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German Pages 130 [148] Year 1900
Entscheidungen des
Gber-Seeamts und der Seeämter des
Deutschen Reichs. herausgegeben im
Reichsamt des Innern.
Zwölfter Band. Best 5.
Hamburg. Druck und Verlag von £. Friedericbsen & Co. 1899.
Inhalt Seite
tot- Spruch des Seeamts zu Brake vom i. December 1897, betreffend den Seeunfall der Schoonergaliote „Gebrüder" von Barssel............................................................................. 665
J02. Spruch des Seeamts zu Stettin vom 5. December 1897, betreffend den Seeunfall des Schraubendampfers „Albert Koppen" von Stettin............................................................. 671 103. Spruch des Seeamts zu Bremerhaven vom
December 1897, betreffend den See
unfall des Schraubendampfers „Marie Elisabeth" von Bremen..................................... 675 104. Spruch des Seeamts zu Flensburg vom 4. December 1897, betreffend den Zusammen stoß der Vergnügungs-Jachten „Isolde" und „Meteor" von Kiel mit den britischen
Jachten „Britannia" und „Saint" auf der Rhede von Spithead................................... 676 105. Spruch des Seeamts zu Hamburg vom 2^. August 1897 und Entscheidung des Kaiserlichen
Ober-Seeamts vom 7. December 1897, betreffend den Kohlenmangel an Bord des Schraubendampfers „Athen" von Hamburg....................................................................... 685 106. Spruch des Seeamts zu Flensburg vom 31. Mai (897 und Entscheidung des Kaiserlichen Gber-Seeamts vom 8. December 1897, betreffend den Zusammenstoß des Schrauben dampfers „Fiducia" von Flensburg mit der norwegischen Bark „Gimle" in der Ostsee 706
107. Spruch des Seeamts zu Flensburg vom 29. Mai 1897 und Entscheidung des Kaiserlichen Ober-Seeamts vom 9. December 1897, betreffend den Seeunfall der Bark „Schiffswerft"
von Flensburg.........................................................................................................
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108. Spruch des Seeamts zu Bremerhaven vom 10. December I897, betreffend den See
unfall des Schraubendampfers „Darmstadt" von Bremen..............................................
722
109. Spruch des Seeamts zu Hamburg vom 10. December 1897, betreffend den Seeunfall des Schraubendamxfers „Arcadia" von Hamburg............................................................
725
HO. Spruch des Seeamts zu Danzig vom 30. December 1897, betreffend den Seeunfall
der Jacht „Johanna" von Danzig......................................................................................... 733 Ul Spruch des Seeamts zu Brake vom 5. Januar 1898, betreffend den Seeunfall des Fischdampfers „Bremen" von Bremerhaven....................................................................... 755
112. Spruch des Seeamts zu Hamburg vom 22. Januar 1898, betreffend den Seeunfall des Schraubendampfers „Catania" von Hamburg............................................................ 738 (Fortsetzung folgt auf der dritten Seite des Umschlags).
M.
vom
Spruch des Seeamts zu Brake
\» December 189?,
betreffend
den
Seeunfall
der
Schoonergaliote „Gebrüder" von Barssel. Der Spruch des Seeamts lautet: Die Schoonergaliote „Gebrüder" ist am JO. Mai J896 auf den Staalgründen, nördlich von der Insel Laaland, an Grund gekommen. Die Schuld trifft den Schiffer Johann Deters, der ohne im Besitz einer Segelanweisung zu sein, ohne die vorhandene Seekarte gehörig zu benutzen und ohne ju lothen das Schiff in der fahrlässigsten Weise versegelt hat. Es wird ihn, daher die Befugniß zur Ausübung seines Gewerbes als Schiffer entzogen. — Es ist zu tadeln, daß die Iournalführung gerade über den Tag des Unfalls außerordentlich ungenau und flüchtig gewesen ist. Gründe. Die Schoonergaliote „Gebrüder", Heimathshafen Barssel, Unterscheidungs-Signal vermessen zu einem NettoRaumgehalte von 287,4 cbm — sOs,4s britischen Register-Tons, im Jahre 1878 aus Holz erbaut, steht im Eigenthun, der Brüder Johann und Heinrich Deters, die beide ein Zeugniß als Schiffer auf europäischer Fahrt haben. Sie wechselten alljährlich in der Meise um, daß jeder von ihnen ein Jahr um das andere als Schiffer, und im andern Jahre als Steuermann fungirte. Im Jahre 1896 war Johann Deters Schiffer und Heinrich Deters Steuermann. Am 28. April f896 segelte der Schooner mit einer Ladung Eisenvitriol von Bremen nach Norrköping ab. Der Tiefgang des Fahrzeugs betrug hinten 9’/« Fuß und vorne 9 Fuß, die Auswässerung 16 Zoll. Die Fahrt ging durch den Kaiser Wilhelm-Aanal. Am 9. Mai wurde die Reise unter Segeln von Holtenau bei stillem Wetter und veränderlichem Winde fortgesetzt. Der Schiffer hatte sich nach Rücksprache mit seinem Bruder entschlossen, durch Langelands-Belt und dann nördlich von Laaland hin in die Ostsee zu steuern; angeblich weil er wegen Südwind nicht südlich von Laaland hinsegeln konnte. Er kannte diese Fahrt so gut wie garnicht, da er nur vor langen
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Schoonergaliote Gebrüder.
Jahren sie einmal als Steuermann gemacht hatte; seinem Bruder war die Gegend ganz unbekannt. Die Aufzeichnungen im Journal über die jetzt folgenden Vorfälle lauten:
„Segelten den Laaland-Belt durch. Den sO. Nachmittags 2 Uhr lief das Schiff, wo Vst gesteuert wurde, an Grund, untersuchten den Tompaß und fanden p/s Strich Deviation, stilles Weiter und ruhiges Wasser; setzten die Boote über Bord, und brachten mit unserer eigenen Mannschaft Anker mit ungefähr sw Faden Leine aus und warfen ungefähr sbis 2 Tons Ladung über Bord, wo das Schiff dann um 7 Uhr Abends flott wurde und ankerten in 5 Faden wassertiefe, peilten die Pumpen und fanden dichtes Schiff, Windstille, blieben bis den s s. Mittags an Anker .....". Aus der vor dem Gericht in Norrköping abgelegten Verklarung ist noch hervorzuheben, daß Schiffer Deters und der Matrose pacht an Deck gewesen sind als das Schiff auf den Grund stieß. Die beiden Lompaffe sind zuletzt vor ein und zwei Jahren regulirt worden. Deters sagt aus, man habe beim Angrundkommen das Land sehen, aber des unklaren Wetters wegen nicht erkennen können, wie nahe sie dem Lande, und welches Land es gewesen sei. Eine Lothung habe aber vor der Strandung nicht stattgefunden. Er selbst sei vollständig nüchtern gewesen zur Zeit des Grundstoßens; letzteres ist von den beiden Matrosen und dem Koch eidlich bestätigt worden. Auf Grund dieses Thatbestandes erachtete der Vorsitzende des Seeamts die Ein leitung der Untersuchung, in Uebereinstimmung mit dem Reichscommissar, nicht für angebracht. Im November s896 wurde dem Seeamte durch das Auswärtige Amt in Berlin eine von dänischen Zollbeamten und Lootsen an den deutschen Gesandten in Kopenhagen gerichtete Eingabe übersandt, aus der hervorging, daß sowohl Schiffer als auch der Steuermann am Tage des Festkommens in den Staalgründen in Folge des Genusses spirituöser Getränke unzurechnungsfähig gewesen seien. Es wurde jetzt die Einleitung der seeamtlichen Untersuchung verfügt. Sowohl die Besatzung von: Schiffe „Gebrüder", als auch die sämmtlichen dänischen Zollbeamten und Lootsen, die etwas aussagen konnten, sind, soweit zulässig, eidlich vernommen worden. Folgendes ist hieraus als wesentlich hervorzuheben: Schiffer Deters: Er habe sich nach einer neuen schwedischen Karte gerichtet; eine Segelanweisung habe er dagegen nicht gehabt.
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Schoonergaliote Gebrüder.
Er habe zuletzt um 8 Uhr Morgens gelothet.
er
die
Mache
Um \2 Uhr habe
An Steuerbordseite
übernommen.
gesehen, es aber nicht ausmachen können.
habe
er
Land
Er sei nicht betrunken
gewesen, sondern habe vorne auf dem Deck gesessen und sich mit der Lüftung und Reinigung seines Anzugs und seines Bettes beschäftigt. Nach dem Ausstößen des Schiffes
habe er sofort befohlen: Segel
herunterholen — und weitere Anordnungen gegeben.
Ein dänischer
Lootse sei erst nach etwa 2 Stunden an Bord gekommen; er habe sich mit ihm aber, da er ihn nicht verstanden habe, nur wenig unter
Sie hätten mit ihrer eigenen Mannschaft das Schiff allein
halten.
abgebracht.
Im Eompasse hätten sie später eine Anzahl Nähnadeln
gefunden; er wisse nicht, wie diese Nadeln dorthin gekommen seien.
Steuermann Deters: Als er nach dem Ausstößen des Schiffes an Deck gekomnien sei, habe er den Schiffer zunächst nicht gesehen. So habe er selbständig seine Befehle ertheilt, und erst nach einiger
Zeit sei der Schiffer
vom
Vordeck gekommen und
habe gerufen:
Segel herunterholen. Mit dem Lootsen habe er, und nicht der Schiffer verhandelt, und er habe ihm für Hülfeleistung nichts versprochen.
Er habe zur Zeit des Grundstoßens am
Matrose Pacht:
Ruder gestanden.
Zu dieser Zeit seien weder der Schiffer noch der
Steuermann betrunken gewesen; wohl aber am Abend.
hätten
sich,
allerdings
mit fjülfc
des
Sie selbst
Lootsen und eines andern
Mannes, durch Ankermanöver losgehievt.
Aoch Leibnitz: Der Schiffer sei nach dem Angrundkommen auf dem Deck herumgelaufen und habe gerufen: „(D Gott, o Gott, das Schiff sitzt fest!"
— Zunächst fei auf dem Schiffe garnichts
geschehen, um dasselbe wieder abzubringen. Als die Dänen zum Schiffe gekommen, sei nach Angabe des
Lootsen der Anker nach
vorne ausgebracht.
Mährend
dann auf
Befehl des Steuermanns von der Ladung geworfen sei, habe der
Schiffer in der Kajüte gesessen, auf den Steuermann geschimpft und
sich auf Deck nicht sehen lassen.
Der Schiffer habe zu dieser Zeit
den Eindruck eines Betrunkenen gemacht; auch früher sei er an Bord wiederholt betrunken gewesen.
Der Steuermann, der später auch den Eindruck, als ob er betrunken sei, gemacht habe, habe behauptet: im Lompaß lägen Nadeln, die
den Unfall veranlaßt hätten.
Trotz sorgfältiger Untersuchung hätten
sie aber keine finden können.
Er habe nicht gehört, daß der Schiffer
irgend etwas, insbesondere: Segel herunterholen, commandirt habe. Die
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in
Dänemark
eidlich
vernommenen
Zeugen
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Schoonergaliote Gebrüder.
bekunden übereinstimmend Folgendes: An dem betreffenden Tage sei es schönes, klares Wetter gewesen, mit frischer Aühlte aus Nord oder NNW und mäßigem Seegange. Auf dem Lootsenausguckthurm auf Raagö habe man den falschen Turs des Schiffes schon vorher erkannt. Als man etwa eine Stunde nach dem Festsitzen an Bord gekommen sei, sei der Schiffer vollständig, und der Steuermann stark betrunken gewesen; beide hätten stark nach Schnaps gerochen. Die Strandungs stelle liege nördlich von Raagö und Faejö, südlich (etwa */$ Weile) von Vejrö; es ständen dort 8—(0 Fuß Wasser. Wan habe schon einen Anker ausgebracht gehabt, aber in verkehrter Richtung, sodaß das Schiff durch Einhieven noch höher hinauf auf -en Grund gerathen wäre. — Das Lothen fei hier beim Ansegeln des Staaltiefs unbedingt nöthig. Landmarken und Bojen befänden sich dort nicht, aber wohl 3 Baken; ( Anweisungsbake mit 3 Besen, und 2 einfache Baken zur Bezeichnung des Fahrwassers. — Als mit ihrer Hülfe das Schiff flott geworden sei, habe der Schiffer geäußert: er hätte es lieber gesehen, wenn das Schiff da geblieben wäre, wo es sei. — Zu einem festen Akkord über die Vergütung für die Hülfeleistung sei es nicht gekommen, und zwar deshalb nicht, weil der Steuermann a/s davon für sich persönlich hätte haben wollen. Aus der Verhandlung vor dem Seeamt ist noch hervorzuheben, daß der Schiffer angegeben hat, er hätte kur; nach \2 Uhr gelothet, den Turs auf Vst abgesetzt und dem Rudersmann gesagt, er solle Gst steuern; die Wittagsbreite sei nicht genommen worden. Ob er nach der Strandung betrunken gewesen sei, wisse er jetzt nicht mehr. Der Steuermann hat erklärt, er habe bis \2 Uhr ONG gesteuert und uni \2 Uhr H Faden Wasser gelothet; auch an Backbordseite eine Schwimmbake gesehen. Er habe die Absicht gehabt, nördlich von der Insel Vejrö, die er GNG vor sich gehabt, zu segeln und dies auch mit seinem Bruder besprochen. Im Jahre s887 ist gegen den Schiffer und Steuermann wegen der Strandung des Schiffes „Gebrüder" im Aattegat beim Seeamte Brake und Gber-Seeamte verhandelt worden (vergl. Tntsch. des Gber-Seeamts und der Seeämter Bd. 7 S. 663 ff.). Der Spruch des Seeamts, durch welchen dem Schiffer Deters fein Patent entzogen war, ist von: Gber-Seeamt aufgehoben, und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Seeamt zurück verwiesen worden. Durch rechtskräftigen Spruch des Seeamts ist ihm sein Patent belassen. Es heißt hier u. 21.: „Es scheint daher, als wenn der Schiffer Ioh. Deters sich im
Schoonergaliote Gebrüder.
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Kattegat bei gutem IDetter und am Hellen Tage in höchst verwerflicher IDeise zu ficher gefühlt und dadurch die Strandung herbeigeführt hat, während er einer schwierigen Situation bei Aufwendung der nöthigen Aufmerksamkeit und Sorgfalt wohl gewachsen ist". Dom Reichscommissar ist beantragt worden, dem Schiffer Ioh. Deters die Befugniß zur Ausübung seines Gewerbes zu entziehen.
Am Tage des Angrundkommens war schönes, ruhiges und, wie aus den Aussagen der dänischen Zeugen hervorgeht, sichtiges IDetter. Das Seeamt ist deshalb der Ansicht, daß, wenn die zu Gebote stehenden Hülfsmittel gehörig benutzt worden, das Schiff nicht festgekommen wäre. Dies Festkommen ist während der Wache des Schiffers erfolgt und dieser daher auch dafür verantwortlich. Es kann dahingestellt bleiben, ob es wegen widriger Winde unmöglich war, südlich von Laaland durch den Fehmarn-Belt zu segeln. Jedenfalls ist die Fahrt nördlich von Laaland, wie ein Blick auf die Karte zeigt, die auch in einem neuen Exemplar auf dem Schiffe war, nicht so einfach und ungefährlich wie die andere südlich von Laaland. Da sich nun ferner auf dem Schiffe eine Segelanweisung nicht befand, so hätte unter allen Umständen eine sorgfältige Benutzung der Karte stattfinden müssen. Die Fahrt durch Langelands-Belt bot ja noch keine besonderen Schwierigkeiten. Destomehr Aufmerksamkeit erforderte aber die Fahrt, als der Lurs östlich oder ostnordöstlich genommen wurde. Es hat sich nicht genau feststellen lassen, wann und wo die Tursänderung stattgefunden hat. Der Steuermann sagt, er habe bis [2 Uhr (DIKD auf die Insel Dejrö zugesteuert; und der Schiffer: er habe dem Rudersmann befohlen, (Dft zu steuern. Dabei ist, wenn überhaupt — denn die Aussagen des Schiffers lauteten zu verschiedenen Zeiten verschieden — so doch ganz ungenügend gelothet worden. Der Dersuch, durch Nehmen der INittagsbreite den Schiffsort festzustellen, ist überhaupt nicht gemacht worden. Nach Bojen und Baken hat man nicht ausgeschaut, und auch die angeblich kurz nach \2 Uhr an Backbordseite passirte Schwimmbake unbeachtet gelassen. Don einer Uebergabe der Wache um \2 Uhr ist keine Rede gewesen. Und endlich ist es kaum glaublich, daß der Schiffer seine Pflichten als Wachhabender gehörig erfüllt hat. Was er vorne auf dem Schiffe gemacht hat, steht nicht fest. Der Steuermann will noch
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Schoonergaliote Gebrüder.
geraume Zeit nach dem Angrundkommen nichts von ihm gesehen haben.