Entscheidungen der Verfassungsgerichte der Länder (LVerfGE). Band 3 Berlin, Brandenburg, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Saarland, Sachsen-Anhalt, Thüringen: 1.1. bis 31.12.1995 9783110890471, 9783110155907


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German Pages 306 [308] Year 1997

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Inhalt
Abkürzungsverzeichnis
Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs des Landes Berlin
Nr. 1 11.1.95 Verfassungsbeschwerde gegen zivilrechtliches VerfGH 81/94 Urteil; Substantiierungspflicht bei der Rüge einer Verletzung des rechtlichen Gehörs; zum Gleichheitsgrundsatz in der Ausprägung als Willkürverbot
Nr. 2 23. 1.95 Verfassungsbeschwerde gegen Änderung des VerfGH 5/95 Wahlrechts an den Hochschulen
Nr. 3 8.2.95 Prozeßkostenhilfe; Rechtsschutzgleichheit; VerfGH 104/94 Wohnberechtigungsschein; Gleichbehandlung von homosexuellen Lebensgemeinschaften
Nr. 4 9. 2. 95 Antrag der Bezirke auf Erlaß einer einstweiligen VerfGH 14 A/95 Anordnung gegen das Gesetz über die Neuorganisation der Schulaufsicht und die Errichtung eines Landesschulamtes
Nr. 5 15. 3. 95 Öffentlichkeitsarbeit des Senats von Berlin vor VerfGH 12 A/95 der Volksabstimmung über die Fusion der Bundesländer Berlin und Brandenburg; hier: Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz; Interessenabwägung
Nr. 6 15.3.95 Entscheidung über Ablehnungsgesuch gegen VerfGH 65/94 Richter des VerfGH; Belehrungsschreiben kein Ablehnungsgrund
Nr. 7 10. 5. 95 VerfGH 14/95 Normenkontrolle der Zuständigkeitsabgrenzung; Neuorganisation der Schulaufsicht; Errichtung eines Landesschulamtes; Verwaltungsaufgabe von „gesamtstädtischer Bedeutung“; Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers
Nr. 8 21.6.95 VerfGH 73/94 Überprüfung einer zivilrechtlichen Entscheidung; Verletzung des Grundrechts auf rechtliches Gehör durch fehlerhafte Anwendung von Präklusionsvorschriften
Nr. 9 16. 8. 95 VerfGH 1/95 Streichung des Buß- und Bettages als gesetzlicher Feiertag; Freiheit der Religionsausübung
Nr. 10 16. 8. 95 VerfGH 7/95 Verfassungsbeschwerde der Studentenschaft gegen Änderung des Wahlrechts an den Hochschulen; Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen des öffentlichen Rechts
Nr. 11 16.8.95 VerfGH 27/94 Generalpräventiv motivierte Ausweisung; Einstellung des Strafverfahrens wegen Geringfügigkeit; Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
Nr. 12 16. 8. 95 VerfGH 30/95 Verfassungsbeschwerde gegen Versagung der Prozeßkostenhilfe zur Ermöglichung einer Teilnahme der Nebenklägerin an der Hauptverhandlung; Prüfungsmaßstab gegenüber Entscheidungen der Fachgerichte; rechtliches Gehör
Nr. 13 29. 8. 95 VerfGH 34/95 Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz; Beginn der Jahresfrist mit dem formellen Inkrafttreten der Norm
Nr. 14 29. 8. 95 VerfGH 147/93 Pflicht des Grundstückseigentümers zur Duldung von Abfallbehältern; keine Verletzung der Eigentumsgarantie
Nr. 15 21.9.95 VerfGH 12/95 Organstreitverfahren einer politischen Partei gegen die Öffentlichkeitsarbeit des Senats von Berlin vor der Volksabstimmung über die Fusion der Bundesländer Berlin und Brandenburg; zum Grundsatz der Chancengleichheit
Nr. 16 21.9.95 VerfGH 36/95 Überprüfung einer zivilrechtlichen Entscheidung; Verletzung des Grundrechts auf rechtliches Gehör durch fehlerhafte Anwendung von Präklusionsvorschriften
Nr. 17 21.9.95 VerfGH 37/95; 39/95 Verfassungsbeschwerde und Organstreitverfahren gegen Unterlassung des Gesetzgebers auf dem Gebiet des Wahlrechts
Nr. 18 21.9.95 VerfGH 46/95 Zur Geltung der Unschuldsvermutung; keine Rügefähigkeit subjektiver Rechte des Bundesrechts vor dem VerfGH; Rechtsstaatsprinzip kein individuelles subjektives Recht
Nr. 19 19.10. 95 VerfGH 23/95 Verletzung des Grundrechts auf den gesetzlichen Richter durch Nichteinholung eines Rechtsentscheids; Wohnungskündigung wegen Zahlungsunpünktlichkeit des Mieters
Nr. 20 19. 10. 95 VerfGH 64/95 Prüfungskompetenz des VerfGH; inzidente Kontrolle bundesrechtlicher Bestimmungen; Grundrecht auf Gleichbehandlung; Tätigkeit von Rechtsanwälten im Beitrittsgebiet; Gebührenrecht
Nr. 21 16. 11.95 VerfGH 72 A/95 Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel, bei der Ermittlung des Ergebnisses der Wahlen zum Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksverordnetenversammlungen die 5-Prozent- Sperrklausel außer acht zu lassen
Nr. 22 16. 11.95 VerfGH 48/94 Ordnungswidrigkeitsverfahren; Wiedereinsetzung; rechtliches Gehör
Nr. 23 21. 11.95 VerfGH 32/95 Verfassungsbeschwerde gegen Entscheidung des OVG im vorläufigen Rechtsschutzverfahren; Beschwerdebegründung nicht „umgehend" eingereicht; rechtliches Gehör
Entscheidungen des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg
Nr. 1 19.1.95 VfGBbg 9/94 Zum Grundrecht auf ein zügiges Verfahren vor Gericht gem. Art. 52 Abs. 4 LV
Nr. 2 16. 3. 95 VfGBbg 12/94, 12/94 EA Zur Festsetzung des Gegenstandswertes nach § 113 Abs. 2 Satz 3 BRAGO bei einer Vielzahl von Beschwerdeführern; Gegenstandswert im Verfahren auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung
Nr. 3 16. 3. 95 VfGBbg 4/95 EA Geltung der wesentlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen des Hauptsacheverfahrens bereits im Verfahren auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung beim Organstreitverfahren; Beteiligtenfähigkeit einer politischen Partei
Nr. 4 20. 4. 95 VfGBbg 11/94 Zur Frage einer Grundrechtsbeeinträchtigung durch Ausführungen in der Begründung einer fachgerichtlichen Entscheidung
Nr. 5 31.5.95 VfGBbg 4/95 Hilfsweise Erhebung einer Verfassungsbeschwerde durch eine politische Partei bei Unzulässigkeit eines Organstreitverfahrens; Zuständigkeitsabgrenzung Verfassungsgericht/V erwaltungsgericht bei Beanstandungen von Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit
Nr. 6 1. 6. 95 VfGBbg 6/95 Auflösung einer Gemeinde durch ihre Inanspruchnahme in einem Braunkohlenplan („Horno“)
Nr. 7 17. 8. 95 VfGBbg 7/94 Teilweise Auslagenerstattung gem. § 32 Abs. 7 Satz 2 VerfGGBbg
Nr. 8 21. 8. 95 VfGBbg 8/95 Begründungsanforderungen bei Erhebung einer Verfassungsbeschwerde; Art. 52 Abs. 4 LV bei Zurückweisung einer Richterablehnung?
Nr. 9 12.10. 95 VfGBbg 14/95 Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde bei der Möglichkeit des Richterablehnungsverfahrens gem. §§ 24 ff. StPO
Nr. 10 12. 10. 95 VfGBbg 3/95 Fristwahrung bei Eingang beim Verwaltungsgericht Potsdam; „Wahlalter“ bei einer Volksinitiative
Nr. 11 12.10.95 VfGBbg 7/94 Gesichtspunkte für die Bemessung des Gegenstandswertes bei einer Verfassungsbeschwerde
Nr. 12 16.11.95 VfGBbg 15/95 Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde in Grundbuchsachen, wenn die Möglichkeit einer Grundbuchberichtigungsklage besteht
Entscheidungen des Hamburgischen Verfassungsgerichts
Nr. 1 1.3.95 HVerfG 2/95 Voraussetzungen der einstweiligen Anordnung; Folgenabwägung bei einem Streit zwischen dem Senat und einem Parlamentarischen Untersuchungsausschuß über die Herausgabe von Akten mit personenbezogenen Hinweisen
Nr. 2 19. 7. 95 HVerfG 1/95 Rechtsweg bei Streitigkeiten zwischen Bürgerschaft und Senat über das Recht und die Pflicht zur Vorlage von Akten an einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuß und das Recht des Untersuchungsauschusses zur öffentlichen Verhandlung von Akten und Aktenteilen; Rechtsgrundlage für den Anspruch eines Parlamentarischen Untersuchungsauschusses auf Vorlage von Akten; Begrenzung des Anspruchs der Bürgerschaft und ihrer Ausschüsse auf Aktenvorlage und öffentliche Verhandlung von Akten durch das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung
Nr. 3 20. 3. 95 HVerfG 3/95 Anforderungen an das parteiinterne Verfahren bei der Wahl der Bewerber für Bezirkswahlvorschläge; Voraussetzungen für das Vorliegen eines Wahlfehlers in denjenigen Bereichen, in denen insbesondere Parteien maßgeblichen Einfluß auf die Rechtsanwendung durch Wahlorgane ausüben
Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes
Nr. 1 9.6.95 Lv 6/94 Recht auf Arbeit
Nr. 2 13. 10. 95 Lv 1/95 Wahlanfechtung bei Verletzung von Parteistatuten
Entscheidungen des Landesverfassungsgerichts Sachsen-Anhalt
Nr. 1 4.7.95 LVG 8/95 Einstweilige Anordnung, Prüfungsumfang; Öffentlichkeitsarbeit einer Landesregierung und parteipolitisches Neutralitätsgebot
Nr. 2 22. 2. 96 LVG 8/95 Organstreitverfahren, Öffentlichkeitsarbeit einer Landesregierung und parteipolitisches Neutralitätsgebot
Sachregister
Gesetzesregister
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Entscheidungen der Verfassungsgerichte der Länder (LVerfGE). Band 3 Berlin, Brandenburg, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Saarland, Sachsen-Anhalt, Thüringen: 1.1. bis 31.12.1995
 9783110890471, 9783110155907

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Entscheidungen der Verfassungsgerichte der Länder Berlin, Brandenburg, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Saarland, Sachsen-Anhalt, Thüringen

Entscheidungen der Verfassungsgerichte der Länder Berlin, Brandenburg, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Saarland, Sachsen-Anhalt, Thüringen

Herausgegeben von den Mitgliedern der Gerichte

w G DE

1997

Walter de Gruyter · Berlin · N e w York

Entscheidungen der Verfassungsgerichte der Länder Berlin, Brandenburg, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Saarland, Sachsen-Anhalt, Thüringen LVerfGE 3. Band 1. 1. bis 31. 12. 1995

w DE

G 1997

Walter de Gruyter · Berlin · New York

Zitierweise Für die Zitierung dieser Sammlung wird die Abkürzung LVerfGE empfohlen, ζ. B. LVerfGE 1,70 (= Band 1 Seite 70)

© Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.

Die Deutsche Bibliothek -

CIP-Einheitsaufnahme

Entscheidungen der Verfassungsgerichte der Länder Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Thüringen = LVerfGE / hrsg. von den Mitgliedern der Gerichte. Berlin ; N e w York : de Gruyter Teilw. u.d.T.: Entscheidungen der Verfassungsgerichte der Länder Berlin, Brandenburg, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Saarland, Sachsen-Anhalt, Thüringen Bd. 3. 1.1. bis 31.12.1995. - 1997 ISBN 3-11-015590-7 Gewebe

© Copyright 1997 by Walter de Gruyter & Co., D-10785 Berlin. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Satz: Satz-Rechenzentrum Berlin. Druck: H. Heenemann GmbH & Co, Berlin. Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & Bauer-GmbH, Berlin.

Inhalt Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs des Landes Berlin Nr.

1

11.1.95 VerfGH 81/94

Seite

Verfassungsbeschwerde gegen zivilrechtliches Urteil; Substantiierungspflicht bei der Rüge einer Verletzung des rechtlichen Gehörs; zum Gleichheitsgrundsatz in der Ausprägung als Willkürverbot

3

Nr. 2

23. 1.95 VerfGH 5/95

Verfassungsbeschwerde gegen Änderung des Wahlrechts an den Hochschulen

8

Nr. 3

8.2.95 VerfGH 104/94

Prozeßkostenhilfe; Rechtsschutzgleichheit; Wohnberechtigungsschein; Gleichbehandlung von homosexuellen Lebensgemeinschaften . . . .

10

9. 2. 95 Antrag der Bezirke auf Erlaß einer einstweiligen VerfGH 14 A/95 Anordnung gegen das Gesetz über die Neuorganisation der Schulaufsicht und die Errichtung eines Landesschulamtes

16

15. 3. 95 Öffentlichkeitsarbeit des Senats von Berlin vor VerfGH 12 A/95 der Volksabstimmung über die Fusion der Bundesländer Berlin und Brandenburg; hier: Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz; Interessenabwägung

21

Nr. 4

Nr. 5

Nr. 6

Nr.

7

Nr. 8

15.3.95 VerfGH 65/94 10. 5. 95 VerfGH 14/95

21.6.95 VerfGH 73/94

Entscheidung über Ablehnungsgesuch gegen Richter des VerfGH; Belehrungsschreiben kein Ablehnungsgrund

27

Normenkontrolle der Zuständigkeitsabgrenzung; Neuorganisation der Schulaufsicht; Errichtung eines Landesschulamtes; Verwaltungsaufgabe von „gesamtstädtischer Bedeutung"; Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers

28

Uberprüfung einer zivilrechtlichen Entscheidung; Verletzung des Grundrechts auf rechtliches Gehör durch fehlerhafte Anwendung von Präklusions Vorschriften

38

Inhalt Nr. 9 Nr. 10

Nr. 11

Nr. 12

Nr. 13

Nr. 14

Nr. 15

Nr. 16

Nr. 17

Nr. 18

Nr. 19

16. 8. 95 VerfGH 1/95

Streichung des Büß- und Bettages als gesetzlicher Feiertag; Freiheit der Religionsausübung . .

43

16. 8. 95 VerfGH 7/95

Verfassungsbeschwerde der Studentenschaft gegen Änderung des Wahlrechts an den Hochschulen; Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen des öffentlichen Rechts

47

generalpräventiv motivierte Ausweisung; Einstellung des Strafverfahrens wegen Geringfügigkeit; Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

50

Verfassungsbeschwerde gegen Versagung der Prozeßkostenhilfe zur Ermöglichung einer Teilnahme der Nebenklägerin an der Hauptverhandlung; Prüfungsmaßstab gegenüber Entscheidungen der Fachgerichte; rechtliches Gehör

62

Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz; Beginn der Jahresfrist mit dem formellen Inkrafttreten der Norm

66

Pflicht des Grundstückseigentümers zur Duldung von Abfallbehältern; keine Verletzung der Eigentumsgarantie

72

Organstreitverfahren einer politischen Partei gegen die Öffentlichkeitsarbeit des Senats von Berlin vor der Volksabstimmung über die Fusion der Bundesländer Berlin und Brandenburg; zum Grundsatz der Chancengleichheit

75

Uberprüfung einer zivilrechtlichen Entscheidung; Verletzung des Grundrechts auf rechtliches Gehör durch fehlerhafte Anwendung von Präklusionsvorschriften

83

21.9.95 VerfGH 37/95 39/95

Verfassungsbeschwerde und Organstreitverfahren gegen Unterlassung des Gesetzgebers auf dem Gebiet des Wahlrechts

86

21.9.95 VerfGH 46/95

Zur Geltung der Unschuldsvermutung; keine Rügefähigkeit subjektiver Rechte des Bundesrechts vor dem VerfGH; Rechtsstaatsprinzip kein individuelles subjektives Recht

96

Verletzung des Grundrechts auf den gesetzlichen Richter durch Nichteinholung eines Rechtsentscheids; Wohnungskündigung wegen Zahlungsunpünktlichkeit des Mieters

99

16.8.95 VerfGH 27/94 16. 8. 95 VerfGH 30/95

29. 8. 95 VerfGH 34/95 29. 8. 95 VerfGH 147/93 21.9.95 VerfGH 12/95

21.9.95 VerfGH 36/95

19.10. 95 VerfGH 23/95

VII

Inhalt Nr. 20

Nr. 21

Nr. 22 Nr. 23

19. 10. 95 VerfGH 64/95

Prüfungskompetenz des VerfGH; inzidente Kontrolle bundesrechtlicher Bestimmungen; Grundrecht auf Gleichbehandlung; Tätigkeit von Rechtsanwälten im Beitrittsgebiet; Gebührenrecht

104

16. 11.95 Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung VerfGH 72 A/95 mit dem Ziel, bei der Ermittlung des Ergebnisses der Wahlen zum Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksverordnetenversammlungen die 5-Prozent-Sperrklausel außer acht zu lassen

108

16. 11.95 VerfGH 48/94

Ordnungswidrigkeitsverfahren; zung; rechtliches Gehör

113

21. 11.95 VerfGH 32/95

Verfassungsbeschwerde gegen Entscheidung des O V G im vorläufigen Rechtsschutzverfahren; Beschwerdebegründung nicht „umgehend" eingereicht; rechtliches Gehör

Wiedereinset-

121

Entscheidungen des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg Nr.

1

Nr. 2

Nr. 3

Nr.

4

Nr. 5

19.1.95 VfGBbg 9/94

Zum Grundrecht auf ein zügiges Verfahren vor Gericht gem. Art. 52 Abs. 4 L V

129

16. 3. 95 VfGBbg 12/94, 12/94 EA

Zur Festsetzung des Gegenstandswertes nach § 113 Abs. 2 Satz 3 B R A G O bei einer Vielzahl von Beschwerdeführern; Gegenstandswert im Verfahren auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung

134

Geltung der wesentlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen des Hauptsacheverfahrens bereits im Verfahren auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung beim Organstreitverfahren; Beteiligtenfähigkeit einer politischen Partei

135

20. 4. 95 VfGBbg 11/94

Zur Frage einer Grundrechtsbeeinträchtigung durch Ausführungen in der Begründung einer fachgerichtlichen Entscheidung

141

31.5.95 VfGBbg 4/95

Hilfsweise Erhebung einer Verfassungsbeschwerde durch eine politische Partei bei Unzulässigkeit eines Organstreitverfahrens; Zuständigkeitsabgrenzung Verfassungsgericht/V erwaltungsgericht bei Beanstandungen von Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit

148

16. 3. 95 VfGBbg 4/95 EA

Inhalt

Vili Nr. 6

Nr. 7 Nr. 8

Nr. 9

Nr. 10

Nr. 11

Nr. 12

Auflösung einer Gemeinde durch ihre Inanspruchnahme in einem Braunkohlenplan („Horno")

157

17. 8. 95 VfGBbg 7/94

Teilweise Auslagenerstattung gem. § 32 Abs. 7 Satz 2 VerfGGBbg

168

21. 8. 95 VfGBbg 8/95

Begründungsanforderungen bei Erhebung einer Verfassungsbeschwerde; Art. 52 Abs. 4 LV bei Zurückweisung einer Richterablehnung?

171

Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde bei der Möglichkeit des Richterablehnungsverfahrens gem. §§ 24 ff. StPO

174

Fristwahrung bei Eingang beim Verwaltungsgericht Potsdam; „Wahlalter" bei einer Volksinitiative

177

Gesichtspunkte für die Bemessung des Gegenstandswertes bei einer Verfassungsbeschwerde

183

Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde in Grundbuchsachen, wenn die Möglichkeit einer Grundbuchberichtigungsklage besteht

185

1. 6. 95 VfGBbg 6/95

12.10. 95 VfGBbg 14/95 12. 10. 95 VfGBbg 3/95 12.10.95 VfGBbg 7/94 16.11.95 VfGBbg 15/95

Entscheidungen des Hamburgischen Verfassungsgerichts Nr. 1

Nr. 2

1.3.95 HVerfG 2/95

19. 7. 95 HVerfG 1/95

Voraussetzungen der einstweiligen Anordnung; Folgenabwägung bei einem Streit zwischen dem Senat und einem Parlamentarischen Untersuchungsausschuß über die Herausgabe von Akten mit personenbezogenen Hinweisen

191

Rechtsweg bei Streitigkeiten zwischen Bürgerschaft und Senat über das Recht und die Pflicht zur Vorlage von Akten an einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuß und das Recht des Untersuchungsauschusses zur öffentlichen Verhandlung von Akten und Aktenteilen; Rechtsgrundlage für den Anspruch eines Parlamentarischen Untersuchungsauschusses auf Vorlage von Akten; Begrenzung des Anspruchs der Bürgerschaft und ihrer Ausschüsse auf Aktenvorlage und öffentliche Verhandlung von Akten durch das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung

194

Inhalt Nr. 3

20. 3. 95 HVerfG 3/95

Anforderungen an das parteiinterne Verfahren bei der Wahl der Bewerber für Bezirkswahlvorschläge; Voraussetzungen für das Vorliegen eines Wahlfehlers in denjenigen Bereichen, in denen insbesondere Parteien maßgeblichen Einfluß auf die Rechtsanwendung durch Wahlorgane ausüben

IX

217

Entscheidungen des Verfassungsgerichthofs des Saarlandes Nr. 1

9.6.95 Lv 6/94

Recht auf Arbeit

Nr. 2

13. 10. 95 Lv 1/95

Wahlanfechtung bei Verletzung von Parteistatuten

233 244

Entscheidungen des Landesverfassungsgerichts Sachsen-Anhalt Nr. 1

Nr. 2

4.7.95 L V G 8/95

Einstweilige Anordnung, Prüfungsumfang; Öffentlichkeitsarbeit einer Landesregierung und parteipolitisches Neutralitätsgebot

257

22. 2. 96 L V G 8/95

Organstreitverfahren, Öffentlichkeitsarbeit einer Landesregierung und parteipolitisches Neutralitätsgebot

261

Sachregister

275

Gesetzesregister

285

Abkürzungsverzeichnis ABl. AH-Drs. AK AKB AmtsO AöR Art. AS AU AuslG Bay G O BayVBl. BayVerfGH/BayVfGH BbglngkamG BbgKWahlG BbgNatschG BbgWBG BDSG BerlHG BetrVG BezVerwG/BezVG BezWG BFH BFHE BGB BGBl. BNatSchG BPersVG BRAGO BRAO BSchG BSchHLG BSG BT-Drs. Buchholz BüWG BVerfG

Amtsblatt Abgeordnetenhaus-Drucksachen Alternativ-Kommentar Allgemeine Bedingungen für die Kraftfahrtversicherung Amtsordnung Archiv des öffentlichen Rechts Artikel Amtliche Sammlung Amtlicher Umdruck Ausländergesetz Bayerische Gemeindeordnung Bayerische Verwaltungsblätter Bayerischer Verfassungsgerichtshof Brandenburgisches Ingenieurkammergesetz Brandenburgisches Kommunalwahlgesetz Brandenburgisches Naturschutzgesetz Brandenburgisches Weiterbildungsgesetz Bundesdatenschutzgesetz Berliner Hochschulgesetz Betriebsverfassungsgesetz Bezirksverwaltungsgesetz Gesetz über die Wahl zu den Bezirksversammlungen Bundesfinanzhof Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesnaturschutzgesetz Bundespersonalvertretungsgesetz Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte Bundesrechtsanwaltsordnung Brandschutzgesetz Brandschutz- und Hilfeleistungsgesetz Bundessozialgericht Drucksachen des Deutschen Bundestages Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des BVerwG, herausgegeben von K. Buchholz Gesetz über die Wahl zur hamburgischen Bürgerschaft Bundesverfassungsgericht

XII BVerfGE BVerfGG BW BWaldG BW-GO DDR-GB1. DemGO DemOrgG-LSA DGO DJT DÖV Drs. DVB1. EA EGGVG ElbElstG ESVGH EuGRZ e. V. EWGV FraktG FraktG-LSA GBl. D D R GBO GemVerfG-33 GerOrgG-ProvSAn GerZustV GewG GewO GG GK-AuslR GKG GKG-LSA GKÖD GOAvB GOBVerfG GO-LSA GO-NW

Abkürzungsverzeichnis Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Gesetz über das Bundesverfassungsgericht Bezirksverordnetenversammlung Bundeswaldgesetz Gemeindeordnung für Baden-Württemberg Gesetzblatt der D D R Demokratische Gemeindeordnung Gesetz über die weitere Demokratisierung des Aufbaus und der Arbeitsweise der staatlichen Organe SachsenAnhalt 1952 Deutsche Gemeindeordnung Deutscher Juristentag Die Öffentliche Verwaltung Drucksache(n) Deutsches Verwaltungsblatt Einstweilige Anordnung Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz Elbe-Elster-Gesetz Entscheidungssammlung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs und des Verwaltungsgerichtshofs BadenWürttemberg Europäische Grundrechte-Zeitschrift eingetragener Verein Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Fraktionsgesetz; Gesetz über die Rechtsstellung der Fraktionen des Abgeordnetenhauses von Berlin Fraktionsgesetz Sachsen-Anhalt Gesetzblatt der D D R , s. a. DDR-GBl. Grundbuchordnung Gemeindeverfassungsgesetz 1933 Gerichtsorganisationsgesetz in der Provinz Sachsen-Anhalt Gerichtszuständigkeits-Verordnung Gewerbegesetz Gewerbeordnung Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Gemeinschaftskommentar zum Ausländerrecht Gerichtskostengesetz Gesetz über die kommunale Gemeinschaftsarbeit SachsenAnhalt Gesamtkommentar Öffentliches Dienstrecht Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses von Berlin Geschäftsordnung des Bundesverfassungsgerichts Gemeindeordnung Sachsen-Anhalt Gemeindeordnung Nordrhein-Westfalen

Abkürzungsverzeichnis GVABl. GVBl. Hdb HdbStR HessStAnz HmbBG HmbDSG HmbJVBl HmbVwfG HmbWO HRG Hs. HVerf HVerfG HVerfGG InfAuslR JA JöR JR JurBüro JuS JZ KG KGNGBbg KK KNGBbg KommVerf KostO KostRÄndG KrsGebRefG-LSA KTS LAbfG LAbgG LdEinfG LdTgDrs LdTg-StenBer LHO LKO-LSA LM LS LSA-GAB1. LSA-GVBl.

XIII

Gesetz-, Verordnungs- und Amtsblatt Gesetz- und Verordnungsblatt Handbuch Handbuch des Staatsrechts Hessischer Staatsanzeiger Hamburgisches Beamtengesetz Hamburgisches Datenschutzgesetz Hamburgisches Justizverwaltungsblatt Hamburgisches Verwaltungsverfahrensgesetz Wahlordnung für die Wahlen zur hamburgischen Bürgerschaft und zu den Bezirksversammlungen Hochschulrahmengesetz Halbsatz Hamburger Verfassung Hamburgisches Verfassungsgericht Hamburgisches Verfassungsgerichtsgesetz Informationsbrief Ausländerrecht Juristische Arbeitsblätter Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart Juristische Rundschau Das Juristische Büro Juristische Schulung Juristenzeitung Kammergericht Kreis- und Gerichtsneugliederungsgesetz Brandenburg Karlsruher Kommentar zur StPO Kreisneugliederungsgesetz Brandenburg Kommunalverfassung DDR Kostenordnung Kostenrechtsänderungsgesetz Gesetz zur Kreisgebietsreform Konkurs-, Treuhand- und Schiedsgerichtswesen Landesabfallgesetz Berlin Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Abgeordnetenhauses von Berlin Ländereinführungsgesetz DDR Landtagsdrucksache Landtag, Stenografische Berichte Landeshaushaltsordnung Landkreisordnung Sachsen-Anhalt Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofes, herausgegeben von Lindenmaier, Möhring und anderen Leitsatz Gesetz- und Amtsblatt Sachsen-Anhalt Gesetz- und Verordnungsblatt Sachsen-Anhalt

XIV LT LV LVerfGG-LSA LVerf-LSA LVfG-LSA LWahlG LWahlO LWaldG LWG MDR MinBl. MRK MüKo m. w. N. NdsGVBl. NdsStGH NdsStGHE NGO NJ NJW NRW NStZ NVR NVwZ NVwZ-RR NW NW-GO NZS OLG OLG-NL OLGZ OVG OVGE

ParteiG, PartG PDS-LL PersR PersVG PreußVerf Pr-GS

Abkürzungsverzeichnis Landtag Landesverfassung Landesverfassungsgerichtsgesetz Sachsen-Anhalt Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt Landesverfassungsgericht Sachsen-Anhalt Landeswahlgesetz Landeswahlordnung Waldgesetz des Landes Brandenburg Landtagswahlgesetz Monatsschrift für Deutsches Recht Ministerialblatt Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit weiteren Nachweisen Niedersächsisches Gesetz- und Verordnungsblatt Niedersächsischer Staatsgerichtshof Entscheidungen des Nds. Staatsgerichtshofes Niedersächsische Gemeindeordnung Neue Justiz Neue Juristische Wochenschrift Nordrhein-Westfalen Neue Zeitschrift für Strafrecht Nationaler Verteidigungsrat Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht - Rechtsprechungsreport Nordrhein-Westfalen Gemeindeordnung Nordrhein-Westfalen Neue Zeitschrift für Sozialrecht Oberlandesgericht OLG-Rechtsprechung Neue Länder Entscheidungen der Oberlandesgerichte in Zivilsachen einschließlich der freiwilligen Gerichtsbarkeit Oberverwaltungsgericht Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster sowie für die Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein in Lüneburg (1. 1950 ff.) Gesetz über die politischen Parteien (Parteiengesetz) Partei des Demokratischen Sozialismus - Linke Liste Der Personalrat Personalvertretungsgesetz Brandenburg Verfassung des Freistaates Preußen Preußische Gesetzessammlung

Abkürzungsverzeichnis Prot. ProvSAn-GABl. PrVG Rdnr. RefEntw RegBkPIG RegVorl RettGBbg revDGO revStO RGBl. ROG ROLVG-LSA RPfleger RWahlG SächsVBL SchlHA SchwbG SGb SGG SH-GO SH-GVOB1. SozR SpkAV SRG StGB StGH StPO StrRehaG st. Rspr. StV SVerf UWG VA VAGBbg VerfGBbg VerfGGBbg VerfGH VerfGHG VerfGrdsG Verf-ProvSAn

XV

Protokoll Gesetz- und Verordnungsblatt Sachsen-Anhalt Gesetz über die Anerkennung der politisch, rassisch oder religiös Verfolgten des Nationalsozialismus vom 20.3.1950 Randnummer Referentenentwurf Gesetz zur Einführung der Regionalplanung und der Braunkohlen- und Sanierungsplanung Regierungsvorlage Brandenburgisches Rettungsdienstgesetz revidierte Deutsche Gemeindeordnung revidierte Städte-Ordnung für die preußische Monarchie Reichsgesetzblatt Raumordnungsgesetz Vorschaltgesetz zur Raumordnung und Landesplanung Sachsen-Anhalt Der Deutsche Rechtspfleger Reichswahlgesetz Sächsische Verwaltungsblätter Schleswig-Holsteinische Anzeigen Schwerbehindertengesetz Die Sozialgerichtsbarkeit Sozialgerichtsgesetz Gemeindeordnung Schleswig-Holstein Gesetz und Verordnungsblatt Schleswig-Holstein Sozialrecht, Rechtsprechung und Schrifttum, herausgegeben von Richtern des BSG Sparkassenanpassungsverordnung Schulreformgesetz Strafgesetzbuch Staatsgerichtshof Strafprozeßordnung Strafrechtliches Rehabilitationsgesetz ständige Rechtsprechung Strafverteidiger Verfassung des Saarlandes Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb Verfassungsausschuß Volksabstimmungsgesetz Brandenburg Verfassungsgericht des Landes Brandenburg Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg Verfassungsgerichtshof Gesetz über den Verfassungsgerichtshof Verfassungsgrundsätzegesetz Verfassung der Provinz Sachsen-Anhalt

XVI VfGBbg VfGH VG VGH VGHG VvB WDStRL VwGO VwVfG VwVfGBbg VwVfG-LSA WahlDG WKKG WoBindG WV ZfP ZGB ZPO ZSEG

Abkürzungsverzeichnis Verfassungsgericht Brandenburg Verfassungsgerichtshof Verwaltungsgericht Verwaltungsgerichtshof Gesetz über den Verfassungsgerichtshof (des Saarlandes) Verfassung von Berlin Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Verwaltungsgerichtsordnung Bundesverwaltungsverfahrensgesetz Verwaltungsverfahrensgesetz Brandenburg Verwaltungsverfahrensgesetz Sachsen-Anhalt Wahldurchführungsgesetz Wahlkampfkostenerstattungsgesetz Wohnungsbindungsgesetz Weimarer Verfassung Zeitschrift für Politik Zivilgesetzbuch der DDR Zivilprozeßordnung Gesetz über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen

Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs des Landes Berlin

Die amtierenden Richter des Verfassungsgerichtshofs des Landes Berlin Prof. Dr. Klaus Finkelnburg, Dr. Ehrhart Körting,

Präsident

Vizepräsident

Veronika Arendt-Rojahn Renate Citron-Piorkowski Hans Dittrich Prof. Dr. Hans-Joachim Driehaus Klaus Eschen Dr. Cornelia Hoene (bis 14. Mai 1995) Prof. Dr. Philip Kunig Edeltraut Töpfer (ab 23. Juni 1995)

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Nr. 1 Überprüfung einer zivilrechtlichen Entscheidung am Maßstab des Grundrechts auf rechtliches Gehör und des Willkürverbots. Verfassung von Berlin Art. 6 Abs. 1 Satz 1, 62 Gesetz über den Verfassungsgerichtshof § 50 Beschluß vom 11. Januar 1995 - VerfGH 81/94 in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Herrn J. K. gegen das Urteil des Amtsgerichts Mitte vom 28. Juni 1994 - 10 C 100/94 Entscheidungsformel: Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen. Der Antrag auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe wird zurückgewiesen. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei. Auslagen werden nicht erstattet. Gründe: I. Der Beschwerdeführer, Mieter einer Wohnung in Berlin-Mitte, wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen ein Urteil des Amtsgerichts Mitte, durch welches seine Klage auf Schadensersatz aus positiver Forderungsverletzung wegen entgangener Fahrradbenutzung, Beschädigung des Fahrradbügelschlosses und eines Reisekoffers, auf Erstattung von Aufräumungs- und Säuberungsarbeiten sowie auf regelmäßige Reinigung des Hausflures abgewiesen worden ist. Dem Rechtsstreit zugrunde lag ein Rohrbruch in der Parterrewohnung durch Frosteinwirkung, infolgedessen in dem darunter befindlichen vom Beschwerdeführer genutzten Keller die Deckenverkleidung herabstürzte, wodurch dem Beschwerdeführer der Zugang zum Keller und damit die Möglichkeit zur Benutzung des im Keller abgestellten Fahrrades im Zeitraum vom 04. 04. 1993 bis 27. 05. 1993 verwehrt blieb und ferner der Hartplastikkoffer und das Bügelfahrradschloß des Beschwerdeführers beschädigt wurden.

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Zum Ausgleich des entstandenen Schadens hatte die Versicherung der Vermieterin dem Beschwerdeführer ohne Anerkennung einer Rechtspflicht einen Betrag von DM 250,00 gezahlt. Mit seiner Klage verlangte der Beschwerdeführer weitergehenden Schadensersatz, wobei er für den beschädigten Reisekoffer DM200,00 sowie für das Fahrradbügelschloß DM100,00 Wiederbeschaffungswert sowie für die entgangene Fahrradbenutzung DM 648,00 (= 54 Tage à DM 12,00) berechnete. Außerdem begehrte der Beschwerdeführer Erstattung der Kosten für Aufräumungs- und Säuberungsarbeiten sowie die regelmäßige Reinigung der Hausflure, des Hofes und der Nebengelasse. Der Beschwerdeführer ist der Auffassung, daß das angegriffene Urteil seinen Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletze sowie gegen den durch die Verfassung von Berlin geschützten Gleichbehandlungsgrundsatz in der Ausprägung des Willkürverbotes verstoße. Er rügt die Verletzung der Art. 62 und 64 VvB i. V. m. Art. 3 Abs. 1, 14 Abs. 1, 97 Abs. 1 und 103 Abs. 1 GG. Zur Begründung trägt er im wesentlichen vor: Soweit das Gericht für entgangene Fahrradbenutzung lediglich den Betrag von zwei BVG-Monatskarten in Höhe von DM 80,00 angesetzt habe, werde er als Fahrradfahrer gegenüber Autofahrern benachteiligt. Kein Gericht würde heutzutage mehr auf die Idee kommen, etwa einen Autofahrer für entgangene PKW-Nutzung mit BVG-Umweltkarten abzuspeisen. In Anbetracht einer gefestigten Rechtsprechung der Fachgerichte wie auch des Kammergerichts, die auch die entgangene Fahrradbenutzung als immateriellen Vermögensschaden für ersatzfähig halte, verstoße das Urteil auch gegen das Willkürverbot. Im übrigen habe das Gericht sein Beweisangebot, daß er sein Fahrrad täglich benutze, übergangen. Hierin liege eine Verletzung des Art. 62, 64 VvB i. V. m. Art. 103 Abs. 1 GG. Willkürlich und ohne Berücksichtigung des rechtlichen Gehörs sei auch die Höhe der Schadensbemessung durch das Gericht für den irreparabel beschädigten Hartplastikkoffer und das beschädigte Fahrradbügelschloß erfolgt. Das Gericht habe hier willkürlich eine Summe von insgesamt DM 170,00 festgelegt, obwohl der Wiederbeschaffungswert des Hartplastikkoffers bei rd. DM 200,00, der des Bügelschlosses bei DM 100,00 liege. Auch die Zurückweisung der Klage auf Erstattung der Kosten für die Aufräumungs- und Säuberungsarbeiten sei willkürlich erfolgt. Soweit das Gericht eine Berechtigung zur Nutzung des Kellerraumes nach dem Mietvertrag vom 01. 11. 1988 verneint habe, habe es die Situation im Beitrittgebiet verkannt. Daß der Mieter einer Altbauwohnung auch einen Keller zur Verfügung gestellt bekommt, sei im ehemaligen Ost-Berlin eine Selbstverständlichkeit gewesen. Hierüber habe sich der „West-Richter" in willkürlicher Weise hinweggesetzt.

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Soweit das Gericht schließlich den Antrag des Beschwerdeführers auf regelmäßige Reinigung des Hausflures mit der Begründung abgelehnt habe, daß nicht substantiiert dargelegt sein, daß der Mangel nicht schon beim Abschluß des Mietvertrages 1988 vorhanden gewesen sei, habe sich das Gericht nicht nur über die Beweislastregeln hinweggesetzt, sondern auch die durch den Beschwerdeführer angebotenen Beweise unbeachtet gelassen. Da der beklagte Vermieter nicht behauptet habe, der mangelhafte Zustand sei bereits bei Vertragsabschluß 1988 vorhanden gewesen, habe das Gericht nicht einfach unterstellen können, daß der Mangel schon damals vorhanden gewesen sei. Hätte der beklagte Vermieter tatsächlich eine entsprechende Behauptung aufgestellt, so hätte er und nicht der Beschwerdeführer hierfür die Beweislast getragen. Im übrigen habe das Gericht auch in diesem Punkte den vom Beschwerdeführer angebotenen Beweis unbeachtet gelassen. Der Beschwerdeführer beantragt Prozeßkostenhilfe.

II. Die Verfassungsbeschwerde hat keinen Erfolg. a) Die Rügen des Beschwerdeführers hinsichtlich der Verletzung rechtlichen Gehörs sind unzulässig. Denn sie sind nicht hinreichend substantiiert. Zwar wird das Grundrecht des rechtlichen Gehörs durch Art. 62 VvB mitgewährleistet. Denn für ein rechtsstaatliches Gerichtsverfahren und damit für eine Ausübung der Rechtspflege nach Maßgabe von Art. 62 VvB ist das rechtliche Gehör konstituierend und grundsätzlich unabdingbar (siehe Beschluß vom 15. Juni 1993 - VerfGH 18/92* - JR 1993, 519). Der Verfassungsgerichtshof ist auch grundsätzlich berechtigt, Entscheidungen der Berliner Gerichte am Maßstab von in der Verfassung von Berlin verbürgten Individualrechten zu messen, die nicht im Widerspruch zu Bundesrecht stehen. Solche Individualrechte, soweit sie inhaltlich mit den Grundrechten des Grundgesetzes übereinstimmen, sind auch dann von den Gerichten des Landes Berlin zu beachten, wenn diese in einem bundesrechtlich geregelten Verfahren entscheiden (ständige Rechtsprechung seit Beschluß des Verfassungsgerichtshofs vom 23. Dezember 1992 - VerfGH 38/92** - , NJW 1993,513, siehe auch Beschluß vom 2. Dezember 1993 - VerfGH 89/93*** - NJW 1994, 436 f.). Jedoch verlangt das Merkmal „bezeichnen" in § 50 VerfGHG für die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde, daß hinreichend deutlich die Mög* ** ***

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lichkeit einer Verletzung eines dem Beschwerdeführer von der Verfassung von Berlin verbürgten Grundrechtes durch die angegriffene Maßnahme vorgetragen wird (siehe Beschluß vom 11. August 1993 - VerfGH 64/93 -). Der Substantiierungspflicht ist bei der Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nur dann genügt, wenn der Beschwerdeführer innerhalb der Beschwerdefrist substantiiert darlegt, was er bei ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs vorgetragen hätte und warum die angegriffene Entscheidung auf dem behaupteten Verfahrensverstoß beruht (vgl. auch BayVerfGH 46, 80 ff.). Es ist insoweit nicht Sache und Aufgabe des Verfassungsgerichtshofs, Verfahrensakten auf etwaige Verletzungen von Rechten zu überprüfen, die einem Beschwerdeführer aus der Verfassung von Berlin zustehen, wenn dieser die Verletzungshandlungen nicht selbst im einzelnen darlegt (siehe Beschluß vom 8. Dezember 1993 - VerfGH 12/92 -). Diesen Anforderungen genügt das Beschwerdevorbringen nicht. Soweit der Beschwerdeführer die Ubergehung seines Beweisangebotes bezüglich der täglichen Fahrradbenutzung rügt, ist von vornherein nicht ersichtlich, daß die Entscheidung des Amtsgerichts auf dem behaupteten Verfahrensverstoß beruht. Die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs in bezug auf die nach Auffassung des Beschwerdeführers zu niedrig festgesetzte Schadenshöhe läßt ebensowenig einen Verfassungsverstoß erkennen. Der Beschwerdeführer wendet sich insoweit ersichtlich allein gegen die vom Gericht vorgenommene tatsächliche und rechtliche Würdigung. Die Rüge, Beweisangebote zum mangelfreien Zustand des Hausflures zum Zeitpunkt des Abschlusses des Mietvertrages seien vom Gericht übergangen worden, ist unsubstantiiert. Denn dem Beschwerdevorbringen ist nicht zu entnehmen, welche Beweisangebote der Beschwerdeführer dem Gericht unterbreitet hat. b) Die vom Beschwerdeführer gerügte Verletzung von Art. 64 Abs. 1 VvB ist ebenfalls unzulässig. Die in Art. 64 Abs. 1 VvB enthaltene Bindung der Richter an die Gesetze bedeutet kein subjektives Recht des einzelnen Bürgers, sondern beinhaltet eine rechtsstaatliche Aussage mit objektiv-rechtlichem Gehalt. Demzufolge kann die Einhaltung dieser Vorschrift nicht mit der Verfassungsbeschwerde eingefordert werden (siehe Beschluß vom 09. Juni 1993 VerfGH 49/92 -). c) Auch die Rüge des Verstoßes gegen den Gleichheitsgrundsatz in der Ausprägung des Willkürverbots hat keinen Erfolg. Zwar beinhaltet Art. 6 Abs. 1 Satz 1 VvB eine umfassende Gleichheitsgarantie für alle Menschen mit demselben Umfang wie der Verbürgerung in Art. 3 Abs. 1 G G und damit auch in der materiellen Ausprägung als Willkür-

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verbot (siehe Beschluß vom 17. Februar 1993 - VerfGH 53/92* -). Das verfassungsrechtliche Willkürverbot wird indes durch eine gerichtliche Entscheidung nur dann verletzt, wenn sie bei verständiger Würdigung der die Verfassung beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist und sich daher der Schluß aufdrängt, daß sie auf sachfremden Erwägungen beruht (siehe ebenda). Eine fehlerhafte Auslegung eines Gesetzes allein macht eine Entscheidung nicht willkürlich. Willkür liegt vielmehr erst dann vor, wenn die Rechtslage in krasser Weise verkannt worden ist, d. h. wenn bei objektiver Würdigung der Gesamtumstände die Annahme geboten ist, die vom Gericht vertretene Rechtsauffassung sei im Bereich des schlechthin Abwegigen anzusiedeln. Davon kann nicht gesprochen werden, wenn sich das Gericht mit der Rechtslage auseinandersetzt und seine Auffassung nicht jedes sachlichen Grundes entbehrt (siehe Beschluß vom 25. April 1994 - VerfGH 34/94** -). So liegen die Dinge im vorliegenden Fall. Die Berechnung des Schadensersatzes für die für ca. zwei Monate entgangene Fahrradbenutzung mit D M 80,00, was dem Wert von zwei Monatsmarken der BVG entspricht, kann weder als sachfremd angesehen werden noch verkennt sie in krasser Weise die Rechtslage. Hinsichtlich der Schadensbemessung für den beschädigten Hartplastikkoffer und das beschädigte Fahrradbügelschloß fehlt es in Anbetracht des Umstandes, daß es sich um gebrauchte Gegenstände handelte, ebenfalls an jedem Anhaltspunkt für willkürliche Rechtsanwendung. Soweit das Gericht eine mietvertragliche Berechtigung zur Nutzung des Kellerraumes verneint hat, kann dahingestellt bleiben, ob die vom Gericht vertretene Auffassung auf einer Verkennung der Situation im Beitrittsgebiet beruht. Dies allein begründet den Vorwurf der Willkürlichkeit nicht. Auch im übrigen kommt es nicht darauf an, ob die Ausführungen des Amtsgerichts im einzelnen zu überzeugen vermögen. Insoweit handelt es sich um Fragen des einfachen Rechts, die sich der Beurteilung des Verfassungsgerichtshofs entziehen (siehe dazu Beschluß vom 30. Juni 1992 VerfGH 9 / 9 2 * * * -). Da die Verfassungsbeschwerde aus den dargelegten Gründen keine Aussicht auf Erfolg hatte, kam auch die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe nicht in Betracht. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf den §§ 33, 34 VerfGHG. Dieser Beschluß ist unanfechtbar.

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Nr. 2 Art. 26 Abs. 1 VvB enthält keine für alle im Land Berlin auf landesrechtlicher Grundlage durchgeführten Wahlen geltenden allgemeinen Wahlrechtsgrundsätze. Verfassung von Berlin Art. 26 Abs. 1 Beschluß vom 23. Januar 1995 - VerfGH 5/95 in den Verfahren über die Verfassungsbeschwerden 1. des Allgemeinen Studentenausschusses der Technischen Universität Berlin, 2. der Wahlliste „Verkehrswende" an der Technischen Universität Berlin, 3. des Studenten E. S. gegen die Erste Verordnung zur Änderung der Hochschul-Wahlgrundsätze - Verordnung vom 18. Oktober 1994 (GVBl. S. 425) Entscheidungsformel: Die Verfassungsbeschwerden werden zurückgewiesen. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei. Auslagen werden nicht erstattet. Gründe: I.

1. Die Beschwerdeführer wenden sich mit den am 17. Januar 1995 beim Verfassungsgerichtshof eingegangenen Verfassungsbeschwerden gegen Art. I Nr. 1 der Ersten Verordnung zur Änderung der Hochschul-WahlgrundsätzeVerordnung vom 18. Oktober 1994 - GVBl. 1994, S. 425 - . Durch diese Bestimmung wird das Wahlrecht an den Hochschulen des Landes Berlin dahingehend geändert, daß das bisher für die Sitzverteilung maßgebliche „Höchstzahlverfahren nach d'Hondt" durch das „Verfahren der mathematischen Proportion (Hare/Niemeyer)" ersetzt wird. Die Beschwerdeführer sehen hierin eine Verletzung von Art. 26 Abs. 1 der Verfassung von Berlin (VvB). Sie beantragen sinngemäß, festzustellen, daß Art. I Ziff. 1 der Ersten Verordnung zur Änderung der Hochschul-Wahlgrundsätze-Verordnung vom 18. Oktober 1994 (GVBl. 1994, S. 425) mit Art. 26 Abs. 1 der Verfassung von Berlin unvereinbar ist, soweit er die Wahl der studentischen Mitglieder zum Akademischen Senat, zum Konzil, zum Kuratorium und zu den Fachbereichsräten betrifft.

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Die Beschwerdeführer haben außerdem beim Oberverwaltungsgericht Berlin - OVG 2 A 9/94 - einen Normenkontrollantrag gemäß § 47 VwGO gestellt. Mit Schriftsatz vom 23. Januar 1995 haben die Beschwerdeführer mitgeteilt, daß sie den Antrag auf Durchführung des Normenkontrollverfahrens zurückgenommen haben. Mit einem gleichzeitig gestellten Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung begehren die Beschwerdeführer, die Geltung der genannten Vorschrift für die am 25./26. Januar 1995 anstehenden Wahlen der studentischen Mitglieder zu den vorgenannten Gremien auszusetzen. 2. Die Senatsverwaltung für Wissenschaft und Forschung hat sich zu den gestellten Anträgen geäußert und deren Zurückweisung beantragt.

II. Die Verfassungsbeschwerden sind unzulässig. 1. Der Verfassungsgerichtshof läßt es dahinstehen, ob die Verfassungsbeschwerden bereits daran scheitern, daß die Beschwerdeführer den Rechtsweg noch nicht erschöpft haben (§ 49 Abs. 2 VerfGHG). Überdies läßt er offen, ob die Beschwerdeführerin zu 1) als Organ einer rechtsfähigen Teilkörperschaft der Technischen Universität, die ihrerseits Körperschaft des öffentlichen Rechts ist (§§ 2 Abs. 1 Satz 1,19 Abs. 1 Nr. 3, 18 Abs. 1 Satz 2 BerlHG), und die Beschwerdeführerin zu 2) als „Wahlliste" überhaupt Träger eigener verfassungsmäßiger Rechte und damit verfassungsbeschwerdebefugt sind. Dann die Beschwerdeführer können jedenfalls nicht, wie es § 49 Abs. 1 VerfGHG zwingend gebietet, geltend machen, durch die Erste Verordnung zur Änderung der Hochschul-Wahlgrundsätze-Verordnung vom 18. Oktober 1994 (GVBl. 1994, S. 425) in einem ihrer in der Verfassung von Berlin enthaltenen Rechte verletzt zu sein. 2. Art. 26 Abs. 1 VvB, auf den sich die Beschwerdeführer allein berufen, bestimmt, daß die Abgeordneten in allgemeiner, gleicher, geheimer und direkter Wahl gewählt werden. Diese Vorschrift bezieht sich ausschließlich auf die Wahlen zum Abgeordnetenhaus von Berlin. Sie enthält keine für alle im Land Berlin auf landesrechtlicher Grundlage durchgeführten Wahlen geltenden allgemeinen Wahlrechtsgrundsätze. Art. 26 Abs. 1 VvB ist somit für die Wahlen an den Hochschulen des Landes Berlin ohne Bedeutung. Daher ist Art. 1 Ziff. 1 der Ersten Verordnung zur Änderung der Hochschul-WahlgrundsätzeVerordnung entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer nicht an Art. 26 Abs. 1 VvB zu messen. Im übrigen hat der Verfassungsgerichtshof für die Wahlen zu den Bezirksverordnetenversammlungen und der auf ihrer Grund-

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läge erfolgenden Bildung der Bezirksämter ausgeführt, daß nach der Verfassung von Berlin der Gesetzgeber entscheiden kann, ob er dem Zählverfahren nach d'Hondt oder dem nach Hare/Niemeyer den Vorrang gibt (Urteil vom 19. Oktober 1992 - VerfGH 39/92* - , NVwZ 1993, 1098). Nichts anderes kann für den Bereich der Hochschulwahlen gelten. Ob das durch die Verordnung vom 18. Oktober 1994 eingeführte „Verfahren der mathematischen Proportion (Hare/Niemeyer)" im Einzelfall einmal zu Ergebnissen führen kann, die mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 6 Abs. 1 S. 1 VvB unvereinbar sind (vgl. hierzu Urteil vom 19. Oktober 1992 - VerfGH 24/92** - , NVwZ 1993,1093), ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. 3. Mit der Zurückweisung der Verfassungsbeschwerden erledigen sich zugleich die Anträge auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf den §§ 33 und 34 VerfGHG. Dieser Beschluß ist unanfechtbar.

Nr. 3 1. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 VvB gebietet in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes. Diesem Gebot wird durch das Institut der Prozeßkostenhilfe (§114 ZPO) mit der Maßgabe genügt, daß das Tatbestandsmerkmal der hinreichenden Erfolgsaussicht als erfüllt anzusehen ist, wenn in der Hauptsache eine schwierige, bisher nicht geklärte Rechtsfrage zu beantworten ist. 2. Art. 6 Abs. 1 VvB begründet keine Verpflichtung der zuständigen Behörde, zugunsten von gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften bei der Entscheidung über einen Antrag auf Erteilung eines gemeinsamen Wohnberechtigungsscheins nach der Härteklausel des § 5 Abs. 1 Satz 2 Buchst, c WoBindG deshalb auf die Voraussetzung eines dreijährigen Zusammenlebens zu verzichten, weil ihnen die Möglichkeit der Eheschließung verwehrt ist. Verfassung von Berlin Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Zivilprozeßordnung § 114 Satz 1 * **

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Beschluß vom 8. Februar 1995 - VerfGH 104/94 in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Herrn Α. Z. gegen a) den Beschluß des Verwaltungsgerichts Berlin vom 6. Mai 1994 - V G 23 A 40/94 b) den Beschluß des Oberverwaltungsgerichts Berlin vom 10. Oktober 1994 - O V G 5 M 2/94 Entscheidungsformel: Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei. Auslagen werden nicht erstattet. Gründe: I. Mit Bescheid vom 10. Dezember 1993 lehnte das Bezirksamt Mitte von Berlin das Begehren des Beschwerdeführers ab, ihm für sich und seinen Lebensgefährten einen gemeinsamen Wohnberechtigungsschein zu erteilen. Uber die nach erfolglosem Widerspruchsverfahren vom Beschwerdeführer erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht noch nicht entschieden. Durch Beschluß vom 6. Mai 1994 hat das Verwaltungsgericht den Antrag des Beschwerdeführers auf Gewährung von Prozeßkostenhilfe zurückgewiesen. Die Voraussetzungen für eine Bewilligung von Prozeßkostenhilfe seien nicht erfüllt, weil die mit der Klage beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg biete (§ 166 V w G O i. V. m. § 114 Satz 1 ZPO). Da der Lebensgefährte des Beschwerdeführers nicht Familienangehöriger im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 5 WoBindG sei, bestehe kein Anspruch auf Erteilung eines gemeinsamen Wohnberechtigungsscheins. Zwar könne nach § 5 Abs. 1 Satz 2 lit. c WoBindG ein solcher Berechtigungsschein erteilt werden, wenn seine Versagung für den Wohnungssuchenden aus sonstigen Gründen eine besondere Härte bedeuten würde; hierbei könne auch eine nicht nur vorübergehende Haushaltszugehörigkeit von Personen berücksichtigt werden, die nicht Familienangehörige sind. Doch habe das beklagte Land in Nr. 13 Abs. 4 der Ausführungsvorschriften zum Wohnungsbindungsgesetz die Erteilung eines gemeinsamen Wohnberechtigungsscheins mit Blick auf nichteheliche Lebensgemeinschaften von der im vorliegenden Fall nicht erfüllten Voraussetzung abhängig gemacht, daß die Partner nachweisen, bereits mindestens drei Jahre einen gemeinsamen Haushalt zu führen. Diese Einschränkung des von § 5 Abs. 1 Satz 2 lit. c WoBindG eingeräumten Ermessens sei sachgerecht; sie solle

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- soweit dies überhaupt möglich sei - eine Gewähr dafür bieten, daß die Lebenspartner in Zukunft tatsächlich auf Dauer gemeinsam in der Sozialwohnung wohnen. Wenn der Beschwerdeführer meine, er werde als Homosexueller in verfassungswidriger Weise deshalb benachteiligt, weil heterosexuellen Lebenspartnern - bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen - mit der Heirat ein Anspruch auf die Erteilung eines Wohnberechtigungsscheins erwachse, es ihm aber verwehrt sei, seinen Freund zu heiraten, sei ihm entgegenzuhalten, daß Art. 6 Abs. 1 G G Ehe und Familie, nicht aber auch gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stelle. Unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Begründung des Verwaltungsgerichts hat das Oberverwaltungsgericht die Beschwerde des Beschwerdeführers durch Beschluß vom 10. Oktober 1994 zurückgewiesen. Das Beschwerdevorbringen rechtfertige keine andere Entscheidung. Der Beklagte habe das nach der Zielsetzung des Gesetzes auf die Ablehnung eines Ausnahme-Wohnberechtigungsscheins vorgezeichnete Ermessen - übrigens unter zugunsten von Nicht-Familienangehörigen eher großzügiger Gesetzesauslegung - durch Nr. 13 Abs. 4 der Ausführungsvorschriften zum Wohnungsbindungsgesetz in rechtlich unbedenklicher Weise gebunden. Die insoweit auf die Vorlage einer entsprechenden polizeilichen Meldebestätigung als Nachweis des mindestens dreijährigen gemeinsamen Wohnens und Wirtschaftens abhebende Praxis sei ebenfalls nicht zu beanstanden. Gegen die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts und des Oberverwaltungsgerichts richtet sich die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers, mit der er geltend macht, beide Gerichte hätten die Anforderungen an die Erfolgsaussichten der Hauptsache im Prozeßkostenhilfeverfahren überspannt und ihn dadurch in seinem Gleichheitsgrundrecht in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip verletzt. Sie hätten nämlich verkannt, daß das Prozeßkostenhilfeverfahren Rechtsschutz ermöglichen, nicht aber gewähren solle. Aus diesem Grunde dürfe nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 81, 347 ff.) Prozeßkostenhilfe nur versagt werden, wenn die Erfolgsaussichten der Hauptsache minimal seien. Nach überwiegender Ansicht habe ein Rechtsstreit immer dann hinreichende Erfolgsaussichten, wenn die Entscheidung von der Beantwortung einer bisher ungeklärten Rechtsfrage abhänge. „Die in der Hauptsache entscheidungserhebliche Frage, ob das Gleichheitsgrundrecht aus Art. 6 Abs. 1 der Verfassung von Berlin die Exekutive bei der Ermessensausübung in Anwendung der Härtefallklausel des § 5 Abs. 1 Satz 2 lit. c Wohnungsbindungsgesetz (WoBindG) zwingt, gleichgeschlechtlichen Paaren auch ohne Vorliegen der Voraussetzung des dreijährigen Zusammenlebens einen WBS zu bewilligen, weil ihnen der Weg der Heirat und damit der Anwendung des § 5 Abs. 1 Nr. 5 WoBindG verwehrt ist, ist eine solche

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ungeklärte Rechtsfrage" (Beschwerdeschrift S. 3). Das Verwaltungsgericht habe diese Frage zwar angesprochen, sei aber offenbar der nicht haltbaren Ansicht, Art. 6 GG stelle die Ehe nicht nur unter besonderen Schutz, sondern enthalte gleichzeitig ein Diskriminierungsgebot für andere Lebensgemeinschaften. Eine Ungleichbehandlung ehelicher und nichtehelicher Lebensgemeinschaften sei nur dann gerechtfertigt, wenn dem eine freie Entscheidung der Partner zugrundeliegt; sie sei es aber dann nicht mehr, wenn es an einer solchen - wie bei homosexuellen Paaren - fehle. II. Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist unbegründet. Zutreffend geht der Beschwerdeführer davon aus, die Verfassung von Berlin (VvB) verbürge in Art. 6 Abs. 1 Satz 1 - ebenso wie das Grundgesetz in Art. 3 Abs. 1 - eine umfassende Gleichheitsgarantie für alle Menschen (vgl. unter anderem Beschluß vom 17. Februar 1993 - VerfGH 53/92* - ) , und sie bekenne sich im Vorspruch und ihrer Gesamtkonzeption zum Rechtsstaatsprinzip (vgl. Beschluß vom 15. Juni 1993 - VerfGH 18/92** - JR 93, 519). Zu Recht nimmt der Beschwerdeführer ferner an, der Verfassungsgerichtshof sei berechtigt, Entscheidungen Berliner Gerichte am Maßstab von in der Verfassung von Berlin verbürgten Individualrechten, die nicht im Widerspruch zu Bundesrecht stehen, zu messen, und derartige Individualrechte seien auch dann von der rechtsprechenden Gewalt des Landes Berlin zu beachten, wenn sie Bundesrecht anwendet (vgl. statt vieler: Beschluß vom 2. Dezember 1993 VerfGH 89/93*** - N J W 94, 436). Beizupflichten ist dem Beschwerdeführer überdies, wenn er sinngemäß meint, Art. 6 Abs. 1 Satz 1 VvB in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip gebiete - ebenso wie die entsprechenden Bestimmungen des Grundgesetzes - eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes, und diesem Gebot werde durch das Institut der Prozeßkostenhilfe (§§ 114 ff. ZPO) genügt, sofern das jeweilige Fachgericht bei der Auslegung des gesetzlichen Tatbestandsmerkmals der hinreichenden Erfolgsaussicht, von dessen Erfüllung die Gewährung von Prozeßkostenhilfe gemäß § 114 Satz 1 ZPO unter anderem abhängt, einen Maßstab anlegt, der die Anforderungen an die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung nicht überspannt. Nicht gefolgt werden kann dagegen dem Beschwerdeführer in der Annahme, das Verwaltungs- und das Oberverwaltungsgericht hätten im vorliegenden Fall diese * ** ***

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Anforderungen zu seinen Lasten verkannt und dadurch seinen verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf Rechtsschutzgleichheit verletzt. In Ubereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Grundgesetz (vgl. unter anderem Beschluß vom 2. Februar 1993 1 BvR 1697/91 - FamRZ 93, 664) ist der Verfassungsgerichtshof der Ansicht, daß eine Auslegung des § 114 Satz 1 ZPO dem Gebot der in Art. 6 Abs. 1 Satz 1 VvB in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip verbürgten Rechtsschutzgleichheit gerecht wird, nach der ein Rechtsschutzbegehren in aller Regel dann hinreichende Aussicht auf Erfolg hat, wenn die Entscheidung in der Hauptsache von der Beantwortung einer schwierigen, bislang ungeklärten Rechtsfrage abhängt (vgl. dazu unter anderem auch Hartmann in: Baumbach/ Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 53. Aufl., §114 Rdn. 100, und Redecker/v. Oertzen, VwGO, 11. Aufl., § 166 Rdn. 3). Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers braucht Prozeßkostenhilfe mithin nicht schon gewährt zu werden, wenn die entscheidungserhebliche Rechtsfrage zwar noch nicht höchstrichterlich geklärt ist, ihre Beantwortung aber im Hinblick auf die einschlägige gesetzliche Regelung nicht als „schwierig" erscheint. Vielmehr läuft es lediglich dann, wenn in der Hauptsache eine (bisher ungeklärte) schwierige Rechtsfrage zu beurteilen ist, dem Gebot der Rechtsschutzgleichheit zuwider, dem Unbemittelten wegen fehlender Erfolgsaussichten seines Begehrens Prozeßkostenhilfe vorzuenthalten (vgl. zum Bundesrecht ebenso BVerfG, Beschluß vom 13. März 1 9 9 0 - 2 BvR 94/88 u. a. - BVerfGE 81,347,359). Zutreffend haben das Verwaltungs- und das Oberverwaltungsgericht erkannt, daß es hier an dieser Voraussetzung mangelt. Einzuräumen ist dem Beschwerdeführer, daß die von ihm formulierte, zu Recht als entscheidungserheblich angesehene Frage, „ob das Gleichheitsgrundrecht aus Art. 6 Abs. 1 der Verfassung von Berlin die Exekutive bei der Ermessensausübung in Anwendung der Härtefallklausel des § 5 Abs. 1 Satz 2 lit. c Wohnungsbindungsgesetz (WoBindG) zwingt, gleichgeschlechtlichen Paaren auch ohne Vorliegen der Voraussetzung des dreijährigen Zusammenlebens einen WBS zu bewilligen, weil ihnen der Weg der Heirat und damit der Anwendung des § 5 Abs. 1 Nr. 5 WoBindG verwehrt ist" (Beschwerdeschrift S. 3), bisher ungeklärt ist. Sie ist jedoch nicht schwierig zu beantworten, sondern - was der Beschwerdeführer im übrigen in der Beschwerdeschrift selbst nicht in Abrede stellt - ohne weiteres zu verneinen. Ihre Bejahung führte nur scheinbar zu einer Gleichbehandlung von homosexuellen mit heterosexuellen nichtehelichen Lebensgemeinschaften, in Wahrheit aber zu einer Bevorzugung ersterer. Nötigte nämlich Art. 6 Abs. 1 Satz 1 VvB im Falle einer homosexuellen Lebensgemeinschaft die Behörde bei Ausübung ihres durch § 5 Abs. 1 Satz 2 lit. c WoBindG eröffneten Ermessens zur Erteilung eines Wohnberechtigungsscheins unabhängig von einem dreijährigen Zusammenleben, re-

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duzierte sich in einer solchen Fallgestaltung also das Ermessen der Behörde auf Null, könnte nichtehelichen Lebensgemeinschaften dieser Art ein Anspruch auf Erteilung eines Wohnberechtigungsscheins bereits in einem Zeitpunkt erwachsen, in dem eine heterosexuelle nichteheliche Lebensgemeinschaft - mangels dreijährigen Zusammenlebens - die Erteilung eines Wohnberechtigungsscheins in aller Regel noch nicht erwarten kann. Zwar ist es richtig, daß eine heterosexuelle Lebensgemeinschaft durch eine Heirat einen Anspruch auf Erteilung eines Wohnberechtigungsscheins nach Maßgabe des § 5 Abs. 1 Satz 1 WoBindG erwerben kann und dieser Weg gleichgeschlechtlichen Partnern versagt ist (vgl. dazu BVerfG, Beschluß vom 4. Oktober 1 9 9 3 - 1 BvR 640/93 N J W 93, 3058). Doch ändert das nichts an der Tatsache, daß bei Bejahung der in Rede stehenden Frage eine homosexuelle Lebensgemeinschaft im Vergleich zu einer heterosexuellen nichtehelichen Lebensgemeinschaft deshalb bevorzugt wäre, weil das Entstehen eines Anspruchs auf Erteilung eines Wohnberechtigungsscheins bei letzterer anders als bei ersterer von der Erfüllung einer weiteren Voraussetzung abhängig wäre, nämlich dem - aus welchen Gründen immer bisher vermiedenen - Eingehen einer Ehe. Für eine derartige Bevorzugung der gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft aber fehlt es an einem dies rechtfertigenden Grund. In der Sache geht es dem Beschwerdeführer denn auch offenbar nicht um einen Vergleich zwischen homosexuellen Lebensgemeinschaften und heterosexuellen nichtehelichen Lebensgemeinschaften, sondern um einen Vergleich zwischen homosexuellen Lebensgemeinschaften und ehelichen Lebensgemeinschaften; einer homosexuellen Lebensgemeinschaft soll seiner Ansicht nach wie einer ehelichen Lebensgemeinschaft unabhängig von der Dauer eines bisherigen Zusammenlebens ein Wohnberechtigungsschein erteilt werden. Für eine solche Gleichbehandlung fehlt ebenfalls ein dies rechtfertigender Grund. Abgesehen davon, daß es sich insoweit um offensichtlich unterschiedliche Sachverhalte mit nach der geltenden Rechtsordnung verschiedenen wechselseitigen Rechten und Pflichten handelt, so daß es schon deshalb an einer tragfähigen Grundlage für eine Inanspruchnahme des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 VvB zugunsten des Begehrens des Beschwerdeführers mangelt, unabhängig davon, daß diese Unterschiedlichkeit - wie das Verwaltungsgericht unter Billigung des Oberverwaltungsgerichts zu Recht betont hat - noch nachdrücklich durch Art. 6 Abs. 1 G G bekräftigt wird, indem diese Bestimmung ausschließlich Ehe und Familie, nicht aber gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stellt, findet die Forderung des Beschwerdeführers nach einer generellen rechtlichen Gleichbehandlung eines homosexuellen Lebenspartners mit einem Familienangehörigen weder im Zweck des § 5 Abs. 1 Satz 2 lit. c WoBindG noch in dem mit dem Wohnungsbindungsgesetz verfolgten Subventionsziel eine Stütze. Nach der Recht-

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sprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann „Zweck der Ausnahmeregelung des § 5 Abs. 1 Satz 2 Buchst, c WoBindG ... nach dem Sinnzusammenhang ersichtlich nicht sein, familienfremde Personen ... den Familienangehörigen grundsätzlich gleichzustellen. Andere Personen als Familienangehörige sollen vielmehr offenbar nur ausnahmsweise zur Vermeidung besonderer Härten berücksichtigt werden. Das entspricht auch dem vorgegebenen gesetzlichen Subventionsziel, den Wohnungsbau für Familien - kinderreiche Familien, junge Ehepaare, alleinstehende Elternteile mit Kindern - zu fördern und die Entfaltung eines gesunden Familienlebens zu gewährleisten" (Urteil vom 5. Juli 1985 - BVerwG 8 C 22/83 - BVerwGE 72,1, 3 f.). Die Entscheidung über die Kosten folgt aus den §§ 33 f. VerfGHG. Dieser Beschluß ist unanfechtbar.

Nr. 4 Zur Gewährleistung vorläufigen Rechtsschutzes im Hinblick auf ein Normenkontrollverfahren der Bezirke gegen die Neuorganisation der Schulaufsicht und die Errichtung eines Landesschulamts. Verfassung von Berlin Art. 51 Gesetz über den Verfassungsgerichtshof §§ 14 Nr. 9, 31, 57 Gesetz über die Neuorganisation der Schulaufsicht und die Errichtung eines Landesschulamts in Berlin vom 26. Januar 1995 (GVBl. S. 26) Beschluß vom 9. Februar 1995 - VerfGH 14 A/95 in dem Verfahren über den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung des Bezirks Kreuzberg von Berlin und anderer Bezirke von Berlin.

Entscheidungsformel: Der Antrag wird zurückgewiesen. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei. Auslagen werden nicht erstattet.

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Gründe : I. Die Antragsteller machen als Bezirke des Landes Berlin mit Schriftsatz vom 31. Januar 1995 geltend, daß die durch das am 31. Januar 1995 verkündete, am 1. Februar 1995 in Kraft getretene Gesetz über die Neuorganisation der Schulaufsicht und die Errichtung eines Landesschulamts in Berlin vom 26. Januar 1995 (GVBl. S. 26) geregelte Abgrenzung der Zuständigkeitsbereiche zwischen ihnen und der Hauptverwaltung die Verfassung von Berlin (VvB) verletze und insbesondere mit dem Subsidiaritätsgebot des Art. 51 Abs. 1 VvB unvereinbar sei. Durch das bezeichnete Gesetz werden wesentliche Teile des Schulwesens, die bisher in der Zuständigkeit der Antragsteller lagen, einem Landesschulamt als nachgeordneter Einrichtung der für das Schulwesen zuständigen Senatsverwaltung übertragen (Art. I § 1 Satz 1). Insbesondere übt nunmehr das Landesschulamt - statt der Antragsteller - die Schulaufsicht als untere Schulaufsichtsbehörde über die Schulen im Land Berlin aus (Art. I § 1 Satz 2). Überdies ist das Landesschulamt anstelle der Antragsteller Dienstbehörde und Personalstelle der Lehrer und sonstiger im Schulwesen tätiger Dienstkräfte (Art. I § 1 Abs. 5 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 und Ani. 1). Ferner werden in weiteren Bestimmungen des Gesetzes Organisations- und Zuständigkeitsbereiche der Antragsteller auf die Hauptverwaltung verlagert, und zwar durch Änderung einer Reihe von Einzelgesetzen (Art. II ff.). Die Antragsteller begehren im Hauptsacheverfahren die Feststellung der Nichtigkeit des Gesetzes vom 26. Januar 1995 im wesentlichen mit der Begründung, es fehle mit Blick auf die in diesem Gesetz geregelten Gegenstände an den Voraussetzungen, unter denen der Senat durch die Hauptverwaltung gemäß Art. 51 Abs. 1 VvB Aufgaben wahrzunehmen berechtigt sei. Außerdem verstoße das Gesetz gegen den in Art. 50 Abs. 1 VvB festgeschriebenen Grundsatz der bürgernahen Verwaltung, da die Schulverwaltung bürgernah wie in den letzten Jahrzehnten - nur durch die Antragsteller durchgeführt werden könne. In dem hier zu beurteilenden Verfahren über den Erlaß einer einstweiligen Anordnung beantragen die Antragsteller, gemäß § 31 VerfGHG anzuordnen, daß das Gesetz über die Neuorganisation der Schulaufsicht und die Einrichtung eines Landesschulamts in Berlin vom 19. Januar 1995 bis zur Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs über den Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit dieses Gesetzes nicht in Kraft tritt,

hilfsweise, dem Senat von Berlin, vertreten durch die zuständigen Senatsmitglieder, im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 31 VerfGHG zu untersagen, das

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Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin Gesetz über die Neuorganisation der Schulaufsicht und die Errichtung eines Schulamts in Berlin vom 19. Januar 1995 bis zur Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs über den Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit dieses Gesetzes zu vollziehen.

Zur Begründung ihres Antrags tragen sie im wesentlichen vor: Ihr zulässiger Antrag müsse in der Sache Erfolg haben. Die Voraussetzungen des § 31 Abs. 1 VerfGHG seien erfüllt. Die im Rahmen eines Verfahrens auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung grundsätzlich vorzunehmende Abwägung spreche für das Begehren der Antragsteller. Ergehe die einstweilige Anordnung und unterlägen die Antragsteller in der Hauptsache, bedeute das lediglich, daß der bisherige Zustand bis zur Entscheidung in der Hauptsache fortbestehe. Ergehe aber keine einstweilige Anordnung und obsiegten die Antragsteller in der Hauptsache, führe dies auf viele Jahre hinaus zu schwerwiegenden Nachteilen. Das Abgeordnetenhaus und der Senat von Berlin sind dem Antrag schriftsätzlich entgegengetreten. II. Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung ist zulässig, aber unbegründet. 1. Nach § 31 Abs. 1 VerfGHG kann der Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Wegen der meist weittragenden Folgen, die eine einstweilige Anordnung in einem verfassungsrechtlichen Verfahren auslöst, ist bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 31 Abs. 1 VerfGHG ein strenger Maßstab anzulegen. Dies gilt insbesondere, wenn eine gesetzliche Regelung außer Kraft gesetzt werden soll. In einem solchen Fall müssen die für eine vorläufige Regelung sprechenden Gründe so schwerwiegend sein, daß sie den Erlaß einer einstweiligen Anordnung unabweisbar machen. Der Verfassungsgerichtshof darf von seiner Befugnis, den Vollzug eines Gesetzes auszusetzen, nur mit größter Zurückhaltung Gebrauch machen (vgl. ebenso zu § 32 Abs. 1 BVerfGG BVerfG, u. a. Beschluß vom 7. Dezember 1 9 7 7 - 2 BvF 1,2, 4, 5/77 - BVerfGE 46,337,340 m. w. N.). Die Gründe, welche für oder gegen die Verfassungswidrigkeit eines angegriffenen Gesetzes sprechen, müssen bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 31 Abs. 1 VerfGHG außer Betracht bleiben, es sei denn, die in der Hauptsache begehrte Feststellung erweist sich als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens sind die Nachteile, die eintreten, wenn die

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einstweilige Anordnung nicht erginge, das Gesetz aber später für verfassungswidrig erklärt würde, gegen diejenigen abzuwägen, die entstünden, wenn das Gesetz nicht in Kraft träte (bzw. sein Vollzug ausgesetzt würde), es sich aber im Hauptsacheverfahren als verfassungsgemäß erwiese (vgl. u. a. Urteil vom 29. Juli 1993 - VerfGH 65 A/93* - NVwZ 1993, 263). 2. Der im Normenkontrollverfahren nach §§ 57, 14 Nr. 9 VerfGHG gestellte Hauptsacheantrag erscheint nicht von vornherein ohne Aussicht auf Erfolg. Bedenken bestehen allerdings, soweit die Antragsteller die Zusammenfassung der Schulaufsicht bei einem Landesschulamt (Art. I § 1 Abs. 1 und Abs. 2 des Gesetzes vom 26. Januar 1995) angreifen. O b insoweit der von den Antragstellern in Anspruch genommene Art. 51 Abs. 1 und Abs. 2 VvB für die Aufgabenverteilung zwischen der Hauptverwaltung und den Bezirken einschlägig ist, erscheint nicht unzweifelhaft. Insoweit könnte nämlich Art. 51 Abs. 4 Satz 2 VvB eine abschließende Regelung enthalten, die den Senat ermächtigt, aber nicht verpflichtet, Beamte der Bezirksverwaltung zur Ausübung der staatlichen Schulaufsicht mit heranzuziehen. Doch mag das im Verfahren der einstweiligen Anordnung auf sich beruhen. Denn jedenfalls im übrigen ist der Hauptsacheantrag weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Nach Art. 51 Abs. 1 und 2 VvB ist die Zuständigkeit zwischen der Hauptverwaltung und den Bezirken derart aufgeteilt, daß die Hauptverwaltung die Aufgaben wahrnimmt, „die von gesamtstädtischer Bedeutung sind oder wegen ihrer Eigenart zwingend einer einheitlichen Durchführung bedürfen" (Art. 51 Abs. 1 VvB) und „alle anderen Aufgaben der Verwaltung" von den Bezirken wahrgenommen werden (Art. 51 Abs. 2 Satz 1 VvB). Der Senat von Berlin hat zur Begründung des Entwurfs für das in Rede stehende Gesetz vom 26. Januar 1995 u. a. ausgeführt, die Wiedervereinigung der Stadt, die Entwicklung von Hauptstadtfunktionen und der angestrebte Zusammenschluß mit dem Land Brandenburg machten eine Neuordnung namentlich im Bereich der Schulverwaltung erforderlich. Durch die vorgeschlagenen Regelungen solle u. a. im inhaltlichen und personellen Bereich des Schulwesens das Zusammenwachsen der Stadt gefördert, ein unverzüglicher und flexibler Einsatz von Lehrkräften dort, wo sie gebraucht werden, erreicht, als Vorbereitung auf die Vereinigung Berlin/Brandenburg die im Staats Vertragsentwurf vorgesehenen kompatiblen Strukturen geschaffen und Einsparungen ermöglicht werden (vgl. Abgeordnetenhaus-Drucks. 12/4910, S. 7). O b dies und/oder weitere Gesichtspunkte ausreichen, um annehmen zu dürfen, eine der beiden Voraussetzungen des

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Art. 51 Abs. 1 VvB für die Wahrnehmung von Aufgaben durch die Hauptverwaltung seien erfüllt, läßt sich ohne weiteres weder bejahen noch verneinen. 3. Bei der danach gebotenen Abwägung kann nicht außer acht gelassen werden, daß es sich bei dem von den Antragstellern angestrengten Hauptsacheverfahren um ein besonderes Normenkontrollverfahren handelt, nämlich ein Normenkontrollverfahren, das ausgerichtet ist auf die Prüfung einzig der Vereinbarkeit eines Gesetzes mit der in Art. 51 VvB verfassungsrechtlich vorgegebenen Verteilung der Zuständigkeitsbereiche zwischen der Hauptverwaltung und den Bezirken. Dementsprechend kann ein betroffener Bezirk in diesem Verfahren auch ausschließlich mit dem Vorbringen gehört werden, er werde durch das zur Beurteilung gestellte Gesetz in seinen Rechten aus Art. 51 VvB verletzt (vgl. § 57 VerfGHG); Prüfungsmaßstab ist - mit anderen Worten - allein diese verfassungsrechtliche Gewährleistung (vgl. zum Prüfungsmaßstab der - jedenfalls im Ansatz - vergleichbaren kommunalen Verfassungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 b G G im einzelnen u. a. Benda/Klein, Lehrbuch des Verfassungsprozeßrechts, Rdn. 634 ff.). Das strahlt aus auf die Beantwortung der Frage, welche Gesichtspunkte in die vorzunehmende Abwägung einbezogen werden können, d. h. welche Gesichtspunkte abwägungserheblich sind. Das trifft zweifelsfrei zu auf alle Belange, die die Beteiligung der Bezirke an der Verwaltung nach den Grundsätzen der Selbstverwaltung in ihrem Kernbereich berühren, die diese Beteiligung aushöhlen, die die Existenzberechtigung, Existenz- und Funktionsfähigkeit der Bezirke in Frage zu stellen geeignet sind. Es trifft allerdings ebenso zweifelsfrei nicht zu für Belange, die ausschließlich die Individualrechtssphäre der Bediensteten und anderer durch eine Zuständigkeitsveränderung zu Lasten der Bezirke betroffenen Bürger berühren. O b gesetzliche (Zuständigkeits-)Regelungen gegen in der Verfassung von Berlin gewährleistete Grundrechte von Bürgern verstoßen, ist von diesen nach Maßgabe der dafür vorgesehenen Verfahrensvorschriften zur Prüfung zu stellen. Aus diesem Grunde ist beispielsweise nicht als abwägungserheblich anzusehen das Vorbringen der Antragsteller, die Versetzung der gesamten Beschäftigten (insbesondere der Lehrer) von den Bezirksämtern zum Landesschulamt sei für diese mit schwerwiegenden Nachteilen verbunden. Gründe des gemeinen Wohls spielen hier im Rahmen der Abwägung keine nennenswerte Rolle. Denn die umstrittenen Zuständigkeitsänderungen sind weder von derzeit erkennbarem Einfluß auf die Qualität des Schulunterrichts noch entstehen für den Fall einer eventuell notwendig werdenden Rückabwicklung erhebliche Mehrkosten. Vor diesem Hintergrund ergibt sich, daß der Erlaß der begehrten einstweiligen Anordnung nicht geboten ist. Den Nachteilen, die eintreten, wenn die einstweilige Anordnung nicht ergeht, das angegriffene Gesetz jedoch spä-

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ter für verfassungswidrig erklärt würde, kommt kein derartiges Gewicht zu, daß der Erlaß der begehrten einstweiligen Anordnung als unabweisbar anzusehen ist. Unterbleibt der Erlaß einer einstweiligen Anordnung, hat das lediglich zur Folge, daß die Hauptverwaltung jedenfalls bis zur Entscheidung in der Hauptsache einen Teil der bisher von den Bezirken im Bereich des Schulwesens erledigten Aufgaben wahrnimmt. Es ist nicht ersichtlich, daß eine Zuständigkeitsänderung für diesen Zeitraum gewichtige Nachteile für Bezirke oder das gemeine Wohl begründen könnte; dies gilt insbesondere, wenn berücksichtigt wird, daß voraussichtlich mit einer Entscheidung in der Hauptsache in etwa drei Monaten gerechnet werden kann. Mangels Vorliegens von schwerwiegenden Gründen, die die Annahme stützen könnten, es sei unabweisbar geboten, durch Erlaß einer einstweiligen Anordnung den Vollzug des vom Parlament als Repräsentanten des Volkes in dem dafür verfassungsrechtlich vorgesehenen Verfahren zustandegekommenen Gesetzes vom 26. Januar 1995 auch nur befristet auszusetzen, mußte das Begehren der Antragsteller erfolglos bleiben. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf den §§ 33 f. VerfGHG.

Nr. 5 Zur Gewährleistung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Öffentlichkeitsarbeit des Senats von Berlin vor der Volksabstimmung über die Fusion der Bundesländer Berlin und Brandenburg. Gesetz über den Verfassungsgerichtshof §§ 14 Nr. 1, 31 Abs. 1 Beschluß vom 15. März 1995 - VerfGH 12 A/95 in dem Verfahren auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung des Bürgerbundes gegen den Senat von Berlin, vertreten durch den Regierenden Bürgermeister.

Entscheidungsformel: Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung wird zurückgewiesen. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei. Auslagen werden nicht erstattet.

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Gründe: I. Der Antragsteller verstellt sich als politische Partei; sein Berliner Landesverband hat dem Landeswahlleiter die Teilnahme an den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksverordnetenversammlungen im Herbst 1995 angezeigt. Der Antragsteller lehnt eine Fusion der Bundesländer Berlin und Brandenburg ab. Das Abgeordnetenhaus von Berlin forderte im November 1993 den Antragsgegner auf, ein mit der Landesregierung Brandenburg abgestimmtes Konzept zur Information der Öffentlichkeit über Folgen und Wirkungen der Vereinigung der Länder Berlin und Brandenburg sowie über Ziele und Inhalt des Neugliederungsstaatsvertrages vorzulegen. Ziel dieses Konzeptes sollte es sein, die Bevölkerung in Berlin und Brandenburg umfassend zu informieren, so daß sie mit Sachkenntnis ihre Entscheidung im Rahmen der Volksabstimmung über eine mögliche Fusion der Länder Berlin und Brandenburg treffen könne. Der Antragsgegner legte im März 1994 ein Grobkonzept für die Öffentlichkeitsarbeit vor, in dem zwischen drei Hauptphasen unterschieden wird, nämlich der Diskussionsphase, der Ratifizierungsphase und der Phase vor den Volksabstimmungen. Im Juni 1994 wurden Arbeitsentwürfe der Senatskanzlei des Landes Berlin und der Staatskanzlei des Landes Brandenburg für einen Neugliederungsvertrag und einen Staatsvertrag betreffend die Volksabstimmung über den Neugliederungsvertrag bekanntgemacht. Mit der Vorlage dieser Arbeitsentwürfe begann nach dem Konzept des Antragsgegners die „Diskussionsphase", die mit der Vertragsunterzeichnung des Neugliederungsstaatsvertrages enden sollte. Nach dem Vorbringen des Antragsgegners soll in dieser Phase eine umfassende sachliche Diskussion über die vorgesehenen Regelungen herbeigeführt werden. In Ausführung des Informationskonzeptes entfaltete der Antragsgegner nach seinen eigenen Angaben bislang folgende Aktivitäten: 1. Seit Juni 1994 stellte der Antragsgegner die Vertragsentwürfe zur Neugliederung in Form der Abgeordnetenhaus-Drucksache 12/4522 kostenlos zur Verfügung. Soweit die Entwürfe versandt wurden, war der genannten Drucksache teilweise ein Faltblatt „Zehnmal Ja zu einem Land" beigefügt, das von der Vereinigung der Unternehmensverbände in Berlin und Brandenburg e. V. und dem Deutschen Gewerkschaftsbund - Landesbezirk Berlin-Brandenburg gemeinsam verantwortet wurde. 2. Ende Januar 1995 wurden in Berlin an etwa 700 Stellen Großplakate geklebt, die ein stilisiertes Brandenburger Tor und einen stilisierten Brandenburger Adler darstellen und auf der rechten Seite die Aufschrift enthalten „EINS FÜR ALLE Land Berlin-Brandenburg".

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3. Am Sonnabend, dem 4. Februar 1995, wurde in Berliner Tageszeitungen vom Presse- und Informationsamt des Landes Berlin eine Anzeige unter der Überschrift „Wir informieren" geschaltet, in der Argumente für und gegen eine Länderfusion einander gegenübergestellt werden; den für eine Fusion sprechenden Aussagen wurde dabei jeweils ein in Fettdruck gesetztes Schlagwort beigefügt (Beispiel: Ein Land sichert Zukunft!). 4. Seit Ende Januar 1995 wird über die Senatsverwaltungen und die Bezirksämter ein Informationsfaltblatt in einer Auflage von 300.000 Stück verteilt, in dem „Argumente für das Bundesland Berlin-Brandenburg" aufgeführt werden. 5. In der Senatskanzlei wurde eine 56seitige Broschüre mit dem Titel „Berlin Brandenburg - ein Land für alle" erarbeitet, die angefordert werden kann.

Der Antragsgegner hat für die Jahre 1994 bis 1996 die Kosten der Information der Öffentlichkeit zur Vereinigung Berlin-Brandenburg mit überplanmäßigen Ausgaben in Höhe von insgesamt 3 Mio. DM veranschlagt. Im Jahre 1994 wurden davon 25.000 DM verausgabt; die Senatsverwaltung für Finanzen beabsichtigt, für das Jahr 1995 überplanmäßige Ausgaben bis zu 750.000 DM zuzulassen. Am 30. Januar 1995 hat der Antragsteller Organklage erhoben, mit der er einen Verstoß gegen Artikel 20 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 GG und eine Verletzung des Grundsatzes der Chancengleichheit der Parteien bei Wahlen und Abstimmungen rügt. Er macht geltend, die bisherigen Maßnahmen des Antragsgegners stellten keine sachliche Information, sondern eine verfassungsrechtlich unzulässige Tendenzwerbung dar. Indem der Antragsgegner im Mantel der Information einseitig werbend und sogar manipulativ in den Willensbildungsprozeß eingreife, verletze er seine - des Antragstellers - Chancengleichheit: Zum einen befürchtet der Antragsteller, dadurch als Partei, die gegen die Fusion eintrete, beim Wähler im Rahmen der Wahlen zum Abgeordnetenhaus wesentlich weniger Chancen zu haben. Zum anderen könne er infolge der massiven einseitigen Werbekampagne des Antragsgegners seinen Verfassungsauftrag im Rahmen der vorgesehenen Volksabstimmung nur eingeschränkt wahrnehmen. Mit dem gleichzeitig gestellten Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung begehrt der Antragsteller, dem Senat von Berlin zu untersagen, bis zur Entscheidung über die Organklage 1. das Logo „EINS FÜR ALLE Land Berlin-Brandenburg" bei - auch ansonsten zulässigen - Informationen jedweder Art über die Frage der Länderfusion zwischen Berlin und Brandenburg zu verwenden, 2. vor den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus 1995 sowie vor der Volksabstimmung über den Staatsvertrag mit dem Land Brandenburg zur Bildung eines gemeinsamen Landes durch Anzeigenserien, Faltblätter und sonstige Publikationen zugunsten der Fusion mit dem Land Brandenburg werbend in den Meinungsbildungsprozeß einzugreifen,

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Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin 3. bei Verwendung und Verteilung von Informationsmaterial zum Staatsvertrag mit dem Land Brandenburg zur Bildung eines gemeinsamen Landes Material von Verbänden und Gewerkschaften beizufügen, das deren Haltung zum Staatsvertrag wiedergibt.

Der Antragsgegner beantragt, die vom Antragsteller begehrte einstweilige Anordnung nicht zu erlassen. Der Antragsgegner vertritt die Ansicht, die Maßnahmen zur Information der Bevölkerung über die geplante Vereinigung der Bundesländer Berlin und Brandenburg hielten sich im Rahmen des verfassungsrechtlich Zulässigen. Im übrigen sei die gerügte Mitversendung von Materialien von Verbänden und Gewerkschaften nicht mehr beabsichtigt. II. Der im Rahmen des vom Antragsteller geführten Organstreitverfahrens gestellte Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg. Die Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofs ist gemäß § 14 Nr. 1 VerfGHG gegeben, wenn eine politische Partei die Verletzung ihres verfassungsrechtlichen Status, zu dem auch ihr Recht auf Chancengleichheit im politischen Wettbewerb gehört, rügt (Urteil vom 17. Juni 1993 - V e r f G H 21/92*-, JR 1993, S. 432). Die Eigenschaft des Antragstellers als politische Partei und damit seine Parteifähigkeit im Organstreitverfahren steht für den Verfassungsgerichtshof zur Zeit nicht fest. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 des Parteiengesetzes, durch den der Parteienbegriff des Art. 21 Abs. 1 GG in verfassungsmäßiger Weise konkretisiert wird (vgl. BVerfGE 89, 266, 269 f. m. N.), sind Parteien Vereinigungen von Bürgern, die dauernd oder für längere Zeit für den Bereich des Bundes oder eines Landes auf die politische Willensbildung Einfluß nehmen und an der Vertretung des Volkes im Deutschen Bundestag oder einem Landtag mitwirken wollen, wenn sie nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse, insbesondere nach Umfang und Festigkeit ihrer Organisation, nach der Zahl ihrer Mitglieder und nach ihrem Hervortreten in der Öffentlichkeit eine ausreichende Gewähr für die Ernsthaftigkeit dieser Zielsetzung bieten. Ob der Antragsteller, der vom Bundeswahlausschuß für die letzte Bundestagswahl als Partei anerkannt worden war, sich an der Bundestagswahl selbst jedoch nicht beteiligt hatte, tatsächlich den Anforderungen des Parteiengesetzes an die Rechtstellung als Partei genügt und ob sein Landesverband Berlin die Voraussetzungen für die von ihm angekündigte Beteiligung an den Wahlen zum Abgeordnetenhaus von Berlin erfüllt, ist ungeklärt. Einer Auf-

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klärung dieser Fragen bedarf es zum jetzigen Zeitpunkt jedoch nicht, weil der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung ohnehin keinen Erfolg hat. Dies gilt für den Antrag zu 3. bereits deswegen, weil insoweit das Rechtsschutzbedürfnis fehlt, nachdem der Antragsgegner erklärt hat, eine Versendung des Materials von Verbänden und Gewerkschaften sei nicht mehr beabsichtigt. Aber auch im übrigen sind die Voraussetzungen für ein vorläufiges gerichtliches Einschreiten nicht erfüllt. Nach § 31 Abs. 1 VerfGHG kann der Verfassungsgerichtshof einen Zustand durch einstweilige Anordnung nur dann vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Wegen der meist weitreichenden Folgen, die eine einstweilige Anordnung in einem verfassungsgerichtlichen Verfahren auslöst, ist bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 31 Abs. 1 VerfGHG ein strenger Maßstab anzulegen. Dabei müssen die Gründe, welche für oder gegen die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Maßnahme sprechen, grundsätzlich außer Betracht bleiben, es sei denn, die in der Hauptsache begehrte Feststellung erweist sich als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet. In anderen Fällen sind die Nachteile, die einträten, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Maßnahme aber später für verfassungswidrig erklärt würde, gegen diejenigen abzuwägen, die entstünden, wenn die Maßnahme nicht in Kraft träte, sich aber im Hauptsacheverfahren als verfassungsgemäß erwiese (vgl. Urteil vom 29. Juli 1993 - VerfGH 65 A/93:;- - , NVwZ 1994, S. 263). Die vom Antragsteller in der Hauptsache im Organstreitverfahren geltend gemachten Begehren sind - seine Eigenschaft als politische Partei unterstellt - weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet; die vorzunehmende Interessenabwägung geht jedoch zu seinem Nachteil aus. Das Recht der politischen Parteien auf Chancengleichheit ist ein Anwendungsfall des in Art. 6 Abs. 1 VvB enthaltenen Gleichheitssatzes (Urteil vom 19. Oktober 1992 - VerfGH 24/92** - , NVwZ 1993, S. 1093). Dieses Recht kann verletzt sein, wenn Staatsorgane parteiergreifend zugunsten oder zu Lasten einer politischen Partei in den Wahlkampf einwirken (BVerfGE 44, 125, 146). Die vom Antragsteller beanstandeten Aktivitäten des Antragsgegners lassen allerdings einen unmittelbaren Bezug zu den im Herbst 1995 stattfindenden Wahlen zum Abgeordnetenhaus nicht erkennen. Die herausgegebenen Publikationen stellen keinen Zusammenhang zwischen der Fusion und den bevorstehenden Abgeordnetenhauswahlen her. Bislang bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, daß die Fusion zum Wahlkampfthema erhoben werden *

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könnte. Die bloße Absichtserklärung des Antragstellers, sich im Wahlkampf gegen die Fusion auszusprechen, ist insofern ohne Belang. Etwas anderes gilt jedoch möglicherweise hinsichtlich der die Fusion eindeutig befürwortenden Vorbereitung der Volksabstimmung. Es erscheint nicht ausgeschlossen, daß der Antragsgegner auch bei der Vorbereitung der für Anfang 1996 in Aussicht genommenen Volksabstimmung über die Länderfusion zu größerer Ausgewogenheit verpflichtet ist, um nicht nur dem Gebot der grundsätzlich staatsfreien Meinungs- und Willensbildung des Volkes Rechnung zu tragen (vgl. BVerfGE 37, 85, 91; BayVerfGH N V w Z - R R 1994, 529), sondern darüber hinaus auch, um den Parteien, die in dem Abstimmungskampf meinungsbildend auftreten wollen, nicht die ihnen obliegende Mitwirkung an der politischen Willensbildung des Volkes streitig zu machen (vgl. in diesem Zusammenhang auch BVerfGE 13, 54, 83 ff.). O b und inwieweit der Öffentlichkeitsarbeit des Antragsgegners vor der Volksabstimmung im Hinblick auf Rechte des Antragstellers Grenzen gesetzt sind und ob er diese überschritten hat, bedarf ggf. - die Parteieigenschaft des Antragstellers vorausgesetzt - der Klärung im Hauptsacheverfahren. Bei der insofern vorzunehmenden Interessenabwägung kommt den Belangen des Antragstellers - seine Parteieigenschaft unterstellt - kein ausschlaggebendes Gewicht zu. Uber die Hauptsache wird der Verfassungsgerichtshof in absehbarer Zeit entscheiden. Irreparable Nachteile für den Fall, daß die einstweilige Anordnung nicht ergeht, der Antragsteller aber in der Hauptsache Erfolg hat, sind nicht ersichtlich. Erwiese sich die Öffentlichkeitsarbeit des Antragsgegners im Hauptsacheverfahren als verfassungswidrig, könnte dies sofort bekanntgemacht und der Meinungsbildungsprozeß in der verbleibenden Zeit bis zur Volksabstimmung durch entsprechende Verlautbarungen wieder „neutralisiert" werden. Würde dem Antragsgegner die Fortsetzung der Öffentlichkeitsarbeit in der bisherigen Form im Wege der einstweiligen Anordnung ganz oder teilweise untersagt werden, erwiese sie sich jedoch im Hauptsacheverfahren als verfassungsrechtlich unbedenklich, entstünden demgegenüber schwerwiegende Nachteile. Der Antragsgegner hat nachvollziehbar dargelegt, daß gerade die Zeitspanne bis zu der im Frühjahr 1995 angestrebten Vertragsunterzeichnung für eine Information der Bevölkerung über den ausgehandelten Neugliederungsstaatsvertrag und über die bevorstehende Volksabstimmung erforderlich ist, da nur in der jetzt stattfindenden Diskussion über die Arbeitsentwürfe der Staatskanzleien noch Einwände und Anregungen der Bevölkerung in die Verhandlungen mit der Landesregierung Brandenburg einbezogen werden können. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf den §§ 33 und 34 VerfGHG.

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Nr. 6 Ablehnung eines Verfassungsrichters wegen der Besorgnis der Befangenheit. Gesetz über den Verfassungsgerichtshof §§17 Abs. 1, 23 Abs. 2 Beschluß vom 15. März 1995 - VerfGH 65/94 in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerden 1. des Herrn D. S. 2. des Herrn M. L. Entscheidungsformel: Das Ablehnungsgesuch gegen den Richter E. wird für begründet erklärt. Gründe: Der Richter E. wies die Beschwerdeführer in dem Verfahren VerfGH 65/ 94 mit Schreiben vom 12. Januar 1995 gemäß § 23 Satz 2 VerfGHG auf Bedenken gegen die Erfolgsaussicht der Verfassungsbeschwerde hin. Mit Schriftsatz vom 23. Januar 1995 hat der Beschwerdeführer zu 1) den Richter wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. In einer dienstlichen Erklärung vom 30. Januar 1995, die dem Beschwerdeführer zu 1) zur Kenntnis gegeben worden ist, hat der Richter dargelegt, daß er sich nicht befangen fühle. Seines Wissens sei es nicht zu irgendwelchen Differenzen gekommen, jedenfalls sei den Handakten nichts zu entnehmen. Zu näheren Ausführungen über den Fortgang sei er durch die fortwirkende anwaltliche Schweigepflicht gehindert. Dem Befangenheitsgesuch war stattzugeben. Die in § 17 Abs. 1 VerfGHG geregelte Ablehnung setzt voraus, daß ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Einen derartigen Grund hat der Beschwerdeführer zu 1) glaubhaft gemacht. Aus dem Belehrungsschreiben vom 12. Januar 1995 kann allerdings eine Befangenheit nicht hergeleitet werden. Abgesehen davon, daß die Äußerung von Rechtsansichten ohnehin keinen Ablehnungsgrund nach sich zieht, entsprach hier das Vorgehen des Richters gerade der Regelung in § 23 Satz 2 VerfGHG, wonach auf die Bedenken gegen die Zulässigkeit oder Begründetheit eines Antrags hingewiesen werden kann, um eine Verwerfung von unzu-

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lässigen oder offensichtlich unbegründeten Anträgen durch einstimmigen Beschluß des Gerichts vorzubereiten. Der weiterhin geltend gemachte Umstand, daß der Beschwerdeführer zu 1) im Jahre 1987 von dem Rechtsanwaltsbüro des Richters vertreten worden war, ist jedoch geeignet, das Ablehnungsgesuch zu rechtfertigen. Auf den Vortrag des Beschwerdeführers zu 1), das Vertrauensverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandant sei seinerzeit gestört gewesen, hat der Richter E. geäußert, er sehe sich an näheren Ausführungen durch die insoweit fortwirkende anwaltliche Schweigepflicht gehindert. Unter diesen Umständen ist mit Rücksicht auf das Aufklärungshindernis der anwaltlichen Schweigepflicht zugunsten des Beschwerdeführers von einer Besorgnis der Befangenheit auszugehen. Dieser Beschluß ist unanfechtbar.

Nr. 7 1. Prüfungsmaßstab in dem nach Maßgabe der §§ 14 N r . 9, 57 V e r f G H G zulässigen Verfahren (Normenkontrolle der Zuständigkeitsabgrenzung) sind Art. 51 VvB und in diesem Rahmen sonstige verfassungsrechtliche Vorschriften, soweit sie ihrem Inhalt nach die in Art. 51 VvB geregelte Aufgabenverteilung mitbestimmen. 2. Der Begriff „gesamtstädtische Bedeutung" in Art. 51 Abs. 1 VvB ist ein unbestimmter Verfassungsbegriff; bei der Beurteilung, ob eine Verwaltungsaufgabe von gesamtstädtischer Bedeutung ist, steht dem Gesetzgeber ein Beurteilungsspielraum zu. Dem Verfassungsgerichtshof obliegt im Streitfall die Prüfung, ob die Beurteilung des Gesetzgebers aufgrund von in das Gesetzgebungsverfahren eingeflossenen Erklärungen und Stellungnahmen oder sonstigen Überlegungen und Daten nachvollziehbar und vertretbar ist. 3. Mit Blick auf die Schulaufsicht geht Art. 51 Abs. 4 Satz 2 VvB als speziellere N o r m den Regelungen des Art. 51 Abs. 1 und 2 Satz 1 VvB vor. 4. Art. 61 Abs. 1 VvB nimmt keine eigene Abgrenzung der Zuständigkeiten für Verwaltungsaufgaben vor, sondern setzt eine derartige Zuständigkeitsaufteilung voraus; die durch Art. 61 Abs. 1 VvB begründeten personalhoheitlichen Befugnisse knüpfen an die materielle Aufgabenzuweisung an.

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5. Die Beurteilung des Gesetzgebers, die Aufgabe der Verwaltung der Personalangelegenheiten der Lehrer sei von gesamtstädtischer Bedeutung i. S. des Art. 51 Abs. 1 VvB, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Verfassung von Berlin Art. 51,61 Gesetz über den Verfassungsgerichtshof §§ 14 Nr. 9, 57 Gesetz über die Neuorganisation der Schulaufsicht und die Errichtung eines Landesschulamts vom 26. Januar 1995 (GVB1. S. 26) Urteil vom 10. Mai 1995 - VerfGH 14/95 in dem Verfahren über die Normenkontrolle der Zuständigkeitsabgrenzung des Bezirks Kreuzberg von Berlin und anderer Bezirke von Berlin wegen Feststellung der Nichtigkeit des Gesetzes über die Neuorganisation der Schulaufsicht und die Errichtung eines Landesschulamts in Berlin vom 26. Januar 1995 Entscheidungsformel: Der Antrag wird zurückgewiesen. Das Vefahren ist gerichtskostenfrei. Auslagen werden nicht erstattet. Gründe: I. Die Antragsteller machen als Bezirke des Landes Berlin geltend, die Abgrenzung der Zuständigkeitsbereiche zwischen ihnen und der Hauptverwaltung durch das am 31. Januar 1995 verkündete, am 1. Februar 1995 in Kraft getretene Gesetz über die Neuorganisation der Schulaufsicht und die Errichtung eines Landesschulamts in Berlin vom 26. Januar 1995 (GVBl. S. 26) verletze die Verfassung von Berlin (VvB) und sei insbesondere mit dem Subsidiaritätsgebot des Art. 51 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 VvB unvereinbar. Durch das bezeichnete Gesetz wird mit Wirkung vom 1. Februar 1995 ein Landesschulamt als nachgeordnete Einrichtung der für das Schulwesen zuständigen Senatsverwaltung errichtet (Art. I § 1 Abs. 1), die ihrerseits oberste Schulaufsichtsbehörde und oberste Dienstbehörde ist (Art. I § 1 Abs. 6). Mit seiner Errichtung übt das Landesschulamt die Schulaufsicht als untere Schulaufsichtsbehörde über die Schulen im Land Berlin aus (Art. I § 1 Abs. 2). Das Landesschulamt regelt die Schulorganisation nach den Vorgaben der obersten Schulaufsichtsbehörde und im Benehmen mit den Bezirken; es ist mit Ausnah-

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me der äußeren Angelegenheiten auch zuständig für die schulpraktischen Seminare (Art. I § 1 Abs. 3). Der Schulpsychologische Dienst ist in das Landesschulamt eingegliedert (Art. I § 1 Abs. 4). Das Landesschulamt ist Dienstbehörde und Personalstelle für seine Dienstkräfte (Art. I § 1 Abs. 5 Satz 1). Dementsprechend gehören seit dem 1. Februar 1995 die in der Anlage 1 zu dem Gesetz aufgeführten Dienstkräfte dem Landesschulamt an (Art. I § 2 Abs. 1). Dies trifft zu auf alle Lehrer und Dienstkräfte des Schulpsychologischen Dienstes (Anlage 1 Nrn. 1 und 2), darüber hinaus auf pädagogische Hilfskräfte und u. a. Personal- und Personalwirtschaftsstellen mit den entsprechenden Schreibdiensten (Anlage 1 Nrn. 3 bis 10). Mit Wirkung vom 1. Februar 1995 ist dem Landesschulamt namentlich für die berufsbildenden Schulen die Errichtung und Unterhaltung der erforderlichen Schulen und schulischen Einrichtungen übertragen worden; für diese Schulen stellt es die notwendige Ausstattung einschließlich der Lehr- und Lernmittel und das für die ordnungsgemäße Unterhaltung notwendige Personal (Art. II Nr. 2, § 2 Abs. 2 und 6). Entsprechendes gilt für die Staatliche Technikerschule und die Staatliche Fachschule für Optik und Fototechnik, die Staatliche Ballettschule und die Schule für Artistik sowie für Schulen mit sportlichem Schwerpunkt. Die Antragsteller begehren die Feststellung der Nichtigkeit des Gesetzes vom 26. Januar 1995 im wesentlichen mit der Begründung, es fehle mit Blick auf die in diesem Gesetz geregelten Gegenstände an den Voraussetzungen, unter denen der Senat durch die Hauptverwaltung gemäß Art. 51 Abs. 1 VvB Aufgaben wahrzunehmen berechtigt sei. Die Antragsteller beantragen, festzustellen, daß das Gesetz über die Neuorganisation der Schulaufsicht und die Errichtung eines Landesschulamts in Berlin vom 26. Januar 1995 (GVBl. S. 26) nichtig ist.

Das Abgeordnetenhaus und der Senat von Berlin sind dem Antrag entgegengetreten. II. Der nach § 14 Nr. 9 VerfGHG statthafte, den Anforderungen des § 57 VerfGHG genügende und auch sonst zulässige Antrag hat in der Sache keinen Erfolg. Nach § 14 Nr. 9 VerfGHG, der erst durch Art. IX des Gesetzes über die Reform der Berliner Verwaltung (Verwaltungsreformgesetz) vom 19. Juli 1994 (GVBl. S. 241) geschaffen worden ist, entscheidet der Verfassungsgerichtshof auf Antrag eines Bezirks bei Meinungsverschiedenheiten oder Zweifeln über

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die Vereinbarkeit der in einem Gesetz geregelten Abgrenzung der Zuständigkeitsbereiche zwischen der Hauptverwaltung und den Bezirken mit der Verfassung von Berlin. Diese bestimmt in dem ebenfalls im Zusammenhang mit der Verwaltungsreform durch das Achtundzwanzigste Gesetz zur Änderung der Verfassung von Berlin vom 6. Juli 1994 (GVBl. S. 217) neugefaßten Art. 51 VvB, daß der Senat durch die Hauptverwaltung die Aufgaben wahrnimmt, die von gesamtstädtischer Bedeutung sind oder wegen ihrer Eigenart zwingend einer einheitlichen Durchführung bedürfen (Abs. 1), und daß die Bezirke alle anderen Aufgaben der Verwaltung wahrnehmen (Abs. 2 Satz 1). Gemäß § 57 Abs. 1 V e r f G H G kann ein Bezirk im Verfahren des § 14 Nr. 9 VerfGHG ausschließlich geltend machen, er werde durch das von ihm zur Beurteilung gestellte Gesetz in seinen Rechten aus Art. 51 VvB verletzt. Dementsprechend sind Prüfungsmaßstab des Verfassungsgerichtshofs Art. 51 VvB und im Rahmen dieser Verfassungsvorschrift sonstige Bestimmungen der Verfassung von Berlin, soweit sie ihrem Inhalt nach die in Art. 51 VvB geregelte Aufgabenverteilung mitbestimmen. Ein Gesetz oder eine einzelne gesetzliche Bestimmung, die den verfassungsrechtlichen Grundsätzen der Aufgabenverteilung zwischen Hauptverwaltung und Bezirken nicht entspricht, ist gemäß § 57 Abs. 3 i. V. m. § 45 VerfGHG für nichtig zu erklären. Die Antragsteller bringen vor, bei den Aufgaben, die durch das Gesetz über die Neuorganisation der Schulaufsicht und die Errichtung eines Landesschulamts in Berlin vom 26. Januar 1995 dem der Hauptverwaltung zuzurechnenden Landesschulamt zugewiesen werden, handele es sich vorwiegend um solche, für deren Wahrnehmung sie nach Art. 51 Abs. 2 Satz 1 VvB zuständig seien. Diese Aufgaben seien nämlich weder „von gesamtstädtischer Bedeutung" noch bedürften sie „wegen ihrer Eigenart zwingend einer einheitlichen Durchführung". Dem kann nicht gefolgt werden. 1. a) Gemäß Art. 51 Abs. 3 Satz 1 VvB hat der Gesetzgeber die nähere Abgrenzung der Zuständigkeitsbereiche von Hauptverwaltung und Bezirken vorzunehmen. Dabei ist er insbesondere durch die verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art. 51 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 VvB gebunden, d. h. er darf der Hauptverwaltung grundsätzlich nur solche Verwaltungsaufgaben zur Wahrnehmung zuweisen, die entweder von „gesamtstädtischer Bedeutung" sind oder wegen ihrer „Eigenart zwingend einer einheitlichen Durchführung bedürfen". Namentlich der im vorliegenden Fall allein entscheidungserhebliche, vom Verfassungsgesetzgeber gewählte Begriff der „gesamtstädtischen Bedeutung" ist ein unbestimmter Verfassungsbegriff; bei der Beurteilung, ob eine Verwaltungsaufgabe von gesamtstädtischer Bedeutung ist, steht dem Gesetzgeber ein Beurteilungsspielraum zu. Dem Verfassungsgerichtshof obliegt im Streitfall die Prüfung, ob die Beurteilung des Gesetzgebers nachvollziehbar

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und vertretbar ist. Fehlt es daran, geht das zu Lasten des Gesetzgebers; er trägt insoweit die Darlegungslast. Der Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers folgt aus der Unbestimmtheit des Begriffs „gesamtstädtische Bedeutung"; denn die Beurteilung, ob eine Verwaltungsaufgabe den Anforderungen dieses Begriffs genügt, setzt u. a. eine Bewertung der verschiedenen Verwaltungsaufgaben, deren politische Gewichtung und eine prognostische Einschätzung von Entwicklungen voraus. Überdies hängt die Beurteilung der Bedeutung einer Aufgabe mit politischen Prioritätensetzungen zusammen, die im zeitlichen Wandel unterschiedlich vorgenommen werden und die darüber hinaus je nach der politischen Schwerpunktbildung der die Gesetzgebung tragenden Mehrheit im Abgeordnetenhaus zu unterschiedlichen Wertungen führen können. Der Gesetzgeber ist allerdings bei seiner Beurteilung, ob eine Aufgabe von gesamtstädtischer Bedeutung ist, nicht völlig frei. Aus der grundsätzlichen Entscheidung des Verfassungsgebers, die der Hauptverwaltung zuzuweisenden Aufgaben an bestimmte Voraussetzungen, nämlich die des Art. 51 Abs. 1 VvB, zu knüpfen und im übrigen die allgemeine Zuständigkeit der Bezirke für die Wahrnehmung aller sonstigen Aufgaben vorzusehen (vgl. Art. 51 Abs. 2 Satz 1 VvB), folgt, daß die Aufgabenwahrnehmung durch die Bezirke die Regel ist, während die Aufgabenwahrnehmung durch die Hauptverwaltung einer besonderen Rechtfertigung bedarf. Angesichts dessen muß die Beurteilung des Gesetzgebers nicht nur frei von Willkür sein, sondern aufgrund von in das Gesetzgebungsverfahren eingeflossenen Erklärungen und Stellungnahmen oder sonstigen Überlegungen und Daten nachvollziehbar und vertretbar erscheinen. Dem Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers entspricht die ihm obliegende Darlegungslast, d. h. das Risiko, sich entgegenhalten lassen zu müssen, daß dann, wenn es an hinreichend einleuchtenden Gründen für eine von ihm getroffene (Zuständigkeits-) Entscheidung fehlt, angenommen werden muß, die Voraussetzungen für die Erfüllung des Begriffs „gesamtstädtische Bedeutung seien nicht erfüllt. b) Darüber hinausgehenden Einschränkungen ist der Gesetzgeber entgegen dem Vorbringen der Antragsteller nicht unterworfen. Die Verfassung von Berlin geht vom Leitbild der Einheitsgemeinde aus. Nach Art. 1 Abs. 1 VvB ist Berlin eine Land und zugleich eine Stadt. Die Bezirke sind nach der Verfassung von Berlin keine selbständigen Gemeinden. Deshalb ist auch nur die Einheitsgemeinde Berlin und sind nicht ihre 23 Bezirke Träger des in Art. 28 GG enthaltenen Rechts auf kommunale Selbstverwaltung (vgl. Urteil vom 19. Oktober 1992 - VerfGH 36/92"·' - , Umdruck S. 8). Hieran hat sich durch das bereits angesprochene Achtundzwanzigste Gesetz zur Änderung der Verfassung * LVerfGE 1, 33

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von Berlin vom 8. Juli 1994 (GVBl. S. 217) nichts geändert. Zwar werden die Bezirksverwaltungen nunmehr in Art. 3 Abs. 2 VvB ausdrücklich erwähnt und wird durch das Verwaltungsreformgesetz vom 19. Juli 1994 der Bereich ihrer Zuständigkeit erweitert und stärker als bisher nach den Grundsätzen kommunaler Selbstverwaltung gestaltet. Nach dem Wortlaut des Art. 3 Abs. 2 VvB („Volksvertretung, Regierung und Verwaltung einschließlich der Bezirksverwaltungen") sind sie aber nach wie vor nur Teil der Verwaltung der Einheitsgemeinde Berlin. Andererseits können sich die Bezirke aufgrund des Art. 50 Abs. 2 VvB, nach dem sie an der Verwaltung nach den Grundsätzen der Selbstverwaltung zu beteiligen sind, sowie aufgrund der durch Art. 51 VvB vorgenommenen Verteilung der Aufgaben zwischen der Hauptverwaltung und den Bezirken gegenüber dem Gesetzgeber darauf berufen, daß die Verfassung ihnen eigene Rechte zur Wahrnehmung von Aufgaben innerhalb Berlins gewährleistet. 2. Eine an den vorstehenden Maßstäben orientierte Prüfung führt zu dem Ergebnis, daß die vom Gesetzgeber im Gesetz über die Neuorganisation der Schulaufsicht und die Errichtung eines Landesschulamts in Berlin vom 26. Januar 1995 vorgenommene Abgrenzung der Zuständigkeitsbereiche zwischen Hauptverwaltung und Bezirken verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist. Soweit der Gesetzgeber durch dieses Gesetz dem Landesschulamt als Teil der Hauptverwaltung Verwaltungsaufgaben zur Wahrnehmung zugewiesen hat, entspricht seine Entscheidung entweder einer speziellen verfassungsrechtlichen N o r m oder erscheint die ihr zugrundeliegende Beurteilung, es handele sich insoweit um eine Aufgabe von gesamtstädtischer Bedeutung, nachvollziehbar und vertretbar. a) Mit Blick auf die Schulaufsicht hat der Verfassungsgerichtshof bereits im Beschluß vom 9. Februar 1995 (VerfGH 14 A/95*) darauf hingewiesen, daß Art. 51 Abs. 4 Satz 2 VvB als speziellere N o r m der Regelung des Art. 51 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 VvB vorgeht. Daran ist festzuhalten. Nach Art. 51 Abs. 4 Satz 2 VvB können „zur Ausübung der Schulaufsicht... Beamte in den Bezirksverwaltungen herangezogen werden". Mit dieser Regelung hat der Verfassungsgesetzgeber unmißverständlich zum Ausdruck gebracht, daß die Wahrnehmung der Aufgabe der Schulaufsicht der Hauptverwaltung obliegt, diese jedoch ermächtigt ist, Beamte der Bezirksverwaltungen für die Ausübung der Schulaufsicht in Anspruch zu nehmen. Darin erschöpft sich die Bedeutung des Art. 51 Abs. 4 Satz 2 VvB. Ein Recht der Bezirke, durch die Heranziehung von Beamten der Bezirksverwaltung an der Schulaufsicht beteiligt zu sein, läßt sich aus Art. 51 Abs. 4 Satz 2 VvB nicht entnehmen. Angesichts *

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dessen begegnet die Vorschrift des Art. I § 1 Abs. 2 des Gesetzes vom 26. Januar 1995 keinen Bedenken, nach der das der Hauptverwaltung zuzurechnende Landesschulamt als untere Schulaufsichtsbehörde die Schulaufsicht über die Schulen im Land Berlin ausübt. Es kann dahinstehen, ob der (einfache) Gesetzgeber durch diese Bestimmung die durch Art. 51 Abs. 4 Satz 2 VvB zugunsten der Hauptverwaltung verfassungsrechtlich begründete Ermächtigung, Beamte der Bezirksverwaltungen für die Ausübung der Schulaufsicht heranzuziehen, gleichsam „abgeschafft" hat. Denn selbst wenn das zutreffen sollte, berührte dies ausschließlich ein Recht der Hauptverwaltung, nicht aber eines der Bezirke, so daß kein Anlaß besteht, dem hier weiter nachzugehen. Dieser Teil der Entscheidung ist einstimmig ergangen. b) Gegen die in Art. I § 2 Abs. 1 des Gesetzes vom 26. Januar 1995 angeordnete Unterstellung der bisher den Bezirken unterstehenden Lehrer unter die Personalhoheit des Landesschulamts wäre verfassungsrechtlich von vornherein nichts zu erinnern, wenn anzunehmen sein sollte, die Personalhoheit unterfiele dem Begriff „Schulaufsicht" im Sinne des Art. 51 Abs. 4 Satz 2 VvB oder wenn die Personalhoheit über die Lehrer kraft der Sonderregelung des Art. 61 Abs. 1 VvB ohnehin bei der Hauptverwaltung läge. Beides trifft indes nicht zu. Zwar ist richtig, daß das „gesamte Schulwesen", das nach Art. 7 Abs. 1 G G unter der Aufsicht des Staates steht, die Schulverwaltung und die Personalhoheit über die Lehrer umfaßt. Jedoch deckt sich der Begriff der Schulaufsicht im Sinne des Art. 51 Abs. 4 Satz 2 VvB nicht mit dem der „Aufsicht des Staates" über das „gesamte Schulwesen" (Art. 7 Abs. 1 G G ) , sondern ist enger, nämlich als klassische Aufsicht über die Tätigkeit einer anderen Behörde zu verstehen (vgl. in diesem Zusammenhang u. a. Stein/Roll, Handbuch des Schulrechts, 1988, S. 24 m. w. N.). Aus Art. 61 Abs. 1 VvB läßt sich ebenfalls nichts zugunsten der Auffassung herleiten, die Personalhoheit über die Lehrer liege kraft einer Sonderregelung bei der Hauptverwaltung, so daß schon deshalb Art. I § 2 Abs. 1 des Gesetzes vom 26. Januar 1995 keine Rechte der Bezirke verletzen könnte. Nach Art. 61 Abs. 1 VvB haben der Senat und die Bezirksämter das Recht, alle Einstellungen, Versetzungen und Entlassungen im öffentlichen Dienst vorzunehmen. Aus dem systematischen Verhältnis zwischen Art. 51 VvB einerseits und dem Art. 61 Abs. 1 VvB andererseits folgt, daß den verschiedenen Verwaltungsbereichen nach Maßgabe des Art. 61 Abs. 1 VvB diejenigen rechtlichen Befugnisse zustehen, die den ihnen zur Wahrnehmung zugewiesenen Verwaltungsaufgaben entsprechen. Art. 61 Abs. 1 VvB nimmt mithin keine eigene Abgrenzung der Zuständigkeiten für Verwaltungsaufgaben vor, sondern setzt eine derartige Zuständigkeitsverteilung voraus; die durch Art. 61 Abs. 1 VvB

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begründeten personalhoheitlichen Befugnisse knüpfen an die materiellen Aufgabenzuweisungen des Art. 51 VvB an. Die Entscheidung des Gesetzgebers, die Aufgabe der Personalangelegenheiten der Lehrer dem Landesschulamt zuzuweisen, ist jedoch durch Art. 51 Abs. 1 VvB gedeckt. Seine Beurteilung, es handele sich um eine Aufgabe von gesamtstädtischer Bedeutung, ist im Gesetzgebungsverfahren nachvollziehbar dargelegt worden und ist vertretbar. Das schließt nicht aus, daß auch eine andere Entscheidung nachvollziehbar und vertretbar erscheinen könnte. Darauf kommt es nicht an. Maßgebend ist vielmehr, ob einleuchtende Gründe für die Beurteilung des Gesetzgebers und die von ihm deshalb gewählte Lösung sprechen. Das ist hier der Fall. In der Begründung des vom Senat eingebrachten Gesetzentwurfs (vgl. Abgeordnetenhaus - Drs. 12/4910 S. 7) heißt es insoweit, die neuen Strukturen sollten unter anderem dazu beitragen, daß im personellen Bereich des Schulwesens das Zusammenwachsen der Stadt gefördert und überkommene Trennungen überwunden werden, Lehrkräfte künftig ohne Zeitverzug und flexibel in der Stadt dort eingesetzt werden, wo sie gebraucht werden, und als Vorbereitung auf die Vereinigung des Landes Berlin mit dem Land Brandenburg kompatible Strukturen geschaffen werden. In diesem Zusammenhang ist im Gesetzgebungsverfahren verdeutlicht worden, daß der Schulbetrieb als solcher und damit auch die Personalhoheit über die Lehrer traditionell im früheren Preußen und im Bundesgebiet staatliche Aufgabe sei oder gewesen sei und nur die Schulträgerschaft, d. h. die Zuständigkeit zur Errichtung und Unterhaltung der Schulbauten, traditionell gemeindliche Aufgabe sei. Das Gesetz vom 26. Januar 1995 knüpfe hieran an. Namentlich das vom Gesetzgeber angeführte Fördern des Zusammenwachsens der Stadt, die Uberwindung überkommener Trennungen und die angestrebten Spareffekte einer zentralen Zuständigkeit der Personalhoheit über die Lehrer und der damit gegebenen Möglichkeit, Lehrer aus dem Uberhang eines Bezirks ohne Zeitverlust in andere Bezirke umzusetzen, ergeben nachvollziehbar und vertretbar eine gesamtstädtische Bedeutung. Der Gesetzgeber ist insoweit nicht dadurch beschränkt, daß andere Lösungen - etwa beim Lehrereinsatz über das in Art. 61 Abs. 2 VvB vorgesehene Verfahren - möglich wären. Bei seiner Beurteilung einer Aufgabe von gesamtstädtischer Bedeutung ist er - anders als bei den Aufgaben, die wegen ihrer Eigenart zwingend einer einheitlichen Durchführung bedürfen - nicht darauf beschränkt, diejenige Aufgabenverteilung vorzunehmen, die „zwingend" erforderlich ist. Dies ergibt sich aus den unterschiedlichen Anforderungen in Art. 51 Abs. 1 VvB für die beiden Fälle der Aufgabenzuweisung. Es wird überdies durch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift belegt. Im Rechtsausschuß des Abgeordnetenhauses ist ein Antrag, auch bei der Zuweisung von Aufgaben gesamt-

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städtischer Bedeutung ein zwingendes Erfordernis vorzusehen, ausdrücklich abgelehnt worden (vgl. Inhaltsprotokoll der 53. Sitzung des Rechtsausschusses des Abgeordnetenhauses, 12. Wahlperiode, vom 14. April 1994, S. 6). Liegt nach der Beurteilung des Gesetzgebers eine Aufgabe von gesamtstädtischer Bedeutung vor, kann er die Aufgabenzuweisung an die Hauptverwaltung selbst dann vornehmen, wenn andere Lösungsmöglichkeiten denkbar wären. Deshalb ist es verfassungsrechtlich unerheblich, ob - wie die Antragsteller geltend machen - die Personalhoheit über die Lehrer seit 1945 überwiegend bei den Bezirken lag. Unter Berücksichtigung der zuvor bezeichneten, die Annahme einer gesamtstädtischen Bedeutung tragenden Gesichtspunkte kann schließlich dahinstehen, ob sich auch aus der vom Gesetzgeber angestrebten Kompatibilität der Schulorganisation in den Ländern Berlin und Brandenburg eine gesamtstädtische Bedeutung begründen ließe. Dieser Teil der Entscheidung ist mit fünf zu drei Stimmen ergangen. c) Nachvollziehbar und vertretbar ist ferner die Entscheidung des Gesetzgebers betreffend die Unterstellung der Dienstkräfte des Schulpsychologischen Dienstes und der pädagogischen Hilfskräfte einerseits sowie der Personalsachbearbeiter andererseits unter das Landesschulamt (vgl. Art. I § 2 Abs. 1 des Gesetzes vom 26. Januar 1995 i. V. m. Anlage 1). Mit Blick auf ersteren Personenkreis spricht bereits die enge sachliche Zusammenarbeit mit den Lehrkräften sowie das auch insoweit angestrebte Ziel einer Flexibilisierung des Personaleinsatzes für die Beurteilung des Gesetzgebers, hier sei das Merkmal der gesamtstädtischen Bedeutung erfüllt. Im übrigen ist es sachgerecht und deshalb nachvollziehbar und vertretbar, daß die Verwaltungskräfte der Verwaltungsstelle zugeordnet werden, die die jeweilige Verwaltungsaufgabe wahrzunehmen hat. Dieser Teil der Entscheidung ist mit fünf zu drei Stimmen ergangen. d) Ebenfalls nicht zu beanstanden ist die vom Gesetzgeber getroffene Beurteilung, daß abweichend von der generellen Trennung der Aufgabenbereiche der (Unterhaltungs-)Schulträgerschaft einerseits (Aufgabe der Bezirke nach § 2 Abs. 2 des Schulgesetzes i. d. F. vom 26. Januar 1955) und des Schulbetriebs andererseits für die berufsbildenden Schulen einschließlich der Staatlichen Technikerschule und der Staatlichen Fachschule für Optik und Fototechnik dem Landesschulamt nicht nur der Schulbetrieb, sondern auch die (Unterhaltungs-)Schulträgerschaft zugeordnet worden ist. Die berufsbildenden Schulen, insbesondere die Oberstufenzentren, sind von ihrer berufsspezifischen Aufgabenstellung her auf die Aufnahme von Schülern aus der gesamten Stadt Berlin ausgerichtet. Von daher erscheint - anders als bei den allgemeinbildenden Schulen - eine Übertragung auch der (Unterhaltungs-)Schulträgerschaft auf das Landesschulamt nachvollziehbar und vertretbar. Der in

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der Gesetzesvorlage enthaltene Hinweis, daß die Zuordnung dieser Schulen zur Hauptverwaltung von den Schulen selbst, von Lehrerverbänden und von den Sozialpartnern gewünscht werde (vgl. Abgeordnetenhaus - Drs. 12/4910, S. 7), vermag zwar die gesamtstädtische Bedeutung einer Aufgabe nicht zu begründen, unterstreicht aber die Nachvollzieh- und Vertretbarkeit der gesetzgeberischen Regelung. Dieser Teil der Entscheidung ist mit fünf zu drei Stimmen ergangen. e) Überdies begegnet die vom Gesetzgeber getroffene Entscheidung keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken, die (Unterhaltungs-) Schulträgerschaft für die Schulen mit sportlichem Schwerpunkt, d. h. insbesondere die bauliche Unterhaltung und die übliche Ausstattung mit Lehr- und Lernmitteln, dem Landesschulamt zu übertragen. Die Annahme des Gesetzgebers, bei der (Unterhalts-)Schulträgerschaft für die Schulen mit sportlichem Schwerpunkt handele es sich um eine Aufgabe von gesamtstädtischer Bedeutung, ist nachvollziehbar und vertretbar. Die drei in Rede stehenden Schulen, um die es bei der Regelung in § 2 Abs. 6 des Schulgesetzes i. d. F. vom 26. Januar 1995 ungeachtet ihres allgemein gefaßten Wortlauts allein geht, sind hervorgegangen aus den vier Kinderund Jugendsportschulen im ehemaligen Berlin (Ost). Durch Errichtungsverfügungen vom 28. Juli 1991 ist diesen Schulen neben der üblichen schulischen Bildung die besondere Förderung sportlich begabter Schülerinnen und Schüler als Aufgabe zugewiesen worden. Das Sportprofil dieser Schulen, die nach den bezeichneten, inzwischen modifizierten Errichtungsverfügungen im Endausbau außer einem normalen Zug jeweils mehrere sportbetonte Züge bieten sollten, wird wesentlich geprägt von einer zwischen dem Landessportbund/ den Fachverbänden und der Schule detailliert abgestimmten Verzahnung von Training und Unterricht. Zu den Klassen der sportbetonten Züge sowie den angegliederten Internatsbetrieben können aus allen Bundesländern, zu den jetzt lediglich noch an einer der Schulen geführten Normalklassen nur Kinder aus den Berliner Bezirken angemeldet werden. Schülerinnen und Schüler der drei Schulen waren und sind viele Jugendliche, die bereits im internationalen Rahmen und bei olympischen Spielen zum Einsatz gekommen sind; die Schulen werden von zahlreichen Bundes- und Landeskaderathleten besucht. Die Erfüllung der damit skizzierten Anforderungen an diese Schulen rechtfertigt die Beurteilung des Gesetzgebers, die Wahrnehmung der (Unterhaltungs-) Trägerschaft für diese Schulen sei von einer die einzelnen Bezirke überschreitenden, gesamtstädtischen Bedeutung. Dieser Teil der Entscheidung ist mit fünf zu drei Stimmen ergangen. f) Entsprechendes gilt schließlich für die Staatliche Ballettschule und Schule für Artistik. Insoweit ist nicht zuletzt durch die im Haushaltsplan des

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Landes Berlin 1995/96 im Rahmen der allgemeinen Erläuterungen (Kapitel 07 84) enthaltene Aussage, diese Schule solle in gemeinsamer Schulträgerschaft mit anderen Bundesländern und gegebenenfalls dem Bund geführt werden, die gesamtstädtische Bedeutung nachvollziehbar und vertretbar zum Ausdruck gebracht. Dieser Teil der Entscheidung ist einstimmig ergangen. 3. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 33 f. VerfGHG. Dieses Urteil ist unanfechtbar.

Nr. 8 Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch fehlerhafte Anwendung von Präklusionsvorschriften. Verfassung von Berlin Art. 62 Zivilprozeßordnung §§ 282 Abs. 1 und 296 Abs. 2 Beschluß vom 21. Juni 1995 - VerfGH 73/94 in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Herrn M. S. gegen das Urteil des Amtsgerichts Lichtenberg vom 5. Juli 1994 - 3 C 387/93 Entscheidungsformel: Das Urteil des Amtsgerichts Lichtenberg vom 5. Juli 1994 - 3 C 387/93 verletzt das Grundrecht des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör und wird aufgehoben. Die Sache wird an das Amtsgericht Lichtenberg zurückverwiesen. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei. Das Land Berlin hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten. Gründe: I. Die Verfassungsbeschwerde wendet sich gegen ein Urteil des Amtsgerichts Lichtenberg vom 5. Juli 1994, durch das die Klage des Beschwerdefüh-

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rers gegen Frau J. auf Zahlung von 395,00 D M nebst Zinsen abgewiesen worden ist. Der Beschwerdeführer betreibt in Berlin ein Reisebüro. Zu seinen ständigen Kunden gehörte im Jahre 1992 Frau J., die wiederholt bei ihm Flugscheine für Flüge von Berlin nach Münster und zurück erwarb. Da sie den Flugschein für einen Flug vom 16./21. April 1992 nicht bezahlte, erhob der Beschwerdeführer gegen sie die eingangs erwähnte Klage. In diesem Klageverfahren rechnete Frau J. mit einem Teilbetrag von 395,00 D M einer Gegenforderung auf, die sie wie folgt begründete: Ein für einen Flug am 3. April 1992 von Münster nach Berlin bei dem Beschwerdeführer zum „Superflieg- und Spartarif" von 297,00 D M erworbener Flugschein sei am Flughafen Münster nicht anerkannt worden, u. a. weil die Flugnummer unzutreffend angegeben gewesen sei. Sie habe deshalb einen Ersatzflugschein für 442,00 D M erwerben müssen, den ihr der Beklagte zu erstatten habe, so daß sie mit einem Teilbetrag von 395,00 D M aufrechne. Da der Beschwerdeführer die Angabe einer falschen Flugnummer bestritt, vernahm das Amtsgericht die von Frau J. als Zeugin benannte Leiterin der Flugabrechnung der Fluggesellschaft, die vor dem um Durchführung der Beweisaufnahme ersuchten Amtsgericht in Dortmund u. a. aussagte, die angegebene Flugnummer V G 404 habe es seinerzeit nicht gegeben. Das Amtsgericht Lichtenberg übersandte das Beweisprotokoll den Parteien „zur Stellungnahme binnen zwei Wochen" und beraumte Termin zur Fortsetzung der mündlichen Verhandlung auf den 14. Juni 1994 an. Der Beschwerdeführer erhielt die Terminsladung und die Aufforderung zur Stellungnahme zu Händen seines Prozeßbevollmächtigten am 4. Mai 1994; er reichte am 24. Mai 1994 einen unter dem 20. Mai 1994 verfaßten anwaltlichen Schriftsatz ein, der zugleich der Gegenseite zuging. Darin führte er u. a. aus, der geringfügige Schreibfehler von „VG 404" statt richtig „VG 504" sei nicht der Grund gewesen, weshalb die Beklagte den Flug nicht habe antreten können. Es sei vielmehr aus irgendeinem Grund „aufgeflogen", daß die Beklagte die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Billigtarifs von 297,00 D M nicht erfüllte, weil sie den Flugschein schon lange im voraus gebucht, ihn jedoch nicht innerhalb von 24 Stunden nach Ausstellung bezahlt habe. Das darin liegende Risiko sei der Beklagten von vornherein bekannt gewesen. Ergänzende Ausführungen dieses Inhalts enthielt auch ein weiterer Schriftsatz des Beschwerdeführers vom 13. Juni 1994, der im Verhandlungstermin am 14. Juni 1994 überreicht wurde. Das Amtsgericht Lichtenberg wies den Prozeßbevollmächtigten des Beschwerdeführers ausweislich des Terminprotokolls darauf hin, daß das in den beiden letzten Schriftsätzen enthaltene Vorbringen „verspätet sein wird". Eine sachliche Stellungnahme der Beklagten zum Inhalt der

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Schriftsätze wurde nicht abgegeben und seitens des Gerichts auch nicht erfordert. Mit Urteil vom 5. Juli 1994 wies das Amtsgericht die Klage ab. Zur Begründung führte es u. a. aus, die Beklagte habe wirksam mit einem Schadensersatzanspruch aus positiver Vertragsverletzung aufgerechnet. Die nunmehr erwiesene falsche Flugnummer, für die der Beschwerdeführer schon wegen des Unterbleibens einer ordnungsgemäßen Prüfung des Flugscheins vor Aushändigung haftbar sei, lasse ohne weiteres den Schluß darauf zu, daß eine Beförderung nur nach Aufzahlung oder Umbuchung möglich gewesen sei. Das Vorbringen des Klägers in seinen Schriftsätzen vom 20. Mai und 13. Juni 1994, mit denen er die Ursächlichkeit der unrichtigen Flugnummer für die Nichtbeförderung der Beklagten bestreite, sei verspätet und daher gemäß §§ 282 Abs. 1, 296 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, da es eine weitere Beweisaufnahme erforderlich gemacht hätte. Zu den Gründen der Nichtbeförderung hätte der Kläger zumindest vor Vernehmung der Zeugin vortragen müssen; es liege eine grob nachlässige Verletzung der Prozeßförderungspflicht vor. Der Beschwerdeführer hat gegen dieses ihm am 7. Juli 1994 zugegangene Urteil am 6. August 1994 beim Verfassungsgerichtshof Verfassungsbeschwerde eingelegt. Er rügt, daß das Amtsgericht mit der Nichtberücksichtigung seiner Schriftsätze vom 20. Mai und 13. Juni 1994 sein Grundrecht auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt habe. Die Beklagte des Ausgangsverfahrens sowie die Senatsverwaltung für Justiz haben gemäß §§ 53 VerfGHG Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten. II. 1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Nach § 49 Abs. 1 VerfGHG kann jedermann mit der Behauptung, durch die öffentliche Gewalt des Landes Berlin in einem seiner in der Verfassung von Berlin enthaltenen Rechte verletzt zu sein, die Verfassungsbeschwerde zum Verfassungsgerichtshof erheben. Soweit, wie hier, Gegenstand der Verfassungsbeschwerde die Anwendung von Bundesrecht, nämlich der §§ 282 Abs. 1 und 296 Abs. 2 ZPO, ist, besteht die Prüfungsbefugnis des Verfassungsgerichtshofs in den Grenzen der Art. 142, 31 GG allein hinsichtlich solcher Grundrechte der Verfassung von Berlin, die mit vom Grundgesetz verbürgten Grundrechten übereinstimmen (st. Rspr., u. a. Beschluß vom 2. Dezember 1993 - VerfGH 89/93:· - N J W 1994, 437). Vor diesem Hintergrund kann sich der Beschwerdeführer auf das durch die Verfassung von Berlin, namentlich durch Art. 62 VvB, inhaltsgleich mit Art. 103 GG gewährleistete Grundrecht *

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auf rechtliches Gehör (vgl. Beschluß vom 15. Juni 1993 - VerfGH 1 S/92" = JR 1993, 519 und vom 11. August 1993 - VerfGH 58/93 - ) berufen, dessen Verletzung er durch seine Bezugnahme auf Art. 103 GG sinngemäß und in einer den Anforderungen des § 50 VerfGHG genügenden Weise gerügt hat. Da nach der Höhe der Beschwer eine Berufung nicht zulässig gewesen wäre (§511 a Abs. 1 ZPO), ist der Rechtsweg erschöpft (§ 49 Abs. 2 Satz 1 VerfGHG). 2. Die Verfassungsbeschwerde ist begründet. Der angefochtene Beschluß des Amtsgerichts Lichtenberg beruht auf einer Verletzung des in der Verfassung von Berlin verbürgten Grundrechts des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör und ist daher gemäß § 54 Abs. 3 VerfGHG aufzuheben. a) Die Zurückweisung des Vorbringens des Beschwerdeführers in seinen Schriftsätzen vom 20. Mai und 13. Juni 1994 ist nach §§ 282 Abs. 1,296 Abs. 2 ZPO, auf die das Amtsgericht die Zurückweisung gestützt hat, nicht gerechtfertigt. Zweifelhaft ist bereits, ob das Vorbringen überhaupt verspätet war. Eine Überschreitung der vom Amtsgericht anläßlich der Ubersendung des Protokolls der Beweisaufnahme gesetzten Frist von zwei Wochen kann dem Beschwerdeführer nicht entgegengehalten werden. Diese Frist bezog sich auf die Stellungnahme zur Beweisaufnahme und war keine Ausschlußfrist für weiteres Vorbringen. Zweifelhaft ist ferner, ob die Annahme einer Verspätung, wie das Amtsgericht meint, auf § 282 Abs. 1 ZPO gestützt werden kann. Das in dieser Vorschrift enthaltene Gebot einer sorgfältigen und auf Förderung des Verfahrens bedachten Prozeßführung besteht nur nach Maßgabe der „Prozeßlage", schließt mithin auch ein unter taktischen Gesichtspunkten erfolgendes sukzessives Vorbringen nicht stets aus (vgl. BVerfGE 54, 117, 126 f.). Da der Vortrag einer bewußten Tarifverletzung möglicherweise Weiterungen zu Lasten des von dem Beschwerdeführer betriebenen Reisebüros zur Folge haben konnte, lag es für den Beschwerdeführer nahe, diesen Vortrag solange zurückzustellen, wie er noch mit einem für ihn günstigen Ausgang der Beweisaufnahme über die Richtigkeit der Flugnummer rechnen konnte. Dies mag indes dahinstehen. Denn selbst wenn man mit dem Amtsgericht eine Verspätung im Sinne von § 282 Abs. 1 ZPO annimmt, war es verfahrensrechtlich nicht gerechtfertigt, das Vorbringen der Schriftsätze vom 20. Mai und 13. Juni 1994 ohne weiteres zurückzuweisen. Denn es ist vom Amtsgericht nicht aufgeklärt worden, ob die Zulassung dieses Vorbringens die Erledigung des Rechtsstreits verzögert hätte. Zum einen hat das Amtsgericht nicht erwogen, ob das Vorbringen des Beschwerdeführers in seinem Schriftsatz vom 20. Mai 1994, auf den die Beklagte nicht erwidert hat, obwohl ihr der SchriftLVerfGE 1, 81

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satz drei Wochen vor dem Verhandlungstermin zugegangen war, als zugestanden im Sinne von § 138 Abs. 3 ZPO anzusehen ist. Zum anderen aber hätte das Amtsgericht gemäß § 139 Abs. 1 ZPO die Beklagte in der mündlichen Verhandlung zu einer Erklärung zumindest zu diesem Schriftsatz auffordern und notfalls die Stellung eines Antrags auf Einräumung einer Erklärungsfrist (§ 283 ZPO) anregen müssen (BGHZ 94,195,214). Es konnte sich dieser Aufklärungspflicht auch nicht unter Hinweis auf die von ihm angenommene Verspätung der beiden Schriftsätze entziehen, da erst nach einer Einlassung der Beklagten beurteilt werden konnte, ob die Zulassung des in den Schriftsätzen vom 20. Mai und 13. Juni 1994 enthaltenen neuen Vorbringens zu einer Verzögerung des Rechtsstreits führen würde. Hätte nämlich die Beklagte den Tarifverstoß und seine Ursächlichkeit für die Nichtbeförderung eingeräumt, so hätte es keiner weiteren Beweisaufnahme bedurft. Der Rechtsstreit wäre vielmehr im Sinne einer Stattgabe der Klage entscheidungsreif gewesen. Daß die Einräumung einer Erklärungsfrist für sich genommen noch keine Verzögerung des Rechtsstreits im Sinne von § 296 ZPO bedeutet, entspricht der ständigen zivilgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. etwa BGH W M 1985,264). Unterließ es das Gericht entgegen § 139 Abs. 1 ZPO, die von dem verspäteten Vorbringen belastete Partei zu einer Äußerung und notfalls zur Beantragung einer Erklärungsfrist aufzufordern, ist es verfahrensrechtlich nicht zulässig, das verspätete Vorbringen gemäß § 296 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen (BGHZ 94,195, 214). b) Da die Anwendung von Präklusionsvorschriften dazu führt, daß eine Partei mit ihrem zurückgewiesenen Vorbringen vor Gericht nicht gehört wird, kann die ungerechtfertigte Zurückweisung tatsächlichen Vorbringens als verspätet eine Verletzung des Grundrechts auf Gewährung rechtlichen Gehörs darstellen. Dies ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 103 Abs. 1 GG, der der Verfassungsgerichtshof für das landesverfassungsrechtliche Grundrecht auf Gewährung rechtlichen Gehörs folgt, insbesondere der Fall, wenn ein Gericht bei der Anwendung des § 296 Abs. 2 ZPO von der Auslegung, die diese Vorschrift durch die höchstrichterliche Rechtsprechung erfahren hat, abweicht, ohne die Gründe hierfür und deren Vereinbarkeit mit dem Grundrecht auf Gewährung rechtlichen Gehörs darzulegen (BVerfGE 81, 97, 106). So liegt es hier: Das Amtsgericht Lichtenberg hat es entgegen der höchstrichterlichen Rechtsprechung unterlassen, die Beklagte zu einer Stellungnahme zu dem Vorbringen des Beschwerdeführers, ein Tarifverstoß sei der wirkliche Grund für die Nichtanerkennung des Flugscheins gewesen, notfalls unter Einräumung einer Erklärungsfrist aufzufordern. Es hat statt dessen das Vorbringen ohne weiteres als verspätet zurückgewiesen. Dies stellt nicht nur eine einfachgesetzliche Verletzung des § 296 Abs. 2 ZPO dar, son-

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dem begründet zugleich wegen der unzulänglichen Verfahrensleitung und der Verletzung der gerichtlichen Fürsorgepflicht einen Verstoß gegen das Grundrecht auf Gewährung rechtlichen Gehörs (so zu Art. 103 Abs. 1 GG BVerfGE 81, 97,106; 81,165,273). Dieser Verfassungsverstoß führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückweisung der Sache an das Amtsgericht. Diese Entscheidung ist mit 6 zu 2 Stimmen ergangen. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf den §§ 33, 34 Abs. 1 VerfGHG. Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Nr. 9 1. Die in Art. 20 Abs. 1 VvB verbürgte Freiheit der Religionsausübung gewährt dem Einzelnen einen von staatlichen Eingriffen freien Rechtsraum, in dem er sich in religiöser Hinsicht die Lebensform zu geben vermag, die seiner Uberzeugung entspricht. 2. Art. 20 Abs. 1 VvB gebietet es dem Gesetzgeber nicht, generell kirchliche Feiertage als allgemeine Feiertage anzuerkennen oder zu erhalten. 3. Art. 22 Abs. 1 VvB gewährleistet keinen festen Bestand an gesetzlichen Feiertagen. Verfassung von Berlin Art. 20 Abs. 1, 22 Erstes Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Sonn- und Feiertage vom 2. Dezember 1994 (GVBl. S. 491) Beschluß vom 16. August 1995 - VerfGH 1/95 in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Herrn D. M. gegen das Erste Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Sonn- und Feiertage vom 2. Dezember 1994 (GVBl. S. 491). Entscheidungsformel: Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei. Auslagen werden nicht erstattet.

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Gründe: I. Der Beschwerdeführer wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen das Erste Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Sonn- und Feiertage vom 2. Dezember 1994 (GVBl. S. 491). Durch dieses Gesetz sind Nr. 8 des Gesetzes über die Sonn- und Feiertage vom 9. November 1954 (GVBl. S. 615), der den Büß- und Bettag zum allgemeinen Feiertag bestimmt hatte, und § 2 Abs. 3, der für Lehrer und Schüler aller Schularten Unterrichtsfreiheit an den kirchlichen Feiertagen ihrer Religionsgesellschaft gewährte, gestrichen worden. Hierdurch soll dem durch Art. I des Gesetzes zur sozialen Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit (Pflege-Versicherungsgesetz) vom 26. Mai 1994 (BGBl. I S. 1014) geschaffenen § 58 Abs. 2 SGB XI Rechnung getragen werden, der vorsieht, daß zum Ausgleich der mit den Arbeitgeberbeiträgen zur gesetzlichen Pflegeversicherung verbundenen Belastungen der Wirtschaft die Länder einen gesetzlichen landesweiten Feiertag, der stets auf einen Werktag fällt, aufheben. Soweit das nicht geschieht, müssen nach § 58 Abs. 3 SGB XI die Arbeitnehmer den Beitrag zur sozialen Pflegeversicherung in voller Höhe tragen, der sonst zur Hälfte von den Arbeitgebern getragen wird (§ 58 Abs. 1 SGB XI). Der Beschwerdeführer sieht sich durch die Abschaffung des Büß- und Bettages in seinem durch Art. 20 Abs. 1 VvB gewährleisteten Recht auf ungestörte Religionsausübung verletzt. Ein wesentliches Merkmal der ungestörten Religionsausübung sei die gemeinsame Teilnahme der Familie an den Veranstaltungen eines kirchlichen Feiertages. Diese werde durch die gesetzliche Neuregelung unmöglich gemacht, da einzelne Familienmitglieder nunmehr auch am Büß- und Bettag arbeiten müßten. Die Regelung des § 2 Abs. 2 des Gesetzes, nach der Arbeitnehmern an einem Feiertag ihrer Religionsgesellschaft Gelegenheit zum Besuch kirchlicher Veranstaltungen zu geben sei, laufe in der Praxis leer, weil die Geltendmachung dieses Anspruchs negative Folgen für die Zusammenarbeit in den Betrieben hätte. Außerdem sei für ihn und seine Familie wesentlicher Bestandteil des Büß- und Bettages die Pflege der Gräber der Verstorbenen. An einem Werktag sei es ihm wegen der Verkehrsdichte nicht möglich, wie bisher mehrere Friedhöfe zu besuchen. Der Beschwerdeführer rügt außerdem die Verletzung der Präambel des Grundgesetzes, die auf die Verantwortung des Menschen vor Gott Bezug nehme. Dem Abgeordnetenhaus und dem Senat von Berlin ist gemäß §§ 53 Abs. 3, 54 VerfGHG Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden.

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II. Die Verfassungsbeschwerde hat keinen Erfolg. 1. Die Verfassungsbeschwerde ist nach § § 4 9 Abs. 1, 50, 51 Abs. 2 VerfGHG zulässig, soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung seines in Art. 20 Abs. 1 VvB enthaltenen Grundrechts auf ungestörte Religionsausübung durch das Erste Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Sonn- und Feiertage rügt. Wie sich aus § 51 Abs. 2 VerfGHG ergibt, kann die Verfassungsbeschwerde auch unmittelbar gegen ein Gesetz gerichtet werden, sofern der Beschwerdeführer geltend machen kann, durch das Gesetz selbst, gegenwärtig und unmittelbar in seinen sich aus der Verfassung von Berlin ergebenden Rechten verletzt zu sein (Beschluß vom 17. September 1992 - VerfGH 16/ 92 - ) . Diese Voraussetzung ist erfüllt, da die Folgen, in denen der Beschwerdeführer eine Verletzung seines Grundrechts auf ungestörte Religionsausübung sieht, unmittelbar durch das Gesetz selbst, nämlich durch die Streichung des Büß- und Bettages als gesetzlicher Feiertag, beim Beschwerdeführer eintreten. Die Verfassungsbeschwerde ist hingegen unzulässig, soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung der Präambel des Grundgesetzes geltend macht. Nach § 49 Abs. 1 VerfGHG kann die Verfassungsbeschwerde zum Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin nur auf die Verletzung von in der Verfassung von Berlin enthaltenen Rechten, nicht hingegen auf eine Verletzung des Grundgesetzes gestützt werden. 2. Soweit die Verfassungsbeschwerde zulässig ist, ist sie unbegründet. Das Grundrecht des Beschwerdeführers auf ungestörte Religionsausübung wird nicht verletzt. Die Freiheit der Religionsausübung, die Art. 20 Abs. 1 VvB in nahezu wörtlicher Ubereinstimmung mit Art. 4 Abs. 2 G G gewährleistet, ist eine besondere Ausprägung der in Art. 4 Abs. 1 G G garantierten, in Art. 20 VvB hingegen nicht erwähnten, aber vorausgesetzten Freiheit des Glaubens und des religiösen Bekenntnisses. Sie gewährt dem einzelnen einen von staatlichen Eingriffen freien Rechtsraum, in dem er sich in religiöser Hinsicht die Lebensform zu geben vermag, die seiner Uberzeugung entspricht. Dazu gehört auch die Freiheit, den Glauben zu manifestieren, zu bekennen und zu verbreiten, sowie das Recht des einzelnen, sein gesamtes Verhalten an den Lehren seines Glaubens auszurichten und seiner inneren Uberzeugung gemäß zu handeln (so zu Art. 4 G G BVerfGE 24,236,245; 32,98,106; 41,29,49; 52,223,240 f.). In diese Freiheit greift das Gesetz vom 2. Dezember 1994 nicht ein, und zwar selbst dann nicht, wenn man annimmt, daß sie auch das Recht umfaßt, an einem dazu bestimmten kirchlichen Feiertag die Gräber der Verstorbenen aufzusuchen. Der Büß- und Bettag ist, auch wenn er nicht mehr zu den allgemeinen Feiertagen des § 1 des Sonn- und Feiertagsgesetzes rechnet,

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nach wie vor ein kirchlicher Feiertag (§ 2 Abs. 1 Sonn- und Feiertagsgesetz). Er gleicht damit zahlreichen anderen kirchlichen Feiertagen, die ebenfalls nicht zu den gesetzlich anerkannten Feiertagen gehören. Der Gesetzgeber hindert niemanden, diesen Tag gleichwohl entsprechend seinem religiösen Bekenntnis zu begehen. Er erleichtert ihm dies dadurch, daß § 2 Abs. 1 Sonnund Feiertagsgesetz vorschreibt, daß dem in einem Ausbildungs- oder Beschäftigungsverhältnis stehenden Angehörigen einer Religionsgemeinschaft Gelegenheit zum Besuch der kirchlichen Veranstaltungen zu geben ist. Es mag dahinstehen, ob diese gesetzliche Förderung kirchlicher Feiertage von Art. 20 Abs. 1 VvB zwingend geboten ist; keinesfalls gebietet Art. 20 Abs. 1 VvB dem Gesetzgeber, generell kirchliche Feiertage als allgemeine Feiertage anzuerkennen oder zu erhalten. Deshalb ist es auch verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn der Anspruch auf Unterrichtsfreiheit, den bisher § 2 Abs. 3 Sonn- und Feiertagsgesetz für alle kirchlichen Feiertage gewährte, nunmehr generell entfallen ist. Dies mag, ebenso wie die Herabstufung des Büß- und Bettages zu einem nur noch kirchlichen Feiertag, mit Erschwernissen für die Angehörigen des betroffenen religiösen Bekenntnisses verbunden sein, wie der Beschwerdeführer darlegt. Diese Erschwernisse stellen jedoch keinen staatlichen Eingriff in die Freiheit der Religionsausübung dar, sondern haben ihren Grund allenfalls darin, daß der kirchliche Feiertag nicht zu den gesetzlichen Feiertagen zählt. Vor solchen Beeinträchtigungen, die die Folge des sozialen Zusammenlebens der Menschen sind, schützt Art. 20 Abs. 1 VvB nicht. 3. Der Streichung des Büß- und Bettages als staatlicher Feiertag durch das Erste Änderungsgesetz vom 2. Dezember 1994 steht auch Art. 22 Abs. 1 VvB nicht entgegen, der bestimmt, daß u. a. die gesetzlichen Feiertage als Tage der Arbeitsruhe geschützt sind. Abgesehen davon, daß diese Vorschrift dem einzelnen kein mit der Verfassungsbeschwerde rügefähiges Grundrecht gewährt (vgl. zu Art. 147 BayVerf BayVerfGH, VerfGH 35,10,15), zielt Art. 22 Abs. 1 VvB nicht auf den Schutz gerade kirchlicher Feiertage oder religiöser Betätigung (anders beispielsweise die ebenfalls Sonn- und Feiertage betreffenden Art. 3 Abs. 1 S. 3 VerfBad.-Württ.: „Wahrung der christlichen Überlieferung"; Art. 147 BayVerf: „Seelische Erhebung"; Art. 41 VerfSaar: „Religiöse Erbauung"; Art. 25 VerfNW: „Tag der Gottesverehrung, der seelischen Erhebung"), sondern bestimmt die gesetzlichen Feiertage lediglich zu Tagen der Arbeitsruhe. Ein fester Bestand an gesetzlichen Feiertagen wird mit dieser institutionellen Garantie (Hollerbach, Handbuch des Staatsrechts, Bd. VI, § 140 Rdn. 62) nicht gewährleistet. Daher schließt Art. 22 Abs. 1 VvB die Streichung eines einzelnen Feiertages, mag er kirchlicher oder weltlicher Art sein, nicht aus. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 33, 34 VerfGHG. Dieser Beschluß ist unanfechtbar.

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Nr. 10 1. Einer juristischen Person des öffentlichen Rechts mangelt es hinsichtlich des allgemeinen Gleichheitssatzes sowie der sich aus Bestimmungen der Verfassung von Berlin ergebenden Wahlrechtsgrundsätze an einer Grundrechtsfähigkeit, so daß eine von ihr mit Blick darauf erhobene Verfassungsbeschwerde unzulässig ist. 2. Das Grundrecht auf Gleichheit der Wahl ist ein Individualrecht des Wählers, nicht jedoch ein Kollektivrecht der aus den „immatrikulierten Studenten und Studentinnen" bestehenden, von § 18 Abs. 1 BerlHG geschaffenen Teilkörperschaft „Studentenschaft". Gesetz über den Verfassungsgerichtshof § 49 Abs. 1 Beschluß vom 16. August 1995 - VerfGH 7/95 in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde der Studentenschaft der Technischen Universität Berlin, vertreten durch den Allgemeinen Studentenausschuß der Technischen Universität Berlin gegen Art. I Nr. 1 der Ersten Verordnung zur Änderung der Hochschul-Wahlgrundsätze-Verordnung vom 18. Oktober 1994 - (GVB1. S. 425) Entscheidungsformel: Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei. Auslagen werden nicht erstattet. Gründe: I. Die Beschwerdeführerin wendet sich mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen Art. I Nr. 1 der Ersten Verordnung zur Änderung der HochschulWahlgrundsätze-Verordnung vom 18. Oktober 1994 (GVBl. S. 425). Durch diese Bestimmung wird für die Wahlen der Mitglieder des Akademischen Senats, des Konzils, der Fachbereichsräte, der Hochschulmitglieder im Kuratorium und der Mitglieder des Studentenparlaments an Hochschulen des Landes Berlin, die nach den Grundsätzen der personalisierten Verhältniswahl erfolgt, die bisher vorgeschriebene Verteilung der Sitze nach dem Höchstwahlverfahren d'Hondt durch das „Verfahren der mathematischen Proportion (Hare/

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Niemeyer)" ersetzt. Die Beschwerdeführerin ist der Auffassung, daß das Verfahren Hare/Niemeyer bei Wahlen zu den kleinen Gremien einer Universität zu Verzerrungen des Wählerwillens führen könne. Sie sieht deshalb in der Einführung dieses Verfahrens durch Art. I Nr. 1 der angefochtenen Verordnung eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes des Art. 6 Abs. 1 VvB sowie der sich aus diesem Grundrecht und den Art. 26 Abs. 1, 50 Abs. 1 und 55 Abs. 1 VvB ergebenden Wahlrechtsgrundsätze der allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahl, denen sie Geltung für jegliche Wahl im öffentlich-rechtlichen Bereich, also auch für die Wahlen an den Universitäten des Landes Berlin, beimißt. Die Senatsverwaltung für Wissenschaft und Forschung und der Präsident der Technischen Universität Berlin haben sich zu der Verfassungsbeschwerde geäußert.

II. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, da die Beschwerdeführerin als juristische Person des öffentlichen Rechts für das Verfahren der Verfassungsbeschwerde nicht parteifähig ist. 1. Nach § 4 9 Abs. 1 VerfGHG kann jedermann mit der Behauptung, durch die öffentliche Gewalt des Landes Berlin in einem seiner in der Verfassung von Berlin enthaltenen Rechte verletzt zu sein, die Verfassungsbeschwerde zum Verfassungsgerichtshof erheben, soweit nicht Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht erhoben ist oder wird. Parteifähig für eine auf die Verletzung von Grundrechten gestützte Verfassungsbeschwerde ist nur, wer Träger von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten sein kann (vgl. Urteil vom 19. Oktober 1992 - VerfGH 24/92* - NVwZ 1993, 1093). Eine juristische Person des öffentlichen Rechts besitzt hinsichtlich der hier geltend gemachten Rechte keine Grundrechtsfähigkeit. Grundrechte sind in erster Linie Individualrechte des Einzelnen, die vorrangig dem Schutz seiner Freiheitssphäre dienen und darüber hinaus eine freie Mitwirkung und Mitgestaltung im Gemeinwesen sichern sollen (so zu den Grundrechten des Grundgesetzes BVerfGE 75, 192, 195). Juristische Personen in den Schutzbereich materieller Grundrechte einzubeziehen, ist daher nur gerechtfertigt, wenn ihre Bildung und Betätigung Ausdruck der freien Entfaltung natürlicher Personen ist (vgl. BVerfG aaO S. 106). Diese Voraussetzung liegt bei juristischen Personen des öffentlichen Rechts grundsätzlich nicht vor. Denn die Erfüllung der

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ihnen gesetzlich zugeordneten Aufgaben erfolgt in der Regel nicht zur Wahrnehmung. individueller Freiheiten, sondern zur Wahrnehmung gesetzlich übertragener Aufgaben und Kompetenzen (vgl. BVerfG aaO). Eine Ausnahme von diesem Grundsatz gilt nur, wenn die juristische Person des öffentlichen Rechts Aufgaben wahrnimmt, die ihrerseits unmittelbar Grundrechtsschutz genießen, wie dies beispielsweise für Universitäten und Fakultäten hinsichtlich der Freiheit von Forschung und Lehre (Art. 5 Abs. 3 G G ) oder für Rundfunkanstalten hinsichtlich der Freiheit der Berichterstattung (Art. 5 Abs. 1 G G ) der Fall ist. 2. Die Beschwerdeführerin ist nach §18 Abs. 1 Satz 2 BerlHG eine rechtsfähige Teilkörperschaft der Hochschule, die ihrerseits nach § 2 Abs. 1 Satz 1 BerlHG Körperschaft des öffentlichen Rechts und zugleich staatliche Einrichtung ist. Daher ist auch die Beschwerdeführerin eine juristische Person des öffentlichen Rechts. Ihre Aufgaben sind ihr durch Gesetz zugeordnet (§18 Abs. 2 BerlHG). Einen gerade die Wahrnehmung dieser Aufgaben umfassenden Grundrechtsschutz gewährt die Verfassung von Berlin nicht. Auch soweit die Studentenschaft dazu berufen ist, die Belange der Studenten in Hochschule und Gesellschaft wahrzunehmen, und sie in diesem Sinne ein politisches Mandat wahrnimmt (so § 18 Abs. 2 Satz 1 und 2 BerlHG), erfolgt dies aufgrund gesetzlicher Aufgabenübertragung und nicht in Wahrnehmung individueller Freiheiten der Studenten. Die Beschwerdeführerin kann daher als solche für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben Grundrechtsschutz nicht in Anspruch nehmen. 3. Aber selbst wenn man der Beschwerdeführerin Grundrechtsfähigkeit und damit Parteifähigkeit für das Verfahren der Verfassungsbeschwerde zuerkennen wollte, wäre ihre Verfassungsbeschwerde unzulässig, da die von ihr geltend gemachte Verletzung des Gleichheitssatzes und des Grundsatzes der Wahlgleichheit - eine Verletzung der übrigen von ihr geltend gemachten Grundsätze der allgemeinen, freien, unmittelbaren und geheimen Wahl scheidet ersichtlich von vornherein aus - nicht sie, sondern allenfalls die wahlberechtigten Studierenden treffen würde. Denn nur deren in der Stimmabgabe zum Ausdruck kommender Wählerwille würde verfälscht, träfen die Bedenken der Beschwerdeführerin gegen das Verfahren „Hare-Niemeyer" zu. Das Grundrecht auf Gleichheit der Wahl ist ein Individualrecht des Wählers, kein Kollektivrecht der aus den „immatrikulierten Studenten und Studentinnen" bestehenden, von § 18 Abs. 1 BerlHG geschaffenen Teilkörperschaft „Studentenschaft". Die Entscheidung über die Kosten beruht auf den §§ 33 und 34 VerfGHG. Dieser Beschluß ist unanfechtbar.

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N r . 11 1. Auch wenn eine ausländerbehördliche Ausweisung wegen Begehung einer Straftat nach der Rechtsprechung der Fachgerichte keine strafgerichtliche Verurteilung des betroffenen Ausländers voraussetzt, muß die wegen Geringfügigkeit erfolgte Einstellung des Ermittlungs- oder Strafverfahrens nach den vom Verfassungsrecht gebotenen Maßstäben für die Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit in die Abwägung einbezogen werden. 2. Der verfassungsrechtlich vorgegebene Maßstab einer sorgfältigen Sachaufklärung kann verletzt sein, wenn die Ausländerbehörde und die Verwaltungsgerichte in einem solchen Falle ihre Entscheidung ausschließlich auf die in den Ermittlungsakten befindlichen Anzeigeberichte der einschreitenden Polizeibeamten vom Tattage stützen und nicht aufgrund der späteren Einlassung des betroffenen Ausländers, der die Tat bestreitet, sich aufdrängende ergänzende Ermittlungen anstellen. Verfassung von Berlin Art. 11 Ausländergesetz §§ 45 ff. Beschluß vom 16. August 1995 - VerfGH 27/94 in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Herrn L. V. N . gegen 1. die Anordnung der sofortigen Vollziehung im Bescheid des Landeseinwohneramtes Berlin vom 26. März 1993 - IV A 22 2. den Widerspruchsbescheid der Senatsverwaltung für Inneres vom 16. April 1993 - III C 22 a - 0354/900 3. den Beschluß des Verwaltungsgerichts Berlin vom 25. Oktober 1993 - V G 15 A 3 4 7 / 9 3 4. den Beschluß des Oberverwaltungsgerichts Berlin vom 20. Dezember 1993 - O V G 8 S 483/93 Entscheidungsformel: Der Beschluß des Oberverwaltungsgerichts Berlin vom 20. Dezember 1993 - O V G 8 S 483/93 - verletzt Art. 11 VvB und wird aufgehoben. Die Sache wird an das Oberverwaltungsgericht Berlin zurückverwiesen. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei. Das Land Berlin hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.

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Gründe: I. Der 1968 geborene Beschwerdeführer ist vietnamesischer Staatsangehöriger. Er ist verheiratet und Vater eines siebenjährigen Kindes. Seine Ehefrau und sein Kind leben in Vietnam und werden von ihm finanziell unterstützt. Der Beschwerdeführer reiste im Juni 1987 in die ehemalige DDR zur Arbeitsaufnahme ein und erhielt aufgrund des Abkommens der Regierung der DDR und der Regierung der Sozialistischen Republik Vietnam über die zeitweilige Beschäftigung und Qualifizierung vietnamesischer Werktätiger in Betrieben der DDR eine Aufenthaltsgenehmigung, die das Landeseinwohneramt Berlin in eine bis zum 3. Mai 1992 befristete Aufenthaltsbewilligung übertrug. Der Beschwerdeführer war als Konfektionsarbeiter und angelernter Schneider in der textilverarbeitenden Industrie tätig und ist seit Oktober 1991 arbeitslos. Die Polizei warf dem Beschwerdeführer nach einem polizeilichen Bericht vom 7. Oktober 1991 vor, auf öffentlichem Straßenland unversteuerte und unverzollte Zigaretten vorbeigehenden Passanten zum Kauf angeboten zu haben. Bei einer Uberprüfung seien bei ihm insgesamt 540 Stück mit einem hinterzogenen Abgabewert in Höhe von 128,70 DM sichergestellt worden. Bei seiner polizeilichen Vernehmung als Beschuldigter am 28. November 1991 bestritt er, der Zigarettenverkäufer zu sein, und gab an, neben dem ihm unbekannten Verkäufer gestanden zu haben, als Polizei erschien. Der Zigarettenverkäufer sei vor dem Einschreiten der Beamten weggelaufen und habe seine Zigaretten stehenlassen. Deshalb sei die Polizei in dem irrigen Glauben gewesen, daß er der Beschwerdeführer - der Eigentümer dieser Zigaretten gewesen sei. Wegen vorhandener Sprachschwierigkeiten habe er sich mit den Beamten nicht sofort verständigen können. Die Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Berlin stellte das wegen der dem Beschwerdeführer vorgeworfenen Straftat gegen ihn eingeleitete Ermittlungsverfahren wegen Verdachts der Steuerhehlerei gemäß §§ 374, 375 AO, § 73 StGB mit richterlicher Zustimmung unter dem 5. März 1992 gemäß § 153 Abs. 1 StPO ein, weil die Schuld des Beschwerdeführers als gering anzusehen wäre und kein öffentliches Interesse an seiner strafrechtlichen Verfolgung bestehe. Mit Bescheid vom 26. März 1993 lehnte das Landeseinwohneramt Berlin den Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung ab und wies ihn wegen des Vorfalls vom 7. Oktober 1991 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung aus der Bundesrepublik Deutschland aus. Zugleich drohte es ihm unter Fristsetzung die Abschiebung nach Vietnam an. Aufgrund des Vorfalls vom 7. Oktober 1991 habe das Hauptzollamt BerlinSüd ein Steuerstrafverfahren gegen den Beschwerdeführer eingeleitet. Dieser habe gegen die Abgabenordnung und sonstige Rechtsvorschriften verstoßen.

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Gesetzesverstöße dieser Art, die vorwiegend von Ausländern begangen würden, seien in den letzten Jahren drastisch angestiegen. Um dieser erheblichen Beeinträchtigung von Interessen der Bundesrepublik Deutschland von vornherein wirksam entgegenzutreten, sei die Ausweisung geboten. An der sofortigen Vollziehung der Ausweisung bestehe angesichts der vielen Ausländer, die mit unverzollten und unversteuerten Waren handelten, ein öffentliches Interesse. Es sei zu befürchten, daß er - der Beschwerdeführer - unter Ausnutzung der aufschiebenden Wirkung von Rechtsbehelfen die rechtswidrige Handelstätigkeit fortsetze. Den gegen diesen Bescheid erhobenen Widerspruch wies die Senatsverwaltung für Inneres durch Widerspruchsbescheid vom 16. April 1993 aus den Gründen des angegriffenen Bescheides der Ausländerbehörde zurück. Hiergegen hat der Beschwerdeführer Klage erhoben, über die noch nicht entschieden ist. Seinen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wies das Verwaltungsgericht Berlin mit Beschluß vom 25. Oktober 1993 zurück. Der angefochtene Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides begegne bei summarischer Prüfung keinen rechtlichen Bedenken. Die Kammer folgte angesichts der noch am Tattag verfaßten, übereinstimmenden Niederschrift der Zeugen nicht der Einlassung des Beschwerdeführers zum Geschehen, zumal er im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren keine substantiierte Version vorgebracht habe. Die Ausweisung sei selbständig tragend auf generalpräventive Gründe gestützt. Es sei gerichtsbekannt, daß die Ausländerbehörde inzwischen auch Ausweisungen verfüge, wenn weniger als sechs Stangen Zigaretten Restbesitz sichergestellt würden. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei dadurch gerechtfertigt, daß die Effektivität der Generalprävention eine längerfristige Suspendierung der Ausweisung auch in einem Falle wie dem vorliegenden nicht angezeigt sein lasse. Die gegen diesen Beschluß erhobene Beschwerde wies das Oberverwaltungsgericht Berlin durch Beschluß vom 20. Dezember 1993 zurück. Der strafbare Handel mit unversteuerten und unverzollten Zigaretten auch bei einem Restbestand von 540 Stück erfülle die Ausweisungstatbestände der §§ 45 Abs. 1 und 46 Nr. 2 AuslG. Nach übereinstimmenden Angaben beider im Einsatz befindlichen Polizeibeamten habe der Kläger diese Zigaretten, auf einen Karton ausgebreitet, Straßenpassanten zum Kauf angeboten. Seine Einlassung bei seiner Vernehmung als Beschuldigter durch die Polizei ca. drei Wochen nach dem Vorfall, nicht er, sondern ein unbekannter geflüchteter Dritter sei der Zigarettenverkäufer gewesen, stelle lediglich eine aus der Luft gegriffene Schutzbehauptung dar. Die Polizisten hätten in ihren Berichten mit Sicherheit erwähnt, wenn sich bei dem provisorischen Verkaufsstand zwei Personen (Vietnamesen) befunden hätten, von denen eine bei ihrem Erscheinen geflüchtet wäre. Die Einstellung des strafgerichtlichen Verfahrens nach § 153 Abs. 1 StPO sei

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ausländerrechtlich irrelevant. Denn die Ausweisung sei rechtsfehlerfrei generalpräventiv begründet worden. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seines Grundrechts aus Art. 11 VvB in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip durch die Anordnung der sofortigen Vollziehung der ausländerbehördlichen Ausweisungsentscheidungen sowie durch die sie bestätigenden Beschlüsse des Verwaltungs- und Oberverwaltungsgerichts Berlin. Die Verfassungsbeschwerde sei schon vor der Erschöpfung des Rechtsweges im Hauptsacheverfahren zulässig, weil dieses nicht geeignet sei, der verfassungsrechtlichen Beschwer abzuhelfen, da der Beschwerdeführer aufgrund der angegriffenen Entscheidungen schon jetzt ausreisepflichtig sei und abgeschoben werden könne. Die angegriffenen Entscheidungen verstießen gegen Art. 11 VvB, weil § 45 AuslG wegen Verstoßes gegen das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot des Art. 20 G G und Art. 1 G G bundesverfassungswidrig sei. Denn die Norm enthalte ausschließlich objektive Tatbestandsmerkmale und berücksichtige damit nicht die Zurechenbarkeit und das Verschulden bei Straftaten. Da die N o r m auch eine Ausweisung ohne rechtskräftige Verurteilung vorsehe, verstoße sie auch gegen Art. 6 Abs. 2 MRK. Weiterhin seien die Behörden und die Verwaltungsgerichte bei ihren Entscheidungen zu Unrecht davon ausgegangen, daß die Vorschriften der §§ 45 bis 47 AuslG die Ausweisung eines Ausländers rechtfertigten, der mit unversteuerten und unverzollten Zigaretten in einem Falle gehandelt habe. Jedenfalls aber verstießen die Entscheidungen gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip, weil sie ohne erforderliche Ermessensentscheidung rein schematisch zur Ausweisung des Beschwerdeführers kämen. Weder seine persönliche, soziale noch wirtschaftliche Situation zum Zeitpunkt der ihm vorgeworfenen Straftat, noch die Geeignetheit der auf generalpräventive Erwägungen gestützten Entscheidungen sei hinreichend begründet worden. Vor allem sei hervorzuheben, daß der Beschwerdeführer bestritten habe und nach wie vor bestreite, Eigentümer der festgestellten Zigarettenmenge und damit Täter der ihm vorgeworfenen Straftat gewesen zu sein. Auf die Verfahrensbeendigung durch die Staatsanwaltschaft durch eine Einstellung gemäß § 153 Abs. 1 StPO, die ohne seine Zustimmung erfolgt sei und damit endgültige strafrechtliche Feststellungen über seine Täterschaft verhindert habe, habe er überhaupt keine Einflußmöglichkeit gehabt. Hierzu sei weiter anzumerken, daß der Beschwerdeführer bei einer beabsichtigten Verfahrenseinstellung gemäß § 153 Abs. 2 StPO, wozu seine Zustimmung erforderlich gewesen wäre, nicht zugestimmt hätte. Die Senatsverwaltung für Inneres hat gemäß § 53 V e r f G H G Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.

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II. Die Verfassungsbeschwerde hat Erfolg. 1. ...» 2. Die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffene sofortige Vollziehung der Ausweisungsverfügung verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 11 y v B , desgleichen die die Rechtmäßigkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehung bestätigenden Eilentscheidungen der Verwaltungsgerichte. a) Allerdings bestehen gegen die grundsätzliche Anwendung des § 45 Abs. 1 AuslG auch unter dem Blickwinkel des Bundesverfassungsrechts keine Bedenken (so Beschluß vom 12. Juli 1994 - VerfGH 94/93 -). Der Gesetzgeber hat für den Fall des Vorliegens der Tatbestandsvoraussetzungen der §§ 45 Abs. 1, 46 AuslG eine Ausweisung nicht zwingend vorgeschrieben, er hat sie vielmehr in das durch § 45 Abs. 2 AuslG geleitete Ermessen der Ausländerbehörde gestellt. Dadurch ist dieser genügend Raum gelassen, dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung zu tragen. Die Ausländerbehörde hat bei der Anwendung der Tatbestände der §§ 45 und 46 AuslG nach Maßgabe der jeweiligen Umstände das durch die betreffende Vorschrift geschützte öffentliche Interesse abzuwägen gegen die privaten Belange des betroffenen Ausländers, d. h. etwa gegen die Folgen der Ausweisung für dessen wirtschaftliche, berufliche und persönliche Existenz. Ohne Belang ist in diesem Zusammenhang, ob das von ihm gefundene und durch die Fachgerichte bestätigte Ergebnis in allen Einzelheiten der durch das einfache Recht bestimmten Rechtslage entspricht und ob dieses Ergebnis mehr oder weniger zu überzeugen vermag. Denn der Verfassungsgerichtshof ist keine zusätzliche gerichtliche Instanz; er ist vielmehr gegenüber den Entscheidungen der Fachgerichte in seinem Prüfungsmaßstab auf die Feststellung von Verfassungsverstößen beschränkt. Maßgebend ist dementsprechend allein, ob bei der Anwendung des einfachen Rechts im Einzelfall ein verfassungsrechtlich verbürgtes Recht - hier aus Art. 11 VvB - grundlegend verkannt worden ist (st. Rspr., vgl. Beschluß vom 12. Juli 1994 - VerfGH 94/93 -), d. h. ob das vom Fachgericht gefundene Ergebnis - hier im Lichte des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes - als schlechthin unhaltbar zu qualifizieren ist. Das ist hier der Fall. b) Unter dem Blickwinkel des Verfassungsrechts stellt es allerdings noch keinen Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dar, eine Aus-

*

Die Ausführungen zu l . a ) bis c) entsprechen den Gründen des Beschlusses vom 12. Juli 1994 - VerfGH 94/93 - LVerfGE 2 , 1 9 , 23-27.

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Weisung nach §§ 45 und 46 AuslG auf eine vorsätzliche Straftat zu stützen, um andere Ausländer vor vergleichbaren Straftaten abzuschrecken. Die Ausweisungstatbestände des Ausländergesetzes bezwecken jedenfalls auch, Ausländer, die im Bundesgebiet leben, zu veranlassen, die in diesen Tatbeständen genannten Belange der Bundesrepublik Deutschland nicht zu beeinträchtigen, insbesondere keine Straftaten zu begehen (vgl. hierzu u. a. GK-AuslR, § 45 Rdn. 463). Ein Ausländer, der sich trotz der Ausweisungsandrohung in den §§ 45 ff. AuslG von der Begehung einer Straftat nicht abhalten läßt, setzt selbst die Voraussetzung für seine Ausweisungsverfügung. Er gibt durch sein Verhalten die Veranlassung für eine generalpräventive Maßnahme (vgl. BVerfGE 50,166,176; BVerwG, Beschluß vom 30. Dezember 1993 - BVerwG 1 Β 165/ 93 - Abdruck S. 3 f.). Wenn als Folge seines Handelns die im Gesetz angedrohte Ausweisung angeordnet wird, um andere Ausländer von der Begehung von Straftaten abzuhalten, ist dies eine geeignete Maßnahme, um die Beachtung der Ausweisungstatbestände gegenüber allen in Deutschland lebenden Ausländern durchzusetzen und die generalpräventive Wirkung dieser Normen auch für die Zukunft zu sichern. c) Ein generalpräventives Motiv darf jedoch nicht zu einer (Uber-)Reaktion führen, durch die der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zwischen Mittel und Zweck verletzt wird. Ausgehend von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hält der Verfassungsgerichtshof eine generalpräventive motivierte Ausweisung aufgrund strafgerichtlicher Verurteilungen wegen Steuerhehlerei bzw. wegen von den Betroffenen zugegebenen Verstößen gegen Abgabevorschriften zwar grundsätzlich für verfassungsrechtlich unbedenklich, da der Handel mit unverzollten und unversteuerten Zigaretten, der wesentlich unter Beteiligung ausländischer Staatsangehöriger stattfindet, insbesondere zu einer erheblichen und schwerwiegenden Begleitkriminalität gerade unter einigen beteiligten ausländischen Tätern und zudem zu bedeutsamen Einnahmeverlusten des Staates geführt hat (vgl. Beschluß vom 12. Juli 1994 - VerfGH 9 4 / 9 3 - N J 1995, S. 29). Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit stellt indes besondere Anforderungen an die Ausübung des Ausweisungsermessens, wenn die Ausweisung eines straffällig gewordenen Ausländers - wie hier - allein generalpräventiven Zwecken dienen soll. Bei der generalpräventiven Aufenthaltsbeendigung ist daher besonders sorgfältig das Gewicht der mit ihr verfolgten, im öffentlichen Interesse liegenden Ziele zu ermitteln. Hierzu gehört sowohl für die Ausländerbehörde als auch für die Verwaltungsgerichte eine genaue Kenntnisnahme und Würdigung des der Aufenthaltsbeendigung zugrundeliegenden Tatgeschehens und seiner strafgerichtlichen Bewertung (vgl. BVerfGE 69,220,230). Von dieser Verpflichtung, die Umstände einer dem Betroffenen vorgeworfe-

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nen Straftat sorgfältig zu ermitteln und ihre Bewertung seitens der Strafverfolgungsorgane eingehend zu würdigen, sind die Ausländerbehörde und die Verwaltungsgerichte nicht etwa deswegen entbunden, weil § 46 Nr. 2 AuslG anders als sein Vorläufer, § 10 Abs. 1 Nr. 2 des Ausländergesetzes vom 28. April 1965, die Ausweisung nicht erst nach vorangegangener strafgerichtlicher Verurteilung erlaubt, sondern die Begehung der Straftat genügen läßt. Vielmehr sind in diesem Falle eigene Ermittlungen vorzunehmen. Im Falle des Beschwerdeführers liegt eine strafgerichtliche Verurteilung nicht vor, nicht einmal ein von ihm zugegebener Verstoß gegen Abgabevorschriften, der eine strafgerichtliche Verurteilung mit Sicherheit oder auch nur mit Wahrscheinlichkeit erwarten ließe. Vielmehr ist das aufgrund einer Strafanzeige des Polizeipräsidenten eingeleitete Ermittlungsverfahren, in dem der Beschwerdeführer den Tatvorwurf bestritten hat, ohne jede weitere Sachaufklärung eingestellt worden. Schon im Schlußbericht des Zollfahndungsamts Berlin vom 11. Dezember 1991 wurde angeregt, das Steuerstrafverfahren wegen Geringfügigkeit einzustellen. Die Staatsanwaltschaft stellte mit Zustimmung des Gerichts daraufhin das Verfahren ein, weil die Schuld des Beschwerdeführers als gering anzusehen wäre und kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung bestünde. Den vom Verfassungsrecht gebotenen Maßstäben für die Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (vgl. Beschluß vom 12. Juli 1994 VerfGH 94/93 - N J 1995, S. 29 und BVerfGE 51, 386/399) genügt die unter gleichzeitiger Anordnung der sofortigen Vollziehung ergangene Ausweisungsentscheidung vom 26. März 1993 nicht. Der die Ausweisung verfügenden Ausländerbehörde hat es ausgereicht, daß gegen den Beschwerdeführer ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde, um eine generalpräventiv begründete Ausweisung zu verfügen und für sofort vollziehbar zu erklären. Eine Klärung von Einzelheiten der Tatbegehung erfolgte nicht. Auch die schon im Vorschlag des Zollfahndungsamts Berlin vom 11. Dezember 1991 wie auch in der mit Zustimmung des Amtsgerichts Tiergarten erfolgten Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft zum Ausdruck kommende Wertigkeit einer etwaigen Strafverfehlung des Beschwerdeführers ist in der Ausweisungsverfügung vom 26. März 1993 nicht in die unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit vorzunehmende Abwägung einbezogen worden. Damit wird der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit durch die behördliche Ausweisungsentscheidung grundlegend verkannt. Das Oberverwaltungsgericht trifft zwar die Tatsachenfeststellung, daß die dem Beschwerdeführer vorgeworfene Tat von diesem begangen worden sei. Seine Einlassung bei seiner Vernehmung als Beschuldigter durch die Polizei ca. drei Wochen nach dem Vorfall, nicht er, sondern ein unbekannter geflüchteter Dritter sei Zigarettenverkäufer gewesen, stellt nach dem Beschluß des Ober-

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Verwaltungsgerichts nur eine aus der Luft gegriffene Schutzbehauptung dar. Die Polizisten hätten, so der Beschluß, „in ihren Berichten mit Sicherheit erwähnt, wenn sich bei dem provisorischen Verkaufsstand zwei Personen (Vietnamesen) befunden hätten, von denen eine bei ihrem Erscheinen geflüchtet wäre". Mit diesen Feststellungen des im Eilverfahren letztinstanzlichen Beschlusses des Oberverwaltungsgerichts Berlin vom 20. Dezember 1993 wird dem für die Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erforderlichen, vom Bundesverfassungsgericht in den erwähnten Entscheidungen vorgegebenen Maßstab einer sorgfältigen Ermittlung und Kenntnis der Einzelheiten der Tatbegehung bei einer Straftat nicht Genüge getan. Für die Vermutung der Vollständigkeit der polizeilichen Äußerungen auch im Hinblick auf die Einlassung des Beschwerdeführers besteht kein Anlaß, zumal die einschreitenden Polizeibeamten diese Einlassung bei Abfassung ihrer Berichte am Tattage noch nicht kannten und deshalb Mitteilungen über weitere am Tatort anwesende Personen möglicherweise für entbehrlich hielten. Angesichts der Einlassung des Beschwerdeführers und der nicht auszuschließenden Unvollständigkeit der polizeilichen Angaben mußten sich weitere Ermittlungen aufdrängen. Selbst wenn man aber die tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts Berlin in seinem Beschluß vom 20. Dezember 1993 als ausreichende Ermittlung der Einzelheiten der Tatbegehung ansehen wollte, wäre damit noch keine dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügende Würdigung der Wertigkeit der dem Beschwerdeführer vorgeworfenen Straftat verbunden. Der Beschluß des Oberverwaltungsgerichts Berlin vom 20. Dezember 1993 würdigt die Einstellung des „strafgerichtlichen Verfahrens nach § 153 Abs. 1 StPO" - also das Absehen von der Verfolgung durch die Staatsanwaltschaft mit Zustimmung des Amtsgerichts Tiergarten - im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht. Es führt lediglich aus, daß die Einstellung des Verfahrens ausländerrechtlich irrelevant sei. Strafgerichtliche Verurteilung oder Zugehörigkeit zur mittleren Kriminalität sei für die Annahme eines Ausweisungsgrundes nicht erforderlich. Auch wenn eine Ausweisung nach der Rechtsprechung der Fachgerichte eine Verurteilung in einem Strafverfahren nicht voraussetzen mag, verkennt das Oberverwaltungsgericht mit der bloßen Feststellung, daß die Einstellung eines Ermittlungsverfahrens ausländerrechtlich irrelevant sei, grundlegend, daß im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung alle Umstände der Straftat, dazu gehört auch eine strafrechtliche Wertigkeit und Wertung einer Straftat im Einzelfall, eingehend zu würdigen sind (vgl. BVerfGE 69, 220, 230). Die ohne Würdigung der mit Zustimmung des Amtsgerichts Tiergarten und auch nicht etwa willkürlich erfolgten Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft ergangenen Entscheidungen der Verwaltungsbehörden

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ι und die ihre sofortige Vollziehung bestätigenden Entscheidungen der Verwaltungsgerichte verletzen den aus Art. 11 VvB herzuleitenden Anspruch des Beschwerdeführers auf Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit bei einer ausländerrechtlichen Ausweisungsentscheidung. Der letztinstanzlich die sofortige Vollziehung der Ausweisungsverfügung vom 26. März 1993 bestätigende Beschluß des Oberverwaltungsgerichts Berlin verletzt das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 11 VvB und war deshalb aufzuheben. Die Sache war in entsprechender Anwendung des § 95 Abs. 2 BVerfGG an das Oberverwaltungsgericht Berlin zurückzuverweisen. Diese Entscheidung ist mit 5 zu 3 Stimmen ergangen. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 33, 34 VerfGHG. Im Hinblick auf die Gerichtskostenfreiheit und die Entscheidung über die Auslagenerstattung bedurfte es keiner Entscheidung mehr über den Antrag auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe. Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Sondervotum des Richters Driehaus Die Verfassungsbeschwerde ist meines Erachtens unbegründet. Der Beschluß des Oberverwaltungsgerichts vom 20. Dezember 1993 verletzt Art. 11 VvB nicht. 1. Unter Bezugnahme auf seine im Beschluß vom 12. Juli 1994 (VerfGH 94/93=¡· _ DVB1. 94, 1189 = N J 95, 29 = N V w Z 95, 784) entwickelte, inzwischen ständige Rechtsprechung nimmt der Verfassungsgerichtshof an, Maßstab für seine verfassungsrechtliche Uberprüfung von verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen sei allein, ob bei der Anwendung des einfachen Rechts im Einzelfall ein verfassungsrechtlich verbürgtes Recht - hier aus Art. 11 VvB - grundlegend verkannt worden ist, d. h. „ob das vom Fachgericht gefundene Ergebnis - hier - im Lichte des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes als schlechthin unhaltbar zu qualifizieren ist". Die sich hierin ausdrückende Unterscheidung zwischen qualifizierten und anderen Verstößen trägt auch im übrigen den - begrenzten - Prüfungsmaßstab des Verfassungsgerichtshofs bei der Urteilsverfassungsbeschwerde. Diese Unterscheidung ist angesichts des „Ineinanderfließens von Verfassungsrecht und einfachem Recht" (so die Formulierung von Roellecke, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. II, 1987, § 54 Rdn. 24) unabdingbar, um die Aufgaben der Verfassungsgerichte von denjenigen der Fachgerichte abzugrenzen (vgl. dazu für das Bun* LVerfGE 2,19

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desrecht - bezogen auf die verfassungsgerichtliche Überprüfung einer im Rahmen des § 80 Abs. 5 V w G O getroffenen verwaltungsgerichtlichen Entscheidung - BVerfGE 53, 30, 61 f.). Die die Entscheidung tragende Mehrheit des Verfassungsgerichtshofs hält vorliegend zunächst ausdrücklich an der vorgenannten Unterscheidung fest. Sie läßt sie sodann jedoch unberücksichtigt. Die die Entscheidung tragende Mehrheit des Verfassungsgerichtshofs unternimmt es nicht einmal, den Unterschied zwischen einer einfachen und einer qualifizierten Verletzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes sowie die Anforderungen aufzuzeigen, die vorliegen müssen, um eine qualifizierte Rechtsverletzung annehmen zu dürfen. Sie beschränkt sich vielmehr darauf, ihre Ansicht darzulegen, der — wie gesagt - nicht weiter differenzierte „Grundsatz der Verhältnismäßigkeit" (Beschluß S. 15) verlange - erstens - eine sorgfältige Ermittlung und Kenntnis der Tatbegehung bei einer Straftat und erfordere zweitens - eine eingehende Würdigung aller Umstände der Straftat; beiden Anforderungen werde durch die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts nicht genügt. Bei dieser Annahme bleibt nicht nur unberücksichtigt, daß sich das Oberverwaltungsgericht bei seiner Ermittlung des Sachverhalts auf zwei am Tag der Tatbegehung unabhängig voneinander verfaßte, inhaltlich übereinstimmende Polizeiberichte stützt, sondern es bleibt überdies offen, welche Anforderungen an eine „ausreichende" Ermittlung des Sachverhalts und Würdigung der Gesamtumstände zu stellen sind. Offen bleibt vor allem aber, welche Tatsachen den Schluß rechtfertigen, das Oberverwaltungsgericht habe den Anforderungen an die vom Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verlangte Sachverhaltsermittlung nicht genügt und es habe überdies „grundlegend" verkannt, daß im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung alle Umstände der Straftat eingehend zu würdigen sind. Die in letzterem Zusammenhang (vgl. Beschluß S. 19) als Beleg angegebene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gibt dafür schlechthin nichts her. 2. Ich verkenne nicht, daß der zu beurteilende Sachverhalt möglicherweise die Auffassung erlaubt, das Oberverwaltungsgericht habe anders entscheiden können. Indes fehlen in der Begründung des Beschlusses des Verfassungsgerichtshofs hinreichende Anhaltspunkte, die die Annahme zu tragen geeignet wären, die vom Oberverwaltungsgericht in dem in Rede stehenden summarischen Verfahren nach § 80 Abs. 5 V w G O getroffenen tatsächlichen Feststellungen oder die von ihm vorgenommene, von § 108 Abs. 1 V w G O gedeckte Würdigung der Gesamtumstände des vorliegenden Falles seien schlechthin unhaltbar und ein etwaiger Rechtsverstoß in der einen oder anderen Richtung erreiche ein Gewicht, daß seine Beanstandung durch den Verfassungsgerichtshof rechtfertigen könnte. Anhaltspunkte dafür sind im übrigen in dem Verfahren weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich.

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Sondervotum des Richters Kunig Ich halte, in Übereinstimmung mit dem Richter Driehaus, im Ergebnis dafür, daß dieser Verfassungsbeschwerde der Erfolg zu versagen war. Geht man, wie es der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs seit seinem Beschluß vom 12. Juli 1994 (VerfGH 94/93*, veröffentlicht u. a. in DVBl. 1994, 1189) entspricht, davon aus, daß die Verfassungsbeschwerde zulässig ist, namentlich auch davon, daß die Vorschrift des Art. 11 VvB (welche u. a. „das Recht der Freizügigkeit" in Berlin gewährleistet) dem Verfassungsgerichtshof im Ergebnis die Uberprüfung der Verhältnismäßigkeit den Aufenthalt von Ausländern im Bundesgebiet beendender Maßnahmen in gewissen Grenzen eröffne, so ist die Verfassungsbeschwerde doch jedenfalls unbegründet. Die Mehrheit der Richterinnen und Richter des Verfassungsgerichtshofs trägt dem Ausgangspunkt der vorbezeichneten Entscheidung, wonach es darauf ankommt, „ob das vom Fachgericht gefundene Ergebnis - hier - im Lichte des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes als schlechthin unhaltbar zu qualifizieren ist", für die Beurteilung des Einzelfalls nicht hinreichend Rechnung. Zwar ist ohne weiteres einzuräumen, daß - wie im übrigen auch im ganzen gesehen die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und die Bemühungen der Literatur belegen - eine trennscharfe Grenze zwischen einer sogenannten spezifischen Grundrechtsverletzung und einer anderen Verletzung von Grundrechten bzw. auch des grundrechtlich fundierten Ubermaßverbots abstrakt nur schwer zu umreißen ist. Davon unabhängig bin aber auch ich überzeugt, daß in dem vorliegenden Fall der Verfassungsgerichtshof keinen Anlaß hatte, den vor ihm mit der Sache befaßten Trägern öffentlicher Gewalt, namentlich dem Oberverwaltungsgericht Berlin, eine „grundlegende" Verkennung ihrer Pflicht vorzuhalten, die Verhältnismäßigkeit der Mittel zu wahren. Ich teile die Einschätzung der Mehrheit nicht, daß das Oberverwaltungsgericht Berlin angesichts der vorliegenden Polizeiberichte aus verfassungsrechtlichen Gründen zu „eigenen" (weiteren) Ermittlungen zwingend veranlaßt gewesen wäre, und daß nur solche (im übrigen nicht näher bezeichneten) Ermittlungen der Einlassung des Beschwerdeführers gerecht geworden wären, in Wahrheit sei ein Unbekannter Verkäufer der Zigaretten gewesen, welcher beim Eintreffen der Polizisten die Flucht ergriffen habe, während er - der Beschwerdeführer - als Unbeteiligter neben den zum Verkauf ausgebreiteten Zigaretten gestanden habe. Es ist nach Aktenlage nicht erkennbar, daß das den Sachverhalt im Rahmen seiner fachrichterlichen Verantwortung aufklärende Oberverwaltungsgericht wegen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit oder aus irgendeinem anderen verfassungsrechtlich greifbaren Grunde geLVerfGE 2 , 1 9

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zwungen gewesen wäre, die von der Mehrheit des Verfassungsgerichtshofs für erforderlich gehaltenen weiteren Ermittlungen anzustellen bzw. daß umgekehrt ein Absehen von solchen Ermittlungen den Schluß zuließe, das Oberverwaltungsgericht habe grundlegend verkannt, daß es bei seiner Entscheidung den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit berücksichtigen mußte oder welchen Inhalt dieser habe. Daran ändert es auch nichts, daß hier eine Ausweisung aus generalpräventiven Gründen in Rede steht. Die wohl richtige, allerdings in ihrer Allgemeinheit nicht sehr aussagekräftige Annahme, in einem solchen Fall sei „besonders" sorgfältig zu ermitteln, zwingt nicht zu dem Schluß, daß diese stets eine „eigene" gerichtliche Ermittlung, etwa nunmehr noch durch Zeugenvernehmung der betreffenden Bediensteten der Polizei (deren Berichten sich nichts über Anwesenheit und Flucht eines „unbekannten Dritten" entnehmen ließ), gebiete. Daß schließlich - wie die Mehrheit ausspricht - das Oberverwaltungsgericht die „Wertigkeit" der dem Beschwerdeführer angelasteten Straftat in einer die Verhältnismäßigkeitserfordernisse „grundlegend" verkennenden Weise vernachlässigt habe, und dies bereits für sich genommen der Verfassungsbeschwerde zum Erfolg verhelfe, halte ich ebenfalls für unzutreffend. Derartiges kann insbesondere nicht aus der - zutreffenden - Feststellung des Oberverwaltungsgerichts hergeleitet werden, die Einstellung des Ermittlungsverfahrens stehe der auf das Ausländergesetz gestützten Ordnungsverfügung nicht grundsätzlich entgegen. Es ergibt sich auch nicht aus der Einschätzung der Mehrheit des Verfassungsgerichtshofs, die Staatsanwaltschaft habe ihrerseits „nicht willkürlich" das Verfahren eingestellt. Sondervotum des Richters Finkelnburg Auch ich halte aus den von den Richtern Driehaus und Kunig dargelegten Gründen die Verfassungsbeschwerde für unbegründet. Ergänzend bemerke ich: Der von Anfang an anwaltlich vertretene Beschwerdeführer hat weder im Widerspruchsverfahren - der Widerspruch wurde nicht begründet - noch in seinem nur mit wenigen Sätzen begründeten Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO geltend gemacht, er sei nicht der Täter des festgestellten illegalen Zigarettenhandels. Auch die an das Oberverwaltungsgericht gerichtete Beschwerdeschrift beschränkt sich auf den lapidaren Hinweis, der Beschwerdeführer habe „die Tat selbst immer bestritten". Angesichts dieses unsubstantiierten Vorbringens und des Mangels jeglicher Glaubhaftmachung mußten sich dem Oberverwaltungsgericht keine weiteren Ermittlungen aufdrängen. Seine Verfahrensweise ist weder einfachgesetzlich geschweige denn verfassungsrechtlich zu beanstanden.

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Nr. 12 Zum Umfang der Überprüfung einer fachgerichtlichen Entscheidung. Verfassung von Berlin Art. 6 Abs. 1 Satz 1, 62 Beschluß vom 16. August 1995 - VerfGH 30/95 in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde der Frau Ε. Y. gegen 1. den Beschluß des Landgerichts Berlin vom 27. Februar 1995 - 527-23/94 2. den Beschluß des Kammergerichts vom 8. März 1995 - 4 Ws 54/95 Entscheidungsformel: Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen. Der Antrag auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe wird abgelehnt. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei. Auslagen werden nicht erstattet. Gründe: I. Die Beschwerdeführerin war als Nebenklägerin in dem beim Landgericht Berlin wegen Mordes anhängig gewesenen Strafverfahren gegen I. zugelassen und wurde in der an elf Tagen vom 2. März bis zum 10. April 1995 geführten Hauptverhandlung durch ihre im Wege der Prozeßkostenhilfe beigeordnete Verfahrensbevollmächtigte anwaltlich vertreten. Die Anklage betraf u. a. die vorsätzliche Tötung des Ehemanns der Beschwerdeführerin durch Zündung einer Handgranate. Die Beschwerdeführerin wurde von der Staatsanwaltschaft in dem Verfahren als Zeugin benannte und verweigerte in einem Verhandlungstermin, zu dem sie unter Polizeischutz erschien, die Aussage. Das zwischenzeitlich ergangene Urteil des Landgerichts vom 10. April 1995, durch das der Angeklagte entsprechend dem Tatvorwurf zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden ist, ist wegen eingelegter Revision noch nicht rechtskräftig. Noch vor Beginn der Hauptverhandlung beantragte die Beschwerdeführerin mit Schriftsatz ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 20. Februar 1995, ihr und einer notwendigen Begleitperson die Mittel für die Reise zum Ort der Verhandlung und die Mittel für die unvermeidbaren Verzehr- und Ubernachtungskosten zu gewähren. Mit Beschluß vom 27. Februar 1995 lehnte die Schwurgerichtskammer diesen Antrag ab, da ein Anspruch gegen die Landes-

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kasse auf Gewährung der begehrten Mittel nicht ersichtlich sei. Sie unterfalle nicht dem in § 1 ZSEG genannten Personenkreis, für ihre Kosten und Auslagen gelte vielmehr § 472 StPO, wonach die notwendigen Nebenklägerauslagen von einem verurteilten Angeklagten zu erstatten seien, die Landeskasse aber auf keinen Fall solche Kosten und Auslagen zu tragen habe. Aus diesem Grund sei auch für die Zahlung eines Vorschusses aus Landesmitteln kein Raum. Die Rechtsstellung der Nebenklägerin, die zwar ein Recht, aber keine Pflicht zur Anwesenheit habe, werde dadurch nicht berührt, da ihr zur Wahrnehmung ihrer Rechte gemäß § 397 a StPO eine Rechtsanwältin beigeordnet worden sei. Insoweit habe der Gesetzgeber in § 397 a StPO die besondere Lage der Nebenklage berücksichtigt. Eine generelle Prozeßkostenhilfe sehe das Gericht nicht vor. Die hiergegen von der Beschwerdeführerin eingelegte Beschwerde wurde durch den Beschluß des Kammergerichts vom 8. März 1995 aus den in der angefochtenen Entscheidung niedergelegten Erwägungen verworfen. Mit der am 22. März 1995 eingegangenen Verfassungsbeschwerde wendet sich die Beschwerdeführerin gegen die genannten Entscheidungen des Landgerichts Berlin und des Kammergerichts und macht geltend, die Versagung von Prozeßkostenhilfe zur Ermöglichung einer persönlichen Teilnahme als Nebenklägerin an der Hauptverhandlung verletze ihr Grundrecht auf rechtliches Gehör. Ferner liege ein Verstoß gegen den verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz vor, weil nicht nur Zeugen und Sachverständigen, sondern auch anderen Personen, wie beispielsweise Erziehungsberechtigten in Jugendgerichtssachen, auf Antrag Entschädigungen aus der Landeskasse gewährt würden. Ein Antrag der Beschwerdeführerin auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung ist durch Beschluß des Verfassungsgerichtshofs vom 6. April 1995 verworfen worden. Nachdem zwischenzeitlich die Hauptverhandlung durch Urteil der Schwurgerichtskammer vom 10. April 1995 abgeschlossen worden ist, hat die Beschwerdeführerin vorgetragen, sie habe weiterhin ein Rechtsschutzbedürfnis für eine sachliche Entscheidung über ihre Verfassungsbeschwerde. Um wenigstens an zwei Verhandlungstagen, nämlich am 2. und am 15. März 1995 teilnehmen zu können, habe sie einen Kredit in Höhe von 880,00 DM aufnehmen müssen. Diese Summe ergebe sich aus den Fahrt-, Ubernachtungsund Verpflegungskosten für sie und ihre Begleitperson. Eine nähere Aufschlüsselung dieser Kosten sei nicht möglich, da sie weiterhin unter Zeugenschutz stehe und sonst Rückschlüsse auf ihren Aufenthaltsort gezogen werden könnten. Die Beschwer sei nicht dadurch entfallen, daß dem Angeklagten in dem Strafverfahren die notwendigen Auslagen der Nebenklägerin auferlegt worden seien. Vielmehr entspreche es jeder Lebenserfahrung, daß die Beschwerdeführerin diese Kosten nicht von dem zu einer lebenslangen Freiheits-

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strafe Verurteilten zurückverlangen werde. Ein Rechtsschutzbedürfnis bestehe auch deshalb fort, weil in der anstehenden Revisionsverhandlung vor dem Bundesgerichtshof eine erneute Versagung der Fahrtkosten zu befürchten sei und weil nach einer etwaigen Zurückverweisung auch die Beeinträchtigung der Rechte der Nebenklägerin in der erneuten Hauptverhandlung befürchtet werden müsse. II. Die Verfassungsbeschwerde hat keinen Erfolg. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Verfassungsbeschwerde im Zeitpunkt ihrer Einlegung noch vor Ende der beim Landgericht Berlin geführten Hauptverhandlung die in § 49 Abs. 1 und § 50 VerfGHG niedergelegten Zulässigkeitsvoraussetzungen der konkreten Darlegung einer Verletzung in der Verfassung von Berlin enthaltener Rechte der Beschwerdeführerin erfüllt hat und ob ein Rechtsschutzinteresse auch noch nach dem Ende der Hauptverhandlung fortbesteht. Bedenken gegen den Fortbestand könnten sich insbesondere daraus ergeben, daß das Ziel einer Teilnahme an der Hauptverhandlung nach deren Abschluß nicht mehr erreichbar ist, die theoretische Möglichkeit einer späteren erneuten Hauptverhandlung keine hinreichende Grundlage bietet und die vorgetragene Aufnahme eines Kredits in Höhe von 800,00 DM möglicherweise schon deshalb ohne Bedeutung ist, weil es der Beschwerdeführerin nach ihrer ursprünglichen Antragsbegründung ohnehin immer nur um eine Vorfinanzierung ihres erwarteten Erstattungsanspruchs gegen den Angeklagten gegangen ist, die sie nunmehr anderweitig erreicht hat. Jedenfalls ist der Verfassungsbeschwerde deshalb der Erfolg zu versagen, weil ein den Fachgerichten etwa bei der Behandlung des Unterstützungsantrags der Beschwerdeführerin unterlaufener rechtlicher Fehler nicht die Schwelle eines Verfassungsverstoßes erreicht hat. Der Verfassungsgerichtshof ist keine zusätzliche gerichtliche Instanz, sondern gegenüber Entscheidungen der Fachgerichte in seinem Prüfungsmaßstab auf die Feststellung von Verfassungsverstößen beschränkt. Die Auslegung des einfachen Rechts und seine Anwendung auf den Einzelfall sind Sache der dafür allgemein zuständigen Gerichte und insoweit grundsätzlich der Nachprüfung durch den Verfassungsgerichtshof entzogen (Beschluß vom 30. Juni 1992 - VerfGH 9/92* - ) . Nach dem verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab des Gleichbehandlungsgrundsatzes nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 VvB in seiner Ausprägung als Willkürverbot, der für den vorliegenden Streit um staatliche Auslagenvorschüsse bedeutsam sein

LVerfGE 1, 7

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könnte, ist im Verfassungsbeschwerdeverfahren nur die Prüfung möglich, ob die angegriffene gerichtliche Entscheidung bei verständiger Würdigung der die Verfassung beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist und sich daher der Schluß aufdrängt, daß sie auf sachfremden Erwägungen beruht (Beschluß vom 17. Februar 1993 - VerfGH 53/92* - ) . Eine Grundrechtsverletzung nach diesem Maßstab liegt nicht vor, wenn sich das Gericht in seiner Entscheidung mit der Rechtslage auseinandersetzt und seine Auffassung nicht schlechthin jedes sachlichen Grundes entbehrt (Beschluß vom 25. April 1994 - VerfGH 34/94** - ) . Nach diesem Maßstab ist es dem Verfassungsgerichtshof verwehrt, in Auslegung des einfachen Rechts darüber zu entscheiden, ob es möglicherweise vertretbar oder sogar geboten sein könnte, für einen Fall der vorliegenden Art einem Nebenkläger in Analogie zu den bundesrechtlichen Vorschriften über Zeugenentschädigung oder Prozeßkostenhilfe Leistungen der beantragten Art aus der Landeskasse zuzubilligen. Jedenfalls kann es nicht als sachfremd und völlig unverständlich angesehen werden, wenn die Fachgerichte sich auf der Grundlage der Gesetzestexte und in Ubereinstimmung mit Literatur nicht für befugt erachtet haben, im Rahmen des anhängigen Strafverfahrens eine solche Sozialleistung aus der Staatskasse zu bewilligen. Entsprechendes gilt auch unter dem Blickwinkel des Verfassungsgrundsatzes des rechtlichen Gehörs. Die Vorschriften des Prozeßkostenhilferechts haben zwar auch die Funktion, die wirksame Ausübung dieses Grundrechts zu gewährleisten. Die Auslegung und Anwendung im Einzelfall obliegt jedoch grundsätzlich den jeweils zuständigen Fachgerichten, deren Entscheidungen auch auf diesem Gebiet vom Verfassungsgerichtshof nur darauf überprüft werden können, ob sie von einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung über Bedeutung und Reichweite des Grundrechts ausgegangen sind (vgl. SchmidtAßmann, in: Maunz-Dürig, GG-Kommentar, Stand Lfg. 27, Art. 103 Abs. 1 Rdn. 115 mit Nachw.). Die angegriffenen Entscheidungen lassen keine Verletzung dieses Bereichs erkennen. Die Verfassungsbeschwerde ist mithin zurückzuweisen. Zugleich ist der Antrag der Beschwerdeführerin auf Gewährung von Prozeßkostenhilfe für dieses Verfahren mangels hinreichender Erfolgsaussicht abzulehnen. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf den §§ 33, 34 VerfGHG. Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

LVerfGE 1, 65 LVerfGE 2 , 1 6

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N r . 13 1. Bei einer unmittelbar gegen eine Rechtsvorschrift gerichteten Verfassungsbeschwerde beginnt der Lauf der für ihre Erhebung maßgeblichen Frist gemäß § 51 Abs. 2 V e r f G H G selbst dann mit dem formellen Inkrafttreten der angegriffenen N o r m , wenn diese aufgrund einer Übergangsvorschrift erst zu einem späteren Zeitpunkt zur Anwendung kommt. 2. Das für die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde u. a. vorauszusetzende Merkmal des gegenwärtigen Betroffenseins ist bei verfassungsrechtlichen Bedenken gegen eine Vorschrift des Wahlgesetzes selbst mit Blick auf Beschwerdeführer zu bejahen, die im Zeitpunkt der Erhebung der Verfassungsbeschwerde noch keine Kandidaten sind, aber die Möglichkeit einer Kandidatur für die Zukunft offenhalten wollen. Gesetz über den Verfassungsgerichtshof § 51 Abs. 2 Gesetz über die Wahlen zum Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksverordnetenversammlungen vom 25. 9.1987 (GVBl. S. 2370), geändert durch Gesetz vom 3. September 1990 (GVBl. S. 1881) § 26 Abs. 1 Nr. 6 Beschluß vom 29. August 1995 - VerfGH 34/95 in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Herrn Rechtsanwalts H. S. wegen § 26 Abs. 1 Nr. 6 des Gesetzes über die Wahlen zum Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksverordnetenversammlungen (Landeswahlgesetz) Entscheidungsformel: Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei. Auslagen werden nicht erstattet. Gründe: I. Mit seiner am 13. April 1995 eingegangenen Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen die durch das Gesetz vom 3. September 1990 (GVBl. S. 1881) eingefügte Vorschrift des § 26 Abs. 1 Nr. 6 des Gesetzes über die Wahlen zum Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksverordnetenversammlungen (Landeswahlgesetz - LWahlG) vom 25. September 1987 (GVBl.

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S. 2370), zuletzt geändert durch Gesetz vom 20. Juni 1995 (GVBl. S. 375). Nach dieser Bestimmung scheiden Mitglieder des zur Geschäftsführung berufenen Organs einer der Aufsicht des Landes Berlin unterstehenden Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts oder eines privatrechtlichen Unternehmens, an dem das Land Berlin oder eine seiner Aufsicht unterstehende Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts mit mehr als 50 v. H. beteiligt ist, und ihre ständigen Stellvertreter mit dem Erwerb der Mitgliedschaft im Abgeordnetenhaus aus ihrer beruflichen Funktion aus. Das Gesetz (zur Änderung des Landeswahlgesetzes) vom 3. September 1990 ist am Tag nach seiner am 8. September 1990 erfolgten Verkündung im Gesetz- und Verordnungsblatt in Kraft getreten, also am 9. September 1990. Art. 2 Abs. 3 dieses (Änderungs-)Gesetzes bestimmt, daß § 26 Abs. 1 Nr. 6 erstmals für die zweite, d. h. die (inzwischen) für den 22. Oktober 1995 terminierte Wahl zum Gesamtberliner Abgeordnetenhaus Anwendung findet. Der Beschwerdeführer ist seit ca. 20 Jahren Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin. Gleichzeitig ist er in verschiedenen, teils gemeinnützigen Unternehmen tätig. Nach eigenen Angaben steht im Zentrum seiner beruflichen Tätigkeit die Funktion des Vorsitzenden des Vorstandes der G E H A G (Gemeinnützige Heimstätten Aktiengesellschaft). Die Aktien dieser Gesellschaft werden zu 75,18 v. H. vom Land Berlin gehalten. Der Beschwerdeführer kandidiert für die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus am 22. Oktober 1995. Er ist auf dem Kreisparteitag seiner Partei am 11. März 1995 als Direktbewerber für den Wahlkreis Steglitz II und auf der Bezirksliste auf Platz 1 nominiert worden. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer, § 26 Abs. 1 Nr. 6 LWahlG verletze die Art. 26 Abs. 1 und 4, 6 Abs. 1, 7 und 11 der Verfassung von Berlin (VvB) und sei daher nichtig. Seine Verfassungsbeschwerde sei nicht mangels Einhaltung der Frist des § 51 Abs. 2 VerfGHG unzulässig. Zwar sei die Verfassungsbeschwerde nicht - wie der Wortlaut des §51 Abs. 2 V e r f G H G vorsehe - innerhalb eines Jahres seit Inkrafttreten des (Anderungs-)Gesetzes vom 3. September 1990 eingelegt worden. Doch sei zu berücksichtigen, daß er innerhalb der bezeichneten Jahresfrist noch keine zulässige Verfassungsbeschwerde habe einlegen können, weil er seinerzeit noch nicht „gegenwärtig" von der Regelung betroffen gewesen sei. Beschwerdebefugt im Sinne des § 49 Abs. 1 V e r f G H G sei er nämlich erst seit dem 11. März 1995, seit dem Tag also, an dem er als Kandidat für die Wahl des zweiten Gesamtberliner Abgeordetenhauses aufgestellt worden sei. Eine Verfassungsbeschwerde, die innerhalb der durch das Inkrafttreten des Gesetzes vom 3. September 1990 ausgelösten Jahresfrist erhoben worden wäre, wäre zwar fristgerecht, aber dennoch mangels Beschwerdebefugnis unzulässig gewesen. Er könne auch nicht darauf verwiesen werden, im Falle der Annahme der Wahl

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zum Abgeordnetenhaus könne er den behördlichen Akt, mit dem sein Ausscheiden aus seiner beruflichen Funktion vollzogen werde, vor den Verwaltungsgerichten angreifen. Denn einen solchen Vollzugsakt gebe es nicht, da der Verlust seiner beruflichen Funktion kraft Gesetzes eintrete. Angesichts dessen wäre ihm bei einer wörtlichen Auslegung des § 51 Abs. 2 V e r f G H G ein Rechtsschutz vollständig versagt, was weder mit der Garantie der Verfassungsbeschwerde in Art. 72 Abs. 2 Nr. 4 VvB noch mit der allgemeinen Rechtsweggarantie gemäß Art. 19 Abs. 4 G G vereinbar wäre. § 5 1 Abs. 2 V e r f G H G sei daher einschränkend dahin auszulegen, daß die Frist für eine unmittelbar gegen § 26 Abs. 1 Nr. 6 LWahlG gerichtete Verfassungsbeschwerde erst mit der Aufstellung für die Wahl zum Abgeordnetenhaus am 22. Oktober 1995 zu laufen begonnen habe. Das Abgeordnetenhaus von Berlin und die Senatsverwaltung für Inneres sind der Verfassungsbeschwerde entgegengetreten. II. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig. Es kann dahinstehen, ob dies schon deshalb gilt, weil es sich bei § 26 Abs. 1 Nr. 6 LWahlG um eine Norm handelt, die - damals allerdings nur für den Westteil der Stadt - ergangen ist, bevor die Möglichkeit, eine landesrechtliche Verfassungsbeschwerde gegen Rechtsvorschriften des Berliner Landesrechts zu erheben, durch das am 2. Dezember 1990 in Kraft getretene Gesetz über den Verfassungsgerichtshof vom 8. November 1990 (GVBl. S. 2246/GVABl. S. 510) eröffnet worden ist (vgl. in diesem Zusammenhang u. a. Beschluß vom 10. November 1994 - VerfGH 90/ 94* - ) . Denn sie ist jedenfalls deshalb unzulässig, weil die durch § 51 Abs. 2 VerfGHG gesetzte einjährige Frist im Zeitpunkt der Erhebung der Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers am 13. April 1995 bereits abgelaufen war. Diese Frist hat nämlich - wegen der Sonderregelung des Art. 2 Satz 1 des Gesetzes vom 11. Dezember 1991 (GVBl. S. 280) nicht schon mit Inkrafttreten des (Anderungs-)Gesetzes vom 3. September 1990, durch das § 26 Abs. 1 Nr. 6 LWahlG in das Landeswahlgesetz eingefügt worden ist, am 9. September 1990, sondern erst - am 26. April 1992 zu laufen begonnen. Ohne Belang ist in diesem Zusammenhang, daß § 26 Abs. 1 Nr. 6 LWahlG gemäß Art. 2 Abs. 3 des Gesetzes vom 3. September 1990 erstmals für die zweite, d.h. die für den 22. Oktober 1995 festgesetzte Wahl vom Gesamtberliner Abgeordnetenhaus Anwendung findet.

LVerfGE 2, 75

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1. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers wurde die Frist des § 51 Abs. 2 VerfGHG nicht erst durch seine Aufstellung für die Wahl zum Abgeordnetenhaus am 11. März 1995 in Gang gesetzt. Vielmehr ist maßgebend für den Beginn des Laufs der Frist des § 51 Abs. 2 VerfGHG - abgesehen von der im vorliegenden Fall nicht entscheidungserheblichen Verschiebung dieses Zeitpunkts durch Art. II Abs. 2 Satz 1 des bereits genannten Gesetzes vom 11. Dezember 1992 - der Zeitpunkt des Inkrafttretens der Rechtsvorschrift, deren Verfassungswidrigkeit gerügt wird. Für diese Auffassung streiten durchgreifend der Wortlaut des § 51 Abs. 2 VerfGHG sowie der mit dieser Regelung verfolgte Zweck. Nach seinem eindeutigen Wortlaut stellt § 51 Abs. 2 VerfGHG für den Beginn der Frist zur Einlegung einer Verfassungsbeschwerde gegen eine Rechtsvorschrift einzig auf den formellen Gesichtspunkt des „Inkrafttreten(s) der Rechtsvorschrift" ab. Das gilt unabhängig davon, wann die materiellrechtlichen Wirkungen der betreffenden Vorschrift eintreten, also unabhängig davon, ob - wie hier - die angegriffene Rechtsnorm aufgrund einer Ubergangsvorschrift erst zu einem späteren Zeitpunkt zur Anwendung kommt (vgl. ebenso zum sächsischen Landesrecht Verfassungsgerichtshof des Freistaats Sachsen, Urteil vom 18. Mai 1995 - Vf 50 VI 94). Es sind keine Anhaltspunkte erkennbar, die die Annahme stützen könnten, die sprachliche Fassung des § 51 Abs. 2 VerfGHG beruhe auf einem redaktionellen Versehen des Gesetzgebers. Das Gegenteil ist vielmehr der Fall. Die am Wortlaut orientierte Auslegung dieser Vorschrift wird durch den mit ihr verfolgten Zweck bestätigt. Der Verfassungsbeschwerde gegen eine Rechtsvorschrift kommt in der Regel eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu. Wird einer solchen Verfassungsbeschwerde stattgegeben, erklärt der Verfassungsgerichtshof die betreffende Rechtsvorschrift gemäß § 54 Abs. 4 Satz 1 VerfGHG für nichtig oder für mit der Verfassung von Berlin nicht vereinbar. Angesichts dessen besteht ein öffentliches Interesse daran, daß eine eventuelle verfassungsgerichtliche Uberprüfung einer Rechtsnorm möglichst bald erfolgt. Der Gesichtspunkt der Rechtssicherheit gebietet es daher, entsprechende (Uberprüfungs-)Anträge an eine eng auszulegende Frist zu binden (ebenso zum Bundesrecht Bundesverfassungsgericht, Beschluß vom 6. März 1968 - 1 BvR 975/ 58 - BVerfGE 23,153,164). Im übrigen entspricht das Abstellen auf den Zeitpunkt des formellen Inkrafttretens den Anforderungen der Rechtssicherheit auch deshalb am ehesten, weil dieser Zeitpunkt regelmäßig ohne weiteres feststellbar ist und sich deshalb keine Zweifel über den Beginn des Laufs der Einlegungsfrist ergeben können. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht zum Bundesrecht wiederholt (vgl. etwa Beschluß vom 12. Dezember 1994 - 1 BvR 1249 u. a./83 - BVerfGE 68,319,324 f.) angenommen, die Jahresfrist des (dem

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§51 Abs. 2 V e r f G H G entsprechenden) § 93 Abs. 3 BVerfGG sei ausnahmsweise dann nicht maßgebend, wenn die angegriffene (Ermächtigungs-)Norm keine konkreten inhaltlichen Festlegungen enthält und diese erst durch den späteren Erlaß anderer Vorschriften geschaffen werden sollen. Doch ist eine solche Konstellation hier nicht gegeben. § 26 Abs. 1 Nr. 6 LWahlG enthält eine in Tatbestand und Rechtsfolge eindeutige Regelung, die keiner näheren Konkretisierung bedarf. 2. Dem Beschwerdeführer ist allerdings einzuräumen, daß eine andere Betrachtungsweise geboten sein könnte, wenn mit ihm anzunehmen sein sollte, eine von ihm als damals lediglich möglichen Kandidat für die zweite Wahl zum Gesamtberliner Abgeordnetenhaus innerhalb der Frist des § 51 Abs. 2 V e r f G H G eingelegte Verfassungsbeschwerde wäre seinerzeit mangels gegenwärtigen Betroffenseins unzulässig gewesen. Träfe das nämlich zu, könnte sich unter dem Blickwinkel des verfassungsrechtlichen Rechtsschutzes in der Tat eine mit der Regelung des Art. 72 Abs. 2 Nr. 4 VvB möglicherweise nicht vereinbare Lücke ergeben, so daß erwogen werden könnte, ob aus diesem Grunde ein abweichendes Verständnis des § 51 Abs. 2 V e r f G H G angezeigt sein könnte. Das bedarf hier indes keiner Vertiefung. Denn entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers wäre eine von ihm als seinerzeitigem Mitglied des Abgeordnetenhauses und möglichem Kandidaten für die Wahl zum zweiten Gesamtberliner Abgeordnetenhaus innerhalb der Jahresfrist des § 51 Abs. 2 V e r f G H G erhobene Verfassungsbeschwerde gegen § 26 Abs. 1 Nr. 6 LWahlG nicht mangels hinreichender Gegenwärtigkeit seiner Beschwer und damit mangels eines Rechtsschutzbedürfnisses gescheitert. Das ergibt sich aus folgenden Überlegungen: Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. so schon Beschluß vom 19. Dezember 1 9 5 1 - 1 BvR 220/51 - BVerfGE 1, 97; 101 f.) setzt die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde wegen einer Rechtsvorschrift u. a. voraus, daß der Beschwerdeführer „gegenwärtig" durch die Norm, deren Verfassungswidrigkeit er behauptet, in einem seiner Grundrechte oder in einem der diesen gleichgestellten Rechte betroffen wird. O b ein solches gegenwärtiges Betroffensein vorliegt, kann nach dieser Rechtsprechung allerdings nur von Fall zu Fall entschieden werden; maßgebend sind danach die Umstände des jeweiligen Einzelfalls. Namentlich beispielsweise bei Berufsregelungen, also bei Fallgestaltungen, in denen es sich um wichtige Ausschnitte aus der Lebensplanung des Einzelnen handelt und mit Blick auf die es deshalb angezeigt ist, frühzeitig Dispositionen zu treffen, hat das Bundesverfassungsgericht wiederholt (vgl. etwa Beschluß vom 25. Juni 1969 - 2 BvR 128/ 66 - BVerfGE 26, 246, 251 f.) angenommen, für die Erfüllung des Merkmals der Gegenwärtigkeit und damit die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde

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reiche insoweit aus, wenn der Eintritt der jeweiligen Rechtsfolge mit einem hinreichenden Maß an Gewißheit zu erwarten ist. Sozusagen noch weitergehend ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. u. a. Beschluß vom 4. April 1978 - 2 BvR 1108/77 - BVerfGE 48, 64 ff., 80) die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde bei verfassungsrechtlichen Bedenken gegen Wahlgesetze bei Beschwerdeführern zu bejahen, die im Zeitpunkt der Erhebung der Verfassungsbeschwerde noch keine Wahlkandidaten sind, sondern sich lediglich die Möglichkeit einer Kandidatur für die Zukunft offenhalten wollen; „ob sie dieses Ziel ernsthaft anstreben und vor allem ob sie es bei den Unwägbarkeiten der Politik auch erreichen werden, muß dabei im Ungewissen bleiben" (Benda in: Benda/Klein, Lehrbuch des Verfassungsprozeßrechts, S. 206). Dementsprechend hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluß vom 21. Januar 1975 (2 BvR 193/74 - BVerfGE 38,326 ff., 335 f.), in dem es um die Verfassungsbeschwerde eines Landtagsabgeordneten gegen das passive Wahlrecht für die nächste Wahl beschränkende Vorschriften des Gesetzes Nr. 970 über den Landtag des Saarlandes vom 20. Juni 1973 (Amtsbl. S. 517) ging, erkannt, der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde stehe nicht entgegen, daß die Vorschriften „noch nicht in Kraft getreten sind. Sie treten mit dem Ende der sechsten Wahlperiode des Landtags in Kraft. Sie gelten also für die nächste im Saarland stattfindende Wahl und für die aus dieser Wahl hervorgegangenen Abgeordneten. Daraus ergibt sich die unmittelbare und gegenwärtige Betroffenheit des Beschwerdeführers ...". Der Verfassungsgerichtshof schließt sich der vorstehend dargestellten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts für das Berliner Landesrecht an. Weder der Verfassung von Berlin noch dem Verfassungsgerichtshofgesetz sind Anhaltspunkte zu entnehmen, die eine abweichende Rechtsprechung rechtfertigen oder auch nur nahelegen könnten. Für diese Rechtsprechung spricht vielmehr durchgreifend, daß sie gewährleistet, daß insbesondere über verfassungsrechtliche Streitfragen aus dem Wahlgesetz, bei denen ein übergeordnetes öffentliches Interesse an einer alsbaldigen Klärung besteht, möglichst frühzeitig entschieden werden kann. Vor diesem Hintergrund muß dahingestellt bleiben, ob - was der Beschwerdeführer in Abrede stellt - der Berliner Landesgesetzgeber befugt war, durch die Bestimmung des § 26 Abs. 1 Nr. 6 LWahlG in die bundesrechtlich geregelten Rechtsbeziehungen eines privatrechtlichen Unternehmens zu seinen Organen einzuwirken. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 33 f. VerfGHG. Dieser Beschluß ist unanfechtbar.

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Nr. 14 Die in § 11 a StRG - jetzt: § 8 Abs. 1 Satz 3 LAbfG - geregelte Pflicht der Eigentümer bebauter Grundstücke, die Aufstellung von getrennten Abfallbehältern zu dulden, verletzt nicht die Eigentumsgarantie des Art. 15 Abs. 1 VvB. Verfassung von Berlin Art. 15 Abs. 1 Gesetz über die Vermeidung und Entsorgung von Abfällen in Berlin (Landesabfallgesetz) vom 21.12. 1993 (GVBl. S. 651) § 8 Abs. 1 Satz 3 Beschluß vom 29. August 1995 - VerfGH 147/93 in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde 1. des Herrn Dr. W. O. 2. der Frau B. O. gegen das Urteil des Amtsgerichts Spandau vom 24. November 1993 - 3 C 140/93 Entscheidungsformel: Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei. Auslagen werden nicht erstattet. Gründe: I. Die Beschwerdeführer wenden sich mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen ein mit der Berufung nicht anfechtbares Urteil des Amtsgerichts Spandau vom 24. November 1993, mit dem ihre gegen die Berliner StadtreinigungsBetriebe gerichtete Klage auf Entfernung der auf ihrem Grundstück in BerlinSpandau aufgestellten Wertstoffbehälter (Pappe, Papier, Glas) und auf Unterlassung künftiger Eigentumsbeeinträchtigungen abgewiesen worden ist. Sie sind der Meinung, das Urteil verletze die Art. 3,14 und 19 des Grundgesetzes, die Art. 6, 15 und 16 der Verfassung von Berlin (VvB) und allgemein das Grundrecht auf rechtliches Gehör, da es eine Pflicht des Grundstückseigentümers, das Aufstellen von Wertstoffbehältern zu dulden, generell bejahe und in ihrem Fall, ohne das Grundstück in Augenschein genommen zu haben, für zumutbar halte.

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Die Beschwerdeführer beantragen, 1. das Urteil des Amtsgerichts Spandau vom 24. November 1993 - 3 C 140/93 aufzuheben und 2. die Berliner Stadtreinigungsbetriebe zu verurteilen, Eigentumsstörungen durch Aufstellen von Wertstoffbehältern auf ihrem Grundstück in BerlinSpandau zu unterlassen.

II. Die Verfassungsbeschwerde ist teilweise unzulässig und im übrigen unbegründet. 1. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, soweit mit ihr die Verletzung von Grundrechten des Grundgesetzes geltend gemacht wird. Denn nach § 49 Abs. 1 VerfGHG kann mit der Verfassungsbeschwerde zum Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin nur die Verletzung von Rechten gerügt werden, die sich aus der Verfassung von Berlin ergeben. Die Verfassungsbeschwerde ist ferner unzulässig, soweit die Verletzung des Art. 16 VvB gerügt wird, der den Mißbrauch wirtschaftlicher Macht für rechtswidrig erklärt. Denn die Beschwerdeführer haben nicht in einer den Anforderungen des § 50 VerfGHG genügenden Weise dargelegt, durch welche Handlung der Berliner Stadtreinigungs-Betriebe sie in einem ihnen aus Art. 16 VvB zustehenden Recht verletzt worden sind. Ihr Vorbringen beschränkt sich insoweit auf den Hinweis, daß, soweit § IIa des Stadtreinigungsgesetzes (StRG) ein Entsorgungsmonopol für die Stadtreinigungs-Betriebe begründe, „Art. 16 VvB durchgreifen dürfte". Dies genügt als Begründung nicht. Es kann deshalb dahinstehen, ob Art. 16 VvB überhaupt geeignet ist, Rechte eines Einzelnen zu begründen, deren Verletzung mit der Verfassungsbeschwerde gerügt werden kann. Ebenso kann unerörtert bleiben, ob der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde insoweit auch entgegensteht, daß § 11 a StRG durch Gesetz vom 21. Dezember 1993 (GVBl. S. 651) mit Wirkung ab dem 1. Januar 1994 aufgehoben und durch die allerdings teilweise gleichlautende Vorschrift des § 8 Abs. 1 Satz 3 des Landesabfallgesetzes (LAbfG) ersetzt worden ist. Unzulässig wegen nicht hinreichender Begründung (§ 50 VerfGHG) ist die Verfassungsbeschwerde ferner, soweit die Verletzung des Gleichheitssatzes des Art. 6 VvB gerügt wird. Der Satz, es „dürfte Rechtswidrigkeit gemäß Art. 6 VvB vorliegen", wenn „einerseits mit kommunalem Entsorger Anschlußzwang, bei Privatentsorger dagegen nicht" bestehe, so daß eine aus § 1 l a StRG hergeleitete Verpflichtung nicht alle Grundstücke in Berlin in gleicher Weise treffe, genügt nicht den Anforderungen des § 50 VerfGHG. Insbesondere ist nicht hinreichend konkret dargetan, in welcher Weise die Beschwerdeführer gegenüber anderen Eigentümern von tatsächlich und rechtlich vergleichbaren Grundstücken ungleich behan-

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delt worden seien, so daß das mit der Verfassungsbeschwerde angefochtene Urteil des Amtsgerichts Spandau den Gleichheitssatz verletzte. Bedenken begegnet schließlich die Zulässigkeit des Antrages zu 2), da der Verfassungsgerichtshof zwar aussprechen kann, daß die Wiederholung einer beanstandeten Maßnahme gegen die Verfassung von Berlin verstößt (§ 54 Abs. 2 S. 2 VerfGHG), zu Verurteilungen der von den Beschwerdeführern begehrten Art jedoch nicht befugt ist. O b der gestellte Antrag zu 2) in einen Antrag nach § 54 Abs. 2 S. 2 VerfGHG umgedeutet werden kann, mag dahinstehen, da auch dieser Antrag aus den nachfolgend zu erörternden Gründen keinen Erfolg haben könnte. 2. Soweit die Verfassungsbeschwerde die Verletzung der in Art. 15 VvB enthaltenen Eigentumsgarantie und des Grundrechts auf rechtliches Gehör rügt, ist sie zulässig, aber nicht begründet. Nach Art. 15 Abs. 1 VvB wird das Eigentum gewährleistet. Sein Inhalt und seine Schranken, so heißt es weiter, ergeben sich aus dem Gesetz. Nach dem durch Gesetz vom 27. September 1990 (GVBl. S. 2114) geschaffenen und mit Wirkung ab dem 1. Januar 1994 aufgehobenen § I I a StRG haben die Eigentümer bebauter Grundstücke die Aufstellung von getrennten Abfallbehältern zu dulden, soweit ihnen dies möglich und zumutbar ist. Diese Bestimmung regelt Inhalt und Schranken des Eigentums. Sie aktualisiert die auch der Eigentumsgewährleistung des Art. 15 Abs. 1 VvB immanente Sozialpflichtigkeit des Eigentums, da sie eine Duldungspflicht begründet, die geschaffen ist, um das bundesrechtlich in § 3 Abs. 2 Satz 3 des Abfallgesetzes vom 27. August 1986 (BGBl. III 2192-15) aus Gründen des Umweltschutzes, insbesondere der Abfallvermeidung begründete Gebot der Abfallverwertung zu erfüllen. Die von den Beschwerdeführern geltend gemachten Bedenken gegen das dem Abfallgesetz des Bundes zugrundeliegende Verwertungskonzept sind nicht geeignet, eine Verfassungswidrigkeit des § 3 Abs. 2 Satz 3 A b f G zu begründen, die den Verfassungsgerichtshof veranlassen müßte, gemäß Art. 100 Abs. 1 G G eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen. 3. Auch soweit die Beschwerdeführer sich dagegen wenden, daß das Amtsgericht Spandau die Aufstellung der Wertstoffbehälter auf ihrem Grundstück ohne Ortsbesichtigung als zumutbar angesehen hat, ist die Verfassungsbeschwerde nicht begründet. Es ist nicht die Aufgabe des Verfassungsgerichtshofs, das Urteil eines Fachgerichts auf seine generelle Richtigkeit zu überprüfen. Seine Prüfungskompetenz beschränkt sich nach § 49 Abs. 1 VerfGHG auf die Frage, ob die Entscheidung des Fachgerichts Rechte der Beschwerdeführer, die sich aus der Verfassung von Berlin ergeben, verletzt. Das Grundrecht auf rechtliches Gehör, das sich nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshof als landesverfassungsgerechtliche Gewährleistung aus

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Art. 62 VvB ergibt und auf das sich die Beschwerdeführer inhaltlich berufen haben, ist nicht verletzt. Die Beschwerdeführer haben als Kläger vor dem Amtsgericht Spandau insoweit vorgetragen, das Aufstellen der Wertstoffbehälter entziehe ihnen Grundstücksteile und den Kindern Spielfläche, beeinträchtige erheblich die ästhetische Funktion der Gartenanlage und verursache Lärmimmissionen durch Glaseinwurf, die für das bereits durch Fluglärm belastete Grundstück nicht hingenommen würden. Es ist angesichts dieses nur wenig substantiierten Vortrags verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn das Amtsgericht Spandau, diesen Vortrag gewissermaßen als richtig unterstellend, gleichwohl das Aufstellen der Wertstoffbehälter als zumutbar angesehen hat. Für diese auf der Grundlage des eigenen Vortrags der Kläger/Beschwerdeführer vorgenommene Bewertung war eine Ortsbesichtigung verfahrensrechtlich nicht geboten, da das zivilprozessuale Verfahren keine Amtsermittlung kennt, sondern eine Beweisaufnahme nur vorsieht, um streitige und entscheidungserhebliche Tatsachen aufzuklären. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus den §§ 33, 34 VerfGHG. Dieser Beschluß ist unanfechtbar.

N r . 15 1. Artikel 21 Abs. 1 G G , der die politischen Parteien als verfassungsrechtlich notwendige Instrumente für die politische Willensbildung des Volkes anerkennt, gilt nicht nur für den Bereich des Bundes, sondern ist Bestandteil auch der VvB. 2. Auf die Gewährleistung der Chancengleichheit kann sich eine politische Partei nur berufen, soweit sie in direkter Konkurrenz mit anderen politischen Parteien steht. Bei der Vorbereitung einer Volksabstimmung geht es - anders als beim Wahlkampf - nicht u m einen unmittelbaren Wettbewerb einzelner Parteien, sondern um die Entscheidung einer Sachfrage. Die Öffentlichkeitsarbeit des Senats von Berlin für die Fusion der Länder Berlin und Brandenburg verletzt daher grundsätzlich nicht das Recht auf Chancengleichheit der politischen Parteien, die sich gegen diese Fusion aussprechen. 3. Soweit der Öffentlichkeitsarbeit des Senats von Berlin hinsichtlich der Volksabstimmung über die Fusion der Länder Berlin und Brandenburg Grenzen gesetzt sind, gehen diese nicht einher mit subjektiven Rechten der politischen Parteien aus Artikel 21 Abs. 1 G G . Eine politische Partei kann auch nicht - gleichsam in Prozeßstandschaft für das zur Abstim-

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mung berufene Volk - beanspruchen, daß sich der Senat von Berlin bei der Öffentlichkeitsarbeit für die Fusion Zurückhaltung auferlegt (vgl. BVerfGE 13,54, 85). Grundgesetz Art. 21 Abs. 1 Gesetz über den Verfassungsgerichtshof §§ 14 Nr. 1, 36, 37 Parteiengesetz § 2 Abs. 1 Beschluß vom 21. September 1995 - VerfGH 12/95 in dem Organstreitverfahren des Bürgerbundes gegen den Senat von Berlin, vertreten durch den Regierenden Bürgermeister Entscheidungsformel: Die Anträge werden zurückgewiesen. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei. Auslagen werden nicht erstattet. Gründe: I. Der Antragsteller versteht sich als politische Partei; sein Berliner Landesverband hat dem Landeswahlleiter die Teilnahme an den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksverordnetenversammlungen im Herbst 1995 angezeigt und ist am 7. Juli 1995 vom Landeswahlausschuß zugelassen worden. Der Antragsteller lehnt eine Fusion der Bundesländer Berlin und Brandenburg ab. Das Abgeordnetenhaus von Berlin forderte im November 1993 den Antragsgegner auf, ein mit der Landesregierung Brandenburg abgestimmtes Konzept zur Information der Öffentlichkeit über Folgen und Wirkungen der Vereinigung der Länder Berlin und Brandenburg sowie über Ziele und Inhalt des Neugliederungsstaatsvertrages vorzulegen. Ziel dieses Konzepts sollte es sein, die Bevölkerung in Berlin und Brandenburg umfassend zu informieren, so daß sie mit Sachkenntnis ihre Entscheidung im Rahmen der Volksabstimmung über eine mögliche Fusion der Länder Berlin und Brandenburg treffen könne. Der Antragsgegner legte im März 1994 ein Grobkonzept für die Öffentlichkeitsarbeit vor, in dem zwischen drei Hauptphasen unterschieden wird, nämlich der Diskussionsphase, der Ratifizierungsphase und der Phase der Volksabstimmung. Im Juni 1994 wurden Arbeitsentwürfe der Senatskanzlei des

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Landes Berlin und der Staatskanzlei des Landes Brandenburg für einen Neugliederungsvertrag und einen Staatsvertrag betreffend die Volksabstimmung über den Neugliederungsvertrag bekanntgemacht. Mit der Vorlage dieser Arbeitsentwürfe begann nach dem Konzept des Antragsgegners die „Diskussionsphase". In Ausführung des Informationskonzeptes entfaltete der Antragsgegner folgende Aktivitäten: 1. Seit Juni 1994 stellte der Antragsgegner die Vertragsentwürfe zur Neugliederung in Form der Abgeordnetenhaus-Drucksache 12/4522 kostenlos zur Verfügung. Soweit die Entwürfe versandt wurden, war der genannten Drucksache teilweise ein Faltblatt „Zehnmal ja zu einem Land" beigefügt, das von der Vereinigung der Unternehmensverbände in Berlin und Brandenburg e. V. und dem Deutschen Gewerkschaftsbund - Landesbezirk Berlin-Brandenburg gemeinsam verantwortet wurde. 2. Ende Januar 1995 wurden in Berlin an etwa 700 Stellen Großplakate geklebt, die ein stilisiertes Brandenburger Tor und einen stilisierten Brandenburger Adler darstellen und auf der rechten Seite der Aufschrift enthalten: „EINS FÜR ALLE Land Berlin-Brandenburg". 3. Am Sonnabend, dem 4. Februar 1995, wurde in Berliner Tageszeitungen vom Presse- und Informationsamt des Landes Berlin eine Anzeige unter der Uberschrift „Wir informieren" geschaltet, in der Argumente für und gegen eine Länderfusion einander gegenübergestellt wurden; den für eine Fusion sprechenden Aussagen wurde dabei jeweils ein in Fettdruck gesetztes Schlagwort beigefügt (Beispiel: Ein Land sichert Zukunft!). 4. Seit Ende Januar 1995 wird über die Senatsverwaltungen und die Bezirksämter ein Informationsfaltblatt in einer Auflage von 300.000 Stück verteilt, in dem Argumente für das Bundesland Berlin-Brandenburg aufgeführt werden. 5. In der Senatskanzlei wurde ein 56seitige Broschüre mit dem Titel „BerlinBrandenburg - ein Land für alle" erarbeitet, die angefordert werden kann. Der Antragsgegner hat für die Jahre 1994 bis 1996 die Kosten der Information der Öffentlichkeit zur Vereinigung Berlin-Brandenburg mit überplanmäßigen Ausgaben in Höhe von insgesamt 3 Mio. D M veranschlagt. Im Jahre 1994 wurden davon 25.000 D M verausgabt; die Senatsverwaltung für Finanzen beabsichtigt, für das Jahr 1995 überplanmäßige Ausgaben bis zu 750.000 D M zuzulassen. A m 30. Januar 1995 hat der Antragsteller Organklage erhoben, mit der er einen Verstoß gegen Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 G G und eine Verletzung des Grundsatzes der Chancengleichheit der Parteien bei Wahlen und Abstimmungen rügt. Er macht geltend, die bisherigen Maßnahmen des Antragsgegners stellten keine sachliche Information, sondern eine verfassungsrechtlich unzulässige Tendenzwerbung dar. Indem der Antragsgegner im Mantel der Information einseitig werbend und sogar manipulativ in den Willensbildungs-

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prozeß eingreife, verletze er seine - des Antragstellers - Chancengleichheit: Zum einen sei zu befürchten, daß er - der Antragsteller - dadurch als Partei, die gegen die Fusion eintrete, beim Wähler im Rahmen der Wahlen zum A b geordnetenhaus wesentlich weniger Chancen habe. Zum anderen könne er infolge der massiven einseitigen Werbekampagne des Antragsgegners seinen Verfassungsauftrag im Rahmen der vorgesehenen Volksabstimmung nur eingeschränkt wahrnehmen. Der Antragsteller beantragt festzustellen: Der Senat von Berlin verstößt dadurch gegen Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 GG und den Grundsatz der Chancengleichheit bei Wahlen (Art. 21 Abs. 1, Art. 38 Abs. 1 GG), daß er 1. das Plakat/Logo „EINS FÜR ALLE Land Berlin-Brandenburg" bei - auch ansonsten zulässigen - Informationen jedweder Art und über die Frage der Länderfusion zwischen Berlin und Brandenburg verwendet, 2. vor den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus 1995 sowie vor der Volksabstimmung über den Staatsvertrag mit dem Land Brandenburg zur Bildung eines gemeinsamen Landes durch Anzeigenserien, Faltblätter und sonstige Publikationen zugunsten der Fusion mit dem Land Brandenburg werbend in den Meinungsbildungsprozeß eingreift. Dies gilt nicht, wenn die Argumente der Befürworter und Gegner des Staatsvertrages gegenübergestellt werden, ohne diese dabei zu bewerten und ohne damit eine Entscheidung für oder gegen die Annahme des Staatsvertrages zu empfehlen, 3. bei der Versendung und Verteilung von Informationsmaterial zum Staatsvertrag mit dem Land Brandenburg zur Bildung eines gemeinsamen Landes Material von Verbänden und Gewerkschaften beifügt, die deren Haltung zum Staatsvertrag wiedergibt. Dies gilt nicht, wenn entsprechendes Informationsmaterial der Parteien, im konkreten Fall des Antragstellers, in entsprechendem Umfang beigefügt wird. Der Antragsgegner vertritt die Ansicht, die Maßnahmen zur Information der Bevölkerung über die geplante Vereinigung der Bundesländer Berlin und Brandenburg hielten sich im Rahmen des verfassungsrechtlich Zulässigen. Im übrigen sei die gerügte Mitversendung von Material von Verbänden und Gewerkschaften nicht mehr beabsichtigt. Das Abgeordnetenhaus hat gemäß § 38 Abs. 2 V e r f G H G von der Einleitung des Verfahrens Kenntnis erhalten. II. Die Entscheidung konnte ohne mündliche Verhandlung ergehen, da der Verfassungsgerichtshof einstimmig auf sie verzichtet hat (§ 24 Abs. 1 VerfGHG). Die Anträge sind unzulässig.

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Der Antragsteller ist zwar als politische Partei im Organstreitverfahren parteifähig (1.). Jedoch fehlt es hinsichtlich der Anträge zu 1 und 2 an der Antragsbefugnis (2.)· Hinsichtlich des Antrags zu 3 besteht kein Rechtsschutzbedürfnis (3.). 1. Das Organstreitverfahren ist statthaft. Die Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofs ist gemäß § 14 Nr. 1 VerfGHG gegeben, wenn eine politische Partei die Verletzung ihres verfassungsrechtlichen Status rügt (Urteil vom 17. Juni 1993 - VerfGH 21/92*, J R 1993, S. 432). Der Antragsteller ist eine politische Partei und damit im Organstreitverfahren parteifähig (§§ 14 Nr. 1, 36 VerfGHG). Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 des Parteiengesetzes, durch den der Parteienbegriff des Art. 21 Abs. 1 G G in verfassungsmäßiger Weise konkretisiert wird (vgl. BVerfGE 89,266,269 f.), sind Parteien Vereinigungen von Bürgern, die dauernd oder für längere Zeit für den Bereich des Bundes oder eines Landes auf die politische Willensbildung Einfluß nehmen und an der Vertretung des Volkes im Deutschen Bundestag oder einem Landtag mitwirken wollen, wenn sie nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse, insbesondere nach Umfang und Festigkeit ihrer Organisation, nach der Zahl ihrer Mitglieder und nach ihrem Hervortreten in der Öffentlichkeit eine ausreichende Gewähr für die Ernsthaftigkeit dieser Zielsetzung bieten. U m ihre Rolle im Prozeß politischer Willensbildung und staatlicher Entscheidungsfindung gerecht zu werden, muß eine Partei nach außen tätig werden und im Wettbewerb mit anderen Parteien und sonstigen auf die Bildung der öffentlichen Meinung Einfluß nehmenden Einrichtungen und Verbänden die Bürger von der Richtigkeit ihrer Politik zu überzeugen versuchen. Von Parteien, die sich noch im Stadium der Gründung befinden und im Prozeß der politischen Willensbildung erst Fuß zu fassen beginnen, kann eine Wahrnehmung der in § 2 Abs. 1 Satz 1 Parteiengesetz umschriebenen Aufgabe nur in Ansätzen verlangt werden. Der bloße Wille, „Partei" zu sein, ist allerdings nicht ausreichend. Um zu gewährleisten, daß sich nur ernsthafte politische Vereinigungen und keine Zufallsbildungen von kurzer Lebensdauer um Wähler bewerben, bedarf es gewisser objektiver, im Ablauf der Zeit an Gewicht gewinnender Voraussetzungen, damit einer politischen Vereinigung der Status einer Partei zuerkannt werden kann. Entscheidend ist, ob die Gesamtwürdigung der tatsächlichen Verhältnisse einer Partei - unter Einschluß der Dauer ihres Bestehens - den Schluß zuläßt, daß sie ihre erklärte Absicht, an der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken, ernsthaft verfolgt (vgl. zum Vorstehenden: BVerfG, Beschlüsse vom 17. November 1994, 2 BvB 1/93, 2/93 und 3/93).

LVerfGE 1,105

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Nach diesen Grundsätzen erfüllt der Antragsteller die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 Satz 1 Parteiengesetz. Der Antragsteller ist vom Landeswahlausschuß für die Wahlen zum Abgeordnetenhaus zugelassen worden. Diese Entscheidung ist vorbehaltlich einer Uberprüfung durch den Verfassungsgerichtshof als Wahlprüfungsgericht endgültig (§ 27 Abs. 3 Satz 5 Landeswahlordnung). Aus dem Grundsatzprogramm, der Satzung und dem Wahlprogramm für die Abgeordnetenhauswahlen ergibt sich, daß der Bürgerbund auf Dauer auf die politische Willensbildung Einfluß nehmen und an der Vertretung des Volkes im Berliner Abgeordnetenhaus mitwirken will. Nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse bietet der Antragsteller auch die Gewähr für die Ernsthaftigkeit dieser Zielsetzung. 2. Hinsichtlich der Anträge 1 und 2 ist der Antragsteller indessen nicht antragsbefugt. Gemäß § 37 Abs. 1 VerfGHG ist ein im Organstreitverfahren gestellter Antrag nur zulässig, wenn ein Antragsteller geltend macht, daß er (oder das Organ, dem er angehört) durch eine Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners in seinen ihm durch die Verfassung von Berlin übertragenen Rechten und Pflichten verletzt oder unmittelbar gefährdet ist. Angriffsgegenstand einer Organklage kann somit nur ein Verhalten sein, durch das ein Antragsteller in seinem Rechtskreis konkret betroffen wird oder das sich zumindest zu einem seine Rechtsstellung beeinträchtigenden, rechtserheblichen Verhalten verdichten kann. § 37 Abs. 1 VerfGHG setzt deshalb einen Sachvortrag voraus, aus dem sich diese Verletzung oder Gefährdung der Rechte und Pflichten als mögliche Rechtsfolge ergibt (vgl. Beschluß vom 22. November 1993 - VerfGH 22/92:;' - , zu der bundesrechtlichen Vorschrift des § 64 Abs. 1 BVerfGG vgl. BVerfGE 57,1, 5; 60, 374, 381). Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt. Durch die Öffentlichkeitsarbeit des Antragsgegners im Zusammenhang mit der geplanten Fusion der Länder Berlin und Brandenburg wird die Rechtsstellung einer politischen Partei im Sinne von Art. 21 Abs. 1 GG, auf den sich der Antragsteller beruft, nicht beeinträchtigt. Zutreffend geht der Antragsteller davon aus, daß Art. 21 Abs. 1 GG, der die politischen Parteien als verfassungsrechtlich notwendige Instrumente für die politische Willensbildung des Volkes anerkennt, nicht hur für den Bereich des Bundes, sondern unmittelbar auch für die Länder gilt und Bestandteil der Landesverfassungen ist (ebenso u. a. BVerfGE 66,107,114 m. w. N.; vgl. auch Saarländischer Verfassungsgerichtshof, N J W 1980, 2181, 2182; Bremischer Staatsgerichtshof, DVB1. 1984, 221, 222; VerfGHNW, NWVBl. 1994, S. 453;

LVerfGE 1,155

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Verfassungsgericht Brandenburg, Urteil vom 16. März 1995 - VfGBbg 4/94 EA; ablehnend: Rozek, Das Grundgesetz als Prüfungs- und Entscheidungsmaßstab der Landesverfassungsgerichte, 1993, S. 177 ff.). Das aus Art. 21 G G folgende Recht der Parteien auf Chancengleichheit im politischen Wettbewerb (dazu nachfolgend a)) und der ebenfalls darin niedergelegte Auftrag, an der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken (b), werden indessen durch die die Fusion der Länder Berlin und Brandenburg propagierenden Verlautbarungen des Antragsgegners erkennbar nicht tangiert. a) Der Grundsatz der Chancengleichheit, den das Bundesverfassungsgericht zunächst nur im Bereich des Wahlrechts im engeren Sinne angewandt, dann aber immer weiter auf das „gesamte Vorfeld der Wahlen" ausgedehnt hat (vgl. BVerfGE 20, 56,116; 73, 40, 89), verbietet jede staatliche Maßnahme, die den Anspruch einer Partei auf die Gleichheit ihrer Wettbewerbschancen willkürlich beeinträchtigt. In bezug auf Wahlwerbung ist das Recht der politischen Parteien auf Chancengleichheit verletzt, wenn Staatsorgane als solche parteiergreifend zugunsten oder zu Lasten einer Partei in den Wahlkampf einwirken. Ein parteiergreifendes Einwirken ist auch in der Form der Öffentlichkeitsarbeit nicht zulässig. Die Öffentlichkeitsarbeit findet dort ihre Grenzen, wo die Wahlwerbung beginnt (vgl. ebenso zum Bundesrecht BVerfGE 44,125, 147). Der Verfassungsgerichtshof hat bereits im Beschluß vom 15. März 1995:;" im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes dargelegt, daß die vom Antragsteller beanstandeten Aktivitäten des Antragsgegners keinen Bezug zu den am 22. Oktober 1995 stattfindenden Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus erkennen lassen. Einen solchen Bezug hat der Antragsteller nach wie vor nicht nachvollziehbar dargelegt. Mit Blick auf die zweifellos rechtlich geschützte Chancengleichheit des Antragstellers im Wahlkampf fehlt es damit an einem schlüssigen Sachvortrag, dem sich eine Verletzungshandlung des Antragsgegners entnehmen ließe. Eine solche Verletzung ist auch nicht im Vorfeld der für den 5. Mai 1996 vorgesehenen Volksabstimmung über die Fusion Berlin/Brandenburg möglich. Insoweit ist das Recht des Antragstellers auf Chancengleichheit von vornherein nicht berührt. Auf die Gewährleistung der Chancengleichheit kann sich eine politische Partei nur dann berufen, wenn sie in direkter Konkurrenz mit anderen politischen Parteien steht. Bei der Vorbereitung einer Volksabstimmung geht es jedoch - anders als bei Wahlkampf - nicht um einen unmittelbaren Wettbewerb einzelner Parteien, sondern um eine Sachfrage (vgl. BVerfGE

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in diesem Band, S. 21

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13, 54, 83; Schürmann, Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung, 1992, S. 33); hier versuchen die verschiedensten gesellschaftsrelevanten Gruppen, die Öffentlichkeit von den Vor- und Nachteilen der einen oder der anderen Lösung zu überzeugen. Das Eintreten von Staatsorganen für eine bestimmte sachliche Lösung kann daher grundsätzlich nicht als Maßnahme mit Bezug auf die Wettbewerb s situation zwischen den einzelnen Parteien angesehen werden. Die allerdings auch außerhalb von Wahlkämpfen zu respektierende Chancengleichheit einer politischen Partei könnte hier durch Öffentlichkeitsarbeit nur dann verletzt werden, wenn diese Partei gezielt herausgegriffen, insbesondere in der Öffentlichkeit diffamiert würde (vgl. BVerfGE 40, 287, 293). Eine solche Fallgestaltung liegt ersichtlich nicht vor. b) Der Antragsteller kann auch aus dem verfassungsmäßigen Auftrag der Parteien, an einer politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken, vorliegend keine Antragsbefugnis im Sinne von § 37 VerfGHG herleiten. Soweit der Öffentlichkeitsarbeit des Antragsgegners hinsichtlich der Volksabstimmung über die Fusion Grenzen gesetzt sind, gehen diese nicht einher mit subjektiven Rechten der politischen Parteien aus Art. 21 Abs. 1 GG. Die Vorbereitung der Volksabstimmung ist anders als der Wahlkampf nicht primär eine „Domäne" der politischen Parteien im Sinne des Art. 21 Abs. 1 GG. Denn in den Meinungsbildungsprozeß vor einer Volksabstimmung greifen nicht nur die politischen Parteien, sondern die unterschiedlichsten Gruppierungen, Verbände und Vereinigungen ein. Selbst wenn der Antragsgegner bei einer Werbung zugunsten der Fusion das Verfassungsverbot der grundsätzlich staatsfreien Meinungs- und Willensbildung des Volkes, das ihn möglicherweise zur Sachlichkeit verpflichtet (vgl. Schürmann, a a ö S. 312 ff.; s. auch BVerfGE 37, 84, 91 sowie Bay. Verfassungsgerichtshof, Entscheidung vom 19. Januar 1994 VerfGH n. F. 47, 1 = NVwZ - RR 1994, S. 529 ff.) verletzen würde, könnten deshalb eigene verfassungsmäßige Rechte des Antragstellers nicht berührt sein. Dem Antragsteller wird sein aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG folgendes Recht, bei der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken, indem er für seine Auffassungen über die Nachteile der Fusion öffentlich eintritt, nicht streitig gemacht. Er kann indessen nicht - gleichsam in Prozeßstandschaft für das zur Abstimmung berufene Volk - auf dessen staatsfreie Willensbildung dringen und beanspruchen, daß sich der Antragsgegner in Sachen Fusion Zurückhaltung auferlegt (vgl. BVerfGE 13, 54, 85). Für eine Entscheidung darüber, welche Grenzen der Öffentlichkeitsarbeit des Antragsgegners im einzelnen - möglicherweise durch das Gebot der Sachlichkeit - gesetzt sind, ist nach alledem kein Raum. 3. Der Antrag zu 3 ist bereits mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Nachdem der Antragsgegner erklärt hat, eine Versendung des Materials

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von Verbänden und Gewerkschaften sei nicht mehr beabsichtigt, besteht kein berechtigtes Interesse des Antragstellers an einer gerichtlichen Entscheidung. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf den §§ 33 und 34 VerfGHG. Diese Beschluß ist unanfechtbar.

Nr. 16 Verletzung des Grundrechts auf rechtliches Gehör durch fehlerhafte Anwendung von Präklusionsvorschriften. Verfassung von Berlin Art. 62 Zivilprozeßordnung § 296 Beschluß vom 21. September 1995 - VerfGH 36/95 in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Herrn P. H. gegen das Urteil des Amtsgerichts Schöneberg vom 20. März 1995 - 10 C 39/95 Entscheidungsformel: Das Urteil des Amtsgerichts Schöneberg vom 20. März 1995 - IOC 39/95 - verletzt das Grundrecht des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör und wird aufgehoben. Die Sache wird an das Amtsgericht Schöneberg zurückverwiesen. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei. Das Land Berlin hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten. Gründe: I. Die Verfassungsbeschwerde wendet sich gegen ein Urteil des Amtsgerichts Schöneberg vom 20. März 1995, durch das der Beschwerdeführer zur Zahlung von 107,14 D M nebst Zinsen und Kosten verurteilt worden ist. Der in Oberhausen ansässige Kläger des Ausgangsverfahrens machte zunächst im Mahnverfahren beim Amtsgericht Oberhausen gegen den Be-

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schwerdeführer eine Kaufpreisforderung von 363,— DM geltend und begründete die Klage, nachdem der Beschwerdeführer Widerspruch eingelegt hatte, mit einem noch beim Amtsgericht Oberhausen eingereichten Schriftsatz. Nach Abgabe der Sache an das Amtsgericht Schöneberg als Prozeßgericht ordnete der Richter mit vordruckmäßiger Verfügung vom 15. Februar 1995 an, daß der Rechtsstreit zunächst im schriftlichen Vorverfahren gemäß § 276 ZPO behandelt werde, und setzte dem Beschwerdeführer als der beklagten Partei eine Frist von zwei Wochen zur schriftlichen Anzeige der Verteidigungsbereitschaft sowie von weiteren zwei Wochen zur schriftsätzlichen Erwiderung auf die Klage. Diese Verfügung wurde dem Beschwerdeführer zusammen mit der Klagebegründung zu Händen seines Prozeßbevollmächtigten am 17. Februar 1995 zugestellt, so daß die Frist zur Klageerwiderung am 17. März 1995, einem Freitag, endete. Nachdem der Beschwerdeführer fristgerecht mitgeteilt hatte, daß er sich gegen die Klage verteidigen werde, beraumte der Richter Verhandlungstermin auf den 20. März 1995, den auf das Ende der zur Klageerwiderung gesetzten Frist folgenden Montag, an. In diesem Termin überreichte der Beschwerdeführer durch seinen Prozeßbevollmächtigten einen Schriftsatz vom gleichen Tag, der die Klageerwiderung enthielt, und erklärte, daß der Widerspruch nur noch in Höhe eines Teilbetrages von 107,14 DM aufrechterhalten bleibe. Der Kläger rügte Verspätung und bat hilfsweise um Schriftsatzfrist. In dem am Schluß der Sitzung verkündeten Urteil wurde der Beschwerdeführer ohne Berücksichtigung seines schriftsätzlichen Vorbringens in vollem Umfang verurteilt. Zur Begründung heißt es in dem Protokoll: „Da der Beklagte seine Einwendungen trotz richterlicher Auflage erst im Termin vorgebracht hat, waren sie als verspätet zurückzuweisen, denn der Klägerin hätte eine Schriftsatzfrist eingeräumt werden müssen".

Der Beschwerdeführer hat gegen dieses Urteil am 21. April 1995 Verfassungsbeschwerde erhoben, mit der er die Verletzung des Grundrechts auf rechtliches Gehör rügt. Der Prozeßgegner des Ausgangsverfahrens sowie die Senatsverwaltung für Justiz haben gem. § 53 VerfGHG Gelegenheit zur Äußerung erhalten. II. 1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Nach § 49 Abs. 1 VerfGHG kann jedermann mit der Behauptung durch die öffentliche Gewalt des Landes Berlin in einem seiner in der Verfassung von Berlin enthaltenen Rechte verletzt zu sein, die Verfassungsbeschwerde zum Verfassungsgerichtshof erheben. Soweit, wie hier, Gegenstand der Verfassungsbeschwerde die Anwendung von Bundesrecht ist, besteht die Prüfungsbefugnis des Verfassungsgerichtshofs in den Grenzen der Art. 142, 31 GG

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allein hinsichtlich solcher Grundrechte der Verfassung von Berlin, die mit vom Grundgesetz verbürgten Grundrechten übereinstimmen (st. Rspr., u. a. Beschluß vom 2. Dezember 1993 - VerfGH 89/93* - NJW 1994, 437). Vor diesem Hintergrund kann sich der Beschwerdeführer auf das durch die Verfassung von Berlin, namentlich durch Art. 62 VvB, inhaltsgleich mit Art. 103 G G gewährleistete Grundrecht auf rechtliches Gehör (vgl. Beschluß vom 15. Juni 1993 - VerfGH 18/92** - = J R 1993, 519 und vom 11. August 1993 - VerfGH 58/92 - ) berufen, dessen Verletzung er in einer den Anforderungen des § 50 V e r f G H G genügenden Weise gerügt hat. Da nach der Höhe der Beschwerde eine Berufung nicht zulässig gewesen wäre (§ 51 la Abs. 1 ZPO), ist der Rechtsweg erschöpft (§ 49 Abs. 2 Satz 1 VerfGHG). 2. Die Verfassungsbeschwerde ist begründet. Das angefochtene Urteil des Amtsgerichts Schöneberg beruht auf einer Verletzung des in der Verfassung von Berlin verbürgten Grundrechts des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör und ist daher gem. § 54 Abs. 3 V e r f G H G aufzuheben. Allerdings ist für die Gewährung rechtlichen Gehörs grundsätzlich die Einzelregelung der jeweiligen Verfahrensordnung maßgebend und kommt nicht jedem versehentlichen Verstoß gegen Verfahrensrecht zugleich die Q u a lität einer Grundrechtsverletzung zu. Auch wenn das Gericht nach den Prozeßvorschriften im Einzelfall das Verfahren weitgehend frei gestalten kann, wie das im vorliegenden Falle gemäß § 495a Z P O wegen des geringen Streitwerts der Fall war, sind unabdingbare Grundsätze rechtlichen Gehörs zu wahren. Das gilt insbesondere auch bei der Anwendung von Präklusionsvorschriften zur Zurückweisung verspäteten streitigen Vorbringens. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 103 Abs. 1 G G , der der Verfassungsgerichtshof für das landesverfassungsrechtliche Grundrecht auf Gewährung rechtlichen Gehörs folgt, kann die Zurückweisung von Prozeßvortrag einen Grundrechtsverstoß darstellen, wenn das Gericht bei der Anwendung des § 296 Z P O von der Auslegung, die diese Vorschrift durch die höchstrichterliche Rechtsprechung erfahren hat, abweicht, ohne die Gründe hierfür und deren Vereinbarkeit mit dem Grundrecht darzulegen (BVerfGE 81, 97,106). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. a) Das Amtsgericht ist ohne jegliche Begründung von dem in der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannten Grundsatz abgewichen, daß nur ein vom Prozeßgegner in prozeßerheblicher Weise bestrittenes Parteivorbringen Gegenstand einer prozessualen Zurückweisung sein kann (vgl. BVerfGE

* LVerfGE 1,169 ··- LVerfGE 1,81

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51, 188, 192) und daß es nicht als Verzögerung im Sinne von § 296 ZPO anzusehen ist, wenn dem Prozeßgegner zur Ermöglichung einer Einlassung zunächst eine Schriftsatzfrist gemäß § 283 ZPO eingeräumt wird und eine gerichtliche Entscheidung erst in einem späteren Verkündungstermin ergeht (vgl. Β G H Z 94,195, 213 f.; B G H , NJW 1985,1556; K G NJW 1983, 580). b) Selbst wenn der Prozeßgegner schon im Termin das in dem Schriftsatz des Beschwerdeführers vom 20. März 1995 niedergelegte Vorbringen bestritten hätte, wäre die geringfügige Überschreitung der dem Beschwerdeführer für die Klageerwiderung gesetzten Frist nicht geeignet gewesen, zu einer Verzögerung des Rechtsstreits zu führen. Die Frist endete am 17. März 1995, einem Freitag, und zwar nach § 222 ZPO in Verbindung mit § 188 B G B mit Ablauf dieses Tages. Der Beschwerdeführer wäre daher berechtigt gewesen, den Schriftsatz Freitagabend in den Gerichtskasten oder bei einer der Gemeinsamen Briefannahmestellen einzuwerfen, so daß er ebenfalls frühestens am Montag im Termin vorgelegen hätte. Die Überreichung des Schriftsatzes erst im Termin war daher nicht ursächlich dafür, daß Kläger und Gericht den Inhalt der Klageerwiderung noch nicht zur Kenntnis nehmen konnten. Ursächlich hierfür war vielmehr die Anberaumung eines Verhandlungstermins auf einen Zeitpunkt unmittelbar nach Ablauf der vom Gericht für die Klageerwiderung gesetzten Frist. c) Die aufgezeigten Verfahrensfehler stellen nicht nur eine einfachgesetzliche Verletzung des § 296 ZPO dar, sondern begründen zugleich wegen der unzulänglichen Verfahrensleitung einen Verstoß gegen das Grundrecht auf Gewährung rechtlichen Gehörs (so zu Art. 103 Abs. 1 G G BVerfGE 81, 97, 106; 81, 265, 273). Dieser Verfassungsverstoß führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückweisung der Sache an das Amtsgericht. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf den §§ 33, 34 VerfGHG. Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Nr. 17 1) Zur Substantiierungspflicht für die Rüge einer (subjektive Rechte verletzenden) Unterlassung des Gesetzgebers. 2) Zur Frist für die Einleitung eines Organstreitverfahrens bei der Rüge der unterlassenen Gesetzgebung.

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Verfassung von Berlin Art. 6 Abs. 1, 54 Abs. 1 Gesetz über den Verfassungsgerichtshof §§ 14 Nr. 1, 37 Abs. 3. 49, 51 Gesetz über die Wahlen zum Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksverordnetenversammlungen vom 25. September 1987 (GVB1. S. 2370) § 22 Abs. 2 Beschluß vom 21. September 1995 - VerfGH 37/95 und 39/95 in den Verfahren 1. der Verfassungsbeschwerde des Herrn Dr. H. G. wegen § 22 Abs. 2 des Landeswahlgesetzes 2. des Organstreits der Ökologisch-Demokratischen Partei (ÖDP), Landesverband Berlin gegen das Abgeordnetenhaus von Berlin, vertreten durch die Präsidentin, wegen Unterlassung einer Aufhebung des § 22 Abs. 2 des Landeswahlgesetzes Entscheidungs formel: Die Verfahren werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden. Die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers wird zurückgewiesen. Der Antrag der Antragstellerin wird zurückgewiesen. Die Verfahren sind gerichtskostenfrei. Auslagen werden nicht erstattet. Gründe: I. § 22 Abs. 2 des Gesetzes über die Wahlen zum Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksverordnetenversammlungen (LWahlG) vom 25. September 1987 (GVBl. S. 2370), auf das Gesamtgebiet von Berlin erstreckt durch Art. III Abs. 4 des Dritten Gesetzes zur Änderung des Landeswahlgesetzes vom 30. Oktober 1991 (GVBl. S. 244), zuletzt geändert durch das Sechste Gesetz zur Änderung des Landeswahlgesetzes vom 3. Juli 1995 (GVBl. S. 400), bestimmt für die Wahlen zu den Bezirksverordnetenversammlungen: „Auf Bezirkswahlvorschläge, für die weniger als 5 von 100 Stimmen abgegeben werden, entfallen keine Sitze." Gegen diese Bestimmung wenden sich der in Berlin wohnhafte und wahlberechtigte Beschwerdeführer, der Landesvorsitzender der ÖkologischDemokratischen Partei (ÖDP) ist, und die Antragstellerin, die sich als politische Partei an den Wahlen zu den Bezirksverordnetenversammlungen am

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22. Oktober 1995 beteiligt und die sich auch bereits mit Bezirkswahlvorschlägen an den Wahlen zu den Bezirksverordnetenversammlungen am 24. Mai 1992 in den Bezirken Charlottenburg, Spandau, Wilmersdorf, Zehlendorf, Steglitz, Tempelhof, Köpenick und Reinickendorf beteiligt hat (vgl. Bekanntmachung der Bezirkswahlvorschläge vom 22. April 1992 - ABl. S. 1249). Der Beschwerdeführer rügt mit seiner Verfassungsbeschwerde, das Abgeordnetenhaus habe es „verfassungwidrigerweise unterlassen", die Bestimmung des § 22 Abs. 2 LWahlG aufzuheben. Die mit ihr fortgeschriebene 5%-Sperrklausel sei früher verfassungsmäßig gewesen, weil die Verfassung von Berlin vom 1. September 1950 in Art. 54 Abs. 1 für die Wahlen zu den Bezirksverordnetenversammlungen ausdrücklich die gleichen Grundsätze - und damit auch die in Art. 26 Abs. 2 Satz 2 VvB enthaltene 5%-Sperrklausel - vorgeschrieben habe wie für die Wahlen zum Abgeordnetenhaus von Berlin. Mit dem Gesetz zur Änderung der Verfassung von Berlin vom 28. März 1958 (GVB1. S. 308), das für die Wahlen zu den Bezirksverordnetenversammlungen den Bezug zu den Wahlen zum Abgeordnetenhaus von Berlin fallen gelassen hat, sei die 5%Sperrklausel für die Wahlen zu den Bezirksverordnetenversammlungen „rechtfertigungsbedürftig" geworden. Die 5%-Sperrklausel sei für Kommunalwahlen, damit auch für die Wahlen zu den Bezirksverordnetenversammlungen in Berlin, inzwischen verfassungswidrig geworden. Dies verletze den Beschwerdeführer in seinem „Grundrecht auf gleiche Wahl", das sich aus Art. 6 Abs. 1 i. V. m. Art. 54 Abs. 1 VvB ergebe. Da eine Unterlassung des Abgeordnetenhauses gerügt werde, stehe die sich aus § 51 VerfGHG ergebende Jahresfrist der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde nicht entgegen. Die Antragstellerin rügt im Organstreitverfahren, daß sie durch die Unterlassung einer gesetzlichen Änderung der 5%-Sperrklausel in § 22 Abs. 2 LWahlG durch das Abgeordnetenhaus in ihrem Recht auf Chancengleichheit (Wahlrechtsgleichheit) gemäß Art. 6 Abs. 1, 54 Abs. 1 Verfassung von Berlin in Verbindung mit Art. 21 Abs. 1 GG und dem Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 1 und 2, Art. 28 Abs. 1 GG) verletzt werde. In der Sache tragen der Beschwerdeführer und die Antragstellerin im wesentlichen vor, die angegriffene Sperrklausel sei zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der Bezirksverordnetenversammlungen nicht zwingend erforderlich. Von einer solchen Erforderlichkeit habe wohl noch Ende der 50er Jahre ausgegangen werden können. Seither aber sei ein „überwältigender empirischer Nachweis" erbracht worden, daß eine Sperrklausel jedenfalls auf der bezirklichen Ebene nicht notwendig sei, was sich insbesondere durch die Erfahrungen bei Kommunalwahlen in einigen Bundesländern belegen lasse. Die einzig denkbare Rechtfertigung für eine 5%-Sperrklausel im Kommunalwahlrecht, ihr Wegfall führe zur Funktionsunfähigkeit der Bezirksverordnetenversamm-

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lungen oder jedenfalls zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung ihrer Funktion, sei aufgrund der praktischen Erfahrungen insbesondere in Bundesländern ohne 5%-Sperrklausel nicht mehr vertretbar, einer entsprechenden Prognose sei durch diese Erfahrungen der Boden entzogen. Selbst wenn es insoweit ein „theoretisches Restrisiko" geben würde, sei dieses so gering, daß die Sperrklausel jedenfalls unverhältnismäßig und damit verfassungswidrig sei. Den Gesetzgeber treffe die Pflicht, in angemessenen Abständen zu prüfen, ob eine Sperrklausel in Anbetracht gewandelter Verhältnisse oder neuer Erkenntnisse noch aufrechterhalten werden könne. Wenn dies nicht der Fall sei, sei er verfassungsrechtlich zur Aufhebung der Sperrklausel verpflichtet. Da das Abgeordnetenhaus letzteres unterlassen habe, habe es gegen das Recht des Beschwerdeführers auf gleiche Wahl und gegen die Rechte der Antragstellerin auf Gleichheit der Wahl und politische Chancengleichheit verstoßen. Der Beschwerdeführer beantragt festzustellen, daß das Abgeordnetenhaus von Berlin sein Grundrecht auf gleiche Wahl gemäß Art. 6 Abs. 1, 54 Abs. 1 Verfassung von Berlin verletzt hat, indem es unterlassen hat, die verfassungswidrig gewordene 5%-Sperrklausel des § 2 2 Abs. 2 L W a h l G aufzuheben, hilfsweise: die 5%-Sperrklausel des § 22 Abs. 2 L W a h l G abzumildern, weiter hilfsweise: die 5%-Sperrklausel des § 2 2 Abs. 2 L W a h l G daraufhin zu überprüfen, ob sie noch mit dem Grundsatz der gleichen Wahl vereinbar ist.

Die Antragstellerin beantragt festzustellen, daß das Abgeordnetenhaus ihre Rechte aus Art. 21 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 G G und Art. 6 Abs. 1, 54 Abs. 1 Verfassung von Berlin verletzt hat, indem es unterlassen hat, die verfassungswidrig gewordene 5%-Sperrklausel des § 2 2 Abs. 2 L W a h l G aufzuheben, hilfsweise: die 5%-Sperrklausel des § 22 Abs. 2 L W a h l G abzumildern, weiter hilfsweise: die 5%-Sperrklausel des § 2 2 Abs. 2 L W a h l G daraufhin zu überprüfen, ob sie noch mit dem Grundsatz der Chancengleichheit der politischen Parteien vereinbar ist.

Der Senat und das Abgeordnetenhaus haben Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten. Das Abgeordnetenhaus, das um Zurückweisung der Anträge der Antragstellerin bittet, ist der Auffassung, § 22 Abs. 2 LWahlG unterliege nicht der Uberprüfung des Verfassungsgerichtshofs, weil er vor Inkrafttreten des Gesetzes über den Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin in Kraft getreten sei. Die seitdem ergangenen Neuregelungen beträfen jeweils nur Einzelpunkte. Daraus lasse sich keine Pflicht des Gesetzgebers herleiten, das gesamte Gesetz in den Blick zu nehmen und zu überprüfen. Das Abgeordnetenhaus sei auch nicht passivlegitimiert, da es als solches keine Befugnis zum Betreiben von Gesetzesinitiativen habe.

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Im übrigen seien die Anträge auch in der Sache unbegründet. Selbst wenn konkrete Gefahren für die störungsfreie Funktion der Bezirksverordnetenversammlungen derzeit nicht erkennbar sein sollten, sei es Sache des Gesetzgebers, darüber zu befinden, ob Regelungen in Kraft bleiben sollten, die dazu dienten, der Gefahr einer Funktionsunfähigkeit der Bezirksverordnetenversammlungen vorzubeugen. II. Die Verfahren werden gemäß § 22 V e r f G H G zur gemeinsamen Entscheidung verbunden. Der Verfassungsgerichtshof hat gemäß § 24 Abs. 1 VerfGHG einstimmig auf mündliche Verhandlung verzichtet. A. Die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers ist sowohl in ihrem Hauptantrag wie auch in den Hilfsanträgen unzulässig. Die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde setzt gemäß § 49 Abs. 1 VerfGHG voraus, daß der Beschwerdeführer die Verletzung eines (auch) zu seinen Gunsten von der Verfassung von Berlin begründeten Rechts geltend macht. Dieses Erfordernis ist nur bei konkreter Darlegung der Möglichkeit erfüllt, daß der Beschwerdeführer durch das beanstandete Verhalten der öffentlichen Gewalt des Landes Berlin in einem solchen Recht verletzt sein könnte. Wird - wie hier - ein Unterlassen des Gesetzgebers gerügt, muß ein Beschwerdeführer nachvollziehbar darlegen, aus welchen Gründen den Gesetzgeber die Verfassungspflicht zur Vornahme einer bestimmten Handlung zu einer bestimmten Zeit treffen soll. Diesen Anforderungen genügt das Vorbringen des Beschwerdeführers nicht. Ein in dem vorgenannten Sinn subjektives Recht stellt allerdings der hier als verletzt gerügte Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 VvB dar, der nicht etwa lediglich eine der Regelung des Art. 3 Abs. 2 G G vergleichbare Vorschrift zur Gleichbehandlung der Geschlechter ist, sondern nach seinem sachlichen Regelungsgehalt eine umfassende Gleichheitsgarantie enthält (vgl. den Beschluß vom 17. Februar 1993 - VerfGH 53/92* -). Art. 6 Abs. 1 Satz 1 VvB gewährleistet mit Blick auf Art. 54 Abs. 1 VvB damit auch das subjektive Recht auf Wahrung des in der letztgenannten Vorschrift ausgeformten Grundsatzes der Wahlgleichheit bei den Wahlen zu den Bezirksverordnetenversammlungen (vgl. in diesem Zusammenhang zum Verhältnis des allgemei-

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nen Gleichheitssatzes zum Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit BVerfGE 51, 222, 232 m. w. N.)· Der einzelne Wähler kann sich aufgrund dessen unmittelbar gegen eine gesetzliche Ausgestaltung des Wahlrechts zur Wehr setzen, welche den Grundsatz der Gleichheit der Wahl verletzt (vgl. BVerfGE 1, 208, 237; 13,1,10 f.; s. auch BVerfGE 47, 253, 270). Es ist auch nicht von vornherein ausgeschlossen, ein Unterlassen - auch des Gesetzgebers - zulässigerweise zum Angriffsgegenstand einer Verfassungsbeschwerde zu machen. In diesem Zusammenhang mag dahinstehen, ob mit der Verfassungsbeschwerde ein solches Unterlassen nur angegriffen werden kann, wenn sich ein Beschwerdeführer auf die Nichterfüllung ausdrücklicher Verfassungsaufträge beruft (in diesem Sinne etwa: BVerfGE 6, 257, 263 ff.; 56, 54, 70 f.) bzw. ob und in welchen Konstellationen der einzelne Staatsbürger auch darüber hinaus einen gerichtlich verfolgbaren Anspruch auf ein bestimmtes Handeln des Gesetzgebers haben kann. Dem muß hier nicht weiter nachgegangen werden, denn nach dem Vortrag des Beschwerdeführers fehlt es bereits aus anderen Gründen an einer hinreichend nachvollziehbaren Möglichkeit, daß das Abgeordnetenhaus von Berlin ihm gegenüber unter Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichheit der Wahl eine Veränderung des Wahlrechts in dem begehrten Sinne unterlassen hat bzw. dazu ihm gegenüber derzeit verpflichtet ist. Dem Substantiierungserfordernis für die Rüge einer (subjektive Rechte verletzenden) Unterlassung des Gesetzgebers ist nicht schon immer dann genügt, wenn ein Beschwerdeführer einen möglicherweise verfassungswidrigen Gesetzgebungsakt als Unterlassen verfassungsgemäßen Handelns darstellt (vgl. in diesem Zusammenhang BVerfGE 13, 284, 287). Denn anderenfalls würde die Fristbestimmung des § 51 VerfGHG leerlaufen (vgl. zum gleichlautenden § 93 BVerfGG Schmidt-Bleibtreu, in Maunz/Schmidt-Bleibtreu/ Klein/Ulsamer, BVerfGG, Kommentar, Stand Dezember 1993, § 93 Rdn. 54 a. E.; Majer, in: Umbach/Clemens, BVerfGG, Kommentar, 1992, §93 Rdn. 42). Mag diese Vorschrift auch für Verfassungsbeschwerden gegen ein Unterlassen der öffentlichen Gewalt „grundsätzlich" nicht greifen (vgl. zu § 93 BVerfGG BVerfGE 77,170, 214), so ist ihrem Anliegen, nämlich Rechtssicherheit herbeizuführen, jedenfalls bei den Anforderungen an das Darlegungserfordernis des § 50 VerfGHG Rechnung zu tragen, um auf diese Weise einen Leerlauf des § 51 VerfGHG zu verhindern. Das hat zur Folge, daß im Falle der Behauptung, ein zum Zeitpunkt seines Erlasses verfassungsmäßiges Gesetz sei nach Ablauf der Frist, innerhalb derer eine Verfassungsbeschwerde gegen dieses Gesetz zulässig gewesen wäre, aus tatsächlichen Gründen verfassungswidrig geworden, die Tatsachen, aus denen sich die aktuelle Verfassungswidrigkeit ergeben soll, nach dem Inkrafttreten des in Rede stehenden Gesetzes eingetreten sein müssen. Daran fehlt es hier.

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Zwar mag nicht von vornherein auszuschließen sein, daß die auch vom Beschwerdeführer für „zunächst", namentlich Ende der 50er Jahre für verfassungsmäßig gehaltene Sperrklausel in den Ländern für Kommunalwahlen bzw. im Land Berlin für die Wahlen zu den Bezirksverordnetenversammlungen durch einen Wandel der tatsächlichen Verhältnisse bzw. die Falsifizierung der seinerzeit vom Gesetzgeber gestellten Prognose verfassungswidrig geworden sein könnte (so für das nordrhein-westfälische Kommunalwahlrecht VerfGH N W Urteil vom 29. September 1994 - NWVBl. 1994, 453). Indes reicht es in diesem Zusammenhang nicht aus, wenn der Beschwerdeführer lediglich allgemein darlegt, selbst in Gemeinden und Landkreisen solcher deutscher Länder, für deren Wahlrecht vergleichbare Sperrklauseln nicht bestehen, sei es ungeachtet einer „Parteienzersplitterung" in den vergangenen Jahrzehnten nicht zu schwerwiegenden Beeinträchtigungen der Funktionsfähigkeit der jeweiligen „Parlamente" gekommen. Für eine prozeßordnungsgemäß hinreichende Darlegung hätte der Beschwerdeführer vielmehr vorbringen müssen, die tatsächlichen Verhältnisse und Erfahrungen, aus denen er die Verfassungswidrigkeit eines Unterlassens der Aufhebung oder Änderung der Sperrklausel herleiten möchte, hätten sich erst und gerade nach der erneuten gesetzlichen Bestätigung der Sperrklausel durch das Landeswahlgesetz im Jahre 1987 bzw. durch dessen Erstreckung auf das Gebiet von Gesamtberlin im Jahre 1991 eingestellt. Derartiges hat der Beschwerdeführer jedoch nicht vorgetragen. Im übrigen ist auch nichts ersichtlich, was eine derartige These stützen könnte. Der Beschwerdeführer verweist zwar darauf, daß es neue Erfahrungen durch das Fehlen einer Sperrklausel in den neuen Bundesländern Brandenburg und Sachsen sowie auch durch eine auf etwa 3,03 % gemilderte Sperrklausel seit 1988 in Rheinland-Pfalz gebe, doch ändert dies nichts daran, daß der Beschwerdeführer sich in erster Linie auf Erfahrungen aus dem Fehlen von Sperrklauseln in Baden-Württemberg, Bayern und Niedersachsen beruft und es sich dabei um Erfahrungen handelt, die auf die Zeit vor 1987 bzw. 1991 zurückgehen. Sie mögen sich seitdem insbesondere durch die Erkenntnisse in Brandenburg und Sachsen verdichtet haben. Doch werden grundlegend neue Erkenntnisse seit 1987 bzw. 1991 vom Beschwerdeführer weder vorgetragen noch sind sie ersichtlich. Die von § 49 Abs. 1 VerfGHG vorausgesetzte „Möglichkeit" einer aktuellen Verletzung von Rechten des Beschwerdeführers durch Unterlassen des Gesetzgebers ist danach nicht gegeben. Aus dem gleichen Grunde müssen die Hilfsanträge scheitern. B. Der Antrag der Antragstellerin im Organstreitverfahren und ihre hilfsweisen Anträge sind ebenfalls unzulässig.

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1. Der Rechtsweg zum Verfassungsgerichtshof ist gemäß Art. 72 Abs. 1 Nr. 1 VvB, § 14 Nr. 1 VerfGHG gegeben. Es handelt sich um eine verfassungsrechtliche Streitigkeit im Sinne dieser Bestimmung. Die Antragstellerin macht mit ihrem Hauptantrag und mit ihren Hilfsanträgen geltend, das Abgeordnetenhaus sei aufgrund der sich aus Art. 6 und 54 VvB ergebenden Verpflichtung, „gleiche" Wahlen vorzuschreiben, und aus dem Gebot der Chancengleichheit der politischen Parteien, das sich aus dem unmittelbar auch für die Landesverfassungen geltenden Art. 21 Abs. 1 mit Art. 20 GG ergebe, gehalten gewesen, die 5%-Sperrklausel in § 22 Abs. 2 LWahlG für die Wahlen zu den Bezirksverordnetenversammlungen aufzuheben bzw. abzumildern. Diese verfassungsrechtliche Pflicht obliege dem Abgeordnetenhaus auch der Antragstellerin gegenüber. Die Antragstellerin und das Abgeordnetenhaus als Antragsgegner sind nach §§ 36,14 Nr. 1 VerfGHG im Organstreitverfahren parteifähig. Der Antragsteller ist eine politische Partei, der Antragsgegner ein oberstes Landesorgan. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs (vgl. Urteil vom 17. Juni 1993 - VerfGH 21/92* - ) kann eine politische Partei die Verletzung ihres verfassungsrechtlichen Status, zu dem die Teilhabe an gleichen Wahlen zu den Bezirksverordnetenversammlungen wie auch ihr Recht auf Chancengleichheit bei Wahlen gehört, im Organstreitverfahren geltend machen. Die Antragstellerin ist ferner antragsbefugt (§ 37 Abs. 1 VerfGHG). Sie bringt vor, durch die Unterlassung der Aufhebung des § 22 Abs. 2 LWahlG (bzw. durch die Unterlassung der Abmilderung dieser Vorschrift), in ihren verfassungsmäßigen Rechten auf Chancengleichheit bei einer Wahl (Wahlrechtsgleichheit) verletzt zu sein. Sie wendet sich somit gegen ein Unterlassen des Gesetzgebers, das ebenso eine Maßnahme im Sinne des § 37 Abs. 1 VerfGHG sein kann wie der Erlaß eines Gesetzes (vgl. Urteil vom 17. Juni 1993 - VerfGH 21/92 - ) . Zu Recht richtet sich das Begehren der Antragstellerin gegen das Abgeordnetenhaus. Denn die Antragstellerin rügt sein Unterlassen als Gesetzgeber. Insoweit ist das Abgeordnetenhaus als solches oberstes Landesorgan im Sinne des Art. 72 Abs. 2 Nr. 1 VvB und des § 14 Nr. 1 VerfGHG und für die hier den Streit bildenden Anträge passiv prozeßführungsbefugt. 2. Gleichwohl ist der Antrag unzulässig. Dabei kann dahinstehen, ob wie die Antragstellerin meint - dem Antragsgegner eine pflichtwidrige Unterlassung vorzuhalten ist. Darauf kommt es nicht ausschlaggebend an. Maßgebend ist vielmehr, ob es sich um eine Unterlassung handelt, die der Antragstellerin erst innerhalb der von § 37 Abs. 3 VerfGHG gesetzten Frist von sechs *

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Monaten vor ihrer Antragstellung bekanntgeworden ist. Das ist zu verneinen, und daran scheitert die Zulässigkeit des Antrags. Ein Antrag im Organstreitverfahren kann zulässigerweise nur binnen sechs Monaten von dem Zeitpunkt an gestellt werden, in dem die „beanstandete Maßnahme oder Unterlassung dem Antragsteller bekanntgeworden ist" (§ 37 Abs. 3 VerfGHG). Bei der Rüge einer unterlassenen Gesetzgebung (hier: Änderung des § 22 Abs. 2 LWahlG) muß mithin ein konkreter Zeitpunkt feststehen oder feststellbar sein, zu dem der Gesetzgeber spätestens hätte tätig werden müssen (siehe in diesem Zusammenhang BVerfG DVBl. 1995, 298). Daran fehlt es mit Blick auf die geltend gemachte Unterlassung einer Änderung des § 22 Abs. 2 LWahlG. Jedenfalls liegt ein solcher Zeitpunkt nicht innerhalb des nach § 37 Abs. 3 VerfGHG maßgeblichen Zeitraums. Mit der Erstreckung des Landeswahlgesetzes von 1987 auf das Gesamtgebiet von Berlin durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Landeswahlgesetzes vom 30. Oktober 1991 hat der Gesetzgeber sogar konkludent die 5%-Sperrklausel neu bestätigt und eine Uberprüfung verweigert. Die von der Antragstellerin behaupteten Erfahrungen aus Bundesländern ohne 5%-Sperrklausel sind - wie bereits gesagt - keine Erkenntnisse, die sich seit Oktober 1991 ergeben und deshalb den Gesetzgeber zu einer Änderung des Landeswahlgesetzes erst innerhalb der letzten sechs Monate vor dem Antrag der Antragstellerin verfassungsrechtlich verpflichtet hätten. Auf den Zeitpunkt, zu dem die Antragstellerin durch Entgegennahme des von ihr in Auftrag gegebenen Rechtsgutachtens Kenntnis von der Verfassungswidrigkeit der 5%-Sperrklausel erlangt haben will, kommt es nicht an. Denn die Tatsachen, aus denen sich nach dem Vorbringen der Antragstellerin eine verfassungsrechtliche Pflicht zur Änderung des § 22 Abs. 2 LWahlG für den Gesetzgeber ergeben soll, sind schon mehrere Jahre allgemein bekannt. Unerheblich ist, wann welche Partei oder Wählervereinigung welche Schlußfolgerung aus diesen Tatsachen zieht. Die Uberprüfung der 5%-Sperrklausel mußte sich dem Gesetzgeber auch nicht bei den Änderungen des Landeswahlgesetzes durch die Gesetze vom 26. Januar 1995, vom 20. Juni 1995 und vom 3. Juli 1995 aufdrängen. Insoweit kann offenbleiben, ob der Auffassung des Verfassungsgerichtshofs des Landes Nordrhein-Westfalen in seinem Urteil vom 29. September 1994 (NWVB1. 1994, 453) zum nordrhein-westfälischen Kommunalverfassungs- und -Wahlrecht für das Wahlrecht zu den Bezirksverordnetenversammlungen in Berlin gefolgt werden kann, wonach der Gesetzgeber bei einer weitgehenden Neugestaltung des Kommunalverfassungs- und -Wahlrechts verpflichtet ist, die Beibehaltung der 5%-Sperrklausel zu überprüfen. Denn in Berlin hat es derartige wesentliche Änderungen des Wahlrechts zu den Bezirksverordnetenversammlungen in den vergangenen sechs Monaten vor Antragstellung nicht gegeben.

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Durch Art. XI des Gesetzes über die Neuorganisation der Schulaufsicht und die Errichtung eines Landesschulamts in Berlin vom 26. Januar 1995 (GVBl. S. 33) sind Ubergangsregelungen für im Bezirk als Beamte oder Angestellte beschäftigte Lehrer geschaffen worden. Das Fünfte Gesetz zur Änderung des Landeswahlgesetzes vom 20. Juni 1995 (GVBl. S. 373) regelt das Wahlrecht der Unionsbürger. Das Sechste Gesetz zur Änderung des Landeswahlgesetzes vom 3. Juli 1995 (GVBl. S. 400) schließlich erleichterte das Wahlrecht von nicht im Melderegister verzeichneten Personen. Zur Sperrklausel des § 2 2 Abs. 2 LWahlG haben die damit beschriebenen gesetzlichen Änderungen keinen Bezug. Auch stellen sie keine grundlegende Änderung der Bezirksverfassung in Berlin dar, die den Gesetzgeber zwingend zu einer Überprüfung auch der 5%-Sperrklausel hätte veranlassen müssen. Angesichts dessen kann keine Rede davon sein, für den Berliner Gesetzgeber sei in den letzten Monaten vor der Antragstellung eine Pflicht zur Änderung des § 22 Abs. 2 LWahlG mit der Folge entstanden, daß der Antragstellerin eine pflichtwidrige Unterlassung erst innerhalb der Frist des § 37 Abs. 3 VerfGHG bekannt geworden sei. Das alles schließt - wie angedeutet - nicht aus, daß durch die Weitergeltung des § 22 Abs. 2 LWahlG Rechte der Antragstellerin bei den bevorstehenden Wahlen zu den Bezirksverordnetenversammlungen verletzt werden können. Die von der Antragstellerin beantragte Uberprüfung der Verfassungsmäßigkeit der beanstandeten Vorschrift kann bei dieser Sachlage dann nur durch die Uberprüfung von Vollzugsakten der Vorschrift erfolgen. 3. Aus den zuvor bezeichneten Gründen scheitert auch die Zulässigkeit des Hilfsantrages auf „Abmilderung" der Vorschrift des § 22 Abs. 2 LWahlG, so daß dahinstehen kann, ob das mit dem Hilfsantrag verfolgte Ziel, d. h. die Festsetzung einer geringeren als der vom Gesetzgeber festgesetzten Sperrklausel überhaupt Gegenstand einer Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs sein könnte. Der weitere Hilfsantrag, die 5%-Sperrklausel des §22 Abs. 2 LWahlG daraufhin zu überprüfen, ob sie noch mit dem Grundsatz der Chancengleichheit der politischen Parteien vereinbar ist, ist ebenfalls unzulässig. Gegenstand einer Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs ist nach § 39 Satz 1 VerfGHG, ob eine Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners gegen eine Bestimmung der Verfassung von Berlin verstößt. Nur im Falle einer solchen Feststellung - nicht aber isoliert - kann der Verfassungsgerichtshof gemäß § 39 Satz 2 VerfGHG „zugleich eine für die Auslegung der Bestimmung der Verfassung von Berlin erheblich Rechtsfrage entscheiden." Damit erübrigen sich Entscheidungen über die jeweils am 13. September 1995 gestellten Anträge des Beschwerdeführers und der Antragstellerin auf Erlaß von einstweiligen Anordnungen, mit denen die Ausgabe der Briefwahl-

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unterlagen bis zur Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs in der Hauptsache untersagt werden sollte. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf den §§ 33, 34 VerfGHG. Dieser Beschluß ist unanfechtbar.

N r . 18 1) Das in Art. 65 Abs. 2 VvB verbürgte Grundrecht der sogenannten Unschuldsvermutung gilt nur im Bereich von Kriminal-, Ordnungs- und Disziplinarstrafverfahren, nicht aber in Verwaltungs(streit)verfahren (im Anschluß an Beschluß vom 17. Mai 1995 - V e r f G H 24/95 -). 2) Art. 1 Abs. 3 der Verfassung von Berlin wiederholt die sich aus Art. 1 Abs. 3 G G bzw. Art. 20 Abs. 3 G G ergebende Bindung der Organe des Landes Berlin an die Grundrechte und an das übrige Bundesrecht. Das bedeutet nicht, daß subjektive Rechte des Bundesrechts mit der Verfassungsbeschwerde vor dem Verfassungsgerichtshof gerügt werden können (wie Beschluß vom 8. September 1993 - V e r f G H 59/93 -). 3) Das Rechtsstaatsprinzip, zu dem sich die Verfassung von Berlin sinngemäß im Vorspruch und nach ihrer Gesamtkonzeption bekennt, ist kein mit der Verfassungsbeschwerde unmittelbar rügefähiges individuelles Recht, sondern entfaltet Rechtsansprüche des einzelnen nur im Zusammenhang mit anderen, subjektiven Rechten (wie Beschluß vom 15. Juni 1993 - V e r f G H 18/92 - J R 1993, 519). \ Verfassung von Berlin Art. 1 Abs. 3, 65 Abs. 2 Beschluß vom 21. September 1995 - VerfGH 46/95 in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Herrn H. P. gegen 1. Bescheid des Landeseinwohneramts Berlin vom 27. Juli 1994 2. Beschluß des Verwaltungsgerichts Berlin vom 9. Januar 1995 - V G 18 A 5 4 2 / 9 4 3. Beschluß des Oberverwaltungsgerichts Berlin vom 19. April 1995 - O V G 1 S 21/95 Entscheidungsformel: Die Verfassungsbeschwerde wird verworfen. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei. Auslagen werden nicht erstattet.

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Gründe: I. Durch seit dem 26. Januar 1994 rechtskräftiges Urteil vom 30. September 1992 verurteilte das Amtsgericht Tiergarten in Berlin den seit 1965 wiederholt verkehrsrechtlich in Erscheinung getretenen Beschwerdeführer wegen Fahrens ohne deutsche Fahrerlaubnis in zwei im Jahre 1991 begangenen Fällen zu einer Geldstrafe und sprach gleichzeitig eine Sperre für die erneute Erteilung der Fahrerlaubnis von zwei Jahren aus. Die dem Beschwerdeführer in Osterreich erteilte Fahrerlaubnis habe für ihn in Deutschland keine Gültigkeit, weil er seinen ständigen Lebensmittelpunkt in der Bundesrepublik Deutschland habe. Seine gegen diese Entscheidung eingelegte Berufung nahm der Beschwerdeführer - wie er vorbringt: aus wirtschaftlichen Gründen - zurück. Mit Bescheid vom 27. Juli 1994 entzog das Landeseinwohneramt Berlin dem Beschwerdeführer einen von der Kreisverwaltung Kusel am 8. September 1992 ausgestellten deutschen Ersatzführerschein mit der Begründung, die Fahrerlaubnis sei in Unkenntnis der im Jahre 1991 begangenen Verkehrsstrafen erteilt worden. Zugleich ordnete das Landeseinwohneramt gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 V w G O die sofortige Vollziehung seines Bescheids an. Gegen diesen Bescheid hat der Beschwerdeführer Widerspruch eingelegt. Durch Beschluß vom 9. Januar 1995 hat das Verwaltungsgericht Berlin den Antrag des Beschwerdeführers, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs wieder herzustellen, abgelehnt. Die dagegen erhobene Beschwerde hat das Oberverwaltungsgericht Berlin mit Beschluß vom 19. April 1995 zurückgewiesen. Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen den Bescheid des Landeseinwohneramtes und die ihm einen vorläufigen Rechtsschutz versagenden Beschlüsse des Verwaltungs- und des Oberverwaltungsgerichts. Er macht geltend, die Anordnung der sofortigen Vollziehung und die Verweigerung vorläufigen Rechtsschutzes verstießen gegen Art. 65 der Verfassung von Berlin (VvB), weil sie vollendete Tatsachen schafften, bevor die Grundentscheidung, nämlich die Entziehung der Fahrerlaubnis, rechtskräftig sei. Zugleich verletzten diese Entscheidungen Art. 1 VvB i. V. m. Art. 1 G G , da er seine Fahrerlaubnis ordnungsgemäß erworben habe. Im übrigen verstießen sie gegen das Rechtsstaatsprinzip (Art. 2, 20 Abs. 3 G G i. V. m. Art. 1 VvB). II. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig. Gemäß § 49 Abs. 1 VerfGHG kann jedermann Verfassungsbeschwerde mit der Behauptung erheben, durch die öffentliche Gewalt des Landes Berlin

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in einem seiner in der Verfassung von Berlin enthaltenen subjektiven Rechte verletzt zu sein. Die Zulässigkeit einer solchen Verfassungsbeschwerde setzt u. a. einen Vortrag des Beschwerdeführers voraus, der die Verletzung eines (auch) zu seinen Gunsten von der Verfassung von Berlin verbürgten Rechts zumindest als möglich erscheinen läßt. Daran fehlt es hier. Soweit der Beschwerdeführer sich auf eine Verletzung des Art. 65 Abs. 2 VvB beruft, übersieht er, daß das in dieser Vorschrift verbürgte Grundrecht (der sog. Unschuldsvermutung) nur im Bereich von Kriminal-, Ordnungsund Disziplinarstrafverfahren, nicht aber in dem hier in Rede stehenden Verwaltungs(streit)verfahren gilt (vgl. dazu Beschluß vom 17. Mai 1995 VerfGH 24/95 -). Aus diesem Grunde kann eine Verletzung dieses Grundrechts hier offensichtlich nicht in Betracht kommen. Soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung des „Art. 1 der Berliner Verfassung i. V. m. Art. 1 G G " (Beschwerdeschrift S. 5) geltend macht, ist von ihm kein vor dem Verfassungsgerichtshof rügefähiges Recht angesprochen. Da er in diesem Zusammenhang offensichtlich nicht die Verletzung der den Status von Berlin betreffenden Bestimmungen des Art. 1 Abs. 1 und 2 VvB gemeint haben kann, ist davon auszugehen, daß er insoweit auf Art. 1 Abs. 3 VvB abstellen wollte. Art. 1 Abs. 3 VvB wiederholt die sich aus Art. 1 Abs. 3 G G bzw. Art. 20 Abs. 3 G G ergebende Bindung der Organe des Landes Berlin an die Grundrechte und an das übrige Bundesrecht. Das eröffnet allerdings nicht den Weg zur (beachtlichen) Rüge einer Verletzung subjektiver Rechte des Bundesrechts vor dem Verfassungsgerichtshof (vgl. Beschluß vom 8. September 1993 - VerfGH 59/93* -). Das vom Beschwerdeführer schließlich bemühte Rechtsstaatsprinzip, zu dem sich die Verfassung von Berlin sinngemäß im Vorspruch und nach ihrer Gesamtkonzeption bekennt, ist ebenfalls kein mit der Verfassungsbeschwerde vor dem Verfassungsgerichtshof unmittelbar rügefähiges individuelles Recht. Vielmehr entfaltet es Rechtsansprüche des einzelnen nur im Zusammenhang mit anderen, subjektiven Rechten (vgl. Beschluß vom 15. Juni 1993 VerfGH 18/92** - J R 1993, 519). Ein solches anderes, subjektives Recht wird in diesem Zusammenhang weder vom Beschwerdeführer angesprochen noch ist es sonst ersichtlich. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf den §§ 33 f. VerfGH. Dieser Beschluß ist unanfechtbar.

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Nr. 19 Der Verfassungsgrundsatz, daß niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen werden darf, kann dadurch verletzt sein, daß eine Mietberufungskammer des Landgerichts von der verbreiteten Rechtsauffassung anderer Landgerichte und der Literatur abweicht, ohne einen Rechtsentscheid des übergeordneten Oberlandesgerichts wegen grundsätzlicher Bedeutung einzuholen (hier: Rechtsfrage der Zurechnung von Zahlungsunpünktlichkeiten des Sozialamts als eigene schuldhafte Pflichtverletzung des Mieters gemäß § 554 a BGB). Verfassung von Berlin Art. 67 Satz 2 Grundgesetz Art. 101 Abs. 1 Satz 2 BGB § 554 a ZPO § 541 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 Beschluß vom 19. Oktober 1995 - VerfGH 23/95 in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde der Frau D. M. gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 15. Dezember 1994 - 67 S 354/94 Beteiligte gemäß § 53 Abs. 2 VerfGH: 1. H.T., 2. Η. Ν. K., 3. G.T. Entscheidungsformel: Das Urteil des Landgerichts Berlin vom 15. Dezember 1994 - 67 S 354/94 - verletzt das Grundrecht der Beschwerdeführerin auf den gesetzlichen Richter (Art. 67 Satz 2 VvB) und wird aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht Berlin zurückverwiesen. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei. Das Land Berlin hat der Beschwerdeführerin die notwendigen Auslagen zu erstatten einschließlich der Kosten der einstweiligen Anordnung. Gründe: I. Die Verfassungsbeschwerde betrifft ein gegen die Beschwerdeführerin ergangenes Räumungsurteil des Landgerichts Berlin.

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Die Beschwerdeführerin ist aufgrund eines Mietvertrages vom 2. August 1985 Mieterin einer Wohnung in dem nunmehr den Verfahrensbeteiligten gehörenden Hause K. Straße in Berlin Wedding. Mit Schreiben vom 16. Februar 1994 erklärten die Beteiligten gegenüber der Beschwerdeführerin die fristlose Kündigung des Mietverhältnisses wegen Zahlungsverzuges, u. a. weil der Mietzins von monatlich 833,58 DM für die Monate Januar und Februar 1994 nicht gezahlt worden sei. Die Beschwerdeführerin machte geltend, daß das Sozialamt Wedding für sie regelmäßig direkt die Miete an den Vermieter nach Maßgabe der zulässigen Höhe, mitunter sogar aus Arbeitsvereinfachung für mehrere Monate im voraus, überweise und daß der kurzzeitige Zahlungsverzug Anfang des Jahres auf einen erhöhten Arbeitsanfall beim Sozialamt zurückzuführen sei, teilweise auch auf strittigen Mietzinserhöhungen und auf verspäteter Bekanntgabe durch die Wohnungsvermieter beruhe. Im ersten Verhandlungstermin vom 18. April 1994 überreichte die Beschwerdeführerin Bescheinigungen des Sozialamts Wedding vom gleichen Tage, worin erklärt wird, als Miete für Januar bis April 1994 sei am 17. März 1994 ein Betrag von insgesamt 2.803,68 DM vom Sozialamt überwiesen worden, und zwar wegen strittiger Mieterhöhung vorerst nur auf der Grundlage des alten Mietbetrages von monatlich 700,92 DM; auch für die Folgezeit würden die Mieten weiterhin laufend vom Sozialamt überwiesen werden. Das Amtsgericht Wedding wies mit Urteil vom 27. Juni 1994 die Räumungsklage ab und führte zur Begründung u. a. aus, die Zahlungspraxis des Sozialamts, das die volle Miete übernommen habe, sei der Beschwerdeführerin nicht als Verschulden zuzurechnen. Die Vermieter legten gegen dieses Urteil Berufung ein und machten zur Begründung u. a. geltend, mit Schreiben vom 12. August 1994 sei eine weitere fristlose Kündigung wegen Zahlungsrückstandes und hilfsweise wegen ständig unpünktlicher Mietzinszahlung erklärt worden. Für Juni und Juli 1994 seien jeweils nur 350,00 DM bzw. bzw. 350,92 DM eingegangen, und erst am 15. August 1994 habe das Sozialamt weitere 2.102,76 DM überwiesen. Selbst wenn die verspätete Zahlung allein in der Sphäre des Sozialamts zu sehen wäre, würde das der Wirksamkeit der Kündigung nicht entgegenstehen, weil sich die Beschwerdeführerin das Fehlverhalten der Behörde gemäß § 278 BGB zurechnen lassen müsse. Auch für die weiteren Mieten von September bis November 1994 habe das Sozialamt erst am 10. Oktober 1994 eine Zahlung über 2.220,74 DM geleistet. Die Beschwerdeführerin trug in ihrer schriftsätzlichen Berufungserwiderung vor, die verspäteten Mietzahlungen des Sozialamts beruhten ausschließlich auf einer Arbeitsüberlastung der Behörde und nicht etwa auf verspäteter Erteilung ihrer Auskünfte. Sie habe beim Sozialamt vielmehr regelmäßig an die fällige Mietüberweisung erinnert. Wegen der zeitweiligen Wohngemeinschaft

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mit einem Freund, der gleichfalls Sozialhilfeempfänger sei, sei die Miete für Mai 1994 nach einem Wechsel des Sachbearbeiters versehentlich nacheinander in zwei Hälften zu jeweils 350,00 DM an die Vermieter überwiesen worden. Ein etwaiges „Fehlverhalten" des Sozialamts brauche sich ein Mieter nicht zurechnen zu lassen, da das Sozialamt nicht dessen Erfüllungsgehilfe sei. Die gleiche Ansicht vertrete in der Literatur Stemel (Mietrecht, 3. Aufl., 1988, IV, 406, Fn. 118; Mietrecht aktuell, 2. Aufl., 1992, Rdn. 525). Auch in der Entscheidung des Landgerichts Karlsruhe ZMR 1989,421 werde für einen ähnlich gelagerten Fall ein Räumungsanspruch im Hinblick auf Treu und Glauben gemäß § 242 BGB wegen mangelnden Verschuldens des Mieters abgelehnt. Mit Urteil des Landgerichts Berlin vom 15. Dezember 1994 wurde auf die Berufung der Vermieter das Urteil des Amtsgerichts Wedding geändert und wurde die Beschwerdeführerin verurteilt, die von ihr innegehaltene Wohnung bis zum 30. Juni 1995 in geräumtem Zustand an die Vermieter herauszugeben. In den Entscheidungsgründen wird im wesentlichen ausgeführt: Die fristlose Kündigung der Vermieter vom 12. August 1994 sei nach § 554 a BGB wirksam, so daß die Wirksamkeit früherer Kündigungen dahinstehen könne. Die Mieterin habe ihre vertragliche Verpflichtung zur pünktlichen und vollständigen Zahlung des Mietzinses in solchem Maße verletzt, daß den Vermietern die Fortsetzung des Mietverhältnisses nicht zugemutet werden könne. Auch nachdem die Vermieter in dem Kündigungsschreiben vom 16. Februar 1994 zur künftigen pünktlichen Entrichtung der Miete aufgefordert hätten, habe die Mieterin weiter unpünktlich gezahlt „bzw. nicht für eine pünktliche Zahlung gesorgt". Nach der ständigen Rechtsprechung der Kammer sei ein Vermieter gemäß § 554 a BGB zur fristlosen Kündigung berechtigt, wenn der Mieter nach einer Aufforderung zur pünktlichen Zahlung der Miete den Mietzins innerhalb eines Jahres noch dreimal unpünktlich zahle. Solche wiederholten unpünktlichen Zahlungen machten dem Vermieter die Fortsetzung des Mietverhältnisses unzumutbar. Die Beklagte treffe auch ein Verschulden an der Unpünktlichkeit der Zahlungen, da sie für ihre finanzielle Leistungsfähigkeit einzustehen habe. Dieser allgemeine Grundsatz gelte entgegen der Auffassung des Landgerichts Karlsruhe, ZMR 1989, 421 auch, wenn das Sozialamt die Zahlung der Miete direkt an den Vermieter übernommen habe. Es sei allein Sache des Mieters, die pünktliche Entrichtung des Mietzinses durch eigene Zahlung oder durch das Sozialamt sicherzustellen. Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen dieses ihr am 20. Januar 1995 zugestellte Urteil mit der beim Verfassungsgerichtshof am 14. Februar 1995 eingegangenen Verfassungsbeschwerde. Sie macht zur Begründung geltend, mit der von Entscheidungen anderer Mietberufungskammern und von maßgeblichen Literaturstimmen abweichenden Auffassung, wonach ein Mieter sich Zahlungsverzögerungen des für die

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Mietzinszahlung eintretenden Sozialamts als eigene mangelnde Zahlungsmoral und damit als schuldhaftes Verhalten im Sinne von § 554 a B G B zurechnen lassen müsse, verletze die angegriffene Entscheidung das in Art. 6 Abs. 1 VvB garantierte Grundrecht der Beschwerdeführerin auf Gleichbehandlung und willkürfreie Entscheidung. Darüber hinaus werde der Schutzbereich der auch für ein Mietverhältnis anzuerkennenden Eigentumsgarantie gemäß Art. 15 Abs. 1 Satz 1 VvB verkannt. Die Kläger des Ausgangsverfahrens sowie die Senatsverwaltung für Justiz haben gemäß § 53 V e r f G H G Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten. Mit Beschluß vom 17. Mai 1995 hat der Verfassungsgerichtshofs im Wege einstweiliger Anordnung die Vollstreckbarkeit des angegriffenen Urteils des Landgerichts Berlin bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde außer Wirksamkeit gesetzt.

II. 1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Nach § 49 Abs. 1 VerfGHG kann jedermann mit der Behauptung, durch die öffentliche Gewalt des Landes Berlin in einem seiner in der Verfassung von Berlin enthaltenen Rechte verletzt zu sein, die Verfassungsbeschwerde zum Verfassungsgerichtshof erheben. Soweit, wie hier, Gegenstand der Verfassungsbeschwerde die Anwendung von Bundesrecht ist, besteht die Prüfungsbefugnis des Verfassungsgerichtshofs in den Grenzen der Art. 142, 31 G G allein hinsichtlich solcher Grundrechte der Verfassung von Berlin, die mit vom Grundgesetz verbürgten Grundrechten übereinstimmen (st. Rspr. u. a. Beschluß vom 2. Dezember 1993 - VerfGH 89/93"' - , N J W 1994, 437). Vor diesem Hintergrund kann sich die Beschwerdeführerin auf das in Art. 67 Satz 2 VvB in Ubereinstimmung mit Art. 101 Abs. 1 Satz 2 G G verbürgte Verfassungsprinzip der Gewährleistung des gesetzlichen Richters berufen. Die Beschwerdeführerin hat diese Verfassungsbestimmung zwar nicht ausdrücklich benannt, jedoch ergibt sich aus ihrem Vorbringen, daß sie die Nichteinholung eines Rechtsentscheids des Kammergerichts im Hinblick auf die vorliegenden Entscheidungen anderer Gerichte und damit konkludent die Verletzung ihres Grundrechts auf den gesetzlichen Richter rügt. 2. Die Verfassungsbeschwerde ist begründet. Hierbei kann dahingestellt bleiben, ob die vom Landgericht in der angegriffenen Entscheidung bei Auslegung des § 554 a B G B vertretene Auffassung, daß sich ein Mieter die Zah-

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lungsunregelmäßigkeiten des voll für die direkte Mietzinsbegleichung eingetretenen Sozialamts stets als eigenes Verschulden zurechnen lassen müsse, auch im Blick auf nach der neuen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 89, 1 (6 ff.) = N J W 1993, 2035; BVerfG, N J W 1994, 41) verfassungsmäßig verbürgte Grundrechte des Mieters als vertretbar angesehen werden könnte. Die Entscheidung ist schon deshalb aufzuheben, weil das Landgericht hier einer nach dem unterbreiteten Sachverhalt und den ihm schon bekannten Entscheidungen anderer Gerichte eindeutig bestehenden Verpflichtung zur Einholung eines Rechtsentscheids wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 541 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 Z P O zuwidergehandelt hat. Darin liegt ein Verstoß gegen die in Art. 67 Satz 2 VvB in Ubereinstimmung mit Art. 101 Abs. 1 Satz 2 G G verfassungsrechtlich verbürgte Gewährleistung des gesetzlichen Richters. Das Bundesverfassungsgericht hat zur Anwendung der entsprechenden grundrechtlichen N o r m des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 G G bereits entschieden, daß es einen Verstoß gegen den Grundsatz des gesetzlichen Richters darstellen kann, wenn das Fachgericht eine nach der Verfassungsordnung gebotene Vorlage an ein übergeordnetes Gericht, deren Notwendigkeit sich nach dem Verfahrensverlauf aufdrängen mußte, unterlassen hat (Beschluß vom 12. Dezember 1994 - 1 BvR 1287/94 - N J W 1995, 582). Der Verfassungsgerichtshof schließt sich dieser Auffassung an und hält die genannten Voraussetzungen auch im vorliegenden Fall für erfüllt. Wenn ein Landgericht als Berufungsgericht bei der Entscheidung einer Rechtsfrage, die sich aus einem Mietvertragsverhältnis über Wohnraum ergibt oder den Bestand eines solchen Mietvertragsverhältnisses betrifft, von einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs oder eines Oberlandesgerichts abweichen will, so hat es nach der in § 541 Abs. 1 Satz 1 Z P O niedergelegten zwingenden verfahrensrechtlichen Regelung anstatt einer eigenen sachlichen Entscheidung vorab eine Entscheidung des im Rechtszug übergeordneten Oberlandesgerichts über die Rechtsfrage (Rechtsentscheid) einzuholen; das gleiche gilt, „wenn eine solche Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung ist und sie durch Rechtsentscheid noch nicht entschieden ist". Diese auf Wahrung der Rechtseinheit angelegte Vorschrift verpflichtet das Gericht zwingend zur Einholung eines Rechtsentscheids, wenn die Voraussetzungen des unbestimmten Rechtsbegriffs einer grundsätzlichen Bedeutung erfüllt sind. Das ist der Fall, wenn eine Rechtsfrage über den Einzelfall hinauswirkt, sich also in der Praxis auch künftig immer wieder stellen wird, insbesondere wenn sie in der Rechtsprechung bereits unterschiedlich beurteilt wird oder für unterschiedliche Lösungen ernsthaft zu erwägende Argumente in Betracht kommen (vgl. Zöller/ Gummer, ZPO, 19. Aufl., § 541 Rdn. 39, 40 m. N.). Die Rechtsfrage, ob sich ein Mieter Zahlungsunpünktlichkeiten des für ihn eintretenden Sozialamts als

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eigene schuldhafte Pflichtverletzung im Sinne von § 554 a BGB zurechnen lassen muß, hat bereits wiederholt die Rechtsprechung der Mietgerichte beschäftigt und ist auch in der Literatur schon erörtert worden; das ist dem Landgericht im vorliegenden Verfahren schon zur Kenntnis gebracht worden. Die Beschwerdeführerin hat in ihrer Berufungserwiderung darauf hingewiesen, daß das Landgericht Karlsruhe in ZMR 1989,421 für einen ähnlich gelagerten Fall einen Räumungsanspruch nach Treu und Glauben versagt habe und daß Stemel in Mietrecht, 3. Aufl., IV, Rdn. 406 und Fn. 118 unter Zitierung von Rechtsprechung des Landgerichts Hamburg eine entsprechende Auffassung vertrete. Das Landgericht zitiert in dem angegriffenen Urteil überdies die Entscheidung des Landgerichts Karlsruhe in ZMR 1989,421 und hätte weitere von seiner Auffassung abweichende Berufungsentscheidungen von Landgerichten namentlich in den Kommentaren Stemel, aaO, IV, Rdn. 511 m. Fn. 31 sowie Bub/Treier, Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete, 2. Aufl., IV Rdn. 191 auffinden können. Hinzu kommt, daß die Fachgerichte bei der Auslegung und Anwendung mietrechtlicher Regelungen die durch die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG gezogenen Grenzen zu beachten haben. Sie müssen die im Gesetz aufgrund verfassungsmäßiger Grundsätze zum Ausdruck kommende Interessenabwägung in einer Weise vornehmen, die sowohl den Eigentumsschutz des Hauseigentümers wie auch den ebenfalls unter den Eigentumsschutz fallenden Besitz des Mieters beobachtet und unverhältnismäßige Eigentumsbeschränkungen beider Seiten vermeidet. Der Eigentumsschutz des Mieters steht gerichtlichen Entscheidungen entgegen, die die Bedeutung und Tragweite der Eigentumsgarantie für das Besitzrecht verkennen. Unter diesen Umständen mußte sich dem Landgericht die Einholung eines Rechtsentscheids aufdrängen. Die Nichteinholung stellt einen verfassungsrechtlich relevanten Verstoß gegen zwingende verfahrensrechtliche Vorschriften dar. Dieser Verfassungsverstoß verletzt das Grundrecht der Beschwerdeführerin auf den gesetzlichen Richter und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht Berlin (§§ 54 Abs. 3 VerfGHG). Die Entscheidung über die Kosten beruht auf den §§ 33, 34 VerfGHG. Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Nr. 20 1) Der Verfassungsgerichtshof ist befugt, bei der Kontrolle von auf Bundesrecht beruhenden Entscheidungen der Berliner Verwaltungsbehörden und Gerichte am Maßstab der mit den Grundrechten des Grund-

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gesetzes inhaltsgleichen Grundrechte der Verfassung von Berlin inzident und unter Beachtung von Art. 100 Abs. 1 GG die Übereinstimmung der entscheidungserheblichen bundesrechtlichen Bestimmungen - hier - : mit dem Grundrecht auf Gleichbehandlung zu prüfen (im Anschluß an Beschluß vom 12. Juli 1994 - VerfGH 94/93* - DVBl. 1994, 1189 = NVwZ 1995, 784 = NJ 1995,29). 2) Art. 1 des Gesetzes vom 23. September 1990 (BGBl. II S. 885) in Verbindung mit Art. 8 und Anlage I Kapitel III Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 26 a Satz 1 des (Einigungs-)Vertrages vom 31. August 1990, wonach sich die aus der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte ergebenden Gebühren bei einer Tätigkeit von Rechtsanwälten um 20 vom Hundert ermäßigen, die ihre Kanzlei im Beitrittsgebiet eingerichtet haben, verstößt nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG). Verfassung von Berlin Art. 1 Abs. 3, 6 Abs. 1 Grundgesetz Art. 3 Abs. 1 Beschluß vom 19. Oktober 1995 - VerfGH 64/95 in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Herrn Rechtsanwalt V. R. gegen 1. den Beschluß des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 11. 04.1995 (312 Qs 317/94) 2. den Beschluß des Landgerichts Berlin vom 16. 06.1995 (519 Ds 239/95) Entscheidungsformel: Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei. Auslagen werden nicht erstattet. Gründe: I. Der Beschwerdeführer war in der Hauptverhandlung am 17. und 19. Januar 1995 Verteidiger des seinerzeit Angeklagten S. M. Nachdem sein Man-

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dant freigesprochen worden war, beantragte er, die seinem Mandanten aus der Landeskasse zu ersetzenden Kosten mit 1.336,87 D M festzusetzen. Der Freigesprochene hat seinen Erstattungsanspruch an den Beschwerdeführer abgetreten. Mit Beschluß vom 11. April 1995 hat das Amtsgericht Tiergarten in Berlin gemäß Art. 1 des Gesetzes vom 23. September 1990 (BGBl. II S. 885) i. V. m. Art. 8 und Anlage I Kapitel III Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 26 a Satz 1 des (Einigungs-)Vertrages vom 31. August 1990 die sich nach § 83 Abs. 1 und 2 B R A G O ergebenden Gebühren um 20 vom Hundert gekürzt. Die dagegen erhobene sofortige Beschwerde hat das Landgericht Berlin mit Beschluß vom 16. Juni 1995 als unbegründet verworfen. Gegen diese Entscheidung richtet sich die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers. Er macht geltend, es sei verfassungswidrig, die sich nach der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte ergebende Gebühr deshalb um 20 vom Hundert zu kürzen, weil er seine Kanzlei in dem Teil Berlins habe, der zum Beitrittsgebiet gehöre. Für die hierin liegende Benachteiligung gegenüber den Kollegen, die ihren Kanzleisitz im anderen Teil Berlins hätten, gebe es keine vernünftigen Gründe (mehr). Dies gelte hier umso mehr, als Schuldner der Gebühr nicht sein Mandant, sondern die Landeskasse sei, für die schlechtere wirtschaftliche und soziale Bedingungen nicht als Grund für die Ungleichbehandlung angeführt werden könnten.

II. Die Verfassungsbeschwerde hat keinen Erfolg. Soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung des Art. 1 Abs. 3 VvB i. V. m. Grundrechten des Grundgesetzes rügt, ist seine Beschwerde unzulässig. Art. 1 Abs. 3 VvB wiederholt die sich aus Art. 1 Abs. 3 G G bzw. Art. 20 Abs. 3 G G ergebende Bindung der Organe des Landes Berlin an die Grundrechte und an das Bundesrecht. Das eröffnet indes nicht den Weg zur (beachtlichen) Rüge einer Verletzung subjektiver Rechte des Bundesrechts vor dem Verfassungsgerichtshof (vgl. u. a. Beschluß vom 8. September 1993 VerfGH 59/93* -). Mit Blick auf die gerügte Verletzung des Art. 6 Abs. 1 VvB, durch den die umfassende Gleichheitsgarantie für alle Menschen mit demselben Umfang wie durch Art. 3 Abs. 1 G G verbürgt wird (vgl. etwa Beschluß vom 17. Februar 1993 - VerfGH 53/92:!"';" -), scheitert die Verfassungsbeschwerde nicht schon * **

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daran, daß das Landgericht bei seiner Entscheidung § 83 Abs. 1 und 2 BRAG O in der durch das Inkrafttreten des Gesetzes vom 23. September 1990 bewirkten Fassung und damit Bundesrecht angewandt hat. Denn nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs (vgl. im einzelnen Beschluß vom 2. Dezember 1993 - VerfGH 89/93* - N J W 1994, 436 m. w. N.) steht der Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde nicht entgegen, daß ihr Gegenstand Gerichtsentscheidungen sind, welche auf der Anwendung von Bundesrecht beruhen. Der Verfassungsgerichtshof ist grundsätzlich berechtigt, Entscheidungen Berliner Gerichte am Maßstab solcher in der Verfassung von Berlin verbürgten Individualrechte zu messen, die bundesverfassungsrechtlich gewährleisteten Grundrechten entsprechen. Solche Individualrechte sind, soweit sie inhaltlich mit den Grundrechten des Grundgesetzes übereinstimmen, auch dann von der rechtsprechenden Gewalt des Landes Berlin zu beachten, wenn diese Bundesrecht anwendet. Im vorliegenden Fall geht es nach dem Vorbringen des Beschwerdeführers allerdings nicht oder doch nicht in erster Linie darum, ob die mit der Gebührenentscheidung befaßten Gerichte bei der Anwendung von Bundesrecht den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 6 Abs. 1 VvB in landesverfassungsrechtlich gebotener Weise beachtet haben. Im Vordergrund steht vielmehr die Frage der Verfassungsmäßigkeit der bundesrechtlichen Bestimmung selbst, die die Gebührenkürzung anordnet. Insoweit macht der Beschwerdeführer sinngemäß geltend, namentlich das Landgericht habe eine nicht mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 G G ) vereinbarte Norm des Bundesrechts angewandt und ihn dadurch in verfassungsrechtlich nicht hinnehmbarer Weise ungleich behandelt. Auch das berührt jedoch die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde nicht. Denn der Verfassungsgerichtshof ist befugt, bei der Uberprüfung der auf Bundesrecht beruhenden Entscheidungen der Berliner Verwaltungsbehörden und Gerichte am Maßstab der mit den Grundrechten des Grundgesetzes inhaltsgleichen Grundrechte der Verfassung von Berlin inzident die Ubereinstimmung des entscheidungserheblichen Bundesrechts mit dem Bundesverfassungsrecht zu überprüfen. Er ist wie jedes andere Gericht gemäß Art. 100 Abs. 1 G G verpflichtet, ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei seiner Entscheidung ankommt, auf seine Vereinbarkeit - hier: - mit dem vom Grundgesetz und der Berliner Verfassung inhaltsgleich verbürgten Gleichbehandlungsgrundsatz zu überprüfen und dann, wenn er eine solche Vereinbarkeit verneint, sein Verfahren auszusetzen und das Gesetz dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vorzulegen (vgl. Beschluß vom 12. Juli 1994 - VerfGH 94/93** - DVB1. 1994, 1189 = N V w Z 1995, 784 = N J 1995, * **

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29). Ein solcher Fall ist hier indes nicht gegeben; die in Art. 1 des Gesetzes vom 23. September 1990 i. V. m. Art. 8 und Anlage I Kapitel III Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 26 a Satz 1 des (Einigungs-)Vertrags vom 31. August 1990 angeordnete Gebührenkürzung verstößt nicht gegen das Grundrecht auf Gleichbehandlung. Wie der Beschwerdeführer selbst nicht in Zweifel zieht, haben im Jahre 1990 einleuchtende und vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls für eine entsprechende Differenzierung zwischen Rechtsanwälten mit Sitz im Beitrittsgebiet und solchen mit Sitz außerhalb des Beitrittsgebiets gesprochen. Durch diese Differenzierung wurde nämlich den besonderen wirtschaftlichen Verhältnissen der im Beitrittsgebiet ansässigen Rechtsanwälte und Rechtssuchenden in einer dem angestrebten Zweck namentlich hinsichtlich des Umfangs angemessenen Weise Rechnung getragen. Das reicht aus annehmen zu dürfen, die in Rede stehende Ungleichbehandlung sei sachlich gerechtfertigt und verstoße deshalb nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Allerdings ist dem Beschwerdeführer einzuräumen, daß dieser Rechtfertigungsgrund in einem bestimmten Zeitpunkt seine die Differenzierung legitimierende Kraft einbüßen dürfte. Dieser Zeitpunkt ist jedoch erst gekommen, wenn eindeutige und verläßliche Daten belegen, daß die wirtschaftliche Gesamtsituation der im Beitrittsgebiet ansässigen Rechtsanwälte und Rechtssuchenden der der außerhalb des Beitrittsgebiets ansässigen Rechtsanwälte und Rechtssuchenden zumindest nahezu entspricht und deshalb für die unterschiedliche Behandlung kein Raum mehr ist. An solchen Daten fehlt es bisher. Der Beschwerdeführer hat weder solche Daten vorgetragen noch auch nur andeutungsweise eine entsprechende Angleichung der wirtschaftlichen Verhältnisse substantiiert behauptet. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 33 f. VerfGHG. Dieser Beschluß ist unanfechtbar.

Nr. 21 Zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes im Hinblick auf ein Wahlprüfungsverfahren (5%-Sperrklausel). Verfassung von Berlin Art. 26 Abs. 2 Gesetz über den Verfassungsgerichtshof §§ 40 Abs. 2 Nr. 8 und Abs. 3 Nr. 3 Gesetz über die Wahlen zum Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksverordnetenversammlungen vom 25. September 1987 (GVBl. S. 2370) §§ 18, 22 Abs. 2

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Beschluß vom 16. November 1996 - VerfGH 72 A/95 in dem Verfahren auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung 1. Der Partei Die Republikaner, Landesverband Berlin 2. Verschiedener Kreisverbände der Partei Die Republikaner wegen der Anwendung der 5%-Sperrklausel auf die Feststellung des Ergebnisses der Wahlen zum Abgeordnetenhaus und den Bezirksverordnetenversammlungen vom 22. Oktober 1995 Entscheidungsformel: Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung wird zurückgewiesen. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei. Auslagen werden nicht erstattet. Gründe: I. Die Antragsteller haben an den Wahlen zum Abgeordnetenhaus von Berlin und zu den Bezirksverordnetenversammlungen am 22. Oktober 1995 teilgenommen. Auf sie sind bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus 2,7 % der Stimmen sowie bei den Wahlen zu den Bezirksverordnetenversammlungen zwischen 1,3 % (im Bezirk Zehlendorf) und 4,7 % (im Bezirk Wedding), im Durchschnitt etwa 3,0 % der Stimmen entfallen. Nach Artikel 26 Abs. 2 VvB und § 18 des Gesetzes über die Wahlen zum Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksverordnetenversammlungen (LWahlG) vom 25. September 1987 (GVB1. S. 2370), zuletzt geändert durch Gesetz vom 3. Juli 1995 (GVBl. S. 400), werden die Antragsteller zu 1) deshalb, weil sie im Wahlgebiet weniger als 5 v. H. der abgegebenen Zweitstimmen erhalten haben, bei der Berechnung und Zuteilung der Abgeordnetenhaussitze nicht berücksichtigt. In Anwendung von § 22 Abs. 2 LWahlG entfallen auch auf die Bezirkswahlvorschläge der Antragsteller zu 2) - 24) keine Sitze, weil für sie in jedem der 23 Bezirke weniger als 5 v. H. der Stimmen abgegeben worden sind. Die Antragsteller sehen sich durch die 5%-Sperrklauseln der § § 1 8 und 22 Abs. 2 LWahlG sowie des Art. 26 Abs. 2 VvB in ihrem Recht auf Chancengleichheit bzw. Wahlrechtsgleichheit verletzt und berufen sich insoweit auf Art. 6 Abs. 1 sowie Art. 54 Abs. 1 VvB in Verbindung mit Art. 21 Abs. 1 GG und dem Demokratiegebot der Art. 20 Abs. 1 und 2 sowie 28 Abs. 1 GG. Im Hinblick auf ein deswegen von ihnen beabsichtigtes Wahlprüfungsverfahren nach § 40 VerfGHG begehren sie den Erlaß einer einstweiligen Anordnung. Sie tragen vor, die Sperrklauseln seien zur Sicherung der Funktionsfähigkeit des Abge-

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ordnetenhauses und der Bezirksverordnetenversammlungen nicht mehr zwingend erforderlich. Von der Erforderlichkeit habe wohl Ende der 50er Jahre ausgegangen werden können, nicht jedoch in jüngster Gegenwart. Dies ergebe sich aus Erfahrungen in drei Bundesländern, in denen über 40 Jahre hinweg ohne eine 5%-Sperrklausel weder ein Gemeinderat noch ein Kreistag in seiner Funktionsfähigkeit durch Parteienzersplitterung ernsthaft gestört worden sei. Die Sperrklauseln seien daher unverhältnismäßig und damit verfassungswidrig. Die Antragsteller wollen eine Schaffung vollendeter Tatsachen durch die von ihnen für verfassungswidrig gehaltene Anwendung der §§18 sowie 22 Abs. 2 LWahlG verhindern und begehren daher den Erlaß einer einstweiligen Anordnung mit dem Inhalt, den Landeswahlleiter und den Landeswahlausschuß anzuweisen, bei der Berechnung und Zuteilung der Sitze zum Abgeordnetenhaus, sowie die 23 Bezirkswahlleiter und die 23 Bezirkswahlausschüsse anzuweisen, bei der Berechnung und Zuteilung der Sitze in den Bezirksverordnetenversammlungen aufgrund der Wahl vom 22. Oktober 1995 zum Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksverordnetenversammlungen die Sperrklausel der §§18 und 22 Abs. 2 LWahlG („5%-Hürde") und Art. 26 Abs. 2 VvB nicht anzuwenden.

Hilfsweise begehren sie anzuordnen, die vorgenannten Sperrklauseln so lange nicht anzuwenden, bis vom Berliner Verfassungsgerichtshof im Hauptverfahren die Zulässigkeit der Sperrklauseln bestätigt wurde, sowie den Berliner Landeswahlleiter und die 23 Berliner Bezirkswahlleiter anzuweisen, die gewählten und festgestellten Abgeordneten bzw. Bezirksverordneten nicht zu benachrichtigen.

Wiederum hilfsweise begehren sie anzuordnen, daß eine bei Wegfall der Sperrklauseln für die Antragsteller sich ergebende Anzahl der Sitze im Abgeordnetenhaus bzw. in den Bezirksverordnetenversammlungen der 23 Bezirke Berlins bis zum Ausgang des Hauptsacheverfahrens freizuhalten sind und auf diese keine anderen Abgeordneten zu berufen sind.

II. Der im Hinblick auf die von den Antragstellern beabsichtigten Wahlprüfungsverfahren gestellte Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg. 1. Nach § 3 1 Abs. 1 VerfGHG kann der Verfassungsgerichtshof einen Zustand durch einstweilige Anordnung nur dann vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Wegen der meist weitreichenden Folgen, die eine einstweilige Anordnung

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in einem verfassungsgerichtlichen Verfahren auslöst, ist bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 31 Abs. 1 VerfGHG ein strenger Maßstab anzulegen. Dies gilt insbesondere, wenn - wie hier - der Vollzug eines schon seit langer Zeit in Kraft befindlichen Gesetzes ausgesetzt werden soll (vgl. ebenso zu § 32 Abs. 1 BVerfGG: BVerfGE 43, 198, 200; 46, 337, 340). Die Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren, insbesondere die Gründe, welche für oder gegen die Verfassungswidrigkeit eines angegriffenen Gesetzes sprechen, müssen bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 31 Abs. 1 VerfGHG außer Betracht bleiben, es sei denn, das Begehren des Hauptsacheverfahrens erweist sich als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet. In anderen Fällen sind die Nachteile, die einträten, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, das Gesetz aber später für verfassungswidrig erklärt würde, gegen diejenigen abzuwägen, die entstünden, wenn der Vollzug des Gesetzes ausgesetzt würde, es sich aber im Hauptsacheverfahren als verfassungsgemäß erwiese (vgl. u. a. Urteil vom 29. Juli 1993 - VerfGH 65 A/93* - NVwZ 1994, 263; Beschluß vom 9. Februar 1995 - VerfGH 14 A/95** - ; Beschluß vom 15. März 1995 VerfGH 12 A/95*** - ) . 2. Die von den Antragstellern angekündigten Wahlprüfungsverfahren sind nicht von vornherein unzulässig. Insbesondere kommt in Betracht, daß die Antragsteller sich als Landesverband bzw. als Kreisverbände einer Partei auf § 40 Abs. 3 Nr. 3 VerfGHG berufen und einen Einspruch gemäß § 40 Abs. 2 Nr. 8 VerfGHG darauf stützen können, es seien durch die Anwendung der 5%-Klausel Vorschriften des Grundgesetzes und der Verfassung von Berlin bei der Ermittlung des Wahlergebnisses in einer Weise verletzt worden, daß dadurch die Verteilung der Sitze im Abgeordnetenhaus und in den Bezirksverordnetenversammlungen beeinflußt worden sei. a) Soweit es um die 5%-Sperrklausel in Art. 26 Abs. 2 VvB und § 18 LWahlG bezüglich der Wahlen zum Abgeordnetenhaus geht, erscheint bei summarischer Prüfung das Begehren der Antragsteller allerdings als offensichtlich unbegründet. Um der Sicherung der Verhandlungs- und Entscheidungsfähigkeit des Parlaments willen ist es nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dem Gesetzgeber grundsätzlich gestattet, die Funktionsfähigkeit der zu wählenden Volksvertretung durch eine Sperrklausel - in aller Regel durch ein Quorum von fünf Prozent - zu sichern (vgl. u. a. BVerfG, Urteil vom 29. September 1990, BVerfGE 82,322,338). Zwar kann die Vereinbarkeit einer Sperrklausel mit dem Grundsatz der Gleichheit der Wahl nicht * ** ***

LVerfGE 1 , 1 2 4 in diesem Band, S. 16 in diesem Band, S. 21

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ein für allemal abstrakt beurteilt werden (vgl. BVerfG, aaO). Soweit indes die durch die Vereinigung der beiden Stadthälften Berlins bedingte Veränderung der Verhältnisse vorübergehend eine abweichende Beurteilung der Sperrklausel geboten hatte, ist dem mit Art. 87 b VvB für die Wahl zum ersten Gesamtberliner Abgeordnetenhaus Rechnung getragen worden. Anhaltspunkte dafür, die 5%-Sperrklausel hinsichtlich der Wahlen zum Abgeordnetenhaus überhaupt in Frage zu stellen, sind von den Antragstellern, die lediglich auf Erfahrungen in anderen Bundesländern im Bereich der Kommunalwahlen verwiesen haben, nicht vorgetragen worden und auch sonst nicht ersichtlich. b) Mit Blick auf dieses Vorbringen der Antragsteller läßt sich allerdings das angekündigte Wahlprüfungsverfahren, soweit es die Wahlen zu den Bezirksverordnetenversammlungen betrifft, nicht als offensichtlich unbegründet ansehen (vgl. in diesem Zusammenhang VerfGH NW, Urteil vom 29. September 1994, NVwZ 1995, S. 579; s. auch Beschluß vom 21. September 1995, VerfGH 37/95 und 39/95:;"). Die insofern vorzunehmende Interessenabwägung geht jedoch zum Nachteil der Antragsteller aus. Nach Auskunft des Landeswahlleiters vom 10. November 1995 würden auf die Wahlvorschläge der Antragsteller ohne Anwendung der 5%-Klausel in 16 Bezirken jeweils ein Sitz und in sieben Bezirken jeweils zwei Sitze in der Bezirksverordnetenversammlung entfallen. Schwere, irreparable Nachteile für den Fall, daß die einstweilige Anordnung nicht erlassen wird, die Antragsteller aber in der Hauptsache Erfolg haben und die von ihnen entsandten Bezirksverordneten ihr Amt entsprechend verspätet antreten, sind nicht ersichtlich, zumal den Antragstellern in keinem der Bezirke ein Vorschlagrecht für einen Stadtratsposten zustehen würde und sie auch nicht vorgetragen haben, daß die Bildung einer Zählgemeinschaft zur Wahl des Bezirksbürgermeisters (vgl. Art. 87 c VvB) unter Einbeziehung von ihnen entsandter Bezirksverordneter in Betracht käme. Auch wichtige und dringende Gründe des gemeinen Wohls gebieten den Erlaß der beantragten einstweiligen Anordnung nicht. Denn für den Fall, daß die einstweilige Anordnung nicht erginge, das angekündigte Wahlprüfungsverfahren jedoch später Erfolg hätte, entstünden keine gewichtigen Nachteile, da Maßnahmen, die entweder gar nicht oder nur unter hohem Kostenaufwand reversibel wären, bei summarischer Prüfung nicht zu befürchten sind. Demgegenüber wäre das gemeine Wohl durch den begehrten Eingriff in die Konstituierung der Bezirksverordnetenversammlungen und dessen spätere Aufhebung für den Fall der Zurückweisung des Wahlprüfungsbegehrens schon deswegen in besonderem Maße beeinträchtigt, weil den Bezirken funktionsfähige Organe der bezirklichen Selbstverwaltung vorenthalten worden wären. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf den §§ 33, 34 VerfGHG. *

in diesem Band, S. 87

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N r . 22 1. Der Anspruch auf rechtliches Gehör als ein Ausfluß des rechtsstaatlichen Gehalts des in der Achtung der Würde der Menschen wurzelnden Grundsatzes, daß über Rechte und Pflichten des Bürgers nicht kurzerhand von Obrigkeits wegen verfügt werden darf, verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen. 2. Dieser Anspruch ist noch nicht verletzt, wenn das Gericht aus Gründen des formellen Rechts das Vorbringen eines Beteiligten unberücksichtigt lassen muß. 3. Das rechtliche Gehör eines Beteiligten ist verletzt, wenn es nach dem objektiven Wortlaut der Gründe eines aus einem Vordruck entwickelten Beschlusses nicht möglich ist festzustellen, ob das entscheidungserhebliche Vorbringen des Beteiligten vom Gericht in seine Erwägungen einbezogen worden ist. Verfassung von Berlin Art. 62 Beschluß vom 16. November 1995 - VerfGH 48/94 in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde der Frau Κ. P. gegen den Beschluß des Amtsgerichts Tiergarten vom 28. April 1994 - 351 Gs 1782/94 Entscheidungsformel: Der Beschluß des Amtsgerichts Tiergarten vom 28. April 1994 - 351 Gs 1782/94 - verletzt das Grundrecht der Beschwerdeführerin auf rechtliches Gehör und wird aufgehoben. Die Sache wird an das Amtsgericht Tiergarten zurückverwiesen. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei. Das Land Berlin hat der Beschwerdeführerin die notwendigen Auslagen zu erstatten. Gründe: I. Die Beschwerdeführerin wendet sich mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen ein ihr gegenüber verhängtes Bußgeld von 8.000,00 D M wegen Nichtentfernung eines nicht mehr angemeldeten Fahrzeuges vom öffentlichen Stra-

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ßenland. Das Bußgeld ist inzwischen im Gnadenwege auf 1.000,00 DM reduziert worden. Die Beschwerdeführerin war Eigentümerin eines Pkw Trabant, der seit dem 31. Dezember 1991 stillgelegt war und auf der öffentlichen Straße vor dem Wohnhaus, in dem die Beschwerdeführerin wohnt, abgestellt war. Der Pkw wurde nach vorheriger Anordnung mit einem sog. roten Punkt am 11. März 1993 abgeschleppt und verschrottet. Mit Bußgeldbescheid vom 15. Juli 1993 wurde gegen die Beschwerdeführerin ein Bußgeld gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 1 AbfG in Höhe von 8.000,00 DM festgesetzt. Der Bußgeldbescheid wurde durch Niederlegung zur Post am 26. Juli 1993 zugestellt. Die Beschwerdeführerin, die sich vom 24. Juli 1993 bis zum 8. August 1993 in Urlaub befand, holte den Bescheid am 9. August 1993 ab. Der Umschlag des Zustellungsbriefes enthält sowohl in der Rubik „Zugestellt durch Niederlegung am" einen handschriftlichen Vermerk „26. Juli 1993" wie auch in der Rubrik „Zugestellt am" einen handschriftlichen Vermerk „ausgel. 09. 8. 93". Die Beschwerdeführerin legt mit Schreiben vom 14. August 1993, zur Post gegeben nach dem in der Bußgeldakte enthaltenen Poststempel am 17. August 1993, „Widerspruch" ein. Im Widerspruchsschreiben führt sie aus: „Ihr Schreiben vom 15. Juli 1993 habe ich per Zustellung am 09. 8. 93 erhalten." Das Schreiben der Beschwerdeführerin ging am 23. August 1993 bei der Verwaltungsbehörde ein. Mit Bescheid des Landeseinwohneramtes vom 15. Oktober 1993 wurde der Einspruch der Beschwerdeführerin nach § 69 OWiG als unzulässig verworfen. Weiter heißt es - ohne sprachlichen Zusammenhang - : „abgelehnt (§ 52 OWiG)." Zur Begründung wird ausgeführt, der Bußgeldbescheid vom 15. Juli 1993 sei am 26. Juli 1993 zugestellt worden, so daß der Einspruch verspätet sei; ein Irrtum bei der Berechnung der Einspruchsfrist sei von der Beschwerdeführerin zu vertreten. Der Bescheid wurde wiederum durch Niederlegung zur Post am 22. Oktober 1993 zugestellt und am 29. Oktober 1993 von der Beschwerdeführerin abgeholt. Mit einem umfangreichen Schreiben vom 3. November 1993, das sich ohne Eingangsdatum in den Verfahrensakten befindet, beantragte die Beschwerdeführerin entsprechend der Rechtsmittelbelehrung des Bescheides vom 15. Oktober 1993 gerichtliche Entscheidung. Außerdem begehrte sie Wiedereinsetzung wegen schuldloser Versäumung der Einspruchsfrist und erhob erneut Einspruch gegen den Bußgeldbescheid vom 15. Juli 1993. Bezüglich ihres Wiedereinsetzungsbegehrens trug sie vor, sie sei davon ausgegangen, daß die Einspruchsfrist erst mit Aushändigung des Bescheides vom 15. Juli

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1993 am 9. August 1993 begonnen habe. Vom 24. Juli 1993 bis zum 8. August 1993 habe sie sich im Urlaub befunden. Danach habe sie wegen dienstlicher und privater Uberlastungen nicht sofort reagieren können. Im Hinblick auf den von ihr angenommenen Beginn der Einspruchsfrist erst mit der Aushändigung des Bescheides habe sie ihren Einspruch im übrigen auch noch für rechtzeitig gehalten. Der Widereinsetzungsantrag wurde mit Bescheid des Landeseinwohneramtes vom 9. November 1993 gemäß § 52 Abs. 2 OwiG als unzulässig abgelehnt, weil der Antrag nicht „binnen der vorgeschriebenen Wochenfrist nach Beseitigung des Hindernisses" gestellt worden sei. Weiter heißt es: „Über Ihren Einspruch gegen den Bußgeldbescheid wurde bereits mit dem Bescheid vom 15. 10. 1993 entschieden". Gegen diesen Bescheid sei ihr Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 62 O w i G zulässig, der nach Ablauf der Rechtsbehelfsfrist dem Amtsgericht Tiergarten übersandt werde. Mit Beschluß des Amtsgerichts Tiergarten vom 28. April 1994 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin vom 3. November 1993 auf gerichtliche Entscheidung zurückgewiesen. Der aus einem ausgefüllten Formblatt bestehende Beschluß hat folgenden Wortlaut: „In dem Ordnungswidrigkeitenverfahren gegen K. P.

wohnhaft: Berlin wegen Zuwiderhandlung gegen das Gesetz über die Vermeidung und Entsorgung von Abfällen wird der Antrag d. Betroffenen vom 3. November 1993 auf gerichtliche Entscheidung gegen die Beschwerde des Landeseinwohneramtes Berlin v. 9 . 1 1 . 1 9 9 3 u. v. 1 5 . 1 0 . 1 9 9 3 - II Β 2126-2321/93 - gemäß § 62 OWiG aus den zutreffenden Gründen dieses Bescheides auf dessen Kosten als unbegründet zurückgewiesen."

Mit ihrer am 26. Mai 1994 eingegangenen Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin unter Berufung auf Art. 62 VvB, daß ihr Anspruch auf rechtliches Gehör und auf ein faires Verfahren durch die ergangene Entscheidung verletzt sei. Das Amtsgericht gehe auf den Inhalt ihres Vorbringens in seinem Beschluß nicht ein. Der Verfassungsgerichtshof hat die Bußgeldakten des Amtsgerichts Tiergarten beigezogen. Dem Landeseinwohneramt ist im Verfahren Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden. II. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und begründet.

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Der Beschluß des Amtsgerichts Tiergarten vom 28. April 1994 verletzt den Anspruch der Beschwerdeführerin auf rechtliches Gehör. 1. Dieses Grundrecht, das für eine Ausübung der Rechtspflege konstituierend und grundsätzlich unabdingbar ist (Beschluß vom 15. Juni 1993* NJW 1994, 441 (L) = JR 1993, 519), wird von Art. 62 der Verfassung von Berlin in der bis zum 23. November 1995 gültig gewesenen Fassung (VvB aF), der bestimmt, daß die Rechtspflege des Landes Berlin im Geiste der Verfassung und des sozialen Verständnisses auszuüben ist, mitgewährleistet (Beschluß vom 15. Juni 1993, aaO), und zwar inhaltsgleich mit Art. 103 Abs. 1 GG. Der Verfassungsgerichtshof ist daher berechtigt, Entscheidungen der Gerichte des Landes Berlin am Maßstab des Grundrechts auf rechtliches Gehör zu messen, auch wenn sie auf Bundesrecht beruhen. 2. Der Anspruch auf rechtliches Gehör als ein Ausfluß des rechtsstaatlichen Gehalts des in der Achtung der Würde des Menschen wurzelnden Grundsatzes, daß über Rechte und Pflichten des Bürgers nicht kurzerhand von Obrigkeits wegen verfügt werden darf (vgl. BVerfGE 38, 105/114), verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen (Beschluß vom 10. November 1993 - VerfGH 88/93; vgl. u. a. BVerfGE 60, 247/249; 62, 249/253 f.; 65, 293/295; 79, 51/61; 86,133/145 f.). Dieser Anspruch ist noch nicht verletzt, wenn das Gericht aus Gründen des formellen Rechts das Vorbringen eines Beteiligten unberücksichtigt lassen muß (vgl. u. a. BVerfGE 69,145/149; 79, 51/62). Insofern kann die Beschwerdeführerin nicht damit gehört werden, ihr Anspruch auf rechtliches Gehör sei dadurch verletzt worden, daß der Beschluß des Amtsgerichts Tiergarten vom 28. April 1994 sich nicht mit ihrem Vorbringen zur vorgeworfenen Ordnungswidrigkeit nach dem Abfallbeseitigungsgesetz an sich und zur Höhe des Bußgeldes aufgrund ihrer wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse auseinandergesetzt hat. Nach dem mit dem Antrag der Beschwerdeführerin vom 3./4. November 1993 auf gerichtliche Entscheidung angefochtenen Bescheid des Landeseinwohneramtes Berlin vom 15. Oktober 1993 kam es auf diese inhaltlichen Fragen wegen Verfristung des Einspruchs der Beschwerdeführerin gegen den ursprünglichen Bußgeldbescheid nicht an. Von zentraler Bedeutung für die gerichtliche Entscheidung war deshalb vorerst nicht die materielle Rechtslage, sondern die Frage der Verfristung der von der Beschwerdeführerin eingelegten Rechtsbehelfe. *

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Der Anspruch der Beschwerdeführerin auf rechtliches Gehör ist aber durch den Beschluß des Amtsgerichts vom 28. April 1994 insofern verletzt, als der Beschluß keine Auseinandersetzung mit ihrem Wiedereinsetzungsvorbringen enthält. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum rechtlichen Gehör, der der Verfassungsgerichtshof folgt, ist eine Verletzung dieses Prozeßgrundrechts dann feststellbar, wenn im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, daß tatsächliches Vorbringen oder Rechtsausführungen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden sind; ein solcher Umstand ist gegeben, wenn das Gericht zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, trotz entsprechenden Parteivortrags in den Entscheidungsgründen nicht Stellung nimmt (vgl. zuletzt BVerfG, Beschluß vom 16. Juni 1995, NJW-RR 1995, 1033, 1034 m. w. N.). Der Beschluß des Amtsgerichts Tiergarten vom 28. April 1994 geht auf das Wiedereinsetzungsvorbringen der Beschwerdeführerin wegen der Versäumung der Einspruchsfrist, insbesondere auf die mögliche Bedeutung eines offensichtlich zweideutig ausgefüllten Zustellungsumschlags (Ausfüllung der Rubrik „zugestellt am" durch handschriftlichen Vermerk des Postbediensteten: „ausgel. 9. 8. 93") und auf die in ihrem Vorbringen zum Ausdruck kommende Orientierung allein an den Fristbestimmungen in den jeweiligen Rechtsmittelbelehrungen mit keinem Wort ein, sondern weist den Antrag vom 3. November 1993 „gegen die Bescheide des Landeseinwohneramtes Berlin vom 9. November 1993 und vom 15. Oktober 1993 aus den zutreffenden Gründen dieses Bescheides" zurück. Nach der insoweit eindeutigen deutschen Sprache macht sich der Beschluß des Amtsgerichts vom 28. April 1994 damit ausschließlich die Gründe des zuletzt genannten Bescheides des Landeseinwohneramtes Berlin vom 15. Oktober 1993 zu eigen, gegen den sich ja auch der Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 3. November 1993 explizit gerichtet hatte. Dieser setzte sich aber gerade mit dem erst später - am 3. November 1993 - formulierten zentralen Anliegen der Beschwerdeführerin auf Wiedereinsetzung noch nicht auseinander, sondern zitierte - ohne sprachlichen Zusammenhang - lediglich die Wiedereinsetzungsvorschrift des § 52 Abs. 2 OWiG. Es ist zwar nicht auszuschließen, daß der Beschluß vom 28. April 1994, der durch das Ausfüllen eines Vordrucks entwickelt wurde, insofern nur auf einem Flüchtigkeitsversehen des Richters beruht und auch Bezug auf den weiteren behördlichen Bescheid vom 9. November 1993 genommen werden sollte. Jedoch läßt auch dieser nicht erkennen, ob der Wiedereinsetzungsantrag mit Rücksicht auf die Wochenfrist nach der Aushändigung des Bußgeldbescheides am 9. August 1993 oder im Hinblick auf diejenige nach Zustellung des Bescheides vom 15. Oktober 1993 für unzulässig gehalten wird, und entbehrt überdies jeglicher Ausführungen zu der sich hier aufdrängenden Frage der

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Wiedereinsetzung in die betreffende Wiedereinsetzungsfrist (vgl. hierzu BVerfGE 40,46,50), so daß auch mit einer Bezugnahme auf den Bescheid vom 9. November 1993 keine ausreichende Würdigung des Vorbringens der Beschwerdeführerin vom 3. November 1993 verbunden wäre. Außerdem versteht sich diese Auslegung des Beschlusses keineswegs von selbst. Der Verfassungsgerichtshof verkennt dabei keineswegs, daß die Rechtsprechung auf Vordrucke und Textbausteine zurückgreifen darf und gerade auch im Interesse der Rechtsuchenden auf dieses Mittel zurückgreifen muß, um die erforderliche Zeit für das Finden der zu treffenden Entscheidung zu behalten. Gerade diese Entscheidungsfindung muß jedoch nachvollziehbar sein. Auch bei einer nicht näher begründenden Gerichtsentscheidung muß dem betroffenen Bürger zur Wahrung seines rechtlichen Gehörs im Einklang mit dem Rechtsstaatsprinzip, zu dem sich die Verfassung von Berlin sinngemäß in ihrem Vorspruch und ihrer Gesamtkonzeption bekennt (vgl. Beschluß vom 15. Juni 1993 - VerfGH 18.92 - aaO), zumindest ein - wenn auch erschwertes - Nachvollziehen der Entscheidung (vgl. BVerfGE 50, 280, 289) möglich sein. Dies gilt in besonderem Maße, wenn es sich - wie hier - um die Entscheidung der einzigen zur Verfügung stehenden gerichtlichen Instanz über ein Bußgeld handelt, das angesichts seiner Höhe 8.000,00 DM mit einer massiven Geldstrafe vergleichbar ist. Die Beschwerdeführerin kann deshalb nicht auf die bloße Möglichkeit einer anderen Auslegung des Beschlusses verwiesen werden. Mit dem objektiven Wortlaut der Gründe und dem Fehlen sonstiger Anhaltspunkte dafür, daß das Gericht das entscheidungserhebliche Vorbringen der Beschwerdeführerin in seine Erwägung mit einbezogen hat, sind besondere Umstände gegeben, die die verfassungsgerichtliche Feststellung rechtfertigen, daß das Gericht seiner Verpflichtung zur Gewährung des rechtlichen Gehörs nicht nachgekommen ist. Insofern, in der Auslegung des Beschlusses des Amtsgerichts Tiergarten vom 28. April 1994, ist der Beschluß mit 5 zu 4 Stimmen ergangen. Es kann auch nicht ausgeschlossen werden, daß die Entscheidung des Amtsgerichts Tiergarten vom 28. April 1994 auf diesem Verstoß gegen das rechtliche Gehör beruht. Ob der Wiedereinsetzungsantrag der Beschwerdeführerin vom 3. November 1993 im Hinblick auf die am 22. Oktober 1993 erfolgte Zustellung des Bescheides vom 15. Oktober 1993, der von der Beschwerdeführerin tatsächlich erst am 29. Oktober 1993 abgeholt wurde, verspätet war, obliegt ebenso wie die Frage, ob der Irrtum der Beschwerdeführerin aufgrund des mißverständlich ausgefüllten Zustellungsumschlags des ursprünglichen Bußgeldbescheides („zugestellt am" „Ausgel. 09. 8. 93"), verschuldet oder unverschuldet war, der Prüfung der dafür in erster Linie zuständigen Fachgerichte.

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3. Die Entscheidung des Amtsgerichts Tiergarten vom 28. April 1994 war daher aufzuheben und die Sache an das Amtsgericht zurückzuverweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 33, 34 VerfGHG. Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Sondervotum der Richter Dittrich, Driehaus und Kunig und der Richterin Töpfer Entgegen der Auffassung der beschließenden Mehrheit liegt kein Verstoß gegen den mit Art. 103 Abs. 1 G G übereinstimmenden landesrechtlichen Verfassungsgrundsatz des rechtlichen Gehörs vor. Allerdings ist in Ubereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts davon auszugehen, daß eine gerichtliche Entscheidung auf einer Grundrechtsverletzung dieser Art beruhen kann, wenn sich aus den besonderen Umständen des einzelnen Falles deutlich ergibt, daß das Gericht wesentliches Vorbringen einer Partei entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder jedenfalls erkennbar nicht in Erwägung gezogen hat (vgl. etwa BVerfGE 27,248 (251 f.); 47,182 (187 ff.); 54, 86 (92); 86,133 (146)). Entgegen der Auffassung der beschließenden Mehrheit läßt der im vorliegenden Falle angegriffene Beschluß des Amtsgerichts Tiergarten vom 28. April 1994 jedoch weder nach seinem Wortlaut noch nach den sonstigen Umständen des Verfahrens einen Verstoß dieser Art zum Nachteil der Beschwerdeführerin erkennen. Aufgrund des Antragsschriftsatzes der Beschwerdeführerin vom 3. N o vember 1993 hatte das Amtsgericht zu entscheiden, ob die mit Bescheid des Landeseinwohneramtes Berlin vom 15. Oktober 1993 ausgesprochene Verwerfung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid wegen Verspätung mit Recht erfolgt war oder ob jedenfalls der nunmehr gestellte Wiedereinsetzungsantrag eine sachliche Nachprüfung ermöglichte. Als Vorfrage für die Prüfung der Wiedereinsetzungsgründe war darüber zu befinden, ob der Wiedereinsetzungsantrag rechtzeitig innerhalb der nach § 52 Abs. 1 OWiG i. V. m. § 45 Abs. 1 StPO vorgeschriebenen Frist von einer Woche nach Wegfall des Hindernisses gestellt wurde. Hierzu hatte das Landeseinwohneramt zwischenzeitlich schon mit Bescheid vom 9. November 1993 die Auffassung vertreten, die Beschwerdeführerin habe diese Wochenfrist versäumt. Die Beschwerdeführerin hat sich trotz dieses ihr im November 1993 zugestellten weiteren Bescheides in dem Verfahren beim Amtsgericht dann nicht nochmals geäußert. Die unter Verwendung eines Vordrucks erstellte Entscheidung des Amtsgerichts vom 28. April 1994 lautet dahingehend, daß

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Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin „der Antrag d. Betroffenen vom 3. November 1993 auf gerichtliche Entscheidung gegen die Bescheide des Landeseinwohneramtes Berlin v. 9.11.1993 u. v. 15. 10. 1993 - Az ... - gemäß § 62 OWiG aus den zutreffenden Gründen dieses Bescheides auf dessen Kosten als unbegründet zurückgewiesen"

wird. Ungeachtet der unvollkommen sprachlichen Gestaltung, die offensichtlich auf einem Flüchtigkeitsversehen bei der Verwendung des Vordrucks beruhte, läßt die Entscheidung des Amtsgerichts hinreichend deutlich erkennen, daß der Richter sich zur Wiedereinsetzungsfrage die Auffassung des zwischenzeitlich ergangenen Bescheids vom 9. November 1993 zu eigen machte und daß er im Hinblick auf die Verspätung des Wiedereinsetzungsantrages keine Grundlage für ein inhaltliches Eingehen auf die vorgebrachten Wiedereinsetzungsgründe sah. Auch die beschließende Mehrheit des Verfassungsgerichtshofes räumt ein, daß der Anspruch auf rechtliches Gehör nicht verletzt ist, wenn ein Gericht aus Gründen des formellen Rechts das Vorbringen eines Beteiligten unberücksichtigt lassen muß. Sie übersieht jedoch, daß der vorliegende Fall gerade so gelagert ist. Das gesamte sachliche Vorbringen der Beschwerdeführerin, auch zu dem geltend gemachten Wiedereinsetzungsgrund eines Irrtums über die Berechnung der Einspruchsfrist, war bei Verspätung des Wiedereinsetzungsantrages unerheblich. Zu dem nach Auffassung des Amtsgerichts allein entscheidungserheblichen Punkt einer Wahrung der gesetzlichen Wochenfrist hatte sich die Beschwerdeführerin trotz des mit dem weiteren Bescheid vom 9. November 1993 erhaltenen diesbezüglichen Hinweises nicht mehr schriftsätzlich geäußert, so daß das Amtsgericht jedenfalls nicht nach verfassungsrechtlichen Maßstäben zur Vermeidung des Anscheins eines Gehörsverstoßes gehalten war, die Begründung ausführlicher zu gestalten. Ob eine ausführlichere, auf Verständlichkeit für einen juristisch nicht vorgebildeten Adressaten angelegte Fassung hier der Sachlage besser entsprochen hätte oder jedenfalls wünschenswert gewesen wäre, ist für die Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde ohne Bedeutung.

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Nr. 23 Überprüfung einer Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutzverfahren am Maßstab des Grundrechts auf rechtliches Gehör. Verfassung von Berlin Art. 62 Beschluß vom 21. November 1995 - VerfGH 32/95 in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde der Frau C. K., beteiligt gemäß § 53 Abs. 2 VerfGHG: die Humboldt-Universität zu Berlin gegen die Beschlüsse des Oberverwaltungsgerichts Berlin vom 27. Januar und 10. März 1 9 9 5 - O V G 8 S 39.95Entscheidungsformel: Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei. Auslagen werden nicht erstattet. Gründe: I. Die Verfassungsbeschwerde betrifft eine im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ergangene, die Beschwerde der Antragstellerin des Ausgangsverfahrens zurückweisende Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Berlin vom 27. Januar 1995 und einen in derselben Sache ergangenen Beschluß des Oberverwaltungsgerichts Berlin vom 10. März 1995, mit dem eine auf den Vorwurf der Verletzung des rechtlichen Gehörs gestützte Gegenvorstellung der Beschwerdeführerin zurückgewiesen worden ist. Die Beschwerdeführerin ist seit dem 1. Oktober 1994 im Studiengang Betriebswirtschaftslehre an der Humboldt-Universität immatrikuliert. Im Dezember 1994 beantragte sie nach vorangegangenen entsprechenden Auseinandersetzungen mit dem Prüfungsausschuß der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät beim Verwaltungsgericht Berlin den Erlaß einer einstweiligen Anordnung, um feststellen zu lassen, daß sie berechtigt sei, ihr Grundstudium und die während und am Ende dieses Grundstudiums zu absolvierenden Prüfungen nach den Regelungen der bereits am 30. September 1994 geltenden Studienr und Prüfungsordnungen des Diplomstudiengangs Betriebswirtschaftslehre durchzuführen bzw. abzulegen. Sie berief sich hierzu auf § 29 Abs. 1

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Satz 1 der am 19. Oktober 1994 in Kraft getretenen neuen Prüfungsordnung (PO 1994) sowie auf § 18 Abs. 1 der am selben Tage in Kraft getretenen neuen Studienordnung (StO 1994), wonach allen Studierenden, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der PO 1994 bzw. der StO 1994 bereits im Studiengang Betriebswirtschaftslehre immatrikuliert waren, ein Wahlrecht hinsichtlich der alten und der neuen Bestimmungen eingeräumt worden ist. Das Verwaltungsgericht Berlin wies mit Beschluß vom 23. Dezember 1994 - VG 12 A 1427.94 - , der den früheren Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin am 28. Dezember 1994 zugestellt wurde, den Antrag zurück. Mit Schriftsatz vom 10. Januar 1995 legte die Beschwerdeführerin - nunmehr vertreten durch ihre jetzigen Verfahrensbevollmächtigten - hiergegen Beschwerde ein. In dem Schreiben heißt es: „Die Beschwerde dient zunächst der Wahrung der Frist, eine Begründung lassen wir folgen." Nachdem das Verwaltungsgericht am 17. Januar 1995 beschlossen hatte, der Beschwerde nicht abzuhelfen, verfügte der Vorsitzende des für die Beschwerdeentscheidung zuständigen 8. Senats des Oberverwaltungsgerichts Berlin unter dem 18. Januar 1995 zugleich mit der Mitteilung über den dortigen Eingang der Beschwerde: „Die Begründung der Beschwerde bitte ich umgehend nachzureichen." Dieses Schreiben wurde am 23. Januar 1995 an die Verfahrensbevollmächtigten der Beschwerdeführerin abgesandt, bei denen es am 25. Januar 1995, einem Mittwoch, eintraf. Am Freitag, dem 27. Januar 1995, hat das Oberverwaltungsgericht die Beschwerde „aus den zutreffenden und vom Beschwerdevorbringen nicht entkräfteten Gründen des angefochtenen Beschlusses, denen die Antragstellerin nichts entgegenzusetzen hat, zurückgewiesen". Dieser Beschluß wurde am darauffolgenden Montag, dem 30. Januar 1995, an die Verfahrensbevollmächtigten der Beschwerdeführerin abgesandt. Am 9. Februar 1995 erhoben diese daraufhin Gegenvorstellung mit dem Antrag, den Beschluß im Wege der Selbstkontrolle wegen der Verletzung des rechtlichen Gehörs aufzuheben und festzustellen, daß für das Studium der Beschwerdeführerin die Studien- und Prüfungsordnung vom 10. Februar 1992 maßgeblich sei. Sie trugen vor, der Beschluß sei unter Verletzung des rechtlichen Gehörs der Beschwerdeführerin zustandegekommen, weil der Senat die von ihnen angekündigte Begründung der Beschwerde nicht abgewartet habe. Die am 10. Januar 1995 angekündigte Beschwerdebegründung habe nicht sofort gegeben werden können, weil ihnen das Mandat erst am Tage der Beschwerde übertragen worden sei. Am Tag des Eingangs der Mitteilung des Oberverwaltungsgerichts vom 18. Januar 1995, dem 25. Januar 1995, sei die Beschwerdebegründung bereits gefertigt gewesen, habe jedoch mit der Beschwerdeführerin noch nicht abgestimmt werden können. Bis zum 27. Januar 1995, dem Tag der Beschlußfassung, habe die Beschwerdeführerin nicht die Möglichkeit gehabt,

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ihre Begründung vortragen zu lassen. Im Anschluß daran folgte eine neun Seiten umfassende Beschwerdebegründung. Nachdem die Humboldt-Universität mit Schriftsatz vom 3. März 1995 geltend gemacht hatte, den Verfahrensbevollmächtigten der Beschwerdeführerin wäre es möglich gewesen, unmittelbar nach Zugang der gerichtlichen Auflage vom 18. Januar 1995 dem Oberverwaltungsgericht unter Hinweis auf den Zeitpunkt des Zugangs mitzuteilen, daß die Begründung der Beschwerde noch etwas Zeit in Anspruch nehmen werde, und im übrigen erscheine der zum Nachreichen der Beschwerdebegründung eingeräumte Zeitraum von mehr als zwei Wochen auch als ausreichend und im Hinblick auf die Eilbedürftigkeit des Verfahrens als angemessen, hat das Oberverwaltungsgericht die Gegenvorstellung durch Beschluß vom 10. März 1995 im wesentlichen mit diesen Argumenten zurückgewiesen und dem Beschluß eine Abschrift des Schriftsatzes der Humboldt-Universität zur Kenntnisnahme beigefügt. Mit ihrer am Montag, dem 3. April 1995, beim Verfassungsgerichtshof eingegangenen Verfassungsbeschwerde gegen den ihr am 1. Februar 1995 zugegangenen Beschluß vom 27. Januar 1995 und den weiteren Beschluß vom 10. März 1995 macht die Beschwerdeführerin geltend, sie sei durch die angegriffenen Entscheidungen in ihrem durch Art. 62 der Verfassung von Berlin mitgewährleisteten Recht auf Gewährung rechtlichen Gehörs vor Gericht verletzt. Das Gericht sei nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dazu verpflichtet, auf eine angekündigte oder zu erwartende Stellungnahme eine angemessene Zeit zu warten, wenn keine feste Frist gesetzt worden sei (BVerfGE 8, 89, 91; 60, 313, 317). Die Berechnung des Oberverwaltungsgerichts in seinem Beschluß vom 10. März 1995, ihr hätten bis zur Absendung des Beschlusses etwa drei Wochen zur Begründung der Beschwerde zur Verfügung gestanden, lasse außerdem die Erklärung außer acht, die in der Verfügung vom 18. Januar 1995 liege. Das Gericht fordere darin selbst auf, die Beschwerdebegründung nachzureichen. Auch wenn dies dringend erbeten werde („umgehend"), so dürfe sie - die Beschwerdeführerin - dieser Verfügung doch entnehmen, daß noch angemessene Zeit auf ihre Begründung gewartet werde. Die Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens sowie die Senatsverwaltung für Justiz haben gemäß § 53 VerfGHG Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten. II. 1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Nach § 49 Abs. 1 VerfGHG kann jedermann mit der Behauptung, durch die öffentliche Gewalt des Landes Berlin in einem seiner in der Verfassung von Berlin enthaltenen Rechte verletzt zu sein, Verfassungsbeschwerde zum Ver-

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fassungsgerichtshof erheben. Die Beschwerdeführerin beruft sich auf das durch die Verfassung von Berlin, zum Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung namentlich durch Art. 62 VvB, inhaltsgleich mit Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistete Grundrecht auf rechtliches Gehör (vgl. Beschluß vom 15. Juni 1993 - VerfGH 18.92* = JR 1993, 519, und vom 11. August 1993 VerfGH 58.92 - ) , hinsichtlich dessen die Prüfungsbefugnis des Verfassungsgerichtshofs auch dann besteht, wenn - wie hier - Gegenstand der Verfassungsbeschwerde die Anwendung von Bundesrecht - im vorliegenden Fall der Verwaltungsgerichtsordnung - ist (st. Rspr., u. a. Beschluß vom 2. Dezember 1993 - VerfGH 89.93::"·- - N J W 1994,437). Die Beschwerdeführerin hat die Verletzung des Grundrechts des rechtlichen Gehörs auch in einer den Anforderungen des § 50 VerfGHG entsprechenden Weise gerügt. Die Verfassungsbeschwerde genügt überdies der Bestimmung des § 49 Abs. 2 Satz 1 VerfGHG: Hinsichtlich der von der Beschwerdeführerin angegriffenen Entscheidungen des einstweiligen Rechtsschutzes steht ein weiteres Rechtsmittel nicht zur Verfügung. § 49 Abs. 2 Satz 1 VerfGHG gebietet zwar über die Rechtswegerschöpfung im engeren Sinne hinaus, daß ein Beschwerdeführer auch sonstige prozessuale Möglichkeiten nutzt, um eine Korrektur der geltend gemachten Verfassungsverletzung zu erwirken oder eine solche Verletzung zu verhindern. Daraus folgt, daß die Erschöpfung des Rechtswegs im Eilverfahren nicht ausreicht, soweit das Hauptsacheverfahren ausreichende Möglichkeiten bietet, der (behaupteten) Grundrechtsverletzung abzuhelfen und dieser Weg dem Beschwerdeführer zumutbar ist. Soweit es demgegenüber um die Verletzung von Grundrechten gerade durch die Entscheidungen im vorläufigen Rechtsschutzverfahren geht und eine hierbei möglicherweise bewirkte Verfassungsverletzung dementsprechend durch die Entscheidungen der Gerichte in der Hauptsache auch nicht mehr ausgeräumt werden könnte, verlangt § 49 Abs. 2 Satz 1 VerfGH im Ergebnis nur, daß der Rechtsweg des Eilverfahrens erschöpft ist (vgl. Beschluß vom 8. Juni 1994 - VerfGH 72.93 Umdruck, S. 7 sowie zum inhaltsgleichen § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG: BVerfGE 59,63,81; 65,227,233; 77,381,401 f.; 80,40,45). So liegt der Fall hier, weil die Beschwerdeführerin mit der Rüge der Gehörsverletzung eine den vorläufigen Rechtsschutz als solche betreffende Grundrechtsverletzung geltend macht.

LVerfGE 1, 81 LVerfGE 1 , 1 6 9

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2. Die Verfassungsbeschwerde ist jedoch nicht begründet. Der Beschluß des Oberverwaltungsgerichts Berlin vom 27. Januar 1995 ist ergangen, nachdem die Beschwerdeführerin ausreichend Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten hatte. Er wurde zu einem Zeitpunkt an sie abgesandt, zu dem sie nicht mehr darauf vertrauen durfte, daß ihre Beschwerdebegründung abgewartet werde. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Grundrecht auf rechtliches Gehör, der der Verfassungsgerichtshof folgt, muß das Gericht den Ablauf einer selbst gesetzten Frist abwarten (vgl. BVerfGE 42, 243, 247); fehlt es an einer eindeutigen Fristsetzung, so muß es insbesondere dann, wenn sich ein Beschwerdeführer ausdrücklich die Begründung seines Rechtsmittels vorbehalten hat, mit einer die Beschwerde zurückweisenden Entscheidung angemessene Zeit warten (vgl. BVerfG, N J W 9 1 , 2758; BVerfGE 17, 191, 193; 8, 89, 91; 6, 12, 15; 4, 190, 192). Entscheidet es, ohne die Zeit abzuwarten, innerhalb derer eine angekündigte Stellungnahme unter normalen Umständen eingehen kann, oder war der Zeitraum bis zur gesetzten Frist nicht angemessen (vgl. BVerfGE 49, 212, 215/216), so liegt darin ebenso eine Verletzung des Grundrechts auf rechtliches Gehör wie bei einer Entscheidung vor Ablauf einer gesetzten Frist. Eine Verkennung dieser Anforderungen des Gebots des rechtlichen Gehörs ist dem Oberverwaltungsgericht nicht vorzuwerfen. Die Beschwerdeführerin hat in verfassungsrechtlich hinreichendem Umfang Gelegenheit gehabt, sich im Beschwerdeverfahren zu äußern. Sie hat die Beschwerde durch Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 10. Januar 1995 eingelegt und dabei angekündigt, eine Begründung ihrer Beschwerde folgen zu lassen. Bis zum 27. Januar 1995, als das Oberverwaltungsgericht über die Beschwerde entschied, waren mithin bereits 17 Tage verstrichen, in denen die Beschwerde hätte begründet werden können. Die Aufforderung des Oberverwaltungsgerichts vom 18. Januar 1995, die Beschwerdebegründung umgehend nachzureichen, die den Bevollmächtigten der Beschwerdeführerin allerdings erst am 25. Januar 1995 zugegangen ist, machte durch die Verwendung des Wortes „umgehend" überdies deutlich, daß das Gericht nunmehr eine nahezu sofortige Einreichung der Beschwerdebegründung erwartete. Die Bevollmächtigten der Beschwerdeführerin mußten unter diesen Umständen mit einer alsbaldigen Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts rechnen. Da sie bereits die Beschwerde per Fax eingereicht hatten und da nach ihrem eigenen Vorbringen die Beschwerdebegründung fertig vorlag, als ihnen am 25. Januar 1995 die Aufforderung des Oberverwaltungsgerichts zuging, waren sie auch in der Lage, die Beschwerdebegründung umgehend einzureichen oder zumindest dem Oberverwaltungsgericht deren unverzügliche Einreichung anzukündigen. Angesichts des Umstandes, daß seit der Einlegung der Beschwerde und der in ihr enthaltenen Ankündigung, eine Begründung folgen zu lassen, bereits

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mehr als zwei Wochen vergangen waren, und angesichts der mehrere Tage zurückliegenden, unbeachtet gebliebenen Aufforderung des Oberverwaltungsgerichts, die Beschwerdebegründung umgehend nachzureichen, war das Gericht verfassungsrechtlich nicht gehindert, nunmehr am 27. Januar 1995 über die Beschwerde zu entscheiden. Da der Beschluß des Oberverwaltungsgerichts erst am 30. Januar 1995 zur Zustellung gegeben worden ist, wäre es noch bis zu diesem Zeitpunkt möglich gewesen, die Beschwerdebegründung einzureichen, was zu einer erneuten Beratung des Oberverwaltungsgerichts hätte führen müssen. Auch bis zu diesem fünf Tage nach Zugang der gerichtlichen Aufforderung, die Begründung umgehend nachzureichen, liegenden Zeitpunkt ist die Beschwerde nicht begründet worden. Hinsichtlich des Beschlusses des Oberverwaltungsgerichts vom 10. März 1995, der eine Abänderung des Beschlusses vom 27. Januar 1995 ablehnt, ist eine selbständige Verletzung des Grundrechts auf rechtliches Gehör von vornherein nicht ersichtlich. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf den §§ 33, 34 VerfGHG. Dieser Beschluß ist unanfechtbar.

Entscheidungen des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg

Die amtierenden Richter des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg Dr. Peter Macke,

Präsident

Dr. Wolfgang Knippel,

Vizepräsident

Prof. Dr. Hans Herbert v. Arnim Dr. Matthias Dombert Prof. Dr. Beate Harms-Ziegler Prof. Dr. Rolf Mitzner Prof. Dr. Richard Schröder Prof. Dr. Karl-Heinz Schöneburg Monika Weisberg-Schwarz

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Nr. 1 Zur Frage der Verletzung des Rechts auf ein zügiges Verfahren (Art. 52 Abs. 4 LV), wenn der Betroffene durch sein eigenes prozessuales Verhalten die Bearbeitung einer von ihm erhobenen Privatklage verzögert.* Verfassung des Landes Brandenburg Art. 21 Abs. 2 Satz 1, 54 Abs. 4 Beschluß vom 19. Januar 1995 - VfGBbg 9/94 in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Herrn Wk. wegen Nichtdurchführung eines Privatklageverfahrens durch das Amtsgericht X. Entscheidungsformel: Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen. Gründe: A. Der Beschwerdeführer wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen die Dauer eines von ihm bei dem Amtsgericht X. anhängig gemachten Privatklageverfahrens. I. Der Beschwerdeführer war seit November 1990 bei der Stadt X. als Angestellter beschäftigt. Die stellvertretende Bürgermeisterin, Frau B., mahnte den Beschwerdeführer mit Schreiben vom 22. April 1992 mit der Begründung förmlich ab, er habe seine Dienstpflichten grob verletzt. Die Stadt X. kündigte sodann am 14. Mai 1992 das Arbeitsverhältnis mit dem Beschwerdeführer. Vor dem Arbeitsgericht Y. schlossen der Beschwerdeführer und die Stadt X. am 13. Juli 1992 einen Vergleich, wonach das Arbeitsnichtamtlicher Leitsatz

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Verhältnis zum 31. Juli 1992 endete. Der Beschwerdeführer und die Stadt X. vereinbarten am 20. Juli 1992 darüber hinaus einen Aufhebungsvertrag. Wegen des Inhalts des Abmahnungsschreibens der Stadt X. stellte der Beschwerdeführer am 24. Juli 1992 bei der Staatsanwaltschaft Z. Strafantrag gegen Frau B. wegen Beleidigung und übler Nachrede. Einen Schriftsatz der Stadt X. vom 29. Juni 1992 an das Arbeitsgericht Y. nahm der Beschwerdeführer am 1. Oktober 1992 zum Anlaß, bei der Polizeidienststelle X. Strafanzeige gegen Unbekannt wegen Beleidigung zu erstatten. Der Beschwerdeführer wandte sich ferner mit einem als „Strafantrag" bezeichneten Schreiben vom 6. Dezember 1992 an das Kreisgericht (seit 1. Dezember 1993 Amtsgericht) X. Das Gericht wertete das Schreiben, dem eine Bescheinigung über die Erfolglosigkeit eines Sühneversuchs beigefügt war, zunächst als Privatklage (1 Bs ...). Nachdem der Beschwerdeführer auf einen richterlichen Hinweis hin telefonisch mitgeteilt hatte, daß er einen Strafantrag stellen, nicht aber eine Privatklage erheben wollte, übersandte das Kreisgericht X. Ablichtungen des eingegangenen Schreibens an die Staatsanwaltschaft zur weiteren Veranlassung. Der Vorgang 1 Bs ... wurde weggelegt. Am 9. März 1993 erhob der Beschwerdeführer beim Kreisgericht X. Privatklage gegen Frau B. wegen Beleidigung und übler Nachrede (2 Bs ...). Er beantragte, „das Verfahren auszusetzen, bis der Arbeitsrechtsstreit des Arbeitsgerichts Y. entschieden sei". Gegenstand dieses Verfahrens war u. a. die Frage der Wirksamkeit des ProzeßVergleichs vom 13. Juli 1992 und des außergerichtlichen Aufhebungsvertrages vom 20. Juli 1992. Der Beschwerdeführer übersandte am 13. September 1993 dem Kreisgericht X. zum Aktenzeichen 2 Bs ... das klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts Y. vom 13. Juli 1993 und teilte mit, daß er beim Landesarbeitsgericht Berufung eingelegt habe. Weiterhin beantragte er, die vermeintlichen Verfahren „gegen W. und Bl." mit dem Verfahren gegen Frau B. zusammenzulegen und gemeinsam abzuhandeln. Auf den richterlichen Hinweis hin, daß beim Kreisgericht X. eine Privatklage Wk. gegen W. nicht anhängig sei, erhob der Beschwerdeführer am 5. Oktober 1993 eine weitere Privatklage beim Kreisgericht X. gegen den Bürgermeister der Stadt X., Herrn W., und den Hauptamtsleiter Herrn Bl. wegen Beleidigung durch deren Äußerungen im Schriftsatz vom 29. Juni 1992 (2 a B s . . . ) . Den Antrag des Beschwerdeführers vom 31. Oktober 1992, das für die Zulässigkeit der Privatklage erforderliche Schlichtungsverfahren durchzuführen, lehnte die Schiedsstelle I in X. am 15. November 1993 mit der Begründung ab, ein Sühneversuch könne nach der Erhebung der Privatklage nicht mehr nachgeholt werden. Der Beschwerdeführer erhob am 5. Februar 1994 beim Ministerium der Justiz des Landes Brandenburg „Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die Ablehnung des Amtsgerichts X., das Verfahren 1 Bs ..., 2 a Bs ... sowie 2 Bs ...

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wegen Beleidigung durchzuführen". Die über das Brandenburgische Oberlandesgericht an das Landgericht Z. weitergeleitete Beschwerde ist noch nicht beschieden. Sachstandsanfragen des Beschwerdeführers an das Amtsgericht X . vom 6. Februar 1994 und 6. März 1994 bezüglich der Privatklage gegen F r a u B . blieben unbeantwortet. II. Mit der am 24. Mai 1994 erhobenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seiner Rechte aus Art. 21 Abs. 2 Satz 1 und 52 Abs. 4 Verfassung des Landes Brandenburg (LV). Er hält die bisher währende Verfahrensdauer für unangemessen und sieht seinen grundrechtlich gesicherten Anspruch auf ein zügiges Verfahren dadurch verletzt, daß das Amtsgericht X. trotz Vorliegens aller verfahrensrechtlichen Erfordernisse - Bescheinigung über einen erfolglosen Sühneversuch und Zahlung des Gebührenvorschusses die Durchführung der Privatklage ablehne. Darüber hinaus sei das Amtsgericht X . ihm gegenüber befangen, da es sich für eine von ihm auf das Staatshaftungsrecht der D D R gestützte Schadensersatzklage für unzuständig erklärt und diese Klage an das Arbeitsgericht Y. verwiesen habe. III. Das Gericht hat der Landesregierung und dem Direktor des Amtsgerichts X . Gelegenheit zur Äußerung gegeben. Der Direktor des Amtsgerichts hat sich zum Fortgang des von dem Beschwerdeführer eingeleiteten Verfahrens 2 Bs ... wie folgt geäußert: Der seit der Änderung des Geschäftsverteilungsplans für das Geschäftsjahr 1994 für Strafsachen einschließlich der Privatklagesachen zuständigen Richterin seien die betreffenden Akten erstmals im Februar 1994 vorgelegt worden. Angesichts der Rückstände im' Strafbereich habe sie zunächst die längerfristig anhängenden Strafsachen abarbeiten und sich dann dem für nicht gleichermaßen eilbedürftig gehaltenen Privatklageverfahren des Beschwerdeführers zuwenden wollen. Im Mai 1994 habe die Richterin das Verfahren für August/September 1994 terminieren wollen. Wegen der zwischenzeitlich von dem Beschwerdeführer erhobenen Dienstaufsichtsbeschwerde seien die Akten allerdings dem Präsidenten des Landgerichts vorzulegen gewesen, so daß die vorgesehene Terminierung unterblieben sei. Der Eingang des Schreibens des Beschwerdeführers vom 8. März 1994 sei versehentlich deshalb nicht bestätigt worden, da die Akte im Terminsfach gelegen habe und der Kennzeichnungsschnipsel verrutscht gewesen sei.

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B. Die Verfassungsbeschwerde hat keinen Erfolg. I. Die Verfassungsbeschwerde ist zum Teil unzulässig. Gemäß § 45 Abs. 1 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg) kann eine Verfassungsbeschwerde mit der Behauptung, durch die öffentliche Gewalt des Landes in einem in der Verfassung gewährleisteten Grundrecht verletzt zu sein, erhoben werden. An einer danach erforderlichen wenigstens denkbaren Grundrechtsverletzung fehlt es insofern, als der Beschwerdeführer eine Verletzung des Art. 21 Abs. 2 Satz 1 L V vorträgt, „das Amtsgericht" für befangen hält und sich gegen die gerichtliche Entscheidung in dem Verfahren 1 Bs ... wendet. Art. 21 Abs. 2 Satz 1 LV gewährleistet nach Maßgabe der Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung das gleiche Recht auf Zugang zu öffentlichen Amtern. Dem Sachvortrag des Beschwerdeführers läßt sich nicht entnehmen, daß von dem Kreisgericht X . gegen dieses Recht verstoßen worden sein könnte. Zwischen dem von dem Beschwerdeführer vorgetragenen Anlaß der Privatklage und deren Behandlung durch das Amtsgericht besteht in verfassungsrechtlicher Hinsicht kein Zusammenhang. Gleichermaßen verhält es sich mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers, die Richter des Amtsgerichts X . seien ihm gegenüber nicht unabhängig und unparteiisch verfahren. Für eine Verletzung des Art. 52 Abs. 4 LV ist auch insoweit nichts ersichtlich. Sofern sich der Beschwerdeführer auch gegen die Beendigung seines am 8. Dezember 1992 eingeleiteten Verfahrens (1 Bs ...) durch Abgabe an die Staatsanwaltschaft wenden will, ist bereits eine auch nur mögliche Grundrechtsverletzung von vornherein ausgeschlossen. Die Prüfung, ob diese Entscheidung nach Maßgabe des einfachen Rechts zutreffend war, obliegt nicht dem Verfassungsgericht. Seine Prüfungskompetenz ist in Verfahren der Verfassungsbeschwerde auf Verstöße gegen Grundrechte verbürgende Normen der Landesverfassung beschränkt. Die Auslegung der Gesetze und ihre Anwendung auf den konkreten Fall ist der Uberprüfung durch das Verfassungsgericht entzogen, soweit nicht eine mögliche Verletzung spezifischen Verfassungsrechts in Rede steht. II. Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen die Dauer des seit dem 9. März 1993 rechtshängigen Privatklageverfahrens gegen F r a u B . (2 B s . . . ) richtet, ist sie jedenfalls unbegründet.

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Das erkennende Gericht läßt weiterhin ausdrücklich offen, ob Grundrechtsverletzungen, die im Rahmen eines bundesrechtlich geordneten Verfahrens - wie hier in einem durch die Strafprozeßordnung geregelten Privatklageverfahren - erfolgt sein sollen, vor dem Verfassungsgericht des Landes unter Berufung auf die verfahrensrechtlichen Grundrechtsgewährleistungen der Landesverfassung geltend gemacht werden können (vgl. bereits VerfGBbg, Beschluß vom 15. September 1994 - VfGBbg 10/93 - LVerfGE 2,179,182). In dem vorliegenden Verfahren ist diese Frage nicht entscheidungserheblich und kann daher dahinstehen. Denn das von dem Beschwerdeführer in Anspruch genommene Grundrecht aus Art. 52 Abs. 4 LV auf ein zügiges Verfahren vor Gericht ist jedenfalls nicht verletzt. Art. 52 Abs. 4 LV greift den bereits im Rechtsstaatsprinzip verankerten Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes auf und verdichtet diesen zu einem Grundrecht des Bürgers. Der Anspruch auf ein zügiges gerichtliches Verfahren gewährleistet, daß der ein Gericht anrufende Bürger in einem überschaubaren Zeitrahmen eine Entscheidung erlangt (vgl. VerfGBbg, Beschluß vom 19. Mai 1994 - VfGBbg 6/93,6/93 E A - LVerfGE 2,105,112). Die danach angemessene Verfahrensdauer läßt sich nicht generell und abstrakt, sondern nur nach den besonderen Umständen des einzelnen Falles bemessen (vgl. VerfGBbg, Beschluß vom 14. Juli 1994 - VfGBbg 3/94 - LVerfGE 2,115,116; BVerfGE 55, 349, 369). Die Dauer des von dem Beschwerdeführer betriebenen Privatklageverfahrens währt unter Berücksichtigung der Besonderheiten dieses Falles noch nicht unangemessen lang. Dabei kann nur die am 9. März 1993 erhobene Privatklage zugrundegelegt werden. Es ist nicht erkennbar, daß das Amtsgericht das Verfahren aus sachwidrigen Gründen weniger zügig als möglich betrieben hat. Die Verfahrensdauer ist im vorliegenden Fall durch verschiedene - teils in der Sphäre des Beschwerdeführers selbst liegende - Umstände beeinflußt, die den Vorwurf einer Grundrechtsverletzung ausräumen. Der Beschwerdeführer hat durch sein eigenes prozessuales Verhalten insbesondere durch seine Anträge auf Aussetzung des Verfahrens und Verbindung mit einem noch nicht rechtshängigen und nicht förderungsfähigen weiteren Privatklageverfahren sowie durch seine (die Anforderung der Akten auslösende) Dienstaufsichtsbeschwerde - die Bearbeitung seiner Klage gegen Frau B. erschwert und nicht unerheblich verzögert. Außerdem darf bei der Verfahrensdauer vor dem Amtsgericht die Situation der Umstrukturierung der Justizorganisation in dem neugegründeten Bundesland Brandenburg und die darin begründete Arbeitsbelastung der Gerichte nicht unberücksichtigt bleiben (vgl. VerfGBbg, Beschluß vom 19. Mai 1994 - VfGBbg 6/93, 6/93 E A - LVerfGE 2, 105, 112; Beschluß vom 14. Juli 1994 - VfGBbg 3/94 - LVerfGE 2,115,117). Soweit der Arbeitsanfall und ins-

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besondere bestehende Rückstände der umgehenden Bearbeitung sämtlicher zur Entscheidung anstehender Fälle entgegenstehen, ist eine zeitliche Reihenfolge für die Bearbeitung und Terminierung unumgänglich.

Nr. 2 1) Bei der Festsetzung des Gegenstandswertes nach § 113 Abs. 2 Satz 3 der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte ( B R A G O ) ist unter den dort aufgeführten Kriterien vorrangig auf die Bedeutung der Sache abzustellen. Dabei wirkt sich ggf. aus, daß sich eine Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz richtet. 2) Die Vielzahl der Beschwerdeführer ist bereits bei der Bemessung des Gegenstandswertes zu berücksichtigen. Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte § 113 Beschluß vom 16. März 1995 - VfGBbg 12/94,12/94 EA in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerden des Herrn A. sowie 104 weiterer Beschwerdeführer, betreffend § 29 Abs. 2 und 3 des Gesetzes über die Errichtung einer Brandenburgischen Ingenieurkammer und zum Schutz der Berufsbezeichnung „Beratender Ingenieur" und „Beratende Ingenieurin" vom 19. Oktober 1993 (BbglngKamG, GVBl. I S. 462). Entscheidungsformel: Der Gegenstandswert wird für das Verfahren in der Hauptsache auf 50.000,— DM und für das Verfahren auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung auf 25.000,- D M festgesetzt. Gründe: Nach § 113 Abs. 2 Satz 3 der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte (BRAGO) ist der Gegenstandswert im Verfassungsbeschwerdeverfahren unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der Bedeutung der Angelegenheit, des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sowie der Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen zu bestimmen. Er darf jedoch den Betrag von 8.000,— DM nicht unterschreiten.

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Die Gegenstandswerte waren hier vorrangig nach der Bedeutung der Sache zu bemessen (so auch BVerfGE 79, 365, 366). Dabei war einerseits der Umstand von Bedeutung, daß die Verfassungsbeschwerden sich gegen Gesetzesbestimmungen richteten, die typischerweise eine Vielzahl von Adressaten betreffen und deshalb für eine hohe objektive Bedeutung der Sache sprechen. Daneben war die Vielzahl der Beschwerdeführer zu berücksichtigen, was ebenfalls auf ein allgemeines Interesse an der dem Gericht unterbreiteten Angelegenheit hindeutet. Gleichwohl erscheint die von dem Verfahrensbevollmächtigten angeregte Festsetzung des Gegenstandswertes auf 100.000,— D M nicht angemessen. Es ist zu berücksichtigen, daß zunächst formale Fragen insbesondere die Abgrenzung Verfassungsgerichtsbarkeit/Verwaltungsgerichtsbarkeit - im Vordergrund standen und die materiellen Fragen, nachdem das Gericht die Verfassungsbeschwerden wegen fehlender Ausschöpfung des Rechtsweges (§ 45 Abs. 2 Satz 1 VerfGGBbg) verworfen hat, im inzwischen anhängig gewordenen verwaltungsgerichtlichen Streitverfahren zu klären bleiben. Das Gericht hält unter diesen Umständen in Ausübung seines ihm in §113 Abs. 2 Satz 3 B R A G O eingeräumten billigen Ermessens unter Einbeziehung der Vielzahl der Beschwerdeführer - die folglich nicht zu einer Erhöhung des Gegenstandswertes entsprechend § 6 Abs. 1 Satz 2 B R A G O führt einen Gegenstandswert von 50.000,— D M für angemessen. Der Gegenstandswert im Verfahren auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung war auf die Hälfte des Gegenstandswertes im Hauptsacheverfahren festzusetzen. Dabei war zu berücksichtigen, daß das Rechtsschutzziel der Beschwerdeführer hier nur auf eine vorläufige Regelung gerichtet war, die die Zeit bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache überbrücken sollte.

Nr. 3 1) Die beteiligtenbezogenen Zulässigkeitserfordernisse des Hauptsacheverfahrens gelten auch für das Verfahren über den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung. 2) Die Beteiligtenfähigkeit als politische Partei in einem Organstreitverfahren in einer auf Landesebene zu entscheidenden Frage vor dem Landesverfassungsgericht setzt voraus, daß die Partei in dem betreffenden Bundesland als Partei wenigstens ansatzweise präsent ist. Die Parteieigenschaft genügt nicht, wenn sie sich allein aus der Teilnahme an der politischen Meinungsbildung auf Bundesebene und/oder auf der Ebene eines anderen Bundeslandes ergibt.

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Grundgesetz Art. 21 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg §§ 12, 38 Parteiengesetz §§ 2, 6 Abs. 4, 7 Urteil vom 16. März 1995 - VfGBbg 4/95 E A in dem Verfahren über den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung des Bürgerbundes, vertreten durch den 1. Vorsitzenden, gegen die Landesregierung des Landes Brandenburg, vertreten durch den Ministerpräsidenten, dieser vertreten durch den Minister der Justiz und für Bundes- und Europaangelegenheiten, betreffend Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit der Landesregierung im Zusammenhang mit dem geplanten Staatsvertrag der Länder Berlin und Brandenburg über die Bildung eines gemeinsamen Bundeslandes. Entscheidungsformel: Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung wird als unzulässig verworfen. Gründe: A. Der Antragsteller, in der Präambel seiner Satzung als „Partei für alle Bürger" bezeichnet, wendet sich gegen eine Reihe näher bezeichneter Maßnahmen im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit der Landesregierung (Antragsgegnerin). Er will durch den Erlaß der beantragten einstweiligen Anordnung erreichen, daß diese Maßnahmen unterlassen werden, bis über ein zeitgleich von ihm eingeleitetes Organstreitverfahren gegen die Antragsgegnerin entschieden ist. I. Die vom Antragsteller beanstandeten Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit stehen im Zusammenhang mit der möglichen Fusion der beiden Bundesländer Berlin und Brandenburg. Zur Vorbereitung eines darauf gerichteten Staatsvertrages, der nach Art. 116 der Verfassung des Landes Brandenburg (LV) der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Landtages bedarf sowie anschließend in einem Volksentscheid von der Mehrheit der Abstimmenden gebilligt werden muß, führt die Antragsgegnerin seit April 1991 Gespräche mit dem Senat von Berlin.

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Im Juni 1994 legten die Senatskanzlei des Landes Berlin und die Staatskanzlei des Landes Brandenburg den Arbeitsentwurf eines Staatsvertrages über die Neugliederung vor. Am 7. Juni 1994 beschloß die Antragsgegnerin eine „Konzeption für eine Öffentlichkeitsarbeit zur Neugliederung der Länder Berlin/Brandenburg". Sie hat den Zweck, „die Bürger beider Länder so zu informieren und in den Willensbildungsprozeß einzubeziehen, daß diese beim Volksentscheid eine fundierte Entscheidung treffen können". Im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit über den Neugliederungsvertrag, für die der Haushaltsausschuß des Landtages im Januar 1995 vorab Mittel von 1,1 Mio. DM bewilligte, ließ die Antragsgegnerin ab dem 24. Januar 1995 an 545 Stellen im Lande Brandenburg ein Großplakat „EINS FÜR ALLE - Land Berlin-Brandenburg" anbringen. Das Plakat hängt als solches nicht mehr aus. Es wird im Kleinformat als Logo bei anderweitigen Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit der Landesregierung weiterverwendet.

II. Der Antragsteller beantragt, der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu untersagen, bis zur Entscheidung über das gleichzeitig anhängig gemachte Organstreitverfahren 1. das Logo „EINS FÜR ALLE - Land Berlin-Brandenburg" bei - auch ansonsten zulässigen - Informationen jedweder Art über die Frage der Länderfusion zwischen Berlin und Brandenburg zu verwenden; 2. durch Anzeigenserien, Faltblätter und sonstige Publikationen zugunsten der Fusion mit dem Land Berlin werbend in den Meinungsbildungsprozeß vor der Volksabstimmung über den Staatsvertrag mit dem Land Berlin einzugreifen.

Der Antragsteller führt aus: Er lehne bislang als einzige Partei die Fusion der beiden Bundesländer Berlin und Brandenburg geschlossen ab. Setze die Antragsgegnerin ihre mit einem erheblichen Kostenaufwand betriebene Öffentlichkeitsarbeit fort, die nicht auf sachlicher Information, sondern auf Suggestionswirkung beruhe, drohe die Gefahr, daß er in seiner verfassungsmäßigen Aufgabe, mit seinem abweichenden Standpunkt an dem Meinungsbildungsprozeß zu dem Volksentscheid über den Staatsvertrag teilzunehmen, beeinträchtigt werde. Diese Beeinträchtigung wirke gegebenenfalls über den Volksentscheid hinaus. Finde der Staatsvertrag eine Mehrheit, sei bei den nächsten Landtagswahlen eine Partei, die gegen den Staatsvertrag eingetreten sei, im Nachteil.

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III. Die Antragsgegnerin beantragt, die Anträge zurückzuweisen. Sie hält sie schon für unzulässig. So sei die Beteiligtenfähigkeit des Antragstellers zweifelhaft. Er habe bisher am Verfassungsleben des Landes Brandenburg nicht teilgenommen, was sich darin zeige, daß er weder bei der Europawahl noch bei den Bundestags- oder Landtagswahlen kandidiert habe. Auch fehle es an der Antragsbefugnis. Art. 21 sowie 20 Abs. 2 G G , auf die der Antragsteller sich berufe, stellten keine Vorschriften der Landesverfassung dar. Soweit - mittelbar - eine Verletzung des Art. 22 Abs. 3 LV gerügt werde, seien die dort genannten Grundsätze nicht verletzt. Die Öffentlichkeitsarbeit entfalte keine beeinträchtigende Wirkung auf die freie Willensbildung der Abstimmenden. Die Chancengleichheit der Parteien werde schon deshalb nicht berührt, weil bei einer Volksabstimmung keine Parteien zur Wahl stünden. Die Anträge seien jedenfalls unbegründet. Die Voraussetzungen des § 30 Abs. 1 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg) für den Erlaß einer einstweiligen Anordnung lägen nicht vor. Weder seien schwere Nachteile noch andere wichtige Gründe von hinreichendem Gewicht ersichtlich, die eine einstweilige Regelung rechtfertigen könnten. Es bestehe im Gegenteil eine aus dem Demokratieprinzip ableitbare Rechtspflicht der Antragsgegnerin, die Öffentlichkeit über die Kernpunkte des Vertrages und die Auswirkungen auf den Lebens- und Erfahrungsbereich der Bürger zu informieren. Die erheblichen Unterschiede zwischen Wahlen und Volksabstimmungen erlaubten es auch nicht, die vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Grundsätze einer zurückhaltenden amtlichen Öffentlichkeitsarbeit im Vorfeld von Wahlen auf „Vor-Abstimmungszeiten" zu übertragen. IV. In der mündlichen Verhandlung hat der Vorsitzende des Parteirates des Antragstellers eidesstattliche Versicherungen zur Glaubhaftmachung einer Reihe von Tatsachenbehauptungen abgegeben. Insoweit wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen. B. Die Anträge auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung sind unzulässig. 1. Die Anträge sind im Rahmen des in der Hauptsache anhängig gemachten Organstreitverfahrens als solche statthaft. Nicht entgegen steht, daß sie auf die Unterbindung eines Regierungshandelns abzielen, in einer Organstreitigkeit aber zufolge § 38 VerfGGBbg lediglich ein feststellender Entscheidungs-

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ausspruch ergehen kann. Eine einstweilige Anordnung geht jedenfalls dann nicht über den Gegenstand der Hauptsache hinaus, wenn durch die angestrebte gebietende oder verbietende Regelung lediglich der Zeitraum bis zur Entscheidung in der Hauptsache überbrückt werden soll (vgl. im einzelnen Limbach, Parlamentsauflösung in Deutschland, 1989, 644 f.). So liegt es hier. Der Antragsteller will die in seinen Anträgen bezeichneten hoheitlichen Maßnahmen ausdrücklich lediglich bis zur Entscheidung in der Hauptsache unterbunden sehen. Darin liegt keine Überschreitung des in der Hauptsache möglichen Entscheidungsausspruchs. 2. Die Anträge sind jedoch unzulässig, weil der Antragsteller nicht zum Kreis der in Art. 113 Nr. 1 LV, § 35 i. V. m. § 12 Nr. 1 VerfGGBbg genannten Beteiligten einer Organstreitigkeit gehört. Diese Vorschriften gelten zwar unmittelbar nur für das in der Hauptsache anhängige Organstreitverfahren. Aus dem Charakter des Verfahrens auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung als Nebenverfahren ergibt sich jedoch eine innere Sachbezogenheit zum Hauptsacheverfahren (BVerfGE 31, 87, 90). Deshalb stellen jedenfalls die elementaren Zulässigkeitserfordernisse im Hauptsacheverfahren, zu denen die beteiligtenbezogenen Sachurteilsvoraussetzungen gehören, gleichzeitig Zulässigkeitsvoraussetzungen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens dar. Ein im Hauptsacheverfahren wegen Fehlens der Beteiligteneigenschaft handlungsunfähiger Antragsteller kann nicht in zulässiger Weise ein darauf bezogenes verfassungsprozessuales Eilverfahren in Gang setzen. Der Antragsteller ist für das zugrundeliegende Organstreitverfahren vor dem hiesigen Landesverfassungsgericht nicht beteiligtenfähig i. S. von Art. 113 Nr. 1 LV, § 35 i. V. m. § 12 Nr. 1 VerfGGBbg, weil er am Verfassungsleben des Landes Brandenburg nicht - auch nicht ansatzweise - teilnimmt. Er ist deshalb kein „anderer Beteiligter" im Sinne der genannten Vorschriften. Dies gilt auch dann, wenn der Antragsteller auf Bundesebene und/oder auf der Ebene eines anderen Bundeslandes, etwa des Landes Berlin, als Partei i. S. d. Art. 21 G G anzusehen ist (offengelassen von BVerfGE 92, 80 sowie vom Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin, Beschluß vom 15. März 1995 VerfGH 12 A/95 - ) . a) Dabei geht das erkennende Verfassungsgericht davon aus, daß auch politische Parteien grundsätzlich andere Beteiligte eines Organstreitverfahrens i. S. d. § 12 Nr. 1 VerfGGBbg sein können. Es folgt hierzu der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach Art. 21 G G als (ungeschriebener) Bestandteil der Landesverfassungen gilt (BVerfGE 1, 208, 227; 27,10,17) und deshalb die Parteien als Beteiligte von Organstreitverfahren anzuerkennen sind, sofern das Recht der Parteien in Frage steht, an der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken (BVerfGE 2 7 , 1 0 , 1 7 f.).

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b) Die Beteiligtenfähigkeit als Partei in einem Organstreitverfahren vor dem Verfassungsgericht eines Landes setzt jedoch voraus, daß die Partei in dem betreffenden Land als Partei präsent ist. Für das Organstreitverfahren vor dem Landesverfassungsgericht in einer auf Landesebene zu entscheidenden Frage muß die Partei als Institution des Landes (= im Lande) anzusehen sein. Die Parteieigenschaft i. S. v. Art. 21 G G i. V. m. § 2 Abs. 1 Parteiengesetz (PartG) genügt hierfür nicht, wenn sie sich allein aus der Teilnahme an der politischen Willensbildung in einer anderen staatlichen Gebietskörperschaft (Bund oder anderes Bundesland) ergibt. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist in diesem Sinne zu verstehen. Das Bundesverfassungsgericht hat schon in seiner ersten diesbezüglichen Entscheidung Art. 21 G G dahin ausgelegt, daß die jeweilige Partei in dem „in Betracht kommenden Lande" als gesellschaftliche Gruppe existieren und dort ein an dem Prozeß der Willensbildung teilnehmender Faktor sein müsse, um ein Mitwirkungsrecht an der Willensbildung des Volkes zu besitzen (BVerfGE 3, 383, 393). Die Beteiligung an einem verfassungsrechtlichen Rechtsverhältnis reicht nur soweit, wie es die Stellung als Faktor des Verfassungslebens erlaubt (BVerfGE 1,208,227). Diese Sicht, daß es nämlich gegebenenfalls auf die Verhältnisse in dem einzelnen Bundesland ankommen kann, hat auch in dem später erlassenen Parteiengesetz Niederschlag gefunden. Danach nimmt sich der Antragsteller gegenwärtig der Sache nach eher wie eine Landespartei (vgl. § 6 Abs. 4 PartG) aus, deren Organisation sich allenfalls auf das Gebiet eines Landes, nämlich das des Landes Berlin, beschränkt und die schon von daher keine Organstellung im Land Brandenburg einnimmt. Keine ausschlaggebende Rolle gewinnt im Zusammenhang des § 6 Abs. 4 PartG, daß der Antragsteller in seiner Satzung den Anspruch erhebt, bundesweit an der Willensbildung des Volkes mitwirken zu wollen. § 6 Abs. 4 des PartG stellt auf die „Organisation" ab, und zwar mit der Maßgabe, daß dann, wenn sich die Organisation auf das Gebiet eines Landes beschränkt, die Regelungen des Parteiengesetzes gegebenenfalls für den Landesverband gelten. Entscheidend ist von daher, daß sich die Organisation des Antragstellers bisher nicht auf das Land Brandenburg erstreckt. Die von dem Antragsteller vorgetragene und in der mündlichen Verhandlung glaubhaft gemachte Bestellung eines Landesbeauftragten genügt nicht, um von einer „Organisation" des Antragstellers im Land Brandenburg sprechen zu können. Nach dem Parteiengesetz müssen Parteien - ausgenommen in Stadtstaaten (§ 7 Abs. 1 Satz 4 PartG) - in Gebietsverbände gegliedert sein (§ 7 Abs. 1 Satz 1 PartG). Dies bedeutet zwar nicht zwingend, daß ein eigener Landesverband bestehen muß (vgl. auch § 7 Abs. 2 PartG). Dem Gesamtzusammenhang des Parteiengesetzes ist jedoch zu entnehmen, daß jedenfalls (auch) das Parteiengesetz davon ausgeht, daß die Parteistruktur grundsätzlich einen gebietlichen Bezug haben muß. Der Antragsteller hat aber, wie sich aus dem Inhalt der von

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seinem Parteirats-Vorsitzenden abgegebenen eidesstattlichen Versicherung entnehmen läßt, im Land Brandenburg keine verbandlichen Strukturen. Für die 25 Vollmitglieder gibt es weder einen Landesverband noch Ortsverbände. c) Auch unabhängig von den im Parteiengesetz bestimmten Voraussetzungen müßte der Antragsteller, soll ihm eine Organstellung als Partei im Sinne der Landesverfassung zukommen, jedenfalls eine organisatorische Verankerung im Lande aufweisen, die eine Einflußnahme auf die politische Meinungsbildung im Lande durch Aktivitäten, wie sie Parteien eigen sind, wenigstens ansatzweise erlaubt (vgl. BVerfGE 91, 276). Von einer solchen organisatorischen Verfestigung kann bei dem Antragsteller, soweit das Land Brandenburg in Frage steht, keine Rede sein. Es gibt im Land Brandenburg lediglich einen Landesbeauftragten und — nach eigenen Angaben des Antragstellers - etwa 25 Vollmitglieder sowie etwa 35 noch nicht verläßlich integrierte sogenannte Schnuppermitglieder. Ein „Landesbeauftragter" ist nach allgemeinem Verständnis jemand, der erst sondiert, ob sich Verbandsstrukturen (hier: im Land Brandenburg) vielleicht entwickeln ließen oder auf Verbandsstrukturen (erst) hinzuwirken sucht. Daß die Rolle des Landesbeauftragten hier darüber hinausginge, ist nicht erkennbar. Von den Mitgliedern leben 80 % in und um Stahnsdorf. Das gilt sowohl für die Vollmitglieder als auch für die „Schnuppermitglieder". Selbst in Stahnsdorf gibt es aber bisher keinen festgefügten Ortsverband. Von den rund 25 Vollmitgliedern leben nur etwa 20 % , d. h. nur 5, außerhalb von Stahnsdorf und Umgebung im gesamten übrigen Land. Eine Einflußnahme auf die politische Meinungsbildung durch Parteiarbeit, d. h. unter Abstützung auf eine sei es auch nur bescheidene Verbandsstruktur als Partei, ist unter diesen Umständen schlechterdings nicht möglich. Hiernach ist eine auch nur ansatzweise Verfestigung als Partei auf der Ebene des Landes Brandenburg nicht zu erkennen. Insgesamt kommt dem Antragsteller keine Organstellung im verfassungsgerichtlichen Verfahren im Land Brandenburg zu. Diese Entscheidung ist mit sieben gegen eine Stimme ergangen.

Nr. 4 Zur Frage einer Grundrechtsbeeinträchtigung durch Ausführungen in der Begründung einer gerichtlichen Entscheidung. Verfassung des Landes Brandenburg Art. 2, 10,12 Sozialgerichtsgesetz §§ 88,193

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Beschluß vom 20. April 1995 - VfGBbg 11/94 in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Herrn P. betreffend einen Beschluß des Landessozialgerichts für das Land Brandenburg. Entscheidungsformel: Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen. Gründe: A. Der Beschwerdeführer wendet sich gegen einen Beschluß des Landessozialgerichts für das Land Brandenburg vom 20. Juni 1994, der die dem Beschwerdeführer entstandenen außergerichtlichen Kosten einer von ihm angestrengten und mittlerweile in der Hauptsache erledigten Untätigkeitsklage für nicht erstattungsfähig erklärt. Der Beschwerdeführer stellte am 18. Januar 1993 beim Amt für Soziales und Versorgung in X. den Antrag, den Grad seiner Behinderung nach § 4 Abs. 1 Schwerbehindertengesetz (SchwbG) festzustellen und ihm einen Schwerbehindertenausweis nach § 4 Abs. 5 SchwbG auszustellen. Daraufhin stellte das Amt mit Bescheid vom 25. Februar 1993 einen Grad der Behinderung (GdB) von 20 % fest. Der Beschwerdeführer legte am 15. März 1993 durch seinen jetzigen Verfahrensbevollmächtigten Widerspruch gegen den Bescheid ein und beantragte gleichzeitig Akteneinsicht. Nach erfolgter Akteneinsicht begründete der Bevollmächtigte des Beschwerdeführers den Widerspruch mit Schreiben vom 27. Mai 1993. Das Amt für Soziales und Versorgung forderte daraufhin am 24. Juni 1993 zwei Befund- und zwei Behandlungsberichte an. Nachdem der Bevollmächtigte am 20. Juli 1993 um Sachstandsmitteilung gebeten hatte, teilte ihm die Behörde mit Schreiben vom 22. Juli 1993 mit, daß noch ein Befundbericht ausstehe. Dieser traf am 5. August 1993 bei dem Amt ein, das daraufhin am 11. August 1993 eine Stellungnahme des ärztlichen Dienstes anforderte und dies dem Bevollmächtigten auf erneute Sachstandsanfrage hin mit Schreiben vom 12. August 1993 mitteilte. Nach einem entsprechenden Bericht des ärztlichen Dienstes erließ das Amt für Soziales und Versorgung am 3. September 1993 einen (Teil-)Abhilfebescheid. Darin wurde ein GdB von 30 % festgestellt. Die Behörde bat bei Ubersendung des Bescheids den Beschwerdeführer um Mitteilung bis zum 2. Oktober 1993, ob er nunmehr den Widerspruch zurücknehme. Am 6. September 1993 hatte der Beschwerdeführer Untätigkeitsklage beim Sozialgericht X. erhoben. In einem Schreiben vom 8. September 1993

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teilte er dem Amt für Soziales und Versorgung mit, er halte die Erhöhung auf 30 % GdB für keine wirksame Abhilfe. Es bedürfe deshalb nach wie vor des noch ausstehenden Widerspruchsbescheides. Das Landesversorgungsamt wies daraufhin den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 27. September 1993 zurück. Der Beschwerdeführer erklärte daraufhin mit Schriftsatz vom 5. Oktober 1993 den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt und beantragte, dem Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. Das beklagte Land, das eine ausdrückliche Erledigungserklärung nicht abgab, beantragte sinngemäß die Feststellung, daß außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten seien. Mit Beschluß vom 16. November 1993 erklärte das Sozialgericht X. die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeführers für erstattungsfähig und begründete dies damit, daß das Landesversorgungsamt bis zum 1. September 1993 den Widerspruchsbescheid hätte erteilen müssen, um der in § 88 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) vorgesehenen Frist von drei Monaten Genüge zu tun. Auf die dagegen vom beklagten Land eingelegte Beschwerde änderte das Landessozialgericht des Landes Brandenburg mit Beschluß vom 20. Juni 1994 den angegriffenen Beschluß des Sozialgerichts X. dahin ab, daß außergerichtliche Kosten des Rechtsstreites nicht zu erstatten seien. Hiergegen richtet sich die Verfassungsbeschwerde. B. 1. Mit seiner Verfassungsbeschwerde macht der Beschwerdeführer geltend, der Beschluß verletze ihn in seinen Grundrechten aus Art. 6 Abs. 1, 7 Abs. 1,10 und 12 der Verfassung des Landes Brandenburg (LV). Das Landessozialgericht habe durch die Begründung seines Beschlusses gegen die genannten Grundrechte verstoßen, weil sie mit der gesetzlichen Regelung der Untätigkeitsklage in § 88 S G G - insbesondere den Zulässigkeitsvoraussetzungen nicht vereinbar sei. Dort werde die Beschreitung des Rechtsweges nach Ablauf einer Wartefrist von drei Monaten zwischen Einlegung des Widerspruchs und Erhebung der Klage eröffnet. Diese Frist sei im vorliegenden Fall eingehalten worden, so daß die Ansicht des Landessozialgerichts, die Untätigkeitsklage sei sogar unzulässig, rechtlich unhaltbar sei. Dies gelte ebenfalls für die Rechtsauffassung des Landessozialgerichts, bei Schwerbehindertenangelegenheiten könne regelmäßig von einer sachlich gerechtfertigten Verlängerung der Dreimonatsfrist ausgegangen werden. Dies könne schon deshalb nicht zutreffend sein, weil eine solche Auslegung einen eigenen, einem Gericht nicht zustehenden Akt der Rechtssetzung darstelle, der der gesetzlichen Regelung in § 88 S G G zuwiderlaufe.

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2. Der Präsident rechtigung Gebrauch richts vom 23. März Rechtsauffassung des keitsklagen stütze.

des Landessozialgerichts hat von seiner Äußerungsbegemacht und auf das Urteil des Bundesverwaltungsge1973 (BVerwGE 42, 108, 110 f.) hingewiesen, das die beschließenden Senats zur Zulässigkeit von Untätig-

C. Die Verfassungsbeschwerde hat keinen Erfolg. I. 1. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, soweit sie eine Verletzung der Art. 6 und 7 LV rügt. Die Ausführungen des Beschwerdeführers lassen unter keinem Gesichtspunkt die Möglichkeit erkennen, daß eines der beiden Grundrechte durch die beanstandete gerichtliche Entscheidung berührt sein könnte. a) Der durch Art. 7 LV garantierte Schutz der menschlichen Würde kann durch die vom Beschwerdeführer angenommene Rechtsverletzung des Gerichts nicht betroffen sein. Zwar beeinflußt der Schutz der Menschenwürde auch das gerichtliche Verfahren (BVerfGE 63, 332, 337), jedoch wird ein Rechtssuchender erst dann in seiner Würde berührt, wenn er zum bloßen Objekt des richterlichen Handelns gemacht wird. Davon kann bei falscher Rechtsanwendung durch ein Gericht, wie sie der Beschwerdeführer geltend macht, regelmäßig noch keine Rede sein. Es bedürfte darüber hinaus erheblicher weiterer Anhaltspunkte, die die Schlußfolgerung erlaubten, der Rechtssuchende sei als Person nicht zur Kenntnis genommen worden. In vorliegendem Fall sind solche Umstände schon nicht vorgetragen. b) Der Vortrag des Beschwerdeführers läßt auch die Möglichkeit einer Verletzung des Art. 6 Abs. 1 LV nicht erkennen. Der Kostenbeschluß selbst ist ohnehin nicht geeignet, in dieses Grundrecht einzugreifen. Die Frage, wer die Kosten für ein rechtskräftig abgeschlossenes Verfahren zu tragen hat, steht in keiner unmittelbaren inhaltlichen Beziehung zur Rechtsweggarantie des Art. 6 Abs. 1 LV. Soweit der Beschwerdeführer möglicherweise in diesem Zusammenhang rügen will, daß das auf § 88 SGG abzielende Element der Begründung der Entscheidung mit dem genannten Grundrecht nicht vereinbar sei, fehlt es insoweit schon an einer greifbaren rechtlichen Betroffenheit. Die vom Landessozialgericht als richtig angesehene Auslegung des § 88 SGG beeinträchtigt den bereits abgeschlossenen Rechtsweg des Beschwerdeführers in dieser Sache nicht. Sie kann - und dies mag ein Teil der Motivation des Be-

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schwerdeführers sein - allenfalls bei künftigen Entscheidungen zur Zulässigkeit von Untätigkeitsklagen, auch des Beschwerdeführers, als Präjudiz dienen. Darin liegt aber keine gegenwärtige Rechtsverletzung. Damit braucht auch die Frage nicht vertieft zu werden, unter welchen Umständen die Begründung einer gerichtlichen Entscheidung oder aber deren Bestandteile ausnahmsweise geeignet sind, selbst Gegenstand einer verfassungsgerichtlichen Überprüfung zu sein (dazu BVerfGE 78, 58, 68). 2. In bezug auf die übrigen geltend gemachten Grundrechtsverletzungen ist die Verfassungsbeschwerde zulässig. Das Vorbringen des Beschwerdeführers läßt eine Verletzung des Art. 12 LV in seiner Ausprägung als allgemeines Willkürverbot jedenfalls als möglich erscheinen. Gleiches gilt für Art. 10 i. V. m. dem in Art. 2 Abs. 1 und 5 LV zum Ausdruck kommenden Rechtsstaatsprinzip.

II. Die Verfassungsbeschwerde ist jedoch unbegründet. Dabei läßt das Gericht auch in bezug auf die materiell-rechtlichen Prüfungsmaßstäbe des Art. 10 und des Art. 12 LV ebenso wie in einer früheren Entscheidung in bezug auf die verfahrensrechtliche Grundrechtsgewährleistung des Art. 52 Abs. 2 und 3 LV ausdrücklich offen, ob Grundrechtsverletzungen, die im Rahmen eines bundesrechtlich geordneten Verfahrens erfolgt sein sollen, am Maßstab der brandenburgischen Landesverfassung gemessen werden können (dazu VerfGBbg, Beschluß vom 15. September 1994 - VfGBbg 10/93 - LVerfGE 2,179,182 f.). Für das Landesverfassungsgericht bestand bisher jeweils wegen fehlender Entscheidungserheblichkeit keine Veranlassung, zu dieser Frage eingehend und abschließend Stellung zu nehmen. Das gilt auch für den vorliegenden Fall. Beide als Prüfungsmaßstäbe in Betracht kommenden Landesverfassungsnormen wären, ihre Anwendbarkeit vorausgesetzt, durch den angegriffenen Beschluß des Landessozialgerichts des Landes Brandenburg nicht verletzt. 1. Soweit der Beschwerdeführer in der angegriffenen Entscheidung eine Verletzung des in Art. 12 Abs. 1 LV enthaltenen Willkürverbotes sieht, hält dies der Uberprüfung nicht stand. Die angegriffene Entscheidung ist nicht willkürlich. Willkürlich wäre der Richterspruch nur dann, wenn er unter keinem rechtlichen Aspekt vertretbar ist und sich deshalb der Schluß aufdrängt, er beruhe auf sachfremden Erwägungen (BVerfGE 87, 273, 279). Von einer solch willkürlichen Mißachtung des Rechts kann vorliegend schon deshalb keine Rede sein, weil das Landessozialgericht eine Kostenentscheidung in bezug auf den in der Hauptsache erledigten Rechtsstreit getroffen hat, die im Er-

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gebnis sowohl der Rechtsprechung anderer Landessozialgerichte entspricht als auch in der Fachliteratur für vertretbar gehalten wird. Der Beschwerdeführer macht ohne Erfolg geltend, daß ein „rechtstreues Gericht" den die Voraussetzungen der Untätigkeitsklage regelnden § 88 SGG strikt beachtet hätte und deshalb zwangsläufig zu dem Ergebnis gekommen wäre, die beanspruchte Kostenerstattung anzuordnen. Von einer solchen Zwangsläufigkeit kann jedoch keine Rede sein. So vertritt beispielsweise das Landessozialgericht Berlin die (insoweit auch vom Beschwerdeführer geteilte) Auffassung, eine Verlängerung der - hier dreimonatigen - Sperrfrist des § 88 Abs. 2 SGG für die Einreichung der Klage sei nicht rechtmäßig. Gleichwohl hält das Gericht (anders als der Beschwerdeführer) eine Kostenentscheidung zu Lasten des nach Ablauf der Sperrfrist somit zulässigerweise Klagenden sogar für geboten, wenn es zu der Auffassung gelangt, daß im Hauptsacheverfahren voraussichtlich ein sachlicher Grund gemäß § 88 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 S. 2 SGG für die Verzögerung zu bejahen gewesen wäre und das Gericht veranlaßt hätte, das Verfahren für eine von ihm zu bestimmende Frist auszusetzen (NZS 1993, 184). Eine ähnliche Auffassung wird vom Hessischen Landessozialgericht vertreten. Zwar geht es - anders offensichtlich als das Landessozialgericht Berlin - von der Regelvermutung aus, der Beklagte habe die Kosten des Verfahrens zu tragen, wenn die in § 88 SGG genannte Sperrfrist überschritten sei, macht jedoch ebenfalls eine ausdrückliche Ausnahme für den Fall, daß zum Zeitpunkt der Klageerhebung bereits ein sachlicher Grund für die verzögerte Entscheidung der Behörde erkennbar war (NZS 1993, 520). Auch hiernach führt der bloße Ablauf der Sperrfrist gemäß § 88 SGG nicht notwendig dazu, dem jeweiligen Beklagten die Kosten der Untätigkeitsklage aufzuerlegen. In der Literatur wird registriert, daß in bezug auf die Kostenentscheidung nach Erledigung einer sozialgerichtlichen Untätigkeitsklage in der Hauptsache praktisch jede denkbare Variante vorkommt (vgl. Jaschinski, SGb, 1993, 406, 407 m. w. N.). Daß der angegriffene Beschluß des Landessozialgerichts des Landes Brandenburg, der sich erkennbar im Rahmen der dargestellten Entscheidungsmöglichkeiten hält, willkürlich war, läßt sich demnach nicht sagen. Auch der Umstand, daß das Landessozialgericht in der Begründung seiner Entscheidung die Rechtsauffassung vertritt, eine Untätigkeitsklage, die nach Ablauf der Sperrfrist gemäß § 88 SGG eingereicht werde, sei gleichwohl unzulässig, wenn ein sachlicher Grund für die verzögerte Entscheidung der Behörde bestehe, ändert an diesem Ergebnis nichts. Auch wenn diese Auffassung von der verbreiteten Meinung in Rechtsprechung und Literatur abweicht, nach der eine Untätigkeitsklage nach Ablauf der Sperrfrist jedenfalls zulässig sei (BVerwGE 42,110; Meyer-Ladewig, SGG, 5. Auflage 1993, Rdn. 6 zu § 88), weil der Kläger nicht beurteilen könne, ob ein zureichender Grund für die Nichtentscheidung vorliege, wird gleichwohl auch die Mindermeinung

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mit nachvollziehbaren Erwägungen vertreten (BVerwG Buchholz 451. 50 § 8 GetrG Nr. 20; B F H E 90,274,276). Somit ergibt sich auch aus diesem Begründungselement der Kostenentscheidung keine Willkürlichkeit. 2. Die Entscheidung verletzt - Uberprüfbarkeit am Maßstab des Landesverfassungsrechts unterstellt - auch nicht Art. 10 i. V. m. dem in Art. 2 Abs. 1 u. 5 sowie Art. 56 L V niedergelegten Rechtsstaatsprinzip. Nach Art. 2 Abs. 5 LV ist die Rechtsprechung an Recht und Gesetz gebunden. Eine Verletzung dieser Bindung durch eine gerichtliche Entscheidung führt bei Mitberücksichtigung der funktionalen Grenzen zwischen Fachgerichten und Verfassungsgerichtsbarkeit erst dann zu einer verfassungsgerichtlichen Reaktion, wenn erhebliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß die richterliche Rechtsanwendung sich von ihrer Bindung an Recht und Gesetz gänzlich gelöst hat und nicht mehr das auszulegende Gesetz anwendet, sondern dessen Inhalt verändert (BVerfGE 87, 273, 280). Dies ist hier indes nicht der Fall. Das Landessozialgericht ist in der von dem Beschwerdeführer beanstandeten Kostenentscheidung von der in ständiger Rechtsprechung auch vom Bundessozialgericht vertretenen Auffassung ausgegangen, daß die nach § 193 Abs. 1 Hs. 2 S G G zu treffende Kostenentscheidung nach sachgemäßem Ermessen zu fällen ist und eine starre Bindung an einzelne Gesichtspunkte von vornherein ausschließt (BSG, SozR 3-1500 § 193 S G G Nr. 2). Das Landessozialgericht hat ersichtlich dem Umstand besondere Bedeutung beigemessen, daß eine Untätigkeitsklage des Beschwerdeführers beim Eintritt des Erledigungsfalles voraussichtlich noch nicht zum Erfolg geführt hätte, weil bis zu diesem Zeitpunkt ein sachlicher Grund für die Nichtentscheidung vorgelegen habe. Diese Auffassung hält sich schon deshalb im Rahmen einer vertretbaren Gesetzesauslegung, weil § 193 S G G keine inhaltlichen Vorgaben für die Kostenentscheidung macht. Der somit von Gesetzes wegen bestehende weite Spielraum wäre erst dann überschritten, wenn ein Ermessensfehler vorläge. Aber selbst dann wäre das Landesverfassungsgericht - unterstellt die Kompetenz, in einem bundesrechtlich geordneten Verfahren ergangenen Entscheidungen zu überprüfen - nicht befugt, eine Auslegung einfachen Rechts zu beanstanden. Dazu befugt wäre es vielmehr - allenfalls - erst dann, wenn das Landessozialgericht bei seiner Ermessensentscheidung landesverfassungsrechtliche Wertmaßstäbe außer acht gelassen hätte (vgl. BVerfGE 18, 85, 93). Insbesondere eine willkürliche Entscheidung müßte auch von Verfassungs wegen (Art. 12 Abs. 1 Satz 2 LV) beanstandet werden. Der angegriffene Beschluß beruht jedoch, wie bereits oben dargelegt, nicht auf willkürlichen Erwägungen.

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Auch sonstige den gesetzlichen und zugleich den von der Landesverfassung gezogenen Ermessensrahmen überschreitende Erwägungen des Gerichts sind nicht ersichtlich. So erlaubt die Bemerkung des Gerichts, die Verwaltungspraxis bei Schwerbehindertenangelegenheiten lasse bei Einschaltung ärztlicher Stellen regelmäßig eine Bearbeitungszeit von knapp fünf Monaten nicht als unangemessen lange erscheinen, nicht die Annahme, das Gericht habe sich in verfassungswidriger Weise von Recht und Gesetz gelöst. Diese betreffende Aussage stieße freilich auf Bedenken, wenn sie dahin zu verstehen wäre, das Landessozialgericht gehe - ohne Einzelfallprüfung - in jeder Schwerbehindertenangelegenheit von einer Verlängerung der gesetzlichen Frist von drei Monaten aus und wolle diese also generell ausdehnen. Eine solche richterliche Ermessensausübung würde auf unzutreffenden rechtlichen Gesichtspunkten beruhen und deshalb einen Ermessensfehler darstellen (BGHZ 23, 178, 183; BGH LM § 339 BGB Nr. 2). Sie verstieße gleichzeitig gegen die in Art. 2 Abs. 5 LV niedergelegte Gesetzesbindung des Richters. So ist der angegriffene Beschluß jedoch nicht zu verstehen. Das Landessozialgericht hat vielmehr aufgrund der konkreten Umstände des Sachverhaltes (u. a. verzögerter Eingang der Befund- und Behandlungsberichte) die einzelfallbezogene Einschätzung vorgenommen, die gesetzlich vorgesehene Bearbeitungsdauer sei hier aus sachlichen Gründen nicht eingehalten worden. Es legt ausführlich dar, aus welchen Gründen es sachgerecht war, nach Erlaß des (Teil-)Abhilfebescheides vom 3. September 1993 zu erkunden, ob der Beschwerdeführer an einer Fortführung des Widerspruchsverfahrens in Anbetracht des zuerkannten höheren Grades der Behinderung noch interessiert war. Die Ausführungen des Landessozialgerichts beruhen danach auf einem Normverständnis, welches den Vorrang der gesetzgeberischen Wertung in § 88 SGG nicht berührt und deshalb von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden ist.

Nr. 5 1 a) Zur Frage der Zulässigkeit einer hilfsweisen Verfassungsbeschwerde durch eine politische Partei, der im Land Brandenburg für ein Organstreitverfahren die Beteiligtenfähigkeit fehlt. b) Zur Zuständigkeitsabgrenzung zwischen Verfassungsgericht und Verwaltungsgericht bei Beanstandungen von Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit der Landesregierung in einem solchen Fall. 2) Die Voraussetzungen für eine unmittelbare Entscheidung des Verfassungsgerichts vor Erschöpfung des Rechtsweges (§ 45 Abs. 2 Satz 2

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VerfGGBbg) sind in der Regel nicht zu bejahen, wenn ein einstweiliges Rechtsschutzverfahren vor dem Fachgericht zur Verfügung steht*. Grundgesetz Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2, 21 Abs. 1, 38,100 Verfassung des Landes Brandenburg Art. 113 Nr. 1 Verfassungsgerichtsgesetz §§12 Nr. 1, 35, 45 Abs. 2 Satz 1 Beschluß vom 31. Mai 1995 - VfGBbg 4/95 in dem Verfahren des Bürgerbundes, vertreten durch den 1. Vorsitzenden, gegen die Landesregierung des Landes Brandenburg, vertreten durch den Ministerpräsidenten, dieser vertreten durch den Minister der Justiz und für Bundes· und Europaangelegenheiten, betreffend Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit der Landesregierung im Zusammenhang mit dem geplanten Staatsvertrag der Länder Berlin und Brandenburg über die Bildung eines gemeinsamen Bundeslandes. Entscheidungsformel: I. Der Antrag wird zurückgewiesen. II. Die hilfsweise erhobene Verfassungsbeschwerde wird verworfen. Gründe: A. Der Antragsteller, in der Präambel seiner Satzung als „Partei für alle Bürger" bezeichnet, wendet sich gegen eine Reihe näher bezeichneter Maßnahmen im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit der Landesregierung (Antragsgegnerin). I. Die vom Antragsteller beanstandeten Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit stehen im Zusammenhang mit der möglichen Fusion der beiden Bundesländer Berlin und Brandenburg. Zur Vorbereitung eines darauf gerichteten Staatsvertrages, der nach Art. 116 der Verfassung des Landes Brandenburg (LV) der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Landtages bedarf sowie anschließend in einem Volksentscheid von der Mehrheit der Abstim*

nichtamtliche Leitsätze

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menden gebilligt werden muß, führte die Antragsgegnerin seit April 1991 Gespräche mit dem Senat von Berlin. Im Juni 1994 legten die Senatskanzlei des Landes Berlin und die Staatskanzlei des Landes Brandenburg den Arbeitsentwurf eines Staatsvertrages über die Neugliederung vor. Am 7. Juni 1994 beschloß die Antragsgegnerin eine „Konzeption für eine Öffentlichkeitsarbeit zur Neugliederung der Länder Berlin/Brandenburg". Sie hat den Zweck, „die Bürger beider Länder so zu informieren und in den Willenbildungsprozeß einzubeziehen, daß diese beim Volksentscheid eine fundierte Entscheidung treffen können". Im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit über den Neugliederungsvertrag, für die der Haushaltsausschuß des Landtages im Januar 1995 vorab Mittel von 1,1 Mio. DM bewilligte, ließ die Antragsgegnerin ab dem 24. Januar 1995 an 545 Stellen im Lande Brandenburg ein Großplakat „EINS FÜR ALLE - Land Berlin-Brandenburg" anbringen. Das Plakat hängt als solches nicht mehr aus. Es wird im Kleinformat als Logo bei anderweitigen Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit der Landesregierung weiterverwendet. Der Staatsvertrag ist am 27. April 1995 vom Regierenden Bürgermeister des Landes Berlin und vom Ministerpräsidenten des Landes Brandenburg unterzeichnet worden. Er liegt nunmehr den Parlamenten der beiden Bundesländer vor, die gemäß Art. 3 des Staatsvertrages über seine Ratifizierung zu entscheiden haben. II. Der Antragsteller beantragt sinngemäß, festzustellen, daß die Landesregierung dadurch gegen Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 G G und den Grundsatz der Chancengleichheit der Wahlen (Art. 21 Abs. 1, 38 Abs. 1 G G ) verstoßen hat beziehungsweise verstößt, daß sie 1. das Plakat „EINS FÜR ALLE - Land Berlin-Brandenburg" verwendet hat, als Anzeige schaltet oder anderweitig vertreibt, 2. vor der Volksabstimmung über den Staatsvertrag mit dem Land Berlin zur Bildung eines gemeinsamen Landes durch Anzeigenserien, Faltblätter und sonstige Publikationen zugunsten der Fusion mit dem Land Berlin werbend in den Meinungsbildungsprozeß eingreift. Hilfsweise erhebt er unter Berufung auf Art. 2 1 , 3 8 und 20 GG, Art. 20 Abs. 3, 22 Abs. 3 Satz 1 sowie der Sache nach Art. 21 LV Verfassungsbeschwerde gegen die genannten Maßnahmen.

Der Antragsteller bezieht sich auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Zurückhaltung bei der Öffentlichkeitsarbeit der Regierung im Vorfeld von Wahlen und hält diese Rechtsprechung in dem hier in Frage stehenden Zusammenhang für übertragbar. Er führt aus: Er lehne als Partei die

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Fusion der beiden Bundesländer Berlin und Brandenburg geschlossen ab. Setze die Antragsgegnerin ihre mit einem erheblichen Kostenaufwand betriebene Öffentlichkeitsarbeit fort, die nicht auf sachlicher Information, sondern auf Suggestionswirkung beruhe, drohe die Gefahr, daß er in seiner verfassungsmäßigen Aufgabe, mit seinem abweichenden Standpunkt an dem Meinungsbildungsprozeß zu dem Volksentscheid über den Staatsvertrag teilzunehmen, beeinträchtigt werde. Diese Beeinträchtigung wirke gegebenenfalls über den Volksentscheid hinaus. Finde der Staatsvertrag eine Mehrheit, sei bei den nächsten Landtagswahlen eine Partei, die gegen den Staatsvertrag eingetreten sei, im Nachteil. Im Hinblick auf das in der Zwischenzeit ergangene Urteil des Gerichts zu dem Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung"" ergänzt der Antragsteller sein Vorbringen: Entgegen der von dem Gericht vertretenen Auffassung nehme er nach den Kriterien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine Organstellung im Lande Brandenburg ein. Das Landesverfassungsgericht weiche mit seiner Auffassung von der des Bundesverfassungsgerichts ab und habe deshalb die Sache gemäß Art. 100 Abs. 3 GG dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen. Für den 24. Juni 1995 stehe die Gründung eines Landesverbandes Brandenburg bevor. III. Die Antragsgegnerin beantragt, die Anträge zurückzuweisen. Sie hält sie schon für unzulässig. So sei die Beteiligtenfähigkeit des Antragstellers zweifelhaft. Er habe bisher am Verfassungsleben des Landes Brandenburg nicht teilgenommen, was sich darin zeige, daß er weder bei der Europawahl noch bei den Bundestags- und Landtagswahlen Kandidaten aufgestellt habe. Auch fehle es an der Antragsbefugnis. Art. 21 sowie 20 Abs. 2 GG, auf die der Antragsteller sich berufe, stellten keine Vorschriften der Landesverfassung dar. Soweit - mittelbar - eine Verletzung des Art. 22 Abs. 3 LV gerügt werde, seien die dort genannten Grundsätze nicht verletzt. Die Öffentlichkeitsarbeit entfalte keine beeinträchtigende Wirkung auf die freie Willensbildung der Abstimmenden. Die Chancengleichheit der Parteien werde schon deshalb nicht berührt, weil bei einer Volksabstimmung keine Parteien zur Wahl stünden. Die Anträge seien jedenfalls unbegründet. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, auf die sich der Antragsteller beziehe, gelte nur im Vorfeld von Wahlen. Für den Zeitraum vor einer Volksabstimmung sei sie nicht einschlägig. Die für Wahlen typische Konfliktlage bestehe nicht. Es gehe nicht um die Kandidatur von Parteien oder Einzelbewerbern, sondern um eine Siehe S. 135 ff.

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vom Souverän selbst zu treffende Sachentscheidung. Unter diesen Bedingungen trete für die Öffentlichkeitsarbeit der Regierung an die Stelle des Neutralitätsgebotes ein bloßes Sachlichkeitsgebot. Diesem werde die Öffentlichkeitsarbeit der Landesregierung gerecht. Abgesehen davon befinde sich das Land gegenwärtig noch nicht in einer „Vor-Abstimmungszeit". B. Die Hauptanträge sind unzulässig. Der Antragsteller ist für das Organstreitverfahren vor dem hiesigen Landesverfassungsgericht nicht beteiligtenfähig im Sinne von Art. 113 Nr. 1 LV, § 35 i. V. m. § 12 Nr. 1 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg), weil er als politische Partei im Verfassungsleben des Landes Brandenburg nicht - auch nicht ansatzweise - präsent ist. Er ist deshalb kein „anderer Beteiligter" im Sinne der genannten Vorschriften. Dies gilt auch dann, wenn der Antragsteller auf Bundesebene und/oder auf der Ebene eines anderen Bundeslandes, etwa des Landes Berlin, als Partei i. S. v. Art. 21 GG anzusehen ist. Im Näheren nimmt das Gericht insoweit Bezug auf die Ausführungen in seinem Urteil vom 16. März 1995 - VfGBbg 4/95 EA* - , durch das bereits der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung als unzulässig verworfen worden ist, weil dem Antragsteller die Beteiligtenfähigkeit fehlt. Der Antragsteller hat nach der Zustellung des genannten Urteils in der ihm hierfür eingeräumten Frist keine weiteren Tatsachen vorgetragen, die dem Gericht Veranlassung geben könnten, die Frage der Beteiligtenfähigkeit des Antragstellers nunmehr anders zu beurteilen. Soweit er mitgeteilt hat, daß für den 24. Juni 1995 die Gründung eines Landesverbandes Brandenburg geplant sei, steht zum einen noch nicht fest, ob es tatsächlich dazu kommt. Zum anderen würde die Gründung eines Landesverbandes für sich allein nicht ausreichen. Vielmehr käme es weiterhin darauf an, ob im Land Brandenburg tatsächlich eine organisatorische Verfestigung erreicht wird, die eine Einflußnahme auf die politische Meinungsbildung im Lande durch Aktivitäten, wie sie Parteien eigen sind, und unter Abstützung auf eine sei es auch nur bescheidene Verbandsstruktur als Partei wenigstens ansatzweise erlaubt. Dies ist weiterhin nicht erkennbar. Das Verfassungsgericht entscheidet unter diesen Umständen nach Lage der jetzt gegebenen Verhältnisse und ist nicht gehalten, für seine Entscheidung die weitere Entwicklung abzuwarten. Auch die von dem Antragsteller geltend gemachten rechtlichen Bedenken dagegen, daß das Gericht die Beteiligtenfähigkeit des Antragstellers in dem Urteil vom 16. März 1995* verneint hat, greifen nicht durch. Entgegen der Siehe S.135 ff.

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Auffassung des Antragstellers hat das erkennende Gericht die Sache nicht wegen Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gemäß Art. 100 Abs. 3 G G dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen. Die von dem Gericht entschiedene Rechtsfrage - nämlich die der Beteiligtenfähigkeit einer politischen Partei in einem Organstreitverfahren vor dem Landesverfassungsgericht in einer auf Landesebene zu entscheidenden Frage - ist vom Bundesverfassungsgericht nicht anders entschieden worden. Das Bundesverfassungsgericht war naturgemäß immer nur mit der Beteiligtenfähigkeit in einem Organstreitverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht zu einem auf Bundesebene stattfindenden Vorgang befaßt. Eine Abweichung ergibt sich auch nicht zu der von dem Antragsteller herangezogenen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Januar 1995 (BVerfGE 92, 80). Sie spricht eher gegen seine Auffassung. Wenn die wahlrechtlichen Bestimmungen, wie das Bundesverfassungsgericht in Betracht zieht, auf den Antragsteller, seine Parteieigenschaft unterstellt, Anwendung fänden, könnte er nach dem Brandenburgischen Landeswahlgesetz im Land Brandenburg, da er hier bisher weder einen Landesverband noch Gebietsverbände hat (vgl. § 21 Abs. 4 Landeswahlgesetz Brandenburg), nicht an einer Landtagswahl teilnehmen. Es ist kein Grund ersichtlich, wieso er im Zusammenhang mit einer Volksabstimmung eine rechtlich bessere Position haben sollte. Weiter kann der Antragsteller für eine Organstellung in dem vorliegenden Verfahren nichts daraus herleiten, daß das Abstimmungsergebnis im Land Brandenburg, wenn nämlich hier die erforderliche Mehrheit nicht erreicht wird, die Fusion auch für das Land Berlin, in dem er möglicherweise eine Organstellung besitzt, obsolet macht. Im Land Brandenburg ist allein darüber zu entscheiden, ob das Land Brandenburg zur Fusion mit dem Land Berlin bereit ist. C. Die hilfsweise erhobene Verfassungsbeschwerde ist ebenfalls unzulässig. I. Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2, 38 G G , auf die sich der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang beruft, sind kein Bestandteil der Brandenburgischen Landesverfassung und können schon deshalb nicht Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde vor dem hiesigen Verfassungsgericht sein. Art. 21 Abs. 1 G G hat zwar, wie in dem Urteil vom 16. März 1995"" ausgeführt, als Be-

siehe S. 135 ff.

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stand teil der Landesverfassungen zu gelten, stellt sich jedoch nicht als Grundrecht oder grundrechtsgleiches Recht dar, wie sich schon aus Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a G G ergibt. O b und wieweit sich Art. 20 Abs. 3 , 2 1 Abs. 1 und/oder 22 Abs. 3 L V als Ansatz für eine Verfassungsbeschwerde gegen Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit der Brandenburgischen Landesregierung eignen und der Beschwerdeführer diesbezüglich beschwerdebefugt wäre, obwohl er als solcher bisher nicht in Brandenburg domiziliert, bedarf gegenwärtig aus den nachfolgenden Gründen keiner Entscheidung.

II. 1. Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde steht jedenfalls entgegen, daß der Beschwerdeführer entgegen § 45 Abs. 2 Satz 1 VerfGGBbg den Rechtsweg nicht erschöpft hat. Er hat die Möglichkeit, durch das Verwaltungsgericht prüfen zu lassen, ob er ein subjektives Recht auf Unterlassen der von ihm beanstandeten Öffentlichkeitsarbeit der Landesregierung hat. Das Bundesverfassungsgericht hat Klagen gegen regierungsamtliche Öffentlichkeitsarbeit im Einklang mit einer hierzu eingeholten Stellungnahme des zuständigen Senats des Bundesverwaltungsgerichts als Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art angesehen, für die nach § 40 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist (BVerfG NVwZ 1988, 817, 818). Es besteht deshalb keine Veranlassung anzunehmen, daß das hier anzurufende Verwaltungsgericht seinerseits von einer verfassungsrechtlichen Streitigkeit ausginge. Das gilt auch unter Berücksichtigung der von dem Beschwerdeführer als verletzt gerügten Bestimmungen der Landesverfassung. Daß es etwa bei der Frage, ob es sich hierbei um Grundrechte handelt, um die Auslegung von (Landes-)Verfassungsrecht ginge, verändert den Charakter als nichtverfassungsrechtliche Streitigkeit nicht. Der Beschwerdeführer befindet sich insoweit in keiner anderen Situation als jeder andere Beschwerdeführer. Er ist deshalb darauf zu verweisen, sein Rechtsschutzziel - sei es im Wege einer Unterlassungsklage als Unterfall der allgemeinen Leistungsklage, sei es im Wege einer Feststellungsklage - vor dem Verwaltungsgericht zu verfolgen. 2. Die Verfassungsbeschwerde ist auch nicht nach § 45 Abs. 2 Satz 2 VerfGGBbg ausnahmsweise vor Erschöpfung des Rechtsweges zulässig. Insoweit kann offenbleiben, ob der Auffassung des Hessischen Staatsgerichtshofes beizutreten ist, der in einem Verfahren der vorliegenden Art eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung angenommen hat ( E S V G H 4 1 , 1 , 3). Die Ausgestaltung des § 45 Abs. 2 Satz 2 VerfGGBbg als Kann-Vorschrift macht deutlich, daß selbst die allgemeine Bedeutung einer Sache nicht zwangsläufig zu einer Entscheidung des Verfassungsgerichts ohne vorherige Erschöpfung

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des Fachrechtsweges führt. Eine solche „Durchgriffsentscheidung" bleibt vielmehr auch in diesen Fällen schon nach dem Wortlaut des § 45 Abs. 2 Satz 2 VerfGGBbg die Ausnahme („im Ausnahmefall"). Die „allgemeine Bedeutung" ist nur ein Gesichtspunkt unter mehreren, die im Rahmen einer Abwägung für und wider eine sofortige Sachentscheidung zu berücksichtigen sind (VerfGBbg, Beschluß vom 15. September 1994 - VfGBbg 5/94 - LVerfGE 2, 170 und Beschluß vom 20. Oktober 1994 - VfGBbg 12/94 - LVerfGE 2,193). Vorliegend erscheint es nicht angezeigt, die Angelegenheit dem Verwaltungsrechtsweg zu entziehen. Es stellen sich eine Reihe einfachrechtlicher und tatsächlicher Fragen, deren Klärung in den Verwaltungsrechtsweg gehört. a) Als Anspruchsgrundlage für das rechtliche Begehren des Beschwerdeführers kommt vor allem ein öffentlich-rechtlicher Unterlassungsanspruch in Betracht, in dessen Rahmen gegebenenfalls auch zu prüfen sein wird, ob sich der Grundsatz der Gleichheit von Wahlen und Volksabstimmungen (Art. 22 Abs. 3 Satz 1 LV) zugunsten des Beschwerdeführers auszuwirken vermag. Das verwaltungsrechtliche Rechtsinstitut des öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruchs, dessen dogmatische Herleitung umstritten ist (vgl. Köckerbauer/Büllesbach, JuS 1991,373, 375) und schon deshalb Wertungsspielräume eröffnet, enthält eine Reihe ungeschriebener Tatbestandsmerkmale, deren Bedeutung wiederum nicht in jeder Hinsicht geklärt ist. Zu prüfen ist etwa, ob der Sachverhalt, so wie er sich bisher darstellt, zu einer drohenden (oder bereits eingetretenen) Verletzung subjektiver Rechte des Beschwerdeführers geführt hat. Das Bundesverwaltungsgericht zieht die Verletzung subjektivrechtlicher Rechtspositionen Einzelner durch regierungsamtliche Öffentlichkeitsarbeit - unbeschadet der Möglichkeit der objektiven Rechtswidrigkeit solcher Maßnahmen - nur für den Fall in Betracht, daß das hoheitliche Einwirken auf den öffentlichen Meinungsbildungsprozeß die Gefahr von nicht nur unwesentlichen Auswirkungen auf das Wahlergebnis begründet (BVerwG, Beschluß vom 17. November 1 9 8 8 - 7 B. 169.88 - Buchholz 160 Nr. 31). Daran knüpft das Bundesverwaltungsgericht die Vermutung, daß subjektive Rechte (etwa von Wahlbewerbern) erst dann verletzt sein können, wenn Uberschreitungen zulässiger regierungsamtlicher Öffentlichkeitsarbeit „mit einer gewissen Massivität und Häufigkeit" auftreten. Hiervon ausgehend wird sich für das hier anzurufende Verwaltungsgericht im Rahmen der Prüfung eines öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruchs zunächst die Frage stellen, ob diese Grundsätze auch für Bürger, Parteien oder Bürgerbewegungen gelten, die bei einer Volksabstimmung eine andere Auffassung als die Landesregierung vertreten und deshalb in der für ein bestimmtes Ergebnis werbenden Öffentlichkeitsarbeit der Landesregierung einen Eingriff in ihre subjektiven Rechte sehen. Soweit sich der öffentlich-rechtliche Unterlassungsanspruch als

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Institut des einfachen Bundesrechts darstellt, besteht im übrigen ohnehin keine darauf bezogene Prüfungsbefugnis des Landesverfassungsgerichts. b) Darüber hinaus steht die abschließende rechtliche Klärung eines weiteren Problems des allgemeinen Verwaltungsrechts aus. Die amtliche Öffentlichkeitsarbeit berührt den subjektiven Rechtskreis Privater nicht zwangsläufig. Der Einzelne empfindet sie nur dann als Eingriff, wenn er eine andere Auffassung als die Regierung vertritt. So gesehen führt erst die (ablehnende) Reaktion des privaten Rechtsträgers zu seiner tatsächlichen Betroffenheit. Die Frage, ob in einer solchen mittelbar-faktischen Beeinträchtigung ein (einen öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruch auslösender) Eingriff in subjektiv-rechtliche Positionen liegen kann, ist zwar auch eine Frage der Grundrechtsdogmatik (vgl. Muckel, J A 1995, 343, 346), bleibt aber vorrangig eine Frage des allgemeinen Verwaltungsrechts. Das Verwaltungsgericht wird sich auch damit zu befassen haben, welche Folgen administrativen Handelns dem Staat überhaupt zurechenbar sind. Das Bundesverwaltungsgericht hat etwa im Hinblick auf den mit dem öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruch verwandten Folgenbeseitigungsanspruch die Auffassung vertreten, daß dem Staat lediglich u n m i t t e l b a r e Folgen administrativen Handelns zuzurechnen seien (BVerwGE 69, 366, 372). Bei Zugrundelegung dieser Rechtsauffassung wäre zweifelhaft, ob in Fällen der vorliegenden Art überhaupt eine Rechtsbeeinträchtigung eines Privaten stattfindet, der lediglich eine andere Auffassung als die Regierung vertritt. c) Diese Rechtsfragen hängen mit noch zu klärenden Tatsachenfragen zusammen. Auch die Notwendigkeit, weitere tatsächliche Ermittlungen anzustellen, ist ein Faktor, der für die Einschaltung des Fachgerichts spricht (VerfGBbg, Beschluß vom 15. September 1994 - VfGBbg 5/94 - LVerfGE 2, 170 sowie Beschluß vom 20. Oktober 1994 - VfGBbg 12/94 - LVerfGE 2, 193). Das Verwaltungsgericht wird sich etwa damit auseinanderzusetzen haben, ob und wieweit Maßnahmen der amtlichen Öffentlichkeitsarbeit überhaupt - und ob und inwieweit die in Frage stehenden Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit - imstande sind, das Abstimmungsverhalten der Bevölkerung zu beeinflussen. Die vorliegenden Untersuchungen der Medienwirkungsforschung lassen dies nicht als selbstverständlich erscheinen (vgl. Schürmann, Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung, Berlin 1992, S. 382). 3. Von einer Verweisung auf den Verwaltungsrechtsweg wäre allerdings abzusehen, wenn dort effektiver Rechtsschutz nicht zu erwarten wäre (VerfGBbg, Beschluß vom 15. September 1994 - VfGBbg 5/94 - LVerfGE 2, 170). Ein solcher Fall liegt indes nicht vor. Selbst wenn im Hinblick auf den näherrückenden Abstimmungstermin über die Fusion (5. Mai 1996) eine

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rechtzeitige Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr möglich wäre, steht dem Beschwerdeführer das einstweilige Rechtsschutzverfahren nach § 123 V w G O zur Verfügung. Im Rahmen eines solchen Verfahrens hat das angerufene Verwaltungsgericht unter eingehender tatsächlicher und rechtlicher Prüfung des im Hauptsacheverfahren geltend gemachten Anspruchs g e g e b e n e n f a l l s e i n s t w e i l i g e n Rechtsschutz sicherzustellen (BVerfGE 79, 69, 75). „Herabgesetzte Anforderungen an die Erkenntnis der Rechtslage" sind dem vorläufigen Rechtsschutz unbekannt (Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz und Risikoverteilung im Verwaltungsrecht, 1988, S. 1556 m. w. N.). Nach Erschöpfung des Rechtsweges im Eilverfahren kann sodann das Verfassungsgericht jedenfalls dann angerufen werden, wenn die verwaltungsgerichtliche Hauptsacheentscheidung zu spät käme (BVerfGE 79, 69, 73). 4. Die Entscheidung ist mit sieben Stimmen gegen eine ergangen.

Nr. 6 Die in einem Braunkohlenplan vorgesehene vollständige Inanspruchnahme des Gebietes einer Gemeinde stellt sich als Auflösung der Gemeinde im Sinne des Art. 98 Abs. 2 Satz 2 LV dar und bedarf deshalb im Lande Brandenburg eines förmlichen Gesetzes, das die Auflösung gerade dieser Gemeinde zum Regelungsgegenstand hat. Verfassung des Landes Brandenburg Art. 97, 98 Urteil vom 1. Juni 1995 - VfGBbg 6/95 in dem Verfassungsbeschwerdeverfahren der Gemeinde Horno, vertreten durch den Bürgermeister, betreffend die Verordnung über die Verbindlichkeit des Braunkohlenplanes Tagebau Jänschwalde vom 28. Februar 1994 (GVBl. II S. 118). Entscheidungsformel: 1. Die Verordnung über die Verbindlichkeit des Braunkohlenplanes Tagebau Jänschwalde vom 28. Februar 1994 (GVBl. II S. 118) ist nichtig. 2. Das Land Brandenburg hat der Beschwerdeführerin die notwendigen Auslagen zu erstatten.

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Verfassungsgericht des Landes Brandenburg Gründe: A. I.

Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen eine am 10. März 1994 veröffentlichte Rechtsverordnung der brandenburgischen Landesregierung über die Verbindlichkeit des Braunkohlenplanes Tagebau Jänschwalde vom 28. Februar 1994 (GVB1. II S. 118). Sie beantragt, die genannte Verordnung wegen Verstoßes gegen Art. 97, Art. 98 sowie Art. 25 der Brandenburgischen Landesverfassung (LV) für verfassungswidrig und nichtig zu erklären. Mit der Verordnung wird der Braunkohlenplan Tagebau Jänschwalde, der am 23. September 1993 vom Braunkohlenausschuß des Landes Brandenburg beschlossen worden ist, mit seinen textlichen und zeichnerischen Darstellungen für verbindlich erklärt. Die genannte Verordnung lautet auszugsweise: Auf Grund des § 12 Abs. 6 des Gesetzes zur Einführung der Regionalplanung und der Braunkohlen- und Sanierungsplanung im Land Brandenburg vom 13. Mai 1993 (GVBl. I S. 170) verordnet die Landesregierung: §1 Der Braunkohlenplan Tagebau Jänschwalde in der Fassung der Beschlußfassung des Braunkohlenausschusses des Landes Brandenburg (BKA) vom 23. September 1993 wird mit seinen textlichen und zeichnerischen Darstellungen für verbindlich erklärt. Die Anlage zur Verordnung enthält Auszüge aus dem Braunkohlenplan. In Bezug auf die durchzuführende Umsiedlung heißt es unter Ziffer 4.: Umsiedlung Ziel: Für die unvermeidliche Inanspruchnahme von Siedlungen und Grundstükken ist rechtzeitig angemessener Ersatz zu schaffen. Zum Erhalt dörflicher Gemeinschaft und sozialer Bindungen wird der geschlossenen Umsiedlung der Vorzug gegeben. Auf Kosten des Bergbautreibenden ist unter Mitwirkung der Gemeindevertretung und der einzelnen Haushalte das soziale Anforderungsprofil für eine notwendige Umsiedlung zu erstellen und zu Lasten des Bergbaubetriebes umzusetzen. Zum Braunkohlenplan ist ein sachlicher Teilabschnitt Umsiedlung Horno zu erarbeiten, in dem der Nachweis der Sozialverträglichkeit erbracht wird. Grundlage bildet das soziale Anforderungsprofil, das durch das Unternehmen zu erstellen ist.

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Die Braunkohlen- und Sanierungsplanung findet ihre rechtliche Grundlage in dem bereits erwähnten Gesetz zur Einführung der Regionalplanung und der Braunkohlen- und Sanierungsplanung im Land Brandenburg (RegBkPIG). Die maßgeblichen Rechtsvorschriften haben folgenden Wortlaut: §12 (1) Braunkohlen- und Sanierungspläne werden auf der Grundlage des Landesentwicklungsprogramms, der Landesentwicklungspläne und nach Abstimmung mit der Regionalplanung aufgestellt. Sie legen Ziele der Raumordnung und Landesplanung fest, soweit dies für eine geordnete Braunkohlen- und Sanierungsplanung erforderlich ist. (2) Ziel des Braunkohlenplanes ist es, eine langfristig sichere Energieversorgung zu ermöglichen, die zugleich umweit- und sozialverträglich ist. Ziel des Sanierungsplanes ist es, bergbauliche Folgeschäden in den Gebieten, in denen der Braunkohlenabbau mittelfristig ausläuft oder schon eingestellt ist, soweit wie möglich auszugleichen. (3) In Braunkohlen- und Sanierungsplänen sind unter Berücksichtigung sachlicher, räumlicher und zeitlicher Abhängigkeiten insbesondere folgende Sachverhalte, Ziele und Maßnahmen darzustellen: a) Braunkohlenpläne: 1. gegenwärtiger Zustand von Siedlung und Landschaft, Bau- und Bodendenkmale, 2. Minimierung des Eingriffs während und nach dem Abbau, 3. Abbaugrenze und Sicherheitslinien des Abbaus, Haldenflächen und deren Sicherheitslinien, 4. unvermeidbare Umsiedlung und Flächen für die Wiederansiedlung, 5. Räume für Verkehrswege und Leitungen, 6. Bergbaufolgelandschaft. (4) Braunkohlen- und Sanierungspläne bestehen aus textlichen und zeichnerischen Darstellungen. Sie können in sachlichen und räumlichen Teilplänen aufgestellt werden, wenn gewährleistet ist, daß sich die Teile in eine ausgewogene Gesamtentwicklung einfügen. (6) Braunkohlen- und Sanierungspläne werden durch Rechtsverordnung der Landesregierung für verbindlich erklärt, soweit sie nach Maßgabe dieses Gesetzes aufgestellt sind und sonstigen Rechtsvorschriften nicht widersprechen. Der Feststellungsbeschluß und die im Braunkohlen- und Sanierungsplan enthaltenen Ziele der Raumordnung und Landesplanung werden im Gesetzund Verordnungsblatt des Landes Brandenburg veröffentlicht.... Im nachfolgenden § 14 RegBkPIG ist die Zuständigkeit des Braunkohlenausschusses des Landes Brandenburg als Träger der Braunkohlen- und Sanierungsplanung festgelegt.

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Inhalt des hier angegriffenen Braunkohlenplans ist unter anderem die Umsiedlung der Einwohner der Beschwerdeführerin. Da es sich bei einem bekanntgemachten Braunkohlenplan gemäß gesetzlicher Anordnung in § 12 Abs. 1 Satz 2 RegBkPlG um ein Ziel der Raumordnung und Landesplanung handelt, regelt sich seine Verbindlichkeit nach § 5 Abs. 4 des Raumordnungsgesetzes des Bundes (ROG). § 5 Abs. 4 ROG lautet: Ziele der Raumordnung und Landesplanung sind von den in § 4 Abs. 5 genannten Stellen bei Planungen und allen sonstigen Maßnahmen, durch die Grund und Boden in Anspruch genommen oder die räumliche Entwicklung eines Gebietes beeinflußt wird, zu beachten. ...

§ 4 Abs. 5 ROG hat folgenden Wortlaut: Die Behörden des Bundes und der Länder, die Gemeinden und Gemeindeverbände, die öffentlichen Planungsträger sowie im Rahmen der ihnen obliegenden Aufgaben die bundesunmittelbaren und die der Aufsicht des Landes unterstehenden Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts haben ihre Planungen und Maßnahmen aufeinander und untereinander abzustimmen. ...

II. Die Beschwerdeführerin macht im einzelnen geltend: Die vorgesehene Abbaggerung beeinträchtige sie in ihrem Selbstverwaltungsrecht und habe keine ausreichende Rechtsgrundlage. Die landesrechtlichen Regelungen zur Braunkohlenplanung verstießen zudem gegen höherrangiges Bundesrecht. Das Gesetz zur Einführung der Regionalplanung und der Braunkohlen- und Sanierungsplanung im Land Brandenburg greife in die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes auf dem Gebiet des Bergwesens ein. Die nach der Landesverfassung erforderliche Anhörung der Bevölkerung habe nicht stattgefunden. Der Braunkohlenplan sei auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht fehlerhaft. Insbesondere hätte eine Umweltverträglichkeitsprüfung als Bestandteil eines Planfeststellungsverfahrens durchgeführt werden müssen. Hätte während des Planfeststellungsverfahrens eine ordnungsgemäße Offenlegung der Planunterlagen stattgefunden, hätte die Landesregierung umfassenderes Abwägungsmaterial erhalten und sich ein besseres Bild über mögliche Alternativen machen können. Der Plangeber sei von einem einseitigen Vorrang der Rohstoff- und Energiegewinnung ausgegangen. Bei einer Gesamtbetrachtung erweise sich der Braunkohlenplan als nicht gemeinwohlverträglich. Der Braunkohlenplan sei auch mit den Regelungen des Gesetzes zur Einführung der Regionalplanung und der Braunkohlenund Sanierungsplanung im Land Brandenburg nicht vereinbar. So sei die in § 1 2 Abs. 2 RegBkPlG und anderen Vorschriften vorgesehene Sozialverträg-

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lichkeit des Braunkohlenabbaus nicht gegeben. Der Braunkohlenplan enthalte keine konkreten Hinweise auf das soziale Anforderungsprofil bei der Umsetzung der Gemeinde Horno. Energiepolitisch bestehe keine Notwendigkeit für die Weiterführung des Tagebaus Jänschwalde. Die Lausitzer Kohle sei ohne Subventionen nicht wettbewerbsfähig und auf Dauer der Konkurrenz nicht gewachsen. Schließlich verletze der Braunkohlenplan die verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art. 25 LV. Das Recht der Sorben auf Schutz, Erhaltung und Pflege des angestammten Siedlungsgebietes sei verletzt. Die aus Art. 25 LV ableitbare Rechtsposition komme nicht nur den Sorben, sondern auch ihr, der Beschwerdeführerin, zugute, weil ihr Gemeindegebiet zum angestammten Siedlungsgebiet der Sorben gehöre. III. Zu der Verfassungsbeschwerde haben die Landesregierung Brandenburg, der Braunkohlenausschuß und die Lausitzer Braunkohle Aktiengesellschaft (LAUBAG) Stellung genommen. Sie sind den Ausführungen der Beschwerdeführerin im einzelnen entgegengetreten. Der Landtag hat von der Gelegenheit zur Stellungnahme keinen Gebrauch gemacht. IV. Wegen der Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und den Inhalt der beigezogenen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Akten des Verfahrens über die Verfassungsbeschwerde der Domowina und eines Hornoer Bürgers vom 10. Mai 1994 gegen den Braunkohlenplan und den vom Oberbergamt zugelassenen Rahmenbetriebsplan der LAUBAG (VfGBbg 7/94) Bezug genommen. B. Die kommunale Verfassungsbeschwerde ist zulässig. 1. Die Rechtsverordnung über die Verbindlichkeit des Braunkohlenplanes Tagebau Jänschwalde stellt ein Gesetz in dem verfahrensrechtlichen Sinne des § 51 Abs. 1 VerfGGBbg dar (vgl. VerfGBbg, Urteil vom 22. Dezember 1993 - VfGBbg 9/93 EA - LVerfGE 1, 214, 216). 2. Die kommunale Verfassungsbeschwerde ist fristgerecht erhoben. Sie ist am 9. März 1995 bei Gericht eingegangen. Die angegriffene Rechtsverordnung ist am 10. März 1994 im Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land

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Brandenburg veröffentlicht worden. Somit ist die Jahresfrist gemäß § 51 Abs. 2 VerfGGBbg gewahrt. 3. Der Zulässigkeit der kommunalen Verfassungsbeschwerde steht nicht entgegen, daß die Beschwerdeführerin gleichzeitig den Rechtsweg zum Oberverwaltungsgericht beschritten und dort Normenkontrollklage gegen die genannte Rechtsverordnung erhoben hat (§ 47 Verwaltungsgerichtsordnung i. V. m. § 4 Abs. 1 des Gesetzes über die Errichtung der Verwaltungsgerichtsbarkeit und zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung im Land Brandenburg). Das Gericht läßt dahinstehen, ob das Gebot der Rechtswegerschöpfung des § 45 Abs. 2 Satz 1 VerfGGBbg auch für kommunale Verfassungsbeschwerden gilt. Auch wenn dies der Fall wäre, wäre die Beschwerdeführerin hier nicht darauf zu verweisen, zunächst den Ausgang des Verfahrens vor dem Oberverwaltungsgericht abzuwarten. Vielmehr bejaht das Gericht - für den Fall der Anwendbarkeit des § 45 Abs. 2 VerfGGBbg - die Voraussetzungen des Satzes 2 der Vorschrift. Danach bedarf es u. a. dann keiner Rechtswegerschöpfung, wenn die Verfassungsbeschwerde von allgemeiner Bedeutung ist. Dies ist hier im Hinblick auf die Tragweite der zu treffenden Entscheidung nicht nur für die Beschwerdeführerin, sondern für den Braunkohlentagebau in der Gesamtregion, aber auch im Hinblick auf die Grundsätzlichkeit der zur Entscheidung stehenden Rechtsfrage anzunehmen.

C. Die kommunale Verfassungsbeschwerde ist begründet. Die Verordnung vom 28. 2.1994 (GVB1. II S. 118), die den Braunkohlenplan Tagebau Jänschwalde für rechtlich verbindlich erklärt, ist nichtig. Sie verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Recht auf Selbstverwaltung aus Art. 97 LV; die Auflösung der Beschwerdeführerin hätte allein durch Parlamentsgesetz erfolgen dürfen (Art. 98 Abs. 2 Satz 2 LV). I. Die in dem Braunkohlenplan vorgesehene Inanspruchnahme des Gebietes der Beschwerdeführerin stellt sich im Hinblick auf die mit dem Braunkohlenplan verbundenen Rechtsfolgen als faktisch auf eine Existenzbeendigung der Beschwerdeführerin hinauslaufende „Auflösung" einer Gemeinde i. S. d. Art. 98 Abs. 2 LV dar und bedarf demzufolge eines Gesetzes. 1. Allerdings wird unter „Auflösung" einer Gemeinde teilweise die unmittelbare und ausdrückliche Beendigung der rechtlichen Existenz einer Ge-

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meinde durch staatlichen Hoheitsakt verstanden. Ein solches Verständnis des Auflösungsbegriffs liegt ζ. B. der Bayerischen Gemeindeordnung (Bay G O ) zugrunde. Es genügt hiernach nicht, daß durch nicht unmittelbar auf die Auflösung zielende Maßnahmen das gemeindliche Leben tatsächlich beendet wird. So stellt der Umzug aller Einwohner - etwa wegen Schaffung eines Truppenübungsplatzes - keine Auflösung im so verstandenen Rechtssinn dar (vgl. dazu die „Entscheidung" des Bayerischen Staatsministeriums des Innern vom 16. September 1970 - I Β 3 - 3000 - 41c/61). Dementsprechend kennt § 13 a Abs. 1 Bay G O unbewohnte Gemeinden. Sie bleiben als Rechtssubjekt bestehen und werden durch einen staatlich eingesetzten Gemeindeverwalter rechtlich vertreten (§ 13 a Abs. 6 Bay GO), bis eine ausdrückliche Auflösung erfolgt ist (vgl. dazu Gronemeyer, Die gemeindefreien Gebiete, 1971, S. 140). Eine - in diesem Sinne - ausdrückliche und unmittelbar auf die Auflösung der Beschwerdeführerin zielende Rechtsfolgenanordnung enthält der angegriffene Braunkohlenplan nicht. Er sieht lediglich im Rahmen der planerischen Festsetzung für ein zeichnerisch festgelegtes Areal, zu dem das Gebiet der Beschwerdeführerin gehört, vor, daß dort Braunkohle abgebaut werden soll. Aus der Anlage ergibt sich zwar, daß deshalb die Umsiedlung der Einwohner der Beschwerdeführerin erfolgen soll. Die Frage der rechtlichen Existenz der Beschwerdeführerin wird jedoch in dem Regelwerk nicht in den Blick genommen. 2. Auch die aus der Sicht des Plangebers als notwendig vorausgesetzte, auch von der Beschwerdeführerin angesprochene Umsiedlung der Bewohner stellt als solche keine Auflösung i. S. d. Art. 98 Abs. 2 Satz 2 LV dar. Für die Bewohner wird durch den Braunkohlenplan, seine Wirksamkeit unterstellt, keine rechtliche Verpflichtung begründet, das Gebiet der Beschwerdeführerin zu verlassen. Anders als im Verhältnis zur Gemeinde (dazu nachfolgend 3.) erzeugt der Braunkohlebau als Institut des Raumordnungsrechts für Private unbeschadet möglicher faktischer Vorwirkungen - keine unmittelbaren Rechtswirkungen (BVerfG NVwZ 1991, 978). Die Bewohner werden vielmehr jedenfalls im allgemeinen rechtlich erst betroffen, wenn sie auf Antrag des Bergbautreibenden im Wege des (bundesrechtlichen) bergrechtlichen Grundabtretungsverfahrens nach § 77 Bundesberggesetz enteignet werden (BVerwGE 87, 241, 253 f.). 3. Der Begriff der Auflösung i. S. v. Art. 98 Abs. 2 LV ist aber deshalb erfüllt, weil die Beschwerdeführerin durch den Braunkohlenplan als Gemeinde rechtlich auf dessen Inhalt und damit auch auf die Beendigung ihrer Existenz festgelegt wird. Ein Braunkohlenplan legt Ziele der Raumordnung und Landesplanung fest (§12 Abs. 1 Satz 2 RegBkPIG). Die Beschwerdeführerin hat deshalb gemäß § 5 Abs. 4 R O G als eine der in § 4 Abs. 5 R O G genannten Stel-

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len diese Ziele zu beachten. Das bedeutet, daß diese Ziele von ihr planerisch als verbindliche Vorgaben hinzunehmen sind (BVerwGE 90, 329, 333). Die Beschwerdeführerin hat aus dieser ihr auferlegten Rechtspflicht die jeweils notwendigen Schlußfolgerungen zu ziehen. So kann sie etwa von der ihr als Teil der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie zustehenden Planungshoheit nicht mehr wirksam Gebrauch machen. Es bleibt kein substantieller Raum für die eigene Planung (vgl. dazu BVerfGE 76,107,124). Das zeigt sich z. B. in § 1 Abs. 4 Baugesetzbuch, wonach die Bauleitpläne der Gemeinden den Zielen der Raumordnung und Landesplanung anzupassen sind. Die Beschwerdeführerin büßt hiernach bei Wirksamwerden des Braunkohlenplanes über weite Strecken die Fähigkeit ein, eine eigenständige Gestaltung der örtlichen Lebensverhältnisse vorzunehmen. Sie wird zu einer Gemeinde „in Abwicklung" und verliert, wie im Schrifttum zugespitzt formuliert wird, ihre Identität als selbständiger Verwaltungsträger (Widerα, Zur verfassungsrechtlichen Gewährleistung gemeindlicher Planungshoheit, 1989, S. 126). Wird mithin das Hinwirken auf die Beendigung der eigenen Existenz zu einer Rechtspflicht der Beschwerdeführerin, so liegt hierin eine unter den Tatbestand des Art. 98 Abs. 2 Satz 2 LV fallende rechtsverbindliche Auflösungsanordnung. An diesem Ergebnis kann auch die in dem Braunkohlenplan angestrebte geschlossene Umsiedlung der Einwohner der Beschwerdeführerin nichts ändern. Der Identitätsverlust der Beschwerdeführerin tritt auch in diesem Falle ein. Stellt sich danach der von der Landesregierung für verbindlich erklärte Braunkohlenplan als Auflösungsanordnung dar, so bedeutet die später erfolgende Umsetzung des Braunkohlenplanes aus der Sicht der Beschwerdeführerin nur noch den (tatsächlichen) Vollzug der bereits rechtswirksamen Auflösungsanordnung. Jede andere Beurteilung hätte das merkwürdige Ergebnis zur Folge, daß eine Gemeinde durch eine bloße Rechtsverordnung dazu verpflichtet werden könnte, an ihrer eigenen Beendigung mitzuwirken und der Landtag erst im nachhinein auf den Plan träte, um eine bereits einwohnerlose und im Fall der Beschwerdeführerin womöglich schon untergebaggerte - Gemeinde durch förmliches Gesetz aufzulösen und damit eine Entwicklung nur nachzuvollziehen, die die Verfassung ausdrücklich seiner Entscheidung vorbehalten hat. Der Sinn des Art. 98 Abs. 2 LV, der darin besteht, den entgegenstehenden Willen der demokratisch legitimierten Gemeindevertretung nur durch den übergeordneten Willen des demokratischen Gesetzgebers durchbrechen zu lassen (so auch Baden-Württembergischer Staatsgerichtshof, ESVGH 25, 1, 26 für die gleichlautende Vorschrift des Art. 74 Abs. 2 Satz 2 der Baden-Württembergischen Verfassung), würde verfehlt, weil zum Zeitpunkt der parlamentarischen Entscheidung bereits die Umsetzung erfolgt wäre. Die Entscheidung des Gesetzgebers wäre nur noch die juristische Bestäti-

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gung einer bereits praktisch eingetretenen und tatsächlich nicht mehr rückgängig zu machenden Entwicklung. II. Mit „Gesetz", dessen es zur Auflösung einer Gemeinde bedarf, ist in Art. 98 Abs. 2 Satz 2 LV ein förmliches Gesetz des Landtages gemeint, das die Auflösung einer bestimmten Gemeinde zum Regelungsgegenstand hat. Art. 98 Abs. 2 Satz 2 LV verlangt für den Fall der Auflösung der Gemeinde als eines besonders intensiven Eingriffs die - auch gegenüber den Fällen des Art. 97 Abs. 1, 2 und 98 Abs. 2 Satz 1 LV - gesteigerte Anforderung eines förmlichen Gesetzes. Die Notwendigkeit, über Fragen von solcher Tragweite durch Parlamentsgesetz zu entscheiden, ergibt sich aus Wortlaut und Systematik des Art. 98 Abs. 2 LV. Anders als im Rahmen des Art. 98 Abs. 2 Satz 1 LV genügt es nicht, wenn sich die betreffende Entwicklung „aufgrund eines Gesetzes" vollzieht. Dieses Ergebnis findet seine Bestätigung auch in der Entstehung der Verfassung. Art. 98 LV ist durch den Entwurf eines Art. 98 a der Fraktion PDS-LL in die Verfassungsberatungen eingeführt worden (vgl. LTDrs. 1/625). Der Antrag wurde damit begründet, daß Gebietsänderungen „sehr weitgehend in Rechte und Interessen der Bürger eingreifen" könnten (Verfassungsausschuß II, Sitzung vom 20. 3.1992, Ausschußprotokoll VA II/ 4). Danach sollten derart weitgehende Eingriffe in die Lebensumstände der Bürger der betroffenen Gemeinden „delegationsfeindlich" der Entscheidung des Gesetzgebers vorbehalten werden. Dann aber darf er nicht durch Verordnungsrecht gleichsam vor vollendete Tatsachen gestellt werden. § 12 Abs. 3 a) i. V. m. Abs. 6 RegBkPIG, auf den der Verfahrensbevollmächtigte der Landesregierung in der mündlichen Verhandlung in diesem Zusammenhang verwiesen hat, genügt der Anforderung des Art. 98 Abs. 2 Satz 2 LV nicht. Jene Vorschrift betrifft lediglich allgemein „Sachverhalte, Ziele und Maßnahmen", die in Braunkohlen- und Sanierungsplänen darzustellen sind, bezieht sich nicht auf konkrete Gemeinden und hat damit nicht die Auflösung gerade der Beschwerdeführerin zum Gegenstand. Da die Entscheidung durch förmliches Gesetz getroffen werden muß und die angegriffene Verordnung schon aus diesem Grund nichtig ist, kann es nicht darauf ankommen, ob der Braunkohlenplan mit den planungsrechtlichen gesetzlichen Vorgaben in Einklang steht oder sich in dieser Hinsicht Bedenken ergeben. III. Das hier gefundene Ergebnis wird durch folgende weitere Überlegungen gestützt:

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1. Der Verfassungsgeber hat durch Schaffung des Art. 98 Abs. 2 Satz 2 LV verdeutlicht, daß er in der Änderung kommunaler Zuordnungen grundsätzlich eine Frage von so hohem politischem Gewicht sieht, daß sie vom Parlament selbst zu treffen ist. Damit erweist sich die verfassungsrechtliche Regelung des Art. 98 Abs. 2 Satz 2 LV als eine besondere Ausprägung der sogenannten Wesentlichkeitstheorie, derzufolge Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip den Gesetzgeber von Verfassungs wegen verpflichten, die wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen und sie nicht der Verwaltung zu überlassen (BVerfGE 47, 46, 78). Wesentliche Entscheidungen müssen von den vom Volk direkt gewählten Repräsentanten im öffentlichen Gesetzgebungsverfahren verantwortet werden. Stellt hiernach im Land Brandenburg kraft Verfassung schon die Auflösung einer einzelnen Gemeinde eine politisch derart bedeutende Frage dar, daß sie allein vom parlamentarischen Gesetzgeber entschieden werden darf, so dürfte dies angesichts des hierüber noch weit hinausgehenden Inhalts des hier in Frage stehenden Braunkohlenplans erst recht gelten. Unter anderem berührt der Braunkohlenplan angestammtes sorbisches Siedlungsgebiet, das durch Art. 25 LV - auf dessen Rechtsnatur es in dem hier erörterten Zusammenhang nicht ankommt - einem besonderen verfassungsrechtlichen Schutz unterstellt ist. Ob die Inanspruchnahme dieses Teils der Gebietsoberfläche des Landes Brandenburg dem Verordnungsgeber überlassen werden darf, erscheint im Lichte der Wesentlichkeitstheorie mindestens fraglich. Ferner geht es bei der Frage der Fortführung des Braunkohlentagebaus um eine umweltpolitische Entscheidung von erheblicher Bedeutung. Auch dies spricht dafür, daß es sich um eine Angelegenheit handelt, derer sich im Sinne der Wesentlichkeitstheorie der Gesetzgeber anzunehmen hat.

2. Art. 98 Abs. 2 Satz 2 LV, wonach die Auflösung einer Gemeinde eines Gesetzes bedarf, gilt, wie dargelegt und unumstritten ist, wenn eine Gemeinde etwa durch Eingemeindung aufgelöst wird und deshalb rechtlich zu existieren aufhört. Wenn die Verfassung einen solchen rechtlichen Eingriff, der die tatsächlichen Lebensumstände der Einwohner weitgehend unberührt lassen kann, davon abhängig macht, daß die Entscheidung durch Gesetz getroffen wird, so muß dies erst recht gelten, wenn die rechtlichen Weichen unwiderruflich dafür gestellt werden, daß die Gemeinde physisch eliminiert wird und den bisherigen Bewohnern als Lebensmittelpunkt endgültig verloren geht. Die Entscheidung darüber, ob die Beschwerdeführerin faktisch vom Erdboden verschwinden soll, gehört deshalb nach der Brandenburger Verfassung in die Hand des Gesetzgebers.

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IV. Die Verordnung vom 28. Februar 1994, die den Braunkohlenplan Tagebau Jänschwalde für verbindlich erklärt, ist im vollen Umfang nichtig. Die Annahme einer Teilnichtigkeit käme nur für den Fall in Betracht, daß der Plangeber nach seinem im Planungsverfahren zum Ausdruck gekommenen Willen im Zweifel einen Plan eingeschränkten Inhalts beschlossen hätte (BVerwGE 82,225,230). Davon kann nicht ausgegangen werden. Die Landesregierung selbst hat vorgetragen, eine Beendigung des Tagebaus vor Horno sei für den Braunkohlenausschuß nicht in Betracht gekommen, weil dies einen Förderverlust von zweihundertfünfzig Millionen Tonnen Braunkohle zur Folge hätte und damit eine wirtschaftliche Auslastung des Kraftwerkes Jänschwalde ab 1998 nicht mehr gesichert wäre und Umweltinvestitionen in Milliardenhöhe in Frage gestellt würden. Das Landesverfassungsgericht kann hiernach nicht erkennen, daß der Braunkohlenausschuß bei Kenntnis des Unwirksamkeitsgrundes einen die Beschwerdeführerin aussparenden Braunkohlenplan beschlossen hätte.

V. Das Gericht stellt klar, daß es mit der Erklärung der Nichtigkeit der Rechtsverordnung keine Entscheidung über konkrete durch Betriebspläne genehmigte bergbauliche Tätigkeiten im Plangebiet getroffen hat. Ob die Regelung des § 12 Abs. 6 Satz 3 RegBkPIG bei Fehlen eines verbindlichen Braunkohlenplanes ein absolutes Abbauverbot bewirkt, ist umstritten (vgl. die Nachweise des Streitstandes bei Rausch, Umwelt- und Planungsrecht im Bergbau, Baden-Baden 1990, S. 179 ff.). Es handelt sich dabei um eine Frage der Auslegung einfachen Rechts. Sie gehört nicht zum Streitgegenstand dieses Verfahrens und wird etwa im Rahmen denkbarer Stillegungsverfahren gegebenenfalls von den Fachgerichten zu entscheiden sein.

VI. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung folgt aus § 32 Abs. 7 VerfGGBbg.

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Nr. 7 Zur - gegebenenfalls teilweisen - Auslagenerstattung nach Erledigung des Verfahrens als Folge der Entscheidung in einem anderen verfassungsgerichtlichen Verfahren'''. Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg § 32 Abs. 7 Satz 2 Beschluß vom 17. August 1995 - VfGBbg 7/94 in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerden 1. der Domowina, Bund Lausitzer Sorben e. V., vertreten durch den Vorsitzenden; 2. des Herrn N., ..., Horno, betreffend 1. Verordnung über die Verbindlichkeit des Braunkohlenplanes Tagebau Jänschwalde vom 28. Februar 1994 (GVBl. II S. 118), sowie 2. Zulassung des Rahmenbetriebsplanes zum Vorhaben Weiterführung des Tagebaus Jänschwalde 1994 bis Auslauf vom 14. März 1994. Entscheidungsformel: 1. Das Verfahren wird eingestellt. 2. Das Land Brandenburg hat den Beschwerdeführern je ein Viertel ihrer notwendigen Auslagen zu erstatten. Gründe: A. I. Die Beschwerdeführer haben gegen die am 10. März 1994 veröffentlichte Rechtsverordnung der Brandenburgischen Landesregierung über die Verbindlichkeit des Tagebaus Jänschwalde vom 28. Februar 1994 und die Zulassung des Rahmenbetriebsplanes zum Vorhaben Weiterführung des Tagebaus Jänschwalde 1994 bis Auslauf Verfassungsbeschwerde erhoben. Durch Urteil vom 1. Juni 1995 (VfGBbg 6/95:;"::') hat das Verfassungsgericht der Kommunalverfassungsbeschwerde der Gemeinde Horno stattgegeben und die genannte Verordnung für nichtig erklärt. Es hat dies im wesentli* *

nichtamtlicher Leitsatz Siehe S. 157 ff.

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chen damit begründet, daß die vollständige Inanspruchnahme des Gebietes der beschwerdeführenden Gemeinde eine Auflösung i. S. d. Art. 98 Abs. 2 LV darstelle, die eines Gesetzes bedarf. II. Die Beschwerdeführer haben daraufhin ihre Verfassungsbeschwerden hinsichtlich der Verordnung über die Verbindlichkeit des Braunkohlenplanes Tagebau Jänschwalde für erledigt erklärt sowie hinsichtlich der Zulassung des Rahmenbetriebsplanes zurückgenommen. Sie beantragen nunmehr, dem Land Brandenburg die Erstattung der notwendigen Auslagen aufzuerlegen. Das Gericht habe in seiner Entscheidung zum Ausdruck gebracht, daß bei Aufstellung des Braunkohlenplanes der durch Art. 25 LV garantierte Schutz der Sorben nicht hinreichend berücksichtigt worden sei. Damit sei ihrem Anliegen Rechnung getragen worden. Für eine Kostenerstattung spreche ferner, daß die Verfassungsbeschwerde zur Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage von grundsätzlicher Bedeutung - der Rechtsnatur des Art. 25 LV - beigetragen habe. Der Landtag Brandenburg hält eine Auslagenerstattung nicht für gerechtfertigt. B. I. Das Verfahren ist gemäß § 13 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg) i. V. m. § 92 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung einzustellen, weil die Beschwerdeführer die Verfassungsbeschwerde teils für erledigt erklärt, teils zurückgenommen haben. Beide Erklärungen haben zur Folge, daß die Sache nicht mehr zur Entscheidung steht (vgl. BVerfGE 85, 109, 113). Dabei kann dahinstehen, ob das Verfassungsgericht in Einzelfällen befugt ist, aus Gründen der verfassungsgerichtlichen Rechtsfortbildung über prozeßbeendende Erklärungen der Beschwerdeführer hinwegzugehen. Ein dafür jedenfalls erforderliches objektives Interesse an einer Entscheidung besteht weder in bezug auf die Verfassungsmäßigkeit des Braunkohlenplanes noch hinsichtlich des Rahmenbetriebsplanes. II. Der Antrag auf Erstattung der Auslagen ist teilweise begründet. Uber die Erstattung der Auslagen ist nach Abgabe der verfahrensbeendenden Erklärungen gemäß § 32 Abs. 7 VerfGGBbg nach Billigkeitsgesichts-

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punkten zu entscheiden. Raum für eine entsprechende Anwendung der §§161 Abs. 2, 92 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung bleibt angesichts dieser besonderen Regelung nicht. Bei der Billigkeitsentscheidung kommt dem Grund, der zu der Erledigung (vgl. dazu BVerfGE 91,146,147) bzw. zu der Rücknahme der Verfassungsbeschwerde geführt hat, erhebliche Bedeutung zu. Eine volle Auslagenerstattung kann in Betracht kommen, wenn die verfassungsrechtliche Lage inzwischen durch eine Entscheidung in einem anderen Verfahren geklärt ist und sich daraus ergibt, daß die Verfassungsbeschwerde erfolgreich gewesen wäre (vgl. BVerfGE 85, 109 LS). Ansonsten sieht das Gericht, wenn nurmehr über die Auslagenerstattung zu entscheiden ist, von einer mehr als summarischen Prüfung der Erfolgsaussichten der Verfassungsbeschwerde grundsätzlich ab. Hiernach erscheint es im vorliegenden Fall billig, eine Auslagenerstattung in Höhe je eines Viertels anzuordnen. Voraussichtlich hätte sich das Gericht bei einer Entscheidung über die Verfassungsbeschwerden gegen den Rahmenbetriebsplan auf den Standpunkt gestellt, daß es vorrangig Sache der Fachgerichte ist, über die Rechtmäßigkeit dieses (bundes-)bergrechtlichen Verwaltungsakt'es zu befinden. Diesen Standpunkt hat das Gericht bereits in seinem Urteil über die Kommunalverfassungsbeschwerde der Gemeinde Horno zu erkennen gegeben (vgl. Urteil vom 1. Juni 1995 - VfGBbg 6/95* -). Insoweit sind somit keine Gesichtspunkte erkennbar, die eine auch nur teilweise Auslagenerstattung rechtfertigten. Zu den Verfassungsbeschwerden gegen den Braunkohlenplan ist zugunsten der Beschwerdeführer in Rechnung zu stellen, daß sich die ihn für verbindlich erklärende Verordnung der Landesregierung inzwischen entsprechend dem soeben erwähnten Urteil des Verfassungsgerichts als unvereinbar mit der Landesverfassung erwiesen hat. Gleichwohl erscheint auch insoweit eine volle Auslagenerstattung nicht angemessen. Anders als die Gemeinde Horno hätten die Beschwerdeführer sich nicht auf die Verletzung der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie, insbesondere Art. 98 Abs. 2 LV, berufen können. Vielmehr wäre die Zulässigkeit ihrer Verfassungsbeschwerden u. a. von der schwierigen verfassungsrechtlichen Frage abhängig gewesen, ob Art. 25 LV ein Grundrecht darstellt und damit den Zugang zum Institut der Verfassungsbeschwerde eröffnet (vgl. Art. 6 Abs. 2 LV), weiterhin - bei Bejahung dessen - davon, ob die Verbindlicherklärung des Braunkohlenplanes (auch) unter diesem Gesichtspunkt von Verfassungs wegen zu beanstanden ist.

*

Siehe S. 157, 167

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Hierzu hat sich das Gericht in dem genannten Urteil vom 1. Juni 1995 nicht abschließend geäußert. Offen ist auch, ob die beiden Beschwerdeführer gegebenenfalls Träger eines solchen Grundrechts sein könnten. Angesichts des mithin bezüglich des Rahmenbetriebsplanes ungünstigen und bezüglich des Braunkohlenplanes insgesamt offenen Verfahrensausgangs erscheint es situationsgerecht, daß den Beschwerdeführern je ein Viertel ihrer notwendigen Auslagen erstattet werden.

Nr. 8 1) Zu den Anforderungen an die Bezeichnung des Grundrechts in der Begründung einer Verfassungsbeschwerde. 2) Bei der Zurückweisung der Ablehnung eines Richters wegen Befangenheit kommt eine Verletzung von Art. 52 Abs. 4 LV (Recht auf ein Verfahren „vor einem unabhängigen und unparteiischen Gericht") nur für den Fall in Betracht, daß die Zurückweisung willkürlich (offensichtlich unhaltbar) ist.* Verfassung des Landes Brandenburg Art. 52 Abs. 4 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg § 46 Beschluß vom 21. August 1995 - VfGBbg 8/95 in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Herrn K., betreffend einen Beschluß des Landessozialgerichts für das Land Brandenburg. Entscheidungsformel: Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen. Gründe: A. Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen einen Beschluß des Landessozialgerichts für das Land Brandenburg, der ein Ablehnungsgesuch gegen eine Sozialrichterin des Sozialgerichts X. zurückweist. *

nichtamtliche Leitsätze

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1. Der Beschwerdeführer erhob am 31. März 1994 Klage vor dem Sozialgericht X. gegen die Bundesanstalt für Arbeit auf Gewährung von Arbeitslosengeld. Er wird in diesem - noch laufenden - Verfahren von einem Rentenberater vertreten. Dieser war in einem früheren ebenfalls vor der 6. Kammer des Sozialgerichts X. anhängigen Verfahren Prozeßbevollmächtigter eines anderen Klägers gewesen. Der Beschwerdeführer stellte am 2. Februar 1995 den Antrag, die Vorsitzende der mit der Angelegenheit befaßten Kammer des Sozialgerichts X. für befangen zu erklären. Er begründet dies damit, daß die Richterin in dem erwähnten früheren Verfahren eine Voreingenommenheit „unklarer Genese" gegenüber seinem Prozeßbevollmächtigten habe erkennen lassen. Die Richterin habe einen Kostenbeschluß der 6. Kammer mitzuverantworten, in dem die Auslagen für seinen Prozeßbevollmächtigten als nicht erstattungsfähig eingestuft wurden, weil dieser als Rentenberater im Bereich des Arbeitslosenrechts nicht tätig werden dürfe. In dem Beschluß sei mit keinem Wort auf die vom Prozeßbevollmächtigten eingereichten Urteile, Beschlüsse und Urkunden eingegangen worden, die den Antrag auf Auslagenerstattung gestützt hätten. Dies rechtfertige den Schluß auf die Voreingenommenheit der Richterin auch in dem jetzt anhängigen Verfahren. 2. In seinem das Ablehnungsgesuch zurückweisenden Beschluß geht das Landessozialgericht davon aus, daß das Ablehnungsgesuch offensichtlich unbegründet sei. Ein Ablehnungsrecht in entsprechender Anwendung des § 42 Abs. 3 Zivilprozeßordnung bestehe hier deshalb nicht, weil es aus Gründen hergeleitet werde, die sich auf die Person des Prozeßbevollmächtigten bezögen. Ein derartiger Ablehnungsantrag verkenne, „daß der Prozeßbevollmächtigte nicht für sich, sondern für seinen Mandanten streitet". Andere Gründe, die einen Befangenheitsantrag stützen könnten, seien weder ersichtlich noch vorgetragen. 3. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seines Rechts aus Art. 6 Abs. 1 LV, weil das Sozialgericht den zulässigen Rechtsbehelf eines Befangenheitsantrages nicht als offensichtlich unbegründet hätte abweisen dürfen. Es gehe nicht vorrangig um die Frage, ob die Ablehnung des Antrages materiell rechtens sei. Die Verletzung des Art. 6 Abs. 1 LV liege darin, daß der Befangenheitsantrag nicht zur Kenntnis genommen worden sei. In der Sache könne kein Zweifel daran bestehen, daß auch das Spannungsverhältnis zwischen einem Richter und einem Prozeßbevollmächtigten den Vorwurf der Voreingenommenheit rechtfertigen könne.

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B. I. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. 1. Zu Unrecht geht der Beschwerdeführer allerdings davon aus, es bestehe aufgrund des von ihm vorgetragenen Sachverhalts die Möglichkeit der Verletzung des Art. 6 Abs. 1 LV. Die darin normierte Rechtsweggarantie ist selbst dann nicht betroffen, wenn ein Gericht einen bestimmten Rechtsweg für unzulässig hält (BVerfGE 57, 9, 21). Um so mehr gilt dies, wenn ein bestimmter Rechtsbehelf von einem Gericht für offensichtlich unbegründet gehalten wird, die Zulässigkeit also gar nicht in Frage gestellt wird. Hält ein Gericht bestimmte Rechtsschutzbegehren - wie hier - für offensichtlich unbegründet, befaßt es sich materiell mit dem Anliegen, versperrt also nicht den Zugang zum Gericht. Eine Verletzung der Rechtsweggarantie kann deshalb hierin nicht liegen. 2. Der Sachvortrag des Beschwerdeführers trifft thematisch das (auch) Art. 52 Abs. 1 Satz 2 LV entnehmbare Recht auf den gesetzlichen und damit auch neutralen und unabhängigen Richter (vgl. BVerfG NJW1980,1379). Daß der Beschwerdeführer dieses Grundrecht nicht ausdrücklich benannt hat, steht einer Sachentscheidung des Landesverfassungsgerichts nichts entgegen, weil seine Darlegungen deutlich erkennen lassen, daß er sich in dieser Hinsicht in seinen Rechten verletzt fühlt. Dies reicht hier, um insoweit die Voraussetzungen des § 46 VerfGGBbg zu erfüllen, noch aus. 3. Der Rechtsweg gegen den angegriffenen Beschluß ist erschöpft (§ 45 Abs. 2 S. 1 VerfGGBbg). § 177 Sozialgerichtsgesetz stellt klar, daß Entscheidungen des Landessozialgerichts im Beschlußwege nicht mehr mit einer Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden können.

II. Die Verfassungsbeschwerde ist unbegründet. Das Gericht läßt ebenso wie in früheren Entscheidungen ausdrücklich offen, ob Grundrechtsverletzungen, die im Rahmen eines bundesrechtlich geordneten Verfahrens erfolgt sein sollen, am Maßstab der brandenburgischen Landesverfassung gemessen werden können (dazu VerfGBbg, Beschluß vom 15. September 1994 - VfGBbg 10/93 - LVerfGE 2, 179). Für das Landesverfassungsgericht bestand bisher jeweils wegen fehlender Entscheidungserheblichkeit keine Veranlassung, zu dieser Frage eingehend und abschließend Stellung zu nehmen. Das gilt auch für den vorliegenden Fall. Der als Prüfungsmaßstab in Betracht kommende Art. 52 Abs. 1 S. 2 LV wäre, seine Anwend-

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barkeit vorausgesetzt, durch den angegriffenen Beschluß des Landessozialgerichts des Landes Brandenburg nicht verletzt. Bei der Zurückweisung eines Befangenheitsantrages wird in das dem Art. 52 Abs. 1 S. 2 LV entnehmbare Recht auf einen neutralen und unabhängigen Richter erst eingegriffen, wenn bei der Auslegung des einfachen Verfahrensrechts die durch das Willkürverbot gezogenen Grenzen überschritten worden sind (vgl. BVerfGE 31,145,164). Von Willkür kann aber erst dann gesprochen werden, wenn die Entscheidung des Gerichts bei verständiger Würdigung schlechterdings nicht mehr nachvollziehbar und damit offensichtlich unhaltbar ist (BVerfGE 29,45, 49). Einen solchen krassen Rechtsfehler enthält der angegriffene Beschluß nicht. Freilich scheint das Gericht zu verkennen, daß ein Befangenheitsantrag sich auch auf die Voreingenommenheit eines Richters gegen einen Prozeßbevollmächtigten stützen kann (dazu BVerfG, KTS 1988, 309 m. w. N.). Jedoch ist damit die Grenze der Willkürlichkeit noch nicht erreicht. Bei verständiger Würdigung wollte das Landessozialgericht zum Ausdruck bringen, daß aus früheren Verfahren herrührende Spannungen zwischen Gericht und Prozeßbevollmächtigten in konkreten Verfahren in Erscheinung getreten sein müssen, um dort die Besorgnis der Befangenheit begründen zu können. Hierzu ist im konkreten Verfahren nichts vorgetragen worden. Diese Möglichkeit hat das Landessozialgericht jedoch nicht generell verneint. Indem es ausführt, daß weder aus früheren noch aus dem jetzt anhängigen Verfahren Gründe ersichtlich oder vorgetragen sind, die den Befangenheitsantrag stützen könnten, nimmt es der Sache nach Bezug auf die ständige Rechtsprechung, derzufolge aus früheren Verfahren möglicherweise fortbestehende Spannungen im konkreten Verfahren in Erscheinung getreten sein müssen ( O L G Nürnberg O L G Z 1994, 209 f.).

Nr. 9 Einer auf Art. 52 Abs. 4 und 53 Abs. 2 L V gestützten Verfassungsbeschwerde wegen „Voreingenommenheit" des Gerichts steht die Möglichkeit des Richterablehnungsverfahrens entgegen. Beschluß vom 12. Oktober 1995 - VfGBbg 14/95 in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Herrn Sch., betreffend die Haftbefehle des Amtsgerichts X. ... und des Amtsgerichts Y. ...

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Entscheidungsformel: Die Verfassungsbeschwerde wird verworfen. Gründe: Der Beschwerdeführer wendet sich im wesentlichen gegen die Begründung zweier gegen ihn erlassener Haftbefehle. I. Der Beschwerdeführer wurde am 25. Oktober 1994 aufgrund eines Haftbefehls des Amtsgerichts X. vom 20. September 1994 in Haft genommen und saß in der Justizvollzugsanstalt A. ein. Der Haftbefehl wurde vom Amtsgericht Y. am 20. Februar 1995 erweitert und neu gefaßt. Das Landgericht Y. wies am 5. April 1995 die dagegen vom Beschwerdeführer eingelegte Haftbeschwerde zurück. Mit Beschluß vom 3. Mai 1995 ordnete das Brandenburgische Oberlandesgericht die Fortdauer der Untersuchungshaft an. Der Beschwerdeführer befindet sich seit dem 29. August 1995 erneut in Untersuchungshaft, nachdem er kurz zuvor aus der Justizvollzugsanstalt A. entwichen war. Er sitzt nunmehr in der Justizvollzugsanstalt B. ein. Grundlage dafür ist ein Haftbefehl des Landgerichts Z. Der fortbestehende Haftbefehl des Amtsgerichts Y. ist laut Auskunft der zuständigen Staatsanwaltschaft als Uberhaft notiert. II. Mit seiner am 23. Juni 1995 erhobenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung der Art. 52 Abs. 3 und 4 sowie Art. 53 Abs. 2 der Landesverfassung des Landes Brandenburg (LV). Zur Begründung verweist er auf einzelne von ihm beanstandete Formulierungen in den genannten Haftbefehlen des Amtsgerichts X. und des Amtsgerichts Y. Im Haftbefehl des Amtsgerichts X. vom 20. September 1994 habe es u. a. geheißen: „Der Beschuldigte ist Mitglied der kriminellen Gruppierung ...". Der Haftbefehl des Amtsgerichts Y. vom 20. Februar 1995 enthalte die Formulierung: „Der Beklagte ist Mitglied der kriminellen Bande des Mitbeschuldigten W. M. aus Berlin." Nach Ansicht des Beschwerdeführers stellen beide Formulierungen Vorverurteilungen dar. In den Haftbefehlen werde bereits jetzt davon ausgegangen, daß er Mitglied einer kriminellen Bande sei. Das Landgericht, vor dem die Hauptverhandlung stattfinden werde, werde dadurch beeinflußt und sei nicht mehr in der Lage, ein gerechtes Urteil zu fällen.

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III. Das Verfassungsgericht hat den Amtsgerichten X. und Y., der Staatsanwaltschaft Y. sowie dem Ministerium für Justiz und für Bundes- und Europaangelegenheiten Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Hiervon hat nur die Staatsanwaltschaft Y. Gebrauch gemacht. Nach ihrer Auffassung begründen die bisherigen Ermittlungen den dringenden Tatverdacht, daß der Beschwerdeführer Mitglied einer kriminellen Bande sei.

IV. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig. 1. Soweit der Beschwerdeführer mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen die Haftbefehle der Amtsgerichte X. und Y. auch die Länge seiner Untersuchungshaft rügt, ist er gegenwärtig nicht mehr beschwert. Die jetzige Inhaftierung des Beschwerdeführers in Berlin beruht nicht mehr auf diesen Haftbefehlen, sondern auf dem weiteren Haftbefehl des Landgerichts Z. Dieser ist mit der Verfassungsbeschwerde nicht angegriffen worden. Er könnte den Beschwerdeführer auch nicht in Grundrechten verletzen, die ihm die Brandenburgische Landesverfassung einräumt, weil (das Landgericht Z. nicht im Land Brandenburg liegt und) es sich insoweit um keinen Akt der öffentlichen Gewalt des Landes Brandenburg handelt (vgl. § 45 Abs. 1 Verfassungsgerichtsgesetz des Landes Brandenburg - VerfGGBbg). 2. Soweit der Beschwerdeführer den beiden genannten Haftbefehlen „Vorverurteilungen" entnimmt, folgt die Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde jedenfalls schon daraus, daß der Beschwerdeführer fachgerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch nehmen kann. Dazu ist er wegen der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde (§ 45 Abs. 2 Satz 1 VerfGGBbg) verpflichtet (vgl. auch VerfGBbg, Beschluß vom 15. September 1994 - VfGBbg5/94 LVerfGE2, 170). Ein Beschwerdeführer muß die von ihm gerügte Grundrechtsverletzung zunächst im mit der Beeinträchtigung zusammenhängenden sachnächsten Verfahren geltend machen (BVerfGE 52, 1, 24). Als ein solches Verfahren steht hier das der Richterablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit nach §§ 24 ff. Strafprozeßordnung zur Verfügung. Auf diesem Wege kann ein Angeklagter klären lassen, ob die über ihn befindenden Richter „voreingenommen" sind oder dies zu besorgen ist. §§ 24 ff. Strafprozeßordnung lassen für eine verfassungsgerichtliche Vorabentscheidung keinen Raum. Sie stellen sicher, daß die Frage nach der Schuld eines Angeklagten in rechtsstaatlicher Weise von einem unvoreingenommenen Gericht beantwortet wird.

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3. Unter diesen Umständen kann offen bleiben, ob - wie für die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde ebenfalls erforderlich - der Vortrag des Beschwerdeführers überhaupt die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung erkennen läßt. Zweifel daran bestehen schon deshalb, weil Begründungen einer Zwischenentscheidung (als die sich ein Haftbefehl der Sache nach darstellt), in denen aus prozessual veranlaßten Gründen die Uberzeugung von der Schuld eines Angeklagten zum Ausdruck kommt, nach langjährig gefestigter und verfassungsgerichtlich nicht beanstandeter Rechtsprechung regelmäßig nicht geeignet sind, die Befangenheit eines Richters auszulösen (vgl. BGH, NStZ 1991, 27 m. w. N.).

Nr. 10 1. Zur Wahrung einer für die Anrufung des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg einzuhaltenden Frist genügt der Eingang beim Verwaltungsgericht Potsdam. 2. Der Gegenstand einer Volksinitiative betrifft nur dann vorwiegend Jugendliche im Sinne von Art. 22 Abs. 2 Satz 3 LV, § 7 Absätze 1 und 2 VAGBbg, wenn deren altersspezifische Belange berührt werden. Verfassung des Landes Brandenburg Art. 22 Abs. 2 Satz 3 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg § 11 Volksabstimmungsgesetz Brandenburg § 7 Abs. 1-3 Urteil vom 12. Oktober 1995 - VfGBbg 3/95 in dem Verfahren über den Antrag 1. der Frau Sch., 2. der Frau P., 3. der Frau St., 4. des Herrn G., 5. der Frau K., wegen Antrages nach § 7 des Gesetzes über das Verfahren bei Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid (Volksabstimmungsgesetz - VAGBbg - ) auf Herabsetzung der Altersgrenze; beteiligt: Präsident des Landtages Brandenburg.

Entscheidungsformel: Der Antrag wird zurückgewiesen.

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Gründe: A. I. Die Antragsteller (Mitglieder des Aktionsbündnisses gegen den Havelausbau) sind die Vertreter der Volksinitiative „Kein Wasserstraßenausbau in Brandenburg", deren Ziel es ist, den Ausbau von Havel, Spree und TeltowKanal (Verkehrsprojekt Nr. 17 Deutsche Einheit) zu verhindern. Das Aktionsbündnis hatte bereits am 6. Juli 1994 dem Präsidenten des Landtages 36458 Unterschriften für eine Volksinitiative gegen den Ausbau der Wasserstraßen in Brandenburg vorgelegt. Der Hauptausschuß des Landtages stellte sich durch Beschluß vom 1. September 1994 auf den Standpunkt, daß die Initiative nicht die förmlichen Voraussetzungen für eine Volksinitiative erfülle. Das Aktionsbündnis zeigte sodann mit Schreiben vom 28. November 1994 dem Präsidenten des Landtages an, daß es am 14. November 1994 erneut eine Volksinitiative gegen den geplanten Ausbau verschiedener Wasserstraßen und anderer Gewässer im Lande Brandenburg gestartet habe. Gleichfalls unter dem 28. November 1994 beantragte das Aktionsbündnis beim Hauptausschuß des Landtages Brandenburg, die Altersgrenze für das Recht, sich an der Volksinitiative „Kein Wasserstraßenausbau in Brandenburg" zu beteiligen, auf 16 Jahre herabzusetzen. Zur Begründung führte es an, vornehmlich die heute jugendliche Generation sei von der mit dem Ausbau der Wasserstraßen verbundenen Beeinträchtigung der Lebensqualität betroffen. In seiner Sitzung vom 1. Dezember 1994 stellte der Hauptausschuß des Landtages Brandenburg durch einstimmigen Beschluß fest, daß die Zuständigkeit zur Entscheidung über die Frage, ob der Gegenstand der Volksinitiative vornehmlich Jugendliche betreffe, nach Beginn einer erneuten Volksinitiative beim Landtag liege. Der Hauptausschuß empfahl dem Landtag, die Altersgrenze bei der Volksinitiative „Kein Wasserstraßenausbau in Brandenburg" nicht auf 16 Jahre herabzusetzen und den Antrag abzulehnen. In seiner Beschlußempfehlung an den Landtag führte der Hauptausschuß aus, daß die Herabsetzung der Altersgrenze auf 16 Jahre grundsätzlich nur bei denjenigen Volksinitiativen erfolgen sollte, die spezifisch vornehmlich Fragen von Jugendlichen betreffen. Bei seiner Entscheidung habe er vor allem den Gleichheitsgrundsatz bedacht, weil andere Volksinitiativen, deren Anliegen ebenfalls weit in die Zukunft reichen, dann ebenso einen Anspruch auf die Herabsetzung der Altersgrenze hätten. Der Landtag Brandenburg lehnte in seiner 4. Sitzung am 15. Dezember 1994 den Antrag der Volksinitiative „Kein Wasserstraßenausbau in Brandenburg", die Altersgrenze auf 16 Jahre herabzusetzen, ab. Die Mitteilung des

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Präsidenten des Landtages Brandenburg über die Ablehnung des Antrages wurde den Antragstellern am 23. Dezember 1994 zugestellt.

II. Gegen den Beschluß des Landtages vom 15. Dezember 1994 wenden sich die Antragsteller. Ihr mit eingeschriebenem Brief versandtes Antragsschreiben vom 20. Januar 1995 ist im Eingangsbuch über Wert- und Einschreibesendungen des Verwaltungsgerichts Potsdam unter dem 23. Januar 1995 registriert worden. Der Eingangsstempel des Verfassungsgerichtes des Landes Brandenburg zeigt das Datum des 24. Januars 1995. Die Antragsteller sind der Auffassung, daß der Beschluß des Landtages Brandenburg vom 15. Dezember 1994 sie in ihren demokratischen Mitwirkungsrechten aus Art. 22 Abs. 2 der Verfassung des Landes Brandenburg (LV) verletze. Die Altersgrenze für die Beteiligung an der Volksinitiative „Kein Wasserstraßenausbau in Brandenburg" sei gemäß Art. 22 Abs. 2 Satz 3 LV, § 7 Abs. 1 Volksabstimmungsgesetz (VAGBbg) auf 16 Jahre herabzusetzen, weil der Gegenstand der Volksinitiative vornehmlich Jugendliche betreffe. Unter dem Begriff der vornehmlichen Betroffenheit sei eine vor anderen hervorgehobene Betroffenheit zu verstehen. Wegen der in die Zukunft reichenden Wirkungen des geplanten Ausbaus der Wasserstraßen seien Jugendliche nicht nur von den ökologischen, sondern auch von den finanziellen Folgen dieses Großvorhabens länger, und damit besonders betroffen. Des weiteren entspreche es dem Geiste der Landesverfassung, Jugendlichen ein politisches Mitgestaltungsrecht bei weichenstellenden (existentiellen) Zukunftsfragen einzuräumen. Insbesondere die Folgen umweltpolitischer Entscheidungen würden ansonsten der nachfolgenden Generation aufgebürdet, ohne ihr zuvor die Möglichkeit zu geben, hiergegen Stellung zu beziehen, obwohl bereits erkennbar sei, daß diese Entscheidungen in der Zukunft wegen der dann bereits eingetretenen irreversiblen Veränderungen des Ökosystems nicht wieder korrigiert werden könnten. Im übrigen sei zu bedenken, daß gerade die Jugendlichen in der heutigen Zeit gegenüber umweltpolitischen Fragen und Belangen der Natur und Umwelt aufgeschlossener seien als die derzeit die politische Verantwortung tragende Generation. Daher seien gerade Jugendliche an Entscheidungsfindungen, die die sie umgebende Natur und Umwelt betreffen, zu beteiligen. Die Antragsteller beantragen sinngemäß, festzustellen, daß die Altersgrenze für das Recht, sich an der Volksinitiative „Kein Wasserstraßenausbau in Brandenburg" beteiligen zu können, auf 16 Jahre herabgesetzt ist.

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Der Landtag Brandenburg hält das Begehren der Antragsteller bereits wegen Versäumung der Monatsfrist des § 3 Abs. 3 VAGBbg für unzulässig. Darüber hinaus sieht er es als unbegründet an. Eine Herabsetzung der Altersgrenze nach § 7 Abs. 1 VAGBbg komme nur in Betracht, wenn sich eine Volksinitiative auch und gerade hauptsächlich (wenn auch nicht notwendigerweise ausschließlich) den spezifischen Interessen von Jugendlichen widme. Die jungen Menschen, die sich an der Volksinitiative beteiligen wollten, müßten als Jugendliche betroffen sein und die Volksinitiative müsse die spezifischen Interessen auch zukünftig anderer Jugendlicher berühren. Eine derartige Betroffenheit sei regelmäßig nur dann anzunehmen, wenn solche Bereiche tangiert würden, bei denen bereits die Landesverfassung eine besondere subjektive Betroffenheit Jugendlicher anerkenne. Dies sei etwa in den Bereichen der Familie, der Erziehung, der Bildung und des Sports (Art. 2 6 , 2 7 , 2 8 , 2 9 , 3 0 und 35 LV) der Fall. Der Umweltschutz betreffe demgegenüber, wie aus Art. 39 Abs. 1 L V ersichtlich, „alle Menschen". III. Die Landesregierung hat von der ihr eingeräumten Gelegenheit zur Stellungnahme keinen Gebrauch gemacht. B. Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet. I. Die Zuständigkeit des Verfassungsgerichts folgt aus § 12 Nr. 9 des Verfassungsgerichtsgesetzes Brandenburg (VerfGGBbg) in Verbindung mit § 7 Abs. 3 VAGBbg. Nach § 12 Nr. 9 VerfGGBbg entscheidet das Verfassungsgericht (auch) in allen ihm durch einfaches Gesetz zugewiesenen Angelegenheiten. Zufolge § 7 Abs. 3 VAGBbg können die Vertreter der Volksinitiative binnen eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung das Verfassungsgericht des Landes anrufen. Die in § 7 Abs. 3 VAGBbg für die Anrufung des Verfassungsgerichts bestimmte Frist von einem Monat ist von den Antragstellern eingehalten worden. Denn der Antrag ist am 23. Januar 1995, mithin gemäß §§ 57 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), 222 Abs. 1 Zivilprozeßordnung (ZPO), 188 Abs. 2, 187 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch ( B G B ) innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe am 23. Dezember 1994, beim Verwaltungsgericht Pots-

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dam eingegangen. Der Eingang des Antrages beim Verwaltungsgericht Potsdam wahrt die Frist des § 7 Abs. 3 VAGBbg. Gemäß § 11 VerfGGBbg stehen dem Verfassungsgericht des Landes Brandenburg die Geschäftseinrichtungen des Verwaltungsgerichts Potsdam zur Verfügung. Mit der Registrierung des eingeschriebenen Briefes in der gemeinsamen Postannahmestelle des Verfassungsgerichts und des Verwaltungsgerichts Potsdam ist das Schriftstück in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Verfassungsgerichtes gelangt. Auf den späteren Eingang beim Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Verfassungsgerichtes kommt es nicht mehr an (BVerfGE 52, 203, 209). II. Der Antrag ist nicht begründet. Die Altersgrenze für die Beteiligung an der Volksinitiative „Kein Wasserstraßenausbau in Brandenburg" ist nicht gemäß Art. 22 Abs. 2 Satz 3 LV, § 7 Abs. 1 VAGBbg auf 16 Jahre herabgesetzt. Der Gegenstand der Volksinitiative, der Ausbau der Wasserstraßen in Brandenburg, betrifft nicht „vornehmlich Jugendliche" im Sinne der genannten Bestimmungen. Art. 22 Abs. 2 Satz 3 LV und § 7 Abs. 1 V A G B b g setzen zunächst eine Betroffenheit von Jugendlichen voraus. Demzufolge müssen die Jugendlichen „als Jugendliche", d. h. in ihrer Eigenschaft als Jugendliche und in ihren Belangen und Interessen als Jugendliche, betroffen sein. „Betroffenheit von Jugendlichen" ist allerdings auch dann anzunehmen, wenn von dem Gegenstand der Volksinitiative erst künftig Jugendliche bzw. generell schutzwürdige Belange von Jugendlichen tangiert werden. Art. 22 Abs. 2 Satz 3 LV, § 7 Abs. 3 V A G Bbg eröffnet insofern Jugendlichen politische Gestaltungsrechte als Sachwalter altersspezifischer Sonderinteressen. Soweit Art. 22 Abs. 2 Satz 3 LV und § 7 Abs. 1 VAGBbg darüber hinaus voraussetzen, daß „vornehmlich" Jugendliche betroffen werden, gilt dies nach der Auslegung der Gerichte sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht: „Vornehmlich" betroffen sind Jugendliche sowohl dann, wenn zahlenmäßig mehr Jugendliche als andere Altersgruppen betroffen werden, als auch dann, wenn Jugendliche im Vergleich zu anderen Altersgruppen qualitativ, d. h. nach Art und Maß, in besonderer Weise betroffen sind. Durch den Wasserstraßenausbau in Brandenburg und seine ökologischen und etwaigen finanziellen Folgen werden indes Jugendliche in ihrer Eigenschaft als Jugendliche weder in quantitativer noch in qualitativer Hinsicht stärker als andere Altersgruppen betroffen. Insoweit reicht es nicht aus, daß sich Jugendliche für Fragen des Natur- und Umweltschutzes vielfach stärker als Erwachsene interessieren und engagieren. Für die Frage, ob Jugendliche „vornehmlich" betroffen sind, kann es nicht auf subjektive, sondern allein auf ob-

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jektive Gesichtspunkte ankommen. Bei objektiver Betrachtungsweise ist aber der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen keine speziell Jugendliche berührende Frage. Nach Art. 39 Abs. 1 LV ist der Schutz der Natur, der Umwelt und der gewachsenen Kulturlandschaft als Grundlage gegenwärtigen und künftigen Lebens die Pflicht „aller" Menschen. Ahnlich hat nach Art. 39 Abs. 2 LV „jeder" das Recht auf Schutz vor Verletzungen und unzumutbaren Gefährdungen durch Veränderungen der natürlichen Lebensgrundlagen. Die Jugendlichen werden auch nicht deshalb in besonderer Weise von den in Frage stehenden Wasserstraßenausbaumaßnahmen betroffen, weil sie deren ökologische Auswirkungen und finanziellen Folgen, statistisch gesehen, für einen längeren Zeitraum hinnehmen müssen. In dieser Hinsicht geht es für sie nicht um Belange „als Jugendliche", sondern um Belange als künftige Erwachsene. Für die Annahme, daß künftig Jugendliche mehr als Erwachsene vom Ausbau der Wasserstraßen in Brandenburg betroffen seien, sind weder von den Antragstellern Tatsachen vorgetragen noch für das Verfassungsgericht Anhaltspunkte erkennbar. Das Gericht vermag sich nicht der Rechtsauffassung der Antragsteller anzuschließen, Jugendliche seien bei allen grundlegenden Entscheidungen über die künftigen Lebensumstände in Brandenburg im Sinne des Art. 22 Abs. 2 Satz 3 LV vornehmlich betroffen. Eine derartige Auslegung würde sich vom Wortlaut der Verfassung entfernen. Sie findet auch in der Entstehungsgeschichte der Verfassung keine Stütze. Wegen der Rechtsnatur der Volksinitiative als eine „Art qualifizierter Sammelpetition" (Berlit, in: Simon/Franke/Sachs, Handbuch der Verfassung des Landes Brandenburg, 1994, Rdn. 15 zu § 1) wäre der Verfassungsgeber nicht gehindert gewesen, das Alter für die Beteiligung an einer Volksinitiative abweichend vom Wahlalter generell oder in näher zu bezeichnenden Fällen auf 16 Jahre herabzusetzen. Von dieser Möglichkeit hat der Verfassungsgeber indes keinen Gebrauch gemacht. Art. 22 Abs. 2 Satz 3 LV ist vielmehr als Ausnahmevorschrift ausgestaltet worden. Sie eröffnet dem (einfachen) Gesetzgeber lediglich die Möglichkeit, abweichend vom Regelfall nicht wahlberechtigten Einwohnern bei jugendspezifischen Angelegenheiten politische Mitgestaltungsrechte einzuräumen. Hierzu kann der Wasserstraßenausbau - wie ausgeführt - nicht gezählt werden. Das hier gefundene Ergebnis steht im Einklang mit der durch Literatur und Rechtsprechung vorgenommenen Auslegung von Vorschriften, die in vergleichbarer Weise Jugendlichen spezielle Mitwirkungs- und Mitgestaltungsrechte im Berufsleben einräumen. So können gem. §§ 67 Abs. 1 Satz 2 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG), 40 Abs. 1 Satz 2 Bundespersonalvertretungsgesetz (BPersVG) und 40 Abs. 1 Satz 2 Landespersonalvertretungsgesetz (PersVG) die Jugendvertretungen an den Sitzungen des Betriebs- bzw. Perso-

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nalrates beratend teilnehmen, wenn es um Angelegenheiten geht, „die besonders die jugendlichen Beschäftigten (im BetrVG: Arbeitnehmer) betreffen". Ferner haben sie gemäß §§ 67 Abs. 2 BetrVG, 40 Abs. 1 Satz 3 BPersVG und 40 Abs. 1 Satz 3 PersVG ein Stimmrecht in Angelegenheiten, „die überwiegend oder ausschließlich jugendliche Beschäftigte" bzw. „jugendliche Arbeitnehmer" betreffen. In Literatur und Rechtsprechung besteht Einigkeit, daß diese Vorschriften darauf abzielen, die Jugendvertretung in altersspezifischen, nämlich die jugendlichen Beschäftigten in ihrer (aktuellen) Eigenschaft als jugendliche Beschäftigte betreffenden Angelegenheiten, an der Meinungsbildung zu beteiligen (BVerwG, PersR 1994,119,121; Fischer/ Goer es, Personalvertretungsrecht des Bundes und der Länder, G K O D Bd. V, Rdn. 16, 19 zu § 40 BPersVG; Dietz/Richardi, Rdn. 9 zu § 40 BPersVG; Fabrizius/Kraft/ Wiese/Krentz, Rdn. 24 zu § 67 BetrVG); Angelegenheiten, die sie nur als künftige erwachsene Beschäftigte betreffen, fallen nicht in den Anwendungsbereich dieser Vorschriften. In diesem Sinne dienen die genannten Vorschriften letztlich dem Schutz von „Sonderinteressen" der Jugendlichen. Die nämliche Vorstellung liegt erkennbar Art. 22 Abs. 2 und 3 LV und § 7 Abs. 1, Abs. 2 VAGBbg zugrunde. Auch hier sollen ausnahmsweise - abweichend von dem ansonsten maßgeblichen Wahlalter - die Jugendlichen mitwirken können, wenn es um jugendspezifische Interessen geht. Eine solche Fallgestaltung ist hier jedoch, wie ausgeführt, nicht gegeben.

Nr. 11 1) Beim Gegenstandswert einer Verfassungsbeschwerde kann zu berücksichtigen sein, daß es einer ergänzenden Abklärung durch die Fachgerichte bedarf. 2) Berücksichtigung des in den neuen Bundesländern bestehenden niedrigeren Einkommensgefüges bei der Festsetzung des Gegenstandswertes.* Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte § 113 Abs. 2 Satz 3 Beschluß vom 12. Oktober 1995 - VfGBbg 7/94 in dem Verfassungsbeschwerdeverfahren der D O M O W I N A , Bund Lausitzer Sorben e. V. sowie des Herrn N. aus Horno wegen der Verordnung über die

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nichtamtliche Leitsätze

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Verbindlichkeit des Braunkohlenplans Tagebau Jänschwalde vom 28. Februar 1994 (GVB1. II S. 118) und der Zulassung des „Rahmenbetriebsplanes zum Vorhaben Weiterführung des Tagebaus Jänschwalde 1994 bis Auslauf" vom 14. März 1994.

Entscheidungsformel: Der Gegenstandswert wird auf 120.000,— D M festgesetzt.

Gründe: Nach §113 Abs. 2 Satz 3 Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte ( B R A G O ) ist der Gegenstandswert im Verfassungsbeschwerdeverfahren unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der Bedeutung der Angelegenheit, des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sowie der Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen zu bestimmen. Er darf jedoch den Betrag von 8.000,— D M nicht unterschreiten. Das Gericht hält in Ausübung seines ihm durch § 113 Abs. 2 Satz 3 BRAG O eingeräumten Ermessens einen Gegenstandswert von 150.000,— D M für angemessen, der jedoch wegen des in den neuen Ländern bestehenden niedrigeren Einkommensgefüges entsprechend der Praxis des Gerichts um 20 % zu kürzen ist. Dabei war einerseits die hohe objektive Bedeutung beider Verfassungsbeschwerden für den Braunkohlentagebau, aber auch im Hinblick auf die in der Landesverfassung besonders geschützten Belange der sorbischen Minderheit zu berücksichtigen. Andererseits war in Rechnung zu stellen, daß die Verfassungsbeschwerden von vornherein keine abschließende Beurteilung der Rechtmäßigkeit der beabsichtigten bergbaulichen Vorhaben erwarten ließen. Unabhängig von der verfassungsrechtlichen Uberprüfung der Rechtsverordnung über die Verbindlicherklärung des Braunkohlenplanes Tagebau Jänschwalde bleibt dies letzten Endes eine Frage des Bergrechts, die vorrangig von den Fachgerichten zu beurteilen ist (vgl. Urteil vom 1. Juni 1995 - VfGBbg 6/ 95* -). Soweit die Beschwerdeführer sich auch gegen die Zulassung des Rahmenbetriebsplanes gewandt haben, kommt dem für die Festsetzung des Gegenstandswertes keine eigenständige Bedeutung zu. Die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit dieses (bundes-)bergrechtlichen Verwaltungsaktes gehört vorrangig in die Hand der Fachgerichte. *

Siehe S. 157, 167

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Nr. 12 In Grundbuchsachen macht die Möglichkeit der Grundbuchberichtigungsklage (§ 894 BGB) die Anrufung des Verfassungsgerichts unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität unzulässig. Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg § 45 Abs. 2 Beschluß vom 16. November 1995 - VfGBbg 15/95 in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde der Frau H. betreffend a) den Beschluß des Amtsgerichts X. - Grundbuchamt - vom 28. September 1994 - Burg Blatt 342 - , b) den Beschluß des Landgerichts X. vom 4. Januar 1995, c) den Beschluß des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 10. Mai 1995. Entscheidungsformel: 1. Die Verfassungsbeschwerde wird verworfen. 2. Der Antrag auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe wird zurückgewiesen. Gründe: A. Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die Ablehnung eines grundbuchrechtlichen Berichtigungsantrages sowie gegen die Zurückweisung eines auf die entsprechende weitere Beschwerde bezogenen Prozeßkostenhilfebegehrens. Die Beschwerdeführerin ist Erbin zu 1/3 ihrer am 16. Februar 1987 verstorbenen Mutter. Diese war Eigentümerin eines 6740 qm großen Grundstücks in Z. (verzeichnet im Grundbuch von Z., Blatt 342, Flur 14, Flurstück 83). Am 3. März 1978 Schloß sie mit den Eheleuten L. einen vor dem damaligen Staatlichen Notariat X. aufgenommenen Grundstückskaufvertrag; in dessen § 1 ist als Kaufgegenstand das Grundstück mit Grundbuchblatt und Flurbezeichnung aufgeführt. Zugleich erklärten die damaligen Vertragsbeteiligten die Auflassung. Die Eheleute L. wurden am 5. Mai 1978 als Eigentümer in das Grundbuch eingetragen. Mit Schreiben vom 27. Februar 1994 stellte die Beschwerdeführerin bei dem Amtsgericht X. - Grundbuchamt - Antrag auf Berichtigung des Grund-

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buches. Sie machte geltend, Gegenstand des Grundstückskaufvertrages aus dem Jahre 1978 sei der Sache nach nicht das gesamte Grundstück, sondern nur ein 3325 qm großer Teil desselben gewesen. Durch Beschluß vom 28. September 1994 wies das Amtsgericht X. durch die Rechtspflegerin den Antrag unter Hinweis auf die Bezeichnung des Kaufgegenstandes in § 1 des Kaufvertrages zurück (Grundbuch von Z., Blatt 342). Die hiergegen eingelegte Beschwerde wies das Landgericht X. durch Beschluß vom 4. Januar 1995 zurück. Der daraufhin bei dem Brandenburgischen Oberlandesgericht gestellte Antrag auf Gewährung von Prozeßkostenhilfe zur Durchführung der weiteren Beschwerde gemäß §§ 78 ff. Grundbuchordnung (GBO) blieb ohne Erfolg. Mit ihrer am 15. Juli 1995 bei dem Verfassungsgericht eingegangenen Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 12 Abs. 1,41 Abs. 1 Satz 1 und Art. 52 Abs. 3 und 4 der Landesverfassung. Die Beschwerdeführerin ist der Auffassung, die von den Gerichten vorgenommene Auslegung der Urkunde des Staatlichen Notariats X. verletze bedeutsame Strukturelemente der Landesverfassung. Die Auslegung sei im Lichte der Verfassung nicht mehr verständlich und stelle Willkür dar. Durch die aus ihrer Sicht falsche Eintragung im Grundbuch werde sie außerdem an der Verwertung ihres Grundstücks gehindert; dies bedeute eine Verletzung ihres Eigentums. Darin, daß sie auf einen die Entscheidung des Landgerichts tragenden rechtlichen Gesichtspunkt vor Erlaß der Entscheidung nicht hingewiesen worden sei, liege zudem eine Verletzung rechtlichen Gehörs. Schließlich sei der Grundsatz des fairen Verfahrens verletzt worden: Das Oberlandesgericht hätte sich zur Abwehr der ihr drohenden Eigentumsverletzung nicht auf das Fehlen von öffentlichen Urkunden berufen dürfen; es hätte vielmehr von Amts wegen Beweis erheben müssen. B. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig. Es kann zunächst dahinstehen, ob der Bevollmächtigte der Beschwerdeführerin als Lehrbeauftragter a. D. einem Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule gleichzustellen ist und er deshalb die Beschwerdeführerin nach § 1 9 Abs. 1 des Brandenburgischen Verfassungsgerichtsgesetzes (VerfGGBbg) vor dem Verfassungsgericht wirksam vertreten kann; ebenso kann offenbleiben, ob er - verneinendenfalls - nach Maßgabe des § 19 Abs. 3 Verf G G B b g als Beistand der Beschwerdeführerin behandelt werden könnte. Es bedurfte auch keiner Entscheidung, ob die Verfassungsbeschwerde im Hinblick auf das in der Sache nicht mehr durchgeführte Beschwerdeverfahren

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vor dem Brandenburgischen Oberlandesgericht (§§ 78 ff. G B O ) mangels Erschöpfung des Rechtsweges (§ 45 Abs. 2 VerfGGBbg) unzulässig ist. Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde steht jedenfalls der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde entgegen, wie er in § 45 Abs. 2 VerfGGBbg seinen Ausdruck gefunden hat. Dieser Grundsatz fordert von einem Beschwerdeführer, daß er über die Rechtswegerschöpfung hinaus alles im Rahmen seiner Möglichkeiten Stehende getan hat, um eine etwaige Grundrechtsverletzung zu beseitigen oder zu verhindern. Der Subsidiaritätsgrundsatz dient einer sachgerechten Aufgabenverteilung zwischen dem Verfassungsgericht und den Fachgerichten. Demnach obliegt es vorrangig den Fachgerichten, einfachrechtliche Vorschriften auszulegen und die zur Anwendung der Vorschriften erforderlichen Ermittlungen sowie die Würdigung des Sachverhalts vorzunehmen (ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg, vgl. Beschluß vom 20. Oktober 1994 - VfGBbg 12/ 94 - LVerfGE 2,193,197 f.; Beschluß vom 15. September 1994 - VfGBbg 5/94 - LVerfGE 2,170,176; Beschluß vom 17. März 1994 - VfGBbg 11/93- LVerfG E 2, 85, 87). Hiernach kann sich die Beschwerdeführerin nach Lage des Falles nicht in zulässiger Weise an das Verfassungsgericht wenden. Sie kann ihr Rechtsschutzziel - Berichtigung des Grundbuches zu ihren Gunsten - in zumutbarer Weise vor den ordentlichen Gerichten verfolgen. Insbesondere möglich ist .eine auf den sachenrechtlichen Anspruch aus § 894 B G B gestützte Klage auf Erteilung der Berichtigungsbewilligung gegen die Eheleute L. Die gegebenenfalls in diesem Zusammenhange vorzunehmende Auslegung des Grundstückskaufvertrages vom 3. März 1978 einschließlich der Auflassung sowie die Bewertung der von der Beschwerdeführerin hierzu vorgelegten Schreiben gehört vor das Fachgericht. Die Frage der Erfolgsaussicht einer Klage aus § 894 B G B muß hier offenbleiben. Da die Verfassungsbeschwerde erfolglos geblieben ist, war - mangels hinreichender Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung - auch der Antrag auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe zurückzuweisen (§ 48 Satz 1 VerfGGBbg i. V. m. § 114 Satz 1 Zivilprozeßordnung).

Entscheidungen des Hamburgischen Verfassungsgerichts

Die amtierenden Richter des Hamburgischen Verfassungsgerichts Wilhelm Rapp,

Präsident

Dr. Uwe Mückenheim Prof. Dr. Werner Thieme Herbert Dau Dr. Jürgen Gündisch Eva Leithäuser Dr. Hans-Jürgen Grambow Rudolf Toboll Ingrid Teichmüller

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Nr. 1 1) Das Hamburgische Verfassungsgericht kann in den gemäß Art. 60 Abs. 2 N r . 1 HVerf in seine Zuständigkeit fallenden Verfahren gemäß § 35 H V e r f G G eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen G r u n d dringend geboten ist. 2) Bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 35 Abs. 1 H V e r f G G ist wegen der Folgen, die eine einstweilige Anordnung in einem verfassungsrechtlichen Verfahren auslöst, ein strenger Maßstab anzulegen. 3) Das Verfassungsgericht muß die Folgen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht ergeht, die begehrte Feststellung im Hauptsacheverfahren jedoch getroffen wird, gegen die Nachteile abwägen, die entstehen würden, wenn die vorläufige Regelung ergeht, die begehrte Feststellung aber später nicht getroffen wird.* Hamburger Verfassung Art. 65 Abs. 2 Nr. 1 Hamburgisches Verfassungsgerichtsgesetz § 35 Beschluß des Hamburgischen Verfassungsgerichts vom 1.3.1995 - HVerfG 2/95 in dem verfassungsgerichtlichen Verfahren gemäß § 35 HVerfGG. Entscheidungsformel: Im Wege der einstweiligen Anordnung wird die Vollziehung der mit Beschluß des Amtsgerichts Hamburg vom 14. Februar 1995 angeordnete Herausgabe der beschlagnahmten Akten bei den jeweiligen Dienststellen des Senats vorläufig nach Maßgabe der nachfolgenden Regelungen untersagt: 1. Der Senat ist verpflichtet, die genannten Akten unverzüglich dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuß „Hamburger Polizei" zu übergeben.

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nichtamtliche Leitsätze

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2. Die Bürgerschaft und ihr Parlamentarischer Untersuchungsausschuß „Hamburger Polizei" werden verpflichtet, über die in den genannten Akten enthaltenen personenbezogenen Daten nur in nichtöffentlicher Sitzung und unter Wahrung der Vertraulichkeit zu verhandeln. Der weitergehende Antrag des Senats wird zurückgewiesen. Gründe: ... Die beantragte einstweilige Anordnung kann das Hamburgische Verfassungsgericht in dem gemäß Artikel 65 Abs. 2 Nr. 1 HVerf in seine Zuständigkeit fallenden Verfahren mit den Anträgen zu 1.) und 2.) gemäß § 3 5 HVerfGG dann erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund dringend geboten ist. Bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 35 Abs. 1 HVerfGG ist wegen der Folgen, die eine einstweilige Anordnung in einem verfassungsrechtlichen Verfahren auslöst, ein strenger Maßstab anzulegen. Dabei müssen die Erfolgsaussichten außer Betracht bleiben, es sei denn, die in der Hauptsache begehrte Feststellung erweist sich als offensichtlich unbegründet. Das Verfassungsgericht muß vielmehr die Folgen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht ergeht, die begehrte Feststellung im Hauptsacheverfahren jedoch getroffen wird, gegen die Nachteile abwägen, die entstehen würden, wenn die vorläufige Regelung ergeht, die begehrte Feststellung aber später nicht getroffen wird (vgl. ζ. B. BVerfGE 82,353, 363 m. w. N., ständige Rechtsprechung). Im übrigen reicht es aus, wenn nur ein Teil der Anträge in der Hauptsache nicht offensichtlich unbegründet ist. Da keine Gesichtspunkte dafür ersichtlich sind, daß die Anträge im Hauptsacheverfahren offensichtlich unbegründet sind, ist in eine Folgenabwägung einzutreten, die zu der tenorierten einstweiligen Anordnung führen muß. Hierbei ist zu beachten, daß es im einstweiligen Anordnungsverfahren im Ermessen des Verfassungsgerichts steht, welche Anordnung getroffen wird. Der Senat beantragt, die Vollziehung der mit Beschluß des Amtsgerichts Hamburg vom 14. Februar 1995 (Geschäftsnummer 162 Gs 2109/94) angeordnete Herausgabe der beschlagnahmten Akten bei den jeweiligen Dienststellen des Senats vorläufig zu untersagen.

Einer einstweiligen Anordnung in diesem vom Senat beantragten Umfang bedarf es ersichtlich nicht, um die vom Senat im Hauptsacheverfahren verfolgten Recht zu sichern und um den Eintritt eventuell nicht wieder rückgängig zu machender Schäden zu verhindern. Denn nach dem eigenen Vorbringen des

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Senats in diesem Verfahren bestreitet er seine Pflicht zu Vorlage der vom Parlamentarischen Untersuchungsausschuß gewünschten Akten im Grundsatz nicht. Es besteht lediglich Streit darüber, ob der Senat von Verfassungs wegen berechtigt oder sogar verpflichtet ist, vor der Ubergabe der Akten an einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuß eine verbindliche Zusage des Ausschusses zur Art und Weise der Behandlung von Akten mit schutzwürdigen personenbezogenen Daten zu verlangen. Bei dieser Sachlage erscheint es dem Hamburgischen Verfassungsgericht als ausreichend, aber auch als geboten, mit der einstweiligen Anordnung eine Regelung zu treffen, aufgrund derer der Parlamentarische Untersuchungsausschuß die gewünschten Akten zwar unverzüglich erhält, ihm aber zugleich vorläufig die Verpflichtung auferlegt wird, über die sich aus den Akten ergebenen personenbezogenen Daten nur in nichtöffentlicher Sitzung und unter Wahrung der Vertraulichkeit zu verhandeln. Sollte sich bei dieser einstweiligen Anordnung im Hauptsacheverfahren ein Anspruch des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses auf uneingeschränkte Herausgabe der Akten durch den Senat ergeben, so erleidet der Ausschuß zwar eine gewisse Belastung, die ihm jedoch zuzumuten ist. Denn auch wenn der Ausschuß nicht sogleich die Möglichkeit bekommt, über den genannten Akteninhalt nach eigenem pflichtgemäßen Ermessen öffentlich zu verhandeln, so kann er doch das Aktenmaterial unter Wahrung der Vertraulichkeit sichten, aufarbeiten und Ausschußsitzungen mit diesem Aktenmaterial vorbereiten und sogar durchführen. Er ist lediglich daran gehindert, bestimmte Akteninhalte in personenbezogener Weise öffentlich zu verhandeln. Diese Belastung trifft den Parlamentarischen Untersuchungsausschuß aber lediglich für einen relativ kurzen Zeitraum von allenfalls wenigen Monaten, falls im Hauptsacheverfahren - voraussichtlich noch vor der diesjährigen parlamentarischen Sommerpause - ein uneingeschränkter Herausgabeanspruch gegen den Senat durch das Hamburgische Verfassungsgericht festgestellt werden sollte. Bis zu diesem Zeitpunkt kann der Ausschuß überdies schon öffentliche Sitzungen über den aufgrund der einstweiligen Anordnung nur eingeschränkt verwertbaren Akteninhalt planen und vorbereiten. Wenn dagegen die einstweilige Anordnung nicht ergeht und zumindest der Antrag zu 1.) in der Hauptsache sich später als begründet erweisen sollte, drohen schwere Nachteile im Sinne des § 35 Abs. 1 HVerfGG. So würden in dem Streit zwischen dem Senat und dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuß vollendete Tatsachen geschaffen, die einer solchen Entscheidung des Hamburgischen Verfassungsgerichts in der Hauptsache widersprechen würden. Der Entscheidung des Hamburgischen Verfassungsgerichts in der Hauptsache würde die Wirkung für den vorliegenden Streit genommen werden. Vielmehr würden die Akten dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuß

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„Hamburger Polizei" zur Verfügung gestellt werden, ohne daß vorher die verfassungsrechtlichen Rechte und Pflichten des Senats abgeklärt worden wären. Auch die Schutzpflichten für die Grundrechte Dritter, auf die sich der Senat beruft, könnten jedenfalls vom Senat endgültig nicht mehr wahrgenommen werden. Danach ergeben sich, wenn eine einstweilige Anordnung nicht ergeht, in mehrfacher Hinsicht irreparable Zustände, die zum endgültigen Verlust verfassungsrechtlicher Ansprüche führen würden. Dies ist bei der sich für den Parlamentarischen Untersuchungsausschuß durch Erlaß einer einstweiligen Anordnung ergebenden geringfügigen und zumutbaren Belastung nicht hinnehmbar. Bei dieser Folgenabwägung ist wie tenoriert zu entscheiden, da eine einstweilige Anordnung auch dringend geboten ist. Denn der Parlamentarische Untersuchungsausschuß hat nach dem unwidersprochenen Vortrag des Senats auf seiner Sitzung am 21. Februar 1995 beschlossen, daß er die einschlägigen Akten bei den Dienststellen des Senats abholen lassen wird. Hierin sieht sich der Parlamentarische Untersuchungsausschuß zum jetzigen Zeitpunkt lediglich durch die Aussetzungsentscheidungen der ordentlichen Gerichtsbarkeit gehindert, deren Bestand aber nicht bis zum Abschluß des Verfahrens in der Hauptsache als gesichert angesehen werden kann, da die Möglichkeit besteht, daß das Landgericht Hamburg zwischenzeitlich im Beschwerdeverfahren die Entscheidung des Amtsgerichts Hamburg im Verfahren 162 Gs 2109/94 bestätigt. Aus diesem Grunde war es erforderlich, vorsorglich die Vollziehung des amtsgerichtlichen Beschlusses vom 14. Februar 1995 zu untersagen, zumal auch die Frage, ob für die Durchsetzung des Herausgabeverlangens hinsichtlich der hier im Streit befindlichen Akten vom Parlamentarischen Untersuchungsausschuß überhaupt der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten beschritten werden kann, endgültig erst im Hauptsacheverfahren zu klären ist.

Nr. 2 1. In Streitigkeiten zwischen der Bürgerschaft und dem Senat über das Recht und die Pflicht zur Vorlage von Akten an einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuß ist nur der Rechtsweg zum Hamburgischen Verfassungsgericht gegeben. 2. Besteht zwischen der Bürgerschaft und dem Senat Streit darüber, ob Akten und Aktenteile von einem Parlamentarischen Untersuchungsausschuß öffentlich verhandelt werden dürfen, so ist das Verfassungsgericht das für die Entscheidung über diese Frage zuständige Gericht.

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3. Mit einem Antrag nach Art. 65 Abs. 2 Nr. 1 HVerf und § 14 Nr. 1 HVerfGG kann sowohl die Auslegung einer Verfassungsnorm als auch die Entscheidung über eine Organstreitigkeit begehrt werden. 4. Ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuß kann seinen Anspruch auf Vorlage von Akten auf Art. 25 Abs. 2, Art. 25 Abs. 4 Satz 1 und Art. 32 HVerf stützen. Die Herausgabepflicht trifft im Falle des Art. 32 HVerf den Senat, in den Fällen des Art. 25 Abs. 2 und 4 Satz 1 HVerf die aktenführende Behörde. 5. Der Senat muß grundsätzlich alle von der Bürgerschaft und ihren Ausschüssen angeforderten Akten, auch wenn sie schutzbedürftige personenbezogene Daten enthalten, unbeschränkt vorlegen. Die Bürgerschaft und ihre Ausschüsse bestimmen selbständig, ob und inwieweit der Inhalt der Akten öffentlich verhandelt werden darf; sie sind bei ihren Entscheidungen an das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung gebunden. 6. Der Vorlageanspruch der Bürgerschaft und ihrer Ausschüsse wird durch das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung auch insoweit begrenzt, als die Bürgerschaft und ihre Ausschüsse über geschützte personenbezogene Daten nur dann öffentlich verhandeln dürfen, wenn die Bürgerschaft durch Erlaß von Normen sichergestellt hat, daß diese Daten entsprechend den Vorschriften des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland geschützt werden. 7. Die Bürgerschaft hat dann einen hinreichenden Schutz der personenbezogenen Daten hergestellt, wenn sie den Datenschutz für die vorgelegten Akten unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit durch ein jedermann bindendes Gesetz oder durch eine Norm geregelt hat, die Teil der Geschäftsordnung der Bürgerschaft ist. 8. Ein hinreichender Schutz personenbezogener Daten, der eine öffentliche Verhandlung dieser Daten rechtfertigt, setzt außerdem voraus, daß alle Personen, die Zugang zu diesen Akten haben, förmlich zur Verschwiegenheit verpflichtet worden sind. 9. Die Bürgerschaft und ihre Ausschüsse bestimmen allein, wieviele und welche Personen Zugang zu den personenbezogenen Daten haben. HVerf. Art. 65 Abs. 2 Nr. 1, 25 Abs. 4 S. 1, 32 HVerfGG § 14 Nr. 1

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Urteil des Hamburgischen Verfassungsgerichts vom 19. 7.1995 - HVerfG 1/95 in der Verfassungsstreitsache betreffend den Antrag gemäß Art. 65 Abs. 2 Nr. 1 HVerf und § 14 Nr. 1 HVerfGG über die Auslegung der Art. 25 und 32.

Entscheidungsformel: 1. In Streitigkeiten über Rechte und Pflichten zwischen dem Senat und der Bürgerschaft über die Vorlage von Akten an einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuß ist nur der Rechtsweg zum Hamburgischen Verfassungsgericht gegeben. 2. Die Beschlüsse des Amtsgerichts Hamburg vom 14. Februar 1995 (Az: 162 Gs 2109/94) und des Landgerichts Hamburg vom 2. März 1995 (Az: 27 Qs 1/95) sind wirkungslos. 3. Nach den Vorschriften der Art. 25 Abs. 2 und 4 sowie Art. 32 der Hamburgischen Verfassung muß der Senat von der Bürgerschaft und ihren Ausschüssen angeforderte Akten, die schutzbedürftige personenbezogene Daten enthalten, unbeschränkt vorlegen, wenn die Bürgerschaft durch den Erlaß von Normen sichergestellt hat, daß diese Daten entsprechend den Vorschriften des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland geschützt werden. 4. Die Bürgerschaft hat derzeit keine hinreichende normative Sicherung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung entsprechend Nr. 3 dieses Urteils hergestellt. 5. Ubergangsweise dürfen der Parlamentarische Untersuchungsausschuß „Hamburger Polizei" und der Senat bis zum Abschluß der Arbeiten des Untersuchungsausschusses wie folgt verfahren: a) Die vorgelegten Akten verbleiben beim Parlamentarischen Untersuchungsausschuß. Besteht der Parlamentarische Untersuchungsausschuß darauf, daß über Akten und Aktenteile, die vom Senat als nicht öffentlich zu verhandeln gekennzeichnet sind, öffentlich verhandelt wird, so hat der Parlamentarische Untersuchungsausschuß sein Begehren zu begründen. Lehnt der Senat dieses Begehren ab, hat er seine Gründe darzulegen. b) Der Senat muß die weiteren vom Parlamentarischen Untersuchungsausschuß angeforderten Akten diesem vorlegen. Er kann Akten und Aktenteile bestimmen, über die nicht öffentlich verhandelt werden darf. Die Bestimmung ist zu begründen. Besteht der Parlamentarische Untersuchungsausschuß

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darauf, daß über diese Akten und Aktenteile öffentlich verhandelt wird, so hat er sein Begehren zu begründen. c) Kommt eine Einigung darüber nicht zustande, ob über Akten und Aktenteile öffentlich verhandelt werden darf, so können der Senat und die Bürgerschaft das Verfassungsgericht anrufen. 6. Die weitergehenden Anträge von Senat und Bürgerschaft werden zurückgewiesen. Tatbestand: Auf Grund verschiedener Vorkommnisse, die das Verhalten von Polizeibeamten, insbesondere gegenüber Ausländern, betreffen, beschloß die Bürgerschaft am 5. 10. 1994, den Untersuchungsausschuß „Hamburger Polizei" einzusetzen (vgl. Bürgerschafts-Drucksache 15/1910). Der Ausschuß verlangte im Rahmen seiner Untersuchungstätigkeit vom Senat die Vorlage bestimmter, im einzelnen bezeichneter Akten, darunter auch solcher Akten, die personenbezogene Daten von Dritten, insbesondere von Polizeibeamten, enthalten. Der Senat kam diesem Ersuchen nur teilweise nach. Da es zwischen dem Untersuchungsausschuß und dem Senat trotz zahlreicher Versuche nicht zu einer Vereinbarung über die Behandlung der zurückbehaltenen Akten kam, beantragte die Bürgerschaft beim Amtsgericht Hamburg, die streitigen Akten zu beschlagnahmen und an den Untersuchungsausschuß herauszugeben. Das Amtsgericht Hamburg entsprach diesem Antrag mit Beschluß vom 14. 2.1995 (Aktenzeichen 162 Gs 2109/94) und ordnete die Beschlagnahme an. Hiergegen legte der Senat am 17.2. 1995 Beschwerde beim Landgericht Hamburg ein. Das Landgericht hat die Beschwerde durch Beschluß vom 2. 3.1995 zurückgewiesen (Aktenzeichen 27 Qs 1/95). Zuvor hatte der Senat am 21.2 1995 den Antrag auf verfassungsgerichtliche Prüfung beim Hamburgischen Verfassungsgericht eingereicht und zugleich Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung des Inhalts gestellt, die Vollziehung des Beschlusses des Amtsgerichts Hamburg vom 14. 2.1995 vorläufig zu untersagen. Das Verfassungsgericht hat durch Beschluß vom 1.3. 1995 einstweilig angeordnet (HVerfG 2/95, ζ. T. abgedruckt in HmbJVBl 1995, 64 ff.), daß der Senat die genannten Akten dem Untersuchungsausschuß zu übergeben habe, die Bürgerschaft und den Untersuchungsausschuß jedoch verpflichtet, über die in den Akten enthaltenen Daten nur in nicht öffentlicher Sitzung und unter Wahrung der Vertraulichkeit zu verhandeln. Im vorliegenden Hauptverfahren beantragt der Senat, . 1. festzustellen, daß in Streitigkeiten über Rechte und Pflichten im Verhältnis zwischen dem Senat und einem Parlamentarischen Untersuchungsausschuß

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nach Artikel 25 HVerf über die Vorlage von Akten nur der Verfassungsrechtsweg gegeben ist, 2. festzustellen, daß der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg nach Artikel 25 und 32 HVerf zur Vorlage von Akten an die Bürgerschaft und ihre Ausschüsse, insbesondere zur Vorlage an den Untersuchungsausschuß „Hamburger Polizei" angeforderten personenbezogenen Akten, nur verpflichtet und berechtigt ist bzw. war, soweit sichergestellt ist, daß -

schutzbedürftige personenbezogene Informationen - über den Ausschluß derjenigen Akten oder Aktenbestandteile von der Vorlagepflicht hinaus, deren Weitergabe wegen ihres streng vertraulichen Charakters für die Betroffenen unzumutbar ist - personenbezogen öffentlich nur verwendet werden, wenn sich Senat und Bürgerschaft in bezug auf die einzelnen Akten oder Aktenteile darüber geeinigt haben,

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über schutzbedürftige personenbezogene Informationen öffentlich nur verhandelt wird, wenn der Senat sie nicht nach den Grundsätzen parlamentarischer Geheimschutzordnungen in Abwägung mit dem Untersuchungsinteresse für vertraulich erklärt hat,

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ferner alle Personen, die im Rahmen des Untersuchungsverfahrens Kenntnis nehmen können, zur Verschwiegenheit verpflichtet worden sind und

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der Kreis der Anwesenden und der Protokollführung auf das für die Durchführung des Untersuchungsverfahrens erforderliche Maß beschränkt ist,

3. hilfsweise festzustellen, daß ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuß über personenbezogene Informationen nicht öffentlich verhandeln darf, die bei Abwägung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung mit dem Parlamentarischen Untersuchungsrecht unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit schutzbedürftig sind 4. die Beschlüsse des Amtsgerichts vom 14. Februar 1995, Az: 162 Gs 2109/94, und des Landgerichts vom 2. März 1995, Az: 27 Qs 1/95, aufzuheben, hilfsweise, festzustellen, daß aus diesen Beschlüssen keine Rechte und Pflichten für die Beteiligten dieses Verfassungsrechtsstreits folgen.

Die Bürgerschaft beantragt, 1. a) den Antrag Nr. 1 des Senats zurückzuweisen, b) festzustellen, daß für richterliche Anordnungen und Rechtsbehelfe im Rahmen der Beweiserhebung nach Artikel 25 Abs. 2 Satz 1 HVerf in Verbindung mit §§ 94, 96, 98 StPO der ordentliche Rechtsweg gegeben ist, sowie c) die Anträge Nr. 2, 3 und 4 des Senats zu verwerfen,

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2. hilfsweise, die Anträge 2 und 3 des Senats zurückzuweisen und festzustellen, daß der Parlamentarische Untersuchungsausschuß „Hamburger Polizei" die personenbezogenen schutzbedürftigen Daten in den angeforderten Akten in eigener Verantwortung auf der Grundlage der von ihm am 2. Juni 1995 beschlossenen Datenschutzordnung schützt, welche im Zuge der Parlamentsreform durch eine von der Hamburgischen Bürgerschaft zu verabschiedende allgemeine Daten- und Geheimschutzordnung abgelöst wird, sowie den Antrag Nr. 4 des Senats zurückzuweisen.

Das Hamburgische Verfassungsgericht hat insbesondere entschieden, daß in Streitigkeiten über Rechte und Pflichten zwischen dem Senat und der Bürgerschaft über die Vorlage von Akten an einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuß nur der Rechtsweg zum Hamburgischen Verfassungsgericht gegeben sei. Der Senat müsse von der Bürgerschaft und ihren Ausschüssen angeforderte Akten, die schutzbedürftige personenbezogene Daten enthalten, unbeschränkt vorlegen, wenn die Bürgerschaft durch den Erlaß von Normen sichergestellt hat, daß diese Daten entsprechend den Vorschriften des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland geschützt werden. Da die Bürgerschaft nach Ansicht des Hamburgischen Verfassungsgerichts derzeit keine hinreichende normative Sicherung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung hat, hat das Gericht eine Ubergangsregelung getroffen.

Gründe: A. Die gestellten Anträge sind zulässig. Mit den Feststellungsanträgen verfolgt der Senat einerseits das Ziel, aus Anlaß von Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung von Bestimmungen der Verfassung eine Entscheidung des Verfassungsgerichts darüber herbeizuführen, wie die Verfassung insoweit künftig auszulegen ist. Andererseits erstrebt der Senat mit seinen Anträgen auch das Ziel, den bestehenden Streit mit dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuß „Hamburger Polizei", der in diesem Verfahren selbst nicht Beteiligter sein kann, durch das Verfassungsgericht entscheiden zu lassen. Mit den gestellten Anträgen sind mithin ein Auslegungsstreit und zugleich auch ein Organstreit anhängig gemacht. Der Antrag zu 1) bezeichnet nach seinem eindeutigen Wortlaut nur einen Auslegungsstreit. Der Senat möchte die Frage des Rechtsweges in Streitigkeiten mit einem Parlamentarischen Untersuchungsausschuß geklärt wissen, strebt also nicht auch durch ein ausdrückliches Feststellungsbegehren die Klärung des Rechtswegs für den Organstreit mit dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuß „Hamburger Polizei" und für den anhängigen Auslegungs-

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streit an. Das ist sachgerecht, weil die Rechtsfrage für den anhängigen Streit als Zulässigkeitsproblem in den Gründen ohnehin behandelt wird und keine eigenständige Feststellung in der Entscheidungsformel rechtfertigt. Der Antrag zu 2) betrifft zunächst eine Auslegungsfrage, soweit darin Feststellungen über den Umfang der Aktenvorlagepflicht des Senats gegenüber der Bürgerschaft und ihren Ausschüssen allgemein begehrt werden. Soweit allerdings diese Feststellungen insbesondere gegenüber dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuß „Hamburger Polizei" verlangt werden, erweist sich dieser Antrag als Antrag auf Entscheidung eines Organstreits.

I. Das Hamburgische Verfassungsgericht ist das zuständige Gericht. Dies ergibt sich aus Art. 65 Abs. 2 Nr. 1 HVerf und aus § 14 Nr. 1 HVerfGG. Es handelt sich um eine verfassungsrechtliche Streitigkeit. Gegenstand des Rechtsstreits sind Pflichten, die der Senat gegenüber dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuß hat; damit streiten zwei Verfassungsorgane. Es geht um Rechte und Pflichten, die der Antragsteller auf Art. 25 und Art. 32 HVerf stützt. Da es für die gerichtliche Zuständigkeit auf das Vorbringen des Antragstellers ankommt, handelt es sich um eine verfassungsrechtliche Streitigkeit. Vorschriften, die für solche Streitigkeiten den Rechtsweg zu einem anderen Gericht als dem Hamburgischen Verfassungsgericht eröffnen, greifen nicht ein. Insbesondere ist der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten nicht gegeben. Eine Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte folgt nicht aus § 13 GVG. Denn die in Betracht gezogenen Strafgerichte sind nach § 13 GVG für Strafsachen zuständig. Um eine Strafsache handelt es sich hier jedoch nach keiner denkbaren Betrachtungsweise. Auch Art. 25 Abs. 2 HVerf begründet für einen Streit über Rechte und Pflichten zwischen dem Senat und der Bürgerschaft über die Aktenvorlage an einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuß keine Zuständigkeit der Strafgerichte. Art. 25 Abs. 2 Satz 1 HVerf beschränkt sich auf die Regelung, daß für die Beweiserhebung (eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses) die Vorschriften der Strafprozeßordnung sinngemäß gelten. Zur Beweiserhebung gehört auch das Recht, Maßnahmen zur Erzwingung eines Beweises zu ergreifen. Soweit für derartige Zwangsmaßnahmen eine richterliche Entscheidung erforderlich ist, bedeutet die sinngemäße Anwendung der Strafprozeßordnung, daß grundsätzlich der Strafrichter um eine solche Entscheidung zu ersuchen ist. In Beweiserzwingungslagen jedoch, in denen Zwang gegen ein Ver-

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fassungsorgan angeordnet werden müßte, bedeutet die sinngemäße Anwendung der Vorschriften der Strafprozeßordnung, daß die Aufgabe des Richters dann von dem für die Natur des Streits zuständigen Richter übernommen wird. Das aber ist hier - wie ausgeführt - das Verfassungsgericht. Die Tatsache allein, daß die Erzwingung der Aktenvorlage durch Beschlagnahme erfolgen sollte und die Beschlagnahme ein Institut der Strafprozeßordnung ist, macht den Streit nicht zu einem strafprozessualen oder strafrechtlichen, zumal die Beschlagnahme auch in anderen Rechtsbereichen bekannt ist, und der Vorlageanspruch auch in anderer Weise als durch Beschlagnahme durchgesetzt werden kann. Aus diesen Gründen folgt das erkennende Gericht nicht der Auffassung der 2. Kammer des 2. Senats des Bundesverfassungsgerichts im Beschluß vom 6. 4. 1995 - (2 BvQ 19/95), das zu der ähnlichen Vorschrift des Art. 44 Abs. 2 Satz 1 GG die Zuständigkeit des Strafrichters angenommen hat. Die Ansicht des Amtsgerichts Hamburg, die dieses in seinem Beschluß vom 14. 2.1995 geäußert hat, die Organbeziehungen zwischen dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuß und dem Senat seien gleichsam nur Vorfrage, trifft nicht zu. Streitgegenstand ist die Verpflichtung der Vorlage von Akten durch den Senat an den Parlamentarischen Untersuchungsausschuß. Die Anspruchsgrundlage hierfür ist nicht in der StPO oder in einer sonstigen einfachgesetzlichen Vorschrift, sondern in der Hamburgischen Verfassung enthalten. Da es an einem Verfahrensrecht für die Parlamentarischen Untersuchungsausschüsse fehlt, wird auf eine für andere Zwecke vom Gesetzgeber bereitgestellte Normengruppe zurückgegriffen und ihre sinngemäße Anwendung als Verfahrensvorschrift der Untersuchungsausschüsse angeordnet. Ebensowenig kann den Ausführungen des Landgerichts Hamburg in seinem Beschluß vom 2. 3.1995 zugestimmt werden, das seine Zuständigkeit aus der Tatsache entnimmt, daß in diesem Falle Bundesrecht anzuwenden ist. Darauf kommt es nicht an. Denn nicht die Anwendung des Bundesrechts ist Streitgegenstand, sondern die Anwendung des hamburgischen Verfassungsrechts. II. Das Verfassungsgericht ist nicht gemäß § 17 a GVG an die Entscheidungen der ordentlichen Gerichte gebunden. § 17 a Abs. 1 GVG gilt nicht gegenüber der Verfassungsgerichtsbarkeit {Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 53. Aufl., § 17 a GVG Rz 17). Die Feststellung des Rechtsweges durch das Verfassungsgericht ist gemäß Art. 65 Abs. 4 Satz 1 HVerf für Gerichte und Verwaltung bindend. Ihr kommt nach Art. 65 Abs. 4 Satz 2 HVerf Gesetzeskraft zu. Danach ist zugleich entsprechend dem Antrag zu 4) festzustellen, daß die Beschlüsse des Amtsgerichts und des Landgerichts Hamburg vom 14. Februar und 2. März 1995 wir-

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kungslos sind. Sie sind unter Verkennung der ausschließlichen Zuständigkeit des Verfassungsgerichts zustande gekommen und können daher keinen Bestand haben. B. Auf die Anträge des Senats zu 2. und zu 3., soweit mit ihnen nicht die Entscheidung eines konkreten Rechtsstreits (Organstreit), sondern die Auslegung der Art. 25 und 32 HVerf begehrt wird, stellt das Verfassungsgericht entsprechend der Urteilsformel zu Nr. 3 und 4 fest: I. Das Verfassungsgericht ist im Auslegungsstreit an die Anträge nicht gebunden. Es hat die Verfassung selbständig auszulegen. 1. Die Bürgerschaft und ihre Ausschüsse können die Anforderung auf Vorlage staatlicher Akten auf Art. 32 HVerf, Untersuchungsausschüsse zusätzlich auch auf Art. 25 Abs. 2 HVerf i. V. m. § 95 StPO und auf Art. 25 Abs. 4 Satz 1 HVerf stützen. Die Absätze 2 und 4 des Art. 25 HVerf haben einen engeren Anwendungsbereich als Art. 32 HVerf; Art. 25 bezieht sich nur auf die Untersuchungsausschüsse, während Art. 32 HVerf das Plenum und alle Ausschüsse der Bürgerschaft meint. Dennoch ist Art. 32 HVerf auch auf die Untersuchungsausschüsse anzuwenden, weil diese nach dem Wortlaut der Verfassung Ausschüsse der Bürgerschaft im Sinne des Art. 32 HVerf sind. Das Gericht folgt nicht der Meinung, daß Art. 25 HVerf wegen des engeren Anwendungsbereichs als Spezialnorm Art. 32 HVerf verdrängt (so z. B. Bemzen/Sohnke, Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg, Kommentar mit Entscheidungsregister, 1977, Art. 25 Rdn. 7). Denn der Wortlaut der Verfassung ist eindeutig. „Die von der Bürgerschaft eingesetzten Ausschüsse" werden in Art. 32 HVerf ausdrücklich und ohne Ausnahme genannt.· Aus dem System der Verfassung ist das gleiche Ergebnis zu entnehmen, daß nämlich Art. 32 HVerf auch für die Untersuchungsausschüsse gilt: Art. 6 bis 24 HVerf befassen sich mit der Bürgerschaft im ganzen. Art. 25 bis 31 HVerf befassen sich mit den Ausschüssen (Art. 25 HVerf: Untersuchungsausschüsse; Art. 25 a HVerf: Eingabenausschuß; Art. 26 bis 31 HVerf: Bürgerausschuß). Dann folgt - isoliert von den anderen Vorschriften des Abschnittes über die Bürgerschaft im allgemeinen - Art. 32 HVerf, der die Aktenvorlagepflicht regelt. Da diese Vorschrift nicht im Anschluß an die allgemeinen Be-

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Stimmungen über die Bürgerschaft (nach Art. 24 HVerf steht, sondern nach den Bestimmungen über die Ausschüsse, ist zu folgern, daß Art. 32 HVerf auch für die Ausschüsse gilt. Aus dem Urteil des Verfassungsgerichts vom 26.4. 1988 (HVerfG 1/88 Hafenstraße) kann nichts Gegenteiliges entnommen werden. Es ist zwar richtig, daß das Gericht damals nur Art. 25 HVerf i. V. m. den einschlägigen Vorschriften der Strafprozeßordnung geprüft hat. Diese Beschränkung ergab sich aus dem Prüfungsgegenstand des damaligen Verfahrens, ist aber nicht deswegen vorgenommen worden, weil das Gericht Art. 32 HVerf für unanwendbar gehalten hatte. Ebensowenig kann die Entstehungsgeschichte der Hamburgischen Verfassung von 1952, die David für seine gegenteilige Auffassung heranzieht (Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg, Kommentar, 1994, Art. 25 Rdn. 74), für die Gegenmeinung verwandt werden. Im Gegensatz zur Hamburgischen Verfassung von 1921 - HVerf 1921 - , in der der Aktenvorlageanspruch in vier Vorschriften nebeneinander geregelt war, für die Bürgerschaft in Art. 24 Abs. 2, für den Bürgerausschuß in Art. 31 Abs. 2, für die Untersuchungsausschüsse in Art. 26 Abs. 2 Satz 3 und die übrigen Ausschüsse in Art. 25 Abs. 1, bestand bei den Beratungen zur Verfassung von 1952 zunächst die Absicht, alle vier Ansprüche in einem Artikel zusammenzufassen. Im 2. Bericht des Verfassungsausschusses heißt es dann allerdings: „Die Vorschrift entspricht inhaltlich dem Art. 26 SenE. und faßt die in den Art. 25 und 31 Abs. 2 Ziffer 4 HVerf 1921 enthaltenen Bestimmungen zusammen, ohne sachlich von ihnen abzuweichen." In diesem Bericht ist Art. 26 Abs. 2 Satz 3 HVerf 1921 nicht genannt. Ob hier, wie David meint, ein Redaktionsversehen vorliegt, ist gleichgültig. Entscheidend kommt es, wenn man die Methode der Auslegung aus den Materialien benutzt, darauf an, was die Materialien wirklich hergeben. Diese aber geben nichts dafür her, daß auch die Regelung des Art. 26 Abs. 2 Satz 3 HVerf 1921 mit in den Art. 32 HVerf verarbeitet werden sollte. Die Materialien erlauben beide Deutungen; daher können sie zur Auslegung nicht herangezogen werden. 2. Aus allen drei Anspruchsnormen der Hamburgischen Verfassung ergibt sich, was den Inhalt des Anspruchs angeht, im wesentlichen dasselbe Recht auf Aktenvorlage. a) Art. 32 HVerf bestimmt, daß der Senat der Bürgerschaft und den von der Bürgerschaft eingesetzten Ausschüssen auf Verlangen eines Viertels der jeweils vorgesehenen Mitglieder Akten vorzulegen hat. b) Eine zweite Rechtsgrundlage für den Vorlagenanspruch enthält Art. 25 Abs. 2 Satz 1 HVerf. Nach dieser Vorschrift gelten für Beweiserhebungen der

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Untersuchungsausschüsse die Vorschriften der Strafprozeßordnung sinngemäß. Nach § 95 StPO hat derjenige, der Gegenstände in Gewahrsam hat, die als Beweismittel für die Untersuchung von Bedeutung sein können, diese auf Erfordern vorzulegen und auszuliefern. Dazu gehören auch die Akten, die der Senat in Gewahrsam hat. c) Schließlich ergibt sich ein Herausgabeanspruch aus dem Rechtshilfeanspruch des Art. 25 Abs. 4 Satz 1 HVerf, der den Parlamentarischen Untersuchungausschüssen zusteht. Aus dieser Vorschrift folgt ein eigenständiger Anspruch auf Aktenvorlage, den der Parlamentarische Untersuchungsausschuß geltend machen kann. Daß es sich um eine selbständige Anspruchsnorm handelt, ergibt sich aus dem Wort „verpflichtet". Anspruchsberechtigt ist der Parlamentarische Untersuchungsausschuß; anspruchsverpflichtet sind alle Hamburgischen Behörden. Bei Art. 25 Abs. 4 Satz 1 HVerf handelt es sich nicht um eine Verpflichtung, die nur die Funktion einer Durchführungsvorschrift zu den anderen Rechtsgrundlagen (Art. 32 und Art. 25 Abs. 2 HVerf hat. Geht man von einer Selbständigkeit des Art. 25 Abs. 2 HVerf gegenüber Art. 32 HVerf aus, so kommt Art. 25 Abs. 4 Satz 1 HVerf ohnehin nicht als Durchführungsvorschrift zu Art. 32 HVerf, sondern allenfalls als Durchführungsvorschrift zu Art. 25 Abs. 2 HVerf in Frage. Eine weitere Überlegung führt jedoch dazu, daß auch dies nicht zutreffen kann. Art. 25 Abs. 2 HVerf regelt mit seiner Verweisung auf die Strafprozeßordnung das „Wie" der Beweisaufnahme. Art. 25 Abs. 4 HVerf hat es aber nicht mit der Beweisaufnahme im prozeßrechtlichen Sinne zu tun, sondern mit dem ganz andersartigen Problem der Rechts- und Amtshilfe. Auch das allgemeine Verfahrensrecht regelt die Beweiserhebung und die Rechtshilfe an unterschiedlichen Stellen. Während das Beweiserhebungsrecht jeweils im einzelnen in den Verfahrensordnungen (StPO, ZPO, V w G O , SGG, F G O ) geregelt ist, steht die Vorschrift über die Rechtshilfe im G V G (§§ 156 ff.). Daraus ist zu entnehmen, daß die Rechtshilfevorschriften nicht Durchführungsvorschriften des Beweisrechts sind. Denn die Rechtshilfe wird nicht nur im Rahmen eines Beweisverfahrens aktuell, sondern auch aus anderen Anlässen. Daraus ist zu schließen, daß es sich bei den beiden Absätzen des Art. 25 H V (Abs. 2 Satz 1 und Abs. 4 Satz 1) um zwei selbständige Grundlagen des Anspruchs auf Vorlage von Akten handelt. Es geht daher nur um die Frage, welchen Inhalt die Amtshilfepflicht des Art. 25 Abs. 4 Satz 1 HVerf hat. Die Verfassung selbst schweigt zu dieser Frage. Man kann daher annehmen, daß die Hilfe zu leisten ist, die üblicherweise im Rahmen der Amtshilfe geleistet zu werden pflegt. Was dies ist, ist aus anderen Vorschriften zu entnehmen. In erster Linie ist hierzu § 5 VwVfG heranzuziehen. Amtshilfe wird dort in Absatz 1 Nr. 3 beschrieben als die Vermitt-

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lung der Kenntnis von Tatsachen, die der ersuchenden Behörde unbekannt sind und die sie nicht selbst ermitteln kann. Weiter spricht Absatz 2 Satz 2 von der Vorlage von Urkunden und Akten als Gegenstand der Amtshilfe. Auch das Bundesverfassungsgericht hat die Aktenvorlage als Fall der Amtshilfe behandelt (BVerfGE 27, 344 ff.). Die Amtshilfe des Art. 25 Abs. 4 Satz 1 HVerf umfaßt mithin auch die Vorlage von Akten.

II. Verlangen die Bürgerschaft oder ihre Ausschüsse - also auch ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuß - die Vorlage von Akten, so haben sie ihr Begehren im Falle von Art. 34 HVerf stets und in den Fällen von Art. 25 Abs. 2 Satz 1 HVerf und Art. 25 Abs. 4 HVerf jedenfalls dann an den Senat zu richten, wenn dieser sich die Entscheidung über die Aktenvorlage vorbehält. 1. Hinsichtlich des Anspruches auf Aktenvorlage aus Art. 32 HVerf folgt dies aus dem klaren Wortlaut der Vorschrift. 2. Anders steht es bei der Aktenanforderung nach Art. 25 Abs. 2 HVerf. Diese Vorschrift verweist auf die Strafprozeßordnung. In sinngemäßer Anwendung des § 244 Abs. 2 StPO steht es im pflichtgemäßen Ermessen des Untersuchungsausschusses, die Beweisaufnahme durchzuführen. Hierbei ist der Untersuchungsausschuß nicht auf bestimmte Personen beschränkt, die er zur Erhebung der Beweise heranzieht. Aus den §§ 94 ff. StPO ergibt sich nichts Gegenteiliges. Vielmehr bestimmt § 95 Abs. 1 StPO, daß derjenige, der einen zu Beweiszwecken dienlichen Gegenstand im Gewahrsam hat, diesen zum Zwecke der Beweisaufnahme herauszugeben hat. Den Gewahrsam an den vorzulegenden Akten hat in der Regel nicht der Senat, sondern die einzelne Behörde, die eine eigenen Zuständigkeit besitzt und daher im Rahmen der vom Gesetz und vom Senat vorgegebenen Zuständigkeitsordnung (Art. 57 HVerf) Ansprechpartner des Untersuchungsausschusses ist. 3. Soweit ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuß Rechtshilfe anfordert, muß er sich an die Behörde wenden, die im Besitz der benötigten Beweismittel ist. Dies beruht auf der Aufwendung eines allgemeinen Grundsatzes des Rechts der Amtshilfe, der auch ohne ausdrückliche Bestimmung gilt. 4. Allerdings führt die Anforderung der vorzulegenden Akten bei der aktenführenden Stelle nicht notwendig dazu, daß der Untersuchungsausschuß sich bei der Anforderung bei einer nachgeordneten Behörde gemäß Art. 25 HVerf besser steht, als wenn er sich an den Senat wendet. Innerhalb der staatlichen Verwaltung der Freien und Hansestadt Hamburg besteht ein hierarchi-

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scher Weisungszug, an dessen oberster Spitze der Senat steht (Art. 33 Abs. 1 HVerf). Der Senat hat es in der Hand, sich in jedem Fall der Aktenanforderung durch einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuß von der in Anspruch genommenen Behörde berichten zu lassen und sich allgemein oder im Einzelfall intern gegenüber der in Anspruch genommenen Behörde die Entscheidung vorzubehalten, ob bestimmte Akten nach seiner Meinung zu den Akten gehören, die einem Parlamentarischen Untersuchungsausschuß vorgelegt werden müssen.

III. 1. Bei der Prüfung der Grenzen der Verpflichtung des Senats zur Aktenvorlage brauchte das Gericht nicht auf die Frage einzugehen, welche Grenzen das „Staatswohl" zieht. Aus den Ausführungen des Antragstellers und der Beteiligten ergibt sich eindeutig, daß eine Auslegung der Verfassung insoweit nicht beantragt worden ist. 2. O b sich aus dem Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) Grenzen ergeben, brauchte das Gericht ebenfalls nicht zu prüfen; denn das BDSG gilt nicht für Behörden und andere öffentlichrechtlich organisierte Einrichtungen der Länder, soweit der Datenschutz durch Landesrecht geregelt ist (§ 1 Abs. 2 Nr. 2 BDSG). Dies ist in Hamburg durch das Hamburgische Datenschutzgesetz (vom 5. Juli 1990, GVBl. S. 133, zuletzt geändert durch Gesetz vom 10.3. 1992, GVBl. S. 39 - HmbDSG) geschehen. Dieses Gesetz ist auf Behörden und sonstige öffentliche Stellen der Freien und Hansestadt anzuwenden (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 HmbDSG). Die Bürgerschaft ist eine öffentliche Stelle im Sinne dieses Gesetzes. Die Tatsache, daß der Hamburgische Datenschutzbeauftragte für die Bürgerschaft nur in Verwaltungsangelegenheiten zuständig ist (§ 23 Abs. 1 Satz 2 HmbDSG), sagt nichts über den Anwendungsbereich des Gesetzes. Dem Hamburgischen Datenschutzgesetz läßt sich keine Regelung entnehmen, die dem öffentlichen Interesse an der Durchführung des Untersuchungsauftrages und dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung unter Beachtung des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit Rechnung trägt. Es ist mithin für die hier zu beurteilende Frage des parlamentarischen Untersuchungsrechts unergiebig. 3. Die Frage des Schutzes der Personalakten von Beamten ist gesondert in §§ 96 und 96 a HmbBG (i. d. F. vom 9. März 1994, GVBl. S. 75) geregelt. Danach (§ 96 a Abs. 3 HmbBG) dürfen Zugang zu den Personalakten nur Personen haben, die mit der Bearbeitung von Personalangelegenheiten beauftragt

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sind, und nur, soweit dies zu Zwecken der Personalverwaltung oder der Personalwirtschaft erforderlich ist. Auch diese Vorschrift ist hier nicht relevant, weil die Personalakten eine spezifische Kategorie von Akten sind, deren Vorlage durch den Untersuchungsausschuß der Senat als unzulässigen Eingriff nicht geltend gemacht hat. Soweit auch die Vorlage von Personalakten vom Untersuchungsausschuß gefordert wird, ist zu unterscheiden, ob der Untersuchungsausschuß diese Akten im Rahmen seines Untersuchungsauftrages zu Zwecken benutzt, die durch § 96 a HmbBG gedeckt sind, und ob die Benutzung sich - bezogen auf den Untersuchungsauftrag - im Rahmen des Erforderlichen hält. Jedenfalls aber handelt es sich bei § 96 a HbmBG nicht um eine Vorschrift, die das Datengeheimnis allgemein begrenzt. 4. Der Amtshilfeanspruch nach Art. 25 Abs. 4 Satz 1 HVerf hat keine ausdrücklich genannten Grenzen. Dies schließt allerdings eine Begrenzung nicht aus. Auch Art. 35 Abs. 1 G G gibt keinen ausdrücklich begrenzten Amtshilfeanspruch; gleichwohl wird angenommen, daß dieser Anspruch innere Grenzen hat, die sich aus dem Zweck des Amtshilfeersuchens, aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und aus vorrangigen Interessen ergeben (Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz-Kommentar, Art. 35 Rdn. 6; Gubelt in: v. Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar, 3. Aufl. 1995, Art. 35 Rdn. 13 ff.). Angesichts des Fehlens einer ausdrücklichen Begrenzung wird man davon ausgehen müssen, daß beim Amtshilfeanspruch dieselben Grenzen mit gemeint sind, die für die anderen Vorlageansprüche gelten. 5. a) Die Verpflichtung des Senats zur Aktenvorlage gegenüber der Bürgerschaft und ihren Ausschüssen findet jedoch ihre Grenze am Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, das das Bundesverfassungsgericht aus dem Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 G G ) entwickelt hat. Dieses Grundrecht umfaßt die aus dem Gedanken der persönlichen Selbstbestimmung folgende Befugnis, selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden (BVerfGE 56, 41 ff.; 63, 145 f.; 64, 41 f.). Es gilt auch gegenüber der Bürgerschaft und ihren Ausschüssen, insbesondere auch gegenüber den Parlamentarischen Untersuchungsausschüssen. Das BVerfG hat mehrfach entschieden, daß sich das Beweiserhebungsrecht von Untersuchungsausschüssen nicht auf Informationen erstreckt, deren Weitergabe wegen ihres streng persönlichen Charakters für den Betroffenen unzumutbar ist (BVerfGE 65, 1, 46; 67, 100, 144; 77,1, 47; ebenso: BayVerfGH, DVBl. 1994,1126,1129 f.). b) Da das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ein Anwendungsfall des Grundrechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit ist (Art. 2

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Abs. 1 GG), ist bei der Anwendung dieses Rechts die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 2 Abs. 1 GG zu berücksichtigen. Danach findet dieses Grundrecht seine Grenzen an der „verfassungsmäßigen Ordnung". Unter diesen Begriff faßt das BVerfG alle Vorschriften, die formell und materiell der Verfassung gemäß sind; derartige Vorschriften grenzen das Grundrecht ein (BVerfGE 34, 379; 38, 320; 41, 116; 54, 144; 55, 148; 57, 177). Diese das Grundrecht einschränkenden Vorschriften müssen so gestaltet sein, daß sich aus ihnen die Voraussetzungen und der Umfang der Beschränkung klar und für den Bürger erkennbar ergeben und sie damit dem Gebot der Normenklarheit entsprechen (BVErfGE 45, 420; 71,196 f.; 78, 85). Zwar deckt Art. 25 Abs. 2 Satz 1 HVerf für Untersuchungsausschüsse grundsätzlich auch den Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Denn wäre dies nicht der Fall, bestünde gerade für die unter dem Gesichtspunkt der demokratischen Kontrolle der Exekutive besonders bedeutsamen Parlamentarischen Untersuchungsausschüsse die Gefahr, daß sie ihren Verfassungsauftrag kaum erfüllen könnten. Aber die sich aus dem - erst später vom Bundesverfassungsgericht entwickelten - Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ergebenden Grenzen für einen an sich grundsätzlich gerechtfertigten Eingriff in dieses Grundrecht fehlenden naturgemäß in der Vorschrift des Art. 25 Abs. 2 Satz 1 HVerf. Zu den Normen, die Teil der verfassungsmäßigen Ordnung sind, würde ein von der Bürgerschaft erlassenes Untersuchungsausschußgesetz gehören, das die hier erörterten Regelungen des Datenschutzes enthielte. Aber auch das Binnenrecht der Bürgerschaft, soweit sich die Zuständigkeit der Bürgerschaft zum Erlaß derartiger Normen aus der Verfassung ergibt, wäre nach Auffassung des Verfassungsgerichts geeignet, den erforderlichen bereichsspezifischen Datenschutz sicherzustellen. Eine Daten- oder Geheimschutzordnung der Bürgerschaft, die als Anlage zur Geschäftsordnung der Bürgerschaft (Art. 18 Abs. 1 Satz 2 HVerf) beschlossen und damit rechtlich Teil der Geschäftsordnung wird, genügt den Anforderungen, die Art. 2 Abs. 1 GG stellt. Die Anwendung derartiger Vorschriften ist keine Verletzung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung, wenn diese Vorschriften den Datenschutz Dritter im Interesse der Untersuchungsaufträge der Parlamentarischen Untersuchungsausschüsse einschränken. Der Verfassungsmäßigkeit des staatlichen Handelns, die die Beachtung des Gesetzesvorbehalts als Stück der Verfassungsordnung verlangt (ebenso HVerfG 1/88 vom 26. 4.1988 - Hafenstraße), ist damit Genüge getan. Daneben verlangt die Herleitung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 GG, daß die Einhaltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu beachten ist (BVerfGE 71, 196 f.; 78, 85). Daraus ergibt sich, daß der Einzelne Einschränkungen des Grundrechts auf informa-

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tionelle Selbstbestimmung hinnehmen muß, wenn diese Einschränkungen „im überwiegenden Allgemeininteresse" liegen (BVerfGE 27, 344 ff.; 65, 43 f.; 71, 196 f.; 78, 85). c) Die Aktenvorlage an die Bürgerschaft und ihre Ausschüsse kann ein Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung sein. In der Regel liegt in der Gefährdung eines durch ein Grundrecht geschützten Gutes noch keine Verletzung des Grundrechts selbst, solange die Gefährdung nicht durch eine konkrete Verletzung realisiert worden ist. Dies gilt jedoch nicht ausnahmslos. Beim Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung muß die Gefährdung des Rechts wegen des besonderen Charakters dieses Grundrechts besonders kritisch gesehen werden. Das Bundesverfassungsgericht hat dieses Grundrecht auch mit Rücksicht darauf als besonderes Grundrecht entwickelt, daß Bürger wegen des Vorhandenseins von staatlichen Registrierungen unter Umständen von einem Freiheitsgebrauch Abstand nehmen könnten (BVerfGE 65,1,43). N u r die Sicherheit vor möglichem Mißbrauch personenbezogener Daten sichert die in der Verfassung und in den Gesetzen gewährleistete persönliche Freiheit. Angesichts der hohen Sensibilität des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung konnte es für die Gewähr dieses Grundrechts entscheidend darauf an, daß die erforderlichen Sicherungen zum Schutze der Daten getroffen worden sind. Fehlen diese, so wird das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung labil, es ist gefährdet. Das Bundesverfassungsgericht hat unter Berufung auf „objektive Wertentscheidungen der Verfassung" von Schutzpflichten gesprochen, „die es gebieten, rechtliche Regelungen so auszugestalten, daß auch die Gefahr von Grundrechtsverletzungen eingedämmt bleibt." (BVerfGE 49, 89, 142; ähnlich: BVerfGE 53, 30, 57 ff.; 56, 54, 78). Daher kann das Nichtbestehen einer Gefährdung zum Schutzgegenstand des Abwehrrechts gehören (Stern/Sachs, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/2,1994, S. 212). Auf Grund dieser Erwägungen gehört zum Inhalt des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung nicht nur, daß niemand personenbezogene Daten weitergibt, sonder auch die Tatsache, daß bei demjenigen, dem diese Daten übergeben worden sind, die Daten so geschützt sind, daß kein Unbefugter einen Zugang zu den Daten erhalten kann. Die Möglichkeit des Zugriffs auf die Daten ist aus dieser Sicht bereits ein Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Hat derjenige, an den die Daten weitergegeben werden sollen, nicht hinreichend Vorsorge getroffen, um die Daten zu schützen, so ist er so anzusehen, als ob er die Daten schon zum Zugriff an Unberechtigte freigegeben hat. In der mangelnden Regelung und Organisation des Datenschutzes liegt damit eine

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Verletzung des verfassungsgeschützten Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung. d) Zwar muß die Weitergabe einer Akte mit personenbezogenen Daten seitens der aktenführenden Stelle an eine andere staatliche Stelle nicht notwendig eine Gefährdung der Datensicherheit und damit einen Grundrechtseingriff enthalten. Zulässig und damit auch rechtmäßig ist die Weitergabe an eine andere Behörde, die mit der Akte arbeiten muß, ζ. B. an die Aufsichtsbehörde, an die Behörde, bei der der Beamte sich um eine Beförderungsstelle beworben hat, oder an die Behörde, die für ein disziplinarisches Ermittlungsverfahren zuständig ist. Eine derartige rechtmäßige Weitergabe ist kein Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Selbstverständliche und ungeschriebene Voraussetzung der Zulässigkeit der Weitergabe der Akte ist in den genannten Fällen jedoch die Gewähr, daß die Akte bei der Behörde, an die die Akte weitergegeben wird, den gleichen Schutz vor Indiskretionen erhält wie bei der Behörde, die die Akte führt. Diese ungeschriebene Voraussetzung gilt auch im Verhältnis von Regierung und Parlament. Das Verhältnis beider staatlichen Gewalten zueinander wird durch den Grundsatz der Einheit der Staatsgewalt bestimmt. Diese Einheit der Staatsgewalt kommt gerade im Amtshilferecht, wie es in Art. 25 Abs. 4 HVerf und in Art. 35 Abs. 1 G G enthalten ist, zum Ausdruck. Die einzelnen Teile der Staatsgewalt haben zwar unterschiedliche Funktionen, bilden aber zusammen das Ganze des Staates. Daher ist ihre Zusammenarbeit gefordert, damit jede einzelne Staatsgewalt ihre Funktion erfüllen kann. Die Zusammenarbeit, zu der auch die Vorlage von Akten gehört, dient der Erfüllung der jeweils von der Verfassung zugewiesenen Funktion. e) Es kommt daher darauf an, ob die vorgelegten Akten mit schützenswerten personenbezogenen Daten bei der Bürgerschaft oder bei einem ihrer Ausschüsse, insbesondere bei einem Untersuchungsausschuß, einen hinreichenden Schutz finden. Dies ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der Fall, wenn ein zur „verfassungsmäßigen Ordnung" i. S. des Art. 2 Abs. 1 G G gehörendes Gesetz besteht, das diesen Eingriff in das Grundrecht rechtfertigt. Zwar ist die Übergabe einer Akte von der Exekutive an die Legislative nicht notwendig ein Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Aber die Weitergabe von Akten mit zu schützenden personenbezogenen Daten an die Legislative führt dann zu einer Verletzung des Grundrechts, wenn ein Gesetz zum Schutze der Daten bei der Bürgerschaft fehlt.

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IV. Bei der Beurteilung der Frage, ob ein hinreichender Schutz der personenbezogenen Daten vorhanden ist, ist auch auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit abzustellen. Es ist einerseits zu fragen, um welche Persönlichkeitsgüter es geht und wie stark deren Gefährdung ist. Handelt es sich um wichtige Schutzgüter, die unbedingt vertraulich zu halten sind, so wird man einen stärkeren Schutz zu fordern haben als bei Schutzgütern, die keinen so starken Geheimhaltungsgrad verlangen. Auf der anderen Seite ist zu erwägen, um welche Güter es geht, die gefährdet werden, wenn der Geheimnisschutz nicht aufgehoben wird. Handelt es sich um wichtige Güter, die seitens des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses nur durch die Offenlegung der personenbezogenen Daten verfolgt werden können, so muß der Berechtigte diesen Eingriff in sein Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung hinnehmen (BVerfGE 65, 43 f.; 71, 196 f.; 78, 85). Bei dieser Abwägung erfordert der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zugleich, daß der Eingriff möglichst gering gehalten wird und daß er sich am Grundsatz der Erforderlichkeit orientiert. Eingriffe, die über das Maß des Erforderlichen hinausgehen, sind unzulässig (BVerfGE 76. 51; st. Rspr.). Für den Untersuchungsausschuß heißt das, daß von den personenbezogenen Daten nur soviel an Informationen öffentlich behandelt werden darf, als dies für den Untersuchungszweck erforderlich ist. Insbesondere dürfen Namen nicht genannt werden, wenn es nicht darauf ankommt, auf wen sich die sich aus den Akten ergebenden Tatsachen beziehen. Und es dürfen Tatsachen, die für die Untersuchung nicht erforderlich sind, ebenfalls nicht zum Gegenstand einer öffentlichen Behandlung gemacht werden, wenn aus den Tatsachen auf die Identität der betroffenen Personen geschlossen werden kann. Der Senat hat in seinem Schutzstufen-Konzept zwei Stufen unterschiedlicher Schutzwürdigkeit gebildet. Derartige Stufen können für die praktische Handhabung ein nützliches Hilfsmittel sein. Diese Stufung darf aber nicht so verstanden werden, daß auf der Stufe größerer persönlicher Betroffenheit eine öffentliche Behandlung völlig ausgeschlossen wäre, während sie auf der unteren Stufe persönlicher Betroffenheit relativ leicht möglich ist. Es kommt in jedem Fall auf eine Abwägung an, die fallbezogen und individuell vorzunehmen ist.

C. Soweit der Antrag des Senats zu 2. und zu 3. sich auf den derzeit schwebenden Streit zwischen dem Senat und dem Parlamentarischen Untersu-

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chungsausschuß „Hamburger Polizei" bezieht, also einen Organstreit betrifft, stellt das Gericht fest: I. 1. Die Voraussetzungen für einen hinreichenden Schutz der personenbezogenen Daten in den dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuß „Hamburger Polizei" vorgelegten Akten sind derzeit nicht erfüllt. Die Bürgerschaft hat weder eine Datenschutzordnung, noch eine Geheimschutzordnung erlassen, durch die das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Personen, deren Verhältnisse in den Akten behandelt werden, im Bereich der Bürgerschaft geschützt wird. 2. Die Bürgerschaft hat vorgetragen, daß die tatsächliche Handhabung der Aktenöffentlichkeit durch den Parlamentarischen Untersuchungsausschuß von einem hohen Verantwortungsbewußtsein getragen ist. Das Gericht hat keine Bedenken, diesem Vortrag zu folgen. Die tatsächliche Handhabung allein genügt aber nicht. Es kommt auf eine hinreichende rechtliche Regelung an; diese aber fehlt. 3. Die am 2. Juni 1995 vom Parlamentarischen Untersuchungsausschuß „Hamburger Polizei" beschlossene Datenschutzordnung reicht nicht aus. Sie ist weder Rechtsnorm mit Außenwirkung noch Teil der Geschäftsordnung der Bürgerschaft. Sie ist auch nicht verkündet worden. Ihre Rechtsnatur ist unklar, insbesondere ist unklar, wieweit die Bindungswirkung in persönlicher Hinsicht reicht, ob sie nur die Abgeordneten binden will oder auch die Mitarbeiter der Bürgerschaft und den Arbeitsstab, der dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuß für seine Arbeit zugeteilt worden ist. Schließlich ist unklar, woher der Untersuchungsausschuß „Hamburger Polizei" seine Kompetenz zum Erlaß einer derartigen Ordnung nimmt; weder die Verfassung noch die Geschäftsordnung der Bürgerschaft haben ihn dazu ermächtigt. Es könnte sich daher bei der Datenschutzordnung allenfalls um Empfehlungen oder Selbstverpflichtungen der Abgeordneten handeln, die aber keine rechtliche Bindung erzeugen. Das Verfassungsgericht hat die Datenschutzordnung des Untersuchungsausschusses „Hamburger Polizei" inhaltlich nicht geprüft, insbesondere auch nicht im Hinblick auf entsprechende Ordnungen des Bundestages und anderer Landesparlamente. Denn diese Ordnungen sind nicht zwingende Vorbilder für eine hamburgische Regelung. Es kommt für dieses Verfahren nicht darauf an, ob die Datenschutzordnung des Untersuchungsausschusses „Hamburger Polizei" inhaltlich die Bedingungen erfüllt, die an derartige Ordnungen gestellt werden müssen.

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4. Ein weiteres Defizit des Schutzes der Personen, deren Daten in den an den Parlamentarischen Untersuchungsausschuß herauszugebenden Akten enthalten sind, liegt in der fehlenden personenrechtlichen Sicherung gegen die Weitergabe der zu schützenden Daten. Die derzeitige Rechtslage ist unzureichend, weil normativ nicht geklärt ist, wer Zugang zu den nicht öffentlich verhandelbaren Akten hat, und weil auch nicht sichergestellt ist, daß alle Personen, die Zugang zu diesen Akten haben, wirksam d. h. mit rechtlicher Sanktion, auf die Verschwiegenheit verpflichtet worden sind. Daher war auch auf den Vortrag der Bürgerschaft, daß die Verschwiegenheit durch besondere Maßnahmen tatsächlich gesichert sei, nicht einzugehen. 5. Solange die heutige Rechtslage über den Daten- und Geheimnisschutz durch die Bürgerschaft besteht, d. h. solange die Bürgerschaft keinen in der Sache genügenden normativen Standard des Daten- und Geheimnisschutzes eingeführt hat, kommt die Ubergabe schutzwürdiger personenbezogener Daten verfassungsrechtlich einer Verletzung des Grundrechtes auf informationelle Selbstbestimmung gleich. Damit fehlen die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für die Vorlage von Akten mit geschützten personenbezogenen Daten an den Parlamentarischen Untersuchungsausschuß „Hamburger Polizei".

II. Nach diesen Feststellungen ist der Senat nicht berechtigt und verpflichtet, dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuß Akten vorzulegen, die zu schützende personenbezogene Daten enthalten. Dies bedeutet weiter, daß der Untersuchungsausschuß einen großen Teil seines Untersuchungsauftrages nicht durchführen kann. Dies ist ein Ergebnis, das nicht ohne weiteres hinnehmbar ist, weil der Untersuchungsauftrag von der Bürgerschaft bereits beschlossen war, bevor das Verfassungsgericht die Grenzen der Vorlagepflicht bestimmt hat. Die derzeitige Gefährdung und Verletzung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung muß in eine praktische Konkordanz mit dem Recht der Bürgerschaft und des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses auf Durchführung des Untersuchungsauftrages gebracht werde. Dazu müssen während einer Ubergangszeit beide Belange Einschränkungen hinnehmen. Es muß jedoch für jeden der beiden kollidierenden Belange dessen unverzichtbarer Kernbereich erhalten bleiben. Daher hat das Verfassungsgericht für die Abwicklung der Arbeiten des Untersuchungsausschusses „Hamburger Polizei" eine Ubergangslösung beschlossen, die wegen der durch die Untätigkeit der Bürgerschaft entstandenen Defizite des Daten- und Geheimschutzes dem

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Senat ein größeres Mitspracherecht einräumt als es dem Senat an sich zusteht. Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung Dritter, deren schützenswerte Daten in den vorzulegenden Akten enthalten sind, kann derzeit nur auf diese Weise gesichert werden. Diese Ubergangsregelung geht von dem Grundsatz aus, der in Art. 32 sowie Art. 25 Abs. 2 und Abs. 4 Satz 1 HVerf enthalten ist, daß der Parlamentarische Untersuchungsausschuß allein bestimmt, welche Akten er für seine Arbeit benötigt. Er kann also mit allen Akten, die er für erforderlich hält, arbeiten und aus diesen seine Erkenntnisse ziehen. Allerdings kann ihm der Schutz der nicht öffentlich verhandelbaren Daten derzeit nicht allein anvertraut werden. Dem Senat, der eine Mitverantwortung für den Schutz der personenbezogenen Daten trägt, ist ein Mitspracherecht einzuräumen; d. h., der Senat kann Akten und Aktenteile bezeichnen, die er für besonders schutzwürdig hält und die daher seiner Meinung nicht öffentlich behandelt werden dürfen. An diese Forderung des Senats auf nicht öffentliche Behandlung ist der Parlamentarische Untersuchungsausschuß „Hamburger Polizei" gebunden, es sei denn, die Bürgerschaft setzt noch während der Arbeit dieses Untersuchungsausschusses einen hinreichenden Datenschutz für ihren Bereich in Kraft. Die Bürgerschaft kann gegen Entscheidungen des Senats über die nicht öffentliche Behandlung von Akten und Aktenteilen das Verfassungsgericht anrufen und für jede einzelne Akte prüfen lassen, ob der Senat mit der Bezeichnung bestimmter Akten und Aktenteile als nicht öffentlich verhandelbar seine Befugnisse überzogen hat. Denn der Senat ist bei derartigen Bezeichnungen nicht frei, sondern hat zwischen dem Schutz des Betroffenen, dessen Daten in den Akten enthalten sind, und dem Untersuchungsinteresse abzuwägen. Diese Abwägung muß bereits bei der Entscheidung über die Bezeichnung als nicht öffentlich verhandelbar getroffen werden. Das Gericht verkennt nicht die Schwierigkeiten, in die der Senat durch diese Forderung gerät. Es geht aber nicht an, daß der Senat - wie er es bisher überwiegend anstelle einer Begründung getan hat - unter Verwendung eines Formulars lediglich mit Ankreuzungen arbeitet. Die wesentlichen Gründe für die Forderung nach nicht öffentlicher Behandlung von bestimmten, noch vorzulegenden Akten müssen verbal dargelegt werden, wobei das Gericht davon ausgeht, daß gerade bei der hohen Zahl von angeforderten Akten die Begründungen sich in sehr vielen Fällen decken werden und die durch verbale Begründung entstehende Arbeitslast für den Senat und die nachgeordneten Behörden erträglich bleiben wird. Es entspricht dem gegenseitigen Verhältnis von Bürgerschaft und Senat als Teilen desselben Gemeinwesens, daß sie verpflichtet sind zu versuchen,

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sich über die Frage des „ O b " und des „Wieviel" der öffentlichen Verhandelbarkeit der vorzulegenden Akten zu einigen. Bei den Akten der Staatsanwaltschaft und anderer Behörden kommt es in den meisten Fällen für die Bürgerschaft und für die Öffentlichkeit nicht darauf an, die Namen der in den Akten behandelten Beamten und ihre Identität kennenzulernen. Allerdings gibt es Akten, bei denen der Untersuchungszweck nur durch Offenlegung der Identität der Betroffenen erreichbar ist. Da der Parlamentarische Untersuchungsausschuß „Hamburger Polizei" nicht zuletzt aufgrund der einstweiligen Anordnung des Verfassungsgerichts bereits eine große Zahl von Akten vom Senat erhalten hat und mit diesen Akten arbeitet, entspricht es der Billigkeit, aber auch Erwägungen der Praktikabilität, für diese beim Untersuchungsausschuß befindlichen Akten von einer umgekehrten Begründungslast auszugehen. Der Parlamentarische Untersuchungsausschuß muß einzelfallbezogen darlegen, warum nach seiner Ansicht eine öffentliche Verhandlung der vom Senat als nicht öffentlich verhandelbar bezeichneten Akten oder Aktenteile geboten ist. Mit dieser Begründung hat sich der Senat auseinanderzusetzen. Folgt er der Ansicht des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses nicht, hat er dies dem Ausschuß gegenüber unter Angabe der Gründe im einzelnen darzulegen. Das Ziel eines solchen Diskurses muß die Einigung den Beteiligten sein. Kommt eine solche Einigung nicht zustande, so haben beide Beteiligten die Möglichkeit, entsprechend den Vorschriften der Hamburgischen Verfassung und des Gesetzes über das Hamburgische Verfassungsgericht das erkennende Gericht anzurufen.

D. I. Die weitergehenden Anträge des Senats sind zurückzuweisen. 1. Zurückzuweisen ist der Antrag des Senats auf Feststellung, daß Akten mit personenbezogenen schutzwürdigen Informationen stets nur im Einvernehmen mit dem Senat personenbezogen öffentlich verwendet werden dürfen. Diese Forderung ist angesichts des gegenseitigen Verhältnisses von Bürgerschaft und Senat dann nicht gerechtfertigt, wenn die Bürgerschaft einen hinreichenden normativen Schutz der personenbezogenen Daten hergestellt hat. Da davon auszugehen ist, daß die Bürgerschaft ihre selbstgesetzten Normen korrekt anwenden wird, ist in diesem Fall ein Mitspracherecht des Senats unangemessen.

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2. Ebenso wenig kann es - abgesehen von der Übergangsregelung - auf die Erklärung des Senats ankommen, nach der bestimmte Akten vertraulich zu behandeln sind. Es bestehen zwar keine Bedenken, daß eine parlamentarische Daten- oder Geheimschutzordnung das eigene Verhalten von einer entsprechenden Erklärung des Senats abhängig macht. Die Bürgerschaft kann insoweit jedoch nicht an die Klassifizierung des Senats gebunden sein. Liegt keine Gefahr für das Staatswohl vor, so muß die Bürgerschaft gegenüber dem Senat unabhängig sein und nach Maßgabe ihrer Rechtsnormen eine angemessene Handhabung des Datenschutzes praktizieren. 3. Zurückzuweisen war auch der Antrag des Senats, den Kreis der Anwesenden und der Protokollführung auf das für die Durchführung des Untersuchungsauftrages erforderliche Maß zu beschränken. Weder der Senat noch ein Gericht können dem Untersuchungsausschuß irgendwelche Vorschriften darüber machen, wieviele Personen in einer Sitzung des Untersuchungsausschusses anwesend sein dürfen. Dies ist eine Frage, die der Untersuchungsausschuß allein entscheidet.

II. 1. Die Anträge der Bürgerschaft waren zurückzuweisen, weil das Gericht die auf das Gegenteil zielenden Anträge des Senats für begründet hält, soweit nicht vorstehend die Anträge des Senats zurückgewiesen worden sind. Insoweit folgt das Gericht den Anträgen der Bürgerschaft. 2. Einer besonderen Feststellung zum Antrag zu 1 b) der Bürgerschaft bedurfte es nicht, weil sich aus der Feststellung des Urteils ergibt, daß das Gericht diesem Antrag nicht zustimmt, vielmehr für richterliche Anordnungen und Rechtsbehelfe im Rahmen der Beweiserhebung nach Art. 25 Abs. 2 Satz 1 HVerf. i. V. m. §§ 94, 96 und 98 StPO nur das Verfassungsgericht für zuständig hält. 3. Der Hilfsantrag der Bürgerschaft war ebenfalls zurückzuweisen. Das Gericht versteht diesen Antrag dahin, daß die Bürgerschaft die vom Untersuchungsausschuß „Hamburger Polizei" am 2. Juni 1995 beschlossene Datenschutzordnung als ihre Übergangsregelung ansehen möchte, bis die von der Bürgerschaft in Aussicht genommene Parlamentsreform mit den weiterhin geplanten Begleitgesetzen in Kraft getreten sein wird. Diese Übergangslösung reicht nicht aus. Es ist noch unbestimmt, ob das Vorhaben der Parlamentsreform gelingen wird. Die Bürgerschaft hat auch nicht vortragen können, daß die in Aussicht genommene Daten- und Geheimschutzordnung in absehbarer Zeit in Kraft treten und welchen Inhalt sie haben

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werde. Das Gericht kann es nach dem Vortrag der Bürgerschaft nicht ausschließen, daß die Ubergangszeit, in der das Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung durch die Bürgerschaft nicht hinreichend geschützt wird, sehr lang sein wird. Daher war es nicht gerechtfertigt, dem Hilfsantrag der Bürgerschaft stattzugeben. Eine Kostenentscheidung ist gemäß § 66 Abs. 1 HVerfGG nicht veranlaßt.

Nr. 3 1. § 25 Abs. 1 und 6 BezWG Eine Partei kann die Bewerber für Bezirkswahlvorschläge durch Bezirksmitgliederversammlungen für einzelne Bezirke im übrigen durch die Landesmitgliederversammlung wählen. 2. Wahlfehler In denjenigen Bereichen des Wahlzulassungsverfahrens, in denen Dritte - insbesondere Parteien - maßgeblichen Einfluß auf die Rechtsanwendung durch Wahlorgane ausüben, liegt ein Wahlfehler nichts bereits dann vor, wenn das Wahlorgan bei Anwendung einer Wahlrechtsbestimmung zu einem unrichtigen Ergebnis gelangt. Hinzu kommen muß vielmehr ein Verstoß gegen eine dem Wahlorgan obliegende Handlungspflicht. 3. §§ 26 b BezWG, 22,24 H m b W O , 22 Abs. 2 BezWG Zur Befugnis, bei Verhinderung der Vertrauensperson Erklärungen zu einem Wahlvorschlag abzugeben. BezWG §§ 25 Abs. 1 und 6, 26 b H m b W O §§ 22, 24 BezWG § 22 Abs. 2 Urteil des Hamburgischen Verfassungsgerichts vom 20. März 1995 - HVerfG 3/94 betreffend die Anfechtung der Wahlen zur Bürgerschaft und zur Bezirksversammlung Bergedorf am 19. September 1993 gemäß § 14 Nr. 5 HVerfGG.

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Entscheidungsformel: Die Beschwerde wird zurückgewiesen. Tatbestand : Das Hamburgische Verfassungsgericht hat die Wahlbeschwerde, die Wahlen vom 19. September 1993 zur Hamburgischen Bürgerschaft und zur Bezirksversammlung Bergedorf für ungültig zu erklären, zurückgewiesen. Gründe: Die Beschwerde ist unbegründet. Ein Wahlfehler ist nicht feststellbar. Nach § 41 Abs. 3 BezWG und § 41 Abs. 2 BüWG ist der Einspruch gegen die Gültigkeit von Wahlen zu begründen. Das darin zum Ausdruck kommende Anfechtungsprinzip gilt auch im Wahlprüfungsverfahren vor dem Hamburgischen Verfassungsgericht. Es besagt, daß bei der Wahlprüfung nicht über alle denkbaren Wahlfehler zu befinden ist, sondern nur über diejenigen, die der Anfechtende mit Gründen ausgeführt hat (HVerfG Urteil v. 24. 11. 1988 in HJVB1. 1989 S. 84, 87). Die Prüfung der Gründe des Beschwerdeführers ergibt, daß die Wahlen zur Bezirksversammlung Bergedorf und zur Bürgerschaft vom 19. September 1993 nicht an einem Wahlfehler leiden. 1. Der Beschwerdeführer macht in erster Linie geltend, die Nichtzulassung der R E P U B L I K A N E R zur Wahl im Bezirk Bergedorf sei ein Wahlfehler. Diese Entscheidung der Wahlorgane kann zwar nach § 46 BezWG im Wahlprüfungsverfahren angefochten werden. Sie enthält jedoch keinen Wahlfehler. Der Landeswahlausschuß hat seine Nichtzulassungsentscheidung vom 25. August 1993 darauf gestützt, daß der Wahlvorschlag der R E P U B L I K A N E R gegen § 25 BezWG verstoße. Das folgt aus dem Verlauf der Sitzung des Landeswahlausschusses vom 25. August 1993, wie er sich aus der Niederschrift ergibt, sowie aus den insoweit übereinstimmenden Bekundungen der vom Gericht vernommenen Zeugen. Das wird auch von den Verfahrensbeteiligten so verstanden. Tatsächlich verstieß der Wahlvorschlag der R E P U B L I K A N E R aber nicht gegen § 25 BezWG. Nach § 25 Abs. 1 Satz 1 BezWG kann als Bewerber einer Partei in einem Bezirksvorschlag nur benannt werden, wer in einer Mitgliederoder Vertreterversammlung hierzu gewählt worden ist. § 25 Abs. 6 BezWG bestimmt, daß die Bewerber für die Bezirkswahlvorschläge auch in einer für Hamburg gemeinsamen Mitglieder- oder Vertreterversammlung gewählt werden können. Die R E P U B L I K A N E R haben ihre Kandidaten für die Bezirksversammlung Bergedorf auf einer Landesmitgliederversammlung gewählt.

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Das ist durch Urkunden im Laufe des Wahlprüfungsverfahrens verläßlich belegt worden und zwischen den Verfahrensbeteiligten unstreitig. Diesen Bezirkswahlvorschlag der R E P U B L I K A N E R war nach § 25 BezWG zulässig. Er hätte - bei Kenntnis des wahren Sachverhalts - von den Wahlorganen zugelassen werden müssen. Die Landesmitgliederversammlung der Partei durfte den Wahlvorschlag für die Bezirksversammlung Bergedorf machen. Das folgt aus § 25 Abs. 6 BezWG. Gegen die Zulassung sprach nicht, daß die Partei für die Bezirke Mitte, Wandsbek und Eimsbüttel bereits Wahlvorschläge auf Bezirksebene gemacht hatte. Denn aus § 25 BezWG geht nicht hinreichend deutlich hervor, daß alle Bezirkswahlvorschläge einer Partei entweder von Bezirksmitgliederversammlungen oder von einer Landesmitgliederversammlung gemacht werden müssen. § 25 Abs. 1 BezWG regelt den Grundsatz, Wahlangelegenheiten der lokalen Ebene möglichst ortsnah durch eine Bezirksmitgliederversammlung zu entscheiden. Die in § 25 Abs. 6 BezWG vorgesehene Wahl durch eine Landesmitgliederversammlung ist zwar als eine Ausnahme vom Grundsatz des Abs. 1 zu verstehen. Das zeigt die Stellung der beiden Absätze zueinander und findet eine Bestätigung durch die Worte „nur" in Abs. 1 und „auch" in Abs. 6. Mangels anderweitiger klarer Aussagen des Gesetzes kann auch dieser Systematik jedoch nicht mehr entnommen werden als der gesetzgeberische Wunsch, die Kandidatenwahl möglichst nach § 25 Abs. 1 BezWG ortsnah durchzuführen. Ein Gebot, die Kandidaten nach § 25 Abs. 1 BezWG zu wählen, wo dies möglich ist, und ein Verbot, das Nominierungsverfahren nach § 25 Abs. 6 BezWG in solchen Konstellationen zu benutzen, sind der Regelung des § 25 BezWG indes nicht zu entnehmen. Eine Partei, die ihre sämtlichen Bezirksvorschläge durch eine Landesmitgliederversammlung macht, obwohl sie über Bezirksorganisationen verfügt, kann für ihr Vorgehen auf den klaren, insoweit unmißverständlichen Wortlaut des § 25 Abs. 6 BezWG verweisen. Diese Vorschrift läßt keineswegs erkennen, daß ihr Anwendungsbereich auf Parteien beschränkt sein soll, die mangels vorhandener Bezirksorganisationen nicht nach § 25 Abs. 1 BezWG wählen können. Auch eine Kombination der beiden Nominierungsverfahren nach Abs. 1 und Abs. 6 des § 25 BezWG, wie sie vorliegend angewendet worden ist, widerspricht nicht dem Gesetz. § 25 Abs. 6 BezWG nennt zwar „die" Bezirkswahlvorschläge. Daraus kann jedoch nicht eindeutig entnommen werden, daß damit alle Bezirkswahlvorschläge gemeint sein sollen und dementsprechend eine kombinierte Vorgehensweise unzulässig wäre. Bei einer mehrdeutigen Wahlrechtsbestimmung ist im übrigen diejenige Auslegung vorzugswürdig, die zugunsten des Trägers des Wahlvorschlags und damit für die Zulassung spricht. Daß bei dieser Auslegung die Mitglieder einer Bezirksorganisation die zusätzliche Möglichkeit erhalten, in der Landesmitgliederversammlung für andere

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Bezirke mitzuwählen, obwohl sie auf der Bezirksmitgliederversammlung für ihren Bezirk bereits gewählt haben, verstößt nicht gegen den Grundsatz der Gleichheit des aktiven Wahlrechts. Denn die beiden Wahlen werden auf unterschiedlichen Organisationsebenen abgehalten. Auch wenn somit der Wahlvorschlag der R E P U B L I K A N E R für die Bezirksversammlung Bergedorf hätte zugelassen werden müssen, liegt in der Entscheidung des Landeswahlausschusses vom 25. August 1993 kein Wahlfehler des Wahlorgans. Denn die Partei selbst hat diese - objektiv unrichtige Entscheidung durch unzutreffende Angaben verursacht. Der Landeswahlausschuß hat sich bei seiner Entscheidung ohne Verstoß gegen eine ihm obliegende Pflicht auf diese Angaben gestützt; er hatte keinen Anlaß und war nicht verpflichtet, diesen Angaben zu mißtrauen und deswegen weitere Ermittlungen anzustellen. Der Begriff des Wahlfehlers ist gesetzlich nicht definiert und im einzelnen umstritten. Leitend für die Begriffsbestimmung waren und sind in der Rechtsprechung die Funktion der Wahl und der Zweck der Wahlprüfung, eine ordnungsgemäße Zusammensetzung der gewählten Volksvertretung zu gewährleisten. Danach ist es in den klassischen Bereichen der Wahlprüfung, in denen es um die Uberprüfung der Maßnahmen von amtlichen Wahlorganen geht, sachgerecht, den Verstoß gegen verfassungsrechtliche Wahlgrundsätze sowie gegen sonstige zwingende Wahlvorschriften als Wahlfehler zu begreifen (BVerfGE Bd. 40 S. 11, 39). Dieses Verständnis hat das Bundesverfassungsgericht mit dem Beschluß vom 20.10. 1993 (NJW 1994 S. 992 ff.) weiterentwickelt. Es hat entschieden, daß Wahlrechtsbestimmungen nicht nur von amtlichen Wahlorganen angewendet werden, sondern auch von Dritten, insbesondere von Parteien; demgemäß können auch Dritte Wahlfehler begehen. Damit besteht die Gefahr, daß Dritte Einfluß auf die Gültigkeit von Wahlen nehmen, daß die Zahl der Wahlfehler zunimmt und der Bestandsschutz gewählter Volksvertretungen mit den herkömmlichen Instrumentarien der Wahlprüfung nicht mehr in dem staatsrechtlich erforderlichen Umfang gewährleistet werden kann. In diesem Zusammenhang betont das Bundesverfassungsgericht (aaO S. 924), daß die Kontrolle der Wahlausschüsse derartige Fehler Dritter nicht regelmäßig aufdecken werde und daß die Wahlrechtsbestimmungen die begrenzten Prüfungsmöglichkeiten der Wahlausschüsse in Rechnung stellten. Das Bundesverfassungsgericht (aaO S. 923) begegnet dieser Gefahr dadurch, daß es den Begriff des Wahlfehlers in diesem Bereich verengt. „Da die einmal durch Wahl hervorgebrachten Volksvertretungen wegen der diesen zukommenden Funktionen größtmöglichen Bestandsschutz verlangen, ist es geboten, die Erheblichkeit von Wahlfehlern, die Dritte verwirklichen können, eng und strikt zu begrenzen. Dadurch kann die Gefahr, daß Parteien durch einen - etwa bewußten - Verstoß gegen wahlrechtliche Regelungen bei

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der Kandidatenaufstellung Einfluß auf die Gültigkeit einer Wahl nehmen, eingeschränkt werden". Diese Begrenzung geschieht nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (aaO S. 924) in der Weise, daß nicht bereits der Normverstoß als solcher einen Wahlfehler darstellt. Das Gericht verlangt vielmehr, daß zu dem Normverstoß ein Handlungsfehler hinzukommt. „Der Aufgabe der Wahl, ein funktionsfähiges Repräsentationsorgan des Volkes hervorzubringen, widerspräche es, wenn ihre Gültigkeit durch das Nichteinhalten von Verfahrensregeln in Frage gestellt wäre, deren lückenlose Befolgung den Parteien unmöglich oder unzumutbar ist". Entscheidend sei vielmehr, ob die Partei rechtlich mögliche und ihr zumutbare Maßnahmen unterlassen habe. Dieser Forderung, Wahlfehler Dritter durch die zusätzliche Voraussetzung eines Handlungsfehlers begrifflich zu begrenzen, tritt das erkennende Gericht bei. Sie darf aber nicht auf Wahlfehler Dritter beschränkt bleiben, sondern muß auch auf diejenigen Bereiche des Wahlverfahrens erstreckt werden, in denen Dritte die Wahlrechtsbestimmungen zwar nicht allein und eigenverantwortlich anwenden, aber maßgeblichen Einfluß auf die Rechtsanwendung durch amtliche Wahlorgane ausüben. Zu diesen Bereichen gehört das Wahlzulassungsverfahren. An dieser Nahtstelle zwischen parteiinternen Angelegenheiten und staatlicher Wahlvorbereitung sind die amtlichen Wahlorgane zur Vermeidung von Verstößen gegen Wahlrechtsvorschriften darauf angewiesen, daß die Parteien ihnen zutreffende Angaben über die parteiinterne Wahlvorbereitung machen. Auch hier nehmen die Parteien maßgeblichen Einfluß auf die Anwendung der Wahlrechtsbestimmungen und könnten - trotz Kontrolle der Wahlorgane - durch ihren Beitrag zu einer Normverletzung die Gültigkeit der Wahl in Frage stellen. Dieser Bereich ist anfällig für Wahlrechtsverstöße, die den amtlichen Wahlorganen unbemerkt unterlaufen. Zwar sollen an dieser Stelle nach dem Zweck der Wahlprüfung möglichst alle Fehler aufgedeckt werden. Aber die von den Wahlgesetzen in Rechnung gestellten begrenzten Prüfungsmöglichkeiten der Wahlorgane können dies nicht lückenlos gewährleisten. In Erkenntnis des maßgeblichen Einflusses Dritter auf die Entscheidungen der Wahlorgane und ihrer begrenzten Prüfungsmöglichkeiten widerspräche es der Aufgabe der Wahl, wenn ihre Gültigkeit schon deswegen in Frage gestellt werden könnte, weil ein Wahlorgan unwissentlich und ohne Verstoß gegen ihm obliegende Handlungspflichten eine Wahlrechtsbestimmung nicht richtig angewendet hat. Danach ist die - objektiv unzutreffende - Entscheidung des Landeswahlausschusses vom 25. August 1993, die Partei der R E P U B L I K A N E R nicht zur Bezirksversammlungswahl in Bergedorf zuzulassen, kein Wahlfehler. Denn sie beruht nicht auf einem Verstoß gegen eine dem Landeswahlausschuß obliegende Handlungspflicht.

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Der Landeswahlausschuß durfte sich bei seiner Entscheidung auf die Angaben des Zeugen J. stützen, auch wenn er nicht Vertrauensperson des Wahlvorschlages war. Denn das hamburgische Wahlrecht beschränkt die Befugnis, sich zu einem Wahlvorschlag zu äußern, nicht auf die Vertrauensperson; auch der Zeuge J. war vorliegend dafür hinreichend legitimiert. Nach § 26 Abs. 5 BezWG sollen in jedem Wahlvorschlag eine Vertrauensperson und ein Stellvertreter bezeichnet werden. Fehlt diese Bezeichnung, so gilt der erste Unterzeichner des Wahlvorschlags als Vertrauensperson. Das hamburgische Wahlrecht umschreibt die Aufgaben und Befugnisse der Vertrauensperson eines Wahlvorschlages nicht umfassend. Es regelt nur Einzelfragen, nämlich daß die Vertrauensperson sofort zu benachrichtigen ist, wenn der Bezirkswahlleiter bei Prüfung des Bezirkswahlvorschlages Mängel feststellt (§ 26 b Abs. 1 BezWG), und daß die Vertrauensperson befugt ist, Rechtsbehelfe gegen Verfügungen des Bezirkswahlleiters (§ 26 b Abs. 4 BezWG) und gegen die Ablehnung des Wahlvorschlags durch den Bezirkswahlausschuß einzulegen (§ 27 Abs. 2 BezWG). Ferner bestimmt die Hamburgische Wahlordnung, daß für eine Änderung des Wahlvorschlags die schriftliche Erklärung der Vertrauensperson, für eine Zurücknahme die gemeinsame Erklärung der Vertrauensperson und ihres Stellvertreters nötig ist (§ 22 HmbWO). Schließlich ist nach § 24 Abs. 2 H m b W O die Vertrauensperson des betroffenen Wahlvorschlags zu der Verhandlung des Landeswahlausschusses über einen Widerspruch zu laden. Demgegenüber sind die Befugnisse der Vertrauensperson im Bundeswahlrecht umfassend in § 22 Abs. 2 BWG geregelt. Danach sind nur die Vertrauensperson und die stellvertretende Vertrauensperson, jede für sich, berechtigt, verbindliche Erklärungen zum Wahlvorschlag abzugeben und entgegenzunehmen. Einen derartigen Ausschluß anderer Personen, sich zum Wahlvorschlag zu äußern, kennt das hamburgische Wahlrecht nicht. Danach war der Landeswahlausschuß im Widerspruchsverfahren nach § 24 Abs. 2 H m b W O verpflichtet, die Vertrauensperson des betroffenen Wahlvorschlags zur Verhandlung über den Widerspruch zu laden. Dieser Pflicht ist der Landeswahlausschuß nachgekommen, indem er Herrn B. zur Sitzung vom 25. August 1993 geladen hat. Das folgt aus den Akten des Landeswahlausschusses und den Bekundungen des Zeugen R. vor dem Verfassungsausschuß, in denen der Zeuge darüber berichtet, daß sich die Vertrauensperson des Wahlvorschlags der R E P U B L I K A N E R durch eine entsprechende Mitteilung gegenüber dem Landeswahlausschuß für verhindert erklärt habe. Die Ladung und die Verhinderung B. werden überdies dadurch bestätigt, daß diese Vertrauensperson dem Zeugen J. für die Widerspruchsverhandlung vor dem Landeswahlausschuß vom 25. August 1993 eine schriftliche Vollmacht erteilt hat. Der Landeswahlausschuß war nicht verpflichtet, zusammen mit der

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Vertrauensperson B. auch deren Stellvertreter zu laden. Denn ein gemeinsames Handeln von Vertrauensperson und Stellvertreter ist im hamburgischen Wahlrecht nur bei der Zurücknahme eines Wahlvorschlages nach § 22 HmbWO gefordert, während nach § 24 Abs. 2 HmbWO die Ladung der Vertrauensperson genügt. Das Wahlrecht trifft keine Regelung für den Fall, daß die Vertrauensperson verhindert oder unerreichbar ist. Es ist anzunehmen, daß dann auf den Stellvertreter zurückzugreifen ist. Für den Fall jedoch, daß zugleich auch der Stellvertreter verhindert ist, fehlt es an einer gesetzlichen Handlungsanweisung für die Wahlorgane. § 27 Abs. 2 Satz 4 BezWG besagt lediglich, daß in der Widerspruchsverhandlung die erschienenen Beteiligten zu hören sind. Das aber ist hier durch Anhörung des Zeugen J. geschehen. Der Landeswahlausschuß mußte nicht den Zeugen J. zurückweisen und auf dem Erscheinen des Beschwerdeführers als Vertreter der verhinderten Vertrauensperson bestehen. Denn einerseits sind die Vertrauenspersonen nicht verpflichtet, vor dem Landeswahlausschuß als Widerspruchsbehörde zu erscheinen. Andererseits hat der Beschwerdeführer in diesem Verfahren niemals geltend gemacht, daß er für die Widerspruchsverhandlung vom 25. August 1993 zur Verfügung gestanden hätte. Der Zeuge J. hat vielmehr vor dem Verfassungsausschuß ausgesagt, daß nach den Äußerungen der Vertrauensperson B. auch sein Stellvertreter an diesem Tag beruflich nicht abkömmlich gewesen sei. Der Zeuge J. war in dieser Lage ausreichend legitimiert, sich in der Widerspruchssitzung zum Wahlvorschlag der REPUBLIKANER zu äußern. Denn er ist der Landesvorsitzende der Partei und war überdies mit einer Vollmacht ausgestattet, die auch von der Vertrauensperson des Wahlvorschlags ausgestellt worden war. Zwar mag es rechtlich nicht unbedenklich sein, eine durch Wahl erworbene Rechtsstellung durch Bevollmächtigung zu delegieren. Aber hier schreibt nur die Satzung des Landesverbandes der Partei in § 16 Abs. 2 die Wahl der Vertrauensperson vor. Das staatliche Wahlrecht macht nach § 26 Abs. 5 BezWG die Bezeichnung einer Vertrauensperson nicht von einem Wahlakt abhängig. Verstöße allein gegen das Satzungsrecht der Parteien sind aber nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschl. v. 20. 10. 1993 in N J W 1994 S. 922), der sich das erkennende Gericht anschließt, wahlrechtlich ohne Bedeutung. Da die Vertrauensperson und ihr Stellvertreter verhindert waren, sprach auch der Rechtsgedanke des § 26 Abs. 5 BezWG für die Legitimation des Zeugen J. Denn er hatte den Wahlvorschlag, um den es in der Widerspruchsverhandlung ging, als erster unterzeichnet. Zur Uberzeugung des erkennenden Gerichts steht fest, daß der Zeuge J. vor dem Landeswahlausschuß das Kandidatenwahlgremium der REPUBLIKANER, das am 31. Juli 1993 für den Bezirkswahlvorschlag der Partei in Ber-

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gedorf tätig geworden war, als eine Restmitgliederversammlung bezeichnet und als Restmitglieder diejenigen definiert hat, die nicht in Kreisverbänden organisiert seien. Das folgt aus den Niederschriften über die Verhandlung des Landeswahlausschusses vom 25. August 1993 und des Verfassungsausschusses vom 24. Mai 1994 sowie aus den insoweit übereinstimmenden, glaubhaften Angaben der vom Gericht vernommenen Zeugen. Der Zeuge J. selbst hat in seinen späteren Vernehmungen nicht in Abrede genommen, sich vor dem Landeswahlausschuß so ausgedrückt zu haben. Vor dem Verfassungsausschuß hat er auf die von ihm so genannte Restmitgliederversammlung angesprochen erklärt: „Das war wohl ein etwas unglücklich von mir gewähltes Wort" und „Ich gebe ja zu, daß das Wort ,Rest' völlig falsch am Platz war". In seiner Zeugenaussage vor dem erkennenden Gericht hat J. überdies bekundet: „Ich will nicht darum herumreden, daß das Wort,Restmitgliederversammlung' von mir so gefallen ist." Auch die in diesem Zusammenhang vom Zeugen J. erwähnte, dem Gericht überreichte Aktennotiz vom 1. August 1994, die keineswegs am Tage nach der Sitzung des Landeswahlausschusses vom 25. August 1993 gemacht worden ist, sondern ungefähr ein Jahr später, läßt keine Zweifel daran aufkommen, daß der Zeuge sich so wie am 25. August 1993 protokolliert auch wirklich ausgedrückt hat. In dieser Aktennotiz räumt der Zeuge vielmehr nochmals ausdrücklich ein, den Ausdruck „Restmitgliederversammlung" verwendet zu haben. Was der Zeuge mit diesem Ausdruck sagen wollte, ist rechtlich nicht entscheidend; und was der Zeuge damit erklärt hat, ist ein objektiver Befund, für den es nicht auf den Willen des Zeugen und seine Einschätzung ankommt, sondern auf den Empfängerhorizont. Die Ausschußmitglieder aber haben diese Äußerung übereinstimmend so verstanden, daß am 31. Juli 1993 weder eine Landesmitgliederversammlung noch eine Bezirksmitgliederversammlung, sondern eine Teilmitgliederversammlung anderer Art die Kandidatenwahl vorgenommen hatte. Das erkennende Gericht ist davon überzeugt, daß der objektive Erklärungsinhalt der Angaben des Zeugen J. nur dies Verständnis zuließ. Auch wenn heute feststeht, daß der Zeuge J. dem Landeswahlausschuß am 25. August 1993 ein unzutreffendes Bild von der Kandidatenwahl der REPUBLIKANER am 31. Juli 1993 vermittelt hat, hat der Ausschuß aus seiner damaligen Erkenntnislage den Zeugen J. ohne Pflichtenverstoß für glaubwürdig und seine Angaben für glaubhaft gehalten. Dann aber mußte er den Bezirksvorschlag der REPUBLIKANER zurückweisen, weil eine solche Restmitgliederversammlung in § 25 BezWG nicht vorgesehen ist. Der Zeuge war trotz seines hohen Alters aussagetüchtig. Das erkennende Gericht hat bei der Vernehmung des Zeugen J. über ein Jahr nach der Widerspruchsverhandlung vom August 1993 keinerlei Anzeichen dafür gefunden, daß der Zeuge aufgrund seines Alters an Mängeln bei der Wahrnehmung, der Erinnerung oder der Wiedergabe von Sachverhalten leidet.

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Zu dem Thema seiner Bekundungen vor dem Landeswahlausschuß war der Zeuge J. ebenfalls aussagetüchtig. Denn er hatte an der Versammlung vom 31. Juli 1993, zu der er befragt wurde, selbst teilgenommen und war insoweit nicht auf Informationen Dritter angewiesen. Das war nach Urkundenlage auch dem Landeswahlausschuß deutlich. Denn J. hatte den Wahlvorschlag der R E P U B L I K A N E R vom 31. Juli 1993 selbst als erster unterzeichnet. - Überdies hatte der Zeuge J. vor dem Landeswahlausschuß in Vertretung der Vertrauensperson eine verantwortliche Stellung inne, die ihn zu wahrheitsgemäßen Angaben verpflichtete. Der Landeswahlausschuß durfte davon ausgehen, daß der Zeuge sich dessen bewußt war. Der Landeswahlausschuß konnte auch von der Glaubhaftigkeit der Angaben des Zeugen J. über die Restmitgliederversammlung überzeugt sein. Denn die Beantwortung der gestellten Fragen erforderte keinen über die Kenntnisse und Fähigkeiten des Zeugen hinausgehenden Sachverstand. Die Frage nach der Zusammensetzung der Versammlung vom 31. Juli 1993 war einfach zu verstehen, ließ ersichtlich keine Mißverständnisse aufkommen und konnte dementsprechend unmißverständlich beantwortet werden. Dem Landesvorsitzenden einer Partei, die über verschiedene Organisationsebenen verfügt, ist die Unterscheidung zwischen einer Landesmitgliederversammlung und einer Bezirksmitgliederversammlung geläufig. Der Zeuge J. hat aber zur Beschreibung der Art der Versammlung vom 31. Juli 1993 weder die Bezeichnung Landesmitgliederversammlung noch Bezirks- oder Kreismitgliederversammlung, sondern den Ausdruck „Restmitgliederversammlung" verwandt. Das ist ein Ausdruck, der ersichtlich deutlich machen sollte und auch vom Empfängerhorizont Klarheit darüber verschafft hat, daß diese Versammlung weder eine Landesmitgliederversammlung noch eine Bezirksmitgliederversammlung war. Überdies hat der Zeuge seine Wortschöpfung noch in einer Weise begrifflich bestimmt, die plausibel schien und die so definierte Versammlung deutlich von den nach § 25 BezWG zulässigen Kandidatenwahlgremien abhob. Für die Glaubhaftigkeit dieser Angaben des Zeugen J. vor dem Landeswahlausschuß fällt aber auch folgendes ins Gewicht: Die Partei stritt mit ihrem Widerspruch um die Zulassung ihres Wahlvorschlags. In einer solchen Lage mußte der Landeswahlausschuß eher auf Angaben gefaßt sein, die Zulassungsbedenken ausräumen sollten und dem angestrebten Ziel förderlich waren, aber vom Landeswahlausschuß kritisch bewertet werden mußten. Demgegenüber hatte der Landeswahlausschuß in viel geringerem Maße damit zu rechnen, daß eine Partei zulassungsschädliche Angaben machen würde, die der Wahrheit nicht entsprachen. Denn nach der bestehenden Interessenlage war in Betracht zu ziehen, daß die Partei entweder um jeden Preis für die Zulassung streiten oder ihrer Wahrheitspflicht entsprechen würde. Demgemäß konnte der Landeswahlausschuß bei ersichtlich zulassungsschädlichen Angaben der Partei

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zunächst einmal davon ausgehen, daß die Partei sie gemacht hatte, um ihrer Wahrheitspflicht zu entsprechen. Das erkennende Gericht ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme, insbesondere aus den Aussagen der Zeugen Ke. und K., und nach dem Inhalt der Protokolle des Landeswahlausschusses vom 25. August 1993 sowie des Verfassungsausschusses vom 24. Mai 1994 überdies davon überzeugt, daß dem Zeugen J. im Landeswahlausschuß deutlich vorgehalten worden ist, daß seine Angaben einer Zulassung des Wahlvorschlags entgegenstehen, und daß der Zeuge den Vorhalt verstand hat. Er hat seine Angaben über die Restmitgliederversammlung auch auf diesen Vorhalt nicht korrigiert. Damit mußte sich im Landeswahlausschuß die Uberzeugung bilden, daß diese Angabe richtig war. Die damals vorliegenden urkundlichen Angaben der Partei über den Kandidatenvorschlag für die Bezirksversammlung Bergedorf gaben dem Landeswahlausschuß keinen Anlaß und begründeten daher keine Pflicht des Ausschusses, den Wahrheitsgehalt der Angaben des Zeugen J. durch weitere Ermittlungen zu überprüfen. Dem Landeswahlausschuß lagen diejenigen Urkunden nicht vor, die heute nachweisen, daß die Mitgliederversammlung vom 31. Juli 1993 eine Landesmitgliederversammlung war. Das parteiinterne Protokoll vom 31. Juli 1993, die Anwesenheitsliste und das Einladungsschreiben vom 16. Juli 1993 standen dem Landeswahlausschuß nicht zur Verfügung. Aus der vorliegenden Niederschrift vom 31. Juli 1993, die die Partei auf dem Formular Anlage 7 zu § 20 H m b W O gemacht hatte, ergab sich lediglich, daß am 31. Juli 1993 eine Mitgliederversammlung stattgefunden hatte. Die Empfehlung dieses Formulars, eine Anwesenheitsliste zu führen, aus der sich auch die Anschriften der Versammlungsteilnehmer ergeben, hatte die Partei nicht dazu veranlaßt, eine solche Liste den Wahlorganen vorzulegen. Aus dem Inhalt der eingereichten Niederschrift ergab sich nichts dafür, daß der Zeuge J. das Wahlgremium zu Unrecht als eine Restmitgliederversammlung aus denjenigen Mitgliedern beschrieben hatte, die nicht in Kreisverbänden organisiert waren. Der allgemeine Ausdruck „Mitgliederversammlung" in der Niederschrift stand nicht im Gegensatz zu einer solchen Restmitgliederversammlung. Auch die Zahl von 36 Mitgliedern ließ nicht den Verdacht aufkommen, daß es sich in Wirklichkeit um eine Landesmitgliederversammlung gehandelt haben müsse. Sonstige Erkenntnisse über die Art des Wahlgremiums standen dem Landeswahlausschuß nicht zur Verfügung. Da die Angaben des Zeugen mit den von der Partei eingereichten Urkunden mithin im Einklang standen, war der Landeswahlausschuß nicht verpflichtet, die Verhandlung über den Widerspruch auszusetzen, um dem Zeugen Gelegenheit zu geben, durch Beibringung weiterer Urkunden die Unrichtigkeit seiner eigenen Angaben nachzuweisen, zumal der Zeuge selbst bis zum Schluß der Sitzung des Landeswahlausschusses zu seinen der Partei ersichtlich ungünstigen Angaben stand.

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Da der festgestellte Verstoß gegen § 25 BezWG mithin kein Fehler der Wahl zur Bezirksversammlung in Bergedorf war, kann er kein Wahlfehler bezüglich der Bürgerschaftswahl sein. O b dieser Verstoß anderenfalls überhaupt die Gültigkeit der Bürgerschaftswahl hätte berühren können, kann danach unentschieden bleiben. 2. Im übrigen wendet sich der Beschwerdeführer gegen die Bewertung gültiger Stimmen als ungültig, teils mit konkreten Gesichtspunkten, weitgehend aber pauschal und unsubstantiiert. Auch daraus ergibt sich kein Wahlfehler. a) Der Beschwerdeführer macht geltend, die Bewertung von gültigen Stimmen als ungültig beruhe teilweise auf der Geschäftsanweisung für den Wahlvorstand, die insbesondere in Nr. 9.2 zu derartigen Fehlbewertungen auffordere. Die Behörde für Inneres, Statistisches Landesamt, - Landeswahlamt - hat für die Wahlen am 19. September 1993 eine Geschäftsanweisung für den Wahlvorstand herausgegeben. Darin werden die Aufgaben des Wahlvorstandes, seine personelle sowie sachliche Ausstattung und die einzelnen Arbeitsgänge von der Zeit vor dem Wahltag bis zu den Abschlußarbeiten nach Feststellung des Wahlergebnisses in der Art einer Gebrauchsanweisung genau beschrieben. Im Anhang zu dieser Geschäftsanweisung sind „Sonderfälle" bei der Wahlhandlung aufgeführt, die dem Wahlvorstand jeweils unter Angabe der einschlägigen Vorschriften der Wahlgesetze sowie der Wahlordnung die in solchen Sonderfällen zu ergreifenden Maßnahmen bezeichnen. Die Geschäftsanweisung befaßt sich in Nr. 9 mit „Ungültigkeitsgründen", verweist den Leser zunächst auf § 40 H m b W O und widmet sich unter 9.2 den Mängeln in der Kennzeichnung des Stimmzettels. Der Ungültigkeitsgrund des § 40 Abs. 1 Nr. 5 HmbWO, wonach eine Stimme ungültig ist, wenn der Stimmzettel den Willen des Wählers nicht zweifelsfrei erkennen läßt, wird durch Beispiele konkretisiert: So sei eine Stimme ungültig, wenn auf dem Stimmzettel keine Kennzeichnung oder ein Fragezeichen angebracht sei, wenn die Rückseite gekennzeichnet sei, wenn der Name eines Bewerbers durchgestrichen oder zusätzliche Namen angebracht seien, wenn ein Kreuz angebracht sei, das (nicht nur geringfügig über ein Feld hinausragt) sich über mehrere Kreise oder Felder erstreckt, auch wenn der Schnittpunkt in einem Feld oder einem Kreis liege und wenn eine Liste durch einen Riß in einem Kreis durch Beschädigung mit einem scharfen Gegenstand, wenn auch im Kreis, gekennzeichnet sei. Die Verwendung dieser Geschäftsanweisung ist unter keinem denkbaren Gesichtspunkt geeignet, einen Wahlfehler zu begründen. Für den Erlaß dieser Anweisung gibt es zwar keine rechtliche Grundlage, einer solchen bedarf es aber auch nicht. Die Anweisung hat lediglich den Zweck, den Inhalt der für die

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Wahlen geltenden Vorschriften zu erläutern. Darauf beschränkt sich auch ihr Inhalt. Norminterpretierende Verwaltungsvorschriften bedürfen keiner gesetzlichen Grundlage. Wann eine Stimme ungültig ist, hat der Wahlvorstand anhand der rechtlichen Voraussetzungen des § 40 H m b W O zu entscheiden. Ermessen steht ihm insoweit nicht zu. Dementsprechend kann auch die Heranziehung der Geschäftsanweisung dem Wahlvorstand bei der Stimmenbewertung nur eine Entscheidungshilfe bei Anwendung der rechtlichen Vorgaben des § 40 H m b W O sein. Die einzelnen in der Geschäftsanweisung genannten Ungültigkeitsgründe sind eine sachgerechte Konkretisierung des Ungültigkeitsgrundes nach § 40 Abs. 1 Nr. 5 HmbWO, die eine Einzelfallprüfung nach der Wahlordnung nicht überflüssig macht. Dementsprechend ist die Annahme des Beschwerdeführers, aufgrund der Geschäftsanweisung seien gültige Stimmen als ungültig bewertet worden, eine unzutreffende Behauptung. b) Der Beschwerdeführer behauptet auch, die hohe Zahl ungültiger Stimmen sei darauf zurückzuführen, daß bei den Wahlen zwei Stimmzettel verwendet worden seien. In dieser Vorgehensweise liegt indes kein Wahlfehler. Nach § 26 Abs. 1 H m b W O wird bei der Bürgerschaftswahl und der Wahl zu den Bezirksversammlungen mit getrennten Stimmzetteln gewählt, die sich in Farbe oder Aufdruck unterscheiden. Dabei ist nach § 26 Abs. 3 H m b W O ein gemeinsamer Wahlumschlag zu verwenden. Am 19. September 1993 war der Stimmzettel für die Bürgerschaftswahl weiß und der für die Bezirksversammlungswahl lindgrün. Dadurch unterscheiden sich die Stimmzettel hinreichend deutlich. Diese Regelungen der Wahlordnung finden ihre gesetzliche Grundlage in § 47 BüWG und BezWG. Daß es dennoch bei Wählern zu Irrtümern aufgrund der vorhandenen zwei Stimmzettel gekommen sein kann, besagt nichts über das Vorliegen eines Wahlfehlers. c) Soweit der Beschwerdeführer aus der Tatsache, daß die Zahl der ungültigen Stimmen von 1,3 % auf 2,1 % bzw. 2,0 % auf 3,9 % gestiegen ist, Rückschlüsse auf das Vorliegen von Wahlfehlern zu ziehen versucht, genügt sein Vorbringen nicht der Substantiierungspflicht und kann daher seiner Wahlanfechtung nicht zum Erfolg verhelfen. Nach der im Wahlanfechtungsverfahren geltenden Substantiierungspflicht muß der Anfechtende einen konkreten und hinreichend substantiierten Sachvortrag bieten, aus dem sich entnehmen läßt, worin ein Wahlfehler liegen soll, und der die Nachprüfung rechtserheblicher Tatsachen zuläßt. Vermutungen, Andeutungen von möglichen Wahlfehlern oder allgemeine Behauptungen

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über solche Fehler oder nicht unwahrscheinliche Fehlerquellen genügen nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des erkennenden Gerichts nicht diesen Anforderungen. Mehr als Vermutungen oder Andeutungen hat der Beschwerdeführer jedoch in Bezug auf den Gesichtspunkt des höheren Anteils ungültiger Stimmen nicht vorgebracht. Da mithin ein Wahlfehler nicht festzustellen ist, mußte die Beschwerde zurückgewiesen werden. Gemäß § 66 Abs. 1 HVerfGG werden Kosten nicht erhoben.

Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes

Die amtierenden Richter des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes* 1. 1. 1995 bis 12.12. 1995 Horst Hilpert, Kurt Thürk,

Präsident (Prof. Dr. Heike Jung) Vizepräsident (Winfried Adam)

Karl-Heinz Friese (Ulrich Sperber) Dr. Günter Ellscheid (Dieter Knicker) Otto Dietz (Günther Hahn) Prof. Dr. Elmar Wadle Qakob Lang) JR. Rudolf Heimes (Dr. Norbert Staab) Dr. Jakob Seiwerth (Jürgen Grünert)

13. 12.1995 bis 31. 12. 1995 Dr. Roland Rixecker, Prof. Dr. Elmar Wadle,

Präsident (Prof. Dr. Heike Jung) Vizepräsident (Winfried Adam)

Otto Dietz (Günther Hahn) Dr. Günter Ellscheid (Dieter Knicker) Karl-Heinz Friese (Ulrich Sperber) Dr. Jakob Seiwerth (Jürgen Grünert) Hans-Georg Warken (Wolfgang Schild) Prof. Dr. Rudolf Wendt Qakob Lang)

*

In Klammern die Stellvertreter

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Nr. 1 1) Artikel 45 Satz 2 der saarländischen Verfassung gewährt weder ein subjektives (klagbares) soziales Grundrecht auf Arbeit noch ein Freiheitsrecht der Arbeit. 2) Eine auf Artikel 45 Satz 2 SVerf gestützte Verfassungsbeschwerde ist deshalb nach § 55 Abs. 1 des Gesetzes über den Verfassungsgerichtshof des Saarlandes nicht zulässig. Verfassung des Saarlandes Art. 45 Satz 2 Gesetz über den Verfassungsgerichtshof § 55 Abs. 1 Beschluß vom 9. Juni 1995 - Lv 6/94 in dem Prozeßkostenhilfeverfahren des Antragstellers gegen das Saarland.

Entscheidungsformel: Der Antrag auf Gewährung von Prozeßkostenhilfe wird zurückgewiesen.

Gründe A. Zur Einlegung einer Landesverfassungsbeschwerde wegen Verletzung des Art. 45 Satz 2 SVerf durch das Urteil des Landesarbeitsgerichts Saarland vom 23. 3 . 1 9 9 4 - 2 Sa 208/93 - begehrt der Antragsteller unter Vorlage der entsprechenden Unterlagen über seine Einkunfts- und Vermögensverhältnisse die Gewährung von Prozeßkostenhilfe, um auf diesem Wege in die Lage versetzt zu werden, entsprechend der Vorschrift des § 50 Abs. 1 Satz 1 V G H G die Verfassungsbeschwerde formgerecht durch einen Rechtsanwalt oder Professor des Rechts einlegen zu können. Im Ausgangsverfahren vor dem Landesarbeitsgericht Saarland hat der Antragsteller, dessen auf eine Stellenausschreibung erfolgte Bewerbung um Einstellung in den saarländischen Schuldienst nicht zum Erfolg geführt hatte,

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begehrt, das Saarland zu verurteilen, den Kläger ab dem kommenden Schuljahr mit einer halben, alternativ 2/3, alternativ 3/4 Stelle als Lehrer für die Sekundarstufe II in den Fächern Sozialkunde und Englisch, alternativ nur Sozialkunde, alternativ nur Englisch, in den Schuldienst im Saarland einzustellen, entweder in einer Integrierten Ganztagsgesamtschule oder einer Kooperativen Gesamtschule, alternativ in einem Gymnasium, alternativ in einer Sekundärschule. Durch das Urteil, das der Antragsteller mit der Verfassungsbeschwerde angreifen möchte, hat das Landesarbeitsgericht Saarland die Abweisung der Klage durch das Arbeitsgericht bestätigt und die Revision zum BAG nicht zugelassen. Eine Nichtzulassungsbeschwerde hat der Antragsteller nicht eingelegt. Das Landesarbeitsgericht Saarland hat ausgeführt: Ein Einstellungsanspruch ergebe sich nicht aus Art. 33 Abs. 2 GG. Der Antragsteller habe nicht dargelegt, daß seine Einstellung bei der gegebenen Konkurrentenlage im Hinblick auf die Auswahlkriterien des Art. 33 Abs. 2 GG die einzige ermessensfreie Entscheidung der Einstellungsbehörde gewesen wäre. Weder aus Art. 12 Abs. 1 GG noch aus dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 und 28 Abs. 1 GG) ergebe sich ein Anspruch des Antragstellers auf Einstellung. Ein solcher folge auch nicht aus Art. 45 Satz 2 SVerf. Es könne dahinstehen, ob Art. 33 Abs. 2 GG und Art. 12 Abs. 1 GG diesem Grundrecht der Landesverfassung vorgehe. Für den vorliegenden Rechtsstreit brauche auch nicht entschieden zu werden, ob Art. 45 Satz 2 SVerf ebenso wie die entsprechenden Vorschriften anderer Landesverfassungen einen Programmsatz oder eine Staatszielbestimmung darstellten. Im rechtswissenschaftlichen Schrifttum sei man sich jedenfalls weitgehend darüber einig, daß sich aus einem Recht auf Arbeit kein Anspruch auf Abschluß eines Arbeitsvertrages gegenüber einem gewünschten Arbeitsvertragspartner herleiten lasse. Ganz überwiegend werde das Recht auf Arbeit als Verfassungsauftrag zur Vollbeschäftigung gedeutet. Die vom Kläger angeführten völkerrechtlichen Vereinbarungen begründeten ebenfalls keinen Einstellungsanspruch gegenüber einem bestimmten Arbeitgeber. Schließlich sei das Klagebegehren auch nicht aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes gerechtfertigt, da der Antragsteller bei Aufnahme des Studiums nicht darauf habe vertrauen dürfen, nach Abschluß des Studiums in den Schuldienst eingestellt zu werden. Der Antragsteller meint, durch das Urteil in seinen Rechten aus Art. 45 Satz 2 SVerf verletzt zu sein. Diese Vorschrift gewähre nach dem Willen des Verfassungsgebers ein subjektives Recht des einzelnen, jedenfalls gegenüber einem staatlichen Monopol. § 55 Abs. 3 V G H G stehe der Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde zum VGH nicht entgegen, da es gegenüber einer auf Art. 45 Satz 2 SVerf gestützten Verfassungsbeschwerde keine gleichwertige Möglichkeit gebe, das Bundesverfassungsgericht anzurufen.

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B. Die beantragte Prozeßkostenhilfe war zu versagen, da die beabsichtigte Verfassungsbeschwerde keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§§ 58 V G H G , 114 ZPO). Dahinstehen kann die Frage, ob dem Antragsteller unter Berücksichtigung der Grundregeln des deutschen Verfahrensrechts, die nach § 11 der Geschäftsordnung des V G H vom 5. 8. 1991 (ABl. S. 974) auf das Verfahren des V G H anzuwenden sind, nach Entscheidung über das Prozeßkostenhilfegesuch auf entsprechenden Antrag Wiedereinsetzung gegen die versäumte Monatsfrist des § 56 V G H G zur Einlegung der Verfassungsbeschwerde zu gewähren wäre und ob die Zulässigkeitsvoraussetzung der Erschöpfung des Rechtsweges (§ 55 Abs. 4 Satz 1 V G H G ) trotz Nichteinlegung der Nichtzulassungsbeschwerde zum B A G (§§ 72 Abs. 2 Nr. 2; 72 a Abs. 1 ArbG) gegeben ist. Auch wenn diese Fragen zu bejahen sind, kann die beabsichtigte Verfassungsbeschwerde keinen Erfolg haben. Nach § 55 Abs. 1 V G H G kann jemand Verfassungsbeschwerde nur mit der Behauptung erheben, durch die saarländische öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder sonstigen verfassungsmäßigen Recht verletzt zu sein. Unter Grundrechten und sonstigen verfassungsmäßigen Rechten sind nur subjektive Rechte, die der Rechtsträger geltend machen und verfahrensrechtlich durchsetzen kann, zu verstehen. Das folgt unmittelbar daraus, daß § 55 Abs. 1 V G H G den Zugang zum Verfassungsbeschwerdeverfahren regelt und dabei auf eine Rechtsverletzung des Beschwerdeführers abhebt. Zu einer solchen kann es aber nur kommen, wenn in ein subjektives Recht eingegriffen wird. Die Zulässigkeitsvoraussetzung des § 55 Abs. 1 V G H G ist nur dann erfüllt, wenn die vom Beschwerdeführer als verletzt bezeichnete Verfassungsnorm dem einzelnen subjektive Rechte gewährt. Es genügt deshalb - wie der V G H bereits früher entschieden hat (vgl. Urteil vom 19.1.1987 - Lv 5/85 - ) nicht, die Verletzung einer Verfassungsnorm darzulegen und zu behaupten, diese enthalte die Gewährleistung eines Grundrechts oder verfassungsmäßigen Rechts im subjektiven Sinne. Auf die rechtliche Auffassung des Beschwerdeführers kommt es insoweit nicht an, vielmehr ist der wirkliche Sinn der Verfassungsnorm entscheidend. Die vom Antragsteller beabsichtigte Verfassungsbeschwerde wäre nach diesen Grundsätzen unzulässig. Der Antragsteller will die Verfassungsbeschwerde auf Art. 45 Satz 2 SVerf stützen. Diese Vorschrift gewährt jedoch kein Grundrecht im Sinne des § 55 Abs. 1 V G H G , nämlich kein subjektives, einklagbares Recht. 1. Die Vorschrift lautet dahin, daß „jeder ... nach seinen Fähigkeiten ein Recht auf Arbeit (hat)". Dies muß indessen nicht im Sinne der Gewährung

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eines subjektiven Anspruchs auf Verschaffung einer (bezahlten) Arbeitsstelle verstanden werden. Der Wortlaut der Vorschrift spricht nur scheinbar für eine dahingehende Auslegung. Im historischen Rückblick zeigt sich nämlich, daß in der - mit dem Auftreten von Massenarbeitslosigkeit beginnenden - Diskussion über das Recht auf Arbeit von keiner Seite an die Einräumung eines klagbaren, subjektiven Grundrechts auf Arbeit gedacht wurde (vgl. Rixecker, Der Schutz des Einzelnen im Rahmen der Mitbestimmung in personellen Angelegenheiten, Saarbrücken 1983 (Diss.), S. 201 ff.). Die Rede vom Recht auf Arbeit war nicht im juristisch-technischen Sinne gemeint, sondern drückte eine Zielvorstellung für staatliches Handeln aus, durch welches Zustände und Einrichtungen geschaffen werden sollten, die es dem einzelnen ermöglichen, eine ausreichend entlohnte Arbeit zu finden. Dies war für die frühen Kommentatoren der Hessischen und der Saarländischen Verfassung noch selbstverständlich. So führen Zinn/Stein in ihrem Kommentar zur Hessischen Verfassung aus, das Recht auf Arbeit, wie es sich aus dem mit Art. 45 Satz 2 SVerf insoweit übereinstimmenden Wortlaut des Art. 28 Abs. 2 der Hessischen Verfassung ergibt, sei bisher nur als soziale Forderung, also politisch, aufzufassen. Schranil, Verfassung des Saarlandes mit Kommentar, meint zu Art. 45 Satz 2 SVerf, das Recht auf Arbeit sei nur eine schärfere Formulierung dessen, was schon Art. 163 der Weimarer Verfassung bestimmt habe, wobei die schärfere Formulierung aber nicht dazu führe, daß ein subjektives Recht auf Arbeit entstanden sei. Auch in der modernen Diskussion über das Recht auf Arbeit und über die sonstigen sozialen Grundrechte findet sich durchweg ein Sprachgebrauch, bei dem sich der Begriff des sozialen Grundrechts, insbesondere des Rechts auf Arbeit, auch auf bloß den Staat objektiv verpflichtende Normen, die keine subjektiven Rechte des einzelnen gewähren, bezieht (vgl. ζ. B. die Begriffserklärung bei Alexy, Theorie der Grundrechte, 1986, S. 455 ff.). Ausdrücklich wird es, um den rechtspolitischen Problembereich nicht zu verengen und insbesondere den verfassungsgeschichtlichen Uberblick sinnvoll zu ermöglichen, abgelehnt, den Begriff der sozialen Grundrechte auf subjektive Rechte einzuengen (vgl. Lange, in: Böckenförde/Jekewitz/Ramm - Hrsg. - Soziale Grundrechte, 1981, S. 49). In einem weiteren Sinne spricht man vielmehr von sozialen Grundrechten auch dann, wenn die Verfassungen nur dem objektiven Recht angehörende Normen enthalten, die auf die Verwirklichung einer menschenwürdigen Lebensform für alle abzielen. In welchem Sinne der saarländische Verfassungsgeber den Begriff des Rechts auf Arbeit benutzt hat - ob im Sinne eines subjektiven Rechts oder einer Norm des objektiven Rechts - kann bei dieser Sachlage nicht anhand des bloßen Wortlauts entschieden werden. Denn es versteht sich in Anbetracht des traditionellen und des modernen Sprachgebrauchs keineswegs von selbst, das Recht auf Arbeit nur wegen des Ausdrucks „Recht auf" als subjektiven Anspruch des einzelnen zu verstehen. Das muß

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um so mehr gelten, als die Weimarer Reichsverfassung, deren Inhalt und Interpretationsgeschichte, wie die Materialien zeigen (vgl. Stöber, Die Saarländische Verfassung vom 15. 12. 1947 und ihre Entstehung, Köln 1952), mit Sicherheit auf die SVerf stark eingewirkt haben, zahlreiche sogenannte soziale Grundrechte enthielt, denen jedoch so gut wie überhaupt nicht subjektive Rechte entnommen worden sind (Lange, aaO, S. 51 ff.). 2. Analysiert man die Normstruktur des Art. 45 Satz 2 SVerf und bezieht man die mit dieser Vorschrift in Sachzusammenhang stehenden Verfassungsnormen in die Betrachtung ein, so ergeben sich durchschlagende Gründe gegen die Annahme eines subjektiven Rechts auf Arbeit. a) Die SVerf hat das sogenannte Recht auf Arbeit in den 5. Abschnitt des 1. Hauptteils eingeordnet. Dieser Abschnitt betrifft ausweislich der amtlichen Uberschrift die Wirtschafts- und Sozialordnung. Nach Art. 50 SVerf obliegen dem Staat Planung und Durchführung des wirtschaftlichen und sozialen Aufbaus des Landes nach Maßgabe der Gesetze. Die Schaffung einer ausreichenden Menge von Arbeitsplätzen und -möglichkeiten ist Bestandteil der aufzubauenden Wirtschafts- und Sozialordnung. Wenn nun Art. 50 SVerf anordnet, der Aufbau dieser Ordnung habe nach Maßgabe der Gesetze zu geschehen, so folgt daraus unmittelbar, daß auch die Verwirklichung des Rechtes auf Arbeit sich nach Maßgabe der Gesetze vollziehen soll. Daraus ergibt sich dann aber, daß es dem (einfachen) Gesetzgeber vorbehalten sein soll, zu bestimmen, nach welchen Grundsätzen und in welcher Form das Recht auf Arbeit verwirklicht werden soll. Die Zielbestimmung des Art. 45 Satz 2 SVerf ist somit ausschließlich an den Gesetzgeber adressiert. Das bedeutet, daß der einzelne sich nicht unmittelbar auf Art. 45 Satz 2 SVerf berufen, also keine Rechte aus dieser Bestimmung herleiten kann. Art. 50 SVerf schließt es auch aus, Art. 21 Satz 2 SVerf, wonach die Grundrechte nicht nur den Gesetzgeber, sondern auch den Richter und die Verwaltung unmittelbar binden, auf Art. 45 Satz 2 SVerf zu beziehen. Denn andernfalls wäre der in Art. 50 SVerf angeordnete Vorrang des einfachen Gesetzgebers beim Vollzug des Art. 45 Satz 2 SVerf ausgehebelt. Es kann sich somit kraft der ausdrücklichen Anordnung des Art. 50 SVerf bei dem Recht auf Arbeit nur um ein sogenanntes Maßgabegrundrecht handeln, für das gilt, daß es nicht unmittelbar vom einzelnen eingeklagt werden kann (AK-GG-Denninger, 2. Aufl., vor Art. 1 Rdn. 27). b) Unabhängig von Art. 50 SVerf ergibt sich aus der Normstruktur des Art. 45 Satz 2 SVerf selbst, daß aus ihm keine subjektiven Rechte einzelner abgeleitet werden können. Werden die sogenannten sozialen Grundrechte als Kurzformeln des Typs „Jeder hat ein Recht auf ..." in eine Verfassung aufgenommen und fehlt die nähere Bestimmung darüber, wie, in welchem Umfang, mit welchen Mitteln und gegen welchen Anspruchsverpflichteten das Recht

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eingeräumt bzw. durchgesetzt werden soll, so ist die Norm zu unbestimmt, um im Wege der richterlichen Rechtsanwendung das soziale Grundrecht im Einzelfall durchzusetzen (vgl. zu den Schwierigkeiten der Positivierung von sozialen Grundrechten: Tornarteli, Der Einbau sozialer Grundrechte in das positive Recht, 1967, besonders S. 30 ff.; Wipfeider, Die verfassungsrechtliche Kodifizierung sozialer Grundrechte, ZRP 1986, S. 140, 149). Dem entspricht es, wenn der Bayerische Verfassungsgerichtshof zu Art. 106 („Jeder Bewohner Bayerns hat Anspruch auf eine angemessene Wohnung") entschieden hat, daß dieser „Anspruch" nicht mit der Verfassungsbeschwerde durchgesetzt werden könne, weil es sich bei diesem Verfassungsartikel nur um einen (an den Gesetzgeber adressierten) Programmsatz handele (BayVerfG 15, 49 ff.). Der Hessische Staatsgerichtshof hat den mit Art. 45 Satz 2 SVerf insoweit wortgleichen Art. 28 Abs. 2 erster Halbsatz der Verfassung des Landes Hessen dahin interpretiert, die Vorschrift stelle allenfalls die institutionelle Garantie einer Arbeitsvermittlung und einer Arbeitslosenversicherung zur Unterstützung der unfreiwillig Arbeitslosen dar (ESVGH22, 13, 17), womit der Gerichtshof ein subjektives Recht auf Verschaffung eines Arbeitsplatzes trotz der Formulierung „Jeder hat nach seinen Fähigkeiten ein Recht auf Arbeit" eindeutig verneint hat. In gleichem Sinne führen Zinn/Stein (Die Verfassung des Landes Hessen, Kommentar, 1954, Art. 28), wie zum Teil schon zitiert, aus, daß das Recht auf Arbeit in Art. 28 Abs. 2 der Hessischen Verfassung nur als soziale Forderung aufzufassen sei, die den Staat zum Ausbau der Arbeitsvermittlung, der Arbeitslosenunterstützung und -Versicherung verpflichte. Diesen Entscheidungen und Stellungnahmen ist zuzustimmen. Was insbesondere das Recht auf Arbeit, wie es in Art. 45 Satz 2 SVerf formuliert ist, betrifft, so legt diese Norm den Inhalt des Verschaffungsanspruchs nicht einmal annäherungsweise fest. Das beginnt damit, daß nicht gesagt wird, wen letztlich die Pflicht, den Arbeitsplatz bereitzustellen und den Lohn zu bezahlen, trifft. Richtig ist zwar, daß der Verschaffungsanspruch, wenn er bestünde, formell gegen den Staat zu richten wäre. Daraus ließe sich dann aber noch nicht ableiten, daß der Staat verpflichtet sein soll, alle schuldlos Arbeitslosen im öffentlichen Dienst zu beschäftigen. Die SVerf geht nämlich trotz vorgesehener weitreichender Sozialisierungsmöglichkeiten von dem Grundmuster einer Wirtschaft mit durchweg privaten Unternehmen aus (vgl. Art. 52; 53; 54; 55; 57 SVerf). Die Masse der Arbeitsplätze findet sich somit nach dem Konzept der Verfassung im privatwirtschaftlichen Bereich. Bei dieser Sachlage ist die Annahme abwegig, die SVerf wolle das Problem der Arbeitslosigkeit ohne Einbeziehung des privatwirtschaftlichen Sektors lösen. Wollte man gleichwohl das „Recht auf Arbeit" in Art. 45 Satz 2 SVerf als subjektives Recht auf einen bezahlten Arbeitsplatz deuten, so wäre die Einbeziehung der privaten Unternehmer in den Kreis der Anspruchsverpflichteten unvermeidlich.

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Das würde dann aber zu der Notwendigkeit einer vor dem Gleichheitsgrundsatz standhaltenden Verteilung der Last der Arbeitslosigkeit auf die verschiedenen Unternehmungen führen. Dies wäre nur durch ein in die Grundrechte Dritter eingreifendes Regelwerk zu leisten, dessen Aufstellung die Möglichkeiten eines Gerichts, das - jedenfalls bei der Durchsetzung von Grundrechten im Verfassungsbeschwerdeverfahren - stets auf den Einzelfall bezogen zu argumentieren hat, überfordern würde. Da Richtersprüche unvermeidlich punktueller Natur sind, eignen sie sich nicht zu einer gerechten und planvollen Lösung sozialer Probleme eines Ausmaßes, wie es die Arbeitslosigkeit darstellt. Sozial-politische Gesetzgebung ist insoweit unverzichtbar {Denninger, aaO). Schon damit erwiese sich das in Art. 45 Satz 2 SVerf aufgestellte Recht auf Arbeit als nicht justitiabel, wobei die mangelnde Justitiabilität sich insoweit nicht aus der mangelnden Bestimmtheit des Gegenstandes des Rechts auf Arbeit ergäbe, sondern aus der Unmöglichkeit, in der Handlungssituation eines Gerichts, auch eines Verfassungsgerichts, das mit einer Konkretisierung des Rechts auf Arbeit innerhalb eines bestimmten Wirtschaftssystems notwendig verbundene Regelwerk zu schaffen. Gegen die Annahme eines subjektiven Rechts auf Gewährung eines Arbeitsplatzes spricht des weiteren aber auch die mangelnde Bestimmtheit hinsichtlich des Leistungsgegenstandes. Die Verfassung regelt nicht, ob das Recht auf Arbeit ein soziales Minimalrecht oder ein Anspruch auf einen wie auch immer der Existenz und Lebensweise des einzelnen angemessenen Arbeitsplatz mit angemessenen Arbeitsbedingungen und angemessener Entlohnung sein soll. Nun kann man - im Anschluß an Alexy (aaO, S. 465 ff.) - grundsätzlich dafür plädieren, die Annahme subjektiver verfassungsmäßiger Rechte nicht an fehlender Justitiabilität scheitern zu lassen, und insbesondere das Verfassungsgericht für befugt halten, den relativ unbestimmten Leistungsgegenstand sogenannter sozialer Grundrechte zu präzisieren. Dabei bietet es sich an, subjektive soziale Grundrechte in Form von Minimalrechten zu bejahen, wodurch die Chance, Justitiabilität zu erreichen, steigt, anstatt auf den subjektiv-rechtlichen Charakter sozialer Grundrechte völlig zu verzichten (vgl. Alexy, aaO, S. 467, 466 und 461 f.). So erscheint es trotz einiger Schwierigkeiten möglich, ein Minimalgrundrecht auf Sozialhilfe zu konkretisieren, daß Justitiabilität gegeben ist. Etwas anderes ist es jedoch, zu bestimmen, welcher Arbeitsplatz mit welchen Arbeitsbedingungen und Entlohnungen wem als Erfüllung seines Rechts auf Arbeit angeboten werden kann oder was bei Ausschlagung eines solchen Angebots zu geschehen hat. Dies generell zu regeln, kann nicht Aufgabe der stets auf den Einzelfall bezogenen Rechtsprechung sein. Ebensowenig ist durch die Formel vom Recht auf Arbeit entschieden, ob das Anspruchsniveau auf einen wie immer absolut zu bestimmenden Standard fixiert ist oder nach dem Maß der wirtschaftlichen Prosperität des Gemeinwesens schwankt.

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Schon damit allein fehlt eine den Norminhalt auch nur ansatzweise klarstellende politische Entscheidung über den Inhalt des Rechts auf Arbeit; diese nachzuholen, ist nicht Aufgabe des Richters (im Ergebnis bezüglich des Rechtes auf Arbeit wohl ebenso: Alexy, aaO, S. 463). c) Wollte man, um der dargelegten mangelnden Justitiabilität des Rechts auf Arbeit zu entgehen, die These vertreten, der Staat sei in eigener Regie verpflichtet, jedem schuldlos Arbeitslosen eine bezahlte Arbeit zu gewähren, ihn also im öffentlichen Dienst zu beschäftigen, wobei die Arbeitsentlohnung im Sinne eines Minimalrechtes auszugestalten sei, so würden sich daraus gleichwohl unlösbare Probleme und nicht annehmbare rechtliche Folgewirkungen ergeben. Das so konzipierte Recht auf Arbeit würde nämlich in die Haushaltskompetenz des Parlaments derart weitgehend eingreifen, daß im Falle krisenhafter Wirtschaftsentwicklungen mit hohen Arbeitslosenzahlen die Haushaltsmittel in einem so großen Umfang durch Löhne für an sich nicht benötigte Arbeitskräfte im öffentlichen Dienst blockiert wären, daß von einer eigenständigen Haushaltspolitik des Parlaments gegebenenfalls keine Rede mehr sein könnte und so ein Urrecht des Parlaments, das Budgetrecht, auf dem Wege justitiellen unmittelbaren Verfassungsvollzugs unterlaufen würde (vgl. zu diesem Gesichtspunkt: Alexy, aaO, S. 462 f.; Denninger, aaO, Rdn. 27). Das wird in besonders krasser Weise deutlich, wenn man bedenkt, daß die Auslegung des Art. 45 Satz 2 SVerf als Anspruch auf Verschaffung eines Arbeitsplatzes im öffentlichen Dienst zu einem sogenannten Jedermanngrundrecht (vgl. zu dessen Unterscheidung vom Deutschengrundrecht AK-GG-Denninger, vor Art. 1, Rdn. 37) führen würde mit der Folge, daß mangels eines entsprechenden sozialen Grundrechts in anderen Ländern - auch Bundesländern - das Saarland genötigt wäre, mit seinen Haushaltsmitteln Arbeitslose ohne Rücksicht auf deren Nationalität und Herkunft in seine Dienste zu übernehmen. Denn nur bei interpretatorischer Willkür könnte man Art. 45 Satz 2 SVerf dahin einschränken, daß mit dem Wort jeder etwa nur jeder Saarländer gemeint sei. Die Verfassung unterscheidet nämlich sorgfältig zwischen den sogenannten Jedermannrechten und sogenannten Deutschenrechten (vgl. z. B. Art. 5, 6 und 12 SVerf). Ein sprachlicher Fehlgriff in Art. 45 Satz 2 SVerf kann somit nicht unterstellt werden. Andererseits kann auch nicht angenommen werden, der Verfassungsgeber habe auch jedem Zuwanderer unbeschränkt einen Anspruch auf Beschäftigung im öffentlichen Dienst des Saarlandes zusichern wollen. Die Interpretation ergibt somit erneut, daß es sich bei Art. 45 Satz 2 SVerf um einen Rechtssatz mit programmatischem Inhalt handelt, der nicht im Wege des unmittelbaren Verfassungsvollzuges durch Gerichte eingelöst werden kann. d) Die Annahme, Art. 45 Satz 2 SVerf enthalte ein einklagbares, subjektives Recht auf Verschaffung einer bezahlten Arbeit, gerät auch in Widerspruch

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zu Art. 46 SVerf. Dort ist unter anderem bestimmt, daß dem Schutze gegen die Folgen unverschuldeter Arbeitslosigkeit die unter Aufsicht des Staates stehende Arbeitslosenversicherung dient. Darin ist eine institutionelle Garantie des Rechtsinstituts der Arbeitslosenversicherung zu sehen. Die Garantie besagt, daß der einfache Gesetzgeber das Rechtsinstitut der Arbeitslosenversicherung zwar ausgestalten, aber nicht (ersatzlos) aufheben kann (Jörg Lücke, Soziale Grundrechte als Staatszielbestimmungen und Gesetzgebungsaufträge, AöR, Bd. 107 (1982), S. 15, 28 ff.). Über die Frage der Fortgeltung dieser institutionellen Garantie nach dem Beitritt des Saarlandes zur Bundesrepublik braucht an dieser Stelle nicht nachgedacht zu werden. Wichtig ist im Zusammenhang mit Art. 45 Satz 2 SVerf nur, daß der Saarländische Verfassungsgeber trotz des in die Verfassung aufgenommenen Rechts auf Arbeit davon ausgegangen ist, eine Versicherung gegen unverschuldete Arbeitslosigkeit sei auf Dauer unverzichtbar. Daraus ergibt sich das Bewußtsein des Verfassungsgebers davon, daß das in Art. 45 Satz 2 SVerf statuierte Recht auf Arbeit nicht geeignet ist, das Problem unverschuldeter Arbeitslosigkeit zu lösen. Das wiederum läßt darauf schließen, daß Art. 45 Satz 2 SVerf jedenfalls keinen unbedingten durchsetzbaren Anspruch auf einen bezahlten Arbeitsplatz gewähren soll. Geht man nämlich von einem unbedingten subjektiven Recht des Arbeitslosen auf Arbeitsplatzbeschaffung aus, so erscheint das Institut der Arbeitslosenversicherung und seine verfassungsmäßige Absicherung deshalb unverständlich, weil alsdann das Risiko unverschuldeter Arbeitslosigkeit durch das Recht auf Arbeit definitiv beseitigt wäre. In der institutionellen Garantie der Arbeitslosenversicherung kommt somit zum Ausdruck, daß es nach der Konzeption der SVerf ein unbedingtes subjektives Jedermanngrundrecht auf Arbeit nicht gibt. Die Annahme eines bedingten, d. h. unter bestimmten Voraussetzungen gegebenen subjektiven Rechts scheitert nun aber wiederum daran, daß die Verfassung die Voraussetzungen, unter denen ein Anspruch auf Arbeitsplatzverschaffung gegeben sein soll, nicht nennt und ihr auch keine Richtlinien zur Erarbeitung derartiger Voraussetzungen entnommen werden können. Ein bedingtes subjektives Recht auf Arbeit wäre mithin noch weit weniger justitiabel als ein unbedingtes (vgl. dazu schon oben b)). Art. 45 Satz 2 SVerf kann deshalb sinnvoll nicht als Anspruchsgrundlage auf Beschaffung bezahlter Arbeit, sondern nur als Staatszielbestimmung gedeutet werden, die den Staat, vornehmlich den Gesetzgeber, verpflichtet, das Ziel der Vollbeschäftigung im Rahmen des Möglichen und unter Abwägung mit anderen Verfassungszielen und -prinzipien anzustreben. 3. Die unter Nr. 2 dargelegten systematischen Gründe gegen die Annahme eines subjektiven Rechts auf Arbeit werden durch die Gesetzgebungsmaterialien bestätigt, und zwar durch deren völliges Schweigen zu dem rechts-

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theoretischen Status des Art. 45 Satz 2 S Verf. Die Einführung eines subjektiven, einklagbaren Rechts auf Verschaffung bezahlter Arbeit hätte einen außerordentlich tiefen Eingriff in die gegebene Wirtschaftsstruktur des Saarlandes bedeutet. Zutreffend wird darauf hingewiesen, daß ein Jedermanngrundrecht auf Arbeitsplatz letztlich nur in einer staatlichen Ordnung eingelöst werden kann, in der der Staat die vollständige Verfügungsgewalt über die vorhandenen Arbeitsplätze hat (vgl. Tomandl, aaO, S. 30 f.). Die weittragenden Konsequenzen eines subjektiven Rechts auf einen Arbeitsplatz für die gesamte Wirtschaftsverfassung wären mit Sicherheit bei der Beratung zur SVerf wenigstens im Ansatz erkannt und eingehend erörtert worden, wenn es die Absicht der Verfassungsgeber gewesen wäre, ein solches Recht zu begründen. Statt dessen schweigen die Protokolle, wie auch der Antragsteller in seinem in Bezug genommenen Schriftsatz an das Arbeitsgericht zutreffend registriert, vollständig über den Sinngehalt der Verfassungsbestimmung (s. Stöber, aaO). Das läßt sich nur so verstehen, daß der Vorschrift des Art. 45 Satz 2 SVerf eine das Rechtssystem unmittelbar umgestaltende Wirkung nicht beigelegt, sondern lediglich der Status einer Programmatik - in heutiger Terminologie: einer Staatszielbestimmung - zugeschrieben wurde. Es ist nicht denkbar, daß die Verfassungsgeber ein subjektives Recht auf eine Arbeitsplatz - und dies auch noch in der Form eines nicht auf Deutsche oder Saarländer beschränkten Jedermannrechts - einräumen wollten, ohne auch nur im Ansatz die unabsehbaren Folgewirkungen eines solchen Rechts zu diskutieren. 4. Die vom Antragsteller beabsichtigte Verfassungsbeschwerde müßte übrigens, worauf lediglich ergänzend und ohne Relativierung der Ausführungen zu Nr. 1 bis 3 hingewiesen wird, selbst dann erfolglos bleiben, wenn man entgegen den vorstehenden Ausführungen - ein subjektives soziales Grundrecht auf Arbeit aus Art. 45 Satz 2 SVerf bejahen würde. Dann wäre die Verfassungsbeschwerde zwar möglicherweise zulässig - zumindest nicht unzulässig wegen Fehlens der Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 VGHG - jedoch jedenfalls unbegründet. Der Antragsteller meint, wie sein Klageantrag vor dem Landesarbeitsgericht Saarland zeigt, er habe einen Anspruch auf Einstellung in den saarländischen Schuldienst als Teilzeitbeschäftigter in den Fächern Sozialkunde und/oder Englisch. Die Vorschrift des Art. 45 Satz 2 SVerf würde nun aber, selbst wenn sie im Sinne eines subjektiven Rechts aufzufassen wäre, keinen Anspruch auf einen bestimmten Arbeitsplatz ergeben (vgl. dazu AK-GGKittner, 2. Aufl., Art. 20, Abs. 1 - 3, IV, Rdn. 66). Vielmehr könnte der Staat den Anspruchsteller auf jede Arbeitsstelle verweisen, die dieser „nach seinen Fähigkeiten" auszufüllen vermöchte. Bestünde ein Anspruch auf Arbeitsplatz, so müßte die angebotene Stelle zwar selbstverständlich so gestaltet sein, daß der Arbeitslose nach seinen Fähigkeiten auch in der Lage wäre, die ihm zuge-

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wiesene Arbeit zu verrichten. Ziel eines sozialen Grundrechts auf Arbeit, in welcher normtheoretischen Modalität auch immer, kann es aber nur sein, vor dem Schicksal der Arbeitslosigkeit zu bewahren. Soziale Grundrechte sind Antworten auf bestehende Mangellagen, auf deren Behebung sie abzielen, um jedem ein würdiges Leben zu ermöglichen (AK-GG-Kittner, aaO, Rdn. 64). Diesem Postulat ist im Problemfeld der Arbeitslosigkeit nicht erst dann genügt, wenn jeder einen Beruf hat, der dem Niveau seiner Fähigkeiten entspricht, sondern schon dann, wenn jeder eine Arbeit unter menschenwürdigen Arbeitsbedingungen und mit ausreichendem Entgelt erhält. Nach diesen Grundsätzen ist es nicht möglich, aus der Tatsache einer bestimmten Berufsausbildung abzuleiten, der Betreffende müsse unter allen Umständen in dem erlernten oder in einem sozial gleichwertigen Beruf eine Beschäftigung finden. Ein Anspruch des Antragstellers auf Einstellung in den staatlichen Schuldienst innerhalb der Sekundarstufe II ließe sich, wie ohne weiteres ersichtlich, nach diesen Grundsätzen auch dann nicht aus Art. 45 Satz 2 SVerf herleiten, wenn diese Verfassungsbestimmungen ein subjektives Recht auf Arbeit ergäbe. 5. Damit erübrigt sich die Frage, ob ein in der Landesverfassung garantiertes subjektives soziales Grundrecht auf Arbeit überhaupt mit dem Grundgesetz vereinbar wäre (vgl. dazu Scholz, RdA 1993,249,252 - 254) oder ob ein subjektives soziales Landesgrundrecht auf Arbeit in Anbetracht des Vorrangs des Bundesrechts (Art. 31 G G ) auch gegenüber Landesgrundrechten (vgl. dazu BVerfGE 1,264,281; KY.-GG-D enninger, aaO, Art. 142, Rdn. 3) vorliegend oder überhaupt eine fallentscheidende Bedeutung entfalten könnte. 6. Die Zulässigkeit der vom Antragsteller beabsichtigten Verfassungsbeschwerde läßt sich auch nicht mit dem Argument vertreten, Art. 45 Satz 2 SVerf, dessen Verletzung durch das Landesarbeitsgericht Saarland der Antragsteller rügt, enthalte neben dem lediglich als Staatsziel aufzufassenden sogenannten Recht auf Arbeit ein echtes subjektives Grundrecht im Sinne des § 55 Abs. 1 V G H G , und zwar in der Form eines Freiheitsrechts des Inhalts, daß niemandem das Arbeiten verboten werden darf, jeder vielmehr das Recht hat, zu arbeiten und den Arbeitsplatz nach Maßgabe seiner Fähigkeiten frei zu wählen. Schranil (aaO, Art. 45, Anm. 3 und 4) meint einerseits, aus der Vorschrift, die kein subjektives Recht begründe, könne das Recht der freien Berufswahl und der freien Berufsausübung abgeleitet werden. Andererseits meint er, dieses Recht sei nicht landesverfassungsrechtlich festgelegt. Daß Art. 45 Satz 2 SVerf nicht selbst die Freiheit der Berufs- und Arbeitsplatzwahl verbürgt, erscheint richtig; denn ersichtlich handelt es sich bei dem Recht auf Arbeit um ein sogenanntes soziales Grundrecht, bei dem es, wenn auch nur in juristischer Form der Staatszielbestimmung, nicht um die Abwehr von staatlichen Eingriffen in die Arbeitsplatzwahl oder sonst in die Arbeitsfreiheit, son-

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dem positiv um die Verschaffung von Arbeitsplätzen durch staatliches Handeln geht. Entgegen der Ansicht Schranils läßt sich aber aus dem als Staatszielbestimmung aufzufassenden Recht auf Arbeit ein liberales Grundrecht der Freiheit der Arbeit (insbesondere der Freiheit der Berufs- und Arbeitsplatzwahl) nicht ableiten, weil sich die Erfüllung des Staatsziels der Vollbeschäftigung auch - und vielleicht gerade - ohne das liberale Grundrecht der Freiheit der Arbeit erreichen läßt. Art. 45 Satz 2 SVerf enthält demnach auch kein subjektives Recht in der Form eines liberalen Grundrechts. Ein dahingehendes Recht des Antragstellers kann somit auch nicht im Sinne des § 55 Abs. 1 V G H G verletzt worden sein. Mangels eines Freiheitsrechts auf Arbeit erübrigen sich auch Überlegungen darüber, ob ein solches Recht, etwa in Verbindung mit sozialstaatlichen Grundsätzen der SVerf und dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 12 SVerf ein Teilhaberecht in dem Sinne enthalten könnte, daß im Einzelfall das liberale Grundrecht in einen Anspruch auf Übertragung einer bestimmten ausgeschriebenen Stelle innerhalb des (staatlichen) Monopolbereichs umschlagen könnte. Ebenso dahingestellt bleiben kann die Frage, ob dann, wenn die Saarländische Verfassung ein Freiheitsgrundrecht der Arbeit enthielte, durch sie ein weitergehender Grundrechtsschutz als durch das Grundgesetz gewährt würde. Wäre dies nicht der Fall, so würde die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde dann jedenfalls an der Subsidiaritätsklausel des § 55 Abs. 3 V G H G scheitern. 7. Nach alledem kann die Verfassungsbeschwerde, die der Antragsteller auf Art. 45 Satz 2 SVerf zu stützen gedenkt, nur als aussichtslos eingeschätzt werden. Die von ihm nachgesuchte Prozeßkostenhilfe war daher zu verweigern. C. Eine Kostenentscheidung ergeht nicht.

Nr. 2 1) Zu den wesentlichen wahlrechtlichen Bestimmungen, deren Verletzung eine Wahlanfechtung begründen kann, gehören Vorschriften des innerparteilichen Satzungsrechts nur dann, wenn sie Ausdruck der Gewährleistung demokratischer Grundlagen einer Wahl sind.

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2) Dazu zählen Regelungen einer parteiinternen Wahlordnung über den Delegiertenschlüssel unter Berücksichtigung nichtwahlberechtigter Parteimitglieder und über die Berücksichtigung von Frauen bei der Kandidatenaufstellung grundsätzlich nicht. 4 Verfassung des Saarlandes Art. 75, 63, 64 Landtagswahlgesetz §§ 17,21, 22, 44 Gesetz über den Verfassungsgerichtshof § 9 Nr. 4, § 38 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Grundgesetz Art. 21 Abs. 1 Satz 3 Gesetz über die politischen Parteien § 17 Urteil vom 13. Oktober 1995 - Lv 1/95 in dem Wahlprüfungsverfahren wegen Anfechtung der Entscheidung des Landtages vom 14. Dezember 1994 über die Gültigkeit der Wahl zum Landtag des Saarlandes vom 16. Oktober 1994. Entscheidungsformel: Die Wahlanfechtung wird zurückgewiesen. Gründe: A. Die Partei Bündnis 90/Die Grünen reichte am 1. September 1994 und damit vor Ablauf der vom Landeswahlleiter gesetzten Frist vom 12. September 1994 einen Landeswahlvorschlag sowie einen Kreiswahlvorschlag für den Wahlkreis Neunkirchen ein. Diesen Wahlvorschlägen waren die Zustimmungserklärungen der Wahlbewerber, die Bescheinigungen ihrer Wählbarkeit, eine Ausfertigung der Niederschrift über die Wahl der Bewerber nebst Versicherung gemäß § 16 Abs. 6 LWG, die schriftliche Satzung, das Parteiprogramm und eine Ausfertigung der Niederschrift i. S. des § 15 Abs. 3 LWG beigefügt. Der Antragsteller erhob als Sprecher des Ortsverbandes Neunkirchen der Partei Bündnis 90/Die Grünen Einwendungen gegen die Zulassung der vorerwähnten Landesvorschläge. nichtamtliche Leitsätze

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Zu diesen Einwendungen gab die Vertrauensperson für den Landeswahlvorschlag am 20. September 1994 eine Stellungnahme ab, in der sie diese Einwände für unbegründet erklärte. Die genannten Landeswahlvorschläge der Partei Bündnis 90/Die Grünen wurden nach rechtlicher Würdigung der Einwände des Antragstellers zugelassen (§§21,22 LWG). ^ Bei der Landtagswahl am 16. Oktober 1994 entfielen auf die Partei Bündnis 90/Die Grünen 38.087 Stimmen, d.h. 5,5 %. Das endgültige Landtagswahlergebnis wurde im Amtsblatt des Saarlandes vom 4. November 1994, Seite 1502, bekannt gemacht. Mit einem am 2. November 1994 beim Landeswahlleiter eingegangenen Schreiben vom 25. Oktober 1994 focht der Antragsteller die Landtagswahl gemäß § 44 LWG an. Nach Einholung einer Stellungnahme der Partei Bündnis 90/Die Grünen vom 16. November 1994 legte der Landeswahlleiter gem. § 44 Abs. 3 LWG diese Wahlanfechtung, die er in seiner beigefügten Stellungnahme für zulässig, in der Sache jedoch für unbegründet hielt, am 23. November 1994 dem Saarländischen Landtag vor. Dieser wies in seiner Sitzung vom 14. Dezember 1994 die Wahlanfechtung als unbegründet zurück und teilte diese Entscheidung dem Antragsteller am 15. Dezember 1994 mit. Gegen diesen Beschluß legte der Antragsteller gemäß Art. 75 Abs. 2 SVerf in Verbindung mit § 38 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 des Gesetzes über den Verfassungsgerichtshof eine am 11. Januar 1995 eingegangene Wahlprüfungsbeschwerde ein. Er rügt die Verletzung der Wahlrechtsgleichheit (Art. 63, 64 SVerf; Art. 28 Abs. 1 GG), der innerparteilichen Demokratie (Art. 21 Abs. 1 Satz 3 GG; § 17 PartG; § 17 LWG), der Rechtswegegarantie des Art. 20 SVerf und des Art. 19 Abs. 4 G G sowie des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) in analoger Anwendung auf die Parteien (Art. 21 Abs. 1 Satz 3 GG; § 16 Abs. 2 Nr. 3 i. V. m. § 14 PartG) in der Phase der Wahlvorbereitung. Zur Begründung wiederholt und vertieft der Antragsteller sein Vorbringen gegenüber dem Landtag. Im einzelnen führt er aus: Bei der Festlegung der Zahl der Delegierten für die Versammlungen zur Aufstellung der Wahlvorschläge hätten nur wahlberechtigte Parteimitglieder berücksichtigt werden dürfen. Weil das in wahlrechtswidriger Weise nicht geschehen sei, sei die Zahl der Delegierten aus solchen Ortsverbänden vermindert worden, die von Ortsverbänden ohne „Gastmitglieder" gewählt worden seien (sog. fliegende Ortsverbände). Im Hinblick hierauf sei die Kernfrage dahin zu stellen, ob bei der Berechnung der Delegierten eines Ortsverbandes alle Mitglieder, unabhängig von ihrem Wohnsitz oder nur die im Wahlkreis bzw. im Wahlgebiet wohnhaften Mitglieder, zu zählen seien.

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Die Aufstellung der Wahlbewerber beruhe auf einer Landtagswahlordnung, die nichtig sei und deshalb auch vom Bündnis 90/Die Grünen, Ortsverband Neunkirchen, bei dem Bundesschiedsgericht angefochten worden sei; über diese Anfechtung sei bislang noch nicht entschieden worden. Wenn die innerparteiliche Schiedsgerichtsbarkeit rechtzeitig in der Hauptsache entschieden hätte, wären die genannten Wahlvorschläge als satzungswidrig und damit als nichtig festgestellt worden. In dieser Verweigerung des innerparteilichen Rechtsschutzes liege ein Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG analog und Art. 103 GG durch Verkürzung auch des staatlichen Wahlrechtsschutzes. Wenn nach Art. 21 Abs. 1 Satz 3 GG die innere Ordnung der politischen Parteien demokratischen Grundsätzen zu entsprechen habe, dann sei zu diesen Grundsätzen auch der innerparteiliche Rechtsschutz des Parteimitgliedes durch die Parteischiedsgerichte zu rechnen. Eine weitere verfassungswidrige Verkürzung seines innerparteilichen Rechtsschutzanspruches liege darin, daß das Landesschiedsgericht die Anträge des Kreis- und des Ortsverbandes Neunkirchen abgewiesen habe, mit denen die Einladung zu einer Wahlversammlung im Wahlkreis Neunkirchen habe aufgehoben werden sollen. Die bewußte Verzögerung des parteiinternen Rechtsschutzverfahrens habe nicht nur zur Versagung des dem staatlichen Rechtsschutz vorgeschalteten, innerparteilichen Rechtsweges geführt, sondern zugleich auch zum Wegfall des staatlichen Wahlrechtsschutzes selbst. Die Landesliste sowie die Wahlkreisliste für Neunkirchen hätten von den staatlichen Wahlbehörden auch deshalb nicht zugelassen werden dürfen, weil das sog. Frauenstatut nicht berücksichtigt worden sei, das am 13. November 1988 von den Grünen Saar in die Landessatzung aufgenommen worden und seitdem als zwingendes, innerparteiliches Satzungsrecht auch im Verfahren über die staatliche Zulassung der Landes- und Kreiswahlvorschläge anzuwenden sei. Er beantragt, unter Aufhebung des Beschlusses des Landtages vom 14. Dezember 1994 die Ungültigkeit der Landtagswahl vom 16. Oktober 1994 festzustellen.

Der Landtag des Saarlandes hält die Wahlanfechtung für unbegründet und führt aus: Ein mandatsrelevanter Wahlfehler sei nicht festzustellen, weil bei dem innerparteilichen Kandidatenaufstellungsverfahren weder gegen § 17 LWG noch gegen andere „wesentliche Bestimmungen" des Landtagswahlgesetzes im Sinne des § 44 Abs. 1 LWG verstoßen worden sei. Insbesondere sei der Delegiertenschlüssel nicht dadurch verfälscht worden, daß er an die Parteimitgliedschaft anknüpfe. Die Delegierten in einer Vertreterversammlung seien nicht nur Repräsentanten der Wahlberechtigten, sondern aller Mitglieder des

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jeweiligen Parteiverbandes, auch der nicht oder nicht mehr im Wahlkreis lebenden. Wahlprüfungsrechtlich nicht relevant sei auch die Rüge des Antragstellers, die den Wahlen zugrundeliegende, parteiinterne Wahlordnung sei nicht rechtsgültig zustandegekommen; außerdem sei bei der Bewerberauswahl gegen das sog. Frauenstatut verstoßen worden. Hierbei handele es sich allenfalls um Verstöße gegen parteiinternes Satzungsrecht, die wahlrechtlich unbeachtlich seien. Die Landesregierung hält aus denselben Gründen die Wahlanfechtung für unbegründet und macht weiter geltend: Es fehle an der Voraussetzung der Mandatsrelevanz im Sinne des § 44 Abs. 1 LWG, selbst dann, wenn es sich bei den gerügten Wahlfehlern um wahlrechtsrelevante Verstöße gehandelt habe. In der Niederschrift über die Vertreterversammlung vom 29. Mai 1994 habe nämlich der Versammlungsleiter festgestellt, daß kein einziger Versammlungsteilnehmer das Wahlrecht irgendeines Teilnehmers angezweifelt habe. Daraus folge, daß selbst bei Beachtung der vom Antragsteller geforderten Vorgehensweisen die innerparteiliche Willensbildung zu keinem wesentlich anderen Wahlergebnis geführt haben würde.

B. I. Die innerhalb der Frist des § 38 Abs. 2 V G H G eingegangene Wahlanfechtung genügt nach der in der mündlichen Verhandlung vor dem Verfassungsgerichtshof erfolgten Klarstellung auch den übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen des Art. 75 Abs. 2 SVerf in Verbindung mit den §§ 9 Nr. 3,38 V G H G ; insbesondere ist nach den dazu im Verhandlungstermin gegebenen Erläuterungen davon auszugehen, daß ihr mindestens 100 Wahlberechtigte beigetreten waren.

II. In der Sache bleibt der Antrag ohne Erfolg; die Zurückweisung der Wahlanfechtung durch den Landtag des Saarlandes am 14. Dezember 1994 steht mit § 44 Abs. 1 L W G in der durch die Verfassung gebotenen Auslegung im Einklang. Dabei ist der Verfassungsgerichtshof ebenso wie bereits der Landtag auf die Uberprüfung derjenigen Rügen gegen die Ordnungsmäßigkeit der Wahl beschränkt, die der Antragsteller innerhalb der Anfechtung erhoben hat.

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1. Nach § 44 Abs. 1 L W G kann eine Landtagswahl nur wegen Verstoßes gegen „wesentliche Bestimmungen" dieses Gesetzes angefochten werden. Ein solcher die Gültigkeit der Landtagswahl vom 16. Oktober 1994 berührender und damit wahlrechtlich relevanter Wahlverstoß ist den einzelnen Rügen des Antragstellers nicht zu entnehmen. Dabei ist im Grundsatz davon auszugehen, daß zu den „wesentlichen Bestimmungen" im Sinne des § 44 Abs. 1 L W G die Wahlrechtsgrundsätze gehören, die in Art. 63 Abs. 1 SVerf und speziell für die Landtagswahl in § 1 Abs. 1 L W G ihren Niederschlag gefunden haben. Danach sind die Abgeordneten des Saarländischen Landtages in allgemeiner, gleicher, unmittelbarer, geheimer und freier Wahl zu wählen. Das betrifft nicht nur den eigentlichen Wahlakt, daß heißt die Stimmabgabe, sondern das gesamte als Einheit verstandene Wahlverfahren und damit auch das ganze Wahlvorschlagsverfahren, d. h. die Einreichung und Zulassung von Wahlvorschlägen (Kühl/Unruh, DVBl. 1994, S. 1391 ff. (1393); Meyer in Handbuch des Staatsrechts 1987, S. 280). Zum Bürgerrecht auf freie Teilnahme an der Wahl gehört auch die Möglichkeit, Wahlvorschläge zu machen (BVerfGE, Bd. 89, 243 ff. (251); Bd. 41, 399 (417) und Bd. 47, 253 (282). Deshalb ist dem Antragsteller darin zuzustimmen, daß die Verletzung eines der Wahlrechtsgrundsätze des Art. 63 SVerf und des § 1 Abs. 1 L W G bei der innerparteilichen Aufstellung von Wahlbewerbern einen möglichen Grund für die Ungültigkeit der Landtagswahl vom 16. Oktober 1994 darstellen kann und hierüber im Wahlprüfungsverfahren zu entscheiden ist. Vollzieht sich nämlich das parteiinterne Wahlbewerberauswahlverfahren nicht nach demokratischen Mindestregeln, so wird damit die demokratische Legitimationswirkung staatlicher Wahlen schlechthin in Frage gestellt (Wolfrum in ZParl 1975, 323 (328) und BVerfGE 89,243 ff, 253). Nun hat allerdings das Landtagswahlgesetz in den §§15 und 17, wie auch das Bundeswahlgesetz in den §§ 18,27 Abs. I Satz 1 die Aufstellung von Wahlvorschlägen - wenn auch mit bestimmten Maßgaben - ausschließlich in die Hände der politischen Parteien und Wählergruppen gelegt (§ 15 Abs. 1 LWG). Nach § 17 Abs. 3 L W G sind es auch die Parteien, die das Verfahren für die Wahl der Bewerber durch ihre Satzungen selbst regeln. Demnach stellt die parteiinterne Wahlbewerberauswahl sowohl einen innerparteilichen Vorgang wie auch einen integrierten Bestandteil des staatlichen, demokratischen Wahlverfahrens dar. Sie bildet die „Nahtstelle" zwischen den von den Parteien weitgehend autonom zu gestaltenden Angelegenheiten ihrer inneren Ordnung und dem auf die Staatsbürger bezogenen Wahlrecht (BVerfGE Bd. 89, 243 ff., 252 f.)

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Das erfordert - wie der Antragsteller nicht verkennt - entsprechende Differenzierungen im Hinblick auf die Wesentlichkeit der einzelnen normativen Vorgaben für eine ordnungsgemäße Kandidatenaufstellung. Insoweit gilt: Mit der Anforderung einer „Wahl" verlangt § 44 Abs. 1 LWG ebenso wie nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes § 21 Abs. 1 des Bundeswahlgesetzes „die Einhaltung eines Kernbestandes an Verfahrensgrundsätzen, ohne den ein Kandidatenvorschlag schlechterdings nicht Grundlage eines demokratischen Wahlvorganges sein kann. Halten die Parteien bei der Wahl der Wahlkreis- und Listenkandidaten diese elementaren Regeln nicht ein, so begründet das die Gefahr der Verfälschung des demokratischen Charakters der Wahl bereits in ihrer Grundlage und damit einen Wahlfehler. Ereignen sich hingegen bei der Kandidatenaufstellung der Parteien Verstöße, die nach diesen Maßstäben nicht elementar sind, so scheidet dies von vornherein als Wahlfehler aus" (BVerfG aaO). Auch das Verfassungsgericht der Hansestadt Hamburg hat in seinem Urteil vom 4. Mai 1993 zur Ungültigkeit der Wahl zur Hamburgischen Bürgerschaft vom 2. Juni 1991 anerkannt, daß rechtsrelevante Wahlfehler auch auf der Verletzung von Parteisatzungsrecht beruhen können, grenzt aber, ähnlich wie das Bundesverfassungsgericht, die nicht wahlrechtswidrigen Mängel bei der Kandidatenaufstellung von den Rechtsverletzungen, die zur Ungültigkeit einer Wahl führen können, mit Hilfe des Kriteriums des sog. „schweren Demokratieverstoßes" ab (NVwZ 1993, S. 1083 ff.). Mit Hilfe dieser Kriterien lassen sich auch im Anwendungsbereich des § 44 Abs. 1 LWG wahlrechtlich relevante Verstöße bei der parteiinternen Kandidatenaufstellung von denjenigen überzeugend abgrenzen, die nicht von solchem Gewicht sind, daß sie die Grundlagen einer demokratischen Wahl verfälschen. Die Beschränkung der staatlichen Wahlprüfung auf „schwere Demokratieverstöße" entspricht insbesondere dem Hauptzweck jeder Wahlprüfung, die demokratischen Grundlagen einer Wahl und damit ihre demokratische Legitimationswirkung zu sichern und zu gewährleisten (Mager DOV 1995, S. 9). Sie wird andererseits dem Demokratiegebot des Art. 20 Abs. 1 und 2 GG gerecht und wahrt zugleich die „innere Ordnung der Parteien" i. S. des Art. 21 Abs. 1 Satz 3 GG, insbesondere ihre Satzungsautonomie (§17 Satz 2 des Parteiengesetzes und § 17 Abs. 3 LWG). Im Ergebnis bedeutet dies für die vorliegende Wahlanfechtung, daß die Verfahrensweise der Partei Bündnis 90/Die Grünen zur Aufstellung ihrer Wahlbewerber im Ausgangspunkt allein an den hierfür vom Landeswahlgesetz bestimmten Anforderungen zu messen ist. Dabei etwa begangene Verstöße gegen das Satzungsrecht der Partei, die nicht auf diese Vorgaben einwirken, sind für die staatliche Wahlprüfung unerheblich.

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2.

Hiervon ausgehend lassen die vom Antragsteller gerügten Rechtsverletzungen keinen die Gültigkeit der Landtagswahl berührenden Verstoß gegen „wesentliche Bestimmungen" des Landtagswahlgesetzes erkennen.

a) Dabei kann zunächst einmal unterstellt werden, daß bei der Berechnung der Anzahl der Delegierten für die Aufstellung des Landeswahlvorschlages am 29. Mai 1994 und des Kreiswahlvorschlags Neunkirchen am 28. August 1994, wie der Antragsteller behauptet, alle in den betreffenden Ortsvereinen geführten Mitglieder der Partei Bündnis 90/Die Grünen unabhängig von ihrer Wahlberechtigung erfaßt wurden; denn das begründete entgegen seiner Ansicht weder einen Verstoß gegen § 17 LWG, noch gegen das Verfassungsgebot der Wahlrechtsgleichheit des Art. 63 Abs. 1 SVerf: Weder aus dem Landeswahlgesetz, noch aus dem Grundsatz der freien und gleichen Wahl ergibt sich, daß der Delegiertenschlüssel selbst nur nach den wahlberechtigten Mitgliedern der Partei berechnet werden darf (Schreiber, Handbuch des Wahlrechts zum Deutschen Bundestag, 1994, S. 376 f.). Ausdrücklich schreibt §17 Abs. 1 LWG insoweit lediglich vor, daß bei „unmittelbarer" Kandidatenaufstellung ausschließlich wahlberechtigte Parteimitglieder mitstimmen dürfen, und entsprechendes gilt für die „von diesen aus ihrer Mitte" zu wählenden Vertreter im Falle der „mittelbaren" Bewerberwahl durch eine Vertreterversammlung. Das rechtfertigt die weitergehende Forderung des Antragstellers, auch bei der Festsetzung der Zahl der zu einer solchen Versammlung von den einzelnen Parteigliederungen zu entsendenden Delegierten jeweils auf den Bestand allein an wahlberechtigten Mitgliedern abzustellen, nicht; vielmehr läßt die Bestimmung in Verbindung mit § 17 Abs. 3 LWG, wonach das Nähere über die Wahl der Vertreter für die Vertreterversammlung, über die Einberufung und Beschlußfähigkeit der Mitglieder- oder Vertreterversammlung sowie über das Verfahren für die Wahl der Bewerber die Parteien durch ihre Satzungen regeln, Raum auch für eine Berücksichtigung nichtwahlberechtigter Parteimitglieder bei der Ermittlung des Delegiertenschlüssels. Das trägt immerhin - ebenso übrigens wie die noch weitergehende Regelung in § 13 des Parteigesetzes - dem Gesichtspunkt der Gesamtakzeptanz der betreffenden Partei „vor Ort" Rechnung und ist deshalb nicht von vornherein ohne jeden Bezug zum in Rede stehenden Regelungsgegenstand (dazu Schreiber, aaO, S. 376 f., 419). Daß damit zugleich Manipulationen der vom Antragsteller beschriebenen Art möglich werden, ändert an dieser Wertung nichts; derartigem Mißbrauch ist gegebenenfalls parteiintern zu begegnen.

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Von dieser Rechtslage ist auch der Vertrauensmann des Landeswahlvorschlages zu Recht ausgegangen, der auf Anfrage des Landeswahlleiters erklärte, der Delegiertenschlüssel sei in Einklang mit § 8 der Landessatzung der Partei Bündnis 90/Die Grünen festgelegt worden. O b diese Feststellung sachlich zutrifft, hat der Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, weil ein Verstoß gegen „wesentliche Bestimmungen" des Landtagswahlgesetzes nicht darin zu erblicken wäre, daß das parteiinterne Wahlbewerberauswahlverfahren in den Bestimmungen der autonomen Parteisatzung (§17 Abs. 3 LWG) zur Berechnung des Delegiertenschlüssels keine ausreichende Grundlage finden würde. Daran scheitert auch die weitere Rüge des Antragstellers, die Wahlordnung der Landespartei für die Aufstellung von Bewerbern zur Landtagswahl sei nichtig, die darauf beruhenden Wahlvorschläge seien also nicht fehlerfrei erstellt worden. Wenn, wie ausgeführt, das Landtagswahlgesetz einschließlich der Wahlrechtsgrundsätze des Art. 63 Abs. 1 SVerf, § 1 Abs. 1 LWG die Regelungskompetenz insoweit ausschließlich dem autonomen Parteisatzungsgeber überläßt, kann die parteiinterne Wahlordnung der Partei Bündnis 90/Die Grünen als Recht der inneren Ordnung dieser Partei nicht staatlicher Wahlprüfung unterliegen. Folglich stellt der vom Antragsteller behauptete Verstoß gegen die parteiinterne Wahlordnung keine Verstoß gegen „wesentliche Bestimmungen" des Landtagswahlgesetzes (§ 44 Abs. 1 LWG) dar. b) Aus den gleichen Gründen kann auch die weitere Rüge des Antragstellers im Ergebnis nicht durchdringen, die Partei Bündnis 90/Die Grünen habe bei der Aufstellung der Landes- und Wahlkreisliste das sog. Frauenstatut der Landessatzung mißachtet. Die Nichtanwendung des Frauenstatuts kann keinen die Gültigkeit der Landtagswahl berührenden Verstoß gegen „wesentliche Bestimmungen" des Landtagswahlgesetzes begründen, weil dieses Gesetz einschließlich der Wahlrechtsgrundsätze des § 1 Abs. 1 L W G keine geschlechtsbezogenen Quoten für Listenbewerber bei öffentlichen Wahlen vorschreibt. c) Einen die Gültigkeit der Landtagswahl berührenden Wahlrechtsverstoß i. S. des § 44 Abs. 1 LWG vermag der Verfassungsgerichtshof schließlich auch nicht darin zu sehen, daß bei der Beschreitung des innerparteilichen Rechtsweges gegen die bei der Wahlbewerbernominierung begangenen Satzungsver-

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stoße der parteiinterne Rechtsschutz verweigert bzw. verzögert worden sei. Mit der Beschränkung des Wahlfehlerbegriffes auf Verstöße gegen „wesentliche Bestimmungen" des Landtagswahlgesetz in § 44 Abs. 1 hat der Landesgesetzgeber deutlich gemacht, daß im Wahlprüfungsverfahren gerade nicht alle Rechtsnormen Prüfungsmaßstab sein dürfen. Insbesondere gehört die Rechtsweggarantie, deren mittelbare Verletzung der Antragsteller geltend macht, nicht zu den Bestimmungen des staatlichen Wahlrechts. Läßt sich damit insgesamt ein die Gültigkeit der Landtagswahl berührender Wahlverstoß i. S. des § 44 LWG nicht feststellen, so erweist sich der angefochtene Beschluß des Landtages des Saarlandes vom 14. Dezember 1994 als rechtmäßig. C. Das Verfahren vor dem Verfassungsgericht ist gemäß § 26 Abs. 1 V G H G kostenfrei; zu einem Ausspruch gemäß § 26 Abs. 3 oder 4 V G H G besteht keine Veranlassung.

Entscheidungen des Landesverfassungsgerichts Sachsen-Anhalt

Die amtierenden Richter des Landesverfassungsgerichts für das Land Sachsen-Anhalt Prof. Jürgen Goydke, Burkhard Guntau,

Präsident

Vizepräsident

Dr. Edeltraut Faßhauer Margit Gärtner Prof. Dr. Michael Kilian Erhard Köhler Dr. Harald Schultze

Stellvertretende Richter Carola Beuermann Dietrich Franke Dietmar Frommhage Wolfgang Pietzke Prof. Dr. Stefan Smid Dr. Peter Willms • Werner Zink

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Nr. 1 Öffentlichkeitsarbeit einer Landesregierung und Parteipolitik.* Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt, Art. 2 Abs. 1, 2 und 4; 42 Abs. 1; 66 Landesverfassungsgerichtsgesetz, § 31 Abs. 1 Beschluß vom 4. Juli 1995 - LVG 8/95 in dem Verfahren über den Erlaß einer einstweiligen Anordnung der C D U Landtagsfraktion und des Landesverbandes der C D U gegen das Ministerium der Finanzen Sachsen-Anhalt.

Entscheidungsformel: Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung wird zurückgewiesen. Gerichtskosten werden nicht erhoben, außergerichtliche Kosten nicht erstattet.

Gründe: I. 1. Im Juni 1995 wurde vom Ministerium der Finanzen des Landes Sachsen· Anhalt, Referat Presse und Öffentlichkeitsarbeit, erstmals ein „FINANZ report 1/95" herausgegeben und kostenlos im Land verbreitet. In der äußeren Aufmachung einer Zeitschrift werden auf 23 Druckseiten finanzpolitische Fragen, so des Landeshaushalts, des Jahressteuergesetzes des Bundes 1996, der sog. „Steuerverschwendung-Ost", der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit durch Teilzeittarifverträge, die Gründung einer Spielbank in Halle, Ausstattung von Dienstzimmern sowie Frauenförderung behandelt. *

nichtamtlicher Leitsatz

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2. Die Antragsteller wenden sich gegen die weitere Verbreitung dieses Reportes durch das Ministerium der Finanzen des Landes Sachsen-Anhalt und beantragen den Erlaß einer einstweiligen Verfügung mit dem Inhalt „dem Antragsgegner aufzugeben, bis zur Entscheidung in der Hauptsache die weitere Verbreitung der von ihm herausgegebenen Broschüre ,Finanzreport Ausgabe 1/Juni 1995' zu unterlassen und Behörden und sonstige Einrichtungen des Landes anzuweisen, dort ausliegende Exemplare an den Herausgeber zurückzugeben."

Sie tragen vor, daß die Landesregierung mit der Broschüre verfassungswidrige Öffentlichkeitsarbeit betreibe und begründen den Antrag damit, daß auf den Seiten 12 und 13 unter der Uberschrift „Interessen der neuen Länder wahren/Keine Entscheidung gegen SPD" angeblichen Standpunkten des Bundesministers der Finanzen, Theo Waigel, Positionen der SPD gegenübergestellt würden. Im fettgedruckten Vorspann werde - ungeachtet der divergierenden Standpunkte der Ministerpräsidenten Schröder und Frau Simonis (beide SPD) - behauptet, daß die Kritikpunkte „im wesentlichen von Seiten der SPD und den von ihr gestellten Länderfinanzministern erhoben werden." Im Artikel selbst werde jedoch nach einer kurzen Darstellung der Änderungsvorschläge des Bundesfinanzministeriums ausschließlich die Positionen der größten im Bundestag vertretenen Oppositionspartei, der SPD, dargestellt, ohne daß auch nur im Ansatz die Auffassung der Landesregierung von Sachsen-Anhalt erwähnt werde. Vielmehr werde in Verbindung von Uberschrift und Textausgabe der Eindruck erweckt, als würden die „Interessen der neuen Länder" nur durch die SPD als Partei, mit der sich die Landesregierung in verfassungswidriger Weise identifiziere, vertreten. Dieser Eindruck eines ausschließlich parteipolitisch gefärbten Tendenzartikels werde auch von einem Interview des Staatssekretärs im Finanzministerium auf S. 14 der Broschüre nicht abgeschwächt. Darin identifiziere sich der Staatssekretär für die Landesregierung in durchaus zurückhaltender Weise mit einigen - keineswegs allen - Positionen der SPD, ohne daß er damit dem beanstandeten Artikel den eindeutig parteiergreifenden Charakter nehme. Die Antragsteller rügen mit dem beanstandeten Artikel eine parteiergreifende Einwirkung der Landesregierung auf die Willensbildung des Volkes im ständigen Wettbewerb der Parteien um Wählerstimmen. Damit werde sowohl gegen das Demokratieprinzip nach Art. 2 Abs. 1 LVerf-LSA wie gegen das Prinzip der Gewaltenteilung in Verbindung mit der Mitwirkungsbefugnis des Volkes nach Art. 2 Abs. 2 LVerf-LSA, die Gesetzesbindung nach Art. 2 Abs. 4 LVerf-LSA verstoßen. Zugleich werde dadurch das aus dem Demokratieprinzip i. V. m. Art. 42 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 LVerf-LSA folgende Recht der Parteien auf Chancengleichheit bei Wahlen verletzt.

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Die Antragsteller stützen ihr Vorbringen insbesondere auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungswidrigkeit staatlicher Öffentlichkeitsarbeit in Wahlkampfzeiten (BVerfGE 44,125). Danach hat sich eine Regierung u. a. im Rahmen ihrer aus Steuergeldern finanzierten Öffentlichkeitsarbeit jeglichen parteiergreifenden Einwirkens zu enthalten. In einer an sich zulässigen Information der Öffentlichkeit dürfe sich die Landesregierung nicht in so eindeutiger Weise mit Standpunkten einer Partei identifizieren. Selbst versteckte Werbung für einzelne der miteinander konkurrierenden politischen Parteien sei untersagt. Die Grenze von der zulässigen Öffentlichkeitsarbeit der Regierung beginne dort, wo die Wahlwerbung beginne. Anzeichen für eine Überschreitung in Richtung Wahlwerbung könnten sich vor allem im Inhalt sowie der äußeren Form und Aufmachung der Veröffentlichung finden. Inhaltlich könne der parteiergreifende Charakter daran erkennbar werden, daß die Regierung - wie es hier geschehen sei - sich als von bestimmten Parteien getragen darstelle, offen oder versteckt für sie werbe oder sich mit negativem Akzent oder gar herabsetzend über die anderen Parteien äußere. Zudem müsse sich die Landesregierung an die ihr zugewiesenen Aufgaben halten. Dies sei bei der Darstellung des Jahressteuergesetzes 1996 und des Familienlastenausgleichs als Bundesrecht nicht gegeben. Es könnte daher allenfalls auf die von den Ländern im Bundesrat bezogenen Positionen hingewiesen werden. Je ausgeprägter der Inhalt eines staatlich finanzierten und verbreiteten Druckerzeugnisses den Charakter einer Aussage zugunsten einer bestimmten Partei habe, desto geringer seien die Anforderungen an Massivität und Häufigkeit der öffentlichen Verlautbarung. Bei einer so krassen Grenzüberschreitung wie im vorliegenden Fall sei auch schon bei einer einmaligen, zudem breit gestreuten Veröffentlichung die Verfassungswidrigkeit zu konstatieren. Die Antragstellerin zu 1) sei daher in ihrer Eigenschaft als Oppositionsfraktion nach Art. 48 LVerf-LSA, namentlich in ihrem Recht auf Chancengleichheit, Art. 48 Abs. 2 LVerf-LSA, der Antragsteller zu 2) sei in seinem Recht auf Chancengleichheit im politischen Meinungskampf um Wählerstimmen betroffen. Die einstweilige Anordnung sei geboten, weil die andauernde Verteilung dieser in hoher Auflage gedruckten Broschüre zu irreversiblen Nachteilen führe. Sie sei zudem zur Wahrung des gemeinen Wohls dringend geboten, eine Einflußnahme auf die freie Willensbildung des Volkes (Art. 2 Abs. 2 LVerfLSA) zu unterbinden. Ferner bestehe Wiederholungsgefahr, auch müsse die Entscheidung in der Hauptsache offengehalten werden. Verwiesen wird weiter auf ein Antwortschreiben des Finanzministers vom 27. Juni 1995 auf ein abmahnendes Schreiben der CDU-Franktion. Darin

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wird dargelegt, daß „jedem interessierten Leser klar sein dürfte, daß ich (der Minister) der SPD angehöre,... folglich findet sich auch die Position der Landesregierung von Sachsen-Anhalt in diesem Text wieder." II. 1. Gegen die Antragsberechtigung des Antragstellers zu 2) bestehen keine Bedenken. Hinsichtlich der Antragstellerin zu 1) könnten insoweit Zweifel bestehen, ob sie durch das Verhalten der Antragsgegnerin in eigenen Rechten verletzt sein kann. Dies kann jedoch offenbleiben, da jedenfalls die Anträge beider Antragsteller nicht begründet sind. 2. Gemäß § 31 Abs. 1 LVerfGG-LSA kann das Landesverfassungsgericht in einem Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Bei der Beurteilung, ob diese Voraussetzungen vorliegen, ist, so das Bundesverfassungsgericht für den wortgleich lautenden § 32 Abs. 1 BVerfGG, ein „strenger Maßstab" anzulegen (vgl. BVerfGE 85, 94, 95). Aus Art. 66, LVerf-LSA (Amtseid der Regierungen) kann keine drittschützende Wirkung zugunsten der Antragsteller abgeleitet werden. Ein schwerwiegender Eingriff in die Chancengleichheit der Parteien bzw. der Fraktionen, gegründet auf das Demokratieprinzip, Art. 2 Abs. 1, 42 Abs. 1 LVerf-LSA ist nicht in der für den Erlaß einer einstweiligen Anordnung im Verfassungsrecht erforderlichen Intensität gegeben. Dasselbe gilt für den Gewaltenteilungsgrundsatz, Art. 2 Abs. 2 LVerf-LSA sowie für die Bindung an Gesetz und Recht, Art. 2 Abs. 4 LVerf-LSA. Nach Abwägung aller Umstände ist im konkreten Fall für die Antragsteller kein schwerer Nachteil ersichtlich, der nur im Wege einer einstweiligen Anordnung abwendbar wäre und daher eine solche Anordnung dringend erscheinen läßt. a) Die Umschlagseite der Broschüre ist neutral als Informationsschrift des Landes Sachsen-Anhalt für den Bereich der öffentlichen Finanzen ausgewiesen. Das Ministerium der Finanzen als Herausgeber (siehe das Impressum S. 2) erscheint neben dem Landessignum rechts unten in kleiner Schrift auf grauem Grund. Die Broschüre wird offensichtlich aus öffentlichen Mitteln finanziert und kostenlos verbreitet. Inhaltlich überwiegt dem Umfang nach die Information über aktuelle Finanzangelegenheiten des Landes. Vereinzelt wird auf die eigenen Erfolge, aber auch die Probleme der Landesregierung in bestimmten Finanzfragen hingewiesen (S. 7,17, 18, 22).

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b) Der beanstandete Artikel enthält nach seiner Überschrift, die verdeutlichen will, daß die Interessen der neuen Länder (gegenüber dem Bundesfinanzminister) bundesweit von der SPD gewahrt werden, eine sachlich gehaltene Darstellung mit Argumenten des Bundesministers der Finanzen sowie Gegenargumente der SPD. Die wichtigsten Änderungsvorschläge des Bundesministers zur Steuervereinfachung werden zunächst neutral aufgelistet, dann kritisch, jedoch sehr knapp aus der Sicht der SPD kommentiert. Ahnlich wird bei der Behandlung der Bundesfinanzangelegenheiten (Gewerbesteuerreform sowie Familienlastenausgleich) vorgegangen (siehe die Kritik der SPD S. 13, linke Spalte unten sowie rechte Spalte unten). Die Gestaltung des Beitrags könnte in der Tat ein verfassungsmäßig bedenkliches Übergreifen der Landesregierung in den Bereich der Auseinandersetzungen unter den Parteien, ja ein einseitiges Parteiergreifen mit Hilfe öffentlicher Mittel bedeuten. Insbesondere könnte der Eindruck erweckt werden, allein die SPD vertrete die Interessen der neuen Länder gegenüber dem Bund. Dies legt eine Verletzung der Chancengleichheit nahe. Selbst wenn man in dem beanstandeten Artikel somit eine verfassungsrechtlich bedenkliche Vermischung von Öffentlichkeitsarbeit und Parteipolitik sieht, fehlt es jedoch an einer schweren rechtlichen Benachteiligung der Antragsteller. Die Darstellung im Rahmen der an sich verfassungsrechtlich notwendigen Öffentlichkeitsarbeit der Landesregierung wiegt nämlich noch nicht so schwer, daß daraus eine jede Grenze überschreitender, unabwendbarer Nachteil für die Antragsteller i. S. d. § 31 Abs. 1 LVerfGG-LSA zwingend zu folgern wäre. Eine besonders öffentlichkeitssensible Wahl- oder Vorwahlkampfzeit ist nicht gegeben. Die betroffene Partei hat vielmehr ausreichend Gelegenheit, in angemessener Zeit mit ihr als geeignet erscheinenden Mitteln politisch wirksam zu reagieren. Ihr ist deshalb zuzumuten, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Die Kostenentscheidung beruht auf § 32 LVerfGG-LSA.

Nr. 2 1. Die Antragsbefugnis einer Landtagsfraktion im Organstreit wegen Verletzung ihrer Chancengleichheit in der Öffentlichkeit kann sich nur auf ihren parlamentarischen Status gründen. 2. Ein Verstoß gegen das Gebot parteipolitischer Neutralität regierungsamtlicher Öffentlichkeitsarbeit kann die Chancengleichheit der Parteien auch außerhalb der Wahlkampfzeit verletzen, wenn er erheblich ist.

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3. Bei einem Verstoß gegen das Gebot parteipolitischer Neutralität regierungsamtlicher Öffentlichkeitsarbeit liegt keine Verletzung der Chancengleichheit der Parteien vor, wenn es sich um einen Vorgang von geringer Intensität handelt, dessen Wiederholung nicht zu erwarten ist. Grundgesetz, Art. 20, 21, 28, 38 Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt, Art. 2, 7, 8, 42, 47, 48, 75 Landesverfassungsgerichtsgesetz §§ 35, 36 Fraktionsgesetz des Landes Sachsen-Anhalt § 1 Urteil vom 22. Februar 1996 - LVG 8/95 in dem Organstreitverfahren der C D U - Landtagsfraktion und des Landesverbandes der C D U gegen das Ministerium der Finanzen Sachsen-Anhalt. Entscheidungsformel: Der Antrag der Antragstellerin zu 1) wird als unzulässig verworfen, und der Antrag des Antragstellers zu 2) wird als unbegründet abgelehnt. Die Entscheidung ergeht gerichtskostenfrei. Die den Antragstellern entstandenen außergerichtlichen Kosten werden nicht erstattet. Tatbestand: Das Ministerium der Finanzen des Landes Sachsen-Anhalt hat im Juni 1995 erstmals eine kostenlose Broschüre mit dem Titel „ F I N A N Z report" verbreitet. Das Titelblatt der Broschüre zeigt das Signum des Landes Sachsen-Anhalt sowie einen Hinweis auf das Ministerium der Finanzen. Dieses zeichnet im Impressum mit seinem Referat für Presse und Öffentlichkeitsarbeit als Herausgeber verantwortlich. Die Broschüre umfaßt 23 Seiten. Sie enthält die Titel: „Der Haushalt des Landes Sachsen-Anhalt 1995", „Jahressteuergesetz 1996", „Konsequenzen aus der sogenannten ,Steuerverschwendung-Ost'", „Arbeit teilen statt Arbeitslosigkeit finanzieren", „Sachsen-Anhalt erhält eine Spielbank in Halle", „Richtlinien für die Ausstattung von Dienstzimmern in der Landesverwaltung Sachsen-Anhalt" und „Wissenswertes über den Frauenförderplan des Ministeriums der Finanzen." Der im Inhaltsverzeichnis als „Jahressteuergesetz 1996" angekündigte Beitrag erscheint in der Broschüre auf Seite 12 unter der Uberschrift „Interessen der neuen Länder wahren/Keine

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Entscheidung gegen die SPD Jahressteuergesetz 1996 und Familienlastenausgleich." Er beträgt zweit Seiten. Der Vorspann „Interessen der neuen Länder wahren/Keine Entscheidung gegen die SPD" ist durch Fettdruck hervorgehoben und mit einem farbigen Balken unterstrichen. Ein Vorwort des Ministers der Finanzen des Landes Sachsen-Anhalt leitet die Broschüre ein. Darin wird für den Frühherbst eine zweite Ausgabe des „ F I N A N Z report" angekündigt. Die erste Ausgabe wurde mit 10 000 Exemplaren aufgelegt, von denen 9 000 innerhalb der Landesverwaltung verteilt und 140 auf Antrag interessierten Bürgern und Mitarbeitern der Verwaltung zugänglich gemacht wurden. Die Antragsteller sehen in dem Artikel eine „parteiergreifende Einwirkung". Sie haben am 10. 7.1995 das Landesverfassungsgericht angerufen, rügen die Verletzung von Art. 2 7 und 42 der Landesverfassung und tragen vor: Auf den Seiten 12 und 13 der Broschüre würden unter der Uberschrift „Interessen der neuen Länder wahren/Keine Entscheidung gegen die S P D " angeblichen Standpunkten des Bundesfinanzministers Theo Waigel die Positionen der SPD gegenübergestellt. In dem fettgedruckten Vorspann werde ungeachtet der divergierenden Standpunkte der SPD-Ministerpräsidenten Schröder und Frau Simonis - behauptet, daß die Kritikpunkte „im wesentlichen von seiten der SPD und den von ihr gestellten Länderfinanzministern erhoben werden." Im Artikel selbst werde jedoch nach einer kurzen Darstellung der Änderungsvorschläge des Bundesfinanzministeriums ausschließlich die Position der größten im Bundestag vertretenen Oppositionspartei, der SPD, dargestellt, ohne daß auch nur im Ansatz die Auffassung der Landesregierung von Sachsen-Anhalt erwähnt werde. Vielmehr werde in der Verbindung von Uberschrift und Textausgabe der Eindruck erweckt, als würden die „Interessen der neuen Länder" nur durch die SPD als Partei vertreten. Die Landesregierung identifiziere sich mit dieser in verfassungswidriger Weise. Dieser ausschließlich parteipolitisch gefärbte Tendenzartikel werde auch nicht durch das auf Seite 14 der Broschüre folgende Interview des Staatssekretärs des Finanzministeriums zu einer noch vertretbaren Darstellung von Positionen der Landesregierung, die nach Art. 66 der Landesverfassung zur Wahrung des Wohls des ganzen Volkes nicht nur einer Partei verpflichtet sei. Es nehme dem beanstandeten Artikel nicht den eindeutig parteiergreifenden Charakter, wenn sich auch der Staatssekretär des Finanzministeriums in durchaus zurückhaltender Weise mit einigen - keineswegs allen - Positionen der SPD für die Landesregierung identifiziere. Die parteiergreifende Einwirkung der Landesregierung auf die Willensbildung des Volkes im ständigen Wettbewerb der Parteien verstoße gegen das Demokratieprinzip nach Art. 2 Abs. 1 der Landesverfassung sowie das Gewaltenteilungsprinzip in Verbindung mit der Mitwirkungsbefugnis des Volkes

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nach Art. 2 Abs. 2 der Landesverfassung, die Gesetzesbindung gemäß Art. 2 Abs. 3 der Landesverfassung und verletze das aus dem Demokratieprinzip i. V. m. Art. 42 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 (Gleichheitssatz) der Landesverfassung folgende Recht der Parteien auf Chancengleichheit bei Wahlen. Ein parteiergreifendes Einwirken der Staatsorgane sei auch in der Form von Öffentlichkeitsarbeit nicht zulässig. Die Landesregierung dürfe sich nicht in einseitiger Weise mit Standpunkten einer Partei identifizieren und sich nicht geradezu als eben diese Partei definieren, wie es das Finanzministerium des Landes Sachsen-Anhalt in der Broschüre getan habe. Die auf das Staatsganze bezogene Öffentlichkeitsarbeit müsse auch schon den bloßen Anschein einer werbenden Einflußnahme zugunsten einzelner Parteien vermeiden. Der Wettbewerb um Wählerstimmen dauere während der ganzen Legislaturperiode an. Es gebe keine Zeit, in der sich die Parteien nicht in einem um Wählerstimmen werbenden Meinungskampf befänden und in der die Regierungsarbeit von den Einschränkungen in der Öffentlichkeitsarbeit frei wäre. Ferner müsse sich die Öffentlichkeitsarbeit der Landesregierung an die ihr durch Grundgesetz und Landesverfassung zugewiesenen Aufgaben halten. Das Jahressteuergesetz 1996 und der Familienlastenausgleich seien Bundesrecht, an dem die Länder lediglich im Bundesrat mitwirken könnten. Die Öffentlichkeitsarbeit der Landesregierung dürfe sich nur auf die Bundesratsarbeit beziehen. Entgegen der Uberschrift verdeutliche der Inhalt des Artikels, daß dieser Gesichtspunkt gegenüber der breiten Darstellung der parteipolitischen Auffassungen der SPD im wesentlichen keine Rolle spiele. Lediglich im Zusammenhang mit der Abschaffung der Gewerbe- und Kapitalsteuer zum 1.1.1996 sei - mühsam - ein Aspekt hervorgehoben, der ausschließlich die neuen Länder berühre. Die Antragstellerin zu 1) sei in ihrer Eigenschaft als Oppositionsfraktion nach Art. 48 LVerf-LSA, namentlich in ihrem Recht auf Chancengleichheit aus Art. 48 Abs. 2 LVerf-LSA betroffen. Der Antragsteller zu 2) sei in seinem Recht auf Chancengleichheit im politischen Meinungskampf um Wählerstimmen betroffen. Das rechtliche Interesse an der Feststellung rechtfertige sich, weil Wiederholungsgefahr bestehe. Die Landesregierung, namentlich das Finanzministerium, gedenke, die Reihe „FINANZ report" ausweislich des Vorwortes des Ministers fortzusetzen. In diesem Zusammenhang verweisen die Antragsteller auf ein Antwortschreiben des Finanzministers vom 27. 6. 1995 und auf ein abmahnendes Schreiben der CDU-Fraktion. Darin wird dargelegt, daß „jedem interessierten Leser klar sein dürfte, daß ich [der Minister] der SPD angehöre, [...] folglich

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findet sich auch die Position der Landesregierung von Sachsen-Anhalt in diesem Text wieder." Die Antragsteller beantragen, festzustellen, daß die Landesregierung dadurch gegen Art. 2 Abs. 1, 2, 4, Art. 7 Abs. 1, Art. 42 Abs. 1 und Art. 48 Abs. 2 der Landesverfassung verstoßen hat, daß sie durch das Ministerium der Finanzen in der Broschüre „FINANZ report Ausgabe 1/Juni 1995" - den Artikel „Interessen der neuen Länder wahren/ Keine Entscheidung gegen die SPD" veröffentlicht hat.

Der Antragsgegner beantragt, den Antrag abzulehnen,

und entgegnet: Die Broschüre „FINANZ report" sei in der Mitte des Jahres 1995 erschienen und befasse sich mit den Themen, die zum damaligen Zeitpunkt die Öffentlichkeit interessiert hätten. Eines der Themen sei die Darstellung des Landeshaushalts 1995, der bereits am 9. 3. 1995 verabschiedet worden sei. Weitere Schwierigkeiten seien das Jahressteuergesetz 1996, Konsequenzen aus der Debatte zur sogenannten Steuerverschwendung-Ost, Teilzeitrahmentarifvertrag usw., alles Themen, die die Mitarbeiter der Verwaltung und gleichermaßen die Öffentlichkeit bis heute stark interessierten. Schon aus Auflagenhöhe und Verteilungsweise lasse sich unschwer erkennen, daß vornehmlich die Mitarbeiter der Landesregierung über die sie im aktuellen Arbeitsgeschäft interessierenden Themen hätten unterrichtet werden sollen. Die Information der breiten Öffentlichkeit habe daneben deutlich im Hintergrund gestanden. Die Anträge beider Antragsteller seien zwar zulässig, aber nicht begründet. Der Organstreit nach §§ 35 ff LVerfGG-LSA diene im Gegensatz zur abstrakten Normenkontrolle der Wahrung und Klärung des objektiven Verfassungsrechts nur, wenn zugleich Rechtspositionen von antragsbefugten Organen betroffen seien. Die Antragsteller seien aber nicht in ihren Rechten auf „Chancengleichheit" verletzt worden. Es sei auszuschließen, daß sich die Veröffentlichung des „FINANZ report" auf die erst 1998 fälligen Wahlen auswirken könne. Mit dem angegriffenen Artikel habe die Landesregierung auch die Grenzen zulässiger Öffentlichkeitsarbeit nicht überschritten. Gerade mit der Gegenüberstellung der deutlich voneinander abweichenden politischen Meinungen zum Jahressteuergesetz 1996, zum Familienlastenausgleich und zur Gewerbesteuerreform habe sie den Bürgern die Möglichkeit gegeben, klar zu erkennen, welchen Standpunkt der von ihr mit der Verhandlungsführung beauftragte Minister der Finanzen in der Auseinandersetzung einnehme. Gleichzeitig sei verdeutlicht worden, mit welcher Zielrichtung und in welchem Maße

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die von den Bürgern gewählte Landesregierung im Bundesrat auf die die Bürger betreffenden Entscheidungen in Bonn Einfluß nehme. Der Artikel stelle die beiden im Bundesrat vertretenen Auffassungen zu den streitigen Steuerrechtsänderungen sachlich dar. Während - journalistisch gestrafft - die Ansicht der Bundesregierung sowie die der CDU-regierten Länder als Ansicht des Bundesfinanzministers referiert sei, werde die gegenteilige Auffassung der SPD-regierten Länder zusammenfassend als Ansicht „der S P D " dargeboten. Eine Wertung finde nicht statt. Die Darstellung der Auffassung der SPD-regierten Länder als Standpunkt „der S P D " sei als vereinfachendes stilistisches Mittel üblich und zulässig, wenn - wie hier - komplexe Themen schlagwortartig benannt werden müßten und die Benennung der Verständlichkeit für den Leser diene. Das gelte auch für die ebenfalls benutzte schlagwortartige Verkürzung „Waigelsche Reformvorstellungen". Im übrigen sei auch die äußere Gestaltung der Broschüre „ F I N A N Z report" als Informationsschrift des Ministeriums der Finanzen so neutral gestaltet, daß ein Verstoß gegen die Grundsätze des Bundesverfassungsgerichts nicht erkennbar sei. Selbst wenn aber eine Überschreitung der Grenzen zulässiger Öffentlichkeitsarbeit vorläge, wäre dies nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur dann verfassungswidrig, wenn die beanstandeten Maßnahmen durch Häufung und Massivität „ins Gewicht fallen" würden. Diese Voraussetzungen seien nicht gegeben. „Häufig" beziehe sich auf die Zahl „grenzüberschreitender" Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit. Wenn überhaupt, könne hier von einem einmaligen Verstoß gesprochen werden. Allein die hypothetische Möglichkeit, daß bei einer beabsichtigten Fortsetzung der Reihe „ F I N A N Z report" Grenzüberschreitungen möglich sein könnten, reiche nicht aus, die Verfassungswidrigkeit der Herausgabe des „ F I N A N Z report" Nr. 1 festzustellen. Entscheidungsgründe: 1. Der Antrag der Antragsteller zu 1) (CDU-Fraktion) ist zu verwerfen, weil er unzulässig ist. Die Oppositionsfraktion, ein durch Art. 48 der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt - LVerf-LSA - vom 16. 7. 1992 (LSA-GVBl 600) mit eigenen Rechten ausgestatteter anderer „Beteiligter" i. S. des Art. 75 Nr. 1 LVerf-LSA, wird durch den angegriffenen Artikel nicht in ihren parlamentarischen Rechten betroffen; diese bleiben ihr ungeschmälert. Der „ F I N A N Z report Nr. 1" berührt weder - was Art. 48 Abs. 2 LVerf-LSA in dieser Alternative verhindern soll - das Gleichgewicht zwischen den Gruppierungen im Landtag von Sachsen-Anhalt noch greift er in die politische Auseinandersetzung mit der Regierung ein.

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Ganz abgesehen davon bezieht sich der beanstandete Artikel gerade nicht auf eine Auseinandersetzung der Landesregierung oder einer der sie tragenden Landesparteien mit der Opposition bzw. einer der sie tragenden Landesparteien, sondern betrifft Meinungsverschiedenheiten der jeweiligen Bundesparteien um ein im wesentlichen „bundespolitisches Thema". Es ist aber nicht zu erkennen, daß die parlamentarischen Möglichkeiten der Oppositionsfraktion, auf das Verhalten der Landesregierung im Deutschen Bundesrat Einfluß zu nehmen, auch nur im Ansatz berührt sein könnten. Gleiches gilt, soweit sich die Antragstellerin auf die Rechte des Landtags beruft (§ 36 Abs. 1 LVerfGG-LSA). Die Antragsbefugnis der Antragstellerin zu 1) folgt auch nicht aus einer Verletzung ihres Rechts auf Chancengleichheit in der Öffentlichkeit nach Art. 48 Abs. 2 LVerf-LSA (2. Alternative). In einer parlamentarischen Demokratie fällt dem Parlament in seiner Gesamtheit die wesentliche Aufgabe der Regierungskontrolle zu. Diese Kontrolle setzt - soll sie effektiv sein - zwischen Parlament und Regierung ein Spannungsverhältnis voraus. Dieses hat sich faktisch dahin gewandelt, daß es in erster Linie zwischen den Kräften besteht, auf welche sich die Regierung stützt, und denjenigen, welche einzelne Maßnahmen oder die Politik der Regierung insgesamt in Frage stellen. Dem trägt, über Art. 47 LVerf-LSA hinausgehend, Art. 48 besonders Rechnung. Die Verfassung benennt die Rolle der Opposition ausdrücklich und wertet sie insofern auf. Nach Art. 48 Abs. 2 LVerf-LSA beschränkt sich die Kontrolle nicht nur auf die förmlichen verfassungsrechtlichen Instrumentarien der Enquête- und Interpellationsrechte bis hin zum Sturz der Regierung im Wege eines konstruktiven Mißtrauensvotums, sondern weist darüber hinaus auch einen Bezug zur Öffentlichkeit auf. Nach Sinn und Zweck soll Art. 48 Abs. 2 LVerf-LSA vor allem den Vorteil ausgleichen, den die Regierungsfraktionen in Form des „Regierungsvorsprungs" („Amtsbonus") genießen. Die Vorschrift zielt auf die Herstellung und Sicherheit der Waffengleichheit in der Öffentlichkeit. Der Regierung stehen erhebliche Mittel für ihre Öffentlichkeitsarbeit zur Verfügung. Diese Öffentlichkeitsarbeit kommt den „Regierungsfraktionen", wenn auch nicht unmittelbar, so doch mittelbar, zugute. Diese und die Regierung erscheinen in der Öffentlichkeit in der Regel als eine Einheit über ihre regelmäßige Mitgliedschaft in gemeinsamen politischen Parteien. Als Spitze der Exekutive und als Politiker nehmen die Regierungsmitglieder eine Doppelrolle wahr. Dieser eher faktische Hintergrund für die verfassungsrechtliche Regelung ändert nichts daran, daß die Chancengleichheit einer Oppositionsfraktion in der Öffentlichkeit auf ihren parlamentarischen Status bezogen ist. Dies ergibt sich zum einen aus dem Umstand, daß Fraktionen Untergliederungen des Par-

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laments darstellen, zum anderen aus der Natur des Organstreits als kontradiktorischem Verfahren zwischen Verfassungsorganen. Die Chancengleichheit einer Oppositionsfraktion in der Öffentlichkeit dient allein dem Schutz ihrer parlamentarischen Funktionen und Aufgaben, wie diese auch in § 1 Abs. 2 des Fraktionsgesetzes vom 5. 11. 1992 - FraktG-LSA - (LSA-GVBl 768) geregelt sind. Soweit die Arbeit der Fraktionen Bezüge zur Öffentlichkeit aufweist, ist der Schutz dieser Chancengleichheit allein auf die Ausübung der parlamentarischen Funktionen bezogen und begrenzt. Die Veröffentlichung der Broschüre „ F I N A N Z report" läßt den parlamentarischen Status der Antragstellerin zu 1) unberührt. Wie bereits bei der Chancengleichheit im parlamentarischen Bereich ist auch hier entscheidend, daß ein möglicherweise „parteiergreifendes" Verhalten „der S P D " nicht die Oppositionsfraktion „der C D U " zum Ziel hat, sondern die Auseinandersetzung der „SPD-geführten Länder" im Deutschen Bundesrat mit der „ C D U geführten" Bundesregierung und der Mehrheit im Deutschen Bundestag. Eine Verletzung ihrer Chancengleichheit als Fraktion des Landtags von Sachsen-Anhalt ist nach alledem unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt möglich. 2. Der Antrag des Antragstellers zu 2) (CDU-Landesverband) ist abzulehnen. Er ist zwar zulässig (2.1), aber unbegründet (2.2). 2.1 Die (Landes-)Partei ist sowohl „anderer Beteiligter" im Rahmen des Art. 75 Nr. 1 LVerf-LSA als auch nach ausdrücklicher Bestimmung des § 35 Nr. 4 des Landesverfassungsgerichtsgesetzes - LVerfGG-LSA - vom 23. 8. 1993 (LSA-GVBl 441), geändert durch Gesetz vom 14. 6. 1994 (LSA-GVBl 700), antragsberechtigt (2.1.1). Die Zulässigkeit eines solchen Antrags im Organstreitverfahren setzt voraus, daß der Antragsteller geltend macht, in eigenen Rechten verletzt oder unmittelbar gefährdet zu sein (2.1.2). Die Verletzung eines solchen Rechts - des Rechts auf „Chancengleichheit" (2.1.3) scheint möglich. 2.1.1 Der Antragsteller zu 2) ist als Partei im Organstreitverfahren antragsbefugt. Obgleich die Landesverfassung Rechte und Pflichten der politischen Parteien nicht - wie das Grundgesetz im Art. 21 G G - ausdrücklich geregelt hat, gilt der bundesrechtliche Inhalt der Parteienregelung auch nach Landesrecht. Dabei kann offenbleiben, ob es sich insoweit um eine bundesrechtliche „Vorgabe" für die Landesverfassungen handelt oder ob jedenfalls anzunehmen ist, daß der Regelungsgehalt inhaltsgleich auch als Landesverfassungsrecht gilt (vgl. zum Problemstand: BVerfG, Urt. v. 5. 4. 1 9 5 2 - 2 BvH 1/52 - , BVerfGE 1, 208, 227; Urt. v. 6. 2. 1956 - 2 BvH 1/55 - , BVerfGE 4, 375, 378; Beschl.

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v. 7. 5. 1957 - 2 BvH 1/56 - , BVerfGE 6, 367, 375; Beschl. v. 16. 7. 1969 - 2 BvH 1/67 - , BVerfGE 27, 10, 17; Beschl. v. 9. 2. 1982 - 2 BvK 1/81 - , BVerfG E 60, 53, 61; Beschl. v. 24. 1. 1984 - 2 B v H 3/83 - , BVerfGE 66, 107, 114). Da das Landesrecht den Parteien das Organstreitverfahren eröffnet, steht ihnen der Weg zum Landesverfassungsgericht über Art. 75 Nr. 1 LVerf-LSA offen. Die inhaltliche Ubereinstimmung des Bundes- und des Landesverfassungsrechts für Parteien bedeutet zugleich, daß die Parteien und ihre Untergliederungen (BVerfGE 60, 53, 61 f; 66, 107, 115) nur den Weg über das Organstreitverfahren gehen können, welchen das Landesrecht zur Verfügung stellt (vgl. vor allem BVerfGE 66, 107, 115). Daß auch der Landesverfassungsgeber von dem besonderen verfassungsrechtlichen Status der Parteien ausgegangen ist, belegt die Diskussion zu § 35 Nr. 4 LVerfGG-LSA. In der 53. Sitzung vom 16. 6. 1993 hat der Rechts- und Verfassungsausschuß des Landtags von Sachsen-Anhalt den Kreis der Antragsberechtigten für Organstreitverfahren ausdrücklich um „die Parteien" ergänzt, weil diese in Art. 21 G G besonders erwähnt seien (LT-Drs. 1/2784). 2.1.2 Der Antragsteller zu 2) kann aus der Antragsbefugnis in einem Organstreitverfahren - anders als dies bei einem abstrakten Normenkontrollverfahren der Fall ist - als Verfahrenspartei nicht eine gleichsam „objektive Klärung der Rechtslage" verlangen. Die Zulässigkeit des Antrags setzt vielmehr voraus, daß die „Verletzung in eigenen Rechten" wenigstens möglich erscheint. Das ist für den bundesverfassungsrechtlichen Organstreit ohne weiteres anerkannt (vgl. etwa: BVerfGE 60, 53, 63). Aus der vom Bundesrecht (vgl. dort § 64 Abs. 1 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes - BVerfGG i. d. F. d. Bek. v. 11. 8. 1993 [BGBl III 1104-1]: „Rechte und Pflichten") abweichenden Formulierung des Landesrechts von Sachsen-Anhalt (Art. 75 Nr. 1 LVerf-LSA: „mit eigener Zuständigkeit ausgestattet") läßt sich eine Abweichung in der Sache nicht herleiten. Dies erschiene schon mit Rücksicht auf die Vorgaben des Bundesrechts für die Parteienklage bedenklich; es ist aber auch den Materialien nicht zu entnehmen, daß das Organstreitverfahren nach Landesrecht bewußt als rein objektive Rechtskontrolle hat ausgestaltet werden sollen, die eine Verletzung eigener Rechte nicht zur Voraussetzung hätte. Die Diskussionen des Verfassungsausschusses vom 24./25. 4. 1991 und vom 15. 5.1991 hatten eher zum Inhalt, dem Verfassungsgericht in Sachsen-Anhalt die im übrigen Bundesgebiet üblichen Zuständigkeiten zu verschaffen. Die auf die Entwürfe einerseits von C D U und F D P (LT-Drs. 1/253, dort zu Art. 52 Abs. 1 Nr. 1 VerfE) und andererseits der SPD (LT-Drs. 1/260, dort zu Art. 74 Nr. 1 VerfE) zurückgehende Formulierung („Zuständigkeit") wurde dabei nicht problematisiert.

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2.1.3 Als solches „eigenes" Recht, das verletzt sein könnte, kommt hier nur das der „Chancengleichheit" in Betracht. Dieses Recht ist Teil der Regelung über die Parteien und deren Mitwirkung am politischen Willensbildungsprozeß - insoweit wie Art. 21 Abs. 1 Satz 1 G G i. V. m. dem allgemeinen Gleichheitssatz - und beruht letztlich sowohl auf dem aus Art. 21 G G herzuleitenden Gedanken des „Mehrparteienprinzips" als auch ergänzend auf dem „Demokratiegebot" der Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 G G , das die Landesverfassung durch Art. 2 Abs. 1 LVerf-LSA ausdrücklich für das Land Sachsen-Anhalt verbindlich macht. Der allgemeine Gleichheitssatz hat in den besonderen Regelungen der Art. 7 Abs. 1,8 Abs. 1,42 Abs. 1 LVerf-LSA Ausdruck gefunden. Die hier maßgeblichen „eigenen Rechte" der politischen Parteien lassen sich nur aus ihrem Verhältnis zu staatlicher Tätigkeit herleiten. Das Verhältnis der Verfassungsorgane zu den politischen Parteien i. S. des Art. 21 G G - die trotz ihrer verfassungsrechtlichen Anerkennung nicht selbst Verfassungsorgane sind - steht unter dem Verfassungsgebot der „grundsätzlich staatsfreien und offenen Meinungs- und Willensbildung vom Volk zu den Staatsorganen" (BVerfG, Urt. v. 19. 7 . 1 9 6 6 - 2 BvF 1/65 - , BVerfGE 20, 56,100); die Parteien sind „als Mittler beteiligt am Prozeß der Bildung der öffentlichen Meinung" und „beeinflussen die Bildung des Staatswillens, indem sie in das System der staatlichen Institutionen und Ämter hineinwirken" (BVerfGE 20, 56, 101). Die verfassungsrechtlich geschützten Rechte sind zwar nicht auf die Teilnahme an Wahlkämpfen beschränkt; dennoch ist diese Tätigkeit das wichtigste Mittel, um auf die staatliche Willensbildung Einfluß zu gewinnen und an der Macht teilzuhaben. Im Hinblick auf Wahlen ist es der Regierung besonders untersagt, sich in amtlicher Funktion mit politischen Parteien oder Wahlbewerbern zu identifizieren oder auch nur in anderer Weise „parteiergreifend" zugunsten oder zu Lasten einer bestimmten politischen Partei Einfluß zu nehmen (BVerfG, Urt. v. 2. 3. 1 9 7 7 - 2 BvE 1/76 - , BVerfGE 4 4 , 1 2 5 , 1 4 0 ff). Die Chancengleichheit im Wettbewerb um die Wählerschaft könnte durch den von dem Antragsteller zu 2) beanstandeten Artikel im „ F I N A N Z report" verletzt worden sein. 2.2 Das Begehren des Antragstellers ist indessen nicht begründet. Es liegt zwar ein Verstoß gegen die Neutralitätspflicht des Ministeriums der Finanzen vor (2.2.1); dieser ist aber nicht von solchem Gewicht, daß der Antragssteiler dadurch in seiner Chancengleichheit verletzt worden ist (2.2.2). 2.2.1 Das Bundesverfassungsgericht und die ihm folgenden Verfassungsgerichte der Länder leiten aus dem Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG), der Gewährleistung freier und gleicher Wahlen (Art. 38 Abs. 1

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GG), dem verfassungsrechtlichen Status der Parteien (Art. 21 G G ) und ihrem daraus folgenden Recht auf Chancengleichheit das Gebot parteipolitischer Neutralität her (BVerfGE 44, 125; 63, 230; BVerfG, Urt. v. 9. 4. 1992 - 2 BvE 2/89 - , BVerfGE 85, 264, 283 ff; S t G H BW, Urt. v. 27. 2. 1981 - G R 1/80 - , E S V G H 31, 81; BremStGH, Entsch. v. 30.11. 1983 - St 1/85 - , N V w Z 1985, 649; HessStGH, Beschl. v. 11.1.1991 - P.St. 1079 - , N V w Z 1992,465; V f G H NW, Urt. v. 15. 10. 1991 - VerfGH 12/90 - , N V w Z 1992, 467; SaarlVfGH, Urt. v. 26. 3. 1980 - Lv 1/80 - N J W 1980, 2181). Diese Rechtsprechung ist im wesentlichen für die Zeit vor Wahlen entwickelt worden. Aus dem Demokratieprinzip folgt aber allgemein, unabhängig von Wahlkampfzeiten eine Neutralitätsverpflichtung der Landesregierung, die insbesondere in der Gewaltenteilung (Art. 2 Abs. 2 LVerf-LSA) ihre formalen Wurzeln hat. Diese Verpflichtung gilt auch für die Öffentlichkeitsarbeit. Die regierungsamtliche Öffentlichkeitsarbeit hat sich als staatliche Tätigkeit innerhalb des ihr verfassungsrechtlich zugewiesenen Aufgabenbereichs zu halten (BVerfGE 44, 125, 149). Als Landesregierung besitzt sie eine auf diesen Aufgabenkreis bezogene mittelbare demokratische Legitimation, die ihre Tätigkeit als Regierungstätigkeit des Landes rechtfertigt. Die Verfassungsorgane der Länder haben deshalb bei ihrer Öffentlichkeitsarbeit das bundesstaatliche Kompetenzgefüge auf den Aufgaben- und Kompetenzbereich des Landes mit zu beachten (vgl. BVerfGE 44,25,149). Danach hat sich eine regierungsamtliche Öffentlichkeitsarbeit zu Bundesthemen an der bundesrechtlich eingeräumten Kompetenz des Landes zu orientieren. Die zulässige staatliche Öffentlichkeitsarbeit findet ihre Grenzen in der gebotenen parteipolitischen Neutralität. Der Regierung ist es von Verfassungs wegen untersagt, sich in ihrer amtlichen Eigenschaft mit politischen Parteien oder Parteienprogrammen zu identifizieren. Das Demokratieprinzip nach Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 LVerf-LSA verlangt einen Freiraum politischer Willensbildung, der einer Beeinflussung durch Organe der Staatsgewalt entzogen ist. Dies gilt nicht nur für die demokratische Legitimation von Hoheitsmacht in dem zentralen Akt der Wahl. In einem freiheitlich demokratischen Gemeinwesen ist der Schutz der politischen Willensbildung vor staatlicher Einflußnahme und Reglementierung von besonders hoher Bedeutung. Ein wesentliches Kennzeichen totalitärer Staaten liegt gerade darin, sich dieses Bereichs zu bemächtigen. Daher ist nicht allein die zeitlich Nähe zu bevorstehenden Wahlen für den Schutz einer freien, unreglementierten politischen Willensbildung entscheidend. Die politische Willensbildung vollzieht sich in vielfältigen Formen. Sie ist nicht allein auf den besonders sensiblen Akt der Wahl beschränkt. In der Wahl wird die ihr vorausgehende Willensbildung der demokratischen

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Öffentlichkeit in die staatliche Institutionen transformiert. Dieser Prozeß der politischen Willensbildung bedarf in seiner Gesamtheit des Schutzes vor staatlicher Beeinflussung. Die Zeit des Wahlkampfes stellt darin lediglich einen besonderen Ausschnitt dar. Eine staatlich gelenkte Öffentlichkeit oder eine staatlich beeinflußte politische Willensbildung ist mit dem Demokratieprinzip unvereinbar. Der Grundsatz der parteipolitischen Neutralität verbietet es den Regierungen, die politische Willensbildung unter Einsatz staatlicher Mittel zu formen. Staatliche Gewalt ist kein Mittel zur Perpetuierung parteipolitischer Machtverhältnisse (BVerfGE 44, 125,142). Die Staatsorgane haben als solche allen zu dienen und sich im politischen Wettbewerb der gesellschaftlichen Kräfte, insbesondere der Parteien, neutral zu verhalten. Wesentlich ist dabei, daß der Senat durch eine Parteinahme nicht auf die „Wettbewerbsverhältnisse zwischen den politischen Kräften Einfluß" nehmen darf (BVerfGE 44, 125, 144). Dieses Verbot ist aber nur ein besonderer Anwendungsfall der „Grundverpflichtung" (BVerfGE 44, 125, 141), daß die Staatsgewalt jederzeit nur im Interesse aller und nicht im Einzelinteresse ausgeübt werden darf (vgl. BVerfG E 44, 125,142 f). Es ist nicht auf Wahlkampfzeiten beschränkt. Diese Grundsätze gelten auch für die zulässige und um der Informationsrechte der Bürger, der Parteien, der Presse u. a. willen geradezu notwendige „Öffentlichkeitsarbeit" der Regierung (vgl. dazu: BVerfGE 44, 125, 147 ff. m. w. Nachw.). Diese muß sich der offenen oder versteckten Werbung für einzelne der miteinander konkurrierenden politischen Kräfte enthalten, ohne daß damit aber schon eine Aussage als Regierung ausgeschlossen wäre, die sich mit einer Stellungnahme der sie tragenden Partei(en) deckt (BVerfGE 44, 125, 149). „Öffentlichkeitsarbeit" darf insbesondere nicht - parteinehmend für die ,.Regierungsparteien)" - die Opposition bekämpfen (BVerfGE 44, 125, 150). Ganz allgemein hat „Öffentlichkeitsarbeit" dort ihre Grenze, wo „Wahlwerbung" beginnt (BVerfGE 44,125,150). Da es um der demokratischen Akzeptanz der Wahlentscheidung willen unerläßlich ist, daß diese in einem Verfahren fällt, das „formalisiert gleich" ist, muß dem auch die Handhabung der „Chancengleichheit" politischer Parteien folgen (BVerfGE 44,125,146). Jedes parteiergreifende Einwirken in der Form der Öffentlichkeitsarbeit ist unabhängig vom Zeitpunkt der Wahl unzulässig. Die inhaltliche Darstellung der Diskussion um das Jahressteuergesetz 1996 und den Familienlastenausgleich im „ F I N A N Z report" verstößt gegen das aus dem Demokratieprinzip des Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 LVerf-LSA folgende Neutralitätsgebot. Der Beitrag läßt einen Bezug zur Politik der Landesregierung vermissen. Die Haltung der Landesregierung, ihre Politik im Bundesrat, ihre Maßnahmen und Vorhaben in der Diskussion um das Jahressteuergesetz 1996 und den Familienlastenausgleich werden nicht erläutert. Die fehlende Position der Lan-

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desregierung wird in dem Betrag durch die wichtigsten Kritikpunkte der SPD ersetzt. Eine klare Unterscheidung zwischen der SPD als politischer Partei und der Landesregierung ist dadurch nicht möglich. In der Ersetzung der Politik der Landesregierung von Sachsen-Anhalt durch die Positionen der SPD liegt ein Verstoß gegen die parteipolitische Neutralität der Regierung. 2.2.2 Aber nicht jeder Verstoß gegen das objektive Gebot der Neutralität verletzt die Chancengleichheit in einer verfassungsrechtlich erheblichen Weise. Das trifft nur auf diejenigen Regelverstöße zu, die auch auf die realen Chancen der Parteien Auswirkungen haben, sich im „Wettbewerb" untereinander zu behaupten. Wann diese Grenze überschritten ist, läßt sich nicht allgemeingültig beurteilen. Ohne daß empirische Beweise geführt werden könnten, kommt es wesentlich darauf an, ob durch bestimmte von der Regierung für die Öffentlichkeit gedachte „Informationen" wegen deren Aufmachung, Häufigkeit, Intensität oder Massivität Auswirkungen auf das Wählerverhalten zu befürchten sind oder sich nicht ausschließen lassen (vgl. für Wahlen: BVerfG E 44,125,151). Am ehesten läßt sich die Kausalität der Einflußnahme der Regierung durch verfassungswidrige Informationspolitik unmittelbar vor Wahlen feststellen. Es ist aber ebenso möglich, auch außerhalb von Vorwahl- und Wahlkampfzeiten - wie im vorliegenden Fall - die Stimmung für oder gegen eine politische Partei durch regierungsamtliche Informationspolitik zu beeinflussen. Dabei scheiden geringfügige „Grenzüberschreitungen" der Neutralitätsverpflichtung der Regierung im politischen Wettbewerb aus, da sie die Einstellung des Bürgers zu den Parteien nicht verändern. Eine Vermutung dafür, daß eine „Grenzüberschreitung" in einer „wahlkampffreien" Zeit den politischen Opponenten gleichwohl „chancenungleich" trifft, ist anzunehmen, wenn der Beitrag beispielsweise den Gegner herabsetzt, mit ihm abrechnet oder als Teil einer Serie anzusehen ist, die insgesamt die Grenze zur Massivität überschreitet (vgl. zu diesem Einfluß auf die Rechtsverletzung auch: Murswiek, Der Umfang der verfassungsgerichtlichen Kontrollen staatlicher Öffentlichkeitsarbeit, in D Ö V 1982, 529, 530, 531, 535 f: danach ist die „Grenzüberschreitung" nur verfassungswidrig, wenn sie „ins Gewicht fällt" [aaO, S. 537 1. Sp.]; vgl. auch den Ansatz bei: BVerwG, Beschl. v. 17.11. 1988 - 7 Β 169.88 - , N V w Z - R R 1989, 262, 263). Dies ist hier nicht der Fall: Eine Verletzung der Chancengleichheit durch den beanstandeten Artikel ergibt sich weder aus dem Zeitpunkt seiner Veröffentlichung noch aufgrund seiner Form. Die Publikation ist nicht zu Wahlkampfzeiten erschienen und nimmt auch keinen Bezug auf eine Wahl. Das Erscheinungsbild der Broschüre unterliegt insgesamt keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Die farbenfrohe

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Aufmachung läßt keinen parteipolitischen Bezug erkennen. Das Titelblatt zeigt das Landessignum von Sachsen-Anhalt. Rechts unten ist in kleiner Schrift auf grauem Grund das Ministerium der Finanzen von Sachsen-Anhalt als Herausgeber genannt. Die Broschüre weist sich als Informationsschrift aus. Inhaltlich überwiegt die Information über aktuelle Finanzangelegenheiten des Landes. Vereinzelt wird auf die Erfolge aber auch die Probleme in der Finanzpolitik der Landesregierung hingewiesen. Auch der im Streit stehende Beitrag zum Jahressteuergesetz 1996 und Familienlastenausgleich ist in formaler Hinsicht verfassungsrechtlich unbedenklich. Er wird mit einem fett gedruckten Vorspann „Interessen der neuen Länder wahren/Keine Entscheidung gegen die S P D " eingeleitet und durch einen farbigen Balken hervorgehoben. Darunter erscheint der im Inhaltsverzeichnis angekündigte Artikel, der in keiner Weise einer reklamehaften Aufmachung entspricht. Schließlich indiziert die objektive Verletzung des Neutralitätsangebots noch nicht die Erheblichkeit des Eingriffs für den Antragsteller 2). Vielmehr müssen weitere Kriterien hinzukommen, etwa die Gefahr einer Fortsetzung oder einer Wiederholung des Eingriffs durch die Landesregierung. Für beides liegen keine konkreten Anhaltspunkte vor. Bei dem beanstandeten Artikel handelt es sich zwar um eine objektiv bedenkliche Vermischung von zulässiger und verfassungsrechtlich unbedenklicher Öffentlichkeitsarbeit in Gestalt objektiver Informationen über ein finanzpolitisches Problem mit parteipolitischen Aussagen. Dieser Artikel ist jedoch in einer bislang erst einmal aufgelegten Broschüre erschienen, die zu etwa 90 % innerhalb der Landesverwaltung verteilt worden ist. Der Artikel war außerdem eingebunden in eine Reihe weiterer objektiver Beiträge, die auch von Seiten des Antragstellers zu 2) sachlich nicht beanstandet worden sind. Nach dem Zusammenhang handelt es sich vielmehr um einen einmaligen Vorgang, dessen Wiederholung nicht zu erwarten ist. Bei dem Antragsgegner liegt somit zwar ein objektiver Verstoß gegen das aus dem Demokratiegebot folgende Gebot der parteipolitischen Neutralität vor, jedoch ist die Chancengleichheit nicht in einer einen Verfassungsverstoß begründenden Weise verletzt worden. 3. Die Kostenfreiheit folgt aus § 32 Abs. 1 LVerfGG-LSA. Im übrigen beruht die Kostenentscheidung auf § 32 Abs. 3 LVerfGGLSA. Da den Anträgen nicht stattzugeben war, besteht keine Kostenerstattungspflicht der notwendigen Auslagen der Antragsteller durch das Land Sachsen-Anhalt.

Sachregister Abfallvermeidung Duldungspflichten aus Gründen des Umweltschutzes 74 Abgabenvorschriften Ausländerausweisung wegen Straftaten 55 Abgeordnetenhaus von Berlin Beteiligung an den Wahlen zum 24 und Fusionsbestrebungen Berlin/ Brandenburg 25, 76 ff Organstreit 93 Wahlgesetz 109 ff Zulassung zu den Wahlen 80 Abgeordneter Wahlgrundsätze 9 Akten Herausgabe an den parlamentarischen Untersuchungsausschuß 193,194, 203 ff Allgemeine Bedeutung einer Sache und Erfordernis der Rechts wegerschöpfung 154 Allgemeininteresse (überwiegendes) und Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung 209 Altersgrenze Beteiligung an einer Volksinitiative 179 Amtliche Öffentlichkeitsarbeit s. Öffentlichkeitsarbeit des Staates Amtshilfeanspruch Begrenzung 207 Arbeit Recht auf Arbeit, Bedeutung einer Verfassungsnorm 234 Arbeitslosenversicherung Institutionelle Garantie 241 Arbeitsruhe Schutz gesetzlicher Feiertage 46 Auflösung von Gemeinden 162 Aufsicht des Staates Schulwesen, gesamtes 34

Auslagenerstattung nach Abgabe verfahrensrechtlicher Erklärungen 169 Auslegung von Anfragen durch das Verfassungsgericht 202 Auslegung von Gesetzen Auslegung einfachen Rechts 58, 65 Willkür, fehlerhafte Auslegung 7, 65 Ausweisung aufgrund generalpräventiven Zweckes 55 nach Einstellung eines Strafverfahrens 57 und Ermessen der Ausländerbehörde 54 Baden-Württemberg Schutz kirchlicher Feiertage 46 Bayern Auflösung von Gemeinden 162 Schutz kirchlicher Feiertage 46 Bayern (LV) Anspruch auf angemessene Wohnung 238 BDSG s. Datenschutz Beamtenschaft Personalakten, Datenschutz 206 Befangenheit eines Verfassungsrichters 27 Behörden Datenschutz 206 Berlin und Brandenburg, Fusionsbemühungen 22 Gesamtstädtische Bedeutung 31 Hauptverwaltung und Bezirke, Zuständigkeitsaufteilung 19,30 Hochschul-Wahlgrundsätze 9 f Landesschulamt, Bildung 16 ff Landesschulamt, verfassungsrechtliche Überprüfung der Einrichtung 16 ff, 29 ff

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Sachregister

Zuständigkeitstreit Hauptverwaltung/ Bezirke 31 Berlin (VvB) Bezirksverwaltungen, Stellung 33 Bindung der Organe an Grundrechte und übriges Bundesrecht 9 8 , 1 0 6 Bindung der Richter an die Gesetze 6 Eigentumsgewährleistung 74 Gesetzlicher Richter 103 Gleichheitsgarantie 9 0 , 1 0 6 , 1 3 6 Grundrechte, grundgesetzgleiche 85 Leitbild der Einheitsgemeinde 32 Öffentlicher Dienst 34 Rechtliches Gehör 116,121 4 0 , 8 6 Rechtspflege, Ausübung 5 Rechtsstaatsprinzip 123 13 98 Religionsausübung, ungestörte 44 Zuständigkeitsbereiche Hauptverwaltung und Bezirke 31 Betroffensein von einer N o r m 70 Beweiserhebung durch parlamentarischen Untersuchungsausschuß 2 0 0 , 2 0 7 Bezirke (Berlin) Zuständigkeitstreit Hauptverwaltung/ Bezirke 31 Bezirksamtswahlen (Berlin) Wahlrechtsverfahren 9, 10 Bezirksverordnetenversammlung (Berlin) Grundsatz der Wahlgleichheit 90 f Sperrklausel 112 Bezirksversammlung (Hamburg) Wahlprüfungsverfahren 218 ff Billigkeitsentscheidung Auslagenerstattung nach Abgabe verfahrensrechtlicher Erklärungen 169 Brandenburg und Berlin, Fusionsbemühungen 22 Braunkohlenabbau und Gemeindeauflösung 157 ff Umstrukturierung der Justizbehörden 133 Volksabstimmung 179 Brandenburg (LV) Änderung kommunaler Zuordnungen 165 f Gesetzlicher Richter 173 Menschenwürde 144

Rechtsstaatsprinzip, effektiver Rechtsschutz 133 Vorlage an an das Bundesverfassungsgericht 153 Willkürverbot 145 Bürgerschaft Parlamentarischer Untersuchungsausschuß 202 f Bundesland und Parteienbegriff 140 Bundesrecht und Entscheidungen Berliner Gerichte 107,102 5 , 1 3 , 39 ff und Landesgrundrechte 243 Landesverfassungsrechtliche Uberprüfung von Grundrechtsverletzungen in Verfahren aufgrund des 133,145 Prüfungsbefugnis des V G H Berlin 40,84 Vorlage zur Prüfung entscheidungserheblichen Bundesrechts durch Landesverfassungsgericht 107,153 Bundesverfassungsgericht Betroffensein von einer Norm 70 Beweiserhebungsrecht von Untersuchungsausschüssen 207 Grundrechtsverletzungen, Eindämmung der Gefahr 209 Informationelle Selbstbestimmung 207 Jahresfrist für die Gesetzesanfechtung 69 f Klage gegen regierungsamtliche Öffentlichkeitsarbeit 154 Mietergrundrechte 103 Parteienbegriff und Landesverfassungen 139 Rechtsweggarantie 172 Sperrklausel im Wahlrecht 111 Verfassungsmäßige Ordnung 208 Vorlage zur Prüfung entscheidungserheblichen Bundesrechts durch Landesverfassungsgericht 153,107 Wahlfehler Dritter 220 ff Wahlrecht und Chancengleichheit 81 Wahlrechtsgleichheit 91 Wesentlichkeitstheorie 166 Büß- und Bettag Wegfall als gesetzlicher Feiertag 45

ister Chancengleichheit einer Oppositionsfraktion 267 einer politischen Partei 270 Datenschutz und Aktenherausgabe an den parlametarischen Untersuchungsausschuß 196 ff 206 BDSG-Geltung 206 Verhältnismäßigkeit 211 Demokratieprinzip und Parteienstatus 270 f und Wesentlichkeitstheorie 166 Demokratische Kontrolle durch parlamentarischen Untersuchungsausschuß 208 Disziplinarstrafverfahren Unschuldsvermutung 98 Ehe und Familie Schutz, besonderer 12 Eigentumsgarantie Duldungspflichten aus Gründen des Umweltschutzes 74 und mietrechtliche Vorschriften 104 Einfaches Recht und Verfassungsrecht, Unterscheidung 58, 65, 74 Einheit der Staatsgewalt 210 Einstellung eines Strafverfahren und Ausweisung aufgrund generalpräventiver Zielsetzung 55 Einstweilige Anordnung Außerkraftsetzung gerichtlicher Regelung 18 Aussetzung eines Gestzesvollzugs 111 Beteiligtenfähigkeit 139 Erfolgsaussichten im Hauptverfahren und Folgenabwägung 192 und Gegenstand der Hauptsache 139 Hauptsachenausgang, offener 18 Interessenabwägung 25 Maßstab, strenger 25 Organstreitverfahren 138,24,24 Erschöpfung des Rechtsweges Rechtswegerschöpfung Fachgerichte Gerichtliche Entscheidungen Feiertage Streichung eines einzelnen Feiertages 46 Gebietsänderungen Auflösung einer Gemeinde 165

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Gegenstandswert Verfassungsbeschwerde 134, 183 f Geheimnisschutz und Rechtsgütergefährdung 211 Gemeinde Braunkohlenabbau und Gemeindeauflösung 157 ff Gemeindevertretung und übergeordneter Wille des Gesetzgebers 164 Generalprävention und Ausweisung von Ausländern 55 Gerichtliche Entscheidungen Gegenvorstellung mit dem Ziel gerichtlicher Selbstkontrolle 114 Grundrechtsbeeinträchtigung durch Ausführungen in 141 ff Grundsatz effektiven Rechtsschutzes 133 Uberprüfung (rechtliches Gehör, Willkürverbot) 3 ff, 39 ff Verfassungsgerichtliche Überprüfung 5,13, 39 ff, 62 ff, 83 ff Verfassungsgerichte, Fachgerichte 58, 74 Gerichtliche Fürsorgepflicht Verletzung 42 Gerichtliche Zuständigkeit Ordentliche Gerichtsbarkeit 200 Gesetz Auflösung einer Gemeinde 165 Außerkraftsetzung durch einstweilige Anordnung 18 Betroffensein 70 Verfassungsbeschwerde 45,66 Zeitpunkt des Inkrafttretens 69 Gesetzesauslegung Willkürentscheidung und fehlerhafte 7 Gesetzesvollzug Aussetzung mittels einstweiliger Anordnung 18,111 Gesetzgeberisches Unterlassen Verfasungsbeschwerde 90 f Gesetzlicher Richter Rechtsentscheid, unterlassene Einholung 103 und Zurückweisung eines Befangenheitsantrags 173

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Sachregister

Glaubensfreiheit 45 Gleichbehandlung der Geschlechter 90 Gleichheitsgrundsatz Chancengleichheit der Parteien 25 Gebührenteilung im Beitrittsgebiet 107 f Gleichgeschlechtliche Paare 14 Hochschulwahlen 10, 47 ff und Wahlrechtsgleichheit 91 Willkürverbot 6 Grundbuchberichtigungsklage und Anrufung des Verfassungsgerichts 184 ff Grundgesetz Amtshilfeanspruch 207 und Entscheidungen Berliner Gericht 5, 13, 39 ff Politische Parteien 24, 80 Rechtliches Gehör 40, 86 Religionsausübung, Freiheit 45 Schulwesen, Schulverwaltung, Personalhoheit 34 Verletzung der Präambel 45 Grundrechte Juristische Personen des öffentlichen Rechts als Träger 48 f Subjektives Recht, erforderliches 235 und Zuständigkeitsregelung 20 Grundrechtsverletzungen Gefahr von 209 Haftbefehl Verfassungsrechtliche Uberprüfung 176 Hamburg Amtshilfeanspruch 207 Datenschutz 206 Personalakten der Beamten 206 Streit zwischen Senat und Bürgerschaft 195 ff Hamburger Polizei Aktenherausgabe an den parlamentarischen Untersuchungsausschuß 193, 194 Hauptsache Einstweilige Anordnung bei offenem Ausgang der 18 Hinreichende Erfolgsaussichten 12 Hessen (LV) Recht auf Arbeit 236 Hochschul-Wahlgrundsätze in Berlin 9 f, 47 ff

Homosexuelle Lebensgemeinschaft Erteilung eines gemeinsamen Wohnberechtigungsscheines 11 ff Informationelle Selbstbestimmung Grundrecht 207 Jahresfrist und Anfechtung gesetzgeberischen Unterlassens 91 Kommunale Verfassungsbeschwerde 161 Verfassungsbeschwerde gegen Gesetze 68 ff Juristische Personen des öffentlichen Rechts Grundrechtsfähigkeit 49 Parteifähigkeit für eine Verfassungsbeschwerde 48 f Justitiabilität Recht auf Arbeit, fehlende 239 Kirchliche Feiertage und Ausübung der Religionsfreiheut 45 f Kommunale Selbstverwaltung Berliner Rechtslage 32 Kommunale Verfassungsbeschwerde Uberprüfung eines Braunkohlenplans 157 ff Kommunale Zuordnungen Änderung 165 f Kommunalwahlen Sperrklausel 92,93 Kostenentscheidung Willkürlichkeit einer 146 f Landesschulamt in Berlin Verfassungsrechtliche Überprüfung seiner Bildung 16 ff 29 ff Landesverfassungen s. Bundesländer (einzelne) Massenarbeitslosigkeit und Diskussion um ein Recht auf Arbeit 236 Meinungsbildung Gebot grundsätzlich staatsfreier 26, 81 Hoheitliche Einwirkungen 155 Menschliche Würde und richterliches Handeln 144 Mietrecht Rechtsentscheid und gesetzlicher Richter 104

Sachregister Mißbrauch wirtschaftlicher Macht 73 Nebenklage Kostenerstattung 62 ff Nichteheliche Lebensgemeinschaft Erteilung eines Wohnberechtigungsscheines 11 ff Nichtigkeit einer Rechtsverordnung 162 ff Nichtzulassungsbeschwerde und Rechtswegerschöpfung 235 Nordrhein-Westfalen Schutz kirchlicher Feiertage 46 Sperrklausel im Kommunalrecht 94 Normenkontrollverfahren und kommunale Verfassungsbeschwerde 162 Selbstverwaltungsgrundsätze für Berliner Bezirke 20 Öffentlich-rechtlicher Unterlassungsanspruch 155 Öffentlicher Dienst Einstellungsanspruch 234 Gewährleistung des Zugangs 132 Öffentlichkeitsarbeit des Staates und Gebot freier Meinungs- und Willensbildung 26,81 Klage gegen die 154 einer Landesregierung und Parteipolitik 257 ff und parteipolitische Neutralität 271 Rechtliche Klärung der Bedeutung 156 Wahlkampfzeiten und 259 Opposition Rang der 267 Ordentliche Gerichte und Rechtswegfeststellung 201 Zuständigkeit 200 Ordnungsstreitverfahren Unschuldsvermutung 98 Organstreitverfahren Antragsbefugnis 80 Antragsfrist 94 Beteiligtenfähigkeit 140,152 vor Bundesverfassungsgericht 269 Chancengleichheit einer Oppositionsfraktion, einer Partei 268 ff Einstweilige Anordnung 138 24 Politische Parteien, Statusrüge 79, 93

279

Parlament und Regierung, Verhältnis 210, 267 Parlamentarischer Untersuchungsausschuß Aktenherausgabe an 193, 194, 203 ff Beweiserhebung, Beweiserhebungsanspruch 200,207 und Grundrecht informationeller Selbstbestimmung 208 Rechtsnatur einer Datenschutzordnung des 212 Parteien Aufstellung von Wahlvorschlägen 249 Begriff politischer Parteien 24, 79 Bundes- und Landesverfassungsrecht, Ubereinstimmung 80,269 Bundesland und Parteienbegriff 140 Chancengleichheit und Tendenzwerbung 23 Chancengleichheit und Organstreitverfahren 270 Chancengleichheit 81 und Öffentlichkeitsarbeit des Staates 26, 81 und Organstreitverfahren 139 f Parteiinterne Wahlbewerberauswahl 249 Parteisatzungsrecht und Wahlfehler 250 Rüge der Verletzung verfassungsrechtlichen Status 79, 93 Staatseingriff zugunsten, zu Lasten 25 und Verfassungsorgane 270 Verfassungsrechtlicher Status 271 Parteiengesetz Begriff politischer Partei 79,269 Parteifähigkeit Juristische Person des öffentlichen Rechts im Verfassungsbeschwerdeverfahren 48 f Politische Parteien 79, 93 Parteipolitik und Öffentlichkeitsarbeit einer Regierung 257 ff Parteipolitische Neutralität und Öffentlichkeitsarbeit der Regierung 271 Persönlichkeit Grundrecht freier Entfaltung 207 Personalakten Datenschutz 206

280

Sachregister

Pflege-Versicherungsgesetz und Wegfall des Bußtages als gesetzlicher Feiertag 44 Präambel des Grundgesetzes Verletzung 45 Präklusionsvorschriften fehlerhafte Anwendung 83 ff Privatklage Verfassungsrechtliche Uberprüfung der Verfahrensdauer 129 ff Prozeßbevollmächtigter Voreingenommenheit des Richters gegen 174 Prozeßkostenhilfe Nebenklage 62 ff und Rechtsschutzgleichheit 13 ff Räumungsurteii Verfassungsrechtliche Uberprüfung 100 Recht auf Arbeit Bedeutung einer Verfassungsnorm 234 ff Rechtliches Gehör Ablauf vom Gericht gesetzter Fristen 117 Präklusionsvorschriften, fehlerhafte Anwendung 38 ff 83 ff Prozeßkostenhilfe, Auslegung einfachen Rechts 65 und Selbstkontrolle des Gerichts 114 Substantiierungspflicht bezüglich gerügter Verletzung 6 Unbeachtliches Vorbringen aufgrund formellen Rechts 125,121 Verletzung im Zivilrechtsverfahren 5,41 und Wiedereinsetzungsvorbringen 122 Zivilprozeß 75 Rechtsanwalt Gebührenkürzung im Beitrittsgebiet 107 Gegenstandswert einer Verfassungsbeschwerde 134, 183 Rechtsentscheid und gesetzlicher Richter 103 Rechtsfortbildung Verfassungsrechtliche 169 Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule 186 Rechtspflege und rechtliches Gehör 5

Rechtsschutz Gewährung eines effektiven 133,156 Rechtssicherheit und Anfechtung gesetzgeberischen Unterlassens 91 und Gesetzesüberprüfung 69 Rechtsstaatlichkeit und effektiver Rechtsschutz 133 und Prozeßkostenhilfe 13 f und rechtliches Gehör 121 und Verfassungsbeschwerde 98 und Wesentlichkeitstheorie 166 Rechtsstreit Verzögerungsfragen 41, 42, 85, 86 Rechtswegerschöpfung Allgemeine Bedeutung der Sache 154 Berufungsbeschwer, nicht erreichte 41, 85 Durchgriffsentscheidung 155 Eilverfahren und zumutbares Hauptverfahren 116 vor Hauptsachenverfahren 53 Kommunale Verfassungsbeschwerde und Erfordernis der 162 Nichtzulassungsbeschwerde, unterbliebene 235 und OLG-Beschwerdeverfahren 186 und Subsidiaritätsgrundsatz 186 Unterlassungsanspruch gegenüber der Regierung 154 Voraussetzung der Verfassungsbeschwerde 9 Rechtsweggarantie und Unzulässigkeit bestimmten Rechtswegs 172 Regierung Öffentlichkeitsarbeit und Parteipolitik 257 ff und Parlament, Verhältnis 210,267 Regierungsvorsprung Amtsbonus und 267 Religionsausübung Büß- und Bettag, Beseitigung als Feiertag 45 Inhalt des Freiheitsrechts 45 Richter Ablehnung wegen Befangenheit 171 ff 176 Ablehnung eines Verfassungsrichters wegen Besorgnis der Befangenheit 27

Sachregister Gesetzesbindung 6 Gesetzlicher Richter 103 und Prozeßbevollmächtigter, Voreingenommenheit 174 Willkürverbot 145 f Richterliches Handeln und Menschenwürde 144 Saarland Schutz kirchlicher Feiertage 46 Saarland (LV) Arbeitslosenversicherung 241 Recht auf Arbeit 234 ff Sachsen-Anhalt (LV) Opposition 267 Sonn- und FeiertagsG Wegfall des Büß- und Bettags als gesetzlicher Feiertag 45 Sozialamt Mietzahlung durch das 100 ff Soziale Grundrechte Recht auf Arbeit 236 Sozialgerichtsgesetz Untätigkeitsklage, Kostenentscheidung 146 f Sozialstaatsprinzip und Einstellungsanspruch (öffentlicher Dienst) 234 Sperrklausel im Wahlrecht 92, 93 Zulässigkeit l l l f Staatsgewalt Einheit 210 Staatsorgane Öffentlichkeit, Eintreten für eine bestimmte sachliche Lösung 82 und parteipolitische Neutralität 271 Staatszielbestimmung Recht auf Arbeit als 242 f Strafsachen Begriff 200 Straftat und Ausländerausweisung 55 ff Haftbefehlsinhalt und Voreingenommenheit eines Richters 176 Unschuldsvermutung 98 Studentenschaft und Grundrechtsschutz 49 Subjektives Recht und Grundrechtscharakter 235

281

Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde 176 184 ff Überwiegendes Allgemeininteresse und Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung 209 Umweltschutz Duldungspflichten aus Gründen des Umweltschutzes 74 Universitäten Wahlgrundsätze 9,10, 47 ff Unschuldsvermutung Geltungsbereich 98 Untätigkeitsklage Kostenentscheidung nach Ablauf der Sperrfrist 146 Unterlassen des Gesetzgebers Verfassungsbeschwerde 90 Unterlassungsanspruch Geltendmachung eines subjektiven Rechts 154 Untersuchungsausschuß s. Parlamentarischer Untersuchungsausschuß Verfahrensdauer Verfassungsrechtliche Uberprüfung 133 Verfahrensrecht Willkürverbot bei der Auslegung 173 Verfahrensverstöße Uberprüfungs, verfassungsrechtliche 6 Verfassungen einzelner Länder s. Bundesländer (einzelne) Verfassungsbeschwerde (Berlin) Bundesrecht, entscheidungserhebliches und Vorlage an das ΒVerfG 107 Bundesrecht, Prüfungskompetenz des VerfGH 40 Ein-Jahres-Frist bei Gesetzen, Beginn der Frist 68 ff gegen Gesetzes 45, 66 Grundgesetzverletzungen, vom VerfGH nicht überprüfbare 45, 73 Grundrechtsübereinstimmung mit dem Grundgesetz 102,107 Grundrechtsverletzung, bezeichnete 5, 6 durch juristische Person des öffentlichen Rechts 48 f Mißbrauch wirtschaftlicher Macht 73 Rechtliches Gehör, Verletzung 121 Unterlassen des Gesetzgebers 90

282

Sachregister

Verfassungsbeschwerde (Brandenburg) Allgemeine Bedeutung einer Sache 154 Auslagenerstattung 169 Durchgriffsentscheidung 155 Fristwahrung durch Eingang bei dem Verwaltungsgericht 180 Gegenstandswert 134 183 f Grundrechtsverletzungen in bundesrechtlich geregelten Verfahren 133,145 Kommunale 157 ff Öffentlicher Dienst, Gewährleistung des Zugangs 132 Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde 176 184 ff Willkür eines Rechtsanspruchs 145 f Verfassungsbeschwerde (Bund) Betroffensein von einer Norm 70 Bundesverfassungsgericht s. dort Verfassungsbeschwerde (Saarland) Einstellungsanspruch (öffentlicher Dienst) 234 Verfassungsmäßige Ordnung Freie Entfaltung der Persönlichkeit, Grenzen durch die 208 Verfassungsorgane und politische Parteien 270 Verfassungsrecht und einfaches Recht, Unterscheidung 58,65 Verfassungsrichter Besorgnis der Befangenheit 27 Verfassungsverstoß Wiederholung einer beanstandeten Maßnahme als 74 Verhältnismäßigkeit Ausweisung aufgrund Stratat 55 Ausweisung aus generalpräventiver Zielsetzung heraus 55 Datenschutz 211 und Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung 208 Verletzung (einfache, qualifizierte) 59 Verletzung einer Verfassungsnorm Subjektives Recht, erforderliches 235 Verwaltungsgericht Klärung amtlicher Öffentlichkeitsarbeit 156

Verwaltungsgerichtliche Entscheidungen Überprüfung 54,58 Verwaltungshandeln Zurechnung zum Staat 156 Volksabstimmung Fusion Berlin/ Brandenburg 136 ff 149 ff 26, 76 ff Vorbereitung und Meinungsbildungsprozeß 82 Volksinitiative und Altersgrenze für die Beteiligung 179 Vorlage an das Bundesverfassungsgericht durch Landesverfassungsgericht 107, 153 Wahlergebnis Hoheitliche Einwirkungen 155 Wahlfehler aufgrund Verletzung von Parteisatzungsrecht 250 Wahlfehler Dritter Bedeutung 220 ff Wahlgesetz Verfassungsrechtliche Streitfragen 71 Wahlgleichheit als Individualrecht des Wählers 49 Wahlen zu den Berliner Bezirksverordnetenversammlungen 90 f Wahlgrundsätze Bezirksämter 9,10 Hochschulwahlen 9, 47 ff Wahlkampfzeiten Staatliche Öffentlichkeitsarbeit während 259 Wahlprüfungsverfahren und Erlaß einstweiliger Anordnung 111 vor dem Hamburgischen Verfassungsgericht 218 ff vor dem Verfassungsgerichtshof von Berlin 80 Wahlrecht Sperrklausel l l l f 92,93 Wahlrechtsgrundsätze und innerparteiliche Aufstellung von Wahlbewerbern 249 und Parteienstatus 270 f Wahlvorschläge Aufstellung durch Parteien, Wählergruppen 249

Sachregister Weimarer Verfassung Recht auf Arbeit 236 f Wesentlichkeitstheorie 166 Wiedereinsetzung Rechtliches Gehör 122 Verfassungsbeschwerde 235 Willensbildung Gebot grundsätzlich staatsfreier Willkürverbot Auslegung einfachen Verfahrensrechts 173 Verletzung durch gerichtliche Entscheidung 6, 145

26, 81

Wirtschaftsverfassung und Recht auf Arbeit 239 ff Wohnberechtigungsschein Erteilung eines gemeinsamen 11 ff Wohnung Anspruch auf angemessene 238 Zivilprozeß und rechtliches Gehör 75 Zivilrechtliche Entscheidung Uberprüfung (rechtliches Gehör, Willkürverbot) 3 ff, 39 ff Zuständigkeitsregelungen und Grundrechtsverletzung 20

283

Gesetzesregister

Bundesrecht Gesetz über die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern im Bundesgebiet - Ausländergesetz vom 9. 7.1990 (BGBl. I S. 1354) - AuslG -

§§ 45 ff.

Nr. 11 (B)

Baugesetzbuch i. d. F. der Bekanntmachung vom 8. 12.1986 (BGBl. I S. 2253) - BauGB -

§ 1 Abs. 4

Nr. 6 (Bbg.)

Betriebsverfassungsgesetz i. d. F. der Bekanntmachung vom 15. 1. 1972 (BGBl. I S. 13) - BetrVG -

§ 67 Abs. 1 Satz 2

Nr. 10 (Bbg.)

Bundesberggesetz i. d. F. der Bekanntmachung vom 13. 8.1980 (BGBl. I S. 1310) - BBergG -

§ 77

Nr. 6 (Bbg.)

Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte vom26. 7. 1957 (BGBl. I S . 9 0 7 ) - B R A G O -

§113 § 113 Abs. 2 Satz 3

Nr. 2 (Bbg.) Nr. 11 (Bbg.)

Bundespersonalvertretungsgesetz vom 15. 3.1974 (BGBl. I S. 693) - BPersVG -

§ 40 Abs. 1 Satz 2

Nr. 10 (Bbg.)

Bürgerliches Gesetzbuch vom 18. 8. 1896 (BGBl. III 400-2) - BGB -

§ 554 a § 894

Nr. 19 (B) Nr. 12 (Bbg.)

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. 5.1949 (BGBl. S. 1 ) - GG -

Art. 3 Abs. 1 Art. 21 Art. 101 Abs. 1

Nr. 20 (B) Nr. 15 (B) Nr. 19 (B)

Art. Art. Art. Art. Art.

Nr. Nr. Nr. Nr. Nr.

20 Abs. 1 21 21 Abs. 1 38 100 Abs. 3

5 3 5 5 5

(Bbg.) (Bbg.) (Bbg.) (Bbg.) (Bbg.)

Art. 2 Abs. 1 Art. 35

Nr. 2 (H) Nr. 2 (H)

Art. 21 Abs. 1 Satz 3

Nr. 2 (SL)

286

Gesetzesregister

Gerichtsverfassungsgesetz i. d. F. der Bekanntmachung 9. 5.1975 (BGBl. I S. 1077) - G V G -

§13 §17 a §§ 156 ff.

Nr. 2 (H) Nr. 2 (H) Nr. 2 (H)

Gesetz über die politischen Parteien (Parteiengesetz) i. d. F. der Bekanntmachung vom 3. 3. 1989 (BGBl. I S. 327) - ParteiG -

§ 2 Abs. 1 § 6 Abs. 4 § 6 Abs. 7 § 7 Abs. 1 Satz 4 §17

Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr.

Raumordnungsgesetz i. d. F. der Bekanntmachung vom 28. 4.1993 (BGBl. I S. 630) - R O G -

§ 4 Abs. 5 § 5 Abs. 4

Nr. 6 (Bbg.) Nr. 6 (Bbg.)

Sozialgerichtsgesetz i. d. F. der Bekanntmachung vom 23. 9. 1975 (BGBl. I S. 2523) - S G G -

§88 § 88 Abs. 1 Satz 2 § 88 Abs. 2 § 193 Abs. 1 Hs. 2

Nr. Nr. Nr. Nr.

4 4 4 4

(Bbg.) (Bbg.) (Bbg.) (Bbg.)

Strafprozeßordnung i. d. F. der Bekanntmachung vom 7. 4.1987 (BGBl. I S. 1074, ber. S. 1319) - StPO -

§95 §96 §98 § 244 Abs. 2

Nr. Nr. Nr. Nr.

2 2 2 2

(H) (H) (H) (H)

Verwaltungsgerichtsordnung vom 21. 1. 1960 (BGBl. I S . 1 7 ) - V w G O -

§ 40 Abs. 1 § 92 Abs. 2 §123

Nr. 5 (Bbg.) Nr. 7 (Bbg.) Nr. 5 (Bbg.)

Gesetz zur Sicherung der Zweckbestimmung von Sozialwohnungen (Wohnungsbindungsgesetz) i. d. F. der Bekanntmachung vom 19. 8. 1994 (BGBl. I. S. 2166, ber. S. 2319) - WoBindG -

§ 5 Abs. 1

Nr. 3 (B)

Zivilprozeßordnung i. d. F. der Bekanntmachung vom 12. 9. 1950 (BGBl. I S. 533) - ZPO -

§ 282 Abs. 1 §296 § 541 Abs. 1

Nr. 8 (B) Nr. 8, 16 (B) Nr. 19(B)

Art. 74

Nr. 6 (Bbg.)

15 (B) 3 (Bbg.) 3 (Bbg.) 3 (Bbg.) 3 (Bbg.) 2 (SL)

Landesrecht Baden-Württemberg Verfassung des Landes Baden-Württemberg vom 11.11.1953 (GBl. S. 1 7 3 ) - L V Bayern Gemeindeordnung für den Freistaat Bayern (Gemein- § 13 a deordnung) vom 25.1.1952 (GVB1. S. 19) - G O -

Nr. 6 (Bbg.)

Gesetzesregister

287

Berlin Gesetz über die Hochschulen im Land Berlin (Ber- §18 liner Hochschulgesetz) vom 12. 10.1990 (GVBl. S. 2 1 6 5 ) - B e r l H G -

Nr. 2,10 (Β)

Erste Verordnung zur Änderung der HochschulWahlgrundsätze-Verordnung vom 18. 10. 1994 (GVBl. S. 425)

Nr. 2,10 (B)

Art. I Nr. 1

Gesetz über die Neuorganisation der Schulaufsicht Art. I §§ 1, 2 und die Errichtung eines Landesschulamts in Art. II Nr. 2 Berlin vom 26. 1. 1995 (GVBl. S. 26)

Nr. 4, 7 (B) Nr. 4, 7 (B)

Erstes Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Sonn- und Feiertage vom 2. 12.1994 (GVBl. S. 491)

Nr. 9 (B)

Art. I

Gesetz über den Verfassungsgerichtshof vom 8.11. § 14 Nr. 1 1990 (GVBl. S. 2246/GVABl. S. 510) - VerfGHG § 14 Nr. 9 § 17 Abs. 1 § 23 Satz 2 § 31 Abs. 1 §36 §37 § 40 § 49 Abs. 1 § 50 §51 § 57

Nr. (B) Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr.

Verfassung von Berlin vom 1. 9. 1950 (VOB1.1 S. 4 3 3 ) - V v B -

Art. 65 Abs. 2 Art. 67 Satz 2

Nr. 18, 20 (B) Nr. 1,3,12,17, 20 (B) Nr. 11 (B) Nr. 14 (B) Nr. 9 (B) Nr. 9 (B) Nr. 2 (B) Nr. 21 (B) Nr. 4, 7 (B) Nr. 17 (B) Nr. 7 (B) Nr. 1,8,12,16, 22, 23 (B) Nr. 18 (B) Nr. 19 (B)

§ 8 Abs. 1 Satz 3

Nr. 14 (B)

Art. 1 Abs. 3 Art. 6 Abs. 1 Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art.

Gesetz über die Vermeidung und Entsorgung von Abfällen in Berlin (Landesabfallgesetz) vom 21.12.1993 (GVBl. S. 651) - LAbfG -

11 15 Abs. 20 Abs. 22 26 Abs. 26 Abs. 51 54 Abs. 61 62

1 1 1 2 1

5,15,17 4, 7 (B) 6 (B) 6 (B) 4, 5, 21 (B) 15(B) 15, 17(B) 21 (B) 10,17(B) 1 (B) 13,17(B) 4, 7 (B)

288

Gesetzesregister

Gesetz über die Wahlen zum Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksverordnetenversammlungen (Landeswahlgesetz) vom 25. 9.1987 (GVB1. S. 2370) - LWahlG -

§ 18 § 22 Abs. 2 § 26 Abs. 1 Nr. 6

Nr. 21 (B) Nr. 17, 21 (B) Nr. 13 (B)

§ 12

Nr. 6 (Bbg.)

Brandenburg Gesetz zur Einführung der Regionalplanung und der Braunkohlen- und Sanierungsplanung im Land Brandenburg vom 13. 5. 1993 (GVB1.1 S. 210) - RegBKPIG Verordnung über die Verbindlichkeit des Braunkohlenplanes Tagebau Jänschwalde vom 28.2.1994 (GVB1. II S. 118)

Nr. 6 (Bbg.)

Personalvertretungsgesetz für das Land Branden§ 40 Abs. 1 Satz 2 bürg (Landespersonalvertretungsgesetz) vom 15. 9. 1993 (GVB1.1 S. 358) - PersVG -

Nr. 10 (Bbg.)

Verfassung des Landes Brandenburg vom 20. 8. 1992 (GVB1.1 S. 298) - LV-

Nr. 4 (Bbg.) Nr. 4, 8 (Bbg.) Nr. 4 (Bbg.) Nr. 4 (Bbg.) Nr. 12 (Bbg.) Nr. 5 (Bbg.) Nr. 5 (Bbg.) Nr. 1 (Bbg.) Nr. 10 (Bbg.) Nr. 6, 7 (Bbg.) Nr. 10 (Bbg.) Nr. 8 (Bbg.) Nr. 9 (Bbg.) Nr. 1, 8, 9 (Bbg.) Nr. 6 (Bbg.) Nr. 6 (Bbg.) Nr. 7 (Bbg.) Nr. 6 (Bbg.) Nr. 6 (Bbg.) Nr. 3, 5 (Bbg.)

Gesetz über das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg vom 8. 7. 1993 (GVBl. I S. 322) - VerfGGBbg -

Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art.

2 Abs. 1, 5 6 7 10 12 20 Abs. 3 21 Abs. 1 21 Abs. 1 Satz 1 22 Abs. 2 Satz 3 25 39 52 Abs. 1 Satz 2 52 Abs. 3 52 Abs. 4

Art. Art. Art. Art. Art. Art.

97 98 98 Abs. 2 98 Abs. 2 Satz 1 98 Abs. 2 Satz 2 113 Nr. 1

§ § § § § § §

12 Nr. 1 12 Nr. 9 32 Abs. 7 35 38 45 Abs. 1 45 Abs. 2 Satz 1

§ 46

Nr. 3, 5 (Bbg.) Nr. 10 (Bbg.) Nr. 7 (Bbg.) Nr. 3, 5 (Bbg.) Nr. 3 (Bbg.) Nr. 1, 9 (Bbg.) Nr. 5, 6,12 (Bbg.) Nr. 8 (Bbg.)

289

Gesetzesregister

Gesetz über das Verfahren bei Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid (Volksabstimmungsgesetz) vom 14. 4. 1993 (GVB1.1 S. 94) - VAGBbg -

§ 7 Abs. 1-3

Nr. 10 (Bbg.)

Wahlgesetz für den Landtag Brandenburg (Brandenburgisches Landeswahlgesetz) vom 2. 3. 1994 (GVB1.1 S. 38) - BbgLWahlG -

§ 21 Abs. 4

Nr. 5 (Bbg.)

Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg vom 6. 6. 1952 (B11100-a) mit Änderungen - HVerf -

Art. 18 Abs. 1 Satz 2 Art. 25 Art. 32 Art. 57 Art. 65

Nr. 2 (H) Nr. 1, 2 (H) Nr. 1,2 (H) Nr. 2 (H) Nr. 1 , 2 ( H )

Gesetz über das Hamburgische Verfassungsgerichti. d. F. vom 23. 3. 1982 (GVB1. S. 59) - HVerfG G -

§ 14 Nr. 1 §35 § 66 Abs. 1

Nr. 2 (H) Nr. 1 (H) Nr. 2 (H)

Hamburgisches Verwaltungsverfahrensgesetz vom 9.11.1977 (GVBl. S. 333,402) - HmbVwfG -

§ 5 Abs. 1 Nr. 3

Nr. 2 (H)

Hamburg

Hamburgisches Datenschutzgesetz vom 10. 3.1992 § 1 Abs. 2 Nr. 2 (GVBl. S. 39) - HmbDSG § 2 Abs. 1 Nr. 1 § 23 Abs. 1 Satz 2

Nr. 2 (H) Nr. 2 (H) Nr. 2 (H)

Hamburgisches Beamtengesetz i. d. F. vom 9.3.1994 (GVBl. S. 7 5 ) - H m b B G -

§ 96 § 96 a

Nr. 2 (H) Nr. 2 (H)

Wahlordnung für die Wahlen zur Hamburgischen Bürgerschaft und zu den Bezirksversammlungen vom 29. 7.1986 (GVBl. S. 273) - HmbWO -

§ 20 § 22 § 24 Abs. 2 § 26 § 40

Nr. 3 Nr. 3 Nr. 3 Nr. 3 Nr. 3

Gesetz über die Wahl zur Hamburgischen Bürgerschaft i. d. F. vom 22. 7. 1986 (GVBl. S. 223) - BüWG -

§ 41 Abs. 2 § 47

Nr. 3 (H) Nr. 3 (H)

Gesetz über die Wahl zu den Bezirksversammlungen i. d. F. vom 22. 7. 1986 (GVBl. S. 230) mit späteren Änderungen - BezWG -

§ 25 § 26 § 26 b § 27 Abs. 2 §41 Abs. 3

Nr. Nr. Nr. Nr. Nr.

(H) (H) (H) (H) (H)

3 (H) 3 (H) 3 (H) 3 (H) 3(H)

290

Gesetzesregister

Saarland Landtagswahlgesetz. Gesetz Nr. 1232 vom 19. 10.1988 (ABl. S. 1313) i. d. F. d. Gesetzes Nr. 1293 vom 15. 7. 1992 (ABl. S. 838)

§ 17 §21 §22 § 44

Nr. Nr. Nr. Nr.

2 2 2 2

Gesetz über den Verfassungsgerichtshof. Gesetz Nr. 645 vom 17. 7. 1958 i. d. F. der Bekanntmachung vom 19. 11. 1982 (ABl. S. 917), zuletzt geändert durch Gesetz Nr. 1255 vom 29. 11. 1989 (ABl. S. 1625)

§ 9 Nr. 4 § 38 Abs. 1 Nr. 2 § 38 Abs. 2 § 55

Nr. Nr. Nr. Nr.

1,2 1, 2 1, 2 1, 2

Verfassung des Saarlandes vom 15. 12. 1947 (ABl. S. 1077), zuletzt geändert durch Gesetz Nr. 1310 vom 9. 6. 1993 (ABl. S. 626)

Art. Art. Art. Art.

Nr. Nr. Nr. Nr.

1 2 2 2

45 Satz 2 63 64 75

(SL) (SL) (SL) (SL) (SL) (SL) (SL) (SL)

(SL) (SL) (SL) (SL)

Sachsen-Anhalt Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt vom 16. 7. 1992 (LSA-GVB1. 1992 S. 600) - LVerf-LSA -

Art. 2 Art. 7 Art. 8 Art. 42 Art. 47 Art. 48 Art. 75

Nr. 1, 2 (LSA) Nr. 1, 2 (LSA) Nr. 1,2 (LSA) Nr. 1,2 (LSA) Nr. 1, 2 (LSA) Nr. 1, 2 (LSA) Nr. 2 (LSA)

Gesetz über das Landesverfassungsgericht - Landesverfassungsgerichtsgesetz - vom 23. 8. 1993 (LSA-GVB1. 1993 S. 441) - LVerfGG-LSA -

§ 35 § 36

Nr. 1, 2 (LSA) Nr. 1, 2 (LSA)

Gesetz über die Rechtsstellung und die Finanzierung der Fraktionen im Landtag von SachsenAnhalt vom 5. 11. 1992 (LSA-GVB1. 1992 S. 768) - Fraktionsgesetz SAn -

§1

Nr. 2 (LSA)

Zwischenstaatliches Recht und Vertragsgesetze Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands - Einigungsvertrag - vom 31.8. 1990 (BGBl. II S. 889)

Art. 8 und Anlage I Kapitel III Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 26 a

Nr. 20 (B)