Entgleisungen in der Psychoanalyse: Berufsethische Probleme 9783666491252, 9783525491256, 9783647491257


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Entgleisungen in der Psychoanalyse: Berufsethische Probleme
 9783666491252, 9783525491256, 9783647491257

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Sylvia Zwettler-Otte (Hg.)

Entgleisungen in der Psychoanalyse Berufsethische Probleme

Vandenhoeck & Ruprecht © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491256 — ISBN E-Book: 9783647491257

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet ber abrufbar. ISBN 978-3-525-49125-6 ISBN 978-3-647-49125-7 (E-Book) ’ 2007, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Gçttingen. Internet: www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschtzt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fllen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile drfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages çffentlich zugnglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung fr Lehr- und Unterrichtszwecke. Printed in Germany. Gesamtherstellung: l Hubert & Co, Gçttingen Gedruckt auf alterungsbestndigem Papier.

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Inhalt

Vorwort von Werner Bohleber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sylvia Zwettler-Otte: Einfhrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Raimar Schilling: Das Handeln des Psychoanalytikers, die psychoanalytische Situation und die Frage der Ethik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Glen O. Gabbard und Paul Williams: Editorische Vorbemerkung zum Beitrag von Anne-Marie Sandler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . SandlerAnne-Marie: Reaktionen der psychoanalytischen Institutionen auf Grenzverletzungen – Masud Khan und Winnicott . . . . . . . . . Glen O. Gabbard: Misslungene psychoanalytische Behandlungen suizidaler Patienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Parsons: Analytische Neutralitt in der Lehranalyse . . . . . . . . . . . . . . . . Gabriele Junkers: Der Abschied vom Leben als Analytiker . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sylvia Zwettler-Otte: berlegungen zur inneren Bedeutung der Internationalitt bei der Etablierung einer berufsethischen Haltung . . . . . . . . . Anhang Ethik-Kodex der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung . . Psychoanalytische Berufsethik der Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Vorwort

In der psychoanalytischen Behandlung steht die Analyse der Beziehung zwischen Analytiker und Analysand im Zentrum therapeutischen Handelns. Durch die freie Assoziation und die bertragung des Patienten auf den Analytiker kann sich eine ungehemmte Kommunikation hçchst persçnlicher und intimer Erfahrungen, Wnsche und Gedanken des Patienten entfalten. Diese freie Kommunikation erfordert einen sicheren ußeren Rahmen, der garantiert, dass aus dem Mitgeteilten und Gewnschten kein Handeln entsteht, das diesen Rahmen sprengt und die Analyse zerstçrt. Nun ist die analytische Behandlungstechnik mehr und mehr auf das Agieren beziehungsweise Enactments aufmerksam geworden, wodurch etwas zur Sprache kommt, was nicht anders ausgedrckt werden kann und erst in eine verstehende verbale Kommunikation berfhrt werden muss. Das gilt vor allem fr die Enactments des Patienten, aber auch fr die des Analytikers, der durch die Analyse seiner Gegenbertragung gelernt hat, auf eigene Enactments oder seine Neigung dazu zu achten. Auch hier bedarf es sicherer Grenzen. Der Analytiker muss offen sein fr die eingehende Reflexion und Analyse der eigenen Gegenbertragung bei gleichzeitiger Kontrolle seiner eigenen triebhaften und narzisstischen Bedrfnisse. Aus dieser Beschreibung eines sich entfaltenden analytischen Prozesses wird schon eine spezifische berufsethische Haltung des Analytikers erkennbar. Behandlungstechnik und Ethik sind keine getrennten Disziplinen, sondern ineinander verwoben. Darin mag auch die berzeugung, die immer wieder unter Analytikern anzutreffen ist, dass sich das Ethische von selbst verstehe, begrndet sein. Aber eine betrchtliche Anzahl von Grenzverletzungen, die bekannt geworden sind, machen eine solche Einstellung mehr als

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Vorwort

fraglich. Die Befassung mit den einzelnen Fllen von gravierenden Grenzverletzungen gehçrte zu den emotional belastendsten Momenten in meiner Zeit als Vorsitzender der Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung (DPV). Sie hat mich nachhaltig davon berzeugt, dass die Diskussion dieser Fragen und eine Schrfung des Bewusstseins dafr in die psychoanalytischen Aus- und Fortbildung integriert werden muss. Lange Zeit war das Thema der Ethik und der Grenzverletzungen ein vernachlssigtes Thema in den psychoanalytischen Vereinigungen. Obwohl schon 1910 gegrndet, hat sich die Internationale Psychoanalytische Vereinigung (IPV) erst seit 1998 einen Ethik-Kodex gegeben. Dem sind in der Zwischenzeit viele psychoanalytische Zweigvereinigungen gefolgt. Die psychoanalytischen Institute waren vielfach nicht in der Lage, mit Grenzverletzungen adquat umzugehen, sie wurden, vor allem wenn Lehranalytiker involviert waren, wie Familiengeheimnisse behandelt, als Klatsch, der kursierte, oder, schlimmer noch, den Klagen beziehungsweise Beschuldigungen vonseiten der Patienten wurde nicht geglaubt, und aus falsch verstandener Kollegialitt wurde der Sachverhalt nicht untersucht. Wie wichtig die Einrichtung von funktionierenden Ethik-Gremien ist, wurde mir durch die Einsetzung der Ethik-/Schlichtungskommission innerhalb der DPV im Jahr 1998 deutlich. Jetzt existierte eine Institution, die fr Patienten eine Anlaufstelle bildete und sich der Klagen von Patienten annehmen konnte. Ein Verfahren wurde erarbeitet, das eine angemessene und gerechte Behandlung der Sachverhalte ermçglichte. Dadurch sind schwere, aber auch subtilere Formen von Grenzverletzungen in den analytischen Behandlungen bekannt geworden, die vermutlich sonst nicht ans Tageslicht gekommen wren. Sie reichen von wiederholtem manifestem sexuellem Missbrauch ber hochgradig verfhrerisches Verhalten, ber aggressive entwertende Entgleisungen des analytischen Dialogs bis zu massiver narzisstischer Bedrftigkeit des Analytikers, fr die der Patient funktionalisiert und missbraucht worden ist. Die Pionierarbeiten von Glen O. Gabbard in den USA zu dieser Problematik zeigen, dass es hinreichend Grund zu der Annahme gibt, dass sexuelle und nichtsexuelle Grenzverletzungen auf einem

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Vorwort

einzigen Kontinuum anzusiedeln sind. Auch ereignet sich die große Mehrheit von sexuellen Kontakten zwischen Analytiker und Analysandin erst nach einer Reihe von sich ausweitenden massiveren nichtsexuellen Grenzverletzungen. Ein zunehmendes Offenlegen von eigenen persçnlichen Schwierigkeiten und Problemen durch den Analytiker in der analytischen Beziehung ist hier nicht selten der Einstieg. Gabbard kommt aufgrund seiner analytischen Arbeit mit Analytikern, die solche Grenzverletzungen begangen haben, zu der Vermutung, dass in beiden, sowohl in den sexuellen als auch nichtsexuellen bertretungen die gleichen psychodynamischen Themen virulent sind. Aber Gabbard nimmt auch die analytischen Institute nicht von der Verantwortung aus. Er beschreibt deren Unfhigkeit, solche Grenzverletzungen der behandelnden Analytiker offenzulegen, zu klren und zu verurteilen. Viele Flle von Grenzverletzungen kmen nicht zum Vorschein, weil in den Instituten selbst ein außergewçhnlicher Widerstand vorherrsche, solche bertretungen anzuerkennen. Wie bei inzestuçsen Familiengeheimnissen wolle niemand darber sprechen. Formen von Verleugnung und Kollusion fnden sich auf allen Ebenen der organisierten Psychoanalyse. Gabbards Untersuchungen machen deutlich, wie wichtig eine offene und ehrliche Bestandsaufnahme und Reflexion dieser Problematik in den psychoanalytischen Gesellschaften ist. Es berrascht deshalb auch nicht, dass die Anzahl der Arbeiten in der psychoanalytischen Literatur, die sich dieser Thematik widmen, sehr begrenzt ist. Umso verdienstvoller ist es, dass Sylvia Zwettler-Otte und die Autoren, die in diesem von ihr herausgegebenen Band vertreten sind, sich mit dieser Problematik befassen. Sie haben ganz unterschiedliche Ausgangspunkte und stellen jeweils andere Aspekte in den Vordergrund. Das Buch bietet deshalb einerseits einen guten berblick und geht andererseits anhand von Einzelfllen und deren Schilderung sehr konkret auf die sich darin manifestierenden Probleme ein. Ich wnsche dem Buch eine breite Leserschaft aus den psychoanalytischen Gesellschaften. Werner Bohleber

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Sylvia Zwettler-Otte

Einfhrung

Welches Vorwissen auch immer ein Analysand zum Beginn seiner Analyse mitbringt und wie klar vielleicht auch ein Therapievertrag artikuliert sein mag: Wenn die Analyse tatschlich greift, weicht frher oder spter die Rationalitt schließlich der Emotionalitt. Die Analyse, die ausschließlich der Suche nach analytischer Wahrheit dienen soll, berhrt tiefe Schichten und frhe ngste, macht sie sichtbar und verstehbar und kann sie in einem großen Ausmaß auflçsen. Dieser analytische Prozess basiert auf der Wiederbelebung unbewusster Gefhle, die in der bertragung des Analysanden und der Gegenbertragung des Analytikers auftauchen und so in aktualisierter Form zugngig und bearbeitbar werden. Der Analysand gert dabei unwillkrlich in eine regressive, schutzbedrftige Situation, in welcher der Analytiker die Hauptverantwortung dafr trgt, dass die Analyse im Interesse des Analysanden bewahrt wird und fortschreitet. Wenn der Analytiker seine analytische Funktion aufgibt und die ngste und Wnsche des Analysanden nicht deutet, sondern mitagiert, entsteht eine Konfusion im Denken, verschiedene Ebenen vermischen sich, die Symbolisierungsfhigkeit geht verloren, konkretes Agieren tritt an die Stelle der Narration, und unbewussten Intentionen wird ein Tor zur Verwirklichung geçffnet, durch das sie entkommen, statt dass sie gesehen, verstanden und bearbeitet werden. Der Analytiker hat aufgehçrt, Analytiker zu sein. Eine solche maligne Entwicklung hat hnlichkeit mit einer Situation, in der ein Erwachsener ein Kind missbraucht, die Generationengrenzen berschreitet und von einem Beschtzer des Kindes zu seinem Ausbeuter wird, um eigene Bedrfnisse zu befriedigen, seien diese nun sexueller, aggresiver oder eher narzisstischer Natur.

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Einfhrung

Der Analytiker, der seine Aufgabe nicht mehr wahrnimmt, verliert dann auch die Fhigkeit, die vielleicht hinter einer Fassade der Bewunderung verborgenen destruktiven Gefhle des Analysanden zu erkennen, und so wuchern zerstçrerische Regungen wie Neid und Hass ungedeutet weiter mit der unbewussten Intention, den Analytiker und die Analyse zu vernichten. So kçnnen zum Beispiel ein Analytiker und seine Patientin gemeinsam in die Illusion einer »reinen Liebe« flchten mit dem Ziel einer sexuellen Vereinigung, Heirat und so weiter; die unbewusste zerstçrerische Tendenz einer solchen gegenseitigen Verfhrung und die Vernichtung der analytischen Potenz wird ausgeblendet, und die analytische Wahrheit wird geopfert. Eine solche Inszenierung hat auch institutionelle Auswirkungen, denn meist dringen solche Grenzberschreitungen nach außen, und diejenigen, die davon erfahren, schließen sich entweder in kollektiver Verleugnung zusammen, wie es schon im Mrchen von »Des Kaisers neue Kleider« beschrieben wird – alle tun so, als wre alles in bester Ordnung, obwohl sie das regelwidrige Verhalten sehr wohl sehen, oder sie nennen Grenzverletzungen und Missbrauch beim Namen und werden dafr von manchen als Zerstçrer von Liebe und Freundschaft attackiert und so behandelt, als htten sie sich selbst eines Vergehens schuldig gemacht. Eine auf den Psychoanalytiker-Beruf konzentrierte Ethik befasst sich mit den Grundstzen und Normen, die sich aus der spezifischen Aufgabe der Psychoanalyse ergeben und die bestmçgliche Voraussetzung fr einen psychoanalytischen Prozess zu schaffen versuchen. So sind beispielsweise Vernachlssigungen der Schweigepflicht oder Grenzberschreitungen in Analysen Verletzungen berufsethischer Regeln. Aber auch die doppelte Verpflichtung des Analytikers gegenber seinem Ausbildungskandidaten einerseits und der Institution andererseits verlangt ethische Erwgungen und gert leicht in konflikthafte Bereiche, wenn etwa bei einer andauernden problematischen Entwicklung in einer Analyse zwar fr den Analysanden weiterhin Verschwiegenheit gesichert sein, aber doch auch gegenber der Institution klargestellt werden muss, dass die Ausbildung nicht den erhofften Gang nimmt und so die Verantwortung der Institution gegenber knftigen Patien-

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Sylvia Zwettler-Otte

ten des Ausbildungskandidaten betroffen ist: Ein absehbares berufliches Fehlverhalten wrde nicht nur den Kandidaten selbst, sondern auch seine potentiellen Patienten sowie den Ruf der Ausbildungsinstitution schdigen. hnliche Probleme der Verantwortung kçnnen sich ergeben, wenn Psychoanalytiker alters- oder krankheitsbedingt nicht mehr in der Lage sind, entsprechend den psychoanalytischen Grundstzen zu arbeiten, aber dies entweder selbst nicht bemerken oder sich nicht eingestehen und sich so auch nicht selbst Beschrnkungen auferlegen und Konsequenzen aus ihrer Situation ziehen kçnnen. Aber auch das Verhalten der Kollegen untereinander ist gewissen Regeln unterworfen, die ein gedeihliches Arbeitsklima so weit wie mçglich sicherstellen und zum Beispiel verbale Injurien verbieten sollen. In den letzten Jahren sind immer hufiger solche Verletzungen berufsethischer Normen an die ffentlichkeit gedrungen, die auf Grenzberschreitungen basieren. Dabei geht es keineswegs immer nur um analytische Arbeit zwischen einem mnnlichen Analytiker und einer weiblichen Patientin – also um jene hufige Konstellation, auf die sich Freud aus gegebenem Anlass in seinen grundlegenden und auch heute so aktuellen »Bemerkungen zur bertragungsliebe« (1915) beschrnkte; es gibt auch zwischen einem mnnlichen Patienten und einer Analytikerin oder zwischen einem gleichgeschlechtlichen analytischen Paar Arten der bertragung, die nicht zum Motor, sondern zum Haupthindernis der Analyse werden und zu grenzberschreitendem Agieren auf beiden Seiten fhren kçnnen. Eine ganz wesentliche Weiterentwicklung in der Psychoanalyse war whrend der letzten Jahrzehnte, dass die bertragung als neue via regia entdeckt (Person, 2001, S. 13) und erkannt wurde, dass die gesamte in der Analyse aktualisierte Form der Beziehung zwischen Analytiker und Analysand selbst Inhalt ist (Zwettler-Otte, 2006, S. 89 ff.); so zeigt Betty Joseph (2001) in ihren aktuellen berlegungen zur bertragungsliebe, dass gerade aufgrund primitiver Mechanismen wie konkretistischem Denken, Projektion und projektiver Identifizierung Denken und Handeln nahe beieinander liegen und dass sich in der bertragung und den Feinheiten des Agierens die inneren Objektbeziehungen des Patienten ausdrcken. Nicht nur, was er sagt,

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Einfhrung

sondern auch wie er es sagt und welche Atmosphre dabei entsteht, lsst den Analytiker spren, wie er unbewusst manipuliert werden soll. Der Patient kann gar nicht anders, als seine komplexen inneren Phantasiegestalten in der bertragung mit all seinen Wnschen, ngsten und Abwehrformen wieder zu beleben; deshalb liegt die volle Verantwortung immer beim Analytiker, der im Agieren auch den Widerstand und die auf die Analyse gerichtete Destruktivitt durchschauen und seine analytische Haltung aufrechterhalten muss; er darf nicht vergessen, dass Patienten unabhngig von den vorgebrachten Beschwerden wegen ihrer Beziehungsschwierigkeiten zu uns kommen, die mit ihrer eingeschrnkten Liebesfhigkeit zu tun haben, dem Resultat ihrer ausgedehnten Verdrngungen (Freud, 1914, S. 68). Im Zusammenhang mit Freuds (1915, S. 230) Hinweis, dass der Psychoanalytiker mit den explosivsten Krften arbeitet und daher derselben Vorsicht und Gewissenhaftigkeit wie der Chemiker bedarf, meint Betty Joseph: »Doch wenn wir die Fortschritte in unserem Verstndnis des bertragungskonzepts ernst nehmen, verwandeln sich diese Schwierigkeiten von einer Last und Brde in die Chance zu erforschen, was vor sich geht« (2001, S. 142). Freilich ist unsere Arbeit ein Spiel mit dem Feuer dieser besonderen Leidenschaft, die »Breuer in die Flucht trieb, Jung dazu brachte, sich die Finger zu verbrennen und Freud zu einer tiefgreifenden Spekulation anregte« (Canestri 2001a, S. 201). Jorge Canestri arbeitete Freuds Feuermetapher in ihren verschiedenen Facetten aus und zeigte ihre warnende Intention auf (»Feuer«, »Brand«, »explosive Krfte« etc., Canestri, 2001a, S. 183 ff.). Der enge Zusammenhang von Ethik und Technik der Psychoanalyse ist seit Freud allgemein bekannt (Canestri, 2001a, S. 196 f.) und stellt an die Haltung des Analytikers grundlegende Anforderungen; werden diese nicht eingehalten, ergeben sich gleichzeitig technische Fehler und ethische Grenzverletzungen. »Wenn sich das strukturelle Band zwischen Ethik und Technik, zwischen Abstinenz und Wahrheitsliebe auflçst [. . .] verschwindet der SeinsGrund der Analyse« (Canestri, 2001b, S. 194). So bildet die Abstinenzregel, die auch als Neutralitt, als Unparteilichkeit (Wallerstein, 2001, S. 86 f.) oder als Indifferenz (Canestri, 2001, S. 188) be-

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zeichnet wurde, das Fundament der psychoanalytischen Technik. Die Abstinenz regt die bertragung an und ermçglicht die Kontrolle der Gegenbertragung. Canestri hebt den Terminus Indifferenz hervor. »Indifferenz ist prziser als Neutralitt und sollte auf keinen Fall mit Gleichgltigkeit gegenber dem Leiden anderer oder einem Mangel an Empathie [. . .] gleichgesetzt werden. Er schlgt, und das ist sein Vorzug, eine theoretische Brcke zu den Begriffen fr die Grundlagen des Sprechens des Patienten (freie Assoziation) und des Zuhçrens des Analytikers (gleichschwebende Aufmerksamkeit).« Die Psychoanalyse wird immer wieder im Spannungsfeld zwischen Wissenschaft und Kunst angesiedelt, auch um zu respektieren, dass die Klarheit der Erkenntnisse immer wieder von Unsicherheiten durchdrungen und berlagert wird, die dem Wesen der Psychoanalyse als Lehre vom Unbewussten immanent sind. Gregorio Kohon schreibt ber die Unterordnung unserer Erkenntnisse unter den Primrvorgang: »the action of knowledge is at least partly dominated by the primary process; thus, it operates under the sway of a different kind of logic, with its own thoughtprocesses and its own laws. And yet: for those of us who are clinical practitioners, a challenge will inevitable remain open and unresolved: the question of the uncertainty of the psychoanalytic cure« (Kohon, 1999, S. 150). Kohon weist auch darauf hin, dass auf jeden bewussten Gewinn an Wissen gleichzeitig in einer Gegenstrçmung unbewusste Verleugnung zu folgen scheint: »an unconscious denial of that which has been consciously gained« (Kohon, 1999, S. 170). Gerade aufgrund dieser spezifischen Qualitt der psychoanalytischen Wissenschaft sind ethische Fragestellungen besonders bedeutsam, weil sie doch ein Grundgerst »richtigen« und »falschen« beruflichen Verhaltens zur Verfgung stellen. Eine hnliche Unsicherheit bezieht sich auch auf die Beurteilung, was denn eine »gelungene« und was eine »misslungene« Analyse sei; und doch wre es wohl falsch, die schwierige Komplexitt solcher Fragen dazu zu verwenden, jede Richtlinie abzulehnen. In gewisser Weise kann man noch immer auf Freuds Forderung zurckgreifen, dass seelische Gesundheit Liebes-, Arbeitsund Genussfhigkeit impliziere. Aber auch wenn wir Menschen,

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Einfhrung

die uns nahestehen, einen Analytiker empfehlen, zeigt sich gewçhnlich, dass wir im Grunde sehr wohl wissen, wen wir fr einen »guten« Analytiker halten, bei dem ein Patient gute Chancen auf das Gelingen einer Analyse hat. Sowohl das Gelingen als auch das Scheitern von Analysen kann ja viele Ursachen haben; sie liegen teilweise beim Analytiker und teilweise beim Analysanden oder aus dem Zusammenspiel unbewusster Faktoren auf beiden Seiten. Berufliches Fehlverhalten des Analytikers ist einer der Faktoren, die eine Analyse zum Scheitern bringen kçnnen; deshalb sollte es offengelegt werden, um Ursachen und Konsequenzen zu verstehen und fr die Zukunft bessere Bewltigungsmçglichkeiten fr Probleme zu finden. Wenn man einerseits mit den Folgen gescheiterter Analysen konfrontiert wird und andererseits das Potential gelungener analytischer Arbeit erfahren hat, wird einem das Ausmaß der beruflichen Verantwortung deutlich, und man wird nicht mehr zçgern – bei aller gebotener Vorsicht – zu versuchen, die in der Analyse geforderte Offenheit auch fr ihre berufliche Anwendung zu fçrdern. In diesem Buch werden einige berlegungen zu ethischen Themen des Psychoanalytiker-Berufs angestellt. Solche Auseinandersetzungen mit berufsethischen Problemstellungen geschehen wohl meistens aus gegebenem Anlass. In diesem Fall war es ein Ansuchen, das mir am Abend meiner Wahl zur Prsidentin der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung (WPV) vorgelegt wurde und das in den folgenden Jahren die meisten Mitglieder sehr beschftigte; es ging im Rahmen eines Verfahrens fr die Zuerkennung des Lehranalytikerstatus um ein gravierendes ethisches Problem, das von einer Gruppe von Mitgliedern nicht als solches betrachtet wurde. Heftige Kontroversen, fr die es damals noch kein geeignetes Forum in der WPV gab, haben viel Energie von anderen Arbeitsplnen abgezogen, jedoch auch zu wichtigen persçnlichen Stellungnahmen und zum berdenken von grundstzlichen Einstellungen gedrngt; rckblickend ist die essentielle Bedeutung der Befassung mit den aufgetauchten Problemen deutlich zu erkennen; es folgten entscheidende Weichenstellungen und Entwicklungen, und es wurden innerhalb der Funktionsperiode von einer Ar-

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Sylvia Zwettler-Otte

beitsgruppe »Professioneller Kodex« trotz mancher Widerstnde (»Das haben wir bisher auch nicht gebraucht!«) Ethik-Richtlinien und Verfahrensregeln erarbeitet, die mit dem Standard der IPV in Einklang stehen; mit der Untersttzung des damaligen Vorsitzenden der Ethik-Kommission der IPV, Jorge Canestri, wurde ein Gremium geschaffen, das nun einen Rahmen bietet, wenn es gilt, ber berufsethische Fragen nachzudenken und nach Verletzungen auch Konsequenzen zu erwgen, ber die dann der Vorstand entscheidet. Vor allem am Beginn der Auseinandersetzungen war es ußerst hilfreich, dass Gertraud Diem-Wille, ein Vorstandmitglied, nachdrcklich auf internationale psychoanalytische Literatur ber hnlich gelagerte berufsethische Schwierigkeiten hinwies. Darin liegt ein Grund, warum zu hoffen ist, dass auch diese Publikation fçrderlich sein kçnnte, um in schwierigen Situationen die gnstigsten psychoanalytischen Arbeitsbedingungen zu bewahren oder wiederherzustellen. Dieser Band beginnt mit einem umfangreichen Artikel von Raimar Schilling, in dem grundstzliche berlegungen ber »Das Handeln des Psychoanalytikers, die psychoanalytische Situation und die Frage der Ethik« angestellt werden; sie basieren auf mehrjhriger konkreter Erfahrung in der Ethik- /Schlichtungskommission der Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung und bringen in sehr klarer und pragmatischer Art auch die Arbeitsweise einer Ethik-Kommission nahe. Anne-Marie Sandler befasst sich mit den institutionellen Reaktionen auf Grenzverletzungen anhand des Falls Masud Khans, D. W. Winnicotts prominenten Ausbildungskandidaten, der selbst spter als Analytiker viel publizierte und dessen problematische Analysen erst nach Jahrzehnten in der Britischen Psychoanalytischen Vereinigung diskutiert werden konnten, obwohl Khan schon whrend seiner Ausbildung wiederholt negativ aufgefallen war. Diesem Beitrag sind einleitende berlegungen von Glen O. Gabbard vorangestellt. Er unterstreicht die Notwendigkeit, berufliches Fehlverhalten nicht lnger hinter institutionellen Strukturen zu verstecken, sondern zu untersuchen und zu verstehen, um zu grçßerem Wissen und grçßeren Mçglichkeiten der Bewltigung von Schwierigkeiten zu gelangen.

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Einfhrung

In einem eigenen Beitrag setzt sich Gabbard mit aus Grenzverletzungen resultierenden Fehlschlgen einer analytischer Behandlung bei suizidalen Patienten auseinander. Aber auch ohne dramatische und folgenschwere Entgleisungen ist die Arbeit des Analytikers immer wieder mit ethischen Fragen verknpft. So legt Michael Parsons das Problem der Neutralitt in Lehranalysen dar und zeigt die doppelte Verantwortung des Lehranalytikers gegenber dem Kandidaten und gegenber dem Ausbildungsinstitut auf. Gabriele Junkers befasst sich mit der Endphase der beruflichen Ttigkeit des Analytikers und den hufig verdeckten Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben kçnnen. Abschließend stelle ich in meinem eigenen Beitrag einige berlegungen zur emotionalen Bedeutung der Internationalitt bei der Etablierung einer berufsethischen Haltung an. Der Anhang enthlt die Ethik-Richtlinien der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung, die in der außerordentlichen Generalversammlung am 28. 9. 2004 beschlossen wurden und die Grundlage fr die Arbeit des Ethikausschusses bilden. Ebenso ist die Psychoanalytische Berufsethik der Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung abgedruckt. Diese Unterlagen der beiden deutschsprachigen Zweiggesellschaften der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung sind teilweise noch als work in progress zu verstehen, bilden aber bereits eine feste Basis und stehen mit den Grundstzen der IPV in Einklang.

Literatur Canestri, J. (2001a). Feuerlrm: berlegungen zur bertragungsliebe. In E. Sp. Person, A. Hagelin, P. Fonagy (Hrsg.), ber Freuds »Bemerkungen ber die bertragungsliebe«. Stuttgart: frommann-holzboog. Canestri, J. (2001b). Nachwort. In H. S. Krutzenbichler, H. Essers, Muß denn Liebe Snde sein? Gießen: Psychosozial. Freud, S. (1914). Zur Einfhrung des Narzissmus. G. W. Band X. Frankfurt a. M.: S. Fischer. Freud, S. (1915). Bemerkungen zur bertragungsliebe. G. W. Band X. Frankfurt a. M.: S. Fischer.

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Sylvia Zwettler-Otte

Joseph, B. (2001). Zur bertragungsliebe: Aktuelle berlegungen. In E. Sp. Person, A. Hagelin, P. Fonagy (Hrsg.), ber Freuds »Bemerkungen ber die bertragungsliebe«. Stuttgart: frommann-holzboog. Kohon, G. (1999). No Lost Certainties to be Recovered. London: Karnac. Person, E. Sp. (2001). Einleitung zu E. Sp. Person, A. Hagelin, P. Fonagy (Hrsg.), ber Freuds »Bemerkungen ber die bertragungsliebe«. Stuttgart: frommannholzboog. Wallerstein R. S. (2001). Zur bertragungsliebe: Wiederbegegnung mit Freud. In E. Sp. Person, A. Hagelin, P. Fonagy (Hrsg.), ber Freuds »Bemerkungen ber die bertragungsliebe«. Stuttgart: frommann-holzboog. Zwettler-Otte, S. (2006). Von den Metamorphosen zu den Transformationen im psychoanalytischen Prozess. EPF-Bulletin 60.

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Raimar Schilling

Das Handeln des Psychoanalytikers, die psychoanalytische Situation und die Frage der Ethik1

1. Vorbemerkung Unter dem Handeln des Psychoanalytikers verstehe ich im Rahmen meiner nachfolgenden berlegungen die Gesamtheit der mit seiner Person verbundenen Einwirkungen auf seinen Patienten. Neben den manifest in Erscheinung tretenden Handlungen sind also immer auch die mit seiner Haltung und Einstellung verbundenen Einflsse gemeint. Handlungen, auch in dem so erweiterten Sinne, sind intentionale Akte, enthalten Zielsetzungen und sind insofern mit Wertmaßstben verbunden. Sie kçnnen deshalb grundstzlich auch Gegenstand ethischer Fragestellungen sein. Institutionen, die als Gruppenstrukturen individuelle Zielsetzungen transzendieren, befinden sich ihren Mitgliedern gegenber in einer normativen Position. Da sie selbst ebenfalls ohne Wertmaßstbe nicht denkbar sind, bekommen auch sie ihren Platz im Blickfeld einer ethischen Befragung. Die Dimension des Ethischen bildet als Kategorie menschlicher Welterfahrung mit den sie konstituierenden Begriffen (z. B. gut und bçse, richtig und falsch ) den fundamentalen Rahmen fr die Einzelwissenschaften und die mit ihnen verbundenen Handlungsrume. Hans Jonas fasst das in folgende Worte: »Denn was immer von menschlichem Tun auf die reale Welt einwirkt und damit potentiell die Wohlfahrt anderer berhrt, das unterliegt sittlicher Beurteilung und gegebenenfalls rechtlichen Schranken. Sobald 1 Eine gekrzte Fassung dieses Beitrags ist 2007 erschienen in: Psyche – Zeitschrift fr Psychoanalyse und ihre Anwendungen, 61,1: 1–33.

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Raimar Schilling

Macht und ihr Gebrauch vorliegen, ist Sittlichkeit im Spiel« (Jonas, 1979, S. 87). Diese Untersuchung ist im Zusammenhang mit verschiedenen aktuell gewordenen Fragen entstanden. In zunehmendem Maße werden von Patienten Beschwerden im Hinblick auf das Verhalten ihrer Psychoanalytiker in die ffentlichkeit, aber auch vor unsere wissenschaftlichen Institutionen getragen. In vielen Fllen sind die geschilderten Verlufe dieser Behandlungen derart, dass sie Untersuchungen von dritter, kompetenter Seite rechtfertigen. Wenn ethische Probleme aus psychoanalytischen Behandlungen bekannt werden, sind die Reprsentanten der psychoanalytischen Institutionen gefordert, dazu Stellung zu beziehen. Hier wird das Selbstverstndnis der Psychoanalytiker berhrt, die sich in ihren Vereinigungen zusammengefunden haben. Dabei entstehen grundstzliche Fragen im Hinblick auf die Bedeutung ethischer Einstellungen fr das Handeln von Psychoanalytikern. Die Beschwerde eines Patienten macht insbesondere die jeweilige psychoanalytische Situation zum Thema. Sie zielt damit auf eine unserer zentralen Erfahrungsgrundlagen. Der Psychoanalytiker als integraler Teil jeder analytischen Situation gibt nicht nur die ußeren Rahmenbedingungen vor. Deren Gestaltung prgt er vor allem auch auf dem Boden seiner Vorstellungen und sie erhlt dadurch ihre jeweilige Bedeutung. Indem auch der innere Raum der psychoanalytischen Situation durch seine Wahrnehmungen und seine Person mit geformt wird, bekommt sie ihre eigentliche Qualitt. Seit langem beschftigen sich zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten mit der psychoanalytischen Situation. Leo Stone spricht von der psychoanalytischen Situation als ein an sich selbst hçchst bedeutsames Phnomen und Instrument (Stone, 1973). Allein durch die Intensitt der psychoanalytischen Situation, d. h. durch die Hufigkeit und die Dauer der Sitzungen werde die (primordiale) Phantasie eines einzigen ursprnglichen Objekts als Alternative zur brigen Welt aktiviert, und Greenacre (1954) schreibt »Wenn zwei Menschen wiederholt allein zusammen sind, dann wird sich eine Art emotionale Bindung zwischen beiden entwickeln« (Greenacre, 1954, zit. nach De Jonghe et al., 1991, S. 700). John Klauber setzt sich in seiner Untersuchung eingehend

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mit den Schwierigkeiten auseinander, die in psychoanalytischen Situationen zwischen Psychoanalytiker und Analysanden entstehen kçnnen (Klauber, 1980). Implizit enthalten die damit verbundenen Fragestellungen schon immer auch ethische Aspekte. Im Mittelpunkt stehen hier nicht in erster Linie zentrale Aussagen der Psychoanalyse in der Auseinandersetzung mit der philosophischen Ethik oder metapsychologische Aspekte, welche die ethische Dimension psychoanalytischen Denkens betreffen. Ohne Zweifel bestimmt das durch die Psychoanalyse geprgte Menschenbild des Psychoanalytikers auch in ethischer Hinsicht seine Position seinem Patienten gegenber. Hier geht es um die Frage, warum und unter welchen Umstnden verlsst beziehungsweise verliert ein Psychoanalytiker die eigenen Voraussetzungen fr die Arbeit mit seinen Patienten und mit welchen Maßstben und in welcher Weise lsst sich das beurteilen. Eine breitere Erçrterung dieser Thematik hat unter den Psychoanalytikern erst relativ spt eingesetzt. Die Diskussion, wie mit ethischen Problemen, die in Psychoanalysen entstehen und bekannt werden, im Rahmen unserer psychoanalytischen Institutionen umzugehen ist, wird unter Analytikern mit verschiedenen Argumenten kontrovers erçrtert. Die Ttigkeit der in den psychoanalytischen Gesellschaften gegenwrtig neu entstehenden Ethik-Kommissionen wird zum Teil mit Misstrauen bis hin zu dem Vorwurf begleitet, Essentials der Psychoanalyse auf diese Weise zu bedrohen. Umso wichtiger erscheint es, diese Fragen unter Bercksichtigung von Erfahrungen aus den einzelnen Fachgesellschaften zu erçrtern. Meine berlegungen erstrecken sich auf drei miteinander zusammenhngende thematische Schwerpunkte. Erstens geht es um die Frage, auf welche Inhalte ethische Maßstbe fr psychoanalytisches Handeln bezogen werden kçnnen, und zweitens um die durch die Methode als Rahmen begrndeten ethischen Voraussetzungen fr die Ttigkeit des Psychoanalytikers. Man mag hier einwenden, dass psychoanalytisches Arbeiten unter hçchst unterschiedlichen und persçnlichen Akzenten geschieht und in der jeweiligen Einzigartigkeit sich somit Bewertungsmaßstben berhaupt entzieht. Dieser Ansicht zu folgen, wrde bedeuten, die Mçglichkeit aufzugeben, das Handeln von Psycho-

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analytikern in seinen Auswirkungen auf den psychoanalytischen Prozess zu betrachten. Mit der sich daraus ergebenden Unverbindlichkeit wre letztlich der Anspruch auf wissenschaftlich zu begrndende Voraussetzungen fr unsere klinische Arbeit aufgegeben. Viele Erfahrungen bei der Bearbeitung ethischer Probleme durch Ethik-Kommissionen in den psychoanalytischen Gesellschaften zeigen, dass es durchaus sinnvoll ist, sich mit Beschwerden auseinanderzusetzen, die Patienten vorbringen. Verschiedene berlegungen im Hinblick auf die Entwicklung methodischer Konzepte und Zielsetzungen fr die Ttigkeit von Ethik-Kommissionen sollen das verdeutlichen. Drittens wird eine zusammenfassende Darstellung ethisch fragwrdige Entwicklungen in Psychoanalysen skizzieren, die Gegenstand der Bearbeitung im institutionellen Rahmen einer EthikKommission werden mussten.

2. Allgemeine berlegungen Seit Anfang des letzten Jahrhunderts hat die Psychoanalyse unser heutiges Menschenbild wesentlich mit geprgt. Ihre Erkenntnisse als ein Teil der Kultur der Moderne enthalten fundamentale Vorstellungen ber die menschliche Natur und sind heute wesentlicher Bestandteil der Humanwissenschaften. Die Psychoanalytiker haben schon in den frhen Entwicklungsstadien ihrer Wissenschaft ihr Selbstverstndnis auch aus der berzeugung gewonnen, dass ihre aus der Arbeit mit ihren Patienten entwickelten grundlegenden Einsichten ber die Persçnlichkeit des Menschen von besonderer Bedeutung sind. Die Entdeckung, dass es Strukturen in der menschlichen Psyche gibt, die als unbewusste Prozesse auf menschliches Befinden, menschliches Handeln und die kommunikativen Prozesse zwischen Menschen wirken, hat Auswirkungen auch auf ethische Fragestellungen. Im Rahmen dieser Untersuchung geht es um die Bedeutung der psychoanalytischen Methode als besonderem Zugangsweg fr die dadurch mçglichen Erfahrungen, aber auch um deren Gefhrdungen. Die soziale Wirklichkeit, in der die Psychoanalytiker heute le-

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ben, hat sich gegenber frher fundamental verndert. Psychoanalytiker haben in vielen unterschiedlichen Lndern ihren Platz in den jeweiligen Gesellschaften gefunden. Sie sind vor allem in Mitteleuropa in Gesundheitssysteme eingebunden, zu denen vernderte kollektive Erwartungen und Ansprche gehçren und die durch die Dominanz wirtschaftlicher Maßstbe bestimmt sind. Die Anschauungen und die Behandlungsmethoden auf der Grundlage psychoanalytischer berzeugungen stehen in Konkurrenz mit Verfahren, die auf dem Boden anderer theoretischer Konzepte entwickelt wurden. Sie sind außerdem eingebettet in eine fast nicht mehr berschaubare Landschaft verschiedenster Psychotherapieangebote, auf deren Heilsversprechungen sich die kollektiv geprgten Erwartungen vieler Menschen richten. Erwartungen sind einerseits immer auch mit der Mçglichkeit von Enttuschungen verbunden, weil sie aus verschiedenen Grnden an ihre Grenzen stoßen. Andererseits entwickeln gesellschaftliche Ansprche einen normativen Druck, aus dem sich auch Bewertungsmaßstbe von richtig oder falsch entwickeln kçnnen. Diese sind in vielen Aspekten psychoanalytischem Denken fremd und inzwischen als institutionalisierte, staatlich legitimierte Instrumente teilweise auch bedrohlich in der Tendenz, psychoanalytisches Arbeiten zu beschrnken und nach Kategorien zu beurteilen, die psychoanalytischen Fragestellungen nicht mehr entsprechen. Die Psychoanalytiker stehen heute in wissenschaftlicher, aber auch in wissenschaftspolitischer Hinsicht unter der Herausforderung, ihre Arbeit mit berzeugenden Konzepten zu legitimieren, die sie gleichzeitig selbst unter psychoanalytischen Prmissen vertreten kçnnen. Dazu gehçrt auch die selbstkritische Reflexion des eigenen Handelns in der psychoanalytischen Situation. Die Wichtigkeit, die in unserer heutigen Gesellschaft diesen Fragen zugemessen wird, zielt zwar nicht nur beziehungsweise in erster Linie auf psychoanalytische Behandlungskonzepte, sondern ist als Teil einer allgemeinen, gesellschaftlich bedingten Entwicklung anzusehen. Andererseits ist seit langem bekannt, dass aus psychoanalytischen Behandlungen auch ethische Probleme resultieren kçnnen. Dass diese Thematik unter Psychoanalytikern in den letzten bei-

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den Jahrzehnten inzwischen zunehmend in die Diskussion gelangen konnte, verbindet sich nicht zuletzt mit der Verçffentlichung der tragischen Liebesgeschichte zwischen Sabina Spielrein und C. G. Jung, die als (bertragungs-/Gegenbertragungs-)Liebe in beziehungsweise aus einer psychoanalytischen Situation entstanden ist und deren Schicksal durch Carotenuto 1980 wieder in das Bewusstsein der psychoanalytischen ffentlichkeit gebracht worden ist (Carotenuto, 1980). Sie wurde auch durch Kerr sorgfltig und umfangreich dokumentiert (Kerr, 1994). Cremerius schreibt in seinem Vorwort zu Carotenutos Dokumentation, dass Freud so lange gebraucht habe, um die Beziehung zwischen Jung und Spielrein zu verstehen, hnge aufs engste mit seinem ahistorischen Konzept von bertragung als voll und ganz endopsychischem Geschehen zusammen, welches als außerhalb der realen Beziehung von Personen verstanden wurde (Cremerius, 1986). Es mag zwar Unklarheit darber geblieben sein, ob und wann diese in eine psychoanalytische Situation eingebettete Beziehung auch zu einer sexuellen Beziehung geworden ist. Sicher hat die Beziehung zwischen Jung und Spielrein aber eine zustzliche Verwicklung mit verhngnisvollen Auswirkungen auf die ehemalige Patientin erfahren durch die Rolle, welche in dem Zusammenhang die Beziehung zwischen den beiden Psychoanalytikern Freud und Jung spielte. Die Situation zwischen Jung, Spielrein und Freud wirkt wie ein frhes Beispiel fr die Probleme, die im Rahmen von Institutionen entstehen kçnnen, wenn im Zusammenhang mit ethischen Problemen die Loyalitt zwischen Psychoanalytikern zum Hemmnis notwendiger Aufklrung wird. Inzwischen liegen von psychoanalytischer Seite weitere umfangreiche Studien vor, die der Notwendigkeit Rechnung tragen, psychoanalytisches Handeln im Hinblick auf ethische Fragen zu untersuchen. Dies wird zunehmend auch unter Psychoanalytikern und innerhalb der psychoanalytischen Institutionen akzeptiert. Diesen Fragen sind inzwischen vor allem in den USA erschienene wichtige Arbeiten gewidmet (Gabbard u. Lester, 1995; Gabbard, 1997). Neben Publikationen in anderen Lndern liegen hierzu auch Untersuchungsberichte aus Deutschland vor. So setzt sich zum Beispiel Markus Fh (in einer von Mrtens und Petzold 2002

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herausgegebenen Verçffentlichung ber Therapieschden) bei verschiedenen psychotherapeutischen Behandlungsformen mit Fragen auseinander, die ethische Probleme in Psychoanalysen betreffen und stellt somit die Psychoanalyse als Behandlungsmethode in einen grçßeren Rahmen psychotherapeutischer Konzepte. Leuzinger-Bohleber hat mit ihren Mitarbeitern unter Beteiligung zahlreicher Psychoanalytiker sowie ehemaliger Patienten in den letzten Jahren umfangreiche reprsentative katamnestische Untersuchungen ber die Wirksamkeit psychoanalytischer Konzepte vorgelegt (Leuzinger-Bohleber et al., 2002). Diese Arbeiten zeigen als wichtiges Ergebnis zwar, dass der Anteil psychoanalytischer Behandlungen aus der Reprsentativgruppe, die als fehlgeschlagen einzustufen sind, weniger als 4 Prozent betrgt. Diese negativ verlaufenen Behandlungen sind mçglicherweise aber nicht identisch mit den psychoanalytischen Situationen, die inzwischen zu Beschwerden vor offiziellen Gremien fhren. Dazu sollen spter noch einige berlegungen erfolgen. Aber selbst wenn derartige Behandlungsverlufe in ihrer Hufigkeit sehr zurcktreten gegenber den meisten psychoanalytischen Behandlungen, die zwischen Analysanden und ihren Psychoanalytikern im Einvernehmen beendet werden konnten, bleibt jede missglckte Behandlung Anlass, sich mit den auch im Psychoanalytiker liegenden Grnden fr ihr Scheitern auseinanderzusetzen. Heute haben psychoanalytische Institutionen als Teil unserer differenzierten und so stark von den Medien geprgten gesellschaftlichen Strukturen auch eine berufs- und gesellschaftspolitische Bedeutung, obwohl sie vor allem wissenschaftliche Zielsetzungen verfolgen. Um wirken zu kçnnen, bençtigen sie eine çffentliche Prsenz, die weit ber ihre eigentlichen wissenschaftlichen Anliegen hinaus geht. Sie kçnnen ohne den Anspruch auf Einfluss die Interessen ihrer Wissenschaft, ihrer Mitglieder, nicht zuletzt aber auch der Patienten, die mit psychoanalytischen Methoden behandelt kçnnen, nicht wirksam vertreten. Es geht heute dabei auch um die Frage, welche Bedeutung die psychoanalytischen Gesellschaften in ihrem gesellschaftspolitischen Erscheinungsbild im Zusammenhang mit Themen gewinnen, die, wie die Ethikthematik, sowohl von allgemeiner gesellschaftspolitischer

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Relevanz sind und gleichzeitig originre Aspekte des psychoanalytischen Selbstverstndnisses betreffen. Diese Fragen schließen auch die Ttigkeit von Kommissionen mit ein, die jetzt von den psychoanalytischen Gesellschaften zur Bearbeitung ethischer Fragen eingerichtet werden. Indem sie als Teil dieser institutionellen Strukturen in Erscheinung treten, geraten sie in die dialektische Spannung, die darin liegt, dass ethische Fragen einerseits einen allgemeinen gesellschaftlichen Aspekt haben und sich gleichzeitig unter psychoanalytischen Maßstben damit nicht unbedingt decken. Diese Auseinandersetzung wird gefordert und findet unter den Augen einer zunehmend sensibilisierten ffentlichkeit statt. Die Psychoanalytiker stehen auch im Hinblick auf ethische Fragestellungen vor der Aufgabe, sich ihren eigenen Verstndnisraum zu bewahren und gleichzeitig das Verbindende zwischen ihren und den allgemeinen Vorstellungen ber ethisches Handeln heraus zu arbeiten und zu verdeutlichen.

3. Ethik als Grundlage psychoanalytischen Handelns 3.1 Die allgemeine Morallehre und die Psychoanalyse Die Aufgabe, das Handeln von Psychoanalytikern unter ethischen Gesichtspunkten in den Blick zu nehmen, erfordert vorweg den Versuch einer Standortbestimmung. Diese kann nur sehr unvollstndig sein und muss sich auf einige Aspekte beschrnken, die fr unsere Fragestellungen wesentlich erscheinen. Ohne Zweifel gelten grundstzlich auch fr psychoanalytisches Handeln die Aussagen, welche die auf der philosophischen Tradition beruhende Sprache der Ethik dafr bereithlt. Es geht dabei um die Frage, wo sich der Psychoanalytiker vor dem Hintergrund der Aussagen seiner Wissenschaft ber die menschliche Persçnlichkeit sowohl in der Tradition wie auch in der modernen Sicht des Denkens ber Ethik wiederfinden kann und außerdem inwiefern psychoanalytisches Denken ber ethische Fragen den menschlichen Erfahrungsraum in dieser Hinsicht erweitern kann. Die Geschichte der Ethik als ein Teil der Geschichte der Meta-

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physik ist bis in die Moderne auch eine Auseinandersetzung mit dem, was fr Menschen als etwas Absolutes nicht mehr weiter hinterfragbar ist. ber viele Jahrhunderte waren ethische Fragen, verwurzelt in griechisch-rçmisch-jdischen Vorstellungen, in der abendlndischen Philosophie untrennbar mit dem Gottesbegriff verbunden. Sie haben sich erst in der Neuzeit, vor allem auf dem Boden des Denkens von Kant, davon gelçst und die Bedingungen der menschlichen Existenz selbst zum Maßstab gemacht. Wittgenstein fasst sprachphilosophisch die kategorialen Grenzen der Mçglichkeit unseres Denkens ber Ethik als Metapher in folgende Worte: »Wre jemand imstande, ein Buch ber Ethik zu schreiben, das wirklich ein Buch ber Ethik wre, so wrde dieses Buch mit einem Knall smtliche Bcher auf der Welt vernichten« (Wittgenstein, 1999, S. 13). Das mag befremdlich klingen, besagt allerdings, dass es im ethischen Erfahrungsraum offensichtlich sprachliche Aussagen gibt, die sich in ihrem Kern einem weiteren Hinterfragen entziehen. »Soweit die Ethik aus dem Wunsch hervorgeht, etwas ber den letztlichen Sinn des Lebens, das absolut Gute, das absolut Wertvolle zu sagen, kann sie keine Wissenschaft sein« (Wittgenstein, 1999, S. 19). Ethische Aussagen berhren somit Grundbedingungen der menschlichen Existenz und erreichen Grenzen, die nicht berstiegen werden kçnnen. Auch Spaemann spricht davon, dass Normensysteme zwar in hohem Maße kulturabhngig seien, dass dies aber kein Einwand sei gegen die Mçglichkeit einer philosophischen Ethik, das heißt gegenber einem Denken als vernnftige Erçrterung der Frage nach der Bedeutung des Wortes »gut« in einem absoluten, nicht mehr weiter zu befragenden Sinne. Philosophische Ethik ziele auf Einheit einerseits im Hinblick auf eigene, disparate sittliche Gefhle und wolle anderseits die Erfahrungen und Urteile verschiedener Menschen, Epochen und Kulturen in einen Zusammenhang bringen, vergleichen und aneinander messen. Sie versuche schließlich die Phnomene, die wir als sittliche bezeichnen und die alle auf die eine oder andere Weise mit den Worten »gut« und »bçse« zu tun haben, als aus einem gemeinsamen Grund hervorgehend zu begreifen (Spaemann, 2004). In seinem Aufsatz »Wie praktisch ist die Ethik?« weist er daraufhin, dass die klassische Ethik nicht pri-

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mr an einzelnen Handlungen interessiert war, sondern an Haltungen und Handlungsdispositione n, das heißt an Tugenden. Der gegenwrtige Ethikboom hnge zusammen mit der Krise der Sitte in berufsethischen Zusammenhngen und der Entstehung neuer Fragen nach Gerechtigkeit. Truls Wyller fasst die Geschichte der Ethik zusammen als eine Geschichte der verschiedenen Versuche, moralische Standpunkte zu begrnden (Wyller, 2004). Gleichzeitig betont er, dass die Geschichte der Moralphilosophie eine des freien Willens als Fundamentalbegriff ist. Ohne das Postulat eines freien Willens kçnne das Handeln eines Menschen nicht unter ethischen Maßstben betrachtet werden. Aus der Sicht des Psychoanalytikers erfordert es insbesondere die Entdeckung Freuds, dass die menschliche Persçnlichkeit in ihrem Handeln in wesentlichem Maße auch durch unbewusste Motive mit bestimmt ist, sich mit dem Begriff des freien Willens neu auseinanderzusetzen. Im Zusammenhang mit den hier im Mittelpunkt stehenden berlegungen geht es vor allem um die Frage, welchen Platz im Rahmen der Ethik neben den normativ bestimmten Fragen des Rechts der Bereich des Sittlichen finden kann und wie diese voneinander abgegrenzt werden kçnnen. Denn diese Frage ist auch von wesentlicher Bedeutung fr die Bewertung psychoanalytischen Handelns in der psychoanalytischen Situation, die in besonderer Weise in der Spannung steht zwischen Recht und Moral. Die nachfolgende Erluterung beruht auf der zusammenfassenden Darstellung dieser Fragen durch den Rechtsphilosophen Hofmann (2003). Es geht dabei vor allem um die Unterscheidung zwischen rechtlichen und moralischen Imperativen. Ethik nennt er die rationale, methodische Reflexion von Moral. Rechtsethik sei die auf die Erkenntnis von Sinn- und Werthaftigkeit ausgerichtete Rechtsphilosophie, die sittliche Maßstbe fr das Recht und seine Normen anerkenne. Recht als Teil des Sozialgefges wird verstanden als ein System von Verhaltensbefehlen. Rechtsnormen kçnnten erzwungen werden, whrend Tugendpflichten, die auf sittlichen Maßstben beruhen, auf einer letztlich nicht erzwingbaren Verinnerlichung von Moral beruhen wrden. Die Rechtslehre habe es mit den Regeln der ußeren Handlungsfreiheit zu tun, die Tugendlehre stelle die innere Freiheit der Selbstbestimmung unter

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moralische Gesetze, die ausschließlich mit »Selbstzwang« verbunden seien. Rechts- und Tugendpflichten wrden somit zwei grundstzlich verschiedene Arten von Verbindlichkeiten bezeichnen. Vor allem seit Kant unterscheide die Ethik zwischen Rechtsund Tugendpflichten mit den notwendig rechts-(zwang)freien Handlungsrumen. Die moralischen Imperative als Grundlage der Tugendethik wrden sowohl die Innenseite des menschlichen Handelns regulieren wie auch in mancher Hinsicht ußeres Verhalten. Sie wrden aber ausschließlich durch die innere, »ethische« Gesetzgebung der Einsicht in das Vernunftnotwendige und durch Selbstzwang sanktioniert. Sie kçnnten infolgedessen unmçglich Gegenstand des Rechtszwangs sein, mit anderen Worten: Man kann zwar eine rechtskonforme Handlung durch Sanktionen erzwingen, das Moralbewusstsein der einzelnen Person selbst als Handlungsgrundlage entzieht sich jedem Zwang von außen. Dass hier unter psychoanalytischen Prmissen die Instanz des Gewissens als innere Struktur der Persçnlichkeit in ihrer Bedeutung fr moralisch bestimmtes Handeln angesprochen ist, liegt auf der Hand. In der Ethik der Moderne werden auf die fundamentalen ethischen Fragen die Antworten gesucht, die dem heutigen, skularisierten Menschenbild entsprechen. So stellt Hans Jonas in existenzphilosophischer Tradition das Prinzip Verantwortung in den Mittelpunkt seines auf die Probleme der Gegenwart bezogenen Denkens ber Ethik (Jonas, 1985). Die Arbeiten von Habermas erçrtern vor dem Hintergrund der modernen Gesellschaftswissenschaften und ebenfalls in der Auseinandersetzung mit dem philosophischen Erbe Kants, was heute als ethisches Handeln bezeichnet und wie heute Freiheit des Willens gedacht werden kann (Habermas, 1983). In formaler Hinsicht sucht Luhmann eine neue Verbindung zwischen soziologischer Gesellschaftstheorie und ethischer Reflexion (Luhmann, 1989). Er spricht im Zusammenhang mit den jeweiligen gesellschaftlichen Bedingungen von Funktionscodes der binren Codierung mit einer Abkoppelung von der Moral. Eine in Funktionssysteme differenzierte Gesellschaft msse auf moralische Integration verzichten. Es gehe um eine moralische Inklusion ohne moralische Integration des Gesellschaftssystems.

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Diese apersonal konfigurierte Vorstellung entfernt sich nicht nur von der metaphysischen Frage, sondern im Grunde auch weit von den Inhalten, die mit dem Begriff der Verantwortung als individuelle menschliche Haltung gedacht werden kçnnen. Denn der Verantwortungsbegriff bezieht sich nicht auf Systeme, sondern auf handelnde Personen. Andere moderne Ethiker wie zum Beispiel John Rawls (zit. nach Wyller, 2004) kommen entsprechend unserem neuzeitlichen Denken unter Verzicht auf metaphysisch begrndetes Fragen zu einer praktisch anwendbaren Ethik, die sich darauf konzentrieren soll, verlssliche Methoden fr ethische Argumentationen zu entwickeln. In der Realitt solle man die Prinzipien den Fakten und die Fakten den Prinzipien anpassen. Die einzige bergeordnete Bedingung bestnde darin, dass ethische Begrndungen logisch konsistent sein sollten. Die Aufgabe der Ethik sei es infolgedessen, logische Konsistenz zwischen den verschiedenen ethischen Auffassungen herzustellen. Letztlich geht es bei all diesen von verschiedenen Standorten aus entwickelten Konzepten um die Frage, an welchen bergeordneten allgemeinen Maßstben ethisches Denken sich orientieren kann. Das durch die Industrialisierung, die Technik und den rasanten Aufschwung der Naturwissenschaften bestimmte 19. Jahrhundert hat die Sicht auf den Menschen entscheidend verndert. Vor dem Hintergrund unserer berlegungen ist hier zunchst auf Positionen hinzuweisen, die im Rahmen der evolutionistischen Ethik vertreten werden. Darwin sieht die Unterschiede zwischen Mensch und Tier vor allem im Hinblick auf die moralischen Gefhle, das heißt das Gewissen. Menschliche Moral msse sich aus den im Tierreich verbreiteten Instinkten entwickelt haben. Es geht auch hier um die Frage, ob unsere Moral ein Produkt der Evolution und damit »natrlich« ist oder ob Sittlichkeit vielmehr darin besteht, den Trieben zu widerstehen, das heißt letztlich doch metaphysisch gedacht werden muss. Der Naturwissenschaftler denkt in erster Linie kausal im Sinn von Ursache und Wirkung. Die Frage nach dem teleologischen Prinzip bleibt marginal. Konrad Lorenz hat den gesellig lebenden Tieren ein »Moral-analoges« Verhalten zuerkannt, etwa in der instinktiven Hemmung des Tçtens von Artgenossen (Lorenz, 1963). Neben den in der Tradition der Ver-

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haltenslehre stehenden Wissenschaftlern sind es heute insbesondere Vertreter der modernen Neurobiologie, welche die Fragen nach den Bedingungen moralischen Handelns neu stellen und zur Auseinandersetzung herausfordern (z. B. Singer, 2002). Die Geschichte der Entwicklung psychoanalytischer Begriffsbildungen trgt durchaus Zge, die auf die Aussagen der evolutionistischen Ethik verweisen. Zahlreiche berlegungen Freuds zeigen seine Auseinandersetzung mit dieser Tradition. Auch Erik H. Erikson bezieht sich in seinen Ausfhrungen ber ethische Dimensionen in der Psychoanalyse stark auf evolutionre Aspekte (Erikson, 1966). In neuerer Zeit setzen Kaplan-Solms und Solms mit ihren Arbeiten ber Neuro-Psychoanalyse diesen Diskurs fort (Kaplan-Solms u. Solms, 2003). Michael Quante bezweifelt von philosophischer Seite allerdings, ob die Psychoanalyse wissenschaftstheoretisch als geeignete Basis fr eine Naturalisierung der Ethik angesehen werden kçnne, und lsst offen, ob und inwieweit die Psychoanalyse hierher gehçre (Quante, 2003). Die Grundidee des ethischen Naturalismus besteht darin, ethische Begriffe und Aussagen auf naturwissenschaftlich respektable Begriffe zu reduzieren und somit die Eigenstndigkeit des Ethischen zu bestreiten. Insofern steht die Psychoanalyse wissenschaftstheoretisch in der Spannung, welche die zum Teil sehr heterogenen Standorte ethischer Aussagen prgen – je nachdem, ob diese mehr in der erkenntnistheoretischen oder auch sprachphilosophischen Dimension des Denkens verwurzelt und hermeneutisch geprgt sind oder das kausale Denken der Naturwissenschaften bevorzugen. Ein Beispiel dafr ist auch der Diskurs unter den Psychoanalytikern im Hinblick auf die Relevanz der direkten Suglingsbeobachtung fr die psychoanalytische Erfahrung und psychoanalytisches Denken. Im Grunde geht es dabei um das Verhltnis von konkreter Erfahrung zu dem, was wir als den Symbolisierungsraum im Zusammenhang mit der inneren Erfahrung bezeichnen. Die psychoanalytischen Erkenntnisse ber die inneren Bedingungen, die Menschen befhigen, ethisch denken und handeln zu kçnnen, berhren den bisherigen Vorstellungsraum der Ethik. Die Psychoanalyse nimmt damit auch Einfluss auf die Entwicklung ethischer Maßstbe fr menschliches Handeln. Durch die Er-

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kenntnisse ber unbewusste seelische Vorgnge erfhrt vor allem der Begriff der Verantwortung eine wesentliche Differenzierung. Das durch die Psychoanalyse begrndete biographische Denken ermçglicht nicht nur die Aufdeckung der in seelischen Krankheiten liegenden Beziehungserfahrungen und fhrt zu einer Orientierung, die ber die Kategorien des naturwissenschaftlichen Denkens hinausgeht, sondern es stellt die menschliche Persçnlichkeit selbst in den Mittelpunkt ihrer Betrachtungen. In der psychoanalytischen Situation als besonderem Erkenntnisweg werden die inneren Bedingungen zugnglich, die Menschen ber ihre seelischen Krankheitssymptome hinaus auch als Persçnlichkeit prgen. Gleichzeitig erhlt die Psychoanalyse durch die Sicht auf den Einzelmenschen als Trger moralischer Maßstbe die Dialektik aufrecht zwischen dem Einzelnen und der Gesellschaft. Freud sagt dazu: »Die Ersetzung der Macht des Einzelnen durch die Gemeinschaft ist der entscheidende kulturelle Schritt [. . .] kulturelle Anforderung ist also die der Gerechtigkeit, d. h. der Versicherung, dass die einmal gegebene Rechtsordnung nicht wieder zugunsten eines Einzelnen durchbrochen werde. Und weiter: Man darf nmlich behaupten, dass auch die Gemeinschaft ein ber-Ich ausbildet, unter dessen Einfluß sich die Kulturentwicklung vollzieht. [. . .] Das Kultur-ber-Ich hat seine Ideale ausgebildet und erhebt seine Forderungen. Unter den letzteren werden die, welche die Beziehungen der Menschen zueinander betreffen, als Ethik zusammengefasst. [. . .] die Ethik ist also als ein therapeutischer Versuch aufzufassen, als Bemhung, durch ein Gebot des ber-Ichs zu erreichen, was bisher durch sonstige Kulturarbeit nicht zu erreichen war« (Freud, 1930, Seite 455 und 501 f.). Die Psychoanalyse hat inzwischen ein tiefes Verstndnis gewonnen fr die Bedeutung frhester zwischenmenschlicher Erfahrungen in der dualen Situation zwischen Kind und Mutter als Grundlage fr die Entwicklung des Denkens und der Sprache. Vor allem die Arbeiten von Melanie Klein, Wilfred R. Bion und Donald W. Winnicott haben das Schicksal der frhesten, sich im Rahmen der kommunikativen Prozesse zwischen Mutter und Kind abspielenden Vorgnge in den Mittelpunkt gerckt (Bion, 1990; Winnicott,

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1974). Sie sind von entscheidender Bedeutung fr die Mçglichkeit des Kindes, den Anderen auch außerhalb von sich selbst denken zu lernen und damit fr das Entstehen sozialer Gefhle und die sptere Fhigkeit zu ethisch bestimmtem Handeln. Darauf aufbauend entwickelt der Mensch in der Beziehung zu den Eltern im Rahmen der çdipalen Situation die Fhigkeit, Wertvorstellungen zu verinnerlichen. In dem durch die Eltern reprsentierten triangulren Raum kçnnen sich diese Wertvorstellungen zu den Maßstben fr das Handeln des reifen Menschen entwickeln, und es entsteht die Mçglichkeit zur Tradierung moralischer Maßstbe. Freud sagt dazu: »Bei der berwindung des dipuskomplexes entsteht auch die das Ich beherrschende sittliche Instanz des berIch« (Freud, 1933, S. 70). Die psychoanalytische Metapsychologie als eine Strukturtheorie der menschlichen Persçnlichkeit stellt also in integralen Aspekten den Menschen als soziales Wesen und damit als Trger ethischer Kategorien in den Mittelpunkt der Betrachtung. Die Instanzenlehre der Psychoanalyse verdeutlicht dabei die in der menschlichen Persçnlichkeit wirkenden Krfte: die Triebstrebungen und Emotionen einerseits und andererseits die Funktionen des Ich. Aus ihrer Dialektik entsteht die Fhigkeit, die ber-Ich-Instanzen als Trger von Gewissensinhalten zu entwickeln. Die psychoanalytischen Vorstellungen ber die Struktur der menschlichen Persçnlichkeit geben damit den ethischen Aspekten menschlichen Handelns eine Dimension, welche die Person in der konfliktbesetzten Spannung zwischen ihren inneren Bedrfnissen und der Auseinandersetzung mit der Außenwelt in ganz neuer Weise sichtbar werden lsst. Die psychoanalytischen Aussagen ber die in der Persçnlichkeit liegenden Bedingungen als Grundlage von Sittlichkeit lassen einen unmittelbaren Bezug zum philosophischen Begriff der Tugendlehre erkennen. Vor allem im Zusammenhang mit den Erkenntnissen ber die Bedeutung, die in der çdipalen Situation die vterliche Reprsentanz fr die Entwicklung von Moralvorstellungen hat, kommt psychoanalytisches Denken auch mit jener Vorstellung in Berhrung, die in der abendlndischen Philosophie- und Glaubensgeschichte einen besonderen Stellenwert hat. Es ist als fundamen-

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tale Referenz die Gottesidee in der Person von Gott-Vater als dem Einzigen Gott, auf die sich menschliches Handeln und damit auch jede Moral zu beziehen hat. Freud hat sich mit dieser Frage in allen Lebensabschnitten befasst (z. B. »Totem und Tabu«, 1913, »Der Moses des Michelangelo«, 1914) und hat in den letzten Jahren seines Lebens mit der Abhandlung »Der Mann Moses und die monotheistische Religion« (1937) ein Werk hinterlassen, das die Tradierung von Wert- und Identittsvorstellungen ber die Auseinandersetzung mit der vterlichen Reprsentanz verknpft. Die Bedeutung des Vaters fr die Entwicklung tragfhiger innerer Reprsentanzen von Wertsystemen hat die Psychoanalytiker immer beschftigt. Auch die dem Denken Jacques Lacans nahestehenden modernen Untersuchungen des Rechtsphilosophen Pierre Legendre fragen nach der Bedeutung der realen Vatererfahrung als Grundlage fr eine tragfhige Reprsentanz innerer Vaterbilder und als Voraussetzung fr die Entwicklung einer reifen Gewissensbildung (Legendre, 1998). Vor dem Hintergrund dieser berlegungen von Legendre ber die Bedeutung der Reprsentanz des Vaterbildes als Grundlage ethischen Denkens in unserer abendlndischen Gesellschaft arbeitet auch Behrendt wichtige Verbindungen zwischen dem Denken des Psychoanalytikers und des Juristen heraus (Behrendt, 2006). Seine Fragestellungen sind fr die hier im Mittelpunkt stehenden berlegungen wesentlich. Gondek und Widmer versuchen auf dem Boden von Lacan psychoanalytisches Denken ber Ethik mit dem philosophischen Denken Kants zu verbinden (Gondek u. Widmer, 1994). Johanna Bossinade setzt sich mit der Frage auseinander, ob es ein aus der Theorie und Praxis der Psychoanalyse selbst abgeleitetes psychoanalytisches Ethos geben kann, legt dabei Kants »Kritik der praktischen Vernunft« zugrunde und stellt sie in einen Zusammenhang mit Lacans sprach- und zeichenorientierter Ethik des Begehrens (Bossinade, 2005). Sie bezweifelt die Option eines genuin analytischen Ethos vor allem im Hinblick auf das Element der Destruktivitt in der menschlichen Psyche und sucht als mçgliche Lçsung nach einer »Ethik der Anerkennung«, deren psychisches Fundament in der aktiven Auseinandersetzung des Subjekts mit dem sexualsymbolischen Pakt der Eltern (das heißt der triangulr konfigurierten çdi-

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palen Situation) gesehen werden kçnne. Unter dieser Bedingung sieht sie eine »zwischenmenschliche Alteritt«, die als Grundlage ethischer Aussagen nicht mehr weiter zu hintergehen sei. Moralische Grundgefhle bekommen also auch im psychoanalytischen Denken ihre sprachlichen Ausdrucksformen in offenbar nicht weiter aufzulçsenden Grundbegriffen. Zu erwhnen ist hier noch eine Arbeit von Roger Money-Kyrle (1978), die neben ihren allgemeinen wissenschaftstheoretischen berlegungen fr eine moderne Theorie der Ethik auch wesentliche berlegungen enthlt im Hinblick auf ethische Strukturen psychoanalytischer Situationen. Money-Kyrle setzt sich einerseits mit den grundlegenden psychoanalytischen Erkenntnissen fr die Entwicklung einer wissenschaftlich begrndbaren Ethik auseinander. Es geht ihm andererseits aber auch um die Herausarbeitung der qualitativen Unterschiede von Gewissensbildungen als Teil von Persçnlichkeitsstrukturen. Hintergrund seiner berlegungen sind die Weiterentwicklungen der Freud’schen theoretischen Konzepte zur Gewissensbildung durch Melanie Klein. Dabei spielt insbesondere die Bedeutung der paranoid- schizoiden sowie der depressiven Position fr die jeweilige Gewissensbildung eines Menschen eine Rolle. Die Prgung einer Gewissensbildung, die in starkem Maße durch Elemente der paranoid-schizoiden Position bestimmt ist, fhrt auch im Hinblick auf die ethischen Einstellungen zu einem anderen Persçnlichkeitsbild, als dies der Fall ist, wenn die depressive Position im Erleben eines Menschen vorherrschend ist. Money-Kyrle unterscheidet strukturell vier Persçnlichkeitstypen. Die Skizzierung wirkt wie ein Raster, in dem als Hintergrund die Polaritt zwischen paranoid-schizoider und depressiver Position gut zu erkennen ist. Die erste Gruppe erlebe aufgrund manischer Abwehr bewusst und ich-synton keine Schuldgefhle, halte sich fr normal und betrachte andere, die sich an moralischen Vorstellungen orientieren, als Schwchlinge oder Scheinheilige. Die zweite Gruppe sei selbstgerecht, moralisierend und ihre Schuld sei fr den Export bestimmt. Diese Menschen shen die Schuld sehr wohl bei anderen und projizierten dabei ihren eigenen Anteil auf die anderen. Sie seien hypoparanoid und lebten in der Angst, die Wahrheit ber sich zu erfahren. Die

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dritte und die vierte Gruppe unterscheiden sich durch die Ausprgung des verfolgenden Elements in ihren Schuldgefhlen. Die der dritten Gruppe zuzuordnenden Menschen seien selbstdiszipliniert, hart und hauptschlich besorgt gegenber einem Gehorsam fordernden ber-Ich oder dessen Reprsentanten. Sie seien mit einem als autoritr zu bezeichnenden Gewissen ausgestattet. In der vierten Gruppe seien Menschen mit wenig Verfolgungsgefhlen. In ihnen sei die Kapazitt fr das depressive Element des Schuldgefhls relativ unbeeintrchtigt. Sie htten weniger Angst vor Ungehorsam, seien aber bewusst eher bekmmert ber fehlende Loyalitt gegenber Werten oder Personen, die ihre guten inneren Objekte symbolisieren, mit anderen Worten: In dieser letzteren Gruppe befinden sich Menschen, deren Persçnlichkeitsentwicklung im Wesentlichen eine reife çdipale Struktur erreicht hat. Als strukturbildende Elemente in der Persçnlichkeit eines Menschen sind allerdings die paranoid-schizoide (PS) wie auch die depressive Position (D) gleichzeitig dynamische Faktoren, die unter bestimmten Belastungsfaktoren Vernderungen unterliegen. In der Terminologie von Bion sind PS ) D in jedem Menschen als Mçglichkeit angelegte, wechselnd zur Wirkung kommende Funktionsweisen. Fragt man nach der ethischen Struktur einer psychoanalytischen Situation, dann ergeben sich daraus also auch berlegungen im Hinblick auf die Persçnlichkeiten, die mit ihrer Individualitt, deren Mçglichkeiten und ihren Grenzen diese Situation und deren Entwicklung prgen. Das gilt gleichermaßen fr den Analytiker wie fr den Analysanden. Die Konflikdynamik, die eine psychoanalytische Situation erfassen kann, enthlt infolgedessen auch die aus den jeweiligen ber-Ich-Strukturen der beteiligten Personen resultierenden Elemente. Vor allem, wenn es um ethische Fragen im Zusammenhang mit Entwicklungen in psychoanalytischen Situationen geht, drften die berlegungen von MoneyKyrle hilfreich sein. Sie leiten ber zum nchsten Abschnitt, dessen Thema die ethischen Grundfragen in der psychoanalytischen Situation sein werden.

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3.2 Ethische Grundfragen in der psychoanalytischen Situation 3.2.1 Im Hinblick auf die hier im Mittelpunkt stehenden Fragestellungen ist vor allem zu klren, auf welche ethischen Voraussetzungen Psychoanalytiker sich fr die Unmittelbarkeit der Begegnung mit ihren Patienten berufen kçnnen. Es geht dabei offensichtlich um die Bedingungen, die ethischem Handeln im Rahmen der Tugendethik zugrunde liegen, wie sie oben beschrieben worden sind. Wolfgang Loch fragt in seinem Aufsatz »Der Analytiker als Gesetzgeber und Lehrer« (1974) nach den legitimen oder illegitimen Rollen im psychoanalytischen Prozess und betont dabei, dass der Therapeut dem Patienten zum einen als Lehrer und Geber potentiell verbindlicher sprachlicher Interpretationen gegenbertreten muss, zum anderen aber am Ende des Verfahrens das derart gesetzte Machtgeflle aufgehoben werden und der Patient ins Freie kommen solle. Er bezieht sich auf die psychoanalytische Situation als das Feld, in dem sich Analytiker und Patient begegnen und als den Beziehungsraum, der unter bestimmten Bedingungen entsteht. Indem der Psychoanalytiker und der Patient sich als Zielsetzung ber die Suche nach einer (interpersonalen) Wahrheit verstndigen und sich dabei an der Verbindlichkeit von Rahmenbedingungen orientieren, kçnnten sie die Antinomie zwischen Macht und Aufhebung von Macht bewltigen (Loch, 1974). Er spricht dabei von der berwindung von Herrschaft und Bildung einer neuen Kommunikations- und Handlungsbasis. Zentral dafr sei der »unaufdringliche Analytiker«. Es bestnde kein Zweifel, dass, wenn es dem Psychoanalytiker gelnge, diese Haltung einzunehmen, er damit dem Ideal der Herstellung einer »herrschaftsfreien Kommunikation« mit dem Unbewussten des Patienten sehr nahekme. Indem er dem Patienten die Fhigkeit vermittle, sich selbst die psychoanalytische Methode als Weg zur Erfahrung innerer Wahrheit anzueignen, komme dem Psychoanalytiker eine Lehrfunktion zu, der er sich nicht entziehen drfe und die gleichzeitig das Ziel enthalte, sie wieder aufzuheben. Indem Loch legitime und illegitime Rollen einander gegenberstellt, gibt er damit der psychoanalytischen Situation die ihr immanente ethische Struktur.

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Und indem er weiter die Unaufdringlichkeit des Analytikers betont, weist er auf die Mçglichkeit der Grenzberschreitung als Illegitimitt seiner Rolle hin. In neuerer Zeit nimmt Nikolaas Treurniet (1996) die Frage nach einer Ethik der psychoanalytischen Technik wieder auf. Diese beiden in ber 20-jhrigem Abstand geschriebenen Arbeiten beschftigen sich jeweils mit Fragen, wie psychoanalytisches Handeln unter Kategorien von richtig oder falsch einzuordnen ist. Beide Autoren lassen ein hohes Maß an bereinstimmung erkennen. Aber erst Treurniet verbindet seine berlegungen explizit mit der Frage der Ethik. Er setzt sich dabei einerseits mit unterschiedlichen Standpunkten, vor allem aber mit der Entwicklung der psychoanalytischen Technik auseinander und mit den sich verndernden Vorstellungen von Psychoanalytikern ber ihre Arbeitsweise. Treurniet spricht von klassischen und postklassischen Konzepten der psychoanalytischen Technik. Die Letzteren bezeichnet er als die Objektbeziehungsmodelle. Beide mssen sich ergnzen. Hatten die klassischen Konzepte vor allem das Ziel, die Exploration der eigenen psychischen Realitt durch den Analysanden zu maximieren, so sei das tatschlich nur mçglich, wenn die Bedingungen zur Anwendung des Objektbeziehungsmodells einigermaßen erfllt seien. Er nennt dafr grundlegende Voraussetzungen und stellt an die erste Stelle die nichtsymmetrische Gleichwertigkeit von Analytiker und Analysand beim Hervorbringen von Bedeutung. Zweitens gehe es um die Qualitt von Offenheit des Analytikers. Diese basiere auf der Erkenntnis der unzerstçrbaren, nicht auf Projektionen des Patienten zurckzufhrenden eigenen Subjektivitt des Analytikers (Renik, 1993). An dritter Stelle sieht Treurniet die nichtintrusive besttigende Haltung des Analytikers seinem Patienten gegenber. Die vierte Qualitt ist die spontane Bereitschaft, sich immer wieder von sich selbst tuschen zu lassen. Im Grunde geht es dabei um den angemessenen Umgang mit der eigenen Subjektivitt und die Fhigkeit, Starrheit eigener Positionen wahrzunehmen und vermeiden zu kçnnen. Dieser vierten Qualitt nahestehend wird als fnfte das Oszillieren zwischen Agieren und Introspektion genannt, das Wechselspiel von Gegenbertragungs-Enactment und der nachfolgenden objektivierenden

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Selbstanalyse als Zeichen der Flexibilitt im eigenen inneren Spielraum. Als sechste Qualitt nennt Treurniet die Fhigkeit zum Ertragen des Unbehagens, das in der Gegenbertragungsanstrengung liegt, und dabei gleichzeitig mit dem Analysanden in Kontakt bleiben zu kçnnen. Um all das bewltigen zu kçnnen, ist schließlich als die siebente Qualitt die Inkorporation des Nicht-Idealen im Gewissen des Analytikers nçtig. Im Hinblick auf unsere eigene Einstellung zu unserer Arbeit als Psychoanalytiker ergibt sich daraus auch, dass die Frage nach richtigem oder falschem Handeln immer auch eine Frage der Bewertung unter der Voraussetzung eines bestimmten Kenntnisstandes zu einem bestimmten Zeitpunkt ist. Unsere Bewertung von psychoanalytischem Handeln geschieht nach Gesichtspunkten, die wir aufgrund unseres heutigen Wissens als richtig ansehen und ber die wir uns deshalb auf der Ebene einer sittlichen bereinstimmung (im Sinne der Tugendethik) verstndigen kçnnen. Denn die meisten der sieben Regeln, die Treurniet berzeugend als konstitutiv fr die Gestaltung einer die Heilung eines Patienten fçrdernden Situation ansieht, sind ein Ergebnis der Erfahrung, die Psychoanalytiker in Jahrzehnten gemacht und sich erarbeitet haben. Diese Erfahrungen heute nicht zu bercksichtigen, ist fr einen Psychoanalytiker ohne konsistente Begrndung ethisch fragwrdig. Auch die nachfolgenden berlegungen stehen unter dem Vorzeichen, dass Anschauungen Vernderungen unterworfen sind. 3.2.2. Das Anliegen des Psychoanalytikers besteht darin, seinem Patienten seelische Vorgnge in ihrer komplexen, vor allem unbewussten inneren Struktur zugnglich zu machen, in einen Zusammenhang sowohl mit seinen Symptomen wie mit den damit verbundenen sozialen Auswirkungen zu bringen und ihm ber seine Erfahrungen in der psychoanalytischen Situation zu ermçglichen, eine Lçsung seiner Probleme fr sich zu finden. Hierbei hat die Sprache eine zentrale Funktion fr die Entwicklung von Einsicht. Die psychoanalytische Situation als der Weg, in dem sich das innerseelische konflikthafte Geschehen eines Menschen in einer interper-

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sonalen Dimension aktualisiert, wird damit selbst zum Ort des Verstehens von oft dramatischen Geschehnissen. Loch (1974) schreibt, dass die Wahrheit, die Psychoanalytiker und Analysand sich erarbeiten, immer eine auf personalem Konsens beruhende Wahrheit und nicht eine ontologische Wahrheit ist. Aus der Position des Dritten ist festzuhalten, dass das Verstehen, das der psychoanalytische Zugang ermçglicht, sich unterscheiden kann von einer Einordnung der ablaufenden Vorgnge unter ethischen Kategorien. Wir werden mit Hilfe unserer psychoanalytischen Verstndnismçglichkeiten zwar auch das problematische Verhalten eines bestimmten Psychoanalytikers fr uns transparent machen und es einordnen kçnnen und dennoch eine kritische Bewertung dieses Verhaltens unter ethischen Gesichtspunkten vornehmen mssen. Bezogen auf das Handeln des Psychoanalytikers liegt in dessen Bewertung immer eine moralische Forderung begrndet, die dem ethischen Relativismus, den das Verstehen auch in sich bergen kann, Grenzen setzt. Meinen nachfolgenden berlegungen liegt als Modell die klassische psychoanalytische Situation zugrunde, weil ethische Fragestellungen sich daran am besten entwickeln und Parametersituationen daraus ableiten lassen. Die psychoanalytische Situation wird hier vorrangig in einer Weise beschrieben, welche die ethische Dimension der Begegnung deutlich macht. Diese Begegnung ist bestimmt durch eine Reihe fundamentaler Voraussetzungen. Dabei sind deren ußere Rahmenbedingungen gegenber den inneren letztlich sekundr und erhalten ihre Relevanz erst durch die Vorstellungen, Erwartungen und Ziele der beiden Personen, durch die diese besondere Situation berhaupt entstehen kann. Grundlegende ethische Begriffe als Maßstbe fr menschliches Handeln bekommen ihre spezifische Qualitt vor allem durch die Bedingungen der psychoanalytischen Situation selbst. Sie werden zu einer der Voraussetzungen, dass ein psychoanalytischer Prozess sich berhaupt in progressiver Weise entwickeln kann und sind ein integraler Teil dieser Rahmenbedingungen. Der Einschtzung darber, ob die Handlungsweise eines Psychoanalytikers den geforderten ethischen Maßstben entspricht, wird immer ein allgemeiner Konsens ber die Zielsetzungen zu-

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grunde liegen mssen. Wir bençtigen dabei als Basis eine Referenz, auf die wir uns beziehen und ber die wir uns verstndigen kçnnen. Wir haben als Psychoanalytiker Vorstellungen darber, welche Bedingungen eine als gut zu bezeichnende psychoanalytische Ttigkeit erfordert. Wir orientieren uns an den grundlegenden Erkenntnissen der Psychoanalyse ber die Struktur der menschlichen Persçnlichkeit und den sich daraus ergebenden Beziehungsmçglichkeiten. Dabei entwickeln wir immer auch Wertvorstellungen, welche die ethischen Grundbegriffe wie beispielsweise gut und schlecht enthalten. Ethische Fragen auf der Grundlage psychoanalytischer Erkenntnis werden nicht Varianten unserer Methoden als Handlungsinstrumente zum Thema machen, sondern sich darauf beziehen, ob diese Varianten einen Rahmen darstellen, der unseren grundlegenden psychoanalytischen Vorstellungen ber den adquaten Umgang mit Patienten entspricht. Methodische Konzeptionen kçnnen bereits selbst so gestaltet sein, dass wir sie von ihrem Ansatz her als ethisch problematisch anzusehen haben. In der Art und Weise, wie ein Psychoanalytiker arbeitet, werden auch seine ethischen Einstellungen sichtbar. Ein Psychoanalytiker, der im Verlauf einer psychoanalytischen Behandlung zum Beispiel in grober Weise das Abstinenzgebot missachtet und damit Grenzberschreitungen vornimmt, verlsst den nach unserer Auffassung richtigen methodischen Rahmen und handelt aus einer Einstellung heraus, die unseren ethischen Grundberzeugungen von vornherein widerspricht. Die psychoanalytische Situation ist ein Zwei-Personen-Beziehungsraum, in dem sich der Analytiker und sein Patient vor dem Hintergrund ihrer jeweiligen Motivationen bewegen. Dieser Beziehungsraum ist in seiner Grundstruktur dadurch bestimmt, dass der Patient mit einem persçnlichen Anliegen Hilfe sucht in der Erwartung, dass der Psychoanalytiker diese bereithlt. Daraus ergibt sich am Anfang die Notwendigkeit zu klren, ob das Anliegen des Patienten und die Mçglichkeiten des Psychoanalytikers in einem derartigen Verhltnis zueinander stehen, dass sie den Beginn einer Psychoanalyse als sinnvoll erscheinen lassen. Die Entscheidungsprozesse laufen in beiden Personen gleichzeitig ab und fhren gegebenenfalls zu einer Verstndigung, in die als Zukunftsent-

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wrfe die Erwartungen des Patienten einerseits und die Vorstellungen des Psychoanalytikers ber seine Mçglichkeiten andererseits eingehen. Das verbindende Element ist die Hoffnung auf ein Gelingen, wie auch immer dieses in seiner Form letztlich aussehen wird. Der Psychoanalytiker handelt dabei aufgrund vielfltiger Voraussetzungen. Als individuelle Persçnlichkeit mit ihren Wertvorstellungen, seiner durch die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Konzepten der Psychoanalyse erworbenen Kompetenz und vor allem durch die in der eigenen Analyse (Lehranalyse) gereifte Fhigkeit zur Selbstreflexion, soll er in der Lage sein, psychoanalytisches Denken sowohl in Bezug auf seinen Patienten wie auch im Hinblick auf seine eigene Person einzusetzen und sein Verstehen und sein Verhalten daran zu orientieren. Schon der Beginn einer psychoanalytischen Behandlung stellt ein kompliziertes Geschehen dar, welches durch vielfltige Faktoren bestimmt ist. Dieser Prozess entwickelt sich auf beiden Seiten zunchst immer in einer Dimension von Freiheit, aus der heraus sich dann eine wechselseitige Verstndigung ergeben kann, die den Rahmen der Begegnung begrndet. Es geht also um die Entwicklung einer Beziehung zwischen zwei Personen, die in der Regel auf unbestimmte Zeit hin angelegt ist. Wir wissen, dass von Anbeginn an zwischen den beiden Personen Prozesse auf einer basalen emotionalen Kommunikationsebene ablaufen als Voraussetzung fr die bewussten kognitiven und rational bestimmten sprachlichen Ebenen und dass sich bereits hier Anstze eines sehr komplizierten bewussten, vor allem aber auch unbewusst ablaufenden Beziehungsgeschehens entwickeln. Die Erwartung des Patienten, im Psychoanalytiker einen verlsslichen, kompetenten Partner zu finden, trifft auf das (in der Regel verbal unausgesprochene) Versprechen des Psychoanalytikers, dieser auch zu sein. Man kann im Hinblick auf den Patienten von dessen Erwartung selbst dann ausgehen, wenn sie von vornherein durch schwere Zweifel, Misstrauen und Angst berdeckt ist. Voraussetzung fr ein Behandlungsangebot des Psychoanalytikers ist es also, dass er sich Vorstellungen darber erarbeitet, ob er mit einem Patienten in einen Behandlungsprozess gehen und fr sich dafr auch berzeugende Begrndungen entwickeln kann. Es ist legitim, dass der-

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artigen Entscheidungsprozessen auch durchaus persçnliche Reflexionen ber die Mçglichkeiten der eigenen Person vorausgehen. Denn der Psychoanalytiker steht in der Verantwortung, die Mçglichkeiten, aber auch die Risiken und Enttuschungen abzuschtzen, welche der oft sehr lange dauernde Prozess mit sich bringen kann. Wenn er dazu nicht in der Lage ist, fehlt ihm die Berechtigung, eine Behandlung zu beginnen. Seine Motivation fr die Aufnahme einer Behandlung hat primr immer eine psychoanalytische zu sein und darf nicht vorrangig eigenen Bedrfnissen dienen. Diese Aspekte werden noch differenzierter zu betrachten sein. Unter ethischen Gesichtspunkten hat sich das Versprechen des Psychoanalytikers also an den Bedingungen zu orientieren, die den psychoanalytischen Prozess ermçglichen. Am Anfang gehçrt außerdem dazu, dass fr den Patienten in einer fr seine jeweiligen Verstndnismçglichkeiten zugnglichen Weise dieses Versprechen des Psychoanalytikers in seiner spezifischen Qualitt sichtbar wird. Der Psychoanalytiker hat sich Klarheit darber zu verschaffen, ob sein zuknftiger Patient in emotionaler, aber auch in kognitiver Weise in der Lage sein wird, ein Verstndnis fr die Bedingungen zu entwickeln, die nach der berzeugung des Psychoanalytikers erforderlich sind, dass der psychoanalytische Prozess sich entfalten und fr den Patienten eine Hilfe sein kann. Das bedeutet, dass fr einen Patienten nicht zuletzt auch die Struktur der Situation in ihren jeweiligen Grenzen beziehungsweise Abgrenzungen, das heißt ihren Rahmenbedingungen erkennbar werden muss (z. B. im Hinblick auf die Handhabung der Abstinenz).

3.3. Kodifizierungen ethischer Aspekte als Voraussetzung fr die Entwicklung von Maßstben fr psychoanalytisches Handeln Im Bereich des psychoanalytischen Denkens ist die Frage der Kodifizierung mit verschiedenen Problemen verbunden. Versucht man die psychoanalytische Situation unter ethischen Gesichtspunkten zu betrachten, so kann man nicht einfach die normativjuristischen Begriffe bernehmen. Psychoanalytische Kodifizierungen sind in erster Linie als Kodifizierungen im Rahmen der

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Tugendethik anzusehen, das heißt als Handlungsorientierungen auf dem Boden sittlicher bereinstimmungen. So gesehen bekommen zum Beispiel positive Aussagen ber Anstand, Gte, Gerechtigkeit, Verantwortung und anderes mehr und negative wie Gleichgltigkeit, Unzuverlssigkeit, Oberflchlichkeit, Klte und so weiter fr uns eine Evidenz ber die Dimension des Moralischen, die den judifizierbaren Bereich im engeren Sinne transzendiert. Hans Jonas spricht in dem Zusammenhang vom Sittlichen als der am wenigsten regierbaren Unterschicht der Werte (Jonas, 1979). Diese sind dennoch von fundamentaler Bedeutung, weil erst auf ihrem Boden die Mçglichkeit der Kodifizierbarkeit, das heißt das in Normen fassbare Recht entsteht (s. hierzu auch Hofmann, 2003). Otfried Hçffe sagt dazu: Recht im »objektiven Sinne« sei der Inbegriff der normativen Verbindlichkeiten, die das Zusammenleben formell regeln (Hçffe, 2002). Aber auch wenn die nachstehend zusammengefassten Maßstbe fr das Handeln von Psychoanalytikern im Wesentlichen in den Bereich des Sittlichen als konstitutivem Grundrahmen fr das Verhalten von Menschen untereinander fallen, beanspruchen normativ-rechtliche Aspekte ihren eigenen Platz. Das ergibt sich auch daraus, dass das Handeln in der psychoanalytischen Situation wie jedes andere Handeln auch Teil eines Sozialgefges ist und damit den Verhaltensnormen im Bereich des rechtlich Geregelten unterliegt. Als psychoanalytisch geschulter Wissenschaftler schreibt aus juristischer Sicht Hans-Joachim Behrendt zu dieser Thematik: »Auf ihrem originren Gebiet, der psychoanalytischen Therapie bewegt sich die Psychoanalyse in einem relativ rechtsfernen Gebiet, wenn auch nicht auf einem normfreien Terrain. Je mehr sich jedoch das psychotherapeutische System als Ganzes oder mit Teilen theoretisch wie praktisch, personell wie organisatorisch oder korporativ in den Raum der institutionellen Reprsentanz, also des Rechts begibt, desto eher greifen Juridifizierungsprozesse Platz, welche dem System insgesamt oder den verfochtenen Theorie- oder Praxisformen, den handelnden Personen wie auch den verwendeten Organisationsstrukturen juristische Qualifikationen aufprgen. Dieser Vorgang einer auch juristischen Aufladung von Theorie- und Praxisgebrauch, persçnlichem Handeln und institu-

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tioneller Organisation liegt nach dem hier verwendeten Modell der çffentlichen Reprsentanz nahe« (Behrendt, 2006, Seite 160 f.). Nachstehend versuche ich, die meines Erachtens fr psychoanalytisches Handeln wichtigsten ethischen Aspekte zusammenzufassen. Ich orientiere mich dabei als Grundlage an den Ethischen Grundstzen der IPV, wie sie im Newsletter 2/1999 (S. 17 f.) verçffentlicht worden sind, lege allerdings den Schwerpunkt meiner Betrachtung weniger auf den normativ-judikativen Bereich, sondern versuche die zugrunde liegenden psychoanalytischen berzeugungen als sittliche bereinstimmungen sichtbar werden zu lassen. 3.3.1 Im Sinne der Kernaussagen des Hippokratischen Eids2 steht auch die Ttigkeit des (rztlichen wie auch gleichermaßen des psychologischen) Psychoanalytikers unter dem Gebot, jederzeit das Wohl des Patienten zu beachten, seine Wrde und seine Integritt zu respektieren.

2 Hippokratischer Eid, Genfer (rzte-)Gelçbnis, 1948 in Genf beschlossene Neufassung der rztlichen Berufspflichten (in Anlehnung an den Hippokratischen Eid; vom Deutschen rztetag modifiziert): »Bei meiner Aufnahme in den rztlichen Berufsstand gelobe ich feierlich, mein Leben in den Dienst der Menschlichkeit zu stellen. Ich werde meinen Beruf mit Gewissenhaftigkeit und Wrde ausben. Die Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit meines Patienten soll oberstes Gebot meines Handelns sein. Ich werde alle mir anvertrauten Geheimnisse auch ber den Tod des Patienten hinaus wahren. Ich werde mit allen meinen Krften die Ehre und die edle berlieferung des rztlichen Berufes aufrechterhalten und bei der Ausbung meiner rztlichen Pflichten keinen Unterschied machen weder nach Religion, Rasse noch Parteizugehçrigkeit oder sozialer Stellung. Ich werde jedem Menschenleben von der Empfngnis an Ehrfurcht entgegenbringen und selbst unter Bedrohung meine rztliche Kunst nicht in Widerspruch zu den Geboten der Menschlichkeit anwenden. Ich werden meinen Lehrern und Kollegen die schuldige Achtung erweisen. Dies alles verspreche ich feierlich auf meine Ehre.« – Hierzu auch: Friedrich Wilhelm Eigler (2003).

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3.3.2 In fundamentaler menschlicher Hinsicht sind Psychoanalytiker und Patient als ebenbrtige Partner anzusehen in einer Situation, die durch unterschiedliche Standorte der beiden Personen bestimmt ist. Ebenbrtigkeit und Unterschiedlichkeit stehen in einem durch die inneren Bedingungen der psychoanalytischen Situation gegebenen Verhltnis zueinander. Sie haben ihren Ausdruck auch in den ußeren Formen zu finden, in denen die Kommunikation zwischen dem Psychoanalytiker und seinem Patienten abluft. 3.3.3 Der Psychoanalytiker hat sich an der Erkenntnis der psychoanalytischen Wissenschaft zu orientieren, dass menschliches Handeln und Empfinden wesentlich durch unbewusstes inneres Geschehen mit bestimmt ist und die psychoanalytische Situation daraufhin angelegt ist, an unbewussten Prozessen zu arbeiten und diese mit Hilfe der psychoanalytischen Methode und deren Bedingungen zugnglich zu machen. 3.3.4 Die Vertrautheit mit den sich weiter entwickelnde Erkenntnissen seiner Wissenschaft, seine persçnliche Erfahrung und seine moralische Integritt sind fr den Psychoanalytiker gleichermaßen Voraussetzungen fr verantwortliches psychoanalytisches Handeln. 3.3.5 Klarheit und Verlsslichkeit als innere Voraussetzungen in der Haltung des Psychoanalytikers finden ihren Ausdruck auch in den eindeutigen ußeren Rahmenbedingungen. Diese sind das Ordnungsgefge, in dem die Dramatik der inneren Bewegungen des psychoanalytischen Prozesses gehalten werden muss. Dafr, dass das mçglich bleibt, trgt der Psychoanalytiker die besondere Verantwortung. 3.3.6 Die Psychoanalytische Situation ist ein weitgehend geschlossener zwischenmenschlicher Beziehungsraum von besonderer Qualitt und Intimitt. In ihm entwickeln sich seelische Prozesse, die zu

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Gefhlen von großer Nhe fhren, wobei der Psychoanalytiker dafr Sorge zu tragen hat, dass innere und ußere Grenzen in einer Weise aufrechterhalten bleiben, welche die mçglicherweise mit dieser Situation verbundenen Belastungen nicht zu Verletzungen werden lassen. 3.3.7 Die Intimitt der psychoanalytischen Situation ist ein so hoher Wert, dass sie unbedingt zu schtzen ist. Die Beachtung vçlliger Vertraulichkeit, auch ber das Ende einer Behandlung hinaus, ist eine der wichtigsten Forderungen, die im Hinblick auf die Ttigkeit des Psychoanalytikers erhoben werden mssen. 3.3.8 Die psychoanalytische Begegnung und die sich in ihr abspielenden unbewussten Prozesse erfordern vom Psychoanalytiker ein ausgeprgtes Bewusstsein fr menschliche Werte und die Fhigkeit, den Anderen in jedem Augenblick mit Empathie immer als eigene Person spren, wahrzunehmen und denken zu kçnnen. Die langen inneren und ußeren Zeitrume, die psychoanalytische Behandlungen in Anspruch nehmen, sind vor allem fr Patienten intensiv gelebte Lebensabschnitte, in denen lebensgeschichtlich bedeutsame Schwellensituationen durchlebt werden. Sie sind oft von tiefen inneren und ußeren Konflikten ausgefllt und mit Hoffnungen und ngsten verbunden. Nicht bewltigte Enttuschungen durch das Geschehen in der psychoanalytischen Situation kçnnen zu lange anhaltenden (Re-)Traumatisierungen werden, die Lebensentwicklungen blockieren. Innerhalb der psychoanalytischen Situation sind also die sich entwickelnden Erfahrungen tiefe, bedeutsame Eingriffe in das Erleben eines Menschen. Fr den Psychoanalytiker ist der Erhalt seiner Wahrnehmungen fr die Vorgnge, die sich in dieser Beziehung entwickeln kçnnen, unumgngliche Voraussetzung, dass sein Handeln ethischen Anforderungen entsprechen kann. Er wird dazu nur dann in der Lage sein, wenn es ihm gelingt, die in ihm entstehenden eigenen affektiven und emotionalen Prozesse so wahrzunehmen, dass er sie angemessen steuern und zur Bewltigung der schwierigen, oft mit Konflikten besetzten Situationen einsetzen kann.

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3.3.9 Daraus ergibt sich, dass der Psychoanalytiker sich seiner Verantwortung fr das Geschehen immer bewusst zu bleiben und alle Fhigkeiten einzusetzen hat, um den Entwicklungen in der psychoanalytischen Situation gerecht werden zu kçnnen. Auf dem Gefhl fr Verantwortung als ethischem Prinzip, das auf dem eigenen Gewissen grndet, entsteht die Fhigkeit, vorausschauend die Folgen von Handlungen zu bedenken (s. a. Jonas, »Das Prinzip Verantwortung«, 1979). 3.3.10 Der Psychoanalytiker hat sich bewusst zu bleiben, dass seine Position dem Patienten gegenber mit psychischer Macht verbunden ist. Die emotionalen Prozesse, die sich in psychoanalytischen Behandlungen entfalten mit ihren tief in die jeweiligen lebensgeschichtlichen Erfahrungen reichenden Wurzeln, fhren zu lang anhaltender Abhngigkeit des Patienten, aus der sich wechselseitig oft ein intensives Beziehungsgeschehen entwickelt. Vor allem in psychischer Hinsicht sieht sich der Psychoanalytiker durch den Patienten mit der Macht dessen ausgestattet, dem persçnliche Anliegen und emotionale Bedrfnisse gelten. Es ist eine unbedingte Forderung, dass der Psychoanalytiker mit seiner Machtposition verantwortungsvoll umzugehen hat und eigenen Interessen nicht erliegen darf, die als Missbrauch zu einer Schdigung des Patienten fhren kçnnen. Unter ethischen Gesichtspunkten hat die Macht des Strkeren immer der Schutz des Schwcheren zu bleiben. 3.3.11 Nicht zuletzt deshalb spielt in den Regeln, die fr die Durchfhrung psychoanalytischer Behandlungen erarbeitet wurden, der Begriff der Abstinenz eine besonders wichtige Rolle. Auch wenn dieser sich im Verlauf der wissenschaftlichen Entwicklung der psychoanalytischen Technik verndert hat, heute in manchen Aspekten anders gesehen wird als frher und Abstinenz auch anders gehandhabt wird, bleiben bei aller Unterschiedlichkeit von Auffassungen damit doch unverndert zentrale Aspekte erhalten. Die Abstinenz des Psychoanalytikers ist in erster Linie als verant-

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wortlicher Umgang mit den eigenen inneren Vorgngen zu verstehen, die in ihm im Zusammenhang mit seinem Patienten entstehen, und dem Bedenken der Auswirkungen seines daraus resultierenden Handelns. Die Fhigkeit des Psychoanalytikers zur Abstinenz stellt innerhalb der psychoanalytischen Situation eine wesentliche Voraussetzung dafr dar, dass sich das innere Geschehen im Patienten so entwickeln kann, dass es seiner persçnlichen Entwicklung dient. Richtig verstanden fhrt ein abstinentes Verhalten nicht zur rigiden Befolgung von Regeln. Es fhrt aber auch nicht zu einer berschreitung von Grenzen beim Umgang mit den im Patienten entstehenden innerseelischen Vorgngen und den daraus resultierenden Situationen zwischen den beiden Personen. 3.3.12 Als einheitliches Geschehen in der Person des Psychoanalytikers sollen alle hier genannten Gesichtspunkte sich zur individuellen Gestalt seiner persçnlichen psychoanalytischen Haltung entwickeln und whrend des psychoanalytischen Prozesses bewahrt bleiben. Die psychoanalytische Haltung begrndet die Mçglichkeit seiner gleich schwebenden Aufmerksamkeit fr die unbewussten und bewussten Bewegungen, die im Verlauf des psychoanalytischen Prozesses entstehen. Sie ist die Voraussetzung, um den differenten Situationen, welche die psychoanalytische Situation bereithlt, gerecht zu werden und Orientierungsmaßstbe fr sein Handeln entwickeln zu kçnnen.

3.3 Bewertung ethischer Probleme aus psychoanalytischen Behandlungen 3.4.1 Fragen der Ethik haben in der heutigen, technologisch und naturwissenschaftlich bestimmten Welt mit ihren differenzierten gesellschaftlichen Strukturen einen umfassenden Charakter bekommen, der weit ber die Handlungsrume der einzelnen Menschen hinaus reicht. Hans Jonas spricht in seiner Arbeit ber »Technik, Me-

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dizin und Ethik« davon, dass »die erweiterte Reichweite menschlicher Macht das anthropozentrische Monopol der meisten frheren ethischen Systeme« breche (Jonas, 1985, S. 46). In der psychoanalytischen Situation allerdings werden ethische Aspekte auf ihre in der menschlichen Existenz begrndeten Ursprnge zurckgefhrt. Es geht dabei um die ursprnglichen Fragen, welche die Beziehungen zwischen Menschen betreffen und um Anweisungen, wie Menschen miteinander umzugehen haben, ohne dass aus ihrer Begegnung fr den einen, fr beide oder auch fr mehrere Schaden entsteht. Ethische Prinzipien sind aus mçglichen Schicksalen konkreter Situationen abgeleitete idealtypische Abstraktionen, die zu Handlungsanweisungen werden und Forderungen enthalten. Ethische Prinzipien setzen immer einen Raum voraus, der den Einzelnen transzendiert. Der Begriff Verantwort ung enthlt das Dialogische, der in Richtung auf einen Anderen gesagten Rede, die dessen mçgliche Antwort mit denkt. Zwei Aspekte mssen dabei unterschieden werden. Der Psychoanalytiker, der mit einen Patienten in einen Dialog tritt, begibt sich mit diesem in einen zwischenmenschlichen Beziehungsraum, der eine ethische Struktur enthlt. Wenn ethische Fragen zwischen den beiden Personen entstehen, kann das mçglicherweise zu einer Verstndigung zwischen den beiden Personen fhren. Diese Verstndigung wird aber nicht immer ethischen Gesichtspunkten als idealtypischen Forderungen angemessen sein. Wir wissen zum Beispiel, dass es sexuelle Beziehungen whrend psychoanalytischen Behandlungen gibt, die ohne Zweifel nach unseren ethischen berzeugungen Grenzverletzungen darstellen. Das gilt auch dann, wenn diese nach außen verborgen bleiben. Die verborgene ethische Struktur der Situation als triangulrer Raum wird mçglicherweise erst dann sichtbar, wenn deren Rahmen irgendwann einmal aufgelçst oder auch als Konflikt gewaltsam gesprengt wird. Dann wird die ethische Frage zum Teil eines anderen Dialogs, der nicht mehr mit dem zwischen dem Analytiker und seinem Patienten identisch ist. Es geht dann um die fundamentalen Bedingungen der psychoanalytischen Methode selbst als dem dritten Ort, auf den sich der Diskurs unter Psychoanalytikern immer zu beziehen hat.

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Das fhrt zum oben erwhnten zweiten Aspekt, der sich aus dem Verhltnis des Psychoanalytikers zu der Gruppe ergibt, mit deren Grundauffassungen er verbunden ist und in die er integriert sein sollte. Der einzelne Psychoanalytiker wird sich einerseits auf dem Boden seiner Identitt als Psychoanalytiker, seinem Gewissen und im Sinne der Tugendethik in eigener Verantwortung fr sein Handeln eine ethische Orientierung zu erarbeiten haben. Dabei setzen wir voraus, dass seine persçnliche und wissenschaftliche Entwicklung ihn dazu gefhrt hat, sich mit den grundlegenden Auffassungen zu identifizieren, die unsere Gruppenidentitt begrnden. Sie ist als Voraussetzung die Referenzebene, auf der wir uns untereinander begegnen und Verstndigung voraussetzen kçnnen. Situationen, in denen ein Psychoanalytiker mit uns beziehungsweise wir mit ihm als Kollegen eine Auseinandersetzung im Hinblick auf sein psychoanalytisches Handeln zu fhren haben, sind infolgedessen von anderer Qualitt als sie die Arzt-PatientenBeziehung selbst darstellt. Der Patient erwartet, dass der Psychoanalytiker seine Fhigkeiten zu seinem Wohle einsetzt. Die Bedingungen des Weges sind fr seine Interessen im Allgemeinen sekundr. Dem Dialog zwischen den Psychoanalytikern liegt natrlich ebenfalls das Anliegen zugrunde, zum Wohle des Patienten zu wirken. Im Zentrum des Interesses stehen allerdings Fragen, die das ethisch richtige Einsetzen der dem Psychoanalytiker zur Verfgung stehenden Mittel betreffen. In dem Zusammenhang muss sich klren, ob eine Verstndigung mit ihm mçglich ist. Die hier im Hinblick auf ethische Fragen entstehende neue Situation erfordert verschiedene berlegungen, die den Dialog der Psychoanalytiker untereinander betreffen. 3.4.2 Wenn die psychoanalytische Situation und ihre besonderen Bedingungen zum Thema unter Psychoanalytikern werden soll, dann erfordert das sorgfltige vorbereitende berlegungen. Drei Aspekte, welche die Orientierung im Hinblick auf ethische Fragestellungen erleichtern, sind hervorzuheben. Psychoanalytische Prozesse verlaufen in der Komplexitt ihrer Psychodynamik autonom und unter Umstnden ber oft sehr lan-

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ge Zeit außerordentlich schwierig und dramatisch. Man hat diese Vorgnge dessen ungeachtet unter ethischen Gesichtspunkten dennoch als angemessen anzusehen, und es besteht kein Anlass, sie in dieser Hinsicht in Frage zu stellen und dem Psychoanalytiker daraus einen Vorwurf zu machen. Psychoanalytiker haben es dabei nach außen oft schwer zu vertreten, wenn im Verlauf von Behandlungen zum Beispiel scheinbar keine Besserungen eintreten, sogar Verschlechterungen des Befindens und Verstrkungen von Symptomen entstehen oder Patienten andere Aufflligkeiten entwickeln, die zum Beispiel ihr soziales Umfeld beunruhigen. Diese kçnnen nach unserem Wissen und Verstndnis durchaus als Abschnitte von individuellen inneren Entwicklungsprozessen angesehen werden, die ihre eigenen, oft sehr langen Zeitrume zur Vernderung brauchen. Deshalb ist festzuhalten, dass nur Psychoanalytiker in der Lage sein werden zu beurteilen, ob schwierige Entwicklungen in Psychoanalysen unumgnglich und als Teil der Problematik eines Patienten anzusehen sind, mit der ein Psychoanalytiker im Rahmen seiner Mçglichkeiten umgegangen ist. Die Anwendung von ethischen Maßstben darf infolgedessen nicht zu einer Bedrohung fr die Freiheit des Handelns des Psychoanalytikers werden. Der Freiheitsraum der psychoanalytischen Situation ist auch unter ethischen Gesichtspunkten ein besonderer Wert, der geschtzt bleiben muss. Im Hinblick auf die Frage einer erforderlich werdenden Annherung an eine psychoanalytische Situation von dritter Seite sind also selbst ethische Belange zu bedenken. Diese Annherung soll nur geschehen, wenn berechtigte Hinweise auf tatschlich bestehende Stçrungen des psychoanalytischen Prozesses vorliegen, die vermutlich durch den Psychoanalytiker verursacht sind. Sie hat mit besonderer Sorgfalt zu erfolgen und muss den Bedingungen psychoanalytischer Situationen angemessen sein. Zweifel, ob das Vorgehen eines Psychoanalytikers ethisch angemessen ist, erfordern daher unter Kenntnis der vielfltigen Faktoren, die in einer psychoanalytischen Beziehung zum Tragen kommen, eine differenzierte Betrachtung. Stçrungen, die im Verlauf einer Behandlung als ethische Probleme sichtbar werden, kçnnen auf sehr verschiedene Weise entstehen und unterschiedliche Aus-

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wirkungen haben. Wenn Vorgnge in massiver Weise, vor allem als Handlungen in Form von Grenzverletzungen sichtbar werden, wird ihre Bewertung unter ethischen Aspekten im Allgemeinen sehr viel einfacher sein, als wenn Haltungen zu Stilen im Umgang mit Patienten fhren, die einen destruktiven Charakter bekommen oder als Konflikte auch zu einem persçnlichen Dilemma des Psychoanalytikers werden und deshalb unter ethischen Gesichtspunkten gegebenenfalls zum Thema gemacht werden mssen. Man hat also die Qualitt von Grenzverletzungen zu bercksichtigen. Dabei darf nicht unterschtzt werden, dass gerade auch im sensiblen Bereich der verbalen Kommunikation Haltungen und Einstellungen erhebliche Auswirkungen haben und ethische Fragen aufwerfen kçnnen. Um den beteiligten Personen gerecht zu werden, ist es wichtig, zur Klrung geeignete und angemessene Zugangswege zu whlen. Dies wird nur dann der Fall sein, wenn die durch psychoanalytisches Denken mçglichen Erfahrungen selbst fr derartige Untersuchungen eingesetzt werden. Daraus ergibt sich eine fr diese Fragestellungen wesentliche Konsequenz. Wie bereits oben entwickelt, sind psychoanalytische Maßstbe und normativ-judikative Aspekte nicht identisch und auch nicht unbedingt kompatibel. Es ist deshalb, wenn irgend mçglich, zu unterscheiden, wann die dem sittlich-moralischen Raum zuzuordnenden Maßstbe vorrangig zur Geltung kommen kçnnen und wann die Anwendung von Gesichtspunkten erforderlich ist, die eher dem judikativ-normativen Bereich zugehçrig sind. Die aus der Unterschiedlichkeit der Perspektiven resultierenden Untersuchungswege sollten nicht identisch sein, weil sie sich unter Umstnden gegenseitig behindern. Dem sittlich-moralischen Raum zuzuordnende Problemsituationen lassen meist ihre destruktive Entwicklung im Zusammenhang mit interpersonalen Konflikten noch erkennen, treten als kollusive Prozesse in Erscheinung und kçnnen im Allgemeinen noch einem außer Kontrolle geratenen bertragungs-Gegenbertragungs-Geschehen zugeordnet werden. Fr ihre Bearbeitung sind in der Regel vorwiegend psychoanalytisch bestimmte Bewertungen mçglich und angemessen. Bei schwerwiegenden Grenzverletzungen, die offenkundig auch

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allgemeine gesellschaftliche Normen und Rechtsgrundlagen verletzen, reicht es nicht aus, wenn Psychoanalytiker eigene ethische Maßstbe zur Geltung bringen. Meist sind diese Grenzverletzungen in der Persçnlichkeit des Psychoanalytikers begrndet. Durch sie wurde die jeweilige psychoanalytische Situation deformiert und Patienten Schaden zugefgt. Es handelt sich dabei nicht nur um die heute in der ffentlichkeit vor allem diskutierten sexuellen bergriffe, sondern auch um andere Ereignisse, die als grobe Verletzungen der Rahmenbedingungen, etwa in Form von Vermischungen persçnlicher und beruflicher Lebensbereiche, als Unzuverlssigkeit, Verletzungen der Schweigepflicht oder auch im Zusammenhang mit finanziellen Ausbeutungen vorkommen. Meist treten sie als Handlungen in Erscheinung und bekommen dadurch einen konkret sichtbaren Tatsachencharakter. Man kann sich zwar auch mit derartigen Vorgngen unter psychoanalytischen Aspekten auseinandersetzen und versuchen zu klren, unter welchen persçnlichen Voraussetzungen ein Psychoanalytiker Zerstçrungen psychoanalytischer Situationen zustande kommen lsst. Im Allgemeinen erfordern sie aber von vornherein Untersuchungssituationen, die nach den Regeln des juristischen Denkens und im Hinblick auf mçgliche konkrete Sanktionen oder Schadenersatzforderungen zu arbeiten haben. In manchen Fllen sind die zur Frage stehenden Vorgnge auch im Rahmen geltender Gesetze strafwrdig und berhren den çffentlichen Rechtsraum. Diese Tatsachen haben auch Psychoanalytiker zu bercksichtigen, die ethische Verfehlungen in Behandlungen zu untersuchen haben. Zu diesen Fragen nehmen in informativer Weise auch die aus juristischer Sicht verfassten Beitrge von Hans-Joachim Behrendt und des Vorsitzenden Hans-Joachim Heinze der Ethik-/Schiedskommission der Deutschen Gesellschaft fr Psychoanalyse, Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie e.V. (DGPT) Stellung.

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3.5. Psychoanalytische Institutionen und die Frage der Ethik So wie der einzelne Psychoanalytiker in der Verpflichtung steht, sich in seinem Handeln an grundlegenden ethischen Maßstben zu orientieren, haben auch die Institutionen, denen er verbunden ist, Verantwortung wahrzunehmen. Denn indem die wissenschaftlichen Erkenntnisse der Psychoanalyse sowohl in allgemeiner Weise, aber auch mittelbar im Hinblick auf den einzelnen Menschen als Patienten Wirkungen ausben, ergibt sich daraus eine Verantwortung. Man kann diese Verantwortung unter drei Gesichtspunkten definieren. Es handelt sich dabei einmal um die Institution in ihrer Zielsetzung als Trger der Verantwortung fr die Ausbildung zuknftiger Psychoanalytiker, zum anderen um Fragen des Binnenverhltnisses der Psychoanalytiker untereinander innerhalb ihrer Institutionen und schließlich um die Institution in ihrer reprsentativen Funktion als Trger von Verantwortung innerhalb ihres gesellschaftlichen Umfelds In diesem zuletzt genannten Aspekt sind auch die Kommissionen zu betrachten, die sich als Teil der Institutionen mit ethischen Fragen zu befassen haben. a) Schwerpunkt in psychoanalytischen Gesellschaften war schon immer die sorgfltige Ausbildung zuknftiger Psychoanalytiker, die auf ihren Beruf in einer Weise vorbereitet werden sollen, dass sie ihn auch entsprechend den oben beschriebenen ethischen Kategorien ausben kçnnen. Die Bedingungen der Prinzipien dieser Ausbildung in der Trias von wissenschaftlicher Schulung, Lehranalyse als persçnlicher Selbsterfahrung und Einfhrung in die eigene Ttigkeit als Psychoanalytiker unter Supervision, enthalten jede fr sich ethische Implikationen. Institutionen, das heißt die im Auftrag von Institutionen handelnden und mit Funktionen beauftragten Personen sind Trger von Verantwortung. Besonders die Lehranalyse ist ein Intimittsraum, der in seiner Qualitt einerseits eine psychoanalytische Situation darstellt, in der Prozesse ablaufen wie in therapeutischen Analysen auch, und der gleichzeitig eine Funktion hat im Rahmen der institutionellen Strukturen und deren Zielsetzungen. Neben seiner fachlichen Kompetenz ist oberstes Gebot vor allem die Abstinenz des Psychoanalytikers, der dem Ausbildungskandidaten in der Lehranalyse begegnet, sowie

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die Einhaltung strikter Vertraulichkeit fr alle Vorgnge, die Teil des psychoanalytischen Prozesses sind. Die Lehranalyse bedarf unter ethischen Maßstben also unbedingt eines besonderen Schutzes. Sowohl der Lehranalytiker wie der Analysand stehen in der Verantwortung, dafr Sorge zu tragen, dass die vielfltigen kommunikativen Prozesse, die in Ausbildungsinstituten gleichzeitig ablaufen und in die sie in unterschiedlicher Weise eingebunden sind, nicht zu einer Bedrohung fr den psychoanalytischen Prozess werden. Neben der Wahrung der ußeren Grenzen stellen auch die in der Lehranalyse selbst ablaufenden Prozesse mit ihrer inneren Dynamik große Anforderungen vor allem an die Fhigkeiten des Psychoanalytikers, seine Funktion als Lehranalytiker und die eigene Position innerhalb seiner Institution zu trennen. Die Gefahr von Vermischungen ist hier sehr groß und kann unter ethischen Gesichtspunkten auch die Qualitt von Missbrauch seiner Position bekommen. Die Wahrung von Grenzen ist durch die bestehende Nhe der verschiedenen Ausbildungsbereiche, deren Funktionen oft von Analytikern gleichzeitig ausgebt werden mssen, einer besonderen Gefhrdung ausgesetzt. Jede Art von Ausbildung enthlt außerdem Aspekte von Hierarchien, begrndet Macht und schafft Abhngigkeiten. Die Psychoanalytiker, welche als Lehranalytiker, als Supervisoren oder in anderen Funktionen die Verantwortung fr die Ausbildung tragen, befinden sich dabei in der komplizierten, oft auch schwierigen Situation, sowohl den Ansprchen und Normen der Institution gerecht zu werden und gleichzeitig die Belange derer zu wahren, die in der Ausbildung stehen. Ein hohes Moralbewusstsein, innere Gelassenheit, Gespr im Abwgen unterschiedlicher Gesichtspunkte und Integrationsfhigkeit ermçglichen erst die notwendige Autoritt als wichtige Voraussetzung, um diese Aufgaben sowohl in fachlicher wie auch in persçnlicher Hinsicht ethisch angemessen erfllen zu kçnnen. Neben der Lehranalyse ist vor allem die Supervision als ein weiterer Bereich zu nennen, in dem sich verschiedene Erfahrungsebenen mischen. Zum Teil laufen auch in Supervisionen Prozesse ab, die in ihrer Psychodynamik einen sehr persçnlichen Akzent bekommen und sich an der Grenzlinie zwischen Vertraulichkeit und

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der notwendigen ffnung zur Institution hin bewegen mssen, damit diese ihre Aufgaben wahrnehmen kann. Die Gestaltung der Arbeitsbeziehung des Psychoanalytikers mit dem Ausbildungskandidaten in der Supervision ist also ein Bereich, der in der Verantwortung der Institute unter ethischen Aspekten zu bedenken ist und einer eigenen Ordnung bedarf. Die Deutsche Psychoanalytische Vereinigung hat in den Jahren 1994–2002 in eingehenden Untersuchungen die Ausbildungssituation an ihren Instituten dokumentiert (Beland et al., 2002) und dazu auch Befragungen jngerer DPV-Mitglieder ber ihre Erfahrungen als ehemalige Kandidaten vorgenommen. Diese erstreckten sich von Beginn der Bewerbungsverfahren ber die einzelnen Ausbildungsabschnitte bis zu den Abschlusscolloquia. Es ging dabei vor allem darum zu erfahren, wie diese Mitglieder rckblickend ihre Situation als Kandidaten in den verschiedenen Ausbildungsschritten erlebt haben. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen fhren teilweise zu sehr kritischen berlegungen im Hinblick auf die hierarchischen Strukturen innerhalb der Institutionen und das Selbstverstndnis der in ihnen handelnden Psychoanalytiker. Es ist bemerkenswert, dass zum Teil sehr anschaulich geschilderte negative Erfahrungen der befragten Mitglieder auch nachtrglich noch ihre affektive Besetzung behalten. In manchen Aspekten ergeben sich dabei hnlichkeiten mit den Schilderungen der Erlebnisse ehemaliger Patienten in ihren Behandlungen. Diese Dokumentation unterstreicht die Wichtigkeit kritischer Selbstreflexion im Rahmen unserer Institutionen im Hinblick auf die oben skizzierten Ausbildungsaspekte. Auch ein sehr kritischer, persçnlich gehaltener Erfahrungsbericht ber eine als schwierig erlebte Ausbildungssituation aus der Sicht einer Kandidatin kann in dem Zusammenhang hier genannt werden (Rieber-Hunscha, 1996). Es spricht vieles dafr, dass Psychoanalytiker Erfahrungen, die sie selbst whrend ihrer Ausbildung gemacht haben, auch in die Behandlungssituationen mit ihren Patienten weitergeben. Auch dieser Gesichtspunkt wirft ethische Fragen auf, welche die Verantwortung der Institute fr die Situation ihrer Ausbildungsteilnehmer betreffen. b) ber die Fragen hinaus, die das Verhltnis der Psychoanaly-

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tiker zu den Ausbildungskandidaten betreffen, erfordern auch noch andere Binnenstrukturen der Institutionen und ihrer Gliederungen ethische berlegungen. Denn in diesen Strukturen laufen die Kommunikationsprozesse ab, in denen Psychoanalytiker ihre gemeinsamen Ziele stndig kritisch miteinander zu reflektieren haben und ber die sie sich jeweils neu verstndigen mssen. Entscheidend ist dabei die Frage, inwieweit es gelingt, der Kommunikation unter den Psychoanalytikern ein Niveau zu erhalten, das ethischen Ansprchen gengt. Psychoanalytische Prozesse in Lehranalysen kçnnen auch beschdigt werden, wenn das Umfeld, in dessen Rahmen sie sich entwickeln, von Konflikten geprgt ist, die sehr viel destruktives Potential enthalten. Insofern ist die Erfahrung des Ausbildungskandidaten in der eigenen Lehranalyse auch eng verbunden mit den Erfahrungen, die er whrend dieser Zeit mit seiner Institution macht beziehungsweise mit dem Bild, das die darin handelnden Personen einschließlich seines Lehranalytikers bieten. Gerade im Zusammenhang mit den notwendigerweise regressiv besetzten Vorgngen in Psychoanalysen verdient dieser Gesichtspunkt auch unter ethischen Aspekten besondere Beachtung. Eine besonders schwierige Situation entsteht in Situationen, in denen ethische Probleme im Handeln eines Psychoanalytikers sichtbar werden, whrend gleichzeitig eine gemeinsame Zugehçrigkeit zu einer Institution besteht. Die Situation verschrft sich, wenn der Betreffende als Lehranalytiker mit entsprechender Reputation ausgestattet ist. Hier ergeben sich aus einer falsch verstandenen Loyalitt oft große psychische Hrden, Maßnahmen einzuleiten, die aus ethischen Grnden unabdingbar sind. Das Verschweigen und Zudecken von Vorgngen, die inoffiziell oft allgemein bekannt sind, bekommt einen korrumpierenden Charakter fr alle Personen, die davon in irgendeiner Weise berhrt sind. Es handelt sich dann um Entwicklungen, die am strksten geeignet sind, in einer Institution das allgemeine Bewusstsein fr ethische Belange zu zerstçren mit lange anhaltenden Auswirkungen. Psychoanalytische Institutionen stehen hier in der Verantwortung, sich selbst klare Regeln zu geben, wie in derartigen Fllen zu verfahren ist und auf diese Weise auch den einzelnen Psy-

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choanalytiker in seinen Entscheidungen einem Kollegen gegenber zu entlasten. Gerade im Zusammenhang mit der Ttigkeit von Psychoanalytikern in der Ausbildung ist Klarheit und Transparenz unumgnglich, um vor allem ideellen Schaden von den Zielsetzungen abzuwenden. Untersuchungen ber schwerwiegende Probleme dieser Art, die im Rahmen von Ausbildungsinstituten entstehen kçnnen, liegen aus verschiedenen Zweiggesellschaften der IPV vor. So dokumentieren in einer Studie Glen O. Gabbard und Morris Peltz (2001) entsprechende Probleme, und Anne-Marie Sandler setzt sich kritisch mit diesen Fragen im Zusammenhang mit einer Situation auseinander, mit der die Britisch Psycho-Analyical Society als Institution vor einiger Zeit konfrontiert war (Sandler, in diesem Band). c) Institutionen werden auch im Hinblick auf das gesamte gesellschaftliche und soziale Umfeld zu einer Reprsentanz fr die von ihnen vertretenen Zielsetzungen und Werte. Dies geschieht in vielfltiger Weise sowohl im Rahmen des çffentlichen wissenschaftlichen Diskurses wie auch in berufs- und gesellschaftspolitischer Hinsicht. Im Zusammenhang mit ethischen Fragen geht es dabei um das sichtbar werden der Verantwortung, die eine psychoanalytische Gesellschaft dafr hat, dass die Ttigkeit ihrer Mitglieder unter ethischen Aspekten einem hohen Standard erreicht und wie diese Verantwortung realisiert wird. Es gibt hier unterschiedliche Ansichten. Sie reichen von der Meinung, mit dem Abschluss einer Ausbildung sei die Verantwortung einer psychoanalytischen Gemeinschaft fr das Handeln eines Psychoanalytikers beendet und jede Maßnahme sei eine Einschrnkung seiner beruflichen Freiheit und bedrohe letztlich wesentliche Belange der Psychoanalyse selbst, bis hin zu Vorstellungen, die sehr restriktiven Vorgaben folgen. Man kann sich aber an einigen wesentlichen Punkten orientieren, um zu einer begrndeten Position zu gelangen. Sie ergeben sich zum Teil aus oben dargestellten berlegungen. c/1) Die allgemeine Verantwortung einer psychoanalytischen wissenschaftlichen Gesellschaft zum Erhalt und der Weiterentwicklung der Psychoanalyse besteht darin, den Diskurs ber ethische Fragen im Zusammenhang mit psychoanalytischen Situatio-

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nen in einer Weise zu pflegen und dafr auch geeignete Foren bereit zu halten, dass die Psychoanalytiker und in angemessener Weise auch die allgemeine ffentlichkeit die Mçglichkeit haben, sich daran zu beteiligen. Ethische Fragen kçnnen niemals lediglich fachspezifisch erçrtert werden, sondern mssen immer auch als Teil allgemeiner ethischer Fragen angesehen werden. c/2) Psychoanalytische Vereinigungen definieren sich ber Satzungen, in denen ihre wesentlichen Ziele fest geschrieben sind. Aus diesen Zielen ergeben sich die mçglichen Kodifizierungen. ber ihre Satzungen werden sie »çffentlich« und auch Teil des allgemeinen, gesellschaftlich bestimmten Rechtsraums. Sie funktionieren zwar ber den Status einer privatrechtlich verfassten Gesellschaft. Sie haben sich aber in ihren Zielen und in ihren Vereinsstrukturen schon aus formalen Grnden innerhalb des allgemeinen Rechtsraumes zu bewegen. In demokratischen Gesellschaften, in deren Verfassungen die allgemeinen Menschenrechte verankert sind, werden psychoanalytische Vereinigungen keine Probleme haben, ihre Vereinssatzungen damit kompatibel zu formulieren. Die Frage allerdings, ob dafr in Gesellschaften mit totalitren Strukturen, unabhngig von deren Zielsetzungen (politisch, religiçs), berhaupt noch Raum besteht, wird man verneinen mssen. In derart geprgten çffentlichen Rechtsrumen werden Psychoanalytiker und ihre Institutionen keinen Platz finden kçnnen. Wenn also hier das Verhltnis von privatrechtlich definiertem Status zum çffentlichen Rechtsraum erçrtert wird, dann werden immer funktionierende, demokratisch verfasste Gesellschaftsstrukturen vorausgesetzt. c/3) Ein wesentlicher Teil jeder privatrechtlich geregelten Vereinssatzung ist die Festlegung, wer und unter welchen Voraussetzungen Mitglied eines Vereins werden kann und wann dafr die Voraussetzungen nicht mehr gegeben sind. Das Verhltnis des einzelnen Vereinsmitglieds zu seinem Verband ist also ber die jeweilige Satzung geregelt und enthlt Rechte und Pflichten. Grundstzlich gehçrt dazu, dass das Mitglied sich mit den Zielen eines Vereins einverstanden erklrt und diese vertritt. Ein Verein kann infolgedessen prfen, ob ein Mitglied sich in seinem Verhalten noch innerhalb der Regelungen verhlt, die der Verein einmal be-

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schlossen hat. Ein Verstoß gegen Vereinssatzungen ermçglicht unter bestimmten Voraussetzungen Maßnahmen, die bis zum Ausschluss aus dem Verein reichen. Soweit es sich um Fragen handelt, die ethische Probleme ihrer Mitglieder betreffen, ist auch hier zwar die Unterscheidung eines Vorgehens sinnvoll, das sich mehr an den Normen der allgemeinen Sittlichkeit orientiert oder eher verfasste Rechtsnormen im Blick haben muss. Im ersten Fall soll der Dialog einen Freiheitsraum als Grundlage fr die Mçglichkeit von Verstndigung erhalten. Sobald sich die Frage von Sanktionen fr ein Mitglied ergibt, wird allerdings jeder, auch der mit psychoanalytischer Diktion gefhrte Diskurs innerhalb der Institution, unweigerlich der Mçglichkeit einer berprfung unter judikativen Normen, das heißt von dritter und durch das geltende Rechtssystem legitimierter Seite, unterliegen. c/4) Im Zusammenhang mit dem mçglichen Ausschluss eines Mitglieds kçnnen sich auch Fragen aus dem Verhltnis psychoanalytischer Gesellschaften als privatrechtlich handelnden Vereinigungen zum allgemeinen Rechtsraum ergeben. In der Regel wird eine psychoanalytische Vereinigung ein Mitglied bei schweren Verstçßen gegen ethische Grundstze ausschließen und einen Vorgang damit abschließen. Einzelsituationen kçnnen im Hinblick auf die Einhaltung bestehender gesetzlicher Verpflichtungen durch die Institution allerdings auch darber hinaus gehende berlegungen erfordern. c/5) Zusammenfassend ergibt sich, dass eine Vereinigung nicht nur das Recht, sondern unter bestimmten Voraussetzungen auch die Verpflichtung hat, sich in geeigneter Weise Einblick darber zu verschaffen, ob die Arbeitsweise eines Psychoanalytikers als ihr Mitglied noch mit den erklrten Zielen vereinbar ist. Wenn eine Vereinigung das grundstzlich ablehnt, verstçßt sie damit gegen ihre eigenen grundlegenden Ziele. »In geeigneter Weise« heißt allerdings auch, dass eine Vereinigung sich transparente und angemessene Strukturen schaffen muss, um dieser Aufgabe gerecht zu werden.

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4. Konzeptualisierung einer Ethik-Kommission und Erfahrungen bei der Bearbeitung von ethischen Problemen in psychoanalytischen Behandlungen 4.1 Allgemeine bersicht In zahlreichen Lndern arbeiten inzwischen unter verschiedenen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen Kommissionen, die sich mit ethischen Problemen aus psychotherapeutischen und psychoanalytischen Behandlungen zu beschftigen haben. Viele Zweiggesellschaften der IPV setzen inzwischen die Vorgabe um, sich geeignete Institutionen zu schaffen, welche die Bearbeitung ethischer Probleme aus psychoanalytischen Behandlungen ermçglichen. Die nachfolgende Darstellung nimmt Bezug auf die Struktur des deutschen Gesundheitssystems, in dessen Rahmen die Psychoanalytiker der Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung eigene Konzepte zur Bearbeitung ethischer Fragen zu entwickeln hatten. Ihr liegen außerdem die Vorgaben zugrunde, welche die IPV in der Prambel zu ihren Ethischen Grundstzen festgelegt hat. Zum Verstndnis mssen die in Deutschland bestehenden gesetzlichen Strukturen kurz geschildert werden. Psychotherapeutische Ttigkeit von rzten und Psychologen erfordert als Heilbehandlung in Deutschland die staatliche Anerkennung im Rahmen einer Approbationsordnung als Voraussetzung, um berhaupt Patienten behandeln zu kçnnen. Alle approbierten rzte und Psychologen unterliegen einer gesetzlich vorgeschriebenen Mitgliedschaft in berufsstndisch organisierten rzte- beziehungsweise Psychologen-Kammern. Diese Kammern als Kçrperschaften des çffentlichen Rechts sind staatlich legitimierte Einrichtungen der Selbstverwaltung und werden durch die zustndigen Ministerien berwacht. Sie erlassen fr ihre Mitglieder verbindliche Berufsordnungen. Verfehlungen werden im Rahmen dieser Berufsordnungen verfolgt und geahndet. Da ber 90 Prozent der Bevçlkerung in gesetzlichen Krankenkassen pflichtversichert sind, ben die meisten der psychotherapeutisch ttigen rzte und Psychologen als Vertragspsychotherapeuten ihre Ttigkeit im Rahmen der gesetzlichen Krankenversorgung aus. Organisiert wird diese

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durch kassenrztliche beziehungsweise kassenpsychotherapeutische Vereinigungen (fr Psychologen), die als Organe der Selbstverwaltung ebenfalls Kçrperschaften des çffentlichen Rechts sind und verpflichtende Berufsordnungen fr zugelassene rzte und psychologische Psychotherapeuten erlassen. Je nachdem, in welcher Weise ein Therapeut seine Ttigkeit ausbt, unterliegt er also gleichzeitig verschiedenen Regelwerken, deren Inhalte sich teilweise allerdings auch berschneiden. Ethik-Kommissionen, die im çffentlich-rechtlichen Rahmen ttig sind, verfolgen Zielsetzungen vor allem unter juristisch orientierten normativen Aspekten. Die privatrechtlich organisierten wissenschaftlichen Fachverbnde, zu denen auch die Deutsche Psychoanalytische Vereinigung gehçrt, haben eigene Strukturen zur Bearbeitung ethischer Fragen entwikkelt. In der DPV, als einer an Mitgliedern großen Zweiggesellschaft der IPV, findet seit etwa 15 Jahren eine intensive Auseinandersetzung ber ethische Fragen statt, die aus psychoanalytischen Behandlungen entstehen (hierzu Baumann, Christ u. Danckwardt, 1997a). Die Entwicklung von Konzepten und geeigneten Strukturen zur Erfassung und Bearbeitung ethischer Probleme ist inzwischen weitgehend abgeschlossen und wird demnchst auch aufgrund vorliegender Erfahrungen in der Satzung der DPV verankert werden kçnnen. In sie wird auch die Kodifizierung integriert sein, die sich an den Vorgaben der IPV orientiert. Das Gesamtkonzept der DPV fr die Bearbeitung ethischer Probleme unterscheidet sich deutlich gegenber dem Vorgehen der Kommissionen, die im Rahmen der skizzierten anderen Organisationen in Deutschland ttig sind. Entsprechend den oben gemachten berlegungen ist es geprgt von dem Bemhen, in der Auseinandersetzung mit ethischen Fragen originre psychoanalytische Perspektiven zu erhalten. Die Konzeption der DPV sieht eine Differenzierung psychoanalytisch geprgter und normativer Zielsetzungen vor, wie ich sie oben beschrieben habe. Das hat zur Einrichtung von zwei Kommissionen gefhrt, von denen die eine als Ermittlungsausschuss seit 1991 im Rahmen der Ausschlussordnung der DPV ttig und bereits in der Satzung der DPV verankert ist. Der Ermittlungsaus-

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schuss arbeitet unter dem Vorsitz eines Juristen mit der Befhigung zum Richteramt mit zwei Psychoanalytikern als Beisitzern. Diese werden fr jeden zur Bearbeitung anstehenden Beschwerdevorgang aus einem Pool von DPV-Mitgliedern benannt, die aus allen DPV-Instituten fr jeweils zwei Jahre von der Mitgliederversammlung gewhlt sind. In der Arbeitsweise des Ermittlungsausschusses steht die Bewertung der Handlung eines Psychoanalytikers unter juristischen Gesichtspunkten im Vordergrund. Der Ermittlungsausschuss wird ttig, wenn die einem Psychoanalytiker zur Last gelegten Vorgnge so gravierend sind, dass sie in der Regel den Ausschluss der DPV rechtfertigen. Meist handelt es sich dabei um sexuelle Grenzberschreitungen, die auch in allen anderen Berufsordnungen Sanktionen nach sich ziehen und die nach der neueren deutschen Gesetzeslage inzwischen auch strafrechtliche Relevanz haben. Die zunchst als Kommission fr Schlichtungsflle (Baumann, Christ u. Danckward, 1997b) bezeichnete zweite Kommission zur Bearbeitung ethischer Fragen arbeitet unabhngig vom Ermittlungsausschuss. Die Verbindung zwischen beiden Einrichtungen geschieht bis jetzt ber den DPV-Vorstand. Diese zweite Kommission wurde eingerichtet, um mit ihr im Rahmen der DPV eine offizielle Mçglichkeit zur Bearbeitung von Beschwerden zu haben, die aller Voraussicht nach keinen Ausschluss eines Mitglieds rechtfertigen werden. Ihren inzwischen entwickelten Zielsetzungen entsprechend hat sie seit 1998 unter der Bezeichnung Ethik/ Schlichtungskommission der DPV erste Erfahrungen gesammelt. Auf der Grundlage der fr die Psychoanalytiker der DPV geltenden ethischen Kodifizierungen werden beide Kommissionen als Vereinsorgane in die Struktur der DPV-Satzung integriert sein (Psychoanalytische Berufsethik der Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung, 9. Entwurf 2006 ). Im Mittelpunkt der nachfolgenden berlegungen wird vor allem die Darstellung der Konzeption dieser zweiten Kommission stehen und es wird ber die bisher mit diesem Instrument und dessen Konzeption gemachten Erfahrungen berichtet werden.

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4.2. Die Methode als Mçglichkeit der Annherung an psychoanalytische Problemsituationen Ethik-Kommissionen reprsentieren in ihrer Funktion die Fachgesellschaften und haben die Aufgabe, Beschwerden entgegenzunehmen und zu bearbeiten. Das Selbstverstndnis als Psychoanalytiker kann allerdings nicht darauf gerichtet sein, Schlichtung zwischen zwei Parteien nach Art einer Mediation anzustreben. Das Anliegen wird vorrangig immer sein, psychoanalytisch etwas von den gescheiterten Prozessen zu verstehen, dieses Verstndnis fr die in den Beschwerdevorgang verwickelten Personen sichtbar werden zu lassen und Vernderung an Einstellungen und Beziehungen dadurch zu ermçglichen. Das gilt auch fr eine derartige Situation, in die gleichzeitig das Erfordernis einer Bewertung unter ethischen Gesichtspunkten integriert ist. Dabei befinden sich die untersuchenden Psychoanalytiker in einer Position, der sie unter drei Aspekten gerecht werden mssen. Sie haben als Ansprechpartner einmal eine Aufgabe im Hinblick auf die Motive, die Bedrfnisse und Erwartungen der Patienten, die eine Beschwerde vorbringen, weiter das Handeln des Analytikers im Dialog mit diesem zum Thema zu machen und schließlich haben sie die ethischen Ansprche ihrer wissenschaftlichen Gesellschaft zu vertreten, in deren Auftrag sie handeln. 4.2.1 Die Vorstellungen, mit denen jemand an eine Ethik-Kommission herantritt, sind in der Regel bestimmt durch den Vorwurf, der behandelnde Psychoanalytiker habe sich so fehlerhaft verhalten, dass der Schritt vor eine Untersuchungskommission gerechtfertigt ist. Es ist offensichtlich, dass diese ehemaligen Patienten nicht irgendeinen Ort suchen, an dem sie sich im persçnlichen Rahmen ußern kçnnen, sondern sie suchen den institutionell legitimierten Ort. In dem Zusammenhang ist es wichtig, davon auszugehen, dass auch Patienten zumindest ein emotional geprgtes Vorverstndnis dafr haben, was einer psychoanalytischen Situation noch angemessen ist und welche Vorgnge diese grundstzlich verndern und damit auch deformieren kçnnen. Dieses Vorver-

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stndnis besteht unabhngig davon, ob dieses Wissen auch kognitiv strukturiert und sprachlich ausgeformt vorgetragen werden kann. Viele dieser Patienten haben außerdem ein Wissen darber, dass Psychoanalytiker eine besondere Art von Ausbildung durchlaufen haben und sich als Mitglieder einer wissenschaftlichen Vereinigung auf der Basis von gemeinsamen Grundberzeugungen befinden. Als Ansprechpartner dieser Patienten werden die in Ethik-Kommissionen ttigen Psychoanalytiker also als Vertreter einer Instanz angesprochen in der Erwartung, dass ihre Fragen als legitim ernst genommen werden und die untersuchenden Psychoanalytiker in fachlich kompetenter Funktion die Position von Dritten einnehmen, die Normen vertreten und in der Konsequenz auch die Macht besitzen dementsprechend zu handeln. Die normative Frage des Patienten, in der ethischen Dimension von richtig oder falsch gestellt, begrndet ein wesentliches Strukturelement der Situation, die sich im Rahmen einer Ethik-Kommission entwickelt. ber den konkreten Inhalt der vorgebrachten Beschwerde hinaus wissen die untersuchenden Psychoanalytiker zunchst nichts ber den Hintergrund der ausgesprochenen Vorwrfe und in welchem inneren Kontext mit der Situation diese entstanden sind. Sie wissen allerdings, dass die Beschwerde unter besonderen Bedingungen entstanden ist. Zum Thema gemacht wird eine psychoanalytische Situation, in welcher der Psychoanalytiker aus der Sicht des Patienten eine offenbar unertrglich gewordene Position eingenommen hat, die den Patienten veranlasst hat, diesen Rahmen zu sprengen. Der Patient hat die Geschlossenheit des ZweiPersonen-Beziehungsraums verlassen und diesem damit zur Untersuchungskommission hin eine triangulre Struktur gegeben. Der Blick der Kommission hat sich also darauf zu richten, ob die subjektiven Wahrnehmungen des Patienten auch aus ihrer Sicht einen Wahrheitsgehalt haben und die Beschwerde als berechtigt erscheinen lassen. Man kçnnte versucht sein, derartige Erwartungen entsprechend unseren eigenen professionellen Vorstellungen unter Begriffen von bertragungsgesichtspunkten einzuordnen. Auch wenn in jeder psychoanalytischen Situation bertragungsGegenbertragungs-Prozesse eine Rolle spielen, ist es aber nicht

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angebracht, im Rahmen der gestellten Aufgabe die vorgetragene Problematik unter diesen Aspekten zu betrachten. Denn dies wrde bedeuten, in dem Anliegen der Patienten von vornherein ein regressiv besetztes innerseelisches Geschehen zu sehen, statt zu wrdigen, dass es sich um den Versuch einer Realittsprfung handelt. Es wrde außerdem zu einer hier nicht angebrachten Identifikation mit dem beschuldigten Psychoanalytiker und dessen Sichtweise fhren und die Unabhngigkeit der untersuchenden Psychoanalytiker im Hinblick auf die Realitt der zur Untersuchung stehenden Vorgnge aus der psychoanalytischen Situation gefhrden. Die Personen, die Beschwerde erheben, kommen von ihrem Selbstverstndnis her nicht als Patienten und das Anliegen, das sie vorbringen, ist von anderer Qualitt. Man hat dieser Tatsache gerecht zu werden. 4.2.2 Andererseits sind psychoanalytische Situationen in spezifischer Weise psychodynamisch aufgeladen und mit unbewussten Phantasien besetzt. Die Differenzierung zwischen innerer und ußerer Wahrheit in der Sicht der beteiligten Personen bedeutet deshalb eine besondere Aufgabe. Man kann davon ausgehen, dass die untersuchenden Psychoanalytiker mit Konflikten konfrontiert sein werden, die Teil eines psychoanalytischen Prozesses sind. In der Funktion von Dritten wird sie das unweigerlich in das Feld des spannungsgeladenen bertragungs-Gegenbertragungs-Geschehens der gescheiterten psychoanalytischen Situation bringen. Sobald eine Beschwerde vor die Ethik-Kommission gelangt, wird diese der Ort (unabhngig davon, ob dies auch konkret der Fall sein wird), an dem sich die beiden Personen wiederbegegnen, nachdem es zur Krise und schließlich zum Bruch gekommen ist. Orientiert man sich an derartigen berlegungen, dann hat das zu einem Untersuchungsweg zu fhren, welcher professionelles Verstehen der untersuchenden Psychoanalytiker ermçglicht. Die aus dem gleichzeitig bestehenden normativen Anspruch resultierende Spannung ist nicht zu umgehen. Wenn man die gegebenen Umstnde beachtet, ist jedoch das Anliegen, einen psychoanalytisch angemessenen Zugang zu den Vorgngen zu finden, die sich als

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Beschwerde eines Patienten manifestieren, vereinbar mit den Fragen, die unter sittlich-normativen Aspekten im Hinblick auf das Handeln des Psychoanalytikers zu klren sind. Unter den Bedingungen eines psychoanalytisch orientierten Fragens wird die Untersuchungssituation einen dynamischen Charakter bekommen, und beide Personen werden auf eine sehr persçnliche Weise sichtbar werden. Sie erhlt dadurch einerseits die Funktion eines diagnostischen Instruments, durch das in vertiefter Weise die komplexe Konfliktdynamik der psychoanalytischen Situation sichtbar werden kann, die zu der Beschwerde gefhrt hat. Man wird damit außerdem das Anliegen verbinden, dass dieser (Klrungs-)Prozess auch Auswirkungen auf die Beziehung zwischen den Konfliktparteien hat. Es kann allerdings nicht die Zielsetzung sein, ein gewissermaßen therapeutisches Instrument zu entwickeln, weil eine derartigen Vorstellung in Kollision kme mit den Parametern, die in der Aufgabe und Funktion einer derartigen Kommission angelegt sind. Die Untersuchungssituation hat durch klare Grenzen bestimmt zu sein, auch um dem eigenen ethischen Anliegen gerecht zu werden. 4.3. Struktur und Arbeitskonzept der Kommission in der DPV zur Bearbeitung von Patientenbeschwerden Beschrieben wird die Konzeption der Kommission, die seit 1998 in der Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung entwickelt worden ist (Schilling, 2000, 2001 u. 2002). Diese Kommission besteht aus 5 ordentlichen und außerordentlichen Mitgliedern aus verschiedenen DPV-Instituten, die fr 5 beziehungsweise 4 Jahre gewhlt werden. Die Leitungsfunktion wird von einem Mitglied wahrgenommen, das Lehranalytiker ist und in der Gremienarbeit ber Erfahrung verfgt. In begrndeten Einzelfllen werden Kolleginnen oder Kollegen gebeten, kooptiert fr eine begrenzte Zeit in dieser Gruppe mit zu arbeiten. Das Klrungsverfahren gliedert sich in vier Abschnitte: die Vorbereitungsphase, die Gesprchsphase, die Bearbeitungssphase und die Schlussphase. Diese sind durch jeweils unterschiedliche Akzentuierungen bestimmt. Die Konzeption fhrt dazu, dass nicht mit einem starren Zeitentwurf gearbeitet

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wird und die Verfahren in der Regel etwa ein- bis eineinhalb Jahre dauern. a) Die Vorbereitungsphase Meist steht am Beginn eines Verfahrens ein zuvor vereinbartes ausfhrliches telefonisches Vorgesprch mit dem Patienten, der die Beschwerde erhebt. Es dient der ersten Kontaktaufnahme und hat sich als außerordentlich wichtig erwiesen. Es gibt der Person, die sich mit einem Anliegen an die Kommission wendet, die Mçglichkeit einer ersten Schilderung ihrer Situation und stellt ein Kontaktangebot im geschtzten Rahmen dar. Oft finden diese Gesprche zunchst mehr oder weniger anonym statt und werden von dem Mitglied der Kommission, das sich fr das Gesprch zur Verfgung stellt, in einer abstinenten Grundhaltung gefhrt. Diese in die Anfangsphase fallenden Beobachtungen lassen bereits etwas davon ahnen, wie tief betroffen derartige Patienten oft von den Erfahrungen sind, die sie in ihren psychoanalytischen Behandlungen gemacht haben. Nachdem das Kommissionsmitglied sich selbst einen ersten Eindruck ber die Beschwerde machen konnte, werden gegen Ende des ersten Kontaktgesprchs dem Patienten die Modalitten eines Verfahrens vor der Untersuchungskommission kurz erlutert und Antworten gegeben auf Fragen, die sich auf formale Aspekte beziehen. Insbesondere werden Aspekte des Vertrauensschutzes erçrtert und dass dieses Verfahren auf der Grundlage von Freiwilligkeit der beteiligten Personen stattfindet. In diesem Vorgesprch findet noch keine inhaltliche Auseinandersetzung mit der vorgebrachten Problematik statt. Dem Patienten wird mitgeteilt, dass ein Klrungsverfahren nur durchgefhrt werden kann, wenn die Identitt des beschuldigten Psychoanalytikers preisgegeben wird, die erhobenen Vorwrfe schriftlich przisiert werden und der behandelnde Psychoanalytiker durch den Patienten schriftlich von seiner Schweigepflicht der Kommission gegenber entbunden wird. Der Patient wird gebeten und dazu ermuntert, ber die ganze Situation, aus der die Beschwerde entstanden ist, eine anschauliche Schilderung anzufertigen, und er wird darber informiert, dass der beschuldigte Psychoanalytiker aufgefordert werden wird,

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zu diesem Bericht schriftlich Stellung zu beziehen. Es wird daraufhin gewiesen, dass smtliche in dem Zusammenhang entstehenden Schriftstcke den beteiligten Personen zugnglich gemacht werden. Zwischen Vorgesprch und bersendung der erbetenen Unterlagen liegt dann oft ein lngerer Zeitraum, der die großen inneren Schwierigkeiten des Patienten spren lsst, sich endgltig auf den Prozess des Klrungsverfahrens einzulassen. Anderseits wird aber auch deutlich, dass das Schreiben eines Berichts ber die erlebten Vorgnge fr viele Patienten schon eine intensive, strukturierende innere Vorbereitung auf die zu erwartende Auseinandersetzung darstellt. Diese oft sehr ausfhrlichen und differenziert geschriebenen Berichte enthalten eindrucksvolle Darstellungen von Seiten der Patienten ber die in ihren Analysen erlebten Entwicklungen. Sobald diese Unterlagen vorliegen und unter den Kommissionsmitgliedern erçrtert worden sind, wird der beschuldigte Psychoanalytiker ber die erhobene Beschwerde unterrichtet, zur schriftlichen Stellungnahme aufgefordert und um seine Mitwirkung bei der Aufklrung der Vorwrfe gebeten. Auch er wird ber die Modalitten des Verfahrens informiert und dass die Kommission in der Pflicht steht, gegebenenfalls auch ohne seine Beteiligung eine Klrung der erhobenen Vorwrfe zu versuchen. Diese Vorbereitungsphase wird durch die Kommission also bereits sorgfltig strukturiert und gibt den beteiligten Personen ausreichend Raum, sich mit der Situation auseinanderzusetzen. Sie nimmt in der Regel mehrere Monate in Anspruch und wird als Teil eines Geschehens betrachtet, das in psychodynamischer Hinsicht Prozesscharakter entwickeln kann. b) Die Gesprchsphase Nach entsprechender Vorbereitung werden die Gesprche mit den Patienten und ihren Analytikern mit jedem allein (wenn mçglich zeitnah und am gleichen Ort) und in der Regel gemeinsam von einem weiblichen und einem mnnlichen Mitglied der Kommission gefhrt. Das ist geeignet, einen klar strukturierten Rahmen fr die bereit liegenden inneren Vorgnge aus der entgleisten psychoanalytischen Situation zu geben. Der vorgesehene Zeitrahmen fr die Gesprche wird offen gehalten. Diese nehmen im Allgemeinen

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2 bis 3 Stunden in Anspruch. Sie werden von den beiden untersuchenden Psychoanalytikern aus einer Haltung heraus gefhrt, die es ermçglichen kann, dass innere Prozesse sich entfalten. Sie bekommen regelmßig eine starke Dynamik mit entsprechender emotionaler Besetzung. Es ist eine durchgngige Erfahrung, dass durch diese Konzeption in relevanter Weise die Problematik der zur Frage stehenden Situation und die beiden Persçnlichkeiten sichtbar werden und somit der Hintergrund, der zur Beschwerde gefhrt hatte. Diese Gesprche sind einerseits fr die Kommissionsmitglieder unter psychoanalytischen Aspekten diagnostisch sehr aussagekrftig, werden andererseits auch fr die beiden beteiligten Personen durch die Reaktivierung der konflikthaften Prozesse zu einer Mçglichkeit, zumindest in Anstzen zu verstehen, welche Vorgnge zur Ausweglosigkeit und schließlich zum Abbruch der psychoanalytischen Beziehung gefhrt haben. Fr die beiden Kommissionsmitglieder ergibt das gemeinsame Erleben dieser beiden verdichteten Gesprchssituationen die hilfreiche Mçglichkeit, sich danach zeitnah ber die wahrgenommenen Prozesse zu verstndigen und ihre Eindrcke zu strukturieren. c) Die Bearbeitungsphase Die Gesprche werden danach von jedem der beiden Kommissionsmitglieder ausfhrlich dokumentiert. Aufgrund dieser Dokumentationen und der vorliegenden Berichte der Patienten und der beschuldigten Psychoanalytiker erarbeiten sich die anderen Kommissionsmitglieder ihrerseits eigene Stellungnahmen zu der gesamten zur Diskussion stehenden Problematik. Erfahrungsgemß sind sich die so erarbeiteten Stellungnahmen in ihren Ergebnissen sehr hnlich. Auf diese Weise ist dann gegebenenfalls im Rahmen einer Gruppendiskussion, die auch nach Art einer Balintgruppe gefhrt werden kann, die vertiefte abschließende Bewertung der Vorgnge mçglich. d) Die Abschlussphase Aufgrund aller inzwischen vorliegenden Unterlagen formuliert der Vorsitzende der Kommission einen ausfhrlichen Abschlussbericht, dessen Entwurf unter den Kommissionsmitgliedern erçr-

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tert wird. Dieser Bericht wird auch dem in den Fall verwickelten Psychoanalytiker zur Verfgung gestellt mit der Aufforderung, dazu Stellung zu nehmen. Auf dieser Grundlage setzt dann in der Regel eine weitere, oft intensiv und auch kontrovers gefhrte Diskussion mit dem beschuldigten Psychoanalytiker ein, die schriftlich gefhrt wird und gegebenenfalls einen lngeren Zeitraum beansprucht. Der Psychoanalytiker hat die Mçglichkeit, diesem Abschlussbericht seinerseits eine schriftliche Stellungnahme hinzuzufgen. Diese wird dann sichtbar abgegrenzt Teil der Abschlussdokumentation. Wenn die Untersuchung durch die Kommission in ihre Abschlussphase gekommen ist, wird auch der Patient, welcher die Beschwerde erhoben hat, in einer an seiner Individualitt orientierten Weise entsprechend informiert. In der Regel sprechen mit ihm die beiden Kommissionsmitglieder, die er aus dem ausfhrlichen Gesprch bereits kennt. Es ist wichtig, dass diese Patienten auch noch am Ende des Verfahrens das Gefhl erhalten, als ebenbrtige Gesprchspartner ernst genommen zu bleiben und fr offen gebliebene Fragen Ansprechpartner zu finden. Diese Abschlussgesprche mit den Patienten lassen erkennen, dass ein mit ihrer Beteiligung durchgefhrtes Klrungsverfahren wesentlich zur inneren berwindung der Abbruchkrise ihrer missglckten psychoanalytischen Behandlung beitragen kann. Mit der bergabe des Abschlussberichts an den Vorsitzenden der Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung ist die Aufgabe der Ethik-Kommission beendet. Soweit fr den beschuldigten Psychoanalytiker aufgrund seines durch die Untersuchung erkennbar gewordenen Verhaltens Konsequenzen notwendig erscheinen, wird darber in Abstimmung mit dem Vorsitzenden entschieden. Meist handelt es sich um die Aufforderung, sich in geeigneter Weise in eine Supervision zu begeben oder auch um den offiziellen Ratschlag, die eigene Analyse wieder aufzunehmen. Ablehnungen durch den Psychoanalytiker begrnden die Mçglichkeit, Rechte aus seiner Mitgliedschaft auf begrenzte oder auch unbegrenzte Zeit einzuschrnken. Es ist eine wesentliche, auch ethisch begrndete Aufgabe, nach Abschluss des Verfahrens fr die Vernichtung smtlicher (einschließlich der elektronischen) entstandener Dokumente Sorge zu

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tragen. In der DPV wird zur Dokumentation ber den gesamten Vorgang ein Exemplar unter besonderen Schutzbedingungen archiviert.

4.4 Die in der Untersuchungssituation handelnden Personen 4.4.1 Die Patienten und ihr Anliegen Ehemalige Patienten berichten aus ihrer Sicht seit langem in Verçffentlichungen ber die in ihren Behandlungen gemachten Erfahrungen. Sie wendeten sich damit an die ffentlichkeit, in dem Bedrfnis, fr ihr Anliegen ein Forum zu finden. Es sollen hier nur einige der Texte stellvertretend fr viele genannt werden: – Margarete Akoluth: Unordnung und sptes Leid. Bericht ber den Versuch, eine misslungene Analyse zu bewltigen. – Annelie Dott: Was mir Therapeuten schuldig blieben. – Dçrte von Drigalski: Blumen auf Granit. Eine Irr- und Lehrfahrt durch die deutsche Psychoanalyse. – Christa Gerhardt: Risiko Psychoanalyse. Erfahrungsbericht einer Patientin. – Helmut Kaiser: Grenzverletzung. Macht und Missbrauch in meiner psychoanalytischen Ausbildung. Bis jetzt liegen leider keine Untersuchungen von Psychoanalytikern zu diesen Erfahrungsberichten vor und die Bereitschaft, sich damit auseinanderzusetzen, hielt sich in Grenzen. Das mag sich ndern in dem Maße, in dem die durch unsere Institutionen beauftragten Kommissionen sich mit derartigen Themen zu beschftigen haben. Denn die Berichte ehemaliger Patienten, die entstanden, bevor es im institutionellen Rahmen die Mçglichkeit gab, Probleme aus Behandlungen vorzutragen und aus der Sicht von Patienten zu dokumentieren, lassen erkennen, dass die dort aufgeworfenen Fragen denen entsprechen, die jetzt bekannt werden. Es gibt kaum eine berichtete Situation, in der die Beschwerde ehemaliger Patienten als nicht gerechtfertigt htte zurckgewiesen werden mssen. Beschwerden werden nicht leichtfertig oder einfach aus Rachegefhlen im Zusammenhang mit nicht bewltigten

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Frustrationen vorgetragen. Der klare, institutionelle Rahmen scheint zu gewhrleisten, dass fast nur realittsgerechte Beschwerden vorgebracht werden. Sie bieten infolgedessen Anlass, sich eingehend mit den Hintergrnden der in den Analysen entstandenen Situationen zu beschftigen, die in der Regel unter dramatischen Umstnden im Abbruch geendet hatten. Die beschuldigten Analytiker sind dabei in ihrem professionellen Verhalten meist in recht problematischer Weise in Erscheinung getreten und tragen offenkundig ein hohes Maß an Verantwortung dafr, dass Behandlungen in einer oft tragisch anmutenden Weise endeten und Patienten tief verstçrt, gedemtigt und verletzt zurckblieben. Oft waren sie auch deshalb erst lngere Zeit danach bereit oder dazu in der Lage, ihre Erlebnisse vor eine Kommission zu tragen. Berichtet wird auch immer wieder von traumatisierenden Erfahrungen bei den verschiedenen Versuchen, Hilfe von dritter Seite zu erlangen. Die Diskrepanz zwischen der großen Zahl von Personen, die es bei einem »zçgernden Anklopfen« bei der Kommission belassen, und denen, die sich in den eigentlichen Klrungsprozess hineinwagen, ist sehr auffallend. Es gelingt bei weitem nicht in allen Fllen, in denen ein erster Schritt in Richtung auf die Kommission hin gewagt wird, ein Klrungsverfahren in die Wege zu leiten. Manche dieser Menschen berwinden offenbar die Angst nicht, in der Begegnung mit den untersuchenden Psychoanalytikern nicht doch wieder in eine hnliche Situation zu geraten wie die, die sie mit ihren behandelnden Psychoanalytikern erlebt haben. Oft ist auch die nochmalige Auseinandersetzung mit der durchlebten Situation im Rahmen einer Untersuchung zumindest zunchst mit großer emotionaler Anstrengung verbunden, und nicht jeder Patient kann sich letztendlich noch einmal darauf einlassen. Dies sind Hinweise auf die psychische Verfassung, in der viele dieser Patienten sich befinden, wenn sie sich an eine Kommission wenden. Sie kommen aller Erfahrung nach unter einem unverndert anhaltenden starken affektiven Druck aus ihren Behandlungssituationen. Sie haben oft ein schweres Schuldgefhl ihrem ehemaligen Analytiker gegenber, so als ob sie einen Geheimnisverrat begehen wrden. Sie frchten seine Macht und ußern die Angst, dass ihr Vorgehen ihnen auch nachtrglich noch zum Scha-

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den gereichen kçnnte. Je tiefgreifender und bedrohlicher die Krise ist, in die eine psychoanalytische Situation geriet, umso schwieriger scheint es fr den Patienten zu sein, die eigenen inneren ngste und Skrupel zu berwinden und sich der Situation im Klrungsverfahren noch einmal zu nhern. Die erneute konkrete Begegnung mit dem Analytiker wurde immer abgelehnt. Sie sollte in der Regel durch die untersuchenden Psychoanalytiker der EthikKommission auch nicht angestrebt werden. Es ist eine bemerkenswerte Tatsache, dass sich die Erfahrungen von Patienten, die Beschwerde erheben, hufig sehr hnlich sind und diese hnlichkeit bisweilen bis in die Gleichartigkeit ihrer Formulierungen reicht. Es werden in bestimmter Weise geprgte negative Entwicklungen psychoanalytischer Begegnungen geschildert. Nicht jede psychoanalytische Behandlung, die im Hinblick auf die ursprnglichen Erwartungen eines Patienten enttuschend endet, ist mit einem schweren Vorwurfsgefhl dem Psychoanalytiker gegenber verbunden. Viele Patienten kçnnen offensichtlich spren, ob die inneren Lebensbedingungen, unter denen sie zu leben haben, so sind, dass auch ein Psychoanalytiker ihnen nicht zu helfen vermag. Diese Menschen allerdings, die Beschwerde-Instanzen aufsuchen, stecken in einem Vorwurfsgefhl, welches sich auf das Verhalten und die Einstellung des Psychoanalytikers ihnen gegenber bezieht und ihr inneres Gleichgewicht oft sehr ernsthaft bedroht. Sie machen also von vornherein zentrale Aspekte der psychoanalytischen Beziehung zum Thema und verbinden diese mit Fragen im Hinblick auf richtiges oder falsches und damit schdigendes Verhalten des Psychoanalytikers. Obwohl sie mit einem normativ bestimmten Anliegen kommen, erwarten sie dennoch weniger im hierarchischen Sinne eine Instanz. Sie suchen vielmehr ein Forum, das Aussagen darber treffen kann, wie ihre Erlebnisse nach allgemein anerkannten psychoanalytischen Maßstben einzuordnen sind. Die ursprngliche Erwartung dieser Patienten an ihre Psychoanalytiker und deren Arbeit mit ihnen auf der Grundlage der psychoanalytischen Methode ist ins Wanken geraten und schwerem Zweifel und Enttuschung gewichen. Zu einer Kommission kommen sie dann mit dem drngenden Gefhl, Erfahrungen ausgesetzt gewesen zu sein,

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die eigentlich nicht htten geschehen drfen. Diese Patienten haben Vorstellungen, die aus eigenen Wertsystemen resultieren, mit denen sie die in ihren Behandlungen gemachten Erfahrungen vergleichen. Wenn sie sich an eine Instanz wenden, dann haben sie bereits eine Metaposition eingenommen, aus der heraus sie ihre Erfahrungen eingeordnet haben. Nach ihrem Gefhl sind in ihrer Behandlung psychoanalytische Gesetze verletzt worden. Darauf und in Bezug auf die Realitt, wie sie das Verhalten ihres ehemaligen Psychoanalytikers wahrgenommen haben, erwarten sie von der Institution eine Antwort. Sie ußern im allgemeinen kein Rache- oder Strafbedrfnis, aber sie fragen nach mçglichen Konsequenzen fr den Psychoanalytiker im Zusammenhang mit dessen Regelverletzungen. Auch wenn der Patient das Verhalten seines Psychoanalytikers zum Thema macht, meint er damit implizit also immer auch den Rahmen und die grundlegenden Regeln der psychoanalytischen Situation, in die er sich mit seinem Therapeuten einmal begeben hat. Mit der Frage, inwieweit der Psychoanalytiker eigentlich seinem eigenen Anspruch in Bezug auf sein psychoanalytisches Handeln gerecht geworden ist, wirft der Patient die ethische Frage auf. Dem entspricht die durchgngige Erfahrung, dass von diesen Patienten keine Schlichtung im blichen Sinne gewollt und gesucht wird. Es geht ihnen also nicht um die Moderation oder die Mediation eines Konflikts – ihre Position entspricht hier der Haltung, die wir als Psychoanalytiker im Hinblick auf unsere Aufgabe einzunehmen versuchen. Es gibt vor allem ein sehr starkes Interesse daran, dass es zu einem Gesprch zwischen ihrem ehemaligen Analytiker und seinen Kollegen kommt, die damit beauftragt sind, die Beschwerde zu bearbeiten. Anliegen dieser Patienten ist also offenkundig, dass die Erçrterung der ethischen Frage ihren angemessenen Raum findet und damit der bedrohlich gewordenen Realittsverzerrung durch die bertragungsbindung begegnet wird. Es bedeutet fr diese Patienten in der Regel eine außerordentliche Entlastung, wenn sie erfahren, dass ihre Wahrnehmungen nicht lediglich als subjektiv geprgte Verzerrungen aus ihrer persçnlichen Verfassung angesehen werden und die Berechtigung ihres Schritts vor die Kommission nicht in Frage gestellt wird. Der

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Dialog im neutralen Rahmen dieser Instanz ist fr viele ehemalige Patienten eine Mçglichkeit, sich die verloren gegangene Differenzierung zwischen den eigenen Gefhlen und denen des Analytikers wieder zu erarbeiten. Wenn sie Sicherheit darber gewinnen, dass die untersuchenden Psychoanalytiker sich selbst an den normativen Maßstben orientieren, die in der psychoanalytischen Wissenschaft begrndet sind und auch das Handeln des Psychoanalytikers umfassen, entsteht das Vertrauen, dass der Dialog mit dem beschuldigten Psychoanalytiker in einer Weise verluft, die ihrem eigentlichen Anliegen entspricht. Fr die ehemaligen Patienten ist dabei wesentlich, dass sie durch die Kommission in geeigneter Weise eine Besttigung fr ihr Gefhl erfahren, dass etwas mit ihnen geschehen ist, was nicht richtig war, sofern auch die untersuchenden Psychoanalytiker der Kommission diese berzeugung im Laufe eines Verfahrens gewonnen haben. Unter dieser Voraussetzung ist es dann auch durchaus mçglich, mit ihnen selbst in einen differenzierten Dialog zu treten, in dessen Verlauf sie ihre eigenen Positionen reflektieren kçnnen. Fr die Patienten ist also der Schritt vor die Kommission eine wichtige Mçglichkeit, um ber den Klrungsprozess vor einer Instanz aus dem Gefhl, der Deutungsallmacht ihres Analytikers hilflos ausgeliefert zu sein, wieder herauszufinden. Auch wenn die reale Wiederbegegnung mit dem Analytiker unertrglich erschien und durchwegs kategorisch abgelehnt wurde, war es offenkundig, dass fr die Patienten die Mçglichkeit eines Klrungsverfahrens vor einer Kommission verbunden war mit der unausgesprochenen Hoffnung, auf diesem indirekten Weg den Analytiker doch noch zu erreichen und ein Signal der Einsicht und des Entgegenkommens von seiner Seite zu bekommen. Das Klrungsverfahren vor der Kommission kann also auch eine Funktion gewinnen im Hinblick auf den beschdigten symbolischen Raum der analytischen Situation. Der Analytiker, der sich dazu durchringt, neben seinem ehemaligen Patienten in den Klrungsprozess mit einzutreten, kann dadurch eine wichtige Aufgabe wahrnehmen. Es ist fr Patienten offensichtlich wichtig zu wissen, dass ihre ehemaligen Analytiker berhaupt bereit sind, sich auf ein Gesprch einzulassen, und es ist ihnen weniger wichtig zu erfahren, was der Inhalt

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der Gesprche mit den Kommissionsmitgliedern ist. Eine Ablehnung der Analytiker, sich an dem Klrungsverfahren vor der Kommission zu beteiligen, wird andererseits erneut als Zurckweisung erlebt und ist gleichbedeutend mit der Besttigung einer endgltigen Zerstçrung der psychoanalytischen Situation durch den Psychoanalytiker. 4.4.2 Der beschuldigte Psychoanalytiker und die Psychoanalytiker der Kommission Die Position des beschuldigten Psychoanalytikers der Kommission gegenber wird von vornherein ebenfalls durch die normative Frage bestimmt. Er gert durch die Patientenbeschwerde seinen Fachkollegen gegenber in eine schwierige Situation. Er muss sich darber mit den fr die Kommission handelnden Kollegen auseinandersetzen. Die dadurch zustande gekommene Verbindung mit der Kommission entspricht primr nicht seinem Anliegen, weil das bisherige kollegiale Verhltnis eine Vernderung erfhrt. Durch die Bekanntgabe der Beschuldigungen seines Patienten ist er gefordert, eine Position in dem Feld einzunehmen, das die Ethik-Kommission reprsentiert. Er muss die Entscheidung treffen, in welcher Weise er sich mit dem Problem auseinandersetzt und ob er berhaupt bereit ist, Stellung zu beziehen. Die Kompetenz, die der Patient bei der Kommission sucht, mag er mçglicherweise in Frage stellen, Misstrauen entwickeln oder die Erwartung haben, Vorwrfen von Seiten seiner Kollegen zu begegnen. Unabhngig von der Entscheidung des beschuldigten Kollegen, mçglicherweise seine Mitarbeit bei der Aufklrung der Vorwrfe abzulehnen, sind die Mitglieder der Kommission sowohl im Hinblick auf ihre Verantwortung dem Beschwerde fhrenden Patienten gegenber als auch im Hinblick auf die ihnen von ihrer Organisation bertragenen Aufgabe gefordert, die bestmçgliche Klrung anzustreben und eine Untersuchung durchzufhren. Fr den beschuldigten Psychoanalytiker tritt oft die Frage in den Hintergrund, welche auch mit seiner Person und seinem Handeln verbundenen Grnde zu der in der Analyse entstandenen Krise gefhrt haben und dass es zunchst darum geht, diese transparent zu machen. Die Widerstnde auf der Seite der Analytiker,

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sich auf einen Klrungsprozess einzulassen, wie ihn das beschriebene Verfahren ermçglichen kann, sind vor dem Hintergrund gescheiterter und mit Vorwrfen verbundener Behandlungssituationen oft sehr groß. Es scheint, als ob die Konfrontation mit der Bedrohung der Grenzen der eigenen Person, und damit auch der eigenen Identitt, durch die affektive Verwicklung als sehr gefhrlich erlebt wird und außerdem auch mit großer Scham besetzt ist. Es ist nicht angemessen, sich mit diesen Kollegen auf der sonst blichen Ebene zu treffen, auf der man ber einen schwierigen Fall zu diskutieren pflegt. Darauf einzugehen, wrde das eigentliche Anliegen der Beschwerde fhrenden Patienten obsolet machen und ihre allgemeinen Befrchtungen Psychoanalytikern gegenber besttigen. Eine Fragestellung, die in erster Linie die in der Person des Patienten liegenden Schwierigkeiten in den Vordergrund rckt, entspricht nicht den Positionen der beiden Personen im Hinblick auf ihre Situation vor der Ethik-Kommission. Ohne Zweifel wird ein Gesprch mit einem beschuldigten Kollegen anders verlaufen als mit einem Beschwerde fhrenden Patienten. Fr die Kommission wird es vor allem darum gehen, eine Position einzunehmen und diese dem beschuldigten Psychoanalytiker auch zu vermitteln, welche die Gleichrangigkeit der Personen, mit deren Situation sie sich zu befassen hat, in ihrer Verschiedenartigkeit deutlich werden lsst. Um so wichtiger wird es sein, die psychoanalytische Situation als Ganzes in den Mittelpunkt der Betrachtung zu stellen. Es ist dabei eine ethische Aufgabe der Psychoanalytiker, die in diesen Kommissionen ttig sind, zu versuchen, ihren Kollegen das Gefhl zu vermitteln, dass es nicht um moralische Verurteilungen, sondern um die Annherung an ein Dilemma und seine differenzierte Abklrung geht und darum, dass dafr ein angemessener Gesprchsraum angeboten wird. Nur dieser Rahmen ist einerseits mit der kollegialen Beziehungsebene kompatibel und ermçglicht gleichzeitig den kritischen Dialog. Die Beschwerde des Patienten hat also sichtbar zu werden vor dem Hintergrund der gemeinsamen psychoanalytischen und ethischen berzeugungen, die als Basis Psychoanalytiker miteinander verbinden mssen. Nur diese Zielsetzung als Referenzebene wird die Voraussetzung fr eine

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mçgliche Verstndigung mit dem Psychoanalytiker ber sein eigenes Handeln bieten. Wenn es gelingt, den Verstndnishorizont darauf zu richten und mit der Frage nach dem Schicksal des entgleisten psychoanalytischen Prozesses zu verbinden, schafft das die Voraussetzung, Verantwortungsbereiche sichtbar und in ihren Grenzen transparent werden zu lassen. Ob sich aufgrund der klrenden Gesprche mit einem Beschwerde fhrenden Patienten und seinem Psychoanalytiker vor der Kommission die Mçglichkeit erçffnet, dass der entgleiste psychoanalytische Prozess noch einmal aufgenommen werden kann, muss jeweils eine offene Frage bleiben. Konkrete Erfahrungen liegen mir selbst nicht vor. Das Arbeitsverstndnis der Kommission sollte aber nicht mit einer derartigen Zielsetzung verbunden sein. Im brigen kann nach bisheriger Erfahrung vor allem der Trennungsprozess nach einer gescheiterten Analyse erleichtert werden.

4.5 Psychoanalytische Situationen in der Sackgasse, ethische berlegungen im Hinblick auf gescheiterte psychoanalytische Situationen Die nachfolgenden Schilderungen beruhen auf Erfahrungen aus der Arbeit der Kommission, die in der DPV zur Bearbeitung von Patientenbeschwerden eingerichtet worden ist (Schilling, 2002). Weitgehend entsprechen die hier beschriebenen Vorgnge denen, die auch in den USA zur Untersuchung gelangt sind (Gabbard u. Lester, 1995; Gabbard, 1997; Gabbard u. Peltz 2001; Gabbard in diesem Band). Es liegen also weltweit inzwischen differenzierte Einblicke vor in die Probleme, die im Verlauf von psychoanalytischen Behandlungen entstehen und als ethische Frage vor eine Instanz gelangen kçnnen. Letzten Endes stammen alle Vorgnge, die inzwischen untersucht werden konnten, aus Grenzverletzungen, die zu Entwicklungen in psychoanalytischen Situationen gefhrt haben, die in Deformation endeten. Dadurch wurde in der Behandlungssituation der symbolisierende Raum außer Kraft gesetzt, und es war keine wirkliche psychoanalytische Arbeit mehr an der inneren Welt des Patienten mçglich. Die geschilderten

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Vorgnge reichen vom grob aufflligen Verhalten des Analytikers, der elementare Regeln des Settings nicht einhielt, grundlegende Erfordernisse der Abstinenz verletzte und zur aktiv handelnden Person wurde, bis hin zu Verhaltensweisen, in denen auf subtilere Weise der eigene persçnliche Lebensbereich von dem des Patienten nicht oder nicht (mehr) ausreichend getrennt wurde. Dabei mag im einen Fall ber aggressiv geprgte Haltungen auf eher verbale Weise Macht eingesetzt, im anderen Fall mehr libidinçsen Bedrfnissen nachgegeben worden sein oder auch ein narzisstisch geprgtes Streben nach Selbstbesttigung dominiert und die analytische Situation besetzt haben. In jedem Fall wurden durch das Verhalten des Psychoanalytikers die eigentlichen Anliegen der Patienten missachtet. Oft wurde auch die Integritt und die Wrde dieser Patienten verletzt und ihr Selbstwertgefhl in gefhrlicher Weise destruiert. Unter klinischen Gesichtspunkten lassen sich die geschilderten Situationen in zwei großen Gruppen klassifizieren. Einmal geht es um Situationen, in denen manifest als Handlungen des Analytikers in Erscheinung tretende Vorgnge auffallen und die Dynamik prgen. Zum anderen handelt es sich um Vorgnge, in denen die affektiv besetzten Interaktionsprozesse und die Einflussnahmen des Psychoanalytikers sich in einer sublimeren und vor allem verbal bestimmten Weise ereignen. Bei den die erste Gruppe bestimmenden Ereignissen handelt es sich einmal um sexuelle, konkret die Grenzen der psychoanalytischen Situation verletzende Verhaltensweisen, die als sexueller Missbrauch zu bewerten sind. In geringerem Maße geht es auch um Verhaltensformen, die als aggressiv grenzberschreitend bezeichnet werden mssen. Bei diesen sich als Handlungen manifestierenden Vorgngen scheint die Persçnlichkeit des Psychoanalytikers von vornherein eine entscheidende Rolle zu spielen. Stçrungen des analytischen Prozesses, die als Symptome vor allem in der Qualitt von konkreten Handlungen sichtbar werden, sind sicher ein unbersehbares Indiz dafr, dass die psychoanalytische Beziehung tief gestçrt oder sogar zerstçrt ist und der Analytiker selbst die Fhigkeit verloren hat, seine eigenen und die Grenzen seines Patienten im analytischen Prozess zu beachten. Er ist nicht oder nicht mehr in der Lage, sei-

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ne eigentlichen psychoanalytischen Funktionen wahrzunehmen. Man kann dann mit hoher Wahrscheinlichkeit daraus schließen, dass die Haltung des Analytikers und seine daraus resultierenden Verhaltensweisen nicht den Standards entsprechen, die wir fr die Qualitt der analytischen Arbeit erwarten mssen. Wenn Vorgnge dieser Art bekannt werden, dann werden sie in der Regel ein Verfahren im Rahmen der Ausschlussordnung der DPV nach sich ziehen und eine Angelegenheit des Ermittlungsausschusses werden. Das muss nicht immer zwingend zum Ausschluss fhren, wird allerdings einschneidende Sanktionen zur Folge haben, die weiter gehen als diejenigen, welche aus den Klrungsverfahren im Rahmen der genannten zweiten (Ethik-)Kommission resultieren kçnnen. Das Auftreten konkreter Vorgnge ermçglicht es, unmittelbarer zu einer Bewertung vorgetragener Beschwerden im Hinblick auf die Deformation der dahinter stehenden Situation zu kommen, als dies der Fall ist, wenn die geschilderten Vorgnge sich vorwiegend im subtileren Beziehungsraum einer psychoanalytischen Situation abspielen. In vielen Fllen haben Vorgnge mit Handlungscharakter also eine deutlicher fassbare destruktive Wirkung auf die psychoanalytische Situation als Prozesse, die den Beziehungsraum noch irgendwie intakt lassen. Letztere sind Situationen, in denen Beschwerden eher aus dem Kommunikationsgeschehen heraus entstehen und emotionale Prozesse ber das Medium der Sprache ihre Wirkung entfaltet haben. Vor allem sie gelangen in den Aufgabenbereich einer Ethik-Kommission. Man sollte allerdings nicht von vornherein davon ausgehen, dass sich aus dem Fehlen von massiven Handlungsvorgngen eine geringere destruktive Auswirkung auf eine analytische Situation ableiten ließe. Diese Auswirkungen zeigen vielmehr andere Ausdrucksformen, die vor allem die Formen der Interaktionsprozesse prgen. Problematische Verhaltensweisen des Analytikers von diskreterer Art kçnnen in ihren Auswirkungen also ebenfalls sehr schwerwiegend sein, die analytische Situation deformieren und zu tiefgehenden seelischen Beschdigungen des Patienten fhren. Oft sind bereits kollusive bertragungs- Gegenbertragungs-Prozesse von hoher destruktiver Valenz nachweisbar, bevor sie zu konkreten Hand-

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lungen gefhrt haben. Ein eindrucksvolles Beispiel einer derartigen Entwicklung eines psychoanalytischen Prozesses, in dessen Verlauf die Persçnlichkeit des Psychoanalytikers in einen verhngnisvollen destruktiven Sog geriet, beschreibt Gabbard in seinem Bericht ber »Misslungene psychoanalytische Behandlungen suizidaler Patienten« (vgl. den Beitrag in diesem Band). Zwar mag es zunchst leichter sein, nach der Psychopathologie des Analytikers zu fragen, wenn dieser sich in massiver Weise seinem Patienten gegenber als handelnde Person verhlt, offenkundig grenzverletzend seine Abstinenz verliert und damit die psychoanalytische Situation zerstçrt. Gerade die Bearbeitung von Beschwerden mit Hilfe des oben beschriebenen methodischen Vorgehens im Rahmen einer Ethik-Kommission lsst demgegenber in einer oft tiefergehenden Weise weniger grob auffallende Einstellungen und Verhaltensweisen des Analytikers sichtbar werden. Sie ermçglicht es, auch den Hintergrund von Vorgngen, die von den Patienten zunchst nur als eher diffuse Beschwerden geußert werden kçnnen, in einer vertieften Weise transparent werden zu lassen. Wie bereits oben beschrieben, ist das besonders wichtig und hilfreich fr Patienten, die ihre Wahrnehmungen und die Erfahrung aus tatschlich erlebten Situationen nach außen, Dritten gegenber nur sehr schwer vermitteln kçnnen und fr die das damit verbundene Ohnmachtsgefhl oft besonders bedrohlich ist. Dieses Gefhl entsteht nicht zuletzt auch dann, wenn die inneren Grenzen in den analytischen Situationen sich auflçsen und Patienten in der Evidenz ihrer Wahrnehmungen im Hinblick auf die Realitt der Situation und der Person des Psychoanalytikers verunsichert und verstçrt werden. In der Funktion einer Ethik-Kommission, aufgrund der Kompetenz ihrer Mitglieder und im Rahmen einer sorgfltigen, psychoanalytisch fundierten berprfung der vorgetragenen Beschwerden eine klare dritte Position einzunehmen, liegt eine wesentliche Voraussetzung, um zur Klrung beitragen zu kçnnen. Der Dialog im neutralen Rahmen dieser Instanz ist sowohl fr ehemalige Patienten eine Mçglichkeit, sich von den Erfahrungen zu lçsen, die sie machen mussten und gegebenenfalls auch Fragen zu entwickeln, die es ihnen ermçglichen, zu einem neuen Ver-

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stndnis der erlebten Krise zu gelangen. Es gibt aber auch dem beschuldigten Psychoanalytiker eine Chance, aus der Verwicklung herauszufinden und wieder zu psychoanalytischer Nachdenklichkeit zu gelangen. Fr die Psychoanalytiker, die als Mitglieder einer Ethik-Kommission ttig sind, ist es dabei außerordentlich wichtig, dass sie ihren eigenen klaren Standpunkt nach allen Seiten vertreten und damit den von ihnen erwarteten ethischen Standort sichtbar werden lassen.

5. Zusammenfassende berlegungen Die Ttigkeit von Psychoanalytikern in der psychoanalytischen Situation enthlt ethische Aspekte und stellt diese in den grçßeren Rahmen sittlicher Bedingungen kommunikativen Handelns. Das Einbeziehen ethischer Gesichtspunkte ist eine der zentralen Voraussetzungen, die gutes psychoanalytisches Arbeiten berhaupt erst ermçglichen. Es ist vor allem die sich daraus ergebende und in der Person des Psychoanalytikers verinnerlichte ethische Haltung, die das Geschehen im psychoanalytischen Prozess bestimmt. Denn ihre Frbung im Sinne eines Hintergrundgeschehens hat wesentlichen Einfluss auf die interpersonalen Vorgnge in der psychoanalytischen Situation. Psychoanalytiker haben sich infolgedessen ber das durch ihre Methoden bestimmte Vorgehen und dessen Konsequenzen bewusst zu sein, fr Fragen nach dessen ethischer Angemessenheit offen zu bleiben und sich darber untereinander zu verstndigen. Der Diskurs hat dabei immer auch die Position und die Person des Patienten mit einzubeziehen. Die im Rahmen dieser Untersuchung gemachten berlegungen versuchen, psychoanalytisches Denken ber Ethik als Teil eines allgemeinen Denkens ber Ethik zu verstehen und eine Verbindung herzustellen zwischen dem Handeln des einzelnen Psychoanalytikers und seiner als Institution verfassten Gruppe, mit deren berzeugungen er verbunden ist. Das Verhltnis der Gruppe zum einzelnen Mitglied setzt in deren Denken dabei selbst ethische Kategorien voraus, die als Maximen auch das Handeln im Auftrag der Institution zu bestimmen haben. Basierend auf dieser Voraus-

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setzung lassen sich innerhalb von Institutionen Strukturen entwickeln, die es ermçglichen, fr die Einhaltung ethischer Standards Verantwortung zu bernehmen. Indem die Institutionen also Mçglichkeiten schaffen, ethische Probleme zu bearbeiten, handeln sie verantwortlich sowohl in Bezug auf die Person des Patienten, die mit der Gruppe verbundenen Psychoanalytiker, aber auch als Teil des gesellschaftlichen Umfeldes, das den Lebensraum aller Beteiligten darstellt. Die Qualitt der fr die Bearbeitung ethischer Fragen geschaffenen Einrichtungen und deren Zielsetzung hat den besonderen Bedingungen zu entsprechen, die mit psychoanalytischem Handeln verbunden sind. Dazu gehçrt, dass das Vorgehen bei der Bearbeitung ethischer Probleme mit dem psychoanalytischen Denken kompatibel sein muss. Das fhrt dazu, dass in der Regel normative Fragestellungen sich weniger im rechtlich definierten Bewertungsraum, sondern vor allem im Bereich sittlicher Konventionen bewegen werden. Diese lassen mehr Mçglichkeiten und mehr Freiheit in der Bewertung zu, als es in juristisch zu definierenden Fragestellungen der Fall ist. Sie lassen sich aber vor allem auch verbinden mit dem Anliegen, ber Einsicht zur Lçsung von Problemen beizutragen, die sowohl einem Beschwerde erhebenden Patienten gerecht werden als auch dem Psychoanalytiker die Mçglichkeit lassen, selbstkritisch sein eigenes Handeln zu reflektieren und sich die durch eigenverantwortliches Handeln bestimmte Freiheit zu erhalten. Im psychoanalytischen Handlungsraum wird es immer vorrangiges Anliegen bleiben, ethische Bewertungen ber die Orientierung an der Dimension des Sittlichen zu ermçglichen.

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Editorische Vorbemerkung zu Anne-Marie Sandlers Beitrag »Reaktionen der psychoanalytischen Institutionen auf Grenzverletzungen – Masud Khan und Winnicott«1 Die psychoanalytische Gemeinschaft war vor drei Jahren2 erschttert, als ein fesselnder Beitrag von Wynne Godleys schdlicher Analyse bei Masud Khan im »London Review of Books«3 verçffentlicht wurde. Obwohl es vier Jahrzehnte zurcklag, hatte Godleys lebendige und detaillierte Schilderung eine Unmittelbarkeit, die all den Schmerz und die Erniedrigung eines Traumas vermittelte, wie wenn es gestern passiert wre. Er beschrieb eine alarmierende Reihe von Grenzverletzungen, die mit der ersten Stunde begannen, was den Leser fassungslos machte. Alle, die diesen tief erschtternden Essay lasen, waren ernstlich besorgt ber die Verletzlichkeit analytischer Patienten im Hinblick auf die Ausbeutung durch korrupte oder schwer gestçrte Analytiker. Die Britische Psychoanalytische Vereinigung war tiefgehend verstçrt, dass diese enorme Entstellung einer psychoanalytischen Behandlung vor ihrer Nase hatte passieren kçnnen. Donald Campbell, der zum Zeitpunkt des Erscheinens von Goodleys Beitrag Prsident der Britischen Vereinigung war, richtete eine Kommission ein zur Nachforschung ber Khans Ausbildung und Vorrckung innerhalb des Britischen Instituts und der Vereinigung. Anne-Marie Sandler leitete als Vorsitzende des Ethik- Komitees der Vereinigung diese Untersuchung. Sandler meinte, dass es 1 Originalfassung: The International Journal of Psychoanalysis, Vol. 85, February 2004, Part 1; 1–2 und 27–44. 2 2004 lag der Vorfall drei Jahre zurck. 3 Godley, W. (2001). Saving Masud Khan. The London Review of Books, 22. February: 3–7.

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wichtig wre, die Ergebnisse dieser Untersuchung zu verçffentlichen, und sie tat das, indem sie einen Bericht an das »International Journal of Psychoanalysis« schickte, wo ihre Arbeit wie blich dem Pier-Review-Prozess unterzogen wurde. Ihr Bericht dieser Untersuchung erscheint in dieser Ausgabe des Journal. Ihr Beitrag wirft unabweisbare Fragen ber institutionelle Barrieren auf, die es erschweren drften, dass Fehlschlge psychoanalytischer Behandlungen denjenigen zur Kenntnis gebracht werden, die mit der Ausbildung von Psychoanalytikern betraut sind. Die hohe Prioritt der Vertraulichkeit, mit der einige Haarspalterei betreiben, setzt eine grundstzliche Integritt im Charakter des Analytikers voraus. Wir wissen nicht, was innerhalb des analytischen Arbeitszimmers vor sich geht, und wir mssen uns auf das Urteil des Analytikers verlassen und darauf, dass er weiß, wann er oder sie die Beratung eines Kollegen braucht. Sandler bemerkt, dass Gerchte und Tratsch ber Khans Fehlverhalten gegenber einer ganzen Reihe von Patienten in der Britischen Gesellschaft weit verbreitet waren. Wie gehen wir mit Gerchten um, die wir ber Kollegen hçren? Was ist, wenn dieser Tratsch von der Couch kommt? Wir kçnnen gewiss nicht eine Information wiederholen, die wir von Analysepatienten hçren, ohne noch eine andere Grenze zu verletzen, nmlich die der Vertraulichkeit. Godleys Geschichte macht deutlich, dass D. W. Winnicott, der Khan whrend Godleys Behandlung analysierte, von Khans Aktivitten wusste. Sandlers Nachforschung brachte eine Dokumentation zutage, dass Winnicott tatschlich Khan dreimal fr die Position eines Lehranalytikers untersttzt hatte, offensichtlich blind fr seine eigene Kollusion mit Khans Fehlverhalten. Wie kçnnen wir ein solches Verhalten dieser vielbewunderten Figur in der Geschichte der Psychoanalyse verstehen? Mehr noch, was halten wir von einer ganzen Gesellschaft, die von einer solchen Situation wegschaut? (Dieses Problem betrifft keinesfalls ausschließlich die Britische Vereinigung, wie Analytiker anderenorts sehr wohl wissen.) Sandlers nchterner Bericht ist zumindest desillusionierend und zwingt uns dazu, uns mit unserer Fhigkeit zur Selbsttuschung zu konfrontieren. Auf Sandlers Bericht folgt ein kurzer Kommentar von Godley

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Editorische Vorbemerkung zu Anne-Marie Sandlers Beitrag

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selbst. Wir haben diesen Schritt, ein angesehenes Individuum, das unter den Hnden eines ernstlich fehlgehenden Analytikers gelitten hat, zur Diskussion einzuladen, im vollen Bewusstsein getan, wie unblich es ist, in einem analytischen Journal von einem bekmmerten analytischen Patienten zu hçren. Beruflich haben wir wahrscheinlich dem Schaden durch außerordentliche Grenzverletzungen weniger Beachtung geschenkt, als wir es htten tun sollen. Wenn wir Godleys Worten sorgfltig zuhçren, glauben wir, dass er uns etwas zu lehren hat. Unsere Patienten sind oft unsere besten Supervisoren. Sandler macht eine Reihe ntzlicher Vorschlge im Hinblick auf mçgliche vorbeugende Maßnahmen, die meisten davon gehçren in den Bereich der Ausbildung und der administrativen Interventionen. Godley betont, dass die Existenz eines Ethik-Komitees und einer Verfahrensregelung fr Beschwerden nicht ausreichen kçnnten, um mit dem Phnomen von berschreitungen in der analytischen Praxis umzugehen. Er tritt fr ein mehr vorsorgliches Bemhen ein, schon am Beginn bei den Interviews fr die Zulassung zum Institut solche Bewerber herauszufiltern. Mit diesem Vorschlag stellt uns Godley vor eine entmutigende Herausforderung. Wer von uns kann nicht von einem charmanten oder klugen Bewerber, der beim Vorstellungsgesprch eine gefllige Fassade prsentiert, getuscht werden? Zustzlich zu Sandlers Empfehlungen glauben wir auch, dass Analytiker davon profitieren wrden, mehr ber das Funktionieren von Gruppen und Organisationen zu lernen. Gebildete und gutwillige Kollegen verhalten sich in Gruppen anders als im individuellen Setting. Unsere Wahrnehmung als Analytiker beim Verstndnis der dynamischen Vorgnge in sozialen Organisationen, besonders unserer eigenen Institute, lsst eindeutig zu wnschen brig. Die Tatsache, dass Khans Verhalten derartig lang geduldet wurde, legt nahe, dass mchtige Krfte in der Gruppe am Werk waren, die dazu fhrten, dass Analytiker innerhalb der Britischen Vereinigung sahen, was vor sich ging und doch mit einer Lhmung reagierten, bis ihre kollektive Reaktion erzwungen wurde. Der vielleicht bemerkenswerteste Aspekt von Godleys Kommentar ist seine Bereitschaft, nach dem Horror seiner ersten Er-

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fahrung eine zweite Analyse zu beginnen. Er ging aus dieser analytischen Version einer Hçlle mit einem unberhrten Glauben an die Analyse hervor und warnte uns gleichzeitig im Hinblick auf die Anforderung des Berufs, sie mit mehr Vorsicht zu beobachten. Er verdammt weder das gesamte analytische Unterfangen noch stellt er in Abrede, dass ihm auch die Erfahrung mit Khan etwas gebracht haben mag trotz seiner ußersten Destruktivitt. Seine Botschaft lautet, dass Analysepatienten verwundbar sind und missbraucht werden kçnnen; das bedeutet nicht, dass die Psychoanalyse selbst Missbrauch ist. Manche mçgen das Gefhl haben, diese Beitrge im »International Journal of Psychoanalysis« zu verçffentlichen wre gleichbedeutend mit dem Waschen von Schmutzwsche in der ffentlichkeit. Sie kçnnten argumentieren, dass der Analytikerberuf heutzutage angegriffen wird, weshalb sollten wir also unser Image weiter belasten, indem wir in einem Journal Raum geben fr so ein entsetzliches Verhalten eines prominenten Analytikers. Wir sind nicht dieser Meinung. Die Psychoanalyse muss sich von Geheimnistuerei befreien. Viel zu lange haben wir versumt, Rechenschaft abzulegen, indem wir uns hinter institutionellen Strukturen versteckt haben, die Geheimnis, Verdunkelung und Infantilisierung begnstigten. Wir sind davon berzeugt, dass wir, um grçßere Glaubwrdigkeit zu erlangen, Flle von analytischem Fehlverhalten ans Tageslicht bringen mssen, wo sie untersucht und verstanden werden kçnnen. Schließlich ist es eine unserer grundlegenden analytischen Erkenntnisse, dass durch Verstehen Wissen und Bewltigung zu gewinnen ist. Wir mçgen alle wnschen, den Implikationen auszuweichen, die sich aus dem ergeben, was wir von solchen Fllen lernen. Die große Tragik von Godleys Geschichte lsst uns mit einer Traurigkeit tief in unseren Seelen zurck. Dennoch wrden wir uns nur zu unserer eigenen Gefahr von diesen beunruhigenden Erfahrungen abwenden. Wie Lord Byron meinte: Sorge ist Wissen: Diejenigen, die am meisten wissen, mssen am tiefsten trauern ber die fatale Wahrheit, der Baum des Wissens ist nicht der des Lebens. Aus dem Englischen von Sylvia Zwettler-Otte.

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Anne-Marie Sandler

Reaktionen der psychoanalytischen Institutionen auf Grenzverletzungen – Masud Khan und Winnicott1

Vorbemerkung Im letzten Jahrzehnt wurde Grenzberschreitungen in der Psychoanalyse zunehmend Beachtung gewidmet; sie entstand in einem Klima, in dem sich die Bevçlkerung mehr und mehr des Vorkommens und der Konsequenzen von sexuellem Missbrauch und Gewalt bewusst wurde und sich die Klagen von Analysanden ber sexuelle und nichtsexuelle Grenzverletzungen im Lauf der Behandlung huften. Es wurde eine Reihe von formellen und informellen Studien ber das Problem durchgefhrt, und die allgemeine Meinung ist, dass hier manches verschwiegen wird. Ein Bericht ber Grenzverletzungen durch Lehranalytiker und ber die tiefen Erschtterungen in den psychoanalytischen Instituten, in denen es passiert ist, ist mit besonderen Schwierigkeiten verbunden (Gabbard u. Peltz, 2001). Dieser Beitrag ist der Weiterwirkung von Grenzverletzungen ber Generationen und den speziellen Problemen gewidmet, die sich daraus fr die organisierte Psychoanalyse auf jeder Ebene ergeben. Ich versuche, diese Probleme mit Hilfe 1 A.-M. Sandler war von 1998 bis 2003 Vorsitzende des Ethik- Komitees der Britischen Vereinigung und mçchte Patricia Daniel, die von 1998–2001 Sekretrin der Vereinigung war, tiefe Dankbarkeit aussprechen: Ohne die enge Zusammenarbeit mit ihr und ohne ihren unschtzbaren Beitrag htte diese Arbeit nicht geschrieben werden kçnnen. Sandler hielt darber in Wien in der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung am 17.10.2003 einen Vortrag. Die deutsche bersetzung von Sylvia Zwettler-Otte wurde mit ihr durchgearbeitet, und kleine nderungen gegenber dem englischen Original – wie z. B. die Einfgung Winnicotts im Titel – wurden auf ihren Wunsch hin vorgenommen.

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der publizierten Beitrge von Analysen von Masud Khan (Godley, 2001) und Winnicott (Cooper, 1993; Hopkins, 1998; Little, 1990) sowie mit Hilfe eines Essays von Boynton (2002) in der »Boston Review« zu illustrieren. Ich habe mich sowohl auf die Protokolle der Britischen Psychoanalytische Vereinung als auch auf Berichte unserer lteren Mitglieder gesttzt. Es gibt nun wichtige Literatur zum Thema der Grenzverletzungen. Gabbard, einer der fhrenden Forscher auf diesem Gebiet mit zahlreichen Publikationen, berichtet von seiner Erfahrung bei siebzig Fllen. Das Hauptaugenmerk richtete sich auf den Schaden, der Patienten zugefgt wurde, auf die Pathologie ihrer Analytiker und auf die Wirkung in der weiteren ffentlichkeit. Eher weniger wurden der Widerstand und die Schwierigkeit beachtet, welche die analytischen Institute und Vereinigungen damit hatten, die Berichte zu untersuchen und angemessene Konsequenzen zu ziehen, obwohl die Forscher auf diesem Gebiet sie dokumentiert haben (Gabbard u. Peltz, 2001). Unter einem erweiterten Gesichtspunkt haben Gutheil und Gabbard (1998) in den USA fehlerhafte Anwendungen der Theorie ber Grenzberschreitungen im regulren Setting und in klinischen Situationen studiert; sie haben sowohl im Hinblick auf das Gericht als auch auf die klinische Praxis eine berreaktion gefunden, die bei einigen Analytikern zu einer ußerst rigiden und abwehrenden Haltung fhrte. Sie denken, dass eine Korrektur notwendig ist. Epstein (1994) hat vorgeschlagen, dass man sich den analytischen Rahmen als eine Erweiterung der eigenen Ich-Grenzen des Analytikers vorstellen kann, und er betont, dass analytische Grenzen flexibel genug sein mssen, sich manchmal zu çffnen und ein anderes Mal zu schließen, je nachdem, wie es der psychoanalytische Prozess erfordert. »Boundaries and Boundary Violations in Psychoanalysis« (Gabbard u. Lester 1995) ist das derzeitige Standardbuch zu diesem Thema. Darin untersuchen die Autoren das Wesen der Grenzen und Grenzverletzungen, geben einen berblick ber die Geschichte solcher Vorkommnisse in der Entwicklung der Psychoanalyse und untersuchen die komplizierten Motive der Therapeuten, die in die Fnge solcher Grenzverletzungen geraten sind, sowie die Konsequenzen fr die Patienten. Margolis (1997) denkt, dass das

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Schweigen rund um die sexuelle Ausbeutung von Patienten durch Analytiker auf das Entsetzen ber die aktuelle Verletzung des Inzesttabus zurckzufhren ist; er betrachtet das als den psychologischen Kern dieser Grenzverletzungen: Deswegen wehren sich Analytiker dagegen, ein solcher Potential bei sich selbst und bei ihren Kollegen anzuerkennen. 1996 hat das Ausbildungskomitee der Amerikanischen Psychoanalytischen Vereinigung (COPE) eine Studiengruppe ber Grenzverletzungen eingesetzt. Sie publizierte einen Bericht (Gabbard u. Peltz, 2001) ber sexuellen Missbrauch durch Lehranalytiker und machte Vorschlge, wie man mit Fllen von Grenzverletzungen durch Lehranalytiker umgehen kann. Die Arbeitsgruppe hat herausgefunden, dass die Mehrzahl der sexuellen Kontakte zwischen Analytikern und Analysanden nach einer Reihe von nichtsexuellen Grenzverletzungen passierte, die zunehmend schamloser wurden, und sie bemerkten einen außerordentlichen Widerstand innerhalb der Institute selbst, diese berschreitungen zu erkennen. Der Bericht stellte fest, dass auf allen Ebenen der organisierten Psychoanalyse eine Art von Verleugnung und von geheimem Einverstndnis stattfindet. Da diese Arbeit die grundstzliche Sorge ber die Grenzverletzungen von D. W. Winnicott und Masud Khan darstellt, habe ich mich auf Cooper (1993) bezogen, die ber ihre Analyse mit Khan geschrieben hat, im Zusammenhang mit ihrem Buch ber sein Leben und sein Werk, und auf Littles persçnlichen Bericht ber ihre Analyse mit Winnicott (1990). Hopkins (1998) hat eine vorlufige Studie ber Winnicotts Analyse von Masud Khan verçffentlich, die sie fr eine misslungene Objektverwendung (object-usage) hlt. Die Objektverwendung verlangt vom Analytiker, dass er sich mit der Feindseligkeit des Patienten auseinandersetzt und sie berlebt. Nach Hopkins Ansicht schtzte Winnicott seine Analysanden und sich vor seinen eigenen Gefhlen von rger und in seiner spteren Arbeit vor dem inhrenten Hass seiner Deutungen.

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Analytische Grenzen Was eher ein berschreiten der Grenzen als eine Grenzverletzung bedeutet, hngt vom professionellen Verstndnis des analytischen Rahmens ab, der vorgegeben wird, um die optimalen Bedingungen fr analytische Arbeit zu gewhrleisten. Der Rahmen beinhaltet zwei Reihen von Komponenten. Die eine Reihe hat mit dem Setting zu tun: der Raum, die Couch, die festgesetzte Zeit und die Frequenz der Sitzungen, das vereinbarte Honorar und die Bezahlung, die prinzipielle Privatheit und Vertraulichkeit sowie das Fehlen von physischem Kontakt2. Die andere Reihe hat mit der Interaktion zwischen Analytiker und Analysand zu tun, die ganz anders ist als jede andere menschliche Beziehung: das Einverstndnis des Analysanden zu versuchen alles zu sagen, was ihm in den Sinn kommt, und die Bemhung des Analytikers, eine nicht urteilende Haltung beizubehalten, die Anonymitt und die Abstinenz und die Konzentration auf das Verstndnis der Interaktion zwischen Analytiker und Analysand wie zum Beispiel die Deutung unbewusster Prozesse, die auftauchen. Analytische Grenzen definieren die Parameter der Beziehung, so dass beide gleichzeitig sicher und spontan sein kçnnen, aber es ist – wie Gabbard und Lester es beschreiben – »das zentrale Paradoxon der analytischen Situation, dass professionelle Grenzen so aufrechterhalten werden mssen, dass beide Teilnehmer die Freiheit haben, sie in der Phantasie zu berschreiten. Mit anderen Worten, Prozesse wie Empathie und projektive (sowie introjektive) Identifizierungen oszillieren zurck und vor ber die semipermeable Membran, die durch die analytische Dyade hergestellt wird« (1995, S. 42 f.). Mit dem zunehmenden Verstndnis von bertragungs- und Gegenbertragungs-Agieren, besonders bei primitiven seelischen Zustnden und mit dem Erkennen ihrer Ubiquitt, wird es schwierig festzulegen, wann eine Grenzberschreitung zu einer Grenzverletzung wird, obwohl Gutheil und Gabbard (1993) dafr

2 Mit Ausnahme der Lnder, in denen es blich ist, am Beginn und Ende der Stunde die Hand zu geben.

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pldieren, man solle versuchen, relativ harmlose Grenzberschreitungen von ernsten und schdlichen Grenzverletzungen zu unterscheiden. Was klar wird, ist, dass beides – Grenzberschreitungen und Grenzverletzungen – aus dem Agieren unbewusster Phantasien entsteht, die durch den analytischen Prozess bei beiden – Analysand und Analytiker – aufgewhlt werden.

Der Beitrag des Analysanden Im Februar 2001 brachte die Zeitschrift »The London Review of Books« einen vier Seiten langen Artikel »Die Rettung Masud Khans« (»Saving Masud Khan«) von Wynne Godley. Der Artikel war ein Beitrag ber die gescheiterte Analyse des Autors mit Masud Khan. Godley beginnt mit einer persçnlichen Geschichte, um zu erklren, was er whrend seiner Analyse wiederholen musste. Seine Eltern trennten sich mit langwieriger Bitterkeit rund um die Zeit seiner Geburt 1926, und er sah sie deshalb selten zusammen. Er war eines von drei Kindern dieser Ehe. Seine Mutter engagierte sich in knstlerischen Aktivitten, die sie fr lange Perioden von daheim wegfhrten, und wenn sie daheim war, lag sie oft im Bett und litt unter dem, was sie »ihren Schmerz« nannte. Als kleines Kind wurde Godley von Kindermdchen, Erzieherinnen und einer strengen, unverheirateten Tante versorgt, die man als »alte Jungfer« bezeichnen kçnnte. Er beschreibt, wie er mit seiner Mutter, wenn sie daheim war, eine enge Beziehung hatte, in der sie ihm ihre Lust am sexuellen Verkehr, ihre Enttuschung ber die Impotenz seines Vaters und den Schmerz und die Erniedrigung anvertraute, die sie erlitten hatte bei der Geburt seiner viel lteren Halbschwester; dieses Mdchen war geistig behindert und litt unter Wutausbrchen; schließlich wurde sie in einer psychiatrischen Institution aufgenommen. Sein Vater war ltlich, eine verschwommene Gestalt, ursprnglich als schwach wahrgenommen, aber mit einer persçnlichen Autoritt und betrchtlichem Charme. Keiner der beiden Elternteile hatte soziale Beziehungen, und er und sein lterer Bruder waren ohne Freunde. Godley erzhlt, wie er als kleines Kind geglaubt hatte, mit be-

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sonderen Krften ausgestattet zu sein, ber die eines Tages die Welt staunen wrde. Er berichtet aber auch, dass er wusste, er wre wertlos, ohne Begabungen oder Rechte, und dass er fett, schwerfllig und unmnnlich aussehen wrde. Er sah seinen lteren Bruder als den Erfolgreichen an und kommentierte, dass im spteren Leben eine Reihe von distinguierten Mnnern bei ihm an die Stelle seines Bruders getreten sind. Er erinnert sich auch, dass es ihm an der Fhigkeit fehlte, Personen oder Situationen zu erkennen und einzuschtzen, dass er passiv und krnklich war und geheime gewaltsame Phantasien hatte. Als er sechs Jahre alt war, entwickelte sich ein Abszess im inneren Ohr und brach durch sein Trommelfell durch, und er musste whrend einiger Jahre manchmal einen Verband um den Kopf tragen, um das Herausrinnen von Eiter zu verhindern. Er wurde auf diesem Ohr zu 90 % taub. Er wurde mit sieben Jahren in ein Internat geschickt, ohne die grundlegenden sozialen und anderen Fertigkeiten, die man braucht, um dort zu berleben. Er sagt zum Beispiel, dass er noch nicht gelernt hatte, sich selbst anzuziehen. Er erinnert sich an Panikattacken begleitet von eigenartigen Phantasien. Als er zehn war, erbte sein Vater einen Adelstitel sowie ein beachtliches Einkommen, restaurierte einen Familienbesitz und heiratete wieder. Godley erinnert sich, dass seine Stiefmutter fr die drei Kinder whrend ihrer Schulferien ein Zuhause in einer idyllischen Umgebung schuf. Ungefhr um diese Zeit erzhlte ihm seine Mutter, dass sein Vater vor vielen Jahren ein Trinker war und auch, dass sie einen Liebhaber genommen hatte, einen Musiker, der um fnfzehn Jahre jnger war als sie. Dieser Mann fhrte Godley nach und nach in die Musik ein und entwickelte eine emotionale Beziehung zu Godley und zu seiner Schwester. Spter fing sein Vater wieder schwer zu trinken an, und als sich sein Zustand verschlimmerte, vertraute die Stiefmutter – wie es frher seine Mutter getan hatte – Godley an, dass sein Vater vçllig impotent gewesen war und dass auch sie einen Liebhaber hatte. Trotz dieser Vertraulichkeiten sagt er, dass er mit siebzehn Jahren noch nicht wusste, wie der Kçrper funktioniert, und er hatte noch kein genaues sexuelles Wissen. Er hatte das Gefhl, dass seine Erziehung auf der Universitt begann, und er nahm einen hervorragenden Philosophen als Mentor. Die

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persçnliche Geschichte endet traurig. Seine Stiefmutter beging Selbstmord, sein Vater starb allein im Spital, nachdem er das Geld vergeudet hatte, seine Stiefschwester war in einer Irrenanstalt und seine Mutter lebte nach einem schweren Schlaganfall noch sechs Jahre hilflos halbseitig gelhmt. Als Godely dreißig Jahre alt war, verheiratet und mit einer Arbeit als spezialisierter Berater im Staatsdienst, befand er sich in beachtlichen seelischen Schwierigkeiten. Er lebte, sagt er, in einem Zustand von Dissoziation, und er beschreibt ihn folgendermaßen: »Im wirklichen Empfinden ist das Subjekt berhaupt nie kçrperlich anwesend, sondern geht wie in einem Wachtraum umher. Das Verhalten ist von einem Autopiloten gesteuert. Antworten sind weder direkt noch spontan. Jedes Ereignis wird nachinsziniert, nachdem es stattgefunden hat, und wird von einem inneren Theater fortgefhrt. Einerseits kann das Subjekt verblffend gefhllos sein, andererseits geht das mit ußerster Verletzlichkeit einher, denn der ganze Apparat kann nur innerhalb eines Rahmens gewohnter und vertrauter Antworten funktionieren. Er oder sie ist wehrlos gegenber ungeplanten, unerwarteten oder bçsartigen Ereignissen. Bçses kann nicht abgefangen werden, weil es nicht identifiziert werden kann.« Ein Freund gab Godley den Rat, D. W. Winnicott zu konsultieren, was er machte, ohne zu wissen, dass Winnicott zu dieser Zeit Prsident der Britischen Psychoanalytischen Gesellschaft war. Er beschreibt seine Erinnerung dieser Konsultation und wie ihm eine Analyse bei Masud Khan empfohlen wurde. Der Artikel bringt weiters einen Bericht und einen Kommentar ber sein Erstgesprch mit Khan, das intrusive Bemerkungen beinhaltete: dass er, Khan, gerade im Begriff war, eine durch ihre Auftritte bekannte Knstlerin zu heiraten, und ob Godley nicht mit dem Bildhauer Epstein verwandt wre. Diese Frage beunruhigte Godley, und er drckte Besorgnis aus, wie vertraulich das, was er Khan sagte, behandelt wrde, denn die Frage implizierte, dass er bereits etwas ber ihn wusste und dass sie gemeinsame Freunde haben kçnnten. Godleys Frau war die Tochter Epsteins. Godley schreibt, dass Khan nicht direkt antwortete. Nach dem Erstgesprch nahm Khan Godley im Auto mit und zog einen Gedichtband hervor, und

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Godley kommentiert, dass er mit seinem jetzigen Wissen begreift, dass bereits in diesem Erstinterview die therapeutische Beziehung untergraben worden war. Er fhrt aus, dass er damals keine Mçglichkeit hatte zu erkennen, dass mit Khan etwas nicht in Ordnung war, wenn er ihn von seiner bevorstehenden Hochzeit wissen lassen wollte (was auch implizierte, dass er seinen neuen Patienten bereits am Beginn seiner Analyse im Stich ließ), oder wenn er ihm zeigte, was fr ein literarisch gebildeter Mann er war, der ein elegantes Auto fuhr. Aber Godley sagt, dass er schon sprte, dass mit der Frage nach Epstein etwas falsch war; diese Beobachtung aber – sagt er – unterdrckte er in einer »entsetzlich vertraulichen Art«. Der zweite Teil des Artikels ist ein schrecklicher Bericht ber die Analyse und ihre Verschlechterung zu noch anderen Grenzberschreitungen. Nach seiner Beschreibung hat es den Anschein, dass Godleys alte Art zu funktionieren whrend der ersten Tage seiner Analyse vçllig durcheinander geriet: er konnte sich nicht mehr auf sein knstliches Selbst verlassen. Er erlebte es als einen emotionalen Durchbruch, und dieser Zustand hielt an, bis Khan von seinen Flitterwochen zurckgekommen war. Danach scheint die Analyse zu einer sadomasochistischen und zunehmend perversen Inszenierung zwischen Analytiker und Patient geworden zu sein, statt zu einer Analyse und Deutung der Vorgnge zwischen ihnen beiden. Godley beschreibt es als eine Spirale der Erniedrigung, und das ist sein rckblickender Kommentar: »Eine wesentliche Komponente des analytischen Prozesses liegt in der Fhigkeit des Patienten, Gedanken, Phantasien oder Bilder anzusprechen, wie sie ihm oder ihr einfallen, besonders jeden feindseligen Gedanken, den er oder sie gegenber dem Analytiker haben mag. Wenn das nicht geschieht, kann die primitive Umkehr der Rollen niemals ungeschehen gemacht werden. Aber es ist außerordentlich schwierig und erfordert große Konzentration, Mut und Vertrauen, mçrderische Gedanken und Beschimpfungen einem Objekt gegenber auszudrcken. Die Art, wie solche Beleidigungen behandelt werden, ist einer der besten Maßstbe des Geschicks eines Analytikers, seines Charakters und seiner Fhigkeit zu praktizieren: Das knstliche Selbst weiß nur zu gut, wie es andere bluten lassen kann. Wenn ich mich anschicke, Khans Ver-

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sagen in diesem grundlegenden Test zu beschreiben, sehe ich, dass ich in Gefahr komme, aus ihm eine reine Witzfigur zu machen. Da war tatschlich etwas vollkommen Lcherliches an ihm [. . .] aber er hatte eine enorme und schnelle Intelligenz, eine erstaunliche Beobachtungsfhigkeit und eine unbertroffene Gabe, tief direkt unter die Oberflche zu sehen. Er war unmçglich bis zum Schlimmsten« (Godley, 2001). Schrittweise fllten sich die Sitzungen mit den Geschichten aus Khans gesellschaftlichem Leben, und diese Beitrge hatten ein gemeinsames Merkmal – dass er, Khan, besser war als jemand anderer. Es werden in dem Artikel mehrere Beispiele gegeben, und gelegentlich hatte es den Anschein, dass Khan um die Sympathie seines Patienten warb. Da Anrufe whrend der Stunden entgegengenommen wurden, einschließlich solcher von Winnicott, hçrte Godley Einzelheiten ber andere Patienten mit, und er beschreibt, wie eine der Patientinnen ihm nach und nach von Kahn als passende Partnerin aufgedrngt wurde, obwohl er, Godley, verheiratet war. Die »Analyse« verschlechterte sich weiter, als die drei – Khan, Godley und diese andere Patientin Khans – begannen, einander gesellschaftlich zu treffen. Khan fing auch an, Godley Geschenke zu geben. Jeder von beiden schien bewusst zu glauben, er wrde den anderen retten. Es kam so weit, dass Khan in das Zuhause seines Patienten eindrang, und Godley beschreibt Khans unpassendes Verhalten whrend des Besuchs. Danach besuchten Patient, Analytiker und ihre Gattinnen gesellschaftliche Treffen und Partys gemeinsam, wo sie berhmte Persçnlichkeiten trafen. Godley beschreibt, wie er Zeuge einer heftigen Szene zwischen Khan und seiner Frau in deren Wohnung wurde; am nchsten Tag sprach Godley in der Sitzung davon, die Analyse abzubrechen, und es wird berichtet, dass Khan geantwortet hat, wenn es so weit kme, wrde er »einen Tag« bevor Godley es tte, abbrechen. Der Ausgang der Analyse ist erschreckend. Godley berichtet zuerst, dass seine Frau drei Monate in einer schwierigen Schwangerschaft war und zuvor eine Fehlgeburt gehabt hatte. Obwohl sie schon Kinder hatte (eines davon war Patient von Winnicott), hatten sie und Godley noch kein gemeinsames Kind. Die zwei Paare gingen zu viert essen und Godley erinnert sich an Khans extremes

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und unablssig aggressives Verhalten, das ihm das Gefhl gab, »tief in ihm wrde etwas erstarren«. Am nchsten Tag berichtete Godleys Frau, dass Khan sie angerufen und sich »ber sie hergemacht« hatte. Sie sagte, sie habe einen heftigen Schmerz im Bauch gehabt. Godleys Wahrnehmung war, dass Khan einen Angriff auf das Leben ihres einzigen ungeborenen Kindes gemacht hatte, das schmerzte ihn zutiefst, und er schreibt, dass »die lebendige, wenn auch deformierte Rstung in ihm rostete«. Er rief Winnicott an und sagte ihm, dass Khan verrckt war; Winnicott besttigte es und verbot Khan, weiter mit Godley Kontakt zu haben. Khan rief ihn an und wollte ihn sehen, aber Godley lehnte ab. Zehn Jahre spter nach einer Krebsbehandlung der Lunge und des Kehlkopfes von Khan war eine flsternde Stimme am Telefon und bat Godley um einen Besuch, was er tat. Der Artikel endet mit dem, was Godley nachher hçrte: dass Kahn mit seinen weiblichen Patienten schlief, ein ernsthaftes Alkoholproblem bekam und vor seinem Tod aus der Britischen Vereinigung ausgeschlossen wurde; dass sich seine Frau von Khan trennte, sich dann von ihm scheiden ließ und spter starb. Als Godley entdeckte, dass Khan selbst die ganze Zeit, whrend er Godley sah, bei Winnicott in Analyse war, sagte Godley, dass ihn das zu einer neuen Interpretation einiger Briefe fhrte, die er in der Sache Khan an Winnicott gesendet hatte, und er empfand Winnicotts Antworten »als einen aggressiven Flirt zwischen den beiden, indem sie ihn als ahnungsloses Zwischenglied benutzten«. Godley fasst seine Analyse mit Khan folgendermaßen zusammen: »Er hatte jede grçßere traumatische Komponente meiner Kindheit und Adoleszenz wiederholt und nachinszeniert. Die ursprngliche Einheit war zerbrochen worden. Die Vertraulichkeiten, in die er mich gezogen hatte, hatten mich zu jemand Besonderen gemacht, ebenso wie bei meiner Mutter: Er hatte dasselbe Bedrfnis wie sie, sich darzustellen und etwas dargestellt zu bekommen. Und dieselben destruktiven bungen, die ich einst in Anbetracht meiner tiefen Bindung an meinen verfallenden Vater ausfhren musste, wurden alle noch einmal durchgespielt. Zum zweiten Mal hatte mich der Zwang berwltigt zu versuchen, ein betrunkenes, antisemitisches, zusammenbrechendes Wrack in ein lebendes Gerst

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umzuwandeln, um mich daran aufzurichten.« Schließlich zollt Godley seinem zweiten Analytiker Anerkennung, einem Amerikaner, dessen Geschicklichkeit und Geduld es ihm ermçglichte, sich von den beschriebenen Erfahrungen zu erholen, und der ihm half, die gewonnenen Einsichten zu verstehen.

Masud Khan und die Britische Psychoanalytische Vereinigung In der Folge der Publikation des Artikels veranlasste dann der Prsident der Britischen Psychoanalytischen Vereinigung, Donald Campbell, dass ihr Ethik-Komitee eine retrospektive Untersuchung durchfhrte (Daniel, 2001). Khan war von 1950 ein Mitglied der Vereinigung, als er sich als Analytiker qualifizierte, bis zu seinem Ausschluss 1988. In Godleys Beitrag werden keine Daten angegeben, aber wir wissen von ihm, dass seine sieben Jahre dauernde Analyse zwischen Februar 1959 und Juli 1966 stattfand. Die Untersuchung wurde von drei Hauptschwierigkeiten behindert. Erstens, viele von denen, die an Entscheidungen in Bezug auf Khan beteiligt gewesen waren, lebten nicht mehr, andere waren lter und sttzten sich auf die Erinnerungen an Ereignisse, die ber vierzig Jahre zurcklagen. Zweitens, Vertraulichkeit war und ist noch ein Thema fr Exanalysanden und Mitglieder der Vereinigung, und manche zçgerten, von dem zu sprechen, was sie wussten oder gehçrt hatten. Drittens, die Protokolle der Meetings berichteten Entscheidungen, gaben aber selten Details der vorangegangenen Diskussion wieder, die zu den Entscheidungen gefhrt hatte. Es ist bemerkenswert, dass einige wichtige Berichte im Lauf der Untersuchung nicht gefunden werden konnten. Mit diesen Einschrnkungen sttzt sich der folgende Bericht hauptschlich auf die Protokolle der Britischen Vereinigung und auf die Erinnerungen ihrer lteren Mitglieder. Masud Khan kam im Oktober 1946 von Punjab (Pakistan) nach England. Mit erst zweiundzwanzig Jahren stellte er sich bei der Britischen Vereinigung vor und wurde zur Ausbildung angenommen, aber unglcklicherweise gibt es keinen Bericht, wie er beurteilt wurde, denn nach der Tradition der Britischen Vereinigung

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werden die Zulassungspapiere nach der Qualifikation vernichtet. Es ist eine Spekulation, dass er als ein intelligenter, eifriger Pakistaner beeindruckte, und wenn man seine Charaktermngel erkannte, mag man erwartet haben, dass die Analyse diese bei einem so jungen Mann verndern wrde. Ella Sharpe war seine erste Analytikerin, und als sie etwa neun Monate spter starb, ging er zu John Rickmann, der ihn whrend seiner Ausbildung bis zu seinem Tod 1951 analysierte. Khan begann seinen ersten Kontrollfall unter der Supervision von Anna Freud im Oktober 1948, aber im Juni 1949 berichtet ein Protokoll des Lehrausschusses, dass sein erster Fall beendet werden sollte, und sein neuer erster Fall sollte entweder von Sylvia Payne oder Melanie Klein supervidiert werden. Es gibt weder einen Bericht in den Lehrausschussprotokollen noch in den Melanie-Klein-Archiven, ob oder wann er den ersten Fall wiederholte, noch wer ihn supervidierte. Vier Monate spter wird berichtet, dass er seinen zweiten Fall begonnen habe, und er qualifizierte sich gegen Ende 1950 im außerordentlich jungen Alter von sechsundzwanzig Jahren. Wenn man die Protokolle liest, hat man den Eindruck, dass der Lehrausschuss beeinflusst war durch Khans betrchtliches Wissen und seine Ernsthaftigkeit, die er in den Vorlesungen und Seminaren zeigte. Er qualifizierte sich in Kinderanalyse 1952, mit Winnicott als Supervisor seines ersten Falls, Marion Milner und Clifford Scott supervidierten seinen zweiten und dritten Fall. Als Rickman 1952 frh verstarb, entschied sich Khan spter im selben Jahr, bei Winnicott in Analyse zu gehen, und er blieb in dieser seiner dritten Analyse fr fnfzehn Jahre, sie endete etwa 1966. Das erste formelle Anzeichen, dass ein signifikanter Teil der Mitglieder ein Problem bei Khan erkannte hatte, kam bei seiner Bewerbung um die ordentliche Mitgliedschaft. Er prsentierte 1953 einen Mitgliedschaftsvortrag vor der gesamten Vereinigung (das war zu dieser Zeit der Weg zur Mitgliedschaft) mit dem Titel »Eine homosexuelle Episode als Abwehr gegen Masturbation« und er wurde bei dieser Gelegenheit nicht gewhlt, wobei ein Faktor war, dass er sich nicht genug Gedanken darber gemacht hatte, dass sein Patient erkannt werden konnte. Als er gegen Ende 1954 wiederum vorstellte, hatte er den Vortrag neu benannt, »Bemer-

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kungen ber homosexuelle Episoden bei einem mnnlichen Patienten«. Man hatte mir erzhlt, dass sich die Debatte vor der Abstimmung weniger um die Qualitt des Vortrags und mehr um den Charakter des Analytikers drehte. Er wurde mit 32 Ja-Stimmen und 15 Gegenstimmen zum vollen Mitglied gewhlt – ein Drittel der Mitglieder hatte gegen seine Wahl gestimmt. Ein Jahr spter untersttzte Winnicott Khan fr den Status des Lehranalytikers; Khans Ansuchen wurde dreimal abgelehnt (Protokolle des Lehrausschusses 1955a, 1955b, 1957), aber beim vierten Mal, 1959, wurde Khan dieser Status zuerkannt. In den zweiundzwanzig Jahren zwischen 1955 und 1977 stieg Khan innerhalb der Britischen Vereinigung zu einer hervorragenden Stellung auf und wurde international bekannt. Er war ber zwanzig Jahre Herausgeber der »International Psychoanalytical Library«, Mitherausgeber des »International Journal of Psychoanalysis«, Mitherausgeber der »International Review of Psycho-Analysis« und auslndischer Herausgeber der »Nouvelle Revue de Psychoanalyse«. Er schrieb auch Artikel, Buchbesprechungen und vier Bcher (Khan, 1974; 1979; 1983; 1988), und er wurde als jemand angesehen, der einfallsreiche Beitrge zur psychoanalytischen Theorie leistete. Die meisten Mitglieder der Britischen Vereinigung betrachteten ihn als hervorragendes, wenn auch umstrittenes Mitglied und waren stolz auf seine Beitrge. Jedoch neben diesen Leistungen kam es zu Gerede und Gerchten ber Khans Grobheit, seine bedauernswerten gesellschaftlichen und analytischen Indiskretionen und ber sein unpassendes Verhalten gegenber Patienten, Ausbildungskandidaten und Kollegen. Schließlich spitzten sich die Dinge zu. 1976 wurde eine ernste Klage ber eine sexuelle Grenzberschreitung von einem Kandidaten vorgebracht, dessen Frau auch Kandidatin war; sie machte ihre Lehranalyse bei Khan; ein Lehranalytiker brachte die Klage vor den Lehrausschuss, da es zum damaligen Zeitpunkt kein Ethik-Komitee gab. Der Lehrausschuss stellte Nachforschungen an, aber entscheidende Dokumente im Zusammenhang mit dieser Untersuchung fehlten, und so sind Details unbekannt; die Klage blieb allerdings aufrecht und Khan wurde ersucht, von seiner Position als Lehranalytiker zurckzutreten. Seine Antwort lautete,

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dass er nicht »zurcktreten«, aber sich »zurckziehen« wrde. Es war bekannt, dass bei ihm kurz vorher Lungenkrebs diagnostiziert worden war, und da das damals als Todesurteil angesehen wurde, nahm man an, er wrde nicht mehr arbeiten und htte nicht mehr lange zu leben. Tatschlich lebte er noch zwçlf Jahre. Elf Jahre spter, 1988, wurde er aus der Mitgliedschaft der Britischen Vereinigung ausgeschlossen. Von fnf lteren Mitgliedern hatte man schriftliche Klagen erhalten, dass gewisse Passagen in Khans Buch »When Spring Comes – Awakenings in Clinical Psycho-Analysis« (1988) gegen den Ethik-Kodex der Vereinigung und gegen ihre Regeln verstießen. Die klinischen Beschreibungen in diesem Buch verletzten wesentliche Grenzen einer psychoanalytischen Behandlung. Das Ethik- Komitee war einstimmig der Ansicht, dass hier ein Verstoß gegen den Ethik-Kodex ausreichend bewiesen wurde. Khan wurde gebeten, zum Ethik-Komitee zu kommen, aber er antwortete, er sei zu krank, da im Vorjahr Kehlkopfkrebs diagnostiziert worden sei und er keine Stimme habe. Er starb 1989.

Die Weiterwirkung ber Generationen Vielleicht das beunruhigendste Thema ist fr Ausbildungsinstitute die Fortsetzung der Grenzverletzungen von einer Analytikergeneration zur nchsten. Die COPE Study Group (Gabbard et al., 2001) fand heraus, dass Ausbildungskandidaten, die von Lehranalytikern mit einer Geschichte von Grenzverletzungen analysiert worden waren, eine Generation spter oft hnliche Probleme hatten. ber Winnicotts Analyse von Khan hat keiner der Beteiligten geschrieben, soweit bisher bekannt ist, das heißt bis die Khan-Archive 2039 zugnglich werden. Hopkins’ (1998) Rekonstruktion davon enthllt Grenzverletzungen, die nicht nur in Khans Analyse von Godley wiederholt wurden, welche gleichzeitig mit Khans Analyse bei Winnicott stattfand, sondern macht auch ein Zusammenspiel mit einer perversen Interaktion zwischen den beiden Paaren sichtbar. Mehrere Analytiker haben die Winnicott-Khan-Analyse kom-

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mentiert; die generelle Ansicht ist, dass Winnicott es versumte, Khans Feindseligkeit zu analysieren, und dass er nicht in der Lage war, seine narzisstische Charakterpathologie zu verndern. Marion Milner, die selbst bei Winnicott in Analyse war (Hopkins, 1998) dachte, dass dieser mit Khans Destruktivitt nicht umgehen konnte, whrend Stoller, der mit Kahn befreundet war, meinte, seine Wut war unanalysiert. Limentani (1992) fhrt in seinem Nachruf auf Khan an, er sei auf der Suche nach einer verlorenen Vaterfigur gewesen, die er idealisierte und frchtete, und er denkt, Winnicott habe diesem Bedrfnis nicht entsprochen. Hopkins meint, dass Winnicott zwar ausfhrlich und kreativ ber die Wichtigkeit schrieb, sich auf Hassgefhle einzulassen und sie zu berleben, dass er aber seine eigene Theorie nicht wirksam bei seiner klinischen Arbeit mit Khan einsetzte. Sie stellt die Frage, ob er Angst hatte vor seinem gebieterischen Analysanden und ob er deshalb unfhig war, ihn mit seiner Feindseligkeit, Grandiositt und Allmacht zu konfrontieren. Sie vermutet auch, Khan kçnnte an einer nicht diagnostizierten manisch-depressiven Psychose gelitten haben in der Periode von 1969 bis 1989, als er bekanntlich depressive Phasen hatte; in dem Fall – meint sie – werden seine Stimmungsschwankungen erklrlich, seine schwere Schlaflosigkeit und sein zunehmender Alkoholismus whrend dieser Jahre. Es ist heutzutage schwer vorstellbar, wie es fr Winnicott mçglich war, seinen Analysanden so çffentlich zu fçrdern. Man kann nicht wissen, ob jemand versucht hat, Winnicott beiseite zu nehmen und ihn wieder zur Vernunft zu bringen, aber es scheint offensichtlich, dass sich Winnicott entweder berechtig fhlte oder blind dafr war, dass er die Grenzen sprengte. In den 1950er und 1960er Jahren zirkulierten Gerchte in der Mitgliedschaft der Britischen Vereinigung, dass einige Analytiker ihre Ausbildungskandidaten schtzten oder untersttzten, aber es wurde nicht gehandelt. Dasselbe gilt fr die gemeinsamen Publikationen von Winnicott und Khan. Obwohl das ganz çffentlich war, ist es alles andere als klar, wer davon wusste, dass Khan noch immer in Analyse bei Winnicott war. Was auch immer die Tatsachen waren, es ist jedenfalls lohnend, die wichtigen Vernderungen zu unterstreichen, die in den letzten fnfzig Jahren in allen Vereinigungen im Hin-

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blick auf Vertraulichkeit und Grenzverletzungen stattgefunden haben. Obwohl die Britische Vereinigung wahrscheinlich die letzte Gesellschaft ist, die noch eine berichtende Gesellschaft ist – das heißt eine Vereinigung, in der die Lehranalytiker dem Lehrausschuss ber die Kandidaten berichten –, ist dies nun minimal geworden, und ein aktives Eingreifen von Analytikern in die Laufbahn ihrer Kandidaten wre undenkbar.

Grenzverletzungen Innerhalb einer Analyse, wie schwierig sie manchmal auch sein mag, bleibt es die Verantwortlichkeit des Analytikers, den Rahmen zu wahren, in dem sich unbewusste Prozesse sicher entfalten und analysiert werden kçnnen. Winnicott war nicht in der Lage, in seiner Analyse Khans diesen Rahmen zu halten. Whrend die Grnde dieses Versagens Gegenstand von Spekulationen sind, steht die Tatsache selbst offensichtlich außer Zweifel. Khan wurde von Winnicott unterrichtet und besuchte dessen klinische Seminare. Nach Khans Qualifikation wurde er 1951 von Winnicott supervidiert mit seinem ersten Kinderausbildungsfall. Als Khans zweiter Analytiker im selben Jahr frhzeitig starb, beschloss er, zu Winnicott in Analyse zu gehen – damals war er in seiner ersten Funktionsperiode als Prsident der Britischen Vereinigung. Die Analyse begann gegen Ende 1951, und whrend der ersten beiden Jahre publizierten Khan, der Analysand, und Winnicott, der Analytiker, gemeinsam eine Buchbesprechung, die sie beide verfasst hatten und die sie 1953 im »International Journal of Psychoanalysis« verçffentlichten. Khan (1975) selbst sagt, dass Winnicott vier Jahre spter, 1957, ihn einlud, seine erste Sammlung von Vortrgen zusammenzustellen, wofr Khan eine Einleitung schrieb. Spter fuhr Khan in seiner Rolle als Mitherausgeber fort, ihm in der Vorbereitung der Herausgabe seiner zweiten Sammlung von Vortrgen zu assistieren (Winnicott, 1965). Unterdessen ging die Analyse weiter, whrend der Rahmen auch auf andere Arten gebrochen wurde. Es ist bekannt, dass Winnicott direkt Patienten an Khan berwies (Godley war einer von

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ihnen) und Material ber diese Patienten unvermeidlicherweise in der Winnicott-Khan-Analyse vorkommen wrde. Die Tatsache, dass Winnicott Godleys Stiefkind analysierte zu der Zeit, als er Godley an Khan verwies, muss als zustzliches Problem gesehen werden. Wie frher erwhnt, stellt Winnicotts aktive çffentliche Untersttzung von Khans Karriere innerhalb der Britischen Vereinigung eine andere wichtige Grenzverletzung dar. Es ist von Interesse zu bemerken, dass in derselben Zeitperiode Greenacre (1966) ber Probleme in Lehranalysen schrieb, speziell ber die Bindung der Loyalitt und die Gefahren, wenn Lehranalytiker von ihren eigenen narzisstischen Bedrfnissen getrieben werden und diese ber die Bedrfnisse ihrer Analysanden stellen. Sie lenkt die Aufmerksamkeit auf die subtile Dynamik, dass Lehranalytiker eher die Tendenz haben, die bertragungswnsche ihrer Analysanden zu befriedigen statt sie zu frustrieren und zu analysieren. Sie bemerkt auch, dass junge Analytiker in der Identifizierung das Verhalten ihrer Analytiker wiederholen. Hopkins’ beobachtete, dass es in der Winnicott-Khan-Analyse den Anschein hat, dass jeder der beiden glaubte, den anderen zu retten. Im Verlauf der Khan-Godley-Analyse kam es bei jedem der beiden Beteiligten zu demselben expliziten Glauben. Godley gab seinem Artikel den Titel »Die Rettung Masud Khans«. Nach meiner Erfahrung ist die Annahme des Analytikers, er »rette« seinen Analysanden vor etwas Schlimmerem, oft ein Anzeichen fr eine Grenzverletzung oder ein Warnzeichen fr eine solche Gefahr. In der Khan-Godley-Analyse wurde der Rahmen im Erstinterview gebrochen, als der Analytiker Informationen ber sich selbst einbrachte und dem Patienten sein Vorwissen ber dessen familire Verbindungen offenbarte, statt den Rahmen fr die beginnende Analyse zu schaffen. Anrufe wurden whrend der Sitzungen entgegengenommen, einschließlich solcher von Winnicott, dem Analytiker des Analytikers, der auch der ursprngliche Berater des Analysanden war und ihn weitergeschickt hatte. Spter gab es einige emotionale und unangenehme Korrespondenz zwischen Winnicott und Godley, die von Khan angeregt war. Im Lauf der Analyse fuhr Khan nicht nur fort, Godley Geschenke zu geben, gelegentlich wertvolle, sondern es kam auch zu gesellschaftlichen

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Treffen gemeinsam mit beiden Gattinnen, und Khan und seine Frau besuchten Godley gelegentlich daheim. Grenzen waren zerstçrt und verletzt im Lauf der anscheinend zunehmend perverseren Interaktion innerhalb der »Analyse« und außerhalb. Vertraulichkeit gestattet nicht die Verçffentlichung von Berichten ber Grenzverletzungen in Khans anderen Analysen, und bedeutsame Notizen ber Interviews mit Khans Kandidaten, durchgefhrt zum Zeitpunkt der Untersuchung, sind verschwunden. Aber wie schon erwhnt, zirkulierten Darstellungen von unangemessenem Verhalten Khans gegenber Patienten, Kandidaten und Kollegen. Er war eine mchtige und zeitweise bedrohliche Persçnlichkeit. Whrend der Untersuchung der Anklagen gegen ihn drohte Khan der Vereinigung mit einem Prozess und spter mit Gewaltandrohungen, so dass um Polizeischutz ersucht werden musste. Er beherrschte die, die ihn untersttzten, einschließlich Winnicott, der von ihm abhngig war im Hinblick auf seine Hilfe bei Publikationen, und Khan zçgerte nicht, diejenigen einzuschchtern, die ihn in Frage stellten oder sich ihm widersetzten. Es hat den Anschein, dass die Britische Vereinigung weder den Willen noch die Strke hatte, ihn zu disziplinieren, aus Grnden, die jetzt betrachtet werden sollen.

Institutionelle Probleme In den meisten psychoanalytischen Gesellschaften sind die jngeren Mitglieder bei lteren Kollegen in Ausbildung gewesen, und sie sind deshalb durch spezielle bertragungs- und Gegenbertragungsbindungen miteinander verbunden. Fortgesetzte berufliche und persçnliche Kontakte sind oft sehr komplex, und die Beziehungen innerhalb analytischer Gesellschaften beinhalten besonders mchtige unbewusste Elemente. Das mag helfen zu erklren, warum psychoanalytische Gesellschaften im Großen und Ganzen ungeheure Schwierigkeiten haben, unakzeptables Verhalten und/ oder Grenzverletzungen bei einem Mitglied zu erkennen. Gabbard und Lester (1995) schreiben nicht nur von der vorherrschenden Tendenz, das Erkennen solcher Probleme zu verleugnen und zu

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vermeiden, sondern sie fhren auch aus, dass Analytiker gebt sind, nach der Erklrung eines Verhaltens zu suchen, nach dem Verstehen zu suchen, und dass sie deshalb dazu neigen, mit einem Urteil oder einer Verurteilung zu zçgern. Eine weitere mchtige Quelle der Schwierigkeit mag mit dem Widerstreben der Analytiker zusammenhngen, sich mit der inhrenten Unsicherheit auseinanderzusetzen, die innerhalb des Berufs existiert. Im Großen und Ganzen sind sich Psychoanalytiker sehr wohl der großen Verantwortung bewusst, die sie den Patienten oder Ausbildungskandidaten gegenber tragen, die sie behandeln, aber sie sind sich auch bewusst, dass psychoanalytisches Wissen nicht unfehlbar ist. Da ist immer die Sorge, dass die Zeichen einer schweren Pathologie bei Patienten oder Kandidaten nicht korrekt eingeschtzt worden sein kçnnten. Das ist besonders so im Hinblick auf psychopathische und perverse Zge, die vielleicht nicht aufgegriffen worden sind. Psychoanalytiker sind sich in den letzten Jahren mehr der Wichtigkeit, Gegenbertragung zu beobachten, bewusst geworden. Diese Beobachtung kann nie zu Sicherheiten fhren. Psychoanalytiker stellen die Effektivitt ihres Ansatzes und ihrer eigenen Fhigkeiten immer wieder in Frage. Das schafft manchmal unvermeidliches Sich-selbst-in-Frage-Stellen, Selbstzweifel, Schuldgefhle und Angst. Sowohl auf einer institutionellen Ebene als auch auf persçnlicher Ebene wird das Fehlverhalten eines Mitglieds der Gesellschaft blicherweise als eine sehr unwillkommenen Attacke auf den elementaren Rahmen des Berufs erlebt, und es kann leicht auf starken Unglauben treffen. Derartige Reaktionen gibt es in verschiedenen Abstufungen in allen Institutionen, aber besonders in psychoanalytischen Gesellschaften. Beim Studium der verschiedenen auf Khan bezogenen Protokolle in den Archiven der Britischen Vereinigung wurde es klar, dass eine solche institutionelle Dynamik vorherrschte. Als eindeutige Anzeichen eines Fehlverhaltens im Anschluss an die offizielle Klage auftauchten, war es fr einige der involvierten Leute sehr schwierig, die vor ihnen ausgebreiteten Tatsachen zu glauben und zu akzeptieren. Es gab da eine generelle Tendenz, auf die Notwendigkeit einer Untersuchung als ein unerwnschtes Ansinnen zu reagieren, als eine Einmischung, und einige Mitglieder wurden

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ungehalten und rgerlich denen gegenber, welche die schlechten Neuigkeiten berbrachten. Der Druck der Institution, eine Mannschaft zu bilden und Respekt und Besorgnis gegenber einem kranken Kollegen zu zeigen und zu versuchen, Vergehen wegzuerklren mit Hilfe der Tatsache, dass er kçrperlich so schwer krank war, war so mchtig, dass der Lehrausschuss dem Vorstand der Vereinigung eine Kompromissregelung empfahl. Khan sollte seinen Lehranalytiker-Status verlieren, aber nicht aus der Vereinigung ausgeschlossen werden. Diese Empfehlung wurde akzeptiert. Es wurde generell angenommen, dass er das Jahr nicht berleben wrde, da er an einer so schweren Krebserkrankung litt. Die ernsten Enthllungen, die sich whrend der Untersuchung durch den Lehrausschuss ergaben, und die tiefen Emotionen, die dadurch hervorgerufen wurden, fhrten zur Einrichtung eines Ethik-Komitees seitens der Vereinigung, das sich sofort daran machte, einen passenden Ethik-Kodex, Richtlinien und Vorgehensweisen niederzuschreiben. Khan musste sich mehreren Operationen und verschiedenen aggressiven Behandlungen unterziehen, aber tatschlich berlebte er. Als er wieder zu Krften kam, nahm er seine analytische Arbeit wieder auf, und weder das neue Ethik-Komitee noch der Lehrausschuss oder der Vorstand der Vereinigung unternahmen etwas, um sicher zu gehen, dass Khan in einem geeigneten Zustand war, Patienten zu sehen. Whrend Diskussionen in der Britischen Vereinigung anlsslich der Publikation von Godley wurde der Lehrausschuss Ziel von Vorwrfen. Es ist gewiss wahr, dass er die Verantwortung dafr gehabt hatte, Khan auszubilden, ihn auf den verschiedenen Stufen seiner psychoanalytischen Entwicklung zu sehen und ihn schließlich zum Lehranalytiker zu machen. Und es besteht kein Zweifel, dass der Lehrausschuss es bei einer Reihe von Gelegenheiten versumt hatte, klug zu handeln, aber die komplexe, grenzenlos verwirrende und paradoxe Persçnlichkeit Khans spielte eine große Rolle dabei, Spannung und Uneinigkeit im Lehrausschuss hervorzurufen, im Vorstand und in der gesamten Vereinigung. Die Stille, die der Klage ber Khans schwere Grenzverletzungen voranging,

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und die Stille, die folgte, als er seinen Lehranalytikerstatus verlor, bleiben ein wichtiger Gegenstand zum Nachdenken. Wenn man den schockierenden Beitrag von Godleys Analyse mit Khan liest, wird klar, dass er oder ein anderer Patient, der in einer hnlichen katastrophalen Analyse gefangen wre, nicht mit einer Klage htte kommen kçnnen. Wie ich schon einmal erwhnt habe, hat Godley betont, dass Khan eine erstaunliche Beobachtungsgabe und eine unbertroffene Fhigkeit hatte, direkt tief unter die Oberflche zu sehen, und dass er unmçglich war bis zum Schlimmsten. Khan lebte in einer omnipotenten Welt, in der er sich selbst als einen großen Wohltter sah, und man wusste von ihm, dass er Patienten in großer Notlage großzgig untersttzt hatte. Er zçgerte zum Beispiel nicht, einen leidenden Patienten zu besuchen und ihm zu helfen, indem er zu ihm oder ihr nach Hause kam (persçnliche Mitteilung). Dafr und fr das sptere Verstndnis, das sie nach ihrem Gefhl gefunden hatten, waren manche so dankbar, dass sie bereit waren, jeden Verstoß zu bersehen. Es brachte diese Patienten auch dazu, sich als jemand Besonderes zu fhlen. Viele von ihnen glaubten, Khan habe ihnen das Leben gerettet. Solches spontane und anscheinend wohlwollende Agieren hat bei jedem Analytiker sehr ernste und komplexe Auswirkungen auf die weitere analytische Arbeit. Derartiges Agieren drngt den Patienten zu vermehrter Idealisierung des Analytikers und verstrkt das Gefhl eines Faustischen Pakts zwischen Patient und Analytiker, wobei Unterwerfung gefordert wird gegenber einem idealisierten und vçllig guten, omnipotenten, gotthnlichen Objekt mit der Macht, den Patienten ganz in seine Obhut zu nehmen und ihn zu retten. Die Fhigkeit des Patienten, unbewusste Phantasien auszudrcken und zu erforschen, besonders solche, die Feindseligkeit ausdrcken, rger, Wut oder Enttuschung, wird verleugnet oder behindert. In der Einleitung zu einer neuen Arbeit ber Masud Khan, verçffentlicht in der »Revue FranÅaise de Psychoanalyse«, fragen sich Andr Bauduin und Paul Denis, wie jemand, der wie Khan so treffend ber den Respekt, der dem Selbst geschuldet wird, seine Zerbrechlichkeit und seine private Wahrheit schreibt, sich solche Grenzverletzungen erlauben konnte. Sie sagen weiter, dass die ex-

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treme Sensibilitt, die Khan gegenber dem Anderen besaß, aufgrund seiner perversen narzisstischen Persçnlichkeit es ihm ermçglicht hat, auf parasitre Art in die Seele des anderen einzudringen. Der Andere wird ein Teilobjekt, sogar ein totes Objekt, ein einfacher Satellit der Omnipotenz des Plnderers.

Empfehlungen Psychoanalytische Gesellschaften mssen aktiv Schritte unternehmen, um ein grçßeres Bewusstsein der Gefahren zu schaffen, die zur Praxis der Psychoanalyse gehçren, besonders die immer gegenwrtige Mçglichkeit der Regression im Analytiker und das damit verbundene unbewusste Verlangen nach Ausbeutung und Selbstbesttigung. Es ist wesentlich, allen Psychoanalytikern die zwingende Notwendigkeit bewusst zu machen, Gegenbertragungs-Manifestationen zu beobachten. Ausbildungskandidaten sollten Seminare ber ethische Themen angeboten werden, von denen wahrscheinlich ist, dass sie einem im Laufe der Praxis begegnen. Regelmßige wissenschaftliche Diskussionen zwei- oder dreimal jhrlich ber ethische Fragen wie Grenzverletzungen, Vertraulichkeit, die Ethik der Verçffentlichung, Beurteilung psychoanalytischer Kompetenz und die Probleme des Alterns werden den Mitgliedern helfen, gegenber klinischen Themen mit ethischen Implikationen aufmerksam zu werden und zu bleiben, besonders gegenber unbewussten Inszenierungen. Diese entwickeln sich gewçhnlich im Kleinen, kçnnen aber leicht zu einer ernsten Deformation der analytischen Begegnung entgleiten. So sehr sich psychoanalytische Gesellschaften auch anstrengen, ihre Mitglieder bei ihrer intellektuell und emotional fordernden Arbeit zu untersttzen und ihnen zu helfen, bleibt es doch die persçnliche Verantwortung jedes Analytikers, sorgfltig zu berwachen, wie er oder sie im analytischen Prozess reagiert. Diese individuelle Verantwortung wird gestrkt werden, wenn die Gesellschaften fr eine untersttzende und offene Kultur sorgen und Gelegenheiten zu klinischem Austausch und Beratungen auf allen Stufen von Erfahrung und Fertigkeit fçrdern. Seminare, die das

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Teilen klinischer Erfahrung ermçglichen, werden die Fhigkeit der Mitglieder vergrçßern, die Technik zu berprfen, besonders den Umgang mit der bertragung und Gegenbertragung, und sie kçnnen viel dazu beitragen, die Aufrechterhaltung einer mçglichst hohen professionellen Kompetenz zu gewhrleisten. Es ist allgemein anerkannt, dass die Privatheit der psychoanalytischen Behandlung geschtzt werden muss und dass das Eindringen einer dritten Partei verhindert werden muss. Jedoch kann das einige Leute, die ernsthaft besorgt sind ber den sich verschlechternden seelischen Zustand einer Person in Analyse, ausschalten und sie hilflos machen. In der Folge eines tragischen Unfalls im Fall eines Patienten, der bei einem Mitglied der Britischen Vereinigung in Analyse war, wurde eine Anlaufstelle (»Clinical Liason Consultant«) eingerichtet. Dieser medizinisch qualifizierte Kollege – ein erfahrener Analytiker, der auch Psychiater ist – hlt sich fr ernsthaft besorgte Verwandte, Partner oder nahe Freunde eines Analysanden bereit, der bei einem Mitglied, einem außerordentlichen Mitlied oder Ausbildungskandidaten der Vereinigung in Behandlung ist. Dieser Berater soll rasch erreichbar sein und die Situation einschtzen. Es mag lediglich notwendig sein, die Angst der Leute aufzufangen, die anrufen, es kçnnte aber auch nçtig sein, mit dem Analytiker Kontakt aufzunehmen, und das kann zur Empfehlung einer Spitalsaufnahme, zur Unterbrechung oder Beendigung der analytischen Behandlung fhren. In Anbetracht der Tatsache, dass es keine formelle Klage ist, stellt diese Vorgehensweise einen Versuch dar, mit dem Problem in einer frsorglichen und untersttzenden Weise umzugehen. Wynne Godleys schmerzlicher Bericht seiner Analyse bei Kahn zeigt klar, warum es Situationen gibt, wo Patienten perversen Inszenierungen ihrer Analytiker so unterworfen sind oder sich so im Konflikt, in Schuld oder Scham fhlen, dass sie unfhig sind zu protestieren oder eine formelle Klage zu erheben. Es gibt auch eine Reihe von Patienten, die sich selbst in die Lage versetzt sehen, sich um ihre lteren oder kranken Analytiker zu kmmern, und die es ebenfalls unmçglich finden, sich an das Ethik-Komitee um Untersttzung zu wenden. In den letzten zehn Jahren von Khans Leben haben ihn eine Reihe seiner Patienten verlassen und sind zu ande-

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ren Analytikern der Vereinigung gegangen. Natrlich weiß niemand, wie viele Patienten anderswohin gegangen sind oder niemals weitere Hilfe bekommen haben. Was wir jedoch wissen ist, dass nicht ein einziger Patient Khans hervorgetreten ist und geklagt hat. Die Notwendigkeit, Vertraulichkeit aufrechtzuerhalten, hindert natrlich alle Analytiker zu verbreiten, was sie von der Couch hçren. Andererseits ist es wesentlich herauszufinden, was getan werden kann, um die ffentlichkeit vor Kollegen zu schtzen, die nicht mehr in der Lage sind, zu praktizieren. Psychoanalytische Arbeit ist ein sehr privates Unternehmen, und es tauchen oft durch vage Gerchte die ersten Anzeichen einer Sorge ber einen Kollegen auf. In den letzten Jahren hat das Ethik-Komitee der Britischen Vereinigung die Mitglieder ermutigt, sich an den Vorsitz des Komitees zu wenden, wenn sie mit einer gewissen Hartnckigkeit von ernsthaften Sorgen ber einen bestimmten Kollegen hçren. Die Gerchte, die von Ausbildungskandidaten in Supervision, von Kollegen, die in derselben Institution arbeiten, oder mçglicherweise auch von mehreren Analysanden kommen, werden vertraulich berichtet, ohne die Quellen der Information preiszugeben. Der Vorsitzende des Ethik-Komitees teilt dies den Mitgliedern des Komitees nur dann mit, wenn hnliche Bedenken von mehreren Mitgliedern ausgesprochen werden. In diesem Fall wird der Vorsitzende das Komitee davon informieren, dass irgendwelche ernsthaften Bedenken wiederholt ber ein bestimmtes Mitglied vorgebracht wurden, und dann wird das Komitee Nachforschungen anstellen. Zu dem Zeitpunkt bernimmt das Komitee die Verantwortung; die Namen der Informanten werden nie erwhnt. Auf diese Weise war das Ethik-Komitee in letzter Zeit imstande, in einer Reihe von Fllen wirksam zu sein und speziell eine seelsorgerische Rolle zu spielen, um einigen Kollegen zu helfen, den schwierigen Schritt zu meistern, sich zurckzuziehen.

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Schlussfolgerung Die Britische Vereinigung zeigte eine massive Verleugnung angesichts Khans außerordentlichen Verletzungen von ethischem Verhalten und ein berraschendes und alles durchziehendes Mitspielen im Hinblick auf Winnicotts persçnliche Nutzung eines Kandidaten. Es ist jedoch wichtig, sich daran zu erinnern, dass die Britische Vereinigung zum Zeitpunkt von Khans Analyse mit Winnicott und Godleys Analyse mit Khan kein Ethik-Komitee hatte, keinen Ethik-Kodex oder Richtlinien. Ein effizientes und sorgfltiges Dokument, verteilt an jedes Mitglied, an die Kandidaten und das Personal der Vereinigung gab es erst im Anschluss an die formelle Klage, die den Lehrausschuss und den Vorstand der Vereinigung zwang, Kahn seiner Lehranalytiker-Funktion zu entheben. Es ist wichtig zu akzeptieren, dass – so sehr sich die psychoanalytischen Vereinigungen auch anstrengen, alle Anwrter und Kandidaten sorgfltig zu beurteilen whrend ihrer Ausbildung und ihnen den hçchsten Standard der Lehre anzubieten – keine Ausbildung einen absoluten Schutz gegen eine schlechte charakterliche Entwicklung geben kann. Es muss erkannt werden, dass das Aufrechterhalten einer gesunden psychoanalytischen Praxis mehr mit Schwierigkeiten beladen ist, als bisher realisiert worden ist. Zu keinem Zeitpunkt kçnnen sich Gesellschaften oder Individuen sicher sein. Das Bewusstsein ethischer Fragen muss fortgesetzt geweckt werden, speziell wegen ihrer zentralen Rolle bei der Leitung und Anhaltung von Analytikern, wachsam zu bleiben fr die Gefahren ungerechtfertigter Gegenbertragungs-Inszenierungen und -Verstrickungen; es muss zu einer stndigen Selbstprfung ermutigt und die Reflexion und das In-Frage-Stellen hinsichtlich technischer Neuerungen angeregt werden. Zum Abschluss mag es ntzlich sein, die wichtigsten Empfehlungen, die in diesem Beitrag vorgeschlagen werden, zusammenzufassen: 1. Jede Vereinigung sollte ein gut funktionierendes Ethik-Komitee haben, das sich aus respektierten und verantwortungs-

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bewussten Mitgliedern zusammensetzt, die in der Lage und willens sind, effektiv zu funktionieren und auf Klagen ber unethisches Verhalten zu reagieren. Das Komitee muss whrend seiner Arbeit von dem anerkannten Ethik-Kodex und den eingerichteten Verfahrensregelungen geleitet sein. Unter bestimmten speziellen Umstnden kann das Komitee auch seinen ethischen Verfahrensregeln folgen und ein Mitglied befragen, dessen Verhalten wiederholte und lang andauernde Beunruhigung hervorgerufen hat, auch wenn keine formelle Klage eingetroffen ist. In allen Gesellschaften sollte es einen verbindlich formulierten und detaillierten Ethik- Kodex geben. Seine Richtlinien und Verfahrensregelungen werden eine klare Organisationspolitik und Transparenz gewhrleisten. Eine der Aufgaben des EthikKomitees ist es, regelmßig den Kodex und die Effizienz der Verfahrensregelungen zu berprfen und zu revidieren. Die Existenz eines umfassenden und gut definierten ethischen Dokuments kann nicht hoch genug bewertet werden. Seminare ber ethische Themen sollten in regelmßigen Abstnden stattfinden, zumindest einmal jhrlich fr Ausbildungskandidaten. Kurze Seminare sollte es auch auf den verschiedenen Stufen in der Entwicklung der Karriere eines Analytikers geben, zum Beispiel wenn ein außerordentliches Mitglied ordentliches Mitglied werden will oder wenn jemand Lehranalytiker wird. Zwei- oder dreimal im Jahr sollte ein wissenschaftlicher Abend einer weiteren Prfung und Diskussion eines speziellen ethischen Themas gewidmet sein. Die Einrichtung einer Anlaufstelle, die von einem erfahrenen und psychiatrisch geschulten Analytiker betreut wird, wird sehr empfohlen. Jeder Analytiker hat zu akzeptieren, dass Wachsamkeit und gegebenenfalls des persçnlicher Einsatz notwendig sind, um ethisches Verhalten entsprechend der Organisationspolitik und den Verfahrensregelungen der Gesellschaft zu untersttzen.

Aus dem Englischen von Sylvia Zwettler-Otte.

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Glen O. Gabbard

Misslungene psychoanalytische Behandlungen suizidaler Patienten1

Als das Programmkomitee der IPA mir die Ehre erwies, mich zum nordamerikanischen Erçffnungsredner fr den Kongress auszuwhlen, verbrachte ich einige Zeit damit, ber die Bedeutung des Themas »Arbeiten an Grenzen« nachzudenken. Die Worte »Grenzen« und »Grenzgebiet« riefen in mir Visionen von Gefahr, Wildnis und unzivilisierten Regionen wach, wo gesellschaftliche Einschrnkungen nicht mehr gelten. Eine Lexikondefinition schien mir besonders passend: »Der Teil eines Landes, der das Ende oder den ußersten Rand der besiedelten oder bewohnten Gebiete markiert« (Brown, 1993, S. 1034). Eine zweite Definition ging noch weiter: »Eine Barriere gegen Angriffe.« Eine der Fragen, die sich damit uns Psychoanalytikern stellt, besteht darin, ob wir uns mit den Niederungen des psychoanalytischen Vorhabens identifizieren, wo wir verletzlich und angreifbar sind, belagert von Ungezhmtem und bedroht von den unserer Arbeit eigenen Gefahren. Als ich ber die gefhrlichen Grenzregionen der Psychoanalyse nachdachte, assoziierte ich damit psychoanalytische »Havarien«, deren Zeuge ich wurde, wenn suizidale Patienten von wohlmeinenden Psychoanalytikern ernstlich fehlbehandelt wurden. Meine Karriere ist in mancher Hinsicht eigenartig verlaufen, weil ich mich schon seit langem fr zwei unterschiedliche Regionen der so genannten Ausweitung dieses manchmal gefhrlichen Grenzlandes interessiere. Seit vielen Jahren betreue ich eine große 1 Zuerst abgedruckt in: Zeitschrift fr psychoanalytische Theorie und Praxis, XVIII, 2, 2003.

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Anzahl von Fllen behandlungsresistenter suizidgefhrdeter Patienten mit schweren Charakterpathologien, die man als letzten Ausweg an die Menninger-Klinik berwiesen hatte. Einen Großteil meines Berufslebens habe ich außerdem mit der Beratung, Evaluation und Behandlung von (bisher ber 150) Therapeuten und Analytikern verbracht, die sich ernsthafter Grenzberschreitungen an ihren Patienten schuldig gemacht haben. Mit wachsender Sorge habe ich festgestellt, dass die ungeheuerlichsten Grenzverletzungen bei unseren am strksten verstçrten, den suizidalen Patienten vorgenommen werden. Es wre zu einfach fr uns alle, diejenigen Analytiker herabzusetzen, die im nchtlichen Dunkel der Seele, das bei der Behandlung schwer suizidgefhrdeter Patienten mit Persçnlichkeitsstçrungen heraufzieht, vom Weg abgekommen sind. Ich schlage vor, dass wir anstelle leichtfertiger Verachtung fr diese Kollegen versuchen sollten, etwas von ihnen zu lernen. In diesen extremen Grenzsituationen entdecken wir oft die grundstzliche Menschlichkeit des Analytikers, der vçllig entblçßt vor uns steht wie der vor Verzweiflung heulende Kçnig Lear. Diese Kollegen, die der Sonne auf ihrem Hçhenflug blinder Allmachtsphantasien zu nahe gekommen sind und sich dabei versengt und entehrt haben, sind uns viel hnlicher, als uns lieb sein mag. Suizidale Patienten berhren schon ihrem Wesen nach einen wunden Punkt, der ein Berufsrisiko des Analytikers darstellt. Den meisten von uns wre es lieber, wenn die analytische Arbeit nicht eine Angelegenheit auf Leben oder Tod wre. Wir malen uns den idealen Patienten als eine intelligente, nachdenkliche, attraktive Person aus (hnlich wie wir selbst), die von einem intrapsychischen Konflikt heimgesucht wird, aber ungeheuer motiviert ist, diesen zu verstehen. Dieser heißbegehrte Patient bejaht das Leben und mçchte eine Vernderung vornehmen, um ein erfllteres Leben zu fhren. Suizidale Patienten dagegen haben beschlossen, dass das Leben ihnen wenig zu bieten hat und dass die Analyse ein zweifelhaftes Unterfangen darstellt. Welche Einsichten kçnnten das Leben in einen gangbaren Weg verwandeln? Diese Patienten machen den Analytiker nervçs, indem sie sich a priori weigern zu glauben, analytische Erkenntnisse kçnnten das Potential besitzen,

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das Leben lebenswert zu machen. Auch wenn wir oft sagen, solche »Ausweitungs«-Patienten lebten im »Grenzland«, sagt mir meine Erfahrung als Supervisor von Ausbildungskandidaten und als Berater von Kollegen, dass diese Patienten zunehmend hufiger werden und von der Grenze ins Herz der psychoanalytischen Zivilisation gedrungen sind. In diesem Zusammenhang mçchte ich Ihnen als Warnung die Geschichte von Dr. N. erzhlen, einem Analytiker um die Vierzig, der mich vor vielen Jahren nach einer furchtbaren Grenzverletzung aufsuchte. Dr. N. hat mir erlaubt, die Einzelheiten seines Falls zu schildern, damit andere davon lernen kçnnen. Die Geschichte von Dr. N. Als Jenny Dr. N. aufsuchte, war sie eine zutiefst verstçrte 35-jhrige Frau. Als er sie im Wartezimmer sah, war seine erste Reaktion der Gedanke, sie sei die schçnste Frau, die er je gesehen habe. Dr. N. war gerhrt, als sie ihm die Geschichte ihres tragischen Lebens zu erzhlen begann. Irgendwann mitten in ihrer Geschichte sagte Jenny Dr. N., sie fhle sich zu ihm hingezogen, und fragte, ob sie die Behandlung unterbrechen und stattdessen eine Beziehung haben kçnnten. Dr. N. stellte klar, dass eine private Beziehung unmçglich sei, weil ihre berufliche Beziehung bereits begonnen habe und die Uhr sich nicht zurckdrehen lasse. Enttuscht, aber unverdrossen fuhr Jenny fort, Dr. N. zu erzhlen, wie ihre Mutter sie geqult hatte, indem sie sie als Kind in einen Schrank sperrte. Sie beschrieb auch Einzelheiten einer inzestuçsen sexuellen Beziehung mit ihrem Vater im Alter von fnf bis zwçlf Jahren. Diese schrecklichen, aber eindrcklichen Schilderungen berhrten Dr. N. zutiefst. Trotz der Widrigkeiten ihrer frhen Kindheit war sie eine intelligente Frau, die einen Studienplatz fr Medizin bekommen, das Studium aber abgebrochen hatte und Model geworden war. Im Verlauf der Behandlung schien Jennys sexualisierte bertragung auf Dr. N. verschwunden zu sein. Einige ihrer Sitzungen verstçrten sie jedoch sehr, und sie fiel fnf oder sechs Mal im Wartezimmer in Ohnmacht. Dr. N. wunderte sich. Sie wirkte deprimiert und sprach von einem lebenslangen Todeswunsch. Sie schien auch hufig zu dissoziieren. Wiederholt schilderte sie Phantasien, sich umbringen zu wollen, nachdem sie sich von allen verabschiedet hatte, die ihr nahestanden. Sie war der tiefen berzeugung, dass sie bçse und schmutzig sei und dass es keine Shne fr sie gebe. Dennoch sagte sie Dr. N., sie fhle sich bei ihm ruhig und habe beruhigende Trume mit ihm. Sie verbrachte viele Sitzungen mit Schweigen und der Aufforderung, Dr. N. solle raten, was sie denke. Jenny kam zu einem bestimmten Zeitpunkt von Dr. N.s Leben in seine Praxis. Er hatte seine eigene Analyse ein Jahr vor Beginn ihrer Behandlung abgeschlossen. In den Monaten vor Jennys Ankunft hatte er eine Reihe krzer zurckliegender Verluste erlebt. Seine jngere Schwester war an Krebs gestorben, einer seiner eng-

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sten Freunde war bei einem Autounfall ums Leben gekommen, und zwei Monate vor Behandlungsbeginn hatte seine Freundin die Verlobung mit ihm aufgelçst und war aus seiner Wohnung ausgezogen. Dr. N. stand unter Druck und sagte mir, rckblickend htte er zu diesem Zeitpunkt seines Lebens wohl nicht versuchen sollen, eine Patientin wie Jenny zu behandeln. Er machte deutlich, dass er nicht in sie verliebt gewesen sei, sich aber oft wie ein lterer Bruder gefhlt habe, der sie beschtzen und alles dafr geben wollte, sie vor sich selbst zu retten. Er glaubte, einen Durchbruch erzielt zu haben, als sie ihm sagte, er habe ihr geholfen, nicht lnger nur fr andere zu leben. Danach nahmen die Dinge eine schlimme Wendung. Nach etwa drei Jahren Behandlung fing Jenny whrend der Sitzungen an zu schweigen. Zu guter Letzt teilte sie Dr. N. mit, sie beende die Behandlung und ziehe fort. Nach einigem guten Zureden durch Dr. N. rckte Jenny damit heraus, dass sie ihren Job aufgegeben und einige Habseligkeiten, die ihr am Herzen lagen, verschenkt habe. Ohne weiteres Nachfragen gestand sie schließlich, dass sie sich eine Waffe gekauft hatte. Sie verkndete ihrem Analytiker, dass der Tod eine Erleichterung sein werde. Dr. N. verzweifelte. Er begann ihre Sitzungen von einer auf zwei Stunden zu verlngern und auf das Ende des Tages zu verlegen, so dass ihre Sitzungen oft bis in den Abend hinein dauerten. Die Doppelsitzungen mit ihr berechnete er ihr lediglich als Einzelsitzungen. Dr. N. war zunehmend besorgt, dass ihre Todessehnsucht so stark war, dass sie nicht lnger ambulant behandelt werden konnte. Eine Reihe von Antidepressiva waren an ihr ergebnislos erprobt worden. Er schlug vor, sie solle sich in die Klinik einweisen lassen, um sie vor dem Suizid zu beschtzen. Die Patientin verweigerte die Einweisung, wollte sich aber auch nicht beraten lassen. Dr. N. selbst konsultierte einen geachteten, erfahrenen Analytiker in seiner Stadt. Nachdem er die Geschichte gehçrt hatte, stimmte Dr. N.s Berater zu, dass ein Klinikaufenthalt hçchstwahrscheinlich nicht helfen werde, da die suizidale Verzweiflung der Patientin nicht aus einer akuten Depression resultiere, die sich durch eine Behandlung im Krankenhaus beheben ließe. Zudem war sie geschickt genug, sich aus jeglicher Art von erzwungener Anordnung herauszureden. Wenn sie einen Richter davon berzeugen msste, sie gehen zu lassen, konnte sie viel gesnder erscheinen, als sie war. Der Berater bestrkte Dr. N. darin, weiter mit ihr analytisch an ihrem unterschwelligen Todeswunsch zu arbeiten. Die Patientin beharrte weiterhin darauf, dass sie nicht an einer »klinischen Depression« leide. Vielmehr lag ihr daran, Dr. N. begreiflich zu machen, was fr ein schrecklicher Mensch sie sei. Noch taumelnd von den krzlichen Verlusten in seinem Leben, wurde Dr. N. zunehmend panisch. Er bemerkte eine »verzweifelte Passivitt« und das Gefhl, sein Denken sei konfus. An einem Punkt sagte er, er werde alles tun, um sie davon abzuhalten, sich umzubringen. Jenny antwortete, das Einzige, was ihr helfen kçnne, sei, eine Nacht mit ihm bei sich zu Hause zu verbringen. Sie erklrte, sie habe hartnckige Albtrume ber physische und sexuelle Misshandlungen und sehne sich danach, endlich einmal in ihrem Leben eine Nacht durchschlafen zu kçnnen. Dr. N. weigerte sich und erklrte ihr, mit einer Patientin zu

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schlafen sei unmoralisch. Als Antwort auf diese ehrliche Erklrung sah Jenny ihn khl an und fragte: »Was ist wichtiger? Mein Leben oder Ihre blçden ethischen Vorschriften?« Dr. N. war vor den Kopf gestoßen, und nach einigen weiteren Wochen, in denen er vergeblich versuchte, Jenny zur Vernunft zu bringen, gewhrte er ihr schließlich, eine Nacht mit ihm zu verbringen. Er redete sich ein, diese radikale Maßnahme kçnne das einzige Mittel sein, sie am Leben zu halten. Aus einer persçnlicheren Sicht stellte er fest, dass er einfach keinen weiteren Tod mehr aushalten wrde. In der Nacht dieser berschreitung der professionellen Grenzen legte er die Grundregeln fest, dass sie in getrennten Betten schlafen wrden und dass es keinen sexuellen Kontakt geben durfte. Die Patientin willigte ein, aber als es so weit war, schlpfte sie nachts in sein Bett und fragte nachdrcklich, ob Dr. N. sie halten kçnne. Eins fhrte zum anderen und zu guter Letzt hatten sie Geschlechtsverkehr. In Dr. N.s eigenen Worten: »Sie verfhrte mich gegen meinen Protest, dass wir unsere Schlafanzge anbehalten sollten.« Er wusste, dass dies seine Karriere zerstçren konnte, hielt aber an der Phantasie fest, er rette ihr damit vielleicht das Leben. Am nchsten Morgen erçffnete Jenny Dr. N., sie habe die ganze Zeit gewusst, dass er letzten Endes mit ihr schlafen werde. Sie wusste, dass Mnner sie unwiderstehlich fanden. Er sagte ihr, was sie getan htten, sei falsch gewesen, und sie drften einander nicht mehr sehen. Sie flehte ihn an, mit ihr auszugehen, aber er antwortete ihr, das sei unmçglich. Dr. N. kam einige Wochen nach diesem Ereignis zu mir zur Beratung, und er sagte mir, was geschehen sei, qule ihn. Jenny hatte ihm gesagt, dass es ihr wichtig sei, dass er sie lieben kçnne trotz allem, was er ber sie wisse. Er qulte sich jedoch weiterhin und begann zu erkennen, dass Jenny einen bçsartigen, sadistischen Zug hatte, den er bersehen hatte. Wie er mir berichtete, hatte er ihren Sadismus bemerkt, als sie beschrieb, wie sie andere Mnner, die rasend in sie verliebt waren, fallengelassen habe. Er dachte darber nach, wie er dennoch fr ihre Aggression ihm gegenber hatte blind sein kçnnen. Er beschrieb enorme Schuldgefhle, weil er zu erkennen begann, dass er ihre bertragungsphantasie konkretisiert hatte, indem er mit ihr schlief, und dass er daher das Inzesttrauma durch ihren Vater wiederholte. Dr. N. sagte mir, er sei sich whrend des Geschlechtsverkehrs bewusst geworden, dass etwas Aggressives wieder ausagiert werde. Er hatte sie nach der Verhtung gefragt und angenommen, da er wusste, dass sie mit drei Mnnern geschlafen hatte, sie nehme die Pille. Jenny sagte Dr. N., sie kçnne keine Kinder haben, und bestand darauf, er solle in ihr ejakulieren. Dr. N. empfand dagegen starkes Misstrauen, weil sie unmçglich wissen konnte, dass sie unfhig war, Kinder zu bekommen. Er wusste plçtzlich, dass sie ihn hinters Licht fhren wollte. Er entzog sich ihr und ihm wurde plçtzlich bel. Er ahnte, dass er sich in seinem Urteil ernsthaft getuscht hatte. Doch bei aller Pein entfuhr ihm der verrterische Satz: »Zumindest habe ich sie vor dem Selbstmord gerettet.«

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Diskussion Dieser Fall einer tragisch misslungenen psychoanalytischen Behandlung soll als Ausgangspunkt fr eine Reihe ernsthaft fehlgeschlagener Behandlungen dienen, in denen ich als Berater fungiert habe. Ich werde auch Beobachtungen heranziehen, die ich in der Rolle des Analytikers oder Therapeuten von Kollegen machen konnte, die bei suizidalen Patienten erhebliche Grenzverletzungen verbt haben. Einiges davon bezieht sich direkt auf Dr. N.s Fall, whrend anderes aus Fllen stammt, die ich aus Grnden der Vertraulichkeit nicht im Einzelnen erçrtern kann. Whrend das Beispiel von Jenny und Dr. N. sexuelle Grenzverletzungen beinhaltet, habe ich andere gesehen, in denen es zwar nicht direkt zu sexuellem Kontakt gekommen ist, die aber dennoch fr den Patienten ußerst destruktiv waren. In manchen Fllen haben besorgte Analytiker suizidale Patienten zu sich nach Hause eingeladen und sie wie Familienmitglieder behandelt, sie in die Ferien mitgenommen, sind mit ihnen einkaufen oder in çrtliche Restaurants zum Abendessen gegangen. In anderen Fllen haben Analytiker Patienten umsonst behandelt, ihnen ausgiebig von ihren eigenen Problemen erzhlt oder mit dem Patienten zahllose Kontakte außerhalb der Analyse an çffentlichen Orten oder bei dem Patienten zu Hause gehabt. Ich mçchte der Diskussion drei Hinweise vorausschicken. Erstens sollten Leser Dr. N.s Fall nicht als abartige Verfehlung abtun, die selten vorkommt. Das von mir beschriebene Szenario kommt leider unter den Grenzverletzungen, die mir zur Kenntnis gebracht wurden, immer hufiger vor. Zweitens kommen sexuelle Grenzverletzungen aus einer Reihe von Grnden vor, und die Fehlbehandlung von Suizidalitt ist dabei nur eines von vielen Szenarien (Gabbard u. Lester, 1995; Gabbard u. Peltz, 2001; Celenza u. Gabbard, 2003). Schließlich kçnnen Suizidtendenzen natrlich auf andere Weisen fehlbehandelt werden, die keine Grenzverletzung beinhalten, und wenn ich hier auf diese Umstnde nicht nher eingehe, mçchte ich damit ihre Bedeutung nicht herunterspielen.

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Desidentifizierung mit dem Angreifer Die Rolle von Zorn-, Hass-, Vergeltungs- und Mordphantasien ist in der Literatur ber den Suizid ausfhrlich untersucht worden (Asch, 1980; Chavrol u. Sztulman, 1997; Hendin, 1991; Kernberg, 1975; Maltsberger u. Buie, 1974; Maltsberger, 1980; Menninger, 1933). Es steht außer Frage, dass der Akt der Selbsttçtung fr die Hinterbliebenen außerordentlich destruktiv ist. Familienmitglieder und Freunde sind oft wtend darber, was ihnen angetan wurde. Suiziddrohungen im Kontext der analytischen Behandlung kçnnen als direkter Angriff auf die Kompetenz und die Person des Analytikers aufgefasst werden. Der Suizid ist fr einen Analytiker in der Tat die ultimative narzisstische Krnkung. Damit hat die Patientin dem Analytiker effektiv eins ausgewischt. Analytiker und Therapeuten sind nach dem Suizid eines Patienten oft am Boden zerstçrt. Einige der Kollegen, die zu mir zur Beratung gekommen sind, nachdem einer ihrer Patienten Suizid begangen hat, haben mir gesagt, sie zçgen ernsthaft einen Berufswechsel in Erwgung. Andere gestanden, dass sie wochenlang an nichts anderes denken konnten, weil sie sich fieberhaft an Warnsignale des Patienten, die sie bersehen haben kçnnten und die den Suizid vielleicht htten verhindern kçnnen, zu erinnern versuchten. Die Grenzverletzungen, die bei suizidalen Patienten vorkommen, hngen direkt mit einem falschen Umgang mit Hass und Aggressionen zusammen. Diese Behauptung trifft sogar noch eher zu, wenn der suizidgefhrdete Patient, wie in Jennys Fall, Opfer eines Kindheitstraumas ist. Patienten wie Jenny, die inzestuçse sexuelle Beziehungen mit dem Vater hatten, von der Mutter in einen Schrank eingesperrt wurden oder einer Vielzahl mçglicher anderer Varianten des »Seelenmordes« (Shengold, 1979) unterworfen waren, verinnerlichen feindselige Introjekte, die sie ein Leben lang verfolgen. Dr. N. sprach auf diese Geschichte und deren klinische Darstellung in einer Weise an, wie es vielen von uns erginge. Er war entschlossen zu demonstrieren, dass er ganz anders war als die misshandelnden Eltern, indem er sich außerordentlich bemhte, die Patientin vor dem Suizid zu retten. Diese Haltung des Analytikers, die ich anderswo als »Desidentifizierung mit dem

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Angreifer« beschrieben habe (Gabbard, 1997), stellt den verzweifelten Versuch dar, jegliche Verbindung mit der verinnerlichten Reprsentation eines bçsen Objekts zu leugnen, das die Patientin qult. Das misshandelnde Objekt kçnnte den Analytiker hinterrcks befallen haben oder er kçnnte sich aufgrund subtiler oder unverhohlener zwischenmenschlicher Erpressungen seitens des Patienten unbewusst damit identifizieren. Viele Patienten, die in ihrer Kindheit schwer missbraucht oder vernachlssigt wurden, gehen mit der Erwartung an die Analyse, dass sie eine Wiedergutmachung fr ihre tragische Vergangenheit in Form einer Sonderbehandlung durch den Analytiker verdient haben (Davies u. Frawley, 1992). Der bliche analytische Rahmen, innerhalb dessen wir dem Patienten einen analytischen Raum erschaffen, kann solchen Patienten entbehrungsreich, ja sogar sadistisch erscheinen. Es kommt vor, dass sie mehr Liebe und Frsorge einfordern, und der Analytiker will beweisen, dass er nicht so ein Ungeheuer ist wie die Eltern. Dr. N. war wie die meisten von uns dazu geneigt, die Verwandlung in ein bçses Objekt, das in der Innenwelt des Patienten haust, zu vermeiden. Wie Money-Kyrle (1956) schon vor Jahrzehnten gezeigt hat, ergreifen viele von uns diesen Beruf in dem unbewussten Versuch, unsere eigenen beschdigten inneren Objekte aus der Kindheit zu heilen. Wenn wir uns um Wiedergutmachung bemhen und stattdessen den Vorwurf hçren mssen, wir seien zerstçrerisch, wird unsere professionelle Reaktionsbildung derart herausgefordert, dass außergewçhnliche Angstzustnde die Folge sein kçnnen. Karl Menninger (1957) stellte einmal fest, dass die helfenden Berufe eine ideale Gelegenheit zum Vertuschen von Sadismus bçten. In gewisser Hinsicht versichern wir uns stndig, dass unsere Motive tadellos sind, weil wir uns dazu entschieden haben, uns tagaus tagein mit dem Verstehen anderer zu beschftigen und ihnen bei der Verbesserung ihres Lebens zu helfen. Ein unbewusstes Anliegen, die Dyade aus Hass und Aggression zu bereinigen, kann den Analytiker dazu fhren, den Sadismus bei der bertragung zu skotomisieren. Im Rckblick erkannte Dr. N., dass er Jennys bçsartige Seiten nur im Hinblick auf andere Mnner sehen konnte, nicht im Hinblick auf sich selbst.

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Aufgrund dieses blinden Flecks konnte der Sadismus der Patientin »unter dem Radar« von Dr. N. hinwegfliegen und in ihn eindringen. Das misshandelnde Objekt steckt fortan im Analytiker und operiert jenseits seines Bewusstseins, indem es ihn von innen verfolgt. Bei Dr. N.s Bemhung, die Patientin vor dem Suizid zu retten, ergriff das misshandelnde Objekt von ihm Besitz und fhrte Jennys Retraumatisierung herbei. Bis heute wird Dr. N. von der Bçsartigkeit, die Jenny und ihre innere Objektwelt auf ihn bertrugen, geqult, und jeden Tag muss er frchten, seine Karriere kçnne ruiniert sein, falls Jenny eine Beschwerde einreichen sollte. Somit zwngte sich Jenny in den Analytiker und lebte die Phantasie aus, dass sie beide nie getrennt sein wrden. Sie ist unvergesslich geworden. Sie steckt in ihm wie eine Art Fremdkçrper und befleckt ihn mit der Schndlichkeit, von der sie sich seit ihrer Kindheit durchdrungen fhlt. Nun fhlt sich auch Dr. N. hnlich »beschmutzt« und beschdigt. Ein anderer Ansatz zu verstehen, was zwischen Jenny und Dr. N. vorgefallen ist, geht entsprechend ber ihre Projektion eines misshandelnden Objekts auf ihren Analytiker hinaus. Sie kçnnte ein Bild von sich selbst als beschmutztem und geschdigtem Kind auf Dr. N. projiziert haben. In diesem Objektbeziehungsszenario identifiziert sie sich mit dem inneren misshandelnden Objekt und zerstçrt Dr. N. in derselben Weise, wie sie selbst von ihren Eltern zerstçrt wurde. Eltern, die ihre Kinder missbrauchen, tun dies manchmal aus Neid auf die Unschuld ihrer Kinder (Grotstein, 1992), die sie durch den Inzest verderben wollen. Analog kann es sein, dass die Patientin, die sich unbewusst mit den sie misshandelnden Eltern identifiziert, die aus ihrer Sicht unbefleckte Reinheit des Analytikers verderben will, indem sie ihn zu einer Grenzverletzung verfhrt. Der Patientin diese unbewussten Motive zu unterstellen, enthebt den Analytiker natrlich nicht der Verantwortung, sich moralisch zu verhalten, gleichgltig, welche Wnsche die Patientin an die Behandlung richtet. Die unbewussten ngste des Analytikers stehen oft im Mittelpunkt der Zwangslagen, die bei suizidalen Patienten vorkommen. Diese ngste kçnnen mit einem starken Gefhl der Verletzlichkeit angesichts der intensiven Destruktivitt des Patienten zusammen-

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hngen. Manche Analytiker frchten, dass ihr Ruf ruiniert wird, wenn ein Patient Suizid begeht. Andere haben Urngste ber das Verlassenwerden. Rosenfeld (1987) hat festgestellt, dass Analytiker in Zwangslagen manchmal mit ihren ngsten derart umgehen, dass sie sich mit einem Teil der Persçnlichkeit des Patienten verbnden und alle anderen Dimensionen des Patienten abspalten oder aufteilen. Dadurch kçnnen sich psychotische bertragungsGegenbertragungs-Reaktionen verfestigen und der Analytiker lahmgelegt werden. Der einzige Ausweg scheint dann in einer furchtbar irregeleiteten Reihe unorthodoxen Agierens zu liegen. Die Entsprechung zum bertragungshass ist natrlich der Gegenbertragungshass. Eines der schlimmsten Szenarien, das aus dem falschen Umgang mit der Aggression durch den Analytiker resultieren kann, besteht darin, dass der Gegenbertragungshass gegen den Patienten unentdeckt bleibt. Diese Leugnung kann zu katastrophalem Agieren fhren (Maltsberger u. Buie, 1974). Es kann vorkommen, dass Analytiker ihren Patienten unbewusst zu verstehen geben, dass sie sie nicht mehr sehen wollen oder dass sie Termine versumen. Eine Analytikerin fuhr sogar einmal fr eine Woche in Ferien und informierte ihre Patientin ber ihre bevorstehende Abwesenheit erst einen Tag vor ihrer Abfahrt. Manche Suizide kçnnen tatschlich dadurch ausgelçst werden, wenn Patienten den Eindruck gewinnen, ihr Analytiker lehne sie ab (Hendin, 1991). Federn (1929) bemerkte einmal sarkastisch, »nur jemand, den jemand anders tot wnscht, bringt sich um« (zit. nach Asch, 1980, S. 56). Dieser »andere jemand« kann durchaus der Analytiker sein. Ein Teil der Wut und Verzweiflung des Analytikers kann als direkte Reaktion darauf entstehen, dass bei dem Patienten keine Besserung entsteht, womit er die grçßenwahnsinnigen Heilungsversuche des Analytikers vereitelt. Celenza (1991) beschrieb einen Therapeuten, der negative Gegenbertragungsgefhle whrend eines Stockens der Behandlung nicht ertragen konnte und deshalb auch die negative bertragung der Patientin nicht aushielt. In einem unbewussten Versuch, smtliche negativen Gefhle bei der Patientin und sich selbst zu berspielen und stattdessen eine idealisierende bertragung herbeizufhren, ließ sich der Therapeut

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auf eine sexuelle Beziehung mit der Patientin ein. Auch Searles (1979) hat festgestellt, dass sexuelles Einlassen auf Patienten mit den therapeutischen Bestrebungen des Analytikers zu tun haben kçnnen. Um mit der Frustration wegen der ausbleibenden Besserung des Patienten umzugehen, geben sich manche Analytiker der Illusion hin, dass Geschlechtsverkehr die Patientin wie durch Zauberkraft verwandeln und heilen kann. Dr. N. etwa hielt an dem Aberglauben fest, dass er sich sexuell auf Jenny eingelassen habe, htte der Patientin das Leben gerettet.

Mangelnde Mentalisierung und Zusammenbruch des analytischen Raums Bei der Art von Zusammentreffen, die Dr. N. und Jenny ausagierten, bricht der Raum des analytischen Spiels zusammen. Jenny betrachtet Dr. N. nicht, »als sei« er ihr Vater. Er wird zu ihrem Vater, und der inzestuçse Akt muss wiederholt werden. Dr. N. seinerseits verliert die grundlegenden Bedingungen der analytischen Situation aus den Augen und verkennt die Als-ob-Dimension der Gegenbertragung, indem er einfach die Rolle des Vaters zum Leben erweckt. In diesem Szenario wird Dr. N.s Objekt (Jenny) konkret mit dem projizierten Teil des Subjekts (des Analytikers) identifiziert. Der Analytiker verhlt sich also gegenber der Patientin, als sei die Patientin ein Teil seines Selbst (Gabbard u. Lester, 1995). Der Unterschied zwischen dem Symbol und dem Objekt geht verloren, und beide Teile der Dyade lassen sich auf einen konkreten Symbolismus ein, bei dem das Symbol und das Symbolisierte unmittelbar gleichgesetzt sind (Segal, 1957). In dieser Zwangslage liegt eine folie  deux vor, eine gemeinsame Psychose bei bertragung und Gegenbertragung. Die Psychose bleibt auf die Dyade beschrnkt und hngt mit einem besonderen, aber begrenzten Zusammenbruch der Realittsprfung zusammen, die sich nicht auf andere Situationen verallgemeinern lsst. Whrend er bei seiner Behandlung von Jenny ins Schwimmen geriet, blieb Dr. N. weiterhin in der Lage, andere Patienten kompetent zu behandeln. Diese folie  deux stellt einen Angriff

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auf das Denken des Analytikers dar, der unmittelbar mit den destruktiven Wnschen der Patientin zusammenhngt. Rosenfeld (1987) schreibt in einer Erçrterung von Zwangslagen, dass Analytiker manchmal dazu neigen, sich in bestimmten Denkweisen zu verstricken, die eigentlich ein Nicht-Denken darstellen. Mit seiner Wahrnehmung von Jenny als Teil seines Selbst bewies Dr. N. auch eine mangelnde Mentalisierung, die in Zwangslagen mit suizidalen Patienten hufig vorkommt. Er verlor die Tatsache aus den Augen, dass Jennys Ansicht ber den Suizid und Suizidtendenzen sich von seiner eigenen grundlegend unterschied. Dr. N. sorgte sich um ihren suizidalen Zustand, betrachtete ihn als Krise und tat alles, um sie davon abzubringen. Jenny hingegen betrachtete den Suizid als eine Art Erlçsung. Er stellte fr sie einen Ausweg aus unaussprechlicher Verzweiflung dar. Sie entwickelte die Vorstellung davon als Kind, weil er ihr als einzige Mçglichkeit erschien, sich aus ihrer Gefangenschaft in einer inzestuçsen Beziehung zu befreien. Es gab also einen Anpassungsaspekt in ihrer Suizidalitt, der ihr ein Gefhl der Kontrolle, der Kohrenz und der Strke zum Weiterleben verlieh. In Walker Percys preisgekrçntem Roman »Der Kinogeher« (1960) erteilt die chronisch suizidgefhrdete Kate dem Helden Binx Bolling eine Lehre: »Sie glauben alle, ich wrde Selbstmord begehen. Was fr ein Witz. In Wahrheit ist natrlich das Gegenteil der Fall: Der Selbstmord ist das einzige, was mich am Leben hlt. Wenn alles andere schiefgeht, muss ich nur an Selbstmord denken, und in Null komma nichts bin ich wieder gut drauf. Wenn ich mich nicht umbringen kçnnte – ja, das wre ein Grund, es zu tun. Ich kann ohne Nembutal oder ohne Krimis leben, aber nicht ohne Selbstmord« (Percy, 1960/1993, S. 194 f.). Suizidtendenzen und der Akt der Selbsttçtung sind nicht das Gleiche. Die Aufgabe des Analytikers besteht darin, seinem Patienten dabei zu helfen, die Impulshandlungen von der Phantasie zu unterscheiden (Gabbard u. Wilkinson, 1994; Lewin u. Schulz, 1992). Viele Patienten mit schweren Persçnlichkeitsstçrungen und lang anhaltenden Kindheitstraumata sind wirklich suizidgefhrdet, und man muss das Suizidrisiko sorgfltig abschtzen. Ich will die potentielle Gefhrdung solcher Patienten keineswegs her-

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unterspielen. Der Analytiker darf Suiziddrohungen niemals locker abtun. Ich will aber sehr wohl darauf hinweisen, dass bermßige Besorgtheit ber das Risiko die Denkfhigkeit des Analytikers im Hinblick auf die Funktion und Bedeutung der Suizidalitt fr den Patienten beeintrchtigen kann. Dr. N.s mangelnde Mentalisierung fhrte ihn auf einen selbstzerstçrerischen Pfad, der auf einem Missverstndnis hinsichtlich Jennys suizidaler Absichten beruhte. Dr. N. war unfhig, der Patientin bei der Konstruktion einer symbolischen Dimension zu helfen, in der Phantasie und Handeln voneinander getrennt sind. In diesem Zusammenhang verdient Beachtung, dass Dr. N. bei einer Nachbehandlung sieben Jahre nach der sexuellen Episode erfuhr, dass Jenny immer noch keinen Suizidversuch unternommen hatte.

Grçßenwahn und Verlustangst In einer Zeit, wo uns die Psychologie des Analytikers mindestens so wichtig geworden ist wie die des Patienten, mssen wir uns mit dem Geisteszustand von Dr. N. zur Zeit der Grenzverletzung beschftigen. Im Vorjahr hatte er seine Analyse beendet, seine Schwester durch eine Krebserkrankung verloren, sein bester Freund war bei einem Autounfall gestorben, und seine Verlobte hatte ihn verlassen. Seine Trauer war noch ganz frisch, und die Aussicht auf einen weiteren Verlust, den seiner Patientin, schien ihn geradezu zu berwltigen. Dr. N. rang mit einer Empfindlichkeit oder Verletzlichkeit, die ihn besonders empfnglich dafr machte, die Verantwortung fr die Patientin zu bernehmen. Wenn er schon nicht den Verlust seiner Lieben in seinem Privatleben hatte verhindern kçnnen, so erhielt er doch jetzt die Gelegenheit, sein eingebildetes Versagen wieder gutzumachen, indem er seine Patientin rettete. Als Reaktion auf seine depressiven ngste setzte nun manische Abwehr ein, und er war zur Rettung der Patientin entschlossen. Der dieser Haltung innewohnende Grçßenwahn entging seiner Aufmerksamkeit, wurde ihm aber im Rckblick auf die Ereignisse zunehmend bewusst. Dr. N. schrieb mir einige Tage, nachdem er mich konsultiert hatte: »Ich halte an dem

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Glauben fest, dass die Liebe heilen kann, dass ich psychologisches Unrecht durch Willenskraft und persçnliches Charisma wieder gutmachen kann, aber ich werde wiederholt an die unvermeidlichen Grenzen und Irrtmer dieser Sichtweise erinnert und daran, dass ich mit dieser Vorstellung allmchtiger Hilfsbereitschaft spiele und mich fragen muss, was dies ber meine eigene Hilfsbedrftigkeit und das Bedrfnis der Patientin nach einem allmchtigen Anderen aussagt.« Dass er nicht auf ihre Einweisung in eine Klinik bestand, obwohl er davon berzeugt war, sie werde sich umbringen, ist ein Beispiel fr seine berzeugung, nur er kçnne die Patientin retten. Zumindest htten ihm die Krankenhauskollegen dabei helfen kçnnen, ber alternative Strategien nachzudenken oder gengend Distanz zu bekommen, um seine Beteiligung an der Gegenbertragung grndlicher zu durchdenken. Wie in vielen anderen Fllen ernstlicher Grenzbertretungen scheinen sich Dr. N. und Jenny auf einzigartige Weise ergnzt zu haben. Er hatte ein weitgehend unbewusstes Bedrfnis danach, durch Liebe zu heilen und damit eine bestimmte Form der Objektbeziehung auszuagieren – nmlich die des allmchtigen Heilers und der dankbaren Patientin (Gabbard, 2000a). Dr. N.s Eltern ließen sich in seiner frhen Kindheit scheiden, und er verbrachte einen Großteil seiner Jugend damit, seine Mutter vor Depression und Unglck zu bewahren. Er war stets berzeugt, dass seine Mutter mit Mnnern ausging, die fr sie nicht gut genug waren. Dr. N. rumte ein, dass Jenny seiner Mutter sehr hnelte, und im Rckblick erkannte er, dass er die Rettungsaktionen seiner Kindheit mit Jenny wiederholte. Wir kçnnen darber spekulieren, dass ihre hnlichkeit mit seiner Mutter sie noch verbotener und dadurch erst recht verfhrerisch machte. Die Patientin ihrerseits versprte ein starkes Bedrfnis, diese Inszenierung zu vereiteln und seinen therapeutischen Eifer ebenso zu zerstçren wie seinen professionellen Ruf. Je mehr sie seinen Bemhungen, sie zu heilen, widerstand, desto mehr steigerte er seine heldenhaften Bemhungen, sie zu verndern. Die Einzigartigkeit dieser Ergnzung wird durch die Tatsache besttigt, dass Dr. N. sich in seiner ganzen Karriere niemals irgendeine andere Grenzberschreitung zuschulden kommen ließ.

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Nach dem Vorfall mit Jenny beschloss er, sich einer weiteren Analyse zu unterziehen. Er hat in den Jahren seit seiner Behandlung von Jenny keine weiteren Verstçße berichtet. Analytiker, die sich auf diese Art von folie  deux mit einem suizidalen Patienten einlassen, vergessen oft, was eigentlich eine Analyse ist. Sie gelangen zu der berzeugung, dass ihre analytischen Kenntnisse und ihre Ausbildung wertlos sind; nur sie als Person kçnnen den Patienten retten. Dieses Rettungsparadigma kann die Form eines Mngelmodells annehmen. Dabei redet sich der Analytiker ein, irgendetwas werde fr das entschdigen, was in der Kindheit fehlte (Gabbard u. Lester, 1995). Im Fall von Dr. N. konkretisierte sich die Vorstellung der Erfllung eines Mangels durch den Akt, dass er mit seinem Penis in ihre Vagina eindrang. Diese Regression von der Phantasie zur konkreten, kçrperlichen Penetration ist charakteristisch dafr, wie Analytiker in solchen Situationen in einen psychotischen Geisteszustand geraten kçnnen. Dieser primitive, vernderte Zustand kann sie dazu fhren, die Phantasien und Wnsche ihrer Patienten ganz wçrtlich zu nehmen. Sexualisierung kann in solchen Situationen eine panische Abwehr des Totseins bedeuten. In der Inzestliteratur gibt es hinreichend Beschreibungen von Gefhlen des Nichtseins (Bigras u. Biggs, 1990; Gabbard, 1992). Das Selbstwertgefhl des Inzestopfers ist in seiner Entwicklung schwer gestçrt, und ein nachhaltiges Gefhl des Totseins kann die Folge sein. Bei Analytikern kçnnen entsprechende Gefhle aufkommen, besonders wenn der Patient sich entzieht und sich in die Vorbereitung eines Suizids vertieft (Gabbard, 1992). Sexualisierung scheint die Hoffnung zu versprechen, sowohl dem Patienten als auch dem Analytiker Leben und Aufregung wiederzugeben – in einem vergeblichen Versuch, eine eingeschlafene Behandlung wiederzubeleben (Coen, 1992; Gabbard, 1996). Sexualisierung kann jedoch auch eine selbstzerstçrerische Kapitulation vor dem Patienten bedeuten. Dr. N. war sich vollkommen bewusst, dass er sich selbst opferte, um seine Patientin zu retten. Auch andere Analytiker sind bereit, sich einem suizidalen Patienten masochistisch zu ergeben, um ihm das Ausmaß ihrer Frsorge

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zu beweisen (Gabbard u. Lester, 1995). Manche unserer Kollegen sind geradezu berhmt dafr, dass sie »unmçgliche« Patienten behandeln, die sonst keiner nehmen will. Obwohl einige davon begabte Analytiker sind, scheint ein Teil dieser Gruppe im Verlauf des Berufslebens eine Situation nachzuerschaffen, die oft eine problematische Beziehung zu den eigenen Eltern verrt. Es kann sein, dass sie damit ablehnenden oder emotional distanzierten Eltern ihren Wert beweisen oder frhere Vernachlssigungen durcharbeiten wollen. Es kann auch sein, dass sie, indem sie sich dem Patienten unterwerfen, einen heimlichen Grçßenwahn pflegen, sogar eine Identifikation mit Jesus, nehmen sie doch das Leid fr die Snden anderer auf sich, um diese anderen zu erlçsen. Diese masochistische Haltung kann auch ein Reflex auf die Panik davor sein, einen frhen Objektverlust in ihrem eigenen Leben zu wiederholen. Die Bereitschaft, die eigene Karriere aufs Spiel zu setzen, erscheint dann im Vergleich zu einem weiteren Verlust als das geringere bel. In Zeiten, wenn der Analytiker gerade einen persçnlichen Verlust erlitten hat, neigt er womçglich besonders dazu, den Patienten um jeden Preis retten zu wollen, anstatt sich mit einer weiteren Variante des Objektverlustes zu konfrontieren, der ihn ohnehin schon genug plagt. Dr. N. war beispielsweise willens, seinen Moralkodex zu verletzen. Er dehnte die Stunden aus, hçrte auf, die Zusatzzeit zu berechnen, und erfllte der Patientin den Wunsch, mit ihm zu schlafen, in einer heroischen Anstrengung, ihr zu beweisen, dass ihm genug daran lag, ihr Leben retten zu wollen. Er war sich bewusst, dass er dafr seinen Beruf verlieren konnte. Was fr einen Außenstehenden eindeutig eine Inzestwiederholung war, legte sich der Analytiker als edelmtige Selbstaufopferung zurecht. Mir ist es immer wie eine besondere Ironie vorgekommen, wie Grenzberschreitungen mit hochgradig gestçrten Suizidpatienten gerechtfertigt werden. Die Rechtfertigung fr nichtanalytische Maßnahmen, die einen auf den schlpfrigen Pfad der Grenzberschreitungen fhren, besteht darin, dass einzig und allein radikale Abweichungen vom analytischen Rahmen den Patienten erreichen. Das ist eine Ironie, weil diese traumatisierten, schwer gestçrten Patienten gerade diejenigen sind, die ein haltendes, deutliches

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Grenzensetzen in der Behandlung brauchen, um ihre Retraumatisierung und die Grenzenlosigkeit ihrer Kindheitssituationen zu vermeiden. Ich breche hier natrlich keine Lanze fr unerbittliche Strenge bei der Behandlung gestçrter Patienten mit Kindheitstrauma. Im Gegenteil habe ich mich immer fr einen flexiblen Umgang mit solchen Patienten eingesetzt (Gabbard, 1997; Gabbard u. Lester, 1995; Gabbard u. Wilkinson, 1994). Eine affirmative, einfhlsam haltende Umgebung ist entscheidend. Ich mçchte jedoch betonen, dass die Flexibilitt zur Rechtfertigung der ungeheuerlichsten Grenzberschreitungen herhalten muss, ohne Rcksicht auf die Tatsache, dass damit die Kindheit einfach wiederholt wird, anstatt sie zu halten und durch analytische Vorgehensweisen zu verstehen.

Schlussfolgerungen Was lernen wir aus diesen tragischen Fehlschlgen psychoanalytischer Behandlungen? Zunchst mssen wir uns klar werden, dass wir nie den Patienten fr die berschreitungen des Analytikers verantwortlich machen drfen. Der Patient verfgt ber keinen beruflichen Verhaltenskodex und hat ein Recht darauf, die Grenzen des psychoanalytischen Settings auszuloten. Betty Joseph sagte mir gegenber einmal: »Der Patient hat jedes Recht zu versuchen, den Analytiker zu verfhren. Der Analytiker hat kein Recht zuzulassen, dass er verfhrt wird.« Dennoch schleicht sich die Suiziddrohung in einer Weise in die Seele des Analytikers ein, die in unserer Erfahrung einzigartig ist. Sie fhrt uns die Grenzen dessen, was wir als Analytiker vermçgen, unmittelbar vor Augen. Eine naheliegende Lehre, die wir aus diesen Fllen ziehen kçnnen, besteht darin, dass eine Analyse fr bestimmte suizidgefhrdete Patienten nicht die angemessene Behandlungsform sein kann und daher andere Maßnahmen in Betracht gezogen werden mssen. Ein anderer Grenzbereich der Psychoanalyse ist ihre Abgrenzung gegen die Psychiatrie. Falls nçtig, mssen wir die Expertenmeinung der Kollegen einholen, die sich mit Psychopharmakolo-

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gie, Elektroschocktherapie und psychiatrischer Klinikbehandlung auskennen. Uns allen kme in diesen Fllen eine durchlssigere Grenze zwischen Psychiatrie und Psychoanalyse zugute. Denn manchmal berschtzen wir die Mçglichkeiten der analytischen Behandlung. In anderen Situationen schtzen wir die Analyse hingegen zu gering. Es kommt vor, dass Analytiker allzu bereitwillig die Mçglichkeiten des Haltens und Verstehens verwerfen und sich kopfber in unbesonnene Aktionen strzen. Dr. N. erinnerte sich, dass er sich davor scheute, Jennys bertragungsfeindseligkeit systematisch zu deuten. Etwas unbeholfen stellte er fest, dass seine Deutungsarbeit sich auf ihre Beziehungen mit anderen Mnnern beschrnkte. Als sie sich im zweiten Jahr der Behandlung anfing zu »langweilen«, fragte er sie, ob sie wtend auf ihn sei, aber Jenny leugnete jegliche Feindseligkeit. In den letzten Wochen ihrer Behandlung gestand er ihr, dass er sich geqult fhle. In einer oberflchlich liebevollen Reaktion versicherte sie ihm, sie wolle ihm nicht wehtun oder Sorgen bereiten. Jenny sagte zu Dr. N., er kçnne stolz darauf sein, dass er sie berhaupt so lange am Leben gehalten habe, und es sei nicht seine Schuld, dass sie schon so frh im Leben verdorben worden sei. Im Rckblick begriff er, dass dies ein »manipulativer Trick« war. Eine weitere Lehre, die wir aus der sorgfltigen Untersuchung dieser Flle ziehen kçnnen, besteht in der Erkenntnis, dass wir Analytiker gegenber dem Praktizieren von Psychoanalyse ußerst ambivalent sind. Unsere Liebe zur Analyse wird dauernd von unserem unbewussten Hass auf die Analyse bedroht (Steiner, 2000). Wir mssen bei unserer Arbeit einen großen Druck aushalten, der seinen Tribut fordert. Wir verlangen uns eine Selbstdisziplin ab, mit der nur wenige Berufe mithalten kçnnen. Die analytische Rolle wird oft als Zwangsjacke erlebt, aus der wir am liebsten entkommen mçchten. Dr. N. ist nicht der einzige, der die heimliche Phantasie hegt, dass die Liebe wirkungsvoller ist als eine Behandlung. In vielen Fllen wird der Hass auch von tiefen Ressentiments gegen den eigenen Lehranalytiker oder das Institut geschrt (Gabbard u. Lester, 1995). Der unbewusste Hass auf die analytische Rolle und die analy-

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tische Arbeit verbindet sich oft in Teilen mit Neid auf den Patienten. Das analytische Setting ist asymmetrisch, da es eine moralische Notwendigkeit ist, sich ausschließlich den Bedrfnissen und Belangen des Patienten zu widmen. Es ist gewiss ein Luxus, vier oder fnf Mal die Woche die ungeteilte Aufmerksamkeit eines anderen Menschen fr sich beanspruchen zu drfen. Wir Analytiker sehnen uns manchmal nach einer hnlichen Aufmerksamkeit. Ferenczi (1932/1988) bekannte beispielsweise einmal, dass er seinen Patienten zu geben versuchte, was er selbst nicht von seiner Mutter erhalten hatte. Die analytische Situation verstrkt dieses Problem indes nur, da sie den Finger auf die Wunde des Analytikers legt. Anders gesagt musste Ferenczi, indem er seinen Patienten immerfort nur gab, seine eigene Entbehrung umso schmerzlicher spren. Letztlich experimentierte er mit gegenseitigen Analysen, um etwas zur Befriedigung seiner eigenen Bedrfnisse von den Patienten zurckzubekommen. Es ist ihm hoch anzurechnen, dass er dieses Experiment aufgab, als er erkannte, wie viele Probleme es mit sich brachte. Dennoch bin ich erstaunt, wie oft mir in den letzten Jahren whrend meiner Beraterttigkeit in Fllen von Grenzberschreitungen Ferenczis gegenseitige Analyse als Rechtfertigung dafr vorgehalten wurde, dass der Analytiker sich mit dem Patienten auf die Couch gelegt und seine persçnlichen Probleme mit ihm erçrtert hat. Der Umgang mit dem Hass in der Dyade spielt in diese Variante der Inszenierung ebenfalls hinein. Friedman (1995) hat gezeigt, dass sich an Ferenczis Schriften die Beziehung zwischen gegenseitiger Analyse und Verfolgungshass ablesen lsst. Ferenczi erkannte, dass seine gezwungenen, bermßig hçflichen Manieren die Patientin daran hinderten, sich vom Verfolgungshass zu befreien. Daher regte er eine gegenseitige Analyse an, weil sie ihm erlaubte, der Patientin seinen Hass zu gestehen und ihre Vergebung dafr zu erhalten. Ferenczi war der Ansicht, der Analytiker msse die Hassprojektionen des Patienten auf sich nehmen und sie ihm dann gestehen. Leider hielt er den Hass fr im Wesentlichen unwirklich und potentiell lenkbar durch die berwltigende Liebe des Analytikers. Friedman stellt jedoch fest: »Die Behauptung, dass eine Form der Liebe eine angemessene und/oder

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heilsame Erwiderung auf das Leid des Patienten sei, steigert die Bedrftigkeit des Patienten nur noch, indem sie auf den Analytiker einen unertrglichen Druck ausbt, der unglaubliche Spannungen hervorruft« (Friedman, 1995, S. 973, bers. S. B.). Eine weitere Lehre, die aus den Fllen von Ferenczi und Dr. N. ebenso wie aus anderen irregeleiteten Behandlungen zu ziehen ist, besteht darin, dass suizidale Patienten nach einem »mçglichst bçsen Objekt« suchen (Gabbard, 2000a; Rosen, 1993). Diese Patienten brauchen den Analytiker dringend dafr, dass er das misshandelnde Objekt in ihrem Innern hlt, das an ihnen frisst und ihnen Leid verursacht. Analytiker, die sich nicht in das bçse Objekt verwandeln lassen wollen, fordern ihre Patienten lediglich dazu auf, ihre Bemhungen, Hass und Aggression innerhalb der Dyade zu erreichen, noch zu steigern (Fonagy, 1998; Gabbard, 2001). Dem Analytiker fllt es zu, dem magnetischen Sog zu widerstehen, sich mit dem Angreifer zu desidentifizieren. Wir mssen in der Lage sein zu erkennen, dass bestimmte Seiten des Patienten zornauslçsend, rgerlich, destruktiv und missbruchlich sind, und wir mssen uns unsere Reaktionen eingestehen kçnnen. Die Rolle des Analytikers besteht darin, sich hassen zu lassen und den Hass zu verstehen; er darf die unangenehmen Affektzustnde nicht projektiv verleugnen und in Eltern- oder anderen Figuren außerhalb des Behandlungszimmers erblicken. Dr. N.s Fall ist auch ein gutes Beispiel fr die Tatsache, dass eine Konsultation zwar hilfreich sein kann, aber kein Allheilmittel ist. Mçglicherweise suchen wir uns einen Analytiker, der uns sagt, was wir hçren wollen. Wir kçnnen die Beratung manipulieren, indem wir bestimmte Aspekte der Behandlung verschweigen. Wir kçnnen den Rat in den Wind schlagen. Es kann sein, dass wir insgeheim der Ansicht sind, dass niemand außerhalb der quasiinzestuçsen Dyade aus Analytiker und Analysand die speziellen und einzigartigen Aspekte eines besonders suizidgefhrdeten Patienten auch nur annhernd verstehen kann (Gabbard, 2000b). Eine Beratung kann in solchen Fllen außerordentlich wertvoll sein, aber nur, wenn der Analytiker einen Berater whlt, der die Situation von einer neuen Warte aus sehen kann und seine Einsichten mit dem Beratungsuchenden teilen darf.

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Der Grat zwischen den altruistischen Wnschen, unseren Patienten zu helfen, und Allmachtsphantasien, sie zu heilen, ist schmal. Wir mssen uns vor der illusorischen berzeugung hten, nur wir allein kçnnten einem Patienten helfen und nur unsere einzigartige Persçnlichkeit kçnnte ihm ntzen, anstatt unser Wissen und unsere Technik. Wir mssen in unseren Grenzen als Analytiker sogar zulassen, einige Patienten zu verlieren. Diese Einsicht kann uns dabei helfen, masochistische Unterwerfungsszenarien zu vermeiden, bei denen wir uns in einer blinden und grçßenwahnsinnigen Anstrengung selbst opfern. Viele von uns vernachlssigen bei der Ausbildung zum Analytiker die Sorge um das eigene Selbst. Lebensrettern oder Bademeistern wird in ihrer Ausbildung zuallererst beigebracht, dass sie selbst in Sicherheit sein mssen, bevor sie einen Ertrinkenden retten kçnnen. Wenn dafr nicht gesorgt wird, kçnnen leicht zwei Menschen ertrinken, anstatt nur einem. Von dieser Philosophie kçnnen wir bei der Ausbildung unserer Kandidaten profitieren. Wir mssen uns um unser Privatleben kmmern und sichergehen, dass unsere eigenen Bedrfnisse erfllt sind, bevor wir andere zu retten versuchen. Die Untersuchung dieser Flle gibt uns ein deutliches Signal, dass suizidgefhrdete Patienten uns trotz heldenhaftester Anstrengungen mit sich hinunterziehen kçnnen. Es ist unsere Pflicht, sicherzugehen, dass wir alles tun, um unseren Kopf ber Wasser zu halten. Aus dem Englischen von Sabine Baumann (Frankfurt am Main).

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Analytische Neutralitt in der Lehranalyse

Dieses Dokument wurde von mir in Zusammenarbeit mit anderen Mitgliedern des Lehrausschusses der Britischen Psychoanalytischen Vereinigung verfasst und folgte einem einfhrenden Entwurf von Anne-Marie Sandler. Es befasst sich mit der Ernennung von Lehranalytikern und generellen Themen der Ausbildungspolitik im Hinblick auf den Lehranalytiker-Status. Zum Zeitpunkt der Niederschrift berdachte der Lehrausschuss die Prozeduren, welche die Berichterstattung von Lehranalytikern an den Lehrausschuss betreffen. Obwohl die Britische Vereinigung als »berichtende Vereinigung« (»reporting society«) bekannt ist, haben Lehranalytiker in Wirklichkeit seit Jahrzehnten keine Berichte ber die Analysen ihrer Kandidaten abgegeben. Viele Jahre lang war die Vorgehensweise so, dass Lehranalytiker eine Empfehlung aussprachen, wenn ihre Kandidaten so weit waren, dass sie die theoretische Ausbildung beginnen, ihren ersten Kontrollfall bernehmen und sich qualifizieren sollten. Sie waren auf keine andere Weise in die Ausbildung ihrer Kandidaten involviert. Deshalb waren sie keine »berichtenden Analytiker«, aber sie hatten das Recht, ihre Kandidaten an bestimmten Meilensteinen der Ausbildung zurckzuhalten, wenn sie der Meinung waren, dass sie noch nicht so weit wren vorzurcken. Dieses System sollte revidiert werden, als dieses Dokument geschrieben wurde, und der dritte Abschnitt bezieht sich auf eine nderung, nach der die zweite und dritte dieser Empfehlungen nicht mehr vom Lehranalytiker durchgefhrt und nur die erste beibehalten werden sollte.

Grundelemente der klinischen Praxis – wie die Fokussierung unbewusster Vorgnge, das Zuhçren und Deuten in Hinblick auf die innere Realitt und die Beachtung von bertragung und Gegenbertragung – sind grundlegend fr jede Psychoanalyse. Gewisse Zge aber, welche die Ausbildungssituation kennzeichnen, kçnnen in einer fr die Lehranalyse spezifischen Weise das Setting frben und die analytische Beziehung beeinflussen. Lehranalytiker und Ausbildungskandidat gehçren derselben psychoanalytischen Gemeinschaft an. Das bedeutet, dass das Ma-

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terial des Ausbildungskandidaten wahrscheinlich Bezge zu Leuten enthlt, die der Analytiker kennt und mit denen er vielleicht beruflich in Verbindung steht. Der Ausbildungskandidat kann ber andere Kandidaten reden, die der Analytiker unterrichtet, supervidiert oder auch in Analyse hat. Kollegen des Analytikers werden in der Organisation der Ausbildung Entscheidungen ber den Kandidaten treffen, Entscheidungen, hinsichtlich derer der Analytiker vielleicht feste berzeugungen hat. Der Kandidat kann starke Gefhle, positive und negative, bringen ber andere Analytiker, die fr den Lehranalytiker eine wichtige persçnliche Bedeutung haben. Es stellt an die analytische Neutralitt von Lehranalytikern ungewçhnliche Anforderungen, ihre persçnlichen Reaktionen auf solches Material zur Seite zu stellen, ohne sie zu verleugnen oder zu unterdrcken, und es nur im Hinblick auf seine psychische Bedeutung fr den Patienten zu behandeln. Ausbildungskandidaten kçnnen darber hinaus nicht umhin wahrzunehmen, dass ihre Kommentare ber diese anderen Personen und ber die Ausbildungsorganisation persçnliche Reaktionen bei ihren Analytikern hervorrufen. Dies eignet sich fr alle mçglichen Arten von Mançvern in der bertragung, und Lehranalytiker mssen besonders aufmerksam sein bezglich ihrer Gegenbertragungsreaktionen. Man kann nur allzu leicht in eine unangemessene Inszenierung von bertragungs-Szenarios gezogen werden, entweder in dem, was in den Stunden ausgesprochen oder nicht ausgesprochen wird, oder manchmal in Aktionen außerhalb des analytischen Settings. Die Situation wird noch komplizierter durch den Umstand, dass unsere Ausbildungsprozeduren sehr wohl verlangen, dass der Analytiker außerhalb seines Rahmens auf eine Weise handelt, die normalerweise unakzeptabel wre. Kommunikation ber die Analyse mit einer dritten Partei verletzt das Setting, aber ein Lehranalytiker muss mit der Ausbildungsorganisation kommunizieren. Die Britische Vereinigung hat das Ausmaß davon stetig reduziert, aber ein grundstzliches Minimum bleibt, indem Lehranalytiker noch immer eine Empfehlung auszusprechen haben, wann Ausbildungskandidaten registriert werden und mit den Ausbildungsseminaren beginnen sollten.

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Diese offensichtlich anormale Situation kommt daher, dass die Lehranalyse eine doppelte Funktion und der Lehranalytiker eine doppelte Verantwortung hat. Eine Lehranalyse ist eine persçnliche Analyse, die der Analysand fr seine persçnliche Entwicklung braucht. In dieser Hinsicht ist der Analysand ein Patient. Sie ist aber auch eine auf Erfahrung basierende Vermittlung, woraus Psychoanalyse selbst besteht. In dieser Hinsicht ist der Analysand ein Ausbildungskandidat. Beide Elemente sind wesentlich. Wenn keine persçnliche Bedeutung vorhanden ist, dass nmlich der Patient die Analyse emotional braucht, dann besteht keine Mçglichkeit, dass ihm der Sinn einer Psychoanalyse vermittelt wird oder dass er ihn selbst entdeckt. (Wenn Kandidaten, die bereits einige Jahre in Analyse waren, zur Ausbildung angenommen werden, macht es die Forderung, bis zur Qualifikation in Analyse zu bleiben, unter Umstnden nicht leicht, dieses Gefhl einer emotionalen Notwendigkeit lebendig zu halten.) Der Lehranalytiker ist gegenber dem Patienten dafr verantwortlich, sein persçnlicher Analytiker zu sein und den Rahmen zu schtzen, der das mçglich macht. Der Lehranalytiker ist auch gegenber dem Ausbildungsinstitut, gegenber den potentiellen knftigen Patienten des Ausbildungskandidaten und gegenber der Psychoanalyse selbst dazu verpflichtet, dass ein Kandidat nicht mit seiner Zustimmung auf ungesunde Weise in der Ausbildung voranschreitet oder sich qualifiziert, wenn er das nicht tun sollte. Lehranalytiker brauchen einen klaren Begriff dieser doppelten Verantwortung, um den widersprchlichen Anforderungen gerecht zu werden, die dadurch an sie gestellt werden. Auch der Kandidat muss ein klares Verstndnis der Ausbildungsprozeduren bekommen, besonders im Hinblick auf die Kommunikationen des Analytikers mit der Ausbildungsorganisation. Auf diesem Hintergrund hlt der Analytiker den persçnlichen Aspekt der Analyse aufrecht, indem er das Setting auf keine Weise verletzt mit Ausnahme der durch die Ausbildungsprozeduren gegebenen Erfordernisse, deren sich der Patient bewusst ist. Der Ausbildungsaspekt der Analyse wird von den Analytikern aufrechterhalten, indem sie darauf vorbereitet sind, innerhalb der Ausbildungsprozeduren diejenigen Entscheidungen ber den Fortschritt eines Kandidaten

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zu treffen, die sie fr notwendig halten. Die meisten Lehranalysen verlaufen einfach genug, aber diese Prinzipien zu artikulieren hilft zu verstehen, wie gelegentlich Probleme entstehen kçnnen. Manchmal ist das Komitee, das sich mit dem Fortschritt der Ausbildungskandidaten befasst, besorgt um die Ausbildung eines Kandidaten. Es kann zum Beispiel ein beunruhigendes Muster in den Berichten der Seminarleiter oder Supervisoren auftauchen oder es kçnnen Schwierigkeiten in den Beziehungen eines Kandidaten mit einem Ausbildungsberater oder der Klinik auftreten. Es kçnnen eigene Interviews arrangiert werden, um die Situation zu bewerten, und das Ausbildungskomitee kann in Erwgung ziehen, das Vorrcken des Kandidaten in der Ausbildung aufzuschieben. Der Analytiker, der ein einzigartiges Wissen ber seinen Kandidaten hat, mag sich in solchen Fllen stark dazu getrieben fhlen, seine Ansicht der Ausbildungsorganisation zu vermitteln, besonders wenn der Analytiker nicht damit einverstanden ist, wie mit der Situation umgegangen wird. Wenn der Analytiker zum Anwalt des Kandidaten wird oder wenn er außerhalb der anerkannten Parameter in Belange der Ausbildungssituation des Kandidaten involviert wird, bedeutet das, dass der Ausbildungskandidat nicht mehr analytisch als Patient behandelt wird. Der Rahmen der persçnlichen Analyse ist gebrochen worden. Manchmal fhlen sich Lehranalytiker ußerlich vom Patienten und innerlich von sich selbst unter großem Druck so zu handeln, und eine starke bertragungssituation mag den Druck noch erhçhen. Es kann sehr schwer fr sie sein, Ausbildungsschwierigkeiten nur als Probleme innerhalb der Analyse anzugehen und die persçnliche Analyse ihrer Patienten zu schtzen, indem sie deren Beurteilung als Ausbildungskandidaten dem Lehrausschuss berlassen. Das umgekehrte Problem kann auftreten, wenn der Lehranalytiker eine Entscheidung bezglich eines Ausbildungskandidaten treffen und dem Lehrausschuss darber als Teil der regulren Ausbildungsprozedur berichten muss. Da der Kandidat auch ein Patient in Analyse ist, mag der Lehranalytiker besorgt darber sein, was seiner Meinung nach wirklich gesagt werden muss. Der Analytiker, der in der Ausbildung dafr verantwortlich ist, die Registrierung zu empfehlen oder ihr zuzustimmen, oder dass ein Kan-

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Analytische Neutralitt in der Lehranalyse

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didat mit den Vorlesungen und Seminaren beginnen soll, kann der Ansicht sein, dass der Kandidat in Wirklichkeit noch nicht dazu bereit ist. Auch wenn die formale Zustimmung des Analytikers zur bernahme eines Kontrollfalls und zur Qualifizierung nicht erforderlich ist, kann ein Lehranalytiker trotzdem innerhalb der Analyse hinterfragen wollen, ob der Schritt angebracht ist. Er kann befrchten, dass es die analytische Beziehung stçren und die persçnliche Analyse des Kandidaten als Patienten behindern wird, wenn er seine Zustimmung verweigert oder Zweifel an dem Karriereschritt ußert. Solche Befrchtungen seitens des Lehranalytikers kçnnen zu ungerechtfertigter Vorrckung in der Ausbildung fhren und zur Qualifikation von Analytikern, die nicht kompetent und zuverlssig sind. Um das zu vermeiden, mssen die Lehranalytiker ein sicheres Gefhl haben, dass – was auch immer sie aus ihrer Ausbildungsverantwortung heraus tun – auch analytisches Material innerhalb der persçnlichen Analyse ihrer Patienten ist. Die Reaktionen eines Kandidaten, der sich durch den Analytiker zurckgehalten fhlt, kçnnen sehr belastend sein, aber so stçrend sie auch sein mçgen, der Analytiker muss sich in der Lage fhlen, damit psychoanalytisch innerhalb des Rahmens der persçnlichen Analyse umzugehen. Das Aufgreifen der emotionalen Bedeutung von Handlungen, die der Analytiker als Lehranalytiker setzt, hngt wiederum davon ab, dass der Analytiker nur innerhalb der anerkannten Parameter der Ausbildungsprozeduren handelt und dass diese Prozeduren fr die Kandidaten transparent sind. Es ist bemerkenswert, dass Ausbildungssysteme, welche die persçnliche Analyse und die didaktische Ausbildung vollstndig voneinander trennen und berhaupt keine Kommunikation zwischen Analytiker und Lehrinstitut haben, dieser Schwierigkeit dennoch nicht entgehen. Wenn der Analytiker keinen Einfluss auf den Fortschritt des Kandidaten in der Ausbildung hat, mag es den Anschein haben, dass die persçnliche Analyse unbelastet bleibt. Aber einfach durch die Tatsache, dass der Analytiker fortfhrt, der Analytiker des Kandidaten zu sein, stimmt der Analytiker indirekt zu, dass der Kandidat seine Ausbildung fortsetzt und sich qualifiziert, unter den Auspizien des Analytikers. Es besteht immer die Mçg-

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lichkeit es abzulehnen, als Lehranalytiker des Ausbildungskandidaten weiterzuarbeiten. So selten auch eine solche extreme Handlungsweise notwendig sein mag, ist es doch in solchen Ausbildungssystemen die einzige verfgbare Option des Analytikers, seine Zustimmung zu verweigern, und wenn der Kandidat sich qualifiziert, muss der Analytiker die Verantwortung dafr bernehmen, dass er zugelassen hat, dass die persçnliche Analyse fr Ausbildungszwecke verwendet wurde. Das Setting der Lehranalyse kann also, allgemein gesagt, entsprechend seinem doppelten Aspekt auf zwei Arten kompromittiert werden. Sein Rahmen als persçnliche Analyse kann gebrochen werden, wenn der Analytiker in unangemessene Kommunikationen mit der Ausbildungsorganisation involviert wird. Und seine Lehrfunktion kann geopfert werden, wenn der Analytiker durch unpassende Befrchtungen wegen seiner oder ihrer Rolle als persçnlicher Analytiker behindert ist. Als Schutz gegen den ersteren Fall sollten die Lehranalytiker wissen, dass sie sich letzten Endes auf das Urteil und die Integritt des Lehrausschusses verlassen kçnnen, auch wenn sie sich manchmal noch so sehr ber ihn rgern. Beide Arten des Versagens im Setting der Lehranalyse entstehen hçchstwahrscheinlich aufgrund von bertragungsinteraktionen, die nicht analytisch gemeistert werden konnten: intensive positive, vielleicht erotisierte bertragungen oder negative, die von Wut, Aggression, Neid und Verfolgungswahn gekennzeichnet sind. Es entwickelt sich ein unbewusstes Zusammenspiel, entweder indem solche Gefhle abgespalten und nicht wahrgenommen werden oder indem sie von dem analytischen Paar nach außen auf die Ausbildungsorganisation projiziert werden. Wenn die analytische Qualitt des Settings derart kompromittiert worden ist, muss der Analytiker daran arbeiten, wieder eine neutrale Position einzunehmen und zu analysieren, was auch immer der Patient an Enttuschung, Wut und Frustration empfinden mag. Es kann in solchen Fllen wertvoll fr den Lehranalytiker sein, sich mit einem erfahrenen Kollegen zu beraten. Wenn das nicht mçglich erscheint in der eigenen Vereinigung des Analytikers, kçnnte eine Beratung mit einem Kollegen aus einer anderen Vereinigung der Internatio-

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Analytische Neutralitt in der Lehranalyse

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nalen Psychoanalytischen Vereinigung in Erwgung gezogen werden. Die notwendige analytische Arbeit kann den Analytiker zum Ziel schmerzvoller, heftiger Verfolgungsphantasien oder einer offen erotisierten bertragung machen. Es kann sehr schwierig sein, einen echten analytischen Rahmen wiederherzustellen, und wenn es sich als unmçglich erweist, kann der Analytiker auf eine Beendigung und bergabe der Analyse an einen Kollegen hinarbeiten. Das Problem der Vertraulichkeit innerhalb der analytischen Gemeinschaft bedeutet, dass Lehranalytiker sich stark vereinsamt fhlen kçnnen, wenn Schwierigkeiten in der Ausbildung von Kandidaten auftauchen, die ihre Patienten sind. Das Wesen der Ausbildungssituation selbst kann Lehranalytiker sehr verletzlich machen, wenn sie versuchen, den problematischen Anforderungen analytischer Neutralitt zu entsprechen. Diejenigen, die fr die Ausbildung verantwortlich sind, mssen sich dessen bewusst sein und berlegen, wie Lehranalytiker in einem frhen Stadium bei der Auseinandersetzung mit schwierigen Situationen untersttzt werden kçnnen. Aus dem Englischen von Sylvia Zwettler-Otte.

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Gabriele Junkers

Der Abschied vom Leben als Analytiker

»Mit sechs stopfen sie einem die spitze Tte in den Arm und schicken einen zur Schule. Und dann wird man eines Tages gezwungen, seinen Schreibtisch leer zu rumen – beides im Grunde eine Zumutung.« (Alexander Mitscherlich, 1983, S. 307)

Das 21. Jahrhundert stellt uns vor eine neue Situation: Nie zuvor gab es so viele alte Menschen, so viele, die ein hohes Alter erreichen, und niemals zuvor lebten so viele Generationen zur gleichen Zeit zusammen. Nicht nur unsere potentiellen Patienten sind heute jenseits der von Freud indizierten Altersgrenze, sondern auch wir Psychoanalytiker werden immer lter. Diejenigen, die sich um eine Ausbildung bemhen, sind laut jngster Umfrage der Europischen Psychoanalytischen Fçderation (EPF) zwischen 40 und 50 Jahren. In der American Psychoanalytic Association (APA) ist das Durchschnittsalter eines Mitglieds 65 Jahre, das eines Lehranalytikers 73 Jahre. Meist geht ein hçheres Alter mit einem großen Erfahrungsschatz einher; aber die Tatsache, dass die Psychoanalyse eine »alternde Zunft« ist, birgt auch Probleme. Shakespeare hat uns mit seinem Drama »Kçnig Lear« den schmerzhaften Moment des Rckzugs aus dem Arbeitsleben beschrieben. Mit dieser schwierigen emotionalen Situation sind wir dann konfrontiert, wenn wir uns von vertrauten und narzisstisch hoch besetzten Rollen verabschieden mssen. Er fhrt uns in seinem Drama eindrucksvoll vor, wie sehr eben diese Aufgabe misslingen kann. Als Kçnig von fortgeschrittenem Alter beabsichtigt er, sein Lebenswerk weiterzugeben und das Kçnigreich unter seinen Tçchtern aufzuteilen. An den mndlichen Beteuerungen seiner Tçchter mçchte er das Ausmaß ihrer Liebe zu ihm messen, um danach zu entscheiden, wen er mit dem Erbe des Reiches betrauen wird. Es wird deutlich, dass er all diejenigen liebt, die ihm als Objekt zur Befriedigung seiner Bedrfnisse dienen. Immer wie-

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Der Abschied vom Leben als Analytiker

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der mçchte er hçren, dass er gemocht wird, um sich so gegen Gefhle der Verlassenheit, Ausgeschlossenheit oder gar Auslçschung zu schtzen. Cordelia, die bei diesem Tuschungsakt nicht mitmachen mçchte und sich seinem Bedrfnis nach Rckversicherung entgegenstellt, sagt: » [. . .] ich kann mein Herz nicht auf meine Lippen heben; ich lieb Euer Hoheit, wie’s meiner Pflicht geziemt, nicht mehr, nicht minder« (Shakespeare, S. 117) und erklrt außerdem, dass sie nicht behaupten kçnne, ausschließlich den Vater zu lieben, wenn sie wie die Schwestern verheiratet wre und einen Gatten htte. Sie wird daraufhin von ihrem Vater enterbt und verbannt. Diese Tochter steht fr die Wahrheit und die Fhigkeit zu trauern, sie reprsentiert aber auch den Tod, der aus Lears Reichweite verjagt werden soll, wie Freud (1913) schreibt. Gleichzeitig wird der Zuschauer Zeuge einer nachlassenden Kontrolle seiner Impulse und gewinnt den Eindruck, dass er wenig oder gar keine Besorgnis um die Konsequenzen seiner Handlungen zeigt. Nur zçgernd beginnt er zu erkennen, dass die Realitt nicht so ist, wie er sie gern sehen mçchte. Es besteht eine Kluft zwischen der Rolle, die er gern einnehmen mçchte, und derjenigen, die er seiner Ansicht nach innehat. Auf ein Gefhl wahrer Identitt kann er entweder nicht zurckgreifen, oder aber es ist ihm abhanden gekommen. Shakespeare lsst ihn sagen: »Kennt mich hier jemand? – Nein das ist nicht Lear! – [. . .] Sein Kopf muss schwach sein, oder seine Denkkraft im Todesschlaf. Bin ich wach? Wer kann sagen, wer ich bin?« (Shakespeare, S. 134). Unser Blick als Zuschauer wird auf die Rollen gelenkt, die er seinen mçglichen Gegenspielern zuschreibt. Das Drama lsst uns unmittelbar miterleben, wie er sich dazu der Menschen in seiner unmittelbaren und vertrauten Umgebung bedient. Es werden diejenigen als gut und ihm zugewandt erlebt, die bereit sind, die kompensatorisch vorgetuschte Welt zu teilen, um seine Sicht damit zu bestrken. Da sie frchten, er werde ihnen seine Zuneigung entziehen, fhlen sie sich nicht in der Lage, seine Illusionen durch eine wahrhaftige Reaktion zu entlarven. Cordelia dagegen, die ihm in wahrer, tiefer Liebe zugeneigt ist und ihm gerade deshalb die Wahrheit zeigen und zumuten mçchte, wird verstoßen, weil

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sie damit zur Reprsentantin jener unertrglichen Wahrheit wird, die er aus seinem Blickfeld verbannen mçchte. Er kann nicht ertragen, dass sie ihrer eigenen Wege gehen wird. Um keinen Preis mçchte er erkennen, dass die Omnipotenz, die er als Kçnig glaubt genossen zu haben, nicht der Wahrheit entspricht, dass sie ein Betrug an sich selbst war. Auf eindrucksvolle Weise wird in diesem Drama geschildert, wie Kçnig Lear die schwierige Aufgabe, aufgrund vernderter Realitten, ein neues psycho-çkonomisches Gleichgewicht finden zu mssen, nicht nur umgehen mçchte, sondern sogar zu leugnen versucht. Das Tragische an diesem Stck ist, dass wir als Zuschauer seine Depression und die verzweifelten Schritte erkennen, die er unternimmt, um sich gegen die Wahrnehmung von Schmerz, von depressiven Gefhlen, von Vergnglichkeit und letztendlichem Tod zu schtzen, whrend ihm selbst diese Erkenntnis verstellt ist. Als Zuschauer wrden wir ihm gern die Augen çffnen fr die wahre Liebe seiner Tochter und ihn vor der Vorgaukelei von Zuneigung und falscher Liebe bewahren. In dem wir uns mit derjenigen identifizieren, die verstoßen wird, um nicht die Wahrheit auszusprechen, geraten wir in Gefahr, selbst verstoßen zu werden. Das lterwerden konfrontiert uns mit einer Vielzahl von schwierigen Aufgaben, von denen der Umgang mit und die Bewltigung von vielfltigen Verlusten, narzisstischen Verletzungen und die Anerkennung von Grenzen zu den schwierigsten gehçren. Die »Arbeit am Alternsprozess« erfordert ein bewusstes und aktives Aufgeben von etwas Vertrautem und narzisstisch hoch Besetztem. Dabei kann es um benennbare, konkrete Verluste in der ußeren Welt gehen, wie etwa den Verlust von Rollen, die ich innehabe. Vor allem aber sind innere Vorgnge von dieser Arbeit betroffen: Obgleich die innere Wunschwelt weiterhin so lebendig wie eh und je ist, ist es nun an der Zeit, das Wunschdenken aufzugeben. Verluste von Idealisierungen und omnipotenten Gefhlen, die durch das lterwerden so erschttert werden, dass sie das seelische Gleichgewicht unterminieren, mssen bewltigt werden. Dabei ist die Aufrechterhaltung maximaler Bewusstheit (»awareness«: Joseph, 2003), die sich sowohl auf intrapsychische Vorgnge, auf Vorgnge und Vernderungen im eigenen Kçrper wie auch auf

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andere Menschen und die gesamte Umwelt bezieht, eine besonders schwierige Aufgabe. Indem ich das Altern des Psychoanalytikers zum Thema mache, mçchte ich etwas zur Sprache bringen, was hufig vernachlssigt und umgangen wird, weil es unangenehm und schmerzhaft ist und zum Teil fr unsere Gemeinschaft mit Schuldgefhlen verbunden ist (z. B. Lasky, 1990). Ich mçchte auf eine bestimmte Verantwortung aufmerksam machen, die wir – so bin ich berzeugt – als Teil unserer psychoanalytischen Gemeinschaft tragen, und gleichzeitig auf den verfhrerischen Sog verweisen, der fr uns alle besteht, auftauchende Grenzen zu negieren und vor der Arbeit am Alternsprozess auszuweichen, um eigenen seelischen Schmerz zu umgehen. Manchmal scheint gerade das Bewusstwerden von Grenzen und der drohende Verlust von Gratifikationen das Wnschen anzufachen und die Selbstkontrolle außer Kraft zusetzen. Schließlich mçchte ich auch die Grenze zwischen der institutionellen und privaten Verantwortung ansprechen und anregen, dass wir mehr Mut zu einer offenen Diskussion ber die Grenzbereiche finden. Indem wir die Ursachen mçglicher Entgleisungen genauer untersuchen, kçnnen wir, so glaube ich, Kollegen helfen, den richtigen Augenblick zu finden, ein Ende der analytischen Praxis ins Auge zu fassen. Wir kçnnten sie dann eher vor negativen Auswirkungen des Alterns bei der Ausbung ihrer Arbeit bewahren, so dass ihre wichtigen Verdienste und positiven Beitrge in der analytischen Gemeinschaft nicht getrbt werden. Eine offene Diskussion dieses Themas kçnnte uns allen außerdem helfen, dass wir uns nicht so hilflos fhlen, wenn wir Zeuge von selbstdestruktivem Verhalten werden, wie es etwa im Drama inszeniert wird. Das Drama »Kçnig Lear« fhrt uns auf eindrucksvolle Weise vor Augen, wie unertrglich es sein kann, sich zu fragen, wer man wre, wenn man eine bedeutsame Aufgabe oder professionelle Rolle aufgibt. Wir Psychoanalytiker haben einen langen, zum Teil sehr entbehrungsreichen Weg hinter uns, bevor wir Psychoanalytiker, Lehranalytiker oder auch Inhaber einer Rolle in unserer nationalen oder internationalen psychoanalytischen Gesellschaft werden. Arbeiten wir in einem Land, in dem die Ttigkeit nicht

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durch die Krankenkasse reglementiert wird, so kçnnen wir unsere Ttigkeit »unendlich« fortsetzen, wir unterliegen nicht dem Reglement, das uns in den meisten Berufen durch eine Pensionierung von außen vorgeschrieben wird. Es liegt allein in unserer Entscheidung, wann wir es fr sinnvoll halten, unsere Praxis einzuschrnken oder gar aufzugeben. In unseren psychoanalytischen Gesellschaften existieren unterschiedliche Empfehlungen, ab wann ein Lehranalytiker keine neuen Lehranalysen mehr beginnen sollte. Die Mçglichkeit, eine analytische Praxis mit Patienten zu betreiben, unterliegt von außen her keiner Begrenzung. Wie im Drama dargestellt, ist die Wahrnehmung des eigenen lterwerdens hufig entweder an die Vernderungen von Rollen oder an die Wahrnehmung des sich verndernden Kçrpers und seiner Verlsslichkeit gekoppelt oder fllt sogar mit beidem zusammen. Darber hinaus zeigt es uns, wie sehr die Angst vor dem Altern und seine Implikationen dazu angetan sind, mchtige Abwehrbewegungen in Gang zu setzen. Dies bezieht sich nicht nur auf den alternden Menschen selbst, sondern hat auch weitreichende Wirkungen auf die Menschen in seinem Umfeld. Wie sehr wir alle bereit sind, uns von dieser schwierigen Entwicklungsaufgabe abzuwenden, zeigt sich auch darin, dass das Drama »Kçnig Lear« das am wenigsten gut aufgenommene der Shakespear’schen Dramen geblieben ist, das von Tolstoi und anderen als bertrieben und von Pessimismus berhuft kritisiert wurde (Simone de Beauvoir, 1972). Freud selbst hatte große Schwierigkeiten, sich ein Leben ohne Arbeit vorzustellen. Er schrieb an Pfister: »Leben ohne Arbeit kann ich mir nicht recht behaglich vorstellen, Phantasieren und Arbeiten fllt fr mich zusammen, ich amsiere mich bei nichts anderem. Das wre eine Anweisung auf das Glck, wenn nicht der entsetzliche Gedanke, dass die Produktivitt ganz von einer empfindlichen Disposition abhngt, im Wege stnde. Was fngt man an einem Tag oder in einer Zeit an, in der die Gedanken versagen oder die Worte sich nicht einstellen wollen? Man wird ein Zittern vor dieser Mçglichkeit nicht los. Darum habe ich bei aller Ergebung in das Schicksal, die einem ehrlichen Menschen geziemt, doch eine heimliche Bitte: nur kein Siechtum, keine Lhmung der Leistungsfhigkeit durch kçrperliches Elend« (6. Mrz 1910, zit. nach Schur, 1972, S. 310).

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Die Einsamkeit des Psychoanalytikers Die Arbeit als Analytiker stellt hohe Ansprche an unsere Fhigkeit, allein zu sein und das Gefhl von Einsamkeit nicht nur zu tolerieren, sondern damit auch konstruktiv umgehen zu kçnnen. Von unseren Ausbildungskandidaten erwarten wir, dass sie bereits eine gewisse Fhigkeit zum Alleinsein mitbringen. Idealerweise erhoffen wir uns von einer Lehranalyse, dass ein Ausbildungskandidat an diesem Thema tiefergehend arbeitet, so dass daraus eine kontinuierliche Selbstanalyse ber den Lebenslauf hinweg folgen kann. lterwerden bedeutet, gleichzeitig mit verschiedenen Verlusten umgehen zu mssen. Unsere Beziehungen verndern sich, Eltern und andere Verwandte sterben, Kinder gehen aus dem Haus, Freunde werden krank, vertraute Arbeit im Kreis von Kollegen muss aufgegeben werden, und Schritt fr Schritt werden wir abhngiger. Dieser Vernderungsprozess wird von der Gefahr begleitet, dass alte, unbewusste ngste mit der sich verndernden Welt kollidieren, so dass die Selbstanalyse nicht mehr in der Weise funktioniert, wie wir es erwartet htten. Verleugnung mag einer der gelufigsten Wege sein, um seelischen Schmerz zu umgehen. Insbesondere die Angst vor Einsamkeit und dem Gefhl, ausgeschlossen zu werden, kann als so berwltigend empfunden werden, dass man sich enger an das bindet, was um keinen Preis vermisst werden soll. Als lter werdende Analytiker sind wir etwa in Gefahr, unsere Analysanden lnger als notwendig zu behalten, entweder indem wir sie an die Analyse binden oder ihnen nach deren Beendigung einen eher freundschaftlichen Kontakt anbieten. Derartige Abwehrbewegungen werden unter Umstnden durch Rationalisierungen gerechtfertigt: Der Patient brauche den Analytiker noch; oder ein Kollege argumentierte, dass der private Kontakt zu jngeren Kollegen notwendig sei, um das Klima der Gesellschaft gnstig zu beeinflussen. Eine Kollegin, die fr ein bestimmtes Ehrenamt entgegen ihrer Erwartung nicht gewhlt wurde, rief verzweifelt aus: »Was soll ich denn jetzt nur machen, ich bin so allein! Ohne diese Kontakte, die ich durch meine Rolle htte, fhle ich mich von der Welt wie abgeschnitten.«

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Alle Analytiker, die ber Einsamkeit geschrieben haben, waren lter als 60 Jahre. Autoren wie Melanie Klein, Donald W. Winnicott, Frieda Fromm-Reichmann und andere wiesen darauf hin, dass ein starkes Gefhl fr die eigene Identitt die beste Rstung sei, mit dem Unbekannten wie auch der Einsamkeit umgehen zu kçnnen. Viele der heute lteren Analytiker haben sich mit Haut und Haaren der Psychoanalyse verschrieben und viele Opfer gebracht, um all ihre Energie ihrem Beruf widmen zu kçnnen. Wenn sie ihren Beruf aufgeben, entbehren sie mçglicherweise private Freundschaften. All ihre Beziehungen haben sie auf die Kollegen, das Institut und die Gesellschaft konzentriert, andere Verbindungen haben sie vernachlssigt. In manchen Fllen mag dies auch auf ein Unsicherheitsgefhl in Kontakten zu Nicht-Analytikern zurckzufhren sein, so dass sich mçglicherweise hinter einer professionellen Identitt eine unsichere persçnliche Identitt verbirgt. Wenn die Zeit fr das Aufgeben des letzten Ehrenamtes oder die Entscheidung, keine weiteren Patienten mehr in Analyse zu nehmen, gekommen ist, taucht die Frage auf: »Wer bin ich ohne Amt und Patienten?« Wie sich Kçnig Lear angesichts des drohenden Verlustes seines Kçnigreichs fragt: »Wer kann mir sagen, wer ich bin?«, so fragt sich auch die Frau, deren Kinder aus dem Haus gegangen sind, wie sie ihre Rolle neu definieren kann (empty nest syndrome). Die berzeugung: »Solange ich noch Patienten analysiere, bin ich ein Analytiker« beinhaltet den Wunsch, durch das Festhalten an der Couch ein Gefhl des Nicht-mehr-Dazugehçrens umgehen zu kçnnen, was ich das »empty couch syndrome« nenne. So ergibt sich die Gefahr, die professionellen Beziehungen fr persçnliche, zum Teil regressive Zwecke zu missbrauchen. Als Kollegen eines Institutes oder einer Gesellschaft haben wir meist die Ausbildung und ein langes Berufsleben miteinander geteilt. Diese lange gemeinsame Geschichte ist wichtig, aber auch teilweise durch eine Vielfalt von Gefhlen und Projektionen geprgt. Sich weniger hufig zu begegnen, kann nicht nur Einsamkeitsgefhle verstrken, sondern auch dazu beitragen, unter der ausbleibenden Gratifikation zu leiden und damit ein Verlassenheitsgefhl zu verstrken.

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Krankheit als Gefahr fr das seelische Gleichgewicht Manchmal sagen wir ber einen Kollegen: »Er wird alt«. Dies bedeutet, dass im Vergleich zu frheren Eindrcken von dieser Person eine Vernderung festzustellen ist. Es scheint einfacher, es ganz allgemein dem zuzuordnen, was wir »altern« nennen, als przise zu beschreiben, was genau als Vernderung empfunden wird. Freud sagt, »das Ich ist primr ein kçrperliches« (1923, S. 253) und verweist damit auf das Faktum, dass seelische Befindlichkeit und kçrperlicher Zustand nicht nur miteinander in einer engen Beziehung stehen, sondern sich auch gegenseitig beeinflussen. Einschneidende kçrperliche Erkrankungen kçnnen uns in jedem Lebensalter ereilen. In spteren Lebensabschnitten ist die kçrperlichgeistige Verwundbarkeit grçßer und nicht nur die Wahrscheinlichkeit, krank zu werden, sondern auch gleichzeitig an mehreren kçrperlichen Krankheiten zu leiden, ist deutlich erhçht. Darber hinaus gibt es dem kçrperlichen Altern zuzurechnende Vernderungen, die kçrperliche wie geistige Ressourcen vermindern und sich deutlich auf die Fhigkeit zum Denken und insbesondere auf die emotionale Standfestigkeit auswirken kçnnen. Shakespeare lsst Kçnig Lear sagen: »Krankheit verabsumt jeden Dienst, zu dem Gesundheit ist verpflichtet; wir sind nicht wir, wenn die Natur, bedrckt, die Seele zwingt, zu leiden mit dem Kçrper« (Shakespeare, S. 150). Die Wahrnehmung von derartigen Vernderungen an sich selbst macht Angst und wird zunchst meist mit den Abwehrmaßnahmen beantwortet, die sich ber den Lebensweg als tauglich erwiesen haben. Manchmal stehen aber auch diese nicht mehr uneingeschrnkt zur Verfgung, etwa dann, wenn schlechter werdende Augen das vermehrte Lesen als Kompensation eingeschrnkter kçrperlicher Beweglichkeit behindern. ber diese Zusammenhnge ist nicht nur erstaunlich wenig geschrieben worden; unter Psychoanalytikern existiert auch sehr wenig Wissen darber, wie kçrperliche Vernderungen oder Krankheiten seelische Vorgnge beeinflussen kçnnen. Ein Kollege, etwa Mitte fnfzig, fhlte sich nicht wohl, klagte ber Angstattacken und Schlafstçrungen, fhrte diese Stçrungen auf seelische Probleme zurck und entschloss sich zu einem wei-

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teren Stck Analyse. Ein Jahr spter konnte er die Entwicklung einer Parkinsonkrankheit nicht lnger verleugnen. Auch Freud beschreibt, wie leicht die Phantasien ber kçrperliche und seelische Einbußen oder gar Tod als bedrohlich erlebt werden und nur allzu gern vermieden oder gar verleugnet werden: »[. . .] wir [waren] natrlich bereit zu vertreten, dass der Tod der notwendige Ausgang alles Lebens sei, dass jeder von uns der Natur einen Tod schulde und vorbereitet sein msse, die Schuld zu bezahlen, kurz, dass der Tod natrlich sei, unleugbar und unvermeidlich. In Wirklichkeit pflegten wir uns aber zu benehmen, als ob es anders wre. Wir haben die unverkennbare Tendenz gezeigt, den Tod beiseite zu schieben, ihn aus dem Leben zu eliminieren. Wir haben versucht, ihn totzuschweigen. [. . .] Im Grund glaubt niemand an seinen Tod oder, was dasselbe ist: Im Unbewussten sei jeder von uns von seiner Unsterblichkeit berzeugt« (Freud, 1915, S. 341).

Der Widerstand von Psychoanalytikern, sich mit Vorsorge zu beschftigen, kann sich beispielsweise so bemerkbar machen, dass auf den Hinweis, man kçnne fr den Notfall, (insbesondere als allein lebender Analytiker) eine Liste der zurzeit in Behandlung befindlichen Patienten im Institut hinterlegen, im Kollegenkreis die Antwort kommt, dass dies nicht nçtig sei, da eine derartige Vorsorge im privaten Ermessen jedes Einzelnen liege. Diesem Argument mçchte ich folgende Fallvignette entgegensetzen: Ein Patient ist nach einer lngeren Pause auf dem Weg zu seiner Analysestunde. Im Zug blickt er durch Zufall auf die aufgeschlagene Zeitung des Fahrgastes neben ihm. So erfhrt er vom Ableben seines Analytikers, den er gerade im Begriff ist aufzusuchen.

Ich bin von der Vielzahl der in der Literatur berichteten Verletzungen beeindruckt, die Patienten und Ausbildungskandidaten durch plçtzlichen Tod und/oder Krankheit ihrer (Lehr-)Analytiker erlitten haben (Lord et al., 1978; Dattner, 1989; Barbanel, 1989; Schwartz u. Silver, 1990; Pinsky, 2002; Traesdal, 2006). Die Abneigung von Psychoanalytikern, sich mit der Endlichkeit und dem mçglichen eigenen Tod auseinanderzusetzen, ist etwas zutiefst Menschliches. Wir wehren so einen Angriff auf unser omnipotentes Denken ab und auch auf unsere Illusionen, die einen Projektionsraum in die Zukunft brauchen, um lebendig bleiben zu kçnnen. Wird dieser genommen, kann dies unter Umstnden

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wie die Beraubung der »guten Brust« erlebt werden (Loch, 1981/2006). Ich bin berzeugt, dass die Fhigkeit, sich des eigenen inneren und ußeren Zustandes voll bewusst zu sein, fr die Aufrechterhaltung der analytischen Qualitten entscheidend ist – ein gengend guter Analytiker zu sein (vgl. Winnicott). Doch was ist zu tun, wenn wir uns nicht gut fhlen? Freud schreibt ber den Einfluss organischer Krankheiten: »Es ist allgemein bekannt und erscheint uns selbstverstndlich, dass der von organischem Schmerz und Missempfindungen Gepeinigte das Interesse an den Dingen der Außenwelt, soweit sie nicht sein Leiden betreffen, aufgibt. [. . .] Der Kranke zieht seine Libidobesetzungen auf sein Ich zurck, um sie nach der Genesung wieder auszusenden« (1914c, S. 148).

Nicht nur, dass wir mçglicherweise Schwierigkeiten haben, uns ganz und gar der analytischen Aufgabe zu widmen, weil unser innerer Zustand alle Aufmerksamkeit auf sich zieht. Auch die Mçglichkeit gibt uns zu denken, dass die erforderliche Wachheit und Bewusstheit durch kçrperliche Vernderungen beeintrchtigt sein kann. Aus der Arbeit mit lteren Patienten etwa ist bekannt, dass eine Vollnarkose mit zunehmendem Alter nicht mehr ohne Risiko verkraftet werden kann. Das heißt, leichte cerebrale Stçrungen wurden zwar bislang kompensiert, aber eine noch so minimale Unterbrechung der Sauerstoffzufuhr oder hnlicher Stçrungen ließe das Ungleichgewicht entgleisen. Alexander Mitscherlich schreibt am Ende seiner Lebenserinnerungen, wie sehr eine einfache Vollnarkose seine geistigen Fhigkeiten verndert hat. »Nach einer besonders heftigen Schmerzattacke entschloss ich mich kurzfristig zur Operation. Ich machte vorher die Chirurgen und Ansthesisten auf meine zerebralen Altersbeschwerden aufmerksam und bat sie, mit dem Ablauf der Narkose darauf Rcksicht zu nehmen. Von einer besonderen Rcksicht kann aber offenbar keine Rede gewesen sein, denn die Reaktion auf die bei mir gewhlte Vollnarkose war katastrophal. Ich war immer wieder verwirrt und von nicht zu unterdrckender Unruhe geplagt. [. . .] Ich berlebte, jedoch nicht ohne ein schweres psychisches Trauma erlitten zu haben. [. . .] Die Folgen der Narkose und die anschließenden zahlreichen Beruhigungsspritzen hat mein nicht mehr junges Gehirn bis heute nicht ganz berwunden. Es gab einen deutlich sichtbaren Bruch zwischen meinem Zustand, wie er vor und wie er nach der Narkose aussah. [. . .] wie mag es wohl erst dem ›unbekannten Mann von der Straße‹ ergehen, der keine Ahnung von Medizin

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Gabriele Junkers

und rztlichem Vorgehen hat und sich deswegen auch kaum orientieren und wehren kann?« (1980, S. 309 f.).

Um die Unsicherheit darber zu verbergen, wie mit Befindensstçrungen oder Krankheit umzugehen ist, wird manchmal die Forderung nach Abstinenz missbraucht. Einige Kollegen sind beunruhigt, dass die Bekanntmachung einer Krankheit den analytischen Prozess stçre, den Ruf schdige und negative Auswirkungen auf Zuweisungen haben kçnne. Bei einer akuten Krankheit fhlt man sich auf dem Prfstand, ob »es« besser werde. Hufig arbeitet die Angst im Hintergrund, eine Erkrankung kçnne als Ergebnis eines unbearbeiteten psychischen Konflikts beziehungsweise Problems verstanden werden, und man mçchte nicht gern »schlecht analysiert« dastehen. Aus psychiatrischen Studien wissen wir, dass der oberste Garant fr eine psychische Gesundheit die kçrperliche Gesundheit ist. Wir wissen aber, dass die Funktionstchtigkeit der einzelnen Kçrperorgane sowie ihr Zusammenspiel insgesamt mit zunehmendem Alter nachlsst. Am deutlichsten sprbar sind fr viele die schnellere Ermdbarkeit, ein Nachlassen der Vitalitt und erste Anzeichen eines schlechter werdenden Gedchtnisses. Wir sind dann mit der ganzen Wucht narzisstischer ngste konfrontiert, die sich mit Vorstellungen vom Kranksein verbinden: Verletzlichkeit, Einbuße von Fhigkeiten, finanzielle Sorgen, Angst, keine Zuweisungen zu bekommen, krankheitsbedingte Regressionen, die die reifen Fhigkeiten des Psychoanalytikers betreffen, und auch das Problem, die Neutralitt zu wahren, wenn ußerlich sichtbare Zeichen Kranksein signalisieren.

Das institutionelle Berufsleben Der Psychoanalytiker mit seiner einsamen Profession braucht den Kontakt zu seinen Kollegen. Die Gruppe wird gebraucht, nicht nur um ber therapeutisches Wissen wie auch Probleme in der Praxis zu diskutieren, sondern auch zur Ausbildung der jngeren Kollegen, die die Generationsnachfolge der psychoanalytischen Profession sichern. Beruflich-kollegiales Miteinander und private

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Freundschaft haben sich ber das gemeinsame Berufsleben hinweg entwickelt und berschnitten; aber auch erlittene Krnkungen und Unversçhnlichkeiten kçnnen sich in Feindschaften verfestigt haben. Das Institutsleben ist durch Hierarchien und Gruppierungen strukturiert. Jedem Mitglied der Gemeinschaft kommt eine bestimmte Rolle zu – als Ausbildungsteilnehmer, Kandidat, außerordentliches oder affiliiertes Mitglied, als ordentliches Mitglied, als Lehranalytiker, als Vorsitzender und anderes mehr. In der gesamten Ausbildung sowie in der weiteren Entwicklung im Institutsleben spielt die Frage mit: Werde ich gefragt, um eine weitere Rolle auszufllen? Dies wird immer auch begleitet von dem Unterton: Werde ich gemocht? oder: Warum werde ich nicht gewhlt?, was mçglicherweise als aktives Ausgeschlossenwerden empfunden wird (Kernberg, 2000, S. 100). Die »Psychologie des Schweigens« (Kernberg, S. 100) durchzieht das institutionelle Miteinander und begnstigt die Entwicklung paranoider Gefhle. Die Unfhigkeit, nein zu sagen oder Ausbildungskandidaten mit der Wahrheit ber die eigene Einschtzung ihrer Eignung als Analytiker zu konfrontieren (Junkers et al., 2006) passt sich in die angstgetçnte Haltung vieler Analytiker ein. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass es zwar fr den Ausbildungsweg Rituale und Initiationsriten gibt, diese jedoch fr das Ausscheiden aus dem aktiven Berufsleben fehlen. Ehrungen im Alter sind in der Regel denjenigen vorbehalten, die wissenschaftlich hervorgetreten sind, viel geschrieben haben oder eine bedeutsame Rolle ausgefllt haben. In Deutschland kann ein Psychoanalytiker auf einem Kassensitz bis zu seinem 68. Lebensjahr arbeiten. In verschiedenen nationalen psychoanalytischen Gesellschaften existieren bereinknfte, dass Lehranalysen ab einem bestimmten Alter, hufig ab 70 Jahren, gelegentlich ab 68 oder gar 65 Jahren nicht mehr bernommen werden drfen. Hier handelt es sich um eine Regel, die lediglich Empfehlungscharakter hat und hufig nicht strikt eingehalten wird. Fr die Behandlung von Patienten gibt es fr den Analytiker keine Altersbegrenzung. Dies ist so lange unproblematisch, als er ber seine vollen analytischen Fhigkeiten verfgen kann und diese nicht durch seelische oder kçrperliche Vernderungen beeintrchtigt sind. Wer entscheidet ber die Frage, ob jemand noch in

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der Lage ist, analytisch zu arbeiten? Der Analytiker selbst ist dazu aufgerufen, seine Kompetenz zur Berufsausbung fortwhrend zu prfen und eventuell befreundete Kollegen zu bitten, ihn im Fall von nicht selbst wahrgenommenen Fehlverhalten darauf aufmerksam zu machen. Jedoch zeigt die Realitt, dass viele Psychoanalytiker, etwa wenn sie krank werden, davor zurckschrecken, offen darber zu sprechen. Einerseits mçchte man Patienten und Ausbildungskandidaten schtzen und abstinent bleiben; andererseits besteht die Angst, als nicht mehr intakt zu gelten und keine berweisungen von Kollegen mehr zu bekommen. Selbst wer Zeuge eines Kollegen wird, der als Analytiker nicht mehr arbeitsfhig zu sein scheint, wird sich mçglicherweise aufgrund seiner Skrupel nicht zum Einschreiten entscheiden kçnnen. Hufig wird argumentiert, dass man Gefahr laufe, einem Kollegen auf diese Weise die finanzielle Basis zu entziehen. Zur Illustration mçchte ich eine Fallvignette aus dem »Ethics Case Book« der Amercan Psychoanalytic Association (APA) zitieren: »Dr. A. war immer eine jugendlich erscheinende und attraktive Kollegin gewesen; in letzter Zeit haben jedoch Freunde und Kollegen bemerkt, dass sie vergesslicher wurde und sogar einige wichtige Anlsse versumte, an denen sie htte eigentlich teilnehmen sollen. Als sie vorsichtig durch Freunde auf diese Unterlassungen hingewiesen worden war, hatte sie immer gute Argumente fr ihre Unaufmerksamkeit zur Hand. Da man ihr keine Schwierigkeiten machen wollte, haben Kollegen fr eine ganze Weile ihr Verhalten gedeckt. Als sie mehrere Male nicht zu Verabredungen mit Patienten erschien, hatte ihre Sekretrin diese Versumnisse sogar erfolgreich mit Argumenten entschuldigt. Ihre Freunde und Kollegen sind mehr und mehr peinlich berhrt und betroffen, aber keiner weiß, was man unternehmen kçnnte. In Sitzungen wird ihre Meinung hçflich bergangen.«

Dieses Fallbeispiel macht deutlich, dass wir Gefahr laufen, uns als Kollegen in jedem Fall schuldig zu machen: Indem wir nicht einschreiten, berlassen wir den Kollegen seinem selbstschdigenden Verhalten. Jeder Versuch, aktiv zu werden, kann dagegen als Einschrnkung der persçnlichen Freiheit empfunden werden. Es gibt vielerorts berlegungen, dass Psychoanalytiker ihre Arbeit mit Patienten und Ausbildungskandidaten ab einem bestimmten Alter beenden sollten. Aber der Alternsvorgang verluft hçchst individuell und ist nicht am chronologischen Alter zu mes-

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sen. Noch komplizierter werden diese berlegungen dadurch, dass Psychoanalytiker gerade mit dem lterwerden ber einen besonders reichen Erfahrungsschatz verfgen. Es wre nicht nur hart gegen ihn, alle Arbeit gleichzeitig aufzugeben, sondern auch sehr schade fr die analytische Gemeinschaft, auf dieses komplexe Wissen zu verzichten. In Deutschland kçnnen Lehranalytiker auch jenseits der durch die Kassenrztliche Vereinigung vorgegebenen Grenze weiterhin Supervisionen und Lehrttigkeit bernehmen. Warum sollten nicht auch Analytiker, wenn sie es wnschen, weiterhin aktiv am Institutsleben teilnehmen, indem sie wichtige Aufgaben bernehmen? An dem oben zitierten Beispiel wird nicht nur die Hilflosigkeit der Freunde und Kollegen deutlich, sondern auch, wie sehr sie sich in der hier dargestellten Haltung benutzen und sich zu Komplizen machen lassen. Dabei widerspricht ihre Haltung eklatant den Werten der Psychoanalyse, und Schdigungen von Patienten und Ausbildungskandidaten werden in Kauf genommen. Regelungen von Seiten der Gesellschaft, die zum Beispiel die finanzielle Absicherung im Krankheitsfall zu einer Pflicht machen wrden, kçnnten zumindest auf das Problem aufmerksam machen. Die Einfhrung einer Routineuntersuchung ab einem bestimmten Alter wird von den meisten Analytikern abgelehnt. Rechtlich stehen wir vor dem Problem, dass eine private Vereinigung, wie sie eine psychoanalytische Gesellschaft darstellt, keine verpflichtenden Auflagen abverlangen kann. Einem Ideal der unendlichen Analyse im Sinne einer Selbstanalyse entspricht eine Haltung, die dem einzelnen eine Verantwortung bergibt. Entsteht eine Situation, in der diese nicht mehr vom einzelnen Individuum getragen werden kann, msste sie unter Umstnden von der institutionellen Gruppe mitgetragen oder abgenommen werden. Wie und mit welchen Regelungen allerdings eine solche Verantwortung von der Gruppe (auf der Ebene der Kollegengruppe, des çrtlichen Institutes sowie der psychoanalytischen Gemeinschaft) gelebt werden kann, steht zur Diskussion an.

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Diskussion Mit den hier beschriebenen ausgewhlten Problemen, die mit dem lterwerden von uns Analytikern auftreten kçnnen, mçchte ich eine Diskussion dieses schwierigen Themas im Kreis der eigenen Gesellschaft anregen. Eine allgemeingltige Lçsung wird nicht zu finden sein. Aber es wre denkbar, dass sich Scham und Schuldgefhle, die mit diesem Thema verquickt sind, in einem gemeinsamen Nachdenken entindividualisieren und die Problematik zu einem besprechbaren Thema werden zu lassen. Denn hinter der Frage, wie wir mit unseren lter werdenden Eltern umgehen, verbirgt sich eine weitere, die jeden von uns unmittelbar angeht: Wann fangen wir selbst mit der Arbeit an unserem Alternsprozess an?

Literatur Barbanel, L. (1989). The Death of the Psychoanalyst (Panel Presentation). Contemporary Psychoanalysis 25: 412–418. Beauvoir, S. de (1972) Das Alter. Reinbek: Rohwolt. Dattner, R. (1989). On the death of the analyst: A review. Contemporary Psychoanalysis 25: 419–427. Freud, S. (1915). Zeitgemßes ber Krieg und Tod. G. W. Band X. Frankfurt a. M.: S. Fischer. Freud, S. (1923). Das Ich und das Es. G. W. Band XIII. Frankfurt a. M.: S. Fischer. Joseph, B. (2003). Ethik und enactment. EPF Bulletin 57. Junkers, G. (2006). Is it too late? London: Karnac. Junkers, G., Tuckett, D., Zachrisson, A. (2006). To be or not to be an psychoanalyst – How do we know a candidate is ready to qualify? Psychoanalytic Quarterly. Kernberg, O. F. (2000). A concerned critique of psychoanalytic education. Int. J. Psychoanal. 81: 97–120. Lasky, R. (1990). Catastrophic illness in the analyst and the analyst’s emotional reactions to it. Int. J. Pscho-Anal. 71: 455–473. Loch, W. (1981). Loneliness and the ageing process. Paper presented at the 32nd International Psychoanalytical Congress. Helsinki. In G. Junkers (2006), Is it too late? Key papers on psychoanalysis and ageing. London: Karnac. Lord, R., Ritvo, S. Solnit, A. J. (1978). Patients’ reactions to the death of the psychoanalyst. Int. J. Psychoanal. 59: 189–197.

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Mitscherlich, A. (1980). Ein Leben fr die Psychoanalyse. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Pinsky, E. (2002). Mortal gifts: A two part essay on the therapists mortality. Journal of the American Academy of psychoanalysis 30: 173–204. Schur, M. (1972). Sigmund Freud: Leben und Sterben. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Schwartz, H., Silver, A. L. (Eds.) (1990). Illness in the Analyst: Implications for the Treatment Relationship. International Universities Press, Madison CT. Shakespeare, W. (o. J.). Werke. Bnde 7–9. bersetzung Schlegel und Tieck. Hrsg. v. W. Keller. Berlin u. Leipzig: Deutsches Verlagshaus Bong & Co. Traesdal, T. (2006). When the analyst dies: Dealing with the aftermath. Paper presented at the EPF Conference Vilamoura.

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Sylvia Zwettler-Otte

berlegungen zur inneren Bedeutung der Internationalitt bei der Etablierung einer berufsethischen Haltung

In diesem kurzen Beitrag mçchte ich versuchen, einige berlegungen ber die emotionale Bedeutung eines internationalen Bezugsrahmens fr die lokalen psychoanalytischen Vereinigungen und ihre einzelnen Mitglieder anzustellen. Es hat den Anschein, dass der berufliche Werdegang von Psychoanalytikern hufig in zwei Phasen abluft: a) Nach der Zulassung zur Ausbildung in einer lokalen Vereinigung steht zunchst die Beziehung zum eigenen Lehranalytiker im Mittelpunkt, bis durch die Teilnahme an Seminaren und so weiter die Institution als drittes Strukturelement an Bedeutung gewinnt und ein differenzierteres Berufsbild ermçglicht. b) In einem zweiten Ansatz, wenn auch manchmal berschneidend, entwickeln sich durch Kongresse internationale Beziehungen zu Berufskollegen. Im Anschluss daran ergeben sich immer hufiger internationale Arbeits- und Supervisionsgruppen oder einzelne persçnliche arbeitsbezogene Kontakte. Wie im »Familienroman« wiederholen sich dabei manche Idealisierungen und andere Beziehungsformen, wie sie zunchst in der lokalen Vereinigung aufgetreten sind; sie bieten aber auch einen weiteren Rahmen zur Ausbildung, Modifizierung und Festigung einer analytischen Identitt und einer berufsethischen Haltung, wobei der erweiterte, internationale Bezugsrahmen nun als drittes Strukturelement fungieren und den Gesichtspunkt der Legalitt reprsentieren kann. Die Bildung einer beruflichen Identitt beginnt in der analytischen Ausbildung und fhrt aus der Verarbeitung verschiedener Identifizierungen heraus letztlich zu einer persçnlich geprgten Form

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und einer eigenen Sicht ber berufsethische Probleme. ber die verschiedenen Ebenen der Identifizierungsangebote bis hin zur Internationalitt bilden sich gleichsam fortschreitend professionelle ber-Ich- Strukturen aus, die eine zunehmende Unabhngigkeit im Urteil ermçglichen kçnnen. Wenn man sich auf internationalen Kongressen einen Augenblick der Atmosphre so weit entzieht, dass man sie beobachten kann, wird die hohe Emotionalitt solcher Ereignisse sprbar. Das Zusammentreffen mit Kollegen, die man in der Menge wiedererkennt, der Austausch ber Geschehnisse seit der letzten Begegnung, immer neue Kontakte und Erfahrungen in grçßeren und kleineren Gruppen bringen nicht nur intellektuelle Bereicherungen, sondern auch emotionale Hochstimmungen mit unterschiedlichsten Tçnungen libidinçser, aber auch aggressiver, kampflustiger und rivalisierender Art. Die verschiedenen Denk- und Arbeitsgewohnheiten von Kollegen aus anderen Lndern bieten eine Flle von Anregungen, Herausforderungen ebenso wie Besttigungsmçglichkeiten; an diesem Material kçnnen sich Auseinandersetzungen entznden, deren Wurzeln tief in die Emotionalitt persçnlicher, mçglicherweise sogar »vergessener« oder zumindest gegenwrtig ausgeblendeter Erfahrungen hinabreichen. Diese emotionale Basis ist der Nhrboden fr die Energie, mit der die Debatten gefhrt und Gedanken und Vorstellungen elaboriert und verteidigt oder angegriffen werden. Vielleicht ist es sinnvoll, sich diesen Hintergrund bunt gemischter, lebendiger Beziehungen vor Augen zu halten, wenn man ber die persçnliche Bedeutung nachdenkt, welche die Internationalitt fr den einzelnen Analytiker haben mag. Viele der auf analytischen Konferenzen ablaufenden Gruppenphnomene gelten sicher fr alle Treffen von Menschen, die ein mehr oder weniger klar definiertes Ziel verfolgen. Durch die spezifische Ausbildung und Ttigkeit der Psychoanalytiker nimmt jedoch vielleicht manches an Intensitt zu: Es werden gewçhnlich in der eigenen Analyse die Krfte der Reflexionsfhigkeit gestrkt, aber die Lockerung oder Auflçsung von Hemmungen, die subjektiv als wohltuend erlebt und daher als Erfolg verbucht wird, ermçglicht auch oft ein ungehemmteres Ausleben der unterschiedlichsten Regungen. Im

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beruflichen Alltag herrscht die Notwendigkeit vor, die eigenen Gefhle so sorgfltig wie mçglich zu beobachten, um sie in der Arbeit mit den Patienten verwenden zu kçnnen; Begegnungen mit Kollegen scheinen jedoch von dieser Kontrolle zu dispensieren und damit lustvolle Entspannung zu verschaffen. Wer sich auf dem internationalen Bankett bewegt, hat meist bereits einen weiten Weg zurckgelegt. Die Laufbahn des werdenden Analytikers hat mit einer Hrde begonnen, dem »Rundgang«, bei dem mehrere Lehranalytiker sich nach ausfhrlichen Gesprchen mit dem potentiellen Ausbildungskandidaten Gedanken darber machen, »ob zu erwarten wre, dass eine Analyse der betreffenden Person etwas bringen und ob die betreffende Person der Analyse etwas bringen wrde«, wie es ein Mitglied des Lehrausschusses einmal in einer knappen Formel przisierte. Der Lehrausschuss stellt bereits whrend der beruflichen Anbahnung die legitimierte Reprsentanz der lokalen psychoanalytischen Vereinigung dar, reiht sich im Erleben der potentiellen Ausbildungskandidaten gewçhnlich in ihre emotionalen Vorerfahrungen mit Autoritten ein und wird dementsprechend verarbeitet. Jedes Lehrausschussmitglied vertritt dabei – in ganz unterschiedlicher, unter Umstnden widersprchlich erlebter und die eigene Ambivalenz widerspiegelnder Nuancierung – das System, das Statuten und Regeln gibt. Es reprsentiert das dritte Element in der çdipalen Struktur, die sich aus der Rolle der Lehranalytiker als Hter der Ordnung ergibt. »Die Psychoanalyse« oder »die Vereinigung« wird zum begehrten Objekt, das es zu erobern gilt, was eine Auseinandersetzung mit den Ordnungshtern unerlsslich macht. Sie kçnnen hilfreich oder verbietend, einladend- verfhrerisch oder abwehrend-feindselig wirken. Es ist eine »Prfungssituation«, die manchen Ansatzpunkt zur Regression bietet, und da niemand Psychoanalytiker werden will, der vçllig in sich ruht und ausbalanciert ist (s. Parsons, 2000, S. 171–186: Creativity, psychoanalytic and artistic), werden dabei gewçhnlich im Hinblick auf Verborgenes ngste mobilisiert, ob man gut oder schlecht bei der Beurteilung abschneiden wird. Auch wenn sich der Lehrausschuss auf die Frage konzentriert, ob ein Bewerber fr den Analytikerberuf geeignet ist oder nicht, erleben viele Bewerber ihre Aufnahmegesprche als ei-

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ne generelle Wertung wie »gut oder schlecht«, »richtig oder falsch«; es spielen jedenfalls schon beim Einstieg berufsethische Vorstellungen eine Rolle, welche Charaktereigenschaften und Fhigkeiten jemand mitbringen muss, um ein »guter« Analytiker zu werden, von dem man erwarten kann, dass er den beruflichen Richtlinien und Aufgaben entsprechen will und kann. Die Mitglieder des Lehrausschusses, mit denen ein potentieller Ausbildungskandidat Aufnahmegesprche gefhrt hat, bleiben auch nach der Aufnahme meist fr die Ausbildungskandidaten wichtige Autoritten, allerdings treten sie gewçhnlich wieder etwas mehr in den Hintergrund, sobald sich der Analysand bei einem Lehranalytiker niedergelassen hat und mit der Entfaltung des analytischen Prozesses vorbergehend in die Zeitlosigkeit des Unbewussten abgesunken ist. Andr Green beschreibt, wie die Frage nach der Dauer der Analyse verschwindet, sobald sich der Analysand in der Zeitlosigkeit der Behandlung niedergelassen hat: »well-settled into the timelessness of the treatment« Green, 2002, S. 45). Wird jedoch der »Rundgang« whrend einer bereits laufenden Analyse unternommen, ist wohl unvermeidlich, dass fr einige Zeit die realen beruflichen Ambitionen und der fortlaufende Prozess interferieren; es kann aber auch zu wichtigen Einsichten in die Zusammenhnge kommen. Wenn in der Analyse des Ausbildungskandidaten seine Erfahrungen mit und Phantasien ber andere Analytiker auftauchen, sind an die analytische Neutralitt und Abstinenzfhigkeit des Lehranalytikers besonders hohe Anforderungen gestellt. Dies umso mehr, als Ausbildungskandidaten gewçhnlich alles tun, um die Gedanken und Einstellungen ihres Analytikers zu erraten; sie haben nicht nur ein drittes Ohr, sondern die Vervielfltigung ihres Gehçrssinns scheint eher die Dichte von Medusas schlngelnden Locken zu erreichen. Nicht nur verbale Bemerkungen des Analytikers, die seiner Kontrolle entglitten sind, sondern auch die Betonung, das Fehlen oder das bezeichnend platzierte »Mhm« werden als Puzzlesteinchen verwendet, aus denen sich der Ausbildungskandidat ein Bild macht, um sich daran zu orientieren, aber viel mehr noch: um anhand dieses Bildes emotionale Bedrfnisse auszuleben, zum Beispiel die »Eltern« gegeneinander auszuspielen und sie dadurch unter Kontrolle zu

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kriegen, fr den eigenen Analytiker in den Kampf zu ziehen, nicht ohne Hoffnung auf gebhrenden Lohn, oder aber endlich außen Verbndete zu orten in einer vielleicht schon lange schwelenden heimlichen Feindseligkeit. Positive und negative bertragungen sind dabei wohl die Hauptquelle der Neugier, aber auch reale Beziehungsanteile wirken mit. Mit der Teilnahme an Seminaren erweitert sich der Horizont der Beziehungen zu anderen Analytikern. Die neugierige Frage, wer bei wem in Lehranalyse ist oder war, wird zwar manchmal unterdrckt, hat aber hohe emotionale Wertigkeit und fhrt zu Einordnungen, die oft nur schwer aufzulçsen sind. Manchmal wird sie zum amsierten Ratespiel mit einer erstaunlich hohen Trefferquote. Die gemeinsame Arbeit mit anderen Ausbildungskandidaten ist aber auch eine Phase der Auseinandersetzung mit anderen Reprsentanten des Analytikerberufs, Idealisierungen kçnnen nun hufig leichter aufgelçst werden und einer realittsnheren Beziehung Platz machen. Diese Vernderung geht nicht schmerzlos vor sich, wie eine kleine Szene an einer Universittsklinik zeigte: Kandidaten, die dort hospitierten, ußerten sich mit großem Befremden ber die bçsartigen Intrigen einiger Autoritten an der Klinik, »die doch alle analysiert« seien, und sie kamen zu dem Schluss, dass die Analyse nicht unbedingt nur gtige Weise hervorbringt, sondern dass Empfindlichkeiten noch strker sichtbar werden kçnnen, »wie wenn unter dem weißen Mantel ein Glasfenster wre«. Desillusionierungen helfen hufig, eigene Meinungen zu erarbeiten und konstituieren auch ein differenzierteres Bild berufsethischer Fragen, was denn eigentlichen einen »guten« Analytiker ausmache. Whrend der werdende Analytiker allmhlich aus der dyadischen Beziehung seiner Lehranalyse entwchst und in vermehrtem Ausmaß zu den anderen Analytikern seiner Vereinigung in Beziehung tritt, stellt die Institution ein drittes Strukturelement dar und gewinnt als Normen gebende und bewahrende Instanz eine hnliche Bedeutung wie das ber-Ich. Im Zusammenfließen narzisstischer Strebungen und der Identifizierung mit beruflichen Autoritten entstehen gemeinsame Ideale, wie sie auch im IchIdeal reprsentiert sind.

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Doch dieses dritte Strukturelement ist nicht unbedingt ein statisches, sondern kann sich auf die internationale Ebene ausdehnen und unter Umstnden, besonders in Krisen der lokalen Vereinigungen, ganz dorthin verlagern. Probleme und schwerwiegende Differenzen innerhalb der lokalen Vereinigung fhren sehr oft zu Spaltungen und zur Erschtterung der Institution. Das Selbstbild der einzelnen Kollegen stimmt sehr hufig absolut nicht mit den Sichtweisen und Rollenzuweisungen der anderen berein, oft wird das emotionale Bedrfnis zu agieren strker als die Bereitschaft zur Reflexion, und viele Energien verpuffen im Nahkampf und verursachen dabei aber auch erhebliche Verletzungen. Gerade dann kann die Suche nach Orientierungshilfen besonders ansteigen, und sie sind tatschlich auf internationaler Ebene zu finden. Schon im Vorfeld kçnnen internationale Kongresse besondere Bedeutung im Hinblick auf berufsethische Belange gewinnen, werden doch dort oft in çffentlichen Beitrgen Probleme artikuliert und diskutiert, die auch in der eigenen Vereinigung – oft nur widerstrebend – wahrgenommen werden, wie zum Beispiel Konflikte zwischen Schweigepflicht und Verantwortung, Grenzberschreitungen, Probleme des alternden Analytikers und vieles andere. Besonders solange manche lokalen Vereinigung noch keine EthikKommission eingerichtet haben, fehlt dort ein Forum, auf dem solche Schwierigkeiten in einer Weise durchdacht werden kçnnen, dass sie aus den persçnlichen Beziehungen herausgelçst und auf einer abstrakteren und differenzierteren Ebene betrachtet werden kçnnen. Wenn es nicht gelingt, die Diskussion soweit zu versachlichen, dass kontroverse Standpunkte zunchst gleichberechtigt formuliert werden kçnnen und die eigene Vereinigung vorbergehend oder dauerhaft nicht mehr von der Mehrheit ihrer Mitglieder als einheitlicher, institutionell legitimierter Ort erlebt wird, ist es naheliegend, dass Orientierung außen gesucht wird. Natrlich kann stattdessen außen auch Parteinahme und verbndete Untersttzung gesucht werden, doch dies wird von den internationalen Gremien statutengemß nicht untersttzt. Diese sind durchaus in der Lage, als neues drittes Strukturelement zu fungieren und neue Chancen fr eine Weiterentwicklung anzubieten. Dabei hat die internationale Ebene doppelte Bedeutung: durch die einzelnen Per-

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sçnlichkeiten, die sich innerhalb dieses Rahmens bewegen, der die Lehre und Forschung der Freudschen Psychoanalyse definiert, und durch die Institution mit der Satzung der IPV. Wiederum kçnnen persçnliche Beziehungen zunchst eine Hauptrolle spielen, wenn auch nun nicht mehr in der intimen Atmosphre und Asymmetrie wie bei der Lehranalyse, sondern eher auf einer Ebene, auf der die Chance einer gleichrangigen und reifen Auseinandersetzung die offizielle Basis bildet. Gleichzeitig reprsentiert der internationale Rahmen eine weitere, bergeordnete Sttte der Legalitt. Es wiederholt sich die Begegnung mit einer çdipalen Struktur. So wie der »Rundgang« oft lange aufgeschoben oder auch gnzlich vermieden wird aufgrund einer Tendenz, den Kontakt mit Autoritten zu vermeiden und sich nicht einer prfungshnlichen Situation auszusetzen, kann auch der Bezug zur Ebene der IPV als Zumutung und als abzulehnende berprfung erlebt werden; in diesem Fall verzichtet man auf die Mçglichkeit, seine Einstellungen in einem weiteren Raum zu berdenken. Es ist, als ob zuerst die Idealisierung des eigenen Analytikers und dann die der eigenen Vereinigung verblassen wrden, um einer (zunchst oft wiederum idealisierenden) Orientierung auf internationaler Ebene Platz zu machen. Unter Umstnden kçnnen Schwierigkeiten bei diesem zweiten Anlauf wesentlich besser gemeistert werden, weil die Dosierung der Emotionalitt eine andere ist. Dies scheint vor allem durch zwei Faktoren verursacht zu sein: – Die rumliche und zeitliche Distanz der persçnlichen Begegnungen mit Berufskollegen auf Kongressen und bei anderen internationalen Kontakten (Arbeitsgruppen, Supervisionen einzeln oder in Gruppen) erhçht oft die Haltbarkeit »guter« Objekte. Aber auch, was sich an unbewussten Strçmungen um einzelne Personen herum kristallisiert, hat mehr Zeit und Raum und erlaubt Ausdehnungen, die in der Enge der eigenen Vereinigung nicht mçglich sind – dies gilt in gleicher Weise fr konstruktive wie destruktive Tendenzen. Die Resultate solcher Vorgnge mçgen sehr differieren. So kçnnen schließlich auch Bildvergrçßerungen grçßere Unschrfe mit sich bringen, aber doch auch einen strkeren Eindruck erzeugen. Es kçnnen aber

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auch auf neu dazwischen geschobenen weißen Wnden Projektionen innerer Prozesse deutlicher erkennbar werden. Entscheidend ist wohl, dass durch die Gewichtsverlagerung nach außen neue Bewegungen in Gang kommen und neue Beziehungen etabliert werden, die mehr Spielraum fr ihre Entwicklung haben und sich auch in absentia – in den langen Pausen zwischen den Konferenzen – fortsetzen. hnlich wie die Abstinenz des Analytikers gewhrt auch der Freiraum der Internationalitt grçßere Entfaltungsmçglichkeiten fr die verschiedensten Strebungen, die nach außen drngen. Mit der Ausdehnung der rumlichen und zeitlichen Distanz kann sich auch der innere Raum erweitern, in dem bisher verdrngte Gedanken und Gefhle bewusst und neue Ein- und Ansichten mçglich werden kçnnen. Das internationale Bankett wird manchmal zum Spiel-Raum neuer Denkmçglichkeiten. – Die Tatsache, dass die Kongresssprachen fr viele Teilnehmer Fremdsprachen sind, schrnkt zwar die Verstndigungs- und Ausdrucksmçglichkeit ein, sie erlaubt aber unter Umstnden auch Verbalisierungen, die in der Fremdsprache weniger affektbesetzt sind und dadurch gleichsam manches in dieser Verkleidung eher durch die Zensur rutschen kann, was mit den hoch affektbesetzten Worten der Muttersprache nicht passieren drfte. Auch diese emotionale Dosierung kann befreiend wirken. Es gibt also nicht nur Sprachbarrieren, sondern auch durch den Gebrauch einer Fremdsprache erleichternde Bedingungen fr das Aussprechen von Schwierigkeiten. Das ist natrlich keine neue Entdeckung, sondern eine Mçglichkeit, die sich bereits Anna O. (Berta Pappenheim) mit ihrem »chimney sweeping« zunutze gemacht hat. Die Fremdsprache kann also nicht nur Barriere, sondern auch Rutsche sein. Im Hinblick auf berufsethische Probleme kann die Verbalisierung in einer Fremdsprache ein schnelles vorbewusstes Abtasten des Wortschatzes in Gang bringen, das unter Umstnden mit den wirklichen Empfindungen mehr in Einklang steht als die Worte der eigenen Sprache, die durch ihre grçßere Nhe zur Affektivitt eher mit Tabus belegt sind. So erwhnte zum Beispiel ein Kollege, er habe einen Artikel ber »abuse of a patient«

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gelesen und dabei immer an Dr. X. denken mssen, der in hnlicher Weise in seinen Analysen Grenzen zu berschreiten schien, um eigene narzisstische Bedrfnisse zu befriedigen; er wrde es aber nie wagen, in diesem Zusammenhang von »Missbrauch« zu sprechen. Keineswegs gehen all solche Entwicklungen reibungs- und konfliktlos vor sich. Auch wenn Ablçsung und Selbstndigkeit zu deklarierten Analysezielen gehçren, ist ihre praktische Umsetzung doch oft ußerst schwierig. Das mag in verstrktem Ausmaß fr kleine Vereinigungen gelten, in denen die Vereinspolitik in engeren Kreisen abluft und ein Gefhl und die Erwartung von Loyalitt es erschweren, klarere berufsethische Vorstellungen unabhngig von einzelnen Personen zu entwickeln.1 Ist schon jede Beendigung einer Analyse ein ußerst komplizierter Entwicklungsschritt, so ist es auch sehr schwierig, sich innerhalb der eigenen Vereinigung von manchem zu distanzieren, was einem nicht vertretbar erscheint. Vorwrfe von Illoyalitt und Schuldgefhle aller Art verzçgern solche Prozesse erheblich und zeugen von schweren inneren Konflikten. Die Hinwendung zu internationalen Kontakten kann die Hoffnung wecken, in dem weiteren Bezugsrahmen wiederzufinden, was man im engeren Rahmen verloren hat. Im Zusammenhang mit Grenzverletzungen in der eigenen Vereinigung kann der Austausch mit Kollegen in anderen Lndern sehr entlastend und sttzend wirken und dadurch die Wiederherstellung eines guten Arbeitsklimas in der lokalen Gesellschaft fçrdern. In gewissem Sinn kann man die Laufbahn eines Analytikers unter dem Aspekt einer wachsenden Autonomie im Hinblick auf eine berufsethische Haltung betrachten. Allerdings verbirgt sich hinter dem Begriff der Autonomie auch ein dialektisches Problem: Autonomie setzt eine innere Bindung an den Korpus der analytischen Theorien voraus, so wie er bei allen Unterschieden in gewissen essentiellen Teilen doch als verpflichtendes, gemeinsames Gut angesehen wird; ohne diese bewusste Bindung entsteht nicht

1 Ein solches Ringen um eine abstraktere Ebene findet schon in dem alten Sprichwort der Antike Niederschlag: »Amicus Plato, sed magis amica veritas.«

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Autonomie, sondern Eigenmchtigkeit. Die Unterscheidung zwischen narzisstischer Eigenmchtigkeit und Autonomie ist nicht immer leicht, und Autonomie kann auch entgleisen und in Eigenmchtigkeit kippen. Die intime Erfahrung der eigenen Analyse ist ebenso wie die spteren Beziehungen zu Berufskollegen unerhçrt wichtig – und doch auch wieder nicht allein entscheidend fr die Entstehung einer stabilen berufsethischen Haltung eines Analytikers; sie ist wohl vor allem durch ein Wissen um die bleibende und nie auszuschaltende Bedeutung unbewusster seelischer Vorgnge bei sich und anderen gekennzeichnet. Rivka Eifermann (2007) betont: »To try to grasp the implications of the position that we are truly not masters in ›our own house‹, meaning that we are constantly dynamically affected by our own unconscious mind, is not simply disconcerting. It is virtually mind-blowing.« Diese Anerkennung, dass die innere Realitt den Einfluss der ußeren Faktoren an Bedeutung berwiegen kann, erklrt auch, warum selbst dann eine Idee davon wachsen kann, was eine lege artis durchgefhrte Analyse vermag, wenn die diesbezglichen eigenen Erfahrungen nur einen bescheidenen Beitrag dazu geliefert haben (siehe Gabbard u. Williams, Vorwort zu Sandler, hier in diesem Band). Dasselbe gilt fr die Flle, in denen sich Mitglieder von lokalen Vereinigungen an bergeordnete Gremien der IPV wie die Ethik-Kommission der IPV wenden. Es gibt in den strker neutralisierten Beziehungen auf der internationalen Ebene Untersttzung, um fr sich selbst zunchst Sicherheit ber den eigenen Platz innerhalb der IPV zu finden, bevor dann auch der Platz in der lokalen Vereinigung wieder mit einem strkeren Gefhl fr die Berechtigung der eigenen Position ausgefllt werden kann. So wichtig und hilfreich die Kontakte mit Funktionstrgern der IPV auch sein mçgen und so durchdacht die dort schriftlich festgehaltenen berlegungen auch sind, sie sind nicht allein entscheidend fr das Ergebnis eines solchen Unterfangens. Die Palette der Mçglichkeiten reicht von einer eher nicht reflektierenden Unterordnung bis zu einer (Wieder-)Aufrichtung einer Haltung, die bereits weitgehend ohne persçnliche Vorbilder auskommt und auch nicht mehr stark vom Funktionieren von Gremien abhngt, sondern

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Sylvia Zwettler-Otte

sich eine eigene Sicht ber berufsethische Probleme erarbeitet. Dass es einen internationalen Bezugsrahmen gibt, der solche Weiterentwicklungen ermçglicht, scheint dafr von grundlegender Bedeutung zu sein. Es geht bei diesen inneren Weiterentwicklungen letztlich um Wahrheit, die in der analytischen Arbeit – und dadurch mag diese sich von manchen anderen Berufen unterscheiden, wo sie nicht als absolute Notwendigkeit und vielleicht sogar als Hindernis gesehen wird – von zentraler Bedeutung ist. Diese Wahrheit »muss offenbar aus der klinischen Arbeit heraus entwickelt werden und nicht aus einer Transzendenz fern und vor jeder analytischen Erfahrung. – Verriete der Analytiker den Wunsch nach Wahrheit und den Respekt vor ihr und damit das, was der analytischen Arbeit Bedeutung verleiht, »so wrde er in seiner Rolle und Funktion versagen« (Canestri, 2001, Seite 196 und 187). Die Notwendigkeit der Abstinenz und die Wahrheitssuche als Grundlage der analytischen Behandlung sind die beiden Prinzipien, welche »die Ecksteine der psychoanalytischen Ethik« sind. Abweichen von der Wahrheit wre nicht nur unethisch, sondern auch therapeutisch unwirksam. Es ist der Analytiker selbst, der sich mit seiner Berufswahl zur Wahrheit verpflichtet hat. So lsst sich zusammenfassend festhalten, dass die Erfahrung lehrt, wie hilfreich es ist, beim Auftauchen ethischer Probleme gleichsam ber den nationalen Tellerrand zu schauen und zu sehen, wie andere psychoanalytische Vereinigungen mit vergleichbaren Schwierigkeiten umgegangen sind. In der Weite der Internationalitt mag es Przedenzflle und kontroverse Standpunkte geben, das kann den eigenen Standpunkt relativieren und auch das Aushalten von Differenzen erleichtern. Wenn in der Enge der analytischen Beziehung wichtige Regeln »vergessen« wurden, ist es die Aufgabe der Institution, weniger permissiv zu sein, auf die Schutzfunktion der Regeln hinzuweisen und nicht zuzulassen, dass sie außer Kraft gesetzt werden. Die Institution hat die Frage zu stellen, warum etwas, was normalerweise als schdlich fr die Analyse erkannt wurde, in einem speziellen Fall scheinbar kein P roblem sein sollte. Sie kann Grenzberschreitungen nicht ignorieren, besttigen oder gar honorieren.

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berlegungen zur inneren Bedeutung der Internationalitt

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Dort, wo aufgrund von zu großer Enge und Verwicklungen die eigene Institution die Funktion eines dritten Elements nicht mehr gut auszufllen vermag, kann dies durch die Weite der Internationalitt ausbalanciert werden. So wie das Heraustreten aus der Dyade zur Entwicklung eines reifen Individuums gehçrt, kann auch die Ausweitung der Enge der eigenen Vereinigung im internationalen Austausch ein wichtiger Schritt in Richtung grçßerer Selbstndigkeit werden.

Literatur Canestri, J. (2001). Feuerlrm: berlegungen zur bertragungsliebe. In E. Sp. Person, A. Hagelin, P. Fonagy (Hrsg.), ber Freuds »Bemerkungen ber die bertragungsliebe«. Stuttgart: frommann-holzboog. Eifermann, R. R. (2007). On the Inevitable Neglect of the Unconscious: A Contemporary Reminder. In C. Calish, H. Hinz: Depth and Understanding: The Place of the Unconscious in Contemporary Psychoanalysis. London: Karnac. Green, A. (2002). Time in Psychoanalysis – Some Contradictory Aspects. LondonNew York: Free Association Books. Parsons, M. (2000). The Dove that Returns, The Dove that Vanishes – Paradox and Creativity in Psychoanalysis. London u. Philadelphia: Routledge.

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Anhang Ethikkodex der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung

Beschlossen auf der a.o. Generalversammlung am 28.9.2004

Prambel A. PsychoanalytikerInnen sollen sich in beruflichen Beziehungen gegenber PatientInnen, KollegInnen und entsprechenden Institutionen verantwortungsvoll und besonnen verhalten. B. Aufgrund der besonderen Intimitt und Emotionalitt, die in der Natur der Beziehung zu PatientInnen whrend der Analyse liegt, ist es fr PsychoanalytikerInnen notwendig, sich auf besondere Weise strikt diszipliniert zu verhalten. Dies zu missachten kann ußerst schwerwiegende Folgen haben, wenn es die PatientInnen oder KandidatInnen direkt betrifft. C. Aber auch im Allgemeinen kann das Missachten der Verantwortung gegenber der ffentlichkeit, anderen Institutionen und KollegInnen der WPV und anderer Berufsgruppen schwere Folgen nach sich ziehen. Selbstverstndlich sind die Kriterien fr professionelles oder ethisches Verhalten zwischen diesen Gruppen verschieden, aber die grundlegenden, von PsychoanalytikerInnen anzuwendenden Prinzipien sind im Ethikkodex der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung zum Ausdruck gebracht. D. Der Ethikkodex legt die wesentlichen Prinzipien professionellen Verhaltens von PsychoanalytikerInnen fest, er ist nicht als allumfassend zu betrachten: Professionelles Verhalten ist ein Legeartis-Berufsverhalten gegenber PatientInnen, KollegInnen und der Allgemeinheit; es beeinflusst unter anderem den guten Namen der Psychoanalyse als wissenschaftliches und klinisches Fach. E. Der Ethikkodex ist verpflichtend fr alle Mitglieder und KandidatInnen der WPV, entsprechende Abschnitte auch fr das Verwal-

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Ethikkodex der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung

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tungspersonal. Mitglieder, KandidatInnen und Verwaltungspersonal mssen sich mit dem Ethik-Kodex und mit den Verfahren des Ethik-Ausschusses und anderen WPV-Vorschriften vertraut machen. F. Im Zweifelsfall sollen sie Rat zu Fragen des ethischen oder professionellen Verhaltens von erfahrenen KollegInnen oder von Mitgliedern des Ethik-Ausschusses einholen. Der Ethik-Ausschuss kann stets angerufen werden, in erster Instanz die/der LeiterIn des Ausschusses. G. Im Falle eines ernsthaften Verstoßes gegen den Ethikkodex obliegt es letztlich dem Vorstand der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung – nach Beratung mit dem Ethik-Ausschuss – zu entscheiden, welche Sanktionen angemessen sind. H. Alle Personen, die sich in einer psychoanalytischen Behandlung befinden, werden im Folgenden als PatientInnen bezeichnet, auch wenn es sich dabei um AusbildungskandidatInnen in Lehranalyse handelt. Ethikkodex 1. PsychoanalytikerInnen und KandidatInnen haben sich jederzeit so zu verhalten, wie es im besten PatientInnen-Interesse angezeigt ist. 2. Zu Beginn einer Behandlung obliegt es der/dem PsychoanalytikerIn und KandidatIn, der/dem PatientIn gegenber klar die allgemeinen Bestimmungen und Bedingungen der bevorstehenden psychoanalytischen Arbeit darzulegen. 2.1. Wird ein Kind zur Behandlung bernommen, sind die oben dargestellten Bestimmungen und Bedingungen nicht nur darzulegen und von den Eltern oder dem gesetzlichen Vertreter zu genehmigen, sondern sind auch dem Kind auf eine seinem Alter entsprechend angemessene Weise zu erklren. 2.2. Im Falle einer/eines Adoleszenten, die/der lter als vierzehn Jahre ist, ist die Einbindung eines Elternteiles oder gesetzlichen Vertreters sorgfltig abzuwgen und in jedem einzelnen Fall zu entscheiden. 3. PsychoanalytikerInnen und KandidatInnen mssen alle angebrachte Zurckhaltung in kçrperlicher, verbaler und sozialer Hinsicht gegenber ihren PatientInnen ausben. Whrend der Behandlung ist ein unangemessener kçrperlicher Kontakt mit PatientInnen zu vermeiden.

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3.1. Die Verbalisierung sexueller Inhalte darf nicht missbrauchend benutzt werden. 3.2. Weder whrend der Behandlung noch danach darf die/der PsychoanalytikerIn mit der/dem PatientIn eine sexuelle Beziehung oder eine andere Art von persçnlicher Beziehung eingehen oder ihr /ihm vorschlagen, die ein durch die Analyse aktiviertes Abhngigkeitsverhltnis agiert. Im Anlassfall ist der Ethikausschuss in Kenntnis zu setzen. 3.3. Whrend der Behandlung und fr eine angemessene Zeit nach der Behandlung darf die/der PsychoanalytikerIn mit Familienmitgliedern der/des PatientIn und ihr/ihm Nahestehenden keine sexuelle Beziehung eingehen. Im Anlassfall ist der Ethikausschuss in Kenntnis zu setzen. Mit Ausnahme des vereinbarten Honorars drfen keine finanziellen oder anderen geschftlichen Transaktionen mit PatientInnen stattfinden. PsychoanalytikerInnen, KandidatInnen und Verwaltungspersonal mssen die Vertraulichkeit von Patienteninformationen und Falldokumentationen bercksichtigen. Die Anonymitt der/des PatientIn darf nur aufgrund zwingender therapeutischer Notwendigkeit aufgehoben werden. Solche Mitteilungen mssen immer von Achtung gegenber der/dem PatientIn zeugen. Es obliegt der/dem PsychoanalytikerIn sicherzustellen, dass die gesamte Patienten betreffende wissenschaftliche Korrespondenz so gefhrt wird, dass Anonymitt nicht nur zu Lebenszeiten der/ des Psychoanalytikerin/Psychoanalytikers, sondern auch nach ihrem/seinem Tod aufrechterhalten wird. Wenn PsychoanalytikerInnen zeitweise in einer anderen beruflichen Eigenschaft (beispielsweise medizinisch-rztlich-praktizierend oder als SozialarbeiterInnen) mit PatientInnen arbeiten, unterliegen sie sowohl den Regeln dieses anderen Berufes als auch als PsychoanalytikerInnen dem Ethikkodex der WPV, unabhngig davon, wo sie arbeiten. PsychoanalytikerInnen mssen stets in der Lage sein, darzulegen, dass eventuell notwendig gewordene Ausnahmen gerechtfertigt sind. PsychoanalytikerInnen und KandidatInnen haben Statuten und Geschftsordnung der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung und der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung zu akzeptieren und ein Verhalten zu vermeiden, welches das Ansehen

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dieser Institutionen schdigt, ihnen ihre statutengemßen Bestimmungen aberkennt oder sie in der Verwirklichung dieser Aufgaben behindert. PsychoanalytikerInnen haben sich gegenber Mitgliedern der WPV und anderer Organisationen sowie der ffentlichkeit allgemein rcksichtsvoll zu verhalten und niemanden in Misskredit zu bringen. Mitteilungen fr und ber KollegInnen sind mit der erforderlichen Sorgfalt vorzunehmen. Wenn Kritik an KollegInnen erforderlich erscheint, hat dies mit Wahrhaftigkeit zu geschehen. Es steht natrlich frei, Aspekte der psychoanalytischen Theorie, Methode oder Praxis zu kritisieren. Auch hier sind Wahrhaftigkeit, wissenschaftliche Sorgfalt und Respekt vor der Person wichtig. Eigene Meinung und Tatsachen sind deutlich voneinander zu unterscheiden. PsychoanalytikerInnen drfen ihren Beruf nicht ausben, wenn sie aufgrund Alters oder Krankheit oder durch die Einnahme von Medikamenten oder Drogen nicht mehr in der Lage sind, angemessene Sorgfalt und Beurteilungsvermçgen aufzubringen. Bestehen Bedenken oder Zweifel hinsichtlich der Arbeitsfhigkeit, ist die/der LeiterIn des Ethik-Ausschusses zu konsultieren. Einer/einem PsychoanalytikerIn, deren/dessen Verstoß gegen den Kodex festgestellt worden ist, kçnnen seitens des Vorstandes eine Ermahnung ausgesprochen, Maßnahmen aufgetragen oder die Mitgliedschaft bzw. eine Funktion suspendiert oder entzogen werden. Austritt aus der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung: Wenn ein Mitglied, affiliiertes Mitglied oder ein Ehrenmitglied aus der WPV austreten mçchte, whrend Beschwerden gegen diese Person vorliegen oder Ermittlungen ber ihr Verhalten anhngig sind, wird der Austritt dieser Person erst wirksam, wenn die Beschwerden vorgebracht und nach abgeschlossener Ermittlung erledigt sind. Die WPV kann auf das Erfordernis der Zahlung weiterer Mitgliedsbeitrge, die in diesem Zeitraum anfallen, verzichten. Austritt oder Abbruch der Ausbildung: Wenn eine/ein KandidatIn die Ausbildung abbrechen oder abschließen mçchte, aber Beschwerden gegen sie/ihn vorliegen oder Ermittlungen ber ihr/sein Verhalten anhngig sind, werden Rcktritt oder Beendigung erst wirksam, wenn die Beschwerden nach abgeschlossener Ermittlung erledigt sind.

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Ethik-Ausschuss – Geschftsordnung § Wahl, Zusammensetzung, Funktionsdauer: 1. Der Ethik-Ausschuss ist ein stndiger Ausschuss der WPV. 2. Er besteht aus drei Mitgliedern, die alle zwei Jahre aus der Mitte der whlbaren Vereinsmitglieder durch die Generalversammlung mit einfacher Stimmenmehrheit auf die Dauer von zwei Jahren gewhlt werden. 3 .Die Mitglieder des Ausschusses sollen der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung seit mindestens drei Jahren angehçren und mehrjhrige Erfahrungen in der psychoanalytischen Praxis haben. 4. Es ist erwnscht, dass wenigstens ein Mitglied des Ausschusses ber eine psychiatrische Ausbildung verfgt. 5. Ein Mitglied, das eines Verstoßes gegen den Ethikkodex schuldig erkannt wurde, kann dem Ausschuss nicht angehçren. 6. Mitglieder des WPV-Vorstandes sind nicht whlbar. 7. Die Mitglieder des Ethikausschusses whlen aus ihrem Kreise mit einfacher Stimmenmehrheit eine/n LeiterIn. 8. Der Ethik-Ausschuss hat das Recht, im Bedarfsfalle eine/n entsprechend qualifizierte/n sachverstndige/n BeraterIn beizuziehen. 9. Die ordentliche Funktionsperiode des Ethikausschusses betrgt zwei Geschftsjahre. Die ordentliche Funktionsperiode beginnt mit 1.Jnner des der ordentlichen Generalversammlung folgenden Jahres und endet 2 Jahre danach mit dem 31. Dezember. Hat ein Ethik-Ausschuss vor dem 1. Jnner seine Funktion bernommen, so erweitert sich die Funktionsperiode dieses Ausschusses um den Zeitraum bis zu diesem Tag. 10. Die ununterbrochene Funktionsdauer der Leiterin/des Leiters des Ethik-Ausschusses ist auf vier Jahre begrenzt. Die Wiederwahl der brigen Ausschussmitglieder unterliegt keiner Begrenzung. 11. Die/der LeiterIn bestellt ein Ausschussmitglied zur/zum SekretrIn. 12. Das Quorum besteht aus zwei Mitgliedern. 13. Die/der LeiterIn hat sicherzustellen, dass alle Mitglieder in der Lage sind, die Vertraulichkeit des Komitees zu respektieren. Dies ist beispielsweise nicht der Fall, wenn ein Mitglied sich einer Analyse unterzieht: Dann hat die/der LeiterIn auf einen Austritt aus dem Ausschuss einzuwirken. Sollten Mitglieder diesbezglich Zweifel haben, mssen sie die/den LeiterIn konsultieren.

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Ethikkodex der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung

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§ 2. Aufgaben: Die Aufgaben des Ethik-Ausschusses sind: 1. Mitgliedern, a.o.Mitgliedern, affiliierten Mitgliedern, Ehrenmitgliedern, KandidatInnen und dem Verwaltungspersonal der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung Diskussion und Beratung ber ethisches und professionelles Verhalten anzubieten. 2. Beschwerden ber unter § 2. Abs. 1. genannte Personen entgegenzunehmen, hierber zu beraten, Stellungnahmen abzugeben und zu entscheiden. 3. Der Ethik-Ausschuss kann von sich aus ttig werden, wenn er von Vorfllen und Vorgngen Kenntnis erhlt, die den Ethikkodex der WPV verletzen. 4. Der Ethik-Ausschuss hat sich an den Ethikkodex, die Statuten und die Geschftsordnung der WPV und dort insbesondere an die des Ethik- Ausschusses zu halten, diese laufend zu prfen und entsprechende Verbesserungsvorschlge zu erarbeiten. § 3. Verfahren: 1. Alle unter § 2. Abs. 1. genannten Personen kçnnen sich an die/ den LeiterIn oder Mitglieder des Ausschusses zur informellen Erçrterung von Situationen wenden, die mçglicherweise Fragen des ethischen oder professionellen Verhaltens aufwerfen. 2. Jede Person oder Organisation, die sich beschweren mçchte, sollte an die/den LeiterIn des Ethik-Ausschusses schreiben, die/ der – erforderlichenfalls nach Beratung mit der/dem Vorsitzenden der WPV – entscheiden wird, ob die Beschwerde weiter zu untersuchen ist. Sollte die/der BeschwerdefhrerIn mit der Beschwerde fortsetzen wollen, hat sie/er zur Kenntnis zu nehmen, daß die/der BeschwerdegegnerIn davon verstndigt wird. § 4. Formelle Untersuchung: 1. Die/der LeiterIn hat eine oder mehrere Sitzungen des Ausschusses anzuberaumen, in der ber die Beschwerden beraten und eine eventuelle Befragung der/des Beschwerdefhrerin/-fhrers beschlossen und durchgefhrt wird. 2. Wenn der Ausschuss entscheidet, dass prima facie ein Verstoß gegen den Ethikkodex vorliegt, ist die/der BeschwerdegegnerIn schriftlich unter Anschluss einer Kopie der Beschwerde davon zu

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verstndigen und zu einer Besprechung mit dem Ethik-Ausschuss zur Beantwortung der Beschwerde einzuladen, wobei ihr/ihm zuvor das Vetorecht gegen die Auswahl eines befragenden Ausschussmitgliedes einzurumen ist. 3. Der Ethik-Ausschuss ist ermchtigt, eine andere als die oben angefhrte Untersuchungsmethode anzuwenden, wenn er dies als angemessen erachtet. Er kann z. B. beschließen, ber schriftliche Stellungnahmen von BeschwerdefhrerIn und BeschwerdegegnerIn zu befinden. 4. Der Ausschuss hat folgende Prinzipien zu bercksichtigen: 4.1. Er soll alles dazu beitragen, das gute Ansehen und den ethischen Standard der WPV und der Psychoanalyse als Profession aufrecht zu erhalten; 4.2. er hat sich der/dem BeschwerdefhrerIn gegenber zu bemhen, ihre/seine Beschwerde angemessen zu behandeln; 4.3 er soll einer Person, gegen die eine Beschwerde aufrecht erhalten wurde, helfen, sich mit dem Geschehenen auseinanderzusetzen, um das berufliche Verhalten in Hinkunft verbessern zu kçnnen. 5. Der Ausschuss kann: 5.1. den Fall abweisen, wenn er zur Begrndung eines Verstoßes gegen den Ethikkodex nicht ausreicht; 5.2. BeschwerdegegnerIn und BeschwerdefhrerIn einladen, bei einer Sondersitzung des Ethik-Ausschusses zu erscheinen, wenn er zur Ansicht gelangt ist, dass ein begrndeter Verdacht auf einen Verstoß gegen den Ethikkodex vorliegt. § 5. Sondersitzungen fr Verhandlungen und Entscheidungen: 1. Vor der Ladung zu einer Sondersitzung bestimmt der Ausschuss ein angemessenes Verfahren und einen Zeitraum fr die Verhandlung ber die Beschwerde. Er hat sodann sptestens vierzehn Tage vor dem Termin BeschwerdefhrerIn und BeschwerdegegnerIn von der Sondersitzung und von dem bestimmten Verfahren zu verstndigen. 2. Die Sondersitzung wird blicherweise wie folgt verlaufen: 2.1. BeschwerdefhrerIn und BeschwerdegegnerIn sind berechtigt, persçnlich zu erscheinen oder sich vertreten zu lassen; 2.2. eine mndliche oder schriftliche Stellungnahme abzugeben;

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2.3. zur Rechtfertigung oder Milderung Urkunden vorzulegen und Zeugen zu beantragen; 2.4. beide kçnnen ber ihren Wunsch in Begleitung einer weiteren Person erscheinen; 2.5. beide sind nach Ermessen des Ausschusses berechtigt, einander sowie die Zeugen zu den Behauptungen zu befragen. 3. Kopien smtlicher vorzulegender Urkunden zur Untersttzung der Beschwerde oder der Verteidigung sind der/dem SekretrIn des Ausschusses sptestens sieben Tage vor der Sondersitzung zur Verfgung zu stellen. Dieser legt die Kopien dem Ausschuss sowie BeschwerdefhrerIn und BeschwerdegegnerIn vor. 4. Bei der Sondersitzung entscheidet der Ausschuss, wie die Beschwerde nach Maßgabe der im obigen § 4. Abs. 5. dargestellten Grundstze zu behandeln ist: 4.1. Er kann die Beschwerde nach ausfhrlicher Prfung abweisen. 4.2. Wenn er feststellt, dass die/der BeschwerdegegnerIn einen Verstoß gegen den Ethikkodex begangen hat, hat er den Vorstand der WPV vom geprften Sachverhalt schriftlich in Kenntnis zu setzen. 5. ber allfllige weitere Maßnahmen hat der Vereinsvorstand zu entscheiden. 6. BeschwerdefhrerIn und BeschwerdegegenerIn sind vom Ethikausschuss von seiner Entscheidung umgehend zu informieren. § 6. Berufungsrecht 1. Gegen die Entscheidung der Ethikkommission kann sowohl von der/dem BeschwerdefhrerIn als auch von der /vom BeschwerdegegnerIn Berufung eingelegt werden. 2. Jeder Antrag, das Recht auf Berufung zu gewhren, ist schriftlich innerhalb von 21 Tagen nach Verstndigung von der Entscheidung des Ethik-Ausschusses an die/den WPV-Vorsitzende/en zu stellen. Diese/r entscheidet unter Einholung des Rates zweier Personen mit mindestens 5-jhriger WPV-Mitgliedschaft, ob eine Berufung stattfindet. 3. Entscheidet die/der WPV-Vorsitzende, das Recht auf Berufung nicht zuzuerkennen, hat sie/er die betreffende Partei unverzglich hiervon zu verstndigen. 4. Entscheidet die/der WPV-Vorsitzende, das Recht auf Berufung zuzuerkennen, hat sie/er die betreffenden Parteien unverzglich

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hiervon zu verstndigen und ein Ad-hoc-Berufungskomitee einzusetzen, das aus drei vom Vorstand der WPV zu ermittelnden IPV-LehranalytikerInnen besteht, die an frheren Verfahren ber diese Beschwerde nicht beteiligt waren und die mit der dieser Beschwerde zugrunde liegenden Angelegenheit nichts Nheres zu tun haben. 5. Das Ad-hoc-Berufungskomitee hat die berufungsregelnden Verfahren festzulegen und BeschwerdefhrerIn und BeschwerdegegnerIn davon zu verstndigen. 6. Die Berufung fhrt zu einer neuerlichen Prfung des Falles. Das Ad- hoc-Berufungskomitee ist berechtigt, die im obigen § 5. Abs. 4. dargelegten Feststellungen und Empfehlungen zu machen. Allfllige Feststellungen und Empfehlungen des Ad-hoc-Berufungskomitees ersetzen jene des Ethik-Ausschusses. § 7. Verantwortlichkeit gegenber der Generalversammlung 1.

Die/der Vorsitzende des Ethik-Ausschusses hat der Generalversammlung einen Bericht ber seine Ttigkeit abzugeben.

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Psychoanalytische Berufsethik der Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung1 Zweig der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung

Inhalt Prambel A. Ethische Grundstze I. Die psychoanalytische Methode als Grundlage einer Berufsethik II. Allgemeine Grundstze III. Spezielle Grundstze B.

Stndiges Forum zu Fragen der Ethik

C. I. II. III.

Verfahren zur Regelung ethischer Beschwerden Ethik-Kommission Ermittlungsausschuss Ethik-Beirat Prambel

Die Psychoanalytiker der Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung (DPV) und ihre Institute verpflichten sich auf die folgende wissenschaftlich fundierte Berufsethik und die daraus abgeleiteten Grundstze und Verfahren.

1 Vorgelegt von der »Kommission zur Erarbeitung von Ethik-Richtlinien«, einberufen durch Georg Bruns und durch die Mitgliedschaft der DPV besttigt durch Beschluss der Mitgliederversammlung vom 20. November 2003. Der Kommission gehçren an: Ekkehard Gattig, Irene Misselwitz, Raimar Schilling, Peter Wegner und Gabriele Weidenfeller. – Vgl. Ethik-Leitlinien der DGPT. – Vgl. »Grundlagen und Richtlinien einer psychoanalytischen Berufsethik«. Sechster Entwurf der Ethikkommission – einberufen durch L. Schacht – von W. Baumann, H. U. Christ, J. F. Danckwardt vom 18. September 1993. – Vgl. »Ethische Grundstze der IPV«, in Kraft seit dem 31. Dezember 1999.

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A. Grundstze Die ethischen Grundstze folgen den im psychoanalytischen Denken enthaltenen humanistischen Wertvorstellungen. Daraus ergeben sich ethische Verpflichtungen gegenber Patienten, Kollegen und der ffentlichkeit. Die Grundstze sind kontinuierlich im Hinblick auf wissenschaftliche Entwicklungen und Erkenntnisse zu berprfen. Sie ergnzen die Satzung der DPV. Sie gelten fr alle Mitglieder, Ausbildungsteilnehmer und – kandidaten sowie fr ‚Stndige Gste der DPV. I. Die psychoanalytische Methode als Grundlage einer Berufsethik Die psychoanalytische Berufspraxis basiert auf der Anwendung der psychoanalytischen Methode in verschiedenen psychoanalytischen Behandlungsverfahren. Die Verpflichtung auf die Bedingungen der psychoanalytischen Methode begrndet die ethische Haltung des Psychoanalytikers. Diese bildet die Basis der psychoanalytischen Berufsethik. Sie gewhrleistet den Erhalt und die Weiterentwicklung der beruflichen Standards in Klinik und Forschung, fçrdert die Kultur und die Wissenschaft der Psychoanalyse und prgt die verschiedenen Formen ihrer Institutionalisierung. Die psychoanalytische Methode ermçglicht und begrenzt zugleich eine besondere emotionale Beziehung zwischen einem Patienten und seinem Analytiker. Sie erfordert von Psychoanalytikern eine geschulte Wahrnehmungsfhigkeit fr vorbewusste und unbewusste Prozesse in Verbindung mit einer methodisch reflektierten Haltung und Disziplin. Kompetenz im Umgang mit den Phnomenen der Regression, des Widerstandes, der bertragung/Gegenbertragung, als den konstitutiven Arbeitsbedingungen eines psychoanalytischen Prozesses, ist deshalb zugleich Voraussetzung, um der besonderen Schutzbedrftigkeit aller Beteiligten gerecht werden zu kçnnen. Unabhngig davon, dass jeder Psychoanalytiker ein subjektiv geprgtes Methodenverstndnis und eine persçnlich geformte Behandlungstechnik entwickeln muss, gibt es fr die psychoanalytische Berufsausbung unverzichtbare ethische Grundstze. II. Allgemeine Grundstze Psychoanalytiker sind verpflichtet, ihr professionelles Verhalten so zu gestalten, dass die Wrde und das Recht auf kçrperliche und psychi-

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Psychoanalytische Berufsethik der DPV

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sche Integritt ihrer Patienten/Analysanden gewahrt bleiben. Sie beachten deshalb die besondere Schutzbedrftigkeit aller durch die Dynamik des Unbewussten im psychoanalytischen Prozess sich entfaltenden Formen des Erlebens und Verhaltens.

III. Spezielle Grundstze 1. Vertraulichkeit Psychoanalytiker sind verpflichtet, alle Mitteilungen eines Patienten/ Analysanden und die darin enthaltenen Informationen ber sich selbst und andere vertraulich zu behandeln. Die Verpflichtung zur Vertraulichkeit beinhaltet den Schutz des Patienten, den Schutz Dritter und den Schutz des die Daten erstellenden Psychoanalytikers. Sie bezieht sich auch auf wissenschaftliche Verçffentlichungen, Supervisionen und kollegialen Austausch (z. B. Intervision) sowie auf den vorsorglichen Datenschutz bei Krankheit, Tod oder aus sonstigen Grnden anhaltender Berufsunfhigkeit. Falls ein Spannungsverhltnis entsteht zwischen der Verpflichtung des Psychoanalytikers zur Vertraulichkeit und seiner Verpflichtung zur Loyalitt gegenber gesetzlichen Geboten, muss er die Schutzbedrftigkeit der psychoanalytischen Arbeitsbeziehung besonders beachten. 2. Wahrhaftigkeit und Aufklrungspflicht Psychoanalytiker sind verpflichtet – unter Wahrung der methodisch gebotenen Abstinenz –, eine wahrhaftige und taktvoll-offene Beziehung zu ihren Patienten/Analysanden einzuhalten und die suggestive Wirkung ihrer persçnlichen Autoritt und ihrer professionellen Kompetenz nicht missbruchlich einzusetzen, um persçnliche Vorteile zu gewinnen. Zur Verpflichtung auf Wahrhaftigkeit gehçrt auch, einen Patienten/Analysanden zu Beginn der Behandlung ber die besonderen Bedingungen und Regeln der zuknftigen, gemeinsamen Arbeit zu unterrichten. Die Informations- und Aufklrungspflicht bezieht sich auch auf organisatorische und leistungsrechtliche Bedingungen, unter denen eine Behandlung durchgefhrt wird. 3. Abstinenz Psychoanalytische Ttigkeit bedarf einer Kompetenz zur gesicherten Einhaltung von Disziplin und Abstinenz in allen sprachlichen und kçrperlichen ußerungen. Verbale Angriffe (z. B. taktlose und krn-

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kend- entwertende ußerungen) beschdigen die psychoanalytische Arbeit ebenso wie kçrperliche bergriffe. Psychoanalytiker sind deshalb verpflichtet, ihre Kompetenz und ihre persçnliche Autoritt nicht zur Befriedigung eigener narzisstischer, erotischer oder aggressiver Bedrfnisse zu missbrauchen. Die Verpflichtung zur Abstinenz gilt auch ber die Beendigung der analytischen Arbeitsbeziehung hinaus. 4. Vereinbarungen Vereinbarungen (z. B. ber Zeit und Ort der Behandlung, Urlaubsplanungen, Hçhe des Honorars, Zahlungsmodus, Ausfallregelung) werden zu konstitutiven Bedingungen des analytischen Prozesses. Sie mssen vor ?eginn einer Behandlung getroffen werden. Dabei sind die individuellen Lebensbedingungen beider Partner zu bercksichtigen. nderungen sind unter dem Aspekt ihrer Auswirkungen auf den psychoanalytischen Prozess zu prfen und in jedem Fall rechtzeitig anzukndigen. Andere geschftliche Vereinbarungen zwischen Psychoanalytikern und ihren Patienten/Analysanden und deren Angehçrigen sind unzulssig. 5. Erhalt und Sicherung der psychoanalytischen Kompetenz Psychoanalytiker brauchen eine spezifische Sensibilitt fr die Stçrbarkeit ihres seelisch-kçrperlichen Gleichgewichtes. Eigenverantwortlich gestaltete, die Berufspraxis begleitende und methodisch geleitete Reflexion ihrer klinischen Arbeit (Supervision und Intervision) sind Voraussetzungen zum Erhalt psychoanalytischer Kompetenz.

B. Stndiges Forum zu Fragen der Ethik 1. Das stndige Forum zu Fragen der Ethik (SFE) findet regelmßig als tagungsçffentliche Veranstaltung anlsslich der DPV-Tagungen statt. Es wird von zwei, fr jeweils zwei Jahre von der Mitgliederversammlung gewhlten Moderatoren betreut und geleitet. Einmalige Wiederwahl ist mçglich. 2. Das SFE ist ein von administrativen Einbindungen unabhngiges Diskussionsforum der DPV-Mitgliedschaft. Es hat die Aufgabe, ethische Fragestellungen der Berufspraxis und der Aus-, Weiter- und Fortbildung zu diskutieren und auf diese Weise die berufsethischen Standards zu fçrdern. 3. Das SFE berichtet ber seine Arbeit regelmßig der Mitgliedschaft, mindestens aber einmal pro Wahlperiode.

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Psychoanalytische Berufsethik der DPV

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C. Verfahren zur Regelung ethischer Beschwerden Fr den Prozess der Klrung, Beratung und Beurteilung und gegebenenfalls der Sanktionierung bei konkretisierten Beschwerden wegen ethischer Verfehlungen ist eine Unterscheidung zwischen psychoanalytisch-reflexiven und administrativ-judikativen Verfahrensformen von zentraler Bedeutung.

I. Ethik-Kommission 1. Aufgaben Die Ethik-Kommission hat die Aufgabe, Anfragen und Beschwerden wegen mçglichen ethischen Fehlverhaltens und Grenzverletzungen durch Psychoanalytiker entgegen zu nehmen und zu bearbeiten, soweit diese sich aus deren Ttigkeitsfeldern in Klinik, Forschung und çffentlichen Funktionen ergeben bzw. Auswirkungen auf ihre Arbeit als Psychoanalytiker vermuten lassen. Hat sich eine Anzeige oder eine Beschwerde in einer ersten Prfung durch die Ethik-Kommission als so schwerwiegend erwiesen, dass weitere Ermittlungen zur Vorbereitung eines mçglichen Ausschlussverfahrens erforderlich sind, wird der gesamte Vorgang ohne weitere konsultative Aktivitt ber den Ethik-Beirat an den Ermittlungsausschuss weitergeleitet. Der Vorsitzende der Ethik-Kommission trgt dann dafr Sorge, dass Beschwerdefhrer auf Wunsch durch das folgende Verfahren begleitet werden. Die Ethik-Kommission arbeitet psychoanalytisch-reflektierend, problem-orientiert und klrend, auf der Basis der Bereitschaft zur Mitarbeit aller Beteiligten. Ihre Arbeitsweise unterscheidet sich insofern von einem administrativ-judikativen Verfahren. Im Einzelfall unterliegt die Entscheidung ber die Mçglichkeiten und Grenzen eines psychoanalytisch-reflexiven Arbeitsprozesses dem pflichtgemßen Ermessen des Vorsitzenden der Ethik-Kommission. Die Ethik-Kommission ist verpflichtet, alle beteiligten Parteien ber ihre Arbeitsweise angemessen zu informieren, den Prozess zu dokumentieren, einen Abschlussbericht zu erstellen und diesen dem EthikBeirat zuzustellen. Dabei ist der Datenschutz zu bercksichtigen. Die Arbeit der Ethik-Kommission verfolgt eine doppelte Zielrichtung: Erstens: Beschwerdefhrenden aus einer dritten, unabhngigen und psychoanalytisch kompetenten Position heraus zu einer angemessenen Wrdigung der von ihnen vorgetragenen Probleme zu verhelfen.

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Zweitens: Mit den beschuldigten Kollegen in einen kritischen Diskurs ber ihre Arbeit einzutreten und nçtigenfalls Maßnahmen zu vereinbaren, die zur Wiederherstellung oder zur Verbesserung der psychoanalytischen Kompetenz geeignet sein kçnnen. Solche Maßnahmen kçnnen z. B. sein: Supervision, Intervision, Selbsterfahrung und/oder Fortbildung. Falls entsprechende Vereinbarungen nicht zustande kommen oder nicht eingehalten werden, kann die Ethik-Kommission den Vorgang an den Ethik-Beirat weiterleiten. Dieser ist dann verantwortlich fr die Umsetzung der Empfehlungen der Ethik-Kommission. Im Einzelfall kann es erforderlich sein, dass der Ethik-Beirat weitergehende, den Mitgliedstatus beeinflussende Maßnahmen beschließen muss. Weigert sich ein Psychoanalytiker ohne Angabe nachvollziehbarer Grnde, an der Aufklrung der gegen ihn erhobenen Vorwrfe mitzuwirken, kann die Ethik-Kommission den Vorgang zur weiteren Bearbeitung ber den Ethik-Beirat an den Ermittlungsausschuss weiterleiten. Bei einer begrndeten Vermutung gravierender Grenzverletzungen ist eine solche Weiterleitung verpflichtend. Das Weitere regelt die Geschftsordnung der Ethik-Kommission. 2. Zusammensetzung Die Ethik-Kommission besteht aus einem Vorsitzenden und vier weiteren Mitgliedern. Der Vorsitzende und die weiteren Mitglieder der Ethik-Kommission werden von der Mitgliederversammlung fr fnf Jahre (Amtszeit des Vorsitzenden) bzw. vier Jahre (Amtszeiten der Mitglieder) gewhlt. Eine Wiederwahl ist nicht mçglich.

II. Ermittlungs-Ausschuss 1. Aufgaben Aufgabe des Ermittlungsausschusses ist es, die Notwendigkeit des Ausschlusses eines Mitglieds aus der Vereinigung zu prfen, alle dazu erforderlichen Ermittlungen anzustellen und gegebenenfalls Vorbereitungen fr einen Beschluss der Mitgliederversammlung ber den Ausschluss des Mitglieds vorzubereiten. Der Ermittlungsausschuss wird auf Ersuchen und im Auftrage des Ethik-Beirates ttig. Seine Ttigkeit ist ausschließlich administrativ-judikativ.

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Die Ergebnisse seiner Ermittlungen im Einzelfall sind zu dokumentieren und dem Ethik- Beirat mitzuteilen. Kommt der Ermittlungsausschuss in seiner Prfung zu dem Ergebnis, dass ein Mitglied grçblich gegen Satzungsbestimmungen oder Interessen der Vereinigung verstoßen oder gegenber Kollegen, Patienten oder sonst wie ein unehrenhaftes, insbesondere berufsunwrdiges Verhalten gezeigt hat, das geeignet ist, das Ansehen des Berufsstandes und/oder der Vereinigung zu beeintrchtigen, kann er dem Vorsitzenden der Vereinigung ber den Ethik-Beirat die Vorbereitung eines Ausschlussverfahrens durch die Mitgliedschaft empfehlen. Kommt der Ermittlungsausschuss in seiner Prfung des Gesamtvorganges zu dem Ergebnis, dass ein Ausschluss nicht gerechtfertigt erscheint, gleichwohl aber ethisches Fehlverhalten des beschwerten Mitglieds vorliegt, so dass Maßnahmen unterhalb der Ausschlussandrohung erforderlich sind, kann er dazu Empfehlungen abgeben, die an den Ethik-Beirat zu richten sind und von diesem umgesetzt werden mssen. Solche Empfehlungen kçnnen den Status eines Mitglieds innerhalb der Vereinigung verndern, ohne es auszuschließen. 2. Zusammensetzung 1. Der Ermittlungsausschuss besteht aus einem Vorsitzenden und zwei Beisitzern. 2. Der Vorsitzende muss die Befhigung zum Richteramt haben und langjhrige Praxiserfahrung besitzen. Er darf nicht Psychoanalytiker sein. Die beiden Beisitzer drfen nicht dem Vorstand angehçren. Sie mssen ber mehrjhrige psychoanalytische Praxiserfahrung verfgen und ihre Kompetenz im Umgang mit ethischen Fragestellungen durch Fortbildungsmaßnahmen nachgewiesen haben, die von der DPV-Kommission fr Fortbildung dafr anerkannt worden sind. 3. Der Vorsitzende wird vom Gesamtvorstand auf die Dauer von zwei Jahren berufen. Die Beisitzer werden vom Vorsitzenden fr jeden zu behandelnden Antrag nach eigenem Ermessen anhand einer Liste bestimmt, fr die jedes Institut auf die Dauer von zwei Jahren ein Mitglied als Beisitzer whlt. Wiederberufung bzw. Wiederwahl ist zulssig. 4. Einzelheiten der Ttigkeit des Ermittlungsausschusses sind in seiner Geschftsordnung geregelt.

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III. Ethik-Beirat 1. Aufgaben Der Ethik-Beirat steht dem SFE, der Ethik-Kommission und dem Ermittlungs-Ausschuss auf Anfrage in allen Angelegenheiten beratend zur Seite. Er berprft auf Antrag wissenschaftliche Projekte (z. B. Forschungsvorhaben, Umfragen, Publikationen) auf die Einhaltung ethischer Grundprinzipien. Er nimmt den abschließenden Bericht der Ethik-Kommission entgegen und setzt die darin enthaltenen Empfehlungen verantwortlich um. Er nimmt die Empfehlungen des Ermittlungsausschusses entgegen und setzt diese verantwortlich um. Solche Empfehlungen kçnnen den Status des Mitgliedes verndern, ohne einen Ausschluss zu rechtfertigen. Dazu kçnnen gehçren: a) zeitweiliges Ruhen der Mitgliedschaft bis zu einem Jahr; b) Enthebung von mtern und Funktionen fr einen Zeitraum von bis zu zwei Jahren; c) Verlust der generellen Beauftragung zur Durchfhrung von Lehranalysen; d) Verlust der Beauftragung zur Durchfhrung von Lehranalysen im Einzelfall; e) Ruhen der Supervisionsttigkeit 2. Zusammensetzung Der Ethik-Beirat besteht aus: 2.1 Dem out-going Vorsitzenden der Ethik-Kommission (ex officio) 2.2 Einem Mitglied des GeschftsfhrendenVorstands (als Berichterstatter) 2.3 Dem Leiter des zAA (der durch seinen Stellvertreter reprsentiert werden kann, als Berichterstatter) 2.4 Einem Mitglied des Ermittlungsausschusses (als Berichterstatter) 2.5 Einem durch Wahl der MV entsandten Vertreter der Mitgliedschaft der DPV; der die Geschfte des Ethik-Beirates fhrt und der Mitgliedschaft mindestens einmal pro Wahlperiode ber die Arbeit des Ethik-Beirates berichtet. Die Wahl erfolgt zugleich mit der Wahl des/der Vorsitzenden der Ethik-Kommission fr 5 Jahre. Die Kommission zur Erarbeitung von Ethik-Richtlinien Februar 2006

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Danksagung

Martin S. O’Neill, dem Managing Editor des International Journal of Psychoanalysis (IJP), ist fr die Erlaubnis zu danken, die Beitrge von Glen O. Gabbard und Anne-Marie Sandler, die im IJP auf Englisch erschienen sind, hier in deutscher Sprache zu bringen. Dem Verlag Stroemfeld sei fr die Zustimmung gedankt, die deutsche bersetzung von Gabbards Artikel, der bereits in der Zeitschrift fr psychoanalytische Theorie und Praxis publiziert wurde, in diesen Band aufzunehmen. Den internationalen Experten fr Ethikfragen Glen O. Gabbard, Anne-Marie Sandler und dem damaligen Vorsitzenden des Internationalen Ethikausschusses, Jorge Canestri, danke ich aufrichtig fr ihren Rat und ihre hilfreiche Untersttzung. Weiters danke ich all jenen auslndischen und inlndischen Kollegen, die whrend meiner Prsidentschaft mit ihren Erfahrungen und ihrer Haltung geholfen haben, schwierige Phasen, in denen ethische Probleme neu durchdacht werden mussten, gut durchzustehen. Mein spezieller Dank gilt in diesem Zusammenhang Margarete Minauf, Gertraud Diem-Wille, Michael Diercks, Peter Schuster, meiner Nachfolgerin Christine Diercks und ganz besonders Wilhelm Burian, dem langjhrigen Leiter des Lehrausschusses der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung, der den schwierigen Prozess der Etablierung eines Ethikausschusses maßgeblich untersttzt und wesentlich zur Verçffentlichung der vorliegenden Beitrge beigetragen hat. Darber hinaus mçchte ich Michael Parsons fr seine freundschaftliche Beratung und Erika Krejci fr ihre aufmerksame und ußerst hilfreiche Begleitung dieses Buchprojekts herzlich danken.

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Die Autorinnen und Autoren

Dr. phil. Werner Bohleber, ist Psychoanalytiker in eigener Praxis in Frankfurt am Main und Lehranalytiker der Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung (DPV). Dr. med. Glen O. Gabbard ist Professor fr Psychiatrie am Baylor College of Medicine in Houston, Texas; Vorsitzender der Brown Foundation of Psychoanalysis; Lehranalytiker und Supervisor im Houston/Galveston Psychoanalytic Institute. Dr. phil. Gabriele Junkers ist Psychoanalytikerin in eigener Praxis und Lehranalytikerin der Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung (DPV). Dr. Michael Parsons arbeitet in privater Praxis in London und ist Lehranalytiker und Supervisor der Britischen psychoanalytischen Vereinigung. Anne-Marie Sandler ist Lehranalytikerin und Supervisorin in der Britischen Psychoanalytischen Vereinigung. Dr. med. Raimar Schilling, Dipl.-Psych., Facharzt fr Psychiatrie, Neurologie und Psychosomatische Medizin, ist Psychoanalytiker in eigener Praxis. Lehrttigkeit als Dozent, Supervisor und Lehranalytiker der DPV am Psychoanalytischen Seminar Freiburg PSF (Institut in der DPV). Paul Williams ist Professor an der Queen’s University Belfast und Lehranalytiker und Supervisor der Britischen Psychoanalytischen Gesellschaft. Mag. Dr. phil. Sylvia Zwettler-Otte ist Psychoanalytikerin in eigener Praxis in Wien und Lehranalytikerin der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung (WPV).

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