Encyklopädie der Rechtswissenschaft: Teil 2 Rechtslexikon, Band 3, Hälfte 2: Stolgebühren - Zypaeus [Reprint 2020 ed.] 9783112380420, 9783112380413


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German Pages 786 [794] Year 1881

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Encyklopädie der Rechtswissenschaft: Teil 2 Rechtslexikon, Band 3, Hälfte 2: Stolgebühren - Zypaeus [Reprint 2020 ed.]
 9783112380420, 9783112380413

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Encyklopädie der

Mechts wissen sch ast in

systematischer und alphabetischer Bearbeitung. Herausgegeben

unter Mitwirkung vieler Nechtsgetehrter von

Dr. Franz von Holtzendorff, o. ö. Professor der Rechte in München.

Zweiter Theil.

Rechtstevtkott. Dritter Band.

Zweite Hälfte. Dritte, durchgehends verbefferte und erheblich »erwehrte Auflage.

Leipzig, Verlag

von

Duncker L

1881.

Humblot.

WechtsLesikon Herausgegeben

unter Mitwirkung vieler Rechtsgelehrter Von

Dr. Franz von Holtzendorff, o. v. Professor der Rechte in München.

Dritte, auf Grund der neuesten Reichsgesetzgebung vollständig umgearbeitete und unter

besonderer Berücksichtigung des Derwaltungs- und des Handelsrechts bedeutend vermehrte Auflage.

Dritter Band. Zweite Hälfte.

Stolgrbührrn — Iyparu?.

Leipzig, Verlag von Duncker L Humblot. 1881.

DaS UebersetzungSrecht tote alle anderen Rezhte für das Ganze und die einzelnen Theile Vorbehalten. Die BerlagSbvch-avdluig.

Stolgebühren — Stollnhteb.

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Etolgebühreu (jura stolae) (Th. I. S. 656), d. h. bestimmte Gebühren, welche sowol in der katholischen wie in der protestantischen Kirche seitens der gewisse Amtshandlungen vom Geistlichen beanspruchmden Personen für die Verrichtung der­ selben zu zahlen find. Der Ausdruck ist hergenommen von einem Theil der priester­ lichen Kleidung des katholischen Geistlichen, der sog. stola, d. h. einer schmalm, mit Kreuzen geschmücktm Binde, welche um die Schulter gelegt wird, und beten Enden vorne ball» herabhängen, bald übereinander gekreuzt werden. Die Amtshandlungen, für welche dergleichen, näher durch die partikulären Stolordnungm bestimmte Gebühren entrichtet werden, find vor Allem Aufgebot, Trauung, Taufe und Begräbniß. Das Recht auf die S. steht für die Regel dem Pfarrer (s. diesen Art.) zu, und da auch oft die Angehörigen anderer Konfessionen, namentlich die sog. Dissidenten, dem Pfarrzwantz unterworfen find (s. Th. I. S. 690), so kann auch ein Anspruch auf S. gegen die Mitglieder anderer Religionsparteien vorkommen. In Folge der Gnführung einer besonderen staallichen Civllstandsregisterführung und der obligatorischen Civilehe durch das Reichsgesetz vom 6. Febr. 1875, sowie der dadurch geschmälerten Stolgebühren-Einnahmen der Geistlichen sind in einer Reihe evangelischer Landeskirchm dieselben unter anderweitiger Entschädigung der Bezugs­ berechtigten für solche geistliche Handlungen, welche in der regelmäßigen Form und an der regelmäßigen Stelle beansprucht werden, aufgehoben worden. Quellen: Reichspersonenstandaesetz § 74. — Gesetze und Anordnungen, welche die S. aufheben: Braunschweig vom 31. Mai 1871, Dove und Friedberg, Zritschr. f. Kirchenrecht X. 466. — Hannover vom 16. Juni 1875, Allgem. Kirchenbl. für das evangelische Deutschland von 1875 S. 563 und von 1876 S. 561. — Lübeck vom 1. Dez. 1875, a. a. O. Zahrg. 1876 S. 226. — S.-Meiningen vom 21. Dez. 1875, Sammt der Verordn. XX. 259. — Rruß ä. L. vom 29. Dez 1875, Allgem. Kirchrnbl. von 1876 ©. 206. — Schwarz­ burg-Rudolstadt vom 21. Dezbr. 1875, a. a. O. S. 310. — Anhalt vorn 24. März 1875, a. a. O. S. 432 und dazu Jahrg. 1877 S. 159. — Mecklenburg-Schwerin vom 13. März 1876, a. a. O. Jahrg. 1877' S. 126, und vorn 3. Oktober 1877, a. a. O. Jahrg. 1877 S. 253. — Königreich Sachsen vorn 2. Dezbr. 1876, a. a. O. Jahrg. 1876 S. 138 und S. 162 (auch Jahrg. 1878 S. 132, 133, 137, 141, 144, 196). — Oldenburg vom 17. März 1877, a. a. O. Jahrg. 1877 S. 464. — Württemberg (blos die Gebühren für Eheverkündigungen) vom 18. Juni 1878, a. a. O. Jahrg. 1879 S. 606. — MecklenburgStrelitz vom 21. Juni 1879, a. a. O. Jahrg. 1879 S. 553, 555. — S.-Weimar vom 21. Januar 1879, a. a. O. S. 563. Lit.: Grellmann, Kurze Geschichte der S. re., Gött. 1785. — Ge. Peter Stelzer, De jaribus stolae, Altors. 1700. — Tittmann, Ueber die Fixirung der S., Leipz. 1831.— Zeitschr. für Protestantismus 71,197. P. Hinschius.

Stollnhteb ist das Recht des Erbstöllners (f. den Art. Erbstollnrecht), die in den Grenzen des Stöllns brechenden Erze und Mineralien zu gewinnen und in seinen Nutzen zu verwenden (Preuß. LR. H. 16 § 405). Im unverliehenen Felde steht der S. gemeinrechtlich (anders nach Preuß. LR. § 229) nicht blos innerhalb der vorschriftsmäßigen Ouerschnittsdimensionen des Stollens, sondern auch in der Vierung (3*/g Lachter zu jeder Seite) zu, im verliehenen Fundgrübnerfelde dagegm überall nur innerhalb der Stollenweie. Doch ist der Stöllner, wenn er lehterenfalls auf flachen Gängen mit seinem Orte sortfährt, nicht verbunden, S. nach der Tonnlage des Ganges zu nehmen, sondern er darf ihn seiger gewinnen; ebenso darf er, wenn der Gang zu flach fällt, um die vorgeschriebene Höhe und Breite des Stollnorts einbringen zu können, letzteres nach dem Gange richten und innerhalb desselben dm S. nehmen (Kursächs. Stollnordn. vom 1749 Art. 3 §§ 2, 3; aber noch Art. 17 § 2). Theilt der Stöllner seinen Stölln im Fundgrübnerfelde in Flügelörter, so darf er nur von einem der letzteren die Erze zum S. gewinnen (Art. 14 § 2; Preuß. LR. § 406). Hat aber die Gmbe mehr als ein Tiefstes und können die Wasser durch ein Stollnort nicht zugleich den übrigen Tiefsten abgeführt und weiter gebracht werden, so gebührt dem Stöllner der S. auch von den übrigen Tiefsten getriebenen Oertern (LR. § 408). In jedem Falle aber kann der S. im ver­ liehenen Felde nur ausgeübt werden, wenn der Stölln die Erbtmfe ohne Gesprenge ein-

Stollnsteuer — Straccha.

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bringt. Nach Preuß. Bergrecht ist der Erbstöllner nicht berechtigt, neben dem S. noch den Vierten Pfennig zu fordern, sondern letzterer ein Surrogat des S., wenn dieser wegen mangelnder Anbrüche nicht ausgeübt werden kann oder der Stöllner den Vierten Pfennig vorzieht; nach Gem. Rechte werden beide kumulativ gewährt (sden Art. Erbstollnrecht). Das Sachs. Gesetz von 1851 ließ bei seiner Reform des Erbstollnrechts den S. im verliehenen Felde als eine Quelle fortwährender Differenzen zwischen Stöllner und Fundgrübner fallen. Die Eintragung des S. ist nach Preuß. Grundbuchsrechte nicht nöthig, da derselbe den Grundgerechtigkeiten (§ 12 Abs. 2 des Gesetzes vom 5. Mai 1872) analog behandelt werden muß (vgl. Zeitschr. s. Bergrecht Bd. 18 S. 328).

Leuthold.

Stollnsteuer heißen Leistungen verschiedenfacher Art, welche der Fundgrübner dem Erbstöllner zu gewähren hat. Das Gemeinsame ist, daß die Leistung nicht unter die regelmäßigen Stollngerechtigkeiten fällt, sondern aus dem oder jenem Grunde außerordentlicher Weise gewährt wird. 1) Das Gem. Bergrecht (Kursächs. Stollnordnung Art. XV) versteht unter S. den Vorschuß, welchen der Fundgrübner dem Stöllner gewähren muß, wenn er letzteren zu einem, die gesetzliche achtstündige Schichtarbeit übersteigenden, flotteren Fortbetriebe des zur Lösung der Fundgrübnerbaue nöthigen Stollnortes gerufen hat. Der Vorschuß ist nach erfolgtem Durchschlage unter Abrechnung des Vierten Pfennigs durch Jnnelassung der Hälfte der ordent­ lichen Stollngebührnisse zu restituiren. 2) Die Preußischen revidirten Bergordnungen und das Preuß. LR. (§ 444) geben dem Stöllner, wenn er nirgend Erbteufe in einer Zeche einbringt, doch aber Wasser ab- oder (LR.: und) Wasser zuführt, den Anspruch aus eine vom Bergamte zu bestimmende S. 3) Zuweilen wird diejenige Steuer, welche für auf Grund der bezüglichen Vorschriften des bergbaulichen Nachbarrechts (s. den Art. Bergrecht) erfolgende Benutzung fremder Stölln zur Förderung deren Eigenthümern nach bergamtlicher Festsetzung gewährt werden muß (Fördersteuer, Streckensteuer) ebenfalls S. genannt (Preuß. LR. § 453; dagegen Kursächs. Stollnordnung Art. XIX. § 4). 4) Endlich kommt der Ausdruck S. mitunter in Gebrauch, wenn der Vierte Pfennig oder ein Wassereinsallgeld gemeint ist (s. den Art. Erbstollnrecht). Leuthold.

Story,

Joseph, K 1779 zu Marblehead bei Boston, studirte in Cambridge, wurde 1806 Mitglied des Hauses von Massachusetts, Sprecher desselben, 1809 Mitglied des Kongresses zu Washington, 1811 Richter am obersten Bundestribunal, 1829 Prof, an der Harvarduniversität zu Cambridge, t 10. IX. 1845.

Schriften: Laws of the U. S., New-York 1827. — Comm. on the law of bailment, New-York 1832; 9. ed. Bost. 1879; on the Constitution of the U. S., 1833 (abridgment 1834) 4. ed. 1873; franz, von Odent, Par. 1843; deutsch Leipz. 1838; on the conflict of laws, 1834, 4. ed. 1872. — Miscellaneous writings, literary, critical, juridical and political, 1835; Bost. 1845; on Equity jurisprudence, 1836, 1837; 12. ed. 1877; Equity pleadings, 1854, by Gould, Bost. 1880; on the law of bills of exchange, 1845; 4 ed. Bost. 1860; deutsch von Treitschke, Leim. 1845; on the law of agency, 8. ed. Bost. 1875; on the law of promissory notes, 6. ed. Bost. 1868; on the law of partnership, 6. ed. Bost. 1868. Lit.: S. Art. in Lieber's Encycl. americana. — W. Story, Life and letters of J. 8., Lond. 1851. — Goldfchmidt, Handbuch des H.R., Erl., 2. Aufl. 1874, I. S. 277, 278. — Irving Brown, Short studies of great lawyers, Albany 1878. — Drake, Dictionary, Boston 1879, p. 876. — Schlief, Verf. der Nordamerika::. Union, Leipz. 1880, S. 26 u. ö. — Renault, Introd. ä l’&ude du droit intern., 1879 p. 79. — Calvo, (3) I. 92. — Ässer, Schets, Haarlem 1880, p. 11. Teichmann.

Straccha, Benvenutus, s zu Ancona, Schüler des Paul. Parisiensis, lebte in der Mitte des 16. Jahrh., ertheilte Gutachten und wurde vielfach mit Gesandschaftsgeschäften für seine Vaterstadt zu Zeiten des Papstes Julius III. beauftragt.

Strafbefehl.

801

Schriften: Tractatus de mercatura seu mercatore, in 8 Theilen, Venet. 1553; Lugd. 1556; (Mercator jurisperitus) Amstelod. 1669. — Track de adjecto, Colon. 1575. Lit.: Goldschmidt, Handbuch, L 6. 36. — Bohrend, Lehrb., 1880, S. 57. — Kuntze, Die Lehre von dm Znhaberpapieren, Leipz. 1857, S. 98. — Kodiere, Les grands jurisconiultes, 1874, p. 351. — Endemann, Studien, L 53. Teichmann.

Strafbefehl. Das Verfahren bei amtsrichterlichem S. (auch Strafverfügung, Strafmandat genannt) gehört nach der Deutschen StrafPO. zu den besonderen Arten des Strafverfahrens und war bereits in Preußen, Sachsen, Baden, Oldenburg, Braunschweig, Thüring. Staaten und Bremen eingeführt; auch die Oesterr. StrafPO. vom 23. Mai 1878 kennt dasselbe, jedoch nur in sehr engen Grenzen. Es weicht nicht unwesentlich von den sonst das Strafverfahren beherrschenden Grundsätzen ab; dmn die Derurtheilung erfolgt irr Abwesenheit des Beschuldigten, ohne daß dieser über die Beschuldigung gehört worden ist, und die Schuld wird nicht durch Beweis festgestellt, sondern präsumirt. Praktische Rücksichten sprechen aber für die Einführung eines solchen summarischen Verfahrens, denn beide Theile sparen Zeit und Kosten und der Beschuldigte außerdem noch das Erscheinen vor Gericht. Die Garantien für die Interessen deS Beschuldigten liegen einerseits darin, daß der S. nur bei geringfügigen strafbaren Handlungen zulässig ist, andererseits in der Möglichkeit, sich Gehör zu verschaffen, d. h. die Strafsache zur Hauptverhandlung zu bringen. Da der S. von dem Richter erlassen wird, so find die Bedenken gegen die Er­ ledigung von Straffachen durch S- wesentlich geringer als die gegen die polizeiliche Strafverfügung und dm Strafbescheid geltend gemachten. Durch (schriftlichen) S. können nur die nach dem GVG. § 27 Nr. 1 und 2 zur Zuständigkeit der Schöffengerichte gehörigen Übertretungen und Vergehen er­ ledigt werden. Die an die Schöffengerichte überwiesenen Vergehen find aus­ geschlossen, weil die Ueberweisung die Eröffnung deS Hauptverfahrens voraussetzt. Die Erledigung der obigen Strafsachen durch S. ist aber nicht schlechthin zulässig, sondern nur dann, wenn es die Staatsanwaltschaft schriftlich beantragt und im einzelnen Falle keine andere Strafe als Geldstrafe von höchstens einhundertfünfzig Mark oder (bzw. und) Freiheitsstrafe von höchstens sechs Wochen, sowie eine etwa verwirkte Einziehung festgesetzt wird. Ausdrücklich ausgeschlossen ist in einem S. die Ueberweisung des Beschuldigten an die Landespolizeibehörde (StrafPO. § 447). Ein S. ist auch zulässig gegen einen verhafteten oder zu verhaftenden Beschuldigten; anders in Oesterreich, vgl. StrafPO. § 460. Gegen einen Ab­ wesenden kann ein S. nur in den Fällen erlassen werden, in welchen eine Haupt­ verhandlung gegen ihn stattfinden könnte (StrafPO. § 819), jedoch muß die Zu­ stellung des S. in der regelmäßigen für Zustellungen im Auslande vorgeschriebenen Weise (EPO. §§ 182 ff.) ausführbar sein (anderer Meinung: Meves, auch wol v. Schwarze, Erörterungen, S. 5). Gegen einen Beschuldigten, welcher das acht­ zehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hat, kann ein S. nicht erlassen werden, da vor jeder Verurtheilung desselben festgestellt werden muß, ob er die zur Erkenntniß der Strafbarkeit einer Handlung erforderliche Einsicht besessen hat oder nicht (StrafGB. §§ 56, 57). Geyer und v. Schwarze wollen im letzteren Falle einen S. zulassen, wenn über die erforderliche Einsicht kein Zweifel obwaltet oder dieser durch eine summarische Erörterung des Amtsrichters oder des Amtsanwaltes gehoben ist. Der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Erlassung eines S. ist auf eine be­ st immte Strafe zu richten. Bei einer Geldstrafe ist (StrafPO. § 491) zugleich die Freiheitsstrafe anzugeben, welche in dem Falle einzutreten hat, wenn die Geld­ strafe nicht beigetrieben werden kann. Der Antrag der Staatsanwaltschaft, welcher die Erhebung der öffentlichen Klage enthält, muß derartig substantiirt fein, daß er eventuell die (schöffengerichtliche) Anklageschrift zu ersehen geeignet ist. Beweis» v. Holtz en dorff, Lne. II. RechtSlertkou M. S. Aufl.

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802

Strafbefehl,

erhebungen habm der Entscheidung des Amtsrichters nicht vorauSzugehm (Löwe, S. 721). Der Amtsrichter erläßt den S. nur, wenn er mit dem Anträge der Staats­ anwaltschaft vollständig (also auch hinfichtlich der juristischm Oualifizirung des Falles) einverstandm ist. Hält der Amtsrichter die Strafverfolgung des betreffenden Falles für unzulässig (Unzuständigkeit deS Gerichtes, Verjährung, Fehlen des Antrages), so erfolgt Zurückweisung des Antrages durch Verfügung, gegen welche die Staatsanwaltschaft das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde einlegen kann (StrafPO. § 209 Abs. 2). Hält der Amtsrichter die Strafverfolgung zwar für zulässig, findet jedoch Bedenken, die Strafe ohne Hauptverhandlung festzusetzm, so muß er, wenn eine Verständigung hierüber zwischm der Staatsanwaltschaft und dem Amtsrichter nicht erfolgt, die Straffache zur'Hauptverhandlung bringen. Dies gilt auch für den Fall, wenn der Amtsrichter eine andere als die von der Staatsanwaltschast beantragte Strafe festsehen will. Der Staatsanwaltschaft steht kein Rechtsmittel zur Verfügung, wenn der Amtsrichter beschließt, die Straffache zur Hauptverhandlung zu bringen. Ein Beschluß auf Eröffnung des Hauptverfahrens ist übrigens nicht in allen Fällen erforderlich, bei Uebertretungen kann unter gewißen Bedingungen (StrafPO. § 211) ohne eine Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens zur Hauptverhandlung geschrittm werden. Der S. muß nach der StrafPO. § 449 Folgendes enthalten: 1) die strafbare Handlung, und zwar nicht blos die gesetzlichen Merkmale des Thatbestandes, sondern die konkreten Thatsachen, in welchen jene Merkmale gefunden werden (Löwe, S. 722), 2) die hierfür festgesetzte Strafe, 3) das angewendete Strafgesetz, 4) die Beweis­ mittel und 5) die Eröffnung, daß der S. vollstreckbar werde, wenn der Beschuldigte nicht binnen einer Woche nach der Zustellung bei dem Amtsgerichte schrift­ lich oder zu Protokoll des Gerichtsschreibers Einspruch erhebe. Die Vorschrift der StrasPO. über den Inhalt des S. ist nicht erschöpfend. Der S. muß viel­ mehr noch eine Bestimmung über die Kosten (StrafPO. § 496 Abs. 1) enthalten (vgl. Gerichtskostengesetz §§ 62, 63 Abs. 1). Auch empfiehlt es sich die Kaffe zu bezeichnen, an welche die etwaige Geldstrafe bzw. die Kosten zu zahlen sind. Der S. wird rechtskräftig und damit vollstreckbar, wenn die Einspruchsfrist abgelaufen, ohne daß Einspruch erhoben ist, oder wenn der erhobene Einspruch vor dem Beginne der Hauptverhandlung zurückgenommen oder auf den Einspruch vor Ablauf der Frist verzichtet ist. Wird Einspruch erhoben, so kommt die Straffache zur Hauptverhandlung vor dem Schöffengerichte; vgl. den Art. Einspruch im Strafprozeß. Nach der Oesterr. StrafPO. § 460 kann der Richter die verwirkte Strafe auf Antrag des mit den staatsanwaltschastlichen Verrichtungen betrauten Beamten ohne vorausgehmdes Verfahren durch Strafverfügung festsehen, wenn die straf­ bare Handlung nur mit Arrest von höchstens einem Monat oder nur mit Geldstrafe bedroht ist. Die Erledigung durch Strafverfügung ist jedoch nur gegen einen auf freiem Fuße befindlichen Beschuldigten zulässig, wenn die strafbare Handlung von einer öffentlichen Behörde oder solchen Personen, welche als Gerichtszeugen beigezogen werden können (Oesterr. StrafGB. § 68), auf Grund ihrer eigenen amllichen Wahr­ nehmungen angezeigt wird. Durch diese Bestimmung ist allerdings eine große Garantie für das forffallende Verhör des Beschuldigten geschaffen, die Zahl der strafbaren Handlungen, welche durch richterliche Strafverfügung erledigt werden können, jedoch wesentlich eingeschränkt. Gsgb.: Deutsche StrasPO. §§ 447-452. - Oesterreich. StrafPO. §§ 460—462. Lit.: Planck, Syst. Darstellung des Deutschen Strafverfahrens (1857), S. 495 ff. — Zachariä, Handb. d. Deutschen StrafPrz., Bd. II. (1868) S. 394 ff. — Löwe, Komment. (2. Aust.), S. 718 ff. — Mevcs in v. Holtzendorff's Handbuch de? Deutschen Straf­ prozeßrechts, Bd. II. (1879) S. 384—406. — v. Schwarze, Erörterungen, Heft 1. (1880)

Strafbescheid.

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€. 1—19. — Geyer. Lehrb. des gern. Deutschen StrafPrz. (1880), S. 871 ff. — VoituS, Kontroversen, Bd. L (1881) S. 371 ff. — Ullman«, Oesterreich. Strafprozeßrecht (1879), 6. 659 ff. Dochow.

Strafbescheid. Aehnlich wie für die Polizeibehörden bezüglich der llebertretungen hat die StrafPO. für die Verwaltungsbehördm hezüglich der Zuwider­ handlungen gegen die Vorschriften über die ^Hebung öffentlicher Abgaben und Gefälle eine Straffestsetzung gestattet. Gegmstand eines solchen S. der Berwaltungs­ behördm können sein: 1) Hinterziehung einer jeden auf einem staatSrechtlichm Titel beruhenden Leistung an dm Staat selbst oder an staatlich autorifirte Korporationen, z. B. Gemeinden, also Zölle, Steuem, Stempelgebührm, die Postgefälle rc. —, Defraudationen; 2) alle Zuwiderhandlungen gegen die Vorschriften, welche dm Zweck haben, die richtige Erhebung der betr. Abgaben zu fichem oder zu erleichtern. Daß die für solche Kontravmtionm angedrohten Strafen mitunter in unzutreffender Weise auch vom Gesetzgeber als Ordnungsstrafen bezeichnet werden (vgl. diesen Art.), hat keinen Einfluß auf das Verfahren und schließt namentlich nicht die Zulässigkeit des Antrages auf gerichtliche Entscheidung gegenüber dem administrativen S. aus. 3) Die subsidiäre Haftbarkeit eines Drittm, sofern diese nicht durch besondere gesetzliche Bestimmung (vgl. z. B. § 66 III. des Branntweinsteuergesetzes vom 8. Juli 1868) ausgeschlossen ist. — Es darf in einem S. nur Geldstrafe in beliebiger Höhe und eine etwa verwirkte Einziehung ausgesprochm werden (StrafPO. § 459, Abs. 1), derselbe ist also unzulässig, wo das Gesetz die Verhängung einer anderen Strafe vorschreibt oder die Verwaltungsbehörde eine solche für nöthig erachtet. Angeordnet ist ein administratives Strafverfahrm: I. Von ©titen des Reiches a) für Poststraffachen. Ausführliche Bestim­ mungen über das Verfahren in diesem Falle enthalten die §§ 34—46 des Gesetzes über das Postwesm vom 28. Oktober 1874 (vgl. d. Art. Poststrafrecht); d) für Zoll- und Stmerstraffachm, durch eine allgemeine Verweisung auf die Vor­ schriften, welche das Verfahrm gegen die Zollgesetze regeln, z. B. in § 18 des Ges. über die Erhebung der Salzsteuer vom 12. Oktober 1867; § 68 des Gesetzes über die Besteuerung des Branntweins in verschiedenen zum Norddmffchen Bunde gehören­ den Staaten und Gebietstheilen vom 8. Juli 1868; §§ 3 und 4 des Ges., betr. die subsidiäre Haftung der Brennereiuntemehmer rc., vom 8. Juli 1868; § 18 des Wechselstempelsteuerges. vom 10. Juni 1869; § 41 des Ges. über die Erhebung der Brausteuer vom 31. Mai 1872; § 19 des Ges., betr. den Spiellartenstempel, vom 3. Juli 1878; § 46 des Tabakssteuerges. vom 16. Juli 1879; § 4 des Ges., betr. die Steuerfreiheit des Branntweins zu gewerblichen Zwecken, vom 19. Juli 1879; § 17 des Ges., betr. die Statistik deS Waarmverkehrs rc., vom 20. Juli 1879. Das demnach maßgebende Vereinszollges. vom 1. Juli 1869 enthält einige Bestimmungen über Vornahme von Handlungen, welche 'den Thatbestand eines

Zolldrlikts feststellm sollen. So können Zollbeamte unter Leitung eines höheren Beamten Haussuchungm innerhalb des Grenzbezirkes vornehmen, wenn Gründe zu der Vermuthung vorhanden sind, daß Jemand im Grenzbezirke sich einer Uebertretung der Zollgesehe schuldig gemacht habe (§ 126), und gegen Personen, die augenschein­ lich Waaren unter den Kleidern verborgen haben, Körpervisitationen anordnen (§ 127). Ein eigentliches Zollstrafverfahren ist jedoch durch das Vereinszollgesetz nicht ein­ geführt wordm, vielmehr verweist § 165 in dieser Beziehung auf die Landesgesetz­ gebung. — Sofern übrigens in den Reichsgesetzen strafprozessuale Bestimmungen enthalten sind, z. B. in § 35 des Postges., welche mit der StrafPO. nicht über­ einstimmen, bleiben die ersteren gleichwol in Kraft (vgl. § 5 des EG. zur StrafPO.). II. In den Gesetzgebungen der einzelnen Dundesstaaten. Es muß hier zwischen einem wirklichen, mit einem S. endenden Untersuchungs- und dem sog. Submissions­ verfahren (vgl. auch § 34 des Postges.) unterschieden werden.

804

Strafbescheid.

a) Letzteres ist nicht in allen Bundesstaaten eingeführt und in keinem für alle Zoll- und Steuerkontraventionen. Es besteht z. B. in Preußen: vgl. Regulativ, betr. das Verfahren bei Chauffeepolizei- ic. Uebertretungen vom 7. Juni 1844 sGes.« Samml. S. 167], §§ 12 und 33 des Ges. vom 1. Mai 1851, betr. die Einführung einer Klassen- rc. Steuer sGes.Samml. S. 103], § 17 21. 4 des Ges. vom 21. Mai 1861, betr. die Einführung einer allgemeinen Gebäudesteuer sGes.Samml. S. 317], § 27 des Ges. vom 3. Juli 1876, betr. die Besteuerung des Gewerbebetriebes im Um­ herziehen sGes.Samml. S. 247], sowie die Ausführungsanweisung des Finanzministers vom 30. August 1876 sMin.Bl. 1877, S. 15]; Altenburg: vgl. Ges. vom 10. Febr. 1874, betr. die Einführung des Submissionsversahrens ic. sGes.Samml. S. 3], Verordn, vom 21. Juli 1880, betr. die Ausdehnung des Submisfionsverfahrens sGes.Samml. S. 27]; Koburg-Gotha: vgl. Verordn, vom 15. Juni 1873 sGes.Samml. S. 37] und 18. September 1880 sGes.Samml. S. 183]; Schwarzburg-Sonders­ hausen: vgl. Ges. vom 21. Dez. 1873 sGes.Samml. 1874, S. 1], Ministerial­ bekanntmachung vom 18. Dezember 1880; Schwarzburg-Rudolstadt: vgl. Ges. vom 31. Dezember 1873 sGes.Samml. 1874 S. 7]; Ministerialbekanntmachung vom 8. Oktober 1880 sGes.Samml. S. 109]. Nur einen anderen Namen für die­ selbe Sache haben diejenigen Staaten gewählt, welche wie z. B. Weimar (vgl. § 16 des Ges. vom 12. April 1879 über die polizeiliche Straffestsetzung) 'und R euß ä. L. (vgl. §§ 12 ff. des Ges. vom 4. Juli 1879, betr. die Zulässigkeit rc. und das Straffestsetzungsrecht von Verwaltungsbehörden rc., Ges.Samml. S. 155) von einem Strasansorderungsrecht der Verwaltungsbehörden reden. Auch Mecklenburg (§ 50 der Verordn, vom 28. Mai 1879) gestattet in jedem Stadium des Verfahrens eine freiwillige Zahlung der gesetzlichen Strafe. — Natür­ lich weichen die Bestimmungen in den verschiedenen Staaten in Einzelheiten von einander ab, doch ist das eigentlich Charakteristische dieses Verfahrens überall darin zu finden, daß die Straffestsetzung, welche von der Behörde ausgeht, nur durch die ausdrückliche oder stillschweigende Unterwerfung des Beschuldigten rechtskräftig wird. Letztere kann nur durch Zahlung der verhängten Geldstrafe geschehen, einfaches Stillschweigm des Beschuldigten macht ein gerichtliches Verfahren nothwendig, ohne daß der Beschuldigte daraus anzutragen brauchte. Daß das Submissionsversahren auch nach Jnkrasttreten der StrasPO., die daffelbe ausdrücklich allerdings nicht erwähnt, noch zulässig ist, kann mit Rücksicht auf §§ 6 und 3 des EG. zur StrasPO. einem Zweifel nicht unterliegen. Anderer Meinung scheint Keller zu sein (vergl. S. 494 N. 4). Praktisch fällt diese Frage mit der anderen zusaminen, ob ein bindender Verzicht bezüglich des Antrages aus gerichtliche Entscheidung einem S. gegenüber möglich sei. Tie Gründe, welche für die Zulässigkeit eines solchen Verzichtes bei der polizeilichen Strafverfügung sprechen (vgl. III. S. 78), werden auch hier den Ausschlag geben. Ob bei dem einem Submissionsversahren folgenden gerichtlichen die §§ 464 ff. Anwendung finden, ist kontrovers. Meves, welcher die Frage verneint (S. 440), hat den Wortlaut des Gesetzes für sich, da vorläufige Straffestsetzung und S. weder alternativ noch kumulativ mit einander konkurriren können. Innere Gründe für eine verschiedenartige Behandlung des administrativen Verfahrens in dem einen und in dem anderen Fall dürften dagegen kaum auszufinden sein. Darin jedoch wird man zustimmen müssen, daß die vorläufige Straffestsetzung im Sub­ missionsversahren die Verjährung nicht unterbricht, da § 459 A. 3 diese nichts weniger als selbstverständliche Wirkung ausdrücklich nur dem S. beigelegt hat. Bezüglich des letzteren ist die Thatsache des Erlasses maßgebend, die Vornahme vor­ bereitender Handlungen von Seiten der Verwaltungsbehörden reicht nicht aus. b) Ein auf Herbeiführung eines S. gerichtetes Administrativverfahrcn besteht zur Zeit wol in allen Bundesstaaten. Tie Normen für daffelbe sind entweder in älteren Gesetzen enthalten oder in Anlehnung an die StrasPO. neu geregelt worden. Ersteres ist z. B. in Preußen der Fall. Hier kommen in Betracht: §§ 91 ff. des Ges.

Strafbescheid.

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vom 8. Februar 1819 wegen Besteuerung des inländischm Branntweins ic. (Ges Sammt. S. 97); §§ 30 ff. des Ges. wegen der Stempelsteuer vom 7. März 1822 (Ges.Samml. S. 56), dazu Kab.Ordre vom 13. April 1833, betr. dm Rekurs gegen Strafresolute in Stempelsachen (Ges.Samml. S. 33); Ges. vom 23. Januar 1838 wegen Untersuchung und Bestrafung der Zollvergehen (Ges.Samml. S. 78); §§ 41 ff. des Ges. vom 30. Mai 1873, betr. die Erbschaftssteuer (Ges.Samml. S. 329). Ueber das Verfahren selbst vgl. Meves, S. 437 ff. Besondere Gesetze find im Anschluß an die StrafPO. ergangen in: Bayern (vgl. Art. 85—101 des Ausführungsges. zur StrafPO.; dazu: Finanz-Min.-Entsch. vom 17. Sept. 1879, betr. Vorschriften über die Behandlung der Straffälle bei Zuwiderhandlungen gegen die Gesetze über die Gmnd-, Häuser-, Gewerbe-, Kapitalrenten- und Einkommensteuer (Just.Min.Bl. S. 1611); allerhöchste Verordn, vom 1. Oktober 1879, betr. das Verfahren in Zollsachen (Ges.- und Verordn.Bl. S. 1379); Ministerialbekanntmachung vom 2. Okt. 1879, betr. das Verfahren in Zoll- und Auffchlagsstraffachen (Ges.und Verordn.Bl. S. 1381); Ministerialbekanntmachung vom 2. Okt. 1879, betr. die Wechselstempelsteuer und das Verfahren bei Zuwiderhandlungen gegen das Wechsel­ stempelsteuergesetz (Ges.- und Verordn.Bl. S. 1409); Sachsen (vgl. § 10 des Ges. vom 8. März 1879, Ges.- und Verordn.Bl. S. 87); Württemberg (vgl. daS Ges. vom 25. August 1879, betr. das Verfahren der Verwaltungsbehörden bei Zuwiderhandlungen gegen die Zoll- und Steuergesetze (Reg.Bl. S. 259), dazu die Vollziehungsanweisung des K. Steuerkollegiums vom 22. Sept. 1879 (Amtsblatt des K. Württemb. Steuerkoll. Nr. 20); Baden (vgl. §§ 136 ff. des EG. zu dm ReichsJustizGes. vom 3. März 1879 (Ges. und Verordn.Bl. Nr. 10), dazu § 29 der Verordn, des Ministeriums des Jnnem vom 11. Sept. 1879 (Ges.Verordn.Bl. Nr. 41); Verordn, des Ministeriums der Finanzen vom 25. Okt. 1879 (Ges.Verordn.Bl. Nr. 53); Vollzugsanweisung der Zolldirektion und der Steuerdirektion vom 9. Dez. 1879 (Verordn.Bl. der Badischen Zolldirektion, S. 323); Mecklenburg (vgl. §§ 37 ff. der Verordn, vom 28. Mai 1879 zur Ausführung der StrafPO. (Reg.Bl. für Mecklenburg-Schwerin S. 333, offizieller Anzeiger für Mecklenburg-Strelitz S. 307); Oldenburg (vgl. Ges. vom 4. Jan. 1879, betr. das Strafverfahren im Ver­ waltungswege ic., Ges.Bl. S. 2); Meiningen (vgl. Abschn. II. des Ges. vom 17. Juni 1879, Sammlung ic. Bd. 22 S. 105); Schwarzburg-Sonders­ hausen (vgl. Abschn. II. des Ges. vom 17. Mai 1879, Ges.Samml. S. 109); Reuß ft. L. (vgl. § 2 des Ges. vom 4. Juli 1879, Ges.Samml. S. 155); Lübeck (vgl. A. 4 der Verordn, vom 3. Febr. 1879, Sammlung ic. S. 33); Bremen (vgl. §§ 99 ff. des Ges. vom 25. Juni 1879, Ges.Bl. S. 195); Ham­ burg (vgl. § 5 des Ges. vom 23. April 1879, Ges.Samml. Nr. 15). In An­ halt (vgl. § 4 des Ges. vom 28. März 1877, Ges.Samml. Bd. VIII. S. 299) sind die Zuwiderhandlungen gegen die Vorschriften über die Erhebung öffentlicher Abgaben und Gefälle zu Gegenständen der polizeilichen Strafverfügung gemacht. Für Elsaß-Lothringen kommt in Betracht die Anweisung des Generaldirektors der Zölle vom 12. September 1879 zur Ausführung des Ges. vom 5. Juli 1872, betr. das Verfahren bei Zuwiderhandlungen gegen die Zollgesetze ic. (Amtsbl. des Generaldirektors S. 193). Die Bestimmungen über die Zuständigkeit der einzelnen Behörden hängen so enge mit der ganzen Organisation der Verwaltung in den einzelnen Staaten zu­ sammen, daß ein Eingehen auf dieselben zu weit führen würde. Das Verfahren selbst ist natürlich ebenfalls verschieden geordnet, jedoch stimmen die verschiedenen Gesetzgebungen im Wesentlichen darin überein, daß den Zoll- und Steuerbehörden, welche eine strafbare Handlung entdeckt habm, das Recht zusteht, die vorläufig nothwendigen Maßregeln, eventuell auch Verhaftungen und Beschlag­ nahmen, zu ergreifen, in ungefähr derselben Weise wie den Polizeibehörden im ordentlichen Strafverfahren. Wenn bei den betreffenden Behörden eine Anzeige ein-

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läuft, so sönnen sie dieselbe der Staatsanwaltschaft überweisen oder zu weiteren Er­ mittelungen schreitm, je nach deren Ergebniß sie entweder einen S. erlassen oder bei der Staatsanwaltschaft dm Antrag aus gerichtliche Verfolgung stellen. Zum Zweck dieser Ermittelungen, eventuell zur Vorbereitung des S., können sie den Beschuldigten sowie Zeugen u. s. w. vorladm und vemehmen, nicht aber Zwangsmaßregeln gegen dieselbm anwenden (vgl. jedoch für Preußen § 42 des Gesetzes vom 23. Januar 1838), sondern nur deren Demehmung durch den Amtsrichter beantragen. Unter Umständm kann ein S. auch ohne vorgängige Untersuchung und ohne Vernehmung des Beschuldigten erlaffen werden. Ausgeschlossen ist der Erlaß eines solchen, wenn einer der Beschuldigten verhaftet ist oder wenn die Zuwiderhandlung gegen die Zoll­ oder Stmergesetze mit anderm strafbaren Handlungen zusammentrifft (vgl. Preußen § 33 des Gesetzes vom 23. Januar 1838, Mecklenburg § 43). — Giebt die Staatsanwaltschaft einem aus Strafverfolgung gerichteten Antrag der Verwaltungs­ behörde nicht nach, so kann letztere selbst die Anllage erheben (§ 464 der StrasPO.) — Der zu erlaflmde S. muß enthalten: 1) die Straffestsetzung, 2) die Bezeichnung der strafbaren Handlung, der Beweismittel und des angewendeten Gesetzes, 3) die Er­ öffnung über die zulässigen Rechtsmittel und die Art sie zu bmutzen (§ 459 A. 1 u. 2). Landesrechtlich kann noch Weiteres als nothwendiger Bestandtheil eines S. vorgeschrieben werden, z. B. Benachrichtigung über die Kosten des Verfahrens, auch Mittheilung der Entscheidungsgründe (vgl. z. B. für Preußen § 93 des Ge­ setzes vom 8. Februar 1819 und § 253 des Anhanges zur allgemeinen GerichtsOrdnung). In Preußen ist femer die Mittheilung an den Angeschuldigten vor­ geschrieben, daß er int Fall der Wiederholung seines Vergehens eine Erhöhung der Strafe zu erwarten habe (§ 94 des Gesetzes vom Februar 1819, § 45 des Gesetzes vom 23. Januar 1838). Die Unterlassung dieser Mittheilung zieht der mit der Publikation beauftragten Behörde eine Ordnungsstrafe von 5—10 Thalern zu. — Die Mittheilung des S. an den Vemrtheilten geschieht entweder mündlich oder durch schriftliche Zustellung seitens der Verwaltungsbehörde, welche denselben erlaffen hat, oder einer anderen landesrechtlich mit der Bekanntmachung betrauten. — Als Rechts­ mittel gegen den S. sind zulässig: a) Die Beschwerde resp, der Rekurs in Preußen, Württemberg, Baden, Mecklenburg, Bremen und in Bayern, wenigstens bezüglich der S. im Steuerstrafverfahren. Dieselbe muß an die vor­ gesetzte Verwaltungsbehörde gerichtet werden und schließt den Antrag aus gerichtliche Entscheidung aus. b) Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung. Für den Fall, daß von mehreren Verurtheilten verschiedene Rechtsmittel ergriffen würden, ist in Mecklenburg (§ 70) vorgeschrieben, daß die Entscheidung über die Beschwerde bis dahin auszusetzen ist, daß entweder der Antrag aus gerichtliche Entscheidung zu­ rückgenommen, oder das gerichtliche Urtheil rechtskräftig geworden ist. Der Antrag aus gerichtliche Entscheidung muß binnen einer Woche nach der Bekanntmachung des S. bei der Behörde gestellt werden, welche denselben er­ laffen oder ihn bekannt gemacht hat. Direkte Anbringung bei dem zuständigen Gericht ist nicht statthaft, weil, wie die Motive sagen (Hahn, S. 289), ersahrungsgemäß die Beschuldigten oft über die Zuständigkeit des Gerichtes in Zweifel sind und durch Anbringung bei unzuständigen Gerichten leicht die achttägige Frist ver­ säumen könnten. Gegen eine etwaige Versäumung ist ein Gesuch um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zulässig (§ 461), in Betreff dessen dieselben Vorschriften wie bei der polizeilichen Strafverfügung gelten. Jedoch kann dasselbe nicht beim Gericht, sondern nur bei den in § 459 genannten Verwaltungsbehörden angebracht werden, obwol ersterem die Entscheidung über die Annahme oder Verwerfung ausschließlich zusteht. Ist der Antrag mündlich oder schriftlich bei der zuständigen Verwaltungs­ behörde gestellt, so muß diese ohne weitere Prüfung der Rechtmäßigkeit oder Recht­ zeitigkeit des Antrages die Staatsanwaltschaft des zuständigen Gerichtes unter Uebersendung der entstandenen Akten davon in Kenntniß setzen. Die örtliche und sachliche

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Zuständigkeit des Gerichtes bestimmt sich nach dm allgemeinm Regeln. Demnach ist das Schöffengericht zuständig, Wenn die festgesetzte Geldstrafe dm Betrag von 600 Mart nicht übersteigt (GDG. § 27 91. 1 und 2), denn falls sich die Strafe nach der Höhe der Destaudation ausschließlich richtet, ist die in concreto verhängte zugleich auch die in thesi angedrohte. Damit wird auch der Einwand hinfällig, dm v. Schwarze (S. 23 N. 3) gegen die Anwendbarkeit des § 27 91. 2 daraus ableiten will, daß bei dm Zoll- und Steuergesetzen ein Maximum der Strafe gar nicht angegeben sei. Allerdings scheint GBG. § 75 91. 15 indirekt die Zuwiderhandlungen gegen die Borschristm über die Erhebung öffentlicher Abgaben und Gefälle, deren Strafe in dem mehrfachen Betrage einer hinterzogenen Abgabe oder einer andem Leistung besteht, der Kompetmz der Landgerichte zuzuweisen, doch ist zu bedenken, daß eine strikte Interpretation deffelben die Zuständigkeit der Schöffengerichte überhaupt sowol bei den Übertretungen wie bei den Vergehen aus­ schließen würde, während aus StrafPO. § 463 A. 2 deutlich hervorgeht, daß in einigen Fällen die Schöffengerichte von vomherein zuständig find. Uebrigens ist die Anwendbarkeit des § 27 um so unbedenklicher, als § 75 gar nicht allgemein, sondem nur für den Fall spricht, daß das Schöffengericht nicht ohnehin schon zuständig ist. Er findet int vorliegenden Falle also dann Anwendung, wenn für die in 91. 15 charakterifirten Zuwiderhandlungen ausnahmsweise eine dem richterlichen Ermeflen freien Spielraum lassende Geldstrafe (vgl. z. B. Salzsteuergcsetz § 16) oder eine Freiheitsstrafe (z. B. Vereinszollgesetz § 140 ff.) angedroht ist. So Löwe (S. 41 91. 12 vgl. die dort Citirten), anderer Meinung v. Schwarze (S. 23), Doitus (Kontroversen, I. S. 124 ff), Löb e (S. 151). Bis zur Einsendung der Akten an die Staatsanwaltschaft, nicht auch wie Puchelt (S. 778 91. 11) meint, bis zur Anberaumung des Termins zur Hauptverhandlung, kann der S. von der Verwaltungs­ behörde zurückgenommen werden, ohne daß dadurch ein Verbrauch des Strastlage­ rechtes im Allgemeinen einträte. Doch wird man (vgl. M e v e s, S. 431) annehmen müssen, daß nach der Fassung der StrafPO. § 464 von dem dort der Verwaltungs­ behörde eingeräumten Rechte in diesem Fall kein Gebrauch mehr gemacht werden kann. — Im weiteren Verlauf des Verfahrens hat die Staatsanwaltschaft den An­ trag dem Gerichte mitzutheilm, welches zunächst dessen Rechtzeitigkeit prüfen und ihn entweder als verspätet zurückweisen oder einen Termin zur Hauptverhandlung anberaumen muß. Bis zum Beginn desselben kann der Antrag zurückgenommen werden. Einer Anklageschrift bedarf es ebensowenig, wie einer Entscheidung über die Eröffnung des Verfahrens (StrafPO. § 462). Letzteres weicht von dem nach vor­ läufiger polizeilicher Strafverfügung (vgl. III. S. 81) nur insofern ab, als die Ver­ waltungsbehörde sich demselben anschließen kann, in welchem Falle sie einen Vertreter (einen Beamten ihres Verwaltungszweiges oder einen Rechtsanwalt) bestellen muß. Es kommen alsdann für sie die für den Anschluß des Verletzten als Nebenkläger gegebenen Bestimmungen zur Anwendung (StrafPO. § 467). Es hat namentlich auch das Gericht die in StrafPO. § 436 A. 2 vorgesehene Entscheidung zu treffen (anderer Meinung Meves, S. 432). Dieselbe kann sich freilich nur auf die formale Berechtigung zum Anschluß erstrecken, doch ist das beim Nebmkläger ebenso, und es kann kaum einem Zweifel unterliegen, daß das Gericht das Recht und die Pflicht hat, den Anschluß einer Verwaltungsbehörde, welche zum Erlaß eines S. in der Sache überhaupt nicht berechtigt gewesen wäre, zurückzuweisen. — Durch § 462 ist allerdings ein eigentliches Zwischenversahren ausgeschlossen, doch wird man dem Gerichte das Recht nicht versagen können, falls die Sache nicht genügend aufgeklärt erscheint, ein Vorverfahren einzuleiten. Diese Aussicht (vgl. Voitus, S. 94) wurde in der Reichsjustizkommission aus eine Anfrage hin von den Regierungsvertretern bestätigt (vgl. Hahn, S. 1124). — Bezüglich seines Urtheils ist das Gericht an dm In­ halt des S. nicht gebunden, jedoch kann es nur über die Strasfrage, nicht auch darüber entscheiden, ob, falls die Zahlungspflichtigkeit überhaupt feststeht, eine Nach-

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zahlung erforderlich war. Die Zahlungspflichtigkeit selbst aber, sowie die etwa aus­ gesprochene subsidiäre Vertretungsverbindlichkeit dritter Personen (vgl. z. B. das Vereinszollgesetz § 153) ist Gegenstand des richterlichm Urtheiles, denn ohne daß diese feststeht, kann von einer Schuld des Angeklagten nicht die Rede sein, also eine Strafe auch nicht verhängt werden (vgl. Puchelt, § 462 N. 5). — Die in manchen Gesetzen dm Verwaltungsbehörden eingeräumte Besugniß, die gesetzliche Strafe unter Umständen zu mildem, besteht für die Gerichte, falls sie ihnen nicht ausdrücklich eingeräumt ist, nicht (vgl. Lobe, S. 156). — Die Rechtsmittel gegm das ergangene Urtheil sind die gewöhnlichen. Wird der Antrag auf gerichtliche Entscheidung innerhalb der bestimmten Frist nicht gestellt oder die etwa zulässige Beschwerde nicht erhoben, so erlangt der S. die Vollstreckbarkeit, ebenso wenn auf die Anwendung der Rechtsmittel verzichtet, der gestellte Antrag zurückgenommen oder die Beschwerde verworfen wurde. Die Voll­ streckung selbst geschieht durch die Verwaltungsbehörden nach Maßgabe der Vor­ schriften über die Verwaltungsexekution (vgl. z. B. für Preußen Z 95 des Gesetzes vom 8. Febmar 1819, § 50 des Gesetzes vom 23. Januar 1838 und die Ver­ ordnung vom 7. September 1879 über das Verwaltungszwangsverfahren). Rur für den Fall, daß die Umwandlung einer Geld- in eine Freiheitsstrafe nothwendig wird, hat die StrasPO. besondere Vorschriften getroffen (vgl. § 463). Die Um­ wandlung geschieht durch das Amts- oder das Landgericht, je nach deren eventueller Zuständigkeit in der Sache selbst. Tie Verwaltungsbehörde hat die betreffenden Akten der Staatsanwaltschaft zu übergeben, welche bei dem Gericht eine bestimmte Freiheitsstrafe beantragen muß. Dieser Antrag wird dem Beschuldigten mitgetheilt, damit er sich binnen einer vom Gericht zu bestimmenden Frist über denselben erkläre. Ist die Frist abgelaufen oder die Erklämng vorher eingegangen, so nimmt das Gericht die Umwandlung vor, ohne daß eine mündliche Verhandlung stattfände. Der S. selbst darf dabei einer Prüfung nicht mehr unterzogen werden, auch nicht bezüglich seiner Voraussetzungen, wie Löwe S. 734 N. 3 und Keller S. 497 N. 2 wollen, vgl. auch Geyer S. 882. Das Umwandlungsverfahren setzt voraus, daß der S. rechts­ kräftig geworden ist. Als solchen hat ihn der Richter zu betrachten und deshalb nicht zu untersuchen, weder ob die betreffende Verwaltungsbehörde zum Erlaß von S. berufen ist, noch ob die strafbare Handlung zu den Delikten gehört, auf welche sich die Verwaltungsstrafgewalt erstreckt. Dagegen müssen alle dem Erlaß des S. nachfolgenden Thatsachen, welche die Umwandlung ausschließen oder beeinflussen können, der richterlichen Prüfung unterworfen werden. Namentlich also: die gesetz­ liche Zulässigkeit der Umwandlung, die in manchen Gesetzen, z. B. im Wechsel­ stempelsteuergesetz, verboten ist, sowie die Thatsache, daß die Geldstrafe nicht beizu­ treiben gewesen ist. Auch die Wirkung einer theilweisen Zahlung sowie die Anrechnung derselben ist Gegenstand der gerichtlichen Entscheidung (vgl. auch Puchelt, S. 782 N. 5 und Voitus, S. 95 ff.). Die Umwandlung selbst muß mit Rücksicht zunächst auf die in den Spezial­ gesetzen enthaltenen Bestimmungen geschehen. Maßgebend ist hier (vgl. z. B. das Salzsteuergeseh § 17) § 162 des Vereinszollgesehes, welcher anordnet, daß das Ver­ hältniß, nach welchem die Umwandlung zu geschehen habe, sich nach den Landes­ gesetzen, an deren Stelle jetzt das RStrasGB. getreten, richte, die Dauer der Frei­ heitsstrafe jedoch im ersten Falle der Kontrebande oder Defraudation ein halbes Jahr, beim ersten Rückfall in eines dieser Vergehen ein, und bei jedem fernern Rückfall zwei Jahre nicht übersteigen solle. Dieselbe Bestimmung enthalten, jedoch mit ausdrücklicher Verweisung auf das StrafGB., § 39 des Brausteuergesehes, § 44 des Tabakssteuergesehes. Aus das StrafGB. verweist ohne jede Nebenbestimmung § 17 des Spielkartenstempelgesetzes und die Bestimmungen desselben müssen jedenfalls überall da zur Anwendung kommen, wo es an speziellen Vorschriften fehlt. — Gegen die Entscheidung des Gerichtes findet sofortige Beschwerde statt. Dieselbe steht

Strafkammer — StrafmUdenmgSgründe.

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der Staatsanwaltschaft und dem Beschuldigten, nicht auch der Verwaltungsbehörde zu, welche bei diesem Verfahren überhaupt nicht direkt betheiligt erscheint. Anderer Meinung v. Schwarze, S. 594 N. 6; vgl. Voitus, S. 98 ff. Der rechtskräftig gewordene S. wirkt ganz wie ein gerichtliches Urtheil, schließt die nochmalige Verurteilung wegen derselben Sache aus und begründet bei einer

Wiederholung der Handlung die Anwendung der Rückfallstrafen (vgl. z. B. § 45 des Preußischen Gesetzes vom 23. Januar 1838). In dieser Beziehung steht die freiwillige Unterwerfung dem vollstreckbar gewordenen S. vollkommen gleich (vgl. z. B. das Salzsteuergesetz § 14, das Vereinszollgesetz § 142 A. 4). Gsab.: StrafPO. für das Deutsche Reich, §8 459 ff.; vgl. Hahn, Materialien, HL S. 49 (Entwurf §§ 386 ff.), 289 (Motive), 1224 ff., 1430, 1647 (Verhandlungen der ReichsJustiz-Kommission), 1599 (Beschlüße des Bundesraths), 1974, 2099 (Plenarverhandlungen). — Die Gesetzgebung der Einzelstaaten ist oben erwähnt. Lit.: Dochow, Der RStrafPrz. (3. Aust.), S. 280 ff. — Geyer, Lehrbuch deS gem. Deutschen StrafPrz.R., S. 879 ff. — Meves in v. Holtzendorff's Handbuch des Deutschen StrafPrz.R. Bd. II. S. 423 ff. — Die Kommentare zur StrafPO. von v. Bomhard u. Koller, Dalcke (2. Auf!.). Keller, Löwe (2. Aust.), Puchelt, v. Schwarze, Thilo, BoituS bei den §§ 459 ff. — Voitus in Goltdammer's Archiv f. Strafrecht, Bd. 29 S. 90 ff. — Löbe, Das Deutsche Zollstrafrecht, Berlin 1881.— Stiegele, Die Württembergischen Gesetze zur Ausführung der RStrafPO. rc. — Dgl. auch d. Literaturangab. hint. d. Art. Polizeistrafverfahren. v. Lilienthal.

Strafkammer, s. Landgericht. Strafmilderuugsgründe (Thl. I. S. 737 ff.): Umstande, deren Vor­ handensein eine Strafmilderung bewirkt. Strafmilderung heißt aber Herabsetzung der Strafe unter das Minimum der gesetzlich angedrohten ordentlichen Strafe oder Veränderung der gesetzlichen Strafe in eine Strafe von gelinderer Art. In den Gesehen finden wir häufig im allgemeinen Theil allgemeine S. und außerdem im besonderen Theil bei einzelnen Verbrechen besondere S. ausgezählt. Das Preußische und ebenso das Deutsche StrafGB. hat sich dagegen dem Französischen System der sog. circonstances attönuantes oder „mildernden Umstände" an­ geschloffen. Hiernach wird im allgemeinen Theil blos die Jugend (bzw. Versuch und Beihülse) als S. angeführt, dagegen sind im besonderen Theil bei vielen straf­ baren Handlungm eigene mildere Straffähe für den Fall aufgestellt, als — nicht näher bezeichnete — „mildernde Umstände" vorhanden sind, was die Richter, bzw. die Geschworenen, zu konstatiren haben. Hierher gehören übrigens alle subjektiven und objektiven thatsächlichen Umstände, welche den Fall als einen außergewöhnlichen, milde zu bestrafenden erscheinen laffen; vgl. Erk. des Sächsischen OApp.Ger. vom 13. Okt. 1871 (Stenglein, Zeitschr. I. S. 113). Wieder in einer anderen Weise findet sich ein unbestimmtes richterliches Milderungsrecht im Oesterreich. StrafGB. und in der Oesterreich. StrafPO., so nämlich, daß wegm Zusammentreffens von Straf­ minderung gründen den Gerichten ein Milderungsrecht gegeben ist. Dabei ist dies Recht am meisten bei den Richtern erster Instanz eingeengt, während der oberste Gerichtshof in allen nicht todeswürdigen Fällen nahezu vollständig begnadigen kann. Die allgemeine Ermächtigung des Richters zur Strafmilderung ohne Angabe der S. im Gesetz hat mehrfach Vertheidigung gefunden (so durch Mittermaier, Berner, v. Holtzendorff, Wahlberg; mit gewiffen Klauseln auch durch Hälschner), während von anderer Seite mit Recht betont wird, daß durch ein derartiges Vor­ gehen die Funktionen des Gesetzgebers, des Richters und des Begnadigers zusammen­ geworfen werden (hierher gehören im Allgemeinen v. Wächter, Köstlin, Geib, Merkel, Lippmann, John u. v. A.). — Was nun die S. im Einzelnen be­ trifft, so sind unter den allgemeinen, d. h. bei allen Verbrechen vorkommenden, hervorzuheben: 1) Die Jugend, s. hierüber den Art. Altersstufen (im Strafrecht). 2) Die Zustände, welche an die Zurechnungsfähigkeit an­ grenzen (vgl. Thl. I. S. 707); daß hier verminderte Zurechnung stattfinden muß,

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Strafschärfungsgründe.

wagt Niemand zu bestreiten, wahrend ein heftiger Kampf über die gesetzliche Formulirung geführt wird, welcher leider, wie es scheint, die Veranlassung geworden, daß die bezügliche (allerdings nicht ganz gelungene) Bestimmung des Nordd. I. Entw. (§ 47) in das StrasGB. keine Aufnahme gefunden hat. 3) Die von dem Verbrecher erlittene Untersuchungshaft wird von den Gesetzen und älteren Schriftstellern in der Regel — namentlich wenn diese Haft eine „unverschuldete" war — als S. angesehen; in der That handelt es sich hier aber vielmehr um die Einrechnung der Untersuchungshaft in die Strafhaft nach einem mit Rücksicht auf die Schwere der einen und der anderen festzustellenden Maßstab, ja wenn die Untersuchungshaft eine unverschuldete war, sogar um eine Kompensation oder Abrechnung. Das Deutsche StrafGB. (§ 60) gestattet gänzliche oder theilweise Anrechnung der Unter­ suchungshaft auf die erkannte Strafe. — Rücksichtlich des nahezu vollständigen Ab­ laufes der Verjährungsfrist vgl. Thl. I. S. 742 ff. — Ueber die Befugniß des Richters, entehrende Strafen in nicht entehrende umzuwandeln, ist an anderer Stelle zu sprechen. — Nur als besondere S. bei einigen Verbrechen sind zu berück­ sichtigen: 1) Tie Einwilligung des Verletzten, die bei manchen Verbrechen gar nicht in Betracht kommen kann, während bei anderen wieder die Nichteinwilligung Voraussetzung des Thatbestandes ist (so z. B. bei Diebstahl, Unterschlagung, Noth­ zucht rc.), bei mehreren Verbrechen endlich Strafmilderung die Folge der Einwilligung des Verletzten sein muß (so bei der Tödtung svgl. StrafGB. § 216] und schweren Körperverletzung). 2) Der freiwillige Ersatz des durch das Verbrechen gestifteten Schadens bei jenen Verbrechen, deren Wirkung zunächst nur eine Vermögens­ beschädigung ist, ohne daß sonstige Qualifikationen hinzutreten (einfache Diebstähle, Unterschlagungen, Betrügereien, Sachbeschädigungen). Das Oesterreichische StrafGB. macht den Schadensersatz sogar zum Strafausschließungsgrund! Lit. u. Gsgb.: Im Allgemeinen: Köstlin', System, S. 587 ff. — Sundelin in v. Groß's Ztschr.s. Strafrechtspflege IL — W ahlberg in Haimerl'S V.I.Schr. XI. (1863) u. Verhandl. des vierten Deutschen Juristentays I. S. 179 ff. — v. TippelSkirch ebenda S. 157 ff. — Lippmann, Historisch-dogmatische Darstellung der Lehre von der richterlichen Strafänderungsbesugn., 1863. — Merkel,Alla.Deutsche Strafrechtsztg. 1864,1865; Derselbe in v. Holtzendorff's Handb. II. S. 545 ff. ; IV. S. 215 ff. — Zimmermann, Gerichtss. 1871. — Ruhstrat, ebenda 1872, S. 128 ff. — MeV es, Teutsche StrafR.Ztg. 1872, S. 273ff. — Dinding, Grundriß S. 134 ff. — Betreffs d. Untersuchungshaft: Ab egg, N. A. XIV. — Wahlberg in Haimerl'S V.I.Schr. I. — (Mager?) Goltdammer's Arch. XX. S. 239 ff. — Betreffs d. Schadensersatzes: Fornet, Gerichtssaal 1868. — Geyer, ebenda 1869. — Gesetze (abgesehen von den Bestimmungen über d. Jugend): Oesterreich: StrasGB. §§ 46 litt, g u. k, 47 litt, c, 54, 187, 188 264 litt, k, 266; StrafPO. von 1873, §§ 338, 442 (die Oesterr. Gesetze bezeichnen die Strafminderungsgründe mit dem Namen „mildernde Umstände" oder „Milderungsgründe"). — Deutsches StrasGB. 8 60. — Franz. Ges. vom 28. April 1832, Art. 5, 94, 102 (C. d'instr. crim. art. 341; C. pen. art. 463, 483). Geyer.

Strafschärfungsgründe (Thl. I. S. 737 ff.): Umstände, bei deren Vor­ handensein dem Richter gestattet oder selbst geboten ist, über das höchste Maß der gesetzlichen ordentlichen Strafe hinauszugehen, ja sogar statt der poena ordinaria eine Strafe schwererer Art zu verhängen. Eine unbedingte allgemeine Ermächtigung des Richters zur Strafschärfung vertheidigt heutzutage Niemand mehr, da derselben nicht blos jene Gründe entgegenstehen, welche gegen eine allgemeine Ermächtigung zur Strafmilderung sprechen, sondern überdies der richterlichen Willkür durch ein solches allgemeines Strasschärsungsrecht in der gehässigsten Weise Vorschub geleistet wird. Die Voraussetzung einer Strafandrohung ist nach richtigen Anschauungen die gesetzliche Angabe des Thatbestandes, auf welchen jene gedrohte Strafe angewandt werden soll; dieser Grundsatz wird bei Ertheilung eines Schärsungsrechtes ohne gesetzliche Angabe der S. verletzt. Das Mehr von Strafe, welches der Richter in Folge dessen über die ordentliche gesetzliche Strafe hinaus verhängt, ist zuletzt nichts anderes, als eine auf richterlichem Ermessen allein beruhende Strafe, deren Voraussetzungen im Gesetz nicht bezeichnet sind. In diesem Sinne ist es also allerdings richtig (was man

Strafsenat — Straf» erwandlnngsgründe.

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neuestens gewöhnlich als schlechthin unrichtig bezeichnet), wenn Feuerbach u. A. behauptet haben, die allgemeine Ermächtigung des Richters zur Strafschärfung ver­ stoße gegen ben Grundsatz: Strafe darf nur verhängt werden auf Grund eines Straf­ gesetzes (nnUa poena Eine lege poenali). — Die S. theilt man ein in allgemeine und besondere, je nachdem sie allgemein für alle Verbrechen oder nur für einzelne Arten der Verbrechen gelten. Als allgemeine S. nennt man heutzutage nur noch die Konkurrenz von Verbrechen und dm Rückfall (vgl. die betr. Art.), während man früher wol noch Anderes hierher stellte, wie z. B. Uebertretung besonderer Pflichten, Ueberhandnehmen des Verbrechens (vgl. PGO. Art. 131), Gewohnheit (von Manchen auch aus psychologischen Gründen als strafmildernd betrachtet), be­ sondere Bosheit oder Grausamkeit, sehr großen Schaden, Heiligkeit (oder besondere Befriedigung) des Ortes u. dgl. m. Die meisten dieser Umstände begegnen uns heutzutage noch unter den besonderen S.; an die Stelle der „Gewohnheit" ist aber nicht feiten der kriminalistisch in dieser Richtung in der That bester zu ver­ wendende Begriff der Gewerbsmäßigkeit getreten. In manchen Gesetzbüchem, namentlich im Oesterreichischen StrafGB., kommt es auch vor, daß bezüglich einzelner Gattungen von Verbrechen dem Richter mit den vagen Worten: „bei erschwerenden" oder «bei besonders erschwerenden Umständen" eine allgemeine Ermächtigung zur Strafschärfung gegeben wird, was natürlich nicht zu billigen ist. — Die besonderen S. nennt man dann Ou alif ik atio ns gründe oder Oualifikationsumstände, wenn ihr Eintreten bewirkt, daß sich das Verbrechensgenus in eine besondere (schwerer verpönte, qualifizirte) Unterart des Verbrechens verwandelt, so wie z. B. der Einbruch den Diebstahl zum qualifizirten macht. Solche Oualifikationsgründe finden sich in den meisten Gesetzbüchem in einer übermäßigen Anzahl bei den Dermögensdelikten und namentlich bei dem Diebstahl. Dieser Tadel trifft selbst das Deutsche StrafGB., obwol dies gegenüber den früheren Gesetzen Fortschritte zeigt. — Nebenbei sei noch bemerkt, daß unter Schärfung oder Verschärfung auch die Anwendung von gewissen, die Vollstreckung der Hauptstrafe empfindlicher machenden Nebenstrafen (hartes Lager, Entziehung warmer Kost u. dgl.) verstanden wird. Derartige Ver­ schärfung im Urtheil auszusprechen, ist nicht zu billigen; das Preußische StrasGB., das Sächsische revidirte, das Deutsche StrafGB. und der Oesterreichische Entwurf haben sich hierin der richtigen Ansicht angeschloffen. Lit.: Außer der zum Art. Strafmilderungsgründe angeführten Schrift Lippmann's s. etwa noch F. Ziegler, Tie Theorie der Strafschärfung, 1860. Geyer.

Strafsenat,

f. Oberlandesgericht und Reichsgericht.

EtrafVerwandluugSgründe (Thl. I. S. 740): Gründe, welche es noth­ wendig machen, daß die gesetzliche ordentliche Strafe ausnahmsweise in eine andere gleichwerthige umgewandelt werde. Diese Gründe müssen aber selbst wieder in einem Gesetz angegeben werden; der Richter kann ohne gesetzliche Vorschriften über Strafverwandlung nicht nach seinem eigenen Ermeffen an die Stelle der gesetzlichen Strafe eine andere setzen (vgl. Thl. I. a. a. O ). Im Allgemeinen kommt Straf­ verwandlung in Frage: I. wenn es thatsächlich unmöglich ist, die gesetzliche Strafe zu vollziehen: a) weil mehrere Strafen zu verhängen wären, welche der Natur der Sache nach an einem Menschen nur einmal vollzogen werden können, nament­ lich also mehrere Todes- oder lebenslängliche Freiheitsstrafen. Da heutzutage ge­ schärfte Todesstrafen nicht mehr zugefügt werden, kann es höchstens bei lebensläng­ licher Strafe einer Erwägung bedürfen, ob eine neben derselben zu verhängende Freiheitsstrafe durch Verschärfungen ersetzt werden solle, was im Geist eines richtigen Strafensystems wol, sofern jene Verschärfungen nicht identisch sind mit den Dis­ ziplinarstrafen einer rationellen Gcfängnißordnung, zu verneinen ist. Eigenthümlich die Oesterreichische Minist.Verordn. vom 7. April 1860: „Wenn ein zur lebens­ langen Kerkerstrafe Verurtheilter ein mit der Todesstrase bedrohtes Verbrechen verübt,

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Straft» erwauLlrmgSgründe.

ist statt der letzteren aus eine oder mehrere der in den §§ 19—24 festgesetzten Ver­ schärfungen auf kürzere oder längere Dauer .... zu erkennen." b) (Thatsächliche Unmöglichkeit), weil der zu Bestrafende nicht im Besitze des Gutes ist, das ihm zur Strafe entzogen werden soll. Hier würden auch Ehrenrechte, Aemter ic. in Betracht kommen; die Gesetze enthalten aber meist nur für den Fall der Uneinbringlichkeit der Geldstrafe Vorschriften über die Strafverwandlung, welche im Allgemeinen auf die Substituirung einer Freiheits- (Gefängnißhaft oder Arrest-) Strafe an die Stelle der Vermögensstrase hinauslaufen. Nach dem § 28 des Deutschen StrasGB. ist eine nicht beizutreibende Geldstrafe in Gefängniß und, wenn sie wegen einer Uebertretung erkannt wurde, in Haft umzuwandeln. Ist bei einem Vergehen Geldstrafe allein oder an erster Stelle oder wahlweise neben der Haft angedroht und übersteigt die erkannte Strafe nicht 600 Mark, sowie die an ihre Stelle tretende Freiheitsstrafe nicht 6 Wochen, so kann die Geldstrafe in Haft umgewandelt werden. Der Verurtheilte kann sich durch Erlegung des Strasbetrages, soweit dieser durch die er­ standene Freiheitsstrafe noch nicht getilgt ist, von der letzteren frei machen. Bei Umwandlung einer wegen Verbrechens oder Vergehens erkannten Geldstrafe ist nach § 29 der Betrag von 3—15 Mark, bei Umwandlung einer wegen einer Ueber­ tretung erkannten Geldstrafe der Betrag von 1 — 15 Mark einer eintägigen Freiheits­ strafe gleichzuachten. Der Mindestbetrag der an Stelle einer Geldstrafe tretenden Freiheitsstrafe ist ein Tag, ihr Höchstbetrag bei Haft 6 Wochen, bei Gefängniß ein Jahr (bei Realkonkurrenz nach § 78 das Doppelte). Der im § 29 ausgestellte Maßstab gilt nach einer Entscheidung des Preußischen OTrib. vom 29. Mai 1872 (Goltdammer's Arch. XX. S. 375), wenn auf Grund der Preuß. Instruktion vom 30. Juni 1834 der Richter eine andere Strafe für die Freiheitsstrafe zu substituiren, weil diese wegen Gefahr für die Person des Verurtheilten an ihm nicht vollstreckt werden kann. — Nach § 491 der Deutschen StrafPO. ist, wenn eine ver­ hängte Geldstrafe nicht beigetrieben werden kann und die Festsetzung der für diesen Fall eintretmden Freiheitsstrafe unterlaffen worden ist, die Geldstrafe nachträglich von dem Gericht in die entsprechende Freiheitsstrafe umzuwandeln. Ueber die Um­ wandlung einer in einem vollstreckbaren Strafbefehl festgesetzten, nicht beizutreibenden Geldstrafe in Freiheitsstrafe s. StrafPO. § 463. Dem Oesterreichischen StrafGB. genügt es zur Strafverwandlung, wenn die Geldstrafe „den Vermögensumständen oder dem Nahrungsbetriebe des Schuldigen oder seiner Familie zum empfindlichen Abbruche gereichen würde". Für die Umwandlung der nicht vollziehbaren Ehren- in Freiheits- oder auch Geldstrafe sanden sich Vorschriften im Württembergischen, Braun­ schweigischen, Hessischen, Badischen Rechte. II. Wenn es „juristisch" unmöglich ist, die Strafe zu vollziehen, soll ebenfalls Strafverwandlung eintreten. Hier kommt namentlich in Betracht, daß in Folge individueller Umstände die gesetzliche Strafe oft unverhältnißmäßig hart sein würde, darum zum Theil eine Modifikation im Strafvollzüge, aber, wo dies nicht ausreicht, auch Strasverwandlung geboten ist. Eine kurze Freiheitsstrafe z. B. kann Jemanden um seinen Dienst, feinen Erwerb bringen; für solche Fälle muß eine Strafverwandlung (Verwandlung in Geldstrafe) angeordnet sein (wie in Oesterreich), was allerdings im Deutschen StrafGB. durch die ziemlich häufige alternative Androhung von Geld- und Gefängniß- oder Haft­ strafe zum Theil berücksichtigt erscheint. In Oesterreich kommt Verwandlung des Arrestes in Hausarrest vor. — Eine Strafumwandlung blos deshalb, weil die Strafe dem Verurtheilten nicht als ein Uebel erscheint, ist nicht zulässig. — Besondere Vor­ schriften werden nöthig für den Fall, als beim Zusammentreffen von Verbrechen eine Gesammtstrase aus verschiedenartigen Theilstrafen (Zuchthaus-, Gefängniß-, Geld­ strafe ic.) zusammenzusetzen ist. Vgl. den Art. Konkurrenz. Für diesen Fall und die Bestrafung des Versuchs und der Beihülfe bei Verbrechen ist es wichtig, daß § 21 achtmonatliche Zuchthausstrafe einer einjährigen Gefängnißstrafc und acht­ monatliche Gefängnißstrafe einer einjährigen Festungshaft gleichsetzt.

StrafLUmeffrmgSgrüude.

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ßit u. Gfgb.: Abegg, Untersuchungen, S. 1 ff. — Küstlin, System. S. 575 ff. — Geib, Lehrb., Ü. S. 115 ff. — Bindina, Grundriß, S. 141 ff. — Gesetze (abgesehen von Vorschriften über Konkurrenz): Preußen: §§ 16—18, 335. — Oesterreich: 88 55, 259—262; Min.Derordn. vom 11. Febr. 1855 8 1; Ges. vom 15. Nov. 1867 Nr. 131 § 1; StrafGB. §§ 21, 28, 29, 78; Oesterr. Entw. I. §§ 15, 16, 26-28; H. §§ 14, 15, 24—26. Geher.

StrafzmueffuugSgrÜrrde (Thl. I. S. 736 ff.): Gründe, welche an die Bemeffung der Strafe innerhalb des gesetzlichen Strafrahmens — also unter der Voraus­ setzung eines nicht absolut, sondern nur relativ bestimmten Strafgesetzes — Einfluß haben, und zwar in der Art, daß sie entweder eine Annäherung an das Maximum der angedrohten Strafe bewirken (Straferhöhungs- oder Strafmehrungs­ gründe, in Oesterreich erschwerende oder Erschwerungsumstände genannt), oder eine Annäherung an das Minimum herbeiführen (Strasminderungsgründe, in Oesterreich Milderungsumstände genannt). Ueber die Eintheilung der S. in kriminal­ rechtliche und kriminalpolitische, ferner in subjektive und objektive s. Thl. I. S. 737; über die Frage, ob es zu billigen ist, wenn S. im Gesetz aufgezählt werden, ebenda. Derartige (beispielsweise) Aufzählungen finden sich u. A. in verschiedenen Schweizer und im Oesterreich. StrafGB., nicht mehr im neuesten Oesterreichischen Entwürfe. Faßt man solche Auszählungen ins Auge, so bieten sie uns entsprechend dem Eklek­ tizismus der Gesetzbücher eine bunte Musterkarte. S., welche auf dem an sich richtigen Gedanken beruhen, daß die Strafwürdigkeit mit der Intensität des ver­ brecherischen Willens steigt und fällt (Vorbedacht im Gegensatz zum Affekt, Verletzung von mehreren Pflichten, Aussuchen der Gelegenheit zum Verbrechen im Gegensatz zur Benutzung der sich aufdrängenden verlockenden Gelegenheit, Ueberwindung äußerer Hindernisse als Kennzeichen der Willensenergie, Verführung Anderer im Gegensatz zu dem Versührtwcrden, Handeln unter dem Einfluß von Täuschung, Befehl, Noth, Irrthum, besondere Bosheit, Grausamkeit und andererseits freiwillige Enthaltung von Zufügung größeren Schadens ic.); S., bei welchen jener Gedanke zwar im Hinter­ gründe steht, aber zunächst ein Verhalten vor oder nach der That, nicht das Ver­ brechen selbst ins Auge gefaßt wird (Unbescholtenheit int Gegensatz zu verbrecherischem Lebenswandel, Reue oder Geständniß nach der That u. dgl.); S., die nur aus der Größe des Schadens und (was sehr bedenklich ist!) der Gefahr —, ja endlich solche, die sogar nur aus kriminalpolitischen Rücksichten hervorgehen (Lügen in der Unter­ suchung, Denunziation der Mitschuldigen oder anderer Verbrecher, Gutmachung des Schadens durch einen Dritten ohne Mitwirkung des Verbrechers) — treten neben einander auf. Nach Österreichischem Rechte erscheinen auch noch Beihülfe und Ver­ such als Strafminderungsgründe, Konkurrenz als Straferhöhungsgrund. Selbst soweit nun diese S. aus einer nicht geradezu unrichtigen Anschauung beruhen (was von den kriminalpolitischen allerdings nicht gilt), ist ihre gesetzliche Formulirung bedenklich, da der Schluß, um welchen eS sich hier sehr oft handelt (wie z. B. von der Ueber­ windung äußerer Hinderniffe auf die Intensität des Willens), häufig trügt und überhaupt das Generalifiren gerade hier die größten Mißstände erzeugt. Wenn die meisten neuesten Gesetze (wie das Preußische, Bayerische und Deutsche) über die S. schweigen, ist dies also relativ zu billigen. Volle Bürgschaft für eine dem Geist des Gesetzes entsprechende Strafzumeffung ist aber freilich nicht geboten, so lange dieser „Geist" sich selbst verneint Wenn in unseren Strafgesetzbüchern im allgemeinen und besonderen'Theil Bestimmungen neben einander stehen, die das Gerechtigkeits-, und andere, die das Abschreckungs- oder das Gefährlichkeits-, etwa auch das Bcsserungsprinzip zur Grundlage haben, so wird die Willkür der Richter bei der Strafzumeffung stets einen ungebührlichen Einfluß behalten. — Sehr viel gestritten wurde über die Frage: ob der Richter bei der Strafzumeffung von dem Minimum oder dem Medium des Strafsatzes ausgehm solle; das Erstere (welches Kleinschrod, H esst er u. A. vertheidigt haben) widerlegt sich wol von selbst; die andere

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Strarnpff — Straudrecht uud Strandungsordnung.

(herrschende) Ansicht muß cum grano salis verstanden werden, da es einen „mittleren" oder „Normalfall" bei Verbrechen nicht giebt. (Eigenthümliche Ansichten stellt neuestens Med em auf.) Die S. darf der Richter natürlich nicht zählen, sondern muß sie abwägen. — Ist in einem Gesetz eine alternative Strafdrohung enthalten, so wird der Richter bei der Wahl im einzelnen Fall sorgfältigst prüfen müssen, welche der beiden Strafarten für dm vorliegenden Fall mit Rücksicht auf alle S. Paffmd ist. Nach § 20 des Deutschen StrafGB. darf, wo das Gesetz die Wahl zwischen Zuchthaus und Festungshaft gestattet, auf Zuchthaus nur dann erkannt werden, wenn festgestellt wird, daß die strafbar befundme Handlung aus ehrloser Gesinnung ent­ sprungen ist. Richtiger bestimmen die Oesterreichischm Entwürfe, daß unter solcher Voraussetzung auf Zuchthaus erkannt werden muß. Lit. u. Gfgb.: v. Jagemann, N. A. 1849, S. 523 ff. — Baumeister, Bemerkungen zur Straf gesgb. 1847, S. 46 ff. — Möller, Ueber das Strafmaß, 1848; Derselbe, Krrtik oes Strafmaßes, 1852. — Merkel, Allgem. Deutsche Strafrechtsztg. 1864, 65; Derselbe in v. Holhendorff's Handb. II. 556 ff., 571 ff.; IV. S. 209 ff.— Medem, Gerichts. 1874, S. 590 ff. — Preußen: § 18 (und Nd. I. Entw. § 24). — Deutsches StrafGB. § 20. — Oesterreich: §§ 43—53; Entw. I. § 14; II. § 13. Geyer.

Strampff, Heinr. Leopold von, tz 18. VII. 1800 zu Berlin, wurde 1826 Justizrath beim Stadtgericht, 1832 Rath beim Kammergericht, 1840 Vize­ präsident zu Münster, 1843 in Naumburg, 1845 am Kammergericht, 1846 Präsidmt, 1870 Wirklicher Geheimer Rath und Excellenz, t 20. IV. 1879. Er gab mit A. H. Simon, Rechtssprüche der Preuß. Gerichtshöfe, Berlin 1830 ff. heraus, ferner Entscheid, des Ober-Tribunals, Berl. 1837 ff.; Goßler's allg. Rechts­ wahrheiten, Berl. 1826, 1842; Zeitschr. für wissensch. Bearbeitung des Preuß. Rechts, Berlin 1828 ff. — schrieb: Krit. Briefe über den Entwurf des Strafgesetzbuchs für die Preuß. Staaten, Berl. 1844. — Luther über die Ehe, Berl. 1857. Lit.: Sonnenschmidt, Gesch. des Kgl. OTrib., Berl. 1879. — v. Holhendorff, Handb. d. Deutschen Strafrechts (1871), I. 96. Teichmann.

Straudrecht und Strandungsordnung. Das S. (ius naufragü) war das Aneignungsrecht, welches die Stiften und Uferstaaten, anderwärts die Küsten­ bewohner sich in Bezug auf gestrandete Schiffe und Schiffsgüter beilegten. Das S. im weiteren Sinne umfaßte auch das sogen. Grundruhrrecht (ius laganum), welches sich auf die Zueignung der auf die Flußufer ausgeworfmen oder angesptilten Gegenstände bezog. Geschichtlich hat man das S. damit zu erklären versucht, daß der Herr eines Bezirkes vermöge der nach Germanischer Rechtsanschauung ihm zu­ stehenden Gewere ein angebliches Recht besessen habe, sich die innerhalb desselben befindlichen Mobilien anzueignen. Diese Ansicht ist unhaltbar. Vielmehr hat man die historische Wurzel des S. in der Auffassung zu suchen, daß der Fremde recht­ los und demnach sein Gut herrenlos sei, wie denn in der That das S. mitunter auch die Verknechtung der Schiffbrüchigen in sich schloß. Schon früh machte sich in Deutschland die Ueberzeugung von der Verwerflichkeit dieses Raubrechts geltend. Nachdem der Gebrauch des S. bereits mehrfach gerügt worden, wurde er durch ein Reichsgesetz aus der Zeit König Wilhelms, die Sententia de bonis naufragantium von 1255, ausdrücklich untersagt. Das Verbot hatte keinen durchgreifenden Erfolg. Wirksamer war die Gesetzgebung des 16. Jahrh. Die Constitutio Criminalis Ca­ rolina verpönte den Mißbrauch, daß ein schiffbrüchiger Schiffmann der Obrigkeit des betreffenden Ortes mit Schiff, Leib und Gütern verfallen sein sollte. Aber­ mals wurde die Ausübung des S. durch den Reichsabschied von 1559 § 35 ver­ boten. Wo es sich trotzdem noch durch längere Zeit erhielt, trat doch gewöhnlich insofern eine Milderung ein, als das Strandgut zwischen dem Eigenthümer, dem Landesherrn und dem Finder gedrittheilt wurde. Das Preuß. Allg. LR. machte sich zwar das Prinzip des S. eigen, indem es den Staat als Eigenthümer des Strandgutes betrachtet; zugleich jedoch erklärt es,

Strandrecht und Strandungsordnung.

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daß dieser ein für allemal auf sein Recht zum Besten der Schiffbrüchigen verzichte. Privatpersonen, welche Strandgut geborgen, müssen die Vorschriften über das Finden (I. 9 §§ 19 ff.) beachten. Gestrandete Sachm, zu welchen kein Eigenthümer sich meldet, gehören dem Staate, eine nähere Regulirung des Verfahrens enthielten die Strandungsordnungen, welche für die Preußischen Küstenprovinzen bestanden. Das S. im alten Sinne konnte sonach nur noch in Retorfionsfällen gegen fremde Nationen geübt werden. Die nichtpreußischen Küstenländer Deutschlands besaßen ihre besonderen Strandungsordnungm. Im HGB. fand zwar das S. an sich keine Berücksichtigung, doch regelt Buch V. Tit. 9 §§ 742 ff. die Bergung und Hülssleistung in Seenoth. Dem Berger von Schiff, Schiffstheilen oder Ladung wird ein Anspruch auf Bergelohn zuerkannt, welcher ein Drittel des Werthes der geborgenen Gegenstände in der Regel nicht übersteigen soll. Reichsgesetzliche Normirung hat u. a. auch diese Ntaterie durch die Strandungs­ ordnung vom 17. Mai 1874 erfahren. Sie handelt in 5 Abschnitten von den Strandbehörden, von dem Verfahren bei Bergung und Hülssleistung in Seenoth, von Seeauswurf und strandtriftigen Gegenständen, sowie von versunkenen und fee» triftigen Gegenständen, von dem AufgcbotSvcrfahren in Bergungssachen und dem Rechte auf herrenlose geborgene Gegenstände, und von der Festsetzung der Bergungs­ und Hülsskosten, während der Schlußabschnitt allgemeine Bestimmungm enthält. Die Bestimmungen des Reichsgesetzes sind theils administrativer, theils privatrecht­ licher Natur. Nur letztere kommen hier in Betracht. Das Reichsgefetz unterscheidet 1) Gegenstände, die im Falle der Seenoth eines Schiffes geborgen werden, 2) den Seeauswurf, 3) strandtriftige, 4) versunkene, 5) feetriftige Gegenstände. In allen diesen Fällen hat die Thatsache der Strandung und der Bergung keine Veränderung der an diesen Gegenständen bestehenden Privatrcchtsverhältniffe zur Folge. Sind die Gegenstände herrenlos im juristischen Sinne, d. h. ohne Eigenthümer, so wird in den Fällen 1) 2) 3) der Landesfiskus, in den Fällen 4) 5) der Berger Eigenthümer. In den Fällen 4) 5) greifen sonach die Grundsätze von der freien Okkupation ein; in den Fällen 1) 2) 3) kommt jedoch ein besonderes Aneignungsrecht des Staates zum Ausdruck, welches die gemeinrecht­ lichen Grundsätze der Okkupation modifizirt. Es dürste sich empfehlen, für dieses Aneignungsrecht des Staates zum Zweck seiner juristischen Jndividualifirung den Ausdruck Strandrecht beizubehalten. Nicht herrenlose Gegenstände werden dem Eigenthümer bzw. dem Empfangsberechtigten ausgeliesert, wenn dieser bekannt ist oder durch ein bestimmt geregeltes Aufgebotsversahren ermittelt wird (§§ 26 ff.). Gegenstände, deren Eigenthümer sich im Aufgebotsverfahren nicht meldet, werden in den Fällen 1) 2) 3) dem Landesfiskus, in den Fällen 4) 5) dem Berger als Eigen­ thum überwiesen (Strandungsordn. § 35). Der frühere Eigenthümer hat sich an seinem Rechte verschwiegen. Jedoch bleibt ihm unbenommen, noch nach beendigtem Aufgebotsverfahren gegen den nunmehrigen Eigenthümer mit einer Klage aus Ent­ schädigung vorzugehm, welche juristisch nach Art der Bereicherungsklagen (condictiones) auszufaffen ist. Dieser Entschädigungsanspruch ist selbstverständlich nur ein obligatorischer gegen Fiskus, resp. Berger; er geht nur soweit, als diese die Sache noch besitzen, resp, durch den daraus gelösten Werth noch bereichert sind (Strand.-Ordn. § 28). Es kann ferner zwischen dem Anspruch auf Bergelohn und der Entschädi­ gungsforderung bis zur Höhe des ersteren kompensirt werden. Die gegebene Deduktion weicht so wesentlich ab von der dem Reichstage vor­ gelegten Motivirung des Gesetzes, daß auf den Widerspruch zwischm der letzteren und dem Wortlaut des Gesetzes (welches gerade in diesen Paragraphen dem Re­ gierungsentwurf dem Inhalte nach ganz genau enffpricht) näher eingegangen werden muß. Die Regierungsmotive wollen auch nach beendigtem Aufgebotsverfahren eine Veränderung der bestehenden Rechtsverhältniffe nicht eintreten kaffen. Der frühere

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Strandung.

Eigenthümer bleibt Eigenthümer, Landesfiskus und Berger erhalten daher durch Zu­ weisung nach § 35 nur die Rechte des redlichen Besitzers. Die Ueberweisung solle dem bisherigen Eigenthümer sein Recht nicht entziehen, sondern sei nur eine provi­ sorische Versügung über den Besitz der Sache. Erst durch „Verjährung" würden die Besitzer Eigenthümer. Gerade mit Rücksicht aus dieses „neue" Prinzip der Re­ stitutionspflicht sei das Strandgut dem Fiskus zugewiesen worden, da dieser die voll­ ständige Garantie für die Ersatzleistung bietet. Soweit die Motive. Im Gesetze ist von alledem keine Rede, wenn anders der rechtliche Begriff des Eigen­ thums auch nach dem Erlaß der Strandungsordnung derselbe geblieben ist wie früher. Der vermeintliche Eigenthümer der Regierungsmotive, hat dem Reichsgesetze zufolge nach versäumtem Aufgebotsverfahren durchaus nicht etwa das Recht der Vindikation gegen jeden Besitzer der Sache, er hat nur eine Entschädigungsfor­ derung gegen Fiskus oder Berger. Ein Eigenthum aber, welches zu einer Ent­ schädigungsforderung gegen eine bestimmte Person zusammenschrumpft, ist in aller Welt kein Eigenthum, sondern ein obligatorischer Anspruch. Der Entschädigungs­ anspruch geht nicht auf Rücklieferung, er ist keine Konsequenz des Eigenthums, son­ dern eine Konsequenz des Eigenthumsverlustes. Wir haben sonach in den §§ 28 und 35 der Strandungsordn. ein eklatantes Beispiel des Falles, daß das Gesetz mitunter klüger sein kann als die Redaktoren des Gesetzes. Diese glaubten ein neues Prinzip geltend gemacht zu haben. Das Gesetz selbst aber bekundet in seinem privatrechtlichen Theil den Anschluß an jene naturgemäße historische Entwickelung des S., welche zuletzt im Preuß. LR. ihren den damaligen Zeitverhältnissen ent­ sprechenden Ausdruck gefunden hatte. Als eine auffallende Besonderheit des neuen Gesetzes ist noch hervorzuheben, daß bei Streitigkeiten über die Empfangsberechtigung nach § 30 das Strandamt die Rolle des Klägers im Prozeß zu bestimmen hat.

Gfgb.: Preuß. Allg. L.R. II. 1580 ff. — Strandgsordn. für die Prov. Preußen vom 10. Nov. 1728, nebst Deklaration vom 22. Nov. 1741. — Ostpreuß. Provinz.-R. Zusatz 229. Westpreuß. Provinz-R. v. 1844, § 76. — Pommern: Edikt v. 4. April 1733; Kabinetsordre w 13. März 1814, Verordn, v. 15. Juli 1777 (Stralsund). — Schleswig-Hol st einsche Strandungsordnung v. 30. Dez. 1803. — Hanno v. Strandungsordn. v. 24. Juni 1846. — Mecklenburg. Instruktion v. 20. Dez. 1834. — Oldenburgifche Strandungsordnung v. 29. Juli 1844. — Lübeck: Lüb. Etat. v. 1856 VI. 3. Art. 4; VI. 6. Art. 3. — Bremen: Verordnung vom 23. Mai 1834. — Hamburg: Bekanntmachung vom 15. Juni 1868. — Deutsches HGB. Art. 742 ff. — Reichsgeseh v. 17. Mai 1874, dazu Reichstagsverhandlungen, 2. Legisl.-Per. I. Session 1874, III. Band (Anlagen) S. 12, 213 u. I. Bd. S. 56, 315. — Stobbe, Deutsches Privatrecht, II. p. 592 ff. — Mandry, Der civilrechtliche Inhalt der Reichsgesetze (1878), p. 250 ff. Heinrich Brunner.

Strandung. Die Strafvorschriften, welche sich auf die S. beziehen, sind theils unter dem Gesichtspunkte der Gemeingefährlichkeit, theils unter dem Gesichts­ punkte des Betruges aufzufassen. 1) Wer vorsätzlich die S. oder das Sinken eines Schiffes bewirkt und dadurch Gefahr für das Leben eines Anderen herbeiführt, wird mit Zuchthaus nicht unter 5 Jahren bestraft (StrasGB. § 323). Daß das Schiff strande oder sinke, muß zur Verwirkung dieser Strafe beabsichtigt sein — wie denn auch zur Vollendung des Verbrechens es gehört, daß das Schiff gestrandet oder gesunken sei; — dagegen ist es nicht erforderlich, daß der Thäter die Gefahr für Menschenleben habe herbeiführen wollen; ob diese vorhanden gewesen, ist lediglich objektiv festzustellen. Würde die S. herbeigeführt sein, ohne daß durch dieselbe für Menschenleben Gefahr entstanden wäre, so bleibt die Strafbestimmung des § 323 ausgeschlossen; anwendbar bleiben eventuell die §§ 305 oder 265. Hatte die S. den Tod eines Menschen verursacht, so tritt Zuchthaus nicht unter 10 Jahren oder lebenslängliches Zuchthaus ein (§ 323). War der Tod.eines Menschen beabsichtigt, so kann die Strafbestimmung des § 211 (Mord) in Anwendung kommen. Die für die vorsätzlich verursachte S. angedrohte Zuchthausstrafe kann (§ 325) dadurch

Strauch.

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geschärft werden, daß aus Zulässigkeit von Polizeiaufsicht erkannt wird. Wer aus Fahrlässigkeit die S. oder das Sinken eines Schisses vemrsacht, wird, falls ein Schaden entstanden, mit Gefängniß bis zu einem Jahre und, wenn der Tod eines Mmschen verursacht wurde, mit Gefängniß von einem Monat bis zu 3 Jahren bestraft. Um die S. zu verhüten, find die dm Schutz der Schiffahrt bezweckenden Zeichen unter straftechtlichen Schutz gestellt. Wer ein solches Zeichen vorsätzlich zer­ stört, wegschafft oder unbrauchbar macht, oder ein Feuerzeichen auslöscht, desgleichen

wer ein solches Zeichm, namentlich Feuerzeichen aufftellt, welches geeignet ist, die Schiffahrt zu gesährdm, wird mit Zuchthaus bis zu 10 Jahren bestraft. Die Verletzung der Amtspflicht — „wer ein solches Feuerzeichen seiner Dimstpflicht zu­ wider nicht aufstellt" — wird der vorsätzlichen Begehung des Verbrechens gleich

geachtet (§ 322). Den Begriff dieses Verbrechens macht lediglich die Gefähr­ dung der Schiffahrt aus; die Strafe wird verwirkt, weil ein Schiff stranden kann, nicht deshalb, weil es gestrandet ist. Tritt der letztere Erfolg ein, so ist die Strafe Zuchthaus nicht unter 5 Jahren, und wurde der Tod eines Menschen verursacht, Zuchthaus nicht unter 10 Jahren oder lebenslängliches Zuchthaus (§ 322). In allen Fällen vorsätzlicher Gefährdung der Schiffahrt kann auch auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht erkannt werdm (§ 826). Wenn auS Fahrlässigkeit diejenigen Handlungen begangen werden, welche die Schiffahrt zu gefährden geeignet sind, so ist, wenn ein Schaden entstand, die Strafe Gefängniß bis zu einem Jahre und, wenn der Tod eines Mmschen vemrsacht wurde, Gefängniß von einem Monat bis zu 3 Jahrm. Die Strafvorschristen, welche sich auf die Vemrsachung der S. oder des Sinkens eines Schiffes, sowie diejenigen, welche sich auf die Gefährdung der Schiffahrt beziehen, gehören zu den in § 4 des EG. erwähnten. Würde demnach in einem Theile des Bundesgebietes, welchen der Kaiser in Kriegszustand erklärt hat, in Folge der Begehung der durch §§ 322, 323 verbotenen Handlungm ein Mensch das Leben verloren haben, und der Fall so angethan sein, daß er zn ge­ wöhnlichen Zeiten zur Verhängung lebenslänglicher Zuchthausstrafe Veranlaffung gegeben hätte, so würde statt dieser Strafe bei erklärtem Belagerungszustände, oder wenn das Verbrechen während eines gegen das Deutsche Reich ausgcbrochenen Krieges auf dem Kriegsschauplätze begangen wäre, statt der lebenslänglichen Zuchthausstrafe aus Todesstrafe zu erkennen sein. 2) Wer in betrügerischer Absicht ein Schiff, welches als solches oder in seiner Ladung oder in seinem Frachtlohn ver­ sichert ist, sinkm oder stranden macht, wird mit Zuchthaus bis zu 10 Jahren und zugleich mit Geldstrafe von 150 bis 6000 Mark bestraft. Bei Annahme mildernder Umstände ist die Strafe Gefängniß nicht unter 6 Monaten, neben welcher Geld­ strafe bis zu 3000 Mark erkannt werden kann (§ 265). Diese Strafbestimmung findet aber nur dann Anwendung, wenn durch die Handlung Gefahr für Menschen­ leben nicht herbeigeführt wird. Wäre dieses der Fall, so würde der Gesichtspunkt der Gemeingesährlichkeit (StrasGB. § 73) der die Anwendung des Strafgesetzes be­ stimmende, und die Handlung demgemäß nach § 823 zu bestrafen sein. Gsab.: Deutsches StrafGB. §§ 322, 323, 325, 326, 265. — EG. zum Deutschen StrasGB. § 4. Bit.; Oppenhoff, Komm, zu §§ 322, 323, 265. — v. Schwarze, Komm, zu § 265. — MeveS, Das Deutsche StrasGB.; Derselbe, DaS Teutsche StrafGB. und die Schiffahrt, in v. Holhendorff's Strafrechtsztg. XIII. S. 380 ff., 409 ff. — Schaper in v. Holhendorff's Handbuch, III. S. 903 ff. John.

Strauch, Johann, 142 ff. und die von diesen cit. Lit. — Ferner: O. v. Wächter, Encyklop. deS W.R., 1880, S. 1017 ff. u. a. a. O. .Wechselschluß- ebenda S. 1034—1042. GareiS.

Wechselaeeept. Das W. ist die wechselmäßige Erklärung eines Trassaten, daß er dm in der an ihn gerichteten Tratte enthaltenm Zahlungsauftrag vollziehen werde. Mit dieser Erklärung giebt der Trassat, nun Acceptant genannt, ein wirk­ liches Wechselversprechen ab, welches ihn gegenüber jedem rechtmäßigen Wechselinhaber, nicht etwa blos gegenüber dem zur Annahme präsmtirenden, auch gegenüber dem Aussteller des Wechsels, zur Zahlung der Wechselsumme ohne Rück-

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Sechselaccept.

ficht darauf, ob er hierfür gedeckt ist oder nicht, nach Wechselrecht verpflichtet (Art. 28 der WO.; Thöl, a. a. O., §§ 74 ff.; Kuntze, W.R., § 34). Der Abgabe jener Erklärung, Acceptation oder Annahme genannt, geht die Präsentation zur Annahme vorher, d. h. der von dem Befitzer der Tratte unter Vorzeigung dieser an dm Bezogenen gerichtete Antrag, dieselbe zv acceptiren. Zu diesem Antrag ist der Befitzer deS Wechsels regelmäßig nur berechtigt, nicht verpflichtet, Art. 18 der WO. (s. aber unter d. Art. Domizilwechsel). Wechsel jedoch, welche auf eine bestimmte Zeit nach Sicht lauten, müffm, sofern nicht ausdrücklich eine längere oder kürzere Frist hierzu bestimmt ist, längstmS Sinnen zwei Jahren nach der Aus­ stellung zur Annahme präsentirt werden, widrigmfallS der wechselmäßige Anspruch des Inhabers gegen Aussteller und Jndoffanten erlischt; so bei den im Jnlande ausgestellten Wechseln; ausländische Wechsel werden, auch wenn sie im Jnlande Giri erhielten, in Bezug aus die Präsentationspflicht lediglich nach dem am Orte der Ausstellung geltenben Recht behandelt (s. Prot. z. WO. S. 41—45). Geht die Fixirung einer besonderen Präsentationsfrist von einem einzelnen Jndoffanten aus, so hat die Nichteinhaltung dieser Frist lediglich den Untergang der wechsel­ mäßigen Verpflichtung dieses einzelnen Jndoffantm zur Folge. Meß- und Markt­ wechsel sind in der an dem Meß- oder Marktorte gesetzlich bestimmten Präsentationszeit zur Annahme zu Präsentiren. Dem Antrag, die Tratte zu acceptiren, braucht der Bezogme nach W.R. nicht zu mtsprechen (s, unter d. Art. Wechselprotest), mtspricht er ihm aber, so tritt die angedeutete Verpflichtung zur Zahlung dann und insoweit ein, wenn und wie weit der Auftrag in der hiermit acceptirten Tratte gilt; doch behält ein W., welches nicht durch einen speziell gegen den Bezogenen gerichteten Betrug des Ausstellers mit Wiffen eines Wechselinhabers oder des Letzteren allein veranlaßt wurde, seine wechselmäßige Wirkung auch dann, wenn die Unterschrift des Ausstellers sich als falsch oder verfälscht ergiebt (Art. 75 d. WO. Borchardt, a. a. O. Zus. 704). Der Form nach ist das W. eine schriftliche Erklärung des Traffaten, auf der Tratte selbst abgegeben und des Inhalts, daß er den Zahlungsauftrag annehme; dieser Inhalt kann ganz beliebig ausgedrückt sein, z. B. wie gewöhnlich durch die vom Acceptanten unterschriebenen Worte: „angenommen", „acceptirt", „acc.u, „gesehen", „vu“, „visa“, „gut für" u. dgl., ja es genügt die einfache Namens­ zeichnung des Traffaten aus bem' Wechsel, welche in der Regel unten links oder

quer am linken Rande des Wechselbriefs angebracht wird und bei Wechseln, welche auf eine gewiffe Zeit nach Sicht gestellt sind, mit dem Datum der Acceptation zu versehen ist (Art. 20 d. WO.). Der in dieser Weise — d. h. mindestens durch Unterschrift — beschriebene Wechsel verdankt wie jede andere Art des Wechsels dem Wechsclvertrage seine ver­ bindliche Wirkung: der mit der Accepterklärung versehene Wechselbrief wird vom Bezogenen dem Inhaber gegeben und von Diesem genommen, und so entsteht auch hier der Wechselvntrag durch Schreiben, Geben und Nehmen, hier Acceptvertrag, Annahmevertrag, Acceptation genannt. Daraus würde folgen, daß, wenn der Be­ zogene, ehe er den mit seiner Acceptunterschrift versehenen Wechselbrief dem Präsen­ tanten wieder einhändigt, diese Unterschrift tilgen (z. B. durchstreichen oder sonst kassiren) würde, kein Accept vorläge, da der Acceptvertrag nicht zur Perfektion gelangte. Da jedoch einer auf einem Wechselbricfe befindlichen Acceptunterschrift, welche zwar durchürichen aber noch lesbar ist, zwar einerseits anzusehen ist, daß das Accept geschrieben und in diesem Sinne erfolgt ist, aber nicht anzusehen ist, wann und von wem es durchstrichen wurde, da ferner an dem Dasein des Accepts dem Wesen der Tratte nach nicht ein einzelner Jntereffent (etwa der Remittent allein), sondern eine Reihe von Jntereffentm (Aussteller, Jndoffatare, Jndoffanten, Nothadreffen und so weiter) interessirt ist, so fordert die Rücksicht am die Verkehrsiicherheit und das allgemeine Jntereffe, daß in solchen Fällen — immer aber die Er-

tennbarfeit der durchstrichmen Unterschrift vorausgesetzt — von dem Zustandekommen oder Nichtzustandekommen des Wechselvertrags abgesehen und die bloße Niederschrift der Annahme (Unterschrift des Bezogenen) allein schon als unwiderruflich und als bindendes Accept angesehen werde. Die Dmtsche WO. (wie die meisten anderen) drückt diesen Gedankm nur undeutlich aus; sie sagt nämlich: „Die einmal erfolgte Annahme kann nicht zurückgenommen werden"; deshalb ist die hier vertretene Ayficht außerordentlich bestritten. Ist die Durchstreichung oder Tilgung des AccepH in der Weise bewirft, daß gar nicht erfennbar ist, ob eine Unterschrift des Bezogenen auf dem Wechsel stand oder was sonst kasfirt wurde, so liegt nach der WO. eine Rechtsverletzung (— nicht gerade Verletzung eines Wechselvorvertrags —) vor, auf Grund beten der Verletzte eine neue Acceptunterschrist fordern kann. Was die Wirkung des Accepts anlangt, so haftet der Acceptant aus dem W. wechselmäßig für die Zahlung der Wechselsumme zur Dersallzeit des Wechsels (im Derzugsfalle sammt Zinsen); er hastet nicht blos dem zur Annahme präsentirendeu Inhaber, sondern jedem Jndosiatar, der dm Wechsel innehat; er haftet auch dem Aussteller aus dem Accepte wechselmäßig (vgl. Entsch. d. ROHG. Bd. VH. S. 288). Hierbei sann das zwischen dem Aussteller und dem Acceptantm bestehende DeckungSverhältniß (Revalirungsverhältniß) eine Einrede des Letzteren erzmgm (vgl. Entsch. d. ROHG. Bd. XIV. S. 225). (Dagegen steht dem Äezogenm kein W.R. gegen den Aussteller zu.) Der Inhalt der wechselmäßigeu Haftung des Acceptanten richtet sich nach dem Inhalte des in der Tratte an ihn gerichteten Zahlungsauftrags; doch haftet der Acceptant aus seinem Accept, wie eben gesagt, selbst bann wechselmäßig, wenn die Unterschrift des Ausstellers sich als falsch oder verfälscht herausstellt oder an den Bestandtheilen der Tratte Aenderungen nach der Ausstellung bewirkt wurden, — all dies jedoch nur dem gutgläubigen Inhaber gegenüber und vor­ behaltlich der Einrede des Betrugs, welche der Acceptant demjenigm forderndm Inhaber gegenüber geltend machen kann, welcher gegen ihn arglistig auftritt. Be­ stritten ist die Wirksamkeit eines W., welches eine höhere Summe als die in der Tratte genannte, zusichert; nach Kuntz e, W.R., § 34 III., gilt ein derartiges W. bis zum Betrage der Wechselsumme (als summa concnrrens), nach Renaud, W.R., § 35 Anm. 2, ist es „kein W." (aber deshalb noch nicht nothwendig ganz ungültig), nach Thöl, a. a. O. 8 78, 4 u. § 81 II., muß es bis zum Betrag der Wechselsumme als W., für den Ueberschuß — wenn es Orts- und Zeitdatum trägt — als eigener Wechsel angesehen »erben; letztere Ansicht verdient als die konsequenteste den Vorzug. Das Deutsche W.R. erkennt auch ein limitirtes W. an: der Wechselinhaber muß sich gefallen lassen, daß der Bezogene nur zum Theil acceptire; wegm der Nichtacceptatiou des anbem Theils der Wechselsumme ist alsdann Protest zu erheben. Andere Einschränkuugm des W. gegenüber dem Zahlungsauftrag stehen einer völligm Verweigerung des W. gleich; jedoch bleibt der Acceptant, soweit ein derartiges W. einen für die Wechselinhaber interesianten Inhalt hat, hierfür wechselrechtlich haftbar. Eine Tratte kann aber auch durch eine andere Person, als ben Trassaten, voll­ wirksam acceptirt »erben (Intervention durch W.); ein, derartiges, sog. Ehren-W., wird entweder von einem in einer Nothadresse des Wechsels Genannten oder von einem völlig Unberufenen mit den gewöhnlichen Wirkungen des W. gegeben. Hierüber f. ausführlich d. Art. Nothhülfe. Ueber W. auf Domizilwechseln s. d. Art. Domizilwechsel. DaS W. kommt auch außerhalb des W.R. bei anderen (gezogenen) Handels­ papieren, z. B. kaufmännischen Anweisungen, vor und zwar, abgesehen vom Wechsel­ arrest bzw. -Prozeß, mit denselben Wirkungen wie bei Tratten. Art.

Quellen; Allgem. Deutsche W.O., Prüsentation zur Annahme, Art. 18—20; Annahme, 21—24; Regreß wegen nicht erhaltener Annahme, Art. 25—28; Ehrenannahme,

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Wechselaussteller.

Art. 56—61, 65; Accept eines WechfelduplikatS, Art. 67-69- — Allgem. Deutsches HGB., Accept einer Anweisung u. bgL, Art. 300, 301 Abs. 3. — Code de comm., art 118—128. 8tt: Thöl, H.R., Bd. II., W.R., 8. Aust. §§ 74—84. — O. v. Wächter, Enchklop. d. W-R., S. 27—82. — Borchardt, Allgem. Deutsche WO., 7. Ausl., 1879, zu Art. 21 ff. d. WO. — Ueber die Frage der Vollendung und der Durchstreichung des W. s. ausführlich Gtawein, Die Perfektion deS AceepteS, Graz 1876. — Hierüber Gareis in Goldschmidt'S Ztschr. Bd. XXIV. S. 309 ff. und anders: Thöl, § 79 S. 274-276, auch Entsch d- ROHG. I. 274. — Ueber Blankoaccepts. Sohm, VertragSschluß unter Abwesenden und Dertragsschluß mit einer persona incerta, in Goldschmidt'S Zeitschrift Bd. XVII. S. 72 ff. — Thöl, a. a. O. S. 281. — Urtheil des ROHG. vom 9. April 1872, Entscheid. Bd. VI. S. 45 ff., 52 ff. Gareis.

Wechselaussteller, so viel als Wechselzieher, Trassant, drawer, ist diejenige Person (oder auch Firma), welche den Wechselbrief auf der Borderseite desselben zum Zweck der Uebernahme der Wechselverbindlichkeit gemäß Art. 4 Ziff. 5 oder Art. 96 Ziff. 5 unterschreibt und dem Nehmer des Wechsels, dem (ersten) Gläubiger, Remittmten, in eben dieser Absicht giebt; nach der Kreationstheorie (s. unter den Art. Wechsel) ist die Thätigkeit des W., des Ausstellers des Wechsels, eine einseitige, nach der Bertragstheorie ist sie Bestandtheil eines Vertrags, des Wechselvertrags, und zwar entspricht dem Schreiben und Gebm als vertragerzeugendes Korrelat das Nehmen des Wechsels. Der W. muß, um einen vollgültigen Wechsel auszustellen, wechselsähig sein (hiervon s. unter dem Art. Wechselsähigkeit) und den Wechsel unterschreiben (hiervon s. Art. Wechseluntrrschrist im Anhänge); die Wirkung der vollmdetm Ausstellung und Begebung des Wechsels ist die wechselmäßige Haftung des W., und zwar ist der Aussteller eines gezogenen Wechsels (einer Tratte) Regreß­ schuldner, d. h. er haftet wechselmäßig dafür, daß die Tratte angenommen und bezahlt werde (s. unter den Art. Wechselaccept und Wechfelregreß), während der Aussteller eines eigenen Wechsels (s. unter den Art. Eigenwechsel) direkt für die Zahlung der Wechselsumme haftet. Die Verpflichtung des W. ist eine wechsel­ mäßige: d. h. er giebt ein bindendes reines Summenversprechen ab, welches unter den Voraussetzungen und Förmlichkeiten des Wechselrechts geltend gemacht werden kann; nach der Bertragstheorie beginnt diese Haftung mit der Vollendung des Wechfelvertrags, welchen der Aussteller mit dem Remittenten (ersten Nehmer) durch Geben und Nehmen des richtig unterschriebenen Wechsels abschließt; ist der Remittent durch Zufall oder durch eine unerlaubte Handlung in den Besitz des ihn als Gläubiger nennendm Wechsels gelangt, so erwirbt er dadurch keinen Anspruch gegen den Aussteller (s. Enffch. d. ROHG. Bd. XIX. S. 33), denn der W. könnte der Wechselklage eines solchen ersten „Nehmers" die Einrede des fehlenden Bertrags­ willens (als Betrugseinrede) entgegensetzen und selbst den Wechsel vindiziren, sofem er beweist, daß der „Nehmer" denselben in bösem Glauben erworben hat oder ihm eine grobe Fahrlässigkeit bei der Erwerbung des Wechsels zur Last fällt. Hat der W. seiner Unterschrift die Worte „ohne Obligo" beigefügt, so ist der Wechsel, bevor keine andere bindende Unterschrift auf dem Wechsel steht, kein wirklicher Wechsel, sondern nur ein Scheinwechsel. Der Aussteller eines an eigene Order gezogenen Wechsels wird erst durch ein Indossament wechselmäßig verpflichtet. Die wechselmäßige Haftung des Ausstellers endigt mit der Zahlung des Wechsels (Entsch. d. ROHG. Bd. XXIV. S. 1) oder mit der Verjährung (s. den Art. Wechfelverjährung). Zwischen dem Aussteller und dem Nehmer kann ein Mandatsverhältniß, z. B. Jnkaffoauftrag, bestehen, daffelbe ist aber ohne Einfluß auf das Wechselrecht an sich, kann aber möglicherweise wie jedes andere zwischen jenen beiden Personen konkret bestehende Bertragsverhältniß eine Einrede des Ausstellers gegen diesen Nehmer erzeugen. Sind mehrere Aussteller vorhanden, so haftet jeder derselben für das Ganze, gleichviel ob ein Bertragsverhältniß (oder welches) zwischen ihnen besteht.

Sechselebrrrdru.

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Wie der Aussteller, hastet auch der Avalist (sog. WechselLürge), welcher seine Unterschrift unter die deS Ausstellers gesetzt, dm Wechsel per aval gezeichnet hat. — Ueber das zwischen dem SB. und dem Bezogenen bestehende Verhältniß s. unter dm Art. Deckung und Deckungsgeschäft. Ueber das zwischen dem SB. und hem Nehmer bestehende materielle und civilrechtliche Verhältniß, dm Wechselschluß,, s. dm Art. Wechsel.

Lit.: O. v. Wächter, Enchklop. d. W-R. unter .Begebung^ (S. 120 ff.). — Th Bl, H.R., Bd. L, W.R., 4. Aufl., §§ 54 ff. — Kuntze, Deutsches W.R., § 29 S. 81 ff. GareiS.

Wechseleiirredeu, Einreden, welche gegenüber einem wechselmäßigen Ansprüche seitens eines, wirklich oder scheinbar aus dem Wechsel Verpflichteten zum Zwecke gänzlicher oder theil- oder zeitweiser Befreiung geltend gemacht werdm könnm, entspringm mtweder dem Prozeßrechte, einschließlich dem Wechselprozcßrechte, oder dem materiellm (b. i. Civil-) Rechte einschließlich dem materiellm Wechselrrchte; der Begriff der Einrede ist zunächst so zu fassen, wie im übrigen Rechte, auch kann zwischm verzögerlichen (dilatorischm) und zerstörlichm (peremptorischm) Einreden wie sonst unterschiedm werden. Allein das Einrederecht ist wechselrechtlich beschränkt; als Gmnd dieser Beschränkung wird die sog. Wechselstrenge, der rigor cambialis, angesehen, und der letztere Begriff wird sowol als prozessuale, wie als materielle Wechselstrenge verstanden. Die materielle Wechselstrenge wird in der Gültigkeit deS einen Sunnnenversprechens, welches zum inneren Wesen des Wechsels gehört, gesehen, insbesondere darin, daß die Verpflichtung des Wechselschuldners losgelöst von jedem materiellm Schuldgrunde, folglich unabhängig ist von allm dem Summmversprechm unterliegendm Verhältnissen. Bon dieser materiellen Wechselstrenge ist zu sagm: einerseits besteht fie — in der behaupteten Ausdehnung und Eigenthümlichkeit — überhaupt nicht, andererseits ist sie dem Wechsel nicht eigenthümlich; sie besteht nämlich nicht, insofern der Schuldner gegen den Gläubiger alle aus materiellen Schuldverhältniffen (unter­ liegenden gewöhnlichen Verträgen u. s. w. z. B. Wechselvorvertrag) hergmommenen Einreden einwmden, folglich die Geltendmachung des wechselmäßigm Anspruchs des Gläubigers gänzlich von materiellen gewöhnlichen Schuldverhältniffm abhängig machen kann, vorausgesetzt nur, daß ihm jme Einreden unmittelbar gegen den klagenden Gläubiger selbst erwachsen find oder zustehen; dies ist aber dem Wechsel nicht eigmthümlich, sondem durch das HGB. auf alle handelsrechtlich anerkanntm Werthpapiere, welche Orderpapiere sind, gleichmäßig ausgedehnt. Hieraus ergiebt sich, daß der Wechselschuldner (Acceptant der Tratte, Aussteller, Indossant oder Avalist eines gezogenen oder eigenen Wechsels) dem auf einen Wechsel gegründeten Anspruch des Klägers entgegenstellen kann: a) diejenigm Einreden, welche auS dem W.R. selbst hervorgehen (z. B. Mangel eines wesentlichen Erfordemiffes der Tratte), zu diesen gehört auch die Einrede der Verjährung, und b) solche Einreden, welche ihm unmittelbar gegen den jedeSmaligm Kläger zustehen (z. B. Einrede des Betrugs, Einrede mangelnder Valuta, Erlaßvertrag). Auf solche Einreden ist das Einrederecht des Wechselschuldners beschränkt, gleichviel ob die Klage im ordmtlichm Dersahrm oder im Wechselprozeffe erhoben wurde. Wird die Klage im Wechselprozeffe erhoben, ein Umstand, der ausdrücklich hervorgehoben fein muß, so ist das materielle Einrederecht noch mehr beschränkt; da nämlich der Wechselprozeß nach dem in Deutschland geltmden Civilprozeßrecht eine Art deS Urkunden­ prozesses ist, so sind alle Anwendungen des Wechselschuldners, selbst wenn fie nach der WO. zulässig wären, als int Urkundenprozesse unstatthaft zurückzuweisen, wenn der dem beklagten Wechselschuldner obliegende Beweis seiner Einwmdungen nicht mit den im Urkundenprozesse zulässigen Beweismitteln angetreten oder mit solchm

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ÜSechselfählgktU.

Beweismitteln nicht vollständig erbracht wird. (Außerdem ist als Eigenthümlichkeit des Wechselprozesses die eigenartige Freiheit in der Wahl des Fonums und die Kürze der Einlassungsfrist hier besonders hervorzuheben.) Die auS dem Prozeßrechte fließenden W. find durch die Art Les Verfahrens beschränkt; im Wechselprozesse wie im Urkundenprozesfe überhaupt haben prozeß­ hindernde Einredm nicht die Wirkung, daß durch sie die Verhandlumg der Haupt­ sache aufgeschoben wird. Ueber diese Art von Einreden, welche nicht eigentliche W. find, s. d. Art. Wechselprozeß. Diejenigen Einredm, welche deshalb materiell zulässig find, weil sic „aus dem W.R. selbst hervorgehen", gründen sich entweder auf einen formellen o>der materiellen Mangel der Wechselobligation. Das erstere ist z. B. der Fall, wmn dem Wechsel einer der Bestandtheile mangelt, welche nach dem Gesetz der WO. (Art. 4, 96 u. a.) „wesentliche Erfordernisse" des Wechsels sind; die Prüfung und Erhebung solcher Thatsachen, von denm die Existenz des Wechsels als solchen überhaupt abhängt, obliegt übrigens dem Richter von Amtswegen. Zu den int W.R. beruhenden Ein­ reden gehört die Einrede der mangelndm Wechselsähigkeit (vgl. Entsch- des ROHG. Bd. XIX. S. 319). Sehr zahlreiche Präjudizien des ROHG. exiftirm über die Zulässigkeit von W. So z. B. über die Einrede der Zahlung in her Regel (nur wenn dem jedesmaligen Kläger gegmüber begründet, möglich). EntsÄ- des ROHG. Bd. II. S. 122; Bd. IV. S. 249, 252; Bd. VII. S. 121; Bd. VIII. S. 887; Bd. IX. S. 42; Bd. XV. S. 22, 24; Bd. XVIII. S. 310. Entsch. des Reichsger. Bd. n. S. 180, über die Einrede der Simulation, s. Entsch. des ROvG. Bd. VI. S. 55 ff., 59; Bd. V. S. 36, 37; Bd. IV. S. 191; über die Einrede der nicht er­ haltenen Valuta — diese Einrede kann entweder die Bedeutung einer exceptio nondum adimpleti contractns resp, doli, oder exceptio cowpensationis haben und ist nur individuell und unter besonderen Umständen oder unter Selbstsubsiantiilung des Dolus zulässig — s. Entsch. des ROHG. Bd. III. S. 132, 314; Bd. IV. $. 282; Einrede des Nachlaßvertrags u. dgl. s. ebenda Bd. VIII. S. 387; Dd. XI. S. 92; Bd. XIV. S. 165; auch Bd. IV. S. 392; Bd. V. S. 37. (Vgl. ierner d. Art. Wechselprozeß.) Quellen: Allg. Deutsche W.O. Art. 82. Bit: Thöl, H.R., Bd. II. W.R.„ 4. Aufl. 8 201 (S. 813). - Kuntz«, WR-, § SO, S. 114 ff. — O. v. Wächter, Encyklop. d. W.R., S. 356 ff. — Ebenda und bei Otto Fuchsberger, Die Entscheidungen d. ROHG. und^d. Reichsger. auf d. Gebiete b. Wechselund WechselprozeßrechtS, Gießen 1881, S. 274, sehr eingehende Zusammenstellung der Präju­ dizien. Gareis.

Wechselfahigkeit. Man unterscheidet objektive und subjektive W. Da Objekt eines wechselmäßigen Versprechens nur eine Geldsumme sein kann, so besitzen nur Geldsummen objektive W. Unter der subjektiven W. wird die Fähigkeit, Subjekt einer wechselmäßigen Obligation zu sein, verstanden, und zwar nennt man die Fähigkeit, Wechselgläubiger zu sein, aktive W., — eine Fähigkeit, welche jedem Rechtssubjekte zukommt, — und die Fähigkeit, Wechselschuldncr zu sein, die passive W. Die letztere Eigenschaft, die W. im gewöhnlichen Sinne des Wortes, hat eine mit der Entwickelung des Wechsels eng zusammenhängende Geschichte (s. d. Art. Wechsel); zur Zeit des Ursprungs des Wechfelinstituts kam die W. nur den bcrussmäßigen Wechslern (oampsores uumwularü, monetarii, bancherii), späterhin wenigstens nur eingeschriebenen Kaufleuten zu; in neuester Zeit, und insbesondere in ganz Deutsch­ land seit der Unifizirung des W.R., ist die sog. „allgemeine W." Rechtens geworden; es ist dies eine Folge der erhöhten Kreditwirthschaft, des vermehrten Bedürfnisses nach Ersatz am effektiven Werthe durch Papiere und nach Kreditsicherungsmitteln, sowie eine Folge des Jneinanderübergehens von verschiedenen Bcrussartcn und Bcschäftigungsweisen; wie der Großbetrieb der Landwirthschast (z. B. mittels des Ge­ treidehandels oder des Verkehrs mit sog. Handclspflanzen), fo zieht auch der Klein-

»echstlsäht-krU.

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betrieb von Gewerbm (z. B. mittels der Kreditgenoffmschaften) Bevölkerungskreise, welche in früherm Jahrhunderten niemals in solider Weise mit Wechseln zu chun hattm, heutzutage naturgemäß in den Verkehr mit Wechseln, eine Thatsache, welche von der Gesetzgebung berücksichtigt werden und nothwendig zur sog. allgemeinen W. führen muß. Deshalb stehen mit ganz verschwindenden Ausnahmen die Gesetzgebungen aller civilifirtm Staaten auf dem Bodm der allgemeinm W. (v. Wächter, a. a. O. S. 452). Nach dem geltenden Dmtschm Rechte kommt die W. allm Personen zu, welche sich durch Verträge verpflichten könnm (mithin: Vertrags­ fähigkeit als W.); ob oder inwieweit sich Jemand durch Vertrag verpflichten kann, z. B. ein Minderjähriger, eine Eheftau, ein Haussohn u. s. w. hängt von dem bürgerlichm Rechte des Wohnsitzes dieser Person ab. Ist nach diesem Rechte z. B. die Zustimmung des Ehemanns zur rechtsbeständigen Entstehung von Verpflichtungm der Ehestau erforderlich, so besteht dieses Erforderniß auch für die Entstehung einer wechselmäßigen Haftung der Ehestau (sofern diese nicht etwa Handelsstau ist); eine demrtige Zustimmung muß im Wechsel selbst erklärt sein, zweifellos mindestens dann, wenn der Wechsel die Frau als Ehestau bezeichnet (vgl. Entsch. des ROHG. Bd. II. S. 177 und Thöl, a. a. O. § 23), doch ist die Zustimmung des Ehemanns zum Indossament der Ehestau aus der That­ sache zu folgern, daß Ersterer an die Order der Letzteren trasfirte oder indosfirte, und die Zustimmung zum Accept aus der Thatsache, daß der Ehemann die Ehestau als Bezogme nannte, nicht aber aus der einfachen Mitunterschrift des Mannes nebm der Ehestau (vgl. Busch, Archiv für H.- und W.R. Bd. IV. S. 192) und auch nicht daraus, daß der Entere eine von Letzterer auf ihn gezogene Tratte acceptirte

(denn das Accept ist gültig, auch wmn die Ausstellung ungültig war, vgl. Thöl, a. a. O. S. 106, anderer Ansicht das ROHG., Entsch. Bd. III. S. 51, 52). (Ueber Kaufmanns-W. und sog. relative W. s. T h ö l a. a. O. §§ 24, 25.) Ueber die nichtwechselmäßige Haftung für Wechselschulden auf Grund des ehelichen Güter­ rechts u. dgl. s. Entsch. des ROHG. Bd. XXIV. S. 57. Die von Wechselunfähigen auf einen Wechsel gesehtm Unterschriften find un­ gültig, derart, daß sie auch nicht durch Vertrag, Verzicht oder dgl. gültig gemacht werden können, sie sind aber ohne Einfluß auf die Verbindlichkeitm der wechsel­ fähigen Personen, welche denselben Wechsel gültig unterzeichnet haben. Jede wechsel­ mäßige Erklärung (z. B. Ausstellung, Giro, Accept) ist demnach für sich allein wirksam, insofern sie unabhängig ist von der Unwirksamkeit von Erklärungm wechsel­ unfähiger Personm, nicht aber insofern es sich um objektive Eigenschaften des Wechsels handelt. Was die W. eines Ausländers anlangt, so hängt dieselbe prinzipiell von dem Heimatsrechte (nicht gerade der lex domicilii) ab; diesem sog. Nationalitätsprinzip huldigt mit den meisten geltenden Gesetzgebungen auch die Deutsche WO.: die Fähigkeit eines Ausländers (über den Begriff Ausland s. Entsch. des ROHG. Bd. VI. S. 358, Bd. XXL S. 336), wechselmäßige Verpflichtungen einzugehen, wird nach den Gesehen des Staates beurtheilt, welchem derselbe angehört. (Vgl. Ässer, Das internat. Privatrecht, bearbeitet von M. Cohn, 1880, S. 29 ff. und die dort eit Lit.) Allein im Interesse der VerkehrSerleichtemng macht die Deutsche WO. eine Ausnahme von jenem Prichipe: Ein Ausländer, der «ach dm Gesetzen seines Vaterlandes der W. entbehrt, wol aber nach dem Recht des Inlandes wechsel­ fähig ist, kann sich im Jnlande wechselmäßig verpflichten. Quellen: Allg. Deutsche WO. Art. 1, 84.

Lit.: Thöl, H.R., Bd. II. W.R., 4. Ausl. §§ 21—26. — O. v. Wächter, Encyklop. d. W.R., S. 443 ff., beide sehr viel Detail bietend. — Die Präjudizien s. bei Fuchsberger, Die Entscheidungen des ROHG. und des ReichSger. auf dem Gebiete des W.R., 1881 S. S ff., und Borchardt, Allg. Deutsche WO., 7. Aufl. S. 3 ff. Gareis. d. Holtzrndorff. Gnc. II. Rrchtilkxikon III. 3. Aufl. 81

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Wkchselforrrmlar.

Wechselforttmlar. Die Formulare der Wechselbriefe setzen sich zusammen aus dm nothwendigen und auS dm willkürlichen Bestandtheilm des Wechsels. Nothwendige Bestandtheile find diejenigen, welche zum Wesen des Wechsels geHorm und daher theils vom Gesetze (z. B. Deutsche WO. Art. 4, 96; Code de comm. art. 110, auch art. 188) ausdrücklich gefordert werden, im Dmtschen Rechte „wesmtliche Erfordernisse" gmannt, theils sich aus dem Begriffe des Wechsels dergestalt ergeben, daß ohne ihre konkrete Anwesmheit auch bei — scheinbarer — Erfüllung der gesetzlichen Erfordemisse ein Wechsel rechtlich nicht existiren könnte. Da der gezogme Wechsel (die Tratte) begrifflich eine Geldanweisung (ein Geld­ zahlungsauftrag) mit wesentlich hinzukommendem Wechselversprechen, nämlich Regreßversprechen des Ausstellers ist, so ergiebt sich als wesentlich für das Formular des gezogenen Wechsels ein Zahlungsauftrag („Zahlen Sie", „Belieben Sie zu zahlen"), dann die Beziehung auf die Präsentation und Aushändigung des Briefes (^gegen diesen Wechsel u. dgl.) und dazu die damit verbundene Erfüllung der ausdrücklichen gesetzlichen Erfordemisse, Angabe der Personen, Daten u. s. w. Und da der eigene Wechsel (s. d. Art. Eigenwechsel) ein schriftliches wechselmäßiges Summenversprechm ist, inhaltlich dessen sich der Aussteller unmittelbar und direkt, d. h. nicht unter der Bedingung, daß ein Anderer nicht zahle und dies wechsel­ mäßig festgestellt sei, verpflichtet, die verlautbarte Summe an den Berechtigten zu zahlen, so ergiebt sich hieraus die Nothwendigkeit, im Formular die erfüllten gesetz­ lichen Erfordernisse um ein direktes Zahlungsversprechen („Ich zahle" u. dgl.) und um die Beziehung auf die Präsentation und Aushändigung des Briefes zu gruppiren. Die Gewohnheit, unter deren Einfluß sich die Technik des Wechsels überhaupt aus­ bildete, hat eine besondere Form in der Aufeinanderfolge und Ausdmcksweise des W. eingeführt, von welcher abzuweichen sich nicht wol empfehlen dürste; unter ihrer Herrschaft sind auch Erklämngen (Klauseln) im Wechsel üblich geworden, welche als unwesentliche Bestandtheile zu bezeichnen sind, insofern ihr Fehlen die rechtliche Gültigkeit der Wechselobligation selbst nicht beeinflußt. In diesem Sinne sind als unwesentliche Bestandtheile des Wechselbrieses anzusehen: die Orderklausel, der Wechsel ist nämlich selbst dann ein Orderpapier, wenn er diese Klausel nicht ent­ hält, er ist nur dann kein Orderpapier, sondem ein Rektapapier, wenn die Anorder­ stellung ausdrücklich ausgeschlossen ist; semer die Valutaklausel („Werth er­ halten" oder dgl., Angabe des materiellen Schuldverhältnisses, welches, die Wechsel­ ausstellung veranlassend, zwischen dem Aussteller und Remittenten besteht) ist nach Deutschem Rechte ebenfalls unwesentlich; nach älteren Rechten war sie erforderlich und diesen folgt noch das Französische Recht. Code de comm. art. 110: La lettre de change . . . 6nonce ... la valeur fournie en espöces, en marchandises, en compte, ou de tonte untre manifcre. Die Revalirungsklausel („stellen Werth in Rechnung laut Bericht" oder dgl. Avis, Deckungsklausel, d. h. eine Bezugnahme auf das zwischen dem Aussteller und dem Bezogenen eventuell bestehende Deckungs­ verhältniß) hat zwar wie auch die Balutaklausel möglicherweise civilrechtliche Be­ deutung, indem — in der Valutaklausel ein Empfangsbekenntniß — in der Deckungs­ klausel ein motivirtes Leistungsversprechen oder — bei Kommissionstratten — eine Anweisung enthalten sein kann, ist aber für das W.R. ohne juristische Bedeutung. Unwesentlich, jedoch gebräuchlich und förderlich ist auch die Wiederholung der Wechsel­ summe außerhalb der Tratte des Wechsels, die Angabe des Wohnorts oder Etablisse­ ments des Bezogenen (vgl. Deutsche WO. Art. 4 Ziff. 8 und Art. 24) und die Angabe der Vornamen der im Wechsel wesentlich zu nennenden Personen (vgl. hierzu die Entsch. des ROHG. Bd. III. S. 271 und Bd. IX. S. 25, auch Bd. XI. S. 213). Unwesentlich für die Gültigkeit des Wechsels ist die Entrichtung oder Nicht­ entrichtung der gesetzlich geforderten Stempelabgabe; doch unterliegen alle diejenigen Personen, welche an dem Umlaufe des Wechsels im Reichsgebiete Theil genommen

Wechselformulmt

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haben, solidarisch der Pflicht jener Abgabe und im Falle der Unterlassung richtiger Dersteuerung einer Steuerstrafe, welche in einer Geldbuße von dem fünfzigfachen Betrage der hinterzogenen Abgabe besteht (s. RGes., betr. die Wechselstempelsteuer vom 10. Mai 1869 und vom 4. Juni 1879, wie die Bekanntmachung des Bundesrachs, betr. die Abänderung der Borschriften über die Verwendung der Wechselstempelmarkm, vom 16. Juli 1881, R.G.Bl. 1881 Nr. 19 S. 245. Die Präjudizien stellt Borchardt, WO., 7. Aufl. 1879, S. 75—77 zusammen; s. im Uebrigeck d. Art. Wechselstempel). Den gesetzlichen Erfordernissen und der Uebung folgend find nachstehende Formu­ lare der gebräuchlichsten Wechselarten zu verzeichnen und beispielshalber ausgefüllt. I. Formular einer gewöhnlichen Tratte (gezogener Datowechsel an Order mit Jndosiamenten).

a) Vorderseite:

Frankfurt a. M., den 10. Aug. 1881,

Gut für 1000 Jt R.-W.

Sechs Monat a dato zahlen Sie gegen diesen meinen -Prima-Wechsel an die Order der Herren Rudolf Schulze — Vierzig Bücher vom Staate, 1820—1832 , 2. Aust. Stuttg. 1839 — 1842. — Entwurf eines Badischen StrafGB., Heidelb. 1826 u. 1840. — Rechtsautachten betr. .Der Wachter am Rhein", 1832. — Lucius Cornelius Sulla, Heidelb. 1834. — Rechtsautachten über die Ansprüche August's v. Este, 1834 und 1836. — Abhandlungen aus dem Gebiete der Staatswirthschafts­ lehre, 1835. — Rechtsautachten über Lippe und Lippe-Schaumburg, 1835. — Die Souveränetätsrechte der Krone Württemberg, 1836. — Succession in dem Zuydtwyck'schen Fideikommiß, 1836 und 1838. — Recht der Nachfolge des Hauses Löwenstein-Wertheim, 1838. — Ansprüche der Gutsbesitzer in Mecklenburg, 1841. Lit.: Autobiographie (in „Biogr. und jurist. Nachlaß", herausgeg. vom Sohn K. E. Zach. v. Lina., Stuttg. Tüb. 1843). — Mohl, II. 512-528. — Bluntschli, Geschichte des Allgem. Staatsrechts und der Politik, Münch. 1864, S. 596 - 604. — Orsier, Vie et travaux de Z., Paris 1869. — Revue historique 1868 p. 433; 1869 p. 295, 430, 557. — Roscher, Geschichte der Nationalökonomik, 930—934. — Brocher, K. S. Zachariae, sa vie et 868 oeuvres, Par. 1870. Teichmann.

ZachariL, Theodor Mar, 8 30. VIII. 1781 zu Meißen, Bruder von Karl Salomo Z. (s. o.), wurde Dozent in Wittenberg, 1810 Prof, in Königs­ berg, 1811 in Breslau, 1820—23 in Marburg, f 22. VII. 1847. Schriften: Universalia quaedam de possessione principla e Jure rom. collecta, Lips. 1805. — De rebus mancipi et nec mancipi conject, Lips. 1807. — Instit. hist jur. rom. lineamenta, Wit. 1808. — Lehrb. eines civil. Kursus, Lerpz. 1810. — Versuch einer Geschichte des Römischen Rechts, Leipz. 1814. — Die Lehre des Römischen Rechts vom Besitz und Ver­ jährung, Brest. 1816. — Gesch. der Testamente und Enterbung nach Römischem Recht, Brest 1816. — Instit. deS Römischen Rechts, Brest. 1816. — Kurzer Abriß des W.R., Bert. 1819. — Philosoph. Rechtslehre, 1820, 2. Aust. 1825. — Allg. Abriß des Pandektensystems, Marb. 1822. — Neue Revision der Theorie vom Besitze, Leipz. 1824. Lit.: Richter und Schneider's Jahrbücher 1847 S. 726—734. — Neuer Nekrolog für 1847, Bd. II. 941. Teichmann.

ZachariL, Heinrich Albert, 8 20. XI. 1806 zu Herbsleben im Gothaischen, habilitirte sich 1830 zu Göttingen, wurde 1842 ordentlicher Prof, daselbst, 1848 Mitglied des Vorparlaments, dann Bevollmächtigter der Krone Hannover im Bertrauenskollegium, Mitglied der Nationalversammlung sowie der Kaiserdeputation, 1863 Mitglied des Staatsraths u. Bevollmächtigter der Deutschen Standesherren in Frankfurt a./M., im Febr. 1867 Mitglied des Norddeutschen Reichstages, 1873 Mitglied der Bundeskommission zur Prüfung des Entw. der Deutschen StrafPO., t 29. IV. 1875 zu Canstatt. Schriften: De fiducia, Gott. 1829. — Grundriß zu Vorlesungen über Braunschweig. Privatrecht, Gött. 1832. — Die rückwirkende Kraft neuer Strafgesetze, ebendas. 1834. — Ge­ schichtserzählungen aus Kriminalalten, 1835. — Lehre vom Versuche der Verbrechen, ebendas. 1836—1839. — Grundlinien des gemeinen Deutschen Kriminalprozeffes, ebendas. 1837. — Deutsches Staats- und Bundesrecht, ebendas. 1841—1845, 3. Aust. 1865—1867. — Die Ge­ brechen und die Reform des Deutschen Strafverfahrens, ebendas. 1846. — Zur SchleswigHolsteinischen Frage, ebendas. 1847. — Die Schweizerische Eidgenoffenschaft, der Sonderbund und die Bundesrevision, ebendas. 1848. — Die Rechtswidrigkeit der Reaktivirung der 1848 aufgelösten Deutschen Bundesversammlung, ebendas. 1850. — Das mündliche öffentliche Dersahren mit Geschworenen im Königreich Hannover, ebendas. 1850. — Rechtliche Beleuchtung der Kurhesfischen Septemberverordnungen, ebendas. 1851. — Votum über die neuesten Vorlagen der Hannoverschen Regieruna, die Abänderung des Verfassungsgesetzes betr., ebendas. 1853. — Die Deutschen Verfassungsgesetze der Gegenwart, ebendas. 1855—1863. — Der Koburger Untersuchungsprozeß gegen L. Hannibal Fischer, ebendas. 1857. — Denkschrift, den privil. Gerichts­ stand der Standesherren in Bayern in Strafsachen betr., Nürnb. 1858, Nachtrag 1860. —

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Zahlungsbefehl.

DaS rechtliche Verhältniß d. fürstlichen Kammergutes, Gött. 1861. — Haudb. d. Deutschen StrafaeS, 2 Bde., ebendas. 1861—1868. — DaS SuccesstonSrecht im Gesammthause Braunschweigrrg, Leipz. 1862. — Zur Kritik der Bohlmanu'schen Denkschrift über die Ansprüche PreutzenS aus Braunschweig, Gött. 1862. — Staatsrechtliches Votum über die SchleswigHolsteinische Succesfionsfrage, Gött. 1863. — Ueber Art. 84 der Preuß. VerfassungS-Urkunde, Leipz. 1866. — Das Eigenthumsrecht am Deutschen Kammergute, Gött. 1867. — Denkschrift über den territorialen Umfang der standesherrlichen Vorrechte in Deutschland, Donaueschingen 1867. — Hochverrathsprozeß Platen-Hallermund, Münch. 1868. — Die Verfassungsänderung nach Art. 78 der Norddeutschen Bundesverfassung, Braunschw. 1869. — Zur Frage von der Reichskompetenz gegenüber dem Unfehlbarkeits-Dogma, Braunschw. 1871. — DaS moderne Schöffengericht (Heft 12 der Deutschen Zeit- und Streitftagen von v. Holtzendorff und Oncken), Berlin 1872. — Denkschrift betr. Herzogthum Arenberg-Meppen, Hann. 1872. — Diele Abhandlungen im Archiv des Kriminalrechts, deffen Mitherausgeber er war (1838, 1839, 1840, 1841, 1842, 1843, 1845, 1846, 1850, 1851), in Goltdammer's Archiv Bd. 111., V., XIX., im Gerichtssaal IX., XX., XXL, in Zeitschrift für die ges. Staatswissenschaft 1866. — Aegidi's Ztschr. für Deutsches Staatsrecht, 1867 u. a.

Lit.: Krit. V.J.Schrift XVII. 479—484. - Gerichtösaal XXVII. (1875) S. 505—516. Teichmann.

Zahlungsbefehl, mandatum de solvendo (v. Bar, Suppl. Th. I. S. 75), ist ein richterlicher Befehl, durch welchen in der Exekutionsinstanz dem Beklagten vor der Verhängung der eigentlichen Exekutionsmaßregeln aufgegeben wird, binnen bestimmter Frist bei Vermeidung der Exekution den Kläger freiwillig zu befriedigen. Eben darum hat es nicht blos mandata de solvendo, sondern auch de restituendo rc. gegeben, je nach der Natur der Rechte, um deren Exekution es sich handelte. Insofern die Exekution auf die Titel des rechtskräftigen Urtheils und der confessio in jure hin im Mittelalter gewährt wurde, kam in Italien der Gebrauch auf, sich über eingegangene Schuldverhältnisie zunächst vor dem Richter und später vor dem Notar ein Bekenntniß ablegen und dieses sammt einem Zahlungsbefehl des Richters, später auch des Notars, in die Schuldurkunde aufnehmen zu lassen, um auf solche Weise sich die Möglichkeit zu verschaffen, ohne vorgängigen Rechtsstreit sofort zur Exekution zu gelangen. Aus solchen instrumenta confessionata sive guarentigiata, deren Er­ fordernisse im Laufe der Zeiten auf eine vertragsmäßige causa und ein Zahlungs­ versprechen reduzirt wurden, ward der Mandatsprozeß gegeben, welcher auf Antrag mit einem mandatum de solvendo eröffnet wurde und, wenn daffelbe unbefolgt blieb, zu weiteren Exekutionsmaßregeln führte. Die Mandate, die indessen auch auf andere causae hin erlangt werden konnten, wurden gelegentlich mit dem Zusatze erlassen, daß, wenn der Beklagte Gründe habe, weshalb er dem Befehl nicht nach­ kommen zu dürfen glaube, er dieselben binnen der Paritionsfrist anzubringen habe. Der so entstandene Unterschied zwischen mandata sine clausula und cum clausula hat manche Rechtslehrer veranlaßt, zwischen unbedingtem und bedingtem Mandats­ prozeß zu unterscheiden und letzteren auf bloßen Wahrscheinlichkeitsbeweis für den Anspruch oder da, wo keine Einreden zu erwarten seien, zu gestatten. Dieses letztere Verfahren mit bedingten Mandaten hat unter dem Namen Mahnverfahren in die Hannoversche Bürgerliche Prz.O. Eingang gefunden und ist aus dieser unter demselben Namen in die Deutsche EPO. übergegangen. Mit ihm ist der bedingte Z. in die Deutsche EPO. gelangt, der wie früher durch einfachen Widerspruch des Schuldners beseitigt wird, eventuell aber zu einem Vollstreckungsbefehl führt, der vorläufige Vollstreckbarkeit besitzt, gegen welchen aber noch, da er einem Versäumnißurtheil gleichgestellt ist, der Französische Einspruch möglich ist. Einspruch wie Widerspruch leiten die Sache in das gewöhnliche land- oder amtsgerichtliche Verfahren hinüber. Im Uebrigen ist der Z. aus dem Rechte der EPO. und namentlich auch aus der Zwangsvollstreckung verschwunden, deren Bollstreckungsklausel mit dem Z. in keinerlei Zusammenhang steht. Vgl. den Art. Mahnverfahren. Lit.: Briegleb, Geschichte des Exekutivprozesses, 2. Ausl. 1845, Bd. I. §§ 10 ff. K. Wreding.

Zahlungseinstellung.

1871

Zahlungseinstellung, cessation de paiements, ist die auf Zahlungsunver­ mögen beruhende Unterlaffung der Befriedigung berechtigter und fälliger Forderungen. Im Französischen Recht, welches nur bei Kaufleuten einen Konkurs kennt, ist die Z. die einzige Boraussetzung des Konkurses, der bei ihrem Eintritt sofort von Amtswegen eröffnet wird: die Deutsche KO., welche zwischen Kaufleuten und anderen Schuldnern nicht unterscheidet, knüpft an sie zu Gunsten des auf Konkurs antragenden Gläubigers eine Präsumtion des hauptsächlichsten Konkursgrundes, der Zahlungsun­ fähigkeit des Schuldners, in Konsequenz welcher sie auch die Z. hinsichtlich der Anfechtbarkeit von Rechtshandlungen und Rechtsgeschäften, welche der Schuldner zur Verkürzung der Gläubiger vorgenommen hat bzw. eingegangen ist, dem Antrag auf Konkurseröffnung und hinsichtlich der Bestrafung des Bankerutts der gerichtlichen Konkurseröffnung, wenn diese wegen unzureichender Theilungsmasse abgelehnt ist, gleichgestellt hat. Es kann fraglich erscheinm, ob die KO. eine blos thatsächliche oder eine gesetzliche Präsumtion vorgeschrieben habe. Erwägt man, daß eine that­ sächliche Präsumtion einer Hervorhebung im Gesetze nicht bedurft hätte, da das Gesetz bei ihr nichts Anderes vorschreibt, als was die Regeln der Logik und Er­ fahrung ohnehin dem Richter an die Hand geben, erwägt man ferner, daß die Form des Ausdrucks, welchen die Präsumtion im § 94 der KO. enthalten hat, eine gebietende und keine blos erlaubende ist, so könnte man versucht sein, die Präsumtion für eine gesetzliche zu halten. Nichtsdestoweniger muß man sich gegen die Annahme einer solchen entscheiden. Denn erstlich würde eine gesetzliche Präsumtion, weil sie eine gesetzliche Voraussetzung für eine bestimmte Rechtsfolge statuirt, eine genaue Bestimmung des Begriffs der Z. erheischen, um das Anwendungsgebiet der Rechtsfolge feststellen zu können; diese Begriffsbestimmung ist aber im Gesetz nicht gegeben, ja nicht einmal in den Motiven. Zweitens würde eine gesetzliche Präsumtion zum Mindesten eine praesumtio juris sein müssen und als solche den Richter ver­ pflichten, bei glaubhaftem Nachweis der Unterlassung einer oder mehrerer Zahlungm die Zahlungsunfähigkeit als erwiesen anzunehmen, es sei denn, daß der Beklagte den Beweis des Gegentheils erbrächte: statt dessen verpflichtet der § 97 der KO. das Gericht, bei Bestreitung der Zahlungsunfähigkeit oder Z. offizielle Ermittelungen vorzunehmen, also den Nachweis nicht für erbracht anzusehen. Die Präsumtion kann daher als gesetzliche nicht gemeint sein, sondern nur als thatsächliche. Bei der thatsächlichen Präsumtion, dem bloßen Indizium, kommt es nun weniger auf genaue Begriffsbestimmung des betreffenden Indiziums an, als auf die Thatsache oder auf den Begriff, welche aus ihm gefolgert werden sollen, und die größere oder geringere Sicherheit der Erfahrungsregel, mit welcher dieselben aus ihm gefolgert werden können. Kann man daher den Motiven daraus, daß sie eine genaue Bestimmung des Begriffs der Z. ablehnen, keinen Vorwurf machen, so scheinen doch manche der von ihnen zur Z. gerechneten Thatsachen, wie die gerichtliche oder außergerichtliche Jnsolvenzerklärung des Schuldners, Schließung des Geschäfts, fruchtlose Exekutionen, heimliche Entfernung und Verborgenhalten des Schuldners geradezu einen unmittel­ baren Schluß auf die Zahlungsunfähigkeit zu gestatten, so daß es als ein Umweg erscheint, aus ihnen zunächst die Z. und dann aus dieser wieder die Zahlungsumähigkeit zu folgern. Vielmehr wird man unter Z. an sich nur die außerhalb des Prozesses erfolgte Unterlassung von schuldigen und fälligen, dem Kläger oder Dritten zu leistenden Zahlungen, wo solche gefordert waren oder wegen Abwesenheit des Schuldners nicht gefordert werden konnten, zu verstehen haben, wobei es dahin gestellt bleiben mag, wieweit nach Standes-, Orts- oder Landesgebrauch Unterlaffung der Zahlung zu bestimmten allgemeinen oder periodisch wiederkehrenden Terminen als Z. auch ohne Mahnung zu gelten hat. Die Z. muß ferner, den Motiven zu­ folge, auf Zahlungsunfähigkeit beruhen, was mit Recht gefordert wird, da aus ihr au? letztere geschloffen werden soll. Die Zahlungsunfähigkeit wird von den Motiven im Gegensatz zur Insuffizienz des Vermögens oder der Ueberschuldung darin gesetzt,

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Zallveiu — ZastuS.

daß der Schuldner außer Stande fei, berechtigte und fällige Forderungen aus eigenen Mitteln oder durch Hülfe Dritter ohne Aufenthalt zu befriedigen. Hiernach wird Z. auch bei vorübergehender Zahlungsstockung trotz überschießender, aber für den Augenblick nicht zu realisirender, Werthe anzunehmen sein, weil die Gläubiger nicht zu warten verpflichtet find. Ein sicherer Schluß auf Unvermögen ferner wird sich selten auf Unterlassung einer vereinzelten Zahlung, es sei denn, daß es sich um einen erheblichen Betrag handelte, oder aus der Nichtbefriedigung geringfügiger, wenn auch mehrerer Forderungen ziehen lassen, obwol wiederum die Nichtbefriedigung selbst geringfügiger Forderungen ein sprechendes Zeugniß für gänzliches Unvermögen sein kann. Im Ganzen überhaupt werden die jeweiligm Vermögensverhältnisse des einzelnen Schuldners meist immer den Ausschlag geben müssen. Die Z. soll nur Unvermögen schließen lassen: ein solcher Schluß ist möglich, wo die Zahlung aus nichtigen Gründen verweigert wird, nicht aber wo der Forderung Gegenforderungen oder berechtigte Einwendungen entgegengesetzt werden, nicht wo Eigensinn oder Bos­ heit oder Nachlässigkeit der Nichtzahlung zu Grunde liegen und Klage und Spezial­ exekution zum Ziele führen können. Die zweite Regel der Motive geht dahin, daß die Z. eine allgemeine sein müsse, daß also nicht blos eine einzelne Zahlung, sondern alle vorkommenden Zahlungen unterbleiben sollen. Die Regel scheint jedoch weniger zuzutreffen. Im Grunde nämlich würde sie darauf hinauskommen, daß alle fälligen Zahlungen verweigert oder eine allgemeine Jnsolvenzerklärung abgegeben sein müßte; die Motive selbst aber erklären, daß die Unterlassung auch einer einzelnen Zählung und zwar selbst dann, wenn andere geleistet seien, ausreiche. Vielmehr, insofern aus der Z. auf die Zahlungsunfähigkeit geschlossen werden soll, handelt es sich darum, daß allgemeine Zahlungsunfähigkeit vorliege, ein Unvermögen also, allen laufenden Forderungen gerecht zu werden, welches auch dann vorhanden ist, wenn der Schuldner eine einzige Forderung nicht zu zahlen vermag, obwol er vielleicht andere befriedigt hat. So verstanden, dürfte die zweite Regel schon in der ersten enthalten sein und als selbständige nicht aufgesaßt werden können. Vgl. d. Art. Konkurseröffnung.

Quellen: Code de comm. art. 437 ss. — Deutsche KO. §§ 23, 26, 94, 97, 209 ff.; Mot. S. 319 ff.; Komm. Prot. S. 71 ff. Lit.: Fuchs, Deutscher Konkursprozeh, §§ 8, 23. — Kommentar zur Deutschen KO. 1.1. von v. Wilmowski, S. 224 ff.; v. Dölderndorff, Bd. I. S. 268, Bd. II. S. 144 ff.; Hellmann, § 94; v. Sarwey, § 94. K. Wieding.

Zallweirr, Gregor, 6 20. X. 1712 zu Oberaltaich, trat bei den Benedik­ tinern in Wessobrunn ein, Prior 1744, wurde 1749 ord. Prof, und Dr. jur., auch erzb. Kirchenrath in Salzburg, t 6. VIII. 1766. Bekannt durch seine Principia Juris eccl. univ. et partic. Germaniae, 1763, 1781. Lit: Schulte, Geschichte, III.a S. 218, 219.

Teichmann.

Zanger, Zohann, L 1557 zu Braunschweig, Professor zu Wittenberg, t 1607. Schriften: Tract. de exceptionibus, Viteb. 1586, 1593; cura de Senckenberg 1730, 1733. — Comment, in libri II. Decr. titulos de sent. et re judicata de appellationibus etc., Viteb. 1620, 1661. — Opera Job. Zangen quae exstant omnia, 1644. Lit.: de Wal, Beitr., Erl. 1866, S. 74. — Wehell, System des ordentlichen Civil« Prozesses, § 46. Teichmann. Zafius, Udalricus (Zäsy), 6 1461 zu Constanz, stud. zu Tübingen, wurde Gcrichtsschreiber der Kurie in Konstanz, Stadtschreiber in Freiburg i./B., trieb auf der Universität nochmals juristische Studien, wurde 1500 Doctor und Dozent, dann Prof, legum und nebenbei Stadtschreiber, t 1535. Schriften: Lucubrationes, Scholia, Antinomiae, Basil. 1518 (Scbolia ad 1. 2 d. 0. J. Colon. 1540, Lugd. 1544). — Intellectus jur. civ. singuläres denuo excusi, Frib. 1526, 1532. — In Usus feudorum epitome, Basil. 1535. — In tit I. de actionibus enarratio, Basil. 1536; ed. Freigius, Lugd. 1591. — Responsa s. Consilia I. 1538, ed. H. Ar-

Zehnten.

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tolph II. 1539, BasiL ed. Held (deutsch Basel 1574). — Singularia responsa s. intellectus jur. singuläres, Basil. 1541 (Lugd. Batav. 1545). — Opera omnia, Lugd. 1548, 1550, 1551; c. J. Mynsinger a Frundeck, Francos. 1590, 1595. — Z. entwarf die Erbordnung für die Martgrafschaft Baden (1511). sowie das Stadtrecht von Freiburg von 1520. Bit: v. Stintzing, Mrlch ZasiuS, Basel 1857; Derselbe, Geschichte der Deutschen Rechtswissenschaft, 1880, I. 165—172 u. ö. — Stobbe, Rechtsquellen, II. 9, 12, 40, 61, 306, 390. — Ri egg er, Udalr. Zasii epistolae adviros aetatis suae doctissimos, ülm. 1774. — Zasius, J. Th. Freigii h. e. in pandectas jur. civ. comm. nunc in compendium redacti, Basil. 1576. — v. Gerber, Prinzip, Jena 1846, S. 209. — Schulte, III.a S. 124. Teichmann.

Zehnten (decimae, Thl. I. S. 664) find diejmige Quote von den Ein­ künsten der Gläubigen, welche die katholische Kirche seit dem Ende des 6. Jahrh, und zwar bald als eine aus göttlichem Rechte beruhende Gebührniß gefordert hat. Der Zehnt kann demnach als die allgemeine kirchliche Steuer betrachtet werden. Mit Rücksicht daraus, daß im Mittelaller eine ganze Reihe von kirchlichen Zehntberech­ tigungen durch verschiedene Erwerbsgründe in die Hände von Laien gekommen waren, theils aber die letzteren solche auch eigenmächtig usurpirt hatten, untersagte die kirchliche Gesetzgebung des 11. und 12. Jahrh, die Veräußerung von Z., ordnete die Zurückgabe der widerrechtlich veräußerten an, und erklärte den Besitz von kirch­ lichen Z. durch Laien für eine schwere Sünde und einen Verstoß gegen das göttliche Gesetz. Nach Kanon. Recht, nicht aber nach der deutschrechtlichen Entwickelung, streitet sür das Zehntrecht des Pfarrers in seiner Parochie die Vermuthung, während für andere kirchliche Personen und Institute, welche ebenfalls Z. besitzen können, die allgemeine Regel zur Anwendung kommt, daß sie den Erwerb des Rechtes, welches, sofern es sich nicht um Pfarr-Z. handelt, aus alle möglichen Titel, also auch auf Ersitzung, gegründet werden kann, beweisen müßen. Der Pfarrzehnt erstreckt sich nach Kanon. Recht, das freilich in Deutschland nicht praktisch ist, einmal auf den persönlichen Erwerb (decimae personales), ferner auf den Enverb aus gewissen fruchttragenden Sachen (decimae reales). Letzterer ist ein Feldzehnt (decimae praediales), wenn er von den Erträgnissen der Grundstücke, ein Thier- (auch Haus-) Zehnt (decimae sanguinales), wenn er von den lebendigen Jungen der Thiere oder von den animalischen Produkten der letzteren (z. B. als Butter-, Schmalzzehnt) ge­ leistet wird. Da aber der Kanonische Sah, daß der Pfarrer zu allen diesen Arten von Z. berechtigt sei, vielfach namentlich in Deutschland nicht zur Geltung gelangt ist, vielmehr seine Zehntberechtigung sowol lokal, wie auch hinsichtlich der Arten der Z. öfters beschränkt gewesen ist, so schied man ein jus decimandi universale oder particulare, je nachdem dasselbe sich auf die ganze Gemarkung oder nur auf einzelne Theile derselben erstreckte, decimae veteres und decimae novales, je nachdem es auf die seit alter Zeit bebauten Aecker oder auch auf die neu in Kultur genommenen, feit Menschengedenken wüst liegenden Felder ging, ferner ein jus decimandi plenum s. perfectum und ein jus decimandi minus plenum oder imperfectum, je nachdem es auf alle zehntpflichtigen Fruchtgattungen oder blos aus bestimmte gerichtet war. In Verbindung damit steht der Unterschied zwischen decimae majores (Großzehnt) und decimae minores s. minutae (Kleinzehnt); zu ersteren gehören gewöhnlich alle Früchte, die der Halm trägt, also alles Sommer- und Wintergetreide, ferner aber auch Wein und Oel, während die anderen und öfters auch Blutzehnt zu den decimae minores gerechnet werden. Der Prädialzehnt hat die Natur einer Reallast und muß, während er der Natur der Sache nach von den einer anderen Religionspartei an­ gehörigen Eigenthümern der pflichtigen Grundstücke nicht gefordert werden kann, oft auch von diesen entrichtet werden. Ist der Z. in einer Feldmark überhaupt' her­ gebracht , so gilt die Vermuthung, daß ihm alle Grundstücke innerhalb derselben unterworfen sind. Eine Befreiung muß also bewiesen werden, jedoch sind nach Kanon. Recht die eigentlichen Benefizialgüter in derselben Pfarrei gesetzlich eximirt (clericus clericum non decimal). Der Zehntherr hat den Z., welcher übrigens nicht noth-

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Seiner -- Zettberechnung.

wendig gerade in einem Zehntel der Früchte zu bestehen braucht, nur nach dem jedesmaligen Ertrage des Grundstücks zu fordern, und hat auch kein Recht, den Pflichtigen zu einer bestimmten Kultur zu zwingen. Für die Regel muß der Zehnt­ herr sich den Z. abholen und zwar die Auszehntung gleich nach dem Schnitte an dem in Fruchthaufen aufgeschichteten Getreide vornehmen. Die Produktionskosten darf der Pflichtige weder bei dem Prädial-, noch Blut-Z. in Abrechnung bringen, vielmehr ist der Bruttoertrag dem Z. unterworfen. An der zu zehntenden Masie er­ wirbt der Berechtigte mit der Trennung der Frucht von der Hauptsache das Miteigenthum zu der seiner Berechtigung entsprechenden Quote und kann dieses also im Fall einer vor der Auszehntung erfolgten Veräußerung gegen jeden dritten Erwerber einzelner zehntpflichtiger Quantitäten mit der actio communi dividundo verfolgen. Das Zehntrecht überhaupt kann der Zehntherr posiesiorisch und petitorisch (mit einer confessoria utilis) geltend machen, während demjenigen, welcher die Freiheit be­ hauptet, die actio negatoria zusteht. Das Zehntrecht wird durch rechtsgültige Ver­ träge ganz oder auch für einzelne Pflichtige beseitigt r ebenso ist eine Ersitzung der Freiheit von demselben möglich. Für die evangelische Kirche kommen die eben ge­ dachten Vorschriften des Kanon. Rechts mit den durch die deutschrechtliche Ent­ wickelung hervorgebrachten Abänderungen ebenfalls zur Anwendung, und die Par­ tikularrechte haben im Wesentlichen dieselben Grundsätze kodifizirt. In Folge der modernen Agrargesetzgebung (s. diesen Art.) sind aber die Z. vielfach unpraktisch geworden, indem sie theils in eine feste Geldrente verwandelt, theils auf andere Weise abgelöst worden sind. Freilich ist in einzelnen Staaten, nachdem man die Ablösbarkeit der Kirchenlasten in Folge der Bewegungen des Jahres 1848 im weitesten Umfange zugelassen hatte, diese später wieder eingeschränkt (Preußen) oder die Ablösung ganz sistirt worden (Oesterreich). Quellen: Tit X. de decim. III. 30; tit. VB» eod. III. 13; tit. Clem. eod. in. 8; tit Extrav. comm. eod. III 7. — Cod. Maxim, bavar. II. cap. 10. — Preuß. Allg. LR. Thl. II. Tit. 11 §§ 857 ff. — Die Ablösungsgesetze bei Richter, Kirchenrecht, § 315, und Schulte, Lehrb., 2. Aust. S. 504 angeführt. Lit.: Birnbaum, Rechtliche Natur der Zehnten, historisch entwickelt, Bonn 1831. — Kühlenthal, Geschichte der Deutschen Zehnten, Heidelb. 1837. — Göschl, Ueber den Ur­ sprung des kirchlichen Zehnten, Aschaffenb. 1837. — S. C. Wagner, Das Zehntrecht, Berl. 1815. — v. Sicherer, Der Zehnt nach dem gemeinen Deutschen und Bayerischen Recht, Neu­ burg 1845. — Zachariä, Die Aufhebung, Ablösung und Umwandlung des Zehnten, Heidelb. 1831. P. Hinschius.

Zeiller, Franz Aloys Edler von, K 1751 (1753?) zu Graz, wurde Prof, der Rechtswissenschaft, Mitglied der Hofkommission in Justizsachen, Rektor der Universität Wien, f 23. VIII. 1828 zu Hietzing. Schriften: Dias, ad 1. 6 Inst. 1, 26, 1778. — Praelect acad. ad Heineccii eiern, jur. civ., 1781. — Das natürliche Prozeßrecht, 1802, 3. Aust. 1818. — Jährliche Beiträge zur Gesetzeskunde und Rechtswissenschaft in den Oesterreich. Erbländern, Wien 1806—1809. — Boro, zur neuesten Oesterreich. Gesetzestunde im Straf- und Civiljustizfache, 1810, 2. Aust. 1811. — Kommentar über das Allgem. BGB. 1812, 1813. — Bemerkungen über den Geist der neuesten Oesterreich. Strafgesetzgebung (Bl. für die Oesterr. Kaiserstaaten, I. 1808). Lit.: Neuer Nekrolog der Deutschen, Bd. 6 S. 957, Nr. 968. — Harrasowsky, Geschichte der Kodifikation des Oesterreich. Civilrechts, Wien 1868, S. 163. Teichmann.

Zeitberechuuna. Indem der Ablauf bestimmter Zeitfristen oder die Erreichung bestimmter zeitlicher Termine vielfach von rechtlicher Bedeutung ist, ist die Frage nach ihrer Berechnung nicht nur rechtlich erheblich, sondern sie ist auch selbst zum Gegenstände rechtlicher Normirung geworden. Erfolgt aber jede Anordnung einer Frist* oder eines Termines durch Verweisung auf bestimmte für den Ablauf der Frist oder die Erreichung des Termines maßgebende Zeitabschnitte, so erhebt sich die doppelte Frage nach der Beschaffenheit dieser Zeitabschnitte und nach der Art ihrer entscheidenden Bedeutung für das durch Verweisung auf sie bestimmte Zeit­ verhältniß.

ZeUberechnuug.

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L Das Römische Recht statuirt: A. als entscheidend den Kalendarischen Zeit­ abschnitt des von Mitternacht zu Mitternacht reichenden Tages. Der Kalendertag heißt daher dies civilis oder der Tag im Sinne des Rechtes, insbesondere des Privatrechtes, im Gegensatze zum naturalis dies oder zur Zeit vom Sonnen­ aufgang zum Sonnenuntergang. Zum natürlichen Tage verhält sich der bürgerliche als künstliche Erweiterung desielben durch Annexion der angrenzenden Rachthälften, weshalb sein Anfang und Ende von dem des natürlichen Tages verschieden, sein Mittelpunkt dagegen (meridies) mit dem des bürgerlichen Tages identisch ist (Censor, de die nat. 23, 11; Gell. n. a. III. 2; 1. 8 D. fer. 2, 12). Wenn die Neueren dem Kalendertage den beweglichen Tag entgegensetzen, d. h. unter einem Tage auch einen zu beliebiger Tageszeit beginnenden Zeitabschnitt von der Länge eines Tages verstehen, so ist diese Auffassung dem Sprachgebrauche des Röm. Rechtes vollständig fremd. Daß daher ein Rechnen nach Tagen irgend etwas anderes bedeuten könnte als ein Rechnen nach Kalendertagen, ja daß ein wirklich genaues Rechnen nach Tagen nur dasjenige fei, welches den Tag als einen zu beliebiger Tageszeit beginnenden Zeitraum von der Länge eines Tages behandle, dieses Axiom der meisten Neueren ist der Römischm Anschauung ebenso zuwider, wie die Bezeichnung dieser Berechnungs­ weise als der naturalis im Gegensatze zur civilis computatio, welche auf die Zeitberechnung in einem gänzlich unrömischen Sinne die Römische Entgegensetzung eines naturalen und eines civilen Begriffes des wichtigsten Zeitabschnittes überträgt. Nach Tagen rechnet nur das Röm. Recht in dem doppelten Sinne, daß es Zeitunterschiede innerhalb des Tages nicht berücksichtigt (1. 16 § 8 D. de pign. 20, 1) und unter Jahren und Monaten nicht wirkliche Kalenderjahre und Kalendermonate, sondern Summen von Tagen versteht. Daß im Röm. Rechte die Bezeichnung des Jahres und des Monats lediglich eine Kollektivbezeichnung für eine bestimmte Zahl von Tagen ist, stellt diese Bezeichnungen in den schärfsten Gegensatz zu der des Tages; denn mensis und annus bedeutet in der Sprache der civilis computatio immer eine bestimmte mit einem beliebigen Tage beginnende Summe von Tagen, dies dagegen bezeichnet nie eine bestimmte zu einer beliebigen Stunde beginnende Summe von Stunden, wie ja auch nach Römischer Sitte gar nicht der Kalendertag, sondern der natürliche Tag und die Nacht in Stunden zerfällt, so daß für die Stundenzählung die Grenze des Kalendertages gar nicht existirt und die Länge der Tages- und der Nachtstunden mit der Jahreszeit wechselt. Es ist aber a) die Jahresbezeichnung gemeint als Bezeichnung einer Summe von 365 Tagen (1. 134 D. de v. s. 50, 16). Mit der wirklichen, im Schaltjahre diese Zahl von Jahren überschreitenden Jahresdauer ist dies dadurch in Uebereinstimmung gebracht, daß der Schalttag (dies intercalaris) nicht als eigener Tag gezählt wird. Wie nämlich im Römischen Kalender der Schalttag keine eigene Zahlbezeichnung hat, sondern als bisextum Kalendas Martias dem 24. Februar (a. d. VI. Kal. Mart.) an­ gehängt ist, so wird er rechtlich mit diesem durch die Einschaltung verdoppelten Tage identifizirt. Bestritten ist aber, ob die Einschaltung erfolge vor oder hinter dem 24. Februar des Gemeinjahrs; doch ist die letztere Annahme aufs Bestimmteste bezeugt in 1. 3 § 3 D. de min. 4, 4 mit den Worten: posterior dies intercalatur. Daß mit Rücksicht auf die Römische Art von den Kalenden des nächsten Monats rückwärts zu rechnen, unter dem posterior dies der frühere, unter dem prior dies der spätere zu verstehen sei, ist eine durchaus unzutreffende Behauptung; wird doch der den Kalenden vorhergehende Tag als pridie Kalendas und damit im Verhältniß zu den Kalenden als prior dies bezeichnet. b) Die Monatsbezeichnung eignet sich wegm der wechselnden Länge der einzelnen Monate nicht zur genauen Bezeichnung einer bestimmten Zahl von Tagen. Während daher Jahresfristen schon in den zwölf Tafeln vorkommen, kennt die ältere Gesetzgebung Fristen von der Dauer eines Monats nur in der Weise, daß sie die Zeit eines Monates auf die bestimmte Zahl von 30 Tagen reduzirt. Als dann bei abnehmender

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Zeitberechrmrig.

Genauigkeit der Gesetzessprache die Anordnung von Monatsfristen aufkam, war es Sache der Interpretation, die nicht mehr vom Gesetze selbst vollzogene Reduktion des Monats auf eine bestimmte Zahl von Tagen vorzunehmen. Die Zahl von 30 Tagm ergab sich hierbei aus der von Alters her üblichen Anordnung dreißigtägiger Fristen in Verbindung mit dem Umstande, daß sie sowol eine runde Zahl als auch diejenige Zahl von ganzen Tagen ist, welche der durchschnittlichen Länge der Monate am nächsten kommt (1. 12 § 6 verglichen mit 1. 30 § 5 D. ad leg. Jul. de adult. 48, 5). Immer ist jedoch die Monatsbezeichnnng eine ungenaue Bezeichnung einer bestimmten Zahl von Tagen, welche nur im Zweifel in der angegebenen Weise zu verstehen ist; ergiebt die einzelne Bestimmung hinreichende Anhaltspunkte für eine andere Auf­ fassung, so ist diese vorzuziehen. So scheint es in dem uns nicht überlieferten Falle der 1. 101 de R. Jur. 50, 17 dem Sinne der fraglichen Bestimmung entsprochen zu haben, die in ihr genannten 2 Monate als 61 Tage zu verstehen. B. Tas Rechnen nach Tagen ist ein Rechnen von einem bestimmten Kalender­ tage zu einem bestimmten Kalendertage. Sollen die Tage gezählt werden von einem bestimmten Ereignisse an, so ist nothwendig der Tag dieses Ereignisses derjenige, von dem an gezählt wird. Fraglich erscheint aber, in welchem Sinne von ihm die Zählung auszugehen hat, ob nämlich die erforderliche Zahl von Tagen zu ihm hinzu­ zuzählen oder ob er selbst schon als der erste, dieser Tage zu zählen ist. Ebenso erhebt sich sodann für den letzten oder denjenigen Tag, mit welchen: die erforderliche Zahl voll wird, die Frage, ob sein Anfang oder erst sein Ablauf entscheidet. Rach Röm. Recht wird nun derjenige Tag, von welchem die Zählung ausgeht, stets mit gezählt, während derjenige Tag, welcher dadurch als der letzte sich er­ giebt, in gewissen Fällen abgelaufen, in anderen nur angebrochen sein muß. Jede Bestimmung einer Frist nach Tagen hat hier die Bedeutung, daß Anfang und Ende der Frist innerhalb der bestimmten Zahl von Tagen liegen, so daß der Anfang in den ersten, das Ende auf den letzten Tag fällt. Jene Einrechnung des Anfangstages sowol, als die verschiedene Behandlung des letzten Tages nach Verschiedenheit der Fälle beruht darauf, daß jede Fristbestimmung ausgesaßt wird als Bestimmung eines Termines; die Bestimmung einer Frist von x Tagen ist nach Röm. Recht nichts anderes, als die Bestimmung des xten Tages, als des für eine rechtliche Ver­ änderung entscheidenden Termines. Die Firirung des hiernach entscheidenden Zeit­ punktes ergiebt sich a) durch die Röm. Sitte bei der Bestimmung des Verhältnisses zwischen zwei Gliedern einer Reihe nicht nur die Mittelglieder zu zählen, sondern die Endpunkte mitzuzählen. So ist nach Römischer Zählung der 10. Januar, vom ersten an gerechnet, nicht erst der neunte, sondern schon der zehnte Tag, d. h. der Römische Sprachgebrauch erblickt in ihm nicht sowol den neunten der an den ersten sich an­ reihenden, als den zehnten der mit ihm eine Reihe bildenden Tage (1. 1 §§ 5, 6 D. q. appell. 49, 4). b) Ist der entscheidende Termin der letzte Tag der mit den: Anfangstage beginnenden Reihe, so ist er entweder der Anfangstermin oder der Endtermin einer rechtlichen Wirkung, indem eine solche entweder mit ihm eintreten oder mit ihm erlöschen soll; im ersten Falle ist der Zeitpunkt ihres Eintrittes der Anbruch, im letzten der Zeitpunkt ihres Erlöschens der Ablauf des entscheidenden Tages. Soll etwas bis zu einem bestimmten Tage dauern oder von einem bestimmten Tage an eintreten, so Pflegen wir zu fragen, ob diese Bestimmung zu verstehen sei ausschließlich oder einschließlich des entscheidenden Tages. Indem aber der Römische Sprach­ gebrauch jede solche Bestimmung unter Einschluß des entscheidenden Tages versteht,

existirt dasjenige Verhältniß, welches bis zu einem bestimmten Tage dauern soll, gerade noch an diesem Tage als dem letzten seines Bestehens; ebenso eristirt aber dasjenige Verhältniß, welches von einem bestimmten Tage an bestehen soll, schon an diesem Tage, als dem Tage seiner Entstehung (1. 49 D. de cond. 35, 1).

Zettberechnung.

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Ist ein Termin zugleich Anfangs- und Endtermin, indem sowol der Eintritt als das Aufhören rechtlicher Wirkungen mit ihm verbunden ist, so entscheidet die­ jenige Bedeutung desselben, welche als die Prinzipale erscheint. Dies findet ins­ besondere Anwendung: 1) Auf Verjährungsfristen, a) Der Tag, an welchem eine Forderung verjährt, ist ein reiner Endtermin für deren Existenz; die Forderung erlischt daher erst durch seinen Ablauf (1. 6 D. de obl. et act. 44, 7). b) Durch Ersitzung entsteht und erlischt gleichzeitig Eigenthum, jedoch so, daß das bisher bestandene Eigenthum verdrängt wird durch das neu entstehende des Usukapienten; der Wechsel des Eigenthums erfolgt daher mit dem Anbruche des letzten Tages (1. 15 pr. D. de div. temp. praescr. 44, 3). Richtiger Ansichtnach besagen dasielbe 1. 6 und 7 v. de usurp. et usucap. 41, 3. c) Indem die Verjährung dinglicher Klagen bedingt ist nicht nur durch die Unterlasiung ihrer Anstellung seitens der Berechtigtm, sondern durch den ununter­ brochenen Besitz einer zusammenhängenden Kette von Rechtsnachfolgern, beruht die Unmöglichkeit fernerer Klage auf dem wegen seiner Dauer dem Besitze zu Theil werdenden Schutze, tritt daher schon ein mit dem Anbruch des letzten Tages. 2) In Beziehung auf Alterstermine erscheint a) die beginnende pubertas als Anfangstermin der vollen Handlungsfähigkeit; daß mit ihr zugleich die tutela impuberum erlischt, ist lediglich eine Konsequenz ihrer Prinzipalen Bedeutung (1. 5 v. qui test. fac. 28, 1). b) Der Ablauf der minor aetas ist nach Röm. Rechte Endtermin der in integrum restitutio und cura minorum, weshalb in 1. 3 § 3 D. de min. als selbstverständlich vorausgesetzt wird, daß die minor aetas nicht vor dem Ablaufe des letzten Tages des fünfundzwanzigsten Lebensjahres erlischt. 3) Von selbst versteht sich das Erforderniß des Ablaufes des letzten Tages a) für alle Präklusivfristen, welche stets erfordern, daß eine Handlung spätestens an einem bestimmten Tage erfolge (1. 1 § 9 de succ. ed. 38, 9). b) Ist ausdrücklich nicht die Erreichung, sondern die Ueberfchreitung eines Ter­ mines verlangt, so bedarf es natürlich dieser (1. 3 D. de iur. immun. 50, 6). Hierher gehört auch der Fall einer erforderlichen Altersdifferenz, welche nur gewahrt ist, wenn die Geburt der fraglichen Personen nicht innerhalb der bestimmten Zahl von Tagen erfolgt ist. C. Eine ausnahmsweise Erweiterung der nach obiger Berechnung sich ergebenden Länge rechtlicher Fristen statuirt das Röm. Recht 1) für einen Fall durch Berücksichtigung der Tageszeit, indem die in integrum restitutio minorum noch zugelaffen wird wegen der am Geburtstage vor der Tages­ zeit, zu welcher vor 25 Jahren die Geburt erfolgt war, eingetretenen Schädigung (1. 3 § 3 v. de minoribus 4, 4). 2) Bei einer Reihe von Präklusivfristen werden diejenigen Tage nicht mit­ gezählt, an welchen wegen eines vorübergehenden Hindernisses die Vornahme der Handlung nicht möglich war. Indem hier nur die dies utiles mit gezählt werden, ist die so berechnete Frist ein utile im Gegensatze zum continuum tempus. Utiliter berechnet werden solche Fristen, welche von Rechtswegen laufen für Hand­ lungen in iure und nicht über ein Jahr betragen (1. 2 pr. D. quis ordo 38, 5). Justinian hat eine Reihe solcher Fristen erweitert und in tempora continua ver­ wandelt (1. 8 C. de dolo 2, 20; 1. 7 C. de temp. i. i. r. 2, 52). II. Keine Uebereinstimmung herrscht darüber, inwieweit die geschilderten vielfach selbst bestrittenen Grundsätze des Röm. Rechts in unser Recht übergegangen find. 1) Bezüglich der Reduktion der Jahres- und Monatsbezeichnung auf Tage ist bestritten: a) welcher Tag des Schaltjahres nach heutigem Recht nicht mitzuzählen ist. Der heutige Kalender rückt den im Gemeinjahre auf den 24. Februar fallenden Matthiastag im Schaltjahre auf den 25., behandelt also als Schalttag den diesem v. Holtzendorff, Gnc. II. Rechtslexikon III. 3. Aufl.

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Zeitverechrrung.

vorhergehenden in Uebereinstimmung mit derjenigen Annahme, welche bezüglich des Röm. Rechts bis in die neueste Zeit herrschte. Der heutigen fortlaufenden Zählung der Tage und dem gemeinen Bewußtsein der Gegenwart entspricht es jedoch allein, als denjenigen Tag des Schaltjahres, welcher dem gemeinen Jahre fehlt, den 29. Februar zu behandeln, so daß sowol jeder Tag des Schaltjahres dem gleich­ namigen Tage des gemeinen Jahres als auch der letzte Februar des Schaltjahres dem letzten Februar des gemeinen Jahres entspricht. b) Im Zusammenhänge mit der den Römern fremden fortlaufenden Zählung aller Tage eines Monats steht man vielfach im heutigen Leben als maßgebend für die Frist eines Monates nicht eine sich immer gleichbleibende, sondern diejenige Zahl von Tagen an, welche im konkreten Falle den innerhalb der Frist ablaufenden Monaten zukommt, so daß die Zahl der einem Monate zukommenden Tage ab­ gelaufen ist mit der Wiederkehr des dem Anfangstage gleichnamigen Tages des nächsten Monats oder, falls dieser jene Zahl nicht erreicht, mit dem Ablauf des Monats. Ob rechtsgeschäftlich angeordnete Monatsfristen so zu verstehen sind, ist eine Frage der Auslegung; für die von Rechtswegen laufenden ist dagegen eine Aenderung der Römischrechtlichen Bestimmungen um so weniger anzunehmen, da diese auch in neueren Gesetzen wiederkehrt und nicht zu vermuthen ist, daß das Recht unter der für eine Anzahl von Tagen gebrauchten abkürzenden Benennung eines Monats eine nach den Umständen des konkreten Falles wechselnde Anzahl von Tagen verstehe. 2) In Ansehung der Art nach Tagen zu rechnen existirt a) keine feste Sitte bezüglich der Einrechnung des Anfangstages. Zwar hat unser Sprachgebrauch vorwiegend die Neigung, den Anfangstag nicht mitzurechnen; dieselbe ist aber keine ausschließliche, indem z. B. die ein- oder mehrtägige Gültigkeit von Eisenbahnbillets stets verstanden wird unter Einrechnung des Anfangstages. Daß dieser nicht mit­ gezählt werden soll, ist daher nach Gem. Recht nur bei solchen Fristen anzunehmen, bei welchen durch Gesetz oder Gewohnheitsrecht diese Behandlung feststeht, wie namentlich bei Prozeßfristen. Allgemein wird der Anfangstag nicht mitgezählt nach Preußischem, Französischem und Sächsischem Rechte. b) Die Annahme, daß irgend eine Frist schon mit Anbruch ihres letzten Tages ablaufe, ist unserem Rechtsbewußtsein gänzlich fremd. Begnügt sich vielfach das Röm. Recht mit der Erreichung einer bestimmten Zahl von Tagen, ohne den Ablauf des letzten Tages zu fordern, so sieht unser Rechtsbewußtsein in jeder Frist einen Zeit­ raum, welcher ganz durchmessen sein muß, um die mit seiner Erfüllung verbundenen Wirkungen zu äußern. Unser Rechtsbewußtsein hat schon deshalb die davon ab­ weichende Römische Behandlung sich nicht angeeignet, weil sie bis in unser Jahr­ hundert hinein nicht erkannt wurde. Bezüglich der Ersitzung wird sie noch heute für das Röm. Recht selbst nur von Wenigen anerkannt und für Alterstermine wider­ spricht es nicht nur dem allgemeinen Bewußtsein, irgend eine mit der Vollendung eines Jahres verbundene rechtliche Wirkung vor dem Anbruch des das nächste Lebens­ jahr eröffnenden Geburtstages zuzulaffen, sondern es widerstrebt auch dem heutigen Rechte, den Termin der Pubertät anders zu berechnen, als den ihm für das Gem. Recht ganz analogen der Volljährigkeit. Das Preuß. Recht begnügt sich bei dem an ein bestimmtes Alter geknüpften Rechtserwerbe mit dem Anbruche des (ohne Mit­ zählung des Anfangstages berechneten) letzten Tages. 3) Die besondere Behandlung des die Restitution begründenden Alters und des der neueren Gesetzgebung fremden tempus utile besteht als Singularität von geringer Tragweite fort; etwas dem tempus utile Aehnliches hat die Allg. Deutsche WO. Art. 92 angeführt, nach dessen richtigem Verständniß bei Berechnung der Protest­ frist Sonn- und allgemeine Feiertage nicht mitgezählt werden.

Quellen: D. de fer. 2, 12; de div. temp. praescr. 44, 3. — Preuß. LR. I. 3 §§ 45 ff. — BGB. für das Königr. Sachsen §§ 82—87.

Zeitkauf.

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Lit.: Rücker, Diss. de dvili et naturali temporum computatione in jure. 1749. — Koch, Belehrungen über Mündigkeit zum Testiren, Civuzeitkomputation n. Schalttag, 1796 ;Derfelbe, Bestätigung der Belehrungen rc.. 1798. — Erb m H ugo'S Magazin V. S. 91 ff., 1814. — Schweppe im Jurist. Magazin 1.1,1818. —Löhr im Civ. Arch.XI.410 ff., 1828. — Rein­ felder, Der annus civilis des Römischen Rechts, 1829. — Bachofen, Zeitschr. für Civ.R. u. Proz. XVIII. S. 38 ff., 335 ff., 1843. — Krüger, D. de temporum computatione Romanorum, 1861; Derselbe, Krit. Vers, im Gebiete des Römischen Rechts, S. 59 ff., 1870. — Hölder, Die Theorie der Zeitberechnung nach Römischem Recht, 1873. — v. Saviany, System, IV. S. 335 ff. — v. Dangerow, Pandekten, § 196. — Windscheid, § 103. — v. Wächter, Württemb. Privatrecht, S. 823 ff.; Derselbe, Pandekten, I. 478 ff. — Unger, Oesterreichisches Privatrecht, II. § 106. — Stobbe, Deutsches Privatrecht, I. S. 68. — Roth, I. S. 86. — Dernburg, Preutz. Privatrecht, I. S. 69 ff. — Ueber den Schalttag: Arndts in.Mommsen, Jahrb. des Gemeinen Rechts, 1IL S. 286 ff., 359 ff. Hölder.

Zeitkauf ist ein Kaufvertrag, bei welchem entweder die Zahlung des Kauf­ preises oder die Lieferung der Waare vereinbamngsmäßig — aus Zeit — aufge­ schoben ist. I. Ist die Zahlung des Kaufpreises durch den Vertrag ausgeschoben, so liegt ein Z. vor, zu welchem im Gegensatz stehen: der Baarkauf (Kauf Zug um Zug, Kauf per contant, per Cassa, Kontantkauf) einerseits und der Pränumerations­ kauf (Kauf gegen Vorausbezahlung) andererseits. Der Z. in diesem Sinne heißt auch Kauf auf Kredit, auf Borg, auf Zeit, auf Ziel, seine juristische Eharakterisirung erhält er dadurch, daß die Zahlung des Kaufpreises im Z. von vornherein, bis nach der Uebergabe der Waare aufgeschoben, gefristet, der Kaufpreis demnach kreditirt ist. Durch vertragswidrigen Verzug des Käufers bei Zahlung des Kaufpreises kann ein als Baarkauf abgeschloffenes Geschäft nicht einseitig in einen Z. umgewandelt werden; ebensowenig liegt ein 3. in dieser technischen Bedeutung vor, wenn auch die Ucbergade der Waare aufgeschoben und dabei nur vereinbart ist, daß die Zahlung nicht vor der Uebergabe der Waare gefordert werden kann (in letzterem Falle liegt ein „befristeter Kauf Zug um Zug" vor). Möglich ist, daß ein Z. in dem gleich nachher (unt. II.) zu erörternden Sinne, also mit Auffchub der Waarenlieferung, zugleich ein Z. in dem ersten Sinne, nämlich mit Kreditirung des Preises, ist, wobei vorauszusehen ist, daß der Aufschub der Preiszahlung — die Kreditwirkung — erst beginnt mit der Effektuirung der Waarenlieferung, denn andernfalls ist das Geschäft trotz der Auf­ schiebung der Lieferung als ein Baar- oder gar als Pränumerationskauf zu erachten. (Vgl. Entsch. d. ROHG. Bd. XL S. 85.) Die Rechtsvermuthung, welche vom Gesetz aufgestellt ist, spricht weder für den Z. noch für den Pränumerationskauf; sondern, sofern nicht ein Anderes durch die Natur des Geschäfts bedingt oder durch Vertrag oder Handelsgebrauch bestimmt ist, muß der Kaufpreis bei der Uebergabe der Waare entrichtet werden; folglich ist der Kauf präsumtiv ein „Kauf Zug um Zug"; doch kann eine Zahlungsfrist auch stillschweigend gewährt, der Zahlungskredit durch konkludente Handlungen eingeräumt werden, und eine solche stillschweigende Ver­ abredung eines Z. kann insbesondere schon dann angenommen werden müffen, wenn in den von denselben Kontrahenten vorher schon abgeschloffenen Kaufverträgen der­ selben Branche Kredit gegeben worden war. Das Regelmäßige ist in vielen Handels­ zweigen die Existenz einer einen oder mehrere Monate umfaßenden Kreditfrist; diese ist durch die Usance häufig derart allgemein, daß in scheinbarem Widerspruch mit der gesetzlichen Vermuthung — bei Mangel anderweiter Verabredung die nach Ort und Waarengattung übliche Zahlungsfrist als stillschweigend gewollt anzunehmen ist; diese Annahme stützt sich richtig auf Vertragsauslegung, nicht auf Gewohnheits­ recht. Ebenso ist es Frage der Auslegung des Parteiwillens, wie lange sich die Zahlungsfrist erstreckt. Man wird annehmen müffen, daß zunächst wenn der Vertrags­ wortlaut Zweiiel übrig läßt, das Ortsübliche als gewollt anzusehen sei, eventuell dann die besonderen Umstände des Falles, der Grund der Kreditirung, die Möglich­ keit der Weiterveräußerung, wenn als gewollt gilt, daß der Erlös hieraus zur 87*

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Zeitkauf.

Zahlung des Kaufpreises verwendet werden soll u. dgl. Die Verabredung, daß der Kaufpreis „nach Beliebm", „nach Bequemlichkeit", „nach Beliebm und Möglichkeit" bezahlt werden solle, bewirkt zunächst eine Kreditirung des Kaufpreises bis zum Ablauf der orts- oder brancheüblichm Kreditfrist und dann noch dazu die Gewährung einer nach den Umständen zu bemeßenden billigen Wartefrist (Entsch. d. ROHG. Bd. II. S. 185; v. Hahn, Komm. Bd. II. S. 265. Anm. 8). Streitig kann werden, in welchem Momente die Zahlungsfrist zu laufen beginnt, wenn die „Uebergabe" der Waare mehrere zeitlich von einander getrennte Momente umfaßt (wie z. B. beim Distanzkauf), die Absendung und die Ablieferung; es ist zu unterscheiden: Besteht durch Uebung, Vertrag oder Ortsrecht eine Kreditfrist, so beginnt dieselbe im Zweifel bereits mit dem Tage der beginnenden Uebergabe, also der Absendung der Waare (Entsch. des ROHG. Bd. II. S. 377, Bd. VI. S. 168). Ist jedoch keine Kreditirung des Kaufpreises anzunehmen, sondern der gesetzlichen Vermuthung ent­ sprechend „ein Kauf Zug um Zug" als gewollt anzusehen, so ist der Kaufpreis erst mit der Ablieferung fällig: die Waare muß am Ablieferungsorte realiter offerirt sein (Entsch. des ROHG. Bd. XII. S. 275). Andernfalls wäre der Kauf ein Pränumerationskauf und für besten Annahme spricht die Rechtsvermuthung nicht; eben deshalb ist der Verkäufer ohne vertragsmäßige Uebereinkunst nicht berechtigt, den Kaufpreis bei Uebersendung der Waare durch Nachnahme zu erheben, denn hier­ durch würde der Käufer in die Lage verseht, mit der Zahlung vorangehen zu müssen (Entsch. d. ROHG. Bd. XIII. S. 187—189). Die ausdrückliche oder stillschweigende Bewilligung einer Zahlungsfrist hat in jedem Falle zur Folge, daß der Verkäufer vor Ablauf dieser Frist die Zahlung nicht fordern kann, selbst dann nicht, wenn der Kredit des Käufers nach Uebergabe der Waare und vor Ablauf der Zahlungsfrist erschüttert worden ist (vgl. Entsch. d. ROHG. Bd. XXIII. S. 137); vor Ablauf der Frist wachsen auch keine Zinsen aus dem Kaufpreise an, denn letzterer ist alsdann noch nicht fällig; bei Zahlung vor Ablauf dieser Frist versteht sich der Skonto nicht von selbst, wohl aber kann er orts- oder brancheüblich sein. (Vgl. hierüber d. Art. Verfalltag, auch Entsch. d. ROHG. Bd. I. S. 58.) Was die Beweispflicht betrifft, so richtet sich dieselbe im Falle der Behauptung einer Zahlungsfrist nach den gewöhnlichen Grundsätzen; wer ein Recht auf die Existenz oder Dauer einer Kreditfrist stützt, hat dieselbe zu beweisen; wenn der klagende Verkäufer behauptet, daß nicht ein Baarverkauf, sondern ein Kreditverkauf abgeschloffen und dabei vereinbart worden sei, der Kaufpreis solle innerhalb 6 Monaten nach der Uebergabe der Waare bezahlt werden, und der beklagte Käufer hierauf erwiedert, daß die Zahlung des Kaufpreises in sein Belieben gestellt sei, so ist hierdurch seitens des Beklagten ein Theil des Klagefundaments, nämlich die Verabredung einer bestimmten Zahlungszeit, in Abrede gestellt, und deshalb obliegt dem Kläger der Beweis. (Vgl. Entsch. d. ROHG. Bd. I. S. 74, Bd. II. S. 92, Bd. III. S. 167, Bd. IV. S. 127, Bd. VII. S. 37, Bd. VIII. S. 387, Bd. X. S. 234.) Ist der Kaufpreis kreditirt, so darf, wenn nicht die Umstände des Falles dagegen sprechen, angenommen werden, daß der Verkäufer eine Sicherung nicht mehr in der Waare suche, das Eigenthum also sofort mit der Uebergabe auf den Käufer über­ gehe, dem der Verkäufer persönlich Kredit schenkt. (Vgl. hierüber Thöl a. a. O. § 257, Ziffer 2 und die daselbst angeführte Literatur.) Ueber die Bedeutung von Z., Lieserungs- und Kontantgeschäften im Teutschen Reichsgesetze, betr. die Erhebung von Reichsstempelabgaben, vom 1. Juli 1881 (R.G.Bl. 1881, Nr. 17, S. 185 ff.) siehe unten III. a. E. II. Z. in dem Sinne eines Kaufvertrags, bei welchem die Lieferung (Tradition, Uebergabe) der Waare nicht sofort bei, oder sofort nach Abschluß (Perfektion) des Vertrags, sondern einige Zeit nachher stattfinden soll. In diesem Sinne findet Z. (Zeitgeschäft, auch Lieferungskauf, Lieferungsgeschäft genannt) seinen Gegensatz im

Zeitkauf.

1881

Tageskauf (der auch „Kaffageschäft" — in der Börsensprache insbes. — heißt). Die Terminologie ist nicht ganz feststehend (Thöl, insbesondere § 258 Anm. 9), und ebenso ist die Bedeutung der Gegensätze von „sofort" und „nach einiger Zeit" im Rechtsverkehr auch derart, daß sie nicht zu der Unterscheidung von Tages- und Z. verwendbar ist, insofern nämlich als einerseits auch im Tageskauf ein mäßiger Aufschub der Leistung des Berkäusers und andererseits im Lieferungskauf eine nur sehr kurze Frist zwischen Abschluß und Lieferung gesetzt sein kann. Dennoch besteht der Unterschied und ist derselbe von größter Bedeutung für das Handelsrecht. „Der Unterschied liegt nämlich", wie T h ö l S. 827 sehr richtig sagt, „in einer den U m st ä n d e n nach verschiedenen Zeit und die genauere Fixirung derselben im einzelnen Fall ist eben nach dem Grunde zu machen, weshalb man auf den Unterschied, auf welchen oft wenig oder gar nichts ankommt, Gewicht legt." Großes Gewicht legt der Börsenverkehr auf jenen Unterschied, und zwar aus dem Grunde und in dem Maße, weil und soweit eine aus Spekulations- und Realisationsgeschäst zu­ sammengesetzte Handelsoperation in ihrem Gelingen oder Mißlingen von dem verein­ barten oder usancemäßigen Zeitablaufe abhängt. Dies ist insbesondere der Fall bei den Fix-, Differenz-, Prämien-, Report- und Promeffengeschäften, welche durchweg Lieferungsgeschäfte sind. (Dgl. Entsch. d. Reichsger. Bd. I. S. 241.) Für die Erfüllung der Z. werden in Börsengesetzen oder Börsenreglements die besonderen Liquidations­ termine festgesetzt, welche als im Zweifel vertragsmäßig gewollt aufzufaffen sind. (Dgl. Oesterr. Börsengeseh § 10.) Der Z. in diesem Sinne ist ebenso wie der Z. in obiger (I) Bedeutung ein perfekter Kauf; der Z. in diesem Sinne kann zugleich ein Z. in obiger Bedeutung, aber auch ein Baarkauf, und dann der Z. in der zuerst erörterten Bedeutung ein Tageskauf sein. III. Bei der Berathung des Reichsgesetzcntwurfs, betr. die Erhebung von Reichsstempelabgaben, entstand die Frage, ob es nicht nothwendig sei, eine Definition des Begriffes „Zeitgeschäfte" in das Gesetz aufzunehmen. Von einer Seite wurde folgende Formulirung vorgeschlagen: „Auf Zeit abgeschlossen oder prolongirt gilt im Sinne dieses Gesetzes jedes auf Kauf, Anschaffung oder Lieferung von Werth­ papieren oder Waaren, die einen Börsen- oder Marktpreis haben, gerichtete Geschäft, durch welches bedungen wird, daß die Lieferung genau zu einer späteren festbestimmteü Zeit oder binnen einer festbestimmten Frist für einen beim Abschluß des Geschäfts festgesetzten Preis erfolgen soll." Von anderer Seite wurde hervorgehoben, das Charakteristische des Zeitgeschäftes sei, daß die Lieferung spätestens an einem Börsenabrechnungstage (Medio, Ultimo) zu erfolgen habe, wenngleich allerdings auch Zeitgeschäfte mit anderer Lieferungsbestimmung (per morgen und dergl.) vorkämen. Die Reichstagskommission kam jedoch schließlich zu der Ansicht, daß es bedenklich sei, eine Legaldefinition einer Gattung von Geschäften in ein Steuergeseh aufzunehmen, daß jede Definition die Gefahr einer Gesetzesumgehung vergrößere, da der Verkehr leicht Formen finden und ausbilden könne, welche von irgend einem der in der Definition aufgestellten Requisite absehen und damit den gesetzlich festgestellten Begriff des Zeitgeschäftes ausschließen würden, daß im praktischen Börsenverkehr keine Zweifel darüber obwalteten, ob ein Geschäft ein Zeitgeschäft fei oder nicht und daß durch Zuziehung von Börsensachverständigen die Frage im einzelnen Falle daher leicht werde entschieden werden können. Aus diesen Gründen, welchen auch seitens der Regierungsvertreter beigepflichtet wurde, beschloß man, von einer Definition der Zeitgeschäfte Abstand zu nehmen und die Lösung der Frage der Praxis zu über­ lassen. Einig war man jedoch darüber, daß ein Lieserungsgeschäft, dessen Abwickelung sich, wenn auch vielleicht längere Zeit hindurch, dadurch verzögere, daß die zu liefernden Werthpapiere oder Waaren aus zufälligen Gründen noch nicht zur Hand seien, etwa weil sie von einem anderen Orte erst an den Lieferungsort geschickt werden müßten, nicht als Zeitgeschäft im Sinne dieses Gesetzes zu betrachten sei. — Was speziell noch die Zeitgeschäfte über Waaren betrifft, so hat die Regierungs-

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Zeugenbewels.

Vorlage diese von der höheren Besteuerung der Zeitgeschäfte ausgeschlosien. Die Kommisfion war jedoch der Anficht, daß hierzu ein genügmder Gnmd nicht vorliege, und daß, wenn man die Zeitgeschäfte höher besteuern wolle, als die Kontantgefchäfte, man nicht nur die Zeitgeschäfte über Werthpapiere, sondern auch die Zeitgeschäfte über Waaren, welche ebenso wie jene häufig der wilden Spekulation dienten, der höheren Besteuerung unterwerfen müsse. (So der Kommisfionsbericht der XII. Kom­ mission , 1881, Drucksachen Nr. 162, S. 11, verfaßt von Bankdirektor Büsing, Mitglied des Reichstags.) Im RGesetz vom 1. Juli 1881 ist folgendermaßen unterschieden, Tarif Ziff. 4. a.: 1) Schlußnoten ic. „über den Abschluß oder die Prolongation oder die Bedingungen des Abschlusses oder der Prolongation eines Kauf-, Rückkauf-, Tausch- oder Lieferungs­ geschäfts, welches Wechsel... oder Waaren jeder Art, die nach Gewicht, Maß und Zahl gehandelt zu werden pflegen, zum Gegenstände hat" (Fixstempel 20 Pf.). 2) „Wird eines der vorstehend bezeichneten Geschäfte aufZeit abgeschlossen oder aufZeit prolongirt" .. . Fixstempel 1 Mark. 3) Die vorbestimmte Abgabe wird nicht erhoben .... „von den zu a bezeichneten Schriftstücken, soweit sie nur sogenannte Kontantgefchäfte über Wechsel, gemünztes oder ungemünztes Gold oder Silber zum Gegenstände haben und dieser Inhalt aus den Schriftstücken ersichtlich ist." Diese Bestimmungen auf den hier zu Grunde gelegten Sprachgebrauch reduzirt ergeben: Schlußnoten über Tageskäufe (wenn über 300, bzw. bei Waaren über 1000 Mark hinaus gehend) unterliegen dem Fixstempel von 20 Pf.; über Z. (das find Käufe, bei denen die Lieferung der Werthpapiere oder sonstiger Waaren, ans Zeit aufgeschoben ist, mithin Z. oder Lieferungsgeschäfte im Sinne von Ziff. II.) unterliegen dem Fixstempel von 1 Mark; Kontantgefchäfte das sind Baarkäufe, „Käufe Zug um Zug", sind stempelfrei, wenn sie, gleichviel bis zu welchem Betrage, Wechsel, Gold oder Silber ersichtlich zum Gegenstände haben.

Quellen: Allg. Deutsches HGB. Art. 342, 325, 357-359. - Allegirtes RGes. vom 1. Juli 1881. — Oesterr. Börsengeseh vom 1. April 1875, insbes. §§ 10 ff.

Lit.: Thöl, H.R.. Bd. I. 6. Aufl. §§ 257, 258 und die dort anges. bedeutende Lit. — Hierzu noch die Komm. o. HGB. zu den angef. Artikeln. — Ferner G ustav Cohn, Zeitgeschäfte Und Zeitdifferenz, (volkswirthschastlich) 1867, Jena. — Salina, Börsenpapiere, Theil I. ed. R. Siegfried, 3. Aufl., S. 138 ff. — S. Grünhut, Börsen- und Mäklerrecht, in seiner Zeitschrift für daS Privat- und öffentliche Recht der Gegenwart, Wien 1875, auch separat S. 48 ff. — James Moser, Dre Lehre von den Zeitgeschäften und den Kombinationen, Berlin 1875. — Bericht der XII. Kommisfion des Deutschen Reichstags, 4. Legisl.-Periode, IV. Session, 1881; Drucksachen, Nr. 162 (Berichterstatter Aba. Büsing). — Tie in Betracht kommenden auch den Z. betreffenden Usancen der Börsen find in Goldschmidt's Zeitschr. für das ges. H.R. abgedruckt, und zwar die der Berliner Fondsbörse s. Bd. XI. S. 359; Bd. XIV. S. 468; Bd. XVII. S. 466, 625; Bd. XVIII. S. 187, 502; Bd. XXL S. 269; Bd. XXIII. Beil.Heft S. 285; Bd. XXIV. S. 538; Berliner Produktenbörse s. Bd. XVII. S. 174; Bd. XVIII. S. 526; Bd. XXIV. S. 232; die der Fondsbörse zu Frankfurt a M. s. Bd. XXIV. S. 525 ff.: die der Produktenbörse daselbst s. Bd. VII. S. 142; die der Hamburger Fondsbörse s. Bd. XXIII. Beil.Heft; Bd. XXIV. S. 555; die der Breslauer Bd. XXIV S. 250; die der Breslauer Produktenbörse s. Bd. VIII. S 360; Bd. XXIV. S. 241 ff., 250 ff.; die der Wiener Fondsbörse s. Bd. XXIII. S. 295 ff. Gar eis.

Zeugenbeweis (eivilproz.). I. Da das einfachste und zuverlässigste Mittel, die Wahrheit streitiger Thatsachen im Prozeß festzustellen: die eigene Wahrnehmung des Richters, nur in verhältnißmäßig seltenen Fällen anwendbar ist, so muß das­ selbe in anderen Fällen erseht werden durch die Wahrnehmungen dritter Personen und deren Mittheilung ans Gericht. Solche Mittheilungen heißen Zeugnisse, testimonia. Sie können an das Gericht gelangen direkt, indem der Tritte mündlich vor Gericht seine Wahrnehmung bekundet; dann ist der Dritte selbst Beweismittel als Zeuge, testis, dann handelt es sich um Z. (c. 15 C. III. qu. 9). Ist das Zeugniß aber außergerichtlich abgelegt, dann ist seine Mittheilung ans Gericht nie Z., son-

Zrugenbeweis.

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dem entweder Beweis eines, vielleicht als Indiz in Betracht kommenden, Zeugnisses, sofern die Mittheilung durch andere, von der Person des Wahrnehmenden verschie­ dene, Personm erfolgt; oder Urkundenbeweis, sofern die Mittheilung schriftlich ge­ schieht (cf. insbesondere §§ 380, 383, 646 der Deutschen CPO.). Der Z. erfordert demnach einen Zmgen als Beweismittel und ein Zmgniß als Beweisgmnd. — Außer als Beweismittel sönnen Zeugen im Prozeß auch als Erfordemiß zur Gültigkeit prozessualer Handlungen, d. h. als Solennitätszeugen, erscheinen, vgl. z. B. § 679 der Deutschen CPO. — Was gehört nun zum Begriff eines Beweis­ zeugen? Das Gemeine Recht definirte das Zeugniß im technischen Sinne gewöhn­ lich als „die Aussage eines beim Ausgang des anhängigen Prozeffes nicht betheiligten Drittm über die Wahrheit einer von ihm wahrgenommenen streitigen That­ sache." Es unterschied dann unfähige oder untüchtige Zeugen (festes inhabiles), welche zum Zeugniß überhaupt nicht zugelaffen, und unglaubwürdige oder verdäch­ tige Zeugen (testes snspecti), die zwar vernommen werden, deren Beweiskraft aber vermindert sein solle. Beiden Kategorien gegenüber stand der sog. klassische Zeuge (testis omni exceptione major). Innerhalb der unfähigen Zeugen aber unterschied man wieder einmal absolut und relativ unfähige, je nachdem der Unsähigkeitsgrunb ein allgemeiner, oder ein nur den konkretm Prozeß betreffender; sodann natürlich und juristisch unfähige (omnes festes esse possnnt, qui natura non impediuntur, nec lege prohibentnr), je nachdem der Unfähigkeitsgmnd ein im Begriff des Zeugen liegmder oder positiv gesetzlicher war. Innerhalb der unglaubwürdigen Zeugen endlich unterschied man solche, welchen die gesetzlich verlangten Garantien der Glaubwürdigkeit (eidliche Aussage; gerichtliche Aussage; Uebereinstimmung mit der Aussage eines anderen unverdächtigen Zeugm), abgingen, und solche, gegen welche positive Gründe der Unglaubwürdigkeit Vorlagen, welche vom Probaten in Gestalt von Beweiseinreden geltend zu machen waren (testes snspecti im engeren Sinne). — Allein nicht nur nicht hinsichtlich der praktischen Bedeutung dieser Eintheilung, sondern auch nicht hinsichtlich der Abgrenzung ihrer einzelnen Glieder gegeneinander und endlich nicht einmal hinsichtlich des Begriffes herrschte im Gem. Prozeß Uebereinstimmung. Es war einerseits bestritten, ob unfähige Zeugen ex officio zu verwerfen seien; Mevius lehrte: Nnlla facta exceptione judex indiscriminatim nominales admittit; und noch Gesterding (IV. 1, 224 Nr. 18) scheint sich dieser Ansicht zuzuneigen. Andererseits fehlte es nicht an Vertretern der Mei­ nung, daß auch bloße Verdachtsgründe, selbst abgesehen von den aus dem Inhalt der Aussage selbst sich ergebenden, ex officio geltend zu machen seien (Gesterding, IV. 2, 94; Schmid, II. § 134 N. 27). — Es hat ferner Bayer (§ 246) die Bezeichnung „unfähige Zeugen" beschränkt auf solche, welche die Wahrheit nicht sagen können, d. h. auf die „natürlich unfähigen" der herrschenden gemeinrechtlichen Doktrin; alle anderen dagegen, namentlich also auch die „juristisch unfähigen" lediglich als verdächtige Zeugen, d. h. als solche, von welchen es zweifelhaft ist, ob sie die Wahrheit sagen werden, gelten lassen. — Erklären sich diese Differenzen hinlänglich aus der unsicheren gesetzlichen Grundlage der ganzm Eintheilung in un­ fähige und verdächtige Zeugen (vgl. Langenbeck, S. 485 N. b.; Groß, II. S. 11 N. 26); so resultiren hinwiederum die Schwankungen hinsichtlich deS Begriffes aus dem mehr oder weniger vermiedenen Fehler, durch die gesetzlichen Beweisregeln des gemeinen Prozeffes den Begriff des Beweismittels selbst influiren zu laffen (wogegen zu vgl. Wetzel!, § 21 zu N. 1). Auf solcher Verquickung beruht es, wenn man z. B. lehrte, zum Begriff des Zeugen gehöre die Leistung des Zeugen­ eides, unbeeidigt Vernommene seien nur Auskunftspersonen, nie Zeugen (z. B. Hannov. Prot. 2145; 2164unten; 5697; Endemann, Deutsches Civ.Prz.R., 8190 sub III.; Kommentar, II. S. 202 N. 5); während es doch feststeht, daß es lange Zeugen gab, ehe noch ein Zeugeneid existirte, und daß Zeugen, welche in Folge Verzichts der Parteien aus die Beeidigung unbeeidigt vemommen werden (c. 39 X.

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ZeugenbewelS.

h. t), deswegen nicht aufhören Zeugen zu sein (vgl. Gesterding, II. 422; IV. 2 S. 114; Hannov. Prot., 2150; daher test! injurato non creditur); — oder wmn man aus den Worten der 1. 9 § 1 C. h. t.: ut unius tesümonium nemo jadicum facile patiatur admitti, und wieder: ut unius omnino testis responsio non audiatur die Folgerung zog: unus testis, nullus testis; vox unius, vox nullius, während freilich die gemeine Meinung dem entgegenhielt: unus testis proficit, non sufficit; und Manche unter Umständm sogar einen einzigen Zeugen als vollbeweisend be­ trachteten (vgl. über dm testis unicus und die testes singuläres: Gesterding, I. S. 177, S. 180; II. 421 ff.). — Derjenige Begriffsbestandtheil aber, welcher der Sitz der meisten Kontroversen im Gemeinm Prozeß gewesen ist, war das Unbetheiligtsein des Zeugen am Prozeß. In Wahrheit lediglich ein Moment der Glaub­ würdigkeit des Zeugen, ward es auf Grund der 1. 10 D. h. t. u. der 1. 10 C. eod. zu einem Begriffserforderniß gemacht, hinsichtlich dessen Bedeutung jedoch eine Eini­ gung nie erzielt werden konnte. Während die Einen (z. B. Wetzell, § 23 sub I. 2) Jedm für unfähig hielten, der ein unmittelbares oder mittelbares Interesse am Ausgang des Prozesses habe, wollten Andere (vgl. Renaud, § 110 N. 34 und 35) lediglich ein unmittelbares Interesse als Ausschließungsgrund gelten lassen. Wann das Interesse ein unmittelbares, wann ein mittelbares sei, war eben so bestritten, als die Frage, ob es ein pekuniäres sein müsse, oder auch ein ander­ weites genüge. Verzweifelnd an der Durchführbarkeit des Requisits beseitigten es re vera schon die Alten durch die Statuirung der Ausnahme: ubi veritas aliter haben non potest (Hannov. Prot., 2160; Renaud, § 110 91. 86). Bayer endlich, welcher in § 246 sub II. 1 richtig jedes Interesse des Zeugen als bloßen Verdachtsgrund erklärt, konzedirt der Gemeinen Meinung in § 247 doch dies, daß der Richter einem solchen Zeugen „gar keinen Glauben beimessen darf". II. Die Rückkehr zum System der freien richterlichen Beweiswürdigung in den neuen Prozeßgesehen und -Gesetzentwürfen mußte vor Allem auch au? den Begriff des Zeugen reinigend einwirken. Dies System, gesetzliche Regeln über die Zulässig­ keit wie über die Beweiskraft der Beweismittel gleichmäßig verbannend (mit Unrecht suchte man erstere von ihm gerade bei Erörterung des Zeugenbegriffes zu emanzipiren: Hannov. Prot., 2155, 2163), mußte zur Ausstoßung aW dessen aus dem Zeugenbegriff führen, was nicht die Eigenschaft des Zeugen auf die freie richterliche Ueberzeugung einzuwirken, alterirt. 1) Richt in den Begriff des Zeugen gehört nach den neueren Rechten das im Uebrigen festgehaltene Requisit der Beeidigung (s. unten sub V.). Es enthält lediglich „eine formelle Garantie für die Glaubwürdigkeit der Zeugenaussagen", welche man in Abweichung vom Prinzip der freien richterlichen Beweiswürdigung den Par­ teien zu schulden glaubte (Mot. z. Deutschen Entw. §§ 345—349, S. 495). Daher denn nicht nur die Parteien jederzeit auf die Beeidigung des Zeugen ver­ zichten können (Deutsche CPO. § 356 Abs. 2; Oesterr. Entw. § 385), sondern wo höhere Interessen es gebieten, das Gesetz selbst dem Richter die unbeeidigte Verneh­ mung vorschreibt (Deutsche EPO. § 358; Oesterr. Entw. § 385), ohne daß in beiden Fällen der Vernommene deswegen aufhörte Zeuge zu sein. 2) Richt einmal als Garantie der Glaubwürdigkeit festgehalten ist in den neueren Gesehen das, im Gemeinen Prozeß auf das Kanonische Recht und von diesem auf die Bibel gestützte, Erforderniß der übereinstimmenden Aussage von min­ destens zwei Zeugen. Der Möglichkeit, daß der Richter auch durch die Aussage nur eines Zeugen überzeugt werden könnte, ist freies Feld gelassen und damit der oben schon berührten gemeinrechtlichen Streitfrage, unter welchen Umständen die Aussage eines einzigen Zeugen Beweis erbringen könne, der Boden entzogen. 3) Wohl wurde noch im Schoße der Hannoverschen Kommission darüber ge­ stritten, ob das eigene Interesse an der Sache den Begriff des Zeugen ausschließe, oder nur seine Glaubwürdigkeit angehe (Prot., S. 2155). Allein die letztere An-

Zeugenbeweis.

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sicht siegte (Prot., S. 2201; Entw. §§ 328, 342 Abs. 2) und ist seitdem nicht wieder aufgegeben worden. Ihre volle Konsequenz (vgl. Hannov. Prot., S. 2156) hat das Oesterr. Recht gezogen, indem es in dem Gesetz vom 27. April 1873 über das Bagatellverfahren §§ 53 ff. und im Entwurf einer EPO. von 1876 §§ 411 ff. die Vernehmung der Parteien selbst als Zeugen statuirt. Außerordentlich nahe ist dieser Konsequenz die Deutsche EPO. in § 579 hinsichtlich der Vernehmung der Partei in Ehesachen gekommen (vgl. insbesondere Abs. 3 des 8 579 und die Mot. zu 8 556 des Entw., S. 543), während die Vernehmung der Partei nach 8 132 der Deutschen EPO. schon des nöthigen Zwanges entbehrt, um als Zeugcnvernehmung zu erscheinen. Jedes weitere Jntereffe aber am Ausgang des Rechtsstreites, als das der Partei selbst (und sonstiger als Partei zu betrachtender Personen, wie Streitgenoffen, Hauptintervenienten, gesetzlicher Vertreter: Gaupp, II. S. 247 oben) ist für den Begriff des Zeugniffes auch nach der Deutschen EPO. irrelevant: arg. 8 358 Z. 4 (cf. aber auch Heusler, Arch. f. d. eivil. Prax. LXII. S. 278, R. 14). Rur die Funktion als Richter in einer Streiffache ist mit der Funkffon als Zeuge in der nämlichen Sache unvereinbar nach 8 41 Z. 5 der Deuffchen EPO. 4) Schon aus dem Wesen des Beweises und Beweismittels (jadici fit probatio) ergiebt sich aber, wie Eingangs angedeutet, das Efforderniß einer ge­ richtlichen Aussage für den Begriff des Beweiszeugen; so sehr daß, wie oben gezeigt, beim Fehlen dieser Form das Zeugniß sofort zum Inhalt eines anderen Beweismittels wird. — Und so wäre der Begriff des Beweiszmgen nach der Deut­ schen EPO. der einer dritten, d. h. am anhängigen Prozeß weder als Partei noch als Richter betheiligten, Peffon, welche über eine von ihr wahrgenommene That­ sache gerichtlich auSsagt. « III. Mit dem System der freien richterlichen Beweiswürdigung mußten auch die an das Gemeine oder Französische Recht angelehntm Eintheilungen der Partiku­ larprozeßgesetze in unfähige, verdächtige und klassische Zeugen, resp, in Zeugen, die von Amtswegen, Zeugen, die auf Antrag des Gegners zu verweffen sind, und un­ verwerfliche Zeugen, an Werth verlieren. Deffchwunden sind sie aber auch in den neuesten Rechten nicht. Daß Peffonen, welchm die Begriffsefforderniffe eines Zeugen fehlen, „nicht die Fähigkeit zum Zeugnisse haben und ein Antrag auf Vemehmung derartiger Personen zurückzuweisen ist", halten die Motive zur Deuffchen EPO. ad 88 334, 335, Entw., S. 493 für selbstverständlich, während es der Oesterr. Entw. 8 368 Z. 3, wie schon der Hannov. Entw. 8 328 Z. 1 und der Nordd. Entw. 8 498 Z. 1 und 2, ausdrücklich ausspricht.Aber außer diesen „natürlich unfähi­ gen" ist auch die Kategorie der „juristisch unfähigen" den neuesten Gesetzen nicht unbekannt, indem sie selbst Peffonen, welche begrifflich Zeugen sein könnten, vom Zeugniß überhaupt oder über einzelne Thaffachen unter gewiffen Voraussetzungen, die freie richterliche Beweiswürdigung aus Gründen des öffentlichen Jntereffe be­ schränkend (Hannov. Prot., S. 2280), ausschließen. Es gehört hierher das Verbot der Vemehmung öffentlicher Beamter über Gegenstände ihres Amtsgeheimnisses ohne Genehmigung der vorgesetzten Dienstbehörde nach 8 341 der Deutschen EPO., 8 368 Z. 2 des Oesterr. Entw. (vgl. Hannov. Prot., S. 5666); und das Verbot der Ver­ nehmung von Beamten, und anderen Peffonen und von Geistlichen über solche Thatsachen, über welche auszusagen sie unter allen Umständen nicht berechtigt, wenn vielleicht auch trotz ihres Verweigemngsrechtes Willens sind, nach 8 348 Abs. 3 der Deuffchen EPO. (vgl. hinsichtlich der Geistlichen 8 368 Z. 1 des Oesterr. Entw.; 8 328 Z. 2 des Hannov. Entw. und dazu die Prot., S. 2147). — Alles Andere aber ist der Frage nach der Beweiskraft und Glaubwürdigkeit des Zeugen, und damit dem freien Ermessen des Richters überlasten. Die Gesetze stellen weder selbst Verdachtsgründe aus, noch bffchränken sie den Richter auf die Beachtung der von den Parteien geltend gemachten, noch beeinflussen sie seine Würdigung der irgendwie konstatirten. Die Deutsche EPO. 8 360 und der Oesterr. Entw. 8 388

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Zeugenb cwets.

beschränken sich sogar daraus, die Stellung von Generalfragen über solche Umstände, welche die Glaubwürdigkeit des Zeugen in der vorliegenden Sache betreffen, gänz­ lich dem Ermessen des Gerichts anheimzugeben, während solche interrogatoria generalia, wie nach Gemeinem Recht die Parteim, so später die Gesetze und Entwürfe (cf. die in den Motiven zu §§ 345—349 der Deutschen CPO. S. 495 citirten) dem Richter aufnöthigten. Die Würdigung der fides testinm aber unterliegt dann vollkommen unbeschränkt dem Grundsätze des § 259 der Deutschen CPO. (§ 297 des Oesterr. Entw.), wobei dm Richter die Resultate der gemeinrechtlichen Theorie, die Anweisung, die Glaubwürdigkeit eines Zeugen zu prüfen nach seiner Persönlich­ keit, seinem Verhältniß zur Sache, seinem Verhältniß zu dm Parteien und nach der Art seiner Aussage (Gesterding, IV. 2 S. 85; Langenbeck, S. 486); sowie die Exemplifikation der einzelnen Verdachtsgründe (z. B. Wehell, § 23 nach R. 32) als „goldene Erfahrungssätze" leiten werden. IV. Dm Gegenstand des Z. kann an sich Alles bilden, was Gegenstand des Beweises überhaupt sein kann. Also: äußere Thatsachen nicht blos, sondem auch innere, wie Gefühle und Empfindungen, Zwecke und Motive (Gesterding, I. S. 163); negative Thatsachen ferner, wie positive, während man einst unter der Motivirung non entia non cadunt in sensus corporeos die verneinenden Zeugen verwerfen zu müssen glaubte; weiter eigene wie fremde Handlungen (Langenbeck, S. 443); endlich nicht nur die unmittelbar relevanten streitigen Thatsachen, sondem auch Indizien. Letzteres verkannte das Gemeine Recht (und verkennt noch Fit­ ting, § 45 in.), wenn es das Zeugniß vom Hörensagen, testimonium de anditu, als gänzlich beweisuntauglich hinstellte, und höchstens eine Ausnahme zuließ in antiqnis: beim Beweis einer Gewohnheit, eines unvordenklichen Besitzes u. s. w. Das t. de anditu beweist das Hören und soll nur dies beweisen; hiermit aber kann unter Umständen ein wichtiges Indiz für das eigentliche Beweisthema erbracht sein (Langenbeck, S. 445, 487; Heusler, 1. c. S. 254, 274 ff.). Gne konsequente Durchführung des Prinzips der freien richterlichen Beweis­ würdigung verbietet die Beschränkung dieses Z.thcmas, wie sie bekanntlich das Französische Recht, folgend Italischen Statuten (Mittermaier, S. 83), aufgestellt hat. Z. ist nach art. 1341 des Code civil ausgeschlossen in Prozessen, deren Streit­ gegenstand den Werth von 150 Francs übersteigt; ferner gegen den Inhalt voll­ beweisender Urkunden und über Verabredungen, welche bei oder vor der Errichtung solcher Urkunden stattgefunden haben sollen. Die art. 1347 und 1348 statuiern einige Ausnahmen. Nachdem man einst auch in Frankreich — so erzählt B oitard, § 469 p. 429, die Geschichte dieser Normen — wie überall, wo das Recht noch in der Wiege liegt, der Ansicht gewesen war: Tdmoignages de vive voix d6passent lettres, sei man später durch Erfahmng klug geworden und zu der um­ gekehrten Maxime gelangt: Lettres passent tömoins. Dieser veränderten Anschauung habe zuerst die Ordonnance de Moulins von 1566 Ausdruck gegeben (dieselbe, welche anfänglich in Frankreich selbst mit Murren ausgenommen, später von Boncenne als le triomphe de la Civilisation snr la barbarie bezeichnet wurde); die Ordonnanz von 1667 habe hierauf die Strenge der neuen Maxime durch einige Ausnahmen gemildert; und Regel und Ausnahmen seien dann in die oben citirten Artikel des Code civil übergegangen. Noch die Hannoversche Kommission wollte, unter Hinweis auf die günstigen Erfahmngen, welche man mit dieser Beschränkung des Z. in Frankreich, Holland, Belgien, Genf, Italien, Griechenland und England (Protokolle, S. 2251, 2290, aber auch 2298), besonders aber in den Teutschen Rheinprovinzen gemacht habe, die Statuirung ähnlicher Beschränkungen der Landesgesetzgebung über­ lassen, ausgehend davon, daß sie mehr civilrechtlicher als prozessualer Natur seien (§ 310 des Entw.; vgl. Prot., 2152 ff.; 2227; 2251—2300; 5707; 5988). „Der Zug der Zeit" — behauptete mau dabei — „gehe auf eine Beschränkung des

ZeugenbeweiS.

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3-" (S. 2153). Gleichwol hat die Deutsche CPO. so Wenig, als der Oesterr. Entw. von dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung eine Ausnahme zu machen sich veranlaßt gesehen, 8 14 Z. 3 des EG. zur Deutschen CPO. vielmehr die be­ stehenden landesgesetzlichcn Ausnahmen ausdrücklich ausgehoben. Den inneren Grund der Französischen Einrichtung, die größere Berläsfigkeit deS Urkundenbeweises, konnte man dabei um so weniger ignoriren, als nicht nur das Römische Recht die testium facilitas hervorhebt (1. 18 C. h. t, auf welche man sich auch für die Be­ schränkung des Z. beruft: Mittermaier S. 97), sondern auch Deutsche Rechtssprüchwörter wie „Briese find besser denn Zeugen" (Eisenhart, Sprüchw., 536) ihn anerkennen und schon der alte Hommel äußerte: Omnes fere testes mentiuntur. Allein man konnte fich der Hoffnung hingeben, in der Unmittelbarkeit der Zeugenvernehmung vor dem erkennenden Richter und in der freien richterlichen Be­ weiswürdigung zureichende Korrektive gegenüber der natürlichm Unzuverlässigkeit des Z. zu besitzen (Hannov. Prot., 2275; Mot. zu § 245 des Entw., S. 472). Dazu kam die tiefgewurzelte Abneigung des Deutschen Rechtsgefühls gegen die Beschrän­ kung des Z., wie sie sich neuerdings wieder in dem Votum des fünften Deutschen Juristentages ausgesprochen hatte (vgl. auch Hannov. Prot., 2284). Entscheidend aber mußte gegen jenen inneren Grund, wie noch mehr gegen den äußeren der Ver­ einfachung des Prozesses, der übrigens durch die Erfahrungen in Frankreich selbst widerlegt ist, ins Gewicht fallen die Erwägung, daß man dem Richter kein Mittel zur Erforschung der Wahrheit entziehen dürfe (Hannov. Prot., 2280, 2284; Mot. zum Entw. 1. c.; neben den hier in Bezug genommenen Planck und Hinschius dürfte noch Mittermaier, S. 97—104, genannt werden, der bereits 1822 die Gründe überzeugend ausgesührt hat, die man jetzt noch gegen die Beschränkung des Z. zu verwerthen pflegt). V. Die Bestimmungen des Gemeinen Prozesses über das Verfahren beim Z. waren von einem tiefen Mißtraum gegen die Zeugen felbst nnd gegen die Par­ teien erfüllt. „Bald fürchten sie Kollusion, bald Subomation, bald Suggestion" (Gönner, S. 538). Schon Gest erd in g (I. 215 ff.) verlangte, daß der Schleier des Geheimnifles, mit welchem man in Folge deffen den Z. umhüllte, weggezogen und Alles vielmehr darauf berechnet werde, „daß die Wahrheit rein und vollständig an den Richter gelange." Die einzelnen Forderungen, welche er in dieser Richtung Tür das Verfahren beim Z. aufstellte, sind nunmehr vollständig erfüllt. 1) Die artikulirte Form der Z.antretung (und damit auch des Zeugen­ verhörs) ist aufgegeben. Im Gemeinen Prozeß wurde das Beweisthema in kurze Sätze in Fragcform zergliedert, welche sich einst an die Positionen anschloffm, aber auch nach deren Abschaffung noch gestattet blieben (J.R.A. §§ 34, 37, 41, 49, 52). Zu den einzelnen Artikeln wurden in der Beweisantretung die benannten Zeugen durch Zahlen dirigirt: denominatio testium cum directorio. Probat hatte dann das Recht, weitere schriftliche Fragen behufs Vorlegung an den Zeugen, interrogatoria specialia — ein Surrogat für die versagte Gegenwart bei der Dernehmung — einzureichen. Artikel und Fragestücke aber bildeten seiner Zeit den Gegen­ stand der Vemehmung. Im Anschluß schon an die Allgem. Preuß. Gerichtsordnung I. 10 § 169 und an die neueren Deutschen Entwürfe hat § 328 der Deutschen CPO. und 8 367 des Oesterr. Entw. Artikel und Fragestücke beseitigt. Die Z.antretung geschieht einfach durch Benennung der Zeugen und Bezeichnung der durch Zeugen zu beweisenden Thatsachen in den vorbereitenden Schriftsätzen, oder doch auf alle Fälle in der mündlichen Verhandlung (88 121 Z. 5, 255 der Deutschen CPO.). Aui eine bestimmte Zahl von Zeugen ist Probant dabei nicht beschränkt; die be­ nannten müssen vemommen werden, sofem der Richter nicht seine Ueberzeugung sich bereits gebildet hat und soweit nicht 8 839 eingreift; vor Mißbrauch schützt die Vorschrift des 8 87 über die Erstattung der Prozeßkosten (Mot. ad 88 328—351 des Teutsch. Entw., S. 491; vgl. Hannov. Prot., 2249 und die hier in Bezug genommenen

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ZtugenbrrveiS.

abweichenden Bestimmungen des Französischen, Preußischen und Braunschweigischen Rechts). 2) Die Sistirung der in der Beweisantretung benannten Zeugen geschah im älterm Römischen Recht stets durch den Beweisführer unmittelbar. Der regel­ mäßige modus sistendi heutzutage ist die Ladung, welche nach Französischem Rechts aus Betrieb der Parteien (art. 259, 260 Code proced.), nach Gemeinem Recht auf Betreibm des Gerichts erfolgt. Abweichend im Beweisverfahren über­ haupt von dem sonst adoptirten Grundsatz des Prozeßbetriebs durch die Parteien hat die Dmtsche CPO. § 342 wie der Oesterr. Entw. § 370 (anders der Hannov. Entw. § 330) gleich dem Gemeinen Recht die Ladung der Zeugen zur Offizialsache gemacht. Dagegen entfernen sich beide vom Gemeinen Prozeß durch die Vorschrift, daß die Ladung auch die Bezeichnung der Thatsachen zu enthalten habe, über welche die Vemehmung ersolgm soll. Dem Zeugen soll hierdurch Gelegenheit gegeben wer­ den, sich aus das Verhör vorzubereiten und die fraglichen Thatsachen sich ins Ge­ dächtniß zurückzumfen, um die Vereitelung der Beweisaufnahmetermine möglichst zu verhüten (Mot. ad § 331 des Deutsch. Entw. S. 492, vgl. Hannov. Prot., S. 2271). 3) Der rite ergangenen Ladung hat der Geladene Folge zu leisten kraft der staatsbürgerlichen Zeugenpflicht, welche Justinian (1. 16 pr. [restit.l; 1. 19 C. h. t.) aufgestellt, das Kanonische Recht (t. X. de test, cogendis 2, 21) wiederholt eingeschärft, neuere Gesetze und Entwürfe aber als selbstverständlich übergangen haben (Mot. zu §§ 334, 335 des Deutsch. Entw., S. 493). Sie bringt für den Geladenen die doppelte Verpflichtung mit sich, vor Gericht zu erscheinen und dort in der vor­ geschriebenen Form (insbesondere „cnm sacramenti praestatione“, 1. 16 pr. C. cit.) auszusagen (§ 342 Z. 3 der Deutschen 6PO., § 370 Abs. 2 des Oesterr. Entw.). Von beiden Verpflichtungen entbindet nach der Deutschen CPO. § 351 Abs. 1, Oesterr. Entw. § 381 Abs. 1 das Recht zur Zeugnißverweigerung, während das­ selbe nach Gemeinem Recht (und ebenso noch nach dem Hannov. Entw. § 334, vgl. Prot., S. 2188, 5687 und dagegen die Motive zur Teutschen CPO., S. 494) lediglich vom testimonium dicere, aber nicht vom Erscheinen befreite. Die Fälle des Zeugnißverweigerungszwanges sind gewachsen, je mehr die Fälle der „juristischen Unfähigkeit" zum Zeugniß sich nrinderten, statt der früheren bevormundenden An­ weisung an den Richter, solche Personen nicht zuzulasien, hat man sich damit be­ gnügt, ihre berechtigten Jnteresien an der Nichtvernehmung durch das Recht der Entschlagung zu sichern. Als solche berechtigte Jnteresien aber sind anerkannt: die Aufrechthaltung des Familienfriedens zwischen nahen Verwandten in § 348 Z. 1—3 (vgl. § 349 Z. 1 und 2) der Deutschen CPO. und § 379 Z. 1 (und 2) des Oesterr. Entw.; die berufsmäßig obliegende Pflicht zur Verschwiegenheit in § 348 Z. 4 und 5 der Deutschen CPO. und § 379 Z. 3 des Oesterr. Entw.; endlich die Möglichkeit einer hervorragend nachtheiligen Rückwirkung des Zeugnisses auf die Verhältnisse des Zeugen selbst oder seiner nächsten Angehörigen in § 349 Z. 1—3 der Deutschen CPO. und § 379 Z. 2 des Oesterr. Entw. Einige Ausnahmen von diesen Zeugnißverweigerungsbesugnissen enthalten im Anschluß ans Gemeine Recht § 350 der Deutschen CPO.; § 380 des Oesterr. Entw. (vgl. Hannov. Prot., S. 2189 ff). Wenn dagegen das Römische Recht Besreiung von der Zeugenaussage auch eintreten ließ in Ansehung solcher Personen, die wegen gar zu weiter Entfer­ nung, Alter, Krankheit oder Geschäfte halber nicht ohne Härte würden gezwungen werden können, vor Gericht zu erscheinen (Langendeck, S. 512), so greifen da­ gegen in solchen Fällen nach heutigem Recht entweder die Grundsätze über Requisi­ tion ein, oder höchstens eine Besreiung von der Pflicht zum Erscheinen, aber nicht zur Aussage: c. 8 X. h. t.; § 340 Z. 3 der Deutschen CPO.; § 369 Z. 4 und Abs. 2 des Oesterr. Entw. Andere hierher gehörige Fälle, wo das Gericht dem Zeugen nachzugehen hat, statuirt (nachdem die Bestimmung der nov. 123 c. 7 antiquirt ist) § 340 Z. 1 und Abs. 2, § 347 der Teutschen CPO.; § 369 Z. 1

Zeugenberoris.

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und Abf. 2 des Oesterr. Entw. Im engsten Zusammenhang mit dm Vorschriften über die Zeugnißverweigerung steht die Norm des § 358 Z. 3 der Deutschen EPO., wonach das Gericht gewisse Zmgnißverweigerungsberechtigte, falls sie von diesem Rechte ferntn Gebrauch machen, zur Verhütung eines möglichen Meineides unbeeidigt vemehmen muß, ein Rest der alten Bevormundung, welchm der Oesterr. Entw. § 386 Abs. 5 vermieden hat. Die Verletzung der Zeugnißpflicht aber ohne be­ gründende Bemfung aus eine der gesetzlich statuirten Ausnahmen ruft den Zeug­ nißzwang wach, hierüber s. diesen Art. Hier sei nur noch erwähnt, daß der Zeuge, welcher, wenn anders der Zeugnißzwang berechtigt sein soll, mit seiner Aus­ sage nicht blos den Privatm, sondern auch dem Staate dient, ebendeswegm dem Staate gegenüber das Recht auf Vergütung für Zeitversäumniß und Baaraus­ lagen hat (1. 16 § 1 C. h. t.: sine damno et impendio; Mot. zu § 333 des Deutsch. Entw. S. 492). Dieser Anspruch ist daher aus der Gerichtskaffe zu decken und gehören die gezahlten Gebühren und Auslagen zu den Gerichtsauslagen (§ 366 der Deut­ schen 6PO.; § 79 Z. 4 des RGer.KostenGes.), deren Höhe sich nach der Reichsgebühren­ ordnung für Zeugen und Sachverständige vom 30. Juni 1878 bemißt, hinsichtlich deren aber das Gericht hinwiederum der Partei gegenüber sich dadurch sichem darf, daß es die Ladung von Erlegung eines Vorschuffes abhängig macht (§ 344 der Deutschen CPO.). 4) Was nun die Z. aufuahme selbst anlangt, so ist a) für ein Prozeßsystem, welches den Gmndsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung auch rücksichtlich des Z. streng durchführen will, die Unmittelbarkeit der Z.aufnahme vor dem erkennenden Gericht als Regel unumgänglich. Dmn die ganze Art und Weise, wie der Zeuge seine Aussage macht, ist für die Glaubwürdigkeit derselben meist entscheidender, als der Inhalt der Aussage und die persönlichen Verhältnisse des Zeugen (Mittermaier, S. 199; Gesterding, IV. 95; Hannov. Prot., S. 2161, 2219, 2238ff., 5668 ff.). Das erkannte schon das Römische Recht: Alia est auctoritas praesentium testium, alia testimoniorum quae recitari solent, reskribirt Hadrian in der 1. 3 § 4 (cf. § 3) D. h. t. Dem Gemeinen Prozeß mit seiner gesetzlichen Beweis­ theorie ging dies Prinzip verloren. Bei den Untergerichten zwar pflegte der Richter das Zeugenverhör selbst Vorzunehmen „weil er sich die Sportuln nicht gern ent­ ziehen läßt"; bei den Obergerichten aber und den höchsten Gerichten im Reich pflegte man die Zeugen durch commissarii vernehmen zu lassen (Seyfart, Deut­ scher Reichsprozcß, I. c. 13, § 14). Aber selbst in Frankreich werden die Zeugen, abgesehen von summarischen und Handelssachen, nicht in der Audienz des Prozeß­ gerichts, sondern durch einen juge-commissaire verhört, und erst wenn es zur Prüiung des Z. kommt, gelangt derselbe durch die betreibende Partei an das tribunal. Tie Ordonnanz von 1667 hatte dies System der enquetes secrätes geschaffen, das ddcret du 7 frnctidor an III dasselbe beseitigt, der Code de proc. civ. art. 255 (cf. art 407 u. 432) es wieder eingesührt (s- die vernichtende Kritik bei Boitard, § 493 p. 454 soiv.). Dagegen hat die Deutsche EPO., folgend dm neueren Deutschen Entwürfen, die Unmittelbarkeit der Z.aufnahme „als eine Kon­ sequenz des Grundsatzes der Unmittelbarkeit der Verhandlung und der freien Bewciswürdigung" (Mot. zu § 311 d. Entw., S. 489; cf. zu § 330, S. 491) in ihrem § 320 als ein Prinzip statuirt, von dem sie nur in den dringendsten Fällen nach § 340 Abweichungen, nämlich die Z.aufnahme durch einen beauftragten oder ersuchten Richter, gestattet. Der Oesterr. Entw. entspricht in den §§ 316, 369, sowol was die Regel als was die Ausnahmen angeht, dem Deutschen Gesetze. — Mit dem Prinzip der Unmittelbarkeit ist nach § 196 der Deutschen EPO. zugleich als regelmäßiger Ort der Z.aufnahme das Amtslokal des Prozeßgerichts gegeben, soweit nicht der eben citirte Paragraph selbst, resp, die §§ 340 und 347 Aus­ nahmen mit sich bringen. — Die größte Schwierigkeit aber für die Durchführung des Prinzips bot die Nothwendigkeit einer Protokollirung der Aussagen einerseits

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ZeugenbewktS.

und der Grundsatz der Mündlichkeit andererseits (Hannov. Prot., 2203 ff., 2215 ff.). Die §§ 146 Z. 3, 147 der Deutschen CPO. habm diese Schwierigkeit im Anschluß an dm Hannov. Entw. § 345 dadurch möglichst zu verringem versucht, daß sie bei inappellablen Sachm die Protokollimng der Aussagm für ganz überflüssig erklären, sonst aber, richtig verstandm, dieselben nicht wörtlich, sondern nur ihrem Haupt­ inhalte nach fixirt wiffm wollen, b) Die Ausbildung des geheimen Verfahrens im Allgemeinen, Mißverständniß der 1. 14 C. h. t, der „vanus meins subornationis“, und „die sonderbare Analogie des Beichtvaters, der mit dem Beichtkind allein sei", im Besonderen brachten cs mit sich, daß der Gemeine Prozeß, im Gegensatz zum Römischen und Altdeutschen Recht (Mittermaier, S. 69 ff.; Gesterding, I. S. 211 ff.), den Parteien die Gegenwart bei der Zeugenvemehmung selbst wehrte, und ihnen nur gestattete, der Beeidigung der Zeugen beizuwohnen; das Zeugen­ verhör war „heimlich", die Parteien wurden geladen nur ad videndum et audiendum jurare testes. Dem entgegen ist, wie es schon Mittermaier, S. 202 ff. warm befürwortete, im Jntereffe der Wahrheit von allen neueren Gesetzen und Entwürfm den Parteien gestattet, nicht nur dem Verhör der Zeugen beizuwohnen (vgl. die zahlreichen Nachweise ausDeutschenPartikulargesetzenbeiRenaud, §21591.17, und außerdem Code proc. art. 261, 262, 269; Preuß. Entw. §409; Hannov. Entw. § 288; Nordd. Entw. § 478; Deutsche CPO. § 322; Oesterr. Entw. § 321), sondern auch entweder durch den Richter (Code proc. art. 273; Hannov. Entw. § 344; vgl. Prot. S. 2234) oder mit Erlaubniß des Richters unmittelbar (Preuß. Entw. § 473; Nordd. Entw. § 528; Deutsche CPO. § 362; Oesterr. Entw. § 389) an den Zeugm Fragen zu richten, um Unklarheiten oder verkehrte Auffas­ sungen in seinen Aussagen zu beseitigen, oder Widersprüche und Unwahrscheinlichkeiten in denselben aufzudecken, c) Die Vernehmung selbst, welche das Altrömische (Mit­ termaier, S. 70 N. 2; Gesterding, I. S. 211) wie heute noch das Englische und Nordamerikanische Verfahren in die Hände der Parteien legt (sog. Kreuzverhör), geschieht im Gemeinen und heutigen Deutschen Prozeß durch den Richter. Freilich im Gem. Prz. lediglich als Mund der Parteien, indem er die Zeugen „uff alle Artikul und interrogatoria der Ordnung nach abhört" (J.R.A. § 52; s. aber auch Mittermaier, S- 183), nach neuerem Prz.R. aber durchaus selbst­ ständig kraft des richterlichen Prozeßleitungsamtes. — Die Zeugenaussagen erfolgen unter Eid; vgl. über dessen Inhalt und Form sowie über die Frage, ob promisso­ rischer oder affertorischer Eid? d. Art. Beweisvcrsahren Bd. I. S. 382 und Eidesformel Bd. I. S. 613. — Jeder Zeuge ward von jeher (Mitter­ maier, S. 74) und wird (Code proc. art. 262; Deutsche CPO. § 359 und Motive zu §§ 345—349, S. 495; Oesterreichischer Entw. § 387) „einzeln und in Abwesenheit der später abzuhörcnden Zeugen" vernommen. Und zwar beginnt die Vernehmung mit den Fragen über die persönlichen Verhältniffe des Zeugen be­ hufs Gewinnung eines allgemeinen persönlichen Eindrucks: § 360 der Deutschen CPO.; § 388 des Oesterr. Entw.; Fragen, die übrigens auch schon vor der Be­ eidigung gestellt werden können, um Zweifel über Identität oder Eidesfähigkeit zu beseitigen (Preuß. Entw. § 470; Hannov. Entw. § 340 und dazu Prot. S. 2199, 5698; Nordd. Entw. § 520; Oesterr. Entw. § 386 Abs. 3; Mot. zum Teutschen Entw. § 344, S. 494). Zur Sache selbst hat Zeuge seit Abschaffung der Artikel und Fragestücke (s. oben sub 1) seine Wissenschaft zunächst im Zusammen­ hang zu deponiren (Deutsche CPO. § 361 Abs. 1; Oesterr. Entw. § 388 Abs. 2); und zwar rein mündlich, auch ohne Benützung etwa eines schriftlichen Entwurfes (Code proc. art. 271; Mot. zur Deutschen CPO. S. 495), soweit nicht die Bestimmung des § 188 des Deutschen GVG. über die „Verhandlung mit tauben oder stummen Personen" eine Ausnahme mit sich bringt. Zur Ausklärung und zur Vervollständigung der Aussage sowie zur Erforschung des Grundes der Wiffenschaft des Zeugen („der Seele des Zeugnisies") können dann Richter und, wie oben er-

Zeugendem eis.

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wähnt, Parteim weitere Fragm an dm Zeugen richten: § 361 Abs. 2 der Deut­ schen CPO.; § 388 Abs. 3 des Oesterr. Entw. d) Im Gemeinen Prozeß fand das Zmgenverhör seinm sormellm Abschluß in der Anfertigung und Publikation des Zeugenrotulus. Dieser Zmgmrotulus war eine schriftliche Zusammenstellung aller Zeugenaussagen nach der Reihenfolge der Artikel zur Bequemlichkeit des Richters (J.R.A. § 52). Er wurde versiegelt und in einem eigenen Termine publizirt, wonach neuer Beweis über dieselben oder gerade entgegengesetzte Artikel ausgeschloffen war und das Disputirversahren begann. Bis zu diesem Moment pflegte Probat sich seine Einreden gegen die Zeugen vorzubehalten (Mittermaier, S. 192 ff.), um nicht durch frühere Vorbringung derselbm aus Grund der 1. 17 C. h. t. des Rechtes verloren zu gehen, die Zeugen seines Gegners zur Führung seines direktm oder indirektm Gegenbeweises zu benützen (Gesterding, IV. 2 S. 105). Der Rotulus, von der gemeinrechtlichen Doktrin heftig bekämpst (s. Mittermaier, S. 207 und die von ihm in R. 64 Citt.) und von vielen Partikulargesehen ausdrück­ lich abgeschafft (Renaud § 215 N. 26), hat in einem vom Grundsatz der Münd­ lichkeit beherrschten Verfahren von vomherein keine Stätte mehr. An die Beendigung des Zeugenverhörs schließt sich daher unmittelbar die Fortsetzung der Ver­ handlung nach § 258 der CPO.; § 292 des Oesterr. Entw. an, sofern nicht Widersprüche in den Aussagen verschiedener Zeugen erst noch eine Konfrontation derselben nach § 359 Abs. 2 der Deutschen CPO.; § 387 Abs. 3 des Oesterr. Entw. nothwendig erscheinen lasten, eine Maßnahme, welche dem Gemeinen Recht bei der Vernehmung auf Grund schriftlicher Artikel unbekannt sein mußte (Hannov. Prot., S. 2208; Mot. zu § 346 des Deutschen Entw., S. 495). e) Endlich ge­ stattet der § 363 der Deutschen CPO. dem Richter die wiederholte Vernehmung eines Zeugen nach seinem Ermessen, ohne mit dem Preuß. Entw. § 476; Hannov. Entw. § 347; Rordd. Entw. § 351; Oesterr. Entw. § 390 ihn mit dieser Maß­ regel auf bestimmt spezialifirte Fälle zu beschränken.

Gsgb.: Tit. D. 22, 5; C. 4, 20; C. Theod. 11, 39: X. 2, 20; VI. 2, 10; Clem. 2, 8. - J.R.A. §§ 52, 53, 56. — Allgem. Preuß. LR. I. 5 §§ 131—169. — Allg. Preuß. Ger.O. I. 5 § 5; 9 §§ 5, 37; 10 §§ 169-244. — Code civil art 1341—1348. — Code de proc. civ. art. 252—294. — Preuß. Entw. §8 463—497. — Hannov. Entw. §8 326 bis 350. — Rordd. Entw. §§ 497—535. — Oesterr. Entw. v. 1876 §§ 367—391, 421—420. - Deutsche CPO. §§ 338—366. * Lit.: Die ältere Lit. s. bei Lipenius, Bibi. real, jurid. II. snb Probatio per testes, p. 213 und sub Testis, p. 403—406. — Außerdem Gönner, Handbuch, IL S. 538 ff. — Glück, Komm., Ld. XXII. (1820), S. 128—261. — Mittermaier, Arch. f. d. civ. Prx., V. (1822) S. 69-104, 177 -207. — Linde, Zeitich. für Civ.R. u. Prz., I. (1828) S. 283-292. III (1830) S. 179—189. — Gesterding, Ausbeute von Nachforschungen, L S. 161—220; II. S. 419-424; IV. 1 S. 213-226 ; 2 S. 83-122 (1823-1832). — Schmid, Hand­ buch, H §§ 132—141. — Pratobevera, Materialien, VII. S. 199—366- — Haimerl, Magazin für Rechts- und StaatSwiffenschaft, X. (1854) S. 1 ff. — Endemann, Beweislehre (1860), 88 43 ff.; Derselbe, Deutsches Civ.Proz.Rccht (1868), S. 712-731. — Langenbeck, Beweisführung (1858-1861), S- 442—547. — Bayer, Borträge, 10. Aust. (1869) S. 793 bis 818, 936-950. — Renaud, Lehrbuch, 2. Auflage (1873) §§ 110—112, 211, 215. — Weheil, System, 3. Aufl. (1878) 8 23. — Groß, Beweistheorie im kanon. Proz., 11.(1880) S. 5-28, 119—180, 291—304. — Hann. Prot., VII. S. 2123-2316; XV. S. 5665—5671, 5681—5712. — Mot. zur Teutschen CPO., S. 491—496. — Fitting, RCiv.Proz., 8 45. — Kommentare zur ReichsCPO. von Seufsert, S. 401—482; Endemann, II. S. 201—242; Gaupp, II. S. 246—301. — Boitard, Lefons de proced. civ., 12. öd. par. Colmet-Daage (1876), p. 429—475. Birlmeyer.

Zeugenbeweis im Strafprozeß. I. Zeugniß ist die gerichtliche, münd­ liche Aussage einer vom Beschuldigten verschiedenen Person über sinnliche Wahr­ nehmungen, welche sie selbst, und zwar nicht in der Eigenschaft als eigens berufener Sachverständiger, in Bezug auf für einen Strafprozeß unmittelbar oder mittelbar erhebliche Thatsachen gemacht hat. Ueber das Verhältniß der Zeugen zu den Sach­ verständigen und zu sachverständigen Zeugen vgl. d. Art. Sachverständige. Auszuscheiden vom Z. find sog. Gerichtszeugen, d. h. Urkundspersonen, welche zur

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Zeugenbeweis.

Erhöhung der Beglaubigung richterlicher Verhandlungen beigezogen werden. Die Deutsche StrafPO. läßt solche überhaupt nicht mehr zu, während die Oesterr. StrasPO., den meisten der früheren Deutschen StrafPO. folgend, deren Beiziehung theils vorschreibt (bei Einnahme des Augenscheines, bei Hausdurchsuchungen), theils gestattet (bei der Vernehmung des Beschuldigten, „wenn der Unte^uchungsrichter es für nöthig erachtet oder der Beschuldigte es verlangt"). Ausgeschlossen vom Z. im oben bezeichneten Sinne sind ferner — weil nicht unmittelbar bei Gericht abgelegt — schriftliche Beglaubigungen oder Bestätigungen (sog. Zeugnisse) von Privatpersonen, aber auch amtliche in schriftlicher Form abgegebene Bestätigungen über Wahrnehmungen, die eine Behörde als solche gemacht hat. Natürlich folgt aus der Ausschließung vom Begriff des Z. nicht, daß solche schriftliche Zeugnisse nicht zur Bescheinigung im Strafprozeß verwendet werden; selbst im eigentlichen Beweisverfahren können sie als urkundliche Beweise benutzt werden. In diesem Sinne gestattet § 255 der Deutschen StrafPO. die Verlesung der „ein Zeugniß ... enthaltenden Erklärungen öffentlicher Behörden" „mit Ausschluß von Leumundszeugnissen" in der Hauptver­ handlung. Die Oesterr. StrasPO. berücksichtigt solche „Urkunden, welche für die Sache von Bedeutung sind" im § 252 letzter Absatz. Amtliche Zeugnisse dieser Art werden dann von Wichtigkeit, wenn es sich um eine Erklärung handelt, welche nur auf Grund längere Zeit fortgesetzter Beobachtung oder einer Nachforschung in den Akten abgegeben werden kann (z. B. Bestätigungen über das Nichtvorkommen von Strafanzeigen gegen eine bestimmte Person, über die Anhängigkeit und Nicht­ anhängigkeit von Prozessen u. bg(.). Ihnen reihen sich an amtliche gleichzeitige Aufzeichnungen über Vorgänge, welche sich vor einer öffentlichen Behörde zugetragen haben, und welche wegen der für sie sprechenden Vermuthung größerer Genauigkeit und verläßlicher Feststellung aller Details vor mündlichen Zeugnissen der anwesenden Personen auch für den Strafprozeß den Vorzug verdienen; das wichtigste Beispiel geben Protokolle über Eidesleistungen und Zeugenaussagen, welche bei Strafprozessen über Meineid und falsches Zeugniß der Verhandlung zu Grunde zu legen sind. Darüber, ob daneben noch eine persönliche Vernehmung sich als nothwendig erweist, lassen sich Grundsätze nicht aufstellen. Dasjenige, was nur auf Grund der Akten und amtlicher Aufzeichnungen verläßlich bezeugt werden kann, wird dem schriftlichen Zeugniß vorzubehalten seift, sonst aber die mündliche Zeugenaussage höheren Werth Haden. Letztere wird übrigens, wo über die Ladung von Zeugen lediglich der Wille des Prozeßbetheiligten entscheidet, ohnehin nicht ausgeschlossen werden können. Gerade in solchen Fällen wird aber auch der Gegensatz zwischen schriftlichen Beurkundungen von amtlichem Charakter und dem Z. durch die Aussage der Personen, wären sie auch die Urheber jener Beurkundung, hervortreten: die fraglichen Amtspersonen stehen, soweit nicht der Schuh des Amtsgeheimnisses in Betracht kommt, ganz allen anderen Zeugen gleich. (Ueber Erleichterungen be­ züglich der Vernehmung und hinsichtlich der Beeidigung in geringfügigen Sachen s. unten.) Gegenstand des Z. ist die eigene sinnliche Wahrnehmung des Zeugen, nicht die Meinung, die er sich über die Wahrheit oder Beschaffenheit einer Thatsache durch Schlußfolgerungen gebildet hat oder bildet. Allerdings aber kann die Sache so liegen, daß von der Wiedergabe seiner persönlichen Eindrücke eine Schlußfolgerung auf die Existenz oder Nichtexistenz einer Thatsache oder auf bestimmte Merkmale und Eigenschaften des Vorfalles möglich ist. Tie Beschaffenheit des menschlichen Ge­ dächtnisses bringt es auch mit sich, daß oft nach einiger Zeit auch von dem Er­ lebten und sinnlich Wahrgenommenen nur ein „Eindruck" übrig bleibt, der trotzdem bei sorgfältiger Erwägung der Verhältnisse einen brauchbaren Anhaltspunkt für die Bildung der richterlichen Ueberzeugung bietet, namentlich bezüglich der Nicht­ existenz einer Thatsache. Der Zeuge ist daher berechtigt und verpflichtet, auch solche „Eindrücke" wiederzugeben, selbstverständlich indem er sie als solche ausdrücklich

Zeugenbeweis.

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bezeichnet. Auch Wahrnehmungen solcher Art', über welche eS Wünschenswerth und nothwendig ist, einen Befund von Sachverständigen zu erlangen, find Gegenstand des Z. Das Gewicht, welches der Aussage des Zeugen, die ost durch nichts an­ deres zu ersetzen ist, beigelegt werden muß, hängt dann von der im Beweisveriahren festzustellenden Fähigkeit desselben, Thatsachen dieser Art zu beobachten und das Be­ obachtete zu schildern, ab; der sachverständige Zeuge hat darum doch nicht die Stellung des Sachverständigen, die Zulässigkeit und Pflichtmäßigkeit seiner Aus­ sage illustrirt aber am besten den Umfang des Gegenstandes des Z. in dieser Hinsicht: Soweit das Wahrgmommene ohne Heranziehung der Beurtheilung nicht mitgetheilt werden kann (z. B. bei der Frage nach der Identität), ist auch die letztere Gegen­ stand der Zeugenaussage. — Auch bezüglich des nach Englischem Recht streng ausgeschlossenen Zeugnisies vom Hörensagen (hearsay evidence) hat man sich nur vor der Verwechslung zwischm Bezeugung des Gehörten und des Hörens zu hüten; letztere ist nicht nur zulässig, sondern oft ganz unentbehrlich, zumal im Vorverfahren; bei der eigentlichen Beweisaufnahme wird es dann darauf ankommen, ob es möglich ist, das mittelbare Zeugniß durch ein unmittelbares zu ersetzen, und wo dies nicht möglich ist, dm Werth des ersteren sorgfältig zu prüfen. Der Z. beruht durchaus aus der gerichtlichen Aussage unter der den Zeugm treffenden strafgerichtlichen Verantwortung; eben darum erschöpft er die Formen nicht, unter welchen Menschen der Entdeckung und Feststellung der Wahrheit im Strafprozeß dienstbar gemacht werden können. Es kann daher eine Person auch als Beweisgegenstand im Strafprozeß benutzt werden; der Umstand, daß-fast immer mit dieser Benutzung die Vemehmung als Zeuge verbunden wird, und daß dadurch die Möglichkeit zur Anwendung der Bestimmungen über Zeugnißzwang einer­ seits, Zeugengebühren andererseits auf solche Fälle geboten ist, ändert daran nichts, daß jene etwas vom Z. ganz Verschiedenes ist. (So würde z. B. Derjenige, der sich künstlich scheinbare Spuren von Verletzungen beibringt, um eine an ihm verübte strafbare Handlung glaubhaft zu machen, nicht wegen falschen Zeugnisses gestraft werden können.) Ebenso wie eine vom Beschuldigten verschiedene Person Gegenstand einerBesichtigung sein kann, kann sie auch als Gegenstand von Experimenten, von welchen man sich eine Aufklämng verspricht, behandelt werden, wie z. B. zu dem Versuch, ob ihr bestimmte Kleider paffen, ob sie durch eine bestimmte Oeffnung hindurch gelangen kann, ob sie von einem Hunde erkannt wird u. dgl. Weiter­ gehmd schließen sich hieran jene bedenklichm Versuche, welche mit der Vemehmung von Personen gemacht werden, welche sich in einem abnormen, jede Verantwortung ausschließenden Zustande befinden (Wahnsinnige, Taube, Schlafwandelnde, an­ geblich im magnetischen Schlas Befindliche u. dgl.). Das Gleiche gilt von Kindem, die noch so jung find, daß bei ihnen irgend ein Gefühl moralischer Verantwort­ lichkeit für ihre Aussagen nicht vorausgesetzt werden kann. In welchem Umfange und unter welchen Vorsichtsmaßregeln solche Experimente vor Gericht benutzt werden können, ist hier nicht zu erörtern; hier genügt es, zu betonen, daß die für den Z. geltenden Regeln auf dieselben nicht angewendet werden können, also namentlich nicht das Recht der Parteien, solche „Zeugen" zu laden und deren Vemehmung kraft ihres Rechtes auf Zeugenladung zu begehren. II. Unter den Personen, deren Prozeßstellung verhindert, daß ihre Aussagen als Z. dienen, steht obenan der Beschuldigte. Diese Ausschließung vom Begriff des Zeugniffes kann nicht mit dem Satz begründet werden, daß niemand verpflichtet ist, gegen sich selbst auszusagm, einerseits weil sie auch dort festgehalten wurde, wo das Gegentheil der gedachten Regel galt, andererseits weil mit letzterer nicht gerechtsertigt werden könnte, daß der Beschuldigte nicht zu seinen eigenen Gunsten Zeugniß soll ablegen dürfen. Vielmehr ist es gerade der bereits auf dem Beschuldigten lastende Verdacht und seine hierdurch hervorgemfme höchst bedrohte Stellung, welche seinen Aussagen gegenüber einen so hohen Grad von Mißtrauen v. Holtzendorfs, Sne. n. RechttterUoil IN. 3. Allst.

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ZeugenbevelS.

erregen, daß es nicht nur im höchsten Grade unbillig Ware, ihn zu einer Zeugen­ aussage zu verhalten, sondern ganz unlogisch, ihn zu einer solchen, die doch nur, soweit sie ihm ungünstig wäre, an sich beweiskräftig, unter dieser Voraussetzung aber als Geständniß zu behandeln wäre, zuzulasien. (Dies spricht insbesondere gegen dm in neuester Zeit in England gemachten Vorschlag, dem Angeklagtm zu gestatten, sich als Entlastungszeuge vemehmen zu lasten; vgl. d. Art. Hauptverhand­ lung Bd. II. S. 282, 283). In Wahrheit entscheidet hier die Unvereinbarkeit der Prozeßstellung des Beschuldigten mit der eines Zeugen, und dieser Gesichtspunkt ist auch maßgebend für die Lösung der sehr bedeutenden Schwierigkeiten, welche sich bei der Durchführung des im Allgemeinen als richtig anerkannten Satzes ergeben. Diese Schwierigkeiten zeigen sich zunächst in jenem Vorgänge, welcher im Gemeinen Deutschen Jnquisitionsprozeß als Vernehmung Inter reum et testem bezeichnet wurde. Ohne hier am dm mit der Geschichte der Gliederung des Strafprozeffes auf das engste zu­ sammenhängenden Einfluß des Reates, auf die Behandlung des Verdächtigen in dm verschiedenen Stadien des Prozeßes einzugehen, ist hervorzuheben, daß der Vorgang bald erlaubt und zweckmäßig, bald ein ganz abusiver sein kann. Sobald sich gegen eine bestimmte Person erheblicher Verdacht einer strafbaren Handlung ergeben hat, darf sie in keinem Fall mehr als Zeuge behandelt werden, weder indem man ihr geradezu die Pflichten eines Zeugen vorhält, noch indem man sie im Zweifel darüber läßt, m welcher Eigenschaft sie vemommen werde. Andererseits ist es beim redlichsten Willen nicht zu vermeiden, daß sehr häufig bei dm ersten Nachforschungen unter dm Personen, von welchen über das Verbrechen Austchluß erwartet wird, auch der­ jenige vemommen wird, wider welchen sich später der Verdacht und selbst die An­ klage wegen dieses Verbrechens erhebt. Die beiden Vorgänge, moralisch soweit von einander verschieden, gehen in ihrer prozessualen Gestaltung leicht ineinander über, und es giebt in der That nur ein sicheres und gerechtes Mittel, wenigstens gröb­ lichen Mißbrauch feru zu halten, daß Dasjenige, was der spätere Angeklagte über die den Gegenstand dieser Anklage bildende That bei einer Zeugenvernehmung oder bei einem Verhör, welches ihm als solche erscheinen konnte, ausgesagt hat, als Be­ weismittel gegen ihn nicht benutzt werden darf. Wird daran sestgehalten, daß die Aussage jedenfalls nicht unter den Begriff des Z. fallen kann, so erledigen sich auch die sehr erheblichen, hier nicht zu erörtemden Schwierigkeiten bezüglich der strafrechtlichen Beurtheilung falscher Aussagen der Beschuldigten verhältnißmäßig leicht. — Viel größer und bedenklicher sind die Schwierigkeiten, welche bei einer Mehrheit von Beschuldigten oder Verdächtigen sich ergeben können. Es können hier nämlich die verschiedensten Verhältniffe eintreten: 1) Es kann der Verdacht über zwei Personen so schweben, daß es als gewiß gilt, eine von beiden sei der Verbrecher. In der Regel wird hier lediglich die Prozeßstellung, welche vor der Hauptverhandlung regulirt sein muß, entscheiden; auf Gmnd der Ergebnisse des Vorverfahrens wird die eine der beiden Personen an­ geklagt, die andere außer Verfolgung gesetzt sein; die letztere wird vielleicht ein be­ denklicher, verdächtiger Zeuge sein, aber sie muß, wenn sie vemommen werden soll, als Zeuge behandelt werden. (Nur im Falle der Wiederaufnahme wäre es denkbar, daß gleichzeitig die wiederausgenommene Verhandlung gegen die eine, und die Haupt­ verhandlung über die Anklage gegen die andere Person vorgenommen würde.) 2) Es kann die Anklage gegen Mehrere als gemeinschaftlich an derselben straf­ baren Handlung Betheiligte (Mitthäter, Theilnehmer, Begünstiger, Hehler) erhoben sein und gegen alle gleichzeitig verhandelt werden. In diesem Falle mag materiell ein Mitangeklagter gegen oder für den andem aussagen, aber prozessualisch ist keiner als Zeuge zu behandeln; insbesondere steht daher die das Fragerecht gegenüber dem Angeklagten auf die Person des Vorsitzenden einschränkende Bestimmung des § 239 der Deutschen StrafPO. einer Befragung eines Mitangeklagten durch einen anderen entgegen. Der Benutzung einer von dem Mitbeschuldigten als solchem in der Vor-

Zeugenbeweis.

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Untersuchung abgelegten Aussage steht der Umstand nicht entgegen, daß dieser als Zeuge nach § 59 der Deutschen StrafPO. von der Zeugnißpflicht befreit und hier­ über zu belehren gewesen wäre. (Dagegen ist in Bezug auf Zulässigkeit der Ver­ lesung von Aussagen in der Hauptverhandlung der Mitbeschuldigte im § 250 der Deutschen StrafPO. dem Zeugen gleichgestellt.) 3) Die Anklage wider mehrere an derselben strafbaren Handlung Betheiligte oder dieser Betheiligung Beschuldigte ist ort nicht Gegenstand derselben Hauptver­ handlung, da die Verhandlung gegen einen derselbm mitunter erst zu einer Zeit vorgenommen wird, wo die anderen bereits außer Verfolgung gesetzt oder verurtheilt find. Es kann im Allgemeinen nichts dagegen eingewendet werden, daß letztere bei dieser Hauptverhandlung vernommen werden; und es kann dies nur in Gestalt der Vernehmung als Zeugen geschehen. Bestünde darüber Tein Zweifel, so müßte er vor den Gesetzesbestimmungen verschwinden, welche die Ausschließung solcher Zeugen vom Eide und überhaupt ihre Behandlung als verdächtige Zeugen betreffen (s. darüber unten), 4) Bei gleichzeitiger Verhandlung über mehrere strafbare Handlungen kann eine Person bei der einen mitbetheiligt sein, währmd sie über die andere lediglich als Zeuge auszusagen hätte. Dies kann aber nichts daran ändem, daß wenn die ver­ schiedenen strafbaren Handlungen den Gegenstand einer Hauptverhandlung bilden, in dieser auch alle wegen einer derselben Angeklagten nur die Stellung von Mit­ angeklagten einnehmen, als Zeugen also nicht behandelt werden könnm. Ergeben sich daraus Nachtheile, so muß eben rechtzeitig auf die Sonderung der bezüglichen Straffachen Bedacht genommen werdm. — Auch abgesehen von der Stellung des Beschuldigten, läßt sich der civilprozessuale Grundsatz, daß Niemand Zeuge in eigener Sache sein könne, ein Gmndsatz, welcher in neuerer Zeit namentlich in England aufgegeben ist, auf den Strafprozeß nicht einfach übertragen. Das Haupthinderniß liegt in dem Gegensatz zwischen der theoretischen und der praktischen Stellung des Beschädigten. Der Theorie nach berührt die strafbare Handlung als solche nur den Staat und die öffent­ liche Rechtsordnung, das Jntereffe des von derselben Betroffenen geht unter in dem allgemeinen Interesse an ihrer Bestrafung; der Beschädigte hat in der Sache nicht mehr als ein Anderer zu sagen. In Wahrheit wird aber der Beschädigte auf diese Theorien nicht eingehen; er wird immer das Gefühl haben, daß ihn die Sache näher angehe, und sehr häufig wird, auch da, wo der Adhäsionsprozeß ausgeschlossen ist, ihn ein wichtiges Jntereffe mit der Verhandlung der Strafsache verknüpfen. Tragen nun auch die modernen Gesetzgebungen diesem praktischen Bedürfniß Rechnung (vgl. d. Art. Privatanklage), so kann dies doch nicht (oder nur ganz aus­ nahmsweise) dahin führen, daß man das ausschließliche oder auch nur überwiegende Jntereffe des Beschädigten anerkennt, daß man ihn als dominus litis betrachtet. Damit ist es auch theoretisch gerechtfertigt, daß man die Aussage des Beschädigten, deffen Zeugniß in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle ganz unentbehrlich ist, nicht aus dem Bereich des Z. ausschließt. Ist das im Allgemeinen richtig, so können und sollen weitere Modifikationen in der Prozeßstellung darauf keinen Einfluß üben. In den meisten Fällen ist der Anzeiger (Denunziant) der wahre Anreger des Prozeffes, recht eigentlich der promotor inquisitionis. Das Französ. Recht kennt eine Spezialausschließung der bezahlten Anzeiger (dönonciateurs, dont la dänonciation est, r6compens6e pdcuniairement par la loi, art. 322 n. 6 des Code d’Instruction). Nach der Deutschen StrafPO. nimmt der Anzeiger insofern auch eine prozessuale Stellung ein, als diese nicht blos Jedermann gestattet, bei der Staats­ anwaltschaft den Antrag auf Erhebung der öffentlichen Klage anzubringen, sondern die Staatsanwaltschaft auch verpflichtet, den Antragsteller unter Angabe der Gründe zu bescheiden, wenn dem Antrag keine Folge gegeben wird (§ 169). Noch weiter gehm die Rechte des „Antragstellers", welcher „zugleich der Verletzte" ist, da dieser bewirken kann, daß der Staatsanwaltschaft vom Gericht die Erhebung der öffent-

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ZeugeubeweiS.

lichen Klage aufgetragen wird (§ 170), in Wahrheit also diese erhebt. Trotzdem wird er in keiner Weise als Prozeßpartei behandelt, eine Ausschließung vom Z. kommt daher gar nicht in Frage. Nach Oesterr. Recht kommt dem Anzeiger als solchem eine Prozeßstellung nicht zu; dagegen kann allerdings der durch die strafbare Handlung Verletzte unter Umstanden als Subfidiarankläger allein dem Beschuldigten gegenüber stehen, wenngleich die Staatsanwaltschaft in jedem Stadium des Verfahrens die Strafverfolgung wieder selbst in die Hand nehmen kann. Schon dadurch ist es gerechtfertigt, daß nach § 172 der Oesterr. StrafPO. auch auf ihn „alle über die Zeugenvernehmung ertheilten Vorschriften Anwendung finden", eine An­ ordnung, aus welcher auch deutlich hervorgeht, daß bei einer Kollision der aus der Stellung als Zeuge zu ziehendm Folgerungen mit den Prozeßrechten des Subfidiaranklagers (oder Privatanklägers) die letzteren weichen müssen, was übrigens in § 241 der Oesterr. StrafPO. bezüglich der Entfernung der Zeugen aus dem Sitzungssaal ausdrüÄich ausgesprochen ist. (Nach Franzos. Recht ist der Beschädigte, dessen Klage

den Strafprozeß in Bewegung gesetzt hat, le plaignant, vom Z. nicht ausgeschlossen; schließt er sich aber mit seiner Civilklage dem Strafverfahrm an, so wendet man auf ihn, als partie civile, den Satz: nullus idoneus testis in re sua intelligitur an: allein die Anwendbarkeit des anerkannten Prinzips unterliegt erheblichen Aus­ nahmen. Des considärations ont fait souvent häsiter, et la jurisprudence prä­ sente de notables variations, sagt Morin (Repertoire sub verbo: Tömoins n. 17. Vgl. die Zusammenstellung von Entscheidungen bei Hölie, ’Pratique, I. n. 714). — Auch der Antragsberechtigte hat nach Deutschem Recht nicht die Stellung des Trägers der Anklage, obgleich er in gewissen Fällen dieselbe rückgängig machen kann; seine erwähnte Eigenschaft hat also auf die Zeugenstellung keinen Einfluß. Dagegen wurde die im Entw. der Deutschen StrafPO. (§ 348) enthaltene Be­ stimmung : „Das Gericht ist befugt, den Privatkläger als Zeugen, nach Befinden selbst eidlich, zu vernehmen. Jedoch darf der Privatkläger, auch wenn er als Zeuge zu vernehmen ist, der ganzen Verhandlung beiwohnen." — bei der Berathung in der Reichstagskommisfion gestrichen. Die gegen die Bestimmung vorgebrachten Gründe bezogen sich überwiegend auf die eidliche Vernehmung, was darüber hinausgeht, fällt unter den allerdings stets unwiderleglichen Grund: „steht mit der Deutschen Auffassung in direktem Widerspruch". Der durch die Ablehnung des § 348 her­ vorgerufene Antrag auf Zulassung eines Parteieneides ward mit vollem Recht ab­ gelehnt (Prot., S. 661, 666). Als das Ergebniß bezeichnet v. Schwarze (Er­ örterungen, S. 61): „Bei Injurien, welche ohne Zeugen begangen werden, ist daher thatsächlich der Beweis gegen den leugnenden Beschuldigten ausgeschlossen", sofern nicht, — muß man hinzufügen — der Richter dem freien Vortrag des Privatklägers auch ohne irgend ein anderes Beweismittel Glauben'schenkt. Was vom Privatkläger gilt, müßte man eigentlich nach § 437 der Deutschen StrafPO. auch vom Nebenkläger gelten lassen, da es dort heißt: „Der Nebenkläger hat nach erfolgtem Anschluß die Rechte des Privatklägers". Allein auf die bereits vor dem Anschluß erfolgte Ver­ nehmung als Zeuge könnte das Verhältniß keinesfalls zurückwirken, und so wäre die Handhabe geboten, praktisch die Inkompatibilität in bedenklichster Weise zu umgehen, und dazu würde, mit Rücksicht auf den Zweck der Gewährung der Stellung als Nebenkläger, das Bedürfniß des Lebens drängen: der Verletzte müßte entweder auf die Forderung der Geldbuße oder auf das für deren Zuerkennung oft unentbehrliche Beweismittel, sein eigenes Zeugniß, verzichten. Aehnlich verhielte es sich in den Fällen, wo Jemand durch seinen Antrag auf gerichtliche Entscheidung allein die Erhebung der öffentlichen Klage herbeigeführt hat: entweder die Prozeßstellung, die ihm das Gesetz sichern wollte, oder das für die Aufklärung der Sache beiden Parteien unentbehrliche Zeugniß ginge verloren. In einem Erkenntniß der vereinigten Senate des Reichsgerichts vom 25. Okt. 1880 (Annalen II. S. 535 ff.) ist daher unter Hervorhebung dieser Mißstände ausgesprochen worden, daß die Vernehmung des

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Nebenklägers als Zeuge nicht gegen Normen des BerfahrmS verstoße; daS Erkmntniß kann sich allerdings nur auf die oben angeführte Gefahr der Umgehung und darauf stützen, daß die Unvereinbarkeit nicht ausdrücklich ausgesprochen sei, daß nichts vorlicgt, was beweist, sie sei beabsichtigt worden, und daß sie nicht noth­ wendig aus der Prozeßstellung folge. Was das O esterr. Recht betrifft, so umfaßt die obm angeführte Bestimmung des § 172 auch den Privatankläger. — Eine Prozeßstellung, mit welcher die eines Zeugen nicht vereinbar ist, ist ferner die des Richters. Nach En gl. Recht zwar wird es nicht als unzulässig angesehm, daß Richter sowol wie Geschworene als Zeugen in der Sache vernommm werden, über die sie zu entscheiden haben (Lest, Law of Evidence, §§ 187, 188, sehr entschieden dagegm unter Berufung auf neuere Praxis Greenleaf, 12. Ausg. 1866, § 364). Letzteres erklärt sich aus dem historischen Zusammenhänge zwischen der Jury und dem Zeugenbeweise, sowie aus der Besorgniß, daß sonst der Geschworene auf Grund seiner außergerichtlichen Wahrnehmungen urtheilen und selbst seine Mit­ geschworenen dazu bestimmen könnte. Bezüglich der Richter oder vielmehr des in der Regel allein die Schwurgerichtsverhandlung leitenden Mchters ist der Vorgang so bedenklich, daß es schwer ist, an mehr als die theoretische Zulässigkeit des Vorganges zu glaubm. Allerdings wird darauf hingewiesm, daß der Richter in der Kmntniß entscheidender Thatumstände sein könnte, und daß in England die Parteien gar kein Recht haben, auf die Ausschließung oder Ablehnung des Richters hinzuwirken. Die kontinentale Gesetzgebung sucht die Abhülfe ebm auf dem hierdurch angedeuteten Wege. Nach der Oesterr. StrafPO. ist derjenige vom Richteramt ausgeschloffen, welcher „außerhalb seiner Dimstverrichtungen Zeuge der in Frage stehendm Handlung gewesen ist oder in der Sache als Zeuge (oder Sachverständiger) vernommen worden ist" (§ 68 Z. 1). Nach § 22 Z. 5 der Deutschen StrafPO. ist von der Aus­ übung des Richteramtes ausgeschloffen, wer „in der Sache als Zeuge vernommen ist"; und was vom Richter angeordnet ist, gilt auch für Geschworene und Schöffen. Ganz vermieden sind Schwierigkeiten durch diese Anordnungen nicht. Daß nicht die unbedingte Berechtigung, Zeugen zur Hauptverhandlung zu laden, wie sie die Deutsche StrafPO. den Parteien gewährt, dazu benutzt werden dürfe, nach Belieben Personen von der Richter- und Geschworenenbank zu mtfernen, wird man als eben so unbestreitbar ansehen müffen (vgl. auch Motive zum Entw., S. 25), als daß andererseits Personen, deren Vernehmung als Zeugm sich als nothwendig oder billig darstellt, zur Thätigkeit als Geschworene oder Richter in der Sache nicht heran­ gezogen werden sollen. Auch über die sehr strikten Vorschriften, durch welche will­ kürliche Aenderung der Besetzung der Richter- und Geschworenenbank verhindert werden soll, wird man hinauskommen. Allein für den immerhin möglichen Fall, daß erst in der Hauptverhandlung der Anlaß zur Vernehmung sich herausstellt, ist es schwer bestimmte Regeln aufzustellen, wenn nicht Ergänzungsrichter und Ergänzungs­ geschworene zu Gebote stehen, und nur zu wählen ist zwischen dem Verzicht auf die Vernehmung und dem Abbruch der Hauptverhandlung; zwischen beiden Uebeln muß nach Anhörung der Parteien das Gericht in billiger Würdigung aller Verhältniffe wählen; im Zweifel ist aber für die Abbrechung zu entscheidm, weil doch sonst, trotz der unterlaffenen Vernehmung des Mchters als Zeuge, auch die Unbefangenheit der Entscheidung Bedenken unterliegen mag. — Die Mitglieder der Staats­ anwaltschaft sind durch keine Bestimmung unserer Gesetze von der Ver­ nehmung als Zeugen in einer Sache, in welcher sie amtlich einschreiten, ausgeschlosien. Nach Deutschem Recht fehlt es andererseits an Bestimmungen über Ausschließung der Staatsanwälte von dieser ihrer Funktion; es wird jedoch in den Motiven zum GVG. darauf hingewiesen, „die Organisation der Staatsanwaltschaft gestatte, daß in den Fällen, wo die Ersetzung eines staatsanwaltschaftlichen Beamten durch einen anderen geboten oder Wünschenswerth erscheine", sie in formloser Weise herbeigeführt werde. Nach § 75 der Oesterr. StrafPO. sind die Mitglieder der

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Zeu-enberoelS.

Staatsanwaltschaft ausgeschloffen, wenn sie in der Sache als Zeugen vernommen werden. Tritt also eine Kollision ein, so zieht die Unentbehrlichkeit des Zeugen deffen Ausschließung auch von der Fortsetzung der Thätigkeit als Staatsanwalt nach sich. Was endlich den Vertheidiger betrifft, so ist auch hier die Vereinigung seines Amtes mit der Stellung eines Zeugen schwer denkbar. Im Vorverfahren, wo jetzt dem Vertheidiger die Akten nicht mehr unbedingt verschloffen sind, kann es wichtig sein, daß der Zeuge von deren Inhalt nichts erfahre. In der Hauptver­ handlung können auf den Vertheidiger die Bestimmungen über die Fernhaltung noch nicht vernommener Zeugen nicht angewendet werden, und umgekehrt kann er während seiner Vernehmung als Zeuge seine Pflichten als Vertheidiger nicht erfüllen und es hat daher der Französische Kassationshof (Hölie, Theorie, VIII. 501) zum mindesten für unerläßlich erklärt, daß der nothwendige Vertheidiger während seiner Abhörung als Zeuge in seiner Funktion als Vertheidiger durch einen Anderen vertreten werde; noch schwerer kann er n a ch seiner Vernehmung, zumal wenn er etwa genöthigt war, zum Nachtheil des Angeklagten auszusagen, deffen Interessen noch weiter wahr­ nehmen. Die Deutsche StrafPO. enthält indeß keine Bestimmung über die Un­ vereinbarkeit der beiden Stellungen. Die Bestimmung des § 52 3. 2 der Deutschen StrafPO., auf die später zurückzukommen ist, entscheidet die Frage weder in dem einen noch im anderen Sinne, sie beweist nicht die Unvereinbarkeit der beiden Stellungen (woraus die Worte Kellerns zu deuten scheinen: „auch derjenige, welcher durch einen Anderen erseht werden kann"), da sie nur für Aussagen über einzelne Gegenstände ertheilt ist; sie beweist aber auch nicht ohne Weiteres das Gegentheil, da es dort nicht darauf ankommt, daß Jemand jetzt in dieser Sache als Vertheidiger fungirt, sondern daß er das, worüber er aussagen soll, als Vertheidiger dieses Beschuldigten erfahren hat. — Die Oesterr. StrafPO. (8 40) schließt den Zeugen von der Vertheidigung (nicht den Vertheidiger vom Zeugniß) aus. Um den Be­ schuldigten vor Beirrung in seiner fteien Wahl möglichst zu schützen, unterscheidet sie zwischen Vorverfahren und Hauptverhandlung; bezüglich des ersteren stellt sie es dem Ermessen der Rathskammer anheim, ob in demselben ein Vertheidiger zugelassen werden solle, der als Zeuge vernommen wurde oder zur Hauptverhandlung vor­ geladen werden soll. Umgekehrt schließt von der Vertheidigung in der Hauptver­ handlung der Umstand nicht aus, daß der dazu Bestimmte im Vorverfahren als Zeuge vernommen wurde: ausdrücklich ausgeschlossen sind nur „Diejenigen, welche als Zeugen zu derselben vorgeladen wurden". Da nach Oesterr. Recht über die Vorladung nie blos das Ermessen der Partei entscheidet, so fehlt es dem Angeklagten nicht an Mitteln, geltmd zu machen, daß ihm durch die beabsichtigte Zeugenladung ohne Noth der erwünschte Vertheidiger entzogen werde. Auch hier ist aber die Frage nicht gelöst, was angesichts der erst in der Hauptverhandlung hervortretendm Nothwendigkeit der Vernehmung des Vertheidigers geschehen solle; nur das steht fest, daß die Nothwendigkeit des Zeugnisses den Ausschlag selbst gegenüber dem gerecht­ fertigten Wunsche, den Vertheidiger beizubehalten, giebt. Der Vertheidiger ist nicht vom Zeugniß ausgeschlossen, nur der vorgeladene Zeuge von der Vertheidigung. Unzweifelhaft drückt sich darin der Wunsch des Gesetzes aus, die Kollision, so viel wie möglich, zu vermeiden. Allein daraus folgt nicht, daß die Ausschließung des Ver­ theidigers auch dann eintreten müsse, wenn sich die Nothwendigkeit der Vernehmung erst in der Hauptverhandlung herausstellt. Das Gericht wird die Umstände des Falles und billig auch die Wünsche des Angeklagten berücksichtigen und davon es abhängig machen, ob die Verhandlung mit demselben Vertheidiger oder unter Zu­ ziehung eines anderen Vertheidigers fortzusetzen oder, wo dies nicht möglich, abzu­ brechen und zu erneuern sei. III. Unzulässige und verdächtige Zeugen. Sieht man von denjenigen ab, deren Prozeßstellung mit der eines Zeugen in derselben Strafsache unvereinbar ist, so hat man noch die mannigfachsten Verhältnisse zu berücksichtigen, welche

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geeignet scheinen, die Aussage einer bestimmten Person als Zeuge unzulässig oder doch bedenklich zu machm. Die überzeugende Kraft des Z. beruht auf der Voraus­ setzung, daß der Zeuge fähig war, richtige Wahrnehmungen zu machen und daß er den Willen und die Fähigkeit besitzt, über dieselben getreue, richftge und keinem Mißverständniß ausgesetzte Mittheilungm zu machen. So mannigfaltig sind diese Bedingungen, so leicht kann in einer oder der anderen Beziehung ein Hinderniß oder doch der Verdacht eines solchm sich ergeben, daß es nicht zu verwundern ist, wenn in den frühesten Rechtszuständen schon ein entschiedenes Mißtrauen, eine Ab­ neigung gegen den Z. hervortritt, welche in meist fortschreitender Entwickelung die Richtung der Gesetzgebung und Rechtsprechung in dem Sinne bestimmen, daß durch positive Normen von Anfang an die Einwirkung unglaubwürdiger Zeugnisie serngehalten werden soll. Dazu kommt, daß im Prozeß der frühesten staatlichen Entwickelungsstadien der Anklagegrundsatz entweder noch ganz von der privatrecht­ lichen Behandlung des Straftechts getragen ist oder, wenn dies (wie schon im älteren Römischen Kriminalprozeß) nicht mehr der Fall ist, wieder unter dem Einfluß des natürlichen Mißtrauens steht, welchen das Auftreten eines Anklägers erregen muß, welcher dazu kaum anders als durch Motive persönlicher und meist gehässiger Natur bestimmt sein kann. Eine gewisse Gleichgültigkeit gegen den Mißerfolg des Anklägers, auch wenn derselbe durch Zufall befördert wird, ist von dem einen wie dem anderen Standpunkte aus erklärlich; und die einmal zum Schutz gegen bedenkliche Anklage­ beweise ausgestellte Regel muß dann auch den Entlastungsbeweis beeinträchtigen, was übrigens im Germanischen Recht des Mittelalters um so weniger bedenllich machte, weil der Wunderglaube der sicheren und unfehlbaren Beweismittel genug zur Verfügung stellte. Sv tonnte eö kommen, daß während in letzterem der Z. überhaupt nur ausnahmsweise Platz fand, das Römische Recht eine ganze Reihe von Bestimmungen aufstellte, welche auf Ausschließung von Zeugen abzielten, Bestimmungen, welche das über das Germanische Recht siegende Juristenrecht überall in Europa, selbst in Großbritannien zur Geltung brachte. Wie bei jeder von Willkür nicht treten Satzung kam dann dazu, daß nicht blos die Rücksicht auf den muthmaßlichen Unwerth des Zeugnisses für Aufstellung solcher Bestimmungen maßgebend wurde, sondern, daß man dieselben auch benutzte, um andere Zwecke, namentlich die Bestrafung bestimmter Personen, durch Ausschließung von der Zeugnißsähigkeit (z. B. die der Ehebrecherin) zu erzielen. Abgesehen von dieser letzteren Verirrung haben Vorgänge dieser Art so viel Bestechendes für die juristische Denkweise, daß sie dieselbe leicht zu immer weiter gehender Strenge verlocken. Selbst der tiefgehende Gegensatz in der Entwickelung des Beweisrechtes, welcher die Geschichte des Strafprozesses beherrscht, der Gegensatz zwischen gesetzlicher Beweisregelung und freier Beweiswürdigung und der fortschreitende Sieg der letzteren vermag dieselbe nicht ohne weiteres zu beseitigen: ein naheliegender Gedanke ist es, die für unausführbar erkannte Regelung der Beweiswürdigung durch Ausstellung von Regeln über das Material, das der Würdigung unterstellt werden kann, zu ersehen und auf diesem Streben beruht die Entwickelung des Englischen Beweisrechtes. Allein jene theoretische Strenge stößt zunächst aus die Bedenken, welche aus der allzugroßen Einengung des Ver­ theidigungsbeweises sich ergeben und andererseits konnte es ja auch nicht fehlen, daß das mehr und mehr sich geltend machende öffentliche Interesse am Straftecht, zumal in der Epoche äußerst harter Behandlung des Angeklagten, daß das immer mehr als oberstes Gesetz des Strafprozesses (angeblich als dessen unterscheidendes Merkmal) proklamirte Streben nach materieller Wahrheit gegen jene Beschränkungen auf den verschiedensten Wegen reagirten. Schon in das spätere Röm. Recht ist hierdurch ein Gegensatz gekommen, welchen Fi lang ieri mit Recht als die Vereinigung über­ mäßiger Vorsicht durch Häufung von Ausnahmen im Interesse des Angeklagten mit maßloser Zulassung von Ausnahmen in entgegengesetzter Richtung bezeichnet. So führten jederzeit auch später die Ausschließungen der Zeugen aus der andern Seite

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dahin, daß dieselben als AuSkunftspersonm, als Personen, von welchen Aufklärungen zu erwarten find, doch wieder vernommen wurdm und im ältern Recht die Handhabe sür die Anwmdung der Tortur, im neueren sür eine künstliche Zusammmstellung halber Beweismittel, im neuesten für die unberechenbare Einwirkung auf die Ueber­ zeugung der auf Grund freier Beweiswürdigung, losgezählt von Beweisregeln Urtheilenden boten. Don den Italienischen Wortführern der Strafrechtsreform im letzten Mertel des vorigen Jahrhunderts, obgleich dieselbm von dem Verzicht am gesetzliche Beweisregeln weit entfernt waren, ging daher die Richtung der Wiffenschast und Gesetzgebung aus, welche in Bentham's Wort: Let in the light of evidence! und in der aus Bentham's Anregungen hervorgegangenen Aenderung des älteren Englischen Beweisrechtes ihrm deutlichsten Ausdruck fand. Die Ausschließung von Zeugen ward schon unter dem Einfluß der älteren Strömungen immer seltener und den Uebergang erleichterte die Aufstellung der Kategorie der verdächtigen oder be­ denklichen Zeugen. Allein die Bedeutung dieser Unterscheidung beruhte wesentlich auf künstlicher Regelung der Beweiswürdigung und der Forderung zweier voller, oder einer größeren Anzahl bedenklicher Zeugen für die Herstellung des Beweises. Mit der Beseitigung dieser Regeln schwand auch der Werth der Unterscheidung, und es bleibt naturgemäß nichts übrig, als irgend eine Mahnung an die Urtheiler, gewifie, einmal zugelafiene Zeugenaussagen mit mehr Mißtrauen aufzunehmen, fie sorgfältiger zu sichten. Diese Mahnung bringt im Englischen Recht der Vorsitzende des Schwurgerichtes in seiner Belehrung der Geschworenen an; im neueren kontinen­ talen Prozeß ist dieselbe in der Unterlafiung der Beeidigung gewisier Zeugen aus­ gedrückt, dem letzten Rest des älteren Rechtes, welches die Aussage, die zufällig nicht beeidigt war, als minder volles Beweismittel behandelte und denselben Charakter Von vornherein der bedenklichen Zeugenaussage durch absichtliche Ausschließung des Eides aufprägte. Das Zweischneidige dieses Vorganges, bei welchem einerseits das Streben nach Fernhaltung muthmaßlicher Meineide maßgebend war, andererseits aber doch der Mißstand eintritt, daß eine Aussage von unberechenbarer Wirkung zugclassen werden muß, welche nicht nur an sich bedenklich ist, sondern noch durch positive Anordnung des Gesetzes einer Veranstaltung entrückt wird, in welcher mit Recht eine Gewähr der Wahrhaftigkeit erblickt wird, läßt sich nicht verkennen, und es ist daher erklärlich, daß manche Gesetzgebungen diesen Weg überhaupt nicht gingen und (wie namentlich das Englische Recht) kein unbeeidigtes Zeugniß zuließen, die anderen aber die Fälle der Nichtzulassung zum Zeugniß sowol, als blos zum Zeugeneid möglichst einschränkten. Damit sind alle die Gesichtspunkte, welche für die Häufung solcher Ausschließungen im älteren Rechte maßgebend gewesen, dem Gebiete aus­ drücklicher Regelung durch die Gesetzgebung entrückt; die beachtenswerthen Gedanken aber, welche denselben meistens zu Grunde lagen, sollten von der modernen Rechtswisienschaft nicht bei Seite gelaßen werden. Denn nicht nur kommt letzterer die Anleitung zu richtiger Bewciswürdigung zu, auf welche die Gesetzgebung verzichten mußte, sondern es hängt die Leitung des Beweisverfahrens, die Entscheidung von Zwischenfällen, welche sich in demselben ergeben, wesentlich davon ab, ob gewisse zur Sprache gebrachte Umstände mit Recht als solche bezeichnet werden, welche bei der Würdigung einer Zeugenaussage zu berücksichtigen sind. Das Französische Recht läßt als Zeugen nur solche zu, die es als voll­ gültige anerkennt; die Beeidigung ist mit dem Zeugniß so untrennbar verknüpft, daß sie selbst aus übereinstimmenden Antrag der Parteien nicht unterlassen werden darf. Ein ziemlich weiter Kreis von Personen ist vom Zeugniß durch art. 156 und 322 des Code d’Instr. ausgeschlossen; es sind dies die Ascendenten, Descendenten, Geschwister und im gleichen Grade Verschwägerte, Ehegatten (selbst noch nach Auflösung der Ehe) eines der Mitangeklagten und Anzeiger, welchen gesetzlich ein Anzeigcrlohn gebührt. (In vollem Umfange gilt das nur in der Hauptverhandlung vor dem Schwurgericht.) Neben diese kategorischen Bestimmungen stellt sich aber eine be-

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trächtliche Abschwächung nicht blos durch dm Einfluß stillschweigender Zustimmung der Parteien, sondern auch durch die dem Präsidenten kraft seiner diskretionären Gewalt zustehmde mündliche Vemehmung derselbm Personen, die als Zeugen nicht der» nommen werden dürsm, als Auskunstspersonen (ponr renseignement). In ähnlicher Weise gestattet art. 75 des Code d’Instr., „daß die Kinder unter 15 Jahren-, und zwar auch schon in der Voruntersuchung „in der Form der Erklämng (par forme de döclaratioo) und ohne Eidesleistung vemommen werden", woraus gefolgert wurde, daß sie auch in der Hauptverhandlung unbeeidigt vemommen werden dürfen; die Praxis gestattet übrigens, mindestens solange kein Widerspmch erhoben ist, auch die Beeidigung. Die Oesterr. StrafPO. erllärt als zeugnißunfähig ausdrücklich „Personen, die zur Zeit, in welcher sie das Zeugniß ablegen sollen, wegen ihrer Leibes- oder Gemüthsbeschaffenheit außer Stande sind, die Wahrheit anzugeben" (§ 151 Z. 3). Die Zahl der Personen, welche durch Ausschließung vom Eide als verdächtige Zeugen hingestellt (jedoch nicht als solche ausdrücklich benannt) werden, ist eine ziemlich große; der maßgebende Gesichtspunkt ist durchgehends nur der, daß irgend ein greifbarer Grund vorhanden ist, die Unbefangmheit, Unabhängigkeit oder Auf­ richtigkeit des Zeugen oder seine Fähigkeit, die Wahrheit zu sagm und die Wichtig­ keit des Eides zu ersasien, zu bezweifeln. Solche Umstände find: 1) der Verdacht, die strafbare Handlung selbst begangen oder daran theilgenommen zu haben, 2) wegen eines Verbrechens schwebende Untersuchung oder deshalb noch abzubüßende Freiheitsstrafe, 3) vorausgegangene Vemrtheilung wegen falschen Zeugniffes oder falschen Eides; 4) Alter unter 14 Jahren; 5) „erhebliche Schwäche des WahrnehmungS- oder Erinnerungsvermögens" ; 6) offene Feindschaft mit dem Beschuldigten; 7) erwiesene Unwahrheit erheblicher, vom Zeugen ausgesagter Umstände (§ 170). Zur vollen Würdigung dieses Systems ist es aber nothwendig zu beachten, daß auch das nicht beeidigte falsche Zeugniß nach Oesterr. Recht als Verbrechen ge­ straft wird. Die Deutsche StrafPO. enthält keine Bestimmung über die Unfähigkeit zum Zeugniß. „Sonach," sagt Löwe, „können auch Kinder als Zeugen vemommen werden. Desgleichen ist die Vemehmung geisteskranker Personen selbst in der Hauptverhandlung nicht ausgeschloffen; sie kann vielmehr stattfinden, toenn das Gericht von der Auslastung der betreffenden Person oder von der Art ihres Auf­ tretens eine Aufklämng der Sache erwartet." Gegen die Zulassung der Ver­ nehmung solcher Personen ist allerdings nichts einzuwmden (s. oben unter I.); die unter solchen Modalitäten stattfindenden Vemehmungen unterscheiden sich aber von Zeugenvemehmungen sehr wesentlich, welche wmigstens von der Vermuthung auSgehen, daß man werde glauben dürfen, was der Zeuge sagt. Die Unterscheidung ist keine blos theoretische; werden solche Personm als Zeugen, nicht blos als Objekte eines Versuches behandelt, so hat das Gericht es gar nicht mehr in seiner Hand, ob es sie vemehmen will, da den Parteien ihre Ladung freisteht und sobald diese erfolgte, kann die Vemehmung nur mit Zustimmung beider Parteien unterbleiben (Deutsche SttafPO. § 244). Bezüglich der Geisteskranken wird überdies, wenn man sie als Zeugen zu behandeln hat, 8 56 Z. 1 der Deutschen SttafPO. nicht einmal unbedingt ausreichm, um die Unterlastung der Beeidigung zu rechtfettigen. Auch die- Deutsche SttasPO. stellt nicht eine Kategotte von ausdrücklich als verdächtig oder bedenklich ettlärten Zeugen auf; aber auch sie schließt eine (verhältnißmäßig^ geringe) Anzahl von Personen vom Zeugeneide aus, ohne deren Vemehmung als Zeugm zu untersagm, und der dafür maßgebende Gesichtspunkt ist doch in erster Linie das Mißttauen gegen den Zeugen, sei es, daß bei ihm, weil er das sechzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet oder wegen mangelnder Verstandes­ reise oder wegen Vetttandesschwäche „von dem Wesen und der Bedeutung des Eides keine genügende Vorstellung" vorauszufetzen ist, — sei es, daß er „nach den Be-

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ZevgenbeweiS.

stimmungen der (bestehenden oder zur Zeit einer ihn betreffenden Berurtheilung bestandenm, — auch der auswärtigen) Strafgesetze unfähig" zum Zeugeneide ist, — fei es, daß er „hinsichtlich der den Gegenstand der Untersuchung bildenden That als Teilnehmer, Begünstiger oder Hehler verdächtig oder bereits verurtheilt ist" (Deutsche StrafPO. § 56). Letztere Bestimmung läßt manchen Zweifel offen. Man muß davon ausgehen, daß jeder betroffen ist, bezüglich dessen nach der Auffaffung des Gerichtes der Berdacht obwaltet, daß er in einer der bezeichneten Richtungen mit der That zusammenhänge; wenn dabei der Berurtheilung noch ausdrücklich ge­ dacht ist, so geschah dies wol nur aus Besorgniß, es könnte der zur Gewißheit er­ hobene Berdacht als solcher nicht mehr angesehen werden. Ter bereits Berurtheilte steht aber der Sache gewiß unbefangener gegenüber als der Freigesprochene, der eine Erneuerung des Verfahrens oder doch eine Beinträchtigung seines guten Namens zu besorgen hat; zudem ist es, da auch der Verdächtige sreigesprochen werden muß, wenn Gewißheit der Schuld nicht zu erlangen ist, und da es Gründe der Freisprechung giebt, welche davon ganz unabhängig find, ob Jemand einer bestimmten That ver­ dächtig ist oder nicht, ganz gut möglich, daß ein Freigesprochener der That u. s. w. ver­ dächtig bleibt. Ein Antrag die Beeidigung außer Verfolgung gesetzter Mitbeschuldigter zu untersagen, ward in der Reichstagskommisfion abgelehnt. Die Sache steht also so, daß dieses Verhältniß an und für sich nicht entscheidet: das Gericht hat sich darüber selbst eine Meinung zu bilden, ob noch Verdacht gegen den zu Vernehmen­ den obwalte. — Ein eigenthümliches Verhältniß besteht nach der Deutschen StrafPO. (§ 57) bezüglich der Personen, welche als Angehörige des Beschuldigten das Zeugniß verweigern können; sie sind einerseits berechtigt, „auch nach der Vernehmung die Beeidigung des Zeugniffes zu verweigern; andererseits hängt es von dem richterlichen Ermeffen ab, ob sie unbeeidigt zu vernehmen oder zu beeidigen sind." Diese letztere Bestimmung reiht sie der Sache nach in die Kategorie der verdächtigen Zeugen. Tie Mißlichkeit des ganzen Gegenstandes und jedes hier ein­ zuschlagenden Weges ist durch die außerordentlich große Verschiedenheit der Gesetz­ gebungen dargethan, die zwischen vollständiger Ausschließung und unbeschränkter Zulaffung des Zeugenbeweises der Angehörigen des Angeschuldigten schwanken und verschiedene Mittelwege versuchen. Der in der Deutschen StrafPO. eingeschlagene hat das Bedenkliche, daß für die Beeidigung die Meinung des Gerichtes über die Wahrheit der abgelegten Aussage wol allein ausschlaggebend sein kann und daß ein „Vorurtheil" hierüber immer bedenklich ist, sei es, daß nur ein Richterkollegium entscheidet, sei es, daß vor Geschworenen verhandelt wird. Auch bei Berathung der Oesterr. StrafPO. schwankten die Ansichten hierüber zwischen Einräumung des Rechtes, den Eid zu verweigern, Ausschließung vom Eid und unbedingter Auferlegung des­ selben. Zuletzt gab, wie es in den Motiven der letzten Regierungsvorlage heißt, die Erwägung den Ausschlag, daß die den Angehörigen des Beschuldigten gewährten Rechte diesem unter Umständen auch gefährlich werden können. „Nicht immer müssen solche Personen ihm Wohlwollen; oft ist gerade die zwischen Verwandten herrschende Feindschaft die bitterste. Dennoch steht es nach dem bisherigen Recht diesen Personen frei, auch den Eid nach Belieben zu verweigern oder zu leisten. Der Entwurf be­ seitigt nun diese Anomalie, indem er die Ausnahmsstellung jener Personen aus das Recht einschränkt, sich des Zeugniffes zu entschlagen. Unterwerfen sie sich dagegen freiwillig der Zeugenvernehmung, so sind sie auch im vollsten Umfang nach den für Zeugen überhaupt geltenden Vorschriften, namentlich also hinsichtlich der Beeidigung und der Konfrontation, zu behandeln." IV. Tie Berufung zum Zeugniß geschieht in der Regel ist der Form der Ladung. Tas ältere Recht brachte ungeladenen Zeugen ein Mißtrauen ent­ gegen, das bis zur Ausschließung ging. Zwar im älteren Römischen Recht, wo das Zeugniß in der Regel nicht erzwungen werden konnte und nur ausnahmsweise der Ankläger dazu ein Recht hatte, war daran nicht zu denken; und auch als dies

ZeugrabewelS.

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später sich änderte, bestand keine anerkannte Regel über die Unzulässigkeit ungeladener Zeugen, wol aber wurden einzelne Stellen der Quellen von den Gloffatoren und späteren Schriftstellern in diesem Sinne gebeutet, und so bürgerte sich z. B. im Schottischm Recht diese Regel so ein, daß sie erst in diesem Jahrhundert durch Gesetz beseitigt wurde (9 Geo. IV. c. 29 § 10). Im Französischen Recht hat sich die in der Ordonnanz von 1670 enthaltene Regel, daß die Zeugm vor ihrer Vernehmung über die an sie ergangene Ladung sich ausweisen müssen, in den art. 74 des Code d’Instr. hinüber­ gerettet, — sie gilt daher in der Voruntersuchung nicht nur, sondem sür die Ver­ handlungen der Polizei- und Zuchtpolizeigerichte; dagegen ist sie auf Schwurgerichts­ verhandlungen nicht anwendbar (art. 324). Tie Oesterr. und Deutsche StrasPO. sehen, weder im Vor- noch im Hauptversahren, der Vernehmung freiwillig sich dar­ bietender Zeugen ein Hindemiß entgegen; wol aber bedarf es der Ladung der Zeugen, um ihre Pflicht zum Erscheinen und ein volles Parteirecht auf deren Vemehmung zu begründm (vgl. übrigens den Art. Ladung). Hier ist nur noch hervorzuheben, daß eine Beschränkung bezüglich der Zahl der zu ladmden und zu vemehmenden Zeugm in der Deutschen und Oesterreichischen StrasPO. nicht besteht, wenngleich das System der beiden Gesche ein verschiedenes ist (vgl. dm Art. Beweisver­ fahren). Das nach der Deutschen StrasPO. bestehende unbedingte Recht, eine beliebige Menge Zeugm auf eigene Kosten zu laden, bringt die Gefahr von Miß­ bräuchen mit sich, wie man in England, Frankreich und selbst in Italien erfahrm hat. In letzterem Lande, wo art. 385 Regel, di p. p. dem Präsi­ denten das Recht einräuntt, die Liste der für den Angeklagten oder die Civilpartei zu ladmden Zmgm auf eine bescheidenere Zahl herabzuschen, weist der Zusammmhang (obgleich es an entgegengesetzter Auslegung nicht fehlt) darauf hin, daß die Bestimmung nur für Ladungen gelte, die auf Kosten des Staates vorgenommen werden sollen; auch kann die Bestimmung gegm Mißbrauch in der Auswahl der Personen (z. B. Schaffung von Kollisionen von der unter I. bezeichneten Art — oder der einst in England gemachte Versuch, durch eine Zeugenladung die Wcgführung Rapoleon's nach St. Helena zu verhindern) keinen Schuh gewähren. Die im Kriminalprozeß der Römischen Republik in einzelnm Leges aufgestellte Beschränkung der Zeugenzahl traf nur den Anlläger und sollte der allzugroßen Behelligung Unbctheiligter vorbmgm. V. Zeugnißpflicht und Begrenzung derselben. Die Zeugnißpflicht ist ein Ausfluß der allgemeinm Bürgerpflicht, zur Handhabung der Rechtspflege das­ jenige beizutragen, was für dieselbe unentbehrlich ist und auf andere Weife als durch die Mitwirkung eines bestimmten Privaten ihr nicht verschafft werdm kannMan muß hier, wie auf vielen Gebieten des öffentlichen Rechtes, wohl unterscheiden zwischen Demjenigen, was der Staat erwartet, durch seine Organe annehmen, ja zu deffen Leistung er mahnen kann, und Demjenigm, was er, wenn es verweigert wird-, fordern und erzwingen darf. Um letzteres zu rechtfertigen, dazu genügt die bloße Berufung aus jene allgemeine Pflicht nicht im neueren Staatswesen, in welchem auch das öffentliche Recht wesentlich Gesehesrecht ist, und zwar eben dämm, weil die Begrenzung der Rechte des Staates dem Bürger gegenüber nicht der einseitigen Beurtheilung der Organe der Staatsverwaltung überlassen werden kann; es bedarf daher eines Gesetzes, welches zur Erzwingung der Leistung ermächtigt. Wo dieses Gesetz nicht deutlich ist, da muß es so ausgelegt werden, daß es auf ganz außer­ ordentliche Bedürfnisse, deren Befriedigung kaum je unbedingt nothwendig sein wird, nicht bezogen werde, zumal hier der Zwang nicht durch die Erwägung gemildert wird, daß er Demjenigen, den er trifft, leicht in einem ähnlichen Falle auch wieder zu Gute kommen könnte. Die Gesetze kennen nur eine Zeugenpflicht und stellen diese unter Sanktion eines Zwangsrechtcs, welches sich naturgemäß eben nur auf die Ablegung des Zeugnisses und Tasjmige, was damit untrennbar zusammenhängt, bezieht. Ter Zeuge ist also verpflichtet: 1) Bei Gericht zu erscheinen und zwar

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Zeugenb rw eiS.

fotool an der ordentlichm Gerichtsstätte, als an jedem Orte, wo sich daS Gericht zu der Amtshandlung einfindet, zu der auch die Entgegennahme des Zeugnisses ge­ hört. 2) An dem Orte so lange auszuharren, bis die Vernehmung vor sich gehen kann und bis sie für beendigt erklärt und seine Entlastung ausgesprochen ist (Deutsche StrasPO. § 247, Oesterreichische § 248) und sich dmjenigen Anordnungen zu fügen, die getroffen werden, um die Vorschrift des Gesetzes über die Nichtanwesenheit noch nicht vernommener Zeugen bei anderen Vernehmungen auszurühren (Deutsche StrasPO. § 58; Oesterreichische StrasPO. §§ 162, 241, wo es u. A. heißt: „Der Vorsitzende ordnet nach Befinden Maßregeln an, um Verabredungen oder Besprechungm der Zeugen" — diese sind auch nach § 248 Abs. 3 verboten — „zu verhindern", § 248). 3) Er muß sich in diejenigen Anordnungen fügen, welche nöthig sind, damit seine Vernehmung sachgemäß durchgeführt werden könne, daher auch ihm vorgezeigte Personen und Sachen besichtigen, wenn dies nöthig ist, um die Fragm, die an ihn gerichtet werden, zu verstehen oder die Antworten verständlich zu machen. Sehr empfindliche Beschränkungen der persönlichen Freiheit können schon damit verbunden sein; wie z. B. die aus dem Art. 34 des Französischen Gesetzes in manche Deutsche Strafprozeßordnungen übergegangene Vorschrift, daß der an Ort und Stelle erschienene Untersuchungsrichter „Jedem, bei dem er es nothwendig findet, verbieten kann, während destelben oder auch noch während des folgenden Tages seinen Aufenthaltsort zu verlassen" (Oesterreichische StrasPO. § 182). Darüber hinaus geht aber die Zeugenpflicht nicht. Es ist, nach Heinze's treffenbet Ausführung (im Gerichtssaal, 1862) „nachdrücklichst zu betonen die Beschränkung der Zeugenpflicht auf Offenbarung dessen, was der Zeuge weiß. Darin liegt ein Doppeltes: der Zeuge hat nicht zu handeln, sondern nur zu reden; und zu reden hat er nur von dem, was er jetzt bereits weiß"; man hat kein Recht, ihm zur Pflicht zu machen, Nachforschungen und Beobachtungen anzustellen, „über ein demselben unbekanntes Sachverhältniß sich zu unterrichten, ... für die Zukunft sich zum Zeugen zu machen, während er eS in der Gegenwart nicht ist". Ebensowenig ist der Zeuge als solcher verpflichtet, sich zu Thätigkeiten oder Experimenten herzugeben, welche der Entdeckung der Wahrheit förderlich sein mögen, aber mit dem Zeugniß nichts zu thun haben. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz kann kaum in der Pflicht des Zeugen, sich die Gegenüberstellung mit Beschuldigten und anderen Zeugen gefallen zu lassen, erkannt werden; wol aber läge in der Ladung von Personen, die nichts auszusagen haben, blos vorzustellen sind, eine bedenkliche Ausdehnung der Zeugnißpflicht. Eine Zwangspflicht, sich zum Objekt des richterlichen Augenscheines oder der Besichtigung durch Sachverständige herzugeben, ist in den Gesetzen nicht statuirt; aber da diese Untersuchungshandlungen den Behörden zur Pflicht gemacht und ganz alltäglicher Natur sind, so kann an deren Recht zur Vornahme derselben auch widex Willen der Betroffenen nicht gezweifelt werden, aber mögen sie passiven Widerstand überwinden können, so sind sie doch nicht berechtigt, den Zeugenzwang anzuwenden, um die Darbietung zu solchen Akten zu erzwingen oder deren Unterlassung zu bestrafen. Andere Untersuchungshandlungen ungewöhnlicher Art, solche, welche die Gesundheit gefährden könnten (z. B. Versetzung in den sog. magnetischen Schlaf, Hypnotismus u. dgl.) oder dem persönlichen Gefühle widerstreben (z. B. Verkleidungen, Verstellen der Stimme u. dgl.) sind so beschaffen, daß mehr als ein Appell an den guten Willen und an die Opferwilligkeit des Privaten nicht gestattet ist (insofern sagt Heinze mit Recht: „Der Richter darf nicht befehlen, was er nicht physisch oder moralisch er­ zwingen kann"). Für diese Stelle genügt es übrigens, hinzuzufügcn, daß es sich bei Dingen dieser Art keinesfalls um ein Zeugniß handelt, wenngleich die Person, bezüglich welcher sie ins Werk gesetzt werden sollen, ein Zeuge sein mag. Es gilt dies nach beiden Seiten hin: Es dürfen solche Zumuthungen nicht auf den Zeugniß­ zwang gestützt werden; aber die Befreiung vom Zeugniß ist nicht ohne Weiteres

Zeugenbeweis.

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Befteiung von der Pflicht, solche Untersuchungsakte über sich ergehen zu kaffen, die Jeder, er sei Zeuge oder nicht, sich gefallen laffen muß. Die Befreiung von der Zeugnißpflicht gilt entweder für alle oder nur für bestimmte Straffachen und ist entweder eine vollständige oder theil weise, die letztere bezieht sich wieder entweder auf die Form, in welcher das Zeugniß abzu­ legen ist, oder auf das Wesen, die Aussage selbst. A. Für alle Strafsachen vollständig befreit ist auf Grund des § 4 des EG. zur Teutschen StrasPO. in denjenigen Deutschm Staaten, beten Gesetze dies aussprechen, der Landesherr (nach der Zusammenstellung in Geyer's Lehrbuch, S. 539, find dies die Königreiche Sachsen und Württemberg). Wo solche ausdrück­ liche Satzungen nicht bestehen, schließt die Fassung des § 71 der Deutschen StrasPO. die sonst wol naheliegende Annahme aus, daß, da gegen das Staats­ oberhaupt wie überhaupt keinerlei Gerichts-, so auch kein Zeugnißzwang geübt werden kann, es einer. Zeugnißpflicht nicht unterliegt. Nach Oesterreichischem Recht ist daran nie gezweifelt wordm, ebenso bestimmt ist dies im Englischen Recht aner­ kannt (vgl. Best, §§ 125, 249). — Für alle Straffachen gilt ferner das in dem eben angeführten § 71 der Deutschen StrafPO. begründete Vorrecht der (nicht über­ haupt befreiten) Landesherren, der Mitglieder der landesherrlichen Familien, sowie der Mitglieder der fürstlichen Familie Hohenzollern, in ihrer Wohnung (in Abwesenheit der Parteien) vernommm zu werdm, den Eid nur mittels Unterschreibens der die Eidesnorm mthaltenden Eidesformel zu leisten und zur Hauptverhandlung gar nicht geladen zu werden. (In Oesterreich werden die Mitglieder des kaiserlichen Hauses als 3eugen durch den Obersthofmarschall und außer Wien durch den Präsidenten des Gerichtshofes erster Instanz in ihrer Wohnung vernommen und gilt eine an Eidesstatt abgegebene schriftliche Versicherung derselben für die wirkliche Ablegung des Eides — § 155 der StrasPO. und § 31 des Familienstatuts von 1839). Hieran schließt sich das im § 49 der Deutschen StrasPO. begründete Vorrecht des Reichs­ kanzlers und einer Anzahl höchster Reichs- und Landesbeamteter, an ihrem Amtssitze oder Aufenthaltsort vernommen zu werden, und ein ähnliches Vorrecht der Mitglieder des Bundesrathes und der Deutschen gesetzgebenden Versammlungen, während der Sitzungsperioden an ihrem hierdurch bestimmten Aufenthaltsort vernommen zu werden. Damit wird in vielen Fällen die Vernehmung in der Hauptverhandlung unmöglich gemacht, welche in den im § 49 der Deutschm StrafPO. erwähnten Fällen durch kommissarische Vernehmung erseht werden muß (§ 222 der StrafPO.). Ausnahmm von dieser im öffentlichen Interesse aufgestellten Regel hängen nicht von demPrivilegirtcn selbst, sondem von höherer Genehmigung ab (Abs. 3 des § 49). Hier ist auch die Vorschrift des § 48 Abs. 2 der Deutschen StrafPO. zu erwähnen, wonach die Ladung „einer dem aktivm Heere oder der aktiven Marine angehörigen Person des Soldatcnstandes" „durch Ersuchm der Militärbehörde" erfolgt, welche die Er­ füllung der Zeugenpflicht mit den Anfordemngen des Dienstes in Einklang zu bringen hat (vgl. 88 161 und 223 der Oesterreichischen StrafPO.). B. Auf das Wesen der Sache (die Aussage) bezieht sich die ebensalls für alle Straffachen geltende Befreiung gewisser Personen von solchen Aussagm, durch welche sie die mit ihrer öffentlichen Stellung oder ihrem Berufe verbundene Pflicht zur Wahmng des Geheimniffes Anderer verletzen würden. Es find dieS: 1) „Oeffentliche Beamte" (§ 53 der Deutschen StrasPO., vgl. § 151 der Gesten. StrasPO. „Staatsbeamte"); sie „dürfm über Umstände, auf welche sich ihre Pflicht zur Amtsverschwiegenheit bezieht", sofem sie letzterer nicht entbundm wurden, nicht vemommen werden. Gleichgültig ist, wie die Deuffche StrafPO. aus­ drücklich enffcheidet, ob der Beamte noch int Amte ist oder nicht, sofem nur die Aussage das Verrathen eines im Amte erfahrenen Geheimniffes wäre. Ein Verzicht des Beamten ist ebenso ohne. Einfluß, wie sein Widerstrebm, nach erfolgter Ge-

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Zeugend eweis.

nehmigung seiner Vernehmung auszusagen; es handelt sich eben nicht um sein Recht oder Interesse. Der zweckmäßigste Vorgang ist daher gewiß der, daß der Richter schon vor der Vernehmung des Zeugen die Genehmigung der dem letzterm vorgesetzten Dienstbehörde ansucht. Dm an der Sache Betheiligten steht es allerdings frei, diesen Schritt auch zu untemehmen und, sofern es sich um evmtuelle Anrufung einer Be­ schwerdeinstanz handelt, liegt dies auch in ihrem Interesse. Andererseits kann für die Entscheidung der Behörde die amtliche Mittheilung des Richters über den Stand der Sache von ausschlaggebmder Bedeutung sein, und cs kann daher desien Ver­ mittelung den Parteim nicht versagt werden. Alles dies ist aber nur anwendbar, wenn von Ansang an erkennbar ist, daß es sich um Gegmstände handelt, die unter dem Schutze der Amtsverschwiegmheit stehen. Zeigt sich aber erst bei der Ver­ nehmung, daß dieselbe auf Gegmstände auszudehnm ist, die unter diesen Gesichtspunkt fallm können, dann ist die Lage eine schwierigere. Zunächst ist es da gewiß Sache des Vemommenen selbst, die ihm durch feine Pflicht vorgezeichnete Grenze einzuhalten, und wenn er Zweifel hegt, wird ihn» die Möglichkeit gekästen werden mästen, eine Entscheidung seiner vorgesetzten Behörde einzuholen. Ueberdies wird auch sonst den Zweifel nur die Dienstbehörde lösen tonnen; dem Richter würde nicht selten sogar die Norm, welche die Grenze der Amtsverschwiegmheit bezeichnet, unbekannt sein; auch wo solche Normen ihm zugänglich oder amtlich bekannt sind, kann es immerhin so liegen, daß man ohne Verrath des Geheimnisses ihm die Be­ urtheilung des Falles gar nicht ermöglichen kann. Als Regel ist es daher gewiß richtig, daß der Richter der Dienstbehörde auch die Entscheidung der Frage über­ lasten muß, ob es sich um Umstände handelt, am welche sich die Pflicht zur Amts­ verschwiegenheit bezieht. Nicht durchaus ist die Bemerkung entscheidend, welche bei der Berathung der Justizkommission des Reichstages der Regicrungskommissär machte (Prot., S. 808), und welche auch insofern unwidersprochen blieb, als ihr keine ab­ weichende Aeußemng nachsolgte (vgl. darüber Keller einer- und Puchelt an­ dererseits); allein vorher schon hatte ein Abgeordneter erklärt: er gehe davon aus, daß das Gericht selbständig zu prüsen habe, ob die im Gesetz gemachte Voraussetzung gegeben sei; und es läßt sich nicht verkennen, daß in sehr vielen Fällen die Sache so liegen kann, daß dem Gerichte die Materialien für diese Beurtheilung vollständig vorliegen, und daß demselben das Nichteintreten der Voraussetzungen völlig zweifel­ los ist. In solchen Fällen wird das Gericht lediglich nach seiner Auffassung handeln, sowie es durch die entgegengesetzte Ueberzeugung, die cs sich in Fällen bilden kann, wo der Beamte zur Aussage bereit scheint, ebenfalls sich verpflichtet sehen wird, letztere nicht zu gestatten. 2) „Geistliche" können das Zeugniß verweigern „in Ansehung desjenigen, was ihnen bei Ausübung der Seelsorge anvertraut ist" (Deutsche StrasPO. 8 51 Z. 1, vgl. Oesterreichische StrasPO. § 151 Z. 1), — ferner unter gleicher Bezug­ nahme aus das in Ausübung des Berufs Anvertraute Vertheidiger des Beschuldigte» (Deutsche StrasPO. § 52 Z. 2; vgl. Oesterreichische StrasPO. § 152 Z. 2), Rechtsanwälte und Aerzte (Deutsche StrasPO. das. Z. 8). Nach Oesterreichischem Recht sind Geistliche über das, was ihnen unter die Pflicht zur Verschwiegenheit be­ gründenden Umständen anvertraut wird, auch mit ihrer Zustimmung nicht zu vernehmen (vgl. Deutsche CPO. § 348); so weit es sich nicht um die Beichte handelt, wird aber die Erklärung Desjenigen, der die Mittheilung machte, daß er sie nicht als „anvertraut" ansehen wolle, nicht ohne Einfluß bleiben können. Im Einzelnen ist hier zu bemerken: a) Im Jnlande iungirenbe Geistliche müssen als solche nach den Gesetzen des Landes anzuerkennen sein, d. h. es darf sich der Richter nicht mit den Landesgesetzen in Widerspruch setzen, indem er die betreffende Person als Geistlichen, ihre Thätigkeit als amtliche behandelt. Daß eine positive staatliche Anerkennung stattgefunden haben müsse, wenn das Gesetz rin Fungiren auch ohne solche gestattet, folgt daraus

ZeugenbeweiS.

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nicht. Wo also neben den staatlich anerkannten Kirchen andere bestehen, die nicht verboten find, wird die Stellung ihrer Geistlichen ebenso berücksichtigt werden müssen, wie toenn es sich um im Auslande vorgenommene geistliche Berrichtungen handelt; die Beweisfrage wird natürlich in beiden Fällen manchmal Schwierigkeiten machen und der Würdigung des Gerichts unterliegen, während sie in den anderen durch die staatliche Anerkennung entschieden ist. b) Rechtsanwälte und Aerzte find bezüglich alles desien befreit, was ihnen von wem immer „bei Ausübung" ihres Berufes anvertraut wurde. Das ist aber doch nur aus das zum Zweck der Ausübung vorsätzlich Mitgetheilte, nicht auf gelegentlich der Ausübung gemachte Wahrnehmungen zu beziehen; die Scheidelinie freilich ist oft eine kaum wahrnehmbare. Der Zweck des Gesetzes ist nur, zu erreichen, daß man sich mit Beruhigung den gedachten Personen anvertrauen könne; und nur was diesen Zweck beeinträchtigen würde, fällt unter das Privilegium. Stellvertreter der Anwälte u. s. w., die selbst unter den gleichen Begriff fallen, sind zur Zeugniß­ verweigerung auch dann berechtigt, wenn ihnen etwas zum Zweck der Uebermittelung an ihren Chef anvertraut wurde; und ebenso ist es letzterer bezüglich des so ver­ mittelten „Anvertrauens". Dagegen ist Hülfspersonal anderer Art (Schreiber, Kanzlei­ beamte u. dgl.) nicht in diö Befteiung eingeschloffen; gewiß nicht dem Wortlaut nach, aber auch nicht unbedingt vermöge des Zweckes des Gesetzes, weil die Mit­ theilung an solche Personen vermuthm läßt, daß ein Bedürfniß der Geheimhaltung nicht empfunden wurde und daß sie daher auch nicht nur im Verträum auf berufs­ mäßige Verfchwiegmheit gemacht wurde (anderer Meinung: v. S chw arz e). Es kommt dazu, daß bei Aufnahme der Bestimmung der Deutschm StrafPO. 8 52 Z. 3 die Absicht unverkmnbar obwaltete, sie auf Personen von einer höheren Lebensstellung, die einige Gewähr gegen Mißbrauch bietet, einzuschränken, weil sonst die Nichterwähnung der Hebammen ganz unerklärlich wäre. c) Trotz der Erwähnung der Rechtsanwälte mußten die Bertheidiger be­ sonders hervorgehoben werden, da diese nicht immer dem Kreise der ersteren an­ gehören. Es ist nun durchaus kein Grund denkbar, warum das Privilegium solcher Bertheidiger ein beschränkteres sein sollte, als das der Rechtsanwälte; wenn daher auch der Wortlaut „Bertheidiger des Beschuldigten" darauf hinzudmtm scheint, daß dasselbe nur in der Straffache Geltung hat, in welchem Derjenige als Beschuldigter erscheint, in desien Interesse dem Bertheidiger die Mittheilung gemacht wurde, so nöthigt doch die Vermuthung innerer Konsequenz des Gesetzes, von welcher der Aus­ leger auszugehen hat, anzunehmen, daß die Befteiung für alle Mittheilungen gelte, welche einem Vertheidiger in dieser seiner Eigenschaft, gleichviel ob es sich um die Vertheidigung des heutigen Beschuldigten oder eines Anderen handelte, gemacht wurde. Anders nach Oesterreichischem Recht, welches ein Privilegium der Rechts­ anwälte als solcher nicht kennt und das der Bertheidiger auf dasjenige beschränkt, „was ihnen in dieser Eigenschaft von dem Beschuldigten anvertraut worden ist". In dem Prozeß gegen einen bestimmten Beschuldigten sind daher nur desien Mittheilungen an einen Bertheidiger geschützt. Es ist dagegen gleichgültig, ob der berufsmäßige Vertheidiger als solcher auch in der gegenwärtigm Strafsache ein­ schreitet; genug, daß ihm die Mittheilung von dem heute Beschuldigten gemacht wurde, weil er Bertheidiger ist; ob er zu der Zeit der bestellte Bertheidiger des Beschuldigten war, darauf kommt es nicht an; es kann die Mittheilung auch aus Anlaß von Verhandlungen über die Uebemahme einer eventuellen Vertheidigung oder eines Rathes, der nocg vor Einleitung einer Strafverhandlung erbeten wurde (z. B. weil der spätere Beschuldigte als Zeuge über den Gegenstand der späteren

Anklage gegen ihn vorgeladen wurde), gemacht worden sein. Zu dem gleichen Resultat führt auch nach der Deutschen StrafPO. die oben hervorgehobene Konsequenz der Z. 3 des § 52 (anderer Meinung: v. Schwarze).

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Zeugenb ewetS.

d) Nach der Deutschen StrasPO. haben alle hier genannte Personen das Recht, das Zeugniß zu verweigern, und sie habm es mit Ausnahme der Geistlichen nur so lange als sie nicht „von der Verpflichtung zur Verschwiegenheit entbunden find". Es handelt sich also nur scheinbar um ihr Recht; es ist vielmehr ein fremdes Recht, welches so wie unter den Schutz ihrer berufsmäßigen Verschwiegmheit auch unter dm ihres Taktes und ihrer fachmännischm Bmrtheilung gestellt ist. In erster Linie hat also der Zmge zu beurtheilen, ob er durch Beantwortung einer an ihn gerichtetm Frage seiner Berufspflicht gegmüber Demjenigen, defien Geheimniß er zu bewahren hat, verletzt. Glaubt er dies nicht, so hat Niemand ein Recht, ihn von der Aussage abzuhalten; im entgegmgesetztm Falle wird allerdings auch das Gericht sich die Ueberzmgung verschaffen können, ob die Voraussetzungen der gesetzlichen Besteiung vorhandm seien; allein auch die hierauf gerichtetm Fragm zu beantwortm, kann der Zeuge verweigem, sobald er hierdurch in Gefahr käme, durchblicken zu laffm, was er zu verschweigen berechtigt ist. Dies ändert sich durch die Entbindung vom Geheimniß. Diese kann offmbar nur von Temjmigm ausgehen, welchem gegenüber der Zeuge gebunden ist; es ist dies keineswegs immer der Beschuldigte, sondem der Regel nach Derjenige, welcher den Zmgm in Ausübung seines Bemfes um Rath und Beistand anging und zu diesem Zwecke ihm vertrauliche Mittheilungen machte oder zuführte, gleichviel ob er dies mittelbar oder unmittelbar that, z. B. ihm etwas durch einen Dritten sagen ließ. Mit einem Worte: Derjenige kann auf die Bemssverschwiegmheit verzichten, welcher an dm Zeugen als an eine Person seines Vertrauens sich gewendet, seine Dienste in Anspruch genommen hat. e) Bei Berathung der StrasPO. war von der Reichstagskommission eine Be­ stimmung vorgeschlagen worden, welche, wenn auch nicht ausgesprochenermaßen, doch ihrem eigentlichen Grunde nach ein Privilegium für das der Beruisverschwiegenheit der Redakteure, Verleger und Drucker anvertraute Geheimniß der Verfasser, Herausgeber oder Einsender eines anonymen Preßerzeugniffes begründet hätte. Diese Bestimmung ward schließlich sallen gelaffen, und die Sache ist jetzt unter den aller­ dings auch in dem Vorschläge selbst vorangestelltm Gesichtspunkt zu bringen, inwiesem die erstgedachten Personen wegen der sie selbst treffenden Verantwortlichkeit eine Ausnahmsstellung beanspmchen können (vgl. hierüber — außer der Literatur, die schon vor der StrasPO. aus Gmnd des Reichspreßgesetzes angewachsen war, jetzt am vollständigsten zusammengestellt in Geyer's Lehrbuch, S. 529 Sinnt. 6 — Heinze, Strafproz. Erörterungen, S. 112 ff.; v. Schwarze, StrasPO., S. 183 ff. und S. 189—190; Löwe, S. 944 ff. (2. Ausl. S. 778 ff.); Keller, bei8 56 der StrafipO. N. 6; Bomhard, bei 8 53 N. 5 u. 8 56 N. 6; Puchelt, bei 8 52 91. 2 u. bei 8 56 Nr. 7). Danach kommt es auf folgende Gesichtspunkte an: Die gedachten Personen können geltend machen, daß sie in der Sache selbst Beschuldigte seien; hier find also die oben unter I bezeichneten Rücksichten maßgebend; es kann dies am ehesten beim Redakteur vermöge der ihn treffenden Vermuthung der Thäterschast (8 20 des Preßgesetzes) der Fall sein. Seine eigene Erklärung kann aber an der Beurtheilung des Falles nichts ändern, weil ja überhaupt kein Schuldbekenntniß für sich allein entscheidet. Die Berufung auf 8 54 der StrasPO. wird in der Regel wenig fruchten, weil die Antwort gewöhnlich nicht für den Zeugen, sondern für Dritte gefährdend sein wird. Vielmehr werden regelmäßig alle gedachten Personen nach 8 56 Z. 3 der StrasPO. als verdächtige Zeugen unbeeidigt zu vernehmen sein; darauf Weisen auch die Regierungsmotive (S. 46) hin, wobei nur nicht zu begreifen, wie dieselben erklären konnten, daß vermöge der gerade hierdurch konstatirteu, wenn auch beschränkten Zeugnißpflicht derselbe Zweck erreicht werde, wie durch die Bestimmungen solcher Gesetze, welche, wie Art. 143 der Württ. StrasPO., das Recht zur Verweigerung des Zeugniffes ertheilen. — Nach O esterr. Recht besteht ebmfalls kein Privilegium aus dem Gesichtspunkte der Wahrung des berufsmäßigen Geheimnisses, immerhin aber kann im gegebenen Falle auf Grund des 8 153 der

ZmgmbewelS.

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StrafPO. zu erwägen fein, ob die Ablegung des Zeugnisses aus dem angegebenen Grunde dem Redakteur u. f. to. zur Schande gereichen würde, in welchem Falle er nur in „besonders wichtigm Fällen" zum Zeugniß verhalten werden soll. Bei dieser Beurtheilung kann aber nicht davon ausgegangm toetben, daß jener Grund der Regel nach eintrete, da im Allgemeinen, eben weil keine gesetzliche Befreiung besteht, auch nicht angenommen toetben kann, daß der bezügliche Verkehr aus der Basis unbedingter Verschwiegenheit, auch dem Gericht gegenüber, erfolgte; es wird sich vielmehr darum handeln, ob individuelle Vorgänge vorliegen, welche eine aus­ nahmsweise moralische Verpflichtung zur Verschwiegenheit begründen. C. Aus humaner Rücksicht für das Gefühl des Zeugen beruht die Befreiung der nächsten Angehörigen deS Beschuldigten von der Zeugnißpflicht. Die Gesetzgebung selbst zollt darin dem Familiensinn, der es dem Zeugen schwer macht, selbst eine Thätigkeit zu entwickeln, welche dazu beitragen kann, einem nahen Angehörigen ein hartes Schicksal zu bereiten, seine Huldigung, obgleich vielleicht um dm Preis der Schädigung wichtiger öffentlicher Jntereffm. Dieser Gesichtspunkt und nicht der der Besorgniß vor der naheliegenden Versuchung zu falschen Aussagen ist — im Gegensatz zum Römischen und Französischen, theilweise auch Englischen Recht — maßgebend. Eben daraus folgt, daß die Gesetz­ gebung keinen Anlaß hatte, solche Zeugnisse auszuschließen. Der Zeuge hat es mit sich auszutragen, ob er das Gefühl wirklich schonen will, welches das Gesetz im Allgemeinen bei ihm voraussetzt, und ob dieses Gefühl nicht vielmehr ihn zur Aus­ sage drängt. In letzterer Hinsicht wird das Interesse des Angellagtm für ihn entscheidend sein, nicht aber (wie Solde ohne Angabe von Gründen behauptet, s. dagegen Geyer, Lehrb., S.510, besonders BoituS, Kontroversen, I.S. 188ff.) für den Bestand des Rechtes zur Zengnißverweigerung. Es handelt sich dabei über­ haupt nicht um ein Recht des Angeklagten (abgesehen von dem auf Einhaltung der gefetzlichm Dorschriftm), fonbem lediglich um ein Recht des Zeugen. Dagegen bezieht sich die Befreiung nur auf die Zeugenaussage, dabei jedoch auf die ganze Aussage. Der Berechtigte ist von der Pflicht, der Vorladung Folge zu leisten und diejenige Auskunft zu ertheilen, die — ohne Verletzung des Zweckes der Befreiung — dm Richter in den Stand seht, daS Vorhandensein des Befreiungsgmndes zu prüfen, nicht befreit. Andererseits hat der Zeuge nur das Recht, die Aussage überhaupt zu verweigem, nicht aber die Antwort auf einzelne Fragen (anderer Meinung Löwe, welcher die im § 54 gewährte Befreiung auch den Angehörigm des Beschuldigten zuerkmnt). Die Dmtsche StrafPO. enthalt allerdings im § 51 Abs. 2 die Anerkennung des Rechtes des Zeugen, „den Verzicht" auf das Recht zur Verweigerung des Zeugnisses „jederzeit auch während der Vemehmung zu widermfm"; allein mit diesem Widerruf mdigt auch die Vemehmung und es kaun nicht die Vemehmung in der Weife fortgesetzt werden, daß die Beantwortung einzelner Fragm vom Belieben des Zeugen abhängt. — Eine andere Frage ist, ob der spätere Widerruf des Verzichtes auch die bereits abgelegte Aussage unwirksam macht. Die Frage, ob das darüber aufgenommene Protokoll später verlesen werden darf, wird im Zusammenhang mit der gleichen bei anderen Fällen sich ergebenden unten erörtert. Wenn dagegen die durch Zurücknahme des Verzichtes unterbrochene Aussage in der Hauptverhandlung abgelegt wurde, so könnte darin, daß das Gericht fein Urtheil auf das kraft gesetzmäßigen Vorganges bereits Vemommme stützt, ein Aichtigkeitsgmnd nicht gefunden werden. Das Recht steht dm Angehörigen des Beschuldigten zu. Als solche „Angehörige" sind im § 51 der Deutschen StrafPO. aufgezählt: 1) der Verlobte, 2) der Ehegatte des Beschuldigten, „auch wenn die Ehe nicht mehr besteht", 3) durch Adoption, durch Verwandtschaft, Verschwägerung in gerader Linie oder bis zum dritten Grade der Seitenlinie im ersten, bis zum zweiten Grade im zweiten Fall Verbundme. — Vergleicht man diese Aufzählung mit der der Oesterr. StrafPO. § 152 Z. 1 v. H-ltzendorsf, Cne. II. RkchttterUon III. 3. Aufl. 89

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so fehlen in letzterer: der Verlobte und die Schwiegereltern, umgekehrt im Teutschen Gesetz: die Geschwisterkinder, Pflegeeltern und Pflegekinder, Vormund und Mündel. WaS nun die Verlobten betrifft, so bemerkt bereits v. Schwarze, «8 könne im einzelnen Falle zweiielhast sein, ob ein derartiges Verhältniß vorliegt; „jedenfalls ist ein öffmtlicheS Verlöbniß zu verstehm". Thilo dagegen meint, eS komme nur aus daS thatsächliche Eingehen auf ein solches Verhältniß an; Dalcke fordert die Verabredung der Ehe mit Zustimmung derjmigen. beten Einwilligung erforderlich war; Puchelt meint, eS komme auf Stand, OrtSfitte und Gebrauch an und schließ­ lich entscheide daS richterliche Ermeßen. Bomhard und Koller haltm sich nur an letzteres; ebenso Boitus, der den Richter „nach dm obwaltenden Umständen urtheilen" läßt, und Löwe, der nur ein „thatsächlich bestehendes Verlöbniß, ein rechtsverbindliches also keineswegs erfordert, ebmsowenig ein öffmtlicheS". Keller hält mit Recht nur solche für „Ehegatten", deren Ehe bürgerlich gültig ist; die „kanonische Ehe" genügt ihm nicht, aber auch nicht als Verlöbniß. Tas Gesetz verlangt ein Verhältniß von Angehörigkeit gegenüber dem Be­ schuldigten. Eine prozeffualisch ausgeprägte Stellung ist nicht nothwendig, so lange eine solche nicht durch daS Prozeßstadium ohnehin bedingt ist; d. h. es genügt, wenn daS Vorbereitungsverfahren eine deutlich erkennbare Richtung gegen eine be­ stimmte Person genommen hat. Ist dies nicht der Fall, so kann die allgemeine Verficherung des Zeugen, es liege der Befreiungsgrund vor, nicht genügen; der Richter muß das Vorhandensein desselben prüfen können; und andererseits muß dafür gesorgt sein, daß eine mit Unrecht vorgenommene Vernehmung, gleichviel ob sich der Zeuge vergeblich widersetzte oder selbst nicht wußte, daß der Fall der Zeugnißverweigerung vorliege, nicht gegen den Beschuldigten gebraucht werde (s. unten). Handelt es sich um eine Mehrheit von Beschuldigten, so haben Mitbeschuldigte für ihre Person, eben weil sie nicht als Zeugen, sondern als Beschuldigte vernommen werden, kein Recht, die Aussage aus diesem Grunde zu verweigern (vgl. oben II.). Allerdings unterliegen sie eben darum auch nicht dem Zeugenzwang; es fragt sich aber, ob ihre Aussage benutzt werden darf, ohne daß sie ausdrücklich über ein ihnen zu­ kommendes Recht der Weigerung belehrt sind und darauf verzichtet haben, und dies ist aus dem angegebenen Grunde zu bejahen. Ueber den Umfang des Rechtes der Angehörigen eines der Mitbeschuldigten, das Zeugniß zu verweigern, heißt es in der Oesterr. StrafPO. (§ 162, zweiter Absatz): die vorgeladene Person kann sich „des Zeugniffes hinsichtlich der anderen nur dann entschlagen, wenn eine Sonde­ rung der Aussagen, welche die letzteren betreffen, nicht möglich ist". Mit denselben Worten löst v. Schwarze diese Frage für das Deutsche Strasprozeßrecht, wo sie das Gesetz nicht entscheidet. Ter gleichen Ansicht sind Thilo, Puchelt und Dalcke, der noch weiter geht. Dagegen erklären Löwe, Geyer und Voitus das Recht für ein unbedingtes, es wäre denn, daß die Untersuchung mehrere selbst­ ständige Straffälle umfaßt. Allein die Möglichkeit, die Ungefährlichteit der Aussage für den Angehörigen des Mitbeschuldigten zweifellos zu ernennen, kann auch sonst vorhanden sein; und umgekehrt kann das Gegentheil auch bei Verschiedenheit der Straffälle eintreten; der Angehörige bleibt in derselben Verhandlung Mit­ beschuldigter und es ist möglich, daß dasjenige, was die Veruttheilung eines seiner Genoßen wegen einer anderen Sache fördert, auch auf ihn nachtheilig zurück­ wirkt. (Ist A eines Raubamalles überführt, so wird man leichter an einen zweiten Raubanfall desselben, an dem auch B bethciligt ist, glauben. Noch auffallender kann das Verhältniß hervortreten, wenn zwei Personen gleichzeittg wegen gegenskitiger Körperverletzungen angeklagt sind.) Irgend einen Grund, warum nach dem Tode eines Mitbeschuldigten deßen Angehörige das Zeugniß noch sollten verweigern können, vermag ich nicht zn erkennen, wenigstens soweit nicht die Aufhebung eines gegen jenen ergangenen Urtheils in Frage steht (vgl. v. Schwarze, S. 177 Nr. 11 und Puchelt, S. 128 Nr. 8).

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Auf diefm Ausnahmsfall muß es wol auch bezogen werden, wenn v. Schwarze bezüglich des Ehegatten des Beschuldigten sagt: „Es ist gleichgültig, ob die Lösung der Ehe durch Tod oder Scheidung erfolgt". Unbedingt gilt dies übrigens von dem Schwägerschaftsvcrhältniß. (Nach Oesterr. Recht kommt die im § 153 der StrafPO. vorgesehene, unten näher zu besprechmde bedingte Befreiung, wegen Gefahr der Schande, auch den Angehörigen eines Verstorbenen zu statten.) v. In mgem Zusammenhänge mit der Befreiung von der Zeugenaussage in einein Strasprozeß, in welchem ein Angehöriger des Zeugen als Beschuldigter er­ scheint, steht das Recht jedes Zeugen, die Antwort aus Fragen zu verweigern, deren Beantwortung einem Angehörigen im oben bezeichneten Sinne oder ihm selbst die Gefahr strasgerichtlicher Verfolgung zuziehen würde (§ 54 der Teutsch. StrafPO.). Der Ausdruck „strafgerichtliche Verfolgung" wurde eigens angewendet, um die Berückfichtigung der Gefahr einer Tisziplinaruntersuchung auszuschließcn. Nach § 153 der Oesterr. StrafPO. soll der Zeuge „nur in besonders wichtigen Fällen" zur Aus­ sage verhalten werden, „wenn die Ablegung des Zeugnistcs oder die Beantwortung einer Frage für den Zeugen einen unmittelbaren und bedeutenden Dermögensnachtheil nach sich ziehen oder ihm selbst oder einem seiner Angehörigen Schande bringm würde". Die Vergleichung ergiebt, daß hier einerseits ein weiterer Kreis von Motiven zur Verweigerung der Aussage berücksichtigt, andererseits aber dem Zeugen kein ab­ solutes Recht gewährt, sondern der Richter in die Lage gebracht ist, das Gewicht der Abhaltungsgründe in die eine Wagschale zu legen und in die andere das der an die Aussage im konkreten Falle geknüpften Interessen. Das Teutsche Gesetz legt das Gewicht auf die Gefahr strafgerichtlicher Verfolgung, nicht aus die Schande. Auch die geringfügigste Uebertretung genügt hierzu, so lange nicht durch Tod, Verjährung, res judicata u. s. w. die Verfolgung ausgeschlosien ist. E. Als eine partielle Befreiung von der Zeugnißpflicht ist das Recht der An­ gehörigen des Beschuldigten, die Beeidigung ihres Zcugnisics „auch nach ihrer Vernehmung" zu verweigern, anzusehen (§ 57 der Deutsch. StrafPO.). Diesem Recht steht aber, wie oben unter III. bemerkt wurde, andererseits die aus der verdächtigen Beschaffenheit solcher Zeugniffe abgeleitete Bestimmung gegenüber, daß die Beeidigung vom richterlichen Ermeffen abhänge. Aus dem Jneinandcrgreifen beider Bestimmungen folgt, daß die Beeidigung bis nach der Vernehmung ausgesetzt werden kann und wol auch soll. Das Mißliche, das darin liegt, eine wichtige Gewähr der Richtigkeit der Aussage nach zwei Seiten hin der Ungewißheit preiszugeben, zeigt sich, wenn die Fälle erwogen werden, wo das Zeugniß eine große Wichtigkeit hat, der Angehörige ein wahrer Belastungszeuge ist u. f. w. (Vgl. Löwe bei § 57 Nr. 1. Der da­ selbst erwähnte Fall einer Mehrheit von Mitbeschuldigten bedarf einer weiteren Unterscheidung: das Recht der Eidesweigerung reicht keinesfalls weiter, als das der Zeugnißverwcigerung.) Wie schon erwähnt, werden nach der Oesterr. StrafPO. die Angehörigen des Beschuldigten, sobald sie auf ihr Recht verzichtend aussagen, so be­ handelt, wie dies die Deutsche StrafPO. bezüglich der im § 52 erwähnten Zeugen thut: sie sind vom Eid weder befreit, noch ausgeschloffen. Damit hängt cs auch zusammen, daß nach § 205 Abs. 2 der Oesterr. StrafPO. die Angehörigen des Beschuldigten, die Gegenüberstellung mit diesem, wenn sie sich als Zeugen abhören laffen, nur dann ablehnen können, wenn nicht der Beschuldigte selbst sie verlangt. "Nach Deutschem Recht kann dem Angehörigen des Beschuldigten keine Gegenüber­ stellung weder mit diesem noch mit anderen Zeugen ausgcnöthigt werden, da sie den Verzicht auf das Recht der Zeugnißverweigerung jederzeit widerrufen können. Zu der partiellen Befreiung von der Zeugenpflicht gehört auch die gewiffen Beamten für einzelne Arten von Strafsachen zugestandene Befreiung vom Zeugeneide. Auf Gmnd des Z 3 des EG. zur Teutschen StrafPO. kann diese Befreiung die Landesgesehgebung für als Zeugen in Forst- und Feldrügesachen auftretende Forst­ oder Feldbeamte verfügen (Löwe zum angez. ßNr. 12). Nach der Oesterr. StrafPO. 89»

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(§ 453) sind im Verfahren wegen Uebertretungen „Beamte und beeidete Diener der öffentlichen Gewalt, welche eine Aussage über Thatsachen oder Umstände ablegen, welche sie in Ausübung ihres Amtes wahrgenommen habm, .... nur unter Erinnerung an ihren Diensteid als Zeugen zu vernehmen". F. Ueber die prozessuale Gestaltung der Ausübung der vorstehend behandelten Befreiungen von der Zeugnißpflicht ist Folgendes zu bemerken: Wo für die Befreiung in erster Linie öffentliche Rücksichten sprechen, muß das Gencht von selbst daraus Bedacht nehmen. Wo cs sich um die Befreiung von der Pflicht, der Ladung nachzukommen, bei Gericht zu erscheinen u. s. w. handelt, wird die Lösung etwa austauchender Zweifel der Regel nach auf Grund schriftlicher Mittheilungen der Geladenen zu erfolgen haben. Bezüglich der Fälle, wo es sich um die Wahrung des Amtsgeheimniffes handelt (§ 53 der Teutschen StrafPO.), ist oben schon das Wichtigste besprochen. In den übrigen Fällen kommt in Betracht: 1) ob die Zeugen über das ihnen zukommende Recht zu belehren sind. Aus­ drücklich vorgeschrieben ist dies im § 52 Abs. 2 der Deutschen StrafPO. (bezüglich der Angehörigen des Beschuldigten), und zwar mit dem Beisatz „vor jeder Vernehmung", offenbar vorsätzlich Unterlasten bei § 52 (berufsmäßige Verschwiegenheit), weil hier vorausgesetzt wird, daß der Zeuge vermöge seiner Stellung über sein Recht unter­ richtet und darauf vorbereitet ist, es auszuüben, woraus nicht folgt, daß es unter­ sagt sei, eine darauf abzielende Hinweisung zu machen, wenn Zweifel über das Zu­ treffen dieser Voraussetzungen sich ergeben. Wo es sich um die Anwendung des § 54 der Deutschen StrafPO. handelt, ist die Belehrung nicht vorgeschrieben; sie wird auch in vielen Fällen ganz unmöglich, in anderen sehr mißlich sein, weil sie einen bedenklich suggestiven Charakter annehmen kann. In anderen Fällen wird es da­ gegen ganz int Geiste des Gesetzes liegen, sie nicht zu unterlaßen; das Gleiche gilt auch bezüglich des Rechtes der Angehörigen des Beschuldigten, den Eid zu ver­ weigern. Dabei darf aber nicht übersehen werden, daß die Unterlaffung der Be­ lehrung im Falle des § 51 der Deutschen StrafPO. eine ganz andere Wirkung hat, als in den anderen Fällen. 2) Rach der Oesterr. StrafPO. (§ 152 letzter Absatz) ist der prozeffuale Vor­ gang bei Vernehmung von Angehörigen des Beschuldigten so geregelt, daß der Richter sie „vor ihrer Vernehmung oder doch sobald ihm das Verhältniß zu dem Beschul­ digten bekannt wird, über ihr Recht, sich des Zeugniffes zu entschlagen, zu belehren und ihre darüber erfolgte Erklärung in das Protokoll auszunehmen" hat. „Hat der Zeuge auf sein Recht ... nicht ausdrücklich verzichtet, so ist seine Aussage nichtig". Die Folge hiervon ist insbesondere, daß die Verlesung des Protokolles in der Hauptverhandlung, wenn sie nicht ohne Widerspruch erfolgt, oder die Ablegung der Aussage in der Hauptverhandlung selbst, Nichtigkeit der Hauptverhandlung herbei­ führt (§ 281 Z. 3 und 4). — Es ist somit „ausdrücklicher Verzicht" des Zeugen Bedingung der Verwendbarkeit seiner Aussage, ob die Vernehmung ohne diesen Verzicht erfolgte, weil der Angehörige des Zeugen noch nicht Beschuldigter war, weil das Verhältniß noch nicht erkannt war, oder weil der Richter regelwidrig vorging, macht dabei keinen Unterschied. — Die Deutsche StrasPO. begnügt sich mit einem stillschweigenden Verzicht, unter der Voraussetzung der voraus­ gegangenen Belehrung. Ist daher die „Belehrung unterblieben und das gesordcrte Zeugniß abgelegt worden, so darf von der niedergeschriebenen Aussage rin weiterer Gebrauch nicht gemacht werden" (Löwe); ebmso wird wol auch, wenn der Vorgang in der Hauptverhandlung selbst sich zutrug, dies einen Revisionsgrund bilden. In beiden Fällen kann es meines Erachtens aber nicht darauf ankommcn, ob dem Richter eine wistentliche oder fahrlässige Verletzung des Gesetzes zur Last fällt, sondern darauf, ob das geschehen oder unterblieben ist, was das Gesetz vorschreibt. (Derselben An­ sicht: v. Schwarze; anderer Meinung: Löwe.)

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3) Das Formgebrechen der Vernehmung ohne vorausgegangene Belehrung kann selbstverständlich durch ausdrücklichen Verzicht des Zeugen auf sein Recht unschädlich gemacht werdm; ob auch durch nachträglichen Verzicht? Erfolgt dieser während des Verfahrens, so wird er der ausdrücklichen Zustimmung zur ferneren Verwendung der Aussage nach Deutschem Rechte (nicht nach Österreichischem) gleich­ kommen. Rach Schluß der Hauptverhandlung abgegeben, könnte er meines Erachtens an der eingetretenen Nichtigkeit des Verfahrens nichts ändern. (Vgl. v. Schwarze, S. 177 Z. 9.) 4) Ter gleichviel ob ausdrückliche oder stillschweigende Verzicht kann jederzeit widerrufen werden, und es fragt sich, welche Wirkung dies auf die schon erfolgte Vernehmung übt. Abgesehen von dem im Laufe der Vernehmung erfolgten Wider­ rufe, von dem schon oben die Rede war, wird der Fall meist in der Weise ein­ treten, daß der Verzicht erst in der Hauptverhandlung (oder in einer neuen Haupt­ verhandlung) hervortritt. Diesen Hauptfall regelt nun § 251 der Deutschen StrafPO., welcher die Verlesung der früheren Aussage verbietet, wenn der Zeuge in der Haupt­ verhandlung das Zeugniß verweigert. (Dasselbe ergiebt sich aus § 252 der Oestcrr. StrafPO.) Nach den Bestimmungen der Deutschen StrafPO. wird der Fall, daß die Aussage des Zeugen verlesen wird, wenn er nicht zur Hauptverhandlung geladen war, ohnehin nicht leicht vorkommen; und ist andererseits selbst die unberechtigte Verweigerung des Zeugnisses in der Hauptverhandlung kein Grund, welcher die Ver­ lesung der Aussage des Zeugen rechtfertigt. Uebrigens ist aus § 251 noch ferner zu folgern, daß auch eine schriftliche Verwahrung des etwa gar nicht geladenen Zeugen ein Hinderniß der Verlesung seiner Aussage bildet. 5) Dagegen begründet das Recht der Zeugnißverweigerung kein Hinderniß dagegen, daß, wenn der Zeuge stirbt, ohne den Verzicht widerrufen zu haben, die Aussage verlesen werde, ferner daß außergerichtliche Mittheilungen eines Angehörigen des Beschuldigten erwiesen und benutzt werden. Wohl aber wäre es eine unwürdige Um­ gehung des Gesetzes, das Protokoll über die Vernehmung des Zeugen, nach Widerruf seines Verzichtes, durch die mündliche Aussage über seine Vemehmung zu ersetzen. (Bedenken erregt da nur der Fall der Konfrontation, wo sicher nicht dem Beschul­ digten, aber auch kaum einem Zeugen verwehrt werden kann, anzuführen, was der mit ihm konfrontirte Angehörige des Beschuldigten ihm ins Gesicht gesagt habe.) — 6) Wenn der Zeuge die Befreiung in Anspruch nimmt, so muß er, sofern das Vorhandensein des Befreiungsgrundes einem Zweifel unterliegt, den Richter in den Stand sehen, darüber sich ein Urtheil zu bilden. Nach § 55 der Deutschen StrafPO. hat er sogar die Thatsache, auf welche er die Verweigerung des Zeugnisses stützt (außer dem Falle, wo es sich um das Amtsgeheimniß handelt), glaubhaft zu machen. „ES genügt die eidliche Versicherung". Bei alledem ist aber daran festzuhalten, daß der Zeuge zu keiner Angabe genöthigt werden darf, durch welche sein Recht schon vereitelt würde. Ueber die Statthastigkeit der Zeugnißverweigerung entscheidet der Richter, welcher die Vernehmung leitet, also auch der rcquirirte Richter. VI. Unberechtigter Verweigerung des Zeugnisses oder Eides gegenüber tritt der Zeugenzwang (s. d. Art. Zeugnißzwang) ein. VII. Die Entgegennahme der Zeugenaussage erfolgt auf verschiedene Art, je nachdem sie in oder außerhalb der Hauptverhandlung vor sich geht; in letzterem Falle muß nach Deutschem Recht wieder unterschieden werden, ob eine Vemehmung stattfindet, welche bestimmt ist, die Stelle der Vernehmung in der Hauptverhandlung zu ersehen (kommissarische Vernehmung). Im Allgemeinen ist bezüglich der Vemehmung im Vorverfahren auf die Artikel Einleitung der Untersuchung und Voruntersuchung, bezüglich der Vorbereitung der Haupt­ verhandlung und des Ganges der Vemehmung in derselben auf den Art. Beweis­ verfahren Bezug zu nehmen.

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Uebrigens gelten für die Zeugenvernehmung folgende Grundsätze: 1) Jeder Zeuge ist einzeln zu vernehmen. Damit hfl zunächst eine Kollektiv­ abhörung untersagt, wie sie immerhin bei Vorfällen denkbar wäre, die sich in Gegen­ wart zahlreicher Personen zutrugen. Der Zeuge ist ferner in Abwesenheit noch zu vernehmender anderer Zeugen zu vernehmen, was in der Hauptverhandlung besondere Veranstaltungen nöthig macht. Der wichtigste Grund dafür ist der, daß zu den wirksamsten Mitteln der Erprobung des Werthes der Zeugnisie gehört, daß mehrere Zeugen über ihre gleichzeitigen oder gleichartigen Wahrnehmungen und über Gegenstände, über welche sie unerwartet befragt werden, auch übereinstimmend aus­ sagen. Steht dieses Erprobungsmittel außer Frage, so kann die Anwesenheit noch zu vernehmender Zeugen sogar nützlich sein. Der Hauptfall ist der der Gegenüber­ stellung, welche einen dreifachen Zweck verfolgen kann: a) die bloße Vorzeigung zum Zweck der Wiedererkennung (Rekognition); b) den Austausch von Detailangaben be­ hufs Herstellung einer vollkommenen Uebereinstimmung unter Umständen, wo an der Aufrichtigkeit keines der beiden Zeugen gezweifelt, dagegen erwartet wird, daß sie sich gegenseitig die Erinnerung auffrischen und ergänzen; c) die Erprobung der Festigkeit und des Beharrens auf einander widersprechenden Behauptungen. Die letztere Form der Gegenüberstellung, welche (zumal gegenüber dem Beschuldigten) un­ verkennbar etwas Peinliches mit sich führt, wird jetzt in der Regel in der Haupt­ verhandlung in einfacherer und minder verletzender Weise durchgeführt und kann jedenfalls fast immer auf diese Verspart werden (Deutsche StrafPO. § 58 Abs. 2; Oesterr. StrafPO. §§ 168 und £05), was bezüglich der beiden anderen Formen der Gegenüberstellung wol nicht „ohne Nachtheil für die Sache" möglich ist. — 2) Die Vernehmung des Zeugen muß stets in Gegenwart des Richters und des Schriftführers stattfinden; bezüglich der Hauptverhandlung ergiebt sich die Zulasiung weiterer Zuhörer aus der Natur des Vorganges. Im Vorverfahren kommt es zunächst auf die Frage an, ob die Prozeßbetheiligten der Vernehmung beiwohnen dürfen. In dieser Hinsicht sind für das Vorverfahren die §§ 167 und 191 der Deutschen StrafPO. maßgebend, nach welchen dieselben der Vernehmung solcher Zeugen beiwohnen dürfen, „welche voraussichtlich am Erscheinen in der Hauptver­ handlung verhindert oder deren Erscheinen wegen großer Entfernung besonders er­ schwert wird". (Das Nähere in Abs. 3—6 des § 191.) Diese Bestimmung findet ihre Ergänzung in den §§ 222, 223, welche die Vernehmung durch einen beauf­ tragten oder ersuchten Richter regeln, die ausdrücklich zu dem Zweck erfolgt, um die Stelle der Vernehmung in der Hauptverhandlung zu ersehen. 3) Die Zeugenvernehmung ist stets eine mündliche. Die einzige Ausnahme tritt bei der Verhandlung mit tauben oder stummen Personen ein (§ 188 des Deutschen GVG.), in welchem Falle die Fragen schriftlich gestellt oder die Antworten schriftlich ertheilt werden (§ 164 der Oesterr. StrafPO.). Eine schriftliche Erklärung des Zeugen, welche dem Gericht eingesendet wird, vertritt die Stelle des Zeugnissen in keiner Weise. Es kommt dagegen wol vor, daß eine solche Erklärung vor der Vernehmung schon überreicht war; ganz besonders gilt dies von Anzeigen, die der Beschädigte, gewöhnlich der Hauptzeuge, erstattet hat. Wenn sich im besonderen Falle keine Bedenken dagegen ergeben, ist es nicht unzulässig, daß der Inhalt dieses Schriftstückes durch Verlesung und ausdrückliche Genehmigung im mündlichen Verhör in eine Zeugenaussage umgewandelt wird. Nur muß der Richter sich völlig davon überzeugen, daß das Niedergeschriebene der freie und treue Ausdruck dessen ist, was der Zeuge sagen will, daß er sich der rechtlichen Wirkung dieser Bestätigung und seiner Verantwortlichkeit bewußt sei; auch muß der Richter sich zu dem Vorgelesenen im Uebrigen verhalten, wie zu jeder anderen zusammenhängenden Erzählung des Zeugen. — Eben daraus ergiebt sich, daß dem Zeugen nicht gestattet werden kann, seine Aus­ sage auf Grund eines mitgebrachten Schriftstückes zu diktiren; wol aber kann ihm nicht verwehrt werden, Aufzeichnungen über Gegenstände, die das Gedächtniß allein

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unmöglich sicher festhalten kann. Rechnungen. Tagebuchnotizen u. dgl. zu benutzen. Aber auch dabei muß nöthigmfallS Kontrole geübt werdm: eS handelt sich darum, daß der Zeuge feine Erinnerungen auffrischen könne, nicht aber, daß einem Dritten rin Mittel geboten werde, seine Aussage ihm vorzuschreiben. — 4) Ist bei stummen oder tauben Personen die Verständigung durch die Schrift nicht möglich, oder macht die Verschiedenheit der Sprache den direkten amtlichen Verkehr des Richters mit dem Zeugm (bei Anwesenheit anderer Betheiligter deren Theilnahme am Verhör) unmöglich, so muß durch Herbeiziehung eines Dolmetsch die Vermittelung erzielt werden. Bei Verschiedenheit der Sprache gilt als Regel, daß das Protokoll in beiden Sprachen ausgenommen werde (§§ 187 und 188 des Deutschen GVG.; §§ 168 und 164 der Oesterr. StrasPO.). 5) Die Vernehmung beginnt mit der Feststellung der Persönlichkeit des Zeugm und seiner Verhältnisse, soweit es des letzteren für die Zwecke des Verfahrens bedarf (§ 67 der Deutschen, § 165 der Oesterr. StrasPO.). Die mitunter vorkommende Unterscheidung zwischen Personal- und Generalsragen, von denen letztere die Beziehungen des Zeugen zur Sache und zum Beschuldigten bezeichnen sollen, ist ohne Bedeutung. Wichtig ist dagegen der Umfang der in solchem Falle zu stellenden Fragen. An der Spitze steht hier das Verhältniß zum Beschuldigtm und Ver­ letzten; danach muß gefragt werden, wenn es nicht ganz außer Zweifel steht, daß nichts vorliegt, was entweder das Recht zur Zeugnißverweigerung begründen könnte oder ein Licht über die Glaubwürdigkeit des Zeugen verbreiten könnte. In letzterer Hinsicht nachzusorschen, kann übrigens der Fortsetzung des Verhöres, dem Verhör zur Sache, Vorbehalten werden. Was insbesondere die Frage nach dem Vorleben des Zeugen, nach erlittenen Verurtheilungen u. s. w. betrifft, so deutet das Dmtsche Gesetz mit den Worten: „erforderlichenfalls sind dem Zeugen Fragen über solche Umstände, welche seine Glaubwürdigkeit in der vorliegenden Sache be­ treffen, vorzulegm", hinlänglich an, daß der Zeuge nach Möglichkeit geschont werden soll. Dies gilt namentlich von der öffentlichen Hauptverhandlung; aber auch schon bezüglich der Vemehmung durch dm Untersuchungsrichter ist im § 166 der Oesterr. StrasPO. angeordnet, daß nach vorausgegangenm strafgerichtlichen Untersuchungen und derm Ergebniß nicht gefragt werden soll, wmn es nicht „nach den besonderen Umständen des Falles unumgänglich nothwendig ist*. 6) Vor Beginn der Vemehmung zur Sache muß dem Vemommenen vollkommen klar gemacht sein, daß er als Zeuge in einer Strafsache und unter der hiermit ver­ bundenen Verantwortlichkeit aussage. Es genügt nicht, daß dies der Erschienene schon aus der Ladung wiffm soll und kann. Nach der Oesterr. StrasPO. (§ 165) geht eine Mahnung, unter ausdrücklicher Hinweisung auf die eventuell bevorstehende Beeidigung, selbst den allgemeinen Fragen voran. In der Hauptverhandlung bildet nach Deutschem wie Oesterr. Recht die vorausgehmde Beeidigung die Regel und überhebt jedm Zweifels, wobei wieder umgekehrt die Beeidigung nach Deutschem Recht der Beantwortung der allgemeinen Fragen vorangeht, nach Oesterr. Recht ihr nachfolgt. Für die Vemehmung im VoMerfahren schreibt § 68 der Deutschen StrasPO. vor, daß vor derselben dem Zeugm „der Gegenstand der Untersuchung und die Person des Beschuldigten, formt ein solcher vorhanden ist, zu bezeichnen ist", eine Anordnung, deren unbedingte Geltung auch für das VoMerfahren doch auch die Sichemng der Wahrheit erschweren, namentlich dm Zeugen zum Nachtheil peS ihm namhaft gemachten Beschuldigten, auf welchen vielleicht sein Verdacht sich noch nicht gelenkt hatte, beeinfluffen oder von der Angabe solcher Umstände, die er sonst für wichtig gehalten hätte, abhalten kann. 7) Die Vemehmung zur Sache ist eine wesentlich verschiedene, je nachdem sie im VoMerfahren oder in der Hauptverhandlung (zumal als wiederholte) erfolgt. Im Allgemeinen zeichnen unsere Gesetze derselben aber den Gang vor, daß zunächst dem Zeugen zu zusammenhängender Darlegung des Gegenstandes seiner Vemehmung Ge-

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legenheit gegeben werden soll, und daß erst, wenn dies geschehen oder nicht zu erreichen ist, einzelne Fragen (besondere Fragen) an ihn gerichtet werden sollen (§ 68 der Teutschen, § 167 der Oesterr. StrasPO.). Der Zweck dieser Fragen ist zunächst Ergänzung der spontanen Aussage und Aufklärung besten, was in der­ selben dunkel oder widersprechend scheint, sodann Gewinnung von Anhaltspunkten für die Beurtheilung des Werthes der Zeugenaussage. Dabei handelt es sich in erster Linie darum, Klarheit darüber zu erlangen, daß die Aussage wirklich ein Zeugniß, eine Aussage über eigene Wahrnehmung des Zeugen ist; zu diesem Zweck ist der Grund seines vermeintlichen Mistens zu ermitteln. Das Verbot von Suggestivfragen kann nicht unbedingt hingestellt werden (vgl. letzten Satz des § 167 der Oesterr. StrafPO.), und zumal bei wiederholter Vernehmung des Zeugen in der Hauptverhandlung kann mit dem Versuch, sie zu ersparen, eine zwecklose, fast lächerliche Weitwendigkeit verbunden sein; andererseits lasten sich sehr entschiedene Vorhalte bei bedenklich zurückhaltenden Zeugen gar nicht vermeiden. So wenig sich feste Regeln aufftellen lasten, so wichtig ist es, daß festgehalten werde, was der Zweck der Fragestellung ist, weil nur auf diese Weise die aus dem Fragerecht der Parteien unvermeidlich entspringenden Streitigkeiten vor Gericht entschieden werden können. Insofern hat die Theorie des Z. als die Darstellung der Gründe, auf denen die Beweiskraft des Zeugnifles ruht, und derjenigen, welche diese schwächen und untergraben, auch für das geltende Recht, trotz der Freiheit der richterlichen Beweiswürdigung und der meist ausgeschlostenen Ueberprüfung derselben, eine sehr große Bedeutung. VIII. Ueber den Zeugeneid s. d. Art. Eidesformel Bd. I. S. 613 und im Art. Beweisverfahren Bd. I. S. 382. IX. Ueber Zeugengebühren s. diesen Art. Bd. III. S. 1417 u. § 70 der Deutschen StrafPO. Daß sie demjenigen nicht zukommen, der der Ladung nachkam und dann rechtmäßig das Zeugniß verweigerte (v. Schwarze), halte ich nicht für richtig.

Gsgb. u. Lit.: Mathaeus, De criminibüs, Ad. 1. 47, tit. 15 cap. 2—4. — Prosp. Farinacius, Tract. de testibus. — Carpzovius, Practica nova, III. qu. 114. — Böhmer, Observationes selectae, Obs.2—11 ad. h. quaest.; Derselbe, Medit. in C.C.C. ad art. 63 ss. — Filangieri, Scienza della Legislazione, 1. III. Parte I. cap. 9, 12—15. — Globig, Versuch einer Theorie d. Wahrscheinlichkeit, (Regensb. 1806), Bd. I. 4. Theil(1810) S.606 ff., §§ 817 ff. — Stübel, Das Kriminalverfahren (1811), §8 840-935^ 1111, 1134, 1167, 2388-2451, 2584- 2622. —Henke, Darstellung des gerichtl. Verfahrens in Strafsachen, (Zürich 1817) S. 189 ff.; Desselben Handbuch des Krimmalrechts, IV. (1838) S. 499 ff. — Martin, Lehrbuch des Krim.Proz., (5. Aust. 1857) S. 257 — 270, 88 83 ff. — Bauer, Lehrbuch der Strasproz., (1835) §8 141—147. — Abegg, Lehrbuch des gemeinen Krim.Proz., (1833) 88 124—129. — Müller, Lehrbuch deS gemeinen Deutschen Krim.Proz., (1837) 8§ 104—108, 145, 150. — Kittier, Corpus jur. crim., (1834) p.484— 494. — Klenze, Lehrbuch des Strafverfahrens, (1836) S. 96 ff. — H. A. Zachariä, Grundlinien des gem. Deutschen Krim.Proz., (1837) S. 106—113, 213—233. — Kitka, Die Erhebung des Thatbestandes, (1831) S. 88—203; Derselbe, Beweislehre im Oesterr. Krim.Proz., (1841) S. 112—267. — v. Jagemann, Handbuch der ger. Untersuchungskunde^ (1838) L S. 47—50, 499—596. — Mittermaier, Die Lehre vom Beweise im Deutschen Strafproz. (1834, italienische Uebersetzung mit Zusätzen des Verfasters, von Ambrosoli, Mailand 1858), 88 38—47; Derselbe, Handb. d. Deutschen Strafverfahrens, (1845) I. 88 94 bis 107, 167—173. — Bentham, Theorie d. gerichtl. Beweises, (Berlin 1838) Buch II., Buch HI. Cap. 1—13, Buch VII. —Best, Principles of Evidence (6. Ed. London 1875; deutsche Uebersetzung von Marquardsen, Heidelberg 1851) Book II. Part I. §8 124—195. — Roscoe, Digest of theLaw of Evidence, 6. Ed. 1862 (9.Ed. 1877) p. 99—136. — Alison, Practice of the Crimin. Law of Scotland (Edinb. 1833), p. 393—555. — Mac Donald, A practical treatise on the criminal law of Scotl. (Edinb. 1867), p. 535—549, 565, 566. — Wharton, Criminal Law of America, (2. Ed. 1852) Book 2Cap. 3.— Greenleaf, Law of Evidence (12. Ed. 1866), 88 326—469. — Hingst, Over de personlijke bewijzmiddelen in het Engelske en Nederlandske regt, Nieuwe Bij(tragen XVII. 4 bl. 598 ss. — Code d’Instr. criminelle art. 71-86, 153—157, 190, 304, 315-326, 355, 356, 510 ss. — Trd-

Zeugengebühren.

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butien, Cours de droit crim., (1. öd.) IL p. 236—244. — Hölie, Pratique, u. Rolland de Villargues bei den enges. Artikeln. — Hölie, Thöorie de l’instruction criminelle, (1. öd.) Vol. V. p. 531-693, §8 853-372: VoL VII. p. 285—317 § 499; VoL VIII. p. 682—768, §§ 635—642. — Morin, Röpertoire du droit criminel sub verbo: Tömoins. — Bonnier, Traitö des preuves, (3. öd.) II. p. 286 ss. — Mangin, De l’instruction öcrite, (Paris 1847) p. 163—212, Nr. 97—126. — Duverger, Manuel du jnge d’instr., (2. öd.) IL p. 309— 411, §§ 254—316. — Italienisches Regolamento di procedura penale art. 160—179. 285—315, 490, 492, 493, dazu der Kommentar von Mel (3. Ed. Napoli 1880). — G. Borsani e L. Casorati, Codice di procedura penale, Vol. II. p. 375—418, §§715—755.— P. Eil er o, Critica criminale, (Venezia 1860; auch ausgenommen in dessen Opnscoli, p.267 ss.) Cap.21—28. — Carrara, Programma. Parte generale, II. §§ 943 ss. (5. Ed. p. 510 es.); Derselbe, Lineamenti di pratica legislat penale, (1874) Oss. VIII. p. 191 ss. — Ueber den Konflikt zwischen Vertheidigung und Zeugniß Rivista penale, Vol. V. p. 78 ss. Planck, Systemat. Darstellung deS Deutschen Strafverfahrens, S. 231 ff., 362 ff. — Zachariä, Handbuch deS Deutschen Strafproz., II. S. 181—216, 439—446. — Walther, Lehrbuch des Bayerischen Strafproz., 54, 55, 79. — Dollmann, System des Bayerischen Strasprozeßrechts. S. 94—96, 105—108. — Oppenhoff, Die Preußischen Gesetze über Strasverfahren, S. 120, 155. — Löwe, Der Preußische Strafprozeß, S. 169—178. — v. Würth, Oesterr. StrasPO. v. 1850, S. 256—275. — Rulf, Kommentar z. StrasPO., d. K. Oesterreich von 1853, I S. 203- 232. — v. Schwarze, Kommentar zur StrasPO. des Königreich Sachsen von 1855, I. S. 292 ff. — Einzelne Abhandlungen (vgl. die Anführungen beim Art. B eweisverfahren). — Be schränkungen der Zeugen­ fähigkeit und des Werthes der Zeugnisse: L. Stempf, Ein stummer Zeuge, Strafrechtspfl. II. 75—78. — Mitschuldige: Heffter im Archiv für Kriminalr. 1845, S. 89—104. — Mittermaier das., 1852, S. 51—68. — Krall, Allgem. Oesterr. Gericktsztg., 1875, Nr. 104, 105. — Unvereinbarkeit mit anderen Prozeßstellnngen: Bolze in Goltd. Arch., XXV. S. 202 ff. — Casorati in der Rivista penale, XII. p. 5—14. — Jnformationszeuaen u. dgl.: Goltdammer's Arch., XI. 75—78. — Mittermaier im Gericht-!., 1858, S. 93—120. — Zeugnißpflicht und Befreiung von derselben: Heinze, Eine unzulässige Ausdehnung der Zeugenpflicht, im Gertchtssaal, 1862, S. 452 ff. — Zeitschr. für Bayern, IX. 421 ff. — Roßhirt, Zeitschrift für Deutsches Strafverfahren, Neue Folge III. 94—144. — Goltdammer's Arch., VII. S. 56—62 (Dulheuer, Beicht­ fiegel); X. S. 820 ff., 826; XI. S. 504 ff., 816-848; XXVI. S. 113 ff. (Oetker). — v. Holtzendorff's Strasrechtsztg., III. S. 133 ff. (Sundelin), S. 429 ff.; IV. S. 545 ff. (John). — Dochow, Der Zeuamßzwang, Jena 1877. — Rubo, Ueber den sog. Zeugniß­ zwang, Berlin 1878. — D. P. Kayser, Der Zeugnißzwang im Strasverfahren in geschicht­ licher Entwickelung, Berlin 1879. — Verhandlungen des Deutschen Juristentages, V. Band 1 S. 53 ff. (Geyer), S. 78 ff. (Tippelskirch); Band 2 S. 62 ff., 188 ff.: X. Bd. 1 S. 144 ff. (Lewald): XI. Bd. 1 S. 90 ff. (Ullmann) XII. Band 8 S. 154 ff., 313 ff. Huber-Liebenau in der Zeitschrift des Anwaltvereins für Bayern, XIX. S. 326 ff. — v. Bar, Krit. d. Entw. einer Teutschen StrasPO., (1873) S. 54—567. — Nissen, Bemerk, z. Entw., (1874) S. 23 ff. — Angehörige des Beschuldigten: Brauer im Gerichtssaal, 1856, I. S. 3—18. — Haßlwanter in d. Allg. Oesterr. Gerichtsz., 1856, Nr. 76ff. — Schwarze, Gerichtssaal, 1869, S. 60 ff. — Wesche, Vorles. der Aussagen eines Verwandten in der Hauptverhandl., Gerichtssaal 1870, S. 369 ff. — Muteau, Le secret professionel (1870). — Poodts, Inviolabilitö du secret du döfenseur, Belgique judiciaire, XXXVI. Nr. 19. — Vorbestrafungen und Generalia: v. Kräwel in Goltd. Arch., IX. 807—809. — Abegg im Gerichtssaal, 1856, II. S. 62—85. — Amtseidliche Versicherungen: Buttel im Archiv deS Kriminalrechts, 1844, S. 213—222. Neuestes Deutsches und Oesterr. Recht: S. d. beim Art. Ablehnung der Ge­ schworenen angeführten nach §§ gereihten Komment. — John, Das Deutsche Strafprozeß­ recht (Suppl. zu Holhendorsf'S Encyklopädie 1880), S. 45, 46. — L. v. Bar, Systemat. des Deutschen Strasprozeßrechts, (1878) §§ 52—54. — Dochow, Der Reichs-Strafprozeß, (3. Aufl.) S. 159 ff. — Geyer in v. Holtzendorff's Handbuch, I. S. 265 ff.; Derselbe, Lehrbuch d. gem. Deutschen Strasprozeßrechts, (1880) S. 505 ff. — Ullmann, DasOesterr. Strafprozeßrecht, S. 395 ff. — Binding, Grundriß, § 81. — S. Mayer, Handbuch deS Oesterreich. Strafprozesses, II. 13. Hauptstück. — Frydmann, System. Handb. der Ver­ theidigung, (1878) S. 141—145, 168—172, 200—210. — Dargha, Tie Vertheidigung, (1879) S. 315- 316, 554—579. — Fr. v. Liszt, Lehrb. deS Oesterr. PreßrechtS, (1878) § 84. — Fuchs in Goltd. Arch., XxVIII. 168 ff. (Vernehmung von Gendarmen.) Glaser.

Zeugengebühren. Ter von dem Gesetze jedem Staatsbürger auferlegten, nöthigenfalls erzwingbaren Pflicht, sich als Zeuge vernehmen zu lassen, steht die Verbindlichkeit des Staates gegenüber, jeden materiellen Schaden, der dem Zeugen aus der Erfüllung jener Pflicht erwächst, zu decken, wenn auch unter Vorbehalt des Rückgriffs an den demnächst zur Kostentragung Verurtheilten. Gleichgültig ist es,

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Zeugengebühren.

ob der Zeuge in einem gerichtlichen oder in einem Administrativverfahren vernommen wird. Ein materieller Schaden entsteht dem Zeugen nicht blos dann, wenn er ge­ nöthigt ist, eine Reise zu unternehmen, um an den Ort seiner Vernehmung zu ge­ langen, sondern in jedem Falle auch dadurch, daß er Währmd der Zeit, die er behuss Genügung der Zeugenpflicht aufwendet, seinem Berufe und Erwerbsgeschäste entzogen wird. Es umfaßt daher die dem Staat obliegende Entschädigungsverbind­ lichkeit einestheils die Erstattung der Auslagen für die nothwendig gewesene Reise und des durch dm Aufenthalt außerhalb seines Hauses bedingten Aufwandes, anderntheils den Ersatz für dm versäumten Erwerb. Beide Artm der Entschädigung fallen unter den Begriff der Zeugmgebühren. Was die erstere betrifft, so behandelt sie der Art. Reisekosten der Zeugen und Sachverständigen. In Ansehung der anderm gehen die verschiedenen Gesetzgebungen mehr oder weniger weit auseinander. Die Preußische Verordnung vom 29. März 1844 unterschied, ob der Zeuge einen mehr als eine Viertelmeile langen Weg bis zum Orte seiner Vernehmung zurückzulegen hatte oder nicht. Im ersterm Falle bewilligte sie Reisekosten, deren Höhe die Dersäumnißkosten mit deckm sollte, für den andem Fall stellte sie das Prinzip auf, daß dem Zeugm eine Vergütung überhaupt nicht zustehe, er müßte denn den Nachweis führen, daß ihm durch die Versäumniß ein Schade in seinem Erwerbe ge­ schehen sei. Nur für Personen, niederen Standes wurde ein derartiger Schaden präsumirt und ihnen eine Versäumnißentschädigung auch ohne jenen Nachweis zugebilligt. Die Oesterreichische StrafPO. vom 23. Mai 1873 schreibt im § 383 vor, daß solchen Zeugen, welche von Tag- oder Wochenlohn leben und denen daher eine Ent­ ziehung von ihrer Arbeit, wenn auch nur auf wenige Stunden, einen Entgang an ihrem Erwerbe bringen würde, auf ihr Verlangen ein Ersatz des entgangenen Er­ werbes zu zahlen sei, anderen Zeugen aber, wenn sie nicht auf die durch eine Entfemung ihres Wohnorts von zwei Meilen (4 Stunden) bedingten Reisekosten Anspruch haben, eine Zeugengebühr überhaupt nicht zustehe. Das hierdurch zum Ausdruck ge­ brachte Prinzip steht nicht im Einklang mit der im § 150 das. getroffenen Anordnung, daß Jeder, der vom Gericht als Zeuge vorgeladen wird, der Ladung Folge zu leisten verpflichtet ist. Anders die Deutsche Gesetzgebung. Sie erkennt zunächst im § 366 der CPO. und im § 70 der StrafPO. die Berechtigung des Zeugen auf Ent­ schädigung für Zeitversäumniß neben der für eine etwa zurückgelegte Reise aus­ drücklich an. Sodann bestimmt sie im § 2 der Gebührenordnung für Zeugen von: 30. Juni 1878, daß jeder Zeuge einen Anspmch auf Entschädigung für Zeitversäumniß hat und regelt die Höhe derselben. Sie geht dabei von dem Gmndsatz aus, daß mit jeder Zeitversäumniß präsumtiv auch eine Einbuße am Erwerbe verbunden sei, läßt deshalb, wenn nach dem Ermeffen des Gerichts diese Präsumtion durch die Stellung und den Beruf des Zeugen beseitigt erscheint, einen Anspruch auf die Ent­ schädigung nicht zu und macht andererseits eine Ausnahme zu Gunsten der Personen, welche durch gemeine Handarbeit, Handwerksarbeit oder geringen Gewerbebetrieb ihren Unterhalt suchen, indem sie ihnen den Anspruch zubilligt, selbst wenn eine Versäumung in dem Erwerbe nicht stattgefunden hat. Der int Oesterreich. Recht ziemlich eng gezogene Kreis der absolut berechtigten Personen ist sonach erheblich erweitert. Alle diese Vorschriften beziehen sich nur auf das gerichtliche, nicht auch auf das Administrativverfahren. Auch in diesem steht nach den Preußischen Gesetzen vom 8. Februar 1819 und 23. Januar 1838 der Verwaltungsbehörde das Recht der summarischen Untersuchung, also auch der Zeugenvernehmung, zu. Daß auch hier dem Staat die Verpflichtung obliegt, den Zeugen wegen etwaiger durch Reisen und Zeitversäumniß gehabter Aufwendungen und Verluste zu entschädigen, wird zwar in jenen Gesehen nicht vorgeschrieben (— der maßgebende Anhangs §253 der Allg. Ger.L. schreibt zwar die Aufstellung einer Gebührenliquidation für das Verfahren vor, läßt sich jedoch nicht darüber aus, ob zu diesen Gebühren auch die Auslagen gehören —), folgt aber aus dem allgemeinen Grundsätze, daß kein Zeuge verbunden ist, behufs

Zeugeugevührrn.

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Erfüllung der Zeugnißpflicht einen Schaden zu tragen. Dagegen ist der Zeuge nicht berechtigt, auf die Bestimmungen der Gebührenordnung vom 30. Juni 1878 seinen Anspruch zu stützen. Er kann daher nur die wirklichen ihm erwachsenen Aus­ lagen und Schäden erstattet verlangm. In dem reichsrechtlichen Administrativversahren kommen nach dem Bereinszollgesetz, dem Brausteuergesetz und dem Wechsel­ stempelgesetz die landesrechtlichm Vorschriften zur Anwendung: es ist demgemäß in diesen Gesehen über die Zeugengebühren keine Anordnung getroffen. Das Postgeseh endlich schreibt ein besonderes Berfahrm vor und verpflichtet ausdrücklich die Zmgm, der Ladung der Postbehörden Folge zu leisten (§ 88 des Gesetzes vom 28. Oktober 1871). Wenn es nun auch nichts Besonderes über die dem Zeugen zu gewährende Entschädigung sagt, spricht doch der § 45 von den baaren Auslagen des Berfahrms und bezeichnet als solche u. A. auch die „Zeugengrbühren". Nach welchem Maß­ stabe sie zu bemeffen, ist nicht vorgeschrieben. Jedenfalls aber ist die Verpflichtung des Staates zur Entrichtung derselben hierdurch anerkannt. Der Anspruch des Zeugen entsteht dadurch, daß er der Ladung Folge leistet, und ist nicht von seiner Vernehmung abhängig. Er bleibt bestehen, auch wenn diese aus irgend einem Grunde ausgesetzt wird. Selbst der Zeuge, welcher von dem Recht der Zeugnißverweigerung Gebrauch macht, geht desselben nicht verlustig, da die In­ aussichtstellung der Zeugengebühren kein Mittel sein soll, ihn zur Ablegung eines Zeugnisses zu bewegen. Eine Ausnahme tritt in Ansehung der im Strafverfahren von dem Angeklagten unmittelbar geladenen Zeugen ein. Sie sind zwar nicht vom Gericht oder der Staatsanwaltschaft geladen, haben somit nach § 70 der StrafPO. keinen Anspruch gegen den Staat durch ihr Erscheinen erworben. Wmn sich jedoch bei ihrer Vemehmung ergiebt, daß ihre Aussage zur Aufilärung der Sache nach der einen oder anderen Seite hin dienlich war, soll ihnen ein Anspruch auf die gesetz­ lichen Zeugengebühren zugebilligt werden: es soll also angenommen werden, als seim sie vom Gericht geladen worden. Nicht dasselbe gilt von den Zeugen, welche der Angeklagte nicht geladen, sondern zum Termin gestellt hat; ebensowenig von dem Nebenkläger, wenn er und trotzdem er als Zeuge eidlich (vgl. das Urtheil des Reichsgerichts vom 25. Okt. 1880, Rechtspr. Bd. II. S. 380) vernommen wird. Der Anspruch erlischt, wenn er nicht binnen einer bestimmten Frist geltend ge­ macht wird. Er geht durch Verzicht oder durch dm Tod des Berechtigten nicht unter. Wenn er trotz eines Verzichtes innerhalb der gesetzlichen Frist erhoben wird, erscheint jener wirkungslos, weil der Anspruch nicht im Privatrecht, foitbcm int

öffentlichen Recht wurzelt, und die Gebührenordnung feines Unterganges durch Ver­ zicht nicht gedenkt. Ist er erworben, so geht er in Folge seines vermögensrechtlichen Eharakters auf die Erben über. Die Oesterreichische StrafPO. setzt die Frist zur Geltendmachung auf nur 24 Stunden, die Deutsche Gebührenordnung dagegen aus drei Monate fest, welche mit dem Tage der Beendigung der Vemehmung beginnen (§ 16 1. c.). Der Anspruch unterliegt der Prüfung und Festsetzung des Gerichts, von dem auch die Anweisung zur Zahlung der Gebühren ausgeht. Gegen die Festsetzung ist das Rechtsmittel der Beschwerde gegeben, das jedoch nicht dm in Verwaltungsfachen zulässigen Weg geht, sondem einen prozessualen Charakter hat. Obwol nämlich die Entschädigung des Zeugen mit der Entscheidung des Rechtsstreites oder der Strafsache in keinem inneren Zusammenhänge steht, somit ihrer Natur nach in das Gebiet der Justizverwaltung fällt, wird dennoch das Rechtsmittel ebenso behandelt, wie wmn es sich auf die Sache selbst bezöge. Es ist daher das Verfahren verschieden, jenachdem es von einem in einein Prozesse oder einer Straffache vemommenen Zeugen eingelegt wird. Nur darin stimmen beide überein, daß auch im Prozefle der An­ waltszwang ausgeschloffen ist und es sowol hier wie dort durch Privatfchrift oder Gerichtsschreiberprotokoll erhoben werden kann.

Meves.

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Zcugnlhzwang.

Zeugnißzwaug. Unter Z. versteht man die Anwendung der gesetzlich zulässigen Mittel gegen Personen, welche ihrer Zeugnißpflicht nicht genügen, d. h. entweder auf gehörige Vorladung nicht erscheinen oder sich weigern auszusagen oder ihre Aussage zu beeidigen. Sobald man eine Verpflichtung des Staats­ bürgers anerkennt, bei der Erforschung der Wahrheit durch den Richter sowol im Civil- wie im Kriminalverfahren mitzuwirken, kann es kaum einem Zweifel unterliegen, daß die Verweigerung dieser Pflicht einen Ungehorsam gegen staat­ liche Normen enthält und darum mit Strafe bedroht werden kann. Ta nun aber die Auferlegung einer solchen Strafe in concreto nicht geeignet ist, die That­ sache zu beseitigen, daß der widerspenstige Zeuge seiner Pflicht nicht genügt hat, und es gleichwol Fälle giebt, in denen die wirksame Handhabung der Justiz möglicherweise von der Ablegung des verweigerten Zeugnisses abhängt, so lag nahe, Maßregeln anzuordnen, deren Anwendung dem Zeugen nicht zur Strafe dienen, sondern ihn veranlassen soll, seine Pflicht zu erfüllen. Sehr häufig beschränkt man sich nicht auf Strafe oder executio ad faciendum, sondern wendete beides neben­ einander kumulativ an. Abgesehen von dem älteren Jnquisitionsprozesse, in welchem auch Zeugen der Folter unterworfen werden konnten, bestehen die gebräuchlichen Zwangsmittel im Civil- und Strafprozeß in Geldstrafen oder Haft, und nur darin unterscheidet sich executio ad faciendum von Strafe, daß bei ersterer der Betrag, resp, die Dauer des Zwangsmittels gesteigert werden konnte, bis der zu Zwingende nachgab, bei letzterer von vorneherein ein Maximum gesetzlich festgestellt war. Die richtige Erwägung, daß, wenn Mittel und Zweck nicht in schreiendes Mißverhältniß gerathen sollten, auch der Zwang zur Ablegung eines Zeugnisses gewisse Grenzen haben müsse, und daß es besser sei dieselben im Gesetze zu bestimmen, als diese Aufgabe dem jedesmaligen Takte des Richters allein zu überlassen, näherte executio ad faciendum und Strafe in ihrer äußeren Erscheinung noch mehr. Dennoch müssen beide Begriffe auseinander gehalten werden, nicht nur in theoretischem Interesse, sondern auch aus wesentlich praktischen Rücksichten. s)lad) dem allgemein anerkannten Grundsatz ne bis in idem kann die Strafe für Zeugnißverweigerung, auch wenn das zulässige Maximum nicht erreicht war, nicht wiederholt werden, bei Zwangsmaß­ regeln dagegen ist eine Wiederholung solange zulässig, als deren Gesammtbetrag das gesetzlich zulässige Maximum noch nicht erreicht hat. Tie Prozeßordnungen für das Teutsche Reich (über die Bestimmungen der früheren partikularen StrafPO. vgl. die Zusammenstellung in den Motiven zur StrasPO., Hahn, III. §§ 114 ff., auch Binding, S. 114 ff., und bezüglich des Civ.Prz. die Motive zur CPO., Hahn, II. 310 ff., 313 ff.) drohen Strafen an für das Unterlassungsdelikt des Nichterscheinens und der Zeugnißverweigerung, und ge­ statten daneben die Anwendung von Zwangsmaßregeln in bestimmtem Umfange (vgl. §§ 345, 355 der CPO.; §§ 50, 69 der StrafPO.). I. Bezüglich der anzuwendenden Maßregeln muß unterschieden werden zwischen dem Nichterscheinen und dem Verweigern des Zeugnisses. 1) Damit das Nichterscheinen strafbar sei, wird vorausgesetzt, daß der Zeuge ordnungsmäßig geladen worden ist, die Ladung also den in §§ 342 und 343 der CPO. und §§ 48 und 49 der StrasPO. aufgestellten Erfordernissen entspricht und namentlich auch vorschriftsmäßig zugestellt worden ist (vgl. §§ 152 ff. der CPO.). Ter in derselben angegebene Ort des Erscheinens braucht nicht der des Gerichts zu sein, vielmehr muß der Geladene überall erscheinen, wo es ihm die Ladung angiebt. Diese Pflicht wird nicht dadurch ausgehoben, daß der Zeuge ein Recht hat sein Zeugniß zu verweigern. Fraglich ist, ob auch der Zeuge als ausgeblieben zu be­ handeln ist, der sich ohne Erlaubniß von dem Orte der Vernehmung entfernt hat. Zu unterscheiden ist dabei, ob der Zeuge schon vernommen worden war oder nicht. Im ersteren Fall muß die Entfernung offenbar dem Nichterscheinen gleichgestellt werden, da der Zeuge zur Zeit seiner Vernehmung nicht anwesend ist (vgl. auch

Zeugnißzwang.

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Struckmann und Koch, § 324 N. 1 und die dort Citirten). Bezüglich des letztem Falles sind die Ansichten getheilt: Dochow, Reichs-Strafprozeß, S. 166; Thilo, S. 151 R. 2; Puchelt, S. 122 N. 6; Löwe.S. 246 N. 5; Keller, S. 54 N. 5 bejahen; v. Schwarze, S. 173N. 8; Boitus,Kontroversen, I. S. 28 ff.; Geyer, Lehrb., S. 513 vemeinen die Frage. Letzterer war früher (vgl. in V.Holtzendorsf's Handbuch, I. S. 271) anderer Ansicht. In dem Entwürfe zur StrafPO. § 48 war uner­ laubtes Sichentfernen und Nichterscheinen neben einandergestellt, in der Reichsjustizkommission wurde ersteres gestrichen, um Uebereinstimmung mit der CPO. her­ zustellen. Jetzt spricht das Gesetz von nichterschienmen Zeugen, und da man denjenigm, der sich nach geschehmer Bemehmung unbefugter Weise entfemt hat, doch kaum als nichterschienen bezeichnen kann, so wird man von seiner Bestrafung Abstand nehmen muffen und § 50 der StrafPO. nicht auf den Fall des § 247 anwenden dürfen. — Ist der Zeuge nicht erschienen, so wird er: a) im Civilprozeß sowol wie im Strafprozeß (§ 345 der CPO.; § 50 der StrafPO.) in die durch das Ausbleiben verursachten Kosten, sowie zu einer Geldstrafe bis zu 300 Mark und für den Fall, daß diese nicht beigetrieben werden kann, zur Strafe der Haft bis zu 6 Wochen verurtheilt. Diese Strafe, deren Charakter in beiden Prozessen naturgemäß voll­ kommen gleich ist, wird ganz allgemein als „Ordnungsstrase", von einigen, z. B. Endemann, S. 214, auch als „Disziplinarstrafe" bezeichnet, während andere wenigstens von ihrem „rein disziplinären Charakter" reden, z. B. Gaupp, S. 260. Diese Auffassung wird als so selbstverständlich angesehen, daß eine Begründung über­ flüssig erschien. Höchstens wird aus § 318 des StrasGB. hingewiesen. Allerdings findet sich diese Bezeichnung schon in den Motiven zur CPO. (vgl. Hahn, II. S. 310) und ebenso in den Verhandlungen der Reichsjustizkommission , auch dort ohne Begründung. Diese Thatsache allein kann für die Auslegung des Gesetzes natürlich nicht maßgebend sein, ebensowmig aber kann man sich auf § 138 des StrasGB. bemfm. Daß darin von „Ordnungsstrafen" geredet wird, welche auf daS Nichterscheinen von Zeugen gesetzt sind, ist für die Qualifikation der in der CPO. und StrafPO. angedrohten Strafen schon dämm ohne Bedeutung, weil das StrafGB. den Prozeß­ ordnungen zeitlich vorangeht. Aber auch der Inhalt der Bestimmung in Absatz 3 kann nicht den Ansschlag geben, da das Nebeneinanderbestehen der fraglichen Strafen auch dann nicht zweifelhaft sein kann, wenn man die im Prozeffe zu verhängenden als Kriminalstrasen ansieht. Das Vorschützen unwahrer Thatsachen als Entschuldigung ist gegenüber dem Nichterscheinen eine selbständige Handlung, jedoch kann die sonst bei realer Konkurrenz zu verhängende Gesammtstrafe nicht ausgesprochen, sondem es niuß auf die verschiedenen Strafen gesondert erkannt werden, weil § 138 des StrasGB. Gefängniß, § 345 der CPO., § 50 der StrafPO. Geldstrafe oder Hast androhen. Eben­ sowenig sprechen innere Gründe dafür, die Strafen des Ausbleibens nicht für kriminell zu halten. Zwar liegt der Begriff der Ordnungsstrafe (vgl. diesen Art.) noch sehr im Argen, doch kann man immerhin zwei Kategorien derselben ausstellen: a) solche, welche begrifflich sich von der eigentlichen Strafe unterscheiden und zwar dadurch, daß sie executio ad faciendum bezüglich einer bestimmten Leistung bezwecken, b) solche, bei denen dieser begriffliche Unterschied sehlt und die nur deshalb nicht als kriminelle Strafen angesehen werden, weil die Rechtsverletzungen, auf welche sie sich beziehen, dazu nicht bedeutend genug erscheinen. Die Strafen gegen renitente Zeugen gehören zu keiner von diesen Gmppen, zur ersten nicht, weil sie unabhängig von der nebenher zu­ lässigen executio ad faciendum verhängt werden müssen, zur zweiten auch nicht, weil sonst dieser Umstand einen besonderen gesetzgeberischen Ausdnick gesunden haben würde, außerdem aber auch die fragliche Rechtsverletzung, d. h. die Nichtachtung der durch staatliche Normen auferlegten Zeugnißpflicht von mindestens so großer Be­ deutung ist, als manches Vergehen, z. B. gegen die öffentliche Ordnung (vgl. auch Binding, S. 115). — Praktische Bedeutung hat die Frage, ob Ordnungs- oder Kriminalstrafe, insofern, als die Grundsätze des Absch. I. des StrasGB. auf Ord-

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Stugnitzzwang.

nunKstrafen keine Anwendung fänden, also eine Lücke vorhanden sein würde, falls eS sich um solche handelte (vgl. Dochow, Zeugnißzwang, S. 45). Sind die erwähnten Bestimmungen aber anwendbar, so muß das Nichterscheinen als Vergehen behandelt werden und ist demnach der Mindestbetrag der Geldstrafe 3 Mark und bei derm Umwandlung der Betrag von 3—15 Mark einer eintägigen Freiheitsstrafe gleich zu achtm. Ebenso wird § 28 Abs. 4 zur Anwendung zu bringen sein, während Abs. 1 durch die ausdrückliche Vorschrift der Prozeßordnung über die Strafumwandlung ausgeschlosten ist. Dem steht fteilich die communis opinio, der sich auch Dochow, S. 46, bezüglich der §§ 28 und 29 anfchließt, sowie die Aeußerungen der Bundes­ rathsbevollmächtigten (vgl. Hahn, II. 625) in der Reichsjustizkommisfion entgegen. Doch wird häufig eine Ausnahme wenigstens bezüglich des § 18 Abs. 2 gemacht, da es an besonderen Bestimmungen über die Vollstreckung der Hast mangelt (vgl. z. B. Geher, Handb., S. 512 ff.; Löwe, S. 276). Nach Endemann, S. 214 N. 5, sollen fteilich §§ 785 ff. der CPO. für die Vollstreckung maßgebend sein, was schon darum nicht angeht, weil diese Paragraphen sich lediglich auf die Hast­ vollstreckung zum Zweck einer executio ad faciendum beziehen (vgl. auch Struckmann und Koch, S. 324 N. 1; Seuffert, S. 411; Gaupp, S. 261; Puchelt, S. 176); v. Sarwey, S. 503; Seuffert, 1. c , erklären wenigstens den § 29 für anwendbar. — Bei der Auferlegung der Strafe ist die eventuelle Umwandlung gleichzeitig vorzunehmen, wobei natürlich nur auf die verwirkte Geld­ strafe, nicht auch auf den Betrag der Kosten Rücksicht zu nehmen ist. Unter den letzteren sind sowol die durch Vereitelung des Termines entstandenen, also namentlich die für Neuladung der erschienenen Zeugen, Anwaltsgebühren k., als auch die durch Vollstreckung der Strafe selbst entstandenen begriffen. — Ausgeschloffen ist jede Be­ strafung, wenn Gründe vorhanden sind, welche das Erscheinen unmöglich machen, z. B. Krankheit, wol auch andere dringende Abhaltungen, nicht jedoch zu große Entfernung, vorausgesetzt, daß von der Verhinderung rechtzeitig Anzeige gemacht worden ist. Ob die Gründe zur Entschuldigung genügen, hat der Richter nach seinem Er­ messen zu entscheiden. Erfolgt die Entschuldigung nachträglich, so werden die gegen den Zeugen getroffenen Anordnungen wieder ausgehoben, auch die Verurtheilung in die Kosten, selbst dann, wenn die Verspätung lediglich dem Zeugen zur Last fällt (§ 346 der CPO.; § 50 Abs. 2 der StrafPO.). Daß das Gericht nach Lage der Um­ stände die getroffene Anordnung nur theilweise wieder aufzuheben brauche, also z. B. die Verurtheilung im Kostenpunkt bestehen lasicn könne (vgl. Struckmann und Koch, S. 326 N. 1; Gaupp, S. 262; v. Sarwey, S. 506; Keller, S. 55 N. 10; v. Schwarze, S. 174 N. 13; anderer Meinung Seuffert, S. 412), entspräche zwar den Forderungen der Billigkeit, ist aber durch die Fassung des Ge­ setzes wol ausgeschlossen. — Das mehrmalige Ausbleiben eines wiederholt geladenen Zeugen darf nicht wie die Verweigerung des Zeugniffes, als eine einheitliche Handlung angesehen werden, es ist vielmehr jeder neue Ungehorsam ein neues Delikt, das eine neue Bestrafung rechffertigte. Jedoch kann eine Beschränkung hier aus praktischen Gründen geboten erscheinen. Die Prozeßordnungen enthalten in dieser Beziehung die wörtlich übereinstimmende Vorschrift: „Im Fall wiederholten Ausbleibens kann die Strafe noch einmal erkannt werden". Dem allgemeinen Sprachgebrauch folgend, ist hier das „noch einmal", kaum anders als limitativ zu verstehen, also in dem Sinne von: „nur noch einmal". Trotzdem erklärte bei der Verhandlung der Reichs­ justizkommission über § 374 der CPO. der Abgeordnete Struckmann, man sei bei Berathung des § 345 davon ausgegangm, daß die dort statuirte Strafe nicht nur zweimal, sondern fort und fort ausgesprochen werden könne, welcher Auffaffung der Bundesrathsbevollmächtigte beitrat (Hahn, II. S. 642). Wollte man diese Aeußerungen für eine authentische Interpretation halten, so müßte man sie natürlich auch auf den § 50 der StrafPO. ausdehnen. Im Allgemeinen hat diese Ansicht mit Recht keinen Beifall gesunden (vgl. die Literaturangaben bei Struckmann

Znrgnlßzwaa-.

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und Koch, S. 324 N. 2; anderer Meinung Petersen, S. 188, der sie für unzweifelhaft richtig erklärt, ebenso Hellmann, S. 231 ff.; Kleiner, S. 296 und v. Schwarze, S. 178 N. 9). Eine stets wiederholte Bestrafung ist um so überflüssiger als der Richter das Erscheinen des Zeugen erzwingm kann. Nach der richtigen Auffaffung gestaltet sich daS Verfahren so, daß der Richter den renitenten Zeugen verurtheilt, dann ihn aufs Neue vorladet und, falls er wiederum nicht erscheint, nochmals verurtheilt und dann entweder von dem Erscheinen des Zeugen Abstand nehmen oder — was auch schon früher hätte geschehen können — seine zwangsweise Vorführung anordnen muß. — Auch im Fall deS wiederholten Ausbleibens ist die Verhängung der Strafe nicht fakultativ. Die nicht ganz korrekte Fassung des Gesetzes erklärt sich daraus, daß § 345 der CPO. ursprünglich eine Verdoppelung der Strafe und diese allerdings fakultativ zuließ, bei den Kommissionsberathungen wurde der Inhalt geändert, die Form aber in Folge eines Redaktionsversehens beibehalten (vgl. Struckmann und Koch, S. 324 N. 2; Gaupp, S. 261; v. Sarwey, S. 504; Seuffert, S. 411; Hellmann, S. 231). In § 50 der StrafPO. wählte man dann dmselben Ausdruck, um Uebereinstimmung mit der CPO. zu erzielen. Trotzdem würde der Wortlaut des Gesetzes entscheidend sein, wenn derselbe die Annahme ausschlöffe, daß Bestrafung stets erfolgm solle. Das ist aber keineswegs der Fall, denn eine Strafe, die der Richter verhängen kann, muß er verhängen, wenn die Voraussetzungen der Bestrafung gegeben sind. Uebrigens ist dem richterlichen Ermessen praktisch aus­ reichender Spielraum gegeben, indem es ihm überlassen bleibt zu enffcheiden, ob der Zeuge genügend entschuldigt ist oder nicht. — Wenn Löwe, S. 276 N. 7 (vgl. auch die dort Citirten), und mit ihm Geyer, Lehrbuch S. 513, der früher anderer Ansicht war (vgl. v. Holtzendorsf'sHandbuch, S. 271), undPuchelt, S. 122 N. 8, an­ nimmt, die Bestrafung könne sich in einem andem Stadium desselben Verfahrens noch einmal wiederholen, so ist das wohl ein Irrthum (vgl. Dochow, Reichs-Strafprozeß, S. 167), jedenfalls aber inkonsequent und nicht damit zu rechtfertigen, daß alsdann ein neuer Ungehorsamsfall vorliege. Das ist nur in demselben Maße der Fall, als wenn der Zeuge einer zum dritten Mal wiederholten Vorladung nicht gehorchte. Ein Grund, diese beiden Fälle verschieden zu behandeln, liegt nicht vor. Anderer Mei­ nung Voitus, Kontroversen, II. 16 ff., der sich in ausführlicher Weise über die Frage ausspricht und zu Gunsten der von Löwe vertretenen Ansicht entscheidet, b) Als wirkliche Zwangsmaßregcl ist die Vorführung des Zeugen zulässig: im Strafprozeß von vorueherein, im Civilprozeß erst wenn die wiederholte Vor­ ladung erfolglos bleibt. Davon, ob die erste resp, zweite Strafe vollstreckt ist, hängt die Zulässigkeit der zwangsweisen Vorführung nicht ab, wohl aber wird man ein wiederholtes Ausbleiben erst dann annehmen dürfen, wenn nach vorgängiger Verhängung der Strafe eine neue Ladung erfolglos geblieben ist. Es muß aber, ehe zur Vorführung geschritten werden kann, die Strafe im Kriminalprozeß einmal, im Civilprozeß zweimal ausgesprochen worden sein. Die Vorführung geschieht durch die Polizeibehörde oder einen Gerichtsvollzieher. Eine bestimmte Form für den zu erlassenden Vorführungsbefehl schreibt das Gesetz nicht vor, es würde also eventuell ein mündlicher Befehl genügen, doch wird regelmäßig eine schriftliche Ertheilung desselben zu erfolgen haben. Puchelt, S. 122 N. 7, hält den § 134 A. 2 der StrafPO. für analog anwendbar. 2) Bezüglich der Zeugniß- oder Eidesverweigerung wich der Entwurf der StraiPO. von dem der CPO. insofern ab, als jener in § 61 nur eine executio ad faciendum durch Zwangshast bis zu 6 Monaten (bei Uebertretungen 6 Wochm) oder Geldstrafe bis zum Gesammtbetrage von 600 Mark (bei Uebertretungen 150 Mart) kannte. Die Reichsjustizkommission führte auch hier das doppelte System mit Strafe und Zwang durch. Voraussetzung zur Anwendung derselben ist im Strafprozesse, daß kein gesetzlich von der Zeugnißpflicht befreiender (vgl. §§

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Zeuguißzvaug.

51—54) oder die Beeidigung hindernder (vgl. § 56) Grund vorliegt, im CivilProzesse daß ein Grund nicht angegebm wurde (über die gesetzlichen Befreiungs­ gründe vgl. §§ 348 und 349, bezüglich der unbeeidigtm Vernehmung § 358) oder der angegebme rechtskräftig für unerheblich erklärt wurde und der Zeuge in dem ntutn Termin gleichwol bei seiner Weigerung verharrt. Ueber die Geltendmachung der Gründe und das Verfahren bei deren Prüfung vgl. §§ 351—354. — DaS Zeugniß ist auch dann als verweigert anzufchen, totnn die geforderte Auskunft über einen bestimmten Punkt nicht ertheilt wurde. Der Eidesweigerung steht die Ent­ fernung vor geleistetem Eide gleich. Die Eidesweigerung ist auch dann strafbar, wenn sie im Vorverfahren geschieht, denn wenn auch die eidliche Vernehmung in diesem Stadium des Strafprozesses nur ausnahmsweise geschehen soll (vgl. § 65 der StrafPO.), so hat doch nur der Richter und nicht der Zeuge über die Zulässigkeit in concreto zu entscheiden. a) Ueber den widerspenstigen Zeugen muß dieselbe Strafe verhängt werden wie über den nicht erscheinenden (vgl. § 355 der CPO. und § 69 der StrafPO.), be­ züglich deren Alles unter 1 a Gesagte zutrifft, jedoch mit der eigentlichen selbstver­ ständlichen Modifikation, daß die Strase nur einmal verhängt werden kann. Eine Wiederaufhebung findet niemals statt in der Weise wie sie beim Nichterscheinen zulässig ist, da bei der Zeugnißverweigerung eine nachträgliche Entschuldigung der­ selben nicht wol möglich ist. b) Das zulässige Zwangsmittel ist hier Hast, die nicht über die Beendigung des Pwzeffes in der Instanz und jedenfalls nicht über die Zeit von 6 Monatm (vgl. § 794 der CPO.), bei Uebertretungen von 6 Wochen hinaus erstreckt werden darf. Das Verfahren in einer Instanz ist beendigt, wenn das Verfahren überhaupt eingestellt oder ein Urtheil gesprochen worden ist, vgl. Löwe, S. 227 N. 6, a /; auch Keller, S. 79 N. 11, der seine frühere Ansicht aufgegeben hat, daß unter „Instanz" hier derjenige Theil eines Verfahrens zu verstehen sei, welcher die Thä­ tigkeit des Richters oder Gerichtes umfaßt, von welchem die Zwangshast ausging. Daß dieselbe auch wegen Eidesverweigerung angeordnet werden kann, ist durch ein Redaktionsversehen nicht wie im Entwürfe ausdrücklich hervorgehoben, versteht sich aber von selbst, da die nicht beeidete Anzeige einer eidessähigen Person als Zeugniß im Rechtssinne nicht betrachtet werden kann. Zwischen Civil- und Strafprozeß be­ steht hier der Unterschied daß: a) in ersterem wiederholte Weigerung vorausgesetzt wird, während in letzterem einmalige genügt. Es muß also im Civilprozeß die Strafe verhängt und dann ein neuer Termin anberaumt werden, in welchem erst Zwangs­ haft verfügt werden kann, während das im Strafprozeß schon beim erstm Termin zulässig ist. Anderer Meinung: Thilo, S. 73 N. 8. Darauf daß die Strafe vollstreckt sei, kommt es in beiden Prozeffen nicht an. /?) Im Strafprozeß werden die Zwangsmaßregeln von Amtswegen angeordnet, im Civilprozeß bedarf es dazu eines Antrages und nur in Entinündigungssachen wird die Strase von Amtswegcn verhängt (vgl. §§ 597 Abs. 4, 621 Abs. 3). Der erforderliche Antrag kann von jeder Partei gestellt werden, nicht nur von der, welche den Zeugen produzirt hat. Diese Beschränkung der richterlichen Gewalt ist insofern naturgemäß als auch die Vernehmung nicht vom Willen des Richters abhängt, sondern die Partei auf dieselbe verzichten kann, in welchem Fall die Zwangshaft gegenstandslos wäre. Da jedoch nach § 364 die Gegenpartei ein Recht hat zu verlangen, daß der erschienene Zeuge auch vernommen werde, so konnte man nicht umhin, ihr auch das Recht einzuräumm, Zwangsmaßregeln gegen den renitenten Zeugen zu beantragen. Dem Anträge muß der Richter Folge leisten, während im Strafprozeß die Anordnung der Hast lediglich seinem Ermessen anheim gestellt ist. — Aufgehoben wird die Hast, wenn dieselbe die vorgeschriebene Maximaldauer erreicht hat oder überflüssig geworden ist. Letzteres kann geschehen dadurch, daß der Zeuge sich fügt oder seine Aussage ent­ behrlich geworden ist, sei es daß die fragliche Thatsache anderweitig konstatirt, die

Zeugnißzwaug.

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Anerheblichkeit der geforderten Aussage sich herausgestellt hat oder auf die Vernehmung verzichtet wurde (vgl. §§ 364 der CPO., 244 der StrafPO-), womit im Civilprozeffe die Gegenpartei, int Strafprozesse auch das Gericht einverstanden sein muß. Als stillschweigender Verzicht wird im Civilprozeß das Ausbleiben beider Parteien im Termine, sowie der Antrag auf Aufhebung der Haft anzusehen sein. Letzterer kann nur von der Partei ausgehen, welche die Anwendung der Zwangs­ maßregel beantragt hat, dem Prozeßgegner steht ein Widerspruchsrecht nicht zu (vgl. Gaupp, S. 281). Handelte es sich nur um Eidesweigerung, so muß die Haft auch dann aufgehoben werden, wenn der Zeuge eidesunfähig geworden ist (vgl. Puchelt, S. 162 91. 9). — Die Haft kann im Strafprozesse auf bestimmte oder unbestimmte Zeit angeordnet werden, im Civilprozeß ist wol nur letzteres statthaft, da zur Fortsetzung der unwirksam gebliebenen ein neuer Antrag erforderlich wäre und die CPO. ein solches Verfahren nicht erwähnt. — Auf die Vollstreckung finden im Civilprozeß (vgl. § 355 Abs. 2) die Vorschriften über die Haft im Zwangsvollstreckungsversahren (vgl. §§ 785—794) entsprechende Anwendung. Es muß also von dem Gerichte ein Haftbefehl erlaßen werden, den der Gerichtsvollzieher dem zu Verhaftenden auf Verlangen abschriftlich mitzutheilen hat. Vollstreckt werden muß die Haft in einem Raume, in welchem nicht zugleich Untersuchungs- oder Straf­ gefangene sich befinden. Sie darf nicht vollstreckt werden, wenn die Gesundheit des Zeugen dadurch einer nahen und erheblichen Gefahr ausgesetzt würde. Unstatthaft ist sie gegen: 1) Mitglieder einer Deutschen gesetzgebenden Versammlung während der Sitzungsperiode, sofern nicht die Versammlung die Vollstreckung genehmigt; 2) Militärpersonen, welche zu einem mobilen Truppmtheile oder zur Besatzung eines in Dienst gestellten Kriegsfahrzeuges gehören; 3) den Schiffer, die Schiffsmannschaft und alle übrigen auf einem Seeschiff angestelltcn Personen, wenn das Schiff segel­ fertig ist. Sie wird unterbrochen gegen : 1) Mitglieder einer Deutschen gesetzgebenden Versammlung für die Dauer der Sitzungsperiode, wenn die Versammlung die Frei­ lassung verlangt; 2) Militärpersonen, welche zu einem mobilm Truppentheil oder auf ein in Dienst gestelltes Kriegsfahrzeug einberufen werden, für die Dauer dieser Verhältnisse. Die durch die Verhaftung mtstehenden Kosten hat der Antragsteller vorauszuzahlen, und zwar mindestens für einen Monat; wird die Zahlung nicht rechtzeitig erneuert, so wird der Zeuge seiner Hast von Amtswegen entlassen. — In der StrafPO. sind Vorschriften über den Vollzug der Zwangshaft nicht ent­ halten; daß sich dieselbe von der Strafhaft unterscheiden muß, ergiebt sich aus der Natur der Sache. Anderer Meinung: Löwe, S. 278 P. 6k. Der analogen An­ wendung der in der CPO. getroffenen Bestimmungen dürste nichts im Wege stehen und ausgeschlossen wären nur die über die Kosten, welche im Strafprozeß natur­ gemäß dem Staate zur Last fallen. — Nach erfolgter Aufhebung kann die Haft aöthigenfalls von neuem angeordnet werden, wozu im Civilprozeß ein enteiltet An­ trag vorausgesetzt wird, und zwar so lange bis der Gesammtbetrag die zulässige höchste Dauer erreicht hat. Ob die Wiederholung in demselben Stadium des Verährens nöthig wird oder in einem andern, ist dabei gleichgültig. Entgegengesetzter Ansicht ist v. Schwarze, S. 204 91. 13. Die Beendigung des Verfahrens in der Anstanz hebt die Haft zwar auf, schließt aber, falls dieselbe überhaupt noch fort­ gesetzt werden kann, nicht die Wiederholung in einem neuen Verfahren, d. h. weder tt einer ferneren Instanz, noch bei Zurückverweisung in die frühere Instanz, noch iei Wiederaufnahme des Verfahrens aus. Zwar sind die gesetzlichen Bestimmungen licht ganz zweifellos, da § 355 Abs. 2 der CPO. die zulässige höchste Dauer über­ haupt nicht erwähnt, und in § 69 Abs. 2 der StrafPO. die Beendigung des Verährens in der Instanz dem Ablauf des Maximums der Haftdauer in der Wirkung steichzustellen scheint. Doch darf man daran keinen Anstoß nehmen, um so weniger ilS der Entwurf den Grundgedanken deS Gesetzes klar zum Ausdruck gebracht hat, ndem er (§ 61) die Beendigung der Instanz als Aufhebungsgrund der Zwangshaft v. Holtzendorff, Gnc. II. RechtSlexikon III. 3. Aufl.

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Zenguitzzwang.

überhaupt nicht erwähnt. Die wirklichen Grenzen des Zwanges find nur im Ablauf der 6 Monate resp. 6 Wochen zu suchen und die Aushebung bei der Beendigung der Instanz hatte kaum besonders hervorgehoben zu werden brauchen, da mit diesem Moment das Zeugniß vorläufig jedensalls überflüssig gewordm ist, ein weiterer Zwang also ohnehin nicht gerechtfertigt wäre. Die Anwendung von Strafe und Exekutionszwang gegen dm erschimmen Zeu­ gen ist unabhängig von den bei Gelegenheit des Nichterscheinens ergriffenen Maß­ regeln und auch gegen den Zeugen zulässig, der nach wiederholter Bestrafung zwangs­ weise vorgeführt toerben mußte. Sind sie erfchöpft, d. h. ist die Strafe einmal auf­ erlegt und das Maximum der Zwangshaft erreicht worden, so können sie in dem­ selben oder in einem anderen Derfahren, welches dieselbe That zum Gegenstände hat, nicht wiederholt werden (§ 69 Abs. 4 der StrasPO.). In der CPO. fehlt eine aus­ drückliche Bestimmung, doch wird allgemein die bei der Berathung des Entwurfs von dem Bundesrathsbevollmächtigten ausgesprochene Ansicht angenommm, welche dahin lautete: „Soweit es sich in den verschiedenen Instanzen um dasselbe Zeugniß handele, dürfe die Zwangshast in allm Instanzen zusammengerechnet nicht über 6 Monate dauern. Wenn dagegen in der höheren Instanz das Zmgniß über einen anderen Punkt in Anspruch genommen und geweigert werde, so könne deswegen von neuem eine sechsmonatliche Zwangshaft vollstreckt werden" (vgl. Hahn, II. S. 627). Identität des Verfahrens im Strafprozeß ist auch dann vorhanden, wenn dasselbe sich auf mehrere selbständige Delikte erstreckt und der Zeuge bezüglich mehr als eines derselben seine Aussagen resp, deren Beeidigung verweigert. Identität der That liegt vor, so lange es sich um denselben Straffall handelt. Der Ausdruck „dieselbe That" muß im weitesten Sinne des Wortes verstanden werden, derart daß neuhinzutretende Umstände, auch wenn sie den strafrechtlichen Charakter des Deliktes ändern, gleichwol die Identität nicht ausheben. Nur auf die objektive Seite kommt es an, so daß dieselbe That auch dann noch vorliegt, wenn die Person des Beschuldigten gewechselt haben sollte, sobald nur derselbe thatsächliche Vorgang noch in Frage steht. So jetzt auch Keller, S. 80 N. 20, der früher annahm, es fei die That mit Beziehung auf die Person eines bestimmten Thäters gemeint. II. Zur Anwendung kommen diese Maßregeln, sowol Strafe wie executio ad faciendum, innerhalb des Geltungsgebietes der Prozeßordnungen überall da, aber auch nur da, wo die Erforschung der Wahrheit durch einen Richter oder ein Ge­ richt vorgenommen wird. Den Polizeibehörden und der Staatsanwaltschaft steht das Recht, Z. zu üben, niemals zu; nöthigensalls muß letztere bei dem zuständigen Amts­ richter einen Antrag auf Vernehmung der Personen stellen, welche auf ihre Vorla­ dung nicht erscheinen oder nicht aussagen wollen. Berechtigt zur Anwendung sind sowol das erkennende Gericht, wie der beauftragte oder ersuchte Richter (vgl. § 365 der CPO.) während des Hauptverfahrens, im Strafprozeß auch der Untersuchungs- und der Amtsrichter (vgl. §§ 160, 163, 164, 183) im Vorverfahren (§§ 50 Abs. 3, 69 Abs. 3 der StrasPO.). Unter beauftragtem Richter ist nach dem Sprachgebrauch der Prozeß­ ordnungen (vgl. Löwe, S. 120 N. 6b) dasjenige Mitglied des mit der Sache be­ faßten Gerichtes zu verstehen, welches mit der Vornahme einzelner Untersuchungs­ handlungen betraut wurde, während der ersuchte Richter, resp, das ersuchte Gericht, dasjenige ist, welches dem mit der Sache befaßten durch Vornahme von Unter­ suchungshandlungen Nechtshülfe leistet. In den verschiedenen Stadien des Straf­ prozesses kommen in Betracht: im Vorbereitungsverfahren der Amtsrichter, in der Voruntersuchung der Untersuchungsrichter und der Amtsrichter als er­ suchter, im Hauptverfahren das erkennende Gericht, nicht nur dessen Vorsitzender in schöffengerichtlichen Sachen, also Schöffen und Amtsrichter, eventuell ein ersuchter oder beauftragter Einzelrichter. — Daß der ersuchte Richter — von dem beaustragten gilt daffelbe — Strafe und Zwangsmaßregeln selbständig anwenden darf und nicht lediglich als Mandatar des ersuchenden Gerichts handelt, unterliegt bei der

Znrgnibzvmng.

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bestimmten Fassung des Gesetzes keinem Zweifel (vgl. Hahn, III. S. 1232; Dochow, S.127; vonSchwarze, S. 205 N. 15; Puchel't, S. 162N. 6; Keller, S. 80

N. 17). Doch findet diese Selbständigkeit ihre Grenzen daran, daß der Richter daS Ersuchen eines im Jnstanzenzuge ihm vorgesetzten Gerichtes überhaupt nicht und das eines andern nur dann ablehnen kann, wenn ihm die örtliche Zuständigkeit mangelt oder die fragliche Handlung in abstracto unzulässig ist (8 159 des GDG., vgl. Löwe, S. 122 R. 3 b). Einer Ablehnung aber würde es gleich kommen, wenn er nicht alle gesetzlich zulässigen Mittel anwendete, um das Gesuch im Sinne des ersuchendm Gerichtes zu erledigen. Er muß daher die geschlichen Strafen gegen dm nicht erscheinmdm Zeugen aussprechcn, falls er dessen Entschuldigung nicht für genügend hält, und sich denselbm schließlich vorsühren lassen. Weigert der Zeuge die Aus­ sage oder die Eidesleistung und der Richter hält diese Weigerung für berechtigt, so wird er darüber an das ersuchende Gericht berichten, und, falls dieses sein Gesuch gleichwol wiederholt, jetzt eventuell die gesetzliche Strafe auferlegen müssen. Bezüg­ lich der Zwangshast, deren Verhängung fakultativ ist, kann der ersuchte Richter natürlich, wenn ihm die Zweckmäßigkeit der Anwendung im gegebenen Falle zweifel­ haft erscheint, von vomeherein an das ersuchende Gericht sich wenden, muß dann aber dem evmtuell erneuten Ersuchen im vollen Umfange nachkommen. So kann die Anordnung de facto von dem ersuchenden Gericht ausgehen, während sie formell von dem ersuchten Richter vorgenommen wird (vgl. Löwe, S. 280 N. 10; Geyer in v. Holtzendorff's Handbuch, S. 274, und Lehrb., S. 516). Die Disposi­ tion über die Höhe der zu verhängenden Strafe bleibt dabei stets dem ersuchten Richter überlassen, der die Zwangshaft jedoch nicht aufheben kann, bevor dieselbe von selbst endigt oder das ersuchende Gericht auf die Bemehmung verzichtet. Das Verfahren gegen den Zeugen ist ein durchaus formloses, die Verhängung von Strafe und Zwangsmaßregcln geschieht durch einfachen Beschluß, dem eine eigentliche Verhandlung nicht voraufgeht, doch ist int Strafprozeß § 33 der StrasPO. zu berücksichtigen. Der nicht erschienene Zeuge hat auf Anhömng vor Erlaß des Beschlusses jedenfalls keinen Anspruch, um so weniger als die Strafe eventuell später noch rückgängig gemacht werden kann. Dagegen muß der erschienene, aber die Aus­ sage oder den Eid verweigemde Zeuge gehört werden und hat der Richter jedenfalls das Recht, sich eventuell weitere Ausklämug über die von jenem etwa vorgebrachtcn und möglicherweise relevanten Behauptungen zu verschaffen. Im Civilprozeß muß über die Rechtmäßigkeit der Weigemng nöthigenfalls nach Anhömng der Parteien durch ein Zwischenurtheil entschieden werden, welches durch sofortige Beschwerde anfechtbar ist (§ 352). Ueber die Form, in welcher der Beschluß dem davon Be­ troffenen bekannt zu machen ist, fehlen besondere Vorschriften, daher die allgemeinen Bestimmungen über Zustellung anzuwenden sind. Ta die Entscheidung durch ein Rechtsmittel angefochten werden kann, so muß sie nach § 34 der StrasPO. mit Gründen versehen werden. Das zulässige Rechtsmittel ist die Beschwerde, welche an keine bestimmte Frist geknüpft ist. Aufschiebende Wirkung hat sie nur im Civilprozeß (vgl. § 585 der CPO.). Berechtigt zu derselben sind sowol die betroffenen Zeugen, wie die Parteien, soweit sie sich beschwert fühlen, im Strafprozeß namentlich auch die Staatsanwaltschaft. § 352 der StrasPO. ist nicht anwendbar, vgl. Löwe, S. 614 R. 8. Im Uebrigen gelten die allgemeinen Bestimmungen über die Beschwerde (vgl. 88 530 ff. der CPO.; §§ 346 ff. der StrasPO.) auch hier. III. Dem Z. unterworfen sind alle Personen, welche der Zeugnißpflicht genügen müssen, auch die Militärpersonen, doch sind bezüglich deren besondere in beiden Prozeßordnungen übereinstimmmde Anordnungen, wenigstens rücksichtlich der Strafe getroffen. Tie Festsetzung und die Vollstreckung der Strafe gegen eine dem aktiven Heere oder der aktiven Marine angehörmde Militärperson, d. h. sowol Personen des Soldatenstandes als auch die Militärbeamten, erfolgt auf Ersuchen durch das Militärgericht (§§ 345 Abs.4,355 Abj. 4 derCPO., § 50 Abs.4,69 Abf. 5 der

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Aeuguißzwang.

StrafPO.). Das Ersuchen geschieht durch den betreffendm Eivilrichter resp. den Vorsitzenden des betreffenden Gerichtes. Bezüglich der Zwangsmaßregeln ist nur in §§ 345 Abs. 4 und 50 Abs. 4 vorgeschrieben daß die Vorführung auf daS Ersuchen des Eivilrichters durch die Militärbehörde geschehe. Ueber die Zwangshast fehlen direkte Bestimmungen, vgl. jedoch §§ 793, 794 der EPO. Ferner wurde in der Reichsjustizkommission folgende Interpretation zu § 365 der EPO. (§ 343 des Entwurfs) beschloßen und in die Zu­ sammenstellung der sogen, authentischen Interpretationen ausgenommen: „Man ist in der Kommission darüber einverstanden, daß auch der Schlußabsatz des § 343 nur am den ersten nicht auch auf den zweiten Absatz dieses Paragraphen sich beziehe, da die in letzterem angedrohte Zwangshaft keine Üngehorsamstrafe, sondern ein Exekutivmittel

ist, daß ferner auch die Exekutivhaft nach §§ 738, 739 (793, 794 der EPO.) durch die Militärbehörde zu vollstrecken, dagegm die Festsetzung derselben durch § 343 nicht der Militärbehörde zugewiesen ist." Diese Interpretation auch aus den ganz gleich­ lautenden § 69 Abs. 5 der StrafPO. zu beziehen, ist wol ganz unbedenklich. Kontrovers ist, ob den Militairgerichten nur die Straszumeffung oder auch die Entscheidung darüber zusteht, ob sich ein Zeuge durch sein Verhalten gegenüber dem Civilgericht strafbar gemacht habe. Letzteres nehmen an: Dochow, S. 169; Puchelt, S. 124 N. 13; Voitus, S. 117 N. 3, Kontroversen, I. S. 20 ff; Geher, Lehrbuch S. 514, der früher anderer Meinung war, vgl. in v. Holtzendorss's Handbuch S. 273. Nach Ansicht von Löwe, S. 248 N. 22, steht die Entscheidung über die Strafbarkeit selbst dem Eivilgerichte zu. Darin nun ist Löwe beizustimmen, daß die Entscheidung bezüglich der §§ 50 und 69 der StrafPO. — und für die §§ 345 und 355 der EPO. liegt die Sache vollkommen ebenso — eine einheitliche sein muß. Dieselbe wird freilich nicht im Sinne Löwe's getroffen werden können. Daran hindert schon, daß nach allgemeinem Sprachgebrauch unter der Befugniß, eine Strafe sestzusetzen, auch die Entscheidung darüber mitbegriffen ist, ob überhaupt Strafe ein­ treten soll. Ferner hängt die Strafbarkeit des Nichterscheinens häufig von thatsächlichen Umständen ab, die zu würdigen das Militärgericht bei Militärpersonen weit eher int Stande ist als das civile. Endlich konkurrirt im Fall des unentschuldigten Nichterscheinens, da die Vorladung ebenfalls durch die Militärbehörde geschieht (vgl. § 343 der EPO., § 48 Abs. 2 der StrasPO.) mit dem civilen Delikt das militärische des Ungehorsams gegen einen militärischen Befehl, in welchem Falle nach den Grundsätzen über ideale Konkurrmz gar nicht §§ 345 der EPO. oder 50 der StrasPO., sondern § 92 des Mil.StrafGB. zur Anwendung kommen müßte. IV. Die Vorschriften der Prozeßordnungen betreffs des Z. sind nicht über das Gebiet auszudehnen, für welches jene Gesetze überhaupt Geltung haben. So einfach und selbstverständlich dieser Satz scheint, so stößt er bezüglich der StrasPO. doch nicht selten auf Widerspruch. Denn da es keinem Zweifel unterliegt, daß § 3 des EG. zur StrafPO. von dem sachlichen Geltungsgebiet derselben das Verwaltungs­ und Disziplinarstrasverfahren ausschließt, so ist mit Anerkennung des obigen Satzes zugleich auch die Thatsache anerkannt worden, daß in jenen Arten des Verfahrens die Bestimmungen über Z. nur dann anzuwenden sind, wenn in den betreffenden Gesetzen auf das Rcichsrecht direkt oder indirekt, sofern daffelbe an Stelle des Landes­ rechts getreten ist, Bezug genommen wird. Das ist z. B. der Fall im Reichspostgeseh § 28, im Reichsgcseh, betr. die Untersuchung von Seeunfällen, § 19, dessen Abs. 2 aber die Anordnung von Haft zur Erzwingung eines Zeugnisses ausschließt. Es Wird also, wie Löwe S. 274 N. 1 richtig hcrvorhebt, die Frage nach Anwendbarkeit der StrafPO. bezüglich des Z. nur auf Grund der betreffenden Spezialgesetze zu beantworten sein. Uebrigens inuß die Bezugnahme auf die StrasPO. deutlich aus­ gesprochen sein und es genügt keineswegs, daß man einzelne Bestimmungen als einen stillschweigenden Hinweis möglicherweise aufsassen könnte. — Im Reichsbeamtengcsetz vom 31. März 1873, welches in den §§ 80 ff. ausführliche Bestimmungen über das Disziplinarverfahren enthält, sind weder direkte noch indirekte Vorschriften über

Ztugnltzzwang.

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Z. enthalten, die Ausübung eines solchen wäre also ungesetzlich. Ebenso liegt die Sache für das Disziplinarversahren gegen Preußische Beamte, bei welchem Zweifel nur insofern entstehen könnten, als die Bemehmung von Zeugen auch hier durch richterliche Beamte geschieht (vgl. Ges. vom 7. Mai 1851, betr. Dienstvergehen der Richter, §§ 27 u. 31) oder doch kommissarisch geschehen kann (vgl. Ges. vom 21. Juli 1852, betr. Dienstvergehen der nichtrichterlichen Beamten, § 32), indem der von einer zuständigen Disziplinarbehörde um Bornahme einer Zeugenvernehmung ersuchte Richter dieser Requisition Folge leisten muß. So Beschlüsie des Preußischen Obertribunals vom 12. Februar, 16. Mai und 5. November 1862 und Erkenntniß vom 26. März 1863 (vgl. Oppenhoff, Rechtsprechung rc., Bd. II. S. 249, 408; III. S. 109, 374). Doch wäre es ein Trugschluß, anzunehmen, daß, weil dieselben Personen fungiren wie in einem eigentlichen Strafprozeß, nun auch, ungeachtet der prinzipiellen Verschiedenheit der in Rede stehenden Untersuchungen, dieselben Vor­ schriften zur Anwendung kommen müßten. Das Preußische Obertribunal hat freilich in einem für die Praxis maßgebend gebliebenen Beschluß vom 10. Mai 1861 (Oppenhofs, Rechtspr., I. S. 388) angenommen, daß auch in Disziplinarsachen das Zeugniß erzwingbar und die §§ 7, 8, 312, 337 der Kriminalordnung anwendbar seien. Dieselben sind, wie die Kriminalordnung überhaupt, durch die Deutsche StrafPO. aufgehoben worden und können auch für das Disziplinarverfahren nicht mehr an­ gerufen werden, da sie eine direkte Beziehung auf dasielbe gar nicht enthalten und sie ebensowenig in den betreffenden Spezialgesctzen ausdrücklich für anwendbar erklärt werden. Uebrigens würde ihre Anwendung zu dem wunderlichen Verhältniß führen, daß der Z. in einem Disziplinarverfahren härter, weil gesetzlich nicht beschränkt, sein würde als im Strafprozeß selbst. Daß es an einem Mittel fehlt, die Er­ füllung der auch für Disziplinarsachen vorhandenen Zcugnißpflicht zu erzwingen, ist eine Lücke der Gesetzgebung, die vorkommenden Falls um so weniger eigenmächtig ausgesüllt werden darf, als es sich dabei um wesentliche Beschränkungen der persönlichen Freiheit handelt, denen Niemand ohne gesetzliche Anordnung unterworfen werden kann. Wenn Dochow (Zeugnißzwang, S. 57 ff.), in Anschluß an Laband's Aussaffung des Disziplinarrechts, überhaupt die 6PO. für anwendbar hält, so dürfte dem de lege lata doch dasselbe entgegenstehen wie der Anwendung der StrafPO., nämlich der Mangel einer gesetzlichen Anordnung, welche die Erstreckung der betreffenden Vorschriften auch aus Tisziplinarsachen rechtfertigen würde. In Oesterreich sind detaillirte gesetzliche Vorschriften über das Zwangsver­ fahren gegen Zeugen a) im Civilprozeß nicht vorhanden. Nur die Pflicht, vor­ dem Richter zu erscheinen und auszusagen, ist ausdrücklich anerkannt und dem Richter gestattet worden, deren Erfüllung durch Geld- oder Arrcststrasen zu erzwingen (vgl. § 160 der Allg. Gerichtsordn.; § 232 der Westgalizischen Gcrichtsordn.; §§ 185 i. f., 192 A. 3 des Kaiserlichen Patents vom 3 Mai 1853). Das Verfahren hat sich in der Praxis folgendermaßen gestaltet (vgl. v. S ch r u t k a - R e ch t e n st a m m, S. 174 ff.): Wenn der ordnungsmäßig geladene Zeuge nicht erscheint oder die Aussage verweigert, so wird auf den Antrag des Produzenten nach Anhörung beider Parteien ein neuer Tennin zur Vernehmung des Zeugen anberaumt und derselbe noch einmal unter Androhung einer angemessenen Geldstrafe vorgeladen. Gegen den wiederum unge­ horsamen Zeugen wird die Strafe für verfallen erklärt und alsdann, auf Antrag des Produzenten, der Zeuge abermals und zwar unter Androhung einer höheren Geld­ strafe, eventuell der zwangsweisen Vorführung oder Verhängung einer angemessenen Freiheitsstrafe vorgeladen. Ueber das zulässige Maß der im einzelnen Falle anzu­ wendenden Exekutivmittel entscheidet das richterliche Ermessen, ebenso darüber, ob die Geldstrafe dem Zahlungsunfähigen erlassen oder in Arrest verwandelt werden soll. Gegen alle richterlichen Verfügungen stehen dem Zeugen Rechtsmittel zu, und zwar entweder der Rekurs oder die einfache Vorstellung, von denen nur das erstere devo­ lutive Wirkung hat (vgl. §§ 9 und 10 des Gesetzes vom 9. August 1854; R. G. Bl.

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Zeugnikztvang.

Nr. 208). Sind die nach Ansicht des Richters in concreto angemessenen Mittel erschöpft, so wird ein peremptorischer Termin anberaumt und wenn es dem Beweis­ führer nicht gelingt in demselben den Zeugen zu einer Aussage zu veranlassen, so bleibt ihm nur noch ein, in selbständigem Verfahren geltend zu machender Schadens­ ersatzanspruch gegen den ungehorsamen Zeugen übrig, während in der Hauptsache das Zeugniß als nicht erbracht angesehen wird (über den Schadensersatzanspruch vgl. v. Schrutka-Rechtenstamm, S. 155 ff ). — b) Im Strafprozeß sind die zu­ lässigen Maßregeln im Gesetz selbst als executio ad faciendum bezeichnet, doch ist dieser Charakter keineswegs konsequent durchgeführt, da eine Wiederholung der Strafen nicht möglich ist. Geregelt ist das Verfahren zunächst für die Vorunter­ suchung (§ 159 ff. der StrafPO.), welche Bestimmungen auf das Hauptverfahren zu übertragen sind, da nach § 248 der Vorsitzende bei Abhörung der Zeugen die für den Untersuchungsrichter ertheilten Vorschriften zu beobachten hat. Das Verfahren ist folgendes: Wenn ein Zeuge der ihm zugestellten Vorladung nicht Folge leistet, so geschieht seine neuerliche Vorladung unter Androhung einer Geldstrafe bis zu 100 Gulden für den Fall des Nichterscheinens und unter der ferneren Drohung, daß ein Dorführungsbesehl gegen ihn werde erlassen werden. Bleibt der Zeuge ohne gültige Entfchuldigungsgründe dennoch aus, so hat der Untersuchungsrichter die Geld­ strafe wider ihn zu verhängen und den Vorführungsbefehl auszufertigen. In dringen­ den Fällen kann der Untersuchungsrichter schon nach dem ersten nicht gerechtfertigten Ausbleiben gegen ihn einen Vorführungsbefehl erlassen. Die Kosten der Vorführung hat der Zeuge zu vergüten. Erscheint der Zeuge, verweigert er aber ohne gesetzlichen Grund ein Zeugniß abzulegen oder den Zeugeneid zu leisten, so kann ihn der Unter­ suchungsrichter durch eine Geldstrafe bis zu 100 Gulden, und bei fernerer Weigerung in wichtigen Fällen durch Arrest bis zu 6 Wochen dazu anhalten, ohne daß deshalb die Fortsetzung oder Beendigung der Voruntersuchnng aufgehalten werden muß. Sollte ein der Militärbehörde unterstehender Zeuge sich weigern vor dem Unter­ suchungsrichter zu erscheinen oder die abgeforderte Aussage oder den Zeugeneid abzu­ legen, so hat sich der Untersuchungsrichter unmittelbar an den Vorgesetzten des Zeugen zu wenden, welchem es obliegt, denselben zur Befolgung des Gesetzes anzuhalten. — Für die Hauptverhandlung bestimmt ferner der § 242: Wenn Zeugen der an sie ergangenen Vorladung ungeachtet bei der Hauptverhandlung nicht erscheinen, so kann der Gerichtshof deren ungesäumte Vorführung verfügen. Ist diese nicht möglich, so ent­ scheidet der Gerichtshof nach Anhörung des Anklägers und des Angeklagten oder seines Vertheidigers, ob die Hauptverhandlung vertagt oder fortgesetzt werden und statt der mündlichen Abhörung jener Zeugen die Verlesung der in der Voruntersuchung abge­ legten Aussagen derselben erfolgen soll. Dasselbe kann geschehen, wenn das Zeugniß oder die Eidesleistung verweigett wird (vgl. § 252 N. 3). Der Ausgebliebene ist zu einer Geldstrafe von 5—50 Gulden zu verurtheilen. Ist die Hauptverhandlung vertagt worden, so hat er überdies die Kosten der durch sein Ausbleiben vereitelten Sitzung zu tragen. Auch kann, um sein Erscheinen bei der neu angeordneten Sitzung zu sichern, ein Vorführungsbefehl wider ihn erlassen werden. Gegen die in Gemäß­ heit des § 242 ausgesprochene Derurtheilung kann der Zeuge binnen 8 Tagen nach Zustellung des gegen ihn ergangenen Erkenntnisses bei dem erkennenden Gerichtshöfe Einspruch erheben. Wenn er nachzuweisen vermag, daß ihm die Vorladung nicht ge­ hörig zugestellt worden, oder daß ihn ein unvorhergesehenes und unabwendbares Hinderniß vom Erscheinen abgehalten habe, wird die wider ihn ausgesprochene Strafe aufgehoben. Eine Minderung derselben, sowie des auferlegten Kostenbetrages tonn ausgesprochen werden, wenn er darzuthun im Stande ist, daß die Strafe oder Kostenverurtheilung nicht im richtigen Verhältniß zu seinem Verschulden oder zu den Folgen seines Ausbleibens steht. Wird der Einspruch erst nach dem Schluffe der Hauptverhandlung erhoben, so entscheidet darüber der Gerichtshof erster Instanz in nichtöffentlicher Sitzung, in einer Versammlung von 3 Richtern, von denen einer den

Zrugnltzzwang.

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Vorsitz führt. Gegen das über den Einspruch ergehende Erkenntniß ist kein Rechts­ mittel zulässig (§ 243). — Verläßt der Zeuge ohne Erlaubniß des Vorsitzenden daS Gerichtslokal, so ist zwar ein Vorführungsbefehl, aber keine weitere Zwangs­ maßregel zulässig. In Frankreich ist ebenfalls der Grundsatz anerkannt, daß jeder ordnungs­ mäßig geladene Zeuge seiner Zeugnißpflicht genügen muß, widrigenfalls er vom Richter in der gesetzlich vorgeschriebencn Weise dazu angehalten werden kann. a) 3m Civilprozeß bezieht sich der anzuwendende Z. sowol auf das Richterscheinen wie das Verweigern der Aussage oder des Eides. Freilich spricht das Gesetz nur von tSmoins ddfaillants, doch wird ganz übereinstimmend angenommen, daß darunter auch die Verweigerung der Aussage begriffen sei (vgl. Schlink, H. S. 428; Gilbert, S. 196 91. 1). Die widerspenstigen Zeugen müssen zur Zahlung einer bestimmten Summe, von mindestens 10 Francs, als Schadensersatz an die Partei verurtheilt, und können außerdem mit einer Geldstrafe bis zu 100 Francs belegt Merden. Sie sind ferner auf ihre Kosten von neuem zu laden und, wenn sie wiederholt ihrer Zeugenpflicht nicht genügen, nochmals zu einer Geldstrafe von 100 Francs zu verurtheilen. Außerdem tarnt' alsdann ein Vorführungsbesehl gegen sie erlassen Meiden. Die früher zur Beitreibung der Geldstrafe zulässige Exekutivhaft (contrainte par corps) ist durch Gesetz vom 22. Juli 1867 aufgehoben worden. Die betreffende richterliche Anordnung (ordonnance), welche übrigens sofort vollstreckbar ist, kann durch Opposition und Berufung angefochten werden. Wenn der Zeuge später nach­ weist, daß er verhindert war zu erscheinen, so kann ihn der Richter, nachdem er seine Aussage abgegeben hat, noch nachträglich von Strafe und Kosten und selbst von dem Schadensersätze an die Partei fteisprechen (vgl. art. 263, 265 Code de procödare civile). b) Zm Strasprozeß spricht art. 80 Code d’instruction criminelle den maßgebenden Grundsatz aus, daß tonte personne citde pour etre entendue en tdmoignage sera tenue de comparaitre et de satisfaire ä la Citation. Daß unter den letzten Worten auch die Pflicht, Zeugniß abzulegen, verstanden sei, wird kaum bezweifelt werden dürfen (vgl. in diesem Sinne Ortolan, II. S.582, FaustinH 61 i e, Dr. 5000, welche die communis opinio aussprcchen, aber auch Goltdammer, Archiv Bd. X. S. 816 ff. und die dort mitgetheilten Gutachten). Die Nicht­ erfüllung dieser Pflicht zieht eine Geldstrafe von höchstens 100 Francs nach sich, außerdem kann ein Vorführungsbefehl erlaffen werden (vgl. art. 92). Das Gesetz spricht zwar von contrainte par corps, doch ist darunter nach Annahme der Fran­ zösischen Jurisprudenz (vgl. Tröbutien, II. S. 240) nicht Exekutivhaft, sondern ein Mandat d’amener zu verstehen. Anderer Meinung sind die Rheinpreußischen Gerichte und das Obertribunal gewesen (vergl. Goltdammer, Archiv 1. c. und Erkenntniß vom 18. September 1873 — Oppenhoff, Rechtsprechung, Bd. 14 S. 547 ff.). Diese Maßregeln werden auf Antrag der Staatsanwaltschaft angewendet durch den Untersuchungsrichter, art. 80, den Polizeirichter, art. 157, und das Zuchtpolizeigericht (tribunaux en matiere correctionelle), art. 189, welche jedoch erst bei einem zweiten Ausbleiben contrainte par corps im obigen Sinne anwenden können (vgl. auch art. 304). Wenn der Zeuge auf die zweite Vorladung hin erscheint und genügende Entschuldigungen vorbringt, so kann ihm, nach Anhörung der Staatsanwaltschaft, die Strafe erlaffen werden (art. 81, 158, 189). — Bezüglich des Schwurgerichtsverfahrens sind besondere Bestimmungen getroffen. Dabei ist nämlich zu unterscheiden, ob das Ausbleiben resp, die Zeugniß- oder Eidesverweigerung eine Vertagung der Verhandlung bis zur nächsten Session herbeigeführt hat, oder ob innerhalb derselben Sitzungsperiode ein neuer Termin anberaumt wurde. Im erstem Falle (über dessen Eintritt vgl. art. 354) werdm dem ungehorsamen Zeugen außer der nach art. 80 verwirkten Strafe, auf Antrag der Staatsanwaltschaft, nicht auch des Angeklagten, durch ein Urtheil die sämmtlichen dadurch entstandenen Kosten

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Zeugnißzwang.

zur Last gelegt, zu deren Zahlung er durch contrainte par corps, d. h. hier durch Exekutivhast, angehalten werden kann. Außerdem ist zwangsweise Vorführung zulässig (vgl. art. 355). Wie gegen alle Kontumazialerkenntnisse, ist auch gegen dieses Opposition zulässig und es kann daraufhin Freisprechung erfolgen, wenn der Zeuge nachträglich einen genügenden Entschuldigungsgrund vorbringt. — Hat die Vertagung innerhalb derselben Periode stattgefunden, so findet art. 355 keine Anwendung (vgl. Faustin-Hölie, nr. 4962). — Nach art. 236 Code pönal wird der Zeuge^ welcher eine falsche Entschuldigung vorbringt, mit Gefängniß von sechs Tagen bis zu zwei Monaten bestraft. In England wird Z. a) im Eivilprozesse nur insofern ausgeübt, als Personen, deren Erscheinen vor Gericht zweifelhaft ist, auf Antrag der Partei durch einen richterlichen Befehl vorgeladen werden. Derselbe heißt Writ of sub poena, weil darin eine Strafe von 100 $ für den Fall des Ausbleibens angedroht wird. Diese Strafandrohung ist jedoch regelmäßig eine leere Form, faktisch wird ein Gesetz der Königin Elisabeth (5 Eliz. c. 9) noch heute angewendet, welches den Zeugen zum vollen Schadensersatz und zur Zahlung einer Privatstrafe von 10 an den Produzenten verpflichtet. Doch ist die sub poena Ladung insofern wichtig, als gegen den so Geladenen eventuell ein Verhaftsbefehl (attachment) erlassen und die Haft fort­ gesetzt werden kann, bis der Zeuge sich fügt, zu welchem Ende das Beweisversahren verschoben werden darf. Doch braucht kein Zeuge zu erscheinen oder auszusagen, dem nicht bei der Ladung Deckung für seine Baarauslagen angeboten worden ist. b) Im Strafprozeß sind dieselben Maßregeln zulässig, wie im Civilprozeß, außerdem aber kann der Zeuge, welcher sich weigert, vor dem Friedensrichter eine schriftliche Verpflichtung (recognizance) zu unterschreiben, daß er in der Hauptver­ handlung nlcheinen werde, oder dessen Erscheinen sonst zweifelhaft ist, bis zur Haupt­ verhandlung in Haft genommen werden. Uebrigens gilt die Weigerung eines Zeugen, seine Aussage abzugeben oder den Eid zu leisten, als Nichtachtung der richterlichen Autorität (contempt), welche die Gerichtshöfe berechtigt, den Ungehorsamen so lange in Hast halten zu lassen, bis er sich fügt. Nur die Friedensrichter sind durch die Parlamentsacte 11 und 12 Vict. c. 42 u. 43 sowol in der Voruntersuchung, als in dem summarischen Hauptverfahren in der gedachten Besugniß dahin beschränkt, daß die von ihnen zu verhängende Haft den Zeitraum von sieben Tagen nicht übersteigen darf.

Gsgbg.: 1) Deutsches Reich: CPO. §§ 345, 346, 355, vgl. Hahn, Materialien, II. S. 44, 45 (Entwurf §§ 334, 335, 343), 310 ff., 313 (Motive), 624 ff., 627 ff. (Kommissionsberathung 1. Lesung) 1007, 1009 (2. Lesung), 1191 (Jnterpretationsbeschluß zu §§ 343 des Entw., 355 des Ges.); StrasPO. fvgl. 50 u. 69, Hahn, Materialien, III. S. 10 u. 11 (Entwurf §§ 48, 61), 114—120 (Motive), 593, 612 ff. (Kommissionsberathung 1. Lesung), 1206,1211,1232 (2. Lesung), 1733,1771 (2. Plenarberathung), 2037,2056 (3. Plenarberathung).— 2) Oesterreich: § 160 Allgemeine Ger.Ordn.; § 232 Westgalizische Ger.Ordn.; 185, 192 deS kaiserlichen Patentes vom 3. Mai 1853, R.G.Bl. Nr. 81 (Gerichtsinstruktion); StrafPO. v. 23. Mai 1873 §§ 159, 160, 161 Abs. 3, 242, 243, 252 Nr. 3. — 3) Frankreich: Code de procödure civile art. 263—265; Code d’instruction criminelle art. 80 , 81, 157, 158, 189, 304, 355. Lit.: Heimbach in Weiske's Rechtslexikon s. v. Zeugen, Bd. 15 S. 335 ff. — Kayser, Der Z. im Strafverfahren in geschichtlicher Entwicklung, 1879 (Deutsche Zeitund Streitfragen, Heft 117). — 1) Deutschland: Zachariä, Handbuch des Deutschen StrasPrz. 11. S. 181 ff., vgl. dort auch die ältere Literatur. — Goltdammer's Archiv rc. X. S. 820 ff., XI. S. 816 ff. — Allgemeine Deutsche Strasrechtszeitung NI. (1863), S. 429 ff; Sundelin, ebd. S. 133 ff.; John, ebd. IV. (1864) S. 546 ff. — Gutachten für den fünften Deutschen Juristentag von Geyer und v Tippelskirch, vgl. Verhandlungen I. S. 54—61, 78—101, auch die stenographischen Berichte in Bd. II. S. 188—209, 62-70. — Dochow, Ter Z., Jena 1877. — Rubo, Ueber den sogen. Z., Berlin 1878; dazu Oetker im Archiv für StrasR. XXVI. S. 113 ff. — Ferner die Kommentare zu den betreffenden Paragraphen der CPO., bef. von: Hellmann, Gaupp, Kleiner, Petersen, v. Sarwey, Seusfert, Struckmann & Koch (3. Aust.), Ende­ mann, Der Deutsche Civilprozeß, Bd. II.; der StrasPO. von: v. Bomhard L Koller

Ziegler — Zimmern.

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Dalcke (2. Ausl.), Keller (2. Aufl.), Löwe (2. Auf!.), Puchelt, v. Schwarze, Thilo, Voitus. — Voitus, Kontroversen, Bd. I u. II. — Ferner: Dochow, Der RStrafPrz(3. Aufl.), S. 166 ff. — Geyer in v. Holtzendorff!s Handbuch des Deutsch. StrafPrz.RI. S. 270 ff.; Derselbe, Lehrbuch des gemeinen Deutschen StrafPrz.R., S. 512 ff. — 2) O esterreich: Pratobevera, Materialien für Gesetzkunde u. Rechtspflege rc., VIL S. 307 ff. — v. Sch rutka-Recht en stamm, Zeugnißpflicht undZ. im Oesterreichischen Civilprozeß, Wien 1879, bes. S. 152 ff. — Mitterbacher & Neumayer, Erläuterungen zur StrafPO. vom 23. Mai 1873, Graz 1874, bes. S. 352 ff. — Ullmann, Das Oesterreichische StrafPrzR., Innsbruck 1879, S. 39- ff. — Wahlberg in Grünhut, Zeitschrift rc. I. S. 171 ff. — 3) Fran kreich: Bonnier, Tratte theorique et pratique des preuves en droit civil et en droit criminel, IVeme 1873, bes. I. S. 341 ff. (nr. 2(56). — Gilbert, Code de procädure civile avec Supplement, 1867 und die dort Citirten. — Schlink, Kom­ mentar über die Franz. CPO., Bd. II. S. 427 ff. — Boitard, Lenons de droit crimi­ nel etc., XIeme ed. par Faustin-Hdlie, 1876, nr. 596, 679, 710. — Faustin-Helie, Traite de l’instruction criminelle ou Theorie du code d’instruction criminelle, Bruxelles 1865, bes. nr. 2409 ss., 3715 88., 4196 ss., 4961 ss. — Morin, Repertoire general et raisonnd de droit criminel s. v. Temoins, II. p. 741, 746. — Ortolan, Elements de droit penal, IVeme ed. par Bonnier 1875, II. S. 581. — Tröbutien, Cours elementaire de droit criminel, 11. S. 239. — 4) England: Rüttimann, Der Englische Civilprozeß, Leipzig. 1851, bes. S. 171. — Glaser, Das Englisch-Schottische Strafverfahren, Wien 1850, besS. 70 ff. — Stephen, Commentaries on the laws of England, 1868 Vol. 4 S. 427.

v. L ili en t h al.

Ziegler, Caspar, z 1621 zu Leipzig, zuerst Theologe, dann Jurist, Prof, und Ordinarius in Wittenberg, f 1690. Schrift: De juribus majestatis tract. academ., Vitenb. 1681. Lit.: Schulze, (Jini, in das Deutsche Staatsrecht, Leipzig 1867, S. 70. Teich mann.

Zilettus, Johann Baptista oder Jordanus, 8 in Venedig, lebte in der zweiten Hälfte des 16. Jahrh. Schriften: Index librorum Juris, ed. 2a Venet. 1563. — Consilia. — Collectio consil. matrim., Francos. 1578. Teichmann.

Zimmermann, Ernst Will). £ubtu. Karl, t 31. I. 1812 zu Rüsselsheim, studirte in Marburg und Heidelberg, nach großen Schwierigkeiten (seitens des Kur­ fürsten) endlich 1834 zum Examen in Kassel zugelasfen, 1839 Assessor am Ober­ gericht in Hanau, 1846 Staatsanwalt mit dem Prädikat Justizrath, 1848 Obergerichtsrath in Marburg, nahm Dezember 1850 seine Entlassung, wurde Privatdozent in Marburg, 1852 nach Basel als ord. Professor berufen, ging 1854 ans Ober­ appellationsgericht in Lübeck, t 7. V. 1877. Schriften: Archiv für civ. Praxis, Bd. 29 S. 212 ff., 454 ff.; Bd. 34 S. 192 ff., 323 ff. — Neues Archiv für H.R., von Voigt und Heinichen, Bd. I. 48—82. — Gut­ achten für den 9. Juristentag: Soll das künftige gem. Deutsche Obligationenrecht die verbind­ liche Kraft des Anerkennungsvertrages aufnehmen? (II. 455—502). — Der Glaubenseid, Marb. 1863. — Morgenblatt 1865, Nr. 19—20. Lit.: Mittheilungen aus dem Leben des hanseatischen Oberappellationsgerichtsraths Ernst Zimmermann (vom Schwiegersöhne Schön), Lübeck 1879. — Liter. Centralblatt 1863, Nr. 44. Teich mann.

Zimmern, Siegmund Wilhelm, 8 4. III. 1796 zu Heidelberg, studirte in Heidelberg, Berlin und Göttingen, wurde Privatdozent in Heidelberg, 1821 Badischer Rath, trat zum Christenthum über, 1821 ord. Professor, ging 1826 nach Jena, wo er 1827 Rath am Oberappellationsgerichte wurde, f 9. VI. 1830 in Heidelberg. Schriften: De Muciana cautione, Heidelb. 1818. — System der Röm. Noxalklagen, Heidelb. 1818. — Röm.-rechtl. Untersuchungen f. Wissenschaft u. Ausübung (mit Neustet el), Heidelb. 1821. — Grundriß des gem. Erbrechts, Heidelb. 1823. — Gesch. des Röm. Privat­ rechts bis Justinian, Heidelb. 1826, 29. (III. Bd.: Ter Röm. Civ.Proz. bis auf Justinians Franz, v. Etienne, 1843. Lit.: Arch. f. civ. Prax. Bd. I-V., VII., VIII., IX., XL - Ztschr. f. Civ.Recht u. ProzI. 47—56. — Neuer Nekrolog der Deutschen, VIII. S. 486—488. Teich mann.

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Zinsen.

Musen (fenus, usurae) nennt man eine Quantität vertretbarer Sachen, welche als der Ertrag einer anderen größeren Quantität gleichartiger Fungibilien (Kapital, caput, sors) sich darstellt; dieser Ertrag wird von dem an dem Kapital gleich einem Eigen­ thümer Berechtigten dadurch gewonnen, daß das Kapital von einem Andern ihm geschuldet und dieser entweder nach gesetzlicher Vorschrift oder nach Privatdisposition verpflichtet wird, ihm, solange er das Kapital nicht heraus-, resp, zurückgegeben hat, zu gewißen Zeiten eine Leistung gleichartiger Fungibilien zu machen, ohne daß diese als eine Abschlagszahlung auf das Kapital anzusehen wäre. Wesentlich ist dem Begriffe der Z. übrigens noch, daß deren Betrag zu einer gewiffen Einheit der Kapitalssumme in Beziehung gesetzt sei (Zinsfuß). Schon nach Römischem Recht ward als regelmäßige Kapitalseinheit die Ziffer 100 betrachtet, nur rechnete man nicht jährliche Prozente, wie heutzutage, sondern monatliche, sodaß z. B. semisses usurae = 12 Proz. monatlich, also 6 Proz. in unserem Sinne; indeffen war früher der Zins immer ein Bruchtheil des Kapitals (unciarium fenus = 112 Kapital oder 8Vs Proz. jährlich), und so findet sich noch in nachkonstantinischer Zeit als Regel eine andere Rechnungseinheit, der Solidus, von dem man 3/g< (3 siliquae) jährlich, also Vs des Kapitals, berechnete (Marquardt, Römische Staatsverwal­ tung, II. 57—63; Streuber, Ter Zinsfuß bei den Römern, Basel 1857). Rach dem Gesagten giebt es also nicht blos Geldzinsen, sondern auch Zinsen von Feldsrüchten in Feldfrüchten bestehend (c. 11, 23 C. li. t), von aurum, argentum, vestis (c. 25 ib., wozu übrigens zu vgl. IHering, Jahrb. s. Togm. XII. 334 ff.) u. s. w. Indeffen läßt man, wo die Leistung solcher Zinsen nicht ausge­ macht ist, bei derartigen Kapitalobjekten mit Recht stillschweigende Supposition des Geldwerthes des Kapitals zu und verwandelt die Z. in Geldzinsen (vgl. fr. 3 § 4; fr. 17 § 8 D. h. t.; c. 2 C. 4, 2), auch ist die Gewährung anderer Vortheile (z. B. habitatio, natürliche Früchte, c. 14, 17, 11 C. h. t; fr. 11 § 1 D. 20, 1) anstatt der eigentlichen Z. durch Privatsdisposition nicht ausgeschlossen. — Rach dem Gesagten können ferner die Z. nicht ohne einen Anspruch auf das Kapital ent­ stehen und bestehen, möge nun das Kapital vor Begründung des Zinsanspruchs in den Händen des Forderungsberechtigten gewesen sein (z.. B. regelmäßiges Darlehn) oder nicht (z. B. gewöhnliche Schuldforderung auf vertretbare Sachen, Anspruch wegen negotiorum gestio), und mag der Anspruch auf das Kapital ein dinglicher oder persönlicher sein. Mit völliger Aufhebung des Anspruchs auf das Kapital geht demgemäß auch der Anspruch auf die Z. völlig unter (Windscheid, § 259, 8 und c. 26 pr. C. 4, 32). Dennoch kann die Zinsverbindlichkeit, welche an sich stets eine obligatorische, nicht dingliche ist, in einem verschiedenartigen Verhältnisse zur Verbindlichkeit auf Auslieferung des Kapitals stehen: entweder ist sie nur eint Erweiterung der letzteren (gleich der Alluvion im Sachenrecht) oder sie führt neben jener ein selbständiges Dasein (etwa gleich der insula in flumine). Ersteres war nach Römischem Rechte der Fall, wo Z. „officio judicis praestantur“, Letzteres, wo dieselben „in obligatione sunt“, d. h. die auf einem pactum bonae fidei contractui adjectum oder auf bloßer Rechtsvorschrift beruhenden Z. mußte der Richter, ohne daß auf sie besonders geklagt worden war, zuerkennen, ja auf sie konnte nicht anders als mit Einforderung des Kapitals zugleich geklagt werden; dagegen die in einem negotium stricti Juris beredeten Z. (stipulatio, Damnationslegat) mußten besonders begehrt werden, weil sie auch besonders formell beredet werden mußten. Diese Römisch-rechtliche Unterscheidung hatte noch andere Konsequenzen, so die, daß bei den Offizial-Z. die Litiskontestation des Kapitalanspruchs den Anspruch auf die Z. konsumirte, bei den anderen Z. nicht (Carus, a. a. O. § 8 S. 34 ff.). Dagegen konnte Verpfändung und Verbürgung für die Kapitalschuld gewiß auch die blos in obligatione befindlichen Z. und mußte nicht nothwendig die Offizial-Z. umfaffen (Windscheid, I. § 226, 5; II. § 477, 26, 28; Earus, a. a. O. S. 51, 52) und für das heutige Gemeine Recht ist es überhaupt zweifelhaft, inwieweit der

Zinsen.

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Unterschied zwischen Offizial-Z. und denen quae in obligatione sunt noch zur Geltung komme. Jedenfalls sind die obigen prozeffualischen Unterschiede heutzu­ tage weggefallen, das EG. zur Deutschen CPO. § 14 Abs. 2 Nr. 5 setzt ausdrück­ lich die Vorschriften, nach welchen eine Nebenforderung als aberkannt gilt, wenn über dieselbe nicht entschieden ist, außer Kraft (Mandry, Eivilrechtlicher Inhalt der Reichsgesetze, 204, 25). Auch ist die Uebertragung des Begriffes der Offizial-Z. und der Z. in obligatione auf den Unterschied der Z. nach ihrem Entstehungsgrund: die gesetzlichen seien Offizial-Z., die auf einer an sich Obligationen begründenden Thatsache beruhenden seien in obligatione (Windscheid, § 259, 9, 10): doch nicht so zweifellos. Selbst die Schriftsteller, welche den Unterschied aufrecht erhaltm wollen, wiffen eigentlich kein anderes wesentliches Unterscheidungsmerkmal aufzuführen, als dies, daß bei den Offizial-Z. die wiffentliche Empfangnahme des Kapitals ohne die fälligen Z. den Gläubiger des Anspruchs auf die Z. beraube, und sie streiten nur noch darüber, ob der Gläubiger diese Verwirkung durch Erklärung eines Vor­ behalts abwmdm könne (Windscheid, § 259,12; Göppert, Arndts, Unger) oder nicht (v. Wächter, Sintenis, Westerburg, s. Citatebei Windscheid). Gegen jegliche heutige Bedeutung des Unterschieds erklären sich Rauda, a. a. O. 25; Carus, a. a. O. 23, 42 ff. Die Verbindlichkeit, Z. zu zahlen, entsteht entweder aus Grund einer darauf bezüglichen Privatdisposition oder nach gesetzlicher Vorschrift ipso jnre oder, soweit der Richter Obligationen durch Urtheil begründen kann, durch richterliche Detchtgung. Die Fälle gesetzlicher Begründung der Zinspflicht nach Gemeinem Recht sind: Derzugs-Z., Z. bei Leistung des Jntereffe, Z. für Geldforderungen des Fiskus und der Minderjährigen von der Fälligkeit der Fordemng an, Z. des Kaufpreises nach Tra­ dition des Kaufobjekts, Z. der Judikatsgeldsumme vom Beginne des 5. Monats nach dem Urtheil an, Z. des fremden Geldes, welches Jemand entweder unberechtigt in eigenen Nutzen verwendet oder nicht, wie er soll, nutzbar anlegt, Z. der Auslagen, welche man Jemandem ersetzen muß, von der Ausgabe an. (Weitere gesetzliche Zinsverbindlichkeiten im Einzelnen, welche sich unter einige der angegebenen Kate­ gorien einreihen lasien, s. bei Arndts, § 208,2.) Andererseits giebt es aber auch Fälle gesetzlicher Zinsbefreiung: fiscus ex suis contractibus usuras non dat (Seuffert, II. § 245, 11), der promissor einer Schenkung ist frei von Derzugs-Z. und poenarum usurae peti non possunt (Arndts, § 207, 3 g. E.). Die blos durch Rechtssatz begründeten Z. nennt man gesetzliche im Gegensatz zu den Konventional- und richterlichen Z. Jndeffen versteht das Römische Recht unter legitimae usurae nicht die gesetzlichen in diesem Sinne, sondern die Z., welche bett gesetzlich erlaubten Zinsfuß nicht überschreiten. Es hat nämlich schon das Römische Recht, um dem Wucher zu steuern, für die Konventional-Z., mit Ausnahme des noch im Justinianischen Rechte keiner Beschränkung unterworfenen fenus nauticum (f. Jhering, Jahrb. f. Dogm. XIX., 1880, S. 2—23), Zinsmaxima festgesetzt; bis auf Justinian war 12 Proz. jährlich die Regel, Justinian erlaubte nur 6 Proz., privilegirte aber gewiffe, dem fenus nauticum verwandte Geschäfte (s. Jhering a. a. O.) bis zu 12 Proz., sowie gewiffe Personen dahin, daß diese entweder mehr sollten nehmen dürfen (8 Proz.) oder daß von ihnen auch nicht so viel sollte ge­ nommen werden (4 Proz.) (s. c. 26 §§ 1, 2 C. h. t.; Nov. 32—34). Die Wir­ kung der Ausmachung über das Maximum ist Klaglosigkeit hinsichtlich des zu viel Versprochenen, Anrechnung des zuviel Empfangenen auf das Kapital (c. 26 § 4 cit.). Die Höhe der gesetzlich begründeten Z. war in den einzelnen Fällm normirt: 12, 6, 4, 3 Proz. jährlich (s. Arndts, §§ 208, 2; 222, 2; Windscheid, § 260, 2); auch auf sie aber scheint sich die Justinianische Reduktion auf 6 Proz. zu beziehen, soweit sie nicht schon unter diesem Maximum standm (c. 26 § 2 i. f. cit.). In Deutschland kam übrigens vor den Justinianischen Grundsätzen das Kano­ nische Recht zur Geltung, welches auf Grund von II. Mos. 22, 25; III. 25, 35—37;

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Zinsen.

V. 23, 19, 20 jeden Z. verbot und das Zinsnehmen als privilegium odiosum den Juden überließ. Erst die Reichsgesehe gingen unter dem Einfluß des Römischen Rechts in einzelnen Fallen, z. B. durch ausdrückliche Zulassung des Rentenkaufs, dem Kanonischen Zinsverbot zu Leibe, und so wurde dieses gewohnheitsrechtlich annquirt; das Justinianische Recht mit dem 6 prozentigen Zinsmaximum ward rezipirt und nur in Anlehnung an spezielle reichsgesehliche Vorschriften das 6prozentige Maximum in ein üprozentiges verwandelt, nicht ohne daß jedoch die Zulässigkeit des „sechsten Zinsthalers" eine Zeitlang noch behauptet worden wäre (Windscheid, § 260, 3). Rach geltendem Gemeinen Recht nahm man denn noch neuerdings 5 Proz. jährlich als das höchste erlaubte Zinsmaß für alle gesetzlich oder vertrags­ mäßig begründeten Zinsverbindlichkeiten, höchstens mit Ausnahme des fenus nauticum (und der Judikats-Z.: muß man arg. c. 2 C. 7, 54 hinzusehen), an (Arndts, § 210, 3). Seit der Einführung des HGB. Art. 292 ist dies für die bei Handels­ geschäften bedungenen Z. anders geworden, insofern die von einem Kaufmann auf­ genommenen Darlehen und die Schulden eines Kaufmannes aus Handelsgeschäften von jeder Zinsschranke entbunden, die Handelsgeschäfte im Uebrigen mit einem Maximum von 6 Proz. belegt worden sind; 6 Proz. gelten auch als „gesetzliche" Z. bei Handelsgeschäften (Art. 287). — Sodann hat das zum Reichsgesetz erhobene, nur in Bayern (wegen eines dort am 5. Dezember 1867 erlassenen Gesetzes) nicht rezipirte Norddeutsche Bundesgesetz vom 14. November 1867, betreffend die vertrags­ mäßigen Z., die Zinsschranke bei Konventional-Z. durchgängig beseitigt und nur bei Festsetzung von mehr als 6 Proz. dem Zinsschuldner 6 Monate nach Vertragsschluß das unverzichtbare Recht 6 monatlicher Kündigung der ganzen Schuld verliehen (Aus­ nahmen von der letzteren Vorschrift s. §§ 2, 3 des Gesetzes). So besteht denn das gemeinrechtliche Maxinlum von 5 Proz. nur noch für die gesetzlich und richterlich begründeten Z. außer Judikats-Z. (s. oben), jedoch soll nicht blos bei den Kon­ ventional-Z., sondern auch bei den gesetzlichen da, wo eine bestimmte Norm nicht zu finden ist (also nicht bei den gesetzlichen Z. des HGB., wegen Art. 287), im Zweifel der Ortsgebrauch den Ausschlag geben (Windscheid, § 260, 5). Daran hat das neue Reichsgeseh, betreffend den Wucher, vom 24. Mai 1880 nichts weiter geändert, als daß es die bei Darlehen oder Stundung einer Geldforderung unter Ausbeutung der Unerfahrenheit u. s. w. des Schuldners, oder auch bei anderen Geschäften, aber wechselmäßig, auf Ehrenwort u. s. w. erfolgten Verabredungen, falls sie dem Gläubiger Vermögensvortheile gewähren, welche den üblichen Zinsfuß auffallend überschreiten, für ungültig erklärt und, falls der Schuldner oder Jemand für ihn bereits geleistet hätte, die Rückgabepflicht normirt (5 Jahre lang, gesetzliche Z. vom Tage der Leistung an: Art. 3 des Gesetzes). Das Römische Recht hat im Interesse der Verhütung des Wuchers noch weitere Vorschriften als die über das Zinsmaximum gegeben. 1) Hinsichtlich der Zinses-Z.: es dürfen nicht von rückständigen, unbezahlten Z. wieder Z. genommen werden, sei es nun auf dem Wege, daß man die Rückstände zum Kapital schlägt, oder daß man sie als besonderes Kapital darstellt (später sog. anatocismus conjunctus, separatus). 2) Der Zinslauf hört auf, sobald die rückständigen Z. (in unglossirten Stellen heißt es sogar: die bezahlten, s. Arndts, § 209, 3) in ihrer Summe die Höhe des Kapitals erreichen (ne ultra cluplum s. alterum tantum). 3) Auch alle Geschäfte zur Umgehung der beiden obigen Verbote sind ungültig, z. B. Vorabzug der Z. (vgl. c, 26 § 4 C. h. t.), contractus mohatrae (Windscheid, § 261, 5. Zweifel­ haft, ob Novation: Arndts, § 209, 2; Windscheid, § 261, 2). — Die Wir­ kung der Umgehung ist in allen drei Fällen die gleiche, wie bei Überschreitung des Zinsmaximum (s. oben). — Don diesen 3 Fällen sind durch das moderne Reichsrecht die beiden ersten nur für das Handelsrecht und zwar der zweite für alle Handels­ geschäfte, der erste jedoch auch nur für das Kontokorrentguthaben unter Kaufleuten außer Kraft gesetzt worden (HGB. Art. 293; 291,1), freilich hat das Reichs-Z.gesetz

Zinse«.

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von 1867 § 4 nur die privatrechtlichen Bestimmungen über Zinses-Z. ausdrücklich aufrecht erhalten (s. Mandrh, Civilr. Inh. d. Reichsg., 301). Das Verbot der Vorwegnahme von Z. dagegm, nicht aber auch die Ungültigkeit der übrigen Um« gehungsgeschSfte (wie Mandry, 299, 7 anzunehmen scheint) ist für allgemein unanwendbar zu erachten. Don dm geltenden Kodifikationen behandeln die älteren (Preußisches Allg. LR. I. 11 §§ 803 — 852; Code civil art. 1905 ss.; Oesterreichisches Allg. BGB. §§ 993—1000) die Lehre von den Z. beim Darlehn, das Sächs. BGB. §§ 673—684 dagegen, der herrschenden Theorie folgend, bei den Gegenständen der Forderungm (der Entw. eines Schweizerischen Obligationenrechts von 1875 wieder beim Darlehn, aber nur Art 320—322). Dagegm erkennt einerseits (z. B. das Preußische Recht) Z. nicht blos bei Fungibilien, sondern auch bei Genusschuldm an (Dernburg, II. § 34, 3), während andererseits das Sächsische BGB. (§ 673) sie blos bei Geld­ schulden Z. nennt. — Die accessorische Eigenschaft der Z. ist insofern zur Geltung gelangt, als vorbehaltlose Quittung über die Hauptschuld nach Preußischem, Fran­ zösischem und Sächsischem Recht Verzicht auf die vorbedungenen Z. vermuthen läßt (Dernburg, II. § 35 Nr. 3; Code civil art. 1908; Sächs. BGB. § 986), da­ gegen hat der Code civil art. 2277 und das Oesterreichische Allg. BGB. § 1480 sowie im Anschluß daran das Preußische Verjährungsgesetz von 1838 8 2 Nr. 5 eine selbständige und kurze (5, 3, 4 Jahre) Verjährungsfrist für den Zinsanspruch auf­ gestellt. Eine eigentliche Unterscheidung zwischen Konventional- und richterlichm Z. einerseits und den aus anderen Gründen mtstandenen andererseits, findet sich im Sächsischen BGB. §§ 674, 675. — Gesetzliche neben den vertragsmäßigen Zinsver­ bindlichkeiten kennen die Gesetzgebungen alle (vgl. Dernburg, § 37; Code civil art. 1907), indessen kennt z. B. das Oesterreichische Recht keine Judikats-Z., sondern läßt dieselben in den Verzugs-Z. ausgehm; für die vertragsmäßigm, sog. „vorbedungenen" Z. erfordem das Preußische Recht (Dernburg, § 35, 3) und Code civil (art. 1907) Schriftlichkeit. — Die Zinsmaxima sind für vertragsmäßige Z. in den in Deutschland geltenden Kodifikationen schon vor dem Reichsgeseh von 1867 normirt gewesen (so für das Französische Recht durch das Gesetz vom 3. Sept. 1807; Zachariä v. Lingenthal, Handb. d. Franz. Civilrechts, II. § 396, 8 ff.), für Sachsen durch das Gesetz vom 5. Oktober 1864; vgl. Preußische Verordn, vom 12. Mai 1866 und 3. Januar 1867 (Dernburg, II. § 36, 11] und das Bayerische Gesetz vom 5. Dezember 1867; die Deutschen Gesetze gewähren bereits den Kontrahenten die möglichste Freiheit und diese ist in dem Reichsgesehe von 1867 § 5 noch überdies dadurch gewährleistet, daß die dem Schuldner (gegenüber dem Reichsgeseh) noch günstigeren Bestimmungen der Landesgesetze aufrecht erhalten, resp, als künftig zu erlasiende Vorbehalten bleiben (vgl. Mandry, a. a. O. 300, 8). Der Zinsfuß für gesetzliche Z. bemißt sich nach Preußischem Rechte nach dem landes­ üblichen Zinsfuß (Dernburg, 8 38,*1; s. aber für die Fälle der Dormundschafts­ ordnung daselbst Note 6), nach dem Bayerischen Gesetze von 1867 Art. 3 und dem Sächsischen BGB. 8 677 beträgt er 5 Proz. — Das Nehmen von Zinseszins ist nach den Kodifikationen gestattet, meist freilich nicht ohne Beschränkung auf einen gewisien Betrag des Mckstandes als Minimum und nicht ohne Novation (Dern­ burg, 8 36, 15. 16; Code civil art. 1154; Oesterreichisches BGB. 8 998; Ge­ setz vom 14. Juni 1868 8 3 a, b; Sächsisches BGB. 88 679—681; Bayerisches Gesetz von 1867 Art. 1); noch mehr, nämlich total, ist das Verbot der Z. ultra altermn tantum in den Deutschen Landesrechtm aufgehoben (Allg. LR. I. 11 8 851; Bayerisches Gesetz Art. 2; Sächsisches BGB. 8 682; vgl. auch Oesterreichisches Allg. BGB. 8 1335). — Besonders zu bemerken ist schließlich noch für die Landes­ rechte, daß die Zinsvorschristen für die gewerblichen Pfandleihanstalten nach dem Reichsgesetz von 1867 8 4 ausdrücklich aufrecht erhalten worden sind (vgl. für Preußen Dernburg, 88 36, 19 ff.).

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ZiuSleifte - ZlnSschetn.

Das neue Deutsche Reichsrecht hat außer den bereits angegebenen Vorschriften im Wesentlichen nur noch Bestimmungen über gesetzliche Zinsverbindlichkeiten im HGB. (z. B. Art. 289 ff.) und im Wuchergeseh (Art. 8 Abs. 2); vgl. noch WO. Art. 7 und CPO. § 279. Ueber Jnterusurium s. den betr. Art. Quellen: v. 22, 1, 2; Cod. 4, 82, 33 de usuris, de nautico fenore. — C. 5, 56 de usur. pupillaribus; 6, 47 de usuris legator. vel fideic.; 7, 54 de usur. rei judicatae; 10, 8 de fiscalibus usuris. — Peer. Grat C. 14, q 4; X. 5, 19; in Vio 5,5; Clem. 5,5. ßit.i Heimbach in Weiske'S Rechtslex. XV. 389—462. — Unterholzner, SchuldverHLltniffe, (1840) I. §§ 150—59. — Unger, Fragm. aus einem System des ObtRechts, in Haimerl's Oesterr. D.I.Schr., XIV. 117 ff. — Ravda, Die Lehre von den Z. und von der Konventionalstrafe, 1869. — Carus, Die selbständige Klaabarkeit der gesetzlichen Z-, Halle 1876. — Gimmerthal, Ueber die Osfizialzinsen, im Archiv sür die civ. Praxis, LXI. (1878) 371—402 (beschäftigt sich mit dem Begriff der Z. überhaupt, als Straf- oder SchadenSersatzgeld und mit dem EntstehungSgrund der Röm. Officialz., welchen G. nicht in der Obli­ gation selbst [©. 373], sondern in der »zinsenzeugeuden Funktion des officium Judicis“, [©. 401] findet). — Lehrb. der Pand.: Arndts, §§ 207—10; Brinz L 435 ff., 581; Göschen II. §§ 402-9; Keller, I. § 247; Puchta, §§ 227-29; Seufsert, IL §§ 231—33; Sintenis, II. § 87; v. Bangerow, I. §§ 76—79; Windscheid, II. §§ 259—61. — Partikularrecht: Dernburg, Preutz. Privatrecht, II. §§ 34—38. — Zacharia v. Lingenthal (Puchelt), Handbuch des Französ. CivilrechtS, II. § 369. — Reichsrecht: Mandry, Der civilrechtliche Inhalt der Reichsgesetze. §§ 28, 2 ff.

3- Merkel.

Zinsleiste, gute Deutsche Bezeichnung sür Talon (s. diesen Art.), welche bereits im Preuß. Gesetz vom 16. Juni 1819 § 17 (Ges. Sammt. 1819, S. 160) vorfindlich, in Norddeutschland in Vergessenheit zu gerathen droht. Vgl. großh. Hess. Ges. vom 20. Juli 1858 Art. 18; Nass. Ges. v. 2. Juni 1860 § 16. Keyßner.

Ziusquittungsscheine, die zu den Preußischen Grundschuldbriesen (s. diesen Art., woselbst auch das Formular) aus Antrag des Eigmthümers des Pfandgrundstücks für einen Zeitraum von füns Jahren auszufolgenden Zinsquittungen, gegen deren Aushändigung der Schuldner dem holenden Gläubiger (Holschuld) zu zahlen hat. Die Zinsforderungen verjähren mit Ablauf von 4 Jahren (Gesetz vom 31. März 1838 tz 2 Nr. 5, ß 5 Nr. 3); ein Aufgebot der Z. findet nicht statt. Behufs Löschung der Forderung im Grundbuch müssen die noch nicht ver­ jährten Z. mit dem Grundschuldbrief zum Grundbuch geliefert werden; andernfalls find die Beträge zu hinterlegen. Der Schuldner hat deshalb die bezahlten Z. bis nach Ablauf der Verjährung aufzubewahren. Lit.: Die Kommentare zu § 39 des Preuß. Ges. vom 5. Juni 1872 über den Eigen­ thumserwerb, zur Grundbuchordnung §§ 96, 128—130 von Turnau, Bahlmann, Achilles. Kehßner.

Zinsschein ist die gute Deutsche, von der Deutschen CPO. §§ 843—845 wieder aiifgenommene Bezeichnung für Coupons, auch Hebeschein, Zinsabschnitt ge­ nannt. Z. ist das urkundliche Zahlungsversprechen des Kapitalschuldners dem In­ haber gegen Rückgabe den darin benannten Zinsbetrag zu zahlen. Die Z. find nicht Legitimationspapiere zum Zweck der Ausübung des Zinsrechts, sondem Werth papiere(s. diesen Art.), Werthträger für die Zinsforderung. Entstanden als Bezugs­ mittel für die Zinsen, haben sie im Verkehr eine weit ausgedehntere Bedeutung gewonnen; sie werden als Zahlmittel verwendet und sind als Waare Gegenstand des Handels (Bedingungen der Wiener Effektenbörse § 20; Zeitschr. i. das ges. Handelsrecht von Goldschmidt u. A., XXIII. Beilageheft S. 307 ff.). Schlußnoten u. s. w. über bett Kauf von Z. sind stempelpflichtig nach dem RGes. vom 1. Juli 1881, betr. die Erhebung von Reichsstempelabgaben, Taris 4a; die Rechnungen bei der Einlösung an einer inländischen Zahlstelle sind stempelfrei, Tarif 4b, denn hier sind die Z. nicht für den Handelsverkehr bestimmte Werthpapiere, sondern lediglich Mittel zur Zinscinhebung.

Zoanettus — Zollkredit.

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Trotz dieser Verwendung im Verkehr nehmm die Z. nicht die Bedeutung von abstrakten Zahlungsversprcchen aus den Inhaber an; sie bewahren vielmehr ihre Eigenschaft als Zinsschuldscheine, womit im Zusammenhang steht: die Verzinsung der Forderung nach den landesgesetzlichen Bestimmungen über Zinsverzinsung, und die Ausschließung des Zinseszins (s. d. Art. Zinsen), selbst im Falle des Zahlungs­ verzuges des Schuldners, soweit landesgesetzlich das Verbot des Anatokismus besteht. Ist das Kapital zur Rückzahlung gekündigt, wird jedoch nicht eingehobm, so hat nach der Mehrzahl der Emissionsbedingungen der Schuldner die Z. der Folge­ zeit dennoch einzulösen; sehlende Z. sind dem Gläubiger am Kapital zu kürzm. Die zuständige Amortisation (s. diesen Art.) der Z. kann für Deutschland als beseitigt bezeichnet werden (Preuß. Verordn, vom 16. Juni 1819; Deutsches Bundesges. vom 9. Nov. 1867 § 6; Reichsges. vom 12. Mai 1873 § 1; Württemb. Ges. vom 13. März 1868, Art. 1; vom 18. Aug. 1879, Art. 1; Hessen vom 4. Juni 1879, Art. 10; Sachsen-Weimar vom 10. Mai 1879, § 12; Bremen vom 25. Juni 1879, § 5; Elsaß-Lothringen vom 8. Juni 1879, § 28), gleichwie sür Papiergeld und Banknoten die Amortisation ausgeschlossen ist. Ein­ zelne Gesetzgebungen habm die Zahlungssperre auf die verlorene Haupturkunde auch für die Z. wirksam erklärt (EG. zur EPO. § 15 9lo 2; Hessen vom 4. Juni 1879, § 11; Württemberg vom 18. August 1879, Art. 1). Die Außerkurssetzung (s. diesen Art.) der Z. ist unbedingt ausgeschlossen, mag auch die Hauptuäunde außer Kurs gesetzt sein (Goldschmidt, Handelsrecht, I. S. 1201; Keyßner. Vom Preuß. Papiergeld, i. d. Zeitschr. f. Gesetzgeb. und Rechtspflege in Preußen II. S. 125 ff.). Verlust oder Vernichtung der Z. ist in gleichem Maße definitiver Werthverlust, wie beim Papiergeld. Eine Zwangspflicht zur Zinszahlung an den nachweislichen Verlierer und Inhaber der Schuldurkunde besteht der Regel nach nicht; eine Mehrzahl der Emissionsbedingungen stellt jedoch eine Nachzahlung nach Ablauf der Verjährungsfrist in Aussicht. Z. werden den Schuldurkunden für mehrere Jahre beigefügt; die Ausgabe einer neuen Reihe (Serie) erfolgt gegen Talons, Zinsleisten (f. diese Art.). Es empfiehlt sich das Aufgebotsverfahren zur Kraftloserktärung der Haupturkunde der Art zu gestalten, daß der Zeitpunkt zur Aus­ reichung einer neuen Reihe von Z. überschritten wird. Diesen Weg hat die Deutsche EPO. §§ 843 ff. eingeschlagen, ebenso das Franz. Gesetz vom 15. Juni 1872. Lit.: L. Ro thschild, Taschenbuch für Kaufleute, 25. AuSg. I. 808. — Kevßner, Der Verkehr in Coupons, im Deutschen Handelsblatt, 1871, Nr. 4, 6, 7 (vgl. ebendas. Nr. 49), auch abgedruckt in Salrng's Börsenpapieren, Band I. 3. Auflage S.254ff.; Derselbe im Deutschen Handelsblatt, 1874, Nr. 24; 1875 Nr. 89 S. 825. — Gareis, Ueber Legitimations­ zeichen, in Busch's Arch. XXIV 108. — Ladenburg, Verkehr mit verfallenenZinscouponS und Dividendenscheinen, in der Zeitschr. für d. ges. H.R. v. Goldschmidt, IV.247. — Salinz, Börsenpapiere,(3. Ausl, von Siegfried) S. 268 ff. — Roscher,Zinscoupons und Dividendmscheine als Zahlungsmittel, im Deutsch. Handelsblatt, 1872, Nr. 44,45. — Zeitschrift für das ges. Handelsrecht v. Goldschmidt u. A., XXXIII. 109. — Entsch. des ROHG. X. 213, 320; XXXIII. 205; XXV. 257. - Löhr, Central-Organ, N. F. III. 566. — Busch, Arch., IX. 173, 403. Keyßner.

Zoanettus, Franciscus (Giovanetti), $ in Bologna, Schüler desAlciatus, lebte in der lehtm Hälfte des 16. Jahrhunderts, lehrte zu Ingolstadt, t 1586. Schriften: Repertorium legale. — Tract de matrimonio. — De Justitia et jure. — De emtione venditione. — Opera, Marp. 1600. Lit.r Rivier, Introd. histonque au droit romain, 1881, p. 598. Teichmann.

Zollkredit wird in Deutschland nach dem Ermessen der Landesregierungen und auf die Gefahr derselben jedem angesessenen Kaufmann, Fabrikanten und Gewerbtreibcnden gewährt, der kaufmännische Bücher führt, Geschäfte von Bedeutung macht, in gutem Rufe steht und Sicherheit für die krcditirte Summe zu leisten vermag oder die Präsumtion hinreichender Sicherheit für sich hat. Einzelne Beträge unter 15 Mark werden nicht auf Kredit eingeschrieben, auch hängt die Kreditbewilligung

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Zoll- und Steuerstrafsachm — Zollvergehen.

davon ab, daß der Kreditnehmer jährlich mindestens eine gewiffe Summe (wie z.B. in Preußm, Sachsen, Hamburg 6000 Mark, in Bayern und Sachsen-Weimar 3000 Marl) sich kreditiren läßt. Die Z. sind dem Reiche erst als baar anzurechnen, wenn sie fällig sind. Quellen: Besonders Protokoll vom 29. Novbr. 1833 zum ZollvereiniaungSvertraae vom 27. März 1834, Art. 10. — Hauptprot. der Münchener Dollzugikommisnon vom 14. Februar 1834, § 25. — ReichSgesetz vom 4. Februar 1871, § 3. — Die Kreditregulatide der einzelnen Staaten (aufgeführt in dem Werke v. Aufseß, Die Zille und Steuern d. Deutschen Reiches, 1880). Lit.r Pochhammer, Jahrbücher des Zollvereins von 1834, 1843. — Jahrbücher für Zollgesetzgebung und Verwaltung deS Deutschen Zoll- u. Handelsvereins von 1854—1875. — Die Amtsblätter der ZolldirektionSbehärden der einzelnen Deutschen Staaten. — TaS Central­ blatt der Abgaben, Gewerbe und Handelsgesetzgebung in den Preuß. Staaten v. 1830 an. — Die Verhandlungen der General-Zollkonferenzen von 1836—1863. — Hirth'S Annalen des Deutschen Reiches. — v. Aufseß, Die Zölle und Steuern des Deutschen Reiche?, 1880, S. 34, 41, 167. v. Aufseß.

oll« und Steuerstrafsachen, s. Zollvergehen und Defraudationen, ollvergehen: Zuwiderhandlungen gegen Zoll- oder andere aus indirekte Mgabm bezügliche Gesetze. Es gehören dahin: a) die Desraudirung der be­ treffenden Zölle s. Abgaben; spezieller: die Hinterziehung der Ein-, Aus- oder Turchgangsabgaben und die Nichtanzeige von Gewerbshandlungen, deren Ausführung die Verpflichtung zur Entrichtung einer Abgabe begründet; b) die Verletzungen der zum Schutze des Zollinteresses gegebenen Verwaltungsvorschristen, wie z. B. der mit Rücksicht auf jene Gewerbshandlungen und deren Besteue­ rung gegebenen Kontrolvorschristen über den Transport, die Aufbewahrung, die Be­ zeichnung und den Verschluß der Waaren, der besonderen auf Häfen, Niederlagen re. bezüglichen Regulative u. s. f. c) Jener Desraudirung wird an die Seite gestellt und nach gleichen Grundsätzen behandelt die Kont re bände, d. i. die einem Ver­ bote zuwider erfolgende Einführung, Ausführung oder Durchfuhr von Gegenständen; ferner die verbotwidrige Erzeugung s. Veräußerung von Gegenständen der Staats­ monopole. — Hinsichtlich der strafrechtlichen Natur jener Desraudirung ist auf den Art. Defraudation zu verweisen. Die Kontrebande und die sub b erwähnten Ordnungswidrigkeiten fallen unter den polizeilichen Gesichtspunkt. Desraudirung und Kontrebande werden mit Konfiskation der bezüglichen Ge­ genstände und einer Geldstrafe (Deutsches Vereinszollgesetz: dem doppelten — vier­ fachen, unter Umständen dem acht- bis sechzehnfachen, Oesterreich: dem zwei- bis zwölffachen der defraudirten Abgabe, der Hälfte bis zum Duplum des Waarenwerthes), ausnahmsweise mit Gefängniß (Oesterreich: einfachem oder strengem Arreste, mit welchem verschiedenerlei Rechtsfolgen verbunden werden können) be­ straft. — Das Deutsche Vereinszollgeseh läßt bei den meisten einschlagenden Hand­ lungen 8. Unterlassungen den Beweis zu, daß ein Vergehen nicht beabsichtigt war. ES soll dann nur eine Ordnungsbuße eintreten, wie sie auf die sub b erwähnten Ordnungswidrigkeiten gesetzt ist (150 resp. 300 Mark). Tie Beweislast trifft hier ben Beschuldigten. Oesterreich seht im Allgemeinen nur Zurechnungsfähig leit (deren Mangel regelmäßig von dem Beschuldigten zu erweisen ist), nicht Zurechen­ barkeit des vorschriftswidrigen Vorgangs, ausnahmsweise aber rechtswidrigen Vorsatz voraus. — Als Auszeichnungs-, resp. Erschwerungsgründe gelten das künstliche Ver­ bergen der Gegenstände, das Zusammenwirken Mehrerer, das Führen von Waffen, das Handeln unter dem Schutze einer Versicherung, der gewerbsmäßige Betrieb. Eigenthümliche Bestimmungen finden sich in Bezug aui eine subsidiäre Haitverbindlichkeit Dritter; so der Handel- und Gewerbtreibenden für in ihren Diensten oder im Taglohn stehende Personen, der Eisenbahnverwaltungen für ihre Angestellten und Bevollmächtigten, des Familienhauptes für die Familienglieder (Oesterreich: der nicht direkt mit Strafe bedrohten Mitschuldigen). Die Haftung bezieht sich (Vereinszollgesetz) auf die betreffenden Abgaben und, wenn der Beweis der Schuld-

Zollverwaltung.

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lofigkeit nicht geführt werdm kann, auf die Geldbußen imb Gerichtskosten. Oester­ reich schließt, wenn dieser Beweis geführt wird, die Haftung aus. — Besondere Bestimmungen finden sich ferner in Betreff der Theilnahme (Einschränkung der Strafbarkeit), des Rückfalls, der Verjährung, der Konkurrenz (Aufstellung deS Ku­ mulationsprinzips, jedoch Oesterreich § 107), des Versuchs (Gnschränkung der Strafbarkeit), der Stmfverwandlung, der Haftung der Sachen, aus welche sich die Uebertretung bezieht, der Belohnung der Anzeiger ic. Sehr detaillirte Bestim­ mungen über dies und Anderes hat insbesondere Oesterreich. Die Erledigung dieser Strafsachen erfolgt nach dem Vereinszollgesetze regelmäßig im Wege eines administrativen (in den Händen der Hauptzoll- und Hauptsteuer­ ämter, sowie der Provinzialsteuerdirektorm liegenden) Verfahrens. Der Angeschul­ digte kann jedoch gegenüber einer Entscheidung der Administrativbehörden auf ge­ richtliches Gehör und Erkenntniß antragen. Die Vemrtheilung auf Gmnd subfidia­ rischer Haftbarkeit kann nur durch die Gerichte erfolgen. Jenes administrative Ver­ fahren ist an leichte Formen gebunden. Dabei ist dm Behörden (dm Provinzial­ steuerdirektoren) ein weitgehendes Milderungsrecht eingeräumt. — Freiwilliges (ein Artheil nicht abwartmdes) Uebemehmm der Strafe steht in Bezug auf die Rückfallsbestimmungm der rechtskräftigen Vemrtheilung gleich. — In Oesterreich ur­ theilen besondere, durch richterliche und politische Beamte gebildete „Gefällsbezirks­ gerichte", „Gefällsobergerichte" und ein „oberstes Gefällsgericht". In Bezug auf das Verfahren unterscheidet es mindere und schwerere Gefällsstraffachen. Ueber jene findet ein abgekürztes Verfahrm statt. Gsgb. u. Lit.: Deutsches Vereinszollgesetz v. 1. Juli 1869. — EG. z. RStrafGB. § 7. — Preuß. Gesetz v. 22. Mai 1852. — Verordnung v. 25. Juni 1867. — Oesterreich: StrafGB. über Gesällsübertretungen vom 11. Juli 1835. — W. Röhr, Strafgesetzgebung und Strafverfahren in Bezug auf die Zuwiderhandlungen gegen die Zoll-, Steuer- u. Kommunikationsabaavm-Gesetze und btt Prozeßbuchführung bet den Hauptzoll- und den Hauptsteuerimtem BreSlau 1870. — A. Wagner, Lehrb. v. Finanzwlffenschast, IL S. 695 ff. — E. Löbe, DaS Deutsche Zollstrafrecht, 1881. — Vgl. d. Art. Haftpflicht in Zoll- und Steuer­ lachen. A. Mertel.

Zollverwaltung heißt diejenige Abtheilung der Staatsverwaltung, welche sich mit dem Schutze der Kontrole, Feststellung, Erhebung der Zollgefälle und mit der Ver­ folgung, Untersuchung und, unter gewiffm Beschränkungm, mit der Bestrafung der, gegen die Zollgesetze und Z.vorschriften begangenen, Uebertretungen, dann aber auch mit der Statistik des ihr bekannt gewordenen Waarenverkehrs beschäftigt und für die gesetzlich zulässigen Zollbegünstigungen des Handels, der Industrie und des Ver­ kehrs nach gewiffm Vorschriften Sorge trägt. In Deutschland hat zwar das Reich nach Art. 35 der Reichsverfaffung die Gesetzgebung für das gesammte Zollwesm und gehören nach Art. 38 der Reichsverfaffung die Zollgefälle zu dm Reichs­ einnahmen, die Erhebung und Verwaltung derselben find aber nach Art. 86 Abs. 1 der Reichsverfaffung den einzelnen Bundesstaaten überlassen, soweit sie dieselbe bisher ausgeübt haben. Dagegen übt der Kaiser nach Art. 86 der Reichsverfaffung eine Kontrole deS gesetzlichen Verfahrens durch Reichsbeamte, welche von ihm als Reichsbevollmächtigte den Direktivbehörden der Bundesstaaten und als Stationsckontroleure dm Hauptämtem beigeordnet werden. ebenso bildet daS Reich mit geringen Ausnahmen (Zollausschlüfle) nach Art. 33 und 84 der Reichsverfaffung ein einheitliches Zoll- und HandelSgebiet, dem jedoch durch Verträge das Großherzogthum Luxemburg und die Oester-reichische Dorfschaft Jungholz angeschlossen sind. Rach Art. 40 der Reichsverfaffung gelten noch die Bestimmungen des ZollDereinigungsvertrages vom 8. Juli 1867, soweit sie nicht später auf gesetzmäßigem Wege durch das Reich geändert wurdm. In Art. 1 dieses Vertrages sind die BePimmungm aller früheren Zollvereinigungsverträge von 1833, 1885, 1886, 1841 v. Holtzendorff, Eirc. II. NechtSlexikon NI. 3. Dufl.

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Zollverwaltung.

1853 und 1865, soweit sie nicht durch den Vertrag von 1867 abgeändert wurden, aufrecht erhalten und im Schlußprotokolle zu diesem Art. 1 ist festgesetzt, daß alle Verabredungen, welche zum Vollzüge der erwähnten Verträge in Protokolle» oder sonstwie getroffen find, so lange gültig bleiben sollen, bis ihre Abänderung be­ schlossen werden wird. Hiernach gelten zur Zeit sür die Deutsche Z. folgende Grundsätze. Bezüglich der Organisation ist vor Allem hervorzuheben, daß in jedem Bundesstaate und in Luxemburg mit Ausnahme der Thüringischen Staaten, welche mit Preußen ge­ meinsam als Thüringischer Zoll-und Handelsverein eine Generaldirektion in Erfurt errichtet haben, und mit Ausnahme von Hessen, das eine Abtheilung im Finanzministerium hierfür errichtet hat, Zoll- und Steuerdirektivbehörden bestehen, welche in Preußen wegen des größeren Gebietes für jede Provinz organifirt find. Diese Behördm sind den Finanzministerien direkt unterstellt, von denen sie Weisungen erhalten und an die sie zu berichten haben. Als äußere Z.behörden find Zoll- und Steuerämter errichtet. Die im sog. Grenzbezirke, einem um die ganze Zollgrenze des Deutschen Zollgebietes in einer Breite von 10—15 Kilo­ meter zum Zwecke des Zollschutzes gebildeten, und durch eine sog. Binnenlinie gegen das Inland begrenztm Landstreifen, errichteten Aemter werden als Hauptzollämter bezeichnet, in deren Bezirk Nebenzollämter I. und II. Klasse und sog. Ansageposten errichtet sind. Zur leichteren Kontrole des zollpflichtigen Waarenverkehrs sind nur gewisse Straßen als Zollstraßen für die Ein» und Ausfuhr gestattet, an denen die Zollämter je nach Bedarf errichtet sind. Als solche Zollstraßen gelten gesetzlich Eisenbahnen, schiffbare Flüsse, Kanäle und bzw. See­ häfen, die übrigen Straßen werden immer speziell bestimmt und bekannt gegebm. Zur Kontrole des Verkehrs und zum Zollschutze sind in den, an der Grenze bzw. im Grenzbezirke gelegenen, Ortschaften Grenzwachstationen errichtet, welche je nach Bedarf mit einer entsprechenden Anzahl von Grenzaussehern zu Fuss oder zu Pferd beseht sind. Diese Grenzwachstationen sind in jedem Hauptamts­ bezirke in mehrere Obergrenzkontrolbezirke eingetheilt, denen je ein sog. Obergrenzkontroleur zur Anordnung undKontrole des Grenzwachdimstes vor­ gesetzt ist. Dem Bezirke des Hauptzollamtes ist als erster Beamter ein Oberzoll­ inspektor vorgesetzt, der den äußeren und inneren Dienst des Bezirkes zu leiten und zu überwachen und deshalb häufige Bereisungen seines Bezirks vorzunehmen hat. Das Hauptzollamt ist außerdem mit zwei sich gegenseitig kontrolirenden Kassenbeamtcn und zum Zweck der Zollabfertigung und der Besorgung sonstiger Geschäfte mit Nebenbeamten — Revisionsbcamten, Revisionsoberkontroleuren, Assistenten und Amtsdienern — beseht. DieNebenzollämter im Grenzbezirke, welche nach ihren Befugnissen als Nebenzollämter I. oder II. Klasse bezeichnet werden, sind mit Zolleinnehmern, Zollverwaltern, Nebenzollamtskontroleuren, Assistenten und Amtsdicnern je nach Bedarf beseht. Während der Oberzollinspektor vomehmlich als Kaffenkurator des Hauptzoll­ amtes sungirt, ist dem Obergrenzkontroleur die Kassen- und Geschäftskontrole der Nebenzollämter seines Bezirkes zur Pflicht gemacht. Im Innern des Zollgebietes des Teutschen Reiches sind für die vom Aus­ lande eingehenden und von den Grenzzollämtern unter Zollkontrole weiter abgesertigten Gegenstände Hauptsteuerämter (in Süddeutschland Hauptzollämter) er­ richtet, deren Organisation und Beamtenbesehung den Hauptzollämtern an der Grenze nachgebildet ist. In den Bezirken dieser Hauptämter sind Untej steuer = ämter (in Süddeutschland Nebenzollämter) errichtet, welchen je nach Umständen höhere oder geringere Befugnisse zustehen und die den Hauptsteuerämtern unter­ geordnet sind. Als Kassakuratoren und Inspektoren fungiren auch hier die Bezirksoberkontroleure, wo solche ausgestellt sind. Derartige Oberkontroleure (Ober-

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steuerkontroleure) find mit Ausnahme Bayerns und Württembergs überall sonst für die Kontrole des Steuerdienstes aufgestellt. Die Thätigkeit und Befugnisse der Zollverwaltung find, wie be­ reits aus den Bemerkungm über die Organisation hervorgeht, in mancher Beziehung verschieden, je nachdem solche im Grenzbezirke oder im sog. Binnenlande oder in Bezug auf Zollabfertigung, Kaffen- und Abrechnungswesen auszuübm sind. Im Grenzbezirke sind zum Schutze der Zollgesetze den Zollbehörden be­ sondere Befugnisse gesetzlich eingeräumt, wodurch sowol Personen als Waaren besonderen Kontrolmaßregeln unterworfen werdm. Es könnm Waarm, welche Ge­ genstand der heimlichm Einfuhr, des sog. Schmuggelverkehres, zu sein pflegen, durch die oberste Landesbehörde der Transportkontrole (Legitimationsscheinkontrole) un­ terstellt werden, wodurch jeder, der solche Waaren im Grenzbezirke transportirt, ver­ pflichtet wird, dem Grenzzollbeamten gegenüber sich durch eine amtliche Bescheini­ gung darüber auszuweisen, daß diese Waaren entweder aus dem Deutschen Zoll­ gebiete abstammen, oder bereits der Eingangsverzollung unterstellt worden sind (§ 119 des Vereinszollgesetzes von 1869). Diesen Kontrolen können gewiffe Gegen­ stände gar nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen unterworfen werden (§ 120 des Vereinszollgesehes). Für bett Transport auf Gewässern und das Ausladen aus Fahrzeugen, welche sich auf den Gewäffern im Grenzbezirke bewegen, hat der § 121 des Der» cinszollgesetzes bestimmte Vorschriften gegeben. Die der Legitimationsscheinkontrole untcrliegmden Waaren dürfen ohne besondere Erlaubniß nur bei Tage transportirt werden (§ 122 des Vereinszollges.). Ueber die transportscheinpflichtigen Waaren stellen die Zollbehörden dem Fracht­ führer die nöthigen Legitimationsscheine aus (§ 125 des Vereinszollgesetzes). Es können zur Kontrole des Verkehrs von den Grenzwachbeamtcn nicht nur alle Waarcnführer kontrolirt, nach der Herkunft der Waaren befragt und Ausweise über dieselbe verlangt werden, sondern es können auch unter gewiffen Voraussehungm bei verdächtigen Personen Haussuchungen und körperliche Visitationen zur Aufsuchung von heimlich ohne Verzollung in das Zollgebiet eingebrachten Waaren vorgenommen werden (§§ 126—129 des Vereinszollgesetzes). Hausirgewerbe, Markt­ besuchende und der stehende Gewerbebetrieb können im Grenzbezirke be­ sonderen Kontrolen unterworfen werden (§ 124 des Vereinszollgesetzes). Den Grenzbeamtcn ist bei Ausübung ihres Dienstes unter gewiffm Voraussetzungen sogar der Gebrauch ihrer Schußwaffen im Grenzbezirke durch Landesgesetze gestattet. Ueber den Grenzbezirk hinaus, also im sog. Binnenlande, können nach Maßgabe der von den obersten Landesfinanzbehörden getroffenen Vorschriften nur solche Waaren der Kontrole unterworfen werden, welche Gegenstände des Schleich­ handels bilden. Die Zollabfertigung ist eine verschiedme nach der Art der Transportstraße (Landweg, Eisenbahn, Fluß, Kanal, Meer) oder nach der Art des Transportmittels (Landfuhrwerke, Eismbahnwagen, Postwagen, Binnen-, See-, Kriegsschiff, Floß; §§ 21—91 des Vereinszollgesetzes). In der Regel haben die Zollbehörden auf Grund derschriftlichenAnmeldung (Deklaration) die Waaren nach der Ausladung sofort zu besichtigen (revidiren) und nach erfolgter Tarifirung (Bestimmung des Zoll­ satzes) den Zoll zu berechnen und zu vereinnahmen. Zur Erleichterung des Ver­ kehrs und im Jntereffe des Handels können aber folgende weitere Zollabfertigungen auf Antrag der Zollpflichtigen von den Zollbehörden vorgenommen werdm. Die Waaren können im sog. Ansageverfahren mit Begleitzettel, oder im Begleit­ scheinverkehre mit Begleitschein I. oder II. Klasse an andere Zollämter über­ wiesen werden. Die Waaren können beim Eingangsamte oder bei dem im Zoll­ begleitpapiere genannten Amte in amtliche oder Privatniederlagen mit oder ohne Verschluß der Zollbehörde aufgenommm oder aus Veredelungs-, Meß-oder

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fortlaufendem Conto angeschrieben werden (§§ 97—117 desBereinszollgesetzes). Den Zollbehörden liegt in allen diesen Fallen ob, für die Sicherheit des Zolles durch Kautionen der Zollpflichtigen und Zollverschlußanlage bei eigener Verantwortlichkeit Sorge zu tragen (§§ 45, 94—96 des Bereinszollgesetzes). Für die Zollabfertigung der mit den Posten eingehenden Waaren ist ein erleichtertes Verfahren den Zollbehörden zur Pflicht gemacht, welches zwar nicht bei der Verzollung, wol aber bei der Ueberweisung von dem Grenzzollamte auf die Aemter im Inneren Platz greift. Die Gegenstände werden amtlich auf einfache Postdeklarationen hin ohne Verschluß in der Art abgefertigt, daß eine zollamtlich abgestempelte rothe Marke auf das Poststück geklebt und auf der Postdeklaration ein Vermerk gemacht wird (§ 91 des Dereinszollgesetzes). Die bereits berechneten und fälligen Zollgefälle können zuverlässigen Handels­ und Gewerbtreibenden von den Landeszollbehörden kreditirt werden. Ein gesetzlicher Anspruch hierauf besteht nicht, auch kann vollständige Sicherheitsbestellung verlangt werden, da der Kredit nur auf Gefahr des einzelnen Bundesstaates gewährt wird (s. besonders Protokoll vom 29. Nov. 1833 zu Art. 10 des Zollvereinigungsver­ trages vom 27. März 1833). Ueber die Einnahme und Ausgabe der Z. stellen die Hauptzollämter am Schluffe des Etatsjahres Jahresrechnungen. Die Direktivbehörden fertigen auf Grund vierteljähriger hauptamtlicher Einnahmenübersichten über ihren Bezirk provisorische Hauptübersichten an, welche am 15. Juli, Oktober, Januar, Mai an den Ausschuß des Bundesrathes für Rechnungswesen eingesendet und aus denen vom kais. Zoll- und Steuerrechnungsbureau gleichfalls provisorische Einnahmeübersichten für das ganze Reich zusammengestellt werden. Hieraus werden zum Zwecke der schließ­ lichen Abrechnung mit den Bundesregierungen bis 1. November jeden Jahres die definitiven Uebersichten von den Direktivbehörden angefertigt, aus denen durch das Zoll- und Steuerrechnungsbureau — die definitiven Einnahme­ übersichten und Abrechnungen zusammengestellt und vom Ausschüsse des Bundes­ rathes für Rechnungswesen vollzogen werden. Ueber die nach Art. 38 Nr. 2 lit. a der Reichsverfaffung von den Zolleinnahmen in Abzug zu bringenden Ausgaben der Bundesstaaten, welche an den gegen das Ausland gelegenen Grenzen für den Schutz und die Erhebung der Zölle erforder­ lich sind, wird jährlich bis zum 1. November eine Z.liquidation von den einzelnen Bundesstaaten mit Grenzzollverwaltung aufgestellt und an den Ausschuß des Bundes­ rathes für Rechnungswesen zur Feststellung- eingesendet. Als Grundlage hierfür dient der sog. Pauschsummen-Etat, welcher für die Grenzzollverwaltung jedes Bundes­ staates vom Bundesrath aufgestellt wird. Eine der wichtigsten Befugnisse der Z., welche auch nach Einführung der Prozeß­ ordnungen des Deutschen Reiches auftecht erhalten ist, besteht in der vorläufigen Feststellung des Thatbestandes der Uebertretungen der Zollgesehe und Derwaltungsvorschriften und in der Verfügung derjenigen Maßregeln, welche erforder­ lich sind, um die Person des Thäters und die Waare, mit der die Uebertretung verübt wurde, festzustellen und zu sichern. Es können deshalb von den Zollbehörden nach dem Vereinszollgesetze körperliche Visitationen verdächtiger Personen, Haussuchungen unter Beachtung der gesetzlich vorgeschriebenen Förmlichkeiten, Beschlagnahmenvon Waaren, ja sogar Verhaftungen verdächtiger Personen und unter gewissen Umständen Verfolgungen derselben unter Anwendung der Schußwaffe vorgenommen werden. Die von den Zollbeamten zur Feststellung des Thatbestandes einer Zollübertretung aufgenommenen Protokolle haben öffent­ lichen Glauben. Das Verfahren in Zollstraffachen, welches gemäß Art. 165 des Bereinszollgesetzes nach den Landesgesetzen der Bundesstaaten geregelt ist, findet summarisch statt. Die in den meisten Bundesstaaten zulässigen Strafbescheide der Zollbehörden dürfen nur Geldstrafen festsetzen, weshalb in allen Fällen, in welchen eine Zu-

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erkennung von Freiheitsstrafen eintreten müßte, die ordentlichen Gerichte zu entscheiden haben. Die Strafbescheide der Zollbehörden müssen die strafbare Handlung, das angewendete Gesetz und die Beweismittel bezeichnen, außerdem aber die Eröffnung enthalten, daß der Beschuldigte, wenn er nicht eine Beschwerde an die höhere Ver­ waltungsbehörde richten will, binnen einer Woche nach der Bekanntmachung der Verwaltungsbehörde, welche den Bescheid erlassen hat, auf gerichtliche Ent­ scheidung anttagm kann. Schließlich ist noch zu erwähnen, daß dm Zollbehörden die Ausstellung der Statistik des Waarenverkehrs in ihren Bezirken, sowie die Erhebung der durch das Reichsgesehvom20. Juli 1879 eingesührten statistischen Gebühr obliegt. Da die Z. verfaflungsmäßig Sache der einzelnen Bundesstaaten ist (aus­ genommen die kaif. Hauptzollämter zu Hamburg, Bremen und Lübeck), dem Reiche aber daran liegen muß, daß eine gleichmäßige und richttge Anwendung der reichs­ gesetzlichen Bestimmungen stattfinde, so ist, wie bereits oben erwähnt wurde, nach Art. 36 Abs. 2 der Reichsverfaffung der Kaiser ermächttgt, durch Reichsbeamte, welche er den Zolldirektivbehörden beiordnet (sog. Reichsbevollmächtigte für Zölle und Steuern), und durch Reichsbeamte, welche er den Zoll- und Steuerämtem beigiebt (sog. Stationskontroleure, die unmittelbaren Nntergebenm der Reichsbevollmächtigten) die Einhaltung des gesetzlichen Verfahrens zu überwachen. Die Reichsbevollmächtigten, welche dem kais. Reichsschatzamte unmittelbar unter­ geordnet sind, haben das Recht, allen Sitzungen der Direktivbehörden anzuwohnen und bei den Vorttägen ihre Ansicht kund zu geben, sie können alle Entschließungen derselben im Konzepte einsehen und konttasigniren. Im Falle sie glauben, daß eine Entscheidung gegen die gesetzlichen Bestimmungen getroffen ist, können sie Einspruch erheben und die Entscheidung der Vorgesetzten Ministerien verlangen. Wichtigere Fragen können sie direkt dem Reichsschatzamte zur Ensscheidung vorttägen. Außer­ dem haben sie die Z.kostenliquidation und definitiven Einnahmeübersichten zu prüfen und zu bescheinigen und bei Veränderungen in der Organisation der Grenzbehörden ihr Gutachten abzugeben. Sie haben das Recht alle Akten, Rechnungsbelege und Rechnungen der Direktivbehörden und Zollämter einzusehen und alle Amtsstellen, Grenzwach-Steueraufsicht-Stationen und Gewerbeanstalten zu inspiziren. Die Stationskontroleure haben ihre Bezirke zu bereisen sowie die Aemter und Gewerbeanstalten zu inspiziren. Sie können alle Zollregister und Belege einsehen und die Grenz­ bewachung persönlich inspiziren. Ueber ihre Thätigkeit haben sie dem Reichsbevoll­ mächtigten zu berichten.

Quellen: Die Verträge der Deutschen Staaten in Zollvereinsangelegenheiten. — Die Verhandlungen der General-Zollkonferenzen von 1836—1863. — Die Drucksachen d. BundesratheS, deS Deutschen Zollvereins und des Deutschen Reiches. — Die Verhandlungen d. Zoll­ parlamentes und des Deutschen Reichstages. — Die Zollvereins- und Reichsgesetze. — Die Reichsverfaffung. — Die Zollregulative. — Die Zoll- und Handelsverträge deS Deutschen Reiches mit fremden Staaten. — 88 489—767 der StrafPO. vom 1. Febr. 1878 und 88 5 und 6 deS EG. hierzu. Schriften: Sammlung der Vertragsverhandlungen über die Bildung u. Ausführung des Deutschen Zoll- und Handelsvereins von 1833—1871. 5 Foliobände und ein Anhang Su enthaltend die Handels- und Schiffahrtsverträge Deutschlands mit dem Auslande, —1872. — Die Hauptprotokolle der 15 General-Zollkonferenzen von 1836—1863 in 15 Foliobänden. Alphabetisches Repertorium hierzu. Berlin 1858. — Bundesgesetzblatt von 1867—1870, Reichsgesetzblatt von 1871 an. — Drucksachen und Protokolle des Bundesraths, deS Zollvereins und deS Deutschen Reichstages. — Centralblatt für das Deussche Reich von 1873 an. — Jahrbücher der Zollgesetzgebung und Verwaltung des Deutschen Zoll- und HandelsvereinS von 1834—43, herausgegeben von Pochhammer; dann von 1854—75 vom König!. Preuß. Finanzministerium. — Statistik des Deutschen Reiches, von 1873 an. — Statistisches Jahrbuch für daS Deutsche Reich, von 1880 an. — Annalen des Deutschen Reiches von G. Hirth, von 1868 an. — v. Aufseß, Die Zölle und Steuern des Deutschen Reiches, 1880. — Äehrend-Oppelt, Kommentar j. Zolltarif v. 1879, Berlin 1880. — Muths, Verwaltung und Verrechnung der Zölle und Reichssteuern, 1880. — Löbe, DaS Deutsche

v. Aufseß.

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Zöpsl — Zuchthausstrafe.

ZLpfl, Heinrich, 6 6. IV. 1807 zu Bamberg, Sohn des App.-Ger.-Raths Joh. Bapt. Z., studirte in Würzburg, 1827 doctor juris, 1828 Privatdozent in Heidelberg, 1838—1842 außerord. Professor, dann Nachfolger K. S. Zachariä's, 1850 in die I. Kammer und von dieser als Delegirter in das Erfurter Unions­ parlament entsandt, wurde Geheimer Rath, f 3. VII. 1877. Schriften: Vergleichung der Röm. Tutel und Cura mit der heut. Vormundschaft über Unmündige und Minderjährige, Bamberg 1828. — De tutela mulierum Germ., Heidelberg 1828. — Die Regierungs-Vormundschaft, Heidelb. 1830. — Mikrokosmos (Zeitschr.), Heidelb. 1832. — Rechtsgutachten in Untersuchungssachen des stad. jur. Heinr. Kähler wegen erneS im Wächter am Rhein Nr. 101 mit der Ueberschrift: „Deutschland" gedruckten Artikels, Heidelb. 1832. — Ueber akadem. Gerichtsbarkeit und Studentenvereine, Heidelb. 1832. — RechtSgutachten (mit Kämmerer), daS Erbjungfernrrcht im Gräfl.v.Bothmer'schen Fideikommisse betr., Heidelb. 1837. — DaS alte Bamberger Recht als Quelle der Carolina, Heidelberg 1839. — Die Span. Successtonsfrage, Heidelb. 1839. — Krit. Bemerk, zu den Schriften von Klüver... über ehel. Abstammung des hochfürstl. HauseS Löwenstein-Wertheim und Vesten Nachfolgerecht in den Stammländern des Hauses Wittelsbach, Heidelb. 1839. — Denkschrift über die Recht­ mäßigkeit und Zweckmäßigkeit der Todesstrafe und deren Abschaffung, Heidelberg 1839. — Vorwort zu Thilo, Kontroversen des Franz. Civilrechts, 1841. — Deutsche Staats- und Rechtsgeschichte 1836, Stuttg. 1841, (4) Braunschw. 1872. — Grundsätze deS allgem. und des konstit.-monarch. Staatsrechts in Deutschland, Heidelb. 1841 (4. Aust, als Grds. des Allgem. und Deutschen Staatsrechts, 5. Aust, als Grunds. deS gem. Deutschen Staatsrechts, 1863). — Textausgabe der Peinl. Ger.O. Kaiser Karl's V. nebst der Bamberger und Brandenburger, Heidelb. 1842 (erstere separat 1870, synchronistisch 1876). — Antikritik der vom Prof. Dollgraff herausgegebenen krit. Beleuchtung der Abhandlung im civil. Archiv Band XXVII. Heft 3, Heidelb. 1845. — Bundesreform, Deutsches Parlaments- und Bundesgericht, 1848. — Konstit. Monarchie und Volkssouveränität, Franks. 1848. — Rechtsgutachten über Verletz, d. RechtS d. Provinziallandsch. d. Fürstenth. Osnabrück durch Gesetz vom ,5. September 1848, Heidelb. 1851. — Die weibliche Lehenerbsolge in Fuldische und Malzfuldische Mannlehen und Äurglehen, Stuttg. 1852. — Ueber Mißhelrathen in den Deutschen regier. Fürstenhäusern überhaupt und in dem Oldenburg. Gesammthause insbesondere, Stuttg. 1853. — Ueber hohen Adel und Ebenbürtigkeit, Stuttg. 1853. — Die Eua Chamavorum, Heidelb. 1856. — Corpus juris Confoeder. Germaniae von Guido v. Meyer, 3. Aust., Franks. 1858—65. — Alter­ thümer des Deutschen Reichs und Rechts, Lpz. 1860, 1861. — Gutachten^über die Kompetenz

d. Herzogth. Schleswig, Holstein u. Lauenburg, Heidelb. 1866. — Tie neuesten Angriffe auf die staatsrechtliche Stellung der Deutschen Standesherren, Karlsr. 1867. — Denkschrift betr. den hohen Adel und Ebenbürtigkeit des gräfl. HauseS Seinsheim, Heidelb. 1867. (DaS Gesammthaus Seinsheim nachgewiesen gegen Leop. Neumann und Unger, Heidelb. 1871.) — Bemerk, über Bad. Gesetzentwurf über Stiftungen, Freiburg 1869. — Rechtsgutachten betr. Herzog von Arenberg, Hann. 1872. — Rechtsgutachten betr. Ebenbürtigkeit im Hause Lippe (mit Zachariü), Herdelb. 1875. —Staatszuschüfle oder kirchl. Umlagerecht? Freib. 1876. — Grundriß zu Vorlesungen über Rechtsphilosophie (Naturrecht), Berl. 1878 u. 1879. Lit.: Krit. V.J.Schr. XX. 304— 306. — Heinze in AugSb. Allgem. Ztg. 1877, S. 2883, 2884. — Augsb. Allg. Ztg. 1879, S. 5261 (Glossar). - Mohl, I. 300; II. 264, Teichmann.

Zouchäus (Zouchy), Richard, Admiralitätsrichter, t 1680.

$ 1590, Professor

zu Oxford, später

Er schrieb das erste eigentliche Lehrbuch deS Völkerrechts: Juris et judicii fecialis sive juris in ter gentes et quaestionum de eodem explicatio, Lngd. Bat 1651. Bit.: Kaltenborn, Kritik, 53 ff. — Ompteda, §64. — Heffter, Völkerrecht, § 1 Note 2, § 10. — Calvo, Droit international, (3) I. 39. — Wheaton, Hist, des progres, (4) I. 141. Teichmann.

Zuchthausstrafe, gegenwärtig in Deutschland die schwerste Art der Freiheits­ strafe, welche theils auf Zeit, theils lebenslänglich ekkannt werden kann. Ursprüng­ lich hatte „Zuchthaus" einen anderen Sinn, als gegenwärtig. Die alten Zucht­ häuser, deren Entstehung in das Ende des 16. Jahrhunderts fällt (in Deutschland seit Beginn des 17. Jahrhunderts), waren landespolizeiliche Besserungsanstalten, in welche Bettler, Vagabonden, Trunksüchtige bis zu ihrer Besserung einer Zucht unter­ worfen wurden. Allmählich wurden die Zuchthäuser durch Abtrennung besonderer

Zum-t.

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Arbeits-, Spinn- oder Korrektionshäuser zu wirklichen Strafanstalten. Die ihnen entsprechendm Einrichtungen sind in England die convict prisons zur Vollstreckung der penal servitnde, in Frankreich theils die Anstaltm für travanx forcds oder die maisons centrales (für röclosion), in Belgien die maisons de force. Die kmnzeichnenden Merkmale der Z. im Verhältniß zu anderen Freiheitsstrafen sind in Deutschland (vgl. § 15 des StrafGB.): 1) ihr Mininium ist höher als dasjenige anderer Strafen (ein Jahr); 2) sie ist mit Zwangsarbeit verbunden, zu welcher die Derurtheilten angehalten werden müssen (bei der Gefängnißstrafe nur angemessene Beschäftigung nach Wahl der Behörden unter Berücksichtigung der persönlichen Ver­ hältnisse des Derurtheilten); 3) sie steht in Verbindung mit gewissen nothwmdigen Beschränkungen der persönlichen Ehre (§ 31); dauernde Dienstunfähigkeit für Heer, Marine und Staatsämter ist die Rechtsfolge; 4) in ihrer Vollstreckung findet das Institut der vorläufigen Entlassung vorzugsweise eine Stelle (§§ 23 ff.). Gegen Personen unter 18 Jahren findet Z. keine Anwendung (§ 57 N. 3). Das zeitliche Verhältniß der Z. zur Gefängnißstrafe und dieser zur Festungshaft ist wie 2 : 3. Ueber die Vollziehungsweise der Z. hat das Gem. Strafrecht nichts bestimmt, außer daß a) die Strafarbeiten auch int Freien vollstreckt werden können; b) strenge Einzel­ haft ohne Zustimmung des Gefangenen nur bis zur Dauer von drei Jahren an­ gewendet werden darf. Bis zur Emanirung eines Strafvollzugsgesetzes (Reichstagsderhandl. vom 4. März 1870) bestehen daher die Verschiedenheiten in den einzelnen Deutschen Staaten überall fort. Die wesentlichen verwaltungsrechtlichen Verschieden­ heiten der Z. in Deutschland bestehen darin: daß abgesehen von der Anwendung des einen oder des anderen Haftsystems (s. d. Art. Einzelhaft) die Vollstreckung entweder auf rein administrativer Ordnung beruht (Preußen, Sachsen) oder auf gesetzlicher Anordnung (Baden, Bayern, Württemberg). Als wichtige Elemente der Vollstreckung der Z., welche theils durch Gesetz, theils durch Verordnung zu regeln find, kommen in Betracht: das Arbeitswesen unter dem Gesichtspunkte der vorwiegend mechanischen oder „individualisirenden" Leistung (außerdem eigener Betrieb des Staates oder Verdingung der Arbeitskräfte an Unternehmer), der den Sträflingen zu belassende Arbeitsantheil und Ueberverdienst (peculium), Seelsorge und Unterricht, Disziplinar­ strafen und Vergünstigungen, physische Körperpflege (f. d. Art. Gefängnißverwaltung). Bit: S. d. Art. Einzelhaft; außerdem: Wahlberg, DaS Prinzip der Jndividualifirung in der Strafrechtspflege, 1869. — Dalcke u. Genzmer, Handb. der Strafvollstreckung und Gefängnißverwaltung in Preußen, 1881. — Für die beutigen Zustände der Strafanstaltsver­ waltung sind die Materialien zerstreut theils in den amtlichen statistischen Publikationen der Re­ gierungen, theils in den Zeitschriften, bes. tn v. Holhendorff, Allg. Deutsch. Strafrechtszeitung, seit 1861, und in Ekert'S Blättern für Gefängnißkunde seit 1864 (musterhafte Berichte über Bruchsal enthaltend). Bezüglich des Auslandes wird daS reichlichste Material geboten durch die Rivista delle discipline careerarie von Beltrani Scalia (Rom), in dem Bulletin der Loeiötö generale des prisons zu Paris, — Außerdem zu vergleichen: Die Preuß. Gefäng­ nisse. Beschreibende Uebersicht der zum Ressort deS Ministeriums deS Innern gehörenden Straf- und Gefängnißanstalten, 1870. — Statistische Nachweisungen über die allg. Strafan­ stalten des Königr. Sachsen, 1867. — Vollständige und periodische Publikation über die Strafanstaltsverwaltung liefern» Italien, Schweden, Norwegen, Dänemark, Holland, Belgien, Frankreich, England (Reports of convicts prisons für England, Schottland und Irland), New-Iork und Massachusetts. — Preußen (Ministerium deS Innern) veröffentlicht gleichfalls period. Berichte; dreselben umfassen aber mcht sämmtliche Strafanstalten.

v. Holhendorff. August Wilhelm, 8 4. XII. 1815 in Königsberg, wirkte (als Professor feit 1846) 1838—51 am Friedrich-Werdersschen Gymnasium in Berlin, dann bis 1876 am Friedrich - Wilhelms - Gymnasium, machte viele große Reisen, auch nach dem Orient, f 22. IV. 1877.

Zumpt,

Schriften (abgesehen von den philologischen): DaS Kriminalrecht der Römischen Republik, Berl. 1865—1869. — Der Kriminalprozeß der Röm. Republik, Lpz. 1871. Lit.: Guido Padelletti, A. W. Zumpt. Zur Erinnerung an sein Leben und seine Schriften, Lpz. 1878. * Teichmann.

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Zurechnung.

Zurechnung (Thl. I. S. 706 ff.). Unter Z. versteht man das Urtheil, durch welches Jemand für das von ihm Gethane verantwortlich erklärt wird. Hierin liegt ein Doppeltes. Zunächst wird damit ausgesagt, daß das, was geschehen ist, auf den Willen eines Menschm zurückzuführen, daß also dieser Wille dasselbe ver­ ursacht hat, oder, genauer gesagt, daß ein Wollen eine der Ursachen des Geschehenen' war. Daher kann ohne Weiteres von Z. nicht die Rede sein, wenn ein Mensch zwar thätig war, aber ohne (oder gegen) seinen Willen. Wer ein Uebel gestiftet hat, aber durch eine That, bei welcher der Wille nicht mitwirkte, durch eine Instinkt­ oder Reflex-, nicht eine willkürliche Bewegung, oder als bloßes, durch (mechanischen)Zwang in Bewegung gesehtes Werkzeug, hat dasselbe nicht zu verantworten. Aber wenn auch ein Wollen als Ursache eines Geschehnisses nachgewiesen ist, ist damit noch nicht die Frage der Z. erledigt. Das Wollen selbst muß weiter auch noch dem Wollenden zugerechnet werden tonnen, wenn er für dasselbe einzustehen hat. Wenn der Wollende nicht im Stande war, das Wollen zu beherrschen, so haftet er für dasselbe und dessen Wirkungen nicht. Damit also Z. möglich wird, muß die That auf einem Wollen beruhen und das Wollen muß von einem Menschen ausgegangen fein, welcher in Bezug auf dieses Wollen Beherrschungsfähigkeit, psychische Freiheit besessen hat. Richt Freiheit des Willens, sondern des Wollens, oder, deutlicher gesagt, des Wollenden ist also die Voraussetzung der Z. Der Wille ist nie frei, sondern stets bestimmt durch die Motive, aus welchen er hervorgeht. Das Gefühl der Freiheit des Willens ist ein täuschendes, dem sich die nöthigende Macht der Beweggründe des Willens verbirgt unter dem Schein einer (nur in einem ganz anderen Sinn wirklich bestehenden) Wahlfteiheit; das Postulat absoluter (trans­ scendentaler) Willensfteiheit vollends ist in der Welt des wirklichen Geschehens nirgends erfüllbar. Ein Wille, der absolut frei sich aus sich selbst heraus bestimmte, wäre das Unding einer caussa sm; überdieß wäre er als absolut freier auch unnahbar jeder Einwiüung, darum ebensowol unzugänglich dem Einfluß der Erziehung, Belehrung und Besserung — den Bedingungen jeglichen Fortschritts der Menschheit — als verschlossen der Einwirkung des Wollenden selbst, so daß damit jede Verantwortlich­ keit des Letzteren beseitigt wäre. Für ein urfachloses Wollen kann man die Ursache nicht in dem wollenden Ich finden. Verantwortlichkeit seht verursachtes, also unfteies Wollen voraus. Dem Menschen kommt Z.fähigkeit (ein Wort, welches neuestens Binding durch das wmiger passende Handlungsfähigkeit ersetzen will) nur zu, soweit er Ursache für sein Wollen, soweit er Herr über dasselbe sein, dasselbe leiten, kräftigen, unterdrücken, umwandeln, zur That werden lassen kann. Wodurch aber wird diese Leitung und Beherrschung des Wollens, diese Selbstbeherrschung, ausgeübt und zur Wirksamkeit gebracht? Dadurch, daß der Wollende einmal im Stande ist, dem Wollen gegenüber eine Beurtheilung desselben als Norm für dasselbe aufzustellen und dann daß er es auch vermag, dieser Norm, diesem normirenden Urtheil das Wollen unterzuordnen, so daß es demselben entsprechend vom Handeln abläßt oder zum Handeln fortschreitet. Die Z. und Z.fähigkeit hängt also ab von zwei psychischen Voraussetzungen. Der zurechnungsfähige Mensch Auß so weit entwickelt sein, daß. er ein Urtheil über ein Wollen zu fällen vermag — daß er also Einsicht in die Beschaffenheit desselben besitzt und in Folge dessen dasselbe zu billigen oder zn mißbilligen im Stande ist — und er muß zweitens so viele psychische Regsam­ keit und Kraft besitzen, daß er jener Einsicht die Herrschaft über das Wollen zu ver­ schaffen vermag. Mit Recht hat man sonach gesagt: Z.fähigkeit ist bedingt durch ein Kennen und ein Können. Betrachten wir Beides genauer. Es giebt auch eine Z. in sittlich gleichgültigen Dingen; es kann Jemandem zu­ gerechnet werden, insofern er klug, zweckmäßig u. s. w. gehandelt hat oder nicht. Dies bei Seite lassend, fassen wir für unseren Zweck nur die sog. moralische Z. ins Auge, da sie die Grundlage dex straftechtlichen Z. bildet. Das theoretische

Zurechnung.

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Element der Z., die Einsicht, um welche eS sich bei der moralischen Z. handelt, ist eben eine moralische Einsicht. Wem etwas moralisch zugerechnet werden soll, der muß also ein moralisches Urtheil über daS Wollen zu fällen vermögen. Dazu bedarf es aber einer nicht unbedeutenden geistigm Reife. In der Kinderseele regen sich nicht derartige Urtheile, sondern vielmehr solche, welche sich auf Unangenehmes und Angenehmes, Schädliches und Nützliches beziehen. Die Ausbildung zur Moralität geschieht nur langsam. Es trägt dazu bei vor Allem der Verkehr mit anderen Menschen und das natürliche Mitgefühl mit menschlichem Thun und Treiben, es trogen mannigfache absichtlich geschehene Einwirkungen bei, ebenso wie Familimund Bolkssitte, religiöse Ueberlieferung und Achtung vor einer Autorität. Nur­ höchst ausnahmsweise bei einer abnorm krankhaft angelegten Ngtur oder unter einer­ verpesteten Umgebung kommt es zu keiner Entwickelung des moralischen Urtheils und damit auch nicht zur moralischen Z.fähigkeit. Jndesien läßt sich nicht wegleugnm, daß auch trotz einer im Uebrigen nicht unbedeutenden intellektuellen Entwickelung sich bei gewissen, nammtlich erblich belasteten und von den Ihrigen ^systematisch zum Unmoralischen erzogenen Menschen ein vollständiger Stumpfsinn in sittlichen Dingen findet und darum wegen „moralischen Irreseins" die Z. und Bestrafung hinwegfallen muß, sollte es gleich nothwendig werden, gegenüber derartigen gefährlichen Individuen zu einschneidenden Sicherungsmaßregeln zu greifen. Unter jenen moralischen Urtheilen, durch deren Vorhandensein die Z.fähigkeit bedingt ist, wird wol am frühesten uüd deutlichsten gerade das moralische Urtheil in dem Inneren des Heranwachsenden vernehmbar, aus welchem die strafrechtliche Z. beruht, und das, aus seinen allgemeinsten Ausdruck zurückgeführt, lautet: Thue Niemandem etwas Uebles, neminem laedel Die Entstehung dieses Verbots knüpft sich ja an jene schon in der ersten Kinderzeit sich mehr und mehr einprägende Er­ fahrung, daß Störungen des eigenen Strebens und Befindens wehe thun und zur Reaktion des Selbsterhaltungstriebs herausfordern. Nicht blos muß nun die er­ wachende Theilnahme an den Zuständen anderer gleichfühlender Wesen zu der Ein­ sicht drängen, daß auch sie ähnliche Störungen als Uebel und als Antrieb zur Racheübung fühlen und somit dazu, daß es schon ein Gebot der Klugheit ist, solche Störungen zu unterlassen, was sich bald als erste Bedingung jedes Verkehrs und Znsammenlebens unter den Menschen geltend macht, es findet sich auch weiter das Bewußssein ein, daß es in der That billig sei, wenn auf die Störung eine aus­ gleichende Reaktion folgt, womit die Grundlagen gelegt sind zu der Einsicht, daß Uebelthaten ungerecht, die dagegen gerichtete Vergeltung also gerecht ist — der Einsicht, welche wir als die eine theoretische Voraussetzung für die strafrechtliche Z. bezeichnen müssen. Damit ist nun freilich noch nicht das zweite, praktische Element der Z.sähigkeit gegeben. Dem Kennen muß auch ein Können entsprechen. Der Mensch muß so viele Kraft in seinem Ich kouzentrirt haben, daß er sein Wollen der ethischen Norm gemäß gestalten kann. Das ethische Urtheil darf also in ihm nicht blos, sei es auch in tadelloser Reinheit, wie ein Schaugericht prangend, aufgerichtet dastehen, sondern es muß zur lebendigen lebensbeherrschenden Kraft werden können. Das Urtheil muß sich soweit zu einem Grundsatz des Handelns herausgebildet haben, daß bei dem Auftauchen eines Wollens, welches in die Kategorie der nach jenem Grundsatz zu prüfenden Begehrungen gehört, auch die apperzipirende Kraft jenes Urtheils hervortritt und dem Wollen nicht gestattet wird, im Ich festen Fuß zu fassens, außer insoweit es sich dem in demselben ausgebildeten Grundsatz unter­ ordnen läßt. Speziell auf dem das Straftecht interessirendm Gebiet muß der Grundfatz, keine Ungerechtigkeit, keine Uebelthat begehen zu wollen, jedem Wollen, welches den Verdacht der Ungerechtigkeit, der Verletzung ftemder Güter an sich trägt, als maßgebend entgegentreten können, widrigenfalls die Z. wegfällt. Diese praktische Kraft aber erlangt der. Grundsatz durch die psychische Lebensgeschichte, welche ihn

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zum Glied eines mehr oder weniger mächtigm Vorstellungskreises gemacht hat. Wo der Grundsatz nicht in daS Innere des psychischm Gewebes ausgmommm, sondern nur von außm her ausgenommen ohne innere Aneignung nachgebetet ist, bewährt er seine Kraftlosigkeit bei jeder Probe derselben. Wo er getragen wird von der Psychischm Eigenthümlichkeit des Individuums, von desien natürlichm Anlagm und dessen erworbmen Anschauungen, führt er zur Herrschaft des Ichs, mit welchem er verschmolzen ist, über die einzelnen Begehrungen, welche der Lebensstrom mit sich führt. Freilich eine vollkommm gesicherte, sich immer gleichbleibende absolute Herr­ schaft ist dies nie. Sie hat stets ihre Schranken an der begrmztm psychischm Kraft, Welche den Menschm gegönnt ist. Die Selbstbeherrschungsfähigkeit (psychische Frei­ heit) ist etwas durchaus relatives. „Die Freiheit Verschiedener ist eine verschiedene, ist verschieden bei Demselbm zu verschiedener Zeit und ist bei Keinem und zu keiner Zeit gesichert jedem Wollen gegenüber" (Volkmann). Zunächst muß man an jeden Mmschen einm individuellen Maßstab anlegen; hier ist in der That der Mmsch sein eigenes Maß. Nur das kann Jedem zugemuthet werden, was er eben in Folge seiner psychischen Organisation zu leisten im Stande ist. Aber es ist auch derselbe Mensch zu veifchiedenen Zeiten nicht im gleichm Maß befähigt zur Selbst­

beherrschung ; es giebt Fluth und Ebbe in der Sphäre der psychischen Freiheit, auch abgesehen von außerordentlichen Stürmen. Entscheidend wird endlich die Stärke, mit welcher das einzelne Wollen auftritt. Wo dies, begünstigt insbesondere von anderen mächtigen Vorstellungs- und Gefühlskomplexen, mit außerordentlicher Gewalt auftritt, wirft es die Grundsätze über dm Haufen, welche der gewöhnlichen Willens­ kraft gegenüber ihre Herrschaft hätten bewähren können. Namentlich wird dies der Fall sein, wenn eine außerordentliche Gemüthsbewegung (ein Affekt) zum raschen Handeln hinreißt, ehe die Entwickelung der vom Handeln abhaltenden Vorstellungen, welche einer gewiffen Zeit bedarf, vor sich gehm konnte. Tann geht das Wollen nicht vom Ich des Wollenden aus, dieser ist vielmehr, wie es die Sprache bezeichnend ausdrückt, gar nicht bei sich, sondem außer sich. Es war daher, mit Rücksicht aus das eben Ausgeführte, theoretisch genommen ganz richtig, wenn der zweite Nord­ deutsche Entwurf, entsprechend dem Gutachten der Leipziger medizinischen Fakultät, im § 49 (jetzt 51) die Z. durch einen Zustand ausgefchloffen haben wollte, durch welche die freie Willensbestimmung „in Beziehung auf die Handlung" ausgeschlossen war, wozu die Motive bemerkten, es solle dadurch ausgesprochen werden: „daß der Beweis des Ausschluffes der fteien Willcnsbestimmung nur in Beziehung auf die dem Thäter zur Last gelegte That zu erbringen, nicht aber der Beweis dafür zu sordem fei, daß die freie Willensbestimmung nach allen Richtungen hin ausgeschlossen sei." Nur war damit andererseits die Befürchtung nahegetreten, daß man auch bei Geisteskrankheit Z.fähigkeit annehmen würde, falls — wie es bei vielen Geistes­ kranken vorkommt — die Freiheit der Willmsbestimmung bezugs der ftaglichen einzelnm Handlung vorhanden war. Mit Rücksicht hierauf ließ man jene Beziehung auf die einzelne That fallen, während es auch nach der jetzigen Faffung des § 51 genügt, wenn die freie Willensbestimmung nur in Bezug nur die dem Strafrichter zur Beurtheilung vorliegende That ausgefchloffen war. Es kann eben überhaupt nicht bezweifelt werden, daß ein an sich zurechnungsfähiger Mensch, d. h. ein solcher, welcher im Allgemeinen im Stande ist, sein Wollen zu beherrschen, dennoch betreffs eines einzelnen Wollens nicht im Stande ist, sein Ich zur Geltung zu bringen, so daß er in der Beziehung zu diesem nicht zurechnungsfähig, oder mit anderen Worten, daß ihn« dieses Wollen und die aus demselben hervorgehende Thätigkeit nicht zurechenbar ist. (Bei diesem Anlaß sei bemerkt, daß es ungenau auSgedrückt ist, wenn man von zurechnungsfähigen Handlungen statt von zurechen­ baren spricht. Die Fähigkeit, um welche es sich fragt, ist nur auf den Wollen­ dm zu beziehen; das, was er thut, ist ihm zurechenbar oder nicht zurechenbar.)

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Wollen wir auf der Grandlage der ebm dargestellten Anschauung nun eine Ueberficht über die Gründe der Z.unfähigkeit geben, so müffm wir davon ausgehm, daß die Z. wegfällt, totnn einer ihrer beiden Faktorm, die Einsicht oder die Selbstbestimmungsfähigkeit, fehlt. Jene Einsicht aber wird, wo eS sich von strafrechtlicher Z. handelt, näher festzustellen sein als die Einsicht in die Straf­ würdigkeit eines Handelns. Also nicht nothwendig Einsicht in die Strafbar­ keit, d. h. daS Bewußtsein, daß die Handlung dm Stmfgesetzen des Staates zu­ widerlause, aber doch die Erkenntniß daß die Handlung eine Üebelthat sei, welche

Strafe verdiene. Ja noch genauer gesagt: die Möglichkeit dieser Erkenntniß ist hinreichend, um Schuld zu begründen. Wer die Strafwürdigkeit seiner Handlung einzusehen im Stande war, die hierzu erforderliche psychische Reife besaß, war ver­ pflichtet, diese Einsicht in sich zu erwecken ujtb mit ihr dem zur Handlung drängen­ den Wollen mtgegenzutretm. Wo jene Möglichkeit der Einsicht mangelt, fällt die Schuld weg, denn wer nicht im Stande ist zu erkennen, was seine Pflicht fordert, kann keine Schuld auf sich loben, wenn er das für ihn nicht erkennbare Gebot (oder Verbot) verletzt. Hiemach also zerfallen die Gründe der Z.unfähigkeit in folgmde Hauptgruppen: 1) Mangelhafte psychische Entwickelung, in Folge welcher mtweder die Möglichkeit der Erkenntniß der Straswürdigkeit oder die Kraft der Selbstbestimmungs­ fähigkeit fehlt. Hierher gehören die Zustände der Kindheit, des angeborenm Blödsinns (Idiotismus), der sog. völligm Wildheit, auch der Zustand eines ununterrichteten Taubstummen. 2) Störung (oder Zerstörung) bereits vor­ handener Z.fähigkeit, welche wieder auftritt a) als eine vorübergehende in den Schlafzuständen, in der Berauschung, in heftigm Gemüthsbewegungen und in vorübergehenden Anfällm von Geisteskrankheit, b) als dauernde — wohin dauernde Geisteskrankheit gehört. Neben diesen Zuständen können aber jene nicht außer Betracht bleiben, welche verminderte Z. begründen. Was man auch vom formalistischen logischen Stand­ punkt — wie er namentlich bei den Juristm beliebt ist — gegen dm Begriff der verminderten Z. einwenden mag, die Wirklichkeit solcher Zustände läßt sich damit nicht Wegdisputiren und wird auch fast allgemein von medizinischer (psychiatrischer) Seite anerkannt. Ist schon die Z.sähigkeit überhaupt, wie wir gesehen haben, etwas relatives, individuelles, bei demselben Individuum wechselndes, so kann man ebenso« wmig das Bestehen einer Kluft zwischen voller Z.sähigkeit und gänzlicher Z.unfähig­ keit zugebm. Hier wie bei allen Seelenzuständen findet vielmehr ein unmerkliches Ilebergehen von dem einen zum anderen statt. Klar ist dies vor Allem bei den krankhaften Geisteszuständen. Zwischen der normalen Geistesgesundheit und der eigentlichen Geisteskrankheit giebt es eine Anzahl von Zwischenzuständen der Reiz­ barkeit und Ueberreiztheit, welche man nicht ignoriren darf. „Wenn die Krankheit selbst besonnenes Handeln unmöglich macht, so wird dieses durch die hochgradige Diathese, die abnorme Konstitution des Nervensystems, erschwert. Soll darauf gar keine Rücksicht genommen werden? .... Wir rechnen im gewöhnlichen sozialm Leben Anderen das, was sie etwa gegen uns gefehlt haben, bald in höherem, bald in geringerem Grade zu .... warum denn nicht in der richterlichen Sphäre?" (Hage n.) Aber nicht nur bei krankhaften Zuständen kann geminderte Z. vorliegen, sondem auch bei vorübergehenden bedeutenden Störungen des Gleichgewichtszustandes der Vorstellungen, wie Schlaftrunkenheits-, Berauschungs-, Affektzuständen, auch dann, wenn dieselben nicht die Z.sähigkeit vollständig aufheben. Giebt es einen Grad der Berauschung, welcher die Z. gänzlich ausschließt, so steht daneben ein nächst niedriger Grad, welcher die Selbstbestimmung nahezu unmöglich macht, und Jedermann muß zugeben, daß in Wirklichkeit nicht blos die beidm Gegensätze der vollen Nüchternheit und der vollen Berauschung Vorkommen. Ebenso steht neben jener heftigen Gemüthserschütterung, welche die Besonnenheit und Selbstbeherrschung

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vollständig raubt, mannigfach abgestuft eine Reihe von Gemüthsbewegungen, welche die Selbstbestimmung in mehr oder minder hohem Maß erschweren. Wer dem An­ sturm eines Affektes unterliegt, welchem er nur beim vollen Aufgebot seiner Seelmkräfte mühsam hatte widerstehen können, dem kann die That, zu welcher er hittgeriffen wurde, nur in geringem Maß zur Schuld gereichen. Darum ist es be­ dauerlich, daß der § 47 des ersten Norddeutschen Entwurfs, welcher die Versuchs­ strafe (was freilich nicht ganz das Richtige war) dann eintreten lassen wollte, wenn der Thäter zur Zeit der That in einem Zustande war, der die freie Willensbestimmung beeinträchtigte, nicht zum Gesetz geworden ist. Während das StrafGB. in den meisten Fällen auf die mögliche Geringfügigkeit des üblen Erfolgs dadurch Rücksicht nimmt, daß es beim Vorhandensein mildernder Umstände oder selbst ohne solche bis auf ein Minimum der Strafe herabzugehen gestattet (so namentlich bei den Vermögensverbrechen), kann der geminderten Z.fähigkeit nur teilweise und in ungmügendem Maße Rechnung getragen werden, soweit mildernde Umstände zugelaffen sind. Beim Todtschlag hebt das Gesetz speziell die Provokation als Milderungs­ grund hervor (§ 213); für die mildere Bestrafung des sog. Kindesmordes ferner (§ 217) war hauptsächlich die Berücksichtigung der psychischen Lage der unehelichen Mutter maßgebend (wobei freilich das Minimum der Strafe — 2 Jahre Gefängniß — in einem auffallenden Mißverhältniß zu dem Minimum der Todtschlagsstrase — Gefängniß von 6 Monaten — steht!). — Abgesehen hiervon läßt sich wol sagen, daß unser StrafGB. in der Hauptsache im Einklang steht mit der richtigen Lehre von der Z. Allerdings ist die Formulirung des § 51 keine glückliche. Er lautet — und der Wortlaut ist hier sehr wichtig—: „Eine strafbare Handlung ist nicht vorhanden, wenn der Thäter zur Zeit der Be­ gehung der Handlung (richtiger: der That) sich in einem Zustande von Bewußt­ losigkeit oder krankhafter Störung der Geistesthätigkeit befand, durch welchen seine freie Willensbestimmung ausgeschlossen war". Hier ist nun zunächst nur. wie wir sehen, das Können und nicht das Kennen betont. Jndeffen kann man sagen: Freie Willensbestimmung im Sinne des Gesetzes ist nicht möglich, wenn die Mög­ lichkeit der Einsicht in die Strafwürdigkeit der Handlung nicht gegeben war. Denn der Wille kann nur bestimmt werden durch Motive. Dem Willen, ein Verbrechen zu begehen, muß ein abhaltendes Motiv gegenübergestellt werden können, wenn jenes unterdrückt werden soll. Abhaltende Motive können nun zwar allerdings bei dem­ jenigen vorhanden sein, welchem keine Einsicht in die Strafwürdigkeit seines Thuns möglich ist. Motive der Bequemlichkeit, Zweckmäßigkeit u. s. w. können bewirken, daß er das Wollen nicht zum Verbrechen werden läßt. Aber derartige Motive stehen in keinem Zusammenhang mit der moralischen und insbesondere strafrechtlichen Z. Wer aus Bequemlichkeit etwas an sich Verbrecherisches begeht, ohne aber Ein­ sicht in die Strafwürdigkeit des Gethanen zu besitzen, ladet offenbar keine strafrechtliche Schuld auf sich. Strafe ist nur verwirkt unter der Voraussetzung schuldhaften Willens, und zwar muß die Willensrichtung entweder eine dolose sein (d. h. es muß der Wille vorliegen, ein als Uebel erkanntes Uebel herbeizuführen) oder zum mindesten eine kulpose (d. h. es muß eine Handlung gewollt sein, obwol es bei ge­ bührender Aufmerksamkeit erkennbar war, daß aus derselben ein Uebel entspringen werde). Wer also noch nicht so viel geistige Reise besitzt, daß er seine Handlung als eine üble Erfolge mit sich führende zu erkennen vermag, kann weder dolos noch kulpos handeln und muß daher straffrei bleiben. — Indirekt kann man weiter einen Schluß auf den eigentlichen Sinn des § 51 daraus ziehen, daß das Gesetz im § 56 zur Verurteilung eines jugendlichen Angeschuldigten verlangt, daß derselbe zur Zeit der Begehung der Handlung die zur Erkenntniß ihrer Strafbarkeit (was freilich richtiger heißen sollte: Strafwürdigkeit) erforderliche Einsicht besaß, und ebenso im § 58 die Freisprechung eines Taubstummen anordnet, welcher die zur Erkenntniß der Strafbarkeit einer von ihm begangenen strafbaren Handlung erforderliche Einsicht

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nicht besaß. Man kann doch dem Gesetzgeber nicht zumuthen, daß er dem jugend­ lichen und dem taubstummen Angeklagten in dieser Hinsicht ein Privilegium ertheilen will, daß blos bei ihnen also der Besitz jener Einsicht eine Vorbedingung der Z.fähigkeit sein soll, während erwachsene Nichttaubstumme zu verurtheilm wärm, auch totntt ihnen eine Einsicht gemangelt hätte. So wie es sich von selbst versteht, daß ein jugendlicher Angeschuldigter auch dann freizusprechen ist, wmn ihm zur Zeit der That, trotz des Vorhandenseins der Einsicht in die „Strafbarkeit" derselben, die freie Willensbestimmung fehlte, so muß auch umgekehrt der erwachsme Angeklagte freigesprochen werden, wenn ihm die Einsicht in die Strafbarkeit der Handlung gemangelt hat. Nicht ganz korrekt und vollständig ist es ferner, wenn der § 51 nur von Be­ wußtlosigkeit und krankhafter Störung der Geistesthätigkeit spricht. Neben der krankhastm Störung sollte auch die krankhafte Hemmung der Geistesthätigkeit gmannt fein, denn angeborener Blödsinn ist nicht Störung einer noch gar nicht entwickelten Geistesthätigkeit. Das Wort „Bewußtlosigkeit" muß man in einem sehr weitm und uneigentlichen Sinne nehmen, wenn es auch alle jene Zustände der höchsten Aufregung und Verwirrung (Affekt, Schlaftrunkenheit, Berauschung) mitumfaffm soll, bei welchen zwar nicht wie in einem Ohnmachtsanfall alles Bewußtsein ge­ schwunden ist (wofür allein der Ausdmck Bewußtlosigkeit vollkommen paßt), aber doch eine solche Störung des Bewußtseins eingetreten oder eine solche Verwirrung des Gemüths hervorgemfen ist, daß die Selbstbestimmungsfähigkeit verloren gegangm. Richtiger formulirt sonach jedenfalls der erste Oesterr. Entwurf, wenn er im § 56 sagt: „Eine Handlung ist nicht strafbar, wmn derjenige, der sie begangen hat, zu dieser Zeit (?) sich in einem Zustande von Bewußtlosigkeit (der zweite Entwurf seht hinzu: voller Trunkenheit) oder krankhafter Hemmung oder Störung der Geistes­ thätigkeit befand, welcher es ihm unmöglich machte, seinen Willen frei zu bestimmm oder das Strafbare seiner Handlung einzusehen". — Am besten aber ist die Materie geregelt im Züricher StrafGB., welches im § 39 sagt: „Die Strafbarkeit einer Handlung ist ausgefchloflm, wmn der Handelnde sich zur Zeit der Begehung der That in einem Zustande befand, in welchem er die Fähigkeit der Selbstbestimmung oder die zur Erkenntniß der Strafbarkeit der That erforderliche Urtheilskraft nicht hatte". (Aehnlich Baselstadt bzw. Baselland § 30, Zug § 26 Abs. 1.) Weiter silgt § 40: „Ist nachgewiesen, daß die Fähigkeit der Selbstbestimmung oder die zur EÄmutniß der Strafbarkeit erforderliche Urtheilskraft in sehr geringem Grade vor­

handen ist, so kann der Richter unter das Maß der vorgefchriebenm Strafe herab­ gehen oder zu einer anderen Strafart übergehm". (Aehnlich Zug § 26 Abs. 2. Uebrigens enthielten auch mehrere Deutsche Strafgesetzbücher, wie z. B. das Sächsische Art. 88, das Bayersche Art. 68, Bestimmungen über verminderte Z., sowie denn wol auch Art. 67 des Bayer. StrafGB. Abs. 1, unter Hinweglassung der unnöthigm Kasuistik, im Wesentlichen in den § 39 des Züricher StrafGB. übergegangen ist.) — Sehr mangelhaft sind die Bestimmungen des jetzigen Oesterr. StrafGB. über die Z.unfähigkeit. Der § 2 nennt unter den Gründen, die den „bösen Vorsatz" ausschließen, gänzlichen Mangel des Vemunftgebrauchs, Sinnenverrückung, dann die (ohne Absicht auf das Verbrechen zugezogene) volle Berauschung und die Sinnen« Verwirrung, in welcher der Thäter sich seiner Handlung nicht bewußt war. Dies Alles gilt zunächst nur hinsichtlich der Verbrechen im engeren Sinne. Dagegen ist es nicht einmal ausdrücklich ausgesprochen, daß die erwähnten Bestimmungen des § 2 auch bei Vergehen und Uebertretungm zu berücksichtigen find! Natürlich hat Theorie und Praxis sie trotzdem auch hier für anwendbar erklärt. Eigenthümliche Bestimmungm giebt das Oesterr. StrafGB. §§ 237, 269—273 über die strafbaren Handlungen der Unmündigen. — Betreffs der Bestimmungen des Deutschen StrafGB. über die Z.unfähigkeit der Kinder ist hier auf dm Art. Altersstufen (strafrechtl.) zu verweisen. —

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Zurechnungsfähigkeit.

Zum Schluß sei auch hier dem Bedauern darüber Ausdruck gegebm, daß bisher noch nichts zur Ausführung der Resolutton geschehen ist, welche der Reichstag zu dm §§ 51 und 56 des StrafGB. faßte und welche dahin geht, „den Bundeskanzler aufzufordem, im Wege einer Borlage die Regelung eines Berfahrms herbeizuführen, durch welches Personen, die wegen ihres Geisteszustandes oder als Taubstumme für straflos erklärt worden find, im Falle der Gemeingefährlichkeit einer wirksamen Beauffichttgung überwiesen werdm könnm". Gsgb.: Deutsches StrasGB. §§ 51, 55, 56, 58. — Oesterr. § 2 HL a—. Rönne, Die krim. Zurechnungsfähigkeit, 1870. — v. Krafft-Ebing, Grundzüge der Kriminalpsychologie; Der­ selbe, Lehrb. d. gerichtl. Psychopathologie, (2. Aust.) 1881; Derselbe in v. Holhendorff's Handbuch des Strafrechts, IV. S. 109 ff. — Skrzeczka, ebenda, IL S. 219 ff. — Svielmqnn, Diagnostik der Geisteskrankheiten, 1855. — Knop, Die Paradoxie des Willens, 1863. — Griesinger, Pathol. und Therapie der Geisteskrankheiten, 4. Auflage 1876. — F. W. Hagen, Chorinsky, 1872. — Schütze in Goltdammer's Arch., 1873.— Röder, Gerichtssaal, 1874. — CaSper, Handbuch der gerichtl. Medicin, 6. Aufl. herausgegebm von Liman, I. Bd. (1876) S. 404 ff. — W. Dolkmann, Lehrbuch der Psychologie, 2. Aufl. 2. Bd. 1876, S. 452 ff. — Dinding. Normen, 1L S. 3 ff. (Dazu Geyer in der Krit. D.JSchr. f. Rechtswiff. u. Gsgb., XIX. S. 405 ff.). — Wheaton, A treatise on mental unsoundness, 1873 (dazu v. Bar in der Zeitschrift für daS Privat- u. öffentliche Recht, II. S. 1 ff.). — Maudsley, Die Zurechnungsfähigkeit der Geisteskranken, Deutsch von Rosen­ thal, 1875. — Bruck, Zur Lehre von oer kriminalistischen Zurechnungsfähigkeit, 1878. — Drobisch, Die moral. Thätigkeit u. die menschl. Willensfreiheit, 1867. — v. Oettingen, Die Moralstatistik, 2. Aufl. 1875. — Schwarher, Die Bewußtlofigskeitszustände als Straf­ ausschließungsgründe, 1878. — Spitta, Die Willensbestimmung und ihr Derh. zu den im­ pulsiven Handlungen, 1881. — E. Hofmann, Lehrbuch der gerichtl. Medicin, 2. Auflage 1881, S. 719 ff. — In Maschka's Handbuch der gerichtl. Medicin, deffen 1. Band bisher erschienen ist, wird der Schluß des 3. Bandes den psychiatrischen Theil enthalten. Geyer.

Zurechnungsfähigkeit ist derjenige Zustand, in welchem sich Jemand be­ findet, der fähig ist, zwischen Begehung und Unterlaffung einer strafrechtlich als Berbrechen oder Vergehen bezeichneten Handlung zu wählen, sich für dieselbe zu bestimmen. Das Urtheil, daß Jemand in einem solchen Zustand der Z. eine strafbare Handlung begangen hat, daß diese ihm zurechenbar sei, ist die Zurechnung.Als die Bedingungen dieser ergeben sich: 1) Ein objektiver Thatbestand — eine rechtswidrige That (der bloße Wille oder Gedanke ist nicht strafbar). 2) Ein subjektiver — die That muß a) gewollt, auf den Willen des Thäters beziehbar sein (Handlungen aus Zufall, Thatirrthum entbehren dieser Voraussetzung); b) in dem Wollen des Thäters muß zugleich die Möglichkeit eines Nichtwollens der That (Wahl- oder Willensfreiheit) enthalten gewesen sein. Als die Voraussetzungen eines solchen (freien) Wollens kaffen sich bezeichnen: a) das Unterscheidungsvermögen (tibertas judicii), d. h. die Fähigkeit eines Individuums, die Beschaffenheit, Verhältnifle und Folgen seiner Handlung zu erkennen. Daffelbe involvirt die Ueberzeugung von der Nützlichkeit und Nothwendigkeit einer gesetzlichen und staatlichen Ordnung des menschlichen Zusammenlebens, die Kenntniß der Bedeutung der Gesetze für diesen Zweck, der Folgen ihrer Uebertretung für die eigene und gesellschaftliche Wohlfahrt. ß) Die Fähigkeit, sich für Ausführung oder Unterlaffung einer strafbaren That auf Grund dieser Motive zu entscheiden (libertas consilii). Die libertas judicii seht einen gewissen Umfang von Erfahrung, intellektueller Ausbildung und Bildungsfähigkeit, die libertas consilii eine ungehinderte Ideen­ assoziation und eine ungetrübte Besonnenheit zur jeweiligen und soforttgen Geltend­ machung jener vom Unterscheidungsvermögen gelieferten Motive voraus. Wo diese

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psychischen Bedingungen erfüllt find, da besteht psycholügische Z. Diese fällt zu­ sammen mit der kriminalistischen, bildet ihre Voraussetzung. Ueber sie hinaus reicht die moralische Z. Sie ist vorhandm, sobald Jemand im Stande ist, nicht blos aus logischen, von der Intelligenz gelieferten Motiven des Mhlichm und Schädlichen, des Erlaubten und Verbotenen eine Handlung zu begehen oder zu unterlassen, sondem diese Fähigkeit durch ihm zu Gebote stehende Motive der Sittlichkeit besitzt. Die moralische Z. ist eine höhere Potenz als die psychologische und setzt eine höhere Kulturstufe des Individuums voraus. Der auf Prinzipien der Zweckmäßigkeit und Nützlichkeit basirte Rechtsstaat fordert vom Staatsbürger nicht höhere ethische, sondem blos intellektuelle Reife, deren praktischer Ausdmck ein Erkenntnißvermögen ist, das sich bis zur Höhe eines Strafbarkeitsbewußtseins erhebt. Das Gebiet der strafrechtlichen Z. ist damit nothwendig ein enger begrenztes als das der moralischen, die vor dem Fomm des Gewissens, der Religion und der Familie nicht blos Geschehenes, das vom Richter etwa gar nicht oder nur auf Antrag bedroht ist, sondem auch Gewolltes und Gedachtes vemrtheilt. Setzt auch die strafrechtliche Z. nur eine volle Einsicht in die strafrechtliche Verantwortlichkeit theoretisch voraus, so werdm doch im Kulturstaat und beim Kulturmensch nicht blos logische, sondem auch ethische Motive im Bewußtsein vor­ handen sein und den Erfolg bestimmen und ein völliges Fehlen ethischer Beweg­ gründe in diesem Berücksichtigung (mildernde Umstände) verdimcn, indem es erfahmngSgemäß durch eine inferiore Hirnorganisation (moralisches Irresein) oder ver­ kümmerte Erziehung bedingt ist. Der Gesetzgeber vermuthet die Z. von einem gesetzlich normirten Lebensabschnitt an, aber diese Vermuthung involvirt nicht eine Präsumtion für den konkreten Fall. Die Frage der Z. in diesem ist conditio sine qua non der Schuldfrage überhaupt, der wesmtliche Bestandtheil des subjektiven Thatbestands. Das Urtheil, daß Jemand schuldig sei, enthält implicite den Ausspruch der Z., weshalb auch im schwurgericht­ lichen Verfahren die Geschworenen, falls sie an der Willensfreiheit des Angeklagtm zweifeln, die richterlicherseits gestellte Frage, ob der Thäter schuldig sei, einfach vemeinm. Die Beurtheilung der Z. als integrirender Bestandtheil des Thatbestandes kann selbstverständlich nur dem Richter zufallen. Da die Beweislast diesem zukommt, kann vom Angeklagten nicht verlangt werden, daß er seine Unzurechnungsfähigkeit beweise, ebensowenig billigerweise sein eigener oder seines Rechtsbeistandes Antrag aus Stellung der Frage nach der Z. abgewiesen werden. Die Formulimng der­ selben ist selbstverständlich Sache des Gerichtshofes. Ter Mangel der freien Willensbestimmung zur Zeit der strasbarm Handlung hebt die Zurechnung auf und bildet einen Strafausschließungsgmnd (§ 51 des Deutschen StrafGB.; § 2 des Oesterr.; § 64 des Code pönal fran^ais). Dieser Mangel muß thatsächlich erwiesen und vom Richter erkannt sein. Bloße Indizien, so lange sie nicht eine richterliche Ueberzeugung herbeiführen, genügen nicht zur Freisprechung, wol dürfte es aber dann geboten sein, die Schlußverhandlung zu vertagen und damit Zeit zur ferneren Beobachtung und Untersuchung des Angeklagten zu gewinnen. Da thatsächlich viele strafbare Handlungen im Zustand aufgehobener Willens­ freiheit zu Stande kommm, weisen die Kriminalordnungen der verschiedenen Länder den Untersuchungsrichter an, ein sorgfältiges Augenmerk auf den Gemüths- und Geisteszustand des Angeschuldigten zu haben und, falls sich irgendwie Zweifel über besten Integrität ergebm, zur Ermittelung derselben das Geeignete zu verfügen. Die Initiative zur Anstellung einer exploratio mentalis ist damit ganz in die Hände des Richters gegebm, und von seiner Umsicht, Erfahrung und Gewiffenhastigkeit hängt es wesentlich ab, ob rechtzeitig ein vorhandener unfreier Geisteszustand erkannt wird.

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Bei der Unwissenheit und dm Domrtheilm, in denm so viele Richter über Wesen und Kennzeichen solcher Zustände befangen find, ist es nicht zu verwundem, baß fie häufig gar nicht oder erst spät erkannt werdm. Hat sich der Untersuchungsrichter die Ueberzeugung verschafft, daß der Angeschuldigte zur Zeit seiner That im Zustand aufgehobener Willensfreiheit sich besundm habe, so ist er befugt die Untersuchung wegen mangelnder Z. einzustellen. Der Betreffende ist dann kein Gegmstand der Strafrechtspflege mehr, wol aber kann Polizeilich die Frage seiner Gemeingefährlichkeit und ob er deshalb Gegmstand öffentlicher Fürsorge sein muß, erhoben werden. Sehr häufig steigen erst nach geschloffener Voruntersuchung und erfolgtem Derweisungsbeschluß Zweifel über die Z. des nun­ mehr Angeklagten auf. Da die Anklage einmal erhoben ist, muß der Rechtsfall jutn Austrag kommen. Zur Frage nach der Z. in Bezug auf die inkriminirte That kommt hier die, ob mit dem Angeklagtm verhandelt werdm könne. Eine Ver­ handlungsfähigkeit in psychischer Beziehung kann nur dem zugesprochm werdm, der sich vertheidigen kann. Sie seht nothwendig das Bewußtsein der Handlung in straf­ rechtlicher Hinsicht, die Kenntniß der Rechtsmittel und Rechtswohlthatm voraus und bürste nur in dm seltensten Fällen Jemand zuzuerkennen sein, der sich unter der Fortwirkung von Bedingungen befindet, welche zur Zeit seiner That ihm die Freiheit bet Willensbestimmung raubten. Wird die Frage der Berhandlungsfähigkeit, die natürlich nur auf Grund einer technischen Untersuchung beantwortet werden kann, vetneint oder verfällt der Angeklagte erst während der Verhandlung in einen Zustand geistiger Unfreiheit, so wird jene vertagt und der Kranke in einer Jrtenanstalt bis zu seiner Herstellung intemirt. Ist diese erfolgt, so muß, falls die strafbare Handlung noch nicht verjährt ist, der Prozeß wieder ausgenommen werden. Dieses Vorgehen ist logisch, aber hart. Die Rückversetzung ins Gefängniß oder auf die Anklagebank führt leicht eine Rezidive herbei, wodurch der Zweck verfehlt und die Gefahr einer Unheilbarkeit des Leidens gefetzt wird. Es dürfte hier Fälle geben, wo die Humanität eine Niederschlagung des Prozesses auf dem Wege der Gnade fordert. Häufig gmug sind die subjektiven Momente des Thatbestandes so beschaffen, baß zwar die Voraussetzungen der Z. nicht geradezu fehlen, aber doch äußere gesell­ schaftliche (fehlende oder schlechte Erziehung) oder innere organische Bedingungen obwalteten, welche die freie Selbstbestimmungsfähigkeit beeinträchtigten und damit bie Schuld mindern. Unter dm organischen können es angeborene oder erworbene psychische Schwäche­ zustände, in erblichm Anlagen begründete Anomalien des Charakters u. dgl. fein, bie das Gewicht unsittlicher Antriebe vermehrten, die Widerstandskraft schwächten, nngewöhnlich starke Affekte und Leidmschaften provozirten, die Klarheit und Be­ sonnenheit der Beurtheilung trübten re. Die frühere Gesetzgebung suchte solchen zahlreichen Fällen durch die Annahme