Erfahrungen und Untersuchungen über den Menschen. Zweyter Band 9783111423487, 9783111058771


206 54 41MB

German Pages 446 [464] Year 1777

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Table of contents :
Vorrede
Inhalt des zweyten Bandes
Vierter Theil. Don den Geistesfähigkeiten des Menschen, und von der menschlichen Seele, in so weit sie den Grund davon in sich enthält
Erste Abtheilung. Von der eigentlichen Quelle, daraus der Unterschied zwischen Menschen und Thieren zu entspringen scheint
Zweyte Abtheiluilg. In welcher Grundeigenschaft der menschlichen Seele, die ersten Quellen des ganzen Unterschiedes der Menschen und Thiere zu setzen sind
Dritte Abtheilung. Von der Natur der Thätigkeit der Seele überhaupt, und in was für einer Beschaffenheit derselben insbesondere, der Grund aller Verschiedenheiten zwischen den Seelen der Menschen und der Thiere zu setzen ist
Vierte Abtheilung. Von den verschiedenen Gattungen der veranlassenden Ideen überhaupt, und den daher entstehenden verschiedenen Wirkungsarten der Thätigkeit der menschlichen Seele, in Absicht ihrer Ideen
Fünfte Abtheilung. Von der menschlichen Sprache insonderheit, als dem vollkommensten Mittel der Ideenveranlassung
Sechste Abtheilung. Vom Bewußtseyn
Siebente Abtheilung. Von der Aufmerksamkeit
Achte Abtheilung. Das Gedächtniß
Neunte Abtheilung. Die Erinnerung
Zehnte Abtheilung. Die Phantasie, und Einbildungskraft
Recommend Papers

Erfahrungen und Untersuchungen über den Menschen. Zweyter Band
 9783111423487, 9783111058771

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

Erfahrungen und

Untersuchungen über den

Menschen. Von

Karl Franz von Jrwing, Dberconsistorialrath, wie auch Rath bey den Di» recrorie» deö Joachimöthalischen Gymnasiums Und der Domkirche.

Zweyter Band. -------- ...-Sfr... .,-

Berlin, im

Verlage

der Realschulbuchhandlung, »

7 7 7«

Vorrede. fOi( Att und Weise, wie der Anfang dieses Werks auf­ genommen worden, hat mich auf­ gemuntert, darin fortzufahren; je­ doch bekenne ich gerne, daß ich demungeachtet mit einiger Furchtsamkeit diesen zweyten Band dem Publicum übergebe.

Nicht, daß ich mir nicht

sollte bewußt seyn, meine Materie mit möglichster Aufmerksamkeit durch-

* a

ge-

Vorrede. gedacht zu haben,

sondern weil ich

finde, daß ich zuweilen doch noch zu dreist Meynungen zu behaupten schei­ ne , davon das Gegentheil weit all­ gemeiner geglaubt Und angenommen wird.

Ich bin indessen nicht so da­

für eingenommen, daß ich nicht einse­ hen sollte, vieles davon müsse erst durch mehrere Erfahrungen und an­ dre Arten der Prüfung seinen eigent­ lichen Werth erhalten.

Die Zeit,

die an allen menschlichen Kenntnissen nach und nach immer vieles berichti­ get, mag auch an den hier geliefer­ ten Vorstellungen von der menschli­ chen Natur, wenn sie über die Prüjungen.

Vorrede. fmigen des gegenwärtigen Zeitalters hinausleben sollten, das Ungewisse und Unzulängliche wegstreichen oder verbessern.

Ich bin zufrieden, wenn

ich nur Veranlassung zum weitren Nachdenken darüber gegeben habe.

Diejenigen, die den ersten Band dieses Werks nach der ersten Ausga, be gelesen haben,

muß ich bitten,

denselben auch nach der zweyten Aus­ gabe, wenigstens von dem 96. §. an, nochmals zu übersehen, weil ich ih­ nen sonst in dem gegenwärtigen nicht verständlich genug seyn würde.

Vorrede. ist bald

wahrzunehmen,

daß die Materien des

vierten Theils

Uebrigens

in diesem Bande noch nicht geendiget sind.

Die Eintheilung in Bände ist

willkürlich, und hängt von den na­ türlichen Abtheilungen einer Materie nicht ab.

Berlin, am 21 März,

777*

»

Inhalt.

des zweyten Bandes.

Bretter Theil. Von den

Geistesfähigkeiten des

Menschen, und von der menschlichen Seele, in so weit sie den Grund da­ von enthält. Erste Abtheilung. Von der eigentlichen Quelle, woraus der Unterschied zwi. schen Menschen und Thiere zu ent» springen scheint. 1. Schwierigkeit beym Uebergang« von blo­ ßem Thiere zum Menschen. $. 115. 2. Wo die Quelle des Unterschiedes zwischen den Menschen und Thieren von Einigen gesucht worden. $. 116. 3. Wo überhaupt die Quellen diests Unter« ichiedrs befindlich seyn müssen. §. 117.

4

4. Grün«

Inhalt. 4. Gründe für diejenige Meynung, nach welcher die Quelle des Unterschiedes zwi­ schen Menschen und Thiere, in dem Kör­ per und dessen Organisirung gesetzt wird. $. 118. 5. Gegengründe derer, welche die Quelle dieses Unterschiedes allein in der Seele setzen. $. 119. 6. Noch andre Gründe für die Meynung, daß die erste Quelle dieses Unterschiedes allein in der Seele gesucht werden müsse. $. 120. 7. Ob die Hypothese von der beständigen Fonschrcitung aller Geschöpfe zu höheren Stufen der Vollkommenheit, die Mey«rung begünstige, daß der Unterschied der Menschen mit» Thiere, seinen Grund bloß in der verschiedenen Organisation der Körper habe? §. 121.

Zweyte Abtheilung. In welcher Grund, eigenschaft der menschlichen Seele, die Quelle des ganzen Unterschiedes zwischen den Menschen und Thieren befindlich sey.

.. Die

Inhalt. 1. Die Seele ist ein von dem Körper, dm sie beseelt, verschiedenes Wesen. §. 122. 2. Ob die Quelle des Uiiterschicd.'s zwischen Menschen und Tbiere, in dem bloßen Vermögen der Seele gewahijuiichmcn liege? §. 123. 3. Ob die Quelle dieses Unterschiedes in dem Vermögen der Seele, thätig zu seyn, angetrvffm werde. §. 124. 4. Beurtheilung einer Einwendung, die da­ wider gemacht werden kann. §. 125.

Dritte Abtheilung. Von der Natur der Thätigkeit überhaupt, und in wel­ cher Beschaffenheit derselben ins. besondere, der Grund aller Ver­ schiedenheiten zwischen den Seelen der Menschen und der Thiere zu se­ hen ist. 1. Don den Beschaffenheiten der Thätigkeit der Seele, in welchen nicht der Grund der Verschiedenheit zwischen den Men­ schen und Thieren zu suchen ist. $. ib6. *

5

2. In

Inhalt. t. In welcher Beschaffenheit der Seelrntha« tigkeit, der Grund der Verschkedenheit zwischen den Menschen und Thieren wahr« scheinlich zu setzen ist. §. 137. 3. Ob von dieser Beschaffenheit der Seelen« thatigkrit, ein weitrer Grund in dem Menschen selbst angegeben werden könne. §. 128.

4. Was für unmittelbare Folge« aus dieser Beschaffenheit derSeelrnthatigkeit stießen. §. 129. 4. Allgemeine Vergleichung der Meyfcheaseele mit dm Thierseelen. §. 130.

Vierte Abtheilung.

Von den verschiede, nen Gattungen der veranlassenden Ideen überhaupt, und den daher entstehenden verschiedenen Wir. kungöarten der Thätigkeit der mensch­ lichen Seele, in Absicht ihrer Ideen.

1,

Die Ideen, wodurch die Thätigkeit un­ srer Seele erweckt und gelrittt wird, ver» dimm

Inhalt. dienen in so fern «ine besondre Betrach« eung. §. IZl. а. Die erste Gattung veranlassender Ideen überhaupt, sind di« Antriebe. §. 132. 3. Die andre Gattung veranlassender Ideen, find überhaupt alle Arten der Ideen, in so fern sie eine gewisse Anweisung auf andre Ideen enthalten. $. 133. 4. Die dritte Gattung veranlassender Ideen überhaupt, sind die Zeichen. §. 134, 5. Allgemeine Quelle der Ideenreichen über­ haupt. $• 135. б. Don den Mitteln und Wegen, wodurch Zeichen eine gewisse und bestimmte Bedeu­ tung erlangen können, und was für Gat­ tungen der Zeichen daher entstehen. §. 136. 7. Die Zeichen, als Veranlassungen zu Ideen betrachtet; worin besteht ihr Unterschied von andren Gattungen solcher Veranlas­ sungen, und was für Vortheile verschaf­ fen sie überhaupt? §. 137. 8. Vergleichung der Menschen und Thiere, in Absicht der Vortheile, welche die Zei­ chen

Inhalt. chen überhaupt ihnen verschaffen können. §- -Z8.

y. Don den Quellen, daraus der Gebrauch der Zeichen seinen ersten Ursprung nimmt. $. »39*

Fünfte Abtheilung.

Von der menscht», chen Sprache insonderheit, ale dem vollkommensten Mittel der IdeenVeranlassung.

i. Don dem Ursprünge der menschlichen Sprache. §. 140. Don den Vortheilen, welche die Sprache überhaupt dem Menschen verschafft. §. 141.

Sechste Abtheilung. Vom Bewußtseyn. 1. Dom Ursprünge der Geistesfahigkeiten des Menschen überhaupt. §. 142. c. Dom Bewußtseyn überhaupt. §■ 143. z. Dom begleitenden und fortgesetzten Be­ wußtseyn Unsrer selbst; und vom Bewußtwerdcn unsrer Ideen. K. 144. 4- Ob

Inhalt. 4, Ob wir uns aller unsrer Ideen bewußt

smd. §. 145.

5. Von der Besonnenheit, und der Zer» streuung. §. 146.

Siebente Abtheilung.

Von der Auf.

merksamkeit. 1. Verschiedenheit der Aufmerksamkeit der Menschen und der Thiere. §. 147. 2. Ob durch die Aufmerksamkeit überhaupt eine Idee schon bis zur Appercepkion ge» bracht werde. §. 148. 3. Vollkommenheiten und Mangel der Auf» merksamkeit. §. 149. 4. Vom allgemeinen DeobachtungSgeiste. $• 150.

Achte Abtheilung. Vom Gedächtnisse. 1. Unterschied zwischen dem Gedächtniß überhaupt, und insbesondre. §. 151.

Inhalt. 2. Von den allgemeinen Dollkommenheiten des Gedächtnisses insbesondre. §. i$2. z. Don den Hauplatten des Gedächtnisses insbesondre. §. 153. 4. Unterschied beyder Hauptarlen des Ge­ dächtnisses insbesondre. §. 154. 5. Werth und Verhältniß beyder Hauptarten des Gedächtnisses gegen einander. S- -5Z.

Neunte Abtheilung.

Don der Erin.

nerung. 1. Don der Erinnerung überhaupt, und den Schwierigkeiten, di« sich bey der näheren Erklärung derselben finden. §. 156. 2. Hypothesen, um diese Schwierigkeiten tu heben. §. 157. z. Die Erzeugung der Erinnerung fetzt die Unterscheidung der bloßen Empfindungs» ideen von den Empfindungen selbst, und des Vergangenen vom Gegenwärtigen, -um Voraus. $, 158. 4. Wie

Inhalt. 4. Wie die Ideen des Unterschiedes |iei» schm wirklichen Empfindungen und blo­ ßen Empfindungsidem in der Seele er­ zeugt wird. §. 159. 5. Wie die Idee des Vergangenen, und die Erinnerung selbst, fich in der Seele er­ zeugt. §. 160. 6. Don der Erinnerung, als Vermöge» und Fähigkeit der Seele betrachtet, und ihren Erstrdernissen. §. 161. 7. Von dem Besinnen. §. 162. 8- Don dem Gange, den die Erinnerungs­ kraft Hey ihrem Geschäfte nimmt. §. 163. 9. Noch mehr Beweise au- der Erfah­ rung, für diese Theorie der Erinnerung. $. 164.

Zehnte Abtheilung. Don der Phantasie und der Einbildungskraft. 1. Was ist Phantasie und Einbildungs­ kraft? §. 165. 2. Von einigen allgrmeinm Beschaffmhei. ten der Idem der Einbildungskraft in« sonder»

Inhalt. sonderheit und den Einflüssen der Phanfie.

§.

166.

3. Don den natürlichen Vollkommenheiten und Unvollkommenheiten der Phanta­ sie und Einbildungskraft überhaupt. §. 167. 4. Don dem Bestimmungsgrnnde der Ar» ten der Phantasie und Einbildungskraft insbesondre. K. i6g. 5. Don den Hauptartcn der Phantasie und Einbildungskraft insbesondre. §. 169. 6. Do» dem Einflüsse der Erziehung und Gewohnheit auf die Einbildungskraft. $. >70. 7. Don dem Nutzen der Einbildungskraft überhaupt. $. 171.

8.

Don den Vergnügungen der Einbildungs­ kraft. §■ 172-

Vierter

Vierter Theil. Don

den Geistesfähigkeiten des Menschen, und von

der menschlichen Seele, in so weit sie

den Grund davon in sich enthält.

Erste Abtheilung. Von der eigentlichen Quelle, dar­ aus der Unterschied zwischen Men« schen und Thieren zu entsprin­ gen scheint. §- "Z. Schwierigkeit beym Uebcrgange vom bloßen ZW*t jum Menschen.

pfmdungrn allein hergeleitet und daraus erklärt tvciten.

Dabey ist in der Seele selbst, außer

4

Untersuchungen

de« Vermögen Gervahrnehnumgen davon zu «langen, und solchen gemäß tly.tig zu seyn, keine andre Fähigkeit vorausgesetzt worden. Ich bin nur bloß bey dem stehen geblieben, waS ganz unstreitig uumittelbare Folgen davon sind, nämlich beyden reinen äußren Empfin­ dungen. Die Verbindung dieser Empfindun­ gen mit der Thätigkeit, in so weit alö sie allein durch jene geleitet werden kann, scheint mir die ganze ErklarungSart der bloß thierischen Natur deS Menschen in sich zu begreifen. Freylich können jene Betrachtungen, die in dem vorhergehenden daraus hergeleitet worden, »roch sehr erweitert uyd manche andre Folge mehr daraus gezogen werden; allein es wird doch alles nur immer die bloß thierischen Be­ schaffenheiten des Menschen berreffert, da nicht abzusehen ist, wie sich daraus allein auch nur daS Geringste von dem begreiflich machen ließe, was den Menschen eigentlich zum Menschen »nacht.

über den Menschen.

5

macht, ober was ihn so augenscheinlich und unwiderspiechlich über alles, was bloß Thier ist, erhebt. Alle diejenigen, welche mit Fleiß und Auf­ merksamkeit die Natur bet Thiere beobachtet haben, kommen, wenn sie gleich sonst in der Erklärungsart noch so weit von einander abge­ hen, fast sämmtlich darin mit einander über­ ein, daß den Thieren weder Verstand noch Vernunft zugeschrieben werden könne; daß sie Weber Überlegungen anstellen, noch urtheilen, ober Schlüsse machen; daß sie keine abstrakte imb allgemeine Begriffe, keine eigentliche Willkür und keinen freyen Willen besitzen; und daß überhaupt den Thieren alle Arten solcher Ideen mangeln, die Ueberlegung und Ver­ stand, Vemunst und freye Wahl vorausse­ tzen. Dieser große Unterschied zwischen den Menschen und Thieren fallt einem Jeden in

6

Untersuchungen

die Augen; ober die Quellen davon und die er­ sten Ursachen liegen ungemein versteckt.

Ließe es sich allein ans den bloßen Empfin­ dungen, oder den uv,mittelbaren Eewahrnehninngen dessen, waS die Sinne und Gefühle einem thätigen und gewahrnehmenden Subje­ cte vorstellen, begreisiich machen, wie daraus das Vermögen zu überlegen rmd Verstand zu haben entspringen kdmie, oder wäre Verstand und Ventunft bloß eine natürliche Folge der Empfindungen und Gefühle allein, so würde eö in der That ganz unbegreiflich ferm, warum nicht wenigstens manche

Thierarten, beson­

ders die, welche mit eben so viel und eben so fluten Sinnen versehen sind als der Mensch, sich nicht endlich auch bis znm Gebrarich de» Verstandes empor geschwungen hätten, zumal da einige eben so lange und langer leben akS der Mensch.

Es ist daher klar, daß der Grund davon

über den Menschen.

7

davon noch anderswo gesucht werde» must; ihn aber zu finden, und daraus auf eine einleuchtende Weise die Vorzüge des Menschen herzuleiten, ist mit manchen Schwierigkeiten verknüpft.

Wenigsten- gestehe ich es sehr gern, daß die Auflösung derselben mir nicht so leicht wird, als sie vielleicht denen scheint, die für ausge­ macht annehmen, daß sich die deutlichen und allgemeinen Begriffe aus den Empfindungen »nd dm Ideen davon von selbst erzeugm, und daß in der Vorstellungskraft der Seele über­ haupt, die doch den Thieren gleichfalls zu­ kommt, der Verstand und die Stammst schon enthalten sey, und nur Zeit und Uebung be­ dürfe, um sich nach und nach von selbst dar­ aus ja entwickeln.

8

Untersuchungen §.

116.

Wo Einige Mt Quellt bei Nnterschledes zwischen den Menschen und Thieren gesucht -allen. Ich leugne indessen nicht, daß nicht schm manchem Philosophen diese Schwierigkeit stark aufgefallen ist; insonderheit seitdem man an­ gefangen hat zu muthmaassen, daß Verstand und Willen vielleicht nicht die ersten Grundeigenschasten der mrnschlichm Seele seyn mach­ ten, sondern daß beyde vielmehr selbst noch ei­ nen weitren reelle»! Grund in der Seele, oder doch überhaupt in dem Menschen haben müßttn.

Es ist daher schon mancher Versuch ge­

macht worden, diese» Grund aufzusuchen, und dadurch die wahre Quelle deS Unterschiedezwischen Menschen und Thiere zu entdecken.

Helvetius, der bey manchem Verdienst um die Philosophie, doch auch bisweilen ab­ sonderlich»

Meynungen

geltend

zu machen sucht.

übet den Menschen.

$

sucht, glaubt die Quelle der menschlichen GeisteSfähigkeiten, oder den Grund de- Unter« schiede- zwischen Menschen und Thiere, darin vornehmlich zu finden, daß der Mensch mit Händen, und an den Handen mit Finger« von besonders feinem Gefühl versehen ist. Er meynt,' daß dadurch der Mensch zu so um­ ständlichen Empfindungen des Fühlen- gelan­ ge, daß nothwendig daran- die Unterscheidung der einzelnen Ideen de- Gefühls, da- Nach­ denken, und die Ueberlegung, wenn befonderdaS Gedächtniß hinzukommt, entspringt» müsse. ES scheint ihm natürlich, daß die Thiere zu solchen Vollkommenheiten ihrer Vor­ stellungen und zu der dadurch entstehenden Fer­ tigkeit der Seele niemals gelangen könnten, weil sie zu jene»» deutlichen Empfindungen des Fühlen- nicht geschickt sind, und sich solche auf keinerlry Weise erwerbe« kinnen.

Untersuchungen

io

Andre" haben die Quelle der menschlichen Geistesfahigkcircn, in der vollkommener» Ein­ richtung unsres Gehirn- und seiner Fibern ge­ setzt. »mb

Andre finden sie in den Sprachorgaiicn. der Fädigkeit

zu

sprechen, womit der

Mensch vorzüglich vor allen andren Thieren be­ gabt worden.

Noch andre, in der dem Men­

schen eigenen Willkürlichkeit (Velleitat), oder dem Vermögen eine Willkür zu äußern; und endlich noch Andre, in dem Bewußtseyn uns­ rer selbst, in der Besonnenheit, Apperception, oder in dem Wesen der menschlichen Seele überhaupt, indem sie dazu, de» Verstand und die Freyheit de- Willens, ohne wcirren Be­ weis rechnen.

Für meinen Endzweck war« n meisten gehört haben wüsten, sind Stimme» der Thiere gewesen.

Bald fürchterliches Ge-

brülle, bald angenehmere Töne, und der Ge­ sang der Vögel.

Das eine hat ihnen Schröck

über bett Menschen.

161

enb Entsetzen, da- andre zufriedene und ange­ nehme Empfindungen einflößen müssen.

Die

Nachahmung der Töne, die den Menschen s» leicht, und daher so natürlich iss, wird sie nicht allein dahin gebracht haben, die Gegenstände solcher Empfindungen durch ähnliche Töne, so weit ste ihren Sprachorganen gemäß find, an­ dren Menschen zu bezeichnen, sondern fie wird fit auch sicherlich al-dann geleitet haben, wem» fie nicht ebe« die Idee der Gegenstände selbst, sondern nur' die Gefühle des Furchtbare« und de- Entsetzens, oder aber der Beruhigung, de- Wohlwollen-, und der freundlichen Gesel­ ligkeit, in Andren haben erwecke« «ollen. 6m Mensch, der sich dem Andren mit gefälligem Gefühl nahen wollen, wird in seiner Anrede, nicht da- rauhe und fürchterliche Gebrüllt der Thie, re, sondem vielmehr die angenehmeren Töne, «ach Verhältniß seiner Sprachorganen nachzu­ ahmen geftchr haben; so wie es auf der andem I irSanN

8

Seite

iö2

Ulltersuchmigen

Seite natürlich ist, daß er den, dem er sich fürchterlich machen »vollen , mit wildem und rauhem Geschrey angefallen haben wird.

Diese Muthmaaßung macht eö wahrschein­ lich, »vie es auch noch andre Gründe bestätigen, daß die erste freundliche Sprache der Men­ schen, mehr Gesang als Rede gewesen; sowie

rv tut Gegentheil auch noch heutiges Tageüblich ist, den Anfall seines! Feindes mit ei­ nem furchtbaren Geschrey zu begleiten. Man kann sich' inzwischen doch leicht vor­ stellen, daß so wohl die Denkungsart als die Sprache der erstm Menschen, anfänglich sehr abgebrochen und wenig zusammenhängettd ge­ wesen seyn müsse.

Ihre Sprache, die fast

aus eben f» viel Gebärden und Bewegungen des KdrperS, alö Tönen oder Wörtern bestan­ den haben wird, muß ungefehr eben so be­ schaffen gewesen seyn, als noch heutiges Ta-

.qeöj

über dm Menschm.

lös

Hts die Sprache unsrer Seefahrer mit den reife *en Nationen in neu entdeckten Inseln k>r sch af­ fen ist. Alles, reaS die Umstände ihnen darge­ boten, werden sie, so wie diese, zu Hülfe ge, nvmwen haben, um sich nur einiger Maaßen einander verständlich zu machen.

So bald

man aber nur erst geneigt ist, sich einander z« verstehe» , so bald nimmt der Eine sehr leicht die Zeichen deö Andren an, und so ist ihre Sprache so wohl an Wörtern alö an andren Zeichen nach und nach immer reicher geworden» Es ist auch überaus wahrscheinlich, dafl, da die ersten Menschen bald zum Gebrauch ei­ niger Zeichen ihrer Ideen habm kommen müs­ sen, und da sie dabey sehr leicht die Vertheile solcher Zeichen, welche durch dia Stimme hm« vorgebracht werden, habm inne werden kön­ nen, sie auch sehr bald eS sich zum eigentli­ chen Geschäfte rverden gemacht haben, alle Dinge »im sich herum, mit Tonzeichen '

L s»

ebtf

Denen-

»64

Untersuchungen

Benennungen zu belegen, und diese« Geschäf­ te, da« so sehr zum gemeinschaftlichen Nutzen gereichte, hat vermuthlich einen geschwind«» Fortgang gehabt. Wie glücklich oder u,glück­ lich aber die ersten Erfinder darin gewesen, kann mit Iuverläßigkeit nicht ausgemacht men den, da sich nicht unwidersprrchlich darthun laßt, welche von den bekannten Sprachen, ei­ gentlich die allererste gewesen, und e« noch die Frage ist, ob überall von derselben mehr, al« einige wenige Wörter, die in verschiedenen Sprachen zerstreut liegen, auf un« gekom­ men ist. So viel ist indessen gewiß, daß, weil di« Sprache so wohl da« Mittel ist, unsre Ge­ danken in un« selbst zu bilden, al« auch da« Werkzeug, sie Andren mitzutheilen, ihr« Aus­ bildung mit der Ausbildung der Fähigkeiten der Seele, allemal in gleichem Schritte fort­ gehn muß. Die eine muß nothwendig der an­ dren

über den Menschen.

165

dkm di« Hand bieten, und kein« tarn eine Vollkommenheit erlangen, ohne daß dadurch nicht auch die audre gewinnen sollte. Die Sprache eine» Volk», ist daher zugleich seine Art zu denken; und da» Studium der Spra­ che einer Nation, ist da- Studium de» Um­ fang- ihrer Begriffe, ihrer Vernunft, Weis­ heit, und Vvmnheile»

5- d wird Herr der Sprache. Ich sagte vorher (f 134.), daß ich dem Mensch«, der zwar die beyden erst« Gattnngm der Jdeenveranlassung«, aber nicht die $ 4 Zei-

i6$

UntersuchunM

Zeiche« m seiner Gewalt hätte, «och viel -n viel Vvttheile, in Absicht seine- Denken- ein* geräumt hätte; und ich denke, ich hab« nicht jnviel gesagt. ES abstrahlte einmal Jemand, so weit e» mdglich ist, von allen Worten und willkürli» chen Zeichen, imb versuche, ob er sodann in dem Verfolg seiner Ideen, wenn er auch von der reichhaltigste« Empfindung ausgeht, weit kommen werde.

Gewiß, feine Ideen werden

sich sehr bald in Dunkelheit verlieren, und sein Nachdenken wird bald aufhören. Gesetzt aber, er könnte auch die Neihe solcher Bilder, durch angestrengte Aufmerksamkeit und Stärke der Einbildungskraft eine Zeitlang verfolgen, und rnit Bildern sich bloß anschauend unterhalten; wie selten wird ihm daö gelingen! da nnsre Nerven zu dieser Art der Anstrengung höchst selten, und nie lange geschickt find.

Daßaber daz»

über den Menschen.

16-

dazu eine starke Anstrengung erforderlich ist, läßt sich unleugbar fühlen. Ohn« einigen Gebrauch der Zeichen, hät­ ten wir in der That ti nicht in unsrer Gewalt, «ine gehabte Empfindung, oder die Idee einer abweseuden Sache, nach Belieben wieder in uns )u erwecken.

Der einzige Weg, der uns

dazu offen bleiben würde, wäre der Weg, den der Zusammenhang anschauender Ideen uns weiset.

Grenzte eine vergangen« Empfindung,

nicht irgendwo mit der gegenwärtigen, und wäre fie ihr in keinem Stücke ähnlich, stimmte mit ihr iu keinem überein, so hienge eS nicht von unsrem Belieben ab, fi« zurück zu rufen. Ohn« Zeichen find wir keines Vorsatzes fähig, der sich über die Grenzen der anschauenden Re« heuideeu einer gegenwärtigen Empfindung er, streckt; und unsre Dillkür kann über den eugm Bezirk diese» jedesmaligen Rebenideeu, ihren Wirkungskreis nicht ausdehne«.

i 5

Ohne Jei» «hm

170

Untersuchungen

chen ist die Seele nicht im Stande, Entwürfe von Unternehmungen zu machen, davon di« Ausführung, eine Menge auf einander folgen­ der'zusammengesetzter Handlungen erfordert; denn die ganze Zukunft, die ein Mensch, tit nicht einigen Gebrauch der Zeichen hat, zu übersehen im Stande ist, kann weder entfern­ ter noch an-gebreiteter seyn, alS seine Aussich­ ten; und diesekbnnen unstreitig, nicht-weiter enthalten, alb die nächsten anschauenden Ne« brnidem einer gegenwärtigen Hauptidee. Sei­ ne Furcht so wohl als fein« Hofnungen, müs­ st» in diesen engen Grevzm eingeschlossen blei­ ben, und sein Verhalten, das pch darnach be­ stürmten soll,

kann keine andre als sehr ein­

fache Regeln haben, und seine Handlungen sind folglich nm einer sehr geringen Moralität fähig.

Allgemeine Begriff«, Künste und Wis­

senschaften, samt fr gar nicht erlangen; wodurch wollte,

oder könnte er fti«

und

Rnschn über

überden Menschen.

17*

über die Thiere behaupte«, da er, von henmei-sten Seite» betrachtet, auf diese Weise-nichts besser als die Thiere zu seyn scheinen würde, von . andren Seiten aber weit schlimmer noch, als sie, daran seyn würde, da seine Seelenthätigkeit nicht, wie die ihrige, so individuell und sicher durch natürliche «nzuverkemende Triebe bestimmt und geleitet wird ? Mit einem Worte, die vortrefliche und erhabene Natur der Seele des Menschen, wodurch er sich an Würde, Erkenntniß und Macht, so weit über alles, was auf Erden lebt, erheben kann, würde verkamt und unbemerkt i» Dunkelheit vergraben liegen. So, und nicht anders, würde der Zustanddes Menschen seyn, wenn er gar keinen brauch einigerley Art Zeichen seiner Ideen hüt, te. AuS diesem Zustande erhebt sich der Mensch «mr nach dem Maaße, als er immer mehrerer md voükomnmcrcr Zeichen seiner Ideen mächtig wird.

i72

Untersuchungen

wird. ES giebt zwar einige Gattungen vvllkommnerer Thiere, die nicht ganz ohne allen Ge­ brauch von Zeichen sind, dadurch sie sich auch nicht allein mancherley Vortheile verschaffen, sondern auch zugleich andren ihre Gefühle und Bedürfnisse, mehr oder weniger, zu versiehe» geben können.

Allein, auch die vollkommenste

Gattung der Thiere, hat doch keine andre Zei­ chen in ihrer Gewalt, und kann auch zu kei­ nen andren abgerichtet werden, als allein zu solchen, davon die Bedeutungen entweder selbst Führungen sind, oder die doch damit auf eine anschauende Weise in Verbindung stehn.

Dage­

gen aber ist der Mensch vermögend, sich bis zum Gebrauch solcher Zeichen heraufzuschwingcn, davon «ine jede Art der Ideen die Be­ deutung seyn kann.

Um deßwillen muß der

Taube und Stumme auch über die vollkomr mensten Thiere immer weit erhaben bleiben, und er wird, bey einem angemessenen Unter­ richte,

über den Menschen.

T73

richte, zu Handlungen und Geschäften fähig seyn, wozu kein Thier je gebracht werden wird. Nichtsdestoweniger aber wird der Taube und Stumme, bey übrigens gleichen Umstän­ den., doch noch weit unter dem Wilden ernie­ driget bleiben, der auch nur die ärmste Wort­ sprache besitzt, weil keine andre Mittel, die Ideen zu bezeichnen, das jemals leisten kön­ nen, was die Sprache überhaupt leistet. Die Sprachen bestehen aus Wörtern, da­ von die Bedeutungen entweder Empfindungen und Ideen sind, oder aber sie zeigen bloß den Zusammenhang, die Verhältnisse und Modi­ fikationen derselben an. Die Wörter sind Ideenzeichen , und in diesem Betracht laßt sich dreyerley dabey bemerken^ Erstlich, das Zei­ chen, oder das Wort selbst, und seine Hervorbringung; zweytens, die Wortidee, oder die Empfindung, die bloß unmittelbar durch daS Wer!

i74

Untersuchungen

Wort ftlbst erzeugt wird; und drittens, die Bedeutung des Wons,

oder die bezeichnete

Nebenidee der Wvrtidee.

Die unmittelbaren

Wortideen stellen sich an sich selbst der Seele sehr leicht dar, und ihre Erzeugung kostet den VorstellungSnerven so wenig Anstrengung, als die Aussprache des Worts selbst den Sprachorganen die geringste Mühe macht; und ob auch gleich die Wortideen nicht im mindesten die Aufmerksamkeit der Seele auf sich selbst verweilen lassen, sondern vielmehr dieselbe so­ gleich auf die Bedeutung selbst leiten, so macht sich doch der

geringste Unterschied darin so

gleich faßlich, und führt wiederum andre Ne­ belndem herbey.

Das alles sind so vortheil-

hafte Beschaffenheiten der Wort spräche, daß sich keine andre Art der Zeichen erdenke« laßt, die eben so bcquenr und leicht, eben so einfach, und doch so unendlich modificabel wäre.

Da­

bey können auch die Wörter noch Lea besondre»

Ber.-

über dm Menschen.

*75

Vortheil gewähren, daß sie in allen ihren Ab» ändrungen und Beugungen, Zusammensetzuuf gen und Trennungen, bedeutend seyn können. Die Wortideen, find nicht nur das Mittel, die durch sie bezeichneten Ideen aufs genaufi« unter einander zu verbinden, sondern sie ver» binden sich auch selbst so wohl der Folge als der Aehnlichkeit nach auf die leichteste Weise. Sie sind leicht hervorzubringen, und eben so ldicht bringen sie selbst ihre Bedeutungen zur Gewahrnehmung der Seele; um deßwillen sind sie auch das allergeschwindeste und leichtest« Mittel, tim sich mit Ideen zu unterhalte», oder überhaupt zu denken. Die Modificatio« nen der Wörter, ihr Zusammenhang, ihre Aehulichkeit unter einander, ihre ursprüngliche so wohl als ihre darauf gebaute und zusammengesilite Bedeutung, sind Deraulaffungen, um in einem Augenblicke, die Idee» der Seele, von einem Weltpole bis zum andreti, durch uner-

,76

Untersuchungen

«nermeßliche Weiten zu führen, und alle Welt« alter mit einander in Verbindung zu bringen.

Sind erst einmal unsre gewöhnlichsten und täglich vorkommenden Empfindungen

und

Ideen, an Wörter und Wortideen gebunden, so ist weiter kein Augenblick unser- Lebenmehr, so lange wir wachen und gesund find, ln welchem nicht die unaufhörlich auf unö zu­ strömenden Empfindungen und Gefühle, zu­ gleich ein« Menge Wortideen, als Rebenideen davon, unsrer Gewahrnehmung zuführen soll­ ten: selbst im Traume wird die Einbildungs­ kraft, so wie sie Empfindungsideen erweckt, auch Zugleich Wortideen in Menge erwecken; «nd diese un- auf diese Weise allezeit gegen­ wärtige Wortideen, bereichern unsre Gewahr«ehmung nach allen Weltgegende« hi« mit Aussichten, und verschaffen an- di« nicht ge­ nug za bewundernden Vortheile, daß wir nach Gele-

über dm Menschen.

m

Gelegenheit der weiften Deianlaflimgen, über welche Materie wir wollen, denken und spre­ chen können. Und gesetzt auch, wir erhielten irgend wo­ her bloß anschauende ganz neue Empfindungen »nd Ideen, die noch mit keinen Wörtern be­ zeichnet waren, so würden doch, vermöge deZusammenhang- der Uebereinstimmung und und Aehnlichkeit, viel andre mit Worten be­ reit» bezeichnete Empfindungsideen, und also auch die Wortideen davon, als Nebenidera herbey geführt werden müssen; «nd die Seel« würde auch in diesem Fall allemal Wortideen in ihrem Gesichtskreise finden, die sie in den Stand setzten, entweder die gegenwärtige neue Empfindung nach diesen ähnlichen Nebenidren j» beschreiben, oder dieselbe selbst nach der Aehnlichkeit mit einem, von der Nebenidee geliehenen Worte Zl» bezeichnen. ar Sand. M

Und hierin liegt

178

Untersuchungen

liegt eine von den Quellen der uneigentlichen Benennungen und Mataphern. Auf diese Weise laßt es sich, meines Er» achtens, begreiflich machen, daß die Sprache überhaupt nicht allein bloß durch die natürli­ chen Fähigkeiten des Menschen hat entstehen, und darauf nach und nach eine immer weitre Ausbildung bekommen müssen, sondern auch, daß sie noch künftig sehr ansehnlicher Verbessekungen überhaupt fähig ist; denn mit dem Reichthum und der Vollkommenheit der Ideen, nnd der Denkungsart, steigt auch der Reich­ thum und die Vollkommenheit der Sprache, und wir stehen sicherlich noch lange nicht auf der höchsten Stufe der Vollkommenheit mensch­ licher Erkenntniß.

Sechste

übet den Menschen.

*79

Sechste Abtheilung.

Vom Bewußtseyn. §■

143.

Dom Ursprünge der Nel-e-fä-lgkeiten bei Menschen überhaupt. ÄT>enn die menschliche Seele in so fern ein Geist genennt wird, als sie durch unleug­ bare Vorzüge von den Seelen der Thiere un­ terschieden, und weit edler und vollkommner ist, als diese sind, so muß zu Folge dessen, was vorher über diese Borzügegefagt worden, das Geistige derselben, allein in der Beachtsamkeit

gesetzt werden (§. i2y.). Ein Geist wird also eine Seele seyn, die von so

vorzüglich reizbarer

Natur ist, daß jede Art der Ideen, ihre Auf­ merksamkeit erregen, sie thätig machen, und zu Handlungen bewegen kann.

«So

Untersuchungen Alle Fähigkeiten de» Menschen, in so weit

sie in der Beacht samkeit seiner Seele ihren Grund haben, und daraus entspringen, sind Geistesfähigkeiten; und hiernach versieht es sich von selbst, daß die Thiere solche Fähigkei­ ten iu so ftnt nicht besitzen können. Stellt man sich einen Menschen vor, dessen Geistesfähigkeiten noch alle ganz ungebildet und roh sind, der aber doch dabey schoir zu ei­ nigem Gebrauch der Sprache gelangt wäre, so muß so gleich an ihm zu bemerken seyn, daß alle seine übrige Geistesfähigkeiten, nach Ge­ legenheit der Umstande, worin er sich besinder, und der Bedürfnisse,

welche er fühlt, sich

mehr oder weniger geschäftig erweisen werden. Er wird Witz und Verstand, Erfindung. Ver­ nunft, Geschmack, Beurtheilung, moralisches Gefühl und Freyheit äußren, je nachdem es die Umstande, und die niehreren oder weniger» Kenntnisse, die er nach und nach von der Welt,

über Dm Menschen.

i$i

und ihren Beziehungen auf ihn selbst erlangt hat, wir sich bringen »rei ten. So bald man erst in der philosophische» Geschichte der Menschheit bis so weit gekommen Ist, daß die Quelle des Unterschiedes zwischen den Menschen und Thieren entdeckt, und dar« aus der erstren vorzüglichste Geistesfahigkeit, der Gebrauch der Wortsprache, hergeleitet »vor« den, so scheint es sodann ziemlich gleichgültig zu seyn, in welcher Ordnung weiter darin fort« gefahren wird. Denn eS können doch nicht alle übrige Geistesfähigkeiten zugleich abgehan» Mt werden, obgleich keine für sich selbst aus­ gebildet werden kann, ohne daß zugleich die übrigen alle Vortheil davon ziehen, und alle von einer gewissen Seite zugleich bearbeitet »Verben müssen. So wahr dieses überhaupt ist, so kam» doch nicht geleugnet werden, daß der allgemeine Einfluß, den eine jede Geistes­ fähigkeit auf die andre hat, sich nicht gleich M 3

stark

i8*

Untersuchungen

stark auf alle andre ausbreite, und daß immer die Vollkommenheit der einen mehr als der audren, die Vorgangige Ausbildung gewisser an­ dren Geistesfähigkeiten voraussetze.

Uud daS

soll hauptsächlich die Ordnung, der ich felgen werde, bestimmen helfen.

§.

'43-

Dom Bewußtseyn überhaupt. Bey der Untersuchung der Möglichkeit, und der Art und Weise, wie der Mensch zum Deivußtseyn seiner selbst gelangen könne, muß er so genommen werden, wie er auS den Händen der schaffenden Natur kommt; roh und unge­ bildet in Absicht seiner Geistesfähigkeiten, und ganz ohne alle Erfahrung. Ein solcher Mensch fängt also mit reinen Empfindungen allein sein Daseyn an.

Sv lange er bloß sehe» und hö­

re« sollte, so lange müßte es ihm unmöglich bleiben, sich selbst von diesen Empfindungen zu unterscheiden, und darin die Idee seiner selbst

über den Menschen. selbst gewahrzunehmen,

igz

ob ihm gleich alt

Mensch, die Beachtsamkeit sogleich zugestanden werde» muß.

Denn in den Empfindungen de-

Gesichts und Gehör-, liegt an sich selbst we­ der die Empfindung und die Idee der Wirklich­ keit eine- äußren Gegenstände-, noch unserKörper-, und folglich können auch diese Ideen, von der Beachtsamkeit darin nicht entdeckt wer­ den.

So bald aber die Empfindungen de-

Fühlen-, und die äußren Gefühle in einem Menschen zugleich wirksam sind, so bald geht in seiner Seele ein neue- Licht auf; er wird sich selbst gewahr, und zugleich, daß er wirk­ liche Empfindungen hat.

Denn in den Em­

pfindungen de-Fühlen-, liegt nicht allein die Idee deö gefühlten Gegenstandes außer uns, (entern auch die Idee unsre- Körpers (§. 48.), und in den Gefühlen ist da- Selbstgefühl alle­ mal enthalte».

Zum

Glück,' konnnen

wir

nicht so bald auf die Welt, als wir überall M

4

süh-

>84

Untersuchungen

fühlen, und auch nothwendiger Weise von ver­ schiedenen Gefühlen betroffen werden.

Es

kommt also nur darauf an, daß der Mensch diese Ideen, die ihm unausbleiblich zugeführt werden, von einander unterscheide. Ware aber zu dieser Unterscheidung auch nicht schon Grund genug in seiner Beachtsamkeit zu finden,

oder sollte dieselbe, da der

Mensch nicht bald genug zum Bewußtseyn er­ hoben werden kann, noch zu langsam wirken, so ist doch auf der andren Seite von der Natur schon genligsam dafür gesorgt worden, daß er nicht lange, ohne die Idee von seinem eigenen Gelbst zu erlangen, bleiben sollte.

Denn das

so natürliche und unvermeidliche Befühlen un, sres eigenen Körpers, enthalt diese Idee zwie­ fach (§. 48.), und kann, da wir mit dem Ver­ mögen, auf eine jedwede Idee aufmerksam zu seyn, begabt sind, nicht übersehen werden, zu­ mal noch überdieß die häufigen Gefühle, deren Idem

übet den Menschen.'

185

°tbccn unS immer selbst iotereßire» (§. 95.), eine sehr vernehmliche Anweisimg geben, die Idee unsers Selbst, von der Idee der äußren Gegenstände zu unterscheiden. ES kann also nicht fehlen, auch der roheste und nngebildeste Mensch muß bey seinen Empfindungen, sehr oft die begleitende Idee von Sich selbst Habers und er kann diese Idee, da sie bald mit dieser bald mit einer andren Empfindung verbunden ist, auch in gewissen Gefühlen oft allein er­ scheint, unmöglich verkennen, und ste mit andren Empfindungen für Eins halten; oder seine Seele hätte feine Beachtsamkeit, und er wäre kein Mensch. Auf gleiche Weise, wie und die Gefühle -um Bewußtseyn verhelfen, verhelfen uns auch dazu alle andre wirkliche äußre Empfindun­ gen. Den» so bald durch gemeinschaftliche Wirkung aller Sinne, die Empfindungen erst so weil berichtiget sind, daß wir st« von Ideen,

186 die

Untersuchten keine Empfindungen sind,

unterscheiden

können , so finden wir in einer jedweden äuß­ ren Empfindung, die Idee von Etwas, das außer unS ist, und die Empfindung in uns ver­ ursacht hat. Wir unterscheidm also eben dadurch die Empfindungen von uns selbst, und gelan­ gen so zum Bewußtseyn unsrer Selbst.

Und

hierin liegt zugleich einer der wichtigsten Vor­ theile, den die wirkliche» Enipfindungen dem Menschen zuwege bringen. Der ganz ungebildete Mensch also, der Mensch, der von bloß reinen äußren Empfin­ dungen alle seine Erkenntniß anfängt,

wird

auf diese Weise doch bald im Stande seyn, die Idee von seinem eigenen Ick) zu erlangen, sie von den damit verknüpfter» wirklichen Empfin­ dungen zu unterscheiden, und, daß jene mit diesen nicht Eins sind, gewahr zu werden. Aus diesem allen erhellet zugleich, daß die Idee von unsrem Ich, keine leidende, sondern eine

üb« den Menschen.

ig?

«ine thätige Idee, und eine Handlung der Seele ist. Denn ob sie gleich in unsren Em, pfindungen und Gefühlen, und also in leiden« den Ideen mit enthalten ist, so kann sie doch als eine eigene besondre Idee, nicht anders der Seele vernehmlich und klar werden, als wenn die Aufmerksamkeit oder Thätigkeit auf sie be« sonders wirkt, und sie also durch diese Hand« lung, zur eignen Idee, und zu einem Ganzen für sich selbst erhoben wird. Die Auftnerk« samkeir auf diese Idee, und die dadurch ge« wirkte Absondrung derselben von den Empfinpfindungen, worin sie liegt, ist nicht ein Ge» schäfte, wozu die Seelen der Thiere fähig sind (§. 130.). ES ist also die Idee, die wir unS von Uns selbst machen, eineHandlung, die der mensch­ lichen Seele, in so fern sie ein Geist ist, zuge­ schrieben werden muß. Da nun das Bewußt­ seyn diejenige Handlung des Geistes ist, wo­ durch wir uns, oder die Idee von uns, von

i88

Untevfud'imgm

den übrigen Ideen, tic uns beschäftige», ans eine vcniebmliche und deutliche Weise unter; scheiden, so In fit sich auS dem vorigen begrei» fen, wie der Mensch zum Bewußtseyn seiner Selbst habe gelangen müssen. Bey dem allen aber bleibt es doch gewiß, daß, so lange der Mensch die Idee, Eie er von (viii Selbst hat, nicht mit einem Zeichen oder Name» belegt, so lauge wird sich dieselbe ihm auch nicht recht klar und vernehmlich, von andre» EmpsinEungen abgesondert, dar­ stellen. Co bald aber diese Idee durch ein Wort bezeichnet wird , so bald bekommt er es in sei­ ne Macht, sie so lange, als er will, den Ge» geiisiaild seiner Aufmerksamkeit seyn zu lassen. Auf eben diese Weise erzeugt sich die mit dem Bewußtseyn ähnliche Idee des Selbst» flffubie. Wir fühlen uns nämlich selbst in allen Gefühlen, und die Idee von unS, in so fern

über den Menschen.

189

fern wir eS sind, die ein gewisses Erfühl ha­ ben, liegt in jeglichem einzelnen Gefühl ($.95). Die Beachtfamkeit des Menschen, kann von dieser Idee, so wie von jeder ander»», gereizt werde»; die Aufmerksamkeit kann sich darauf richten, sie vor andren vernehmlich mache»», und sie dadurch von den übrigen Intharen ei­ ner gegenwärtigen Rührung absondern; sie kann mit einer Benennung bezeichnet werden, und sodann heftet die Aufmerksamkeit sie vcr sich hin, und setzt sich dadlirch in den Stand, die verschiedenen Beziehungen, die selbige auf »iiö hat, von denen zu urrterschciden, die am Bewußtseyn in» Ganzen bemerkt werden. Es verdient nrch bernerkt zu werden, daß iriv den äußren Gefühle», und den Empfindun­ gen des FühlenS, das Bcw»»ßtscyn unsrer selbst «nmittelbar z», danken haben. Dagegen aber können die Empfindlinge», der übrigen Sinne, in so fnm sie nicht mit einen» Fühlen selbst

Untersuchungen

sgo

selbst verknüpft sind,

un- nicht anders zum

Bewußtseyn bringen, alS bis wir erst verge­ wissert sind, daß diese Empfindungen wirkliche Empfindungen, und nicht bloße

Ideen sind,

oder daß sie durch wirkliche äußre Gegenstände veranlaßt worden find.

Ohne äußre Gefühle,

und ohne Empfindungen deS FühlenS, würde der Mensch nie zum Bewußtseyn seiner selbst gelangen, und von seinem Ich, nie eine Idee haben.

So bald er aber zum Bewußtseyn

gelangt, so bald ist auch der Grund zur Unter­ scheidung

aller übrigen Verschiedenheiten in

seinen Ideen gelegt.

§.

144»

Dom begleitenden und fortgesetzten 2 über

244

Untersuchungen

über eine Sache mit glücklichem Erfolge nach­ denkt; er philosophire oder dichte: so wird dem Gedachtniße überhaupt immer viel Einfluß da­ bey zugeschrieben; dieses bietet ihm den Stoff dazu und die mancherley Ideen dar, die er nach seiner Absicht ordnet, trennt, zusammen­ bringt, neue Verhältnisse daran entdeckt, und so weiter. Indessen kommt es hier auf daGedächtniß insbesondre gar nicht an; dieses kann sogar, unbeschadet der Güte seiner Ar­ beit, schlecht seyn. Denn eS ist hier nicht die Frage, ob die Ideen, die sich ihm darbieten, entweder an sich, ober nach ihren Verbindungen und Verhältnissen, genau dieselben sind, die er vordem schon gehabt hat, svndem obste zu (einer Absicht tauglich und zu fernem Zweck wirksam sind. Inzwischen ist ihm doch der Reichthum und eine gctwffe Fülle seiner Ideen nothwendig, und diese werden überhaupt von der leichten Mitwirksamkeit seiner Nerven her­ bey

über den Menschen. bey geführt.

245

Wenn hingegen Jemand ein

Stück aus der Geschichte bearbeiten will, so ist das Gedächtniß insbesondre vorzüglich da­ bey geschäftig.

Der Grundstoff seiner Arbeit,

besteht auS Gedachtiyßidcen insbesondre, daS ist, aus Ideen, die er und Andre vormals ge­ habt haben. Hiernach würde also das Gedächtniß ins­ besondre alle Ideen in so fern in sich begreifen, als sie, durch Veranlassungen erneuert, genau eben dieselben sind, die wir schon vormals ge­ habt haben; und das Gedächtniß insbeson­ dre, ist also diejenige Beschaffenheit unsrer Verven, und ihres Zusammenhangs unter ein­ ander, wodurch sie, auf vvrgangige Veranlas­ sung , genau wieder in eben dieselbe Wirksam­ keit gerathen, worin sie vormals gewesen sind, und wodurch sie eben dieselben Ideen in unS wieder erwecken.

246

Untersuchungen §.

T52.

Boa btn allgemeinen Vollkommenheiten bei Gedächt­ nisses insbesondre. Wen» das Gedächtniß an sich selbst, bloß in den feinten Nervenbau, und in den betritt befindlichen Jusanimenhäng gesetzt wird, so ist das keineHerabsrtzung der Seele, deren Würde und Erhabenheit in ganz andem Eigenschaften besteht, oder aber der Vonvurf muß zugleich die Natur selbst treffen, die den Menschen nun einmal so gebildet hat, daß »ach allen Erfahrungen, welche daS Gedächtniß angehen, diese Meynung noch immer die wahrscheinlichste, und zur Er­ klärung aller dabey vorkommenden Erscheinun­ gen die zureichendste, zu bleiben

scheint.

kann durch Krankheiten unterbrochen,

Es ganz

ober zum Theil ausgelöscht, und wieder durch den Gebrauch dienlicher Mittel hergestellt wer­ den.

Es ist ausgemacht, daß das Gedächt­

niß mit der Güte und dem gesunde» Zustande unsres

über dm Menschen.

247

unsres NervenorganismnS in dem genausten Verhältnisse st«l)t (*), und daß alle dem Anschein nach dawider wahrzunehmende Widersprüche, sich ohne Ausnahme auS den besondren Um­ ständen dabey, erklären uud heben lassen. Es ist möglich, daß die Nerven eines Men­ schen weit mehr, als eines andem, schon an sich selbst die natürlich« Beschaffenheit, oder doch die Anlage dazn haben, daß sie, wenn eine Veranlassung vorkommt, leicht wieder in eben dieselbe Wirksamkeit gerathen, worin sie schon vorher gewesen sind, und daß also in ei­ nem. Menschen weit leichter, als in dem andem, eben dieselben Ideen, die vorher schon da ge­ wesen sind, aufS genauste wieder hervorgebracht werden können. Ja cs ist auch möglich, daß in ei­ nem Menschen, vor dem andern, die Nerven Q 4 (*) Man sehe des «jctrn von Haller gie. Band 5. Buch >7.

wahPhysiolo­

34$

Untersuchungen

während einer weil längrcn Zwischenzeit diese Fähigkeit beybehalten, und daß folglich vor­ malige Ideen, auch nach Verlauf einer länge­ ren Zeit, doch genau eben so, wie sie gewesen sind, wieder hervorgebracht werden könne,'. Wo in dem feinren Nerveubau eines Menschen, diese beyde Eigenschaften im vorzüglichen Gra­ de anzutreffen sind, daist eine Anlage zu einem vorzüglich guten Gedächtnisse. Je mehr also, und je verschiedenere Arten gehabter Ideen, je vollständiger, unveränderter und vernehmlicher sie sich aufvorgängige Veran­ lassung wieder darstellen, und nach je langer» Zwischenzeiten diese Beschaffenheit sich erhalt, desto besser und vollkommner ist das Ge­ dächtniß. Die Vollkommenheiten des Gedächtnisses, werden so wie alle sogenannte Seelensahigkeiten, die ans gewissen Beschaffenheiten der Ner­ ven beruhen, und davon abhängen, durch ge­ hörige

über den Menschen.

2 ,9

hörige üehmg erworben und verstärkt, durch die Gewohnheit ober erleichtert. Au einer guten Ausbildung des Gedächt­ nisses , wird erfordert, erstens, doß Jemand geleitet werde, oder sich selbst dazu gewöhne, jedwede Idee, die er erlangt, und behalten will, gehörig zu appercipireu, oder sich der­ selben so bewußt zu werten, daß er sie nach ihren Verhältnissen von andren unterscheiden kann. Dadurch werden solche Ideen, von deir übrigen mit ihnen verknüpften und ver­ wandten Ideen getrennt, folglich wird auch die Wirksamkeit derjenigen Nerven, wodurch sie erzeugt werden, von den übrigen mitwir­ kenden Nerven unabhängiger, und indem die Aufmerksamkeit sich auf sie wendet, und ihre Kraft und Anödrnck vermehrt, so wird zugleich der Vortheil gewonnen, daß eben diese Ner­ ven, wenn künftig eine Veranlassung vorkommt, leicht wieder in eben die Wirksamkeit gerathen, Q 5

wer;

2;o

Untersuchungen

worin sie schon gewesen sind, und folglich eben dieselbe Idee, in eben demselben Umfangcy rcm und klarer als andre, die damit verknüpft sind, wieder erneuert werde.

Wenn dagegen di«

Ideen nicht recht gefaßt, von andren damit verwandten nicht genau getrennt,

und nicht

klarer, als diese, gedacht werden, so ist es kein Wunder, wenn sie in Zukunft erneuert, in keiner bester» Gestalt erscheinen, alö ihnen an» sanglich gegeben worden, und wenn überhaupt die Nerven, von so flüchtigen Eindrücken die Anlage zu einer bestimmten Wirksamkeit nicht lculge in sich behalten.

Derjenige, der über­

haupt viel u«id sehr verschiedet« Arten der Ideen gehörig zu appercipiren vermag, hat eine Anlage zu einem fähigen Gedächtnisse.

Das zweyte, was zur Ausbildung des Gedächtnisses erfordert wird, ist bi«j Wieder­ holung,

Man muß sich selbst,

oder einem Andren,(

übet den Menschen.

25t

Andre«, dessen Gedächtniß gebildet werden soll, viel Veranlassungen verschaffen, um die­ jenigen Ideen, woben es ans Genauigkeit an­ kommt, oft zu erneuern. Dabey muß man aber keinesweges mit jedweder Art und Weise, wie sich die Ideen von neuem wieder darstellen, zufrieden seyn, sondern es muß Acht gegeben werden, daß eS mich genau eben dieselben sind, die eS vorher gewesen. Diese- ist das einzige Mittel, das die See­ le in ihrer Gewalt hat, um gewiss« Dorstellungsnerven zu gewöhnen, sich aus gehörige Veranlassung allemal wieder in eben dieselbe Wirksamkeit zu versetzen, darin sie schon ehe­ dem geuxscn sind. Denn indem die Seele bloß ihre Ideen zu bearbeiten scheint, arbeitet sie wirklich allein mif die Nerven, welche ihr die Ideen verschaffen. Ein Gedächtniß, das die Ideen, welche es wieder hervorzubringen veranlaßt wird, in aller

2Z2

Untersuchungen

aller Absicht genau so hervorbringt,

wie sie

vorher gewesen, ist ein getreues Gedächtniß. Las -ritte, wodurch die Vollkommenheit de- Gedächtnisse- befördert wird, ist die im­ mer mehrere Verkettung der Ideen unter ein­ ander.

Man muß unablaßig besorgt seyn, ei­

nen weitläuftigen, dabey aber genauen, Zu­ sammenhang in seine Ideen hineinzubringen. Der ganze Dorrath brauchbarer Ideen, die mau einmal gefaßt hat, muß bisweilen von neuem überdacht werden.

Die Ideen, die ei­

ne gewisse Gattung der Gegenständ« angehen, müssen nach ihre» innern Verhältnissen und Verwandtschaften zusammen gestellt, und ge­ ordnet , die Ordnungen wieder an einander ge­ kettet, und bey den Wiederholungen zugleich sorgsam vermieden werden, sich nicht an eine gewisse Reihe oder Folge der Ideen zu gewöh­ nen, sondern man muß vielmehr dahin trach­ ten, die Fertigkeit zu erlangen, jedweden in»

über den Menschen.

253

»em Zusammenhang sich zum Leitfaden inHervorrufung seiner Ideen dienen zu lassen. Je allgemeiner der Zusammenhang der Ideen unter einander ist, je naher und genauer die eine mit der andern verbunden wird, desto öfter werden sie sich einander als Nebenideen wieder hervorbringen, und desto häufiger wer­ den sie also selbst wiederholt. Der vernichrte Zusammenhang der Ideen, oder, was einerley ist, der Vorstellungsnerven, verschafft diesen leihen die Fertigkeit, bey jeder Veranlassung bereit zu seyn, sich mit Leichtigkeit wieder in die vormalige Wirksamkeit zu fügen, und die dadurch verursachte häufige Wiederholung, er­ halt in ihnen die Geläufigkeit, auch nach lun­ gern Zwischenzeiten, die vormalige Wirksam­ keit wieder anzunehmen. Ein Gedächtniß, dem jedwede gegenwärti­ ge Idee, unter gewissen Umständen eine Ver­ anlaß-

Untersuchungen

254

anlassung seyn samt, auf andre gehabte Ideen leicdc wieder zu kemmcn, ist ein fertiges Ge­ dächtniß, und hat es die Eigenschaft erlangt, auch

nach' langten

Zwischenzeiten

Ideen wieder hervorzubringen,

gehabte

so ist eö ei»

behaltsames Gedächtniß. Je fähiger, getreuer, fertiger und behaltsamer ein Gedächtniß ist, desto bester und vollkommner ist es.

*5?*

Don den Hauptartcn de» Gedächtnisse« initcfonbrr. j(Ue Ideen könne» zu zwey Hauptgattungen gerechnet werden,

wenn sie gleich sonst

in Absicht ihres Inhalts, und ihrer Entstehungs­ art, noch so verschieden sind.

Sie gehöre»

alle entweder zu den Sachidcen oder zu den Zcichenideen.

Sachideen sind nicht allein die

Empfindungen und Gefühle überhaupt, iu so fern sie bloß an sich selbst genommen werden/

über den Menschen.

255

sondern auch all« und jede Ideen, die daraus zusammengesetzt, davon getrennt, daher abge­ leitet, oder herausgezogen sind. Die Sachideen als solche, werden auch anschauende Ideen gcnennt. Jeichenideen hingegen kön­ nen alle Arten der Ideen seyn, in so fern sie nicht um ihrer selbst, sondern bloß um gewis­ ser bestimmter Nebelndem willen, mit welchen sie verknüpft sind, gebraucht werden. Trennt man von den Zeichenideen die Bedeutung, oder betrachtet man sie nicht in Absicht auf dieselbe, so können sie ebenfalls als Sachideen angese­ hen werden weil sie unmittelbare Ideen von sinnlichen Sachen und Empfindungen sind, auch sodann nicht um ihrer Nebenidee, sondern um ihrer selbst willen betrachtet werden. Die Wörter geben uns die gewöhnlichsten Zeicheriideen; wenn sic aber allein nach dem Wohl­ klang ihrer Verbindungen unter einander be­ trachtet werden, so sind sie in so fern Sach-

-;5

UntecfudMingen

idecn.

Und ebm das findet auch bey allen Ar«

un der Zeichen start. Zwischen den Sachideen,

wenn mehrere

als ein Ganzes betrachtet werden, ist der Zufaninienhang, ein innerer; oder ein Zusammen­ menhang , der durch gemeinschaftliche Bestim­ mungen und Merkmale, durch Verwandtschaft und innere Beziehungen gezeugt wird.

Der

Zusammenhang zwischen den Zeichenideen hin­ gegen, als solche betrachtet, wird allein durch die Folge auf einander, oder auch durch ihr Deyeinanderseyn geknüpft. Innerer Zusammen­ hang findet zwischen ihnen, als Zeichenideen, nicht statt; wird er aber ja dabey angetroffen, so summt er ihnen mir in so weit zu, als sie jugleich als Sachideen betrachtet werden.

Die

Ordnung und Folge der Zeichenideen, wird >loß durch den Zusammenhang ihrer Bedeun»g bestimmt.

über den Menschen.

257

Aus diesen beyden Gattungen der Ideen, entspringen zwey Hanptarten deS Gedächtnis­ ses; das Sachgedächtniß und das Zeichen­ gedächtniß. Beyde finden sich nicht immer im gleichen Verhältniß bey einander, oft hat das eine, oft das andre einen vorzüglichen Grad der Fähigkeit und Starke. Das Sachgedächtniß geht vornehmlich auf das Behalte« und genaue Wiederhervorbringen der Sachideen, und wird hauptsächlich durch gehörige Aufmerksamkeit auf die Verhältnisse und den Zusammenhang der Sachideen gebil­ det. Es müssen diese nicht allein an sich selbst, sondern auch, so viel immer möglich, nach ih­ ren Verhältnissen appercipirt, oder zum Be­ wußtseyn gebracht und genau gefaßt werden. DaS Sachgedächtniß, und die Behaltung der Sachideen, beruht nicht auf der Starke der äußren Eindrücke, sondern allein auf dem Grad der Aufmerksamkeit, der dabey ange2r Band. R wendet

258

Untersuchung«»

wmdet wirb, und «uf der richtigen, genauen und umständlichen Idee, die wir nnS sodann davon machen.

Wirb diese- unterlassen, so

löschen sich auch die stärksten Sachideen, selbst Empfindungen und Gefühle, in kurzer Zeit meist ga«t aus.

Sollen Sachideen im Ge­

dächtniß behalten werden, so kann das nicht ander-, als vermittelst richtig gefaßter Ideen von ihrem innern Zusammenhange, und von ih­ ren Beziehungen auf einander, bewirkt wer­ den ; und nur vermöge diese- Zusammenhangwerden sie auch wieder hervorgebracht.

Die

Aufmerksamkeit sieht bey der einen Sachidee, schon die zweyte als Nebenidee, bey der zwey­ ten die dritte, und so weiter. Diese Wendung der Aufmerksamkeit, ist die Einsicht in den Zusammenhang,- ohne wel­ che sich kein Sachgedächtniß gedenken laßt. Wer von Natur ein glückliche- Sachgedächt­ niß hat, dem darf nnr der Grund und der In­ fam-

über den Menschen.

-s-

sammenhang einer Sache gesagt »erden; und er behält sie gewiß. So vielerley Arten von Sachidem es giebt, so vielerley kann auch das Sachgedachtniß seyn. Ein Gedächtniß, welches vormalige bildliche Empfindungen ($. 94.) nach allen ihren Ver­ hältnissen und feine» Unterscheidungszügen, getreu wieder darstellt, ist ein malerisches Gedächtniß. Eben so giebt eS auch ein mu­ sikalisches Gedächtniß, das jedoch bloß von den Tönen in Gedanken verstanden werden muß, weil die wirkliche Nachahmung der­ selben durch die Stimme, außer dem Ge­ dächtnisse, noch andre Fähigkeiten der Werk­ zeuge der Stimme erfordert, die nicht allemal mit dem musikalischen Gedächtnisse verbunden angetroffen werden. Es hat manchmal Je­ mand eine gute Singrstimme, aber es fehlt ihm da- musikalische Gedächtniß, und um­ gekehrt. R 2

Ein

2öo

Untersuchungen Ein guteS Zeichengedächtniß besteht im

vorzüglichen Behalten und genauen Wieder» hervorbringen der Zeichenidce», oder was hier einerley ist,

der Jdccnzcichcn (§• 14.0.), und

besonders der Wörter und der Sprache über» Haupt.

Der Zusammenhang der Wörter einer

Rede, wird allein durch den Zusammenhang ihrer Bedeutungen, oder der Sachitecn, die sie bezeichnen, bestimmt. Zusammenhang kein innerer

der

seyn,

Es kann also der

Wörter der

auf

einer

Verhältnisse

und Verwandtschaft der

Wörter

selbst

Die

gegründet

wäre.

Rede,

an

sich

Folge

der

Wörter einer Rede, in so fern sie bloß als Zei­ chen betrachtet werden, ist allemal zufällig, sie sind an sich selbst in so fern allemal ohne Zu, sammenl-ang,

und rvenn nicht zugleich auf

ihre Bedeutung gesehen wird, so kann 4uS dem ersten Wprre niemals daS zweyte und dritte, und so weiter, erkannt werde«.

3st

übet dm Menschen.

261

Ist nun die Folge der Zeichen an sich ganz zufällig, beruht sie nicht auf innern Berhältniffen der Jeichmideen unter einander, ’tmb ivird sie ganz allein durch dm Zusammenhang der Bedeutungen bestimmt, so ist offenbar, daß das Itichingedächnnß die Folge der Wör­ ter, nicht durch Aufmerksamkeit auf ihre Derrvandrschafttn, sondem allein auf ihre Folge nach einander, und dirrch öftere WiederholuNg und Uebung, behalten muß. Eine nach einan­ der folgmde Wirksamkeit der Nerven, verschaft denselben, wenngleich die unmittelbare Idem, die dadurch erregt werdm, keine Gemeinschaft mit einander haben, doch durch Wiederholung und Uebung, die Fertigkeit, daß wmn ein« von solchen Wirksamkeitm wieder von neuem veranlaßt wird, auch zugleich schon die dar­ auf folgmde sich zu äußren anfängt, «vd als Nebenidee in den Gesichtskreis der Seele, mehr oder weniger vernehmlich eintritt.

R;

Das

a63

Untersuchungen Das Jeichengedächtniß für sich allein ge­

nommen, wird also durch Auswendiglernen geübt und gestärkt.

Das Auswendiglernen

aber kann dadurch sebr erleichtert werden, wenn in Absicht der Folge der Zeichen,

auch ohne

noch auf ihre Bedeutung zu sehen, einiger Zu­ sammenhang, und, so viel möglich, Verhältnisse hineingebracht werden.

innere

Dadurch

bekommen die Zeichenideen einen gewissen An­ strich von Sachidee, und die Aufmerksamkeit wird in den Stand gefetzt, diesen Verhältnis­ sen nachzugehen, und so weit leichter von dem einen auf das andre zu kommen. Darum läßt sich eine Folge von Wörtern, wvrin Sylbenmaaß, oder leicht wahrzuneh­ mender Wohlklang und Melodie liegt, weit leichter behalten, als wo in der Verbindung der Wörter, keines von diesen zu finden ist.

über detlMenftheri. §.

-sz

154.

Unterschied beyder Hauptarteo des Gedächtnisses insbesondre.

Um Zeichen und insonderheit Wörter recht zu fassen, und gut zu behalten, ist kein so star­ ker Grad weder der Kraft und Wirksamkeit der Nerven, nrch selbst der Aufmerksamkeit von« ndthen, alS zum Behalten der Sachideen er­ forderlich ist. Eines Zeichens ebtr eine- Wortunmittelbare Id«, enthält v«gleichungs«eise allemal weniger in fich, als die Bedeutung davon, oder die damit verknüpfte Sachidee. Und wenn beyde, das Zeichen und die Bedeu­ tung, in gktichen» Maaße recht gefaßt, und zum Bewußtseyn gebracht werden sollen, so ist, aller Erfahrung zu Folge, in Ansehung des ersten »veniger Anstrengung nöthig, als in Ansehung der letzten. Wahrscheinlicher Weise sind also nicht allein weniger Nerven bey den Zeichenideen in Handlung begriffen, alö bey den Sachid«», R 4 sonr

Untersuchungen

364

sondern diese Handlung wird auch noch dazu eine geringere Kraft in Ansehung der ersten be­ dürfen , als in Ansehung der letzten nöthig ist, weil hier allemal verschiedene Seiten

einer

Idee, und eine Mruge Verhältnisse zugleich gefaßt werden müssen. Die Aufmerksamkeit übersieht eine Zeichenidee mit einem Blick, und es ist leicht, sie wie­ der hervorzubringen.

Selbst schwache Nerven,

die keine große Anstrengung vertragen können, sind im Stande, Zeichenideen recht gut zufas­ sen, bald zu behalten, und leicht wieder her­ vorzubringen.

Darum können auch Kinder,

noch eher als sie fähig sind, dm Zusammen­ hang und die Verhältnisse der Sachidee» zu übersehen, und recht zu fassen, schon mit glück­ lichem Erfolge, Sprachen und andre Kennt, nisse erlernen, dabey es mehr auf Zeichen und Worte, als aufgründlichen und weiten Zusam­ menhang der Sachidecn ankommt. Das Zeichen-

St-

über den Menschen.

365

gedächtniß gelange überhaupt leichter und früher zu einiger Fertigkeit, als das Sachgedächtniß. Gegen diese Theorie läßt sich zwar einwen­ den, daß, wenn eine Sprache «rlemt wird, doch niemals die Wörter allein ohne ihre Be­ deutung, oder ohne Sachideen gefaßt, behal­ ten, und wieder hervorgebracht werden, und daß folglich das Aeichengedächtniß, da es beyderley Arten der Ideen behält, und wieder darstellt, mehr Nerven in Handlung, und mehr Stärke in denselben voraussetze, als das Sachgedachrniß, da- nur mit einer Art der Ideen zu thun habe, und daß also hier­ nach .jenes auch erst später zur Fertigkeit ge­ langenmüsse, als dieses. Allein, wenn man bedenken will, was für ein großer Unterschied sich zwischen dem flüchtigen Blick findet, der, um bloß ein Wort zu verstehen, auf die Sachidee selbst geworfn, wird, und dann zwischen dem aufmerksamen Bewußtwerde» einer SachR 5 idce

j66

Untersuchungen

idee nach ihrem eigeutlichen Umfange, ihre» Beziehmigen und Derhältnisseu, «S sey, daß sie zum ersten Mal gefaßt, oder daß sie in der Folge wieder hervorgebracht werden soll, so läßt sich bald erkennen, zu welcher von beyde» Artender Idee», mehr Uebung, Ausdruck«nh Kraft der Nerven, mehr Genauigkeit in ihre« Wirkungen, und mehr Handlung und Aufmerksamkeit abseilender Seele vonndthen sey; und welche Art des Gedächtnisses also ihrer Natur nach später zur Fertigkeit und Reife gelangen müsse. Urbrrdieß aber muß auch noch bemerkt werden, daß die vorige Voraussetzung, nicht einmal ganz richtig ist, indem, eben so wie daZeichengedächtniß es nicht bloß mit den Wör­ tern , sonder« auch mit ihren Bedeutungen zu thun hat, so hat es auch das Sachgedachtuiß nicht bloß mit den Sachideen, sondern auch mit den Wörter» und Zeichen derselben zu thun.

üher den Menschen.

267

und daß alp» in dieser Absicht, vertheil und Schwierigkeit auf Heyden Seiten gleich sind. Der andre Unterschied, der zwischen dem Zeichengedächtnisse und dem Sachgedächtnisse «ach Erfahrung bemerkt wird, besteht darin, daß daö erste, ungeachtet es in der Jugend bey gehöriger Uebung immer zuninnnt und wachst, doch mit einem gewissen Alter, bald früher bald später gleichsam zum Stillstände kommt; dann anfängt langsamer und beschwer» licher zu fassen und zu behalten, ja sich endlich bisweilen ganz verliert.

Dagegen das Sach-

gedächtniß, ob es gleich mehr Kraft und An­ strengung erfordert, doch nicht immer in glei­ chem Maaße mit jene»« abnimmt, sondern sich bisweilen in ganzer Kraft bis erhält.

ms

hohe Alter

Dies« Erfahrungen mt sich enthalten

zugleich den Grund, warum die Zeit der Ju­ gend für die geschickteste gehalten wird, um Sprachen und andre Keuntniss« zu erlernen, welche

,68

Untersuchungen

rvelche vorzüglich auf Zeichen, und mehr auf äußren und leichten, als aufinnern und tiefer lie­ genden Verhältnissen beruhen. Dagegen geht die Erlernung tiefsinniger Wissenschaften voll Realkenntnisse, oft noch im Alter glücklich von statten. Dieser Unterschied des Gedächtnisse-, muß sich am Ende ebensso, wie andre Fähigkeiten des GewahrnehmuugsvermögenS,

auf eine

verl-ältnißmaßige Beschaffenheit des Nerven» organiömns gründen. menheit

unserer

ES ist eine Vollkom­

Denkungskraft

überhaupt,

wenn wir viele und stark« Ideen auf einmal haben können; eS ist aber auch eine Vollkom­ menheit, wenn wir die feinsten Verhältnißideen allein, und abgesondert vva den reichhalti­ gen Ideen, daraus sie genommen sind, rein und vernehmlich gewahniehmen können.

Das er­

ste setzt eine große und genau verbundene Mit« Wirksamkeit in den DorstellnngSnerven voraus; das andre aber hat eine, in Absicht der ffiir» kungrn

über den Menschen.

269

kunge» der Seele, völlig freye imd «ngehin» drrle Beweglichkeit dieser Nerven znm Grunde. Denn, wenn von irgend einer zusammeugesetz» ten Idee, die feinsten Verhältnisse und einfachsten Ideen, allein und abgesonder t betrachtet werden sollen, so müssen von der Nervenmentze, die bey der zusammengesetzten Idee wirksam war, nur die, welche solche Verhältnisse und vergleichungsweis« einfache Jdexn vorstellten, in vorzügliche Wirksamkeit gebracht werden, weil sie sonst niemals rein und deutlich gefaßt, und wieder erneuert werden könnten. Diese freye Beweglichkeit der Nerven, die zum fähigen und großen Aeichrngedachtnisse wahrscheinlicher Weise nothwendig ist,

setzt

nicht allein sehr feine, sondern auch im hohen Grade geschmeidige Nerven voraus.

DeydeS

sind Eigenschaften, die den Nerven vorzüglich int jugendlichen Alter zukommen.

Wenn nun

aber auch gleich Uebung und Gewohnheit viel haben

t?o

Untersuchungen

dabey verbessern und verschlimmern können, so findet sich doch, auch ohne auf diese Einflüsse zu sehen, schon von Natur eine vielfältige Verschiedenheit in diesen Beschaffenheiten der Nerven, indem sie bey einigen Personen, nie, malS zu einer völlig freyen und ungehinderten Beweglichkeit tauglich sind, da sie entweder an sich selbst zu grob, zu verwachsen, oder sonst zu ungeschmeidig sind; bey andren hinge­ gen scheint sich diese freye Beweglichkeit bis ins späte Aller zu erhalte». Eine Seele von starker Aufinerksamkeit, welche dabey einen vorzüglich feinen und ge­ schmeidigen Nervenorganiömus zn Gebote hat, kann durch Uebung den Vortheil erlangen, sich, wie Cäsar, zu gleicher Zeit, viele und ganz ver­ schiedene Ideen zur Gewahrnehmung zu brin­ gen , mid zugleich darnach zu handeln. DaS vorzüglich gute Zeichengedächtniß, äußert sich zuerst durch leichtes Auswendigler-

über den Menschen.

271

nett, und dadurch, daß e- Folgen sinnlicher Eindrücke schnell and getreu behalt. Dagegen verräth sich ein gute- Sachgedächtniß leicht da­ durch, daß eö lange Folgen von Ideen, so bald eS auf innern Zusammenhang und Ver­ hältnisse ankommt, bald und ohne Mühe be­ hält, und getreu wieder hervorbringt. §. 155. Werth und Verhältniß beyder Hauptatten des &o dächtnissct gegen einander. Ein Gedächtniß, daö nur eine Reihe Zei­ chen, oder Idem, die an sich selbst keinen Zu­ sammenhang und Denvandrschaft haben, be­ halten könnte, würde fast gar keinen Werth für «nS habm, wenn es nicht auch dabey Sachen oder Ideen, nach ihren innern Verhält­ nissen, durch Einsicht in ihren Zusammenhang zu behaltm, und wieder hervorzubringen im Stande wäre. Glücklicher Weise aber finden

sich beyde Artm de- Gedächtnisse- in jedwe-

212

Untersuchungen

dem Menschen beysammen, und sind so unzer­ trennlich mir einander verknüpft, daß keinS von beyden geübt, gebessert, und mehr ausge­ bildet werden kan«, ohne daß auch zugleich daS andere dadurch viel gewinnen sollte. Daß wir in den Empfindungen so wohl als in den andern Arten der Eachidren, den größ­ te» Theil der Verhältnisse niemals recht appercipire», fassen, und die Ideen derselben wieder hervorbringen könnten,

wenn unö nicht Zei­

chen, insonderheit aber Wörter dazu behülflich wären, ist eine ausgemachte Sache; so wie eS offenbar ist, daß tvit unS im Gegentheil kei­ ner Worte und Zeichen, als solcher, bedienen könnten, wenn nicht Sachidecn damit verknüpft waren.

Dieses ist ein Beweis, daß,

indem

wir Jdcrnzeichen und Wörter fassen und behal­ ten, wir zugleich Eachideen gefaßt und behalken haben, und umgekehrt; imgleichen, daß, wen» die eine Art deö Gedächtnisses geübt, und

über dm Menschen.

-?z

und gebessert wird, e» auch die andre zugleich werde.

Gleichwohl ist es unstreitig, daß bey­

de Arcen, weder von Natur in gleichem Maaße in einem Menschen beysammen sind, noch daß sie allemal in gleichem Verhältnisse sich aus­ bilden.

Denn obgleich bisweilen Personen

gefunden werden, die von Natur beydeS, eia vortreflicheS Jeichengedächtniß und ein eben so glückliches Sachgedächtniß, desitzry, so sieht man doch weit öfter, daß das eine fähiger und weit behaltsamer ist, als das andre. Diese Schwierigkeit löst sich indessen von selbst auf, so bald man nur bedenkt, daß bey­ derley Arten d«S Gedächtnisses, ungeachtet ih­ rer natürlichen Verbindung, doch weder auf einerley Gründen und Ursachen beruhen, noch durch einerley Mittel befördert und ausgebildet werden.

Um deßwillen kann denn auch nie­

mals von den Beschaffenheiten deS einen, auf die Beschaffenheiten deS andern sicher geschlof2t Sand.

S

ftii

3?4

Untersuchungen

fen werde».

Der Irrthum, der oft hierin ist

begangen worden, har den Wissenschaften zu keinem Vortheil gereicht.

Kinder, die ein gu­

tes Gedächtniß äußerten,

und was für ei»S

können Kinder anders äußern, als ein Wortdächtniß? wurden um deßwillen zu künftigen Gelehrten bestimmt,

und sie blieben, wen»

ihnen daß Sachgedachrniß in der Folge schwer geworden,

seichte

Köpfe,

höchstens

blinde

Nachbeter in wissenschaftlichen Sacher». 'Andre hingegen,

die im Auswendiglernen nicht so

viel Fähigkeit bewiesen, sind oft, als stumpfe Köpfe, von den Wissenschaften zurück gehalten worden, da sie doch vielleicht ein gutes Sachgedachtniß besessen,

und für die gründlichen

Wissenschaften brauchbar hätten erzogen wer, den können.

Schulmänner und Andre, di«

Gelegenheit haben oft Köpfe zu prüfen, wer­ de»» diese Anmerknng nicht ungegründct finden.

über den Menschen.

275

Wer von Natur ein fähiges Wortgedacht« nist, oder überhaupt ei» fähigesIcichengedücht« ltif] besitzt, ist leicht der Versuchung ausgesetzt, sich deS SachgedächrnisseS selten gehörig zu ge­ brauchen, und folglich die nöthigen Uebungen darin zu verabsäumen.

Es wird ihm weit

leichter, eine Folge von Gedanken den Worten nach zu behalten, alS sich ihren Zusammenhang durch angestrengte Aufmerksamkeit zum rechten Bewußtseyn zu bringen, und denselben genau zu fassen. Es ist natürlich, daß derjenige, der leicht «ine Reihe Wörter behalt, und derselben Dcdeutung flüchtig

übersieht,

sich bald überreden

kann, auch die dadurch bezeichneten Sachideett selbst nach ihrem innern Zusammenhange ge­ faßt zu haben, und weil er es also für überflüßig ansieht, sich die letztren noch ans eine beßrc und genauere Weise vorzustellen, so ge­ wöhnt er sich nach und »ach zu dieser leichten Art, die Ideen bloß den Worte» nach zu fassen, S 2

und

s?6

Unterstlchungen

und sein Sachgedächtniß bleibt ohne Uebung und Cultur.

Hierzu kommt dann noch oft,

um vollend- erntn solchen Kopf zu gründlichen Wissenschaften untüchtig zu machen, das unzeitige Lob der schnellen Einsicht, de- geschwin­ den Begreifen-, und der fähigen Erkenntniß, kraft.

Alles Eigenschaften, die an sich vortref-

lich sind, aber für ein bloß fähiges Wortgedächtnist nicht passen. Wer dagegen, bey einem von Natur glückli, chrn Sachgedächtniß, ein schwere- Zeichengrdächtniß besitzt, kann auf der andern Seite gleichfalls leicht dahin kommen, alle Uebungen in dem Jeichengedachtnisse zu vernachläßjgen; zumal, wenn er dabey gewahr wird, daß er die Sachen selbst, worauf e» doch eigentlich nur ankommt, durch seine Art sie zu betrachten und zu fassen, oft weit umständlicher und gründlicher behält, al- andre, die sich eineglück.

überden Menfthm.

-77

glücklichern ZeichengedachtniffeS zu rühmen ha« den.

Der Schaden aber, der nothwendiger

Weise von dieserDernachläßigung entstehen muß, besieht darin, daß ein solcher Mensch niemals irgend eine Sprache vdllig in seine Gewalt be» kommt. Er bleibt unaufmerksam aufWorte, und auf die beste Art sie zu verbinden, und kann folg» lich die Sachidern, davon oft sein Kopf voll ist, nicht gehörig bezeichnen, uiib sie ausdrü­ cken.

Er hat nicht viel Wahl unter de» Wer»

ren, die er gebrauchen kann, und noch weni­ ger unter den Wendungen, die sännt Gedan« ken gegeben werden kdnuten.

Er gelangt also

selten zu der glücklichen Fertigkeit, sich alle, mal leicht und gut auszudrücken, denn ohn« vielfältige Uebung ist diese nicht zu erwerben. Außerdem aber verliert ein solcher Mensch zu­ gleich daS nicht zu verachtende Verdienst, ein angenehmer und unterhaltender Gesellschafter zu sey», daS ihm sonst bey dem Reichthum S 3

seiner

278

Untersuchungen

seiner Sachkenntnisse oft leicht zu erwerben ge, wesen seyn würde. Es müssen also beyde Artm des Gedächt­ nisses von Jugend ausgeübt, und so grübt wer­ den, daß keines von beyde», einen für das an­ dre schädlichen Vortheil gervinne.

Man muß

sich angewöhnen, oder von Andren geleitet wer­ den, auf die Bedeutung der Worte, oder auf die Sachideen, und ihre innere Verbindung, so viel Aufmerksamkeit zu wenden, als hin­ länglich ist, um sie völlig zu fassen, und sich ihrer eigentlich bewußt zu werden, und dann zugleich bemüht seyn, sich oft die zweckmäßig­ sten Ausdrücke und die beste Verbindung der­ selben wohl einzuprägen, auch oft die beste» Stellen guter Autoren auswendig zu lernen. Auf diese Weise hilft die eine Art des Gedächt­ nisses allemal der andren, denn die Sachen er­ innern uns an die Zeichen, und die Zeichen an die Sachen.

Ein

über den Menschen.

279

Ein Mensch, der zu seinen Ideen entwe­ der gar keine, oder doch keine fy leichte Zeichen hat, als dir Wörter sind, wird selbige bald auS seinen, Gedächtnisse verlieren; denn Ideen, die an keine Zeichen gebunden sind, löschen sich bald aus, weil der Seele die leichten Deranlaffungen, um sie wieder hervorzubringen, und zu cnieuern, ich meyne, die Jeichenideen nicht vorschweben. Wo die Seele keine Jdeenzeichen hat, da müssen die Ideen selbst immer wieder vv» neuem erfunden werden, daS ist, sie müssen, nach den Aerhälrnisten ihres innern IusamnlenhangS mit der gegenwärtigen Idee, erst nach und nach wieder klar gemacht werden. Dieses ist auch die Ursache, warum Taube und Stumme ihre erlernte Kenntnisse, wenn sie nicht oft darin grübt werden, so leicht wie­ der vergesse».

© 4

Neunte

Untersuchungen

ago

Neunte Abtheilung. Die Erinnerung. $. i;6.

Don der Wnnmme überhaupt, und den Sckwlerijfeiten, die sich de, der ndbtren Erklärung der­ selben finden.

V

Dermal- gehabteAdeen, können aufdrenerley Art und Weise wieder erneuert werden.

Einmal, wenn die Sache selbst eben dieselben Enrpsindungen, die sie vorher schon einmal hervorgebracht hat, von neuem wieder hervor« bringt; dazugehört, wenn ein Andrer, durch Zeichen und Worte, eben dieselbe« Ideen, die wir schon gehabt haben, in «nö wieder er­ neuert. Zweyten», wenn b«v Gelegenheit gewisser gegenwärtiger Ideen, sie mögen er­ zeugt seyn, wie oder wodurch es wolle, andre vormalige Ideen, bloß vermöge der Minvirksamkeit

über den Menschen.

28»

samkeit der' Nerven, oder der Association der Ideen, wieder erweckt werden.

Und drit­

tens, wenn wir eine vergangene Idee, da­ von unS nur noch einig« geringe Umstände beywohnen, mit Fleiß selbst wieder aufsuchen, und so die vormalige Idee durch die eigene Thätigkeit unsrer Seele wieder erneuem.

ES ist leicht einzusehen, daß in diesen und allen andren Fällen, wenn eS mehrere gie^t, überhaupt eine vergangene Idee in unS wieder gegenwärtig seyn kann, ohne daß eS dabey nothwendig sey, daß wir unS zugleich erinnern, diese Idee sey eben dieselbe, die wir vor die­ sem schon gehabt haben.

Wir bekommen oft

wirklich mancherley vorige Ideen wieder, ohne unS dabey zu erinnern, daß wir sie schon ge­ habt haben.

Selbst in dem angeführten drit­

ten Fall, kann die gesuchte Idee, wie oft zu geschehen pflegt, wirklich gesunde» siy«, und S 5

un-

Untersuchungen

-82

tutf doch dabey die Erinnerung mangeln, daß «S die gesuchte in der That sey. Die eigentliche Erinnerung selbst, ist also von der bloßen Erneuerung vormaliger Ideen ganz und gar verschieden, und feine nothwen­ dige Folge davon.

Wenn Ideen, vermöge ih­

rer Association, eS sey mit oder ohne Vorsatz, erneuert werden, so ist daS allemal rin Werk des Gedächtnisses. Gedächtniß,

ES kann also, auch das

ohne di« Erinnerung Wirksam

seyn. An sich selbst besteht die Erinnerung, wie «in Jeder bey sich selbst gewahr werden kan«, in der Anerkennung, daß eine gewisse gegen­ wärtige Idee eben dieselbe sey, di« wir schon ehemals gehabt haben. Man kann sie betrachten, entweder als Handlung und Geschäfte der Seele, wodurch die Anerkenmmg gewirkt wird, oder als die Idee, welche als das Resultat diese- Ge­ schäftes ist erzeugt worden, und dann ist sie

über den Menschen.

m

das Anerkenntniß selbst, oder die Idee, daß eine andre eben die sey, die wir schon gehabt haben. Man mag aber die Sache nehmen wie man will, so scheint eS schwer, mit Gewißheit sa­ gen zu können, ob die Erinnerung ein einfa­ ches ursprüngliches Vermögen der Seele sey, oder, wenn sie es nicht ist, wodurch sie eigent­ lich gewirkt, und wie das Anerkenntniß einer vormaligen Idee in der Seele erzeugt werde. Es entficht dabey die Frage, ob die Seele cS an der gegenwärtigen Idee für sich selbst, und allein genommen, schon erkenne, daß sie solche schon vorhin gehabt, oder ob sie das erst an den Verhältnissen der ilzigen und der vorigen, und folglich durch Vergleichung beyder Ideen, gewahr werde? I» beyden Fällen aber bleibt doch noch immer auszumachen: woran eigent­ lich erkennt die Seele das, und wie gelangt sie zur Erinnerung? $. rz?.

»84

Untersuchungen §-

»57-

-opsthes«, um diese Schwierigkeiten tu hebe«». E- war ganz natürlich, daß man anfäng­ lich hier so, wie in andern Dingen, die der Seele allein bevgemessen wurden, bey dem, was klare Erfahrung zu seyn schien, stehen blieb.

In dem Geschäfte der Erinnerung, ließ

sich nicht viel Unterscheidendes deutlich empfin­ den , und die Physiologie der Nerven und des GehirnS, besonders in Absicht dessen, waS bey­ de zum Denken und Empfinden eigentlich bey­ tragen können, war noch gar nicht, oder doch nicht in dieser Beziehung bearbeitet.

Man

blieb also bloß dabey, daß die Seele an und für sich selbst, so wie sie alle Empfindungen und Gedanken in sich selbst aufbewahre, eben so auch das ganze Geschäfte der Erinnerunalleio vollbringe, und ihre gehabte Vorstellun­ gen, durch eine innerliche Anstrengung, gleich­ sam

über den Menschen.

2g$

sinn auö dem Seelengrunde hervorhole, ver­ gleiche , und wieder erkenne. Au begreifen war das freylich nicht; allein, wie viel Unbegreifliches findet sich nicht über» all in der Natur! und also machte man sich keinen Kummer darüber, ob daS Unbegreifliche noch um Ein- vermehrt würde, oder nicht. Genug, eS war eine verborgene Beschaffenheit der Seele. Al- darauf vollend- die strenge Einfachheit der Seele vestgesetzt wurde, so schien nichts klärer zu seyn, als dast ein geisti­ ges einfache-Wesen, neben der selbstthätigen Wiederhervorbringnng der Ideen au-sich selbst, auch mit Erinnerung begabt seyn müsse. Da­ war aber doch alles nur wahrscheinliche Hy­ pothese. In der Folge, alS man anfieng, über die genaue Uebereinstimmung des Körpers und der Seele mehr nachzudenken, und die nähern Gründe ihre- wechselseitigen Einflüsse- mehr aufzii»

386

Untersuchungen

aufzusuchen, besonders aber die Erscheinungen der oft sehr wunderbaren Anfalle, die sich mit dem Gedächtnisse ereigne», besser zu erwägen, und dabey die Wirkungen der Nervenkrankhei­ ten auf Einbildungskraft, Gedächtniß und Erinnerung genauer zu beobachten, da gerieth man vorerst auf die Muthmaaßung, daß doch wenigstens die Eindrücke gehabter Empfindlin­ gen, nicht in der Seele selbst, sonder» in dem Nervengefltchte des Gehirns, das zunächst auf sie wirkt, oder zu wirken scheint, aufbehalten werden müßten. Hierauf gieng man noch wei­ ter, «nd fand es auch wahrscheinlich, daß sich die Seele, selbst zu ihren intellectuellen Ideen, gewisser Nerven oder Fibern, als Werkzeuge bedienen möchte; ja, daß es unmöglich sey, daß überhaupt eine Seele ganz vhne Körper, als den hinreichenden Grnnd ihres Gesichts« pnnktS, und das Werkzeug ihrer Gedanken, bestehen könne. Diese

über den Menschen.

287

Diese Hypothese mußte in der Folge noth­ wendig auf Schwierigkeiten stoßen, die sich allemal bey jeder Hypothese, ehe sie zur Ge, wißheit gebracht ist, einstellen, so bald sie zur Erklärung aller und jeder einzelner Wirkungen angewendet werden soll. Indessen war eö demnngeachtet doch natürlich, noch immer wei­ ter auf diesem Wege fortzugehen, und den Versuch zu machen, auch die Entstehung-art und die Natur eine- jeden Seclenvermbgendaraus begreiflich zu machen. Ich will nicht behaupten, daß jene erste Hypothese, nicht auch ihre große Schwierig­ keiten hat. Man siih sie aber nicht, oder woll­ te sic nicht sehen. Denn, vermöge der gangba­ ren Definition der Seele, war es garnicht nö­ thig , sich auf die Emstehungsart der Vermö­ genheiten derselben an und für sich selbst ein­ zulassen. Die Begriffe davon lagen schon in der Definition, und man beruhigte sich meh­ ren»

388

Untersuchungen

rentheilS dabey, daß die Sache nun auch wohl selbst eben so in der Natur der Seele schon lie­ gen würde. So bald man nun aber angenoünnen hat­ te, daß die Ideen, derer sich die Seele wieder erinnert, nicht in ihr selbst, sondern in ihren Ner» venwerkzeugen, e- sey auf welche Art es wolle, aufbewahrt werden, so bald war auch die Fol­ ge klar, daß unmbglich weiter behauptet wer­ den konnte, die Erinnerung bestehe in einer Fähigkeit, die der Seele an und für sich selbst so zukomme, und ihr so eigen bleibe, daß, wenn sie auch vom Körper, und von allen Werkzeug«, ihrer Ideen getrennt wäre, sie sich doch ihrer vormaligen Ideen zu erinnern im Stande sey. Denn, nicht zu gedenken, daß die Seele, zu Folge der vorigen Dorarcksetzung, sodann gar keine Ideen erlangen könn­ te, so würde eS doch, wenn sie ja welche, eS sey durch was für Mittel und Wege es wolle, erlangt

über den Menschen.

289

erlangt hatte, zur Erinnerung immer noth­ wendig bleiben, das Andenken einer vormali­ gen Idee milder gegenwärtigen zu vergleichen, um dadurch zum Anerkenntnis zu gelange», daß bevde Ideen ebendieselben waren. Sollte nun die Seele dieses Andenken auS sich selbst herausholen, so müßte sie ja die vergangene Idee in sich selbst aufbehalten haben; das ist aber eben das, waS die Hypothese leugnet. Denn nach derselben kann die Erinnerung eben so wenig ein Geschäfte seyn, daS die Seele an und für sich selbst zu vollbringen im Stande wäre, als eine Fähigkeit, die der Seele unbe­ dingt, und an sich selbst, zukommen sollte; viel­ mehr muß darnach die Erinnerung eben so wohl, als die Ideen selbst, von den Nerven abhängig seyn, und allein vermöge derselben in die Seele gewirkt werden. Wie das aber eigentlich zugehen sollte, daö gab eben neue Schwierigkeiten. re Band.

T

Der

290

Untersuchungen Der unbekannte Verfasser des Versuchs

der Psychologie, der diese Schwierigkeiten einsah, versuchte durch eine zweyte sehr sinn­ reich auSgedachte Hnpothese, die Sache zu er­ klären.

Er sagt V ):

„Um

das

zn begreifen, darf man nur

voraussetzen, daß der Eindruck, welchen die zum ersten Mal bewegten Fibern auf die Seele machen, nicht genau mit demjenigen einerley ist, welchen diese Fibern hervor­ bringen,

wenn sie auf dieselbe Art zum

zweyten, dritten, vierten Mal bewegt wer­ den.

Die Empfindung, »velche durch diese

Verschiedenheit deö Eindrucks erzeugt wird, ist die Erinnerung.»» Herr Bsnnet, der überhaupt diesem sei­ nen Vorgänger in den Hauptsachen durchgehendS

V) Efiai de Psychologie. Chip. $■ In derDohm­ schen »ebersetzUlig, Seite ir.

über dm Menschen.

291

hends folgt, sagt in seinem Analytischen ver, such über die Seelenkräfte eben daS (°). Allein, wenn man in Erklärung der Art und Weise, wie sich die Erinnerung in bet Seele erzeugen soll, allem bey der erneuerten Idee, oder, was hier einerley ist, bey denje­ nigen gitroen und Fibern, wodurch allein die gegenwärtige Idee, daran man sich der vori­ gen erinnert» hervorgebracht ist, stehen bleibt, so wird, wie eS mir wenigstens deucht, die Schwierigkeit bloß weiter geschoben, aber nicht aus dem Wege geräumt. Ich kann eS zugeben, daß die Nerven, wenn sie zum zwey­ ten , dritten, vierten Male eine und eben dieselbe Idee hervorbringen, mehr Geschmei­ digkeit , Disposition, und Fertigkeit dazu äußT 2

ren

( ') itcr Band, Seite 64. der Schützischen litt Versetzung.

492

Untersuchungen

rtn mögen, als beym ersten Male; ob ich wohl, nebenher gesagt, dafür halte, daß die,Ver­ mehrung der Disposition und Fertigkeit in den Nerven, nicht so wohl auf die bloße Hervor­ bringung einer Idee, alS vielmehr auf die Der, bindung, Trennung, und überhaupt auf den Zusammenhang derselben, einen Einfluß ha­ ben kann.

Wir finden wohl, daß nnö dieses,

aber niemals jenes, zum ersten Male Mühe macht.

Außerdem aber scheint es mir auch,

daß aller Unterschied für die Seele, ob gewisse Nerven zum ersten Male,

oder schon öfter,

auf einerley Weise in Wirksamkeit gewesen, so bald er merklich wird, in

nichts

anders, als

in einem gewissen Gefühle der Neuheit beste­ hen könne, in so fern es nämlich an und für sich selbst zugleich wahrgenommen werden kann. Denn es giebt oft Falle, da wir gewisse Ideen, unstreitig zum ersten Mal bekommen, ohne

dabey

üb« den Menschen.

295

dabey weder ein Gefühl der Neuheit noch der Schwierigkeit zu spüren. Gesetzt aber, dem sey also; ich will eS ein­ räumen, die Nerven sollen, wenn die Seele eine und eben dieselbe Idee zum zweyten, drit­ ten, vierten Mal wieder bekommt, mehr dis­ ponier und geschmeidiger seyn, «16 beym er­ sten Mal, und das Gefühl dieser Verschieden­ heit der Eindrücke, soll di« Erinnerung aus­ machen. Nun frage ich, wie und woher ist denn die Seele vermbgend, au6 dem zweyten, oder welchem der folgenden Eindrücke man will, wenn er für sich allein genommen wird, diese Verschiedenheit zu erkennen? Dmn es ist doch wirklich an sich klar, daß die Verschieden­ heit zweyer Dinge nicht aus dem einen allein, sondern erst durch Vergleichung beyder, erkannt werden kann. Vergleicht aber die Seele, in­ dem sie sich einer Idee erinnert, den gegenwarT 3

"gen

294

Untersuchungen

eigen Eindruck mit einem der vorhergegange­ nen, so kann ja nicht gesagt werden, der Ein­ druck allein, der eine gegenwärtige Idee er­ zeugt, sey die einzige Erforderniß zur Erinne­ rung ; da sodann vielmehr eben darau- zu be­ weisen wäre, daß sie erst den vorhergegange­ nen Eindruck, oder die vergangene Idee von eben der Sache, mit der gegenwärtigen Idee, oder mit dem gegenwärtigen Eindrücke, zusam­ men halten müsse.

Ist aber das richtig, wie

eö nicht anders seyn kann, so entsteht wieder von neuem die Frage: woher nimmt die Seele das Andenken

eines vorhergegangenen Ein­

drucks, oder einer vormals gehabten Idee? Aus sich selbst! Das geht nicht an, so bewahr­ te sie ja ihre Ideen in sich selbst auf.

Aus an­

dren Eindrücken und Nervenwirkungcn! DaS geht auch nicht an; denn es liefe gegen die Hypothese, daß die Seele allein aus der Ge­ schmeidigkeit der Nerven bey einem gegenwär­ tigen

über den Menschen«

295

eigen Eindruck, die Verschiedenheit desselben, vom ersten Eindruck gewahr werden soll.

Ich

bin also wieder eben da, wo ich war, und die Schwierigkeit ist nicht gehoben. Dem scharfsichtigen Blick deö Erfinders die­ ser Hypothese, ist die Unzulänglichkeit derselben nicht ganz entgangen.

Er setzt deßwegen hin­

zu: die Seele werde fast beständig von mehr Ideen zugleich afficirt, und die Wiedererschei­ nung einer derselben, erwecke auch, gemeinig­ lich einige von denen, die sie vormals beglei­ teten ; und da- sty eine andre Quell« der Erin­ nerung. Herr Donner aber, dem dieser Zu­ satz nicht wichtig geschienen haben muß, er­ wähnt dieser zweyten Quelle, die mir die ein­ zige wahre zu seyn scheint, am angeführten Orte gar nicht.

-96

Untersuchungen §.

158.

Oie Erzeugung der Erinnerung setzt nothwendig die Unterscheidung der bloßen Smpfindungridecn von den Empfindungen selbst, und des Vergangenen vom Gegenwärtigen, zum voraus.

Wenn die Erimierung nicht als Fähigkeit und Handlung der Seele, sondern als das Re­ sultat davon,

und als eine Idee betrachtet

wird, so ist nach dem vorigen ($. 156.) schon klar, daß sie keine nothwendige und unmittel­ bare Folge, weder vom Gedächtnisse, nochvon irgend einer Empfindung, oder andern bloß leidenden Idee seyn könne, sondern daß sie ih­ ren Grund allein in einer Handlung der Seele, davon sie daö Resultat ist, haben müsse.

Es

laßt sich auch leicht einsehen, daß die Idee, oder das Anerkenntniß in uns, daß eine gewis­ se andre Idee eben dieselbe sey, die wir schon gehabt haben, sich nicht eher in Jemanden er­ zeugen könne, als bis er schon angefangen hat, von seinen Ideen einigen Gebrauch zu machen; er

über den Menschen.

597

er muß schon gegenwärtige Ideen von vergan­ genen leicht ju unterscheiden, und zugleich ih­ re Uebereinstimmungen und Verschiedenheiten gewahrzunehmen wissen, ehe er der eigentli­ chen Erinnerung fähig ist. Denn, wenn er das nicht kann, sondern wenn wirkliche Em­ pfindlingen und bloße EmpstndungSideen ihm einerley sind, wenigstens, wenn er ihren Un­ terschied einzusehen und zu fassen nicht im Stande ist, so ist er anch außer Stande den Unterschied zwischen de>n Vergangenen und Gegenwärtigen gewahrzunehmen, folglich anch aller eigentlichen Erinnerung unfähig, da in seiner Seele sich das Anerkenntniß, daß «ine gegenwärtige Idee eben dieselbe sey, die er schon gehabt hat, niemals bilden kann. Wenn also gezeigt werden kann, wie die Seele zur Idee deS Vergangenen und Gegen­ wärtigen, und zugleich des Uebereinstimmigen darin, gelangt, so wird auch begreiflich sc«n.

-98

Untersuchungen

wie sich die eigentliche Erinnerung in der See» le erzeugt. Um die Frage, worauf es hierbey ankommt, recht ins Licht setzen zu können, ist als unstrei­ tig zum voraus zu setzen, daß sich vom Anfang unsers Lebens an, zwischen allen unsren Em­ pfindungen, gleichzeitigen so wohl, alö nach­ folgenden , ein solcher Zusammenhang entspin­ ne, daß, wenn ein« davon uns wiederum ge­ genwärtig wird, sodann auch von den vorher­ gegangenen sich zugleich manche Idee, nach Verhältniß des Orts, der Zeit, und der Ueber­ einstimmung in dm Gesichtskreis der Seele mit hineindränge, und von selbst wieder er» neuert werde.

ES läßt sich behaupten, daß

ein Mensch, und überhaupt ein Geschöpf mit einem thierischen NervenorganiSmus, wenneS in dem ersten Augenblick seine- Daseyn- äußre Empfindungen hat, in dem zweyten schon Em­ pfindung-ideen zugleich haben müsse» und daß diese

über den Menschen.

.299

diese Ideen sich nach trnb nach in dem Maaße, als die Minvirksamkeit seiner Nerven von Dauerhaftigkeit ist, sehr vermehren und vervielfältigen wüsten. Außer diesen bloße» Em« pfi'ndungsidem, hat aber der Mensch, und alle ihm ähnliche Geschöpfe, noch den großen Vorzug, daß er sich aus diesen, vermöge deS eigenthümlichen Charakters seiner Seele, noch eine andre Gattung von Ideen selbst schaffen kann; und das sind die abstrakten und allge­ meinen Ideen, oder überhaupt, die Ideen von Ideen (§. 129.). Da nun als» jedweder Mensch, vom Anfang seines Lebens an, in den Zustand kommt, daß alle seine gegenwärtige Empfindungen noth­ wendig allemal mit Ideen vergangener Em­ pfindungen vielfältig vermischt, und immer* wahrend davon begleitet seyn müssen, so ent­ steht die Frage, wie denn der Mensch seine gegenwärtige wirkliche Empfindungen von den

3oo

Untersuchungen

vergangenen unterscheiden lerne, und rote er überhaupt zur Idee des Gegenwärtigen und Vergangenen gelange ?

Diese Frage kurz zu beantworten, ist so leicht nicht, als es in den meisten Fällen einem Jeden leichtfallt, diesen Unterschied praktisch in seilten Handlungen zu beobachten, und dar» nach seine Maaßregeln sicher zu nehmen. Sehr voreilig und obenhin wäre es geurtheilt, wenn sich Jemand hierin geradezu auf den gesunden Menschenverstand berufen wollte, weil jeder vernünftige Mensch daS Vergangene vom Ge­ genwärtigen zu unterscheiden weiß.

Denn der

Vernunftforscher kann sich dabey nicht beruhi­ gen. er muß erst wissen, waS gesunder Men­ schenverstand ist, ob er erworben und verbessert, oder ob er so, wie Thätigkeit nnd Gewahrnchmimg, dem Menschen schon angeboren wird, und uns «trsprünglich eigen ist.

Diese vorläu­ figen

über den Menschen.

301

figen Fragen aber, können hier noch nicht beantwortet werden. So viel ist wohl aber gewiß, daß die siche­ re Unterscheidung des Dergangenenen und Ge­ genwärtigen, und die Idee dieses Unterschie­ des ,

ihren eigentlichen Grund in entfernter»

Quellen, als in dem Unterschiede der Nervenänßerungen, an und für sich selbst betrachtet, so wie sie als Ideen von der Seele unmittelbar wahrgenommen werden, gesucht werden niuß. Denn eine gegenwärtige Empfindung ist der Seele nicht mehr und nicht weniger gegenwärtig, als die damit vergesellschafteten Ideen vergan­ gener Empfindungen es sind.

Don beyden

sind die Nervenäußerungtn, wodurch sie veran­ laßt werden,

der Seele gleich gegenwärtig

(§. 90.).

Ehe also noch die Erzeugung der Idee des Unterschiedes zwischen dem Vergangenen und Gegenwärtigen deutlich erklärt werden kann, ist

303

Untersuchungen

ist auszumachen, was für einen Unterschied di« Seele zwischen den Empfindungen selbst und den bloßen Empfindungsideen wahrzunehmen im Stande ist, oder an was für Beschaffen­ heiten sic beyde von einander unterscheidet.

$•

159-

Wie die Idee de- Unterschiede- -wischen wirklichen Empfindungen und bloßen Empfindung-idee» in der Seele er-eugt wird.

Man hat gesagt, die Starke und Schwä­ che entscheide hier alles, weil die Erfahrung lehre, daß erweckte Ideen vergangener Em­ pfindungen nicht mit so viel Stärke und Lebhaf­ tigkeit erscheinen, als wirkliche Empfindungen selbst.

Und man kann noch hinzufügen, daß

diese Erfahrung sich schon aus den Gründen der Sache selbst begreiflich machen lasse, da in dem

einen

Fall die Nerven der sinnli­

chen Werkzeuge mitwirken, in dem andern aber nicht. Allein,

über ven Menschen.

303

Allein, obgleich nicht zu leugnen ist, daß insonderheit in einigen Gattungen der Empfin­ dungen, die Eindrücke» wovon die Seele eine Gewahrnehmung hat, weit starker und lebhaf­ ter seyn müssen, als sie es bey den bloßen Empfindnngsideen, dabey die gröbren Nerven nicht mitwirken, seyn können, so folgt dvch darauS noch nicht, daß dieser Unterschied eben derjenige sey, der für die Seel« der entschei­ dende sey, und der in allen Fällen das charak­ teristische Kennzeichen mit sich führe. Denn eö giebt wirklich Personen von starker Einbil« dungSkraft, die den Ideen ihrer vergangenen Empfindungen oft weit mehr Lebhaftigkeit zn geben wissen, alö dieselben damals hatten, da sie wirkliche Empfindungen waren. Sollte nun die Seele nach dein Unterschiede der Stärke und Schwäche allemal verfahren» und ihr un­ mittelbares Urtheil darauf gründen, so müßte sie gewiß in dieser Sache weit mehr Irrthümer begr-

jo4

Untersilchungen

btybtn, alS man findet, b,iß wirklich began­ gen rverden. Wessen Kopf in gesundem An­ stande ist, der wird durch die Lebhaftigkeit seiner Ideen allein nicht zweifelhaft gemacht werden, ob sie bloß Ideen oder wirkliche Empfindungen sind. Ucberdieß aber steht eö auch noch da­ hin. ob einmal die nalürliche Stärke und Schwache von beyden, mir einander in eigent­ liche Vergleichung gebracht werden kann ($. 28.). Die Starke und Lebhaftigkeit der Ideen an sich, oder der Eindrücke, wodurch sie veranlaßt werden, kann also, meines Er­ achtens, nicht für rin allgemeines sicheres Kennzeichen zwischen wirklichen Empfindungen und bloßen Empfindungsideeu angenommen werden. AIS ein andrer allgemeiner Unterschied wird angegeben, daß, in Ansehung wirklicher Empfindungen, eö in unsrer Gewalt stehe, die Ideen mit gleicher Klarheit und Lebhaftigkeit, so

über den Menschen.

;o;

so lange e, vermöge gewisser Handlungen,

sie noch so sehr selbst

veranlaßt haben. Diese Unterschiede zwischen wirklichen Em­ pfindungen und allen andern Arten der Ideen, die sich entweder einzeln oder zusammen, in jeder wirklichen Empfindung, die mit andem Ideen vermischt ist, und sie finde- alle, der Gewahrnehmung des Menschen, von seiner er­ sten Kindheit an, unaufhörlich darbieten, wür­ den gewiß nicht verfehlen, seine Beachtsamkeit ($. 129.) sehr bald auf sich zn ziehen, zu»nal ein jeder Irrthum, der anfänglich darin begangen wird, die Aufmerksamkeit für künf­ tige Falle desto mehr reizen müßte; ich sage, sie würden gewiß nicht verfehlen, die Idee deS Unter-

über dm Menschen.

309

Unterschiedes und des Kennzeichens zwischen Empfindungen und Ideen sehr bald zu erzeu­ gen, wenn man sich auch den Menschen als einzeln und hingeworfen ans diesen Erdball, ohne

Unterricht und Gesellschaft, vorstellen

wollte.

Mehr aber als Aufmerksamkeit auf

diese Unterschiede bedarf eS nicht, um die Idee dieses

Unterschiedes sogleich zu bilden; die

dann in der Folge, zumal wenn sie mit einem Zeichen oder, Worte verknüpft worden, sich in allen ähnlichen Fällen, vermöge der Jdeenasso«iation von selbst wieder einstellt.

§.

160.

Wie sich die Idee des Vergangenen, und endlich die griniwrung selbst In der Seele ertrugt. Wenn man sich einen Menschen gedenkt, der mit seinen Empfindungen und Empfindungoideen noch gar nichte weiter anzufangen wüß­ te.

als

daß er allein den Unterschied dazwi­

schen zu bemerken, und sie also voir einander zu U 3

unter-

3io

Untersuchungen

unterscheide» im Stande wäre, so würde um deßwillen allein noch nicht folgen, daß er nun auch sogleich das Vergangene vom Gegenwär­ tigen unterscheiden könnte. Denn, wenn gleich die wirklichen Empfindungen zugleich etwas Gegenwärtiges sind, und alle EmpfindungSideen

ihre Quelle von vergangenen Empfin­

dungen ableiten, mithin in beyden zusammen, die Ideen des Gegenw.ntigen und Vergange­ nen

liegen,

so

sind

doch die

Empfin«

dungSideen, so wie sie sich von selbst der Seele wieder darstellen, nicht allemal Ideen vergan­ gener wirklicher Empfindungen im eigentli­ chen Verstände. Denn die EmpfindungSideen,

und wenn

gleich noch keine andre Gattung der Ideen dazu genommen wird, verbinden sich während des Fortgangs unsers Lebens immer mehr und mehr unter einander, und verbinden sich in­ sonderheit gerne, nach Mn Arten der Verhält­ nisse

über den Menschen.

zu

nisse des Uebereinstimmigcn und Arhnlichen, dergestalt mit einander, daß, wenn ihnen freyer kauf gelassen bleibt, selten eine davon der Seele genau so wieder zu Gesicht» kommt, als sie zu der Zeit war, da die Empfindung selbst wirklich und gegenwärtig gewesen. DaS Ucbereinstimmige und Aehnliche in ihnen, schmilzt, wemr sie erneuert werden, in Eins zusammen, und insonderheit werden die äuge» nehmen oder unangenehmen Gefühle, die mir gewissen Empfindungen verknüpft gewesen, in der Folge leicht von einer Empfindungsidee auf die andre übergetragen; so, daß cS sich in der That nur selten trift, daß eine ErnpstnLungcidee, dafern nicht die Aufmerksamkeit darüber besonders wacht, das ganze und richti­ ge Bild einer vergangenen Empfindung getreu wieder darstellt ($. 91. 92.). Auf diese Weise wird also eine Menge Empfindungsideen in uns erzeugt, die zwar alle in wirklichen EmU 4

pfin-

;u

Untersuchungen

pfindungen ihre erste Ouell« haben,

einzeln

aber beirachtet, nicht als eigentliche Ideen ei­ ner vormals wirklichen Empfindung angesehen werden können.

Und in so fern liegt dann

auch nicht die wahre Idee des Vergangenen unmittelbar in ihnen. Es ist also noch ein neues Geschäfte der Seele nöthig, um zuerkennen, obeine gewis­ se Empfindungsidee, das richtige Bild einer vormals gehabten wirklichen Empfindling sey. Und das führt zur Untersuchung der Unter­ scheidungszeichen, woran die Seele zu erken­ nen vermag, ob eine gewisse Empfindungsidee genau eben dieselbe sey, die ehemals durcheilte wil-kliche Empfindung hervorgebracht worden. Zuerst ist zu bemerken, daß kein Augenblick »nsers Lebens, ganz ohne äußre Empfindung, eS sen denn, daß Schlaf oder Krankheit cs unter­ brechen, vorübergeht. Und nicht allein das, son­ dern es sind auch die Empfindungen, die mit jedem

über den Menschen.

313

jedem Augenblick auf uiiS zuströmen, uuzahlich. Der Lauf der Natur, und unsre sinnli­ che Werkzeuge sind so eingerichtet, daß wir durch einen immerwährenden Fluß von wirkli­ chen Empfindungen, wir mögen handeln oder ruhen, zu beständigen Gewahrnehmungen und zum Bewußtseyn unsrer selbst unaufhörlich aufgerufen werden (§, 143.). Wer kann alle die äußren Empfindungen und Gefühle her­ rechnen, welche Zeit, Ort, und Umstände, Stand und Lage unsers Körpers, durch mehr Meinen Sinn, und mehr als ein Gefühl, un­ unterbrochen in unS erzeugen? So bald wir nun irgend auf eine Idee auf­ merksam zu werden anfangen, so bald klaren sich verschiedene ihrer Nebenideen nach und nach auf, wodurch dann mancherley Aussichten erdfnet werde», worauf verschiedene Gattungen der Jveenverbilidungen, wenn die Aufmerk­ samkeit ihueu nachgeht, mit leichter Mühe entU 5 wickelt

3i4

Untersuchungen

wickelt werd«» können.

Gerath man mm, «6

sey von ungefehr oder mit Vorsatz auf die Ent­ wickelung d«S Ursprungs oder der Folg« der vorhergehenden Veranlassungen einer Idee, und wir kommen bis dahin, wo keine weitre Entwickcltmg anS vorhergehenden Ideen mehr statt hat, sondern wo wir finden, daß die Idee durch äußre Gegenstände veranlaßt worden ist; und wir werden dabey die Nebenideen der da­ maligen gleichzeitigen äußren Umstände ge­ wahr, so haben wir daS sichere Kennzeichen einer ehemaligen wirklichen Empfindung, und «S must nothwendig in uns die Gewahrnehrnung entstehen, daß eine gewisse Idee vor­ mals eine wirkliche Empfindung gewesen, und unter diesen oder jenen Umständen in uns her­ vorgebracht worden sey. Da nun der Mensch seine Aufmerksamkeit auf jede Verschiedenheit und Aehnlichkeit, die in seinen Ideen vernehmlich -ist, richten, und dadurch

über den Menschen.

z>;

dadurch eine besondre Idee davon sich fcrmiren, sie auch mit einem Zeichen belegen kann, so gelangt er auf diese Weise jirr Idee einer ver­ gangenen Empfindung. Findet es sich aber daß eine gewisse Empfindnngsidee 'weder auf einmal und zu einer Zeit, noch unter einerley Umstanden eine wirkliche Empfindung gewesen, so kann nicht gesagt werden, daß dieselbe, die Idee einer einzigen vergangenen Empfindung sey, sondem sie muß sodann entweder ein Geschöpfe der Seele, oder der bloß sich selbst gelassenen Association der Ideen fron. ES ist also noch nicht genug, zu erkennen, daß eine gewisse Idee, eine vergangene Em­ pfindung überhaupt sey, sondem es kommt auch noch darauf an, ob sie eben dieselbe sey, die sie vormals geweftn. Und diese Gewahrnehmnng muß sich nothwendig in so fern er­ zeugen, als wir gewahr werden, daß durch unsre Aufmerksamkeit auf alle damalige Ncben-

zi6

Untersuchungen

benempfindungen keine Dcrandrung in der jtzjgen Idee selbst hervorgebracht wird, welches doch nothwendig geschehen müßte, wenn sie nicht ge­ nau so, wie sie sich itzt zeigt, auch damals durch die vergangene Empfindung wäre erzeugt wor­ den; denn eS ist ein Naturgesetz,

daß nicht

allein eine itzige Empfindungsidee von ihren vormaligen Nebenempfindtmgeu die Ideen mit sich hervorbringt, sondern daß auch diese wie­ derum die itzige Idee, so wie sie damals war, hervorbringen müssen.

Diese

wechselseitige

Vergesellschaftung der Ideen, macht die Ver­ gleichung der Beschaffenheiten einer Idee un­ ter den gegenwärtigen und unter deir vorma­ ligen Umstanden nicht allein ungemein leicht, sondern bietet sie gleichsam unsrer Gewahrnehinrnig von selbst dar. Fast auf gleiche Weise verhält es sich auch mit den andern Ideen, die keine Empfindungc« iveen sind, wenn wir in Ansehung ihrer die

Ge-

über dm Menschen.

317

Gewahrnehmung haben, daß sie eben die find, die wir vorher schon einmal gehabt haben. Denn allen unsren Ideen, sie seyn von welcher Art sie wollen, coeristirt allemal eine Menge wirklicher Empfindungen.

Ist nun gleich sel­

ten zwischen diesen und jenen ein innerer oder veranlassender Zusammenhang, so bringen sie sich doch einander, vermöge der Gleichzeitig­ keit, wieder hervor; und die Gewahrnrhmiing, daß dies« Ideen eben dieselben sind, die wir schon gehabt haben, wird so bald erzeugt, als wir gewahr werden, daß solche von gewissen vormalige» Empfindungen, welche Zeit, Ort und Umstande erzeugt hatten,

entweder be­

gleitet gewesen, oder doch sonst damit in einem gewissen Zusammenhange gestanden haben. Ans diese Weise, bald schnell und augen­ blicklich, bisweilen aber langsam, erzeugt sich in und die Idee, daß eine andre dieselbe sey, die wir schon einmal gehabt haben.

Da nun

?>8

Untersuchungen

eben darin die Erinnerung besteht, so läßt sich begrrißich machen, wie diese in der Seele er­ zeugt werde,

ohne daß es dabey nöthig sey

anzuuehmcn, weder, daß die Seele oder daGedächtniß und die Nerven, die vergangenen Ideen in sich

als

in einem Archiv« aufbehal­

ten, noch daß die Seele an dem Gefühle der Verschiedenheit deö Eindrucks,

welchen die

zum ersten Mal oder öfter bewegten Nerven erzeugen, eine schon sonst gehabte Idee erkenne, und dadurch zur Erinnerung gelange. Die folgenden Betrachtungen werden die­ ses noch mehr ins Licht setzen und bestätige».

§.

i6l.

Ton der Erinnerung als Bermigen und Fähigkeit der Seele betrachtet, und ihren Erfor­ dernissen.

Das Erinnerungsvermögen der Seele ist lange so einfach nicht, als es auf den ersten Anblick und in gewohnten Fällen zu seyn scheint. Schon nach den gewöhnlichen Begriffen, die man

über den Menschen.

319

man davon hak, crforbert eS, wenn es genau betrachtet wird, nicht allein mehrere Handlun­ gen der Seele, fondem eS setzt auch, um wirk­ sam seyn zu sinnen, nothwendig voraus, daß man bereits angefangen haben muß, von feineu Ideen einigen Gebrauch zu machen, und daß schon andre Vermögen der Seele einen ge­ wissen Grad der Vollkommenheit erlangt haben müssen. Das Bewußtseyn, die Aufmerksam­ keit, und die Unterscheidung unsrer Ideen, und ihrer Arten, muß nothwendig schon ge­ schäftig seyn, ehe wir ans eigentliche Erinne­ rung Anspruch machen können. Wir werden zwar gleich im Ansauge unsers Lebens mit Empftndungöideen reichlich versorgt, das Ge­ dächtniß bringt sie unS nach den verschiedenen Verhältnissen ihrer Verbindung wieder zu Ge­ sichte, allein es sind bloße Gedächtnißidee», die zwar in Absicht unsrer Handlungen, uns eben die Dienst« leisten, als »venu die eigentli­ che

320

Untersuchungen

che Erinnerung damit verknüpft wäre, aber an sich selbst erzeugen sie noch

keine Er­

innerung. Wenn wir uns einer Idee eigentlich erin­ nern, das ist, wenn wir anerkennen, sic sehen gehabt z« haben, so beschäftigen wir uns mit zwey Ideen,

einer gegenwärtigen und einer

vergangenen, ober, um genauer zu reden, wir betrachten eine Idee nicht allein unter ihren gegenwärtigen

Verhältnissen,

sondern auch

unter solchen Umständen, und in Verbindung mit solchen Nebenideen, welche schon vergan­ gen sind.

Diese Handlung setzt unstreitig nicht

allein das Bewußtseyn unsrer selbst, und die Apperceprion unsrer Idem, sondern auch schon den willkürlichen Gebrauch der Aufmerksamkeit zum voraus. So

bald daher das Bewußtseyn unsrer

selbst vermindert, die Aufmerksamkeit zerstreut und aoderSwohin geleitet wird, oder so bald gcwis-

über den Menschen.

32t

gewisse Ideen nicht gehörig appercipirt wer­ den, so bald schleichen sich auch nothwendiger Weise Mangel und Irrthümer in unsre Erin­ nerungen ein. Waren wir aber gar nicht im Stande, aus dem jedesmaligen Gesichtskreise unsrer Empfindungen und Ideen, eine beson­ ders aufzufassen, und dabey zugleich ihre ge­ genwärtige Nebenideen , ohne sie doch selbst ans dem Gesichte zu verlieren, mit ihren ver­ gangenen Nebenideen zusammen zu halten, so waren wir auch gar keiner eigentliche» Erinne­ rungen fähig; denn wodurch sonst sollte das Anerkennmiß gewirkt werden, daß eine unsrer Ideen eben dieselbe sey, die wir schon gehabt haben, wenn es nicht durch Vergleichung der Umstände geschähe? Wer sich etwas erinnern soll, der muß schon unterscheiden, vergleichen, ja selbst ab« strähnen können. Er muß das Gegenwärtige vom Vergangenen, die wirklichen Empfinduuat Band. 36 gen

332

Untersuchungen

gm von dm Empfindungsideen, beyde von an­ dern bloßen Ideen, und diese wiederum, ob sie vergangen oder gegenwärtig sind, leicht zu unterscheiden wissen.

So bald dies« Unter­

schiede nicht alle gehörig gefaßt sind, so bald ist die Apperceptivn und also auch die Erinne­ rung mangelhaft.

Fehlt eö weiter Jemanden

an der gehörigen Aufmerksamkeit, gewöhnt er sich nicht von Jugend auf, seine Ideen recht zu fassen, und besonders die charakteristischen Unterschiede derselben leicht zu bemerken, oder wird es ihm schwer, die Uebereinstimmungen und die Verschiedenheiten derselben gewahr zu nehmen, so werden auch desselben Erinneningeti, wie es die Erfahrung lehrt, auf eine oder die andre Art fehlerhaft und irrig sey«, wenn gleich sonst sein Gedächtniß an sich selbst glück­ lich genug von Natur seyn sollte. Um die Verhältnisse und Unterschied« unrrr Idem gehörig aufzufassen, und wieder Hervor-

über den Menschen.

Z2g

hervorzubringen, ist die Jdeenbezeichnung überhaupt nothrvendig, die aber ohne Worte immer maugelhaft bleibet ($. 141.). Die Er­ fahrung beweiset «S, daß, je mangelhafter die Jdeenbezeichnung ist, desto mangelhafterauch die Erinnerung selbst ist. Wir sehen daher, daß Kinder, wenn sie auch sonst von ihre» Ideen einigen Gebrauch zu machen wisseu, da­ bey aber noch nicht znm erforderlichen Gebrauch der Jdeenzeichen und der Sprache gelangt sind, alles, was sie sehen und empfinden, sehr bald wieder vergessn«, und, wenn sie in der Folge auch zum Gebrauch der Sprache kom­ men, doch wenig oder nicht- von dem, was vorher mit ihnen vorgegangen ist, sich zu erinnem wissen. Hierin liegt auch der Grund, warum Tau­ be und Stumme daS sehr bald vergessen, wo­ zu sie keine Zeichen haben. Ihre Erinnerungs­ kraft ist bey dem Mangel und der Unvollkom« $ 2 men«

324

Untersuchungen

menheit ihrer Zeichen überhaupt von keinem sonderlichen Umfange und Dauer.

Eben das

findet man auch häufig bey wilden und rohen Völkern, und bey dem niedern Pöbel in allen Ländern.

Ja ein Jeder wird es an sich selbst

gewahr, wie leicht Dinge, die man sieht un§ hört, die man aber weder an sich selbst, noch »ach ihren Verhältnissen bezeichnet hat, rote# der vergessen werden. Gehörige Uebungen in dem Geschäfte der Erinnerung, zweckmäßige Achtsamkeit dabey, und leichte, gutgewah te Hülfsmittel dazu, sind zugleich Stärkungen für das Gedächtniß, und befördern desselben Ausbildung. Was die Thiere betrift, so kommt, in An­ sehung ihrer, zudem Mangel aller bisher er­ wähnten Erfordemisse der

Erinnerung noch

hinzu, daß sie nur auf reine äußre Empfindun­ gen, oder dergleichen Ideen eingeschränkt zu seyn

über den Menschen.

325

seyn scheinen (§. 130O; die Erinnerung aber kann als eine thätige Idee dazu nicht gerech­ net werden, und sie sind folglich gar keiner Erinnerung fähig.

Indessen aber sind siedoch

in Absicht ihres Zustandes » und aller Hand­ lungen dabey in dem Menschen die Erinnerung mitwirkt, um nichts schlechter dran.

Denn

das bloße Gedächtniß, womit sie zum Theil in vorzüglichem Grade versehe« sind, gewahrt ihnen auch ohne Anerkennung, daß sie eine ge, genwärrige Idee schon sonst gehabt haben,'

alle die Dienste, die «ns die Erinnerung leistet. Lurch das Gedächtniß überhaupt, worin der Grund aller Association der Ideen liegt, wer­ de» nicht allein alle so genannte willkürliche Handlungen der Thiere hinlänglich bestimmtsondern sie werden auch allein vermöge bed' Gedächtnisses fähig, ein aneinander hängendes Vergnügen zu genießen.

3E 3

Die

326

Untersuchungen Die Erinnerung ist überhaupt mehr eine

Fähigkeit, die zum Denken als zum Handeln nöthig ist, ob sie gleich da, wo sie zugleich angetroffen wird, daS erste lenken und besser bestimmen kaun, das letzte aber nach vielfa­ chem und entfemtern Endzwecken

rinrich,

ten hilft. $. 162.

Dat Besinnen. Das verwickelte Geschäfte der Seele bey der Erinnerung, wovon eben die Rede war, wird nicht allemal merklich, besonders, wenn man sich einer Idee schon mehrmals, mit oder ohne Vorsatz, erinnert hat, oder wenn sonst die Erinnerung an sich selbst leicht ist.

Gewisse

Idem zeichnen sich von selbst so ausnehmend und stark aus, hängen an so viel besondren und lebhaften Umständm, oder haben so vielerlei Beziehungm

auf uns und unsern Zustand,

daß, wen« sie nur zum mindesten Theil wie-

über den Menschen.

327

der in den Gesichtskreis der Seele gebracht werden, sie augenblicklich als vorher schon ge« habt« Ideen erkannt werden. Merklich aber wird das Geschäfte der See­ le, wenn «S mit der Erinnerung schwer Zugeht. Und das geschieht allemal, wenn die vergaugene Idee zu der Zeit als sie gegenwärtig war, durch Aufmerksamkeit nicht klar gemacht, nicht gehörig gefaßt, nicht recht appereipirt, und von andern gegenwärtigen Ideen» durch Der, gleichung und Bezeichnung nicht hinlänglich unterschieden worden. Ferner geschieht daS, wen»! die gegenwärtige Idee, welch« die Ver­ anlassung zur Erinnerung geben soll, entweder sehr viel mehr, oder sehr viel weniger in sich enthalt, als die zu erinnernde, und jene nnS also entweder zu vielfache oder zu geringe Aus­ sichten auf die vergangene darbietet. In allen diesen und andern Fällen, wo daS Geschäfte der Seele bey der Erinnerung, nicht augrnX 4

blick.

328

Untersuchungen

blicklich vollbracht und vollständig bewirkt wird, denn die Erinnerung hat auch ihre Grade, da sagen wir: wir besinnen uns. Das Besinnen besteht also in dem merkli­ chen Geschäfte der Seele, wenn man sich einer gewisse» Idee, Handlung, «innern will.

oder was es seh,

Und eben deßwegen giebt «S

Gelegenheit, die Seele in ihren Wirkungen zu beobachten, und die Theorie der Erinnerung mehr aufzuklären. Alle Erinnerungen, wenn sie überhaupt be­ frachtet werden, scheinen in Absicht des Ge­ genstandes, oder d« Idee, welcher man sich erinnert, von zweyerley Art zu seyn.

Erst­

lich, wenn weiter nichts gegeben wird, als eine gewisse gegenwärtige Idee, und man will sich erinnern, daß, oder ob man diese Idee schon einmal gehabt habe; welches insonderheit bey vorgelegten Fragen geschieht.

Man weiß

also in diesem Fall schon die Idee selbst, wel­ cher

über den Menschen.

329

cher man sich erinnern will, und «S kommt nur darauf an, zu erkennen, ob man sie schon ein­ mal gehabt habe. Zweitens, wenn man ei­ ne gewisse, gegenwärtige Idee hat, oder sie wird uns gegeben, und man will sich dabey einer andern, die mit ihr in irgend einer Beziehung sieht, erinnern. Hier ist die Idee, welcher wir uns erinnern wollen, noch unbekannt, sie ist nicht mit der gegenwärtigen einerley, sie steht aber mit derselben in näherer oder ent­ fernterer Beziehung. Beyde Fälle, sagte ich vorher, scheinen nur verschieden zu seyn; denn im Grunde sind sie wirklich einerley, und die Seele verfährt auch dabey auf einerley Art und Weise. Das, was »nan sich in dem ersten Fall erinnern will, ist eigentlich nicht die gegenwärtige Idee, die man schon weiß, sondern es sind die mit die­ ser Idee verknüpften Nebenideen der vormali­ gen Umstände, der Zeit, des Orts, oder deS X 5

Ur-

33o

Untersuchungen

Ursprungs und der Veranlassung zu dieser Idee. I« dem letzten Fall hingegen, weiß man von der Idee, welcher man sich erinnern will, auch schon etwas, man weiß vielleicht Zeit, Ort, und Umstände, oder sonst eine entfernte Be­ ziehung. In diesen und allen andem Fällen der Er­ innerung, ist also alleinal eine gewisse gegenwär­ tige Idee vorhanden, welche auf die unbekann­ te, der man sich erst erinnern will, eine nahe oder entsinnt#, eine wahre, oder eine vermeyntr liche Beziehung hat.

Es kommt daher in je­

dem Fall des Besinnen- oder der Erinnerung überhaupt allemal eine bekannte, und eine un­ bekannte Idee vor.

Die bekannte und gegen­

wärtige Idee, ist oft von der zu erinnernden, nur ein entfernter Umstand, ein Buchstabe, eine Sylbe; so wie, umgekehrt, die unbekannte Idee, eben so wohl von der gegenwärtigen, die zu suchende Hauptidee, als rin kleiner

Um-

über den Menschen.

331

Umstand seyn kann. Die Verschiedenheit macht in der Sache selbst keine Verändrung, das Geschäfte der Seele bleibt dabey immer dassel­ be. Eben so verhält eS sich auch, wenn etwas gefragt wird. Die Frage enthalt die gegen­ wärtige Idee, und der Sin» der Frage zeigt auf die zu erinnernde Idee hin, und giebt da­ von einen Umstand oder sonst etwa- an. Das bleibt aber in allen Fällen nothwen­ dig , daß zwischen beyden Ideen, «ine gewisse Beziehung entweder wirklich seyn, oder doch zu seyn scheinen muß. Diese Beziehung, sie bestehe worin sie wolle, ist alles, was wir von der unbekannten zu erinnernden Idee vor Augen haben, sie giebt uns die Aussicht, und zeigt der Seele den Weg, worauf sie mit ihren Wirkungen fortzugehen hat, um die unbekann­ te Idee nach und nach, klar zu machen. Je starker die Beziehung ist, desto ausgezeichneter ist der Weg, den sie nehmen muß, und desto wen»-

rp

Untersuchung«,

weniger wird sie verfehlen, die zn suchende Idee anzutreffen. An sich selbst besteht die Beziehung in dem Zusammenhange, welcher sich zwischen der be­ kannten -und der unbekannten Idee findet, oder auf den die erste wenigsten» hinweiset.

Dieser

Zusammenhang auf die Verbindung, und die mrovbtne Mitwirksamkeit der Nerven; diese Verbindung kaun die Seele durch ihre Thätig­ keit oder Aufmerksamkeit nach und nach ent­ wickeln, weil, immer von der Hauptidee, die Rtdtnidee« anfangen sich vemehmlich zu ma­ chen, und die Seele jedwede Nebenidee, wieder zur Haupridee machen kann. Muß mau sich erst lange auf die zu erin­ nernd« Idee besinnen, so ist der Zusamincnhang und die Beziehung, worin die gegenwartige mit jener steht, mir schwach oder so ent­ fernt, daß die Kraft der Seele auf die gegen­ wärtige Idee, die .zu erinnernde und den Weg,



über Den Menschen.

333

zu ihr zu gelange», nicht anders als unver­ nehmlich hervorzubringen vermag. In sol­ chen« Fall bemüht sich die Aufmerksamkeit, die­ se Beziehring vernehmlicher zu machen, ihr nachzugehen, und sie von Idee zu Idee aufzu­ klaren, bis sie endlich, und oft ersi nach manche«n vergeblichen Versuch, die zu erinnernde Idee findet. Bisweilen verliert sich aber der Weg , und die Fußtapfen sind ganz erloschen, oder eigentlicher, vre Mitwirksamkeit der Ner­ ven , har sich in Absicht des Zusammenhangs der gegenwärtige» und der zu erinnernden Idee verloren, die Association der Ideen ist ge­ trennt, und dann ist es unmöglich, sich der verlangten Idee wieder zu erinnern. K.

163.

Don dem Gange, den die Erinnerungskraft bey ih­ rem Geschäfte nimmt, Giebt man nun weiter Acht, welchen von mehreren Wegen die Aufmerksamkeit bey dem Be-

334

Untersuchungen

Besinnen imb Erinnern nimmt, so findet sich bald, daß es ihr gar nicht gleichviel ist, wel­ chen sie ergreift, sondern daß sie allemal, um zu der gesuchten Idee zu gelangen, nur einer­ ley Weg betritt, ob sie gleich nach Beschaffen­ heit der Umstande oft mancherley Verkürzun­ gen dabev zu finden weiß. Der Weg von einer Idee zur andern, be­ steht überhaupt in dem Zusammenhange, der sich zwischen zwey Ideen befindet, und ist von dreyerley Art (K. rog. no.).

Der Zusammen­

hang, welchen übereinstimmige und ähnlich« Wirkungen, in den Nerven hineingebracht ha­ ben, und wodurch der Weg der Einbildungs­ kraft bezeichnet wird, ist nicht der Weg deS Besinnens und der Erinnerungskraft.

Die Ab­

sicht der Erinnerung ist ein zu wirkendes Anerkcnntniß, daß eine gegenwärtige Idee schon vorher einmal in dem Gesichtskreise der Seele wirklich gewesen.

Sie muß also einen vorher­ gehen-

über den Menschen.

zzz

gehenden wirklichen Instand von uns aufsuchen, mtb dann aufmerksam seyn, ob unter den Ideen, die dadurch zugleich wieder erneuert werden, und also damals wirklich gewesen sind, auch die

itztge Idee, und izwar so wie sie itzt

ist, gefunden wird.

Dieser Weg wird allein

durch die Folge und Gleichzeitigkeit unsrer Ideen bezeichnet; und eS entwickelt folglich die Erinnerung den Zusammenhang unsrer Ideen, in so fern er durch ihre Folge und Gleichzeitig­ keit ist gewirkt worden.

Da nun diese Art deS

Insammenhangö unsrer Ideen, oder NervenWirkungen, daö Gedächtniß insbesondre aus­ macht ($. 151.), so thut die Erinnrntug oder die Thätigkeit der Seele hier weiter nichtö, als daß sie die Ideen des Gedächtnisses insbesondre entwickelt,

das ist,

ihrem Zusammenhange

nachgeht, und, solchem Leitfaden gemäß, Idee für Idee klar und vernehmlich macht.

;;6

Untersuchungen Frägt man, wie weil diese Entwickelung

fortgesetzt werde? So ist die Antwort: so weil bis die Erinnerung erzeugt worden; nämlich,

tn

Ansehung der Empfindungsiteen, dis zu

ihrer Quelle und Ursprung, oder bis dabin, da die Beranlaffung derselben nicht mehr in unsre« Ideen selbst, und in dem unmittelbaren Wir­ kungskreis der Seele, zu finden ist, sondern wo sie wirkliche Empfindungen waren, und ein« Veranlassung von außen hatten; in Ansehung andrer Ideen, al» zum Beyspiel der abstracten und allgemeinen, so weit dis diese an vergan­ gene gleichzeitige Empfindungen angekettet ge. funden werden, daö ist, biö wir die ehmalige« Umstande von Jett oder Ort,

als damalt

Aleichzeitig gewahr werde«. Ich will gar «ichr behauptet habe«, daß «» allemal und in jedem Fall der Erinnerung ndthig sey, die EmpfindungSidren, bis auf ihren ersten Ursprung; da sie wirkliche Empfin-

über den Menschen.

33?

düngen waren, oder die andren bloßen Ideen, bis auf den Zeitpunkt, da sie mit Ideen wirk­ licher Empfindungen umständlich vergesellschaf­ tet sind, völlig zurückzuführen. Denn die meisten unsrer Ideen und Empfindungen be­ kommen wir öfter als einmal, und das knüpft sie, auf vielfältige Weise, bald an diese, bald an jene gleichzeitige Empfindungen an, und dadurch je wohl, als insbesondre, weil wir den Gebrauch der Sprache haben, und nicht anders als in Worten denken wird die Idee ihrer vergangenen Wirklichkeit, gleichfaW eine Nebenidee von ihnen selbst, und kommt auf diese Weise als-ihre Nebenidee leicht mit zum Vorschein. Diese Nebenidee von der vergan­ genen Wirklichkeit einer Enipfindung oder an­ dern Idee, dient uns in der Folge anstatt der Entwickelung ihres Ursprungs und ihrer Um­ stande, und erzeugt eben so gut in uns die Er­ innerung ihrer selbst, als wenn wir uns auf 2v Band. V dir

338

Umersuchungen

die eigentliche Quelle und die wirklichen Um­ stände einer zu erinnernden Empfindung oder Idee zu besinnen wüßten.

Von de» meisten

unsrer Kenntnisse werden wir uns kaum uns die erste Quelle mehr zu besinnen wissen, indessen werden wir doch bey den mehresten nicht zwei­ felhaft seyn, daß sie wirkliche Empfindungen gewesen, weil wir, seitdrr ersten Veranlassung an, immer die Nebenidee, daß solche Empfin­ dung wirklich gewesen, damit verknüpft haben. Eben so wenig habe ich sagen wollen, daß wir niemals, wenn wir uns ans etwas besin­ nen, den Weg, den Uebereinstimmung und Aehnlichkcit in unsren Ideen hervorgebracht haben, zu Hülfe nehmen sollten.

Vielmehr

ist es gewiß, daß oft die Einbildungskraft, unsrer Erinnerung sehr zu Hülfe kommt.

Und

das sind eben die Verkürzungen des Weges, derer sich die Seele, besonders in schweren und verwi-

über den Menschen.

339

verwickelten Fällen der Erinnerung, mit Ver­ theil z» bedienen weiß. Das bleibt aber zur Erinnerung allemal nothwendig, daß die Idee, welcher wir uns erinnern, wenigstens einmal bis zu denjenigen Jeitnmstanden, da sie entweder selbst eine wirk­ liche Empfindung gewesen, oder doch, da sie wirklichen Empfindungen coerisiirt hat, zurückgeführt werden muß, weil sich sonst nimmehrmehr eine wirkliche und wahre Erinnerung erzeugen kann. §. 164. Noch mehr Beweise ans der Erfahrung, für diese Theorie der Erinnerung. Daß sich die Erinnerungen auf diesem und keinem andern Wege in uns erzeugen, davon giebt auch die Erfahrung die deutlichsten Be­ weise. Denn was sagen wir anders, wenn wir sagen, wir wisst» nicht recht, ob eine ge­ wisse Sache wirklich wahr sey, oder ob sie «ns N 2

ge-

340

Untersuchungen

geträumt habe, als das; cs uns deuchte, wir erinnerte» unS gewisser Ideen,

deren Quellt

und Veranlassung wir nicht sicher zu finden wissen? Wir geben folglich zu erkennen, dass wir in diesem Falle nicht im Stande sind, solche Ideen bis zu der Zeit, da sie wirkliche Empfin­ dungen waren, oder doch davon begleitet wur­ den, zurück zu führen.

Inzwischen, weil es

uns doch so vorkommt, als mmtmcit wir uns derselben, so müssen wir nicht recht vernehm­ lich dabc» gewahr werden, entweder ob wir die zu erinnernde Idee, nicht mit einer andern ihr ähnlichen verwechseln, oder ob wir diesel­ be, nicht irrig auf Empfindungen zurückführen, die wir niemals gehabt habe».

So bald aber

einer von diesen Umständen aufgeklärt werden kann,

so bald erzeugt sich die Erinnerung,

entweder daß die Sache wirklich gewesen, oder daß sie nnö bloß geträumt habe.

Die Kenn­

zeichen, die hier die Sache entscheiden, sind eben

über den Menschen.

34*

eben die , von denen vorher allgemein behau­ ptet worden, daß sie die Gmmmtng erzeugen. Eden einen solchen Beweis geben die raglich verkommenden falschen Erinnerungen. Dadcv wird entweder die zu erinnernde Idee, mit einer andern ihr ähnlichen verwechselt, von welcher man den Ursprung, oder die Empfin­ dungen , davon sie vormals begleitet wurden, weiß, oder aber die Entwickelung ist irrig, „nd die zu erinnernde Idee wird auf Empfindungen zurückgeführt, die wir niemals, oder nur auf eine ähnliche Art und Weise, gehabt haben. Noch einen andern Beweis finden wir in den Traume». Wer darauf Acht hat, wird finden, daß ihm oft im Traume die unbekann­ testen und sonderbarsten Dinge alS bekannt und gewöhnlich vorkommen, und daß man sich oft gewisser Dinge, die man itr» Traum« sieht »verhört, ganz eigentlich erinnere, von denen V z man

34»

Untersuchungen

man doch beym Erwach«» zuverläßig weiß, sie weder gesehn noch gehört, ober jemals gedacht zu haben.

Hier ist die Erinnerung im Trau«

me ganz und gar nicht zweifelhaft, sondern vollständig und sicher.

Es ist also die Frage,

wie sich im Traume eine solche Erinnerung er» zeugen kann, da doch gewiß ist, daß wir die erinnerte Ideen, weder auf wirkliche Enipfindungen zurückgeführt haben, noch einmal im Stande gewesen,

sie darauf zurückzuführen,

vorausgesetzt, daß es solche Ideen sind, die niemals wirkliche Empfindungen gewesen. Um diese Frage zu

beantworten,

muß

zuerst bemerkt werden, daß wir im Schlaf« niemals vollständige wirkliche äußre Empfin­ dungen haben ($. in.).

Fehlen uns aber die­

se, so fehlt uns der Grund unsres Bewußt­ seyns, und folglich auch das wirkliche Bewußt« sey» selbst ($.143.).

Den Mangel des wirkli­

chen Bewußtseyns im Schlafe setzt noch außer-

üb« dm Menschen.

343

dem dir Erfahrung selbst außer Zweifel. Denn, hatte» wir das Bewußtseyn bey», Traumen, so rvürden wir wissen, daß wir schliefen und träumten; wüßten wir aber daS, so schliefen und träumten wir wirklich nicht mehr. So bald wir mm ohne äußre Empfindungen und ohne Bewußtseyn unsrer selbst find, so bald wird uns auch unmöglich seyn, wahre Empfindungsideen von bloß eingebildeten, abstra­ hieren oder zusammengesetzten zu unterscheiden, und so bald wir das nicht mehr können, so find wir wie im Traume, und können jedwede Einbildung für «ine Enipfindung

halten

C$.159- 26J.

Vernehmen wir nun im Traume eine Nach­ richt, die «ns als neu mid ungewöhnlich in Verwunderung setzt, und unS also aufmerk­ sam niachk, so werden, eben durch diese Auf­ merksamkeit und Wirkung der Seele, einige mehrere Nrbenidern, welch« mit jener in VerV 4 wandt-

344

Untersuchungen

wandtschast stehen, erregt; weil mm diese für wirkliche Empfindungen gehalten werden, we­ nigstens im Traume eben dieselben Dienste -leisten, so ist die Seele gleich beruhiget, glaubt -die Verbindung einzusehen, und indem diese Entwickelung leicht geschahe, so mußte ihr die Sache nothwendig als bekannt vorkommen; und war so gut als Erinnerung, und vertritt derselben Stelle.

So natürlich es der Seele

ist, daß, im Fall sie gar keine äußre Empfin­ dungen hat, eine jede Einbildung bey ihr eben -das ausrichten müsse,

was sonst mir äußre

Empfindungen ausrichten, eben so natürlich ist es ihr auch, eine jede noch so außerordent­ liche Idee für bekannt anzunehmen, so bald dieselbe nur mit einigen andern in leichter Ver­ bindung steht.

Denn als bekannt nehmen wir

alles an, davon sich der Zusammenhang mit unsren übrigen Ideen leicht übersehen laßt.

über den Menschen.

345

Die Entwickelung des Zusammenhangs der Ideen wird im Traume, wo das rechte Be­ wußtseyn uns fehlt, nicht 4ange fortgesetzt: fo bald wir auf eine Einbildung stoßen, so hört sie auf, weil diese im Traume uns ebendas ist, waS im Wachen die Empfindungen sind. Wir haben zwar sodann keine eigentliche Erin­ nerung, allein die Beruhigung, bey Entwicke­ lung einer Idee bis auf eine Einbildung, thut ebendas, was im Wachen die Entwickelung bis auf eine Empfindung hervorbringt. Eben so wenig als man sich im Traume etwas wirk­ lich erinnert, eben so wenig laßt sich sagen, daß man im Traume wirklich etwas vergessen habe. Spricht man, zum Beyspiele, im Trau­ me mit Verstorbenen eben so als wenn sie leb­ ten, so hat man um deßwillen nicht vergessen, daß diese wirklich gestorben sind, sondern der natürliche Zusammenhang unsrer Ideen führt »ns nur eben itzt nicht auf ihren Tod, wir be-

346

Untersuchungen

ruhigen uns bey der Einbildungsidee, die den Verstorbenen uns lebend itzt vorstellt.

Hierzu

kommt noch, daß die historische Wahrheit un­ srer Idee» niemals anders aufgesucht werden kann,

alS durch Entwickelung derselben bis

ans ihren Ursprung und Quelle, oder absteigend bis auf diejenigen äußren Empfindungen, die unsren gegenwärtigen äußren Zustand ausma­ chen.

Au beyden aber sind wir im Traume un­

fähig ; ohne äußre Empfindungen, gehr unsre Gewahrnehmung von keinem sichern Standorte aus, schwärmt von Idee zu Idee, nach allen Verhältnissen und Verbindungen derselben, oh­ ne jemals einen gewissen nach Absichten be­ stimmten Weg zu halten.

Die gewöhnlichsten

Ideciivcrbindungen sind auch die leichtesten, und diesen Weg nimmt die Aufmerksamkeit im Traume.

Wir finden daher auch,

daß

n'ir mehr von alten gewohnten Verbindungen und unsrem vorigen Zustand, als von Dingen

über den Menschen. und Verbindungen träumen, die

347

UNS

noch

»reu

und ungewohnt sind. Durch alles dieses wird es meines Erach­ tens

hinlänglich

bestätiget,

daß dasjenige,

wodurch die Erinnerung einer Idee in unS er­ zeugt wird, nicht etwas so), das wir an der erinnerten Idee selbst erkennen, so»,der» daß allein di« Entwickelung ihres Zusammenhangs mit

wnklichen Empfindungen,

der wahre

Grund aller Erinnerung sey, und das; wir oh­ ne diese Entwickelung entweder gar keine, oder eine falsche Erinnerung haben. Die Erinnerungskraft ist also die Thä­ tigkeit, oder die Aufmerksamkeit der Seele, wenn sie eine gewisse Idee, nach dem Zusam­ menhange, den sie in Absicht der Folge imt> Gleichzeitigkeit mit andern Ideen hat, entrveder bis auf ihren eigentlichen Ursprung, oder bis auf vergangene gleichzeitige Empfindungen zurück.

348

Untersuchungen

zurückführt.

Um diese Kraft auszuüben, und

Erinnerungen zu erzeugen, braucht in der See­ le weiter nichts angenommen und vorausge­ setzt zu werden, als allein Thätigkeit auf die Dorsiellungsnervcn ihres unmittelbare» Wir­ kungskreises ,

und Gcwahrnehmung der Ge­

genwirkungen dieser Nerven.

Zehnte

über den Menschen.

349

Zehnte Abtheilung. Die Phantasie, und Einbil­ dungskraft. §.

165.

Was ist Phantasie, und Einbildungskraft? stiern, alle Ideen, die bey Gelegenheit oder durch Veranlassung andrer Ideen, ver­ möge der Mitwirksamkeit der Nerven, erweckt weiden, vorher den Wirkungen des Gedächt­ nisses überhaupt sind zugeschrieben worden ($. 103. 151.), so mögen vielleicht andre eben darin den Vegriff der Phantasie überhaupt se­ tzen, und daö ist im Grunde auch gleichviel, wenn man sich nur in Ansehung der Sache selbst versieht. Wenn die Ideen, die auf solche Weise in der Seele erneuert werden, genau eben diesel­ ben

zzr

Untersuchungen

bei sind, tic sie vormals gewesen, so ist das Gedächtniß insbesondre wirksam; und das zu erkennen, und die Ideen eben so wieder zu formm und zu verbinden, wie sie vorher gewesen sind, daS ist das Geschäfte der Erinnerungs­ kraft.

Wenn aber gar nicht darauf gesehen

wird,

ob die so herbey geführte Ideen itzt

eben so beschaffen sind, wie sie ursprünglich ge­ wesen , da wir sie entweder von außen beka­ men, oder sie und selbst anfänglich formten, daS ist, wenn gar nicht auf den Zusammen­ hang der Ideen, den sie durch Gleichzeitigkeit und Folge auf einander bekommen, geachtet, derselbe nicht ausgesucht, und nicht entwickelt wird, so bleibt nichts weiter übrig, als die Mitwirkung der Nerven, nach dem Zusammen­ hange der Uebereinstimmung und Aehnlichkeit mit ihren Untergattungen und Verhältnissen; und die dadurch in uns rrzeugte Ideen, wer­ den

über den Mcnschey.

351

den den Wirkungen der Phantasie überhaupt zugeschrieben. Wenn die den Nerven natürliche Mitwirk­ samkeit in keinem Stücke gehemmt wird, wenn ihr durch keinen vorgeschriebenen Gang, Zwang angethan, und wenn dabey weder auf die vor­ malige Gleichzeitigkeit nach Folge ihrer Wir­ kungen, die geringste Rücksicht genommen wird, so wird eine solche sich gleichsam selbst überlassene Mitwirksamkeit, so bald nur eine gegenwärtige Idee stark genug ist mehr Ner­ ven in Wirksamkeit zu bringen, von selbst eine Menge damit ähnlicher und verhaltnißmaßiger Ideen hervorbringen. AuS diesem Grunde ist auch daö Geschäfte der Phantasie, in so fern ihre Wirksamkeit auf keinen schwer zu beobach­ tenden Gang eingeschränkt wird» im gering­ ste» nicht ermüdend, und greift, wenn nicht zugleich starke Gefühle dadurch erregt werden, die Nerven fast gar nicht an.

Ein Mensch mit

352

Untersuchungen

mit einer nicht gar jti dürftige» Phantasie, füim sich Stundenlang mit Eiiibildnngni be­ schäftigen, ohne davon halb so ermüdet z.i werbett, als ein andrer, der mir kurze Zeit seine Erinnerungskraft im Gange erhalten, und sich mit eigentlichen Gcdachtnisiideen beschäftiget hat. Die Phantasie bedarf nur geringer Ver­ anlassungen , um wirksam zu werden; ein Wort kann sie schon in Gang bringen, und es ist leicht, gewisse Dinge mit Absicht in die Phan­ tasie eineä Andren z» bringen, wenn man mit gewisseLt't'ii in ihm zu erregen weiß, die na­ türlicher Weise solche Dinge näher oder ent­ fernter zur Nebenidee haben. Die Phantasie geht dann schon ihren Gang allein fort. Es können also hiernach alle Ideen in uns, die allein durch die Mitwirksamkeit erweckt werden, in Ideen des Gedächtnisses insonder­ heit, und in Ideen der Phantasie Überhaupt eingetheilt werden. Beyde Gattungen sind in io

über

dm

Menschen.

353

so fern leidende Ideen, als sie allein anf diese Weise hervorgebracht werden.

Die Thätig­

keit der Seele aber, oder die Aufmerksamkeit und Apperception, machen aus den ersten, Zdeen der Erinnerungskraft, und au- den letzten, Ideen der Einbildungskraft. Wenn die Seele auf die Wirkungen der Phantasie überhaupt aufmerksam ist, das ist, wenn sie dem Zusammenhange, der in dm Vorstellungsnerven durch die Verhältnisse der Uebereinstimmung »nd Aehnlichkeit ihrer Wir­ kungen hervorgebracht ist, nachgeht, ihn auf­ sucht, und sich dadurch Ideen nach aller Art der Verwandtschaft und der Verhältnisse ver« schaft, so ist es die Einbildungskraft in weitrer Bedeutung, die sich wirksam erzeigt. Wenn aber nicht alle und jede Uebereinstim­ mungen und Verhältnisse der Ideen, der Ge­ genstand ihrer Aufmerksamkeit und Thätigkeit sind, sondem wenn dieselbe nur allein bey dm Lrvand.

I

an»

3t4

Untersuchungen

anschauenden und sinnlichen Uebereinstimmun­ gen und Verhältnisse» der Ideen bleibt, sc ist cd die Einbildungskraft in engerer vedcmmi§. Diese hat es also vornehmlich nur mit Enipsti dungsideen, und solchen, die zunächst daraus hergeleitet sind, zuthun. Da auch alle Ueber­ einstimmungen, Aehnlichkeiten und Verhaltnisse in ihrem ersten Ursprünge anschauend, nnd sinnlich sind, so verdient die Einbildungs­ kraft im leime» Verstände mit Recht, zuerst in Betrachtung gezogen zu werden. Die Erinnerungskraft ist darin von der Einbildungskraft ganz verschieden, daß sic sich an keine Uebereinstiinmungen und Aehnlichkeiren der Ideen kehrt; sie nimmt den weit schwe­ reren Weg, den die Folge der Ideen, und derselben Gleichzeitigkeit vorschreibt, und sucht den Ursprung derselben, Zeit, £tt, und Um­ stände auf. Die Verhältnisse der Uebereinstim­ mung

über den Menschen.

355

mutig würden sie mir verführen, und von ih­ rem Endzwecke ableite». So sehr aber auch be»te in ihren Absichten und Wirkungen ver­ schieden sind, so freundschaftlich bieten sie sich doch oft einander die Hand, und hcljpn sich wechselöweise ihr Geschäfte erleichtern. Die Seele ist selten, so lange wir wachen und äußre Empfindungen haben, allein auf daS lieberem* stimmige in ihren Ideen aufmerksam; fast im­ mer zugleich entwickelt sic und vergleicht ihre gegenwärtige Ideen mit den vergangenen, und entdeckt dadurch an jenen noch mehr Ver­ hältnis; so wie sie fiel) im Gegentheil beym Bestimm, der Ideenverbinduiigeii, welche die Phantasie ihr anbietet, gern bedient, um da­ durch desto leichter aus die gesuchten Gedächt«nßidee» zu kommen.

356

Untersuchungen §. 166.

Don einigen allgemeinen Peicbaffenheiten der Ideen der Einbildungskraft insbesondre, und den £tn> Aussen der Phantasie.

Ideen der Einbildungskraft überhaupt, sind