1882, wurde auch mit der Führung und Publikation der Reichskriminalstatistik begonnen. Die in den Folgejahren ansteigenden Ziffern strafrechtlich registrierter Jugendlicher lieferten denjenigen Stimmen Argumente, die um selbständige jugendrechtliche Vorschriften bemüht waren, indem der Anstieg (insbesondere) jugendlicher Verurteilter in der Reichskriminalstatistik als Erfolglosigkeit der herkömmlichen strafrechtlichen Regelungen interpretiert wurde 10 • Diese Bewertung der jährlichen Zahlenreihen als Anstieg der Jugendkriminalität bildete die wohl gewichtigste Begründung für die Forderung nach selbständigen jugendrechtlichen Regelungen ll • 2. Die Analyse des letzten Abschnitts der historischen Entwicklung des Jugendstrafrechts seit 1882 12 bis zu dem selbständigen JGG von 1923 läßt erkennen, daß sich eine eindeutige Konzeption 13 im Spannungsfeld von Erziehung und Strafe zum einen, Jugendhilfe• s. bereits Sieverts 1955, 15. 10 Diese statistisch zumindest fragwürdige Interpretation blieb durchweg unangefochten (s. Miehe 1968,2 m. zahlreichen N.); offenbar war die Zeit für eine etwas differenziertere Bewertung statistischer Befunde noch nicht reif. 11 So - in bezug auf die Jugendgerichtsbewegung - ausdrücklich Ruscheweyh (1918, 12 ff., 20); offengelassen bei Miehe (1968, 1), der aber die Anfänge der Diskussion um ein selbständiges Jugendstrafrecht - im Hinblick auf v. Liszts Marburger Universitätsprogramm und den Beginn der Reichskriminalstatistik wohl zutreffend - auf das Jahr 1882 fixiert (Demgegenüber datiert Sieverts [1955, 15] die Anfänge "um 1890", wobei ihm die zweite Versammlung der Deutschen Landesgruppe der I. K. V. 1891 als "der eigentliche Aufbruch" [a.a.O., 16] erscheint.). - Zur Bedeutung des Marburger Programms s. aus der rückwärtigen Betrachtung nach 100 Jahren - unter nicht mehr vertretbar erscheinender Aussparung des Jugendstrafrechts (s. hierzu aber bereits Schaffstein 1980) - die ZStW-Beiträge von Naucke 1982, Frisch 1982, MüllerDietz 1982, Schöch 1982. 12 Die einzigen geltenden jugendstrafrechtlichen Vorschriften waren in dieser Phase noch H 55 bis 57 des RStGB. Die vorangegangene Entwicklung strafrechtlicher Einwirkung auf Personen geringeren Lebensalters seit dem Mittelalter ließe sich vielleicht grob charakterisieren als Diskussion um die Einführung und Veränderung von Strafmündigkeitsgrenzen und/oder Strafmilderungen (s. insbesondere Holzschuh 1957 für die Zeit von etwa 400 bis 1871; zur Partikulargesetzgebung vor 1871 besonders auch Lange 19-12; vgl. ferner Lisso 1922, Diez 1930, Müller 1938, Trodler 1938, Spitzner 1942). 13 Zwar sollte, worauf zurecht hingewiesen wurde (Simonsohn 1969, 9 m.N.), nicht übersehen werden, daß in der sich konstituierenden Erziehungswissenschaft, nicht zuletzt von Pestalozzi, Fragen einer (kriminal-)pädagogisehen Behandlung (auch) Jugendlicher bereits aufgegriffen waren (s. wegen Pestalozzis Überlegungen zum Strafrecht Brauneck 1936, Zeugner 1930 Üeweils m.N.]; später wurde reklamiert, erst unter dem theologisch-seelsorgeri3*

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S 2 A) Gesetzeshistorische Entwicklung

und Jugendstrafrecht zum anderen zu keinem Zeitpunkt tatsächlich sehen Einfluß sei der Erziehungsgedanke in die Strafrechts pflege eingedrungen

[so v. Rhoden 1909]).

Die drei maßgeblichen Konzeptionen, die die Diskussion bis zur J ahrhundertwende beeinflussen sollten, stammten aber von den (Straf-)Juristen Aschrott (1892), Appelius (1892) und Schmölder (1893, fortgeführt 1894). Ihnen war nicht nur das Anließen gemeinsam, angesichts des statistischen Anstiegs der Zahl der Vorbestraften unter den verurteilten Jugendlichen "durch Reformmaßregeln dem Verbrechertum die ständige Rekrutierung aus der Jugend mehr, als dies bisher geschehen ist, abzuschneiden" (so die drastische Formulierung von Aschrott 1892, 3), sondern auch die überzeugung, daß das Recht der öffentlichen Erziehung von einer Gestaltung des Jugendstrafrechts nicht unberührt bleiben konnte. Die Zwangserziehungsgesetze der Länder waren nämlich bis unmittelbar nach der Jahrhundertwende im Anschluß an Art. 135 EGBGB in einer Weise reformiert worden, die Überschneidungen mit dem Anwendungsbereich jugendstrafrechtlicher Regelungen unvermeidbar erscheinen ließ (s. z. B. das preußische Gesetz über die Fürsorgeerziehung Minderjähriger v. 02.07.1900 [Preußische Gesetzessammlung 264], das an die Stelle des preußischen Zwangserziehungsgesetzes von 1878 trat, dessen Beschränkung auf "kriminell" gewordene Jugendliche etwa v. Liszt nachdrücklich kritisiert hatte [v. Liszt 1905 (1891),542,548]). Jedoch verblieben nicht nur in der Konzeption Aschrotts die Voraussetzungen einer öffentlichen Erziehung "in eigentümlich lockerer Beziehung" (so Miehe 1968,7) zum Vorschlag einer jugendstrafrechtlichen Einflußnahme bei 14- bis unter 18-Jährigen (- unter Heraufsetzung der Strafmündigkeitsgrenze von 12 Jahren in § 55 RStGB und unter Aufgabe des gemäß §§ 56, 57 RStGB für 14- bis 18-Jährige geltenden Kriteriums der "zur Erkenntnis der Strafbarkeit erforderlichen Einsicht" -), welche als zentrale Rechtsfolge eine dem Recht der öffentlichen Erziehung entlehnte zwangsweise Nacherziehungsmaßnahme vorsah, die - zur Vermeidung der kurzen Freiheitsstrafen - gleichwohl in streng von den Institutionen der öffentlichen Erziehung getrennten Besserungsanstalten vollzogen werden sollte. Auch die Vorschläge der deutschen Landesgruppe der l.K. v., welche auf der Arbeit der von ihr eingesetzten Kommission in Eisenach (sog. "Eisenacher Vorschläge", abgedruckt bei Appelius 1892,226 ff., Aschrott 1892, 57 ff., v. Liszt 1905,462 ff.) und Berlin (sog. "Berliner Beschlüsse", abgedruckt bei Appelius 1892, 233 f., Aschrott 1892, 63 f. - s. zum Versuch einer Zusammenfassung des Einflusses der I.K.V. Felisch 0.0., o.J.) beruhten und deren Überlegungen an das von Appelius auf der Landesversammlung von 1891 gehaltene Referat angeknüpft hatten (Appelius 1891) und in dessen abschließenden Bericht mündeten, wurden hinsichtlich des Verhältnisses der neugestalteten strafrechtlichen Vorschriften zu den entworfenen Bestimmungen des Rechts der öffentlichen Erziehung als problematisch empfunden (s. Miehe 1968, 13); insbesondere erhob sich gegen die eindeutig lediglich Strafcharakter aufweisende Erziehungsmaßnahme gegenüber Kindern (bis zu 14 Jahren) für den Fall einer (bloßen) Begehung von Straftaten heftige Kritik (s. etwa Stachow 1893,779 f., Kronecker 1893, 780, Aschrott 1893, 781; ausdrücklich befürwortet wurde die Anordnung für den genannten Fall aber von Jungk 1893,771 f. und Schubert 189.3,777 f.), zumal deren Schutzbedürfnis kaum berücksichtigt worden war. Schließlich vermochte auch die eigenständige Konzeption Schmölders das im dualen System liegende Spannungsverhältnis zwischen öffentlichem Erziehungsrecht und Jugendstraf-

I. Erziehungsgedanke bis zum Inkrafttreten des JGG 1923

37

durchsetzen konnte 14 • Auf der Grundlage divergierender Grundüberzeugungen und Motivationen zur Frage staatlicher Einwirkung bei Straffälligkeit von Jugendlichen bildete sich, betreffend die Tragweite der Reformziele, ein Komprorniß heraus, der einerseits dem strafrechtlichen Modell verhaftet blieb, andererseits eine Loslösung vom Jugendhilferecht, man möchte hinzufügen natürlich, normativ nicht vollziehen konnte 1s • Denn auch Verfechter eines streng dualen Systems kamen nicht an der Tatsache vorbei, daß letztlich alle Vorentwürfe zu Recht eine wenigstens punktuelle Verknüpfung beider Regelungsbereiche unternommen hatten 16 • Eine Reform ohne diese erweiterte Sicht hätte nämlich bedeutet, ein Verhalten Jugendlicher, sobald es nicht mehr nur sozial auffällig, sondern strafrechtlich bedeutsam gewesen wäre, eben doch gleich zu bewerten wie entsprechendes verhalten Erwachsener; die Konsequenz hätte dann aber nur die Rückkehr zu den Modifizierungen im recht letztlich nicht zu bewältigen (s. im einzelnen die Darstellung der drei bezeichneten Konzeptionen bei Miehe 1968, 5 bis 24). 14 Dies gilt auch für die Empfehlungen, die nach der Jahrhundertwende bis zu den ersten speziell jugendstrafrechtlichen Initiativen des Gesetzgebers seit dem Jahre 1905 in Gestalt der Protokolle der Kommission für die Reform des Strafprozesses (s. die Darstellung und krit. Besprechung von Köhne 1906) vorgetragen wurden (s. insbesondere v. Liszt 1902, Raschke 1904). - Die Diskussion blieb im übrigen noch durchaus von den grundsätzlichen, letztlich unentschiedenen Fragen erzieherischer und/oder aber strafrechtlicher Einwirkung auf jugendliche Delinquente begleitet. Einerseits hielten sich Forderungen nach Abschaffung der Strafe bei unter 21-Jährigen (so etwa Ofner [1905, 361 bis 363, 387 f.l, der stattdessen allerdings bloße "strafähnliche Verfügungen" vorschlug) oder gar völliger Herausnahme Jugendlicher aus dem Strafrecht (s. etwa Hahn 1904, 39 ff.). Die extreme Gegenposition hierzu nahmen Stimmen ein, die bei einer bedeutenden Zahl jugendlicher Delinquenter Unerziehbarkeit unterstellten und damit die fortbestehende Notwendigkeit der ausschließlichen Einflußnahme mit den herkömmlichen strafrechtlichen Mitteln zu begründen suchten (besonders weitgehend - auch was die drastische Formulierung angeht - Groß 1904,93 f.). Dazwischen lagen diejenigen Auffassungen, die wohl am weitestgehenden das Spannungsverhältnis zwischen Erziehung und Strafe (auf der Grundlage der Dimensionen Vergeltung oder aber Besserung) in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen stellten; dies drückte sich einmal in der Frage aus, inwieweit strafrechtliche Maßnahmen zur Erziehung überhaupt geeignet sein könnten (s. insbesondere Kahl 1903, 227; später auch Klein 1904, 116; Krohne 1905,331) und zum anderen in der Warnung vor einer zu weitreichenden öffentlichen Erziehung (s. etwa Klein 1904, 117; krit. auch Hoege11903, 6, 16; ferner Hahn 1904,34 ff.). 15 s. zur Gewichtung der beiden Richtungen, wie sie im JGG 1923 ihren Niederschlag fanden, - auch jetzt noch in den Nuancen divergierend - etwa Schaffstein (1983, 30) und Hasenclever (1978, 35). 16 s.o. Fn. 13.

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S 2 A) Gesetzeshistorische Entwicklung

RStGB von 1871 bedeuten können, was niemand öffentlich postulierte l ? Die mithin einzige Legitimation eines J ugendgesetzes l8 , das sich mit ausschließlich strafrechtlich bedeutsamem Verhalten Jugendlicher befaßte, blieb die von der Einwirkung bei Erwachsenen 17 Was im übrigen den Einfluß der sog. Jugendgerichtsbewegung angeht, die unter dem Eindruck der Aussagen der Reichskriminalstatistik (s. Ruscheweyh 1918, 12 ff.; vgl. o. 1. c)) und des Beispiels US-amerikanischer Justizpraxis, Hauptverhandlungen gegen Jugendliche einem ausschließlich hierfür zuständigen Richter zu übertragen und Jugendlichen angemessen zu gestalten (s. dazu die einflußreichen Reiseberichte deutscher Praktiker [im einzelnen etwa Münsterberg 1904, 52; Baernreither 1905; Hartmann 1906; Freudenthai 1907; Lederer 1908; Stammer 1908; Blumenthai 1909; Gudden 1910] sowie die übersetzte amerikanische Darstellung von Lindsey 1909; s. ferner Hornbeck 1908), rund zwanzig Jahre nach Beginn der Reformdiskussion (vgl. Ruscheweyh 1918, 58 ff.) entstanden ist (s. auch die Forderung nach einem Jugendstrafverfahren auf dem 26. Allg. DJT durch Kahl [1903, 228 f.]), so wird man unterscheiden müssen: Während sie zur Klärung des Verhältnisses von öffentlichem Erziehungsrecht und Jugendstrafrecht im Bereich der Rechtsfolgenvoraussetzungen und Rechtsfolgen kaum beitragen konnte, förderte sie in gerichtsverfassungsrechtlicher Hinsicht maßgeblich die Bildung von Jugendgerichten und deren Verknüpfung mit den Vormundschaftsgerichten (s. zu einem entsprechenden Gesetzesvorschlag Köhne 1908, 10, auch 24; zu den ab 1909 praktizierten Systemen einer "leitenden" Zuständigkeit des Strafrichters in Frankfurt/M. bzw. einer ebensolchen des Vormundschaftsrichters in Köln vgl. etwa Sieverts [1955, 19] und im einzelnen schon Francke [1926, § 19 Anm. III] sowie Peters [1944, § 22 Anm. 2]. Faktisch wurde dadurch die weitere Gesetzgebungsentwicklung beschleunigt (s. u. Fn. 17) und einer Rückkehr zum überkommenen System vorgebeugt (Nach Sieverts [1955, 20], der wohl auf Ruscheweyh [1918, 103] Bezug nimmt, waren bis 1912 bereits an 692 Amtsgerichten besondere Maßnahmen für das Verfahren gegen Jugendliche getroffen worden; 212 davon hätten über "eigentliche Jugendgerichte" [gemäß der Definition von Ruscheweyh 1918,97] verfügt.); zugleich aber wurde das duale System verfestigt, wobei der Vorbildcharakter der Verfahrensweise in den USA, die auf einem einheitlichen System beruhte, offenbar teilw. nicht völlig erfaßt oder aber nicht in vollem Umfang akzeptiert worden war (zum möglichen Ausgangspunkt eines Mißverständnisses s. Aschrott [1903, 255], der den Begriff des - dort als eigenständiges Gericht unbekannten - Vormundschaftsrichters bei der Erklärung des amerikanischen Systems verwendete [ebenso noch Sieverts 1955, 18]). Dem Versäumnis, das Vormundschaftsgericht nicht zum eigentlichen "Jugendgericht" (unter Aufhebung strafrechtlicher Funktionen) umgestaltet zu haben (so krit. Hasenclever 1978,34), wurde später entscheidendes Gewicht für das Mißlingen der Herausnahme Jugendlicher aus dem Strafrecht beigemessen (s. Klumker 1931,92). 18 Die Jugendgefängnisbewegung, die 1913 zur Errichtung des ersten deutschen Jugendgefängnisses in Wittlich an der Mosel führte (s. hierzu Freudenthai 1913; Ders. 1913a), zielte in erster Linie i.S. eines Schutzes auf einen von Erwachsenen gesonderten Vollzug der Strafe bei Jugendlichen ab, behielt den Stellenwert jugendgemäßer Einwirkung anstelle von Strafe jedoch weniger im Blickfeld.

I. Erziehungsgedanke bis zum Inkrafttreten des JGG 1923

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unterschiedene, nämlich dem Entwicklungsstand angemessene, Einflußnahme. Im Hinblick auf die rechtspolitischen Kräfteverhältnisse konnte eine solche Legitimität aber nicht in einem einheitlichen staatlichen Jugenderziehungshilferecht münden 19. Es verblieb bei einem Gesetzeswerk, das überwiegend strafrechtlicher Art war 20 , jedoch erzieherisch legitimiert werden mußte 21 und eben diese erzieherische Funktion auch haben sollte 22 • 19 Vielleicht hat dazu auch beigetragen, daß über Erziehungsinhalte bis zur Phase erster Gesetzgebungsinitiativen kaum wirklich diskutiert worden war bzw. werden konnte (Dem entsprach z.B. das in diesen Jahren im Gesetzgebungsprozeß befindliche BGB, im Rahmen dessen es nicht für erforderlich erachtet wurde, "den Inhalt der Erziehungsgewalt im Gesetz näher zu bestimmen, da derselbe aus dem Begriff der Erziehung und der Natur der Sache sich von selbst ergibt" [Motive zum Entwurf eines BGB, Bd. IV, 750]). 20 Die dem Komprorniß verhafteten, aber dennoch, vielleicht aber auch gerade deswegen, nicht durchschlagenden Konzeptionen (s.o. Fn. 13, 14) und später auch die Existenz von Jugendgerichten (s.o. Fn. 17) wiesen dem weiteren Gesetzgebungsverlauf den Weg (vgl. zur Gesetzgebungsentwicklung bis 1918 insbesondere Ruscheweyh 1918, 132 bis 150): Die Reform staatlicher Reaktion auf strafrechtlich bedeutsames Verhalten Jugendlicher wurde innerhalb des bereits kodifizierten allg. Strafrechtssystems aufgenommen, und zwar zunächst beschränkt auf Gerichtsverfassung und Verfahren (s. die Gesetzentwürfe zur Änderung des GVG und der StPO [Deutscher Reichstag, 12. Legislaturperiode, I. Session 1907/09, Dr.-Nr. 1310, 11. Session 1909/11, Dr.-Nr. 7 und Dr.-Nr. 638]; zur Veränderung der Strafmündigkeit und von Strafmilderungen im [Vor-]Entwurf eines StGB von 1909 s. Lange 1912,90 ff.). Nachdem im Zuge einhelliger Kritik des Entwurfs z.B. erneut ein umfassendes, nicht nur für strafbares Verhalten Jugendlicher zuständiges Jugendgericht gefordert worden war (s. etwa Landsberg 1912; dagegen v. Oetker 1913; Allmenröder [1913, 67] hielt die Forderung für verfrüht und deshalb für nicht durchsetzbar), einigte man sich im Reichstag auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einer Reform im Rahmen eines Sondergesetzes. Als der Ende 1912 von der Reichsregierung vorgelegte selbständige Gesetzentwurf (Deutscher Reichstag, 13. Legislaturperiode, I. Session 1912, Dr.-Nr. 576) wiederum nur aufVerfahrensvorschriften beschränkt blieb, die ihrerseits Kritik erfuhren (s. etwa Bleeck 1913), wurden weitgehende Forderungen nach Bestimmungen über Rechtsfolgenvoraussetzungen, Rechtsfolgen sowie Vollstreckung und Vollzug nachhaltig laut (vgl. noch die spätere Einschätzung von Ruscheweyh 1918, 139). Gleichwohl schloß sich 1913 erneut ein gesetzgeberischer Lösungsversuch innerhalb einer allg. Strafrechtsreform an, der unbeendet blieb (s. dazu Sieverts 1955, 21). Noch vor Ende des Ersten Weltkriegs sollte eine im Anschluß an den 4. DJGT 1917 ausgearbeitete Denkschrift, die durch v. Liszt den Mitgliedern des Reichstags überreicht wurde (s. Ruscheweyh 1918, 150), zu neuen Initiativen führen. Seitens des Gesetzgebers wurde die Reform jedoch erst wieder 1919, zunächst im äußeren Rahmen eines Abschnitts innerhalb des Entwurfs zu einem Deutschen StGB, sodann in der Form eines selbständigen JGG-Entwurfs wieder aufgenommen, welcher zur Grundlage des JGG 1923 wurde. 21 Stimmen, die für eine strikte Trennung von Erziehungs- und Strafverfah-

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S 2 A) Gesetzeshistorische Entwicklung

Als Kompromißformel, die den notwendigen Bezug zum Anspruch im bereits erlassenen RJWG von 1922 herstellte, das selbst einen Kompromiß zwischen diametral entgegengesetzten Grundüberzeugungen dargestellt hatte 23 , verblieb das normativ nicht festgelegte und deshalb in seiner spezifisch jugend bezogenen Dimension weithin programmatisch bleibende Postulae 4 , die Einflußnahme im Strafverfahren gegen Jugendliche müsse erzieherisch sein, woraus in der Rechtsanwendungspraxis ein allg. Auslegungskriterium entwikkelt wurde, das unter dem topos "Vorrang des Erziehungsgedankens" firmieren sollte. Ehe aber eine gewisse Konkretisierung durch Rspr. und wissenschaftliches Schrifttum auch nur angegangen werden konnte, bestand wegen der Unbestimmtheit dieses (scheinbar übergeordneten) Prinzips - gleichsam jenseits der nunmehr geschaffenen gesetzlichen Regelungen - das weite Spektrum schon bisher vorhandenen Vorverständnisses 25 bei dessen Anwendung weithin fort. ren nach dem Kriterium der "Erzieh'ungsfähigkeit" (s. dazu z.B. noch u. D) Fn. 28 und 179) plädierten (s. besonders Klee 1921; gegen seine Vorschläge aber später noch Kohlrausch 1937,460), blieben ohne Folgen. 22 So konstatierte der' Abgeordnete Brodauf als Berichterstatter in der 2. Lesung, der RegE-JGG 1923 habe "in dem starken Hervortreten des Erziehungsgedankens ... allseitig freudige Zustimmung gefunden" (Sten. Ber. der 292. Sitzung des Reichstags am 27.01.1923, S. 9543). Und in der Amtl. Begr. des RegE-JGG 1923 (Verh. des Reichstags, 1. Wahlperiode 1920/22, Bd. 375, Anl. Nr. 5171 zu den Steno Ber., S. 8) hieß es: "Der Staat darf sich Jugendlichen gegenüber nicht damit begnügen, einen Verstoß gegen Strafgesetze mit Strafe zu belegen; er muß vielmehr in erster Reihe Vorsorge dafür treffen, daß aus diesem Anlaß geprüft wird, ob erzieherische Eingriffe geboten sind". - Im übrigen war zu den dargelegten Bedingungen und Ausgangspunkten für die Schaffung eines selbständigen JGG (s.o. 1.) seit dem Ende des Ersten Weltkriegs ein weiteres Argument für eine Reform jugenderziehungsrechtlicher Regelungen hinzugetreten, nämlich die durch die Bedingungen des Krieges reduziert gewesene erzieherische Einflußnahme auf Jugendliche (s. insbesondere die Formulierung in der Amtl. Begr. zum RegE-JGG 1923 [Verh. des Reichstags, a.a.O., 9], die "Verwahrlosung" der Jugendlichen infolge der Kriegsanforderungen liege an der fehlenden elterlichen Erziehung, weshalb es nun um so mehr geboten sei, "den Gedanken der Erziehung in den Vordergrund zu stellen"). 23 S. die übersicht bei Hasencl~ver 1978, 62 ff. 24 Vgl. dazu Sieverts (1955, 23): "Das neue, Rechtsfolgensystem (des JGG - Verf.) folgte dem Postulat des § 1 des gleichzeitig ergangenen RJWG und stand somit unter dem Leitgedanken der individualpräventiven Erziehung." S. dazu auch U. E) 1. Abschn. I. 1. b) aal. 25 Noch in der 2. Lesung des RegE-JGG 1923 waren die gegensätzlichen Positionen besonders deutlich geworden, als Radbruch für die Vereinigten Sozialdemokraten dem Antrag des deutschnationalen Abgeordneten Warmuth, "das Unangenehme, das in der Strafe liegt, ... als ein ganz besonderes erziehliches Moment" gesetzgeberisch beizubehalten, mit der Feststellung begegnete,

11. Erziehungsgedanke bis zum nationalsozialistischen Staat ab 1933

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11. Die Phase praktischer Anwendung des JGG 1923 bis zum nationalsozialistischen Staat ab 1933

1. Die Entwicklung vom Inkrafttreten des JGG 1923 an war dadurch gekennzeichnet, daß die Initiative von den Gesetzgebungsorganen auf die Rechtsanwendungspraxis überging26 • Zwar ist das Bemühen der Praxis, den Vorrang des Erziehungsgedankens zu verwirklichen, unbestreitbar; die Heterogenität im Verständnis dieses Prinzips ist jedoch ebensowenig zu verkennen. Beispielhaft mag dies anhand maßgeblicher Kommentatoren zum JGG 192]27 veranschaulicht werden, deren Erläuterungen der Praxis seit Geltung des JGG 1923 zur Verfügung standen. a) Hierbei zeigt Hellwig die stärkste Affinität zum herkömmlichen strafrechtlichen Modell, wenn er seine Genugtuung darüber äußert, daß es nicht gelungen sei, "den Jugendlichen ganz allg. der Strafrechtspflege zu entziehen"28 . Der aus § 6 JGG 1923 abgeleitete "beherrschende Gedanke der Erziehung"29 erfährt bei ihm eine Einschränkung, die geradezu als Umkehrung einer Rangfolge von Prinzipien wirkt; denn "berücksichtigt man, daß das Jugendkriminalrecht immer noch ein Bestandteil des allgemeinen Kriminalrechts ist, daß es nicht gänzlich ausgeschieden und zu einem reinen Erziehungsrecht umgestaltet ist, so gelangt man zu der Auffassung, daß nach dem Willen des Gesetzes zwar die Spedie Betonung der Strafe neben der Erziehung komme einem Hervorheben des Vergeltungs zwecks gleich; den Vergeltungszweck wolle man aber "wenigstens aus dem Jugendstrafrecht vollkommen herauslassen" (Sten. Ber. der 292. Sitzung des Reichstags am 27.01.1923, S. 9550). - Zum sachlichen Gehalt des Arguments von Warmuth s. schon deutlich Mittermaier 1913 und in jüngerer Zeit insbesondere Peters 1966,49 (56); s. näher u. F) 1. Abschn. 11. - Es zeigt sich auch hierin das Versäumnis der Wegbereiter des selbständigen Jugendstrafrechts, den Erziehungsbegriff nicht hinreichend wissenschaftlich reflektiert und auf dieser Grundlage konkretisiert zu haben (vgl. auch Melder 1969, 249 betreffend die Jugendgerichtsbewegung); außerjuristische Beiträge etwa zum Verhältnis von kriminalrechtlicher und pädagogischer Strafe (s. besonders Foerster 1961 [1911]) scheinen für die begriffliche Bestimmung wenig klärend gewesen zu sein (vgl. u. F) 1. Abschn. 11. 1. a)). 26 Bis zur nationalsozialistischen "Machtergreifung" erfolgte nur eine vergleichsweise unbedeutende Änderung des JGG durch das Gesetz zur Abänderung der StPO v. 27.12.1926 (RGBl. I, 529), die zur Aufhebung von § 28 Abs. 4 JGG 1923 führte. Allerdings ergaben sich unmittelbar auf das Jugendstrafverfahren bezogene Änderungen insoweit, als etwa durch Art. 9 Satz 1 der Vo des Reichspräsidenten über Maßnahmen auf dem Gebiete der Rechtspflege und Verwaltung v. 14.06.1932 (RGBl. I, 285) die jugendrichterliehe Zuständigkeit im Vergleich zum Jugendschöffengericht erweitert worden war. 27 Francke 1923 (1926); Hellwig 1923; Kiesow 1923; s. ferner Bovensiepen 1923; Messerer 1926; Riß/Weitpert/Richter 1926. 28 Hellwig 1923, Einl. S. 27. 2. Hellwig 1923, Einl. S. 28.

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zialpriivention in erster Linie zu berücksichtigen ist, daß sie aber ihre Schranke findet in der Rücksichtnahme auf die Generalprävention, wenn die Rücksicht auf sie gebieterisch ein Zurücktreten des Grundsatzes der Spezialpriivention erheischt.,30. Gerichtsverfassungsrechtlich ist für Hellwig "auch das Jugendgericht ein Strafgericht, wenn auch ein Strafgericht eigener Art, und seine Tätigkeit ist Strafrechtspflege. Es ist keineswegs ein reines Erziehungsgericht.,31. Aus der selbst entwickelten Problemstellung heraus, es sei "ein Unding, bei der Ausgestaltung eines bestimmten Verfahrens sowohl den Grundsatz der Strafe als auch den Grundsatz der Erziehung als den beherrschenden Grundsatz anzuerkennen", gewinnt Hellwig schließlich die überzeugung, das Verfahren müsse unter dem Primat des Strafrechts stehen 32 . b) Auch Francke läßt keinen Zweifel an der fortbestehenden Geltung des strafrechtlichen Modells, wenn er formuliert: "Das JGG hebt das Jugendstrafrecht aus dem allg. Strafrecht heraus, aber es löst es nicht vollkommen von den allg. Grundlagen des Strafrechts los. Auch die Jugendstrafrechtspflege hat zum Endzweck nicht das Wohl des Rechtsbrechers, sondern das Wohl der Gesamtheit,,33. Die strafrechtsgeprägte Sichtweise wird auch durch seine Auffassung verdeutlicht, nach der "die Bedeutung des JGG ... weniger darin (liegt), daß es das Jugendstrafrecht der Eigenart des jugendlichen Geistes anpaßt, als darin, daß es Rechtsgedanken zum Durchbruch kommen läßt, die sich auch zur entsprechenden Anwendung auf das Strafrecht für Erwachsene eignen,,34. Hinsichtlich der zentralen Frage, wie der Vorrang erzieherischer Einwirkung in § 6 JGG 1923 ("Hält das Gericht Erziehungsmaßregeln für ausreichend, so ist von Strafe abzusehen.") auszulegen ist, vertritt Francke zwar nicht eine vergleichbar restriktive Interpretation wie Hellwig 35 ; auch Francke empfiehlt aber eine vergleichsweise enge Auslegung von § 6, den er (zusammen mit § 9 Abs. 4) immerhin als "Grundpfeiler des neuen Gesetzes" bezeichnet 36 , wenn er Erziehungsmaßregeln nur dann für ausreichend erachtet, "wenn sie für sich allein genügen, den Erfolg herbeizuführen, der mit einer Strafe bezweckt ist ... ", wobei "daran festzuhalten" sei, "daß es Fälle gibt, in denen schon die Rücksicht auf die Allgemeinheit eine Strafverhängung unumgänglich erscheinen läßt,,37. Bezüglich der rechtlichen Einstufung des Jugendgerichts sieht Francke den Jugendrichter immerhin "nicht im ordentlichen Verfahren, sondern im besonderen Jugendverfahren" entscheiden 38 . -

Hellwig 1923, Einl. S. 29 (Hervorhebungim Original), ebenso S 6 Anm. 2. Hellwig 1923, Einl. S. 26 (Hervorhebung im Original). 32 Hellwig 1923, Einl. S. 37. 33 Francke 1926, Einl. S. 9. 34 Francke 1926, Einl. S. 12. - Besonders bedenklich ist daran, daß dasJugendstrafrecht offenbar als Experimentierfeld der allg. Strafrechtsreform aufgefaßt wird. 35 s.o. a) und Fn. 30. 36 Francke 1926, § 6 Anm. 1. 37 Francke 1926, § 6 Anm. lI. 38 Francke 1926, § 19 Anm. 1. 30

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II. Erziehungsgedanke bis zum nationalsozialistischen Staat ab 1933

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c) Für Kiesow ist das JGG zwar ebenfalls "in den Gedankenkreis des Strafrechts hineingebaut,,39, der Erziehungsgedanke aber "beherrscht die materiellen Vorschriften und die Verfahrensbestimmungen gleichermaßen,,40 . Ist daher der Jugendliche i.S.d. Strafrechts schuldig, hat sich der Richter "nicht mehr wie nach bisherigem Recht" die Frage vorzulegen, "wie ist der Jugendliche zu strafen, sondern allgemein, was muß und kann geschehen, damit dem Jugendlichen geholfen, er vor weiterem Straucheln bewahrt und wieder auf die rechte Bahn gebracht werde. Dem straffällig gewordenen Jugendlichen steht also nicht mehr ein Strafrichter, sondern ein Erziehungsrichter gegenüber,,41 . Gerichtsverfassungsrechtlich gesehen soll das Jugendgericht mithin "kein Straf-, sondern ein Erziehungsgericht" sein 42 .

2. a) Die nicht hinreichend geklärte Reichweite des Erziehungsvorrangs im Gesetz machte die Realisierung erzieherisch orientierter Einflußnahme besonders weitgehend von den damit befaßten Personen abhängig. Bezeichnenderweise gingen die Stimmen der jugendgerichtlichen Praxis zunehmend von gesetzlichen Forderungen ab 43 Kiesow 1923, Einl. S. XXXIII. Kiesow 1923, Einl. S. XXXII. 41 Kiesow 1923, Einl. S. XXXVI (Hervorhebung im Original). - Allerdings hält auch Kiesow eine generalpräventive Zweckverfolgung bei der Auslegung von 5 6 betreffend die Frage, wann Erziehungsmaßregeln "ausreichend" sind, für nicht ausgeschlossen (a.a.O., § 6 Anm. 1). Die Kommentatoren sehen sich insoweit durch die Amtl. Begr. des RegE zu S 6 JGG 1923 (Deutscher Reichstag, 1. Wahlperiode 1920/22, Dr.-Nr. 5171,10 f.) festgelegt, nach der bei der Frage, wann Erziehungsmaßregeln ausreichen, "zwar auch in erster Linie auf die Persönlichkeit des Täters und den Eindruck Rücksicht zu nehmen sein" wird, "den die Anordnung und die Durchführung der Erziehungsmaßregel auf ihn voraussichtlich machen werden. Wie bei der Zumessung der Strafe können aber diese Erwägungen nicht allein entscheiden. Es wird der Eindruck mit in Betracht zu ziehen sein, den ein Absehen von Strafe und der Ersatz der Strafe durch eine Maßregel auf die Allgemeinheit macht; auch auf einen berechtigten Anspruch des Verletzten auf Genugtuung wird das Gericht Rücksicht zu nehmen haben." Ausdrücklich gegen diese Auslegung in der Begr. des RegE (und für eine ausschließlich individualpräventive Zweckverfolgung innerhalb der Auslegung von § 6 JGG 1923) wendet sich Gerland (1923, 84). - Dieser Meinungsstand bietet im übrigen einen weiteren Hinweis darauf, daß unter "Vorrang des Erziehungsgedankens" teilw. eine umfassende Ersetzung strafrechtlichen Potentials durch Pädagogik, teilw. aber auch nur der Vorrang von Erziehungsmaßregeln (im Rahmen von § 6 JGG 1923) gegenüber (Kriminal-)Strafe verstanden wurde. 42 Kiesow 1923, Einl. S. XLI (Hervorhebung im Original), ebenso vor S§ 17 ff. Anm. 1; s. zur letzteren Bezeichnung auch Bumke 1928, 386. 43 Auf dem 6. DJGT 1924 in Heidelberg war etwa noch (bzw. - im Hinblick auf die Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg - schon) die schrittweise Einbeziehung der 18- bis 20-Jährigen in das Jugendstrafrecht gefordert worden (s. DVn 1925; wegen einer übersicht über die Ergebnisse der DJGTe seit 1909 [bis 1950] s. Sieverts 1955, 15 ff. [21 ff.]). 39

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S 2 A) Gesetzeshistorische Entwicklung

und behandelten "die Durchführung des Jugendgerichtsgesetzes als Personenfrage"44. b) Zugleich wurde insbesondere von pädagogischer Seite aus dem praktischen Tätigkeitsbereich des Jugendwohlfahrts- und des Vormundschaftsrechts ein einheitlich~~, alle staatlichen Erziehungsfunktionen umfassendes Recht der Offentlichen Erziehung gefordert, wobei sich Angriffe vornehmlich gegen das Jugendgericht als Verkörperung des strafrechtlichen Modells richteten. In der wohl am schärfsten vorgetragenen Meinungsäußerung forderte Webler, der Geschäftsführer des Archivs deutscher Berufsvormünder, die Strafmündigkeitsgrenze auf achtzehn Jahre heraufzusetzen, die Einflußnahme auf Jugendliche bis zu achtzehn Jahren, welche gegen Strafgesetze verstoßen hatten, dem Vormundschaftsrichter zu übertragen und die Jugendgerichte lediglich für die 18- bis unter 20-Jährigen beizubehalten4s. Webler sah es als eine der "Begriffsverdunkelungen" im Jugendstrafrecht an, daß der Begriff der "Strafe" beibehalten worden sei; denn dieser Begriff könne "nach Belieben wahllos nebeneinander in pädagogischem und strafrechtlichem Sinne gebraucht" werden 46 ; zudem sei es "ein leichtes, das Jugendgericht von der Individualpsychologie und der Psychoanalyse her mit Erfolg anzugreifen. Was diese beiden Schulen an Deutungen über die Handlungsweise eines jungen Menschen und an darauf aufzubauenden erzieherischen Maßnahmen erarbeitet haben, ist weder mit den Methoden noch mit den Zwecken eines Jugendgerichts vereinbar"47. III. Bedeutung des Erziehungsgedankens in der nationalsozialistischen Zeit bis zum RJGG 1943

1. a) Der Erziehungsvorrang im Jugendstrafrecht wurde in der nationalsozialistisch geprägten Zeit nach 1933 als bestimmender Grundsatz verbal nur vereinzelt angetastet 48 • So das Motto des 7. DJGT 1927 in Stuttgart (vgl. DVjj 1928). Webler 1929. 46 Webler 1929, 213. - Auf dieses Verständnis eines (unvereinbaren) aliud zwischen (straf-)rechtlicher und pädagogischer Strafe wird noch einzugehen sein (s. u. F) 1. Abschn. 11. 1. d)). 47 Weble,. 1929, 215. 48 Vor Kriegsbeginn wurde das JGG von 1923 selbst nur hinsichtlich S 9 Abs. 5 geändert (s. Ausführungsgesetz zu dem Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung v. 24.11.1933 [RGBl. I, 1000]). 44

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III. Erziehungsgedanke bis zum RJGG 1943

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Warum dies so war, bekannte Reichsjustizminister Thierack anläßlich der Einführung des RJGG 1943 mit erstaunlicher Offenheit, als er neben der für die Umgestaltung des JGG 1923 notwendigen Zeit und dem vorrangig betriebenen "Umbruch" des allg. Straf- und Strafverfahrensrechts an erster Stelle ausführte: "Die abstrakten Formulierungen des Jugendgerichtsgesetzes erlaubten es, die Jugendstrafrechtspflege auch ohne gesetzliche Änderung in gewissem Umfang mit neuem Inhalt zu erfüllen, zumal das Gesetz einer völligen Neuordnung des Vollzugs, des Kernstücks der strafrechtlichen Behandlung J ugendlicher, nicht im Wege stand,,49 .

b) Was die inhaltliche Gestaltung des Erziehungsprinzips angeht, erfolgte eine unverkennbare Wendung dahin, überkommenes Sühneund Vergeltungsdenken im Strafrecht erzieherisch zu legitimieren und zugleich ein zweckgerichtetes Erziehungsverständnis i. S. d. NSIdeologie zu entwickeln 50. So wurde etwa argumentiert, das Jugendstrafrecht müsse ,,- in unlöslicher Wechselbeziehung mit dem Sühne- und Vergeltungsgedanken - wie das gesamte Jugendrecht von dem Erziehungsgedanken beherrscht" sein, "der - wie gegenüber Mißdeutungen bemerkt sei - nach den Erziehungsgrundsätzen der nationalsozialistischen Jugend insbesondere in der Richtung betont werden muß, dem Jugendlichen seine Verantwortlichkeit gegenüber der Volks~emeinschaft und das Einstehen für sein Verhalten zum Bewußtsein zu bringen" 1.

Daß Erziehung und (staatliche) repressive Reaktion dabei häufig als identisch verstanden wurden, zeigen zahlreiche Stellungnahmen S2 • Es verwundert kaum, daß dieser inhaltliche Wandel in einzelnen Meinungsäußerungen zu einer systematischen Umkehrung des Prinzips eines Vorrangs erzieherischer Einflußnahme hindrängte 53 • Thierack 1944,6 f. (Hervorhebung im Original). Insofern scheint die Auffassung von Potrykus (1955, 143), das RJGG 1943 selbst habe die Strafe überbetont (- unter Hinweis auf § 2 Abs. 3 RJGG -) und demzufolge den Erziehungsgedanken aus dem JGG von 1923 eingeschränkt, an der im Wege der Gesetzesanwendung erfolgten tatsächlichen Umgestaltung - bei verbaler Aufrechterhaltung des grundlegenden Prinzips tendenziell vorbeizuführen. 51 Möckell941, 19 (Hervorhebung im Original). 52 Thierack (1944, 12) sieht die vom nationalsozialistischen Jugendstrafrecht dem "Erziehungsoptimismus" im Jugendstrafrecht der Weimarer Republik zu ziehenden "Grenzen" etwa darin, daß die nationalsozialistische Erziehung zur "Selbstverantwortung" eine "Ahndung der Straftat aus erzieherischen Gründen notwendig" mache. Dahm (1941, 293 f.) konstatiert gar, im Jugendstrafrecht würden Strafen und Maßnahmen immer mehr ineinander fließen, wobei der Jugendarrest geradezu eine Verschmelzung beider Kategorien darstelle. 53 So formuliert Schaffstein (1939, 123): "Es macht die Besonderheit des Jugendstrafrechts aus, daß in ihm der Strafgedanke nicht umgestaltet, aber be49

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§ 2

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2. Die seit Kriegsbeginn betriebenen Änderungen des Jugendstrafrechts im Verordnungswege, die 1943 im RJGG zusammengefaßt wurden, standen deutlich im Zeichen rein repressiver Verstärkungen innerhalb des jugendstrafrechtlichen Systems; dennoch ließen sie sich mehrheitlich erzieherisch legitimieren mit der Folge, daß eine Kontinuität erzieherischer Einflußnahme in Fortführung des JGG 1923 plausibel gemacht werden konnte, falls es dessen bedurfte. a) Dies galt zwar nicht für die VO zum Schutz gegen jugendliche Schwerverbrecher v. 04.10.1939 54 , wohl aber für die VO zur Ergänzung des Jugendstrafrechts v. 04.10.1940 55 , die die Einführung des Jugendarrestes brachte. Obwohl die Verhängung von Jugendarrest nicht an die Prüfung der Erziehungsbedürftigkeit gebunden sein sollte und allein aus Gründen der Vergeltung und allg. Abschreckung erfolgen konnte 56 , wurde Jugendarrest als erzieherisch wirksamerer Ersatz für die kurzzeitige Freiheitsstrafe unter Aussetzung der Vollstreckung auf Probe und für die Geldstrafe vorgeschlagen 57 • Zugleich erfolgte der Hinweis, der Vollzugsleiter müsse "immer bedenken, daß seine ErziehunAseinwirkung nur kurz ist. Da ist für Experimente keine Zeit und (kein) Raum" . Und: "Das wichtigste Erziehungsmittel ist und bleibt die Arbeit"59. grenzt und beschränkt wird durch den Erziehungsgedanken." Noch weitergehend sieht Nagler (1941) die Übereinstimmung mit dem Erwachsenenrecht als einen Hauptaspekt einer Neuordnung des Jugendstrafrechts an, wobei die erzieherische "Nebenwirkung" nicht zu bestreiten sei. 54 RGBl. I, 2000. 55 RGBl. I, 1336 nebst den DVOen v. 28.11.1940 (RGBl. I, 1541), v. 20.12. 1940 (RGBl. I, 1608), v. 27.01.1941 (RGBl. 1,45) und v. 16.05.1941 (RGBl.I, 286). - Wegen einer Übersicht der bis zum RJGG 1943 neben dem fortgeltenden JGG 1923 zur Veränderung des Jugendstrafrechts ergangenen VOen und AVen s. Kümmerlein 1941,60 ff., 1942, 110 ff. und 1943b, 138 ff. 56 Peters 1940. - Ohnehin wurde die Frage eines "Ausreichens" von Erziehungsrnaßregeln i.S.v. § 6 JGG 1923 teilw. nicht mehr spezialpräventiv, sondern generalpräventiv beantwortet (s. insbesondere Nagler 1941a, 228: "Sühnebedürfnis der Volksgemeinschaft und ... Abschreckung anderer"). 57 s. etwa Schaffstein 1939, 127 ff. - Die Gleichsetzung staatlicher,justizförmiger Bestrafung mit zumindest denkbaren Strafmitteln der Pädagogik wird hierbei ohnehin fast regelmäßig unternommen (s. Schaffstein 1939, 129: Der Jugendarrest "hätte etwa die erzieherische Funktion zu erfüllen, die im Leben außerhalb der rechtlichen Sphäre bei einem Jugendlichen einet kräftige Tracht Prügel haben kann"; weitere N. hierzu u. F) Fn. 52). - Daß Jugendarrest i.S. eines dezidiert nationalsozialistischen Selbstverständnisses ohnehin als "erzieherisch" begriffen werden konnte, mag der Umstand belegen, daß bereits mit Erlaß des Reichsjugendführers v. 17.09.1940 innerhalb der Hitler-Jugend ein Jugenddienstarrest als Disziplinarmaßnahme eingeführt worden war. 58 Freisler 1942, 9. 59 Freisler 1942, 11 (Hervorhebung im Original).

III. Erziehungsgedanke bis zum RJGG 1943

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Demgemäß wurde der Schock, der durch die Vollziehung von Jugendarrest eintreten sollte, als zentrales Element für erzieherische Geeignetheit des Jugendarrestes hervorgehoben 60 und vielfach betont, es komme bei Jugendarrest - anders als bei der bisherigen Aussetzung auf Probe, an deren Stelle er getreten sei61 - für einen erzieherisch wirksamen Einsatz der Jugendstrafrechtspflege darauf an, das Verfahren beschleunigt durchzuführen 62 • b) Ebenso wurde die 1941 eingeführte unbestimmte Verurteilung 63 erzieherisch legitimiert. Dabei hat zunächst der Hinweis, die unbestimmte Strafe bedeute gegenüber der bestimmten Strafe keine Härte, sondern eine "Wohltat" für den betroffenen Jugendlichen, die ausdrücklich formulierte Funktion, richterliche Hemmungen in der Anwendungsbereitschaft abzubauen 64 • Für die erzieherische Notwendigkeit einer unbestimmten Verurteilung wurde insbesondere angeführt, daß eine angemessene erzieherische Einwirkung bei Freiheitsstrafen von weniger als einem Jahr in der Regel nicht möglich sei 65 • Die bei der unbestimmten Verurteilung erhöhte Flexibilität innerhalb des Vollzuges ließ sich zwar ebenfalls erzieherisch legitimieren, war aber wohl eher Ausdruck der Verlagerung justizieller Kompetenzen auf die Exekutive. c) Anderungen in der Verfahrensgestaltung wurden ebenfalls häufig erzieherisch begründet; sie dienten aber - wie durchaus eingeräumt wurde - nur der Abschreckung. Schaffstein 1936,66; Tigges 1941/42, 136; Rietzsch 1941,498. Vgl. o. Fn. 57. - Die Anordnung geschah in der Folgezeit offenbar ähnlich extensiv; denn bereits 1941 wurde vor zu häufiger Anordnung des J ugendarrestes gewarnt, weil dadurch seine Wirkung reduziert werde (s.Pichler-Drexler 1941 ). 62 Vgl. etwa Kümmerlein 1942a, 53 f.; s. dazu näher Scheffler 1981,457; vgl. u. D) IV. 3. - Hierbei wurde die Forderung nach beschleunigter Durchführung des Verfahrens durchaus damit begründet, sie sei "in der gegenwärtigen Kriegszeit von besonderer Bedeutung, ... um ein Anwachsen der Jugendkriminalität zu verhindern" (Blunk 1942, 52; s. auch Axmann 1940,1257). Dem entsprach es, daß Jugendarrest nach § 3 der Dva v. 28.11.1940 (RGBl. I, 1541; vgl. auch Runderlaß des Reichsministeriums des Innern v. 28.11.1940 [hier zit. nach Nagler 1941a, 221 Fn. 12]) auch durch Strafbefehl oder polizeiliche Strafverfügung verhängt werden durfte. 63 s. die va über die unbestimmte Verurteilung Jugendlicher v. 10.09.1941 (RGBl. I, 567) nebst der Dva v. 06.01.1942 (RGBl. 1,18). - Diese Rechtsfolge hatte ihr Vorbild im österreichischen JGG v.18.07.1928 (Österr. BGBl. Nr. 234) und war bereits in Art. 72 des Entwurfs eines Einführungsgesetzes zum Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuch und zum Strafvollzugsgesetz von 1930 (Deutscher Reichstag, IV. Wahlperiode 1928, Dr.-Nr. 2070) aufgeführt. 64 s. Preisler 1941. 65 Vgl. etwa Schaffstein 1939,130 ff. 60 61

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S 2 A) Gesetzeshistorische Entwicklung

Zur Disziplinierung arbeitsunwilliger Jugendlicher wurde die Anordnung von Untersuchungshaft empfohlen, weil deren erzieherische Wirkung "namentlich bei Arbeitsvertra~brüchigen ... , die trotz Verwarnung durch das Arbeitsamt weiterbummeln" ,angezeigt sei. "In derartigen Fällen, in denen der Jugendliche zeigt, daß er die Freiheit zu weiteren, strafbaren Mißhandlungen mißbraucht, ist die sofortige Anordnung von Untersuchungshaft geboten. Auf diese Weise wird neben der Wirkung einer solchen schneidigen Maßnahme auf den Jugendlichen eine starke abschreckende Wirkung in dem Betrieb des Bummelanten erzielt,,67. Die Untersuchungshaft sollte mithin auch zu general präventiven Zwecken eingesetzt werden.

Auch die ursprünglich erzieherisch legitimierte besondere Beschleunigung im J ugendstrafverfahren 68 wurde zunehmend i. S. einer erhöhten Abschreckungswirkung verstanden. Als "sehr zweckmäßig" nur noch wurde das durch Verzicht der Staatsanwaltschaft auf die Teilnahme an der Hauptverhandlung für "kleinere" (i.S.d. Deliktscharakters, nicht der Erziehun~bedürftigkeit) Strafsachen eingeführte 69 vereinfachte Jugendverfahren begrüßt .

3. Die systematische Zusammenfassung der betriebenen Veränderung des Jugendstrafrechts im RJGG von 1943 71 schließlich wurde als Erziehungswerk gefeiert, wobei der Inhalt des Erziehungsgedankens wiederum dahin bestimmt wurde, er sei "im nationalsozialistischen Jugendstrafrecht ... kein anderer als in der sonstigen Jugenderziehung"72.

IV. Bedeutung des Erziehungsgedankens für die Neuordnung des Jugendstrafrechts bis zum JGG 1953

Dennoch bereitete die Neuordnung des Jugendstrafrechts nach 1945 gerade auch deshalb nicht unerhebliche Schwierigkeiten, weil über die Scheidung rechtsstaatlich akzeptierbarer, erzieherisch legitiKümmerlein 1943,56. Kümmerlein 1943, 56 f. - s. zur strafrechtlichen Erfassung von Arbeitsvertragsbrüchen Jugendlicher näher Sieverts 1944. 68 Vgl. Scheffler 1981,456 f. .9 Vgl. VO zur weiteren Vereinfachung der Strafrechtspflege v. 13.08.1942 (RGBl. I, 508). 70 Kümmerlein 1943, 143. 71 RJGG v. 06.11.1943 (RGBl. I, 637), als Anhang der JugendstrafrechtsVO v. 06.11.1943 (RGBl. I, 635) erlassen und am 01.01.1944 in Kraft getreten. 72 Thierack 1944,11. 66

67

IV. Erziehungsgedanke bis zum JGG 1953

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mierter Vorschriften von Regelungen typisch nationalsozialistischen Denkens nicht immer Übereinstimmung erzielt werden konnte 73. 1. Auf der ersten großen Fachtagung nach dem Zweiten Weltkrieg in Berlin 1949 wurde jedenfalls dargelegt, eine einheitliche Rechtsauffassung bestehe (auch in der sowjetischen Besatzungszone) insoweit, als der "Vorrang des Erziehungsgedankens, der Grundsatz der Subsidiarität der Strafe ... allgemeln anerkannt" seF4. 2. a) Da dieses Prinzip auch im RJGG 1943 verwirklicht schien 75, wurde eine Gesetzesänderung nur sehr zaghaft ins Auge gefaßt 76. 73 Das RJGG wurde von den Besatzungsmächten nicht aufgehoben; die Militärregierung erklärte es - abgesehen von verschiedenen wenigen, als nationalsozialistisch beurteilten Vorschriften - in Ziffer 9 der "Allgemeinen Anweisung an Richter Nr. 1" für weiterhin in Kraft. Im übrigen wurde es der Rspr. überlassen, nach Maßgabe von Art. III Ziffer 4 des Militärregierungsgesetzes Nr. 1, das die Auslegung und Anwendung deutschen Rechts nach nationalsozialistischen Lehren für verboten erklärte, die Ungültigkeit einzelner Vorschriften festzustellen. 74 Peters1949,93. 75 Auch Pädagogen ließen sich vom Begriff der Erziehung und seiner Weite (s. Keilhacker 19.48, 146: "Ku~z gesagt, die rech:li~hen Be.sti~munge? {des RJGG - Verf.] smd so großzügIg und anpassungsfahlg, daß in dIeser Hmslcht gegenüber dem Gesetz kaum wesentliche Wünsche übrigbleiben.") bzw. dem rechtlichen (und nicht pädagogischen) Begriff der Strafe (s. Netzer 1969 [1959], 8: "Hier [im JGG - Verf.] wird - das ist das eigentlich Interessante Strafe überhaupt nicht unter den Begriff der Erziehung subsumiert, sondern Strafe und Erziehung stehen im Verhältnis Entweder-Oder.") im JGG - trotz der Erfahrungen im Nationalsozialismus - häufig täuschen (vgl. auch Melder 1969,48 f.) und trugen so kaum zur Begriffsklärung bei (vgl. bereits o. Fn. 25 und u. F) 1. Abschn. 11. 1.). 76 Die an der Gestaltung des RegE maßgeblich beteiligten späteren Kommentatoren des JGG 1953, Dallinger und Lackner, hielten von den Regelungen betreffend die Rechtsfolgen innerhalb des RJGG von 1943 den Jugendarrest (§ 8 RJGG), die Jugendgefängnisstrafe (§ 4 RJGG), für welche die allg. Strafrahmen nicht mehr galten, die Jugendgefängnisstrafe von unbestimmter Dauer (§ 6 RJGG) und das Prinzip der Einheitsstrafe (H 14,15,55 RJGG), von den verfahrensrechtlichen Vorschriften die erweiterte Persönlichkeitserforschung (§ 28 RJGG), die erweiterte Einstellungsmöglichkeit bei Auflockerung des Legalitätsprinzips (H 30, 31 RJGG), die Möglichkeit einer Ausschließung von Verfahrensbeteiligten (5 34 RJGG), die Regelung der Rechtsstellung von Erziehungspflichtigen und des gesetzlichen Vertreters (§ 41 RJGG), die Möglichkeit, zur Vermeidung erzieherischer Nachteile von der Mitteilung der Urteilsgründe an den Jugendlichen abzusehen (5 39 Abs. 2 RJGG), die Möglichkeit des Verzichts auf eine Auferlegung von Kosten und Auslagen (§ 38 RJGG), die Beseitigung von Nebenklage und Strafbefehlsverfahren (H 51, 53 RJGG) und das vereinfachte Jugendverfahren (H 48 bis 50 RJGG), von den vollstreckungsund vollzugsrechtlichen Vorschriften insbesondere das Erfordernis spezieller Anstalten für J~endliche (§ 64 RJGG) und die Notwendigkeit erzieherisch ge-

4 Nothacker

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S 2 A) Gesetzeshistorische Entwicklung

Die Vorarbeiten einschließlich des RegE beschränkten sich bis März 1953 auf eine bloße Änderung des RJGG. In der Begr. des RegE wurde darauf hingewiesen, daß "zunächst nur eine vorläufige Neure~elung" bezweckt sei, "die, soweit möglich, auf dem bisherigen Recht aufbaut" 7. Dabei ging man davon aus, daß - unbeschadet der Änderungsbedürftigkeit von Vorschriften des RJGG etwa über die Strafmündigkeitsgrenze, die Behandlung "jugendlicher Schwerverbrecher", das Ausmaß der Rechtsmittelbeschränkung und die Ahndungsbefugnisse des Vollstreckungsund Vollzugsleiters - das Problem der Vorschriften wesentlich darin liege, daß sie "eine nachhaltige Erziehung der Jugendlichen, ebenso aber auch die Freistellung der Behörden von rechtlichen Bindungen und die autoritäre Behandlung der Staatsbürger in einer heute nicht mehr vertretbaren Weise anstreben,,78. Hauptanliegen des RegE sei es daher (nur), "die Entscheidung über die Beibehaltung oder Ausmerzung einer Vorschrift stets in der Weise zu treffen, daß dem Erziehungszweck des Gesetzes Genüge geschieht, ohne daß die Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens gefährdet wird,,79 . b) Bei der Umgestaltung im einzelnen erhob sich zunächst gegen die Erweiterung der jugendgerichtlichen Zuständigkeit, die zusätzliche fakultative Anwendung des rechtsfolgenvoraussetzungen- und rechtsfolgenbezogenen Jugendeigneten Personals (S 65 RJGG) sowie die mildere registerrechtliche Behandlung (H 69,70 RJGG) und die Beseitigung des Strafmakels (H 71 ff. RJGG) für beibehaltenswert (Dallinger/Lackner 1955, Einf. Rn. 18 bis 29). Lediglich die Regelungen über die Anwendbarkeit des RJGG grundsätzlich nur auf Deutsche (S 1 Abs. 2 RJGG), die Bestrafung von Kindern über 12 Jahren bei schweren Delikten im Falle der Erforderlichkeit eines "Schutzes des Volkes" (S 3 Abs. 2 RJGG) , die Behandlung von Jugendlichen nach allg. Strafrecht bei Gleichstellung nach der sittlichen und geistigen Entwicklung mit einem über 18-Jährigen ($ 20 Abs. 1 RJGG) , wenn das "gesunde Volksempfinden" dies wegen der besonders verwerflichen Gesinnung und der Schwere der Tat erforderte, bzw. - auch ohne Gleichstellungserfordernis - bei "charakterlich abartigen Schwerverbrechern" (nach der Gesamtwürdigung von Persönlichkeit und Tat, wenn der "Schutz des Volkes" eine entsprechende Behandlung erforderte [§ 20 Abs. 2 RJGG]), ferner die Regelung über polizeiliche Jugendschutzlager zur Einweisung "unerziehbarer" Minderjähriger (§ 60 RJGG) sowie die Aufhebung der Strafaussetzung zur Probe und die aufgehobene Mitwirkung von Jugendschöffen hielten sie innerhalb des RJGG für untragbar (Dallinger/Lackner 1955, Einf. Rn. 31 bis 42). 77 Amtl. Begr. des RegE-JGG 1953, BT-Dr. 1/3264, 35. Im einzelnen sollte die Neuregelung auf folgende Gesichtspunkte beschränkt bleiben: ,,1. Reinigung des Gesetzes von nationalsozialistischem Gedankengut, 2. Schaffung der Möglichkeit Heranwachsende (... ) unter bestimmten Voraussetzungen wie Jugendliche zu behandeln, 3. Neuordnung der Gerichtsverfassung unter Hinzuziehung des Laienelements, 4. Einführung der Aussetzung der Jugendstrafe und der Verhängung der Jugendstrafe zur Bewährung und 5. Einarbeitung der Richtlinien zum RJGG in das Gesetz, soweit sie Rechtsnormencharakter haben und beizubehalten sind" (BT-Dr.1/3264, 35). 78 BT-Dr. 1/3264, 35 (r.Sp.; Hervorhebung vom Verf.). 7' Ebd.

IV. Erziehungsgedanke bis zum JGG 1953

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strafrechts auf Heranwachsende, die Wiedereinführung der Aussetzung der Vollstreckung von Jugendstrafe zur Bewährung und die Einführung der Aussetzung der Verhängung von Jugendstrafe einschließlich der Einrichtung der Bewährungshilfe keine Kritik; dasselbe gilt - eher überraschend - auch für die Beibehaltung des Jugendarrestes und einer unbestimmten (Verurteilung zu) J ugendstrafe. Erst der Bundesrat mußte in seinen Änderungsvorschlägen zum RegE verschiedentlich Angassungen einzelner Regelungen an rechtsstaatliche Erfordernisse empfehlen 8 , denen in der Stellungnahme der Bundesregierung hierzu auch teilw. Rechnung getragen wurde 81 . c) Der abgeänderte RegE wurde von dem aus Mitgliedern des - bemerkenswerterweise federführenden - Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht sowie Mitgliedern des Ausschusses für Fragen der Jugendfürsorge bestehenden Unterausschusses des Bundestages in der systematischen Form einer Neufassung des ;6c vorgelegt 82 . Inhaltlich wurden aber die "grundlegenden 80 Vgl. BT-Dr. 1/3264,53 ff. (Anl. 2). Im einzelnen waren folgende Bestimmungen des RegE betroffen: §§ 5 Abs. 2, 63 Abs. 1 Satz 1 (Erteilung und Änderung bzw. Befreiung von Weisungen und die Auferlegung besonderer pflichten durch den Richter nicht "im Einvernehmen" mit, sondern - im Hinblick auf Art. 97 Abs. 1 GC - lediglich nach Anhörung der Jugendgerichtshilfe [a.a.O., S. 53 f. Nr. 5, S. 59 Nr. 43]), § 26a Abs. 3 und 4 (zusätzliche Einräumung eines Antrags des Angeschuldigten, vor Erlaß eines Übernahmebeschlusses der Jugendkammer, der den Verlust einer Tatsacheninstanz bedeutet, neben einzelnen Beweiserhebungen auch die gerichtliche Voruntersuchung herbeiführen zu können [a.a.O., S. 56 Nr. 25]), § 32a Abs. 2 (Einschränkung des weitergehenden Verzichts auf Vereidigung im Jugendstrafverfahren gegenüber dem allg. Strafverfahrensrecht, wenn Heranwachsende oder Erwachsene mitangeklagt sind [a.a.O., S. 57 Nr. 29]), § 40 Abs. 1 Satz 2 (Ausnahme von der besonderen Rechtsmittelbeschränkung nicht nur bei Fürsorgeerziehung, sondern auch bei angeordnetem Dauerarrest, da diese sehr einschneidende Maßnahme in ihrer Auswahl der Nachprüfung im Instanzenweg unterliegen solle [a.a.O., S. 57 Nr. 30]), § 40a (Streichung der Teilvollstreckung vor Rechtskraft, die dem rechtsstaatlichen Grundsatz der Vollstreckbarkeit eines strafgerichtlichen Urteils erst nach Rechtskrafteintritt widerspreche [a.a.O., S. 57 Nr. 32]), § 61 Abs. 2 bis 4 (Streichung der Regelungen über eine Verlängerung des Jugendarrestes durch den Vollstreckungsleiter, falls der Jugendliche unentschuldigt der Ladung zur Vollstreckung nicht folgt bzw. nachträglich aufgegebene Arbeiten schuldhaft versäumt, weil ein Zuchtmittel stets eine Straftat und nicht bloße Disziplinwidrigkeit voraussetze [a.a.O., S. 59 Nr. 41]). 8' Vgl. BT-Dr. 1/3264, 61 ff. (Anl. 3). Im einzelnen wurde von der Bundesregierung den Empfehlungen des Bundesrates bzgl. §§ 26a Abs. 3 und 4, 32a Abs. 2 und 61 Abs. 2 bis 4 ohne Stellungnahme (vgl. a.a.O., S. 61 l.Sp.) und bzgl. §§ 5 Abs. 2, 63 Abs. 1 Satz 1 mit ausführlicher Begr. zugestimmt (vgl. a.a.O., S. 61 ff.); dagegen wurden die Empfehlungen bzgl. § 40 Abs. 1 Satz 2 und bzgl. § 40a auch unter Hinweis auf erzieherische Erwägungen abgelehnt (vgl. a.a.O., S. 65 Nr. 8 und 9). 82 Vgl. Schriftl. Ber. des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht (23. Ausschuß) über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des RJGG (vorgetragen von dem Abgeordneten Ewers), BT-Dr. 1/4437, 1.

4*

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§ 2 A) Gesetzeshistorische Entwicklung

Reformvorschläge der Bundesregierung zur Verbesserung und Anpassung des Jugendstrafrechts an die zeitgemäße Entwicklung ... im wesentlichen gebilligt,,83. Dennoch wurde die Auffassung für berechtigt gehalten, "daß das noch im RegE bejahte Bedürfnis nach alsbaldiger vollständiger Überarbeitung des gesamten Sachgebiets nicht mehr vorliegen dürfte,,84 . Vielmehr sollte "die neue Vorlage für absehbare Zeit ausreichen ... , um das Strafrecht der Jugendlichen und Heranwachsenden entsprechend den Erkenntnissen der modernen Wissenschaft zu handhaben"85. Diese Ansicht überrascht insbesondere angesichts der überlegung, daß die tatrichterliche Entscheidung über die Anwendung des auf Rechtsfolgenvoraussetzungen und Rechtsfolgen bezogenen Jugendstrafrechts auf Heranwachsende mit dem Hinweis darauf beibehalten wurde, nicht die besonderen Verhältnisse der Nachkriegszeit könnten maßgeblich sein, vielmehr müsse die Erfahrung zukünftiger Praxis zu einer späteren abschließenden Entscheidung hinsichtlich der Frage einer vollständigen Einbeziehung der Heranwachsenden in das Jugendstrafrecht beitragen; erst aus diesem Verständnis eines Übergangsrechts heraus wurden die Heranwachsende betreffenden Vorschriften in einem besonderen Teil des Gesetzes zusammengefaßt 86 . Andererseits hatte diese Betonung des Abschlusses einer Reform auch durcbaus die - ausdrücklich bekannte - Funktion, zukünftigen Bestrebungen zu einem einheitlichen Jugendhilferecht vorsorglich eine Absage zu erteilen. So wurde vorgetragen, "künftige grundsätzliche Änderungswünsche (würden) sich nicht auf das Argument stützen können, daß die Ziele der gegenwärtigen Reform nicht umfassend gewesen seien". Und weiter: "Dies sei vor allem im Hinblick auf die Bestrebungen gesagt, die das Jugendstrafrecht schlechthin als ungeeignetes Mittel zur Bekämpfung der Jugendkriminalität ansehen und an seine Stelle ein System ausschließlich jugendfürsorgerischer Maßnahmen, die keinerlei Strafcharakter haben, setzen möchten. Der Rechtsausschuß hat sich davon überzeugt, daß die vollständige Abschaffung des Jugendstrafrechts in krassem Widerspruch zu unserer gesamten Rechtsentwicklung und zur Systematik unseres Rechts stehen würde und deshalb für absehbare Zeit nicht in Erwägung gezogen werden sollte. Er hat deshalb daran festgehalten, daß auch gegenüber Jugendlichen das Mittel der kriminellen Strafe beibehalten werden muß ,,87 . Ohne sachliche Änderungen passierte diese Gesetzesfassung des Rechtsausschusses die zweite und dritte Beratung im Bundestag88 und wurde Gesetz 89 . 83

84 85

Ebd. (1. Sp.; Hervorhebung vom Verf.).

Ebd. Ebd.

Vgl. Schriftl. Ber., BT-Dr. 1/4437, 3 (1. Sp.). BT-Dr. 1/4437, 1. - Diese Abgrenzung macht die - i. S. d. dualen Systems - zugleich unabhängig von der Reform des Jugendstrafrechts vollzogene Änderung des RJWG deutlich (s. zur Gesetzgebungsgeschichte der RJWG-Änderungvon 1953 Hasenclever 1978, 172 bis 176). 88 s. Verh. des Deutschen Bundestages, 1. Wahlperiode, Steno Ber. der 273. Sitzung, S. 13537 bis 13539. Der Bundesrat stimmte dem Gesetz am 03.07. 1953 zu (s. Sitzungsbericht des Deutschen Bundestages Nr. 112, S. 344). 89 JGG V. 04.08.1953 (BGB1. I, 751), in Kraft getreten am 01.10.1953 (vgl. 86

87

V. Erziehungsgedanke seit 1953

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3. Die Entwicklung bis zum JGG von 1953 zeigte sich als eine zunehmende Ausrichtung i. S. d. strafrechtlichen Modells. Der nach Maßgabe von Art. 2 GG i. V. m. § 1 JWG eigentlich naheliegende Versuch, wieder zu einer Annäherung zwischen JGG und JWG zu gelangen 90 , blieb 1953 ungenutzt. Die Verknüpfung des JGG mit dem Strafrecht 91 hatte dazu geführt, daß seine Erziehungskonzeptionen weithin ohne Bezug zu erziehungspsychologischen und (sozial)pädagogischen Grundannahmen geblieben waren 92 93. V. Bedeutung des Erziehungsgedankens im JGG seit 1953

Das JGG von 1953 wurde in der Praxis weithin begrüßt 94 und in der Fol~ezeit im Grunde ohne wesentliche Reformforderungen akzeptiert s. 1. Erst nach der JWG-Neufassung von 1961 96 wurden wieder maßgebliche Reformvorschläge zur Änderung des JGG unterbreitet 97 •

§ 125 JGG). - Am 15.02.1955 erließen die Landesjustizverwaltungen zudem Richtlinien zum JGG, die - wenngleich nunmehr als bloße VVen - wesentlich an die Richtlinien der AV des Reichsministers der Justiz vom 15.01.1944 (Sonderveröffentlichung der DJustiz Nr. 30), geändert durch AV des Reichsjustizministers v. 18.12.1944 (DJustiz 1945,15), anknüpften und am 01.03.1955 in Kraft traten. 90 Vgl. näher u. V. 1. b), 2. 91 Vgl. zu den Folgen dieser Dominanz strafrechtlichen Denkens etwa später § 9 E 1962: "Für Taten von Jugendlichen und Heranwachsenden gilt dieses Gesetz nur, soweit im JGG nichts anderes bestimmt ist" (s. gleichlautend nunmehr § 10 StGB). 92 Ähnlich Peters 1966, 55. 93 Vgl. hierzu näher u. B) 11. sowie F) 2. Abschn. 94 Vgl. etwa DVjj 1955 und - schon im Eingangsreferat - Sieverts 1955, 28 f. 95 Einen entsprechenden Eindruck mögen die Verhandlungen auf den nachfolgenden DJGTen bis Mitte der Sechziger Jahre vermitteln; vgl. im einzelnen DVjj 1959,DVJ] 1962,DVJ] 1965,DVJ] 1968. 96 Zu deren Gesetzgebungsgeschichte krit. Hasenclever 1978, 198 H. 97 Die gesetzgeberische Tätigkeit im Bereich des Jugendstrafrechts beschränkte sich in den Fünfziger Jahren auf die Einführung der Sondervorschriften für Soldaten der Bundeswehr in §§ 112a bis 112e, 115 Abs. 3 JGG durch das EG-WStG v. 30 .03.1957 (BGBI. r, 306).

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S 2 A) Gesetzeshistorische Entwicklung

a) Aus jugendstrafrechtlicher Sicht wurde im Anschluß an den E 1962 98 eine Denkschrift vorgelegt99, die am dualen System und der Grundkonzeption des JGG einschließlich des (bloßen) Vorrangs des Erziehungsgedankens keine substantiellen Änderungen vorsah. Die wesentlichste Neuerung sollte die schon auf dem 10. DJGT 1956 geforderte generelle Einbeziehung der Heranwachsenden in das Jugendstrafrecht sein 100 ~ b) Sachlich weitergehend und die alte Forderung nach einem einheitlichen Jugendhilferecht wieder aufgreifend legte eine Kommission der Arbeiterwohlfahrt 1967 eine Denkschrift vor lOI • Bezogen auf das geltende Jugendstrafrecht war zentraler Grundgedanke, "den Erziehungsgedanken im Jugendstrafrecht so konsequent zu verwirklichen, daß die heute im JGG geregelte Materie nahezu vollständig in das künftige Jugendhilfegesetz aufgenommen werden kann", wobei "nicht etwa dem bisherigen Jugendstrafrecht eine dominierende Stellung" eingeräumt, "sondern im Gegenteil das heutige Jugendstrafrecht durch weitestgehende Eliminierung des Strafgedankens zugunsten des Erziehungsgedankens in ein ,neues und erweitertes' Jugendhilfegesetz" einbezogen werden sollte 102 • •• RegE-StGB mit Begr. (BR-Dr. 200/72, BT-Dr. IV/650) . •• Denkschrift über die Reform des JGG im Rahmen der Großen Strafrechtsreform; im Auftrage der DVJJ verfaßt von Dr. Schüler-Springorum (abgedruckt in MschrKrim 1964, 1 ff.). 100 Vgl. a.a.O., 9 ff.; ausnahmsweise sollte Jugendarrest bis zu 8 Wochen (a.a.O., 13) und bei schwersten Taten Gefängnis über 10 bis 20 Jahre (a.a.O., 10) zulässig sein. Wichtige Änderungen betrafen ferner etwa die Forderung nach "Sonderanstalten für minderjährige Kriminelle mit erheblich geistig-seelischen Abartigkeiten" (a.a.O., 16), die Heraufsetzung des Mindestmaßes der Jugendstrafe von unbestimmter Dauer auf ein Jahr (a.a.O., 18) die Einführung von Bezirksjugendkammern (a.a.O., 18), die grundsätzliche pflicht der Jugendgerichtshilfe zur Teilnahme an der Hauptverhandlung (a.a.O., 19), die Einführung eines Belehrungstermins und seiner näheren gesetzlichen Ausgestaltung bei Anordnung einer Bewährungszeit (a.a.O., 21 f.), die Einführung eines "jugendrichterlichen Befehls", der auf Weisungen und Zuchtmittellauten konnte {anstelle des - unzulässigen - Strafbefehlsverfahrens [a.a.O., 22]), die Verlängerung des Jugendarrestes bis zu drei Tagen durch den Vollstreckungsleiter und die Bestimmung über eine erzieherische Eignung auch der Jugendarrest- und Untersuchungshaftvollzugsbeamten (a. a. 0., 23). 101 Arbeiterwohlfahrt 1970 (1967, 1968). 102 Arbeiterwohlfahrt 1970, 13. - Schwerpunkte der Reform im einzelnen sollten im Bereich des Gerichtsverfassungsrechts neuartige Jugendgerichte innerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit sein, und zwar auch noch beim OLG ("Jugendsenat"). Sämtliche bislang jugendstrafrechtlichen und sämtliche vormundschaftsrechtlichen Aufgaben, soweit sie Minderjährige betrafen (einschließlich vermögensrechtlicher Entscheidungen), sollten diesen Gerichten ob-

V. Erziehungsgedanke seit 1953

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liegen; eine Ausnahme sollte lediglich vorgesehen sein für die Bearbeitung schwerster Straftaten Heranwachsender mit einer Mindeststrafandrohung bei Erwachsenen von zehn Jahren (Zuchthaus), für welche die Schwurgerichte zuständig sein sollten. Das Verfahren sollte tendenziell eher dem Verfahren der Freiwilligen Gerichtsbarkeit angeglichen sein, aber in nichtöffentlicher mündlicher Verhandlung unter Beteiligung der Erziehungsberechtigten durchgeführt werden. Nur bei Anlaß der Straftat eines Minderjährigen ab 14 Jahren sollte das Vorverfahren von der Staatsanwaltschaft nach den Vorschriften der StPO bei entsprechender Fortgeltung der §§ 45, 47 JGG durchgeführt werden; allerdings war bei Befassung durch das Jugendgericht auch dann zunächst ein Erziehungsplan - unter Beteiligung der Eltern und des Minderjährigen sowie des Jugendamts nach Maßgabe der Erziehungsbedürftigkeit zu erstellen. Das Verfahren abschließend sollte entweder auf Erziehungsrnaßnahmen, die Zurückweisung des Antrags oder auf die Feststellung erkannt werden können, daß nichts zu veranlassen sei. Ferner wurde etwa eine "Jugendkartei" anstelle der Erziehungskartei vorgeschlagen. Innerhalb des Rechtsfolgensystems ist die im Grundsatz angestrebte Vereinheitlichung vormundschaftsrechtlicher und nicht repressiv intendierter jugendstrafrechtlicher Maßnahmen hervorzuheben. Bei 14- bis 21-Jährigen sollte aber, und zwar nicht nur aus Anlaß einer Straftat, eine überweisung an das Jugendamt zur freiwilligen Vereinbarung mit den Eltern bzw. - mangels elterlicher Einwilligung - kraft gerichtlicher Anordnung mit dem Ziel erfolgen können, eine sog. "Kurzmaßnahme" (mit einer Dauer von einem Wochenende, drei Wochen oder von sechs Monaten), deren Durchführung dem Jugendamt obliegen sollte, aufzuerlegen. Aus Anlaß einer Straftat sollte bei 16- bis 21-Jährigen ferner die Bewährungshilfe für die Dauer von zwei bis vier Jahren in Form einer Aussetzung des Verfahrens möglich sein, wenn die Voraussetzungen einer (unbestimmten) "Unterbringung in einem Werkhof" (mit Differenzierung in den Belegungsstärken und außerhalb justizieller Zuständigkeit) zwar vorlagen, aber ihre Anordnung oder die von Erziehungsrnaßnahmen allein nicht erforderlich, nicht ausreichend oder nicht geboten erschien; die unbestimmte Unterbringung in einem Werkhof sollte mit einer Mindestdauer von einem und einer Höchstdauer von fünf Jahren versehen sein. Für die über 16-Jährigen mit "erheblichen geistig-seelischen Persönlichkeitsstörungen" sollte nach Verstößen gegen Strafvorschriften die "Unterbringung in einer Sondereinrichtung" mit therapeutischem Behandlungsspektrum als möglich vorgesehen werden. Nur bei Heranwachsenden sollten im Zusammenhang mit einer begangenen Straftat schließlich auch (- durch jugendrichterliche Verfügung -) Ermahnungen, Weisungen und Auflagen sowie die Entziehung der Fahrerlaubnis ausgesprochen werden können. Zudem sollte unter einschränkenden Voraussetzungen eine einjährige Unterbringung in einem Werkhof möglich sein. Nach begangenen Straftaten, deren Strafrahmen nach Erwachsenenstrafrecht wenigstens zehn Jahre Zuchthaus vorsieht, sollte bei Heranwachsenden durch das Schwurgericht Jugendstrafe von fünf bis höchstens fünfzehn Jahren verhängt werden können, welche in den bestehenden Jugendstrafanstalten (unter Einbeziehung jungerwachsener Gefans.ener bis zum 27. Lebensjahr) vollzogen werden sollte (s. im einzelnen etwa die bei Simonsohn [1969, 277 ff.] abgedruckten Vorschläge auf dem Stand v. 15.02.1969).

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S 2 A) Gesetzeshistorische Entwicklung

2. Wie bereits entsprechende Bestrebungen in den Neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts 103 und später in den Zwanziger Jahren 104 scheiterte auch die Reformforderung der Arbeiterwohlfahrt insofern sehr frühzeitig, als die Aufhebung des dualen Systems nicht gelang. Da ein erweitertes einheitliches Jugendhilferecht zu Lasten des Jugendstrafrechts erstrebt war, die Abschaffung des JGG aber zu keiner Zeit eine reale gesetzgeberische Chance hatte, mündete die Diskussion um die Vorschläge der Arbeiterwohlfahrt bald in eine Diskussion um eine bloße Neuordnung des geltenden Jugendhilferechts des JWG. Dabei wurde zunehmend (nur noch) kontrovers behandelt, ob das Jugendhilferecht systematisch der Zusammenfassung des Sozialrechts in einem Sozialgesetzbuch zugeordnet 10S oder ein selbständiges JHilfeG bestehen bleiben oder aber die jugendrechtlichen Regelungsbereiche (Jugendhilfe, Ausbildungsfärderung, Jugendschutz, Jugendstrafrecht usw.) in einem Jugendgesetzbuch zusammengefaßt werden sollten 106 , während die Bestrebung einer Integration von JWG und JGG kein relevantes Forum mehr hatte. Der Gesetzgebungsverlauf zur Schaffung eines JHilfeG 107 berührte das Jugendstrafrecht nach dem DE-JHilfeG 1973 108 im wesentlichen nur noch insoweit, als die angestrebte Aufhebung der Fürsorgeerziehung, die Änderung der Erziehungsbeistandschaft und die punktuelle Aufnahme der Hilfen zur Erziehung auch von Einfluß auf das Rechtsfolgensystem des JGG war. Dieser Einfluß wurde zuVgl. o. I. 2. und Fn. 13, 14. Vgl. o. 11. 2. und Fn. 45. 105 Vgl. die N. bei Hasenclever 1978, 214 f. 106 s. den entsprechenden Vorschlag der CDU/CSU-Fraktion des Deutschen Bundestages 1972 (BT-Dr. VI/3670). 107 Der verlauf bis 1976 ist zusammenfassend dokumentiert bei Hasenclever 1978, 215 bis 221. 108 Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit 1973. - Der DE hatte zwar keine Integration mehr angestrebt, jedoch zumindest eine eindeutige Vorrangstellung der jugendhilferechtlichen Einflußnahme (s. a.a.O., 78 f.). Das JGG sollte nur noch Anwendung finden, wenn bei einem über 16-Jährigen nach einem Verstoß gegen Strafvorschriften wegen erreichter oder bevorstehender Volljährigkeit keine Erziehungshilfe mehr gewährt werden durfte bzw. diese keinen Erfolg mehr versprach, ferner dann, wenn die von einem über 16-Jährigen begangene Verfehlung nach den allg. Vorschriften mit einer Mindeststrafandrohung von fünf Jahren Freiheitsstrafe versehen war und die Voraussetzungen des § 3 Satz 1 JGG im übrigen vorlagen, sowie schließlich dann, wenn die Aufnahme eines über 16-Jährigen in ein "sozialtherapeutisches Jugendzentrum" angeordnet werden sollte, weil seine "stark auffällige(n) Verhaltungs störungen auf eine weitreichende Fehlentwicklung schließen" ließen und "diese ihren Ausdruck in schweren oder häufig wiederholten, mit Strafe bedrohten Verfehlungen gefunden" hatten (vgl. §§ 11,57 DE; s. ferner §S 127 bis 129 DE). 103

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VI. Resümee

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dem dadurch geringer, daß die reformerischen Vorhaben vom DE-JHilfeG 1973 über die RE-JHilfeG 1974 bzw. 1977 109 bis zum RegE-JHilfeG 1979 110 bzw. zum JHilfeG-E 1980 111 zunehmend an Gehalt verloren 111a. VI. Resümee

Es läßt sich resümierend festhalten, daß normative Veränderungen des Jugendstrafrechts kaum einmal von jugendhilferechtlicher, sondern regelmäßi von strafrechtlicher Gesetzgebungstätigkeit herbeigeführt wurden 12. Eine wesentlich übereinstimmende und in einandergreifende erzieherische Konzeption im J ugendhilfe- und Jugendstrafrecht konnte sich letztlich nicht herausbilden. Sie ist in einem gesetzgeberischen Rahmen unter den bestehenden Mehrheitsverhältnissen innerhalb der Gesetzgebungsorgane nach dem Scheitern der Jugendhilfereform auch nicht absehbar; dies zeigen im übrigen auch der Stand der Reform bzgl. eines J ugendstrafvollzugsgesetzes 113 sowie der RE-1.JGGÄndG 1983. Eine Systematisierung und

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109 RE-JHilfeG vom März 1974 (letzter [- unveröffentlichter -] Stand August 1974) und überarbeiteter RE-JHilfeG von 1977 (s. Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe [AGJ] 1977) (jeweils noch ohne Veröffentlichung der JGG-Änderungen). 110 RegE-JHilfeG 1979 (BT-Dr. 8/2571); vgl. ferner den Bundesratsentwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Jugendhilfe (BR-Dr. 100/79 sowie BT-Dr. 8/3108) und die Stellungnahme der Bundesregierung (BT-Dr. 8/3108, 53 ff.). 111 JHilfeG (Entwurf nach Beschlüssen des 13. Ausschusses des Deutschen Bundestages [BT-Dr. 8/4010 und Bericht BT-Dr. 8/4080]). - Dem am 27.05. 1980 in zweiter und dritter Lesung im Bundestag verabschiedeten Gesetz hat der Bundesrat, nachdem wegen der ersten Ablehnung von der Bundesregierung der Vermittlungsausschuß angerufen worden war, die Zustimmung endgültig versagt. lila Auch der Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des JWG v. 29.08.1984 setzt insofern keine neuen Akzente. 112 Soweit man den (bloßen) gesetzlichen Änderungen des JGG eine gewisse Indizfunktion beimessen will, so zeigt sich, daß von sämtlichen zwanzig das JGG ändernden Gesetzen von 1923 bis 1982 lediglich dem Gesetz zur Änderung und Ergänzung des RJWG v. 11.08.1961 (BGBI. I, 1193), dem 2. Gesetz zur Sicherung des Straßenverkehrs v. 26.11.1964 (BGBI. I, 921), dem Gesetz zur Neuordnung des Wehrdisziplinarrechts v. 21.08.1972 (BGBI. I, 1481) und dem Gesetz zur Neuregelung des Volljährigkeitsalters v. 31.07.1974 (BGBI. I, 1713) kein i. w. S. straf(verfahrens)rechtlicher Charakter beikam. 113 s. Bundesminister der Justiz 1980; Arbeitsentwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Jugendstrafvollzuges und zur Eingliederung junger Gefangener (des Bundesministers der Justiz) v. 30.06.1980 (abgedruckt etwa bei Ayass 1980; vgl. ferner Arbeitskreis sozialdemokratischer Juristen [ASJ11980;

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§ 2 A) Gesetzeshistorische Entwicklung

Abstimmung staatlicher Erziehungskonzeptionen bei Jugendlichen in den verschiedenen Rechtsbereichen und im besonderen im Verhältnis des Jugendstrafrechts zum Jugendhilferecht fände daher keinen gesetzlichen Niederschlag und verbliebe ein unverbindliches Konstrukt. Eine Systematisierung und Grundlegung erziehungskonzeptioneller Rahmenbedingungen hat deshalb an der Auslegung des einzelnen Gesetzes und der von den Rechtsanwendern in Gebrauch genommenen Rechtsanwendungsprinzipien anzusetzen. Daraus ergibt es sich, aus einer von der Selbständigkeit dieses Rechtsgebiets ausgehenden jugendstrafrechtlichen (und weder straf- noch jugendhilferechtlichen) Sicht die ausdrücklich praktizierten und analytisch gewonnenen topoi ll4 innerhalb des Jugendstrafrechts in ihrer jugendgemäßen Funktion auf ihre Konvergenz mit denen des Jugendhilferechts und des Strafrechts zu prüfen und ggf. in Übereinstimmung zu bringen; erzieherische Funktionen sind dabei hinsichtlich ihrer Grenzen an rechtsstaatlichen Sicherungen der Einflußnahme im Strafverfahren und am höherrangigen Verfassungsrecht auszurichten. Die aus der skizzierten historischen Entwicklung gewonnenen Erfahrungen führen auf eine leitende Vorstellung hin, die derjenigen von Peters ll5 in manchem nahekommt; im einzelnen wird dies in den Bezugsrahmen der Untersuchung verdeutlicht werden. In diesem Sinne wird davon ausgegangen, daß der Erziehungsvorrang als Legitimation eines Jugendstrafrechts in seiner Ausgestaltung abhängig war von sozial- und rechtspolitischen Tendenzen außerhalb des Gesetzes. Die tendenzielle Hinwendung des Jugendstrafrechts zum allg. Strafrecht und gleichzeitige tendenzielle Loslösung vom Jugendhilferecht kann daher sinnvoll weniger durch unabsehbare prinzipielle Gesetzesänderungen, sondern eher durch Änderung der Rechtsanwendung (sowohl der Theorie wie der Praxis) aufgehalten werden ll6 . Hierzu wäre - neben einem Wandel der justiziellbürokratischen Binnen- und Organisationsnormen - eine verbindlichere Gesetzesauslegung und damit eine verbindlichere Rechtsanwendung ein erster Schritt.

SPD-Thesen ... 1981 ;CSU-Leitsätze ... 1982; s. zuletzt Arbeitsentwurf einesJugendstrafvollzugsgesetzes v. 01.06.1984 (unveröffentlicht); vgl. Baumann 1985. 114 s. dazu näher u. D) 2. Abschn. 115 Vielleicht am prägnantesten formuliert ist sie in seinem Generalreferat auf dem 13. DJGT am 14.10.1965 in Münster, welches als Zeitschriftenbeitrag erschien (s. Peters 1966). 116 s. bereits die Forderung von Peters 1966, 62; vgl. o. S 1 Einf. I. Fn. 2.

B) Das Auslegungsziel: Klärung des Erziehungsbegriffs im Hinblick auf die jugendstrafrechtliche Orientierung I. Vorüberlegungen

1. Der Erziehungsbegriff des Jugendstrafrechts - zugrundegelegt in dem topos "Vorrang des Erziehungsgedankens" - ist, wie bereits die historische Bewertung des letzteren erwiesen haben dürfte!, ohne klare Konturen; er ist ferner kaum orientiert an pädagogischen bzw. erziehungspsychologischen Grundprinzipien 2 und schließlich - bezogen auf Einzelvorschriften - in verfassungsrechtlich bedenklichem Maße unbestimmt 3 • Ehe in der Anwendung des JGG entwikkelte jugendspezifische (erzieherische) Auslegungsprinzipien analysiert und methodologisch untersucht werden können, um den Grad rechtlicher Verbindlichkeit jugendgemäßer Einwirkungen zu erhöhen, bedarf es deshalb zuvor einer näheren Bestimmung des jugendstrafrechtlichen Erziehungsbegriffs als des maßgeblichen inhaltlichen Kriteriums, mit dem das formelle Auslegungsziel angestrebt wird. 2. Dabei kann es keinesfalls darum gehen, ein Erziehungsverständnis von einer gewissen konsensfähigen gesellschaftlichen Verbindlichkeit normativ festzulegen. Dies wäre letztlich angesichts verfassungsrechtlicher Zurückhaltung und Auffassungsvielfalt innerhalb der Erziehungswissenschaft (wissenschaftlichen Pädagogik) und der (Erziehungs-)Psychologie, als den mit Fragen der Erziehung vorrangig befaßten Wissenschaftsdisziplinen, auch nicht möglich; s.o. A). s. dazu bereits Peters 1966, 55. Es wird vermutet, der Erziehungsbegriff werde in der Praxis lediglich i. S. einer spezialpräventiven Orientierung nach Maßgabe des allg. Strafrechts verwendet (Pfeiffer 1983, 57). - Mitunter gewinnt man den Eindruck, als träte der Erziehungsbegriff, ungeachtet des Erfordernisses der Schuldzurechnung auch im Jugendstrafrecht, partiell bereits an die Stelle des sozial isolierenden, individualisierenden Schuldbegriffs des allg. Strafrechts, welchem (gleichwohl) nicht primär individualpsychologische, sondern normative und sozialpsychologische Funktionen zuzukommen scheinen (s.Jakobs 1976,32). 3 Seit der Herabsetzung des Volljährigkeitsalters (s. Gesetz zur Neuregelung des Volljährigkeitsalters v. 31.07.1974 [BGBI. I, 1713]) wäre er im übrigen bei Heranwachsenden wohl nur noch als Ausfluß des topos "Vorrang der Berücksichtigung des Entwicklungsstandes Heranwachsender" haltbar (vgl. auch u. D) VII. 2. b) ff)). 1

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S 2 B) Klärung des Erziehungsbegriffs

außerdem böte eine entsprechende Festlegung nicht nur beständigen Konfliktstoff innerhalb einer pluralistischen Gesellschaftsformation, sondern bliebe darüber hinaus zu unflexibel, um gesellschaftlichem wandel unmittelbar Rechnung tragen zu können. Demgemäß ist, um eine weithin beliebige Verwendung zu verhindern, die Bestimmung eines jugendstrafrechtlichen Erziehungsbegriffs unter im wesentlichen zwei Aspekten vorzunehmen.

a) Der erste Aspekt ließe sich dahin beschreiben, daß im Strafrecht zwar der schillernde Begriff der "Resozialisierung" geprägt wurde und inhaltliche Ausgestaltung erfuhr; eine entsprechend originäre Herkunft und inhaltliche Ausprägung läßt sich aber dem Begriff der Erziehung im Jugendstrafrecht nicht zusprechen. Vielmehr findet er Ursprung und Legitimation nach wie vor in der Existenz eines Begriffs und Verständnisses von Erziehung in außerjuristischen Wissenschaften4 • Soweit in letzteren - ungeachtet grundlegender Auffassungsdivergenzen - (variable) Grundübereinstimmungen über Begriff (- um den es hier zunächst geht -) und Inhalt von ErziehungS bestehen sollten, dürfte eine legitime Verwendung des Begriffs Erziehung im Zusammenhang mit jugendstrafrechtlicher Tätigkeit hiervon zumindest insoweit nicht abweichen, als dieser außerjuristische Grundkonsens über Begriff und Inhalt von Erziehung Ausdruck (auch) verfassungsrechtlicher Prioritäten ist. (Die Verknüpfung mit gesellschaftlichem Wandel ist damit gewährleistet.) b) Eine Einschränkung würde sich lediglich daraus ergeben, und damit wäre der zweite Aspekt der begrifflichen Klärung angesprochen, daß das angestrebte Resultat erzieherischer Einwirkung, das Erziehungsziel, gegenüber allg. Zielen der Erziehung Minderjähriger (insbesondere Schutz, Förderung und Integration) insofern reduziert ist, als Jugendstrafrecht aus begrenztem Anlaß und mit nur begrenzter Legitimation erzieherisch wirken darf. Dies folgt daraus, daß - wie im einzelnen noch ausgeführt werden wird 6 - die Aufgabe des Jugendstrafrechts in seiner aktuellen Funktion als (Sonder-) Strafrecht letztlich nur sein kann (und sein darf), weiterer strafrechtlichen Erfassung des Verhaltens einer einzelnen Person dadurch entgegenzuwirken, daß die Voraussetzungen für ihre Legalbewährung geschaffen werden 7 • Im besonderen hieße dies, Bedingungen 4 So entnehmen etwa Grundentwürfe einer Kriminalpädagogik als angewandter Wissenschaft ihren Begriff davon, was Erziehung zu sein hat, der Pädagogik (s. etwaPeters 1960,121 und 122 Fn. 258). S Wegen Zielen s. u. IV. 6 s. u. IV. 7 Ähnlich bereits Blau 1958,732 (s. näher u. Fn. 111); LG Hannover RdJB 1962,13 (14); auch Hel/meT 1959,67, aber auch Ders. 1957,98 H. und 1962, 24,30,39 f.; wohl eher zu weitgehend Miehe 1964,23 m.w.N. in Fn. 79.

Ir. Außerjuristische Ersetzung durch den Sozialisationsbegriff

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zu schaffen, unter denen eventuelle Mängellagen bei Jugendlichen und ggf. Heranwachsenden durch Selbsthilfe und Angebote von Erziehungspersonen reduziert werden könnten 8 , sofern wenigstens Anhaltspunkte für Zusammenhänge zwischen den Mängellagen und der strafrechtlichen Erfassung bestehen. Diese Beschränkung gilt bzgl. des Verfahrens vor Schuldfeststellung schon deshalb, weil unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten im Hinblick auf die Unschuldsvermutung9 eine persönlichkeits bezogene (erzieherische) Einwirkung grundsätzlich nur eingeschränkt zulässig sein kann 1o ; zudem ließe sich entsprechende Einwirkung pädagogisch nicht rechtfertigen, solange die Straftat als deren Anlaß (noch) nicht als Basis der Kommunikation mit dem Jugendlichen verbindlich zugrunde gelegt werden kann 11 • 11. Der Erziehungsbegriff und seine Ersetzung durch den Sozialisationsbegriff in der außerjuristischen Wissenschaft

Was die Suche nach einem erkennbaren Grundkonsens außerjuristischer Wissenschaft im Bereich der Erziehung angeht, so erscheint es gemäß herkömmlicher wissenschaftlicher Tradition gerechtfertigt, in der Entwicklung der Darstellung zunächst zwischen dem Stand der Diskussion in der Erziehungswissenschaft einerseits und der (Erziehungs-)Psychologie andererseits zu unterteilen l2 • Aus jugendstrafrechtlicher Sicht mögen dabei Fragen der Verwendbarkeit eines Vgl. dazu noch u. D) 2. Abschn. VI., E) 2. Abschn. 11. Art. 6 Abs. 2 EuropMRK. 10 s. zu begrenzten Alternativen aber z.B. noch u. D) 11. 5. a) bb) bbb) und D) Fn. 34l. 11 Vgl. Mrozynski 1976, 5 f.; Ders. 1980, 235; Eisenberg 1985, Einl. Rn. 15. 12 In der ]ugendsoziologie war, seit sich diese zu einer Speziellen Soziologie entwickelt hatte, die Verwendung des Sozialisationsbegriffs letztlich nie fraglich und ist heute selbstverständlich (vgl. hierzu schon Tenbruck 1962, passim; sodann Neidhardt 1970,85 ff.; Kreutz 1974, 120 ff., aber auch 15 f.;Allerbeck/Rosenmayr 1976, 14 f., 162 f.). - Die Psychoanalyse hat keinen Erziehungsbegriff entwickelt, wie dies im übrigen ihre Einbeziehung in die Erziehungswissenschaft als angewandte Hilfswissenschaft (der Psychoanalytischen Pädagogik) unterstreicht (vgl. zum Überblick Höchstetter 1972; Rehm 1968; Bittner/Rehm 1964); in neuerer Zeit rezipiert auch die psychoanalytische Forschung den Sozialisationsbegriff (s. - bezogen auf Jugendkriminalität - etwa Moser 1970, passim [z.B. S. 89 f., 136 f., 227 ff. und besonders 292]). - Inder ]ugendpsychiatrie wird zwar weniger der Sozialisationsbegriff diskutiert; wohl aber wird i. S. eines weiten Verständnisses betont, zwischen (psychotherapeutischer) Behandlung und Erziehung (i. e. S.) lasse sich gerade im Kindes- und Jugendalter (auch begrifflich) nicht wirklich unterscheiden (Lempp 1983,212). 8

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S 2 B) Klärung des Erziehungsbegriffs

Erziehungsbegriffs, der Unterscheidbarkeit von Erziehungsstilen (insbesondere betreffend das Verhältnis von Erziehung und Strafe) und - wenngleich eingeschränkt - der Verbindlichkeit von Erziehungszielen bedeutsam sein, wobei es in diesem Zusammenhang zunächst nur um eine Klärung des Erziehungsbegriffs geht l3 , um das Auslegungsziel und die Aufgaben bestimmen zu können. 1. a) Eine Durchsicht des erziehungswissenschaftlichen Schrifttums führt zu dem - kaum überraschenden - Ergebnis, daß ein (historisch) einheitlicher Begriff der "Erziehung" innerhalb der Erziehungswissenschaft nicht existiert 14 • Grundlegend ist in historischer Betrachtung die Unterscheidung zwischen einem funktionalen und einem intentionalen Erziehungsbegriff Ein aus dem 19. Jahrhundert überliefertes Begriffverständnis sah Erziehung als absichtsvolle, planmäßige Einwirkung des Erwachsenen auf den Jugendlichen anIs. Schon frühzeitig war aber - trotz des Festhaltens an einem engen (intentionalen) Erziehungsbegriff - etwa Rousseau, Herbart, Schleiermacher, Dilthey und Willmann als herausragenden Erziehungstheoretikern die Bedeutung unbewußter und unbeabsichtigter Erziehungseinflüsse (ansatzweise) bekannt l6 • Ein "weiter" (funktionaler) Erziehungsbegriff setzte sich erst im 20. Jahrhundert weithin durch. Schon nach dem Ersten Weltkrieg wurde der tradierte Erziehungsbegriff als zu eng empfunden 17; eine Ausweitung i. S. eines aktuellen Verständnisses erfolgte Zu den weiteren Fragen s. u. F) 2. Abschn. Wegen eines ersten überblicks zur Vielfalt des Erziehungsbegriffs der Pädagogik anhand von historischen und aktuellen Quellentexten s. Weber 1976 (1969). 15 So wurde etwa in der Nachfolge Herbarts (- zur Veranschaulichung -) folgendermaßen definiert: "Erziehung ist eine absichtliche planvolle Einwirkung auf einen Menschen, und zwar auf den einzelnen Menschen als solchen, in seiner frühesten Jugend, eine Einwirkung zu dem Zweck, daß eine bestimmte, aber zugleich bleibende Gestalt, dem Plane gemäß bei ihm ausgebildet wird" (Ziller 1876, 7). 16 Vgl. Brezinka 1963, 48 ff. - Zur Annahme einer Mehrdeutigkeit der Begriffe "intentional" und "funktional" s. Eggers 1967. 17 Für einen weiten Erziehungsbegriff setzte sich insbesondere Krieck ein, der später eine Hinwendung zu einem der Erziehungstheoretiker der nationalsozialistischen Zeit nahm. Nach seinem Verständnis konnte aber "die höhere Erziehung ... immer nur zur Vollendung bringen, was die unbewußte Erziehungsfunktion schon angebahnt hat" (Krieck 1927, 28). Trotz der begrifflichen Nähe dieses Ansatzes wird er aber wegen der hierarchisch-qualitativen Bewertung (intentionale als "höhere" Erziehung) kaum als direkter Vorläufer eines funktionalen Erziehungsverständnisses angesehen werden können (so aber Xochellis 1973, 54). 13

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II.

Außerjuristische Ersetzung durch den Sozialisationsbegriff

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nach dem Zweiten Weltkrieg unter anthropologischen Vorzeichen 18 , um - unter dem Einfluß der Rezeption angloamerikanischer Sozialwissenschaft - in die Diskussion um den Sozialisationsbegriff zu münden 19 • b) Für eine Ausweitun~ des ErziehungsbegriJfs wurde - neben dem allg. Sprachgebrauch 0 - vornehmlich hervorgehoben, daß unbeabsichtigte Einflüsse erzieherisch wirksamer seien als intendierte pädagogische Einflußnahme, bewußte Einwirkungen (häufig) Nachvollzug unbewußt bereits wirkender (gesellschaftlicher) Abläufe blieben und erzieherisch bedeutsame Vorgänge wie "Vorbild"- oder "Beispiel"-Wirkung von Personen in ihrer Effizienz andernfalls nicht erschlossen werden könnten 21 • aa) Unterscheidet man hiernach - definitorisch gegeneinander abgrenzend - zwischen intentionaler und funktionaler Erziehung22 , 18 Vgl. insbesondere Schneider (1953,8) mit der Formulierung: Dem "modernen, ausgeweiteten Erziehungsbegriff liegt folgende Anschauung zugrunde: Mit der Geburt tritt der Mensch in einen gewaltigen Formungs- und Gestaltungsbzw. Erziehungsprozeß ein, dem er während seines ganzen Lebens als Objekt und Subjekt, als Subjekt nicht selten auch noch darüber hinaus, nach seinem Tode, angehört." - Für einen "weiten" Erziehungsbegriff treten etwa auch Kroh 1959, Henz 1971 sowie Keilhacker 1961 ein, wobei letzterer den terminus "funktionale Erziehung" durch den der "immanenten Erziehung" ersetzen will; gegen einen entsprechend ausgeweiteten Erziehungsbegriff wendet sich vor allemStegherr 1955 sowie Ders. 1959, besonders S.178. 19 s. u. 2. - Insofern scheint die aus soziologischer Sicht geäußerte Auffassung, mit der Unterscheidung zwischen "intentionaler" und "funktionaler" Erziehung habe sich die Ende der Fünfziger Jahre während der empirischen Wendung der Sozialwissenschaften noch "im Banne ihrer geisteswissenschaftlichen Tradition stehende deutsche Erziehungswissenschaft von der Sozialisationstheorie abzugrenzen versucht" (s. näher Kamper 1980, 542), argumentativ verkürzt zu sein. - Betreffend den weiteren verlauf der Diskussion s. etwa auch die Beiträge in Goetz/Kaltschmid 1978. 20 Schneider 1953, 12 ff. 21 Vgl. Schneider 1953, 12 ff.; s. Dolch 1971, 67. 22 s. etwa - wenngleich nicht ganz scharf abgrenzend - Geißler 1970, Sp. 779: Funktionale Erziehung "ist die Summe aller jener Veränderungen in den Verhaltensdispositionen (im Wissen, in den Fertigkeiten, den Einstellungen), die ohne erkennbare (?) Absicht, von Familie, Freundschaften, Milieu, Arbeitsbedingungen, Kommunikationsmitteln u.a. ausgehen; i(ntentionale) E(rziehung) ist jene, in der ein Erzieher mit deutlicher (?) Erziehungsabsicht Veränderungen plant, Mittel bereitstellt, Methoden auswählt und dafür schließlich auch pädagogische Verantwortung zu übernehmen bereit ist" (vgl. auch Ders. i 975 [1966], 35). Dagegen umfaßt der weitere Begriff der funktionalen Erziehung den (engeren) der intentionalen Erziehung in der Formulierung von Diederich 1978, 208: "Unter f(unktionaler) E(rziehung) versteht man die Gesamtheit der persönlichkeitsprägenden Einflüsse, denen das Kind in seiner sozialen Umge-

S 2 B) Klärung des Erziehungsbegriffs

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so bleibt eine Begriffsunschärfe bereits insoweit bestehen, als im terminus "Erziehung" selbst - unter dem Aspekt der Wortbedeutung - der Hinweis auf ein zielgerichtetes Handeln enthalten ist 23 . Beschränkt man dagegen den Erziehungsbegriff auf intentional gerichtete Handlungen von (erwachsenen) Personen 24 , also auf die Absichtsorientierung, so besteht das Problem, in welchem Ausmaß eine Handlung(-sfolge) von Absicht getragen sein muß, um in diesem engeren Sinn als erzieherisch gelten zu können, und ferner, wie und an welchen Merkmalen die Absicht "intersubjektiv verbindlich feststellbar"25 sein könnte, zumal sie selten den einzigen Antrieb für ein bestimmtes Verhalten gegenüber Kindern ausmache 6 • Zudem ergibt sich für die genannte Deutung des Erziehungsbegriffs wie für die wirkungsorientierte Auffassung, welche auch absichtslose äußere Einwirkungen, sofern sie zu (Verhaltens-)Änderungen führen, unter den Erziehungsbegriff faßt 27 , die praktische Schwierigkeit, Prozesse der Erziehung von allg. Sozialisationsverläufen in der Realität zu unterscheiden 28 • bung unterliegt, ohne daß diese immer erzieherisch beabsichtigt sein müssen. Unter i(ntentionaler) E(rziehung) sind allein die Erziehungseinflüsse zu verstehen, die sich selbst als erzieherische begreifen, ... " (zur Unterscheidung verwendet Diederich auch die Begriffe Sozialwerdung und Sozialmachung [ebd.]); s. zur Gesamtproblematik auch S trasser 1966. 23 Vgl. Rumpf 1970, Sp. 773; s. zur Begriffsgeschichte Dolch 1966 undim interkulturellen Vergleich - Ders. 1961; ferner Mühlbauer 1971, Froese 1964, Ritzel 1973, 50 f. 24 So etwa schon Meister 1946 und später vor allem Brezinka 1963,48 ff., Ders. 1971, 613 sowie mit instrumentell zugespitztem - als" technologisch" kritisiertem (Schaller 1977, 249) - Vorschlag Ders. 1972, 26: "Mit Erziehung sind Handlungen gemeint, durch die Erwachsene ... versuchen, in den Prozeß des Werdens heranwachsender Persönlichkeiten ... einzugreifen, um Lernvorgänge zu unterstützen oder in Gang zu bringen, die zu Dispositionen und Verhaltensweisen führen, welche von den Erwachsenen als seinsollend oder erwünscht angesehen werden" (im Ergebnis ähnlich Maier [1978, 104 f.], ohne die in der Differenzierung zwischen intentionaler und funktionaler Erziehung begründeten divergenten Sichtweisen anzusprechen; ferner Klafki [1970, 17] mit derjenigen Definition von Erziehung "als Begriff für alle bewußten Einwirkungen von Menschen, die auf die Entwicklung oder die Veränderung des Wissens und Könnens, dauerhafter Haltungen und Verhaltensformen anderer, insbesondere junger Menschen gerichtet sind"). - Dieselbe begriffliche Beschränkung scheint implicite v. Braunmühl (1975) vorzunehmen, dessen Empfehlung eines Erziehungsverzichts sich maßgeblich auf die in der Regel mangelnde übereinstimmung zwischen erzieherischer Intention und Wirkung gründet. 2' Rumpf 1970, Sp. 774. 26 s. hierzu näher Messner 1966, 162 ff. 27 s. insbesondere Dolch 1966, Flitner 1966. Rumpf 1970, Sp. 774. - Zwar ermöglicht das Festhalten an einem Erzie-

2.

II. Außerjuristische Ersetzung durch den Sozialisationsbegriff

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bb) Die Konsequenz hieraus könnte sein, den Erziehungsbegriff auf die absichtsgetragene Förderung Jugendlicher (und von Kindern) durch die Erwachsenengesellschaft zu begrenzen, ihm insoweit aber nur einen "heuristischen Wert zur ersten Orientierung in einem hochkom plexen Wirklichkeits bereich ,,29 beizumessen. Einen anderen Versuch der Lösung des Problems stellt die Erweiterung des Lehrbegriffs vom kognitiven auf den affektiv-sozialen Bereich und seine interaktionistische Verknüpfung mit dem (empirischen) Begriff des Lernens dar 30 , wobei Erziehung als durch soziale Interaktionen bewirkter Steuerungsvorgang menschlichen Verhaltens begriffen wird 31 und die Wertigkeit dieses Faktors wohl nicht theoretisch, sondern empirisch behandelt werden soll. Den dritten Weg gehen Autoren, die den Begriff der Erziehung als Element des Sozialisationsbegriffs ansehen und ihm nur in dessen Rahmen noch originäre Bedeutung32 zumessen wollen 33 , wobei teilw. allerdings die Bedeutung entsprechender Begrifflichkeit als "formal und nahezu inhaltsleer" relativiert wird, ohne auf normative Festlegung zu verzichten 34 • 2. Den Begriff der Sozialisation als Basis zugrunde zu legen, um einem praktikablen "Erziehungs"-Begriff näher zu kommen, hat zunächst einmal den Vorzug, sämtliche äußeren Einflüsse, nicht nur das Verhalten von Personen, im Auge behalten zu können, welche hungsbegriff, nicht aber die Lösung des angesprochenen Problems eine Definition, die versucht, intentionale mit - in Ansätzen - funktionalen Elementen zu verbinden (vgl. hierzu Röhrs 1973, 161). 29 Rumpf 1970, Sp. 774, in der Erkenntnis, daß in der sozialen Wirklichkeit nicht "reine Erziehungshandlungen ", sondern allenfalls von verschiedenen Graden erzieherischer Absicht durchdrungene Handlungen vorzufinden seien (Hervorhebung im Original). 30 Klauer 1973, 29 ff., 45, 47 ("Erziehung ist der Prozeß der Wechselwirkung [Interaktion] von Lehren und Lernen."), 48,53,64 ff. und näher u. 3. cl. 31 Vgl. Winnefeld 1970, 1 bis 20, 83. 32 Originalität wäre in dem Sinne zu verstehen, daß Erziehung das gesamte soziale Subsystem planmäßiger, methodischer Sozialisation zu bezeichnen hätte (vgl. Auemheimer 1980, 187). 33 Vgl. - ungeachtet weiterer begrifflicher Differenzierungen - etwa Loch 1969, 147 Anm. 5; Wilhelm 1974 (1963),159. - Zu beachten ist, daß der Sozialisationsbegriff schon deswegen nicht den Begriff der funktionalen Erziehung etwa nur erweitert, sondern anders zu qualifizieren ist, weil ihm dessen dezidierte Wirkungsorientierung fehlt. 34 s. Schal/er (1977,248) mit der definitorischen Fassung des Erziehungsbegriffs in "alle Maßnahmen und Prozesse, die dem als Mensch geborenen Wesen helfen, in seine Menschlichkeit hineinzufinden." 5 Nothacker

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S 2 B) Klärung des Erziehungsbegriffs

im Verlauf des Heranwachsens eines jungen Menschen wirksam sein könnten 35 . a) Der Begriff selbst, der auf Durkheims terminus "socialisation" zurückgeht, umschreibt "den Prozeß, durch den ein Individuum in eine soziale Gruppe eingegliedert wird, indem es die in dieser Gruppe geltenden sozialen Normen, insbesondere die an das Individuum als Inhaber bestimmter Positionen gerichteten Rollenerwartungen, die zur Erfüllung dieser Normen und Erwartungen erforderlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie die zur Kultur der Gruppe gehörenden Werte, Überzeugungen usw. erlernt und in sich aufnimmt"36. b) Dieses Verständnis des Sozialisationsbegriffs ist nicht unbestritten 37 . Insbesondere unter dem Eindruck traditioneller Begriffsbildung innerhalb der Erziehungswissenschaft wurde kritisiert, der Begriff der Sozialisation betone zu einseitig die unreflektierte Tradierung gesellschaftlicher Normen und damit zugleich die Übernahme festgelegter Rollen 38 , wodurch das Element erzwungener Anpassung des sich entwickelnden Individuums besonders stark hervortrete 39 . Unter Annahme einer mechanistischen Vorstellung vom Prozeß der Anpassung im Sozialisationsbegriff und einer vermuteten Unterbewertung des handelnden Subjekts wurden deshalb Begriffe wie "sozial-individuale Integration"4 als Ersatz bzw. "Enkulturation"41 35 Gleichzeitig ergibt sich hieraus der Ansatz zur angemessenen sozialen Differenzierung (insoweit ähnlich Mollenhauer 1971 [1968],270). 3. So die Definition von Klima 1978,707; wegen inhaltlich im wesentlichen entsprechenden Definitionen s. insbesondere Child 1954, 655; eher verkürzt Ders. 1969, 1028; vgl. ferner Calliess 1968,5 f.; Fend 1970, 11,38, aber auch 48; Fürstenau 1967,9; Hartley/Hartley 1955, 143; HUTTe/mann 1976,515 f.; Habermas 1968, H.; Ders. 1970, 376 ff.; Kuckartz 1969, 55 ff., 131 ff., 190 ff.; Mollenhauer 1971 (1968),270. - Auf die an den Begriff anknüpfende Zuordnung humanwissenschaftlicher Erklärungsansätze der Individualentwicklung und Vergesellschaftung des menschlichen Einzelwesens im Rahmen der Sozialisationstheorie ist wegen der begrifflichen Interessenausrichtung in der vorliegenden Arbeit nicht einzugehen (s. zum überblick etwa Gottschalch/NeumannSchönwetter/Soukup 1971,41 ff.; Helbig 1979, 1 ff. 37 Dabei scheint die Frage entschieden zu sein (einschränkend - aus pädagischer Sicht - aber noch Maier 1978, 105), daß der Begriff nicht nur auf den Entwicklungsprozeß bis zum Abschluß der Jugendphase beschränkt ist, sondern grundsätzlich jedes Erlernen einer neuen sozialen Rolle bzw. jede Integration in eine neue Gruppe umfaßt, also einen Prozeß beschreibt, der das ganze Leben hindurch andauert (Klima 1978,708). 38 Zum Begriff der sozialen Rolle in der Soziologie s. Popitz 1967. 39 s. Thomae (1968, 507), dessen Begriff der "sozialen Prägung" (s. dazu näher Thomae 1972 [1959], 242) aber gleichfalls als verkürzt kritisiert wurde (Scharmann 1966,6).

11. Außerjuristische Ersetzung durch den Sozialisationsbegriff

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als Ergänzung vorgeschlagen. Insbesondere der Begriff "Enkulturation" wurde - wohl wegen seiner Affinität zum klassischen Bildungsbegriff der Pädagogik - im Rahmen der erziehungswissenschaftlichen Diskussion um die Rezeption des Sozialisationsbegriffs verschiedentlich adaptiert 42 • c) Problematisch sind diese termini insofern, als bei ihrer Verwendung nicht das herkömmlich weite Verständnis des Sozialisationsbegriffs zugrundegelegt, sondern nur das Erlernen der für soziales Rollenverhalten des Individuums maßgeblichen Verhaltensmuster als Sozialisation bezeichnet wird43 • Soweit diese inhaltliche Reduktion die Absicht verfolgt, die Übernahme kultureller Werte gegenüber derjenigen sozialen verhaltens hervorzuheben (- wie dies in der Kulturanthropologie Tradition hat 44 - ) , kann sie im Kontext der vorliegenden Untersuchung vernachlässigt werden, weil das Interesse jugendstrafrechtlicher Betrachtung auf den Erwerb und Wandel von Sozialverhalten (Jugendlicher) gerichtet ist 45 • Folgt man dem reduzierten Begriffsverständnis aber nicht, impliziert der weite Sozialisationsbegriff durchaus nicht nur erzwungene passive Anpassung, sondern bezieht intentional erzieherisches Handeln und dessen Wirkung ein 46 und schließt per definitionem die Berücksichtigung der Wechselwirkung einer kommunikativen Dimension (ohnehin) nicht aus 47 • .. Scharmann 1966,5. Wurzbacher (1974 [1963], 14), der Sozialisation auf "soziale Prägung" verkürzt, Enkulturation als "kulturelle Bildung" und Personalisation als "individuelle Gestaltung und Entfaltung" versteht. - Der (erweiterte) Begriff "Enkulturation" stammt aus der Kulturanthropologie und fand wohl erstmals Erwähnung bei Herskovits 1964 (1947), X. 42 Loch 1968, Ders. 1976 (1969); ihm folgend Weber (1974 [1970], 11 L), der Personalisation und Sozialisation als "Subprozess( e) der Enkulturation" (a.a.O., 20) versteht; ähnlich auch Seiffert 1969, 17 und insbesondere Fend 1970,38 L 43 s. auch Klima 1978, 708. - Daß die inhaltliche Abgrenzung voneinander auch unter diesen Voraussetzungen unscharf bleiben muß, wird im übrigen von Vertretern eines entsprechenden Enkulturationsbegriffs durchaus zugestanden (s. etwa Fend 1970, 48). 41

s. etwa Benedict o.J., 8. s.u.IV.l.b). 46 Vgl. etwa Fürstenau 1967, 9;Claessens 1972 (1962),32. - Dieser Aspekt der Sozialisation wird wesentlich vom Subbegriff der "Internalisation" erfaßt (s. näher u. 3.). 47 Eine andere, im interessierenden Kontext aber ebenfalls der weiteren Vertiefung nicht bedürftige Differenzierung geht dahin, - innerhalb eines weiten Begriffsverständnisses (!) - den Sozialisationsprozeß in analytisch gewon44 45

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S 2 B) Klärung des Erziehungsbegriffs

3. Inwieweit der Sozialisationsbegriff nach dem gegenwärtigen Stand in den mit erzieherischem Verhalten gegenüber Jugendlichen und deren Entwicklung durch äußere Einwirkung (bzw. innere Wirkung) befaßten wissenschaftlichen Teildisziplinen dominant geworden ist, kann ohne Berücksichtigung der Begriffsbildung innerhalb der Psychologie nicht hinreichend beantwortet werden. a) Eine ausschließliche Blickausrichtung auf die Erziehungspsychologie (Pädagogische Psychologie) würde zu kurz greifen, weil diese psychologische Teildisziplin in ihrer wissenschaftshistorischen Genese als Hilfswissenschaft der Pädagogik entstand und von dieser den Erziehungsbegriff übernahm 48 , wenngleich sie gegenwärtig eigenen anwendungsbezogenen Präzisierungen eines Erziehungsbegriffs zuneigt 49 • b) Auch die Entwicklungspsychologie, als die zweite in Betracht zu ziehende Spezielle Psychologie, hat zur hier interessierenden Begrifflichkeit nur eingeschränkt beigetragen. Dies dürfte ohne weiteres einsichtig sein, soweit als ihr Gegenstandbereich die auf das Individuum begrenzte - wenn auch nicht nur physiologisch aufgefaßte - Zustands- und Verhaltensänderung verstanden würde 50 • Begreift man aber nur die Zeit, d. h. die Lebensaltersstufen, als unabhängige Variable und das in der Entwicklung befindliche Individuum als in dynamischer Abhängigkeit von sämtlichen (einschließlich sozialen) Umweltbedingungen stehend 51 , wird die Aufgabe virulent, "die Genene Stufen zu untergliedern; hierbei ist die der familiensoziologischen Forschung entstammende Dreiteilung der sich gegenseitig voraussetzenden Stufen der "Soziabilisierung", der "Enkulturation" und der - für die Altersstufe der Jugendlichen und Heranwachsenden im Jugendstrafverfahren in erster Linie bedeutsamen - "sekundären sozialen Fixierung" (Claessens 1972 [1962], 28 f.) bekannt geworden, die auch vom erziehungswissenschaftlichen Schrifttum rezipiert worden ist (s. etwa Rückriem 1970,270 ff.). .. s. zu diesem Verständnis etwa noch Derbolav 1959, 3 ff. 49 s. etwa Tausch/Tausch 1977 (1963),28 f.: ,,Erziehung ist ein gegenseitig befriedigendes, das bedeutsame Lernen und die Persönlichkeitsentwicklung förderndes Zusammenleben von Menschen ... Den konkret gelebten zwischenmenschlichen Beziehungen kommt ... eine hohe Bedeutung zu. Sie sind zu einem wesentlichen Teil Erziehung" (Hervorhebung im Original). - Tendenziell wird aber auch der lernpsychologische Begriff des Lernens zugrundegelegt (vgl. etwa CorreU 1974 [1969], passim; s. dazu u. c)). 50 Wegen der verschiedenen (modellhaften) Vorstellungen vom Entwicklungsbegriff selbst s. Thomae (1972 [1959], 13 bis 15), der Entwicklung definiert "als Reihe von miteinander zusammenhängenden Veränderungen, die bestimmten Orten des zeitlichen Kontinuums eines individuellen Lebenslaufs zuzuordnen sind" (a.a.O., 15; im Original gesperrt). 5' Vgl. Oerter 1980, 178.

II. Außerjuristische Ersetzung durch den Sozialisationsbegriff

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samtentwicklung des Menschen in eine umfassende Sozialisationstheorie einzuordnen "S2 . Auf diesem Weg wird auch in der Entwicklungspsychologie an den Sozialisations begriff angeknüpft, indem insbesondere die Internalisation, als die individuelle Komponente der Übernahme bzw. VerinnerlichungS3 von sozialen Normen und u. U. daran anknüpfendem entsprechenden Verhalten s4 , inhaltliche und begriffliche Verwendung findet, um der Untersuchung der sozialen Entwicklung neben derjenigen (klassischen) der kognitiven Entwicklung die notwendige Beachtung zukommen zu lassen ss . Der Vorgang der sozialen Normübernahme und der Verhaltensanpassung selbst konnte aber bisher nicht auf den Begriff gebracht werden. Denn auch innerhalb der Entwicklungspsychologie wurde mit demjenigen Begriff operiert, den man als eigentliches Analogon zum Erziehungsbegriff der Pädagogik bezeichnen könnte, dem des Lernens. c) Der Lernbegriff innerhalb der Psychologie entstammt experimenteller (lernpsychologischer ) Persönlichkeitsforschung als Teil der Allgemeinen Psychologie s6 • In seiner rein definitorischen Form ist er aber theoretisch-experimenteller Natur und kein praktischer AnwendungsbegriffS 7 • In dieser Bedeutung blieb er im Grundsatz auf die Frage der funktionalen Beziehung zwischen einer konkreten Reizsituation und einem Reaktionsspektrum beschränkt, ohne die Gründe hierfür zu klären. Er bleibt auch empirisch (i.S.d. Forschungsmethodik), wenn er - wie in der empirischen Ausrichtung der Erziehungswissenschaft vorgeschlagen S8 - mit dem Begriff des Oerter 1980, 177. s. Klima 1978,707. 54 Oerter 1980, 178. 55 Oerter ebd. - Selbstverständlich ist hierbei, daß die Untersuchung und Berücksichtigung von Sozialisationsprozessen nicht unabhängig von Reifungsprozessen geschehen kann (vgl. auch Mon ta da [1982, 50 f.], der im übrigen keinen prinzipiellen Unterschied zwischen Sozialisation und Entwicklung anerkennt). 56 s. zum Lernbegriff etwa Bergius (1971, 10), der Lernen definiert als "Verhaltensänderung aufgrund von Erfahrung bzw. Information einschließlich der Entstehung neuen Verhaltens." 57 Dies zeigt sich deutlich, wenn an sich lerntheoretisch orientierte Forscher den Sozialisationsbegriff (verkürzend) verwenden, um damit bestimmte Verhaltensweisen von Eltern und sonstigen Angehörigen gegenüber Kindern zu bezeichnen; insofern besteht weitgehende begriffliche Identität mit den termini "child-rearing" bzw. "child-training" (s. Aberle 1961, 387 f.; vgl. hierzu auch Fend 1970, 33). 58 Klauer 1973, 29 ff., 47 f., 64 ff. - Klauer "intentionalisiert" hierbei aber 52

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S 2 B) Klärung des Erziehungsbegriffs

Lehrens verknüpft wird, um äußere intentionale Einwirkungen auf das Individuum einzubeziehen. Entscheidend für das Verhältnis zum Sozialisationsbegriff dürfte aber sein, daß dieser den Lernbegriff einschließt 59 , wie jedenfalls insofern unstreitig sein dürfte, als soziales Lernen, enger gefaßt Erlernen von Sozialverhalten, gemeint ist 60 • Im übrigen aber ist der zusätzliche Gehalt eines Lernbegriffs für die vorliegende Untersuchung ohnehin nicht unmittelbar von Bedeutung61 •

IH. Die Verwendbarkeit des Sozialisationsbegriffs im Jugendstrafrecht

Die Übersicht zum gegenwärtigen Stand außerjuristischer Wissenschaft im Bereich der "Erziehung" dürfte eine weithin einheitliche Tendenz belegt haben, anstelle des Begriffs der "Erziehung" denjenigen der "Sozialisation" zu verwenden. Da das Jugendstrafrecht keinen originären Erziehungsbegriff kennt 62 , besteht schon deswegen ein grundsätzliches Bedürfnis nach entsprechendem begrifflichen Wandel. Dies gilt ungeachtet der Frage, ob der Sozialisationsbegriff in dem hier vertretenen weiten Sinn gefaßt werden sollte, auch deshalb, weil im jugendstrafrechtlichen Schrifttum bisher dem den Lernbegriff, wenn er ausführt (a.a.O., 45): "Die behavioristische Tradition definiert Lernen als eine besondere Klasse von Verhaltensänderung. ( ... ) Die Verhaltensänderung als solche kann aber nicht Ziel der Pädagogik sein. Lernen ist vielmehr als ein nicht beobachtbarer Prozeß der Änderung von Persönlichkeitsmerkmalen (sie!) zu betrachten. Die Verhaltensänderung zeigt dann nur den stattgefundenen Lernprozeß an, ist aber nicht identisch mit dem Lernprozeß" (s. in diesem Zusammenhang aber krit. Holzkamp 1965). 5. Nicht eindeutig Zweiter Familienbericht, BT-Dr. 7/3502, 13. 60 s. hierzu auch Eyferth 1964 (1959), der im übrigen dem experimentellen Lernbegriff diesbezüglich nur eingeschränkte Bedeutung zuzumessen scheint (a.a.O., 349). - Ohnehin bildet das Verhältnis zwischen Sozialisations- und Lernbegriff für psychologen keinen Gegenstand der Auseinandersetzung; in der grundsätzlichen Annahme einer Vereinbarkeit beider Begriffe in der praktischen Anwendung sind ledi~lich unterschiedliche definitorische Gewichtungen zu konstatieren (s. etwa Hojstätter 1967, 33: "Sozialisation im weitesten Sinne beinhaltet das Bedürfnis und die Fähigkeit zu lernen" [Hervorhebung im Original]; Oerter 1967, 15 f.: "Sozialisation wird allgemein als Lernvorgang gefaßt, d.h. als sukzessive Verhaltensänderung auf Grund von äußeren ,Einflüssen' und ,Reifung' "; vgl. auch Montada 1982,49). 6' Zu den (motivatorisch-sozialen) Dimensionen des Lernens, insbesondere der Unterscheidung zwischen "Bekräftigungs-" und "Identifikations- oder Imitationslernen" (vgl. Heckhausen 1970a [1966], 165), s. noch u. F) 1. Abschn. 11. 2. b). 62 Vgl. o. I. 2. a).

III. Sozialisationsbegriff im] ugendstrafrecht

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intentionalen und damit nach vorherrschendem Verständnis zu engen, weil unbewußte Wirkungsfelder des Jugendstrafverfahrens vernachlässigenden, Erziehungsbegriff der Vorzug gegeben wurde 63 • Obschon eine Auswechselung von Begrifflichkeiten zunächst nur die formelle Handlungsebene angeht 64 , kann es nicht darum gehen, den Zielbegriff der Auslegung mit einem zeitgemäßeren Etikett zu versehen. Daß die zunehmende Verwendung des Sozialisationsbegriffs innerhalb außerjuristischer Wissenschaften durchaus von inhaltlichen Konsequenzen ausgehend geführt wird, sollte die obige Übersicht 65 ergeben haben. 1. a) Gleichwohl scheint ein zunächst eher formal wirkender Gesichtspunkt 66 entscheidend für die Übernahme des Sozialisationsbegriffs im Jugendstrafrecht zu sprechen 67 : Wie in der Untersuchung der historischen Entwicklung des topos "Vorrang des Erziehungsgedankens" dargelegt, wurde dessen Bedeutung zwar niemals inhaltlich geklärt, die Diskussion um den ihm zugrundeliegenden Erziehungsbegriff in seinen Konsequenzen aber stets inhaltlich anwendungsbezogen geführt 68 • Dies führte zu keinem brauchbaren Ergebnis, weil die Bestimmungs- und Begrenzungsfunktion des Begriffs vernachlässigt und - je nach den verschiedenen rechtspolitischen Auffassungen - der zugrundegelegte Begriff mit inhaltlichen Konzeptionen überfrachtet wurde. Dieses Problem ließe sich bei Verwendung des Sozialisationsbegriffs zumindest dann mildern, wenn dessen weitestes Verständnis zur Grundlage genommen würde 69 • Zwar hat auch die Diskussion um die Weite des Sozialisationsbegriffs konzeptionelle Anwendungsinteressen zu Tage gefördere o . Sieht .3 s. insbesondere Peters (1960, 14), obschon er grundsätzlich bereits ein dem Sozialisationsbegriff nahekommendes Erziehungsverständnis darlegt (a.a.O.,l1). 64 s. zur Unterscheidung zwischen Erziehungsbegriff, Erziehungsinhalt und Erziehungsziel grundsätzlich etwa o. I. 1., 11., IV. 1. a) und im einzelnen u. F) 2. Abschn . •5 s. o. 11. .. Als formal läßt sich dieser Gesichtspunkt allerdings wohl n ur bezeichnen, wenn - wie in der vorliegenden Untersuchung - zwischen Begriff, Inhalt und Ziel entsprechend scharf unterschieden wird . •7 Einschränkend hinsichtlich des Verständnisses eines "Sozialisationsdefizits" bzw. "unterschiedlicher Sozialisation" (betreffend das allg. Strafrecht) aber Eisenberg 1979, 533 f.; zur methodologischen Begr. s. u. F) 1. Abschn. I. 68 s.o. A) I. 2. a. E. .. s.o. I. 2. cl. - Für eine Verwendung des Sozialisationskonzepts (auch) im Jugendstrafrecht bereits Kaiser 1977,29 f.; weniger deutlich Ders. 1983, 351. 70 s. z.B. o. I. 2. b).

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S 2 B) Klärung des Erziehungsbegriffs

man aber, wie hier vorgeschlagen wird, die Begriffswahl vorrangig unter dem Aspekt der Bestimmtheit und Eindeutigkeit, um Bedingungen für eine überprüfbare Gleichheit in der rechtlichen Anwendung des Begriffs (und bereits dadurch für die Rechtssicherheit) zu setzen, und unterscheidet man hinreichend zwischen Begriff, Inhalt und Ziel, so hindert die Begriffsgeschichte des terminus "Sozialisation" nicht dessen Verwendung im weitesten Sinne. Denn zum einen umfaßt eine entsprechende Verwendung sämtliche konzeptionell intendierten Begriffsbeschränkungen einschließlich alternierend verstandener Begriffe (als Subbegriffe) und ermöglicht dadurch den Verzicht auf konzeptionelle Vorentscheidungen inhaltlicher Art, die zwangsläufig zu divergierendem Verständnis bei gleicher Wortwahl und damit zu Rechtsunsicherheit führen. Trotz der Weite eines entsprechenden Sozialisationsbegriffs ist zum anderen aber auch die Begrenzungsfunktion gegeben; insofern nämlich gilt dies, als der definitorische Rahmen - im Gegensatz zu herkömmlichen Erziehungsbegriffen - zwar kein konzeptionelles Verständnis inhaltlich ausschließt, gleichwohl aber von anderen Vorgängen im Kontext der Persönlichkeitsentwicklung abgrenzt 71. b) Zugleich sind mit der Verwendung des Sozialisationsbegriffs im Jugendstrafrecht wesentliche materiale Vorzüge verbunden, soweit jedenfalls die Annahme begründet ist, daß Begriffe als "Kristallisationsnormen" des wissenschaftlich-theoretischen wie des pragmatischen Denkens die Ebenen potentiellen Erkenntnisgewinns sowie die Bereiche der Informationsverarbeitung beeinflussen 72 • aa) Dies betrifft etwa die Erwartung, daß Wirkungen des Jugendstrafverfahrens selbst, auch soweit sie weder beabsichtigt noch Funktion rechtspolitischer Vorentscheidungen des Gesetzgebers sind, in die - insbesondere richterliche Entscheidungsfindung einbezogen werden 73.

71 Dies gilt insbesondere für den Prozeß der biologischen Reifung; vgl. auch o. Fn. 50. n Insofern würde man bereits zur weitergehenden Interpretation gelangen, wenn man die folgende Gewichtung von Peters (1972, 502) zugrundelegte: "Begriffliche Änderungen brauchen nicht immer Zeichen einer inhaltlichen Verschiebung zu sein. Sie können unter Umständen nur eine Klarstellung, einen Verzicht auf einen verbrauchten Ausdruck und eine Anpassung an Begriffsbildung im außerrechtswissenschaftlichen Bereich bedeuten. Begriffswandlungen können aber auch Zeichen einer veränderten geistigen Haltung und damit inhaltlich der Ausdruck neuer Vorstellungen sein." 73 Das Jugendstrafverfahren könnte in diesem Sinne als "Sozialisationsfeld" begriffen werden.

III. Sozialisationsbegriff im Jugendstrafrecht

73

bb) Ohnehin ermöglicht es der Sozialisationsbegriff ungleich eindeutiger als der Erziehungsbegriff, funktionale und nicht lediglich intentionale Elemente der Einwirkung zu berücksichtigen 74.

c) Ein weitergehender Effekt wäre darin zu sehen, daß die Verwendung des Sozialisationsbegriffs es nahelegt, das Jugendstrafrecht von seinen Funktionen her zu begreifen und dieses Verständnis in die praktische Anwendung des JGG umzusetzen. Insbesondere ist damit der Anschluß der Praxis an Verständnisebenen wie der des Konzeptes von Sozialisation und sozialer Kontrollen eröffnet. aa) Dem liegt die Vorstellung zugrunde, daß Einzelpersonen oder mehrere Mitglieder einer Gruppe über ein System kombinierter Verhaltensweisen, bestehend aus Strategien, Handlungen, Urteilen etc., verfügen, um erwünschtes Verhalten bei anderen Personen herbeizuführen. Entsprechen sich die sozialen Verhaltenserwartungen der Menschen (komplementär), besteht ein relatives Gleichgewicht mit der Folge, daß sich die Erwartungen zu Rollen stabilisieren und verfestigen können, d. h. bestimmten Personen werden nach Merkmalen wie Alter, Geschlecht, Beruf etc. bestimmte Gruppen von Erwartungen zugesprochen, wodurch zugleich eine Zuordnung von Macht, Gütern, Prestige etc. erfolgt; ist diese Zuordnung integriert und durch ein System von Normen und Werten, über welches Konsens besteht, legitimiert, wird von diesem System komplementärer Rollenerwartungen als einem sozialen System gesprochen. Zur tendenziellen Erreichung und Sicherung dieses Zustandes bestehen die Mechanismen der sozialen Kontrolle und der Sozialisation, um Abweichung von Rollenerwartung zu steuern und Konformität anzustreben 76. Soziale Kontrolle beschreibt dabei mehr die von anderen Personen ausgehende Verhaltenskontrolle, Sozialisation eher die Verinnerlichung der Rollenerwartungen seitens des

74 Die geradezu vorrangige Bedeutung der funktionalen gegenüber den intentionalen Elementen der Sozialisation im Jugendstrafverfahren wird besonders wichtig, wenn man das Sozialisationsziel des Jugendstrafverfahrens auf das Legalverhalten beschränkt (s. im einzelnen u. IV. 1.; bedenklich die Annahme generalpräventiver Funktionselemente im Ermittlungsverfahren bei Bottke 1983, 88) und dieses nur an dem Moment äußerlich erkennbarer Anpassung mißt (vgl. auch BGHSt 24, 64), und zwar aus der begründeten Annahme heraus, daß die Entwicklung sozialer Handlungsfertigkeiten, die Ausprägung sozialer Persönlichkeitsdimensionen und die Förderung sozialer Mobilität keine Sozialisationsleistung des (J ugend-)Strafrechts selbst sein kann, sondern dieses dieselben nur vorzubereiten in der Lage ist, damit entsprechende Sozialisationsleistungen durch andere Leistungsträger angeboten werden; im übrigen hat sich das (J ugend-)Strafrecht darauf zu beschränken, die Möglichkeiten späterer Nachsozialisation nicht (etwa durch Verstärkung von Fehlhaltungen) zu beeinträchtigen (s. näher u. IV. 1.). 75 Der Begriff dürfte auf Ross 1901 (1896) zurückgehen; vgl. zur Begriffsgeschichte aber auch König 1967 (1958), 277 ff. 76 s. zum ganzen grundlegend Parsons 1951.

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S 2 B) Klärung des Erziehungsbegriffs

Individuums selbst. Allerdings wird davon ausgegangen, daß zwischen beiden Begriffen weithin materielle Identität besteht 77 78. bb) Dieser Mechanismus allg. Sozialkontrolle erhält in komplexen Gesellschaften institutionalisierte und statusabhängige Formen spezieller oder formeller 79 Sozialkontrolle. Der tendenziell bestmöiichste Kontrolleffekt des Konsenses zwischen den Gesellschaftsmitgliedern 8 ist etwa schon wegen des Umstandes, daß ständig die heranwachsenden Personen die Grundlagen der an sie gestellten Rollenerwartungen erst erlernen und sich aneignen müssen, nicht erreichbar, so daß diese Vorgänge in von Generation zu Generation ähnlich strukturierten und vergleichbare Verhaltens bereiche umfassenden Bahnen erfolgen können müssen. In diesem Sinne ist auch das Jugendstrafrecht in seiner Anwendung in Verfahren ein Bereich spezieller Sozialkontrolle81 bzw. - entsprechend dem weiten Verständnis - eine besondere Sozialisationsinstanz.

cc) Wird an dieses Verständnis angeknüpft, eingeleitet durch die vorgeschlagene Begriffswahl, könnte sich in der Praxis ein auf Konsens als dem wirksamsten Kontrollmechanismus ausgerichtetes, entsprechend differenziertes Spektrum von Einwirkungsformen entwickeln. Zugleich würde der Stellenwert des Jugendstrafrechts in seiner funktionalen Bedeutung gegenüber sonstigen Instanzen und Ausgestaltungen der Sozialisation deutlich, was zu komplexen, bereichsübergreifenden, wenn nicht tendenziell integrativen Reaktionen führen könnte. Hierin steckt innovatives Potential, das zum sozialen Wandel 82 im Jugendstrafverfahren ohne Gesetzesänderungen bis hin zur konzeptionellen Integration mit dem Jugendhilferecht in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle beitragen könnte 83 • 2. Für die Verwendung des Sozialisationsbegriffs im Jugendstrafrecht spricht zudem der Stand der Diskussion um die Begriffe Erziehung bzw. Sozialisation in anderen Bereichen vornehmlich des Ju77 Eisenberg 1979, 4. - Dies spricht zusätzlich für die Verwendung eines weiten Sozialisationsbegriffs (s.o. 11. 2. c)). 78 Wegen der uneinheitlichen Verwendung und Definition des Begriffs der Sozialen Kontrolle s. im übrigen Wolf! 1969 m.N. Die Bezeichnungen werden im wesentlichen als deckungsgleich behandelt (s. etwa Matzke 1982, 152). 80 s. etwa Kaiser 1972, 5, 1l. 81 s. Kaiser 1977, 116 ff.; vgl. auch o. Fn. 69. 82 Zur Annahme eines Wandels der Sozialkontrolle bei Jugendlichen in der Gegenwart s. v. Trotha 1982, 269; vgl. dazu bereits o. A) Fn. 4. 83 Auf die Möglichkeiten sozialen Wandels im Rahmen von Gesetzesanwendung soll hier nicht näher eingegangen werden. Die Wirkung von (weithin geschlossenen) Normensystemen neben dem Gesetz dürfte jedenfalls bereits gegenwärtig nicht zu bestreiten sein (s. zu "behördeninternen Handlungsnormen" Eisenberg 1979, 349 bis 355).

7.

IH. Sozialisationsbegriff im Jugendstrafrecht

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gendrechts. Diese Entwicklung wird auch nicht deshalb ohne Berücksichtigung bleiben können, weil es an einer (gesetzgeberischen) Gesamtkonzeption des Jugendrechts fehlt oder gar nur, weil eine Integration von Jugendstrafrecht und Jugendhilferecht in historischer Betrachtung nicht gelungen und für die Zukunft nicht absehbar ist 84 • Denn die Verzahnung der kodifizierten Rechtsbereiche wird für notwendig erachtet 85 und ergibt sich geradezu zwingend daraus, daß ihre Legitimatibn 86 jeweils auf der Erforderlichkeit jugendgemäßer Einwirkung und damit auf Aspekten altersspezifischer Sozialisation beruht. a) In der Diskussion um die Ablösung des jHlG durch ein Jugendhilfegesetz ist der Begriff der Sozialisation zunehmend erörtert worden. Die Zurückhaltung einzelner Kommentatoren 87 gegenüber einer Rezeption des Sozialisationsbegriffs im Rahmen des geltenden § 1 Abs. 1 JWG entspricht zwar dem überkommenen Verständnis von Erziehung88 und wäre dann immerhin konsequent, wenn die Formulierung in § 1 Abs. 1 JWG als (Erziehungs-)Orientierung aufgefaßt werden würde, die eine zunächst formale begriffliche Änderung nicht zugleich zuließe; sie entspricht aber nicht der zunehmend überwiegenden Auffassung (auch unter Praktikern) im Jugendwohlfahrtsrecht, die den Begriff der "Sozialisation" den beschränkenden Begriffen "Erziehung" und "Bildung" vorziehen wi1l 89 • Auch die gesetzgeberischen Entwürfe zu einem Jugendhilferecht haben, ohne allerdings auf die Verwendung des Erziehungsbegriffs konsequenterweise zugunsten des weiten Sozialisationsbegriffs zu verzichten, teilw. betont, sie verwendeten den Erziehungsbegriff im Gesetz in einem "weitgefaßten Sinne", der "sowohl Personalisation und Sozialisation als auch Betreuung und Bildung" umfasse 90 • Ganz deutlich spricht sich der (3.) Jugendbericht der Bun-

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s. hierzu o. A) VI.

8' Vgl.o.A)VI.

Zum Ziel s.o. I. 2. janslHappe 1971, § 1 Anm. 8. 88 s. grundsätzlich o. 11. 1. a) und für den Bereich des JWG etwa Potrykus 1972, § 1 Anm. 2. - Münder u.a. (1981, § 1 Anm. 2) verwenden die Begriffe offenbar deckungsgleich. 89 s. Hübner-Funk 1973, 174; Greese 1974, 90; vgl. auch Rothe 1975, 18. 90 So deutlich Arbeitsgemeinschaft für jugendhilfe (AG]) 1977, 12; gleichlautend Begr. zum RegE-JHilfeG 1979 (BT-Dr. 8/2571, 53). Der DE-JHilfeG 1973 verwendete in § 1 Abs. 1 Satz 1 noch die Begriffe "Erziehung und Bildung", verstand sie aber als "einander ergänzende Faktoren im Prozeß der Persönlichkeitsbildung und Sozialisation (!) des jungen Menschen" (Bundesminister für Familie, jugend und Gesundheit 1973, Begr. S. 63). (Der JHilfeG-E [BT-Dr. 8/4010, s. auch BT-Dr. 8/4080] sprach schließlich in § 1 Abs. 1 von einem Recht auf "Erziehung" [als Rechtsgarantie (vgl. noch u. E) 1. Abschn. I. 1. b aa))] - im Gegensatz noch zu § 1 Abs. 1 Satz 1 RegE-JHilfeG 1979 [so auch § 8 SGB-AT], wobei zwar "Erziehung" teilw. "in weitestem Sinne" als 86 87

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§ 2 B) Klärung des Erziehungsbegriffs

desregierung von 1972 91 , der der Diskussion um ein neues Jugendhilferecht vorausging und sie wesentlich mitbestimmte, für die Aufgabe des Erziehungsbegriffs zugunsten des "sehr viel umfassender( en)" Sozialisationsbegriffs aus, "der sich in den sozialwissenschaftlichen Erörterungen der Erziehungsproblematik zunehmend durchgesetzt hat,,92; zur Begründung wird u.a. von der "historisch wandelbare(n) Größe" eines Erziehungsbegriffs gesprochen, dem gegenüberstehe, "daß es heute ein wissenschaftlich fundiertes Wissen darüber gibt, daß bestimmte grundlegende Bedürfnisse befriedigt sein müssen, damit Sozialisationsprozesse überhaupt in Gang kommen,,93 . b) Auch unter (allg.) sozialrechtlicher Fragestellung wird der Begriff der Erziehung nicht mehr nur umfassend interpretiert 94 , sondern es wird - in Auslegung des § 8 SGB-AT und unter erweiterter Interpretation seiner Ziele im Verhältnis zu § 1 Abs. 1 JWG 95 - von (Jugendhilfeleistungen zur) "Sozialisation" gesprochen 96, und es werden Elemente "geglückter,,97 Sozialisation als Zielprojektionen vorgeschlagen 98. c) Ähnlich wird im (familienrechtlichen ) Bereich der § § 1666, 1666a BG B der terminus "familiale Sozialisation" verwendet 99 , und es wird im Rahmen der Entscheid~mgen zum Begriff des "Kindeswohls" teilw. verlangt, nicht lediglich Einzelaspekte, sondern die "Gesamtheit der Sozialisationsfaktoren" zu berücksichtigen 100, soweit überhau~t versucht wird, den unbestimmten Gesetzesbegriff inhaltlich zu bestimmen 1 1. "Personalisation" verstanden wurde [So BT-Dr. 8/2571, 59 (Begr. zu § 2 Abs. 1)], nach Umschreibung an anderer Stell aber auch "Sozialisation" umfaßte [BT-Dr. 8/2571, 53].). 91 BT-Dr. VI/3170. 92 BT-Dr. VI/3170, 151 Fn. 1 zu Teil IIl. (r.Sp.). 93 BT-Dr. VI/3170, 89 . ... s.etwa Schellhorn 1976, § 8 Rn. 27; vgl. noch u. E) 1. Abschn.I.1. b) aa). 95 Schellhorn 1976, § 8 Rn. 28. - Die Funktion der Bestimmung ist allerdings in Fortführung des Meinungsstreits zu § 1 Abs. 1 JWG - nicht zuletzt wegen der Zurückhaltung des Gesetzgebers - weiterhin umstritt~n (s. nur Schellhorn 1976, § 8 Rn. 9, 10, 26; Rode 1979, § 8 Rn. 4,5,6; Gruner 1980, Art. I § 8 Anm. I; Hauck/Haines 1976, § 8 Rn. 8; vgl. u. E) 1. Absch. I. 1. b) aa)) . .. Schellhorn 1976, § 8 Rn. 28; ähnlich Rode 1979, § 8 Rn. 9; wegen der Art der Sozialleistungen s. grundsätzlich Amtl. Begr. zu § 8 SGB-AT (BT-Dr. 7/868,24). 97 Rode 1979, § 8 Rn. 10 m.N . .. Ebd. .. s. schon Zweiter Familienbericht der Bundesregierung (BT-Dr. 7/3502, IX, 13,58); vgl. auch Münder 1981, vor H 1626 ff. Rn. 6. 100 Münder 1981, H 1666, 1666a Rn. 7, auch Rn. 18. 101 Dies geschieht etwa nicht bei Ronke 1981, S 1666 Rn. 6. - Betreffend "familiale Sozialisation" wird mitunter noch von elterlicher "Erziehung" gesprochen, wobei aber schon eine extensive Definition dahin vorherrscht, Erziehung sei "die Sorge für die sittliche, geistige und seelische Entwicklung des Kin-

III. Sozialisationsbegriff im Jugendstrafrecht

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3. Schließlich ist auch im strafrechtlichen Bereich die Verwendung des Sozialisationsbegriffs bereits eingeführt. Unabhängig von der kontrovers diskutierten Frage um seine inhaltliche Ausgestaltung wird straftatfolgenbezogen das Vollzugsziel des § 2 Satz 1 StVollzG, wenn auch unter Vermengung von Begriff und inhaltlichem Ziel, unter dem terminus der "Re-Sozialisierung" geführt 102 • Dieses an sich für die Verwendung des Sozialisationsbegriffs im Jugendstrafrecht sprechende Beispiel zeigt aber auch, wie notwendig eine zunächst formale Begriffsbestimmung sein kann. Denn der Begriff der "Re-Sozialisierung" wurde von vergleichbaren Grundbegriffen strafrechtlicher Folgenorientierung103 nicht abgegrenzt, so daß völlige begriffliche Unklarheit besteht 104 , gleichwohl aber eine zielorientierte inhaltliche Begrifflichkeit verwendet wird. Die Folge ist, daß man sich über den Inhalt des Ziels "Re-Sozialisierung" nicht einig ist und sich nach verschiedentlich geäußerter AuffassunglOS auch nicht absehbar einig werden könne. Wenn demgemäß für den Bereich des Erwachsenenstrafvollzugs bereits frühzeitig geäußert wurde, Begriff und Inhalt von "ReSozialisierung" hätten sich "zu einem rechtlich und praktisch verwertbaren Inhaltsgefüge des Vollzugs nicht verdichtet", man solle sich deshalb bei der Begrifflichkeit nicht aufhalten, wenn man in dem "spezialpräventiven Anliegen", der Gefangene müsse "lerne(n), sich straffrei zu verhalten", übereinstimme 106 , so spricht dies eher für die vorstehenden (und nachfolgend unter IV. behandelten) üb erledes, ... der Inbegriff aller pädagogischen Maßnahmen, durch die das Kind zur Mündigkeit (Erwachsensein) gelangen soll" (PalandtlDiederichsen 1985, S 1631 Anm. 2, wo allerdings - im Gegensatz etwa zur Aufl. von 1979 [§ 1631 Anm. 2] - nunmehr die Sorge um die körperliche Entwicklung nicht mehr der Erziehung, sondern der "Pflege" zugeordnet wird). 102 Der Begriff ist allerdings schon deshalb verfehlt, weil er den unzutreffenden Eindruck erweckt, Verstöße gegen die Strafgesetze an sich (oder aber Vollzug von Freiheitsstrafe) habe mit dem Verlust von erfolgter Sozialisation zu tun, während es nach allg. empirischen Erkenntnissen darum geht, Sozialisationsformen i. S. eines Ausgleichs von Sozialisationsdefiziten (nebst allg. Mängellagen) ggf. nachzuholen. 103 Vgl. z. B. auch § 46 Abs. 1 Satz 2 StGB; s. grundsätzlich zum Konzept der Folgenorientierung Wälde 1979, für den Bereich des Strafrechts insbesondere aufgegriffen von Hassemer 1981, etwa S. 39. 104 Dies gilt insbesondere für das Verhältnis dieses Begriffs zu demjenigen der "Besserung" und der "Erziehung". So heißt es etwa noch bei Blei 1983, 3 7 6: "Besserung (Resozialisierung) ist ... in erster Linie ,Erziehung'." 105 s. insbesondere Eser 1977, 276 ff., ebenso Hassemer 1981, 267. 106 Schüler-Springorum 1969, 157.

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§ 2 B) Klärung des Erziehungsbegriffs

gungen. Es erscheint jedenfalls auf einer eher verkürzten Sicht der bloßen Situation des Freiheitsstrafenvollzugs zu beruhen, wenn im Gegensatz zum hier vertretenen Lösungsansatz - bereits wieder die Aufgabe des (Re-)Sozialisierungsbegriffs zugunsten eines "Erziehungs"-Begriffs im Bereich des Erwachsenenstrafvollzugs gefordert wird 107 , und zwar ohne auf die damit verbundene verfassungsrechtliche Problematik einer Erziehung von Erwachsenen näher einzugehen 108. Einem Erziehungsbegriff im Erwachsenenstrafvollzug, der "i. S. v. Training, Begegnung, Behandlung" mit der Begründung inhaltlich gefaßt würde, "die zu leistende Aufgabe (sei) erzieherische Tätigkeit, vor allem intentionale Erziehung, während die funktionale Erziehung in der Strafanstalt unter ungünstigen Bedingungen steh(e)"109, ermangelte es erneut an der inhaltlichen Bestimmtheit; zugleich würde er gerade das Sozialisationspotential in der Interaktion gedanklich vernachlässigen und auf absichtsvolles, persönlichkeitsprägend gedachtes Verhalten beschränkt bleiben, während doch selbst aus der auf den stationären Freiheitsstrafenvollzug beschränkten Sicht anerkannt ist, daß funktionales Handeln, z. B. vorbereitende Arbeitsbeschaffung, für die Erreichung des allg. Vollzugsziels i. S. v. § 2 Satz 1 StVollzG unabdingbar ist. Dies leitet zu der Frage über, ob die vorgeschlagene Verwendung eines weiteren Sozialisationsbegriffs brauchbar bleibt, sofern dieser formale Begriff zu dem inhaltlichen Ziel des Jugendstrafrechts und nicht etwa nur des Jugendstrafvollzugs - in Bezug gesetzt wird. IV. Die Orientierung des Sozialisationsbegriffs: Das Ziel des Jugendstrafrechts

1. a) Es erscheint zunächst plausibel, analog der Untersuchung der Entwicklung des außerjuristischen Begriffs der Erziehung in den damit befaßten Wissenschaften zu verfahren und entsprechend das Ziel jugendstrafrechtlicher Gesetzesanwendung zu bestimmen. Dieser Versuch wäre aber von vornherein zum Scheitern verurteilt. Zwar wäre es - trotz der Vielfalt von Erziehungszielen innerhalb der Pädagogik - wohl noch möglich, diese in einem Spektrum der Konkordanz zu erfassen. Sofern sich aus verfassungskonformen Erziehungs- bzw. Sozialisationszielen der Pädagogik Konsequenzen für Dimensionen des Erziehungsverhaltens ("Erziehungsstile") ergeben, die im Jugendstrafverfahren von Bedeutung sein könnten, soll 101

108 109

Feige 1982, 323 ff. Vgl. dazu BVerfGE 22,180 ff. Feige 1982,330.

IV. Ziel des Jugendstrafrechts

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dies an späterer Stelle auch versucht werden '1o • Die Darlegung eines pluralistischen Spektrums pädagogischer Erziehungs- bzw. Sozialisationsziele liegt aber deswegen neben der Sache, weil ein normatives Ziel des Jugendstrafrechts festgelegt ist, an dem sich auf Sozialisation orientierte Bemühungen auszurichten und auf das sie sich zu beschränken haben. Es ist dies die Legalität, genauer das Legalverhalten i. S. d. geltenden Straftatbestände 111 , wobei betont werden muß, daß das Ziel grundsätzlich nicht Legalbewährung unter jedweden (äußeren oder aber nur vollzugsinternen) Bedingungen, sondern Legalbewährung in Freiheit ist, d. h. unter den Bedingungen der Außengesellschaft 1l2 • Diese Zielbestimmung ergibt sich bereits daraus, daß die Sonderstellung des Jugendstrafrechts außerhalb des Jugendhilferechts dadurch veranlaßt ist (und bisher Bestand hat 1l3 ), daß sein Reaktion~sy~~e'P:, ungeach~et sonstiger Voraussetzungen, stets ein Verhalten zum Anlaß hat, welches nach allg. Vorschriften einen Straftatbestand erfüllt 1l4 • Hinzu kommt, daß eine inhaltliche Bestimmung i. S. v. Sozialisationszielen durch den Gesetzgeber im Widerspruch dazu stehen würde, daß die Mittel, um deren Verwirklichung anzustreben, im Verfahren aus rechtsstaatlichen Gründen erst - und damit häufig zu spät - nach der Zurechnung des strafbaren Verhaltens, d.h. nach der Schuldfeststelhmg, zur Anwendung kommen dürfen 11 5 • b) Das Problem besteht nun häufig darin, daß, wie es für die von Freiheitsentziehung betroffene Gruppe der erwachsenen Verurteilten formuliert wurde, aber weithin verallgemeinerbar zu sein scheint, s.u.F) 2. Abschn. Schon Blau (1958, 732) hat betont daß jugendstrafrechtliche Einwirkung auf eine Anleitung zu normgemäßem, sozialadäquatem Verhalten beschränkt bleiben muß (vgl. o. Fn. 7) und diesen Vorgang als "Sozialisierung" bezeichnet; vgl. für das allg. Strafrecht auch Hassemer (1981, 267). Busch (1983, 63) sieht es offenbar auch als ein Ziel des Jugendstrafrechts an, "für das eigene Handeln gegenüber der Gesellschaft Rechenschaft abzulegen." - Demgegenüber übersieht Bohnert (1983, 520) das beschränkte jugendstrafrechtliche Ziel, wenn er das von ihm wegen der zugrunde gelegten Antinomie zwischen Erziehung und Strafe (s.u. F) 1. Abschn. II. 1. d)) kritisierte Jugendstrafrecht dahin versteht, es gehe ihm unter dem Erziehungsaspekt darum, daß der Jugendliche "ein Anderer" werde. 112 So Eisenberg 1983c, 28 f.; vgl. u. Fn. 118. 113 s.o. A) V. 2., VI. 114 Vgl. § 5 Abs. 1 sowie § 1 Abs. 1 JGG. - Bohnert (1983, 521) will darin nicht den Anlaß, sondern den Grund der Reaktion sehen (dagegen aber Wolf 1984,206). 115 s. schon o. l. 2. b). 110 111

80

§ 2 B) Klärung des Erziehungsbegriffs

"das ,Weniger' bloßen Legalverhaltens ... vielfach nur erreicht werden (kann), wenn das ,Mehr' einer Sozialisation des Täters erfolgreich angestrebt wird"116. Einer Lösung dieses ambivalenten Verhältnisses zwischen jugendstrafrechtlichem Ziel und empirisch begründeter Notwendigkeit käme man näher, wenn die Aufgabenstellung der mit strafrechtlichen Funktionen ausgestatteten Handlungsträger des Jugendstrafverfahrens im übrigen darauf beschränkt bliebe, - in negativer weiterer Funktionsbestimmung - Umstände zu blockieren, die dem Erwerb von Sozialisationspotential, das tendenziell Legalverhalten einschließen könnte, hinderlich sind 117 . Hierbei käme es dieser eingeschränkten Funktion gemäß darauf an, (lediglich) die Voraussetzungen bzw. Bedingungen allg. zu schaffen, damit die vermuteten, für die strafrechtliche Erfassung des Verhaltens maßge blichen Mängellagen angegangen werden können 118. Zugleich 116 Müller-Dietz 1970a, 18 f.; Ders. 1978,78 f.; vgl. auch Hassemer 1981, 267. - Besteht dieses Problem nicht, weil Zusammenhänge zwischen dem Sozialisationsgefüge des Jugendlichen und seinem (zu prognostizierenden zukünftige!!) Legalverhalten nicht bestehen, kann es demgemäß bei der Reaktion, ein Verfahren gegen ihn geführt zu haben, mitunter durchaus verbleiben (s. hierzu z.B. noch u. D) Fn. 345 und F) 2. Abschn. II. 1. sowie dort N. in Fn. 106). 117 Ähnlich Peters (1966, 60), der zudem klarstellt, daß der Richter nicht einmal im Jugendarrestvollzug als Vollzugsleiter eine unmittelbare Erzieherrolle spielt. Eine extremere Position nimmt Wolf (1984,256) ein, der -letztlich auf der Grundlage des herkömmlichen (intentionalen) Erziehungsbegriffs (a.a.O., 175 f.) - jedwede sozialisatorische Funktion des Jugendrichters bei der Verhängung jugendstrafrechtlicher Rechtsfolgen - wovon Wolf allerdings die Erziehungsmaßregeln ausnimmt (a.a.O., 257) - bestreitet. Demgegenüber meint etwa Würtenberger, der Jugendrichter erziehe selbst (1970 [1962], 108); so sollen die Tätigkeit in der Hauptverhandlung, die Bewährungsentscheidung, ferner Ermahnung und Verwarnung sowie die Aussprache während des Jugendarrestes "echte unmittelbare Erziehungsarbeit" sein (a.a.O., 113 f.; Hervorhebung im Original). Zu beachten ist aber, daß - ungeachtet des abw. Standpunktes auch Würtenberger die Funktionsdifferenzierung betont, wenn er von der abgestimmten Zusammenarbeit zwischen Jugendrichter und (Bewährungs-)Helfer ausgeht, wenngleich er auch noch die bloße "Erziehungsleitung" des Jugendrichters im Rahmen der Bewährungshilfe als spezifisch pädagogische Tätigkeit versteht (a.a.O., 116 f.). 118 s. für das allg. Strafrecht ähnlich Hassemer 1981, 267 f. - Hinsichtlich der Bestimmung von "Mängellagen" ist eine differenzierte Betrachtung angeze.igt. So läßt sich die Bewertung eines Sozialisationsdefizits für die überwiegendeMehrheit selbst noch der Jugendstrafgefangenen lediglich daran fixieren, daß die von den Jugendlichen gewählten Methoden zur Verwirklichung allg. erstrebter Ziele illegal waren und deren Anwendung strafrechtlich verfolgt wurde. Insoweit ist zu berücksichtigen, daß Verhalten als Methode zur Verwirklichung von Zielen vornehmlich auch von Einstellungen abhängt, die sich nur verändern, sofern sich das Bewertungssystem verschiebt bzw. entwickelt, wobei dies wohl nahezu ausschließlich nur dann möglich erscheint, falls andere (positive)

IV. Ziel des Jugendstrafrechts

81

aber müßte die letztgenannte Aufgabe selbst von Handlungsträgern ohne (auch) strafrechtliche Funktion (einschließlich des Jugendlichen selbst) in Angriff genommen werden, und zwar nicht nur in dem Verständnis einer Aufgaben-, sondern einer Funktionsdifferenzierung. Die Wahl von Reaktionsformen durch den Jugendrichter beispielsweise gewinnt hierdurch vorbereitenden Charakter (und steckt im übrigen den rechtsstaatlich erforderlichen Rahmen ab), während die nicht strafrechtlichen Handlungsträger "individuell geeignete Angebote"1l9 bereitstellen, um dem Jugendlichen zu ermöglichen, ein Leben ohne (erfaßte) Straftaten führen zu können. Für diese Funktionsdifferenzierung ist auch von Belang, daß sozialisationsintendierte Einwirkung der eigentlichen strafrechtlichen Handlungsträger innerhalb des Spektrums von Sozialisations- und/ oder Kontrollinstitutionen im Vergleich zu derjenigen der elterlichen Erziehungspersonen an dem anderen Extrem liegtl20. Außerdem ist zu berücksichtigen, daß ggf. notwendige staatliche Zwangsmaßnahmen (etwa seitens des Jugendrichters) einem Sozialisationskonzept nicht gerecht werden können l21 • Hinzu kommt, daß die partielle Identifikation von strafrechtlicher Tätigkeit und Bereitstellung von Sozialisationsangeboten zu einer Verflachung, um nicht zu sagen Aushöhlung des Sozialisationsbegriffs (und des damit verbundenen Konzepts), führen kann 122. soziale Erfahrungen, und zwar unter den Bedingungen der (Außen-)Gesellschaft, nicht aber im Falle der Ausgliederung, gemacht werden (so für das allg. Strafrecht Eisenberg 1983c, 28 f.; vgl. ferner N. o. Fn. 67). 119 So die eher Bedürfnisse und Interessen des Jugendlichen und weniger gesellschaftliche Ansprüche und Erwartungen betonende Formulier.ung bei Eisenberg 1985, § 5 Rn. 3. - Aus sozialpädagogischer Sicht hat bereits Mollenhauer (1959, 130) betont, die eigentliche "Erziehungsarbeit" beginne erst, wenn der Richter seine Entscheidung getroffen und die Leitlinien der nachfolgenden Erziehung bestimmt habe; diese Erziehung stelle eine völlig andersartige und eigenständige Aufgabe dar, die der Richter weder durchführen, noch leiten könne (abl. hierzu HauberlMayer-Rosa 1983,489). 120 Geht man von einem - eingeschränkten - Vorrang des Elternrechts nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG auch noch im Jugendstrafrecht aus (vgl. dazu näher u. E) 2. Abschn. II. 1.), ist dieser Aspekt besonders bedeutsam. m "Erzwungene Sozialisation ist eine contradictio in adiecto" (SchülerSpringorum 1969,217; Hervorhebung im Original); vgl. auch Tagungsberichte der Strafvollzugskommission 1968, 74 f. (Schüler-Springorum) , 85 ff. (Ruprecht). - Ohnehin steht dem entgegen, daß Sozialisation keine Eigenschaft ist, die irgendwann einmal als Besitz oder als vermittelt betrachtet werden kann, sondern ein unabschließbarer, das Leben begleitender Prozeß ist, der mit ebensolchen Aufgaben verbunden ist. 122 Ähnlich bereitsPeters (1966,60) für den Erziehungsbegriff. 6 Nothacker

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S 2 B) Klärung des Erziehungsbegriffs

Das (Zwischen-)Ziel der nicht strafrechtlichen Handlungsträger im Jugendstrafverfahren stellt sich somit als (Nach- 123 )Sozialisation nach Maßgabe der Legalverhalten anstrebenden Vorbereitungen des Jugendrichters und der übrigen Handlungsträger mit auch strafrechtlichen Funktionen dar 124 • In diesem Rahmen können allg. Sozialisationsziele in ihrer Bedeutung für die außerjugendstrafrechtlichen Mittel bzw. genauer Sozialisationsstile relevant werden. Soweit sie für die vorbereitenden Maßnahmen der (auch) strafrechtlichen Handlungsträger bedeutsam sein könnten, sind sie - insbesondere bei der Rechtsanwendung - zu berücksichtigen 125 ; nicht gilt dies jedoch - gemäß vorgenannten Überlegungen - betreffend das "Auslegungsziel" selbst. Somit ergibt sich die Konstellation, daß außerjugendstrafrechtliche Sozialisationsziele wegen des konkreten funktinalen Ziels des Jugendstrafrechts unmittelbare Bedeutung im Rahmen der Rechtsanwendung nicht erlangen können; soweit aber allg. Sozialisationsziele außerjugendstrafrechtliche Mittel bzw. - im hier vertretenen Sinn - Sozialisationsstile 126 prägen, werden sie mittelbar auch für die (als vorbereitend verstandenen) Reaktionsformen der Rechtsanwender (= verfahrensbezogene Maßnahmen sowie Rechtsfolgen des JGG) bedeutsam, um die Kontinuität der sozialisationsfördernden Einflußmaßnahme zu gewährleisten 1 27 • 2. Die vorgestellte Funktionsbestimmung des Verhaltens von Handlungsträgern im Bereich des Jugendstrafrechts erschließt nunmehr zusätzlich die Bedeutung der Verwendung eines weitgefaßten 123 Dieses Verständnis erscheint gegenüber dem der "Ersatz"-Sozialisation vorzuziehen zu sein, weil wegen der fortgeschrittenen Persönlichkeitsentwicklung auch bei Jugendlichen nur Versäumtes nachgeholt, aber nicht der Altersstufe angemessen ersetzt werden kann (s. aber Peters 1960,263 im Gegensatz zu S. 27). 124 Dies hätte weitreichende Konsequenzen. Für den Bereich des Jugendstrafvollzugs hieße dies etwa, daß der Jugendrichter als Vollstreckungsleiter neben einer allg. Kontrollfunktion "nur" Aufgaben i.S. eines Supervisors wahrzunehmen hätte, während sämtliche Maßnahmen der Vollzugsdurchführung (einschließlich einer Mitentscheidungsbefugnis bezüglich der Frage einer Beendigung bzw. Aussetzung), begrenzt durch den strafrechtlichen bzw. ordnungsrechtlichen Kontrollrahmen, von Personen mit nicht (jugend )strafrechtlichen Aufgaben der Nachsozialisation zu entscheiden wären. 125 s. daher u. D) bis F). 126 Wegen der Gründe für die Verwendung der Bezeichnung "Stil" (anstatt "Mittel") s. u. F) 2. Abschn. und dort Fn. 92. 121 Zur Frage, inwieweit außerjugendstrafrechtliche Leitvorstellungen über Sozialisationsstile unter den Aspekten juristischer Methodenlehre für die konkrete Gesetzesauslegung verbindlich werden könnten, s. u. C) sowie F) 1. Absehn. I.

IV. Ziel des Jugendstrafrechts

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Sozialisationsbegriffs 128 • Mit einem Erziehungsbegriff, der verengend offen läßt bzw. gar ausschließt, ob bzw. daß ihm nicht nur intentionales, sondern auch funktionales Verständnis zugrundeliegt, könnte eine entsprechende Funktionsdifferenzierung nicht vorgenommen werden, weil insbesondere die vorbereitende und zugleich grenzziehende Funktion in Handlungsträger mit (auch) und ohne jugendstrafrechtliche Aufgaben i. e. S. nur um den Preis einer Erweiterung der Aufgaben um ihre funktionale gegenüber einer nur intentionalen Dimension vorgenommen wird. In diesem Sinn muß der Sozialisationsbegriff im Jugendstrafrecht nicht lediglich formal, sondern funktional verstanden werden, d.h. seine Funktion ist es, das jugendstrafrechtliche Ziel der Legalbewährung in der notwendigen Differenzierung anzustreben 129 •

S. o. 111. Zu den allg. kriminal politischen Grenzen kriminalpädagogischer Ziele s. Blau 1969. 128

129

6*

C) Zur Geltung von Rechtsanwendungsprinzipien Der in der historischen Betrachtung ersichtlich gewordenen 1 Uribestimmtheit des Grundsatzes erzieherischer Präponderanz im Jugendstrafrecht wurde zunächst durch die Festlegung eines formal bestimmten Auslegungsziels zu begegnen versucht 2 . Ehe diesem Weg einer näheren Bestimmung weiter gefolgt wird, bedarf es zunächst der Klärung der - methodologischen - Vorfrage, inwieweit juristischen Auslegungsprinzipien rechtliche 3 Verbindlichkeit zukommt, d.h. ob und ggf. in welchem Umfang sie gelten. Hierzu werden die zur tendenziellen Erreichung des Auslegungsziels Verwendung findenden Auslegungsprinzipien (oder, wie im folgenden allgemeiner formuliert werden wird, Rechtsanwendungsprinzipien) analysiert, um auf dem Wege einer möglicherweise exakteren Methodik zu einer anwendungsbezogenen Bestimmung des Grundsatzes erzieherischer Präponderanz und damit zum Stellenwert von Erziehung im Jugendstrafverfahren zu gelangen. Die systematische Differenzierungjugendstrafrechtlicher Auslegungsprinzipien hätte nämlich nur eingeschränkte Bedeutung, wenn diese sich darin erschöpfen würden, vom jeweiligen Verständnis des Vorranggedankens geprägte Einzelaufassungen zu Detailfragen darzustellen.

I. über die allgemeine Bedeutung juristischer Anwendungsprinzipien

1. Im methodologischen Schrifttum wird teilw. für den Bereich juristischer Interpretationsregeln (betrachtet als strukturelle Merkmale juristischer Argumentation) die juristische Argumentation "als durch Vagheit und Unverbindlichkeit" gekennzeichnet dargelegt 4 und damit die Frage der Geltung um die Vorfrage der Eindeutigkeit erweitert. Hieran aber die generelle Vermutung zu knüpfen, Auslegungsprinzipien ließen sich nicht eindeutig fassen s , geht wohl zu s.o. A). s.o. B). 3 Damit ist klarstellend auch eine Beschränkung insofern vorgenommen, als es nicht Aufgabe der nachfolgenden Ausführungen sein kann, nach einer ontologischen Begründbarkeit zu suchen (s. grundsätzlich zur Möglichkeit ontologischer Begründung von Recht insbesondere die Beiträge bei Kaufmann 1965a sowie zur mit diesem Zweck betriebenen Untersuchung des Denkens aus der "Natur der Sache" in neuerer Zeit Garrn [1982,60 m.N. zur bisherigen Diskussion in Fn. 1]; vgl. aber auch u. IV.). 4 Clemens 1977, 51 ff. s Ciemens 1977, 53. 1

2

I. Bedeutung juristischer Anwendungsprinzipien

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weit 6 und hat zunächst keine größere Evidenz aufzuweisen als ihr Gegenteil. Insofern verliert die grundsätzliche Problematik, ob die Einführung einer neuen Interpretationsregel (wie jeder einzelnen Auslegung) regelmäßig die bestehende Vagheit (einschließlich der Wertungsabhängigkeit) verstärke?, an Prägnanz. Geht man von einer analytischen Bestimmbarkeit bereits vorhandener Auslegungsprinzipien aus, hat dieser Versuch - jedenfalls in der Tendenz deren Eindeutigkeit zum Ziel. Ein zentrales Problem würde dann darin bestehen, der analytischen Differenzierung der Auslegungsprinzipien nicht dadurch wieder teilw. verlustig zu gehen, daß eine Klärung ihrer Rangfolge, d. h. ihrer relativen Gewichtung zueinander 8 , nicht gelingt 9 • Auch diese Problemstellung verliert aber an Bedeutung, wenn die analytisch gewonnenen Auslegungsprinzipien zu einem wesentlichen Teil aus einem einzigen übergeordneten Interpretationsgrundsatz (und dessen Grenzen) abgeleitet werden könnten 10. 2. Die Frage, ob Auslegungsprinzipien normativ verbindlich sind, läßt sich zwar vom Standpunkt der Methodenlehre keinesfalls schlechthin bejahen 11; allerdings gilt dies in erster Linie für die hermeneutischen und methodischen Subaspekte der Interpretation. Innerhalb eines (insbesondere verfassungsrechtlich) gezogenen Auslegungsrahmens dürfte aber der Konkretisierungseffekt von Auslegungsregeln für die Interpretation der Norm kaum zu bestreiten sein. Überdies ist ihre methodologische Erfassung bedeutsam für normative Innovation, steht doch juristische Methodik mit Rechtspolitik ohnehin in unmittelbarem Zusammenhang l2 • Rechtfertigen bereits die letzteren Aspekte an sich die systematische Analyse der (in der Praxis verwendeten) Auslegungsprinzipien, so liegt ein weites. insbesondere Kriele 1976 (1967), 85 ff.; vgl. auch Thaler 1982. Clemens 1977, 54. - Etwas resignativ in diesem Sinne klingt die auf den Bereich der Staatsrechtswissenschaft bezogene Bemerkung von Kriele (1976 [1967), 26), nach der mangels richterlicher Bindung an eine methodische Richtung dl~ bereits bestehende Auswahl durch jeden methodischen Vorschlag um eine neue Variante fortgeführt werde. • Vgl. hierzu näher v. Savigny 1976,14 H., 60 H. o Zu skeptisch wohl Ciemens 1977, 53. 10 s. deshalb u. D) 2. Abschn. I. (sowie E) 1. Abschn. I. 1. und 2. Abschn.). 11 s. schon Kriele 1976 (1967), 26. 12 Zu letzterem Gesichtspunkt deutlich Müller 1976 (1971), 18,88 f.; für den Bereich des Strafrechts insbesondere Roxin (1973 [1970], 10), der "kriminalpolitische Wertentscheidungen in das System des Strafrechts ... eingehen ... lassen" will. 6

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S 2 C) Geltung von Rechtsanwendungsprinzipien

rer und vielleicht vorrangiger Gesichtspunkt in der einer allg. Anwendungsverbindlichkeit zumindest förderlichen strukturellen Formung des Auslegungsprinzips. 3. Die juristische Prüfung der Bedeutung von Rechtsanwendungsprinzipien betrifft die Frage ihrer Geltung. Die juristische Geltung 12a wäre zu bejahen, falls die Rechtsanwendungsprinzipien Gesetzesrang einnehmen würden. Für den hier interessierenden Bereich der Rechtsanwendung im Jugendstrafverfahren bildet § 7 EGStPO, welcher aufgrund von § 2 JGG auch im Jugendstrafverfahrensrecht gilt, einen maßgeblichen Anknüpfungspunkt. Diese Bestimmung definiert den Gesetzesbegriff (i. S. d. StPO und des EGStPO) dahin, daß "jede Rechtsnorm" von ihm erfaßt werde. Dieser Gesetzesbegriff stimmt mit demjenigen in Art. 20 Abs. 3 GG überein l3 •

Rechtsnormencharakter haben danach grundsätzlich auch die allg. anerkannten Auslegungsregeln 14 sowie das allg. anerkannte Auslegungsrecht l5 • Unproblematisch kommt folglich der Einheit der Auslegungsmethoden (grammatikalische, historische, systematische, teleologische), auch soweit sie im Wege richterlicher Rechtsfortbildung weiterentwickelt werden l6 , die Rechtsnormqualität zu. Ebenso wird dies für die allg. anerkannten geschriebenen und ungeschriebenen Auslegungsregeln (z.B. lex posterior derogat le~i priori) als Bestandteilen der Gesamtrechtsordnung angenommen 1 • Im einzelnen ist aber bereits problematisch, unter welchen Voraussetzungen von der allg. Anerkennung der gesamten Rechtsgemeinschaft ausgegangen werden kann. Denn die Weiterentwicklung des Rechts praeter legern, insbesondere im Wege richterlicher Rechtsfortbildung, hat ja gerade mit dem Problem zu tun, zunächst - in der Regel bezogen auf die Entscheidung eines Einzelfalls - rechtliches Neuland zu betreten, über dessen Behandlung noch kein allg. Konsens (als Idealfall der Geltung) gefunden ist. So wird etwa der Fortbildun~ des Strafrechts durch Aufstellung (sogar) höchstrichterlicher Leitsätze für die Auslegung (im Rahmen von § 137 GVG) sowie deren 12a Krit. zum juristischen Geltungsbegriff in neuerer Zeit allerdings etwa Otte 1983, besonders 376 m.N. 13 Ebenso ist er deckungsgleich mit dem Gesetzesbegriff in S 337 Abs. 2 StPO und S 25 DRiG (vgl. etwa KleinknechtlMeyer 1985, S 7 EGStPO Rn. 1). - Zur Bedeutung der begrifflichen Kombination von "Gesetz und Recht" in Art. 20 Abs. 3 GG s. insbesondere Schwalm 1972,56 f. 14 Vgl. RGSt 64, 352. 15 s. etwa KleinknechtlMeyer 1985, S 337 StPO Rn. 2. 16 s. hierzu noch u. 111. 2. 17 s. etwa Draht 1963, 23.

II. Stellenwert topischen Denkens

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institutioneller Verfestigung als sog. Richterrecht keine gesetzesgleiche Verbindlichkeit zuerkannt 18 , solange sie noch nicht zu Gewohnheitsrecht geworden sind 19 • Außer kontinuierlicher gerichtlicher Verwendung erfordert die Bildung von Gewohnheitsrecht auch die Akzeptanz seitens der Beteiligten sowie deren Billigung in der (überwiegenden) Rechtslehre 20 • Sind somit schon bei der richterlichen Entwicklung von verbindlichem Auslegungsrecht zeitliche Stufen und inhaltliche Differenzierungen zu beachten, welche die Frage nach dessen allg. verbindlicher Geltung aus dem Gesetz nicht unmittelbar beantworten lassen 21 , so kumulieren die Probleme, wenn es um die Beantwortung der Frage geht, ob und ggf. wann, d. h. nach welchen zeitlichen Entwicklungsschritten der Rezeption, mittels richterlicher Auslegung gewonnene Rechtsanwendungsprinzipien, die in der Rechtslehre systematisiert und weiterentwickelt worden sind, in der Rechtsanwendungspraxis Geltung i. S. einer Rechtsnorm erlangen können 22. Die Antwort ist dem Gesetz nicht unmittelbar zu entnehmen; ihr ist möglicherweise auf der Grundlage einer Durchsicht des methodologischen Schrifttums näher zu kommen. 11. Zum Stellenwert topischen Denkens

Die Antwort ist davon abhängig, welche methodische Bedeutung dem Auslegungsprinzip (in seiner Struktur) innerhalb juristischer Problemlösung und Entscheidungsfindung zukommt 23 • s. auch Arndt 1963, 1273. KleinknechtlMeyer 1985, Einl. Rn. 189. 20 s. BVerfGE 15,226,232; vgl. auch Eb. Schmidt 1961,273. 21 s. hierzu Larenz 1983 (1960),414 f. 22 s. deshalb u. m. 23 Die nachfolgenden methodologischen Erörterungen greifen vornehmlich auf zivil- und verfassungsrechtliches Schrifttum zurück; dies hat damit zu tun, daß der bisherige Beitrag der Strafrechtswissenschaft zur Methodenlehre als eher gering zu veranschlagen ist (zu den möglichen Gründen s. etwa Struck [1971, 4] betreffend die Rezeption der Topik; betreffend Ansätze in neuerer Zeit s. aber etwa Bottke [1979, 100 ff., ferner 270 ff.]. Demgegenüber behandeln die strafrechtlichen Lehrbücher im allgemeinen lediglich die traditionellen Auslegungsmethoden [so etwa BaumanniWeber 1985, 150 ff.; Blei 1983,26 ff. und 30 ff.; Jakobs '1983, 62 ff.; MaurachiZipf 1983, 108 ff.; Jescheck 1978, 118 ff.]. Im übrigen beschäftigt sich die strafrechtswissenschaftliche Methodik vornehmlich mit den strafrechtlichen Besonderheiten der Struktur des Tatbestandes [so etwa Hassemer 1968, 98 ff.]). 18 19

S 2 C) Geltung von Rechtsanwendungsprinzipien

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1. Spätestens seit Viehweg 24 in der ersten Hälfte der Fünfziger Jahre die (klassische) Topik als von der Rhetorik entwickelte "Techne des Problemdenkens"25 für die Rechtswissenschaft wiederentdeckt hat 26 , ist in Rechtstheorie und juristischer Methodenlehre zunehmend anerkannt worden, daß juristische Lösungstechnik nicht als ausschließlich systematisches und insoweit rein logisches deduktiv-axiomatisches Verfahren verstanden werden kann. Vielmehr könne Jurisprudenz als "ein besonderes Verfahren der Problemerörterung" verstanden werden, das als solches Gegenstand der Rechtswissenschaft sei 27 • Dabei gehe es darum, bestimmte als "topoi" gekennzeichnete, leitende Gesichtspunkte herauszuarbeiten, um die Erörterung des Problems gleichsam von verschiedenen Seiten her anzugehen und zugleich den vorgegebenen Verständniszusammenhang aufzudecken, in welchem das Problem angesiedelt sei. Weil die Funktion der topoi darin bestehe, der Problemerörterung zu dienen, komme ihnen besondere Bedeutung bei Problemkreisen zu, die ihren grundlegenden Problemcharakter nie ganz verlieren würden; funktionell seien topoi "als Orientierungsmöglichkeiten und Leitfäden des Gedankens" zu verstehen 28 . Die im Rechtsleben alltägliche Orientierung an bestimmten leitenden Gesichtspunkten wird als "Topik erster Stufe", das Gebrauchen von unsystematisierten topoiKatalogen als ein "Repertoire von Gesichtspunkten" wird als "Topik zweiter Stufe" bezeichnet 29 . Im Unterschied zum deduktiv-systematischen Denken wird der Verständniszusammenhang nicht in logischen Ableitungskontexten einem umfassenden System zuzuordnen versucht, sondern es wird stets vom Problem her und auf dieses zurückweisend gedacht, so daß es zu einer "Pluralität von Systemen" komme, ohne daß deren Verträglichkeit aus einem einzigen umfassenden System zu beweisen versucht werde 30 •

2. Der Ansatz von Viehweg hat - zunächst im deutschen Sprachraum - neben weithin uneingeschränkter Zustimmung31 auch erhebVieh weg 1974 (1954). Viehweg 1974 (1954), 14, 31. 26 s. zur kulturhistorischen Entwicklung der Topik die N. bei Esser 1972 (1970),154 Fn. 27. 27 Viehweg 1974 (1954), 14. 28 Viehweg 1974 (1954),38. 2. Viehweg 1974 (1954), 35. 30 Viehweg 1974 (1954), 33. 31 s. insbesondere Wieacker 1967 (1952),596 Anm. 48;Hom 1967,601; Coing 1976,321,339 f., 343 f.;Ders. 1954/55,436. 24 25

11. Stellenwert topischen Denkens

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lichen Widerspruch erfahren 32 • Dabei kann es an dieser Stelle nicht darum gehen, das Für und Wider erschöpfend zu behandeln; vielmehr ist eine Beschränkung auf den Rahmen des Erkenntnisinteresses der vorliegenden Untersuchung vorzunehmen. a) Der schwerwiegendste Vorwurf gegen den Einsatz der Topik als juristischer Methode war wohl, topisches Denken führe zu einer Aufgabe der Bindung des Richters an das Gesetz (Art. 97 Abs. 1 GG, § 1 GVG, § 25 DRiG) und stehe daher mit der Verfassung (Art. 97 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 GG) nicht in Einklang33 • b) Soweit diese Auffassung in der Tendenz unterstellt, daß die richterliche Entscheidung auf einem logischen deduktiv-systematischen Akt beruhe bzw. zu beruhen habe, berücksichtigt sie nicht genügend, daß die Axiome innerhalb der Systematik in ihren Prämissen logisch unableitbar sind34 , so daß Wertungsgesichtspunkte ohnehin unvermeidbarer Bestandteil der Rechtsfindung sind35 • Aus 32 s. insbesondere Diederichsen 1966,697; Müller 1976 (1971), 70 ff.; Canaris 1983 (1969), 141 ff.; zurückhaltend auch Zippelius 1967,2229. 33 s. etwa die vorsichtige Formulierung bei Enneccerus/Nipperdey (1959, 124 f.) sowie die heftige Kritik bei Diederichsen (1966, 697), der zudem die Vorwürfe erhebt, der Viehwegsche Ansatz leugne die Wissenschaftlichkeit der Jurisprudenz und führe zur Aufgabe einer rationalen Rechtsfindung, wenn nicht gar der geltenden Rechtsordnung (vgl. a.a.O., insbesondere 700, 702,704). 34 Horn 1967, 602. Dies gilt im übrigen auch für die typischen Schlußverfahren wie Analogie (argumentum a simili), argurnenturn a maiore ad minus, arg. e c. etc. (s. Horn 1967, 604 m.N.), welche nach Viehweg (1974 [1954], 9, 22) ohnehin der Topik entstammen. Ferner spricht der häufige Rückgriff auf die teleologische Interpretation innerhalb traditioneller Methodik eine deutliche Sprache (vgl.Horn 1967,607). 35 s. etwa Esser 1972 (1970), 156 und passim. Diese begründete Annahme klingt selbst bei Vertretern des klassischen logischen Subsumtionsschlusses deutlich an, so etwa bei Fikentscher (1977, 189, 202,233,241), wenn er ausführt, der Richter subsumiere nur in Ausnahmefällen unmittelbar unter das Gesetz, in der Regel bilde er eine an der Gerechtigkeit orientierte und an das Gesetz nur angelehnte "Fallnorm" , welche eigentlich erst derjenige Rechtssatz im technischen Sinne sei, welcher die Rechtsanwendung binde. Sieht man die Rechtsfindung als "Zuordnung zum Typus" an (s. insbesondere Larenz 1983 [1960], 443 ff., auch 288 ff.; für die Strafrechtswissenschaft vgl. Kaufmann 1982 [1965] und Hassemer [1968, 111 m.N.], der die strafrechtliche Auslegung als "typologisches Verfahren" bezeichnet [a.a.O., 118]), wird der Wertungsgesichtspunkt hierbei ohnehin - ausdrücklich - anerkannt. - Für den Bereich des Strafrechts ist die Unvermeidbarkeit der Wertung - auch unabhängig vom genannten methodologischen Ansatz - unbestritten; man hat diese Einsicht sogar für die Strafrechtsgewinnung (insbesondere im Wege der Rechtsfortbildung) nutzbar gemacht und verlangt die Einbeziehung von Kriminalpolitik (s. Roxin 1973 [1970], 10 [vgl. o. Fn. 12]; Gössel 1974, 51 f.), "Verfas-

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§ 2 C) Geltung von Rechtsanwendungsprinzipien

der logischen Unableitbarkeit der Prämissen folgt zugleich, daß deduktiv-axiomatisches System denken "eines vorausgehenden und ergänzenden Verfahrens der Prämissensuche"36 bedarf, wozu sich für den methodisch geordneten wissenschaftlichen Diskurs die Topik "als mittelbares Erkenntnis- und Begründungsverfahren"37 anbietet. Zudem relativeren sich die Divergenzen der methodischen Ansätze dadurch, daß nach wohl allg. Auffassung auch topisches Denken nicht auf deduktiv-systematische Ableitungen verzichten kann 38 , wenn nicht sogar von einer wesentlich gegenseitigen Verflechtung gesprochen werden muß 39 . Nur läßt topisches Denken Gesichtspunkte der Logik und die in der betreffenden Dogmatik einleuchtenden systematischen Argumente "nicht als die alleinigen Vehikel rationaler Richtigkeitskontrolle" zu 40 • c) Ein gewisses Maß an Unbestimmtheit topischer Methodik, die möglicherweise die Schärfe der bezeichneten Kritik erst hervorgerufen hat 41 , dürfte darin gelegen haben, daß Viehweg in seiner grundlegenden Untersuchung noch nicht hinreichend bestimmt hat, was unter einem juristischen topos konsungsprinzipien, bewährte(n) durchschnittliche(n) rechtskulturelle(n) Anschauungen, anerkannte(n) Billigkeitsregeln, Sachnatur oder bewährte(r) Lehre und Judikatur" (Stratenwerth 1969,272) sowie - neben rechtsphilosophischer Vertiefung der Dogmatik - die Berücksichtigung von strafrechtsgeschichtlichen Erkenntnissen und kriminologischen Befunden (s. bereits Würtenberger 1959 [1957],31). 36 Horn 1967,602. 37 Horn 1967, 602. 38 s. Horn 1967, 603. Dies dürfte bereits deshalb der Fall sein, weil Systematisierungen nicht nur die Funktion zukommt, eine externe Ordnung der Gesamtheit geltender Einzelrechtssätze herzustellen, um bei der Auffindung der im Einzelfall in Betracht zu ziehenden Sätze Hilfen anbieten zu können, sondern insbesondere deshalb, weil die Systematik selbst eine herausragende Rolle bei der Begr. rechtlicher Entscheidungen spielt (Horn 1967, 605). 39 s. etwa schon Vieh weg 1974 (1954), 32; auch Schwerdtner 1971, 83; im einzelnen grundlegend Esser 1974 (1956),44 ff. und passim; vgl. ferner Garrn 1973 sowie v. Savigny 1973; eher einschränkend Canaris 1983 (1969), 151 ff.; Engisch 1977, 195; Kriele 1976 (1967), 119 ff.; Larenz 1983 (1960), 142 ff.; schon Ders. 1979 (1960), 144 m.w.N. in Fn. 45. Auch Diederichsen (1966) räumt letztlich ein, daß die Unterscheidung zwischen topischem und systematischem Denken als "kein Gegensatz" bezeichnet werden kann, "der Wirklichkeit besitzt" (a.a.O., 705 Fn. 105). 40 Esser 1972 (1970), 155. 41 Inwieweit die Schärfe der Kritik rechtspolitischem Verständnis geschuldet sein könnte, muß spekulativ bleiben; jedenfalls wurde der Zusammenhang von juristischer Methodik und Rechtspolitik bereits dargetan (vgl. o. I. 2. und Fn. 12), und daß Methodenwahl strukturelle Aspekte von Macht enthält, ist belegt (s. etwa Grimm 1982).

11. Stellenwert topischen Denkens

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kret zu verstehen sein könnte, sondern weithin disparate Aspekte (wie z.B. Rechtsgedanken, Leitsätze, Begriffe, Wertungsgrundsätze etc.) darunter gefaßt hat. So erscheint die Kritik an der Beliebigkeit der Bezeichnung selbst berechtigt, da diese Beliebigkeit die Gefahr in sich birgt, in der Praxis tatsächlich zu Rechtsunsicherheit zu führen. Zugleich bringt eine nahezu allumfassende Bezeichnung eine gewisse methodologische Simplifikation mit sich 42 . Erst eine gewisse systematische übersicht über die verschiedenen Formen juristischer topoi allg.· Art und deren Bedeutung in einem rechtswissenschaftlichen Begründungszusammenhang könne, wie zurecht betont wurde 43 , als zusätzlicher methodologischer Gewinn verbucht werden 44 • Dabei wird für den Bereich des Strafrechts zutreffend angenommen, dies gelte z. B. bereits für kriminalpolitische "Systematisierungs- und Interpretationsrichtlinien ", die zwar nicht "mit dem Anspruch der Ausschließlichkeit" auftreten würden, als ordnende Prinzipien in der eventuellen Hierarchie der topoi aber eine systemprägende, zumindest problemlösende Bedeutung erlangen könnten 45 • Die Aufgabe der Erstellung einer übersicht allg. juristischer topoi wurde wenngleich unsystematisiert im traditionellen topischen Verständnis - im Rahmen der weiteren Entwicklung der Topik-Diskussion in Angriff genommen 46 • Spezielle topoi eines Teilrechtsgebietes betreffend wird dies im weiteren Verlauf der vorliegenden Untersuchung noch versucht werden47 , wobei der Stellenwert innerhalb der juristischen Entscheidung beschrieben werden wird 48 • Die Entwicklung eines topoi-Katalogs läßt sich an dieser Stelle zunächst damit 42 Larenz 1983 (1960), 142, auch 141. - s. aus strafrechtswissenschaftlicher Sicht auch krit. Bottke (1979,102 f.), der sich allerdings ohnehin für den Vorrang einer historischen (a.a.O., 301; und zwar subjektiven [so näher S. 232 ff.; zur übersicht zum Diskussionsstand um eine subjektive oder aber objektive Auslegungstheorie s. Hassold 1981]) vor der teleologischen Auslegungsmethode für den Bereich der Strafrechtswissenschaft (1979, 290 f.) ausspricht, weil erstere die "wissenschaftsnächste" (a.a.O., 301) sei (zur subjektiven Auslegung im Strafrecht s. auch Schroth 1983). Für die Rechtsfindung würde diese Auffassung aber bedeuten, daß deren dominante Ergebnisorientierung bei mangelnder Eindeutigkeit des nach den im übrigen anerkannten Interpretationsregeln gewonnenen Auslegungsresultats (vgl. etwa Hesse 1982,21 f. Rn. 56) keine Berechtigung hätte. 43 Larenz 1979 (1960), 142; schärfer Ders. 1983 (1960), 142; ähnlichEngisch 1977, 195 f. 44 Ob ein entsprechender Systematisierungsgrad noch als "Topik" im klassischen Sinne begriffen werden könnte, woran Larenz (1983 [1960], 142) offenbar zweifelt, dürfte methodologisch von vernachlässigenswerter Bedeutung sein (s. in wohl demselben Sinne Engisch 1977,195; vgl. schon o. b) und Fn. 38). 45 Roxin 1973 (1970), 15, ferner 30, 45 ff. 46 s. insbesondere Struck 1971, 20 ff. - Daß die Bedingungen der Rechtsgeltung von einzelnen topoi damit konzeptionell noch nicht belegt sind, resümiert Lüderssen (1982,564); s. aber u. III. 47 s.u.D) . .. s.u.E).

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S 2 C) Geltung von Rechtsanwendungsprinzipien

rechtfertigen, daß das damit verbundene Rangfolgeproblem 49 zwar auf dem grundlegenden Wertungsproblem basiert, dieses aber nicht nur unter topischem Aspekt, sondern auch im deduktiv-axiomatischen (Begründungs-)System wie auch bei der Rechtsfindung durch Zuordnung zum Typus virulent ist 50 •

3. Zusammenfassend kann gesagt werden, daß sich die Bedeutung des topischen Ansatzes innerhalb der Methoden der Rechtsfindung (einschließlich des juristischen Entscheidungsverhaltens ) nach dem Stand gegenwärtiger Diskussion nicht mehr bestreiten läßtSI. Dies gilt um so mehr, als ganze Rechtsgebiete erkennbar nicht aus systematischen Gründen, sondern unter einem speziellen Problem aspekt entstanden sind, wie dies etwa für das Arbeitsrecht wegen der Berücksichtipung typischer Konfliktsituationen des Arbeitslebens der Fall ist S , nicht viel weniger aber auch für das Jugendstrafrecht wegen der Einsicht in eine als spezifisch erachtete Altersproblematik s3 • Zudem würden einer nicht (auch) topisch strukturierten Dogmatik, die ihre Argumentation aus einem starr fixierten Begriffssystem entnimmt, die tatsächlichen Sachprobleme nach und nach entgleiten 54 . Die Vorteile liegen insbesondere in der Bedeutung für die praktische RechtsanwendungS4a , die gerade keinem deduktivaxiomatischen System folgt, ferner in dem innovatorischen Potential, weil topisches Denken nicht die Grenzen des Systems kennt 55 , und schließlich in der Fähigkeit, den Sachverhalt zum Zweck der Interpretation besser zu erfassen 56 . Aber auch wenn nur eine eingeDazu u. IV. s.o. b) und Fn. 35. 51 s. zum Stand der Topik-Diskussion (unter Einschluß neuerer Forschungsrichtungen) zunächst Otte 1970, sodann Wieacker 1973 und schließlich die Beiträge in Breuer/Schanze 1981 sowie in Ballweg/Seibert 1982. 52 Horn 1967,606. 53 Vgl. wegen der historischen Entwicklung o. A). 54 So zutreffend Horn 1967,608. - Die Bedeutung von jurisprudentiell entwickelten Prinzipien für die Kontinuität (und Stabilität) des Rechts legt Esser (1974 [1956], 289 ff.) dar. 54a Insofern kann die Auffassung (Sourlas 1983, 629), Topik betone die praktische Seite juristischer Tätigkeit zu einseitig, nicht geteilt werden. 55 Die Adaptabilität und Flexibilität in der juristischen Argumentation der Praxis i. S. v. Problemdenken garantiert weithin die innere Autorität des Gesetzes, d. h. seine Verankerung in der allg. Rechtsüberzeugung, und ist damit Bedingung für seine dauerhafte Geltung (Horn 1967, 607). Wird etwa im Jugendstrafrecht nicht ständig neu erkannt, daß das JGG Problementscheidungen enthält, wodurch die Dogmatik ständig gefordert ist, die dem Gesetzgeber vorliegende Problemlage und die seiner Entscheidung zugrundegelegten topoi herauszuarbeiten, wird die Auflösung des JGG in einem erweiterten Jugendhilferecht immer wieder postuliert werden. 56 Viehweg 1974 (1954),88,90. 49

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Ill. Rechtsnatur und Geltungsumfang der Anwendungsprinzipien

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schränkte Bedeutung des topischen Ansatzes insofern anerkannt wird, als der rechtsstaatliche Verfassungsgrundsatz der Gesetzesbindung eine Selektion, Bewertung und Abwägung (und wohl auch Systematisierung schlechthin) der topoi mit den traditionellen Methoden der Gesetzesauslegung usw. erfordere 57 , kann für die "Spielräume" innerhalb einer Begriffsverwendung, Lückenergänzung und Rechtsfortbildung, welche die Berücksichtigung eventuell das Gesetz selbst bereits transzendierender materieller "Gesichtspunkte" notwendig machen, auf den topischen Ansatz nicht verzichtet werden 58 • Damit ist der Weg offen, die Voraussetzungen und Bedingungen der Geltung von Auslegungsprinzipien unter Einschluß des topischen Ansatzes näher zu untersuchen, um einer Bestimmung der Rechtsnatur und Bedeutung der speziellen jugendstrafrechtlichen Auslegungsprinzipien näher zu kommen. IH. Bestimmung der Rechtsnatur und des Geltungsumfanges jugendstrafrechtlicher Anwendungsprinzipien

1. a) Dabei dürfte eine Unterscheidung danach, ob die Prinzipien bereits dem geltenden Recht entnommen sind oder erst - im Rahmen der richterlichen Rechtsfortbildung - durch einheitliche Rspr. für einen spezifischen Fallbereich (oder gar ein Teilrechtsgebiet) ihren Charakter annahmen, grundlegend sein 59 • Trotz des - wie die geschichtliche Entwicklung gezeigt hat 60 - inhaltlich divergierenden Verständnisses des Grundsatzes 61 "Vorrang des Erziehungsgedankens" ist er der ersteren Gruppe zuzuordnen, weil er die SonderstelEtwa Engisch 1977, 196. So deutlich Engisch, ebd. 59 s. dazu ähnlich bereits Esser 1974 (1956), 4l. 60 s. o. A) . •, Die Bezeichnung "Grundsatz" erscheint für die in "Vorrang des Erziehungsgedankens" enthaltene Aussage noch gerechtfertigt, weil sie den- wenngleich noch unbestimmten - Gesamtrahmen dessen, was als erzieherisch verstandene Einwirkung möglich ist, vorgibt; insofern lassen sich erzieherisch intendierte bzw. (nur) funktionale Subaspekte aus dieser Aussage axiomatisch ableiten. Die Subaspekte selbst aber können sich, am Einzelproblem orientiert, erst durch ständige Anwendung rechtsgleicher Maßstäbe als Maximen entwikkein, die "Prinzipien" nicht i.s.d. Bedeutung eines selbstableitungsfähigen Axioms herausbilden, weil sie kein System und damit auch nicht den Charakter einer übergeordneten Norm besitzen; vielmehr stellen sie ein aus der Praxis und der Lehre gewonnenes "Rezept" dar, "maßgebliche Gesichtspunkte zu einer und derselben Regel zu verwerten" (Esser 1974 [1956], 100). 57

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S 2 C) Geltung von Rechtsanwendungsprinzipien

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lung des JGG gegenüber dem allg. Straf(verfahrens)recht erst legitimiert und damit gesetzesimmanentes (und zugleich übergeordnetes) Axiom ist. Die in der Rspr. teilw. bereits verwendeten oder jedenfalls in der Lehre erörterten Gesichtspunkte sind als spezifische topoi sicher der zweiten Gruppe zugehörig. Eine Aussage über ihre "Rechtsnatur" setzt im einzelnen eine Erörterung von Herkunft und Funktion ihrer Kategorien 62 voraus 63 • Allg. läßt sich hierzu konstatieren, daß die gemeinten topoi in einzelnen Vorschriften des JGG unmittelbar angelegt sind und mit dem Instrumentarium der Methodenlehre, d. h. in erster Linie den Auslegungsmethoden einschließlich der Interpretation, als allg. Rechtsgedanken sichtbar gemacht werden können 64 • Ihre Funktion ließe sich vorläufig dahin beschreiben, den systematischen Zusammenhang der einzelnen Bestimmungen des JGG selbst und ihr Verhältnis insbesondere zum allg. Straf(verfahrens)recht zu klären und den "Erziehungsvorrang" bei Anwendung jeder einzelnen Gesetzesbestimmung inhaltlich zu konkretisieren und zugleich seine Grenzen aufzuzeigen 65 • b) Vom axiomatischen Denken her dürfte der Hinweis auf den konkreten Problembezug noch eine Charakterisierung der Prinzipien als unverbindliche Ausgangspunkte der Argumentation mit der Folge hervorrufen, daß ihnen - wegen des Mangels an Bestimmtheit erst in konkreten Normen Rechtscharakter verliehen wäre. Diesem Denken wäre entgegenzuhalten, daß es verfrüht die Frage der Geltung eines Prinzips unter dem Aspekt seines Deduktionswertes, d.h. nur einer einzigen bestimmten juristischen Technik, einengt 66 • Denn zunächst geht es nur um einen einheitlichen, Rechtssicherheit anstrebenden Sprachgebrauch (und damit den Inhalt), zumal einem Rechtsprinzip ohnehin kein Rechtsnormcharakter im technischen Sinne (und damit die maßgebliche Form) zuerkannt werden kann, solange unmittelbar verbindliche Anweisungen für einen bestimmten Teilrechts- oder (nur) Fragenbereich nicht darin enthalten sind, sondern das Rechtsprinzip gerade die Ausprägung entsprechender s. Esser 1974 (1956),43. s. dazu u. D). 64 Damit soll aber keineswegs den zu weit führenden Annahmen axiomatischen Denkens Vorschub geleistet werden, wonach 1. jede Rechtsnorm einem Prinzip zugänglich sei, 2. ein Rechtsprinzip als solches nur unmittelbar dem Gesetzestext entnommen werden könne und 3. jedes Prinzip einen abgegrenzten oder wenigstens privilegierten Wirkungsbereich habe, innerhalb dessen sich die Kollisionsfrage mit anderen Prinzipien von vornherein nicht stelle (s. dazu Esser 62

63

1974 [1956], 90 f.). 65 66

s. bereits o. 11. 2. cl; s. noch u. IV. 1. So Esser 1974 (1956),50.

III. Rechtsnatur und Geltungsumfang der Anwendungsprinzipien

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Anweisungen durch die Rspr. (aber auch den Gesetzgeber) verlangt67. Im übrigen würde übersehen, daß eine Vielzahl ursprünglich gesetzesunabhängig ermittelter Prinzipien ohne exakte Festlegung nach und nach Eingang in die juristische Dogmatik gefunden und sich dort dergestalt konsolidiert hat, daß sie mit deren Begrifflichkeit Teil eines anscheinend rein axiomatischen Denkens geworden sind, in das "rechtspolitische" Erwägungen und die an den Einzelproblemen fixierte Kasuistik etwa im Bereich der Generalklauseln "als scheinbar systemfremde Inseln eingelagert sind" 68. Außerdem ist zu bezweifeln, daß nur Verhaltensgebote bzw. -verbote Rechtsnormcharakter erlangen können und nicht auch "Rechtsfindungsund Rechtsschutzsätze" 69 . c) Der Blick auf die Entwicklungsstufen von Rech tsprinzipien legt eine weitere Unterscheidung zwischen "normativen" und "informativen" Prinzipien 70 nahe. Die Bezeichnungen drücken keinen Gegensatz aus, sondern veranschaulichen eine Genese in dem Sinne, daß "informative" Prinzipien außerhalb des positivierten Rechts "normativ" werden, wenn sie in einem bestimmten Teilrechtsgebiet bzw. für einen bestimmten Aufgabenkreis anerkannt sind 71 • Wie in den nachfolgenden Abschnitten dieser Untersuchung dargelegt werden wird 72 , hat bereits die überwiegende Zahl der jugendstrafrechtlichen Rechtsanwendungsprinzipien normativen Charakter in dem erläuterten Sinne. d) Ferner läßt sich eine bedeutsame Unterscheidung zwischen ,,Prinzipien des (,formellen' wie ,materiellen') Rechts" und "Prinzipien der Rechtshandhabung" (techne) treffen 73. Die jugendstrafs. ähnlich Esser, ebd. Esser (1974 [1956],47), der in Fortführung dieser überlegung drei Formen von Prinzipien nebeneinander unterscheidet, nämlich "axiomatische Prinzipien im neuzeitlich-konstruktiven Sinn, Problem prinzipien oder Grundgedanken im rhetorischen Sinne und dogmatische Prinzipien" (a.a.O., 47 f.). 69 Esser 1974 (1956), 118. - Von der Einbeziehung eines Satzes in eine Kodifikation kann die Normqualität ohnehin nicht abhängig sein (so zutreffend Esser, ebd.). 70 Esser 1974 (1956),90. 71 Vgl. Esser, ebd. Diese entwicklungsbestimmte Sicht belegt erneut das innovative Potential des problembezogenen Denkens (vgl. o. 11. 3.); denn anders als auf der Ebene der dogmatischen Ableitung "kann das, was als ursprünglich nur moralische Anforderung einmal zur Maxime erhoben wurde, sehr rasch das Gewicht eines rechtlichen Prinzips erlangen" (Esser 1974 [1956],99). n S.u. D). 73 So Esser (1974 [1956], 107), der an anderer Stelle (a.a.O., 90) auch von 67

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§ 2 C) Geltung von Rechtsanwendungsprinzipien

rechtlichen Anwendungsprinzipien sind bei entsprechender Differenzierung inhaltlich teilw. dem "materiellen" Jugendstrafrecht, teilw. dem "formellen" Jugendstrafverfahrensrecht zuzuordnen; sie bedeuten eine eher inhaltliche Konkretisierung des normierten Rechts und stellen kein (bloßes) Hilfsmittel der Rechtstechnik dar 74 • e) Schließlich könnten die jugendstrafrechtlichen Anwendungsprinzipien als "institutionelle Prinzipien "75 insoweit verstanden werden, als sie Aufgaben und Grenzen des Grundsatzes "Vorrang des Erziehungsgedankens" konkretisieren, der das Jugendstrafrecht als eine spezifische Reaktion bei einer eingeschränkten Altersgruppe legitimiert und sein "Wesen" charakterisiere 6 • 2. Erleichtern die vorgenommenen Differenzierungen den Umgang mit jugendstrafrechtlichen Rechtsanwendungsprinzipien, so ist die Frage der Geltung gleichwohl noch näher herauszuarbeiten. Ohne daß zur Rechtsquellentheorie im Rahmen der vorliegenden Untersuchung im einzelnen Stellung bezogen werden kann, ist auf die Bedingungen der Geltung zusammenfassend nochmals einzugehen. a) Verwendet die Rspr. die Anwendungsprinzipien tendenziell einheitlich und dauerhaft, so ist die richterliche Rechtsnormbildung nicht mehr bestreitbar, zumal der Rechtsquellencharakter der Rspr. als Institution nahezu allseitig anerkannt ist 77. "Rechtsprinzipien im materiellen Sinne" und "Erkenntnis- oder Arbeitsprinzipien des Juristen" spricht. 74 Damit ist keine Geringschätzung der Rechtstechnik verbunden, zumal eine strenge Grenzziehung zwischen Rechtsinhaltlichem und lediglich Doktrinärem oder Technischem voreilig wärej die tatsächliche Einheit bleibt in nicht kodifizierenden Rechtskreisen deutlicher sichtbar (so Esser 1974 [1956), 107). Welche Notwendigkeiten der Differenzierung und Ergänzung des methodologischen Instrumentariums sich aus gesetzesimmanenten Gründen ergeben können, wird ebenso noch darzulegen sein (s. u. D)), wie die methodologischen Konsequenzen, um eine Übereinstimmung von juristischen Anwendungsprinzipien mit dem Erkenntnisstand außerjuristischer Wissenschaft herzustellen und zu gewährleisten (s.u. F)). 75 Zum Begriff Esser (1974 (1956), 104), der darunter ein Prinzip faßt, "soweit ... Gesichtspunkte der Natur der Sache und der Funktion eines Instituts in dem gegebenen Rechtssystem bestimmte Prinzipien als notwendig erscheinen lassen" (ebd.). 76 Dazu näher u. IV. 2. a). 77 s. im einzelnen Larenz 1983 (1960), 351 ff., auch 412 ff.j vgl. schon Esser 1974 (1956), 139 (m.N. des internationalen Schrifttums). - Vgl. auch schon o. I. 3.

III. Rechtsnatur und Geltungsumfang der Anwendungsprinzipien

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b) Man wird zudem annehmen dürfen, daß im Rechtsleben außerhalb der Legislative und der Jurisprudenz rechtsbildende Akte möglich sind, die Rechtsprinzipien dann den Charakter positiven Rechts verleihen, wenn sie institutionell verkörpert worden sind 78 • Der Stellenwert rechtswissenschaftlicher Lehre läßt sich hierbei dahin verstehen, die kasuistischen "Folgerungen" st. Rspr., die als Präjudizien den Grund für die Verbindlichkeit von Rechtsprinzipien abgeben 79, zu ordnen ("systematisieren"). Zwar kann die Dogmatik grundsätzlich nur diejenigen Prinzipien verwerten, die Bestandteil allg. Rechtsauffassung geworden sind80 • Den konkreten Inhalt bestimmen und die rechtstechnische Präzisierung vorzunehmen, um die Voraussetzungen für eine kontrollierte, überprüfbare Nutzung des Prinzips in der Rechtsanwendung der Praxis zu schaffen 81 , kann sie aber nicht, wenn sie sich allein auf die tradierte Rechtsüberzeugung in der Jurisprudenz verläßt. Sie hat vielmehr zunächst die vom Gesetz nur stillschweigend vorausgesetzen oder sonst in der allg. Rechtsauffassung enthaltenen topoi zu berücksichtigen, in deren Gesamtkontext das Gesetz steht. Ferner hat sie einzubeziehen die Grundsätze tradierter Rechtslehre und Überlieferung, kurz die Gesamtheit der in der Rechtsgemeinschaft existenten Auffassungen von dem, was Recht ist 82 • Andernfalls bestünde die Gefahr, daß richterliche Rechtsfortbildung unkontrolliert durch bloße legalistische Berufung auf das Gesetz abgesegnet würde 83 und ein von den Rechtsüberzeugungen der Rechtsgemeinschaft sich potentiell lösendes Richterrecht entstünde. So ist es Aufgabe der Doktrin, den systematischen Wert von Prinzipien (wie Begriffen) selbständig herauszuarbeiten, indem ihr gestalterischer Gehalt aus dem, was sie pragmatisch geleistet haben, analysiert wird, um - in einem weiteren Schritt - die Rechtsprinzipien weiterzuformen, wobei bereits aus den heuristischen "Rechtsgedanken" in der Praxis verbindlich werdende Rechtsprinzipien geschaffen werden können 84 • Esser 1974 (1956), 132. s.Esser 1974 (1956),267. 80 s. dazu bereits Thu11960, 259; Viehweg 1958, 334. 81 s. im einzelnen Esser 1974 (1956),50 ff., 80 ff., 358 ff. 82 s. Horn (1967, 607), der insoweit den Begriff der "materialen Rechtstheorie" verwendet. 83 Vgl. Horn 1967, 607 f.; s. Esser 1974 (1956),40 ff., 161 ff. 84 s. Esser 1974 (1956), 309. Dieser Auffassung kommt das mit Esser (1974 [1956], 258 f.) geteilte Verständnis zugute, nach dem eine Einheit sämtlicher Interpretationsmittel in dem Sinne besteht, daß Auslegung und Rechtsfortbildung strukturell ein und dasselbe sind, "mag man auch dort mehr die sta18

79

7 Nothacker

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S 2 C) Geltung von Rechtsanwendungsprinzipien

Es läßt sich hiernach rechtfertigen, nicht nur die innerhalb der Rspr. anerkannten jugendstrafrechtlichen Auslegungs- bzw., allgemeiner gefaßt, Rechtsanwendungsprinzipien darzulegen und zu systematisieren, sondern zugleich die in der Lehre, insbesondere der praxisnahen Kommentarliteratur , vertretenen jugendstrafrechtlichen Rechtsanwendungsprinzipien einzubeziehen. IV. Zum Rangfolgeproblem

1. Die Systematik der Rechtsanwendungsprinzipien darf nicht den Eindruck erwecken, der aus ihr ersichtlichen Bestimmung des Verhältnisses von Prinzipien zueinander könne die Funktion einer Wertehierarchie zukommen 85 • Sie kann nicht die in der Prinzipienwahl liegende Wertentscheidung schlechthin ersetzen. Ihre Bedeutung liegt zunächst darin, zur klaren Fassung der Anwendungsprinzipien einschließlich der begrifflichen Abgrenzung zueinander beizutragen. Darüber hinaus stellt die Systematik die einzelnen Wertungsgesichtspunkte, die in die Rechtsanwendungsprinzipien eingeflossen sind, in den Gesamtzusammenhang des Gesetzes, dessen Grundentscheidungen in dieser Weise bei jeder einzelnen Vorschrift im Einzelfall verdeutlicht werden, um in ihrer Gesamtheit ggf. berücksichtigt werden zu können. 2. Insofern ist nicht zu verkennen, daß zur Vermeidung von Beliebigkeit bei der Auswahl unter gleichrangigen Rechtsanwendungsprinzipien, zu der es - wenigstens im Einzelfall - kommen könnte, zumindest ein zusätzliches Kriterium erforderlich ist 86 • Als ein solches leitendes Prinzip sind insbesondere vernunftrechtliche Erwägungen 87 , intersubjektiver Konsens über die wissenschaftliche Richtigkeit 88 , Gerechtigkeit89 und schließlich der Gleichheitssatz 90 vorgeschlagen worden. bilisierende Methode der explicatio eines implicite Geordneten betonen, hier den offenen oder versteckten zielstrebigen Prozeß" (Esser, a.a.O., 259) . •5 Eine "feste Rangordnung" wird ohnehin zurecht nicht für möglich gehal. ten (s. für den Bereich des Verfassungsrechts so ausdrücklich Ehmke 1963,99 f.). 86 s. schon Canaris (1983 (1969), 144), der dieses Kriterium nicht nur zur Ermöglichung der Auswahl unter den verschiedenen Prinzipien, sondern - entgegen den Darlegungen o. III. - auch zum Nachweis der Verbindlichkeit der einzelnen Prinzipien postuliert hat . •7 Kriele 1976 (1967), 313. •• Maihofer 1971, 286 . • 9 Vgl.Kaufmann 1965, 6 m.N.;Schwalm 1972, 57. 90 Gössel 1974,57.

IV. Rangfolgeproblem

99

a) Dabei betreffen diese Vorschläge allerdings nicht nur den hier behandelten Problembereich der Auswahl des maßgeblichen Entscheidungskriteriums unter topischen Gesichtspunkten, sondern ganz allg. die Frage der Rechtsfindung (auch im deduktiv-axiomatischen System, etwa betreffend das Verhältnis der verschiedenen Auslegungsmethoden zueinander)91. Es handelt sich also nicht ausschließlich um ein Wertungsproblem des hier vertretenen Ansatzes der Entscheidungsfindung nach einem geordneten Katalog von teilrechtsgebietsspezifischen Rechtsanwendungsprinzipien. Von daher sind dessen bereits dargestellte Vorzüge gegenüber dem herkömmlichen dogmatischen System, in dem (dennoch) weithin unsystematisch mit dem "Erziehungsvorrang" operiert wird, nicht mit dem Hinweis darauf zu relativieren, nur bei Verfolgung dieses bestimmten Ansatzes bestehe das Wertungsproblem. Sieht man die Frage der Wertentscheidung als nur in der Tendenz lösbar an, d. h. die stets residuale Wertorientierung als letztlich nicht zu beseitigende Kategorie, und erachtet man die Wertfreiheit von juristischen Entscheidungsverfahren in letzter Konsequenz auch nicht für notwendig oder für mäglich 92 , so geht es darum, auf sämtlichen Ebenen und in sämtlichen Formen von juristischen Entscheidungsverfahren den Wertungsspielraum zum Zweck einer rechtssicheren rational-über?rüfbaren Entscheidung zu reduzieren. Darauf beschränken sich die Überlegungen zur Wertungsproblematik bei der Auswahl zwischen gleichrangigen jugendstrafrechtlichen Rechtsanwendungsprinzipien. b) aa) Greift man die vorgeschlagenen leitenden Gesichtspunkte auf, so zeigt sich, daß der in ihnen teilw. angelegte Rückgriff auf naturrechtliche und ethische Kategorien einerseits Richtigkeitskontrolle für die Einzelfallentscheidung zu sein vermag, andererseits zum geeigneten Interpretationsmaßstab für (höchstrangige) verfassungsrechtliche Wertrangentscheidungen werden kann. Bezieht sich die Argumentation aber auf eine Zwischenebene im Niveau der Abstraktion, nämlich weder auf die Konkretheit des Einzelfalls noch auf die Verfassung als die höchste Stufe des juristischen Diskurses, sondern - etwa wie hier - auf die inhaltliche Struktur und Verwendungsmodalität eines zwar nachrangigen, aber immerhin mit Gesetzesrang ausgestatteten Teilrechtsgebiets, so werden die Maßstäbe anders gefunden werden müssen.

Vgl. schon o. 11. 2. c) sowie Fn. 45. s. insbesondere Esser 1972 (1970), 162 und zu den sich daraus ergebenden Grenzen der Methodenlehre S. 163 f. 91

92

7*

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S 2 C) Geltung von Rechtsanwendungsprinzipien

bb) Weil Rechtsanwendungsprinzipien in der konkreten Gesetzesanwendung ihren Ursprung haben und auf dieselbe zurückwirken, wäre gesetzesimmanent - auch für das Verhältnis gleichrangiger jugendstrafrechtlicher Rechtsanwendungsprinzipien zueinander der Vorrang danach zu bestimmen, welches Prinzip der das Jugendstrafrecht erst legitimierenden Besonderheit, nämlich der Präponderanz (und Dominanz) der als erzieherisch, d. h. als Sozialisationshilfe, sachlich begründbaren Einwirkung, am weitestgehenden Rechnung trägt. Also bildet der Grundsatz "Vorrang des Erziehungsgedankens" , konkretisiert in den einzelnen Rechtsanwendungsprinzipien, seinerseits wiederum den ersten übergeordneten Maßstab für die Rangfolge der an sich systematisch gleichrangigen Anwendungsprinzipien. Allgemeiner ausgedrückt stellt sich der erste Schritt zur Bestimmung der Rangfolge als Abwägung der analytisch gewonnenen Teilaspekte unter der den Gesamtzusammenhang repräsentierenden Leitidee dar. Versteht man diese Leitidee "Vorrang des Erziehungsgedankens" - wie in der vorliegenden Untersuchung als "Natur der Sache Jugendstrafrecht", so erfolgt diese Abwägung unter der Leitidee nicht ohne Einbeziehung empirischer Erkenntnisse 93 und reduziert zusätzlich 94 die Möglichkeit des Einflusses tendenziell beliebiger subjektiver Standpunkte. Zugleich ist in einem nächsten Schritt die Abwägung unter dem leitenden Gesichtspunkt danach zu überprüfen, ob Wertungswidersprüche mit den Schutzfunktionen gleichrangigen Gesetzesrechts, in erster Linie des Straf(verfahrens)rechts vorliegen. Den abschließenden Schritt bildet die inzidente Prüfung der gewonnenen Rangfolge am höherrangigen Recht der Verfassung 9S • Die Betonung dieser in ihrer Selbstverständlichkeit eigentlich banalen Stufe der Überprüfung erscheint erforderlich, weil in der Rechtsanwendungspraxis gewisse Anhaltspunkte dafür bestehen, daß die Interpretation "im Lichte der Verfassung" in den an sich eher seltenen Fällen, in denen diese Notwendigkeit offenbar wird, mit nicht zu übersehender Zurückhaltung geschieht. Nur dann, wenn aus93 Vgl. o. B) und u. F). - s. hierzu auch Gössel (1974, 51 f.), der ausdrücklich die "Natur der Sache" als Kriterium für die Strafrechtsgewinnung aufgrund empirischer Erkenntnisse ansieht. - Für den Bereich des Verfassungsrechts sieht Müller (1976 [1971], 26 f. [auch S. 75 ff.]) darin kein selbständiges Kriterium, vielmehr diene die Einbeziehung "allgemein der Berücksichtigung realer Gegebenheiten der sozialen Welt". 94 s. zur eingeschränkten "Erziehungsfunktion" des Rechtsanwenders im übrigen o. B) IV. 1. b). 95 s. dazu auch u. E).

IV.

Rangfolgeproblem

101

nahmsweise auch die verfassungsinterpretatorisch entwickelten Konkurrenzregeln, insbesondere innerhalb der Grundrechte selbst, nicht zur Lösung der Bestimmung des Vorrangs des einen vor dem anderen Rechtsanwendungsprinzip führen, besteht ein Spielraum hinsichtlich der Argumentation mit dem einen zuungunsten des anderen zweier kollidierender Anwendungsprinzipien. Mit diesem nicht abschließend bestimmbaren Ausgang des Lösungswegs in einer verschwindenden Zahl von theoretischen Ausnahmefällen müßte jugendstrafrechtliche Rechtsanwendung hinreichend sachgerecht operieren können; die mangelnde eindeutige Bestimmbarkeit des Lösungswegs in diesen Fällen würde auf einer ungeklärten Wertehierarchie innerhalb der Verfassung beruhen, die nicht vom Jugendstrafrecht aus einer Lösung zugeführt werden kann. 3. Innerhalb des ersten Schritts der gesetzesimmanenten Prüfung kann schließlich die Sichtweise des Verhältnisses zwischen "formellem" und" materiellem" Recht zu einer gewissen Klärung der Rangfolgeproblematik beitragen. Zugleich bedarf diese Sichtweise der Beziehung zwischen "formellem" und "materiellem" Recht schon deswegen der näheren Darlegung, weil sie von erheblichem Einfluß auf die nachfolgende Strukturierung der jugendstrafrechtlichen Rechtsanwendungsprinzipien ist. a) Von der insoweit gleichgelagerten Problemstellung im allg. Strafrecht ausgehend wird dort vielfach die Auffassung vertreten, das Strafverfahrensrecht diene primär der Verwirklichung des "materiellen" Strafrechts, indem es ggf. zur Durchsetzung der Strafdrohung im Einzelfall beitrage 96 • Eine weitergehende und differenzierende Sicht sieht die Funktion des Strafverfahrensrechts gleichrangig darin, die Grenzen, die dem strafverfolgungsbehördlichen Eingriffsrecht zum Schutz der Freiheit des einzelnen gezogen sind, festzulegen; endlich soll das Strafverfahrensrecht eine abschließende Entscheidung ermöflichen, um den beeinträchtigten Rechtsfrieden wiederherzustellen 9 • Diese Funktionsbestimmungen setzen aber die herkömmliche Trennung zwischen "materiellem" Strafrecht und "formellem" Strafverfahrens- und -vollzugsrecht voraus, wobei die Bezeichnung der entsprechend unterschiedenen Rechtsbereiche zusätzlich den Eindruck vorspiegelt, es handle sich um die grundlegende Differenzierung zwischen Form und Inhalt 98 • Dieser Eindruck ent96 s. z.B. Löwe/Rosenberg/Schäjer 1976, Einl. Kap. 6 Rn. 1, s. aber auch schon ebd. Fn. 1. 97 s. insbesondere Roxin 1983, 1, ferner 2; vgl. auch Hassemer 1981, 109 .ff. 98 Für den Bereich des Zivilrechts hat schon Esser (1974 [1956], 118 f.) die

102

§ 2 C) Geltung von Rechtsanwendungsprinzipien

spricht nicht der Wirklichkeit. Das wechselseitige notwendige Ergänzungsverhältnis zeigt sich bereits in der partiellen funktionalen Gleichwertigkeit von Rechtsinstituten des Straf- und des Strafverfahrensrechts 99 • Die Unhaltbarkeit einer entsprechend reduzierten Funktion des Strafverfahrens- und -vollzugsrechts lOO zeigt sich aber noch grundlegender darin, daß es - pointiert ausgedrückt - normiertes Sollen im Strafrecht erst als Sein konstituiert lOI ; als Beispiel ließe sich anführen 102 , daß die (kriminalpolitische) Entscheidung für ein spezialpräventives Strafrecht ihren Gehalt im Einzelfall erst dadurch erlangen kann, daß die strafverfahrensrechtliche Gestaltung des Verfahrens auf die ausreichende Ermittlung der Täterpersänlichkeit zugeschnitten ist. b) Entsrrechende Überlegungen weiterführend hat Peters schon frühzeitig angeregt lO , das Strafrecht von einer prozessualen Betrachtung aus anzuwenden und weiterzuentwickeln 104. Unter Hinweis auf kriminalpolitische BedenEinheit zwischen sog. "formellen" und "materiellen" Recht betont, indem er gerade die Rechtschutz- und Rechtsfindungsnormen (sowie deren Formen der Herausbildung) als "materielles Justizrecht" und ihre formelle Betrachtung als "zu einseitig" bezeichnet hat. •• Roxin (1983, 6) vergleicht diesbezüglich die objektiven Bedingungen der Strafbarkeit mit den Prozeßvoraussetzungen und die Ausscheidung von Bagatelltaten im Wege restriktiver Tatbestandsauslegung ("erhebliche Beeinträchtigung" gemäß § 223 StGB, "empfindliche Drohung" gemäß § 240 StGB) mit der- Einstellung wegen Geringfügigkeit gemäß § 153 StPO. Aus der gegenwärtigen Diskussion wäre ferner insbesondere das Verhältnis zwischen den Voraussetzungen bei dem Absehen von Strafe (§ 60 StGB) und dem Absehen von weiterer Strafverfolgung gemäß §§ 153a ff. StPO, 45 JGG zu nennen (s. N. bei Nothacker 1982, 60 Fn. 46). 100 s. u. b). 101 Die konstitutionelle 'Bedeutung des Verfahrensrechts für die Realität des "materiellen" Rechts wird in neuerer Zeit insbesondere auch in der Grundrechtsdiskussion behandelt (s. Goerlich 1981, Bethge 1982). 102 In Anlehnung an Roxin 1983,6. 103 Peters 1963. 104 Diese Überlegungen können zwar konsequenterweise zur Entwicklung einer Strafprozeßlehre hinführen, die Funktionen prozessualer Sicht sind aber nicht deckungsgleich mit den Aufgaben einer Strafprozeßlehre für das Strafrecht. Während die Strafprozeßlehre die tatsächlichen Gegebenheiten des Verfahrensablaufs untersucht, um zu einer allg. Theorie der Strafverfahrenswirklichkeit zu kommen (vgl. Peters 1967,893; Roxin 1983,8; s. auch Kühne 1982 [1978], Vorwort zur 1. Aufl.; Roxin 1976, 9; Schreiber 1976, 117), wobei die Befunde bei entsprechender kriminalpolitiseher Wirkung zu einem Wandel des Strafrechts beizutragen vermögen, geht es den vorstehenden Überlegungen auch um die unmittelbaren Folgen für strafrechtliche Norminterpretation, die sich aus den dem Vergleich mit dem Strafrecht abgewonnenen Typisierungen, Systematisierungen und Konkretisierungen der Strafverfahrensnormen ergeben. Inso-

IV. Rangfolgeproblem

103

ken gegenüber der Auffassung, das Strafrecht habe Vorrang gegenüber Strafverfahrens- und -vollzugsrechtlOS , legt er dar, daß dem Strafrecht als solchem keine unmittelbare Wirkkraft zukomme, es vielmehr ausschließlich im Prozeß und, worauf er ausdrücklich hinweist, im Vollzug seine Verwirklichung finde 106 . Die Umsetzung in die Wirklichkeit geschehe in zweifacher Weise; es gelte zum einen die Aussage: "Ohne Prozeß keine Anwendung des Strafrechts", und sodann: "Im Strafprozeß findet das Strafrecht erst seine nähere rechtliche Gestaltung"107 . Im einzelnen sieht er es etwa als Aufgabe einer prozessualen Sicht an, der mit einer Tendenz zur Lückenschließung verbundenen Neueinführung und Ausdehnung von Straftatbeständen durch Gesetzgebung und Wissenschaft insoweit entgegenzusteuern, als diese Bemühungen auf einer Verkennung des fragmentarischen und exemplikativen Charakters des Strafrechts beruhen und zu einer Überlastung der Rechtspflege mit Kleinkriminalität führen, die ihre Funktionsfähigkeit für den Bereich schwerster Delikte beeinträchtigen könnte 108 .

c) Bezieht man diese Überlegun~en nicht auf den weitgezogenen Bereich der Strafrechtsgewinnung 09, sondern beschränkt man sie auf den Bereich der prinzipiellen Rechtsanwendung, insbesondere weit könnten diese Überlegungen als strafrechtsfunktionale Strafprozeßrechtslehre i. S. einer systematischen Ergänzung verstanden werden (s. zum Aufgabenbereich der Strafprozeßrechtslehre Roxin 1983,8; bereits Sauer 1951, 63 ff.). Auch deswegen ist der weitergehenden Frage, ob nach herkömmlicher Sichtweise des Verhältnisses zwischen Strafrecht und Strafverfahrensrecht eine Legitimation des Strafrechts durch das Verfahren stattfindet (vgl. Luhmann 1969), nicht nachzugehen; denn "Legitimation durch Verfahren" ist nicht etwa Rechtfertigung durch Verfahrensrecht, obwohl Verfahren rechtliche Regelungen voraussetzen. Vielmehr geht es bei der "Legitimation durch Verfahren" um die "Umstrukturierung des Erwartens durch den faktischen Kommunikationsprozeß, der nach Maßgabe rechtlicher Regelungen abläuft, also um wirkliches Geschehen und nicht um eine normative Sinnbeziehung" (Luhmann 1969,37). 105 Peters 1963, 8. 106 Peters 1963, 10 f. 107 Pe ters , ebd. (Erweiternd wäre anstelle von "Strafprozeß" wohl besser von "Strafverfahren" zu sprechen.) - Auch Peters betont, daß Strafrecht, Strafverfahrensrecht und -vollzugsrecht als Einheit gesehen werden müssen (a.a.O.,11). 108 PeteTs 1963, 14, 18 ff. (20), ferner 43. - Ein Beispiel für die Konsequenzen prozessualer Betrachtung läßt sich auch darin erkennen, daß aus der Tatsache der Laienbeteiligung in der Gerichtsbarkeit für das Strafrecht z. B. die Notwendigkeit einer Vereinfachung und erhöhten Transparenz von Straftatbeständen gefolgert wird (Peters a.a.O., 36). Konsequenzen prozessualer Sichtweise im Beweisrecht für die Gestaltung des Strafrechts behandelt Lüderssen

1973,288.

109 s. dazu Gössel 1974,41 ff. m.N. - Inwieweit Rechtsanwendungsprinzipien als Form der Strafrechtsgewinnung zugleich Ausdruck einer das Recht der Rechtsfolgenvoraussetzungen und Rechtsfolgen modifizierenden Kraft des Verfahrensrechts sein könnten, muß im Rahmen des vorgegebenen Zusammenhangs dahinstehen.

104

S 2 C) Geltung von Rechtsanwendungsprinzipien

auf die Norminterpretation, so folgt für das hier interessierende Gebiet des Jugendstrafrechts eine Ausgestaltung und inhaltliche Bestimmung von Rechtsanwendungsprinzipien, die sowohl die verfahrensmäßige Umsetzung wie den Vollzug der Rechtsfolgen für die Frage der Auswahl (und Kombination) ständig vorrangig berücksichtigt llO •

110 Zur begrenzten Bedeutung der Untergliederung in Fragen der Rechtsfolgenvoraussetzungen und Rechtsfolgen, Gerichtsverfassungsrecht und Zuständigkeit, Verfahrensrecht sowie Vollstreckungs- und Vollzugsrecht, welche zur Analyse der Rechtsanwendungsprinzipien in Rspr. und jugendstrafrechtlichem Schrifttum verwendet werden wird, s. im übrigen u. D) 2. Abschn. I. 3. a) ce).

§ 3 Zweites Hauptstück:

Ermittlung und Überprüfung jugendstrafrech tlicher Rechtsanwend ungsprinzi pien Erster Teil:

Rechtssystematische Analyse von Einzelprinzipien D) Analytische Differenzierung des Grundsatzes erzieherischer Präponderanz und seiner Ergänzungen anhand normativer und rechtspraktischer Ausprägungen 1. Abschnitt:

Vorüberlegungen I. Vorrang der Erziehung

1. Ausdrücklich ist der Grundsatz "Vorrang des Erziehungsgedankens" im Gesetz nicht angesprochen!. Ein Vorrang ergibt sich allg. gegenüber anderen Zwecken des Strafrechts daraus, daß das JGG grundsätzlich den außerhalb geltenden Vorschriften i. S. d. Auslegungsprinzips "lex specialis derogat legi generali" nach Maßgabe von § 2 JGG vorgeht und das JGG seine Legitimation nur daraus gewinnt, daß Nichterwachsenen eine andere (erzieherische) Einflußnahme zuteil werden soll als Erwachsenen 2 • Das Erziehungsprinzip selbst, welches gemäß den Ausführungen unter B) inhaltlich als Sozialisationsprinzip verstanden wird und - auch im engeren Verständnis - sowohl Erziehung wie - tendenziell - Entwicklungsfär1 Vgl. bereits o. A) I. 2. - Im Rahmen der nachfolgenden Analyse von Prinzipien herrschender Gesetzesinterpretation wird aus allg. Gründen der Verständlichkeit terminologisch am überkommenen Erziehungsbegriff festgehalten (zum Vorschlag seiner zukünftigen [auch] begrifflichen Ersetzung s. aber o. B) m., IV.). 2 Konzeptionell wäre an sich der weitergehende Begriff der "Präponderanz" demjenigen bloßen "Vorrangs" vorzuziehen. - Zur Grundlegung der Spezialität und ihrer Grenzen s. u. 2. Abschn. I.

106

§ 3 D) Erziehungsvorrang und Anwendungsprinzipien

derung umfaßt 3 , ist ausdrücklich in zahlreichen Bestimmungen des JGG benannt, und zwar bezogen auf einzelne Rechtsfolgen und Verfahrenskonstellationen 4 ; allerdings bleiben diese Erwähnungen ohne innere Systematik, so daß allein hieraus unmittelbar keine Folgerun3 An der Unterscheidung zwischen Erziehung als "lndividualhilfe" und Förderung als "Sozialhilfe" hält - entsprechend seinem intentionalen Verständnis von Erziehung (s.o. B) lll. und Fn. 63) -Peters (1981, 563) fest. 4 Vgl. §§ 3 Satz 2 ("Erziehung" des nicht strafrechtlich Verantwortlichen), 5 Abs. 2 (Ahndung nur, wenn "Erziehungs"-Maßregeln nicht ausreichen), 10 Abs. 1 Satz 1 (Weisungen sollen "Erziehung fördern und sichern"), 11 Abs. 2 und 15 Abs. 3 Satz 1 (Umgestaltung von Weisungen bzw. Auflagen, wenn "aus Gründen der Erziehung geboten"), 16 Abs. 3 Satz 1 (Kurzarrest statt Freizeitarrest, wenn [- als erstgenannte Voraussetzung -] zusammenhängender Vollzug "aus Gründen der Erziehung zweckmäßig"), 17 Abs. 2, 1. Altern. (Jugendstrafe wegen "schädlicher Neigungen", wenn andere Rechtsfolgen "zur Erziehung nicht ausreichen"), 18 Abs. 2 (Bemessung der Jugendstrafe so, daß "erforderliche erzieherische Einwirkung möglich"), 21 Abs.1 Satz 1 (Berücksichtigung der "erzieherischen Einwirkung in der Bewährungszeit" bei der Aussetzungsprognose ), 23 Abs. 1 Sätze 1 und 4 sowie 29 Satz 2 (bei ~ 10 Abs.1 Satz 1 entsprechender Funktion sollen Weisungen den Jugendlichen in der Bewährungszeit "erzieherisch beeinflussen"), 24 Abs. 1 Satz 2 sowie 29 Satz 2 (Unterstellung des Jugendlichen unter einen ehrenamtlichen Bewährungshelfer, wenn "aus Gründen der Erziehung zweckmäßig"), 31 Abs. 3 Satz 1 (Absehen von Einbeziehung abgeurteilter Straftaten, wenn "aus erzieherischen Gründen zweckmäßig"), 35 Abs. 2 Satz 2 und 37 (Die zur Wahl als Jugendschöffen Vorgeschlagenen sowie die Jugendrichter und Jugendstaatsanwälte sollen "erzieherisch befähigt und in der Jugenderziehung erfahren" sein.), 91 Abs. 4 (Beamte im Jugendstrafvollzug müssen "für ... Erziehungsaufgabe des Vollzugs geeignet und ausgebildet" sein.), 38 Abs. 2 Satz 1 (Vertreter der Jugendgerichtshilfe haben u.a. "erzieherische Gesichtspunkte" im Verfahren zur Geltung zu bringen.), 46,47 Abs. 2 Satz 4, 51 Abs. 1 Satz 1, 54 Abs. 2, 69 Abs. 2,12 Satz 1 i.V.m. S 57 Abs. 4 Satz 2 JWG (Vermeidung von "Nachteil[en] für ... Erziehung" des Jugendlichen bei Darstellungsform des wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen in der Anklageschrift, bei Entscheidung über eine Mitteilung der Einstellungsgründe an den Jugendlichen, über seinen Ausschluß von Erörterungen in der Verhandlung, über den Umfang einer Mitteilung der Urteilsgründe, über die Bestellung des Erziehungsberechtigten oder des gesetzlichen Vertreters als Beistand und über den Umfang der Mitteilung der Beschlußgründe bzgl. der Anordnung, daß ein Erziehungsbeistand zu bestellen ist), 48 Abs. 3 Satz 2 (Ausschluß der öffentlichkeit in der Hauptverhandlung "im Interesse der Erziehung jugendlicher Angeklagter" auch dann, wenn Heranwachsende und/oder Erwachsene mit angeklagt sind), 52a Abs. 1 Sätze 2 und 3 (Absehen von der Anrechnung erlittener Untersuchungshaft auf Jugendstrafe "aus erzieherischen Gründen"), 71 Abs. 1 Satz 1 (richterliche "Anordnung über die Erziehung" vor Rechtskraft des Urteils), 71 Abs. 2 Satz 1 und 72 Abs. 3 Satz 1 (einstweilige Unterbringung in einem "geeigneten Erziehungsheim" auch anstelle von Untersuchungshaft), 80 Abs. 1 Satz 2 (staatsanwaltschaftliche Verfolgung eines Privatklagedelikts, wenn "Gründe der Erziehung" oder berechtigtes Verletzten-

1. Abschnitt 1. Vorrang der Erziehung

107

gen im Hinblick auf die Bedeutung des Grundsatzes für die Anwendung des JGG als Hauptaspekt jugendstrafrechtlicher Rechtsanwendung zu gewinnen sind. Dasselbe gilt für die im JGG selbst angedeuteten Grenzen des Grundsatzes, die entweder nicht hinreichend deutlichS , zumindest aber umstritten sind6 • 2. Unabhängig von den im einzelnen verwendeten Begriffen fällt zunächst auf, daß der terminus "Erziehung" auf eine weitgezogene Reihe unterschiedlichster Sachverhalte bezogen ist. Zugleich sind allg. Voraussetzungen der Erziehung, Erziehungsmethoden, -inhalte und -ziele nur sehr vereinzelt benannt? Den verwendeten Bezeichnungen mangelt es an hinreichender Bestimmtheit, und zudem wird die rechtliche Überprüfung ihrer Anwendung dadurch erschwert, daß Beurteilungsspielräume, die einer Rechtmäßigkeitskontrolle der Beurteilungsausübung zugänglich sein müssen, dieser durch Einbeinteresse, das "Erziehungszweck" nicht entgegensteht, es erfordern), 87 Abs. 3 Sätze 1 und 2 (Absehen von Vollstreckung des Restes eines Jugendarrestes, wenn "aus Gründen der Erziehung geboten", bzw. Absehen von Vollstreckung insgesamt, wenn "erzieherischer Zweck" wegen anderweitiger Strafe nicht mehr zu erfüllen ist), 91 Abs. 2 Satz 1 (Benennung von Einzelbereichen als Grundlagen der "Erziehung" im Jugendstrafvollzug), 93 Abs. 2 (Untersuchungshaftvollzug soll "erzieherisch gestaltet" sein.), 12 Satz 1 i. V. m. S 71 Abs.4 Satz 3 JWG (keine Mitteilung vom Unterbringungsort des Jugendlichen bei Fürsorgeerziehung an seine Eltern, wenn dadurch der "Erziehungszweck ernstlich gefährdet wird"). 5 s. §§ 7,102,103 Abs. 2 Satz 2, 104 (insbesondere Abs. 3) JGG. 6 s. S 17 Abs. 2, 2. Altern. JGG und dazu den Streitstand, ob bei Verhängung und/oder Bemessung dieser Form der Jugendstrafe ebenfalls erzieherische Gesichtspunkte vorrangig zu berücksichtigen sind (s. betreffend die Verhängung die N. u. Fn. 87; s. betreffend die Bemessun~ BGHSt 15,224 [226], 16, 261 [263], StVert 1981, 241, StVert 1981, 405, StVert 1982,335 f. [zust. Mösl 1982,457], GA 1982, 416, StVert 1982, 473, StVert 1982, 474, [v. 18.12.1981 - 2 StR 504/81] bei Böhm NStZ 1982, 414,[v. 22.10.1980 - 4 StR 570/80] zit. bei Eisenberg 1985, § 18 Rn. 20, [v. 25.02.1983 - 3 StR 345/82 (S)], [v. 09.05.1984 - 2 StR 90/84] bei Böhm NStZ 1984,445, [v. 23.11.1983 - 2 StR 722/83] bei Böhm NStZ 1984, 445 einerseits, BGH StVert 1982, 121, StVert 1982, 173 = JR 1982,432 mit zust. Anm. Brunner 1982a und dazu ausführlich Bruns 1982,592 [593 f.], BGH NStZ 1984, 508, BGH [v. 25.09.1984 - 1 StR 494/84] anderseits). , Was etwa Erziehungsziele angeht, so ist, bezogen auf Jugendstrafe, lediglich das äußerst unbestimmte Erziehungsziel "rechtschaffener (und verantwortungsbewußter) Lebenswandel" (vgl. H 19 Abs. 1,21 Abs.l Satz 1, 88 Abs. 1, 89 Abs. 1, 91 Abs. 1 JGG; s. ferner ,,rechtschaffener Mensch" in S 97 Abs. 1 JGG) genannt (krit. hierzu Baumann/Weber 1985, 705, 751; Eisenberg 1985, § 5 Rn. 4; Matzke 1982, 176 ff.; s. näher u. 2. Abschn. 11. 6. c. aa) fff), III. 5. a) dd), b) cc) ccc); vgl. im übrigen bereits o. B) IV. 1. a)).

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§ 3 D) Erziehungsvorrang und Anwendungsprinzipien

ziehung des Kriteriums der Zweckmäßigkeit weithin entzogen sind8 • Hinzu kommt, daß rechtliche Begriffe und Prinzipien empirisch interpretierbar sein müssen 9 , wollen sie und damit die Rechtsanwendung nicht in die Gefahr geraten, den Wirklichkeitsbezug tendenziell einzubüßen und zum inhaltsleeren Dogma zu erstarren. Il. Untersuchungsgegenstand

1. Unternimmt man den Versuch, die Reichweite des Grundsatzes zu bestimmen, indem - wie nachfolgend - die mit ihm in Zusammenhang stehenden Rechtsanwendungsprinzipien systematisch differenziert werden, wird vielfach die normative Ausprägung nur Ausgangspunkt der Analyse sein können. Häufig ist der Gehalt der Rechtsanwendungsprinzipien erst durch die Exemplifizierung der rechtspraktischen Fallkonstellationen zu verdeutlichen; dies gilt für die in der Rechtspraxis entwickelten Prinzipien ohnehin. 2. Zu bedenken ist hierbei, daß die Analyse der höchstrichterlichen Rspr. mit dem Problem zu tun hat, daß Rechtsmittelentscheidungen in Jugendstrafverfahren einen relativ geringeren Anteil ausmachen als in allg. Strafverfahren 1 0 • Die Anfechtung von Rechtfolgeentscheidungen im Jugendstrafverfahren ist durch § 55 Abs. 1 JGG eingeschränkt, was zu dem Umstand beitragen dürfte, daß sich die überwiegende Zahl veröffentlichter Entscheidungen auf Fragen der Auslegung verfahrensrechtlicher Regelungen bezieht, wenn darunter in einem weiteren Sinne die nicht auf die Rechtsfolgenvoraussetzungen und Rechtsfolgen bezogenen Bestimmungen insgesamt verstanden werden. Die Erweiterung des auf Rechtsfolgenvorausset• s. etwa §§ 16 Abs. 3 Satz 1, 24 Abs. 1 Satz 2 (29 Satz 2), 31 Abs. 3 Satz 1 JGG. • s. deshalb u. F) 1. Abschn. I. 10 Vgl. etwa die Angaben in der RPflSt. 1981, Reihe 1, 32 f., Reihe 2, 122 f., 134 f. Nimmt man die erledigten landgerichtlichen Berufungs- und oberlandesgerichtlichen Revisionsverfahren (einschließlich Rechtsbeschwerdeverfahren nach dem OWiG) zum Maßstab, so errechnet sich hieraus für 1981 - bezogen auf sämtliche Verurteilte (Erwachsene einerseits, Jugendliche und Heranwachsende andererseits) - eine Rechtsmittelquote von 12,9% vor den allg. Strafgerichten gegenüber nur 5,3% vor den Jugendgerichten (Die statistisch nicht gesondert ausgewiesenen und nicht ins Gewicht fallenden Zahlen der vor den Jugendgerichten verurteilten Erwachsenen [s. § 103 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 JGG] und der vor den allg. Strafgerichten verurteilten Jugendlichen und Heranwachsenden [so § § 103 Abs. 2 Sätze 2 und 3, 112 Satz 1 JGG] sind hierbei unberücksichtigt.). - Einen Grund hierfür bildet auch die besondere Rechtsmittelbeschränkung des § 55 Abs. 2 JGG.

2. Abschnitt 1. Spezialität

109

zungen und Rechtsfolgen bezogenen Spektrums der Verwendung der Rechtsanwendungsprinzipien durch Einbeziehung instanzgerichtlicher Urteile scheint daher angezeigt, wenngleich nicht zu verkennen ist, daß die erhöhte Selektivität bei der Veröffentlichung dieser Entscheidungen Beschränkungen in ihrer Repräsentativität hinzunehmen hat. Dem Anspruch einer "Totalerhebung" (auch nur) veröffentlichter Rspr. sind deshalb von vornherein Grenzen gesetzt. Schon deswegen ist bereits hier das jugendstrafrechtliche Schrifttum für die Bestimmung der Reichweite im Rahmen zentraler Auslegungsfragen beizuziehen. Besonderes Gewicht wird dabei auf die Kommentarliteratur gelegt, weil dieser Teil des Schrifttums herkömmlicherweise die vergleichsweise stärkste Gestaltungskraft, jedenfalls auf die Rspr. in der Eingangsinstanz, ausübt. 2. Abschnitt:

Im JGG dominante jugendspezifische Rechtsanwendungsprinzipien I. Spezialität

1. Die Bedeutung des Prinzips der Spezialität ist grundlegend bereits für den Standort des Jugendstrafrechts innerhalb des Rechtssystems. Wie bereits angedeutet!!, ist es nicht nur Teilelement des Grundsatzes erzieherischer Präponderanz, sondern für das Jugendstrafrecht konstitutiv insofern, als das JGG seine Legitimation aus der hypostasierten Notwendigkeit gewinnt, einer bestimmten AItersgruppe andere (staatliche) Reaktionen als der altersmäßigen Majorität im Falle strafrechtlich bedeutsamen Verhaltens zuteil werden zu lassen. . a) Darin ist der wesentlichste Aspekt des Prinzips der Spezialität schon enthalten: Gemeint ist, daß das JGG neben denselben prägenden Merkmalen des allg. Straf(verfahrens)rechts mit dem Bezug auf eine bestimmte Altersgruppe ein weiteres prägendes Merkmal berücksichtigt!2. Es besteht weitgehende Kongruenz mit der Charaktes.o. 1. Abschn. I. Diesen Aspekt übersieht etwa Battke (1983,69 ff. [86 ff.]), der einen verfahrensbezogenen Syntheseversuch zwischen erzieherischen und strafrechtlichen Funktionen unternimmt (Nach seiner terminologischen Differenzierung leitender Vorstellungen ist er wohl doch der "edukativ-systemimmanenten" [a.a.O., 73] Auffassung zuzuordnen.) und dergestalt zu dem primär rechtsstaatlich geprägten (vgl. auch u. E) 1. Abschn. 111.) zentralen topos des fairen "Erziehungsverfahrens" gelangt. 11

12

110

S 3 D) Erziehungsvorrang und Anwendungsprinzipien

risierung des Spezialitätsprinzips innerhalb der strafrechtlichen Konkurrenziehre; danach wird ein Gesetz (d.h. ein Straftatbestand) gegenüber einem anderen als speziell angesehen, wenn es alle Merkmale des anderen aufweist und sich (nur) dadurch von jenem unterscheidet, daß es wenigstens ein zusätzliches Merkmal aufweist, welches einen weiteren Gesichtspunkt berücksichtigt 13 • b) Eine entsprechende Charakterisierung der Spezialität nimmt aber unabdingbar eine Vorentscheidung über den Standort des Jugendstrafrechts innerhalb des Rechtssystems zur Voraussetzung. Es ist die in der geschichtlichen Entwicklung des Jugendstrafrechts dominierend gewordene Annahme 14 , das Jugendstrafrecht sei Teil im System des Strafrechts 15 • Hält man daran fest, ist das Spezifikum der bestimmten Altersgruppe derjenige spezielle Gesichtspunkt, welcher die jugendstrafrechtliche Norm gegenüber der vergleichbaren Norm des allg. Strafrechts hervorhebt und ihr den Vorrang einräumt. Dieser Vorrang besteht, soweit dieser Aspekt reicht 16 , 13 s. Klug 1956, 405 f.; Geerds 1961, 193; Honig 1978 (1927), 113; vgl. RGSt 14,386; RGSt 60, 122; Blei 1983, 358;Jescheck 1978, 600; Maurach/ Gössel 1978, 316 f.; SK-Samson 1981, vor § 52 Rn. 60; Schönke/Schröder/ Stree 1982, vor §§ 52 H. Rn. 110; LK-Vogler 1978, vor S 52 Rn. 108. - Die mit der Charakterisierung verbundene Annahme eines begriffslogischen Stufenverhältnisses wird hinsichtlich ihrer Praktikabilität allerdings für verschiedene Bereiche in Zweifel gezogen (s. Montenbruck 1983, 165 ff.). 14 Als Beispiel für die neuere Entwicklung hin zur Dominanz des strafrechtlichen Modells mag etwa der Hinweis darauf dienen, daß der J ugendgerichtsbarkeit bis 1962 ein selbständiger Aufbau mit besonderer Zuständigkeit zuerkannt war, während die Jugendgerichte als Abteilungen der Strafgerichte gelten, seit der Große Senat des BGH in Strafsachen entsprechend entschieden hat (BGHSt 18,79; vgl. u. 3. b) bb)). Ferner zeigt sich die in Rede stehende Tendenz in der Angleichung des jugendstrafrechtlichen Rechtsfolgensystems an dasjenige des allg. Strafrechts, wie dies z. B. in der Anwendungshäufigkeit der "Geldauflage" (als Geldstrafenersatz) oder der geringen Nutzung der - keine Parallele im allg. Strafrecht aufweisenden - Aussetzung der Verhängung der Jugendstrafe zur Bewährung (S 27 JGG) zum Ausdruck kommt (vgl. Kaiser 1983, 346,350; bereits Eisenberg 1982, Einl. Rn. 7, Jung 1981, 40; Albrecht 1980, z.B. 92; s. ferner u. 3. a) aa) aaa) (a)). 15 s. dazu o. A). I. Von letzterer Einschränkung zu unterscheiden ist die Frage, welche Norm gilt, wenn der spezielle Aspekt nicht eindeutig vorliegt und zusätzliche Normdivergenzen bestehen. Zwar ist davon auszugehen, daß die "allgemeinere" Norm nicht in dem Sinne völlig verdrängt wurde, daß sie in der anderen Norm aufging (vgl. RGSt 47, 388); es handelt sich bei dem Problem jedoch nicht eigentlich um das in der Spezialität logisch enthaltene Abhängigkeitsverhältnis der Subordination (s. aber o. Fn. 13 a.E.), sondern dasjenige der überschneidung und damit um eine Subsidiaritätsfrage (s. dazu grundlegend Klug 1956,405 f.); s. näher noch u. IH. 2.

2. Abschnitt I. Spezialität

111

d.h. soweit die (insbesondere verfassungsrechtlichen) Grenzen der allg. Norm nicht auch diejenigen des speziellen Gesichtspunktes sind 1? • Anders wäre es dagegen, wenn sich die Zuordnung des Jugendstrafrechts zu einem erweitereten Jugendhilferecht durchgesetzt hätte 18 . Dann wäre die Spezialität des Jugendstrafrechts gegenüber dem allg. Jugendhilferecht durch das zusätzliche Merkmal gekennzeichnet, daß dasjenige Verhalten, welches zu einer (staatlichen) Reaktion Anlaß gegeben hat, "nach den allg. Vorschriften mit Strafe bedroht ist,,19 .

2. a) Ein auf der erwähnten Voraussetzung basierendes Prinzip der Spezialität des Jugendstrafrechts hat im Gesetz Ausprägungen von unterschiedlicher Tragweite erfahren: aa) Was gesetzliche Ausprägungen des Grundprinzips der Spezialität angeht, müssen mehrere Aspekte der grundlegenden Vorschrift des ~~ 2 JGG differenziert werden; denn in ihr sind weitere Rechtsanwendungsprinzipien - neben verschiedenen Varianten der Spezialität 20 - angelegt21. Spezialität normiert sie, indem sie den JGG-Vorschriften wegen ihres Altersgruppenbezugs grundsätzlichen Vorrang vor sämtlichen Rechtsnormen strafrechtlicher Erfassung von Verhalten einräumt, die altersunabhängige Regelungen enthalten 22 . E). s. o. A). 19 Vgl. S 1 Abs. 1 JGG. - Allerdings greift auch das geltende Recht diesen Gesichtspunkt einer Spezialität des Jugendstrafrechts in dem eingeschränkten Bereich des § 3 Satz 2 JGG auf (und knüpft daran eine Zuständigkeitserweiterung [so die h.M.; vgl.Eisenberg 1985, S 3 Rn. 42 m.N.] des Jugendrichters). 20 s. zur Prinzipienvariante der Eigenständigkeit des Jugendstrafrechts u. b) und zur Prinzipienvariante jugendgemäßer Rechtsanwendung der allg. Vorschriften u. c). 21 s. u. 3. a) aa); s. zu Subsidiarität als Variante der Verhältnismäßigkeit u. II.4.b). 22 Für den Bereich des die Rechtsfolgenvoraussetzungen betreffenden Strafrechts soll dieser Vorrang durch S 10 StGB zusätzlich betont werden. (In dieser Klarstellungsfunktion, einschließlich der Hervorhebung der Eigenständigkeit des Jugendstrafrechts, erschöpft sich die Vorschrift [kaum zutreffend deshalb OLG Oldenburg NJW 1982, 2741]; dies macht die Begr. zu S 9 des E 1962 deutlich, von welcher Vorschrift die geltende Regelung, die der Fassung des 2. StRG entspricht, nicht abweicht [so 2. Schriftl. Ber. des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, BT-Dr. V/4095, 7], indem es heißt: "Die Vorschrift enthält nur einen dem geltenden Recht [S 2 des JGG] entsprechenden Hinweis darauf, daß das besondere Strafrecht für Jugendliche und Heranwachsende an anderer Stelle geregelt ist und daß es gegenüber den allgemeinen Vorschriften des StGB vorgeht. Sachlich bringt die Vorschrift deshalb nichts Neues. Sie ist jedoch insofern bedeutsam, als sie die grundsätzliche Entscheidung des Entwur17 18

S.u.

112

§ 3 D) Erziehungsvorrang und Anwendungsprinzipien

bb) Eine gesetzliche Ausprägung der Spezialität läßt sich für einen eingeschränkteren Anwendungsbereich auch in der Regelung des § 13 Abs. 3 JGG erkennen. Dies ~ilt jedenfalls dann, wenn mit der im Schrifttum teilw. vertretenen Auffassung 3 aus der (auch) ahndenden Funktion der Zuchtmittel (§ 13 Abs. 1 JGG) wegen des damit verbundenen repressiven Wesensgehalts dieser Rechtsfolgenkategorie gefolgert wird, bei den Zuchtmitteln insgesamt, jedenfalls aber bei Jugendarrest, handle es sich materiell um Strafe 24 25. Über eine bloße Klarstellungsfunktion hinaus hätte dann § 13 Abs. 3 JGG zusätzlich zum Inhalt, allg. Rechtswirkungen von Strafe (insbesondere Rückfallbegründung und Eintragung in das Zentralregister) durch spezielle Rechtswirkungen, wie sie erzieherischen Maßnahmen (insbesondere aber den Erziefes über die künftige systematische Einordnung des Jugendstrafrechts erkennbar macht .... Maßgebend [für die unterbliebene Einbeziehung des die Rechtsfolgenvoraussetzungen und die Rechtsfolgen betreffenden Jugendstrafrechts in das StGB - Verf.] ... war, ... daß sich der im JGG behandelte Rechtsstoff ... in den letzten Jahrzehnten immer mehr zu einem strafrechtlichen Spezialgebiet entwickelt hat" [BT-Dr. IV/650, 114; vgl. auch die inhaltlich weitgehend entsprechende Vorschrift des § 9 Alternativentwurf eines StGB 1969 (1966),38 f.]). 23 Lange 1944,44; Gallas 1937,635 und auch die strafrechtliche Lehrbuchliteratur s. Maurach/Zipj 1978,579 f.; Schmidhäuser 1975,850; Welzel1969, 273; s. aber Baumann 1977,776. - Zur registerrechtlich unterschiedlichen Behandlung von Jugendstrafe und Jugendarrest vgl. aber §§ 4, 15 BZRG gegenüber § 60 Abs.1 Nr. 1 BZRG. 24 Dagegen Schaffstein 1983, 93; auch BGHSt 18,207 (209); OLG Celle VRS 6, 356 und Dallinger/Lackner 1965, § 16 Rn. 1 m.N. (Jugendarrest mit "zugleich sühnendem und erzieherischem Charakter"); weitere N. bei Bohnert 1983, 521 Fn. 54; vgl. Eisenberg 1985, § 13 Rn. 7, 8. - Der Meinungsstreit scheint insgesamt kaum problemlösenden Charakter zu haben, legt aber die Einsicht nahe, daß die Zuchtmittel als selbständige Rechtsfolgenkategorie des Jugendstrafrechts wieder (wie vor 1943) aufgelöst und teilw. neu eingeordnet werden sollten. Jedenfalls spricht gegen die Einstufung der Zuchtmittel als Strafen in einem materiellen Sinne - wegen der insoweit wohl lediglich klarstellenden Funktion von § 13 Abs. 3 JGG - deren systematische Selbständigkeit ebenso wie ihre Heterogenität (- So steht der Jugendarrest der J ugendstrafe ersichtlich nahe [so aber auch BVerfGE 32, 40 ff. mit abw. Meinung S. 53], während mit dem Einsatz der Verwarnung und von einzelnen Auflagen teilw. weniger repressive Reaktionen ermöglicht sind als mit einzelnen Erziehungsrnaßregeln.). Erkennt man den Zuchtmitteln aber sowohl erzieherische wie repressive (einschließlich Vergeltungs-)Funktionen zu, besteht eine teFidenzielle Zweckantinomie (s. dazu auch u. F) 1. Abschn. 11.1. d)), die zu praktisch kaum lösbaren Schwierigkeiten führt. 25 Interpretiert man sämtliche jugendstrafrechtlichen Rechtsfolgen als Strafen, weil sie die Wirkung (nicht: zugrundegelegte Absicht) der Übelzufiigung enthielten (Bohnert 1983,521), so erscheint es kaum als konsequent, demgegenüber das vormundschaftsgerichtliche Verfahren als "reines Erziehungsverfahren" (a.a.O., 522) zu verstehen; denn von der Wirkung her können auch vormundschaftsrichterliche Maßnahmen als ausschließlich repressiv empfunden werden.

2. Abschnitt 1. Spezialität

113

hungsmaßregeln) eigen sind, zu ersetzen. Dies müßte Konsequenzen im Hinblick auf eine tendenzielle Gleichbehandlung der Zuchtmittel mit den Erziehungsrnaßregeln (und nicht der Jugendstrafe) hinsichtlich der jeweiligen Rechtswirkungen haben, soweit jedenfalls entsprechende Auslegungsspielräume bestehen26 27. ce) Ferner enthält § 18 Abs. 1 Satz 3 lGG ein Element gesetzlicher Ausprägung der Spezialität 28 ; denn die Jugendstrafe kennt, soweit sie Wesenselemente des allg. Begriffs der (Kriminal-)Strafe 29 aufweist, wie die Freiheitsstrafe nach allg. Strafrecht (§ 38 Abs. 2 StGB, Ausnahme: S 38 Abs. 1 StGB) ein Höchstund ein Mindestmaß (vgl. §§ 18 Abs. 1, Abs. 2, 19 Abs. 2 JGG) und umfaßt diesbezüglich dieselben strukturellen Zumessungsmerkmale wie das allg. Strafrecht. Zugleich tritt aber das Merkmal hinzu, daß von gesetzlichen Bewertungen der Tatschwere inden jeweiligen Straftatbeständen abhängige Strafrahmen für die Jugendstrafe nicht gelten 30 . dd) Schließlich enthält auch ~~ 105 Abs. 2 lGG ein Element jugendstrafrechtlicher Spezialität, insoweit trotz einer vorangegangenen Verurteilung eines Her26 s. z.B. auch zur Frage, unter welchen Voraussetzungen neben einem Zuchtmittel auf (Nebenstrafe und) Nebenfolgen erkannt werden darf (§ 8 Abs. 3 JGG), näher u. 3. c) aal bbb). 21 Dagegen würde sich nichts daran ändern, daß auch neben Zuchtmitteln auf (etwa) die Maßregel der Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 7 JGG, § 69 StGB) ~Fkannt werden könnte; denn eine entsprechende Verbindung der Maßregel der Besserung und Sicherung ist auch mit einer Erziehungsrnaßregel möglich. (Weder § 5 Abs. 3 JGG noch § 8 Abs. 3 JGG gestatten einen Umkehrschluß; mithin besteht insoweit eine Grenze der jugendstrafrechtlichen Spezialität [vgl. BGHSt 6, 394]; s. aber auch u. IV. 5. b) und Fn. 704.) 28 Ein Schwergewicht der Regelung in 5 18 Abs. 1 Satz 3 JGG liegt allerdings - im Gesamtzusammenhang mit § 17 JGG betrachtet - auf der Alternativität zur Freiheitsstrafe, insofern die Jugendstrafe selbständige Rechtsfolge ist, welche für die Fragen der Auswahl, Zumessung und Bemessung im Grundsatz stets den besonderen Sozialisationszweck des JGG in Gestalt der Elemente der Sozialisationsbedürftigkeit, -willigkeit (s. auch u. VI. 3. a) aa)) und -fähigkeit zu berücksichtigen hat (vgl. auch Eisenberg 1985, § 17 Rn. 4 und § 5 Rn. 13; s. aber o. I. 2. b) aa)), während etwa Belange der Generalprävention sowohl bei der Verhängung (BGH JR 1954, 149; BGHSt 15,224; BGH bei Herlan GA 1955,364; BayObtG Blutalkohol 1985, 63 = StVert 1985, 155 f. und dazu Ortner 1985;Eisenberg 1985, § 17 Rn. 5; Brunner 1984, § 17 Rn.1; auch Arbeitskreis VI des 19. DJGT [1984,295]; s. aber Streng 1984, 151 f.; Bottke 1984,41; Maurach/Zipf 1984,646 Rn. 11, auch 663 f. Rn. 14;M.-K. Meyer 1984,447) als auch bei der Bemessung (BGHSt 15, 224; 16, 261; BGH bei Herlan GA 1956,346; BGH MDR 1979, 281; BGH StVert 1981,183, StVert 1982,121 und 335; BGH beiBöhm NStZ 1982,414; OLG Celle Rpfleger 1969, 95;Böhm 1977, 149;Bruns 1980, 98; Bottke 1984, 36; Eisenberg 1985, § 18 Rn. 23; s. aber BGH v. 11.03. 1958 - 5 Str 620/57; Dallinger/Lackner 1965, § 18 Rn.10; Brunner 1984, § 18 Rn. 9; Schaffstein 1983, 110; Maurach/Zipf 1984,663 f. Rn. 14) ausscheiden. 2' Vgl. etwa Brunner 1984, § 17 Rn. 1; Eisenberg 1985, § 17 Rn. 4. 30 s. zur Reichweite dieser Spezialität u. I. 3. cl.

8 Nothacker

114

§ 3 D) Erziehungsvorrang und Anwendungsprinzipien

anwachsenden nach allg. Strafrecht eine nachfolgende Verurteilung unter Anwendung von Jugendstrafrecht den einheitlichen Rechtsfolgenausspruch ohne Bindung an die Vorentscheidung 31 - unter dem Aspekt des speziellen Merkmals des Entwicklungsstandes ermöglicht.

b) Unabhängig von den dargestellten gesetzlichen Ausprägungen, deren Reichweite noch im einzelnen zu erörtern sein wird 32 , finden verschiedene Varianten des jugendstrafrechtlichen Spezialitätsprinzips als Element des Grundsatzes erzieherischer Präponderanz ihren begrifflichen Ausdruck in der Rechtsanwendung. Von Varianten wird dann gesprochen, wenn kein selbständiges Strukturmerkmal erkennbar wird, d. h. eine vollständige systematische Übereinstimmung mit der (etwa) abstrakteren Fassung desselben Grundprinzips besteht. aa) Dies betrifft mittelbar auch die prinzipielle "Eigenständigkeit des Jugendstrafrechts". Diese Argumentationsfigur tritt begrifflich nicht selten auf3 3 • Sie ist mißverständlich, wenn sie dazu benutzt wird, die prinzipielle Loslösung vom allg. Straf(verfahrens)recht zu begründen 34 , weil dadurch der Eindruck erweckt wird, sie, die Eigenständigkeit, sei ausschließlich Ausdruck der Alternativität des Jugendstrafrechts, während die historisch gewachsene Prämisse, nach der Jugendstrafrecht dem Gesamtsystem des Strafrechts zuzuordnen ist 35 , doch gleichzeitig beibehalten wird. Demgemäß ist die jugendstrafrechtliche Eigenständigkeit in Teilbereichen, etwa hinsichtlich der überwiegenden Zahl der Rechtsfolgen 36 , nicht i. S. einer Alternativität aufzufassen, sondern - im Gegenteil 37 - i. S. d. Spezialität gegenüber dem allg. Strafrecht bezogen auf den jeweiligen rechtlichen Teilbereich 38 •

31

s. Eisenberg 1985, § 105 Rn. 44.

32

s. U. 3.

33

s. U.

3. b).

s. etwa DallingerlLackner 1965, vor § 3 Rn. 2, vor § 33 Rn.1, aber auch § 5 Rn. 1 ff. 35 s.o. B). 36 s. aber § 7 JGG; vgl. auch § 106 JGG; s. bzgl. Gerichtsverfassung und Verfahren im übrigen §§ 102 ff., 112, U2e JGG. - § 102 JGG ist mit dem Gleichheitssatz in Art. 3 Abs. 1 GG für vereinbar erklärt worden, weil der Gesetzgeber statt des Lebensalters auch die Art der Gesetzesübertretungen als für das Gleichheitsprinzip maßgeblich erklären kann, wenn dann unabhängig vom Alter dasselbe Gericht zuständig ist(BGH bei Dallinger MDR 1956, 146). 37 Vgl. u. Fn. 55. 38 Anders ließe sich die Vorschrift des § 2 JGG wohl kaum erklären. 34

2. Abschnitt 1. Spezialität

11S

bb) Die Prinzipienvariante einer "jugendgemäßen Anwendung außerjugendstrafrechtlicher Vorschriften" ist unmittelbare Folge des jugendstrafrechtlichen Spezialitätsprinzips und diesem systematisch zuzuordnen. Peters, auf den die Prinzipienvariante wesentlich zurückgeht 39 , hat ihre Aufnahme im Gesetz vorgeschlagen 40 und diesen Vorschlag insbesondere damit begründet, daß "in dem gleichen Maß wie der Jugendliche sich vom Erwachsenen unterscheidet, ... sich auch die Anwendung des allgemeinen Strafrechts beim Jugendlichen von der Handhabung beim Erwachsenen abheben (muß )"41. Diese Überlegung enthält einen Gesichtspunkt, dem methodologisch weitergehende Bedeutung zukommen könnte. Es läßt sich als Ausdruck der Weiterwirkung des speziellen Merkmals (hier: der bestimmten Altersgruppe) verstehen, wenn bei der Anwendung einer (nachrangig anwendbaren) allg. Bestimmung, die dieses Merkmal selbst nicht enthält, dessen Gehalt im Rahmen des Auslegungsspielraums in Anwendung der allg. Vorschrift zu berücksichtigen ist 42 • Man könnte diesen methodologischen Aspekt entsprechend als "teleologische Perseveranz der Spezialität" bezeichnen, weil der Zweck des speziellen Merkmals im Wege der Berücksichtigung seines Inhalts noch bei Anwendung des nachrangigen allg. Rechtssatzes fortwirkt. 3. a) aal Die Reichweite der Spezialität in ~~ 2 JGG umfaßt nicht nur die strafrechtlichen Normen i. e. S., sondern bezieht sich auch auf die vorrangige Geltung der jugendstrafrechtlichen Prinzipien43 , wenn das allg. Straf(verfahrens)recht diesen widerspricht bzw. zu keinem diesen Prinzipien entsprechenden Ergebnis führen würde. Zugleich findet das Spezialitätsprinzip des § 2 JGG entsprechende Anwendung auf VV, welche im Bereich strafrechtlicher Erfassung von Verhalten bestehen 44 • Daraus ergibt sich, daß die altersunabhängigen VV (etwa RiStBV, MiStra) den speziell betreffend Jugendliche und Heranwachsende erlassenen Vgl.Peters 1944, vor § 21 Anm. 3; Ders. 1947,7 f.;Ders. 1981, 56l. Peters 1947, 8. - Für einen eingeschränkten Bereich findet die Prinzipienvariante in § 106 JGG gesetzlichen Ausdruck. 41 Peters 1947,7 f. 42 Die rechtliche Überprüfbarkeit scheint gewährleistet zu sein (s. aber Wolf 1984,140). 43 Allg. Auffassung; s. für den Bereich des Verfahrensrechts DallingerlLackner 1965, § 2 Rn. 7; Eisenberg 1985, § 2 Rn. 6;Potyrkus 1955, § 2 Anm. 2; bereits Kümmerlein 1944, vor § 21 Anm.1;Ders. 1943a, 556;Peters 1944, vor § 21 Anm. 3. 44 s. Eisenberg 1985, § 2 Rn. 12;vgl. schon DallingerlLackner 1965, § 2 Rn. 3. 39

40

8*

116

§ 3 D) Erziehungsvorrang und Anwendungsprinzipien

VV (insbesondere RL) nachstehen und Anwendung nur finden können, wenn sie letzteren (und vornehmlich den jugendstrafrechtlichen Prinzipien) nicht widerstreben, insbesondere ein jugendgemäße Rechtsanwendung im Ergebnis nicht einschränken oder gar ausschließen würden 45 •

Grenzen der Bedeutung des Spezialitätsprinzips, soweit es in

§ 2 JGG angesprochen ist, ergeben sich immanent aus dem Wort-

laut der Vorschrift selbst. Denn die Anwendung der altersunabhängigen allg. Vorschrift scheidet nicht schon dann aus, wenn eine jugendstrafrechtliche Norm in demselben Regelungsbereich existiert. Vielmehr ergibt sich eine Unanwendbarkeit der allg. Norm nur dann, wenn die jugendstrafrechtliche Norm den Regelungsbereich völlig ausfüllt. Bestehen aber für Teilaspekte des Regelungsbereichs zusätzliche, also nicht lediglich einschränkende oder erweiternde Regelungen in der allg. Norm, so können diese grundsätzlich 46 zur Anwendung kommen 47 . Dies ergibt der Wortlaut des § 2 JGG mittels der Formulierung, die allg. Vorschriften würden (nur) gelten, "soweit in diesem Gesetz (JGG - Verf.) nichts anderes bestimmt ist"48 . Diese Einschränkung des Spezialitätsprinzips in § 2 JGG ist systematisch deshalb besonders bedeutsam, weil sie, zumindest dem ersten Anschein nach, ein Konkurrenzverhältnis veranschaulicht; denn es ist Folge der in § 2 JGG zugleich enthaltenen Subsidiarität der allg. Vorschriften 49 , d.h. deren nachrangiger Geltung (- im Gegensatz zu deren völligem Ausschluß -), daß es an einer Vgl. Eisenberg, DallingerlLackner jeweils ebd. (0. Fn. 44). D.h. soweit sie einemjugendgemäßen Ergebnis nicht entgegenstehen (s.o. aal und näher u. c)). 47 Dies betrifft prinzipiell etwa auch Fälle, in denen nach Fallgruppen differenzierende allg. Regelungen Auslegungskriterien für allg. gefaßte vorrangige Vorschriften des JGG abzugebe.n vermögen. Eine solche Funktion kann ihnen zukommen, wenn sie den jugendgemäßen Zwecken in der Anwendung der JGGVorschrift nicht widerstreben (oder ausnahmsweise höherrangige Zwecke berücksichtigen). So erscheint es bzgl. der Frage, welche Personen der Vorsitzende in der nichtöffentlichen Hauptverhandlung neben den gesetzlich erwähnten zulassen kann (§ 48 Abs. 2 Satz 2 JGG), zulässig, die den Ausschließungsgründen der §§ 171a, 172 GVG zugrundeliegenden Wertungen zu berücksichtigen (s. Brunner 1984, § 48 Rn. 8; Ders. 1973,337); dagegen dürfte S 48 Abs. 2 Satz 1 JGG, weil er eine an sich abschließende Ergänzung der neben den Verfahrensbeteiligten zusätzlich Anwesenheitsberechtigten enthält, die Entziehung ihres Rechts auf Anwesenheit entsprechend § S 171a, 172 GVG im Hinblick auf § 2 JGG nicht gestatten (s. bet'eits Kümmerlein 1944, § 32 Anm.l; ähnlich Eisenberg 1985, § 48 Rn. 13; abw. die wohl h.M.: Brunn er f984, § 48 Rn. 12 und schon Grethlein 1965, § 48 Anm. 4a; DallingerlLackner 1965, 5 48 Rn. 13). 48 Hervorhebung vom Verf. 49 Dieser Begriff der Subsidiarität ist nicht zu verwechseln mit der u. 11. behandelten Subsidiarität als Prinzipien variante der Verhältnismäßigkeit. 45

46

2. Abschnitt I. Spezialität

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abschließenden Geltung der jugendstrafrechtlichen Norm fehlen kann. Bei näherer Betrachtung zeigt sich allerdings, daß ein Fall prinzipieller Kollision nicht vorliegt, weil die Frage nach dem Umfang der Geltung altersunabhängiger allg. Vorschriften nicht eigentlich das für die Spezialität charakteristische Verhältnis der Subordination betrifft, sondern durch das Merkmal der Überschneidung (Interferenz) gekennzeichnet ist, welches die subsidiarität charakterisiert 50 . Denn dem Merkmal des Altersgruppenbezugs innerhalb der jugendstrafrechtlichen Norm entspricht das Merkmal eines zusätzlichen (sachlichen) Regelungsgehalts innerhalb der allg. Norm, welche andernfalls im Hinblick auf eine Anwendung überhaupt nicht in Betracht käme. Somit verlangt die aufgeworfene Frage nicht nach der Lösung einer Prinzipienkollision, sondern führt zum Ergebnis einer präzisen Abgrenzung der jeweiligen Sichtweisen.

Von einer Begrenzung in der Reichweite des Spezialitätsprinzips in § 2 JGG mag zudem insofern gesprochen werden können, als der Begriff der "allgemeinen Vorschriften", denen gegenüber jugendstrafrechtlichen Normen Spezialität zukommen kann, bedeutsame Regelungsbereiche nicht erfaßt. Anerkannt ist dies für ([neben ]strafrechtliche) Vorschriften in Kodifikationen außerhalb des JGG, welche neben den zusätzlichen Merkmalen ihres Sonderrechtsbereichs zugleich (strafrechtliche) Re~elungen für Jugendliche bzw. Heranwachsende enthalten; diese Regelungen 5 gelten als speziell gegenüber Bestimmungen des JGG 52 • Obwohl die Auffassungen in der Literatur nicht ganz eindeutig sind 53 , muß angenommen werden, daß auch die Bestimmungen des OWiG keine allg. Vorschriften i. S. v. § 2 JGG darstellen, weil es sich dabei nicht um strafrechtliche Vorschriften Le.S. handelt 54 . Das grundsätzliche Verhältnis zwischen OWiG so s. näher o. Fn. 16. m.N. z.B. Bestimmungen des BtMG über die vorläufige Verfahrenseinstellung (s. zu § 38 Abs. 2 BtMGNothacker 1982, 57 [6.2]). 52 s. LG Würzburg RdJB 196.2, 42; Eisenberg 1985, § 2 Rn. 2; vgl. Dallinger/Lackner 196.5, § 2 Rn. 4. - Es gilt deshalb eine f-6rmelle Abgrenzung dahin für verfehlt, alle Rechtsnormen außer halb des JGG als allg. Vorschriften aufzufassen (Eisenberg 1985, § 2 Rn. 2). 53 Vgl.Eisenberg 1985, S 2 Rn. 3 mit Rn. 7; auch Dallinger/Lackner 196.5, S 2 Rn. 2. 54 Dies ist betreffend die entsprechende Begrifflichkeit in § 1 Abs. 1 JGG (" ... Verfehlung ... , die nach den allgemeinen Vorschriften mit Strafe bedroht ist") unbestritten (OLG Stuttgart, OLGSt zu § 9 JGG, S.l). - Demgegenüber scheint es nur noch von historischer Bedeutung zu sein, daß in § 1 Abs. 3 des RegE-JGG 1953 die Anwendbarkeit des JGG bei Ordnungswidrigkeiten (nur) vorgesehen war, "soweit dies in anderen Rechtsvorschriften bestimmt ist", wobei zur Begr. für die Notwendigkeit der Regelung ausgeführt wurde, historisch betrachtet umfasse das Strafrecht Lw.S. alle Ver- und Gebote.öffentlichrechtlicher Art, die durch Strafandrohung Schutz gewinnen sollten, also auch Ordnungswidrigkeiten (BT-Dr.1/326.4, 39). s,

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§ 3 D) Erziehungsvorrang und Anwendungsprinzipien

und JGG wird man vielmehr als Alternativität (- LS. eines Gegenstücks zur Spezialität SS -) beschreiben müssen 56. Damit ist - im Ergebnis unbestritten 57 das Spezialitätsprinzip in § 2 JGG unmittelbar nicht anwendbar; es besteht deshalb keine Kollision mit insbesondere § 46 Abs. 1 OWiG, der für das Bußgeld~ verfahren die Spezialität von Verfahrensnormen des OWiG gegenüber den (sub~ sidiären und sinngemäß geltenden) "Vorschriften der allgemeinen Gesetze über das Strafverfahren" (insbesondere solchen der StPO, des GVG 'und des JGG) normiert. Um dem im OWiG nicht speziell berücksichtigten Merkmal der bestimmten Altersgruppe (und den sich daran knüpfenden erforderlichen Modifikationen der Reaktion) die aus dem Spezialitätsprinzip des Jugendstrafrechts fließende Geltung dennoch zu verschaffen, dürfte die dogmatisch angemessene Lösung über den methodischen Ansatz der "teleologischen Perseveranz der Spezialität,,58 zu finden sein. Ausgangspunkt dafür ist es, daß § 46 Abs. 1 OWiG (- als exemplarisch gewählte Bestimmung -) die sinngemäße Geltung von Verfahrensnormen außerhalb des OWiG nur beschränkt, ,,soweit dieses Gesetz (OWiG Verf.) nichts anderes bestimmt"59. Das OWiG enthält aber keine Regelung, die altersgruppenangemessene Rechtsanwendung ausschließt. Mithin sind die betreffenden OWiG-Vorschriften jugendgemäß LS.d. vomJGG verfolgten Sozialisationszwecks anzuwenden, weil das vom OWiG bei dessen Anwendung auf Jugendliche nicht erfaßte spezielle Merkmal eines altersmäßig früherliegenden Entwicklungsstandes nicht berücksicht~t ist, dieses aber als verbleibendes Element der Spezialität des JGG fortwirkt . SS s. für den Bereich der strafrechtlichen Konkurrenzlehre etwa Jescheck 1978,600. S6 Dem entspricht es, wenn auch das BVerfG (E 22, 78 ff.; s. auch BVerfGE 27, 18 [30]) die Ordnungswidrigkeiten gegenüber den Straftaten i.s.d. wohl herrschenden Betrachtungsweise (wegen einer Übersicht zu den Abgrenzungstheorien s. Rebmann/Roth/Herrmann 1982, vor § 1 Anm. 4 bis 11 m.N.) nicht als ein minus, sondern als ein aliud bewertet hat, zumal gegenüber einer Verfehlung (§ 1 Abs.1 JGG) insoweit nichts anderes gelten kann (Auch "Verfehlung" bedeutet recntswidrige Tat LS.v. § 12 StGB [so etwa Eisenberg 1985, § 1 Rn. 21; vgl. auch § 4 JGG], wobei diesbezüglich die Legaldefinition in § 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB [i. V.m. § 2 JGG] gilt.). S7 Vgl. etwa Eisenberg 1985, § 2 Rn. 7. S8 S. zum Begriff näher O. 2. b) bb). S9 Hervorhebung vom Verf. - Dies und die nachfolgenden Überlegungen gelten für das Steuerstrafverfahren entsprechend, zumal § 385 Abs. 1 AO 1977 insoweit mit § 46 Abs. 1 OWiG sachlich übereinstimmt. Noch unter dem Geltungszeitraum von § 467a RAO war bereits der Vorrang der Zuständigkeit des Jugendgerichts nach dem JGG in Steuerstrafverfahren gegen Jugendliche aufgrund des Erfordernisses jugendgemäßer Verfahrensweise angenommen worden (LG Traunstein NJW 1-957,1003). 60 Dies gilt. dementsprechend dann nicht, wenn - etwa hinsichtlich der anwendbaren Rechtsfolgen - abschließende Sonderregelungen für Jugendliche bestehen; deshalb ist z.B. einem Umkehrschluß aus § 98 Abs. 1 OWiG zu ent-

2. Abschnitt 1. Spezialität

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Schließlich ergibt sich - abgesehen vom Vorrang anderer Prinzip ien 61 - eine Begrenzung des Spezialitätsprinzips in § 2 JGG daraus, daß das JGG das Jugendstrafrecht teilw. lückenhaft, teilw. nur ausschnittsweise, jedenfalls aber nicht abschließend normiert und deshalb über § 2 JGG altersunabhängige Strafrechtsnormen jugendstrafrechtlich wirksam werden 62 ; so ist etwa betreffend § 233 StGB i. S. einer Grenze der Spezialität von § 2 JGG zutreffend entschieden worden, die Vorschrift gelte über § 2 JGG auch im Jugendstrafrecht, weshalb der Richter auch von Erziehungsrnaßregeln und Zuchtmitteln und nicht etwa nur von (Jugend-)"Strafe" absehen könne 63 • Diese allg., an sich selbstverständliche Feststellung bedarf besonderer Erwähnung, weil eine weitergehende Normierung des Jugendstrafrechts (als selbständiger Strafrechtsmaterie, aber in tendenzieller Lösung vom allg. Straf[verfahrens]recht) dem spezifischjugendgemäßen Reaktionsbedürfnis wohl noch wirksamer Rechnung tragen könnte, als der hier de lege lata praktizierte Weg über die Rechtsanwendungsprinzipienvariante jugendgemäßer Anwendung außerjugendstrafrechtlicher Vorschriften. Insbesondere gilt dies bezüglich des Umstandes, daß das JGG keine "Verfehlungstatbestände" enthält, d. h. Bestimmungen aufweist, die an die Stelle der Straftatbestände treten würden 64 . Der Mögnehmen, daß Rechtsfolgen nach §§ 9 ff., 13 ff. JGG neben der Geldbuße (§ 1 OWiG) keinen über § 98 OWiG hinausreichenden Anwendungsbereich haben (s. OLG Stuttgart, OLGSt zu § 9 JGG, S. 1; zu den BedeEken hiergegen s. Eisenberg 1985, § 2 Rn. 10 f., § 45 Rn. 3 und zu einem anderen Lösungsansatz s. u. E) 2. Abschn. I. 2., 3. - Andererseits ließe sich z.B. vor Erteilung einer Weisung im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens nach § 98 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 oder Nr:4 OWiG die Anhörung der Jugendgerichtshilfe entsprechend § 38 Abs. 3 Satz 3 JGG auch dann noch vertreten (unzutreffend Matenaer 1984, 81 und Ders. 1984a, 131), wenn bis dahin von § 46 Abs. 6 OWiG Gebrauch gemacht worden war (weitergehend aber Schenker 1983, 529 f.). 61 s. dazu etwa u. E) 2. Abschn. I. 3. c) dd) betreffend das Verhältnis von § 45 JGG zu §§ 153 ff. StPO. 62 Einführend dazu bereits Böhm 1977, V (Vorwort). 63 BayObLGSt 1961, 171; S.u. E) 2. Abschn. I. 3. a) ee). -Entsprechendes gilt für die Fallgestaltungen nach z.B. §§ 23 Abs. 3,60, 83a, 84 Abs. 4 und 5, 85 Abs. 3, 98 Abs. 2, 129 Abs. 6, 157 Abs. 2, 158 Abs. 1, 174 Abs. 4, 175 Abs. 2, 182 Abs. 3, 199, 218 Abs. 3 Satz 3 StGB sowie etwa § 29 Abs. 5 BtMG (s. zum letzteren Fall LGMainz NStZ 1984, 121 mit Anm.Eisenberg 1984a). 64 Krit. hierzu Eisenberg (1985, § 1 Rn. 23) unter Hinweis darauf, daß allg. Straftatbestände mit erhöhter sozialer Sichtbarkeit Status, Entwicklungsstand und Verhaltensmuster von Nichterwachsenen mehr als von Erwachsenen berühren und demgemäß die Wahrscheinlichkeit, von einem Straftatbestand erfaßt zu werden, für Nichterwachsene erhöht sein dürfte, weil ihre Verhaltensmuster eher im normrelevanten Bereich liegen (gegen spezielle Tatbestände für Jugendliche Peters 1947, 8; vgl. aber u. Fn. 66). - Wegen Bedenken gegen das Fehlen jugendstrafrechtlicher Normen betreffend den Subsumtionsvorgang s. Eisenberg 1985, § 1 Rn. 24, und wegen Erwägungen betreffend eine modifizierte

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§ 3 D) Erziehungsvorrang und Anwendungsprinzipien

lichkeit, Straftatbestände de lege la ta aus der "Soweit"-Wendung in § 2 JGG heraus gemäß der Prinzipienvariante einer jugendgemäßen Anwendung außerjugendstrafrechtlicher Vorschriften auszulegen 65 , sind gegenwärtig noch Grenzen gesetzt 66 , weil ein jeweils unterschiedlicher Umfang und eine jeweils unterscheidende Abgrenzung rechtlicher Begriffe im Jugendstrafrecht und im allg. Strafrecht zu Rechtsunsicherheit in der Anwendungspraxis geführt haben mögen 67 .

Das Prinzip jugendstrafrechtlicher Spezialität einschließlich seiner Varianten bleibt als Prinzip der Rechtsanwendungspraxis - ungeachtet der systematischen Analyse gesetzlicher Ausprägungen ohne Skizzierung der Kasuistik unvollständig. Die von der gerichtlichen Problemläsung her geprägte verfahrensbezogene Sichtweise behindert dabei nicht eine (im wesentlichen dem Verfahrensablauf folgende) Gliederung nach auf die Rechtsfolgenvoraussetzungen und die Rechtsfolgen bezogenen, gerichtsverfassungsrechtlichen und die gerichtliche Zuständigkeit betreffenden, verfahrensrechtlichen sowie vollstreckungs- und vollzugsrechtlichen Fallgruppen. Diese vorläufige Unterteilung will nicht mehr bewirken, als die Dimensionen der unmittelbaren wie mittelbaren Argumentation mit dem Spezialitätsprinzip im Jugendstrafrecht ansatzweise zu ordnen. Zur Weiterentwicklung der oben unter 1. und 2. in Angriff genommenen allgemeineren Systematik vermag die Fallgruppenunterteilung schon deswegen kaum beizutragen, weil die jeweiligen inhaltlichen Rechtsprobleme aufgrund verfahrensrechtlicher Gegebenheiten stark selektiv und für das Spektrum jugendstrafrechtlicher Problemstellungen Geltung des Schuldprinzips s. Eisenberg 1985, § 1 Rn. 25 (zu umfassenderen Vorschriften hinsichtlich der Vollstreckungsverjährung jugendstrafrechtlicher Rechtsfolgen s. Eisenberg 1985, § 4 Rn. 5 ff. [insbesondere Rn. 8]). 65 Grundlegend dazu o. 2. b). 66 Im Grundsatz abI. Brunner 1984, § 2 Rn. 7; Dallinger/Lackner 1965, § 2 Rn. 5; für diese Auslegung aber schon Peters 1947, 8. 67 Allerdings ist nicht zu verkennen, daß die Verwendung von Begriffen mit unterschiedlicher Bedeutung bei Inbezugsetzung von Vorschriften des Jugendstrafrechts mit solchen des allg. Strafrechts in der Rechtsanwendungspraxis durchaus nicht unüblich ist; so werden vielfach auch Zuchtmittel und Erziehungsrnaßregeln - und nicht nur Jugendstrafe - unter den allg. Begriff der "Strafe" in Vorschriften des allg. Straf(verfahrens)rechts subsumiert (s.N. o. Fn. 63 sowie § 466 StPO [zu letzterer Vorschrift KG JR 1962, 271]; w.N. z.B. bei Brunner 1984, § 2 Rn. 4; zur Subsumtion von Verfehlungen und deshalb erwartbaren jugendstrafrechtlichen Maßnahmen unter die Wendung "wegen einer Straftat ... verfolgt zu werden" in § 55 Abs. 1 StPO anläßlich der Frage, ob einem jugendlichen Zeugen ein Auskunftverweigerungsrecht zukommt, s. BGHSt 9, 34), was dem jugendstrafrechtlichen Spezialitätsprinzip widerspricht (vgl. - betreffend § 466 Satz 1 StPO - etwa Müller 1975, 20 gegen KG JR 1962,271).

2. Abschnitt 1. Spezialität

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insgesamt nicht repräsentativ sind68 • Dagegen läßt sich die Reichweite zusätzlich konturieren. aaa) Fragen der RechtsJalgenvaraussetzungen und RechtsJalgen betreffend liegt eine nur begrenzte Zahl heterogener Einzelfälle vor. (Q) Dabei zeigt sich ganz grundsätzlich eine Grenze jugendstrafrechtlicher Spezialität in der Angleichung einzelner jugendstrafrechtlicher Rechtsfolgen in Voraussetzungen und Ausgestaltung an vergleichbare RechtsJalgen des allg. Strafrechts 68a • So orientiert sich die eigentlich dem Jugendstrafrecht entstammende Aussetzung der Vollstreckung der Jugendstrafe zur Bewährung69 etwa hinsichtlich der Regelung der Voraussetzungen für die Aussetzung einer längeren Jugendstrafe in § 21 Abs. 2 JGG (seit dem 1. StrRG v. 25.6. 1969 70 und auch noch für die beabsichtigte zukünftige Rechtsentwicklung 7oa ) unmittelbar an der entsprechenden Vorschrift des allg. Strafrechts (§ 56 Abs. 2 StGB). Damit verbunden ist nicht nur eine Begrenzung der Aussetzungsmöglichkeiten auf Strafen von bis zu zwei Jahren 71, sondern zudem eine vergleichsweise ebenso restriktive Auslegung der Bestimmung als eine Ausnahmevorschrift 72, im Rahmen welcher etwa bloße Umstände in der Persönlichkeit und nicht auch in der Tat des Verurteilten ("oder" anstatt "und" in § 21 Abs. 2 JGG) nicht genügen sollen 73. Der jugendstrafrechtlichen Wegen der Gründe s.o. 1. Abschn. 11. 2. s.o. Fn. 14. 69 Kurze Übersicht der geschichtlichen Entwicklung bei Schaffstein 1983, 116 bis 118. 70 BGBl. I, 645. 7Da s. den Gesetzesentwurf der Bundesregierung v. 22.01.1985 (BT-Dr. 10/2720). 7' Demgegenüber kam es in der Aussetzungsregelung in § 10 Abs. 1 Satz 1 JGG 1923 - wohl zu weitgehend (Zumindest soll dieser Umstand die Abschaffung der Aussetzung zur Bewährung im RJGG 1943 begünstigt haben [vgl. etwa Schaffstein 1983, 117 f.].) - auf die erkannte Strafdauer nicht an (vgl. Kiesow 1923, § 10 Anm. 2a; wegen der Empfehlung einer Erhöhung der Dauer der Verhängung s. etwa Bietz 1981a, 217; weitergehend Bundesminister der Justiz 1980,8, Feltes 1982,47,50 und nunmehr Art. 1 Nr. 5 RE-1.JGGÄndG 1983, nach welchem unter Aufhebung von S 21 Abs. 2 JGG die Grenze von zwei Jahren als Aussetzungsbedingung - nach Maßgabe der Voraussetzungen in 5 21 Abs. 1 JGG - beibehalten werden soll; gegen eine Änderung der geltenden RegelungCSU-"Leitsätze ... " 1982,821 [825]). 71 BGHSt 24, 3; BGHSt 24, 360 (364); OLG DüsseldorfNStZ 1982, 119 f.; OLG Koblenz bei Böhm NStZ 1982,415; vgl. auch BGH NStZ 1982,285 betreffend eine restriktive Auslegung der geforderten "besonderen Umstände"; s. dazu noch u. 11. 6. b) aal lll). 73 BGHSt 24, 360 (362); vgl. OLG Hamm ZblJugR 1973, 353. 68

68a

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S 3 D) Erziehungsvorrang und Anwendungsprinzipien

Spezialität verbleibt aber ein Anwendungsbereich dadurch, daß bei der Bewertung der Umstände, die eine Aussetzung rechtfertigen können, ein dem Entwicklungsstand adäquater Ermessensmaßstab, der von der Handhabung bei Erwachsenen abweicht, zugrundezulegen ist 74; dies kann im Hinblick auf den besonderen Sozialisationszweck, der im Jugendstrafrecht seinen Ausgangspunkt nimmt, zu einem von restriktiver Anwendung abw. Ergebnis führen 75. Die jugendgemäß spezifizierte Auslegung in (wenigstens) dem vorgenannten Sinn ergibt sich zwingend daraus, daß wegen § 2 JGG selbst bei insgesamt im wesentlichen dem allg. Strafrecht entsprechender Ausgestaltung einer JGG-Bestimmung, diese nicht im Lichte der allg. Regelung angewendet werden kann, weil die Subsidiarität der allg. Regelung insoweit nicht zum Zuge kommt 75a • (ß) Ferner zeigt sich eine kaum vertretbare Grenze jugendstrafrechtlicher Spezialität in der gesetzlichen Regelung nach § 32 Satz 2 JGG, nach welcher bereits dann, wenn bei gleichzeitig abgeurteilten Delikten aus verschiedenen Altersstufen die Bedeutung beider Deliktsgruppen etwa gleich verteilt ist, jeweils allg. Strafrecht und nicht - wie es dem jugendstrafrechtlichen Spezialitätsprinzip entspräche - Jugendstrafrecht anzuwenden ise 6 • (r) Anders verhält es sich im Hinblick auf die Frage, ob (unter revisionsrechtlichen Gesichtspunkten) eine Entscheidung nach § 105 Abs. 1 JGG den Schuldspruch berührt. Da § 3 JGG und damit die Frage nach der strafrechtlichen Verantwortlichkeit in § 105 Abs. 1 JGG nicht erwähnt ist, ist Jugendstrafrecht bei Heranwachsenden 74 BGHSt 24, 360 (363); auch OLG Koblenz, OLGSt zu § 21 JGG, S.l; vgl. zudem BGH GA 1974, 343. - Die jugendstrafrechtliche Spezialität bedingt auch, daß - abw. von § 56 Abs. 3 StGB - kein Raum für generalpräventive Erwägungen i.S.d. Begriffs "Verteidigung der Rechtsordnung" bleibt (s. dazu näher schon Eisenberg 1982, § 21 Rn. 6). 7' s. BGH bei Martin DAR 1974, 121; BGH StVert 1981, 283; BGH NStZ 1984, 361; OLG Düsseldorf NStZ 1982, 119 f.; LG Hamburg StVert 1984, 31; vgl. BGH NStZ 1982, 285; zu weiteren empirischen Anhaltspunkten s. Hermanns 1983, 170 ff., 18l. 75a Hiermit vergleichbar ist auch derjenige Fall, daß nach §§ 2, 7 JGG dem Jugendrichter hinsichtlich der Anordnung von Maßregeln der Besserung und Sicherung bei Jugendlichen Ermessen eingeräumt ist (§ 7 JGG: " ... können ... "), weshalb etwa eine zwingende Entziehung der Fahrerlaubnis bei (bloßem) Vorliegen der Regelvoraussetzungen des S 69 Abs. 2 StGB abgelehnt und verlangt wird, es sei in jedem Einzelfall die charakterliche Eignung des Jugendlichen zum Führen von Kraftfahrzeugen gesondert zu prüfen (LG Oldenburg Blutalkohol 1985, 186). 76 s. BGHSt 12, 129 (134); krit. Eisenberg 1985, § 32 Rn. 13 und näher Miehe 1979,237; vgl. noch u. V. 3. a) gg).

2. Abschnitt J. Spezialität

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insoweit mit der Folge nicht im vollen Umfang anzuwenden, daß sich die Verantwortlichkeit Heranwachsender i. S. d. allg. Strafrechts nach Maßgabe von §§ 20, 21 StGB beurteile 7 • Dieses Ergebnis ist Ausdruck des Umstandes, daß mangels anwendbarer JGG-Bestimmung keine jugendstrafrechtliche Spezialität i. S. v. § 2 JGG 78 die Geltung der entsprechenden allg. Vorschrift in den Stand der Sübsidiarität setzt. ([) ) Ferner läßt es sich als Ausdruck auch jugendstrafrechtlicher Spezialität begreifen, wenn die grundsätzliche Anwendbarkeit von Jugendstrafrecht oder aber allg. Strafrecht bei einem Heranwachsenden, dessen einem Jugendlichen entsprechender Entwicklungsstand zur Tatzeit bzw. das Vorliegen einer "Jugendverfehlung" im Rahmen von § 105 Abs. 1 JGG tatsächlich (!) nicht mit Sicherheit festgestellt werden kann, zugunsten der Anwendung von Jugendstrafrecht entschieden wird 79 • Zwar wird dieses Ergebnis teilw. aus dem Rechtssatz 80 "in dubio pro reo" gewonnen81 , was an sich zutreffend ist, weil zunächst die Frage der Unsicherheit der Tatsachenfeststellung einer Lösung zuzuführen ist. Die dann aber vorentscheidende Frage, welche Teilrechtsmaterie zur Anwendung kommen darf, ist nach deren Verhältnis zueinander zu bestimmen; dabei nimmt die speziellere Rechtsmaterie jedenfalls so lange den Vorrang ein, wie das ihre Spezialität begründende Merkmal, im gegebenen Fall also der altersgruppenspezifische Entwicklungsstand, nicht sicher ausgeschlossen ist. Denn bis dahin besteht die Nachrangigkeit der allg. Regelung fort. - Erst im abschließenden Prüfungsschritt wird, falls 77 BGHSt 5, 207; auch BGH RdJB 1962, 316; zur Kritik de lege ferenda vgl. Dallinger/Lackner 1965, § 105 Rn. 56 m.N. des älteren und Eisenberg 1985, § 105 Rn. 6 m.N. des neueren Schrifttums. 78 Daß § 2 JGG auch gegenüber Heranwachsenden zur Anwendung gelangt, ergibt sich bereits aus der systematischen Stellung der Vorschrift im Gesetz. 7' s. in neuerer Zeit BGH bei Holtz MDR 1982, 104. - Entsprechendes gilt für den Fall, daß der tatsächliche Sachverhalt die Einordnung in eine Altersgruppe wegen Zweifeln bzgl. des Alters des Beschuldigten und/oder des Zeitpunkts der Tatbegehung nicht mit Sicherheit gestattet; auch dann findet grundsätzlich das JGG Anwendung (s. BGHSt 5, 366; vgl. Eisenberg 1985, § 1 Rn. 11, Löwe/Rosenberg/Schafer 1976, Einl. Kap. 11 Rn. 51; vgl. auch u. E) 2. Absehn. I. 2. und E) Fn. 79). 80 Stree 1974,299 (300) m.N. 81 s. BGHSt 5, 366; Grethlein 1959,542; Brunner 1984, § 105 Rn. 17; Schaffstein 1983, 51; wohl zurecht einschränkend bzgl. der Geltung dieses Rechtssatzes, wenn es nur um die rechtliche Beurteilung der Voraussetzungen gehe, aber - bei Anwendung von Jugendstrafrecht - BGHSt 12, 116 (118 f.); wohl auch BGH bei Holtz MDR 1982, 104; ebenso DallingerlLackner 1965, § 105 Rn. 37; Böhm 1977,39.

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S 3 D) Erziehungsvorrang und Anwendungsprinzipien

das Ergebnis sonst mit übergeordneten Prinzipien82 nicht vereinbar ist, unter Abwägun§ der jeweils konkret in Betracht kommenden Einzelfallergebnisse 8 die für den Heranwachsenden letztlich günstigere Entscheidung getroffen werden müssen 84 • (€) Im Hinblick auf die jugendstrafrechtliche Spezialität bestehen Bedenken gegenüber der Auffassung85 , bei Anwendung von J ugendstrafrecht auf Heranwachsende gemäß § 105 Abs. 1 JGG verlören, zumindest was die Erteilung von Weisungen angehe, die jugendstrafrechtlichen Sozialisationszwecke bei steigendem Alter zunehmend zugunsten des Gesichtspunkts der Schuldvergeltung ("Sühne") an Gewicht, was z. B. dazu führen solle, gegenüber Heranwachsenden vor allem solche Weisungen zu erteilen, die auch bei Erwachsenen im Rahmen einer Strafaussetzung zur Bewährung zulässig seien. Zwar bestehen für die grundsätzliche Argumentation dieser Auffassung gewisse Anhaltspunkte insofern, als dem erhöhten Höchstmaß der Jugendstrafe bei Heranwachsenden gemäß § 105 Abs. 3 JGG im Hinblick auf den engeren jugendstrafrechtlichen Sozialisationszweck allein kaum Wirksamkeit zukommen dürfte, weil eine solche jedenfalls bei einer Strafdauer von über fünf Jahren - einhellig86 nicht mehr angenommen wird. Jedoch dürfte es die Tatsache der Anwendung von Jugendstrafrecht wegen dessen Spezialität prinzipiell verbieten, den Sozialisationszweck des Jugendstrafrechts völlig hinter den Aspekt der Schuldvergeltung zurücktreten zu lassen87 ; vielmehr wird bei den volljährigen Heranwachsenden "erzieherische" z.B. Art. 3 Abs. 1 GG; vgl. u. E) 2. Abschn. I. 2. s. BGHSt 5, 366; LG Münster NJW 1979, 938; auch Metten 1970, 552 . .. Vgl. auch dazu E) 2. Abschn. I. 2. 8S DallingerlLackner 1965, § 105 Rn. 59; Pentz 1956, 44; Jagusch 1957, § 105 JGG Anm. 8 (jeweils zur Rechtslage vor Herabsetzung des Volljährigkeitsalters auf 18 Jahre); vgl. auch Brunner 1984, § 105 Rn. 4 . .. Vgl. nur Dallinger/Lackner 1965, 5 18 Rn. 8, 5 105 Rn. 40. 17 Ein ähnlich gelagertes Problem betrifft die umstrittene Frage, wie das Verhältnis des engeren ("erzieherischen") Sozialisationszwecks des Jugendstrafrechts zur Schuldvergeltung bei der Verhängung von Jugendstrafe wegen "Schwere der Schuld" (§ 17 Abs. 2, 2. Altern. JGG) zu berücksichtigen ist (vgl. BGHSt 15 224, BGHSt 16, 261 [263], BGH StVert 1981, 130, StVert 1981, 240, StVert 1981, 241, NStZ 1982, 332, bei Böhm NStZ 1983, 448 [neuerdings einschränkend], Bruns 1982, 593 f., Eisenberg 1985, § 17 Rn. 34 f. einerseits; Miehe 1964, 60 und Fn. 1, 64, DallingerlLackner 1965, § 17 Rn.19, Brunner 1984, § 17 Rn. 9, Böhm 1977a, 2200, Grethlein 1961,697, Hellmer 1962,43, Anm. 25,57 Anm. 23, Ders. 1964,179, Kohlhaas 1961a, 159, Maurach/Zipf 1984, 661 Rn. 6, M.-K. Meyer 1984,452 f., Schaffstein 1983, 107 f., Schmidhäuser 1975,851, Strunk 1968,136, Tenckhoff1977, 488, Wolf 1984, 244 f. andererseits) . 82

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2. Abschnitt I. Spezialität

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Einwirkung i.e.S. dahin modifiziert werden müssen, daß Gesichtspunkte der Nachsozialisation (in Anlehnung an das Sozialrecht) der fortwirkenden Berücksichtigung des speziellen jugendstrafrechtlichen Sozialisationszwecks Geltung verschaffen. (n Eine Grenze jugendstrafrechtlicher Spezialität stellt diejenige Konstellation dar, daß bei nicht ausschließbaren Zweifeln über das Alter des Beschuldigten und/oder den Tatzeitpunkt hinsichtlich der Grenze zwischen Jugendlichen und Heranwachsenden zur Prüfung der Voraussetzungen von § 3 JGG ein Alter unter achtzehn Jahren unterstellt wird und sodann, im Falle eines Ergebnisses strafrechtlicher Verantwortlichkeit, die Voraussetzungen von § 105 Abs. 1 JGG überprüft werden; ergibt sich hierbei, daß die Voraussetzungen von § 105 Abs. 1 JGG nicht vorliegen oder deren Vorliegen zumindest zweifelhaft ist, wird aufgrund eines Vergleiches der nach Jugendstrafrecht bzw. nach allg. Strafrecht jeweils angemessenen Rechtsfolge i. S. d. allg. Subsidiaritätsprinzips (und wohl nicht gemäß dem Grundsatz "in dubio pro reo") auf die mildere, d.h. den Beschuldigten nach pflichtgemäßem Ermessen tatsächlich weniger beeinträchtigende Rechtsfolge erkannt 88 • bbb) Vom Prinzip jugendstrafrechtlicher Spezialität werden ferner sowohl gerichtsverfassungsrechtliche wie Zuständigkeitsfragen betreffende Problemstellungen innerhalb von Einzelentscheidungen berührt. (a) Betreffend die frühere Rechtslage vor Geltung des ~~ 68 Abs. 2 OWiG wurde die Übertragbarkeit der Zuständigkeit im gerichtlichen BUßgeldverfahren gegen Jugendliche und Heranwachsende vom Amtsrichter auf den Jugendrichter im Wege der Geschäftsverteilung mit dem altersgruppenspezifischen Merkmal einer bei Jugendrichtern etwa vorhandenen "Kenntnis der jugendlichen Psyche" begründet, welche "auch bei der Ermittlung des Sachverhalts von Ordnungswidrigkeiten von erheblichem Vorteil sein" könne 89 • (ß) Ferner hielt es wegen der mangelnden Berücksichtigung der gesetzgeberisch normierten (erzieherischen) Befähigung und Erfahrung im Umgang mit Jugendlichen der Besetzungsrüge in der Revision nicht stand, daß in folge der vom Jugendamt 90 zu wenig eingereichten Vorschläge die zusätzlich benötigte Zahl von Jugendschäf.. Vgl. etwa Eisenberg 1985, § 1 Rn.15. 89 BayObLGSt 1961, 89 (90) unter Hinweis auf Dallinger/Lackner 1955, § 1 Rn. 32. 90 Zuständig für den Vorschlag wäre ohnehin der Jugendwohlfahrtsausschuß gewesen (s. § 35 Abs.1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 JGG).

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S 3 D) Erziehungsvorrang und Anwendungsprinzipien

fen aus der Vorschlagsliste der Gemeinde für Schöffen der allg. Strafgerichtsbarkeit ausgewählt wurde 91 • Mithin war das zusätzliche Merkmal, welches die Person des Jugendschöffen voraussetzungsgemäß von der des Schöffen in der allg. Strafgerichtsbarkeit unterscheidet - und demzufolge die jugendstrafrechtliche Spezialität -, entscheidungserhe blich. ('Y) Werden Verstöße gegen die Zuständigkeitsabgrenzung zwischen Jugendgericht und allg. Strafgericht in der Revision gerügt, so setzt die Rüge ggf. nicht den Einwand nach § 6a StPO voraus; die Vorschrift findet im Verhältnis zur Jugendgerichtsbarkeit keine Anwendung 92 , was letztlich i. S. d. jugendstrafrechtlichen Spezialitätsprinzips daher rührt, daß die Jugendgerichte aufgrund des spezifischen Altersgruppenbezugs ein Zuständigkeitsmerkmal aufweisen, das sie gegenüber den allg. Strafkammern spezialisiert. Im übrigen ist die mögliche Zuständigkeit sachlich spezialisierter Wirtschafts- bzw. Staatsschutzkammern als eng begrenzte 93 Ausnahme vorgesehen, so daß die allg. Regelung des § 6a StPO über § 2 JGG keinen subsidiären Anwendungsbereich hat. (40 s. dazu u. E) 1. Abschn. III.

2. Abschnitt 11. Verhältnismäßigkeit

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rechtliche Rechtsanwendung eingewirkt haben mögen; insofern würde die Analyse bereits zur Transparenz jugendstrafrechtlicher Rechtsanwendung beitragen. Zum anderen könnten diese Unterscheidungen zur Bestimmung jugendstrafrechtlicher Verhältnismäßigkeit nutzbar gemacht werden. a) Mit dem Strafrecht beginnend hat die Unterscheidung von Verhältnismäßigkeit in Proportionalität und Subsidiarität Tradition 241 , während der Aspekt der Geeignetheit bzw. Zwecktauglichkeit 242 nicht als selbständig bedeutsam ausdrücklich behandelt worden ist 243 . Proportionalität besagt in diesem Zusammenhang, daß die mit der Reaktion verbundene Beeinträchtigung zu ihrem Anlaß, dem verhalten des Täters, nicht außer Verhältnis stehen darF44. Subsidiarität bedeutet demgegenüber, daß von mehreren effektiv erscheinenden Reaktionen diejenige auszuwählen ist, die die geringste Beeinträchtigung mit sich bringt 245 . Hieraus wird bereits deutlich, daß Verhältnismäßigkeit nicht nur für die Tat- und Schuldangemessenheit von Strafen, sondern weitergehend für die Maßnahmen insgesamt Bedeutung hae 46 ; im Hinblick auf Proportionalität findet dies in §§ 62, 74b StGB seinen gesetzlichen Ausdruck. Während Subsidiarität als "Prinzip des geringstmöglichen Eingriffs"247 allg. 241 s. zum substantiellen Inhalt dieser Unterscheidung bereits Exner 1914, 7. - In neuerer Zeit hat Aebersold die Unterscheidung wieder aufgegriffen, um sie für das Erziehungspostulat des Jugendstrafrechts, insbesondere zur Vermeidung sozialisationsabträglicher Tatfolgen, nutzbar zu machen (Aebersold 1981, 104 f.). 242 s. dazu u. 3. a). 243 Teilw. ist er dem Verhältnismäßigkeitsprinzip ausdrücklich nicht zugeordnet worden (s. zipf 1969,50). 244 Vgl. bereits Exner 1914, 7. 245 Vgl. bereits Exner 1914, 7; zur logischen Struktur der Subsidiarität im Strafrecht s. Klug 1956, 406; zum Verhältnis von strafrechtlichem und verfassungsrechtlichem Subsidiaritätsprinzip s. Zuck 1968, 47 ff. - Subsidiarität betreffend strafrechtliche Reaktionen (Verfahrens- und Rechtsfolgenwahl sowie -durchführung) hat lediglich begriffliche, jedoch nicht sachliche Übereinstimmung mit der subsidiarität betreffend strafrechtliche Vorschriften (s. dazu o. I. 3. a) aa) und Fn. 49) und muß deshalb davon unterschieden werden. (Ausgeklammert ist auch die die Rangfolge bei [etwa] funktioneller Zuständigkeit betreffende Subsidiarität [so zur Zuständigkeit von Jugendgerichtshelfer bzw. Bewährungshelfer für die Überwachung von Weisungen und Auflagen § 38 Abs. 2 Satz 3 JGG]) 246 So ausdrücklich etwa Schönke/Schröder/Eser 1982, § 1 Rn. 25; sachlich übereinstimmend ferner z.B. SK-Horn 1981, § 62 Rn. 2;LK-Hanack 1979, vor § 61 Rn. 64, § 62 Rn. 1; Lackner 1983, § 62 Anm. 1; Dreher/Tröndle 1985, § 74b Rn. 3. 247 s. etwa Lackner 1983, § 62 Anm. 2.

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S 3 D) Erziehungsvorrang und Anwendungsprinzipien

die Begrenzungsfunktion des verfassungsrechtlichen Übermaßverbotes wahrnimmt 248 , erlangt die Prinzipienvariante der Proportionalität eine strafrech tskonzeptionelle Bedeutung (insbesondere) im Maßregelrecht; diese Bedeutung ~leicht weitgehend derjenigen des Schuldprinzips bzgl. der Strafen 2 9. Überwiegend wird der Anwendungsbereich der Prinzipienvariante über den unmittelbaren Wortlaut von § 62 StGB hinausgehend verstanden, so daß ihm nicht nur für die Anordnung der Maßregeln, sondern auch deren Vollstreckung bzw. weiterer Vollstreckung Geltung zuzugestehen sei2so . Zudem wird in neueren strafrechtlichen Ansätzen Subsidiarität als allg. strafrechtliches Prinzip hervorgehoben. und daran anknüpfend wird subsidiarität als übergeordneter Aspekt einer (neben Unrecht und Schuld dritten) Deliktskategorie betrachtet, welche neben der rechtswidrigen und schuldhaften Tat regelmäßig die Prüfung verlange, ob eine außerstrafrechtliche Konfliktlösung den strafrechtlichen Zugriff nicht entbehrlich mache 2S1 •

Auch im Strafverfahrensrecht ist nicht nur die Subsidiarität der tendenziell freiheitsbeschränkenderen Maßnahmen allg. anerkannt und - wie insbesondere in § 116 StPO - als "besondere Ausprägung des verhältnismäßigkeitsgrundsatzes"2s2 gesetzlich normiert, sondern es ist ebenso die Proportionalität schon vom Gesetzgeber in einzelne Vorschriften aufgenommen worden 2s3 . Im Strafverfahrensrecht wurden auch, ohne selbständige Berücksichtigung der Geeignetheit des Mittels für den angestrebten Zweck, teilw. (- zur Begründung eines Anspruchs auf eine beschleunigte Durchführung des Ermittlungsverfahrens -) a!-ls dem "Übermaßverbot" die Prinzipienvarianten der Subsidiarität ("Grundsatz der Erforderlichkeit") und der Proportionalität ("Grundsatz der Verhältnismäßigkeit") abgeleitee s4 . b) Das Prinzip hat in der angrenzenden jugendwohlfahrts- wie (familien- und) vormundschaftsrechtlichen Rechtsmaterie eine nicht weniger bedeutsame Ausgestaltung erfahren. So ist das Subsidiaritätsprinzip betreffend staatliche gegenüber privaten Maßnahmen 248 s. zur Ableitung und Terminologie im einzelnen u. 3. a) sowie E) 1. Absehn. III. - Vgl. etwa Eisenberg 1983c, 17 (r. Sp.). 250 s. insbesondere LK-Hanack 1979, vor § 61 Rn. 64. 251 s. WalteT 1983, 65; grundlegend Otto 1978; auch Alwart 1982, 44, 75 f. 252 So BVerfGE 19, 342 betreffend § 116 StPO. 253 s. § 81 Abs. 2 Satz 2 StPO und § 112 Abs. 1 Satz 2 StPO. - Vgl. zur Problematik näher Denzel 1969. 254 Kohlmann 1972, 508.

2. Abschnitt 11. Verhältnis mäßigkeit

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Sorgeberechtigter nach dem JWG 2SS wie auch betreffend einzelne eingriffsintensive Reaktionen 2s6 ebenso Ausdruck des Verhältnismäßigkeitsprinzips257 wie die - auf der speziellen verfassungsrechtlichen Ausgestaltung in Art. 6 Abs. 2 und 3 GG beruhende 258 Subsidiarität staatlicher Eingriffe in familiäre Sozialisationszusammenhänge, insbesondere was die Trennung des Kindes von der Familie nach §§ 1666 Abs. 1 Satz 1, 1666a BGB 259 angeht. 3. a) Die Behandlung des Verhältnismäßigkeitsprinzips in den genannten Rechtsbereichen, insbesondere soweit - wie im Strafrecht - Differenzierungen vorgenommen werden, folgt einer weithin traditionellen zweigliedrigen Unterscheidung 260 , wie sie auch im Verfassungsrecht (und Verwaltungsrecht) lange vorherrschend war. So wurde bis in die neuere Diskussion wesentlich der Differenzierung in Verhältnismäßigkeit und Erforderlichkeit gefolgt, ohne die Variante der Geeignetheit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip zuzuordnen 261 . In neuester Zeit wird im Anschluß an weitere Analysen (insbesondere) der Rspr. des BVerfG 262 eine Dreigliederung des Verhältnismäßigkeitsprinzips vorgenommen 263 , die zwischen Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit i. e. S. als Prinzipienvarianten der Verhältnismäßigkeit i. w. S.264 unterscheidet.

155

JWG.

s. § 1 Abs. 2 Sätze 1 und 2 JWG, auch §§ 56 Abs.l, 63 Satz 1,75 Abs. 3

156 s. insbesondere § 64 Satz 2 JWG, auch §§ 64 Satz 1, 55 JWG sowie §§ 61 Abs . 2 Satz 1, 75 Abs. 2 Satz 1 JWG (vgl. näher u. 4. b) aal eee)). 157 s. näher Isensee 1968, 18 ff.; krit. zur Herkunft des Subsidiaritätsprinzips im JWG etwa Münder 1980, 155 ff. 158 s. dazu näher u. E) 2. Abschn. 1I. 159 So ausdrücklich BVerfG FamRZ 1982, 567 (LS Nr. 2). 160 s. zu den historischen Ursprüngen des Prinzips Wieacker 1979. 261 s. Lerche 1961,21; ebenso etwa StGH Ba-Wü NJW 1975, 1205 (1211, 1. Sp.);Isensee 1968, 88;Scholz 1975,274. . 161 Vgl. die N. bei Hirschberg 1981, 2 Fn. 9. - Zur Ableitung des Verhältnismäßigkeitsprinzips zunächst aus der Wesensgehaltgarantie des Art . 19 Abs. 2 GG s. BGHSt 4, 377,4, 392, sodann aus den Grundrechten s. zuerst BVerfGE 7, 377 (404 ff.) betreffend Art. 12 Abs. 1 GG und schließlich aus dem Rechtsstaatsprinzip s. BVerfGE 23, 127 (133); 43,242 (288); 49,24 (58); vgl. noch u. E) 1. Abschn. III. 1. 163 Vgl. etwa Stern 1977, 674 f. m.N.; M/D/Herzog 1980, Art. 20 (VII. Rechtsstaatlichkeit) Rn. 73 bis 76; Hirschberg 1981,2; Scholz 1983,709 r.Sp. 164 Die Bezeichnungen "Grundprinzip der Verhältnismäßigkeit i.w.S." und "Übermaßverbot" werden dabei synonym verwendet (s. für viele M/D/Herzog 1980, Art. 20 (VII.) Rn. 73; Hirschberg 1981, 19 f.;Schnapp 1983,852).

154

§ 3 D) Erziehungsvorrang und Anwendungsprinzipien

"Geeignetheit" meint danach, daß ein staatliches Mittel im Hinblick auf die Verfolgung eines bestimmten Zwecks für die Zweckerreichung oder zumindest -färderung265 funktional ist. "Erforderlichkeit" bedeutet, daß das Mittel das am wenigsten eingriffsintensive ist, dessen es bedarf, um den Zweck zu erretchen266 . Als" Verhältnismäßigkeit i. e. 5." schließlich wird bezeichnet, daß der staatliche Eingriff nicht außer Verhältnis zum angestrebten Zweck stehen darf2 67 . Synonym für "Geeignetheit" werden dabei die Bezeichnungen "Tauglichkeit" bzw. "Zwecktauglichkeit"268 verwendet, während statt "Erforderlichkeit" von "Notwendigkeit"269, dem "Gebot des(r) geringstmäglichen Eingriffs (Einschränkun ),,270 oder des "Interventionsminimums"271 , des "mildesten"2 2 , "schonendsten"273 bzw. "schmerzlosesten Mittels" (bzw. "Eingriffs")274 und schließlich auch von "Subsidiarität"275 gesprochen wird; für "Verhältnismäßigkeit i. e. S." sind auch die Bezeichnungen "Angemessen-

9

So M/D/Herzog 1980, Art. 20 (VII.) Rn. 74; vgl. auch Stein 1982,52. s. statt aller M/D/Herzog 1980, Art. 20 (VII.) Rn. 75. 267 s. statt aller Hirschberg 1981, 2. 268 Wegen N. s. jeweils Hirschberg 1981, 20 Fn. 105 und Fn.106; s. zudem Schnapp 1983, 852. 269 N. bei Hirschberg 1981,20 Fn.108. 270 N. bei Hirschberg 1981,20 Fn.109 und Fn.115. 271 N. bei Hirschberg 1981, 20 Fn.110; s. zudem Schnapp 1983,852. m N. bei Hirschberg 1981, 20 Fn.111. 273 N. bei Hirschberg 1981,20 Fn.112. 274 N. bei Hirschberg 1981, 20 Fn.115. 27S N. bei Hirschberg 1981,20 Fn. 113; zur Auseinandersetzung zwischen Erforderlichkeit und Subsidiarität s. insbesondere Isensee 1968, 88 ff.; zum Verhältnis von Subsidiaritäts- und Sozialstaatsprinzip s. Hartwich 1978 (1970), 340 ff. - Zu beachten ist, daß Subsidiarität als Ausdruck von Verhältnismäßigkeit und von Sozialstaatlichkeit zwar dieselbe Struktur, aber unterschiedlichen Inhalt aufweist (s. zu einem sozialstaatsorientierten Subsidiaritätsbegriff etwa Bender 1966 [1964], 359). Subsidiarität als Ausdruck von Verhältnismäßigkeit ist, ungeachtet derselben historischen Wurzeln, als engerer Begriff auch gegenüber dem wesentlich auf die aristotelische Philosophie und die christliche Staats- und Soziallehre zurückgehenden Begriff der Subsidiarität abzugrenzen, nach welchem die höherrangige organisatorische Einheit für die Erfüllung von Aufgaben nur dann zuständig ist, wenn die (bürgernähere ) nachgeordnete Einheit sie nicht in gleicher Weise oder besser bewältigen kann (vgl. zu dieser Interpretation Maunz/Zippelius [1982,65], nach denen dieser Gedanke insbesondere in Art. 2 Abs. 1, Art. 6, 9, 28 Abs. 2, Art. 30, 70 Abs. 1, 72 Abs. 2 und Art. 83 GG einen gewissen Ausdruck findet). 265 266

2. Ab schnitt II. Verhältnis mäßigkeit

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heit"276, "Proportionalität"277 und "Übermaßverbot i. e. S. ,,278 in Gebrauch. b) Von dieser Begriffserklärung ausgehend scheint eine Ergänzung der Prinzipienvariante der Geeignetheit oder (Zweck- )Tau~lichkeit hinsichtlich des Elements der "Effizienz" geboten zu sein 2 9. Denn eine Prüfungsfolge dahin, ob zunächst ein geeignetes Mittel vorliegt, welches sodann das mildeste zur Erreichung des angestrebten Zwecks sein müßte, und ob schließlich der mit dem Mittel verbundene Eingriff zu diesem Zweck nicht außer Verhältnis steht, hat auf der ersten Stufe der Eignung des Mittels notwendig die Vorerfahrung einzubeziehen, will sie sich nicht den Vorwurf der Inhaltsleere gefallen lassen. Soweit vereinzelt angenommen wird, Verhältnismäßi~keit i. e. S. setze keine empirische Zweck-Mittel-Relation voraus 28 , wird diese Voraussetzung hinsichtlich der vorgeschalteten N. bei Hirschberg 1981, 21 Fn,118. N. bei Hirschberg 1981, 21 Fn.117; s. zudem Schnapp 1983,852. 27' N. bei Hirschberg 1981, 21 Fn. 119. 279 Effizienz wird hier nicht in dem weiten Sinne verwendet, der der Differenzierung von Leisner (1971) zugrundeliegt. Leisner (1971,7 f.) unterscheidet zwischen Effizienz als wirksamer Erreichung vorgegebener Ziele ("Zielerreichungseffizienz"), als "optimalem Zweck-Mittel-Verhältnis" ("Zweck-MittelEffizienz") und als zielunabhängigem (Selbst-)Zweck ("zielunabhängige Effizienz"). Er untersucht diese Aspekte für den Bereich des Staats- und Verwaltungsrechts mit dem - hier allein interessierenden - (Teil-)Ergebnis, daß ein Rechtsprinzip der Effizienz für staatliches Handeln nur insoweit bedeutsam sein darf, als das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit dies gestattet (Leisner 1971, 13 f., 25, 58; vgl. hierzu für die Frage der Effizienz von Strafverfolgung etwa Zipf 1980, 53 ff.). Demgegenüber wird "Effizienz" in der vorliegenden Untersuchung eingeschränkt als Vorbedingung der Zwecktauglichkeit verstanden, wobei die rechtsstaatliche Grenzen bereits dadurch stillschweigend vorausgesetzt werden, daß der Effizienzaspekt auf der Grundlage des geltenden Jugendstrafrechts betrachtet wird, welches u.a. gerade auf unverzichtbaren rechtsstaatlichen Erfordernissen aufbaut. Berücksichtigt wird Effizienz insoweit, als sich bereits aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip die Notwendigkeit der Effektivitätskontrolle staatlichen Handelns ergibt (ebenso für die Strafgesetzgebung etwa Schreiber 1983, 36 [1. Sp.]) und insofern auch überprüft werden muß, ob eine staatliche Handlung ihren Zweck zugunsten des Bürgers erreichen kann. Im Jugendstrafrecht führt dies grundsätzlich zur Überprüfung spezifisch jugendstrafrechtlicher Reaktionen auf ihre Sozialisationseignung. Zugleich geht der verwendete Effizienzbegriff von der hinreichenden Bestimmbarkeit jugendstrafrechtlicher Ziele aus (s. dazu o. B)); denn Leisner (1971) ist grundsätzlich in der Auffassung zuzustimmen, daß Wirksamkeit als Rechtsprinzip ausscheide, falls die Ziele nicht hinreichend bestimmbar seien (a.a.O., 16, auch 45). 280 Hirschberg 1981,245. 276

277

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§ 3 D) Erziehungsvorrang und Anwendungsprinzipien

Prinzipienvariante der Erforderlichkeit des Mittels (bereits) für notwendig erachtet 281 ; auf der ersten Stufe der Geeignetheit des Mittels dürfte letzteres -unbezweifelbar sein. Demgemäß ist von einer Eignung des Mittels nur auszugehen, wenn Anhaltspunkte für dessen Unwirksamkeit zur Zweckerreichung unter vergleichbaren Bedingungen nicht bestehen. Die generalisierte Effizienz des Mittels wird so gesehen zur Vorbedingung seiner Eignung im konkreten Fall. 4. Im Jugendstrafrecht wurde bisher, was das Schrifttum angeht, vornehmlich eine Variante der Verhältnismäßigkeit, das Subsidiaritätsprinzip, hervorgehoben 282 , welche jugendstrafrechtlich, d. h. als Ausfluß des Erziehungsprinzips, interpretiert worden ist 283 • Soweit darüber hinaus von Verhältnismäßigkeit die Rede ise 84 , wurde diese zum einen nicht ausdrücklich auf Proportionalität bzw. Angemessenheit 285 beschränkt, und zum anderen wurde weithin keine systematische Klärung des Verhältnisses von Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit vorgenommen; vereinzelt wurden Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit als gleichrangige "Grundsätze" genannt 286 , und es wurde nicht - wie es verfassungsrechtlicher Systematik entspricht 287 - Subsidiarität als Prinzipienvariante der Verhältnismäßigkeit zugeordnet. Verschiedene Subvarianten, vornehmlich der ProHirschberg 1981, 245. s. Potrykus 1955a, 143; Peters 1966a, 458; vgl. Böhm 1977, 66 (auch S. 58 und 143); Brunner 1984, EinE. 11. Rn. 11 H., § 5 Rn. 4, § 12 Rn. 5, § 45 Rn. 4, § 47 Rn. 4, §§ 26, 26a Rn. 7, § 71 Rn.1, § 72 Rn. 2; Dallinger/Lackner 1965, § 2 Rn. 1 ff., § 5 Rn.15 ff., § 12 Rn. 23, § 45 Rn. 6, § 72 Rn. 9, 14;Eisenberg 1985, § 5 Rn. 4,19, § 7 Rn. 18,36, § 12 Rn. 37, §§ 26, 26a Rn. 10, § 45 Rn. 9, § 71 Rn. 7, § 72 Rn. 3, 8, § 82 Rn.12. 283 s. etwa Brunner 1984, Einf. 11. Rn. 11; Potrykus 1955a, 144; Müller 1975, 25. - Die Bedeutung der jugendstrafrechtlichen Subsidiarität als Variante des Verhältnismäßigkeitsprinzips ist grundlegend; denn bereits das Jugendstrafrecht als solches ist als subsidiäre Rechtsmaterie innerhalb des (nicht vereinheitlichten) Jugendrechts zu verstehen (s. bereits Wegner 1929, 155 ff.; zustimmendPeters 1981 [1952],563). 284 s. Dallinger/Lackner 1965, § 10 Rn. 28, § 17 Rn. 5, § 43 Rn. 7, § 72 Rn. 8; Eisenberg 1985, § 3 Rn. 42, § 5 Rn. 4, 19, 25, 25a, § 7 Rn. 6, 11, 17, 18,29,31,32,37, § 10 Rn. 7, § 11 Rn. 2, § 12 Rn. 30, 36, § 14 Rn. 10, § 17 Rn. 25, § 43 Rn. 4, 11, 20, 26, 29, § 72 Rn. 5, 8, § 73 Rn. 9, § 82 Rn. 12; Böhm 1977,95 E. - Soweit ersichtlich will nur Wolf (1984,56 bis 61) dem Verhältnismäßigkeitsprinzip eine besondere jugendstrafrechtliche Funktion, jedenfalls für den Bereich der Rechtsfolgen, nicht zuerkennen. 285 s. zur Terminologie o. 3. a) und u. 4. c). 286 Müller 1975, 25, 26 f. 287 S.O. 3. a). 281

282

2. Abschnitt II. Verhältnismäßigkeit

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portionalität (Vermeidung nicht intendierter Beeinträchtigungen, "Tatprinzip"288), wurden unsystematisch verwendet. Die nachfolgende Darstellung greift die strafrechtliche Unterscheidung zwischen Proportionalität und Subsidiarität begrifflich wieder auf, behandelt aber die Prinzipienvariante der Geeignetheit - entsprechend der neueren verfassungsrechtlichen dreigliedrigen Systematik - gesondert, wobei der letztgenannten Variante aus den oben unter 3. b) genannten Gründen das Element der Effizienz zugeordnet wird. Die gesetzlichen Ausprägungen von Verhältnismäßigkeit lassen sich in die verschiedenen Prinzipienvarianten unterteilen. a) aa) Gesetzliche Ausprägung der Geeignetheit (einschließlich der Effizienz) enthält das normierte Jugendstrafrecht bzgl. der Rechtsfalgen bemerkenswerterweise nicht 289 ; dies bedeutet keinesfalls, daß der Gesetzgeber nicht die Eignung der Rechtsfolgen zum Sozialisationszweck Legalbewährung voraussetzen würde. Vielmehr dürfte es sich dabei um eine konkludente Voraussetzung handeln, weil der Gesetzgeber von Verfassungs wegen gehalten ist, ein von ihm als untauglich erachtetes Gesetz entsprechend abzuändern oder ggf. aufzuheben 290 . bb) Auch im Verfahrens- sowie im Vallstreckungs- und Vallzugsrecht hat der Gesetzgeber die Prinzipienvariante der Geeignetheit nicht ausdrücklich ausgeprägt. Dies geschah jedoch wohl ebenfalls aus den unter aa) angeführten Gründen. Dafür, d.h. für die stillschweigende Voraussetzung dieser Variante, spricht etwa, daß vor Geltung von § 52a JGG die durch das EGStGB von 1974 gestricheS.u. E) 2. Abschn. 1. 3. a) ce). Dagegen ist die Zweckmäßigkeit von Maßnahmen häufig erfordert (s. die N. o. 1. in Fn. 4 sowie z. B. § 77 Abs. 1 JGG). 290 Zwar ist ein aufgrund einer Fehlprognose erlassenes Gesetz nicht schon deshalb verfassungswidrig; denn maßgeblich für die Beurteilung ist eine Betrachtung ex ante, die das Recht zum Irrtum über den Verlauf der künftigen Entwicklung einschließt (s. BVerfGE 25, 1 [12 f.]; 30, 250 [262 f.]. Unabhängig von gerichtlicher Kontrolle ist dem Gesetzgeber aber aufgegeben, ein erlassenes Gesetz "nach Erkenntnis der tatsächlichen Entwicklung dieser entsprechend aufzuheben oder zu ändern" (BVerfGE 25, 1 [13]; s. dazu ausführlich Grabitz 1973, 572 f.). Da sich auch die Gesetzgebung im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung zu halten hat (Art. 20 Abs. 3 GG), besteht die Bindung an das rechtsstaatliche Gebot der Geeignetheits- oder Zwecktauglichkeitsprüfung als Ausfluß des Verhältnismäßigkeitsprinzips nicht nur bei der Entstehung eines Gesetzes, sondern auch im zeitlichen Verlauf seiner Geltung (im gleichen Sinne Grabitz 1973,573). 288

2.9

158

§ 3 D) Erziehungsvorrang und Anwendungsprinzipien

ne Vorschrift des § 52 Abs. 2 JGG (in der Fassung v. 01.03.1973 291 ) insoweit ohne nähere Begr.292 aufgehoben wurde, obwohl sie - im Gegensatz zu § 52a JGG - noch die Voraussetzung enthielt, daß die Anrechnung von Untersuchungshaft auf Jugendstrafe nur erfolgen sollte, "soweit sich ihr Vollzug erzieherisch günstig ausgewirkt hat", mit anderen Worten der Vollzug von Untersuchungshaft zur Erreichung des Vollzugsziels der Jugendstrafe geeignet erschien293 . Allenfalls ~, 87 Abs. 3 Satz 2 JGG könnte insoweit als unmittelbare gesetzliche Ausprägung der Prinzipienvariante der Geeignetheit verstanden werden, als die Vorschrift ein Absehen von der Vollstrekkung eines Jugendarrestes wegen anderweitig verhängt er oder zu erwartender Strafe vorsieht, wenn der Jugendarrest "seinen erzieherischen Zweck nicht mehr erfüllen wird", also Zwecktauglichkeit zu verneinen ist 294 . b) Subsidi~rität von Rechtsfolgen und Verfahrensformen 295 als Prinzipienvariante der Verhältnismäßigkeit (i. S. d. Etforderlichkeit der jeweils allg. geeigneten Reaktion) hat unter jugendstrafrechtliehern Aspekt im Rahmen dessen, was mit der geringstmöglichen Beeinträchtigung erfordert ist, auch die allg. jugendrechtlichen Ziele von Schutz, Förderung und Integration einzubeziehen. Sie läßt sich unter dem Aspekt jugendstrafrechtlicher Relevanz in mehreren Vorschriften des JGG nachweisen. aa) aaa) Die Subsidiarität eingriffsintensiver Rechtsfolgen ist am weitestgehenden in § 5 Abs. 2 JGG zum Ausdruck gebracht. Der Vorschrift ermangelt es allerdings in doppelter Hinsicht an der notwendigen Präzision. Zum einen scheint sie innerhalb einer Steigerung jugendstrafrechtlicher Rechtsfolgen Zuchtmittel und Jugendstrafe auf eine Stufe zu stellen ("oder"); demgegenüber ist aus der systematischen Stellung der Zuchtmittel zwischen Erziehungsrnaßregeln und Jugendstrafe ebenso wie aus gesetzeshistorischen GrünBGBl. 11973,149. Vgl. BT-Dr. 7/550, 330. 293 Von einer Ersetzung von Bewährungsweisungen und -auflagen durch Zusagen und Anerbieten "in geeigneten Fällen" (§ 57 Abs. 3 Satz 1 JGG), d.h. einer Sachverhalts- und nicht Maßnahmeeignung ist dagegen noch die Rede (ähnlich in § 77 Abs.1 Satz 1 JGG betreffend die Eignung des vereinfachten Jugendverfahrens ). 294 Eine mittelbare Ausprägung ließe sich in § 112b Abs. 3 Satz 1 JGG erkennen; die Eignung der Maßnahme ist dadurch angesprochen, daß die Erziehungshilfe mit Zweckerreichung zu beenden ist (s. S 112c Abs.1 JGG). 295 Im Unterschied zur Bedeutung des Begriffs i.S.d. Nachrangigkeit gesetzlicher Vorschriften (s.o. 2. a) und Fn. 245). 29.

292

2. Abschnitt H. Verhältnismäßigkeit

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den 296 sowie im Hinblick auf § 17 Abs. 2, 1. Altern. (einschließlich § 27) JGG und § 13 Abs. 3 JGG 297 zu folgern, daß Jugendstrafe den Zuchtmitteln grundsätzlich subsidiär ist. Zum anderen ist die Steigerung jugendstrafrechtlicher Rechtsfolgenkategorien nicht in dem Sinne konsequent, daß freiheitsentziehende Rechtsfolgen in entsprechender Kombination den nicht freiheitsentziehenden Rechtsfolgen subsidiär wären 298 • Da die Eingriffsintensität des Freiheitsentzugs in der Regel gegenüber Reaktionen unter Aufrechterhaltung der Freiheit erhöht ist, müßte im Hinblick auf das jugendstrafrechtliche Subsidiaritätsprinzip die Wendung "nicht ausreichen" (verfassungskonform 299 ) durch die Worte "oder unverhältnismäßig sind" ergänzt werden 30o , um zu gewährleisten, daß die im Einzelfall unverhältnismäßig beeinträchtigend wirkende Erziehungsmaßregel gegenüber einer weniger beeinträchtigenden Rechtsfolge einer anderen Kategorie zurücktritt 301 • Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang darauf, daß § 5 Abs. 3 fGG entgegen teilw. vertretener Auffassung 302 - nicht eigentlich als zusätzlicher gesetzlicher Ausdruck jugendstrafrechtlicher Subsidiarität angesehen werden darf, weil diese Bestimmung lediglich die Subsidiarität jugendstrafrechtlicher Rechtsfolgen gegenüber solchen normiert, die auch nach allg. Strafrecht beste296 Die Kategorie der Zuchtmittel wurde im RJGG von 1943 begründet (H 7 bis 10), wobei die in § 7 Nr. 3 bzw. Nr.1 JGG von 1923 noch als Erziehungsmaßregeln ausgewiesenen Rechtsfolgen der Verwarnung und der Auferlegung besonderer Pflichten, welche letztere sachlich mit den Auflagen übereinstimmt, mit dem 1940 eingeführten Jugendarrest zusammengefaßt wurde, der an die Stelle kurzer Freiheitsstrafen treten sollte (s. näher o. A) III. 2. a)). 2.7 Dagegen macht § 13 Abs. 1 JGG das Rangverhältnis nicht hinreichend deutlich (vgl. auch Eisenberg 1985, S 13 Rn. 6 ff.). 298 s. Eisenberg 1985, § 5 Rn. 19; vgl. auch die Forderung des Arbeitskreises VII des 19. DJGT 1983 in Mannheim (1983, 627). 2" D.h., soweit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip Verfassungsrang zukommt (s. näher u. E) 1. Abschn. III. 1.). 300 s. schon Eisenberg 1982, § 5 Rn. 19. 301 Schon aus diesem Subsidiaritätsaspekt ergeben sich Hinweise darauf, daß Weisungen als qualitativ vorrangige Rechtsfolgen gegenüber Zuchtmitteln nicht deren (auch) repressive Zweckverfolgung (s. § 13 Abs. 1 JGG) anstreben dürfen (s. bereits unmißverständlich Schriftl. Ber. zum JGG-Entwurf 1953, BT-Dr. 1/4437, 3 f.; vgI. zum dennoch entstandenen Streit zusammenfassend Miehe 1964,42 f.); andernfalls entsprächen sie nicht mehr der abschließenden Voraussetzung in § 10 Abs.1 Satz 1 JGG und verlören damit ihren Weisungscharakter (ebenso Eisenberg 1985, § 10 Rn. 12 a.E.; a.A. aber Dallinger/Lackner 1965, § 10 Rn. 2; ferner Pfeiffer [1983,162 ff.,Ders. 1983a, 211], der - betreffend die Arbeitsweisung - nicht hinreichend zwischen gesetzgeberischer Intention und tatsächlicher Wirkung unterscheidet). 302 VgI. etwa Eisenberg 1985, S 5 Rn. 19.

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§ 3 D) Erziehungsvorrang und Anwendungsprinzipien

hen; die Bestimmung enthält somit ein Element allg. Subsidiarität, wenngleich damit Abweichungen von der Kumulation oder Zweispurigkeit von Rechtsfolgen nach allg. Strafreche03 verbunden sind 304 •

bbb) Wie bereits oben unter aaa) erwähnt, ergibt sich die Subsidiarität der Jugendstrafe ferner mittelbar aus den Regelungen in H 13 Abs. 1, 17 Abs. 2,1. Altern. sowie 27 lGG; es kann aus ihnen entnommen werden, daß Jugendstrafe, zumindest solche wegen "schädlicher Neigungen", nur erforderlich ist, wenn weniger beeinträchtigende Rechtsfolgen nicht denselben intendierten Zweck hervorzurufen geeignet sind. ccc) Die N achrangigkeit von Bewährungsweisungen bzw. (- nach allg. Auffassung - auch) -auflagen gemäß (bzw. entsprechend) ~~ 23 Abs. 2 (ggf. i. V.m. H 29 Satz 2, 88 Abs. 5 Satz 2,89 Abs. 3) lGG im Verhältnis zu den vom Jugendlichen angebotenen Leistungen oder erfolgten Zusagen seine Lebensführung betreffend ist nicht nur Ausdruck des jugendstrafrechtlichen Kooperationsprinzips 30s , sondern auch eine Ausprägung jugendstrafrechtlicher Subsidiarität eingriffsintensiver Maßnahmen. ddd) Auch § 26 Abs. 2 (einschließlich H 88 Abs. 5 Satz 2, 89 Abs. 3) lGG normiert die Subsidiarität einer eingriffsintensiveren Rechtsfolge dadurch, daß ein Widerruf der Aussetzung der Jugendstrafe bzw. des Strafrestes zur Bewährung nur dann in Betracht kommt, wenn die Maßnahmen der Verlängerung der Bewährungszeit "oder" die Erteilung weiterer (Bewährungs-)Weisungen "oder" (Bewährungs-)Auflagen als nicht ausreichend beurteilt werden. Da die in der Regel beeinträchtigendere Rechtsfolge des Widerrufs nach der Prinzipienvariante jugendstrafrechtlicher Subsidiarität erst nach Ausschäpfung der zulässigen und (auch für den Fall der Kumulation noch) weniger beeinträchtigenden Maßnahmen zum Zuge kommen darf, wird § 26 Abs. 2 JGG analog anwendbar sein müssen, wenn erst die Verlängerung der Bewährungszeit "und" die Erteilung zusätzlicher Weisungen "und"/oder Auflagen den Widerruf entbehrlich machen. eee) In bezug auf Rechtsfolgen findet mittelbar jugendstrafrechtliche, unmittelbar jugendwohlfahrtsrechtliche Subsidiarität gesetzlichen Ausdruck ferner in der Verweisung des § 12 Satz 1 JGG, soweit dadurch verschiedene Bestimmungen des JWG betreffend Erziehungsbeistandschaft und Fürsorgeerziehung einbezogen sind. Vgl. § 67 StGB. Spezifisch jugendstrafrechtlich ist dagegen das in § 5 Abs. 3 JGG enthaltene Element des jugendstrafrechtlichen Einheitsprinzips (s. dazu u. V. 3. a) bb)). 305 S.u. VI. 2. a) bb) und zu Flexibilität IV. 4. a) aal eee). 303

304

2. Abschnitt 11. Verhältnis mäßigkeit

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Dies betrifft einmal die Regelung in ~~ 64 Satz 2 jWG, welche die Anordnung von Fürsorgeerziehung ausdrücklich gegenüber sämtlichen anderen "ausreichenden" Erziehungsrnaßnahmen für subsidiär erklärt. Daneben findet Subsidiarität ihren Ausdruck im Erfordernis des Gebotenseins von Erziehungsbeistandschaft (~~ 55 jWG) und Fürsorgeerziehung (~~ 64 Satz 1 jWG); denn damit ist die Anwendung dieser Maßnahmen auf die Fälle begrenzt, in denen ihre Erforderlichkeit deswegen nicht mehr in Zweifel steht, weil weniger beeinträchtigende Maßnahmen nicht mehr geeignet erscheinen, denselben Zweck zu erreichen. Ferner gilt dies für die Regelungen über die Aufhebung der Erziehungsbeistandschaft (§ 61 Abs. 2 Satz 1 jWG) und der Fürsorgeerziehung (§ 75 Abs. 2 Satz 1 jWG), soweit ihnen zufolge aufzuheben ist, wenn anderweitig - als mittels Durchführun§ dieser Maßnahmen - "die Erreichung des Erziehungszwecks" sichergestellt ist 3 5a. Hierdurch bleiben Erziehungsbeistandschaft und Fürsorgeerziehung auch während ihrer Durchführung 306 gegenüber sämtlichen weniger beeinträchtigenden Maßnahmen mit entsprechend effektiv erachteter Wirkung subsidiär.

bb) aaa) Hinsichtlich der jugendstrafrechtlichen Subsidiarität eingriffsintensiverer Verfahrensformen zeigt sich eine zentrale gesetzliche Verankerung in § 43 Abs. 3 Satz 1 JGG. Die Formulierung, daß eine für den Ermittlungszweck geeignete Untersuchung des jugendlichen Beschuldigten nur herbeigeführt werden darf, "soweit (dies) erforderlich" ist, verweist - ungeachtet der i. S. d. Proportionalität ohnehin notwendigen Einzelfallabwägung zwischen Anlaß und zu erwartender Rechtsfolge im Hinblick auf eine Untersuchung - weitergehend darauf, daß die in der Regel eingriffsintensivste Ermittlungsform der Untersuchung durch einen Sachverständigen gegenüber den übrigen gesetzlichen Möglichkeiten der Persönlichkeitserforschung307 subsidiär ist 308 • bbb) Die im Jugendstrafrecht erweiterte Möglichkeit der Verfahrenserledigung nach H 45, 47 JGG dehnt nicht nur das Opportunitätsprinzip nach allg. Strafrecht aus, sondern erlangt prinzipielle jugendstrafrechtliche Bedeutung auch insofern 309 , als die Regelun305a Diesem Ausdruck der Subsidiarität dürfte es kaum entsprechen, wenn z.B. einem Umkehrschluß aus § 75 JWG die Unzulässigkeit einer Befristung von Fürsorgeerziehung entnommen wird (s. aber OLG Düsseldorf ZblJugR i984, 437 =NDV 1985, 129). 306 Vgl. dazu § 82 Abs. 2 JGG. 307 s. § 43 Abs. 1 und 2 JGG; vgl. im einzelnen Eisenberg 1985, § 43 Rn. 19 bis 24. 308 Ebenso bereits Brunner 1984, § 43 Rn. 15; zust. Eisenberg 1985, § 43 Rn. 26. 309 Im übrigen enthalten die Regelungen Elemente jugendstrafrechtlicher Flexibilität (s. etwa u. IV. 4. a) bb) bbb) ). 11 Nothacker

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§ 3 D) Erziehungsvorrang und Anwendungsprinzipien

gen gesetzlicher Ausdruck der Subsidiarität förmlicher Verfahrensformen sind310 . ccc) Nicht nur Ausprägung des Prinzips der Nichtöffentlichkeit 311 ist die Ausnahme V0n der öffentlichkeit der Hauptverhandlung in Verfahren gegenüber Jugendlichen und Heranwachsenden bzw. Erwachsenen nach ~~ 48 Abs. 3 Satz 2 lGG, sondern auch Ausdruck jugendstrafrechtlicher Subsidiarität i. S. d. Vermeidung sozialisatorisch nicht intendierter Beeinträchtigungen. ddd) Bei der Frage der Anordnung und Vollstreckung von Untersuchungshaft ist nicht nur stets die Prinzipienvariante jugendstrafrechtlicher Proportionalität 312 zu beachten, vielmehr normiert ~~ 72 Abs. 1 lGG ausdrücklich die jugendstrafrechtlich erweiterte Subsidiarität 313 von Untersuchungshaft gegenüber vorläufigen Anordnungen über die Erziehung314 und sonstigen im Hinblick auf den Untersuchungshaftzweck geeigneten, insbesondere allenfalls freiheitsbeschränkenden Maßnahmen 31s . eee) Überdies ist es Ausdruck jugendstrafrechtlicher Subsidiarität, daß selbst die einstweilige Unterbringung in einem geeigneten Erziehungsheim gemäß ~~ 71 Abs. 2 Satz 1 (ggf. i.V.m. § 72 Abs. 3 Satz 1) lGG ausschließlich dann ("wenn dies geboten ist"31sa) und nur so lange angeordnet werden darf3 16 , als eine weniger eingriffsintensive Maßnahme nicht denselben Reaktionszweck zu erzielen geeignet ist. 310 311

312 313

StPO.

s. näher bereits Nothacker 1982, 58. s. dazu u. VII. 3. a) aa).

s. überdies § 2 JGG i. V.m. § 112 Abs.l Satz 2 StPO (vgl. o. Fn. 253). Gegenüber der allg. Vorschrift des § 116 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 und 3

s. § 71 Abs. 1, auch Abs. 2 Satz 1 StPO. Entsprechend wird tendenziell wegen der weitergehenden jugendstrafrechtlichen Prinzipienvariante der Subsidiarität betreffend Untersuchungshaft die Auffassung vertreten, ein nach § 2 JGG, § 453c Abs. 1 StPO grundsätzlich zulässiger Sicherungshaftbefehl trete gegenüber vorläufigen Sicherungsmaßnahmen in - im Hinblick auf die Subsidiaritätsregelung in § 453c Abs. 1 StPO ("notfalls" Haftbefehl) - noch erweitertem Maße zurück (vgl. Brunner 1984, bei § 61 Rn. 7; Eisenberg 1985, § 58 Rn. 23). 3153 Diese der Prinzipienvariante der Subsidiarität geschuldete Voraussetzung wird durch die einschränkende Voraussetzung der Erwartung von Jugendstrafe als einem Element der Prinzipienvariante der Angemessenheit (s. dazu u. c) bb) bbb)) ergänzt. In Art. 1 Nr. 25b) RE-I. JGGÄndG wird diese unterschiedliche Struktur beider Voraussetzungen nicht hinreichend berücksichtigt, wie dies in der Formulierung "wenn dies auch im Hinblick auf die zu erwartenden Maßnahmen geboten ist" zum Ausdruck kommt. 316 s. Eisenberg 1985, § 71 Rn. 7. 314 315

2. Abschnitt 11. Verhältnismäßigkeit

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cc) Schließlich finden sich gesetzliche Ausprägungen jugendstrafrechtlicher Subsidiarität auch im Bereich von Vallstreckungs- und Vallzugsregelungen. aaa) So kann die Aussetzung des Strafrestes bei Jugendstrafe von unbestimmter Dauer unverhältnismäßig sein, wenn - z.B. bei nahezu erfolgter Vollstreckung bis zum Höchstmaß - auch bei unmittelbar endgültiger Entlassung der Zweck der Vollzugsbeendigung gleichermaßen erreichbar erscheint; die Subsidiarität der Strafrestaussetzung in diesem Ausnahmefall bringt ~\ 89 Abs. 4 Satz 1 lGG zum Ausdruck. bbb) Ähnlich enthalten ~\ 91 Abs. 3 lGG und § 93a Abs. 2 lGG den Vorrang der eingriffsreduzierteren und weniger institutionalisierten offenen bzw. gelockerten Vollzugsformen der Jugendstrafe 316a bzw. der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt 317 . c) Der Proportionalität oder Angemessenheit (= Verhältnismäßigkeit i. e. S.) zuzuordnen wären diejenigen gesetzlichen Fälle, in denen von dem zugrundeliegenden Gedanken einer "Vermeidung sozialisatorisch nicht intendierter Beeinträchtigungen" gesprochen werden könnte. Ferner sind einzubeziehen die gesetzlichen Fälle der Tatangemessenheit bei der Verhängung und Bemessung von Rechtsfolgen. Außerdem betrifft die Prinzipienvariante diejenige jugendstrafrechtliche Zweckorientierung, nach welcher - entsprechend dem ReaktionszieP18 - die Einwirkung nicht weitergehen darf, als für die Legalbewährung unerläßlich ist. aa) aaa) Im Bereich der Rechtsfalgen betrifft dies zunächst die Bestimmungen in ~\ 10 Abs. 1 Satz 2 und § 15 Abs. 1 Satz 2 (sowie ggf. H 23 Abs. 1 Satz 4, 29 Satz 2, 88 Abs. 5 Satz 2, 89 Abs. 3) lGG. Diese Regelungen befassen sich an sich zwar mit der Zumutbarkeit der im Rahmen von (Bewährungs-)Weisungen bzw. (Bewährungs-)Auflagen an den Jugendlichen vertretbar gestellten Anforderungen. Liegt aber Unzumutbarkeit vor, ist damit zugleich die (Bewährungs- )Weisun~ bzw. (Bewährungs-)Auflage unangemessen in bezug auf den Anlaß 19; denn was von einem Jugendlichen billiger316a In der Vollzugswirklichkeit scheint dem allerdings nicht hinreichend Rechnung getragen zu werden; so befanden sich von den 7.239 am 31.03.1983 im Jugendstrafvollzug einsitzenden Gefangenen nur 11,8% (absolut 856) im offenen Vollzug (StVollzSt. 1983, Tabelle 5.1). 317 Auch für den Vollzug der Freiheitsstrafe besteht (inzwischen) ein gesetzlicher Vorrang des offenen Vollzuges (s. die Gesetzessystematik von § 10 StVollzG). 318 s. näher o. B) IV. 1. b). 319 Im Hinblick auf das jugendstrafrechtliehe Prinzip der Kooperation ist

11*

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S 3 D) Erziehungsvorrang und Anwendungsprinzipien

weise nicht verlangt werden darf, steht außer Verhältnis zum Anknüpfungspunkt dieses Verlangens. bbb) Wie stets ist auch die Festlegung einer gesetzlichen zeitlichen Höchstgrenze von Rechtsfolgen - wie betreffend Weisungen hinsichtlich der zweijährigen Laufzeit in ~~ 11 Abs. 1 Satz 2 lGG (s. auch §§ 11 Abs. 3 Satz 2, [ggf. i.V.m. 15 Abs. 3 Satz 2, 23 Abs.1 Satz 4, 29 Satz 2],88 Abs. 5 Satz 2, 89 Abs. 3, Abs. 2 Satz 2 sowie §§ 16 Abs. 3 Satz 3, Abs. 4 Satz 1, 18 Abs. 1 Sätze 1 und 2, 19 Abs. 2 Satz 1, 22 Abs. 1 Satz 2, 28 Abs. 1, 105 Abs. 3 JGG) - Ausdruck jugendstrafrechtlicher Proportionalität 320 • Dasselbe gilt hinsichtlich des gesetzlichen Ausschlusses besonders eingriffsintensiver Rechtsfolgen in bestimmten Verfahrenskonstellationen (s. §§ 6 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, 7 [arg. e c.], 8 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 [arg. e c.], 39 Abs. 2, 45 Abs. 1 Satz 2, 55 Abs. 1 Satz 2, 65 Abs. 2 Satz 2, 71 Abs. 1 Satz 2, 76 Satz 1 [arg. e c.], 20 Abs. 2 Satz 2, 108 Abs. 3 Satz 1 JGG). ccc) Daneben ergibt sich bei Verhängung von bestimmter wie unbestimmter Jugendstrafe wegen "schädlicher Neigungen" aus der Wendung "die in der Tat hervorgetreten sind" (H 17 Abs. 2, 1. Altern., 19 Abs. 1 lGG) das Erfordernis der - allerdings in einem erweiterten Sinne verstandenen - Tatangemessenheit. Dazu gehört, daß die Verhängung von Jugendstrafe nicht außer Verhältnis zur Tat stehen darf, zumal das Fehlen eines gewissen Äquivalents i. S. v. Tatschuldausgleich nicht nur als unangemessen erachtet 321 , sondern teilw. überdies mit Art. 1 Abs. 1 GG als unvereinbar angesehen wird 322 • Bzgl. der Bemessung wird daraus im Hinblick auf die Formulierung in ~~ 18 Abs. 2 lGG ("möglich ist") weiter gefolgert, es komme der schuldhaft begangenen Tat eine Limitierungsfunktion gegenüber einem unter Aspekten des jugendstrafrechtlichen Sozialisationsziels für erforderlich erachteten Zeitraum der J ugendstrafAngemessenheit zwischen Tat und Rechtsfolge im übrigen ebenfalls zu wahren, weil andernfalls eine Mitwirkung des Jugendlichen bei der Rechtsfolgendurchführung mangels hinreichender Akzeptanz kaum erwartet werden kann (vgl. Eisenberg 1985, § 10 Rn. 13). 320 s. auch Eisenberg 1985, § 11 Rn. 2. 32. Vgl. Eisenberg 1985, § 17 Rn. 25. - Die hiervon abw. Entscheidungen des LG Hamburg (MDR 1959, 511) und des LG Frankfurt (ZblJugR 1960, 218) wären nach heute vorherrschender Auffassung nicht mehr haltbar. 322 Blau 1958,734; Miehe 1964,97 f. - Entsprechend wird auch die Auffassung vertreten, die Anordnung nach § 27 JGG sei nur zulässig, wenn bei hypothetischem Vorliegen "schädlicher Neigungen" eine diesbezügliche Jugendstrafe proportional wäre (Eisenberg 1985, § 27 Rn. 9).

2. Abschnitt 11. Verhältnismäßigkeit

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dauer ZU 323 , wobei die Reichweite der Prinzipienvariante Angemessenheit aber nur erfordere, daß die Strafhöhe nicht außer Verhältnis zur Tat stehe 324 • bb) aaa) Was Vorschriften betreffend das Verfahren anbelangt, so enthält § 43 Abs. 1 Satz 3 lGG eine gesetzliche Ausprägung der Verhältnismäßigkeit i. e. S., indem die Regelung zum Ausdruck bringt, wann eine Anhörung des Lehrherrn oder Ausbildungsleiters im Hinblick auf nicht intendierte Beeinträchtigungen zum Ermittlungszweck außer Verhältnis steht. bbb) Entsprechend ist Angemessenheit in § 44 lGG und § 71 Abs. 2 Satz 1 lGG in der Weise gesetzlich ausgeprägt, daß eine staatsanwaltliche oder richterliche Beschuldigtenvernehmung vor Anklageerhebung bzw. die einstweilige Unterbringung in einem Erziehungsheim bis zur Rechtskraft des Urteils jeweils nur im Hinblick auf die Erwartung einer Jugendstrafe in Betracht kommen soll bzw.

darf.

ccc) Als eine gesetzliche Grenze i. S. dessen, was höchstens zur Vorbereitung eines Gutachtens über den Entwicklungsstand des Beschuldigten an zeitlicher Dauer stationärer Unterbringung noch angemessen sein könnte, setzt ~~ 73 Abs. 3 lGG ein Maximum von sechs Wochen fest. Eine jugendstrafrechtliche Rechtsanwendung seitens des Gerichts hat daher stets eine Angemessenheitsprüfung in dem Sinne vorzunehmen, ob ein geringeres Höchstmaß genügt 325 • ddd) Dasselbe gilt für die gesetzliche Grenze von sechs Wochen in v: m. ~~ 66 Abs. 2 Satz 1 lWG zur Vorbereitung eines Sachverständigengutachtens zur Beurteilung der Persönlichkeit des Jugendlichen; die Verlängerungsmöglichkeit der Unterbringung nach ~~ 12 Satz 1 lGG i. v: m. ~~ 66 Abs. 2 Sätze 2 und 3 lWG bis zu einer Gesamtdauer von bis zu drei Monaten erscheint aber - schon im Hinblick auf die vergleichbare speziell jugendstrafrechtliche Regelung in § 73 Abs. 3 JGG - kaum mehr angemessen zu sein. § 12 Satz 1 lGG i.

eee) Ähnlich bestimmen ~~ 115 Abs. 2 Satz 2 und Satz 4 lGG gesetzliche Grenzen der Angemessenheit für mögliche Rechtsverordnungen 326 der Bundesregierung über die Reaktion auf Verstöße ge323 Miehe 1964,64; Schaffstein 1972,470; vgl. auch Blau 1958, 734; Ders. 1959, 117; S chaffs tein 1977a;Bruns 1982,529 ff. 32' Böhm 1977, 147 und schon 95; Schaffstein 1983, 110; einschränkend aber Bruns 1982, 595;Ders. 1980,100 (jeweils m.N.). 32' s. OLG Oldenburg NJW 1961, 981. - Eine weitere Verfahrensregelung, die in diesem Zusammenhang zu nennen wäre, ist § 99 Abs. 2 JGG. 326 Zu den verfassungsrechtlichen Bedenken, die sich daraus ergeben, daß

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§ 3 D) Erziehungsvorrang und Anwendungsprinzipien

gen "Ordnung oder Sicherheit" der J ugendstrafvollzugs- bzw. Untersuchungshaftvollzugsanstalt, indem die Beschränkung des Verkehrs mit der Außenwelt über drei Monate bzw. Arrest ab zwei Wochen sowie Dunkelhaft in jedem Fall als außer Verhältnis zu einem wie auch immer gearteten Verstoß erachtet werden. cc) aaa) Auch die vollstreckungsrechtliche Regelung in § 87 Abs. 3 Satz 1 lGG kann als Ausprägung jugendstrafrechtlicher Proportionalitätsgesichtspunkte angesehen werden, soweit sie nach teilw. Vollstreckung von Jugendarrest die Restvollstreckung ausschließt, wenn dies zun,