Erziehung und gesellschaftliche Produktion: Kritik des Rollenspiels 3593325322

Die Arbeit basiert auf der Grundkonzeption der Kritischen Psychologie, daß Persönlichkeitsentwicklung einschließlich ihr

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Table of contents :
Vorbemerkung 8
Einleitung. 9
Erster Teil
Die gesellschaftliche Funktion von Erziehungsstrategien.... 14
Erstes Kapitel. Zur Frage von Manipulation in der Erziehung, . . . 14
ZweitesKapitel. Zumgesellschaftlichen Bedarf an neuen Erziehungsstrategien in der wissenschaftlich-technischen Revolution 22
1. Entwicklung der Produktivkräfte 24
a. Erste industrielle Revolution 24
b. Automation 26
2. Allgemeine Folgen der Lohnarbeit für den subjektiven Faktor. 29
3. Besondere Anforderungen an die Produzenten durch die Entwicklung der Produktivkräfte 33
4. Die Notwendigkeit neuer Erziehungsstrategien 38
5. Betriebliche Strategien 40
6. Fragestellungen an das Bildungssystem 44
Zweiter Teil
Rollenspiel als neue Sozialisationsstrategie . 48
Drittes Kapitel. Verbreitung, Herkunft und Lernziele des Rollenspiels 48
1. Daten zur Verbreitung des Rollenspiels als Interaktionspädagogik 48
2. Fragen der Herkunft von Rollenspiel 50
3. Lernziele 54
Viertes Kapitel. Theoretische Vorannahmen 60
1. Rollentheorie als Voraussetzung 60
a. Lernziel Rollenspiel 67
b. Lernziel Rollenmensch 70
Erstes Zwischenergebnis 81
2. Zur Theorie des Spiels 83
a. Spiel als Gegenwelt 88
51. Kritik an den spieltheoretischen Auffassungen der Rollenspielvertreter 88
2. Spiel als Aneignung von Umweltkontrolle 90
3. Arbeit und Freizeit 94
4. Freizeit und Regelspiel 96
FünftesKapitel. Theoretiker aus sozialistischen Ländern zum Rollenspiel in der kindlichen Entwicklung 98
1. Wygotski und die Rolle des Spiels bei der Psychischen Entwicklung 99
2. Leontjew und die Psychologie des Spiels 102
3. Elkonins Spielpsychologie 106
4. Übernahme der Spieltheorien aus der UdSSR in die DDR durch
Launer 111
a. Zum Verhältnis von Wesen und Erscheinung 113
b. Lerntheoretische Annahmen - Nachahmen und Begreifen . . 1 1 7
c. Gruppendruck und die Herausbildung von Kollektivität. . 120
5. Arbeitstätigkeiten des Kindes bei Newerowitsch. . 124
Zweites Zwischenergebnis 126
Sechstes Kapitel. Angeleitetes Rollenspiel in Vorschule und Kindergarten 128
1. Befürworter des angeleiteten Rollenspiels 128
2. Kritiker des angeleiteten Rollenspiels in Vorschule und Kindergarten 135
Drittes Zwischenergebnis 144
Siebtes Kapitel. Angeleitetes Rollenspiel in schulischen Institutionen. 145
1. Formen des Rollenspiels 147
2, Lernziele des schulischen Rollenspiels 151
a. Effektivierung der Lernprozesse - Motivation - Verhältnis
von Inhalt und £iel 151
b. Theaterspiel *tnd
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Erziehung und gesellschaftliche Produktion: Kritik des Rollenspiels
 3593325322

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Frigga Haug Erziehung und gesellschaftliche Produktion: Kritik des Rollenspiels

Kritische Sozialwissenschaft Psychologie

\

Texte zur Kritischen Psychologie, Band 7 Psychologisches Institut der FU Berlin

Erziehung und gesellschaftliche Produktion: Kritik des Rollenspiels

Die Arbeit basiert auf der Grundkonzeption der Kritischen Psychologie, daß Persönlichkeitsentwicklung einschließlich ihrer Erziehungs-Determinanten letztlich nur aus den Notwendigkeiten der gesellschaftlichen Produktion begriffen werden kann. Frigga Haug weist auf, daß durch neueste Entwicklungen der Produktion im Kapitalismus widersprüchliche Anforderungen ans Individuum entstanden sind, die wiederum veränderte Erziehungsstrategien zur scheinbaren Versöhnung dieser Widersprüche im Subjekt nötig machen. Als exemplarisch dafür wird das heute weitverbreitete pädagogische Instrument des „Rollenspiels" analysiert. An vielen Beispielen aus den verschiedenen Anwendungsfeldern wird detailliert nachgewiesen, wie hier die Förderung sozialer Fähigkeiten 1 notwendig einhergeht mit der manipulativen Einübung der Identifikation mit den herrschenden Interessen, indem die Überwindbarkeit gesellschaftlicher Widersprüche durch Verbesserung zwischenmenschlichen Umgangs vorgetäuscht wird. Abschließend werden thesenförmig Alternativen wirklich emanzipativer Verwendung von Spielsituationen in der Erziehung entwickelt.

Frigga Haug, Dr. phiL, Dipl. Soz., war bis Ende 1976 Assistentin am Psychologischen Institut der FU Berlin für das Fach Bildungsökonomie, Redakteurin der Zeitschrift »Das Argument«, Mitglied der Projektgruppe Automation und Qualifikation, die 1975 eine Untersuchung über »Automation in der BRD« publizierte. Neben zahlreichen Aufsätzen veröffentlichte sie »Kritik der Rollentheorie und ihrer Anwendung in der bürgerlichen deutschen Soziologie« 1972, 1975.

Studium: Kritische Sozialwissenschaft Wissenschaftlicher Beirat: Franz Dröge/Bremen; Klaus Holzkamp, Berlin; Klaus Horn, Frankfurt/M.; Urs Jaeggi, Berlin; Ekkehart Krippendorff, Bologna; Hans Joachim Krüger, Gießen; Wolf-Dieter Narr, Berlin; Frieder Naschold, Berlin; Claus Offe, Bielefeld; Jürgen Ritsert, Frankfurt/M.; Erich Wulff, Hannover. Lektorat: Adalbert Hepp/Stefan Müller-Doohm

Frigga Haug Erziehung und gesellschaftliche Produktion: Kritik des Rollenspiels Texte zur Kritischen Psychologie, Band 7 Psychologisches Institut der FU Berlin

Campus Verlag Frankfurt/New York

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Haug, Frigga Erziehung und gesellschaftliche Produktion : Kritik d. Rollenspiels. - 1. Aufl. - Franks furt/Main, New York : Campus Verlag, 1977. (Campus : Studium ; Bd. 532 : Krit. Sozial= wiss.)(Texte zur kritischen Psychologie ; Bd. 7) ISBN 3-593-32532-2

ISBN 3-593-32532-2 Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Ubersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Photokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Copyright © 1977 bei Campus Verlag GmbH, Frankfurt/Main Gestaltung und Produktion: Warminski & Heinzlmeier, Buchteam Frankfurt Gesamtherstellung: Friedrich Pustet, Regensburg Printed in Germany

Inhalt

Vorbemerkung

8

Einleitung.

9

Erster Teil Die gesellschaftliche Funktion von Erziehungsstrategien....

14

Erstes Kapitel. Zur Frage von Manipulation in der Erziehung, . . .

14

Zweites Kapitel. Zum gesellschaftlichen Bedarf an neuen Erziehungsstrategien in der wissenschaftlich-technischen Revolution 1. Entwicklung der Produktivkräfte a. Erste industrielle Revolution b. Automation 2. Allgemeine Folgen der Lohnarbeit für den subjektiven Faktor. 3. Besondere Anforderungen an die Produzenten durch die Entwicklung der Produktivkräfte 4. Die Notwendigkeit neuer Erziehungsstrategien 5. Betriebliche Strategien 6. Fragestellungen an das Bildungssystem Zweiter Teil Rollenspiel als neue Sozialisationsstrategie

22 24 24 26 29 33 38 40 44

. 48

Drittes Kapitel. Verbreitung, Herkunft und Lernziele des Rollenspiels 1. Daten zur Verbreitung des Rollenspiels als Interaktionspädagogik 2. Fragen der Herkunft von Rollenspiel 3. Lernziele

48 50 54

Viertes Kapitel. Theoretische Vorannahmen 1. Rollentheorie als Voraussetzung a. Lernziel Rollenspiel b. Lernziel Rollenmensch

60 60 67 70

Erstes Zwischenergebnis 2. Zur Theorie des Spiels a. Spiel als Gegenwelt

81 83 88

48

5

1. Kritik an den spieltheoretischen Auffassungen der Rollenspielvertreter 2. Spiel als Aneignung von Umweltkontrolle 3. Arbeit und Freizeit 4. Freizeit und Regelspiel

88 90 94 96

Fünftes Kapitel. Theoretiker aus sozialistischen Ländern zum Rollenspiel in der kindlichen Entwicklung 98 1. Wygotski und die Rolle des Spiels bei der Psychischen Entwicklung 99 2. Leontjew und die Psychologie des Spiels 102 3. Elkonins Spielpsychologie 106 4. Übernahme der Spieltheorien aus der UdSSR in die DDR durch Launer 111 a. Zum Verhältnis von Wesen und Erscheinung 113 b. Lerntheoretische Annahmen - Nachahmen und Begreifen . . 1 1 7 c. Gruppendruck und die Herausbildung von Kollektivität. . 120 5. Arbeitstätigkeiten des Kindes bei Newerowitsch. . 124 Zweites Zwischenergebnis Sechstes Kapitel. Angeleitetes Rollenspiel in Vorschule und Kindergarten 1. Befürworter des angeleiteten Rollenspiels 2. Kritiker des angeleiteten Rollenspiels in Vorschule und Kindergarten Drittes Zwischenergebnis Siebtes Kapitel. Angeleitetes Rollenspiel in schulischen Institutionen. 1. Formen des Rollenspiels 2, Lernziele des schulischen Rollenspiels a. Effektivierung der Lernprozesse - Motivation - Verhältnis von Inhalt und £iel b. Theaterspiel *tndgestört< - sie terrorisieren einander, sie streiten sich ununterbrochen (um Gegenstände, als lebten sie in tiefer Armut; um Rangplätze, als lebten wir vor Leviathan; um die Zuwendung der Erwachsenen, als lebten sie in einer besonders lieblosen Welt), sie vandalisieren das Gemeingut, sie sind weitgehend unfähig, anderen und sich selbst Freude zu bereiten, sie scheinen unfähig, tiefere anhaltende Beziehungen zu Menschen oder Sachen einzugehen - und sie müssen ununterbrochen schreien. Natürlich haben sie auch liebenswerte, ja bewundernswerte neue Eigenschaften, aber diese sind meist die unmittelbare Folge und Kehrseite einer ihrer Schwierigkeiten: aggressiv wie sie sind, können sie Erwachsenen frei, ungebeugt begegnen; indifferent, unkooperativ und kritisch wie sie sind, können sie diese Schwächen sehr ehrlich einsehen und sehr beredt anklagen; ungeordnet wie sie sind, können sie in bestimmten Lagen sich selbst und ihren Anspruch zurücknehmen.« {Aries, Geschichte . . . , 33)

Diese Erfahrung, die Hentig auf Befragung von Kollegen als verallgemeinerbar diagnostiziert, werden - wenn auch mit Einschränkungen, mit anderen Worten und anderen Erklärungen - vermutlich viele bestätigen, die mit Heranwachsenden zu tun haben. Hentig gibt auf der Suche nach den Ursachen solchen Verhaltens den Hinweis, es könne u.a. die als sinnlos empfundene Welt der Erwachsenen sein, die der Grund ist für das Handeln der Jugendlichen bis hin zum Konsum von Drogen und Alkohol. Im gleichen Erklärungsfeld und mit einer ähnlichen Phänomenologie bewegt sich Goodman mit seinem Buch »Growing up absurd«. Der »Motivationsverlust« und also das Gebiet des »sozialen Lernens« bilden seit einigen Jahren einen Schwerpunkt in der pädagogischen Diskussion. Die Antwort der Gesellschaft auf diese Situation ist eine fast unüberseh10

bare Menge von Hilfsangeboten und Reformen für die überforderten Erzieher. Curriculumpläne schießen wie Pilze aus dem Boden, begleitet von einer wachsenden Anzahl neuer Methoden zu Unterrichts- und allgemeiner Erziehungsgestaltung. Hier sieht sich der Erzieher vor einer neuen Schwierigkeit: Die Probleme, die die Gesellschaft in ihrer augenblicklichen Gestalt mit ihrem Nachwuchs hat, sind in irgendeiner Form auch seine Probleme. Unbotmäßigkeit, Leistungsunwillen, Überdruß, Langeweile, »Motivationsverlust« richten sich nicht nur gegen eine schlechte Wirklichkeit, sondern gegen Wirklichkeit überhaupt. Wie also wählt der Erzieher aus den ihm angebotenen Lösungsmöglichkeiten? Nicht zu Unrecht hat er das Gefühl, daß die offiziell empfohlenen Strategien und Anweisungen manipulativer Art sind, zur schrankenlosen Anpassung und unkritischen Bejahung des Bestehenden geeignet. Aber gerade die neueren Methoden tragen diese ihre Bestimmung nicht mehr so ohne weiteres auf der Stirn geschrieben. Im Gegenteil, sie stecken voller Versprechungen für eine Verbesserung der Gesellschaft, eine Befriedigung der Bedürfnisse der Einzelnen, und an ihrem Zustandekommen haben namhafte und zum Teil für den Fortschritt engagierte Wissenschaftler mitgearbeitet. War für die fortschrittlichen Praktiker im Erziehungsbereich der Weg der abstrakten Negation dieser Gesellschaft, also der Weg der einfachen Verneinung, schon strittig, so wird er vollends unmöglich durch das praktische Verhalten der Heranwachsenden. Da sie gleichwohl handeln müssen, liegt nichts näher als eben die gesellschaftlich angebotenen Reformversuche zu ergreifen und zu praktizieren, die kritisch und befreiend zu sein vorgeben. Dies umso leichter, als das scheinbar spontane gleichzeitige Auftreten ähnlicher Erziehungsmodelle an verschiedenen Orten und in verschiedenen Köpfen eine Art Freiwilligkeit der Erzieher weit eher anzuzeigen scheint als eine gezielte Manipulation von Seiten herrschender Kreise. So steht der einzelne Erzieher zugleich vor einer Menge von Problemen wie vor Problemlösungsangeboten, die »emanzipatorisch« zu sein scheinen. Er muß seine Vermittlungsprobleme wirklich lösen und für eine Gesellschaft Wirklichkeitsbewältigung aneignen helfen, die nicht jede Form der Bewältigung zuläßt. Das heißt konkret gesprochen, jeder Einzelne sieht sich vor der Aufgabe, sich mit den ihm angebotenen Lösungsstrategien auseinanderzusetzen, und zwar so, daß er die fortschrittlichen Elemente herausfindet, ohne die »manipulativen« dabei mitzuübernehmen. Für dieses Unterfangen versucht die folgende Analyse das Werkzeug bereitzustellen.

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Methode Für die Bestimmung einer möglichen fortschrittlichen Praxis in der Erziehung heute ist es notwendig, das bestimmte Verhältnis von Emanzipation und Manipulation genauer anzugeben; d.h. konkret, das Ausmaß herauszufinden, in dem die gegenwärtige Gesellschaft zu ihrer eigenen Erhaltung Fortschrittliches fördern muß, Formen von Emanzipation unterstützt, und wie sie in wachsendem Widerspruch hierzu die Fesseln der Erhaltung ihres bestimmten Systems als Verhinderung von Fortschritt betreiben muß. Zur Diskussion steht also die zugespitzte Form des Widerspruchs von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen - ein Spannungsfeld, in dem der Einzelne ein Teil ist und für das er in seinem Sozialisationsprozeß vorbereitet werden soll. Zu untersuchen ist deshalb zunächst der gesellschaftliche Bedarf an verschiedenen Erziehungsstrategien bzw. an auf angebbare Weise ausgestatteten Individuen. Hierfür muß Gesellschaft zwar einerseits als Verhältnis aller Mitglieder und als Prozeß begriffen werden, andererseits aber treten die Interessen der Systemerhaltung gewissermaßen subjekthaft auf. Um nicht der Vorstellung einer manipulativen Verschwörung von oben zu erliegen, muß ein Begriff von Manipulation entwickelt werden, dem diese Auffassung nicht zugrundeliegt, mit dem aber gleichzeitig das wirkliche Vorhandensein einer permanenten Manipulation dennoch nicht geleugnet werden muß. Aus der Analyse des gesellschaftlichen Bedarfs an bestimmten Strategien der Beeinflussung und Formung von Individuen wird vielmehr einsichtig werden, daß zunehmend an vorhandenen Bedürfnissen angeknüpft wird, so daß die einzelnen Erzieher sich »wie von selbst« für die Durchführung der systemnotwendigen Qualifikationen einsetzen lassen. Im zweiten und dritten Teil des Buches, in der exemplarischen Analyse des Rollenspiels als einer neueren Erziehungsmethode wird ein Instrument gewählt, das so alltäglich ist, daß es alle Theoretiker und Praktiker der Erziehung in der einen oder anderen Weise schon betroffen hat, sei es als Weltanschauung, als Erinnerung an eigenes Verhalten, als Beobachtetes an anderen, sei es, daß sie es als »fortschrittliche Methode« selbst eingesetzt haben. Diese Betroffenheit erleichtert und erschwert die Analyse. Einerseits kann man ein gewisses Vorverständnis voraussetzen, eine gemeinsame Basis, von der aus argumentiert werden kann. Andererseits kann dieses positive Vorverständnis auch die Bereitschaft, die im Rollenspiel versammelten Funktionen und Wirkungen anders und neu zu sehen, behindern. Stellenweise bietet die Analyse einem solchen Verhalten zusätzlich Vorschub, da vom Gegenstand erzwungen eine gewisse Pauschalierung unvermeidlich ist, was den Einzelnen die Möglichkeit eröffnet, sich in den konkreten Fällen als mißverstanden dem Zusammenhang zu entziehen. Die Schwie12

rigkeit liegt in dem Untersuchungsmaterial, wie es sich der Analyse darbietet. Zum Teil handelt es sich um praktische Rollenspielbeispiele, zum Teil sind es nur theoretische Begründungen für Rollenspiel. Dabei werden unterschiedliche Theorieangebote gemacht, die nicht immer mit den praktischen Beispielen übereinstimmen; vielfach werden Begriffe aus verschiedenen Theorien umstandslos zusammengeschmiedet und zur Beschreibung benutzt. In dieser Situation konnte kein Weg gewählt werden, der den einzelnen Autoren in angemessener Weise Gerechtigkeit widerfahren läßt, vielmehr wurden alle Äußerungen, ob zur Theorie oder die Beispiele aus der Praxis, als Material benutzt. Damit werden die einzelnen Vertreter des Rollenspiels zum Sprachrohr einer allgemeinen Auffassung und treten als Personen in den Hintergrund. In den Fällen, in denen die geäußerte Theorie der Praxis widersprach, wurde jeweils den praktischen Beispielen das Primat gegeben, da es sich im Ganzen ja um eine Analyse des Rollenspiels als Instrument für die Aneignung von Wirklichkeit handelt und nicht um die Kritik der Vorstellung einzelner Autoren. In einzelnen Fällen wurde gleichwohl in die Auseinandersetzung mit einzelnen Personen eingetreten - aber auch hier geht es nicht um sie als Personen, sondern als Exponenten bestimmter Auffassungen. Bei der Uberprüfung der ungenannten spieltheoretischen und lerntheoretischen Prämissen, die in die Propagierung des Rollenspiels eingehen, mußte teilweise eine so große Strecke zurückgelegt werden, daß die wissenschaftlich übliche Fortbewegungsart der Fußwanderung zugunsten eines Uberfliegens aufgegeben werden mußte. Hier wie an anderen Stellen konnte auf die bislang im Psychologischen Institut der Freien Universität erarbeiteten Grundlagen zurückgegriffen werden.

13

Erster Teil Die gesellschaftliche Funktion von Erziehungsstrategien

Erstes Kapitel. Zur Frage von Manipulation in der Erziehung Das Vorhaben, ein pädagogisches Instrument auf seine Fort- und Rückschrittlichkeit zu untersuchen, unterstellt nicht nur, daß es den Erziehern möglich ist, den Heranwachsenden beim Fortschreiten zu helfen, also fortschrittliche Vermittlungswege einzuschlagen, es unterstellt auch, daß es eigene Möglichkeiten der Vermittlung des Rückschritts gibt. Da der Rückwärtsgang eine der menschlichen Zielgerichtetheit entgegengesetzte Bewegungsweise ist, kann vorausgesetzt werden, daß die Vermittlung des Rückschritts den Interessen der Einzelnen zuwiderläuft. Es wird daher für dieses Verfahren der Begriff der Manipulation vorgeschlagen. Nun ist dieser Begriff theoretisch ebenso umstritten wie die Praxis, die er meinen soll, schwer durchschaubar ist. Soll man sich gewissermaßen eine Zentralagentur des Rückschritts denken, von der her die Befehle an die einzelnen Agenten gegeben werden? Oder soll, wie dies in der Frankfurter Kritischen Theorie letztlich unterstellt wurde, die gesamte Gesellschaft als ein gigantischer unentrinnbarer Manipulationszusammenhang gedacht werden, in dem alles in totaler Verkehrung an der Gängelung der Einzelnen teilhat? Oder könnte man sogar die Indienstnahme aller Lebensäußerungen der Beherrschten von Seiten der Herrschenden sich vorstellen, wie dies zu Beginn der Studentenbewegung der 60-er Jahre von ihren extremsten Vertretern formuliert wurde? - So prüfe man etwa die Flugblätter der »Subversiven Aktion«, in denen es u.a. zur Ermordung von J.F. Kennedy heißt: »In Wahrheit wird durch den Rummel nach dem Mord vorgetäuscht, in einer Welt austauschbarer Marionetten sei ein Kennedy nicht austauschbar und ein einzelner könne Geschichte machen, wo doch die autonomen Mechanismen der repressiven Gesellschaft in jedem Einzelnen zwangsläufig sich reproduzieren. - Der Pseudokrise folgt der vorgetäuschte Notstand, und dieser wiederum legitimiert den Zwang zu sozialer Anpassung. Die manipulierte Hysterie und die kostenlos konsumierte Tragik erzeugen Zusammenhalt.... und das schwülstige Gefühl von Gemeinschaft kann in einer Gesellschaft, wo jeder von jedem perfekt abgekapselt in der Isolation verharrt, nur noch durch gesteuerte Massenpsychosen suggeriert werden . . . Die westliche Wohlstandsgesellschaft braucht solche Pannen wie Lengede und Kennedy, um an Hand der Reaktion zu testen, ob noch alle gleichgeschaltet sind . . .«*

Die Beantwortung der mit dem Zusammenhang von Manipulation sich 14

stellenden Fragen kommen in der Geschichte der Theorie von Manipulation gewissermaßen zerlegt vor als Einseitigkeiten in der Auffassung. Zunächst scheint die Diagnose eines Vorhandenseins von Manipulation hauptsächlich eine Person als agierendes Subjekt vorauszusetzen, welche andere Menschen sich zum Objekt macht. Eine solche Sichtweise konzentriert sich einerseits auf die personalen Eigenarten der »Führer« und ihren »Willen« zur Macht« (so z.B. Max Weber in seiner Herrschaftstypologie), andererseits auf die Beschreibung des Verhaltens von Massen, die als Objekte für die Manipulationsmöglichkeit gedacht werden müssen (so z.B. Riesmanund Le Bon). In beiden Fällen wird also eine Preisgabe individuellen Verhaltens durch Einwirken von anderen Menschen mit persönlichen Qualitäten als Erklärungsmuster angenommen. Der Faschismus - insbesondere in Deutschland - schien solchen Vorstellungen von der Verführbarkeit der Massen und dem Machtwillen der Führer gleichsam den nachträglichen Beweis geliefert zu haben. Ein Beweis, dessen Kraft gereicht hat, um bis heute Theoreme von Dämonie und Führerpersönlichkeit quasi empirisch zu untermauern2. Aber das Erlebnis des Faschismus führte zur differenzierteren Forschimg nach der Möglichkeit der Verführbarkeit von Menschen als auch nach dem Nutzen solcher Verführung. Wichtiges Ergebnis der in der Emigration unter dem Namen »Autoritäre Persönlichkeit« durchgeführten Forschung (deren bekannteste Vertreter Adorno und Horkheimer waren) ist die Wechselwirkung von Herrschaft und Knechtschaft. Mit dem Stichwort »passiv-autoritäres Verhalten« werden Führen und Geführtwerden aufgewiesen als etwas, das sich den gleichen Ursprüngen im Menschen verdankt. Wesentliches Hilfsmittel für die Erkenntnisse jener Richtung waren Marxismus und Psychoanalyse und damit eine Fragestellung, die immerhin das soziale Gewordensein autoritärer und passiv-autoritärer Verhaltensstrukturen zu untersuchen sich vornahm. Mit dieser Feststellung mußte auch ein sozialer Ursprung, ein gesellschaftlicher Bedarf an Herrschaft und deren unkritischer Anerkennung und Stützung ausgemacht werden. Dafür wird unter Berufung auf Marx der Kapitalismus bestimmbar als ein System von Herrschaft und Knechtschaft, in dem die Herren an der fortwährenden Verschleierung ihrer Herrschaft ein Interesse haben müssen, weil diese die Zustimmung der Beherrschten zur Ausbeutung ihrer Arbeitskraft impliziert. Macht und Herrschaft erscheinen jetzt ablösbar von dem Charakter einzelner Personen und stattdessen als systemnotwendig: als Zwang, ein formal freies System zu sichern gegen seine Einwohner, die allesamt zur realen Freiheit sonst schon aufgebrochen wären. Unter dieser Voraussetzimg wird Herrschaft gedacht als ein Zusammenhang, der im Kapitalismus bis in jede Zelle hinein sich einnistet. Gemäß der verbreiteten Vorstellung, daß die kleinste Zelle der Gesell15

schaft die Familie sei, konnte logisch konsequent angenommen werden, daß diese auch eine der wesentlichen Manipulationsagenturen der kapitalistischen Gesellschaft sei. Die Empörung gegen Manipulation zur Legitimierung von Herrschaft fand in der Studentenbewegung der 60er Jahre sowohl ihren theoretischen Ausdruck wie auch die aus den theoretischen Einsichten gezogenen praktischen Gegenmaßnahmen. Die Radikalität, mit der die theoretischen Annahmen über Manipulation in praktische Gegenstrategien umgesetzt wurden, zeigte sich zugleich als praktische Uberprüfung von Theorie. Eine knappe Skizze soll zeigen, daß hier richtige Teileinsichten in den gesellschaftlichen Zusammenhang zur Geltung kamen, die im Fortgang der »linken Diskussion« um Manipulation aufgrund der überspitzten Einseitigkeit, die sie kennzeichnete, wieder fallengelassen wurden. Eine gründliche Aufarbeitung - wiewohl sie verdienstvoll wäre - kann jedoch an dieser Stelle nicht geleistet werden. Der knappe theoriegeschichtliche Uberblick soll nicht nur einen Einblick in die Problemlage geben, durch den orientierenden Uberblick kann zudem der Standpunkt der Verfasserin deutlich werden, von dem aus die weitere Analyse verständlich werden soll, wie darüber hinaus die unterschiedenen Erklärungsversuche die heuristische Funktion haben, die einzelnen Elemente, die in einer Theorie von Manipulation oder in deren vorgestellter Praxis von Bedeutung sind, als Probleme vor Augen zu führen. So zeigte sich bisher, daß eine Theorie der Manipulation eine Erklärung abgeben muß über die Subjekte und Objekte von Manipulation, über den Nutzen, also die Ursache der Beeinflussung, wie über den Ort, an dem sie stattfindet. Im Verhältnis von Subjekt und Objekt müßte zudem die Wirkungsweise manipulativer Steuerung angegeben werden. Der Versuch, die in der Studentenbewegung der 60er Jahre zusammengetragenen Manipulationstheoreme zu skizzieren, stößt auf folgende Zusammenhänge: Das kapitalistische Herrschaftssystem bedarf der Manipulation der Gesellschaftsmitglieder zur Sicherung von Herrschaft. Dies geschieht in allen Institutionen der Gesellschaft, nicht zuletzt in der Familie. Die Mutmaßung, daß die Erziehung in der Kleinfamilie in hohem Maße herrschaftsstabilisierend sei, führte zur Praktizierung von Gegenmodellen - antiautoritärer Erziehung, Kommunen, Großfamilien etc. - von denen heute noch die Gemeinschaftswohnungen wie auch einige Kinder- und Schülerläden übrig geblieben sind. Galt in diesem Zusammenhang die Familie als bewußtloser Agent von Herrschaft, der seine manipulative Kraft schon durch seine bloße institutionelle Existenz entäußerte, so wurde daneben eine geplante und bewußt durchgeführte Verdummung der Bevölkerung durch die Massenmedien und ihre Agenten angenommen. Umfangreiche Analysen - z.B. über die 16

Methoden der BILD-Zeitung - führten in ihrem Höhepunkt zur Kampagne und zum Tribunal gegen Axel Cäsar Springer als Personifikation von Manipulation im Interesse der Herrschaft Weniger über Viele. Wurde so einerseits Manipulation im Begründungszusammenhang von Systembejahung gesehen, die zu erreichen ist durch familiale Einübung in Gehorsam und Untertanengeist und durch allenthalben stattfindende Täuschungs- und Verdummungsstrategien, trat als zweiter Grund für die Manipulationsversuche der herrschenden Klasse die Notwendigkeit auf, die mit Profit produzierten Waren auch zu verkaufen. Die offensichtlichen Reklamefeldzüge, die im Interesse eines immer größeren und schnelleren Warenumsatzes den Käufern immer neue Bedürfnisse einzureden suchen, boten den Beweis für die Diagnose von »Konsumterror«, der konsequent der Aufruf zur »Konsumverweigerung« folgte. Der Verdacht der Bewußtseinslenkung richtete sich also auf den Konsum- und erweitert auf den Reproduktionsbereich überhaupt. Die bisher erwähnten Erklärungsversuche für den Tatbestand der Manipulation bestimmen bis heute in mehr oder weniger modifizierter Form die theoretische Diskussion. In den Arbeiten aus der DDR 3 wird das Hauptgewicht auf die Absatzschwierigkeiten gelegt und die Durchsetzung von Manipulation als eine Art Zensur der durch Zeitungsinserate als Geldgeber für die Massenmedien auftretenden Monopole angenommen. Diese arbeiten wissenschaftlich: »Wir haben es hier sozusagen mit einer gezielten Grundlagenforschung der Monopole zur Analyse von Mensch und Markt für den Absatz der Produktion zu t u n . . . . Den Verwertungsbedürfnissen des Kapitals folgend, entwickelten sich vor allem in den letzten Jahrzehnten in den imperialistischen Ländern neue spezielle Wissenschaftsdisziplinen wie die Motivforschung, die Verhaltensforschung, die Konsumforschung, die Markt-und Bedarfsforschung, usw.« (Mehnert, Bedürfnisse . . . , 88)

Gleichzeitig wird ein bewußt manipulierter Zusammenhang zwischen der Bedürfnismanipulierung für die Behebung der Absatzschwierigkeiten und der Herstellung von Systembejahung angenommen: »Eine wichtige Rolle spielt die kapitalistisch-imperialistische Bedürfnis-Konzeption, die vermittels kapitalistischer Motivierung der Bedürfnisse, mittels staatsmonopolistischer Manipulierung und werkspsychologischer Tricks versucht, die Bedürfnisse der Werktätigen auf das eng begrenzte Gebiet der kaufkraftabhängigen individuellen Konsumtion zu beschränken und sie selbst in dieser Sphäre so zu manipulieren, daß primär den kapitalistischen Pro/tfbedürfnissen und den Interessen des spätkapitalistischen Systems Rechnung getragen wird.« (Mehnert, Bedürfnisse . . ., 87)

In ähnlicher Weise wird in einer neueren in der BRD erschienenen Publikation zur Frage der Manipulation argumentiert (etwa von Hennig über die Abhängigkeit der Massenmedien). Dabei werden je nach Autor die Ak17

zente ein wenig anders gesetzt, so etwa bei Holzer, der sich die Frage nach den Manipulatoren, also jenen, die die Durchsetzung von Manipulation zu betreiben haben, stellt: »Im Umgang der Massenmedien mit ihrem Publikum zeigt sich so keineswegs eine von böswilligen Journalisten absichtlich vorgenommene Manipulation; die Manipulation liegt vielmehr darin, daß die Institutionen der Massenkommunikation auf das herrschende kapitalistische System verpflichtet sind: Aufgrund ihrer polit-ökonomischen Lage und der Entfremdungssituation des Publikums müssen die Medien jene Techniken anwenden, die das Denken der Mehrheit der Bevölkerung so regulieren, daß es den profit- und wahlstimmenorientierten Interessen der Machtgruppen in Wirtschaft und Politik entspricht.« (Holzer, Politik . . ., 76)

Im gleichen Band werden auch noch einmal in extremer Zuspitzung die Manipulationsstrategien aus Absatzschwierigkeiten so einseitig formuliert, daß sogar ein Bedeutungsschwund des Produktionssektors als Beweis angeführt wird: »Die Reproduktionsprozesse nehmen zwar immer noch ihren Ausgangspunkt im Produktionssektor, dieser hat aber in Relation zur Konsumsphäre an Relevanz verloren. Nicht die Herstellung von knappen Gütern bildet heute das wirtschaftliche Problem, sondern der Absatz eines Massenangebots an Konsumwaren. Massenhafte Nachfrage muß wie das Angebot produziert werden. Wirtschaften bildet nicht mehr Mittel zum Zweck, sondern Selbstzweck. Der Mensch vermittelt zwischen Produktion «und Verbrauch. Die größten Anstrengungen richten sich auf die >marktkonforme Konsumquote