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German Pages 192 Year 1988
KAREN BAUER
Ersitzung und Bereicherung im klassischen römischen Recht
Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen Herausgegeben vom Institut für Rechtsgeschichte und geschichtliche Rechtsvergleichung der Albert-Ludwigs-Universität, Freiburg i.Br.
Neue Folge . Band 11
Ersitzung und Bereicherung im klassischen römischen Recht und die Ersitzung im BGB
Von
Karen Bauer
Duncker & Humblot . BerIin
Gedruckt mit Unterstützung der Gerda Henkel-Stiftung, Düsseldorf
CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Bauer, Karen: Ersitzung und Bereicherung im klassischen römischen Recht und die Ersitzung im BGB / von Karen Bauer. - Berlin: Duncker u. Humblot, 1988 (Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen; N. F., Bd. 11) Zug!.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1987 ISBN 3-428-06493-3 NE:GT
Alle Rechte vorbehalten
© 1988 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Satz: Klaus-Dieter Voigt, Berlin 61 Druck: Werner Hildebrand, Berlin 65 Printed in Germany ISBN 3-428-06493-3
Vorwort Diese Arbeit hat im Wintersemester 1987/88 der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg als Dissertation vorgelegen. Sie entstand in meiner Zeit als Assistentin am Institut für Rechtsgeschichte und geschichtliche Rechtsvergleichung. Für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe "Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen" danke ich den Herausgebern, für die großzügige Gewährung eines Druckkostenzuschusses der Gerda Henkel Stiftung in Düsse1dorf. Vor allem aber gilt mein herzlicher Dank meinem Lehrer, Professor Joseph Georg Wolf. Seine Vorlesungen, Übungen und Seminare haben mich schon in den ersten Semestern für das Zivilrecht und dann besonders für das römische Recht begeistert. Ohne seine Förderung, seine Kritik und seine Unterstützung wäre diese Arbeit nicht entstanden. Karen Bauer
Inhaltsverzeichnis Einführung
11
............ .
1. Kapitel Die Ersitzung auf Grund der Verfügung eines Nichtberechtigten und ihre schuldrechtlichen Folgen § 1. Die usucapio pro soluto . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
14
§ 2. Die usucapio pro emptore
23
§ 3. Die usucapio pro dote
28
..................................
§ 4. Die Ersitzung einer auf den Todesfall geschenkten Sache
...........
30
................................
34
§ 6. Die usucapio pro legato . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
35
§ 7. Ergebnisse und Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
38
§ 5. Die usucapio pro donato
§ 8. Ein dogmatisches Kuriosum: Neratius 5 membr D 24.1.44 und Pomponius
24 ad Qu Mucium D 41.6.3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
47
2. Kapitel Die Putativtitelersitzung und ihre schuldrechtlichen Folgen
A. Die Voraussetzungen der Putativtitelersitzung § 9. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
61
§ 10. Putativtite1ersitzung pro dere1icto oder pro herede? . . . . . . . . . . . . . . .
65
§ 11. Die Ersitzung einer vermeintlich gekauften Sache
................
69
§ 12. Die Ersitzung einer vermeintlich vermachten Sache . . . . . . . . . . . . . . .
90
§ 13. Die Ersitzung einer vermeintlich durch Erbgang erworbenen Sache § 14. Ergebnisse
100
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121
B. Die schuldrechtlichen Folgen der Putativtitelersitzung § 15. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 123 § 16. Die Ersitzung einer nicht geschuldeten Sache nach Neraz und Pomponius .. 126
8
Inhaltsverzeichnis
§ 17. Ersitzung auf Grund eines Kaufs vom furiosus oder pupillus § 18. Proculus 7 epist D 23.3.67
......... 136
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145
§ 19. Ergebnisse und Folgerungen (mit einem Exkurs über die comrnixtio oder
consumptio nummorum)
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 3. Kapitel
Ersitzung und Bereicherung im Bürgerlichen Gesetzbuch § 20. Vorbemerkung ......... .
167
§ 21. Die Lösung des Gesetzgebers
169
§ 22. Die Literatur und Rechtsprechung
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174
§ 23. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179
QueUenregister
188
Abkürzungen Die Zitierweise von Zeitschriften, Festschriften, Reihen und Sammelwerken folgt gewöhnlich der der Kaser'schen Handbücher, auf deren Abkürzungsverzeichnisse wir deshalb generell verweisen. Daneben werden folgende nicht aus sich selbst heraus verständliche Abkürzungen verwendet: DJZ GruchBeitr. H ausmaninger, Bonafides Jacobs, Error falsae causae JherJb.
JW Kaser, RP IIII Kaser, RZ v. Lübtow, Condictio LZ Mayer-Maly, Putativtitelproblem Pernice, Labeo II 1
Deutsche Juristenzeitung Beiträge zur Erläuterung des Deutschen Rechts, begründet von J. A. Gruchot Die bona fides des Ersitzungsbesitzers im klassischen römischen Recht (1964) in: Festschrift für W. Flume zum 70. Geburtstag I (1978) 43ff. Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des bürgerlichen Rechts = Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts Juristische Wochenschrift Das römische Privatrecht IIII (2. Auf!. 1971/1975) Das römische Zivilprozeßrecht (1966) Beiträge zur Lehre von der Condictio nach römischem und geltendem Recht (1952) Leipziger Zeitschrift für Deutsches Recht Das Putativtitelproblem bei der usucapio (1962)
Labeo, Römisches Privatrecht im ersten Jahrhundert der Kaiserzeit 11 1 (2. Auf!. 1895) Pflüger, Lehre vom Zur Lehre vom Erwerbe des Eigentums nach römischem Erwerbe des Eigentums Recht (1937) Die Grundlage der condictio im klassischen römischen Schwarz, Grundlage Recht (1952) der condictio Das Wesen von Bona Fides und Titulus in der römischen Stintzing, Bona Fides Usucapionslehre (1852) UnterholznerlSchirmer, Unterholzner's Ausführliche Entwickelung der gesammten Verjährungslehre I Verjährungslehre aus den gemeinen in Deutschland geltenden Rechten I (2. Auf!. 1858, bearbeitet von Schirmer) Modi di acquisito della proprietA (1952) Voci, Modi Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht ZHR
Einführung I. Die usucapio ist seit jeher ein bevorzugter Forschungsgegenstand der Pandektistik und der deutschsprachigen Romanistik gewesen. Unterholzner und Savigny, Stintzing, Schirmer und Fitting haben die Diskussion im 19. Jahrhundert eröffnet!; seitdem sind fast alle Probleme des Ersitzungsrechts wiederholt und gründlich behandelt worden. Eine systematische Untersuchung der schuldrechtlichen Folgen der usucapio fehlt jedoch bis heute.
Die schuldrechtlichen Folgen sind ein Kriterium für die Funktion und die dogmatische Stellung der usucapio im System des römischen Rechts. Der am geltenden Recht geschulte Romanist ist gewöhnt, zwischen den verschiedenen Arten des Eigentumserwerbs streng zu unterscheiden. Vor allem zieht er eine scharfe Trennungslinie zwischen dem Eigentumserwerb durch Rechtsgeschäft und sonstigen Tatbeständen des Eigentumserwerbs. Die Ersitzung zählt er zu den sonstigen, nicht rechtsgeschäftlichen Erwerbstatbeständen. Diese Einordnung ist gewiß richtig, was die usucapio pro herede und die usucapio pro derelicto angeht. Doch in anderen Fällen hat die usucapio durchaus einen rechtsgeschäftlichen Aspekt: Die Usukapionstitel pro emptore, pro soluto, pro dote, pro donato und pro legato sind rechtsgeschäftliche Erwerbstitel. Hier geht der Ersitzung ein Kauf, eine Solutionsleistung, eine dos-Bestellung, eine Schenkung oder ein Vindikationslegat voraus; im Fall der sogenannten Putativtitelersitzung glaubt der Usukapient immerhin an einen wirksamen Kauf, eine wirksame dos-Bestellung oder ein wirksames Legat. Wie wirkt sich diese rechtsgeschäftliche Grundlage nach vollendeter Ersitzung aus? Steht der Eigentumserwerb durch usucapio einem rechtsgeschäftlichen Eigentumserwerb gleich? Oder ist die rechtsgeschäftliche Grundlage nach vollendeter Ersitzung vergessen? Diese Fragen werden im folgenden untersucht. 11. Einen Fall können wir allerdings von vornherein ausklammern: Die Ersitzung einer res mancipi, die der Eigentümer ex iusta causa tradiert hat, bietet kein Problem. Der Empfänger kann die tradierte res mancipi ersitzen. 1 Unterholzner, Die Lehre von der Verjährung durch fortgesetzten Besitz, dargestellt nach den Grundsätzen des Römischen Rechts (1815), Ausführliche Entwickelung der gesammten Verjährungslehre aus den gemeinen in Deutschland geltenden Rechten VII (1. Auf!. 1827); Savigny, System des heutigen Römischen Rechts III (1840) 368 ff.; Stintzing, Das Wesen von Bona Fides und Titulus in der Römischen Usucapionslehre (1852); Unterholzner / Schirmer, Ausführliche Entwickelung der gesammten Verjährungslehre aus den gemeinen in Deutschland geltenden Rechten I/II (2. Auf!. 1858); Fitting, AcP 51 (1868) 1 ff., 248 ff., AcP 52 (1869) 1 ff., 239 ff., 381 ff.
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Einführung
Schon vor Vollendung der Ersitzung hat er eine Rechtsposition, die nach prätorischem Recht absolut geschützt ist; die moderne Literatur spricht darum von ,bonitarischem' oder ,prätorischem' Eigentum. Durch die Ersitzung gewinnt der bonitarische Eigentümer das quiritische Eigentum sozusagen hinzu. Er hat jetzt, was er gehabt hätte, wenn die Sache manzipiert oder in iure zediert worden wäre: Gai H.41 Nam si tibi rem mancipi neque mancipavero neque in iure cessero, sed tantum tradidero, in bonis quidem tua2 ea res efficitur, ex iure Quiritium vero mea permanebit, donec tu eam possidendo usucapias: semel enim impleta usucapione proinde pIe no iure incipit, id est et in bonis et ex iure Quiritium tua res esse, ac si ea mancipata vel in iure cessa esset.
Die usucapio dient hier lediglich dazu, den Mangel förmlicher Übereignung auszugleichen. Sie ist eine bloße Modalität, das Eigentum an res mancipi zu erwerben. Entsprechend wirkt sich der Eigentumserwerb des Usukapienten auf seine schuld rechtlichen Beziehungen zum Veräußerer aus. Nach vollendeter Ersitzung stehen beide, wie sie gestanden hätten, wenn der Veräußerer die Sache manzipiert oder in iure zediert hätte. Der Usukapient hat die Sache als eine vom Veräußerer gekaufte, als eine geschenkte oder als eine dotis nomine gegebene ersessen. Ein weiterer Text aus Gaius' Institutionen genügt, um das zu beweisen: Gai H.63 Nam dotale praedium maritus invita muliere per legern Iuliam prohibetur alienare, quamvis ipsius sit, vel mancipatum ei dotis causa vel in iure cessum vel usucaptum.
Es ist ohne Belang, ob die Ehefrau das Grundstück manzipiert oder in iure zediert oder ob sie es nur tradiert und der Ehemann es ersessen hat. Denn der Ehemann ersitzt das dotis nomine tradierte Grundstück als Dotalgrundstück. Nach vollendeter Ersitzung unterliegt es daher den für Dotalgrundstücke geltenden Regeln. Die Ersitzung hat lediglich den Mangel förmlicher Übereignung ausgeglichen und inter partes dieselben schuldrechtlichen Folgen ausgelöst, die eine förmliche Übereignung ausgelöst hätte. III. Weniger selbstverständlich ist die schuldrechtliche Wirkung der Ersitzung dagegen, wenn ein Nichtberechtigter eine fremde Sache übereignet oder per vindicationem legiert. Dieser Fall wird im ersten Kapitel untersucht. Die Überlieferung ist hier vergleichsweise gut. Im Kaufrecht wie im Solutionsrecht, im Dotalrecht wie im Recht der Schenkung auf den Todesfall - jeweils gibt es ein oder zwei Fragmente, die zeigen, welche Wirkung die Ersitzung des Erwerbers auf seine schuldrechtlichen Beziehungen zu dem nichtberechtigten Veräußerer hat. 2 Die Ausgaben haben tuis. Tuis ist jedoch nicht gesichert (vgl. Studemund, Gaii Institutionum Codicis Veronensis Apographum (1874) p. 641. 10), und nach den ParallelsteIlen ist tua geboten; vgl. Ankum, Satura Feenstra (1985) 128 ff.
Einführung
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In erster Linie gilt unser Interesse jedoch der Putativtitelersitzung, die im zweiten Kapitel behandelt wird. Kann eine ohne wirksamen Erwerbsgrund ersessene Sache noch kondiziert werden, oder ist der Usukapient nach Vollendung der Ersitzung endgültig bereichert? Nur eine Handvoll von Fragmenten steht zur Verfügung, um diese Frage zu beantworten. Bevor wir auf sie eingehen, sind allerdings die allgemeinen Voraussetzungen der Putativtitelersitzung zu klären. Denn nur so ergibt sich ein vollständiges Bild von dem Mechanismus und der Funktion der Putativtitelersitzung. Wir schließen mit einem Kapitel über die Mobiliarersitzung und ihre bereicherungsrechtlichen Folgen im Bürgerlichen Gesetzbuch. Bald nach Inkrafttreten des BGB brach eine lebhafte Kontroverse darüber aus, ob die Ersitzung nach ihrem Sinn und Zweck alle Bereicherungsansprüche ausschließt, oder ob eine ersessene Sache unter bestimmten Umständen noch kondizierbar ist. Anfangs spielte in dieser Diskussion das römische Recht eine erhebliche Rolle: beide Seiten nahmen es für ihre gegensätzlichen Positionen in Anspruch. Die Diskussion über die Kondizierbarkeit ersessener Sachen dauert bis heute an, doch auf die römischen Quellen beruft sich schon lange niemand mehr. Wir werden die Ersitzung des BGB noch einmal an ihrem römischen Vorbild messen.
1. Kapitel
Die Ersitzung auf Grund der Verfügung eines Nichtberechtigten und ihre schuldrechtlichen Folgen § 1. Die usucapio pro soluto I. Mit größter Deutlichkeit zeigen sich die schuldrechtlichen Folgen der usucapio pro soluto im Fall der Gattungsschuld. Wer eine nur der Gattung nach bestimmte Sache aus Stipulation oder Damnationslegat schuldet, muß dem Gläubiger das Eigentum an einer Sache aus der geschuldeten Gattung verschaffen. Leistet der Schuldner eine Sache, die ihm nicht gehört, so bewirkt er nichts: Er verschafft dem Gläubiger kein Eigentum und bleibt darum auch weiterhin verpflichtet. Wie aber ist es, wenn der Gläubiger die fremde, pro soluto geleistete Sache ersitzt? Pomponius schildert einen Fall, in dem nicht nur zwei, sondern gleich drei Personen von dieser Frage betroffen sind: Pomp 3 ex Plaut D 17.1.47.1 1 Si is, qui pro te hominem dare fideiussit, alienum hominem stipulatori dederit, nec ipse liberatur nec te liberat et ideo mandati actionem tecum non habet. sed si stipulator eum hominem usuceperit, dicendum esse Iulianus ait liberationem contingere: eo ergo casu mandati actio post usucapionem demum tecum erit.
Der Schuldner Tu war zur Übereignung eines Sklaven verpflichtet. Ein Bürge hatte sich in seinem Auftrag für die Schuld verbürgt. 2 Der Bürge wollte die Schuld tilgen und übereignete dem Gläubiger einen Sklaven, den er zwar für den seinen hielt 3 , der in Wahrheit aber einem Dritten gehörte. Seine Leistung richtete daher nichts aus: Der Gläubiger erwirbt den Sklaven nicht zu 1 Donatuti, Contributi alla teoria deI mandato in diritto romano I (1927) 121 f.; Haymann, JherJb. 77 (1927) 194 f.; Solazzi, L'estinzione deli' obbligazione nel diritto romano I (2. Auf!. 1935) 35, 84; Beseler, St. Riccobono I (1936) 307; Voci, Le obbligazioni romane 11 (1969) 301; Kaser, RP 1(1971) 636 A.9. 2 Beseler 307 ersetzt fideiussit durch spopondit: der fideiussor habe nicht selbständig eine eigene Leistung versprochen, sondern nur die Haftung für die Verbindlichkeit des Hauptschuldners übernommen; wie Beseler vor allem auch Flume, Studien zur Akzessorietät der römischen Bürgschaftsstipulationen (1932) 36 ff. Inzwischen geht man jedoch davon aus, daß sich auch der fideiussor zu einer eigenen Leistung verpflichtete; vgl. Kaser 663 A.40 m.w.Lit. 3 Der Bürge muß gutgläubig gewesen sein: denn hätte er gewußt, daß der Sklave einem anderen gehört, hätte er, als er ihn übereignete, ein furtum begangen (vgl. Gai 1I.50). Der Gläubiger hätte dann den Sklaven nicht ersitzen können.
§ 1. Die usucapio pro soluto
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eigen; Bürge und Hauptschuldner bleiben nach wie vor verpflichtet, dem Gläubiger das Eigentum an einem Sklaven zu verschaffen 4 ; und der Bürge kann den Hauptschuldner nicht auf Regreß in Anspruch nehmen, weil er ihn nicht von seiner Schuld befreit hat. Die Leistung des nichtberechtigten Bürgen bewirkt nur eines: Wenn der Gläubiger gutgläubig ist, beginnt er, den fremden Sklaven zu ersitzen. Die Lage ändert sich jedoch, wenn der Gläubiger die Ersitzung des Sklaven ein Jahr später vollendet. 5 Mit dem Ablauf der Ersitzungsfrist tritt dreierlei ein: Zum einen erwirbt der Gläubiger den fremden Sklaven auf Kosten des bisherigen Eigentümers zu eigen; zum anderen werden der Bürge und der Hauptschuldner frei; und zum dritten kann der Bürge den Hauptschuldner jetzt auf Regreß in Anspruch nehmen. Die Ersitzung des Gläubigers kommt also letzten Endes allein dem Bürgen zugute. Zwar hat der Gläubiger den Sklaven ersessen und nicht durch die Übereignung des Bürgen erworben; doch nach Vollendung der Ersitzung steht der Bürge, als habe er dem Gläubiger das Eigentum verschafft. Der Usukapionserwerb des Gläubigers wird also als ein Erwerb angesehen, den der Bürge bewirkt hat. Darum ist der auf Eigentumsverschaffung gerichtete Anspruch des Gläubigers erfüllt, und der Bürge und der Hauptschuldner werden frei. Nichts deutet darauf hin, daß ihre Befreiung nur ope exceptionis und nicht ipso iure eintritt. 6 Die Gegenüberstellung von nec ipse liberatur nec te liberat und liberationem contingere zeigt vielmehr deutlich, daß Julian und Pomponius von einer ipso iure eintretenden Befreiung ausgehen: Wenn der Gläubiger die Ersitzung vollendet, werden der Bürge und der Hauptschuldner frei - genauso wie sie schon vor einem Jahr frei geworden wären, wenn der Bürge den Sklaven damals erfolgreich übereignet hätte. 4 Offenbar war umstritten, ob der Gläubiger klagen konnte, solange der Sklave noch nicht evinziert war (vgl. dazu Voci 301 f.): Iul D 46.3.33 pr. setzt die Eviktion voraus, Cels D 46.3.69 und Pap D 46.3.94 pr. setzen sie dagegen nicht voraus. Auch Afr D 46.3.38.3 läßt die Klage in dem analogen Fall der Übereignung eines statuliber schon zu, wenn die Bedingung der Freiheit noch schwebt. Jedenfalls hätte der Gläubiger den Bürgen vor der Eviktion des Sklaven nur in Anspruch nehmen können, wenn er die Rückgabe des geleisteten fremden Sklaven angeboten hätte; andernfalls hätte der Bürge den Gläubiger mit einer exceptio doli zurückweisen können, vgl. Pap D 46.3.94 pr. 5 Entgegen Donatuti 121 f. und Beseler 307 bestehen gegen den sed si-Satz keine Bedenken. 6 Liberare bezeichnet zwar gelegentlich auch die Befreiung mittels einer exceptio doli, vgl. Krüger, Beiträge zur Lehre von der exceptio doli (1892) 166. Regelmäßig bedeutet es aber, daß der Schuldner ipso iure befreit wird. Auch Haymann 194 f., Voci 301 und Kretschmar, Die Erfüllung (1906) 83 f., gehen davon aus, daß der Schuldner ipso iure frei wird, wenn der Gläubiger die pro soluto geleistete fremde Sache ersitzt. Anders nur Solazzi 35 ff., 84. Solazzi nimmt an, daß der Schuldner im klassischen Recht nur die exceptio doli hatte, wenn ihn der Gläubiger nach vollendeter Ersitzung noch in Anspruch nahm. Kaser hat Solazzi zunächst zugestimmt (vgl. SZ 56 (1936) 346), lehnt seine Ansicht inzwischen aber ab (vgl. RP I 636 bei A.9).
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1. Kap.: Ersitzung auf Grund der Verfügung eines Nichtberechtigten
Nachdem die Befreiung eingetreten ist, kann der Bürge den Hauptschuldner auf Regreß in Anspruch nehmen.? Entsprechend den allgemeinen Regeln des Auftragsrechts kann er Erstattung dessen verlangen, was er dem Gläubiger geleistet hat.B Hier hat der Bürge zwar nur einen fremden Sklaven geleistet, den er gutgläubig besaß.9 Dennoch richtet sich sein Regreßanspruch auf den vollen Wert des Sklaven und nicht etwa nur auf den Wert, den der gutgläubige Besitz des fremden Sklaven für ihn hatte. 10 Der Hauptschuldner darf sich nämlich nicht darauf berufen, daß der Bürge keinen eigenen, sondern nur einen fremden Sklaven aufgewendet hat. Eine solche Berufung wäre widersprüchlich. Denn der Hauptschuldner ist durch die Leistung des Bürgen und die anschließende Ersitzung des Gläubigers genauso befreit worden, wie er befreit worden wäre, wenn der Bürge einen eigenen Sklaven geleistet hätte. Konsequenterweise muß sich der Hauptschuldner darum auch beim Regreß behandeln lassen, als habe der Bürge einen eigenen Sklaven aufgewendet. 11. Die usucapio pro soluto des Gläubigers wirkt sich also zugunsten des Schuldners aus, der eine fremde Sache zur Schuldtilgung geleistet hat: Mit Vollendung der Ersitzung ist die Schuld erfüllt, und der Schuldner wird frei. Entsprechende schuldrechtliche Folgen hat die Ersitzung des Gläubigers auch im Fall einer datio in solutum: 7 Anders Donatuti 121 f.; er meint, die Voraussetzungen des Regreßanspruches seien nicht gegeben, weil der Bürge keinen Gegenstand seines Vermögens aufgewendet habe; der letzte Satz eo ergo casu - fin. sei darum wie der vorausgehende sed si-Satz zu streichen (vgl. A.5). Wir können nicht ausschließen, daß eo ergo casu etc. ein Glossem ist. Sachlich ist der Satz jedenfalls richtig: Denn bereits die Gegenüberstellung des Ausgangsfalles (vor Ersitzung) und des fortgebildeten Falles (nach Ersitzung) zeigt, daß Pomponius den Regreß zugelassen hat. S Ob für den Rückgriff des Bürgen die normale actio mandati (contraria) zuständig war oder eine besondere in factum konzipierte Klage, ist streitig; vgl. Kaser, RP I 580 A.40 m.w.Lit. 9 Ob der Bürge auch Ersitzungsbesitzer war, ist offensichtlich ohne Belang, da der Text es nicht erwähnt. Dagegen geht Haymann 195 f. davon aus, daß der Bürge ,seine Ersitzungslage geopfert' habe. 10 Der Wert des gutgläubigen Besitzes ließe sich auch gar nicht ermitteln. Eckardt, Iavoleni epistulae (1978) 43 ff. (zu Iav D 47.2.75), meint zwar, der gutgläubige Besitz einer fremden Sache habe nur dann einen ,Wert', wenn der Besitzer der Vindikation des Eigentümers ein Zurückbehaltungsrecht entgegenhalten könne wegen Verwendungen, die er auf die Sache gemacht hat. Doch darin erschöpft sich der Wert des gutgläubigen Besitzes nicht. Denn der bonae fidei possessor ist ja nicht verpflichtet, dem vindizierenden Eigentümer die Nutzungen und Gebrauchsvorteile zu erstatten, die ihm der Besitz der fremden Sache in der Vergangenheit vermittelt hat. Wieviel diese Nutzungen und Gebrauchsvorteile wert sind, hängt von der Dauer des Besitzes ab. Ob überhaupt und wann der Sklave vindiziert worden wäre, wenn der Bürge ihn behalten hätte, läßt sich aber nicht feststellen. 11 Steiner, Datio in solutum (1914) 40, 49 A.9, 56 A.4; Solazzi, L'estinzione deli' obbligazione nel diritto romano I (2. Auf!. 1935) 35, 84; Harder, Die Leistung an Erfüllungs Statt (1976) 95; Harder schreibt das Fragment irrtümlich Ulpian zu.
§ 1. Die usucapio pro soluto
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Paul4 ad Plaut D 46.3.60 11 1s, qui alienum hominem in solutum dedit, usucapto homine liberatur.
Der Schuldner hat an Erfüllungs Statt einen Sklaven übereignet, der ihm nicht gehörte. 12 Da er dem Gläubiger kein Eigentum verschafft hat, blieb er zunächst verpflichtet. 13 Der Schuldner wird aber frei, sobald der Gläubiger die Ersitzung vollendet. Auch in diesem Fall erlischt die Schuld offensichtlich ipso iure l4 : Mit Vollendung der Ersitzung treten dieselben schuldrechtlichen Folgen ein, die eine gelungene datio in solutum von Anfang an gehabt hätte. 15 111. In den beiden besprochenen Fragmenten Pomp D 17.1.47.1 und Paul D 46.3.60 ist eine fremde Sache auf eine tatsächlich bestehende Schuld geleistet worden. Aber auch wenn eine Sache auf eine Nichtschuld geleistet wird, ist die causa solutionis wirksaml6 und kann der Empfänger ersitzen. 17 Wird sein Usukapionserwerb auch in diesem Fall so angesehen, als sei er von dem Leistenden bewirkt worden? Das Kriterium liegt auf der Hand: Wenn die Ersitzung des (vermeintlichen) Gläubigers einer gelungenen Übereignung durch den (vermeintlichen) Schuldner gleichstünde, dann müßte der Schuldner die indebite geleistete fremde Sache nach vollendeter Ersitzung kondizieren können - genauso wie er kondizieren könnte, wenn er eine eigene Sache auf die Nichtschuld geleistet hätte. 18 12 Nach Steiner 49 A.9 deckt in solutum dare hier "wahrscheinlich die solutio eius quod debetur und die datio in solutum". \3 Nach Marci D 46.3.46 pr.l§1 kann aus der ursprünglichen Forderung geklagt werden, wenn die an Erfüllungs Statt geleistete Sache evinziert wird. Vip D 13.7.24 pr. gibt dem Gläubiger im Fall der Eviktion dagegen die actio empti utilis. Die Echtheit des Vlpian-Fragments ist allerdings streitig; vgl. Kaser, RP I 638 A.33, RP 11 442 A.23, und Harder 93 ff., beide m.w.Lit. 14 Anders wiederum Solazzi 35,84 (vgl. A.6). 15 Ob die (gelungene) datio in solutum den Schuldner ipso iure oder nur ope exceptionis befreite, war Gegenstand einer Schulkontroverse (vgl. Gai III.168; dazu Liebs, ANRW 11 15 (1976) 265 f. m.w.Lit.). Die sabinianische Ansicht, die den Schuldner ipso iure frei werden ließ, hat sich durchgesetzt; dazu Kaser, RP I 638 bei A.31. 16 Die Wirksamkeit der causa solutionis (sie war nicht unstreitig: Neraz und Pomponius vertraten eine Sondermeinung; vgl. unten § 16 I 1 nach A.4) ist aus der Geschichte der Haftungslösung zu erklären; vgl. Kaser, Bull. 64 (1961) 69 ff. m.w.Lit. Anders, jedoch nicht überzeugend Jakobs, Error falsae causae (1978) 50 ff.: Jakobs bestreitet zwar nicht, daß die solutio unabhängig vorn Bestehen der Schuld zum Eigentumsübergang führte, wenn der Eigentümer sie vornahm; insofern sei sie "gültig" gewesen. Doch ,als solutio' könne sie nicht gültig gewesen sein, wenn die Haftung, aus der sie lösen sollte, nicht bestand. Daraus (?) zieht Jakobs den Schluß, daß die Ersitzung "aufgrund unwirksamen Erwerbsgeschäfts" stattfinde, wenn ein Nichtberechtigter eine fremde Sache auf eine nicht bestehende Schuld leiste. Doch wenn die causa traditionis gültig ist, wenn der Eigentümer leistet, ist sie auch gültig, wenn ein Nichtberechtigter leistet. 17 Vgl. etwa Paul D 41.3.48. 18 Es versteht sich, daß nach vollendeter Ersitzung keine Kondiktion zu erwarten ist, wenn die Kondiktion auch im Fall einer wirksamen Übereignung ausgeschlossen wäre: So bei der Leistung auf ein nicht bestehendes Damnationslegat (vgl. etwa Gai 11.283;
2 K. Bauer
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1. Kap.: Ersitzung auf Grund der Verfügung eines Nichtberechtigten
Die Literatur ist zu Recht der Ansicht, daß die condictio indebiti nach vollendeter Ersitzung gegeben ist.l 9 Zwar fehlt es an einer ausdrücklichen Bestätigung dieser Annahme. 20 Einen klaren Hinweis liefert aber: PaullO ad Sab D 12.6.15.121 Sed et si nummi alieni dati sint, condictio competet, ut vel possessio eorum reddatur: quemadmodum si falso existimans possessionem me tibi debere alicuius rei tradidissem, condicerem. 22 sed et si possessionem tuam fecissem ita, ut tibi per longi temporis praescriptionem avocari non possit, etiam sic recte tecum per [indebitam] condictionem agerem.
Paulus erklärt, daß die condictio auch zusteht, wenn fremdes Geld gezahlt worden ist. Aus dem Kontext ergibt sich, daß die Zahlung zur Tilgung einer Schuld, vermutlich einer Stipulationsschuld23 erfolgte, die in Wahrheit jedoch nicht bestand. Daher kann der Zahlende kondizieren. Er kann aber nur den Besitz der nummi alieni kondizieren, denn Eigentum an den Münzen hat der Empfänger der Zahlung nicht erlangt. I 3.27.7) oder bei einer Leistung auf eine nichtige Judikatsschuld (vg!. etwa Iul D 5.1.74.2); dazu Schwarz, SZ 68 (1951) 268 ff; Kaser, RZ (1966) 291; J. G. Wolf, Causa stipulationis (1970) 178 ff. 19 Vg!. etwa Partsch, Die longi temporis praescriptio im klassischen römischen Rechte (1906) 21; Pflüger, Fg. P. Krüger (1911) 20 ff.; Siber, Römisches Recht II (1928) 215; Donatuti, StParm. 1(1951) 71 ff.; Schwarz, Grundlage der condictio (1952) 191, Jura 3 (1952) 299; Kaden, SZ 71 (1954) 571; d'Ors, AHDE 31 (1961) 636; MayerMaly, Putativtitelproblem (1962) 144; Kaser, RP I (1971) 594; Santaro, APa!. 32 (1971) 185 A.6; Wacke, BuH. 79 (1976) 132; Jakobs, Error falsae causae (1978) 52; Kunkel/ Honsell, Römisches Recht (4. Auf!. 1987) 352 bei A.1O. 20 Kaser, RP I 594 A.7, nennt als Beleg außer Paul D 12.6.15.1 (dazu im Text) noch Alex 224 C 4.51.1. In dem Reskript geht es jedoch um einen anderen Fall: Nicht die fremden, von den Käufern offenbar ersessenen Sklaven werden von dem nichtberechtigten Verkäufer kondiziert, sondern der bisherige Eigentümer der Sklaven kondiziert den Kaufpreis, den der nichtberechtigte Verkäufer erhalten hat. So auch Kaser, Fs. Felgentraeger (1969) 278 f. 21 Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts II (7. Auf!. 1891) 544 A.2; Trampedach, SZ 17 (1896) 106 f.; Pflüger, SZ 18 (1897) 106 ff.; H. Krüger, SZ 21 (1900) 424; v. Mayr, Die Condictio des römischen Privatrechtes (1900) 219 ff.; Partsch, Die longi temporis praescriptio im klassischen römischen Rechte (1906) 20 ff.; v. KoschembahrLyskowski, Die Condictio als Bereicherungsklage im klassischen römischen Recht II (1907) 189 ff.; Oertmann, Das Recht 1910, 589 f.; Rotondi (1920), Scritti giuridici III (1922) 227; Haymann, JherJb. 77 (1927) 222 ff.; Perozzi, Istituzioni di diritto romano II (2. Auf!. 1928) 363 A.2 (364); Siber, Römisches Recht II (1928) 215; Haymann, JW 1931, 1031; Schutz, SZ 52 (1932) 548; Donatuti, StParm. I (1951) 72 f.; Fuchs, Iusta causa traditionis in der Romanistischen Wissenschaft (1952) 185; v. Lübtow, Condictio (1952) 59 A.l; Schwarz, Grundlage der condictio (1952) 198 A.13; d'Ors, AHDE 31 (1961) 636 f.; Kaser, TR 29 (1961) 194 A.81; Mayer-Maly, Putativtitelproblem (1962) 144; Kaser, RP I (1971) 594 A.7; Wacke, BuH. 79 (1976) 131 ff.; Kunkel/ Honsell, Römisches Recht (4. Auf!. 1987) 352 A.lO. 22 Lenel, Paling. I 1281 (Paul Nr. 1821), fügt hier das Fragment Paul 10 ad Sab D 45.1.28 ein: Si rem tradi stipulamur, non intellegimur proprietatem eius dari stipulatori, sed tantum tradi. 23 Vgl. oben A.22.
§ 1. Die usucapio pro soluto
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Paulus' Entscheidung entsprach nicht dem herkömmlichen Recht. Nach den überlieferten Grundsätzen fand die condictio indebiti nur statt, wenn die Zahlung wirksam war und der Empfänger Eigentum erworben hatte. 24 Übertrug ein Nichtberechtigter eine fremde Sache, war der Empfänger nur der Vindikation des Eigentümers ausgesetzt. Der Veräußerer hatte keinen Rückgabeanspruch, obwohl er dem Empfänger immerhin den Besitz der Sache verschafft hatte. 25 Paulus wendet sich gegen diese Auffassung. Er tritt dafür ein, daß die condictio possessionis zugelassen wird, wenn ein Nichtberechtigter fremdes Geld auf eine nichtbestehende Schuld gezahlt hat. Seine Entscheidung ist oft für interpoliert erklärt worden. 26 Diese Kritik ist jedoch nicht berechtigt. Das Fragment ist vielmehr aus einem Guß und plausibel: Zur Begründung seiner Entscheidung führt Paulus zwei Fälle an, in denen die condictio indebiti offenbar auch nach allgemeiner Auffassung gegeben war. In beiden Fällen diente sie der Rückforderung von Besitz. Die condictio indebiti stand dem vermeintlichen Schuldner zu Gebote, der eine Sache übergeben hat, weil er irrtümlich glaubte, zur Besitzverschaffung verpflichtet zu sein. Ob die übergebene Sache seine eigene oder eine fremde war, spielte offensichtlich keine Rolle. Im Gegensatz zum Ausgangsfall ist die Übergabe hier allerdings nicht zum Zweck der Übereignung erfolgt; sie war keine (mißlungene) datio, sondern schlichte traditio. Besitz, der nicht zum Zwecke der Übereignung verschafft worden war, konnte aber jedenfalls seit Julian kondiziert werden. 27 Der zweite Fall, den Paulus zur Begründung seiner Entscheidung anführt, liegt komplizierter: Der vermeintliche Schuldner, der eine fremde Sache zum Zwecke der Eigentumsverschaffung übergeben hat, kann sie kondizieren, Vgl. statt aller Kaden, SZ 71 (1954) 569 ff., und Kaser, RP I 594, beide m.w.Lit. So etwa Proc D 23.3.67 (dazu unten § 18 I 2 bei A.15) und Pomp D 12.6.19.2. Ist fremdes Geld auf eine bestehende Schuld gezahlt worden und nimmt der Gläubiger den Schuldner nochmals in Anspruch, weil er die nummi aUeni ja nicht zu eigen erworben hat, gibt Pap D 46.3.94 pr. dem Schuldner immerhin die exceptio doU, wenn der Gläubiger nicht bereit ist, die empfangenen nummi zurückzugewähren; vgl. dazu Wacke 133 und oben AA. 26 So Pflüger 106 ff.; v. Mayr 220 f. (vgl. gegen beide aber Krüger 424); Rotondi 227; Haymann, JherJb. 77,222 ff.; Perozzi 363 A.2 (364); Siber 215; Haymann, JW 1931, 1031; Schulz 548; v. Lübtow 59 A.1; Schwarz 198 A.13; d'Ors 636 f.; Kaser, TR 29,194 A.81. Für echt halten die gewährte condictio dagegen Trampedach 106 f., Partsch 20 ff., v. Koschembahr-Lyskowski 189 ff. und Wacke 131 ff. Auch E. Weiß, Institutionen des römischen Privatrechts (2. Auf!. 1949) 149, ist der Ansicht, die condictio possessionis sei im klassischen Recht anerkannt worden. 27 lul 49 dig D 43.26.19.2: Cum quid precario rogatum est, non solum interdicto uti possumus, sed et incerti condictione {, id est praescriptis verbisJ; vgl. auch Tryph 9 disp D 16.3.31.1. i.f.: Et si rem meam tur, quam me ignorante subripuit, apud me etiamnunc deUctum eius ignorantem deposuerit, recte dicetur non contrahi depositum, quia non est ex tide bona rem suam dominum praedoni restituere compelli. sed et si etiamnuc ab ignorante domino tradita sit quasi ex causa depositi, tamen indebiti dati condictio competet; und VIp 34 ad Sab D 12.1.4.1: Res pignori data pecunia soluta condici potest. ... 24
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wenn der Empfänger und Besitzer die vindicatio des Eigentümers mit der longi temporis praescriptio abwehren kann. Die meisten Bearbeiter unseres Fragments glauben allerdings, Paulus komme mit sed et si auf den Ausgangsfall der Zahlung von nummi alieni zurück, um zu erläutern, daß der Zahlende das Geld auch dann noch kondizieren kann, wenn der Empfänger durch langjährigen Besitz die longi temporis praescriptio erworben hat. 28 Der quemadmodum-Satz und der folgende sed et si-Satz laufen jedoch völlig parallel: sie stimmen in der Konstruktion überein (si tradidissem - condicerem; si jecissem - agerem); in beiden Sätzen wird ein hypothetischer Fall entschieden; die handelnden Personen sind jeweils Ego und Tu. Wir haben es mithin nicht mit einer Fortführung des Ausgangsfalles zu tun, sondern wirklich mit einem zweiten Begründungsfall. Wieder hat ein Nichtberechtigter eine fremde Sache und nicht fremdes Geld29 - übergeben, um eine tatsächlich nicht bestehende Schuld zu tilgen. In diesem Fall glaubte er sich allerdings zur Übereignung und nicht nur zur Besitzverschaffung verpflichtet; hier war die Übergabe eine mißlungene datio. 30 Nach Ablauf einer 10- bzw. 20jährigen Frist ungestörten Besitzes kann der Empfänger der Vindikation des Eigentümers mit der longi temporis praescriptio begegnen. Oft wird vermutet, daß die römische Jurisprudenz diese gesicherte Besitzposition schon frühzeitig als Eigentum verstanden hat. 31 Für Paulus kann das nicht gelten. In seinem zweiten Begründungsfall ist gerade wesentlich, daß der Veräußerer dem Empfänger kein Eigentum, son28 Davon gehen aus: Trampedach 107; Partsch 22; v. Koschembahr-Lyskowski 189 ff.; Oertmann 589; Haymann, JherJb. 77, 227; Donatuti 72 f.; Wacke 132 f. Wacke gewinnt aus dieser Interpretation sogar ein Argument dafür, daß § 1 "ausgezeichnet" zum principium des Fragments passe. Dem principium zufolge ist ein Kondiktionsschuldner nicht nur zur Herausgabe der kondizierbaren Sache verpflichtet, sondern muß auch gezogene Früchte, den partus ancillae und sonstige accessiones herausgeben. Wacke meint, daß Paulus in § 1 zu den accessiones "folgerichtig auch das durch Ersitzung erworbene Eigentum" zählt (132). Dieses Mißverständnis treffen wir schon bei Windscheid an. Windscheid 544 bei A.2 belegt mit Paul D 12.6.15 pr.l§ 1, daß "nicht bloß die ursprüngliche Vermögensvermehrung, sondern auch das auf Grund derselben später Erworbene" kondiziert werden könne. Dieses Textverständnis hatte weitreichende Folgen: Bald nach Inkrafttreten des BGB setzte eine Diskussion darüber ein, ob ersessene Sachen nach geltendem Recht noch kondizierbar seien. Martin Wolffhat als erster die Kondiktion nach vollendeter Ersitzung zulassen wollen, wenn der Ersitzungsbesitzer den Besitz der Sache ursprünglich ohne rechtlichen Grund erlangt hatte. Zur Stützung seiner Ansicht berief sich Wolff auf Paul D 12.6.15.1 (Das Sachenrecht [1. Aufl. 1910]190 f.). Und noch heute meint der überwiegende Teil der Literatur, das durch Ersitzung erworbene Eigentum sei eine ,Frucht' des zugrundeliegenden Besitzes und daher gemäß § 818 BGB kondizierbar, wenn der Ersitzende den Ersitzungsbesitz ohne rechtlichen Grund erlangt habe (dazu unten § 22 und § 23 IV). 29 Fuchs' Zweifel (185), ob sich die longi temporis praescriptio in unserem Text auf Geld bezieht, sind berechtigt. 30 Die longi temporis praescriptio, die der Empfänger durch langjährigen Besitz erlangt, setzt nämlich einen Erwerbstitel voraus. 31 Vgl. Nörr, Die Entstehung der longi temporis praescriptio (1969) 95 ff., 102, 105; vgl. auch Kaser, RP I 425 A.73, und die in A.32 genannten Autoren, die annehmen, daß die condictio, die Paulus gewährt, eine condictio rei ist.
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dern nur Besitz verschafft hat, der freilich inzwischen, wegen der longi temporis praescriptio, nicht mehr entzogen werden kann. Darum richtet sich die condictio indebiti des Veräußerers hier nur auf die Herausgabe des Besitzes; sie ist auch hier eine condictio possessionis. 32 Das Problem der Stelle ist die condictio possessionis - nicht die Frage, welche Folgen eintreten, wenn ein Nichtberechtigter eine fremde Sache indebite übereignet und der Empfänger sie ersitzt. Doch gerade darum hat das Fragment besonderes Gewicht für unsere Untersuchung. In dem zweiten Begründungsfall geht Paulus wie selbstverständlich davon aus, daß der nichtberechtigte Veräußerer die gefestigte Rechtsposition kondizieren kann, die der Empfänger durch Zeitablauf erworben hat: Obwohl er nur den Besitz der Sache übertragen hat, kondiziert er die durch den Ablauf der Präskriptionsfrist erworbene, eigentumsähnliche Besitzposition. Daraus dürfen wir schließen, daß der nichtberechtigte Veräußerer auch das Eigentum hätte kondizieren können, wenn der Erwerber die Sache usukapiert hätte. Der nichtberechtigte Veräußerer wird also behandelt, als habe er nicht nur den Besitz übertragen, sondern die Rechtsstellung, die der Empfänger durch die Ersitzung erworben hat. Die Ersitzung des Empfängers kommt dem nichtberechtigten Veräußerer zugute. Zur Rechtfertigung dieser Entscheidung hat man angenommen, daß sie den nichtberechtigten Veräußerer vor Nachteil schützen sollte33 ; nur weil er irrtümlich glaubte, verpflichtet zu sein, habe er die fremde Sache aus der Hand gegeben und deshalb die Möglichkeit verloren, selbst zu ersitzen. 34 Offensichtlich war es jedoch nicht von Belang, ob der nichtberechtigte Veräußerer die fremde Sache hätte selbst ersitzen können. Paulus erwähnt in unserer Stelle nicht, daß der Veräußerer Ersitzungsbesitzer war, und auch in den beiden Fragmenten Pomp 0 17.1.47.1 und Paul 0 46.3.60 ist vom Ersitzungsbesitz des Veräußerers nicht die Rede. Der Verlust der eigenen Ersitzungsmöglichkeit war demnach kein entscheidender Gesichtspunkt. Nicht weil der Veräußerer Ersitzungsbesitz verloren hat, sondern weil er dem Empfänger den Besitz und damit die Möglichkeit der Ersitzung verschafft hat (si possessionem 32 So zutreffend Partsch 22. Dagegen gehen Trampedach 107, v. Koschembahr-Lyskowski 190 f., Oertmann 589, Kaser, RP I 594 A.7, Wacke 132 ff., und offenbar auch Mayer-Maly 144 und Honse1l352 bei A.lO davon aus, daß der Empfänger Eigentum erworben hat und der Veräußerer die condictio rei anstrengt. Hätte Paulus aber zeigen wollen, daß aus einer mißlungenen datio auch eine condictio rei folgen kann, hätte er ohne Zweifel einen Usukapionsfall gewählt. Paulus kam es aber gerade auf die condictio possessionis an. 33 Wacke 133; außerdem wäre es "ungereimt", wenn der Empfänger besser stünde als in dem Fall, daß er das indebitum vom Berechtigten erhalten hätte. So auch schon Oertmann 589. 34 Auch Jakobs, Error falsae causae 82, ist der Ansicht, daß ein Nichtberechtigter, der eine fremde Sache geleistet hat, nur kondizieren kann, wenn er sie selbst ex iusta causa besaß: Die condictio sei nur als Fortwirkung der actio Publiciana denkbar.
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tuam fecissem}, kommt die Ersitzung des Empfängers dem nichtberechtigten Veräußerer zugute. Als erstes Ergebnis ist somit festzuhalten: Die usucapio pro soluto des Leistungsempfängers führt dieselben schuldrechtlichen Folgen herbei, die eine wirksame Übereignung des Leistenden herbeigeführt hätte. Wurde die fremde Sache auf eine bestehende Schuld geleistet, so ist der Anspruch des Gläubigers impleta usucapione erfüllt, und der Schuldner wird frei. Wurde die fremde Sache dagegen auf eine Nichtschuld geleistet, so kann sie nach vollendeter Ersitzung von dem Nichtberechtigten kondiziert werden.
§ 2. Die usucapio pro emptore I. Für die usucapio pro emptore gilt dasselbe wie für die usucapio pro so/uto. Wird eine fremde Sache verkauft und vom Käufer ersessen, so wird sein Eigentumserwerb dem Verkäufer zugerechnet: der Ersitzungserwerb des Käufers wird als Erwerb vom nichtberechtigten Veräußerer angesehen. Im Kaufrecht tritt dieser Grundsatz allerdings nicht so klar zutage wie im Solutionsrecht.
Insbesondere ist die Pflicht des Käufers zur Kaufpreiszahlung kein Indiz. Denn nach klassischem Recht ist der Verkäufer zwar zur Vornahme des Übereignungsgeschäfts verpflichtet, nicht aber zur Verschaffung des Eigentums; er muß nur dafür einstehen, daß der Käufer den ungestörten Besitz und Genuß der Kaufsache erhält.! Der Verkäufer kann daher seine primäre Leistungspflicht auch dann erfüllen, wenn er eine fremde Sache verkauft hat. Und entsprechend ist der Käufer auch dann zur Zahlung des Kaufpreises verpflichtet, wenn ihm der Verkäufer das Eigentum nicht verschafft hat. 2 Seine Verpflichtung zur Kaufpreiszahlung hängt also nicht etwa davon ab, daß er die Sache ersitzt. Den Beweis, daß der Usukapionserwerb des Käufers als Erwerb vom nichtberechtigten Veräußerer angesehen wird, liefert aber das Gewährleistungsrecht: Paul2 ad ed aed cur D 21.2.56.3 3 Si, cum possit usucapere emptor, non cepit, culpa sua hoc fecisse videtur: unde si evictus est servus, non tenetur venditor.
Der Verkäufer hat einen Sklaven verkauft, der ihm nicht gehörte. Er hat darum dem Käufer kein Eigentum verschafft. Dennoch braucht er für die Eviktion des Sklaven nicht einzustehen, wenn der Käufer versäumt, den Sklaven zu ersitzen. Aus dieser Entscheidung folgt mit Eindeutigkeit, daß j e d e Vgl. Kaser, RP I 550 f. mit Quellen und Literatur. Der Käufer ist nur dann nicht oder nicht mehr zur Zahlung des Kaufpreises verpflichtet, wenn der Verkäufer dolos handelte (vgl. Afr D 19.1.30.1) oder wenn die Voraussetzungen der Eviktionshaftung bereits eingetreten sind (vgl. Pomp D 21.2.29 pr.). 3 Jhering, Abhandlungen aus dem Römischen Recht (1844, Neudruck 1968) 25 A.1; Rabel, Die Haftung des Verkäufers wegen Mangels im Rechte I (1902) 75 A.1; Bechmann, Der Kauf nach gemeinem Recht III 2 (1908) 52 A.1; Arangio-Ruiz, Responsabilita contrattuale in diritto romano (2. Auf!. 1935, Neudruck 1958) 221; Betti, Istituzioni di diritto romano 11 (1960) 37 A.19 (38); Medicus, Id quod interest (1962) 93 A.48, 101 A.2; Calonge, Eviccion (1968) 107; Wacke, Fs. Seidl (1975) 218 A.166, Fs. v. Lübtow "De iustitia et iure" (1980) 284. 1
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Haftung des Verkäufers entfallen wäre, wenn der Käufer den Sklaven ersessen hätte. Für die Eviktionshaftung bestätigt das ausdrücklich Gai 28 ad ed prov D 21.2.54 pr. Qui alienam rem vendidit, post longi temporis praescriptionem vel4 usucapionem desinit emptori teneri de evictione. 5
Wenn der Käufer die Kaufsache ersitzt, endet die Eviktionshaftung des Verkäufers: der bisherige Eigentümer kann die Kaufsache nicht mehr evinzieren, wenn der Käufer sie ersessen hat. 6 Mit der Ersitzung entfallen darum sowohl die Auktoritätshaftung wie die Haftung aus der stipulatio duplae; die eine wie die andere wird nur ausgelöst, wenn die Kaufsache tatsächlich evinziert wird.? Die Ersitzung des Käufers kommt also dem Verkäufer zugute. Die Beendigung seiner Manzipations- und Stipulationshaftung beweist jedoch noch nicht, daß der Ersitzungserwerb des Käufers als Erwerb vom nichtberechtigten Verkäufer galt. Der Paulus-Text D 21.2.56.3 läßt indessen keinen Zweifel, daß der nichtberechtigte Verkäufer auch nicht mehr mit der actio empti belangt werden konnte, wenn der Käufer die Kaufsache ersessen hatte. War er nämlich bei Eviktion, wenn der Käufer die Ersitzung versäumt hatte, von jeder Haftung frei (non tenetur venditor), dann war er es auch, wenn der Käufer die Ersitzung nicht versäumt hatte. Und das ist der Beweis, daß es nach vollendeter Ersitzung so angesehen wurde, als habe der Verkäufer den Eigentumserwerb des Käufers bewirkt. Denn seit Julian haftete der Verkäufer für einen Rechtsmangel auch aus dem Kaufvertrag selbst8 , und diese Haftung setzte nicht die Eviktion der Kaufsache voraus. Vielmehr haftete der Verkäufer gerade auch dann, wenn der Käufer die fremde Sache später zu eigen erwarb und eine Eviktion damit endgültig ausgeschlossen war. 9 So konnte der Käufer mit der actio empti gegen den nicht4 Longi temporis praescriptionem vel ist nach herrschender Ansicht interpoliert: vgl. Lenel, Paling. I 234 (Gai Nr. 368) A.2, Rabel 191 A.2, Calonge 115 A.313, auch Partsch, Die longi temporis praescriptio im klassischen römischen Rechte (1906) 77, 85 A.3, 86 A.2, 110 bei A.2. Anders Wacke, Fs. v. Lübtow 277 A.31. 5 Vgl. auch Dioc1 293 C 8.44.19: Si obligata praedia venumdedisti et longi temporis praescriptione solita emptores se tueri possunt, evictionis periculum timere non potes. 6 Der Pfandgläubiger, Nießbraucher oder Inhaber einer Servitut konnte freilich auch nach vollendeter Ersitzung noch evinzieren, denn eine Ersitzung der Lastenfreiheit gab es bekanntlich nicht (vgl. Pap D 41.3.44.5). In diesem Fall dauerte die Haftung des Verkäufers fort. 7 Vgl. Paul D 21.2.9 zur Haftung aus der actio auctoritatis (vgl. Lenel, Paling. I 1094 [Paul Nr. 826] A.8; Medicus 101) und Gai D 21.2.57.1 und Paul D. 21.2.41.1 zur Haftung aus der actio ex stipulatu; dazu Rabel77 f. und Medicus 101. 8 Iul D 21.2.8. 9 Dazu Rabel77 ff.; Bechmann 42 ff.; Medicus 51 f., 101 ff.; eine andere Auffassung vertreten Schutz, SZ 38 (1917) 146 ff., 205 f., und Arangio-Ruiz, La compravendita in
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berechtigten Verkäufer vorgehen, wenn er den Eigentümer der Kaufsache beerbt oder wenn ihm der Eigentümer die Sache vermacht, geschenkt oder verkauft hatte.1° Dann nämlich ,hatte' der Käufer die Sache nicht mehr ,auf Grund des Kaufs' von dem Nichtberechtigten, sondern ,ex aUa causa '11 , auf Grund des Erbschaftserwerbs, des Vermächtnisses, der Schenkung oder des Kaufs vom Eigentümer. Der nichtberechtigte Verkäufer haftete dagegen nicht aus der actio empti, wenn der Käufer die fremde Sache ersaß. Der Eigentumserwerb durch Ersitzung galt mithin nicht als Erwerb ex alia causa, sondern als Erwerb auf Grund des Kaufs 12 - als Erwerb von dem nichtberechtigten Verkäufer. 11. Wir schließen aus D 21.2.56.3, daß jede Haftung des nichtberechtigten Verkäufers entfällt, sobald der Käufer die Ersitzung vollendet. Davon geht der Text aus; sein Problem ist das nicht. Nach Paulus entfällt die Eviktionshaftung des Verkäufers vielmehr auch dann, wenn der Käufer versäumt, die Kaufsache zu ersitzen und damit ihre Eviktion abzuwenden. Paulus macht es dem Käufer also zur Obliegenheit, die Ersitzungsmöglichkeit wahrzunehmen, die ihm der Verkäufer verschafft hat, und durch seine Ersitzung den Rechtsrnangel des Verkäufers auszugleichen. Wir können nicht ausschließen, daß diese Entscheidung auf einen bestimmten Fall gemünzt war und von den Kompilatoren aus ihrem Kontext herausgelöst worden ist. Wie der Text aber überliefert ist, hat Paulus die Einstandspflicht des Verkäufers stets entfallen lassen, wenn der Käufer die Eviktion der Kaufsache durch Ersitzung hätte verhindern können. 13 diritto romano I (2. Auf!. 1956) 350 f. Nach Schulz wurde die actio empti seit Julian im Fall eines onerosen Zweiterwerbs der Kaufsache verweigert; nach Arangio-Ruiz soll das klassische Recht die Haftung aus der actio empti im Fall eines Zweiterwerbs ex causa lucrativa noch nicht gekannt haben. Vgl. gegen beide Autoren aber Medicus 101 ff. 10 Vgl. Iul D 30.84.5; D 19.1.29; Ulp D 19.1.13.15; Paul D 2l.2.9; D 2l.2.41.1; PS 2.17.8; auch Pomp D 2l.2.29 pr. und Marcell D 17.1.49. Zu den teilweise umstrittenen Fragmenten Rabel 77 ff., Bechmann 43 ff., Schulz (A.9) 114 ff. und Medicus 100 ff. Was der Verkäufer aus der actio empti schuldet, ist kontrovers: Nach Eck, Die Verpflichtung des Verkäufers zur Gewährung des Eigenthums nach Römischem und gemeinem Deutschen Recht (1874, Neudruck 1969) 32 f., und Schulz 132 ff., 151 geht die Klage auf das Interesse. Die neuere Literatur nimmt dagegen an, daß der Verkäufer nur die Rückgewähr des Kaufpreises schuldet; vgl. Beseler, Beiträge zur Kritik der römischen Rechtsquellen IV (1920) 334; Medicus 102 ff.; außerdem Honsell, Quod interest im bonae-fidei-iudicium (1969) 38 ff., Kaser, RP I 556 A.31 (557), und Kunkel / Honsell, Römisches Recht (4. Auf!. 1987) 314 A.24. 11 Vgl. Pomp 11 ad Sab D 21.2.29 pr.: Si rem, quam mihi alienam vendideras, a domino redemerim, falsum esse quod Nerva respondisset posse te a me pretium consequi ex vendito agentem, quasi habere mihi rem liceret, Celsus filius aiebat, quia nec bonae fidei conveniret et ego ex a li a ca usa rem haberem. 12 So schon Jhering 25 A.1; vgl. auch Bechmann 43 A.2 und Medicus 101 A.2. \3 Soweit ich sehe, wird die Entscheidung in der Literatur nicht beanstandet; vgl. Rabel75 A.1; Bechmann 52 A.1; Arangio-Ruiz 221; Betti 37 A.19 (38); Medicus 93
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Welche Fälle kommen hier in Betracht? Wie kann der Käufer die (rechtzeitige) Ersitzung versäumt haben und doch im Besitz des Sklaven sein, wenn die Eviktion erfolgt?14 Zwei Fälle sind denkbar: Zum einen könnte der Käufer den Sklaven verspätet in Besitz genommen und dadurch den Beginn der Ersitzung verzögert haben. 15 Zum anderen könnte der Besitz des Käufers während der laufenden Ersitzung eine Unterbrechung erfahren haben, durch welche die Vollendung der Ersitzung hinausgeschoben oder sogar ganz ausgeschlossen wurde. 16 Nicht bei jeder Unterbrechung sind allerdings die Voraussetzungen erfüllt, die Paulus aufstellt. Eine Unterbrechung des Besitzes, die der Käufer weder gewollt noch schuldhaft verursacht hat, scheidet aus. Wenn der Käufer den Besitz des Sklaven etwa durch Diebstahl verliert, ist die Voraussetzung cum passit usucapere emptar nicht gegeben. In Betracht kommt aber beispielsweise, daß der Sklave infolge mangelnder Bewachung flieht und später wiederergriffen wird, oder daß der Käufer den Sklaven veräußert und später zurückerwirbt. Paulus macht es zum Risiko des Käufers, ob er die Ersitzung nach einem verzögerten Beginn oder einer Unterbrechung des Besitzes noch vollenden kann. Gelingt ihm das nicht und erfolgt die Eviktion, so hat er keinen Gewährleistungsanspruch gegen den Verkäufer. Den Ausschluß der Gewährleistung rechtfertigt Paulus mit Verschulden des Käufers, indem er ihm das Versäumnis der Ersitzung als Verschulden anrechnet. Die Anforderungen, die er damit an den Käufer stellt, gehen außerordentlich weit. Nach allgemeinen Grundsätzen entfällt die Einstandspflicht des Verkäufers, wenn der Käufer die Eviktion der Kaufsache durch gehörige Verteidigung im Eviktionsprozeß oder durch die Einlegung eines Rechtsmittels hätte verhindern können.!7 Nach Paulus soll die Einstandspflicht auch dann entfallen, wenn der Käufer die Eviktion durch Ersitzung hätte ausschließen können. Paulus verlangt damit vom Käufer, daß er die Kaufsache ohne Verzögerung in Besitz nimmt und daß er sie ein oder zwei Jahre ununterbrochen im Besitz behält.l8 Das bedeutet: der gutgläubige Käufer, d. h. der Käufer, der nicht weiß, daß die Kaufsache dem Verkäufer nicht gehörte, muß damit rechnen, A.48, 101 A.2; Calonge 107, besonders A.296; Wacke, Fs. Seidl218 A.166, Fs. v. Lübtow 284. 14 Denkbar ist natürlich auch, daß der Sklave nicht beim Käufer evinziert wird, sondern bei einem Dritten, der ihn vom Käufer erworben hat. Auch dann ist aber die Frage, wie wir uns den Fall vorzustellen haben, daß der Käufer die Eviktion des Sklaven durch Ersitzung hätte verhindern können. 15 Nur an diesen Fall denkt Medicus 93 A.48. 16 Die Ersitzung ist nur möglich, wenn der Käufer bei Wiedereriangung des Besitzes noch gutgläubig ist; vgl. Iul D 41.4.7.4 und Paul D 41.3.15.2; dazu Apathy, Studi Sanfilippo I (1982) 35 ff. m.w.Lit. 17 Vgl. etwa Paul D 21.2.53.1, Mod D 21.2.63.2 und Vip D 21.2.55 pr. 18 Die rechtzeitige Annahme ist zwar eine allgemeine Gläubigerobliegenheit; doch deren Zweck ist nicht die Beschleunigung der Ersitzung.
§ 2. Die usucapio pro emptore
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daß sie ihm nicht gehörte; und um einen Gewährleistungsanspruch im Fall der Eviktion nicht zu gefährden, muß er sich so verhalten, als müßte er die Kaufsache so schnell wie möglich ersitzen. Paulus scheint außer acht zu lassen, daß das Versäumnis der Ersitzung nur deshalb zur Eviktion führte, weil der Verkäufer eine Sache veräußert hat, die ihm nicht gehörte; nur wegen des Rechtsmangels des Verkäufers bedarf es ja überhaupt der Ersitzung. Im Ergebnis laufen Paulus' Anforderungen an den Käufer auf eine bestimmte Befristung der Einstandspflicht des redlichen Verkäufers hinaus. Paulus geht einen entscheidenden Schritt über die herkömmlichen Grundsätze hinaus. Allgemein anerkannt war offenbar, daß der Eigentumserwerb durch usucapio wie ein Erwerb vom nichtberechtigten Verkäufer anzusehen ist und inter partes dieselben schuldrechtlichen Folgen auslöst, die ein unmittelbarer Erwerb ausgelöst hätte. Nach Paulus kommt es aber gar nicht auf die Vollendung der Ersitzung an. Er entlastet den nichtberechtigten Veräußerer auch dann von seiner Einstandspflicht, wenn der Käufer die Möglichkeit der Ersitzung hatte, aber nicht ersessen hat. Das ist in dieser Allgemeinheit kaum gerechtfertigt.
§ 3. Die usucapio pro dote
Eine dotis nomine übereignete Sache ist Dotalgut, und der Ehemann ist zu ihrer Rückübereignung verpflichtet, wenn die Ehe aufgelöst wird. Was aber ist rechtens, wenn eine fremde Sache dotis nomine übereignet und vom Ehemann durch Ersitzung zu eigen erworben wird? Ist auch die ersessene Sache Dotalgut und bei Auflösung der Ehe herauszugeben? Kein Text bezeichnet die pro dote ersessene Sache als Dotalsache oder unterstellt sie explizit der actio rei uxoriae. 1 In den folgenden bei den Pomponius-Fragmenten, in denen es um die Dotierung mit einer fremden Sache geht, ist von Ersitzung nicht die Rede. Beide Fragmente lassen jedoch Rückschlüsse auf die schuldrechtlichen Folgen der usucapio pro dote zu. I. Das erste Fragment handelt von der dos profecticia: Pomp 14 ad Sab D 23.3.6.12 Si pater alienum fundum bona fide emptum in dotem dedit, ab ipso profectus intelle-
gitur.
Der Vater der Ehefrau hat dem Ehemann dotis nomine ein fremdes Grundstück übertragen, das er gutgläubig von einem Nichtberechtigten gekauft hatte. Pomponius stellt fest, daß eine vom Vater bestellte dos vorliegt. Dotal ist freilich zunächst nur der Besitz des Grundstücks, denn Eigentum hat der Ehemann durch die nichtberechtigte Verfügung des Vaters nicht erlangt. Bei dem bloßen Besitz muß es jedoch nicht bleiben. Wenn der Ehemann gutgläubig war, als er das Grundstück erhielt, kann er das Eigentum ersitzen. 3 Pomponius erwähnt die Ersitzungsmöglichkeit nicht. Andererseits sagt er aber auch nicht, daß nur der Besitz des Grundstücks dotal ist. Seine Feststellung ab ipso (sc. patre) profectus intellegitur läßt die ,sachenrechtliche' Zuordnung des Grundstücks offen; sie deckt jede, und das heißt auch: die jeweilige ,dingliche' Berechtigung, die der Inhaber der dos an dem Grundstück hat. Der Ehemann hat zunächst nur Besitz. Vollendet er die Ersitzung, erwirbt er auch das Eigen1 Aus Proc D 23.3.67 ergibt sich allerdings indirekt, daß die pro dote ersessene Sache unter die Dotalklage fällt. Da dieses sehr umstrittene Fragment in erster Linie von den schuldrechtlichen Folgen der Putativtite1ersitzung handelt, erörtern wir es im 2. Kapitel (s. unten § 18). 2 Bechmann, Das römische Dotalrecht II (1867) 59 A.1, 426 A.5; Kaser, TR 29 (1961) 195 A.87 (196); Misera, Der Bereicherungsgedanke bei der Schenkung unter Ehegatten (1974) 71; Mayer-Maly, SZ 93 (1976) 424 f. 3 Bechmann 426 bei A.5 und Kaser 195 A.87 (196) gehen ohne weiteres davon aus, daß der Ehemann Ersitzungsbesitz erlangt.
§ 3. Die usucapio pro dote
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turn. An der Dotalbindung des Grundstücks ändert sich dadurch nichts. Sie erstreckt sich nunmehr allerdings nicht mehr nur auf den Besitz, sondern auf das ersessene Eigentum. Mit anderen Worten: Gegenstand der dos profecticia ist nach Vollendung der Ersitzung das Eigentum an dem Grundstück. Ist das vereinbar mit den Voraussetzungen der dos profecticia? Ulpian definiert sie als eine dos, quae a patre vel parente profecta est de bonis vel facto eius. 4 In unserem Pomponius-Fragment ist ein fremdes Grundstück als dos gegeben worden; es stammte also nicht aus dem Vermögen des pater. 5 Aber durch die Übereignung des pater, facto eius, hat der Ehemann den Besitz erlangt; der Besitz ist ab ipso (sc. patre) profectus. Dagegen weder de bonis nochfacto patris, sondern durch Ersitzung erlangt der Ehemann das Eigentum an dem Grundstück. Wie wir sahen, wird im Kaufrecht und im Solutionsrecht der Eigentumserwerb durch Ersitzung dem nichtberechtigten Veräußerer zugerechnet. Im Dotalrecht war es offenbar nicht anders: Wenn der Vater der Ehefrau ein fremdes Grundstück dotis nomine übereignet und der Ehemann das Grundstück ersitzt, dann wird es so angesehen, als habe der Ehemann das Eigentum vom Vater der Ehefrau erworben. Darum hat Pomponius seine Feststellung ab ipso profectus intellegitur allgemein gefaßt und nicht auf den Fall beschränkt, daß der Ehemann das Grundstück noch nicht ersessen hat. Auch nach vollendeter Ersitzung gilt: fundus ab ipso (sc. patre) profectus intellegitur. Die usucapio pro date steht in den Wirkungen einer gelungenen Übereignung pro date gleich, die pro dote ersessene Sache ist eine Dotalsache. 6 11. Das wird auch durch ein zweites Pomponius-Fragment nahegelegt. In diesem Fragment geht es um die Frage, was der Ehemann bei Auflösung der Ehe herauszugeben hat, wenn er mit einer fremden Sache dotiert worden ist: Pomp 16 ad Sab D 24.3.11 Si alienam rem sciens mulier in dotem dederit, reddenda ei est, quasi suam dedisset, et fructus pro portione anni, quo divortium factum est.
Hier hat die Ehefrau selbst ihrem Ehemann eine fremde Sache als dos gegeben. Sie wußte, daß sie nicht Eigentümerin der Sache war. Daher kann der Ehemann in diesem Fall nicht ersitzen: Durch die wissentliche Veräußerung Vip 31 ad Sab D 23.3.5 pr. Misera 71 scheint dagegen anzunehmen, daß die als dos gegebene Sache aus dem Vermögen des pater stammen muß, damit eine dos profecticia entstehen kann: Er geht nämlich davon aus, daß bereits der pater das fremde Grundstück in Ersitzungsbesitz hatte, und findet daher in unserem Fragment eine Bestätigung für seine These: "Was der Ersitzungsbesitzer weggab, stammte ... aus seinem Vermögen." (70 f.); zustimmend Mayer-Maly 424 f. Doch das Eigentum an dem Grundstück, das der Ehemann durch Ersitzung erwirbt, stammt, auch wenn der pater Ersitzungsbesitzer war, nicht aus seinem Vermögen. Auf den Ersitzungsbesitz des pater kann es mithin nicht angekommen sein. Entscheidend ist vielmehr allein, daß der pater das Grundstück übereignet und dem Ehemann dadurch die Möglichkeit der Ersitzung verschafft hat. 6 So auch Bechmann 58 f. 4
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1. Kap.: Ersitzung auf Grund der Verfügung eines Nichtberechtigten
der fremden Sache hat die Ehefrau ein furtum begangen, ist die Sache zur unersitzbaren res furtiva geworden.7 Der Ehemann hat daher nur den Besitz der Sache als dos erlangt. Diesen Besitz kann die Ehefrau im Fall der Scheidung mit der actio rei uxoriae herausverlangen; Pomponius fügt erläuternd hinzu: quasi suam dedisset. Das ist allerdings nicht technisch gemeint. Hätte nämlich die Ehefrau eine eigene Sache gegeben, dann hätte der Ehemann sie zu eigen erworben, und im Fall der Scheidung hätte die Ehefrau nicht nur die Rückgabe, sondern die Rückübereignung der Sache verlangen können. Der Vergleich quasi suam dedisset soll nur zum Ausdruck bringen, daß sich der aus der Dotalklage in Anspruch genommene Ehemann nicht darauf berufen kann, daß die zur dos gegebene Sache nicht seiner Ehefrau gehörte. Nach Pomponius ist der Ehemann indessen nicht nur zur Rückgabe der empfangenen Sache verpflichtet, sondern auch zur anteiligen Herausgabe der Früchte, die er im Jahr der Scheidung gezogen hat. Insofern gilt also wirklich: quasi mulier suam dedisset. Hätte nämlich die Ehefrau eine eigene Sache als dos gegeben, dann wäre der Ehemann verpflichtet, die Früchte, die er als Dotaleigentümer im Jahr der Scheidung gezogen hat, anteilig - nach dem Verhältnis der Dauer der Ehe in diesem Jahr - herauszugeben,s Dieselbe Pflicht trifft den Ehemann auch hier, wo er die Früchte nicht als Dotaleigentümer, sondern als gutgläubiger Besitzer einer fremden Sache gezogen hat. Die Früchte, welche die Ehefrau auf diesem Wege, über das Dotalrecht, erhält, hätte sie selbst, als bösgläubige Besitzerin, nicht erwerben können. Das ist jedoch ohne Belang. Wiederum kann sich der Ehemann nicht darauf berufen, daß ihm die Ehefrau eine fremde Sache in dotem gegeben hat und daß er darum die Früchte nicht als Dotaleigentümer, sondern als bonae fidei possessor erworben hat. Er ist vielmehr so gestellt, als habe ihn die Ehefrau mit einer Sache dotiert, die ihr gehörte. Wir dürfen annehmen, daß die Entscheidung nicht anders ausgefallen wäre, wenn die Sache nicht furtiv gewesen wäre und der Ehemann sie ersessen hätte: Auch dann hätte die Ehefrau, im Fall der Scheidung, Herausgabe der Sache selbst und anteilige Herausgabe der im Jahr der Scheidung gezogenen Früchte verlangen können quasi suam dedisset. Die usucapio pro dote des Ehemannes wäre der Ehefrau zugute gekommen.
Vgl. etwa Gai 11.50. Zur Verteilung der Früchte vgl. Bonfante (1896), Scritti giuridici I (1916) 72 ff., Corso di diritto romano I (1925) 356 ff. 7
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§ 4. Die Ersitzung einer auf den Todesfall geschenkten Sache Zwei Fragmente handeln von der Schenkung einer fremden Sache auf den Todesfall und den schuldrechtlichen Folgen, die eintreten, wenn der Beschenkte die Sache ersitzt: I. Iul17 dig D 39.6.13 pr)
Si alienam rem mortis causa donavero eaque usucapta fuerit, verus dominus eam condicere non potest, sed ego, si convaluero.
Ein Nichtberechtigter hat eine fremde Sache auf den Fall seines Todes verschenkt, der Beschenkte hat sie ersessen. 2 Julian geht hier von der regelmäßigen Form der donatio mortis causa aus, bei der die geschenkte Sache sofort Eigentum des Beschenkten wird, der Schenker aber kondizieren kann, wenn er die Todesgefahr überlebP Da hier eine fremde Sache geschenkt worden ist, war der unmittelbare Eigentumserwerb allerdings ausgeschlossen; der Beschenkte konnte die Sache aber ersitzen. 4 Nach Vollendung der Ersitzung 1 Jhering, Abhandlungen aus dem Römischen Recht (1844, Neudruck 1968) 22 ff.; Voigt, Veber die condictiones ob causam und ueber causa und titulus im Allgemeinen (1862) 230 f.; Bolze, AcP 79 (1892) 206; Trampedach, SZ 17 (1896) 103 f.; Haymann, JherJb. 77 (1927) 193 f; Perozzi, Istituzioni di diritto romano 11 (2. Aufl. 1928) 363 A.2 (364); di Paola, Donatio mortis causa (1950) 57 ff; Donatuti, StParm. I (1951) 46, 72; Amelotti, La donatio mortis causa in diritto romano (1953) 133 ff.; Simonius, Die Donatio Mortis Causa im klassischen römischen Recht (1958) 103; Robbe, Diritto ereditario romano I (1965) 124 ff.; Misera, Der Bereicherungsgedanke bei der Schenkung unter Ehegatten (1974) 78; Rastätter, Marcelli notae ad Iuliani digesta (1981) 75 ff. 2 Misera 78 vermutet, daß die Entscheidung aus dem Zusammenhang des Schenkungsverbots unter Ehegatten stammt, weil das 17. Buch der Digesten Julians unter anderem über das Schenkungsverbot handelte. Misera schließt daraus, daß "wahrscheinlich ... schon Julian die Schenkung einer fremden Sache mortis causa unter Ehegatten zugelassen" hat. Das Problem dieser Stelle ist jedenfalls nicht die Wirksamkeit der Schenkungsabrede, sondern die schuldrechtliche Wirkung der Ersitzung. 3 Neben dieser gewöhnlichen Schenkung auf den Todesfall kannte das klassische Recht auch die durch den Tod des Schenkers aufschiebend bedingte donatio, bei der das Eigentum erst überging, wenn der Schenker starb; vgl. Amelotti 12 ff., 28 ff. und Simonius 144 ff., 195 ff.; außerdem Kaser, Iura 2 (1951) 243 ff., SZ 71 (1954) 448 f., RP I (1971) 764; Schwarz, Grundlage der condictio (1952) 166 A.1; König, SD 29 (1963) 170; anders di Paola 17 ff. Daß Julian in unserer Stelle nicht von einer aufschiebend bedingten Schenkung ausgegangen ist, liegt auf der Hand; denn in diesem Fall hätte der Beschenkte vor dem Tod des Schenkers nicht ersitzen können. - Die gewöhnliche unbedingte donatio mortis causa ist nach herrschender Ansicht eine datio ob rem, die condictio, die dem Schenker im Fall seiner Genesung zusteht, die condictio ob rem dati; vgl. di Paola 90 ff.; Amelotti 145 ff.; Simonius 226 ff.; Kaser, RP I 597, 764 A.4. Einen speziellen Kondiktionstatbestand nimmt dagegen Schwarz 166 ff. an. 4 Simonius 154, 231 vermutet, daß die Ersitzung vor dem Tod des Schenkers nicht pro donato, sondern pro suo erfolgte, weil im Fall einer dotis datio vor der Eheschließung auch nicht pro dote, sondern pro suo ersessen wurde (vgl. etwa VIp. D 41.9.1.2).
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1. Kap.: Ersitzung auf Grund der Verfügung eines Nichtberechtigten
ist der Beschenkte der Kondiktion des Schenkers ausgesetzt, falls dieser seine Gesundheit wiedererlangt. Es ist also ohne Belang, daß der Beschenkte das Eigentum durch Ersitzung erworben hat und nicht durch die Übereignung des Schenkers. Der nichtberechtigte Schenker kondiziert die Sache, als habe er dem Empfänger das Eigentum und nicht nur den Besitz verschafft. 5 Julian begnügt sich nicht damit, einfach festzustellen, daß der Schenker die von dem Beschenkten ersessene Sache kondizieren kann. Er hebt auch ausdrücklich hervor, daß der ,wahre' Eigentümer;, also derjenige, der sein Eigentum durch die Ersitzung verlor, keine condictio hat. Einen Rückgewähranspruch des früheren Eigentümers hat Julian also immerhin in Betracht gezogen. Nicht erwähnt wird dagegen die dritte Möglichkeit, daß der Beschenkte die ersessene Sache auf jeden Fall, nämlich auch dann behalten kann, wenn der Schenker seine Gesundheit wiedererlangt. Für Julian war es offenbar selbstverständlich, daß der Beschenkte die Sache nach Maßgabe der Schenkungsabrede, d. h. als eine ihm auf den Todesfall geschenkte Sache ersessen hat. Sein Eigentumserwerb durch Ersitzung unterliegt daher den allgemeinen Regeln, die für den Erwerb einer auf den Todesfall geschenkten Sache gelten: Die Sache steht dem Beschenkten nicht mehr zu, wenn der Schenker wieder gesund wird. Darum konnte nur in Frage stehen, wer die Sache dann beanspruchen kann - der frühere Eigentümer oder der nichtberechtigte SchenkeT. Julian entscheidet zugunsten des Schenkers. Der frühere Eigentümer hat seine Sache durch die Ersitzung des Beschenkten also endgültig verloren - obwohl der Beschenkte die Sache nur nach Maßgabe der Schenkungsabrede ersessen hat und sie nicht endgültig behalten darf, wenn der Schenker wieder gesund wird. Auch wenn der Eigentumserwerb des Usukapienten nicht mehr gerechtfertigt ist, wird der frühere, vor der Ersitzung bestehende Rechtszustand nicht wieder hergestellt. Die Rückabwicklung findet vielmehr inter partes, zwischen dem Beschenkten und dem nichtberechtigten Schenker statt. 7 Die Ersitzung ist also eine reine Modalität des Eigentumserwerbs: Hat der Beschenkte das Eigentum erworben, spielt es keine Rolle mehr, ob er es durch Übereignung 5 Jhering 23 f. hat schon gesehen, daß die condictio des Schenkers auf das von dem Beschenkten ersessene Eigentum geht und nicht nur auf den Besitz. Ebenso Trampedach 103 f.; Haymann 193 f.; di Paola 57 ff.; Amelotti 135; Donatuti 46, 72; Robbe 125 ff.; Rastätter 76. Dagegen sind Voigt 230 f., Bolze 206 und Perozzi 363 A.2 (364) der Meinung, daß nur der übertragene Besitz kondiziert werden kann. 6 Trampedach 104 A.1 vermutet, daß statt verus dominus ursprünglich stand cuius res fuit ex iure Quiritium; auch Donatuti 46, 72 streicht verus dominus; dagegen Misera 78 A.48. Der Ausdruck ist hier natürlich untechnisch gebraucht. 7 Offenbar hat der frühere Eigentümer auch keine Klage gegen den nichtberechtigten Schenker: könnte er gegen ihn vorgehen, so hätte Julian das in diesem Zusammenhang sicherlich erwähnt. Auch Haymann 193 f. und Rastätter 76 gehen davon aus, daß der frühere Eigentümer das Nachsehen hat; das sei gerechtfertigt, weil er ja auch das Nachsehen gehabt hätte, wenn der Nichtberechtigte die Sache nicht verschenkt, sondern selbst ersessen hätte. Der Text erwähnt jedoch nicht, daß der Schenker selbst Ersitzungsbesitzer war. Offenbar hing die Entscheidung nicht davon ab.
§ 4. Die Ersitzung einer auf den Todesfall geschenkten Sache
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oder durch Ersitzung erworben hat; auch wenn er es durch Ersitzung erworben hat, ist der nichtberechtigte Schenker so gestellt, als habe er die Sache wirksam übereignet. 11. Wie Julian entscheidet auch Paulus: Paul4 ad Plaut D 39.6.33 Qui alienam rem mortis causa traditarn usucepit, non ab eo videretur cepisse, cuius res fuisset, sed ab eo, qui occasionem usucapionis praestitisset.
Es geht um denselben Fall wie bei Julian: Eine fremde Sache ist von Todes wegen geschenkt und von dem Beschenkten ersessen worden. Paulus fragt sich, wer als Urheber dieses Ersitzungserwerbs anzusehen ist - der frühere Eigentümer der Sache oder der nichtberechtigte Schenker. Ebenso wie Julian setzt auch Paulus stillschweigend voraus, daß der Eigentumserwerb des Beschenkten kein originärer Erwerb ist, sondern ein Erwerb ab aZio. Folgerichtig entscheidet Paulus dann auch, daß es nicht darauf ankommt, aus wessen Vermögen die Sache stammt. Entscheidend ist vielmehr, wer dem Erwerber die ,Möglichkeit der Ersitzung' verschafft hat, wer also die donatio mortis causa vorgenommen hat, die die Grundlage der Ersitzung war. s So erscheint der nichtberechtigte Schenker als Urheber des Eigentumserwerbs des Usukapienten: der Eigentumserwerb durch usucapio gilt als Eigentumserwerb von dem nichtberechtigten Schenker.
8 Zu Unrecht bezweifelt Robbe 126 f., daß die Worte qui occasionem usucapionis praestitisset von Paulus stammen.
3 K. Bauer
§ 5. Die usucapio pro donato Bei einer gewöhnlichen Schenkung ist nicht nachweisbar, ob der Eigentumserwerb durch usucapio als ein Eigentumserwerb von dem nichtberechtigten Schenker gilt. Wer eine fremde Sache vom Nichtberechtigten geschenkt erhält, kann sie ersitzen, und nach vollendeter Ersitzung kann er sie endgültig behalten. Dieser Befund rechtfertigt jedoch nicht den Schluß, daß nach vollendeter Ersitzung das Rechtsverhältnis zwischen Schenker und Beschenktem so angesehen wurde, als habe der Beschenkte das Eigentum von dem Schenker erworben. Denn ob es so angesehen wurde oder nicht, machte für die Rechtslage inter partes keinen Unterschied. Bei der solutio und beim Kauf, bei der Mitgift und der Schenkung auf den Todesfall - immer läßt sich an den schuldrechtlichen Folgen der Ersitzung ablesen, daß die Juristen den Ersitzungserwerb als einen Erwerb von dem nichtberechtigten Veräußerer ansahen. Im Schenkungsrecht dagegen fehlt jedes Indiz: Bei einer Schenkung gibt es keine Schuld, die mit vollendeter Ersitzung getilgt, und auch keine Rückgewährpflicht, die durch den Eigentumserwerb begründet werden könnte; und anders als der Verkäufer haftet der Schenker auch nicht, wenn der Beschenkte das Eigentum an der Sache ex aUa causa erwirbt. Der Beweis ist demnach nicht möglich, daß der Erwerb durch usucapio pro donato als Erwerb vom nichtberechtigten Schenker angesehen wurde. Die Vermutung liegt jedoch nahe, daß für die usucapio pro donato nichts anderes galt als für die übrigen Arten der Ersitzung. Was Paulus von dem Usukapienten sagt, der eine auf den Todesfall geschenkte Sache ersessen hat, wird auch für denjengigen gegolten haben, der auf Grund einer gewöhnlichen donatio ersessen hat: ab eo (videretur cepisse), qui occasionem usucapionis praestitisset. 1
I
Paul D 39.6.33.
§ 6. Die usucapio pro legato
Hat ein Testator eine Sache, die ihm nicht gehört, per vindicationem vermacht, so kann der Legatar das Eigentum ersitzen. Das ergibt sich aus mehreren Fragmenten!, ausdrücklich ausgesprochen ist es in Paul54 ad ed D 41.8.4 Pro legato potest usucapi, si res aliena2 1egata sit ... 3
Die Ersitzung des Legatars ist keine Putativtitelersitzung, sondern eine ,titulierte' Ersitzung auf Grund der Verfügung eines Nichtberechtigten. Denn ein wirksamer Erwerbsgrund liegt durchaus vor. Das ist früher gelegentlich in Zweifel gezogen worden4, wird heute aber von den meisten Autoren anerkannt. s Das Vindikationslegat ist nämlich nicht nur Verfügungs-, sondern auch Kausalgeschäft; es bewirkt den Erwerb der vermachten Sache und liefert zugleich den Rechtsgrund für diesen Erwerb. Hat ein Nichtberechtigter eine fremde Sache vermacht, findet natürlich kein Eigentumserwerb statt. Insofern ist das Vindikation sieg at einer fremden Sache unwirksam. 6 Doch seine Wirk1 Vgl. Iav D 41.8.5 und Pomp D 41.8.6 (dazu unten § 12 I); auch Ulp D 41.8.1 und der erste Teil von Herrn D 41.8.9 können sich nur auf das Vidikationslegat einer fremden Sache beziehen (s. unten § 12 III nach A.37). 2 Beseler, SZ 45 (1925) 229 ergänzt: si res aliena legata sit ... Diese Ergänzung ist jedoch nicht erforderlich, denn schon der Usukapionstitel pro legato zeigt, daß die Sache per vindicationem vermacht worden ist; beim Damnationslegat käme nur die usucapio pro soluto in Betracht; vgl. Kaser, RP I 421. 3 Im Fortgang der Stelle geht es um die Putativtitelersitzung auf Grund eines Legats, das widerrufen worden ist oder das den Legatar nicht eindeutig bezeichnet; dazu unten § 1211. 4 Besonders Fitting, AcP 52 (1869) 28 ff., bezweifelt, daß hier ein ,wahrer' Titel vorliegt. 5 Vgl. schon Bonfante (1894), Scritti giuridici 11 (1918) 613 f.; Pernice, Labeo 11 1 (1895) 407 f.; v. Lübtow, Fs. zum 41. Deutschen Juristentag (1955) 160; Kaser, SZ 67 (1950) 330 A.19 (gegen Bammate, RIDA 1 [1948] 27 ff.) und RP 1 (1971) 421 A. 27. Der Anwendung des SC Neronianum, nach dem das Vindikationslegat einer fremden Sache als ein Damnationslegat zu behandeln ist, bedarf es hier gerade nicht: So aber Ciapessoni, St. Bonfante 111 (1930) 692 ff., und neuerdings auch Kränzlein, Fg. Kaser "Iuris professio" (1986) 128; nach Kränzlein ist das Vindikationslegat einer fremden Sache "für die Klassiker ohne Zweifel kein wirksames Legat gewesen, wenngleich wegen des SC Neronianum vielleicht ein genügender Ersitzungstitel pro legato". Kränzlein beruft sich nicht nur auf Ciapessoni, sondern auch auf Kaser, der indessen ausdrücklich anderer Ansicht ist (RP I 421 A.27). 6 Gai 11.196 bezeichnet ein solches Legat als inutile; daraus kann aber nicht geschlossen werden, daß das Legat "nicht, wie etwa die schenkweise Tradition einer fremden
3'
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1. Kap.: Ersitzung auf Grund der Verfügung eines Nichtberechtigten
samkeit als causa ist nicht beeinträchtigt. Der Fall ist mit der Schenkung einer fremden Sache vergleichbar.? Wenn ein Nichtberechtigter eine fremde Sache schenkt, erwirbt der Beschenkte kein Eigentum; die getroffene Schenkungsabrede ist aber wirksam und die Grundlage seiner usucapio pro donato. Entsprechend ist die Rechtslage, wenn eine fremde Sache per vindicationem vermacht worden ist. Wieder stellen wir die Frage: Wird der Usukapionserwerb des Legatars angesehen wie ein Eigentumserwerb, den der nichtberechtigte Testator bewirkt hat? Wie bei der Schenkung läßt die Rechtslage nach vollendeter Ersitzung keinen Schluß zu. Der Legatar kann die ersessene Sache behalten und hat keinen Anspruch gegen den Erben. So und nicht anders wäre es aber auch, wenn sein Eigentumserwerb nicht dem Testator zugeschrieben, sondern als ein Erwerb ex aUa causa angesehen würde. Das Vindikationslegat einer fremden Sache wird gemäß dem SC Neronianum wie ein Damnationslegat behandelt: es verpflichtet den Erben, dem Legatar das Eigentum an der vermachten Sache zu verschaffen.B Der Erbe wird von dieser Verpflichtung jedoch frei, wenn der Legatar die Sache ex aUa causa lucrativa erwirbt, etwa durch Schenkung oder durch Erbschaft. 9 Da der Erwerb durch usucapio pro legato auf jeden Fall ein Erwerb ex causa lucrativa ist, würde der Erbe mithin auch dann frei werden, wenn der Usukapionserwerb nicht als Erwerb auf Grund des Vindikationslegats verstanden würde. Die nach Vollendung der Ersitzung eintretende Rechtslage läßt also auch unter dem Gesichtspunkt des Neronianum keinen Schluß zu. Der Beweis, daß der Erwerb durch Ersitzung als Erwerb auf Grund des Vindikationslegats aufgefaßt wurde, ergibt sich indessen aus den Voraussetzungen der usucapio pro legato: Iav 7 ex Cass D. 41.8.7\0 Nemo potest legatorum nomine usucapere nisi is, cum quo testamenti factio est, quia ea possessio ex iure testamenti proficiscitur.
Nur derjenige kann pro legato ersitzen, demgegenüber die passive testamenti factio besteht, weil sein Ersitzungsbesitz auf dem ius testamenti beruht.
Sache, blos unwirksam und nicht im Stande (war), dem Legatar das zugedachte Eigenthum sofort zu verschaffen", sondern daß es "geradezu der Gültigkeit, des rechtlichen Bestandes" ermangelte: so aber Fitting (A.4) 28 f. 7 So schon Pernice (A.5) 407 f. 8 Gai 11.197, 202; vgl. Kaser, RP I 745 f. m.w.Lit. 9 Vgl. etwa Iul D 30.82 pr./§ 4 u. a.; zum sogenannten concursus causarum lucrativarum Schutz, SZ 38 (1917) 151 ff., und Rastätter, Marcelli notae ad Iuliani digesta (1981) 57 ff. m.w.Lit. 10 Manthe, Die \ibri ex Cassio des Iavolenus Priscus (1982) 291 m.w.Lit.
§ 6. Die usucapio pro legato
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Daraus folgt, daß der Erwerb durch usucapio pro legato als Erwerb auf Grund des Vindikationslegats verstanden wird; denn nur ein Erwerb auf Grund des Vindikationslegats kann an die legatsrechtlichen Erwerbsvoraussetzungen gebunden sein. l1
11 Ähnlich schon Fitting (A.4) 35: "Auch die usucapio pro legalO ist ein Erwerb, der ein Stück des altcivilen letztwilligen Vermögensverkehrs ausmacht, und sie kann daher keinem andern zugänglich sein, als demjenigen, welcher fähig ist, am letztwilligen Vermögensverkehr nach altem ius civile ... als Erwerbender Antheil zu nehmen."
§ 7. Ergebnisse und Folgerungen I. Wir fassen zunächst die bisherigen Ergebnisse zusammen. Wenn ein Nichtberechtigter eine fremde Sache veräußert und der Empfänger sie ersitzt, dann ist inter partes die Rechtslage nicht anders, als habe der Nichtberechtigte wirksam über die Sache verfügt. Der Usukapionserwerb des Empfängers steht einem unmittelbaren Eigentumserwerb vom Veräußerer gleich, ja mehr noch: der Usukapionserwerb des Empfängers gilt als Eigentumserwerb vom Veräußerer.1 Darum treten mit Vollendung der Ersitzung dieselben schuldrechtlichen Folgen ein, die bei wirksamer Verfügung sofort eingetreten wären: Ist die fremde Sache zur Tilgung einer bestehenden Schuld geleistet worden, wird der Nichtberechtigte mit vollendeter Ersitzung frei 2 ; ist die Sache dagegen auf eine Schuld geleistet worden, die in Wahrheit nicht bestand, kann er kondizieren. 3 Hat der Nichtberechtigte die fremde Sache verkauft, so haftet er dem Käufer impleta usucapione nicht mehr aus der actio empti4 ; hat er die fremde Sache als dos gegeben, so ist das ersessene Eigentum dotal und muß bei Auflösung der Ehe herausgegeben werdens; und hat der Nichtberechtigte die fremde Sache auf den Todesfall geschenkt, so kann er das vom Empfänger ersessene Eigentum kondizieren, falls er seine Gesundheit wiedererlangt. 6 Nur bei der usucapio pro donato und der usucapio pro legato sind die mit Vollendung der Ersitzung eintretenden Rechtsfolgen ,neutral'; sie geben keinen Aufschluß darüber, ob der Usukapionserwerb als Erwerb vom nichtberechtigten Schenker oder Testator gilt. Im Fall der usucapio pro legato gibt es jedoch ein anderes Indiz: Der Legatar kann die ihm vom nichtberechtigten Testator vermachte Sache nur dann ersitzen, wenn er die passive testamenti factio hat, wenn er also die Fähigkeit besitzt, durch Legat zu erwerben. 7 Daraus folgt, daß der Erwerb durch usucapio pro legato als erbrechtlicher Erwerb auf Grund des Legats angesehen wird.
Der Eigentumserwerb durch Ersitzung steht also einem rechtsgeschäftlichen Eigentumserwerb durch Übereignung oder durch Vindikationslegat gleich; er gilt als Erwerb vom nichtberechtigten Veräußerer oder vom nichtbe1 2
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Vgl. Paul D 39.6.33; dazu oben § 411. Pomp D 17.1.47.1 und Paul D 46.3.60; dazu oben § 1 I und 11. Arg. Paul D 12.6.15.1; dazu oben § 1 III. Arg. Paul D 21.2.56.3; dazu oben § 2 I. Arg. Pomp D 23.3.6.1 und Pomp D 24.3.11; dazu oben § 3 I und 11. Iul D 39.6.13 pr. und Paul D 39.6.33; dazu oben § 4 I und 11. Iav D 41.8.7; dazu oben § 6.
§ 7. Ergebnisse und Folgerungen
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rechtigten Testator. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Nichtberechtigte selbst Ersitzungsbesitzer war. Nur in einer der Stellen, die wir untersucht haben, in Pomp D. 23.3.6.1, wird überhaupt erwähnt, wie der Nichtberechtigte in den Besitz der fremden Sache gelangt ist. In allen anderen Entscheidungen bleibt diese Frage offen. Sie war offensichtlich ohne Belang.8 Die Juristen erklären uns nicht, warum sie den Eigentumserwerb durch usucapio wie einen Eigentumserwerb behandeln, den der nichtberechtigte Veräußerer oder Testator bewirkt hat. Den einzigen Hinweis liefert Paulus 4 ad Plaut D 39.6.33: Qui alienam rem mortis causa traditam usucepit, non ab eo videretur cepisse, cuius res fuisset, sed ab eo, qui occasionem usucapionis praestitisset. Der nichtberechtigte Veräußerer verschafft dem Erwerber durch seine Verfügung zwar nicht das Eigentum, er verschafft ihm aber die occasio usucapionis. Offenbar aus diesem Grund ist für Paulus nach vollendeter Ersitzung die Rechtslage nicht anders, als habe der Usukapient das Eigentum von dem nichtberechtigten Schenker erworben. Mit dieser Erklärung können wir uns jedoch nicht begnügen. Der Gesichtspunkt der occasio usucapionis ist unspezifisch; er beschreibt die in allen Fällen gleiche äußere Konstellation; warum der Ersitzungserwerb dem nichtberechtigten Veräußerer zugerechnet wird, macht er dagegen nicht einsichtig. Schon Jhering hat in diesem Zusammenhang hervorgehoben, daß nicht jeder, der einem anderen die Gelegenheit zum Eigentumserwerb verschafft, dann auch als Urheber seines Eigentumserwerbs gilt. 9 Wer einen anderen auf eine hereditas iacens aufmerksam macht oder ihm eine res derelicta zeigt, verschafft ihm auch die ,Gelegenheit', pro herede oder pro derelicto zu ersitzen; dennoch wird es nach vollendeter Ersitzung nicht so angesehen, als habe er den Eigentumserwerb des Usukapienten bewirkt. Warum ist das anders beim Eigentumserwerb durch usucapio pro soluto, pro emptore, pro dote, pro donato und pro legato? Zur Beantwortung dieser Frage müssen wir auf diese ,causae usucapionis' näher eingehen. 11. Die intensive Untersuchung der iusta causa usucapionis seit der Pandektistik hat inzwischen in den meisten Fragen zu übereinstimmenden Antworten geführt. 1o Ein scheinbar nebensächlicher, in Wahrheit aber entscheidender Punkt ist allerdings auch in der neueren Literatur noch kontrovers: der Zusammenhang zwischen der, iusta causa usucapionis' und der Erlangung des Besitzes. 8 Zu der gelegentlich geäußerten Vermutung, daß es auf den Ersitzungsbesitz des Nichtberechtigten ankomme, siehe § 1 A.9, bei A.33 und A. 34; § 3 A.5; § 4 A.7. 9 Jhering, Abhandlungen aus dem Römischen Recht (1844, Neudruck 1968) 24 f. 10 Einen kurzen Überblick über die Definitionen der Pandektenliteratur gibt Dernburg, Pandekten I (7. Auf!. 1902) 512 A.24. Ausführlich zur iusta causa usucapionis Bonfante (1893), Scritti giuridici 11 (1918) 469 ff., Corso di diritto romano 11 2 (1928) 208 ff.; Voci, Modi (1952) 177 ff.; Mayer-Maly, RE IX A (1961) 1120 ff.; vgl. außerdem van Oven, TR 16 (1939) 434 ff., Lauria, St. Arangio-Ruiz IV (1953) 504 f., und Kaser, RP I 420 ff. m.w.Lit. in A.18.
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1. Kap.: Ersitzung auf Grund der Verfügung eines Nichtberechtigten
Wie Kaser in seinem Handbuch lehrt ll , setzt die usucapio Eigenbesitz voraus, der "nicht fehlerhaft" erlangt sein darf und "bei dem sich der Wille des Besitzers, die Sache als die seine zu haben und zu behalten, auf einen gültigen Erwerbsgrund (iusta causa) stützt." Rechtsgrund des Erwerbs kann nach Kaser "einer der Tatbestände sein, die auch bei der traditio den Eigentumserwerb tragen, also pro emptore, pro donato, pro dote; pro legato (sc. per vindicationem), pro soluto usw." Einige weitere kämen hinzu, nämlich "pro derelicto, pro herede und pro suo". Diese Darstellung erweckt den Eindruck, als sei in allen Fällen der Ersitzung zwischen der fehlerfreien Besitzerlangung als einer Usukapionsvoraussetzung und der iusta causa usucapionis als einer zweiten zu unterscheiden. Mayer-Maly sagt das sogar ausdrücklich l2 : Da die Frage der Fehlerhaftigkeit des Besitzerwerbs in einem "anderswo verwurzelten Verfahren" geprüft worden sei als der Erwerbsgrund, sei "die Forderung nach iusta possessio besser zur Ersitzungsvoraussetzung possessio als zur iusta causa (zu) rechnen. "13 Nach Vocis Ansicht ist die Fehlerfreiheit der Besitzerlangung dagegen in allen Fällen ein ,Element' der iusta causa usucapionis. 14 Weder das eine noch das andere trifft zu: Weder ist die iusta possessio immer ein ,Element' der iusta causa, noch kann in jedem Fall zwischen der iusta possessio und der iusta causa als zwei verschiedenen Ersitzungsvoraussetzungen unterschieden werden. Für die verschiedenen Ersitzungen gilt vielmehr Unterschiedliches. Folgende Gruppen sind zu differenzieren l5 :
pro soluto pro emptore
11
III
IV
pro legato
pro derelicto
auf Grund eines sog. Putativtitels
pro herede
prodote pro donato ,ob rem'
Hier interessieren nur die Gruppen I und 11. 16 RP I 420 f. Mayer-Maly 1120 f. 13 Auch neuerdings unterscheidet Mayer-Maly noch generell zwischen dem ,tatsächlichen Besitz', der nicht fehlerhaft erlangt sein darf, als einer Usukapionsvoraussetzung und dem ,zureichenden Erwerbsgrund (iusta causa)' als einer weiteren; vgl. Kunkel/ Mayer-Maly, Römisches Recht (4. Aufl. 1987) 175 f. 14 Voci 177 f. Die Voraussetzung des fehlerfreien Besitzerwerbs entnehmen sowohl Kaser 420 A.14 und Mayer-Maly 1109 f. (vgl. auch Kunkel/ Mayer-Maly [A.13] 176 A.4) wie auch Voci 177 f. den beiden Fragmenten Paul D 41.2.5 und Pap D 41.8.8; zu beiden Stellen sogleich im Text. 15 Nur die geläufigen, benannten Usukapionstitel werden aufgeführt. Die Ersitzung war bekanntlich noch in weiteren Fällen möglich, insbesondere auf Grund eines prätorischen Dekrets oder einer richterlichen adiudicatio (vgl. die Zusammenstellung bei Voci 179). Diese Fälle bilden eine weitere Fallgruppe. 11
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§ 7. Ergebnisse und Folgerungen
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1. Bei den Ersitzungen der Gruppe I kann nicht unterschieden werden zwischen der iusta causa als einer Ersitzungsvoraussetzung und dem fehlerfrei erlangten Besitz als einer zweiten. Das ist am Beispiel der usucapio pro soluto besonders deutlich: Der Usukapionstitel pro soluto ist bekanntlich nicht schon dadurch gegeben, daß eine Sache aus Stipulation, Damnationslegat oder Judikat geschuldet wird. Maßgeblich ist vielmehr, daß die Sache auf Grund einer einverständlichen Zweck bestimmung der Parteien zur Schuldtilgung , pro soluto, übergeben wird; ob die Schuld tatsächlich besteht oder ob sie nur irrtümlich von den Parteien angenommen wird, spielt keine Rolle. 17 Setzt sich der Gläubiger aber eigenmächtig in den Besitz der tatsächlich oder vermeintlich geschuldeten Sache, so besitzt er sie nicht pro soluto, weil sie ihm nicht pro soluto übergeben worden ist; er besitzt sie vielmehr ,als Räuber'.18 Entsprechendes gilt für die übrigen Ersitzungen der Gruppe I. Nur wenn eine Sache auf Grund einverständlicher Zweckbestimmung als dos, als geschenkte oder ob rem übergeben wird, besitzt der Empfänger sie pro dote, pro donato oder als eine ob rem gegebene. Die ,iusta causa usucapionis' setzt also einen Doppeltatbestand voraus, nämlich die Übergabe der Sache l9 unter der Vereinbarung eines von der Rechtsordnung anerkannten Erwerbsgrundes. Fehlt es an einer Übergabe, dann fehlt es auch an einer ,iusta causa usucapionis'.
Anders scheint es allerdings bei der usucapio pro emptore zu liegen. Denn das klassische Recht kennt ja nicht nur den Barkauf, sondern auch den verpflichtenden Kauf. Ein wirksamer Kaufvertrag kann also auch vorliegen, wenn die Kaufsache noch nicht übergeben ist. Daß für die causa emptionis gleichwohl nichts anderes gilt als für die causa solutionis und die übrigen causae der Gruppe I, zeigt aber Paul 63 ad ed D 41.2.5 Si ex stipulatione tibi Stichum debeam et non tradam eum, tu autem nanctus fueris possessionem, praedo es: aeque si vendidero nec tradidero rem, si non voluntate mea nanctus sis possessionem, non pro emptore possides, sed praedo es.
Hätte schon der Abschluß des Kaufvertrages den Titel pro emptore begründet, dann hätte Paulus hier annehmen müssen, daß der Käufer zwar pro emptore, wegen der eigenmächtigen Besitzergreifung aber fehlerhaft besitzt. Paulus sagt jedoch gerade, daß der Käufer nicht pro emptore besitzt, wenn er den Besitz der gekauften Sache ohne den Willen des Verkäufers erlangt. 20 16 Die Voraussetzungen der ,Putativtitelersitzung' werden im 2. Kapitel erörtert (s. unten § 9 - § 14). 17 Anders, jedoch nicht überzeugend Voci, Modi 185 ff., und jetzt auch Jakobs, Error falsae causae 47 ff. (vgl. oben § 1 A.16). 18 Vgl. Paul D 41.2.5; dazu sogleich im Text. 19 Die körperliche Übergabe kann freilich hier wie auch sonst ersetzt werden durch ein Traditionssurrogat, durch eine ,brevi manu traditio' oder durch Vereinbarung eines ,constitutum possessorium'; vgl. Kaser, RP I 393 f. m.w.Lit.
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1. Kap.: Ersitzung auf Grund der Verfügung eines Nichtberechtigten
Daraus folgt, daß der Titel pro emptore nicht schon durch den Abschluß des Kaufvertrages begründet wird, sondern erst dadurch, daß die Sache auf Grund des Kaufvertrages, als gekaufte, übergeben wird. Rabe/ sagt darum zu Recht, "daß erst Kauf und Tradition zusammen Übereignung und Ersitzung ,pro emptore' schaffen"21 - eine Auswirkung des Barkaufgedankens. 22 Grundlage der Ersitzungen der Gruppe I ist also nicht einerseits eine ,iusta causa usucapionis' und andererseits fehlerfrei erlangter Besitz. Grundlage ist vielmehr eine traditio ex iusta causa, die ein Nichtberechtigter vorgenommen hat, eine traditio pro soluto, pro emptore, pro dote, pro donato oder ob rem. 2. Wir kommen zur usucapio pro legato. Auch sie basiert auf dem Verfügungsgeschäft eines Nichtberechtigten: auf dem Vindikationslegat, das er in seinem Testament anordnet. Dieses Vindikationslegat liefert die, iusta causa usucapionis', ohne daß es einer Tradition der vermachten Sache bedarf: Wäre nämlich das Vindikationslegat vom Eigentümer ausgesetzt worden, so hätte der Legatar die Sache ipso iure zu eigen erworben; eine Übergabe durch den Erben wäre nicht erforderlich gewesen. 23 Hat ein Nichtberechtigter die Sache vermacht, so muß der Legatar das Eigentum ersitzen. Ersitzen kann er nur, wenn er den Besitz der Sache erlangt; und zwar muß er ihn fehlerfrei erlangen: Pap 23 quaest D 41.8.8 Si non traditarn possessionem ingrediatur sine vitio legatarius, legatae rei usucapio competit.
Für die usucapio pro legato ist also zweierlei erforderlich: zu der eigentlichen rechts geschäftlichen Grundlage der Ersitzung, nämlich zu dem vom Nichtberechtigten ausgesetzten Vindikationslegat, muß die fehlerfreie Erlangung des Besitzes kommen. Wir fassen zusammen. Wenn ein Nichtberechtigter über eine fremde Sache verfügt, kann der Erwerber das Eigentum ersitzen, sofern er gutgläubig und 20 Wir müssen Paulus beim Wort nehmen. Denn gerade er unterscheidet - im Gegensatz etwa zu Julian in D 41.3.33.1- auch terminologisch streng zwischen den verschiedenen Usukapionsvoraussetzungen. Das zeigt Paul 54 ad ed D 41.4.2.1: Separata est causa possessionis et usucapionis: nam vere dicitur quis emisse, sed mala fide: quemadmodum qui sciens alienam rem emit, pro emptore possidet, licet usu non capiat. 21 Rabel (1915), Grundzüge des römischen Privatrechts (1955) 464. 22 Zu anderen Regeln, die aus der Barkaufstruktur der emptio venditio zu erklären sind, vgl. Kaser, RP I 547, und J. G. Wolf, TR 45 (1977) 12 f. Ebenfalls aus dem Barkaufgedanken erklärt sich die Diskussion der Juristen über den Zeitpunkt, in weIchem der Käufer gutgläubig sein muß, damit er die Kaufsache ersitzen kann: nur bei Übergabe der Sache, initio possessionis, oder auch schon beim Abschluß des Kaufvertrages; vgl. Ulp D 41.3.10 pr., Paul D 41.4.2 pr., D 41.3.48; und dazu Hausmaninger, Bona fides 82 ff. 23 Kaser, RP I 420 f. (vgl. oben das Zitat bei A.ll) führt den Titel pro legato als einen der Titel auf, "die auch bei der traditio den Eigentumserwerb tragen". Das muß ein Lapsus sein. Auch Kaser ist natürlich nicht der Meinung, daß es bei einem Vindikationslegat einer Übereignung durch den Erben bedarf; vgl. RP I 743.
§ 7. Ergebnisse und Folgerungen
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die Sache nicht furtiv ist. Grundlage seiner Ersitzung ist das Verfügungsgeschäft, das der Nichtberechtigte vorgenommen hat, also die traditio ex iusta causa oder das Vindikationslegat. Der heute gebräuchliche Begriff der iusta causa usucapionis ist mißverständlich. Van Oven und Lauria haben darauf hingewiesen, daß dieser Begriff in den Quellen nicht technisch verwendet wird. 24 Wir kennen jetzt den Grund: Die Ersitzung setzt keine ,iusta causa usucapionis' voraus, sondern sie setzt eine traditio ex iusta causa oder ein Vindikationslegat voraus. Das Erfordernis einer ,iusta causa usucapionis' sucht man darum auch in den Institutionen des Gaius vergeblich: Gai 11.43 Ceterum etiam earum rerum usucapio nobis conpetit, quae non a domino no bis traditae fuerint, sive mancipi sint eae res sive nec mancipi, si modo eas bona fide acceperimus, cum crederemus eum, qui traderet, dominum esse.
Van Oven zieht daraus den Schluß, daß Gaius die bona fides für "das wesentliche Erfordernis für eine gültige Ersitzung" gehalten habe. 25 Wer mala fide in den Besitz einer Sache gelange, der besitze nicht ex iusta causa und könne nicht ersitzen. Eine iusta causa als selbständige, von der bona fides unabhängige Voraussetzung der Ersitzung habe das klassische Recht nicht gekannt. 26 Richtig ist, daß die klassische Jurisprudenz keine ,iusta causa usucapionis' kannte. Doch die bona fides war weder die einzige noch die zentrale Voraussetzung der Ersitzung. Gaius verlangt nicht nur, daß der Erwerber bona fide handeln muß, er setzt vor allem ein Übereignungsgeschäft voraus: ein Nichtberechtigter muß die Sache t rad i e r t haben. Die näheren Voraussetzungen dieses Übereignungsgeschäfts erörtert Gaius, bevor er auf die usucapio zu sprechen kommt: Gai 11.19/20 Nam res nec mancipi ipsa traditione pie no iure alterius fiunt, si modo corporales sunt et ob id recipiunt traditionem. (20) Itaque si tibi vestem vel aurum vel argentum tradidero sive ex venditionis causa sive ex donationis sive quavis alia ex causa, statim tua fit ea res, si modo ego eius dominus sim.
Es bedarf also einer (iusta) causa traditionis. Das setzt Gaius voraus, wo er die usucapio erörtert: in 11.41, wo es um die Ersitzung einer vom Eigentümer tradierten res mancipi geht, und in 11.43, wo die Voraussetzungen der Ersitzung einer vom Nichteigentümer tradierten Sache erörtert werden. 27 3. Die Grundlage der Ersitzung in den Gruppen I und 11 ist also die Verfüg u n g eines Nichtberechtigten. Durch diese Verfügung hätte der Erwer24
95 f.
Van Oven (A.10) 437 ff.; Lauria (A.10) 504; vgl. auch Hausmaninger, Bona fides
25 Van Oven (A.lO) 436; auch Jakobs, Error falsae causae 44, meint, daß das Titelerfordernis bei Gai 11.42 ff. außer acht gelassen werde. 26 Van Oven (A.lO) 434 ff. 27 So mit eingehender Begründung Hausmaninger, Bona fides 95 f. A.100.
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1. Kap.: Ersitzung auf Grund der Verfügung eines Nichtberechtigten
ber das Eigentum - im Fall einer tradierten res mancipi das bonitarische Eigentum - erworben, wenn der Nichtberechtigte zu der Verfügung befugt gewesen wäre. 28 Da er jedoch nicht verfügungsbefugt war, bedarf es der Ersitzung, und der Erwerber erwirbt die Sache erst nach ein- oder zweijährigem ununterbrochenen Besitz zu eigen. Sein Eigentumserwerb gilt - wie wir sahen - als Eigentumserwerb von dem Nichtberechtigten, der die Sache übereignet oder vermacht hat. Der Erklärung dieses Befundes sind wir inzwischen einen Schritt näher gekommen. Wir wissen jetzt, daß die Ver füg u n g des Nichtberechtigten die Grundlage der Ersitzung ist. Durch seine Verfügung verschafft der Nichtberechtigte dem Erwerber nicht nur die occasio usucapionis. Die Verfügung des Nichtberechtigten ist vielmehr die Basis, auf der der Erwerber durch ein- oder zweijährigen Besitz Eigentum erwirbt. Ohne die Verfügung des Nichtberechtigten wäre keine Ersitzung möglich. Auch mit dieser Einsicht ist freilich noch nicht erklärt, warum der Eigentumserwerb durch Ersitzung dem nichtberechtigten Veräußerer oder Erblasser zugerechnet wird. III. Ein Vergleich mit den Instituten des Bürgerlichen Gesetzbuchs ist an dieser Stelle nützlich; er zeigt, wo die Schwierigkeiten der gesuchten Erklärung liegen. Wenn ein Nichtberechtigter eine fremde Sache übereignet, gibt es nach geltendem deutschen Recht vier Möglichkeiten: a) Die Übereignung des Nichtberechtigten ist von Anfang an wirksam, zum Beispiel weil sie mit Einwilligung des Eigentümers erfolgt (§ 185 I BGB) oder weil die Voraussetzungen des gutgläubigen Erwerbs vom Nichtberechtigten (§§ 929 ff., 932 ff. BGB) gegeben sind. b) Die Übereignung des Nichtberechtigten ist zunächst unwirksam, wird aber später - ex tune oder ex nune - wirksam, zum Beispiel weil der Eigentümer sie genehmigt oder weil der Nichtberechtigte das Eigentum erwirbt (§ 18511 11./2. Alt. BGB). c) Die Übereignung des Nichtberechtigten ist und bleibt unwirksam, aber der Erwerber erwirbt das Eigentum unabhängig von der Übereignung des Nichtberechtigten auf andere Weise, zum Beispiel durch Übereignung des Eigentümers (§§ 929 ff. BGB) oder durch Ersitzung (§ 937 BGB).29 d) Die Übereignung des Nichtberechtigten ist und bleibt unwirksam, und der Erwerber erwirbt das Eigentum auch nicht auf andere Weise.
Die römische usucapio auf Grund der Verfügung eines Nichtberechtigten läßt sich nicht in dieses Schema einordnen. Der Eigentumserwerb durch usuDas ist ausnahmsweise anders im Fall von Ner D 24.1.44; dazu unten § 8 I. 29 Ist der Ersitzungsbesitzer durch eine unwirksame Übereignung in den Besitz der Sache gelangt, so behandelt ein großer Teil der Lehre und auch das Reichsgericht den Eigentumserwerb nach § 937 BGB im Ergebnis wie einen rechtsgeschäftlichen Erwerb vom Veräußerer - entgegen dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers und dem nicht minder eindeutigen Wortlaut des Gesetzes (vgl. unten §§ 21- 23). 28
§ 7. Ergebnisse und Folgerungen
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capio ist kein Eigentumserwerb, der unabhängig von der Verfügung des Nichtberechtigten auf andere Weise eintritt (c); denn die Grundlage der usucapio ist ja gerade die Verfügung des Nichtberechtigten. 3o Die Verfügung des Nichtberechtigten wird aber auch nicht wirksam durch die Ersitzung des Erwerbers (b).31 Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, daß die römischen Juristen die usucapio als einen Fall von Konvaleszenz verstanden haben. Die Quellen sprechen vom Eigentumserwerb ,durch usucapio' wie sie vom Eigentumserwerb ,durch traditio' oder ,durch Vindikationslegat' sprechen32 , und nichts deutet darauf hin, daß die zugrundeliegende unwirksame Verfügung des Nichtberechtigten ,wirksam wird', wenn der Erwerber die Sache ein oder zwei Jahre besessen hat.
Die usucapio auf Grund der Verfügung eines Nichtberechtigten entspricht also keinem der Modelle, die das BGB kennt. Am nächsten steht sie noch dem gutgläubigen Erwerb vom Nichtberechtigten nach §§ 929 ff., 932 ff. BGB. Nach § 932 BGB erwirbt der gutgläubige Erwerber das Eigentum " durch " die Veräußerung des Nichtberechtigten. Hätte der BGB-Gesetzgeber den Eigentumserwerb nicht unmittelbar "durch" die Übereignung des Nichtberechtigten eintreten lassen, sondern erst, nachdem der Erwerber die Sache einige Zeit besessen hat, dann entspräche der Gutglaubenserwerb des BGB der römischen usucapio auf Grund der Verfügung eines Nichtberechtigten. Treffend sagt Jakobs 33 : "Die usucapia erscheint in den Quellen nicht als das, was die Ersitzung im modernen Recht ist, sie erscheint vielmehr ... als eine Form des Eigentumserwerbs vom Nichtberechtigten, deren Eigenart die zeitliche Verzögerung ist, mit der das Eigentum erworben wird." Der Eigentumserwerb durch usucapio ist kein Eigentumserwerb dur c h die zugrundeliegende Verfügung des Nichtberechtigten, dur c h seine Übereignung oder dur c h das von ihm ausgesetzte Vindikationslegat. Der Eigentumserwerb tritt vielmehr ein auf G run d der Übereignung oder auf 30 Das läßt Kretschmar, Die Erfüllung (1906) 83 f., außer acht: Richtig ist zwar, daß der Eigentumserwerb des Usukapienten "nicht durch die rechtsgeschäftliche Handlung" des Veräußerers eintritt; er tritt aber auch nicht "unabhängig davon" ein, wie Kretschmar meint. Zu Recht lehnt Kretschmar ab, hier von Konvaleszenz zu sprechen (85 A.lO). 31 Dagegen wird in der Literatur gelegentlich gesagt, daß die Verfügung des Nichtberechtigten durch die Ersitzung des Erwerbers ,wirksam' oder ,geheilt' werde, daß eine ,zeitlich gestreckte datia' vorliege, eine ,irreguläre' oder ,unvollkommene' datio, die sich durch die Ersitzung des Empfängers ,nachträglich vollende'; vgl. Pflüger, Fg. P. Krüger (1911) 20 ff.; Haymann, JherJb. 77 (1927) 193; Beseler, Juristische Miniaturen (1929) 114; Schwarz, Grundlage der condictio (1952) 191; d'Ors, AHDE 31 (1961) 636; Voci, Le obbligazioni romane I 1 (1969) 301; Wacke, Bull. 79 (1976) 134. 32 Eine andere Frage ist es, warum Gaius' Kommentar zum Provinzialedikt, Paulus' Ediktskommentar, die Paulussentenzen und auch Justinians Institutionen die usucapio nicht im Zusammenhang der übrigen Eigentumserwerbstatbestände behandeln; zu dieser Frage Mayer-Maly, St. Betti III (1962) 454 ff. 33 Jakobs, Error falsae causae 44 f.
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1. Kap.: Ersitzung auf Grund der Verfügung eines Nichtberechtigten
G run d des Vindikationslegats dur c h ein- oder zweijähriges Besitzen. 34 Sohm hat die Ersitzung als "Ergänzung des verfügungsmäßigen Erwerbs" beschrieben35 : "sobald zu der Verfügung (dem derivativen Titel) Redlichkeit des Erwerbers und eine gewisse Dauer des Besitzes hinzutritt, ist der Tatbestand eines nicht lediglich verfügungsmäßigen und darum ursprünglichen Erwerbsgrundes gegeben." Es trifft zu, daß die usucapio kein rein rechtsgeschäftlicher Erwerbstatbestand ist. Das Entscheidende ist jedoch, daß nach vollendeter Ersitzung nichts mehr darauf ankommt, daß der Erwerber das Eigentum nicht dur c h die Verfügung des Nichtberechtigten erworben hat, sondern auf G run d seiner Verfügung dur c h fortdauernden Besitz. Der ein- oder zweijährige Besitz erscheint jetzt als eine reine Modalität des Eigentumserwerbs. Der Eigentumserwerb auf G run d der Verfügung steht dem Eigentumserwerb dur c h Verfügung gleich und ist wie dieser Erwerb vom Verfügenden. Der Nichtberechtigte hat dem Erwerber das Eigentum sozusagen ,durch usucapio' verschafft, wie er es ihm durch traditio oder durch Vindikationslegat hätte verschaffen können, wenn er berechtigt gewesen wäre. Er hat die Ersitzung des Erwerbers ,bewirkt'.36
34 Vgl. die Definition Modestins in D 41.3.3: Usucapio est adiectio dominii per continuationem possessionis temporis lege definiti. 35 Sohm, Institutionen des römischen Rechts (13. Auf!. 1908) 377. 36 Vgl. Gai II.50: ... aUis quoque modis accidere potest, ut quis sine vitia furti rem alienam ad aliquem transferat et efficiat, ut apossessore usucapiatur.
§ 8. Ein dogmatisches Kuriosum: Neratius 5 membr D 24.1.44
und Pomponius 24 ad Qu Mucium D 41.6.3
Zum Abschluß des ersten Kapitels ist noch auf zwei merkwürdige Entscheidungen einzugehen. Wir haben festgestellt, daß die traditio ex iusta causa, die ein Nichtberechtigter vornimmt, die Grundlage für die Ersitzung des gutgläubigen Erwerbers ist. Durch diese traditio hätte der Erwerber das Eigentum erlangt, wenn der Veräußerer verfügungsbefugt gewesen wäre. Da er nicht verfügungsbefugt war, bedurfte es der Ersitzung. Die Ersitzung des Erwerbers gleicht die fehlende Verfügungsbefugnis des Nichtberechtigten aus. Nach vollendeter Ersitzung wird es so angesehen, als habe der nichtberechtigte Veräußerer dem Erwerber das Eigentum ,durch usucapio' verschafft. Merkwürdig ist nun, daß ein nichtberechtigter Veräußerer sogar dann imstande ist, ,durch usucapio' Eigentum zu verschaffen, wenn er mit Ermächtigung des Berechtigten bzw. als Berechtigter zur Eigentumsverschaffung nicht in der Lage gewesen wäre. I. Ner. 5 membr D 24.1.44'
Si extraneus rem viri ignorans eius esse ignoranti uxori, ac ne viro quidem sciente eam suam esse, donaverit, mulier recte eam usucapiet. idemque iuris erit, si is, qui in potestate viri erat, credens se patrem familias esse uxori patris donaverit. sed si vir rescierit suam rem esse, priusquam usucapiatur, vindicareque eam poterit nec volet et hoc et mulier noverit, interrumpetur possessio, quia transiit in causam ab eo factae donationis. ipsius mulieris scientia propius est, ut nullum adquisitioni dominii eius adferat impedimentum: non enim omnimodo uxores ex bonis virorum, sed ex causa donationis ab ipsis factae adquirere prohibitae sunt.
Einer Ehefrau wird eine Sache geschenkt, die ihrem Ehemann gehört. Schenker ist in der ersten Fallvariante ein extraneus (1), in der zweiten ein , Savigny, System des heutigen Römischen Rechts IV (1841) 570 ff.; Fitting, AcP 52 (1869) 16 f.; Bonfante (1894), Scritti giuridici 11 (1918) 567 ff.; Zanzucchi, AG 72 (1904) 261 ff.; Riccobono (1905), Scritti di diritto romano I (1957) 345 f.; Seligsohn, lusta possessio (Diss. Freiburg 1927) 33; Dumont, Les donations entre epoux en droit romain (1928) 48 ff.; Thayer, Lex Aquilia - On gifts between husband and wife (1929) 209 f.; Kaden, SZ 50 (1930) 617; Aru, Le donazioni fra coniugi in diritto romano (1938) 205 ff.; Beseler, SZ 66 (1948) 351; Niederländer, Die Bereicherungshaftung im klassischen römischen Recht (1953) 54 f.; Pringsheim, St. Albertario I (1953) 675; Archi, La donazione (1960) 105 f.; Kaser, TR 30 (1962) 336 ff.; Mayer-Maly, Putativtitelproblem (1962) 59 f., 66; H. J. Wolf!, lura 20 (1969) 478 ff.; Greiner, Opera Neratii (1973) 13 f.; Misera, Der Bereicherungsgedanke bei der Schenkung unter Ehegatten (1974) 235; Mittelsten-Scheid, Die Vorliebe des L. Neratius Priscus für das Subjektive (Diss. Heidelberg 1976) 53 ff.
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1. Kap.: Ersitzung auf Grund der Verfügung eines Nichtberechtigten
gewaltunterworfener Sohn des Ehemanns, der sich für gewaltfrei hält (2). Wissen weder der Schenker noch die bei den Ehegatten, daß die Sache dem Ehemann gehört, beginnt die Ehefrau zu ersitzen. Erfährt der Ehemann später von seinem Eigentum, will aber nicht vindizieren, und weiß die Ehefrau das, bricht die Ersitzung ab (3). Dagegen läuft die Ersitzung weiter, wenn nur die Ehefrau erfährt, daß die Sache dem Ehemann gehört (4). Das Fragment hat in der Literatur großes Interesse gefunden. Im wesentlichen folgen aber alle Interpretationen derselben Linie. Die übliche Auslegung ist jedoch in einem entscheidenden Punkt nicht überzeugend. 1. Schenkt ein extraneus der Ehefrau eine Sache ihres Ehemannes, beginnt sie zu ersitzen. Daraus folgt mit Eindeutigkeit, daß die Schenkung des extraneus wirksam ist und nicht unter das Verbot der Ehegattenschenkung fällt. Eine verbotene Schenkung kann nämlich nicht Grundlage der Ersitzung sein.2 Warum das Schenkungsverbot hier keine Anwendung findet, liegt auf der Hand: Ein extraneus gehört nicht zu dem Kreis der Personen, denen es verboten ist zu schenken; daher greift das Verbot auch dann nicht ein, wenn der extraneus dem einen Ehegatten eine Sache des anderen Ehegatten schenkt,3 Im Ausgangsfall weiß keiner der drei Beteiligten, daß die geschenkte Sache dem Ehemann gehört. Wüßte es der extraneus oder wüßte es die Ehefrau, wäre die Ersitzung nach den allgemeinen Regeln ausgeschlossen: die Ehefrau ist nur ,gutgläubig', wenn sie glaubt, vom Eigentümer zu erwerben; und hätte der extraneus wissentlich eine fremde Sache geschenkt, so hätte er ein Jurtum begangen und damit die Sache der Ersitzung entzogen. 4 Dagegen ist nicht ohne weiteres ersichtlich, ob auch die Kenntnis des Ehemanns die Ersitzung der Ehefrau verhindert hätte. Die überwiegende Meinung nimmt das ans: Hätte der Ehemann von seinem Eigentum gewußt, die Schenkung des extraneus aber geduldet, so hätte er der Ehefrau die ,Möglichkeit der Ersitzung' geschenkt6 ; wegen des Schenkungsverbots hätte die Ehefrau aber keinen Usukapionsbesitz erworben. Wir kommen auf diese Erklärung zurück.
Paul D 41.6.1.2. V gl. Kaser 337. 4 Gai 11.50. 5 Vgl. statt aller Kaser 339 ff. und seitdem Mittelsten-Seheid 56 ff. Anderer Ansicht ist Wolf! 480 ff.: Er meint, ae ne viro quidem seiente eam suam esse sei überflüssig und vermutlich ein Glossem; der Fall der anfänglichen Kenntnis des Ehemannes habe Neraz gar nicht interessiert. 6 Kaser 340 f. räumt zwar ein, daß eine Schenkung der Usukapionsmöglichkeit durch Duldung der Ersitzung in den Quellen nicht belegt ist. Er verweist aber darauf, daß Paulus die Duldung der Ersitzung eine alienatio nennt; vgl. Paul 21 ad ed D 50.16.28 pr.: Alienationis verbum etiam usueapionem eontinet: vix est enim, ut non videatur alienare, qui patitur usueapi . ... 2
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§ 8. Neratius D 24.1.44 und Pomponius D 41.6.3
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2. In der zweiten Fallvariante ist der Schenker ein Sohn des Ehemanns, der in der Gewalt seines Vaters steht, sich aber für gewaltfrei hält. Neraz setzt voraus, daß die beiden Ehegatten den Irrtum des Sohnes geteilt und die geschenkte Sache für die seine gehalten haben. Wie im ersten Fall beginnt die Ehefrau zu ersitzen; auch hier muß die Schenkung also wirksam gewesen sein.? Das bedarf der Erklärung. Denn das Schenkungsverbot untersagt nicht nur Schenkungen, die Ehegatten einander machen, sondern auch Schenkungen, die dem einen Ehegatten aus dem Familienverband des anderen gemacht werden.B Folglich müßte die Schenkung, die der gewaltunterworfene Sohn des Ehemanns der Ehefrau macht, unwirksam sein. Warum ist sie es in diesem Fall nicht? Nach Kaser greift das Schenkungsverbot hier nicht ein, weil die Beteiligten nicht wissen, daß eine Ehegattenschenkung vorliegt. 9 Das ist in der Tat nicht auszuschließen. 1o Die erste Fallvariante legt indessen eine andere Erklärung nahe: Wahrscheinlich greift das Schenkungsverbot überhaupt nur dann ein, wenn die Schenkung nach den allgemeinen Regeln wirksam wäre und die Ehefrau die Sache des Ehemannes ohne weiteres zu eigen erwürbe. Die Verfügung eines nichtberechtigten extraneus ist aber schon nach den allgemeinen Regeln nicht wirksam und schmälert darum das Vermögen des Ehemanns nicht unmittelbar; aus diesem Grunde ist sie nicht verboten. Und wie dort der extraneus verfügt hier auch der Sohn als Nichtberechtigter ohne Verfügungsmacht.1 1 3. Die Ehefrau kann die begonnene Ersitzung nicht vollenden, wenn der Ehemann später von seinem Eigentum erfährt, aber nicht vindizieren will, und wenn die Ehefrau das weiß. Der Text begründet diese Rechtsfolge mit der Erklärung: quia (possessio) transiit in causam ab eo Jactae donationis. Seit Zanzucchi galt et hoc et mulier noverit als interpoliert 12 : Indem der Ehemann die Vindikation unterließ, habe er eine verbotene Ehegattenschenkung 7 Fitting 16 f. nimmt dagegen einen Putativtitel, Bonfante 569 "un titolo intrinsecamente viziato" an. Auch Mayer-Maly 60, 66 geht davon aus, daß die Ersitzung der Ehefrau in der zweiten Fallvariante eine Putativtitelersitzung ist; ebenso offenbar Mittelsten-Scheid 59 f. 8 Vip D 24.1.3.2 ff.; zu dem vom Schenkungsverbot betroffenen Personenkreis Misera, SZ 93 (1976) 33 ff., der jedoch nicht erklärt, warum die Schenkung des Sohnes hier wirksam ist. 9 Kaser 342. 10 Thayer 209 f. hält es dagegen für unglaubwürdig, daß das Schenkungsverbot durch einen Irrtum entkräftet wurde. 11 Nach dieser Theorie griffe das Schenkungsverbot also nur dann ein, wenn die schenkweise Verfügung des Sohnes ,an sich' wirksam wäre, wenn er also als Haussohn mit väterlicher Ermächtigung geschenkt hätte. Eine Schenkung, die ein Haussohn iussu aut voluntate patris vornimmt, ist wie eine Schenkung, die der pater selbst vorgenommen hat: vgl. Pomp D 39.5.9.2. 12 Zanzucchi 264; Bonfante 569 A.1; Riccobono 345; Seligsohn 33 A.122; Dumont 48 A.2 (49); Thayer 209 f.; Kaden 617 A.4; Aru 206; Niederländer 54; Pringsheim 675;
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1. Kap.: Ersitzung auf Grund der Verfügung eines Nichtberechtigten
vollzogen, die ohne weiteres - nämlich ohne der Annahme durch die Ehefrau zu bedürfen - zum Abbruch der Ersitzung führte. Doch wie Kaser zu Recht eingewandt hat, gibt das Unterlassen der Vindikation der Ehefrau nichts, was sie nicht schon haLl3 Den Ersitzungsbesitz hat sie vom extraneus erlangt; der Ehemann verzichtet lediglich darauf, ihr diesen Besitz zu entziehen; und das ist keine Zuwendung. Entgegen der älteren Interpretation glaubt Kaser, Neraz habe dem Verhalten der Ehegatten die Vereinbarung einer Schenkung entnommen, "die nun nicht mehr auf die bloße Usukapionsmöglichkeit, sondern auf das Eigentum selbst gerichtet" war. 14 Diese Schenkung sei verbotswidrig und nichtig gewesen. Sie soll aber die gültige frühere Schenkung des extraneus oder des Sohnes "gleichsam überlagert" und die causa des Besitzes verändert haben. Die Ehefrau habe jetzt "aus der nichtigen causa des Schenkungserwerbs von ihrem Mann" besessen. Dadurch werde nicht nur die Ersitzung abgebrochen; vielmehr verliere die Ehefrau sogar den Besitz, denn Neraz habe dem beschenkten Ehegatten nicht einmal Eigenbesitz zugebilligt.l5 Aber auch diese Interpretation ist nicht befriedigend. Das Bild von der ,Überlagerung der gültigen Schenkung' bietet keine dogmatische Erklärung für den Abbruch der Ersitzung. Die causa possessionis kann zwar durch die Vornahme eines zweiten Erwerbsgeschäfts verändert werden; dieses zweite Erwerbsgeschäft muß aber wirksam sein. Bei Julian findet sich folgendes Beispiel16 : Hat ein Käufer ein fremdes Grundstück bösgläubig vom Nichtberechtigten gekauft, so besitzt er es (in Julians Terminologie) pro possessore.17 Archi 105 f.; gegen sie Kaser 346 ff. (anders noch Eigentum und Besitz im älteren römischen Recht [2. Auf!. 1956] 356 A.59) und auch Mittelsten-Scheid 61 A.1. 13 Kaser 347 f. 14 Kaser 348. 15 Kasers Erklärung stimmen zu: Wolf! 480 ff., Greiner 13 und Mittelsten-Scheid 61 ff. Ähnlich wie Kaser hat schon Savigny 577 die Entscheidung erklärt: Es sei so anzusehen, "als hätte die Frau die Sache dem Mann, dessen Eigenthum sie anerkennt, wirklich zurück gegeben, und als Geschenk aus seiner Hand wieder empfangen." Durch die Rückgabe sei die laufende Ersitzung abgebrochen, und dem Beginn einer neuen Ersitzung sei das Schenkungsverbot entgegengestanden. Das klassische Recht konstruiert die brevi manu traditio jedoch nicht als eine Hin- und Rückgabe der Sache; das geht aus mehreren Stellen klar hervor: vgl. etwa Gai D 41.1.9.5, Pomp D 41.1.21.1, Vip D 6.2.9.1. Gordon, Studies in the Transfer of Property by traditio (1970) 36 ff., hebt zu Recht hervor, daß die brevi manu traditio in den Quellen behandelt wird "as an equivalent of traditio rather than as a form of it" (38); das Übereignungsgeschäft traditio könne ebenso durch körperliche Übergabe der Sache vollzogen werden wie durch brevi manu traditio (41 f.). Auch wenn die beiden Ehegatten vereinbart hätten, daß die Ehefrau die Sache jetzt vom Ehemann geschenkt erhält, hätten es die Juristen nicht so angesehen, als habe sie die Sache an den Ehemann zurückgegeben und von ihm wiedererhalten; ihr Besitz wäre also nicht unterbrochen worden. 16 Iul D 41.3.33.1 (dazu unten § 13 11); weitere Beispiele etwa bei Pomp D 41.3.32 pr. und Paul D 41.4.2.21. 17 Paulus dagegen bezeichnet auch den Besitz des bösgläubigen Käufers als Besitz pro emptore; vgl. Paul D 41.4.2.1.
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Kauft er das Grundstück ein zweites Mal von einem anderen Nichtberechtigten, den er aber für den Eigentümer hält, so beginnt er jetzt, pro emptore zu besitzen. Der wirksame und gutgläubige zweite Kauf hat eine Qualifizierung seines Besitzes bewirkt. Wenn das zweite Erwerbsgeschäft dagegen nichtig ist, bewirkt es nichts: weil es nichtig ist, kann es den Besitz des Erwerbers nicht in irgendeiner Weise qualifizieren; es bleibt dann vielmehr bei der bisherigen Besitzlage. 18 Die nichtige Ehegattenschenkung, die Kaser erschließen will, hätte der Ehefrau natürlich kein Eigentum verschafft, sie hätte ihr aber auch nicht den bereits erworbenen Usukapionsbesitz entzogen. Die Lösung des Falles kann mithin nicht darin liegen, daß die Sache der Ehefrau jetzt ein zweites Mal, und dieses Mal von ihrem Ehemann geschenkt wird. Von einer solchen Schenkung ist im Text auch gar nicht die Rede: Der Ehemann hat von seinem Eigentum erfahren, will aber nicht vindizieren. Das bedeutet nicht, daß er nun seinerseits die Sache schenken will. Er will lediglieh, daß seine Ehefrau die Sache behält, die ihr von dem extraneus (oder dem Sohn) geschenkt worden ist. Darin liegt die Genehmigung der Schenkungsverfügung, die der extraneus als Nichtberechtigter getroffen hat. Diese Genehmigung mußte natürlich geäußert werden; und daß diese Voraussetzung erfüllt ist, sagt der Text mit den Worten et hoc et mulier noverit. Die Genehmigung des Ehemannes verstößt jedoch gegen das Schenkungsverbot und ist darum unwirksam. Das ergibt folgende Überlegung: Eine wirksame Genehmigung verliehe der Verfügung des extraneus Wirksamkeit und verschaffte der Ehefrau die Sache zu eigen, und zwar als eine ihr vom extraneus geschenkte. 19 Folglich ist die Genehmigung eine Zuwendung an die Ehefrau: zugewandt wird ihr die Wirksamkeit der Schenkung des extraneus. Erfolgt diese Zuwendung unentgeltlich und um der Ehefrau zu schenken, ist sie eine donatio. 20 Aus diesem Grund verstößt die Genehmigung gegen das Schenkungsverbot. Und das hat Konsequenzen: Bevor der Ehemann die Genehmigung erteilte, war die Ersitzung der Ehefrau eine gewöhnliche Ersitzung auf Grund der Verfügung eines Nichtberechtigten. Die Ehefrau hatte nicht sofort Eigentum erworben, weil der extraneus ohne Ermächtigung über die fremde Sache verfügt hatte. Mit dem Schenkungsverbot hatte das nichts zu tun. Daher war die 18 Ein zweites unwirksames Erwerbsgeschäft kann allenfalls die Grundlage einer Putativtitelersitzung sein, falls der Erwerber es für wirksam hält. 19 Vgl. etwa Pap D 41.3.44.1; Paul D 13.7.20 pr. (für die Verpfändung); und zur Einwilligung Gai D 41.1.9.4; Vip D 6.1.41.1. Kaser, RP I 267 A.59 vermutet, daß die Zustimmung des Berechtigten nur honorarrechtliche Wirkung hatte. 20 Auch eine einseitige Zuwendung kann eine donatio sein, vgl. etwa Vip D 24.1.5.13 (Ausschlagung der Erbschaft, damit die Ehefrau erbt); Vip D 24.1.5.6 (Verzicht auf eine Servitut durch non usus); Vip D 24.1.5.4 (Tilgung einer Schuld des Ehemannes). Zu einseitigen Schenkungsakten schon Savigny 145 ff.; außerdem Biondi, Successione testamentaria e donazioni (2. Auf!. 1955) 694 ff.
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1. Kap.: Ersitzung auf Grund der Verfügung eines Nichtberechtigten
Ersitzung möglich. Die Rechtslage ändert sich aber mit der Genehmigung des Ehemannes. Wäre die Genehmigung wirksam, erwürbe die Ehefrau in diesem Augenblick das Eigentum. In unserem Fall findet kein Eigentumserwerb statt, weil die Genehmigung - wie wir gesehen haben - gegen das Schenkungsverbot verstößt und darum nichtig ist. Der Eigentumserwerb der Ehefrau scheitert jetzt also am Schenkungsverbot. Könnte sie die Ersitzung jetzt noch fortsetzen, wäre das eine Ersitzung gegen das Schenkungsverbot. Eine Ersitzung gegen das Schenkungsverbot ist jedoch nicht zulässig. Darum bricht die Ersitzung der Ehefrau ab. Von diesen Zusammenhängen ist Neraz offenbar ausgegangen, ohne sie zu erläutern. Seine Entscheidung wird einfach gelautet haben: interrumpetur possessio - der Usukapionsbesitz wird unterbrochen. Die Ersitzung bricht jedenfalls nicht ab, weil der Besitz der Ehefrau jetzt auf einer Schenkung des Ehemannes beruhte. Die Ehefrau hat den Besitz vom extraneus erlangt, und nichts konnte daran etwas ändern. Die Begründung quia transiit in causam ab eo factae donationis ist also nicht zutreffend. Der Satz ist vermutlich von einem Bearbeiter hinzugefügt worden, der Neraz' Entscheidung nicht verstand. 21 Greiner hat festgestellt, daß die !ibri membranarum in nachklassischer Zeit mit einem "Notenapparat" versehen worden sind. 22 Unter den erhaltenen 44 Fragmenten zählt er 11, in denen ein Bearbeiter Neraz' Entscheidung erläutert und begründet, ohne den die Entscheidung tragenden Gesichtspunkt zu verstehen. Der quia-Satz paßt in dieses Bild. 4. Der letzte Satz des Fragments behandelt den Fall, daß nur die Ehefrau später erfährt, daß die Sache dem Ehemann gehört. 23 Ihre Ersitzung wird dadurch nicht gehindert. Auch bei der usucapio pro donato ist also nachträgliche Bösgläubigkeit nicht schädlich. Das ergibt sich allerdings schon aus der vorausgehenden Entscheidung. Dort bricht die Ersitzung nicht wegen der nachträglichen Bösgläubigkeit der Ehefrau ab, sondern weil der Ehemann die Schenkung des extraneus unter Verstoß gegen das Schenkungsverbot genehmigt. Auch der abschließende non enim-Satz verallgemeinert nur noch einmal die ratio, die der Entscheidung der beiden Ausgangsfälle zugrundeliegt. Einige Autoren nehmen daher an, daß er bei Neraz unmittelbar auf den ersten Satz folgte. 24 Wahrscheinlicher ist jedoch, daß der Neraz-Text mit interrumpe21 Schon Kaden 617 A.4 nimmt an, daß der quia-Satz interpoliert ist, weil er keinen Sinn ergebe. 22 Greiner 65 ff.; unser Fragment beanstandet Greiner allerdings nicht. 23 lpsius mulieris - impedimentum halten für interpoliert: Zanzucchi 265 f.; Bonfante 568 A.l (569); Kaden 617 A.4; Aru 206 f.; Beseler 351. Dagegen vor allem Riccobono 345 A.l; Kaser 350 f.; Wolf! 483; Mittelsten-Scheid 63 A.1. 24 So Bonfante 568 A.l; Zanzucchi 263 f.; Beseler 351; Kaser 337 f. Anders dagegen Riccobono 345 A.l; Wolf! 483 f.; Misera 235 A.I13; Mittelsten-Scheid 55 A.4; auch Greiner 14 A.26 glaubt nicht an eine Umstellung; er meint, die "besonders schwierige Konstellation des letzten Falles" habe Neraz zu der Begründung veranlaßt.
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tur possessio endete und alles Folgende von dem späteren Bearbeiter stammt, der den quia-Satz hinzufügte. 25
5. Wir kehren noch einmal zu dem Ausgangsfall zurück. Wie wir inzwischen gesehen haben, bricht die laufende Ersitzung der Ehefrau ab, wenn der Ehemann nachträglich von seinem Eigentum erfährt und die Schenkung des extraneus genehmigt. Daraus folgt für den Ausgangsfall, daß die Ersitzung gar nicht begonnen hätte, wenn der Ehemann von Anfang an von seinem Eigentum gewußt und in die Schenkung des extraneus eingewilligt hätte. Aber auch die Einwilligung mußte natürlich geäußert werden. Die Annahme vieler Autoren26 , daß die Ersitzung auch ausgeschlossen gewesen wäre, wenn nur der Ehemann von seinem Eigentum gewußt hätte, ist daher nicht gerechtfertigt. Indem er die Schenkung des extraneus duldet, verschafft er der Ehefrau nicht den Usukapionsbesitz; durch seine Duldung verhindert er nur nicht, daß sie ihn durch die Schenkung des extraneus erhält. Hätte der extraneus dagegen mit Einwilligung des Ehemannes geschenkt, so hätte die Ehefrau die Sache weder unmittelbar durch die Schenkung erworben, noch hätte sie das Eigentum ersitzen können. Nur wenn der extraneus nicht ermächtigt ist, ist er imstande, der Ehefrau ,durch usucapio' Eigentum zu verschaffen. Diese Lösung ist merkwürdig, aber dogmatisch zwingend. Nur wenn der Ehemann der Schenkung des extraneus nicht zustimmt, scheitert die Schenkung nicht am Schenkungsverbot, sondern nur an der mangelnden Verfügungsbefugnis des extraneus. Die mangelnde Verfügungsbefugnis des extraneus aber kann durch die Ersitzung der Ehefrau ausgeglichen werden. Daß der Ehemann wegen des Schenkungsverbots gar nicht wirksam hätte zustimmen können, spielt keine Rolle: allein deswegen greift das Schenkungsverbot nicht ein. Nur wenn der Ehemann tatsächlich zustimmt, kommt das Schenkungsverbot zum Zuge. Darum ist der extraneus gerade nur dann imstande, der Ehefrau ,durch usucapio' Eigentum an der Sache ihres Ehemannes zu verschaffen, wenn ihn der Ehemann nicht ermächtigt hat. Ein dogmatisches Kuriosum. 11. Entsprechend kann der Ehemann selbst seiner Ehefrau nur dann schenkungshalber ,durch usucapio' Eigentum verschaffen, wenn er ihr eine Sache schenkt, die ihm nicht gehört: Pomp 24 ad Qu Mucium D 41.6.3 27 Si vir uxori vel uxor viro donaverit, si aliena res donata fuerit, verum est, quod Trebatius putabat, si pauperior is qui donasset non fieret, usucapionem possidenti procedere. 25 Später hinzugefügte Verallgemeinerungen hat Greiner 38 ff. bei drei der überlieferten Fragmente festgestellt. 26 Vgl. oben A.5. 27 Savigny, System des heutigen Römischen Rechts IV (1841) 113 ff.; Stintzing, Bona Fides (1852) 81 ff.; Unterholzner / Schirmer, Verjährungslehre I (1858) 392; Fitting,
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1. Kap.: Ersitzung auf Grund der Verfügung eines Nichtberechtigten
Der Einfachheit halber beschränken wir uns auf die erste Fallvariante, in welcher der Ehemann der Schenker ist. Hätte der Ehemann seiner Ehefrau eine eigene Sache geschenkt, wäre der Fall unproblematisch gewesen: Die Schenkung wäre eine verbotene Ehegattenschenkung und darum nichtig; die Ehefrau hätte die geschenkte Sache weder unmittelbar zu eigen erworben, noch hätte sie das Eigentum ersitzen können. 28 Hier hat der Ehemann jedoch eine Sache geschenkt, die einem Dritten gehörte. Diese res aliena kann die Ehefrau nach Ansicht von Trebaz und Pomponius ersitzen. 29 Die Interpretation dieser Entscheidung ist in zweifacher Hinsicht kontrovers. Zum einen ist streitig, wie der si pauperior-Satz zu verstehen ist, zum anderen, wie Trebaz und Pomponius annehmen konnten, daß die Ehefrau den für die Ersitzung erforderlichen guten Glauben hat. 1. Wir beginnen mit der ersten Frage. Nach der Meinung Miseras und einer Reihe älterer Autoren enthält der si pauperior-Satz eine Einschränkung. 3o Trebaz und Pomponius sollen die Ersitzung der Ehefrau von einer doppelten Voraussetzung abhängig gemacht haben: Nur wenn der Ehemann der Ehefrau eine fremde Sache geschenkt habe und nur wenn er durch diese Schenkung nicht ärmer geworden sei, könne die Ehefrau ersitzen. Auch durch die Schenkung einer fremden Sache, so folgern Misera und seine Vorgänger, könne der Ehemann also ärmer werden. 3! Dann greife das Schenkungsverbot ein, und die Ersitzung der Ehefrau sei ausgeschlossen. Das entscheidende Kriterium für die Entreicherung des Ehemannes sehen Misera und seine Vorgänger in der Art und Weise, wie der Ehemann die Sache besaß: Besaß er die fremde Sache, ohne sie ersitzen zu können, dann werde sein Vermögen durch die AcP 52 (1869) 15 f.; Appleton, Histoire de la propriete pretorienne et de l'action Publicienne I (1889, Neudruck 1974) 289; Klein, Sachbesitz und Ersitzung (1891) 289 ff.; Bonfante (1894), Scritti giuridici 11 (1918) 566; Pernice, Labeo 11 1 (1895) 468 ff.; Bechmann, Der Kauf nach gemeinem Recht III 1 (1905) 65 A.3; Beseler, SZ 45 (1925) 226 f.; Haymann, JherJb. 77 (1927) 189; Dumont, Les donations entre epoux en droit romain (1928) 190 ff.; Betti, Esercitationi romani stiche su casi pratici I (1930) 126; Kaser, Krit. Vjschr. 23 (1930) 344 f.; Beseler, SZ 51 (1931) 190; Aru, Le donazioni fra coniugi in diritto romano (1938) 74, 198; Nicosia, AG 151 (1956) 67; Misera, Der Bereicherungsgedanke bei der Schenkung unter Ehegatten (1974) 70 ff.; Mayer-Maly, SZ 93 (1976) 424 f. 28 Vgl. Paul D 41.6.1.2. 29 Ohne Begründung verkehrt Beseler, SZ 51, 190 Pomponius' Entscheidung in ihr Gegenteil; er liest nämlich: verum est quod Trebatius putabat [-J usucapionem possidenti procedere. Anders noch in SZ 45, 226 f., wo sich Beseler mit der Streichung des si pauperior-Satzes begnügte. 30 So Savigny 113 f.; Schirmer 392 A. *; Bonfante 556; Bechmann 65 A.3; Dumont 190 A.2; Nicosia 67; Misera 70 ff. Beseler (vgl. A.29) und Aru 74 A.1 halten den si pauperior-Satz dagegen für interpoliert. Betti 126 liest cum statt si. 31 Anders Stintzing 81, Appleton 289 A.22, Pernice 469, Haymann 189 und Kaser 344: Ohne allerdings auf den si pauperior-Satz einzugehen, nehmen sie ohne weiteres an, daß der Schenker durch die Schenkung einer fremden Sache niemals ärmer werde.
§ 8. Neratius D 24.1.44 und Pümpünius D 41.6.3
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Schenkung an die Ehefrau nicht verringert; war er dagegen Ersitzungsbesitzer , dann werde er durch die Schenkung ärmer. 32 Ersitzungsbesitz habe nämlich einen "Vermögenswert" , und zwar - wie Misera schreibt - "schon wegen der Möglichkeit der actia Publiciana und vor allem wegen der Anwartschaft auf den Eigentumserwerb. "33 Das Schenkungsverbot komme daher nur dann nicht zur Anwendung, wenn der Ehemann keinen Ersitzungsbesitz gehabt habe; nur dann könne die Ehefrau ersitzen. 34 Ich glaube nicht, daß diese Ansicht richtig ist. Schon Fitting hat hervorgehoben, daß der Text "schwerlich einen genügenden Grund" für die Annahme liefere, der Ehemann dürfe die fremde Sache nicht einmal in Usukapionsbesitz gehabt haben. 35 Aus keiner anderen Quelle ergibt sich, daß das Schenkungsverbot den Ersitzungsbesitz zum geschützten Ehegattenvermögen zählte 36 ; im Gegenteil: in der einzigen anderen Entscheidung, in der eine fremde Sache Gegenstand einer Ehegattenschenkung ist, geht Terentius C1emens ohne weiteres davon aus, daß die Schenkung den schenkenden Ehegatten nicht ärmer macht. 37 Es versteht sich auch keineswegs von selbst, daß der Ersitzungsbesitz unter das Schenkungsverbot fiel. Auch der gutgläubige Besitz einer fremden Sache, der kein Ersitzungsbesitz ist, ist eine geschützte Rechtsposition und hat ,Vermögenswert' . Das ergibt sich beispielsweise daraus, daß der gutgläubige Besitzer nicht verpflichtet ist, dem Eigentümer die Nutzungen und Gebrauchsvorteile zu erstatten, und daß er die actia furti anstrengen kann, wenn ihm die Sache gestohlen wird. 38 Dennoch greift das Schenkungsverbot offensichtlich nicht ein, wenn der Ehemann seiner Ehefrau eine Sache schenkt, die er gutgläubig besitzt; im Sinne des Schenkungsverbots wird er durch diese Schenkung nicht ärmer. Das Schenkungsverbot erfaßt also nicht jede Position, die 32 Sü außer Savigny, Schirmer, Bonfante, Dumont und Misera (A.30) auch MayerMaly 424 f., der allerdings meint, der Zusammenhang zwischen Ersitzungsbesitz und Entreicherung ergebe sich nicht aus D 41.6.3., sündern nur aus Pümp D 23.3.6.1 (vgl. unten A.39); üb auch schün Trebaz die Grenzlinie zwischen einfachem Besitz und Ersitzungsbesitz gezogen habe, bleibe .offen. 33 Misera 70; Savigny 114 bezeichnet den Ersitzungsbesitz sügar als ein "wahres Recht"; zustimmend Bonfante 566. 34 Wie auch Misera 71 A.7 einräumt, dürfte das ein seltener Fall gewesen sein - allerdings nicht ganz sü selten wie Fitting meint: In Betracht kümmt nämlich nicht nur der Fall, daß der Ehemann bösgläubig ein fremdes Grundstück schenkt (sü aber Fitting 15 A.110 (16]), sündern vür allem der Fall, daß der Ehemann gutgläubig eine fremde Sache schenkt, die er mangels eines wirksamen Erwerbsgrundes nicht ersitzen künnte. 35 Fitting 15 A.110; sü auch Mayer-Maly 424 f., der diese Meinung allerdings aus Pümp D 23.3.6.1 (vgl. üben A.32 und unten A.39) ableiten will. 36 Es versteht sich, daß es nicht um eine Sache geht, die im bünitarischen Eigentum des Ehegatten ist; sie wäre nicht als aliena res bezeichnet würden. 37 Ter Clem D 24.1.25. Nach Misera 75 A.30 Süll Terentius Clemens "hier nicht sü genau" gewesen sein; Misera will die Entscheidung "im Sinne vün D 41.6.3" verstehen. 38 Zur actio furti des gutgläubigen Besitzers Iav D 47.2.75.
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1. Kap.: Ersitzung auf Grund der Verfügung eines Nichtberechtigten
,Vermögenswert' hat; daß es den Ersitzungsbesitz erfaßt, ist darum nicht selbstverständlich. Die Unterscheidung zwischen einfachem Besitz und Ersitzungsbesitz kann sich mithin nur auf den si pauperior-Satz unserer Stelle berufen. 39 Folgt aber wirklich aus diesem Satz, daß es Fälle geben muß, in denen der Schenker durch die Schenkung einer res aliena ärmer wird? Ich glaube nicht. Pomponius schildert in den ersten beiden Sätzen den Sachverhalt: si vir uxori vel uxor viro donaverit, si aliena res donata fuerit. Auf die Fallschilderung folgt seine Entscheidung40 : verum est, quod Trebatius putabat. Trebaz war der Ansicht, daß die Ersitzung möglich sei, wenn der Schenker nicht ärmer werde: si pauperior is qui donasset non fieret, usucapionem possidenti procedere. Sollte Trebaz mit diesen Worten wirklich nicht den Fall entschieden, sondern nur gemeint haben, daß man bei der Schenkung einer fremden Sache unterscheiden müsse, ob der Schenker ärmer werde oder nicht? Und sollte Pomponius ihn wirklich nur zitiert haben, um für die Notwendigkeit dieser Unterscheidung eine Autorität anzuführen? Das ist kaum vorstellbar. Wären Trebaz und Pomponius der Ansicht gewesen, daß eine res aliena unter bestimmten Voraussetzungen zum geschützten Ehegattenvermögen gehört und darum dann vom beschenkten Ehegatten nicht ersessen werden kann, so hätten sie das entscheidende Kriterium - zum Beispiel daß der Ehegatte Ersitzungsbesitzer ist - ohne Zweifel auch genannt; denn genau auf dieses Kriterium wäre es für die Entscheidung des Falles ja angekommen. Si pauperior is qui donasset non fieret liefert keine klare Abgrenzung, sondern ist vielmehr auslegungsbedürftig: wie gerade die moderne Diskussion zeigt, liegt ja nicht auf der Hand, unter welchen Umständen der Schenker einer res aliena ärmer wird. Nach all dem ist davon auszugehen, daß der si pauperior-Satz keine weitere Voraussetzung für die Ersitzung aufstellt, wenn der Ehemann der Ehefrau eine fremde Sache geschenkt hat. Das ist schon von Fitting richtig gesehen worden. 41 Seine Erklärung des si pauperior-Satzes ist allerdings auch nicht befriedigend: Fitting nimmt nämlich an, Trebaz habe allgemein erklärt, daß die Ersitzung möglich sei, wenn der Schenker nicht ärmer werde; und Pompo39 Zum Beweis, daß Pomponius eine im Ersitzungsbesitz befindliche res aliena zum Vermögen des Besitzers zählte, führt Misera 71 noch Pomp 14 ad Sab D 23.3.6.1 an: Si paler alienum fundum bona fide emplum in dolem dedit, ab ipso profeclus inlellegitur. Pomponius habe also "ein und denselben Vermögensbegriff für die Schenkung unter Ehegatten und für die dos profeclicia" gehabt (Misera 71 A.6; insoweit zustimmend Mayer-Maly 424 f.). In D 23.3.6.1 kommt es jedoch gar nicht darauf an, ob der paler selbst Ersitzungsbesitzer war. Entscheidend ist allein, daß er die fremde Sache als dos gegeben und dem Ehemann dadurch den Besitz und die Ersitzungsmöglichkeit verschafft hat (vgl. oben § 3 I, besonders A.5). 40 Misera 71 ff. vermutet, daß der Fall umstritten war; ein älterer Jurist, wohl Quintus Mucius, habe eine andere Auffassung vertreten als Trebaz; diese abweichende Meinung habe Pomponius mitgeteilt, ehe er sich Trebaz anschloß. 41 Fitting 15 A.110.
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nius stelle nun fest, daß dieser Satz zutreffe, wenn eine fremde Sache geschenkt worden sei. Doch was Pomponius als Trebaz' Meinung wiedergibt, ist kein allgemeiner Lehrsatz. Das Zitat paßt ausschließlich auf den Fall der Schenkung einer fremden Sache. Kein Zweifel also, daß sich Trebaz zu eben dem Fall äußerte, zu dem Pomponius ihn zitiert: daß ein Ehegatte dem anderen eine fremde Sache geschenkt hat und zur Diskussion stand, ob der Beschenkte ersitzen könne. Trebaz' Antwort lautete: ,Wenn der Schenker nicht ärmer wird, ist die Ersitzung möglich.' Dieser Satz enthält sowohl die Entscheidung des Juristen wie deren Begründung. Ausführlicher hätte Trebaz antworten können: ,Der beschenkte Ehegatte kann ersitzen. Denn die Ersitzung ist möglich, wenn das Schenkungsverbot nicht eingreift, und das Schenkungsverbot greift nicht ein, wenn der Schenker nicht ärmer wird.' Das ist der Sinn des si pauperior-Satzes. 42 Res alienae zählten nicht zum geschützten Ehegattenvermögen. Schenkte ein Ehegatte dem anderen eine res aliena, dann war die Schenkungs abrede wirksam und die Ersitzung darum möglich. 2. Wir kommen zur zweiten Schwierigkeit des Fragments. Die Ersitzung der Ehefrau setzt nicht nur eine wirksame Schenkungs abrede voraus, sondern auch bona fides. Kann die Ehefrau aber überhaupt gutgläubig gewesen sein? Mit dieser Frage hat sich die Literatur außerordentlich schwer getan. 43 Entweder wußte die Ehefrau, daß ihr Ehemann nicht Eigentümer der geschenkten Sache war; dann war sie auf jeden Fall bösgläubig. Oder sie glaubte, daß die Sache ihrem Ehemann gehörte; dann mußte sie aber auch annehmen, daß eine verbotene Ehegattenschenkung vorlag und daß sie aus diesem Grund kein Eigentum an der geschenkten Sache erworben hatte. Nach Pernice ein ,unausweichliches Dilemma'. 44 Beseler hat es aufgelöst 45 : "Gutgläubigkeit ist nicht das Nichtwissen des Nichterwerbs des Eigentums, sondern das Nichtwissen des Eigentümerseins eines Dritten." Die bona fides des Ersitzungsbesitzers ist nicht der gute Glaube an den eigenen Eigentumserwerb. Gutgläubig ist vielmehr, wer den Veräußerer für den Eigentümer hält. 46 Das sagt auch: 42 Aus der Entscheidung von Trebaz ergibt sich nicht, daß ältere Juristen das Schenkungsverbot unabhängig davon anwendeten, ob der schenkende Ehegatte durch die Schenkung ärmer wurde oder nicht. Entgegen Misera 72 f. liefert das Fragment aber gerade auch kein Indiz dafür, daß das Schenkungsverbot von Anfang an ein bereicherungsrechtliches Element enthielt. 43 Vgl. die verschiedenen Erklärungsversuche von Savigny 114 f.; Stintzing 81 f.; Appleton 289; Bonfante 566 A.3; Pernice 469 ff.; Dumont 190 ff. Misera 73 A.20 (vgl. auch 197 A.4) sieht die Lösung jetzt darin, "daß es auf die bona fides hinsichtlich des Schenkungsverbots gar nicht angekommen war." 44 Pernice 469. 45 Beseler, SZ 45,227; zustimmend Kaser 344 f. 46 So auch schon klar und eindeutig Klein 291: "Denn mag der Beschenkte vom gesetzlichen Schenkungsverbote wissen oder nicht, es vereinigen sich hinsichtlich einer vom Schenkungsverbote unberührten Zuwendung Causa und Glaube an Eigenthum des Schenkenden. Mehr bedarf es zur Ersitzung nicht." Von Pernice 470 A.l zu Unrecht kritisiert.
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1. Kap.: Ersitzung auf Grund der Verfügung eines Nichtberechtigten Gai II.43 47 Ce te rum etiam earum rerum usucapio nobis conpetit, quae non a domino nobis traditae fuerint, sive mancipi sint eae res sive nec mancipi, si modo eas bona fide acceperimus, cum crederemus eum, qui traderet, dominum esse.
Nach dieser Definition handelt die Ehefrau bona fide, wenn sie bei der Schenkung glaubt, ihr Ehemann sei der Eigentümer der geschenkten Sache. Damit sind jedoch noch nicht alle Schwierigkeiten behoben. Nach Pernice, Hausmaninger und Misera hat Pomponius nämlich strengere Maßstäbe als andere Juristen angelegt und auf Redlichkeit besonderen Wert gelegt. 48 Das soll sich aus folgendem Fragment ergeben: Pomp 32 ad Sab D 41.3.32.1 49 Si quis id, quod possidet, non putat sibi per leges licere usucapere, dicendum est, etiamsi erret, non procedere tarnen eius usucapionem, vel quia non bona fide videatur possidere vel quia in iure erranti non procedat usucapio.
Die Echtheit der Entscheidung wird heute nicht mehr bezweifelt. 50 Der Streit geht nur noch darüber, ob auch die alternative Begründung vel quia non bona fide videatur possidere vel quia in iure erranti non procedat usucapio von Pomponius stammPl Wenn Pomponius aber wirklich der Ansicht war, daß die irrtümliche Annahme, nicht ersitzen zu können, die an sich mögliche Ersitzung hindert, dann fragt sich allerdings, wie er in D 41.6.3, im Fall der Ehegattenschenkung, die Ersitzung der Ehefrau zulassen konnte. Denn die Ehefrau muß ja angenommen haben, daß eine verbotene Ehegauenschenkung vorlag und sie aus diesem Grund nicht ersitzen konnte.
47 Über diesen und andere Texte zum Gegenstand der bona fides vgl. Hausmaninger, Bona fides 7 ff. 48 Pernice 469 ff.; Hausmaninger (A.47) 72 ff.; Misera 73 A.20. 49 Klein, Sachbesitz und Ersitzung (1891) 289 ff.; Pernice, Labeo II 1 (1895) 470 ff.; Beseler, SZ 44 (1924) 379 f.; Scheltema, Rechtsgeleerd Magazijn 1937,266 f.; Voci, Modi (1952) 229; van Warmelo, TR 22 (1954) 17; v. Lübtow, Fs. zum 41. Deutschen Juristentag (1955) 167 f.; Zilletti, La dottrina dell' errore nella storia dei diritto romano (1961) 173 f.; Mayer-Maly, Putativtitelproblem (1962) 111 f.; Hausmaninger, Bona fides (1964) 72 ff.; Wubbe, TR 32 (1964) 601; Kaser, RP I (1971) 423 A.55; Winkel, Error iuris nocet: Rechtsirrtum als Problem der Rechtsordnung I (1985) 94 f., 100. 50 Anders noch v. Lübtow 167 f.: Pomponius habe die Ersitzung mit der Begründung plus est in re quam in existimatione zugelassen. Ein byzantinischer Bearbeiter habe den Fall unter einem ethischen Aspekt betrachtet, die Gesinnung des Besitzers für verwerflich gehalten und als Strafe die Usukapion versagt. 51 Pernice 470 ff. hält die Erwähnung des Rechtsirrtums für interpoliert; ihm folgt Voci 229; ebenso van Warmelo 17 und Zilletti 173 f.; Beseler 379 f. und Scheltema 267 f. streichen beide vel-Sätze, vorsichtig zustimmend neuerdings Winkel 94 f. Auch MayerMaly 112 und Wubbe 601 finden die Doppelbegründung ,anstößig'. Für echt halten die beiden vel-Sätze dagegen Hausmaninger 74 und Kaser 423 A.55. Nach Hausmaninger soll die Doppelbegründung "als bewußter Brückenschlag zwischen usucapio und allgemeiner Irrtumslehre angesehen werden" können.
§ 8. Neratius D 24.1.44 und Pomponius D 41.6.3
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Der scheinbar unlösbare Widerspruch zwischen den beiden Fragmenten beruht jedoch auf einem falschen Verständnis von D 41.3.32.1. Die meisten Autoren gehen ohne weiteres davon aus, daß sich der Text auf sämtliche Arten der Ersitzung bezieht. 52 Das ist jedoch ausgeschlossen. Nach Pomponius soll derjenige nicht ersitzen können, der irrtümlich glaubt, die Ersitzung sei ihm verboten. Das paßt aber nicht für die Ersitzung auf Grund eines gutgläubigen Erwerbs vom Nichtberechtigten. 53 Denn wer gutgläubig eine fremde Sache vom Nichtberechtigten erworben hat, glaubt ja in aller Regelwenn auch nicht notwendig, wie wir gesehen haben 54 - daß er das Eigentum erworben hat und nicht erst ersitzen muß. Die Entscheidung des Pomponius paßt vielmehr nur auf jene Fälle, in denen die Notwendigkeit der Ersitzung offenliegt, der Besitzer also weiß, daß er noch nicht Eigentümer ist, sondern erst durch Ersitzung werden kann. Zu dieser Fallgruppe gehören die usureceptio einer fiduciae causa übereigneten Sache und die usucapio pro derelicto und gehört die Ersitzung einer tradierten res mancipi. 55 Und für diese Arten der Ersitzung verlangt Pomponius, daß der Besitzer weiß, daß ihm die Ersitzung gestattet ist; glaubt er irrtümlich, nicht ersitzen zu können, soll die Ersitzung ausgeschlossen sein. 56 Mit ,Moral' oder ,Redlichkeit' oder einem "strengeren ethischen Grundkonzept"57 hat Pomponius' Lehre wohl nichts zu tun. Vermutlich wollte der 52 Nur an einen einzigen Anwendungsfall denkt dagegen Pernice 470 f.: den Fall, daß ein Käufer die gekaufte Sache irrtümlich für eine res furtiva hält. Wie sollen wir uns das aber vorstellen? Hat der Käufer tatsächlich vom Eigentümer erworben, ist eine Ersitzung nicht erforderlich; hat er aber vom Nichteigentümer erworben, scheitert die Ersitzung daran, daß er die Sache für eine res furtiva hielt und folglich nicht an das Eigentum des Veräußerers glaubte. 53 Darauf weist schon Wubbe 601 hin: Das "Merkwürdige der Stelle" liege darin, daß der Besitzer, hätte er nicht geirrt, gewußt hätte, daß er ersitzen kann und muß: "Der ,normale' gutgläubige Besitzer aber glaubt keineswegs, er könne oder müsse ersitzen; er glaubt, er sei Eigentümer." Nur beim Traditionserwerb einer res mancipi, bei der usucapio pro herede, der usureceptio und im Fall nachträglicher Bösgläubigkeit wisse der Besitzer, daß er nicht Eigentümer sei. Wubbe zieht jedoch nicht den Schluß, daß Pomponius also diese Fälle gemeint haben muß. Er hält es vielmehr für "höchst unwahrscheinlich", daß Pomponius die Ersitzung in diesen Fällen mangels Gutgläubigkeit versagt hat, denn guten Glauben setzte die Ersitzung in diesen Fällen ja anerkanntermaßen gar nicht voraus. 54 Vgl. oben bei AA5. 55 Anders liegt der Fall bei der usucapio pro herede. Pro herede kann sowohl der Bösgläubige ersitzen, der weiß, daß ihm die Erbschaft nicht zusteht, wie auch der Gutgläubige, der sich für den Erben hält; vgl. dazu Kaser, St. Biscardi 11 (1982) 239 ff. 56 Diese Interpretation von D 41.3.32.1 wird bestätigt durch Pomp D 41.10.3: Aus dieser Entscheidung zur Putativtitelersitzung ergibt sich, daß nach Neraz und Pomponius nur derjenige eine tradierte res mancipi ersitzen kann, der weiß oder glaubt, daß er alle Voraussetzungen der Ersitzung erfüllt; ausführlich dazu unten § 16 I. 57 Hausmaninger 76; vgl. auch Pernice 471 und v. Lübtow 167 f., der die Entscheidung einem Byzantiner zuschreibt, der dazu neigte, "objektive Tatbestände moralisierend zu betrachten."
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1. Kap.: Ersitzung auf Grund der Verfügung eines Nichtberechtigten
Jurist nur ausschließen, daß jemand ersitzt und Eigentum erwirbt, ohne es zu wissen und zu wollen. 58 Daher kann nach Pomponius der Ersitzungsbesitz an einer Sache, die der Besitzer fiduciae causa übereignet hatte, an einer res derelicta und an einer tradierten res mancipi nur wissentlich - und damit willentlich - erworben werden. Nach diesem Ergebnis müssen die bei den vel-Sätze am Ende von D 41.3.32.1 ein späterer Zusatz sein59 : Pomponius ging es weder um die bona fides noch um die Schädlichkeit des Rechtsirrtums. D 41.3.32.1 steht nicht im Widerspruch mit D 41.6.3. Pomponius hatte, was die bona fides angeht, keine strengeren Maßstäbe als die anderen Juristen. Gutgläubig war auch nach Pomponius, wer an das Eigentum des Veräußerers glaubte. In D 41.6.3 hat die Ehefrau diesen guten Glauben. Darum kann sie die von ihrem Ehemann geschenkte Sache ersitzen.
58 Denselben Zweck, einen nicht bewußten und nicht gewollten Eigentumserwerb auszuschließen, hat vermutlich die - offenbar von allen Juristen anerkannte - Regel, daß pro derelicto nur derjenige ersitzen kann, der eine derelinquierte Sache wissentlich als solche ergriffen hat, und pro herede nur derjenige, der weiß, daß die Sache eine res hereditaria ist. Krüger, SZ 54 (1934) 83 f. und Mnemosyne Pappulias (1934) 182, erklärt das Erfordernis der scientia bei der usucapio pro derelicto und der usucapio pro herede freilich anders: Der Eigentümer, der sein Recht auf Ersitzung stütze, müsse beweisen, daß seiner Ersitzung von Anfang an ein bestimmter Ersitzungstitel zugrunde gelegen habe; und das könne er nur, wenn er den Titel damals schon gekannt habe. Kaser (A.55) 241 A.74 stimmt Krügers Erklärung zu. Ich halte sie nicht für überzeugend. 59 Vgl. oben bei A.51.
2. Kapitel
Die Putativtitelersitzung und ihre schuldrechtlichen Folgen A. Die Voraussetzungen der Putativtitelersitzung § 9. Vorbemerkung
In der klassischen Jurisprudenz war unstreitig, daß die Ersitzung stattfindet sowohl auf Grund einer traditio ex iusta causa, die ein Nichtberechtigter vornimmt, als auch auf Grund eines Vindikationslegats, das ein Nichtberechtigter aussetzt. Streit bestand dagegen über die Zulässigkeit der heute sogenannten Putativtitelersitzung1: Vip 31 ad Sab D 41.3.27 Celsus libro trigensimo quarto errare eos ait, qui existimarent, cuius rei quisque bona fide adeptus sit possessionem, pro suo usucapere eum posse nihil referre, emerit nec ne, donatum sit nec ne, si modo emptum vel donatum sibi existimaverit, quia neque pro legato neque pro donato neque pro dote usucapio valeat, si nulla donatio, nulla dos, nullum legatum sit. idem et in litis aestimatione placet, ut, nisi vere quis litis aestimationem subierit, usucapere non possit.
Celsus kritisierte, daß einige, nicht beim Namen genannte Juristen die Ersitzung auch dann zulassen wollten, wenn der Besitzer keinen wirksamen Erwerbsgrund hatte, sondern lediglich glaubte, er habe ex iusta causa erworben. 2 Welche schuldrechtlichen Folgen traten nach Ansicht dieser Juristen 1 In den Quellen wird der Begriff titulus putativus nicht verwendet. Er hat sich jedoch in der Pandektenliteratur eingebürgert, und heute ist es allgemein üblich, vom Putativtitel und von der Putativtitelersitzung zu sprechen. Allerdings verwenden nicht alle Autoren diese termini in derselben Bedeutung: Jakobs, Error falsae causae 51 f., spricht nur dann von einem Putativtitel, wenn "von dem Besitzer ein Erwerbsgrund angenommen wird, der überhaupt nicht, auch in ungültiger Weise nicht vorliegt." Die meisten Autoren verwenden den Begriff immer dann, wenn es an einer wirksamen Erwerbskausa fehlt, der Besitzer aber irrtümlich glaubt, daß eine wirksame Erwerbskausa vorliegt; vgl. etwa Kaser, RP I 421, und die Übersicht bei Jakobs 51 A.36. Wir folgen diesem üblichen Sprachgebrauch. 2 Das entnimmt die Auslegung - trotz vieler Differenzen im einzelnen - nahezu einhellig dem Fragment; vgl. etwa Mayer-Maly, Putativtitelproblem 31 ff. m.w.Lit. Anders versteht dagegen Jakobs, Error falsae causae 74 ff., den Text: Im ersten Satz gehe es nicht, wie allgemein angenommen werde, um zwei verschiedene Fallvarianten, sondern nur um einen Fall: Der Besitzer habe eine alternative Vorstellung von seinem Erwerbsgrund, er glaube nämlich, er habe die Sache entweder gekauft oder geschenkt erhalten, und eines von beiden stimme auch. Celsus' Gegner hätten die Ersitzung zugelassen, auch wenn nicht geklärt war, ob der Besitzer die Sache gekauft oder geschenkt
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2. Kap.: Putativtitelersitzung - A. Voraussetzungen
ein, wenn der Usukapient die Ersitzung vollendete? Konnte er die ersessene Sache endgültig behalten, oder konnte sie kondiziert werden? Wer die Putativtitelersitzung zuließ, mußte diese Frage beantworten. In der modernen Literatur ist die Frage nach den schuldrechtlichen Folgen der Putativtitelersitzung kaum jemals gestellt worden. Nur ganz vereinzelt findet sich eine vorsichtige Vermutung: So meint Kaser, es sei zu erwägen, daß die Juristen "soweit sie dem Putativtitel die Kraft beimaßen, die Ersitzung zu tragen, ihm auch die Wirkung zubilligten, die condictio auszuschließen. "3 Schulz und Mayer-Maly sind offenbar anderer Ansicht, gehen der Frage aber nicht weiter nach. 4 Bekanntlich setzt die condictio voraus, daß der Kondiktionsgläubiger dem Kondiktionsschuldner quiritisches Eigentum verschafft hat. Dazu bedarf es grundsätzlich einer wirksamen datio. Wie wir im ersten Kapitel gesehen haben, genügt aber auch eine Eigentumsverschaffung ,durch usucapio'. Wenn ein Nichtberechtigter über eine fremde Sache verfügt und der Erwerber sie ersitzt, dann gilt sein Eigentumserwerb als ein Erwerb, den der Nichtberechtigte bewirkt hat. Folglich kann der Nichtberechtigte die ersessene Sache kondizieren, falls er sie zur Tilgung einer in Wahrheit nicht bestehenden Schuld geleistet hat oder falls er sie auf den Todesfall geschenkt, .seine Gesundheit dann aber wiedererlangt hat. 5 In diesem Kapitel ist nun zu untersuchen, ob dieselben Grundsätze, die für den Eigentumserwerb durch eine ,titulierte' Ersitzung gelten, auch für den Eigentumserwerb durch Putativtitelersitzung gelten. Unsere Kernfrage lautet darum: Wurde der Eigentumserwerb durch Putativtitelersitzung als rechtsgrundloser Erwerb ab alio angesehen? Wurde er so angesehen, dann konnte die ersessene Sache kondiziert werden. Eine Einschränkung ist allerdings von vornherein zu machen: Eine condictio gegen den Usukapienten kommt nur dann in Betracht, wenn er die occasio zu der Putativtitelersitzung durch eine (unwirksame) Verfügung erlangt hat. Hat er beispielsweise eine Sache gutgläubig von einem furiosus gekauft und dann ersessen, dann könnte es nach vollendeter Ersitzung so angesehen werden, als habe er das Eigentum ohne rechtfertigenden Grund von dem furiosus erlangt; dem furiosus könnte darum die condictio zustehen. Eine condictio kommt dagegen gar nicht in Betracht, wenn sich der Besitzer bloß vorstellt, eine Sache durch Kauf erworben zu haben, während in Wahrheit gar kein Kauf (nämlich auch kein unwirksamer) stattgefunden hat. Wäre auch in erhalten hat, während Celsus die Ersitzung dann nicht zugelassen habe. Dieses Textverständnis steht und fällt mit Jakobs' These, daß die Klassiker gar nicht über die Zulässigkeit der Putativtitelersitzung gestritten haben, sondern lediglich darüber, ob die Ersitzung auch bei einem error falsae causae zuzulassen sei; Näheres sogleich im Text. 3 Kaser, Fs. Felgentraeger (1969) 282. 4 Schulz, SZ 52 (1932) 547; Mayer-Maly, Putativtitelproblem (1962) 144. 5 Vgl. oben § 1 III und § 4.
§ 9. Vorbemerkung
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diesem Fall eine Putativtitelersitzung gestattet worden, so hätte sie notwendig zum endgültigen, nicht mehr kondizierbaren Eigentumserwerb des Usukapienten führen müssen. Denn einen Verkäufer, dem die condictio nach vollendeter Ersitzung hätte gewährt werden können, gibt es ja in diesem Fall gar nicht. Es ist daher angezeigt, zunächst zu klären, in welchen Fällen und unter welchen Voraussetzungen eine Putativtitelersitzung überhaupt zugelassen wurde. Celsus' Kritik, die Ulpian in D 41.3.27 berichtet, läßt keinen sicheren Schluß zu, unter welchen Voraussetzungen seine Gegner die Putativtitelersitzung gestattet haben. Haben sie die Putativtitelersitzung nur gestattet auf Grund eines unwirksamen Erwerbsgeschäfts, das der Erwerber irrtümlich für wirksam hält - oder auch dann, wenn sich der ,Erwerb er' das Erwerbsgeschäft bloß vorstellt, während es in Wirklichkeit gar nicht stattgefunden hat? Und haben sie die Putativtitelersitzung nur bei einem vermeintlichen Erwerb durch Kauf oder Schenkung zugelassen - oder auch bei einem vermeintlichen Erwerb durch dos-Bestellung oder Vindikationslegat? Zuverlässige Auskunft über die Voraussetzungen der Putativtitelersitzung ist nur aus den Fragmenten zu gewinnen, die konkrete Entscheidungen zur Putativtitelersitzung überliefern. Bei ihrer Exegese haben wir uns vor allem mit Mayer-Maly und Jakobs auseinanderzusetzen, die beide das Problem der Putativtitelersitzung eingehend erörtert haben, aber zu völlig verschiedenen Ergebnissen gelangt sind. 6 Nach Mayer-Maly folgte die Zulassung oder Ablehnung der Putativtitelersitzung keinem festen Prinzip; vielmehr präsentiere sich das Putativtitelproblem "in einer angesichts der relativ kleinen Zahl aufschlußreicher Texte wirklich staunenswerten Fülle von Erscheinungsformen. "7 Mayer-Malys Untersuchung vermittelt in der Tat den Eindruck, als hätten manche Juristen geradezu willkürlich die Putativtitelersitzung das eine Mal zugelassen, das andere Mal abgelehnt. Ein "buntes und kontroversenreiches Bild" meint Kase,s, ein "Bild der Konzeptionslosigkeit" urteilt Jakobs. 9 Nach Jakobs ist das eigentliche Problem bisher verkannt worden: Unter den römischen Juristen habe es in Wahrheit gar keine Kontroverse über die Zulässigkeit der Putativtitelersitzung gegeben. Die usucapio pro soluto habe eine Solutionsleistung vorausgesetzt, die usucapio pro emptore einen Kauf; Solutionsleistung wie Kauf mußten ,wirklich', jedoch nicht ,gültig' sein. Für die usucapio pro donato, pro legato und pro dote sei dagegen ein ,wirklicher' und ,gültiger' Erwerbsgrund erforderlich gewesen, eine gültige Schenkung, ein gültiges Legat oder eine gültige Mitgift. All das sei unter den Juristen nicht 6 Mayer-Maly, Das Putativtitelproblem bei der usucapio (1962); Jakobs, Error falsae causae, Fs Flume (1978) 43 - 99. 7 Mayer-Maly 142. 8 Kaser, RP I 421, der Mayer-Malys Ergebnisse weitgehend übernimmt. 9 Jakobs 46.
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2. Kap.: Putativtitelersitzung - A. Voraussetzungen
streitig gewesen. Das einzige Problem, über das sie gestritten hätten, sei das Problem des error falsae causae gewesen, das Problem nämlich, ob ein Besitzer auch dann ersitzen kann, wenn er von dem tatsächlichen Grund seines Erwerbs nichts weiß und sich statt dessen einen anderen, nicht vorliegenden Erwerbsgrund vorstellt. Wir kommen auf diese These bei der Interpretation derjenigen Fragmente zurück, auf die sich Jakobs hauptsächlich stützt.
§ 10. Putativtitelersitzung pro derelicto oder pro berede? I. Über die usucapio pro derelicto ist die Literatur einer Meinung: Eine Putativtitelersitzung pro derelicto hat es nicht gegeben.! Nur eine Sache, die wirklich derelinquiert worden war, konnte pro derelicto ersessen werden. 2 Wer dagegen eine Sache, die in Wahrheit nicht derelinquiert war, irrtümlich für eine res derelicta hielt, konnte sie nicht ersitzen. Das steht ausdrücklich bei Julian, und es gibt keinen Anhaltspunkt, daß die Frage kontrovers war: lul3 ad Urs Fer D 41.7.6 Nemo potest pro derelicto usucapere, qui falso existimaverit rem pro dere1icto habitarn esse.
11. Streitig ist dagegen, ob eine Putativtitelersitzung pro herede zugelassen wurde. Mayer-MaLy glaubt, daß es sie gab, und stützt sich auf: Pomp 23 ad Ou Mucium D 41.5.33 Plerique putaverunt, si heres sim et putern rem aliquam ex hereditate esse quae non sit, posse me usucapere.
Ein Erbe glaubt irrtümlich, er habe mit der Erbschaft eine bestimmte Sache zu eigen erworben. In Wahrheit gehört die Sache jedoch nicht zu der Erbschaft. Wie Pomponius berichtet, waren einige Juristen (pLerique) der Ansicht, daß der Erbe die vermeintliche Erbschaftssache ersitzen könne. Ob er selbst auch dieser Ansicht war, läßt er uns nicht wissen. 4 1 Vgl. Fitting, AcP 52 (1869) 24 f.; Bonfante (1894), Scritti giuridici 11 (1918) 553 ff.; Krüger, Mnemosyne Pappulias (1934) 177; Cuenod, Usucapio pro derelicto (these Lausanne 1943) 51, 99; Mayer-Maly, RE IX A (1961) 1125, Putativtitelproblem (1962) 38, 141; Kaser, RP I (1971) 422 A.35; Ankum, SZ 103 (1986) 254. 2 Ob es zum Eigentumserwerb der usucapio pro derelicto bedurfte, wenn der Eigentümer eine Sache (eine res mancipi?) derelinquiert, oder ob die usucapio nur (oder auch?) erforderlich und möglich war, wenn ein Nichteigentümer eine fremde Sache dere1inquiert hatte, ist umstritten; vgl. Ankum (A.1) 248 ff., der zu Pomp D 41.7.5 pr. ausführlich auf diese Frage und die verschiedenen Meinungen eingeht. 3 Stintzing, Bona Fides (1852) 93 f.; Unterholzner / Schirmer, Verjährungslehre I (1858) 363 A.373; Fitting, AcP 52 (1869) 254 ff.; Partsch, Die longi temporis praescriptio im klassischen römischen Rechte (1906) 14 A.2; Beseler, SZ 45 (1925) 228; Siber, Römisches Recht 11 (1928) 86 A.14; Voci, Modi (1952) 208; Mayer-Maly, RE IX A (1961) 1130, Putativtitelproblem (1962) 71 f., 142, 144; Hausmaninger, Bona fides (1964) 55 A.64; Voci, TR 32 (1964) 93; Kaser, RP I (1971) 422 A.40; Jakobs, Error falsae causae (1978) 83 ff.; Manthe, Die libri ex Cassio des lavolenus Priscus (1982) 292 A.153. 4 Beseler 228 meint dagegen, das Wort putaverunt beweise, daß Pomponius den plerique recht gegeben habe; er übersetzt: "Sie haben die Ansicht ausgesprochen und es ist
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2. Kap.: Putativtitelersitzung - A. Voraussetzungen
Pomponius teilt nicht mit, welche Ersitzung die plerique dem Erben eröffneten. Mayer-Maly meint, es müsse die usucapio pro herede gewesen sein. 5 Doch dieser Annahme steht ein anderes Pomponius-Fragment entgegen: Pomp 32 ad Sab D 41.5.1 Pro herede ex vivi bonis nihil usucapi potest, etiamsi possessor mortui rem fuisse existimaverit.
Eine Sache, die nicht zu einem Nachlaß, sondern zum Vermögen eines noch Lebenden gehört, kann nach Pomponius nicht pro herede ersessen werden, und zwar auch dann nicht, wenn der Besitzer glaubt, es handle sich um die Sache eines Verstorbenen. Der genaue Sachverhalt VOn D 41.5.1 ist streitig. Mayer-Maly geht davon aus, daß in Wahrheit gar kein Erbfall stattgefunden hat und der Besitzer nur irrtümlich glaubt, der Eigentümer der Sache sei gestorben.6 Dagegen ist Fitting der Ansicht, daß es tatsächlich einen Nachlaß gibt und daß der Besitzer eine Sache, die in Wahrheit nicht zu diesem Nachlaß gehört, irrtümlich für eine Nachlaßsache hält.? Der Text läßt beide Interpretationsmöglichkeiten zu. Pomponius konnte die Frage auch offenlassen, denn tatsächlich kommt nichts darauf an, ob es gar keinen Nachlaß gibt, oder ob es einen Nachlaß gibt, die Sache aber nicht dazu gehört. Im einen wie im anderen Fall ist die Sache keine res hereditaria.8 Und das ist entscheidend: Pro herede kann nur eine res hereditaria ersessen werden 9 ; es genügt nicht, daß der Besitzer glaubt, es handle sich um eine res hereditaria. Darum ist die usucapio pro herede in D 41.5.1 ausgeschlossen. Dasselbe muß in D 41.5.3 gelten: Auch in diesem Fall wird eine Sache irrtümlich für eine res hereditaria gehalten, die in Wahrheit keine res hereditaria ist. Auf den guten Glauben des Erben kann es ebensowenig ankommen wie auf den guten Glauben des Besitzers in D 41.5.1. Wir dürfen darum ausschließen, daß die plerique, von denen Pomponius in D 41.5.3 berichtet, dem Erben die usucapio pro herede zugestanden.!O nun anerkannt." Die meisten Autoren gehen ohne weiteres davon aus, daß sich Pomponius der Entscheidung der plerique anschließt; vgl. Fitting 254 ff. (257), Mayer-Maly, Putativtitelproblem 71 f., Hausmaninger 55 A.64, Jakobs 84; anders aber Voci, Modi 208, TR 32, 93. 5 Mayer-Maly, RE IX A 1130, Putativtitelproblem 71 f., 142, 144; ebenso Kaser 422 bei A.40 und offenbar auch schon Siber 86 bei A.14. Dagegen bezeichnet Fitting 256 die Ersitzung als eine "selbständige Usucapion (des heres) auf Grund seines Erbrechtes", und Voci spricht von einer "usucapione senza titolo" (Modi 208) und einem Titel "putativo e innominato" (TR 32,93). 6 Mayer-Maly, RE IX A 1130, Putativtitelproblem 71, 142; so schon Accursius, Glossa ordinaria, Potest D 41.5(6).1. 7 Fitting 263 f.; ebenso Bonfante (1894), Scritti giuridici 11 (1918) 656 f. A.2, Corso di diritto romano 11 2 (1928) 260; Partsch 14; Siber 87 A.15 (Siber ersetzt mortui rem durch mortuum eum); Voci, Modi 208; Manthe 292 A.154. 8 So zu RechtJakobs 84. 9 Gai 11.52; vgl. Fitting 262 f.; Krüger, SZ 54 (1934) 80; Kaser, St. Biscardi 11 (1982) 239.
§ 10. Putativtitelersitzung pro derelicto oder pro herede?
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Mayer-Maly ist anderer Ansicht. ll Wie erwähnt geht er davon aus, daß in D 41.5.1 gar kein Erbfall stattgefunden hat. Und darin liege der entscheidende Unterschied: In D 41.5.1 scheitere die usucapio pro herede an einem "objektiven Hindernis", nämlich an dem Grundsatz, daß vor dem Erbfall ein erbrechtlicher Erwerb nicht möglich sei. Das Hindernis der hereditas vivi entfalle aber, wenn der Besitzer, wie in D 41.5.3, wirklich geerbt habe. Hier könne die usucapio pro herede Platz greifen und sich aue h auf Sachen erstrecken, die nicht zu der Erbschaft gehören. Mayer-Maly ist jedoch entgegenzuhalten, daß die usucapio pro herede ja gerade nur Personen offensteht, die nie h t geerbt haben. Pro herede kann ein Nichterbe ersitzen, wenn er eine Erbschaftssache ergreift, bevor der berufene heres extraneus sie in Besitz genommen hat. 12 Die wirkliche Erbschaft des Besitzers in D 41.5.3 kann also gerade kein Grund sein, ihm die usucapio pro herede zu eröffnen.
Tatsächlich unterscheidet sich die in D 41.5.3 zugelassene Ersitzung nach ihrer Funktion und nach ihren Voraussetzungen grundlegend von einer usucapio pro herede. Pro herede kann ein Nichterbe eine Erbschaftssache ersitzen, ohne daß etwas auf seinen guten oder bösen Glauben ankommt. In D 41.5.3 ist es dagegen gerade umgekehrt: Hier kann ein gutgläubiger Erbe eine Sache ersitzen, die keine Erbschaftssache ist. Die Ersitzung, die ihm gestattet ist, kann daher nicht die usucapio pro herede sein. Die Ersitzung, die plerique zulassen, ist vielmehr eine Ersitzung auf Grund eines unbenannten Titels. Der Erbe kann ersitzen, weil er glaubt, daß er die Sache durch Erbgang zu eigen erworben hat. Seine Ersitzung beruht also auf dem vermeintlichen Erwerbstitel ,Erbschaft'.13 Der Erbe besitzt die fremde Sache zwar pro herede 14 ; seine Ersitzung sollte aber nicht usucapio pro herede genannt werden. Die Quellen bezeichnen sie nicht so, und auch wir sollten es \0 So auch Beseler 228; Jakobs 84; Manthe 292 bei A.153. Um den vermeintlichen Widerspruch zwischen den beiden Pomponius-Fragmenten zu beseitigen, ergänzt Beseler 228 den Text von D 41.5.3: " ... posse me usucapere . " 11 Mayer-Maly, Putativtitelproblem 71 f. 12 Zu den Voraussetzungen der usucapio pro herede Krüger (A.9) 80 ff.; Kaser (A.9) 239 ff. \3 Jakobs 83 ff. bestreitet, daß es eine Ersitzung auf Grund vermeintlichen' Erwerbs durch Erbschaft gab: Es sei "grotesk" anzunehmen, daß der Erbe ersitzen könne, wenn er eine im Nachlaß befindliche fremde Sache, die der Erblasser geliehen oder gemietet habe, für eine dem Erblasser gehörende Sache halte. Wie schon Beseler (vgl. A.lO) meint auch Jakobs, daß der Erbe nur eine Ersitzung fortsetzen könne, die schon der Erblasser begonnen habe. Jakobs unterlegt daher D 41.5.3 das Problem des error falsae causae: Man müsse annehmen, daß der Erbe die Sache nicht, wie er selbst glaube, ex hereditate habe, sondern daß er sie aus einem anderen Grund habe und daß dieser andere Grund "ein zur usucapio an sich tauglicher Erwerbsgrund" sei (84). Für all das gibt der Text jedoch nichts her. 14 Vgl. Iul D 41.3.33.1; dazu unten § 13 H.
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2. Kap.: Putativtitelersitzung - A. Voraussetzungen
nicht tun, um eine Verwechslung mit der technischen usucapio pro herede zu vermeiden.1 5 Beide liegen grundverschieden.1 6 Es gibt mithin keine Putativtitelersitzung pro derelicto und pro herede. Die Frage der Kondizierbarkeit nach vollendeter Putativtitelersitzung stellt sich hier also gar nicht.
15 Fitting 259 f. sieht, daß die dem wirklichen Erben an vermeintlichen Erbschaftssachen gestattete Ersitzung "natürlich etwas ganz anderes als die eigentliche pro herede usucapio" war. Er hält es aber dennoch für möglich, daß auch diese Ersitzung usucapio pro herede genannt wurde (ebenso schon Stintzing 93 f.; ablehnend aber Unterholzner 362 f.; Partsch 14 spricht von ,einem putativen Titel pro herede oder einem Titel pro suo'). Pomp D 41.5.1 spricht - trotz Fitting 260 A.I64 - dagegen. Nach Manthe 292 A.153 war streitig, welcher Ersitzungstitel dem Erben offenstand; Manthe zitiert außer Pomp D 41.5.3 auch Pap D 44.3.11., die drei Paulus-Fragmente D 5.3.19.1, D 41.4.2.19, D 41.2.3.4 und Ner D 41.10.5.1. Eine Kontroverse über den zuständigen Ersitzungstitellassen diese Stellen aber nicht erkennen: Weder in Pomp D 41.5.3 noch in Ner D 41.10.5.1 wird ein Titel genannt (vgl. zu Ner D 41.10.5 im übrigen unten § 11 11); Pap D 44.3.11 lehnt eine Ersitzung des Erben gerade ab; die beiden Paulus-Fragmente D 5.3.19.1 und D 41.4.2.19 betreffen einen ganz anderen Fall, denn dort hat schon der Erblasser begonnen, pro emptore zu ersitzen; und in Paul D 41.2.3.4 geht es gar nicht um den Ersitzungstitel. 16 Wir kommen auf die Ersitzung auf Grund eines vermeintlichen Erwerbs durch Erbschaft zurück; s. unten § 13.
§ 11. Die Ersitzung einer vermeintlich gekauften Sache
In einer Reihe von Fragmenten wird die Ersitzung gestattet, wenn eine Sache auf Grund eines unwirksamen Kaufvertrages!, einer unwirksamen Dotalabrede2 oder einer unwirksamen Solutionsabrede3 tradiert worden ist. Gemeinsam ist diesen Fällen, daß sich der Usukapient das Erwerbsgeschäft nicht bloß vorstellt, sondern daß es tatsächlich stattgefunden hat, aber unwirksam ist. In zwei Fragmenten allerdings wird eine Putativtitelersitzung zugelassen, obwohl in Wahrheit gar kein Erwerbsgeschäft stattgefunden hat: in Ner 5 membr D 41.10.5 und Afr 7 quaest D 41.4.11. Diese vieldiskutierten ,Grenzfälle'4 untersuchen wir im folgenden. Beide stammen aus dem Kaufrecht. I. Wir beginnen mit dem Fragment aus Africans Quästionen, das kürzer und auch leichter zu durchschauen ist: Afr 7 quaest D 41.4.115 Quod volgo traditum est eum, qui existimat se quid emisse nec emerit, non posse pro emptore usucapere, hactenus verum esse ait, si nullam iustam causam eius erroris emptor habeat: nam si forte servus vel procurator, cui emendam rem mandasset, persuaserit ei se emisse atque ita tradiderit, magis esse, ut usucapio sequatur.
Nach klassischer Lehre setzt die usucapio pro emptore einen wirksamen Kauf voraus 6 ; der irrtümliche Glaube, gekauft zu haben, genügt nicht. African 1 Vip D 6.2.7.2; Paul D 41.4.2.16; Paul D 41.3.13.1; Paul D 41.4.2.15; auch Vip D 6.2.7.4 und Gai D 6.2.13.2 (dazu unten § 17 I). 2 Proc D 23.3.67 (dazu unten § 18). 3 Pomp D 41.10.3; Pomp D 41.10.4.2 (dazu unten § 16 I und 11). 4 So Wubbe, SZ 81 (1964) 418 und TR 32 (1964) 567 A.25. 5 Stintzing, Bona Fides (1852) 90; Klein, Sachbesitz und Ersitzung (1891) 286; Pernice, Labeo II 1 (1895) 396 f., 502 f.; Alibrandi, Opere giuridiche e storiche I (1896) 313; Bechmann, Der Kauf nach gemeinem Recht 111 1 (1905) 84 f.; Rabel, Grundzüge des römischen Privatrechts (1915, Neudruck 1955) 441 A.2; Donatuti, AG 86 (1921) 233 f.; Beseler, SZ 45 (1925) 228; Bonfante, Corso di diritto romano 11 2 (1928) 268 f.; Siber, Römisches Recht 11 (1928) 87 A.20 (88); Ehrhardt, Iusta causa traditionis (1930) 31; Pflüger, Lehre vom Erwerbe des Eigentums (1937) 48; Voci, Modi (1952) 206 f., 227; v. Lübtow, Fs. zum 41. Deutschen Juristentag (1955) 156 f.; Kaser, Bull. 64 (1961) 90 A.114; Mayer-Maly, Putativtitelproblem (1962) 31 ff., 120, 139 ff.; Hausmaninger, Bona fides (1964) 56 f., 66 ff.; Wubbe, SZ 81 (1964) 418, TR 32 (1964) 567 f. A.25; Kaser, RP I (1971) 421 A.30; Greiner, Opera Neratii (1973) 45 f.; Mittelsten-Scheid, Die Vorliebe des L. Neratius Priscus für das Subjektive (Diss. Heidelberg 1976) 84 f.; Jakobs, Error falsae causae (1978) 66 ff.; Behrends, SZ 97 (1980) 477. 6 Das entnimmt die herrschende Meinung (vgl. etwa Mayer-Maly 89 ff., Hausmaninger 82 ff.) zu Recht u. a. Paul2 man D 41.3.48: Si existimans debere tibi tradam, ita demum usucapio sequitur, si et tu putes debitum esse. aliud, si putem me ex causa
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2. Kap.: Putativtitelersitzung - A. Voraussetzungen
berichtet aber, daß ,er' - wir dürfen annehmen Julian - eine Ausnahme von diesem Grundsatz zugelassen hat: Wenn der Irrtum des Käufers durch eine iusta causa erroris gerechtfertigt sei, könne er ersitzen. Die Ausdrucksweise des Textes ist mehrdeutig. Sie deckt sowohl den Fall, daß der Käufer einen unwirksamen Kauf für wirksam hält, wie auch den Fall, daß in Wahrheit gar kein Kauf stattgefunden hat. Die Mehrdeutigkeit wird durch den folgenden nam si-Satz aufgehoben: In dem angeführten Beispiel glaubt der Herr lediglich, sein Sklave (oder Prokurator) habe eine Sache gekauft, während er tatsächlich keinen Kaufvertrag geschlossen hat. 1. Donatuti und Pflüger, Voci und v. Lübtow verkehrten Julians Entscheidung in ihr GegenteiF; sie strichen hactenus .und den si-Satz und erhielten so die uneingeschränkte Zustimmung Julians zur allgemeinen Lehrmeinung: verum esse ait. Die meisten neueren Autoren, vor allem Kaser, Mayer-MaLy und Hausmaninger, halten die überlieferte Entscheidung dagegen für echt8 : Ob die Ersitzung auf Grund eines nur vermeintlichen Kaufs zugelassen werden sollte, sei tatsächlich streitig gewesen. Julian habe sie gestattet, wenn ein Herr von seinem Sklaven (oder Prokurator)9 getäuscht worden sei und seiner wahrheitswidrigen Behauptung, er habe die Sache gekauft, geglaubt habe. venditi teneri et ideo tradam: hic enim nisi emptio praecedat, pro emptore usucapio locum non habet . ... Anders Jakobs 52 ff.: Paulus mache die usucapio pro emptore nicht von einem gültigen Kauf abhängig, sondern verlange nur, daß überhaupt ein Kaufvertrag abgeschlossen worden sei; die usucapio pro soluto sei dagegen auch möglich, wenn es gar kein, auch kein unwirksames Verpflichtungsgeschäft gebe. Indessen kann der Empfänger der Solutions1eistung nach Paulus nur dann pro soluto ersitzen, wenn er an den Bestand der Schuld, also an ein gültiges Verpflichtungsgeschäft glaubt. Der usucapio pro soluto stellt Paulus die usucapio pro emptore gegenüber. Für sie genügt der Glaube an einen gültigen Kauf gerade nicht; vielmehr muß ein Kauf wirklich stattgefunden haben. Und damit kann Paulus nur einen gültigen Kauf gemeint haben. Dementsprechend läßt er die Putativtitelersitzung auf Grund eines unwirksamen Kaufs auch nur ausnahmsweise, "utilitatis causa" zu (vgl. Paul D 41.4.2.16; dazu unten § 17 I). 7 Donatuti 233 f.; Pflüger 48; Voci 206, 227; v. Lübtow 156 f. Voci läßt beide Beispielsfälle stehen, v. Lübtow nur den Fall des Sklaven; an die Stelle von magis esse, ut usucapio sequatur setzen beide usucapio non sequitur. Auch Beseler 228 nimmt dem überlieferten Text die Brisanz; er rekonstruiert: "non posse pro emptore usucapere ." Nach Ehrhardt 31 ist das Fragment "dermaßen verfälscht, daß man den ursprünglichen Inhalt des Textes nicht mehr ergründen kann." 8 Kaser, Bu1l64, 90 A.114 und RP I 421 A.30; Mayer-Maly 31 ff., 120, 139 ff.; Hausmaninger 56 f., 66 ff.; ebenso Wubbe, SZ 81, 418 und TR 32, 567 A.25; Greiner 45 f.; Mittelsten-Scheid 84 f.; Behrends 477. Ebenso schon Stintzing 90; Klein 286; Pernice 396 f., 502 f.; AZibrandi 313; Bechmann 84 f.; Bonfante 268 f.; Siber 87 A.20 (88). 9 Einige Autoren meinen, ve/ procurator sei nachträglich eingefügt worden; denn in diesem Fall könne der Geschäftsherr nicht pro emptore, sondern nur pro soluto ersitzen; vgl. AZibrandi 313; Hausmaninger 57; Mittelsten-Scheid 85 A.l; auch Beseler 228. Dagegen hält Mayer-Maly 42 f. es zwar für "kühn", aber doch wahrscheinlich, daß
§ 11. Die Ersitzung einer vermeintlich gekauften Sache
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Gegen diese Lehre hat sich Jakobs gewandt. 10 Er stellt fest, daß die Klassiker die usucapio pro emptore grundsätzlich nur dann zulassen, wenn wirklich ein Kaufvertrag abgeschlossen worden ist. Es habe also die Regel gegolten, "daß nur wirklicher, nicht vermeintlicher Kauf iusta causa usucapionis sei. "11 Diese Regel leite sich her von der überkommenen Rechtsregel der veteres: nemo sibi ipse causam possessionis mutare potest. Wenn jemand eine Sache für gekauft halte, die er in Wahrheit nicht gekauft habe, müsse er sie aus einem anderen Grunde haben: er müsse sie geerbt, als Geschenk oder als Mitgift erhalten, gemietet oder geliehen haben. Wenn sich der Besitzer nun irrtümlich vorstelle, er habe die Sache gekauft, so nütze ihm diese Vorstellung nichts. Die Rechtsregel der veteres stehe einer eigenmächtigen Änderung der causa possessionis entgegen, und darum könne nur derjenige pro emptore ersitzen, der wirklich gekauft habe. Im Fall eines error falsae causae sei die Ersitzung also ausgeschlossen. Doch damit, meint Jakobs, könnten sich nicht alle Juristen zufriedengegeben haben. "Auch ohne ein Zeugnis in den Quellen" sei es unwahrscheinlich, daß die Juristen die Anwendung der Rechtsregel nicht diskutiert und eine Ausnahme zugelassen haben, wenn in Wahrheit eine iusta causa usucapionis vorlag. Und so sei auch das African-Fragment D 41.4.11 zu erklären 12 : In dem Beispielsfall habe der Sklave die Sache wirklich erworben, und zwar müsse man annehmen, daß sie ihm geschenkt worden sei oder daß er sie pro so/uto erlangt habe. Um sich den Kaufpreis zu erschwindeln, habe er dem dominus aber nichts von diesem wirklichen Erwerbsgrund gesagt, sondern vorgespiegelt, daß er die Sache gekauft habe. Und in diesem Fall, wo ein wirklicher Erwerbsgrund, wenn auch kein wirklicher Kauf vorlag, sei Julian der Meinung gewesen: magis esse, ut usucapio sequatur. All dem können wir nicht zustimmen. Die nemo sibi ipse-Regel der veteres soll den error falsae causae zu , dem Problem der klassischen Jurisprudenz bezüglich der iusta causa usucapionis' gemacht haben. 13 Das geht aus den Quellen nicht hervor l4 , und es ist auch nicht plausibel. Nach der alten Regel scheitert jeder Versuch, die causa possessionis eigenmächtig zu ändern; es bleibt bei der bisherigen Besitzlage. Wenn in D 41.4.11 der Sklave die Sache pro donato oder pro soluto erworben hätte, dann hätte der dominus begonnen, die Sache pro donato oder pro soluto zu besitzen und zu ersitzen sofort, falls der Sklave sie peculiari nomine oder mit Wissen des Herrn erhalten, andernfalls, sobald der Herr erfahren hätte, daß sein Sklave die Sache hat. ls Und dabei Julian den Geschäftsherrn auch in diesem Fall pro emptore ersitzen ließ. Schon Bechmann 84 hat hervorgehoben, daß der procurator vorgespiegelt haben müsse, er habe die Sache unmittelbar für den Geschäftsherrn erworben; denn hätte er behauptet, die Sache für sich erworben zu haben, wäre für die Ersitzung des Geschäftsherrn nur der Titel pro soluto in Betracht gekommen und dies wäre ein "wahrer" Titel gewesen; ebenso Wubbe, SZ 81, 418 A.6. 10 Jakobs 62 ff. 11 Jakobs 64. 12 Jakobs 66 ff., besonders 69 ff. 13 So Jakobs 85. 14 Jakobs geht nicht ein auf Paul 32 ad Sab D 41.3.31.6: Si defunctus emit, heres autem putat eum ex donationis causa possedisse, usu eum capturum Iulianus ait. Danach scheint die Zulassung der Ersitzung weder problematisch noch kontrovers gewesen zu sein; ein Zusammenhang mit der nemo sibi ipse-Regel der veteres ist auch hier nicht ersichtlich. IS Vgl. Benähr, Der Besitzerwerb durch Gewaltabhängige im klassischen römischen Recht (1972) 83 ff. mit Quellen und Literatur.
2. Kap.: Putativtitelersitzung - A. Voraussetzungen
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wäre es natürlich geblieben, auch wenn der Sklave die Sache später seinem Herrn als angeblich gekaufte ausgehändigt hätte. Jakobs geht offenbar davon aus, daß in diesem Fall die Rechtsregel der veteres zum Abbruch der Ersitzung führen müßte. Das ist aber nicht einsichtig. Der dominus kann seine possessio nicht in eine possessio pro emptore umwandeln. Aber selbstverständlich besitzt und ersitzt er weiterhin pro donato oder pro soluto. Jakobs' Interpretation ist also auch nicht schlüssig.
Es bleibt bei dem bisherigen Textverständnis: Der Sklave hat die Sache nicht gekauft und auch aus keinem anderen wirksamen Grund erworben. Wie der überlieferte Text sagt, hat Julian die usucapio pro emptore dennoch zugelassen und darauf gestützt, daß der Sklave die Sache als angeblich gekaufte übergeben hat: persuaserit ei se emisse atque ita tradiderit. Die meisten Autoren glauben, daß der überlieferte Text nicht gestört ist. 16 Zwei andere Fragmente beweisen jedoch, daß Julian nicht so entschieden haben kann: 2. Iul3 ad Urs Fer D 41.4.9 Qui ob pactionem libertatis ancillam furtivam a servo accepit, potest partum eius quasi emptor usucapere. Iul2 ad Min D 41.4.10 Servus domino ancillam, quam subripuerat, pro capite suo dedit: ea concepit: quaesiturn est, an dominus eum partum usucapere possit. respondit: hic dominus quasi emptor parturn usucapere potest, namque res ei abest pro hac muliere et gene re quodammodo venditio inter servum et dominum contraeta est.
Vereinbarungsgemäß hat ein Sklave seinem dominus für seine Freilassung eine Sklavin gegeben. In fr. 9 ist die Sklavin furtiv 17 , in fr. 10 ist sie von dem Sklaven geraubt worden. Sie empfängt und gebiert ein Kind, und es fragt sich, ob der dominus das Kind ersitzen kann. Julian gestattet es: Nach seiner Ansicht kann der dominus ,wie ein Käufer' ersitzen, denn er hat seinen Sklaven freigelassen, weil er die Sklavin erhielt. 1B Zum besseren Verständnis dieser Entscheidung ist ein Überblick über die Regeln erforderlich, die für die Ersitzung des partus ancillae galten. a) Schon im 2. Jh. v. ehr. setzte sich die Meinung durch, daß das Kind einer Sklavin keine Sachfrucht ist 19: partus ancillae in [ructu non est. 20 Das SklavenVgl. oben A.8. Die Sklavin kann von dem Sklaven oder von einem Dritten gestohlen worden sein. Ist sie von einem Dritten gestohlen worden, muß der Sklave sie jedenfalls bösgläubig erworben haben. Denn hätte er sie gutgläubig erworben, hätte der dominus den partus ancillae ohne weiteres auf Grund des Erwerbsgeschäfts seines Sklaven ersessen, und es wäre nicht erforderlich gewesen, ihn als quasi emptor zu betrachten und auf Grund der pactio libertatis ersitzen zu lassen. 18 Willkürlich verkehrt Beseler, SZ 44 (1924) 382 die Entscheidung in fr. 10 in ihr Gegenteil und liest: "respandit: [ - ]." 19 Brutus, der das Sklavenkind nicht wie eine Sachfrucht behandeln wollte, setzte sich gegen P. Scaevola und Manius Manilius durch, vgl. Cicero, fin. 1.4.12; Ulp D 7.1.68 pr. 16 17
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kind unterliegt daher nicht den Regeln, die für den Fruchterwerb gelten. Wer gutgläubig eine fremde Sklavin besitzt, erwirbt darum das Kind, das sie zur Welt bringt, nicht ipso iure mit seiner Geburt zu eigen. Er kann es jedoch unter bestimmten Voraussetzungen ersitzen21 : (1) Der allgemeine Grundsatz, daß gestohlene Sachen von der Ersitzung ausgenommen sind, gilt auch für den partus ancillae. Ob ein Sklaven kind furtiv ist, bestimmt sich aber nach besonderen Regeln. Vor allem ist das Kind, das von einer ancilla furtiva geboren wird, nicht ohne weiteres furtiv. "Furtivität vererbt sich nicht. "22 Nur wenn das ungeborene Kind im Mutterleib im ,Besitz' des Diebes war, wenn die Sklavin nämlich bereits schwanger war, als sie gestohlen wurde, oder wenn das Kind bei dem Dieb gezeugt worden ist, kommt es furtiv zur Welt. 23 Empfängt die ancilla furtiva das Kind dagegen erst, nachdem sie aus dem Besitz des Diebes in den Besitz eines bonae tidei possessor gelangt ist, wird das Kind nicht furtiv geboren und kann ersessen werden. (2) Für das Kind gilt derselbe Ersitzungstitel, mit dem die Mutter entweder tatsächlich ersessen wird, oder mit dem sie ersessen würde, wenn sie nicht furtiv wäre: lul44 dig D 41.3.33 pr. Non solum bonae fidei emptores, sed et omnes, qui possident ex ea causa, quam usucapio sequi solet, partum ancillae furtivae usu suum faciunt, idque ratione iuris introducturn arbitror: nam ex qua causa quis ancillam usucaperet, nisi lex duodecim tabulamm vel Atinia obstaret, ex ea causa necesse est parturn usucapi, si apud eum conceptus et editus eo tempore fuerit, quo furtivam esse matrem eius ignorabat. 24
Ist die Mutter also gekauft worden, wird das Kind pro emptore ersessen, ist sie geschenkt worden, gilt auch für das Kind der Ersitzungstitel pro donato. 25 20 Gai D 22.1.28.1; vgl. auch Vip D 5.3.27 pr.; Vip D 47.2.48.6; dazu Kaser, SZ 75 (1958) 156 ff. 2! Zur Ersitzung des partus ancillae besonders Appleton, Histoire de la propriete pretorienne et de I'action Publicienne I (1889, Neudruck 1974) 116 ff., 250 ff., 318 ff.; Buckland, The Roman Law of Slavery (1908) 24 ff.; Kaser, SZ 75 (1958) 165 ff. m.w.Lit. 22 Pringsheim, Fs. Schulz I (1951) 290. 23 Vip D 47.2.48.5; daß schon das ungeborene Kind furtiv werden kann, erklärt lul D 1.5.26 damit, daß es iure civili bereits existiere. 24 Vgl. auch Vip D 6.2.11.4. 25 Paul D 41.10.2 sagt zwar, das Kind einer durch Erbgang erworbenen oder gekauften Sklavin werde pro suo besessen. Wie Kaser (A.21) 173 f. zu Recht hervorhebt, geht es hier jedoch nicht um den Ersitzungstite1, sondern um den Besitztitel. Buckland (A.21) 25 und Kaser 174 (und ebenso Fitting, AcP 51 [1868] 32 und Mayer-Maly, RE IX A (1961) 1104 f.) nehmen dennoch an, die Frage des Vsukapionstite1 sei streitig gewesen und Paulus habe - im Gegensatz zu Julian und anderen - vertreten, daß das Sklavenkind pro suo ersessen werde. Das ist in der Tat nicht auszuschließen: Es paßte
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2. Kap.: Putativtitelersitzung - A. Voraussetzungen
(3) Das Kind kann allerdings nur dann ersessen werden, wenn der Besitzer zur Zeit der Geburt nicht weiß, daß die Mutter furtiv ist. 26 Dagegen schadet es nicht, wenn er noch vor der Geburt erfährt, daß die Mutter nicht ihm, sondern einem anderen gehört: entgegen der allgemeinen Regel, die guten Glauben initio possessionis verlangt, beginnt er das Kind mit dessen Geburt zu ersitzen 27 - sofern er nur nicht weiß, daß die Mutter gestohlen worden ist. Für die Ersitzung des partus ancillae sind demnach die Regeln über den Titel und den Zeitpunkt, in dem guter Glaube erforderlich ist, kongruent: für das eine wie für das andere kommt es auf den Erwerb der Mutter an. Die Erklärung liegt auf der Hand: das Kind wird als ein (mit der Geburt) selbständig gewordener Teil seiner Mutter angesehen. 28 Denn ersitzungsrechtlich bleibt die Mutter, was sie im Augenblick des Erwerbs war: sie bleibt eine Sache, die der auch zu Paul D 41.3.4.18, wo gefordert wird, daß der Besitzer noch im Augenblick der Geburt gutgläubig sein muß; dazu sofort A.26. 26 Iul D 41.3.33 pr.; Ulp D 6.2.11.4; auch Pomp D 41.10.4 pr.; Paul D 41.3.4.15; Ulp D 6.2.11.3. Nur Paul D 41.3.4.18 geht weiter und verlangt, daß der Besitzer zur Zeit der Geburt auch nicht wissen darf, daß die ancilla einem anderen gehört. In den voraus. gehenden §§ 15 - 17 handelt Paulus allerdings von der Ersitzung des partus einer ancilla furtiva. Hägerström, Der römische Obligationsbegriff im Lichte der allgemeinen römischen Rechtsanschauung I (1927) 150 f., und Kaser (A. 21) 167 A.58 gehen darum davon aus, daß auch in § 18 von einer ancilla furtiva die Rede war; bei Paulus habe vielleicht gestanden: si antequam pariat, furtivam esse rescierit emptor. Indessen ist auch möglich, daß Paulus ein anderes Konzept hatte als Julian und den Besitzer auf Grund seines vermeintlichen Eigentumserwerbs, pro suo, und folgerichtig nur dann ersitzen ließ, wenn er zur Zeit der Geburt noch glaubte, die Sklavin gehöre ihm; vgl. soeben A.25. 27 So ausdrücklich Pap D 41.3.44.2 für das Kind einer nicht furtiven Sklavin. Die Literatur meint allerdings, für das Kind einer furtiven Sklavin müsse etwas anderes gegolten haben, vgl. Appleton (A.21) 265 f., Buckland (A.21) 25 ff. und vor allem Kaser (A.21) 166 ff., besonders 176. Die vermeintlich unterschiedlichen Ersitzungsvoraussetzungen erklärt Kaser damit, daß das Kind "zusammen mit der Mutter" ersessen werde, wenn sie nicht furtiv sei, und daß guter Glaube daher nur beim Erwerb der Mutter erforderlich sei (166). Wenn die Mutter dagegen furtiv sei, komme eine ,gemeinsame' Ersitzung von Mutter und Kind nicht in Betracht. Die Ersitzung des Kindes beginne erst mit der Geburt und darum müsse der Besitzer im Augenblick der Geburt noch gutgläubig sein (176; ähnlich schon Appleton 265 f.). Doch wie sollte das Kind einer nicht furtiven Sklavin ,zusammen mit der Mutter' ersessen werden? Wird es erst geboren, nachdem der Besitzer die Ersitzung der Mutter vollendet hat, bedarf es ja keiner Ersitzung des Kindes mehr; der Besitzer erwirbt das Kind mit der Geburt zu eigen (Ven D 41.1.66). Wird es dagegen geboren, bevor die Ersitzung der Mutter vollendet ist, fällt es in das Eigentum ihres dominus und muß von dem Besitzer natürlich selbständig ersessen werden. Eine ,gemeinsame' Ersitzung von Mutter und Kind ist also nicht möglich, auch wenn die Mutter nicht furtiv ist. Pap D 41.3.44.2 muß darum auch für das Kind einer furtiven Sklavin gelten, und die Texte, die die Ersitzung des partus ancillae furtivae nur dann ausschließen, wenn der Besitzer bei der Geburt weiß, daß die Mutter furtiv ist (vgl. oben A.26), sind durchaus wörtlich zu nehmen. 28 Die Juristen behandeln den partus ancillae also nicht konsequent. Was die Furtivität angeht, gilt er nicht als Teil seiner furtiven Mutter; was den für die Usukapion relevanten gutgläubigen Besitzerwerb angeht, gilt er dagegen als Teil der Mutter. Offensichtlich sollte die Ersitzung des Kindes begünstigt werden.
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Käufer gutgläubig gekauft und in Besitz genommen hat; spätere Bösgläubigkeit ändert daran nichts. Und diese ersitzungsrechtliche Befindlichkeit der Mutter überträgt sich auf das Kind. Darum kann es pro emptore ersessen werden, auch wenn der Käufer zur Zeit der Geburt nicht mehr gutgläubig ist. 29 b) Wir kehren zu den beiden Julian-Fragmenten zurück, die der Anlaß dieses Exkurses waren. In Julians Fall hatte der dominus die gestohlene oder geraubte ancilla auf Grund einer Freilassungsvereinbarung von seinem Sklaven erhalten. Julian betrachtet diese Vereinbarung als eine Art Kauf und als ausreichende Grundlage für die Ersitzung des Kindes. Wir müssen annehmen, daß der dominus auch die ancilla selbst auf Grund der pactio libertatis ersessen hätte, wenn sie nicht unersitzbar gewesen wäre: Hätte der Sklave die ancilla nicht geraubt, sondern etwa bösgläubig von einem Nichtberechtigten erworben, so hätte der dominus die Mutter ebenso wie das Kind quasi emptor ersitzen können, weil er seinen Sklaven ,tür die Sklavin' freigelassen hat (namque res ei abest pro hac muliere).30 c) Julians Ansicht war freilich umstritten. 3! Sabinus, Cassius und Paulus haben die gegenteilige Entscheidung getroffen, und auch Celsus war anderer Meinung als Julian: Paul54 ad ed D 41.3.4.16 De illo quaeritur, si servus meus ancillam, quam subripuit, pro libertate sua mihi dederit, an parturn apud me conceptum usucapere possim. Sabinus et Cassius non putant, quia possessio, quam servus vitiose nanctus sit, domino noceret, et hoc verum est. Paul54 ad ed D 41.4.2.14 Et si quod non bona fide servus meus emerit, in pactionem libertatis mihi dederit, non ideo me magis usucapturum: durare enim primam causam possessionis idem Celsus ait.
29 Nur wenn der Besitzer vor der Geburt erfahren hat, daß die Mutter furtiv ist, kann er das Kind nicht ersitzen. Der Grund dafür muß sein, daß das Kind selbst furtiv und damit unersitzbar wird, wenn es bei einem Besitzer geboren wird, der von der Furtivität der Mutter weiß. Hägerström (A.26) 151 ff. meint, der Besitzer nehme dann ,gleichsam am Diebstahl der Mutter teil'. Doch das geht aus den Quellen nicht hervor. Einen Hinweis liefert aber Afr 7 quaest D 47.2.61: Ancilla fugitiva quemadmodum sui furtum facere intellegitur, ita partum quoque contrectando furtivum facit. Entsprechend dürfen wir annehmen, daß das Kind einer ancilla furtiva furtiv wird, wenn es bei seiner Geburt von einem Dritten in Besitz genommen wird, der von der Furtivität der Mutter weiß. 30 So zu Recht Göppert, Über die organischen Erzeugnisse (1869) 206. 31 Buhl, Salvius Iulianus I (1886) 197, und Buckland (A.21) 28 meinen - da fr. 9 aus dem 3. Buch ad Urseium Ferocem und fr. 10 aus dem 2. Buch ad Minicium stammt daß schon Urseius und Minicius diese Ansicht vertraten. Doch daß die Entscheidung in zwei Werken enthalten ist, deutet eher darauf hin, daß Julian sie nicht von einem älteren Juristen übernommen hat. Außerdem ist die Entscheidung für Julian geradezu typisch, vgl. unten A.39.
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2. Kap.: Putativtitelersitzung - A. Voraussetzungen
Der Fall war also kontrovers. 32 Auf den ersten Blick scheinen die Argumente Julians und die seiner Gegner aneinander vorbeizugehen. Sabinus, Cassius und Paulus lehnen die Ersitzung des partus ab, weil der Sklave den Besitz der ancilla fehlerhaft erworben hat und sein fehlerhafter Besitzerwerb dem dominus schadet. Entsprechend argumentiert Celsus in D 41.4.2.14 für den Fall, daß der Sklave nicht bona fide gekauft, was er dem dominus für seine Freilassung gegeben hat. Julian dagegen läßt sich auf den fehlerhaften Besitzerwerb des Sklaven gar nicht ein, weder in D 41.4.9 noch in D 41.4.10. Er gestattet die Ersitzung, weil der dominus die ancilla von seinem Sklaven ,quasi' gekauft hat. Der Eindruck, daß die Argumentationen aneinander vorbeigehen, täuscht jedoch. In Wahrheit hängen die beiden Gesichtspunkte zusammen. Nach Sabinus, Cassius und Paulus besitzt der dominus die ancilla fehlerhaft, weil sein Sklave sie geraubt hat und kein Erwerbsgeschäft vorliegt, durch das der dominus fehlerfreien Besitz erlangt haben könnte. 33 Anders läge der Fall, wenn der Sklave die von ihm geraubte ancilla an einen gutgläubigen Dritten veräußert hätte: der Dritte hätte fehlerfreien Besitz erworben und das Kind der Sklavin ersitzen können. Der dominus ist jedoch kein ,Dritter'; er hat die ancilla nicht von seinem Sklaven ,erworben'. Die Übergabe der ancilla an den dominus ist eine bloße Verschiebung des Besitzes im Bereich des dominus. Der dominus ,erwirbt' keinen Besitz, sondern besitzt die ancilla jetzt unmittelbar, während er sie vorher durch seinen Sklaven besaß.34 Die prima causa possessionis dauert fort,35 und sie ist fehlerhaft. Aus diesem Grund ist die Ersitzung des Sklavenkindes ausgeschlossen. 32 Donellus, Opera omnia V (1764) 25.5, wollte die widersprüchlichen Entscheidungen in Einklang bringen und nahm deshalb an, sie bezögen sich auf verschiedene Fälle: in D 41.3.4.16 habe der Sklave die geraubte ancilla vor seiner Freilassung gegeben, in Julians Fall dagegen erst na c h seiner Freilassung. Diese Interpretation ist jedoch mit dem Wortlaut der Julian-Texte kaum vereinbar: Nach dem Wortlaut ist es noch der "servus", der dem "dominus" die ancilla übergibt, und läßt der dominus seinen Sklaven frei "pro hac muliere". Gegen Donellus schon Göppert (A.30) 207 A.39. 33 Entsprechend kann auch der Erbe dessen, der eine Sklavin gestohlen hat, den partus ancillae nicht ersitzen, auch wenn er selbst gutgläubig ist und das Kind erst nach dem Erbfall gezeugt und geboren wurde: Denn der Erbe setzt den fehlerhaften Besitz des Erblassers fort, vgl. Paul D 41.3.4.15 und Vip D 6.2.11.2. Auch dieser Fall war allerdings streitig: Scaevola (vgl. Vip D 41.3.10.2) ließ die Ersitzung zu mit der (nicht schlüssigen) Begründung, das Kind sei kein Teil der furtiven Mutter; dazu Buckland (A.21) 26 und Kaser (A.21) 171 ff. 34 Der dominus besitzt, was sein Sklave mit seinem Wissen oder peculiari nomine in Besitz nimmt, vgl. Benöhr, Der Besitzerwerb durch Gewaltabhängige im klassischen römischen Recht (1972) 83 ff. m.w.Lit. Was der Sklave ohne Wissen des dominus raubt, besitzt der dominus nicht, weil es nicht zum peculium des Sklaven gehört, vgl. Iav D 41.2.24 und dazu Eckardt, Iavoleni epistulae (1978) 208 ff. Natürlich erwirbt der dominus aber Besitz, wenn er von dem ,Besitz' seines Sklaven erfährt und ihn billigt also notwendig zumindest einige Augenblicke bevor der Sklave dem dominus die Sache übergibt.
§ 11.
Die Ersitzung einer vermeintlich gekauften Sache
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Julian behandelt den dominus dagegen wie einen Dritten, der die ancilla von seinem Sklaven gekauft hat. Als wäre er ein Käufer, erwirbt er fehlerfreien Besitz an der Sklavin; und wie ein Käufer kann er das Sklavenkind ersitzen. 36 Julians Entscheidung ist dogmatisch nicht zu rechtfertigen. Offensichtlich kam es Julian nur darauf an, dem dominus die Möglichkeit zu verschaffen, das Sklavenkind zu ersitzen. Aus diesem Grunde setzte er sich über die systemgerechte Lösung von Sabinus und Cassius hinweg und fällte eine Entscheidung, die elementaren Grundregeln des Ersitzungsrechts zuwiderläuft. Denn überlegen wir Folgendes: Wie Kaser hervorhebt, ist davon auszugehen, daß der dominus gutgläubig war, als ihm der Sklave die ancilla übergab; wäre er bösgläubig gewesen, hätte er das Kind auf keinen Fall ersitzen können. 37 Was aber bedeutet hier ,guter Glaube'? Offensichtlich darf der dominus nicht wissen, daß ihm sein Sklave unberechtigt eine fremde Sklavin übergibt. Andererseits weiß der dominus natürlich, daß die ancilla nicht seinem Sklaven gehört; denn der Sklave ist ja nicht rechtsfähig. Was also muß der dominus glauben, damit er ,gutgläubig' ist? Es ist denkbar, daß der Sklave seinem Herrn vorspiegelt, der Eigentümer der Sklavin habe ihm gestattet, mit ihr seine Freilassung zu erkaufen; dann glaubt der dominus, daß sein Sklave zur Übereignung der ancilla befugt ist. Aber das wäre ein Sonderfall. Normalerweise wird der ,gutgläubige' dominus ganz einfach glauben, daß die ancilla zum peculium seines Sklaven gehört; daß sein Sklave sie mit Pekuliarmittel erworben hat, um mit ihr seine Freilassung zu erkaufen. Der ,gutgläubige' dominus glaubt also, er sei bereits Eigentümer der ancilla - und nicht etwa, daß er sie erst jetzt, wo sie ihm übergeben wird, zu eigen erwirbt; er ist überzeugt, daß er sie schon früher zu eigen erworben hat, nämlich in dem Augenblick, als der Sklave sie für sein peculium erwarb. Gleichwohl stützt Julian die Ersitzung des partus nicht auf dieses vermeintliche Erwerbsgeschäft des Sklaven, sondern auf den quasi-Kauf zwischen ihm und seinem dominus. Das Erwerbsgeschäft des Sklaven existiert nur in der Vorstellung des dominus, und ein Erwerbsgeschäft, das sich der dominus bloß vorstellt, kann offensichtlich auch nach Julian nicht Grundlage der Ersitzung sein. Insofern hält sich Julian an die allgemein anerkannten Regeln. Freilich ist auch die Übergabe der ancilla an den dominus nach den allgemeinen Regeln keine taugliche Ersitzungsgrundlage. Denn sie ist keine Übereignung, und der dominus hält sie auch nicht für eine Übereignung; er glaubt ja, die ancilla gehöre ihm bereits. 38 35 Vgl. Paul D 41.4.2.14: ... durare enim primam causam possessionis idem Celsus ait. Die prima causa possessionis dauert fort nach dem Grundsatz nemo sibi ipse causam possessionis mutare potest. 36 So auch Göppert (A.30) 206; Ruckland (A.21) 28; Hägerström (A.26) 152; Kaser (A.21) 175 f.; außerdem Ronfante, Corso di diritto romano 11 2 (1928) 230 A.l. 37 Kaser (A.21) 175. 38 Entgegen Fitting (A.25) 30 ff. ist der Fall nicht vergleichbar mit VIp D 14.3.11.8/ Iul D 14.3.12: Dort hat der Inhaber eines Geschäfts einen fremden Sklaven als institor eingesetzt, und der Sklave hat Waren an seinen eigen~n dominus verkauft. Nach Julian
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2. Kap.: Putativtitelersitzung - A. Voraussetzungen
Julian behandelt einfach die Freilassungsvereinbarung wie einen Kauf und die Übergabe der ancilla an den dominus wie eine Übereignung. Und er sagt auch deutlich, warum er das tut: namque res ei abest pro hac muliere. Der dominus hat seinen Sklaven freigelassen, weil er irrtümlich annahm, der Sklave habe ihm die ancilla zu eigen erworben. Die Freilassung des Sklaven ist nicht mehr rückgängig zu machen. Darum soll der dominus jedenfalls ersitzen können - wenn schon nicht die ancilla, die unersitzbar ist, so doch wenigstens ihr Kind. Die Ersitzung des Kindes setzt aber voraus, daß der dominus die Mutter ,erworben' hat; es bedarf eines Erwerbsgeschäfts als Ersitzungsgrundlage. Ein Erwerbsgeschäft gibt es jedoch nicht. Da Julian die Ersitzung aber will, macht er den dominus zum quasi-emptor, der die ancilla von seinem Sklaven ,erworben' hat. Ganz konsequent ist Julian allerdings nicht. Aus seiner Begründung namque res ei abest pro hac muliere ergibt sich, daß er die Ersitzung gestattet, weil der dominus den Sklaven freigelassen hat. Konsequent wäre es dagegen gewesen, die Freilassungsvereinbarung wie einen Kauf und die Übergabe der ancilla an den dominus wie eine Übereignung zu behandeln unabhängig davon, ob der dominus den Sklaven vereinbarungsgemäß freigelassen hat oder nicht. Wenn er den Sklaven nicht freigelassen hatte, hielt ihn Julian offenbar nicht für schutzwürdig. Für Julian rechtfertigte also erst die Freilassung des Sklaven, die Freilassungsvereinbarung wie einen Kauf und die Übergabe der ancilla wie eine Übereignung zu behandeln. 39 3. Wir kehren endlich zu unserer Ausgangsstelle zurück und wiederholen ihren Text: Afr 7 quaest D 41.4.11 Quod volgo traditum est eum, qui existimat se quid emisse nec emerit, non posse pro emptore usucapere, hactenus verum esse ait, si nullam iustam causam eius erroris emptor habeat: nam si forte servus vel procurator, cui emendam rem mandasset, persuaserit ei se emisse atque ita tradiderit, magis esse, ut usucapio sequatur. und Ulpian liegt ein wirksamer Kauf vor; der dominus besitzt die Waren pro emptore und kann sie auch pro emptore ersitzen. In Iul D 41.4.9 und 10 verkauft der Sklave dagegen gerade nicht als i/'lstitor eines Dritten dessen Sachen, sondern er erkauft sich seine Freilassung mit einer Sache, von der der dominus glaubt, sie gehöre ihm bereits. Gegen Fitting auch schon Göppert (A.30) 207 A.39. 39 Diese Entscheidung erinnert an Fr. Vat. 1 (dazu K. Bauer, TR 54 [1986]97 ff.; vgl. auch unten § 17 III nach A.21). Auch dort setzt sich Julian über die systemgerechte Lösung hinweg und gestattet einern Käufer die Ersitzung, obwohl er ein Grundstück wissentlich von einer nicht autorisierten Frau gekauft hat. Nach dem überlieferten Wortlaut hat Julian seine Entscheidung auf eine Rutiliana constitutio gestützt. Diese Überlieferung ist aber falsch. Bei Paulus, aus dessen Sabinuskommentar der Text stammt, stand: Iulianus propter utilitatem constituit. Aus Zweckmäßigkeit gestattete Julian die Ersitzung, obwohl die allgemeinen Ersitzungsvoraussetzungen nicht erfüllt waren. Wie in unserem Fall des quasi-Kaufs vorn Sklaven macht Julian die Ersitzung aber auch dort davon abhängig, daß die Gegenleistung erbracht worden ist: Dort muß der Käufer den Kaufpreis gezahlt, hier der dominus den Sklaven freigelassen haben.
§ 11. Die Ersitzung einer vermeintlich gekauften Sache
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Wie der Text überliefert ist, gestattete Julian dem dominus die Ersitzung, wenn ihm sein Sklave (oder Prokurator) eine Sache übergab und wahrheitswidrig behauptete, er habe sie gekauft. Die beiden Julian-Fragmente D 41.4.9 und 10, die wir soeben erörtert haben, zeigen indessen, daß Julian diese Entscheidung nicht getroffen haben kann. Der irrtümliche Glaube des dominus, sein Sklave habe eine Sache gekauft, war für Julian keine ausreichende Ersitzungsgrundlage: In D 41.4.9 und 10 hat Julian dem dominus die Ersitzung des partus ancillae gerade nicht auf Grund des vermeintlichen, ihm vorgespiegelten Erwerbs der ancilla durch seinen Sklaven gestattet, sondern für erforderlich gehalten, die Freilassungsvereinbarung als quasi-Kauf zwischen Herrn und Sklaven und die Übergabe der ancilla durch den Sklaven wie eine Übereignung anzusehen. Aus D 41.4.9 und 10 ergibt sich mit Eindeutigkeit, daß Julian eine Putativtitelersitzung auf Grund eines Erwerbsgeschäfts, das sich der vermeintliche Erwerber bloß vorstellt, nicht gestattete. Auch in D 41.4.11 kann er dem dominus die Ersitzung auf Grund des vermeintlichen Kaufs seines Sklaven darum nicht gestattet haben. Und ein quasi-Kauf von seinem Sklaven kommt hier nicht in Betracht. 40 40 Siber 87 A.20 (88) und Mayer-Maly 34 legen Gewicht darauf, daß der Sklave die Sache tradiert hat. Sie übersehen, daß diese traditio keine Übereignungstradition und auch keine quasi-Übereignung ist, sondern die bloße Übergabe einer Sache, die dem dominus seiner (falschen) Vorstellung nach schon gehört. Die bloße Übergabe einer vermeintlich eigenen Sache ist aber nach Julian keine ausreichende Ersitzungsgrundlage (arg. D 41.4.9 und 10). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus lul44 dig D 41.3.33.3: Si mihi Titius, a quo fundum petere volebam, possessione cesserit, usucapionis causam iustam habebo. sed et is, a quo ex stipulatu fundum petere volebam, cedendo mihi possessione, si solvendi causa id fecerit, eo ipso efficiet, ut fundum longo tempore capiam. In der 1. Fallvariante wollte Ego die rei vindicatio gegen Titius anstrengen: Das ergibt sich aus dem Terminus petere, der vornehmlich für dingliche Klagen gebraucht wird, und aus der Gegenüberstellung der beiden Fallvarianten petere und ex stipulatu petere. Um den drohenden Prozeß zu verhindern, hat Titius das Grundstück herausgegeben - obwohl es ihm gehörte. Warum er den Prozeß verhindern wollte, teilt Julian nicht mit. Vielleicht war er vom Eigentum des Ego überzeugt; vielleicht war er auch nur in Beweisnot und sah keine Chance, den Prozeß zu gewinnen; oder es war ihm einfach nicht der Mühe wert, das Grundstück zu verteidigen. Nach Julian kann Ego das herausgegebene Grundstück jedenfalls ersitzen. Voci 190 hält diesen Fall für "una ipotesi assai vicina alla transazione". Doch hier ist nicht vereinbart worden, daß Titius das Grundstück herausgibt und Ego dafür auf die Klage verzichtet: Wenn Titius das Grundstück herausgegeben hat, kann Ego die rei vindicatio nicht mehr anstrengen. Und wenn gar beide überzeugt sind, daß Ego der Eigentümer des Grundstücks ist, besteht nicht einmal ein Streit, der durch einen Vergleich beigelegt werden könnte; die Übergabe des Grundstücks wäre dann keine Übereignungstradition, sondern die einfache Herausgabe an den vermeintlichen Eigentümer. Julian läßt die Ersitzung vermutlich aus folgendem Grund zu: Da Titius den fundus unter der Drohung des Vindikationsprozesses herausgegeben hat, kann er ihn in Zukunft nicht mehr vindizieren: Ego stünde die exceptio doli zu; wenn Titius das Grundstück zurückverlangte, läge darin ein venire contra factum proprium. Es kommt daher einer außergerichtlichen confessio gleich, wenn Titius auf die gerichtliche Klärung der Eigentumslage verzichtet und den fundus herausgibt, um die Klage abzuwenden. Hätte Titius während des Prozesses das Eigentum des Ego anerkannt und das Grundstück restituiert, hätte Ego ersitzen können - so wie der Kläger ersitzen kann, wenn der iudex in seinem Zwischenbescheid sein Recht fest-
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2. Kap.: Putativtitelersitzung - A. Voraussetzungen
Die beiden Beispielsfälle in D 41.4.11 stammen nicht von Julian oder African, sondern von einem nachklassischen Bearbeiter. 41 Wir können uns leicht vorstellen, wie es zu dieser Glosse gekommmen ist. Die Diskussion zwischen der etablierten Lehre und Julian ging nur um die Frage, ob die usucapio pro emptore einen wirksamen Kaufvertrag voraussetzt, oder ob es genügt, daß der Käufer einen Kaufvertrag, der in Wahrheit unwirksam ist, für wirksam hält. 42 Der Bearbeiter hat diese Kontroverse mißverstanden; er nahm an, Julian wolle die Ersitzung auch zulassen, wenn gar kein Kauf stattgefunden hatte, und fragte sich, wie denn jemand irrtümlich meinen könne, gekauft zu haben, wenn er gar keinen Kaufvertrag abgeschlossen hatte. Das schien ihm nur möglich, wenn ein Sklave oder Prokurator im Spiele war, der seinen Herrn täuschte. 43 11. Das zweite Fragment, das die Ersitzung auf Grund eines Erwerbsgeschäfts gestattet, das nur in der Vorstellung des vermeintlichen Erwerbers stattgefunden hat, ist Ner 5 membr D 41.10.5 44 Usucapio rerum, etiam ex aliis causis concessa interim, propter ea, quae nostra existimantes possideremus, constituta est, ut aliquis litium finis esset. (§ 1) Sed id, quod stellt und daraufhin der Beklagte restituiert (VIp D 6.2.3.1; Kaser, RZ 293 A.37): Die confessio steht der pronuntiatio secundum actorem gleich; es gilt: confessus pro iudicato est (vgl. Kaser, RZ 201 ff.; Kaser 204 A.36 nimmt sogar an, das Eigentum sei - wie bei der in iure cessio - unmittelbar auf den Kläger übergegangen, wenn der beklagte Eigentümer sein Recht anerkannte.). Julian gestattet nun die Ersitzung auch dann, wenn der Eigentümer das Recht des Prätendenten außergerichtlich anerkennt, indem er unter der Drohung des Prozesses die Sache herausgibt, um die Klage abzuwenden. Da der Eigentümer die rei vindicatio in diesem Fall nicht mehr lnit Erfolg anstrengen könnte, fielen Eigentum und Besitz auf Dauer auseinander, wenn Ego nicht ersitzen könnte. Das will Julian vermeiden (vgl. seine Entscheidung in Fr. Vat 1; dazu oben A.39 und unten § 17111 nach A.21). Darum läßt er hier, ausnahmsweise, die Ersitzung zu. Folglich darf aus dieser Entscheidung nicht der Schluß gezogen werden, daß Julian die bloße Übergabe einer Sache, die keine Übereignungstradition ist, als ausreichende Ersitzungsgrundlage gelten ließ und dem Empfänger die Ersitzung erlaubte, wenn er sich nur vorstellte, daß die Sache ihm gehöre. 41 Daß der Nachsatz nam si forte etc. nicht echt ist, hat schon Rabel441 A.2 gesehen; er schreibt ihn allerdings den Kompilatoren zu. 42 Darum konnte Julian auch vom "emptor" sprechen. 43 Wubbe, TR 32, 567 A.25, und vor allem Jakobs 69 haben sich mit Recht gefragt, wie denn der Sklave an die angeblich gekaufte Sache gekommen ist; er kann sie ja nicht gestohlen haben, denn dann wäre sie unersitzbar. Die Antwort lautet einfach: Diese Schwierigkeit hat der Glossator nicht bedacht. 44 Klein, Sachbesitz und Ersitzung (1891) 285 A.8, 305 A.59; Pernice, Labeo 11 1 (1895) 396 f., 502 ff.; Alibrandi, Opere giuridiche e storiche I (1896) 313 f.; Beseler, Beiträge zur Kritik der römischen Rechtsquellen I (1910) 98 f.; Rabel, Grundzüge des römischen Privatrechts (1915, Neudruck 1955) 441 A.2; Beseler, SZ 25 (1945) 229; Bonfante, Corso di diritto romano 11 2 (1928) 268; Siber, Römisches Recht 11 (1928) 87 A.20 (88); Ehrhardt, lusta causa traditionis (1930) 31; Albertario, Introduzione storica allo studio dei diritto romano giustinianeo (1935) 155 f.; Pflüger, Lehre vom Erwerbe des
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quis, cum suum esse existimaret, possederit, usucapiet, etiamsi falsa fuerit eius existimatio. quod tarnen ita interpretandum est, ut probabilis error possidentis usucapioni non obstet, veluti si ob id aliquid possideam, quod servum meum aut eius, cuius in locum hereditario iure successi, emisse id falso existimem, quia in alieni facti ignorantia tolerabilis error est.
Findet Ersitzung statt, wenn der Besitzer einer Sache irrtümlich glaubt, sie gehöre ihm? Nach diesem Neraz zugeschriebenen Text scheint es eine Regel gegeben zu haben, nach der die Ersitzung in diesem Fall zulässig war: Wer' eine Sache in Besitz hat und glaubt, sie gehöre ihm, kann sie ersitzen, obgleich seine Annahme falsch ist - id, quod quis, cum suum esse existimaret, possederit, usucapiet, etiamsi falsa fuerit eius existimatio. Wie das principium berichtet, ist diese Ersitzung eingeführt worden, um Streitigkeiten ein Ende zu setzen. Neraz selbst will sie allerdings nur dann gestatten, wenn der Irrtum des Besitzers probabilis, also gerechtfertigt oder entschuldbar ist. 45 Das soll etwa der Fall sein, wenn ein Besitzer irrtümlich glaubt, die in seinem Besitz befindliche Sache sei von seinem Sklaven gekauft worden oder von dem Sklaven desjenigen, den er beerbt hat. 1. Das Fragment gehört zu den umstrittensten des Ersitzungsrechts. Viele ältere Autoren halten es für verfälscht, weil Neraz eine Putativtitelersitzung nicht zugelassen haben könne. 46 Dieses Argument ist heute überholt. Neraz Eigentums (1937) 47 f.; Voci, Modi (1952) 204 f., 227 f.; v. Lübtow, Fs. zum 41. Deutschen Juristentag (1955) 158 f.; Kaser, Bull. 64 (1961) 90 A.114; Mayer-Maly, RE IX A (1961) 1125; Zilletti, La dottrina deli' errore nella storia dei diritto romano (1961) 180 f.; Mayer-Maly, Putativtitelproblem (1962) 54 ff., 140 f.; Hausmaninger, Bona fides (1964) 44 ff., Wubbe, SZ 81 (1964) 418 ff., TR 32 (1964) 567 A.25; Kaser, RP 1(1971) 421 A.30; Greiner, Opera Neratii (1973) 41 ff.; Mittelsten-Scheid, Die Vorliebe des L. Neratius Priscus für das Subjektive (Diss. Heidelberg 1976) 76 ff.; Jakobs, Error falsae causae (1978) 63, 71 ff.; Scarano Ussani, Valori e storia nella cultura giuridica fra Nerva e Adriano, Studi su Nerazio e Celso (1979) 6, 11 ff.; Behrends, SZ 97 (1980) 477; Krampe, SZ 102 (1985) 587 f.; Winkel, Error iuris nocet: Rechtsirrtum als Problem der Rechtsordnung I (1985) 97 f. 45 Beseler, Beiträge I 98, läßt § 1 mit nam statt mit sed beginnen. Dagegen vermutet Mayer-Maly, Putativtitelproblem 58, einen Textausfall zwischen dem principium und § 1 (zustimmend Hausmaninger 45 A.22 und Mittelsten-Scheid 79): Die Ersitzung des gutgläubigen Besitzers stehe nicht im Gegensatz zu dem, was im principium ausgeführt werde. Hier müsse deshalb ein Passus ausgefallen sein, in dem stand, daß die Ersitzung "nur bei richtiger existimatio" zulässig sei. Nach Mayer-Maly hat Neraz in dem ausgefallenen Textstück über die usucapio pro herede und die usureceptio gehandelt und erklärt, daß es ohne fiducia keine usureceptio und ohne hereditas keine usucapio pro herede gebe. Greiner 44 f. weist demgegenüber aber zu Recht darauf hin, daß die Anknüpfung mit sed durchaus sinnvoll ist, wenn man das folgende relativische quod tamen . .. mit in Betracht zieht: Neraz habe gesagt, daß die usucapio Streitigkeiten beenden solle, aber der Satz id, quod quis, cum suum esse existimaret, possederit, usucapiet, etiamsi falsa fuerit eius existimatio sei dennoch so zu interpretieren, daß nur ein probabilis error der Ersitzung nicht entgegenstehe. 46 Beseler, Beiträge I 98 f., SZ 45, 229; Siber 87 A.20 (88); Ehrhardt 31; Albertario 155 f.; Pflüger 47; v. Lübtow 158 f. Dagegen halten Alibrandi 313 f. und Rabel441 A.2 6 K. Bauer
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2. Kap.: Putativtitelersitzung - A. Voraussetzungen
gestattet an anderer Stelle die Ersitzung auf Grund eines Putativtitels47 , und einigen neueren Untersuchungen zufolge soll gerade er "recht oft die existimatio stärker ... als die Realität" beachten. 48 Seit Mayer-Malys Untersuchungen zum Putativtitelproblem gilt die Entscheidung daher als echt. 49 Umstritten blieb nur, ob im principium die Worte etiam ex aliis causis concessa interim und in § 1 der Schlußsatz quia in alieni facti ignorantia tolerabilis error est von Neraz stammen. 50 Die neue Beurteilung des Fragments ist jedoch nicht überzeugend. Es bleibt vielmehr richtig, daß der überlieferte Text stark entstellt und eine sichere Rekonstruktion der Entscheidung kaum möglich ist. Denn es geht hier ja gar nicht um eine einfache Putativtitelersitzung. Was in den ersten beiden Sätzen des Fragments gesagt wird, ist viel allgemeiner und in dieser Allgemeinheit einfach falsch. 51 Damit Streitigkeiten ein Ende haben, soll die Ersitzung zugelassen worden sein, wenn der Besitzer einer Sache irrtümlich glaubt, die Sache gehöre ihm! Wäre dieser Satz richtig, so setzte die römische usucapio nichts weiter voraus als gutgläubigen Eigenbesitz52 . Ohne jede Differenzierung wäre sie in den unterschiedlichsten Fällen möglich: So könnte nicht nur ersitzen, wer eine Sache gutgläubig vom Nichtberechtigten erworben hat, oder auf Grund eines nichtigen Kaufs, einer nichtigen dos-Bestellung oder einer nichtigen Schenkung von einem berechtigten oder nichtberechtigten Veräußerer, sofern er nur an die Gültigkeit des Geschäfts glaubt. Ersitzen könnte auch, wer zu Unrecht annimmt, daß er geerbt hat; wer sich eine fremde Sache aneignet, die er fälschlich für derelinquiert hält, oder wer eine fremde Sache ganz einfach mit einer eigenen verwechselt: in all diesen Fällen glaubt der den ersten Teil des Fragments für echt und streichen ab quod tamen. Daß Neraz die Putativtitelersitzung gestattet hat, glauben Klein 285 A.8; Pernice 396 f., 502 ff.; Bonfante 268 A.3; und in neuerer Zeit Voci 204 f.; Kaser, Bull. 64, 90 A.114; Zilletti 180 f. 47 Bei Pomp D 41.10.3; dazu sogleich im Text und ausführlich unten § 161. 48 So Mayer-Maly, Putativtitelproblem 60; vgl. außerdem Greiner 43, 142 A.28, 161; Mittelsten-Scheid 1 ff.; Scarano Ussani 5 ff.; auch Krampe 586 ff. 49 Mayer-Maly, Putativtitelproblem 54 ff.; Hausmaninger 44 ff.; Wubbe, SZ 81, 418 ff., TR 32, 567 A.25; Kaser, RP I 421 A.30; Greiner 41 ff.; Mittelsten-Scheid 76 ff.; Scarano Ussani 6, 11 ff.; Behrends 477; Krampe 587 f.; Winkel 97 f.; anders jedoch Jakobs 71 ff. (vgl. unten A.58). 50 Zum principium unten § 11 11 3 bei A.68. Den quia-Satz am Ende von § 1 hält Scarano Ussani 6, 14 für echt. Dagegen streicht Zilletti 180 f. in alieni facti ignorantia und vermuten Voci 205 A.l, 227 f., Hausmaninger 46 A.24 und Greiner 46, daß der ganze quia-Satz ein späterer Zusatz ist; auch Mayer-Maly, Putativtitelproblem 121, hat Bedenken gegen den Ausdruck tolerabilis error. 51 Pernice 396 A.5 (397) kritisierte, das principium sei "für die Membranen zu allgemein und zu lehrhaft", hatte aber keine Bedenken gegen die allgemeine Zulassung der Ersitzung auf Grund gutgläubigen Eigenbesitzes. Gegen Pernice verweisen MayerMaly, Putativtitelproblem 56, Greiner 41 f. und Mittelsten-Scheid 77 f. darauf, daß die Membranen gelegentlich allgemeine Ausführungen enthalten; vgl. etwa Ner 3 membr D 6.2.17 zur actio Publiciana. 52 V gl. Hausmaninger 46: "Eine weitgespannte bona fides wird in D 41.10.5 als die Ersitzungsvoraussetzung schlechthin präsentiert."
§ 11. Die Ersitzung einer vermeintlich gekauften Sache
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Besitzer, eine eigene Sache zu besitzen, und die Beispiele ließen sich fortsetzen. Es liegt auf der Hand, daß nicht alle Fälle gutgläubigen Eigenbesitzes über einen Leisten geschlagen werden können. Die Juristen haben denn auch streng zwischen den einzelnen Fallgruppen der Ersitzung und den jeweils erforderlichen Ersitzungsvoraussetzungen unterschieden. Eine allgemeine Ersitzung auf Grund gutgläubigen Eigenbesitzes kennt das römische Recht gerade nicht. Neraz' eigene Entscheidung ist jedoch nicht differenzierter. Nach seiner interpretatio 53 kann ein gutgläubiger Eigenbesitzer ersitzen, wenn sein Irrtum probabilis ist. Weitere, nach Fallgruppen unterschiedliche Ersitzungsvoraussetzungen scheint auch er nicht zu kennen. Die beiden Fälle führt er nur als Exempel an (veluti si): so soll beispielsweise der Irrtum probabilis und darum die Ersitzung zulässig sein, wenn der Besitzer irrtümlich glaubt, sein Sklave habe die Sache gekauft54; auf die weiteren Umstände des Falles scheint es nicht anzukommen. Die Ersitzung müßte demnach möglich gewesen sein, wenn der Sklave dem dominus eine fremde Sache übergab und wahrheitswidrig behauptete, er habe sie gekauft. Wir kennen diesen Fall schon aus African D 41.4.11; dort stammt er allerdings von einem nachklassischen Bearbeiter. 55 Neraz scheint aber noch weitergegangen zu sein. Wie der Text lautet, hielt er nicht einmal für erforderlich, daß der Sklave die Sache als angeblich gekaufte übergeben hat: der Text deckt beispielsweise auch den Fall, daß der Besitzer selbst die Sache von einem Dritten ausgeliehen hat und irrtümlich annahm, sein Sklave habe sie gekauft. Und da die Fälle nur Exempel sind, hätte der dominus auch ersitzen können, wenn er irrtümlich annahm, daß die Sache seinem Sklaven geschenkt worden ist, oder daß sein Sklave sie geerbt hat, oder daß sie derelinquiert war und sein Sklave sie sich angeeignet hat. 56 53 Mayer-Maly, Putativtite1problem 59, hat hervorgehoben, daß quod ita interpretandum est "eine für Neratius geradezu typische Wendung" sei (vgl. etwa Ner D 25.1.15 und Ner D 40.7.17); ebenso Greiner 44 und Mittelsten-Scheid 80 ff. 54 Mayer-Maly, Putativtitelproblem 64, vermutet, daß der zweite Beispielsfall, der vermeintliche Kauf durch einen Sklaven des Erblassers, ein Glossem ist; nach Greiner 45 ist dagegen auch der zweite Beispie1sfall echt. - In einer anderen, von Paulus in D 41.4.2.6 berichteten Entscheidung soll Neraz die Ersitzung auf Grund eines putativen Kaufs dagegen abgelehnt haben: Cum Stich um emissem, Dama per ignorantiam mihi pro eo traditus est. Priscus ait usu me eum non capturum, quia id, quod emptum non sit, pro emptore usucapi non potest. Der zitierte Priscus könnte Neraz, könnte aber auch Javolen oder Fu1cinius sein. Für Neraz: Mayer-Maly, Putativtitelproblem 44 A.69, 64 (ebenso schon SD 26 [1960] 187 A.50); Hausmaninger 46 A.25; Mittelsten-Scheid 76 A.1. Anders Klein 286; Voci, TR 32 (1964) 93; Jakobs 61. Wenn Neraz in D 41.10.5 eine Ersitzung auf Grund putativen Kaufs gestattet, sofern der Irrtum des Besitzers probabilis ist, kann er die Ersitzung in dem von Paulus berichteten Fall aber nicht schlankweg abgelehnt haben mit der Begründung id, quod emptum non sit, pro emptore usucapi non potest. 55 Vgl. oben § 11 I 3. Anders freilich die herrschende Meinung; nach Mayer-Maly, Putativtitelproblem 57, Greiner 45 f. und Mittelsten-Scheid 84 bestätigt Afr D 41.4.11 die Echtheit von D. 41.10.5. 6'
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2. Kap.: Putativtitelersitzung - A. Voraussetzungen
Unser Fragment ist das einzige Zeugnis, welches zu belegen scheint, daß die usucapio des klassischen römischen Rechts eine allgemeine Ersitzung auf Grund gutgläubigen Eigenbesitzes war und die Juristen lediglich diskutierten, ob der Irrtum des Besitzers wenigstens prababilis sein müsse. Alle anderen Zeugnisse zum Ersitzungsrecht vermitteln ein völlig anderes Bild.57 Darum ist die Annahme unabweisbar, daß der Text unseres Fragments verfälscht ist.58 Neraz' Entscheidung ist offenbar durch Kürzungen oder Änderungen entstellt worden.
Greiner hat in seiner textgeschichtlichen Untersuchung der membranae gezeigt, daß die Schrift in nachklassischer Zeit mit einem "Notenapparat" versehen worden ist59 : Ein nachklassischer Bearbeiter hat Neraz' Entscheidungen ergänzt, erläutert und begründet - oftmals ohne Neraz richtig verstanden zu haben. 60 In D 41.10.5 schreibt Greiner diesem nachklassischen Bearbeiter nur den Schlußsatz quia in alieni facti ignorantia tolerabilis errar est ZU. 61 Doch auch die vorausgehenden Beispielsfälle können nicht von Neraz stammen. Nach allem, was wir vom klassischen Ersitzungsrecht wissen, ist eine Ersitzung gerade nicht möglich, wenn jemand auf irgendeine Weise fehlerfrei in den Besitz einer fremden Sache gelangt und sich vorstellt, sein Sklave habe die 56 Hausmaninger 46 vermutet, daß Neraz die Entscheidung "vorn Besonderen zum Allgemeinen fortschreitend" konzipiert habe: Neraz sei von dem konkreten Fall des vermeintlichen Kaufs durch den Sklaven ausgegangen, habe den Irrtum des dominus als probabilis qualifiziert, die Ersitzung auf Grund des putativen Titels zugelassen und den Putativtitel schließlich "in eine unverfänglich klingende Definition der anerkannten Ersitzungsvoraussetzung bona fides" eingegliedert. Hausmaninger 46, 67 f. glaubt sogar, Neraz habe einen error probabilis wohl nur für die Ersitzung auf Grund eines vermeintlichen Kau f s verlangt, die Ersitzung in anderen Putativtitelfällen dagegen auch gestattet, wenn kein error probabilis vorlag. 57 Darum hatte ursprünglich auch Mayer-Maly, RE IX A 1125, Bedenken gegen das Fragment: "Der überlieferte Text von Dig. XLI 10,5,1 läßt Putativtitel in derart allgemeiner Weise zu, daß doch an nachklassische Erweiterung gedacht werden muß." Später hat Mayer-Maly diese Bedenken nicht mehr, vgl. Putativtitelproblem 54 ff. 58 Ebenso Jakobs 73: "eine formal derart unbeholfene und inhaltlich derart weitgehende und unscharfe Ausführung" sei Neraz nicht zuzutrauen; "frei erfunden" sei das Ganze freilich auch nicht. Vielmehr müsse man annehmen, daß Neraz das Problem des error falsae causae erörtert habe, und diese Erörterung in dem überlieferten Text wiedergegeben werden sollte. Der Gedankengang der Stelle sei jedenfalls folgender (72): Wenn man glaube, daß einern eine Sache gehöre, dann ersitze man sie, auch wenn man sich einen anderen als den wirklich vorliegenden Erwerbsgrund vorstelle, sofern der Irrtum nur entschuldbar sei. Das steht jedoch nicht im Text. Wie der Text überliefert ist, irrt der Besitzer über das suum esse und stellt sich nicht etwa einen falschen Erwerbsgrund vor. Im übrigen ist Jakobs' These, daß die Vorstellung eines falschen Erwerbsgrundes die Ersitzung grundsätzlich gehindert habe, nicht plausibel; vgl. oben § 11 I 1 bei A.lO. 59 Greiner 28 ff., 65 ff. Zustimmend Bona, SD 40 (1974) 509 ff., und Horak, SZ 92 (1975) 316 ff.; ablehnend dagegen Knütel, lura 25 (1974) 146 ff., und Honore, TR 43 (1975) 225 ff. 60 So auch in Ner 5 membr D 24.1.44, s. oben § 8 I 3 bei A.21. 61 Greiner 46; vgl. auch oben A.50.
§ 11. Die Ersitzung einer vermeintlich gekauften Sache
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Sache gekauft. Der nachklassische Bearbeiter muß Neraz mißverstanden und die ,falschen' Beispiele angefügt haben. Was aber stand bei Neraz? Folgendes ist denkbar: 2. Den einzigen Hinweis auf den ursprünglichen Zusammenhang des Fragments liefern die Digesten: Die Kompilatoren haben die Entscheidung unter dem Titel pro suo eingeordnet. In diesem Titel ist das Neraz-Fragment der einzige Text, in dem weder das übliche pro suo possidere vorkommt noch pro suo usucapere. Die Einordnung der Kompilatoren macht aber wahrscheinlich, daß bei Neraz - in der Entscheidung selbst oder im unmittelbaren Kontext von pro suo possidere die Rede war. Und das könnte weiterhelfen. Wir wissen nämlich aus einer von Pomponius berichteten Entscheidung, was Neraz unter pro suo possidere verstand: Pomp 22 ad Sab D 41.10.3 Hominem, quem ex stipulatione te mihi debere falso existimabas, tradidisti mihi: si scissem mihi nihil debere, usu eum non capiam: quod si nescio, verius est, ut usucapiam, quia ipsa traditio ex causa, quam veram esse existimo, sufficit ad efficiendum, ut id quod mihi traditum est pro meo possideam. et ita Neratius scripsit idque verum puto.
Das Fragment wird in § 16 I eingehend besprochen; dabei kommen wir zu folgenden Ergebnissen: Ein Sklave ist tradiert worden, ohne daß eine iusta causa traditionis vorlag. Der Erwerber kann ihn dennoch ersitzen, sofern er gutgläubig ist. Die Tradition auf Grund einer causa, die er für eine vera causa hält, genügt nämlich nach Neraz, um zu bewirken, daß er den tradierten Sklaven pro suo besitzt. 62 Die Formulierung sufficit ad efficiendum macht aber ganz deutlich, daß der Erwerber den Sklaven erst recht pro suo besessen und ersessen hätte, wenn seine Vorstellung richtig gewesen, der Sklave ihm also wirklich ex iusta causa tradiert worden wäre. Pro suo possidere ist demnach für Neraz eine entscheidende Voraussetzung für die Ersitzung einer tradierten res mancipi. Und diese Voraussetzung ist gegeben, wenn der Besitzer - zu Recht oder zu Unrecht - glaubt, die res mancipi sei ex iusta causa tradiert worden. 63 3. Zurück zu D 41.10.5. Wir versuchen zu rekonstruieren, was bei Neraz stand, und gehen dabei von zwei Hypothesen aus. Zum einen nehmen wir an, daß bei Neraz von pro suo possidere die Rede war. Dafür spricht die Überlieferung des Fragments im Digestentitel pro suo. Und zum anderen gehen wir davon aus, daß Neraz den Ausdruck pro suo possidere auch dort in der Bedeutung verwendet hat, die wir aus D 41.10.3 kennen. Aus diesen Hypothesen folgt, daß unser Fragment von der Ersitzung tradierter res mancipi handelte: 62 Pomponius zitiert Neraz wörtlich: sein et ita Neratius seripsit idque verum puto am Ende des Fragments zeigt, daß es Neraz war, der gesagt hat verius est, ut usueapiam ete. Anders, aber nicht überzeugend Hausmaninger, vgl. unten § 16 A.3. 63 Zum Zweck dieser Usukapionsvoraussetzung unten § 16 I 2 nach A.14.
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2. Kap.: Putativtitelersitzung - A. Voraussetzungen
Die Frage war, ob eine tradierte res mancipi auch dann ersessen werden kann, wenn in Wahrheit keine iusta causa traditionis vorliegt, der Erwerber aber irrtümlich annimmt, eine iusta causa traditionis sei gegeben. Bei Neraz begann der Text: usucapio rerum mancipi; die Kompilatoren machten daraus eine allgemeine usucapio rerum. Unsere Vermutung stößt allerdings auf folgende Schwierigkeit: Im überlieferten Text glaubt der Besitzer, die Sache gehöre ihm (propter ea, quae nostra existimantes possideremus und sed id, quod quis, cum suum esse existimaret, possederit). Wird aber eine res mancipi nur tradiert, so weiß der Besitzer natürlich, daß er nicht quiritischer Eigentümer ist. Auch wenn er annimmt, die res mancipi sei ihm ex iusta causa tradiert worden, hält er sich doch nur für den bonitarischen Eigentümer. Diese Schwierigkeit ist jedoch nicht unüberwindlich. Vielleicht hat Neraz mit suum esse existimare den guten Glauben des Besitzers an sein bonitarisches Eigentum bezeichnet. Wir können das um so weniger ausschließen, als er nach D 41.10.3 gerade denjenigen pro suo besitzen läßt, der eine res mancipi nur tradiert erhalten hat und also weiß, daß er nicht quiritischer Eigentümer ist. 64 Wahrscheinlicher ist jedoch, daß die Kompilatoren einen Hinweis auf das bonitarische Eigentum gestrichen haben. Vermutlich stand bei Neraz: usucapio rerum ... propter ea, quae nostra existimantes possideremus und sed id, quod quis, cum suum esse existimaret, possederit. Nostra und suum sind Prädikatsnomen; in bonis ist eine limitative Bestimmung, die sagt, in welcher Hinsicht der Besitzer die Sache für ihm gehörig hält. 65 Nach einer neuen Untersuchung Eric Pools hat der Ausdruck in bonis alicuius esse mit alicuius als Prädikatsnomen "eine technisch präzise Bedeutung und wird nur in einer Weise verwendet: zur Bezeichnung von bonitarischem Eigentum".66 In unserem Fragment hat der Besitzer eine res mancipi tradiert erhalten und glaubt irrtümlich, sie sei ex iusta causa tradiert worden; er glaubt also irrtümlich, die Sache stehe in seinem bonitarischen Eigentum. Justinians Kompilatoren haben aus der res mancipi eine einfache res gemacht und dann konsequenterweise auch in bonis gestrichen. Diese Annahme löst eine Reihe von Schwierigkeiten, die nach dem bisherigen Textverständnis nicht zu lösen sind. In § 1 heißt es: Was jemand in der Annahme, es gehöre ihm, zu besitzen begonnen hat, das ersitzt er, auch wenn seine Vorstellung falsch war. Etiamsi falsa fuerit eius existimatio besagt, daß 64 Nach Mayer-Maly, Putativtitelproblem 56 A.8, ist suum esse dagegen "ein eindeutig dem ius civile zugehöriger Begriff, der mit dem ... prätorischen Eigentum nichts zu tun hat." 65 Vgl. Pool, SZ 102 (1985) 473 ff. 66 Pool (A.65) 477 ff. (479) gegen Bonfante (1895), Scritti giuridici 11 (1918) 386; Wubbe, Res aliena pignori data (1960) 14,267; Di6sdi, St. Volterra 11 (1971) 132, 135.
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der Besitzer auch dann ersäße, wenn seine Vorstellung nicht falsch gewesen wäre. 67 Das macht schlechterdings keinen Sinn, wenn der Besitzer glaubt, quiritischer Eigentümer zu sein. Glaubte er dagegen, bonitarischer Eigentümer zu sein, stimmt es: auch wenn seine Vorstellung richtig gewesen wäre, müßte er ersitzen. Im zweiten Satz von § 1 sagt Neraz, das Vorausgehende sei so zu interpretieren, daß ein probabilis error des Besitzers der Ersitzung nicht entgegenstehe. Probabilis error possidentis usucapioni non obstet hätte Neraz aber kaum sagen können, wenn die Ersitzung gerade deshalb erforderlich gewesen wäre, weil sich der Besitzer irrte. Diese Ausdrucksweise deutet vielmehr darauf hin, daß die Usukapion auch erforderlich gewesen wäre, wenn der Besitzer nicht geirrt hätte. Das aber trifft nur zu, wenn sich der Besitzer irrtümlich für den bonitarischen Eigentümer hielt: auch wenn seine Vorstellung richtig, er also wirklich bonitarischer Eigentümer gewesen wäre, müßte er ersitzen. Schließlich zum principium. Durchweg wird folgendermaßen interpungiert: Usucapio rerum, etiam ex aliis causis concessa interim, propter ea, quae nostra existimantes possideremus, constituta est, ut aliquis Iitium finis esset.
Interim wird also auf concessa bezogen. 68 Herkunft und Bedeutung von etiam ex aliis causis concessa interim sind allerdings umstritten.
Gegen alle früheren Interpolationsvermutungen69 hält Mayer-Maly den ganzen Text für echt10 : Neraz habe angenommen, daß die Usukapion auf Grund gutgläubigen Eigenbesitzes durch die usus auctoritas-Regel der Zwölf Tafeln eingeführt (constituta est), und daß später die Ersitzung auch in anderen Fällen gestattet worden sei, nämlich in Fällen, in denen sich der Besitzer nicht für den Eigentümer hielt. Mit etiam ex aliis causis concessa interim habe Neraz vor allem die usucapio pro herede und die usureceptio ex fiducia gemeint. Diese beiden Fälle der Ersitzung seien zwar wahrscheinlich vordezemviral; der falsche Zeitansatz dürfe aber keinen Interpolationsverdacht wecken. Hausmaninger und Mittelsten-Scheid pflichten Mayer-Maly bei7l , anderer Ansicht ist 67 Mayer-Maly, Putativtitelproblem 58, sieht diese Schwierigkeit, glaubt aber, sie sei dadurch auszuräumen, daß man etiamsi mit ,obgleich' übersetzt statt mit ,auch wenn': dann sei keine gleichartige Rechtsfolge bei richtiger existimatio vorausgesetzt; zustimmend Greiner 44, zu Recht gegen Mayer-Maly aber Jakobs 72 A.1l7. Wie man etiamsi auch übersetzt - es bleibt dabei, daß der Besitzer auch dann ersitzen müßte, wenn seine Vorstellung richtig gewesen wäre. Jakobs bezieht falsa existimatio darum nicht auf suum esse, sondern auf den vermeintlichen Grund des Erwerbs: Der Besitzer stelle sich einen falschen Erwerbsgrund vor. Davon ist im Text jedoch nicht die Rede (vgl. oben A.58). 68 Vgl. Mayer-Maly, Putativtitelproblem 54 ff.; Hausmaninger 44 f.; Greiner 41 ff.; Mittelsten-Scheid 76; Jakobs 71; Scarano Ussani 11; Winkel 97. 69 Einen Überblick über die ältere Literatur geben Mayer-Maly, Putativtitelproblem 57 f., und Greiner 43 AAL 70 Mayer-Maly, Putativtitelproblem 57 f. 71 Hausmaninger 44 f.; Mittelsten-Scheid 78 f.
2. Kap.: Putativtitelersitzung - A. Voraussetzungen
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dagegen Greiner. 72 Nach Greiner kommt etiam ex aliis causis concessa interim aus der Feder der Kompilatoren, die daran erinnern wollten, daß nach justinianischem Recht auch ususfructus und Servituten ersitzbar waren.73 Unter den aliae causae hätten sie die usucapio ususfructus et servitutis verstanden. Keine dieser Thesen ist befriedigend. Vor allem ist es nicht erforderlich, interim auf concessa zu beziehen. Im Gegenteil: durch die Stellung nach concessa wird interim eher dem Prädikat des Satzes constituta est zugeordnet. Wir lesen also: Usucapio rerum , etiam ex aliis causis concessa, interim propter ea, quae nostra existimantes possideremus, constituta est, ut aliquis litium finis esset.
Neraz stellt der Putativtitelersitzung den Normalfall der Ersitzung gegenüber: Ursprünglich sei die Ersitzung von res mancipi zugelassen worden, nicht um Streitigkeiten zu beenden, sondern ex aliis causis. Das ist richtig: Wurde eine res mancipi ex iusta causa tradiert, diente die Ersitzung vornehmlich dazu, den Mangel der förmlichen Manzipation auszugleichen. Inzwischen, sagt Neraz, sei die Ersitzung aber auch für den Fall eingeführt worden, daß sich der Besitzer nur für den bonitarischen Eigentümer der ihm tradierten res mancipi hält (während er es in Wahrheit nicht ist, weil keine iusta causa traditionis vorliegt); und in diesem Fall sei die Ersitzung zugelassen worden, um Streitigkeiten ein Ende zu setzen. Nach Ablauf der Ersitzungsfrist kann der bisherige Eigentümer nicht mehr geltend machen, daß seiner Tradition keine iusta causa traditionis zugrunde lag und der Empfänger die tradierte res mancipi aus diesem Grund nicht ersessen hat. Streitigkeiten über die Gültigkeit oder Ungültigkeit des Kausalgeschäfts sind daher nach Ablauf der Ersitzungsfrist ausgeschlossen. Neraz selbst will die Putativtitelersitzung allerdings nur zulassen, wenn der Irrtum des Besitzers probabilis ist. Damit meint Neraz natürlich den Irrtum über die Gültigkeit der causa traditionis. Der nachklassische Bearbeiter hat das mißverstanden und den Irrtum auf die Vornahme des Erwerbsgeschäfts bezogen. Darum fügte er erläuternd hinzu, daß der Besitzer etwa ersitzen könne, wenn er glaube, sein Sklave oder der Sklave dessen, den er beerbt hat, habe die Sache gekauft, denn der Irrtum über fremdes Handeln sei ein tolerabilis error. IH. Wir fassen zusammen. Die Zulässigkeit der Putativtitelersitzung auf Grund einer vermeintlich gültigen Übereignung war umstritten. Wer glaubte, durch eine t'raditio ex iusta causa quiritisches oder bonitarisches Eigentum erworben zu haben, konnte nach Meinung einiger Juristen ersitzen. Es 42 f. Im Jahre 531 hat Justinian die Ersitzung auf Nießbrauch und Servituten ausgedehnt (e 7.33.12.4); nach klassischem Recht waren res incorporales dagegen nicht ersitzbar (Gai D 41.1.43.1); dazu Greiner 42 und Kaser, RP 1452, beide m.w.Lit. 72 73
§ 11. Die Ersitzung einer vermeintlich gekauften Sache
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genügte jedoch nicht, daß sich der vermeintliche Erwerber bloß vorstellte, ein Erwerbsgeschäft habe stattgefunden. Eine Putativtitelersitzung kam nur in Betracht, wenn eine Sache solutionis causa, dotis causa oder emptionis causa tradiert worden war und der Empfänger die causa traditionis irrtümlich für wirksam hielt. Die beiden Fragmente Afr 7 quaest D 41.4.11 und Ner 5 membr D 41.10.5, die scheinbar aus der Reihe fallen, sind durch nachklassische Zusätze, D 41.10.5 außerdem durch eine Textänderung der Kompilatoren verfälscht. Weder Neraz noch Julian noch - soweit wir sehen - ein anderer Jurist hat die Ersitzung zugelassen, wenn gar kein Übereignungsgeschäft stattgefunden hatte.
§ U. Die Ersitzung einer vermeintlich vermachten Sache I. Als Zeugnisse der Putativtitelersitzungpro legato werden zu Unrecht herangezogen Iav 7 ex Cass D 41.8.5 1 Ea res, quae legati nomine tradita est, quamvis dominus eius vivat, legatorum tarnen nomine usucapietur, Pomp 32 ad Sab D 41.8.6 si is, cui tradita est, mortui esse existimaverit.
Der Sachverhalt der Entscheidung ist streitig. Nach Mayer-Maly ist kein Legat ausgesetzt worden; der Empfänger glaube nur irrtümlich an ein Legat. 2 Er könne die in Wahrheit nicht vermachte Sache aber ersitzen, wenn sie ihm legati nomine tradiert worden sei. Diese Auslegung wird den Texten nicht gerecht. Sie sagen nämlich nicht, daß die Sache nicht vermacht worden ist; vielmehr liegt ihr Problem ersichtlich darin, daß die Sache, die legati nomine gegeben und empfangen wird, einem lebenden Eigentümer gehört. Vielleicht ist Mayer-Maly davon ausgegangen, daß der Testator noch nicht verstorben ist und darum auch noch kein wirksames Vermächtnis vorliegt. Diese Auffassung vertraten Cujaz und Stintzing3 : Der vermeintliche Legatar glaube irrtümlich, der Eigentümer der Sache sei gestorben und habe ihm die Sache vermacht; in Wahrheit lebe der dominus aber noch. 4 Hätten wir von diesem Sachverhalt auszugehen, wäre die Ersitzung, die Javolen und Pomponius zulassen, tatsächlich eine Putativtite1ersitzung. 1 Cuiacius, Comm. ad tit. Pro haerede, ad D 41.5.1, in der Ausgabe Iacobi Cuiacii IC. Tolosatis Opera ad Parisiensem Fabrotianam Editionem diligentissime exacta in Tomos XIII distributa auctiora atque emendatiora (Prati 1836 -1844) VI 671; Stintzing, Bona Fides (1852) 92 f.; Böcking, Pandekten des römischen Privatrechts II (2. Auf!. 1853) 93 A.36; Unterholzner / Schirmer, Verjährungslehre I (1858) 395 A.400, 396 A.402; Fitting, AcP 52 (1869) 36 ff.; Bonfante (1894), Scritti giuridici II (1918) 656, Corso di diritto romano II 2 (1928) 260; Mayer-Maly, Putativtitelproblem (1962) 142; Mittelsten-Scheid, Die Vorliebe des L. Neratius Priscus für das Subjektive (Diss. Heidelberg 1976) 202; Manthe, Die libri ex Cassio des Iavolenus Priscus (1982) 290 ff. 2 Mayer-Maly 142; ebenso Mittelsten-Scheid 202. 3 Cuiacius 671; Stintzing 93 A.84. 4 Nach Fitting 37 A.139 dagegen "kann dieser Sinn gewiß nur mit dem äußersten Zwang in die Stellen hineingelegt werden." Der Vermächtnisgeber könne nicht einfach als dominus rei, quae legati nomine tradita est bezeichnet werden und ebensowenig könne der Irrtum über seinen Tod nur durch die Worte si is, cui tradita est, mortui esse existimaverit beschrieben werden.
§ 12. Die Ersitzung einer vermeintlich vermachten Sache
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Wie aber schon Unterholzner, Böcking und Fitting gesehen haben, liegt der Fall viel einfacher5 : Obwohl der Text nicht von einer res aliena spricht, ist davon auszugehen, daß hier eine fremde Sache per vindicationem vermacht worden ist. Der Testator ist wirklich gestorben und hat dem Legatar eine Sache vermacht, die nicht ihm, dem Verstorbenen, gehörte, sondern einem Dritten, also einem Eigentümer, der noch lebt. Der Legatar kann die vermachte Sache aber ersitzen, wenn er sie für eine Sache des verstorbenen Testators hält. 6 Diese Interpretation wird durch ein weiteres Javolen-Fragment aus demselben Werk und Buch bestätigt?: Iav 7 ex Cass D 41.8.7 8 Nemo potest legatorum nomine usucapere ni si is, cum quo testamenti factio est, quia ea possessio ex iure testamenti proficiscitur.
Nach Javolen kann nur derjenige pro legato ersitzen, der die passive testamenti factio hat, weil sein (Ersitzungs-)Besitz auf dem ius testamenti beruht. Daraus folgt ohne jeden Zweifel, daß Javolen die usucapio pro legato nur dann gestattet, wenn der Testator wirklich gestorben ist und ein gültiges Testament hinterlassen hat. Denn nach ius testamenti setzt ein testamentarischer Erwerb nicht nur voraus, daß der Erwerber die passive testamenti factio besitzt; er setzt vor allem voraus, daß der Erbfall eingetreten ist und ein gültiges Testament vorliegt. Diese beiden Voraussetzungen müssen mithin auch in D 41.8.5/6 gegeben sein, wo Javolen die usucapio pro legato zuläßt. Die dort zugelassene Ersitzung ist also keine Putativtitelersitzung, sondern eine titulierte Ersitzung auf Grund der Verfügung eines Nichtberechtigten: wenn ein Nichtberechtigter eine fremde Sache per vindicationem vermacht, ist eine iusta causa legati gegeben. 9 Unterholzner 396 A.402; Böcking 93 A.36; Fitting 37 f. So auch Bonfante, Scritti 11 656 und Corso 11 2, 260, und jetzt vor allem Manthe 291 f. 7 Üblicherweise wird anders argumentiert: Fitting 37 A.139 stützt seine Interpretation von D 41.8.5/6 auf den nach seiner Ansicht eindeutigen Wortlaut (vgl. oben A.4), "auf die nahe Beziehung" der beiden Fragmente zu Pomp D 41.5.1 und auf die Überlegung, daß es "aus innern Rücksichten höchst mißlich" wäre, wenn es eine Ersitzung gegen den lebenden Vermächtnisgeber gäbe. Ähnlich schon Unterholzner 396 A.402. Nach Manthe 292 ergibt sich das richtige Verständnis von Iav D 41.8.5 unmittelbar aus Pomp D 41.5.1 und Pomp D 41.8.6: Beide Fragmente gehörten zusammen (vgl. Lenel, Paling. 11 141, Pomp Nr. 766), und Pomponius führe aus, daß eine fremde in der Erbschaft befindliche Sache nicht pro herede, wohl aber pro legato ersessen werden könne. Indessen ist auch bei Pomp D 41.5.1 umstritten, ob es um fremde Sachen im Nachlaß geht oder um den vermeintlichen Nachlaß einer Person, die in Wahrheit noch lebt (vgl. oben § 10 11 bei A.6). Und daß es um fremde Sachen im Nachlaß geht, schließt Manthe 292 A.154 wiederum aus der palingenetischen Nähe zu Pomp D 41.8.6. 8 Zu diesem Fragment schon oben § 6 bei A.I0. 9 Dazu oben § 6 nach A.3; anders Ciapessoni, St. Bonfante III (1930) 692 ff., und Kränzlein, Fg. Kaser "Iuris professio" (1986) 128. 5
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2. Kap.: Putativtitelersitzung - A. Voraussetzungen
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Entgegen Mayer-MalylO ist darum auch nicht entscheidend, daß die Sache, wie in D 41.8.5/6 und wie gewiß im Regelfall, legati nomine tradiert worden ist. Denn die Tradition, die der Erbe des Testators vornimmt, ist keine Übereignungstradition, sondern ist die bloße Herausgabe der Sache, die vermeintlich schon dem Legatar gehört. Auch wenn der Legatar den Besitz nicht durch die Übergabe des Erben, sondern auf andere Weise fehlerfrei erlangt hätte, könnte er ersitzen, denn die Grundlage seiner Ersitzung ist nicht die traditio legati nomine, sondern das von dem nichtberechtigten Testator ausgesetzte Vindikationslegat. ll Nach dem ist festzustellen: Iav D 41.8.5 und Pomp D 41.8.6 geben keinen Aufschluß über die Putativtitelersitzung pro legato. 11. Aufschluß über die Putativtitelersitzung pro legato gewinnen wir aber aus Paul54 ad ed D 41.8.4.1 2 Pro legato potest usucapi, si res aliena legata sit aut testatoris quidem sit, sed adempta codicillis ignoratur: in horum enim persona subest iusta causa, quae sufficit ad usucapionem. idem potest dici et si in nomine erit dubitatio, ve1uti si Titio legatum sit, cum si nt duo Titii, ut alter eorum de se cogitatum existimaverit.
1. Eine usucapio pro legato findet nach Paulus in mehreren Fällen statt: Zum einen kann pro legato ersessen werden, wenn die vermachte Sache dem Testator nicht gehörte. Zum anderen, wenn der Testator eine eigene Sache vermacht, das Vermächtnis aber später widerrufen hat und der Legatar nichts von dem Widerruf weiß. Schließlich, wenn der Testator ein Legat ausgesetzt hat, ohne den Legatar eindeutig zu bezeichnen, wenn er ihn etwa nur mit ,Titius' bezeichnet hat, obwohl zwei Titii in Betracht kommen; glaubt einer der beiden Titii, er sei gemeint, kann er ersitzen. Der erste Fall ist banal und bereitet keine Schwierigkeiten. Wenn ein Nichtberechtigter eine fremde Sache per vindicationem legierte, war die causa legati wirksam. In diesem Fall war die Zulässigkeit der usucapio pro legato nicht bestritten. 13 Streitig war dagegen, ob eine Putativtitelersitzung zugelassen werden sollte, wenn keine wirksame causa legati vorlag. 14 142; ebenso Mitte/sten-Scheid 202. Vgl. Pap D 41.8.8 und oben § 711 2; ebenso Unterholzner 394 f. und Fitting 38. 12 Unterholzner I Schirmer, Verjährungslehre I (1858) 396 A.401; Fitting, AcP 52 (1869) 33 ff.; Klein, Sachbesitz und Ersitzung (1891) 295 ff.; Bonfante (1894), Scritti giuridici 11 (1918) 615 A.1; Pernice, Labeo 11 1 (1895) 480 f.; Beseler, SZ 45 (1925) 229; Siber, Römisches Recht 11 (1928) 87 A.20 (88); Ciapessoni, St. Bonfante III (1930) 693 f.; Arno, 11 possesso (1936) 408 f.; Pflüger, Lehre vom Erwerbe des Eigentums (1937) 50; Voci, Modi (1952) 184 f.; v. Lübtow, Fs. zum 41. Deutschen Juristentag (1955) 159 f.; Jakobs, Error falsae causae (1978) 86 f.; Kränzlein, Fg. Kaser "Iuris professio" (1986) 128 ff. \3 Vgl. oben § 6 bei A.1. 14 Vgl. Herrn D 41.8.9 (dazu unten § 12 III) und auch Vip D 41.3.27. \0
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§ 12. Die Ersitzung einer vermeintlich vermachten Sache
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Die zweite und die dritte Fallvariante zeigen, daß Paulus die Putativtitelersitzung zugelassen hat. Die meisten Autoren sind allerdings anderer Ansicht. Nach Beseler und Pflüger stammen die letzten beiden Fälle gar nicht von Paulus; aut testatoris - /in. sei zu streichen.1 5 Fitting hält zwar das ganze Fragment für echt, glaubt aber, daß die Ersitzung in den letzten beiden Fällen "im Sinne des Paulus als eine Usucapion aus wirklichem Titel zu betrachten" iSt. 16 Pernice ist ähnlicher Ansicht.!? Und auch nach Mayer-Maly hat Paulus eine putative usucapio pro legato abgelehnt.l 8 Mayer-Maly geht auf unser Fragment allerdings nicht ein - was wohl den Schluß erlaubt, daß er die hier zugelassene Ersitzung nicht für eine Putativtitelersitzung hält. In beiden Fallvarianten kann jedoch von einer wirksamen causa legati nicht die Rede sein. In der zweiten Variante hat der Testator ein Legat ausgesetzt, das Legat jedoch später in einem Kodizill widerrufen. Wir müssen annehmen, daß der Widerruf formgerecht in einem konfirmierten Kodizill erfolgte und darum nach ius civile wirksam war; wäre der Widerruf nicht wirksam gewesen, hätte der Legatar die Sache unmittelbar auf Grund des Vindikationslegats erworben, und es hätte keiner Ersitzung bedurft. 19 Das ausgesetzte Legat muß also wirksam widerrufen worden sein. Dennoch gestattet Paulus die Ersitzung, wenn der Legatar von dem Widerruf nichts weiß.ZO Diese Ersitzung ist 15 Beseler 229; Pflüger 50; zustimmend Ciapessoni 693 A.148, 694 A.151. Siber 87 A.20 (88) liest: ... aut testatoris [-J adempta codicillis und streicht das Folgende. 16 Fitting 33 f. 17 "Unzweideutiger Grund für die Zulassung der Usucapion" ist nach Pernice 408, daß "trotz der Zurücknahme des Vermächtnisses eine iusta causa" vorliegt; andererseits spricht Pernice allerdings vorn "Mangel des Titels", der durch den Irrtum des Usukapienten ergänzt werde. Wie Fitting und Pernice auch Arno 408. Jakobs 86 f. dagegen bezieht die Entscheidung offensichtlich auf ein Damnationslegat (s. besonders 86 A.156): Wenn der Erbe die Sache tradiert habe, könne der Empfänger ersitzen, obwohl ihm möglicherweise gar kein Legat (3. Fall) oder kein gültiges Legat (2. Fall) ausgesetzt worden sei. Entgegen Jakobs kann es hier jedoch nicht um ein Damnationslegat gehen. Zum einen kommt bekanntlich der Usukapionstitel pro legato nur bei einern Vindikationslegat in Betracht; und zum anderen wäre das Eigentum sofort auf den Legatar übergegangen und es hätte keiner Ersitzung bedurft, wenn der Erbe die Sache zur Erfüllung eines vermeintlich wirksamen Damnationslegats, also solutionis causa, tradiert hätte. Nur Neraz und Pomponius (vgl. Pomp D 41.10.3 und D 41.10.4.2, dazu unten § 16, I, 11) vertraten eine Sondermeinung und nahmen an, daß die causa solvendi nicht wirksam sei, wenn die Schuld, die getilgt werden sollte, in Wahrheit nicht bestand. 18 Mayer-Maly, Putativtitelproblem 85 f., 88; auch nach Kaser, RP I 421 bei A.27, können pro legato nur Sachen ersessen werden, die vorn Nichtberechtigten wirksam vermacht worden sind; auf Paul D 41.8.4 geht allerdings auch Kaser nicht ein. 19 Dagegen meint Voci 185, daß die klassischen Juristen die Ersitzung im Fall eines widerrufenen Legats nur dann zuließen, wenn der Widerruf in einern nicht konfirmierten Kodizill erfolgt war und das Legat nach ius civile wirksam blieb. Doch warum sollte in diesem Fall eine Ersitzung überhaupt erforderlich sein? 20 Entgegen Pernice 408 kommt es nicht darauf an, daß auch der Erbe nichts von dem Widerruf wußte.
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2. Kap.: Putativtitelersitzung - A. Voraussetzungen
zweifellos eines Putativtitelersitzung. 21 Ebenso klar ist die Rechtslage im dritten Fall. Hier hat der Testator einer Person namens Titius ein Legat ausgesetzt. Es gibt jedoch zwei Personen dieses Namens, die beide gemeint sein könnten. 22 Mangels eindeutiger Bezeichnung des Legatars ist das Legat nach den allgemeinen Grundsätzen unwirksam. 23 Keiner der beiden Titii erwirbt die vermachte Sache zu eigen, und keiner von beiden kann sich auf eine iusta causa legati stützen. 24 Dennoch läßt Paulus die Ersitzung zu, wenn einer der beiden Titii die Sache in Besitz nimmt und glaubt, das Legat sei wirksam und ihm ausgesetzt worden. Auch seine Ersitzung ist ohne jeden Zweifel eine Putativtitelersitzung. 25 2. Warum nehmen Fitting und Pernice - und offenbar auch Mayer-Maly gleichwohl an, die Ersitzung müsse ,im Sinne des Paulus' eine wirksam titulierte Ersitzung gewesen sein? Fitting und Pernice berufen sich auf zweierlei. a) Zum einen verweisen sie auf ein anderes Paulus-Fragment, das auch aus dem 54. Buch des Ediktkommentars stammt und im selben Digestentitel überliefert ist: Paul 54 ad ed D 41.8.2 Si possideam aliquam rem, quam putabam mihi legatam, cum non esset, pro legato non usucapiam.
Wenn jemand eine Sache besitzt, die ihm nicht vermacht worden ist, dann ist eine usucapio pro legato ausgeschlossen, auch wenn der Besitzer glaubt, die Sache sei ihm vermacht worden. Aus dieser klaren Entscheidung schließen Fitting, Pernice und auch Mayer-Maly, daß Paulus eine Putativtitelersitzung pro legato generell abgelehnt hat. 26 Dieser Schluß ist jedoch nicht gerechtfertigt. Schon Klein hat gesehen, daß sich die bei den Fragmente in einem wesentlichen Punkt unterscheiden 27 : In 21 So zutreffend Kränzlein 128; Pernice 408 meint dagegen, daß trotz des Widerrufs eine iusta causa vorliege und erklärt das damit, daß "der Hauptnachdruck auf die äussere Erscheinung des Rechtsgeschäftes im giltigen Testamente, auf sein formales Dasein" gelegt worden sei. Doch das ,formale Dasein' bewirkt noch keine iusta causa legati. 22 Unterholzner 396 A.401, Klein 295 und Bonfante 615 verstehen den Fall anders: Sie meinen, das Legat sei dem einen Titius ausgesetzt worden und der andere Titius glaube irrtümlich, er sei gemeint. Diese Auslegung ist jedoch mit dem Wortlaut cum sint duo Titii, ut alter eorum de se cogitatum existimaverit nicht vereinbar. 23 Vip D 34.4.3.7 und D 34.5.10 pr.; vgl. auch Paul D 40.4.31. 24 Zutreffend Kränzlein 128. 25 So schon v. Lübtow 160; da aber nach seiner Ansicht Paulus eine Putativtitelersitzung nicht zugelassen haben kann, hält er den Text für interpoliert. Bei Paulus habe gestanden: ... a legatario usucapi non potest. Ein nachklassischer Bearbeiter habe Paulus' Entscheidung in ihr Gegenteil verkehrt und den Satz eingefügt: in horum enim persona subest iusta causa, quae sufficit ad usucapionem. 26 Fitting 33 f., 41; Pernice 408; Mayer-Maly, Putativtitelproblem 85 f., 88. 27 Klein 296.
§ 12. Die Ersitzung einer vermeintlich vermachten Sache
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D 41.8.2 ist die Sache dem Besitzer in Wahrheit gar nicht vermacht worden; der Besitzer stellt sich lediglich vor, sie sei ihm vermacht worden. Unter diesen Umständen lehnt Paulus eine Putativtitelersitzung ab. Die Umstände von D 41.8.4 sind aber anders: In der zweiten Fallvariante ist die Sache dem Besitzer tatsächlich vermacht worden, in der dritten ist sie einem nicht eindeutig bezeichneten Titius vermacht worden, und der Besitzer heißt Titius. Im einen wie im anderen Fall ist das Legat unwirksam aus einem Grund, der gleichsam außerhalb des Testaments liegt und von dem der Besitzer auch nichts weiß: im einen Fall ist das Legat unwirksam, weil es in einem Kodizill widerrufen worden ist, im anderen, weil es mehrere Titii gibt und daher die Bezeichnung im Testament nicht eindeutig ist. Unter diesen Umständen gestattet Paulus dem gutgläubigen Besitzer die Putativtitelersitzung. Darin liegt kein Widerspruch zu seiner in D 41.8.2 überlieferten Entscheidung. Vielmehr kommt in den gegensätzlichen Entscheidungen jener Grundsatz besonders deutlich zum Ausdruck, den wir schon in § 11 kennengelernt haben: Auf Grund eines nicht existierenden Erwerbsgeschäfts ist eine Putativtitelersitzung nicht möglich; auf Grund eines unwirksamen Erwerbsgeschäfts, das der Erwerber für wirksam hält, ist sie dagegen nach Meinung einiger Juristen möglich. Glaubt jemand, er habe eine Sache durch traditio ex iusta causa zu eigen erworben, so kann er sie nach Meinung einiger Juristen ersitzen, wenn ihm die Sache wirklich pro emptore, pro soluto oder pro dote tradiert worden ist, auch wenn die causa emptionis, solutionis oder dotis unwirksam ist. Dagegen ist keine Ersitzung möglich, wenn sich der Besitzer bloß vorstellt, die Sache sei ihm tradiert worden. Dieselben Grundsätze gelten bei der Putativtitelersitzungpro legato: Was die Tradition bei der traditio ex iusta causa ist, das ist beim Vindikationslegat die Legatsanordnung im Testament.28 Auf Grund eines angeordneten, aber unwirksamen Legats ist eine Putativtitelersitzung nach Meinung einiger Juristen möglich 29 ; auf Grund eines nur vorgestellten, in Wahrheit aber gar nicht angeordneten Legats ist sie dagegen nicht möglich. 30 28 Pernice 408 (s. oben A.21) hat also insofern recht, als es wirklich "auf die äussere Erscheinung des Rechtsgeschäftes im giltigen Testamente, auf sein formales Dasein" ankommt. Entgegen Pernice bewirkt dieses ,formale Dasein' aber keine iusta causa legati, sondern liefert die reale Grundlage, auf der eine Putativtite1ersitzung möglich ist. 29 Ähnlich Kränzlein 130: die usucapio pro legato habe kein gültiges Legat vorausgesetzt, vielmehr habe man sich mit einem " einmal wirklich angeordneten Legat begnügt." Kränzlein nimmt allerdings zusätzlich an, daß die vermachte Sache vom Erben übergeben werden mußte, damit die Ersitzung möglich war. Auf die Übergabe der Sache kann es jedoch nicht ankommen, denn die Tradition, die der Erbe vornimmt, ist keine Übereignungstradition, sondern die bloße Herausgabe der Sache, die der Legatar vermeintlich schon auf Grund des Vindikationslegat zu eigen erworben hat. I?er Legatar kann ersitzen, wenn er den Besitz der Sache fehlerfrei erlangt, sei es durch Ubergabe oder auf andere Weise (s. Pap D 41.8.8 und oben § 7112). 30 Für Klein 297 ist das eine Frage ,taxativ festgesetzter Irrthumsthatbestände': "Nicht jedes Irren, auch nicht jedes entschuldbare oder sonst gerechtfertigte Irren,
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2. Kap.: Putativtitelersitzung - A. Voraussetzungen
Paulus' Entscheidung in D 41.8.2 spricht also nicht gegen das Ergebnis unserer Exegese von D 41.8.4: daß er dort eine Putativtitelersitzungpro legato zuläßt. b) Fitting und Pernice stützen ihre Ansicht, daß in D 41.8.4 keine Putativtitelersitzung vorliegen könne, aber nicht nur auf D 41.8.2. Sie berufen sich auch auf die Begründung, die der Text selbst für die Zu lässigkeit der Ersitzung gibt. 31 Die usucapio ist möglich, wenn eine res aliena vermacht worden ist, oder wenn eine eigene Sache des Testators vermacht, das Vermächtnis aber später widerrufen worden ist - weil: in horum enim persona subest iusta causa, quae sufficit ad usucapionem. Paulus selbst, meint Fitting, hebe ja ausdrücklich hervor, daß eine für die Ersitzung ausreichende iusta causa vorhanden sei, und was könne diese iusta causa anderes sein als ein verus titulus pro legato 32 ? Vieles deutet jedoch darauf hin, daß diese Begründung gar nicht von Paulus stammt. 33 Im Fall des widerrufenen Legats ist die causa legati gerade nicht wirksam. Was die Begründung sagt, ist einfach falsch. Aber nicht nur das. Schon Voci hat beobachtet, daß in horum enim persona ohne Bezug auf das Vorangehende ist,34 Im ersten Satz ist von einem Ersitzungsbesitzer nicht die Rede, sondern nur von der Möglichkeit der Ersitzung. Und schließlich: Der Autor des Satzes hat ersichtlich eine falsche Vorstellung von der iusta causa. Der Besitzer soll eine iusta causa haben, die für die Ersitzung genügt: quae sufficit ad usucapionem. Hier wird unterschieden zwischen solchen iustae causae, die für die Ersitzung genügen, und anderen, die nicht genügen. Auch das ist einfach unrichtig. Vermutlich ist die Begründung von einem späteren Bearbeiter eingefügt worden, der sich keinen Reim darauf machen konnte, warum Paulus die Ersitzung in D 41.8.2 ausgeschlossen, in unserem Fragment aber zugelassen hat. 35 Für ihn waren die Entscheidungen unvereinbar. Aus D 41.8.2 zog er darum den Schluß, daß der Besitzer in unserem Fragment eine iusta causa haben müsse, die für die Ersitzung genügte. III. Das Paulus-Fragment D 41.8.4 wird bestätigt durch: Herrn 5 iur epit D 41.8.9 36 Pro legato usucapit, cui recte legatum relictum est: sed et si non iure legatum relinquatur vellegatum ademptum est, pro legato usucapi post magnas varietates optinuit. sondern nur der durch ganz bestimmte Geschehnisse und Vorgänge erregte (irrige) Glaube soll zum Usucapionserwerb führen." Paulus' Ansicht faßt Klein 298 folgendermaßen zusammen: "Keine Ersitzung ohne alle Causa, wohl aber des guten Glaubens willen Ersitzung ohne rechtsbeständige Causa". 31 Fitting 33 f., 41; Pernice 408. 32 Fitting 41. 33 Auch Voci 185 und Jakobs 86 streichen den Satz. 34 Voci 185. 35 Jakobs 86 hält die Begründung dagegen für die verkürzte Wiedergabe einer längeren Erläuterung des Vorangehenden.
§ 12. Die Ersitzung einer vermeintlich vermachten Sache
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1. Hermogenian berichtet, daß die usucapio pro legato nicht nur möglich ist, wenn rechtsgemäß (recte) vermacht worden ist. Nach Überwindung großer Differenzen sei sie vielmehr auch anerkannt worden, wenn nicht rechtsgemäß (non iure) legiert oder wenn das ausgesetzte Legat widerrufen worden sei. Bei einem recte angeordneten Legat war die Zulässigkeit der usucapio pro legato offenbar immer unbestritten. Post magnas varietates optinuit bezieht sich nur auf die Ersitzung in den letzten beiden Fallvarianten, nicht auch auf den Fall, daß recte legiert worden ist. 37 Dieser erste unstreitige Fall wird von Hermogenian nicht näher erläutert. Es kann jedoch nur der Fall gemeint sein, daß der Testator eine fremde Sache per vindicationem vermacht hat.38 Wenn recte, nämlich unter Beachtung aller Regeln des Zivilrechts vermacht worden ist, muß es am mangelnden Eigentum des Testators liegen, wenn eine Ersitzung erforderlich ist. 39 Da das Vindikationslegat im übrigen wirksam ist, liegt eine iusta causa legati vor. Und in diesem Fall war die Zulässigkeit der Ersitzung tatsächlich unbestritten. 4O War dagegen nicht rechtsgemäß (non iure) vermacht worden, oder war das zunächst ordnungsgemäß angeordnete Legat später widerrufen worden, war die Zulässigkeit der usucapio pro legato kontrovers. Hermogenian berichtet, daß sie sich erst nach großen Differenzen durchgesetzt hat. 41 Der Grund dieser Differenzen liegt auf der Hand: Im zweiten wie im dritten Fall fehlt eine iusta causa legati. Die usucapio pro legato ist hier eine Putativtitelersitzung, und deren Zulässigkeit war bekanntlich umstritten. 36 Stintzing, Bona Fides (1852) 91 f.; Böcking, Pandekten des römischen Privatrechts 11 (2. Auf). 1853) 103 A.ll; Unterholzner / Schirmer, Verjährungslehre I (1858) 395 f.; Fitting, AcP 52 (1869) 39 ff.; Klein, Sachbesitz und Ersitzung (1891) 299; Pernice, Labeo 11 1 (1895) 408; Pringsheim, Fs. Lenel (1921) 239; Beseler, SZ 45 (1925) 229; Siber, Römisches Recht 11 (1928) 87 A.20 (88); Ciapessoni, St. Bonfante III (1930) 694 A.151; Arno, 11 possesso (1936) 408 f.; Pflüger, Lehre vom Erwerbe des Eigentums (1937) 50 f.; Voci, Modi (1952) 184; v. Lübtow, Fs. zum 41. Deutschen Juristentag (1955) 160; Mayer-Maly, Putativtitelproblem (1962) 26 ff.; Liebs, Hermogenians iuris epitomae (1964) 39 f. A.3, 127; Jakobs, Error falsae causae (1978) 86 f.; Kränzlein, Fg. Kaser "Iuris professio" (1986) 128 ff. 37 Klein 299 bezieht die Schlußworte dagegen auf alle drei Usukapionsfälle. 38 Beseler 229 und v. Lübtow 160 lesen: pro legato usucapit, cui [recte] legatum relictum est. Liebs 127 ergänzt: cui recte legatum relictum est. 39 Gai 11.196 sagt zwar, daß recte nur solche Sachen vermacht werden, die quiritisches Eigentum des Testators sind. Damit ist jedoch nur gemeint, daß der Legatar kein Eigentum erwirbt, wenn die vermachte Sache nicht dem Testator gehörte (s. oben § 6 bei A.6). In unserem Fragment bezeichnet recte das ordnungsgemäße, gültige Vermächtnisgeschäft; vgl. Pemice 407 f. 40 Vgl. oben § 6 bei A.1. 41 Post magnas varietates optinuit galt früher als "justinianische Redeweise": so Beseler 229, zustimmend Ciapessoni 694 A.151. Amo 408 f. und Pflüger 51 haben jedoch gezeigt, daß dieselben Worte auch in Herrn 2 iur epit D 44.7.32 verwendet werden. Von ihrer Echtheit ist daher auszugehen; so besonders auch Pringsheim 239 und Liebs 39 f. A.3.
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2. Kap.: Putativtitelersitzung - A. Voraussetzungen
2. Unser Verständnis des Fragments entspricht seiner Auslegung im 19. Jahrhundert. 42 Die jüngere Literatur zögerte dagegen, dieser Interpretation zu folgen und zuzugeben, daß die Putativtitelersitzung pro legato in der späten Klassik anerkannt war. 43 Nach Mayer-Maly kann "nicht ausreichend sicher entschieden werden", was der Gegenstand der von Hermogenian berichteten Klassikerkontroverse war; es könnte um den Putativtitel pro legato, es könnte aber auch um ein anderes Problem gegangen sein. 44 Andere Autoren erklärten den dritten Fall (vel /egatum ademptum est) für interpoliert und versuchten den zweiten Fall (si non iure legatum relinquatur) so zu deuten, daß die zugelassene Ersitzung keine Putativtitelersitzung ist: Voci meinte, das non iure hinterlassene Legat könne gemäß dem SC Neronianum wirksam gewesen sein45 ; und Pflüger und v. Lübtow nahmen im Anschluß an Fitting an, das Legat sei in einem Testament angeordnet worden, das zwar nach Zivilrecht unwirksam, vom Prätor aber anerkannt war. 46 Nach Pflüger hat die Ersitzung nur dazu gedient, "eine prätorische Eigentumserwerbsart zur civilrechtlichen zu erheben"47; v. Lübtow meint sogar, das in einem prätorischen Testament angeordnete Vermächtnis sei schließlich als "verus titulus im Sinne des Zivilrechts anerkannt worden. 48 3. All diese Versuche, die Putativtitelersitzung pro /egato zu leugnen, überzeugen nicht. Hermogenian stellt das recte angeordnete Vermächtnis dem non iure angeordneten Vermächtnis gegenüber. Bei dem recte angeordneten Vermächtnis bedarf es der Ersitzung, weil der Testator als Nichtberechtigter über eine fremde Sache verfügt hat. Die causa legati ist wirksam, weil das Legat recte, dem Zivilrecht gemäß, angeordnet worden ist. Bei dem non iure angeordneten Legat bedarf es der Ersitzung gerade darum, weil das Legat nicht recte, nicht dem Zivilrecht gemäß, angeordnet worden und infolgedessen unwirksam ist. Ein Legat, das nach Zivilrecht unwirksam ist, schafft aber keine iusta causa legati. Wird die Ersitzung dennoch, trotz des Fehlens einer iusta causa legati, zugelassen, ist sie eine Putativtitelersitzung.
42 Stintzing 91 f.; Böcking 103 A.ll; Unterholzner 395 f.; Klein 299; anders nur Fitting 40 f. 43 Beseler 229 hält das Fragment ab sed et si für interpoliert: zustimmend Ciapessoni 694 A.151; anders aber Siber 87 A.20 (88). 44 Mayer-Maly 28; auch Jakobs 87 glaubt, es habe "alle Wahrscheinlichkeit gegen sich", daß im Fall eines non iure angeordneten Legats pro legato ersessen werden konnte; man müsse mit Beseler (s. oben A.43) sed et si - /in. streichen oder mit MayerMaly annehmen, daß sich der Gegenstand des Meinungsstreits nicht klären lasse. 45 Voci 184. 46 Pflüger 50 f.; v. Lübtow 160; Fitting 40 A.142. 47 Pflüger 51; er vergleicht den Fall mit der Ersitzung einer res mancipi, die verkauft, aber nicht manzipiert, sondern nur tradiert worden ist. 48 v. Lübtow 160.
§ 12. Die Ersitzung einer vermeintlich vermachten Sache
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Man darf auch nicht unterstellen, daß diese Putativtitelersitzung pro legato nur dann gestattet wurde, wenn das Legat nach prätorischem Recht wirksam war. Der dritte Fall des Fragments beweist vielmehr, daß es auf die prätorische Wirksamkeit gerade nicht ankam: Pro legato kann nach durchgedrungener Meinung (post magnas varietates) nämlich auch ersessen werden, wenn zunächst ordnungsgemäß legiert, das Legat aber später wirksam widerrufen worden ist. 49 Ein widerrufenes Legat ist weder nach zivilem noch nach prätorisehern Recht wirksam. Die zugelassene Ersitzung ist daher ohne Zweifel eine Putativtitelersitzung. Und es ist auch nicht möglich, die dritte Fallvariante einfach zu streichen. Sie wird durch Paul D 41.8.4 bestätigt. Wir müssen uns endgültig mit der Vorstellung vertraut machen, daß die Putativtitelersitzung pro legato zunächst umstritten, in der späten Klassik aber anerkannt war. Als Grundlage dieser Putativtitelersitzung bedurfte es allerdings - wie auch Herrn D 41.8.9 bestätigt - eines im Testament wirklich angeordneten Vermächtnisses. Existiert das Vermächtnis nur in der Vorstellung des vermeintlichen Legatars, so kann er nicht ersitzen. Wenn dagegen ein Vermächtnis ausgesetzt worden ist, das entweder von Anfang an unwirksam ist oder später unwirksam wird, so kann der Legatar nach durchgedrungener Ansicht ersitzen, sofern er gutgläubig ist und den Besitz der Sache fehlerfrei erlangt. 50
49 Der Widerruf muß wirksam gewesen sein, denn sonst hätte der Legatar die Sache auf Grund des Legats erworben, und es hätte keiner Ersitzung bedurft (vgl. oben A.19 gegen Voci). 50 Entgegen Kränzlein 130 (s. schon oben A.29) ist es nicht erforderlich, daß der Erbe dem Legatar die Sache übergibt. Darum wird eine Übergabe durch den Erben weder bei Paulus (D 41.8.4) noch bei Hermogenian erwähnt.
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§ 13. Die Ersitzung einer vermeintlich durch Erbgang erworbenen Sache Eine Putativtitelersitzung pro herede gab es nicht.! Pro herede konnte nur eine res hereditaria ersessen werden. War die Sache in Wahrheit keine res hereditaria, so war eine usucapio pro herede ausgeschlossen, auch wenn der Besitzer irrtümlich glaubte, die Sache sei eine res hereditaria. 2 Einige Juristen ließen aber eine unbenannte usucapio zu, wenn ein Erbe irrtümlich annahm, eine in Wahrheit fremde Sache habe dem Erblasser gehört und er habe sie durch den Erbgang zu eigen erworben. I. Das belegt vor allem der schon erörterte3 Pomponius-Text Pomp 23 ad Ou Mucium D 41.5.3 Plerique putaverunt, si heres sim et putern rem aliquam ex hereditate esse quae non sit, posse me usucapere.
1. Pomponius berichtet, daß einige Juristen (plerique) die Ersitzung einer vermeintlich durch Erbgang erworbenen Sache gestattet haben: Wenn ein Erbe irrtümlich glaubt, eine Sache habe dem Erblasser gehört und er habe sie mit der Erbschaft zu eigen erworben, so kann er sie ersitzen. 4 Wie der Erbe in den Besitz der vermeintlichen Erbschaftssache gelangt ist, sagt Pomponius nicht. Die meisten Autoren nehmen ohne weiteres an, daß er sie im Nachlaß vorgefunden hat. 5 Diese Annahme liegt in der Tat nahe.
S. oben § 10 11. Pomp D 41.5.1; dazu oben § 10 11 nach A.5. 3 S. oben § 10 11. 4 Nach Jakobs, Error falsae causae (1978) 83 ff., kann es eine Ersitzung auf Grund vermeintlichen Erwerbs durch Erbgang nicht gegeben haben. In D 41.5.3 gehe es um den error falsae causae (vgl. oben § 1011 A.13). Auch nach Rabel, Grundzüge des römischen Privatrechts (1915, Neudruck 1955) 521, konnte ein Erbe nur eine Ersitzung fortsetzen, die der Erblasser schon begonnen hatte. Eine Sache, die der Erblasser beispielsweise in Verwahrung hatte, habe der Erbe auch dann nicht ersitzen können, wenn er sie für eine Sache des Erblassers hielt, weil er keinen "selbständigen Ersitzungstitel" gehabt habe. 5 Fitting, AcP 52 (1869) 255; Partsch, Die longi temporis praescriptio im klassischen römischen Rechte (1906) 14; Voci, Modi (1952) 208; Mayer-Maly, Putativtitelproblem (1962) 71, 142; Manthe, Die libri ex Cassio des lavolenus Priscus (1982) 292 bei A.153. Vangerow, Lehrbuch der Pandekten I (7. Auf!. 1863) 594, und andere ältere Autoren (vgl. die Zitate bei Fitting 255) meinten dagegen, der Erbe könne nur dann ersitzen, wenn der Erblasser die Sache nicht in Besitz gehabt hat. 1
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§ 13. Die Ersitzung einer vermeintlichen Nachlaßsache
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Die Zulassung der Ersitzung in diesem Fall ist bemerkenswert. Wie die Exegesen der Paragraphen 11 und 12 gezeigt haben, wurde eine Putativtitelersitzung grundsätzlich nur dann zugelassen, wenn über die Sache (unwirksam) verfügt worden war. Eine Putativtitelersitzung pro emptore setzte voraus, daß die Sache tatsächlich und vermeintlich wirksam gekauft und tradiert, eine Putativtitelersitzung pro legato, daß sie tatsächlich und vermeintlich wirksam vermacht worden war. Eine solche Grundlage fehlt bei der Ersitzung einer vermeintlich durch Erbgang zu eigen erworbenen Sache. Für die im Nachlaß befindliche fremde Sache liegt der Eigentumserwerbstatbestand ,Erbschaft' nur dem äußeren Anschein nach vor. Auch wenn der Erbe Testamentserbe ist - aber D 41.5.3 beschränkt die Ersitzung nicht auf ihn -, erstreckt sich die letztwillige Verfügung des Testators doch nur auf sein Vermögen als solches und nicht auf bestimmte Sachen. Der Testator, der eine fremde Sache per vindicationem vermacht, verfügt als Nichtberechtigter über sie. Der Testator, der einen Erben einsetzt, verfügt dagegen nicht als Nichtberechtigter über die fremde Sache, die sich in seinem Besitz befindet. Die im Nachlaß befindliche fremde Sache erwirbt der Erbe darum nicht etwa ,unwirksam vom Nichtberechtigten': er erwirbt sie gar nicht. Wenn er die vermeintliche Erbschaftssache gleichwohl ersitzen kann, dann beruht diese Ersitzung nicht auf einem (unwirksamen) Erwerbstatbestand, sondern allein auf der Vorstellung des Erben, auch diese Sache, wie die übrigen Nachlaßsachen, erworben zu haben. In anderen Fällen vermeintlichen Eigentumserwerbs ist die bloße Vorstellung, die Sache erworben zu haben, keine ausreichende Grundlage für eine Putativtitelersitzung. Im Fall der vermeintlich durch Erbgang erworbenen Sache scheinen die Juristen also besonders weit gegangen zu sein. In anderer Hinsicht aber steht die Ersitzung des Erben der titulierten Ersitzung näher als der ,echten' Putativtitelersitzung. In den Fällen der titulierten Ersitzung liegt es nur am mangelnden Eigentum des Verfügenden, daß der Erwerber die Sache nicht sofort zu eigen erwirbt, sondern ersitzen muß. Ebenso liegt es hier nur am mangelnden Eigentum des Erblassers, daß der Erbe die Sache nicht sofort mit dem Erbfall oder mit Antritt der Erbschaft erwirbt. Hätte die Sache dem Erblasser gehört, so hätte sie der Erbe, wie die übrigen Nachlaßsachen, unmittelbar zu eigen erworben. Nur weil der Erblasser nicht der Eigentümer war, bedarf es der Ersitzung. Die Ersitzung des Erben gleicht das mangelnde Eigentum des Erblassers aus. Die usucapio, von der Pomponius in D 41.5.3 berichtet, steht sozusagen zwischen der titulierten Ersitzung auf Grund der Verfügung eines Nichtberechtigten und der ,echten' Putativtitelersitzung. Sie ist insofern eine Putativtitelersitzung, als der Usukapient keinen Erwerbsgrund hat. Sie ist aber keine ,echte' Putativtitelersitzung, weil der unmittelbare Eigentumserwerb nur am mangelnden Eigentum des Erblassers scheitert und kein causa-Mangel dem Erwerb entgegensteht.
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2. Kap.: Putativtitelersitzung - A. Voraussetzungen
2. Für die Juristen, welche die Ersitzung einer vermeintlichen Erbschaftssache zuließen, war offensichtlich der zweite Gesichtspunkt der entscheidende. Sie verstanden die Ersitzung nicht als eine Putativtitelersitzung, sondern als eine Ersitzung, die das mangelnde Eigentum des Rechtsvorgängers ausgleicht. Denn sie lassen die Ersitzung nur dann zu, wenn der Besitzer wirklich geerbt hat (si heres sim): Stellt sich der Besitzer bloß vor, geerbt zu haben, kann er nicht ersitzen. 6 Auf den ersten Blick scheint es zwar keinen Unterschied zu machen, ob der Besitzer wirklich geerbt hat oder ob er sich bloß vorstellt, geerbt zu haben, während in Wahrheit ein anderer Erbe geworden ist; denn die im Nachlaß befindliche fremde Sache hat er ja in keinem Fall geerbt. Die beiden Fälle unterscheiden sich jedoch in einem wesentlichen Punkt. Wenn der Besitzer den Erblasser nicht beerbt hat, scheitert der Eigentumserwerb, den er sich vorstellt, nicht nur am mangelnden Eigentum des Erblassers. Auch wenn die Sache dem Erblasser gehört hätte: der Besitzer hätte sie nicht erworben, denn er hat den Erblasser ja nicht beerbt. In diesem Fall wäre die Ersitzung eine ,echte' Putativtitelersitzung gewesen. Die Ersitzung wird von den Juristen aber nur dann zugelassen, wenn der Besitzer wirklich geerbt hat, wenn der Eigentumserwerb, den er sich vorstellt, also nur daran scheitert, daß die Sache nicht Eigentum des Erblassers war. Die unterschiedliche Behandlung der beiden Fälle zeigt deutlich, daß der entscheidende Gesichtspunkt für die Zulassung der Ersitzung nicht die irrige Vorstellung des Besitzers ist, die Sache durch Erbgang zu eigen erworben zu haben; denn diese falsche Vorstellung hat er in beiden Fällen. Der maßgebende Gesichtspunkt für die Zulassung der Ersitzung liegt vielmehr darin, daß er die Sache wirklich durch Erbgang zu eigen erworben hätte, wenn sie dem Erblasser gehört hätte. Systematisch gehört die Ersitzung der vermeintlichen Erbschaftssache demnach nicht unter die Kategorie ,Putativtitelersitzung' , sondern unter die Kategorie ,Ersitzung auf Grund gutgläubigen Erwerbs vom Nichtberechtigten'. Für die Juristen, die die Ersitzung zuließen, hat der Erbe die fremde Sache 6 Das bestätigt Pomp 22 ad Sab D 41.3.29: Cum solus heres essem, existimarem autem te quoque pro parte heredem esse, res hereditarias pro parte tibi tradidi. propius est, ut usu eas capere non possis, quia nec pro herede usucapi potest quod ab herede possessum est neque aliam ullam habes causam possidendi. Tu, der irrtümlich glaubt, Miterbe zu sein, während in Wahrheit Ego Alleinerbe ist, kann die Erbschaftssachen, die Ego ihm tradiert, nicht ersitzen. Eine usucapio pro herede scheidet aus, denn pro herede kann eine Erbschaftssache nur ersessen werden, wenn der Erbe die Erbschaft noch nicht angetreten, zumindest aber die Erbschaftssache noch nicht in Besitz genommen hat (vgl. Gai 11.52, III.201). Eine andere usucapio kommt nach Pomponius aber auch nicht in Betracht, weil Tu keine causa possidendi hat. Der bloße Glaube, Miterbe und Miteigentümer der Erbschaftssachen geworden zu sein, ist also keine ausreichende Ersitzungsgrundlage - ebensowenig wie der bloße Glaube, gekauft oder durch Vermächtnis erworben zu haben.
§ 13. Die Ersitzung einer vermeintlichen Nachlaßsache
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,vom nichtberechtigten Erblasser geerbt'; er kann sie darum ebenso ersitzen, wie er sie ersitzen könnte, wenn er sie von einem nichtberechtigten Verkäufer gekauft hätte oder wenn sie ihm von einem nichtberechtigten Testator vermacht worden wäre. 3. In der Konsequenz dieser Betrachtungsweise läge es, daß der Erbe die vermeintliche Erbschaftssache auch dann ersitzen kann, wenn er sie nicht im Nachlaß vorfindet, sondern auf anderem Wege fehlerfrei in ihren Besitz gelangt. Hätte nämlich die Sache dem Erblasser gehört, so hätte sie der Erbe ja auch erworben, wenn sie nicht im Besitz des Erblassers gewesen wäre. Die Ersitzung der ,vom nichtberechtigten Erblasser geerbten Sache' dürfte folglich - wie die Ersitzung der vom nichtberechtigten Testator vermachten Sache7 außer dem guten Glauben nur die fehlerfreie Erlangung des Besitzes voraussetzen. In D 41.5.3 wird nicht gesagt, wie der Erbe in den Besitz der vermeintlichen Erbschaftssache kommt. Die Annahme, daß er sie im Nachlaß findet, liegt nahe.B Eine Entscheidung Julians bestätigt aber, daß die Ersitzung auch möglich war, wenn die vermeintliche Erbschaftssache nicht im Nachlaß war. 11. Iul44 dig D 41.3.33.1 9 Quod vulgo respondetur ipsum sibi causam possessionis mutare non posse, totiens verum est, quotiens quis seiret se bona fide non possidere et lucri faeiendi causa inciperet possidere: idque per haec probari posse. si quis emerit fundum sciens ab eo, cuius non erat, possidebit pro possessore: sed si eundem a domino emerit, ineipiet pro emptore possidere, nec videbitur sibi ipse causam possessionis mutasse. idemque iuris erit etiam, si a non domino emerit, cum existimaret eum dominum esse. idem hic si a domino heres institutus fuerit vel bonorum eius possessionem acceperit, ineipiet fundum pro herede possidere. hoc amplius si iustam causam habuerit existimandi se heredem vel bonorum possessorem domino extitisse, fundum pro herede possidebit nec causam possessionis sibi mutare videbitur. cum haec igitur reeipiantur in eius persona, qui possessionem habet, quanta magis in colono reeipienda sunt, qui nec vivo nec mortuo domino ullam possessionem habet? et certe si colonus mortuo domino emerit fundum ab eo, qui existimabat se heredem eius vel bonorum possessorem esse, ineipiet pro emptore possidere. Pap D 41.8.8; dazu oben § 7 11 2. Davon gehen die meisten Autoren ohne weiteres aus, s. oben A.5. 9 Stintzing, Bona Fides (1852) 94; Fitting, AcP 52 (1869) 271; Wendt, Lehrbuch der Pandekten (1888) 340; Klein, Sachbesitz und Ersitzung (1891) 440 f.; Pernice, Labeo 11 1 (1895) 429 f.; Schloßmann, SZ 24 (1903) 17 ff.; Donatuti, AG 86 (1921) 234 f.; Beseler, SZ 44 (1924) 378; Hägerström, Der römische Obligationsbegriff im Lichte der allgemeinen römischen Rechtsanschauung I (1927) 130 ff.; Perozzi, Istituzioni di diritto romano 11 (2. Aufl. 1928) 487 A.1; Siber, Römisches Recht 11 (1928) 85 ff.; Scherillo, RIL 63 (1930) 521 f.; Krüger, SZ 54 (1934) 94 ff.; Voci, Modi (1952) 211 ff., 229; Denoyez, La defendeur 11 la petition d'heredite privee en droit romain (1953) 121 f.; Talamanca, Studi sulla legittimazione passiva alla "hereditatis petitio" (1956) 95 A.229, 123 ff.; Mayer-Maly, Labeo 6 (1960) 21 f., Putativtitelproblem (1962) 120; Hausmaninger, Bona fides (1964) 57 ff., Gs. R. Schmidt (1966) 400 f.; Schmidlin, Die römischen Rechtsregeln (1970), 115 f.; MacCormack, Bull. 75 (1972) 81 ff.; Kaser, St. Biscardi 11 (1982) 244 ff. 7
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2. Kap.: Putativtitelersitzung - A. Voraussetzungen
Die Stelle ist kunstvoll aufgebaut. Julian erläutert zunächst die Voraussetzungen, unter denen die Regel nemo sibi ipse causam possessionis mutare potest eingreift. Dann bildet er einen Fall, den er vierfach variiert. In allen vier Varianten kommt es zu einer Änderung der causa possessionis, ohne daß die Rechtsregel entgegensteht. Schließlich folgt noch ein Vergleich mit der Detention des c%nus. Die nemo sibi ipse-Regel finde nur dann Anwendung, wenn der Besitzer weiß, daß er nicht gutgläubig besitzt, und Lucri faciendi causa zu besitzen beginnt. Beispiele sollen das beweisen. Julian beginnt mit dem Fall eines Kaufs vom Nichtberechtigten, bei dem der Käufer die Nichtberechtigung des Verkäufers kennt: Wer ein Grundstück bösgläubig vom Nichtberechtigten kauft, besitze das Grundstück nur pro possessore. Die causa seines Besitzes kann sich jedoch ändern: Der Besitzer beginne pro emptore zu besitzen, wenn er das Grundstück später vom Eigentümer kauft - oder auch von einem (anderen) Nichtberechtigten kauft, den er für den Eigentümer hält. Und er beginne, pro herede zu besitzen, wenn er den Eigentümer des Grundstücks beerbt oder die bonorum possessio an seinem Nachlaß erhält - oder wenn er auch nur mit gutem Grund glaubt, er habe den Grundstückseigentümer beerbt oder die bonorum possessio an seinem Nachlaß erhalten. In allen vier Varianten ändere sich die causa possessionis, ohne daß die alte Rechtsregel entgegensteht. Dasselbe gelte auch für den Detentor: Daher erwerbe auch der c%nus Besitz pro emptore, wenn er das gepachtete Grundstück nach dem Tod des Eigentümers von dessen vermeintlichem Erben oder bonorum possessor kauft. Julian sagt nicht, mit welchem Ziel er den Anwendungsbereich der Rechtsregel untersucht. Die meisten Autoren gehen davon aus, daß er die Ersitzung im Auge hat lO ; und das ist sicher richtig. In dem Traktat selbst ist von usucapere zwar nicht die Rede, und in dem Fall, daß der Besitzer den Grundstückseigentümer beerbt, ist eine Ersitzung auch gar nicht erforderlich. Aber im Kontext, nämlich sowohl im vorausgehenden principium des Fragments wie in den folgenden §§ 2 bis 6 geht es um Usukapionsprobleme. l1 Wir gehen ins Einzelne. \0 Stintzing 94; Fitting 271; Wendt 340; Klein 440; Pernice 429 f.; Schloßmann 19 ff.; Siber 85 ff.; Voci 211 ff.; Denoyez 121 f.; Hausmaninger, Bona fides 61 ff., Gs. R. Schmidt 400 f.; MacCormack 81; Kaser 245 f., besonders A.89 und A.94; anderer Ansicht sind Krüger 95 f. und Talamanca 95 A.229, weil die Ersitzung hier nicht erwähnt wird. 11 Die nemo sibi ipse-Regel wird von den Juristen zwar nicht nur im Zusammenhang der usucapio, sondern auch in anderen Zusammenhängen erörtert, vgl. Nörr, SZ 89 (1972) 63. Das 44. Buch der digesta, aus dem der Text stammt, handelte indessen über Besitz und Ersitzung; Lenel, Paling. I 435 überschreibt es "De possessione et usucapione". Und hier wird die Regel auch noch ein weiteres Mal unter dem Aspekt der usucapio untersucht, nämlich in D 41.5.2.1; dazu alsbald im Text.
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1. Die Regel nemo sibi ipse causam possessionis mutare potest soll nur dann Anwendung finden, wenn ein Besitzer weiß, daß er nicht gutgläubig besitzt, und lucri faciendi causa zu besitzen beginnt. Julian zitiert hier offenbar einen älteren Juristen l2 : Die Konjunktive des Imperfekts sciret und inciperet erklären sich am einfachsten mit der Annahme, daß die Kompilatoren ein verum esse aiebat zu verum est verkürzt haben. 13 Allerdings halten Beseler und im Anschluß an ihn auch Hägerström und Talamanca das meiste dieses Satzes, nämlich totiens - probari posse, für interpoliert l4 , und auch Pernice kritisiert, daß quis sciret se bonafide non possidere eine "unförmliche Wendung" sei, die nicht von Julian stammen könne. 15 Die Ausdrucksweise quis sciret se bona fide non possidere ist tatsächlich auffallend umständlich. 16 Warum heißt es nicht einfach quis non bona fide possideret oder quis mala fide possideret? Vermutlich aus folgendem Grund: Nicht nur dem Besitzer, sondern gerade auch dem Detentor ist es verwehrt, die causa seines Besitzes eigenmächtig zu ändern.1 7 Quis mala fide possideret hätte aber nur den maLae fidei possessor bezeichnet. Und quis non bona fide possideret hätte im unklaren gelassen, ob nur der bösgläubige Besitzer gemeint ist oder auch der Detentor; denn non bona fide possidere wird synonym mit maLa fide possidere gebraucht. 18 Julians Gewährsmann hätte demnach die technische Ausdrucksweise vermieden und die umständlichere Beschreibung gewählt, um klarzustellen, daß wirklich niemand, auch kein Detentor, die causa seines Besitzes eigenmächtig ändern und beginnen kann, lucri faciendi causa zu besitzen. Julian zieht das nicht in Zweifel. Im folgenden führt er aber aus, daß einer Änderung, die nicht eigenmächtig erfolgt, nichts im Wege steht. 2. Julian beginnt seine Beweisführung mit dem Fall eines bösgläubigen Besitzers: Wer ein Grundstück von einem Nichtberechtigten gekauft und von der fehlenden Berechtigung des Veräußerers gewußt hat, besitzt nur pro pos12 So schon Voci 212 ff.; zustimmend Hausmaninger, Bona fides 61 f.; Vocis Vermutung, daß der zitierte Jurist Qu Mucius Scaevola war, folgt Hausmaninger dagegen nicht; ablehnend auch Mayer-Maly, Labeo 6, 21 A.80 (22). 13 Die Figur quod dicitur (respondetur, iactatur), ... , totiens verum est, quotiens ... ist häufig und hat immer den Indikativ; vgl. Pap D 46.3.95.3; Vip D 7.1.70.3; Vip D 18.2.6 pr.; Vip D 26.8.7 pr. 14 Beseler 378; Hägerström 130 f. A.1; Talamanca 124 A.283. 15 Pernice 430 A.1; vgl. auch Schloßmann 17 ff. und Donatuti 234. 16 Hausmaninger, Bona fides 62, meint dagegen, diese Ausdrucksweise sei "nicht anstößig", man müsse den Satz nur so lesen, "daß der in ihm charakterisierte Sachinhaber ,weiß, daß ihm die (zur Ersitzung nötige) bonae fidei possessio fehlt'." 17 Iul D 41.5.2.1; nach Kaser, Deutsche Landesreferate zum 3. Internationalen Kongreß für Rechtsvergleichung (1950) 9 f., soll sich die Rechtsregel sogar vornehmlich gegen den Detentor gerichtet haben. 18 Das VIR weist non bona fide possidere dreimal aus: in Pomp D 41.3.32.1 (hier allerdings in einer Glosse, vgl. oben § 8 11 2 bei A.59), Paul D 41.2.3.22 und Gai 11.95 (neque); gemeint ist in allen Stellen der bösgläubige Besitz; vgl. auch Paul D 41.1.48.1.
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2. Kap.: Putativtitelersitzung - A. Voraussetzungen
sessore. Der abgeschlossene Kaufvertrag ist wirksam. Im Gegensatz zu ande ren Juristen unterscheidet Julian jedoch nicht zwischen gut- oder bösgläubigem titulierten Besitz pro emptore und titellosem Besitz pro possessore. 19 Nach Julian besitzt vielmehr ein bösgläubiger Käufer pro possessore, auch wenn der Kaufvertrag wirksam ist. 20 Der bösgläubige Besitzer wird aber zum Besitzer pro emptore, wenn er das Grundstück später vom Eigentümer kauft (1. Fallvariante). Eine Manzipation des Grundstücks können wir nicht unterstellen. Daher wird der Käufer nur bonitarischer Eigentümer und beginnt zu ersitzen. 21 Eine unzulässige Änderung der causa possessionis liegt nicht vor. Der Besitzer hat ja nicht versucht, sich eigenmächtig und lucri faciendi causa zum Besitzer pro emptore aufzuschwingen, sondern hat das Grundstück vom Eigentümer gekauft. Daß ihm der Eigentümer das Grundstück nicht tradiert hat, weil es schon in seinem Besitz war, spielt keine Rolle: Die Belassung des Besitzes auf Grund des wirksamen Kaufvertrags steht einer traditio ex iusta causa gleich. 22 In der 2. Fallvariante kauft der bösgläubige Besitzer das Grundstück von einem Nichtberechtigten, den er aber für den Eigentümer hält. 23 Auch in 19 Anders etwa Paul54 ad ed D 41.4.2.1: Separata est causa possessionis et usucapionis: nam vere dicitur quis emisse, sed mala tide: quemadmodum qui sciens alienam rem emit, pro emptore possidet, licet usu non capiat. Das war wohl die übliche Terminologie; vgl. Paul Fr. Vat 1 (dazu unten § 17 III bei A.22 und K. Bauer, TR 54 (1986) 97 ff.): Ohne tutoris auctoritas kann eine mulier eine res mancipi nicht übereignen; ob sie sie wirksam verkaufen kann, war streitig. Labeo hielt den Kaufvertrag, den sie ohne Zustimmung des Tutors schloß, für unwirksam und ließ den Käufer darum nur pro possessore besitzen. Proculus, Celsus und Paulus nehmen dagegen einen wirksamen Kaufvertrag und daher Besitz pro emptore an, obwohl der Käufer von der mangelnden Verfügungsbefugnis der mulier gewußt hat. 20 Andererseits läßt Julian eine usucapio pro em p tor e zu, wenn ein Käufer auf Grund eines unwirksamen Kaufvertrags besitzt, den er für wirksam hält (vgl. Afr D 41.4.11, dazu oben § 11 I). Dem Sprachgebrauch Julians folgte offenbar auch Ulpian; vgl. Ulp 15 ad ed D 5.3.13.1: ... nam si aturioso emero sciens, pro possessore possideo. Wer demnach gutgläubig von einem furiosus kaufte, besaß nicht pro possessore, sondern, wie anzunehmen ist, pro emptore, obwohl der Kaufvertrag nichtig war. 21 Nach Hausmaninger, Bona fides 63, erwirbt der Besitzer, wie in der 3. Fallvariante (Erbschaft), "wohl auch" in der 1. Fallvariante, beim Kauf vom Eigentümer, Eigentum und nicht nur Ersitzungsbesitz. Ob Hausmaninger Manzipation annimmt oder von einem Provinzialgrundstück ausgeht, ist nicht ersichtlich. 22 Vgl. etwa Gai D 41.1.9.5; Pomp D 41.1.21.1; Ulp D 6.2.9.1; dazu und zu weiteren Texten Gordon, Studies in the Transfer of Property by traditio (1970) 36 ff. Gordon hebt besonders hervor, daß die traditio brevi manu angesehen wird "as an equivalent of traditio rather than as a form of it" (38); das Übereignungsgeschäft traditio könne durch eine brevi manu traditio ebenso vorgenommen werden wie durch die körperliche Übergabe der Sache, und es spiele keine Rolle, ob der Erwerber bisher Detentor oder schon Besitzer war (41 f.). Schon Ehrhardt, Iusta causa traditionis (1930) 147 ff., hat betont, daß es auch bei einer traditio brevi manu einer iusta causa bedarf. 23 Hägerström 130 A.l (131 f.) streicht die 2. Fallvariante. Das beruht jedoch auf einem Mißverständnis: er geht nämlich zu Unrecht davon aus, daß der Käufer - wie im Ausgangsfall- die mangelnde Berechtigung des Verkäufers kennt.
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diesem Fall beginnt er, pro emptore zu besitzen und, wie wir annehmen müssen, auch zu ersitzen. Denn der Kaufvertrag ist ja wirksam, und der Käufer war jetzt gutgläubig. Die nemo sibi ipse-Regel greift darum ebensowenig ein wie in der 1. Fallvariante.
In der 3. Fallvariante beerbt der bösgläubige Besitzer den Eigentümer des Grundstücks oder erhält vom Prätor die bonorum possessio. 24 Als Erbe ist er quiritischer Eigentümer, als bonorum possessor kann er ersitzen.25 In beiden Fällen besitzt er das Grundstück pro herede. In der 4. Fallvariante glaubt der bösgläubige Besitzer irrtümlich, er habe den Grundstückseigentümer beerbt oder die bonorum possessio an seinem Nachlaß erhalten - und hat für diesen Glauben gute Gründe (iusta causa). Auch in diesem Fall beginnt er, pro herede zu besitzen. Der Sachverhalt dieser Variante wird allgemein folgendermaßen gesehen 26 : Der Eigentümer des Grundstücks sei gestorben, und der bösgläubige Besitzer glaube mit gutem Grund, daß er der Erbe geworden sei 27 oder daß ihm der Prätor die bonorum possessio erteilt habe. In Wahrheit sei er aber nicht der Erbe oder habe er die bonorum possessio nicht erhalten. Gleichwohl eröffne ihm Julian die usucapio pro herede. Nach Kaser gestattet Julian die usucapio pro herede hier auf Grund eines Putativtitels 28 : Dieser Putativtitel sei eine "kühne Neuerung", die dem "ungewöhnlich schöpferischen Geist der hohen Klassik" aber zuzutrauen sei. 29 Nach Hausmaninger 30 kann dagegen von einer Putativtitelersitzung schon darum nicht die Rede sein, weil für die usucapio pro herede der gute oder böse Glaube des Besitzers ohne Belang sei. Julian hebe vielmehr deshalb auf den guten Glauben ab, weil er zugunsten des gutgläubigen Besitzers die nemo sibi ipse-Regel durchbreche, die nämlich grundSätzlich verhindere, daß jemand eine Erbschaftssache ersitzt, die er schon vor dem Erbfall in Besitz hatte. Julian habe der bona lides auch hier den Zutritt eröffnet. Andererseits habe er aber nur den durch eine iusta causa gerechtfertigten Irrtum gelten lassen, weil die usucapio pro herede zu seiner Zeit als improba empfunden wurde. 24 Siber 86 liest a domino, weil er annimmt, in unserem Fragment gehe es, wie in Iul D 41.5.2.1 (dazu sogleich im Text), allein um die usucapio pro herede. Scherillo 521 f. streicht vel- acceperit und im nächsten Satz vel bonorum possessorum. Für beide Interpolationsannahmen besteht aber kein Grund. 25 Gai 111.80; vgl. Kaser 248 f. 26 Vgl. Stintzing 94; Fitting 271; Wendt 340; Pernice 430 A.1; Schloßmann 19; Hägerström 130 A.1 (132 f.); Siber 86 f.; Voci 213; Mayer-Maly, Putativtitelproblem 120; Hausmaninger, Bona fides 62 ff. (nicht mehr eindeutig in Gs. R. Schmidt 401); MacCormack 83; Kaser 245 f. Krüger 96 f. und Talamanca 126 teilen das übliche Verständnis des Sachverhalts, nehmen aber nicht an, daß es Julian um die usucapio ging (s. oben A.lO). 27 Nach Krüger 96 f. und Kaser 245 A.93 soll wesentlich sein, daß sich der Besitzer für den Testamentserben hält. 28 Kaser 245,246 A.94. 29 Kaser 245. 30 Hausmaninger, Bona fides 67.
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2. Kap.: Putativtitelersitzung - A. Voraussetzungen
Die übliche Interpretation vernachlässigt jedoch den kunstvollen Aufbau des Fragments. Um ihn deutlich zu machen, stellen wir die vier Varianten des Ausgangsfalles in einem Schema zusammen: Besitz pro possessore
Ausgangsfall: . Der Besitzer hat die Sache bösgläubig vom Nichtberechtigten gekauft. Danach 1. Variante:
kauft er sie vom Eigentümer.
2. Variante:
kauft er sie (wieder) von einem Nichtberechtigten, glaubt (diesmal) aber, sie vom Eigentümer zu kaufen.
3. Variante: 4. Variante:
}
Besitz pro emptore
}
Besitzpro herede
beerbt er den Eigentümer oder erhält die bonorum
possessio an seinem Nachlaß.
glaubt er, den Eigentümer beerbt oder die bonorum possessio an seinem Nachlaß erhalten zu haben.
Der Aufbau ist deutlich. Die 1. und die 2. Variante gehören zusammen und ebenso die 3. und die 4. Die beiden Fallgruppen sind parallel konstruiert: Die 3. Variante entspricht der 1. und die 4. der 2. Wie die Literatur die 4. Variante versteht, paßt sie aber nicht in dieses Schema: Der Besitzer soll irrtümlich glauben, Erbe geworden zu sein oder die bonorum possessio erhalten zu haben, während er in Wahrheit nicht Erbe geworden ist oder die bonorum possessio nicht erhalten hat. Dem entspräche in der 2. Variante ein vermeintlicher Kauf vom Eigentümer, während in Wirklichkeit gar kein Kauf oder jedenfalls kein wirksamer Kauf stattgefunden hat. So lautet die 2. Variante aber nicht. Vielmehr hat dort der Besitzer - gerade umgekehrt - wirksam von einem Nichtberechtigten gekauft. Auch im Ausgangsfall und in der 1. und 3. Variante geht es um die Berechtigung oder Nichtberechtigung des Veräußerers oder des Erblassers. Julian kann in der 4. Variante nicht plötzlich den Gesichtspunkt gewechselt haben. Sie ist daher so zu verstehen, daß der Besitzer wirklich geerbt oder wirklich die bonorum possessio an einem Nachlaß erhalten hat und irrtümlich glaubt, der Erblasser sei der Eigentümer des Grundstücks gewesen. Nur mit diesem Sachverhalt entspricht die 4. Variante der 2. und ist das Aufbauschema des Traktats konsequent durchgehalten. Dieses Verständnis der 4. Fallvariante wird vom Text durchaus gedeckt. Julian schreibt: hoc amplius si iustam causam habuerit existimandi se heredem vel bonorum possessorem domino extitisse. Dieser Satz läßt zwei Interpretationsmöglichkeiten zu. Der Besitzer glaubt irrtümlich: entweder daß er geerbt hat (während er in Wahrheit nicht geerbt hat), oder daß er den Grundstückseigentümer beerbt hat (während er in Wahrheit einen anderen beerbt hat). Der konsequente Aufbau des Traktats entscheidet für die zweite Interpretation.
§ 13. Die Ersitzung einer vermeintlichen Nachlaßsache
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Noch ein weiteres spricht gegen die übliche Auslegung. Pernice zweifelte an der Echtheit des hoc amplius-Satzes, weil er sich nicht vorstellen konnte, "wie man zureichenden Grund haben könne, sich einzubilden, bonorum possessor geworden zu sein".31 Hausmaninger wirft Pernice zwar vor, daß er zu "starr" denke32 , bietet aber selbst keine Erklärung an. 33 Die neue Interpretation hat diese Schwierigkeit nicht. Der Besitzer irrt nicht über die Erteilung der bonorum possessio: sie ist ihm wirklich erteilt worden; er glaubt nur irrtümlich, der Erblasser sei der Eigentümer des Grundstücks gewesen. 3. Der letzte Satz der Stelle (et certe si colonus - !in.) spricht allerdings gegen unsere Interpretation und für das bisherige Textverständnis. Denn hier tritt ein Veräußerer auf, der tatsächlich über die Erteilung der bonorum possessio irrt: Der Grundstückseigentümer ist hier wirklich gestorben (mortuo domino), und der Veräußerer des Grundstücks nimmt irrtümlich an, daß er sein Erbe geworden sei oder daß ihm der Prätor die bonorum possessio erteilt habe. Glaubte Julian also doch, daß ein Irrtum über die Erteilung der bonorum possessio praktisch möglich sei? Wir meinen nein. Der letzte Satz und auch die vorausgehende Frage (cum haec igitur - habet) sind eine Glosse. Julians Text endete mit der 4. Variante. Über die Anwendung der nemo sibi ipse-Regel auf den Detentor hat Julian auch im 44. Buch, aber an einer anderen Stelle gehandelt34 : Iul44 dig D 41.5.2.1 Quod volgo respondetur causam possessionis neminem sibi mutare posse, sie accipiendum est, ut possessio non solum civilis, sed etiam naturalis intellegatur. et propterea responsum est neque colonum neque eum, apud quem res deposita aut cui commodata est, lucri faciendi causa pro herede usucapere posse. Diesen Text hatte der nach klassische Bearbeiter vor Augen, als er den in D 41.3.33.1 überlieferten Traktat glossierte. Er wollte anmerken, daß die causa possessionis eines Detentors unter denselben Umständen geändert werden konnte wie die causa possessionis eines Besitzers. Darum fügte er hinzu: Cum haec igitur recipiantur in eius persona, qui possessionem habet, quanta magis in colono recipienda sunt, qui nec vivo nec mortuo domino ullam possessionem habet?35 Und zur Erläuterung bildete er den Fall, daß auch ein Pächter 31 Pernice 430 A.l; vgl. auch Talamanca 126. Außerdem streichen Donatuti 234 f. und Perozzi 487 A.l den Satz. 32 Hausmaninger, Bona fides 64. 33 Schloßmann 19 legt sich die Umstände folgendermaßen zurecht: der Besitzer habe einen anderen beauftragt, für ihn die Erteilung der bonorum possessio zu beantragen, und der Beauftragte habe seinem Auftraggeber wahrheitswidrig vorgespiegelt, daß er den Auftrag ausgeführt und der Prätor die bonorum possessio erteilt habe. 34 Ob die beiden Stellen im unmittelbaren Zusammenhang standen, ist kontrovers; vgl. Hausmaninger, Bona lides 57 ff. mit ausführlichen Literaturreferaten. 35 Hägerström 130 A.l (132), Voci 212, Hausmaninger, Bona fides 65, und MacCormack 82 f. halten den Fragesatz dagegen für julianisch.
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2. Kap.: Putativtitelersitzung - A. Voraussetzungen
beginne, pro emptore zu besitzen, wenn er das gepachtete Grundstück nach dem Tod des Eigentümers von seinem vermeintlichen zivilen oder prätorischen Erben kauft. Dabei sind dem Glossator allerdings gleich mehrere Fehler unterlaufen. Offensichtlich verschachtelt er in seinem Beispiel die beiden Erwerbsarten Kauf und Erbschaft, die Julian in seinen Fällen (Kauf: 1. und 2. Variante, Erbschaft: 3. und 4. Variante) vergleicht. Er läßt den Pächter nicht einfach von einem Nichtberechtigten kaufen, sondern läßt als Verkäufer einen Nichtberechtigten auftreten, der irrtümlich glaubt, Erbe des Eigentümers zu sein. Für den Punkt, um den es geht, nämlich den gutgläubigen Kauf des Pächters, ist diese Komplikation ganz ohne Belang. Den Glossator aber brachte sie aus dem Konzept: Er übersah, daß der Besitzer in Julians 4. Fallvariante wirklich Erbe geworden ist oder die bonorum possessio wirklich erhalten hat und darüber irrt, daß der Erblasser nicht der Eigentümer des Grundstücks war. In seinem Beispiel läßt er darum den Veräußerer irrtümlich glauben, Erbe zu sein oder die bonorum possessio erhalten zu haben, während er in Wahrheit nicht Erbe ist oder die bonorum possessio nicht erhalten hat. Ein weiterer Fehler ist dem Glossator bei der Gutgläubigkeit unterlaufen. Weil es in Julians 4. Fallvariante auf den guten Glauben des Erben ankommt, läßt auch der Glossator den vermeintlichen Erben in gutem Glauben sein: existimabat se heredem vel bonorum possessorem esse. Wie er das Beispiel gebildet hat, ist der gute Glaube des vermeintlichen Erben aber ganz unerheblich. Entscheidend ist allein, daß der Pächter glaubt, vom Berechtigten zu kaufen. Dieser falsche Ansatz ist schon von Beseler und Hägerström, Siber und Talamanca kritisiert worden. 36 Für Hausmaninger bleibt dagegen die Überlegung, daß es nur auf den guten Glauben des Pächters und nicht auf den des Veräußerers ankommt, "an der Oberfläche".37 Wenn sich nämlich der Veräußerer für den Erben halte, dann trete er auch gegenüber dem Käufer als Erbe auf, und der Käufer werde kaum besser über die Erbfolge Bescheid wissen als der gutgläubige Veräußerer. Der gute Glaube des Käufers verstehe sich daher "gewissermaßen von selbst",38 Wäre der Veräußerer dagegen bösgläubig gewesen, wäre es eher möglich, daß auch der colonus bösgläubig war.
Hausmaningers Versuch, den guten Glauben des Veräußerers zu erklären, ist kaum überzeugend. Das Beispiel ist für Julian nicht zu retten. Die Fehler sind unverkennbar und lassen nur den Schluß zu, daß der Fall später hinzuge36 Beseler 378 und Siber 85 lesen: si colonus mortuo domino emerit fundum ab eo, [qui] existimabat [se] heredem eius vel bonorum possessarem esse. Hägerström 130 A.1 (132 f.) und Talamanca 124 A. 283 (125) halten den Satz für interpoliert; ebenso Donatuti 234. 37 Hausmaninger, Bona fides 64. 38 Ähnlich Voci 213 A.3.
§ 13. Die Ersitzung einer vermeintlichen Nachlaßsache
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fügt worden ist. Und darum muß auch die vorausgehende Frage, die zu dem Beispiel überleitet, ein späterer Zusatz sein. 4. Wir kommen auf Julians 4. Fallvariante zurück. Der bösgläubige Besitzer des Grundstücks ist ziviler oder prätoriseher Erbe geworden und nimmt irrtümlich an, der Erblasser sei der Eigentümer des Grundstücks gewesen. Nach Julian beginnt er, das Grundstück pro herede zu besitzen, weil er die causa seines Besitzes nicht eigenmächtig geändert hat. Wir wir sahen39 , legt der Kontext des Traktats nahe, daß Julian die nemo sibi ipse-Regel unter dem Gesichtspunkt erörtert, ob sie der Ersitzung entgegensteht. Wir dürfen daher annehmen, daß er die Ersitzung auch in der 4. Fallvariante gestattete. Eine usucapio pro herede im technischen Sinn kam hier allerdings nicht in Betracht. Denn der Besitzer stellt sich ja bloß vor, das Grundstück gehöre zum Nachlaß des verstorbenen Erblassers. In Wahrheit ist es aber keine res hereditaria, und darum war eine usucapio pro herede ausgeschlossen. 40 Wenn Julian die Ersitzung in der 4. Fallvariante gleichwohl zuließ, dann war sie eine unbenannte usucapio auf der Grundlage, daß der Besitzer irrtümlich glaubte, das Grundstück habe dem Erblasser gehört und er habe es daher durch den Erbgang zu eigen erworben. Julian war offensichtlich einer jener Juristen, von denen Pomponius berichtet. Wir erinnern uns an: Pomp 23 ad Qu Mucium D 41.5.3 Plerique putaverunt, si heres sim et putern rem aliquam ex hereditate esse quae non sit, posse me usucapere.
5. Die plerique, von denen Pomponius in D 41.5.3 berichtet, haben die Ersitzung einer vermeintlich durch Erbgang erworbenen Sache dann gestattet, wenn der Besitzer wirklich geerbt, die Sache aber darum nicht mit der Erbschaft zu eigen erworben hat, weil sie dem Erblasser nicht gehörte; stellte sich der Besitzer dagegen bloß vor, Erbe geworden zu sein, konnte er nicht ersitzen. Aus der unterschiedlichen Behandlung dieser beiden Fälle haben wir gefolgert, daß die Ersitzung einer vermeintlich durch Erbgang erworbenen Sache für die plerique keine Putativtitelersitzung war; sie verstanden sie vielmehr als eine Ersitzung, die das mangelnde Eigentum des Erblassers ausgleicht: Sie sahen die Sachlage so, als habe der Erbe die fremde Sache ,vom nichtberechtigten Erblasser geerbt'. Dann aber, so haben wir weiter gefolgert, müßte die Ersitzung nicht nur zulässig gewesen sein, wenn der Erbe die fremde Sache im Nachlaß vorfand; konsequenterweise müßte sie auch dann eingeräumt worden sein, wenn er auf andere Weise fehlerfrei in den Besitz der Sache gelangte.
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S. oben bei A.lO. Pomp D 41.5.1; dazu oben § 10 11 bei A.5.
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2. Kap.: Putativtitelersitzung - A. Voraussetzungen
Julians Traktat über die Reichweite der nemo sibi ipse-Regel bestätigt beide Folgerungen. Nach Julian kann der Erbe das fremde Grundstück ersitzen, obwohl er es nicht im Nachlaß vorgefunden hat, sondern schon vor dem Erbfall in Besitz hatte. Zunächst besaß er das Grundstück zwar bösgläubig, weil er es wissentlich von einem Nichtberechtigten gekauft hatte. Nach dem Erbfall besitzt er es jedoch gutgläubig und fehlerfrei. Die nemo sibi ipse-Regel steht dieser Änderung der causa possessionis nicht entgegen, denn für Julian hat der Erbe das Grundstück ,vom nichtberechtigten Erblasser geerbt'. Das ergibt sich klar aus der Folge der Fallvarianten: Dem Kauf vom Berechtigten (1. Variante) entspricht ein gutgläubiger Kauf vom Nichtberechtigten (2. Variante), und diesen beiden Fällen stellt Julian die beiden weiteren Fälle gegenüber, daß der Besitzer den Berechtigten beerbt (3. Variante) oder daß er einen Dritten beerbt, den er für den Berechtigten hält (4. Variante). Die Parallelisierung ist deutlich: Die 4. Fallvariante ist so zu sehen, als habe der Besitzer das Grundstück ,vom Nichtberechtigten geerbt' - so wie er es in der 2. Fallvariante vom Nichtberechtigten gekauft hat. Nur diese Betrachtungsweise, nämlich unter dem Gesichtspunkt des ,Erwerbs vom nichtberechtigten Erblasser', rechtfertigt auch hier, in der 4. Fallvariante, anzunehmen, daß mit dem Erbschaftserwerb aus dem bösgläubigen Besitz gutgläubiger Ersitzungsbesitz geworden ist, ohne daß die nemo sibi ipse-Regel entgegenstand. Damit wird nun deutlich, daß es diese 4. Fallvariante ist, der Julians Interesse galt. Auf sie hin ist der ganze Traktat angelegt. Julian ging es nicht darum, Fälle aufzuzählen, in denen sich die causa possessionis ändert, ohne daß die alte Rechtsregel eingreift. In den ersten drei Fallvarianten ist außerdem evident, daß keine eigenmächtige Änderung der causa possessionis vorliegt: Wer eine Sache, die er schon in Besitz hat, vom Berechtigten oder gutgläubig vom Nichtberechtigten kauft, ändert seine causa possessionis selbstverständlich nicht eigenmächtig; und ebensowenig liegt eine eigenmächtige Änderung vor, wenn der Besitzer den Berechtigten beerbt. Von Interesse sind diese Fälle und ihre Kombination nur im Hinblick auf die 4. Variante. Sie liegt ganz anders: Der Besitzer hat das Grundstück bösgläubig von einem Nichtberechtigten gekauft, macht dann eine Erbschaft, und stellt sich nun vor, der Erblasser sei der Eigentümer des Grundstücks gewesen. In diesem Fall könnte man dem Besitzer wirklich entgegenhalten: nemo sibi ipse causam possessionis mutare po test! Die prima causa possessionis dauert fort und die Ersitzung ist ausgeschlossen, weil durch die bloße Vorstellung, das Grundstück geerbt zu haben, niemand seine causa possessionis ändern kann. Julian will den Besitzer aber ersitzen lassen. Er sieht den Fall in Parallele zur 2. Variante: wie der Besitzer das Grundstück dort gutgläubig vom Nichtberechtigten gekauft hat, habe er es hier gutgläubig von einem Nichtberechtigten geerbt. Wie dort sei darum auch hier aus dem bösgläubigen Besitz gutgläubiger Eigenbesitz geworden, ohne daß die nemo sibi ipse-Regel entgegenstand. Der Ersitzung der vermeintlichen Erbschaftssache stehe darum nichts im Wege.
§ 13. Die Ersitzung einer vermeintlichen Nachlaßsache
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6. Der Erbe, der eine fremde Sache irrtümlich für eine Erbschaftssache hielt, konnte also nach Ansicht einiger Juristen diese Sache ersitzen: sie sahen den Fall so, als erwerbe er die vermeintliche Erbschaftssache gutgläubig vom nichtberechtigten Erblasser. Diese Betrachtungsweise bedeutete, daß ein Erbe jede fremde Sache, die er nicht gestohlen hatte, ersitzen konnte, sofern er nur glaubte, sie habe dem Erblasser gehört. Julian hat diese Problematik nicht verkannt. Darum macht er die Einschränkung, daß der Glaube des Erben durch eine iusta causa existimandi gerechtfertigt sein muß.41 Diese Einschränkung war von großer praktischer Wirkung. Sie schloß aus, daß sich der Erbe im Vindikationsprozeß mit der einfachen Behauptung verteidigen konnte, er habe die Sache für Eigentum seines Erblassers gehalten; er mußte vielmehr dartun, daß er einen guten Grund für diese Annahme hatte. Ob auch die übrigen plerique diese Einschränkung machten, wird von Pomponius nicht berichtet. IH. Hat sich die Meinung der plerique durchgesetzt, daß der Erbe eine vermeintlich zur Erbschaft gehörende Sache ersitzen kann? Gaius erörtert den Fall, daß der Erbe eine fremde Sache, die der Erblasser gemietet oder geliehen hat, irrtümlich für eine Sache des Erblassers hält42 : verkauft oder verschenkt er sie, soll der Erwerber sie ersitzen können, weil der gutgläubige Erbe kein furtum begeht, wenn er die fremde Sache veräußert. Gaius sagt jedoch nicht, daß auch der Erbe selbst die vermeintliche Erbschaftssache ersitzen kann. Dagegen scheint Papinian dem Erben die Ersitzung einer vermeintlich durch Erbgang erworbenen Sache gestattet zu haben: Pap 23 quaest D 41.3.44.443 Filius familias emptor alienae rei, cum patrem familias se factum ignoret, coepit rem sibi traditam possidere: cur non capiat usu, cum bona fides initio possessionis adsit, quamvis eum se per errorem esse arbitretur, qui rem ex causa peculiari quaesitam nec possidere possit? idem dicendum erit et si ex patris hereditate ad se pervenisse rem emptam non levi praesumptione credat.
41 Es besteht also kein Grund, si iustam causam habuerit existimandi zu streichen; so aber Donatuti 234 f. und Voci 212, 229; gegen sie schon Mayer-Maly, Putativtitelproblem 114 ff., und Hausmaninger, Bona fides 65 ff. 42 Gai 11.50. 43 Stintzing, Bona Fides (1852), 94; Klein, Sachbesitz und Ersitzung (1891) 293; Bonfante (1894), Scritti giuridici 11 (1918) 674 A.2 (675); Pernice, Labeo 11 1 (1895) 503 A.3; Alibrandi, Opere giuridiche e storiche I (1896) 229; Partseh, Die longi temporis praescriptio im klassischen römischen Rechte (1906) 14 f.; Ferrini, Manuale di pandette (3. Auf!. 1908) 294 A.l; Beseler, SZ 45 (1925) 227; Perozzi, Istituzioni di diritto romano I (2. Auf!. 1928) 857 A.l; Siber, Römisches Recht 11 (1928) 86 A.14; Voci, L'errore nel diritto romano (1937) 174 f., Modi (1952) 230; v. Lübtow, Fs. zum 41. Deutschen Juristentag (1955) 161; Mayer-Maly, Putativtitelproblem (1962) 81 ff.; Kaser, RP I (1971) 422 A.40; Mittelsten-Scheid, Die Vorliebe des L. Neratius Priscus für das Subjektive (Diss. Heidelberg 1976) 86 f.; Jakobs, Error falsae causae (1978) 62 ff.
8 K. Bauer
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2. Kap.: Putativtitelersitzung - A. Voraussetzungen
Ein Haussohn hat von einem Nichtberechtigten eine fremde Sache gekauft. Bevor ihm der Verkäufer die Sache übergibt, wird er, ohne es zu wissen, gewaltfrei: Wir stellen uns vor, daß der pater familias gestorben, der Sohn aber noch keine Nachricht von seinem Tod erhalten hat. Jedenfalls ist der Sohn immer noch der Meinung, filius familias zu sein, als ihm die Kaufsache übergeben wird. Kann er sie ersitzen? Das Problem wird in einer rhetorischen Frage erörtert: Warum soll er nicht ersitzen, da er doch beim Erwerb des Besitzes gutgläubig ist, obwohl er irrtümlich glaubt, nicht besitzen zu können? Die Ersitzung war demnach zulässig. Ebenso wird in einem zweiten Fall entschieden: wenn nämlich der Sohn glaubt, mit der väterlichen Erbschaft eine vom Vater gekaufte Sache erlangt zu haben. 1. Im ersten Satz schildert Papinian knapp und präzis den Sachverhalt; kein Wort ist überflüssig, nur das Nötigste wird gesagt: Ein Haussohn hat eine fremde Sache gekauft und ist danach gewaltfrei geworden, ohne es zu wissen; die ihm jetzt übergebene Sache beginnt er zu besitzen. Ganz anders die Entscheidung. Sie ist weder knapp noch präzis formuliert, sondern ergibt sich aus der umständlichen Frage, warum der Sohn nicht ersitzen sollte, da beim Erwerb des Besitzes doch bona fides vorliege, obwohl er sich irrtümlich für jemanden halte, der die für das peculium erworbene Sache nicht besitzen kann.
Der Satz gilt seit langem als interpoliert. 44 Er ergänzt den Sachverhalt um das Detail, daß der Sohn die Sache für sein peculium gekauft hat. Dieser Umstand ist aber für die Entscheidung nicht erheblich. Ob der Sohn ex causa peculiari oder für seinen Gewalthaber erwerben wollte, bleibt sich gleich; im einen wie im anderen Fall glaubt er, nicht selbst zu besitzen, sondern dem pater familias den Besitz zu vermitteln. Was in der rhetorischen Frage im übrigen gesagt wird, ist nicht falsch: Soll der Sohn ersitzen können, muß er beim Erwerb des Besitzes natürlich gutgläubig sein; und es ist auch richtig, daß sein Glaube an das Eigentum des Veräußerers nicht dadurch beeinträchtigt wird, daß er zugleich annimmt, besitzunfähig zu sein. Gleichwohl kann es nicht Papinian sein, der hier spricht. Die rhetorische Frage wendet sich an einen wirklichen oder vorgestellten Gegner, dem klargemacht werden soll, daß es keinen Grund gibt, dem Sohn die Ersitzung zu versagen. Sie will offenbar einen Einwand ausräumen, der gegen die Zulässigkeit der Ersitzung vorgebracht werden könnte, den Einwand nämlich, daß der Sohn nicht gutgläubig ist, weil er sich für besitzunfähig hält. Welcher Jurist aber hätte das Gegenteil behauptet! Papinian brauchte weder sich noch anderen klarzumachen, daß guter Glaube an das Eigentum des Veräußerers nichts zu tun hat mit dem 44 Vgl. Alibrandi 229; Beseler 227; Perozzi 857 A.l; Voci, L'errore 174, Modi 230; v. Lübtow 161; Mayer-Maly 82; Mittelsten-Scheid 86 A.5; Jakobs 65. Für echt hält diesen Satz aber Ferrini 294 A.1.
§ 13. Die Ersitzung einer vermeintlichen Nachlaßsache
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Glauben an die eigene Besitzfähigkeit. Allenfalls hätte in Frage gestellt werden können, ob der Sohn überhaupt Besitz erwerben kann, wenn er sich für besitzunfähig hält; denn Besitz konnte schließlich nur corpore et animo erworben werden. Mit großer Wahrscheinlichkeit ist also davon auszugehen, daß die rhetorische Frage nicht von Papinian stammt, sondern von einem nachklassischen Bearbeiter der Quästionen. 45 Dieser Bearbeiter verfügte durchaus über Rechtskenntnisse. 46 Er weiß, daß ein Usukapient initio possessionis gutgläubig sein muß, und er weiß auch, daß der Haussohn nicht selbst, sondern sein Gewalthaber durch ihn besitzt. 47 Das Zusammenspiel der Ersitzungsvoraussetzungen ist ihm aber nicht mehr selbstverständlich. So muß er sich erst vor Augen halten, daß die bona lides nichts mit der Besitzfähigkeit zu tun hat und daß der gute Glaube des Sohnes daher nicht beeinträchtigt ist, wenn er sich für besitzunfähig hält. Wie Papinian den Fall entschieden hat, ist nicht überliefert. Aus seiner Sachverhaltsschilderung ergibt sich allerdings, daß der Besitzerwerb für ihn kein Problem war. Er stellt nämlich ohne weiteres fest, daß der Sohn beginnt, die ihm übergebene Sache zu besitzen: coepit rem sibi traditam possidere. Possidere muß hier technisch gebraucht sein zur Bezeichnung des zivilen Besitzes. Wäre Papinian zweifelhaft gewesen, ob der Sohn civilis possessio erwerben konnte, hätte er sich in der Sachverhaltsschilderung mit der Feststellung begnügt, daß die Kaufsache dem Sohn übergeben worden ist. Das Wort possidere hätte er nicht verwendet, wenn er die civilis possessio des Sohnes im folgenden noch in Zweifel ziehen wollte. Für Papinian stand also außer Frage, daß der Sohn Besitz erwarb, obwohl er sich für besitzunfähig hielt. Ein anderes der Ersitzung des Sohnes entgegenstehendes Hindernis scheint es aber nicht gegeben zu haben. 48 Daher liegt die Vermutung nahe, daß Papinian einfach entschieden hat, der Sohn könne ersitzen. 49 45 Zur nachklassischen Bearbeitung von Papinians Quästionen Wieacker, Textstufen klassischer Juristen (1960) 333 ff. 46 Wieacker (A.45) 362 vermutet, daß die Quästionen von demselben Juristen der diokletianischen oder einer der letzten vordiokletianischen Kanzleien a libellis bearbeitet worden sind, der auch die responsa Papinians bearbeitet hat und der über eine "respektable Kenntnis des spätklassischen Rechts" verfügte (361). 47 Mayer-Maly 82 hält dagegen bona fides initio possessionis, ex causa peculiari quaesitum und auch den Hinweis auf den Irrtum des Besitzers für "glaubhaft papinianische Elemente". Er rekonstruiert daher (81): ,,