Encyklopädie der Rechtswissenschaft: Teil 2, Band 2 Rechtslexikon [3., durchgeseh. verb. und erhebl. verm. Aufl. Reprint 2020] 9783112378229, 9783112378212


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German Pages 975 [985] Year 1881

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Encyklopädie der Rechtswissenschaft: Teil 2, Band 2 Rechtslexikon [3., durchgeseh. verb. und erhebl. verm. Aufl. Reprint 2020]
 9783112378229, 9783112378212

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Encyklopädie der

Rechtswissenschaft in

systematischer und alphabetischer Bearbeitung.

HerauSgegeben

unter Mitwirkung vieler Rechtsgelehrter von

Dr. Franz von Holtzendorss, o. ö. Professor der «echte in München.

Zweiter Theil.

N»cht*te»tk«n. Zweiter Band.

Dritte, durchgehends verbesserte und erheblich vermehrte Auflage.

Leipzig,

Verlag von Duncker & Humblot. 1881.

HlechLsleXrkon. Herausgegeben

unter Mitwirkung vieler Rechtsgelehrter von

Dr. Franz von Holtzendorff, o. S. Profesior der «echte in München.

Dritte, auf Grund der neuesten ReichSgesehgebung vollständig umgearbeitete und unter besonderer Berücksichtigung des Verwaltungs- und deS Handelsrechts

bedeutmd vermehrte Auflage.

Zweiter Band.

«ad - Otto.

Leipzig, Verlag von Duncker & Humblot. 1881.

DaS UebersetzungSrecht wie alle anderen Rechte für daS Ganze und die einzelnen Theile Vorbehalten. Die Verlagsbuchhandlung.

«ad, Adolf, s 18. m. 1826, Stadtger.-Rath in Berlin, t 4. II. 1870, hat sich Vortheilhaft bekannt gemacht durch seine Schriften: Handbuch des Allaem. Deutsche» Handelsrechts, 1863. — Haftpflicht der Deutschen Postanstalten, 18Ö3. — Ueber den Entwurf einer Prozeßordn- in burgerl. Rechts­ streitigkeiten, 1870. Kehßner.

«Ittem, Hans Christoph Ernst Freiherr von, L 25. I. 1766 auf Schloß Kleinniedesheim bei WormS, find, in Leipzig u. Göttingen, trat in Nassauische Dienste, 1801 Nassauischer Gesandter in Paris, legte seine Aemter 1811 nieder, war für einen Tyroler Aufstand 1812, 1813 thätig, flüchtete aus Oesterreich nach Breslau, setzte die Rückkehr des Kurfürsten von Hessen durch, trat 1815 in Nieder!. Dienste u. nahm am Wener Kongresse Theil, wurde 1816 Staatsrach, zog sich 1818 vom Bundestage zurück, nahm 1820'feine Entlastung, wurde Darmstädtifcher Abgeordneter, f 22. X. 1852 zu Hornau bei Königstein. Schriften: Nationalgeschichte der Deutschen, Wien 1812 ff.; 2. Anfl. Franks. 1825,1826.— Wein Antheil an der Politik, Etuttg. 1823—83, Lechz. 1844. — Resultate der Eitteagesch., 2. «ufl. 1885—47. — Kritik des Völkerrechts, Lech,. 1840. — Einsiedler, Etuttg. 1822-27. — Civilisation, Lechz. 1847. Lit.: Blnntschli, Staat»W»rt.B. IV. 31—37. — Wohl, L 378; II. 261; UL 400.— Wippermann in der Allg. Deutsch. Biogr. VIII. 308—807. —Kaltenborn, Kritik de» Völkerrechts, 202—206, 3, 7-9.

Sein ältester Sohn Friedrich Balduin von G., ö 24. X. 1794 zu Weilburg, stud. in Paris, Göttingen, Heidelberg, war 1844—46 in den Ost­ indischen Kolonien, wurde Provinzialkommandant von Südholland u. Gouverneur im Haag, übernahm 1848 das Kommando der Badischen und Heffischen Truppen, fiel 20. IV. e. a. auf der Scheidegg bei Kandern. Schriften: Denkschrift über die Deutsche Bundesverfassung, 1825, 1826. — Denkschrift vom Jahre 1834 über die Belgische Revolution. — Vom Unterschiede der Stände und dem aristokratischen Element, 1887. Lit.: Blnntschli, Etaat»Wört.B. IV. 87—41. — Heinrichv.Gagera, Das Leben de» Generals Fr. v. G-, Lechz., Heidelb. 1856, 1857. — v. Hartmann in der All». Deutsch. Biogr. VH! 301-308. - Brie, Der Bundesstaat, 1874 S. 54 ff.

Der dritte Sohn Heinrich Wilhelm August Freiherr von G., d 20. VIII. 1799 zu Weilburg, Präsident der Deutschen Nationalversammlung, Mitgl. deS Erfurter Parlaments, 1864—1872 Großh. Hess. Gesandter in Wim, f 22. V. 1880 zu Darmstadt. Schrift: Rechtl. Erört. über den Inhalt und Bestand der der Provinz Rheinhessen landesherrlich verliehenen Garantie ihrer Rechtsverfaffung, Worms 1847 (Gegenschrift: Seitz, Die Rheinheff. Rechtsinstitutionen, Regensb. 1847).

v. Holtzendorff, «nc. II. Recht-lexikon II. 3. Aufl.

2

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8it: Haym, Die Deutsche Nationalversammlung, Berlin 1848—50. — Mohl, H 383. — Im neuen Reich, 188v E. 925—939. — AugSb. Allg. Ztg, 1880 Beilage 153 E. 2225—2227. — Klüpfel, Gesch. d. Dmtschen ÄnheitSbestreoungm. Berl. 1872. — Kaltenborn, Geschichte der Deutschen BundeSverhältniffe und Einheitsbestrebungen, Berlin 1857, Bd. IL — Preuß. Iahrbb., Bd. 45 S. 616 ff. — Deutsche Revue, Febr. 1880, E. 239 biS 249. Teichmann.

@6Ü (Gehl, Gayll), Andreas von, S 1526 zu Köln, wurde 1558 Assessor in Speier, 1567 Reichshofrath, später Kanzler des Kurfürsten von Köln, f 11. XII. 1587: „der Papinian Deutschlands". Schriften: Practicaruin observationum tarn adprocessnm judiciarium praesertim imperialis camerae quam causarum decisiones pertinentium libri duo, Colon. 1578, 1697, 1721, 1771; Genev. 1740; deutsch von Lancius, Hamb. 1601, 1663. — De pace publica et proacriptis sive bannitis libri duo. —De manuum iiyectionibus, impedimentia s. arrestis imperii tractatus. — De pignorationibus in den Opera praestantiora, Colon. 1771. 8itt.: Ersch u. Gruber. — Stobbe, Rechtsquellen, II. 90. — Allard, Hist, de la just, crim, 1868, p. 499. — v. Stintzing in der Allg. Deutsch Biogr. VIII. 307—311. Teichmann. GaleottuS, Albertus, aus Parma, lehrte zu Padua, Modma, ging 1251 als Gesandter nach Bologna, f nach 1272. Schriften: Summula quaestionum, Venet 1567; CoL 1595. — Margarita, Colon. Lit.: Savigny, V. 527—533. — Bethmann-Hollweg, VL 77. Teichmann.

(Bolioiti, Ferd., z 1728 zu Chieti, Neapolit. Diplomat, t 1786. Er schrieb: De’ doveri e dei diritti de’ principi neutrali verso i principi guerreggianti e di questi verso neutrali, 1782. (Deutsch von Cäsar, Leipzig 1785.) — Corresp. inödite, Paris 1818. Lit.: Pierantoni, Storia degli ßtudi del dir. internationale, p. 51 (deutsch von Roncali, Wien 1872 S. 34). — Cauchy, fi. 288—294 — Gessner, Droit des neutres, 1865, p. 43. — Hautefeuille, Histoire, 1869 p. 413, 456. — Sclopis, H. 620. — Ompteda, II. 656. — Mattei, Galiani ed i suoi tempi, Napoli 1879. Teichmann.

GalVanuS de Bettino de Bononia, 1365—1368 in Padua Pros, der Dekretalen, in Fünfkirchen 1371, abwechselnd in Bologna u. Padua. Er schrieb: Consilia und verschiedene Traktate. Lit.: Schulte, Lehrbuch des Kathol. Kirchenrechts, (3) S. 100, 101; Derselbe, Ge­ schichte, IL 286. Galvanos, Marcus Aurelius, z 1600 (?) zu Ferrara, Prof, daselbst, zu Pisa u. Padua, t 1659. Schrift: De usufructu diss. var., Pat 1650; zuletzt Tub. 1788. Lit.. Rivier, 551. — Haubold, Instit litt. nr. CXXL Teichmann.

Gaudiun-, Albertus, lebte in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts, war Assessor in Perugia, Florenz, Siena, Lucca und Bologna. Schriften: Tractatus malefiriorum, Venet 1490; Medial. 1514; CoL 1699. — Quaestiones Statutorum. -Lit.: Saviany, V. 560-565. — Geib, Lehrbuch d. Deutschen StrafR., 1861, L 284. Allard, Hist ae la just crim., 1868, p. 400. — Nypels, Bibliothöque, 22, 23. — Bethmann-Hollweg, VI. 203. — Biener, Beitr., 93. — Schulte, Gesch., 11. 167. Teichmanu.

Ganerbschaft (Th. I. S. 513) ist die Bereinigung mehrerer Personen oder Familien zum Behuf gemeinsamen Besitzes und gemeinsamer Benutzung einer Burg oder eines Guts. Hinsichtlich ihres juristischen Charakters wird die Bereinigung von den Einen als Universitas, von Anderen als communio betrachtet. Gerber meint, daß bei derselben je nach der Berfchiedenheit der Fälle entweder getheiltes Eigenthum der einzelnen Genoffen oder Miteigenthum aller vorliege. Beseler und

So» — G«r«ltievertrüDe.

8

Gierke jassen die G. auf als materielle RechtSgemeinschast (gejammte Hand), wobei die Genoffm, ohne eine juristische Person zu bitten, ein Gesammteigmthum an dem gemeinschaftlichm Gegenstände haben. Letztere Auffassung entspricht am meisten den hierbei in Betracht kommenden Rechtsverhältnissen. Veranlassung zur Begrün­ dung einer G. lag namentlich in gemeinschaftlicher Erbauung oder Eroberung einer Burg, sowie im Miterbrecht mehrerer Personen. Auflösbar ist die Gemeinschaft meist nur durch übereinstimmenden Beschluß der Genoffm. BerSußem dürsm die einzelnen ihre Antheile nur im Falle echter Roch; auch steht dm Genoffm ein Vorkaiqsrecht zu. G. sanken sich in der früheren Zeit nicht selten bei der Fränkischen Ritterschaft. Lit.: Wipp ermann, Kleine Schrift« jurist und «chUhistor. Anhalt-, L Me-baden 1878. — Peselrr, Lie Lchre von dm Erbverträgen, l.(Göttmg. 1835) 6.81 ff. — Sünder, Da- Gefammteiaeiühmn (Mark. 1848), § 16. — Gierke, Das Genossenschaft-recht (Bert. 1868, 1878) I. 968, II. 934 ff. — Etobbe, D. Priv.Si., H. S. 64 ff. Levi».

®an8, Eduard, $ 22. III. 1798 in Berlin, find, in Berlin, Göttingm, Heidelberg u. schloß fich der Philosoph/ Schule Hegel's an. Er trat 1825 zum Christenthum über, wurde 1828 ord. Pros, in Berlin, trat an die Spitze der Oppofition gegen die hist. Schule, machte Reism nach Frankreich u. England, t 5. V. 1839. Schriften: Jus poenitendi contractibus, quos vulgo dicunt innominatog, re vorn non inesse, Heidelb. 1819. — Ueber Röm. Obligationmrecht, Heidelb. 1819 (iteL v. Sllvetti, Nap. 1856). — Scholien z. Gaius, 1821. — Da» Erbrecht in weltgeschichtl. Entwicklung, Perl. 1824. Stnttg. 1829, 85 (theiltoeife franz, v. Lomdnie, 1845). — Syst d. Röm. Civ.R., Berl. 1827. — Beitr. z. Revision d. Prmß. Gesetzgeb., Berlin 1880—82. — Der«. Schrift«, Berl. 1834. — Rückblicke ans Person« und Zustände, 1836. — Ueber die Grund­ lage de- Besttze», Berlin 1839. — Begründete die Jahrbb. f. wnsenfchaftliche Kritik, 1827. — Er gab Hmel'S Philosophie de» Recht» (1883) und der Geschichte (1837) (Sämmtl. Werke, Bd. 8, 9) heraus. Lit.: Ersch u. Gruber. — Mag. f. Lit. d. Ausl., 1845 Rr. 105. — Eteffenhagen in der Alla. Deutsch. Biogr. VHL 361. — Themis, 1839, bl. 177 sq. — Turchiarulo, il diritto . Außerdem besteht noch für diejmigm Häuser eine Arealsteuer, bei welchen eine Nutzung durch Bermiethung nicht vorhanden ist. Letztere hat als Gegenstand eine angmommme Ertragsgröße, welche daS Produkt deS Flächeninhalts der überbautm und zu Hofräumen bestimmten Plätze mit der, allgemein für diese festgesetztm, dreißigsten Bonitätsklafle bildet. Dieses Produkt stellt zugleich die Berhältnißzahl dar, nach welcher die ©teuer berechnet wird. Bei der Häusersteuer als Miethsteuer besteht das Produkt auS dem wirklichm, oder durch Schätzung gewonnmm Miethertrage. Die HauSsteuer wird wie die Gmndsteuer katastrirt. Nme Gebäude gmießm bei der Miethsteuer fünf, bei der Armlstmer zehn Jahre Stmerstecheit, von der Errichtung des Dachstuhles an gerechnet. In Prmßm gmießm die neuen Gebäude eine zweijährige Steuerfreiheit. Aehnliche Grundsätze bestehen in fast allen Deutschen Gesetzgebungen. Duellen u. Lit.: Prenß. Gesetze v. 21. Mai 1861 betr. bie allgemeine Gmndsteuer und bet*, bie allgemeine Gebäubestener (G.E. v. 1861 S. 253 u. 317). — Bayer. Gesetz v. 15. Aug. 1828 betr. bie allgemeine Häusersteuer (GBl. 1828 S. 170). — Hirth't Annalen, 1874 S. 901 u. 1688. — Zeitschr. bet Bayer. Statistischen Bureau- von 1870 Nr. 2. — 8611, Die Grundrente unb die Prenß. unb Bayer. Grundsteuer, 1872. — Tübinger Zeitschrift, 1873 2. 8. u. 4. Heft. — Vgl. auch b. Art. Grundsteuer. v. Aufseß.

Gkfaner, Georg Christ., z 26. X. 1690 zu Breslau, wurde 1717 in Leipzig Magister, 1720 Advokat, 1727 ord. Pros., 1784 erster Prof, in Göttingm, 1747 Geh. Justizrath, 1755 Ord. d. Juristenfakultät, f 1778.

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lrti|TW fftt MOHtOOWWDUe.

Schriften: Narratio de Brencmanno, Gott 1764. — Exerdtatione» academicae, Erf. 1776, 1777. — AuSg. b. Corp. jur. civ. ed. Spangenberg, Gott. 1776—97. feit.: Ersch u. Gruber. — Göschen, Vita G., Gott 1887. — FrenSborff in bet Lllg. Deutsch. Biogr. VIII. 449 - 452. Teichmann.

Gebühre» für RechtSiMwülte stellm die Vergütung dar, welche ein öffentlich zugelaffmer Rechtsanwalt für die Gewährung seiner Dienstleistung zu be­ anspruchen hat. So lange die Advokatur, wie im Römischen Reiche, eine Ehren­ pflicht war, konnte von einer solchen Vergütung auch nicht die Rede sein. Erst als sich die Vertretung und Verbeiständung in Rechtsangelegenheiten zu einer Berufs­ thätigkeit ausbildete, kam man zur Klagbarkeit des Honorars mittels einer extraordinaria cognitio, ohne sich wie bei der Thätigkeit von Lehrern, Aerzten u. s. w. über den Charakter dieser merces näher zu äußern. Schon zu Rero's Zeit wurde eine solche cognitio auch ohne vorgängiges Versprechen mit richterlicher Feststellung deS Honorars gewährt (Snetonius, Nero, c. 17; 1. 1 § 10, 1. 4 D. 50, 13; 1. 13 § 9 C. 3, 1). Ungeachtet diese Grundsätze mit dem Corpus Juris geltendes Recht wurden, so bildete sich in Deutschland die gemeinrechtliche Praxis dahin aus, daß der Advokat seine Handlungen selbst taxirte und alsdann seine Kostenrechnung bei Gericht einreichte, welches dieselbe festsehte (K.G.O. I, 46 § 1; 3t. D. A. 1557 § 50). Dieser Zustand gilt heute noch bezüglich der Anwälte (attorneys, sollicitors) in England, deren Kostenbeträge ein Gerichtsbeamter (taking master) prüft und feftfetzt (6 u. 7 Vict. c. 73 sect. 37—44; 33 u. 34 Vict. c. 28). Erst im 18. Jahrhundert beginnen Taxordnungen aufgestellt zu werden, die in dem herrschenden Mißtraum gegen die Advokatm ihrm Ursprung hattm (Preuß. A. G.O. vom 6. Juli 1793 III. 7 § 116). Die Prinzipien, nach dmm in jenen Taxm die Gebührm berechnet wurden, find zum Theil von der Art des Verfahrms abhängig, zum Theil haben fie bis in die neueste Zeit auch innerhalb deffelben Verfahrms gewechselt. Im Civilprozeß waren es folgende: 1) das System der Einzelgebühren, wonach jede einzelne Handlung des Anwalts liquidirt wird (so namentlich nach dem Französ. Kostmtarif von 1807 und in einzelnen Ländem des Gern. 3t.). 2) Das System der Einzelgebühren für gewiffe wichtige Handlungen, so daß geringfügige nicht in Betracht kommen. 3) Das System zu 2 unter besonderer Hervorhebung einer Gebühr für die mündliche Verhandlung (in den reformirtm Prozeffen von Bayem, Württemberg, Oldmburg, Lübeck). 4) Das Bauschsystem, wonach das ganze Verfahren als solches bzw. einzelne Abschnitte deffelben taxirt wurden (Preußen, Baden, Waldeck). Nirgends zeigen sich jedoch diese Systeme in voller Durchführung, auch sind die Grundsätze innerhalb der ein­ zelnen verschieden: bald Werthklaffen, bald feste Sätze, bald Zahl der Bogen, bald Verwendung der Zeit, mdlich Verschiedenheit je nach der einfacheren oder schwierigeren Prozeßart (z. B. Mandats-, Wechselprozeß), oder nach der hierarchischm Stufe der Gerichte, vor betten die «Handlungen vorgenommen wurden. Dieselben Systeme kehren auch in Straffachm wieder, währmd in dem Konkursverfahren theils dieselbm Gebühren angewendet wurden, wie in Civilsachen, theils besondere Abschnitte in demselben zur Honorirung gelangten (Bayem, Sachsen). Gar keine Taxe bestand in Sachsen-Koburg-Gotha (Anwaltsordn. vom 2. Juni 1862). — Fraglich war, wie weit der Anwalt durch Verträge mit seinem Klienten die Gebühr für seine Vergütung verabreden konnte. Auch hier haben die Gmndsätze des Röm. R. die späteren Gesetzgebungen beherrscht. Nach beendetem Rechtsstreit ließ man jede Ab­ rede und jede Liberalität innerhalb eines Maximum von 100 Dukaten (aurei) zu, währmd der Schwebe dagegen untersagte man jeglichen Vertrag, damit der Klient nicht in seiner Leidenschaft zu ungemessenen Versprechungen verleitet werde, als contra bonos mores, ohne Rücksicht, ob die Vergütung aus eine bestimmte Geldsumme, oder auf eine Quote des Streitobjekts (pactum de quota litis) ging ober nur im Falle des Siegs gezahlt werden sollte (palmarium) — 1. 1 § 12 D. 50, 13; 1. 5 C. 2, 6 —.

Gebühre« für HdtyMMrilte.

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Strenger noch wurden in dem Gemeinen Prozeß alle Abreden in jedem Stadium anfänglich verboten (K.G.O. von 1555 Th. I. Tit. 46 § 1), später aber das Verbot nur auf die vorgedachten befonderm Verträge beschränkt (8L D. A. von 1557 § 50). Die neueren Gebührenordnungen schloffen sich theils dem 6km. 8t. an, theils verboten sie jede Art von Verabredungen (Baden, Altenburg, Rmß ä. L., Schwarzburg-SonderShausen), theils ist das Prinzip der BertragSfreiheit ausgestellt worden, so daß die Taxe,nur wegen deS Ersatzes der Kosten seitens deS Gegners maßgebend war (Lübeck, Franzöf. Dekret vom 16. Febr. 1807 Art. 80 ff. wegen der Advokatm) und dieselbe auch sonst nur in Ermanglung einer Vereinbarung in Anwendung kommm sollte (Oesterr. Advokatenordnung vom 6. Juli 1868 §§ 16, 17). In neuester Zeit wurden Vermittlungswege eingeschlagen, indem man gewiffe Kautelm aufstellte, um den Klienten vor Uebereilung zu schützen, so das Gebot der Schriftsorm (Hannover, Braunschweig) oder Gmehmigung des Vertrages durch daS Appellationsgericht (Meiningen), die Landesregierung (Weimar), dm Ehrmrath (Prmßm), oder mdlich man gestattete im Falle des Uebermaßes ein Einschreiten der Disziplinarkammern (Hannover, Gesetz vom 18. Nov. 1850 § 52; Franzöf. Dekret vom 14. Dez. 1810 Art 48, wieder aufgehoben durch die Ordonnanz vom 20. Nov. 1822). — Gegenwärtig find im Dmtschm Reich durch die Gebührenottnung für Rechtsanwälte vom 7. Juli 1879 die Gebührm auf dem Gebiete der Prozeß» ordnungm einheitlich geregelt (§§ 1, 92), während die einzelnen Landesgesetze für daS Gebiet der nichtstreitigen Gerichtsbarkeit maßgebend gebliebm find; nur die erstere soll hier in Betracht gezogen werdm. — Die vom Reich aufgestellte Gebührmordnung ist stets maßgebmd: für das Verhältniß deS Auftraggebers zum Erstattung-pflichtigen (§ 94) und für die Fälle, daß ein Rechtsanwalt einer Partei beigeordnet oder für fie zum Vertheidiger bestellt ist (§ 98, R.A.O. § 88, EPO. 8 107 Rr. 8, 88 609, 620, 626, StrafPO. 8 ISO). Im Strafverfahrm er­ hebt der vom Gericht zum Vertheidiger bestellte Rechtsanwalt seine Gebührm auS der StaatSkaffe. Im Udnigen ist die Gebührenordnung nur subsidiär, d. h. fie kann zwar nicht von der Landesgesetzgebung, aber durch Vertrag zwischen Rechtsanwalt und Auftraggeber abgeändert werdm, wenn die Vereinbarung eine schriftliche ist. Ueberschreitet fie die Grenzen der Mäßigung, so kann die vertragsmäßige Vergütung nach eingeholtem Gutachten der Anwaltskammer vom Gericht im Prozeßwege auf dm tarifmäßigen Betrag herabgesetzt werdm (8 98). Nach erfolgter Zahlung findet jedoch eine Herabminderung nur unter den sonstigen Voraussetzungen einer Rückforderungsklage statt. — DaS. System des Entwurfs schließt fich dem deS ReichsgerichtSkostmgesetzes vom 18. Juni 1878 an. In bürgerlichen Rechtsstreitig­ keiten (88 9-1-52) kommm Bauschgebühren nach Werthklaffm (8 9) dergestalt zur Anwmdung, daß dem Rechtsanwalt eine Prozeßgebühr (für dm Geschäftsbetrieb, einschließlich der Information), eine Verhandlungsgebühr (für die mündliche Ver­ handlung), eine BergleichSgebühr (für die Mitwirkung bei einem zur Beilegung eines Rechtsstreites gefchloffmm Vergleich) und eine Beweisgebühr (im Falle eines be­ sonderen Beweisaufnahmeverfahrens) zustehen (8 13). Diese Gebühren treten in jeder Instanz ganz, aber nur einmal ein und erhöhen fich nur im Verfahren vor dem Reichsgericht um ’/10 (88 25, 52); fie erniedrigen sich im Urkunden- und Wechsel­ prozeß (8 19) und im Falle einer nicht kontradiktorischen Verhandlung (8 16). Daneben find Gebühren für die befonderm Artm des Verfahrens (Aufgebots-, Ber» theilungs-, Mahnverfahren), sowie für die Zwangsvollstreckung und sonstige einzelne Handlungm aufgestellt. Im Konkursverfahren fehlm die festen Stadim zur Abstufung der Gebührm nach zeillich begrenzten Abschnitten, vielmehr mußte als Regel die Vergütung für die gefammte Thätigkeit in einer Bauschsumme nach Werthllaffen erfolgm (88 58—62), die fich erniedrigt, wmn die Vertretung vor dem allgemeinen Prüfungstermine (KO. 8 126) fich erledigt oder erst nach dem» fetten beginnt (8 55). Daneben treten noch Gebührensätze hinzu für besonders

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Gefahr.

ausgezeichnete Thätigkeiten, so bei Prüfung der Forderungen, im Zwangsvergleichs-, im Vertheilungsverfahren (§ 56), in der Beschwerdeinstanz (§ 58) u. dgl. m., endlich für einzelne Akte, wenn sich die Vertretung nur auf diese beschränkt (z. B. § 57). Im Strafverfahren (§§ 63—75) bemißt sich die Bauschgebühr nach der Ord­ nung der Gerichte (Schöffengericht, Strafkammer, Schwur- oder Reichsgericht), sie kann in der Berufungs- und Revisionsinstanz besonders gefordert werden und erhöht sich, wenn die Verhandlung sich auf mehrere Tage erstreckt (§ 64), eine Beweis­ aufnahme wird nur in Privatklagesachen besonders vergütet (§ 65). Ebenso findet eine besondere Vergütung für die Vertheidigung im Vorverfahren (StrafPO. §§. 137, 140) statt (R.Geb.O. § 67). Endlich kommen einzelne Handlungen, sowie sich die Thätigkeit des Rechtsanwalts auf diese beschränkt, wie Einlegung der Be­ rufung, Anfertigung von Schriftsätzen u. a. in Ansatz. — Abgesehen von den Ge­ bühren find dem Rechtsanwalt Auslagen für Abschriften und Reisen zu vergüten (§§ 76—83). — Rach der Rechtsanwaltordn. § 30 ist der Rechtsanwalt nicht ver­ pflichtet, eine Thätigkeit zu übernehmen, er kann die Uebernahme von einem Vorschuß abhängig machen (R.Geb.O. § 84) und braucht die Handakten vor Empfang seiner Auslagen und Gebühren nicht auszuhändigen (Rechtsanwaltordn. § 32). Letztere werden fällig, sobald über die Verpflichtung, sie zu tragen, eine Entscheidung ergangen ist, sowie bei Beendigung der Instanz oder bei Erledigung des Auftrags (R.Geb.O. § 85). Der Rechtsanwalt muß jedoch vorher seinem Klienten eine spezifizirte Rechnung zustellen (§ 86). Eine richterliche Feststellung findet nicht mehr statt; zahlt die Partei nicht gutwillig, so muß der Anwalt im ordentlichen Verfahren klagen, während für das Verfahren bei Erstattung der Kosten seitens des Gegners §§ 98, 99 der CPO. maßgebend sind. — Wird die gemein­ schaftliche Erledigung eines Auftrags mehreren Rechtsanwälten übertragen, so steht jedem die volle Vergütung zu (§ 2), umgekehrt haftet von mehreren Auftraggebern jeder dem Rechtsanwalt für denjenigen Betrag, welcher bei gesonderter Ausführung seines Auftrags erwachsen sein würde (§§ 3, 51, 62, 72). — Von einzelnen Be­ stimmungen ist noch zu erwähnen, daß dem Rechtsanwalt in eigenen Angelegenheiten die gleiche Gebühr, wie in fremden, zusteht (§ 7), daß die Thätigkeit als Beistand ebenso wie die Vertretung vergütet wird (§ 4), die Anfertigung eines Schriftsatzes wie die Unterzeichnung (§ 5), und daß die niedrigste Gebühr eine Mark beträgt (§ 8). Entsprechende Anwendung soll die R.Geb.O. finden (§ 91): im schieds­ richterlichen Verfahren (CPO. §§ 851—872), im Verfahren wegen Nichtigkeits­ erklärung oder Zurücknahme eines Patents (Reichspatentgesetz vom 25. Mai 1877 § 27 ff. u. Verordn, vom 1. Mai 1878), im Disziplinarverfahren gegen Reichs­ beamte (Reichsbeamtengeseh vom 31. März 1873 § 101 ff.), im ehrengerichtlichen Verfahren gegen Rechtsanwälte (Rechtsanwaltordn. § 66) und bei der Untersuchung von Seeunfällen (Reichsgesetz vom 27. Juli 1877 §§ 20, 30). Lit.: Außer den Kommentaren von Meyer, Kayser (die gesammten Reichsjustizgesetze rc., 2. Aust. 1880, S. 415 ff.) besonders: Die Motive zum Entwurf einer Geb.Ordn. für Rechts­ anwälte nebst Anlagen (Drucks, d. Reichst. 4. Legislaturper. II. Sess. 1879 Nr. 6), worin auch in erschöpfender Weise das geschichtliche Material und die auswärtigen Gesetzgebungen behandelt sind. Kayser.

Gefahr (handelsrechtlich). Jrn H.R. wie im Obligationenrecht versteht man unter G. die mögliche schädliche Folge des Zufalls (vgl. d. Art. Casus); in einem besonderen Sinne wird der Ausdruck G. im Verzüge gebraucht, wenn es sich um bestimmte Ausnahmen von allgemeinen Rechtsvorschriften handelt. Die Lehre von der G., namentlich vom Uebergange derselben bei Verträgen in Folge Zufalls ist im HGB. weder für alle Fälle, noch auch für den Kauf durch­ gängig geregelt. Subsidiär hat daher das Bürgerliche Recht zur Anwendung zu gelangen; dasselbe geht aber, wie unten zu erörtern sein wird, in einem speziellen Falle dem H.R. vor; andererseits gelten die Bestimmungen des HGB. für beide

Gefahr.

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Kontrahenten, auch wenn das betreffende Rechtsgeschäft nur auf Seiten eines der­ selben ein Handelsgeschäft ist. Im Einzelnen existiren folgende besondere Vorschriften hinsichtlich der ®.: Geldzahlungen hat der Schuldner auf seine G. dem Gläubiger nach dem Erfüllungsorte zu übermachen. Hierbei handelt es sich nur um Zahlungen, die zur Erfüllung eines Geschäftes geleistet werden; ausgenommen ist die Auszahlung indoffabler oder auf Inhaber lautender Papiere, bei welchen der dem Schuldner mög­ licherweise unbekannte Gläubiger die Zahlung abzuholen hat. Der Erfüllungsort, von welchem der kritische Zeitpunkt der Erfüllung abhängt, bestimmt sich durch den Vertrag, die Natur des Geschäftes, die Absicht der Kontrahenten, eventuell durch den Ort der Handelsniederlasiung oder den Wohnort des Gläubigers zur Zeit der Entstehung der Forderung, und es ist hierunter nach dem Sprachgebrauch des HGB. nicht nur die Stadt, sondern auch das Geschäftslokal, bezw. die Wohnung des Gläubigers zu verstehen. Gleiches gilt für Zahlungen nach Preuß. LR. und dem Sächs. BGB.; das Gemeine Recht enthält keine besondere Bestimmung; nach Franz. Recht ist am Wohnsitz des Schuldners zu leisten. Beim Kaufe trägt nach Uebergabe der Waare an den Spediteur, Fracht­ führer oder die sonst zum Transport bestimmte Person der Käufer die G., d. h. er muß die Gegenleistung voll gewähren, mag die Kaufsache untergegangen oder nur verschlechtert sein. Der Zeitpunkt des Uebergangs der G. ist nicht der der Eigenthumsübertragung, mit welchem er allerdings zusammenfallen kann. Jene Vorschrift bezieht sich nicht aus Platzgeschäfte, rücksichtlich welcher also auf das Bürgerliche Recht zurückzugehen ist, sondern nur auf Distanzgeschäfte; bei letzteren ist übrigens der Transportvertrag selbstverständlich (Entsch. d. ROHG. Bd. XIX. S. 246). Hat der Käufer den Transportunternehmer nicht gewählt, so gilt der Käufer hierzu beauftragt; er hat dabei die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns anzuwenden und Vernachlässigung derselben verpflichtet ihn deshalb zu Erstattung des wirklichen Schadens, sowie des entgangenen Gewinnes. Trotz der Absendung wird der Ver­ käufer von der ihm obliegenden Vertretungspflicht in zwei Fällen nicht frei. Er trägt die G., wenn er ohne dringende Veranlasiung von der besonderm Anweisung über die Art der Uebersendung abgewichen ist; er ist solchenfalls jedoch nur für dm aus der Abweichung entstandenen Schaden verantwortlich, nicht also z. B. bei Untergang des von ihm mit der Waare beftachteten und des ihm hierzu bezeichneten Schiffes, übrigms auch nur dann, wenn zur Ordrewidrigkeit keine dringmde Ver­ anlassung, z. B. Sperrung des vorgeschriebenen Transportweges, vorlag. Die volle G. trifft ihn, wenn für ihn gemäß dem Vertrage der Bestimmungsort auch Er­ füllungsort sein sollte, denn diesfalls gehört die Ankunft der Waare daselbst zu seinen Verbindlichkeiten als Verkäufer. Die Uebernahme der Transportkosten seiner­ seits ist ohne Einfluß aus die Feststellung des Erfüllungsortes. Das HGB. schließt das Bürgerliche Recht nicht aus, sofern nach letzterem die G. schon seit einem früheren Zeitpunkte von dem Käufer getragm wird. Die Verschiedenheit der Partikularrechte in dieser Lehre ist hiernach bestehen geblieben. Im Gebiete des Preuß. LR. z. B., nach welchem die K. erst mit der Eigenthums­ übertragung übergeht, gelangt das HGB. zur Anwendung; das Gemeine Recht da­ gegen, welches die G. beim Spezieskauf schon mit dem Vertragsabschluffe übergehen läßt, ist hierdurch unberührt geblieben; auch die gemeinrechtliche Streitfrage, ob beim Genuskaufe die bloße Ausscheidung, eine Ausscheidung mit Anzeige des Ver­ käufers, mit Genehmigung oder Wissen des Käufers, oder erst Lieferung u. s. w. maßgebend sei, ist noch von praktischer Bedeutung, da festzustellen ist, ob nach der für richtig anerkannten Theorie ein früherer G.übergang als nach dem HGB. eintritt. In denjenigen Fällen, in denen der Verkäufer die G. nicht trägt, die Waare aber noch nicht vom Käufer empfangen ist, hat ersterer die Waare mit der Sorgfalt

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Gefahr.

eines ordentlichen Kaufmannes auszubewahren. Verzug des Käufers giebt ihm das Recht, sich auch hiervon zu befreien. Kommissionäre und Spediteure hasten nicht für Zufall hinsichtlich des ihnen anvertrauten Gutes; sie haben nur die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmannes anzuwenden und deren Prästation darzuthun. Dem Spediteur steht bei gegen ihn erhobenen Klagen oder Einreden wegen Verlustes, Verminderung, Beschädigung, ver­ späteter Ablieferung des Gutes eine nur einjährige Verjährungszeit zur Seite. Der Frachtführer haftet für Verlust und Beschädigung des Gutes von der Empfangnahme bis zur Ablieferung, also auch für Zufall; er wird nur dann frei, wenn er beweist, daß der Schaden durch „höhere Gewalt" (vis major), die natür­ liche Beschaffenheit des Gutes oder äußerlich nicht erkennbare Mängel der Verpackung entstanden ist und er haftet bei Kostbarkeiten, Wertpapieren und Geldern nur im Falle der Deklaration. Jeder folgende Frachtführer übernimmt mit Gut und Fracht­ brief die gleiche Haftung auch für seinen Vormann. Die Höhe des Schadens be­ rechnet sich in der Regel nach dem gemeinen Handelswerth. Eisenbahnen können die ihnen als Frachtführer gesetzlich obliegende Haftung an sich nicht ausschließen, es ist ihnen jedoch nach dem HGB. die G. vertrags­ mäßig in einzelnen Fällen abzulehnen erlaubt, und diese Beschränkungen sind durch das Betriebsreglement für die Eisenbahnen Deutschlands genau fixirt worden. Danach haften die Eisenbahnen nicht für die G., welche verbunden ist: mit dem Transport in unbedeckten Wagen, mit' dem Mangel der Verpackung oder deren mangelhafter Beschaffenheit, mit dem vom Absender übernommenen Auf- und Ab­ laden; sie haften ferner nicht für die besondere Gefahr, die mit der eigenthümlichen natürlichen Beschaffenheit des Gutes oder mit dem Transport lebender Thiere zu­ sammenhängt und endlich auch nicht für die G., deren Abwendung durch Begleitung bezweckt wird. Den Eisenbahnen steht die gesetzliche Vermuthung zur Seite, daß ein eingetretener Schaden, wenn er aus der abgelehnten G. entstehen konnte, wirklich aus derselben entstanden ist, sie dürfen sich aber auf die Befreiungen beim Nachweis einer Verschuldung ihrerseits nicht berufen. Der Schaden ist nach dem gemeinen Handelswerth zu berechnen. Auf Grund des HGB. ist aber durch das Betriebs­ reglement ein Normalsatz von 60 Mark für 50 Kilogramm als Maximum des Schadens eingeführt worden, über welchen hinaus die Eisenbahn nur bei besonderer Deklaration im Frachtbrief hastet. Nur im Falle böslicher Handlungsweise kann die Eisenbahn diese Privilegien in Betreff der Schadenhöhe nicht in Anspruch nehmen. Für die Haftung wegen verspäteter Lieferung, die Lieferungsfristen und die Höhe des Schadens enthält das HGB. und das erwähnte Reglement spezielle Be­ stimmungen. Gewährt der Kommissionär ohne Einwilligung des Kommittenten einem Dritten Vorschüsse oder ertheilt er unbefugter Weise Kredit, so thut er dies auf eigene G. Zur Kreditirung des Kaufpreises ist er an sich nicht berechtigt, außer wo dies der Handelsgebrauch am Orte des Geschäftes mit sich bringt. Bei unbefugter Kreditertheilung besteht die Haftung in der Verpflichtung, sofort als Schuldner des Kaufpreises Zahlung zu leisten. Wäre beim Baarverkauf der Preis ein geringerer gewesen, so muß der Kommissionär diesen Preis, und wenn derselbe niedriger als das Limitum gewesen wäre, auch noch die Differenz zwischen dem Erlös und dem Limitum ersetzen. Die Haftung fällt bei dem Nachweise, daß der Verkauf zu dem gesetzten Preise unmöglich gewesen ist und die Vornahme desselben Schaden von dem Kom­ mittenten abgewendet hat, hinweg. In vielen Fällen verlangt das HGB. eine Anzeige oder Androhung des einen Kontrahenten an den anderen, mit der Maßgabe, daß deren Unterlassung für den daraus entstehenden Schaden verantwortlich mache. In allen diesen Fällen ge­ nügt der Verpflichtete der Form schon durch Absendung der Nachricht; die mit Ver­ lust des Briefes, Telegramms entstehende G. trifft den Adressaten, wenn dem

GefShrdeeid.

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Absender bei der Wahl keine Schuld zur Last zu legen ist. Dies gilt: bei der Be­ willigung und Vollziehung des besonderen kausmännischen Pfandverkauss, beim Ver­ kauf der Waare wegen Abnahme- oder Zahlungsverzugs des Käufers, bei dem Verkauf nicht vertragsmäßiger oder gesetzmäßiger Waare, die dem Verderben ausgesetzt ist, seitens des Käufers, bei geschehenem Verkauf durch den Verkäufer im Falle des Fixgeschäfts wegen Verzugs des Käufers, beim Verkauf der Entwerthung ausgesetzten oder in äußerlich beschädigtem Zustande eingegangenen Gutes seitens des Kom­ missionärs oder Spediteurs; endlich hat der Käufer bei Beanstandung von auswärts her ihm zugesendeter Waare nur die Mängelanzeige aufzugeben; die außerdem an­ zunehmende Billigung derselben wird dadurch ausgeschlossen, mag die Anzeige bei dem Verkäufer eintreffen oder nicht. Der Beweis der richtigen Aufgabe ist natürlich von dem Absender zu erbringen. Von „Gefahr im Verzüge" mit der Wirkung, daß von bestehenden Präceptivbestimmungen Ausnahmen eintreten, spricht das HGB. in nachstehenden Fällen: Bei G. im Verzüge kann auch Einer von mehreren Gesellschaftern, die eigentlich nur gemeinschaftlich handeln könnten, Geschäfte vornehmen, ist auch ein einzelner ge­ schäftsführender oder überhaupt ein einzelner Gesellschafter zur Bestellung eines Pro­ kuristen berechtigt, darf die dem Verderben ausgesetzte Waare und zwar vom Ver­ käufer bei Annahmeverweigerung oder Zahlungsverzug des Käufers, von Letzterem bei Beanstandung der Qualität verkauft werden, und endlich dürfen Spediteure und Kommissionäre sowol bei Ablieferung in äußerlich erkennbar beschädigtem oder mangel­ haftem Zustand, als auch beim Eintritt von Veränderungen, die eine Entwerthung befürchten lassen, das Gut in der in Art. 343 vorgeschriebenen Weise verkaufen. Das Vorhandensein dieser Voraussetzungen ist Sache des einzelnen Falles. Gsgb. u. Bit.: HGB. Art. 1, 277, 324, 325, 345, 347 ff., 357, 363 ff., 386, 395 ff., 423 ff. — Betriebsreglement für die Eisenbahnen Deutschlands v. 11. Mai 1874 (Centralbl. für das Deutsche Reich, II. Jahrg. Nr. 21). — Die Kommentare zum HGB. von Mako wer, v. Hahn, Anschütz und v. Völderndorff. — Thöl, H.R., 6. Aufl. 1879, Bd. I. S. 845. - Windfchetd, Pand., §§ 264, 389 ff. — Preuß. LR. Th. I. Tit. 5 §§ 364 ff., Th. I. Tit. 11 S§ 95 u. 100. — Code civil, art. 1138, 1148, 1624. — Sächs. BGB. §§ 126, 866 ff., 1091. Seelrg.

Gefährdeeid ist die auf den Eid gestellte Versicherung einer Partei, daß sie ihrer Angriffs- oder Vertheidigungsmittel im Prozeß nicht chikanös („non calumniae causa“ : jur. calumniae, „nicht aus Gefährde" : G.E.), sondern in gutem Glauben sich bedienen wolle. Im G. findet der Eid eine selbständige Anwendung im Prozeß neben den Be­ weiseiden (s. d. Art. Eid), von welchen der G. sich dadurch unterscheidet, daß sein Eidesthema stets nur auf den animus des Schwörenden, nicht auf die objektive Wahrheit relevanter Streitpunkte sich bezieht, daher auch seine Leistung keinen un­ mittelbaren Einfluß auf die Sache übt, vielmehr lediglich die Zulassung derjenigen prozessualen Thätigkeit bedingt, auf welche er sich bezieht. Jedoch äußert der G. die Wirkung eines Beweiseides allerdings in seiner Funktion als Mittel der Glaub­ haftmachung (s. diesen Art.) Tie Kalumnieneide haben im Röm. R. eine weitgehende Anwendung gefunden. Schon in der lex Galliae Cisalpinae finden sie sich erwähnt (Bruns, fontes, p. 87); im Corpus Juris begegnen sie in vielfachem Gebrauch (Goldschmidt, S. 31 ff.); und den generellen Kalumnieneid hat Justinian sogar zu einem essentiale processus erhoben (1. 2 C. h. t.) Das Kanonische R. gesellte den römisch-rechtlichen Anwen­ dungsfällen noch einige weitere hinzu und erweiterte die Formel des j. c. zu der Gestalt, wie sie die Glosse ad c. 1 X. h. t. uns in Versen aufbewahrt hat (Gold­ schmidt, S. 38, N. 4). Aus den fremden Rechten ging das j. c. in wörtlicher Uebersetzung der Formel in die Deutschen Reichsgesetze über. Es hat jedoch Zimmermann nachge-

v. Holtzendorff, Enc. II. Rechtslexikon II. 3. Aufl.

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Gefährliche

wiesen, daß die Kalumnieneide auch schon vor der Reception der fremden Rechte im Deutschen Gerichtsverfahren ihre Stätte hatten, wo sie im engsten Zusammenhang mit dem Germanischen Reinigungseid und den Gottesurtheilen standen (S. 105, R. 9; S. 108; S. 163; S. 191; S. 193 ff.). Der G. ist ein genereller oder spezieller, je nachdem er fich auf den ganzen Prozeß, oder nur auf einzelne Prozeßhandlungen bezieht. Den letzteren nennt das Kanonische R. auch jur. malitiae. Der generelle G. mußte nicht nur am Beginn des Prozeffes in erster Instanz geschworen, sondern auch in den Rechtsmittelinstauzen wiederholt werden: jur. appellatorium und revisorium (Wetzell, S. 313; s. aber auch Renaud, § 55, R. 1 i. f.) Der spezielle G. aber tonnte entweder wegen der leichten Mißbräuchlichkeit der betreffenden Prozeßhandlung in gesetzlich bestimmten Fällen ohne Weiteres, in sonstigen Fällen beim Vorliegen gegründeten Verdachtes der Gefährde vom Richter gefordert werden. Eine besondere Anwendung des spe­ ziellen G. war das jur. dandorum und das jur. respondendorum (vgl. insbesondere Zimmermann, § 25). Als man ernstlich daran ging, alle überflüssigen Eide im Prozeß zu beseitigen, mußten die G. unter den ersten sein, die aus dem Prozeß verschwanden. Denn wie sie für die ehrliche Partei eine unnütze Gewiffensbeschwerung enthalten, so verfehlen sie gegenüber einer wirklich chikanösen doch ihren Zweck. So kam zunächst der generelle G., seitdem J.R.A. § 43 seine Abforderung in das liberum arbitrium judicis verstellt hatte, praktisch außer Gebrauch, während die speziellen G. mehr und mehr in den Gesetzbüchern ausdrücklich abgeschafft wurden (Renaud, 8 55 R. 11). In den neuesten auf das Prinzip der Mündlichkeit und Oeffentlichkeit gebauten Prozeßordnungen machte schon dies, sowie die freiere Stellung des Richters solch fragwürdige Maßnahmen gegen chikanöses Prozesfiren entbehrlich. Weder der generelle noch der spezielle G. finden sich mehr in der Deutschen CPO. Doch ist die Anwendung des letzteren als Mittel der Glaubhaftmachung stehen geblieben (8 266, 8 351 Abs. 2; vgl. auch Oesterr. E. von 1876 8 421); übrigens auch hier nicht ohne Ausnahme (8 44 Abs. 2, 8 371 Abs. 3).

Quellen: tt C. 2, 59; X. 2, 7; in VI. 2, 4. — K.G.O. v. 1507 I. 8 5; v. 1555 I. 65—68; DI. 13 §§ 2 u. 3. — R. D. A. v. 1600 § 145. — Konc. v. 1613 I. 87; HI. 15 8 1. — I. R. 91. § 43. - Allgem. Preutz. G.O. I 22 §§ 37-45. Lit.: Goldschmidt, Abhandlungen, IV. S. 31—50. — Strivpelmann, Gerichtseid, II. S. 278 ff. — Zimmermann, Glaubenseid, §§ 12, 17, 24—29. — Wehell, System, § 30 sub. II. 1. — Renaud, Lehrb., § 55. Birkmeyer.

Gefährliche Anlage«. Einer besonderm gesetzgeberischen Behandlung bedarf, auch bei prinzipieller Gewerbefreiheit, die Anlage solcher gewerblicher Etablissements, welche durch die örtliche Lage oder die Beschaffenheit der Betriebsstätte für die Be­ sitzer ober die Bewohner der benachbarten Grundstücke oder für das Publikum über­ haupt erhebliche Nachtheile, Gefahren oder Belästigungen Herdeiführen können. Zu solchen Anlagen ist auch nach der Reichsgewerbeordn., die sich wiederum an die frühere Preußische Gewerbeordn. eng anschließt, übrigens nur Normativbestimmungen aufstellt und die Durchführung derselben im Einzelnen den Landesgesetzgebungen überläßt, eine besondere Genehmigung erforderlich. Die dahin gehörigen Anlagen sind in 8 16 der Reichsgewerbeordn. einzeln aufgeführt, dieses Verzeichniß kann nach Maßgabe der veränderten Verhältniffe jederzeit durch den Bundesrath abgeändert werden, vorbehaltlich der Genehmigung des nächstfolgenden Reichstages; in bei That find schon mehrfache Zusätze, für die sich ein Bedürfniß herausgestellt hat, erfolgt. 1) Die Entscheidung liegt in Preußen für die erste Instanz in den Nicht-Kreis­ ordnungsprovinzen bei den Regierungen, in den Kreisordnungsprovinzen in der Regel

Gefährliche toltfitn.

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bei den Kreis- (Stadt-) AuSfchüffm, resp, bei den Magistraten in den Kreisstädten über 10000 Einwohner, und nur ganz ausnahmsweise in Bezug auf ganz besonders ge­ fährliche Anlagen bei den BezirkSräthen. (Stegen diese erstinstanzliche Entscheidung geht in allen Fällen der Rekurs an den Handelsminister. 2) Hinsichtlich des Verfahrens ist zu unterscheiden daS Borverfahrm und daS Hauptverfahrm. Zum Vorverfahren gehört die Stellung des Antrags und die Prü­ fung der Vollständigkeit der zur Erläuterung desselben erforderlichen Anlagen (Zeichnungen und Beschreibungen), sodann die Bekanntmachung des Unternehmens mit der Aufforderung zu Einwendungen gegen daffelbe binnen Frist, endlich die Erörterung der schriftlich oder mündlich erhobenen Anwendungen zwischen dem Un­ ternehmer und dm Mdersprechendm in förmlichen Terminm, mit der Bedeutung, daß nach Abschluß der Erörterung neue thatsächliche Behauptungen zur Rechtferti­ gung oder Widerlegung der Einwendungen nicht mehr zugelaffen werdm könnm, woran sich noch eine Beweiserhebung anschließt. Kompetent für dies Vorverfahren sind in den vor die Regierungen, vor die Kreisausschüffe und vor die Bezirksräthe gehörigm Fällen die Landrathsämter, in den vor die Stadtausschüsse und Magistrate gehörigen Fällen diese letzteren Behördm selbst, so daß also im letzteren Falle eine Identität der für das Borverfahrm und für das Hauptverfahrm kompetentm Organe stattfindet. Hinsichtlich des Hauptverfahrms selbst (resp. Schlußverhandlung) ist zu unterscheiden. Wenn Einwendungen gegen die Anlage nicht erhoben find, so erfolgt die

Beschlußfassung ohne vorhergegangene mündliche Verhandlung; jedoch find wieder zwei Fälle zu unterscheiden; wird die Genehmigung nach dem Anträge deS Untemehmers ohne Bedingungen oder Einschränkungen ertheilt, so bedarf es eines besondern Bescheides nicht, fondem die Behörde fertigt alsbald die Gmehmigungsurkunde aus; wird da­ gegen die Genehmigung versagt, oder nur unter Bedingungen oder Einschränkungen ertheilt, so ertheilt die Beschlußbehörde zunächst einen schriftlichen Bescheid an den Untemehmer, auf Grund dessen dann entweder der Rekurs eingelegt oder auf münd­ liche Verhandlung angetragen werden kann. Wenn aber Einwendungen erhoben sind, so ist stets ohne Weiteres das mündliche Verfahren einzuleiten, unter förmlicher Ladung der Parteien zur kontradiktorischen Verhandlung unter Zuziehung von Bei­ ständen, auf Grund deren eine schriftliche mit Gründen versehme Entscheidung zu erfolgen hat. Der etwaige Rekurs ist stets bei der Behörde, gegen deren Beschluß er gerichtet ist, einzulegen, ohne neue Einwendungen oder neue thatsächliche An­ führungen, und wird von der Befchlußbehörde mit deren gutachtlicher Aeußerung dem Handelsminister eingereicht. 3) Einwendungen, die auf besonderen privatrechtlichen Titeln beruhen, sind zur richterlichen Entscheidung zu verweisen, ohne daß von der Erledigung dieser Ein­ wendungen die Genehmigung der Anlage abhängig gemacht wird. Eine Privatklage, sofem solche überhaupt statthaft ist, zur Abwehr benachtheiligender Einrichtungen, kann niemals am Einstellung des Gewerbebetriebes gerichtet sein, nachdem die An­ lage mit obrigkeitlicher Genehmigung errichtet ist, sondern nur auf Herstellung von Einrichtungen, welche die benachteiligenden Wirkungen ausschließen, bzw. am Schadloshaltung. 4) Auf Grund landesgesehlicher Vorschrift kann durch Ortsftatuten Bestimmung darüber getroffen werden, daß einzelne Ortstheile vorzugsweise, andere dagegen mtweder gar nicht, oder nur unter bestimmten Beschränkungen zu geschäftlichen Anlagen benutzt werdm dürfen. 5) Die Errichtung solcher Anlagen, deren Betrieb mit ungewöhnlichem Ge­ räusch verbundm ist, muß, sofem sie-nicht schon zu den in § 16 aufgeführtm ge­ hören, der Ortspolizeibehörde angezeigt werden, und diese hat dann, wenn in der Nähe der Betriebsstätte Kirchen, Schulen, Krankenhäuser und andere öffentliche Ge­ bäude vorhanden find, deren bestimmungsmäßige Benutzung dadurch erheblich gestört werdm würde, die Entscheidung der Regiemng darüber einzuholen, ob die Ausübung

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Seftmßerchesrebmß.

deS Gewerbes an der fraglichm Stelle zu untersagen oder nur unter Bedingungen zu gestatten sei. 6) Wegen überwiegender Nachtheile für daS Gemeinwohl kann die fernere Be­ nutzung jeder gewerblichen Anlage durch die Regierung jederzeit untersagt werden, doch muß dann dem Besitzer für dm erweislichm Schadm Ersatz geleistet werden. Wegm der Höhe dieser Entschädigung steht der Rechtsweg offen.

Lit.: Vgl. d. Lit. über b. Gewerbeordnung. — Nachweisungen über b. Franz. Literatur hinsichtlich der Etablissements dangereux, insalubres et incommodes bei Roberto. Mohl, Geschichte u. Literatur b. Staatswissenschasten, Bd. III. (1858) S. 279 ff. — Ueber England Gneist, Selfgovernment (3. Aust. 1871), S. 798 ff. — Dgl. außerdem v. Stein, Handb. b. Derwaltungslehre. 1870 S. 349 ff. Ernst Meier.

Gefa»ge«befreiung. Für das Delikt der G. ist zu unterscheiden, ob es sich um Selbstbefreiung der Gefangenm, oder ob eL sich um die Befreiung von Gefangenm durch dritte Personm handelt. 1) Die Selbstbefreiung der Gefangenen ist für diejmigen Personen, welche dem bürgerl. StrafGB. unterworfen find, der Regel nach straflos. Doch ist zu bemerken, daß, während sonst die Begünstigung einer straflosen Handlung selbst straflos ist, die Begünstigung der Selbstbefteiung eines Gefangmen mit der gleichen Strafe, wie die vorsätzliche Befreiung eines Gefangenen bedroht ist. Strafbar wird die Selbstbefreiung der Gefangenen alsdann, wenn die Gefangenen sich zusammen­ rotten und mit vereinten Kräften einen Ausbruch untemehmen. In diesem Falle tritt die Strafe ein, welche das Gesetz für die Meuterei der Gefangenen ange­ droht hat, d. h. Gefängniß von 6 Monaten bis zu 5 Jahren und, falls die Ge­ fangenen Gewalt gegen die Anstaltsbeamten oder die mit der Beaufsichtigung Be­ auftragten verüben, Zuchthaus von 1 bis zu 10 Jahren, woneben auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht erkannt werden kann. Für diejenigen Personen, welche dem Mil.StrafGB. unterworfen sind, wird die Selbstbefteiung von Gefangenen in allen Fällen bestraft (Mil.StrafGB. §§ 79, 80). 2) Die Befreiung eines Gefangenen durch dritte Personen kann begangen wer­ den: a) Durch eine Privatperson, welche in keiner Weise die Verpflichtung hat, den Gefangenen zu bewachen. Der Zweck der Handlung, deren Versuch auch für strafbar erklärt ist, geht darauf, den Gefangenen aus der Gefangenschaft oder aus der Ge­ walt derjenigen Personen zu befteien, welche ihn zu bewachen verpflichtet sind. Die Strafe ist Gefängniß von 1 Tag bis zu 3 Jahren; doch wird es bei dieser Strafe nur dann bewenden, wenn die G. in ein anderes Verbrechen (Widerstand gegen die Amtsgewalt, Aufruhr rc.) nicht übergeht. Wäre dies der Fall, so würde die Strafe dieser zuletzt angedeuteten Delikte, falls dieselbe eine schwerere als die für G. an­ gedrohte wäre, eintreten, b) Durch Privatpersonen, denen die Beauffichtigung oder Begleitung eines Gefangenen anvertraut ist. Geschah die G., welcher die Beför­ derung der Befteiung des Gefangenen gleichgestellt ist, vorsätzlich, so tritt Gefängniß von 1 Tage bis zu 3 Jahren ein; wurde dagegen die Entweichung durch Fahr­ lässigkeit befördert, so ist die Strafe Gefängniß von 1 Tag bis zu 3 Monaten oder Geldstrafe bis zu 300 Mark, c) Durch Beamte, deren Amtspflicht es ist, die Gefangenen zu bewachen. Die vorsätzliche, wie die fahrlässige Begehung des Delikts wird bestraft; erstere mit Zuchthaus von 1 bis zu 5 Jahren und im Falle mildemder Umstände mit Gefängniß von 3 Monaten bis zu 5 Jahren, letztere mit Gefängnißstrafe von 1 Tag bis zu 6 Monaten oder mit Geldstrafe von 3 bis zu 600 Mark. Unter Gefangenen sind, fowol in Bezug auf die Selbstbefteiung der Gefangenen, wie auch in Bezug auf die G. durch dritte Personen, alle Dieje­ nigen zu verstehen, welchen kraft kompetenter obrigkeitlicher Autorität die Freiheit, wenn auch nur vorübergehend entzogen ist. Es gehören demnach zu den Gefangenen fowol die Strafgefangenen, wie auch die Untersuchungsgesangenen; sowol die kraft richterlichen Befehls Verhafteten, wie auch die von Polizei- oder Wachtmannschaften

flkMegteNItiiM-

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vorläufig ergriffenen. Dagegm würden Diejenigen, welche von einer Privatperson vorläufig ergriffen wurden, zu den „Gefangenen" nicht zu rechnm sein. Auch darf man es als selbstverständlich ansehm, daß von G. nur da die Rede sein kann, wo die Freiheitsentziehung aus strafrechtlichen, strafprozeffualifchen oder polizeilichen Gründm stattgeftmdm hat. Ein Geisteskanker, der seiner Krankheit toegen Frei­ heitsbeschränkungen unterworfen wurde, ist kein „Gefangener" und kann an ihm daS Delikt der G. ebensowenig begangm »erben, wie etwa an einem Mönche ic. Wer die Flucht Jemandes befördert, der toegen eines begangenen Verbrechens erst ver­ haftet toerben soll, macht sich der Begünstigung deSjenigm Verbrechens schuldig, wegen deffen die Verhaftung deS Schuldigen erfolgen sollte. Ssgb.: «Straf®®. §§ 120-122, 347. - MilStrafSB. §§ 79, 80, 103-105, 144. Bit.: Feuerbach, §§ 194 ff. — Wächter, IL 6. 227. — Berner, S. 361. — Schütze, S. 269.—Abegg im Arch. b. Kriminale., 1834 S. 488 ff. —v. Schwarze in b. Jahrbd. f. SLchs. Straf«., IV. S. 415 ff. — Fischer in v. HoltzeuborsfS Allg. Deutschen StrafR.Ztg. von 1869 S. 621. — John in v. Holtzenborff'S Hanob. b. Teutschen Straf«., Bb. III. E. 142 ff.: Bb. IV. E. 171 «ote 2. — v. Schwarze u. Oppenhoff, Komm, zu §8 122 ff. — Speziell: Ueber b. Unterscheidung zwischen Meuterei u. Aufruhr: John a. a. O., Bb. HI. S. 143 ff. — Ueber das „Lusammenrotten" u. b. „Meuterei" von nur zwei Gefangenen •. äohn a. a. O., Bb. III. S. 145 ff.—Erk. b. Preuß. OTrib. v. 15. Dez. 1870 (Goltdammer's rch., Bb. XIX. S. 198: Präs. b. II. Abth. d.Sen. s. Straff, v. 21. Sept. 1854 (®oltbammer’8 Arch. II. S. 829). — Vgl. tsoltbammer'S Arch. HL S. 413 ff., sowie b. Art. Meuterei in biesem Werke. John.

Gefa«ge«haltmtg. Die widerrechlliche G., d. h. die widerrechtliche Frei­ heitsberaubung mittels Einsperrens in einem genügend umschloffenen Raum ist nur eine Art der in dm neueren StrafGB. mit Strafe bedrohtm widerrechtlichm Frei­ heitsberaubung. Da jede Person daS Recht der Selbstbestimmung hinsichtlich der Wahl ihres Aufenthaltes hat, so ist die widerrechtliche Freiheitsberaubung auch alsdann vorhanden, wmn Jemand wider seinm Willen an einm Ort gebmcht wird, der ihm nicht genehm ist. In dieser Weise find die Worte deS Dmtschm Straf­ GB. § 239 aufzufassen: „Wer vorsätzlich und widerrechtlich einm Menschen ein­ sperrt , oder auf andere Weise deS Gebrauches der persönlichen Freiheit beraubt." Indifferent ist es für den Begriff des Verbrechens, wie lange die Freiheitsmtziehung gedauert hat, und ob und welche Nachtheile dieselbe etwa für die Gesundheit des der Freiheit Beraubten gehabt hat. Wol aber kommm diese Umstände für die Größe der Strafbarkeit in Betracht und zwar derartig, daß das sonst mit Ge­ fängniß bedrohte Delikt dann mit Zuchthaus bis zu 10 Jahren bestraft wird, wenn die Freiheitsentziehung länger als eine Woche gedauert hat, oder wmn eine schwere Körperverletzung des der Freiheit Beraubten entstauben ist, mag dieselbe nun durch die Freiheitsentziehung selbst, oder durch die währmd derselbm wider­ fahrene Behandlung verursacht wordm sein. Bei mildemdm Umständm ist in diesen Fällm die Strafe Gefängniß nicht unter einem Monate. Wurde der Tod des der Freiheit Beraubten durch die Freiheitsentziehung oder die ihm während derselben widerfahrme Behandlung verursacht, so ist die Strafe Zuchthaus nicht unter 3 Jahrm, oder bei Annahme mildernder Umstände Gefängniß nicht unter 3 Monaten. Widerrechtlich ist die Freiheitsmtziehung in allen Fällm, in denen ein bestimmtes Recht oder eine Pflicht, dieselbe vorzunehmen, fehlt. Berechtigt ist die Freiheitsentziehung, wo fie in Folge einer Amtspflicht, als Nothwehr, als Züchtigungsrecht, bei der vorläufigen Ergreifung eines Verbrechers, in Sorge für die Gesundheit eines Geisteskranken vorgenommen wird. Aber auch sonst wird einer Anklage wegen widerrechtlicher Freiheitsentziehung der Einwand mtgegengesetzt wer­ den können, daß dieselbe vorzunehmen der Angeklagte ein Recht gehabt habe. In denjenigen Fällen, in welchen sich die Freiheitsentziehung als Bestandtheil eines anderen Verbrechms darstellt, z. B. der Entführung, der Nothzucht, wird nicht die Freiheitsentziehung, sondem jenes andere Verbrechm zur Bestrafung kommen, falls

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Gesäu-MßKrbett.

nicht die Strafe für die Freiheitsentziehung die schwerere fein sollte. Wird die widerrechtliche Freiheitsentziehung von einem Beamten begangen, so liegt ein beson­ deres Amtsverbrechen vor (StrasGB. §§ 341, 358). Gsgb. u. Lit.: Deutsche- StrafGB. §§ 239, 341, 358. - Berner, Lehrb. (10. Aufl.), S. 517. — Schütze, Lehrb., S. 415. — Meyer, Lehrb., S. 415 ff., 702. — v. Holtzendorff's Handb., 111. S. 587 ff.; IV. S. 398 fr — Hälschner, System, IL S. 182. — John, Entw., S. 492 ff. — Goltdammer, Arch., VIII. S. 837 fr — v. Schwarze u. Oppenhoff, Komm, zu § 239. — Ueber die Rechtswidrigkeit bei der Freiheitsberaubung: Goltdammer, Arch., IX. S. 752 fr John.

Gefiirrgrrißarbeit. 1) Nach den hierher bezüglichen straftechtlichen Bestim­ mungen (§§ 15, 16 und 362 des RStrafGB.) find die Zuchthausgefangenen zu den in der Strafanstalt eingeführten Arbeiten anzuhalten, können auch zu Arbeiten außerhalb der Anstalt verwendet, müffen aber dabei von anderen freien Arbeitern ge­ trennt gehalten werden. Tie zu Gefängniß Berurtheilten können in einer Gefangen­ anstalt auf eine ihren Fähigkeiten und bürgerlichen Lebensverhältniflen angemessene Weise (außerhalb der Anstalt nur mit ihrer Zustimmung) beschäftigt werden; auf ihr Verlangen sind sie in dieser Weife zu beschäftigen. Die zu qualifizirter Haft Berurtheilten (§ 361, Ziff. 3—8 des RStrafGB.) können zu Arbeiten, welche ihren Fähigkeiten und Verhältniffen angemeffen sind, und, getrennt von freien Arbeitern, auch zu Arbeiten außerhalb der Strafanstalt angehalten werden. Ein Arbeitszwang besteht also für Zuchthaus, Gefängniß und qualifizirte Hast; für Festungshaft und einfache Haft dagegen besteht derselbe nicht (§§ 17, Abs. 4; 18, Abs. 2 des RStrafGB.) 2) Wie die Arbeit beschaffen sein soll, bestimmen die Reglements. Die hier einschlägigen Bestimmungen des Entwurfs eines Reichsstrafvollzugsgesetzes setzen Folgendes fest: „Die Sträflinge dürfen nicht in einer die Gesundheit gefährdenden Weise be­ schäftigt werden. Beschäftigung in Fabriken außerhalb der Anstalt und in Berg­ werken ist ausgeschloffen. Der Vorstand hat bei der Zuweisung der Sträflinge zu einem Arbeitszweige auf den Gesundheitszustand, die Kenntniffe und das künftige Fortkommen, bei der Beschäftigung der Gefängnißsträflinge außerdem auf den Bil­ dungsgrad, die Lebensgewöhnung und soweit möglich auch auf die Wünsche derselben Rücksicht zu nehmen. Die regelmäßige Arbeitszeit an Werktagen beträgt für Zuchthaussträflinge im Sommer 11, im Winter 10 Stunden, für Gesängnißsträflinge 10 resp. 9 Stunden. Den Sträflingen wird, soweit es die Art der Beschäftigung gestattet, em tägliches Arbeitsmaß nach der mittleren Tagesleistung eines gesunden Arbeiters unter Berück­ sichtigung der persönlichen Leistungsfähigkeit vom Vorstande bestimmt. Die Vollen­ dung des vorgeschriebenen Arbeitsmaßes befreit nicht von der Verpflichtung zum Fortarbeiten bis zum Schluffe der Arbeitszeit. Der Ertrag aus der Arbeit der Sträflinge fließt zur Staatskaffe. Den Sträf­ lingen wird für jedes an einem Tage vollendete Arbeitsmaß, sowie für die an einem Tage geleistete Mehrarbeit ein Theil des Verdienstes als Arbeitslohn gutgeschrieben. Der Antheil wird für die einzelnen Arbeitszweige vom Vorstande innerhalb der von der Auffichtsbehörde bestimmten Grenzen festgesetzt. Der Sträfling kann während der Strafverbüßung über die Hälfte des Gut­ habens mit Bewilligung des Vorstandes, über die andere Hälfte nur mit Geneh­ migung der Auffichtsbehörde verfügen. Er haftet mit dem Guthaben nur für An­ sprüche aus vorsätzlicher oder durch grobe Fahrlässigkeit verursachter Beschädigung der zur Anstalt gehörigen Gegenstände, der Werkzeuge und des Arbeitsstoffes; wegen anderer Ansprüche ist eine Pfändung des Guthabens nicht zulässig. Den zur Haft oder Festungshaft Berurtheilten ist jede Beschäftigung zu ge­ statten, welche mit dem Strafzwecke, der Sicherheit und der Ordnung vereinbar ist.

SesärrgrrtßLrveit.

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Der Ertrag der Arbeit gehört den Sträflingen vorbehaltlich eines Abzuges für den mit der Beschäftigung verbundenen Aufwand. Auf die nach Borfchrist des § 361 Nr. 3 bis 8 des RStrafGB. Verurtheilten finden die für die.Beschäftigung der Gesängnißsträflinge gegebenen Bestimmungen mit der Maßgabe Anwendung, daß die Beschäftigung derselben außerhalb der Anstalt auch ohne ihre Zustimmung und für die ganze Dauer der Strafzeit zuläffig ist." 3) Was die Art anbelangt, wie die Beschäftigung in den einzelnen Straf­ anstalten durchgeführt und geleitet werden soll, so ist in Deutschland das in Frank­ reich übliche System der sog. Generalentreprise nirgends in Anwendung als etwa noch in den Reichslanden. Dieses System besteht darin, daß ein Unter­ nehmer fich verpflichtet, sämmtliche Gefangene einer Strafanstalt gegen ein gewifies Entgelt für den Kopf und Tag nach einem festgesetzten Reglement in gesunden und kranken Tagen zu verpflegen, d. h. zu beköstigen, zu bekleiden, zu reinigen rc., alle dazu nöthigen Requifiten zu stellen, wogegen er das Recht erhält, die Gefangenen nach gewissen Vorschriften auf feine Rechnung zu beschäftigen. In Norddeutschland find die Arbeitskräfte der Gefangenen, soweit solche nicht für die Bedürfnisse des Hauses in Anspruch genommen werden, gewöhnlich an einen Unternehmer vergeben, der für Kopf und Tag einen bestimmten Preis zahlt. In den meisten Süddeutschen Strafanstalten wird der Arbeitsbetrieb in eigener Regie besorgt, d. h. die Verwaltung beschäftigt die Gefangenen auf eigene Rech­ nung und besorgt dann selbstverständlich den Einkauf der Rohstoffe und den Absatz der Fabrikate. Es leuchtet ein, daß diese Art des Geschäftsbetriebs äußerst schwierig, mühsam und verantwortungsvoll ist; fie hat aber auch den Vortheil, daß die Ver­ waltung über die einzelnen Geschäftszweige vollkommen freie Bestimmung und über die solche beauffichtigenden Bediensteten volle Gewalt hat. 4) Welches System das richtige fei, und wie hierbei und in der Wahl der einzelnen Arbeitszweige die freie Arbeit am wenigsten durch die Gefängnißarbeit ge­ schädigt werde, war von jeher eine bestrittene Frage. Es ist sicher nicht zweckmäßig, wenn eine allzugroße Zahl billiger Arbeitskräfte auf einen einzigen Zweig geworfen werde, wie dies bei der Entreprise vorkommt, und anderentherls scheint es wol am meisten unbedenklich, wenn, wie in Baden a) Gefängnißarbeit in eigener Regie betrieben, b) auf möglichst vielerlei Gewerbs­ zweige ausgedehnt, c) dabei Kundenarbeit thunlichst ausgeschlossen, d) ein möglichst weites Absatzgebiet gesucht, und e) der Preis der Erzeugnisse recht hoch gehalten wird. 5) Das Neueste und Interessanteste auf dem vorwürfigen Gebiete ist die Enquöte des Deutschen Handelstages, wenn fie fteilich das Problem auch nicht gelöst hat und die überall schwierige Frage nicht beantworten konnte, wie die kurzzeitigen Gefangenen zu beschäftigen sind. Die vom bleibenden Ausschuß des Deutschen Handelstages eingesetzte Kommission kam in ihrer Verhandlung zu dem Resultat, a) daß die Nothwendigkeit einer produktiven Beschäftigung von Gefangenen von keiner Seite bestritten sei; b) daß sich das System des eigenen Regiebetriebs empfehle; c) daß in erster Linie die Zwecke deS Strafvollzugs zu berücksichtigen und ein überwiegender Einfluß weder dem Erwerbs- noch dem fiskalischen Standpunkte zuzuerkennen sei; d) daß sich eine möglichste Vielgestaltigkeit der Betriebszweige in jeder einzelnen Anstalt empfehle; e) daß die Herausgabe periodischer, eingehender Veröffentlichungen über Art und Umfang der Beschäftigung von Gefangenen unter Anbahnung einheitlicher Grundlagen über die Prinzipien dieser Veröffentlichungen in den verschiedenen Bundesstaaten geboten sei. Lit.: Bauer, Gewerbsbetrieb in den Strafanstalten, Karlsruhe 1861. — v. Schwarze, Komment., 4. Aust., S. 59 ff. — Blätter für Gefängnißkunde, Heidelb, inSbes. Bd. IV. Extra­ heft; Bd. V. S. 161; Bd. VIII. S. 114. — Enquöte des Deutschen Handelstages über den Einfluß der Gefängnißarbeit auf den freien Gewerbebetrieb, Berlin 1878. — v. Holtzendorff, Handbuch des Deutschen StrafR., 4. (Supplement-) Band S. 182 ff. Ekert.

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«tffagntbWsWa - •efiagntfetleUMuifl.

0tfMgaijbil)i))Ut. Die Handhabung der Disziplin in den Deutschen Ge­ fängnissen steht den Vorständen (Direktoren), in den kleinen Gefängnissen den die Aufsicht führenden höheren Beamten (Richtern, Staatsanwälten ic.) zu (s. d. Art. Gefängnißverwaltung). Als Disziplinarmittel kommen vor: I. Aufmunterungen und Vergünstigungen für gutes Verhalten a) Belobung, b) Erlaubniß zum Empfang vermehrter Besuche und Briefe und zum öfteren Briefschreiben, c) Erlaubniß zum Halten eines Vogels oder von Blumen, d) Erlaubniß zu Hof- oder Gartenarbeiten, e) Arbeitsbelohnungen (s. d. Art. Gesängnißarbeit), f) besondere Arbeitsprämien, g) Schulpreise, h) Gestattung von Genußmitteln (s. d. Art. Gefängnißtost). II. Disziplinarstrafen. Als solche besteht in dm Deutschm Ländern noch eine große Mannigfaltigkeit wie Verweis, Entziehung von Vergünstigungm, Entziehung der Arbeit, des Arbeitsverdimstes, der Bewegung im Freim, der Dispofitionsbefugniß über das Guthaben, Kostschmälerung in Dielen Abstufungen, einsame Einsperrung, Arrest, Dunkelarrest, Entziehung des Bettlagers, Fastm, Anbinden an einer Ecke, Fesselungen der verschiedensten Arten, Zwangsjacke, Strafftuhl, körperliche Züchtigung. Alle diese Mittel werden verschieden in Dauer, Mederholung und Verbindung unter einander zugelaffm. III. Sicherungsmittel für besondere Fälle, z. B. bei Meutereim ic„ Einsperrung, Fesselung, Zwangsjacke. IV. Hier zu erwähnen wäre noch das Beschwerderecht, welches in den meisten Ländern so geordnet ist, daß dem Gefangenen die Erhebung von Beschwerden möglich ist. Lit.: d. Holtzendorff's Handb. d. Deutschen StrasR., Bd. IV. S. 195, 199, 200 — Blätter für Gefängnißkunde, des. Bd. XIII. S. 106 ff. Ekert.

Gefängitißkleidnug. Die Untersuchungsgefangenen und diejenigen, welche zu Festung und Haft verurtheilt oder in kleinen Gerichtsgefängniffen verwahrt find, tragen gewöhnlich ihre eigene Kleidung. Auch den zu längerer Gefängnißstrafe Verurtheilten kann dies in manchen Ländern gestattet werden. Sonst tragen die zu Gefängniß und Zuchthaus Verurtheilten in den Strafanstalten eine eigene, gleich­ förmige Kleidung. Dieselbe unterscheidet sich gewöhnlich durch ihre Beschaffenheit von den Kleidern, die in der Freiheit getragen werden; man hat Kleider von grauem Zwillich, gestreifte Kleider, Kniehosen rc.; Kleider, deren einzelne Theile von verschie­ dener Farbe sind, existiren nur noch selten. Bei der von gewöhnlicher Uebung ab­ weichenden Bekleidung der Gefangenen geht man von dem Grundsätze aus, daß diese sowol innerhalb der Strafanstalt (durch Militärwache rc.) als außerhalb leicht er­ kenntlich sind und die Flucht möglichst erschwert werde. Die Kleidung der Gefan­ genen soll im Uebrigen während des Winters den nöthigen Schuh gegen Kälte bieten und leicht zu reinigen sein. Die Strafanstalten haben deshalb theils wär­ mere Kleider für den Winter und leichtere für den Sommer, theils auch Unter­ kleider für den Winter. Der Entwurf des Reichsstrafvollzugsgesetzes bestimmt in dieser Hinsicht, daß die Sträflinge die durch die Hausordnung festgesetzte gleichförmige Kleidung zu tragen haben, daß indeß den Gefängnißsträflingen, welche sich im Besitze der bürgerlichen Ehren­ rechte befinden, von dem Vorstand gestattet toerben kann, sich der eigenen Kleidung und Wäsche sowie eigener Bettstücke zu bedienen und daß dieses den zur Festungs­ haft oder Haft Verurtheilten nur aus Rücksichten der Schicklichkeit oder Reinlichkeit versagt werden darf. Lit.: Blätter für Gefängnißkunde, inSbes. Bd. XL S. 215 ff. Ekert.

«efiiNguißk-st. Die Wahl der Kost in dm Gefängnissen Pflegt bei Unter« suchungSgefangmm diesen überlasten zu fein, wobei selbstverständlich die Grenzen der Hausordnung einzuhalten find. Je nach dm Verhältnissen und Reglements wird diesm Gefangenm das Gewünschte entweder durch die Kostgeberei des Gesangniffes, von den Angehörigen oder durch Liefemng Dritter verabreicht. Bei Strafgefangmm gilt meistens die Regel, daß die Kost nach bestimmtem Reglemmt durch die Gefängnißverwaltung resp, den Gefängnißausteher gestellt wird. Dies Pflegt nur bei Festungs-, gewöhnlichen (nicht qualifizirten) Haft- und bei Gefängnißstrasm eine Ausnahme zn erleiden. Der Entwurf des ReichSstrasvollzugsgesetzes bestimmt in dieser Richtung, daß dm zur Festungshaft oder Hast Verurtheilten, mit Ausnahme Derjmigen, welche eine Haftstrafe auf Gmnd des § 861, Nr. 3 bis 8 des RStrafGB. zu verbüßm habm, das Recht der Selbstbeköstigung nach näherer Bestimmung der Hausordnung zusteht. Dieses Recht kann ihnen bei Mißbrauch entzogen werden; semer Sträflinge, für deren Gesundheit die ge­ wöhnliche Gefangmkost nachtheilig ist, erhalten auf ärztliches Gutachtm eine andere, ihrer Gesundheit zuträgliche Kost. Letztere Bestimmung ist bereits seit meh­ reren Jahren in den dem Königlichen Justizministerium unterstehmdm Gefängnifien Preußens durchgeführt (Mittelkost). Hiermit ist also für Festungs- und Haftge­ fangene das Recht der Selbstbeköstigung, für Gefängniß- und Zuchthausgefangme als Regel die Reichung der gewöhnlichen G. und aus Gesundheitsrücksichten eine Ausnahmekost verordnet. Im Allgeiyeinm muß verlangt werden, daß die gewöhnliche G. eine gesunde, nicht zu schwer verdauliche und gmügmde fei. Es ist dies nicht nur eine Forderung der Humanität zumal auch gegmüber allm Denen, die aus Mangel an Mitteln von dem Rechte der Selbstbeköstigung keinm Gebrauch machm könnm, son­ dern es empfiehlt sich sogar schon aus ökonomischm Rücksichten im Hinblick auf dm Beschäftigungszwang und den Umstand, daß aus ungenügmder Kost Krankheit und Siechthum hervorgehm, wodurch nicht nur der Gefangme geschädigt, sondem auch das Allgemeinintereffe wegm der dann eintretmdm Arbeitsunfähigkeit und der mtstehmdm Kostm beeinträchtigt ist. In den Kostregulativm, welche für alle Gesängniffe bestehen, ist auf örlliche Berhältniffe, Abwechslung und die einzelnen Bestandtheile der Speism Rücksicht zu nehmen. Gut sch in Bmchsal und Delbrück in Halle, zwei ärztliche Autoritäten im Gefängnißwesm, verlangm, daß die Beköstigung der arbeitenden Strafgefangmm nach einem d,em allgemeinm phyfiologischm Bedürfnisse mtsprechenden täglichm Nahmngswerth von 120 Gramm Gweiß, 50 Gramm Fett und 500 Gramm Kohlen­ hydrat geregelt werde. Als Getränke ist regelmäßig Wafier vorgeschrieben. AuSnahmm von der ge­ wöhnlichm Kost Pflegm noch nach drei Richtungen einzutretm: 1) als Vergünstigung. Viele Hausordnungm lasten dieselbm bei allm, andere nur bei dm leichterm Strasartm zu. Der Entwurf eines ReichSstrafvollzugsgesetzeS bestimmt: „Dm Sträflingen kann die Verwendung eines Theils der Arbeitsbelohnung zur Beschaffung von Genußmitteln gestattet werden." In bemeffenm Quantitäten könnm hiernach, und gewöhnlich bei gutem Verhaltm, aus dem Arbeitsverdienst des Gefangmm diesem Genußmittel wie Brod, Butter, Salz, Milch, Eier, Kartoffeln, Obst, andere frische Vegetabilim, Häringe, mitunter auch Bier verabreicht werdm. 2) Israelitischen Gefangenen pflegt zur österlichm Zeit Pafsakost ver­ abreicht zu werdm. 3) Kranke erhaltm eine andere, ihrm Zuständen mtsprechende Kost, die im Allgemeinm wol durch Regulativ festgesetzt sein kann, im Einzelnen sich aber nach den Verordnungen des Arztes richtet.

Wenn die Kost in den Deutsch Gefängnissen im Ganzm so geregelt ist, daß sie billigen Anforderungen entspricht, so bestehen doch, und auch bezüglich des RahrungswertheS, viele Verschiedenheitm. In der Regel beschränkt sich die G. auf das Nothwendige und mit Recht hat deshalb das Deutsche RStrasGB. die urtheilsmäßigm Strafschärfungen durch Kostentziehung beseitigt. Diese Maßregel könnte jetzt allmfalls nur bei kurzzeitigm Strafen sür Bettler, Vaganten u. dgl. in Betracht kommen. Jedenfalls verträgt sie sich nicht mit ernster Arbeit, wie sie in Strafanstaltm verlangt wird. Lit.: Boit, Untersuchung der Lost in einigen öffentlichen Anstalten, München 1877. — Blätter für Gefängnißkunde, Heidelb., des. Bd. IV. 6. 99; Bd. XHL 1. u. 2. Heft S. 6; Bd. IX. S. 371; Bd. X. S. 32; Bd. XU. 5. Heft S. 68. — Stevens, Les prisons cellulaires en Belgiqne, Bruxelles 1878, bei S. 42 ff. — Du Cane, An Account of the Manner in whicn sentences of Penal Servitude are carried out in England, London 1872, des. S. 46 ff. Ekert.

Gefänguißstrafe ist die Freiheitsstrafe, welche hinsichtlich der Schwere der Zuchthausstrafe am nächsten steht, hinsichtlich der Dauer in vielen Fällen von der Festungshaft übertroffen wird. Nach dem Deutschen StrafGB. (§ 21) find 1 Jahr G. gleich 8 Monate Zuchthausstrafe und 8 Monate G. gleich 1 Jahr Festungshaft zu achten. Die G. kommt nur als zeitige Freiheitsstrafe vor, Minimum 1 Tag, Maximum 5 Jahre (§ 16); das letztere ist jedoch bei realer Konkurrenz (§ 74, Abs. 3) aus 10 Jahre und bei jugendlichen Verbrechern (§ 57, Z. 1) als Ersatz für die Todes- und die lebenslängliche Zuchthausstrafe auf 15 Jahre aus­ gedehnt worden. — Trifft G. mit Festungshaft oder Haft zusammen, so ist jede dieser Strafarten gesondert zu vollstrecken (88 75 Abs. 1, 77 Abs. 1), dagegen tritt eine Umwandlung der G. in Zuchthausstrafe ein, wenn diese beiden Strafarten zu­ sammentreffen. Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte kann neben der G. nur eintreten, wenn die erkannte G. mindestens 3 Monate beträgt und das Gesetz dies ausdrücklich zu­ läßt oder die G. wegen Annahme mildernder Umstände an Stelle von Zuchthaus­ strafe ausgesprochen wird. Die Dauer des Verlustes beträgt mindestens 1 und höchstens 5 Jahre (§ 32). Neben einer G., mit welcher die Aberkennung der bürger­ lichen Ehrenrechte überhaupt hätte verbunden werden können, aber im konkreten Falle nicht verbunden worden ist, kann auf die Unfähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Aemter auf die Dauer von 1 bis zu 5 Jahren erkannt werden (§ 35). Vgl. den Art. Ehrenstrafen. Die G. unterscheidet sich von der Zuchthausstrafe nach dem RStrasGB. besonders durch die Art der Beschäftigung der Sträflinge (§ 16). Die zur Zuchthausstrafe Verurtheilten sind in der Strafanstalt zu den eingeführten Arbeiten anzuhalten und können unter der Bedingung, daß sie von freien Arbeitern getrennt gehalten werden, auch zu Arbeiten außerhalb der Strafanstalt verwendet werden. Im Gegensatze hierzu ist der Arbeitszwang bei der G. nicht obligatorisch, sondern fakultativ. Mit dem Ausdruck „können beschäftigt werden" ist aber nicht etwa dem Verurtheilten die Wahl gelaffen, sondern diese Bestimmung ist gerade mit Rücksicht auf die Vollstreckungsbehörde ge­ troffen. Ohne Arbeit verliert die Strafe in vielen Fällen ihren Charakter; es läßt sich jedoch nicht verkennen, daß es oft sehr schwierig und mit großen Kosten ver­ bunden ist, namentlich bei kurzen Freiheitsstrafen, den Verurtheilten in angemessener Weise zu beschäftigen. Die zu G. Verurtheilten sollen auf eine ihren Fähigkeiten und Verhältnissen angemessene Weise beschäftigt werden. Es sind darunter nicht blos solche Arbeiten zu verstehen, die der Betreffende vor feiner Verurtheilung zu verrichten Pflegte. Verlangen die Verurtheilten beschäftigt zu werden, so muß es geschehen, auch wenn die Vollstreckungsbehörde dies nicht beabsichtigte. Außerhalb der Strafanstalt ist die Beschäftigung nur mit Zustimmung der zu G. Verurtheilten zulässig, da dies für viele eine bedeutende Verschärfung der G. sein würde.

»efüußkttzverwrltvnß.

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Die Bestimmungen, welche das Dmtsche StrafGB. über die Vollstreckung der Freiheitsstrafen, besonders der Zuchthaus- und G. enthält, lasten dm Einzelstaaten einen weiten Spielraum. Es kann nicht blos vorkommm, daß eine Strafart in verschiedenen Staatm verschiedm, sondern sogar in demfelbm Staate verschiedm voll­ streckt wird. T könnm, vorausgesetzt, daß die Dauer derselbm (über 12 Monate) es zuläßt, in Einzelhaft oder in Gemeinschastshaft oder theils in Einzelhaft, chellS in Gemeinschastshaft vollstreckt werdm. Nach den Motiven zu dem erstm Entwürfe des StrafGB. ist die Einzelhaft nicht als eine gmerisch härtere Strafe, vielmehr nur als ein anderer und zwar richtigerer Strafvollstreckungsmodus aufzufasten; sie darf jedoch ohne Zustimmung des Gefangenen die Dauer von 8 Jahren nicht über­ steigen. Es findet daher für dm in Einzelhaft verbüßten Theil der Strafe keine Reduktion statt. Außerdem ist bedingte Entlastung bei dm in Einzelhaft und in Gemeinschastshaft verbüßten Strafen zuläffig, so daß eine dreifache Abstufung: Einzel­ haft, Gemeinschastshaft und bedingte Entlastung eintreten kann. Vgl. die Art. Einzelhaft und Progressivstem. Landesgesetzliche Vorschriften dürfen nur G. bis zu 2 Jahren androhm, behalten aber ihre Gültigkeit auch insofem, als die Substituirung von Forst- oder Gemeindearbeit anstatt der G. nach wie vor zulässig ist. Bit: Dgl. außer den Kommentaren, Lehr- und Handbüchem des Deutschen StrafR. die Lit. bei den Art. Einzelhaft und Progressivsystem. Dochow.

Gefäugnißverwaltnug. Die oberste Leitung und Aufsicht über die Gesängniste in Deutschland ist bis jetzt noch nicht Sache des Reichs, und nach dem Entwurf eines Gesetzes über die Vollstreckung der Freiheitsstrafen für das Dmtsche Reich, welcher dem Bundesrath vorliegt, soll diese Leitung und Aufsicht auch künftig dm Landesregierungen verbleiben; dagegen wird in dem Entwurf dem Reichskanzler die Befugniß vindizirt, behufs Überwachung der vorschriftsmäßigen Strafvollstreckung, über die Einrichtungen und Maßregeln, welche sich auf die Strafvollstreckung be­ ziehen, Auskunft zu erfordem oder durch Entsendung von Kommistären sich zu unterrichten. In den einzelnen Dmtschen Staatm ist die Leitung und oberste Auf­ sicht über die Gefängniste theils dem Restort des Innern, theils dem der Justiz zugetheilt. Sie bezieht sich aber fast allenthalben nicht auf die Gefängniste der Militärgerichte und den Vollzug der Festnngsstrafm, in welcher Beziehung die Leitung den Militärbehörden zusteht. Auch der obm erwähnte Entwurf eines Strafvollzugsgefetzes setzt fest, daß dadurch die Bestimmungen über die Festungshaft und die von den Militärgerichten vollstreckt werdmden Strafen nicht berührt werdm sollen. 1) In Preußm stehen die meisten eigentlichen Strafanstalten sowie das Unter­ suchungsgefängniß, „Hausvoigtei" in Berlin, unter dem Ministerium des Innern und beziehungsweise den Provinzialregierungen; dagegen die Gerichtsgesängniste sonst meist unter dem Justizministerium, unter letzterem auch die großen Strafgefängniffe Berlin (Plöhenfee) und Hannover. Dem Reflort der Justiz find auch zugetheilt die Gefängniste in Bayern, Württemberg, Baden, Oldenburg, dem des Innern die Gefängniste im Königreich Sachsen und in Hesten-Darmstadt. 2) In einigen Staaten bestehen eigene Aufsichtsbehörden oder Kommissionen, die dem Ministerium untergeordnet find, wie z. B. das Strafanstaltskollegium in Württemberg. 3) In anderen Staaten, wie Bayern und Baden, bestehen die Auffichtsräthe für einzelne Strafanstalten, vorzugsweise aber nur zur Kontrole des gesetzlichen Straf­ vollzugs und nicht als vorgesetzte Behörden. 4) Für Untersuchungs- und kurzzeitig verurtheilte Straf­ gefangene bestehen nun meistentheils kleine Gefängniste, über die ein Gericht oder Staatsanwalt die Austicht führt und denen sonst nur ein oder der andere Austeher (Gefangenwärter) als nächster Auffichtsbeamter vorsteht.

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«esä»ß»itzver»rtt»«G.

5) Die größeren, meist zur Vollstreckung längerer Gefängniß- und Zuchthausstraftn dienenden Gefängnisse dagegen find mit eigentlichen Verwaltungen versehen, an deren Spitze ein Vorstand (Direktor) steht. Die Organisation dieser Verwaltungen ist zwar in den einzelnen Deutschen Staaten verschieden, gewöhnlich aber gehört zu ihrer Kompetenz: a) bie Handhabung der Disziplin gegen niedere Bedienstete der Anstalt; b) die Handhabung der Disziplin und Erkennung der Disziplinarstrafen gegen Gefangene; c) die persönliche Behandlung, Briefwechsel, Besuche, Vergünstigungen, Verköstigung, Bekleidung, Lagerung und Be­ schäftigung der Gefangenen; d) die Sorge für Reinlichkeit und Gesundheit, speziell in Hinficht auf Lüftung, Erwärmung und Beleuchtung der Gefangenenräume, Be­ wegung der Gefangenen im Freien, Bäder; e) Aufficht über Abhaltung des Gottes­ dienstes und Schulunterrichts, Lektüre; f) Instandhaltung der Gebäude und des Inventars; g) Führung der Kaffe, Rechnungen, Listen rc. Den Direktoren find zur Bewältigung dieser Aufgabe, soweit sie fich auf die eigentliche Verwaltung beziehen, weitere höhere Beamten beigegeben, deren Befugniffe in den verschiedenen Ländern verschieden, doch allenthalben so geregelt find, daß dem Direktor jeweils die entscheidende Leitung des Dienstes innerhalb der Befugniffe der Verwaltung obliegt und er auch für die gesammte Dienstführung verantwortlich bleibt. Ueber die Grenzen, innerhalb deren diese Befugniffe der Verwaltung, insbesondere gegenüber der höheren Behörde, auszuüben sind, entscheiden die betreffenden Reglements und Dienstordnungen. Die Disziplinargewalt über die Gefangenen ist fast ausnahmslos und in ge­ nügender Weise in die Hände der Direktoren gelegt, und nur hin und wieder eine Kompetenz in strengeren Strafen den höheren Behörden reservirt. Pflichten und Rechte der Gefangenen sind allenthalben in Hausordnungen zusammengefaßt, welche dem Gefangenen kennen zu lernen hinreichende Gelegenheit gegeben ist. Vgl. die Art. Gefängnißarbeit, -Disziplin, -Kleidung, -Kost. Abgesehen von den Beamten der Verwaltung sind nun bei allen einigermaßen geordneten größeren Gefängnissen je nach deren Umfang und Einrichtung angestellt: a) Aerzte für die Krankenpflege und zur Mitaufficht über die allgemeinen Verhältniffe der Salubrität; b) Geistliche und Lehrer für Gottesdienst, spezielle Seelsorge, Religionsunterricht, Schulunterricht, Büchervertheilung. Je nach der Einrichtung der Strafanstalt, besonders aber bei Zellengefängniffen liegt den Beamten, speziell den Geisüichen und Lehrern die Einzelbesprechung mit den Gefangenen ob, in dmen die Zwecke des Strafvollzugs nach den verschiedenen Richtungen verfolgt werden können. Die letzte Aufficht über den Dienst, über sämmtliche Verrichtungen der Gefangenen, ihr Verhalten im Einzelnen, Beschäftigung u. s. w. führt das Auffichtspersonal. Unterstützend stehen der G. zur Seite die Gefängnißvereine, die theils, z. B. die Rheinisch-westfälische Gefängnißgesellschaft, der Verein der Deutschen Straf­ anstaltsbeamten, der Nordwestdeutsche Gefängnißverein, in Versammlungen und Druck­ schriften die allgemeinen Jntereffen des Gefängnißwesens zu fördern suchen oder, wie viele Landes-, Provinzial- und Ortsvereine sich die Unterstützung entlaffener Straf­ gefangenen zur Aufgabe gemacht haben. Lit.: Die Preußischen Gefängnisse. Beschreibende Uebersicht der zum Ressort des Ministerium- des Innern gehörenden Straf- und Gefanaenanstalten, Berlin, 1870. — Süeßlin, Die Einzelhaft, 1855. — Hän ell, System der Gefänanißkunde, 1866. — Dietz, eber Verwaltung und Einrichtung der Strafanstalten rc., 1857. — Blätter für Gesängnißkunde, insbes. Bd. H S. 334, VL S. 18 ff., VIII. S. 36, 97, 60. Im VIII. Bd. 3. Heft Derzeichniß der Strafanstalten Deutschlands. Im XIV. Bd. 1. und 2. Heft der Entwurf eines Gesetzes über die Vollstreckung der Freiheitsstrafen für das Deutsche Reich, (letztere- auch in Gerichtssaal, Bd. XXXI. Heft 3.) — Streng, DaS Zellengefängniß, Nürn­ berg 1879. — v. Holtzendorff's Handb. des Deutsch. StrafR., Bd. IV. S. 181.

Ekert.

Gegenforderung — Gegenleistung.

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Geae»f-rdenmg ist in der Deutschen CPO. derjenige Anspruch (s. d. Art. Angriffs- und VertheidigungSmittel), welcher im Wege der Widerklage oder der Kompensationseinrede erhoben wird. Die Rechtshängigkeit desselben tritt mit der Geltendmachung in der mündlichen Verhandlung ein. Das Gericht hat die Befugniß, die G. zu getrennter Verhandlung zu verweisen, wenn dieselbe mit der Klagesorderung nicht in rechtlichem Zusammenhang steht, also namentlich nicht aus demselben Rechtsverhältniß entspringt. Aber auch für den Fall, daß eine Trennung nicht stattgefunden hat, ist bei Geltendmachung der G. im Wege der Widerklage, je nachdem die Klage oder Widerklage zur Endentscheidung reif ist, über dm reifm Anspruch das Erkenntniß in Gestalt des sog. Theilurtheils zu erlassen. Ferner kann das Gericht auch, wenn die Forderung allein zum Endurtheil reif erscheint, trotzdem es bisher gleichzeitig mit derselben eine mit ihr nicht im rechtlichen ZusammenHmge stehende G. verhandelt hat, blos über die Forderung ein Theilurtheil erlaffen, unb dann getrennt über die G. weiter verhandeln. Die gedachten Trennungsbefugniffe find an Stelle des früheren Rechtes, illiquide Kompensationseinreden zu gesonderter Verhandlung zu verweisen, getreten. Während das Urtheil nur in Betreff der durch Klage oder Widerklage erhobenen Ansprüche, über die es entscheidet, nicht aber in Betreff der vorgebrachten Einreden der Rechtskraft fähig ist, erlangt es diese aus­ nahmsweise auch hinsichtlich der einredeweise geltend gemachten G. jedoch allein in Höhe deS Betrages, bis gu welchem die G. gegen die Hauptforderung aufgerechnet werden soll.

Quellen: D. EPO. §§ 186, 254, 273, 274, 298.

P. Hinfchius.

Geaeuleistu»g. Der Umstand, daß derjenige, welcher einen Anspruch gegen einen anderen erhebt oder erhoben hat, seinerseits dem letzteren eine G. zu machm hat, kommt für dm Civilprozeß in folgenden Beziehungen in Betracht. 1) Kann die Leistung nur Zug um Zug gegen Gewährung der G. gefordert werden, so darf ein kondemnatorisches Urtheil nur unter der gedachten Beschränkung ergehen. 2) Die Verfolgung eines Anspruchs, deffen Geltendmachung noch von einer erst zu erfol­ genden G. abhängig ist, kann im Mahnverfahren nicht stattfinden; das letztere ist nur dann zulässig, wmn der Anspruch aus einem zweiseitigen Rechtsverhältniß bereits durch Vorleistung des Klägers zu einem einseitigen gemacht worden ist. Für den Urkundenprozeß besteht dagegen ein solche Beschränkung nicht. 3) Die Vollstreckung eines auf eine Leistung Zug um Zug lautenden Erkenntnifles oder einer solchen voll­ streckbaren Urkunde ist nach den Motiven wegen der Mannigfaltigkeit der in Be­ tracht kommendm Fälle absichtlich von der CPO. nicht geregelt. Die Ertheilung einer Vollstreckbarkeitsklausel auf Vollstreckung gegen vom Gläubiger gleichzeitig zu machende Gegen- oder Vorleistung hat indeffen das Bedenken, daß damit dem Gerichtsvollzieher die Prüfung, ob dieselbe den gesetzlichen Anforderungen entspricht, überlasten wird, obwol derselbe sonst nach dem Grundgedanken der CPO. der materiellen Prüfung enthoben fein soll und auch in vielen Fällen nicht die aus­ reichende Fähigkeit zu einer solchen besitzen wird. Trotz der gegentheiligen Aeußerung der Motive wollen daher Einzelne (Fitting, Wach) die Vorschrift des § 664 auf den fraglichen Fall anwenden. Demnach soll eine vollstreckbare Ausfertigung für Urtheile, deren Vollstreckung ihrem Inhalte nach von dem durch den Gläubiger zu beweisenden Eintritt einer bestimmten Thatsache abhängt, nur dann ertheilt werden, wenn der Beweis des Eintritts durch eine öffentliche Urkunde geführt wird. In­ dessen ist im vorliegenden Fall die Vollstreckung nur von der Vornahme einer gleichzeitigen Leistung, nicht von dem vorgängigen Eintritt einer Thatsache abhängig, und könnte man auch die erwähnte Vorschrift dann noch anwenden, wenn der Gläubiger seine Vorleistung freiwillig macht; doch berechtigt der § 664 nicht, ihn wider seinen Willen dazu zu zwingen und ihm die Sicherheit, welche ihm die Leistung Zug um Zug gewährt, zu entziehen. Ties enthält eine Kränkung seines

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Seßeuvsramud.

materiellen, durch Urtheil sestgestelltm Rechtes und die Ablehnung der 6r= theilung der Bollstreckungsklausel unter Hinweis aus § 664 würde geradezu ein solches Recht der richterlichen Zwangshülfe berauben. Eine Ausnahme macht aller­ dings der § 779 für den Fall, daß der Schuldner zur Abgabe einer Willens­ erklärung gegen eine G. verurtheilt worden ifL Hier gilt die Erklärung nicht, wie sonst, mit dem Tage der Rechtskraft des Urtheils als abgegeben, sondern erst dann, wenn der Gläubiger eine vollstreckbare Ausfertigung des Urtheils auf Grund des durch öffmtliche Urkunden geführten Nachweises, daß seine Vorleistung bewirkt worden ist, erhalten hat. Er bedarf aber hier einer Sicherheit nicht, weil mit seiner Vorleistung das Erkenntniß ohne weitere Mitwirkung des Verurteilten von

selbst exequirt wird. 4) Wird eine Forderung, welche von einer G. abhängig ist, abgepfändet, so kann das Gericht an Stelle der bei der Exekution in Forderungen stattfindenden Ueberweisung an den Gläubiger auf Antrag sowol des letzteren, wie auch des Schuldners eine andere Art der Verwerthung, z. B. öffmtliche Versteigerung oder Verkauf aus freier Hand, anordnen. Quellen: D. CPO. §§ 628, 664, 667, 779, 743. Lit.: Fitting, Arch. f. cito. Pr., Bd. 61 S. 436. — Wach, Vorträge ü. d. RCPO., S. 286. — Koch ü. Struckmann, Komment., 2. Aufl., § 672 Anm. 2. — Schmidt in Busch's Ztschr. f. D. Civ.Prz., Jahrg. 2, S. 10. P. Hinschius.

Gegenvormund ist der zur Kontrole des eigentlichen Vormunds berufene Nebenvormund. Schon nach Röm. R. war die Uebertragung der Vormundschaft an eine Mehrheit von Personen gestattet, die entweder alle zusammen, und zwar Jeder mit vollem Recht, verwalteten oder von denen Einem, sei es durch testamentarische Bestimmung, oder durch Wahl der Anderen oder durch obrigkeitliche Bestellung die alleinige Verwaltung übertragen wurde (tutor gerens). Die nicht verwaltenden Vor­ münder (t. honorarii) führen die Aufficht über den gerens, müssen ihn zur häufigen Rechnungslegung anhalten, ihn zur Deposition der Gelder veranlaffen und erforder­ lichen Falls auf seine Absetzung antragen (1. 3 § 2; 1. 26 § 1 D. 26, 7). Nach älterem Deutschen R. stand die Vormundschaft ursprünglich immer nur einem Ein­ zelnen zu, doch finden sich schon im frühen Mittelalter mehrere Vormünder; namentlich tritt ein zweiter in Kollisions- und Nothfällen ein, sowie wenn der Vor­ mund sich des Mündels nicht annimmt (vgl. Sachssp. I. 43, 44; Schwsp. 328, 1; 323, 1; 320, 6, 7). Als aber mit der R.P.O. die Vormundschaft immer mehr in die Verwaltung der Gerichte gerieth, fiel der Kontrolvormund als überflüssig in der Praxis weg, obwol sich gemeinrechtlich die Grundsätze über den t. honorarius erhalten haben und auch in neuere Partikulargesetze übergegangen sind (A. LR. II. 18 §§ 120, 664 ff., 291 ff.; Cod. Max. Bav. I. 7 § 32.; Oesterr. BGB. §§ 211 bis 214; Sächs. BGB. § 1961). Nach Franzos. R. mußte schon von Alters her (Coutum. de Paris art. 270) ein contradicteur bei der Jnventarisirung des Nachlaffes zugezogen werden; hieraus entwickelte sich eine ständige Kontrole und nach dem C. civil muß neben dem Vormund stets ein G. (tuteur subrogö), auch im Falle der gesetzlichen Vormundschaft, von dem Familienrath ernannt werden, und zwar in der Regel aus derjenigen Linie, welcher der eigentliche Vormund nicht angehört (art. 420 — 426). Die Pflichten des G. bestehen 1) in der Ueberwachung der vormundschaftlichen Verwaltung, der Ergreifung der erforderlichen Sicherungsmaßregeln, eventuell in dem Antrag auf Absetzung des Vormundes (art. 446, 448); 2) in der Vertretung des Mündels bei kollidirendem Interesse mit dem Vormund (art. 420, C. de prov. art. 2143); 3) in der Assistenz der Aufnahme von Inventaren, an denen der Bevormundete betheiligt ist (art. 451, 452, 459); 4) in besonderen vom Gesetz bestimmten Obliegenheiten, nämlich in dem Antrag auf Ernennung eines neuen Vormundes (art. 424), in der Enichtung eines Inventars bei Auflösung

(Stgeittomimb.

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der Gütergemeinschaft (art. 1442), in der Betreibung der Pfandeintragung auf die Grundstücke des Bormundes (art. 2137), in der Mitwirkung beim Hypotheken­ reinigungsverfahren (art. 2194). Vernachlässigung dieser Pflichten machm den t. aubroge sowol dem Mündel, wie Drittm gegenüber haftbar. Dagegm vertritt er außer in den erwähnten Ausnahmefällen den Bevormundetm nicht und unter­ liegt auch nicht dm Beschränkungen bei Abschluß von Rechtsgefchäftm, wie sie zwischm Bormund und Mündel bestehm (art. 450, 451, 649, 1594, 1596). — Im Deutschen R. ist der G. mit dem Franzüs. R. in dm Rechtsgebietm deffelbm vorhanden, so nammtlich auch in Elsaß-Lothringen, wo daS Gesetz vom 22. Okt. 1873 noch die Aufsicht deS Richters über dm G. verschärfte. Ein neuer Wirkungskreis ist dem G. durch die Prmß. Verordn, vom 5. Juli 1875 eröffnet. Nach derselben sind folgende Fälle zu unterscheiden: 1) die Bestellung des G. muß erfolgm, a) wenn mit der Vormundschaft eine Vermögmsverwaltung verbundm ist und nicht mehrer» Bormünder zur ungetheiltm Verwaltung bestellt find (§ 26 Abs. 2); b) wenn Werthpapiere veräußert, Kapitalim eingezogen, abgetretm, ver­ pfändet werdm sollen, sofern sie nicht bei Sparkaffen belegt werdm, sowie wmn es sich um Aufgabe oder Minderung von Sicherheitm für eine Forderung handelt (§ 41), endlich c) wenn das Gericht eine Handlung des Vormundes genehmigen soll (§ 55 Abs. 2, vgl. § 34 Abs. 1). Nichtigkeit des Geschäfts bei unterlaffener Mitwirkung des G. ist nicht ausgesprochm, nur in dem Falle zu b liegt ein sog. negotium claudicans zwischen Mündel und dritten Kontrahenten vor (Preuß. Gesetz vom 12. Juli 1875, §§ 2—4). Doch kann die Genehmigung des G. durch das Gericht ersetzt werdm (§ 41 Abs. 2). 2) Die Bestellung des G. kann erfolgen, a) wmn das Gericht es für ersprießlich hält (§ 26 Abs. 1) und nach richtiger Meinung auch b) bei einer Pflegschaft (§ 91 Abs. 1). 3) Die Bestellung des G. dars nicht erfolgen, wenn Vater und Mutter in einer gehörig beglaubigtm (§ 17) Urkunde dieselbe untersagt haben (§ 26 Abs. 6), und neben dem gesetzlichen Vor­ mund (§§ 12, 13), außer wenn die gerichtliche Genehmigung einer Handlung deffelbm in Frage steht (§ 55). — Berufung und Bestellung des G. unterliegm dm für dm Vormund gegebenen Vorschriften, er erhält auch eine Bestellung (§ 66). Es kann nur Ein G. vorhanden sein. Seine Pflichten sind: die Aussicht über die Ver­ mögensverwaltung des Vormundes oder Pflegers (§§ 35 Abs. 1, 56, 57, 67 Abs. 2), die Beurtheilung der von dem Gerichte zu genehmigendm Handlungen des Vor­ mundes (§§ 55 Abs. 2, 34 Abs. 1), die Anzeige von Pflichtwidrigkeiten, der Un­ fähigkeit oder des Todes des Vormundes (§ 31 Abs. 2, § 65 Abs. 1), die Er­ richtung eventuell Berusung eines Familimrathes (§§ 71, 77 Abs. 1) oder die An­ hörung von Verwandten (§ 55 Abs. 1) zu beantragen, bei den sub 1 b gedachten Rechtsgefchäftm mitzuwirken (§ 41). Der G. steht unter der Aufsicht des Gerichts, welches gegm ihn Ordnungsstrafen erlaffm (§ 51), nicht aber Sicherstellung von ihm fordem kann (§ 59 Abs. 3). Ein Honorar steht ihm nicht zu (§ 34 Abs. 3) und sein Amt endet nach dmselben Grundsätzen, wie das des Vormundes. Im. Einzelnen bieten die gesetzlichen Bestimmungm zu zahlreichm Kontroversen Veranlaffung, unstreitig aber ist er niemals zur Vertretung des Mündels berechtigt. — Das Italienische R. schließt sich in seinen Vorschriften über dm protutore dem Französischen Vorbild an (C. civ. Ital. art. 264 88.).

Lit: Rudorfs, Das Recht der Vormundschaft, 1833 n. S. 238. — Kraut, Die Bonn nach den Grunds, des Deutschen R., 1835 I. S. 224. — De Frdminville, Traitä de la minoritd et de la tatelle, 1846 I. p. 161 ss. — Aubry et Rau, Cours de droit civ. frans., 4>«">« edit I. p. 416 ss., 474 ss. — Derndurg, DasDormundschaftsrecht d. Preuß. Monarchie, 1876 2. Ausl. S. 89 ff. — Die Kommentare zur Preuß. Borm.O. von An ton, Löwenstein, Neumann, Wachter, Hesse. — Dgl. Lyon, Gehamischte Streiszüge in die Borm.O., 1879, S. 130-148.

Kayser.

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SetzLttSimiprüche.

Gehalt-Mtsprjiche. Der Begriff deS Wortes „Gehakt" ist sowol in der Sprache des täglichm Lebens, wie in der der Gesetzgebung ein mehrseitiger. Im Allgemeinen ruht er aus der Voraussetzung, daß das Verhältniß, auf welches er sich bezieht, von einer gewiffen Dauer ist, und bildet den Gegensatz zu dem, der in dem Worte „Lohn" feinen Ausdruck findet, indem er gleichsam die Dienste, für welche das Gehalt eine Art Aequivalent bildet, aus dem Kreise der gewöhnlichen Lohnarbeiten heraushebt. So bmennt z. B. der Art. 57 des HGB. die Entschädigung des kaufmännischen Gehülfen nicht Lohn, sondern Gehalt, und spricht der Art. 6 der Preuß. Städteordn. vom 30. Mai 1853 von dem Gehalt der im Kommunal­ dienst angestellten Personen, Währmd wiederum sowol die Reichs-, wie die Landes­ gesetzgebung das Dimsteinkommm der unmittelbarm Reichs- und Staatsbeamten mit dem Ausdruck „Gehalt" bezeichnet. Der Anspruch auf Gehalt unterliegt nun, je nach den verschiedenen ihn begründmden Verhältnissen, einer anderen Auffaffung und Behandlung. Es ist dabei zu unterscheidm: a) Der Gehaltsanspruch derjenigen Personen, welche fich im Dienste von Privat­ personen, Korporationen und Gemeinden befinden. Sein Fundament ist der Ver­ trag, der zwischen dem Dienste Leistenden und Dienste Empfangenden geschloffen worden ist, also ein privatrechtlicher Titel. Aus ihm ist der Anspruch geltend zu machen, und zwar mit der einfachen Kontraktsklage, welcher der Beklagte alle die ihm aus dem Vertragsverhältniß zustehmdm Einreden mtgegensehen kann. So einfach sonach im Allgemeinen dieses Rechtsverhältniß und die aus ihm sich ergebende Folge ist, verläßt es doch schon die Grenzen des reinen Privatrechts und neigt fich dem öffentlichen Rechte zu bei einer Anzahl von mittelbaren Staatsbeamten, also bei solchen Beamten, bei deren Anstellung dem Staate eine gewisse, wenn auch beschränkte Mit­ wirkung zusteht. Bleibt zwar auch in diesen Fällen die Höhe der Besoldung und somit der Gegenstand des Anspruchs im Allgemeinen der freien Vereinbarung der Kontrahenten Vorbehalten, hat sich doch nach einzelnen Landesrechten der Staat eine ge­ wisse Einwirkung auch in dieser Richtung reservirt. So kann er in Preußen die Höhe des Gehaltes der Bürgermeister selbständig und gegen den Willen der Gemeinde normiren und festsetzen. b) Ganz verschieden hiervon ist der Charakter des den unmittelbaren Reichs­ oder Staatsbeamten zustehenden Gehaltsanfpruchs. Er ruht aus der Thatsache des Jnnehabens des Amtes und wird bedingt durch die Natur und das Wesen des Verhältniffes zwischen dem Beamten und dem Staate. Der Streit über dieses schwebt seit alter Zeit und ist noch nicht entschieden. Früher bemühte man sich, das Ver­ hältniß als ein rein kontraktliches darzustellen und suchte im Privatrecht nach einer Vertragsform, unter welche es zu rubriziren sei. Die Einen hielten eine locatio conductio operarum (eine Form, welche in der Preuß. Regierungsinstruktion vom Jahre 1808 int § 44 als herabwürdigend bezeichnet wird), Andere ein mandatum oder precarium für vorliegend, noch Andere begnügten sich mit einem JnnominatKontrakt über Handlungen. Diese Auffassungen, welchen schon das Preuß. A. LR. nicht mehr huldigte, sind in neuerer Zeit aufgegeben, und haben insbesondere Gönner, Zachariä, Zöpfl u. A. die Unhaltbarkeit derselben nachgewiesen und -den staats­ rechtlichen Charakter des Verhältnisses hervorgehoben. Richt durch Vertrag, sondern durch einseitige Berufung vermöge des Majestätsrechts der Aemterhoheit wird das Staatsamt begründet und das Verhältniß des Beamten zum Staat hergestellt. Aller­ dings geht in der Regel der Berufung eine Bewerbung voraus. Wollte man aber in ihr in Verbindung mit der sie bewilligenden Berufung einen Vertragsschluß finden, so würde dieser — wie Förster treffend bemerkt — doch nur den Begründungs a k t betreffen, nicht aber für das zu konstituirende Verhältniß maßgebend sein. Hat auch diese Anschauung sich zur Zeit Bahn gebrochen, so herrscht doch bei einem anderen Punkte noch Streit. Es wird nämlich behauptet, daß wenn auch das Staatsamt

GehaUSimsprüche.

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nicht aus einem Vertrage hervorgegangen, das Verhältniß des Beamtm zum Staat doch noch eine privatrechtliche Seite habe, die sich in dem Ansprüche auf Gehalt zeige. Das Gehalt sei als eine Gegenleistung für die Dienste des Beamten anzusehm, und daher rücksichtlich derselben das Verhältniß als ein vertragsähnliches zu behandeln. Dieser Ansicht folgt z. B. v. Rönne (Staatsrecht, Bd. II. ©. 302). Auch Gerber (Grundzüge des Deutschen Staatsrechts) tritt Mr sie ein, obwol er schon den Nachweis zu fithren sucht, daß das Gehalt mehr dm Charakter einer Rmte, als einer Gegenleistung sür Dienste habe. Das Erkenntniß des Preuß. OTrib. vom 17. März 1865 vertrat dieselbe Ansicht und vindizirte dem Staatsamt nach dieser Richtung hin die Natur eines Ouafikontrakts (Entsch., Bd. LII. S. 320). Die entgegengesetzte Auffassung verwirft die Vertragsnatur auch in dieser Beziehung und fiUjrt aus, daß das Gehalt nicht blos eine Belohnung für die Amtsthätigkeit des Beamten sei, sondern auch eine Entschädigung für die mehrfachen Beschränkungen, die das Amt dem Beamten auflegt. Es fei gleichsam eine Alimentation des Be­ amten , somit sein Charakter ein rein staatsrechtlicher, der nach den Regeln des Privatrechts nicht beurtheilt werden könne und dürfe (Förster, Bd. II. ©i 308). Der Anspruch auf Gehalt entsteht mit der Verleihung des Amtes, kann jedoch erst geltend gemacht werdm mit dem Antritt desselben. Das Preuß. LR. mthält besondere Bestimmungen über bett Gehaltsanspruch nicht; dagegen schreibt der 8 4 des Reichsgesetzes vom 31. März 1873, betr. die Rechtsverhältnisse der Reichs­ beamten, vor, daß der Anspruch auf Gewährung des mit dem Amte verbundenm Diensteinkommms mit dem Tage des Dienstantritts beginnt und in Betreff später bewilligter Zulagm mit dem Tage der Bewilligung. An fich umfaßt der Anspruch nur das zur Zeit der Berufung mit dem Amte verbundene Gehalt, nicht auch eine Erhöhung deffelbm, sobald sie nicht den Charakter einer absoluten hat. Zu dem Einrücken in eine höhere GehaltS k l a s s e gewährt die Berufung in das Amt kein Recht und keinen Anspruch. Diese Auffaffung wurde auch bei der Berathung des Preuß. Gesetzes vom 24. Mai 1861 im Herrenhause geltend gemacht und als richtig anerkannt (Stenogr. Ber. pro 1861 Bd. II. S. 235). Eine Ausnahme von dieser Regel machen nach Preuß. Rechte die richterlichen Beamten, für welche zuerst durch den Allerh. Erlaß vom 19. März 1850 Anciennitätsverhältniffe und Gehaltsstufen festgesetzt worden find, so daß der Anspruch auf das Einrückm in eine höhere Ge­ haltsstufe gesetzlich normirt und festgestellt ist. Maßgebend ist zur Zeit die Ver­ ordnung vom 16. April 1879, betr. die für die Bestimmung des Dienstalters maß­ gebenden Grundsätze; in ihr ist bestimmt, daß in den besonderen Besoldungsetats für die einzelnen Rangllaffen der Richter die Anciennitätsverhältniffe berücksichtigt werden sollen. Der Gehaltsanspruch umfaßt das Diensteinkommen, also das Gehalt und etwaige Amtsemolumente, wie Beleuchtungs- und Brennmaterial, Tafelgelder, Nutzung von Dienstgrundstücken und dergl., dagegen nicht auch die zufälligen Einnahmen, wie Reisekosten und Diäten für Wahrnehmung amtlicher Dienstgeschäfte (die anomale Be­ stimmung des § 74 Th. I. Tit. 12 A. LR., nach welcher der Richter, der in einem fttmben Jurisdiktionsbezirk ein Testament aufnimmt, dem Richter des Orts die erhobenen Gebühren herausgeben soll, beruht auf anderen Voraussetzungen). Dagegen bildet in Preußen nach 8 6 des Gesetzes vom 12. Mai 1873 der Wohnungsgeldzuschuß einen Theil des Diensteinkommens, jedoch mit der Maßgabe, daß er insofern dm Regeln über das Gehalt nicht untersteht, als er durch die Versetzung des Beamten an einen Ort von geringerer Servisklaffe verkleinert und bei der Bemessung der Pmfion nicht in vollem Betrage, sondem nur zu einem gesetzlich fixirten Durchschnittssatze in An­ rechnung gebracht wird. Das Gehalt selbst nämlich ist in der Regel weder ganz noch theilweise entziehbar, und zwar weder mit, noch wider den Willen des Be­ amten. Nur mit der Ausgabe des Amtes, also mit der Pensionirung, der Entlassung oder der Entsetzung des Beamten geht der Anspruch unter. Eine Ausnahme machen v. Holtzendorsf, kg das Durchschnittsgewicht, c) Der Knochen­ kern in der unteren Schenkelepiphyse. Auf den Werth dieses Reifezeichens machte 1819 Beclard aufmerksam; durch Caspe- wurde deffen allgemeine Berwerthung für die Reifebestimmung inaugurirt. Gewöhnlich in der 38. Schwangerschaftswoche tritt in der unteren Epiphyse des Oberschenkels ein Anfangs nur Va Linie messender .Knochenkern auf, welcher im vollständig ausgetragenen Kinde bis zu drei Linien an­ wachsen, kann; doch ist nicht außer Acht zu lassen, daß er manchmal auch bei ganz reifen Kindern fehlen kann, und daß seine Größe solchen Schwankungen unter­ worfen ist, daß eine Berwerthung für die Frage, ob ein Kind mehrere Tage gelebt habe, wie Casper vorschlägt, durchaus unstatthaft erscheint. 3) Die Lebensfähigkeit. Sie ist zwar weder im Deutschen StrasGB. noch im Oesterr. StrafGB. und StrafGEntw. direkt erwähnt; doch verlangt die Oesterr. StrafPO. § 130 „zu erforschen, ob das Kind lebend geboren sei" und der Entw. der StrafPO. § 81, „ob es fähig gewesen sei, das Leben außerhalb des Mutter­ leibes fortzusehen". Es scheint die Konstatirung der Lebensfähigkeit wenigstens im Sinne des Gesetzes zu liegen und dürfte daher auch diese Frage wiederholt an den Sachverständigen gestellt werden. Wir verstehen unter Lebensfähigkeit diejenige Beschaffenheit der Frucht, vermöge deren sie im Stande ist, nach erfolgter Geburt

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Kindesmord.

das Leben außerhalb der Mutter anzutreten und fortzusetzen (v. Fabrice). Die Lebensfähigkeit ist bedingt a) von jenem Alter der Frucht, daß einextrauterines Fortleben möglich ist. Erfahrungsgemäß ist dies erst der Fall nach Ablauf des siebenten Schwangerschaftsmonates und es nimmt vom 8. Monate der Schwanger­ schaft die Wahrscheinlichkeit der Lebenserhaltung, d. i. die Lebensfähigkeit in dem Maße zu, als der Zeitpunkt des Geborenwerdens näher an die 40. Schwanger­ schaftswoche heranrückt, b) Bon der normalen Bildung der Organe. Es giebt eine Reihe von angeborenen Bildungsfehlern, welche auch bei ausgetragenen Früchten ein Fortleben unmöglich machen, wie Verschluß des Mastdarms, Vor­ lagerung der Brust- oder Baucheingeweide re. 4) Das Gelebthaben in und nach der Geburt. Der Nachweis des wirklich stattgehabten Lebens ist ein unbedingtes Erforderniß zur Feststellung des That­ bestandes des K., da nur an einem lebenden Objekte eine Tödtung vollführt werden kann. Wenn wir von Leben sprechen, so wird darunter gemeiniglich das extrauterine Leben verstanden; es giebt aber auch ein Leben des Ungeborenen, ein Jntrauterinleben. Für die in Rede stehende Frage handelt es sich um die Erkennung stattgehabten postfötalen Lebens. Unter allen Funktionen der Organe des Neu­ geborenen ist der Beginn des Funktionirens der Lungen, die Einleitung der Lungenathmung gegenüber der intrauterinen Placentarathmung die Wichtigste und daher a) die Athemprobe für die Bestimmung stattgehabten Extrauterinlebens von essen­ tieller Bedeutung: „Der Nachweis oder Rückschluß auf geschehene vollkommene Athmung beweist stringent postfötales Leben; der Mangel dieses Beweises beweist keineswegs die Todtgeburt des Neugeborenen" (Jos. Hofmann). Für die Athem­ probe kommen in Betracht: die Wölbung der Brust, da durch das Athmen der Brustraum beträchtlich erweitert wird; der Stand des Zwerchfells, da dieses bei noch nicht stattgehabter Athmung viel höher steht und durch das Athmen herab­ rückt; die Ausdehnung und Farbe der Lungen, welche an Umfang durch die Füllung mit Luft sehr beträchtlich zunehmen und durch eine andere Blutvertheilung aus der dunkelbraunrothen in eine rosenrothe oder hellrothmarmorirte Färbung übergehen; ferner die Konsistenz und der Blutgehalt der Lungen. Lungen, welche nicht geathmet haben, zeichnen sich durch ihre Derbheit und leberähnliche Dichtheit aus, während sich lufterfüllte Lungen schwammig anfühlen, bei Druck leicht knistern und an den befühlenden Fingern das Gefühl sich verschiebender Luftbläschen erzeugen. Der Blutgehalt fötaler Lungen ist viel geringer, als bei solchen, welche geathmet haben, da in Folge der Veränderung des Kreislaufs eine Menge Bluts in die Lungen abströmt. Erkannt wird der höhere Blutgehalt lufterfüllter Lungen da­ durch, daß beim Einschneiden und mäßigen Druck eine reichliche Menge mit feinen Schaumblasen gemischten Blutes über die Schnittfläche quillt. Endlich kommt noch in Betracht die Schwimmprobe. Sie ist es, welche man gewöhnlich allein im Auge hat, wenn man von Lungenprobe spricht. Mit Recht jedoch wird der Sachverständige erst zu allerletzt die Schwimmprobe machen, da ihm die vorher an­ geführten Momente ebenso wichtige und unerläßliche Behelfe für die Diagnose des stattgehabten Athmens sind, wie diese. Er ist wol fast ausnahmslos im Stande, ohne Vornahme der Schwimmprobe die Diagnose zu stellen, und für ihn hat das positive Resultat derselben nur die Bedeutung einer Bestätigung der Richtigkeit seines bereits gefällten Urtheiles; dem Laien mag sie allerdings als die auffälligste Er­ scheinung am meisten imponiren. Sie wird ausgeführt, indem man die Lungen in toto und dann noch Stücke derselben in ein mit reinem Wasser gefülltes Gefäß wirft. Lungen, die nicht geathmet haben, sinken unter, die geathmet habenden schwimmen im Ganzen und in Theilen nach dem physikalischen Gesetze, daß die derben luftleeren fötalen Lungen ein größeres, die aufgeblasenen, lufterfüllten postfötalen ein geringeres spezifisches Gewicht als Wasser haben.

KkrVeSarortz.

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Gegen die Stichhalttgkeit der Schwimmprobe sind auch eine Reihe von Ein­ würfen gemacht wordm, welche meist theoretischer Spekulation entsprossen, im kon­ kreten Falle gewöhnlich leicht zu widerlegen und in ihrer Unhaltbarkeit darzuthun find. Diese Einwürfe sind: «) Fäulniß, künstliches Lufteinblasen oder ein an­ geborenes Emphysem können auch fötale Lungen schwimmen machen. Das ist richtig und doch meist nicht unschwer zu erkennen. Die Lmthaltigkeit ist in diesem Falle gewöhnlich eine ungleichmäßige, so daß neben lufterfüllten Stellen sich wieder derbe, luftleere finden. Das Einblasen könnte auch nur von einem mit dem anatomischen Baue der Athmungswege genau Vertrauten und nur bei sehr ruhiger Hand ohne Verletzung geschehen, ß) Das Niedersinken der Lungen kann die Todtgeburt nicht beweisen; denn fie können finken, wenn auch das Kind nach der Geburt gelebt hat. Allerdings kommen in seltenen Fällen Lungen von Kindern, die unzweifelhaft gelebt haben, vor, welche unterfinken. Eine genaue Untersuchung ergiebt, daß oft vielleicht große Partien vollkommen luftleer find (Atelektase), allein niemals die ganzm Lungen: einzelne, wenn auch kleine Partien müfien geathmet haben. Bei angeborener Atelektase käme übrigens die Lebensfähigkeit in Frage, y) Die Athemprobe beweist nicht unbedingt postfötales Leben, da das Kind schon vor oder während der Geburt geathmet habm kann. Die allerdings vorkommenden, vorzeitigen Athembewegungen find für unsere Frage von geringem Belange, könnm übrigens leicht durch die Auf­ findung aspirirten Fruchtwassers in dm Luftwegen nachgewiesen werden. Es ergiebt sich demnach zweifellos, daß wir, da die Bedmkm gegen die Stich­ haltigkeit der Athemprobe mehr theoretisch-spekulativer Natur als von wirklich prak­ tischer Bedmtung find, in derselben ein vorzügliches Beweismittel besitzen, um in den meisten Fallen von K. sicher entscheiden zu können ob das untersuchte Kind ge­ athmet, also „in und nach der Geburt" gelebt hat. Wenn ihre negativen Resultate uns auch nicht die volle Gewißheit einer Todtgeburt gewähren können, so sind die positiven Resultate um so zuverlässiger. Gegenüber der fundamentalen Richtigkeit der Athemprobe für den Beweis des Lebens sind die weiteren Proben allerdings von untergeordneter Bedeutung. Sie sind: b) Die Darmprobe, bastrend auf dem Beweise von Gasen im Darme, die sich erst im Postfötalleben entwickeln. c) Die Leberprobe, welche auf dem Blut­ gehalte und Gewichte der Leber fußend, sehr unsichere Resultate giebt, d) Die Harnblafenprobe und der Harnsäureinfarkt, beides unzuverlässige und un­ sichere Befunde. Nur die Prüfung e) vom Nabelschnurrest und f) der Kreis­ laufsorgane vermag noch einigen Aufschluß besonders über die Dauer postfötalen Lebens zu geben. 5) Die Todesursache. Hierbei ist zu erwägen, daß einerseits überhaupt eine große Zahl von Kindem todt geboren wird und, daß andererseits selbst ein gewaltsamer Tod ohne Schuld eines Dritten stattgehabt habm kann, so daß uns die klarsten Beweise vorliegen müfien, wenn wir unser Gutachtm aus „gewaltsame Tödtung" abgeben sollen. Die verlehmdm Einwirkungen, welche ein Kind schon vor Beginn des Geburtsaktes treffen könnm, bestehen in Stößm, Schlägm, Tritten, welche gegen den Leib der Mutter geführt durch die Bauch- und Uterus­ wand hindurch das Kind beschädigen, oder in einem Fall der Mutter mit dem Leibe gegen einen hartm Körper, wobei der Kopf des Kindes auch gegen einen Beckenknochen anprallen kann (v. Fabrice). An der Mutter finden sich nicht nothwendig Spuren der erlittenen Verletzung, da bekanntlich selbst sehr bedeutende Quetschungen und Zertrümmerungm Vorkommen können, ohne daß in der Haut Blutunterlaufungen beobachtet werden (Schauenstein). — Auch während der Geburt ist ein gewaltsamer Tod ohne die Hand eines Dritten möglich. Vor Allem ist es die durch den Geburtsakt hervorgerufene Himhyperämie, welche dm Tod in der Geburt veranlaffen kann; aber auch Knochenverletzungen, selbst Brüche der Schädelknochen

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Kindesmord.

können durch den Geburtsakt veranlaßt werden. Häufig find es Störungen des fötalen Kreislaufes, welche den Tod während der Geburt veranlassen, wie Striktur der Gebärmutter, Vorfall der Nabelschnur und Umschlingung der Nabelschnur. Die gewaltsamen Todesarten des Kindes nach der Geburt sind: a) Tod in Folge Unterlassung des nöthigen Beistandes. Er wird herbeigesührt durch Verblutung aus der Nabelschnur, bei Nichtunterbindung derselben oder durch den Mangel an Nahrung, wobei in relativ kurzer Zeit Tod durch Erhungern ein­ tritt, oder endlich durch niedrige Temperatur (Ersrierungstod), der bei Neugeborenen schon bei + 6—8° R. ziemlich bald eintreten kann, b) Tod durch Erstickung, der herbeigesührt wird entweder durch Zusammenpressen der Brust, durch Verschließung von Mund und Nase, durch Mangel von athembarer Luft (Erstickung in irrespirablen Gasen) oder durch Strangulation, Erwürgung und Erdrosselung oder endlich durch Ertränken. Eine besonders häufige Art des Ertrinkungstodes kommt hier in Betracht, nämlich das Ertränken in Aborten, Senkgruben und Kloaken, wo häufig neu­ geborene Kinder aufgefunden werden. Der Beweis, ob sie lebend oder todt dorthin gekommen, gründet sich aus den Nachweis inspirirter Kloakenflüssigkeit oder Jauche und kann in Fällen von nicht allzusehr vorgeschrittener Fäulniß allerdings geliefert werden. In manchen Fällen mag es auch richtig sein, daß Schwangere von Wehen überrascht wurden und am Abort plötzlich gebaren, so daß das Kind ohne ihr Zu­ thun umkam. Doch erheischen diese Fälle gewiß die größte Vorsicht und Umsicht des Juristen und Gerichtsarztes. e)Toddurch äußereVerletzungen. Hier kommt in erster Linie die sogenannte präcipitirte Geburt (Sturzgeburt) in Betracht, wo durch rasches Ausgetriebenwerden der Frucht, sei es daß die Mutter stehe oder liege, eine derartige Verletzung des Kopfes erfolgen kann, daß der Tod eintritt. Zweifellos sind solche Fälle beobachtet worden, doch ist auch hier die größte Vorsicht geboten und zu bedenken, daß dies seltene Vorkommnisse sind. Von anderen durch die Mutter selbst herbeigeführten gewaltsamen Todesursachen sind die Verletzungen des Kopfes sehr häufig, wobei jedoch an jene Ottifikationsdefekte der Schädelknochen zu erinnern ist, welche Fissuren vertäuschen können. Die Schädelverletzungen werden zugefügt durch Schläge oder Risse mit der Hand oder stumpfen oder spitzen Werk­ zeugen und durch gewaltsames Zerren am zuerst ausgetretenen Kopse. An anderen Organen finden sich Stöße und Schläge auf den Unterleib oder den Thorax mit Rippenfrakturen und Verletzungen von Extremitäten vor. Verbrennungen und Verbrühungen mit heißen Flüssigkeiten wurden wiederholt beobachtet, Vergiftungen dürsten bei K. kaum Vorkommen. B. Die Untersuchung der Mutter. Die Wichtigkeit ihrer Vornahme bedarf keiner besonderen Begründung. Es handelt sich hierbei zu konstatiren, ob eine des K. verdächtige oder angeklagte Person wirklich entbunden habe und zu welcher Zeit dies geschah und in welchem psychischen Zustande sich dieselbe zur Zeit der Geburt, also der That befunden habe. 1) Die Zeichen der stattgehabten Entbindung. Dieselben treten bei einer vor kurzer Zeit überstandenen Geburt deutlich hervor; nach einiger Zeit aber verlieren sich manche davon ohne Spuren zurückzulassen. Solche wieder ver­ schwindende Kennzeichen sind: die Störung des Allgemeinbefindens, welche bei normalen Geburten überhaupt keine sehr beträchtliche ist; die Nach weh en, bei Erstgebärenden gewöhnlich immer schwach und daher leicht zu verhehlen, hin­ gegen ost sehr stark bei Mehrgebärenden; die Erschlaffung und Weichheit der Bauchdecken, welche sich durch leichte Verschiebbarkeit und Runzelung der Bauchhaut erkennen lassen; die pralle Spannung der Brüste, welche sich hart und knotig ansühlen, wobei die Warzen turgesciren und die Warzenhöfe durch dunkle Pigmentirung sich auszeichnen und bei Druck Milch entleeren; der Lochialfluß, ein in der ersten Zeit braunrother, dickflüssiger, übelriechender Ausfluß aus den Ge-

KindeSurtterschiebrurg.

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nitalien, welcher später schleimig-glasig wird, und der gewöhnlich erst nach 4 bis 6 Wochen gänzlich schwindet; Turgescenz und Succulenz der äußeren Genitalien, welche wenigstens eine Woche nach der Geburt anhält, und endlich die Vergrößerung der Gebärmutter, welche erst nach 6 Wochen ihre ursprüngliche Gestalt und Kleinheit annimmt. Zu den bleibenden diagnostischen Zeichen stattgehabter Geburt gehören: Einrisse des Schamlippenhändchens und des Hymens, dunklere Pigmentirung des Warzenhofes, die Schwangerschaftsnarben an den Bauch­ decken, endlich die Veränderung des inneren Muttermundes in eine runde Form mit den bleibenden Einrissen in den Muttermundslippen. 2) Die Zurechnungsfähigkeit der Neuentbundenen. Es liegt die durch das Gesetz schon gegebene Präsumption einer verminderten Zurechnungsfähig­ keit bei Gebärenden vor, welche begründet ist durch die psychische Erregung, in die die Gebärende durch den physiologischen Akt selbst versetzt wird. Diese gesetzlich gegebene Rechtsfiktion ist daher nicht Gegenstand der gerichtsärztlichen Beurtheilung; auf ihrer bedingungslosen Voraussetzung beruht ja die mildere Auffassung und Be­ strafung des K. Für den Sachverständigen handelt es sich immer um die Be­ urtheilung eines höheren Grades von etwa vorhanden gewesener Sinnesverirrung oder transitorischer Geistesstörung. In der That werden besonders im 3. und 4. Geburts­ akte transitorische Geistesstörungen beobachtet, welche mit vollständiger Aufhebung des Bewußtseins (Amnesie) verlaufen. Diese zu konstatiren ist Sache des Gerichtsarztes. Er wird dabei außer den etwa zu erhebenden besonders schweren Geburtsvorgängen auf die Anamnese ein besonderes Augenmerk zu richten haben, so auf das Vorhandensein einer epileptischen oder hysterischen Basis oder auf kataleptische oder eklamptische Zustände zur Zeit der Pubertätsentwickelung. Durch Zusammenhalt der ganzen psychischen Persönlichkeit der Jnkulpatin mit den beson­ deren Umständen zur Zeit der Geburt , wobei noch durch äußere Umstände hinzu­ gekommene Alterationen und psychische Erregungen oder ungewöhnlich schmerzhafter Geburtsverlauf in Betracht zu ziehen sind, wird ihm auch die Lösung dieser Frage nicht unmöglich sein. Lit.: Günh, Der Leichnam deS Neugeborenen, Leipz. 1827.— Gans, Dom Verbrechen des K. — Kunze, Der K., Leipz. 1860. — v. Fabrice, Die Lehre von der KindeSabtreibung und vom KindeSmord, Erlangen 1868.— Mair, Iurist.-mediz. Kommentar rc., 1862 IV. — Casper-Liman, Handb. d. ger. Mediz., 6. Aufl., Berlin 1878 — Die Lehrbücher d. ger. Mediz. von E. Hofmann, Buchner, Schürmayer, Schauenstein, Krahmer. Kratter.

Kinde8uuterschieb««g: die wichtigste mehrfach (Belgien, Frankreich) allein berücksichtigte Spezies der Verbrechen gegen den Personenstand. Vorauszusetzen ist ein Kind, das noch unfähig ist, über sich Auskunft zu geben (Belgien: ein Kind unter 7 Jahren). Anderer Meinung ist speziell hinsichtlich des RStrasGB. v. Schwarze. Zur Handlung gehört, daß dasselbe für das Kind einer bestimmten Mutter fälschlich ausgegeben werde. Verletzt sind hierbei sowol die Rechte der ge­ täuschten angeblichen Angehörigen, als die des Kindes, insofern dessen wahrer Fami­ lienstand unterdrückt wird. Uebrigens wird nicht vorausgesetzt, daß die Absicht auf eine Benachtheiligung des Kindes gerichtet ist. Findet die Unterschiebung aus Kosten eines echten Sprößlings der betreffenden Personen statt, so konkurrirt mit ihr ideal eine gegen den letzten begangene Unterdrückung des Familienstandes. Die Gesetze behandeln indeß diese Delikte als eine Einheit (als Verbrechen der Kindes-„Verwechslung"). — Der Unterschiebung und Verwechslung wird mehrfach der Fall gleichgestellt, wo das Kind Denjenigen, denen es angehört, rechtswidrig vorenthalten (bzw. vor ihnen verborgen) wird (Belgien, Frankreich). — Bei Unter­ drückung und Vorenthaltung wird die Handlung häufig die Merkmale eines schwereren Verbrechens (insbesondere der Aussetzung oder des Menschenraubs) an-

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Kinschot — Kirchenagende.

nehmen. — Das Gern. Recht ließ diese Delikte nur auf Antrag seitens der Be­ theiligten verfolgen, schloß aber die Verjährung bei ihnen aus. Die neuere Gesetz­ gebung hat beide Singularitäten fallen lassen. Der Lauf der Verjährung sollte hier nicht beginnen, so lange der Verbrecher den rechtswidrigen Zustand, obgleich er ihn aufzuheben vermöchte, fortbestehen läßt. Die Gesetzgebung hat diese Auffassung jedoch nicht adoptirt (anderer Meinung: H. Meyer, v. Schwarze). — S. den Art. Personenstand (Verbrechen gegen den).

Gsgb. u. Lit.: RStrafG. § 169. — Ungarn § 254. — v. Holhendorff's Handb. III. S. 280 ff. (v. Schwarze). Merkel.

Kinschot, H., 5 1541 zu Turnhout, t 1608 zu Brüssel, berühmter Adv. Er schrieb: De rescr. gratiae tract. VII, Brux. 1653. Lit.: Nypels in ßelgique judiciaire III. 593; Derselbe, Bibliotheque, 94. Teichmann.

Kircheisen, Friedr. Leop. von, $ 28. VI. 1749 zu Berlin, studirte in Halle, wurde 1775 Assessor im Oberrevisionskollegium, 1787 Kammergerichts­ direktor, 1795 Kammergerichtsvizepräsident, 1798 geadelt, nahm besonderen Antheil an der Bearbeitung der Kriminalordnung von 1805, wurde 1809 Chefpräsident, 1810 Justizminister, t 18. III. 1825. Lit.: Kamptz, Jahrbb. für die Preuh. Gsgb., Rechtswiss. u. Rechtsverwaltg., Bd. XXV. S. 149—156. — Klein's Annalen der Gsgb. u. Rechtsgelehrsamkeit in den Preuß. Staaten, Bd. IX. S. 301. — Neuer Nekrolog der Deutschen für 1825 I. 379—391. — Sonnenschmidt, Gesch. d. Kgl. OTrib., Berl. 1879. Teichmann.

Kirchenagende. Das Wort „Agenda“ (ursprünglich als Plural gebraucht) bezeichnet in der ältesten kirchlichen Literatur den Gottesdienst selbst, inbesondere die Messe. Erst im 13. Jahrhundert tritt es in der heute bekanntesten Bedeutung eines liturgischen Formelbuches auf und zwar namentlich für solche Bücher, in denen die Amtshandlungen des einfachen Priesters dargestellt werden, im Gegensatz zum Pontificale. Auch ist der Ausdruck in der katholischen Kirche nie technisch geworden; seit dem 17. Jahrh, wird er vielmehr durch den Titel „Rituale“ verdrängt. Um so gebräuchlicher ist er in der protestantischen, speziell der lutherischen Kirche, wo er von Anfang an zur Bezeichnung derjenigen Bücher gedient hat, welche die gesammte Gottesdienstordnung umfassen. Von juristischem Interesse sind hauptsächlich zwei Fragen, der Agende geknüpft zu werden pflegen:

die an den Begriff

1) Inwieweit ist die in einer evangelischen Kirche gebrauchte Agende kirchenrecht­ lich bindend für die einzelnen Geistlichen? Von selbst versteht sich, daß einer bloßen Privatagende keine bindende Kraft im Ganzen zukommen kann. Nur ist dabei nicht zu übersehen, daß für die Eigenschaft als Privatagende nicht allein der Ursprung entscheidet, daß ein Agendenbuch, das zunächst als reine Privatarbeit auf­ trat, nicht blos durch ausdrückliche Sanktion der berufenen kirchlichen Organe, sondern auch kraft Gewohnheitsrechts kirchenrechtliche Geltung erlangen kann. Auch bedeutet die Thatsache, daß in einer bestimmten Kirche blos Privatagenden bestehen, niemals schon vollständige Freigebung der Liturgie in das Ermessen der einzelnen Geistlichen. So gewiß es reformatorische Anschauung ist, an der jede evangelische Kirche wird festhalten müssen, daß es für die Einheit der Kirche im religiösen, wie im juristischen Sinne nicht der Uebereinstimmung in den Ceremonien bedürfe, so gewiß hat auch jeder protestantische Gottesdienst in gewissen liturgischen Formen seine stabilen Bestandtheile. Im scharfen Gegensatze zur Predigt, in welcher sich die volle

Kirchemtgende.

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Individualität des Geistlichen bethätigen kann, sofern er nur die gesetzlich gezogenen Schrankm der Lehrfreiheit respektirt, soll die Liturgie im engeren Sinne wesentlich Ausdruck des Gemeindebewußtseins sein. Wo es daher an einer offiziellen Agende fehlt, spricht die Vermuthung nicht für ein Recht des Geistlichen, die gottesdienst­ lichen Handlungen frei nach seinem Ermeffen innerhalb der auch der Predigt gesetzten Schrankm zu gestalten, sondem immer für das Herkommen der betreffenden Ge­ meinden, mag dieses nun ganz oder theilweise als ein landes- oder provinzial­ kirchliches sich darstellen oder ausschließlich der Lokalgemeinde angehören. Aus dem gleichm Grunde aber ist überall, wo eine offizielle (auf Kirchengesetz oder Gewohnheits­ recht beruhende) Agende besteht, zu präsumiren, daß der Gebrauch der darin ent­ haltenen Formulare ein obligatorischer sein soll, soweit nicht aus dem Inhalt der Agende selbst sich das Gegentheil ergiebt. 2) Wer ist berechtigt, agendarische Normen aufzustellen resp, abzuändern? — Obgleich bei dieser Frage ganz abgesehen ist von der gewohnheitsrechtlichen Begründung oder Abänderung agendarischer Normen, so ist sie dennoch nicht identisch mit der andem: wer ist berufen Kirchengesetze zu gebm? Vielmehr sind die Organe der allgemeinm (z. B. der landeskirchlichen) Kirchengesetzgebung gerade in Betreff agendarischer Normm öfters beschränkt; andererseits haben da, wo die agendarischen Normen aus lokalem oder provinziellem Herkommen beruhen, meistens die Gemeinden resp, die Organe des Provinzialkirchenverbandes gewisse autonome Befugnisse bezüglich der Liturgie. Ueber das Maß jmer Beschränkungen oder dieser Sonderbefugnisse, die übrigms nicht selten ineinander übergreism, läßt sich nicht viel Allgemeines sagen, nicht einmal für das Gebiet der Deutschm evangelischen Landeskirchm. Zwar zeigt die Rechtsgeschichte der letzteren auch in Betreff des sog. jus in liturgicis manche ver­ wandtschaftliche Züge. Allein je mehr der Gedanke an die nothwendigen Grenzen der landesherrlichen Gewalt in liturgischen Dingen, wie er seit der Reformation immer und immer wieder austaucht, ausdrückliche Anerkennung und bestimmtere GestaÜ gewonnen hat in den neueren Kirchenverfassungsgesetzen, um so größer wird die Differenz. Das nicht nur in der Preußischen Agendensache sondern auch in manchen anderen Landeskirchen gerade in unserem Jahrhundert hervorgetretene Streben der Kirchenregierungen, einheilliche Agenden für die ganze Landeskirche zu schaffen, beherrscht auch die Mehrzahl der neueren Kirchenverfaffungsgesetze, die nur — ihrer Gesammttendenz gemäß — die „Einführung neuer Agenden" an die Zustimmung der Landessynoden knüpfen (z. B. Oldenburg 1853, § 80; Baden 1861, § 80; Hannover 1864, § 65), theilweise auch die vorgängige Beftagung der Bezirkssynoden (Hannover) oder Mittheilung zur Kenntnißnahme und event. Aeußerung an Diöcesansynoden und Gemeindekirchenräthe (Baden) fordern, ohne indessen die Landes­ synode an deren Erklärungen irgend zu binden. Auch die Oesterreich. Kirchenverfaffung von 1866 (§§ 117, 118—121) wird hierher zu rechnen sein, nur daß danach der Generalshnode nicht ein bloßes Zustimmungsrecht, sondern ein ausschließliches (aller­ dings durch Zweidrittelmajorität und resp. Wiederholung der Abstimmung in der nächsten ordentlichen Generalsynode beschränktes) Entscheidungsrecht zukommt. Den am meisten abweichenden, theilweise der Idee des Jndependentismus sich annähern­ den Standpunkt repräsentirt in der Agendengesehgebung die Preuß. Gen. Synodal­ ordn. von 1876 (§ 7, 3), wonach (mit gutem Grund) die Einführung von agen­ darischen Normen, die die Sakramentsverwaltung betreffen, von der Zustimmung der Organe der einzelnen Lokalgemeinde abhängig gemacht ist. Schlechthin allgemein ist den einzelnen Landeskirchen nur die Bestimmung der äußersten Schranken der agendarischen Gesetzgebung: sie ist identisch mit den Grenzen der Lehrgesehgebung. Lit.: Ueber Geschichte und Sammlungen der Ritualbücher und Agenden s. die Literatur­ angaben bei Daniel, Art. K. in Herzog'- theol. Real-Enchkl. — Ueber die sub 2 er­ örterte Frage s. insbes. die bei Gelegenheit des Preuß. Agendenstreits erschienenen Schriften

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Kirchenamtsvergehen — Kirchenbann.

von Schleiermacher (Pacificus Sincerus), Ueber das litura. Recht evang. Fürsten, 1828; Augusti, Ueber d. Majestätsrecht in kirchl., insbes. liturg. Dmgen, 1825; Huschte, Dheol. Votum eines Juristen in Sachen der Preuß. Hof- und Domagende, 1832. — Vgl. Bierling, Gesetzgebungsrecht evang. Landeskirchen im Geb. d. Kirchenlehre, 1869 u. Zeitschr. s. Kirchen­ recht XL 43 ff., 216 ff. — Im Allgem.: Richter-Dove, §§ 170, 245. — Mejer, §§ 194, 196 ff., 212 ff. — Hauber, Recht und Brauch (Württemberg), 1. S. 137 ff. - Jacobson, Preuß. Kirchenrecht, §§ 108—113. — v. Weber, Sachs. Krrchenrecht, 1. Aust. §§ 2—44; 2. Aust. II. 1 §§ 3—43. — Büff, Kurheff. Kirchenrecht, §§ 208—246. Bierling.

Kirchenamtsvergehen s. Verbrechen der Religionsdiener. Kirchenbann (excommunicatio; Th. I. S. 662, 685), in der katholischen Kirche die Censur, welche die davon betroffene Person in geringerem oder weiterem Umfange der kirchlichen Rechte und der kirchlichen Gemeinschaft beraubt, je nachdem sie als excommunicatio minor oder als excommunicatio maior verhängt wird. Die erstere entzieht das Recht zur Theilnahme an den Sakramenten und führt die Un­ fähigkeit zur Erlangung kirchlicher Aemter mit sich. Die excommunicatio maior schließt dagegen aus von der Theilnahme an den sonst den Gläubigen zu gute kommenden Wirkungen der kirchlichen Handlungen (z. B. des Meßopfers) und der Gebete (der sog. suffragia ecclesiae), vom Empfang, resp, der Spendung der Sakra­ mente, und von dem öffentlichen Gottesdienste (mit Ausnahme der Predigt), zieht ferner die Versagung des kirchlichen Begräbnisses, die Unfähigkeit zur Erlangung kirchlicher Aemter, den Verlust der Jurisdiktionsrechte nach sich; endlich ist der bürgerliche Verkehr mit dem so Exkommunizirten den übrigen Gläubigen bei Strafe des Eintritts der excommunicatio minor verboten. Die in feierlicher Form aus­ gesprochene excommunicatio maior wird auch anathema genannt. Angewendet werden kann die Exkommunikation nur gegen Christen. Mit Rücksicht auf die vielen vom Gem. Recht festgesetzten Fälle, in denen die excommunicatio ohne Weiteres als censura latae sententiae (s. d. Art. Censuren) eintritt, hat die Konstitution Martinas V.: Ad evitanda vom Jahr 1418, verordnet, daß der Verkehr nur mit denjenigen Gebannten abzubrechen sei, welche speziell vom Richter exkommunizirt und als solche auch öffentlich bekannt'gemacht worden wären. Seitdem unterscheidet man die sog. excommunicati vitandi und die excommunicati tolerati. Die Konstitution Pius> IX. Apostolicae sedis vom 12. Oktober 1869 hat den von selbst erfolgenden Eintritt der excommunicatio minor für die Verletzung des Ver­ kehrsverbots zwar aufgehoben, das Verkehrsverbot selbst ist aber in Betreff des namentlich in den großen Bann gethanen bestehen geblieben. Befugt zur Verhängung der excommunicatio sind die Inhaber der iurisdictio ordinaria, also der Papst, die Bischöfe (die Erzbischöfe nur in besonderen Fällen), der Kapitelsvikar und die Kloster­ oberen. Voraussetzung ist, sofern die excommunicatid nicht als Folge einer straf­ baren Handlung gesetzlich angeordnet ist, das Vorliegen eines schweren Vergehens, eine dreimalige, mindestens einmal schriftliche, vor Zeugen zugestellte erfolglos ge­ bliebene Mahnung (monitio canonica) und ein schriftliches mit Gründen versehenes, dem Schuldigen zuzustellendes Urtheil. Freilich hat man die Exkommunikation diesen Vorschriften zuwider auch im Mittelalter als reines Exekutionsmittel behufs Erzwingung der Erfüllung von rechtlichen Verpflichtungen angewandt. Im Mittel­ alter hatte das hartnäckige Verharren in der Exkommunikation die Acht des welt­ lichen Richters zur Folge, während nach heutigem Staatsrechte der K. keine welt­ lichen Strafen mehr nach sich zieht. Die evangelische Kirche hat die excommunicatio maior der katholischen Kirche zunächst verworfen und nur den kleinen Bann bei­ behalten wollen, dessen Handhabung den Trägern des Lehramtes in Verbindung mit den Gemeinden zustehen sollte.' Indessen nahmen die evangelischen Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts manche an den großen Bann erinnernde Bestimmungen auf und nach denselben gestaltete sich die Handhabung der Exkommunikation in der

XlTflJCItTttPTu.

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lutherischm Kirche dahin, daß der Geistliche zunächst eine beichtväterliche Ermahnung an die in öffentlicher Sünde Lebenden richtete, diese vor zugezogenen Gemeinde­ gliedern wiederholte und dann zu seelsorgerischer oder geheimer Zurückweisung vom Abendmahl, der Gevatterschaft und gewöhnlich auch der Trauung (sog. kleiner Bann) schritt. Bei Fruchtlosigkeit des letzteren trat dann die in die Hand der Konsistorien gelegte Anwendung des sog. großen Bannes, d. h. die öffentlich verkündete Aus­ schließung des Sünders von jeder kirchlichen Gemeinschast mit Ausschluß der Predigt und jedem nicht blos geschäftlichen Verkehr mit den übrigen Kirchengliedern ein. In der reformirten Kirche, in welcher die Hauptfunktion der Presbyterien gerade die Handhabung der Kirchenzucht war, ist der Bann in seiner Funktion als Ausschließung von den Sakramenten und von der kirchlichen Gemeinschaft ebenfalls angewendet worden. Allmählich ist aber sowol in dm lutherischm wie den reformirten Kirchm Deutschlands mit dem Verfall der Kirchenzucht der Bann außer Anwendung ge­ kommen und im Allgemeinen nur der seelsorgerische Ausschluß vom Abendmahl in Uebung geblieben. Neuerdings hat sich in Verbindung mit den Bestrebungen nach Wiedereinführung der Kirchmzucht auch die nach einer Regeneration und Wieder­ belebung des Bannes, welcher als Ausschließung von der Theilnahme an den Sakramenten und den durch die einzelnen Verfaffungen gewährten aktiven kirchlichm Rechten, als das Hauptmittel der Zucht in Betracht kommt, wieder geltend gemacht. In Folge der in einzelnen Deutschen Staaten durch neue Gesetze (so in Preußm durch Gesetz vom 13. Mai 1873) stattgehabten Regelung der Ausübung der kirch­ lichen Straf- und Zuchtgewalt ist die Verhängung der katholischen großen Ex­ kommunikation, sofem sie unter Nennung des Namens des Betroffenen erfolgt, verboten und kriminalrechtlich strafbar, weil es sich hier um eine Censur handelt, welche nach der Absicht der Kirche Folgen für das bürgerliche Gebiet äußern soll.

Quellen: Tit. X. de sententia excommun. V. 39. — Tit. VI. eod. V. 11. — dem. eod. V. 10. — Extr. Joann. XXII. eod. 13. — Extr. comm. eod. V. 10. — Conc. Trid. Sess. XXV. c. 3 de res. Lit.: Statt). Kirchenrecht: Kober, Der Kirchenbann, 2. Aufl. Tüb. 1863, und über die Const. Martini V.: Ad evitanda Hübler, Die Konstanzer Reformation, Leipz. 1867, S. 333 ff. — S. auch den Art. Censuren. — Protestant. Kirchenrecht: 0. Goeßchen, Doctrina de disciplina ecclesiastica ex ordinationibas Ecclesiae evangelicae ßaeculi XVI. adumbrata, Halae 1850. — G. Galli, Die luther. und calvin. Kirchenstrafm gegen Laien, Breslau 1879. — Richter-Dove, Kirchenrecht, 7. Aufl., §§ 227, 228. — Meier, Lehrb. des Deutschen Kirchenrechts, 3. Aufl., §§ 208 ff. — Rihsch, Die evana. Kirchenordnung, Bonn 1867, S. 172 ff. — P. Hinschius, Die Preuß. Kirchengesetze des Jahres 1878, S. 13 ff. P. Hinschius.

Kircheufabrik (fabtica ecclesiae; Th. I. S. 663/ 686) ist diejenige Ver­ mögensmasse, welche dazu bestimmt ist, die Kosten für die kirchlichen Gebäude, die kirchlichen Gerätschaften und die Kosten des Gottesdienstes bei einem kirchlichen Institut (z. B. einer Pfarrkirche) zu bestreiten. Die Frage, wer nach katholischem Kirchenrecht als der Eigenthümer dieser Masse zu betrachten ist, muß verschieden beantwortet werden, je nachdem man sich in der Kontroverse über das Eigenthum am katholischen Kirchengut überhaupt auf die Seite der Anhänger der Theorie von dem Eigenthum der Gesammtkirche oder von dem der Einzelinstitute stellt. Bei der Annahme der letzteren, für richtig zu erachtenden Meinung bleibt dann freilich noch der an dieser Stelle nicht lösbare Zweifel übrig, ob der Bausands als Eigen­ thumsobjekt der juristischen Person einer einzelnen kirchlichen Anstalt, also z. B. der Psarreistiftung, oder ob er als ein mit selbständiger Persönlichkeit ausgestatteter, eigener Fonds anzusehen ist. Da die Kirche, soweit sie Vermögenssubjekt ist, dem staatlichen Rechte untersteht, so kann das «Kirchenrecht für die erwähnte Frage nicht allein als maßgebend angesehen werden. Wie das letztere selbst kontrovers ist, so find es mitunter auch die Vorschriften des partikulären staatlichen Rechts, z. B. wird

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Kirchengemeinde.

in Preußen darüber gestritten, ob die landrechtliche Vorschrift, daß das Kirchengut im Eigenthum der Kirchengemeinden stehe, durch den freilich nunmehr aufgehobenen Art. 15 der Verf.Urk. beseitigt worden, in Frankreich und in den Deutschen Ländern des Französ. Rechts, ob das Eigenthum an den Kirchenfabriken der Civilgemeinde oder den einzelnen Pfarrei-Instituten zukomme. — Ueber die Verwaltung und Ver­ äußerung der Fabrikgüter gelten die a. a. O. dargestellten, allgemeinen-Normen. In der evangelischen Kirche ist der Begriff der Fabrikgüter derselbe. Da, wo die Eigenthumsfrage partikülarrechtlich nicht ausdrücklich, wie z. B. in Preußen durch das Landrecht, entschieden ist, bleibt auch hier die Frage, inwieweit die einzelnen Institute oder Fonds als Eigenthümer des Kirchengutes zu spezialisiren sind, eine offene. Jedenfalls läßt sich nicht allgemein für das protestantische Kirchenrecht der Satz hinstellen, daß die Gemeinde Eigenthümerin der K. ist. Lit.: Zu vgl. Schulte, Tie juristische Persönlichkeit der katholischen Kirche, ihre In­ stitute uno Stiftungen, Gießen 1869. — v. Poschinger, Tas Eigenthum am Kirchenvermögen, München 1871; und die neueren Lehrbücher des Kirchenrechts. P. Hinschius.

Kirchengemeinde (Th. I. S. 654, 673, 680 ff.), d. h. im weiteren Sinne die zu einer bestimmten Kirche gehörenden Personen, möge diese als Landes-, Provinzial-, Ortskirche gedacht sein. Im engeren Sinne versteht man jedoch dar­ unter die Anhänger einer bestimmten Kirche, welche zu der niedrigsten Stufe der Organisation vereinigt sind, also die Pfarr- oder Ortsgemeinde, wiewol beides nicht immer, namentlich nicht in großen Städten, in welchen gewöhnlich mehrere Psarrsprengel vorhanden sind, zusammenfällt. In der katholischen Kirche, nach deren Lehre ein besonders befähigtes, zur Regierung berufenes Priesterthum besteht, die Laien aber kein Recht der Einwirkung auf die kirchlichen Angelegenheiten be­ sitzen, erscheint die Pfarr- oder Ortsgemeinde lediglich als ein lokaler Begriff, als die durch das Wohnen in einem geographisch abgegrenzten Bezirk einem geistlichen Leiter, dem Pfarrer, zur Vollziehung seiner Mission zugewiesene Vielheit von Einzel­ personen. Rechte besitzen dieselben in ihrer Gesammtheit nicht, sie sind also weder eine mit dem Pfarrer verbundene, noch demselben gegenüberstehende Einheit, so daß man im strengen Sinne nicht einmal von einer katholischen Pfarrgemeinde sprechen kann. Allerdings haben einzelne Laien mitunter einen gewissen Antheil an der kirchlichen Verwaltung, so die Kirchenväter, vitrici, bei der Administration des Pfarrvermögens, aber immer stehen diese nach kanonischem Recht lediglich als Hülfsorgane der geistlichen Beamten in absoluter Abhängigkeit von letzteren, namentlich vom Bischof, während freilich in einzelnen Staaten, so in Preußen, neuerdings für die Verwaltung des lokalen kirchlichen Vermögens besondere, mit selbständigen Befug­ nissen ausgestattete Kirchenvorstände, welche durch Gemeindewahl gebildet werden und in denen der Pfarrer nur geborenes Mitglied und sogar zum Vorsitz rechtlich unfähig ist, durch die weltliche Gesetzgebung geschaffen sind. In der evangelischen Kirche erscheint jede Gemeinschaft der gläubigen Christen als Kirche, welche den Beruf derselben durch Ausübung der göttlichen Voll­ machten erfüllen kann. Auch besteht zwischen den Gliedern derselben und dem ordnungsmäßig zu bestellenden Träger des Lehramtes — weil dessen Thätigkeit nicht zur Erwerbung des Heils seitens der Einzelnen nothwendig ist — kein Gegensatz, vielmehr find die einzelnen Mitglieder befugt, neben dem Repräsentanten der Schlüssel­ gewalt mit an der Leitung der Kirche und der Verwirklichung ihrer Zwecke theilzunehmen. In den Anfängen der Reformation finden sich hin und wieder Orga­ nisationen in einzelnen Städten, welche diese Prinzipien zur Geltung gebracht haben, im Großen und Ganzen ist das aber nicht der Fall gewesen. Bei der weiteren Verbreitung der neuen Lehre in den einzelnen Territorien hat man in den Gebieten der lutherischen Reformation einmal die frühere katholische Distriktseinrichtuug

Kirchengüter.

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übernommen und damit, sowie mit dem Uebergange des früheren bischöflichen Regiments aus die einzelnen Landesherren, war die Möglichkeit, sich über die Frage der Stellung der einzelnen Ortsgemeinden zu der Gesammtkirche klar zu werden, ausgeschlosien. Dazu kamen die übrigen Gründe, welche eine Entwickelung aktiver Rechte der Gemeinden gehindert, und das geistliche Amt in den Vordergrund gestellt haben. Unter fort­ dauernder Einwirkung der früheren katholischen Anschauungen blieben die Pfarr- oder Ortsgemeinden die geographisch abgegrenzten Sprengel der kirchlichen Verwaltung und der Ausübung der Seelsorge, deren Einsassen zwar prinzipiell fähig waren, an der Leitung ihrer kirchlichen Angelegenheiten theilzunehmen, aber nur gewiffe vereinzelte, kaum mehr im Zusammenhänge mit dem allgemeinen Priesterthume erscheinende Rechte ausübten, wie das Recht des Einspruches bei der Besetzung der Pfarrstelle, die Betheiligung einzelner Gemeindeglieder bei Handhabung des Bannes und bei der Vermögensadministration. In der resormirten Kirche Frankreichs ist dagegen das Recht der Gemeinde auf selbständige Verwaltung ihrer Angelegenheitm zum ersten Mal in der Einrichtung der consistoires zum klaren Ausdruck gebracht. Was die heutigen Gestaltungen Deutschlands betrifft, so hat man in dm lutherischen, resormirten und unkten Kirchen jetzt wieder eigene Organe für die Verwaltung der lokalen kirchlichen Gemeindeangelegenheiten eingesetzt, die unter dem Vorsitz des Pfarrers eingerichteten Presbyterien, Gemeindekirchenräthe; neben denen häufig, z. B. in den älteren sechs östlichen Provinzen Preußens, in Rheinpreußen, Baden, Oldenburg, Schleswig-Holstein, noch eine größere Gemeindeversammlung gewiffe wichtige Akte, z. B. die Einführung von Kirchensteuern, Wahl der Mitglieder des Presbyteriums, Konsensertheilung bei der Veräußerung des Kirchengutes wahr­ zunehmen hat. Der Antheil der Gemeinden hinsichtlich der über die Einzelgemeinde hinausgehenden Angelegenheiten wird geltend gemacht durch die Vertretung der Lokal­ gemeinde auf den höheren synodalen Stufen, muß also je nach der Stellung der einzelnen Synoden zu den das landesherrliche Kirchenregiment ausübenden Be­ hörden (s. a. a. O.) ein verschiedener sein. Femer ist oft bei solchen Anordnungen, welche eine bestimmte Gemeinde berühren, aber doch in ihrer Wirksamkeit über die­ selbe hinausgehen, z. B. bei Parochie- und Distriktsveränderungen, die Gemeinde durch ihren Vorstand und nicht blos durch das höhere Repräsentationsorgan zu hören, so in Rheinpreußen, Hannover und Baden, wiewol freilich bei anderen der­ gleichen Angelegenheiten, welche nicht nothwendig in einer bestimmten Kirche uniform sein müffen, z. B. der Einführung von Gesangbüchem und Agenden, mitunter die vorgängige Aeußerung der Einzelgemeindm, welche z. B. in Baden erforderlich ist, — nicht so in Hannover — eingeholt zu werden braucht. — Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gemeinde wird durch das Domizil bestimmt. Wo nicht nur dies, sondern noch eine besondere persönliche Qualifikation in Frage kommt (wie z. B. die Qualität des Militärs für die Garnisongemeinden), spricht man von Personalgemeinden. Diese können auch dadurch entstehen, daß zerstreut unter den Gemeinden der herrschenden Kirche lebende Anhänger eines bestimmten Bekenntnißstandes zu besonderen K. vereinigt sind, wie das in Deutschland mit den einzelnen Gemeinden der Französischen Refuaks der Fall ist. Quellen: Dove, Sammlung der neueren Kirchenordnungen, Tübingen 1865. P. HinschiuS.

Kircherrgüter (res ecclesiasticae; Th. I. S. 664, 686) sind die im Eigen­ thum der Kirche stehenden einzelnen Sachen und im weiteren Sinne auch die ihr zukommenden sonstigen Vermögens-, wie z. B. Forderungsrechte. Selbst die res sacrae, d. h. diejenigen, welche den Zwecken des Gottesdienstes unmittelbar dienen, können nicht für res extra commercium, wie es das Röm. Recht hinsichtlich der von ihm als res Juris divini angesehenen Sachen thut, erklärt werden, ja einzelne derselben stehen sogar, wie dies bei Schloß- und Hofkirchen, Privatkapellen, v. Holtzendoxff, 6nc. II. Rechtslexikon II. 3. Aust.

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Kirchensteuern.

Gefängniß- und Hospitalkirchen der Fall, nicht einmal im Eigenthum der Kirche, sondern anderer Personen. Die Bestimmung dieser Gegenstände zu dem gedachten Gebrauch hat nur die Bedeutung, daß solange die kirchliche Behörde sie diesem widmet, mit demselben unvereinbare oder gar sie profanirende rechtliche Verhältnisie weder durch Vertrag noch Ersitzung, noch sonst entstehen können, während andere Rechte, z. B. Rechte auf Benutzung von Kirchenstühlen in der Kirche, auf Grabstätten auf den Kirchhöfen, vollkommen gültig bestellt werden dürfen. Mit der Aufhebung der gottesdienstlichen Bestimmung der betreffenden Gegenstände hört aber die obengedachte Eigenschaft, welche man als eine beschränkte ertrakommerziale Qualität bezeichnen kann, auf. Deshalb ist auch eine Veräußerung derselben, wenn sie nicht mehr gebraucht werden, zulässig, ja das Kirchenrecht gestattet sie sogar, wenn ein dringender Grund namentlich die Nothwendigkeit der Uebung christlicher Barmherzigkeit, vorliegt, außer Gebrauch zu sehen. Endlich haben selbst Päpste, wie z. B. Jnnocenz VIII., das päpstliche Triregnum und andere dem Papste bei seinen gottesdienstlichen Funktionen dienende kostbare Geräthschasten, um sich und den Kirchenstaat aus Geldverlegenheiten zu retten, an Kaufleute verpsändet. Im Uebrigen ist hinsichtlich der sonst hier in Frage kommenden Punkte Th. I. a. a. O. zu vergleichen. Nur darauf ist an dieser Stelle noch aufmerksam zu machen, daß im Anschluß an heidnische und jüdische Sitte die katholische Kirche für die Stätten des Gottesdienstes, Kirchen, Vorhöfe von diesen und Friedhöfe, bis auf den heutigen Tag das fog. Asyl recht beansprucht, d. h. der dorthin geflüchtete Verbrecher, welcher kanonische Buße leisten will, nur gegen das Versprechen der Ver­ schonung mit Leibes- und Lebensstrafen an die weltliche Obrigkeit ausgeliefert werden solle. Während aber die Kirche nur einzelnen Verbrechern das Asylrecht verweigert, hat fast überall die moderne weltliche Gesetzgebung daffelbe im Jntereffe einer geord­ neten Strafrechtspflege beseitigt (so z. B. ausdrücklich in Preußen, Württemberg, stillschweigend in Bayern), indessen dürfen Verbrecher an den gedachten Orten nur mit möglichster Beachtung der denselben schuldigen Ehrfurcht ergriffen werden.

Quellen: c. 13—16, 70 C. XII. qu. 2. — 1. 21 C. de sacros eccles. I. 2. — Nov. 120 c. 10, 11. — Tit. X. de immun, eccl. III. 49. — Tit. VIü eod. III. 23. Lit.: H. Wappaeus, Zur Lehre von den dem RechtSvertehre entzogenen Sachen, Gött. 1867, S. 12 ff. — Herrmann, Ueber das Recht der Einräumung evangelischer Kirchen zu nichtgottesdienstlichem Gebrauch in Dove's und Friedberg's Ztschr. für Kirchenrecht, V. 234 ff. — Ueber das Afylrecht: Discursus Prosperi Lambertini (Benedicti XIV) in den Analecta juris pontificii, Romae 1861, p. 1068 «8. — Dann in der Zeitschr. f. Deutsches Recht, III. 327 ff. — Bulmerincq, Das Asylrecht, Dorpat 1853. P. Hinschius.

Kirchensteuern. Die Beiträge der Kirchenglieder zur Erhaltung des äußeren Kirchenwesens zerfallen in vier Klaffen: 1) Oblationen, d. h. strenggenommen frei­ willige , aber bei gewissen Gelegenheiten übliche Gaben; 2) Gebühren, d. h. feste, tarmäßige Beträge, die für bestimmte Amtshandlungen (nur in der Regel nicht vorher) gefordert werden dürfen, und zu welchen nicht nur Stol- und Erpeditionsgebühren, sondern auch die in der katholischen Kirche vorkommenden Annaten, Pallien­ gelder u. s. w. zu rechnen sind; 3) ständige, periodische Abgaben (sei es in Geld oder in Naturalien) und Dienstleistungen (z. B. gewisse Parochialfrohnden); 4) außer­ ordentliche Abgaben und Leistungen, wie die Prokurationen bei der Visitation, die Kirchenbaulasten, Gespannstellung beim Anzuge des Psarrers u. s. w. Von all diesen mannigfachen Verpflichtungen gehören unter den Begriff der K. im engeren Sinne nur solche sub 3 und 4 genannte Abgaben (nicht die dort miterwähnten sonstigen Leistungen), welche nicht aus spezielle Privatrechtstitel sich gründen. -Noch schärfere Begriffsbestimmung wäre vielleicht erwünscht, ist aber nach Lage der Tinge kaun: zu geben. Insbesondere erscheint es nicht gerechtfertigt, mit Dove den Begriff der K. aus diejenigen Abgaben zu beschränken, „welche sich lediglich durch den Umfang

Kirchenzucht.

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der allgemeinen oder speziell gearteten kirchlichen Bedürfnisse objektiv begrenzen und auf dem allgemeinen Subjektionsverhältniß der Kirchenglieder beruhen." Die Analogie des staatsrechtlichen Steuerbegriffs, auf welche Dove sich beruft, spricht in Wahrheit gegen ihn. Es giebt heute kaum Eine Staatssteuer, die durch den Umfang be­ stimmter Staatsbedürfniffe sich begrenzt. Nur für das Steuersystem des Staats als Ganzes oder richtiger für die Gesehgebungsfaktoren, die daffelbe fortgesetzt zu reguliren haben, ist der Umfang der Staatsbedürfniffe maßgebend; für die einzelne Steuerart (selbst unter den direkten Steuern, von den indirekten ganz zu schweigen) ist der Umfang des Bedürfniffes, zu deffen Befriedigung sie bienen soll, völlig irrelevant, mithin auch für die Frage, ob eine gewiffe Abgabe als „Steuer" anzu­ sehen. Richtig ist nur, daß das angebliche Kriterium einen wichtigen Gesichtspunkt hir die Klassifikation der K. bildet. Man kann danach unterscheiden: Steuern, deren Höhe eine allgemeine (nicht blos für den einzelnen konkreten Fall oder für eine bestimmte Zeit aufgestellte) Rechtsregel lediglich nach den zu besteuernden Ob­ jekten bestimmt (wie insbesondere die Zehnten, soweit sie sog. universelle sind), und „Umlagen", d. h. Steuern, für deren Betrag in erster Linie die Höhe derjenigen Bedürfnisse maßgebend ist, um deren willen sie ausgeschrieben werden (so schon nach Kanonischem Recht die Kirchenbaulasten, so nach den neueren evangelischen Kirchen­ gesetzen die Umlagen zur Bestreitung der Shnodalkosten, zur Bildung und Erhaltung von Emeritenfonds u. dgl.). Daß übrigens die letztere Steuerart ein allgemeines Subjektionsverhältniß der Besteuerten als Mitglieder der bezüglichen Gemeinde-, Provinzial- oder Landeskirche zur regelmäßigen Voraussetzung hat, ist zuzu­ geben. Als ausschließliche Grundlage aber, auch nur dieser Art, ist es gleichfalls nicht zu bezeichnen, selbst wenn man ganz abfieht von der dem älteren Landeskirchenthum eigenthümlichen Anomalie, daß die Kirchenbaulast öfters auch die Nichtkonfessionsgenoffen trifft. Vielmehr begründet nach kathol. Kirchmrecht jenes allge­ meine Subjektionsverhältniß nur eine subsidiäre Steuerpflicht für die Fälle, wo Umlagen auf Kirchenkaffen, Geistliche und Patrone nicht ausreichen, und in den evangelischen Kirchen kommen wenigstens neben den Umlagen, welche die Gemeinde­ glieder u. s. w. als solche treffen, mannigfache Arten von Umlagen auf jene beson­ ders qualifizirten kirchlichen Subjekte vor (früher namentlich wieder als Kirchenbau­ lasten, heute auch für andere Zwecke, nur meist erst dann, wenn das Einkommen eine gewiffe Höhe übersteigt, vgl. z. B. Preuß. Gen.Synodalordn. 1876, § 14). Lit.: Dovers Ref. in den Berh. der Eisenacher Kirchenkonferenz(Allg. Kirchenbl. Jahrg. 1870 Bd. XIX. S. 539 ff.). — Richter-Dove, §§ 232—237. — Mejer, § 156 (d. 3. Ausl.) und in Herzog's theol. Realenchtt. I. S. 75 ff., Art. Kirchl. Abgaben. — Walter, §§ 195 ff. Bierling.

Kirchenzucht (Th. I. S. 152, 662, 685) im weiteren Sinne ist die von der Kirche ausgehende erziehende Thätigkeit, welche den Zweck hat, die christliche Gemeinde immer mehr und mehr ihrer Bestimmung, der christlichen Heiligung, entgegenzumhren. Sie wird durch die verschiedensten kirchlichen Thätigkeiten, die Predigt, die Katechese, Verwaltung der Sakramente, Gebet, Seelsorge rc. geübt. Im engeren Sinne bedeutet dagegen K. diejenige Thätigkeit der Kirche, welche bezweckt, diese von den der Heiligung entgegentretenden Bestrebungen und den dem religiös-sittlichen Gedeihen hinderlichen Verhältniffen zu reinigen, vor allem ist sie also gegen offenbar gewordene und schwere sittlich-religiöse Verfehlungen, wie Gotteslästerung, wüstes Leben, Unzucht, Ehebruch rc. gerichtet. In der älteren christlichen Kirche wurde sie in der Weise ausgeübt, daß man für leichtere Fehler Büßungen auferlegte, welche in größerem oder geringerem Maße auch die Versagung der Theilnahme an den kirchlichen Handlungen bis zur Versöhnung unter Handauflegung seitens des Bischofs zur Folge hatten, während Diejenigen, welche Todsünden begangen, von der Gemein­ schaft ausgeschloffen wurden. Im Mittelalter diente dazu in der katholischen Kirche das System der Strafmittel (censurae und poenae vindicativae, s. a. a. O. S. 153), 30*

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Kirchstetter — Klage.

daneben aber die Handhabung des Sakramentes der Buße im Beichtstuhl und endlich die der Seelsorge durch den Ortspfarrer. Da die Staatsgesetzgebung aber jetzt den kirchlichen Strafmitteln keine bürgerlichen Folgen mehr beilegt, und dieselben in der Anschauung der Bevölkerung vielfach auch ihre Bedeutung verloren haben, so bleibt heute der katholischen Kirche praktisch fast nur die Einwirkung durch die Pfarrer und durch den Beichtstuhl als Mittel der Ausübung der K. übrig. — Was die evangelische Kirche betrifft, so bildet die Grundidee der Verfassung der reformirten Kirche gerade die, ein schriftmäßiges Organ für die K. zu schaffen, welches das Ein­ seitige und Gehässige der klerikalen Zucht vermeidet (s. im Uebrigen a. a. O. S. 678). In der lutherischen Kirche, in welcher zunächst die Pastoren mit der Handhabung des Hauptmittels der K., d. h. mit der des Bannes, betraut waren und keine festen Einrichtungen für die Betheiligung der Gemeinde gefchaffen wurden, ist die Aus­ übung der Zucht schon früh in Verfall gerathen (s. auch a. a. O. S. 685), und es haben sich daher heute nur noch vereinzelt in den Gemeinden eigenthümliche Reste der Zucht, so z. B. Zurücksetzung der unehrbaren Personen gegen die ehrbaren in Betreff der Taufen, Aufgebote, Trauungen re., erhalten. Neuerdings hat sich in der evangelischen Kirche namentlich seitens eines Theils der Geistlichkeit vielfach das Verlangen nach einer Wiederbelebung der K. erhoben, während andererseits darin eine hierarchische, mit dem Wesen der evangelischen Freiheit unvereinbare Forderung gefunden worden ist. Das letztere ist insofern unhaltbar, als der Kirche unmöglich das Recht abgesprochen werden kann, solche Mitglieder, welche durch lasterhaften und unchristlichen Wandel ein offenbares Aergerniß geben, von denjenigen Hand­ lungen fern zu halten, welche bei dem Teilnehmenden nothwendiger Weise eine christliche Gesinnung erfordern. Man kann der Kirche nicht zumuthen, durch die Zulassung solcher Personen gewissermaßen die Erklärung abzugeben, daß es oiif christliche Gesinnung bei jenen Akten nicht ankomme. Unter allen Umständen wird aber einmal die K. nicht zu nach unseren heutigen Anschauungen den Fehlenden öffentlich demüthigenden Bußen greifen dürfen und ferner kann sie nicht allein in die Hand der Pastoren und Konsistorien gelegt, vielmehr wird sie nur unter Mit­ wirkung der Gemeinde gehandhabt werden können, für welche die neueren kirchlichen Gemeindeordnungen (s. a. a. O. S. 680) überall Raum gewähren. Bit: Katholischerseits keine Monographie. — Für die protestantische Kirche s. Sack, Versuch einer entscheidenden Erörterung der Frage, ob und wie Kirchenzucht wieder eingeführt werden solle, Heilbronn 1845. — Stahl, Vorträge über Kirchenzucht in der evangel. Kirchen­ zeitung, 1845, Nr. 47 ff., und besonders Berl. 1857. — Fabri, Ueber Kirchenzucht im Geiste des Evangeliums, Stuttg. 1854. — Otto, Versuch einer Verständigung über Kirchenzucht, Dillenburg 1854. — Nerde, Die Kirchenzucht, Bonn 1856. — Moser', Allg. Kirchenblatt, VL 263—291. — C. Jmm. Nitzsch, Praktische Theologie, Bd. III. (die evangelische Kirchen­ ordnung), S. 172 ff. — v. Scheurl, Samml. kirchlicher Abhandlungen, Erlangen 1872, S. 97. — Vgl. auch die Art. Censuren und Kirchenbann. P. Hinschius.

Kirchstetter, Ludwig, Ritter von, 6 4. IV. 1837 zu Niederlies in Nieder­ österreich, aus alter Reichsritterfamilie, wurde in Wien 1862 Dr. jur., 1869 Advokat, monatelang umnachteten Geistes, f 30. VI. 1875. Schrift: Komm. z. Oesterr. Allg. BGB., Leipz. 1868, (3) 1876 von Dr. v. Maitisch be'01$it.: Jurist. Blätter 1875 Note 27 S. 352. Teichmann.

Klage (v. Bar, Th. I. Suppl. S. 41) war im Gemeinen Prozeß der erste Schriftsatz, mit dessen Einreichung bei Gericht der Prozeß begann und der den Zweck hatte, den vom Kläger geltend gemachten Anspruch und sein aus demselben her­ geleitetes Begehren darzulegen. Die K. hatte in dem Rubrum die Angabe der Par­ teien und eine kurze Bezeichnung des Streitobjektes, ferner im Kontext den thatsächlichen Klage gründ (s. diesen Art.) oder die sog. Geschichtserzählung, und den Antrag, das Petitum oder die K.bitte, zu enthalten. Ein rechtliches Fundament mußte der K. eben­ falls zu Grunde liegen, doch bedurfte es der besonderen Darlegung desselben nicht. Das

Kla-e.

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rechtliche Fundament, die Rechtssätze, woraus sich die K. zu stützen hatte, bilden den Obersatz, als Untersatz, auf welchen dieser angewendet wird, stellt sich die Ge­ schichtserzählung dar, in welcher alle das in Anspruch genommene Recht begrün­ denden Thatsachen zu behaupten waren. Der K.antrag muß sich als logischer Schluß aus dem Obersatz und dem Untersatz ergeben. Die K.schrift erfüllte somit im Gemeinen Prozeß die doppelte Funktion, den Anspruch behufs Feststellung des Umfangs der Rechtshängigkeit zu individualisiren, und ferner dem Richter die den Anspruch begründenden Thatsachen in dem zu diesem Behuf bedingten Umfang darzulegen, d. h. den Anspruch zu sub staut Liren. In dem mündlichen Verfahren der Deutschen CPO. fällt die Unterbreitung des thatsächlichen Streitmaterials und damit auch die Begründung der Parteianträge der mündlichen Verhandlung anheim. Die Substantiirung der K. kann daher, soweit diese für das Gericht maßgebend ist, nur mündlich, nicht schriftlich erfolgen. Wol aber ist im Reichscivilprozeß die Schrift für die K., insoweit sie die erstgedachte Funktion der Jndividualisirung des Anspruchs erfüllt, als wesentliches Erforderniß im Anwaltsprozeß beibehalten worden. Daher beginnt der Rechtsstreit in diesem Verfahren auch noch jetzt mit einem schriftlichen Akt, und ohne denselben kann der vom Kläger geltend gemachte Anspruch nicht rechtshängig werden. Die wesentlichen Erfordernisse der K., bei deren Mangel die eben gedachte Wirkung nicht eintreten kann, bestimmen sich nunmehr nach der alleinigen Funktion, welcher die K. dient. Sie find also nicht mehr dieselben, wie im Gemeinen Prozeß, vielmehr hat die K. als Essentialien nur zu enthalten: 1) die Bezeichnung der Parteien, 2) die des Ge­ richts, 3) die bestimmte Angabe des Gegenstandes des erhobenen Anspruches, 4) die des Grundes des letzteren (s. d. Art. Klagegrund), 5) den K.antrag, 6) die Ladung des Beklagten vor das Prozeßgericht zur mündlichen Verhandlung des Rechtsstreites, mit welcher die Aufforderung verbunden sein muß, einen bei dem Gericht zugelaffenen Anwalt zu bestellen, und 7) die Unterschrift des Anwalts des Klägers. Die mündliche Verhandlung soll aber nach der CPO. im Anwaltsprozeß durch Schriftsätze vorbereitet werden. Die Erfüllung dieser Funktion ist der K. namentlich im Hinblick auf die Information des Beklagten und die erforderliche Vorbereitung deffelben für seine Entgegnung gleichfalls beigelegt. Sie ist aber, weil die vor­ bereitenden Schriftsätze überhaupt nicht effentiell sind, keine wesentliche. Nur instruktionell ist daher vorgeschrieben, daß die K. außer den wesentlichen Erforderniffen noch zu enthalten hat: die Angabe der thatsächlichen Verhältniffe, welche den K.antrag begründen (nicht soweit dies zur Substantiirung, sondern nur soweit dies zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung erforderlich erscheint), die Bezeichnung der Beweismittel für die thatsächlichen Behauptungen und endlich auch die Angabe des Werthes eines nicht in einer bestimmten Geldsumme bestehenden Streitgegenstandes, falls sich danach die Zuständigkeit des Gerichts bemißt. Die Erhebung der K. erfolgt in der Weise, daß der Kläger die Urschrift der K. nebst einer für das Gericht bestimmten Abschrift dem Gerichtsschreiber des Prozeß­ gerichtes zur Terminsbestimmung einreicht. Die letztere hat der Vorsitzende des Ge­ richtes binnen 24 Stunden zu bewirken. Eine materielle Prüfung hat derselbe dabei nicht zu üben, andererseits hat er aber einen Termin nur dann anzuberaumen, wenn die K. formell die vorgeschriebenen Effentialien aufweist. Nur dann ist das Schrift­ stück eine K. im Sinne der CPO. Als K. bezeichnete Schriftstücke, welche in der That Liebesbriefe, Dinereinladungen sind, in denen die Angabe des Beklagten, jedes Petitum fehlt, müssen also zurückgewiesen werden. Die Urschrift der mit der Ter­ minsbestimmung versehenen K. nimmt der Kläger zurück und hat dieselbe durch einen Gerichtsvollzieher dem Beklagten zustellen zu lasien. Mit dieser Zustellung ist die K.erhebung vollendet und die Rechtshängigkeit der Streitsache (s. diesen Art.) begründet.

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KlLgeikrdenmg.

Im amtsgerichtlichen Prozeß fällt bei der ft. die Aufforderung an den Be­ klagten, einen Anwalt zu bestellen, sowie die Unterschrift des Anwalts fort. Auch sönnen alle weiteren Angaben, welche sie im Anwaltsprozeß nach instruktioneller Vorschrift enthalten muß, wegbleiben, weil diese nur in ihrer Eigenschaft als vor­ bereitender Schriftsatz erfordert werden und vor dem Amtsgericht eine Vorbereitung der mündlichm Verhandlung durch Schriftsätze nicht angeordnet ist. Die K. ist bei dem Prozeßgericht entweder schriftlich einzureichen oder zu Protokoll des Gerichts­ schreibers anzubringen. Die Erhebung erfolgt durch Zustellung der K.schrist oder des die ft. enthaltenden Protokolls, und zwar hat der Gerichtsschreiber nach statt­ gehabter Terminsbestimmung dafür Sorge zu tragen, sofern der Kläger nicht erllärt hat, dies selbst thun zu wollen. Ausnahmsweise kann auch die K. mündlich in einem ordentlichen Gerichtstage ohne vorgängige Terminsbestimmung und Ladung, angebracht werden, wenn beide Parteien vor Gericht zur Verhandlung des Rechts­ streites erschienen sind. Die Erhebung erfolgt in diesem Fall durch den mündlichen Vortrag. Was die Terminsbestimmung bei der Verhandlung der ft. betrifft, so muß diese so erfolgen, daß im Anwaltsprozeß eine Frist, sog. Einlassungssrist, von mindestens einem Monat zwischen der Zustellung der ft. und dem Termin selbst liegt. Das Minimum dieser Frist beträgt aber in Handelssachen zwei Wochen, in Meß- und Marktsachen, sowie bei Wechselklagen 24 Stunden, in letzterem Falle bei Zustellung an einem anderen Orte im Bezirk des Gerichtes drei Tage, an einem nicht in demselben gelegenen Ort in Deutschland eine Woche. Im amtsgerichtlichen Prozeß ist das regelmäßige Minimum drei Tage bei Zustellung im Bezirk des Prozeßgerichts, bei einer Zustellung an einen anderen Ort im Deutschen Reich eine Woche, in Meß- und Marktsachen 24 Stunden. Rur wmn die Zustellung im Aus­ lande vorzunehmen ist, steht die Bestimmung der Frist schlechthin beim Vorsitzenden des Gerichts. Die erhobene K. kann der Kläger ohne Einwilligung des Beklagten nur bis zum Beginne der mündlichen Verhandlung des Letzteren zur Hauptsache zurücknehmen. Die Zurücknahme erfolgt durch mündliche Erklärung in dem Verhandlungstermine oder anderenfalls durch Zustellung eines Schriftsatzes, von welchem sofort nach der Zu­ stellung eine Abschrift auf der Gerichtsschreiberei niederzulegen ist. Tie Zurücknahme bewirkt nicht den Verlust des materiellen Anspruchs, wol aber vernichtet sie die ein­ getretene Rechtshängigkeit und alle Folgen derselben. Auch hat der Kläger die Kosten des Rechtsstreites, soweit nicht etwa bereits rechtskräftig darüber erkannt ist, zu tragen. Der Beklagte kann diese Verpflichtung durch Urtheil aussprechen laffen, um für die Beitreibung der ihm zu erstattenden Kosten einen vollstreckbaren Titel zu erlangen. Eine wiederholte Anstellung der zurückgenommenen ft. ist nicht ausgeschlossen, nur ist der Beklagte befugt, die Einlastung auf dieselbe und zwar im Wege einer prozeß­ hindernden Einrede so lange zu verweigern, bis ihm die Kosten des früheren Ver­ fahrens erstattet worden sind.

Quellen: Deutsche CPO. 230, 121, 192, 74, 233, 234, 243, 247 Nr. 5, $$ 456 bis 461, 567. - Deutsches GBG. § 102. Lit.: Wach, Vorträge über die RCPO., Bonn 1879, S. 14 ff. P. Hin schius. fllageänbtrnng (mutatio libelli), d. h. die Veränderung der eingereichten Klage in der Art, daß sie in der neuen Fassung mit der ursprünglich angestellten nicht mehr identisch ist. Eine solche liegt bei Veränderung des thatsächlichen Fundaments, aber auch bei Veränderung der Klagbitte hinsichtlich des Objektes und der Art der Kondemnation vor, wogegen eine Beschränkung des Petitums auf ein schon ursprünglich in demselben enthaltenes Minus, eine durch Ereignifle während des Prozeffes gebotene Umänderung der Klagebitte (z. B. in Folge der Zerstörung der Sache durch den Beklagten), endlich eine bloße Aenderung der rechtlichen

Klageantrag — Klagebeantwortung.

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Deduktion nicht unter den Begriff der mutatio libelli fallen. Im Gemeinen Prozeß ist die K. von der Zeit der Einlassung des Beklagten auf die Klage, von der Litiskontestation ab, unzulässig. Tenn im schriftlichen Prozeß soll durch diese beiden Schriften die feste thatsächliche Grundlage für die weiteren Verhandlungen gegeben sein und darum hat der Beklagte ein Recht, lediglich sich an die einmal eingereichte Klage zu halten. Folgeweise ist eine mutatio in dem gedachten Sinne nur vor der Litiskontestation gestattet, während nach derselben, wenn der Kläger nicht die der Veränderung bedürftige Klage zurücknimmt und mit der verbesserten einen neuen Prozeß beginnen will, eine Abweisung ab instantia in Folge der mutatio libelli eintritt. Bloße sog. declarationes und emendationes libelli, d. h. Erklärung un­ deutlich gefaßter Stellen, Ergänzungen, welche das Faktum näher ausklären, Ver­ besserung von Rechnungs- und Schreibfehlern, kurz alle Aenderungen, die außerhalb der Grenzen der mutatio libelli liegen, sind noch nach der Litiskontestation erlaubt. Die Deutsche CPO. schließt die K. von dem Zeitpunkt der mit der Zustellung der Klage und Ladung eintretenden Rechtshängigkeit ohne Zustimmung des Beklagten, welche aber in der Berufungsinstanz nicht mehr statthaft ist, aus. Als K. gilt es nach ihr nicht, wenn blos die thatsächlichen und rechtlichen Anführungen ergänzt oder berichtigt werden, wenn der Klageantrag in der Hauptsache oder in Bezug auf Rebenforderungen erweitert oder beschränkt wird (wobei vorauszusetzen ist, daß der neue Antrag aus dem bereits individualisirten Anspruch ebenfalls folgt), und wenn statt des ursprünglich geforderten Gegenstandes wegen später eingetretener Veränderungen ein anderer Gegenstand oder das Interesse verlangt wird. Quellen: Deutsche EPO. §§ 240, 241, 489. Lit.: Bayer, Ueber die Aenderung des Klaglibells, Landshut 1819. — Buchka, Eindes Prozesses auf das materielle Rechtsverhältniß, II. § 18. — Planck, Die Lehre vom eweisurtheil, 6. 242 ff. — Kühne in den Derhandl. des 13. Deutschen Juristentages, Berlin 1876, Bd. I. S. 216 ff. P. Hinschius.

Klageantrag (v. Bar, Th. I. Suppl. S. 55—57) ist derjenige Theil der Klage, in welchem gesagt wird, wozu der Beklagte verurtheilt werden soll. Im Gemeinen Prozesse war jede Veränderung des K. verboten. Doch konnte der Kläger das zuviel Geforderte fallen lassen, damit er nicht, weil zu viel fordernd (wegen plus petitio), ganz abgewiesen wurde. Dagegen ließen §§ 21 und 22 I. 5 der Preuß. Ger.O. bis zum Schluffe der ersten Instanz die Aenderung des K. zu, wenn sich die Sachlage so herausstellte, daß der geänderte K. der eigentlichen Sachlage ent­ sprach. In Uebereinstimmung mit § 203 der Hann. Prz.O. bestimmt die Deutsche CPO. in § 240, daß es als eine unzulässige Aenderung des K. nicht angesehen werden soll, wenn derselbe in der Hauptsache oder in Beziehung auf Rebenforderungm erweitert oder beschränkt wird, oder wenn statt des ursprünglich geforderten Gegen­ standes wegen einer später eingetretenen Veränderung ein anderer Gegenstand oder das Interesse verlangt wird. Die Einwilligung des Beklagten in die Aenderung des K. ist nach § 241 anzunehmen, wenn derselbe ohne der Aenderung zu wider­ sprechen, sich in einer mündlichen Verhandlung aus die abgeänderte Klage eingelaffm hat. Rach § 279 darf das Gericht einer Partei nichts zusprechen, was von ihr nicht beantragt ist. Dies gilt auch von Zinsen, Früchten und anderen Reben­ forderungen; nur über die Tragung der Kosten ist auch ohne Antrag zu erkennen. Lit.: Endemann, DaS Deutsche Civ.Prz.R., § 166 II. 8. — Leonhardt, Kommentar jum § 203 der Hann. Bürg.Drz.Ordn. — Puchelt, v. Sarweh, v. Wilmowski-Levh, Seuffert und die übrigen Kommentatoren zu den §§ 240, 241 und 279 der Deutschen EPO. v. Kräwel.

Klagebeantwortung war im Gemeinen Prozeß die Erwiederung des Be­ klagten auf die Klage, welche derselbe entweder in einer besonderen Schrift (Klage­ beantwortungs-, auch Vernehmlassungs-, Vertheidigungs- oder Exzeptionsschrist) binnen der gesetzten richterlichen Frist bei Gericht einzureichen oder in einem festgesetzten Termine

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Klagegrund.

zu gerichtlichem Protokoll zu erklären hatte. Sie war dazu bestimmt, dem Richter, das gejammte Dertheidigungsmaterial des Beklagten zu unterbreiten. Der Beklagte hatte sich nicht nur auf die Klagethatsachen zu erklären und etwaige rechtliche Gegen­ deduktionen geltend zu machen, sondern auch seine dilatorischen und peremtorischen Einreden darzulegen. Bei Unterlassung der Antwort traten materielle Nachtheile, die Kontumazialfolge der Annahme des Bestreitens der Klagebehauptungen und die Ausschließung der nicht erhobenen Einreden ein. Im R.CivilPrz. ist dagegen die K. derjenige vorbereitende Schriftsatz, welchen der Beklagte im Anwaltsprozeß dem Kläger und zwar innerhalb der ersten zwei Drittheile der Einlassungsfrist (s. d. Art. Klage) zustellen lassen soll. Sie hat nur den Zweck, den Kläger behufs Vorbereitung der mündlichen Verhandlung über das Vertheidigungsmaterial und die Art der vom Beklagten zu wählenden Ver­ theidigung zu informiren, dient aber nicht dazu, auch dieses Material für den Richter­ in substantiirter Form darzulegen. Die Unterlassung der Zustellung hat daher Rechtsnachtheile in der Sache selbst nicht zur Folge, wol aber hat der Beklagte die Kosten zu tragen, wenn wegen seiner Nachlässigkeit die mündliche Verhandlung bei nicht genügender Vorbereitung abgebrochen und verlegt werden muß. Die maß­ gebende Erwiederung auf die Klage und die Geltendmachung des Vertheidigungs­ materials, die K. in der Funktion, welche der betreffende Schriftsatz des Beklagten im Gemeinen Prozesse zu erfüllen bestimmt war, hat jetzt mündlich in dem Ver­ handlungstermine zu erfolgen. Im amtsgerichtlichen Prozeß wird die Antwort auf die Klage im mündlichen Verhandlungstermine abgegeben, eine K. als vor­ bereitender Schriftsatz oder als Abschrift einer zu Protokoll des Gerichtsschreibers ab­ gegebenen Erklärung kann zwar dem Kläger mitgetheilt werden, aber eine solche Mittheilung steht lediglich im Belieben des Beklagten und ist nicht, wie für den Anwaltsprozeß, instruktionell angeordnet. Ihre Unterlassung kann daher auch nicht die erwähnte Folge in Betreff der Kostenpflicht des Beklagten nach sich ziehen. Quellen: Deutsche CPO. §§ 244, 245, 463, 90, 120.

P. Hinschius.

Klagegrund (fundamentum 8. causa agendi), d. h. der zur Rechtfertigung des klägerifchen Begehrens, des Petitums der Klage nothwendige thatsächliche und rechtliche Sachverhalt, welcher im Gemeinen Prozesse in einer besonderen Schrift dar­ zulegen ist. Man scheidet das thatsächliche Fundament der Klage (causa agendi remota) und das rechtliche (causa agendi proxima), wiewol die lateinische Termino­ logie keineswegs sicher ist und in der klassischen Jurisprudenz: causa proxima actionis (1. 27 D. de exc. rei iud. 44, 2) soviel wie Veranlassung der Klage, d. h. die Rechtsverletzung — von einzelnen Neueren fundamentum agendi intermedium genannt — bedeutet. Jedem Klageanspruch, d. h. dem im Prozeß geltend zu machenden Rechte, liegen individuell bestimmte Thatsachen zu Grunde und es müssen daher — als sog. causa agendi remota — alle diejenigen Fakta dargelegt werden, welche nach materiellem Rechte für die Entstehung des behaupteten Rechtes noth­ wendig sind. Im Gemeinen Prozeß hat man aus Anlaß römischer und kanonischer Rechtsstellen, von welchen die ersteren bei dinglichen Klagen eine Formula ohne Angabe des Entstehungsgrundes als das gewöhnliche erscheinen lassen, die letzteren einen Klagelibell ohne eine solche Spezialisirung gestatten, darüber gestritten, ob dieselbe in der Klageschrift erforderlich sei, jedoch hat die überwiegende Meinung dic Nothwendigkeit der speziellen Angabe des Erwerbsgrundes und mit Recht angenommen, weil im Gemeinen Prozeß der erste Schriftsatz derjenige ist, welcher die volle Substantiirung des klägerifchen Anspruchs aufzunehmen hat. Der rechtliche K. ist dagegen der Rechtssatz oder die Rechtsregel, welche auf die Thatsachen angewendet, das geltend gemachte Recht ergiebt. Regelmäßig ist aber die juristische Benennung der Klage, sowie die Anführung der sie begründenden rechtlichen Obersätze nicht nöthig, da der Richter mit Ausnahme des ausländischen Rechtes und der Privilegier

Klagehärrsrmg.

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das Recht kennen muß und dm rechtlichen Gesichtspunkt, unter welchen die Klage­ thatsachen fallen, selbständig zu prüfen und zu finden hat. In dem mündlichen Ver­ fahren der Deutschen CPO. ist die Bedeutung der Klageschrift (s. d. Art. Klage) aber eine wesmtlich andere. Sie ist nur esimtiell insoweit, als sie den geltend gemachten Anspruch (s. d. Art. Angriffs- und Vertheidigungsmittel) für den Prozeß zu individualisiren und damit dasjenige, was rechtshängig werden soll, festzustellen bestimmt ist. Tie nähere Angabe der thatsächlichm Begründung des Anspruches, die Substantiirung, fällt der mündlichen Verhandlung anheim. Daher kann in der Vorschrift des § 230 der Deutschen EPO., daß die Klageschrift die „bestimmte Angabe des Grundes des erhobenen Anspruchs" enthalten muß, nicht das Erforderniß einer vollständigen Substantiirung gefunden werden. Es genügt vielmehr die Angabe der Thatsachen, welche den Anspruch blos individualisiren, d. h. das individuelle, ihn begründende spezielle Rechtsverhältniß bezeichnen. Nur das letztere ist für die Klageschrift esimtiell. Andererseits ist aber die Klageschrift auch ein sog. vorbereitmder Schriftsatz und unter diesem Gesichtspunkte find — das ist nicht wesentlich sondem nur instruktionell, — auch die rechtsbegründendm Thatsachen wenigstens so weit in ihr darzulegen, als es zur Vorbereitung einer Antwort des Beklagten im mündlichen Termine und zur Vermeidung einer Ver­ tagung nothwendig ist. Auch fällt bei einer Klage ohne genügende Angabe der Klagethatsachen für den Kläger die Möglichkeit, ein Verfäumnißurtheil zu erlangm, fort. Quellen: Deutsche LPO. §§ 230, 121 Nr. 3, § 296. Lit: H. Gerber, Beiträge zur Lehre vom Klagearunde und von der 1858. — Krüger, Ueber die Begründung der Klage tm Arch. f. d. civil. 190 ff. — P. Hinschius, a. a. O. XLvlI. 101 ff. — Wach, Borträge Bonn 1879, S. 14 ff. P.

Beweislast, Jena Praxis, XXxVL über die RCPO., HinschiuS.

Klagehäufung (cumulatio actionum), d. h. die Verbindung mehrerer An­ sprüche in einer Klage, damit sie in demselben prozeffualischen Verfahren verhandelt und durch dasielbe Urtheil entschieden werden. Man spricht von einer objektiven K., wenn derselbe Kläger mehrere ihm gegen denselben Beklagten zustehmde Klagm zu dem gedachten Zweck in einer Klageschrift verbindet. Ist für alle Klagm dasielbe Gericht kompetent und eignen sie sich alle für dieselbe Prozeßart, so stand nach Gemeinem Prozeß dem Kläger eine solche Häufung selbst dann ftei, wenn die einzelnm Ansprüche in gar keiner inneren Beziehung zu einander stehen. Die Deutsche CPO. hat diese Grundsätze des Gemeinm Prozesies ebenfalls aufgenommen, indem sie die K. als Verbindung mehrerer Ansprüche in einer Klage bezeichnet, und nur ausdrücklich die Häufung der Besitzklage und der Klage in Betreff des Rechtes selbst verbietet. Die Verbindung steht im Belieben des Klägers, doch kann sie das Gericht auch von Amtswegen zum Zweck der gleichzeitigen Verhandlung und Ent­ scheidung anordnen, wenn die Ansprüche, welche den Gegenstand mehrerer, bei ihm anhängiger Prozesie bilden, im rechtlichen Zusammenhänge stehen oder überhaupt in einer Klage hätten geltend gemacht werden können. Die selbständige materielle Behandlung der einzelnen Ansprüche wird in Folge der formellen Gleichzeitigkeit der prozeffualischen Behandlung nicht ausgeschlosien. Dagegen werden für die Bestimmung des Werthes des Streitgegenstandes die mehreren Ansprüche zusammengerechnet. Die stattgehabte Verbindung hindert endlich das Gericht nicht, wenn einer der Ansprüche zur Entscheidung reif ist, über diesen vorweg ein Theilurtheil zu erlaffm. Auch kann es trotz der vom Kläger angenommenen Verbindung die Verhandlung der An­ sprüche in getrennten Prozessen anordnen. Die subjektive K. ist dagegen die Vereinigung der Klagen mehrerer Berechtigter gegen einen Verpflichteten oder eines Berechtigten gegen mehrere Verpflichtete oder endlich mehrerer Berechtigten gegen mehrere Verpflichtete. Außer der Statthaftigkeit der gewählten Prozeßart und der Zuständigkeit des Gerichtes verlangte die gemeinrechtliche Theorie in einem Theil

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Klassensteuer.

ihrer Vertreter als weitere Bedingung das Vorliegen eines sog. litis consortium, d. h. man forderte, daß die Ansprüche oder Verbindlichkeiten sich auf denselben Gegenstand bezogen und aus demselben Klagefundament hervorgingen (sog. eigentliche Streitgenossenschast) oder daß sie wenigstens in einem Zusammenhang (sog. uneigent­ liche Streitgenossenschast) standen. Andere ließen dagegen die Kumulation da zu, wo nur die prozessualische Möglichkeit der ordnungsmäßigen Verhandlung der mehreren Ansprüche in demselben Verfahren zu erwarten stand und legten die Entscheidung darüber wieder in die Hand des Richters. Die Deutsche CPO. gestattet die Ver­ bindung, wenn die mehreren Personen in Ansehung des Streitgegenstandes in Rechtsgemeinschaft stehen oder aus demselben thatsächlichen und rechtlichen Grunde berechtigt oder verpflichtet sind, oder endlich wenn gleichartige und aus einem im Wesent­ lichen gleichartigen thatsächlichen und rechtlichen Grunde beruhende Ansprüche oder Verpflichtungen den Gegenstand des Rechtsstreites bilden (vgl. z. B. §§ 66, 607, 670, 710, 718 der CPO.). Die Trennung der kumulirten Klagen ist aber dem Richter Vorbehalten. Im Allgemeinen ist die Wirkung der subjektiven Klagenkumulation nur eine formelle, so daß die Handlungen des einen der Streitgenosien dem andern weder schaden noch nützen. Ein prozesiualischer Zwang zur Herbeiführung der Streitgenosienschaft auf Seiten des Klägers oder auf Seiten des allein Beklagten durch Vorschützung der sog. exceptio litis consortium ist nach Gemeinem Rechte, selbst wenn es sich um eine untheilbare Leistung handelt, nicht zu rechtfertigen. Ebensowenig kennt ihn die Deutsche CPO. Inwiefern in dem letzteren Falle etwa die allein klagende Partei oder der einen Beklagten allein in Anspruch nehmende Kläger ab­ gewiesen werden muß, darüber entscheidet das Civilrecht. Vgl. im Uebrigen den Art. Streitgenossenschast. Quellen: Deutsche CPO. §§ 5, 56 ff., 136, 138, 141, 232, 273. . Lit.: Scholz in der Ztschr. für Civilrecht und Prozeß, I. 14. — Linde, ebendas. 1. 15; XV. 14; XVI. 3. — Planck, Die Mehrheit der Rechtsstreitigkeiten, S. 126 ff. — Schiink, Franz. CPO., 2. Aufl. II. 132 ff. — Schepers in Gruchot, Beiträge zur Er­ läuterung des Deutschen Rechts, Jahrg. 1880, S. 749, 859. P. Hinfchius.

Klassensteuer. Tie K. ist eine in Preußen unter eigenthümlichen Voraus­ setzungen und nach eigenartigen Gesichtspunkten durch Gesetz vom 3 0. Mai 1820 gestaltete Personalsteuer. Unter dem Einfluß der landständischen Versaffungen hatte sich bis dahin ein System persönlicher Steuern nur in sporadischen Anfängen bilden können. Das platte Land zahlte fast ausschließlich Grundsteuern von dem landwirthschaftlich benutzten Boden, die der Hauptmasse nach auf die Bauerhöfe vertheilt waren. Die Hauptabgabe der Städte war die Generalaccise vom Verbrauch fast aller Lebensbedürfnisse, mit abnorm hohen Erträgen, für welche man die ausschließ­ lichen Befugniffe der Stadt zum Gewerbebetrieb als Aequivalent ansah. Tie einzelnen Gewerbtreibenden, denen ausnahmsweise der Betrieb städtischer Gewerbe auf dein Lande gestattet wurde, hatten feste Geldsummen unter dem Namen einer Firaccise zu zahlen , als Ersatz für den Ausfall, welcher durch sie in den städtischen Accisen entstand. — Nach Einführung der allgemeinen Gewerbefreiheit und nach Aufhebung der Generalaccise mußte ein Ersatz gefunden werden, namentlich in Zöllen und in Verbrauchssteuern, da man Einkommens- und Vermögenssteuern jener Zeit in den Beamten- wie in den ständischen Kreisen allgemein für unausführbar hielt. Als neue Verbrauchsabgabe erschien nun eine Steuer vom Vermahlen des Getreides (Vt Thtr. vom Scheffel Weizen, Vir Thlr. von anderm Getreide), welche nament­ lich deshalb große Beschwerden veranlaßte, weil sie zu strengen Verboten aller Handmühlen und ähnlicher Mahtapparate führte. Von „wohlwollenden Guts­ besitzern" wurde deshalb der Vorschlag gemacht, statt der Mahlsteuer eine Geldsteuer von Vs Thlr. jährlich von jedem Bewohner, welcher das zwölfte Jahr vollendet habe, zu erheben. Durch Gesetz vom 7. September 1811 kam dieser Vorschlag

Klassensteuer.

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zur Ausführung auf dem platten Lande und in den kleineren Städten, wo überall die Abgabe verhältnißmäßig leicht erhoben wurde und zu keinen erheblichen Be­ schwerden Veranlassung gab. Nach verschiedenen mehr experimentalen Maßregeln kamen nun in den Jahren 1818 bis 1820 zusammenhängende Gesetze zur Erhöhung der Staatseinnahmen durch Zölle und Verbrauchssteuern zur Ausführung. Da aber jährlich noch 8 Mill. Thlr. fehlten, so fand der Plan Beifall, etwa ein Viertel dieser Summe durch eine Mahlund Schlachtsteuer in den größeren Städten (wo man jede Art von Einkommen­ steuer noch als unausführbar ansah) auszubringen; die fehlenden 6 Mill. Thlr. aber dadurch zu beschaffen, daß man die bisher bewährte Kopfsteuer von 15 Sgr. für die höheren Klassen der Bevölkerung vervielfältige. Das platte Land und die ackerbauenden Städte befanden sich jener Zeit noch so sehr in den Gewohnheiten der Naturalwirthschaft, daß die Betheiligten selbst wol schwer im Stande waren ihr Einkommen auf Geldbeträge zu berechnen, und noch unaus­ führbarer erschienen solche Einschätzungen für einen außenstehenden Beamten oder eine Gemeindekommisfion. Man verzichtete daher vorweg auf eine Taxirung des wirklichen oder vermeintlichen Einkommens: wol aber glaubte man in jmem Uebergangsstadium von der ständischen Ordnung zu der freien Erwerbsgesellschaft nach äußeren Merkmalen vier Klassen scheiden zu können, nämlich auf dem platten Lande: 1) den Großgrundbesitzer, der nur etwa allgemeine Aufsicht und Leitung über seine Landwirthschaft führt, 2) den größeren Landwirth über der Klaffe der Bauern, für den die Landwirthschaft sein nährendes Gewerbe ist, 3) den Besitzer bäuerlicher Nahrung in dem hergebrachten Umfang der kontribuabeln Bauerhufen, 4) das Gesinde, die Tagelöhner und andere Handarbeiter. Auch die Gastbewohner, welche unter der ständischen Ordnung auf dem Platten Lande vorkommen, glaubte man parallel in die vier Klaffen einfügen zu können: 1) den städtischen Kapitalisten, der auf dem Lande seine Villegiatur hält, 2) den Pfarrer, Förster und Fabrik­ unternehmer, 3) den Landhandwerker, 4) den Fabrik- und Handarbeiter. Die Parallele führte man nun aber auch in die städtische Bevölkerung über: 1) die hohen Beamten mit Repräsentation, Bankiers und große Rentiers, 2) die wissen­ schaftlich gebildeten Beamten,' die Kaufleute, Künstler, Fabrikunternehmer, 3) die Beamten mit Elementarbildung, Handwerker, Krämer, Schankwirthe, 4) Gesinde und Handarbeiter. Bei der speziellen Ausführung hielt man in jeder Klaffe dann noch drei Abstufungen für ausführbar und angemeffen, so daß sich die monatliche Steuer in 12 Stufen dahin gestaltete: für 1) auf 12, 8, 4 Thlr., für 2) auf 2, l1/* und 1 Thlr., für 3) auf 2/s, V8 und Vs Thlr., für 4) auf x/4, V6, Via Thlr. Als Milderung wurde frühzeitig die Bestimmung hinzugefügt, daß die unterste Stufe von Vs* Thlr. (die nicht nach Haushaltungen sondern nach Köpfen erhoben wird) von nie mehr als drei Mitgliedern eines Hausstandes zu erheben, daß das steuerpflichtige Alter auf 16 Jahre hinaufgerückt, andererseits die Uebersechszigjährigen von der Kopffteuer ganz befreit werden. — Die so gestaltete „Klassensteuer" wurde in den nächsten Jahrzehnten nach ihrer Einführung mit verhältnißmäßig wenig Reklamation erhoben. Die Steuerreste beschränkten sich durchschnittlich auf weniger als 27/s %, von denen auch noch V-» nachträglich beigetrieben wurde. Nur machte man die Erfahrung, daß die Bevölkerung im Ganzen doch rascher wuchs als die Erträgnisse der Klassensteuer, und daß die Zahl der Steuerpflichtigen der untersten Klasse rascher wuchs als die der oberen. Als man sodann in der Rheinprovinz mit Rücksicht auf die weiter fortgeschrittene Geldwirthschast anfing die Zahl der Zwischenstufen bis auf 18 zu vermehren, machte man die Erfahrung, daß damit auch die Zahl der Reklamationen unverhältnißmäßig zunahm, und die Kopfzahl der untersten Klaffe noch verhältnißmäßig größer erschien als in den östlichen Provinzen. Durch das Gesetz vom 1. Mai 1851 sind wesentliche Aenderungen der Klassensteuer eingetreten, unverkennbar bedingt durch den weitern Fortschritt der

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Klein.

Geldwirthschaft in der neuen industriellen Gesellschaft. Für die Personen mit mehr als 1000 Thlr. jährlichem Einkommen bildet man nun eine Einkommensteuer von 3 % in 30 Stufen. In die Klassensteuer im engeren Sinne gehören nur noch die Personen unter 1000 Thlr. Einkommen, und zwar jetzt in 3 Stufen: 1) zu V2, 1, 2, 3 Thlr.; 2) zu 4, 5, 6, 8, 10 Thlr.; 3) zu 12, 14, 16, 24 Thlr.; Die unterste Stufe von x/2 Thlr. jährlich wird noch als Kopfsteuer erhoben, aber nur von höchstens zwei Personen desselben Haushalts. Alle höheren Stufen werden von dem Haushalt erhoben, und dabei noch gewisse äußere Merkmale der älteren Klassifikation wie „kleinere Grundeigenthümer", „kleinere Gewerbtreibende" rc. beibehalten. Es waltet dabei noch ein Mischsystem von Kl ass en Merkmalen und Eintaxirung nach dem wirklichen Einkommen ab. Mit Rücksicht auf die Unvoll­ kommenheit der Gemeindeeinschätzungskommissionen und des Reklamationsverfahrens getraute man sich eine präzise stufenweise Ermittlung des Einkommens nicht durch­ zuführen, um so weniger als noch heute massenhaft die kleinen Haushaltungen schwer daran zu gewöhnen sind, ihr Einkommen in Geldwerth abzuschätzen; den veränderten Rechtsanschauungen entsprechend, ist sodann in dem Gesetz von 1851 die Mehrzahl der von früher noch beibehaltenen Befreiungen von der Klassensteuer aufgehoben. Durch das Gesetz vom 2 5. Mai 1873 endlich ist der Charakter der Einkommensteuer auch für die unteren Klassen unter 1000 Thlr. Einkommen weiter­ fortgeschritten. Es war dies auch dadurch bedingt, daß nunmehr die Mahl- und Klassensteuer auch in denjenigen größeren Städten in Wegfall kam, in denen solche an Stelle der Klassen- und Einkommensteuer noch beibehalten war. In den Sammel­ plätzen des Kapitals, des Handels und der Gewerbe wird die Unmöglichkeit einer Klassifikation der Steuerpflichtigen nach äußeren Merkmalen und Namen am stärksten fühlbar. Die „Klassensteuer" wird nach dem neuen Gesetz von einem Jahresein­ kommen von 140 bis 1000 Thlr. in 12 Stufen erhoben, welche lediglich nach dem angenommenen Geldwerth des Einkommens bemessen werden. Haushaltungen unter 140 Thlr. Jahreseinkommen sind von der Steuer gänzlich befreit. Das System ist damit wesentlich vereinfacht. Für seine Handhabung er­ scheinen aber die Einrichtungen der bisher nur aus kommunalen Wahlen hervor­ gehenden „Einschätzungskommissionen" auf die Dauer nicht ausreichend, um eine gleichmäßige, sichere Einschätzung zu garantiren. Die Befreiung aller Einkommen unter 140 Thlr. von der direkten Besteuerung wirkt unverkennbar auch sehr ungleich in den verschiedenen Landestheilen nach dem Geldwerth und üblichem Tage­ lohn, und hat vor Allem das große politische Bedenken gegen sich, daß es Millionen Steuerzahler, ja die große Mehrzahl der früheren kleinen Steuerzahler durch Ent­ bindung von jeder direkten Steuerpflicht dem Staatsverbande entwöhnt und ent­ fremdet. Die hier vorhandenen Schwierigkeiten werden wol erst in Verbindung mit einem rationellen Kommunalsteuersystem zu lösen sein (Gneist, Die Preuß. Finanz­ reform, 1881, cap. V. XI ). Lit.: I. G. Hoffmann, Die Lehre von den Steuern (1840), S. 156—187. — Bergins, Grundzüge der Finanzwissenschaft (1871), S. 526 ff. — C. Kletke, Literatur über das Finanz­ wesen des Preußischen Staates (1876), S. 208—218. Gneist.

Klein, Ernst Ferd., 6 1743 zu Breslau, wurde 1786 Kammergerichtsrath, 1791 Direktor und Ord. der Juristenfakultät von Halle, ging nach Berlin, wurde Geh. Obertribunalsrath, f das. 18. III. 1810. Schriften: Vermischte Abhandl. über Gegenstände der Gesetzgebung und Rechtsgelehr­ samkeit, Leipz. 1779—80. — Entwurf eines Allgem. Gesetzbuchs für die Preuß. Staaten, Bert. 1784—89. — Schreiben an Garde über die Zwangs- und Gewissenspflichten. — Freiheit und Eigenthum, Berl. 1790. — Auszug aus dem allgem. GB. für die Preuß. Staaten, Halle 1792, 93. — Grundsätze der natürl. Rechtswiss., Halle 1797. — Grundsätze des gern. Deutschen und Preuß. peinl. Rechts, Halle 1796; 2. Aust. 1799. — Grundsätze des Preuß. Civ.R., Halle 1801. — Merkwürdige Rechtssprüche der Juristenfakult. zu Halle, Berl. 1796—1802. — Annalen der Gesetzgeb. und Rechtsgelehrsamkeit in den Preuß. Staaten, Berl. 1788—1809; 1819. — Ueber außerordentl. Strafen wegen unvollst. Beweises und über Sicherheitsanstalten,

Kleinhandel. Berl. 1805. — Ueber 1808. — Gedanken v. in den Gerichtshöfen, schrod das Arch. des

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die gesetzliche und richterliche Begünstigung des Bauernstandes, Berl. d. öffentl. Berhandl. d. Rechtshändel u. d. Gebrauch der Beredsamkeit von H. W. F. Böhmer, Gött. 1825. — Begründete mit Kl ein Krim.R.

Lit.: Hugo, § 432. — Weidlich, Biogr. Nachr., HI. 175. — Rotermund. — Sonnenschmidt, Geschichte des Kgl. OTrib., 1879. — Bern er, Die Strafgesetzgebung in Deutschland, Leipz. 1867, S. 43. Teich m ann.

Kleinhandel ist im Gegensatz zum Großhandel der Handelsbetrieb von geringem Umfang, namentlich der Umsatz, der in kleinen Quantitäten unmittelbar­ an die Konsumenten stattfindet. Als Unterarten desselben werden gewöhnlich Kram-, Höker-, Trödel- und Hausirhandel genannt (s. d. Art. Hausirhandel). Die Grenze zwischen Groß- und Kleinhandel ist naturgemäß sehr relativ und fließend, sie wird es um so mehr, je mehr die Beweglichkeit aller Verkehrsverhältnisse täglich zunimmt. Mit Recht sind deshalb bei der Berathung des HGB. die Versuche, den K. ganz aus dem Bereich des eigentlichen Handels auszuschließen, zurückgewiesen worden. In Folge dessen fällt nun aber auch der geringfügigste Gewerbebetrieb unter die Begriffe der Handelsgeschäfte und des Kaufmanns. Diese prinzipielle Gleichstellung mußte aber doch einzelne Ausnahmen erleiden, da nicht alle an jene Begriffe geknüpften Konsequenzen auch auf den K. anwendbar erscheinen. In folgenden Beziehungen kommt hiernach der Umfang des Handelsbetriebs zu rechtlicher Geltung: 1) Gewisse Rechtsgeschäfte werden nur dann als Handelsgeschäfte angesehen, wenn sie nicht nur gewerbemäßig, sondern auch in einer Weise betrieben werden, daß sie über den Um­ fang des Handwerks hinausgehen. Dahin gehören die Bearbeitung und Verarbeitung beweglicher Sachen für Andere (entreprise de manufacture) und die Geschäfte der Druckereien (HGB. Art. 272 Nr. 1, 5). Ebenso ist der Personentransport zu Land und auf Binnengewässern nur in dem Fall ein Handelsgeschäft, wenn er vermittelst besonderer Anstalten betrieben wird (Art. 272 Nr. 3). Auch durch diesen etwas zweideutigen Ausdruck sollen die Geschäfte des ganz geringfügigen Personentransportes ausgeschlossen werden. 2) Die Weiterveräußerungen, die von Handwerkern in Aus­ übung ihres Gewerbebetriebes geschehen, gelten nicht als Handelsgeschäfte (Art. 273 a. E.). Nach dem im HGB. zu Grunde gelegten System müßten diese Ge­ schäfte zu den accessorischen oder abgeleiteten Handelsgeschäften gerechnet werden. Die Ausnahme ist auch in diesem Fall in der Absicht gemacht worden, den K. vom Bereich des Handelsrechts auszuschließen. 3) Auf „Höker, Trödler, Hausirer und dergl. Handelsleute von geringem Gewerbebetrieb, ferner auf Wirthe, gewöhnliche Fuhrleute, gewöhnliche Schiffer und Personen, deren Gewerbe nicht über den Um­ fang des Handwerksbetriebes hinausgeht", finden die Vorschriften über Firmen, Handelsbücher und Prokuren keine Anwendung, auch gelten Vereinigungen zu einem gemeinschaftlichen Handelsbetriebe dieser Art nicht als Handelsgesellschaften (HGB. Art. 10), die hierher gehörigen Kaufleute stehen demnach als Kaufleute minderen Rechts den Vollkaufleuten gegenüber (Goldschmidt), sie können auch als die vom Handelsregister ausgeschlossenen Kaufleute bezeichnet werden, da letzteres gerade für die Eintragung von Firmen, Prokuren und Handelsgesellschaften bestimmt ist. In allen nicht ausgenommenen Beziehungen stehen sie den Vollkaufleuten ganz gleich. Den Landesgesetzen ist ausdrücklich Vorbehalten, die im HGB. aufgeführten Klassen der Kaufleute minderen Rechts näher zu bestimmen, zu erweitern und einzuschränken und einzelne Einführungsgesetze haben von dieser Befugniß einen sehr weitgehenden Gebrauch gemacht. — Die R.Gew.O. enthält für gewisse Arten des K. besondere gewerbepolizeiliche Vorschriften. Dahin gehören, abgesehen von dem Handel im Um­ herziehen (s. d.Art. Hausirhandel), namentlich der Handel mit gebrauchter Wäsche, gebrauchten Kleidern und Betten sowie mit den Abfällen gewisser Gegenstände, der Betrieb der Gastwirthschaft, der Ausschank von geistigen Getränken und der K. mit denselben (die hierauf bezüglichen Bestimmungen sind durch das RGes. vom 23. Juli

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Klelufchrod — Kling.

1879 abgeandert), der Marktverkehr. — Speziell auf die Beaufsichtigung des Ver­ kehrs mit Nahrungsmitteln, Genußmitteln und Gebrauchsgegenständen aus sanitäts­ polizeilichen Rücksichten bezieht sich das RGes. vom 14. Mai 1879. — Vgl. auch das Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie vom 21. Oktober 1878 §§ 23—25. Lit.: Die Kommentare von v. Hahn, Anschütz und v. Dvlderndorff, Koch, Ma­ ko wer, v. Kräwel zu den angeführten Artikeln des HGB. — Goldschmidt, Handbuch deS H.R., L § 46. — Endemann, H.R., § 13. Lehrend. Kletnschrod, Gallus Aloys Caspar, 6 1762 in Würzburg, studirte in Würzburg, Göttingen und Wetzlar, 1785 Professor für Institutionen und Kriminal­ recht an der Universität Würzburg, f 1824. Schriften: Systematische Entwickelung der Grundlagsverfaffung und Grundwahrheiten deS Dein!. Rechts, 1794—96, 3 Bde. — Abhandl. auS dem Peinl. Rechte u. Prozesse, 1797 rc., 3 Bde. — Abhandlungen über die Wirkungen eines unvollkommenen Beweises in Peinl. Sachen, 1786. — De reparatione damni in delictis etc., 1798. — Specimen inaugurale de joramento etc., 1798. — (Mit Klein) Archiv des Krim.R., 1799—1808. -- Entwurf eines peinlichen Gesetzbuchs für Kurbayern. — (Mit Konopak und Mittermaier) Neues Archiv für Krim.R., 1817—1824. — Vollständige Einleitung in die Lehre von der peinl. Gerichts­ barkeit und dem peinl. Gerichtsstände, 1812. — Systemat. Entwickelung der Grundbegriffe u. Grundwahrheiten des peinl. R., 3 Bde., 1799 rc. — Revision der Kritiken über meinen Ent­ wurf zum peinl. Gesetzbuch. 1805. Lit.: Reuß. Kollekten, Neuer Nekrolog der Deutschen, Bd. II. S. 999 ff. Bezold. Kleukok, Johann, S im Anfänge des 14. Jahrh, zu Bicken bei Hoya, Augustinermönch und sacrae theol. prof., wurde wegen seines Decadicon aus Magde­ burg vertrieben. Lit.: Homeyer, Johann Klenkok wider den Sachsenspiegel (Abhandl. der Berliner Akad., 1855, S. 377—432 d). — ©lobbe, Rechtsquellen, 1. 363, 372 Note 65 ff. — Schulte, Deutsche Rechtsaeschichte, (4) 1876, S. 170. — v. Stintzing, Geschichte der Deutschen Rechtswiffenschast, I. 9. Teichmann.

Klenze, Clemens Aug. Karl, 6 1795 zu Heissum bei Hildesheim, wurde 1820 Doctor in Berlin, 1826 ordentlicher Prof., später Mitglied der Spruchfakultät, t 15. VII. 1838. Schriften: Querelae inofficiosi testamenti natura, Berol. 1820. — Fragm. legis 8erviliae repetundarum, Berol. 1825. — Grundriß zu Vorlesungen über Geschichte des Röm. Rechts bis Justinian, Berl. 1827, 2. Aust. 1835. — DaS Familienrecht der Kognaten und Affinen nach Röm. und verwandten Rechten, Berl. 1838. — Lehrbuch des Gem. Strafrechts, Berl. 1833. — Krit. Phantasien eines praktischen Staatsmanns, Berl. 1834 — Institutio Gregoriani, Berol. 1838. — Philol. Abhandl., herauSgeg. von Lachmann, Berl. 1839. Lit.: Brockhaus (10. Auf!.). Teichmann. Klimrath, Heinrich, S zu Straßburg 1807, studirte in Straßburg, Paris und Heidelberg, und f schon 1837. Sein kurzes Leben war das eines Vermittlers Deutschens Wiffens und Deutscher Methode in Frankreich. K. war in seltenem Maße thätig und fruchtbar, Zu nennen ist: Essai sur l’ätude historique du droit et son Utility pour l’interpr^tation du code civil, Inauguraldissertation, Straßb. 1833. — Mömoire sur les Olim et sur le Parlament, Paris 1837. — Zahlreiche rechts­ geschichtliche Abhandlungen, die zum Theile in verschiedenen Zeitschriften erschienen waren, hat Warnkönig 1843 (Straßburg und Paris) herausgegeben aU Travaux sur l’histoire du droit frangais. Lrt.: Warnkönig, Vorrede zu den Travaux. — Wolowski in der Revue de legislation et de jurisprudence. VI. — Regnard in der Biographie Didot. Rivier.

Kling, Melchior von Steinau, S 1. XII. 1504 zu Steinau (Hanau), 1533 I. 11. D., dann Prof, in Wittenberg, 1539 Rektor, später Rath in Diensten vieler Fürsten und Herren, f 25. II. 1571 zu Halle. Schriften: In IV libr. Instit. enarrationes, Frcf. 1542, 1556, Lugd. 1548, zuletzt 1673; Lov. 1566, 1572, 1583. — Das gantze Sech fische LR. mit Text und Gloff., Leipz. 1572, 1577, Franks. 1600. — Matrim. causa, tractatus, Frcf. 1553, 1559, Lips. 1618. — Kirchen­ rechtliche Schriften. — Ausgabe von Goede’s Consilia, Wittenb. 1541.

Klöster.

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Bit: Stobbe, Recht-quellen, II. 147, 148 Note 21. — Muther, Doktor I. Apell, KöniaSb. 1861, S. 35; Derselbe, Zur Geschichte der Rechtswissenschaft, 1876, S. 121, 148 ff., 356 ff.; Derselbe, AuS dem Univers.- und Gelehrtenleben, 1866. - Mejer, Deutsches Kirchenrecht, 3. Aufl. 1869, § 232 Note 12. — Jugler, IV. 1—8. — Schulte, III. b S. 22—24. — v. Stinhing, Geschichte der Deutschen Rechtswiffenschaft (1880), I. 305—309 ii. ö. Teich mann.

Klöster (monasteria, coenobia, claustra; Th. I. S. 669) sind diejenigen Gebäude, in welchen eine Anzahl von Mönchen oder Nonnen zusammenwohnen, d. h. eine Reihe von Personen gleichen Geschlechts, welche in einer kirchlich approbirten Genosienschast nach einer die christliche Vollkommenheit bezweckenden Regel in Zurück­ gezogenheit von der Welt leben. Die Regularen oder Mitglieder der meisten Orden (s. den betr. Art.) sind zum dauernden Verbleiben in den K. verpflichtet, freilich giebt es einzelne (wie z. B. den Jesuiten-) Orden, für welche eine solche Nothwendigkeit nicht besteht. Damit aber jene für die Ordensleute vorgeschriebene Abgeschiedenheit vollkommen erreicht wird, besteht für die K. die Vorschrift der sog. Klausur (clausura), d. h. mit der Pflicht der einzelnen Mitglieder, sich nicht will­ kürlich aus dem K. zu entfernen, korrespondirt die weitere Verbindlichkeit, innerhalb des durch die Klostermauern eingeschloffenen und die Klosterpforte zugänglichen Raumes (intra septa monasterii) nur bestimmten, durch das Recht bezeichneten Personen, nicht aber anderen den Zutritt zu gestatten. Wegen der Klausur dürfen die Mannes-K. für die Regel nicht von weiblichen Personen betreten werden. Die Klausur der Ronnen-K. ist strenger. Die Nonnen sollen ihr K. nur aus einem dringenden, vom Bischof zu bestätigenden Grunde (z. B. im Fall eines Brandes, des Eintritts einer ansteckenden Krankheit rc.) verlaffen, ja zur Versetzung einer Nonne in ein anderes K. ist spezielle Genehmigung des päpstlichen Stuhles erforder­ lich. Zum Betreten eines solchen K. ist eine schriftliche, nur in dringenden Fällen zu ertheilende Genehmigung des Bischofs oder des Ordensoberen nöthig, außer für die Weltgeistlichen und Ordensoberen, deren Leitung die K. unterstehen, welche aber auch nur dann, wenn ihr Amt es erfordert, sich in die letzteren begeben sotten. Die Strafe für die Verletzung der Klausur ist in den meisten Fällen die dem Papst vor­ behaltene Exkommunikation und für die Mitglieder der Orden außerdem noch Ver­ lust ihrer Aemter und Würden, sowie Unfähigkeit, solche später wieder zu erlangen. Was die Stellung der K. und ihrer Insassen zu den allgemeinen kirchlichen Behörden des Ortes und des Distriktes, in denen erstere belegen sind, betrifft, so sind sie noch heute, wie ehedem, von dem Parochialrecht des Ortspsarrers eximirt, und die Seelsorge über die Mitglieder wird durch qualifizirte ordinirte Regularen des K. selbst verwaltet. Dagegen waren sie in der älteren Zeit, wo die Aebte der einzelnen K. auch desselben Ordens noch völlig unabhängig von einander dastanden und eine, die zu einem solchen gehörigen Häuser umfassende Organisation noch nicht eingeführt war, der bischöflichen Regierungs- und Gerichtsgewalt unterworfen. Im Laufe des Mittelalters wurden aber zahlreiche Exemtionen von der letzteren seitens der Päpste an die Orden ertheilt und damit waren auch die einzelnen K. derselben der bischöflichen Aussicht und Leitung entzogen. Wegen der daraus entstandenen Mißbräuche unterwarf aber das Tridentinum die exemten Ordensinstitute in vielen Beziehungen wieder den Bischöfen, indem es diese ein für allemal zu diesem Zwecke zu Delegaten des apostolischen Stuhles bestellte. In Folge dessen erstreckt sich die bischöfliche Aussicht auch bei diesen auf die Lehre und den Glauben, die Verwaltung der Säkularseelsorge (b. h. über Nichtangehörige des Klosters, z. B. in einer ihm inkorporirten Pfarrei), die Administration der Messen; ferner hat der Bischof die vorkommenden, den ordo episcopalis voraussetzenden Weihehandlungen vorzunehmen (also die Regularen zu ordiniren, ihre Altäre und Kelche zu konsekriren und ihnen das Chrisma zu bereiten), endlich besitzt er die Strafgewalt über die außerhalb des K. lebenden Regularen; in Betreff der exemten Nonnen-K. hat er auch über die Beobachtung der Klausur zu wachen. — Die Errichtung neuer K. eines schon be-

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Klüver — KmchpschüftSküfie«.

stehenden Ordens setzt die Genehmigung des apostolischen Stuhles und die Erlaubniß deS Diözesanbischofs voraus, ferner die Anhörung der sonst Jnteresfirten, namentlich der übrigen Orden, welche entweder im Orte selbst oder in einer Entfernung von 4000 Schritt davon ansässig find. Inwiefern die Staatsgewalt dabei zu konkurriren hat, s. den Art. Orden. Jedes ordnungsmäßig errichtete K. eines Mannes­ oder Frauenordens wird damit zugleich nach Kan. R. eine juristische Person, welche fähig ist, Eigenthum zu erwerben, sofern dies nicht, wie z. B. bei den Bettelorden, durch die Regel der letzteren ausgeschloffen ist (s. a. a. £).). Vgl. im Uebrigen, wie auch über die Literatur dm Art. Orden. P. Hinschius.

Äl#6er, Joh. Ludw., $ 10. XI. 1762 in Tann an der Ulster, studirte in Erlangen, Gießen, Leipzig, 1784 Doktor in Erlangen, 1787 ordentl. Professor, 1792 Magister der Philosophie, 1804 in Karlsruhe Kabinetsrath, ging 1807 nach Heidel­ berg, 1817 Geh. Legationsrath in Berlin, f 16. II. 1837 in Frankfurt a. M. Schriften: De Arimannia (dies.), Erl. 1785. — Kleine jurist. Bibliothek, Erl. 1785 bis 1794. — Neueste Literatur de- teutschen Staatsrechts (zu Pütter), Erl. 1791. — Isagoge in elementa jur. publ. quo utuntur nobiles immediati, Erl. 1793. — Staatsrecht des Rhein­ bundes, Tüb. 1808. — Akten des Wiener Kongreßes, Erl. 1815—35 (9 Bde.) — Krit. Ausg. der Schlußakte des Wiener Kongreßes und der Bundesacte; Uebersicht der diplomatischen Verhandlungen deS Wiener Kongreßes, 1816, 1818. — OeffentlicheS Recht des Deutschen Bunde- und der Deutschen Bundesstaaten, 1817, 1822, 1831, 1840 (von Mörstadt). — Droit des gens moderne de PEurope 1819, 2. Id. par Ott, Paris 1874. — Europäisches Völker­ recht, Stuttg. 1821, 1851 (von Mörstadt); franz, von Aillaud, Paris 1831; neugriechisch von Klonares, 1822; russisch von LySlow, 1828. — Ouellensammlung zum „Oeffentlichen Recht", 3. Aust., 1830, 1833. — Staatsarchiv des Deutschen Bundes, 1816-18. — Abhandl. und Beobachtungen für Geschichtskunde, Staats- und Rechtswissenschaften, 1830—34. — Die Selbständigkeit des Richteramtes, 1832. — Nachlaß, herausgeg. von Mülhens, 1838; von Welcker, 1844. Lit.: Mohl, I. 274, 332, 340, 393, 483, 485; II. 473-487; III. 690; Derselbe, Ztfchr. für StaatSwißenschaft VII. 441. — Kaltenborn, Kritik des Völkerrechts, 1847, S. 175—183. — Bluntschli, StaatsWört.B. V. 614—626. — Neuer Nekrolog der Deutschen, 1837, S. 238—245. — Savigny, I. 212. Terchmann.

KnapPschaftskassen. Beim Bergbaue als dem ältesten und einem der gefährlichsten Zweige der Großindustrie hat sich naturgemäß am frühesten das Unter­ stützungskaffenwesen für die Arbeiter (Knappen) ausgebildet und, während im Uebrigen noch heute erst die Stufe des Krankenversorgungszwanges erreicht ist (s. d. Art. Hülsskassen), bereits vorlängst die Jnvalidenversorgung und Hinterlassenenpension als ein gesetzliches Institut eingeführt. Nachahmungswerth in den Grundideen, ist freilich das Bergknappschaftswesen rechnerisch fast durchweg gegenwärtig nodj am unzulänglichen Unterlagen ausgebaut, deren Unsicherheit durch die Häufung der ver­ schiedenen, den K. zugewiesenen Unterstühungsaufgaben noch vermehrt wird. Tie Reform der K. wird sich deshalb in zwei Richtungen bewegen müssen: Beschaffung statistischer Unterlagen über die Morbilität und Mortalität der Bersicherten und möglichste Auseinanderhaltung der verschiedenen Unterstützungszwecke nach Fonds und Beiträgen. Von Werth ist endlich, Freizügigkeit der Arbeiter (unter Anrechnung des der einen K. Geleisteten bei der anderen K.) anzustreben. In Preußen (Allgem. Berggesetz Tit. VII; vorher LR. II. 11 216 ft, Gesetz vom 10. April 1854) sollen für die Arbeiter der Bergwerke, Ausbereitungs­ anstalten und Salinen (beitrittsfähig auch die Werksbeamten, die Verwaltungs­ beamten der K. und die Arbeiter zu Gruben gehöriger Gewertsanlagen, wie Hütten, chemischer oder Metallsabriken) Knappschaftsvereine bestehen, deren Bezirke (unter Wahrung der bestehenden Vereine, § 166) int Mangel steter Einigung der Be­ theiligten das Oberbergamt nach Gehör eines gemischten Ausschusses bestimmt. Für jeden Verein ist ein Statut durch die Werksbesitzer unter Mitwirkung eines von den Arbeitem gewählten Ausschusses aufzustellen, welches der Bestätigung des Ober-

KmrppschLstSkLflen.

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bergarntes unterliegt. Mitglieder find (obligatorisch) die Arbeiter der im Bezirke gelegenen Werke. Die Vertretung besorgt unter Mitwirkung von durch die Arbeiter und Beamten, welche zum Vereine gehören, aus ihrer Mitte gewählten Knappschaftsältesten der Knappschaftsvorstand, welche je zur Hälfte von den Besitzern bzw. Repräsentanten der Werke und von den Knappschaftsältesten je aus ihrer Mitte oder aus der Zahl der Königlichen oder Privatbeamten gewählt wird. Die Knappschaftsältesten haben einerseits die Befolgung des Statuts durch Knappschafts­ mitglieder zu überwachen, andererseits deren Rechte gegenüber dem Vorstande wahr­ zunehmen, welcher ihnen und den Werksbesitzern u. a. die Jahresrechnungen vor­ zulegen hat. Sowol die Arbeiter* als auch die Werksbesitzer haben Beiträge zu leisten, erstere nach Lohnprozenten oder einem Fixum, letztere mindestens nach Höhe der Hälfte der Arbeiterbeiträge; die Werksbefiher haben Anmeldung der Arbeiter sowie Einziehung und Abführung der Beiträge derselben zu bewirken bzw. zu ver­ treten; die Einziehung derselben unterliegt der Verwaltungsexekution nach vor­ gängiger oberbergamtlicher Feststellung (vgl. jetzt Anweisung vom 15. Sept. 1879 zur Allerh. Verordn, vom 7. e. m., Ges.Samml. S. 591). Die Leistungen, welche jeder Knappschaftsverein nach näherer Bestimmung des Statuts seinen voll­ berechtigten Mitgliedern mindestens zu gewähren hat, find: 1) in Krankheitsfällen von Knappschastsgenoffen freie Kur und Arznei für seine Person, 2) ein entsprechender Krankenlohn bei einer ohne eigenes grobes Verschulden entstandenen Krankheit, 3) ein Beitrag zu den Begräbnißkosten der Mitglieder und Invaliden, 4) eine lebenslängliche Jnvalidenunterstützung bei einer ohne grobes Verschulden eingetretenen Arbeitsunfähigkeit, 5) eine Unterstützung der Wittwen auf Lebenszeit bzw. bis zur Wiederverheirathung, 6) eine Unterstützung zur Erziehung der Kinder verstorbener Mitglieder und Invaliden bis zum 14. Jahre. Für die Mitglieder der wenigst begünstigten Klaffe find mindestens die unter 1 und 2 und wenn sie bei der Arbeit verunglücken, auch die unter 3 und 4 genannten Leistungen flu gewähren. Andererseits kann für die Leistungen unter 1, 2, 3 oder für einzelne derselben, wenn die Werksbesitzer, der Vorstand und die Aeltesten der Knappschaft es beschließen eine (unter Aufsicht des K.vorstandes stehende, mit bestätigten Statuten zu versehende) Krankenkaffe, entweder für alle Werke des Bezirks oder für jedes oder Gruppen der­ selben errichtet werden. Nach Preuß. Provinzialrechte fallen die Kohlengruben des Grundeigenthümers (oder seines Rechtsnachfolgers) in den Calenbergischm, ehemals Sächsischen und Westpreußischen Gebietstheilen unter ben K.zwang, dagegen nicht die Salzbergwerke und Salinen in Hannover. Die Länder, welche Preußisches Bergrecht rezipirt habm, verbefferten zum Theil die Normen über die K. Ins­ besondere hat Bayern noch Vorschriften über die Verwendung des K.vermögens bei der Auflösung des Vereins (Art. 190); Elsaß - Lothringen (§ 163) und Hessen (Art. 179) statuiren Gegenseitigkeit, letzteres verlangt außerdem Trennung der Kranken- und Begräbnißkaffe von der eigentlichen K. (Art. 164), nach dem that­ sächlichen Vorgänge in Bayern (Zeitschr. für Bergrecht Bd. 17 S. 246) und den Bestimmungen für Naffau (Preuß. Einf.Verordn. vom 22. Febr. 1867, Art. 5). — Die nächste Aufsicht der Bergbehörde übt ein Kommissar. Im Königreich Sachsen find nur beim Erzbergbau K. obligatorisch (die be­ stehenden Revier-K. fungiren weiter), beim Kohlenbergbau find die Werksbesiher verpflichtet, Kranken- und Begräbnißkaffen zu errichten oder sich bestehenden dergleichen anzuschließen (thatsächlich fast überall K.). Die Aufsicht steht (solange noch besondere Bergbehörden existiren) eine vielfach störende Einrichtung den Ortsverwaltungs­ behörden zu. Die Beiträge der Werksbesiher müssen mindestens die Hälfte der Arbeiter­ leistungen betragen (Allgem. Berggesetz § 84). — In ganz Deutschland sind die Hebungen aus K. und Kaffen der Knappschaftsvereine der Pfändung nicht unter­ worfen (EPO. § 749, 4). v. Holtzendorff, Enc. II. RechtSlexikon II. 3 Aufl.

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Koadjutoren — Koch.

Ungenügend ist Oesterreich (Allgem. Berggesetz §§ 210 ff.), wo der Berg­ werksbesitzer nur verpflichtet wird, für Errichtung einer K. (Bruderlade) bei seinem Werke oder gemeinsam mit anderen Gruben unter behördlicher Genehmigung „zu sorgen" und bis dahin seinen erkrankten oder verunglückten Arbeitern wenigstens diejenige Hülse zu leisten, welche nach den allgemeinen Gesetzen den Dienstherren gegen ihre Tienstleute obliegt. Beitragspflichtig sind nur die Arbeiter. Frank­ reich und die übrigen Länder des Französischen Bergrechts kennen die obligatorische K. nicht; doch hat sich in Belgien das K.wesen trotzdem kräftig entwickelt. Nach den: Belgischen Gesetze vom 28. März 1868 über die K. (caisses de prevoyance) können solche von der Staatsregierung aus Grund vorgelegter Statuten ausdrücklich anerkannt werden und genießen alsdann mehrfache Privilegien. Lit.: Achenbach in Zeitschr. für Bergrecht Bd. 12 S. 90 (Historisches). — Klo st er­ mann, Lehrbuch, S. 350 ff (beachtenswerth namentlich S. 352, übliche Statutenbestimmungen betreffend), Kommentar S. 264 ff. der 3. Anst. (u. a. Statistisches), und in Zeitschrift des Bergwesens Bd. 20 S. 62 (Reservefonds betr.). — Brassert in Zeitschr. für Bergrecht Bd. 13 S. 101 und 257 (Kritik des geltenden Rechts und des Oesterr. Entwurfs), sowie Bd. 18 S. 354 (Verh. zu den eingeschriebenen Hülfskassen). — Mosler in Preuß. Zeitschr. für Berg-, Hütten- und Salinenwesen Bd. 22 B. S 366 (Belgien betr.). — Gustav Schneider in Oesterr. Zeitschr. für Berg- und Hüttenwesen Bd. 27 Nr. 15 ff. (auch Zeitschr. für Bergrecht Bd. 20 S. 481). — Salomon, Les caisses de secours et de prevoyance des ouvriers mineurs en Europe, Paris 1878 (Gesetzesübersicht und Kritik; vgl. den Auszug in Revue universelle Bd. 4 S. 543). — Hiltrop in Preuß. Ztschr. d. statlst. Bur. 1869 S. 216. — Böhmert in Sachs. Ztschr. d. statist. Bur. 1879 S. 153. — Caspar in angez. Oesterr. Zeit. 1880. Leuthold.

Koadjutoren. Ist ein Bischof zur Ausübung seines Amtes geistig oder körperlich unfähig geworden, so wird ihm, da die Verbindung, in welcher er zur Diözese steht, ohne seinen Willen als unlösbar gilt, auf seinen oder des Kapitels Antrag vom Papst unter dem Namen coadjutor temporarius ein Gehülfe beigeordnet, welcher die bischöflichen Rechte verwaltet, soweit sie von Jenem nicht ausgeübt werden können. Nach dem Tode des Bischoss tritt ein solcher K. wieder­ ab, sofern er nicht — was aber nur ex causa gravi geschehen soll — ausdrücklich cum futura successione bestellt wurde. Abgesehen hiervon kann der Papst in allen Fällen, wo dringende Noth oder ein augenscheinlicher Stutzen der Kirche es erheischt, dem Bischof gleichfalls einen K. zuordnen, und zwar, ohne daß es der Zustimmung des Bischofs bedarf. Ueber das Erforderniß des Konsenses des Domkapitels herrscht Streit. Ein solcher. Gehülfe übt aber zu Lebzeiten des Bischofs nur dann Rechte aus, wenn der letztere (coadjutus) nicht handeln will. Dagegen hat er ein Successionsrecht aus den bischöflichen Stuhl, tritt bei dem Tode des Bischofs ipso jure an dessen Stelle und heißt daher coadjutor perpetuus cum jure succedendi. Was die Rechte der Staats­ regierungen angeht, so gelten für K. (cum jure succedendi) prinzipiell ganz die gleichen Normen wie für ordentliche Bischöfe. Für K. ohne Successionsrecht dagegen gelten nur die allgemeinen Bestimmungen der Staatsgesetze über die Bekleidung von Kirchenämtern. Lit.: Richter-Dove, Kirchenrecht, § 140. — Schulte, System des Kirchenrechts, II. 8 43. — Phillips, Lehrbuch deS Kirchenrechts, I. § 163. — Hinschius, Kirchenrecht, II. § 89. — Friedberg, Kirchenrecht, § 67. Hübler.

Koch, Christ. Friedr., 6 9. II. 1798 zu Mohrin (Neumark), Sohn eines Topfstrickers und Tagelöhners, Schüler Savigny's, wurde 1825 Auskultator, 1827 Königl. Gerichtsassessor, ging nach Köln und Aachen, um Franz. Recht kennen zu lernen, arbeitete dann in Marienwerder und Culm, später in Glogau, seit 1835 als Rath in Breslau, half mit an den „Ergänzungen und Erläuterungen zu den Preuß. Rechtsbücherm" (1838) und gründete das Schles. Archiv f. prakt. Rechtswissensch. (bis 1846, 6 Bände), 1840 in Halle, 1841 Direktor des Fürstenthumsgerichts in Neiße, mit dem Entw. einer Prozeßordnung betraut, Hülfsarbeiter am OTrib,

Lollattsa.

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schied als Kreisgerichtsdirektor 1854 aus, t 21. I. 1872. Höchst verdient um die wissensch. Behandlung des Preuß. Rechts. Schriften: Versuch einer systematischen Darstellung der Lehre vom Besitze nach Preuß. Recht (1825), 2. Aust., BreSl. 1839. — Anleitung zum Referiern, 1832. — Die Juden im Preuß. Staate, 1833. — Das Recht der Forderungen (1836—40), 2 Aust. 1858—59. — Lehre von dem Uedergange der Forderungsrechte, 1837. — Recht und Hypothekeuwesen der Preuß. Domainen, 1838. — Preußens Rechtsverfassung und wie sie zu reformiren sein möchte, 1843 (1844 1. Forts.).-Lehrbuch des Preuß. Priv.R. (1845), 3. Aust. 1858. — Beurtheilung der ersten 10 Bände der Entscheidungen deS OTrib., 1847. — Der Preuß. Eiv.Prz. (1847), 2. Aust. 1854. — Formularbuch für instr. Gerichtspersonen und Notarien (1844), 8. Aufl. 1870. — Entwurf einer CPO., 1848. — Die bevorstehende Gerichtsorganifirung, Berl. 1849. — Das W.R, 1850. — Die Prz.Ordn., 1851, 6. Aufl. 1871. — Das Alla. LR., 1852- 56, 7. (6.) Aufl. 1878—79. — Allg. Hypoth.Ordn., 1856. — Anleitung zur Preuß. Prz.PraxiS mit Beispielen, 1860, 61. — Allg. Deutsches HGB., 2. Aufl. 1869. - Preuß. KO., 2. Aufl. 1867. — Preuß. Erbrecht, 1866. — Alla. Berggesetz für den Preuß. Staat, 1870. Lit.: Behrend, Chr. Fr. Koch, Berlin 1872. — Svarez, Bornemann und Koch, die drei Männer des Preuß. Rechts, Berl. 1875. Teich mann. Kollation (civilrechtlich; Th. I. S. 476) (Einwerfung, genauer: Anrechnung, Beitrag) ist die Vermehrung einer Erbtheilungsmasie durch gewisse Güter gewisser Miterben, zum Zweck der Ausgleichung mit den übrigen. Grund der K.pflicht: es wäre unbillig und dem muthmaßlichen Willen des Erblasiers zuwider, wenn der Einzelne außer seinem Erbtheil alles das ungeschmälert behalten dürfte, was er aus dem Vermögen des Erblasiers bei desien Lebzeiten vorweg erhalten hat. Zur K. verpflichtete und sie zu fordern berechtigte Subjekte sind im neuesten Röm. und Gem. Rechte (nach Beseitigung der älteren collatio bonorum emancipati und collatio dotis) nur Descendenten als solche (mit Ausnahme der unehelichen), welche neben einander zur Erbfolge eines Ascendenten gelangen, sei es als gesetzliche, sei es (seit Justinians Novelle) als Testamentserben, letztere jedoch nur, sofern sie ohne Testament gesetzliche Erben wären, und soweit nicht der Testator die K. geradezu verboten hat. Jede Kollation entfällt insoweit, als sie den Pflichttheil des Beitrags­ pflichtigen verletzen würde; denn die gesetzliche Schranke für den ausgesprochenen Willen des Testators gilt um so mehr für desien muthmaßlichen Willen. Ent­ ferntere Descendenten konferiren außer den eigenen Zuwendungen die ihren Eltern gemachten, soweit dieselben durch Beerbung oder doch durch Freigebigkeit an sie gelangt sind; was freilich in vielfacher Richtung bestritten ist. Gegenstand der K. ist a) dos und Eheschenkung, b) nach der Praxis das zur Begründung und Aus­ stattung eines gesonderten Haushalts oder Berussgeschäfts Gegebene, c) eine gewöhn­ liche und wirkliche, den Uebrigen nicht in ähnlicher Weise zugewendete Schenkung nur dann, wenn der Erblaffer deren Einwerfung angeordnet, oder wenn ein mit­ erbender Descendent eine der Zuwendungen unter a) oder b) einzuwerfen hat. Weigerung der K.pflicht zu genügen, gilt als Verzicht auf den Erbtheil; direkten Zwang zur Einwerfung giebt es nicht. Dieselbe erfolgt, nach etwa vorgängiger Kaution, durch Naturaltheilung oder durch Ersatz im gegenwärtigen Werth sowol des Gegenstandes selbst als desien Nettoertrages seit dem Erbfall. — Im Code civil wird die K. (rapport) ausgedehnt auf alle höritiers (also nicht blos Descendenten), jedoch mit strenger Gegenseitigkeit, und deren Gegenstand sogar auf alles im Testament Hinterlassene, rücksichtlich desien die Einwerfung nicht ausdrücklich erlasien. Letzteres führt zu Widersprüchen und beruht theils auf unrichtiger Auslegung der Aussprüche Justinians, theils auf der ehemals gangbaren Auffasiung, daß im Zweifel jede Zuwendung des Erblassers zu konferiren sei, weil eine Vermuthung gegen den Willen des Erblasiers streite, ein Voraus zu geben. Das Preuß. LR. schließt bei seiner „Ausgleichung" in Subjekten wie in Objekten dem Gem. Recht sich an, jedoch in letzterer Beziehung mit Abweichungen, die auf deutfchrechtlicher Gewohnheit beruhen. Das Oesterr. BGB. beschränkt seine „Anrechnung" auf die gesetzliche Erbfoge (abgesehen von ausdrücklicher Anordnung einer Anrechnung in der letzten Willenserllärung); doch kann 31*

Kollation — Kollufionshast.

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dieselbe auch hier einen: Kinde ausdrücklich erlassen werden. Auch nach dem Sachs. BGB. sind Abkömmlinge und zwar nur bei gesetzlicher Erbfolge zur Einwerfung ver­ pflichtet; im Uebrigen nicht über den Beitrag ihres Erbtheils hinaus, und nach ihrer Wahl in Natur oder im Werth, berechnet nach der Zeit der Erbtheilung. Quellen u. Lit.: Fein, Das Recht der K., 1842. — ArndtS im Rechts-Lex. III. S. 809 ff. — Windscheid, Lehrb., III. §§ 609 ff. — D. 37, 6, 7. — C. 6, 20. — Nov. 18 c. 6. - Preuß. LR. II. 2 §§ 303 ff., ^87 ff. - Oesterr. BGB. §§ 788, 790-794. — Sachs. BGB. §§ 2354 ff. — Code civ. art. 843—869. — Mommsen, Erbr.-Entwurfl §§ 287 ff. Schütze.

Kollation

(kirchenrechtlich; Th. I. S. 658) heißt im kathol. Kirchenrecht die Verleihung eines Kirchenamtes durch den berechtigten Oberen. Gewöhnlich wird dafür die Bezeichnung provisio gebraucht, wahrend der Ausdruck collatio im regelmäßigen Sprachgebrauch auf die Verleihung der niederen, vom Bischof zu vergebenden Aemter beschränkt bleibt. Hat der letztere dabei freie Hand, so spricht man von einer collatio libera, und setzt derselben den Fall, wo er durch die Rechte eines Dritten gebunden, also durch das Patronatrecht beschränkt ist, als collatio non libera oder collatio necessaria gegenüber. Das K.recht des Bischofs ist insofern ein höchst persönliches, als es weder der Generalvikar sede plena ohne Auftrag des Bischofs, noch das Ca­ pitel oder der Kapitularverweser sede vacante ausüben darf. P. Hinschius.

Kollufionshast.

Auf Grund mißverständlicher Auslegung des Art. 11 der CCC. bildete sich im Gemeinen Untersuchungsprozeß die Ansicht, daß nicht blos wegen Fluchtverdachts, sondern auch wegen einer die Ueberführung hemmenden Einwirkung des Beschuldigten auf den Belastungsbeweis die Untersuchungshaft zu rechtfertigen sei. K. der Beschuldigten ist in mehrsacher Richtung möglich: gegenüber den vorhandenen Verbrechensspuren und Jndicien, den Mitschuldigen, den Zeugen und Sachverständigen. Vorauszusetzen ist bei den Kolludenten die Absicht, den Richter zu hintergehen und die Verfolgung einer Strafthat zu vereiteln. Die Verhaftung wegen Kollusionsgefahr reiht sich naturgenläß ein in die gemeinrechtlichen Anschauungen über Geständnißpflicht, Lügenstrafen und Be­ weistheorie. Wo die Verurtheilung eines Angeschuldigten durch strenge Beweis­ regeln erschwert wird, erscheint Kollusion im höheren Maße gefährlich, als wo bei freier Beweiswürdigung ein fehlgeschlagener Versuch der Kollusion als eine wirklich stattgehabte Einwirkung des Angeschuldigten auf die Ueberführungsstücke als In­ dizium für den Belastüngsbeweis benützt werden kann. Aus diesem Grunde ist neuerdings die Zulässigkeit der K. im modernen Prozeß grundsätzlich angefochten worden (Mittermaier). Da jedem Beschuldigten das Bestreben zugetraut werden könnte, durch Einwirkung auf Ueberführungsstücke im Falle seiner Unschuld die Be­ seitigung der Untersuchung oder im Falle der Schuld die Freisprechung herbeizu­ führen, ist mit der Maßregel der K. die persönliche Freiheit schwer bedroht und die Gefahr des Mißbrauches gesteigert. Die K. ist eine präventive Maßregel, keine Strafe, und darf daher niemals über ihren nächsten Zweck hinaus erstreckt werden. Allgemeine Voraussetzungen und Möglichkeiten, wie z. B. die Besorgniß, daß ein Beschuldigter den Versuch machen könnte, die Untersuchungsakten zu entwenden, sind nicht geeignet, die K. zu gestatten; ebensowenig die Annahme, daß ein reicher Ver­ brecher den Richter bestechen könnte, oder das Verhalten dritter Personen, die, ohne Zuthun des Beschuldigten den Belastungsbeweis erschweren könnten. Hat der Angeschuldigte sofort bei seiner ersten Vernehmung ein Geständniß abgelegt, so kann er nicht mehr in K. genommen werden. Andererseits kann K. gleichzeitig als De­ likt erscheinen (Beiseiteschaffung öffentlicher Urkunden, Versuch der Bestechung oder der Verleitung zum falschen Eide oder zum Meineide). Das neue Deusche StrafPrz.R. hat den Richter, der wegen Kollusionsgefahr einen Haftbefehl erlassen darf, einge-

Kolormt

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schränkt. Die subjektive Besorgniß, daß Kollusion eintreten könne, ist nicht aus­ reichend. Vielmehr verlangt das Gesetz, daß Thatsachen vorhanden find, aus denen sich die Besorgniß der Kollusion ergiebt und daß zur Ermöglichung einer wirksamen Kontrole, die eine Kollusionsgefahr indizirenden Thatsachen aktenkundig zu machen sind. Vorbedingung der K. ist ferner, daß es sich nicht um Penolgung geringfügiger, blos mit Hasi oder Geldbuße bedrohter Delikte handle. In nicht wenigen Fällen wird der Zweck der K. durch sorgfältige Beobachtung des Be­ schuldigten, durch Beschlagnahme der seiner Einwirkung unterliegenden Ueberführungsstücke und durch rechtzeitige Verwarnungen zu erreichen sein. Wo die K. dagegen nothwendig erscheint, kann sie durch Sicherheitsleistung nicht abgewendet werden. Die Oesterr. StrafPO. weicht von Deutschland darin ab, daß die K. ihrer Dauer nach am zwei, höchstens drei Monate beschränkt ist. In Frankreich ist Kollusions­ gefahr ein Grund, die Untersuchungshaft durch sog. mise en stieret oder interdiction de commnniquer zu verschärfen. Quellen: Deutsche RStrafPO. 5 112. — Oesterr. StrafPO. § 175. — Frauzös. StrafPO. art. 613. — Gesetz vom 14. Juli 1865. feit: Mittermaier, Strafverf.,I.H 74; Derselbe in der Allg. StrafrechtS-Ztg. 1863 Sp. 57. — Zachariä, Handb., II.6.143. — Kampe im Gerichtssaal 1855. — v. Poitzen­ dorfs, Handbuch des StrafPrz., I. 347. — Htilie, Traitti de l’instr. crim. V. B. n. 1983; Derselbe, Pratique crim., L 1057. v. Holtzendorff. Kolouat (Lassitisches R.; Th. I. S. 500); bäuerliches R. an herrschaft­ lichen Gütern verliehen, ausgedehnt auf freieste Benutzung bei guter Bewirthschaftung unter Vertretung des Hofes vor Gericht und Gemeinde, mit Erblichkeit des Besitzes und Veräußerungsbefugniß, doch überall mit näher geordneter Berücksichtigung des Willens des Gutsherrn als Eigenthümers, oder doch Obereigenthümers, dem Ab­ gaben und Dienste zu entrichten sind. „Schon in der Zeit der Karolinger begann die Umschaffung der Meiereien in zins- und dienstbare K., die erblich und Glieder der Dorfgemeinde wurden" (Meitzen). Walter unterscheidet in der unendlichen Mannigfaltigkeit 1) erblich gewordene Laten- oder Hobsgüter, im Namen noch er­ kennbar am Niederrhein und in Westfalen, mit der Hofhörigkeit zusammenhängend; 2) Leibeigenthumshöfe, die zu erblichem Besitz gelaffen worden, wie die Höfe der Eigenbehörigen im Osnabrück'schen, die Münsterffchen Erbpachtgüter, auf denen der entlaffene Leibeigene als Kolon blieb; 3) erblich gewordene K. auf Zeit (auch auf 2 bis 3 Leiber u. dgl.), wie die Meiergüter in Niedersachsen, die Schillingsgüter im Lüneburgischen und der Graffchast Hoya, die Festegüter in Schleswig und Hol­ stein, die Laßgüter in der Mittelmark (nicht erblich in Sachsen), die Landsiedelleihen in Oberheffen (nicht erblich im Solmsischen), die Fallehen oder Schupflehen (Tod­ bestände) in Schwaben (nicht erblich in Baden) u. a. m. Im Laufe der verfloffenen Jahrhunderte sind zahlreiche Ordnungen (Meier-, Erbpachts-Ordnungen) ergangen, welche nebm Gewohnheitsrecht zur Ergänzung der Leih- oder Meierbriefe dienten, soweit solche zwischen dem Gutsherrn und Kolonen geschloffen worden. Sie bieten weitgehende provinzielle und lokale Verschiedenheiten, wenn auch in Anknüpfung an Einrichtungen, die den K. eigenthümlich und ziemlich gemeinsam sind. (S. die Art. Abmeierung, Best Haupt, Jnterimswirthschaft, Laudemium, Mei er güt er.) Der Kolon hatte seine Gebäude selbst zu unterhalten, und abge­ sehen von öffentlichen Lasten neben den gutsherrlichen Diensten Abgaben an Vieh, Getreide, sonstigen Naturalien zu entrichten, welche zuweilen die Gestalt einer colonia partiaria: Garbenpacht angenommen haben. Der Steigerung der Pacht ist seit dem 18. Jahrhundert entgegengewirkt, insbesondere im Herzogthum Westfalen, wo die Geschlossenheit der Höfe durch die Einrichtung der Schatzkataster 1663 ein eigenthümliches Sicherungsmittel erhielt. Obschon die neueren Landesgesehgebungen theilweise allgemeine Bestimmungen über K., als Erbpachtsverhältniffe oder zur Kultur ausgesetzte Grundstücke getroffen

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Kolportage —

habm, so hat sich in neuester Zeit doch die Gesetzgebung überwiegend, namentlich in Preußen, der Beseitigung aller derjenigen Rechtsverhältnisse zugewendet, welche das Gepräge getheilten EigenthumS an sich tragen. Die dingliche Eigenschaft der K.rechte, welche sich praktisch u. a. darin geltmd machte, daß Kauf sie nicht brach, ist dort in Verfolgung jener Tendenz für die Erbpacht zu vollem Eigenthum ge­ steigert, für Laffitenstellen die EigenthumSverleihung regulirt; die auf dem Gute ruhenden Leistungen sind großentheilS als Reallasten beibehalten, doch mit der Be­ stimmung der Ablösung nach Umwandlung der Dienste und Naturalien in Geld­ renten. Die erbliche Ueberlassung eines Grundstücks ist nur noch zu vollem Eigenthum zulässig. So auch neuerdings in Schleswig-Holstein (Ablöfungsgrsetz vom 3. Jan. 1873 § 5|, Preuß. Ges.Samml. S. 3), wo das Obereigenthum und das Heimfallsrecht des Berechtigten bei ErbzinS-, Erbfeste-, Erbpachtsgütern aufgehoben worden. Die Umwandlung des Erbleih-, Landsiedelleih-, Erbzins- und Erbpachtverhältniffes in Eigenthum ist für Naffau u. a. durch das Gesetz vom 5. April 1869 geordnet. (S. schon Th. I. S. 1186. Der Anhang S. 1050-52. 1080, 1094, 1137, 1170, 1173 ff. giebt eine reichhaltige Uebersicht über die großentheilS in der Auflösung begriffenen KolonatSverhältniffe aller Art, insbesondere in Braun­ schweig, Lippe, Großherzogthum Heffen, Westfalen, Laumburg und Hannover.) Quellen u. Lit.: Preuß. LR. I. 21 §§ 187 ff., 626 ff. nebst Erg., des. Gesetz vom 2. Mär, 1850. — Bad. LR. Art. 1831 aa-bb. - Oesterr. BGB. § 1122. - Renbauer, Zusammenstellung deS in Deutschland geltenden Rechts, betr. Etammgvter, Familienfid., Familienstift., bäuerl. Rechte, Berl. 1879 S. 13 ff. — Walter, Deutsche Rechtsgeschichte, Atz 489 ff.; Derselbe, Prid.R., §§ 511 ff. nebst Eitaten von Meierordn. — Hierzu: Hofhoorigrecht in de Twente. R. Mag. s. Hannov. Recht 7, 359 ff. als älteste- Gesetz über Kolonatrecht, 1546. — Meierrecht der Grasschaft Hoya v. OGer.Ratb R i e m e y e r, 1862.—Luneburgische» Prov.Meierrecht von Preuß, 1862. — Das Recht der Nachfolge in Meierastter de» Fürstenthum» Lüneburg und der Groffchast Hoya v. OGer.Rath Frank, 1862. — Meierrecht, Hofrecht und Leibeigenthum in Westphalen, in Wigand'» Denkwürdigkeiten, S. 269 ff. — Der Boden und bte landwirthschastlichen Berhältniffe de» Preuß. Staate» (vor 1866) von A. Meiden, Bd. I. 6.366 ff. — Weitere Lit. bei den Art. Agrargesetzgebung und den oben berührten Spezialartikeln; s. auch die Art. Hofgüter, Crblerhe, Erbpacht. Schaper.

ÄelyettagC s. Prcßgewrrbe.

Äümmanbilstesellsthast (Th. I. S. 534 und 554) ist diejenige Bereinigung, bei welcher an einem unter gemeinsamer Firma betriebenen Handelsgeschäft ein oder mehrere Gesellschafter nur mit Vermögenseinlagen, ein oder mehrere andere mit unbe­ schränkter persönlicher Haft betheiligt sind. Nachdem schon im Mittelalter die verbreitete Handelssitte, sich an irenidei» Erwerb mit einer Vermögenseinlage zu betheiligen, zu der Annahme eines in solchem Falle vorliegenden GesellschaftSverhältniffes geführt hatte, wobei aui die Verdrängung der älteren Annahme eines Darlehns gegen Dividende das kanonische Zinsverbot nicht ohne Einfluß war: hat sich allmählich dir neue Gesellschaftsiorm der Kommandite in allen Europäischen Ländern, mit alleiniger Ausnahme Englands, gesetzliche Anerkennung verschafft. Dabei schwankte aber besonders in Deutschland Theorie und Praxis in Bezug aus die Frage, ob die Wirkung dieser Gesellschafts­ form auf die Kontrahenten beschränkt bleibe, oder ob die Gesellschaft auch nir Dritte als kaufmännische Einheit existirr. Das Deutsche HGB. hat diesem Schwanken ein Ende gemacht. Es hat unter dem Namen der stillen Gesellschaft das zu den Handelsgesellschaften im technischen Sinne nicht gehörige Verhältniß einer lediglich unter den Paciscenten wirksamen, ausschließlich obligatorischen, nach außen latenten und deshalb firmenlosen Betheiligung an fremdem Geschäft durch eine Vermögens­ einlage gegen Antheil am Gewinn und Verlust besonders geregelt (Art. 250—265). Diesem zwischen Gesellschaft und Darlehen in der Mitte stehenden Verhältniß stellt eS mit Bestimmtheit als selbständige Handelsgesellschaft mit gemeinfchaitlicher Firma

KoamandttßesellschLft.

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und besonderem Gesellschaftsvermögm die Kommanditgesellschaft gegenüber (Art. 150—172). Die K. des HGB. ist im Wesmtlichen nach dem Vorbilde der offenen Handels­ gesellschaft konstruirt. Die Abweichungen ergeben sich daraus, daß neben einem oder mehreren (im letzteren Falle unter sich eine offene Gesellschaft bildenden) persön­ lich haftenden Gesellschaftern (offene, firmirende Gesellschafter, Komplementär, gerant) ein oder mehrere Kommanditisten stehen, welche nur kapitalistisch betheiligt find. Weil die Letzteren nicht persönlich, sondern nur mit einer begrenzten Einlage Träger des Geschäftes sind, darf ihr Name nicht in der Firma vorkommen; sie sind von der Geschäftsführung ausgeschloffen; sie haften Tritten nur auf Höhe ihrer Einlage; ihr Tod oder ihre Dispositionsunfähigkeit ist gleichgültig für den Bestand des Ganzen. Weil aber ihre beschränkte Hast zusammen mit der unbe­ schränkten Haft des Komplementärs die Kreditbasis des Vereins bildet und als solche nicht nur dem Geschäftsrisiko ausgesetzt, sondern auch nach außen dargeboten wird, liegt eine wahre Handelsgesellschaft, der daher auch eine Gesellschaftsfirma zu­ steht, vor; auch die Kommanditeinlagen werden zum Handelsregister angemeldet; und die Hast mit der eingezahlten oder versprochenen Einlage ist unmittelbar gegen die Gesellschaftsgläubiger begründet, so daß diese letzteren sich wegen bestimmungs­ widrig zurückgezahlter, erlassener oder bei Verlusten nicht gehörig ergänzter Einlagen (ausgenommm Zinsen und Gewinn, welche der Kommanditist auf Grund einer in gutem Glauben errichteten Bilanz in gutem Glauben bezogen hat) an den Kom­ manditisten selber halten können. Nach außen existirt die K. als solche insofern erst mit der Eintragung, als erst mit diesem Moment die beschränkte Haft der Kommanditisten im Verhältniß zu Dritten wirksam wird; tritt, die K. vorher ge­ schäftlich auf, so hastet jeder Kommanditist für die hieraus erwachsenen Verbindlich­ keiten persönlich, wenn er nicht dem Gegner Kenntniß seiner blos beschränkten Betheiligung beweist. Im Uebrigen besitzt die K. unter ihrer Firma die gleiche Rechts- und Handlungsfähigkeit wie die offene Gesellschaft, wird aber nur durch die persönlich haftmden Gesellschafter vertreten; wenn ein Kommanditist Geschäfte für sie abschließt und nicht ausdrücklich blos als Prokurist oder Bevollmächtigter auftritt, macht er sich persönlich haftbar. Die inneren Verhältniffe der Gesellschaft werden durch Vertrag geregelt; im Zweifel hat der Kommanditist nicht einmal ein Wider­ spruchsrecht gegm die Geschäftsführung, sondern nur ein Recht auf Einsicht der Bücher und Mittheilung der Jahresbilanz, ist aber daher auch in der Betreibung anderer Handelsgeschäfte nicht beschränkt; Gewinn und Verlust werden unter Berück­ sichtigung der Einlagen berechnet und im Nothsall nach richterlichem Ermesien ver­ teilt. Aufgelöst wird die K. nach den Regeln der offenen Gesellschaft; nur find Ereignisse in der Person eines Kommanditisten irrelevant, während der Konkurs eines solchen beendigend wirkt und seinen Privatgläubigern gleiche Rechte wie den Privatgläubigern eines offenen Gesellschafters zustehen. Ueber Liquidation und Klagenverjährung gelten für alle Gesellschafter die Regeln der offenen Gesellschaft; nur find der richtigen Meinung nach die Kommanditisten nicht zu Liquidatoren berufen, weil Liquidation Geschäftsführung ist. Im Falle der Zahlungsunfähigkeit findet über das Vermögen der K. ein selbständiges Konkursverfahren statt. Eine Unterart ist die K. auf Aktien. Rechtlich und formell ist sie eine K., bei welcher das Kommanditkapital in Aktien oder Aktienantheile zerlegt ist. Faktisch nähert sie sich der Aktiengesellschaft, wie sie auch als Surrogat derselben zur Um­ gehung der bei dieser geforderten Staatsgenehmigung entstanden ist. Durch den Fortfall des Erfordernisses der Staatsgenehmigung bei Aktiengesellschaften hat daher diese Gesellschaftsform, zu der ein inneres Bedürfniß kaum getrieben hat und die als eine Art Zwitterbildung stets einen inneren Widerspruch in sich trägt, sehr an Bedeutung verloren. — Das Deutsche HGB. (Art. 144—205) forderte zwar für die K. auf Aktien, so gut wie für die Aktiengesellschaft, Staatsgenehmigung, sah

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Kommanditgesellschaft

aber voraus, daß die meisten Landesgesetze, wie denn auch wirtlich geschah (z. B. Preuß. Einf.Ges. Art. 11), hier im Gegensatz zum Aktiengesellschaftsrecht von dem ihnen offen gelaffenen Recht Gebrauch machen würden, die Staatsgenehmigung und Staatsaufsicht fallen zu laffen. Bon diesem Gesichtspunkt aus stellte es eine große Zahl (meist einem Franz. Ges. vom 17. Juli 1856 entnommener) beschränkender Normen auf, die dem Mißbrauch dieser Gesellschaftsform entgegenwirken sollten. Das Reichsgesetz vom 11. Juni 1870, betr. die Kommanditgesellschaften auf Aktien und die Aktiengesellschaften, hat auch bei der K. auf Aktien die staatliche Ge­ nehmigung und Beaufsichtigung allgemein beseitigt, die Beschränkungen aber (die ihm sogar größtentheils als Vorbild bei der neuen Normirung des Aktiengesellschafts­ rechts dienten) aufrecht erhalten und durch Strafandrohungen gegen die persönlich haftenden Mitglieder und die Mitglieder des Aufsichtsraths (Art. 206) verstärkt.

Das Ges. hat überdies einige weitere Aenderungen getroffen, wovon die wichtigste die des Art. 199 ist. Auch ist durch das neue Gesetz jede K. auf Aktien, selbst wenn der Gegenstand ihres Unternehmens nicht in Handelsgeschäften besteht, für eine Handelsgesellschaft erklärt (Art. 174). — Das geltende Recht der K. auf Aktien beruht auf der Basis des Rechts der K., welches aber durch eine Reihe dem Rechte der Aktiengesellschaft entlehnter Institute und Sähe modifizirt wird. Insbesondere bedarf es ähnlicher Förmlichkeiten bei der Errichtung, namentlich eines gerichtlichen oder notariellen Gesellschaftsvertrages von bestimmtem Inhalt (Art. 174 ff.), ge­ höriger Anmeldungen und Veröffentlichungen, und einer die Existenz bedingenden Eintragung (Art. 178). Die Aktien oder Aktienantheile dürfen hier niemals auf den Inhaber lauten und nicht in geringeren Stücken als zu 150 Mark ausgegeben werden. Der ursprüngliche Zeichner kann hier bis zur vollen Einzahlung der Aktie niemals seiner Verbindlichkeit entlasten werden. Andere als baare Einlagen und besondere Vortheile für einzelne Gesellschafter sind nut nach Maßgabe des Art. 180 zulässig. Tie persönlich haftenden Gesellschafter dürfen für ihre gesellschaftlichen Ein­ lagen niemals Aktien erhalten und ihre Kapitalantheile sind unveräußerlich. Am meisten nähert sich die K. auf Aktien der Aktiengesellschaft in Bezug auf die bei ihr nothwendig werdende Organisation. Insbesondere werden auch die Rechte der Kommanditisten durch eine Generalversammlung wahrgenommen, für welche analoge Bestimmungen wie bei der Aktiengesellschaft gelten (Art. 186—190). Schon vor der Ausdehnung der entsprechenden Bestimmungen auf die Aktiengesellschaft war ferner hier ein Aussichtsrath obligatorisch, der jetzt aus mindestens drei Mitgliedern bestehen muß und eine Reihe gesetzlicher Kontrolbesugnisse und entsprechender Verantwortlich­ keiten gegen die Kommanditisten wie gegen Dritte hat (191—195 und 204). Da­ gegen wird die Rolle des Vorstands hier von den persönlich haftenden Gesellschaftern, deren Rechtsverhältniß dasselbe wie bei der einfachen K. ist, vertreten (Art. 196). Ausgelöst wird die K. auf Aktien durch Ereigniste, welche entweder den objektiven Bestand des Ganzen oder die persönlich hastenden Gesellschafter treffen. In letzterer Beziehung wird sogar eine Uebereinkumt, durch welche der Austritt auch nur Eines persönlich haftenden Gesellschafters bestimmt wird, als ein der Zustimmung der Generalversammlung bedürstiger Auflösungsakt behandelt (Art. 199). Doch ist nach der jetzigen Fassung des Art. 199 eine entgegenstehende Bestimmung im Gesellschafts­ verträge möglich, wodurch die Auflösung ausgeschlossen werden kann, so lange nur Ein persönlich hastender Gesellschafter bleibt. Eine solche Bestimmung muß jedoch veröffentlicht werden (Art. 176).

Lit.: Goldschmidt, De societate en commandite, Hal. 1851. — Anschütz, Die Aktienkommanditgesellschaften, in den Jahrbb. des Gem. Rechts I. 326 ff. — Auerbach, Das Gesellschastswesen, Franks. 1861, Buch II. u. IV. — Endemann, H.R., 3. Ausl., §§ 49 ff. — Thöl, H.R., 6. Aufl., 102 ff. u. 179 ff. - GareiS, H.R., 26 u. 41. Ehrenberg, Beschränkte Haftung des Schuldners nach See- und Handelsrecht, Jena 1880, S. 322 ff. O. Gierke.

Kommende — Kommentatoren.

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Kommende (commenda) ist die Administration eines kirchlichen Amtes und der zu diesem gehörigen Vermögensstücke, ohne daß die damit betraute Person ein Recht aus das Amt selbst besitzt. Ursprünglich war ein solches Verhältniß dazu bestimmt, während der Vakanz eines Benefiziums bis zur Wiederbesehung eine interimistische Verwesung desselben zu schaffen. Schon in der Karolingischen Zeit kam aber eine Verleihung von Abteien an Laien (sog. abbates commendatarii) zum Genuß der Einkünste vor und später finden sich ähnliche Verhältnisse aus dem Boden der Kirche; namentlich wurden die K. angewendet, um das Verbot des gleichzeitigen Jnnehabens mehrerer Benefizien zu umgehen. Die K. gaben ein Recht aus die Ein­ künfte eines Amtes, ohne daß dem Kommendatarius die Pflichten des Amtes und die Verwaltung der mit demselben verbundenen geistlichen Handlungen zur Last fielen. Die gewöhnlichste Art der K. war die der Verleihung von Klöstern an Weltgeistliche. Das Tridentinum hat die früher mit dm K. getriebenen Mißbräuche zu beseitigen gesucht, das Institut aber nicht ganz beseitigt, und so besteht es noch heute, namentlich bei dm der päpstlichm Kollation unterliegenden Bmefizim. Lit.: Thomasin, Vetos et nova disciplina eccles., P. II. lib. HL c. 10 ss. — J. H. Böhmer, J. E. P. HL 5 §§ 132 ss. — Berardi, Comm. in jus. eccles. Tract de benef. ecdesiast. dies. I. obs. 3. — P. HinschiuS, Kirchenrecht, Th. IIL S. 109 ff. P. Hinschius.

ftommeetatoreit, Postgloffatoren, Konsiliatoren (Th. i. S. 334, 335, 82, 221, 222). Bereits bei jüngeren Zeitgenossen des Accursius ist eine neue Richtung in der Rechtswissenschaft wahrnehmbar, deren Hauptmängel charakterisirt werden können als: Entstemdung sowol von den Quellen als von der lebendigen Anschauung der Verhältnisse, und übertriebene in leeren Formalismus ausartende Anwendung der Dialektik. Gegenstand der scolastischm Behandlung vermittelst Ausstellung von allgemeinen Regeln mit Ausnahmen, Fallenden, Limitationen, Ampliationen und Additionen, von Deklarationen und Oppositionen, und ins Unendliche gehenden Divisionen und Distinktionen, war immer weniger der Tert selbst der Pandekten oder des Kodex und immer mehr die Glosse, die alles'Uebrige vertreten sollte. Bezeichnend sind zwei oft angeführte Aussprüche aus dem 15. Jahrhundert: Scribunt nostri doctores modern! lecturas novas, in quibus non glossant glossas, sed glossarum gloasas. Und: Volo pro me potius glossatorem quam textum. Nam si allego textum, dicunt advocati adversariae partis et etiam judex: Credis tu quod glossa non ita vidit textum sicut tu et non ita bene intellexit sicut tu? Ueberhaupt wurdm fremde Meinungen im umfangreichsten Maße berücksichtigt; endlose Citate füllten Bücher und Vor­ lesungen. — Doch darf man die Dienste nicht verkennen, welche auch diese Schule dem Recht geleistet hat. Ihre besseren Vertreter warm denkende, die Meisten wenigstens dialektisch geübte Köpfe. Sie haben den Späteren tüchtig vorgearbeitet; mehrere von ihnen waren ausgezeichnete Prozessualisten; sie haben mehrere hundert Jahre lang über die Praxis, namentlich des südwestlichen Europa geherrscht. Ihre Schriften sind theils ausführliche Kommentare unter dem Titel Repetitiones oder Lecturae, theils Sammlungen von Fragen zur Schuldisputation, Quaestiones, theils Gutachten zu wirklichen Rechtsfällen, Consilia. Hauptsitz der Schule ist immer noch Italien, aber nicht vorwiegend Bologna, sondern auch Padua, Pavia, Perugia, Pisa, Rom, Turin. Auch in Frankreich, am den hohen Schulen von Montpellier, Orleans, Toulouse, Cahors, Avignon, Poitiers, und in wichtigen Staatsämtern glänzten mehrere Rechtsgelehrte, welche dieser Schule beigezählt werden können; diese Oltramontani waren auch von den Italienern sehr geschätzt. — Roch im 16. Jahr­ hundert gehörten die meisten Universitäten den Kommentatoren an Die neue elegante Jurisprudenz siegte zunächst in Frankreich vollständig, dem sich die Niederlande an­ schlossen. In Deutschland hat die spät eingepstanzte kommentatorische Wissenschast

Kommissionsgeschäft.

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den Boden wenigstens theilweise länger behauptet; desgleichen in Italien, wo noch vor Kurzem ihre Spuren nicht ganz verwischt waren.

Lit.: Savigny, VI. und VII. — Für die Kanonisten: Schulte, Geschichte der Quellen und Literatur deS Kanonischen Rechts, Bd. I. und II. — Für die Oltramontani: die Histoire littäraire de France. Rivier.

KormuisstonAgeschiift

Neben dem Handlungs- und Hülfspersonal des Kausmanns von mannigfach abgestufter Befugniß zur Stellvertretung im Handelsverkehr hat sich mit der steigenden räumlichen Ausbreitung des letzteren aus der Uebernahme des Abschlusses und der demnächstigen Abwickelung von Handelsgeschäften für fremde Rechnung in neuerer Zeit ein eigener Geschäftszweig gebildet, der Kommissions­ handel (s. Th. I. S. 540). Mehr und mehr tritt dabei die Eigenthümlichkeit hervor, daß der kaufmännische Stellvertreter den dritten Personen, mit welchen er abschließt, in eigenem Namen, also unter Einsetzung seiner Mittel und seines Kredits, gegenüber tritt, während er auf der anderen Seite dem Auftraggeber seine Kenntniß örtlicher und persönlicher Verhältnisse und seine Dienste in Aufsuchung und Benutzung vortheilhaster Geschäftsgelegenheit entgeltlich leiht. Hieraus entwickelten sich Rechtssätze, welche sich mit dm hergebrachten Begriffen des Mandats, dem man hier und da die Dienstmiethe substituirte, oder des Jnstitorenverhältnisses nicht mehr vereinigen ließen. Die neueren Gesetzbücher erheben deshalb das K., worunter man übrigens bald den Auftrag allein (v. Hahn), bald die Uebernahme und Aus­ führung des Auftrags (Goldschmidt), bald das übernommene Geschäft mit dem Dritten (Endemann, Gad) versteht, in die Reihe selbständiger Rechts­ institute, wiewol deffen Legitimation als solches bis in die neueste Zeit bestritten ist (Wilda, Hiersemenzel rc.). Der Code com. und deffen Nachfolger haben vorzugsweise die dingliche Seite des Verhältnisses, das sog. Deckungsrecht, aus­ gebildet. Weit ausführlichere Vorschriften enthält das Allg. Deutsche HGB. Nach diesem ist Kommissionär (Französ.: commissionnaire; Engl.: factor, agent) „Der­ jenige , welcher gewerbemäßig in eigenem Namen für Rechnung eines Auftraggebers (Kommittenten) Handelsgeschäfte schließt". Er ist also ebenso verschieden von dem bloßen Vermittler als von dem Mandatar und selbst von solchen kaufmännischen, aber im Flamen des Auftraggebers handelnden Mandataren, die im gemeinen Leben als Kommissionäre bezeichnet zu werden pflegen. Zu der Französischen Tesinition (des Code com. wie in der neuen Redaktion des Gesetzes vom 23. Mai 1863) ist nur das Moment der Gewerbemäßigkeit hinzugekommen. Aber auch der Eigen­ händler, welcher nebenher ein K. macht, wird hinsichtlich des letzteren als Kommissionär beurtheilt, wie andererseits der gewerbemäßige Betrieb der Geschäfte eines Kommissio­ närs die Kaufmannseigenschaft im Sinne des HGB. verleiht. Schließt ein Anderer als ein Kaufmann ein Handelsgeschäft in eigenem Namen für Rechnung eines Auf­ traggebers, so wird dies ebenso nach den Grundsätzen des gewöhnlichen Mandats beurtheilt, als wenn ein Kaufmann ausdrücklich beauftragt ist, auf den Flamen des Kommittenten abzuschließen. Unerheblich dagegen ist — was Manche früher für wesentlich hielten — ob der Kommissionär an einem anderen Orte wohnt. Ob das Geschäft als Handelsgeschäft auszufassen ist, beurtheilt sich übrigens nach dem Stand­ punkte des Kommittenten. Der Vertrag zwischen Kommittenten und Kommissionär (Kommission, Kommissionsvertrag) folgt bezüglich des Abschlusses den allgemeinen von Handelsgeschäften überhaupt geltenden Regeln. Er wird perfekt durch die Einigung über den Gegenstand des Auftrages, welcher in den verschiedenartigsten (erlaubten) Handelsgeschäften bestehen kann (Ein- und Verkauf von Waaren, Assekuranz, Inkasso­ geschäfte, Frachtverträge u. dgl. m.) und über die dem Kommissionär gebührende Vergütung (Provision, Kommission). Jedoch versteht sich die Verab­ redung einer Provision in ortsüblicher Höhe (gewöhnlich in Prozenten vom Werthe

SommisstvirS-eschLft.

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des Geschäfts), wie bei allen kaufmännischen Diensten, von selbst. Auch gilt für die Kommission die für Aufträge unter geschäftlich verbundenen Kaufleuten über­ haupt gegebene Regel, wonach das bloße Schweigen als Uebernahme des Auftrages angesehen wird. Tie WaarenkomMission — zum Einkauf oder zum Verkauf (Konsignation) — hat inhaltlich einige Besonderheiten; die Transportkommission wird als besonderes Rechtsinstitut (Speditionsgeschäft; s. diesen Art.) behandelt. Die Verpflichtungen desKomMissionärs gegenüber dem Kommittenten sind im Allgemeinen die des Mandatars. Er hat das übernommene Geschäft sorg­ fältig, und zwar in der Regel sofort, auszuführen und ist dabei nach ausdrück­ licher Vorschrift des HGB. ebensosehr an den Austrag als an das wohlverstandene Interesse des Kommittenten gebunden. Bei unklaren und zweideutigen Aufträgen ist zunächst Aufklärung zu erbitten. Ist der Auftrag nicht völlig bestimmt („best­ möglichst" u. dgl. m.), oder find die Bestimmungen (nach Grünhut's Ausdruck) nur demonstrativ, nicht imperativ, so ist seinem Ermeffen in jener Richtung ein weiter Spielraum gelasien. Es können alsdann die Verhältnifie sich selbst so ge­ stalten, daß es geboten erscheint, den Auftrag entweder nicht auszuführen oder bei der Ausführung von den erhaltenen Instruktionen abzuweichen, wozu der Kommissionär sonst auch nicht zum Schuh eigener Rechte befugt ist. Dies gilt auch in Ansehung eines Preis limito bei der Verkaufskommission, wenn daffelbe nicht zu erreichen war und durch den Verkauf Schaden abgewendet wurde. Strenger ist das HGB. bei der Einkaufskommission; hier kann der Kommissionär nur durch sofortiges Erbieten zur Zahlung der Differenz die Zurückweisung des Geschäfts verhindern. Ueberhaupt ist der Kommittent nicht gehalten, ein unter ungerechtfertigter Abweichung von dem Auftrage geschloffenes Geschäft anzuerkennen, wodurch freilich die Rechte des dritten redlichen Käufers oder Pfandnehmers nicht berührt werden können; er darf jedoch mit der Mißbilligung nicht ungebührlich zögern. Ferner hat der Kommissionär resp. Konsignatär allen durch die Abweichung entstandenen Schaden zu ersehen. — Vortheilhaftere als die vorgeschriebenen Bedingungen darf sich der Kommissionär so wenig wie ein gewöhnlicher Mandatar selbst zu Ruhe machen („schneiden"), namentlich nicht die über resp, unter dem gesetzten Limito erzielte Differenz für sich behalten resp, in Anspruch nehmen. In jeder Beziehung hat er vielmehr dem Kommittenten offene Rechenschaft abzulegen. Dahin gehört auch die Be­ nennung seines Mitkontrahenten, obschon dem Kommittenten dadurch die Handels­ beziehungen des Kommissionärs ausgedeckt werden; selbst bei dem del-credere stehenden Kommissionär (s. unten) ist davon keine Ausnahme zu machen (anderer Meinung: Pardessus). Folgeweise hat der Kommissionär dem Kommittenten die erlangten Vortheile herauszugeben und die Klagen aus dem Geschäfte abzutreten. Hier zeigt sich der Gegensatz des „für Rechnung" und „in eigenem Namen". Da der Kommissionär durch das mit dem Dritten geschloffene Geschäft allein berechtigt und verpflichtet wird, so können Beziehungen zwischen dem Dritten, welchem an sich der Kommittent nicht einmal namhaft zu machen ist, erst durch einen Uebertragungsakt des Kommissionärs entstehen. Nach positiver, nicht völlig klarer Bestimmung des HGB. sollen jedoch die Forderungen des Kommissionärs in dem Verhältniffe des Kommittenten zum Kommissionär und dessen Gläubigem ohne Weiteres als For­ derungen des Kommittenten gelten; der Kommittent hat also namentlich an diesen Forderungen, insbesondere der Kaufgeldforderung bei der Verkaufskommission int Konkurse des Kommissionärs und in allen kontursähnlichen Prozeduren ein Sepa­ rationsrecht. Eine Nebenverpstichtung des Kommissionärs ist die gehörige Benachrichtigung des Kommittenten. So können schon vor bewirkter Ausführung Nachrichten erfor­ derlich werden über veränderte Umstände behufs Einholung weiterer Instruktion, über das Erforderniß der Gewährung von Deckungsmitteln rc. Die Ausführung selbst ist dem Kommittenten sofort anzuzeigen. Bei Verletzung dieser Verpflichtungen macht

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KoumrifftONSgeschüst.

fich der Kommissionär schadensersatzpflichtig. Unter Umständen, z. B. beim Einkauf von Papieren, welche starken Preisschwankungen unterliegen, kann jedoch auch die unterlaßene Anzeige zur Zurückweisung deS Geschäfts berechtigen. — Ein anderer Rebenpunkt ist die Wahrnehmung des Jntereffe deS (abwesenden) Kommittenten bei Empfang des Kommissionsguts, namentlich gegenüber dem Frachtführer. Hier wie bei Besorgniß der Entwerthung kann der Kommissionär in Ermangelung von Ordre zum Berkaus schreiten. Im Uebrigen haftet er bei der ihm obliegenden Aufbewahrung des Guts, da diese einen Theil seiner entgeltlichen Leistung bildet, nicht blos für culpa lata, sondern muß die Beobachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns beweism. Die Streitfrage, ob er auch zur Verficherung des Guts verpflichtet sei, ist im HGB. verneinend entschieden; be­ rechtigt dazu ist er nach den Umständen des Falles. Die Ablieferung der eingekauften Waaren gehört an fich nicht zu den Pflichten des Einkaufskommissionärs, sondern je nach Umständen der bloße Geschäftsabschluß, oder auch deffen Realisirung, oder auch daß er die Waare dem Kommittenten in gehöriger Weise zur Verfügung stellt, oder endlich, daß er für gehörigen Transport derselben an den Kommittenten Sorge trägt. — Soweit die Ausführung des Auftrags Auslagen erfordert, ist der Kommissionär im Allgemeinen auch diese vorschußweise zu machen verbunden; eventuell wäre es seine Sache gewesen, den Auftrag abzulehnen. — Zur Annahme von Substituten ist der Kommissionär in der Regel nicht (wie der Spediteur) berechtigt und haftet eventuell für deren Versehen, wie für das seinige und das seiner Leute (wie man namentlich auch in Frankreich und England annimmt). Wenn aber das Geschäft nothwendig eine Substitution bedingt, z. B. Inkasso von Wechseln auf ftemde Plätze, so kann er nur für ein Versehen in der Auswahl haften. — Rur für letzteres haftet er auch hinsichtlich feiner Mitkontrahenten bei den übernommenen Geschäften. Hat er aber die Kreditgefahr (das „del-credere“, „du croire“) übernommen, so ist er dem Kommittenten für die gehörige Erfüllung zur Verfallzeit unmittelbar und persönlich als Selbstschuldner verpflichtet, ohne daß im Uebrigen das Wesen des K. verändert würde. Der (ausdrücklichen) Uebernahme steht es nach dem HGB. gleich, wenn das Einstehen für den Kontrahenten am Orte der Riederlasiung des Kommissionärs Handelsgebrauch ist. Dieser ergänzt also den Parteiwillen. Auch der ohne ausdrückliche oder stillschweigende Ermächtigung au? Kredit verkaufende Kommissionär haftet bei versagter Genehmigung als Schuldner des Kaufpreises. Ueberhaupt kann der Kommissionär Tritten ohne Ermächtigung nur au? eigene Gefahr Vorschüsse machen. Der Kommissionär kann seinerseits die P r o v i s i o n (i. oben) nach dem HGB. erst dann fordern, wenn das Geschäft zur Ausführung gekommen ist (Unter­ schied vom Mäklergeschäft). Wo indessen eine sog. Auslieferungsprovision (bei der Verkaufskommission, wenn das Geschäft ohne Schuld des Kommissionärs nicht realisirt ist) ortsgebräuchlich ist (meistens die Hälfte der gewöhnlichen), ist auch diese zu zahlen. (So in Frankreich. Rach Englischem und Rordamerikanifchem Recht genügt die vollendete Dienstleistung.) Für das del-credere wird eine besondere Vergütung (del-credere-Provision) als Versicherungsprämie entrichtet. — Reben der Provision hat der Kommissionär, wie das HGB. in Erledigung von Streitfragen entscheidet, Anspruch auf Vergütung für die Benutzung seiner Lagerräume (Lager­ geld nach ortsüblichen Sähen) und Transportmittel, sowie der Arbeit feiner Leute, soweit diese nach der Handelssitte von ihm selbst nicht zu erwarten war. Wirkliche Auslagen sind zu erstatten und, wie kaufmännische Auslagen überhaupt, vom Tage der Leistung an zu verzinsen. Selbstverständlich kann der Kommissionär auch verlangen, wegen der in Ausführung der Kommission eingegangenen Ver­ bindlichkeiten (gezeichneten Wechsel re.) gedeckt oder von denselben befreit 311 werden.

So««isstouSßeschLft.

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Wegen aller dieser Ansprüche hat der Kommissionär nach dem HGB., welches in diesem Punkte den nach Gem. Recht sehr unvollkommenen Schutz desselben unter Erweiterung gewohnheits- und partikularrechtlicher Sähe erheblich verstärkt hat, neben dem gewöhnlichen kaufmännischen Retentionsrechte ein wahres gesetz­ liches Pfandrecht an dem Kommissionsgute, so lange er das letztere noch detinirt oder darüber thatsächlich (noch) vermittelst der Konnoffemente oder anderer Dispositionspapiere verfügen kann. Dieses Recht ist nicht auf könn exe Forderungen (die wegen desselben Kommisfionsguts entstanden sind) beschränkt,' das Pfand haftet vielmehr auch für andere Forderungen aus laufender Rechnung in K. Der gesammte, aus häufig ineinander greifenden K. bestehende Verkehr wird als ein zusammenhängendes Ganzes gedacht; eine gewiffe Konnexität waltet also immerhin ob. — Hinsichtlich der Geltendmachung steht das gesetzliche Pfand­ recht des Kommissionärs dem schriftlich bestellten kaufmännischen Faustpfande gleich; derselbe kann sich bei Verzug des Kommittenten, selbst wenn dieser in Konkurs verfallen ist, ohne Klage aus dem Pfande durch Verkauf bezahlt machen. Anderm dinglich Berechtigten gegenüber hat der Kommissionär den gewöhnlichen Schutz des redlichen Konventionalpfandnehmers. Von den anderen gesetzlichen Pfandrechten gehen ihm die durch Versendung oder den Transport des Guts entstandenen vor. — Ueberdies hat der Kommissionär, wie das HGB. sich ausdrückt, das Recht, sich vorzugsweise vor dem Kommittenten (dessen Separationsrecht — s. oben — sich also insoweit modifizirt) und dessen Gläubigern aus den durch das K. begrün­ deten und noch ausstehenden Forderungen zu befriedigen. Dem Ansprüche des Kommittenten oder dessen Konkursmasse gegenüber hat er also ein unbeschränktes Kompensationsrecht resp, ein Retentionsrecht. — Das Vorbild dieser Bestimmungen war der Code com., welcher das Pfandrecht indessen auf den Beickaufskommisfionär beschränkte, auch das Erforderniß der Konnexität festhielt. Das Holländische HGB. von 1838 sowie das dortige Gesetz vom 4. Juli 1874 und das Italienische HGB. von 1865 geben das Pfandrecht auch dem Einkaufskommissionär. Das Französische Gesetz vom 23. Mai 1863 läßt gleichfalls die Anwendung auf diesen zu, beseitigt den früheren Unterschied, je nachdem Kommissionär und Kommittent an demselben Orte wohnen, und erweiteä das Vorzugsrecht am Erlöse gegenüber den Gläubigern des Kommittenten auf Forderungen des Kommissionärs überhaupt. — Auch das neuere Englisch-Amerikanische Recht erkennt ein sehr ausgedehntes kauf­ männisches Deckungsrecht (lien) des Kommissionärs an. Wie an den ausstehenden Forderungen aus dem mit dem Dritten gemachten Geschäft ein Pfandrecht des Kommissionärs dadurch ausgeschlossen ist, daß er, obschon zur Abtretung verpflichtet, doch selbst Subjekt dieser Forderungen ist, so bedarf der Kommissionär wenigstens Dritten gegenüber häufig nicht des Pfand­ rechts am Kommisfionsgute, weil er Eigenthümer des letzteren ist. Insonderheit ist nach allgemeinen Rechtsgrundsähen der Einkaufskommissionär als Eigen­ thümer der von ihm eingekauften und ihm übergebenen Waare anzusehen. Indessen ist diese Streitfrage vom HGB. nicht entschieden. Die richtige Meinung, daß erst die Tradition seitens des Kommissionärs an den Kommittenten diesem das Eigenthum übertrage, vertreten u. A. Goldschmidt, Endemann, Laband, v. «Hahn, Gerber, Bremer, Heise, Gelpcke, auch das ROHG., sowie das OTrib. zu Berlin, das OApp.Ger. zu Lübeck ic. Sofortigen Besitz- und Eigenthumserwerb des Kommittenten nimmt als Regel an Grünhut. Die um­ gekehrte Regel vertheidigt Ran da. Andere unterscheiden, ob wirllich gekauft oder vom eigenen Lager geliefert ist, und lassen im ersteren Falle Besitz und Eigenthum

auf den Kommittenten im Momente des Bcsiherwerbs durch den Kommissionär über­ gehen (Treitschke, Wilda, Mittermaier rc.). Zuweilen wird die selbst­ verständliche Beschränkung hinzugefügt, daß der Kommissionär erweislich für Rechnung des Kommittenten gekauft haben müsse lPöhls, Wilda, Walter rc.). Die

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Kommissionsgeschäft.

Französischen Schriftsteller nehmen an, daß das Kommissionsgut sofort Eigen­ thum des Kommittenten werde (so daß dieser es im Konkurse des Kommissionärs vindiziren kann), obschon dazu der Französische Rechtssatz, daß das Eigenthum durch bloßen Vertrag übergeht, keineswegs nöthigt. In England herrscht die entgegen­ gesetzte Meinung. — Der Verkaufskommissionär wird nur dann Eigenthümer des Kommissionsguts, wenn es dessen fungible Statur mit sich bringt (Kommixtion re.). Die bloße Versendung durch den Kommittenten überträgt weder Besitz noch Eigen­ thum. Frühzeitig gaben Einzelne (z. B. Easaregis) dem Kommissionär die Besugniß, auch ohne ausdrückliche Erlaubniß die Waare vom eigenen Lager zu liefern resp, die zu verlausende Waare selbst zu behalten. Die Französischen Schriftsteller find uneinig; Bsdarrid e, Atanzet u. A. sind für die Zulässigkeit, Pardessus, Delamarre und Lepoitvin ic. dagegen (abgesehen von besonderer Dringlichkeit, wenn, vorherige Mittheilung an den Kommittenten unthunlich). In England und Amerika wird das Recht zum Eintritt als Selbstkontrahent verneint. Auch in Deutschland war dasselbe lange bestritten. Das HGB. behandelt die fragliche Befugniß unter der Voraussetzung, daß die Waare einen Börsenpreis oder Markt­ preis habe (welcher das seh lend e Preislimito ersetzt), als naturale der Kommission, mag inan dies nun (mit dem OTrib. zu Berlin) so auffassen, daß die Kommission stillschweigend die Offerte zum Eintritt als Selbstkontrahent mit enthält, oder (mit dem OApp.Ger. zu Lübeck, An schütz u. A.) so, daß die Obligation des Kom­ missionärs alternativ auf Abschluß mit Dritten oder auf Selbstübernahme gerichtet ist, oder endlich (mit dem Reichsgericht, dem ROHG. und Grünhut) so, daß letztere lediglich in der alternativen Befugniß (facultas alternativa) des Kommissionärs liegt. Der Eintritt als Selbstkontrahent bedarf des besonderen Ausdrucks. Die Anzeige von dem Eintritt als Selbstkäufer oder Verkäufer erscheint hier selbst als Ausführung. Rach der Zeit derselben richtet sich der Preis. Sobald sie abgegeben ist behufs der Absendung, ist ein später eintreffender Widerruf des Kommittenten unwirksam. Um­ gekehrt kann, wenn der Kommissionär bei der Anzeige über die Ausführung des Geschäfts nicht einen anderen Kontrahenten namhaft macht, der Kommittent ihn als Selbstkontrahenten behandeln; aber auch der Kommissionär wird durch jene Unter­ lassung nicht behindert, noch als Selbstkontrahent einzutreten; anders, wenn er ausdrücklich einen anderen Kontrahenten benannt hat. — Durch den Eintritt als Selbstkontrahent verwandelt sich das K. (nach der herrschenden, von Grün Hut bekämpften Ansicht) in ein Kaufs- resp. Verkaufs- oder Lieferungsgeschäft (wahres Propergeschäst, nicht „uneigentliches K."). Jedoch kann der Kommissionär die ge­ wöhnliche Provision und die regelmäßigen Unkosten (Courtage, Stempel, Wäge­ geld re.) auch ohne nachweisliche effektive Verlegung berechnen. Bezüglich des Aufchörens der Kommission giebt das HGB., abgesehen von per erwähnten, die Zulässigkeit des Widerrufs des Kommittenten voraus­ setzenden Bestimmung, keine besonderen Vorschriften. Es wäre indessen sehr be­ denklich, hieraus ohne'Weiteres (mit v. Kräwel) die Anwendbarkeit der Regeln vom Mandatsvertrage zu entnehmen. So ist es fast allgemein anerkannt, daß der Tod eines von beiden Theilen den Vertrag nicht aufhebt, sofern nur die Firma bestehen bleibt. Bestrittener ist, ob der Kommissionär ein einseitiges Kün­ digungsrecht habe. Als Regel wird bei der Zweiseitigkeit des Geschäfts fest­ zuhalten sein, daß ihm ein solches Recht nicht zusteht (so auch Pöhls, Endentaiiii, Grünhut re.). Niemals darf dem Kommittenten aus unzeitiger Kündigung ein Schade erwachsen (Ereitschke, Wilda u. A.). Auch der Kommittent befreit sich durch Widerruf nicht von der Verpflichtung, das dem Kommissionär vor er­ haltener Nachricht bereits Ausgeführte anzuerkennen und denselben zu entschädigen. Ebensowenig läßt sich (mit Grün Hut) behaupten, daß der Konkurs stets den Kommissionsvertrag aufhebe. Alles dies, sowie die weitere Entwickelung ergiebt sich

Lvmmorieuteu.

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auS der Natur des K. und den allgemeinen Grundsätzen über Verträge, welche eine entgeltliche Leistung zum Gegenstände haben, wird sich aber vielfach nach den Ab­ sichten der Kontrahenten im einzelnen Falle modifiziren.

Quellen u. Lit.: Alla. Teutsches HGB. Art. 360-378, 69, 272, 290, 306, 411. — KO. ß 41 Nr. 7, 8. — Code com. art 91—95, ersetzt durch art 94, 95 des Gesetze- vom 23. Mai 1863. — Goldschmidt rc., Ztschr. f. das aes. H.R. VII. S. 156 ff. — Ungar. HGB. n. Art. 368—383. - Niederlünd. HGB. Art. 76—85; Gesetz vom 4. Juli 1874 (bei Goldschmidt rc., Ztschr. XX. S. 123). — Belgisches Gesetzv. 5. Mai 1872. Dgl. auch Sachs im Beilageheft zu Goldschmidt rc., Zeitschr. XXI. S. 38—43. —Italien. HGB. Buch I. Tit. 4 Satz 68—76. — Grünhut, Das Recht des Kommissionshandels, Wien 1879 und in seiner Zettschr. V. S. 104—164. — Treitschke, Recht-grundsätze vom Kommissions­ handel, Leipz. 1839. — Wilda in Weiske s Rechtslex. snd voce Kommissionshandel Bd. II. S. 707 ff. (1844). — Pöhls, Darstellung des arm. Deutschen und deS Hamburg. H.R., I. §§ 110—117 (S. 248—277), Hamburg 1828. — Hiersemenzel, Zur Lehre vom kauf­ männischen K., Leipz. 1859. — Auerbach, Das neue Handelsgesetz, 2. Abtheilung Kaufund Kommissionsgeschäft, S. 154—272, Franks, a. M. 1865. — Laband (DaS Pfand­ recht des Kommissionärs) bei Goldschmidt rc., Zeitschrift XL S. 425 — 459. — Siebenhaar (Begriff des K.) in s. Arch. N. ff. I. S. 113 ff.; (Interpretation deS Art. 368 d. HGB.) II. S. 1 ff.: (Widerruf beim K.) II S- 236 ff. — Marcinowski (DaS kauf­ männische K.) bei Busch, Arch. für Theorie und Praxis d. Allg. Deutschen H.R. IX S. 358 bis 379. — Ackermann (Zur Lehre des Kommissionshandels), das. VI. S. 283—325. — Auerbach (SubstitutionSbefugniffe des Kommissionärs rc.), das. S. 326—334. — v. Kräwel (Ueber Art. 376 d. Deutschen HGB.), das. XI. S. 110—120; Derselbe (Ueber das Kündigungs­ recht deS Kommissionärs), das. S. 350—359 (vgl. X. S. 370; XI. S. 286). — Gab (Ueber die Anzeigepflicht deS als Eigenhündler eintretenden Kommissionärs) bei Goldschmidt und Laband, Ztschr. XIV. S. 234—256. — Anschütz (Die Rechte des EinkaufSkommisfionärS als Selbstverkäufer), das. XVH. S. 1 ff. — Meter (Ueber die Derb. deS Kommissionärs bei der Eiukaufskomm.) bei Hartmann, Centralorgan für das, Deutsche H.- u. W.R. VHL S. 314 und dessen Aufsatz in Busch's Arch. XXX. S. 51; XXXI. S. 352. — Entsch. deS ReichSger. in Civilfachm I. S. 286. - Entsch. deS ROHG. I. 77, 270; II. 90; m. 191, 335; IV. 4, 168, 348 ; V. 229, 279; VI. 182, 312; VII. 16, 20, 90, 378; VIII. 95; IX. 18, 237; X 187, 359; XI. 261, 403; XU 152, 180, 251; XIII 249, 328; XIV. 127, 426; XV. 58, 219; XVI 133, 207, 211, 217, 253, 267, 333, 345, 379; XVII. 46, 70, 115, 227; XVIII. 175, 194, 254, 294, 313; XIX. 52, 66, 102, 253, 359,364; XX. 86,89,229, 309, 327; XXL 146, 255, 310; XXII. 4, 77, 236, 248; XXIII. 103, 107. — Sprüche anderer Gerichte in Goldschmidt rc., Zeitschr. XIX. S. 523-557; XXI. 6. 300-316. — Pardessus, Cours de droit commercial, II. no. 563—583. — Delamarre ec Lepoitvin, Trails du contrat de Commission, Paris 1843; Derselbe, Trails de droit commercial EL, III, Paris 1861. — Do menget et Peyronny, Du mandat, de la Commission et de la gestion d’affaires, Paris 1870. — Story, Comm. on the law of agency, 7. ed. Boston 1869. — Kent, Comm. on American law II. Part V. Lect XL. u. XLI p. 611 ss. R. Koch.

Kommorierrterr. Wie Derjenige, welcher aus dem Tod eines Menschen ein Recht für sich ableitet, die Thatsache des Todes —, so muß Derjenige, welcher aus der Priorität des Todes der einen von mehreren gestorbenen Personen (commorientee) ein Recht ableitet, den früheren Tod dieser Person beweisen, widrigenfalls er sein Recht nicht durchsetzen kann. Von diesem natürlichen Satz läßt das Röm. Recht einige Ausnahmen zu vermöge der Aufstellung von Rechtsvermuthungen, jedoch nach richtiger Ansicht nur dann, wenn die K. pariter mortui, d. h. bei der gleichen Gelegenheit (Schiffbruch, Feuersbrunst u. dgl.) ums Leben gekommen sind; eine Ausdehnung der singulären Bestimmungen auf andere Fälle ist unzulässig, da in der einzigen Stelle, auf welche die abweichende Ansicht von Mühlenbruch u. A. sich beruft, in 1. 11 pr. D. 37, 11 ein Fall behandelt wird, wo die Priorität des Todes der peregre Gestorbenen unerheblich ist. Die Ausnahmen find folgende: 1) Im Allgemeinen wird vermuthet, daß die pariter mortui gleichzeitig ge­ storben seien (simul mortui); damit ist sowol der frühere Tod als das längere Leben verneint; darüber, ob im einzelnen Fall von der einen oder der anderen Auf­ fassung auszugehen sei, entscheidet — ohne Rücksicht aus dm Buchstaben der Ver­ fügung — der aus letzterer zu entnehmende Wille des oder der Verfügenden; daher verschiedene Entscheidung der Fälle in 1. 17 § 7 D. 36, 1 (die Erbschaft soll

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L-Mpttchttts«.

restituirt werben, „wenn der Erbe seine Kinder überlebt": die Restitution tritt ein, obwol die Bedingung des längeren Lebens des Erben dem Wortlaute nach defizirt ist) und in 1. 9 § 3 D. 34, 5 (die dos soll an den Besteller zurückfallen, „wenn die bohrte Frau vor ihrem Manne stirbt": der Besteller hat das Rück­ forderungsrecht, obwol die Bedingung des früheren Todes der Frau dem Wort­ laute nach nicht eingetreten ist). 2) Bon dieser allgemeinen Vermuthung bestehen aber zwei Ausnahmen: a) Wenn ein unmündiger Descendent mit seinem Ascendenten den Tod findet, so soll der frühere Tod des Descendenten vermuthet werden (1. 9 § 4; 1. 23 D. 34, 5); streitig, ob der Satz auszudehnen auf jeden Fall, wo ein Mündiger und ein Unmündiger zusammen umkommen; der für die Ausdehnung geltend gemachte Grund, daß die ratio legis in der größeren Mortalität der Unmündigen zu suchen sei, trifft nicht zu. b) Wmn ein mündiger Descendent mit seinem Ascendenten stirbt, so soll der frühere Tod des Ascendenten angenommen werden (1. §§ 1, 4; 1. 22 D. 34, 5). Andere Grundsätze stellt, aber nur in Beziehung auf die Beerbung, der Code Nap. art. 720—722 auf. — Die sämmtlichen angeführten Rechtsvermuthungen sönnen entkräftet werden durch Beweisführung seitens Desjenigen, gegen welchen die Ver­ muthung streitet; die frühere Kontroverse, ob der Beweis gegen die Vermuthung durch Eideszuschiebung zulässig sei? ist im bejahenden Sinn entschieden durch § 16 Ziff. 1 Abs. 2 des Einf.Ges. zur REPO.

Lit.: Mühleubruch, im civ. Arch. Bd. IV. S. 391 ff. — Saviany, System, Bd. II. S. 20 ff. — Windscheid, Pand., § 53. — Daugerow, Pand., § 35. Pfizer.

Kompensation, Aufrechnung, Wettschlagung bezeichnet im Allgemeinen die Aufhebung juristischer Wirkungen einer gewiffen Thatsache durch eine ihr gegenüber stehende korrespondirende Thatsache; so wird darunter z. B. begriffen die Aufhebung der Wirkungen gegenseitiger Arglist, Verschuldung und Injurie. — Im engeren Sinne bedeutet K. die Aufhebung eines Forderungsrechts durch eine Gegenforderung des Schuldners an den Gläubiger, so daß Letzterer anstatt zu erhalten, was er zu fordern hat, von einer entsprechenden Schuld befreit wird; die K. ist daher eine Art der Befriedigung. Die Ausdrücke compensatio, compensare werden sowol von der die Forderungen aufhebenden Wirkung, als auch von der dieselbe hervorbringenden Thähgkeit des Schuldners, Gläubigers und Richters, als endlich von denjenigen Wirkungen gebraucht, welche die bloße Koexistenz kompensabler Gegenforderungen hat, bevor sie durch Auftechnung getilgt sind. Die letzteren bestehen darin, daß beide sich gegenüberstehende Forderungen mit einer Einrede behaftet werden, durch welche Jeder sich gegen die Forderung des Anderen bis zum Belauf der seinigen schützen kann. Auch wird von diesem Moment an der Zinsenlauf beider Forderungen ge­ hemmt und die Möglichkeit des Verzuges ausgeschlossen. Die Forderungen selbst werden, außer durch Aufrechnungsvertrag, erst vermittelst der K.einrede aufgehoben, mit welcher die beiden letztgedachten Wirkungen jedoch auch stir die Vergangenheit selbst dann noch geltend gemacht werden können, wenn die eine Forderung bereits getilgt oder sonst untergegangen ist. Da die Tilgung der Forderungen erst durch die K.einrede herbeigeführt wird, kann der Schuldner, welcher dieselbe nicht entgegen­ setzte, auch nach der Zahlung seine Gegenforderung noch geltend machen, und, wenn er in Unkenntniß der ihm zustehenden Einrede zahlte, entweder dies, oder das Ge­ zahlte mit der condictio indebiti zurückfordern. Ebenso behält er seine Forderung, wenn der Richter seine K.einrede als unzulässig, nicht dagegen, wenn er sie als unbegründet verwirft. Von der zum Theil noch herrschenden Lehre werden diese Wirkungen der K. auf Grund des häufig in den Luellen vorkommenden Satzes: c. fit ipso jure, ipso jure compensatur dahin sormulirt, daß zwar die Forderungen erst durch K.einrede getilgt werden, sobald dies aber geschehen, die Sache so angesehen werden müsse, als seien die Forderungen ipso jure, von selbst, durch ihre bloße Koexistenz getilgt worden. (Hasse, Puchta; so drückt sich auch das BGB. für Sachsen aus, welches diese Wirkung aber auch der einseitigen außergerichtlichen Er-

Lom-lott.

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klärung eines Theiles beilegt.) Nachdem Brinz die Unhaltbarkeit dieser Fiktion nachgewiesen, ist die Deutung jener Quellenaussprüche der Gegenstand vielfacher. Er­ klärungsversuche geworden. Das Richtige ist, daß compensatio in diesem Zusammen­ hang nicht die Aufhebung der Forderungen selbst, sondern, in der letzten der an­ gegebenen Bedeutungen, die Wirkung der bloßen Koexistenz kompensabler Gegenforderungen bezeichnet, welche in der That ipso jure, von selbst, eintreten, aber mittels Einrede geltend gemacht werden müssen. — Die Voraussetzungen der K. find: 1) eine gültige Forderung, daher kann eine verjährte Forderung zur K. nur für die Wirkungen in der Vergangenheit benutzt werden. — Manche wollen jedoch K. auch hier, Andere wenigstens dann zulaffen, wenn die Forderung zur Zeit der Koexistenz beider Forderungen noch nicht verjährt war (Dernburg, ebenso das Preuß. LR. und die Französ. Jurisprudenz). 2) Die Forderungen müssen fällig lyib 3) auf Leistungen gleicher Art gerichtet sein. Bestritten ist das Erforderniß der Liquidität. Nach der Verordnung Justinians soll der Richter, wenn die Feststellung der Gegen­ forderung voraussichtlich erheblich länger dauern wird, als die Feststellung der Haupt­ forderung, die K. aus diesem Prozesse zurück- und ad separatem verweisen. Während Viele dasselbe auch für das heutige Recht behaupten (Hasse), lassen Andere in Uebereinstimmung mit der Deutschen Praxis der letzten Jahrhunderte im ordentlichen Prozeß jede bei der ersten Einlassung vorgeschützte K.einrede zu (Dernburg). Das BGB. für Sachsen schließt fich der letzteren, das Preuß. LR. mehr der Justinianeischen Auffassung an. Der Code civil verlangt Liquidität, die Französ. Jurisprudenz aber nähert sich ebenfalls des Justinianeischen Auffassung. — In subjektiver Beziehung ist erforderlich auf beiden Seiten Identität von Schuldner und Gläubiger (z. B. HGB. Art. 121); doch kann der Bürge die Forderung des Hauptschuldners, der Schuldner gegen den einen Korrealgläubiger seine Forderung an den anderen, falls ersterer diesem regreßpflichtig ist (bestritten), der Korrealschuldner die Forderung seines Mitschuldners, und ebenso der Schuldner gegen dm Cessionar seine bis zur Denunziation an den Cedenten erworbenen Forderungen kompenfiren. — Rücksichtlich der K. im Konkurse ist zwar soviel anerkannt, daß die gegenseitigen Forderungen des Konkursgläubigers und des Kridars schon vor dem Konkurse bestanden habm müssen; alles Uebrige aber ist bestritten, namentlich, ob der Zeitpunkt der Zahlungseinstellung, des Eröffnungs­ dekretes, der Publikation des letzteren oder der Kenntniß des Gläubigers von dem einen oder anderen entscheidend sei; ob die Forderung vor diesem Zeitpunkt nur existmt oder auch kompensabel sein müsse. — Die K. ist gewissen Forderungen gegen­ über ausgeschlossen, z. B.- gegen die Forderung aus dem Hinterlegungsvertrag und gegen Alimentenforderungen. Lit.: Krug, Die Lehre von der K. (1833, dazu Fuhr in Schunk's Jahrb. XXVII. S. 109 ff., 217 ff.). — Hartter, Das Röm.-Deutsche Recht der K. (1838). — Brinz, Die Lehre von der K. (1841). — Dernburg, Die K. nach Röm. Recht mit Rücksicht auf die neueren GB. (1854, 2. Ausl. 1858). — Hasse, Arch. f. civ. Prax. VII. 9. — BethmannHollweg, Rhein. Museum, I. S. 257 ff. — Tellkampf, Arch. für civ. Praxis XXIIL 11. — Krug, das. XXV. S. 211 ff. — SinteniS, Ztschr. für Civilrecht und Proz. XVHL 1. — Hartter, das. XIX. — Fuhr, Arch. f. prakt. RechtSW. I. 16. — v. Scheurl, Bei­ träge, I. Nr. 7. — Krug, Ztschr. für Rechtspflege und Verwaltung für daS Kömar. Sachsen XIÜ. 6. — Brinz, Jahrb. deS gem. Rechts, I. 2. — Ubbelohde, Ueber den Satz: Ipso jure compensatur. — Schultze, Ipso jure compensari.— Asher, Die K. im Civ.Prz. d. klassischen Röm. Rechts. — D. 16, 2; C. 4, 31 de compens. — Preuß. LR. I. 16 §§ 300— 377. — Sächs. BGB. Art. 988 - 997. — Code civ. art. 1289-1290. A. S. Schultze.

Komplott (societas delinquendi; Th. I. S. 724) bedeutet im Allgemeinen die Verbindung (Verabredung) Mehrerer zur gemeinschaftlichen Ausführung eines Verbrechens. Das K. als solches (also wenn auf dasselbe nicht mindestens ein Versuch der Ausführung folgt) ist nach unserem Recht in der Regel noch nicht strafbar. Doch giebt es hiervon mehrere Ausnahmen: 1) Nach § 83 des RStrasGB. wird die v. Holtz en dorff, Enc. II. Recht-lexikon II. 3. Aufl.

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Kondiktionen.

bloße Verabredung zur Ausführung eines hochverrätherischen Unternehmens mit Zucht­ haus nicht unter fünf Jahren oder mit Festungshaft von gleicher Dauer, bei mil­ dernden Umständen mit Festungshaft nicht unter zwei Jahren bestraft. Es ist dabei eine auf ein bestimmtes hochverräterisches Unternehmen gerichtete Verabredung —

eben was man K. im Unterschied von Bande (s. diesen Art. und den Art. Hoch­ verrath) nennt — vorausgesetzt. Neben der Festungshaft kann auf Verlust der bekleideten Aemter, sowie der aus öffentlichen Wahlen hervorgegangenen Rechte er­ kannt werden (§ 83 Abs. 3). 2) Eine noch viel weiter greifende Ausnahme ergiebt sich aus § 49 a, insofern unter gewissen Voraussetzungen (s. d. Art. Aufforderung zu einem Verbrechen) nicht blos ein verbrecherisches K., sondern sogar schon die Aufforderung zu einem Verbrechen (im engeren Sinne), sowie die Annahme der­ selben, desgleichen das Erbieten zur Verübung eines Verbrechens und die Annahme des Erbietens strafbar ist. Inwiefern die Mitthäterschaft (§ 47 des RStrafGB.) ein vorangehendes K. voraussetzt, darüber s. d. Art. Mitthäterschaft. Gsgb.: Deutsches StrafGB. §§ 49a, 83. — Oesterr. StrafGB. §§ 58 c, 59 b (wonach selbst Todesstrafe für die zu einem hochverrätherischen K. „unmittelbar Mitwirkenden" möglich ist!). — Oesterr. Entw. I. u. II. § 91 Z. 1 (Hochverr. K). — S. auch Deutsches Milit.StrafGB. §§ 59, 72. — Vereinszollgesetz § 146. — Seemannsordn. 87, 91. Lit.: Geyer in v. Holtzendorff's Handb. d. Strafrechts, II. S. 407 ff. (Dort weitere Lit.), IV. S. 167 ff. — Zachariä, Gerichtssaal 1874 S. 133 ff. — Vgl. auch Kohn, Zur Lehre vom versuchten und unvollendeten Verbrechen, I. (1880) S. 677 und die Lit. beim Art. Mitthaterschaft. — Betreffs § 83 s. Knitfchky, Das Verbrechen des Hochverrates, 1874, S. 167 ff. Geyer.

Kondiktionen. Unter K. versteht das Pandektenrecht die in rechtshistorischem Zusammenhang mit der alten legis actio per condictionem stehenden actiones stricti judicii, welche auf ein dare oder facere gerichtet sind, also Klagen auf Leistungen aller Art, bei denen im Formularprozeß der Richter durch bestimmte Instruktion gebunden wurde. Von diesem allgemeinen Gesichtspunkt aus wird die K. als Klage auf Eigenthumsübertragung vielfach in den Quellen der Eigenthumsklage gegenüber­ gestellt. Der Wegfall der Bedeutung des Unterschiedes zwischen Klagen des strengen Rechts und des guten Glaubens bringt es mit sich, daß der einheitliche Kondiktions­ begriff wesentlich nur rechtshistorische Bedeutung hat, und daß ebenso die genaue Bestimmung einzelner Unterschiede ohne praktische Bedeutung ist. — Arten der K., welche nach der besonderen Natur des Gegenstandes, auf den sie gerichtet sind, unter­ schieden werden, waren die certi condictio und die condictio si certum petetur, welche bald als verschiedene Bezeichnungen der Klage auf eine bestimmte Geldsumme für identisch erachtet, bald in der Weise unterschieden werden, daß die certi con­ dictio die weitere Bedeutung einer Klage mit bestimmtem Gegenstand überhaupt hat. Gegenüber diesen Klagen steht die incerti condictio, wahrscheinlich mit der Formel: quidquid ob eam rem N. N. A. A. dare facere oportet, und die condictio triticaria, als die Klage auf den Wertherfatz eines verschuldeten, nicht in baarem Geld bestehenden Gegenstandes. — Als Kondiktionsgründe erscheinen die verschiedensten Obligationsverhältnisse; Kontrakt, Legat, Delikt und Gesetz begründen K. Des Aus­ drucks condictio ex lege bedienen sich die Quellen für einige Fälle, in denen gesetzlich eine persönliche Verbindlichkeit begründet ist, ohne daß dafür durch das Gesetz eine Klage mit besonderem Namen gegeben wird. Danach wird dieser Ausdruck aus­ dehnend auch auf andere Fälle angewendet. Im Uebrigen führt die neue Doktrin die verschiedenen K. im Anschluß an die Darlehnsklage (condictio ex mutuo) auf ein Haben ohne Grund zum Nachtheil eines Andern, auf ungerechtfertigte Bereicherung aus fremdem Vermögen zurück. Vgl. hierüber und über die einzelnen Kondiktions­ fälle den Art. Bereicherungsklage. Lit.: Aus der Literatur ist im Allgemeinen von Savigny, System, IV. §§ 215 ff. her­ vorzuheben, im Uebrigen siehe'die Citate unter dem Art. Bereicherungsklage. (D. 12. 1, 12. 6, 12. 7, 13. 1, 13. 2, 13. 3. — C. 4, 5-8.) Eccius.

Konfiskation — Konfuston.

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Konfiskation, s. Einziehung.

Konfrontation heißt im Strafprozeß die zum Zweck der Rekognition oder zur Hebung von Widersprüchen erfolgende Gegenüberstellung von zwei oder mehr Personen, seien es Angeschuldigte oder Zeugen. Die Person, welche rekognoszirt oder deren Widerspruch gebrochen werden soll, nennt man Konfrontat, die ihr ge­ genübergestellte Konfrontant. Dem Konfrontanten wird seine Behauptung in Er­ innerung gebracht oder vorgelesen, wonach er sie dem Konfrontaten (Stirn gegen Stirn) ins Gesicht zu sagen hat. Dieser antwortet und wenn er bestreitet, sucht der Konfrontant replicando seine Behauptung, der Konfrontat duplicando seine Be­ streitung aufrecht zu halten. Das geschieht namentlich durch gegenseitige Vorhaltung näherer Umstände und eben in dieser hat die K. ihre Bedeutung, bei Rekognitionen freilich auch wol in der Ueberraschung des Beschädigten. Die K. wird abgebrochm, sowie ein Zugeständniß erfolgt. — Der Jnquifitionsprozeß betrachtet sie als ein wichtiges remedium eruendae veritatis, sie kann jedoch auch zum geraden Gegentheil führen. Die Deutsche StrafPO. weist ihr ihre eigentliche Stelle in der Haupt­ verhandlung an, im Vorverfahren soll sie nur dann angewandt werden, wenn sie nicht ohne Nachtheil für die Sache bis zur Hauptverhandlung ausgesetzt werden kann, was namentlich von Rekognitionen zur Feststellung der Identität des Be­ schuldigten gilt. Die Oesterr. StrafPO. kennt diese Beschränkung nicht, gestattet dagegen den vom Zeugniß befreiten Verwandten die K. mit dem Beschuldigten ab­ zulehnen. Quellen: Deutsche StrafPO. § 58. —Oesterr. StrafPO. §§ 168, 205, 248. Lit.: Planck, StrafDerf., S. 236, 252. -Zachariä, StrafPrz., Bd. IL §§ 100, 103. Kommentare zur Deutschen StrafPO. LI. von Löwe, v. Schwarze. K. Wieding.

Ksmfufion 1) Wenn die Eigenschaft als Gläubiger und die Eigenschaft als Schuldner in einer und derselben Person zusammentreffen, z. B. bei Beerbung des Gläubigers durch den Schuldner oder umgekehrt, so tritt K. ein, und, da Niemand eine Forderung an sich selbst haben, sich selber etwas schuldig sein kann, ipso jure Untergang der Obligation. Dieser Untergang ist ein vollständiger, materieller, wenn zwischen Gläubiger und Hauptschuldner K. stattfindet, denn durch Erlöschen der Hauptobligation sind auch die Nebenobligationen erloschen. Aber durch K. zwischen Gläubiger und Bürgen wird die Obligation des Hauptschuldners keineswegs berührt. Ebensowenig werden durch die zwischen Gläubiger und Mitschuldner voll­ zogene K. die übrigen Korrealschuldner befreit, — mit Vorbehalt natürlich des An­ spruchs auf partiellen Ersah, den sie etwa als Gesellschafter gegen den bisherigen Mitschuldner haben können. K. kann auch theilweise stattfinden. Sie kann durch in integrum restitutio oder auch von selbst durch Auflösung des Verhältniffes, welches sie herbeiführte, rückgängig gemacht werden. 2) Servituten, sowol persönliche als Prädialservituten, gehen ebenfalls und aus demselben Grunde durch K. unter, wenn der Servitutberechtigte Eigenthümer wird oder umgekehrt: nulli sua res servit. Dieser Untergang ist definitiv, so daß durch Wiedertrennung des Eigenthums die Servitut nicht wieder auflebt. Zusam­ mentreffen von Servitut und Miteigenthum bewirkt nicht Untergang durch K., da die Servituten untheilbar sind und per partes retinentur. S. auch d. Art. K onsolidation. 3) Daß man auch kein Pfandrecht, kein jus emphyteuticum, kein jus superficiarium an der eigenen Sache haben kann, ist selbstverständlich, daher müssen auch diese Rechte durch K. erlöschen. Beim Pfandrechte ist aber das Eigenthümliche, daß dasselbe, wenn das Pfand dem Gläubiger verkauft oder an Zahlungsstatt gegeben worden ist, trotz der stattgehabten K. doch in einer gewiffen

Kongresse.

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Beziehung als in dessen Person noch sortbestehend angesehen wird, nämlich in Be­ ziehung auf den Rang, den anderen Pfandgläubigern gegenüber. Der Code Nap. schließt sich in den art. 705, 1300, 1301 dem Röm. Recht an. Viel ausführlicher und mehrfach abweichend ist das Allg. Preuß. LR. I. 16 §§ 476—512. Lit.: Lauterbach in seinen Dies. acad. I. 56 und die verschiedenen Werke über Obli­ gationenrecht. — Windscheid,§§ 352, 295, 399, 374, 477, 480, 65, 215, 248, 222, 223. Arndts, §§ 273, 357, 194, 389, 199, 200. — Fitting, Korrealobligation, §§ 17-21 (1859). — Baron, Gesammtrechtsverhältnisse, §§ 30—32 (1864). — Ueber K. bei der Bürg­ schaft: Hasenbalg, Die Bürgschaft des Gem. Rechts (1870), S. 661. Ueber K. beim Pfandrechte insbesondere: Francke, Civ. Abh., 107—125. — Büchel, Civ. Erörterungen I. 2, 85 ff. — Fritz, Erläuterungen, I. 545—547. — Sintenis, Pfandrecht, §17; Pfand­ rechtliche Streitfragen, 2(1835). — Dernburg, Pfandrecht, II. §171 (1864). — Bangerow, 392 (I. S. 900). — Monographien: v. Jungenfeld, Ueber das Pfandrecht an eigener Sache (1827). — von der Hagen, Die Hypothek des Eigenthümers (1836). Rivier.

Kongresse.

Diese sind Zusammenkünfte von Vertretern der Europäischen Großmächte zur Verhandlung und Entscheidung internationaler Angelegenheiten. Die K. repräsentiren die Centralgewalt des völkerrechtlichen Systems, welches die Europäischen Mächte verbindet. Dieses völkerrechtliche System hatte in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts die Form der Pentarchie, und auf den K. dieser Zeit zu Wien, Aachen rc. waren daher die fünf maßgebenden Mächte, Oesterreich, Frank­ reich, Großbritannien, Preußen und Rußland vertreten. Auf dem Pariser K. im Jahre 1856 traten als neue Großmächte noch Italien und die in das Europäische Konzert bei dieser Gelegenheit aufgenommene Türkei hinzu. Dieselben Mächte waren 1878 auch auf dem Berliner K. vertreten; mit der Ausnahme, daß für Preußen das Deutsche Reich eingetreten war. Die K. haben ihre Wirksamkeit bisher auf^das völkerrechtliche System Europas beschränkt, die Vereinigten Staaten von Amerika, welche diesem Systeme in weiterem Sinne angehören, haben an denselben nicht Theil genommen. In älterer Zeit kannte man, wie He ff ter bemerkt, vornehmlich nur FriedensK. zum Zwecke einer Pazifikation und daneben persönliche Zusammenkünfte der Souveräne, letztere jedoch mehr zu persönlichen Besprechungen und Entschließungen oder zu blos partikulären Vertragsabschlüssen. Die K. damaliger Zeit waren daher Versammlungen von Botschaftern der bei der politischen Streitfrage betheiligten Mächte. Dattel, der diese K. im Auge hat, bemerkt: „Les congräs sont des assemblöes de plönipotentiaires destinees ä trouver des moyens de conciliation ä discuter et ä ajuster les prötentions röciproques.“ Auf den K. im An­ fänge dieses Jahrhunderts waren die Mächte mit Ausnahme Großbritanniens außer den leitenden Ministern auch durch ihre Souveräne vertreten. Die Entwickelung des konstitutionellen Prinzips hat jedoch seitdem dahin geführt, daß an den neuesten K. zu Paris und Berlin ausschließlich die leitenden Minister Theil genommen haben. Die Unterscheidung zwischen K. und Konferenzen liegt nach heutigem Völker­ rechte zunächst darin, daß auf ersteren nur die Europäischen Großmächte, und zwar durch ihre leitenden Minister vertreten sind, letztere dagegen von Gesandten der betheiligten Mächte beschickt werden. — Die K. repräsentiren, wie bereits bemerkt wurde, die Centralgewalt des völkerrechtlichen Systems, welches die Europäischen Mächte verbindet, und haben daher die Aufgabe, die Aufrechterhaltung und Weiter­ bildung dieses System zu fördern. Für diese Aufgabe haben die beiden letzten K. auch ein richtiges Verständniß bekundet. Die seerechtliche Deklaration des Pariser K. ist ein wichtiges Präcedenz für eine reformatorische Thätigkeit der K. auf völker­ rechtlichem Gebiete. Der Berliner K. hat dem Russisch-Türkischen Frieden von San Stefano gegenüber die politischen und völkerrechtlichen Interessen Europas zur Gel­ tung gebracht. Die K. haben daher die größere völkerrechtliche Autorität vor den Konferenzen voraus. Diese letzteren haben entweder eine mehr vorbereitende Aufgabe, wie die

König - Konjunktion der Erben.

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K., welche sich 1874 zu Brüssel mit der Reform des Kriegsrechts beschäftigte, oder sie haben, wie die K., welche im Juli 1880 zu Berlin tagte, die Aufgabe, die Präzisirung und Ausführung von K.beschlüssen herbeizuführen. Lit.: Vattel, Droit des gens, II. chap. 17 § 330. — Heffter, Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart, 6. Aufl. § 240. — Bluntschli, Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staaten, 2. Ausl., § 12 und §§ 108—114. L. Geßner.

König, Chili an, K um 1470 zu Zwickau, ging 1491 nach Italien, von wo er als J. U. D. zurückkehrte, von 1498 an im Stadtrath zu Zwickau, 1508—1514 Kanzler Herzogs Georg, bis 1520 Syndikus in Zwickau, dessen Statuten er be­ arbeitete, f 25. I. 1526. Schrift: Process, Practica und Gerichtsordnung aus beiden keiserlichen u. Geist­ lichen beschriebenen Rechten — auch dem Sächsischen und anderm gebrauch — zu­ sammengezogen, Leipz. 1541,1567, 1572, 1577, 1581, 1588, 1594, 1599 (von Gregorij) u. ö. Lit.: Stobbe, Rechtsquellen, II. 180, 181 Note 50. — Muth er, Jahrb. für Dogm., VI. 169; Derselbe, Gewissensvertretung, 49; Derselbe, Aus dem Üniversitäts- und Ge­ lehrtenleben, 1866 S. 141 ff., 172, 173; Derselbe, Zur Geschichte der Rechtswissenschaft und der Universitäten in Deutschland, 1876, S. 108, 154, 369, 389; Derselbe in Ztschr. f. Rechtsgesch. IV. 406; VI. 228 ff. — v. Stintzing, Geschichte der Deutschen Rechtswissen­ schaft (1880), I. 560-562. Teichmann.

Königswarter, M. Louis I., z 1814 zu Fürth, doktorirte 1835 in Leyden, ging 1838 nach Paris, wo er membre de la soc. des antiquaires de France und Correspondant de FInstitut geworden war, f 5. XII. 1878. Schriften: Essai sur la legisl. des peuples anciens et modernes, rel. aux enfants nes hors mariage, 1842. — Stüdes historiques sur le däveloppement de la soc. humaine, 1850. — Hist, de l’organ. de la famille en France, 1851. — Sources et monuments du droit fran$. antärieurs au 15. siöcle ou bibl. de l’hist. du droit civil fran^ais, 1853. — Statist, comparee sur le royaume des Pays-Bas, 1857. Lit.: Polybiblion, janvier 1879 p. 84. Teich mann.

Konjunktion der Erben. Bon einer conjunctio, von conjuncti, conjunctim instituti, conjunctim scripti heredes, so gut wie von conjunctim legari, sprachen die Römischen Juristen in dem Sinne eines durch letztwillige Verfügung hergestellten gewissen Zusammenhangs unter mehreren in Einer letztwilligen Verfügung Bedachten. „Ex diversis testamentis jus conjunctionis non contingit“ heißt es in fr. 16 D. 7, 4. Dieser Zusammenhang kann nach fr. 142 D. 50, 16 auf dreifache Weise hergestellt werden: aut re aut re et verbis aut verbis tantum, d. h. entw'eder dadurch, daß Mehrere zwar nicht in unmittelbarer Wortverbindung, aber auf ein und dasselbe Objekt eingesetzt werden, oder dadurch, daß das Letztere noch dazu in unmittelbarer Wortverbindung geschieht, oder endlich dadurch, daß zwar die Wort­ verbindung vorhanden ist, aber die Identität des Objektes der Verfügung, namentlich in Folge Theilungsbestimmung, unter den mehreren Bedachten fehlt. Römische Beispiele sind: Titius ex parte dimidia heres esto. Sejus ex parte qua Titium heredem Institut heres esto. Sempronius ex parte dimidia heres esto. — Titius et Sejus (s. cum Sejo) ex parte dimidia heredes sunto. Sempronius ex parte dimidia heres esto. — Titius et Sejus aequis ex partibus heredes sunto. Sem­ pronius ex parte dimidia heres esto. Im ersteren Falle sind Titius und Sejus re conjuncti, im zweiten re et verbis conjuncti, im dritten verbis tantum con­ juncti; Sempronius ist in allen Fällen jenen gegenüber separatus oder disjunctus. Es ist übrigens für die conjunctio nicht wesentlich, daß, wie in den gewählten Bei­ spielen, der Erblasser das den conjuncti überwiesene Objekt (z. B. ex parte dimidia) bezeichnet habe; es genügt die Ernennung: Sempronius heres esto. Titius et Sejus heredes sunto: um die beiden letzten zu conjuncti zu machen. (Anderer Meinung Manche in Bezug auf fr. 17 §§ 1, 2 D. 28, 5; s. v. Vangerow II. § 496, 3, IV.) Rur darf, mit Ausnahme der verbis tantum conjunctio, das Objekt nicht selbst unter die conjuncti getheilt sein. — Zusammenfassen unter einer Kollektiv­ bezeichnung ist nicht nothwendig conjunctio (s. Seuffert III. § 541, 16 und z. B. c. 11 C. 6, 26; fr. 11, 13 pr. D. 28, 5).

502

in es re

LsAprrtMoil der Erbe«. Von dem bisher ins Auge gefaßten Sprachgebrauch, wonach die conjunctio die fr. 142 D. 50, 16 genannten drei Arten des Zusammenhangs umfaßt, giebt bei Vermächtnissen eine Abweichung, indem hier unter conjuncti entweder nur die et verbis conjuncti (§ 8 i. f. I. 2, 20; Gaj. II. 199; Ulp. XXIV. 12, 13.

fr. 1 § 3 D. 7, 2) oder auch die reconjuncti, aber mit Ausschluß der verbis conjuncti (s. Windscheid, III. § 644, 9 a. E.) verstanden werden. Nach diesem Sprachgebrauch sind die re conjuncti oder die verbis conjuncti nicht conjuncti, sondern separati. Die conjunctio ist im Römischen Recht in doppelter Beziehung von Einfluß, einmal hinsichtlich der Frage, wie in den Fallen der re und re et verbis conjunctio getheilt werden soll, sodann hinsichtlich des Anwachsungsrechts. In letzterer Be­ ziehung ist auf den Art. Accrescenz zu verweisen, in ersterer ist zu bemerken, daß nach dem jüngeren Römischen Recht (c. 1 § 10 C. 6, 51, älteres für das Dam­ nationslegat s. Gaj. II. 205), die conjuncti das ihnen gemeinsame Objekt nach Köpfen unter sich theilen (fr. 142 D. 50, 16; fr. 11, 15. pr. 59 § 2 D. 28, 5; fr. 7 D. 7, 2), während die bloße verbis conjunctio auf den Theilungsmodus ohne Einfluß bleibt (fr. 67 D. 28, 5). Treffen re et verbis conjuncti mit blos re conjuncti zufammen, so find wieder die ersteren gegenüber den letzteren als eine ®n= heit aufzufassen (doch nicht unbedingt: s. v. Vangerow § 496, 3 III.; Unger, Erbr., § 38, 5). Die heutige Anwendbarkeit der Römischen Grundsätze über K. der Erben und Vermächtnißnehmer wird mit Rücksicht darauf, daß diese Rechtsregeln auf der jetzt abgeschafften (c. 15 C. 6, 23) Solennität der Testamentsworte beruhen, meist dahin moderirt, daß die K. lediglich Anhaltspunkte für die Interpretation lehtwilliger Verfügungen geben könne, während im Uebrigen die Interpretation sich an die Worte nicht binden dürfe. Der Erblasser disponirt ja durch die K. über die Thei­ lung der Erbschaft ebenso wie über die Vertheiluug beim Anwachsungsrecht, welches Letztere bei Vermächtnissen ohne die K. überhaupt nicht eintreten würde. Auch die Anwendbarkeit der K.regeln auf Erbverträge ist in jenem moderirten Sinne gewiß zu bejahen; man wird sogar bei Konkurrenz von testamentarischen und Vertragserben jene wie diese als conjuncti behandeln müssen (Seuffert, III. § 593, 8). Don den modernen Gesetzgebungen nimmt nur die Sächsische (BGB. § 2175) den Standpunkt des Römischen Rechts völlig ein, indem sie bestimmt, daß die in einem Sahe oder die in einer Kollektivbezeichnung Verbundenen nur einen Theil erhalten, und diese Berechnung auch für das Anwachsungsrecht maßgebend sein läßt (§ 2270, §§ 2431—33). Das Oesterreichische Recht steht dagegen auf dem modernen Standpunkt (Unger, Erbr., § 15, 8) und ebenso das Preußische (Ternburg, Preuß. Privatrecht, III. § 129, 7, 8; § 130, 7; § 135, 10 ff. Anderer Meinung Förster, Preuß. Privatrecht, IV. 309, § 272; vgl. § 251, 74—84). Rach Fran­ zösischem Gerichtsgebrauch kommt die K. im Wesentlichen blos in Betracht beim Anwachsungsrecht (Zachariä-Puchelt, Französisches Eivilrecht, IV. §§ 726, 15, 16). Demnach hat F. Mommsen in seinem Entwurf eines Deutschen Reichsgefetzes über das Erbrecht (1876) wol das Richtige getroffen, wenn er die subtilen K.regeln des Römischen Rechts nicht ausgenommen hat (§ 140, 2; 235). Lit. (besonders die Frage der Accrescenz unter conjuncti betreffend): Thibaut, Archiv für die civ. Prax. VII. Nr. 21. — Buchholh, Civ. Abhandlungen Nr. 7. — Zimmern und Neustet et, Römisch-rechtl. Untersuchungen, Nr. 4. — Glück, Erläut. der Pandekten, XLHI. 303-342 (Mühlenbruch); XLVI. 476-519 (Arndts). — Unger, System VL (Erbrecht) § 15, 7 —9; 63, 3—5. — S. ferner die gesammte Monographien-Lit. über Accrescenzrecht. — Pand. Lehrb.: Arndts, 88 494 3; 518 3; 556 3—6. — Göschen, III. 2 88 972, 804. — Keller, II. 8 486, 4. — Puchta, 88 474,d, 542. — Seuffert. HI. 88 541, 6, 16; 593 14—18; 604, 14; 621, 5, 6 a—8. — v. Vangerow, II. 8 496 2 3.— Windscheid, III. §§ 604 2-5, 644 9-13. - v. Roth, Bahr. Civilrecht, III. 378, 31-38. I Merkel.

ftonfottait.

503

Konkordate (Th. I. S. 670), kirchliche, und Cirkumskriptionsbullen. K. find im Allgemeinen Vereinbarungen zwischen Staat und Kirche über Verhältnifie der letzterm, resp, über wechselweise Ansprüche der geistlichen und weltlichen Gewalt. Daher können Vereinbarungen, wie das berühmte Wormser oder Calixtinische K. von 1122, welches äußerlich nicht einmal die Vertragsform aufweist, sondern in zwei von einander unabhängigen Urkunden Heinrichs V. und Calixt' II. niedergelegt ist, füglich zu den K. gerechnet werden, obgleich der Ausdruck selbst nicht vor dem Jahre 1418, nämlich zuerst in dem Konstanzer Vergleich (capitula concordata) vorkommt. Wenn dagegen z. B. Walter und Mejer die K. als eigentliche Verträge zwischen dem päpstlichen Stuhl und dem Staat, in welchen ihr gegenseitiges Verhältniß in einem oder mehreren Punkten prinzipiell normirt wird, definiren, so ist dem entgegenzuhalten, daß im Mittelalter auch Vereinbarungen zwischen Prälaten unter einander, resp, mit einer weltlichen Regierung, so genannt werden und daß die älteren, ja die wichtigsten und diejenigen, bei denen der Name zuerst vorkommt, gar nicht oder nur in geringem Umfange das Verhältniß zwischen Staat und Kirche, vielmehr einzelne Ordnungen, die lediglich innerhalb der Kirche gelten sollten, festsetzen, wie das bei dem Konstanzer K. und dem Wiener K. von 1448 der Fall ist. Andererseits will Schulte allein diesen älteren Vereinbarungen bis zu dem von der Französischen Republik im Jahre 1801 (26. Messidor IX) ab­ geschlossenen , noch heute in Fränkreich (freilich unter Modifikation durch die von Napoleon hinzugefügten articles organiques von 1802) geltenden K. den Namm K. beigelegt wiffen, während er die neueren Vereinbarungen von der eben erwähnten an für Verträge anderer Art, d. h. für solche erklärt, welche eine grundsätzliche Aus­ einandersetzung zwischen Staat und Kirche zur Wahrung der Einigkeit und zur festen Ordnung der neuen Verhältniffe bezwecken. Jndesien ein zwingender innerer Grund ist dafür nicht vorhanden, wenngleich es richtig ist, daß die neueren K. im All­ gemeinen mehr den von Schulte angegebenen Charakter tragen. Eine Aufzählung aller hierher gehörigen Vereinbarungen auch nur aus der neuesten Zeit (s. die Auf­ zählung bei Bornagius, S. 5 ff., welche indessen auf absolute Vollständigkeit keinen Anspruch machen kann, — es fehlen z. B. die, welche mit den Republiken Centralamerika's in diesem Jahrhundert abgeschlossen sind; s. Sentis in Moy's Archiv Bd. XII. S. 225 ff.) ist an dieser Stelle nicht möglich und ich begnüge mich daher mit der Anführung der für Deutschland in Betracht kommenden K. Die erste und einzige derartige Vereinbarung, welche behilfs Aufrichtung der durch die politischen Ereignisse Ende des vorigen und Anfangs dieses Jahrhunderts zerstörten katholischen Kirchenversaffung abgeschlossen worden ist, ist 1) das Bayerische K., ratifizirt in München am 24. Oktober 1817, vom Papst durch eine Konfirmations­ bulle vom 15. November desselben Jahres publizirt. In seiner ursprünglichen Form wurde es aber wegen der durch seinen Inhalt, namentlich bei den Evangelischm, erregten Besorgnisse staatlicherseits nicht publizirt, sondem nur als Anhang zu dem Edikte über die äußeren Rechtsverhältnisse der Einwohner des Königreichs „in Be­ ziehung auf Religion und kirchliche Gesellschaften" vom 26. Mai 1818, welches die Bestimmungen desselben in manchen Punkten einschränkt. 2) Das zweite der Deutschen K. ist das Oesterreichische, zu welchem die kirchlichen Bewegungen des Jahres 1848 und die Benutzung des in den Berfassungsurkunden dieser Zeit ausgesprochmen Grundsatzes der Freiheit der Religionsgemeinschaften durch die katho­ lische Kirche den Anstoß gegeben, welches aber freilich ohne die vorgängige Zerrüt­ tung des Kaiserstaates und die in Folge dessen an maßgebender Stelle Boden findende Anschauung, daß die katholische Kirche die festeste Stühe der Throne sei, kaum zu Stande gekommen wäre. Das K. vom 18. Aug. 1855 ist durch Patent vom 5. November desselben Jahres, obgleich es das geschichtlich überwundene kano­ nische System in weitem Umfange wieder herzustellen suchte, ohne irgend welchen Vorbehalt des Kirchenhoheitsrechts des Staates und ohne Beigabe eines die Rechte

504 der anderen, namentlich der evangelischen Religionsgemeinschaften wahrenden Gesetzes publizirt worden (über die Stellung Umgmrns dazu s. Moy, Archiv XXI. 470), während einige Separatartikel noch geheim gehalten wurden und erst später bekamt geworden find. Die mannigfachen seit 18*60» kursirenden Gerüchte über eine bevor­ stehende Revision des K. haben sich Jachree lang als unbegründet erwiesen. Erst zufolge der nach dem Kriege von 1866 eiing,etretenen Wendung der Oesterreichischen Polittk ist durch die drei Gesetze vom 25. Mai 1868 (1. über die Wiederherstellung des Eherechts des BGB., Ueberweisumg der Ehegerichtsbarkeit der Katholiken an die weltlichen Gerichte und die Einsühirurng einer Nothcivilehe; 2. über das Ver­ hältniß der Schule zur Kirche; 3. üben die interkonfessionellen Verhältnisie der Staatsbürger) eine bedeutende Bresche in daK K. gelegt werden. Nach der im Jahre 1870 erfolgten Unfehlbarkeitserklärung des Pmpstes ist die Regierung aber von dem K. ganz zurückgetreten und wenn auch damit die staatsgesetzliche Gültigkeit defielben nicht aufgehoben war, so' ist die letztere dwch spater durch die Oesterreichischen Gesetze vom 7. und 20. Mai 1874 beseitigt worden.. B) Nach dem Vorgänge Oesterreichs schloß Württemberg unterm 8. April 1857 mnL 4) auch Baden unterm 28. Juni 1859 ein K. mit dem päpstlichen Stuhle »ab ; wegen der heftigen Opposition, welche sich in beiden Ländern gegen diese Vereinbarrungzen erhoben hat und der von den Ständen verweigerten Zustimmung sind dieselben intdeffsen nicht zur Geltung und Ausführung gelangt. 5) Ein Beispiel eines nicht mit beim Papst, sondern mit einem Bischof abgeschloffenen K. bietet endlich die mit de-m Bischof von Mainz eingegangene, lange Zeit vor dem Lande geheim gehaltene Kkomvention für das Großherzogthum Hessen vom 23. April 1854, welche sähon im Jahre 1863 von der zweiten Kammer für ungültig erklärt und im Jahne 1866 von beiden kontrahirenden Theilen beseitigt worden ist. — Die rechtliche Martur der K. bildet eine viel besprochene Kontroverse des Kirchenrechts. Im 16. umd 17. Jahrhundert erklärte man die K. für keine wahren Verträge, sondern für vcon der Kirche ertheilte Jndulte oder Privilegien, weil der Vorgesetzte (die LKircche) und die Untergebenen (der Staat) nicht in ebenbürtiger Stellung nebeneinandrer ständm und die Kurie durch ein K keine neuen Rechte erwerbe, da dem Staatce cutte etwa von ihm übernommenen Ver­ pflichtungen schon von Natur und nach götttliichem Recht oblägen. Diese Ansicht ist von einzelnen Päpsten, von einer Reihe Dom älteren Kurialschriftstellern und neuer­ dings noch von Brühl — allerdings mit verschiedener Motivirung im Einzelnen — vertreten worden, und sie entspricht auch sicherlich am meisten den noch heute maß­ gebenden Anschauungen der Kurie. Ten arbsoluten Gegensatz zu der eben kurz charakterisirten sog. Pr i vi legi en theo rite lbildet die mit dem Ausdruck Legal theorie bezeichnete Ansicht. Davon ausgehend, daß der Staat der Kirche die Ge­ setze vorzuschreiben habe, die staatlichen Holheittsrechte unveräußerlich seien und daß die K. immer nur mehr untergeordnete, dars (Staats- oder öffentliche Kirchenrecht be­ rührende Gegenstände, keineswegs die unvercäusßerlichen Rechte der Kirche (wie z. B. die Dogmen) beträfen, erklärte man die K. lediglich für Staatsgesehe, welche die Staatsgewalt wie alle anderen beliebig widaerrrufen könne (so Brendel, Aegidi, Sarwey). Zwischen diesen beiden Extremrem steht eine Theorie, welche auch schon von älteren Kanonisten, dann von einigen ^Pätpsten, mehrfach von der Rota romana und von den meisten neueren, z. B. Waltrerr, Phillips, Heffter, RichterDove, Mejer, Herrmann, Schulte, ganz neuerdings von Bornagius vertheidigt ist, und den K. den rechtlichen (Choarakter von Verträgen vindizirt. Man stützte diese Auffassung einmal auf die Thattsacche, daß bei den K. Staat und Kirche als Paciscenten austreten, sowie darauf, dasß »die Art und Weise der Abschließung und Ausfertigung ganz nach den Regeln amderrer Staatsverträge erfolge und die be­ treffenden Vereinbarungen sich selbst als comcoordata oder, wie der neuerdings ge­ brauchte Ausdruck ist, als conventiones bezzeicthnen. Weiter hat man darauf hingewiesen, daß Staat und Kirche zwei durchoaurs selbständige und koordirurte Gewalten

Konkordate.

505

seien und der Papst, welchem eine völkerrechtliche Stellung, eingeräumt sei, auch die spirituelle Souveränetät über die katholische Kirche besitze. Mit Rücksicht am die beiden letzteren Momente hat man die K. neuerer Zeit (so namentlich z. B. Hess­ ler, Schulte, Richter-Dove, Bornagius) sür völkerrechtliche Berträge er­ klärt. Freilich hat Herrmann hiergegen Widerspruch erhoben, indem er die K. als eine eigenthümliche dritte Klasse von öffentlichen Verträgen neben die Staats­ und Völkerverträge stellt. Hübler endlich ist der Ansicht, daß sich die Fragenach der rechtlichen Natur der K. nicht absolut entscheiden lasse, sondern daß die Lösung von der jeweiligen maßgebenden Anschauung über das Verhältniß zwischen Staat und Kirche abhänge. So richtig diese Auffassung ist, so löst sie doch nicht die praktische Frage nach dem heute für die Deutschen Staaten berechtigten Standpunkt, um so weniger als der Syllabus vom 8. Dezember 1864 unter Nr. 43 zwar den Satz verurtheilt, daß die Laiengewalt nicht das Recht habe, einseitig die K. aufzu­ heben, aber keineswegs ein entsprechendes Anerkenntniß, daß die Kurie sich auch ihrer­ seits vollkommen gebunden halte, abgegeben hat und überdies eine prinzipielle Differenz über die Auffassung des Verhältnisses des Staates zur Kirche zwischen allen modernen Staaten und der Kurie sich nicht wegleugnen läßt. Ich meinerseits muß an der schon Bd. I. S. 672 ausgesprochenen Ansicht festhalten, daß vom Standpunkt des heutigen Staatsrechtes ein juristisch bindender Vertrag mit der katholischen Kirche nicht denkbar ist. Mag auch die letztere ihre Existenz nicht von einer staatlichen Konzession herleiten, ihre Eristenz als Rechtssubjekt verdankt sie trotzdem lediglich der Anerkennung desselben linb ebenso die staatliche Geltung ihres Rechts.- Die spirituelle Souveränetät des Papstes ist vom Standpunkt des Staats- und Völkerrechts aus keine wahre Sou­ veränetät, denn ohne ein Anerkenntniß des Staates kann dieselbe für das staatliche Gebiet nie wirksam werden. Wenngleich es auch nicht absolut richtig ist, daß der moderne Staat seine Souveränetät nicht theilweise aufgeben kann — die jedem frei­ stehende Befugniß, sich mit anderen Staaten zu einem Bundesstaat zu vereinigen, zeigt das Irrige dieser Theorie —, so ist doch ein Vertrag nicht denkbar mit Rechtssubjekten, welche der Souveränetät an sich schon untergeben sind, für welche also der Staat durch seine Gesetzgebung die bindenden Normen vorschreiben kann. Die zwischen dem Staat und der Kurie abgeschlossenen Vereinbarungen verpflichten demgemäß rechtlich keinen der Kontrahenten, wenngleich Treu und Glauben erfordern, daß der einzelne Staat sie hält, ebenso wie es ja der Anstand und die gute Sitte verlangt, daß Privatpersonen gewisse vom Civilrecht für unklagbar oder für nichtig erklärte Verbindlichkeiten erfüllen. Ich gewärtige freilich, daß maxi mir vorwerfen wird, ich predige den Vertragsbruch, aber wenn die Vertheidiger der Vertragstheorie unter gewissen Verhältnissen einen einseitigen Rücktritt von den K. gestatten und jedem K. die clausula rebus sic stantibus als inhärent betrachten, so kommt das praktisch auf dasselbe heraus, denn einmal wird ein Staat, der ein K. abgeschlossen haben sollte, die staatliche Publikation desselben für die Regel nur aus gewichtigen Gründen unterlassen, und diese werden sich stets unter die vagen Rücktrittsfälle, welche die Vertragstheorie aufstellt, bringen lassen. — Den Weg des K. zur Auf­ richtung der zerstörten Kirchenverfassung hat von den Deutschen Staaten allein Bayern eingeschlagen, für die übrigen Deutschen Staaten ist die Neuerrichtung der katholischen Kirche durch sog. Cirkumskriptionsbullen erfolgt, d. h. durch päpstliche Erlasse, welche die äußeren kirchlichen Einrichtungen, namentlich die Grenzen der bischöflichen Diözesen normirten (die circumscriptio dioecesium vornahmen — daher der Name —), und im Gegensatz zu den K. nur in wenigen Punkten die mehr inneren Verhältnisse der Kirche regelten. Diese Bullen hat der Papst als Kirchengesetze erlassen, die einzelnen Regierungen haben ihnen aber auch den Charakter von Staatsgesetzen durch besondere Publikationen verliehen. Zu Stande gekommen sind dieselben auf Grund gegenseitiger Vereinbarungen der Kurie und der betreffenden Staaten. Ueber die juristische Natur solcher Abkommen müssen ganz dieselben

506

Lonksrreuz.

Grundsätze gelten, wie über die K., wie dmn dieselben auch von den Anhängern der Bertragstheorie ebenfalls für völkerrechtliche Berträge erklärt werden. Die für Deutschland erlassenen Cirkumskriptionsbullen find folgende: 1) für Preußen die Sülle: De salute animarmn vom 16. Juli 1821 nebst Publikationskabinetsordre vom 23. August 1821; für Hannover die Bulle: Impensa Rotnanorum pontificum vom 26. März 1824 nebst Königl. Genehmigung vom 20. Mai 1824; 3) für die zu der sog. oberrheinischen Kirchenprovinz vereinigten Staaten, nämlich Württemb-erg, Baden, die beiden Hessen, Nassau, Hohenzollern und Frankfurt a. M., die Bullen: Provida sollersque vom 16. August 1821 und Ad dominici gregis custodiam vom 11. April 1827, welche in diesen Län­ dern durch besondere, gleichlautende Erlasse mit gewissen Vorbehalten publizirt worden find. Kit.: 1. Sammlungen: E. Münch, Vollständige (?) Sammlung aller älteren und neueren K. nebst einer Geschichte ihres Entstehens und ihrer Schicksale, 2 Thle., Leipz. 1880 (enthält auch die EirkumskriptionSbullen). — Nussi, Conventiones . . Inter s. sedem et civilem potestatem etc., Mogunt. 1870. — Demnächst soll in Mainz bei Kirchheim eine voll­ ständige Sammlung aller K. von Prof. Dr. Brück erscheinen. — Die wichtigsten K. und EirkumskriptionSbullen finden fich auch abgedruckt in Walter, Fontes Juris ecclesiastici antiqui et moderni, Bonnae 1862. — v. Kremer-Auenrode, Aktenstücke zur Geschichte deS Verhältnisses zwischen Staat und Kirche im 19. Jahrh., Leipz. 1873—80. — Ferner u. A. auch in Richter's Kirchenrecht (nicht mehr von der 5. Aull, an). — Schulte, Kirchenrecht, Bd. II. — Permaneder, Handbuch des Kirchenrechts. — 2. Erörterungen über die juristische Literatur der K.: Brendel, Handbuch des katholischen und protestantischen Kirchenrechts, 3. Aufl., Bamberg 1840> 1, 42 ff. — Walter, Krrchenrecht, 8 60. — Phil­ lips, Kirchenrecht 3, 674 ff. — Richter, Kirchenrecht, § 88. — Schulte, Kirchenrecht, 1, 425—518. — Heffter, Völkerrecht, § 70. — Aegidi, Die neuen Vereinbarungen mit dem römischen Stuhl rc. in der Erlanger Protest, theolog. Ztschr. 31. F. 36, 164 ff. — Mejer in te r z o g' S Real-Encykl. der protestantischen Theologie 3, 60 ff. — Herrmann in Bluntschli's taatSWört.B. 5, 701 ff. — Sarwey, Ueber die rechtliche Natur der K. in Dov e's Ztschr. für Kirchenrecht 2, 437 ff; 3, 267 ff. — Hübler, De natura et jure concordatorum, Vratisl. 1863; Derselbe, Zur Revision der Lehre von der rechtlichen Natur der K. in Dove's Ztschr. für Kirchenrecht 3, 404 ff.; 4, 105 ss. — I. A. M. Brühl, Ueber den Charakter und die wesentlichen Eigenschaften der K. Äne Abhandlung aus dem Italienischen übersetzt und mit Noten begleitet, Schaffhausen 1853. — Th. Balve, Das K. nach den Grundsätzen deS Kirchenrechts, Staatsrechts und Völkerrechts, München 1853. — Dove in der 8. Ausgabe von Richter's Kirchenrecht a. a. O. und in seiner Ztschr. 8, 448 ff. — A. Bornagius, Ueber die rechtliche Natur der K., Leipz. 1870. — Archiv für katholisches Kirchenrecht Bd. 27 S.DI. — M. B. G. Fink, De concordatis, diss. can. Lovanii, 1879. — 3. Geschichte der neueren K.: Mejer, Zur Geschichte der römisch-deutschen Frage, Rostock 1871 ff. — 4. Einzelne K. u. Cirkumskriptionsbullen: Oesterreich: (Feßler) Studien über die Oesterr. K., Wien 1856. — Jacobson, Ueber die Oesterr. K., Leipz. 1856. — Die ge­ heimen Beilagen zum Oesterr. K. in Moy'sArch. 18, 449 ff. — P. Gautsch v. Frankenthurm, Die konfessionellen Gesetze vom 7. und 20. Mai 1874; mit Materialien und An­ merkungen, Wien 1874. — Preußen: Laspeyres, Geschichte und heutige Verfassung der katholischen Kirche Preußens, Halle 1840, S. 788 ff., 861 ff. — Mejer, Tie Propaganda, ihr Recht und ihre Provinzen, Göttingen 1852, 1, 444 ff. — Bayern: (Höfler) K. und Konstitutionseid der Katholiken in Bayern, Augsburg 1847. — v. Sicherer, Staat und Kirche in Bayern, 1799—1821, München 1874. — Hannover: Mejer, Propaganda 2, 418 ff. — Oberrheinische Kirchenprovinz: Mejer, a. a. O. 2, 385 ff. — Löngner, Darstellung des Rechtsverhältnisses der Bischöfe in der Oberrheinischen Kirchenprovinz, Tübingen 1840; Derselbe, Beiträge zur Geschichte der Oberrhein. Kirchenprovinz, Tübingen 1863. — Brück, Die Oberrheinische Kirchenprovinz, Mainz 1868. — Württemberg: L. Reyscher, Die Oesterr. und Württemb. K., 2. Aufl., Tübingen 1858. — Mejer, Dle Konkordatsverhandlungen Württembergs, Stuttgart 1859. — Hesfen-Darmstadt: Fried­ berg in Dove's Ztschr. 8, 345 ff. — Spanien: Hüffer in Moy's Arch. 7, 364. — Hergenröther, das. 10, 1, 185; 11, 252,367; 12, 46, 385; 13, 91, 393; 14, 211; 15, 169. P. Hinschius.

Konkurrenz oder Zusammentreffen (auch Zusammenfluß) von Verbrechen (concursus delictorum) nennt man das Zusammentreffen von mehreren noch unbestraften Berbrechen einer und derselben Person als Gegenstand gemeinsamer Aburtheilung — s. das Nähere über Begriff und Eintheilungen Th. I. S. 738, wo auch betont ist,

daß man vielmehr das Zusammentreffen von Strafen als das von Verbrechen ins Auge fassen sollte (namentlich von Köstlin eindringlich hervorgehoben; jetzt auch von Schütze, Lehrbuch, S. 194 ff. und Rosenblatt anerkannt). Keine K. liegt vor im Falle der bloßen GesetzesK., d. h. wenn eine Handlung unter mehrere Strafgesetze fällt, deren eines als das speziellere (1. 41 D. de poenis) die Anwen­ dung der übrigen ausschließt. So z. B. bei den sog. zusammengesetzten Verbrechen (Raub = Diebstahl plus Röthigung oder Körperverletzung u. dgl.), bei gewissen qualifizirten Verbrechen (z. B. Einbruchsdiebstahl = Diebstahl plus Sachbeschädi­ gung), bei gewerbsmäßigen Verbrechen (gewerbsmäßige Hehlerei — § 260 — im Gegensatz zur einfachen Hehlerei — §§ 258, 259). — Die herrschende Anschauung, welche zwischen idealer (formaler, einthätiger, gleichzeitiger) und realer (materialer, mehrthätiger, ungleichzeittger) K. unterscheidet, wird bekämpft von John, Hälschner und v. Buri (gegen den Letzteren s. übrigens Olshausen, Komm., I. S. 317 und Hiller, Gerichtssaal XXXII. S. 200 ff.). Unrichtig ist es allerdings, daß die Schrift­ steller und Gesetze meist mildere Behandlung der idealen K. wollen (Anwendung des Ab­ sorptionssystems). So verfährt auch das Deutsche StrafGB. Rach § 73 wird nur dasjenige Gesetz, welches die schwerste Strafe (bzw. die schwerste Strafart) androht, angewendet, „wenn eine und dieselbe Handlung mehrere Strafgesetze verletzt." Dabei ist der Fall ganz übersehen, wenn durch Eine Handlung dasselbe Strafgesetz mehr­ fach übertreten wird (z. B. Beleidigung Mehrerer durch Ein Wort). Dieser ist aber unzweifelhaft nach der Analogie von 8 73 zu behandeln, wie jetzt auch das Reichs­ gericht anerkannt hat (Erk. vom 1. Juli 1880, Rechtspr. II. S. 143 ff.) ; anderer Meinung: v. Buri, der den 8 74 analog anwenden will (ebenso die Bayerische und Sächs. Praxis). — Betreffs der realen K. gilt Folgendes: 1) Wenn mit zeitigen Freiheits­ strafen bedrohte Verbrechen im engeren Sinne oder Vergehen zusammentreffen, ist in der Regel (vgl. 2) auf eine Gesammtstrafe zu erkennen, welche in einer Er­ höhung (d. h. sowol Erhöhung im engeren Sinne als Schärfung) der verwirkten schwersten Strafe besteht, den Betrag der verwirkten Einzelstrafen nicht erreichen und 15jähriges Zuchthaus oder Festungshaft, sowie lOjähriges Gefängniß nicht über­ steigen darf (8 74). Die Preußische Praxis war früher schwankend über das Vor­ gehen bei Festsetzung der Gesammtstrafe, später stellte sich in Preußen wie ander­ wärts die jetzt auch vom Reichsgericht (Erk. vom 28. Rov. 1879, Rechtspr. I. S. 102 ff.) gebilligte (richtige) Ansicht fest, daß der Richter zunächst die Einzelstrafen für jedes der zusammentreffenden Verbrechen festsetzen, dann von der schwersten der so festgesetzten Strafen als der Einsatz strafe ausgehen und diese Strafe angemeffen er­ höhen muß, ohne daß die auf solche Art gebildete Gesammtstrafe den Betrag der verwirkten (festgesetzten) Einzelstrafen erreichen darf. Eine Erhöhung der Einsahstrafe ist aber, wie sich versteht, nicht zulässig, wenn die letztere schon in 15jährigem Zucht­ haus, 15jähriger Festungshaft oder lOjährigem Gefängniß besteht (8 74, Abs. 3). — Rach Abs. 2 des 8 74 tritt bei dem Zusammentreffen ungleichartiger Freiheits­ strafen die im Abs. 1 geforderte Erhöhung der verwirkten schwersten Strafe bei der ihrer Art nach schwersten Strafe ein; es ist also mit anderen Worten beim Zu­ sammentreffen von Zuchthaus mit Gefängniß oder Festungshaft die Zuchthausstrafe zu erhöhen. Wenn aber in Folge der Jugend des Thäters aus Grund des 8 57 an die Stelle der Zuchthausstrafe Gefängniß zu verhängen ist, und mit dem be­ treffenden Verbrechen ein mit Gefängniß bedrohtes Delikt zusammentrifft, so ist na­ türlich nicht Zuchthaus, sondern Gefängnißstrase als Einsatzstrafe zu betrachten; hierüber s. Reichsg. Erk. vom 3. Jan. 1880 (Rechtspr. I. S. 187 ff.), was ebenso von den Fällen gelten muß, wo auf Grund der 88 44 und 49 für Versuch bzw. Beihülfe Gefängniß an die Stelle des Zuchthauses tritt. — Ausnahmsweise darf die Gesammtstrafe bis zu fünfzehnjährigem Gefängniß ansteigen, wenn eine Handlung eines jugendlichen Thäters in Frage kommt, welche an sich mit dem Tod oder mit Zucht­ haus bedroht ist (vgl. 8 57 Z. 1 und 3). — 2) Wenn Festungshaft mit Gefängniß

508 zufammentrifst, so ist nach § 75 zu unterscheiden: a) ist jede dieser Strafen nur einmal verwirkt, so werden fie einfach kumulirt! (Abs. 1); b) ist Festungshaft oder Gefängniß mehrfach verwirkt, so ist hinsichtlich der mehreren Strafen gleicher Art so zu verfahren, als wenn dieselben allein verwirkt wären (Abs. 2), d. h. es ist aus den mehreren gleichartigen Strafen eine Gesammtstrafe nach Vorschrift des § 74 zu bilden, so daß als Ergebniß zwei Gefammtstrafen zum Vorschein kommen. Die beiden Gesammtstrasen werden kumulirt; ebenso wird eine nach Abs. 2 gebildete Gesammtstrase mit einer nach Abs. 1 festgesetzten kumulirt! — In allen diesen Fällen darf übrigens (nach Abs. 3) die Gesammtdauer der Strafen fünfzehn Jahre nicht übersteigen. — 3) Die Verurtheilung zu einer Gesammtstrafe schließt die Ab­ erkennung der bürgerlichen Ehrenrechte nicht aus, wenn diese auch nur neben einer der verwirkten Einzelstrafen zulässig oder geboten ist (§ 76, Abs. 1; vgl. das Reichsg. Erk. vom 5. Febr. 1880 — Rechtspr. I. S. 321 ff.), welches mit Recht ausspricht, daß neben einer Gesammtgefängnißstrase nur dann auf Verlust der bür­ gerlichen Ehrenrechte erkannt werden kann, wenn eine der festgesetzten Einzel strafen die Dauer von drei Monaten erreicht (§ 32, Abs. 1). Jngleichen kann neben der Gesammtstrafe auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht erkannt werden, wenn dieses auch nur wegen einer der mehreren strafbaren Handlungen statthaft ist (§ 76, Abs. 2). Diese Rebenstrafen find neben der Gesammtstrafe einheitlich festzusetzen, auch wenn der Eintritt derselben bei mehreren der zusammentreffenden Handlungen zulässig oder gebotm wäre, namentlich sind die §§ 32 und 35 betreffs der Dauer des Ver­ lustes der bürgerlichen Ehrenrechte festzuhalten. 4) Trifft Hast mit einer anderen Freiheitsstrafe zusammen, so ist auf die erstere gesondert zu erkennen. Auf eine mehrfach verwirkte Haft ist ihrem Gesammtbetrag nach (hier also wieder einfache Strafhäufung!), jedoch nicht über die Dauer von drei Monaten zu erkennen (§ 77). 5) Unbedingt gilt nach § 78 das Häufungsprinzip für Geldstrafen, und nicht einmal ein Maximum ist hier für die Kumulation gezogen! Nur für den Fall der Um­ wandlung mehrerer Geldstrafen wird im Abs. 2 des 8 78 als Höchstbetrag der an die Stelle derselben tretenden Freiheitsstrafe zwei Jahre Gefängniß und, wenn die mehreren Geldstrafen nur wegen Uebertretungen erkannt worden sind, drei Monate Haft festgesetzt. Unlogisch ist es hier, wie Rüdorff und Olshausen, anzunehmen daß im Fall des Zusammentreffens von Geldstrafen für Vergehen und Uebertretungen in Folge der Umwandlung zwei Jahre Gefängniß und drei Monate Haft kumulirt werden können. 6) Das RStrafGB. schweigt über das Zusammentreffen der Todes­ und der lebenslänglichen Freiheitsstrafe miteinander und mit anderen Strafen. Es gilt also hier das Häufungssystem, ebenso wie betreffs der Strafe des Verweises. (Anderer Meinung betreffs der Todes- und lebenslänglichen Strafe Berner und Thomsen.) — Nach § 79 ist auch der Fall der K. gleich zu behandeln, wenn, bevor eine erkannte Strafe verbüßt, verjährt oder erlaffen ist, die Verurtheilung wegen einer strafbaren Handlung erfolgt, welche vor der früheren Verurtheilung be­ gangen war. Es kommt da zu einer sog. Zusahstrase, welche nach den Vorschriften zu bemessen ist, die für die Gesammtstrafe gelten. Im Einzelnen ist zu § 79 zu bemerken: 1) Er setzt eine stühere inländische Verurtheilung voraus. 2) Auf Hand­ lungen, welche nach einer solchen Verurtheilung, ehe diese rechtskräftig wurde, be­ gangen worden sind, ist die K. nicht anwendbar. 3) Ist das frühere Strafurtheil noch nicht rechtskräftig, so wird die neuerliche Aburtheilung unter Anwendung des § 79 bis zum Eintritt der Rechtskraft jenes Urtheils aufzuschieben sein l anderer Meinung: Merkel, Oppenhoff, Olshausen) — s. besonders Bayerische Kassa­ tionshofsentscheidung v. 9. April 1877 (St eng lein, VII. S. 29 ff.) und 26. April 1878 (ebendas. VIII. S. 97 ff.). 4) Die Strafe ist verbüßt im Sinne des § 79, wenn auch eine etwaige Nebenstrafe, wie z. B. Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte, noch nicht verbüßt ist (anderer Meinung: Merkel). 5) Bei der Entscheidung nach tz 79 ist der Richter an die frühere Verurtheilung bezugs der thatsächlichen Feststellung

Konkurrenz.

509

und des Strafmaßes gebunden. Ist aber freilich die von ihm auszusprechende Straie von schwererer Art als die durch die frühere Derurtheilung festgesetzte, so bildet jene die Ernsatzstrafe. Der Richter muß von ihr ausgehend eine Gesammtstrafe verhängen und die frühere Strafe für erledigt (oder bester für „wegfallend" — Olshausen) erklären. 6) Der Richter kann auch trotz der neuen Verurtheilung die frühere Strafe für genügend erachten und braucht sie dann nicht durch eine Zusatzstrafe zu erhöhen. 7) Der § 492 der RStrafPO. bestimmt: „Ist Jemand durch verschiedene rechtskräf­ tige Urtheile zu Strafen verurtheilt worden und sind dabei die Vorschriften über die Zuerkennung einer Gesammtstrafe (§ 79 des RStrafGB.) außer Betracht geblieben, so find die erkannten Strafen durch eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung auf eine Gesammtstrafe zurückzuführen." Hierdurch ist dem Verurtheilten das beneficium des § 79 auch für die Fälle gesichert, in welchen die Einlegung eines Rechtsmittels keine Abhülfe bringen kann. Abs. 3 des § 494 der StrafPO. enthält die näherm Be­ stimmungen über das für die nach § 492 zu fällende Entscheidung zuständige Ge­ richt. — Kontrovers ist, ob das StrafGB. die Begriffsbestimmung des fortgesetzten Verbrechens als definitio pericülosa der Wissenschaft überlasten, den Begriff aber dabei namentlich durch den Ausdruck „selbständige Handlungen" doch implicite an­ erkannt oder ob es ihn vielmehr als unzulässig beseitigt habe. Für die letztere, wol dem Gesetz nicht entsprechende, Ansicht z. B. Oppenhoff, Meyer, für die erstere v. Schwarze, Rüdorfs, Berner, Schütze, Merkel, Stemann, Ortmann, Binding, Olshausen. Uebrigens verhalten sich Rüdorff und Schütze, zum Theil auch v. Schwarze ziemlich skeptisch gegenüber dem Begriff des fortgesetzten Ver­ brechens. Gegner der Annahme eines „fortgesetzten Verbrechens" überhaupt sind (wol mit Recht, vgl. Th. I. S. 739) Sander, Temme, Trümmer, Dietz, Oppenh off, v. Buri, Rubo, v. Lilienthal. — Das Reichsgericht erkennt in seinem Urtheil vom 1. Juli 1880 (Rechtspr. II. S. 148 ff.) den Begriff des fortgesetzten Verbrechens als einen gültigen an, ohne ihn zu besinnen; vgl. auch die Erkenntnisie vom 15. Mai und 10. Juni 1880 — Rechtspr. I. S. 788 ff. und II. S. 53 ff. — Daß sich ein fortgesetztes kulposes Delikt nicht denken laste, behaupten z. B. Köstlin, Marezoll, V.Schwarze, Hälschner, Berner, Stemann, anderer Meinung dagegen z. B. Mittermaier, Krug, v. Woringen, Geib, Schütze, Ortmann. Das Oesterr. StrafGB. stellt als Regel für alle Fälle, in welchen mehrere strafbare Handlungen deffelben Schuldigen Gegenstand der nämlichen Untersuchung und Aburtheilung find, die Anwendung der poena major J^in, bei deren Ausmessung die konkurrirenden Delikte als Straferhöhungsgründe („erschwerende Umstände") zu berücksichtigen sind. Eine Ausnahme bilden die Geldstrafen, insofern auf sie neben den verwirkten anderweiten Strafen stets gesondert zu erkennen ist, während für mehrere konknrrirende Geldstrafen die obige Regel ebenfalls gilt. — Der § 265 der Oesterr. StrafPO. ferner sagt: „Wird ein Angeklagter, gegen welchen bereitsein Strafurtheil ergangen ist, einer anderen vor der Fällung jenes Strafurtheils be­ gangenen strafbaren Handlung schuldig befunden, so ist bei Bemessung der Strafe für die neu hervorgekommene strafbare Handlung auf die dem Schuldigen durch das frühere Erkenntniß zuerkannte Strafe angemessene Rücksicht zu nehmen, so daß die im Gesetze für die schwerere strafbare Handlung bestimmte höchste Strafe nie über­ schritten werden darf." Der Oesterreichifche Richter kann hiernach ebenso wie der Deutsche es auch bei der in dem früheren Urtheil ausgesprochenen Strafe bewenden lasten, wenn' er findet, daß dieselbe auch für das neu zum Vorschein gekommene Verbrechen ausreiche. Ueber die prozeflualischen Gestaltungen mit Rücksicht auf den nach der Oesterr. StrafPO. gestatteten Vorbehalt der Strafverfolgung wegen der neu hinzugekommenen strafbaren Handlung s. Ullmann, Lehrbuch, S. 575 ff. — Ueber die Anwendung von § 264 Abs. 4 unserer StrafPO. wenn in der Haupt­ verhandlung reale statt der im Eröffnungsbeschluß angenommenen idealen K. zum

510

Konkurs.

Vorschein kommt s. das Reichsgerichtserkenntniß vom S. 163 ff.).

6. Juli

1880 (Rechtspr. II.

Gsgb.: Deutsches StrafGB. §§ 73-79 (Deutsche StrafPO. §§ 492, 494 Abs/3). — Oesterr. §§ 34, 35, 44 litt, a u. b, 267 (vgl. Oesterr. StrafPO. §§ 265, 264 Abs. 1). — Oesterr. Entwurf I. §5 75—79 (schließt sich im Allgemeinen dem Deutschen StrafGB. an, jedoch mit erheblichen Abänderungen int Einzelnen, namentlich wird das Prinzip der „Er­ höhung" der p. major für die reale K. konsequenter durchgeftthrt); II. §§ 75—80. — Beachtens­ werth der Finnische Entwurf und über diesen H. Hagströmer, Granskning af Förslaget till Strafflag etc., Upsala 1879 p. 77 sqq. Lit.: Savigny, De concursu delictorum formali, 1800 (auch in Savignh's ver­ mischten Schriften, 1850 Bd. IV.). — Bauer, Abh. Bd. II. S. 1 ff. — v. Rotteck, Ueber K. der Verbrechen, 1840. — A. O. Krug, Ueber die K. der Verbrechen, 1842. — John, Die Lehre vom fortgesetzten Verbrechen und von der Verbrechenskonkurrenz, 1860. — Dietz, Gerichtssaal 1860. — Geyer, ebenda 1861. — v. Buri, Abh., 1862, S. 94 ff. — v. Schwarze, Zur Lehre von dem sog. fortgesetzten Verbrechen, 1857. — Krug, Zur Lehre von dem fortgesetzten Verbrechen, 1857. — v. Woringen, Ueber den Begriff des fortgesetzten Verbrechens, 1857. — Merkel, Zur Lehre von dem fortgesetzten Verbrechen, 1862; Der­ selbe in v. Holtzendorff's Handb. II. S. 573 ff.; IV. S. 225 ff. — Stemann, Gerichts­ saal 1872, S. 23 ff. — Fuchs, das. S. 359 ff. — Ortmann, das. 1874, S. 67 ff. — Herseim, das. 1875, S. 466 ff. — Ortloff, Deutsche Strafrechtsztg. 1872 S. 199 ff.; G.A. 1873 S. 176 ff.— Pütter, das. 1874, S. 402 ff.— Herbst, das. S. 13 ff. — Ort­ loff, das. S. 422 ff. — Olshausen, Der Einfluß von Vorbestrafungen, 1876, S. 32 ff. — Rosenblatt, Die Strafenkonkurrenz, 1879. — Binding, Normen, I. S. 108 ff.; Der­ selbe, Grundriß, 2. Aufl., S. 644 ff. — v. Buri, Beilageheft zum Gerichtssaal 1879. — v. Lilienthal, Beitr. zur Lehre von den Kollektivdelikten, 1879, S. 55 ff. — Hiller, Gerichtssaal 1880 S. 195 ff. Geyer. Konkurs (concursus creditorum; v. Bar, Th. I. Suppl. S. 79 ff.) ist nach der Auffassung der Motive zur Deutschen KO. kein prozessualisches Verfahren, sondern eine der freiwilligen Gerichtsbarkeit angehörige, der Liquidation einer kauf­ männischen Firma ähnliche, unter richterlicher Autorität sich vollziehende Auseinander­ setzung des seine Leistungen einstellenden Schuldners mit allen seinen Gläubigern. Wie nutzbringend diese Auffassung auch für die praktische Einrichtung des K.Verfahrens durch mittelbare Nöthigung der Betheiligten zu gegenseitiger Vereinbarung, durch Lockerung der strengen Abgeschlossenheit der verschiedenen Stadien des Ver­ fahrens, wie sie im Gem. R. besteht, durch Entlastung des K.Gerichts von Entfcheidung mancher Streitigkeiten u. dergl. m. geworden ist, so kann dieselbe An­

gesichts der auch von der Deutschen KO. getroffenen Bestimmungen und bei dem Charakter der realen Verhältnisse wissenschaftlich doch nicht für völlig zweifelsfrei angesehen werden. Die richterliche Autorität, unter welcher der K. sich vollzieht, regulirt denselben eben durch verbindende Entscheidungen und zwingende Verfügungen, die nur durch Rechtsmittel, nach der Deutschen KO. namentlich die sofortige Be­ schwerde, wieder aufgehoben werden können. Schon der Antrag der Gläubiger auf K.Eröffnung ist an die prozessuale Begründung und Glaubhaftmachung feiner Vor­ aussetzungen gebunden und wird nach Gehör des Schuldners entschieden, und auch der Antrag des Schuldners, insbesondere wo als solche Gesellschaften in Betracht kommen, bedarf der richterlichen Prüfung und Entscheidung. Rach eröffnetem K. hat jede Anmeldung einer Forderung außer Gegenstand und Werthbetrag auch Grund und Vorrecht der Forderung zu enthalten und müssen ihr urkundliche Beweisstücke angelegt sein. Ihre Anerkennung und Befriedigung ist nicht der Vereinbarung zwischen Gläubiger und Schuldner oder dem ihn vertretenden Verwalter überlassen, sondern die Forderung ist auch der Bestreitung intervenirender Mitgläubiger aus­ gesetzt und muß, sobald sie von Verwaltern oder Mitgläubigern nicht eingeräumt wird, im gewöhnlichen Verfahren und zwar meistentheils vorhin K.Gericht oder dem ihm entsprechenden Landgericht auf Grundlage der Anmeldung vollständig er­ wiesen werden und ist die über sie ergehende rechtskräftige Entscheidung in der Gläubigertabelle wieder zu vermerken. Die Aussetzung einer Vertheilung, Ein-

KsukurS.

511

Wendungen gegen das Verzeichniß der bei einer solchen zu berücksichtigenden Gläubiger unterliegen der Entscheidung des K.Gerichts; ebenso die Einstellung des K. und ein etwaiger Zwangsvergleich und die Klage aus Wiederausnahme des K.Verfahrens. Nimmt man dazu die K.Eröffnung mit ihren in Vermögen und Freiheit des Schuldners eingreifenden Zwangsmaßregeln und mit der Ausschließung von Spezialerekutionen der einzelnen Gläubiger, die Aufsicht des Gerichts über den Verwalter mit dem Rechte, auf Antrag des Gemeinschuldners dem Verwalter Handlungen zu untersagen, die Anordnung der Hinterlegung von Geld, Werthpapieren, Pretiosen und von einbehaltenen Dividenden und Anderes mehr, so wird man, wenn man dm Prozeß nicht lediglich in die Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten setzt und die Voll­ streckung als einen Bestandtheil des Prozeffes anerkmnt, wie es auch die Dmtsche EPO. thut, den K. nicht der freiwilligen Gerichtsbarkeit, sondern nur dem Prozeß überweism dürfen. Man hat darum nach der Deutschen, gleichwie nach der Oester­ reichischen KO. und dem Gem. R. den K. zu bestimmen als ein exekutivisches Ver­ fahren, durch welches die Gläubiger eines zahlungsunfähigen Schuldners aus deffm mit Arrest belegtem Vermögen befriedigt werden, und zwar nach einer gewissen Rangordnung unter ihnen, soweit sie nicht als sog. Separatisten ex jure dominii, Vindikanten, Aussonderungsberechtigte, auf Naturalrestitution oder als sog. Separatistm ex jure crediti, Absonderungsberechtigte, auf Sonderbefriedigung aus einzelnm Vermögensbestandtheilm Anspruch besitzen. Die Deutsche KO. läßt die K.Maffe nur zur Befriedigung der persönlichen K.Gläubiger dienen, während Aus- und Ab­ sonderungsberechtigte ihre Befriedigung im gewöhnlichen Verfahren zu suchen haben. Dabei ist indeffen nicht zu übersehen, daß der Generalarrest auch nach der Deutschen KO. die Befriedigungsobjekte derselben mitergreist, daß ihre Ansprüche der Aner­ kennung des Verwalters bzw. auch des Gläubigerausschuffes bedürfen, und daß die Absonderungsberechtigten, auch abgesehen von ihrem Recht als K.Gläubiger auszu­ treten, dem Betriebe der Zwangsvollstreckung durch den Verwalter regelmäßig nicht entgegentreten, und selbst wo sie das Recht der Befriedigung ohne gerichtliches Ver­ fahren haben, vom Verwalter zur Verwerthung binnen Frist gmöthigt werden können. — Seiner Geschichte nach ist der K. Deutschen Ursprungs, aus dem Deutschen Arrest, wofür hinreichende Zeugniffe vorliegen, erwachsen, indem sich an den Arrest die Versteigerung (Vergantung) der Güter und die Auszahlung des Erlöses an die Gläubiger, anfänglich nach der Zeit der Erhebung des Anspruchs, dann pro rate nach der Markzahl, endlich unter Zulaffung von Vorrechten z. B. für Leutelohn, Rindermiethe u. s. w. anschloß. Manche dieser Vorrechte find im Laufe der Zeiten in verwandte Römische umgewandelt worden, Römische Vorrechte find rezipirt wordm und ganze Römische Institute wie die cessio bonorum und der K.Kurator find in das Deutsche K.Verfahren eingedrungen. Gleiches gilt aber nicht von der Grund­ lage des Römischen R., der missio in bona, welche den Deutschen Arrest nicht zu verdrängm vermocht hat. Der zwischen beiden bestehende Gegensatz, daß bei jener die Gläubiger an den Gütern des Schuldners custodia, Besitz- und Verkaufsrecht erlangen, bei diesem dagegen der Schuldner nur die Verfügung verliert und letztere auf den Richter und von diesem an den K.Verwalter übergeht, erweist sich von durchgreifender Bedeutung für den Umfang der Masse, für die Stellung des Schuldners zum Vermögen, für das Verhältniß der Gläubiger zu ihm, seinem Gute und unter sich, und für die Frage, wessen Vertreter der Verwalter ist. — Das Französische R. beschränkt den K. auf Kaufleute, gegen welche bei Zahlungseinstellung das Handels­ gericht denselben von Amtswegen eröffnet; gegen sonstige Schuldner findet nur die gewöhnliche Zwangsvollstreckung statt. In Anlehnung an das Französische R. und die ihm folgende Preußische KO. von 1855 unterscheidet die Oesterreichische KO. zwischen kaufmännischem und gem. K. Die Deutsche KO. hat diese Unterscheidung fallen lassen und den K. mit dem Gem. R. für alle Schuldner, unter welchen sie auch Handelsgesellschaften und Genossenschaften, aber nicht Gemeinden aufführt, in

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Konkurs.

gleicher Weise geordnet. — Die Deutsche und Oesterreichische KO. scheiden nach dem Borgange Schweppes zwischem materiellem und formellem K.Recht. Diese Scheidung hängt nicht mit der älteren zwischen materiellem (nach Einigen auch imminentem) und formellem K. zusammen, welche Gönner beseitigte und welche unter­ materiellem K. den thatsächlichen Zustand der Insolvenz des Schuldners, unter­ formellem K. das Recht und Verfahren nach rechtlich eröffnetem K. verstand. Viel­ mehr begreifen diese KO. unter formellem K.Recht die eigentlichen, den K. als solchen regelnden Bestimmungen, unter materiellem K.Recht dagegen, welches sie dem größeren Theile nach im ersten Buche bzw. ersten Theile regeln, alle diejenigen Vorschriften, welche die Einwirkung des K. und der K.Eröffnung auf die privaten Rechtsverhält­ nisse des Schuldners, der Gläubiger und dritter Personen normiren. — Das formelle K.Recht zerfällt in das Eröffnungsverfahren und in das Verfahren nach eröffnetem K. Beide sind im Grunde geschiedene Prozeduren mit verschiedenen Zielen, das Eröffnungsversahren bezweckt Verhängung von Generalarrest und Generalexekution, das Verfahren nach der Eröffnung Befriedigung im Wege der Generalexekution. Insofern aber die letztere genau betrachtet auch das letzte Ziel des Eröffnungsantrages ist und die Verhängung des Arrests und der Generalexekution sich nur als eine der Vollstreckungsstufen darstellt, durch welche zur Befriedigung gelangt wird, bilden sie in Wahrheit ein einheitliches Ganze, weshalb die Deutsche KO. berechtigt gewesen ist, Grundsätze, wie die der offiziellen Prozeßleitung und der Ausschließung der mündlichen Verhandlung auf beide Prozeduren in gleicher Weise anzuwenden. — Das Verfahren nach eröffnetem K. zerlegt man wissenschaftlich in die Konstituirung der Aktivmasse, in der Deutschen KO. „Theilungsmasse" , und in die Konstituirung der Passivmasse, in der Deutschen KO. „Schuldenmasse". Dabei handelte es sich nicht um aufeinanderfolgende Stadien des Verfahrens, sondern nur um die wissen­ schaftliche Sonderung verschiedener Thätigkeitsäußerungen. Die Konstituirung näm­ lich der Aktivmasse gehört der ökonomischen Verwaltung des Vermögens an und umfaßt alle Handlungen, durch welche der Verwalter bzw. unter Theilnahme von Ausschuß und Versammlung der Gläubiger und eventuell auch Entscheidung des Gerichts das Vermögen des Schuldners zusammenbringt, sicherstellt, nutzbar macht, ftemdes Gut aussondert bzw. Objekte der Sonderbesriedigung absondert und das Uebrigbleibende in Geld umsetzt, die Konstituirung der Passivmasse dagegen die Prüsung und Feststellung der Forderungen der Gläubiger und die Vertheilung des Vermögenserlöses unter sie. Im Gem. R. vollzieht sich die letztere Thätigkeit durch die Stadien des Professionsverfahrens, in welchem die Gläubiger in dem durch die Ediktalcitation bestimmten Termin bzw. Frist ihre Ansprüche beim K.Gerichte an­ zumelden haben, des Liquidations- auch wol Justifikationsv erfahrens, in welchem sie ihre Ansprüche gegen den Kontradiktor oder curator ad lites als Vertreter des Gemeinschuldners und gegen etwa intervenirende Gläubiger zu begründen und im Bestreitungsfall in speziellen Liquidationsprozessen auch zu erweisen haben, worauf ein alle Ansprüche umfassendes Prioritäts- oder Lokationsurtheil ergeht, und endlich des Distributionsverfahrens, in welchem nach Maßgabe eines auf Grundlage des Prioritätsurtheils und der späteren Entscheidungen angesertigten Distributions­ bescheides die Vertheilung des Erlöses der Masse bewirkt wird, womit dann der K. sein Ende erreicht, wenn er dasselbe nicht schon früher durch Akkord oder Befriedigung der Gläubiger erlangt hat. Anmeldung der Forderungen, Prüfung und Feststellung derselben, sowie Vertheilung des Erlöses aus dem Vermögen an die Gläubiger sind natürlich auch die Grundzüge des Verfahrens der Oesterreichischen und der Deutschen KO. Aber wie diese Gesetze durch genaue und bestimmte Rormirung des materiellen K.Rechts und der Verwaltung des Schuldnervermögens die Interessen der Betheiligten nach den verschiedensten Richtungen sichergestellt haben, so bekunden sie auch dem bisherigen Rechte und namentlich dem Gem. Rechte gegenüber insofern wesentliche Fortschritte, als sie und insbesondere die Deutsche KO. durch Vorschrift der Angabe

-oittrrrseröffrm»-.

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des Werthbetrages der angemeldeten Forderungen, durch Beseitigung der Präklusion iür nicht rechtzeitig angemeldete Forderungen, durch Aushebung des Prioritätsurtheils und Distributionsbescheides und Ersetzung derselben durch eine vom Gerichtsschreiber, in Oesterreich vom Verwalter angefertigte Gläubigertabelle und die vom Verwalter für die Verkeilungen aufgestellten Verzeichnisse, in Oesterreich förmliche Vertheilungsentwürfe, durch Verweisung endlich der Spezialprozefie über bestrittene Forderungen aus dem K.Verfahren der Entstehung mancher Streitigkeiten vorgebeugt, die scharfe Sonderung der verschiedenen Stadien des Verfahrens im Gem. R., welche bei der Maffe der festzustellenden Ansprüche die K. verewigte, gelockert, das Verfahren gegm Verwickelungen gesichert und die Geschästslast des K. Gerichts, in Oesterreich des K.Kommifiärs, um ein Erhebliches erleichtern.

Quellen: Oesterreichische KO. §§ 26 ff., 30 ff, 42, 103, 137 ff, 194 ff. - Deutsche KO. 88 2, 3, 35 ff, 39 ff, 64 ff, 75, 96, 127 ff, 160 ff., 188 ff.; Motive 6. 9 ff, 14 ff., 297 ff. — Code de comm. art 437 bs. (Loi bot les faillites et banquerootes du 28. mai 1838. - Tit I. 4, 6. - D. 42. - C. 7, 71. 72. Lit.: de Samoza, Labyrinthos ereditoruin, Frcf. 1663 — Dabelow, Lehre vom K, 1801. — Schweppe, K. d. Gläub, 1829. — Gönner, Handb d. Gem. Proz, Bd. IV. Abhandl.LXXXII. 88 3, 16. — Danz, Summar. Proz, §8 144 ff. — Bayer, Theorie d. K.Proz, 1850. — A. C. I. Schmid, Handb. deS Gem. Civ.Prz, 88 208 ff. — F. Wyß, Gesch. deS K.Proz. in Zürich, 1845, S. 19 fL 35, 60. — v. Meibom, Deutsches Pfandrecht, S. 147 ff, 448 ff. — Wach, Arrestprozeß, S. 163 Anm. 26 und Zeitschr. für RechtSgesch. Bd. VH. S. 453 ff. — Fuchs, Deutscher K.Proz, 88 1 ff- — Drechsler, Arch. für civ. Prax. Bd. 62 S. 425 ff. — Kommentare zur Deutschen KO. von Stieglitz, Einl. 88 2 ft, v. Wilmowski, S. 2 ff, 191 ff, v. Dölderndorff, Abth. I. 88 1 ff-, Abth. II. §8 2 ff. K. Wieding. KoukurAeröffnuug (v. Bar, Th. I. Suppl. S. 87) ist die richterliche Ent­ scheidung, durch welche über das Vermögen eines insolventen Schuldners General­ arrest und K.Exekution verhängt werden. Was zunächst das Gem. R. anlangt, so kann der K. entweder auf cessio bonorum des Schuldners oder auf Andringen der Gläubiger im sog. präparatorischen Verfahren, wie es Gönner bezeichnet hat, erkannt werden, niemals aber, da hier die Verhandlungsmaxime Platz greift, von Amts­ wegen, wenn auch eine K. ex officio von einzelnen Schriftstellern bei heimlicher Entfernung des Schuldners und Insolvenz eines erblosen Nachlasses angenommen worden ist. Die cessio bonorum hat schon an anderem Orte ihre Darstellung gefunden, auf welche hier zu verweisen ist. Das Andringen der Gläubiger aber hat, was freilich nicht allgemein gelehrt wird, zur Voraussetzung, daß der Implorant, da es sich um Generalarrest und Generalexekution nach der Rangordnung handelt, zunächst seine Forderung, sodann Umstände, welche die Unfähigkeit des Schuldners zur Befriedigung seiner Gläubiger ergeben, und endlich die Eröffnung der Spezial­ exekution zu Gunsten wenigstens eines Gläubigers, welcher dem Imploranten gegenüber zur Einlaffung auf die Rangordnung verpflichtet wäre und darum durch die Sonder­ exekution befielt Rechte gefährdet, sofort liquidire. Auf das K.Gesuch, welches auf Befriedigung oder Sicherstellung binnen Frist bei Vermeidung des K. zu richten ist, wird gegen den Jmploraten ein entsprechender Zahlungsbefehl abgegeben. Der Beklagte kann diesen Befehl nur mit sofort liquidirlichen Vertheidigungsmitteln anfechten, zu welchen auch die Einreden der Stundung, der cessio bonorum, der Kompetenzwohlthat und bei Erben der Deliberationsfrist, insbesondere aber auch der Nachweis der Zahlungsfähigkeit durch Vorlage eines Vermögensstatus gehört, zu dessen Liquidirung der Jmplorat um Vorladung der bekannten Gläubiger zur Fest­ stellung der Passiva und Vorladung Sachverständiger zur Schätzung der Aktiva bitten muß. Werden die Einreden verworfen oder schweigt der Jmplorat, so ergeht das decretum de aperiundo concursu, mit dessen Zustellung an den Schuldner der K. eröffnet ist; dasselbe ist durch Rechtsmittel anfechtbar, welche bezüglich des Generalarrests jedoch keine Suspensivwirkung besitzen. — Die Oesterreichische v. Holtzendorff, «nc. II. Recht-lexikon II.

3. «uff.

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Konkurseröffnung.

KO., welche, wo die Aktiva die K.Kosten nicht decken, von KE. absieht, unter­ scheidet mit der Preußischen KO. von 1855 und in Anlehnung an das Französische Recht den kaufmännischen und den gemeinen K. Der gem. K. wird aus Antrag des Schuldners, seines Erben, seines Nachlaßkurators ohne Weiteres erkannt, auf Antrag der Gläubiger, wo der Schuldner flüchtig ist oder sich verborgen hält, auf Be­ scheinigung der Forderung und der Gefährdung der Gläubiger, in anderen Fällen nur auf Nachweis der Verfolgung des Schuldners mit Exekutionen und urkundlichem Beweis der Forderung. Der Schuldner und wenn er flüchtig ist oder sich ver­ borgen hält, der für ihn eingesetzte curator absentis können den Antrag im Verhand­ lungstermin mit gleichen Vertheidigungsmitteln wie im Gem. R. bekämpfen. Er­ scheint er im Termine nicht oder wird seine Vertheidigung verworfen, so wird die KE. durch einen motivirten Bescheid erkannt, gegen welchen eingewandte Rechtsmittel ohne Suspensivwirkung sind. Kaufleute, bei Gesellschaften die persönlich haftenden Gesellschafter oder die Liquidatoren, bei Aktiengesellschaften die Vorstandsmitglieder oder die Liquidatoren, haben bei Zahlungseinstellung die Pflicht, dieselbe unter Ein­ lieferung der Handlungsbücher, einer Vermögensbilanz und unter Anbietung des Manifestationseides dem K.Gericht anzuzeigen, und auf eine solche Anzeige, wie auf direkten Antrag des Schuldners ist der K. ohne Weiteres zu eröffnen. Für den Antrag der Gläubiger aber ist Beweis der Zahlungseinstellung, sowie Bescheinigung der Forderung vonnöthen. Gegenüber solchem Anträge richtet sich die Vertheidigung daher gegen Zahlungseinstellung und Forderung. Wird sie verworfen oder bleibt der Schuldner im Verhandlungstermin aus, so tritt die KE. ein, bei Gesellschaften auch gegen die persönlich haftenden Gesellschafter. Der Zeitpunkt der KE. bestimmt sich durch den Anschlag eines K.Edikts am Gerichtshause, welches außerdem öffent­ lich durch die Zeitungen bekannt zu machen ist, und in welchem zugleich der K.Kommissär und der vorläufige K.Verwalter zu bezeichnen und die Tagfahrten zu Neuwahl oder Bestätigung des Verwalters, zur Anmeldung und zur Liquidirung der Forderungen, sowie die Zeitungen, durch welche fernere Bekanntmachungen er­ gehen sollen, anzugeben sind. Dazu kommen Anzeigen an Dienstbehörden, Staats­ anwaltschaft, zu Grundbüchern, Landtafeln, Stadtbüchern. — Die Deutsche KO. kennt nur einen K., welchen sie, abgesehen gleichfalls von zur Deckung der Kosten nicht genügenden Massen, auf Antrag entweder eines Gläubigers oder des Schuldners, seiner Erben oder Nachlaßvertreter, bei Handelsgesellschaften der persönlich haftenden Gesellschafter oder Liquidatoren, bei Aktiengesellschaften und eingetragenen Genossen­ schaften der Vorstandsmitglieder oder Liquidatoren, niemals aber von Amtswegen eröffnen läßt. Der Antrag eines Gläubigers, auch eines Absonderungsberechtigten, der auf KE., nach Umständen auch auf sofortige Verhaftung des Schuldners oder andere Arrestmaßregeln zu richten ist, erfordert nur Glaubhaftmachung der Forde­ rung, die sogar eine bedingte sein darf, sowie der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners, welche aus Zahlungseinstellung, ohne daß diese eine allgemeine zu sein brauchte, aus fruchtlosen Exekutionen, Flucht und anderen Umständen geschlossen werden kann. Ist der Schuldner verstorben, so genügt statt der Zahlungsunfähigkeit Ueberschuldung des Nachlasses, und zwar auch wenn der Erbe noch deliberirt; ist im Auslande K. über den Schuldner eröffnet, so genügt die ausländische KE. Bei Aktiengesellschaften und überschuldeten aufgelösten Genossenschaften sind Zahlungsunfähigkeit oder Ueber­ schuldung alternativ K.Gründe. Ueber den Antrag ist, nöthigenfalls unter Verfügung von Haft und anderen Arrestmaßregeln und zwar auch von Amtswegen, der Schuldner zu hören, und wenn er abwesend ist oder eine öffentliche Zustellung an ihn erforder­ lich wäre, wenn thunlich ein Vertreter oder Angehöriger desselben. Der Schuldner kann außer der Forderung die Zahlungsunfähigkeit, Ueberschuldung oder auswärtige KE. durch Einreden oder Gegenbeweise bestreiten, Aktiengesellschaften und Genossen­ schaften namentlich auch durch die Einrede des vertheilten Vermögens, die letzteren auch durch die Einrede der zur Begleichung der Schulden laufenden Frist. Dagegen

KonürrSGericht.

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find die Einreden der Stundung, der cessio bonorum, des beneficii deliberandi aufgehoben. Das Gericht kann zur Feststellung insbesondere des K.Grundes die er­ forderlichen Ermittelungen auf Antrag oder von Amtswegen vornehmm, ebmso auch vorläufige Verfügungen erfassen, die Borführung des Schuldners oder auch mit Rücksicht am Sicherung seiner späteren Vernehmungen, auf etwaige Kollusionen rc. seine Verhaftung verfügen. Nach Beendigung der Kognition erkennt das Gericht durch Beschluß, gegen welchen die sofortige Beschwerde dem Schuldner, jedoch ohne Suspensivwirkung, wie auch dem abgewiesenen Gläubiger zusteht, auf Abweisung oder KE., in welchem letzteren Falle im Beschluß mit Rücksicht auf Nichtigkeit und Anfechtbarkeit etwaiger Dispositionen des Schuldners, auf Kompensationen, Spezial­ exekutionen rc. die Stunde der KE. angegeben sein und eventuell die Mittagsstunde des Beschlußtages als solche gelten soll. Für den Anttag des Schuldners auf K (s. den Art. Anmeldung im Konkurse) find Zahlungsunfähigkeit rc. K. Gründe, ebmso wie bei Anttag eines Gläubigers, und find von ihm durch Einreichung oder unver­ zügliche Nachlieferung eines Verzeichnisses seiner Gläubiger und seiner Güter glaub­ haft zu machm, woraus ohne weitere Ermittelungen die KE., wie vorhin angegeben, durch Beschluß erkannt werdm kann. Wo dagegen von mehrerm Erben, Nachlaßverttetem, Gesellschaftern, Vorstandsmitgliedern, Liquidatorm nur einzelne den Anttag gestellt, find die übrigen vom Gerichte zunächst zu hören und tonnen weitere Er­ mittelungen vor der Entscheidung nöthig werden. Mit jeder KE. hat das K.Gericht zugleich den offenen Arrest, Anmeldefrist und Prüfungstermin anzuordnen und den K.Verwalter, den Termin zu deffen Neuwahl und Wahl eines Gläubigerausschuffes zu bestimmen, wobei es bei geringfügigen Mafien und wenig Gläubigern die Termine verbinden kann. Der Gerichtsschreiber hat Arrest, Anmeldefrist und Termine den bekannten Gläubigern durch Zustellung und außerdem öffentlich bekannt zu machen, die KE. auch der Dienstbehörde des Schuldners, zu Handels- und Genoffenschafts­ und ähnlichen Registern unter schriftlicher Mittheilung der Formel des Beschlusses und Benennung des K.Verwalters anzuzeigm, ihnen selbstverständlich auch von Wiederaufhebung des K.Befchluffes Nachricht zu geben und dieselbe auch öffmtlich bekannt zu machen.

Quellen: Deutsche KO. §8 5 ff., 94 ff., 193 ff.; Mot. S. 319 ff, 341 ff.; EG. § 4; Preu^ AG. § 15. — GenofienschastSgeseh vom 4. Juli 1868 § 68. — Oesterreich. KO. §§ 62 ff., 67 ff., 88 ff., 102, 194 ff., 198 ff. - Code de comm. art. 437. Lit.: v. Gönner, Handv. des Civ.Prz., Bd. IV. Abhandl. LXXXIL 8 21. - A. C. I. Schmid, Handb. d. Civ.Prz., 8.216.— Wach, Arrestprozeß, Th. I. S.99; De rselbe, Ztschr. f. Rechtsgesch. Bd. VII. S. 453 ff. — Fuchs, Deutscher K.Prz., §8 23, 36 ff. — Kommmtare zur Deutschen KO. l.L von Sarwey, v. Dölderndorff, v. Wilmowski, Hullmann, Stieglitz. K. Wreding. Konkursgericht (v. Bar, Th. I. Suppl. S. 87) ist das Gericht, welches über Eröffnung des K. zu entscheiden und den erkannten K. zu leiten und zu erledigen hat. Nach Gemeinem Recht und der Deutschen KO. ist hierfür der generelle Gerichtsstand des Schuldners, und zwar auch bei Ueberschuldung seines Nachlasses, ausschließlich zuständig, bzw. bei Schuldnem, die im Deutschen Reich keinen Wohnsitz, wol aber eine Niederlaffung haben, der Gerichtsstand der letzteren anzugehen. Das Französische Recht, welches nur einen kaufmännischen K. kennt, erklärt das .Handelsgericht des Wohnsitzes für zuständig. In Oesterreich ist der Gerichtsstand des Wohnsitzes „in der Regel" entscheidend, ausnahmsweise bei Jnmobiliarmassen auch der der belegenen Sache. Wo mehrere Gerichte zugleich zu­ ständig sind, entscheidet nach Gemeinem Recht, der Oesterreichischen und Deutschen KO. die Prävention. Letztere bestimmt sich danach, welches Gericht seine Gerichts­ gewalt gegen den Schuldner durch Zustellung des K.Gesuchs, Verhängung von Arrest­ maßregeln rc. zuerst in Anwendung bringt; die Deutsche KO. läßt im Gegensatz selbst zur Deutschen CPO. die Priorität der Einreichung des K.Anttags entscheiden. —

33*

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Konkursmasse.

Nach Gemeinem Recht gebührt dem K. die Entscheidung und Vollstreckung bezüg­ lich aller Ansprüche, welche auf Gegenstände der K.Masse oder aus Befriedigung aus derselben gerichtet sind, mit Ausnahme allein solcher, welche bereits bei anderen Gerichten anhängig sind, bei welchen nur die Exekution dem KG. zusteht. Dabei kann ein Kollegialgericht für einzelne Geschäfte oder Erledigung auch ganzer KG. nach den allgemeinen Rechtsgrundsätzen Kommissäre deputiren; eine ständige Einrichtung in­ dessen sind diese Kommissionen im Gemeinen Recht nicht geworden. Nach Französischem Recht dagegen ernennt das KG., welches als Handelsgericht ja immer ein Kollegium ist, bei Eröffnung des K. aus seiner Mitte einen Kommissär mit widerruflichem Auf­ trage, dem die Erledigung des K. obliegt, nur daß die Entscheidung von Rechts­ streitigkeiten im K. dem Gerichte selbst Vorbehalten bleibt und Handlungen des Kommissärs beim Gerichte angefochten werden können. Die Oesterreichische KO. schließt sich hierin dem Französischen Recht an. Die Deutsche KO. dagegen hat den Amtsgerichten die K. als eigene Gerichtsbarkeit überwiesen, im Ganzen jedoch in einem an das Französische Recht erinnernden Umfange. Abgesehen nämlich von den bereits anhängigen Ansprüchen, ferner von den auf Aussonderung, Absonderung, Auf­ theilung gerichteten Ansprüchen, welche die Deutsche KO. vor die durch die CPO. geordneten Gerichtsstände verweist, gebührt dem Amtsgericht als KG. die Eröffnung und Erledigung der K., soweit es sich nicht um bestrittene K.Forderungen handelt, deren Kognition ihm zwar zusteht, wo die Forderung zur Gerichtsbarkeit der Amts­ gerichte gehört, sonst aber dem Landgerichte desselben Bezirks zukommt. Außerdem ist dieses Landgericht Beschwerdeinstanz gegenüber dem KG., so daß auch hierin ein Anschluß an das Französische Recht gegeben ist, nur daß eine Entscheidung des KG. vom Landgerichte niemals von Amtswegen aufgehoben werden kann. Quellen: Code de comm. art. 438, 441, 451 ss. — Oesterreichische KO. §8 58, 62, 70 ff. — Hannoversche BPrz.Ordn. von 1850 § 606. — Deutsche' KO. 8 ff, 64 ff, 134, 202, 208; Motive S. 293 ff. Lit.. Schweppe, Konk. der Glaub., 88 92 ff. — Fuchs, DeutscherKonk.Prz., 821.— R. Sydow, Deutsche KO., S. IX. ff. — Komment, z. Deutschen KO. 1.1. von v. Wil mowski S. 22 ff, 191 ff; v. Völderndorff, Abth. II. S. 12 ff. u. A. K. Wieding.

Konkursmasse (v. Bar, Th. I. Suppl. S. 82 ff.) ist im engeren Sinne das zur rangmäßigen Befriedigung der Gläubiger, nach der Deutschen KO. der K.Gläubiger, dienende, dem Gemeinschuldner gehörende und der Zwangsvollstreckung unterliegende Gut, im weiteren Sinne, in welchem auch die Deutsche KO. §§ 5, 6, 9, 31, 35, 38, 98, 102, 107, 112, 113, 190, 192 den Ausdruck gebraucht, alles dem Schuldner gehörende oder in seinem Gewahrsam befindliche Gut, welches letztere durch den mit dem K. verbundenen Generalarrest einstweilen zugleich mit dem dem Schuldner gehörenden Vermögen festgelegt und als Schüldnergut möglicherweise so lange festgehalten wird, bis es dem Berechtigten gelingt, seine Rechte dem Verwalter, nach der Deutschen KO. bei Werthen über 300 Mark auch dem Gläubigerausschuß, zur Ueberzeugung zu bringen oder rechtskräftig abzustreiten. Soweit es einem Vindikanten oder Aussonderungsberechtigten gelingt, fein Recht zur Anerkennung zu bringen, wird das betreffende Objekt aus der KM. ausgeschieden werden müssen, da die Gläubiger auf Befriedigung aus demselben kein Recht besitzen. Ebenso wird von der KM. der Werth einer Forderung abgehen müssen, welche der Gemeinschuldner gegen einen Dritten besaß, der seinerseits wieder an ihn eine Gegenforderung hatte und daher zur Aufvechnung befugt ist, ein Verhältniß, welches ja auch bei Auf­ theilung von Gemeinschafts- und Gesellschaftsverhältnissen eintreten kann. Zur Be­ friedigung der Gläubiger dient daher an sich nur das eigene Schuldnergut, beweg­ liches und unbewegliches, Forderungen und Rechte, einschließlich des Nießbrauchs am Vermögen von Ehefrau und Kindern des Schuldners, welchen die Deutsche KO. nur für die Dauer des Konkurses zur KM. zieht, einschließlich auch bedingter und betagter

fttntetfmoffr.

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Rechte, im Prozeß, den der Konkursverwalter aufnehmen kann, befangener oder nicht befangener, einschließlich endlich auch solcher Sachen und Werthe, welche vom Schuldner in der Abficht, sie der KM. und den Gläubigern zu entziehen, oder nach der Deutschen KO. von inländischen Gläubigern durch Kollusion mit Ausländern dem Vermögen entfremdet find; aber selbstverständlich immer nur, was einen Vermögenswerth, und einen Bermögenswerth auch für dritte Personen besitzt, also nur Vermögensrechte, welche, von der Person des Schuldners getrennt, noch einen Werth behalten, nicht die Jura personalissima, die wie usus, habitatio, Steuerfreiheit von der Person des Schuldners an sich unlösbar find; ferner nur erworbene Rechte, nicht solche, deren Erwerb noch durch Handlungen des Schuldners bedingt ist, wie das Recht aus Honorar für künftige schriftstellerische Leistungen oder für andere Dienste, das Recht auf Erbschaften, oder Vermächtnisse, das erst durch Antritt oder Annahme erworben werden soll, wogegen die Oesterreichische KO. sie der Gläubigerschaft statt des Schuldners anzunehmen gestattet. Sachen und Rechte des Schuldners ge­ hören aber auch weiter nur insofern zur KM., als sie vom Generalarreste ergriffen werden: daher auch die in Händen Dritter befindlichen Sachen und die von Dritten geschuldeten Bettäge, die nur an den Verwalter, nicht an den Schuldner heraus­ gegeben bzw. gezahlt werden dürfen, nicht aber das im Auslande befindliche Ver­ mögen des Schuldners, welches nur die Oesterreichische KO. zur KM. zieht, die Deutsche aber und das Gem. Recht, von Staatsvetträgen abgesehen, der Verfügung des Schuldners und der Spezialexekution der einzelnen Gläubiger überlasten; nicht das nach dem Arrestschlage erworbene Vermögen, welches freilich die Oesterreichische KO. und im Gem. Recht im Anhalt an die Römische cessio bonorum auch manche Schriftsteller und Gerichte zur KM. ziehen. Bestandtheil der KM. ist endlich.nur solches Gut des Schuldners, welches den Rechten nach Gegenstand der Zwangsvollstteckung sein kann, daher int Gemeinen R. die täglichen Kleider des Schuldners und seiner Angehörigen, sowie die ihm verliehenen Ehrenzeichen aller Art, und nach der Deutschen KO., die in der Deutschen CPO. §§ 715 und 749 der Pfändung ent­ zogenen Sachen und Rechte, jedoch mit Ausnahme von Geräthen, Gefäßen und Waaren d»er Apotheker, bei Landwirthen auch des landwirthschaftlichen Inventars und der bis zur nächsten Ernte erforderlichen landwirtschaftlichen Erzeugnisse, endlich des Inventars der Posthaltereien, von der KM. ausgeschlossen werden. Dagegen find Rechte, welche der Konkursverwalter und die Gläubiger wegen Insolvenz des Ver­ pflichteten oder aus anderen Gründen aufgeben, rechtlich immer Bestandtheile der K., bis dieselben vom Verwalter bzw. nach der Deutschen KO. vom Verwalter mit Zustimmung des Ausschuffes oder der Versammlung der Gläubiger für aufgegeben erklärt sind. Das gilt nach der Deutschen KO. auch von Gegenständen, an welchen Absonderungsberechtigten das Recht der Sonderbefriedigung zusteht, sofern ein Ueberschuß über deren Forderungen, der sonst in die KM. fällt, nicht zu erwatten ist. — Was hiernach als Bestandtheil der KM. erscheint, das hat der Verwalter mit oder ohne Prozeß zusammenzubringen, ficherzustellen, zu verwalten, nutzbringend zu machen und demnächst zu verwetthen, über das Unverwetthbare aber die Beschließung der Gläubiger herbeizuführen, wobei nach der Oesterreichischen KO. auch der Gläubiger­ ausschuß vorher zu hören ist. Der Erlös ist reine Aktivmaffe, die man auch wol als Nettomaffe bezeichnet, und wird an die Gläubiger, und zwar zunächst an die Maffegläubiger, und nach deren Befriedigung an die Konkursgläubiger vettheilt, wes­ halb auch die Deutsche KO. diese Aktivmaffe als Theilungsmaffe treffend bezeichnet hat. Quellen: 1. 29 D. 42, 5. — 1. 6 D. 42, 8. - Deutsche KQ. §§ 1 ff., 6 ff., 15 bis 63, 101 ff., 137 ff.; Mot. S. 18 ff. — Deutsche- PostGes. vom 28. Okt. 1871 § 20. — Österreichische KO. §§ 1, 4 ff., 26, 30, 61, 76 ff., 86 ff., 92, 95, 139 ff. Lit.: Gönner, Handb. des Gem. Prz., Bd. IV. Abh. LXXX1I. § 11. — Schweppe, Konk. der Gläub., 88 35 ff. - Bayer, Konk.Prz., 8 25. — FuchS, Deutscher Konk.Prz., 68 7, 20. — Kommentare zur Deutschen KO. l.I. von v. Dölderndorff, v. WilmowSkr, varwey, Stieglitz, Hullmann u. A. K. Wieding.

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führung de- St.,

bedeutet hier, im Unterschiede vom Verfahren zur Herbei­ welche- seine selbständige Darstellung (s. d. Art. KonkurS-

erüsfnung) bereit- gesunden hat, da- nach eröffnetem St. eintretende Bersahrei (v. Bar, Th. I. Suppl. S. 82, 86 ff). Seinen Au-gang nehmend im Gemeine»

Recht von dem, St. und Generalarrest verhängenden, decretam de aperiundo concorsa, nach der Deutschen ÄD. vom Eröffnung-beschluß, nach der Oesterreich, von Eröffnung-bescheide und Kontur-edikt, bewegt sich da- KB. in zwei Richtungen, nämlich zur Konstituirung der sog. Aktivmaffe, in der Deutschen KO. Theilung-masse, und zur Konstituirung der sog. Paffivmaffe, in der Deutschen KO. Schuldenmasse, welche Thätigkeiten gleichzeitig neben einander sortgehen, nicht sucresfive auf einander folgen

Die Konstituirung der Aktiv- oder Theilung-masse, welche alle zm Ermittelung, Herbeischaffung, Sicherstellung, Nutzbarmachung, Verwaltung, Be­ reinigung und Verwerthung der Vermögen-stücke de- Schuldner- erforderlichen Hand­ lungen begreift, wird im Gemeinen Recht vom Gerichte oder einem Konkursverwalter (curator massae, Maffeverwalter), nach der Oesterr. und Deutschen KO. aus­ schließlich vom Konkursverwalter bewirkt. Die Ermittelung detz Vermögens, soweit

e- sich nicht schon in den vom Schuldner brwohnten Räumen befindet, wird dem Verwalter ermöglicht durch Einficht der Papiere und Geschäftsbücher des Schuldner-, die nach der Oesterr. KO. im Protokoll über die Versiegelung zu beschreiben bzw. nach der Deutschen KO. vom Gericht-schreiber abzuschließen sind; durch persönliche Au-kunst-ertheilung de- Schuldner-, welcher, im Gem. Recht zusammt seiner Familie und seinm Hau-gmoffen, dm OffmbarungSeid aus Verlangen des Verwalters zu schwören verpflichtet ist und dazu vom Gerichte bzw. in Oesterreich durch dm Äon» kurSkommiffär angehalten, nach der Deutschm KO. vom Verwalter vor da- Konkurs­ gericht als Amtsgericht geladm wird; durch Einsicht von Bank- und Hypothekmbüchern, durch Erkundigung bei drittm Personen, durch Anzeigen von Faustpfand­ gläubigem und RetmtionSberechtigten, nach der Dmtschm KO. von allen Personen, welche BermögmSsiücke des Schuldners in Händm haben oder ihm etwas schuldig find; nach der Oesterr. und Dmtschm KO. durch die vom Konkursgericht aus­ gehende Anweisung der Post- und Telegraphenanstalten, dem Verwalter die sür dm Schuldner bestimmten Briefe, Smdungm und Telegramme auSzuhändigcn; nach der Deutschm KO. bei Prozeffm, die in Folge des St. sofort unterbrochen werden, auch durch Anzeige oder Ladung des Prozeßgegners zur Ausnahme des Verfahrens. Die Herbeischasfung der Vermögen-objekte aus dm .Händen des Schuldners oder dritter Personen bewirkt der Verwalter durch Wegnahme und Exmission, durch Eintritt in schwebende Prozesse, durch Abschluß von Vergleichm und Schiedsverträgen, zu welchen er nach der Deutschen KO. bei Werthen über 300 Mark die Zustimmung deS GläubigerausschuffeS einholen soll, durch Erhebung von Klagen, insbesondere auch der actio Pauliana (s. d. Art. Ansechtungsklage), welche nach der Deutschm

KO. sogar ihm allein zuständig ist. Zur Sicherstellung semer des Vermögens dimm die öffentliche Kundmachung des Arrests, die amtliche Versiegelung von Räumen und Behältniffen, die vorhin genannte Anhaltung von Briesen, Postsendungen, Tele­ grammen, die Deposition insbesondere von Geld, Werthpapieren und Pretiosen, über welche nach der Deutschen KO. vorerst die Anordnung des Gerichts und später der Gläubigrrausschuß entscheidet, semer die Ausnahme eines Inventar- mit Werthschähung der Gegenstände, nach der Deutschen KO. aber theils eine, freilich unter Umständm erläßliche, zur Äontrott deS Verwalters bestimmte und bei der Entsiegrlung von ihm vorzunehmende Auszeichnung der BermögmSstücke mit Werthschähung, theils ein zur Klarstellung der Vermögenslage vom Verwalter anzusertigendes Inventar sammt Bilanz, im Anhalt an welche der Verwalter auch in der ersten Kläubigervrrsammlung über die Sachlage und die bisher ergriffenm Maßregeln, zugleich aber über die Entstehung der Insolvenz des Schuldners Bericht zu erstatten hat. Tie Nutzbar­ machung und Verwaltung des Vermögens bewirkt der Verwalter durch Fortftthmng

des Schuldnergeschäfts oder Betriebes, nach der Deutschen KO. zunächst auf eigene Verantwortlichkeit, später nach Anweisung des Ausschuffes, eventuell der Versamm­ lung der Gläubiger, ferner durch Verpachtung von Grundstücken, zinsbare Anlage von Geldern, Einziehung von Früchten, Zinsen und Renten, Zahlung von Zinsen, Pränlien, Löhnen, überhaupt wie die Verhältniffe und Umstände es mit sich bringen, wobei nach der Deutschen KO. Aufnahme von Darlehen, Erstehung von Grund­ stücken, Verpfändung von Maffegegenständen unbeschränkt, und die Einlösung von Pfandstücken bei wenigstens 300 Mark Werth der Genehmigung des Ausschuffes, und eventuell der Versammlung der Gläubiger unterliegm. Insofern die Masse zur Befriedigung der Gläubiger dienen.soll, dazu aber nur dem Schuldner gehörende Sachen und Rechte verwendet werden können, hat der Verwalter den Vindikanten oder Aussonderungsberechtigten die ihnen gehörenden Sachen nach oder ohne Prozeß, nach der Deutschen KO. bei Werthen über 300 Mark in letzterem Falle nach ein­ geholter Zustimmung des Gläubigerausschuffes, auszukehren, nach der Deutschen KO. auch Gegenstände, an welchen ein Recht auf Sonderbefriedigung zusteht, bei Werthen über 300 Mark unter Zustimmung des Ausschuffes oder in Folge Urtheils ab­ zusondern, und wo ein Ueberschuß zu erwarten steht, für die Einziehung deffelbm zur Maffe zu forgm. Auch die Anerkennung und Aufrechnung von Gegenforderungen, sowie die Gewährung des nothdürftigen Unterhalts an den Schuldner und deffm Familie, für welche der Verwalter im Gem. Recht die Entscheidung des Gerichts, im Oesterr. Recht die Zustimmung der dadurch geschädigten Gläubiger, nach der Deutschen KO. zunächst die Genehmigung des Gerichts und danach des Ausschuffes der Gläubiger einzuholen hat, gehören hierher. Was hiernach an Maffegegenständen übrig bleibt, wird vom Verwalter, soweit es nicht in Gelde besteht oder als unverwerthbar hinsichtlich seiner Aufgabe, Ueberweisung an einzelne Gläubiger rc. der schließlichen Bestimmung der Gläubiger, nach der Deutschen KO. im Schlußtermin, Vorbehalten bleiben muß, zu Gelde gemacht. Der Verkauf geschieht im Gemeinen Recht und in Oesterreich fast immer aus gerichtlichem Wege, nach der Deutschen KO. aber vorzugsweise vom Verwalter aus freier Hand, wobei zu Veräußerung von Forderungen und Immobilien die Genehmigung des Ausschuffes bzw. des Ausschuffes oder der Versammlung der Gläubiger erforderlich ist. — Die sog. Konstituirung der Passiv- oder Schuldenmasse beginnt im Gemeinen Recht durch den Erlaß einer Ediktalladung an die Gläubiger, ihre Ansprüche bei Vermeidung des Ausschluffes von der Konkursmasie in einem dazu angesetzten Liquidations- oder Profesfionstermin oder binnen Frist beim Konkursgerichte anzu­ melden. Die Anmeldungen, welche, auch wenn sie in Eingabe einer bloßen Rechnung bestehen, immer als Exekutionsgesuche aufzufaffen find, werden im Termin, wo auch über Akkord oder Stundung verhandelt werden kann, nach der Reihenfolge ihres Anbringens verzeichnet und in einem ferneren Termin, von Manchen Exzeptions­ termin genannt, vom Kontradiktor, dem sie zu dem Ende mitgetheilt werden, einzeln eingeräumt oder bestritten, wobei auch die Gläubiger interveniren können. Die be­ strittenen Forderungen werden in speziellen Liquidations- oder Justtfikattonsprozeffen erledigt. Wenn diese Prozesse sämmtlich wenigstens bis zur Duplik gefördert sind, wird durch ein sog. Prioritäts- oder Lokattonsuttheil über Abweisung oder rang­ mäßige Einweisung aller einzelnen Forderungen in die Konkursmasie erkannt, bei Forderungen, für welche noch der Beweis zu führen ist, bedingt. Das Urtheil ist bezüglich jeder Forderung durch Rechtsmittel anfechtbar, Prioritätsstteittgkeiten indeffen werdm, freilich wider die Regel, beim Konkursgericht ausgetragen. Rach Erledigung aller Streitigkeiten wird zur Vertheilung des Erlöses der Maffe an die zu be­ friedigenden Gläubiger nach Maßgabe eines Distributionsbescheides geschritten, welchen das Gericht im Anhalt an die ergangenen Entscheidungen entwirft. Eine frühere Vertheilung ist jedoch möglich, wenn bestrittene Forderungen überall nicht oder un­ bedingt zur Befriedigung gelangm, oder für ihre eventuelle Rückzahlung Sicherheit

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Konkursverfahren.

geleistet wird. Das Verfahren der Oesterr. und Deutschen KO. beruht am gleichen Grundlagen, führt aber zu schnellerer Befriedigung der Gläubiger. Auch hier beginnt nach der Deutschen KO. das Verfahren mit einer öffentlichen, jedoch nicht präklusiven Aufforderung an die Konkursgläubiger zur Anmeldung ihrer Forderungen binnen Frist. Die Anmeldungen, die auch hier als Exekutionsgesuche anzusehen sind und daher Rechtsgrund und Rang, dazu auch Gegenstand und Geldwerth der Forderung angeben und denen auch etwaige Beweisurkunden beigefügt sein müssen, können in separater Eingabe oder zu Protokoll des Gerichtsschreibers geschehen, der sie in eine mit den entsprechenden Rubriken versehene Gläubigertabelle einträgt und zur Einsicht aller Betheiligten auslegt. Die Tabelle wird dem Konkursverwalter abschriftlich mitgetheilt und im ersten Theil des zwischen dem Ende der Anmeldungsfrist und dem Prüfungstermin liegenden Zeitraums in der Gerichtsschreiberei ausgelegt. Im Prüfungstermin, der für verspätete Anmeldungen auch besonders angesetzt werden muß, werden ohne Rücksicht auf etwaige An- oder Abwesenheit des Gläubigers die einzelnen Forderungen nach Betrag und Vorrecht erörtert. Der Gemeinschuldner hat sich über jede zu erklären. Die Forderung gilt für festgestellt, wenn weder Ver­ walter noch Gläubiger widersprechen; der Widerspruch des Schuldners hindert nur die Gewährung der Vollstreckungsklausel für nicht befriedigte Forderungen bei Schluß des KV. Auf Bestreitung des Verwalters oder eines Gläubigers hat der Anmeldende aus Grund eines beglaubigten Auszugs aus der Tabelle eine Feststellungsklage bei dem Konkursgericht oder wo der Werth die Gerichtsbarkeit der Amtsgerichte über­ schreitet, bei dem Landgericht desselben Bezirks im gewöhnlichen Verfahren zu er­ heben, es sei denn, daß der Anspruch vor eine Verwaltungsbehörde oder vor ein Berwaltungsgericht gehört, wo diese anzugehen sind, oder daß ein mit Vollstreckungs­ klausel versehener Schuldtitel, ein Endurtheil oder Vollstreckungsbefehl vorliegt, in welchem Falle die entsprechenden Einwendungen, Klagen aus Einreden, Einspruch, Rechtsmittel, Restitutions- und Nichtigkeitsklagen von den Bestreitenden zu erheben sind. Nach Erledigung dieser Streitigkeiten hat die obsiegende Partei die Berichtigung der Tabelle zu veranlassen. Die Vornahme von Abschlagsvertheilungen (s. dresen Art.) kann sogleich nach Abhaltung des allgemeinen Prüfungstermins statt­ finden, so oft hinreichende Nettomasse vorhanden ist. Dieselben erfolgen auf Grund eines vom Verwalter angefertigten Verzeichnisses der zu berücksichtigenden Gläubiger, welches der Verwalter unter öffentlicher Bekanntmachung des verfügbaren Masse­ bestandes und der Summe der Forderungen auf der Gerichtsschreiberei auslegen läßt, und in welches festgestellte, sowie streitige, aber durch Urtheil anerkannte oder mit Vollstreckungsbefehl oder Vollstreckungsklausel versehene Forderungen immer auf­ zunehmen sind, sonst streitige Forderungen nur, wenn der Gläubiger die Erhebung der Feststellungsklage oder die Aufnahme des anhängigen Verfahrens, Forderungen Absonderungsberechtigter nur, wenn sie den Ausfall oder die Wahrscheinlichkeit eines Ausfalls für einen bestimmten Betrag dem Verwalter innerhalb Ausschlußfrist von zwei Wochen nach jener öffentlichen Bekanntmachung nachweisen, worauf der Ver­ walter binnen drei Tagen nach Ablauf der Frist das Verzeichniß berichtigen muß. Einwendungen gegen das Verzeichniß find binnen einer Woche vom Ende der Ausfchlußfrist beim Konkursgerichte anzubringen, dessen Entscheidung binnen zwei Wochen von ihrer Niederlegung in der Gerichtsschreiberei mittels sofortiger Beschwerde an­ gefochten werden kann. Die Dividende, welche auf die einzelnen Forderungen fällt, wird vom Verwalter, und wo ein Gläubigerausschuß vorhanden, auf Antrag des Verwalters vom Ausschuß bestimmt, von welcher Bestimmung der Verwalter die berücksichtigten Gläubiger in Kenntniß setzt. In gleicher Weise wird bei ferneren Abschlagsvertheilungen verfahren, nur daß hier Gläubiger, welche bei den früheren Vertheilungen nicht berücksichtigt wurden, unter Voraussetzung der erforderlichen Nachweise außer dem hier am sie entfallenden Prozentsätze auch die der früheren Vertheilungen fordern können. Nach Verwerthung der ganzen Masse findet die

ftotttartterMpttt.

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Schlußvertheilung statt, bei welcher wie bei den AbschlagSvertheilungen verfahren wird, nur daß hier deren Bornahme vom Gericht genehmigt sein muß, daß im Berzeichniß bedingte Forderungen nicht berücksichtigt werden, wenn nicht der Eintritt der Bedingung dem Verwalter bis zum Ende der Ausschlußfrist nachgewiesen wird oder der Gläubiger vom Gemeinschuldner Sicherheitsleistung fordern konnte, Teurer daß Einwendungen gegen das Verzeichniß im Schlußtermin anzubringen sind, und endlich daß es hier einer Bestimmung der prozentmäßigen Dividende nicht bedarf, weil sie sich aus dem Verhältnisse ber Forderungen zur Theilungsmafse von selbst ergiebt. Nach jeder Vertheilung erfolgt die Auszahlung der Dividende durch den Verwalter unter Zurückhaltung und demnächst Hinterlegung der Antheile für be­ strittene, für suspenfiv bedingte Forderungen, für Forderungen Absonderungsberechtigter, bezüglich deren der Ausfall oder die Höhe des Ausfalls zweifelhaft ist, und für refolutiv bedingte Forderungen, bei welchen der Gläubiger zur Sicherheitsleistung verpflichtet war. Nach Abhaltung des Schlußtermins, in welchem außer den Einwendungen gegen das Schlußverzeichniß auch die Beschlußfaflung über etwaige nicht verwerthbare Vermögensstücke und die Abnahme der Schlußrechnung des Verwalter­ erfolgt, wird der Konkurs durch einen öffentlich bekannt zu machenden, nicht an­ fechtbaren Beschluß des Konkursgerichts aufgehoben, sofern er nicht schon im Laufe des Verfahrens durch Einstellung oder Zwangsvergleich beendigt worden ist, vorbehältlich immer einer etwaigen Nachtragsvertheilung, wenn neue Vermögensstücke entdeckt worden oder einbehaltene Beträge für die Maffe ftei geworden oder aus­ gezahlte Beträge zur Maffe zurückgefloffen find. Das Verfahren der Oesterr. KO. entspricht dem der Deutschen KO. mit wenigen Abweichungen, von welchen folgende hervorzuheben sind. Die Anmeldungen werden beim Konkursgericht bzw. Bezirksgericht, unter welchem der Konkurskommiffär seinen Sitz hat, angebracht und gelangen vom Gerichte an den Kommiffär und an den Verwalter, welcher letztere eine Klasfifikationstabelle über die Forderungen nach ihrem Range dem Kommiffär einreicht, der die Tabelle berichtigen kann. Im Termin hat fich der Verwalter über jede einzelne Forderung zu erklären, über die Forderungen des Verwalters sein Ver­ treter. Die Vertheilungen können ohne Vertheilungsentwurf erfolgen, wenn außer den Maffesorderungen die bevorrechtigten unbestrittenen Forderungen gedeckt, möglicher­ weise auch noch auf die einfachen Forderungm, für welche der entfallende Betrag, wmn fie streitig find, gerichtlich erlegt wird, eine Abschlagszahlung geleistet werden kann. Der förmliche Vertheilungsentwurf, in welchem auch die auf die einzelnen Forderungen fallenden Beträge anzugeben find, wird vom Verwalter angefertigt, von ihm zugleich mit den Mitgliedern des Ausschusses unterzeichnet, dem Kommiffär zu eventueller Berichtigung überreicht und in zwei Exemplaren beim Kommiffär und Verwalter ausgelegt. Das Ausliegen wird zugleich mit der zum Anbringen von Erinnerungen angesetzten Frist und dem für deren Verhandlung angesetzten Termin öffentlich bekannt gemacht. Bleiben Gläubiger, welche Erinnerungen vorgebracht haben, im Termine aus, so find fie mit denselben ausgeschloffen, wofern selbige nicht vom Verwalter ausgenommen werden; Erinnerungen, welche nicht binnen der Frist angebracht worden find, fallen gänzlich weg. Nach stattgehabter Verhandlung, bei welcher auf möglichste Ausgleichung der Betheiligten hinzuwirken ist, kann die Ver­ theilung, unter gerichtlicher Depofition der bestrittenen Beträge, vollzogen werden.

Quellen: Deutsche KO. §§ 8, 9, 102, 107 ff, 126 ff, 187 ff.; Mot. S. 386 ff, 357 ff. — Deutsche EPO. §§ 217, 218, 755 ff. - Oesterreichische KO. §§ 7, 8, $4, 67 ff, 70 ff, 78, 86 ff, 96, 97, 113 ff, 124 ff, 139 ff, 168 ff, 187 ff, 190. Lit.: Konk.Prz, Konk.Prz, KO. von Earwey

Schweppe, Konk. der Glaub, 33, 57, 82a, 111, 121 ff, 130 ff. - Bayer, § 41. — A. C. I. Schmid. Ha»db. des Civ Prz., §§ 217 ff. — Fuchs, Deutscher 22 ff. — Sydow, Deutsche KO, S. IV. ff. — Kommentare zur Deutschen Stiealitz S. XXIV. ff, v. Dilmowski S. 17 ff, v. Dölderndorff, u. A. 1.1. K. Wieding.

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Konkursverwalter.

Konkursverwalter (curator massae, Masse- oder Güterpfleger; v. Bar, Th. I. Suppl. S. 81, 85) ist nach Gem. Recht im Konkurs im Gegensatze zum Kontradiktor oder curator ad lites, welcher das Schuldvermögen im Liquidations­ verfahren gegen die angemeldeten Gläubiger und gewöhnlich auch in anderen Pro­ zessen vertritt, diejenige Person, welcher die ökonomische Verwaltung und Verwerthung des Schuldnervermögens einschließlich seiner Herbeischaffung und Sicherstellung ob­ liegt; die Oesterr. und Deutsche KO. übertragen ihm auch die Prozeßführung, für welche er sich, vom Liquidations- bzw. Prüfungsversahren abgesehen, eines Rechts­ anwalts bedienen kann, sowie die Aufstellung der Entwürfe bzw. Gläubigerverzeich­ nisse für die Vertheilungen. Befähigt zum KV. ist niemals der Gemeinschuldner, die Oesterr. KO. schließt sogar Jeden aus, der durch Verwandtschaft oder Schwäger­ schaft bis zum vierten Grade oder Ehe mit ihm verbunden ist. Aus den Gläubigern aber kann der KV. genommen werden, nur daß für die Feststellung und Lozirung seiner eigenen Forderung in Oesterreich ein zugleich mit ihm bestellter Vertreter eintritt, nach den Motiven zur Deutschen KO. nach Ermessen des Gerichts ein Ver­ treter hierzu bestellt werden kann. — Im Röm. Recht ward der K. auf Antrag der (schon immittirten) Gläubiger vom Magistrate bestellt. Rach Gem. Recht und der Oesterr. und Deutschen KO. wird er vom Gericht von Amtswegen sofort bei der Konkurseröffnung vorläufig bestellt, demnächst nach Gehör bzw. Wahl der Gläubiger­ versammlung, welcher das Gericht nach der Deutschen KO. die Anerkennung ver­ sagen kann, vom Gerichte definitiv bestellt und mit Legitimationsurkunde versehen, auch sein Name öffentlich bekannt gemacht. — Wo die Verwaltung verschiedene Geschäftszweige umfaßt, können mehrere KV. bestellt werden, von welchen jeder in feiner Verwaltung selbständig ist, welche nach der Oesterr. KO. aber auch auf ge­ meinschaftliches Handeln beschränkt werden können. Auch dürfen in Oesterreich für Sondermassen von Immobilien und Bergwerken dem allgemeinen KV. besondere bei­ geordnet werden, für welche derselbe zwar nicht haftet, deren Verwaltung er aber immerhin kontroliren kann. — Bei feiner Verwaltung steht er im Gemeinen Recht unter fortwährender Aufsicht und Anweisung des Konkursgerichts, in Oesterreich auch des Kommissärs, auf dessen Antrag er auch in Geldstrafe genommen und nach An­ hörung des Gläubigerausschusses sogar entlassen werden kann. Die Deutsche KO. beschränkt nach den Motiven die Aufsicht des Gerichts über ihn auf die Legalität seiner Handlungen, Geldstrafen gegen ihn dürfen 200 Mark nicht überschreiten und seine Entlassung ist nach seiner definitiven Bestellung nur auf Antrag der Verfammlung oder des Ausschusses der Gläubiger und nach Gewährung vorgängigen Gehörs zulässig. In Konsequenz des Aufsichtsrechts kann sich der Gemeinschuldner über den KV. beim Gerichte beschweren und ihm die Vornahme gewisser Handlungen untersagen lassen, nach der Deutschen KO. bis zur Beschlußfassung der Gläubiger­ versammlung. Ein gleiches Beschwerderecht ist nach Gem. Recht den Gläubigern zuständig, insbesondere auch einem von ihnen etwa erwählten Ausschuß. Die Deutsche und Oesterr. KO. dagegen weisen ihn vielfältig an, die Genehmigung von Gläubigerausschuß und Gläubigerversammlung (s. diese Art.) vor Vornahme der Handlung einzuholen, von welcher nach der Deutschen KO. jedoch die Gültigkeit seiner Handlungen nicht abhängig ist. Ueber seine Verwaltung, welche im Gem. Recht bis zu seiner definitiven Bestellung im allgemeinen Liquidations­ termin mit Rücksicht namentlich auch auf die Möglichkeit eines Akkords, von Noth­ verkauf abgesehen, sich auf die Erhaltung der Güter zu beschränken, nach der Deut­ schen und Oesterr. KO. bis zu demselben Termin hin von Verkäufen ohne Zu­ stimmung des Ausschusses bzw. des Kommissärs oder Gerichts außer in Fällen der Noth bzw. Erzielung besonderen Vortheils abzusehen hat, muß der Verwalter Rech­ nung legen, theils periodisch, im Gem. und Oesterr. Recht, wie sie das Gericht bzw. der Kommissär, nach der Teutschen KO., wie sie die Gläubigerversammlung vorschreibt, theils als Schlußrechnung nach beendigter Verwaltung, welche vom

ÄWÄfemcrwtitcr.

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Gemeinschuldner und den Gläubigern, nach der Deutschen KO. auch vom nachfolgmden Verwalter angefochten werden kann, und nach derselben KO. mit den Bemerkungen des Ausschusses drei Tage vor dem Schlußtermin in der GerichtSschreiberei ausgelegt werden muß. Erheben die genannten Personen keine Einwen­ dungen, so gilt nach der Teutschen KO. die Schlußrechnung für anerkannt. — Der KB. ist verantwortlich nach Gem. Recht, wie andere Güterpfleger, für Aufwendung der Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten, nach der Oesterr. und Deutschen KO. für Sorgfalt eines ordentlichen Hausvaters. — Sein Anspruch aus Gebühren und Aus­ lagen, der zu den Maflekosten gehört, unterliegt nach Gem. Recht und der Deutschen KO. der Entscheidung des Konkursgerichts, nach der Oesterreichischen dem Beschluß der Gläubigerschast, gegen welchen Beschwerde an das Konkursgericht zusteht. — Sehr streitig ist die rechtliche Stellung des KB. Zwar nach Röm. Recht kann es wegm der Wirkungen der missio in bona für die Gläubiger nicht zweifelhaft sein, daß er Vertreter der Gläubiger ist. Ebensowenig sollte eS für das Gem. Recht, wo der Generalarrest dem Gemeinschuldner nur die Disposition entzieht und derselbe bis zur Bertheilung das berechtigte Subjekt seines Vermögens verbleibt, bezweifelt werden, daß er nicht Vertreter der Gläubiger, die nur einen Anspruch auf Befriedigung auS dem Erlöse des Vermögens besitzen, sondern eher Vertreter des Schuldners sei. Indessen ist es doch auch mit dieser Feststellung nicht gethan, vielmehr kommen noch Besugniffe in Betracht, die den KV., wie dies die Hannoversche Prozeßordnung von 1850 annimmt, wiederum auch als Gehülfen des Gerichts erscheinen kaffen. Dahin gehört weniger das Recht zur Anstellung der Paulianischen Klage, indem solche Anfechtungs­ klagen ja auch bei der cura prodigi, furiosi, minoris vorkommen sönnen, wol aber Befugnisse, wie die der Entsetzung des Schuldners aus seinem Gute, das Recht auf Auskunstsettheilung des Schuldners über Bestand und Verbleib feiner Güter, das Recht auf den Offenbarungseid des Schuldners, welcher nach dem Zeugniß des Accurfius und anderer Gloffatoren dem Schuldner vom Richter auch von Amtswegm auferlegt werden konnte, und namentlich das Recht der Veräußerung des gesammten Schuldnerguts, welche Rechte nicht aus einer Vertretung des Schuldners oder auS der bloßen cura bonorum zu erklären, sondern nur auf richterliche ExekutionSbefugniffe zurückzuführen sind. Erwägt man ferner, daß im Gem. Recht bei Geringfügig­ keit der Masse ein KV. gar nicht bestellt wird, sondern der Richter selbst, wie bei der Spezialexekution, die Geschäfte desselben erledigt, so muß man zu dem Resultate gelangen, daß es überhaupt richterliche Funktionen find, welche dem KV. übertragm find und daß der KB. nur mittelbar als Vertreter des Schuldvermögens auch Ver­ treter des Schuldners ist, wie denn ja auch beim Arreste die dem Schuldner ent­ zogene Disposition auf den Richter übergeht und auch eine Verantwortlichkeit des Richters für deren Ausübung weder gegenüber dem Schuldner, noch gegenüber den Gläubigern geleugnet werden kann. Ist diese Auffaffung der Stellung des KV. für das Gem. Recht zutreffend, so gilt sie nicht minder auch für die Oesterr. und Deutsche KO. Denn mögen diese Gesetze dem Ausschuß und der Versammlung der Gläubiger auch einen viel erheblicheren Einfluß auf die Handlungen des Verwalters gestatten, wie das Gem. Recht, es bleibt derselbe eben doch nur ein Zugeständniß an deren Jntereffe, und mögen sie dem Verwalter unter Theilnahme des Gläubigerausschuffes die Anfertigung der Vertheilungsentwürfe übertragm, es ist dies doch nur die Ueberttagung einer richterlichm Thätigkeit, wie im Gem. Recht. Letzteres gilt selbst für die Deutsche KO., weil der K. auch Jmmobilim und For­ derungen ergreift, in welche nach der Deutschen CPO. die Pfändung ja durch das Vollstreckuftgsgericht erfolgen muß, und weil selbst rüclPchtlich der Mobilien, in welche ja sonst der Gerichtsvollzieher im Auftrage der Pattei die Pfändung vollstteckt, ein gerichtliches Bettheilungsverfahren nothwendig ist, um bei der Insolvenz der Masse die Befriedigung der konkurrirenden Gläubiger zu ordnm.

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Komrexitütsfsrmn.

Quellen: Deutsche KO. 88 5, 8, 9, 70 ff., 102, 121 ff., 138 ff.; Mot. S. 34 ff., 301 ff., 369 ff. - Deutsche CPO. 88 7$9, 755 ff., 758 ff. - Oesterreichische KO. §8 73 ff., 142, 145 ff., 151, 161, 187 ff — Hannoversche CPO. 88 613, 615 ff. Lit.: Schweppe, Konk. der Glüub., 88 97 ff- — Bayer, KonkPrz., 85 41 ff. — Schütze, Ztschr. f. Civ.R. und Prz. N. F. Bd. XIX. S. 319 ff. - Wach, Ztschr. für RechtSaesch. Bd. VIL S. 445, 457 ff. — Sarwey in Goldschmidt rc. Ztschr. für H.R. Bd. XXIII. S. 394. — FuchS, Deutscher Konk.Prz., 8 20. — Kommentare zur Deutschen KO. von v. Ddlderndorsf, Abth. IS. 35, 112 ff., v. WilmowSki, S. 43 ff. K. Wieding.

Konuexttätssormu, Gerichtsstand der Abhängigkeit oder des Sachzusammen­ hanges (sonnn connexitatis materialis), d. h. der Gerichtsstand, welcher dadurch vor einem an sich nicht kompetenten Richter begründet wird, daß die betreffende Sache mit einem anderen, vor ihn gehörigen Prozeß in einem inneren Zusammen­ hang steht. Die ältere Theorie des Gem. Civ.Prz. hat diesem Gerichtsstand bei der Unbestimmtheit des Begriffes der Konnexität eine weite und vage Ausdehnung ge­ geben, dagegen nahm die neuere Doktrin das Forum nur für gewiffe einzelne Fälle des Zusammenhangs als begründet an. Den lehtgedachten Standpunkt hat auch die Deutsche CPO. eingenommen. Sie kennt das K. in folgenden Anwendungen: 1) Die Klagen der Prozeßbevollmächtigten, der Beistände, der Zustellungsbevoll­ mächtigten und der Gerichtsvollzieher wegen ihrer Gebühren und Auslagen können beim Gericht des Hauptprozeffes erhoben werden. 2) Wenn im Laufe eines Prozeffes ein Rechtsverhältniß streitig wird, von deffen Bestehen oder Nichtbestehen die Ent­ scheidung des zuerst angebrachten Rechtsstreites ganz oder theilweise abhängt, so kann bei dem denselben verhandelnden Gericht die Feststellung des präjudiziellen Verhältniffes vom Kläger durch Erweiterung des Klageantrages und vom Beklagten durch Erhebung einer Widerklage beantragt werden. 3) Es kann ferner auch, abgesehen von dem eben erwähnten Fall, bei dem Gerichte der Klage vom Beklagten seiner­ seits eine Widerklage gegen den Kläger erhoben werden. Da eine solche nur zu­ lässig ist, wenn sie mit dem Klageanspruch oder mit den dagegen dargebrachten Ver­ theidigungsmitteln im rechtlichen oder faktischen Zusammenhang steht, so bildet der Gerichtsstand der Widerklage jetzt einen Fall des K., während er im Gem. Recht, welches die gedachte Beschränkung nicht kannte, ein besonderer, eigenthümlicher Ge­ richtsstand war. 4) Beim Prozeßgerichte ist ferner der Antrag eines Rechtsanwaltes gegen einen anderen auf Herausgabe von Urkunden, welche diesem letzteren im Laufe des Prozeffes zu seiner Information zugestellt sind, im Fall der Borenthaltung an­ zubringen. 5) Die Verhandlung gegen einen das Zeugniß verweigernden Zeugen wegen der Rechtmäßigkeit der Weigerung erfolgt durch das Prozeßgericht. 6) Tie Hauptintervention ist bei dem Gerichte des Hauptprozesses geltend zu machen. 7) Derjenige Dritte, welcher am Grund eines ihm zustehenden Rechtes eine Zwangs­ vollstreckung hindern will, hat dasselbe im Wege der Klage bei dem Gericht, in deffen Bezirk die Zwangsvollstreckung erfolgt, geltend zu machen. 8) Klagen zur Erhebung von Einwendungen gegen Vertheilungspläne im Zwangsvollstreckungs­ verfahren sind bei dem Gericht, in dessen Bezirk die Bertheilung geleitet wird, anzubringen. 9) Klagen auf Entschädigung oder Interesse gegen einen zur Leistung einer Handlung oder zu einer Unterlassung vernrtheilten Schuldner gehören vor das Gericht der Hauptsache. Das K. in der bisher besprochenen Bedeutung gehört zu der Klasse der Spezial­ gerichtsstände. Schon in der älteren Prozeßdoktrin hat man aber auch das sog. sonnn continentiae causarum ex identitate personal!- und reali zu beu auf der Konnexität beruhenden Gerichtsständen gezählt. Man verstand darunter den bei dem Obergericht eintretenden Gerichtsstand für persönliche Klagen gegen mehrere, in ver­ schiedenen Gerichtsbezirken wohnende Streitgenossen oder für dingliche Klagen auf mehrere nicht in einem Gerichtssprengel belegene Gegenstände. Beide Gerichtsstände gehören zu den sog. fora extraordinaria. Während es im Gemeinen Prozeß be-

Äemwffmewt.

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stritten war, ob und inwieweit das formn continentiae anzuerkennm sei, hat die Deutsche CPO. daffelbe in solgender Gestalt angenommen. Wenn 1) mehrere Per­ sonen , welche als Streitgenossen belangt werden sollen, ihren allgemeinen Gerichts­ stand bei verschiedenen Gerichtm habm, und auch für den Rechtsstreit kein gemeinschastlicher besonderer Gerichtsstand begründet ist, ferner 2) wenn eine Klage im ding­ lichen Gerichtsstand erhoben werden soll und die Sache in den Bezirken verschiedener Gerichte liegt, so kann aus Antrag des Klägers ein gemeinschaftliches Gericht zur Verhandlung des Rechtsstreites, durch das im Jnstanzmzuge allen in Frage kommmden Gerichtm übergeordnete Gericht (d. h. z. B. bei Amtsgerichtm deffelben Landgerichts­ bezirks durch das Landgericht, bei solchen in verschiedenen Landgerichtsbezirkm oder bei verschiedmm Landgerichtm durch das gemeinschaftliche Oberlandrsgericht) bestellt werden. Rur bei Wechselklagm ist ein sür alle Mal außer dem Gericht des Zahlungs­ ortes jedes Gericht sür zuständig erklärt, in deffen Bezirk einer der Beklagtm seinm allgemeinen Gerichtsstand hat. Im Strafprozeß ist für zufammmhängmde Strafsachen, d. h. in den Fällen, wo eine Person mehrerer strafbarer Handlungm beschuldigt wird oder wo bei einer strafbarm Handlung mehrere Personen als Thäter, Theilnehmer, Begünstiger oder Hehler in Frage stehen, der Gerichtsstand bei jedem Gerichte begründet, welches für eine der zusammmhängenden Strafsachen zuständig ist. Quellen: Deutsche CPO. §§ 34, 253, 33, 126, 352, 61, 690, 765, 778, 36 Nr. 8, 4, 566, 756; @@. zur CPO. § 9. — Deutsche StrafPO. §§ 3, 13.

Lit.: Planck, Mehrheit der Rechtsstreitigkeiten, Göttingen 1844 S. 33 ff., 312 ff., 530 ff. P. HinschiuS. Kovuvstemeltt (Franz.: connaissement, police de cargaison, Span.: conocimiento, Engl.: bill of lading) ist das schriftliche Bekenntniß (Empfangschein und Verpflichtungsurkunde) des Führers eines Seeschiffes, gewisse Waarm zur Auslieferung an einen bestimmten Empfänger in einem bezeichneten Löschungshafen empfangen zu haben (s. Th. I. S. 545). Daffelbe ist dem Ab­ lader nach Beendigung jeder einzelnen Abladung in so vielen Exemplarm, als dieser verlangt (nach dem Code com. mindestens 4, in England und Amerika gewöhnlich 8), gegm Rückgabe des etwa bei der Annahme der Güter ertheiltm vorläufigen Empfangscheins („receipt, receive, recepisse“ — Auszug aus dem „Ladebuch") auszustellm. Mitunterschrift des Beftachters, wie nach Code com., ist in Deutschland nicht erforderlich. Die (üblichm) Bestandtheile des K., aus welche der Ablader ein Recht hat, find im Allg. D. HGB. aufgeführt; der Code com. verlangt außerdem noch die Angabe der Gattung der verladmm Güter, des Wohnortes des Schiffers und der Größe des Schiffes, femer die Unterzeichnung durch den Ablader und den Schiffer (selbst). Die sog. durchgehmden K. (throughbills of lading) sind dem HGB. ftemd. Das K. wird gewöhnlich an Ordre — schlechthin, d. h. des Abladers, oder an die des Empfängers — gestellt. Der Ab­ lader kann dies in Ermangelung abweichmder Abrede verlangen. Rach Französ., Engl. und Roramerikan. Recht kann das K. auch aus den Inhaber gestellt werden. Das Ordre-K. ist indossabel (auch in blanco) wie ein Wechsel. Mit dieser leichtm Regotiabilität der K. hängt es innerlich zusammm, daß das K. eine unbedingte, obschon nicht formale Verpflichtung des Schiffers zur Aus­ lieferung der darin bezeichneten Waaren in der angegebenm Beschaffenheit an dm durch das Papier legitimirten Empfänger ohne Rücksicht auf den Inhalt des Fracht­ vertrags begründet, welche fteilich zuweilm durch Klauseln, wie „Inhalt, Gewicht, Maß unbekannt", „frei von Beschädigung" k. modifizirt wird. Für die Berechnung der Fracht sind selbst solche Zusätze, z. B. „signed ander protest“, dem Inhalt des K. gegenüber nicht entscheidend. Rur durch ausdrückliche Bezugnahme im K. kann der Inhalt der CH arte Partie (f. diesen Art.) neben dem K. zur Geltung ge-

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Ko«Afie»e«t.

bracht werden. Der Empfänger ist keineswegs Rechtsnachfolger des Abladers, son­ dern Gläubiger aus eigenem Recht, braucht sich also Einreden aus der Person des ersteren nicht gefallen zu lasten (wie dies namentlich auch in England seit der sog. Bills of Lading Act von 1855 unbezweifelten Rechtens ist). Die Auslieferung der Waaren erfolgt nur gegen Rückgabe des quittirten K.; in der Regel genügt die Rückgabe eines Originalexemplars (nicht der dem Schiffer aus Verlangen ertheilten, vom Ablader unterschriebenen Abschrift). Für die Erfüllung der K.forderung hasten (binnen einjähriger Berjährungsfrist) der Rheder mit Schiff und Fracht, der Schiffer bei übernommener Gewährleistung oder bei eigener Verlchuldung persönlich. Der selbstabladende oder die Abladung eines Anderen vertretende Verkäufer hat aber kein Recht darauf, daß der Käufer und Destinatär statt seiner den Schiffer aus dem K. in Anspruch nehme. Andererseits ist eine Regreßklage des K.inhabers gegen den Vormann nur nach Maßgabe des der Begebung zu Grunde liegenden Verhältniffes begründet. Bei der unbedingten, streng einseitigen Natur des aus der Zeichnung des K. entspringenden Forderungsrechts und bei der Bedeutung des Indossaments muß die Verfügung über das K. in ihrer Wirkung der Verfügung über die Waare mindestens nahe kommen. Der Handelsverkehr legt indeffen der Uebertragung des K. eine die Waare unmittelbar ergreifende (dingliche) Wirkung bei, was dann juristisch in sehr verschiedener Weise konstruirt zu werden pflegt (symbo­ lische Uebergabe, constitutum possessorium, Besitzerwerb des Schiffers im Namen des K.inhabers, Cession der rei vindicatio bzw. der Besitzklage des Abladers u. dgl. m.). In Frankreich, Holland, England und Nordamerika wird offen anerkannt, daß das K. die Waare repräsentire, daß mithin durch die Uebertragung desselben Besitz und Eigenthum der Waare übertragen werde. Auch in Deutschland war früher die Besitztheorie die herrschende (Pöhls, Mittermaier, Wilda, Treitschke u. A.; auch die obersten Gerichte zu Berlin, Dresden, Rostock re.). In neuerer Zeit hat namentlich das OApp.Ger. zu Lübeck die entgegengesetzte Auffaffung dahin zur Geltung gebracht, daß alle Wirkungen der Uebertragung des K. sich aus der obligatorischen Bedeutung des letzteren (in Verbindung mit dem partikular­ rechtlichen Sahe „Hand wahre Hand") zur Genüge erklären (ähnlich Thö l, Brinckmayn, Gerber, Kunhe, Laband, Endemann, Polak u. A.; anderer Meinung ist namentlich Goldschmidt, auch Lewis; vermittelnd IHering). Das HGB. hat jedoch, der kaufmännischen Anschauung folgend, bezüglich des Erwerbs und der Fortdauer von Pfand- und Retentionsrecht und für Ordre-K. bezüglich des Erwerbs der von der Uebergabe der Güter abhängigen Rechte überhaupt der Ueber­ gabe des K. an den legitimirten Empfänger die Wirkungen der Uebergabe der Güter beigelegt (wenn diese wirklich abgeladen sind). An das K. knüpft sich also unter allen Umständen die Detention der Waare; alles Weitere hängt von den konkreten Beziehungen ab. Das (gemeinrechtliche?) „Verfolgungsrecht" des unbezahlten Ab­ senders ist dadurch nicht unbedingt ausgeschlossen. Im Falle der Kollision mehrerer K.inhaber läßt das HGB. (aus Zweckmäßigkeitsgründen) zunächst die Prävention im Bestimmungshafen, eventuell die Priorität der Begebung von dem gemein­ schaftlichen Normanne (Absendung) entscheiden; eventualissime wird keiner sich auf das K. berufen können. Der Code com. saßt nur den Fall einer Abweichung des Inhalts ins Auge. Neuerdings wird in Frankreich ein bedenkliches Numerirungssystem projektirt. Nach Engl. und Nordamerikan. Recht entscheidet in der Regel die Priorität der Begebung.

Gsgb. u. Lit.: Allg. Deutsches HGB. Art. 302, 305, 313, 374, 615, 644—664, 731, 888. — EG. z. KO. Art. 14 Abs. 2 Nr. 1. - Code com. art. 281-285. - Engl. Gesetz vom 14. Aua. 1855 (An act to amend the Law relating to Bills of Lading 18 u. 19 Vict. c. 111). — Lewis, Das Teutsche Seerecht, I. S. 290—324. — Voigt, Neues Archiv für H.R., II. S. 119. — Pöhls, Darstellung des H.R., I. § 86 (S. 181—189); III. lSeerecht) 88 421, 422 lS. 447 ff.). — Wilda in Weiske's Rechtslex., III. S. 31 ff. (sub voce Kon-

Kouopok — Kooftftorium.

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nossement> — Jheriua, Jahrb. für Dogmatik, I. 176 ff. — Labaud, Ztschr. für Deutsches Recht, XIX. S. 121 ff. — Jetzt vor Allen: Goldschmidt, Handb. d. H.R., I. 2 §§ 70—74 (S. 650—732). — Entscheidung des Reichsgerichts in Civilsachen I. S. 37, 302. — Nitscheidung des ROHG. I. S. 203; II. S. 327; m. S. 24, 221; V. S. 132; VI. S. 342; XII. E. 131; XIII. S. 241; XV. S. 218, 226, 377; XVI. S. 136; XVH. S. 70, 233; XVIII. S. 128: XIX. S. 263; XX. S. 80. — Busch, Archiv XXIX. S. 254; XXX. S. 330; XXXII. E. 222, 295, 297 ; XXXVI. S. 287; XXXVII. S. 355. — Neuling bei Goldschmidt rc., Ztschr. XVII. S. 355; Dreyer, das. XX. S. 275; Schlodtmann, das. XXL S. 384 ff., 398 ff. — Alauzet, Comm. du code de commerce, 2. 66. 1871 IV. p. 318 bs. — Paraessus, Cours de droit comm. II. no. 722—729; III. no. 1290. — Smith (Dowdeswel 1), Mercantile Law, 9th ed. (1877), p. 296—308. — Stephen, New comm. on the Laws of England, 7th ed. (1877), DL p. 49, 89. — Kent, Comm. on American law, 12 th ed. (1873) Vol. III. p. 207, 208 (Part V. Lect. XLVII. 2). R. Koch

Konopak, Christ. Gottl., z 1767 zu Danzig, wurde 1804 ordentl. Prof, in Halle, 1807 in Rostock, 1814 Syndikus, 1817 in Jena Prof, und OApp.Ger.Rath, t 3. IV. 1841. Schriften: Ueber den Brnriff und Zweck einer Encykl., 1802, 2. Aufl. 1806. — Justit. deS Röm. Prz.R., 1807 2. Aust. 1824. — Beiträge zur Lehre von der Berechnung der Falridischen O., 1811. — Auch gab er mit Kleinschrod und Mittermaier das Reue Archiv deS Kriminalrechts heraus und besorgte die 6. Aust, von Ouistorp'S Peinl. Recht. Lit.; Günther, Lebensskizzen, 1858, S. 88. — Neuer Nekrolog der Deutschen, 1843, I. 377. Teichmann.

Konsekration. Die K. ist eine kirchliche Handlung, welche äußerlich den Sakramenten analog erscheint (Sakramentale) und durch welche nach katholischem Kirchenrecht eine Person oder Sache für den Dienst Gottes mittels Gebets und Salbung feierlich bestimmt wird. Personae consecratae find der Papst und die Bischöfe, früher auch die Kaiser und Könige als advocati ecclesiae. Zu den res consecratae gehören die Kirchen, die Altäre, Kelche und Patenen. Was speziell die K. der Bischöfe betrifft, so wird dieselbe binnen drei Monaten nach der von Rom aus ertheilten Konfirmation durch einen vom Papst hierzu ermächtigten Bischof unter Asfistenz zweier Prälaten — im Nothfall reichen zwei Priester aus — in der Kathedralkirche Sonntags nach vorangegangener Ab­ legung des Obedienzeides und der professio fidei ertheilt. Während die päpstliche Konfirmation die Regimentsrechte (Jura jurisdictionis) überträgt, erlangt der neue Bischof die Weihegewalt (jura ordinis) erst durch die K. Ueber den Charakter der bischöflichen K. als eines Sakrammtale oder eines Sakraments herrscht Streit. Er ist weder durch die Wiffenschaft, noch durch die Gesetzgebung bis heute endgültig entschieden. Die herrschende Anficht stellt die Bischossweihe nicht unter den Gefichtspunkt des Sakraments. Lit.: Richter-Dove, Kirchenrecht, §§ 103, 287, 306. - Phillips, Lehrbuch deS Kirchenrechts, I. § 154. Hübler. Konsistorium (Th. I. S. 632) bedeutet in der katholischen Kirche 1) die Versammlung der Kardinäle unter dem Vorsitze des Papstes. In den geheimen ft. (c. secreta v. ordinaria), zu denen außer den erwähnten keine anderen Personen Zutritt haben, werden erledigt die Kreation der Kardinäle. die Besetzung der Metro­ politen- und Bischofsstühle, sowie bestimmter (der sog. Konfistorial-) Abteien, die Ernennung der episcopi in partibus infidelium. die Versetzung der Bischöfe, die Verleihung des Palliums, die Errichtung und Veränderung der Bisthümer, die Er­ nennung der legati a latere, sowie wichtige das Verhältniß der katholischen Kirche zu den einzelnen Staaten betreffenden Angelegenheiten. Die außerordentliche ft. (c. publica v. extraordinaria) sind ceremonielle Akte; in ihnen erfolgt heute die Uebergabe des Hutes an die neu ernannten Kardinäle, der feierliche Endbeschluß in den Kanonisationsprozessen, sowie die Ertheilung von Audienzen an regierende Fürsten und Gesandte derselben.

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Konsistorium.

Bit: Bangen, Die Röm. Kurie, Münster 1854. — Phillips, Kirchenrecht, VI. 576 ff. — Hinschius, Kirchenrecht, I. 364 ff.

2) K. heißt (Th. I. S. 654) ferner vielfach (z. B. in Oesterreich) die neben dem Bischof, bzw. dem Generalvikar stehende, bei der Verwaltung der bifchöflichen Jurisdiktion beseitigte, aus Geistlichen, zum Theil aus den Domherren zusammen­ gesetzte Behörde, welche für die Regel nur eine berathende Stellung hat; mitunter wird der Ausdruck auch gebraucht für die besondere bischöfliche Behörde, welcher die Rechtspflege, namentlich die Ehe- und Disziplinargerichtsbarkeit (so in Preußischen Diözesen) oder die erstere (z. B. in Bayern) überwiesen ist.

Lit.: Hinschius, Kirchenrecht, II. 224 ff.

In der evangelischen Kirche sind die K. 1) die Behörden für die stän­ dige und laufende Verwaltung des landesherrlichen Kirchenregiments (Th. I. S. 675, 680). Sie sind zuerst in Sachsen, und zwar ein solches zunächst provisorisch im Jahre 1539, welches demnächst seine definitive Gestaltung erhalten hat, errichtet und noch im Laufe des 16. Jahrhunderts ein Gemeingut der lutherischen Landeskirchen Deutschlands geworden. Zu ihrem Ressort gehörte die Aufsicht über die Lehre und Liturgie, über die Amtsführung und den Lebenswandel der Geistlichen, die Prüfung der Kandidaten für geistliche Aemter, die Anordnung der Ordination und Institution der Geistlichen, die Beaufsichtigung und obere Leitung der kirchlichen Vermögens­ verwaltung, ferner die Verwaltung der Ehesachen und die Handhabung der Zucht, jedoch erweiterte sich ihr Berufskreis noch im Laufe des gedachten Jahrhunderts dahin, daß sie auch die Ertheilung gewisser Dispensationen und die Gerichtsbarkeit in kirchlichen Sachen, also die Straf- und Disziplinargerichtsbarkeit gegen die Geist­ lichen und wegen kirchlicher Vergehen, sowie die Gerichtsbarkeit in Streitsachen über kirchliches Vermögen, Patronate und gegen die Geistlichen auszuüben hatten. Besetzt wurden sie mit Geistlichen und Laien (Juristen) von kirchlicher Gesinnung, welche die erforderlichen Rechts- und Verwaltungskenntnisse hatten. In kleineren Ländern, wo derartige besondere Behörden (sog. formirte K.) nicht errichtet werden konnten, wurden sie so gebildet, daß man ihre Verwaltungsgeschäfte schon bestehenden welt­ lichen Behörden zuwies und diesen geistliche Räthe beiordnete (sog. nicht formirte K.). In Folge des Einflusses des Territorialismus, des Verfalles der Kirchenzucht, der Aenderung in der Gerichtsorganisation haben die K. heute nur die Geschäfte der kirchlichen Verwaltung im eigentlichen Sinne und die Stellung als Disziplinar­ behörden für die Amtsvergehen der Geistlichen behalten, ja mitunter wurden in ersterer Beziehung noch im Gegensatze zu den den K. zustehenden sog. Interna die Externa, die Aufsicht über das kirchliche Vermögen und über die Kirchenbücher, die Sorge für die Anlegung und Unterhaltung von Kirchhöfen, die Regulirung des Interimistikums in streitigen kirchlichen Bausachen (in Altpreußen bis 1877) durch die Regierungen wahrgenommen. Während früher eine Reihe von wichtigeren Be­ fugnissen durch den Landesherrn und die ihm zur Seite stehenden weltlichen Behörden geübt wurden, sind in neuerer Zeit in größeren Staaten (so z. B. in Preußen) nach demselben Prinzip, welchem die K. ihre Entstehung verdanken, eigene formirte Kollegien (sog. Oberkirchenräthe, Ober-K., Landes-K.) organisirt worden, welche die kirchliche Verwaltung in letzter Instanz führen, nur in bestimmten Angelegen­ heiten noch die Entscheidung des Landesherrn einzuholen haben und zum Theil in direkter unmittelbarer Unterordnung unter demselben stehen. In kleineren Ländern, wo die K. fehlen, sind sie mitunter die einzigen formirten landesherrlichen Kirchen­ behörden. Vereinzelt kommen auch noch sog. Mediat- oder Unterkonsistyrien vor, d. h. Unterbehörden einzelner Stadtmagistrate oder Standesherren, welche in Unter­ ordnung unter das landesherrliche Kirchenregiment gewisse durch Herkommen oder Privileg bestimmte kirchliche Rechte konsistorialer Natur zu verwalten haben.

Konfslwgtion — Äoefelmgeiitett.

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Bit: Richter-Dove, Kirchenrecht, 7. Lust., §§ 152—154. — O. Mejer, Lehrbuch des Deutschen Kirchenrechts, 3. Aufl., §§ 69, 70. — Jacobson in Herzog'S Encyklopädie, III. 122 ff. — Moser, Allg. Kirchenblatt, Jahrg. 1861, S. 420, 539. — ueber die neuesten Ressortveränderungen in Altpreußen s. Koch, Kommentar zum Preuß. LR. II. 11, 6. AuSg. Bd. 4 S. 270 ff. 2) Der Französische Ausdruck consistoire ist für die Presbyterien der ältesten reformirten Kirchengemeinden gebräuchlich gewesen (s. Th. I. S. 677), heute ist 3) in Frankreich und in Elsaß-Lothringen das K. die den Presbyterien der lutherischen und reformirten Gemeinden, gewöhnlich fünf bis sechs derselben nach dem Gesche vom 26. März 1852 unmittelbar vorgesetzte Behörde, welche die Aussicht über die zu seinem Bezirke gehörigen Gemeinden führt, die Vermögensverwaltung derselben kontrolirt und das mehreren gemeinsame Vermögen verwaltet, auch in der reformirten Kirche unter Genehmigung der Regierung die Pfarrer aus einer von dem betreffenden Presbyterium vorgeschlagenen Liste von drei Kandidaten zu wählen hat. Das K. besteht aus dem Presbyterium des Hauptortes, sowie aus den Pastoren der übrigen ihm zugehörigen Gemeinden und aus von jedem Presbyterium in solcher Anzahl gewählten Delegirten deffelben, daß das Presbyterium des Hauptortes auf die doppelte Zahl gebracht wird. Dm Vorsitz führt ein von dem K. aus dm daffelbe bildmdm Pfarrem gewählter Präsident, welcher der Bestätigung der Staatsregierung bedarf. Die Funktion der jeweiligen Mitglieder des K. dauert bis zur Emeuerung der Presbyterim, aus denen sie hervorgehen. P. Hinschius.

Konsolidation heißt die Vereinigung von Nießbrauch und Eigenthum in einer und derselben Person, sei es in der Person des Eigentümers dadurch, daß der abgezweigte Nießbrauch zum Eigenthume zurückkehrt, sei es in der Person des Usufruktuars dadurch, daß er das Eigenthum erwirbt. Mit Unrecht hat man die Be­ nennung auf den letzteren Fall beschränken wollen. K. ist also nichts Anderes als Konfusion (s. diesen Art.) beim Nießbrauche, und wol überhaupt bei persönlichm Servitutm. Wirkung ist Erlöschen der Servitut. Zusammentreffen von Nießbrauch und Miteigentum hat theilweises Erlöschen zur Folge, da Nießbrauch theilbarist. Die Frage, ob bei etwaiger Wiedertrennung des Eigenthums der erloschene Nieß­ brauch ipso jure wiederauflebt, ist zu bejahen, wenn das Testament, wodurch dem Ufufruktuar das Eigenthum vermacht ist, wegen Jnoffiziofität rescindirt wird, in welchem Falle die K. als nicht geschehen gilt; sonst aber zu vemeinen. Nach Preuß. Recht ist zur Konfusion überhaupt Unwidermflichkeit des Eigmthums erforderlich. Im Franz. Recht wird Wiederaufleben angenommen. Quellen: Tit. D. 7, 4 quibus modis ususfructus. — § 3 I. de usufructu 2, 4. — 1. 57 pr. de usufructu 7, 1. — Code Nap. art. 617, 625. Lit.: Windscheid, § 215. S. auch den Art. Konfusion. Rivier. Kousularagenteu. Konsulate werden der Natur der Sache nach nur an wichtigeren See- oder Handelsplätzen errichtet. Um den Konsularschutz auch an Orten von minderer Bedeutung wirksam werden zu laffm, wird oft den Vorstehem von Konsulaten gestattet, an Ortschaften ihres Bezirks untergeordnete Gehülfen zu bestellen, welche dazu bestimmt find, im Interesse der Schutzbefohlenen des Konsu­ lats einzelne Geschäfte unter der Leitung des Konsuls und unter deffen Verantwort­ lichkeit zu verrichten. Solche Hülssorgane werden K. genannt. Die Vereinigten Staaten von Amerika gestatten ihren Konsuln auch die Bestellung von Gehülfen an den: Sitze des Konsulats selbst ((Deputy-Consuls). Die K. haben in den Kulturstaaten in der Regel nicht die den Konsuln zu­ stehenden Immunitäten und Vorrechte, nur in nicht-christlichen Ländern werden ihnen • annähernd die Privilegien der Konsuln gewährt. Die Deutschen K. sind Privatbevollmächtigte, welche ein Reichskonsul nach zuvor eingeholter Genehmigung des Reichskanzlers an einem Platze seines Amtsbezirks v. Holtzendorff, Gmc. II. RechtSlerikon II. 3. Aufl. 34

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— Koasntarattefte.

bestellt. Sie find keine selbständigen Organe des Reichs, sondern handeln stets im — ein für alle Mal oder für ein bestimmtes Geschäft ertheilten — Auftrage des Kon­ suls und dieser ist für ihre Handlungen verantwortlich. Es können ihnen nur solche Geschäfte übertragen werden, welche keine obrigkeitlichen Befugnisse voraussehen, auch ist eine Amtstracht (Uniform) für fie nicht vorgeschrieben. Die Oefterr. K. find, ähnlich wie die Deutschen, delegirte Organe eines leitenden Kaiser!, und König!. Konsularamts und werden von diesem mittels eines bezüg­ lichen Ernennungsdekrets bestellt. In der Regel sollen ihnen nur solche Geschäfte zur Besorgung übertragen werden, welche an Ort und Stelle verrichtet werden müssen und welche ihrer Natur nach die Amtshandlung oder das unmittelbare Ein­ schreiten eines Konsularfunktionärs höheren Ranges nicht erheischen.

Gsgb. u. Lit.: Gesetz, betr. die Organisation der Bundeskonsulate rc. vom 8. Novbr 1878 lB.G.Bl. S. 137) § 11. — Allg. Tienst-Jnstr. vom 6. Juni 1871, zu tz 11. — de Cussy. Reglements cons., p. 108. — de Clerq et de Vallat, Guide prat., 4. Ausg 1. S. 79; 11. S 451. — Malfatti di Monte Tretto, Handbuch des Oesterr.-Ungar Konsularwesens, Wien 1879, S. 30. B. König.

Kousulararchiv. Die von de Cussy und anderen Völterrechtsschriststellern verfochtene Ansicht, daß die Konsuln ministres publics seien und als solche die Privilegien diplomatischer Agenten haben, ist in der Praxis nicht durchgedrungen. Immerhin werden den Konsuln gewohnheitsmäßig und aus Grund von Staats­ verträgen zum Schutz ihrer Stellung gewiffe Borrechte eingeräumt. Dazu gehört namentlich die Unverletzlichkeit der K. In allen Konsularverträgen wird dieselbe an­ erkannt. 3- B. heißt es in dem Deutsch-Italienischen Konsularvertrage vorn 21. Dez. 1868: „Tie K. find jederzeit unverletzlich und die Landesbehörden können unter keinem Vorwande die zu den Archiven gehörigen Dienstpapiere einsehen oder mit Beschlag belegen. Tie Dienstpapiere müssen stets von den das kaufmännische Geschäft oder das Gewerbe der resp. Konfularbeamten betreffenden Büchern und Pa­ pieren gesondert sein." Der Deutsch-Amerikanische Konsularvertrag vom 11. Dez. 1871 dehnt die Unverletzlichkeit auf die Amtsräume und Wohnungen der Berufskonsuln (consules missi), welche nicht Angehörige des Landes ihres Amtssitzes sind, aus. ''Nach den Bestimmungen dieses letzteren Vertrags dürfen, soweit es sich nicht um Ver­ folgung von Verbrechen handelt, die Landesbehörden unter keinem Vorwande in die Amtsräume und Wohnungen der Konsuln eindringen, auch dürfen diese Räume nicht als Asylorte benutzt werden. In England, wo überhaupt die Rechte der fremden Kon­ suln auf ein Minimum beschränkt sind, hat man auch die K. nicht immer als unter völkerrechtlichem Schutze stehend angesehen und z. B. die Archive eines im Hause eines Engländers eingemietheten Französischen Generalkonsuls (im Jahre 1856) öffentlich verkauft, weil sie nach dem Engl. Recht für nicht bezahlte Abgaben des Hauseigenthümers verhaftet waren, ingteichen (im Jahre 1858) das Archiv des Konsulats der Verein. Staaten von Amerika als Pfand für eine Privatschuld des Konsuls innebehalten. Lit.: Phillimore, Commentaries, 2. Ausg. II S. 263. — de Clerq et de Vallat, Guide pratique, 4. Ausg. I. S. 13. — de Cussy, Reglements cons , S. 75. B. König.

Konsularatteste. Die Beamteneigenschast der Konsuln (vgl. L a b a n d , Deutsches Staatsrecht, II. S. 251 und Zorn in der Krit. V.J.Schr. R. F. II. S-. 534) befähigt fie zur Ausstellung schriftlicher Zeugnisse mit öffentlichem Glauben. Manche Staaten gestatten ihren Konsuln lediglich die Ausstellung von Zeugnissen, welche aui Schiffahrt und Handel Bezug haben. So das — nicht mehr in Kraft stehende — Preußische Konsularreglement vom 18. Sept. 1796. Das Deutsche Konsulargesetz ent­ hält eine solche Beschränkung nicht, sondern bestimmt ganz allgemein, daß die schrift­ lichen Zeugnisse, welche von den Reichskonsuln über ihre amtlichen Handlungen und die bei Ausübung ihres Amts wahrgenommenen Thatsachen unter ihrem Siegel und Unterschrift ertheilt sind, die Beweiskraft öffentlicher Urkunden haben. Bei der

ausgedehnten Zuständigkeit, welche den Deutschen Konsuln beiwohnt, können solche K. von sehr mannigfaltigem Inhalt (Lebensatteste, Ursprungszeugnisie, Gesund­ heitspässe ic.) und von großer Tragweite sein. Deshalb ist den Deutschen Konsuln ausdrücklich eingeschärst, daß sie sich bei Ausstellung derselben der äußersten Sorgfalt, Genauigkeit und Gewissenhaftigkeit befleißigen sollen. In der Regel haben die Deutschen Konsuln Atteste nur auf Antrag von Reichsangehörigen und Schutzgenoffen zu ertheilen, doch ist es zulässig, dergleichen Zeugniffe auch auf Antrag von NichtSchuhgenoffen auszufertigen, wenn dieselben zum Gebrauch in Deutschland bestimmt sind oder Deutschen Interessen dienen.

Gsgb. u. Lit.: RGes. vom 8. Nov. 1867, betr. die Organisation der Bundeskonsulate rc. (B.G.BI. S. 137) 8 15 und Allg. Dienst-Jnstr. v. 6. Juni 1871 zu diesem Paragraph. — Block, Dictionnaire de l’Admin. fran$., Paris 1877, p. 372. B. König.

Kousular-ebiihren. Die von den Konsuln für ihre Amtshandlungen zu erhebenden Gebühren sind theils dazu bestimmt, den Aufwand des Staates für die Unterhaltung der Konsulate, wenigstens theilweise, zu decken, theils sollen sie den sog. Honorarkonsuln, d. h. den vom Staate nicht besoldeten Konsuln, eine Entschä­ digung für ihre dem Konsulardienste gebrachten Opfer gewähren. Die Höhe der Gebühren ist durch Tarife geregelt. Sie find von manchen Staaten, z. B. von dm Bereinigten Staaten von Amerika, so hoch bemeflen, daß sie fast alle Ausgaben für den Konsulardienst decken. Bei den Deutschen besoldeten Konsulaten kommen etwa 340 000 Mark jährlich an Gebühren auf, während der Aufwand für den Konsular­ dienst — ungerechnet sächliche und vermischte Ausgaben — sich auf gegen zwei Millionen Mark jährlich beläuft. Für die Deutschen Konsulate ist durch das Gesetz vom 1. Juli 1872 an Stelle eines bis dahin gültig gewesenen provisorischen Gebührentarifs ein neuer, defini­ tiver eingeführt. Derselbe setzt für die einzelnen Amtshandlungen der Konsuln Ge­ bühren fest, welche die Berufskonsuln zu Gunsten der Reichskaffe, die Wahltonsuln für eigene Rechnung erheben. Der Taris unterscheidet zwischen den Konsulaten in Europa erkl. der Türkei nebst — damaligen — Basallenstaaten (Rumänien, Serbien, Aegypten und Tunis) einerseits und den Konsulaten außerhalb Europa, sowie in der Türkei nebst Vasallenstaaten andererseits. Für erstere sind niedrigere Gebührensätze vorgeschrieben als für letztere. Im Allgemeinen sind die Positionen des Deutschen Tarifs nicht so hoch als diejenigen der Tarife anderer Staaten. Anfechtung hat — besonders in Hamburg und Bremen — die für „Expedition eines Schiffes" vor­ geschriebene Tonnengebühr (x/4 bzw. 1/2 Sgr. für jede Tonne ä 2000 Pfund) er­ fahren. Dieselbe wird entrichtet für Attestirung der Schiffsmeldung und Abmeldung, Aufbewahrung und Bescheinigung der Schiffspapiere, Ertheilung von Auskunft an Schiffer und Mannschaft, sowie sonstige Dienstleistungen im Jntereffe derselben, für welche keine besonderen Gebühren angeseht sind. Für Nothhafner rc. tritt Ermäßigung ein. Aehnliche Gebühren, zum Theil mit bedeutend höheren Sätzen als der Deutsche Tarif sie hat, finden sich auch in den Tarifen anderer Staaten. Der Oesterreichische K.tarif vom Jahre 1846 hat eine allgemeine Tonnengebühr von 51/4 3Et. bzw. 10 V8 3Er. für jede Schiffstonne mit Erleichterungen für Schiffe in periodischer Fahrt, Nothhafner rc. Die Britischen Konsuln dürfen eine Erpeditionsgebühr nicht erheben. Dieselbe erscheint nicht unbillig, da die betreffenden Konsulate wesentlich im Interesse der Schiffahrt errichtet sind und die Thätigkeit der Konsuln nicht selten für die Schiffe und ihre Mannschaften in Angelegenheiten, wofür keine besonderen Gebühren berechnet werden dürfen, in Anspruch genommen wird. Quellen: Gesetz betr. die Gebühren und Kosten bei den Konsulaten des Deutschen Reichs, vom 1. Juli 1872 (R.G.Bl. S. 245). — Reichstagsverhandl. III. Session 1872 31., 36. und 37. Sitzung. — Malfatti di Monte Tretto, Handb. des Oesterr.-llngar. Konsularwesens, S. 302. — de Clerq et de Val lat, Guide prat, 4. Ausg. 1. S. 371. B. König. 34*

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LoichlüNHertchttbrrkett. Kousularpericht-bLrkeit.

Die Gerichtsbarkett eines Staates erstreckt sich

nicht nur aus die eigenen Angehörigen, sondern auch aus die im Staatsgebiet sich aufhaltenden Fremden. Kein Staat kann innerhalb des Gebietes eines anderen Ge­ richtsbarkeit über seine Angehörigen ausüben. Ausnahmen von diesen Fundamen­ talsätzen find jederzeit vorgekommen, von dem Dekrete des Aeghptischen Königs Amafis an, welcher im 6. Jahrhrhundert v. Chr. der Griechischen Kolonie in Naukratis ge­ stattete, Streitigkeiten durch Richter ihrer eigenen Nation entscheiden zu laffen, bis zu dem Friedensvertrage unserer Tage, in welchem die Engländer den Zuluhäuptlingen die Verpflichtung auserlegten, in allen Streitigkeiten, in denen Britische Unterthanen betheiligt find, die Entscheidung des Britischen Divisionsrefidenten anzuerkennen. Bon großer Bedeutung ist in neuerer Zeit die den Konsuln im fremden Staatsgebiete zustehende Gerichtsbarkeit geworden. In den Kulturstaaten wird den fremden Konsuln nur die Befugniß zu einzelnen jurisdiktionellen Akten (schieds­ richterliche Entscheidungen, Zeugenvernehmungen auf Requisition heimischer Gerichte, Entscheidung von Streitigkeiten zwischen Kapitän und Mannschaft nationaler Schiffe rc.) eingeräumt, in einzelnen nichtchristlichen Staaten wird ihnen aber die Ausübung einer vollen Gerichtsbarkeit gestattet. Diese volle Gerichtsbarkeit — eine solche ist gemeint, wenn von K. schlechthin die Rede ist — ist in neuester Zeit vielfach zum Gegenstand eingehender Erörterungen gemacht, namentlich auch von Seiten des internationalen Vereins für Reform und Kodifikation des Völkerrechts. Ausgebildet hat sich diese K. wesentlich im Ottomanischen Reiche. Für die im Pfortengebiete handel­ treibenden christlichen Nationm war es bei der Einseitigkeit der Türkischen Rechts­ pflege eine Lebensfrage, eigene Richter zu haben. Die Exemtion der Fremden von der Türkischen Gerichtsbarkeit und deren Unterwerfung unter die Jurisdiktion ihrer Konsuln ward daher durch Kapitulationen, später durch Verträge festgestellt, zuerst von Seiten Frankreichs im Jahre 1535, später auch von Seiten anderer Mächte, so von dem Deutschen Kaiser durch den Paffarowitzer Vertrag (1718), von Seiten Preußens im Jahre 1761, von dem Deutschen Zollverein 1862. Allmählich bildete sich im Türkischen Reiche eine allgemeine Gewohnheit dahin aus, daß die Konsuln christlicher Mächte im Gebiete der Pforte Civil- und Kriminalgerichtsbarkeit über ihre Nationalen auszuüben, auch bei Streitigkeiten zwischen ihren Landsleuten und anderen Fremden Recht zu sprechen hatten. Gleicherweise ist in anderen, nichtchrist­ lichen Ländern (Marokko, Persien, Siam, China, Japan, Samoainseln) eine solche K. durch Gewohnheit bzw. Staatsverträge eingeführt. Neuerdings ist die K. im Pfortengebiete vielfachen Angriffen ansgesetzt gewesen. Namentlich suchten die bis­ herigen christlichen Vasallenstaaten der Türkei (Rumänien, Serbien) schon vor Er­ reichung ihrer Unabhängigkeit die K. thatsächlich zu beschränken. In Aegypten, wo Mehemet Ali behufs Heranziehung der Fremden den Konsulargerichten sogar nach­ gegeben hatte, in Streitigkeiten zwischen Aeghptern und Fremden zu entscheiden, wenn letztere beklagter Theil waren, ist seit Mitte des vorigen Jahrzehnts die K. zu Gunsten von Landestribunalen, deren Mitglieder zum Theil Europäer sind, theilweise beseitigt worden. In Bosnien und der Herzegowina ist in Folge der Besetzung durch Oesterreich die Rechtspflege in gleicher Weise wie in den Kulturstaaten eingerichtet worden und in Folge dessen die K. weggefallen. Auch für Cypern ist nach der Einrichtung Englischer Verwaltung die K. in Frage gestellt. Für das Verfahren vor den Konsulargerichten waren bis in die Neuzeit hinein nur von wenigen Staaten umfaffende Bestimmungen getroffen. Meistentheils ver­ fuhren die Richterkonsuln ziemlich willkürlich, so daß dem im Preußischen Ab­ geordnetenhause gefallenen Wort: „ich gehe lieber zum Kadi" nicht alle Be­ rechtigung abzusprechen war. Bezüglich der Preußischen Konsuln wurde durch das Gesetz vom 29. Juni 1865 (Ges.Samml. S. 681) zuerst eine Grundlage für das Verfahren bei den Richterkonsulaten geschaffen. Tie Bestimmungen dieses Gesetzes sind provisorisch auch für die Teutschen Konsuln maßgebend gewesen, bis das

AonsulrrgerichtSbrrkeit.

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Reichsgesetz vom 10. Juli 1879 den Gegenstand von Reichswegen definitiv ge­ ordnet hat. Nach diesem letzteren Gesetze wird von den Deutschen Konsulaten die Gerichts­ barkeit in denjenigen Ländern ausgeübt, in welchen ihre Ausübung durch Herkommen oder Staatsverträge gestattet ist. Ihr find die in den Konsulargerichtsbezirken wohnenden oder fich aufhaltenden Reichsangehörigen und Schutzgenoffen unterworfen. Das Recht, welches in den KonsulargerichtsbeziÄen zur Anwendung kommt, kann

vermöge des Exterritorialprinzips nur das Deutsche sein. Da es aber ein allgemeines Deutsches Bürgerliches Gesetzbuch noch nicht giebt, so ist nach den Bestimmungen des allegirten Gesetzes in Betreff des bürgerlichen Rechts anzunehmen, daß in den Kon­ sulargerichtsbezirken die Reichsgesetze, das Preuß. Allg. LR. und die das bürgerliche Recht betreffenden allgemeinen Gesetze derjenigen Preußischen Landestheile, in welchen das Allg. LR. Gesetzeskraft hat, gelten. In Handelssachen kommt zunächst das in dem Konsulargerichtsbezirke geltende Handelsgewohnheitsrecht zur Anwendung. In Be­ treff des Straftechts ist anzunehmen, daß in den Konsulargerichtsbezirken des StrasGB. für das Deutsche Reich und die sonstigen Bestimmungen der Reichsgesetze gelten. Die örtlichen Strafgesetze bleiben, insofern nicht durch Staatsverträge oder Hnkommen etwas Anderes bestimmt ist, außer Anwendung. Der Konsul kann polizeiliche Vorschriften erlaffen und ihre Uebertretung mit Geldstrafen bis 150 Mark bedrohen. Neue Ge­ setze erlangen, soweit nicht reichsgesetzlich etwas Anderes bestimmt ist, in den Kon­ sulargerichtsbezirken nach Ablauf von vier Monaten von dem Tage gerechnet, an welchem das betreffende Stück des R.Gef.Bl. oder der Preuß. Ges.Samml. in Berlin ausgegeben worden ist, verbindliche Kraft. Die K. wird durch den Konsul und durch das aus dem Konsul und zwei bzw. vier Beifihern bestehende Konsulargericht ausgeübt. Im Allgemeinen tritt an die Stelle des inländischen Amtsrichters der Konsul, in denjenigen Sachen, für welche nach dem Gerichtsverfassungsgesetze das Schöffengericht oder das Landgericht in erster Instanz zuständig ist, fällt die Entscheidung dem Konsulargerichte zu. Die zur Zu­ ständigkeit der Schwurgerichte gehörigen Verbrechen, sowie Hochverrath und Landesverrath gegen Kaiser oder Reich find der K. entzogen; der Konsul hat in solchen Straffachen nur die zur Strafverfolgung erforderlichen Sicherungsmaßregeln zu treffen, sowie eilige Untersuchungshandlungen und gesetzlich statthafte Zeugenvereidigungen vorzunehmen und demnächst die Akten der zuständigm Staatsanwaltschaft des In­ landes zu übersenden. Das Verfahren vor dem Konsul, sowie vor dem Konsulargerichte bestimmt sich in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten nach den Vorschriften der CPO. über das Ver­ fahren vor den Amtsgerichten. Die Verrichtungen der Staatsanwaltschaft werden, insoweit nicht eine Mitwirkung derselben ganz ausgefchloffen ist, durch einen acht­ baren Gerichtseingesessenen, womöglich durch eine der zur Ausübung der Rechts­ anwaltschaft zugelaffenen Personen wahrgenommm. Ein Rechtsmittel findet in den zur Zuständigkeit des Konsuls gehörenden Sachen nicht statt, sofern der Werth des Streitgegenstandes die Summe von 300 Mark nicht übersteigt. Im Uebrigen ist in den vor dem Konsul oder dem Konsulargerichte verhandelten bürgerlichen Rechts­ streitigkeiten, sowie in Konkurssachen zur Verhandlung und Entscheidung über die Rechtsmittel der Beschwerde und der Berufung das Reichsgericht zuständig, welches endgültig entscheidet. — Auf Straffachen finden in den Konsulargerichtsbezirken die Vorschriften der StrafPO. und des EG. zu derselben Anwendung. Der Konsul übt die Verrichtungen des Amtsrichters und des Vorsitzenden der Strafkammer aus. Eine Mitwirkung der Staatsanwalffchaft findet nicht statt, vielmehr handelt, wo im Jnlande der Staatsanwalt wegen einer gerichtlich strafbaren und verfolgbaren Hand­ lung einzuschreiten hat, der Konsul von Amtswegen. Gegen die wegen Uebertretungen erlaffenen Entscheidungen sind Rechtsmittel nicht zulässig. In anderen Straffachen findet Berufung an das Reichsgericht statt, gegen deffen Entscheidung ein

534 weiteres Rechtsmittel nicht zulässig ist. — In Sachen der nicht-streitigen Gerichts­ barkeit hat der Konsul die Kompetenz der Amtsgerichte und Landgerichte. Das Verfahren in diesen Angelegenheiten richtet sich nach den in dm altländ. Preußischen Landestheilen geltmdm Vorschriften, insoweit diese nicht Einrichtungm und Verhältnifie vorausfetzen, welche in dm Konsulatsbezirken fehlen. Die Oe st er r.-Ungarische K. bedarf noch der definitiven Regelung. Einst­ weilen ist mit Zustimmung der Regierungm beider Reichshälften der aus verschie­ denen kaiserlichen und ministeriellen Verordnungen beruhende Status quo aufrecht er­ halten. Danach gehörm zum Wirkungskreise der Oesterreichisch-Ungarischen Konsu­ largerichte alle Eivilstreitigkeitm, einschließlich der Handels- und Wechselsachm, die KonkurSangelegmheitm, die freiwillige Gerichtsbarkeit. Einigm Konsulaten ist die Volle Jurisdiktion übertragm, andere find nur ermächtigt, bei Streitgegenständm bis zu 500 Gulden die Gerichtsbarkeit in erster Instanz auSzuüben. Den Konsular­ gerichten dimm die Oesterreichischen Gesetze zur Richtschnur, soweit nicht am Orte ein allgemein anerkanntes Gewohnheitsrecht besteht, oder die dortigen Verhältniffe die Anwendung der Oesterreichischm Gesetze nicht gestatten. Die Konsulargerichte in Serbien und Bulgarien verfahren nach der Ungarischen CPO., die Konsulate in der Walachei nach der Siebenbürgischm CPO. Für die übrigen Konsulargerichte ist die Westgalizische GerichtSordn. von 1796 maßgebend. Die Berufung gegen Entschei­ dungen der Konsulargerichte geht an die OberlandeSgerichte in Lemberg, Wien, Zara, Triest, in dritter Instanz entscheidet der oberste Gerichts- und Kassationshof in Wien. Ein Strasrichteramt üben die Konsuln nur hinsichtlich der Uebertretungen. Das Verfahren ist im Wesentlichen mündlich; Berufung findet an die Kais, und Königl. Botschaft in Konstantinopel statt, welche endgültig entscheidet. Bei Vergehen und Verbrechen führen die Konsuln nur die Voruntersuchung, nach deren Schluß der Jnquisit mit den Akten an die kompetente inländische Strafbehörde gesendet wird. Wegen der Englischen Konsularjurisdiktion ist zu vergleichen Foreign Juris­ diction Act (24. Aug. 1843), 6 u. 7 Vict. c. 94, sowie die Orders in Council vom 9. Januar 1863 und 9. März 1865 betr. die Ausübung der Jurisdiktion im Gebiet der Ottomanischen Pforte, China und Japan. Bezüglich der von den Französischen Konsuln ausgeübten Gerichtsbarkeit enthält das Werk von de Clerq et de Vallat (s. Literaturangabe) ausführliche Angaben. Indem Beach Lawrence’fc^en Kommentare finden sich in Bezug am die Konsulate der anderen Länder detaillirte Nachweise. Gsgb. u. Lit.: Gesetz, betr. die Einschränkung der Gerichtsbarkeit d. D. Konsuln in Aegypten, vom 30. März 1874 (R.G.Bl. S. 23) u. karserl. Verordn, v. 23. Dezbr. 1875 (R.G.Bl. S. 381) und vom 23. Dezbr. 1880 (R.G.Bl S. 192), sowie Gesetze vom 5. und 7. Juni 1880 (R.G.Bl. S. 146) und Verordn, betr. die Konsulargerichtsbarkeit in Bosnien und in der Herzegowina, vom 23. Dez. 1880 (R.G.Bl. S. 191). — Gesetz über die Konsularaerichtsbarkeit vom 10. Juli 1879 (R.G.Bl. S. 197). — Instruktion des Reichskanzlers v. 10. Sept 1879 (Centralbl. S. 575). — Beach Lawrence, Etudes sur la juridiction consulaire, Leipzig 1880 (vierter Theil des Kommentars zu Wheaton). — Martens, Das Konsular­ wesen und die Konsularjurisdiktion im Orient, (aus dem Russischen) übersetzt von St erst, Berlin 1874. — Brauer, Die Deutschen Justizgesetze in ihrer Anwendung auf die amtliche Thätigkeit der Konsuln rc., Berlin 1879. — Desque v. Püttlingen, Oesterr.-Ungar. inter­ nationales Privatrecht, Wien 1878, S. 366, 511. — Malfa tti bi Monte Tretto, Hand­ buch des Oesterr.-Ungarischen Konsularwesens, Wien 1879, S. 133, 366. — de Clerq et de Vallat, Guide pratique, 4. Ausg. II. S. 367. B. König.

Konsularmatrikel. Ueber die in ihrem Amtsbezirke wohnenden Reichs­ angehörigen haben die Teutschen Konsuln ein Berzeichniß, die sog. Matrikel zu führen. Die Aufnahme in diese Matrikel ist für die Reichsangehörigen von besonderer Bedeutung geworden, nachdem das ReichSgef. über die Erwerbung und den Verlust der Staatsangehörigkeit vom 1. Juni 1870 (B.G.Bl. S. 355) bestimmt hat, daß die Staatsangehörigkeit durch zehnjährigen ununterbrochenen Aufenthalt im Auslande verloren geht, daß diese zehnjährige Frist von dem Zeitpunkte deS Austritts aus dem

ÄonMemglemeetö.

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Bundesgebiete bzw. mit Ablauf der Reisepapiere beginnt, daß dieselbe aber durch die Eintragung in die Matrikel eines Reichskonsuls unterbrochen wird. Hiernach haben die im Auslande sich aufhaltenden Teutschen es in der Hand, sich ihre hei­ mische Staatsangehörigkeit auch über zehn Jahre hinaus zu erhalten, indem sie sich in die K. eintragen laßen. In den Teutschen Konsulatsbezirken ist die Eintragung in die Matrikel nicht obligatorisch. Soweit nicht etwa die Landesregierung ver­ langt, daß Ausländer sich behufs ihrer Legitinlation mit Bescheinigungen über die Eintragung in die Matrikel ihres Konsulats (Matrikelschein, Schutzschein, Patent) versehen, haben die Deutschen Konsuln — auch die mit Gerichtsbarkeit versehenen — weder das Recht noch die Pflicht, die Meldung zur Jmmatrikulirung zu erzwingen, auch ist die vorgängige Eintragung in die Matrikel nicht die Bedingung des von den Konsuln zu gewährenden Schutzes. Diese, im Interesse der Berkehrsfreiheit ge­ troffene Bestimmung unterscheidet das Deutsche Matrikelwesen von dem Oesterr. Alle Oesterreichischen und Ungarischen Staatsbürger, welche im Bezirke eines Oesterreichisch-Ungarischen mit Jurisdiktion versehenen Konsularamts ihren ständigen Wohnsitz nehmen oder über ein Jahr verweilen, müssen einen Matrikelscheiy lösen. Die Unterlassung zieht eine erekutivisch beizutreibende Ordnungsstrafe nach sich. Gsgb. u. Bit.: RGes. vom 8. Nov. 1867 (B.G.Bl. S. 137). — Allgem. Dienstmstr. f. d. Kons, des Deutschen Reichs vom 16. Juni 1871 § 12. — König, Handbuch, Berlin 1878. S. 96. - Verordn, d. k. k. Min. d. Aeußeren v. 2. Dez. 1857 (R.G.Bl. XLVIII. Nr. 234). Malfatti di Monte Tretto, Handb. des Oesterr.-ungar. Konsularwesens, Wien 1879, S. 129, 389. B König.

KonsnlarreglementD.

Die umfangreichen Aufgaben,

welche den Konsuln

gestellt find, sowie der Mangel einer fachmäßigen Ausbildung bei einer großen Zahl dieser Beamten haben es zur Nothwendigkeit gemacht, umfaßende Vorschriften für die Geschäftsführung derselben zu erlaßen. Frankreich ist bereits im 17. Jahrh, mit solchen Dienstanweisungen (K.) vorgegangen. Das Preußische „Reglement für alle Preußischen Generalkonsuls, Konsuls, Agenten und Vizekonsuls in ftemden Handlungsplähen und Seehäfen" vom 18. September 1796 hat nicht nur bis zur Entstehung des Norddeutschen Bundes den Preußischen Konsularbeamten als zweck­ mäßige Anleitung gedient, sondern es ist auch den Reglements anderer, namentlich Deutscher Staaten zu Grunde gelegt worden. Bei der besonderen Sorgfalt, welche seitens der meisten Regierungen in neuem Zeit der Entwickelung des Konsular­ wesens zugewendet wird, kann es nicht fehlen, daß nicht selten neue Instruktionen erlaßen werden und daß deshalb Werke, welche sich die Verarbeitung und Erläutemng des amtlichen Materials zur Aufgabe gestellt haben, in verhältnißmäßig kurzer Zeit veralten. Es ist aber für Geschäftsleute wie für die mit der Vertretung hei­ mischer Jntereffen im Auslande betrauten Beamten von Wichtigkeit, die Rechte und Pflichten der Konsuln eines bestimmten Staates zu kennen. Was für'die Konsuln des einen Staates gilt, ist nicht selten für die Konsuln anderer Staaten unrichtig, daher auch Handbücher, welche aus den Bestimmungen einzelner Länder generalisiren, nur mit Vorsicht zu gebrauchen find. Die gegenwärtig (Ende 1880) für die Konsuln der Europäischen Hauptstaaten und der Vereinigten Staaten von Amerika bestehenden Dienstanweisungen find nachstehend ausgeführt. Selbstverständlich konnten nur die grundlegenden Gesetze und Verordnungen speziell namhaft gemacht werden, die dazu ergangenen weiteren Bestimmungen finden sich in den allegirten Privatarbeiten. 1) Deutschland. Gesetz, betr. die Organisation der Bundes- (Reichs)konsulate sywie die Rechte und Pflichten der Bundes- (Reichs)konsuln, vom 8. Nov. 1867 (B.G.Bl. S. 134). — Allgemeine Dienstinstruktion f. d. Konsuln des Teutschen Reichs vom 6. Juni 1871, nebst Nachtrag vom 22. Febr. 1873, Berlin, R. v. Deckens Verlag. — Gesetz, betr. die Gebühren und Kosten bei den Konsulaten des Deutschen Reichs, vom 1. Juli 1872 (R.G.Bl. S. 245). — Ges., betr. die Konsulargerichtsbarkeit, vom 10. Juli 1879 (R.G.Bl. S. 197). — König,

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Konsularschutz.

Handbuch des Deutschen Konsularwesens, 2. Ausg., Berlin, 1878. — Brauer, Die Deutschen Justizgesetze in ihrer Anwendung aus die amtliche Thätigkeit der Konsuln ic., Berlin 1879. — Das Buch von Döhl, Konsularwesen des Deutschen Reichs, enthält außer einigen antiquirten Anhängen lediglich einen Zusammendruck des Konsulargesetzes und der Allgemeinen Dienstinstruktion; da der abändernde Nachtrag zu letzterer fehlt, so ist das Buch nicht zur Benutzung geeignet. 2) Frankreich. Die zahlreichen Verordnungen, Instruktionen und Regle­ ments finden sich zusammengestellt und für den praktischen Gebrauch bearbeitet in: de Clerq et de Val lat, Guide pratique des Consulats, 4. Ausg. Paris, Perdone-Lauriel, 1880 und in: de Clerq, Formulaire des Chancelleries diplomatiques et consulaires suivi du tarif des Chancelleries et du texte des principales lois, ordonnances, circulaires et instructions ministerielles relatives aux consulats. 5. Ausg. Paris, Perdone-Lauriel, 1879. 3) Großbritannien. General Instructions for H. M. Consular officers. Revised, January 1 st 1879. London pr. b. Harrison and Sons. Die Privatarbeit von Fynn, British consuls abroad, hat nie Autorität gehabt und giebt jedenfalls kein richtiges Bild des gegenwärtigen Britischen Konsularwesens. 4) Für die Italienischen Konsuln sind das Gesetz vom 28. Jan. 1866 und das dazu erlassene, am 7. Juni dess. Jahres genehmigte Regolamento per Fesecuzione della legge 28. gennajo 1866 sulF ordinamento del servigio consolare, Firenze, stamperia reale, sowie die Tariffa consolare approvata colla legge 16. giugno 1871, Firenze, regia tipografia maßgebend. Die gedachten Vorschriften sind auch in Französischer Sprache erschienen. Das Werk tion P.Esperson, Diritto diplomatico, Milano 1874 enthält in Vol. 2 p. 1 eine ausführliche Dar­ legung des Italienischen Konsularrechts. 5) Oesterreich - Ungarn. Eine Generalinstruktion für die OesterreichischUngarischen Konsuln giebt es nicht. Die Werke von Neumann (1854), Piskur (1862) und Barb (1871) sind veraltet, bzw. durch das auf amtlichen Quellen beruhende und eine Bearbeitung aller Vorschriften, Reglements und Instruktionen über das Oesterreichisch-Ungarische Konsularwesen enthaltende „Handbuch des Oesterreichisch-Ungarischen Konsularwesens" von Malsatti di Monte Tretto, Wien 1879, überholt. 6) Rußland. Die für die Russischen Konsuln maßgebenden Generalinstruk­ tionen sind in einem Dienstreglement enthalten, welches den Titel führt: „Regle­ ment pour les consuls de Russie en Europe et en Amerique“ und unterm 23. Dez. 1858 die Kaiserliche Genehmigung erhalten hat, zur Zeit aber einer Um­ arbeitung unterliegt. Auf amtlichen Quellen beruhende Privatarbeiten giebt es nicht. 7) Vereinigte Staaten Von Amerika. Die „Regulations published for the use of the consular service of the United States“, Washington, government printing office, 1874, sind im Staatsdepartement neu bearbeitet worden und steht die Veröffentlichung dieser Umarbeitung demnächst bevor. Ein weiteres amtliches Werk ist nicht vorhanden. Auch Belgien, Dänemark, Griechenland, sowie verschiedene andere Europäische und Amerikanische Staaten haben besondere Konsularreglements. Das Buch von de Cussy „Reglements consulaires des principaux etats maritimes de 1’Europe et de FAmerique,“ Leipzig, Brockhaus, 1851, enthält die bis zum Er­ scheinen desselben ergangenen älteren K. B. König.

Konsularschutz. Nach der gegenwärtigen Auffassung schuldet jeder Staat den Fremden denselben Rechtsschutz wie den eigenen Angehörigen. Demungeachtet pflegen die Regierungen — und nicht blos diejenigen größerer Staaten — zum Schutze ihrer Angehörigen im Auslande besondere Beamten, Konsuln anzustellen. Die Konsularreglements enthalten meist einen auf den K. bezüglichen allgemeinen

Konsularverträge.

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Passus. Der § 1 des Deutschen Konsulargesetzes vom 8. Nov. 1867 erklärt die Reichskonsuln für berufen, den Angehörigen der Bundesstaaten, sowie anderer be­ freundeter Staaten in ihren Angelegenheiten Rath und Beistand zu gewähren. Als Aufgabe der Oesterreichischen Konsuln bezeichnet ein Cirkular des Triester Seeguberniums vom 30. WoD. 1840: den Oesterreichischen Unterthanen ihren Schutz zu dem Ende zu gewähren, daß der Aufenthalt derselben und ihre nach den Landesgesetzen oder Staatsverträgen ihnen gestatteten Verrichtungen und Handlungen nicht beirrt oder damit ihnen nicht unerlaubte Bedrückungen oder unstatthafte Verletzungen zu­ gefügt werden. Die Generalinstruktion für die Britischen Konsuln verpflichtet die­ selben im § 10, Ihrer Majestät trading Subjects nach Kräften Rath und Beistand zu Theil werden zu lassen, durch Schlichtung ihrer Streitigkeiten und Beförderung des Friedens und der Eintracht unter ihnen, sowie durch Vermittelung von Diffe­ renzen zwischen ihnen und den Angehörigen des Aufenthaltslandes. Eine erschöpfende Antwort auf die Frage nach dem Inhalte des K. läßt sich nur aus dem Inbegriff der amtlichen Befugnisse und Obliegenheiten der Konsuln geben. Die Deutschen Konsuln müssen in der Regel auf Anrufen ihrer Schutz­ befohlenen — auch auf schriftliches Ansuchen solcher außerhalb des Konsulatsbezirks sich aufhaltenden Reichsangehörigen, welche im Bezirke Interessen wahrzunehmen haben — Aües thun und leisten, wozu sie kraft ihres Amts ermächtigt sind. Zweifel, welche in dieser Beziehung aus dem Ausdruck des Konsulargesetzes: „Die Konsuln sind befugt, den Konsuln steht das Recht zu", hergeleitet worden sind, entbehren der Begründung. Bei Berathung des Gesetzes im Reichstage ist aus­ drücklich konstatirt worden, daß die dem Konsul anvertrauten Rechte zugleich Pflichten für ihn enthielten, deren Erfüllung den Bundesangehörigen gegenüber er sich nicht entziehen könne. Im Allgemeinen steht es daher nicht im Belieben des Deutschen Konsuls, ob er die ihm durch das Konsulargesetz und amtliche Instruktionen beigelegten Befugnisse ausüben will oder nicht. Selbstverständlich müssen die Be­ dingungen, welche das amtliche Einschreiten voraussetzt, vorliegen, namentlich dürfen die Ortsgesetze nicht entgegenstehen Das Konsulargesetz bestimmt ausdrücklich, daß die Konsuln bei Ausübung ihres Amts die durch die Gesetze und Gewohnheiten ihres Amtsbezirks gebotenen Schranken einhalten müssen und die Allgemeine Dienstinstruktion schärft den Konsuln die genaue Beobachtung dieser Vorschrift noch besonders ein. Aus den Schutz der Deutschen Konsuln haben außer den Reichsangehörigen auch die Schutzbefohlenen im engeren Sinne Anspruch. Zu letzteren gehören die An­ gehörigen befreundeter Staaten, denen die Reichsregierung in Ermangelung eines eigenen Konsuls Schutz zugesagt hat (generell: Oesterreicher, Schweizer) und die in einigen nichtchristlichen Staaten vorkommenden de facto Unterthanen, das sind Per­ sonen, welche ohne ein bestimmtes Anrecht auf den Deutschen K. zu haben, denselben vergünstigungsweise erhalten (z. B. frühere Angehörige des Reichs, Unterbeamte der Gesandtschaften und Konsulate re.).

Gsgb. u. Lit : RGes. vom 8. Nov. 1867 (R.G.Bl. S. 137) - Instruktion des Reichs­ kanzlers vom 1. Mai 1872 und vom 10. Sept. 1879 (Centralbl. S. 575). — Reichstagsverh. von 1867, II. S 224. — König, Handbuch, Berlin 1878, S. 7. — de Clerq et de Val lat, Guide pratique, 4 Ausg. I. S. 432. — P. Esperson, Diritto diplomatico, Vol. 2 P. 1 p. 80. t B. König.

Konsularverträfte. Die Regelung des Konsularwesens beruht auf einer­ doppelten Grundlage, einer staatsrechtlichen und einer völkerrechtlichen. Es ist zu­ nächst Sache jedes einzelnen Staates, auf dem Wege von Gesetzen, Verordnungen oder Instruktionen diejenigen Grundsätze sestzustellen, nach denen die Organisation des Konsularwesens, insbesondere die Vorbildung, die Anstellung, die Dienstführung, die Beaufsichtigung zu erfolgen hat, sowie auch zunächst darüber zu entscheiden, welche Funktionen und Berechtigungen den Konsuln zustehen sollen. (Vgl. Gesetz, betr. die Organisation der Bundeskonsulate, sowie die Amtsrechte und Pflichten der Bundeskonsnln vom 8. Nov. 1867. Allgemeine Dienstinstruktion für die Konsuln

588

Äeefilemrtrigr.

des Deutschm Reichs vom 6. Juni 1871.) ES ist jedoch andererseits nothwendig, mit der Staatsgewalt desjenigen Landes, für welches die konsularische Thätigkeit wirksam werden soll, eine Uebereinstimmung hinsichtlich der Zulaffung, sowie hin­ sichtlich der Rechte und Pflichten der Konsuln herbeizumhren. Sofern nun nicht die Gesetze und Gewohnheiten deS betreffenden Landes in dieser Hinsicht den freiesten Spielraum gewähren, sind völkerrechtliche Abmachungen erforderlich, und zwar um so mehr, je weiter heutzutage mit dem Wachsen deS internationalen Verkehrs der Wirkungskreis der Konsuln sich zu erweitern sucht. Solche internationale Verein­ barungen find wieder in doppelter Weise möglich. Sie können zunächst integrirende Theile der Handels- und Schiffahrtsverträge sein. In solcher Weise finden sich Be­ stimmungen über das Konsularwesen insbesondere in den Handels- und Schiffahrts­ verträgen Preußens, resp, des Zollvereins, z. B. mit den Vereinigten Staaten vom 1. Mai 1828 Art. 10 ff., mit Meriko vom 18. Febr. 1831 Art. 13 ff., mit Griechenland vom 31. Juli 1839 Art. 16 ff., mit Portugal vom 20. Febr. 1844 Art. 16 ff., mit Belgien vom 1. Sept. 1844 Art. 13 ff., mit der Türkei vom 22. März 1764 Art. 15 ff. und vom 10. Oct. 1840 Art. 1 (v. Kamptz, Die Handels- und Schiffahrtsverträge des Zollvereins, Braunschweig 1848, S. 4, 14, 29, 151, 185, 214, 313, 351. v. Rohrscheidt, Preußens Staatsverträge, Berlin 1852, S. 18). Ferner in den vom Nordd. Bunde resp, dem Zollvereine abgeschloffenen Handels- und Schiffahrtsverträgen, z. B. mit der Republik Liberia vom 31. Oft 1867 Art. 17, mit dem Kirchenstaate vom 8. Mai 1868 Art. 8 ff., mit Italien vom 14. Aug. 1867 Art. 19 ff. (B.G.Bl. Jahrg. 1868 S. 197 ff., 408 ff., Jahrg. 1867 S. 317 ff); endlich auch in den vom Teutschen Reiche abgeschloffenen Handels- und Schiffahrtsverträgen, wie z. B. in dem Freundschasts-, Handels- und Schiffahrtsvertrage mit Persien vom 11. Juni 1873, indem Art. 3 den Kontrahenten gegenseitig das Recht einräumt, drei Konsuln in den Staaten des andern Theils zu ernennen, für deffen amtliche Stellung auf das Recht der meist­ begünstigtsten Nation verwiesen wird, während Art. 13 die konsularische Gerichts­ barkeit in Persien näher regelt (R.G.Bl. Jahrg. 1873, S. 351 ff.). Völkerrecht­ liche Bestimmungen über das Konsularwesen können aber auch in eigenen K. getroffen werden. Solche K. sind bereits früher von Preußen abgeschlossen worden, z. B. mit den Niederlanden unterm 16. Juni 1856 wegen der Zulassung Preußischer Konsuln in den Niederländischen Kolonien. Ebenso vom Norddeutschen Bunde, nämlich mit Italien unterm 21. Dez. 1868 (B.G.Bl. 1869 S. 113 ff.), und mit Spanien unterm 22. Febr. 1870 (B.G.Bl. 1870 S. 99 ff.). Ferner vom Deutschen Reiche mit den Vereinigten Staaten von Nordamerika unterm 11. Dez. 1871 (R.G.Bl. 1872 S. 95 ff.), mit Rußland unterm 26. Novbr. resp. 8. Tezbr. 1874. Endlich sind seit dem Bestehen des Reichs sowol der Preuß.-Niederländ. Ver­ trag v. 16. Juni 1856 durch Deklaration v. 11. Jan. 1872 (R.G.Bl. 1872 S. 67 ff.), als auch der "Nordd.-Italien, und der Nordd.-Span. Vertrag v. 21. Dez. 1868 resp. 22. Febr. 1870 durch besondere Verträge zwischen dem Deutschen Reiche und Italien resp. Spanien v. 7. Febr. 1872 resp. v. 12. Jan. 1872 (R.G.Bl. 1872 S. 134 ff., 211 ff.) am die konsularischen Agenten des Teutschen Reichs in den Niederländischen Kolonien, sowie auf die konsularischen Agenten des Deutschen Reichs in Italien und Spanien, und die konsularischen Agenten Italiens und Spaniens im Gebiete des Deutschen Reichs ausgedehnt. Deutschland hat zur Zeit 29 K., deren wesentlicher Inhalt aufgeführt ist in Angsb. Allg. Ztg. 1878 Nr. 42 ff.

Lit.: Hefster-Geffcken, Europ. Völkerrecht, 7. Aufl. 1881, S. 474 ff. — MartensGeffcken, Le guidediplomatique, T. 1.(1866) p. 231 ss. — Phillimore, Commentaries, 2. ed. 1871 II. 272 ss. — Field, Outlines of an international Code, 2. ed. 1876 p. 58 ss. — Reitz, Die K. des Deutschen Reichs, in Hirth's Annalen, Jahrg. 1872 S. 1281 ff. (gute Dar­ stellung des Inhalts der neuen Verträge). — Lammers, Handel, Zollwesen, Konsularwesen, in v. Holtzendorsf's Jahrb. I. 249; II. 127. — König, Handbuch des Teutschen Konsular­ wesens, 1875 S. 439 ff. (Abdruck der neuen Verträge). Ernst Meier.

ftsnfumthn.

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Asusumtio«. Tas Verzehren, so von Sachen (fructus, pecunia, sors) wie von Rechten (actio, obligatio), von größerem juristischen Interesse nur in der Gestalt, die heutzutage prozessualische K. heißt. „Bis de eadem re ne sit actio“, lautet eine alte, von Quinctilian (inst. or. VII. 6, 1, decl. 266) überlieferte Regel. Sie hatte zu den verschiedenen Zeiten eine verschiedene Bedeutung und über ihre gegenwärtige ist der Streit noch nicht aus­ getragen. L. 6 D. 44, 2 scheint dieselbe aus dem Umstande zu rechtfertigen, daß zwischen den etwa ergehenden mannigfachen Erkenntnissen kein Widerspruch entstehe. Allein in der klassischen Zeit wurde der Sah dahin verstanden, daß mit ihrer An­ stellung jede Klage auch ihre Verwirklichung gefunden habe und deswegen nicht wieder aufs Reue vor den Richter gebracht werden könne (Gai. IV. 103 bis 108; III. 180, 181). Richt also erst das Urtheil, sondern schon die Litiskontestation setzte der einmal erhobenen Klage ein Ziel, welche dadurch bald ipso jure (Gai. IV. 180), bald ope exceptionis (sc. rei in Judicium deductae resp, judicatae) vernichtet wurde. Diese sog. prozessualische K. wurde mit voller Schärfe durch­ geführt, nicht blos, wenn die Erhebung der neuen Klage mit dem materiellen Recht in Widerspruch stand, sondern auch Derjenige, welcher z. B. wegen sog. pluspetitio oder einer ausschiebenden Einrede zurückgewiesen wurde, konnte wegen seines wirk­ lichen Anspruches oder nach Beseitigung des Auffchubes nicht aufs Reue klagen. Ebenso verhinderte die Prozeßverjährung die Wiedererhebung des Anspruchs. In der späteren Zeit jedoch ist theils die Jurisprudenz (z. B. 1. 30 D. 5, 1) theils die Kaisergesetzgebung (z. B. 1. 2 pr. C. 3, 20) von der formellen Starrheit unserer Regel zurückgekommen; man kann sogar schon für das Justinianeische (1.1. 2, 16 D. 45, 2 sind nach richtiger Meinung durch 1. 28 0.8, 41 abgeändert) sicherlich aber für das heutige Gem. Recht behaupten, daß sie sich in den Sah umwandelte: bona fides non patitur, ut bis idem exigatur (1. 57 D. 50, 17). Rach der herrschenden Meinung ist nur noch Ein Ueberrest der alten Regel zurückgeblieben; es wird näm­ lich, wenn der eine von zwei Korrealgläubigern den Prozeß angestrengt hat, der andere völlig ausgeschlossen (1. 2, 1. 16 D. 45, 2; 1. 5 D. 46, 1; 1. 28 C. 8, 41). Es kann also heutzutage einerseits z. B. der Kläger, welcher mit seinem An­ spruch in der angebrachten Art oder zur Zeit abgewiesen ist, eine neue und bessere Klage anbringen, andererseits aber wird sie Demjenigen verweigert, welcher wegm seines Anspruchs bereits ein Urtheil erstritten hat. In diesem Sinne giebt es also auch jetzt noch eine prozessualische K. Reben der oben an die Spitze gestellten Regel bildete sich aber selbständig das Dogma von der Rechtskraft des Urtheils aus, welches die exc. rei judicatae zur Folge hat und die prozessualische K. zum Theil ersetzt. Ueber die Wirkungen dieser exc. ist man aber keineswegs einig. Während Belker nur die in der prozessua­ lischen K. liegende negative Funktion der gedachten Einrede für allein vorhanden und ausreichend erklärt, schreibt man ihr von anderer Seite bald auch (Keller, Litiskontestation und Urtheil, 1827; Windscheid; Baron); bald nur eine positive Funktion (Savigny, System VI.) heute zu. Diese Frage ist jedoch bei der Rechtskraft des Urtheils zu behandeln. Die neueren Gesetzgebungen (z. B. Preuß. Allg. Gerichtsordn., Einl. §§ 65, 66. Code Nap. art. 1351) stehen auf dem eben entwickelten Standpunkte. Derselbe bildet auch die Grundlage der Deutschen EPO., wie sich z. B. aus der nur provisorischen Wirkung des Bersäumnißurtheils (§ 303) ergiebt.

Quellen: T. D. de re iudicata 42, 1. — T. D. de except. r. iudicatae 44, 2. — T. C. de re iudicata 7, 52. Lit.: Außer der Literatur zu Art. Litiskontestation u. Rechtskraft siehe: Bekker, Die prozessualische K.; Derselbe, Die Aktionen des Röm. Privatrecht-, 2. Bd. 1871, 1873. — Windscheid, Die Actio des Röm. Civilr. §§ 6—13. — Muther, Zur Lehre von der Röm. Actio, §§ 22—27. — Krüger, Die proz. K. — Dgl. auch die Kritiken von Dern

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Kontokurrent — Kontrafignatur.

bürg in der Heidelb. krit. Ztschr. II. S. 339 ff. — Helmolt, Krit. Ueberschau, III. 6. — Pöschmann in Schletter's Jahrb. II. 184. — Ferner: Bethmann-Hollweg, Civ.Prz., II. § 103. — Krüger in der Ztschr. für Rechtsgesch. VII. 231 ff. - Kleinschrod, Ueber prozessual. K. und die Rechtskraft des Civilurtheils, 1875. — Darüber: Bekker, Jenaer Lit.Ztg. 1875 Nr. 22 und Schott, Krit. V.J.Schr. XIX. 481 ff. Kayser.

Kontokurrent (Th. I. S. 539). Der K.Bertrag, welcher auch durch still­ schweigendes Einverständniß begründet werden kann, fetzt voraus, daß nach der Ab­ sicht der Kontrahenten während der, durch die Rechnungsabschlüsse gebildeten Perioden, die Leistung des einen Kontrahenten nicht zur Tilgung einer bestimmten einzelnen Zahlungsverpflichtung desselben dienen und eine Kompensation zwischen einzelnen Forderungen und Gegenforderungen nicht eintreten solle, sondern daß die Leistungen und Forderungen auf jeder Seite als ein Ganzes behandelt und die. überschießenden Summen zur Ermittelung der Differenz verglichen werden sollen, welche letztere als Saldo, entweder von dem Schuldner zu berichtigen, oder in dessen Debet der neuen Rechnungsperiode als erster Schuldposten vorzutragen ist. Demgemäß gehen die einzelnen Rechnungsposten in den Abschlußsummen des Kredit und Debet, und mit diesem in dem Saldo auf. Hieraus folgt, daß — sofern keine besonderen Ab­ reden entgegenstehen — einzelne Forderungen, also auch die aus Wechseln, auf welche der K.Bertrag sich bezieht, nicht selbständig angeklagt werden können. In einer Anerkennung des Saldo liegt zugleich eine Anerkennung der einzelnen Schuldposten. Wird nach Empfang eines Kontokurrentabschlusses der Geschäftsverkehr ohne Monitur fortgesetzt, so gilt sogar der Abschluß als anerkannt (Entscheid, des ROHG. Bd. 15 S. 227). Rach Art. 291 des Deutschen HGB. können vom Saldo, wenngleich darunter Zinsen begriffen sind, seit dem Tage des Abschlusses Zinsen gefordert werden. Lit: Ende mann, Deutsches H.R., § 144. — Thöl, H.R., § 113. — Creizenach in Goldschmidt's Ztfchr. Bd. 7 S. 88. — Boigtel in Busch's Arch. Bd. 3 S. 203. — Entsch. d. ROHG. Bd. 2 S. 138 u. 221; Bd. 3 S. 142; Bd. 5 S. 42 u. 337; Bd. 6 S. 252; Bd. 7 S. 88; Bd. 9 S. 216, 244; Bd. 10 S. 56, 101, 358; Bd. 11 S. 142, 275; Bd. 12 S. 72, 155, 288; Bd. 14 S. 70; Bd. 15 S. 280; Bd. 16 S. 30, 307; Bd. 17 S. 124, 414; Bd. 20 S. 87, 104; Bd. 22 S. 337; Bd. 24 S. 203. - Entsch. d. Reichsger. in Civilsachen Bd. 1 S. 18. v. Kräwel.

Kontrafignatur. Jeder Regierungsakt des Monarchen bedarf zu seiner formellen Gültigkeit der Mitunterzeichnung eines Ministers. Es folgt hieraus, daß das Fehlen der K. dem Erlaß des Monarchen jede Gültigkeit nehmen, daß ein solcher Akt vollkommen unverbindlich sein würde. Diejenigen Akte, welche sich am die Ausübung des Oberbefehls über das Heer beziehen, bedürfen der K. nicht, wo-, gegen diejenigen Erlasse, welche Gegenstände der Militär-Verwaltung oder der militärischen Gesetzgebung betreffen, abgesehen von den sonstigen Erfordernissen, denen die Militärgesetzgebung, wie jede andere Gesetzgebung genügen muß, auch der K. be­ dürfen. — Die K. findet statt bei Publikation der Gesetze, welche in Gemeinschaft der Landesvertretung und des Landesherrn zu Stande gekommen sind. Es bezieht sich in diesem Falle die K. auf den Akt der Publikation selbst, sowie darauf, daß der Inhalt des publizirten Gesetzes in Uebereinstimmung sich befinde mit Demjenigen, was zwischen dem Landesherrn und der Landesvertretung vereinbart worden ist. Die K. ist ferner nothwendig bei Erlaß der zur Ausführung verkündeter Gesetze er­ forderlichen Verordnungen. Daß die K. da, wo der Landesherr von dem ihm zu­ stehenden außerordentlichen Verordnungsrechte — dem Octroyirungsrechte — Gebrauch macht, ebenfalls erforderlich ist, versteht sich von selbst. In diesem Falle wird sogar die K. in weiterem Umfange verlangt, als bei anderen Verordnungen. Die octroyirten Verordnungen sind von sämmtlichen Ministern zu kontrasigniren (Preuß. Verfg.Urk. Art. 63). Für das Deutsche Reich bestimmt Art. 17 der Verfassung des Deutschen Reichs: „Dem Kaiser steht die Ausfertigung und Verkündigung der Reichs­ gesetze und die Ueberwachung der Ausführung derselben zu. Die Anordnungen und

Korttrrdsnde.

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Verfügungen des Kaisers werden im Namen des Reiches erlassen und bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung des Reichskanzlers, welcher dadurch die Verantwortlichkeit übernimmt." Die hervorgehobenen Worte sanden sich nicht in dem Entwurf zu der Verfassung des Norddeutschen Bundes, sondern statt derselben waren nur vorgeschlagen die Worte: „und von dem Bundes­ kanzler mit unterzeichnet". Durch eine solche „Mitunterzeichnung" des Bundes­ kanzlers wäre dann nichts weiter erreicht gewesen, als, was schon durch ältere Ver­ ordnungen in der vorkonstitutionellen Zeit bestimmt war, daß nämlich der Minister den landesherrlichen Erlaß mit unterzeichnen müsse, um die Authentizität desselben zu verbürgen. Die K. ist nach zwei Richtungen wirksam. Zunächst äußert sie ihre Wirksamkeit darin, daß kontrafignirte Anordnungen befolgt werdm müssen. Von diesem Grundsätze wird nur da eine Ausnahme eintreten, wo einzelnen Behörden, namentlich den Richtern, auch die Befugniß eingeräumt ist, die Verfassungsmäßigkeit der Anordnungen zu prüfen. Denn in diesem Falle würde die K. allein die Be­ folgung der Anordnung nicht bewirken, diese würde vielmehr nur dann erfolgen, wenn die übrigen verfassungsmäßigen Voraussetzungen vorlägen. Die Preuß. Ver­ fassung bestimmt in Art. 106, daß Gesetze und Verordnungen verbindlich sein sollen, wenn sie in der vom Gesetze vorgeschriebenen Form bekannt gemacht worden find. Aus dieser Bestimmung folgt, daß wenn eine kontrafignirte Königliche Verordnung in der Gesetzsammlung publizirt wird, dieselbe von dem Richter auch alsdann befolgt werden muß, wenn der Inhalt derselben die Mitwirkung der Kammern bei dem Zustandekommen derselben erfordert hätte. Eine dem Art. 106 der Preuß. Verfg.Urk. entsprechende Bestimmung findet sich aber in der Verfassung des Deutschen Reichs nicht. Hieraus folgt denn, daß eine von dem Reichskanzler kontrafignirte, im RGBl. publizirte Verordnung des Kaisers von dem Richter, oder denjenigen, die sonst zu ihrer Anwendung berufen sein mögen, auch darauf zu prüfen ist, ob dieselbe in verfassungsmäßiger Weise zu Stande gekommen ist. Die K. äußert so­ dann ihre Wirksamkeit darin, daß durch dieselbe der kontrasignirende Minister die Verantwortlichkeit für die von ihm kontrafignirte Anordnung übernimmt. Der Minister hat, soweit die Verantwortlichkeit einer Maßregel zur Sprache kommt, die­ selbe als seine eigene Maßregel zu vertreten. Quellen: Verfassung befc Deutschen Reiches, Art. 17. — Preuß. DersassungS-ürkunde Art 44, 63. — Sächs. Verfassungs-Urkunde § 108. — Württemb. Verfassungs-Urkunde § 51. — Weimar. Grundgesetz (1850) § 47. Lit.: v. Rönne, Staatsrecht der Preußischen Monarchie, I. 1 S. 192, 206 ff.; II. 1 S. 61; Derselbe, DaS Derfaffungsrecht des Deutschen Reichs, S. 182 ff. — Seydet, Komment, zur Verfassungs-Urkunde für das Deutsche Reich, S. 123 ff. — Thudichum, Dersassungsrecht des Nordd. Bundes, S. 128 ff. — Zachariä, Deutsches Staatsrecht, I. § 62 S. 294. — Hermann Schulze, Das Preuß. Staatsrecht, I. S. 156. — Laband, Staats­ recht des Deutschen Reiches, Bd. I. S. 306 ff., des. S. 312. John.

Kontrebande. Der Begriff der K. ist noch immer ein schwankender, da die Grenzen desselben sowol in der Wissenschaft wie im politischen Leben bald enger bald weiter gezogen werden. Veranlassung zu dieser Unsicherheit hat bereits die von Hugo Grotius aufgestellte Definition gegeben. Die Theorie einer sog. relativen Kriegskontrebande, welche bis in die neueste Zeit hinein den Prisenrichtern einzelner Seemächte Veranlassung gegeben hat, den Begriff auf das willkürlichste auszudehnen, ist dadurch ins Leben gerufen worden. Grotius theilt die Handelsartikel in folgende drei Klaffen ein- 1) Solche, welche nur in Kriegszeiten Verwendung finden, und daher unter allen Umständen zur K. gehören. 2) Solche, die nicht für Kriegs-, sondern nur für Friedenszwecke dienen und deshalb niemals zur K. gehören. 3) Solche, die je nach den Umständen zur K. gehören oder nicht, weil sie sowol mr Kriegs- als auch für Friedenszwecke verwendet werden können. Das Ungenügende und Bedenkliche dieser Definition wurde bereits von dem Holländischen Juristen

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Konterbande.

Bynkershoek hervorgehoben, welcher nur solche Gegenstände, die unmittelbar und ohne weitere Verarbeitung für Kriegszwecke benutzt werden können, als K. angesehen wissen will. Die 1780 gestifteten Bündnisse der bewaffneten Neutralität suchten alle Kontro­ versen über den Begriff dadurch zu beseitigen, daß sie eine 20 Artikel, welche aus­ schließlich zur K. gehören sollten, umfassende Liste aufstellten. Diese Artikel fallen fämmtlich unter die Kategorie von Waffen und Kriegsmunition. Daß Waffen und Kriegsmunition zur K. gehören, darüber besteht kein Zweifel, dagegen ist bei vielen Artikeln, welche nicht zu den gedachten Kategorien gehören, diese Eigenschaft manchen zweifelhaft. Den Neutralen ist es völkerrechtlich verboten den Kriegführenden K. zuzusühren, weil darin eine Betheiligung an der Kriegführung, also eine Verletzung der Neutralitätspflichten enthalten sein würde. Daß eine solche Betheiligung an der Kriegführung resp, eine Unterstützung der Kriegführenden auch durch Zuführung anderer Artikel, welche nicht die Eigenschaft von Waffen und Kriegsmunition besitzen, herbeigeführt werden kann, unterliegt keinem Zweifel. So können z. B. Steinkohlen nach Lage der heutigen Kriegführung den Charakter von K. gewinnen. Es muß dahet erwünscht erscheinen, daß der von den Bündnissen der bewaffneten Neutralität gemachte Versuch eine Liste von Gegenständen aufzustellen, welche ausschließlich zur K. gehören sollen, von den Mächten wiederholt wird. Eine Ergänzung der seerecht­ lichen Deklaration des Pariser Kongresses in dieser Richtung würde von großerBedeutung sein. Analoge Fälle der K. sind: 1) Die freiwillige Zuführung von Mannschaften für den Land- und Seekrieg. 2) Die freiwillige Zuführung von Kriegs- und Trans­ portschiffen, und 3) die freiwillige Beförderung von Depeschen an und für eine der kriegführenden Mächte, resp, für einen Gesandten derselben, insofern diese nicht eine durchaus friedliche und unverfängliche Bestimmung haben. Auch über den Umfang der Strafe, welcher den Transport von K. nach sich zieht, bestehen Meinungsverschiedenheiten. Nach der Praxis einiger Mächte, namentlich Frankreichs, unterliegt außer der K. auch der übrige Theil der Ladung der Wegnahme, insofern die K. den überwiegenden Theil der Ladung ausmacht. Auch das Schiff wird nach der von Bynkershoek aufgestellten Ansicht, welche auch von neueren Publizisten mehrfach getheilt wird, aufgebracht und kondemnirt, wenn dem Eigenthümer oder Rheder der Beweis geführt werden kann, daß ihm die Befrachtung mit K. bekannt war. Nach der richtigen, bereits von Dattel vertretenen Ansicht kann jedoch unter allen Umständen nur die K. selbst aufgebracht werden, das befrachtete Schiff, sowie der übrige Theil der Ladung müssen unter allen Umständen freigegeben werden. In den Fällen der analogen K. erfolgt die Wegnahme des neutralen Schiffes. Bei der sog. relativen K. wird bisweilen ein Zwangsverkauf für Rechnung des Eigenthümers bewirkt. Die Aufbringung und Kondemnirung der K. ist nur berechtigt, wenn das befrachtete neutrale Schiff auf offener See angetroffen wird und die feindliche Bestimmung der K. seststeht. Die feindliche Bestimmung der K. ist das entscheidende Moment, und es ist nicht wesentlich, daß das neutrale Schiff bei seiner Anhaltung sich auf der direkten Reise nach einem feindlichen Hafen befindet. Die feindliche Bestimmung muß aber durch die Schiffspapiere oder anderweit sich evident ergeben. Es ist das die von den englischen Juristen aufgestellte Theorie von der „Einheit der Reise" (the doctrine of continous voyage), welcher es in der Anwendung auf die K. nicht an rechtlicher Begründung fehlt. Von den Englischen und Amerikanischen Juristen ist diese Theorie aber ganz willkürlich auch auf das Blokaderecht angewendet worden. — Sobald das neutrale Schiff den Bestimmungshafen erreicht und die K. ausgeschifft hat, hört jede Straffälligkeit auf. Der Englische Prisenrichter Sir M. Scott hat in einzelnen Fällen zwar neutrale Schiffe kondemnirt, welche aus der Weiter- oder Rückreise angehalten wurden, nachdem sie die K. ausgeschifft hatten. Das Ver­ fahren wird aber auch von solchen Juristen, welche das neutrale Schiff, so lange es die verbotene Fracht führt, in gewissen Fällen für strafbar halten, für eine Rechts-

Kontumazialberfahren — Konvaleszenz der Rechtsgeschäfte.

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Verletzung erklärt. In der vor einiger Zeit von dem höchsten Peruanischen Gerichts­ höfe gegen das Hamburgische Schiff „Luxor" gefällten Entscheidung war dieses ver­ kehrte Prinzip zur Anwendung gebracht. Die Peruanische Regierung hat sich aber zur Herausgabe des Luxor verstehen müssen. Einige Juristen haben die ganz willkürliche Theorie aufgestellt, daß nur der Transport von K. zur See verboten, dagegen der Verkauf von K. auf neutralem Gebiete gestattet sei, auch wenn kein Zweifel darüber bestehe, daß eine Verwendung für Kriegszwecke beabsichtigt werde. Namentlich haben einige angesehene Englische Juristen sich für diese Theorie ausgesprochen, welche jedoch auch von Phillimore entschieden bekämpft wird. Während des Deutsch-Französischen Krieges von 1870 gewann dieselbe eine große politische Bedeutung, da in England sowol wie von den Vereinigten Staaten damals K. in großem Umfange an die Französische Regierung verkauft wurde. Ein solches Verfahren steht offenbar in Widerspruch mit den Neutralitätspflichten. Es macht daher, wenn es in größerem Umfange stattfindet, die neutrale Regierung, welche einen solchen Verkauf auf ihrem Gebiete gestattete, hierfür völkerrechtlich verantwortlich.

Lit.: Heffter, Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart, 6. Ausgabe, S. 302 ff. — Bluntschli, Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staaten, 2. Aufl., §§ 765—794, 795, 801—817. — Marquardsen, Der Trentfall. — Gessner, Le Droit des Neutres sur mer, 2. öd., S. 82—162. — Wheaton, Elements du droit international, 2. ed., II. p. 138 ss. — Phillimore, Commentaries upon international law, t. III. p. 350 ss. — Hautefeuille, Le droit et les devoirs des nations neutres en temps de guerre maritime t. 111. p. 1 ss. — Ortolan, Rögles internationales et Diplomatie de la mer, t. 2 p. 175 ss. — Cauchy, Le droit maritime international considöre dans ses origines et dans ses rapports avec les progrös de la Civilisation, t. II. p. 205 ss. — Calvo, Le droit international, t. II. p. 481 ss. L. Geßner.

Konturnazialverfahren,

s. Versäumnißverfahren und

Abwesende

(Strafverfahren).

Konvaleszenz der Rechtsgeschäfte. Wenn bei einem reszissiblen (an­ fechtbaren) Rechtsgeschäfte der Grund der Anfechtbarkeit wegfällt, weil die Person, welcher das Recht der Anfechtung zustand, dieses Recht aufgiebt oder verliert, z. B. weil der Gezwungene das zwangsweise eingegangene Rechtsgeschäft nachträglich frei genehmigt, so steht fortan der vollkommenen Gültigkeit dieses Rechtsgeschäfts nichts mehr im Wege. — Anders verhält es sich bei nichtigen Rechtsgeschäften: durch das Verschwinden des Grundes oder der Gründe der Nichtigkeit kann das nichtige Geschäft doch nicht zu einem gültigen werden, sondern es bleibt ungültig. Dies wird ganz allgemein ausgesprochen im bekannten Satze: Quod initio vitiosum est, non potest tractu temporis convalescere (1. 29 de R. J. 50, 17), eine regula Juris antiqui, die in den Sextus übergegangen ist, und von welcher sich zahlreiche Anwendungen aus allen Theilen des Rechtsgebiets in unseren Quellen nachweisen lassen (s. auch d. Art. Catonianische Regel). Nur wenige Ausnahmen sind davon anzuführen. Die verbotswidrige Veräußerung des zur Mitgift gehörenden Grund­ stücks konvaleszirt, wenn die Frau während der Ehe stirbt und der Mann die ganze Dos lukrirt. Die Schenkung unter Ehegatten konvaleszirt (in Folge einer Konstitution von Earacalla), wenn der Schenker in der Ehe stirbt, ohne widerrufen zu haben. In Beziehung auf ungültige Adoption wird landesherrliche Konfirmation als Konvaleszenzgrund angegeben. — In den wenigen Fällen, wo sie stattfindet, hat die K. rückwirkende Kraft; das Geschäft datirt nicht erst vom Augenblicke, wo es wirklich gültig wird, sondern von dem Augenblick des ungültigen, nunmehr als gültig fingirten Abschlusses. Es kommt vor, daß ein bestimmtes Rechtsgeschäft zwar nicht als dasjenige, welches es sein sollte, gültig ist, wol aber dem Willen der Parteien gemäß als ein anderes, ähnliches, dessen schwächeren objektiven Requisiten das Geschehene Genüge leistet. So kann ein ungültiges Testament vermöge der Kodizillarktausel als Kodizill

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Konventionalstrafe.

aufrechtgehalten werden, eine ungültige Acceptilation als Paktum. Dies ist jedoch keine K., sondern eine sog. Konversion, eine Umwandlung des ungültigen Ge­ schäfts in ein anderes Geschäft. Weder damit, noch mit der K. ist zu verwechseln die nachträgliche wirkliche wirksame Vornahme des früher ungültig vorgenommenen Rechtsgeschäfts, — ein juristisch indifferenter Fall, wobei von Rückwirkung keine Rede sein kann.

Lit.: Römer, im Civ.Archiv XXXVI. (1853). — Unger, Die Jnhaberpapiere, 90 ff. — Windscheid, §§ 32, 83. — Brinz, § 283. — Arndts, § 79. Ri vier.

Konventionalstrafe ist diejenige Leistung, zu welcher kraft Privatrechts­ geschäftes (Vertrages oder letzten Willens) das verschuldete Ausbleiben einer anderen Leistung verpflichtet. Die Festsetzung einer K. verfolgt gleich jeder Straffatzung den doppelten Zweck der Prävention und der Reaktion, indem sie zunächst die erwartete andere Leistung zu sichern, eventuell aber ihr Ausbleiben zu ahnden bestimmt ist. Daß die erwartete andere Leistung selbst eine rechtlich geschuldete sei, ist nicht er­ forderlich ; vielmehr dient das Strafgeding namentlich auch als Mittel zur Sicherung solcher Leistungen, die sich nicht zu unmittelbaren Schuldobjekten eignen. Die accessorische zu einer anderen Schuld hinzutretende Strafschuld kann zu jener in einem verschiedenen Verhältnisse stehen. Würde die Leistung der K. ihrem Namen ent­ sprechend dem Zwecke dienen, den Schuldner für die Unterlassung der prinzipaliter geschuldeten Leistung zu bestrafen- so würde durch die Entstehung der Straffchuld die Prinzipale Verbindlichkeit überhaupt nicht berührt und hätte der Gläubiger die Strafleistung neben der prinzipaliter geschuldeten Leistung oder der nach allgemeinen Grundsätzen an ihre Stelle tretenden Ersatzleistung zu fordern. Im Zweifel bezweckt jedoch die Strafleistung nicht sowol die Schädigung des Schuldners als die Schadloshaltung des Gläubigers Der K. bedarf der Verkehr wesentlich wegen der Schwierigkeiten, welchen der Beweis des Interesses an unterbliebenen und vereitelten Leistungen ausgesetzt ist, und der Zweck der Strafleistung ist im Zweifel kein anderer als der dem Gläubiger zu sicherer und reichlicher Entschädigung für das durch den Schuldner ihm Vorenthaltene zu verhelfen. Dabei ist es aber Auslegungsfrage, welches Interesse als dasjenige erscheint, dessen Ersah die Strasleistung bezweckt; es kann dies nicht nur sein der Werth, welchen die ganze prinzipaliter geschuldete Leistung, sondern auch nur derjenige, welchen eine bestimmte Beschaffen­ heit derselben, z. B. die Zeit ihrer Vollziehung, für den Gläubiger hat. Im letzteren Falle vermag selbstverständlich die Leistung der Strafe die Existenz der Hauptschuld nur in denjenigen Momenten zu berühren, deren Werth für den Gläubiger in der Ausbedingung der Strafe sich ausdrückte; ist z. B. für jede Woche verspäteter Lieferung eine bestimmte Summe als Strafe bedungen, so steht dem Gläubiger jeden­ falls neben der Forderung der Strafe die volle Geltendmachung jedes nicht gerade auf die Zeit der Leistung sich beziehenden Interesses zu. Bedingt sich aber der Gläubiger die Strafe aus im Sinne einer den Schuldner bindenden Schätzung seines Interesses an demjenigen Momente der geschuldeten Leistung, durch dessen Ausbleiben die Strafe verfällt, so fragt sich ferner, ob an diese Schätzung auch der Gläubiger selbst gebunden ist. In dieser Beziehung unterschied das Römische Recht zwischen stricti iuris und bonae fidei negotia. Die jenen beigefügte Pönalstipulation behandelte es als bedingte Novation, so daß durch Verwirkung der Strafe die prior obligatio erlosch; dagegen ließ es die zu einer bonae fidei obligatiohinzutretende Straffchuld mit dieser konkurriren, so daß die Erfüllung der einen die Geltendmachung der anderen nur zu demjenigen Betrage ausschloß, zu welchem beide sich deckten (1. 44 § 6 D. de obl. et act. 44, 7; 1.1. 41, 42, 71 pr. D. pro socio 17,2. 1. 28 D. de act. ernt. 19, 1). Nach Gemeinem Rechte gilt allgemein dasjenige, was das Römische Recht beim bonae fidei negotium annahm; denn für uns sind die Be­ sonderheiten der stricti iuris negotia und insbesondere der Stipulation weggefallen,

Korrvertti-rrLytrsfe.

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und da es der Gläubiger ist, welcher zu feiner Sicherung sich die K. ausbedingt, so läßt sich aus ihrer Statuirung ein Verzicht aus weitergehende nach allgemeinen Grundsätzen dem Gläubiger zustehende Ansprüche nicht ableiten; vielmehr find Haupt­ schuld und Strafichuld zwei nur durch die Gemeinsamkeit ihres Zweckes mit einander verbundene Schulden, deren Einfluß aus einander sich nach den Grundsätzen von der Klagenkonkurrenz bemißt. Um zwei selbständige Obligationen also und auch nicht etwa um zwei Glieder einer alternativen Obligation handelt es sich nach Gemeinem Rechte, während allerdings die neuere Gesetzgebung vielfach das letztere annimmt. Im Falle der sog. multa poenitentialis, welche dem Schuldnerdie Wahl einräumt, handelt es sich um keine Pönalkonvention, wie überhaupt um keine Ver­ bindlichkeit zur Zahlung jener multa, sondern lediglich um die Möglichkeit durch ihre Zahlung von der allein existirenden anderen Schuld sich zu befreien. Die Strafe verfällt, wenn ihre Bedingung erfüllt ist, d. h. sobald der Umstand, an welchen sie geknüpft ist, durch Verschulden des Verpflichteten zutrifft. Aus dem Sinne der Straffatzung sich ergebend pflegt jedoch dieses Erforderniß des Verschuldens nicht in ihrem Wortlaute zum Ausdrucke zu gelangen; das Römische Recht statuirte es daher nicht bei der für Nichterfüllung einer stricti iuris obligatio bedungenen Strafe, sowie bei der mit keiner anderen Obligation zusammenhängenden Pönal­ stipulation, da die in seiner Annahme liegende Abweichung vom Wortlaute der Beredung erst durch ihren Zusammenhang mit einem bonae fidei negotium gerecht­ fertigt erschien (1.1. 7, 88 D. de verb. obl. 45, 1). Die Bedingung der Strafzahlung ist der Eintritt eines Ereigniffes, wenn die erwartete Leistung negativer, das Ausbleiben eines solchen, falls jene positiver Art war. Ist im letzteren Falle eine Frist nicht festgesetzt, so ist zu unterscheiden. Ist es das Ausbleiben einer geschuldeten Leistung, welches die Strafe verwirkt, so verfällt diese, sobald jene fällig ist und ihre Vollziehung dem Verpflichteten ohne übermäßigen Kraft- oder Kostenaufwand möglich war; durch mora des Verpflichteten ist der Verfall der Strafe nicht bedingt. Doch kann sich der Schuldner, dem eine bestimmte Frist nicht gesetzt ist, durch Nachholung der Erfüllung vor Geltendmachung der Straffchuld noch von dieser befreien (1. 21 § 12 D. de ree. 4, 8). Ist da­ gegen die erwartete Leistung nicht geschuldet, so erscheint als Bedingung der Straf­ leistung nach den allgemeinen Regeln über negative Bedingungen erst die Vereitelung jener Erwartung, verfällt also in Ermangelung anderweitiger Bestimmung die Strafe erst, wenn die erwartete Leistung zu einer überhaupt nicht mehr vollziehbaren ge­ worden ist (1. 115 D. de verb. obl.). Während im Allgemeinen die entwickelten auf Interpretation des Vertrags­ willens beruhenden Bestimmungen des Römischen und Gemeinen Rechtes mit wenig bedeutenden Abweichungen uns auch in den neuerm Gesetzgebungen begegnen, so stehen dieselben dagegen vielfach auf prinzipiell anderem Standpunkte bezüglich des nach Römischem Rechte der Privatwillkür gänzlich freigegebenm Betrages der K. Es sind aber Beschränkungen von verschiedener Art, welche uns hier entgegentreten. Die ältere gemeinrechtliche Doktrin und Praxis huldigte vielfach der schon von Donellus ausführlich widerlegten Ansicht, daß die von Justinian in 1. un. de sent. pro eo quod interest 7, 47 eingeführte Beschränkung der Jntereffeforderung auch am den Betrag der K. Anwendung finde, und dieser Meinung gemäß stellt das Allg. Preuß. Landrecht I. 5 § 301 ff. den Sah auf, daß außer dem Falle eines inästimabeln Jntereffes die K. den doppelten Betrag des wirklich auszumittelnden Jntereffes nicht übersteigen dürfe. Für Handelsgeschäfte ist aber diese Bestimmung außer .Kraft gesetzt durch HGB. Art. 284 sowie für K., „welche für die unterlaffene Zahlung eines Darlehns oder einer sonst kreditirtm Forderung zu leisten find," durch das Bundesgesetz vom 14. November 1867 betr. die vertragsmäßigen Zinsen. Anderer­ seits hat der Code Nap. zwar nicht von vomherein die Freiheit privater Disposition eingeengt, aber dem Richter die Befugniß der Ermäßigung nach seinem freien Erd. Holtzendorff, Enc. II. RechtSlexikou II. 3. Aufl.

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Kori — Körperverletzung.

messen eingeräumt, und diese Befugniß ist in das Zürcher BGB. § 970 sowie in den Entwurf eines Schweiz. Obl.R. Art. 77 übergegangen. Mit.: Windsch eid, Pandektenrecht, 5. Aufl., §§ 285, 86 und die dort citirten; außerdem Dernburg, Preuß. Privatrecht, II. §§ 39 ff. Hölder.

Kori, Aug. Sigism., $ 27. VI. 1778 zu Frauenstein (Erzgebirge), wurde 1812 App.Rath in Dresden, 1815 in der Oberjustizkommission in Merseburg, 1818 OApp.Ger.Rath und ordentl.Professor in Jena, dann in Dresden, f 13. I. 1850. Schriften: An Servitutes etc.. Leipz. 1805. — System des Konk.Prz., Leipz. 1808, 2. Aufl. 1828. — Theorie der Verjährung, Leipz. 1811. — Ueber den Exek.Prz. und die Widerklage, Dresden 1813, 2. Aufl. Jena 1826. — Tabellarische Uebersicht der Preuß. Allgem. G.O., 2. Aufl. 1818. - Abhandlung über stillschweigende Willenserklärung bei rechtlichen Geschäften, Naumb. 1817. — Theorie des Sächs. Bürg.Prz., Jena 1822. — Ueber die Noth­ wendigkeit, sich in den einheimischen Rechten auszubilden, Jena 1822. — Theorie der Sächs. summ. Prozesse, Jena 1824. — De prov. „si contendat“, Jen. 1824. — Mit Langenn, Er­ örterungen praktischer Rechtsfragen, (2) Dresden 1836, 1837. ßit: Günther, Lebensskizzen, 1858, S. 89. — Neuer Nekrolog der Deutschen, 1852, I. 56—59. Teich mann.

Körperverletzung (Verbrechen gegen die leibliche Unversehrtheit), widerrecht­ liche, das Wohlbefinden störende, Einwirkung auf den Körper eines Anderen, insofern hierdurch nicht ein spezieller bestimmter Deliktsthatbestand erfüllt wird. Letzteres ist u. A. der Fall, wo die Bedeutung jener Einwirkung für den Verletzten wesent­ lich darin liegt, daß sie sich als ein Ausdruck von Verachtung darstellt. Hier liegt eine Realinjurie vor, welche nach dem RStrafGB. im Gegensatz zu der verkehrten Behandlung im Preußischen StrafGB. den Beleidigungen einzureihen ist. Was im Uebrigen jene Einwirkung betrifft, so lassen sich unterscheiden a) äußerliche Ver­ letzungen des Körpers, wozu Entstellungen und Verstümmelungen gehören, b) Gesund­ heitsstörungen im eigentlichen Simte (das RStrafGB. begreift unter Gesundheits­ beschädigung auch jene äußeren Verletzungen), c) körperliche Mißhandlungen, welche weder mit äußeren Verletzungen, noch mit Gesundheitsstörungen verbunden zu sein brauchen. — Die fragliche Einwirkung muß rechtswidrig sein. Die K. ist daher dort ausgeschlossen, wo die Handlung sich als Ausübung eines Züchtigungsrechts darstellt. Auf den Mißbrauch dieses Rechts, sowie auf den Exzeß in der Ausübung desselben sind aber die Bestimmungen über K. anwendbar. Die Frage, ob für die Züchtigung ein zureichender Grund vorlag, liegt außerhalb der richterlichen Kognition. Nicht so die Frage, ob es sich wirklich um eine Züchtigung, welche wesentlich durch eine moralische (edukatorische) Tendenz und durch eine Beziehung auf ein wirklich oder vermeintlich tadelnswertes Verhalten des Gezüchtigten charakterisirt wird, und nicht vielmehr um eine gemeine Brutalität handelte. Für das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein eines Exzesses ist das Vorliegen oder Nichtvorliegen einer Gesund­ heitsstörung nicht entscheidend (dagegen: v. Schwarze). Im Fall des Exzesses wird häufig nur eine fahrlässige K. vorliegen. Von Lehrern begangen fällt er unter § 230 Alinea 2, im Falle des Vorsatzes unter § 340, insofern der Lehrer Beamtenqualität (§ 359) hat. Eingehende Bestimmungen über „Mißhandlungen bei häuslicher Zucht" hat Oesterreich (§§ 413—421). Die Einwilligung und bzw. das Ver­ langen des Verletzten sind im RStrafGB. bei der K. nicht speziell berücksichtigt (vgl. dagegen Oesterreich 8 152 und dazu Herbst). Hiernach ist anzunehmen, daß sie die Rechtswidrigkeit der Handlung und bzw. die K. nicht allgemein ausschließen. Wohl aber kann dies unter besonderen Voraussetzungen der Fall sein. So z. B. bei Gesundheitsbeschädigungen, welche von Aerzten bewirkt werden (man denke z. B. an den Kaiserschnitt) mit Rücksicht auf die Grundsätze, welche in Bezug auf die Ausübung der Heilkunde Geltung haben. — Hinsichtlich der bei dem Schuldigen vorausgesetzten Handlung ist die Gesundheitsschädigung von der körperlichen Miß­ handlung zu unterscheiden. Zu letzterer gehört eine unmittelbare Einwirkung auf

Körperverletzung.

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den Körper, und zwar muß durch diese die Störung des Wohlbefindens verursacht sein, während bei der Gesundheitsbeschädigung diese unmittelbare Einwirkung nicht vorausgesetzt ist. Bei ihr kann sowol das Mittel wie das Endergebniß (Geistes­ störung) psychischer Natur sein. Eintheilungen. Zunächst sind die vorsätzlich begangenen von den sahrläsfig begangenen K. zu unterscheiden. Die vorsätzlich begangenen K. zersallen wieder, und zwar mit Wckficht auf eine Mehrzahl von Eintheilungsgründen, in verschiedene Arten. Zunächst mit Rücksicht auf die verschiedene Größe des Verbrechenserfolgs. Im RStrafGB. scheiden sich hiernach die K. mit tödtlichem Erfolge (§ 226), die schwere (§ 224) und die leichte (§ 223). Preußen hatte zwischen dm letztgenanntm die Mittelstufe der erheblichen. Man strich dieselbe, weil man an der Möglichkeit einer sachgemäßen Abgrenzung derselben (etwas zu rasch) verzweifelte, mußte dann aber nachträglich nach einem Ersätze für fie suchen (s. untm). Vgl. noch hinsichtlich der Berück­ sichtigung des Erfolgs Oesterreich §§ 152, 155 b, 156; Ungarn §§ 301 (!), 303, 306, Belgien art. 399—401, Frankreich art. 309, 310. Ferner finden sich als Eintheilungsund bzw. Strafabstufungsgründe die Beschaffenheit der gebrauchtm Mittel (RStrafGB. §§ 223a, 229, Oesterreich § 155a), und der sonstigen Begehungsweife (§§ 223a, 227, Oesterreich §§ 155 d, 157), sowie die mit der Handlung etwa verbundenen schweren Gefahren für den Verletzten (§§ 223a, 229, vgl. Oesterreich § 155a, e) verwerthet. Außerdem ist die besondere Gestaltung des Dolus bei der Abstufung des Strafmaßes berücksichtigt (RStrafGB. § 225; vgl. Oesterreich § 155 a, Ungarn § 305). In den Deutschen Partikulargesetzen war mehrfach hier wie bei den Tödtungsverbrechen das Handeln im Affekte von dem überlegten Handeln unterschieden. Vgl. z. B. Baden § 232; sodann auch Belgien art. 398, Frankreich art. 311, Ungarn § 307. Endlich findet sich im RStrafGB. die Richtung der That gegen Verwandte aufsteigender Linie hier wie bei den Tödtungsverbrechen ausgezeichnet (§ 223 Alinea 2, vgl. Oesterreich § 153, Ungarn §§ 302, 303). — Abgesehen von jenen besonderen Voraus­ setzungen hinsichtlich des Dolus genügt es, wenn die rechtswidrige Einwirkung auf den Körper des Andern bewußt erfolgte. Nur bei den Fällen des § 229 ist voraus­ gesetzt, daß die Verletzung in die Zwecke des Handelnden ausgenommen war. Negativ ist überall vorausgesetzt, daß die Absicht nicht aus die Herbeiführung des Todes gerichtet sei. Der animus injuriandi schließt die K. dort nicht aus, wo sein Aus­ druck eine selbständige Bedeutung für das Wohlbefinden und bzw. die Gesundheit des Verletzten hat. Gegebenenfalls ist hier eine ideale Konkurrmz anzunehmen. Leichte K., ein „Vergehen". Es müssen mtweder die Merkmale der körper­ lichen Mißhandlung oder der Gesundheitsbeschädigung vorliegen. Diese Begriffe aus einem allgemeinen Begriffe von K. heraus, welchen das Gesetz nicht kennt, zu er­ gänzen, wie Mehrere (z. B. H. Meyer) wollen, ist nicht zulässig. Demgemäß war in dem „Zopfabschneiden" an sich eine K. nicht zu finden, da diese Handlung an sich weder die Merkmale einer Gesundheitsbeschädigung noch die einer Mißhandlung (einer intensiven Störung des Wohlbefindens durch unmittelbare Einwirkung auf den Körper) hat (anderer Meinung:Geyer, H. Meyer). Bei der Anwendung des letzteren Begriffs ist auf den gewöhnlichen Sprachgebrauch zu achten. Daher die Erregung bloßen Mißbehagens, ebenso wie die bloße Erregung von Ekel auszuschließen ist. Die letztere kann unter Umständen auf Grund des §§ 366, 7 bestraft werden. Da­ von abgesehen kann der Begriff der Realinjurie in Betracht kommen. Und zwar auch unabhängig von dem animus injuriandi, der kein allgemeines Merkmal der Beleidi­ gungen ist, und daher bei der Abgrenzung der letzteren von den K. nicht allein als entscheidend gelten kann (anderer Meinung: Geyer). Daß in bloßem Erschrecken keine körperliche Mißhandlung zu finden sei, scheint selbstverständlich (anderer Meinung: H. Meyer). Der Begriff der leichten K. umfaßte nach der ursprünglichen Gestalt des Gesetzes zahlreiche Fälle von in Wahrheit schweren Verletzungen und Gefährdungen, 35*

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auf welche die für jene aufgestellten Grundsätze, namentlich hinsichtlich der Bedingung des Antrags, nicht paßten. Den hervorgetretenen Mißständen suchte man durch die Einschaltung des § 223 a, der eine Anzahl erschwerender Umstände aufführt und die betreffenden Handlungen als Offizialdelikte und überhaupt strenger behandelt, abzu­ helfen. K. unter erschwerenden Umständen (§ 223a). Das gemeinsame Merk­ mal der hierher gehörigen Fälle liegt in der Gefährlichkeit des Angriffs und bzw. der Behandlung des Verletzten. Diese Gefährlichkeit kann begründet sein a) in der Bewirkung der Verletzung mittels einer „Waffe" (hier gleich: Werkzeuge, welche als Angriffsmittel benutzt werden!), b) in der Ausführung der That mittels „hin­ terlistigen üeberfalls", c) in der gemeinschaftlichen Begehung durch Mehrere (wobei zufälliges jedoch bewußtes und gewolltes Zusammenwirken genügt), d) in einer das Leben gefährdenden Behandlung. Es muß die letztere hier so geartet sein, daß daraus auf eine wirklich existente Gefahr geschlossen werden kann. Die damit umschriebenen K. bleiben „Vergehen", und es kann auch bei ihnen, was wol motivirt ist, auf bloße Geldstrafen herabgegangen werden. — § 223 a findet in Bezug auf den Fall unter a) eine Ergänzung in § 367, 10 über Waffengebrauch bei Schlä­ gereien und Angriffen Die schwere K. hat die vorsätzliche verletzende Einwirkung auf den Körper des Andern mit der leichten gemein. Daneben ist eine der im § 224 bezeichneten äußeren Schädigungen oder Gesundheitsstörungen als Folge jener Einwirkung vor­ ausgesetzt. Ein näherer Zusammenhang zwischen dieser und jener wird nicht gefor­ dert. Nur die diesen Zusammenhang vermittelnde vorsätzliche Thätigkeit eines An­ dern würde den Begriff ausschließen. Hinsichtlich dieser Folge ist bei dem Thäter weder Dolus noch Voraussehbarkeit gefordert (anderer Meinung: Schütze, Binding). Das RStrasGB. wird hier wie an zahlreichen anderen Stellen der inneren Seite der Verbrechen nicht gerecht. Das Gesetz zieht hierher: den Verlust eines wichtigen Körpergliedes. (Unter dem Verluste ist nicht auch das Unbrauchbarwerden begriffen. Als „wichtiges" Glied ist wol nur ein solcher Körpertheil zu betrachten, welcher, zu einer selbständigen Funktion bestimmt, am Leben des Organismus theilnimmt.) Ferner den Verlust des Sehvermögens auf einem oder beiden Augen, des Gehörs, der Sprache, der Zeugungsfähigkeit. (Ein vorübergehender Verlust gehört nicht hierher. Ein Verlust des Gehörs kann auch angenommen werden, wenn bei lautem Schreien noch ein Ton vernommen wird.) Ferner die Verursachung einer erheblichen, dauernden Entstellung. (Man findet dieselbe in einer unheilbaren, einen widrigen Eindruck machenden Formveränderung eines Körpertheils. Die Möglichkeit einer Verdeckung des Schadens schließt das Merkmal nicht aus.) Ferner die Ver­ ursachung von Lähmung, Siechthum oder Geisteskrankheit. (Zur Lähmung gehört eine dauernde, wenn auch nicht schlechthin unheilbare, Unfähigkeit, einen bestimmten Bewegungsapparat des Körpers zu denjenigen Bewegungen zu brauchen, zu welchen er von der Natur bestimmt ist Wanderer Meinung: Liman). Der technisch wissen­ schaftliche Begriff ist hier nicht entscheidend. Uebrigens ist nicht jeder betreffende Apparat (Nasenflügel) hierherzuziehen. Unter Siechthum ist ein allgemeiner, jedoch nicht nothwendig unheilbarer Krankheitszustand zu verstehen, welcher durch eine Ab­ nahme der Ernährungsvorgänge, eine Beeinträchtigung des Allgemeinbefindens und ein Sinken der Körperkräfte charakterisirt ist.) Bei der qualifizirten Art der schweren K. (§ 225) ist Dolus hinsichtlich der schweren Folge vorausgesetzt und zwar spezieller Beabsichtigung dieser Folge. Das Bewußtsein, daß die betreffende Folge eintreten könne, genügt daher nicht. Auch auf den Theilnehmer, welchem die Absicht des Thäters bekannt ist, kommt § 225 zur Anwendung. Bei der K. mit tödtlichem Erfolge (§ 226) kommt es aus die Voraus­ sehbarkeit des letzteren nicht an. Das Strafminimum ist deshalb trotz der Ein-

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schaltung der Gesängnißstrafe unverhältnißmäßig hoch (z. B. im Vergleich mit dem Sttafminimum des § 222). Der Eintritt der bezeichneten Folge belastet auch die Theilnehmer. War bei dem Thäter Tödtungsabficht vorhanden, so kann § 226 auf einen Gehülfen, dessen Dolus sich lediglich auf Mißhandlung bezieht, zur Anwen­ dung kommen. — Die zuletzt besprochenen Arten der K. sind Verbrechen. Vergiftung. § 229 behandelt das Beibringen von Gift oder anderen Stoffen, welche die Gesundheit zu zerstören geeignet find, insofern es in einer auf Gesundheitsbeschädigung gerichteten Absicht geschieht, als eine besondere Art von K., geht dabei aber über den im Uebrigen maßgebendm Begriff der K. hinaus, indem weder eine GesundheitsbeschLdigung noch eine Mißhandlung vorausgesetzt werden. Hiernach sind die allgemeinen Bestimmungen über die K. aus VergistungsfLlle nur insofern anwendbar, als sich mit den in § 229 bezeichneten Merkmalen diejenigen der Gesundheitsbeschädigung oder der Mißhandlung verbinden. Das Delikt ist voll­ endet, sobald der gefährliche Stoff in eine solche Verbindung mit dem Körper des Verletzten gebracht ist, wie sie für die gesundheitzerstörende Wirkung bedingend ist. Das RStrafGB. reiht es den „Verbrechen" ein. Ein besonderes Strafmaß ist für den Fall aufgestellt, wo die Handlung eine schwere K., ein ferneres für den Fall, wo sie den Tod herbeiführte. Vgl. im Uebrigen hinsichtlich dieser Deliktsart den Art. Vergiftung. Besondere Bestimmungen enthält im Anschluß an das Gem. Recht und die neuere Partikulargesetzgebung § 227 für den Fall, wo die schwere und bzw. tödtliche Verletzung bei einer Schlägerei oder einem von Mehreren gemachten Angriff zugefügt worden ist. Sie richten sich 1) gegen Denjenigen, welcher eine der verletzenden Handlungen, aus deren Zusammentreffen die bezeichnete Folge her­ vorging, erweislich begangen hat; 2) gegen Alle, welche sich an der Rauferei über­ haupt betheiligt haben (aber nicht blos durch ihre Anwesenheit! dagegen: v.Schwarze): beides, insofern sie nicht unverschuldet hineingezogen worden find (dagegen : OTrib., welches diese Bedingung nur auf die Fälle sub 2 bezieht). Hier ist der Eintritt einer schweren Verletzung nur Sttafbedingung, nicht Delittsmoment. Daher auch der Verletzte selbst unter den zu Bestrafenden sein kann. Die Rauferei muß eine Be­ dingung hergestellt haben für den Eintritt der schweren Verletzung. Ein Mehreres ist nicht zu sordern (anderer Meinung: v. Schwarze). Bei Anwendung der Be­ stimmung kommen auch die Grundsätze über Theilnahme in Bettacht. — Das Motiv dieser Bestimmungen liegt in der Schwierigkeit des Schuldbeweises betreffenden Ver­ letzungen gegenüber. Sie enthalten wesentlich ein polizeiliches Element. Einer prinzipiellen Begründung find sie nur in beschränktem Maße zugänglich. — Die Anwendbarkeit einer spezielleren und bzw. strengeren Vorschrift, z. B. des § 223 a, auf einen der Betheiligten schließt den Anderen gegenüber § 227 nicht aus; jener kann aber nicht zugleich nach beiden Gesetzen haftbar für seine That gemacht werden (dagegen: Bayerischer oberster Gerichtshof). Der Versuch der K. ist nach dem RSttasGB. als solcher nur zu bestrafen, wenn die Absicht auf eine der im § 224 hervorgehobenen Verletzungen, oder aus Vergiftung (§ 229) gerichtet war. Im Uebrigen kann § 367, 10 und möglicher­ weise § 366, 7 anwendbar sein. Bei der fahrlässigen K. wird die Verletzung einer besonderen mit einem bestimmten Amte, Berufe oder Gewerbe verbundenen Pflicht als Oualifikationsgrund behandelt. Derselbe liegt u. A. bei dem Arzte vor, welcher in Folge fahrlässiger Nichtanwendung gemeiner medizinischer Kenntniffe oder Fettigkeiten oder in Folge des dem Handelnden nicht verborgenen Mangels derselben eine K. herbeifühtt. Die Strafdrohungen umfaffen die ganze Skala von der Geldsttase inkl. bis zur lebenslänglichen Zuchthausstrafe. Daneben kann nach dem RSttasGB. dem Ver­ letzten auf deffen Verlangen eine „Buße" bis zum Bettage von 6000 Mark zuerkannt werden, und zwar in allen Fällen der K.; daher auch bei Vergiftungs-

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fallen insofern die allgemeinen Merkmale der K. (f. oben) vorliegen. Diese Buße ist nach dem etwa erlittenen Schmerz und nach der Größe des zugefügten Nachtheils oder der begründeten Gefahr zu bemeffen. Die Zuerkennung derselben schließt die Geltendmachung eines weiteren Entschädigungsanspruchs aus. Zur Zahlung der­ selben können sämmtliche bei der Herbeiführung der Verletzung Betheiligten verurtheilt werden. Auch bei der fahrlässigen K. (anderer Meinung: v. S ch w a r z e). Sie hasten nach den Grundsätzen des Privatrechts als Gesammtschuldner. S. d. Art. Buße. Die Bestrafung der leichtm vorsätzlichen und der fahrlässigen K. tritt nach dem RStrafGB., welches sich darin der Mehrzahl der älteren Strafgesetze anschließt, nur auf Antrag ein, abgesehen jedoch von der mit Verletzung einer besonderen Amts­ pflicht verbundenen fahrlässigen K. Im Falle der sofortigen Erwiederung einer leichten K. oder einer Beleidigung durch eine leichte Ä. oder einer solchen durch eine Beleidigung gestattet das RStrafGB. dem Richter eine Milderung oder auch gänzliche Nachsicht der Strafe für beide An­ geschuldigte oder für einen derselben. Gsgb.: RStrafGes. §§ 223-233; 366, 6, 7; 367, 10, cf. § 340. - Preußen §§ 187 bis 203. - Oesterreich §§ 152-157, 335 ff. — Frankreich §§ 309-316 (Gesetz vom 13. Mai 1863), 318, 320—326. — Belgien §§ 398—415. — Zürich §§ 138—141. - Ungarn §§ 301 bis 313 — Spanien art. 429-437, 602—604. — Genf art. 258—272, 274-276, 292. — besten. Entwurf §§ 234—245. — Niederländ. Entwurf art 90, 331—339, 341, 343. — Jtal. Ent­ wurf art. 371-378, 381, 383—392. Lit.: Berner, Gerichtssaal 1866, S. 270 ff., 1867, S. 1 ff.; Derselbe, Kritik des Nordd. Entwurfes S. 44 ff. — HLlschner, System, 128—172. — v. Holtzendorff'S Sandbuch deS Strafrechts III. S. 475 ff. (Liman), 517—564 (Geyer); dasselbe IV. (Geyer) . 362—384. — Gutachten der wissenschaftlichen Deputation für das Mediz. Wesen in den Anlagen zu den Motiven des Norddeutsch. Entwurfes. — Mair, Jurist.-medl^. Kommentar III. — Gerichtes. 1872 (Wahlbera), 1873 (v. Tippelskirch), 1874 (Geher, v. Schwarze). Thomsen. Verhandlungen des 12. Deutschen Juristentages II. — Binding, Die Normen, II. 517 ff. — Die Lehrbücher und Kommentare. Merkel. Körperverletzung (mediz.-for.). Im weitesten Sinne des Wortes wäre darunter zu verstehen jede Handlung, welche das Leben oder die Gesundheit eines Individuums gefährden kann; allein man hat sich längst gewöhnt, dem Begriffe Ver­ letzung einen viel geringeren Umfang zu geben, indem man nur mechanische Störungen als solche bezeichnet, so daß wir (im medizinischen Sinne) die Verletzung besinnen können als „Störung des Zusammenhanges oder der Funktion gewisser Organe oder Organgewebe durch mechanische Mittel" (Hofmann). Alle Strafgesetze unter­ scheiden nach dem Verbrechenserfolge verschiedene Arten von Verletzungen, so die „tödtliche", „schwere" und „leichte" K. (Deutsches StrafGB.) oder die „Miß­ handlung mit tödtlichem Ausgange", die „schwere K." und die „einfache Miß­ handlung" (Entw. des Gesten. StrafGB.) oder die „schwere und leichte körperliche Beschädigung" (Oesterr. StrafGB.). Zweifelsohne ist die Aufstellung solcher Kategorien für den Richter unerläßlich; vom ärztlich-wiffenschaftlichen Standpunkte lassen sich dieselben in keiner Weise rechtfertigen. Es könnte da nur von tödtlichen und nicht tödtlichen K. gesprochen werden; die Unterscheidung von schwer und leicht ist eine willkürliche, nur dem gewöhnlichen Sprachgebrauche entnommene. Eine objektive Grenze zwischen beiden Begriffen giebt es nicht, und daher sind dieselben wandelbar und verschieden nach den Aufiaffungen der verschiedenen Gesetzgebungen. ^Nichtsdesto­ weniger hat der ärztliche Sachverständige auch hierauf Rücksicht zu nehmen und eine vorliegende Verletzung nicht nur vom objektiv-medizinischen Standpunkte zu beur­ theilen, sondern auch in Hinsicht auf ihre juridische Oualifikation eine Reihe von Fragen zu lösen. Ganz abgesehen davon, ob Verletzungen an Lebenden oder an Leichen zur Unter­ suchung und Begutachtung kommen, wird es dem Sachverständigen obliegen, die­ selben zu beurtheilen: A) nach ihrer Art, B) nach ihrem Sitze, C) nach ihrer Oualifikation im Sinne des Strafgesetzes.

A) Verletzungen nach ihrer Art. Die Art der Verletzung wird bedingt durch die Form der einwirkenden Kraft, d. i. durch das Werkzeug oder das Mittel, wodurch sie gefetzt wurde. Wir unterscheiden in dieser Richtung folgende Arten von Verletzungen: 1) Die Erschütterung (commotio). Sie besteht in der momentanen Lage­ veränderung der kleinsten Theile eines Organs, welche durch die Fortpflanzung eines das Organ gar nicht direkt berührenden Stoßes bedingt ist, und kann so bedeutend sein, daß es zur Kontinuitätsstörung, zur Zerreißung und Zertrümmerung deffelben kommt. Dabei kann der Punkt, an welchem die Kraft dm Körper unmittelbar trifft, ost gar keine oder nur eine unbedeutende Spur der Einwirkung tragen. So findm sich Zertrümmerungen innerer Organe mit völliger Intaktheit des Integuments selbst bei der Einwirkung großer Gewaltm vor. Die Erscheinungen der Erschütterung find sowol nach dem Grade derselbm, wie nach dem betroffmm Organ verschieden; im allgemeinen bestehen fie in der plötzlichen Verminderung oder Aushebung der Funktion des Organes. 2) Die Quetschung (contusio) wird erzeugt durch einen Dmck, der mit einer gewiffen Kraft auf einen Körpertheil einwirtt. Eine Trennung der Haut erfolgt dabei nur dann, wmn mtweder die Haut sehr gespannt und unfähig war auszu­ weichen, wobei sie berstet und häufig die Form einer Schnittwunde imitirt, oder wenn der den Druck ausübende Körper auch Kanten und Spitzen hatte. Wird hierbei die Oberhaut an einzelnm Stellen weggeriffm oder vei^chobm, so entsteht eine sog. Excoriation, tritt Blut aus, so entstehen Blutunterlaufungen, Suffufionm und Sugillationm. Der Verlauf solcher Blutunterlaufungen ist bekanntlich der der allmählichen Verfärbung der Flecken bis zur schließlichen vollkommenen Auffaugung des extravafirten Blutes. Die Gestalt der sugillirtm Flecken entspricht zuweilen jener des gebrauchten Werkzeuges; der Ort derselben ist mit dem Orte der zugefügten Quetschung nicht immer übereinstimmend, sondem der Bluterguß erfolgt vorzüglich dorthin, wo das Gewebe den geringsten Widerstand leistet! Da das Wesen der Suffusion in dem Austritte des Blutes in tote aus dm Kapillaren beruht, so kann sie nur zu Stande kommen, so lange das Blut überhaupt noch in den Kapillaren vorhanden ist, also währmd des Lebens. Ihr Nachweis ist daher wichtig für die Beurtheilung der Vitalität einer Verletzung an der Leiche. Zu wamen ist vor der Verwechselung derselben mit jenen lokalen postmortalen Blutstauungen, die man als Todtenflecke bezeichnet. Bei genauer Untersuchung sind die Suffusionen übrigens selbst bei vorgeschrittener Fäulniß häufig noch ganz wol zu unterscheiden durch Ein­ schnitte in die Haut und dm Nachweis eines wirklichen Extravasates, das der Todtmfleck, der in einer Gewebsimbibition besteht, niemals erzeugt. 3) Hieb- und Schnittwunden. Dieselben entstehen durch die Keil­ wirkung eines scharfen, die Gewebe mit glattem Rande trennmden, in die Tiefe dringenden Instrumentes. „Der Unterschied zwischen Schnitt und Hieb besteht nur darin, daß der Schnitt mittels eines gewiffen Zuges tangential durch die Haut ge­ führt wird, während der Hieb mit Gewalt und großer Geschwindigkeit der Bewegung des scharfen Werkzeuges cmtripetal auf die Haut wirkt" (Schauenstein). Beide find Trennungen mit vorwaltmder Längsrichtung, meist geradlinig. Diese Wunden sind durch das Klaffm der Ränder immer von größerem Durchmesser, als das Werkzeug, mit dem fie beigebracht wurden. Die Ränder find der Schärfe der Waffe entsprechend glatt, nicht zackig. Ihre Bedeutung hängt von der Größe derselben, von der Tiefe des Eindringens und von der Lebenswichtigkeit des betroffenen Organes ab. Sie können alle Grade von der leichten Verletzung bis zur augenblicklich und unbedingt tödtlichen haben. Nur kleinere Wunden der Haut heilen durch unmittel­ bare Bereinigung „per primam intentionem“, meist tritt Heilung nur durch Eiterung und nachfolgende Narbmbildung ein.

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4) Stichwunden werden erzeugt durch spitze Werkzeuge, welche in den Körper eindringen. Die Gestalt der Wunde hängt sowol von der Form des Werk­ zeuges, wie von der Richtung des Stiches und von der betroffenen Körperstelle ab; immer aber ist die Wunde, im Gegensatze zur Schnittwunde, kleiner, als die ver­ letzende Spitze in Folge der konzentrischen Kontraktion der Wundränder, so daß es ost schwer ist zu entscheiden, ob eine Wunde wirklich mit einem vorgezeigten In­ strumente bewirkt werden konnte oder nicht. So wird besonders dann die Gestalt der Wunde verändert, wenn die Spitze der Waffe unter einem Winkel aus die Körper­ oberfläche trifft. Die Bedeutung der Stichwunden ist viel ernster als jene der Hieb- und Schnittwunden, da sie in Folge ihres tiefen Eindringens hauptsächlich geeignet sind innere, lebenswichtige Organe zu treffen und gefährliche, oft tödtliche innere Blutungen zu veranlassen. Die Heilung der Stichwunden erfolgt fast aus­ nahmslos nur durch Eiterung und sind überhaupt, abgesehen von der Verletzung lebenswichtiger Organe und von der inneren Blutung die sekundären Erscheinungen meist sehr heftige wegen der durch den Stich erfolgten Zerreißung, Quetschung und Verschiebung einzelner Gewebsfasern und Partien. Wegen der gedachten Veränderung der Eingangsöffnung eines Stichkanales wird es im Falle einer Durchbohrung eines Körpertheiles auch nicht immer ganz leicht sein, Anfang und Ende des Stichkanales zu bestimmen; meist wird die Beschaffenheit der Wundränder (ob eingestülpt oder ausgestülpt) und die Verjüngung des Stichkanales ein richtiges Urtheil ermöglichen. 5) Bißwunden. Dieselben sind immer gequetschte Wunden, deren Form abhängig ist von der Form der Zähne. Oft sind Bißwunden auch besonders in Folge der Bewegung der Kiefer von lappiger Gestalt. Sie kommen nicht selten zur forensischen Beurtheilung und zwar nicht etwa blos von Thieren geschte Bißwunden, sondern auch solche von Menschen, wo beispielsweise in Raufhändeln irgend ein Körpertheil des Gegners mit den Zähnen erfaßt, und ein Finger, das Ohr, die Nase gebissen, öfters selbst abgebissen wird. Das Abbeißen der Nase wurde wieder­ holt auch aus Rache für gekränkte Liebe an dem schuldigen Theile geübt. Biß­ wunden sind der starken Quetschung wegen meist gefährlich, heilen nur mit Eiterung und bedingen oft Brand und Verjauchung. 6) Rißwunden sind solche Verletzungen, welche durch Zerrung, Dehnung und endliche Trennung organischer Gewebe entstehen. Sie können betrachtet werden als eigentliche Kombinationen der Schnittwunde mit der Quetschung. Sie sind unendlich mannigfach sowol nach der Veranlassung, wie nach Gestalt und Grad der Beschädigung von dem unbedeutendsten Hauteinrisse bis zur totalen Abreißung ganzer Körpertheile. Die Wundränder sind immer uneben-zackig, die Weichtheile häufig in Lappen zerrissen. Die meist nur geringe Blutung dieser Wunden erklärt sich aus der durch die gleichzeitig stets vorhandene Quetschung bedingte Torsion der Blut­ gefäße. Als geringster Grad gerissener Wunden wäre die Entblößung der Haut von der Epidermis, die sog. Excoriation anzusehen, wie sie durch Kratzen mit den Finger­ nägeln entsteht und eine der häufigsten Verletzungen ist. Diese Excoriationen sind in der gerichtlichen Praxis manchmal von höchster Wichtigkeit, als oft die einzigen Spuren eines geleisteten Widerstandes. Rißwunden heilen wegen der Zerstörung der Gewebe immer nur durch Eiterung. Ihre forensische Wichtigkeit richtet sich nach dem Grad der Zerreißung und der Beschaffenheit des Körpertheiles. Das verletzende Werkzeug kann der verschiedensten Natur sein, auch die menschliche Hand selbst, die im Wahnsinn oder in thierischer Wuth sich in die Weichtheile einkrallt und große Hautlappen oder selbst innere Organe, wie die Hoden oder die Gedärme heraus­ reißt. 7) Schußwunden. Dieselben bieten eine so große Mannigfaltigkeit dar, daß hier das Gebot der Jndividualisirung jedes einzelnen Falles mehr, als bei anderen Verletzungen hervortritt. Der Schuß setzt entweder eine scharf begrenzte, der Form des durch ihn eingetriebenen fremden Körpers entsprechende Oeffnung in den

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Weichtheilen und Knochen, welche er trifft, oder er bewirkt eine oft sehr weit aus­ gebreitete Zertrümmerung der Körpertheile. Wenn der Tod nicht plötzlich erfolgte, sind die Ränder der Wunde suffundirt. Solche Blutergüsie in der Umgebung und dem Grunde der Wunde oder koagulirtes Blut an der Wunde klebend wird immer beweisen, daß der Schuß den lebenden Körper getroffen. Auch Tödtung durch Schuß ohne äußerlich wahrnehmbare Verletzung ist schon beobachtet worden, wenn das Projektil in den zufällig geöffneten Mund eindrang. Die Bestimmung derEntiernung, aus welcher der Schuß abgefeuert wurde, ist häufig von großer forensischer Wichtigkeit und kann in vielen Fällen aus der Beschaffenheit der Wunde gemacht werden. Beim Abschießen eines Projektils aus großer Nähe ist die Ein­ gangsöffnung immer größer, als der Umfang der Kugel, meist ist eine umfängliche Zerreißung und Zertrümmerung verhanden. Außerdem find bei Nahschüssen die Kleider, Haare, und selbst die Haut in der Umgebung der Wunde versengt und nicht selten find unverbrannte Pulverkörner in die Haut eingebrannt, so daß die Wund­ ränder schwarz und gesprenkelt aussehen. Die Richtung des Schusses kann in vielen Fällen durch die Beschaffenheit der Wunde und bei Durchbohrung des Körpers durch die Vergleichung beider Oeffnungen erschloffen werden, obwol auch die Unter­ scheidung der Eingangs- und Ausgangsöffnung nicht immer so ganz leicht ist. Erstere ist allerdings in der Regel größer, als letztere, oft ist aber auch das um­ gekehrte der Fall. Die Ränder der Eingangsöffnung find meist nach innen gestülpt. Die Form der Wunde ist abhängig von der Form des Projektils: so erzeugt eine gewöhnliche Kugel eine ziemlich regelmäßige, runde Oeffnung, dagegen gehackte .Kugeln, Bleistücke rc. eine unregelmäßig gerissene, Spitzkugeln eine ovale Oeffnung. Der Schuß!anal wird bekanntlich, je weiter er eindringt, immer breiter, und endet entweder blind oder mit der Ausgangsöffnung. Eine matte Kugel macht im Körper oft die wunderlichsten Wanderungen, so daß man sie häufig nicht am blinden Ende des Schußkanals, sondern in sekundären, von der ursprünglichen Schußrichtung oft ganz abweichenden Kanälen findet. Im Schußkanale stecken häufig abgerissene Fetzen der Kleidungsstücke oder auch Stücke des zur Ladung verwendeten Pfropfes, ein Befund, der schon wiederholt sehr wichtig wurde für die Eruirung des Thäters. Bestand die Ladung aus mehreren kleinen Projektilen, Schrot oder Pfosten, so hängt es von der Entfernung ab, ob nur eine oder mehrere Eingangsöffnungen gefunben werden. Beim Schuß mit einer solchen Ladung bilden die Körner einen Kegel, deffen Spitze an der Mündung des Laufes ist; je näher daher der getroffene Körper der Mündung steht, desto kleiner ist der Durchschnittskreis des Kegels und desto eher wird nur Eine Oeffnung für die ganze Schrotladung gebildet. Es ist bekannt, daß zur Bewirkung einer Schußwunde nicht immer scharf geladen zu sein braucht, auch der aufgesetzte Pfropf allein erzeugt bei großer Nähe eine tiefe Schußwunde, ebenso wie selbst Schüsse, die blos aus Pulverladung bestanden, eindringende, selbst tödtlich endende Schußwunden erzeugen können. Die durch große Projektile angeblich ver­ ursachten Luftstreiffchüffe sind bis jetzt wenigstens nicht bewiesen. — Wichtig ist die Frage, ob der Schuß vom Getödteten selbst oder von fremder Hand abgefeuert wurde,, eine Entscheidung, die nicht immer ganz leicht ist. Aus der genauen Abwägung aller Umstände, Nähe des Schusses, Richtung des Schuß­ kanals rc. wird allerdings meist ein ganz richtiger Schluß gezogen werden können. Hierbei ist auch die Untersuchung der Waffe nicht unwesentlich. Sie kann sogar Auffchluß über die Zeit geben, wann der Schuß abgefeuert wurde, und Boutigny hat eine Methode begründet, durch chemische Analyse des schwarzen Beschlages, der nach der Explosion von Schießpulver im Laufe des Gewehres bemerkt wird, den Zeitpunkt des letzten aus dem Gewehre abgefeuerten Schuffes zu bestimmen. 8) Verbrennungen. Wir verstehen darunter die Veränderungen, welche die Organtheile durch Einwirkung hoher Temperaturgrade erleiden; wirken heiße Flüssigkeiten ein, so nennen wir sie Verbrühung. Die Veränderung der Körper-

554 fläche durch hohe Temperatur ist verschieden nach dem Grade der Wärme und nach der Dauer der Einwirkung derselben, und man hat deshalb von jeher verschiedene Grade der Verbrennung ausgestellt. Eine nicht sehr hohe und nicht lange ein­ wirkende Hitze ruft in der Haut nur einen Zustand der Hyperämie hervor, der sich durch Rothe, Schwellung und Schmerzhaftigkeit des betreffenden Theiles kundgiebt und meist sehr rasch (in wenigen Tagen) verschwindet. (Erster Grad.) Länger einwirkende Hitze ruft Entzündung der Haut hervor und es tritt die bekannte Blasen­ bildung auf in Folge Erguffes seröser Flüssigkeit unter die Epidermis. Häufig ist diese abgängig, das Schleimstratum und der Papillarkörper des Coriums bloßliegend, gerüthet, serös infiltrirt. Solche Verbrennungen heilen nur mehr nach Ablaus einer mehr oder weniger intensiven Dermatitis mit ost ausgebreiteter häßlicher Narbenbildung. (Zweiter Verbrennungsgrad.) Die höchsten Grade der Verbrennung sind durch mehr oder weniger ausgebreitete Verkohlung der Haut ausgezeichnet, welche sich auch aus unter­ liegende Partien und endlich aus ganze Körper und Körpertheile erstrecken kann. Die Gesährlichkeit der Verbrennung steigt nicht nur mit dem Grade derselben, son­ dern ist sehr wesentlich auch von der Ausdehnung bedingt, da selbst leichtere Verbrennungen bei einer großen Ausdehnung etwa über ein Drittel der Körperoberfläche häufig sehr gefährlich, ja tödtlich sind. Nur sehr bedeutende Verbrennungen bewirken einen raschen Tod, meist tritt derselbe erst einige Tage nach erlittener Verletzung in Folge von Erschöpfung ein. Erfolgt nicht der Tod, so tritt eine sehr langsame Heilung und eine derbe Narbenbildung ein. Verbrennungsnarben find es häufig, welche Kontrakturen und Unbeweglichkeit der Gliedmaßen veranlasien. Tie Erkennung von Brandwunden an der Leiche ist nicht schwer und für die Entscheidung der Frage, ob die Verbrennung auf den noch lebenden Körper eingewirkt habe, ist die von E. Hofmann gemachte Beobachtung von großer Wichtigkeit, daß die Kapillaren der Verbrennungsschwarte der lebenden Haut sich stets mit koagulirstm nnd ein­ getrocknetem Blute injizirt erweisen, was bei Verbrennungen an der Leiche nicht der Fall ist. — Die Verbrennung wird fast nie als verbrecherische That geübt, sondern meistens nur als Mittel, um die Spuren eines begangenen Verbrechens zu ver­ tilgen. — Im Anschlüsse an die Verbrennungen sei noch der Verletzungen durch ätzende Substanzen gedacht, wie solche nicht ganz selten zu verbrecherischen Zwecken in Verwendung kommen. Solche Substanzen find die ätzenden Alkalien, Salpetersäure und vor allen Dingen die Schwefelsäure, ein Körper, der furchtbar deletäre Wirkungen am organische Substanzen, also auch auf den Organismus aus­ übt und die Gewebe bis zur Verkohlung zerstört. Wie neuere Fälle beweisen, ist die Schwefelsäure mit ihrer ftlrchtbar destruirenden Wirkung, die die häßlichste aller Narbenbildungen im Gefolge hat, ein beliebtes Mittel zur Kühlung weiblicher Rache an ungetreuen Männern bei unseren heißblütigen Nachbarn, den Franzosen, geworden, indem die gekränkten Frauen ihren Opfern Schwefelsäure ins Gesicht gießen. B) Verletzungen nach ihrem Sitze. Wie aus der Betrachtung der Art der Verletzung, so ergeben sich für den Gerichtsarzt auch aus ihrem Sitze wichtige Schlüsie für die Prozesie und die gesammte forensische Beurtheilung derselben. Wir können die Verletzungen nach ihrem Sitze in anatomischer Ordnung vorgehend ein­ theilen in Kopfverletzungen, Verletzungen des Halfes, der Brust, des Unterleibes, der Genitalien und der Extremitäten. 1) Die Kopfverletzungen. Sie bilden gewiß die häufigsten zur forensischen Untersuchung gelangenden Verletzungen. Wir unterscheiden hierbei die Verletzungen des Schädels und die Verletzungen des Gesichtes und der daselbst befindlichen Organe, a) Die Schädelverletzungen. Bei keiner Verletzung gestaltet sich die Prognose so trügerisch wie bei jener des Schädels und bietet dieselbe aus diesem Grunde dem begutachtenden Arzte große Schwierigkeiten. Wichtig ist es sich klar zu machen, daß die Bedeutung jeder Schädelverletzung von dem Grade der Mitbetheiligung des Gehirns abhängig ist. Von dieser Mitleidenschaft des Gehirnes hängt nicht blos

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der Verlauf einer Schädelverletzung ab, sondern auch die Erscheinungen, welche un­ mittelbar nach der Zufügung derselben auftreten. Die Natur und Intensität der unmittelbaren Erscheinungen bei Kopfverletzungen werden durch drei Momente bedingt «) durch die Verletzung der Hirnsubstanz selbst; /tf) durch die Hirnerschütterung und y) durch den Druck, der auf die Gehirnoberfläche ausgeübt wird durch das aus den Meningealgefäßen austretende Blut. — Die Verletzung der Hirnsubstanz selbst bedingt, wenn nicht lebenswichtige Theile (die Basaltheile) getroffen find, ost anfänglich nur geringe Störungen, geringere meistens als die beiden anderm Momente. So erklärt es sich, warum verhältnißmäßig Leute, welche Mefferstiche in den Kopf erhielten, unmittelbar nach dem Stiche nur geringfügige Erscheinungen darbieten, und dieselben nicht weiter beachten, obwol mitunter die abgebrochene Klinge im Gehirn stecken geblieben ist; dagegen stürzen Leute, die einen Schlag auf den Kopf erhalten haben, bewußtlos zusammen, erholen sich jedoch nach einiger Zeit wieder und bieten später keine Störungen der Hirnfunkttonen dar, währmd im ersten Falle ost nach Wochen erst die bedenklichsten Zufälle und nicht seltm Geistes­ störung, Epilepsie rc. eintaten können. — Das auffallendste Symptom der Gehirn­ erschütterung ist das Coma, ein Zustand herabgesetzter Lebensfunktionm bei er­ loschenem Bewußtsein, ferner verlangsamter Puls, schwache Respiration, träg reagirende, meist erweiterte Pupillen und Bläffe der Haut. Die Gehirnerschütterung kann für sich allein bestehen oder als Begleitsymptom einer Verletzung des knöchernen Schädels selbst auftreten im Gefolge von Schädelsprüngen (Fiffuren) nach Schlägen und Hieben, in Folge von Stichwunden, Säbelhieben rc. Forensisch wichtig ist die Unterscheidung der Gehirnerschütterung vom Rausche, eine Frage, die bei den vielm Gasthausraufereien nicht selten an den Gerichtsarzt herantritt. — Was die Blutung in der Schädelhöhle und den dadurch veranlaßten Hirn druck anbelangt, so ist derselbe um so größer, je größer das intrakranielle Blutextravasat ist, welches wieder von dem Durchmeffer des verletzten Blutgefäßes abhängig ist. — Das Werkzeug ist in den meisten Fällen ein stumpfes oder stumpflantiges, seltener eine Stich- oder Schußwaffe. Die graduellen Verschiedenheiten durchlaufen eine ganze Skala von der einfachen Suffufion oder Beule der Kopfhaut bis zur völligen Zertrümmerung des Schädels und Zerquetschung seines Inhaltes (Depressionen, Fiffuren, Frakturm, Splitterbrüche). Eine besonders zu erwähnende Art find die BÄche der innerm Lamelle des Schädels bei unverletzter Außenseite deffelben (Frakturen der Glastafel). Wichtig find auch jene Verletzungen, die Fiffuren und Frakturm des Schädels betreffen, welche an einer anderen Stelle sich befinden, als am Orte der Einwirkung der äußeren Gewalt, z. B. an der Schädelbasis bei Schlag aus den Stimschädel. Man nennt diese Verletzungen Brüche durch den Contrecoup er­ zeugt. — Die größere oder geringere Leichtigkeit, mit welcher Schädelbrüche entstehen, ist vielfach durch individuelleVerhältnisse bedingt. So erleiden die Knochen der Neugeborenen sehr leicht Kontinuitätsstörungen (hierüber vgl. d. Art. Kindesmord). Bei den Schädeln Erwachsener ist es wieder die verschiedene Dicke, die bewirkt, daß in einem Falle derselbe leichter bricht, als im anderen. Oft ist es eine besondere Dünnhaut einer Stelle oder Altersbrüchigkeit, oder eine bestehende Knochenerkrankung. — Als Folgen der nicht tödtlich endigenden Kopfverletzungen kommen in Betracht die Geistesstörungen, Lähmungen, epileptische und epileptoide Zustände; Paresen (theilweise Lähmungen) und Anästhesien (Empfindungslosigkeit), b) Die Verletzungen des Gesichtes. Sie haben besonders zweier Folgen wegen gerichtsärztliche Bedeutung, und zwar wegen der eventuellen Entstellung (bleibende Verunstaltung), die sie zurücktassen, und wegen des Verlustes oder der Schwächung der Funktions­ fähigkeit der im Gesichte befindlichen Sinnesorgane. Schon Narben des Ge­ sichtes bedingen eine bleibende Verunstaltung deffelben, besonders beim weib­ lichen Geschlecht, währmd eine gewiffe Gattung von Narben (Schmisse) bei jungm Männem noch heute als eine Verschönerung des Gesichtes aufgefaßt zu werden be-

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K-rpertzerletzml-.

liebt! — Der Verlust der Nase bedingt zwar nicht den Verlust des Geruchsfinnes, der, wie es scheint, am allerseltensten verloren geht, doch ist dies eine „bleibende Verunstaltung" („erhebliche Entstellung" ) im Sinne des Strafgesetzes. — Bei Verletzungen des Auges wird sowol die Entstellung, als die Störung uud der Verlust des Sehvermögens in Betracht kommen; dasielbe gilt von den Verletzungen des Ohres, wobei es auch entweder nur zur bleibenden Ver­ unstaltung durch Verlust der Ohrmuschel (Ausreißen, Abhauen oder Abschneiden, Abbeißen) kommt, oder aber zum Verlust des Gehöres. Verletzungen der Lippen und der ziemlich häufig vorkommende Verlust von Zähnen durch Ein­ schlagen mit den verschiedensten stumpfen Werkzeugen können allerdings wegen der zurückbleibenden Entstellung eine gerichtsärztliche Bedeutung erhalten; doch wird man diese Verletzungen wol nur selten als „erhebliche" im Sinne des Gesetzes qualifiziren. 2) Verletzungen des Halses. Abgesehen wird hier von den durch Stangulation erzeugten Verletzungen. Bon anderen sind zu erwähnen die Kon­ tusionen desKehlkopfes. Eine heftige Kehlkopsskontusion kann auch ohne sonstige Beschädigung plötzlich durch Shock oder durch Glottiskrampf tobte«. Die Brüche des Kehlkopfes durch Schlag oder Fall sind ziemlich selten, da der anatomische Bau desselben ein Ausweichen ermöglicht, doch kommen solche Brüche auch vor. Häufiger find die Brüche des Zungenbeines, die außer durch Würgen auch durch andere Gewalten entstehen können. Kehlkopf- und Zungenbein­ verletzungen gehören zu den gefährlichsten, da meist rasch Diapnoe und der Tod ein­ tritt, so daß circa 80 Prozent dieser Verletzungen tödtlich verlaufen. Selten sind auch Kontinuitätstrennungen der Luftröhre, die nur bei großen Gewalteiuwirkungen vorkommen, z. B. durch Hufschlag (Schauenstein), durch Ueberfahren und bei Verschütteten (E. Hofmann). Den Nacken treffende Gewalten können Luxationen und Brüche der Halswirbel bedingen. Bon größter Wichtigkeit sind die Schnittund Hiebwunden, sowie die Stichwunden des Halses. Der zum Theil ziemlich oberflächliche und nur von Weichtheilen wenig geschützte Verlauf großer und zahl­ reicher Blutgefäße, sowie der Verlauf hochwichtiger Nervenbahnen machen die Schnittwunden des Halses zu den allerwichtigsten und oft sehr gefährlichen, rasch tödtlichen Verletzungen; nur bei oberflächlichen, kein wichtiges Gefäß treffenden Hals­ wunden ist Heilung möglich. Bei isolirten Verletzungen von Werten kann eine bleibende „Schwächung der Sprache" durch theilweise Lähmung der Zunge zurück­ bleiben oder es tritt Lähmung und konsekutive Atrophie anderer Muskeln und Muskel­ gruppen auf. 3) Brustverletzungen. Selbst die einfachen Erschütterungen der Brustw and durch Einwirkung stumpfer Instrumente oder Faustschläge können durch Shock gefährlich werden. Bekannt sind in dieser Beziehung wegen ihrer Ge­ fährlichkeit die Schläge und Stöße in die Magengrube. Häufig sind die Folgen solcher Gewalteinwirkungen Rippenbrüche. Sie kommen besonders beim Berschüttetwerden und beim Sturz aus großer Höhe häufig vor. — Wichtiger sind die Rup­ turen der Brustorgane. Sie sind nicht so ganz selten, besonders die Lungen­ rupturen. Sie sowol, wie die etwas selteneren Rupturen des Herzens kommen in allen möglichen Formen vor, vom kleinsten Einrisse bis zur gänzlichen Abreißung des Organs, doch sind sie stets hervorgerufen von sehr großen Gewalten, wie Auf­ fallen von Lasten, Sturz von großer Höhe rc. Von den Verletzungen der hinteren Brustwand sind die Brüche der Wirbelsäule, die auch nur nach großen Gewalten Vorkommen können, zu erwähnen, sowie die durch heftige Stöße gegen den Rücken oder durch wiederholte Hiebe auf denselben (Prügeln) erzeugten Verletzungen. Letztere erzeugen mitunter Lähmungen der Extremitäten und selbst Shock trat in Folge von Stockstreichen ein. — Häufig sind die Stichwunden der Brust, besonders jene in die Herzgegend. Oft sind sie in Folge Abprallens des Stiches an den Rippen nur oberflächliche Verletzungen. Penetrirende Stichwunden dringen entweder in das

Körperverletzung. Herz oder in die Lungen ein.

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Erstere gehören zu den lebensgefährlichsten Verletzungen

und haben in der Regel nach wenigen Augenblicken den Tod zur Folge. Auch die Stichwunden der Lungm fiud sehr gefährlich, obwol hier Heilung nicht unmöglich ist. Einen wesentlichen Einfluß auf die Bedeutung einer Lungenstichwunde hat der Umstand, ob die betreffende Lunge überhaupt, namentlich aber an der getroffenen Stelle frei war oder ob Adhäsionen mit der Thoraxwand bestanden, da in letzterem Falle ein Pneumothorax, der eben die Gefährlichkeit dieser Verletzung bedingt, nicht so leicht zn Stande kommen kann, so daß die Lunge, wenn nicht große Gesäße ver­ letzt wurden, weiter funktioniren kann. Die Diagnose penetrirender Brustwunden ist aus dem Symptomenkomplere für den Arzt nicht schwer, besonders bedarf es nie­ mals der Sonde bei der Untersuchung derselben, da ihr Gebrauch eine lebensgefähr­ liche Verschlimmerung des Zustandes bewirkm könnte. — Bezüglich der Schuß­ verletzungen der Brusteingeweide gilt im Ganzen dasselbe, was von den Stichen gesagt wurde. — Verletzungen des Zwerchfells können sowol vom Brustkorb, als von der Bauchhöhle aus erfolgen. Sie kommen als ifolirte Ver­ letzungen nur selten vor, meist als Komplikation bei Stich- oder Schußwunden des Thorax oder des Unterleibes. 4) Verletzungen des Unterleibes. Die Rupturen der großen drüsigen Organe des Unterleibes (Leber, Milz, Nieren), sowie die ziemlich seltenen Magen- und Darmrupturen haben dieselbe Aetiologie, wie die Rupturen der Brust­ organe. Sehr selten find auch Rupturm der Harnblase. Dagegen kommen häufiger Frakturen der Lendenwirbelsäule und des Beckens nach Sturz von einer Höhe, bei Verschütteten und Ueberfahrenen vor. Ziemlich häufig begegnen wir in der forensischen Praxis der Angabe, daß ein Individuum in Folge einer Mißhandlung eine Hernie (Bruch) davongetragen habe. Man hat hierbei von dem von allen modernen chirurgischen Autoritäten anerkannten Grundsätze auszugehen, daß bei einem normal gebauten Individuum eine Hernie nicht Plötzlich entstehen könne, aus­ genommen es wären Rupturen der betreffenden Stelle der Bauchwand durch die Verletzung entstanden, sondern daß sich eine solche nur dort zu bilden vermöge, wo bereits ein Bauchsack durch angeborene Anlage oder durch später erfolgte allmähliche Entstehung vorgebildet sei, wo dann allerdings Mißhandlungen, wie Fußtritte gegen dm Unterleib, Kniem auf demselben, sowie das Heben schwerer Lasten, das Austretm einer Darmschlinge veranlassen können. Die Beurtheilung dieser Verletzung erfordert daher die ganze Aufmerksamkeit des Sachverständigen, da gerade hier ein oft schon Jahre lang bestehendes Leiden, als in Folge einer Mißhandlung entstanden, angegeben wird. — Penetrirende Bauchwunden können lebensgefährlich sein, entweder in Folge der Verletzung von Blutgefäßen, wo die Gefahr einer inneren Verblutung eintritt oder durch sekundäre entzündliche Vorgänge, besonders bei Ver­ letzungen der Leber, Milz, der Nieren, des Bauchfelles und der Gedärme oder des Magens. 5) Verletzungen der Genitalien, a) Männliche Genitalien. Zumeist kommen Zerrungen und Quetschungen derselben vor. Diese können, wenn sie die Hoden betreffen, Entzündungen derselben und Atrophie zur Folge haben, die, wenn beide Hoden betroffen find, die Funktionsunfähigkeit dieser Organe im Gefolge hat (Zeugungsunfähigkeit, impotentia generandi). Verlust des Penis würde impotentia coeundi bedingen. Bei Schnittverlehungen der Genitalien kommt auch der Blutverlust in Betracht, der selbst eine lebensgesährliche Höhe erreichen kann. Fahr­ lässige Verletzungen des Penis können auch durch die rituelle Circumcision erzeugt werden, b) Weibliche Genitalien. Von den Folgen der Einwirkung kontundirender Gewalten sind es die Vorfälle des Uterus oder der Scheide, die unsere Auf­ merksamkeit verdienen, weil sie häufig als Verletzungsfolgen angegeben werden und nicht immer leicht zu beurtheilen sind. Wir wiffen nur, daß sie in der Regel allmählich entstehen, wie die Hernien, und muß der Gerichtsarzt hier alle ätiologischen

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Körperverletzung.

Momente wol erwägen, welche solche Vorfälle veranlaßt haben könnten. Häufig wird er in der Lage sein zu zeigen, daß sie schon früher bestanden haben, oder daß das Leiden höchstens durch die Mißhandlung verschlimmert wurde. Ob eine plötzliche Senkung oder Vorfall überhaupt möglich ist, muß dahin gestellt bleiben; es ist dies bis heute zweifelhaft. Ausgenommen sind Fälle, wo etwa ein gewaltsames Heraus­ reißen statthätte. Die Verwundungen der äußeren Genitalien sind wichtig wegen der schweren und selbst lebensgefährlichen Blutungen, die sie veranlassen können. Verletzungen der inneren Genitalien sind selten. — Häufig wird ein Abortus mit erlittenen Verletzungen in ursächlichen Zusammenhang gebracht. Daß Insulte, welche den Uterus direkt treffen, Abortus bewirken können, unterliegt keinem Zweifel. 6) Verletzungen der Extremitäten. Ihre Bedeutung beruht auf der Wichtigkeit der Extremitäten für die gewöhnlichen Lebensverrichtungen und auf ihrer Unentbehrlichkeit für mechanische Arbeiten. Sie müssen beurtheilt werden nach der bleibenden geringeren oder größeren Funktionsuntüchtigkeit einzelner Muskelgruppen (Kontraktionen, Lähmungen) oder der Steifheit von Gelenken, oder nach bleibenden und störenden Verkürzungen nach Brüchen re. Sie können durch Gefäßverletzungen auch tödtliche Folgen haben (Verblutungen bei Stich- und Hiebwunden). C) Qualifikation der Verletzungen im Sinne des Strafgesetzes. Der Gerichtsarzt hat außer der objektiven Beurtheilung einer Verletzung vom rein medizinischen Standpunkte aus auch noch eine Reihe von Fragen zu lösen, welche so recht eigentlich das forensische Gebiet betreffen, die für die Qualifikation einer Verletzung wichtig und unerläßlich sind. Wir werden hierbei die juridische Drei­ theilung der „tödtlichen", „schweren" und „leichten" K. beibehalten. 1) Die tödtliche K. Als solche ist jede Verletzung zu bezeichnen, welche den Tod zur Folge hatte, gleichgültig, ob sie ihn unmittelbar oder mittelbar be­ wirkte. Bei der Beurtheilung des gewaltsamen Todes in Folge mechanischer Ver­ letzung handelt es sich um die Beantwortung folgender drei Fragen: a) Was ist die nächste Todesursache? b) Wurde dieselbe durch eine Verletzung und durch welche veranlaßt? c) Ist diese Verletzung durch die Handlung eines Anderen zugefügt worden? a) Die nächste Todesursache: Primäre oder unmittelbare nächste Todes­ ursachen sind: «) Die Vernichtung oder grobe Beschädigung oder mechanische Störung der Funktionsfähigkeit lebenswichtiger Organe (Gehirn, Rückenmark, Lungen, Herz). /?) Die Verblutung, eine der häufigsten Todesursachen nach mechanischer Verletzung. /) Der Shock, d. i. der reflektorische Stillstand des Herzens (Herzlähmung), eintretend durch intensive Reizung peripherer sensibler Nerven. ()) Die Erstickung. — Zu den sekundären oder mittelbaren nächsten Todesursachen gehören: «) Entzündliche Prozesse, wie Meningitis, Encephalitis, Pleuritis, Perito­ nitis rc. ß) Pyämie (Eitervergiftung), Septicämie (Blutvergiftung). /) Die Er­ schöpfung und J) Der Tetanus (Starrkrampf), b) Der Nachweis des ursächsächlichen Zusammenhanges der nächsten Todesursache mit der Verletzung. Hierbei ist es von großer Wesenheit und hauptsächlichste Aufgabe des Beurtheilers, vitale und postmortale Verletzungen zu unterscheiden. Nicht selten kommen beispielsweise an Wasserleichen postmortale Verletzungen vor. Um nun überhaupt von einer Verletzung behaupten zu können, daß sie im Leben ent­ standen ist und daher mit dem Tode in ursächlicher Beziehung steht, ist der Beweis ihrer vitalen Entstehung nothwendig. Er wird geführt durch den Nachweis von der vitalen Reaktion der Wunde, durch das Vorhandensein von Suffusionen, Sugillationen, Blutextravasaten, Gerinnungen und Schwellung der Wundränder. — Es ist ferner nothwendig der Beweis des Ausschlusses anderer Todesursachen. Wichtig in dieser Beziehung sind jene Fälle, wo sich gleichzeitig mehrere Ver­ letzungen vorfinden, von denen jede geeignet war, den Tod zu bewirken, wobei es sich um die Bestimmung der wirklichen Ursache des Todes handelt („konkurrirende Todesursachen", Skrzeczka oder „Priorität der Todesart", Casper). Hierbei

A-rperverletzrmß.

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wird sich der Sachverständige folgende Fragen vorzulegen und zu beantworten haben: 1) Welchen von den vorhandenen Verletzungen kommt ein tödtlicher Charakter zu? 2) Wurden die als tödtlich erkannten gleichzeitig zugesügt oder nicht und welche früher? 3) Welche hat dem Leben zunächst ein Ende gemacht? 2) Die schwere K. (Deutsches StrafGB. § 224 und Oesterr. StrafGes.Entw. § 224). Ziemlich scharf und präzis sormuliren die genannten Gesetze den Begriff der schweren K., und es ist nur Aufgabe des Gerichtsarztes zu ent­ scheiden, ob eines oder mehrere jener Momente gegeben find, welche das Gesetz er­ heischt, um eine Verletzung als schwere zu qualifiziren. Das Deutsche StrafGB. und der Oesterr. StrafGes.Entw. sind so übereinstimmend, daß fie gemeinsam betrachtet werden können, abweichend ist das Oesterr. StrafGB., das wir später behandeln werden. Die Folgen, welche verlangt werden zur schweren ft., find , a) Verlust eines wichtigen Gliedes des Körpers, eine Bestimmung, deren Beantwortung im konkreten Falle keiner Schwierigkeit unterliegt; ebmso wie b) Verlust des Seh­ vermögens auf einem oder beiden Augen, c) Verlust des Gehörs, der Sprache oder Fortpflanzungsfähigkeit (wurde bereits sub B abgehandelt), d) Verfall in Siechthum oder Lähmung. Hierbei ist es fraglich, ob unter Siechthum ein unheilbares Leiden oder nur ein länger andauernder chronischer Krankheitszustand zu verstehen ist; ebmso dürfte der Begriff „Verfall in Lähmung" im konkreten Falle ost schwer zu bestimmm sein. Diese Punkte dürsten sicherlich wiederholt Meinungsverschieden­ heiten bedingen, da sie für den Mediziner nicht klar präzifirte Begriffe darstellen, und es schwer ist zu erkennen, was der Gesetzgeber hier eigmtlich intendirte. e) Der Verfall in Geisteskrankheit und f) die bleibmde Verunstaltung sind an sich klare und im konkreten Falle leicht zu entscheidende Folgezustände der schwerm ft. Viel komplizirter und schwieriger gestaltet sich die Aufgabe für den Sach­ verständigen, um den Bestimmungen des Oesterr. Strafgesetzbuchs gerecht zu werden, welches ein Verbrechen und ein Vergehen der „schweren körperlichen Be­ schädigung" unterscheidet und außer den allgemeinen Begriffsbestimmungen im § 152 noch eine Reihe von „erschwerendm Umständen" in den §§ 155 und 156 aufzählt. All diesen Bestimmungen soll und muß der Oesterr. Gerichtsarzt gerecht werden. Manche Verletzung, die nach dem Deutschen StrafGB. nicht als „schwere" qualifizirt werden kann, ist im Sinne des Oesterr. StrafGB. eine solche, der beste Beweis, daß es sich hier nicht um objektiv unterscheidbare Verbrechensartm, sondem um subjektive Begriffsbestimmungen für richterliche Zwecke handelt. Für die Qualifikation der „schweren körperlichen Beschädigung" ist erforderlich: a) eine Gesundheitsstörung oder Berufsunfähigkeit von mindestens zwanzigtägiger Dauer; b) eine Geisteszerrüttung; c) eine schwere Verletzung. Während a und b keine besonderen Schwierigkeiten machen, ist c deshalb schwer oder eigentlich gar nicht zu entscheiden, weil es eine „schwere Verletzung an sich" im medizinischen Sinne nicht giebt. Das soll eben wie im Deutschen StrafGB. und Oesterr. StrafGes.Entw. das Gesetz bestimmen, welche Beschädigung unter den Begriff „schwere Verletzung" zu subsumiren ist. Als „erschwerendeUmstände", welche eine „an sich leichte" (sic! ?) Verletzung zur schweren machen, werden im § 155 des Oesterr. Straf.Ges.Entw. angeführt: Lit. a) Die An­ wendung eines Werkzeuges, mit dem gemeiniglich Lebensgefahr verbunden ist; Lit. b) wenn die Gesundheitsstörung oder Berufsunfähigkeit mindestms 20 Tage dauerte; Lit. c) wenn die Handlung mit besonderen Qualen für den Verletzten verbunden war.... d) wenn die schwere Verletzung lebensgefährlich wurde. Im § 156 werden jene Ver­ letzungsfolgen aufgeführt, deren Vorhandensein das grüßte Strafausmaß bedingen (schweren Kerker von 5—10 Jahren). Sie find: a) Verlust oder bleibende Schwächung der Sprache, des Gehörs, des Gesichtes, Verlust der Zeugungsfähigkeit, Verlust eines Auges, Armes oder einer Hand oder auffallende Verstümmelung oder Verunstaltung; b) immerwährendes Siechthum, eine unheilbare Krankheit oder Geisteszerrüttung; c) eine immerwährende Berufsunfähigkeit des Verletzten. Es ist ersichtlich, daß hier

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Korporation

der Sachverständige eine Reihe oft mehr oder weniger schwieriger Fragen zu lösen hat, um eine Verletzung im Sinne des Gesetzes zu qualifiziren. 3) Die leichteK. (Demsches StrafGB.) oder die Mißhandlungschlechtweg (Oesterr. StrafGes.Entw.). Als solche wären zu verstehen alle Verletzungen, welche weder den Tod, noch die im § 224 des Deutschen StrafGB. oder § 236 des Oesterr. StrafGes.Entw. ausdrücklich erwähnten Folgen nach sich gezogen haben. Ihre forensische Beurtheilung dürfte demnach mit Rücksichtnahme auf das Gesagte keine Schwierigkeiten bereiten. Bit.: I. Finger, Tie Beurtheilung der Körperverletzungen bei dem öffentlichen und mündlichen Strafverfahren, Wien 1852. — Herbst, Kommentar rc., S. 317 ff. — Geyer, Zur Revision der Bestimmungen des RStrafGB. über Körperverletzungen, Gerichtssaal 1874 Heft 4. — Blumenstock, Gerichtsärztliche Bemerkungen über den Entwurf des neuen Strafgesetzes, Wien. Mediz. Presse 1875 u. 1876. — Nußbaum, Ueber den Shock großer Verletzungen, Vortrag im ärztlichen Bezirksverein München, Wien. Mediz. Presse 1877 Nr. 16 und 17. — Dann die Lehrbücher der gerichtl. Medic. von Casper-Liman, E. Hofmann, Schauenstein, Schürmayer, Krahmer, Taylor rc. — Kraus u. Pichler, Hand­ wörterbuch der Staatsarzneikunde. Kratter.

Korporation, Korporationsrechte (Th. I. S. 357 ff. und 488). K. ist ein Personenverein mit eigener Rechtspersönlichkeit. K.rechte pflegt man diejenigen Rechte zu nennen, welche einen solchen Verein von anderen, als besondere Rechts­ subjekte nicht anerkannten Vereinen unterscheiden. Die K. ist der ursprünglichste und wichtigste Fall der sog. juristischen Person (vgl. diesen Artikel). Der lebhafte Streit, welcher über das Wesen der juristischen Person im heutigen Recht geführt wird, bezieht sich daher vor Allem auch auf die K. und nimmt bei ihr eine besonders intensive Färbung an. Die herrschende Lehre (Savignh, Puchta, Pfeifer, v. Vangerow, Sintenis, v. Gerber, Thöl, Roth) hätt an der von der Romanistischen Jurisprudenz aus den spärlichen Aussprüchen des Corpus Juris entwickelten Römischen K.theorie fest. Diese Theorie geht von dem schroffen und exklusiven Individualismus des Römischen Privatrechts aus. Danach erscheint der Regel nach jedes Gemein­ schaftsverhältniß unter Mehreren als eine communio, bei welcher die Mehrheit der Subjekte als eine Summe an sich völlig unverbundener Individuen mit durchaus getrennten Antheilssphären gedacht wird, jede auf Gemeinschaftlichkeit gerichtete Willenseinigung aber als eine societas, welche lediglich rein obligatorische Vertrags­ beziehungen zwischen mehreren in ihrer Persönlichkeit davon nicht affizirten Individuen begründet. Ausnahmsweise jedoch wird um des Bedürfnisses willen einer Personen­ mehrheit eine einheitliche Rechtssubjektivität in der Form einer juristischen Person künstlich angedichtet und so eine Universitas (corpus) hergestellt. Hier tritt dann neben die verbundenen Individuen ein neues, von ihnen ganz unabhängiges, für sie völlig ftemdes und äußerliches Subjekt, das als ein fingirtes Individuum lediglich für bestinrmte vermögensrechtliche Zwecke besteht, dessen nur eingebildetes Dasein eine künstliche Staatsschöpfung ist, und für das erst durch eine Reihe weiterer Fiktionen in den Gliedern und Beamten der K. gesetzliche Vertreter beschafft werden. Von anderer Seite her giebt man zwar zu, daß diese für die kümmerlichen korporativen Bildungen des späteren Römischen Reichs vielleicht ausreichende Theorie sür das heutige Recht nicht genügt. Man will aber das Römische Grundprinzip festhalten, und meint, wenn man nur den Römischen K.begriff von der in ihn künstlich hineingetragenen Verengerung befteie, mit den bei ihm möglichen Füllungm und Modifikationen auch unser Rechtsleben umspannen zu können (Unger, Wind­ scheid, Bruns, Kuntze, Stobbe). Allein es ist ein vergebliches Bemühen, auf einem so eng mit der gesammten Staats- und Rechtsauffassung zusammen­ hängenden Gebiet den ftemden Grundgedanken zum Ausgangspunkt der juristischen Konstruktion eines in ganz anderem Geiste gestalteten Rechts zu machen. Ver-

Korporation.

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sehlter noch find die Versuche, die heutige K. den im Gegmsatz zu der herrschenden Lehre aufgestellten Theorien des subjektlosen Zweckvermögens (Brinz, Demelius, Belker), der äußeren kollektiven Einheit (Salkowski), der Personenrolle lBöhlau) zu unterstellen. (Vgl. den Art. Juristische Personen.) Mit Recht ist dem gegmüber von Germanistischer Seite darauf hingewiesen, daß in dem durch das Röm. Recht nie ganz verdrängten nationalen Körperschaftsrecht und den aus ihm beruhenden modernen Rechtsbildungen ganz andere Grundgedanken leben. Das Verdienst der ersten Anregung gebührt hier der sog. „Genoffenschaftstheorie" , welche von der Betrachtung ausging, daß im Deutschen Recht der unver­ mittelte Römische Gegensatz von communio und Universitas sich nicht finde. Indem jedoch diese Theorie ursprünglich (so Anfangs Beseler, Wolff, Renaud, Bluntschli, Weiske) in dem Begriff der Genoffenschaft etwas zwischen korpora­ tiver und nicht korporativer Gestaltung in der Mitte liegendes Trittes konstruiren wollte, machte fie ihrm Gegnern (Thöl, Schmid, Unger, Gerber, Roth) den Nachweis logischer und juristischer Unhaktbarkeit leicht. Die Genoffenschaststheorie ist aber seitdem (namentlich von Beseler selbst, Heusler u. A.) von der ihr Anfangs anhaftenden Unklarheit befreit und auf ihren wahren Kern zurückgeführt. In dieser Gestalt will fie zwar den Gegensatz zwischen korporativer Rechtsgestaltung und bloßer Rechtsgemeinschast an die Spitze des Gefellschafts- und Gemeinschaftsrechts stellen: aber nicht den Römischen Gegmsatz von Universitas und communio, sondern den Deutschen Gegmsatz der deutschrechtlichen Körperschaft und der deutschrechtlichen Gemeinschaft. Und fie behauptet, daß einerseits die Körperschaft des Deutschm Rechts, obwol bei ihr die Einheit des Ganzen das leitende Prinzip ist, in den Rechtsformen der „Genossenschaft" auf eine mit dem Römischen Begriff unvereinbare Weise für die Fortgeltung der Vielheit und ihrer individuellen Willens- und Rechts­ sphären in gemeinschaftlichen Dingen Raum behält; daß andererseits die bloße Gemeinschast des Deutschen Rechts, obwol bei ihr die Mehrheit der Subjekte das leitende Prinzip ist, durch die Rechtsform der „gesammten Hand" eine bei der Römischen communio unmögliche Verbindung ihrer Subjekte zur kollektiven Einheit und durch die Ausbildung des modemen Gesellschaftsvertrages eine der societas fremde Absorption der individuellen Willenssphären durch die Gemeinschaftssphäre zu begründen vermag. Das Letztere gehört nicht hierher (vgl. die Art. Gesammteigenthum und Offene Handelsgesellschaft). In Bezug auf die Körper­ schaften aber insbesondere ist jener von der sog. Genossenschaftstheorie richtig hervor­ gehobene Punkt nur Eine unter den Konsequmzen einer abweichenden Struktur des korporativen Gesammtbaues. Es bedarf daher für das heutige Recht einer Er­ weiterung der Lehre zu einer selbständigen Teutschen Körperschafts­ theorie überhaupt. Zu einer solchen bietet das vor unseren Augen sich vollziehende Rechts leb en, welches, unbeirrt durch die zuletzt in ungezählte Kontroversen und Subtilitäten aus­ laufenden Schulmeinungen, gerade auf dem Gebiet der korporativen Gestaltung vor Allem sich schöpferisch bewährt hat, ausreichmdes Material. Denn unaufhaltsam ist theils in die historisch überkommenen Verbände der nationale Geist in verjüngter Lebenskraft wieder eingezogen, theils hat die freie Assoziation moderne Bereinigungm korporativer Struktur ins Leben gerufen, welche, wie die Aktimvereine, die Gegenseitigkeitsgenoffenschaften, die Erwerbs- und Wirthschaftsgenoffenschaften und zahlreiche andere Verbände, dem romanistischen Dogma laut und vernehmlich widerfprechm. Auch die Gesetzgebung, so ängstlich fie vieffach an den alten Schuldegriffen noch fest­ hält, hat thatsächlich besonders in den neueren Spezialgesetzen mit dem civilistischm Dogma gebrochen und beginnt Gedanken durchzuführen, die sich bei unbefangener Betrachtung als der längst zum Gemeingut gewordene Inhalt unseres nationalen Rechtsbewußtseins Herausstellen. v Holtzendorff. Lnc II RechtSIexikon II. 8. «ufl.

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Äetumttoi.

Hiernach erblickm wir heute das Wesm der K. nicht mehr in einer Fiktion irgend einer Art, sondern in der Anerkennung eines zur einheitlichen Gesammtperson organifirten Perfonenverbandes als Rechtssubjekt. Die K. ist ein von einem einheit­ lichen Gesammtwillen beseeltes Gemeinwesen. Sie ist das Prototyp des Staates und gleich ihm das Produkt jener vom Wesm des Menschen untrennbaren Kräfte, die über dem Einzelleben die höhere Daseinsordnung des Gemeinlebens erzeugen. Die Entstehung der einzelnm K. liegt in einem konstituirenden Akte, welcher einen konkreten Gemeinwillen als Einheit setzt und in einem geeigneten Vereins­ organismus verkörpert. Dieser Vorgang kann entweder in einer geschichtlich­ politischen Entwickelung liegen (wie bei Gemeinden); oder in einem konstituirenden Willensakt der sich vereinigenden Personmgesammtheit (gewillkürte Körperschaften); oder auch in einem, sei es gesetzgeberischen, sei es administrativen, mit oder ohne Betheiligung der zu Verbindenden vollzogenen staatlichen Willensakt (wie bei Kreisund Provinzialverbänden). Auch kann der Staat die Bildung aller oder gewisser K. an eine staatspolizeiliche Genehmigung binden. Dagegen bedarf es im Gemeinen Recht der richtigen Meinung nach (Beseler, Bluntschli, Unger, Bähr, Arndts, Windscheid, Fitting) einer besonderen Verleihung der juristischen Persönlichkeit oder der sog. „K.rechte" nicht. Eine solche fordern jedoch die meisten Partikularrechte und behandeln dann diese Verleihung als ein Privileg, dessen Erlaß der Exekutivgewalt zusteht. (So in Preußen, wo das in der Verf.Urk. Art. 31 verheißene Gesetz über „die Bedingungen, unter welchen K.rechte ertheilt oder verweigert werden", noch nicht erschienen ist; nur geistliche und Religions­ gesellschaften können nach der Verf.Urk. Art. 13 lediglich durch ein spezielles Gesetz inkorporirt werden.) Für einzelne Gattungen der K., insbesondere für Aktiengesell­ schaften, Erwerbs- und Wirthschaftsgenossenschaften und eingeschriebene Hülfskafsen, hat dagegen die neuere Reichsgesehgebung die Anerkennung als Rechtsperson lediglich an eine öffentliche Einregistrirung gebunden, welche bei dem Vorhandensein der ge­ setzlich normirten Voraussetzungen erfolgen muß. Aehnliches gilt jetzt in Preußen und sonst für „freie Waflergenoffenschaften", für Gewerkschaften rc. Und in manchen Deutschen Staaten (Sachsen 1868, Bayern 1869) ist dieses System auf alle gewill­ kürten K. ausgedehnt worden. Die Zusammensetzung der K. kann eine sehr verschiedenartige sein. Immer ist eine Personenmehrheit erforderlich (vielfach fordert man wenigstens bei der Entstehung wegen 1. 85 de V. 8. ein Minimum von 3, in England von 7 Per­ sonen). Außerdem aber ist für manche K. noch ein sachliches Substrat wesentlich, sei es ein Gebiet (Kommunen aller Art), sei es ein Vermögen (Gewerkschaften, Aktien­ vereine). Da ferner das Stück Jndividualpersönltchkeit, welches in der korporativen Sphäre aufgeht, von sehr ungleichem Inhalt und Umfang sein kann, so erklärt es sich, daß die Mitgliedschaft bei den verschiedenen K.gattungen eine mannigfach verschiedene Rechtsnatur annehmen kann. Es giebt K. mit erzwungener und mit freiwilliger Mitgliedschaft; das Mitgliederrecht kann höchst persönlich und es kann Ausfluß und Zubehör eines Sachenrechts oder sonstigen Vermögensrechts sein; es kann vom rein politischen Bürgerrecht bis zur rein ökonomischen Aktie die ver­ schiedensten Mittelstufen einnehmen; es kann nur eine beschränkte Haft oder die subsidiäre Hast des ganzen Vermögens in sich schließen; es kann für alle Genossen gleich oder mannigfach nach quantitativen oder qualitativen Eintheilungen gegliedert und abgestuft sein. Jede K. (auch die sog. univ. inordinata) wird zur lebendigen Einheit erst durch eine Organisation, welche ihre verschiedenen Elemente in einer bestimmten Anordnung zum Ganzen verknüpft. Der Inbegriff der Wonnen, welche diese Organisation nach ihrer rechtlichen Seite bestimmen, ist die Verfassung. Die K.verfaffung bestimmt insbesondere die Bildung und die Funktionen der einzelnen Organe und entscheidet darüber, wie und wann in diesen ihren Organen die

Korporation.

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Persönlichkeit des Ganzen mit rechtlicher Wirksamkeit zur Erscheinung kommt. Die K.verfaffungen, welche bald mit mehr oder minder Spielraum für alle K. einer bestimmten Gattung gesetzlich vorgeschrieben, bald einer einzelnen K. eigenthümlich find, können ebenso mannigfach wie die Staatsverfafiungen gestaltet sein. Häufig findet sich eine Theilung der Gewalt zwischen Borstände, Bertretungsausschüfie und Mitgliederversammlung. Die letztere ist im Zweifel das Hauptorgan, aber fie ist immer nur ein Organ der K., nicht die K. selbst. Als ein korporatives Organ kann sie nur nach Maßgabe der Berfaffung zusammentreten, verhandeln und be­ schließen, ihre Beschlüsie aber werden im Zweifel mit einfacher Mehrheit der nach gehöriger Ladung abgegebenen Stimmen gefaßt. (Irrig ist es, die besonderen Be­ stimmungen über Römische Dekurionenversammlungen hier anwenden zu wollen.) Weil sie jedoch als ein K.organ über die korporative Lebenssphäre niemals hinaus kann, ist ihre Kompetenz einmal durch den Zweck der K. und sodann durch die individuellen Sonderrechte der Glieder (Jura singulornm) begrenzt. Eine Abänderung des Zwecks ist daher, soweit nicht das Statut etwas Anderes bestimmt, nur durch vertragsmäßige Einigung aller Glieder möglich. Jura singulorum aber können, soweit nicht gesetzliche Zwangsenteignung eingreift, nur unter Zustimmung der Berechtigten verändert oder aufgehoben werden. Die Rechtsfähigkeit der K. erstreckt sich auf öffentliches und privates Recht. Je nachdem die K. als ein Glied im staatlichen Organismus betrachtet wird oder nicht, unterscheidet man „öffentliche" und „Privatrechts-K.". Im Privatrecht steht die K., vom Familienrecht abgesehen, der Einzelperson im Allgemeinen gleich. Sie hat als solche ihren Namen, Wohnsitz und Gerichtsstand, ein Siegel, auch einen rechtlich geschützten Anspruch auf Ehre. Insbesondere aber ist sie im Zweifel zu allen Vermögensrechten gleich dem Einzelnen fähig. Doch finden sich einerseits pofitivrechtliche Beschränkungen, wie namentlich, während die Römischen Beschränkungen der Erbfähigkeit aus dem Testament heute unpraktisch sind, die partikularrechtlichen Beschränkungen beim Erwerbe von Grundstücken, sowie aus Schenkungen und letzt­ willigen Zuwendungen über ein bestimmtes Maß (z. B. Preuß. Gesetz vom 23. Febr. 1870). Andererseits haben viele K. (und hatten früher in noch größerem Umfange) besondere Vorrechte und Privilegien; als allgemeine Rechtswohlthat will man ihnen die jura minorum zuwenden, was aber mit der Ansicht von ihrer ewigen Unmündigkeit zusammenhängt. Im öffentlichen Recht richtet sich der Umfang der Rechte und Pflichten der K. nach Außen und Innen nach ihrem Verhältniß zum Staat. Alle aber und auch die rein privatrechtlichen K. haben ihren Gliedern gegenüber gewiffe eigenthümliche Rechte, die als Analoga der Staatsgewalt für ihren, wenn auch engen Kreis einen publizistischen Charakter tragen. Es sind dies die sog. inneren K.rechte, wie z. B. Autonomie, Selbstverwaltung, Selbstbesteuerung, Zwangs- und Straf­ gewalt, Etatsrecht, Bestellung von Organen, Aufnahme und Ausschluß von Mitgliedern. Soweit die K. als solche berechtigt und verpflichtet ist, erscheint fie als ein von ihren Gliedern völlig verschiedenes Rechtssubjekt. Letztere können daher in allen denjenigen Rechtsverhältniffen zur K. stehen, die auch zwischen ihr und Dritten möglich wären. Allein die K. des Deutschen Rechts ist der Gesammtheit immanent, nicht transcendent; fie ist kein außer und über die Mitglieder gedichtetes Individuum, sondern ein in ihnen lebendes „gemeines Wesen"; fie ist die Gesammtheit als Ein­ heit und Allgemeinheit, während sich andererseits dieselbe Gesammtheit in eine Summe von Individuen auflöst. Hieraus ergiebt fich die der Römischen universitas fremde Möglichkeit eigenthümlicher Rechtsbeziehungen zwischen der ft. und ihren Gliedern, die in dieser Art eben nur innerhalb des korporativen Rechtsgebiets Vor­ kommen können. Insbesondere kann irgend eine Macht- oder Vermögenssphäre in der Weise gemeinschaftlich sein, daß einige Besugniffe in die Hand der juristischen 36*

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Korporation.

Person gelegt, andere unter die Glieder zu Sonderrecht vertheilt sind, demnächst aber das Gesammteinheitsrecht und das Gesammtvielheitsrecht durch die Verfassung organisch verknüpft werden. Die Sonderrechte der Glieder sind dann, obwol als selbständiges Individualrecht anerkannt, doch nur bei Mitgliedern möglich und mit der Mitgliedschaft unlöslich verwoben. So verhält es sich auf dem Gebiet des Vermögensrechts vor Allem beim genossenschaftlichen Gesammteigenthum (vgl. diesen Art.), mögen nun hierbei reale Nutzungsantheile (wie bei Markgenossenschaften in manchen Gemeinden) oder ideelle Ertragsquoten (wie die Kuxe und Aktien) für die Einzelnen konstituirt sein. Auch obligatorische Ansprüche (wie die Guthaben bei Erwerbs- und Wirthschaftsgenossenschaften) können dergestalt als Jura singulorum mit der Mitgliedschaft verknüpft sein. Umgekehrt kann hinter der Einheitspflicht der juristischen Person eine verfassungsmäßige Vielheitspflicht der Glieder (subsidiäre Solidarhaft) stehen. Die K. als eine wahre Person ist ferner willens- und handlungsfähig. Sie will und handelt durch verfassungsmäßige Beschlüsse und Rechtsakte ihrer Organe. Wenn die herrschende Lehre sie selbst für unfähig zum Wollen und Handeln erklärt und nach dem Vorgänge des Röm. Rechts den Begriff der gewöhnlichen Stell­ vertretung heranzreht, um die Wirkung der Beschlüsse und Handlungen von Ver­ sammlungen und Beamten sür die K. zu begründen und zu begrenzen- so beruht dies auf dem mangelhaften Verständniß des Wesens der Gesammtpersönlichkeit und ihres Unterschiedes von der Einzelpersönlichkeit. Der richtigen Auffassung nach ist die K. ein lebendiger Organismus, der aus einer Menge rechtlich selbständiger Willenseinheiten zusammengesetzt, durch die Verfassung aber zu einem einheitlichen Willensganzen von rechtlicher Bedeutung erhoben ist, dessen juristische Lebenseinheit daher in der Lebensthätigkeit seiner Theilwesen überall da unmittelbar zur Er­ scheinung kommt, wo diese kraft rechtlicher Ordnung nicht für sich, sondern für das Ganze auftreten. Die K. ist insbesondere gerichtsfähig, wofür sie oft ein besonderes Prozeßorgan in dem sog. „Syndikus" hat, und leistet Eide, wobei entweder nach Gesetz oder Verfassung die regelmäßigen Vorstände legitimirt sind oder aber ad hoc diejenigen Mitglieder, welche die beste Kunde von der Angelegenheit haben, aus­ gewählt werden. Auch unerlaubte Handlungen der K. sind an sich denkbar (was die herrschende Meinung schlechthin verneint) und können rechtliche Folgen nach sich ziehen, wie denn in der That sowol Strafen (Geldbuße oder Auflösung), als Schadensersatzpflicht der K. in alten und neuen Gesetzen vorkommen. Nur ist auch hier jede Analogie zwischen der K. und dem einzelnen Menschen unzulässig, und das Gesetz darf nicht, wie es früher oft gethan, an korporative Handlungen Nachtheile knüpfen, welche zugleich die Einzelnen als Einzelne treffen. Soweit in der K. Ein­ heitsrecht und Vielheitsrecht miteinander verknüpft sind, tritt auch unter Umständen eine Relevanz korporativer Handlungen für das Sonderrecht und individueller Hand­ lungen für das korporative Recht hervor. Eine Reihe schwieriger Fragen ergiebt sich in dieser Beziehung namentlich bezüglich der Besitzhandlungen und bezüglich der prozessualischen Legitimation in den das korporative Recht und die jura singulorum gleichzeitig berührenden Angelegenheiten. Endlich werden Beschränkungen der Willens­ und Handlungsfähigkeit der K. herbeigeführt durch die staatliche Korporationshoheit. Diese darf jedoch nicht mehr als Obervormundschaft, sondern im Prinzip nur noch als ein Recht der Kenntnißnahme und Oberaufsicht aufgefaßt werden. Mehr und mehr ist daher an die Stelle der früher geforderten vorgängigen Genehmigung wich­ tigerer Beschlüsse ein blos repressives System, wonach Ueberschreitungen der korpo­ rativen Rechtssphäre anfechtbar und strafbar sind, getreten; die ehemalige Einmischung des Staats in das innere Leben der K. ist der Kontrole durch eine ausgedehnte Pflicht der Publizität gewichen; und das Verwaltungsbelieben ist auch hier in vielen Punkten durch Verweisung auf den Richterspruch ersetzt. Natürlich aber findet sich eine sehr viel weiter reichende Staatsmacht auch jetzt bei denjenigen K., welche mit

Korresps«de«trheder.

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dem Staatsorganismus unmittelbar verknüpft find, worüber das Nähere in das Staatsrecht, Kirchmrecht rc. gehört. Beendet wird die ft. durch Aussterben, wenn so viel Mitglieder fortsallen, daß kein Verein mehr da ist; doch vermag nach Röm. Recht (1. 7 § 2 quod cuj. un. 3, 4) und manchen Partikularrechten auch Ein Glied als Träger der juristischen Person fortzumngirm, und Manche (Savigny, Windscheid) nehmen sogar bei öffentlichrechtlichen ft. die Möglichkeit des Fortbestandes ohne alle Glieder an. Ferner durch Selbstauslösung, vorbehaltlich etwa geforderter Staatsgenehmigung. Endlich durch einen Akt der Staatsgewalt, und zwar nach den meisten Gesetzen nicht nur durch Gesetz und Richterspruch, sondern auch im Verwaltungswege durch Rück­ nahme der für die Entstehung erforderlichen Genehmigung. Ueber das Schicksal des Vermögens der ausgelüstm ft. treffen theils die Spezialgefetze und Statuten besondere Bestimmungen, theils kann ein vor der Auflösung gefaßter Beschluß, soweit er weder in höheres staatliches Recht, noch in Jura singulonun eingreift, darüber disponiren. Letztmfalls soll nach der herrschmdm Meinung das Vermögm als bonum vacans an den Fiskus fallen. Doch scheint es richtiger, zwischen denjmigen Körperschaften, deren Zwecke in der Gesammtheit beschloffen find, und zwischen denen zu unter­ scheiden, die mit einem Theil ihres Wesens einem höheren Organismus des öffmtlichen Rechts angehören. Bei den ersteren fällt das Vermögm an die vorhandenen Glieder, bei den letzteren an dm höheren Organismus und insbesondere also an dm Staat. Doch hat der Staat oft gesetzlich seine Pflicht anerkannt, das Vermögm für ähnliche Zwecke zu verwenden. Ueberdies müssen wohlerworbene Sonderrechte der Einzelnen dabei stets geschont werden. Quellen: D. tit quod ciyusque univ. nom. 3, 4 — Preuß. LR. Th. II. Tit. 6. — Sachs. BGB. §§ 52—57 und Gesetz, die juristischen Personen betreffend, vom 15. Ium 1868. — Tie drer Bayerischen Gesetze vom 29. April 1867. — Ferner bte neueren ReichSaesetze über Aktlenaesellschaften, Genossenschaften, Innungen und HülfSkassen, sowie die LandeSgesehe über Gemeinden, Deichverbände, Wassergenossenschaften, Waldgenossenschaften, Gewerkschaften, Knappschaftsvereine (vgl. diese Art.). Lit.: v Savigny, System, II. §8 85 ff. — Puchta, Rechtslexikon, III. 65 ff. — Pfeifer, Die Lehre von den juristischen Personen, Tüb. 1843. — Beseler, DolkSrecht und Juristenrecht, c. VI.; System §§ 68 ff. — WeiSke, Praktische Untersuchungen, ÜI. — Thöl, Volksrecht und Juristenrecht rc. S. 18—62. — Schmid im Arch. für civ. Praxis, Bd. XXXVI. S. 147 ff. — Unger, Oesterr. Priv.R., I. S§ 42-44, u. Krit. Uebersch., VI. 171 ff. — v Gerber, Zeitschr. für Civ.R. und Prz., R. F. Bd. XII. S 193 ff. — SinteniS, Civ R., I. § 15. — Windscheid, Pandekten, §§ 57 ff. — Brinz, Pandekten, S- 979 ff. — SalkowSki, Bemerkungen zur Lehre von den juristischen Personen, Leipz. 1863. — Stobbe, Deutsches Priv.R., §§ 51 ff —Roth, Kurheff.Priv.R. 88 67 ff; Derselbe, Bayer. Civ.R. I. 202 ff.; Derselbe, Zur Lehre von den Genoffenschasten, Münch. 1876; Der­ selbe, Deutsches Priv.R. 8 72. — Böhlau, Meckleub. LR. 88 491 ff. — Zitelmann, Begriff und Wesen der sog. juristischen Personen, Leipz. 1873, 88 27 —44. — Bolze, Der Begriff der juristischen Person, Stuttg. 1879. — Ueber einzelne Fragen deS Korporationsrechts.Gaudlitz-Haubold, De finibus inter jus singulonun et universitatis regundis, Lips. 1804. — v Langenn u. Kori, Erörterungen praktischer Rechtsfragen, II. 1 ff. — Sin­ terns, De delictis et poenis univers., Servestae 1825. — Ueber das Geschichtliche bei den Römern: Mommsen, De collegiis et sodaliciis Romanonun, Kil. 1843. — Cohn, Zur Geschichte des Röm. Vereinsrechts, Berl. 1873. — Ueber die deutschrechtliche Entwickelung: Gierke, RechtSgeschichte der Deutschen Genoffenschaft, Berlin 1868, und Geschichte des Deutschen Körperfchaftsbegriffs, Berlin 1873. O. Gierke.

Korrespoudeutrheder (Schiffsdirektor, Schiffsdisponent; Th. I. S. 544) ist der Leiter des Rhedereibetriebes, welcher, wenn das Schiff nicht einem einzelnen Rheder, sondern einer Rhederei gehört, nach Gern. Deutschen Seerecht (HGB. Art. 459) bestellt werden kann, nach Mecklenburgischem Partikularrecht (Einführungsverordn. zum HGB. vom 28. Dez. 1863 § 51, ausdrücklich aufrecht erhalten durch Bundesges. vom 5. Juni 1869 § 4) bestellt werden muß. Seine Bestellung er­ folgt durch einen Majoritätsbeschluß der Mitrheder, wenn er aus ihrer Mitte ge­ nommen wird; sonst ist Einstimmigkeit erforderlich. Der K. hat in den Angelegen-

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Kosten.

heiten der Rhederei die „Sorgfalt eines ordentlichen Rheders" (diligentia diligentia patrisfamilias) zu beobachten. Der Rhederei gegenüber hat er die Beschränkungen einzuhalten, welche von derselben für den Umfang seiner Befugnisse festgesetzt sind, wie er sich auch nach den Beschlüssen derselben zu richten hat. Allein im Ver­ hältniß zu Dritten ist er befugt, alle Geschäfte und Rechtshandlungen vorzunehmen, welche der Geschäftsbetrieb einer Rhederei gewöhnlich mit sich bringt, unter Anderen den Schiffer anzustellen und zu entlassen; wie er in demselben Umfange auch die Rhederei vor Gericht vertreten darf. Dagegen kann er ohne eine Spezialvollmacht Namens der Rhederei oder der einzelnen Mitrheder nicht Wechselverbindlichkeiten eingehen oder Darlehen aufnehmen, nicht das Schiff oder Schiffsparten verkaufen oder verpfänden oder für dieselben Versicherung nehmen. Eine Beschränkung der Befugnisse des K. ist nicht wie beim Prokuristen vom Gesetz für wirkungslos erklärt; die Rhederei kann sie aber einem Dritten nur insofern entgegensetzen, als sie beweist, daß dieselbe diesem zur Zeit des Abschlusses des Geschäfts bekannt gewesen. Durch die vom K., als solchem innerhalb seiner Befugnisse abgeschlossenen Rechtsgeschäfte wird die Rhederei dem Dritten gegenüber berechtigt und verpflichtet, auch wenn das Geschäft ohne Nennung der Namen der einzelnen Mitrheder eingegangen ist. Und zwar haften die Mitrheder hierbei persönlich, und nicht etwa, wie bei den vom Schiffer abgeschlossenen Geschäften mit Schiff und Fracht allein. Der K. kann jeder­ zeit durch einen Mehrheitsbeschluß der Mitrheder entlassen werden, unbeschadet seiner Rechte auf Entschädigung aus bestehenden Verträgen. Auch ist er verpflichtet, der Rhederei auf deren Beschluß jederzeit Rechnung zu legen. Im Französischen Recht nimmt ungefähr dieselbe Stellung, wie der Deutsche K., der armateur ein, der von den Französischen Juristen als gärant bezeichnet wird. Das Englische Recht kennt einen ship’s husband, dessen Vertretungsbefugnisse jedoch nicht so genau bestimmt und jedenfalls nicht so umfassend wie die des Deutschen K. sind.

Gsgb. u. Lit.: Deutsches HGB. Art. 459—466, 476 Abs. 2. — Lewis, Das Deutsche Seerecht, I. S.48—59, 74 ff. — Goujet et Merger, Dictionnaire de droit commerciel, I. (3. ed. von Ruben de Conder, Paris 1-877) p. 399 ss. — Abbott, Treatise of the law relative to merchant ships (11. ed. London 1867), p. 79 ss. — Oliver’s shipping law manual (6. ed. London 1879) p. 5 ss. Lewis.

Kosten (civilproz.). Schon seit der späteren Römischen Kaiserzeit ist die Entrichtung gewisser Gebühren (sportulae) an das Unterpersonal der Gerichte üblich geworden und mit dem Verfall des Altgermanischen Prozesses hat sich auch in Deutschland die Sitte gebildet, daß an das Gericht bestimmte Gebühren für die ein­ zelnen Akte der richterlichen Thätigkeit gezahlt wurden, da der feudale patrimoniale Staat die Verwaltung der Justiz als eine Einnahmequelle betrachtete. Während aber flüher die betreffenden Sporteln den einzelnen Gerichtsbeamten als Honorar für ihre Mühewaltungen zuflossen, ist der Charakter der Gerichtsgebühren als Theil des öffentlichen Einkommens und als Vergütung für die vom Staat im Interesse seiner Bürger unterhaltenen Justizeinrichtungen in neuerer Zeit dadurch klar gestellt worden, daß fast überall die Richter und sonstigen Justizbeamten feste Besoldungen erhielten und die Gerichtsgebühren zur Staatskasse eingezogen wurden. Der pomphaft klin­ gende, für Frankreich mehrfach ausgesprochene Grundsatz: ,,la justice se rend gratuitement“ bedeutet nichts weiter, als daß der Richter für sich selbst keine Sporteln erhebt. Ja die Gerichtsschreiber und die Gerichtsvollzieher erhalten dort für die Vornahme gewisser Handlungen bestimmte Emolumente, erstere neben einer festen Besoldung. Die Staatskasse selbst bezieht freilich von den Gerichtsschreibereigebühren (droit de greises) auch einen bestimmten Antheil, außerdem bildet aber die Justiz­ verwaltung für sie insofern eine Einnahmequelle, als ihr außer den Succumbenzgeldern die Beträge der zu einzelnen Akten zu verwendenden Stempel zufließen. Bis zur Neuorganisation der Gerichtsversassung in Deutschland wurden in den Ein-

Kosten.

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zelstaaten entweder die einzelnen gerichtlichen Akte im Prozeß besonders tarifirt und honorirt, außerdem auch vielfach Gebühren dadurch erhoben, daß bestimmte schrift­ liche Eingaben der Parteien auf Stempelbogen geschrieben, resp, solche nachträglich dazu verwendet werden mußten oder es war für den Gerichtskostentarif das System der Paufchalsätze adoptirt, d. h. es wurden die Gebühren für einzelne Abschnitte des Prozesses im Ganzen, wobei sich jedoch dieselben erhöhten, je nachdem sämmtliche mögliche Akte (also vollständiger Schriftenwechsel, mündliche Verhandlung, Beweis­ verfahren und Schlußaudienz) vorgekommen waren oder nicht, erhoben. Dieses System war das Altpreußische. Mit beiden Systemen fand sich dann weiter das System der Tarifirung nach der Höhe des Streitobjektes kombinirt, welches ebenfalls in dem Altpreußischen Tarif angenommen war. Das neue Deutsche Gerichtskostengesetz, welches die für die Verwaltung der ordentlichen Gerichtsbarkeit zu erhebenden Gebühren regelt, beruht ebenfalls auf dem System der Pauschalsätze und der Abstufung derselben nach der Höhe des Streit­ objekts. Der einheitliche Grundpauschalsatz, welcher sich nach der letzteren abstust, die sog. volle Gebühr, wird erhoben 1) für die kontradiktorische mündliche Ver­ handlung, 2) für die Anordnung einer Beweisaufnahme und 3) für eine andere Entscheidung. Die Kombination dieser drei Sätze ergiebt also, wenn der Prozeß die gedachten Stadien durchlaufen hat, die Gebühren für die Instanz. In gewissen Fällen kommen ferner nur bestimmte Bruchtheile (Zehntel) der sog. vollen Gebühr zum Ansatz. Stempel oder andere Abgaben (mit Ausnahme der nach Franz. Recht zulässigen Einregrstrirungsgebühr für Urtheile) dürfen neben den Gebühren nicht er­ hoben werden, wol aber sind dem Gericht die Bernten Auslagen (Schreibegebühren, Porti, Jnsertionskosten, Zeugen- und Sachverständigengebühren re.) zu erstatten. Schuldner der Gebühren und Auslagen ist dem Gericht gegenüber Derjenige, welchem dieselben durch eine gerichtliche Entscheidung auferlegt sind, indessen ist immer bei dem Beginn einer Instanz vom Antragsteller ein Kostenvorschuß zu bestellen, außer­ dem ein solcher, wenn eine beantragte Handlung mit baaren Auslagen verbunden ist. (Vgl. auch d. Art. Kostentragung.) Quellen: Reichsgerichtskostengesetz vom 18. Juni 1878. — Gebührenordnung für Zeugen und Sachverständige vom 30. Juni' 1878. — Deutsche CPO. §§ 87—100. Lit.: Pfaffen roth, Das Deutsche Gerichtskostenwesen, Berlin 1878. — Fitting, RCiv.Prz., 4. Aust, S. 392. — Endemann, Der Deutsche Cw.Prz, Bd. 3 S. 575 ff. P. Hinschrus.

Kosten (strafproz.) nennt man sowol die durch die Verwaltung der Straf­ justiz überhaupt entstehenden K., als die in einem konkreten Kriminalprozeß er­ wachsenden besonderen K., die man auch wol durch den Ausdruck Kriminal­ prozeßkosten gegen jene scheidet. Die ersteren befassen den Aufwand für Gerichts­ und für Gefängnißlokalitäten, für Beamtenbesoldung re.; sie fallen dem Gerichtsherrn, heutzutage dem Reich, dem Staat oder dem Landesherrn zur Last, die prozessirenden Parteien haben mit ihnen nichts zu schaffen. Dagegen haben die Parteien die K. des von ihnen geführten Prozesses zu bezahlen. Man begreift unter den Prozeß­ kosten alle Ausgaben, die für die Prozeßführung gemacht werden, und dies thun auch die Deutsche und die Oesterr. StrafPO., soweit sie nicht besondere Arten der­ selben ausdrücklich hervorheben. Die Deutsche StrafPrz.Gesetzgeb. scheidet zwischen Ge­ bühren und Auslagen: Gebühren diejenigen Ausgaben, welche für die Mühewaltung der Beamten und Vertheidiger geleistet werden, Auslagen diejenigen, welche von diesen Personen oder von der Gerichtskasse einstweilen im Interesse der Partei ge­ leistet und daher von letzterer zu ersetzen sind. Auslagen können nothwendige sein, wenn sie für zweckentsprechende Prozeßführung erforderlich waren, willkürliche, wenn dies nicht der Fall. Ueber die Nothwendigkeit entscheidet bei Mangel gesetzlicher Bestimmung das richterliche Ermessen, bei Privatanklagen sollen auch die Gebühren des Rechtsanwalts, soweit sie nicht außerordentlicher Art sind wie z. B. bei Zu-

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Kosten.

ziehung zweier Anwälte, zu den nothwendigen Auslagen gerechnet werden, wozu sie bei öffentlichen Anklagen, wo die Gerichtskaffe dem als Vertheidiger bestellten An­ walt dieselben direkt und vorbehaltlich ihres Regresses gegen den Beschuldigten zahlt, von selbst gehören. Die Höhe der Gebühren bestimmt sich beim Gerichtsvollzieher nach den vorgenommenen Handlungen, im Uebrigen nach den vom Preußischen Rechte bereits früher eingeführten, nach der Höhe der erkannten Strafen bemessenen Pauschsätzen oder Bruchtheilen derselben oder bei zurückgewiesenen oder zurückgenommenen Rechtsmitteln, Privatanklagen, Strafanträgen nach den Verhältnissen der stattgehabten Prozedur. Abgesehen von der außerordentlichen Belastung von Denuntianten, An­ tragstellern, namentlich auch solchen Antragstellern, welche die gerichtliche Entschei­ dung über Verpflichtung zur Erhebung der öffentlichen Klage beantragt haben, ferner von Vertheidigern, Zeugen, Sachverständigen mit den durch ihren rechtswidrigen Vorsatz bzw. grobe oder geringere Fahrlässigkeit oder Versäumniß veranlaßten K., hat bei öffentlichen Klagen der Beschuldigte K. und Auslagen einschließlich derjenigen von Ermittelungen und von der Strafvollstreckung für die Vergehen zu zahlen, wegen deren er verurtheilt wird, wobei Mitangeklagte für Auslagen, die der Untersuchungs­ haft und der Vollstreckung ausgenommen, aufs Ganze haften. Wird der Beschul­ digte freigesprochen oder außer Verfolgung gesetzt, so fallen die Gerichtskosten dem Beschuldigten nicht zur Last und kann, muß aber nicht der Staats- oder Reichskasse die Erstattung der nothwendigen Auslagen auferlegt werden, zu welchen, wegen des Begriffs der Nothwendigkeit, auch die Gebühren eines erwählten Vertheidigers ge­ rechnet werden müssen, soweit sie die taxmäßigen Beträge nicht überschreiten. Bei Privatklagen hat der Unterliegende, wobei eine Mehrheit von Klägern und Angeklagten auf das Ganze haftet, dem Sieger die nothwendigen Auslagen einschließlich der Ge­ bühren des Rechtsanwalts, wie erwähnt, zu erstatten, bei theilweisem Siege hat das Gericht nach Ermessen die Kosten zu vertheilen. Gebühren. welche durch unrichtige Behandlung der Sache ohne Schuld des Beschuldigten bzw. der Parteien entstanden sind, kann das Gericht niederschlagen, dagegen hat auch der freigesprochene Beschul­ digte und bei Privatklagen der Sieger die durch seine Versäumniß, Zurücknahme oder Erfolglosigkeit von Rechtsmitteln oder sonstige Verschuldung erwachsenen K. zu tra­ gen, und zwar selbst bei der Wiedereinsetzung, wenn sein Widerspruch ohne Grund war, während bei dieser sonst immer der Antragsteller die K. tragen soll. In jedem Urtheil, Einstellungsbeschluß, Strafbefehl ist über die K., soweit dies nicht bei be­ sonderen K. schon geschehen ist, zu entscheiden, gegen welche Entscheidung die in der Hauptsache zuständigen Rechtsmittel gegen Urtheil bzw. Beschluß möglich sind, wo­ gegen Denuntianten, Antragsteller, Zeugen rc. auf sofortige bzw. einfache Beschwerde verwiesen sind. Wegen der Höhe des Kostenbetrags und der Nothwendigkeit von Auslagen entscheidet im Streitfall das befaßte Gericht, gegen dessen Entscheidung Beschwerde zusteht, doch ist auch von Amtswegen eine Abänderung möglich. Aus­ ländische Privatankläger und nach Ermessen des Gerichts auch Antragsteller, welche Entscheidung über die Erhebung einer öffentlichen Anklage fordern, haben der Gerechtskasse und dem Beschuldigten Sicherheit für die K. zu leisten. Die Gebühren­ freiheit bestimmt sich nach Landesrecht; Reich und Einzelstaaten gewähren sich vor ihren Gerichten dieselbe gegenseitig. Fällig sind die K. für den verurtheilten An­ geklagten erst mit der Rechtskraft des Urtheils, vor welcher auch fein Nachlaß nicht haftet, im Uebrigen mit der Erledigung des Verfahrens oder der Instanz. — Die O esterr. StrafPO. gewährt für alle Verhandlungen der Behörden, nicht aber für die der Unterbeamten, Gebühren- und Portofreiheit. Der rechtskräftig verurtheilte Beschuldigte, dessen Nachlaß auch nur in diesem Falle haftet, ist nur zur Erstattung der Auslagen verpflichtet, zu welchen auch die Vollstreckungskosten, nicht aber die Vertheidigungsgebühren gehören, weil die Gerichtskasse sie nicht verlegt. Wird der Beschuldigte nicht verurtheilt, so sind die K. in der Regel der Staatskasse aufzulegen, die aber nicht zur Erstattung solcher zu verurtheilen ist; wogegen Privat-

Kostentragung.

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ankläger bzw. böswillige Denuntianten zum Ersatz aller K., die der Vertheidi­ gung und Vertretung einbegriffen, gehalten sind. Die K. erfolglos angebrachter Rechtsmittel fallen dem Beschwerdeführer zur Last. Die Kostenentscheidung kann mit den Rechtsmitteln in der Hauptsache, eventuell binnen vierzehntägiger Frist mit der Beschwerde angefochten werden. Quellen-Deutsche StrafPO. §8 50, 77, 145, 150, 174 ff., 419, 496 ff. - Gerichts­ kostengesetz vom 18. Juni 1878 §§ 4, 6, 59 ff., 96 ff. — Geb O. für Gerichtsvollzieher vom 24. Juni 1878. — Geb.O. für Rechtsanwälte vom 7. Juni 1879. — Vgl. Preuh. Kostengesetz vom 10. Mar 1851. — Code pönal art. 55. — Oesterreich. StrafPO. §§ 380 ff. Lit.Qurstorp, Grundsätze des peinl. Rechts, §§ 812 ff. — Planck, StrafVerf., § 210; Mehrheit der Rechtsstreitiakeiten, S. 435 — Zach ariä, StrasPrz., Bd II. §§ 179 ff. — v. Stemann, Verhandl. des XL Juristentages Bd. I. S. 37 ff. — Dochow, RStrafPrz., § 94. — Komment, zur Deutschen StrafPO. 1.1. von Löwe, v. Schwarze. K. Wieding.

Kostentragung. Die prozeßführenden Parteien haben schon während des Prozesses baare Auslagen an Gerichtskostenvorschüssen, an Porto-, an Gerichtsvoll­ zieher-, Sachverständigen-, Zeugengebühren, an Reisekosten und an Anwaltshonoraren zu verlegen, oder es entstehen mindestens in Folge des Prozesses derartige Verpflichtungen für die Partei, bei welchen sie dem Forderungsberechtigten als Schuldner gegenübersteht. Für die Entscheidung darüber, wem diese Kosten definitiv zur Last fallen, nicht minder darüber, welche der Parteien dem Gericht für den Betrag der Gerichtskosten, welcher durch den vom Antragsteller beim Beginn der Instanz zu zahlenden Vorschuß (s. d. Art. Kosten) nicht gedeckt wird, als Schuldner haftet, bedarf es besonderer Rechtsregeln. In dieser Beziehung hat die Reichsgesetzgebung und der Gemeine Prozeß auf Grundlage des Röm. und Kanon. Rechts den Grundsatz aufgestellt, daß die unterliegende Partei die Prozeßkosten zu tragen und die ihrem Gegner durch die Prozeßsührung erwachsenen Kosten zu erstatten hat. Im Gem. Prozeß hat man diese Pflicht bald mit Rücksicht auf das Röm. Recht als Strafe für leichtfertige Prozeßführung (poena temere litigantium), bald als Folge einer erweiterten Anwen­ dung der lex Aquilia bald als Präventivmaßregel gegen leichtfertiges Prozesfiren betrachtet. Alles dies ist haltlos, weil die Prozeßführung als das einzig gebotene Mittel der Rechtsverfolgung erscheint, dieselbe an sich also eine völlig erlaubte Hand­ lung ist und durch die objektive Thatsache des Unterliegens keineswegs eine subjek­ tive Verschuldung in Betreff der Prozeßführung festgestellt wird. Eine Rechtsver­ folgung ist nicht ohne Aufwendung von Kosten möglich. Der Ersatz derselben ge­ hört daher lediglich mit zum Ersatz der omnis causa seitens des Unterliegenden, damit der Sieger dasjenige erhält, was ihm rechtlich gebührt oder dasjenige behält, was er gehabt haben würde, wenn nicht unbegründete Ansprüche gegen ihn erhoben worden wären. Von dieser Auffassung aus hat nunmehr auch die REPO, die Pflicht zur K. geregelt. Rach ihr fallen demjenigen, welcher im Prozesse unterliegt, lediglich um dieser objektiven Thatsache willen die Kosten zur Last. Eine Konsequenz dieses Grundsatzes ist es 1) daß ein etwaiges Obsiegen in früherer Instanz für die Ver­ pflichtung des Unterliegenden, die Kosten sämmtlicher Instanzen zu tragen, unerheb­ lich ist; 2) daß die Kosten eines ohne Erfolg erhobenen Rechtsmittels von demjenigen, welcher es erhoben hat, getragen werden müssen; 3) daß beim theilweisen Unter­ liegen und Obsiegen die Partei auch nur einen Theil der Kosten zu tragen hat. Indessen kann das Gericht der einen Partei alle Kosten auferlegen, wenn die Zu­ vielforderung der anderen eine verhältnißmäßig geringe war und keine besonderen Kosten verursacht hat, oder wenn der Betrag der Forderung der anderen Partei von der Festsetzung durch richterliches Ermessen, von der Ausmittelung durch Sachver­ ständige oder von einer gegenseitigen Berechnung abhängig war. Ausnahmen von der erwähnten Regel treten dann ein a) wenn der Beklagte keine Veranlassung zur Klagerhebung gegeben hat. Unter dieser Voraussetzung, z. B.

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Kostentragung.

sind bei den Klagen auf Feststellung oder auf Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses, dem Kläger selbst beim Obsiegen die Kosten aufzuerlegen, falls der Beklagte den Anspruch sofort anerkannt hat. b) Die zweite Ausnahme bilden die Fälle, in denen eine Partei eine Schuld an der Vermehrung der Kosten trägt. Unter diesen Ge­ sichtspunkt füllt: 1) Die Vorschrift, daß diejenige Partei, welche einen Termin oder eine Frist versäumt oder die Verlegung eines Termins, die Vertagung einer Ver­ handlung, die Anberaumung eines Termins zur Fortsetzung der Verhandlung oder die Verlängerung einer Frist durch ihr Verschulden veranlaßt, die dadurch verur­ sachten Kosten zu tragen hat. 2) Können der obsiegenden Partei, welche durch nach­ trägliches Vorbringen von Angriffs- oder Vertheidigungsmitteln, von Beweismitteln und Beweiseinreden die Erledigung des Rechtsstreits verzögert hat, wenn sie nach Ermessen des Gerichts die gedachte Rechtshilfe zeitiger geltend zu machen im Stande war, die Kosten ganz oder theilweise auferlegt werden. 3) Dasselbe gilt für die Kosten der Berufungsinstanz, falls die gewinnende Partei auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, welches sie nach dem Ermessen des Gerichts schon in erster Instanz hätte geltend machen können. 4) Wenn eine säumige Partei in Folge ihres Einspruchs gegen das» Versäumnißurtheil eine abändernde Entscheidung erzielt, so hat sie stets die durch ihre Versäumniß veranlaßten Kosten, soweit diese nicht durch unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind, zu tragen, c) Eine wei­ tere Ausnahme bildet der Fall, wenn eine Partei zwar obsiegt, aber außer dem ihr zum Siege verhelfenden Vorbringen andere Angriffs- oder Vertheidigungsmittel ohne Erfolg geltend gemacht hat. Die Kosten, welche durch die Verhandlung der letzteren verursacht sind, kann ihr das Gericht nach diskretionärem Ermessen auferlegen. Der Gesichtspunkt der Verschuldung trifft hier nicht immer zu, wol aber der, daß es unter Umständen der Billigkeit entspricht, die unterliegende Partei mit der Tra­ gung solcher Kosten, welche der Gegner zwecklos verursacht hat, zu verschonen, d) Eine singuläre Ausnahme ist es endlich, daß die Kosten der Revisionsinstanz in solchen Streitigkeiten, für welche die Landgerichte ohne Rücksicht auf den Werth des Streitgegenstandes zuständig sind, im Falle des Obsiegens des Reichs- oder Landesfiskus von diesem getragen werden müssen, wenn das Streitobjekt 300 Mark nicht über­ steigt und der Fiskus die Revision eingelegt hat. Sie erklärt sich daraus, daß diese Sachen lediglich im Interesse des Fiskus an die Landgerichte gewiesen und einer Revisionssumme nicht unterworfen sind, um diesem die Möglichkeit zu gewähren, eine Entscheidung in der Revisionsinstanz herbeizuführen. Falls nach dem Bemerkten die Kosten bestimmter Verhandlungen von den übrigen Kosten abgesondert werden, und hinsichtlich der Tragung derselben eine be­ sondere Auflage erfolgt, spricht man von Kostenseparation. In denjenigen Fällen, in welchen die Tragung der Kosten auf beide der Parteien zu vertheilen ist, kann die Vertheilung in der sog. Kompensation oder Vergleichung der Kosten bestehen, d. h. in der Anordnung, daß jede Partei die von ihr vorläufig veraus­ lagten Kosten definitiv trägt, also keine deswegen gegen die andere einen Erstattungs­ anspruch zu erheben befugt ist; oder es kann auch, was bei dem Pauschalprinzip des geltenden Gebührentarifs (s. d. Art. Kosten, eivilprz.) in den meisten Fällen an­ gemessen sein wird, eine Vertheilung nach Quoten (zur Hälfte, zu drei Viertel und zu einem Viertel re.) festgesetzt werden. Ueber die Pflicht zur K. hat das Gericht von Amtswegen im Endurtheil bzw. in einem Zwischenurtheil zu erkennen. Die betreffende Festsetzung kann nur dann angefochten werden, wenn gegen die Entscheidung des Urtheils in der Hauptsache, sei es auch von der anderen Partei, ein Rechtsmittel eingelegt wird. Wird der Rechtsstreit durch Vergleich beendet, so gelten die Kosten Mangels besonderer Vereinbarung der Parteien, soweit nicht bereits rechtskräftig'darüber er­ kannt ist, als gegeneinander aufgehoben oder verglichen. Sonst trägt sie derjenige, welcher sie übernommen, und zwar auch dem Gericht gegenüber, sofern die Ueber-

Köftttrr.

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nähme in einer vor denselben abgegebenen oder demselben mitgetheilten Erklärung erfolgt ist. Immer hastet aber in einem solchen Falle, selbst wenn die eine oder andere Partei mehr als die Hälste übernommen hat, dem Gericht gegenüber jede Partei subsidiarisch für die zahlungspflichtige bis zu dem zuletzt gedachten Betrage. Zu den Kosten, welche die zahlungspflichtige Partei zu tragen oder zu erstatten hat, gehören alle Kosten, Gerichtskosten, Rechtsanwalts- und sonstige Gebühren, sowie anderweitige Aufwendungen, welche nach freiem Ermefsen des Gerichts zur zweckentfprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsvertheidigung nothwendig waren, unter allen Umständen aber die Gebühren und Auslagen des nicht auswärts woh­ nenden Rechtsanwaltes der obsiegenden Partei, sowol im Anwalts- wie auch im amtsgerichtlichen Prozeß. Die Kosten mehrerer Rechtsanwälte sind nur insoweit zu erstatten, als sie den Betrag für einen Rechtsanwalt nicht übersteigen oder als ein Wechsel des Rechtsanwalts erforderlich war. Der Erstattungsanspruch kann nur auf Grund eines vollstreckbaren Titels gel­ tend gemacht werden. Das Gesuch um Festsetzung des zu erstattenden Betrages ist dem erstinstanzlichen Gerichte mit einer Abschrift für den Gegner und mit den erforderlichen Belegen schriftlich einzureichen oder beim Gerichtsschreiber zu Protokoll zu erklären. Bei einer Bertheilung der Kosten auf beide Theile nach Quoten hat die Partei den Gegner vorher zur Einreichung seiner Kostenberechnung binnen ein­ wöchentlicher Frist bei Gericht aufzufordern. Wird diese letztere versäumt, so ist bei Festsetzung der Kosten auf die des Gegners keine Rücksicht zu nehmm, ohne daß aber demselben das Recht verloren geht, seinen Erstattungsanspruch überhaupt nachträglich auf seine Kosten geltend zu machen. Der Festsehungsbeschluß des Gerichts kann ohne mündliche Verhandlung erfolgen. Gegen ihn ist nur die sofortige Beschwerde zulässig. Endlich kann das Prozeßgericht von Amtswegen Gerichtsschreiber, gesetzliche Vertreter, Rechtsanwälte und andere Bevollmächtigte, sowie Gerichtsvollzieher zur Tragung der durch ihr grobes Verschulden veranlaßten Kosten verurtheilen. Vor der Entscheidung ist der Betheiligte zu hören, einer vorgängigen mündlichen Verhandlung bedarf es aber nicht. Gegen die Entscheidung steht nur die sofortige Beschwerde zu. Quellen: Deutsche EDO. §§ 87-100, 251, 256, 279, 292, 309 richtskostengeseh vom 18. Juni 1878 §§ 48, 86 ff.

- Deutsches Ge-

Bit.: Dernburg, Abhandlungen aus dem Gemeinen u. Franz. Civ.Prz.R., S. 101 ff — Fitting, REiv.Prz., 4. Aufl., S. 397. P. Hinschius.

Kiistlin, Christ. Reinh., K 29. I. 1813 zu Tübingen, studirte daselbst, in Heidelberg und Berlin, war als Referendar am Gericht in Eßlingen thätig, sowie am Kriminalgericht zu Stuttgart, wurde 1836 Rechtskonsulent, habilitirte sich 1839 in Tübingen, wurde 1841 außerord. Professor, 1848 Mitglied des Jenenser Pros.kongreffes, 1851 ord. Professor, f 1. IX- 1856. Schriften: Die Lehre von Mord und Todtschlag, Stuttg. 1838. — Wilhelm I. König von Würtemberg und die Entwickelung der Wärt. Verfassung, 1839, 1841. — Die Perduellio unter den Röm. Königen, Tüb. 1841. — Neue Revision der Grundbegriffe deS Krim.R., Tüb. 1845. — Der Wendepunkt des Deutschen Strafverfahrens im 19. Jahrh., kritisch und geschichtlich beleuchtet, Tüb. 1849. — Das Geschwornengericht für Nichtjuristen, Tüb. 1849. — System des Teutschen StrafR., Tüb. 1855. — Die Geschwornengerichte, Leipz. 1851. — Ab­ handlungen aus dem StrafR., herausgeg. von Geßler, Tüb. 1858. — Geschichte des Deutschen StrafR., herausgeg. von Geßler, Tüb. 1859. — Tie Entwickelung des Teutschen Rechts im Mittelalter (Ztschr für Deutsches Recht, Bd. XII.). — Ueber Entstehung und Fortbildung der Jury auf Englischem Boden (ebenda). — Das Germanische StrafR. (ebenda Bd. XIV.). — Tic Ehrverletzung nach Deutschem Recht (ebenda Bd. XV.). — Lehre von der Unterschlagung lGoltdammer's Arch. Bd. IV. 1856). — Ueber Waarenfälschung (Arch. für Krim.R., 1856). - Der Diebstahl nach Deutschem Recht vor der Carolina (Kris. Uebersch. Bd. III.).

Lit.: Kritische Ueberschau, V. 117—130. Teichmann.

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Kothing — Krankenanstalten.

Kothing, M., 5 13. V. 1815, studirte in Heidelberg und München, wurde Advokat, dann Regierungssekretär in Schwyz, wo er 1870 zum Kanzleidirektor avancirte. 1848—1870 war er zugleich Kantonsarchivar und eifriger Sammler der Rechtsquellen seiner Heimath und Gesetzgeber. 1866 wurde er von der Universität Zürich zum Dr. hon. causa ernannt, f 21. III. 1875. Schriften: Landbuch von Schwyz, Zürich 1850. — Uebersicht der Rechtsquellen der Bezirke des Kantons Schwyz in der Ztschr. f. Schweiz. Recht, Basel 1853 (II.), II. 3—72. — Die Erbrechte von Schwyz, ebenda V. 109—178. — Das Hypothekarwesen in Schwyz, ebenda VI. 151—216; ebenda XIII. 82—87. — Ferner historische Exkurse im Geschichtsfreund der fünf Orte. — Sammlung der Gesetze von 1803—32, Einsiedeln 1860. Lit.: Augsb. Ztg. 1875, S. 1389 (Nr. 90). Teichmann.

Krankenanstalten. In den Bereich staatlicher Fürsorge ist die Errichtung und Beaufsichtigung baulicher Einrichtungen zur Pflege hülfsbedürftiger Kranken erst seit verhältnißmäßig kurzer Zeit hineingezogen worden. Die Existenz der K. im heutigen Sinne verdankt man dem christlichen Wohlthätigkeitseifer, und ihm überließ man auch bis zum Ende des vorigen Jahrhunderts alle Initiative und Verantwor­ tung für die Erfüllung dieses Humanitätsbedürfnisses. Was im klassischen Alter­ thum von K. erwähnt wird, war nur eine Art von öffentlichen ärztlichem Büreaus ähnlich den jetzigen „dispensaries“ in England. Die sog. „hospitia“ dienten ledig­ lich der Aufnahme dürftiger Fremden, und die „valetudinaria“ waren Erholungs­ häuser für erschöpfte Sklaven oder Soldaten. Der Wohlthätigkeitssinn Oströmischer Kaiser und Bischöfe schuf die ersten öffentlichen Krankenhäuser (zu Cäsarea, Kon­ stantinopel re.), wahrscheinlich nach dem Borbilde des buddhistischen Indiens, und nachdem dies Beispiel auch im Abendlande bereits viele Nachfolger gefunden, lenkte das Erscheinen verheerender Volksseuchen im Mittelalter wesentlich darauf hin, alle Städte mit Zufluchtshäusern zu versehen, in welchen die Kranken isolirt leben und der gesunden Bevölkerung keine Ansteckungsgefahr bereiten könnten (Leprosorien, Lazarushäuser, Lazarethe, Melaten, Pesthäuser rc.). Als Musteranstalt für das all­ gemeine Bedürfniß schuf Jnnocenz III. das noch heute bestehende Ospedale di San Spirito zu Rom, nach dessen Vorbilde in ganz Europa die Heiligengeistspitäler erstanden. Es folgten die ritterlichen Krankenpflegeorden, besonders die Johanniter- und der Deutsche Orden, welche in den verschiedensten Ländern kleinere und größere K. stif­ teten, und auch nach dem Mittelalter blieb die Vermehrung dieser Einrichtungen eines der wohlthätigsten Ziele des christlichen Humanitätssinnes. Unvermeidlich kam es allerdings hierbei zu einer sehr ungleichen territorialen Vertheilung und ebenso ungleichen Dotirung der Anstalten, und das Streben nach einer Ausgleichung dieses Mißverhältnisses gab denn auch den ersten Anlaß zu einer staatlichen direkten Ein­ mischung. Ludwig XIV. zog mittels eines der ihm geläufigen Willkürakte das Ver­ mögen der meisten Krankenhäuser in Frankreich ein und verwandte dasselbe zur Er­ richtung neuer, über das ganze Land gleichmäßig vertheilter Anstalten; — man zählte deren im Ganzen 1133 in 1130 Gemeinden. Indessen blieb die Verwal­ tung — mit Ausnahme des „Hotel Dieu“ zu Paris, welches als erste nationale K. des Abendlandes gelten darf — überall eine von der Staatsaufsicht unabhängige. Dies gilt auch von Deutschland, und es ist bezeichnend, daß in dem zu Ende des vorigen Jahrhunderts erschienenen berühmten „System der Medizin. Polizei" von I. P. Frank wol die Beaussichtigung der Findel- und Waisenhäuser gründlich ab­ gehandelt wird, der K. aber mit keinem Worte Erwähnung geschieht. Dieser Mangel an Kontrole und die Hintansetzung des ärztlichen Einflusses in der Verwaltung führte im Laufe der Zeit in manchen Anstalten zu den schreiendsten Mißständen, von deren Umfange die amtliche Denkschrift des mit einer Untersuchung beauftragten Dr. Tenon im Jahre 1788 ein heutzutage kaum glaubliches Bild entwirft. Unter der ersten Französischen Republik wurden mit allen übrigen Wohlthätigkeitsstiftungen auch die Hospitäler der kirchlichen Leitung entzogen, und ihre Verwaltung überall

Krankenanstalten.

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den Kommunen übergeben, doch unter strengster Beaufsichtigung durch die Staats­ behörden. In jene Zeit fiel auch die Errichtung der noch heute in ihrer Art einzig dastehenden „Administration de Passistance publique“ zu Paris, welche verpflichtet ist, jeden bedürftigen Kranken ohne Unterschied der Heimath und Nationalität in einem der hauptstädtischen «Krankenhäuser, welche sämmtlich ihr unterstellt sind, auf­ zunehmen. Der Grundsatz der Unterordnung aller öffentlichen K. unter die staatliche Aufsicht ist seit dem Anfänge dieses Jahrhunderts in den meisten Staaten (mit namentlicher Ausnahme Englands) herrschend geworden. Zugleich gab die Entwickelung des medizinischen Unterrichts zur Errichtung rein staatlicher K. Anlaß, welche aus die Beschaffung des erforderlichen Materials für den klinischen Unterricht an der Universität berechnet wurden. Die allgemeine Aufgabe aber der Errichtung von Anstalten für das Bedürfniß der Armenkrankenpflege blieb, soweit die private Wohlthätigkeit dazu nicht ausreichte, den Kommunen insofern zugewiesen, als diesen die Fürsorge für die bedürftigen Kranken in allen Kulturstaaten gesetzlich zugewiesen wurde (vgl. d. Art. Armengesetzgebung), und die Ausübung dieser Fürsorge ebensowol aus ökonomischen wie aus Humanitären Gründen zur Errichtung besonderer Unterbringungsanstalten für diese Kranken hinsühren mußte. Dem Staate dagegen als solchem erwuchs ein unmittelbares Interesse an der Errichtung von Krankenhäusern nur insofern, als letztere -zur Jsolirung kontagiöser, dem Gemeinwesen im weiteren Sinne gefährlicher Kranker unentbehrlich erschien. Aus diesem Grunde haben in einzelnen Ländern, z. B. in den Oesterreichischen Kronländern, die Re­ gierungen den Gemeinden oder Gemeindeverbänden die Herstellung geeigneter Loka­ litäten zur Krankenaufnahme bei Seuchenausbrüchen zur Pflicht gemacht. Am wei­ testen in der diesbezüglichen Bevormundung der Gemeinden ;st man in der Heimath des self-government, in England gegangen, wo vermöge der „Sanitary Act“ vom Jahre 1866 die Gesundheitsbehörden überall befugt sind, auf Kosten der Gemeinden fowol vorübergehende wie dauernde Hospitäler zu errichten. Die Vorschläge centralistischer Sozialpolitiker, welche die Sorge für Errichtung und Leitung aller öffentlichen K. dem Staate auferlegen wollen, widersprechen — abgesehen von allen anderen Schwierigkeiten — dem erfahrungsgemäßen Interesse des Wohlthätigkeitswerkes. Das Hospitalwesen theilt mit der ganzen Armenpflege die Eigenschaft, um so kräftiger zu gedeihen, in je engeren Kreisen es sich organisirt. Der Wohlthätigkeitssinn bedari, um rege erhalten zu werden, persön­ licher und nachbarlicher Beziehungen. Jede Verstaatlichung der Wohl­ thätigkeitsanstalten ist, wie die Erfahrung wiederholt gelehrt hat, gefolgt von einer Erkaltung der örtlichen lebendigen Theilnahme und der freiwilligen Zuwendungen. Im Interesse der Humanität ist daher dringend zu wünschen, daß dieses Feld in erster Reihe der Privat- und freien Vereinsthätigkeit, in zweiter Reihe den Kommunen un­ verkümmert bleibe. Den letzteren muß mit der allgemeinen Sorge für ihre Ortsarmen auch diejenige für die bedürftigen Kranken als eine Pflicht obliegen, zu deren aus­ reichender Erfüllung sie eventuell von der beaufsichtigenden Staatsbehörde angehalten werden muß. Eine ausreichende Pflege der Armenkranken in deren eigenen Woh­ nungen ist aber nicht überall durchführbar, namentlich nicht in dichtbewohnten indu­ striellen Ortschaften, wo die Behausungen des Proletariats auch auf dem Lande alle Bedingungen für eine wirksame Krankenpflege ausschließen. An solchen Orten ist es daher Pflicht der Gemeinden, für eine zweckentsprechende Unterbringung der bedürftigen Kranken in regelmäßiger Weise Sorge zu tragen. Diese Pflicht erscheint um so gebieterischer, da nur durch solche Anstalten die Möglichkeit gewährt wird, bei Seuchenausbrüchen die richtigen Maßregeln auszuführen. Wenn die Ge­ setzgebung in den meisten — auch in den Deutschen — Staaten zu einer solchen Verpflichtung der Gemeinden keinen formellen Anhalt bietet, so ist dies eine Lücke, die nicht blos in sanitärer, sondern auch in ökonomischer Hinsicht sehr zu beklagen

574 ist, da mit dem Mangel an genügender Krankenpflege die Einbuße an Arbeitskräften überall nothwendig gleichen Schritt hält. Da die Gemeindeverbände nur zur Sorge für ihre eigenen Ortsangehörigen verpflichtet werden können, so erübrigt die Sorge für diejenigen bedürftigen Kranken, denen entweder jede nachweisbare Heimathsberechtigung abgehl oder welche zu fern von ihrer Heimath erkrankm, um ohne schwere Gefährdung ihrer Gesundheit dahin transportirt werden zu können. Für diese „Landarmen" muß dann der S t a a t un­ mittelbar eintreten, und zwar entweder durch Unterbringung derselben in Gemeinde­ oder PrivatK. auf Staatskosten, oder aber durch Errichtung besonderer staatlicher Krankenhäuser. Der letztere Weg empfiehlt fich in den großen Bevölkerungscentren, in welchen die in Rede stehende Kategorie von Individuen zahlreicher zur Geltung kommm und wo überdies das Jntereffe des klinischen Unterrichts ein nur von der Staatsbehörde abhängiges Krankenhaus Wünschenswerth macht. Das Eharitäkrankenhaus in Berlin, das allgemeine Krankenhaus in Wien, das Hotel Dieu in Paris und das Friedrichsspital in Kopenhagen sind Beispiele solcher Staatsanstalten. Mit der Sorge für die Errichtung der erforderlichen K. ist die Staatsgewalt noch nicht ihrer Verantwortung entledigt; sie hat auch die Pflicht der Beauf­ sichtigung aller, sowol der öffentlichen wie auch der privaten K., einschließlich derjenigen für wohlhabmde Kranke und besonders einschließlich der Privatirren­ anstalten. Schon die erste Einrichtung derselben muß der staatlichen Prüfung und Genehmigung unterliegen, damit vermieden werde, daß die Anlage von vornherein nur den Gesichtspunkten der Sparsamkeit (bei Gemeinden) oder des geschäftlichen Gewinnes (bei Privaten) auf Unkosten der sanitären Zweckerfüllung angepaßt werde. Schlecht eingerichtete K. können zur Quelle großen Unheils und Siechthums werden, anstatt Gesundheit und Genesung zu bieten. Eine Anzahl der lebensgefährlichsten Krankheitsprozeffe haben ihren Namen davon erhalten, daß sie in fehlerhaften Krankenhäusern ihre Ursprungsstätte finden (Hospitalbrand, Hospitalrose, Hospitalpyämie ic.). Die staatliche Aufsicht über die Errichtung und Leitung der K. bedarf einer bestimmten gesetzlichen Grundlage, wie solche in den meisten Staaten und auch in den Deutschen bis jetzt nur unzureichend besteht. Die Deutsche Gewerbeordnung macht zwar die Errichtung von Privatkranken-, Privatentbindungs- und Privatirren­ anstalten abhängig von einer Konzession der höheren Verwaltungsbehörde, schreibt aber die Ertheilung dieser Konzession überall vor, „wenn nicht Thatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit des Nachsuchenden in Bezug auf den beabsichtigten Ge­ werbebetrieb darthun". Dieser letzteren Bestimmung ist in der Praxis eine wol ursprünglich nicht im Sinne des Gesetzgebers liegende, aber sachlich gerechtfertigte Deutung dahin gegeben worden, daß der Nachsuchende als „zuverlässig in Beziehung auf den beabsichtigten Gewerbebetrieb" nur dann zu erachten sei, wenn er die Qua­ lifikation als approbirter Arzt besitze. Aber auch bei dieser Deutung kann der § 30 der Gewerbeordnung nicht befriedigen. Die Erlaubniß zur Errichtung einer K. sollte außer der vorgenannten Bedingung auch von der vorgängigen Einreichung eines ge­ nauen Situations-, Bau- und Einrichtungsplanes und Betriebsprogramms sowie von der Erfüllung der seitens der Aufsichtsbehörde an diese Einreichung geknüpften Verbefferungsanforderungen abhängig gemacht werden. Diese Bedingungen stellt die Deutsche Gewerbeordnung im § 33 wenigstens zum Theil bezüglich der Errichtung von Gast- und Schankwirthschasten, — um soviel mehr sollten dieselben bezüglich der Einrichtungen zur Aufnahme von Kranken geltend gemacht werden. Bei der staatlichen Beaufsichtigung der bestehenden K. müssen vor­ züglich folgende Punkte in Betracht kommen: 1) Die Gesunderhaltung des Untergrundes durch gänzliche Trocken­ legung deffelben bis zur Kellersohle und durch prompte Wegführung aller Abfallund Auswurfstoffe aus dem Bereiche des Grundstückes.

ShuntsnuutftalteiL

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2) Die Sicherung eines genügendm Luftraumes für jedes Krankenbett (40 Kubikmeter in gut eingerichteten K.) und einer genügenden Lufterneuerung (etwa 80 Kubikmeter pro Bett und Stunde) in sämmtlichen Räumen. Bei dem alten Systeme der centralen Vereinigung einer großm .Krankenzahl zusammen mit dem Oekonomiebetriebe unter Einem Dache begegnete die nothwendige Lufterneuerung großen Schwierigkeiten, und Infektionskrankheiten nisteten sich trotz aller Sorgfalt oft mit größter Hartnäckigkeit ein. Die neueren Hospitalbauten find fast ausnahms­ los auf das Prinzip der baulichen Decentralifirung begründet, — Pavillon-, Barackenfystem; noch weiter gehend ist das System der tranfitorischen Hüttmlazarethe, der Krankenkolonien, der schwimmenden und der Zellenhospitäler, welche durch häu­ figen Ortswechsel den Gefahren lokaler Infektion auSweichen. 3) Die Heizungsweise der Säle und Korridore. Dieselbe muß eine gleich­ mäßige sein und darf der Luft weder ein Uebermaß an Feuchtigkeit noch an Trocken­ heit geben. 4) Die Unterordnung des gesammten Krankendimstes unter die sachverstän­ dige Leitung eines approbirten Arztes. Der Gefahr, vermöge der seit 1869 ein­ geführten ärztlichen Gewerbefreiheit auch Pfuscher in die Stellung als Hospitalärzte sich einführen zu sehen, ist bezüglich der Staats- und Gemeindeanstalten durch dm § 29 der Deutschen Gewerbeordnung vorgebeugt, während bezüglich der Privat­ anstalten nur die vorerwähnte richterliche Deutung des § 30 einen Schutz gewährt. Der von einigen ärztlichen Autoritäten, z. B. Pappenheim, erhobene Anspruch, daß auch die oberste Verwaltung einer K. nothwendig einem Arzte zu übertragen sei, ist gerechten Widersprüchen begegnet und dürfte in der Praxis schon wegen der seltenen Vereinigung administrativer Befähigung und Erfahrung mit ärztlich wiffenschaftlicher Tüchtigkeit sich als nicht allgemein durchführbar erweisen. 5) Die Jsolirung der an ansteckenden Krankheiten Leidenden, und die Desinfektion ihrer Kleider und Wäsche. Ohne eine wirksame Jsolirung z. B. der aufgenommenen Blatternkranken und ohne die erforderlichen Desinfektions­ maßregeln würden die K. zu Hauptverbreitungsheerdm der gefährlichsten Seuchm werden. Zur Zeit herrschender Seuchen müssen die Desinfektionseinrichtungen der Krankenhäuser auch für die Kleider und Betten der in Privatpflege befindlichen Kranken verwerthbar gemacht werden. 6) Die Diät der Kranken, welche einer genauen Regelung unterworfen sein und nicht in die Hände eines Untemehmers gelegt, sondern von der Verwaltung direkt unter maßgebender Bestimmung und Kontrole des Chefarzies beschafft werden muß. 7) Die Anlage genügender Badeeinrichtungen. In den neueren Eng­ lischen Hospitälern ist jeder Krankensaal mit einem eigenen vollständig ausgestatteten Baderaume versehen. 8) Die gesonderte Unterbringung beider Geschlechter in verschiedenen Ab­ theilungen. 9) Die ausreichende Anzahl und Qualifikation des Pflegepersonals, sowie die Vermeidung unangemeffener konfessioneller Einwirkungen deffelben auf die Kranken. Die Erfahrungen über nachtheilige Folgen des religiösen Bekehrungseifers, zu welchem manche Mitglieder der übrigens so vortrefflich wirkenden krankenpflegenden Ordensgenoffenschaften sich hinreißen laffen, machen es der staatlichen Aufsichtsbehörde zur Pflicht, auch in dieser Hinsicht ein wachsames Auge zu haltm. 10) Die statistische Buchführung und Berichterstattung über Statur und Verlauf aller zur Aufnahme gelangter Erkrankungsfälle. Der Staat darf verlangen, daß jede öffentliche und private K. ihren ErsahrungSbeitrag liefere zur Sammlung derjenigen Thatsachen, deren Konstatirung auf Hinreichmd breiter Grund­ lage den Schlüssel bietet zur Beantwortung der wichtigsten Fragen auf dem Gebiete der GesundheitSwirthschaft. Die Krankenhausstatistik ist daher mit Recht im Deutschm

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Krause — Kreditbrief.

Reiche zu einer obligatorischen Leistung erklärt und nach bestimmten gleichmäßigen Normen geregelt worden. Die gegenwärtige Versorgung mit K. ergiebt besonders in Deutschland das Bedürfniß einer Decentralisirung. Gegenüber den Städten sind die Landdistrikte, in welchen doch theilweise der Pauperismus seit den letzten Dezennien mehr zu­ genommen hat als in den Städten, zu spärlich bedacht. Die amtliche Zählung am 1. April 1876 ergab für die Städte mit 5000 und mehr Bewohnern eine Betten­ zahl von 26 551, für das übrige Land eine solche von 6676. In diesem Verhält­ nisse spricht fich eine sanitäre Vernachlässigung der ländlichen Bevöl­ kerung aus, welche alle Aufmerksamkeit der Staatsregierung erfordert. Die syste­ matische Errichtung kleiner K. in allen ländlichen Kreisen würde den Verlust mancher werthvollen Arbeitskraft, die Verwaisung und Verarmung mancher Familien verhüten. Andererseits würde es für die Städte eine wohlthätige Entlastung bedeuten, wenn die bis jetzt unvermeidliche Zuströmung theilweise ansteckender Kranken vom Lande her durch allwärtige Herstellung ländlicher Unterbringungsorte abgelenkt würde. Die Berücksichtigung dieses Bedürfnisses darf daher als würdiges Ziel zukünftiger staat­ licher Anregung und Beihülfe empfohlen werden. ßit: Pappenheim, Handbuch der Sanitätspolizei. — Uffelmann, Darstellung des auf dem Gebiete der öffentlichen Gesundheitspflege in außerdeutschen Ländern bis jetzt Ge­ leisteten. — Finkelnburg, Die öffentliche Gesundheitspflege Englands. — Sander, Ueber Geschichte u. s. w. der Krankenhäuser. — Kraus und Pichler, Encyklop. Wörterbuch der Staatsarzneikunde, II. S. 510. — Levy, Traitö d’hygiöne, II. p. 520. Finkelnburg.

Krause, K. Chr. Fr., z 6. III. 1781 zu Eisenberg (Altenburg), habil, sich 1802 in Jena, später an der Militärakademie in Dresden, 1813—15 in Berlin, machte eine Reise durch Frankreich und Italien, habil, sich 1823 in Göttingen, ging 1831 nach München, f 27. IX. 1832. Schriften: Grundlage des Naturrechts, Jena 1803. — Das Urbild der Menschheit, Dresden 1812, 2. Aufl. Gött. 1851 (von del Rio, Madrid 1860). — Abriß des Systems der Philosophie des Rechts oder des Naturrechts, Gött. 1828 (von del Rio, Madrid 1860), von Röder 1874. ßit: Ahrens in Bluntschli's StaatsWört.B. VI. 38—51; Derselbe, Naturrecht, 6. Aufl 1870, I. S. 275 ff.; Encyklopädie S. 34, 35. — Röder, Grundzüge des Naturrechts, Leipz. 2. Aufl., 1860—63; Derselbe in „Die neue Zeit", Prag 1870, I. 116 ff. — Geyer, Rechtsphilosophie, 1863, S. 80—85. — Ueberweg, Grundriß und Geschichte der Philosophie, 5. Aufl. 1880, III. 289—294. — Roscher, Geschichte der Nationalökonomik, München 1874, S. 1008. — Hohlfeld, Die Krause'sche Philosophie in ihrem geschichtlichen Zusammenhang und in ihrer Bedeutung für das Geistesleben der Gegenwart, Jena 1879. — Augsb. Allg. Ztg. 1879 Seite 4803. — Procksch, K. Chr. F. Krause, Leipz. 1880. Teich mann.

Kraut, Wilh. Theodor, S 15. III. 1800 zu Lüneburg, studirte in Göt­ tingen und Berlin unter Hugo, Savigny, Eichhorn, habil, sich 1822 in Göttingen, wurde 1825 Beisitzer des Spruchkollegii, 1828 außerord. Pros., 1836 ord. Pros., suchte 1837 der angedrohten Entlassung der sieben Professoren durch eine in Gemein­ schaft mit fünf anderen Professoren veröffentlichte Erklärung vorzubeugen, saß 1850 bis 1853 in der I. Hannoverschen Kammer, wurde Geh. Justizrath, f nach langer Lehrtätigkeit 1. I. 1873. Schriften: De argentariis et nummulariis commentatio, Gott. 1826. — De codicibus Luneburgensibus, Gott. 1830. — Grundriß zu Vorlesungen über das Deutsche Privatrecht, Gött. 1830, 5. Aufl. Berlin 1872. — Die Vormundschaft nach den Grundsätzen des Deutschen Rechts, Gött. 1835—59. — Das alte Stadtrecht von Lüneburg, Gött. 1846. ßit: Brockhaus (10. Aufl.). Teichmann.

Kreditbrief (Akkreditiv; Franz.: Lettre de crödit) — ein handelsrechtlicher Begriff in verschiedenen Bedeutungen. In der Regel versteht man darunter den schriftlichen Auftrag an einen Dritten (Korrespondenten) — den Adressaten —

Kredttdrles.

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oder an Mehrere (Cirkular-K., circular note), einer darin genannten Person — dem Akkreditirten — eine gewöhnlich im Höch st betrage bestimmte Geldsumme oder auch illimitirt für Rechnung des Ausstellers zu zahlen. Der Akkreditirte tritt hierin kein Rechtsverhältniß zum Adressaten. Er hat weder ein Klagerecht aus Honorirung des K. gegen den Adressaten, noch wird er dessen Schuldner aus der Zahlung. Inwiefern er bei verweigerter Honorirung Schadensersatzansprüche an den A u s st e l l er des K. hat, inwiefern er nach empfangener Zahlung diesem erstattungs­ pflichtig ist, richtet sich nach dem unter ihnen bestehenden Berhältniffe. Ebenso be­ antwortet sich die Frage, ob der A d r e s s a t zur Annahme des Austrages verpflichtet ist, nach seinen Verabredungen mit dem Aussteller. Bor der Zahlung hat derselbe in der Regel die übliche Advisirung seitens des Ausstellers abzuwarten, sobald ihm der K. präsentirt wird; wenigstens ist er dazu im Zweifel berechtigt. Auch ist die Legitimation des Präsentanten — wenn der K an Ordre gestellt und indosfirt ist, nach den Grundsätzen des Wechselrechts — zu prüfen. Rach bewirkter Zahlung hat der Adressat Anspruch an den Aussteller aus Deckung wie bei der Anweisung. — Eine andere Art des K. besteht in dem Auftrage, dem Akkreditirten zu kreditiren, also mit ihm zu kontrahiren. Hier wird Letzterer zwar dem Adressaten aus der Kreditgewährung verpflichtet. Gleichzeitig hastet aber diesem (dem Mandatar) der Aussteller (Mandatar), und zwar in der Regel als Selbstschuldner; will er nur subsidiär (als Bürge) haftm, so bedarf dies des besonderen Ausdrucks. Das Preuß. A. LR. giebt in dieser Beziehung Auslegungsregeln. Dergleichen K. können an bestimmte Personen oder auch allgemein an Jeden, dem der K. verweigert wird (general 1. of er.), gerichtet werden. — Rach dem Deutschen Wechselstempel­ gesetz unterliegen Akkreditive und Zahlungsaufträge, gegen beten Vorzeigung oder Aus­ lieferung die Zahlung geleistet werden soll, dem Wechsel stempel; ausgenommen find jedoch Akkreditive, durch welche lediglich einer bestimmten Person ein nur im Maximalbetrage begrenzter oder unbeschränkter, nach Belieben zu benutzender Kredit zur Verfügung gestellt wird. Auch eine dritte Form des K. kommt häufig vor, indem nämlich der Aus­ steller in Briessorm dem Adressaten einen begrenzten oder unbegrenzten Kredit er­ öffnet — nicht bei einem Dritten, sondern bei dem Aussteller selbst, bzw. bei dessen Zweigniederlassungen — und sich dabei zuweilen verpflichtet, alle aus Grund des K. vom Adressatm auf ihn zu ziehenden Wechsel zu honoriren. Rach der Anschauung des Handelsverkehrs wirkt eine solche Verpflichtung auch un­ mittelbar zu Gunsten dritter Erwerber der fraglichen Wechsel; der Adressat handelt beim Verkauf als Mandatar des Ausstellers in dessen Namen. Selbst bei Ueber« schreitung des limitirten Betrages haftet der Aussteller, sofern er die nöthigen Vorsichts­ maßregeln unterlassen (z. B. nicht die Abschreibung im K. verordnet) und der Dritte sich beim Erwerb in gutem Glauben befunden hat.

Gsgb. u. Bit: Deutscher Gesetz betr. die Wechselstempelsteuer ic. v. 10. Juni 1869 8 24 (3$.eJ3L 198). — HGB. Art. 301, 305. — Preuß. A. LR. I. 14 §§ 213-218. - Civil code of the state of New-York §§ 1578—1581. — Entsch. b. OTrib. zu Berlin Bd. 21 6.92. — Entsch. b. ROHG. IX. S. 184; XVIU. 6. 198; XIX. 6. 110; XX1L 6. 147; XXIII. 6. 137. - HApp.Ger. Nürnberg in Busch'S Arch. f. H.R. IX. E. 382. — Thöl, H.R., 6. Ausl., §§ 302, 318. — Enbemann, H.R., 3. Ausl., §§ 135, 149; Derselbe in Golbschmibk ic., Zeitschr. IV. S. 225—244. — Hauser in Löhr, Eentralorg. R. F. IV. S. 385 dir 341.—Fr. Meier inHortmann, Eentralorg. N. F. VIL S. 19—26. —Gareis, Bertr zu Gunsten Dritter, § 65. — Bddarride, Lettre de change, 2. ed. T. II. Paris 1877 nr. 633 dis 641. — Nou girier, Lettr. de change, 4. ed. T. II. Paris 1875 nr. 1379—1381. — Alauzet, Code de com., 2. 6d. T. III. Paris 1868 nr. 1312—1318. — Chitty, Laws of comm., III. j>. 336 ss. — Walker, Banking Law, p. 108 ss. — 0. Cavanagh, Law of money-secunties, London 1879, p. 41 ss. — Story, Comm. on the Law of bilte, 88 459 dis 463. — Kent, Comm. on Amer. Law, 12u> ea. III. p. 110 (Part. V. Lect XLIV.). R. «och. d. Holtz endorff, Enc. II. Aechtittexikon II.

3. Aufl.

37

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Sretttmayr — Krte-sarttkel.

Kreittrnayr, Franz Xaver Aloysius Wiguläus, Freiherr von, 6 14. XII. 1705 zu München, stud. in Ingolstadt, Utrecht, Lehden, praktizirte in Wetzlar, wurde Mitglied des Bayer. Hofraths, 1745 Reichsfreiherr, «Hofrathskanzler und Geh. Rath, 1749 Geh. Rathsvizekanzler und Konferenzminister, f 27. X. 1790. Er schuf den Codex juris Bavarici criminalis, 1751 (1758, 1788), Annotationes 1751, Anmerk. 1752, 1756, 1758, 1765; den Codex Juris Bavarici judiciarii, 1753 (Anm. München 1754, 1755); den codex Maximilianeus Bavar. civilis 1756 (Coznmentarius 1756 — 1763, Aumerk. 1758—68). Schriften: Grundriß der Gemeinen u. Baier. Privatrechtsgelehrsamkeit, Münch. 1768. — Grundfätze des allgem. Deutschen und Baier. Staatsrechts, 1*70, (3) 1789. — Sammlung der neuesten und merkwürdigsten Kurbaier. Generalien und Landesverordnungen, München 1771. — Comp. cod. Bav. civilis, judic. et criminalis, 1773 u. 1776. Sil.: Rechtsregeln und Sprüche aus K.'s Anm. (nebst Leben und Wirken), München 1845. — Pütter, Litt., II. 91, 386. — Bluntschli, StaatsWört.B., VI. 80-83. — Stobbe, Rechtsquellen, IL 443—445. — Berner, Strafgefetzgebung 1867, S. 1—8. — Roth, Bayer. Eiv.R., 1871, I. 27-31. - Wächter, Gem. Recht, S. 155, 156. Teichmann. Streunet, Ioh. Rep. Gottfried von, $ 1759 in München, 1781 Pwi. in Ingolstadt, 1798 in Rastatt beschäftigt, 1799 in München im Ministerium. Seine frühere Jlluminatenschait wurde ihm später nicht nur ausdrücklich verziehen, sondern er wurde sogar geadelt, f 1812. Schriften: Ueber das rechtliche Studium der Deutschen Staatsgeschichte, 1782. — Kurze Uebersicht de- 30jährigen Deutschen Kriege-, 1783. — Ueber den churpfälz. Reichsvikariats­ sprengel, 1793. — Ueber Land-, HofmarkS- und Dorfaerichte in Bayern, 1795. — Ueber ge­ mischte und sog. Weiberkasten rc., 1798. — Anhang: Ueber den Ursprung der Bayer. Beutel­ lehen. Anleitung zu der näheren Kenntniß der Bayer. Landtäge des Mittelalters, 1804. Bit: Prantl, Gefch. d. L.-M.Univers., Bd. I. S. 675; 11 S. 514. Bezold. Streß, Joh. Paul, S 22. II. 1677 zu «hummelshayn (Voigtlandj, lehrte zu Jena und Helmstädt, 1730 .Hofrath, 1732 Ordinarius der Juristenfakultät daselbst, t 23. XL 1741. Er schrieb neben vielem Anderen: Comm. succinc. in sonst. Crim. Caroli V, Hannov. 1721, 1730, 1736, 1744, 1760, 1786. Lit.: Jugler, HI. 341—363. — Wächter, Beil. 1877 S. 135. Teichmann.

Kreuzverhör, s. Verhör. Kriege!, Carl Albert, s

15. II. 1804 zu Dresden, stud. in Leipzig und Göttingen, wurde 1830 Doktor, 1832 Pros, in Leipzig, f 30. III. 1834. Schriften: Antiqua versio lat. fragmentonnn e Modestini libris de excusationibus in integrum restituta, Lins. 1830. — Symbolae criticae ad Nov. 87, Lips. 1832. — Er gab mit seinem Bruder M o r i tz das corpus juris civilis heraus. Lit.: Neuer Nekrolog der Deutschen, Bd. XII. S. 272, 273. —v. Ziegler, De Alberto Kriegelio, Destau 1877. — Hänel, Lebensskizzen, 1878, S. 41 ff. Dessen Bruder, Carl Moritz, tz 9. V. 1805 zu Dresden, stud. in Leipzig und Göttingen, wurde 1836 Mitglied der juristischen Fakultät in Leipzig, t 23. III. 1839 zu Hyäres. Schriften: Mit seinem Bruder Albert gab er das corpus juris civilis, Lips. 1828 sqq. heraus und schrieb: Specimen comm. perpetui ad legem successoriam in Saxonia regia a. 1829 promulgatam e fontibus authenticis edendi, Lips. 1831. Lit.: Neuer Nekrolog der Deutschen, Bd. XVII. S. 330—332. Teich mann.

Kriegsartikel für das Heer sind Vorschriften, deren Zweck darin besteht, die Soldaten mit den ihnen obliegenden Pflichten, den bei Pflichtverletzungen nach den bestehenden Gesehen zu gewärtigenden Strafen und den bei treuer Pflichterfüllung zu erwartenden Belohnungen im Allgemeinen bekannt zu machen. Tie K. werden bei jeder Kompagnie, Eskadron und Batterie alljährlich mehrmals und jedem neu eintretenden Soldaten vor der Ableistung des Soldateneides vorgelesen. Ter Inhalt der K. ist ein dreifacher. 1) Allgemeine Grundfätze über militärische Pflichten; z. B. Art. 1, welcher die Vorschrift enthält: „Der Soldat muß stets der ernsten Pflichten seines Berufes eingedenk und dieselben gewissenhaft zn erfüllen eifrig bemüht sein" Art 2 u. a. 2) Strafbestimmungen für Pflichtverletzungen und militärische Ver-

KriegSkorttrwntton.

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brechen. Die Vorschriften dieser Art sind in den ft. die bei weitem zahlreichsten. Sie enthalten im Allgemeinen den Inhalt des RMil.StrafGB. und der Disziplinar-StrasO. tüt das Deutsche Heer, wobei mitunter diese Strafvorschriften durch allgemeine Ver­ haltungsmaßregeln eingeleitet werden. So z. B. Art. 22, durch welchen vorgeschrieben wird, was der Soldat zu thun oder zu unterlassen hat, wenn er Grund zu einer Beschwerde zu haben glaubt: woraus dann in Art. 23 die Strasvorschrnten folgen, welche sich auf unwahre, leichtfertige oder solche Beschwerden beziehen, die unter Abweichung von dem vorgeschriebenen Dienstwege angebracht werden. Diese in die ft. aufgenommenen Strafvorschriften haben lediglich den Zweck, dem Soldaten eine Vorstellung davon zu gewähren, was ihm im Falle der pflichtwidrigen oder straf­ baren Handlungen bevorstehe. Die Bestrafung selbst erfolgt nicht auf Grund der ft., sondern auf Grund des RMil.StrafGB. und des Disziplinargesetzes. Die ft. selbst sind als Strafgesetze nicht anzusehen. Es beschränken sich vielmehr die K. auf die Mittheilung der in den genannten Gesetzen angedrohten Strafen. In Folge dieses Verhältnisses ist denn auch jede Veränderung des Mil.StrafGB. die Veranlassung geworden, die ft. der veränderten Gesetzgebung entsprechend umzugestalten. So wurden in Preußen nach Einführung des Mil.StrafGB. vom Jahre 1845 die bis dahin geltenden ft. vom 27. Juni 1844 einer dem neuen Gesetz entsprechenden Um­ gestaltung unterzogen (K. vom 9. Dezbr. 1852). Und das Mil.StrafGB. für das Deutsche Reich vom 20. Juni 1872 veranlaßte wiederum die durch eine Jmmediatkommission bewirkte Umarbeitung der ft., welche durch eine Kaiserl. Ordre vom 31. Okt. 1872 bekannt gemacht wurde. 3) Die Bestimmungen der ft., welche Be­ lohnungen in Aussicht stellen, find die drei letzten (Art. 53—55). Es bestehen diese Belohnungen in der Anerkennung und dem besonderen Wohlwollen der Vor­ gesetzten; in der Möglichkeit, nach Maßgabe von Fähigkeiten und Kenntnissen die höheren und selbst höchsten Stellen im Heere zu erlangen; in der Gewährung der Auszeichnungen, welche zur Belohnung der Tapferkeit im Kriege bestimmt sind; in der Aussicht auf Pension und Anstellung im Civildienst. Die Preuß. K. vom 9. Dez. 1852 gehörten zu denjenigen Preuß. Mil.Gesetzen, welche in Gemäßheit des Art. 61 der Vers, für den Rordd. Bund zusammen mit dem Preuß. Mil.StrafGB. von 1845 durch Verordn, vom 29. März 1867 publizirt wurden (B.G.Bl. 1867 S. 185, 306 ff.). Bei dem engen Zusammenhänge, in welchem die jetzt geltenden ft. mit dem Mil.StrafGB. stehen, kann es einem Zweifel nicht unterliegen, daß deren Geltung ebenso weit reicht, wie die Geltung des Mil.StrasGB. selbst. Dennoch ist eine Publikation der jetzt geltenden K. durch das RGBl, nicht erfolgt. Gsgb.: K. für daS Heer vom 31. Okt. 1872; mit denen die ft. für die Marine fast wörtlich übereinstimmen. Sie find abgedruckt bei v. Walther, Militürgesehe des Deutschen Reichs (1880), Absch. VI. S. 45-52. John.

Krieg8ko»tributio« (Kriegsschatzung) ist diejenige Zahlung, welche bei bestehendem Kriegszustand durch die in Feindesland vordringende Militärgewalt den Bewohnern eines okkupirten Ortes oder Bezirkes außerordentlicher Weise auferlegt wird. Sie ist hiernach zu unterscheiden von der Kriegskostenentschädigung, deren Festsetzung durch den Friedensvertrag erfolgt; desgleichen von den ordentlichen Landes­ steuern, die nebst den übrigen öffentlichen Einkünften innerhalb der besetzten Territorial­ theile in Gemäßheit der dort bestehenden Einrichtungen durch die okkupirende Macht, um den Fortgang einer geregelten Civilverwaltung zu sichern, erhoben werden; des­ gleichen von den Kriegsleistungen, die in Lasten, Lieferungen und Diensten bestehend, zum Unterhalt der Jnvafionsarmee aus die Bevölkerung der besetzten Ortschaften ge­ legt oder ausgeschrieben oder im Wege der Requisition (s. diesen Art.) von den Einzelnen zwangsweise beigetrieben werden; endlich von den Strafgeldern, welche (Gemeinden oder Bezirken für aus ihrem Gebiet begangene Kriegsvergehen angedroht und auferlegt werden. Alle diese, nur uneigentlich mit dem Ausdrucke Kontribution 37*

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LrteßSletftrrugerr.

bezeichneten Leistungen beruhen völkerrechtlich auf speziellem Rechtsgrund. Auch wenn an Stelle der Naturalrequifition eine Geldabfindung vereinbart wird, um die Bevölkerung möglichst zu schonen, oder an Stelle der bestehenden Landessteuer wegen zeitweiliger Uneinbringlichkeit (insbesondere der indirekten) eine anderweitige Umlage verfügt wird: immer unterscheiden sich derartige Auflagen dadurch von der eigent­ lichen Ä., daß bei dieser der Rechtstitel eines Entgeltes, eines Geldäquivalents für anderweitige kriegsrechtliche Forderungen gänzlich entfällt. Sie ist eine reine Hostilität, und zwar eine solche, die ohne Berumng aus militärische Nothwendig­ keit gegen das Privateigenthum des mit Heeresmacht überzogenen Volkes verhängt wird; der Gesichtspunkt, unter den sie die frühere Doktrin stellte, daß sie Brand­ schatzung, d. h. Loskauf angedrohter Plünderung ober Zerstörung sei (so noch Martens, ed. Pinheiro-Ferreira, II. § 280; Klüber, §§ 251, 275), ist gegen­ standlos geworden. Die Motive, aus welchen die Militärauktorität, vorausgesekt, daß ihr die Ermächtigung dazu beigelegt ist, sich zu der Maßregel entschließt, können recht verschiedene sein. Es mag sich um ein Presfionsmittel handeln, um den Gegner durch Steigerung der Kriegslast zum Frieden zu drängen, oder um Represialien (z. B. wegen Ausweisung oder Vergewaltigung von Landsleuten), oder um Schadlos­ haltung für den besonderen Kräfteaufwand, den die Einnahme eines Platzes erfordert hat, oder endlich einfach als Mittel, um die eigene Last zu mildern und noch während des Kampfes auf den Gegner abzuwälzen. In dieser Ausdehnung ist die K., ins­ besondere seit dm Französischen Revolutionskriegm als Kriegsgebrauch in der völker­ rechtlichen Praxis bis jetzt widerspruchlos geübt und von der Theorie als legitime Feindseligkeit anerkannt worden; vgl. von Deutschen Heffter, V. A. p. 236, 255, 324, 325; von Franzosen Mass6, Dr. comm., I. p. 151, Paris 1844; von EngländernPhi 11 irnore, 2d ed. III. p. 128; von Amerikanern Halleck, Intern, law ed. Sherston Baker, II. p. 109, 1878; von Italienern P. Fiore, Ed. Pradier-Fod6r6, II. p. 305, Paris 1869 u. A. Allerdings aber hat der offenbare Widerspruch, in dm sich die Maßregel bei der ihr anhaftenden Unbestimmtheit und Schrankenlosigkeit mit anerkannten Maximen des Landkrieges setzt, neuerdings sehr lebhafte Bedenken gegen ihre Zulässigkeit hervorgerufm, zu deren beredtem Anwalt sich, unter dem Beifall anderer (nicht blos Französischer) Theoretiker, der Deutsche Bluntschli (Völkerrecht I.—III. Aufl. § 654) gemacht hat. Und die Hoffnung, daß diese, wie so manche andere Hosülität früherer Tage aus dem Kriegsgebrauch der Civilisirten dermaleinst verschwinden wird, darf sich heutzutage mit gutem Grunde auf die Deklaration der Brüsseler kriegsrechtlichen Konferenz von 1874 stützen. Während dieselbe das Requisitionsrecht als nicht abzuweisende Konsequenz des Land­ krieges anerkannt wissen will, beseitigt sie wenigstens implizite die Erhebung von eigentlichen K. Tie Bestimmungen lauten: Art. 5: L’armee d’occupation ne prdlevera que les impöts, redevances, droits et pöages döjä ötablis au profit de Fdtat ou leur äquivalent, s’il est impossible de les encaisser —. Art. 41: L’ennemi prölevant des contributions soit comme äquivalent pour des impöts (v. art. 5) ou pour des prästations qui devraient etre faites en nature, soit ä titre (Tarnende, n’y procädera autant que possible que d’apräs les regles de la repartition et de Tassiette des impöts en vigueur dans le territoire occupö. Lit.: Lüning, Die Verwaltung des Generalgouvernements im Elsaß, 1874 S. 149 ff. — Rolin-Jaequemyns in Revue de droit intern. III. 331. — Actes de la Conference reunie ä Bruxelles du 27. juillet au 27. aoüt 1874. protocole de Commission XV., XVI. in Martens, N.R.G., II. Sörie IV. 121 ss. F. v. Martitz. fttiegSleifhnttytn. Bei dem Eintritt der Mobilmachung der Armee find zur Bestreitung der einmaligen Mobilmachungskosten, sowie zu anderen alsdann ein­ tretenden militärischen Bedürfniflm, z. B. zur fortifikatorischm und artilleristischen Armirung und Verproviantirung der Festungen, sofort sehr bedeutende haare Geld­ mittel mörderlich. Außerdem machen die fortlaufenden Ausgaben für die mobile

Krie-Sleiftungeu.

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Armee einen gegen die gewöhnlichen Staatseinnahmen sehr gesteigerten ertraordinären Geldbedarf nöthig, und würden eine fast unerschwingliche Höhe erreichen, wenn auch die Naturalverpflegungsmittel für Mannschaften und Pferde bei der zur Zeit einer Mobilmachung stets eintretenden Steigerung aller Preise mit baarem Gelde beschafft werden sollten. Aus diesen Gründen waren in Preußen schon in früheren Zeiten Natural­ lieferungen und Naturalleistungen seitens des Landes gefordert worden, theils gegen spätere Vergütung, theils unentgeltlich (v. Bassewitz, I. 310 ff.). Bei der theilweisen Mobilmachung vom Jahre 1831 drängte sich jedoch der Regierung die Ueberzeugung auf, daß die bestehende Gesetzgebung in dieser Beziehung nicht genüge. Ein zu diesem Zwecke von den Ministerien ausgearbeiteter Gesetzentwurf sollte im Jahre 1841 den Provinzialständen vorgelegt werden, erhielt aber nicht die Aller­ höchste Sanktion, sondern wurde zur Umarbeitung an das Ministerium zurück­ verwiesen. Die Betrachtung, daß der Erlaß eines solchen Gesetzes im Frieden sowol dem Auslande gegenüber, als wegen der im Innern erwachsenden Besorgniffe nicht ohne Bedenkm sei, sowie der Umstand, daß derselbe Gegenstand bei der Deutschen Bundesversammlung zur Berathung gekommen war, und man es daher für räthlich hielt, den dort zu fassenden Beschluß abzuwarten, war Ursache, daß die Sache erst 1848 wieder ausgenommen wurde. Der Entwurf eines derartigen Gesetzes war dann zwar im Januar 1849 vollendet, es schien aber nicht angemessen, ihn den Kammern vor Feststellung der Verfassung vorzulegen. Die Vorlage verzögerte sich auch in den nächsten Monaten, und es war demgemäß eine energische Kriegsführung nicht gehörig vorbereitet, als unterm 6. November 1850 die Mobilmachung der ganzen Preußischen Armee befohlen wurde. Die Regierung erließ daher, in wesentlicher Uebereinstimmung mit dem ausgearbeiteten Gesetzentwürfe, unterm 12. Nov. 1850 auf Grund von Art. 63 der Verfaffungsurkunde eine provisorische Verordnung mit Gesetzeskraft. Dieselbe wurde den Kammern bei ihrem Zusammentritt im Januar 1851 sofort vorgelegt, erhielt jedoch in dieser Gestalt nicht die definitive Genehmigung, vielmehr wurde seitens der zweiten Kammer ein von der Kommission derselben aus­ gearbeiteter, vielfach abweichender Gesetzentwurf als neues Gesetz in Vorschlag ge­ bracht und von der Regierung und der ersten Kammer im Wesentlichen acceptirt. Dies Gesetz über die K. und deren Vergütung vom 11. Mai 1850 ist dann auf Grund des Art. 61 der Bundesverfassung als Bestandtheil der Preuß. Militärgesetz­ gebung durch die Verordn, vom 7. Nov. 1867 § 1 sub Nr. 6 im ganzen Bundes­ gebiet eingeführt, indem zugleich den einzelnen Bundesstaaten auferlegt wurde, die zur Ausführung etwa erforderlichen besonderen Vorschriften zu erlassen. Die K. erfolgen entweder unentgeltlich oder gegen Entschädigung. Unentgeltliche K. find die Gewährung deS Naturalquartiers (vgl. den Art. Einquartierungslast); die Gestellung von Wegweisern, Boten, des Vorspanns und sonstiger Trans­ portmittel, sowie von Mannschaften und Gespannen zum Wege- und Brückmbau und zu fortifikatorischen Arbeiten, sofern diese Leistungen ein gewisses Maß nicht überschreiten; endlich die Ueberweisung von disponibeln oder leer stehmdm Gebäuden zur Anlegung von Magazinen und Lazarethen, sowie die Gewährung fteier Plätze und unbestellter Grundstücke zu Lagern, Bivouaks, zu Truppenübungen u. dgl. Die K. gegen Entschädigung sind insbesondere die Landlieferungen, d. h. die Be­ schaffung von Roherzeugniffen, welche das Land selbst produzirt, wie Brodmaterial, Haser, Stroh, Heu, Fleisch, zur Versorgung der Magazine; sodann sonstige Fouragelieferungen, Naturalverpflegung, und soweit das Maß der unentgeltlichen Leistung überschritten wird, der Vorspann, sonstige Transportmittel, Bau- und Feuerungs­ materialien, Arbeitskraft, Gebäude, Räumlichkeiten und Grundstücke, endlich alle sonstigen K., wie die Lieferung oder Anfertigung von Armatur- und Bekleidungs­ stücken, die Lieferung von Schanz- und Handwerkszeug, Arzneien u. s. w.

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Krie-Sleiftrmgen.

Hinfichtlich aller dieser K. hält sich die Verwaltung niemals an die Individuen als Verpflichtete, sondern immer nur an die bestehenden organischen Verbände und zwar hinfichtlich der Landlieferungen an die Kreise, hinfichtlich aller übrigen entgelt­ lichen und unentgeltlichm K. an die Gemeinden. Die weitere Regelung dieser Ver­ pflichtung, also der Kreislasten in Beziehung aus die Gemeindeverbände und der Gemeindelasten in Beziehung auf die Gemeindemitglieder, resp, die Entschädigung der Einzelnen, sofern dieselben durch Gewährung von Uebungsplähen oder sonst vor Anderen in Anspruch genommen sind, ist eine innere Angelegenheit der kommunalen Verbände. — Die zu gewährende Entschädigung wird unabhängig von dem Werthe oder Preise, den der Gegenstand oder die Leistung im entscheidenden Augenblicke hat, nach Normen bestimmt, die für die verschiedenen K. in verschiedener Weise festgesetzt find; die Vergütigung für die Landlieferungen und die Fourage bestimmt sich z. B. nach den Durchschnittspreisen der letzten zehn Friedensjahre, mit Weglassung des theuersten und wohlfeilsten Jahres, nach den Normalmarktorten des Gesetzes vom 2. März 1850 oder nach den Hauptmarktorten der Kreise. Ueber die danach zu gewährenden Vergütigungen stellt der Staat Anerkenntnisie aus, welche vom ersten Tage des aus die Lieferung folgenden Monats ■ mit vier Prozent jährlich verzinst werden. Tie festgestellte Vergütigung wird kreisweise gewährt und bleibt es den .Kreisen, resp, den Gemeinden überlaffen, die Ausgleichung unter den Eingeseffenen zu bewirken. (Vgl. die stenographischen Berichte der II. Kammer 1850—1851, Bd. I. S. 644 ff.; Bd. II. S. 704 ff.; Bd. III. S. 155, 663.) Das Preuß. Kriegsleistungsgeseh war inzwischen in Südheffen durch landes­ herrliche Verordn, vom 29. Mai 1868, in Baden durch Landesges. vom 26. Dez. 1870, in Elsaß-Lothringen durch Ges. vom 22. Juni 1872 eingeführt worden, während die Herstellung des gleichen Rechtszustandes in Bayern und Württemberg nach den bestehenden Verträgen nur im Wege der freien Vereinbarung oder der RGesetzgeb. ausführbar war. Um nun einerseits in dieser wichtigen Materie für das ganze Bundesgebiet Rechtseinheit herzustellen, und um andererseits die nach ben gemachten Erhebungen sich empfehlenden Abänderungen und Ergänzungell des Preuß. Gesetzes herbeizuführen, so wurde dem Reichstage unterm 26. März 1873 ein vom Bundesrathe beschlossener Gesetzentwurf zur verfaffungsmäßigen Genehmiguilg vorgelegt. Derselbe beruhte in der Hauptsache auf der Erwägung, daß die Grundlage des Preuß. Gesetzes sowol dem Jntereffe einer wirksamen Kriegführung entspreche, als auch auf die Verhältnisse der Leistungspflichtigen thunlichst Rücksicht nehme ; es wurde deshalb namentlich daran festgehalten, daß für die Kriegsbedürfniffe durch Naturalleistungen Sorge zu tragen sei, soweit diesen Bedürfniffen nicht auf andere Weise genügt werden könne; daß ferner die Leistungspflicht soweit möglich nicht den Individuen, sondern den kommunalen Verbänden aufzulegen, diesen jedoch die Befugniß zuzugestehen sei, sich nöthigenfalls zwangsweise in den Besitz der einzelnen Gegenstände der Leistungen zu sehen; daß endlich gewisse Kategorien von Leistungen von der Vergütung aus Reichsmitteln auszuschließen, wogegen in Ansehung der übrigen eine Entschädigung zwar vorzufehen, aber in der Regel nur nach Durchschnittssätzen und in verzinslichen, nach Maßgabe der verfügbaren Mittel einzulösenden Anerkenntnissen zu leisten sei. Dagegen wurden im Hinblick auf die theilweise veränderte Art der Kriegführung und auf die Umgestaltung der wirthschaftlichen und Verkehrsverhältnisse mannigfache Beschränkungen in dem Maße der Leistungen, bzw. eine qualitative und quantitative Erweiterung der Entschädigungsansprüche herbeigeführt, und nur in geringem Maße neue Kategorien von Leistungen in Anspruch genommen, indem namentlich auch die Bedürfniffe der Marine berücksichtigt wurden. In formeller Beziehung ist die Fassung des Gesetzes dadurch eine andere geworden, daß bei denjenigen Vorschriften, welche die Verwaltungseinrichtungen berühren, von der speziellen Preuß. Verwaltungs­ organisation abgesehen werden mußte; auch ist die Gruppirung des Stoffes nicht die in den früheren Preuß. Gesetzen nach den in Anspruch zu nehmenden einzelnen

Kriegsschaden.

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Leistungen, sondern der besseren Ilebersichtlichkeit wegen nach den verpflichteten Sublekten geordnet. Dieser Entwurf wurde dann auf Grundlage der Arbeiten einer sog. freien Kommission durch die Beschlüsse des Reichstags in zweiter Lesung sowol in wrmeller als auch in materieller Beziehung nicht unerheblich modifizirt, in Letzterer Beziehung namentlich durch Ausdehnung der Vergütigungspflicht des Reichs. Die verbündeten Regierungen entschlossen sich, dem Entwürfe, wie er aus der zweiten Berathung hervorgegangen war, zuzustimmen, unter den beiden Voraussetzungen, daß einerseits die Vergütung für das Quartier auf Märschen und Kantonirungen wegfalle, und daß andererseits die Vergütung für die von einer Gemeinde durch Ankauf beschaffte Fourage zwar nach höheren Sätzen, als für die Landlieferungen (den Durchschnitts­ preisen der letzten zehn Friedensjahre) aber nicht nach dem zur Beschaffung gemachten Aufwande, sondern nach den Durchschnittspreisen, welche zur Zeit der Lieferung in dem Marktorte des Lieferungsverbands bestanden, erfolge. Nachdem der Reichstag diesen Voraussetzungen, von denen die Zustimmung des Bundesraths abhängig ge­ macht war, bei der dritten Lesung Rechnung getragen hatte, ist das Gesetz über die K. unterm 13. Juni 1873 erlassen worden. (Sten. Ber. des Reichstags 1873, Bd. II. S. 932 ff. und Anlagen Nr. 26, Nr. 130.) Die näheren Ausführungs­ bestimmungen enthält die Verordnung des Bundesrathes v. 1. April 1876 (R.G.Bl. 1876 S. 137-160). Lit.: Seydel, Das Kriegswesen des Deutschen Reichs,

Abth. VII.

(Leistungen des

Jahrg. 1874, S. 1050 ff. (eine eingehende Erörterung des neuen Reichsgefetzes). — Lab and, Das Staatsrecht des Deutschen Reichs, Bd. III. Abth. 1 (1880) S. 372 ff. (sehr gute syste­ matische Darstellung). — Zorn, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. I. (1880) S. 406 ff. Ernst Meier.

Kriegsschaden (Th. I. S. 1021, 1025) ist derjenige Schaden, welchen der Einzelne während eines Krieges unmittelbar durch den Feind oder mittelbar durch feindliche Maßregeln wie Embargo, Blockade, Plünderung, Brandschatzung u. dgl. erleidet. Auch die dem Einzelnen von den Truppen seines Staates zugefügten Ver­ mögensbeschädigungen gehören 511 den K., wenn sie sich als die unmittelbaren, gleichviel ob beabsichtigten oder nicht beabsichtigten Wirkungen einer durch den Feind veranlaßten Operation darstellen, wie etwa die Verwüstungen, welche durch die Geschosse der Landestruppen in einer vom Feinde besetzten Ortschaft herbeigeführt worden sind. Endlich sind als K. im weiteren Sinne alle diejenigen ökonomischen Verluste und Nachtheile zu bezeichnen, welche der Einzelne während des Krieges durch die Leistung der Wehrpflicht erleidet. Dagegen fallen alle Vermögenseinbußen, welche dem Einzelnen durch die Eivil- und Militärbehörden seines Staates zur Erreichung der Kriegszwecke zugemuthet werden, selbst die Wegnahme, Verwüstung oder Zerstörung der im Eigenthum eines Privaten befindlichen, zur Kriegführung irgendwie dienlichen oder nothwendigen Gegenstände, unter den Begriff derKriegsleistungen (s. diesen Art.), für deren vollständige Vergütung der Staat haftet, während hinsichtlich der K. eine Ersatzpflicht des Staates nicht besteht. Der K. ist rein kasueller Natur, gehört nicht zu dem Kriegsaufwande des Staates und kommt überdies dem Staate regelmäßig nicht einmal mittelbar zu Gute. Aus Gründen der Billigkeit sind jedoch in neuerer Zeit die K. meistens ganz oder theilweise ver­ gütet worden. So hat insbesondere das Deutsche Reich im Jahre 1871 Ersatz für allen Schaden gewährt, welcher seitens des Französischen oder Deutschen Heeres durch Beschießung in dem bisherigen Bundesgebiete oder in Elsaß-Lothringen belegener Orte oder durch Brandlegung zu militärischen Zwecken in solchen Orten verursacht worden ist. Jngleichen ist den Deutschen Eigenthümern und Besatzungen der von Frankreich genommenen Schiffe bzw. Ladungen volle Entschädigung, den durch ihre Vertreibung aus Frankreich geschädigten Deutschen und den durch ihre

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Srte-Sschtffe.

Einziehung zur Fahne in ihren Erwerbsverhältniffen besonders schwer geschädigten Offizieren, Aerzten und Mannschaften der Reserve und Landwehr wenigstens eine Beihülfe gewährt worden. Endlich hat das RGes. vom 13. Juni 1873 über die Kriegsleistungen hinsichtlich aller durch den Krieg verursachten Beschädigungen an beweglichem und unbeweglichem Eigenthum, welche nach den Borschriften des ge­ dachten Gesetzes nicht oder nicht hinreichend entschädigt werden, auch für zukünftige Kriege die Entschädigung durch den Staat als billig anerkannt, indem es bestimmt, daß Umfang und Höhe der etwa zu gewährenden Entschädigung und das Verfahren bei Feststellung derselben durch jedesmaliges Spezialgesetz des Reiches festgestellt werden solle. Die Frage nach der Bedeutung des K. für das gegenseitige Verhältniß des Pächters und Verpächters, des Rheders und Schiffers bzw. Schiffsmannes ist rein privatrechtlicher Natur und im Zusammenhänge mit der Darstellung der Rechts­ geschäfte zu beantworten, durch welche diese Berhältniffe begründet werden. Quellen: Deutsches Reich: Gesetz betreffend den Ersatz von Ä. und Kriegsleistungen vom 14. Juni 1871. — Gesetz betreffend bie Entschädigung der deutschen Rhederer vom 14. Juni 1871. — Gesetz betreffend die Gewährung von Beihülfen an die aus Frankreich ausgewiesenen Deutschen vom 14. Juni 1871. — Gesetz betreffend die Gewährung von Beihülfen an An­ gehörige der Reserve und Landwehr vom 22. Juni 1871. — Gesetz über die KrieaSleistungen vom 13. Juni 1873 § 35. — Gesetz, betreffend die Gewährung von nachträglichen Vergütungen für Kriegsleistungen der Gemeinden, vom 23. Febr. 1874. — Verordnung, betreffend die Aus­ führung des Gesetzes vom 13. Juni 1873 über die Kriegsleistunaen, vom 1. April 1876. Lit.: v. Rönne, Staatsrecht des Deutschen Reiches, 2. Aufl. 1877 Bd. II. Abth. 2 S. 289. — G Meyer, Lehrb. des Deutschen Staatsrechts, Leipz. 1878 S. 593. — Laband, Staatsrecht deS Deutschen Reiches, Bd. III Abth. 1 S. 347. — Zachariä, Deutsches StaatSund Bundesrecht, 3. Aufl., Göttina. 1867, Bd. II. S. 589-592. — v. Rönne, Staatsrecht der Preuß. Monarchie, 3. Aufl. Bd. I. Abth. 1 S. 479 Note 4. — Die ältere, meist auch veraltete Lit. ist bei Zachariä und Rönne a. a. O. zu finden. F. Brockhaus.

Kriegsschiffe. Ein K. kennzeichnet sich als solches für ein sachverständiges Auge durch seine Ausrüstung und Armirung; Flagge, Wimpel, Gösch, nöthigenfalls das Wort des Kommandanten und deffen Bestallung bezeugen seine Nationalität. Es ist daher völkerrechtlicher Brauch, daß es keiner weiteren Beweise bedarf, um ein K. in den Genuß aller Rechte zu setzen, welche ihm als einem solchen zukommen. Darüber, inwieweit Transportschiffe an diesen Rechten Theil nehmen, vgl. Ealvo, I. S. 469; Ortolan, I. S. 185. Die K. find berufen, in Kriegszeiten — aus­ nahmsweise auch im Frieden — die Nationalität anderer Schiffe festzustellen (Droit de visite — enquete du pavillon — right of approach, vgl. Ortolan, I. S. 231). Sie sind in dieser Beziehung die Exekutivorgane des Staates, welchem sie angehören. K., als Repräsentanten der Militärhoheit ihres Staates, find oft als schwimmende Festungen, als wandelnde Gebietstheile ihres Staates bezeichnet worden. Man will damit ihre Exterritorialität ausdrücken. Sämmtliche Personen, welche sich an Bord eines K. befinden, werden so angesehen, als seien sie in dem Territorium des Staates, welchem das Schiff angehört. Diese Exemtion von der Einwirkung jeder fremden Staatsgewalt — auch in Eigenthumsgewäffern — ist allgemein anerkannt und hat zur Folge, daß Beschwerden und Reklamationen gegen ein K. der Regel nach nur im Wege der diplomatischen Verhandlung, nicht durch direktes Einschreiten der fremden Staatsgewalt erledigt werden können. Zwar hat jeder Staat das Recht, das Einlaufen fremder K. in seine Häfen zu untersagen oder an beschränkende Be­ dingungen zu knüpfen, nantentlich die Beobachtung der im Interesse der öffentlichen Gesundheitspflege getroffenen Bestimmungen zu fordern, aber, so lange er sie in feinen Eigenthumsgewässern duldet, darf er sie seiner Jurisdiktion nicht unterwerfen. Daraus ergiebt sich Folgendes: Strafbare Handlungen, am Bord von K. auf hoher See verübt, unterliegen schon nach allgemeinen Regeln der Gerichtsbarkeit des Staates, welchem das Schiff angehört. Aber auch dann, wenn das Schiff nachher in ein fremdes Eigenthumsgewässer kommt und der noch an Bord befindliche Uebelthäter Bürger des Staates ist, in dessen Gebiet das Schiff gelangt, kann dieser letztere

Krug — Krüll.

585

Staat nicht eigenmächtig gegen den Uebetthäter Vorgehen. Ebenso gehören strafbare Handlungen, welche am Bord eines K. in einem fremden Seegebiet begangen sind, zur Kompetenz der Gerichte des Staates, dem das Schiff angehört. Doch mag der Kommandant die Bestrafung den Lotalbehörden dann überlaffen, wenn Thäter und Beschädigter dem Aufenthaltsstaate angehören. Die Exterritorialität der K. hindert die Behörden des Aufenthaltsstaates, Per­ sonen, welche sich an Bord eines solchen Schiffes geflüchtet haben, dorthin zu ver­

folgen. Ob der Kommandant dergleichen Flüchtlinge aufnehmen oder ihnen das erbetene Asyl verweigern, sie ausweisen will, hat derselbe von den Berhältniffen des Falles abhängig zu machen. Eine förmliche Auslieferung an die fremden Behördm vorzunehmen, ist nicht seines Amts. Bgl. dm Art. Marine. Lit.: Ortolan, Bogles intern, et diplomatie de la mer, 4. AuSg., Paris 1864 I S. 178. — Attlmayr,Die Elemente des internationalen Seerechts, Wie« 1872,L S. 24 ff. — Calvo, Le droit international, Paris 1870 I. S. 469, 675. — Phillimore, Commentaries, I. p. 372. B. König. Krug, Aug. Otto, 18. III. 1805 zu Frankfurt a. O., als Sohn des damals dort domizilirenden Prof. Traugott Wilhelm K., praktizirte nach be­ endigtem Rechtsstudium kurze Zeit in Leipzig als Advokat, trat dann in dm Schöppen­ stuhl ein, nach deffen Auflösung (1835) App.Rath in Zwickau, 1845 ins Justiz­ ministerium berufen, bearbeitete namentlich das StrafGB. von 1855, f 17. IV. 1867. Schriften: Selecta de condict furtiva capita, Lips. 1830. — Die Lehre von der Kom­ pensation, Leipz. 1833. — Die bürgerl. Strafe als Bnßzwang, Zwickau 1836. — Studien zur Vorbereitung emer gründlichen Auslegung und richtigen Anwendung des Kriminalgesetzbuchevon 1838, Leipz. 1838. — Ueber die Konkurrenz der Verbrechen und insbesondere über dm Begriff deS fortgesetzten Verbrechens, Leipz. 1842. — Wie läßt sich die Mündlichkeit des Kriminalprozesses mit llrkundlichkeit, Entscheidungsgründen und zweiter Instanz über die That­ frage vereinigen? Leipz. 1847. — Die Grundsätze der Gesetzauslegung, Leipz. 1848. — DaS Jnternationalrecht der Deutschen, Leipz. 1851. — Ueber dolus und culpa, insbesondere über dk« Begriff der unbestimmten Absicht, Leipz. 1854. — Die Lehre vom Bersitche der Berbrechen, Leipz. 1854. — Ueber die legis achones und daS Eentumviralgericht der Römer, (2) Lewz. 1855. — Die Sächs. Staatsverträge zur Beförderung deS Rechtsverkehrs mit dem AuSlande, Leipz. 1856. — Krug und v. Schwarze, DaS GtrafGB. und die StrasPO. für Sachsen, (2) Leipz. 1856, 1861. — Kommentar zu dem GtrafGB. für Sachsen, 1855, (2) 1861—64. — Ideen zu einer gemeinsamen Strafgesetzgebung für Deutschland, Erl. 1857. — Zur Ver­ ständigung über oie Konkurrenztheorre des StrafGB. f. Sachsen, Leipz. 1857. — Zur Lehre von dem fortgesetzten Verbrechen, Leipz. 1857. Lit.: v. Wachter, DaS königl. Sächsische und Thüringische Strafrecht, 1857 E. 86, 38, 52, 54; Derselbe, Beilagen 1877 S. 163. — Goltdammer, Archiv IV. 151, 152; VL 142; VII. 569. — Gericht-saal 1856 TL 54; 1857 S. 124; 1858 S. 79. Teichmann. Krugverlag (Th. I. S. 503), eine der verschiedenen Arten der Bannrechte, gewährt dem Berechtigten die Befugniß, gewiffe Schankstätten mit dm daselbst auSzuschenkendm Getränkm zu versorgen, und den Jnhabem jmer die Anschaffung dieser Getränke anderswoher zu untersagen. Die Geltmdmachung dieser Befugniß seht, wie die eines jeden Bannrechts voraus, daß der Berechtigte im Stande ist, dem Bedürfniß der dem K. unterliegenden Schankstätten Genüge zu leisten. Und zwar ist sie auf diejenigen Getränke zu beschränken, welche der Berechtigte selbst fabrizirt. Der K. kann auch mit dem Brau- und Branntweinzwang verbunden sein. Wie alle Bannrechte, so ist auch der K. durch die neuere Partikulargesehgebung vielfach aufgehoben worden. Wo er noch besteht, unterliegt er nach der RGew.O. der Ablösung. Gsgd.: Preuß. LR, Th. I. Tit. 23 56, 58. — Preuß. Edikt vom 28. Okt. 1810. — Preuß. Gesetz über die polizeilichen Derhältniffe der Gewerbe vom 7. Sept. 1811 § 54. — Preuß. Gew O, vom 17. Jan. 1845 § 5. — RGew.O. § 8. Lit.: v. Rönne, Ergänz, und Erlüut. der Preuß. RechtSb. z. Alla. LR. I. 23 §§ 56 u. 58. — Bornemann, Systematische Darstellung des Preuß. Civ.R., Bo. IV. S. 403 ff. Lewis. Krüll, Franz Laver, s Schuß tödtlich war. Ein „gemeinsam gewußtes und gewolltes", ein „verständigtes" Zusammenwirken ist also zur M. nicht erforder­ lich, es giebt eine „einseitige" M. (anderer Meinung: Schütze, Oppenhoff, Hermes, Olshausen und überhaupt die herrschende Meinung — eine Nach­ wirkung der alten Komplottheorie). Der 8 47 ist freilich nur auf die mit gegen­ seitigem Bewußtsein Zusammenwirkenden („gemeinschaftlich Aussührenden") anwend­ bar. Gleichwol folgt aus dem Begriff der Thäterschaft das oben Ausgeführte auch für das geltende Recht, da dieses keine entgegengesetzte Bestimmung enthält, c) Der Mitthäter muß allerdings in bewußter Weise als Thäter wirksam sein. Wenn A und B verabredet haben, daß A den C, B den treuen Hund des C, der sonst den Mord vereiteln könnte, niederschieße, so ist B nicht Mitthäter, wenn sein Schuß nach dem Hund fehlgehend den C trifft. 3) Wer nicht Thäter eines Verbrechens sein kann, weil ihm die vom Gesetz zur Thäterschaft geforderten persönlichen Erforderniffe mangeln, kann auch nicht Mitthäter sein, also z. B. ein Nichtbeamter kann nicht der M. an einem reinen Amtsverbrechen, eine Frau nicht der M. bei einer Noth­ zucht sich schuldig machen (anderer Meinung: Puchelt, v. Schwarze, Ort­ mann). 4) M. seht voraus, daß mindestens zwei Personen als dolose Thäter wirksam find. Wenn ein Verbrecher gemeinsam mit einem Zurechnungsunfähigen oder einem Menschen, dem das Verbrechen (z. B. wegen Irrthums) nicht oder doch nicht als dolos zuzurechnen ist, das Verbrechen ausführt, so liegt nicht M. vor, sondern jener ist alleiniger Thäter des Verbrechens (theilweise anderer Meinung: Ols­ hausen, falls der „strasunmündige" Mitwirkende sich der „Normwidrigkeit" seines Handeln bewußt war). 5) M. ist wol zu unterscheiden von Mitanstiftung (vgl. z. B. das Erk. des Bad. OHofGer. vom 1. Juni 1878, Stenglein, VIII. S. 71 ff.) und von gemeinsam geleisteter Beihülfe. Für letztere ist § 49, für erstere § 48 maßgebend (unrichtig Olshausen, der in Folge deffen trotz der ausdrücklichen Bestimmung des § 47, daß Mitthäter „als Thäter" zu strafen sind, zu der An­ nahme kommt, sie könnten auch als Anstifter oder gar nur als Gehülfen zu be­ strafen sein).

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Modus.

Der dritte Strafsenat des Reichsgerichts hat in einem Erk. vom 12. Mai 1880 (Rechtsprechung I. S. 764 ff.) im Anschluß an die ganz verfehlten Ausführungen der Motive zum § 47 erklärt, es genüge zur M. Betheiligung bei der Ausführung animo auctoris, wenn dadurch auch nicht ein Merkmal des Thatbestandes „unmit­ telbar" realisirt wird, hat also M. angenommen, obwol der eine der beiden Diebe der Verabredung gemäß bei der Ausführung des Diebstahls nur Wache gestanden war. Gsgb.: Deutsches StrafGB. § 47 (vgl. § 223a). — Das Oesterr. StrafGB. und die Oesterr. Entwürfe enthalten keine Bestimmung über M. Lit.: Geyer in v. Holtzendorff's Handbuch des Strafrechts, II. S. 407 ff.; IV. S. 167 ff.; woselbst weitere Literatur. — Dazu Hermes, Zur Lehre von der Theilnahme, 1878, S. 24 ff. — Waag, Gerichtssaal, 1880, S. 123 ff. und Ruhstrat, ebenda S. 182 ff Geyer.

Modus heißt im Allgemeinen jede Begrenzung eines Rechts, im engeren und technischen Sinne aber die Maßgabe, die einer freigebigen Zuwendung (Schenkung, Erbeseinsetzung, Vermächtniß) zur Erreichung eines Nebenzwecks beigefügt und durch welche daher eine Verpflichtung des Bedachten begründet wird. Die Quellen reden dann von legatum resp, donatio sub modo, noch häufiger von lex donationis (1. 8 C. de cond. ob caus. 4, 6). Den Inhalt des M. kann eine gewisse Verwendung des Empfangenen bilden (ut ex eo aliquid faciat, velut monumentum testatori (1. 17 § 4 D. h. t.), oder auch eine anderweitige Auflage, z. B. die Verheirathung (1. 1 C. h. t). Die Wirkung des M. besteht darin, daß er, wie Savigny sagt, nicht suspendirt, aber zwingt, und zwar zunächst indirekt, indem bei Nichterfüllung des M. die Zuwendung zurückgefordert werden kann, sodann aber auch direkt mittels verschiedener auf Erfüllung der Auflage gerichteter Rechtsmittel. Das erstere Ziel verfolgt die condictio causa data causa non secuta, welche bei willkürlich ver­ säumter Erfüllung gegen den verpflichteten Vermächtnißnehmer vom Erben (1. 21 § 3 D. de ann. leg. 33, 1), gegen den Beschenkten vom Schenker (1.1. 3, 8 C. de cond. ob caus. 4, 6) erhoben werden kann; außerdem hat der letztere, wenn der N. in seiner Alimentation bestand, sogar eine rei vindicatio (1. 1 C. de donat. q. s. m. 8, 55). Diese Rückforderung fällt jedoch weg, wenn der M. zufällig unmöglich geworden ist (1. 1 C. h. t.), worin sich eben der Charakter des M. als eines Neben­ zweckes deutlich offenbart; nur das Preußische Recht läßt auch in diesem Falle die Rückforderung gelten (§ 154 I. 4 Allg. LR.) und verwischt damit den Unterschied zwischen M. und Causa. — Das zweite Ziel, die direkte Nöthigung wird je nach Lage des Falls verschieden realisirt. Besteht der M. in einer Leistung des Erben oder Vermächtnißnehmers an einen Dritten, so gilt dies einfach als Ver­ mächtniß (1. 2 C. h. t.). In anderen Fällen steht der Klage aus dem legatum sub modo eine exceptio doli so lange entgegen, bis wegen der Erfüllung des M Kaution geleistet ist (1. 40 § 5 D. h. t.). Unter Miterben kann der M. im indicium fam. herc. erzwungen werden. Nöthigenfalls tritt bei letztwilligem M. sogar eine Verfolgung von Staatswegen ein (1. 7 D. de ann. leg. 33, 1; 1. 50 § 1 D. de her. pet. 5, 3). Endlich bei Schenkungen hat der Geber auch die actio praescriptis verbis, wie aus einem Innominatkontrakte (1. 8 C. de rer. perm. 4, 64) und der Dritte, zu dessen Gunsten der M. lautete, eine actio utilis (1. 3 C. de don. quae sub mod. 8, 55). Nur wenn der M. blos den eigenen Vortheil des Bedachten im Auge hatte, gilt er als unverbindlicher Rath (1. 71 pr. h. t.); anders freilich nach Preuß. Recht, das auch hier Rückforderung zuläßt (§ 152 I. 4 Allg. LR.). — Die prinzipielle Rechtfertigung dieser zwei Klassen von Rechtsmitteln und damit das Wesen des M. selbst ist Gegenstand lebhaften Streits. Gewöhnlich faßt man den M., weil schon die Römer ihn mit condicio und dies zusammenstellen (vgl. rubr. D. h. t.) als eine Art Willensbeschränkung am. Dabei wird genauer bald der Werth der Gabe (Savigny), bald die Freiheit des Bedachten (Scheurl) als von der Beschränkung betroffen hingestellt. Allein abgesehen davon, daß hiermit die

Mshl.

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Erfüllungsklage nicht erklärt wird, ist auch in Wahrheit weder der Wille, noch das dem Empfänger eingeräumte Recht beschränkt, sondern nur eine obligatorische Pflicht des letzteren begründet. Hiernach ist der M. vielmehr als ein dem Hauptgeschäft beigefügtes pactum adjectum zu fassen, wenn man auch nicht mit Savigny in der donatio sub modo geradezu einen Innominatkontrakt erblicken darf. Den Inhalt jenes pactum bildet eine neben die causa donandi tretende causa Futura (datio ob rem); die erstere geht auf die Bereicherung des Nehmers, die letztere auf den Neben­ zweck, und wie sich aus jener der Ausschluß einer sofortigen condictio ex poenitentia erklärt, so aus dieser die Zuständigkeit der condictio causa non secuta. Die Ver­ stärkung der Obligation bis zu einer Erfüllungsklage erscheint dann als spätere Zuthat, während Savignh diese gerade als Ausdruck der Natur des M. und die Rücfforderung als Ueberbleibsel der Römischen Jnnominatkontraktstheorie betrachtet. Endlich Windscheid läßt den M. ganz in dem allgemeinen Begriff der Voraussetzung aufgehen. Quellen: Titt. Dig. de cond. et dem. et modis 35, 1. — C. de bis quae sub modo relinquntur 6, 45. Lit.: Savigny, System, III. §§ 128, 129; IV. § 175. — Scheurl, Zur Lehre von den Nebenbestimmuugen, Erl. 1871, §§ 71—74. — Wendt, Die condictio ex poenitentia, Erl. 1878, § 6. — Karlowa, Das Rechtsgeschäft, Berl. 1877, S. 174. — Dernburg, Lehrbuch des Preuß. Rechts, I. § 93. Eck.

Mshl, Robert von, Sohn des 1845 gestorbenen Oberkonfistorialpräfidenten und Staatsraths Benjamin Ferdinand von Mohl, £ 17. VIII. 1799 zu Stuttgart, studirte in Tübingen und Heidelberg, promovirte in Heidelberg 1821, machte eine große Reise durch Frankreich, England, Italien und den Skandinavischen Norden (1821—1824), wurde 1824 außerord. Professor der Rechte in Tübingen, 1827 ord. Prof, des Staatsrechts, 1836 Oberbibliothekar, zweimal Rektor, sollte wegen eines in einem Schreiben an seine Wähler niedergelegten politischen Glaubensbekenntniffes, das Regierungsmaßregeln einer scharfen Kritik unterzog, von feinem Lehrstuhl entfernt und als Regierungsrath nach Ulm versetzt werden, was ihn 1845 veranlaßte aus dem Staatsdienste auszuscheiden. 1847 folgte er einem Rufe nach Heidelberg, war Abgeordnetem zur Deutschen Nationalversammlung und 1848 Reichs­ justizminister, 1849 wieder in Heidelberg eintretmd, Vertreter der Universität in der ersten Kammer, wo er für Verwerfung des Konkordats wirkte, Badischer Gesandter am Bundestage 1861—1866, dann Badischer Gesandter in München 1867—1871 und Präsident der Badischen ersten Kammer, sodann Präsident des OberrechnungShofes, Mitglied des Deutschen Reichstages, f 5. XI. 1875 zu Berlin. Berühmt find auch seine Brüder Julius (1800—1876) als Orientalist, Moritz, ö 1802 als nationalökonomischer Schriftsteller und Parlamentarier, Hugo (1805—1872) als Botaniker. Schriften: Discrimen ordinum provincialium et constitutionis repraesentativae, Tub. 1821. — Die öffentliche Rechtspflege des Deutschen Bundes, Stuttg. 1826. — DaS BundesStaatsrecht der Vereinigten Staaten von Nord-Amerika, Tüb. 1824 (Bd. 1). — DaS Staats­ recht des Königreichs Württemberg, Tüb. 1829, 1881; 2. Ausl. 1840; neue Ausgabe der 2. Aust. 1846. — Die Polizeiwiffenschast nach den Grundsätzen des Rechtsstaates, Tüb. 1832 bis 1834, (3) 1865, 1866. — Die pekuniären Bedürfniffe der Universität Tübingen, 1833. — Die Nichtigkeit der Ansprüche des Obersten Sir Armustus d'Este auf Thronfähigkeit in Groß­ britannien und Hannover, Tüb. 1885 (Erw. v. Zachariü, Heidelb. 1836). — Die Ver­ antwortlichkeit der Minister in Einherrschaften mit Volksvertretung, Tüb. 1837. — DaS Württemberg. Polizeistrafgesetz vom 2. Okt. 1839 beleuchtet (Beilaaehest zum Arch. des Krim.R., 1840), Halle 1840. — Geschichtliche Nachweisungen über die Sitten und das Betragen der Tübinger Studenten während des 16. Jahrh., Tüb. 1840, (2) 1871. — Festschrift zur Jubel­ stier deS Königs Wilhelm von Württemberg (mit Sarwey): Geschichte der RechtSgesehaebung während der ersten 25 RegierungSjahre, Ludwiasb. 1841. — Aktenstücke bett, den Dienst­ austritt, Freib. 1846. — Erörterungen über die Württemb. Staatsschuld, 1847. — Vorschläge zu einer Geschäftsordnung des verfaffunggebenden Reichstages, Heidelo. 1848. — Die Geschichte und Literatur der Staatswiffenschasten m Monographien oargestellt, Erl 1855—58. — Zwei

Mottua — Molitor.

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Denkschriften über Nothwendigkeit der Erbauung eines Durchlasses für die Schiffahrt in der zwischen Köln und Deutz zu erbauenden Brücke, Heidelb. 1856. — Encyklopädie der StaatSwiffenschasten, Tüb. 1859, (2) 1872. — Staatsrecht, Völkerrecht und Politik, Tüb. 1860—69, 2. Aufl. 1879 ff. — Die geschichtlichen Phasen deS Repräsentativsystems in Deutschland, Tüb. 1871 (Ztschr. für StaatSwiffenschast). — Das Deutsche Reichsstaatsrecht. Rechtliche und politische Erörterungen, Tüb. 1878. — Kritische Bemerkungen über die Wahlen zum Deutschen Reichstage, Tüb. 1874 (Zeitschr. für StaatSwrffensch ). — Er war als Herausgeber betheiliat au der Krit. Ztschr. für Rechtswiffensch. und Gesetzgeb. des Auslandes. — Gründer, MuHerausgeber und Mitarbeiter an der Zeitschr. für die aesammte StaatSwiffenschast, mitwirkend in der Zeitschr. für Deutsches Staatsrecht und Deutsche Verfaffungsgeschichte von L. K. Legidi, Berl. 1867, Arch. des Krlm.R. u. s. w. Lit.: In memoriam! K A. v. Dangerow und R. v. Mohl. Zwei Nekrologe von H. M., München 1876. — Deutsche Rundschau 1876 Bd. 7 S. 426-440. — Augsb. Allg. Ztg. 1880 S. 974. — Pözl in Krit. D.J.Schr. XVIII. 105-110. — Meier in Zeitschrift für die gesammte StaatSwiffenschast, 1878 S. 431—528. — Im neuen Reich, 1876, S. 241 ff., 281 ff. — Klüpfel, Universität Tübingen, 1877, S. 152. — v. Weech, Aus alter und neuer Zeit, Leipz. 1879. — Revue de droit international, VIII. (1876) p. 545 -548. — Hermann Schulze, Robert v. M., Heidelb. 1880. — Gegenwart 1880 Nr. 13. Teichmann.

Moliua,

Ludovicus, $ 1535 zu Cuenca, Prof, theol. zu Cvora, f 1600

zu Madrid. Er schrieb: Comm. in partem primam summae Th. Aquinatis. — De concordia gratiae et liberi arbitrii. — De Justitia et jure tomi sei, Conchae 1593—1600; Colon. 1614, 1733. Lit.: Kaltenborn, Vorläufer des H. Grotius, Leipz. 1848, S. 142—151.— Hagen­ bach, Kirchengeschichte, 4. Aufl. Leipz. 1872, IV. 549. — Walter, Naturrecht und Politik, 1871, § 528. — Endemann, Studien, I. 49, 170, 350. — Schulte, Geschichte, III.a S. 731. Teichmann.

Molinims (Charles Dumoulin), 6 1500 zu Paris, wurde 1522 Adv., zog sich jedoch zurück, wurde Calvinist, später Lutheraner, flüchtete nach Deutschland, 1553 in Tübingen, dann in Straßburg, Dole, Besan^on, kehrte 1557 nach Paris zurück, wo er neue Verfolgungen erlitt, f 27. XII. 1566 nach Widerruf auf dem Todesbette. Schriften: Comm. in consuetudines Parisienses, Par. 1539, 1554, 1576; Francos. 1575; Lausanne 1576. — Annot. zu Decius, Tartagnus etc. — Extricatio labyrinthi divid. et indiv. — Tract. de eo quod Interest (Gaspar Caballinus), Lugd. 1555. — De Porigine, progrfcs et excellence du royaume et monarcBie des Fran^ais. — Stilus Par­ lament! des du Breuil in den 0. 0. — Tract. commerciorum et usurarum, Par. 1546; Colon. 1567, 1577; Venet. 1576. — Obs. sur l’ädit de Henri II. rel. aux petites dates, 1551. — Ausgabe des Decretum Gratiani, Lugd. 1554, Lovan. 1661. — Conseil sur le Concile de Trente, 1564. — Traite des fiefs, ed. Henrion de Pansey, Par. 1773. — Opera, Par. 1612, 1681. Lit.: Encyklop., 242. — Nouv. Biogr. univ. gen. — Goldschmidt, Handbuch des S.R., (2) Erl. 1875, I. 35. — Stein-Warnkönig, Franz. Staats- und Rechtsaeschichte, . 116, 143. — Vie par Brodeau, Par. 1654. — Auböpin, I)e Pinfluence oe Dum., Par. 1855. — Hello in Revue de lögisl. X. — Ri vier, 494. — Stintzing, Literatur, S. 70; Derselbe, Geschichte der Deustchen Rechtswissenschaft (1880), I. 211, 263, 373, 381 bis 383, 386, 544. — Laurent, L’Eglise et l’titat, 1865 II 306—321. — Zeitschr. des Bern. Juristenvereins, X. 225 — 243. — Endemann, Studien, I. 62. — Recueil de PAcad. de legisl. de Toulouse, IV. 141. — Klüpfel, Universität Tübingen, 1877, S. 30. — Schulte, Gesch., III. b S. 251, der auch S. 253, 259 über Petrus und Louis du Moulin berichtet. — Villequez in Revue de tegisl. 1872, p. 288 ss. Tei chmann.

Molttor(is), Ulrich, aus Konstanz, Decr. D. Papiensis, Advokat und Pro­ kurator, dann am Kaiserlichen und Königlichen Hof, Prokurator und Redner am Kaiserlichen Kammergericht, t 1497. Er schrieb: Lantfrids auch ettlicher camergerichtlicher artickel u. zu dyser zeit lantleuffiger hendel disputirung, Nürnb. 1501. — Von den Unholden oder Hexen (de lamiis et phitonicis mulieribus), 1489; deutsch von Lautenbach, Stratzb. 1575 und abgedruckt in dem Theatr. de veneficis, Frft. 1586. Lit.: Stobbe, Rechtsquellen, II. 181 Nr. 52. — Muther, Zur Geschichte der Rechtswiffenschaft, 1876, S. 123, 124, 194. — v. Wachter, Beiträge, 1845, S. 283. — Stintzing, 471 ff.; Derselbe, Geschichte der Teutschen Rechtswissenschaft (1880), I. 642. — Revue des deux Mondes, 1880, p. 555. Teich mann.

Molttor — MontalBo.

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Molitor, Jean Philippe, 6 1807 zu Luxemburg, wurde 1829 Doktor in Lüttich, dann Staatsanwalt in Arlon, 1834 Professor in Brüssel, t 23. VII. 1849. Schriften: Cours de droit romain approfondi, 1851—53. — Les obligations en droit romain (La possession, la revendication, la publicienne et les servitudes en droit romain), 3. 6d. Paris 1874. Lit: Aubepin in Revue hist, de droit fran$. et etr., I. 1855, p. 198— 208. — Ri vier, 565. — Messager des Sciences hist, de Belgique, 1849, p. 416. — Revue bibl. et crit. de droit fran$ais et etranger, 1853. — Revue crit. de l^gisl., 1851, II. 288. Teichmann.

Molitor, Wilhelm, s Jahrb. I. 334). — Die Uebung der Neutralitätspflichten ist in Neutralitätserklärungen wiederholt den Staatsangehörigen von den neutralen Staatm anempfohlen worden, zuletzt für den Ruffisch-Türkischen Krieg von 1877. (S. die Italienische Neutralitätserklärung vom 28. April 1877, die Englische vom 30. April 1877, die Französische vom 6. Mai 1877, die Oester­ reichische vom 11. Mai 1877 in Martens, Rec. G. II. S6r. Tit. III. S. 208 ff.) Die Pflichtübung der Neutralen ist nicht bedingt durch die Gerechtigkeit oder Un­ gerechtigkeit des Krieges, wie schon Bynkershoek (I. e. I. IX.) gegenüber Grotius (1. c. § 3) ausgeführt hat. — Die Pflichten der Neutralen find: 1) den Kriegführenden die Kriegshülfe zu versagen. Staaten, welche vor dem Ausbruch eines Krieges dem einen der Kriegführenden Kriegshülfe zugesagt haben und fie nach ausgebrochenem Kriege leisten, haben kein Anrecht auf AneÄennung ihrer Neutralität. Als daher Dänemark die für den Fall eines Krieges Rußland vertragsmäßig (1773) Augesagte Kriegshülfe im Kriege dieses Staates mit Schweden (1788) leisten und dennoch neutral bleiben wollte, wurde, trotzdem Schweden diese Neutralität auf Dänemarks Erklärung (den 23. Septbr.) bedingt anzuerkennen bereit war (den 6. Oktober [f. die Korrespondenz bei Phillimore, III. 205 ff.]), dennoch von den vermittelnden Staaten England, Holland und Preußen die Anerkennung der Dänischen Neutralität versagt (Burchardi, 526). Gegen die Anerkennung der Neutralität bei Truppenlieferungen s. auch Phillimore (III. 210). Beispiele der Gewährung der Neutralität trotz Kriegshülfe s. bei Azuni, II. 46 ff. — 2) Den Kriegführenden ihr Gebiet zum Zwecke der Kriegführung zu verschließen. Weder dürfen die Neutralen ihre Städte zum Stützpunkte von Operationen oder Plätze überlaffen (Hübner, 40 ff.; Battel gestattet sogar, im Falle der Noth fich eines neutralen Platzes zu bemächtigen [1. c. § 122]), noch dürfen sie den Kriegsschiffen der Kriegführenden, stationirt in neutralen Gewässern, die Ausführung von kriegerischen Maßnahmen gestatten (Hautefeuille,' 418), noch darf der Kriegführende in ihr Waffer- oder Landgebiet hinein den Gegner verfolgen (Phillimore, III. 226; Berner, 260), oder beim Jagdmachen auf Schiffe des Gegners Kanonenschüsse in das Gebiet oder gar bis an die neutrale Küste richten, wenngleich bei der immer gesteigerten Tragweite der Geschütze die Entfernung, von welcher aus geschaffen werden 55*

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Neutralttätsgesetze.

darf, schwer zu bestimmen ist und die bisherige (3 Meilen) nicht mehr ausreicht, weshalb Spanien für Cuba sogar einen freien Umkreis von 6 Meilen fordert (f. d. Schreiben d. Nordamerikan. Staatssekretärs d. Ausw. an den Englischen Geschäftsträger vom 16. Sept. 1864, in welchem neue Bestimmungen proponirt werden, bei Aegidi, Staatsarchiv, IX. Nr. 1939). — Abweichender Meinung ist Bynkershoek (1. c. I. VIII.), welcher einen auf feindlichem Gebiet angefangenen Streit, dum fervet opus, aus neutralem Gebiet sortzusetzen für erlaubt hält. Das in neutrales Gebiet vertriebene feindliche Korps (Berner, 260) oder Kriegsschiff muß abrüsten und darf nicht zum Kriegsschauplätze zurückkehren (Heffter, § 149). Auch ist der Neu­ trale nicht zur Aufnahme des einen oder anderen verpflichtet (Burchardi, 531), Vattel (1. c. § 133) verlangt raschen Durchzug, indeß ist derselbe an sich un­ statthaft. Zwar erklären sich Grotius (Lib. II. cap. II. § XIII.) und Vattel (1. c. §§ 119 ff.) für das sog. passagium innocuum oder jus transitus innoxii (und erklärt ihn namentlich Grotius für ein Recht), das sogar, falls es überhaupt (Grotius) oder unbegründeter Weise (Vattel) verweigert wird, erzwungen werden dürse, indeß versagen den Durchzug Galiani (I. 203 ff.), Heffter (§ 147) und Burchardi (527) mit Einschluß des Durchzuges durch das neutrale Wassergebiet, und Berner (257) außer im Falle einer Durchzugsservitut, wogegen Phillimore (III. 224) die Bewilligung an beide Theile, nicht blos an einen Theil, für zulässig hält. In Verträgen wurde bald dritten Staaten der Durchzug versagt, bald gegen­ seitig gewährt (s. die Verträge bei Phillimore 1. c. und im Art. Exterri­ torialität Punkt 3). Auch die Durchfuhr von Waffen und Kriegsmunition aller Art durch neutrales Gebiet, sowie die Ausfuhr von Waffen, Kriegsmunition, Pferden u. a. dem Kriege dienenden Gegenständen aus neutralem Gebiet ist unter­ sagt; s. die Preuß. Verfügungen vom 20. März, 1. Juni und 18. Dezbr. 1854 und vom 10. März 1855 bei Soe'tbeer, I. 11; das Englische Verbot der Ausfuhr von Waffen und Munition vom 4. Dezbr. 1861 bei Aegidi, Staatsarchiv, I. Nr. 173; die Belgische Verordnung vom 17. Juli und 5. Aug. 1870 betr. die Ausfuhr von Pferden und Waffen, wobei die Ausfuhr von Luxus- und Jagdwaffen, nachdem dieselben durch einen militärischen Beamten als solche konstatirt worden, durch Verordnung vom 18. Aug. 1870 gestattet ist; durch Belg. Verordnung vom 7. Sept. 1870 wird die Regierung im Art. 1 ermächtigt zum Verbot der Ausund Durchfuhr bestimmter Waaren, nach Art. 2 kann aber wiederum die Aus- und Durchfuhr derselben Gegenstände unter von der Regierung festzustellenden Bedingungen gestattet werden, s. Aegidi, Staatsarchiv, XIX. Beilage zu 1870, Nr. 50, 51, 53, 54; das Holländische Verbot der Aus- und Durchfuhr von Munition und Schießpulver vom 24. Juli 1870 1. c. Nr. 57; den Oesterreichischen Erlaß vom 19. und 21. Juli 1870 betr. das Verbot der Ausfuhr von Pferden und der Aus- und Durchfuhr von Waffen 1. c. Nr. 72, 73. Frankreich erhob im Kriege mit Deutsch­ land (1870) gegen den Transport der Verwundeten des Deutschen Heeres durch das neutrale Gebiet von Belgien und Luxemburg, welchen England zu vermitteln suchte, Widerspruch (s. Aegidi, Staatsarchiv, XX. Nr. 4347). Mit Recht bemerkt da­ gegen Bluntschli in v. Holtzendorss^s Jahrb. I. 333, daß „da die Ver­ wundeten- und Krankenpflege selbst unter den streitenden Armeen bis auf einen gewissen Grad neutralisirt ist, der Benutzung des neutralen Gebiets sowol zum Transport von Verwundeten, als zur Errichtung von Spitälern kein völkerrechtliches Hinderniß im Wege stehe". Englands von den Französischen abweichende Ansichten und neue Propositionen allgemeinen Inhalts s. bei Aegidi, XX, Nr. 4352. Auch die Anlage von Magazinen, die Ausrüstung von Schiffen und Truppen.und ihre Anwerbung auf neutralem Gebiet ist zu versagen (Heffter, 1. e.; Burchardi, 1. c.; Korrespondenz der Vereinigten Staaten von Nordamerika mit England im letzten Amerikanischen Kriege bei Aegidi und Klau hold, Staatsarchiv, IV. Nr. 656, 662—663; IX* Nr. 1907—1920, Nr. 1974 u. 75 [in Bezug auf

RentralitätSgesetze.

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Schiffes; IX. 91t. 1876—1885 [in Bezug auf Truppenanwerbung^. Phillimore verlangt auch hier (III. 211), daß die Neutralen beiden Kriegführenden die An­ werbung von Truppen auf ihrem Gebiet gestatten und daß die Anwerbung mit Be­ willigung der Neutralen geschieht. Zahlreiche Verträge verbieten den Unterthanen der Kontrahenten, in das Heer der Mitkontrahenten zu treten (Manning, 172 ff.), ebenso neuere und neueste, z. B. Rußlands (1870) Neutralitätserklärungen. Daß die Militärkapitulationen der Schweiz, welche seit 1848 durch die Bundesverfassung verboten find, eine Verletzung der Neutralität dieses Landes waren, hat schon Berner (258) bemerkt. Nach dem Vertrag zu Washington zwischen England und den Vereinigten Staaten vom 8. Mai 1871 (Aegidi, Staatsarchiv, XXL Nr. 4497) sollten als Grundlage zur Entscheidung der sog. Alabama-Angelegenheit den Schiedsrichtern folgende Grundsätze maßgebend sein (Art. VI.): Eine neutrale Regierung ist verpflichtet: 1) schuldige Sorgfalt zu üben, um innerhalb ihrer Juris­ diktion die Ausrüstung, Bewaffnung oder Equipirung von Schiffen (the fitting out, arming or equipping), welche sie mit gutem Grunde für bestimmt hält, Kaperei zu treiben oder Krieg zu führen (to carry on war) gegen eine andere Macht, mit der sie im Frieden ist, zu behindern und dieselbe Wachsamkeit anzuwenden, um daS Auslaufen irgend eines Schiffes aus ihrem Jurisdiktionsbezirk zu behindern, welches beabfichtigt, in der oben angeführten Weise Kaperei zu treiben oder Krieg zu führen, nachdem es ganz oder zum Theil in solchem Jurisdiktionsbezirk zum Kriegsgebrauch hergerichtet worden; 2) nicht zu gestatten oder zu dulden, daß ein Kriegführender fich ihrer (sc. der neutralen) Häfen oder Gewäffer zur Basis von Seeoperätionen gegen den anderen Kriegführenden bediene, entweder zur Erneuerung oder Vermehrung von Kriegsvorräthen (military supplies) oder Waffen oder zur Anwerbung (recruitment) von Mannschaften; 8) schuldige Sorgfalt zu üben in ihren eigenen Häfen und Gewäffern, um zuvorzukommen (prevent) irgend einer Verletzung der vor­ genannten Verpflichtungen und Pflichten. — Gleichzeitig erklärte England, daß es den vorstehend bezeichneten Regeln nicht als solchen völkerrechtlichen zustimme, welche zur Zeit der im Art. I. bezeichneten Alabamaansprüche (Alabama Claims) schon in Kraft gewesen, sondern nur in der Abficht, die freundlichen Beziehungen der beiden Länder zu einander zu befestigen und um eine genügende Vorkehr für die Zukunft zu treffen. Endlich kamen die kontrahirenden Parteien überein, diese Regeln in Zu­ kunft in ihren Beziehungm zu beobachten, sie anderen Seemächten zur Kenntniß zu bringen und sie aufzufordern, denselbm beizutreten. — Daß bei der Beobachtung der allein wahren strikten Neutralität die vorstehenden Regeln selbstverständlich find, kann wol keinem Zweifel unterliegen, der Werth solcher Erklärungen kann daher nur darin bestehen, daß zwei so wichtige Seemächte wie die englische und die der Ver­ einigten Staaten fich ausdrücklich zur Beobachtung derselben verpflichteten, daß sie auch in der Praxis dieselben beobachten und daß fie nicht später durch einschränkende Interpretationen die Zugeständniffe wieder schwächen oder unwirksam machen. In letzterer Beziehung erklärte der Englische Premier am 21. März 1873 im Unterhause, daß falls die drei neuen (?) Satzungen des Washingtoner Vertrages über die Neu­ tralen ftemden Regierungen mitgetheilt würden, eine Erklärung des Ministeriums gegen die Erläuterung der Schiedsrichter, sowie die Englische Interpretation beigefügt werden soll. Diese Erklärung wird nun dokumentiren, inwieweit England den für die Zukunft zur Richtschnur angenommenen Grundsätzen treu bleiben will. — 3) Den Kriegführenden keine „unmittelbaren Kriegsbedürfnisse" zuzuführen (M a r q u a r d s e n, 36) und während des Krieges zu liefern. (Ueber Kriegskontrebande s. d. Art. Kontrebande sowie Th. I. S. 1033.) Zwar deduzirte Lampredi (S. 9ff.), daß das Völkerrecht den Neutralen die Lieferung aller Waaren an die Kriegführenden, wenn auch mit voller Unparteilichkeit, an die verschiedenen Parteien gestatte und daß nur Verträge und Sitte Kriegskontrebandeartikel ausgenommen hätten, und stimmt ihm Azuni (II. 53 ff.) bei, und gestaltet auch Burchardi (527) den Unterthanen der Neutralen

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RnrtrslUASGefttze.

an die Kriegführenden Waffen und Munition zu liefern, indeß erklärten sich schon gegen die Zuführung von Sachen, welche in ihrer ursprünglichen Gestaltschon für den Krieg dienen können, Bynkershoek (I. IX.) und gegen die Zuführung von Waffen Galiani (I. 193). England verbot im Kriege Frankreichs gegm Deutschland (1870) seinen Unterthanen nicht, ersterem Waffen zu liefern. Nach dem Urtheile von Grotius, Bynkershoek, Dattel, Martens, Nau, Klüver, Schmalz, Wheaton, Heffter unterliegt nur dann die neutrale Kontrebandewaare der Konfiskation, wenn fie das Kriegsfeld berührt und fich auf dem Wege zum Kriegführenden befindet (Marquardsen, 37 ff.). Daß die unmittelbare Destination ein neutraler Hafen sei, schließt den Begriff der verbotenen Zufuhr nicht absolut aus (Marquardsen, 42). Das Prisenrechtsmanual, publizirt von der Englischen Admiralität, bestimmt: 1) Die Destination eines Schiffes gilt als neu­ tral, wenn der Hafen, wohin es sich begiebt, und alle intermediären Häfen, in welche es während seiner Reise einlaufen wird, neutrale find. 2) Die Destination gilt als feindlich, wenn die bezeichneten Häfen feindlich sind oder wenn das Schiff sich zur feindlichen Flotte auf offener See begeben soll. 3) Die Destination eines Schiffes wirkt auf die Destination der an Bord deffelben befindlichen Waaren zurück. Die Konfiskation beschränkt fich auf das neutrale Kontrebandegut, der Schiffer verliert die Fracht (Marquardsen, 48, 49). Verboten ist den Neutralen die Zuführung von Schiffen, insoweit sie sich überhaupt zu Kriegszwecken eignen und der förmliche Transportdienst für die Kriegführenden, in beiden Fällen erfolgt Kon­ fiskation der Schiffe (Marquardsen, 53 ff.). Verboten ist insbesondere der Transport von Truppen der Kriegführenden, als Hauptaufgabe des bezüglichen Schiffes (s. die Vertr. hierüber bei Marquardsen, 59 ff., die Oesterr. Verordnung vom 25. Mai 1854 bei Soetbeer, I. 10), von Depeschen für die Kriegführenden (nach Ord. in Council vom 15. April, Preuß. Neutralitätserklärung vom 22. April, Schwed. Neutralitätserklärung vom 8. April 1854) (Marquardsen, 67 ff.), dagegen ist nicht verboten die Beförderung von Gesandten der kriegführenden Staaten von neutraler zu neutraler Station (s. die auf den Trentfall bez. Depeschen der Engl., Amerikan-, Franz., Oesterr., Preuß. Staaten bei Marquardsen, S. 117 ff., und die die „völkerrechtlich unstatthafte" Gefangennahme Slidell's und Mason's betreffenden Ausführungen des Prof. Giovanni de Gioannis Gianquinto in seiner Abhandlung über den Trentfall bei Pierantoni, Storia degli studj del diritto internationale, Modena 1869, deutsch von L. Roncali, Wien 1872, S. 180 ff. Der Verfasser meint, daß wenn die Amerikaner der Südstaaten als Rebellen angesehen würden, ihre Kommissäre durch das Asylrecht zu schützen gewesen wären, was zuzugeben ist, da politische Flüchtlinge nicht ausgeliefert werden [f. d. Art. Asylrecht^). Zwischen neutralen Stationen fahrende neutrale Postdampsschiffe passirten in der Regel in den letzten Kriegen frei (Marquardsen, 189). Die Verhaftung von Räubern durch Italienische Beamte am Bord der in den territorialen Gewässern Genuas sich befindenden Aunis, eines Französischen Messageriedampfers, veranlaßte den obengenannten Gianquinto, in einer 1863 erschienenen Schrift für Messagerien, obgleich sie keine Kriegsschiffe seien, Erterritorialität zu be­ anspruchen und berief er sich dabei auf den Konsularvertrag vom 26. Juli 1862 und den Postvertrag vom 4. Sept. 1860, welche die Exterritorialität der Postschiffe in den Binnengewässern anerkennen, indeß ist eine solche prinzipielle Gleichstellung, wie schon Pierantoni, 1. c. S. 186 ff., ausführt, nicht zu statuiren, ist den Post­ schiffen völkerrechtlich nie die Exterritorialität zugestanden (s. d. Art. Exterri­ torialität Punkt 4) und hat auch der angezogene Postvertrag die Meffagerien den Kriegsschiffen nur „sous certains rapports“ gleichgestellt. Ta der Präsident der Vereinigten Staaten von Nordamerika an den Kongreß eine Botschaft zu richten fich veranlaßt gesehen, wonach die den Postverkehr zwischen Nordamerika und Deutsch­ land vermittelnden Dampfer „neutralisirt" werden sollten, welcher Gegenstand aber

NnttralUüttgefetze.

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unerledigt blieb, so ist nach der, übrigens auch im Trentfall praktisch bewährten Ansicht der Vereinigten Staaten, ein Postdampser nicht schon an sich unantastbar. Für die Befreiung der besonders den Verkehr zwischen neutralen Häfen vermittelnden Postdampfer von der Durchsuchung und überhaupt zu Gunsten einer möglichst weit gehenden „franchise“ derselben spricht sich Cauchy in seinem Droit maritime international, Paris 1862, p. 428 ss. aus; s. ebendas, auch Ruffell's Antwort an Seward vom 23. Januar 1862. Auch Marquardsen (Ter Trentfall) hält eine Veränderung in der Behandlung von dem Weltverkehr dienenden Postschiffen für höchst Wünschenswerth (S. 16 ff.) und fordert Befreiung von der Durchsuchung (S. 185 ff.), wobei angeführt wird, daß selbst für die den Verkehr der Länder der Kriegführenden unter einander besorgenden Postschiffe eine Fortdauer des Verkehrs für eine gewiffe Frist festgesetzt ist (z. B. in der Postkonvention zwischen Amerika und England vom 15. Dezbr. 1848 Art. 22) und daß selbst bei förmlichen Blokaden den Postdampffchiffen dennoch Ein- und Auslaufen gestattet wurde, wie z. B. in den Franz.-Mexikan. Streitigkeiten 1838 und während des Dänisch-Deutschen Krieges von 1848 für die Fahrt von und nach Hamburg. — Die Französische Instruction compkmentaire vom 25. Juli 1870 bestimmt in art. 10 und 9, Note 1, daß wenn ein zu vifitirendes Schiff ein mit dem Postdienst betrautes Packetboot ist, welches einen Kommissar der Regierung an Bord hat, deren Flagge es führt, die Erklärung dieses Agenten hinsichtlich der Natur der Depeschen genügt. Der Trans­ port von Depeschen eines diplomatischen Agenten des Feindes, resäirend in einem

neutralen Lande, zieht nicht die Fortnahme des neutralen Schiffes nach sich. — 4) Den Kriegführenden keine Gelddarlehen zu machen (Heffter, § 147; Phillimore, III. 221 ff.). Dattel (1. c. § 110) gestattet sie, wenn sie nicht augen­ scheinlich zu Kriegszwecken und wenn sie gegen eine Rente gewährt werden. Im letzten Amerikanischen Kriege remonstrirten die Vereinigten Staaten gegen eine in England zu Gunsten der Konföderirten zum Zwecke von Kriegsrüstungen kontrahirte Anleihe, das sog. „cotton-loan“ und deklarirten, daß sie in Folge dessen alle die Ausfuhr von Baumwolle betreffenden Milderungen der Blokade sortfallen laffen würden; England notifizirte den Empfang dieser Erklärung (Aegidi und Klau­ hold, IX. Nr. 1886—90). Die Regierung der Vereinigten Staaten von Nord­ amerika konfiszirte, nach Unterwerfung der Südstaaten, die als Pfand für die süd­ lichen Staatsschuldscheine bestellte Baumwolle und verkaufte sie. Englische Kapitalisten ersuchten, unter Berufung auf den Washingtoner Vertrag, die Britische Regierung, jene konföderirten Staatsschuldscheirw in ihrem Namen zu liquidiren. Schwerlich wird aber die Amerikanische Regierung für verpflichtet erachtet werden -können, zum Zweck der Rebellion gegen sie kontrahirte Schulden zu berichtigen oder auch nur die Bezahlung durch andere Schuldner, soweit solche überhaupt in den Südstaaten dazu angehalten werden können, zu vermitteln. Außerdem haben die Vereinigten Staaten schon früher (in einem Schreiben des Staatssekretärs des Auswärtigen vom 13. März 1865, s. Aegidi, Staatsarchiv IX. Nr. 1963) die Zumuthung, die Schulden der Insurgenten, insbesondere das cotton-loan, selbst nach wiederhergestelltem Frieden, zu bezahlen, auf s Entschiedenste zurückgewiesen. Die Französische Regierung soll sogar int Krimkriege an mehrere neutrale Staaten die Forderung gestellt haben, die Notirung der während des Krieges vom feindlichen Staate geschloffenen Anleihen in offiziellen Kurs­ zetteln nicht zu gestatten (Soetbeer, I. 10). — Wenn endlich bei Beginn des achten Jahrzehnts öffentlich Geldmittel, und zwar besonders wiederum in England, zu Gunsten der Karlisten gesammelt und für dieselben Anleihen kontrahirt wurden, was auch am 6. April 1873 Stapleton zu einer Interpellation im Unterhause Anlaß gab, rücksichtlich des förmlich organifirten, aus Engländern bestehenden und öffentlich agirenden Karlistenkomitss, welches mit den Erträgen bedeutender Geldsammlungen Waffen und Armeebedürfniffe nach Spanien an karlistische Banden geschickt, — so ist es wiederum nicht richtig, wenn dieses Gebühren von Stapleton und Eng-

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Neutralitätsgesetze.

lischen und anderen Preßorganen als ein „Neutralitätsbruch" qualifizirt worden, sondern liegt auch hier nur eine Unterstützung von Rebellen vor, welche freilich von der Spanischen Regierung wirksamer zu bestrafen wäre, als es durch Freigebung des Deerhound mit Mannschaft und des Virginius mit überlebender Mannschaft ge­ schehen ist, und kann die Verwendung der verschiedenen Regierungen für diese Schiffe, welche beabsichtigten, eine Rebellion gegen einen mit ihnen im Frieden lebenden Staat zu unterstützen, nur mißbilligt werden, wenn auch den Ausschreitungen der Spanisch-Kubanischen Regierung gegenüber der Mannschaft des Virginius, soweit ihre Gewaltmaßregeln nicht dolose Theilnehmer trafen, nicht das Wort geredet werden soll. Der Englischen Regierung kam eine Verwendung um so weniger zu, als sie den Deerhound schon im Juni 1873 durch die Londoner Polizei, weil sie ihn im Verdachte hatte, mit Waffen und Munition für die Karlisten bestimmt zu sein, hatte überwachen lassen, auch ihn mit Beschlag belegte, ihn freilich aber, weil seine Papiere in Ordnung waren, wieder freigab (Augsb. Allg. Ztg. 1873, Nr. 182). Auch Mitglieder des Karlistenkomit6s standen vor dem Polizeigericht, der Richter­ wies aber den Privatkläger ab, weil ein Kronanwalt die Sache in die Hand nehmen müsse, woraus doch hervorgeht, daß Englische Auffassung auch Geldsammlungen im dritten Staate für Rebellen gegen einen Staat, mit dem man im Frieden lebt, nicht für gestattet hält, wenn auch die Verfolgung der Schuldigen der Englischen Regierung nicht leicht wird. Die Auslieferung des Deerhound und Virginius konnte nur einer­ bedrängten Regierung wie der Spanischen im Augenblick zugemuthet werden und hat sie auch nur deshalb, nicht in Uebung einer Rechtspflicht, die Auslieferung zu effektuiren geneigt sein können. Aus der Pflicht der Unterthanen neutraler Staaten, der Neutralität ihres Staates sich gemäß zu verhalten, kann auch die Pflicht, solche Anleihen, Darbringungen in Geld und Kriegsbedürfnissen den Kriegführenden nicht zu gewähren, gefolgert werden, indeß will Berner (259) nur dem Staat, nicht den Unterthanen solche Gelddarlehen verwehren. Die Frage erscheint zur Zeit kon­ trovers, wenn wir auch den Unterthanen die rechtliche Befugniß versagen zu müssen glauben. — 5) Die Kriegführenden in ihren rechtmäßigen Kriegsoperationen außer­ halb des neutralen Gebietes nicht zu stören, insbesondere aber auch ihre rechtmäßigen Anordnungen wie eine effektive Blokade (s. diesen Art. und Th. I. S. 1032) zurespektiren (He ff ter, ß 147) und sich dem rechtmäßig geübten Durchsuchungsrecht zu unter­ werfen (s. d. Art. Durchsuchungsrecht). — 6) Den Kriegführenden keine Ausübung von Souveränetätsrechten auf neutralem Gebiet zu gestatten, wie namentlich die Truppen­ anwerbungen (s. oben) und die Prisengerichtsbarkeit (Heffter, § 147). — Die Verletzungen der Neutralität durch die Kriegführenden abzuwehren, gewaltsam (Heffter, 145 ff.) oder durch einen Protest (Berner, 258), und keine Konnivenz an den Tag zu legen (Burchardi, 527), widrigenfalls der Neutrale seines Neu­ tralitätsrechts verlustig geht (Berner, 256). — Wenn die Neutralen aus Gründen der Menschlichkeit wiederholt den Kriegführenden Vergünstigungen im Falle der Noth gewährten, sowol einzelnen Personen derselben (Berner, 259; Heffter, § 147) als Korps und Schiffen, so steht den Kriegführenden kein Forderungsrecht darauf zu, wenn'nicht die Neutralen durch Verträge und Neutralität- oder sonstige Erklärungen sich dazu verpflichtet haben. Die Vermuthung, daß falls keine Er­ klärung erfolgt, das Gebiet und die Häfen allen, vor dem Feinde oder Seegefahr Zuflucht Suchenden geöffnet seien (Burchardi, 531), ist daher unbegründet. Richtig stellt Hautefeuille (239) das Gewähren oder Versagen ganz in das Belieben der Neutralen und fordert nur gleiche Gewährung an beide Theile. Ein Asylrecht ist namentlich zu Gunsten der Schiffe der Kriegführenden behauptet worden (Heffter, § 149). Die wegen Seegefahr Geflüchteten können ihre Schäden aus­ bessern und, wenn nöthig, sich approvisioniren, aber nicht mit Kriegsmaterial (Hautefeuille, 242 und 422). Dauernde oder wiederholte Stationirung von Kriegs­ schiffen in neutralen Häfen muß aber als unstatthafte Unterstützung erscheinen, wenngleich

RnrtralttLtSgesetze.

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Schweden und Dänemark sie in ihren Nmttalitätsertlärungen im Krimkriege (Phillimore, III. 207 ff.) anboten bei gleichzeitiger Gewährung der Versorgung mit Lebensmitteln und Waaren, mit Ausnahme der Kriegskontrebande, dagegen ver­ sagten sie Kapern und Prisen den Zutritt, letzteren nur nicht bei Seegefahr; Frankreich gewährte im Amerikanischen Kriege (Erklärung vom 9. Juni 1861 bei Aegidi und Klauhold, Staatsarchiv, I. Nr. 58) Kapern und Prisen, außer im Falle erzwungenen Stillliegens, 24 Stunden Aufenthalt, England gestattete in dem Schreiben des Min. des Auswärtigen an die Lords der Admiralität vom 31. Januar 1862 (Aegidi, Staatsarchiv, II. Nr. 208) Schiffm (Kriegsschiffen oder Kapern) der Kriegführenden Zutritt zu Englischen Häfen nur mit besonderer Erlaubniß der obersten lokalen Englischen Autorität oder bei ungestümem Wetter (stress of weather), mit der Verpflichtung, sobald als möglich wieder in See zu gehen, und das Einnehmen von Provisionen oder Subsistenzmitteln für die Schiffs­ mannschaft und von einem bis zum nächsten Stationsorte der Schiffe ausreichenden Kohlenvorrath, während die Vereinigten Staaten im Orientalischen Kriege auch Kapern und Prisen unbeschränktes Asylrecht einräumten (den 28. April 1855; s. Sammt, off. Act. in Bezug auf Schiffahrt und Handel in Kriegszeiten v. Soetbeer, N. F. II. Nr. 183). Nach den Holländischen ministeriellen Verordnungen vom 14. und 15. April 1854, und nach der Belgischen Mittheilung an den Handelsstand vom 25. April 1854 werden Kaper, mit oder ohne Prisen, in den Häfen dieser Staaten nur im Falle der Seenoth zugelaffen; nach der Erklärung Dänemarks vom 20. April 1854 werden zunächst die Kaper nicht zugelaffen weder in die Häfen noch auf die Rheden und sodann untersagt das Einlaufen jeder Prise, die Fälle konstatirter Seenoth ausgenommen, deren Kondamnation und Verkauf in Dänischen Häfen. Frankreich gewährte in seiner Neutralitätserklärung vom 6. Mai 1877 keinem Kriegsschiff der .Kriegführenden den Zutritt zu Französischen Häfen oder Rhedm und den Aufenthalt daselbst mit Prisen für mehr als 24 Stunden, außer in den Fällen erzwungenen Stillliegens oder gerechtfertigter Noth, auch soll kein Verkauf von Prisen daselbst stattfinden. Die Italienische Neutralitätserklärung vom 6. April 1864 ver­ stattet weder Kriegsschiffen noch Kapern eines kriegführenden Staates mit Beute in die Häfen oder Rheden des Königreichs einzulaufen oder dort zu bleiben, außer dem Fall der Seenoth, sobald diese Ursache aber nicht weiter besteht, sollen die Schiffe von den Küsten des Königreichs sich entfernen. Auch soll weder ein Verkauf, noch ein Austausch, noch ein Versah von Prisegegenständen in dm Häfm oder Rhedm statthaben. Oesterreich gestattete mittels Verordnung vom 7. August 1803 Art. 17 Hinführung von durch Fahrzeuge Kriegführender gemachtm Prisen in alle Oester­ reichischen Häsen, in welchen ein Kommandeur oder Gouvemeur vorhanden, sowie Abladung, Niederlage, Verwaltung, Verkauf und Export der Waaren, falls die Prise als legitime von dem bezüglichen nationalen Prisengerichtshos anerkannt wordm. Noch die Oesterreichische Verordn, vom 25. Mai 1854 gestattete Gleiches, jedoch nur für Triest, und im Art. 2 wird Kapem das Einlaufm im Falle dringender Seegefahr gestattet, indeß dann Bewachung und Nöthigung zum schleunigsten Wieder­ auflaufen angeordnet. — Verträge über das Asylrecht s. bei Hautefeuille, 1. c.; in Gemäßheit derselben und nach Observanz müssen Schiffe gegnerischer Kriegführmder, welche in einem neutralen Hafen zusammentteffen, in einer Zwischenzeit von 24 Stunden den neutralen Hafen verlaffen oder ihre Kommandeure sich zur Unterlaffung von Feindseligkeiten gegen einander verpflichten. — Eine rein formelle Frage ist, ob Neuttale ihre Neutralität verttagsmäßig verbürgt oder beim Beginne eines Krieges verkündigt haben müssen. Ersteres war in früherer Zeit, letzteres ist noch jetzt üblich (z. B. im Krimkriege und im Amerikanischen Kriege s. oben und für den letzteren noch die Erklärungen Englands und Preußens bei Aegidi, Staatsarchiv, I. Nr. 57, 59). Ferner im Deutsch-Französischen Kriege von 1970: die Erklärungen Hollands vom 20. und 27. Juli, Englands vom 19. Juli, Por-

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Nerrtralitittsgesetze.

tugals und Italiens aus demselben Monat, Rußlands vom 11. Juli, der Ver­ einigten Staaten von Nordamerika vom 22. August, Chili's vom 26. Sept, und Peru's vom 24. Okt. bei Aegidi, Staatsarch., XIX. Beil. Nr. 55 und 58, 62, 68, 71, 76, 77, 80 und 81. Die Neutralitätserklärungen im Russisch-Türkischen Kriege s. oben. Auch erkennen die Kriegführenden ihrerseits durch ausdrückliche Er­ klärungen oder auch Verträge die Neutralität der neutralen Staaten an, so z. B. im Deutsch-Französischen Kriege die vertragsmäßige Neutralität Belgiens, Luxem­ burgs und der Schweiz und die freiwillig erklärte Hollands (A e g i d i, Staatsarchiv, XIX. Nr. 4069—4075); rücksichtlich Belgiens s. auch Rolin-Jaeq uemyns in der Rev. d. dr. intern. II. 697 ss. Die Schweiz hat sowol beim Beginn der Italienischen Kriege (1859 und 1866), als des Deutsch-Französischen noch aus­ drücklich ihre vertragsmäßige Neutralität in Erinnerung gebracht und erklärt, daß sie entschlossen sei, ihre Neutralität und die Unverletzlichkeit ihres Territoriums zu ver­ theidigen. Gleichzeitig gab sie auch ihr beabsichtigtes Verhalten gegenüber den Kriegführenden im Falle von Gebietsverletzungen kund, ihre Behandlung von etwaigen Flüchtlingen und Deserteuren rc. und erließ ein Verbot der Ausfuhr von Waffen und Kriegsmaterial (s. Bury, La neutralitö de la Suisse et son Observation durant la guerre actuelle in der Rev. d. dr. intern. II. 636 ss.). In diesen Erklärungen werden entweder die Unterthanen zur Beobachtung der Neutralität in Bezug aus Militärdienst, Blokadebruch rc. bei Androhung von Strafen verpflichtet (s. z. B. die Englische Erklärung) oder wird die Art der Behandlung der Schiffe Kriegführender oder Neutraler festgestellt (s. die Preußische Erklärung und für die erstere die obigen Asylbestimmungen). Die neueste Englische Neutralitätserklärung vom 30. April 1877 verbreitet sich sehr ausführlich über illegales Anwerben, illegalen Schiffsbau und illegale Expeditionen; die Französische Neutralitätserklärung verbietet ihren Angehörigen den Eintritt in den Kriegsdienst der Kriegführenden und die Mitwirkung bei der Versorgung und Ausrüstung eines Kriegsschiffes; die Oester­ reichische Neutralitätserklärung verbietet Oesterreichischen Schiffen Truppen der krieg­ führenden Staaten zu transportiren oder diesen Staaten Kriegskontrebande zuzu­ führen, sowie in wirksam belagerte oder wirksam blokirte Häfen einzulaufen, und gebietet denselben Schiffen, daß sie sich auf offenem Meer der Visitation von Seite der Kriegsschiffe der kriegführenden Mächte nicht widersetzen, sondern im Gegentheil die Papiere und Dokumente, welche die neutrale Eigenschaft des Schiffes beweisen, ohne Anstand vorzeigen, deren keine in die See werfen, noch sonst vernichten, viel weniger deren falsche oder doppelte und geheime am Bord halten. — Beobachten die Neutralen ihre Pflichten, so sind die Kriegführenden verpflichtet, ihre Neutralität zu achten und ihnen Treu und Glauben zu schenken (Heffter, 149, 150; Burchardi, 529 ff.), insbesondere aber sie nicht zur Kriegshülfe zu verleiten oder zu zwingen, das neutrale Gebiet, die Rechte der Angehörigen desselben, ihZe Verhältnisse zu anderen neutralen Staaten und zu dem anderen kriegführenden Theile und beider Angehörigen zu achten (Berner, 260) und ihren Verkehr und Handel möglichst wenig zu behindern. Aus der Gebietsachtung folgt, daß die Kriegführenden im neutralen Gebiet keine Jurisdiktion, namentlich keine Prisengerichtsbarkeit ausüben, keine Truppenerhebungen vornehmen dürfen und daß eine auf neutralem Landgebiet gemachte Beute, sowie die in neutralen Gewässern und von denselben aus auf offener See gemachten Prisen null und nichtig sind (Heffter, 147; Burchardi, 530 ff.). Es verbieten die Ausübung des Prisenrechts in neutralen Gewässern das Dänische Reglement vom 16. Febr. 1864 § 8, das Preußische Prisenreglement vom 20. Juni 1864 § 9, die Oesterreichische Verordnung vom 3. März 1864 § 3, die Französischen Instruktionen vom 25. Juli 1870 § 4 und die dieselben ergänzenden Instruktionen (instr. complömentaires) von demselben Datum § 1, die Russischen Prisenregeln von 1869 § 4; der H 20 der letzteren untersagt: Prisen zu nehmen und zu verfolgen in Binnen- oder geschlossenen Meeren eines nicht kriegführenden Staates, deren

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§§ 27 und 28 aber untersagten vorsätzliche Fortführung eines Kampfes in neutralen Gewässern, und deren § 21 gestattet das Prisenrecht nur auf freiem Meere, d. h. in Gewässern, welche sich nicht unter der Tragweite von Kanonen neutraler Batterien befinden, oder welche vom neutralen Ufer drei Seemeilen entfernt find. Die noch geltende Schwedische Ordonnanz vom 12. April 1808, art. I. § 1 gestattet die Auf­ bringung (saisie) schon in Entfernung von mehr als einer Seemeile vom neu­ tralen Lande, verbietet sie aber unter den Kanonen einer neutralen Festung oder in einem neutralen Hafen. Den Beginn von Feindseligkeiten verbietet Schiffen der Kriegführenden unter den Festungskanonen, am Eingänge der Häfm, in der Nähe der Rhede und mindestens in einer Entfernung von drei Seemeilen von dieser der Ferman der Pforte aus dem März 1793. Ganz allgemein verbietet irgend einen Feindseligkeitsakt in neutralm Häfen und Gewäffern auf Kanonenschußweite die Italienische Instruktion vom 20. Juni 1866 art. IV. Von Verträgen verbieten das Prisenmachen in neutralen Gewäffern beispielsweise schon die Frankreichs mit England vom 26. September 1736 art. 41 und mit Rußland vom 11. Januar 1787 art. 28. Wenn aber trotzdem Prisen in neutralen Gewäffern gemacht werden, so erklärt das Französische Conseil des prises mittels Entscheidung vom 27 fructid. Jahr VIII solche Prisen für null, während die Russischen Regeln §§ 25 und 26 dem bezüglichen neutralen Staat die Prise zusprechen. Außerdem ist der Prisen­ macher zum Ersatz aller durch die Fortnahme dem früheren Eigenthümer verursachten Verluste und Schäden verpflichtet. In Bezug auf den Handel beriefen sich die Kriegführenden auf das Gebot der Noth, welches sie zu Beschränkungen des Handels der Neutralen zwangen und sprachen Grot und Pufendorf sogar von Recht und Vorrechten der äußersten Noth, wogegen schon Galiani (I. 29) remonstrirt, während die Neutralen ungestörten Handel beanspruchen, wofür Lamp re di (24 ff.) und Azuni (II. 50 ff.) .eintraten. Daß Neutrale im eigenen Lande oder sonst auf neutralem Gebiet selbst Waffen und Munition an die Agenten der Kriegführenden verkaufen dürfen (Lampredi, 31; Azuni, 98 ff.; Marquardsen, 37), und nur die Zuführung an den Feind ihnen verboten sei, widerspricht der geforderten Nichtunterstützung der Kriegführenden durch die Neutralen. — Der neutrale See­ handel hat sich immer mehr Freiheit errungen. Das älteste System nimmt, mit seiner Achtung neutralen Eigenthums, seinen Ursprung wahrscheinlich zu Anfang der Kreuzzüge und ist urkundlich verbürgt in Verträgen des 13. und 14. Jahrhunderts, wogegen das Verfallen des feindlichen Eigenthums sich zuerst ausgesprochen findet in Verträgen des 15. Jahrhunderts (Deppisch, 33 ff.). Die verbundenen Sätze: ftei Schiff unfrei Gut — unfrei Schiff frei Gut, sind das System des consolato del Mare (Pardessus, Coll. d. 1. marit. T. II. chap. 231 p. 303). Durch die Bemühungen der Holländer kam das zweite System auf, — wonach feindliches Gut, mit Ausnahme von Kriegskontrebande, nicht am Bord neutraler Schiffe verfiel, wogegen konzedirt wurde, daß neutrales Gut am Bord feindlicher Schiffe verfiel, — und hiermit das System: frei Schiff ftei Gut — unfrei Schiff unfrei Gut. Frankreich erkannte meist nur den ersteren Satz an (Deppisch, S. 51 ff.). In der Deklaration Katharinas II. vom 28. Febr. 1780 (Mart. Ree. III. p. 158) wurden die Güter der Unterthanen der Kriegführenden auf neutralm Schiffen für frei erklärt, mit Ausnahme der Kriegskontrebande: ftei Schiff ftei Gut, welcher Satz auch in die Konvention zwischm Schweden und Rußland vom 4./16. Dezbr. 1800 (Art. 3) überging (über die Güter auf feindlichm Schiffen wurde nichts bestimmt), während die Petersburger Neutralitätskonvention vom 17. Juni 1801 zwischen Ruß­ land und Großbritannien feindliches Eigenthum auf neutralm Schiffen wieder versallen läßt: ftei Schiff unfrei Gut, womit Englands Anschauung zur Geltung kam; Rußland erklärte sich aber schon 1807 wieder für den Satz „ftei Schiff ftei Gut", während Frankreich, demselben treu bleibend, dabei nicht von dem Sah „unfrei Schiff unfrei Gut" ließ; den ersteren Satz aber suchten die Vereinigten Staaten

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Neutralitätsgesetze.

von Nordamerika wenigstens für alle Amerikanischen Staaten zur Geltung zu bringen. Im Krimkriege erkannte England am 28. März 1854 den Satz „frei Schiff frei Gut" (die Englische Deklaration wurde erläutert durch Geheimrathsbefehl vom 15. April 1854, s. denselben bei Soetbeer, I. 9), Frankreich am 29. März d. I. den Satz „unfrei Schiff frei Gut" an. Rußland erkannte in seiner Bekannt­ machung vom 18. April 1854 beide Sätze an (Soetbeer, 1. c.), ebenso die Ver­ einigten Staaten von Nordamerika in ihrer Konvention mit Rußland vom 22. Juli 1854. In der Botschaft des Präsidenten an den Kongreß vom 4. Dez. 1854 wird erklärt, daß Vorschläge zu einer Konvention gleichen Inhalts wie mit Rußland, seitens der Vereinigten Staaten an die verschiedenen Europäischen und Amerikanischen Staaten gerichtet worden. — So kam das dritte System zur Geltung: frei Schiff frei Gut — unfrei Schiff frei Gut, welches der Pariser Kongreß in seiner Erklärung vom 16. April 1856 inaugurirte, der 37 Staaten beitraten; die Vereinigten Staaten versagten den Beitritt mittels Noten vom 14. und 28. Juli 1856, indem sie jene Sätze zwar anerkannten, aber der gleichzeitig beschlossenen Abschaffung der Kaperei nur bei voller Sicherheit des Privateigenthums von Unterthanen oder Bürgern eines kriegführenden Staates, mit Ausnahme von Kriegskontrebande, gegen Wegnahme am hoher See durch Kriegsschiffe des anderen kriegführenden Theiles, beitreten wollten, weil die Vereinigten Staaten von Nordamerika keine große Kriegsflotte besäßen, sondern nur leichte, zur Küstenbewachung geeignete Schiffe und sie daher auf das Recht, im Kriegsfall zum Schutz der Handelsmarine Kaper auszurüsten, nicht Ver­ zicht leisten könnten, indem sonst ihre Handelsschiffe den Kriegsschiffen des Feindes gegenüber, so lange erstere nicht durch den Grundsatz der Freiheit des Privateigen­ thums schon geschützt seien, schutzlos sein würden. Spanien versagte seinen Beitritt zur Pariser Seerechtsdeklaration gleichfalls wegen der Abschaffung der Kaperei, während Brasilien in seiner Note vom 18. März 1858 nur den Wunsch aussprach, daß „tonte propriätä particuliöre inoffensive, sans exception, des navires marchands, doit etre placöe sous la protection du droit maritime ä, l’abri des attaques des croiseurs de guerre“ und sich bereit erklärte, diese Modifikation sofort zu beobachten. (Aegidi, Staatsarchiv, II. S. 29 ff. und Cauchy, 1. c. II. 406 ss., welcher außer den bei Aegidi namhaft gemachten der Pariser Seerechtsdeklaration bei­ getretenen Staaten noch anführt Frankfurt a. M., indeß ohne Angabe des Datums seines Beitritts.) Die Agitationen für diese Freiheit, insbesondere durch die BremerKaufmannschaft, die Resolutionen, insbesondere der Beschluß des Norddeutschen Reichstages vom 18. April 1868 (stenogr. Ber. mit Vorw. v. Aegidi, Berlin 1868; s. auch Aegidi, Staatsarchiv, XIV. Nr. 3304) und die diplomatischen Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten von Nordamerika haben weder diese zur vollen Anerkennung der Pariser Deklaration (ein dieselbe enthaltender Vertrag mit Rußland vom 24. August 1861 wurde nicht ratifizirt) bestimmt, noch die Frei­ heit des Privateigenthums zur See in Kriegszeiten erworben. Anerkannt ist letztere im Art. 23 des Vertrags von 1785 zwischen Preußen und den Vereinigten Staaten (antiquirt), im Vertrage zwischen Costa-Rica und Neu-Granada vom 11. Juni 1856 Art. 9, im Kriege der Westmächte gegen China (Französische Note an die Hansestädte vom 30. Juni 1859, Englische Note an dieselben vom 4. Juli 1859), und nach dem Prinzip der Gegenseitigkeit im Italienischen Kodex für die Handels­ marine vom 25. Juni 1865, durch' Oesterr. Verordn, vom 13. Mai 1866 und Preuß. Erlasse vom 19. Mai 1866 und im Kriege gegen Frankreich (1870), ohne Aussprechen des Prinzips der Gegenseitigkeit. In Veranlassung einer Note des Holländischen Ministers des Auswärtigen vom 11. Januar 1860 hatten sich von anderen Staaten schon früher, außer Holland, für die Unverletzlichkeit des Privat­ eigenthums erklärt: Dänemark, Hannover, Bremen und Lübeck (Nr. XXXIII—XXXVIII in Beilage zum Staatsarchiv Bd. Xv. Aegidi, „Frei Schiff unter Feindes Flagge"). Rußland ist trotz mehrerer früherer Erklärungen zu Gunsten der Unverletzlichkeit

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auch des feindlichen PrivateigenthumS im Seekriege, nach Art. 5 des Ukases vom 24. Mai 1877, in Bezug aus feinen Krieg gegen die Türkei innerhalb der See­ rechtsdeklaration verblieben, da ja auch die Türkei sich nicht zu weiteren Kon­ zessionen herbeiließ. — Von allen Staaten war wesentlich nur England abgeneigt. („Frei Schiff unter Feindesflagge", Beil. z. Staatsarchiv; Einleitung und Aktenstücke.) Frankreich hat im letzten Kriege die von ihm sonst erstrebte Freiheit des PrivateigenthumS verleugnet. Der Norddeutsche Bund publizirte zwar am 18. Juli 1870, daß Französische Handelsschiffe der Aufbringung und Wegnahme durch die Fahrzeuge der Bundeskriegsmarine nicht unterliegen sollten, mit Ausnahme der­ jenigen Schiffe, welche der Aufbringung und Wegnahme auch dann unterliegen würden, wenn sie neutrale Schiffe wären; das Deutsche Reich setzte aber mittels Verordn, vom 19. Januar 1871 jene Verordnung außer Kraft (s. B.G.Bl. des Norddeutschen Bundes von 1870 Nr. 27 und des Deutschen Reiches von 1871 Nr. 609). Von Schriftstellern find gegen die Freiheit des PrivateigenthumS auf­ getreten Schwebemeyer, Das Privateigenthum zur See im Kriege, Berlin 1860, und Hautefeuille, Proprfetös privdes des sujets belligdrants sur mer, Paris 1860, letzterer nach Tecklenborg, welcher in seiner Schrift: Die Freiheit des Meeres, Bremen 1870, gegen beide in überzeugender Weise austritt. Ferner führt Pterantoni, 1. c. S. 190 ff., noch an: Ercole Vidari, Del rispetto della proprietä privata dei popoli belligeranti, Milano 1865, und E. Cauchy, Du respect de la propriötö privde dans la guerre maritime, 1856, welche beide in diesen Schriften für die gedachte Freiheit sein sollen. Asher, Essai concernant les principes h poser pour le droit maritime international de Pavenir, Hamburg 1856, hat (p. 44) als Ziel des internationalen Seerechts hingestellt, daß das Privateigenthum zur See keinem strengeren Kriegsrecht unterworfen werde als das zu Lande, während Tecklenborg, 1. c. S. 40, folgmde Postulate aufftellt: 1) die Benutzung des Meeres als Wafferitraße und zum Fischfang ist frei; 2) Handels­ schiffe des einen Staates dürfen von Schiffen anderer Staatm weder angehalten noch anderweitig belästigt werden; 3) Blokaden dürfen nur vor Kriegshäfen und Festungen errichtet werden. Mit Annahme des zweiten Vorschlages würden auch das Durchfuchungsrecht und die Kriegskontrebande fortfallen. — In einer schon 1780 er­ schienenen Schrift: Die Freiheit der Schiffahrt und Handlung neutraler Völker im Kriege (A. d. Franz. Deutsch, Leipzig) erklärt der Verf. (VI.) für eine angemaßte Gewalt der Kriegführenden, neutrale Schiffe in offener See anzuhalten, und ver­ langt: „uneingeschränkte Handelsfteiheit neutraler Staaten selbst mit Waffen und Kriegsbedürfnissen" und provozirt (XI.) ein „mit allgemeiner Einwilligung aller Europäischen Fürsten und Staaten gemachtes Kriegs- und Seerecht", zu dessen theilweiser Realifirung, nach fast 100 Jahren, Aussicht war, wenn die früher verbreitete Nachricht sich bestätigt hätte, daß Preußen ein die Neutralen betreffendes Seerecht den anderen Staaten vorzulegen bereit ist und dasselbe die Zustimmung dieser findet, während fteilich auf Englands Wunsch das Seekriegsrecht von den Verhandlungen der späteren Brüsseler Konferenz (Juli, August 1874) ausgeschlossen wurde. Aus­ führlich behandelt die wünschenswerthen Fortschritte Cauchy, Le droit marit. Internat, II. 455 ss., erkennt die nothwendige Langsamkeit derselben an und hofft, daß die Handelsfteiheit auch dem Handel der Kriegführenden zu Gute kommen werde, „ä, condition que ce commerce se fera neutre, en ne transportant que des denröes inoffensives“. Marquardsen (Trentfall, S. 182) spricht sich gegen die völlige Freiheit der Waffenzufuhr aus, wogegen die unmittelbare Bestimmung eines Schiffes mit Kriegsmaterial für einen neutralen Hasen, der sich nicht etwa im Besitz des Feindes befindet oder einer feindlichen Kriegsmacht Obdach bietet, den Begriff der Kontrebande und der Zuführung zum Feinde ausschließt. Uns scheint, daß das Mögliche zu erstreben ist zur Freiheit des Handelsverkehrs und PrivateigenthumS auch während des Krieges, daß aber die Neutralen in keiner Weise den .Krieg-

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führendm durch ihren Handel unterstützen dürfen. Das Verbot der Kontrebande kann aber nach den Erfahrungen des Deutsch-Französischen Krieges wol schwerlich schon jetzt kasfirt werden und wol auch nie; mit demselben behalt auch das DurchsuchungSrecht Bestand. Das Institut de droit international hat sowol in seiner Jahresfitzung von 1875 im Haag als auch in der von 1877 in Zürich sich entschiedm für die Un­ verletzlichkeit des Privateigenthums ausgesprochen. Im Haag acceptirte das Institut (Referent: Prof. E. Laveleye) folgende Konklusionen: I. Das Prinzip der Un­ verletzlichkeit des feindlichen Privateigenthums unter neutraler Flagge ist als Grundsatz des positiven Völkerrechts anzusehen. II. Zu wünschen ist, daß das Prinzip der Unverletzlichkeit des feindlichen Privateigenthums unter feindlicher Flagge in folgender, dm Erklärungen Preußens, Oesterreichs und Italiens von 1866 entlehntm Fassung zur Annahme gelangt, jedoch unter der sub III. bezeichneten Einschränkung: „Die Kauffahrteischiffe und ihre Ladungen find nur zu kapturiren, wenn sie Kriegskontrebande transportiren oder eine effektive und erklärte Blokade zu brechen suchen". III. Die vorhergehende Bestimmung ist nicht anwendbar auf Kauffahrteischiffe, welche, direkt oder indirekt, Theil nehmen, oder bestimmt sind Theil zu nehmm an Feind­ seligkeiten. In Zürich (Referent: Prof. Bulmerincq) lautete die erste Konklusion: „Rmtrales oder feindliches (Privat-)Eigenthum unter neutraler oder feindlicher Flagge ist unverletzlich". Die Konfusion 2 bezieht sich auf die Gegenstände der Saifie, die Konklusion 3 auf die Blokade, die Konklusion 4 bestätigte das Verbot der Kaperei, die Konklusion 5 betrifft das Vifitationsrecht. Gegen die Bestimmungen über die Unverletzlichkeit des feindlichen Privateigenthums unter feindlicher Flagge erhoben nur Widerspruch aus den anwesenden Jnstitutsmitgliedern: Engländer (stehe die bezüglichen Verhandlungen im Annuaire de l’institut de droit international II. S. 55—113). Die genannten Konklusionen sind weiter ausgeführt in dem, dem Instit. d. dr. intern. 1879 in Brüffel vorgelegten Entwurf eines internationalen Prisenreglements (Referent: Prof. Bulmerincq). Vorbereitet sind die angeführten Beschlüsse im Haag durch den Referenten Laveleye, Rolind. Jüngere und P i e r a n toni- in der Revue de dr. intern. VII. 560 ff.; in Zürich durch den Referenten Bulmerincq in dem Annuaire de Vinstit. II. 58 ff.; die bezüglichen Bestimmungen des internationalen Prisenreglements aber durch denselben in der Rev. d. dr. intern. XI. 582 ff. Der Entwurf dieses Reglements unterliegt der Berathung und Beschlußfassung des Instituts. Endlich ist zu entscheiden, ob der Neutrale in Kriegszeiten einen ihm im Frieden nicht gestatteten Handel treiben darf, zwischen dem Mutterlande und ben Kolonien, an der Küste der Kriegführenden, von einem eigenen Hasen zum Hasen einer Kolonie des Kriegführenden, zwischen den Häfen der Kriegführendm, aber mit einer Ladung des, Landes der Neutralen (Phillimore, III. 298 ff.); Heffter (§ 165) behandelt den zweiten und dritten Fall unter der Kategorie der zweifelhaften Fälle eines neutralen Handelsverkehrs; v. Kaltenborn (II. §§ 226 und 227) versagt die Beförderung von feindlichem Eigenthum durch den Küsten­ handel der Neutralen und durch den Kolonialhandel auf neutralen Schiffen, gestattet letzteren dagegen, wenn das Kolonialgut bereits neutrales Eigenthum in den neu­ tralen Schiffen ist. Wir wissen, unter der Ausschließung feindlichen Eigenthums und der Kriegskontrebande, nichts einzuwenden gegen den Handel der Neutralen zwischen den nicht blokirten Häfen der Kriegführenden. In Friedenszeiten war im vorigen Jahrhundert der Kolonialhandel beschränkt auf den mit dem Mutterlande und zwar in Nationalschiffen. Die Franzosen suchten aber nach Vernichtung ihrer Seemacht während des siebenjährigen Krieges den Verkehr mit den Kolonien wenigstens dadurch aufrecht zu erhalten, daß sie ihn den Neutralen öffneten. Die Engländer erklärten hierauf jedes bei diesem Handel betroffene Schiff für gute Prise und kondemnirten es sammt der Ladung. Nach dem Anfangsjahr des Krieges wurde das die

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Regel (role of war) von 1756 genannt. Durch Kabinetsordre vom 6. Nov. 1793 wurden die Englischen öffentlichen und privaten Kaper angewiesen, alle Schiffe, die mit Erzeugniffen einer Französischen Kolonie oder mit Vorräthen und Waaren für eine solche beladm seien, anzuhalten und zur gesetzlichen Zuerkennung aufzubringen. Schon 1794 wurden aber'diese Instruktionen beschränkt auf solche Schiffe, die, mit Erzeugniffen der Franz.-Westindifchen Inseln beladen, direkt von einem Hafen der­ selben nach Europa segelten und 1798 war allen neutralen Fahrzeugen der Handel zwischen den feindlichen Kolonien und ihrem eigenen Heimathlande, sowie mit Groß­ britannien erlaubt. 1803 wurde indeß letztere Erlaubniß wieder aufgehoben, mußte ferner die Ladung neutrales Eigenthum sein, durften die Schiffe dem FeindeKriegSkontrebande nicht zuführen, noch 'auf der Hinreise zugesührt und endlich nicht mit einem blokirten Hafen verkehrt habm. (Asher, Beiträge zu einigen Fragen über die Verhältniffe der neutralen Schiffahrt in Kriegszeiten, Hamburg 1854, S. 27 ff.; Geßner, 14 und v. Kaltenborn, II. § 227.) — Die Verletzungen der Neu­ tralität durch die Neutralen find Verletzungen ihrer eigenen Erklärungm, habm zur schlimmstm und allgemeinsten Folge die Nichtanerkmnung der Neutralität durch die Kriegführendm und berechtigm diese zu Repressalien oder zu einer Kriegserklärung (Heffter, § 146). Bei Verletzung der Blokade (Th. I. S. 1032 ff.), Zuführung von Kriegskontrebande, von zu Kriegszwecken geeigneten Schiffm, Beförderung feindlicher Mannschaftm oder Depeschm oder überhaupt Transportdienst für die Kriegführendm treten Beschlagnahme, Wegführung und Kondemnation des Schiffes oder nur der Kontrebande oder Ladung durch den benachteiligten Kriegführenden ein (Heffter, 171, s.d.Art. Prisengerichtsbark eit, Th. I.S. 1036 ff.; v. Kaltenborn, II. §227). Außerdem verliert der Schiffer seine Fracht. Prismreglemmts und Verträge laffm Schiff und Ladung für Blokadeverletzungm verfallen. Dagegm verfallen Kriegs­ kontrebande dem Feinde zuführende Schiffe, wenn nicht die Ladung derselben zum größtm Theil oder vollständig aus Kriegskontrebande bestand, in der Regel nicht. Das Dänische Reglement vom 16. Febr. 1864 § 116, das Preußische § 7, 2, die Oesterr. Verordn, vom 3. März 1864 § 6 laffm neutrale Schiffe verfallen, wmn die ganze Ladung derselben aus Kriegskontrebande besteht; besteht nur ein Theil derselben daraus, so entgeht das Schiff der Konfiskation durch fteiwillige Aus­ lieferung der Kriegskontrebande. Auch die Russischen Prismregeln von 1869 halten nach § 76 nur dann ein neutrales Schiff zurück, wmn es ausschließlich für den Feind bestimmte Kriegskontrebande mthält, besteht dagegm aus solcher nur ein Theil der Ladung, so kann nach § 77, falls kein Versuch stattfand, diesen Umstand durch gefälschte Papiere oder durch eine falsche Destination zu ver­ bergen, der Schiffer der Fortnahme des Fahrzeuges mtgehen durch gutwillige Angabe der Kriegskontrebande. Die Oesterr. Verordn, vom 9. Juli 1866 modifizirt § 5, d die obige Oesterr. Verordn, dahin, daß die Menge der Kriegskontrebande im Ver­ hältniß zur übrigm Ladung erheblich sein muß, damit die sie führenden Schiffe verfallen; die Französischen Instruct. compfem. (1870) verlangen zur Freigebung des Schiffes, daß die Kriegskontrebande weniger als s/4 der gesammten Ladung ausmache. Schon Verträge Rußlands mit Portugal vom 9./20. Dezbr. 1787 art XXVII. und mit England vom 10./21. Febr. 1797 art. 11 und vom 5./17. Juni 1801 art. 3 laffm das Schiff frei, falls der Schiffer die Kriegs­ kontrebande abgiebt. Wegen des Transports von feindlichen Depeschm und feind­ licher Korrespondenz, feindlicher Truppen, von Kriegsschifffourniture an den Feind sollen, nach dem Rusfischm Ukas vom 24. Mai 1877 neutrale Schiffe, welche ergriffen wurden in flagranter Zufuhr solcher Ouafi-Kriegskontrebande, je nach dm Umständen saisirt oder konfiszirt werden. Auch die Französischen Instr. compl. art. 9 unterwerfen der Kaptur das, Truppen und offizielle Depeschen für den Feind transportirende Schiff, indeß wird wol kaum ein Depeschentransport den Verfall eines Schiffes nach sich ziehm können. Andere bezügliche Verordnungen führen entweder

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diese Ouafi-Kriegskontrebandefälle überhaupt nicht an, oder nicht deren Rechtsfolgen. — Die von den Neutralen im Kriege Frankreichs gegen Deutschland (1870) verlaut­ barte Absicht, „dm Krieg zu lokalifiren", ist nur bei strmger, allein völkerrechts­ gemäßer Neutralität zu verwirklichen. Das in Gent im Jahre 1873 gestiftete In­ stitut für Völkerrecht hatte für die Versammlung in Genf (Aug.-Sept. 1874) aus die Tagesordnung gesetzt: „Examen des trois rägles de droit international mari­ time, proposäes dans le traitö de Washington“ und zu Mitgliedern der Com­ mission d’ötude ernannt Bluntschli, Carlos Calvo, Hautefeuille und Rolin-Jaequemhns, zu konsultirendm Mitgliedern von dm beidm, dm Vertrag zu Washington unterzeichnet habenden, Staatm, für England Lorimer, für die Vereinigten Staaten Woolseh. Von allen diesen wohnte nur Bluntschli der Berathung der drei Fragen in Genf bei, es waren aber längere oder kürzere Artikel von allm genannten bis auf Hautefeuille eingegangm. Calvo schlägt dm Abschluß eines Vertrags unter möglichst vielen Staatm vor über die Rechte und Pflichten der Nmtralität, deffen erster Artikel die Freiheit des Privateigentums zur See erklärt, den Verzicht aus die Ausrüstung von Kapern ausspricht und auf die Verfolgung von Kauffahrteischiffen der Feinde und Neutralen außer im Falle des Seeraubes, der Verletzung der Blokade oder der Beftachtung von Kriegskontrebande. Nach Art. 2 soll ein Kauffahrteischiff nur dann ergriffen, fortgenommen oder verurtheilt werden, wenn der Kommandant einer der zur Auftechthaltung der Blokade bestimmten Kreuzer demselben die Existenz oder Fortdauer der Blokade notifizirt und der Kapitän des Kauffahrteischiffes den Empfang der Mittheilung be­ scheinigt hatte; Art. 3 zählt die Kontrebandenartikel auf; Art. 4 fordert die Neu­ tralitätserklärung von jedem nmtral bleiben wollenden Staat innerhalb der auf die Kriegserklärung folgendm drei Monate; Art. 5 bestimmte die Pflichten der Neutralen; Art. 6 die zur Beobachtung derselben erforderlichen geschlichen und administra­ tiven Maßregeln; Art. 7 die Folgen der Nichtbeobachtung; Art. 8 die Wirkungen der Beobachtung, namentlich die Fortsetzung des Handels, außer mit Kriegskontrebande und mit Ausnahme des Handels mit den blokirten oder beschten Plätzen. — Lorimer's Smtenz ist zwar originell, aber nicht acceptabel; Woolsey ist der Ansicht, daß das Schiedsgericht in Genf die drei Regeln richtig interpretirte, daß aber, da die Parteien nicht in Bezug auf den ihnen beizumeffenden Sinn überein­ stimmen, die beiden Staaten darauf verzichten müßten, ihre Annahme den anderen Staaten zu empfehlen und andere llarere Regeln für die Zukunft vorzubereiten hätten. Rolin-Jaequemyns hält sich streng an die gestellte Aufgabe, hält die Interpretation der „du diligence“ (1. und 3. Regel) durch das Genfer Schieds­ gericht für nicht korrekt, acceptirt die Interpretation desselben rückfichtlich der Pflichten der neutralen Staaten innerhalb ihres Jurisdiktionsbezirks (s. d. 1. Regel), glaubt, daß durch die Regeln der Verkauf und die Ausfuhr der Waffen im gewöhnlichen Gange des Handels nicht ausgeschloffen sei, hält einen Transport von Kohlen nur je nach den Umständen, nicht absolut für statthast oder unstatthaft und unterscheidet bei dem Verkauf den von Waffen und Schiffen, indem nur letztere unmittelbar den Kriegszwecken dienen. Bluntschli hat, nach Widerlegung einiger Ansichten der Vorhergenannten und Beistimmung zu anderen, die drei Regeln für keine neuen Grundsätze des Völkerrechts erklärt; und serner verlangt: daß die Mißachtung der Pflicht des neutralen Staats, wenn sie nicht zugestanden oder notorisch ist, erwiesen werde; daß der durch Verletzung der Neutralitätspflicht betroffenen Macht nur in schweren Fällen und nur während des Krieges das Recht eingeräumt werde, die Neutralität als erloschen zu betrachten und die kriegerische Selbsthülse auch wider den neutralen Staat zu üben, während leichtere Fälle und Streitigkeiten nach Be­ endigung des Krieges dem schiedsrichterlichen Verfahren ex bono et aequo über die durch den neutralen Staat dem Verletzten zu zahlende Entschädigung überwiesen werden müßten.

Neuwahlen.

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We auch die vorstehende Darstellung erweist, herrscht in Bezug am die Neu­ tralitätsbestimmungen unter Theoretikern sowol als in Verordnungen, Erklärungen und Verträgen Verschiedenheit und Unsicherheit, eine Revision dieser Lehren vom Rechtsstandpunkte, sowie eine Vereinbarung der Neutralitätsbestimmungen durch die Staaten ist daher gefordert. In letzterer Beziehung habm die Staatsregierungen wiederholt von der Russischen Erklärung von 1780 an übereinstimmende Reformen und ein allgemeines Reglement erstrebt. Wir erinnern hier nur an den Vertrag Rußlands mit Dänemark vom 9. Juli 1780, in dessen Introduktion als sein Zweck angegeben wird: „de former et de räunir en un corps Systeme permanent et immuable les droits Prärogatives, limites et obligations de la neutralitä“. Der Beitritt aller Staaten zum System der Neutralität und zu den Prinzipien des Vertrages sollte die Basis eines „Code maritime univ er sei“ bilden; wir erinnern an die Verträge Preußens und der Vereinigten Staaten vom 10. Septbr. 1785, 11. Juli 1799 und vom 1. Mai 1828, welche gleiche Reformen in Aussicht nehmen, und wir erinnern endlich an dm Entwurf einer internationalen Konvention zurRegelung der Prinzipien derNeutralität, welcher von dem Präfidmten der Vereinigten Staaten Nordamerikas, James Monroe, den Regierungen von England, Frankreich und Rußland vorgelegt wurde.

Lit.: Soetbeer, Sammlung offizieller Aktenstücke in Bezug auf Schiffahrt u. Handel in Kriegszeiten, Hamburg 1855—1862. — Asher, Sammlung amtlicher Verordnungen und Erklärungen über das Verhalten der neutralen Schiffahrt und Handels während des gegen­ wärtigen (Krim--Krieges in den oben cit. Beiträgen von Asher, Hamburg 1854. — Aegidi, Staatsarchiv — Martens, Rec. — Bluntschli, Das Recht der Neutralität in seinem „modernen Kriegsrecht als Rechtsbuch", Nördlingen 1866, S. 47 ff. — Weiss, Code du devoir et du droit d’une puissance neutre, Paris 1854; Derselbe, Code de droit maritime international, Paris 1858, beide nur der Bezeichnung, nicht dem Wesen nach Co­ dices. — Reddie, Researches historical and critical in maritime internal, law, Edin­ burgh 1844, 1845. — Hautefeuille, Histoire des origines, des progrfcs et des variations du droit maritime international, Paris 1858. — Abhandlung von der Neutralität u. HülfSleistung in Kriegszeiten, 1758. — Huebner, De la saisie des bätiments neutres, A la Haye 1759. — Galiani, Recht der Neutralität, Leipzig 1790 (deutsch von Cäsar!. — Lampredi, Ueber den Handel neutraler Völker in Kriegszeiten (deutsch von Cäsar), Leipz. 1782. — Azuni. Syst univ. du droit marit. de l’Europe (trad. p. Digeon), An VI. — Tetens, Considärations sur les droits räciproques des puissances belligdrantes et des puissances neutres sur mer. Kopenhagen 1805. — CF. v. Schmidt-Phiseldeck, Versuch einer Darstellung des Dänischen Neutralitätsshstems, Kopenhagen 1802. — Gehn er, Das Recht deS neutralen Seehandels, Bremen 1855; Derselbe, Le droit des neutres sur mer, Berlin 1876 (2. Aust ). — Deppisch, DaS Recht des neutralen Seehandels, Dorpat 1855.— Hall, Rights and duties of neutrale, London 1874. — Ortolan, Rfcgl. intern, et diplom. de la mer, Paris 1845. — Cauchy, Le droit maritime international, 1862. — Haute­ feuille, Des droits et des devoirs des nations neutres en temps de guerre maritime, Paris 1868, 3. ädit. — W. de Burgh, The eiern, of marit. internal, law, London 1868. — v. Kaltenborn, Seerecht, Berlin 1851. — Berner s. v. Neutralität in Bluntschli'S StaatsWörbB. — Burchardi s. e. v. in Rotteck und Welcker's StaatSlexikon. — Marquardsen, Der Trentfall, Erl. 1862. — The law of commerce in time of war wich particcslar reference to the respective rights and duties of belligerents and neutrale, London 1870. — Gustave Moynier, Note sur la cröation d’une Institution iudiciaire internationale propre ä prevenir et k rdprimer les infractions ä la Convention de Genfcve, Genöve 1872 und von demselben Verf.: La Convention de Genöve pendant la guerre franco-allemande, Genöve 1873. — Die Rechte der Neutralen in den völkerrechtlichen Kornpmdien und der Lit. im Th. I. S. 1032. Bulmerincq.

Neuwahlen. (Th. I. S. 866.) Das durch den modernen Konstitutiona­ lismus dem Souverän gegebene Recht, die Versammlung der Landstände jeder Zeit aufzulösen, die N. anzuordnen und den neugewählten Landtag zusammenzuberufen, würde im Stande sein, das ganze Institut der Landstände illusorisch zu machen, wenn nicht in den meisten Deutschen Verf Urk. genau der Zeitraum bestimmt wäre, welcher nach einer Auflösung der Volksvertretung bis zu dem Zusammentritt oder v. Holtzendorff, 6nc. II. Rechtslexikon II. 3. Ausl. 56

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RicasUrS.

doch der Einberufung eines neuen Landtags verstießen darf. So verlangt die Preuß. Berf.Urk. (Art. 51) und die Berf. des Deutschen Reiches (Art. 25) den Zusammen­ tritt eines neuen Land- bzw. Reichstags innerhalb 90 Tagen nach der Auflösung. Andere Berfaffungen setzen eine drei- (Waldeck, Berf.Urk. § 52), vier- (Liechtenstein, Berf.Urk. § 93), fünf- (Oldenburg, Berf.Urk. Art. 150 § 1) oder sechsmonatliche Frist bis zu der Einberufung des neuen Landtages fest (Württemberg, Vers.Urk. § 186 Alin. 3; Hessen, Berf.Urk. § 64 Alin. 2; Sachsen, Berf.Urk. § 116 Alin. 3; Braunschweig, Neue Landschaftsordn. § 147; Koburg-Gotha, Staatsgrundgesetz § 79 u. a.). Damit aber auch diese Verfaffungsbestimmung durch eine Verzögerung der Wahlen zu dem neuen Landtage nicht illusorisch gemacht werden könne, so ist eben­ falls in den meisten Deutschen Bersaffungen bestimmt, daß innerhalb einer gewiffen, von der Auflösung des früheren Landtags zu berechnenden Frist die Wahlen zu dem neuen Landtag in Angriff genommen werden müssen. Nur wenige Bersaffungen verlangen die Anordnung neuer Wahlen gleichzeitig mit der Auflösung der bisherigen Ständeversammlung (Meiningen, Grundges. § 52 Alin. 2; Braunschweig, Neue Landschaftsordn. § 147 Alin. 3). Die Verfassung von Koburg-Gotha (§ 79) setzt die kurze Frist von 14 Tagen für den Fall fest, daß der besondere Landtag eines der beiden Herzogthümer ausgelöst werde, während alle anderen Verfassungen sich mit längeren Fristen begnügen: Vers, des Deutschen Reiches Art. 25 und Preuß. Berf.Urk. Art. 51: 60 Tage; Oldenburg, Vers.Urk. Art. 150 § 1: 2 Monate; Bayer. Vers.Urk. Tit. VII. § 23; Weimar, Rev. Grundges. § 34; Koburg-Goth. Staatsgrundges. § 79 (wenn der gemeinschaftliche Landtag beider Herzogthümer aus­ gelöst wird) und Badische Vers.Urk. § 44: 3 Monate. Aber nicht blos diese Fristen sind verschieden; auch diejenige aus die N. be­ zügliche Handlung, welche innerhalb der Frist vorgenommen werden soll, ist ver­ schieden bestimmt. Während nämlich einzelne Venassungen blos fordern, daß bis zum Abläufe der Frist die N. von der Regierung angeordnet oder aus­ geschrieben sein sollen (Koburg-Gotha, Oldenburg), verlangen andere, daß die wirkliche Vornahme der N. erfolge (Bayern, Weimar, Baden, Sachsen); die gleiche Forderung stellen auch die Venassungen Preußens und des Deutschen Reichs, indem sie bestimmen, daß die Wähler binnen 60 Tagen versammelt sein müssen. Hält die Regierung die von der Berfaffung für die N. und die Einberufung des neuen Landtags gestellten Fristen nicht ein, so heben zwei Bersaffungen (Olden­ burg, Vers.Urk. Art. 150 § 2, Weimar, Revid. Grundges. § 34) die Wirkung der Landtagsauflösung wieder auf und erklären den alten Landtag als noch zu Recht bestehend. Die Oldenburg. Verfassung verlangt in diesem Falle sogar „baldthunlichst" das Zusammentreten des wiederhergestellten Landtags ohne landesherrliche Einberufung. Alle übrigen Verfassungen setzen kerne Rechtsfolgen für die Nicht­ berücksichtigung der vorgeschriebenen Fristen fest und überlassen somit die Geltend­ machung dieser Venassungsverletzung einer späteren Beschwerde der Landstände oder einer Ministeranklage. Lit : H. A. Zachariä, Deutsches Staats- und Bundesrecht, 3. Ausl Bd. I S. 671. — Zöpsl, Grundsätze des gemeinen Teutschen Staatsrechts, 5. Ausl. Bd. II S. 311, 320, 321 — G Meyer, Lehrb. des Deutschen Staatsrechts, S. 241. F. Brock Haus.

Ricasiirs von Voerda, $ zu Heyst op den Berg bei Mecheln um 1440, erblindete im vierten Jahre, wurde rn Köln Dr. Decretorum und hielt als Prof Juris Canonici vor großem Auditorium Vorlesungen, t 1492. Er schrieb: Enarrationes in 4 libros Instit., Colon. 1493; Lugd. 1550. Lit.: Savigny, VI. 490. — Bianco, Die alte Universität Köln, S. 766. — Paquot, Mdm. pour servir ä Fhist. des Pays-Bas. — v. Stintzing, Geschichte der populären Lit. des Röm-kan. Rechts, Leipz. 1867, S. 182 ff , 460 ff.; Derselbe, Geschichte der Deutschen Rechtswiffenschaft (1880), I. 30. Teich mann.

Nichtigkeitsklage — Niederlaffung.

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NichtinkeitAklnge ist im Allgemeinen die Klage auf Annnllirnng, d. h. auf Deklaration der vorhandenen Nichtigkeit eines Vertrages oder eines Rechtsverhältnisses (z. B. der Ehe). Eine besondere Klage am Konstatirung der Nichtigkeit eines Ptozeffes und des in demselben gefällten Erkenntnisses, um die Scheineristenz des letzteren zu vernichten, ist erst seit dem Mittelalter vorgekommen, und dann als sog. querela nullitatis in den Gemeinen Prozeß übergegangen. Auch die Deutsche CPO. ge­ stattet die Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Endurtheil abgeschlossenen Ver­ fahrens, wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war, ein rechtlich verhinderter Richter bei der Entscheidung mitgewirkt hat, oder eine Partei in dem Verfahren nicht nach Vorschrift der Gesetze vertreten war. Die N. wird wie ge­ wöhnliche Klage behandelt, sie ist aber binnen einer einmonatlichen Nothfrist zu er­ heben, und zwar läuft sie in den beiden ersten Fällen von dem Tage der er­ langten Kenntniß des Amechtungsgrnndes; die Klage ist aber nach Ablauf von fünf Jahren seit der Rechtskraft des Urtheils unter allen Umständen unstatthaft. Für die N. wegen mangelnder Vertretung beginnt die Nothfrist dagegen mit dem Tage, an welchem das Urtheil der Partei, bzw. ihrem gesetzlichen Vertreter zugestellt wordm ist. Bei der mündlichen Verhandlung hat das Gericht von Amtswegen zu prüfen, ob die Voraussetzungen der N. vorliegen. Soweit das frühere Urtheil und das frühere Verfahren von der Nichtigkeit betroffen wird, ist von Neuem in der Sache selbst zu verhandeln, bzw. zu erkennen. Rechtsmittel gegen das auf die N. ergangene Urtheil find insoweit zulässig, als sie gegen die Entscheidung des mit der Klage be­ faßten Gerichts überhaupt stattfinden. Gsgb.. Deutsche CPO. §§ 541, 542, 546—554. Kit.: Schwalbach im Arch. f. civil. Praxis LXIII. S. 122 ff. P. Hinschius. Nieolini, Niccola, 5 30. IX. 1774 zu Chieti, Advokat und Profeffor zu Neapel, später am Kaffationshofe und Staatssekretär, f 4. III. 1857. Schriften: Trattato della proced. pen. pel regno delle Due-Sicilie, Nap. 1827—31; Liv. 1843, 1858. — Storia dei princ. regel, oella istruzione delle prove nei proc. crim., Nap. 1829. — Quistioni di dritte, Nap. 1835—40 u. 1869. — Del tentativo e della complicitä, Liv. 1853. Lit.: N ypels, Bibliothöque 37, 38. — Mo linier in Rec. de l’Acad. de Toulouse, I. 63. — Ortolan in R. de lögisl., 1845 p. 321. — Ulloa in Gaz. dei Trib., Nap. 1857 No. 1192. — Flotard, Princ. philos. et pratiques de droit pänal, Par. 1851. — Pessina, Opuscoli 101. — Selopis, III. 497. — Ztschr. f. Rechtswiff. d. AuSl. XV. 454 ff. — Brussa, Apunti, Torino 1880, p. 213. Teichmann.

Nieder, Johannes, $ gegen 1380 zu Jsnh (Allgäu), wurde'Dominikaner, Prior in Nürnberg und Basel, Profeffor der Theologie in Köln 1422—28; dann seit 1435 Mitglied der Wiener Hochschule, t 1438. Schrift: Compendiosus tract. de contractibus mercatonun, 8 Ausg. vor 1500, Par. 1514 (im Tract. tractatuum, Lugd. 1549, tom. V.); Venet. 1584; Lyon 1593. Kit.: Goldschmidt, Handbuch des H.R., (2) Erl. 1875, I. 35. — Jahrbb. des gemeinen Deutschen Rechts, VI. — v. Stintzing, Geschichte der populären Literatur des röm.-kan. Rechts in Deutschland, Leipz. 1867,'S. 531, 543. — v. Stintzing, Geschichte der Deutschen Rechtswissenschaft, 1880, I. 18, 20. — Aschbach, Geschichte der Wiener Universität, I. 446 ff. — Quätif et Echard, Scriptores ord. praedicatomm, 1. p. 792; II. 822. — Schulte, Geschichte, II. 441. — Endemann, Studien, I. 31, 53. Teichmann. Niederlassung (in internationaler Beziehung). Das Recht der Freizügigkeit aus einer Gemeinde in eine andere desselben Staates ist im Laufe der Zeit immer mehr zur Geltung gekommen (vgl. übet die Entwickelung in Deutschland den Art. Freizügigkeit). Auch die Uebersiedelung aus einem Staatsgebiet in ein anderes ist gegenwärtig meist von den Schranken befreit, welche frühere engher­ zige Auffaffung errichtet hatte. Der Fremde ist nicht mehr hostis, sondern er wird als ein nützlicher Zuwachs der Bevölkerung angesehen. Daher üben die Staaten das ihnen kraft ihrer Souveränetät zustehende Recht, den Fremden den Eintritt in ihr Gebiet oder den Aufenthalt daselbst zu versagen oder zu erschweren, gegenwärtig 56*

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Nießbrauch.

nur noch ausnahmsweise aus, wenn es die eigene Wohlfahrt gebieterisch zu fordern scheint (vgl. die Art. Ausweisung der Fremden, Abschoß, Militär­ pflicht der Deutschen im Auslande). Vielfach ist durch Staatsverträge den Staatsangehörigen das Recht, in einem anderen Staate mit gleichem Rechte, wie die Inländer sich aufzuhalten und niederzulassen, ausdrücklich zugefichert. Das Deutsche Reich hat dergleichen Abreden mit verschiedenen Staaten getroffen. Mit der Schweiz ist der Riederlaffungsvertrag vom 27. April 1876 (RGBl. 1877, S. 3) geschloffen. Inhalts desselben werden, unter Reziprozität, die Deutschen in jedem Kantone der Eidgenossenschaft in Bezug auf Person und Eigenthum auf dem nämlichen Fuße und auf die nämliche Weise ausgenommen und behandelt, wie die Angehörigen der anderen Kantone. Sie können in der Schweiz ab- und zugehen und sich daselbst dauernd oder zeitweilig aufhalten, auch Gewerbe und Handel treiben, ohne anderen pekuniären oder sonstigen Leistungen, als die Kantongenoffen, unter­ worfen zu sein. Die Deutschen Eigenthümer oder Bebauer von Grundstücken in der Schweiz genießen in Bezug auf die Bewirthschaftung ihrer Güter die nämlichen Vor­ theile, wie die am gleichen Orte wohnenden Schweizer. Natürlich haben die in der Schweiz sich aufhaltenden Deutschen die dortigen Gesetze und Polizeiverordnungen zu beobachten. Sollten sie in die Lage kommen weggewiefen zu werden, entweder durch gerichtliches Urtheil, oder weil sie die innere oder äußere Sicherheit des Staats gefährden, oder in Folge der Gesetze und Verordnungen über die Armen- und Sitten­ polizei, so müssen sie von Deutschland wieder übernommen werden. Aehnliche Stipulationen, wenngleich nicht so umfassend, finden sich in Freundschafts-, Handels- und Schiffahrtsverträgen des Reichs mit anderen Staaten, na­ mentlich in dem Vertrage mit Liberia, vom 16. Rov. 1867 (B GBl, für 1868, S. 197), Oesterreich, vom 9. März 1868 (B GBl. S. 239), Spanien, vom 30. März 1868 (B.G.Bl. S. 322), Japan, vom 20. Febr. 1869 (B.G.Bl. für 1870, S. 1), Meriko, vom 28. Aug. 1869 (B.G.Bl. für 1870, S. 525), Salvador, vom 13. Juni 1870 (R.G.Bl. für 1872, S. 377), Portugal, vom 2. März 1873 (R.G.Bl. S. 254), Persien, vom 11. Juni 1873 (R.G.Bl. S. 351), Costa Rica, vom 18. Mai 1875 (R.G.Bl. für 1877, S. 13), Tonga, vom 1. Nov. 1876 (R.G.Bl. für 1877, S. 517). Andere Verträge beziehen sich nur auf den Schiffsverkehr — Schiffahrtsvertrag mit Italien, vom 14. Nov. 1867 (B.G.Bl. S. 317), Friedensvertrag mit Frankreich, Art. 11, 12 (R.G.Bl. für 1871, S. 231) — oder auf andere Spezialien, z. B. Zulassung zur Ausübung der Heilkunde — Vertrag mit den Niederlanden (R.G.Bl. für 1874, S. 99), mit Belgien (R.G.Bl. für 1873, S. 55). Auch Oesterreich hat mit der Schweiz einen besonderen Niederlassungsvertrag (am 7. Dez. 1875) abgeschlossen. Im Uebrigen ist den Fremden in OesterreichUngarn die Ausschlagnng eines Wohnsitzes bzw. die Niederlassung fast unbedingt gestattet.

Lit.: Phillimore, Commentaries, I. 260. — Pütter, Tas praktische Europäische Fremdenrecht, Leipz. 1845. — Vesque v. Püttlingen, Handbuch des in Oesterreich-Unaarn geltenden internationalen Privatrechts, Wien 1878. S. 56, 123, 130, 266, 359. — Sir Alex. Cockburn, Nationality, Lond. 1869, p. 138. — Block, Dictionnaire genöral de la Politique, Paris 1874, art. Stranger. B. König.

Nießbrauch, Nutznießung, ususfructus bezeichnet diejenige persönliche Dienstbarkeit, welche, wenn nicht durch entgegenstehende Disposition beschränkt, den umfassendsten Gebrauch des wirthschastlichen Werthes einer fremden Sache, abgesehen von Veräußerung und Verschlechterung, gewährt. Ususfructus est jus alienis rebus utendi fruendi salva rerum substantia (fr. 1 D. 7, 1). Tie Römer haben lange Zeit den ususfructus nur an körperlichen und zwar nur an unverbrauchbaren Sachen anerkannt, erst ein Senatsschluß aus der ersten Kaiserzeit gestattet das Vermächtniß eines N. auch an res quae usu tolluntur vel minuuntur (fr. 1 D. 7, 5), zu denen

Nietzdrmrch.

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die Römischen Juristen bald die Forderungsrechte (nomina) fügten (fr. 3 ib.). Auch ein N. am ganzen Vermögen wird anerkannt (fr. 24 pr. D. 33, 2; c. 1 C. 3, 33), obwol auf andere unkörperliche Sachen, als Forderungen, im Einzelnen der N.begriff nicht ausgedehnt worden zu sein scheint (s. jedoch die Erörterung, ob N. an einer Wegegerechtigkeit möglich sei, in fr. 1 D. 33, 2). Letzteres ist erst im Lame der Zeit durch die Praxis geschehen. Jedoch gehört der R. an verbrauchbaren Sachen und an Forderungen nach der geläufigen Bezeichnung nicht zu dem N. im engeren Sinne, sondern er wird, nach Analogie der quasipossessio und unter Anlehnung an § 2 I. 2, 4 i. f.; fr. 2 § 1 D. 7, 5, als quasi ususfructus oder uneigentlicher N. ausgeschieden und soll deshalb auch hier unter dem ersteren Namen getrennt behan­ delt werden. In der That ist die Konstruktion jenes N.verhältnisses eine andere, indem an den Gegenständen deffelben dem Berechtigten auch das Konsumtionsrecht und das Recht, anstatt der Sache nur deren Werth zu restituiren, gegeben wird, so daß der Begriff eines jus in re aliena eigentlich aufhört. Jedenfalls soll im vor­ liegenden Artikel nur von dem sog. eigentlichen R., also dem an unverbrauchbaren Sachen stattfindenden, die Rede sein. Nur daran muß erinnert werden, daß auch an unverbrauchbaren Sachen ein quasi usufructus, wie umgekehrt an verbrauchbaren Objekten ein verus ususfructus begründet werden kann, sowie daran, daß die An­ nahme eines quasi ususfructus bei Forderungen und insbesondere bei Kapitalien durchaus nicht für ausgemacht gilt (Windscheid, I. § 206, 9). Der N. an Kleidern wird von den Quellen selber vorwiegend als eigentlicher (fr. 15 § 4 D. 7, 1; fr. 9 § 3 D. 7, 9), vorübergehend als uneigentlicher (§ 2 I. 2, 4) be­ handelt. Der N. zeichnet sich vor den übrigen persönlichen Dienstbarkeiten durch Veräußerlichkeit aus und der Erwerber wird dadurch nicht blos in ein obligatorisches Verhältniß zum Nießbraucher gesetzt, sondern sogar in ein dingliches zum Eigen­ thümer des N.objekts (fr. 11 § 2 D. 20, 1). Demnach können auch die Be­ endigungsgründe des veräußerten N. nur noch nach der Person des Erwerbers be­ messen werden, mit Ausnahme derjenigen, welche nach der Regel: nemo plus Juris transferre potest, quam ipse habet, dem N. schon zur Zeit der Veräußerung an­ haften (dazu gehört Tod des Veräußerers, nicht aber Verzicht und Konsolidation, s. indeß Windscheid, I. § 205, 5). Die Theilbarkeit des ususfructus (fr. 81 pr. D. 35, 2) oder, daß er an theilbaren Sachen auch blos pro parte bestehen könne (fr. 50 D. 7, 1), bedeutet die Theilbarkeit des Ertrags, nicht des Rechts. Der N. entsteht durch Privatdisposition — die Quellen fassen insbesondere letztwillige Verfügung ins Auge — durch Ersitzung, durch Adjudikation bei Theilungsklagm und durch gesetzliche Bestimmung, welche ihn zum Accefforium gewisser Rechts­ verhältnisse (z. B. der väterlichen Gewalt) macht. In den Fällen der letzteren Begründungsart erleiden die gewöhnlichen Grundsätze des N.rechts gelegmtlich Modifikationen. Die Wirkungen des begründeten N. find Berechtigungen und Verpflichtungen auf Seite des Usufruktuars, wie auf Seite desjenigen, gegen den er fein Recht geltend macht. DieBerechtigungendes Nießbrauchers bestehen in der Befugniß zu jeder Art des Gebrauchs der Sache, welcher mit Erhaltung der Substanz derselben verträglich ist, also ohne Konsumtion (usus), und in dem Recht der Fruchtziehung zum Zweck der Konsumtion (fructus). In ersterer Hinsicht kann er auch alle mit dem Objekt verbundenen Rechte, z. B. Grunddienstbarkeiten, ausüben und hat einen Anspruch auf Besitz. Hinsichtlich der Fruchtziehung ist er nicht an die bisher an der Sache befolgte Bewirthschaftungsweise absolut gebunden, er darf nur nicht durch die Veränderung die Sache zu einer Sache anderer wirthschaftlicher Natur machen und insofern kommt es doch auf die bisherige Benutzungsweise an (fr. 9 § 7 D. 7, 1). Organische Erzeugnisse erwirbt der Nießbraucher mit der Perzeption zu Eigenthum, juristische Früchte nach Zeitabtauf. Die bei Beginn seines Rechts noch nicht per-

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Nießbrauch.

zipirten Früchte hat der Usustuktuar zu beanspruchen, ohne zu einem Ersatz der Bau­ kosten oder zur Theilung mit dem bisher Berechtigten verpflichtet zu sein. Der Fruchtgenuß besteht für ihn aber nur in dem wirklichen Ertrage, er hat kein Recht aus Accessionen anderer Art (Schatz, Jagd und Fischfang, falls letztere nicht der wesentlichste Ertrag eines Grundstückes sind), auf Früchte, die nach den Regeln des wirthschaftlichen Betriebes in das R.objekt verwendet werden müssen (Ergänzung von Herden), auch hat er in der Regel (s. aber fr. 48 § 1 D. 7, 1; fr. 42 D. 33, 2) kein Anrecht auf Früchte, die noch nicht reis sind. Tie Erweiterung des R.objektes kommt dem Nießbraucher zu statten bei der Alluvion, nicht bei Hinzutritt einer insula (fr. 9 § 4 D. 7, 1; Code civil art. 596). — Zu den Rechten des Ususruktuars gehört auch noch sein Anspruch auf Ersatz der seine Verpflichtungen (s. unten) über­ steigenden Meliorationen (c. 7 C. 3, 33; jus tollendi versagt fr. 15 pr. D. 7, 1, da­ gegen gewährt Code civil art. 599 letzteres allein). Die Verpflichtungen des Nieß­ brauchers bestehen, abgesehen von der Einhaltung der Grenzen seiner Befugniß, in der Pflicht, das N.objekt mit diligentia in abstracto in dem wirthschaftlichen Zustande zu erhalten, in welchem er dasselbe übernommen hat (besondere Anwendung in fr. 15 § 7 D. 7, 1), und in der Verpflichtung, die nicht außerordentlichen Lasten der Sache zu tragen, wie öffentliche Abgaben, gewöhnliche Reparaturen (Begriff der Hauptreparaturen s. Allg. LR. I. 21 § 52), Reallasten (Zinsen der auf dem Grundstück eingetragenen Kapitalien, Allg. LR. I. 21 §§ 70 ff.; Code civil art. 609; Oesterr. BGB. § 512; Sächs. BGB. § 612). Mieths- und Pachtverträge, welche die N.sache be­ treffen, braucht er nicht anzuerkennen, wenn er sie nicht bei Begründung des N. mit übernommen hat (fr. 59 § 1 D. 7, 1; anders Sächs. BGB. § 1225). Bei Beendigung des N. muß der Ususruktuar den Gegenstand desselben in dem be­ schriebenen Zustand zurückgeben und er haftet für Beseitigung von Veränderungen, selbst Verbesserungen, falls der Rückempsänger sie nicht übernehmen will; von Früchten muß er die noch nicht perzipirten restituiren, Civilfrüchte aber lukrirt er, falls sie nicht blos Surrogat natürlicher Früchte sind (wie Pachtgelder), bis zum letzten Tage der Dauer des ususfructus. Vor Beendigung seines Rechts braucht er die Sache nie zu restituiren, auch nicht wegen Mißbrauchs, den er von seiner Be­ fugniß macht; in Folge des letzteren tritt nur die Ersahverbindlichkeit schon vor be­ endigtem N. ein (fr. 1 5 v. 7, 9; nach Allg. LR. I. 21 §§ 140—142 Recht auf gerichtliche Sequestration; dagegen gestattet Code civil art. 618 Klage auf Aufhebung des N.). — Für die Erfüllung seiner Verpflichtungen muß der Nießbraucher bei Antritt seines Rechts dem Begründer des N. resp, dem Eigenthümer Kaution stellen, was zuerst im Röm. Recht nur für den ususfructus legatus bestimmt war, dann aber auf alle Arten der Bestellung ausgedehnt worden ist (fr. 13 pr. D. 7, 1; c. 4 C. 3, 33), so daß man die Verpflichtungen des Nießbrauchers sogar lediglich als Emanationen der Kautionsleistung betrachtete (Windscheid, I. § 204, 1). Von der Kautionspflicht bestehen sowol die allgemeinen Ausnahmen, als spezielle Besteiungen von der cautio usufructuaria. Die Kautionspflicht wird von Seite des Berechtigten durch Retention oder Rückforderungsklage (fr. 7 pr. D. 7, 9) geltend gemacht (noch anders nach Röm. Recht: fr. 13 pr. D. 7, 1). Inventar­ errichtung ist nach Gem. Recht nur gerathen, nicht geboten (fr. 1 § 4 D. 7, 9). Die Berechtigungen des Begründers des N. resp, des Eigentümers sind nichts als die Kehrseiten der eben hervorgehobenen Verpflichtungen des Usustuktuars, dazu das Recht der Disposition über das N.objekt, soweit dieselbe die Ausübung des ususfructus nicht beeinträchtigt, es wäre denn, daß der Nießbraucher der Beschränkung seine Zustimmung giebt (fr. 15 § 7 D. 7, 1; fr. 16 ib. erklärt sich durch den Mangel einer entsprechenden Form für Theilnahme des Nießbrauchers an der in jure cessio). — Die Verpflichtung, welche dem Begründer des ususfructus resp, dem Eigenthümer der N.sache erwächst, besteht darin, dem Nießbraucher die Möglichkeit des uti frui unbeschränkt zu gewähren, also auch keine Veränderungen an der Sache

Nießbrauch.

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vorzunehmm, welche die Nutznießung beschranken würden. Entgegenstehmde Neuerungen würden mit actio confessoria zu entkräften sein. Der N. erlischt mit dem Tode des Berechtigten, wenn er nicht als vererb­ licher begründet worden ist — dies ist aber nach c. 14 C. 3, 33 nur mit Be­ ziehung auf die nächsten Erben zulässig (ebenso Sächs. BGB. § 657, während Allg. LR. I. 21 § 178, Oesterr. BGB. § 529 nur eine Jnterpretationsregel geben) —, bei juristischen Personen nach hundertjährigem Bestände (Sächs. BGB. § 656; anders Allg. LR. I. 21 § 179; 30 Jahre Code civil art. 619). Sodann durch Konsolidation, Verzicht, durch Ablauf der ihm gesetzten Zeit (c. 12 C. 3, 33; Sächs. BGB. § 652) oder Aushören des ihn gesetzlich begründenden Zustandes, durch Untergang, aber auch schon völlige Umgestaltung seines Objekts (fr. 36 pr. D. 7, 1), endlich durch non usus (§3 I. 2, 4; die beiden letzten Gründe kennt das Preußische Recht nicht; Dernburg, I. § 280, 9, 14). S. auch noch fr. 9 § 5 D. 39, 2. Für den ususfructus legatus gelten einige besondere Grundsätze, beten Eigenthümlichkeit sich jedoch eher aus dem Bermächtnißrecht (z. B. concursu partes sinnt, fr. 1 § 4; 3 pr. D. 7, 2; fr. 80 D. 32), als aus der Natur des N. er­ klären läßt: nämlich eine besondere Auslegungsregel für das Bermächtniß detracto usufructu, eine besondere Regel für Anfall und Erwerb des ususfructus alternis annis und abweichende Vorschriften über das Anwachsungsrecht (Windscheid, Pand., III. § 656, 6, 4; § 645). Die Deutschen Landesrechte behandeln den N. meist als ein einheitliches Rechtsinstitut, ohne den quasiususfructus besonders davon zu unterscheiden (s. jedoch Cod. Max. II. 9, 10; Oesterr. BGB. § 510; Code civil art. 587, 588), nur das Sächs. BGB. trennt den Abschnitt vom N. an unverbrauchbaren Sachen (§§ 604—622) von den Abschnitten über den N. an verbrauchbaren Sachen und an Forderungen (§§ 623—629), an einer Leibrente, einem Auszug und einem Kuxe (§ 630) und an einem ganzen Vermögen (§§ 631—636). Der ususfructus an Kapitalien wird daher meist wie ein verus ususfructus des Gern. Rechts behandelt (Allg. LR. I. 21 §§ 101 —109; Oesterr. BGB. § 510), nach Code civil art. 589 auch der an abnutzbarm Objekten. Abweichungen vom Röm. Recht im Einzelnen finden sich vielfach; die­ selben enthalten meist eine Erschwerung der Stellung des Usufruktuars. Hervorzuheben ist die vorkommende Beschränkung des Nießbrauchers in dem Recht auf fructus pen­ dentes, indem entweder von ihm Ersatz der Baukosten verlangt wird (Cod. Max. II. 9, 4, 6) oder ihm die Früchte überhaupt nur insoweit zugesprochen werden, als die Baukosten derselben in die Zeit des Nießbrauchers satten (Sächs. BGB. § 76). Ent­ sprechend wird fteilich dem Rückempfänger Kostenersatz für die restituirten Früchte auferlegt (Cod. Max. II. 9, 7, 5; Oesterr. BGB. § 519; anders Code civil art. 585). Jnventarerrichtung wird entweder obligatorisch gemacht (Cod. Max. II. 9, 6, 7; Allg. LR. I. 21 § 113; Code civil art. 600) oder wenigstens ihre Unterlasiung für präjudiziell erklärt (Oesterr. BGB. § 518; Französ. Praxis nach Zachariä, II. § 226, 4 a, 5). Das Preuß. LR. giebt dem Nießbraucher einen Ersatzanspruch wegen Verwendungen nur, wenn der Eigenthümer den Aufwand schriftlich genehmigt hat (Allg. LR. I. 21 §§ 56, 124—131; s. jedoch Dernburg, I. § 282, 7—9), das Oesterr. BGB. verlangt von ihm Tragung sämmtlicher Lasten, soweit dieselben den Ertrag nicht übersteigen (§§ 512, 513), der Code civil dehnt seine Verbindlich­ keiten auf Benachrichtigung des Eigenthümers von Eingriffen Dritter in das Eigenthumsrecht aus (art. 614). Nur die Verpflichtung zur Sicherheitsleistung findet im Allgemeinen eine weniger strenge Auffaffung (Allg. LR. I. 21 §§ 19, 20, 103, 108; Oesterr. BGB. § 520; Sächs. BGB. §§ 617—619, 636; anders Code civil art. 601). Außerdem enthalten die Partikularrechte besondere Vorschriften über den Augenblick des Fruchterwerbs (Allg. LR. I. 9 § 221), über Auseinandersetzung zwischen Nutz­ nießer und Rückempfänger bei Beendigung des N. (Allg. LR. I. 21 §§ 143—175), über die Art der Nutzung bei bestimmten Objekten, so bei Waldungen und Berg-

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Noch-eschLft.

teerten (Code civil art 590—594, 598; SLchs. BGB. §§607—609; auch Allg. LR. I. 21 §§ 38, 37, 40), bei Thieren und Herden (Code civil art 615, 616). Den R. am ganzen Vermögen behandelt allgemein nur das Sachs. BGB. (§§ 631—636), wahrend die anderen Partikularrechte, besonders das Preußische und Französische, ihn bei bett einzelnen, dem Familienrecht angehörigen Arten desselben darstellen.

Röm. Quellen: I. 2, 4; frag. Vat 41—93de usufructu. — D. 7,1 de usufructu et quemadmodam quis utatar fraatur; 7, 4 qaibas modis ususfructus vel asus amittitur; 7, 9 usufructuarius quemadmodam caveat; 83, 2 de usu et usufracta et reditu et habitatione et operis per legatum vel fideicomnussum datis. — C. 3, 33 de usufructu et habitatione et ministerio servorum. Lit.: Glück, erlauf, der Pandekten, IX. 157-386, 423-427, 470—497. — Luden, Die Lehre von den Servituten, §§ 31—40 (1837). — Ho ffmann, dass., §§ 38—51 (1838). — Brinz, Notamina ad uBumfructum, 1849. — Heimbach in Weiske's Rechtslexikon XL 867—953. — Pellat, Sur la proprieU et snr Pusufruit, 1853. — Elvers, Die Römische Servitutenlehre, §§ 50—58 (1854). — Bür kel, Beiträge zur Lehre vom Nießbrauch, 1864. — Citate über Spezralfragen, z. B. Nießbrauch an Waldungen, Cesfion des ususfructus, s. bei Arndts, § 179, 1; Keller, Pand., I. § 172. Lehrbücher der Pandekten: Arndts, §§ 178—180. — Bücking, II. §§ 163—165. Brinz, S. 264-270; 2. Aufl. I. § 193. - Göschen, II. §§ 293-295. — Keller, I. §§ 172—173. —Puchta, § 181.— Seusfert, I. §§ 167—169. — Sintenis, § 59. — v. Bangerow, I. §8 343-346. — Windscheid, I. §8 203 -205. — Partikular­ recht: Preuß. LR. I. 21 §§ 22—186. — GrLvell, Die Lehre vom Nießbrauch nach Preuß. Recht, 1820. — D er nbur g, Lehrb. des Preuß. Privatrechts, L 88 278—284. — v. Roth, Bayer. Civilrecht, II. §8 157—159. — Code civ. art. 582—624. — Proudhon, Traitd des droits d’usufruit, d’usage, d’habitation et de superficie, IV. äd. — Zachariä v. Lingenthal, Handbuch des Franz. Civilr., II. §§ 222—231. — Stabel, Institut, des Franz. Civilr., § 59. — Oesterr. BGB. §§ 509—520. — Sachs. BGB. §§ 604—636. I Merkel.

bkochgeschLst. (Th. I. S. 538.) Das R., auch „Nachgeschäst", „Schluß auf dtoch", oder „mit Noch" genannt, ist ein Prämiengeschäft (hierüber s. d. Art. Prämien­ geschäft), bei welchem das Wahlrecht des Prämiengebers darin besteht, daß er an dem vorher bestimmten Termine den ursprünglich aus eine gewisse Quantität Waaren (regel­ mäßig Börsenpapiere) festerstreckten Vertrag nach seiner Wahl auf eine dem Maximum nach gleichfalls bereits vorher vereinbarte Quantität von Waaren derselben Art aus­ dehnen darf, mithin, wenn er Käufer ist, mehr beziehen (fordern), wenn er Vertäuter ist, mehr liefern darf, als vorher fest ausgemacht wurde. Ueber ein N. ohne Prämie s. ROHG. Entsch. Bd. 12 S. 61 ff. und hierzu Thöl, H.R., a. a. O. Anm. Hinsichtlich der jedenfalls zu liefernden Waare liegt ein gewöhnlicher Tags- oder Zeitkauf vor, der jedoch mit dem Prämiengeschäft in unlöslicher Verbindung steht und dadurch wesentlich alterirt wird; diese Verbindung pflegt äußerlich dadurch hervorzutreten, daß die Prämie in dem Kaufpreise der festbedungenen Waarenquantität verhüllt enthalten ist, und zwar wird der Kaufpreis der festen Waarenquantität höher sein, als jener der nach Belieben des Prämiengebers noch zu liefernden (der „Nochpapiere" im Effektenhandel), wenn der Letztere Käufer ist, und niedriger, wenn das Wahlrecht dem Verkäufer zusteht. Die Prämie im N. darf so wenig als die in anderen Geschäften dieser Art vorkommende Prämie als Reugeld aufgefaßt werden; sie ist vielmehr das Aequivalent, welches vom Prämiengeber für das ihm eingeräumte Wahlrecht zwischen So- und Anderswollen gegeben wird. Lit.: Ueber das Nochgeschäst s. Bender, Verkehr mit Staatspapieren, 2. Aufl. 8 85. — Thöl, Verkehr mit Staatspapieren, 8 49: Derselbe, H.R., 6. Aufl. 8 293. — Gareis, Ueber die juristische Natur der kaufmännischen Prämiengeschäfte, in Siebenhaar's Archiv für Wechsel- und H.R. Bd. XVIII. S. 136, 137, 157. — James Moser, Die Lehre von den Zeitgeschäften, Berlin 1875, S. 11 ff. — v. Gerber, Deutsches Priv.R., § 179 Nr. 11, 12 (11. Aufl. S. 482). — Bedingungen der Wiener Effektenbörse über das „Geschäft mit noch" s. Goldschmidt's ic. Zeitschr. für das ges. H.R , Beilage zu Bd. 23 S. 298; an der Berliner Effektenbörse, das., Bd. 18 S. 510. — (Auch Gareis, Kurzgef. Lehrb. des H.R., 1879, S. 379.) Gareis.

Nomination.

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Stominatiott (laudatio seu nominatio auctoris) ist dasjenige Rechtsinstitut, durch welches der Inhaber einer Sache deren Vertheidigung gegen rechtliche An­ sprüche Dritter abzulehnen und seinem Auktor zu überlasten vermag. Es ist rein prozestualischen Charakters und besteht einestheils aus der Benachrichtigung des Eigenthümers von dem auf die Sache erhobenen Ansprüche, anderentheils aus der Aufforderung des Inhabers an denselben, die Abwehr des Anspruchs zu übernehmen und an seiner Stelle in den Prozeß einzutreten. Da nämlich demjenigen, welcher ein eigenes selbständiges Recht an der von einem Dritten beanspruchten Sache nicht hat, nicht zugemuthet werden kann, sich behufs Vertheidigung der Rechte seines Auktors in einen Prozeß einzulasten und dadurch gleichzeitig dem letzteren gegenüber in die Verantwortlichkeit für eine sachgemäße und ausreichende Prozeßführung ein­ zutreten, soll ihm durch die N. die Möglichkeit gegeben werden, dem Angriff des Dritten aus dem Wege zu gehen und ihn gegen den eigentlichen Beklagten zu leiten. Allein nicht nur ihm gegenüber ist das Rechtsinstitut von wesentlicher Bedeutung, sondern auch für denjenigen ist es nicht unwichtig, welcher den An­ spruch erhebt; es kann von ihm nicht verlangt werden, daß er sich mit einem Anderen, als dem Eigenthümer in einen Streit über seine Rechte einlaste, da er sonst Gefahr läuft, das erstrittene Urtheil gegen ihn nicht zur Ausführung bringen zu können. Schon das Gem. Recht kannte die R., deren Quelle 1. 2 C. nbi in rem 3, 50 und C. 5. § 7 ut lite non contest. ist, in welchen dem verklagten Naturalbefitzer eines Immobile das Recht zugesprochen, bzw. die Pflicht auferlegt wird, denjenigen zu nennen, in befielt Namen er besitzt, damit dieser statt seiner den Prozeß führe. Das Gem. Recht hat die Vorschrift auch auf bewegliche Sachen ausgedehnt (vgl. Windscheid, Pandekten, § 196 Not. 6). Welche Folgen im Gem. Recht die Unterlastung der N. hatte, darüber herrscht Streit. Die einen wollen den Be­ klagten als einen solchen behandeln, qui liti se obtulit, die anderen erachten ihn, indem sie in dem Institut der N. nur eine dem Beklagten gewährte Rechtswohlthat sehen, für den richtigen Beklagten, verlangen seine Verurtheilung zur Anerkennung des klägerischen Anspruchs und überlasten dem Eigenthümer die Anstellung der Dindikationsttage (vgl. Vangerow, Pandekten, § 332 Sinnt. 3). Aus dem Gem. Rechte ist die Lehre von der N. in das Preußische übergegangen. Ihre Grundsätze find enthalten in den §§ 165, 166 I. 7 Allg. LR. Nach ihnen sind der Inhaber und der unvollständige Besitzer einer Sache, auf welche von einem Dritten Ansprüche erhobm werden, zur N. an dm Eigmthümer nicht blos berechtigt, sondem verpflichtet, widrigenfalls sie sich sowol dem Kläger, wie dem Auktor gegen­ über verantwortlich machen (Förster, Privatrecht, § 164)., Eine Konsequenz dieses Grundsatzes ist der 8 11 I. 15 Allg. LR., welcher dem im Vindikationsprozeste belangten Detentor die Pflicht auflegt, den Ggenthümer zum Prozeß heranzuziehen. Die Judikatur des O.Trib. (Striethorst, Archiv, Bd. 39 S. 86) hat auch den beklagten Nießbraucher für verbunden erachtet, den Eigenthümer zu nominiren. In prozeßrechtlicher Beziehung haben die §§ 34 ff. I. 17 Allg. Ger.Ordn, das Institut der N. geregelt. Bewegliche und unbewegliche Sachen, zwischen denen auch das Allg. LR. keinen Unterschied macht, sind gleich gestellt, jedoch wird von dem Beklagten eine Bescheinigung der Richtigkeit seiner Angaben gefordert. Dem Nominaten wird auf Verlangen des Beklagten vom Richter eine Frist gesetzt, binnen welcher er seine Erklärung auf die N. abzugeben hat. Tritt er in den Prozeß ein, so scheidet der Beklagte aus demselben aus. Auch die Deutsche CPO. hat die Nothwendigkeit des Rechtsbehelfes der N. anerkannt und sie im dritten Titel unter der Ueberschrift „Betheiligung Dritter am Rechtsstreite" im § 73 behandelt. Nominiren kann und darf danach nur derjenige, gegen den ein Rechtsstreit anhängig gemacht ist wegen einer Sache, die er nur Namens eines Anderen, sei es als Inhaber oder als unvollständiger Besitzer in

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Nomination.

Gewahrsam hat. Stehen ihm selbst irgend welche Ansprüche oder Rechte an der Sache zu, so hört sein N.recht aus, da er seine eigenen Rechte zu vertheidigen hat. Zwischen beweglichen und unbeweglichen Sachen wird eine Unterscheidung nicht ge­ macht. In Preußen hat der § 7 des Gesetzes vom 5. Mai 1872 der N. bei un­ beweglichen Sachen ihre Bedeutung entzogen. Zur N. ist der Beklagte nicht verpflichtet. Will er von ihr Gebrauch machen, so kann es giltig nur vor der Verhandlung zur Hauptsache in der Form der Streit­ verkündung geschehen. Er muß also dem Nominaten einen Schriftsatz zustellen lassen, welcher den Grund der R. und die Ladung des Nominaten zu einer mündlichen Verhandlung behufs Erklärung auf die N. enthalten und dem Kläger in Abschrift mitgetheilt werden muß. Da eine Einlassung des Nominaten auf den Prozeß ihn als den richtigen Beklagten bezeichnen und dem Kläger gegenüber zur Durchführung des Rechtsstreites verpflichten würde, so ist er befugt, dieselbe so lange zu ver­ weigern, bis sich der Nominal auf die N. erklärt oder die Abgabe einer Erklärung durch Ausbleiben im Termin verweigert hat. Hieraus folgt, daß die N. nur in erster, nicht auch in späteren Instanzen angebracht werden darf, und daß sie bei einer erst im Laufe des Prozesses eingetretenen Rechtsnachfolge aus Seiten des Beklagten keine Anwendung findet. Erklärt sich Nominat auf die N. nicht, oder lehnt er seine Verpflichtung zur Uebernahme des Prozesses ab, so trifft auch den Beklagten die Pflicht nicht, für seine Rechte schützend einzutreten. Er ist berechtigt, den geltend gemachten Anspruch anzuerkennen und, ohne sich auf den Prozeß einzulassen, dem Anträge des Klägers zu genügen. Nun geht zwar Nominat durch die Handlung des Beklagten seiner Rechte nicht verlustig, und kann auch der Aufforderung des Beklagten an ihn die Androhung der Präklusion nicht beigefügt werden. Er kann sich jedoch an den Beklagten nicht mehr halten, sondern muß gegen den Kläger auftreten und in dem anzustellenden Prozeß die Rolle des Klägers übernehmen. Erkennt er dagegen die N. an und ist zur Vertheidigung seiner Rechte bereit, so steht dem Beklagten das Wahlrecht zu, entweder mit ihm gemeinschaftlich den Prozeß weiter zu führen, ihn also in die Stellung eines Litisdenunziaten zu drängen, oder ihm die Prozeßführung allein zu überlassen und aus dem Prozesse auszuscheiden. Er kann im letzteren Falle vom Gericht verlangen, daß es ihn von der Klage entbinde. Ob dies durch Urtheil oder durch Beschluß geschehen muß, bestimmt das Gesetz nicht. Das Schweigen hat zu Kontroversen geführt. Allein die Ansicht, daß die Entbindung in der Form eines Urtheils zu erfolgen habe, ist nicht stichhaltig. Jedes, auch das Zwischenurtheil setzt einen Streit zweier Parteien voraus, den es entscheidet. Diese Voraus­ setzung fehlt hier, da Nominant und Nominat einig sind, dem Kläger aber ein Widerspruchsrecht im Allgemeinen nicht zusteht, er sich vielmehr die Substituirung eines anderen Beklagten gefallen lassen muß. Nur durch einen Beschluß kann das Ausscheiden des Beklagten aus dem Prozeß genehmigt bzw. konstatirt werden. Allerdings ändern sich nun die Parteien, dennoch aber wird das ergehende Urtheil auch gegen den ausgeschiedenen Beklagten wirksam und vollstreckbar. Wenn also die Streitsache in seinem Gewahrsam bleibt, kann gegen ihn die Zwangsvollstreckung eintreten, vorausgesetzt, daß die Vollstreckungsklausel gegen ihn gerichtet wird. Nur dann kann der Kläger dem Eintritt des Nominaten in den Prozeß widersprechen, wenn der Anspruch des Klägers aus den eigenen Handlungen des Beklagten, qua Inhaber der Sache und ohne Rücksicht auf das Eigenthumsrecht an derselben her­ geleitet wird. Hat der Beklagte die N. unterlassen oder nicht rechtzeitig angebracht, so ist er nicht nur zur Führung des Rechtsstreites verpflichtet, sondern auch dem Eigenthümer für diese Führung verantwortlich. Es stehen diesem nicht nur alle Angriffe gegen ihn zu, welche sich auf die Behauptung einer unrichtigen Entscheidung des Rechtsstreites und auf die einer schlechten Prozeßführung gründen, sondern er muß auch alle Einreden gegen sich gelten lassen, welche der Eigenthümer dem Ansprüche des Dritten hätte entgegensetzen können. Meves.

NomirrattorrSrecht — RormalarbeUStag.

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Nvmi«Ltio«8recht (jus nominandi) ist das Recht, ben zukünftigm Amts­ träger eines vakanten Benefiziums zu ernennen, sofern es nicht dem nach den allge­ meinen Regeln ordentlicher Weise zur Verleihung berechtigten Oberen zusteht. Der Ausdruck wird aber auch vielfach zur Bezeichnung des Präsentationsrechtes gebraucht. Von letzterem unterscheidet sich das N. dadurch, daß der Berechtigte in Folge des ersteren nur befugt ist, dem kirchlichen Oberen ein genügendes Subjekt vorzuschlagen, bei der Nomination aber schon durch die Ernennung der Amtstitel verliehen wird, freilich ohne daß der Nominirte vor Prüfung seiner Qualifikation und ohne eine be­ sondere Zulassung die Amtsbefugnisie auszuüben berechtigt wäre. Das N. im eigentlichen Sinne kommt namentlich bei der Anstellung der Hofgeistlichkeit, der Militärgeistlichen und Geistlichen an Staatsanstalten (Gefängniffen, Kranken- und Irrenhäusern) vor und steht dem Landesherrn, bez. der Staatsbehörde zu. Bon größerer Bedeutung ist die vielfach dm Fürsten in Betreff der Bisthümer, Äbteim und Kanonikate zukommende Nomination- So nominirt z. B. in Deutschland der König von Bayern auf sämmtliche Bisthümer seines Landes, und auch der Kaiser von Oesterreich hat ein solches Privileg sür einm Theil der bischöflichm Stühle des Kaiserstaates, welches ihm freilich zugleich die Pflicht auferlegt, vor der Ernennung dm Rath der Bischöfe der betreffenden Provinz einzuholen. Femer nominirt der Kaiser in Oesterreich auf alle Kapitelspfründm mit Ausnahme der ersten Dignität und der der bischöflichen Kollation oder einem Patronatrecht unterworfmen Kanonikate, der König von Bayern auf die Dekanatsstellm und die in dm sechs päpstlichen Monaten vakant werdendm Präbmdm, für die altprmßischen Bisthümer endlich ernennt der König von Preußen auf die Dekanate und die in der erwähnten Zeit zur Erledigung kommenden Domhermstellen kraft besonderen päpstlichen Jndultes. Die .Kurie betrachtet alle diese Rechte nur als Präsentationsrechte, wiewol sie nach der Staatspraxis in einzelnen Ländem als N. behandelt werden. Quellen: Oesterr. Konkordat von 1855 Art. 19, 22. — Bayer. Konkordat von 1817 Art. 9, 10. — Für Preußen Bulle: De salute animarum von 1821. Lit.: Hinschius, Kirchenrecht, Bd. 2 S. 609, 691, 695 ff.; Bd. 3 S. 98 ff. — Dgl. den Art. Informativprozeß. P. Hinschius. Noodt, Gerhard, S 4. IX. 1647 zu Nimwegen, stud. daselbst, zu Lehden, Utrecht, wurde zu Franeker 1669 Doktor, 1671 Lehrer an der Universität von Nimwegen, später zu Franeker, Utrecht und Leyden, t 15. VIII. 1725 zu Lehdm. Schriften: De acquirenda et retinenda et amittenda possessione, Noviom. 1668. — Probabilium jur. civ. lib. I. Lugd. Bat. 1674: lib. II., 111. 1679; ed. nova 1691 in 4 Büchern. — De foenere et usuns libri III, Lugd. Bat. 1698. — Comment, in Justiniani Digests 8. Pandectas Juris enucleati, Lugd. Bat 1716. — Diocletianus et Maximinianus 8. de transactione et pactione criminum lib. Singularis, Lugd. Bat. 1704. — De forma emendandi doli mali in contrah. negott admissi apud veteres, Lugd. Bat. 1709 — Opera, Lugd. Bat. 1713, ed. nov. 1724; ed. Barbeyracius Lugd. Bat. 1735; ed. noviss. 1767. Lit.: Jugler, II. 365—383. — Rivier, 580. Teichmann.

NsrrualarbeitKtag. Man versteht damnter einen Schutz erwachsener Männer gegen Ueberarbeitung in Fabriken. Ein solcher besteht zunächst in Frankreich auf Grund des Gesetzes vom 9. Sept. 1848, aber, wie es scheint, nur auf dem Papier. Er besteht femer gegenwärtig in der Schweiz, und zwar in der Weise, daß die Arbeitszeit nicht über 11 Stunden betragen darf und daß Nachtarbeit verboten ist, daß aber ziemlich weitgehende Dispensationen insbesondere für bestimmte Geschäfts­ zweige zulässig sind, so daß namentlich die Nachtarbeit für gewiffe Fabriken dauemd gestattet werden kann. Er besteht in den Vereinigtm Staaten insofern, als in allen auf Unionsrechnung betriebenen Anlagen ein Arbeitstag von 10 Stunden einzuhalten ist. Endlich besteht der 91. thatsächlich in England wenigstens in einer Anzahl von Industrien, insofern, als die Arbeitsdauer für die jungen Personen und Frauen 10 resp. IO1/* Stunden beträgt, diese Kategorien aber (namentlich die Frauen) sehr zahl-

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Normaljahr.

reich find, und daher wegen der nothwendigen Kooperation mit den Männern auch für diese die Arbeitsdauer auf dieselbe Zeit fich bestimmt. Die Frage ist in der That eine sehr schwierige, insbesondere deshalb, weil es schwer festzustellen ist, inwie­ fern eine solche Reduktion der Arbeitszeit auch eine Reduktion der Leistungen zur Folge hat, und wieweit die nationale Produktion im Stande ist, eine solche Reduktion zu ertragen; eine Verkürzung der Arbeitszeit wird zwar vielfach eine Steigerung der Arbeitsleistungen zur Folge haben, indefien erreicht die Intensität der Arbeit, namentlich beim Maschinenbetrieb, sehr bald ihre Grenze. Lit.: Dgl. inSbes. die Lit. d. Art. Fabrikgesetzgebung. Ernst Meier.

Normaljahr (annus decretorius) ist das für die Religionsübung der christ­ lichen Bekenntnisse maßgebende Jahr 1624. Nach dem Westfälischen Frieden wurde zwar jedem Landesherrn kraft seiner Territorialhoheit auch das jus reformandi bei­ gelegt ; diese Bestimmung sollte jedoch nicht hindern, daß die Landsassen, Vasallen und Unterthanen katholischer Stände, welche entweder die öffentliche oder Privat­ übung der evangelischen Religion im Jahre 1624 zu irgend einer Zeit dieses Jahres hatten, sie auch fernerhin behalten sollten. Die darin Gestörten sollten in den Zu­ stand des Jahres 1624 wiedereingesetzt werden. Aeltere Verträge, welche der Ob­ servanz des Jahres 1624 entgegen sind, verloren ihre Geltung. Evangelische Unter­ thanen katholischer Stände, welche zu keiner Zeit dieses Jahres die öffentliche oder private Religionsübung hatten, sollten geduldet und ihnen eine Hausandacht zu­ gesichert werden. Auch erhielten die Letzteren das Recht der Auswanderung ohne Verkürzung ihres Vermögens. Ebenso entschied bei Lehen hinsichtlich der religiösen Verhältnisse das N., und dasselbe bestimmt auch die Landeshoheit, sofern dieselbe streitig war, bis zum Austrage des Streites. Auch die Einkünfte, welche die Evan­ gelischen im Jahre 1624 aus katholischen Ländern bezogen hatten, sollten ihnen be­ lassen bleiben und der Bezug von Zehnten und anderen Einkünften eingegangener Klöster dem gehören, welcher sie 1624 in Besitz hatte. Nur für Schlesien und Niederösterreich galt das N. nicht, doch hatte der Kaiser sich zu einzelnen Kon­ zessionen (z. B. Schutz der Schlesischen Herzöge von Liegnih, Brieg, Münsterberg und Oels, sowie der Stadt Breslau in der evangelischen Religion), sowie zu dem Versprechen verstanden, Niemanden der Augsburgischen Konfession wegen zum Aus­ wandern zu zwingen. Später entstanden Aenderungen durch den Ryßwicker Frieden, durch dessen Art. 4 Ludwig XIV. die Beibehaltung des katholischen Religions­ zustandes ausbedungen hatte. In Folge deffen wurde der Besitzstand des N. an 1922 Orten geändert. — Besonders hervorzuheben ist der 1. Januar 1624 (dies decretorius, Normaltag). Derselbe sollte für den Besitz des reichsunmittelbaren Kirchengutes jeder Konfession entscheidend sein, jedoch so, daß hier das reservatum ecclesiasticum gelten sollte. In Betreff der mittelbaren Stifter, Klöster, Kirchen und Schulen kam es ebenfalls blos aus den Besitzstand vom 1. Januar 1624 an. — Aenderungen traten 1803 und durch die Wiener Bundesacte ein, doch wurde jeder Religion ihr Besitz zugefichert, und der Grundsatz freier Religionsübung drang allmählich für alle Bekenntnisse dllrch. — N. war aber auch für das Deutsche Staats­ recht von Bedeutung. Auf dem Reichstag war im Fürstenkollegium das Stimmverhältniß ein schwankendes. Es wurde allmählich der Grundsatz angenommen, daß die Stimmen fest auf dem Lande hafteten, auch wurde durch Herkommen das Jahr 1582 als N. für die Stimmführung im Reichsfürstenrath ausgestellt, soweit nicht durch Reichsgesetze (Westfälischen Frieden) und sonstige Bestimmungen, sowie durch den Reichsdeputationshauptschluß von 1803 Aenderungen eingetreten waren. Dem­ gemäß führten nur diejenigen Fürsten Virilstimmen, welche schon vor 1582 — einem Jahre, in welchem Kaiser Rudolph II. einen großen Pairsschub durch Er­ hebung Oesterr. Landesadeligen in den Reichsfürstenstand veranstaltet hatte — Fürsten waren. Die anderen Grasen und Herren hatten nur Kuriatstimmen und behielten

Nörregaard — Notariat.

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dieselbe auch, wenn sie nach 1582 in den Fürstenstand traten. — Privatrechtlich findet sich im Preußischen Rechtsgebiet ebenfalls ein R. Daffelbe verdankt seine Entstehung der Kab.Ordre vom 6. Febr. 1745, worin die Fiskale der Kriegs- und Tomänenkammern angewiesen werden, Niemanden unter dem Deckmantel der Justiz zu chikaniren, und eine spätere Kab.Ordre vom 28. Januar 1747 bestimmt, daß die Besitzer fiskalischer Grundstücke und Gerechtigkeiten nicht durch das officium fisci behelligt werden sollten. Von einer bestimmten Zeit war keine Rede. Erst in einer Instruktion an das Generaldirektorium vom 20. Mai 1748 findet sich die Be­ stimmung, daß kein Besitzer, welcher im Jahre 1740 in wirklicher Possessiva ge­ wesen , irgendwie vom Fiskus in Anspruch genommen werden sollte. Dieser Anfang der Regierung Friedrich des Großen wird auch in einer Kab.Ordre vom 9. Mai 1750 wieder in Erinnerung gebracht. Die Bestimmungen des LR. wiederholen daher nur geltendes Recht, wenn sie anordnen, daß der vollständige und ruhige Besitz einer Sache oder eines Rechts an irgend einem Tage des Jahres 1740 gegen die Ansprüche des Fiskus schützen soll. Gegen Private schützt ein solcher Besitz nicht, auch kann ein auf das N. gegründetes Recht durch späteren Nichtgebrauch untergehen. Der Besitz im N. ersetzt ein von dem Fiskus in demselben abgegebenes Anerkenntnis Nach einer ausdrücklichen Bemerkung von Suarez ist der Besitz vom Jahre 1740 nicht als Verjährung aufzufaffen, es ist ein annus nonnalis, der ohne Rücksicht auf den früher angefangenen oder später fortgesetzten Besitz die Rechte der Privaten gegen den Fiskus bestimmt. Für Westpreußen mit Inbegriff des Netze­ distrikts und des Ermelands, jedoch mit Ausnahme der Stadtgebiete von Danzig und Thorn, gilt 1797 als N., für die Rheinlande ist dagegen der 1. Januar 1815 als spätester Normaltag eingeführt. Quellen u. Lit.: Instr. pac. Osn. art. V. bes. §§ 31-37, 2, 14, 15, 25, 26, 45-47. — Reichsdep.-Hauptschluß v. 1803 § 63. — Deutsche Bundes-Acte v. 8. Juni 1815 Art. 16. — Pr. Allg. LR. 1. 9 §§ 643—647. — Westpreuß. Provinzialrecht von 1844 (Ges.Samml. S. 105) § 5. — Gesetz vom 18. Dezbr. 1831 über Präklusion FiSk.-Ansprüche in der Rheinprovinz (Ges.-Samml. 1832 S. 3). — Ueber das kirchl. Normaftahr vgl. die Lehrbücher des Kirchen­ rechts, über das Normaljahr auf den Deutschen Reichstagen die Lehrbücher der Deutschen Staats- und Rechtsgeschichte, über das Preuß. Normaljahr die Lehrbücher des Preuß. Privat­ rechts und,die Kommentare, sowie besonders Gruchot, Zeitschr. Bd. VIII. S. 266 ff. Kayser.

Nörregaard, Lauritz, £ 1745 zu Kopenhagen, wurde 1782 daselbst Prof, design., 1787 auch Generalauditeur, t 1804. Er schrieb: Natur-og Folkerettens förste Grunde 1776, umgearbeitet 1783. — Foreläsninger over den danske private Ret, 1792—99. Lrt.: Nyrup og Krafts Litlex., 437. Teichmann. Notariat, b. h. die Gesammtheit der ausschließlich und besonders für die Aufnahme und Beglaubigung von Rechtsakten bestehenden Beamten (notarii, Notare) und die diese betreffenden Verhältnisse. Die Römischen tabelliones oder notarii, welche aus der Aufnahme von Urkunden über Rechtsgeschäfte ein Gewerbe machten, ohne daß letzteren aber irgend welche besondere Beweiskraft zukam, erhielten sich in Italien auch nach dem Verfall der Römischen Herrschaft, namentlich war es die Kirche, welche sich ihrer für die Aufzeichnung der acta martyrum und Beurkundung der kirchlichen Verwaltungsakte (Ordinations-, Wahl- rc. Protokolle rc.) bediente. Als man aber in Italien seit der Karolingischen Zeit Notare für die Aufnahme von Beurkundungen gerichtlicher Verhandlungen heranzog und diesm eine gewisse Autorität beilegen mußte, um sie nicht völlig zwecklos erscheinen zu lassen, war damit die Grundlage für das moderne Notariatswesen, d. h. die Existenz besonderer Beamten mit der Befugniß zur Ausstellung von öffentlichen Glauben genießenden Akten über rechtliche Vorgänge gegeben. Ende des 12. Jahrh, erscheint das Institut in Italien vollkommen entwickelt. Die Notare sind Beamte, welche eine höhere, namentlich kaiserliche oder päpstliche Autorisation erhalten müffen, in Korporationen (collegia)

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Notariat.

unter eigenen Vorstehern (proconsules, consules, maiores) vereinigt sind und das Recht einer gewissen Autonomie (zur Handhabung der Disziplinargewalt, zum Erlaß statutarischer Bestimmungen, zur Festsetzung von Gebühren, Taren rc.) besitzen. Ihre Funktion war die Aufnahme von Urkunden mit öffentlichem Glauben und zwar galten nach der Entwickelung der legalen Beweistheorie die Notare als die Urkunds­ personen im eminentesten Sinne, denn die in der gehörigen Form von ihnen amgenommenen Instrumente hatten bis zum Beweise des Gegentheils nicht nur die Vermuthung der Echtheit für sich, sondern auch der Inhalt derselben wurde bis zum Beweise des Gegentheils als juristisch wahr angesehen. In Italien wurde die Stellung der Notare in der letztgedachten Eigenschaft dadurch recht klar zum Be­ wußtsein gebracht, daß auch die Beglaubigung der Akte der öffentlichen Behörden nicht durch eigene, zu diesen gehörige Beamte, sondern gleichfalls durch die Notarien, welche die Kollegien derselben zu Sekretärdiensten, namentlich bei den städtischen Gerichten nach einem bestimmten Turnus deputirten, wahrgenommen wurde. Diese Trennung des N. als Organs für die öffentliche Beglaubigung und für die Ver­ waltung der sog. freiwilligen Gerichtsbarkeit von den Gerichten hat sich bei der Ver­ breitung des Instituts über Italien hinaus in Frankreich namentlich dadurch, daß die Könige demselben ihre Aufmerksamkeit zuwandten, erhalten. Die früheren Einrichtungen haben auch die Stürme der Französischen Revolution überdauert und das heut in Frankreich die Grundlage bildende Gesetz vom 25 Yen tose XI (16. März 1803) zeigt noch deutlich den Zusammenhang mit der mittelalterlich­ italienischen Gestaltung. Die Französischen Notarien werden staatlich angestellt, nachdem der Kandidat ein Alter von 25 Jahren, ein Stage (d. h. praktische Be­ schäftigung) von 6 Jahren bei einem Notar, und endlich seine Moralität und Fähigkeit nachgewiesen hat. Da die Französischen Gerichte allein mit der Hand­ habung der streitigen Gerichte betraut sind, so fällt den Notaren die Verwaltung der sog. freiwilligen Jurisdiktion (Ausnahme von Verträgen, selbst Schenkungen, von letztwilligen Verfügungen, von anderen einseitigen Akten, z. B. Protesten, ferner die Vollziehung von Verkäufen aus freier Hand oder in öffentlicher Versteigerung) anheim. Sofern die N.akte von ihnen in den vorgeschriebenen Formen, für deren Beobachtung sie den Parteien verantwortlich sind, ausgenommen worden, haben sie nicht nur öffentlichen Glauben als instrumenta publica, sondern sie sind auch ebenso vollstreckbar wie die gerichtlichen Urtheile. Die Ueberwachung der Amtsthätigkeit der Notare steht den aus denselben iür bestimmte Distrikte gebildeten Disziplinar­ kammern zu, welchen serner die Beilegung der Gebührenstreitigkeiten zwischen beii Notarien und ihren Klienten zukommt. Auch in Deutschland ist dieses System, allerdings mit gewissen Modifikationen, recipirt worden; so zunächst in den Ländern, in welchen am Ansange dieses Jahrhunderts die Französische Gesetzgebung überhaupt eingesührt worden ist, wie z. B. in Rheinpreußen, wo indessen die "Notare keine Disziplinarkammern besitzen, sondern unter der Disziplinargewalt der Gerichte stehen, und für die Anstellung, abgesehen von einer praktischen Vorbereitung, vorgängiges Universitätsstudium und Ablegung der N.Prüfung verlangt wird. Ferner ruht die Gestaltung, welche das N. im Jahre 1861 in Bayern und 1871 in Oester reich erhalten hat, ebensalls aus Französischer Grundlage. Die Einrichtungen in den übrigen Deutschen Ländern erklären sich daraus, daß hier das N. nicht recht lebensfähige Wurzeln hat schlagen können, weil die Territorialgerichtsherren ihren Gerichten schon wegen der Einkünfte die Ausübung der sreiwilligen Gerichtsbarkeit zu erhalten suchten und in Folge davon nicht die Notare, sondern eigens angestellte Sekretäre zur Beurkundung der gerichtlichen Akte verwandten, sowie endlich die zahlreichen Ernennungen von Notaren durch die zur Ausübung der kaiserlichen Reservatrechte bestimmten sog. Hofpfalzgrasen das Institut diskreditirten. In Folge dieser Entwickelung erscheinen die Notare noch heute vielsach (so z. B. in Altpreußen) nur als besondere, mit der Verwaltung der freiwilligen Gerichtsbarkeit

Nste.

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betraute Beamte neben ben Gerichtm, welchen letzten die Aufnahme der wichtigsten Urkunden (z. B. der Testamente) Vorbehalten ist. Ferner erklärt sich auch daraus die mehrfach (z. B. ebenfalls in Altpreußen) vorkommende Verbindung der Notar- und Anwaltsstellen. An diesem Zustande ist auch durch das neue Gesetz vom Jahre 1880, welches dem früheren Altpreußischen Gesetz Wirksamkeit für sämmt­ liche gemeinrechtliche Landestheile mit Ausnahme des Oberlandesgerichtsbezirkes Celle — hier gilt die N.ordnung von 1853 — verliehen und das N. da, wo es in diesen Gebieten nicht bestand, emgeführt hat, nichts geändert worden. — Eine einheitliche Regelung des N.wesens in Deutschland ist bisher nicht erfolgt. Quellen u. Bit.: Frankreich, s. oben im Texte. — Rheinpreuß. Notar.Ordn vom 25. April 1822. — Altpreußen, Allg. GerOrdn. Th. III. Tit. 7; Notar.Qrdn. v. 11. Juli 1845; Ges. v. 8. März 1880, enthaltend Bestimmungen über daS Notariat. — Hannover, Notar.Ordn. v 18. Sept. 1853. — Oesterreich, Notar.Ordn. v. 25. Juli 1871 (welche die frühere vom 21. Mai 1855 beseitigt hat). — Königr. Sachsen, Notar.Ordn. v. 3. Juni 1859. — Bayern, Notar.Ordn. vom 10. Novbr. 1861. — Württemberg, Gesetz vom 14. Juni 1843, 4. Juli und 17. August 1849. — Baden, vom 3. Nov. 1806 mit vielen Nachträgen. — Braunschweig, vom 13. Nov. 1850. — Hamburg, vom 18. Dez. 1815. — Bremen, vom 13. Nov. 1820. — Lübeck, vom 10. Okt. 1838. — Kühne u. Sydow, Die Preuß. Gesetze betr. das Notariat in den LandestheilenI des Gemeinen Rechtes und des LR., Berlin 1880. — Die (Oesterr.) Notariatsordnung vom 25. Juli 1871 sammt allen darauf bezüglichen Verordnungen, 7. Aufl. Wien 1880. — Oesterley, Das Deutsche Notariat, Hann. 1842, 1845, 2 Thle. — I. Merkel, Das Notariat, Leipz. 1860. — Euler, Handd. d. Notariats in Preußen .... mit Rücksicht auf das übrige Deutschland, Frankreich und andere Länder, Düsseldorf 1858. — M. DeliuS, Das Amt des Notars nach Preuß. Recht, Liffa 1864. — K. Dick, DaS gemeinrechtliche Notariat in Parallelen zur Rheinpreuß. Notar.Ordn., Bonn 1872. — Chiari, Handbuch des Oesterr. Notariats, 2. Aufl., Wien 1856. — Geßner, Das Bayer. Notariat. — Behr end, Ztschr. für die Deutsche Gesetzgebung rc., Bd. VI. (1872) S. 605. — Zeitschriften erscheinen in Köln für das Notariat in Rheinpreußen, und in Nörd­ lingen für Deutschland und Oesterreich (herausgeg. von Graf); die in Wien für Oesterreich von Langer herausgegebene ist 1862 eingegangen. P. Hinschius.

Note, Schluß-N. Note, Nota oder Rechnung heißt die Rechnung des Kaufmanns für den Konsumenten, auch die Rechnung über Werthpapiere oder Geld. Faktur ist die int Handelsverkehr, namentlich unter Entfernten, übliche Rechnung. — Von erheblicher juristischer Bedeutung ist die Schluß-N. (Schlußzettel), d. h. die regelmäßig von dem Handelsmäkler (s. d. Art. Mäkler) den Kontrahenten ertheilte Beurkundung des durch ihn vermittelten Geschäfts. Das Allg. D. HGB. verpflichtet den (amtlich bestellten) Handelsmäkler, die v on ihm unterzeichnete Schluß-N., welche, wie die Eintragung in das T a g e b u ch (s. diesen Art.), die Namen der Kontrahenten, die Zeit des Abschlusses, die Bezeichnung des Gegenstandes und die Bedingungen des Geschäfts (häufig „allgemnne Bedingungen" oder „Usancen" nach gedrucktem Formular) enthalten muß, jeder Partei ohne Verzug nach Abschluß des Ge­ schäfts zuzustellen. Bei Geschäften, deren Erfüllung vertragsmäßig auf eine ge­ wisse Zeit hinaus aufgeschoben ist, ist je ein Exemplar jedem Kontrahenten zur Unterschrift zuzustellen; die unterschriebenen Exemplare sind demnächst aus­ zuwechseln. Die Unterzeichnung enthält ein Anerkenntniß des abgeschlossenen Geschäfts. Auch in der vorbehaltlosen Annahme der N. kann die Genehmigung liegen. Die rechtliche Natur der Schluß-N. wird sonst durch die fragliche Vor­ schrift nicht verändert. Die Gültigkeit des Geschäfts ist weder von der Unterschrift der Parteien, noch von der Aushändigung oder Annahme der Schluß-N. abhängig; von der Verweigerung der Annahme ist nur Anzeige an die andere Partei zu erstatten. Der Code comnt fordert für die Beweiskraft der Schluß-N. (bordereau) stets die gehörige Unterschrift der Parteien; bezüglich der Assekuranzmäkler schreibt derselbe vor, daß sie die Policen in Konkurrenz mit ben Notaren verfassen und deren Echtheit durch ihre Unterschrift bekunden. Nach dem Italienischen HGB. von 1865 kann das Gericht auch auf nicht von der Partei unterzeichnete Schluß-N. Rücksicht nehmen; unterzeichnete haben volle Beweiskraft. Nach Englischem Recht nimmt man an, daß, wenn die N. nicht unterzeichnet

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Notherde - Nothfrift.

find oder nicht übereinstimmen, lediglich aus das Tagebuch zu rekurriren ist. Im Uebrigen ist es streitig, ob die N. oder das Tagebuch als der eigentliche Kontrakt zu betrachten find, ob also bei Differenzen dieser oder jene Vorgehen. Das Richtige ist wol das Letztere. Das Allg. Deutsche HGB. behandelt auch in Ansehung der Beweiskraft die Unterzeichnung durch die Parteien als ein für die wahre Bedeutung der Schluß-N. völlig äußerliches Moment. Im Uebrigen find die ohnehin sehr verklausulirten Beweisregeln des HGB. durch das EG. zur CPO. als mit dem Prinzip der freien Beweiswürdigung nicht verträglich beseitigt. Die Schluß-N. der Privathandelsmäkler haben auf eine bevorzugte Beweiskraft über­ haupt keinen Anspruch. — Die Schluß-N. des Mäklers gehört zwar nicht zu den im HGB. direkt für indoffabel erklärten Papieren. Dennoch wird dieselbe im Ver­ kehr häufig als Werthträger behandelt, indem namentlich der Käufer mittels Uebertragung der Schluß-N. (wie bei den von den Kontrahenten selbst ausgestellten „Schlußscheinen" oder „Schlußzetteln") über die Waare verfügt. — Im Deutschen Reiche wird neuerdings beabsichtigt, Schluß-N. und Rechnungen einer Stempelabgabe zu unterwerfen.

Gsgb. u. git: Allaem. Teutsches HGB. Art. 73, 76, 79 Abs. 1. — EG. zur CPO. v. 30. Jan. 1877 § 13 Abs 2 Nr. 2. — CPO. § 259. — Code comm. art. 79, 109. - Gold­ schmidt, Handb., II. S. 787, Nr. 2, 793. — Lamprecht bei Busch, Archiv, N. F. I. S. 117. — Meier bei Hartmann, Centralora., N. F. VIII. S. 18. — Entsch. d. ROHG. IV. S. 137; XI. S. 172; XIII. S. 292; XVII. S. 227, 369, 374; XXL S. 97; XXIV. S. 380. — Schlußzettel bei Goldschmidt u. Laband, Ztschr. s. das ges. H.R., XVII. S. 174, 625 ff.; XXIV. S. 232 ff. und die Lit. hinter dem Art. Makler. R. Koch.

Notherbe, s. Pflichtteil. Nothfrist (Fatale, tempus fatale; Th. I. S. 538, 559 ff., 562; v. Bar, Suppl. S. 56, 58; John, Suppl. S. 72 ff.). Tas Wort N. gehört zunächst der Terminologie des CivilPrz. R. an und zwar mit der Bedeutung einer Frist, deren einmal bestimmte Dauer unabänderlich ist, gegen deren Versäumung aber unter Umständen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ertheilt wird; ihre charakteristische Eigenschaft, die Unabänderlichkeit, kommt nach geltendem Deutschen Civ.Prz.R. nur denjenigen Fristen zu, welche die CPO. ausdrücklich als R. bezeichnet; letzteres ist der Fall bei der Bestimmung der Fristen: zur Einlegung des Einspruchs, der Berufung, der Revision, der sofortigen Beschwerde, ferner zur Erhebung der Restitutions- und Nichtigkeitsklage, sowie der Anfechtungsklage gegen ein Ausschlußurtheil und gegen einen Schiedsspruch. Das Gesetz bestimmt in allen Fällen genau den Beginn des Laufes und die Dauer der Frist, die N. bilden daher eine Art der „gesetzlichen Fristen"; über diese und die Fristen überhaupt s. unter d. Art. Frist. In demselben Sinne kennt auch das S trafPrz. R. N. zur Anbringung des Ge­ suchs um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, zur Anbringung der sofortigen Beschwerde, zur Einlegung der Berufung, zur Rechtfertigung derselben, zum Antrag auf Aufhebung des Einstellungsbeschlusses im Vorverfahren u. s. w. Wenn bei der prozessualen N. der Gedanke, daß es sich um ein im Interesse des Einzelnen eingeräumtes subjektives Recht handle, dessen Ausübung an eine be­ stimmte Frist von vornherein gesetzlich gebunden ist, vor der Idee in den Hinter­ grund tritt, daß, wie der ganze Prozeß eine Einrichtung des öffentlichen Rechts, so auch die N. und auch die an N. gebundene Befugniß nur im öffentlichen Interesse konstituirt sei, so ist damit nicht ausgeschloffen, den rechtspolitischen Gedanken, welcher der Einrichtung der 91. auf dem Prozeßgebiet innewohnt und sie auf diesem Gebiete hervorgerufen hat, auch auf den übrigen Rechtsgebieten wieder zu erkennen. Die öffentliche Ordnung erheischt in vielen Fällen, daß, wo sich an die Vornahme oder Nichtvornahme einer Handlung Folgen knüpfen, die für Tritte oder das Gemein­ wesen von rechtlicher Bedeutung sind, die Entscheidung zwischen Thun und Lassen u. s. w. innerhalb einer gesetzlich bestimmten Frist getroffen und hiernach gehandelt werde,

Rothfttst.

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widrigenfalls diese oder jene Rechtsfolge eintreten würde, und zwar kraft gesetzlicher Disposition. In diesem Sinne find z. B. auch zahlreiche Fristen, die sich in Wahl­ gesetzen finden (z. B. Deutsches Reichstagswahlgesetz § 8 Abs. 2 § 14; Reglement hierzu §§ 2, 3, 9, 10, 17 u. a.) als N. anzusehen; desgleichen die Fristen, deren Versäumung im Strafrechte (angrenzend wegen der Buße auch im Privatrecht) ein „Sich-am-Rechte-Verschweigen" bei Antragsdelikten mit sich bringt. Um der öffentlichen Ordnung willen kennt auch das Privatrecht aller Länder und Zeiten zahlreiche R. Man denke z. B. an die R., welche in den verschiedenen Erbrechten aufgestellt werden. Häufig wird die Wirkung der Versäumung einer R. als „Verjährung" bezeichnet (vgl. hierüber die Art. Verjährung und Verjährungsfristen im Civil- und Strafrecht); allein, wenn man auch nicht verkennen darf, daß das Institut der R. wie das der Verjährung im Jntereffe der öffentlichen Ordnung zur Klärung von Rechtsverhältniffen, zur Kürzung von Streitigkeiten u. f. w. eingeführt ist, so besteht doch zwischen den beiden Instituten ein bemerkenswerther Unterschied, mindestens im Ausgangspunkte: die an eine R. gebundenen Befugniffe tragen den Keim ihrer Endigung in sich von vornherein prädestinirt, die innerhalb einer R. vorzunehmenden Handlungen find ihrem ganzen Wesen nach nur im Rahmen der R. gefaßt und außerhalb desselben schon von vornherein gar nicht als Das denkbar, was sie sein sollen und find; dagegen ist die Verjährung (und ebmso das „Sich-am-RechteVerschweigen" bei Ediktalcitationen sub poena praeclusi, bei Aufgeboten, Amortisattonen und ähnlichen Fällen, wie in Verm. LR. d. Sachsensp. ed. Böhme, I. 25 pr. u. I. 39, 3; vgl. mit Rechtsbuch nach Distinktionen ed. Ortlosf, I. 31, 1) ein von außen in das der Verjährung (u. dgl.) unterworfene Rechts­ verhältniß hineingetragener Endigungsgrund, eine Rechtsaushebung, welche durch eine Reihe von Maßnahmen, die nicht die Prinzipale Handlung, die Rechtsausübung selbst, sind, abgewendet oder auf's Neue aufgeschoben werden kann, ohne daß die von der Verjährung bedrohte Handlungsbesugniß irgend in ihrem Sinne oder Zwecke verändert würde. („Verjährung ist die Aufhebung eines Anspruchs in Folge der während eines gewiffen Zeitraums unterbliebenen Vornahme jener Akte, welche die Rechts­ ordnung als Unterbrechungsgrund der Verjährung bezeichnet". A. Grawein, a. a. O. S. 55.) Praktisch zeigt sich der Unterschied zwischen N. und Verjährungs­ frist zumeist darin, daß letztere unterbrochen und die Verjährung durch Zwischen­ handlungen verschiedener Art aufgeschoben werden kann, während die N. stets ununter­ brochen, weil unuüterbrechbar, läuft und höchstms durch eine in integrum restitutio die Versäumung der N. wieder gutgemacht werden kann. Muß man demnach einen wesentlichen und praktischen Unterschied zwischen Verjährungsfrist und N. zu­ geben, so scheint doch dieser zuerst von A. Grawein mit vollster Schärfe und großer Ausführlichkeit dargelegte Gegensatz nur in den Extremen zu liegen und keineswegs ganz unvermittelt zu fein; so schwankt der Sprachgebrauch zwischen Ver­ jährung und gesetzlicher Befristung in vielen Fällen und so läßt sich mitunter wol auch darüber streiten, ob sich der Gesetzgeber die Beendigung mittels Zeitablauf für eine bestimmte Art von Rechtsverhältniffen schon von vornherein, als normal ein­ tretend dachte (N.), oder ob er der im Rechtsverhältniß vorliegmden Falls ein­ geräumten Befugniß normal die Kraft zu immerwährendem Bestände zunächst als immanent beilegte, aber die abnorme Verjährbarkeit — ex post eintretend — annahm; und auch darüber wird sich nach den hierin divergirenden Rechten streiten taffen, ob die in ihrem Ablauf eine Rechtsvernichtung herbeiführende Frist durch diese oder jene Zwischenhandlung unterbrochen oder gehemmt werden könne; es werden sich in den verschiedenen Rechtsordnungen Zwischenbildungen nachweisen lassen, welche sich der Verjährung, andere, welche sich mehr der Legalbefristung zuneigen, ohne daß der das objektive Recht setzende Faktor sich des Gegensatzes völlig bewußt ge­ worden wäre. d. Holtzendorff, Enc. II. RechtSlexikon II. 3. Aust.

57

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NothlMfe.

Zahlreiche Fristen kennt das Handelsrecht, welche nicht Verjährungsfristen, son­ dern Legalbefristungen (N.) find: z. B. Frist zur Wahl deS Auffichtsrathes in Aktien­ gesellschaften, zur Aufftellung der Bilanz in solchen (HGB. Art. 240, 249), zur Beanstandung von Gewährsmängeln (ebenda Art. 347, 349, 386, 428; in Bezug auf die Klage selbst — Verjährungsfrist), zur Geltendmachung von Pfandrechten im Frachtgeschäft-. Art. 409, 412 ; im Seefrachtgeschäst: Art. 624 ; Frist zur Nach­ holung des Versäumten in Erfüllung eines Kaufvertrags, sog. Rachholungsfrift oder Nachfrist (zwar gesetzlich bestimmt, aber nicht der Dauer nach scharf begrenzt) Art. 356, vgl. Art. 357 (Fixgeschäft); im Seerecht: Verschollenheitsfrist Art. 866 ff.; Abandonfrist Art. 846; Frist zur Zahlung der Bodmereischuld Art. 688 ff. — Frist für Banknoten-Aufruf, -Einlösung, -Einziehung s. Deutsches Bankgesetz §§ 6, 52, 53 u. a. Im Wechselrecht: Protestfrist s. WO. Art. 20, 41 (vgl. d. Art. Protest); Notifikationsfrist, WO. Art. 45, 58 (vgl. d. Art. Notifikation); Zahlungsfrist beim Ehrenaccept Art. 60 (Respekttage sind aufgehoben, WO. Art. 33), Kasfiertage s. WO. Art. 93; Wechselverjährung — N.? — s. Art. 77—80, 100. Quellen: CPO. §§ 201 ff., 304, 477, 514, 540 Abs. 2, 549, 835, 870. - StrafPO. §§ 45, 93, 100, 170, 208, 234, 348, 353, 355, 358, 360, 469. — Ferner Allg. Deutsches HGB., WO. u. s. w., die oben cit. Stellen.

Bit: Ueber Fristen civilprozeffualischen Sinnes s. die Kommentare zur EPO., namentl. zu 8 201, und die oben bei Art. Frist angegebene Lit.; desgleichen über Fristen strafprozeffualischen Sinnes die Komment, zur StrafPO., insbes. zu §§ 45 ff. Ueber R. überhaupt: A. Grawein, Verjährung und gesetzliche Befristung, eine civilistische und wechfelrechtliche Untersuchung mit besonderer Rücksicht auf das Oesterr. Recht. Erster Theil: Civilrechtliche Grundlegung, Leipz 1880. Gareis.

Nothhülfe (Intervention im weiteren Sinne; Th. I. S. 558—560) im W.R. ist ein wechselrechtliches Hülfsmittel zum Zwecke der Abwendung oder Ab­ kürzung des Regresses (vgl. Borchardt, Allg. Deutsche WO., 7. Aust. 1879, S. 286), ein Rechtsgeschäft, welches darin besteht, daß eine neue Person (d. i. eine bisher noch nicht im Nexus bet wechselrechtlichen Verpflichtungen oder Berechtigungen stehende Person) als Acceptant oder als Zahler eines bestimmten Wechsels, oder eine bereits in anderer Weise an einem Wechsel betheiligte Person in die ihr daselbst neue Stelle eines Acceptanten oder Zahlers eintritt, mit anderen Worten: intervenirt; die Hülfe, welche durch den Eintritt dieser Person, durch die „Inter­ vention" dem Kredite des Wechsels und damit zugleich dem Kredite eines oder mehrerer Wechselgaranten (nämlich des oder der „Honoraten") geleistet wird, hat zur Voraussetzung, daß der Wechsel „nothleidet", und dies ist der Fall, wenn ein gezogener Wechsel vom Traffaten nicht angenommen oder die Wechselsumme eines (eigenen oder gezogenen) Wechsels bei Verfall nicht von dem zunächst hierzu Bestimmten (d. i. bei der Tratte der Bezogene oder Domiziliat, beim eigenen Wechsel der Aussteller oder Domiziliat) bezahlt wurde und Hierwegen Protest erhoben ist. Die N. ist vor Eintritt des Nothfalles entweder bereits vorgesehen oder nicht; sie erfolgt durch Accept oder durch Zahlung. Vorgesehen ist die N., wenn auf dem Wechsel oder der Kopie deffelben eine Nothadresse angegeben ist, d. h. wenn ein eventueller Bezogener (Nothadressat oder auch Nothadreffe genannt) aus der Tratte neben oder unter dem primär Be­ zogenen, sei es von dem Aussteller, sei es von einem Jndoffanten des Wechsels, in beiden Fällen vom Nothadrefsanten genannt wurde; dies geschieht in der Regel durch die Einfügung der Worte: „Im Nothfalle bei Herrn" — (Name des Nothadreffaten) — oder „Nötigenfalls bei N . . ", oder: „Im Falle bei Herrn ..." oder dgl. (Unterschrift seitens des Nothadreffanten ist nicht erforderlich, doch wird die von einem Jndoffanten ausgehende Nothadreffe in der Regel mit den Anfangs­ buchstaben desselben unterfertigt, worüber dann näheren Auffchluß ein Avisbrief giebt, vgl. Thöl, a. a. O. S. 524). Der Trassant kann sich, wenn dadurch keine

«OttzlMse.

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neue distantia loci geschaffen wird, selbst als Rothadreffe benennen — „int Falle bei mir selbst" — eine N., welche, der Revaliruug wegen, namentlich dann Be­ deutung hat, wenn der Wechsel für fremde Rechnung gezogen ist. Dgl. Entsch. des ROHG. Bd. XIV. S. 152; Borchardt, a. a. O. S. 205, 281; Thöl, a. a. O. S. 523. (Ueber unechte Nothadreffen: nämlich die „Rothadreffe für Rechnung eines Dritten", ferner die Benennung des Bezogenen als Rothadreffe seitens eines Indossanten [b. i. Uebernahme der Revalirungspflicht seitens des Letzteren — zu unterscheiden von dem Falle, daß der Wechsel an einen Nothadreffaten girirt wird, s. Entsch. des ROHG. Bd. X. S. 284], s. O. v. Wächter, a. a. O. S. 672, 673 und Thöl, a. a. O. S. 252—254.) Die Existenz einer gültig aus den Wechsel gesetzten Rothadreffe — eine solche darf keinen vom Zahlungsorte deS Wechsels gesetzlich verschiedenen Zahlungsort einführen (doch gelten Hamburg und Altona in dieser Hinficht als Ein Platz, s. Borchardt, a. a. O. S. 281), braucht aber auch ben identischen Zahlungsort nicht wieder zu nennen, s. Borchardt, ebenda S. 282 — hat zur Folge: 1) daß, wenn der Wechsel Mangels Annahme protestirt wurde, die Annahme, bevor der Anspruch auf Sicherstellung Mangels An­ nahme gegen einen Regreßpflichtigen gerichtet werden kann, bei der Rothadreffe nach­ gesucht werden muß (Art. 56 der WO.); unter mehreren Nothadreffen gebührt der­ jenigen der Vorzug, durch deren Zahlung die meisten Verpflichteten befreit werden (s. unten); dagegen hat das Vorhandensein einer Rothadreffe keine Bedeutung für den Anspruch aus Sicherstellung toegen Unsicherheit des Acceptanten (s. Nov. 1 zur WO. und Borchardt, a. a. O. Zus. 392), auch keine sür die Zahlungspflicht des Acceptanten (s. ebenda Zus. 286). Rach Französischem und anderen WR. ist nur eine vom Aussteller herrührende Rothadreffe zu beachten, nicht die eines Jndoffanten (f. Borchardt, a. a. O. S. 283). Die Existenz einer gültigen Rothadreffe hat ferner zur Folge: 2) daß, wenn der Wechsel vom Bezogenen nicht eingelöst wurde, der Inhaber des Wechsels, bei Meidung des Verlustes seines Regreffes gegen den Nothadreffanten und gegen deffen Nachmänner, den Wechsel rechtzeitig (s. 9lrL 62 der WO.) auch dem Nothadreffaten zur Zahlung präsentsten und den Erfolg dieser Präsentation im Proteste Mangels Zahlung oder in einem Anhänge zu demselben bemerken taffen muß. (Vgl. hierzu Erk. des ROHG. bei Borchardt, a. a. O. S. 284 Anm. e.) Die R. kann aber auch eintreten, ohne auf dem Wechsel vorgesehen zu sein, und dies ist der Fall der sog. Intervention (im engeren Sinne), der sog. Ehrenintervention (in diesem Sinne), d. i. das Eintreten einer vorher int Wechsel noch nicht als (eventueller) Bezogener genannten Person als Acceptant (Ehrenacceptant int engeren Sinne, denn auch der acceptirende Nothadreffat wird Ehrenacceptant genannt) oder als Zahler (Ehr en za hl er); das Ehrenaccept ist nur bei Tratten, die Ehrenzählung auch bei eigenen Wechseln möglich. Die Form des Ehrenaccepts ist dieselbe wie die des gewöhnlichen Accepts (vgl. d. Art. Wechselaccept), jedoch enthält ersteres einen Zusatz, der es als Ehrenaccept kenntlich macht, z. B.. „zu Ehren", „per onor“, „für Rechnung" — diese Zusätze meistens mit dem Namen desjenigen Regreßpflichtigen, zu deffen Gunsten intervenirt wird (d. i. des Honoraten) oder „sopra protesto“ „8. P.u. Wer einen gezogenen Wechsel als Nothadreffat oder als Ehrenacceptant (int engeren und eigentlichen Sinne) annimmt, der übernimmt die Verpflichtung, die Wechselfurnrne nach W.R. zu bezahlen; diese Verpflichtung des Ehrenacceptanten be­ steht jedoch nicht gegenüber dem Honoraten oder deffen Vormännern, sondern nur gegenüber den Nachmännern des Honoraten; auch ist sie an eine sehr kurze Ver­ jährungsfrist geknüpft (zwei Werktage, gemäß näherer Bestimmung des Art. 60 der WO.). Außerdem lasten auf dem Ehrenacceptanten formelle Verpflichtungen: er hat sich den Jnterventionsprotest (s. d. Art. Wechselprotest) aushändigen zu taffen und denselben dem Honoraten rechtzeitig zuzusenden, unter gleichzeitiger Notifikation

57*

900

Nothhülfe.

an denselben (s. d. Art. Notifikation) bei Meidung von Schadensersatzpflicht (s. Art. 58 der WO.). Ist ein Ehrenaccept (im engeren oder weiteren Sinne) auf den Wechsel gesetzt, so haben der Inhaber und die Nachmänner des Honoraten keinen Regreß auf Sicherstellung; doch kann derselbe von dem Honoraten und dessen Vor­ männern geltend gemacht werden. Hat der Ehrenacceptant unterlassen, im Accept den Honoraten zu benennen, so gilt der Aussteller als Honorat. Das Ehrenaccept im engeren Sinne, d. i. das Ehrenaccept von Seiten einer Person, die nicht Nothadresse ist, braucht der Wechselinhaber nicht zuzulassen. Die Ehrenzahlung (im weiteren Sinne) erfolgt entweder seitens eines Noth­ adressaten, sei es, daß dieser vorher acceptirt hat oder nicht, oder seitens einer an­ deren Person (Ehrenzahler im engeren Sinne), sei es, daß diese vorher acceptirt hat (als Ehrenacceptant im engeren Sinne) oder nicht. Auch diese Art der N. tritt stets zu Gunsten (zu Ehren) eines oder mehrerer Regreßpflichtigen ein; zahlt ein Domiziliat die Wechselsumme ausdrücklich zu Ehren eines Wechselgaranten, so ist auch diese Zahlung eine Ehrenzahlung. Der Inhaber eines Wechsels ist verpflichtet, den vom Bezogenen bei Verfall nicht eingelösten Wechsel den Nothadressen und Ehrenacceptanten, sofern der Zahlungsort nicht alterirt ist, an demselben zur Zahlung zu Präsentiren, und zwar spätestens am zweiten Werktage nach dem Zahlungstage; unterläßt er dies, so verliert er den Regreß Mangels Zahlung gegen den Noth­ adressanten oder Honoraten und gegen deren Nachmänner; weist er die von einem anderen Intervenienten effektiv angebotene Ehrenzahlung zurück, so verliert er den Regreß Mangels Zahlung gegen die Nachmänner des Honoraten, und wenn mehrere Personen, sie seien Nothadressaten oder nicht, sich zur sofortigen Ehrenzahlung er­ bieten, so muß der Wechselinhaber diese von demjenigen annehmen, durch dessen Zahlung die meisten Wechselverpflichteten befreit werden. Eigenthümlich ist nun, daß der Ehrenzahler Wechselgläubiger werden kann; hat er sich nämlich nach der Zahlung den (quittirten) Wechsel und den Protest Mangels Zahlung (s. Borchardt, a. a. O. Zus. 635 a und b S. 285; Zus. 910 b S. 505) gegen Erstattung der Kosten aushändigen lassen, so wird angenommen, daß er durch die Ehrenzahlung in diejenigen Rechte eingetreten ist, welche dem Wechselinhaber (wechselmäßig) gegen den Honoraten, dessen Vormänner und den Acceptanten zu­ stehen. (Durch eine Ehrenzahlung, welche von dem Aussteller selbst zu dessen eigenen Ehren geleistet wurde, entsteht natürlich diese Folge nicht; vgl. Entsch. des ROHG. Bd. VI. S. 162; Borchardt, a. a. O. S. 198.) Hatte Jemand eine Ehren­ zahlung (im weiteren Sinne) geleistet, obgleich aus dem Wechsel oder Interventions­ proteste ersichtlich war, daß durch die von einem anderen Zahlunganbietenden vor­ genommene Ehrenzahlung mehrere Wechselgaranten befreit würden, als durch die des wirklich eingetretenen Ehrenzahlers, so hat Letzterer keinen Regreß gegen diejenigen Indossanten, welche durch Leistung der von einem Anderen angebotenen Zahlung befreit worden wären. Der Ehrenzahler kann Deckung und Provision fordern, gemäß Art. 50, 52 und 63 der WO.; aber auch ein Ehrenacceptant, welcher nicht zahlte, weil ein anderer Intervenient oder der Bezogene selbst zahlte, hat Anspruch auf Provision (Vs Prozent) und zwar gegen den wirklich Zahlenden. Quellen: Alla. Deutsche WO. Art. 29, 56-61, 62—65, 98 Ziff. 7. Quellen s. bei v. Wächter a. a. O.)

(Die ausländischen

Lit.: Thöl, H.R., II. Bd. Wechselrecht, 4. Aufl. 1878, §§ 131—143 S. 520—573 und die dort sorgfältig angegebene reiche Lit. — Borchardt, Allg. Deutsche WO., 7. Aufl. 1879, insbes. S. 99, 176, 198, 205, 281 ff., 482, 505. — O. v. Wächter, Encyklopädie des Wechselrechts, 1880, unter „Ehrenaccept" (S. 264—289), „Ehrenzahlung" (S. 290 — 316), „Nothadresse" (S. 670—675), ebenda s. namentlich die ausländische Gesetzgebung. — H. Rehbein, Alla. Deutsche WO., 1879, zu den einschlägigen Artikeln der WO. — Ueber internationales W.R. in Bezug auf Nothadressen s. Borchardt a. a. O., S. 482. — Vgl. auch die Art. Wechselprotest, Wechselregreß. G a r e i s.

Nöthigung.

901

NöthigUNg, ein Verbrechen gegen die persönliche Freiheit, bestehend in wider­ rechtlichem Erzwingen einer körperlichen Thätigkeit oder dem Unterlassen einer solchen. Es steht in nur lockerem historischen Zusammenhang mit dem Römischen er. vis und den älteren Deutsch-rechtlichen Bestimmungen über Landsriedensbruch re., ist viel­ mehr im Wesentlichen ein Produkt der neueren Doktrin, namentlich seit Grolman. Von ihm und anderen Schriftstellern, sowie von mehreren GB., z. B. dem Hessischen, Badischen, wird das Verbrechen „Gewaltthätigkeit" bzw. (Bayern 1861) „Ver­ gewaltigung" genannt; in Oesterreich fällt es unter den Begriff der „öffentlichen Gewaltthätigkeit durch Erpressung", in Frankreich und Belgien unter den der menaces. Die beste der gesetzlichen Definitionen findet sich in den StrafGB. für Baselstadt, Baselland und Zug; ähnlich die Oesterr. Entwürfe. — Das Deutsche StrafGB. behandelt die R. als ein Vergehen wider die persönliche Freiheit, welches mit Gefängniß bis zu einem Jahr oder Geldbuße bis zu 600 Mark bestraft wird. Bis zur Novelle von 1876 war die N. (mit Recht) ein Antragsfall; seitdem ist sie von Amtswegen zu verfolgen. — Der N. macht sich nach dem Gesetz Der­ jenige schuldig, welcher einen Anderen widerrechtlich durch Gewalt oder durch Be­ drohung mit einem Verbrechen oder Vergehen zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nöthigt. Es gehört also zum Thatbestand: 1) Als Mittel der N. widerrechtliche Anwendung von Gewalt oder eine Drohung, welche ein Ver­ brechen oder ein Vergehen in Aussicht stellt, wenn auch eine wörtliche Bezeichnung des fraglichen Verbrechens oder Vergehens nicht geschehen ist (s. Entsch. des Preuß. OTrib. vom 29. Juni 1865 — Goltdammer's Archiv, XIII. S. 656 ff.). Gewalt wie Bedrohung müssen geeignet sein, einen Zwang auf die Individualität Desjenigen zu üben, der genöthigt werden soll, doch genügt vis compulsiva, ja selbst das Aufdrängen eines Motivs; es wird keine vis absoluta erfordert; andererseits schließt die Anwendung einer solchen den Thatbestand der N. nicht aus (so jetzt auch das Reichsgericht, Erk. v. 19. Juni 1880 — Rechtspr. II. S. 81 ff.; — anderer Meinung früher die Preuß. Praxis, in Folge von Reminiscenzen an das Preuß. StrafGB.). — Ferner genügt es, wenn die Gewalt oder Drohung sich gegen einen Dritten richtet, wenn nur beabsichtigt ist, in dieser Weise auf Diejenigen, von welchen Etwas erzwungen werden soll, bestimmend emzuwirken und das gewählte Mittel hierzu geeignet war. Gleichgültig ist es, ob die Drohung eine mündliche, schriftliche oder „symbolische" ist und ob der Drohende das durch die Drohung in Aussicht gestellte Verbrechen rc. ausführen oder irgendwie veranlassen will, wenn nur in dem Bedrohten die Meinung erweckt wird, daß dies geschehen werde (vgl. Reichsgerichts-Erk. vom 24. Dezbr. 1879 — Rechtspr. I. S. 173 ff.). 2) Die Absicht des Nöthigers ist, irgend ein Verhalten Desjenigen, gegen den sich die N. richtet, zu erzwingen; dies Verhalten kann sogar ein dem Letzteren vortheilhaftes sein. Strafbar als N. ist auch das Erzwingen eines Verhaltens, auf welches der Nöthiger ein Recht hat (Selbsthülfe in der Form der N.) — so mit Recht die herrschende Ansicht und auch das RGer. hier gelten müssen und zureichend sind. Das Deutsche StrafGB. erklärt im

Nothzucht.

905

§ 53 Abs. 3 die Überschreitung der N. für nicht strafbar, wmn der Thäter in Be­ stürzung, Furcht oder Schrecken (was man nicht, wie H. Meyer meint, analog aus aräere ähnliche Geisteszustände ausdehnen darf) über die Grenzen der Ver­

theidigung hinausgegangen ist. Die zu enge Faffung des § 51 machte freilich eine derartige Sonderbestimmung nöthig. — 6in bloßer Borwand der N. (praetextus defensionis) ist natürlich ebenfalls nach dm allgemeinen Grundsätzen zu beurtheilen. — Daß N. auch zur Vertheidigung eines Anderen (widerrechtlich Angegriffenm) statthaft sei, ist allgemein anerkannt.

StrafGB.: Preußen § 41. — Oesterreich § 2 litt g. — Entw. I. und II. § 59. — Deutsches StrasGB. § 53. Lit: Zöpfl, Neues Arch. 1842, 1843. — Berner, ebmda 1848. — Krug, Gerichts­ saal 1856. — Levita, Das Recht der Nothwehr, 1856.— Geher, Die Lehre von der Noth­ wehr, 1857. — Seeger, Abhandl.. I. 6. 173 ff. — W. Wessely, Die Befugnisse deNothstandes und der Nothwehr rc., 1862. — Gregory, Commentatio ad loc. jur. crim. de inculpatae tutelae moderatione, Hagae Comitia 1864. — A. Friedrich, Dies, de inculp. tutelae communi jure germanico postulatiß, Berolini 1866. — Schaper in v. Holtzeudorff'S Handb., IL S. 137 ff. — Geher, ebend. IV. S. 94 ff. — Rink, Over noodweer, 1874. — Janka, Der strafrechtliche Nothstand, 1878 S. 1 ff. — Stammler, Darstellung der strafrechtlichen Bedeutung deS Nothstandes, 1878 S. 1 ff. — v. Buri, Gerichtssaal 1878, S. 459 ff. — Wahlberg, Der RechtScharakter der Selbsthülfe und Nothwehr, Allg. Oesterr. Gerichtsztg. 1879. Geyer. Nothzucht. Gewaltsame Schändung einer Fraumsperson. Sie vereinigt die Merkmale der gegen die Freiheit gerichteten Derbrechm mit dmjenigm der Unzuchts­ verbrechen und zwar speziell der die weibliche Geschlechtsehre verletzenden. Die neuere Gesetzgebung hat übrigens das letztere Moment (die Beziehung auf die Geschlechts­ ehre), welches im Gemeinen Recht vorzugsweise als maßgebend erscheint, mehr zurück­ treten laffen. Preußen hatte es sogar, indem es das Verbrechen nicht auf die Ver­ gewaltigung von Frauenspersonm beschränkte, vollständig ausgeschloffen (vgl. Frank­ reich, Lübeck, den Oesterr. Entw. von 1867). Das allgemeinere Moment der zugleich die individuellen Rechte verletzenden Unzucht nahm hier seine Stelle ein. Das RStrafGB. nähert sich wieder dem Gern. Recht, indem es ein Weib als Angriffsgegmstand vorausseht. Das Verbrechm wird von ihm, wie es auch von Preußen geschah, in dem von den Verbrechen gegen die Sittlichkeit handelnden Abschnitte normirt. Eine ähnliche Stellung hat es in dm meisten neueren Gesetzm erhalten (vgl. indeffen Braunschweig, welches daffelbe den gegen die Freiheit der Person ge­ richtetm Verbrechm einreihte). Als Objekt setzt das RStrafGB., wie schon bemerkt wurde, ein Weib voraus. Dies kann auch die Braut des Thäters, nicht aber die Eheftau deffelben sein. Unbescholtmheit derselben wird nicht vorausgesetzt. Einige Gesetze hatten sie als einen für die Strafbemessung wichtigen Umstand speziell hervorgehoben (vgl. Baden, Braun­ schweig, Hamburg). Auch ist sie bei der Frage der Ernsthaftigkeit des geleisteten Widerstandes in Betracht zu ziehen. Entscheidendes Gewicht hatte das Gem. Recht diesem Umstande beigemeffm. — Das Alter der verletztm Person ist gleichgültig. Zur Handlung gehört a) die Vollziehung des Beischlafs. Preußen hatte statt deffen eine unzüchtige und auf Befriedigung des Geschlechtstriebes gerichtete Handlung gefordert; b) Anwendung von physischer oder psychologischer Gewalt. Das StrafGB. fordert, was die letztere betrifft, spezieller eine Drohung mit gegen­ wärtiger Gefahr für Leib oder Leben (Oesterreich, Ungarn und Belgien fordern wie ehedem Preußen, Braunschweig und Württemberg nur gefährliche Drohungen). Der Gewalt wird von dem StrafGB. die Herbeiführung eines willen- und bewußtlosm Zustandes gleichgestellt (vgl. Belgien). — Ob Gewalt und Drohung gegen die Frauensperson selbst gerichtet sein müssen, ist kontrovers (vgl. Sachsen 180). Durch die Gewalt oder die Drohung muß ein ernstlicher Widerstand gebrochen (nicht ein bloßes Sträuben beseitigt) worden sein. — Der Zwang kann auch durch Dritte,

906

Rottftdtttov.

im Einverständniß mit dem Thäter Handelnde, auSgeübt werden; c) die Gewalt­ anwendung (Drohung, Herbeiführung eines willenlosen Zustandes) muß zum Behufe der Schändung stattgefunden und muß die letztere ermöglicht haben; daher N. nicht vorliegt, wenn der anfängliche Widerstand der Angegriffenen in Einwilligung überging. Zur Vollendung gehört die Bereinigung der Geschlechtstheile. Ein Versuch liegt vor, sobald mit der Vergewaltigung (Herbeiführung eines willenlosen Zustandes) zum Zweck der Erzwingung des Beischlafs begonnen wurde. Besondere Schwierig­ keiten kann hier die Beweisfrage bieten. Ausgezeichnet wird der Fall, wo in Folge der N. der Tod der Verletzten eintritt (178). Die Partikulargesetze hattm zum Theil auch den Eintritt bedeutmder oder bleibender Nachtheile für die Gesundheit hervorgehoben. Hinsichtlich anderer Strafabstufungsgründe vgl. Belgim 377, Sachsen 180, Baden 335, Ungarn 235. Der N. stehen hinsichtlich ihres wesentlichen Charakters und ihrer Strafbarkeit die folgenden Verbrechensarten nahe: 1) Die sog. „unfreiwillige Schwächung" (stuprnm nec violentum nec voluntarium), d. i. die Schändung einer in einem willen- oder bewußtlosen (Sachsen: oder wehrlosen) Zustande befindlichen, oder einer geisteskranken (oder blödsinnigen) Frauensperson. Preußen forderte auch hier nur eine unzüchtige, auf Befriedigung des Geschlechtstriebs gerichtete Handlung. Der Fall wird mehrfach unter dieselben Strafbestimmungen wie die N. gezogen (Belgim, Oesterreich, Ungam, ehedem Preußm). Das StrafGB. behandelt ihn gelinder (176, 2). 2) Unzucht mit einwilligenden Unmündigen, nach dem StrafGB. (vgl. Oesterreich, Belgien, Preußen, Baden, Heffen) genauer: mit Personen unter 14 Jahren (Baden hatte: insofern dieselben mannbar find. Sachsen und Bayem hattm das 12. Jahr. Letzteres gedachte wie jetzt Ungarn nur der Mädchen). Der Vornahme unzüchtiger Handlungen mit den bezeichneten Personm stellt das StrafGB. (vgl. Preußen) die Verleitung derselben zur Verübung oder Duldung solcher Hand­ lungen gleich (176, 3). 3) Sonstige gewaltsam begangene oder durch Drohungen der zur N. gehörigen Art ermöglichte unzüchtige Handlungen gegen eine Frauensperson (176, 1). Dgl. Ungam 233, Belgim 373, Sachsen 181. Die betreffende Bestimmung ist bei den letzteren beiden nicht auf die Verletzung von Frauenspersonen beschränkt. Lübeck (116, 1) berücksichtigte hier nur unbescholtene Frauenspersonen. 4) Die Verführung einer Frauensperson durch Vorspiegelungen, vermöge deren sie den Beischlaf für einen ehelichen hält (179). Vgl. Preußen, Bayem. Das StrafGB. stellt diesen Fall auf eine niedrigere Stufe der Strafbarkeit als die vorigen. Alle diese Delikte find „Verbrechen". — Nur das unter 4 erwähnte Delikt ist gegenwärtig nach dem RStrafGB. „Antragsdelikt". Bis zur Novelle vom 26. Febr. 1876 waren auch die N., sowie die unter 1—3 bezeichneten Delikte nur auf Antrag zu verfolgen. Die gleiche Bedingung der Strafbarkeit hatten für die Regel der Fälle Württemberg und Baden aufgestellt. Ebenso jetzt Ungam. Letzteres behandelt die Ehelichung der verletzten Frauensperson als Strafausschließungsgruud (240). Gsgb.: Deutsches StrafGB. §§ 176-79. — Oesterreich §§ 125--30. — Oesterr. Entwurf, 190—263. — Ungarn §§ 232—240. — Belgien art. 372-378. — Frankreich art 331 — 333. Lit.: Hälsch ner, System, II. S. 310 ff. — v Schwarze, Kommentar, S. 420 ff. — Goltdammer'S Archiv XII. (Tippelskirch); XVII lDalke). — v. Wächter, Abhandl, S. 272—310. — Pezold, Strafrechtspraxis, I. S. 153—156; II. l Zimmerte) 216—219. '21. Merkel.

Notifikation. (Th. I. S. 560—561.) N. heißt die schriftliche Benachrichtigung, welche der Inhaber eines Mangels Zahlung protestirten Wechsels an feinen unmittelbarm Vormann innerhalb zweier Tage nach dem Tage der Protesterhebung darüber

Rstorietüt.

907

abzufendm hat, daß der Wechsel nicht bezahlt wurde, eine Mittheilung, welche der so benachrichtigte Vormann nun seinerseits mit demselben Inhalt, innerhalb zweier Tage vom Tage des empsangenen Berichts an, seinem nächsten Bormann und dieser dann ebenso wieder dem seinigen und so fort zuzuschicken verpflichtet ist. Die Folge der richtig und rechtzeitig bewerkstelligten N. des Protestes Mangels Zahlung ist die Konservirung des vollm Regreßrechts des notifizirmden Inhabers gegenüber allen seinen Bormännern, mithin Anspruch aus Wechselsumme, Zinsen, Protest- und andere Kosten. Was die Wirkung der Unterlaffung oder Verspätung jener Benachrichtigung anlangt, so solgm die Gesetzgebungen verschiedenen Systemen: Im Gegensatze zum strengen N.system, wonach die Unterlaffung der rechtzeitigen Benachrichtigung den Verlust des Regreffes überhaupt bewirkt, zur Erhaltung des Regreßrechts aber N. entweder in der Weise nothwendig ist, daß durch die Anzeige an dm unmittelbarm Bormann der Regreß gegm alle Vormänner (älteres Deutsches W.R.), oder so, daß er nur gegen jme Vormänner gewahrt wird, denm die Nichtzahlung speziell notifizirt wurde (Engl. und Nordamerik. W.R), sowie im Gegmfah zum (Franzöfischen) Derjährungssystem, welches sehr kurze Verjährungsfristen zur (außergerichtlichen) Regreß­ nahme (vor der gerichtlichm) vorschreibt (Code de comm. art. 165 ss.) — knüpft die Deutsche WO. an die Unterlaffung oder Verspätung der N. nicht dm Verlust des Regreffes aus die Wechselsumme selbst, sondem nur dm Untergang des Anspruchs aus Kosten und Zinsen, legt aber dem zur N. Verpflichteten die Haftung für etwaigm Schadm aus der Unterlaffung oder Verspätung der N. auf. Ist daS vorhergehende Jndoffammt ein nicht ausgefülltes Blankoindoffammt oder ohne Ortsbezeichnung, so ist die N. an den Vormann solcher Indossamente zu richtm (Art. 47 der Deutschen WO.). Wer nicht selbst bmachrichtigt wurde oder nicht bmachrichtigt werden konnte, braucht selbst nicht weiter zu benachrichtigen und hat volles Regreßrecht auch ohne N. Der Prokura-Indossatar ist ermächtigt zur N. an den Dormann seines Jndoffanten. Die N. muß nothwendig schristlich sein und kann auch in der Zusmdung einer Notariatsurkunde mit dem angegebenen Inhalte bestehen, Kontraprotest in diesem Sinne s. Thöl, a. a. O. S. 399 Anm. 19. Ueber den erleichterten Beweis der N. durch ein Postattest s. WO. Art. 46. Die N. ist nicht als zur Klagefundirung ersorderliche wechselrechtliche Solemnität oder Bedingung des RegreffeS anzusehen, sondem ihr Mangel gegebmenfalls vom beklagtm Wechselschuldner einredeweise geltend zu machen; vgl. Borchardt, a. a. O. Zus. 558 (Entsch. d. ROHG.). In einem anderen Sinne ist N. im W.R. die mit Zusmdung des Protestes verbundme Anzeige, welche ein Ehrenacceptant in Betreff seiner Annahme innerhalb zweier Tage nach dem Tage der Protesterhebung an den Honoraten bei Meidung der Haftung für den aus der Unterlaffung entstehenden Schadm abzusmden hat (Art. 58 Abs. 2 und 3 der WO.; Thöl, a. a. O. § 185 IV). Außerhalb des Wechselrechts wird der Ausdmck N. sür Anzeige gebraucht, z. B. Anzeige vom Verkauf des Pfandes, von der Ausübung deS Zurückbehaltungsrechts, vom Verkauf der Waare u. f. w. Vgl. HGB. Art. 310, 811, 315, 343, 356, 357, 376 u. a. Quellen: Teutsches W.R. Art. 45—47, 17. — Code de commerce art. 165—167. — Prol. zur Deutschen WO. S. 413-473, 492-495, 501-519, 601—602, 899 -922, 929—932, ggg_ ggß 1235______ 123^ Lit.:'Thöl.H.P., Bd.II, W.R. 4. Aufl., § 105 S. 395-402. - Kunhe, W.R., §41.Renaud, W.R, § 84. — Borchardt. WO., 7. Aufl. S. 252 ff. — I. B. Braun, Die Notifikation der Protestes Mangels Zahlung, im Centralorgan sür das Teutsche H.- und W.R. N. F. Bd. VIII. S. 257—301. — O v. Wächter, Encyklopädie d. W.R., 1879, S. 676 bis 689. GareiS.

Notorietät. Unter notorischen Thatsachen versteht man solche, die derartig bekannt find, daß ihre Existenz eines Beweises nicht erst bedarf. Gewisse Ereignisse und Thatsachen find ein Gemeingut aller gebildeten Menschen geworden, so zwar,

908

Nstorietät.

daß jeder sie kennt: wiederum andere find innerhalb eines bestimmten Umkreises, einer Gegmd, einer Ortschaft zur Kenntniß aller dort Wohnenden gelangt, und zwar der Art, daß fie in jenem Umkreise eines Beweises nicht bedürfen. Werden fie alle zu den notorischen gezahlt, so muß man zwischen allgemein- und lokal-notorischm unterscheidm. Hieraus ergiebt fich, daß N. diejmige Eigenschaft einer Thatsache oder eines Ereignifies bezeichnet, welche durch fich selbst rechtliche Gewißheit und juristische Ueberzeugung begründet. Durch das Erforderniß der Kenntniß und des dadurch bedingten Wiffens unterscheidet fie fich von dem Gerücht, der fama, durch welches wol eine Thatsache verbreitet, niemals aber dem Einzelnen die Kenntniß von derselben vermittelt werden kann; durch das Requifit des Ausgebreitetseins der Kenntniß aber unterscheidet fie sich von der Observanz, die eine Quelle des objektiven Rechts ist, jedoch aus dem Rechtsbewußtsein gewiffer Klaffen oder Gemein­ schaften hervorgegangen nur für diejenigen allgemeine Gültigkeit hat, welche diesem Rechtsbewußtsein unterstehen. Sie bedarf des Beweises. Der Begriff der N. ist je nach dem Umfangsgebiete der Kenntniß ein weiterer oder ein engerer, und wird bald in jener, bald in dieser Gestalt in den Gesetzgebungen verwerthet. Wird er in der streitigen Gerichtsbarkeit zum Nachweise behaupteter Thatsachen verwendet, so findet er seine Begrenzung in dem Zweck seines Gebrauchs. Notorisch find dann diejenigen Thatsachen, die so bekannt sind, daß keine Partei ihre Existenz nachzuweisen verpflichtet ist. Den Begriff auch im Strafverfahren zur Anwendung zu bringen, unterliegt keinem Bedenken. Gründet sich auch weder der objektive noch der subjektive Thatbestand auf Thatsachen, welche die Eigenschaft der N. haben und haben dürfen, sönnen doch bei dem Dorliegen eines indirekten Be­ weises einzelne Glieder der Beweisführung, einzelne den Feststellungen zu Grunde zu legende Thatsachen, wie z. B. nach der Judikatur des OTrib. das Vorhandensein gewiffer Gesetze im Auslande bei Anwendung des § 4 des RStrafGB., als notorische sehr wohl angesehen und verwerthet werden. Wesentlicher und häufiger ist die Be­ nutzung der N. im bürgerlichen Streitverfahren. Schon dem Röm. Recht bekannt, ist fie aus diesem in den Gemeinen Prozeß übergegangen. Ohne ihr eine bestimmte Definition zu geben, ist fie hier von Praxis und Wiffenschaft nach verschiedenen Seiten hin ausgebildet worden. Das Preuß. Recht definirte sie im § 56 I. 10 Allg. Ger.O. dahin, daß es solche Thatsachen als notorische bezeichnet, welche der­ gestalt allgemein bekannt seien, daß kein vernünftiger Grund vorhanden, dieselben in Zweifel zu ziehen. Es giebt dieser Definition in Nr. 12 der Instruktion vom 7. April 1839 noch dadurch eine gewiffe Erläuterung, daß es den notorischen That­ sachen die geschichtlichen Ereigniffe an die Seite stellt. Es hat also den Begriff der N. in seinem weitesten Umfange ausgenommen. Thatsachen, an deren Existenz zu zweifeln unvernünftig wäre, sind ebenso wie geschichtliche Ereignisse ein Gemeingut aller Gebildeten ohne Beschränkung auf einen begrenzten Raum. Was notorisch ist, bleibt es für Alle. Ter Begriff wird nicht theilbar. Anders die Deutsche CPO. Absehend von einer Definition, begnügt sie sich mit der Vorschrift des § 264, daß Thatsachen, welche bei dem Gericht offen­ kundig sind, keines Beweises bedürfen. Sie verwirft somit den Begriff der allgemeinen N. und setzt ihm folgende Grenzen. Nur Thatsachen sind ihm unter­ worfen, und genügt ihre Offenkundigkeit bei dem erkennenden Gerichte. Tritt man dem so begrenzten Begriffe näher, so ergiebt sich zunächst, daß der Ausdruck „offen­ kundig" nach seinem Wortlaute dasjenige bedeutet, was durch offene Kunde bekannt geworden, was also jedem, der davon Kenntniß nehmen will, nicht unbekannt ge­ blieben ist. Sodann gelten als notorisch diejenigen Thatsachen, welche „bei dem Gericht" offenkundig sind. Parteibehauptungen, welche der Gegner nicht als richtig zugesteht, bedürfen des Beweises. Nur au? erwiesene Thatsachen darf der Richter sein Urtheil stützen. Soll er berechtigt sein, von einer Beweisaufnahme abzusehen, so müffen die Thatsachen ihm so bekannt sein, daß sie eines Beweises nicht be-

Nouguter — Novation.

909

dürfen. Sie find sonach bei dem Gericht offenkundig, wenn fie diesem als solche bekannt find, gleichgültig, ob auch Andere und insbesondere der Gegner des Beweis­ führers sie kennt. Die Privatwiffenschast des einzelnen Richters oder aller derjeiligen, welche in ihrer Zusammensetzung das Gericht bildm, genügt zur Herstellung der R. nicht. Das Gericht als solches, also die Mitglieder in ihrer Eigenschaft als Richter, müffen die Kenntniß erlangt haben. Endlich können nur Thatsachen, nicht auch Rechts- oder Glaubenssätze, gutachtliche Schlüffe oder Vermuthungen notorisch sein. Diese Thatsachen laffen sich nach folgenden Gesichtspunkten eintheilen: 1) in solche, welche das Gericht aus eigener Wahrnehmung oder Anschauung kennen lernt. Hierbei find zu unterscheiden Ereigniffe und Vorgänge, bei welchen das Gericht selbst thätig wird, oder solche, die im gewöhnlichen Leben eintreten. Die ersteren können selbst dann als offenkundige gelten, Wenn andere Mitglieder des Gerichts, als die zur Urtheilsfindung berufenen thätig gewesen find: es kann z. B. die Eröffnung deS Konkurses über das Vermögen einer Person eine notorische Thatsache sein. Anderer­ seits aber ist es wiederum nicht nothwendig, daß jede einzelne Handlung des Ge­ richts und alle Einzelheiten derselben den Mitgliedern bekannt find, und deshalb die Möglichkeit einer Beweiserhebung über diese trotz der R. des Ganzen nicht aus­ geschloffen ist. Auch Ereigniffe und Vorgänge des gewöhnlichen Lebms können dm Mitgliedem des Gerichts offenkundig werdm. Wenn auch die sonstige Offenkundigkeit derselbm zumal bei einer lokalen Bedeutung nicht auch die Kmntniß des Gerichts nothwendig bedingt, kann doch diese Kenntniß nicht in jedem Falle als ausgeschloffen angesehm werden. 2) In geschichtliche Ereigniffe, welche zwar das Gericht bzw. seine Mitglieder durch eigene Anschauung nicht kennen gelernt, deren Kenntniß jedoch von jedem Gebildetm durch Einsicht der darüber Auskunft gebenden Bücher und Ur­ kunden ohne Mühe erworben werden kann. 3) In Ereigniffe, welche dem Gericht durch die Staatsbehörde oder die von ihr getroffenen Einrichtungen amtlich bekannt gemacht werden, wie z. B. die Organisation von Behörden, die Einrichtung gewiffer Staatsinstitute u. dgl. Da die CPO. den Begriff der N. mit Rücksicht auf das erkennende Gericht feststellt, somit neben der allgemeinen auch eine lokale N. anerkennt, schließt fie nicht aus, daß eine Thatsache, welche bei dem einen Gericht als notorisch gilt, bei einem anderen des Beweises bedarf. Selbst in dem Rahmen eines und desselben Prozeffes kann die Eigenschaft einer Thatsache als einer notorischen bei den Gerichten der verschiedmen Instanzen schwanken.

Lit.: Wetzell, System deS gern. Prozeffes. — Koch, Der Preuß. Civ.Prz. — Hell­ mann, CPO. für daS Deutsche Reich. — Struckmann und Koch, CPO. — Fitting, Der RCiv.Prz. — Entscheidungen des OTrib. Bd. XXXVIII. MeveS.

Nouguier, Pierre-Claudes, 6 25. VI. 1807 1851 Rath am Kaffationshofe, f 31. V. 1868.

zu Montpenfier,

wurde

Er schrieb: La cour d’assises, 1860—70 (4 tomea). Lit.: Le tribunal et la cour de Cassation, 1879, p. 276, 431, 538. Teichmann.

Novation ist nach der Legaldefinition in 1. 1 D. 46, 2: „prioris debiti in aliam Obligationen! vel civilem vel naturalem transfusio atque translatio, hoc est qunm ex praecedenti causa ita nova constituatur, ut prior perimatur“. N. be­ wirkt also sowol den Untergang der bestehmdm als auch Entstehung einer neum Forderung durch den Willen der Kontrahenten; fie ist aber keineswegs ein Erlaß oder eine wirkliche Erfüllung (Girtanner, Stipul., S. 231) oder eine Hingabe an Zahlungsstatt (Savigny, Obl., I. S. 167; Fitting, Korrealobl., § 9), viel­ mehr ist sie nach Röm. Recht als ein einheitlicher Akt aufzufaffen, durch welchen in Einem Augenblick die alte Obligation untergeht und gleichzeitig die neue entsteht. Das Verhältniß der beiden Forderungen zu einander ist jedoch vielfach bestritten. Während auf der einen Seite eine vollständige Einheit Beider angenommen wird

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Novation.

und man die neue Obligation aus dem Rechts- oder Bermögensstoff der alten ent­ stehen läßt, glaubt man auf der anderen Seite an der Verschiedenheit festhalten zu mästen und begründet die neue rein auf den Willen der Parteien. In neuester Zeit sucht man endlich den Begriff der N. aus dem Zusammenhang von actio und dem zu Grunde liegenden Recht zu entwickeln und steht in der N. nur die Erzeugung einer neuen actio für die alte Forderung. Wie sehr man aber auch in der Begriffs­ bestimmung auSeinandergeht, einig ist man, daß nach Röm. Recht der ganze Vorgang einen streng formalen Charakter hatte, da er nur in Form des Literalkontraktes oder der Stipulation geschehen konnte. Hierin aber lag vorzugsweise die praktische Be­ deutung der N., fie gewährte dem Gläubiger die mit der strengen Natur der Formal­ obligation verbundenen Vortheile, fie wurde aber auch benutzt, um mittels Acceptation die ursprüngliche Obligation aufzuheben, oder die neue mit einem veränderten Inhalt, Nebenbestimmungen, Personenwechsel (Delegation ss. diesen Art.^, Expromission u. dgl. ins Leben zu rufen. Beruht aber die N. nur am dem Willen, so kann es selbstverständlich nur Eine N. geben: die sog. voluntaria; weil man jedoch durch gewiffe prozeffualische Vorgänge (Litiskontestation und Urtheil) äußerlich ähnliche Wirkungen hervorbrachte, so suchte man auch am diese N.grundfätze anzuwenden (sog. novatio necessaria — s. d. Art. Litiskontestation). Voraussetzungen der N. nach Röm. Recht sind folgende: 1) Eine bestehende Forderung. Dieselbe kann auch in einzelnen Fällen eine naturale sein. Besteht aber gar keine Forderung, so ist der N.vertrag sicherlich gültig, wenn er nur als Deckmantel zu einer Schenkung bei sonst vorhandenen Be­ dingungen derselben benutzt wird, oder wenn das zweite Versprechen ganz allgemein geschieht und ohne besonders der ersten Forderung Erwähnung zu thun; doch ist alsdann die neue Forderung anfechtbar. Größere Schwierigkeit macht die Beant­ wortung dieser Frage bei Wechsel der Parteien (s. darüber Windscheid, § 355, der jedoch hier von seinem Begriff der „Voraussetzung" ausgeht). 2) Eine neu entstehende formale Forderung. Diese kann auch eine naturale sein, wie die Stipulation eines Bevormundeten ohne Genehmigung des Vormundes (1. 1 § 1 D. 46, 2), eine anfechtbare, betagte oder bedingte. Kannte jedoch der Gläubiger aus entschuldbarem Irrthum Klaglosigkeit oder Anfechtbarkeit nicht, so wird ihm eine condictio indebiti auf Wiederherstellung des alten Forderungsrechtes gegeben. Soll nach Absicht der Parteien die alte Forderung unbedingt aufgehoben sein, so liegt ein Erlaß vor, auch wenn die neue Obligation ein Forderungsrecht nicht hervorbringt (1. 30 §§ 1, 2 D. 2, 14). Ist die neue Forderung bedingt, so darf die alte vor Entscheidung über deren Eintritt nicht geltend gemacht werden. Die älteren Römischen Juristen legten dem Entstehen der neuen Obligation eine geringere Bedeutung bei (Gajus, III. 179). 3) Das Recht zu noviren, welches sich nach den allgemeinen Regeln über Verträge richtet. 4) Tie Absicht zu noviren (animus novandi). Während die älteren Römischen Juristen eine solche Absicht auch aus konkludenten Handlungen herleiteten (Gajus, III. 177, 178; § 3 I. 3, 29), bestimmte Justinian, um diese Rechtsunsicherheit zu beseitigen in 1. 8 C. 8, 42, daß eine N. ausgeschlossen sein sollte: „nisi ipsi specialiter remiserint quidem priorem Obligationen! et hoc expresserint Nichtsdestoweniger herrscht in Theorie und Praxis über die Auslegung dieses Ge­ setzes Streit, indem die Ansicht, daß Justinian nur die n. praesumpta, nicht aber auch die tacita aufgehoben, noch zahlreiche Anhänger zählt (Windscheid, § 354 Anm. 15). Hierbei ist neuerer Zeit besonders die Frage aufgeworfen, ob in der Ausstellung eines Wechsels und in dem Kontokurrentabschluß eine N. liege (Kunhe, W.R., S. 72 ff.; Arch. f. civ. Praxis XLVII. S. 173 ff.). Mit der alten Obligation hörten natürlich auch deren Accessorien auf.

Novattsa.

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Da das Gem. Recht die Römischen Formalkontrakte nicht ausgenommen hat, so wollen Einige überhaupt eine R. heute nicht mehr anerkennen, Andere sie nur zulaffen bei den neuen Formalkontrakten des heutigm Rechts, z. B. dem Wechsel, während endlich Bähr und Windscheid dem heutigen formlosen Bertrag, welcher wie die Römische stipulatio für jede causa fähig sei, die Wirkungen dieser beilegen. Ist man nun heutzutage darüber einig, daß in der R. die Substituirung einer materiellen causa durch eine andere materielle nicht zu sehm, daß aber auch die Einheit des Aktes, welche Aufhebung und Entstehung in sich schließt, doch nur eine Fiktion ist, sowie daß endlich actio und Recht nicht mehr in dem Verhältniß zu einander stehen, wie es durch die Römischen „genera actionum“ begründet war, so läßt sich der R.begriff nur vertheidigen, wenn unter den anderen Voraussetzungen an Stelle der alten Forderung eine formale tritt. Ob dem abstrakten Willm im heutigm Konsensualkontrakt eine solche Wirkung beizulegm sei, welche, wie gar nicht geleugnet werden kann, „das ganze Bertragsrecht mit utP seinen einzelnen Instituten zu einer unterschiedslosm Masse verflüchtigt" (Förster, I. § 97 Anm. 11), ist eine noch nicht ausgetragene Kontroverse. Dann aber ist in der That ein Bedürfniß für das ganze Institut nicht vor­ handen, wmn es darin besteht, daß eine Forderung gegen eine andere ausgetauscht wird. Jnsofem ist also der Angriff von Koch (Uebergang der Forderungsrechte, S. 285 ff.), dem sich auch Förster (Preuß. Priv.R., Bd. I. § 97) anschließt, soweit es sich um das Preuß. Allg. LR. handelt, kein ungerechtfertigter. Dmn weder die Definition Allg. LR. I. 16 § 454: „Wird eine neue Verbindlichkeit ausdrücklich an die Stelle der vorigen gesetzt, so erlöscht diese letztere durch Umschaffung (N.)", noch die übrigen Bestimmungen enthalten Grundsätze, die nicht auch als bloße Folgm einer Aufhebung von Obligationm eintreten würden (Wolff, Die R. ein Gespenst im Preuß. Rechtssystem, in Gruchot, Zeitschr. Bd. 13 S. 357 ff.). Auch die anderen Partikularrechte sind mit der Aufrechterhaltung der N. nicht glück­ licher, denn wenn das Oesterr. BGB. § 1376 in ihr „die Umänderung des Rechts­ grundes oder Hauptgegenstandes" sieht, so bleibt immerhin unerklärt, warum diese einfache Willenserklärung, welche eine Forderung aufhebt und eine andere eingeht, einen besonderen Namm und besondere Grundsätze verdient. Das Sächs. BGB. steht auch hier auf dem Standpunkt der gangbaren Kompmdim des Gem. Rechts, indem es dem Konsensualvertrag novirende Wiriungen beilegt (§ 1001), dies aber auch bei stillschweigendem animus novandi. Der Code civil unterscheidet subjektive N., wenn sich die Parteien ändem (Delegation und Expromisfion), und objektive, welche unter denselben Parteien stattfinden. Sie ist vorhandm, wmn eine neue Schuld an Stelle der alten tritt Im Uebrigen bietet aber der Code nichts, woraus die Beibehaltung der N. gerechtfertigt werden könnte, wenngleich er sich dadurch vom Allg. LR. unter­ scheidet, daß in der neuen Obligation die causa nicht genannt zu werdm braucht (Code civil art. 1132). Ueber die sog. nov. necessaria s. d. Art. Litiskontestation im Röm. Recht. Quellen u. Lit.: Tit Dig. 46, 2; C. 8, 42 de novationibus et delecationibus. — Liebe, Die Stipulation und daS einfache Versprechen, S. 156—343. — Girtanner, Die Stipulation. — Kniep, Einfluß der bedingten N. auf die ursprüngliche Obligation (Krit. V.J.Schr. II. S. 242—252; Schletter'S Jahrb. VIII. S. 101 ff.). — Römer, Die be­ dingte N. nach dem Röm. und heut. Gemeinen Recht (1863). — v. EalpiuS, N. und Delegation nach Röm. Recht (Krit. V.J.Schr. VI. S. 463 ff,; VIII. S. 169-212, 311-377). SalrowSki, Zur Lehre von der N. nach Röm. Recht, 1866 (Krit. D.JKchr. IX. S. 475 ff.). — Schauberg in der Ztschr. f. H.R. X. E. 193 ff. — P. Gide, Etudea aur la novation et le tranaport des crdances en droit romain, Paria 1879 (p. 1—182). — Gneist, Die formellen Verträge (1845). — gein, Beitr. zur Lehre von der N. und Dele­ gation (1860). — Schlesinger, Formalkontrakt (1858). — Bruns in der Zeitschr. für RechtSgesch. I. S. 115. — Lang, Kritik deS Bayer. Entwurfes, Bd. II. S. 119 und darüber Arndts Krit. V.J.Schr., Bd. X. S. 331. — Koch, Uebergang der Ford. (1837). — Förster, Preuß. Priv.R., I. § 97. — Zachariä (Anschütz), Franz. Civ.R., II. S. 289 ff.— Aubry et Rau, Cours de droit civ. fr., IV. § 324. Kayser.

912

Noxalklage — Runtten.

Noxalklage ist die Klage, welche nach Röm. Recht dem von einem fremden Hauskind, Sklaven oder Thier Verletzten gegen den Herrn desselben zusteht. Sowol Hauskinder als Sklaven waren deliktsfähig (Ad. Schmidt, Von der Delikts­ fähigkeit der Sklaven, Leipzig 1873); da sie indessen der Vermögensfähigkeit ent­ behrten, so ließ man ihren Gewalthaber haften, und zwar nach seiner Wahl auf litis aestimatio oder noxae datio (1. 21 pr.; 1.1. 29, 32 D. de nox. act. 9, 4). Das Prinzip dieser Haftung ist streitig. Einige halten die Selbsthaftung des Herrn auf Auslieferung des Thäters für das ursprüngliche und die Befugniß des Herrn, sich durch Zahlung von Geld zu befreien, für eine mildernde Zuthat (W yß,Bekkeru. a m.). Allein nach Schmidts überzeugender Beweisführung ist umgekehrt der Herr als gesetzlicher defensor alieno nomine zunächst auf Zahlung der Schuld (quasi ex delicto) haftbar, aber das Recht zur noxae datio ihm als billige Begünstigung ein­ geräumt (1. 6 § 1 D. de re iud. 42, 1; 1. 1 D. de nox. act.). Grund der Klage ist hiernach stets Delikt und Schuld des" Gewaltunterworfenen (daher actio legis Aquiliae noxalis oder furti noxalis u. s. w.), ihr Ziel aber durch den Zusatz in der condemnatio: „aut noxae dedere condemna“ alternativ beschränkt. Die noxae datio besteht in der Manzipation des Delinquenten an den Verletzten, der dadurch an dem Sklaven Eigenthum, an dem Hauskind das Recht des Manzipiums erwirbt. Hunc actor pro pecunia habet, Gai I. 140. Der noxae deditus kann jedoch, wenn er dem neuen Herrn den Betrag der Kondemnationssumme erworben hat, seine Manumission fordern und mit Hülfe des Prätors erzwingen (§ 3 I. de nox. act. 4, 8; Collat. II. 3). Mit der Veräußerung des Delinquenten vor der noxae datio geht auch die Haftung auf den Erwerber über (noxa caput sequitur, Paul. 8ent. II. 31, §§ 8, 9). Ja, im Falle der Freilassung lastet sie direkt auf dem Delinquenten (§ 5 I. de nox act.), da Deliktsschulden auch durch capitis deminutio minima nicht er­ löschen. Durch Tod des Thäters hört die Roxalhaftung auf. Ueber ein ursprünglich neben der N. einhergehendes Recht auf ductio des Sklaven vgl. Bekker, Das Recht des Besitzes, S. 50 ff. In Bezug auf Hauskinder hat bereits Justinian die N. aufgehoben (§ 7 I. de nox. act.); in Bezug auf Sklaven ist sie in Deutschland ebenfalls unpraktisch geworden. So bleibt nur ihre Anwendung auf Thiere übrig. Bei diesen wird die Haftung des Herrn durch eine actio de pauperie geltend ge­ macht (1. 1 § 3 D. si quadrupes 9, 1). Voraussetzung ist dabei, daß das Thier contra naturam, d. h. durch eine seiner Art nicht gewöhnliche Wildheit Schaden angerichtet habe. Zu Grunde liegt auch hier die Vorstellung einer gewissen culpa des Thieres und einer natürlichen Vertretungspflicht des Herrn (Vangerow, Lehrb., III. § 689 Anm.). Auch hier hat der Herr das Recht, sich durch noxae datio, d. h. Übereignung des Thieres, zu befreien, und geht die R. durch Tod des Thieres unter, durch Veräußerung desselben auf den neuen Herrn über (1. 1 §§ 12, 13, 17 D. eod.). Die neueren Gesetzbücher haben in der Regel die R. aufgehoben und lassen wegen des durch Thiere zugefügten Schadens nur denjenigen haften, dem eine Schuld zur Last fällt. Rur in besonderen Fällen, wie namentlich bei blos zum Luxus gehaltenen Thieren, sieht das Preuß. Recht vom Erforderniß eines Ver­ schuldens ab (§§ 70—71 Allg. LR. I. 6). Quellen: Gai. IV. 75—79; Tit. de noxalibus actionibus Inst. IV. 8; Big. IX. 4; Cod. III. 41. — Si quadrupes Inst. IV. 9; Big. IX. 1. Lit.: Zimmern, System der Röm. N., 1818. — C. Sell, Aus dem Noxalrecht der Römer, Bonn 1879. — Einzelnes bei v. W yß, Haftung für fremde Kulpa, S. 8—47. — Schlesinger, Ztschr. für Rechtsgesch., VIII. S. 202—239. — Ad. Schmidt a. a. O.; Derselbe, Das Hauskind in mancipio, Leipz. 1879. — Windscheid, Lehrb., II. § 457. — Dernburg, Lehrb., II. § 265. Eck.

Nuntien, nuntii apostolici, sind im Sprachgebrauch des 14. Jahrhunderts die in dem Art. Legaten gedachten legati missi; heute die regelmäßigen diplomatischen Vertreter des Papstes an weltlichen Höfen, zu denen gewöhnlich Römische Prälaten,

Nutzet-euthum — Obduktion.

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meistens Bischöfe, bzw. Erzbischöfe in partibus, genommen werden, und welche den Rang der Gesandten erster Klaffe, d. h. der Ambaffadeurs oder Botschafter mit dem Bortritt vor ihren Kollegen an katholischen Höfen besitzen. Bon diesen beiden Klaffen find die sog. nuntii cum potestate legati a latere missi zu unterscheiden. Diese, mit den umfassenden Vollmachten der höchsten Klaffe von Legatm betraut, wurden seit dem 16. Jahrh, zur Ueberwachung der Durchführung der Beschlüsse des Tridentinums und zugleich zur Bekämpfung des Protestantismus ständig nach einzelnen Ländern deputirt. In Deutschland find im Laufe des erwähnten Jahrhunderts solche ständige Nuntiaturen in Wien und Köln, und im Jahre 1785 in München errichtet worden. Gerade gegen die Amtsführung und die Uebergriffe dieser N. richteten sich die Klagen der Deutschen Bischöfe, Fürsten und evangelischen Reichs­ stände und seit jener Zeit beginnen die sich bis Ende des 18. Jahrh, hinziehenden sog. Nuntiatur st reitigkeiten. Heute bestehen wieder solche ständige Nun­ tiaturen in Wim uni) München. Ihre Vertreter unterscheiden sich von dm gewöhnlichm diplomatischm N. dadurch, daß sie eine kirchliche und zwar die päpstliche Jurisdiktion in dem durch ihre Vollmachten näher bestimmten Umfange ausübm. — Die Zulassung solcher ständigm N. kann daher nicht allein nach den Regeln des Völkerrechts über die Annahme von Gesandten anderer Fürsten bemeffm werdm, sondem sie entscheidet sich, — und zwar wenn diese N. auf diplomatische Qualität verzichtm wollen, — lediglich nach dm für die Ausübung der Jurisdiktion des Papstes und ftemder kirchlicher Oberen in dem betreffmden Staate bestehmden Normen, welche jedoch für manche Deutsche Länder erhebliche Süden aufweisen. — Die heute noch hin und wieder vorkommenden Int er-N. (z. B. im Haag) find ebenfalls diplomatische Agmten, aber mit dem Range der Gesandten zweiter Klaffe, d. h. dem der Gesandten im engeren Sinne oder bevollmächtigten Minister. Ge­ wöhnlich find sie auch Prälaten, aber ohne den bischöflichen Ordo.

Quellen u. Lit.: S. zu dem Art. Legaten.

P. Hinfchius.

Nutzeigenthmn, s. Obereigenthum.

O. Qbdurlion. Obduktionsverfahren. (Leichenschau und Leichmöffnung.) Die gerichtliche Leichmöffnung gehört mit zu den häufigeren gerichtsärztlichen Ver­ richtungen, und es ist zweifellos, daß fie für die Rechtspflege von außerordentlicher Bedeutung ist. Zahlreiche Kriminalfälle der interessantesten Art dokumentirm ihre Wichtigkeit und Leistungsfähigkeit, und wenn auch trotz der Vervollkommnung der heutigen Sektionstechnik und der großen Fortschritte der pathologisch-anatomischen Wissenschaft manche für den Strafrichter wichtige Frage nur theilweise oder un­ bestimmt zu lösen ist, wo er bestimmte Antwort wünscht, so hat doch gerade durch die moderne Entwickelung der forenfischm Thanatologie die Kriminalistik große Triumphe gefeiert. Um im Allgemeinen die Ziele und Aufgabm gerichtlicher O. zu kennzeichnm, müssen wir fie betrachten nach ihrem Zwecke, nach der Zeit und der Art ihrer Vomahme. A. Zweck der O. Rach Casper-Liman kann jede ärztliche Untersuchung eines menschlichm Leichnams einen dreifachen Zweck haben: 1) die Lebensfähig­ keit und das Gelebthaben eines Rcugebormm, wo beide zweifelhaft, fesizustellen; 2) die noch unbekannte Zeit, in welcher der Tod erfolgt war, zu ermitteln; 3) die v. Holtzendorff, (Eite. II. RechtSlexNou H. 8. Aufl. 58

Nutzet-euthum — Obduktion.

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meistens Bischöfe, bzw. Erzbischöfe in partibus, genommen werden, und welche den Rang der Gesandten erster Klaffe, d. h. der Ambaffadeurs oder Botschafter mit dem Bortritt vor ihren Kollegen an katholischen Höfen besitzen. Bon diesen beiden Klaffen find die sog. nuntii cum potestate legati a latere missi zu unterscheiden. Diese, mit den umfassenden Vollmachten der höchsten Klaffe von Legatm betraut, wurden seit dem 16. Jahrh, zur Ueberwachung der Durchführung der Beschlüsse des Tridentinums und zugleich zur Bekämpfung des Protestantismus ständig nach einzelnen Ländern deputirt. In Deutschland find im Laufe des erwähnten Jahrhunderts solche ständige Nuntiaturen in Wien und Köln, und im Jahre 1785 in München errichtet worden. Gerade gegen die Amtsführung und die Uebergriffe dieser N. richteten sich die Klagen der Deutschen Bischöfe, Fürsten und evangelischen Reichs­ stände und seit jener Zeit beginnen die sich bis Ende des 18. Jahrh, hinziehenden sog. Nuntiatur st reitigkeiten. Heute bestehen wieder solche ständige Nun­ tiaturen in Wim uni) München. Ihre Vertreter unterscheiden sich von dm gewöhnlichm diplomatischm N. dadurch, daß sie eine kirchliche und zwar die päpstliche Jurisdiktion in dem durch ihre Vollmachten näher bestimmten Umfange ausübm. — Die Zulassung solcher ständigm N. kann daher nicht allein nach den Regeln des Völkerrechts über die Annahme von Gesandten anderer Fürsten bemeffm werdm, sondem sie entscheidet sich, — und zwar wenn diese N. auf diplomatische Qualität verzichtm wollen, — lediglich nach dm für die Ausübung der Jurisdiktion des Papstes und ftemder kirchlicher Oberen in dem betreffmden Staate bestehmden Normen, welche jedoch für manche Deutsche Länder erhebliche Süden aufweisen. — Die heute noch hin und wieder vorkommenden Int er-N. (z. B. im Haag) find ebenfalls diplomatische Agmten, aber mit dem Range der Gesandten zweiter Klaffe, d. h. dem der Gesandten im engeren Sinne oder bevollmächtigten Minister. Ge­ wöhnlich find sie auch Prälaten, aber ohne den bischöflichen Ordo.

Quellen u. Lit.: S. zu dem Art. Legaten.

P. Hinfchius.

Nutzeigenthmn, s. Obereigenthum.

O. Qbdurlion. Obduktionsverfahren. (Leichenschau und Leichmöffnung.) Die gerichtliche Leichmöffnung gehört mit zu den häufigeren gerichtsärztlichen Ver­ richtungen, und es ist zweifellos, daß fie für die Rechtspflege von außerordentlicher Bedeutung ist. Zahlreiche Kriminalfälle der interessantesten Art dokumentirm ihre Wichtigkeit und Leistungsfähigkeit, und wenn auch trotz der Vervollkommnung der heutigen Sektionstechnik und der großen Fortschritte der pathologisch-anatomischen Wissenschaft manche für den Strafrichter wichtige Frage nur theilweise oder un­ bestimmt zu lösen ist, wo er bestimmte Antwort wünscht, so hat doch gerade durch die moderne Entwickelung der forenfischm Thanatologie die Kriminalistik große Triumphe gefeiert. Um im Allgemeinen die Ziele und Aufgabm gerichtlicher O. zu kennzeichnm, müssen wir fie betrachten nach ihrem Zwecke, nach der Zeit und der Art ihrer Vomahme. A. Zweck der O. Rach Casper-Liman kann jede ärztliche Untersuchung eines menschlichm Leichnams einen dreifachen Zweck haben: 1) die Lebensfähig­ keit und das Gelebthaben eines Rcugebormm, wo beide zweifelhaft, fesizustellen; 2) die noch unbekannte Zeit, in welcher der Tod erfolgt war, zu ermitteln; 3) die v. Holtzendorff, (Eite. II. RechtSlexNou H. 8. Aufl. 58

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Obduktion.

unbekannte Todesursache sestzustellen. Bezüglich 'bcr Konstatirung der Lebens­ fähigkeit verweisen wir auf den Art. Kindesmord; wir werden demnach hier nur von 2) und 3) abhandeln. Am häufigsten ist die Frage nach der Todesursache zu beantworten, doch gehört es immerhin nicht seltm zu den Aufgabm des Gerichts­ arztes, auch über die muthmaßliche Zeit, die seit dem Eintritte des Todes verstrichen ist, sein Gutachten abzugeben. Oft wird der Obduzent an Einer Leiche beide, wol auch alle drei obgenannten Zwecke zu erfüllen haben. I. Bestimmung der Zeit des Todes. Wie jedem erfahrenen Gerichts­ arzte bekannt, find die Fälle nicht eben selten, wo die Frage nach der Zeit, wann der Tod eines Individuums eingetreten ist, zu beantworten kommt. Bon großer Wichtigkeit ist dem Richter die Beantwortung dieser Frage namentlich bei Mordthaten, bei lange vermißt gewesenen und dann todt aufgefundenen Menschen und bei neugebormen Kindern. Dagegen ist die Frage nach der Priorität des Todes zwischen mehreren gleichzeitig todt aufgefundenen Individuen in der Wirk­ lichkeit ungemein selten, obwol auch diese Frage schon Gegenstand gerichtsärztlicher Begutachtung geworden ist. Allgemeine Regeln zur Beurtheilung dieser Frage taffen sich ganz und gar nicht aufftellen; im konkreten Falle dürsten fich öfters Anhalts­ punkte finden lassen, um auch diese Frage zu lösen: so hatte Liman zweimal zu bestimmen, welches von zwei neugeborenen Zwillingen das zuerst getödtete resp, geborene war, und er konnte dies dadurch, daß das eine Kind noch durch die Nabel­ schnur mit dem Mutterkuchen zusammenhing, während das andere eine durchschnittene Nabelschnur zeigte und der zu letzterem gehörige Nabelschnurrest fich an der Placenta befand. Sowol für die Beurtheilung der Priorität des Todes, wie der Zeit des muthmaßlichen Todeseintrittes ist von allermeistem Werthe die Vergleichung der Fortschritte des Verwesungsprozesses, den wir deshalb in kurzen Zügen charakterifiren wollen. Noch bevor der eigentliche Verwesungsprozeß beginnt, treten Erscheinungen auf, welche den Eintritt des Todes signalisiren, und wir bezeichnen dieselben als die Zeichen des Todes. Sie sind so sichere und charakteristische Merkmale, daß wol in der Praxis niemals ein Zweifel entstehen kann, ob man es mit einer Leiche oder mit einem noch lebenden Individuum zu thun hat, so daß für den Sachverständigen die Möglichkeit einer Verwechslung des Scheintodes mit dem wirklichen Tode völlig ausgeschlossen ist. Die gerichtliche Medizin könnte sich glücklich schätzen, sagt Casper, wenn sie auf alle Fragen eine so apodiktisch sichere Antwort zu geben hätte. Diese Zeichen des eingetretenen Todes sind folgende: 1) Das Aufhören der Respiration und Cirkulation, was durch die physikalische Untersuchung festgestellt werden kann. 2) Das Erlöschen des Glanzes der Augen. 3) Das Aufhören der Wirkungen äußerer Reize (die Pupillen reagiren auf Licht nicht mehr). 4) Das Erbleichen und 5) das allmähliche Erkalten des Körpers. 6) Die allgemeine Erschlaffung aller Muskeln in Folge des Aufhörens des turgor vitae. Das alleinige Vorhandensein dieser Todeszeichen (1—6) beweist, daß der Tod längstens vor 10—12 Stunden eingetreten ist. 7) Das Weich- und Nachgiebigwerden des Augapfels als sicherer Beweis des erloschenen Lebensturgors. 8) Desgleichen ist die Abplattung des Muskelsleisches eine Folge des Aushörens der vitalm Spannung. 9) Die Hypostasen, der Effekt der mechanischen Senkung des Blutes nach dem Aufhören der Treibkraft des Herzens. Das Entstehen der Hypostasen ist ein rein physikalischer Vorgang, indem das Blut dem Gesetze der Schwere folgend fich

Obduktion.

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an den tiefstgelegenen Körper- und Organstellen ansammelt, die betreffenden Theile imbibirt und daselbst diffuse Färbungen veranlaßt. Man unterscheidet äußere Hypostasen oder Todtenflecke von den inneren Hypostasen im engeren Sinne. Die Todtenflecke sind daher in der Regel an den hinteren Partien des Körpers (Nacken, Rücken, Hinterflächen der Extremitäten rc.) am allermeisten ausgebildet, da die Körper meist am Rücken liegen; sie sind ebenso entwickelt an der Vorderseite des Körpers (Gesicht, Brust, Bauch rc.), wenn ein Leichnam mit dem Gesichte nach unten lag. Die Todtenflecke beginnen sich an der Leiche nach 6—12 Stunden auszubilden, nur sehr selten früher. Sie find ein sehr wichtiges Leichensymptom, einerseits weil sie eines der auffälligsten, auch dem Laien sofort in die Augen springenden Zeichen des Todes find, andererseits weil sie mancherlei Anhaltspunkte für Entscheidungen des Gerichtsarztes liefern. Für diesen ist von besonderem Belange die Unterscheidung derselben von im Leben entstandenen Sugillationen (s. d. Art. Körperverletzung, med.-sor.). Ein Scalpellschnitt wird stets die Differenzialdiagnose sichern. Bei der Sugillation ist Blut in toto in die Maschenräume der Haut und des Unterhautzell­ gewebes ausgetreten und wird als solches leicht erkannt, der Todtenfleck ist der Effekt einer diffusen Imbibition und daher niemals beim Einschneiden Blut oder noch weniger Coagula in demselben vorhanden. Es ist daher stets zu rathen, um jeglichen Zweifel zu beheben, durch Einschnitte in die Haut die Bedeutung einer abnorm gefärbten Stelle objektiv festzustellen. ' Bezüglich der inneren Hypostasen sei nur bemerkt, daß dieselben an dm verschiedmsten Organen auftretm sönnen, und daß auch hier in Bezug auf ihren Sitz stets das Gesetz der Senkung nach den tiefften Stellen gilt. So finden wir sie in den hinteren Partien des Gehirnes besonders an den gefäßreichen inneren Hirn­ häuten, in den hinteren unteren Lungenpartien, an den Baucheingeweiden (Därmen, Magen, Nieren rc.), ferner am Rückenmark und deffen Häuten. — Niemals zeigt das Herz Hypostasen; dagegen finden sich in seinen Höhten und zwischen den Balken seiner Muskulatur sowie in den großen Gefäßen jene bekannten postmortalen Blut­ gerinnungen, die man auch als Herzpolypen bezeichnet. Es ist allerdings möglich, daß der Beginn dieser Blutgerinnung im Herzen schon in die Zeit der Agonie, also in die letzten Lebensmomente fällt, meistens wird die Gerinnung sich erst nach dem gänzlichen Aufhören der Cirkulation ausbilden. Der Umstand, daß das Blut im Herzen und den großen Gefäßen bestimmt nach dem Tode noch gerinnt, beweist schon, daß der weit verbreitete und geglaubte Sah, daß das Blut z. B. in einer Wunde nach erfolgtem Tode nicht mehr gerinnen könne, daß daher koagulirtes Blut ein Beweis für die Vitalität seiner Verletzung sei, in dieser allgemeinen Form aus­ gesprochen ein Irrthum ist. Mit Recht verweist Liman auf Todesarten, wie Schuß ins Herz rc., wo der Tod so rasch erfolgen mußte, daß die bei der O. vorfindliche Gerinnung in der Wunde erst nach dem Tode entstanden'sein konnte. 10) Die Leichenstarre gehört endlich noch zu den wichtigsten jener Ver­ änderungen der Leiche, welche dem Eintritte der eigentlichen Verwesung vorangehen. Man versteht darunter jene Verkürzung und Verdickung gewiffer Muskelgruppen, besonders der Flexoren und Adduktoren der Extremitäten und der Adduktoren des Unterkiefers, wodurch sich dieselben hart und fest anfühlen und der Körper häufig, wie Devergie sich ausdrückt, etwas Athletisches bekommt. Die Todtenstarre schreitet von oben nach abwärts vor und verschwindet dann in derselben Weise, um, einmal verschwunden, nicht wieder einzutreten. Die Zeit ihres Beginnes schwankt innerhalb ziemlich weiter Grenzen: zwischen 8—20 Stunden; selten früher, fast nie­ mals später. Ihre Dauer ist manchesmal eine sehr lange bis zu mehreren Tagen. Es ist durch die Forschungen hervorragender Gelehrter, wie Brücke, BrownSsquard, Ed. Weber, Kühne, Maschka u. A., festgestellt, daß die Ursache der Todtenstarre in der Gerinnung des Muskeleiweises liegt, durch welchen Prozeß die postmortale Kontraktion hervorgerufen wird. Sie löst sich, wenn die erste saure 58*

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Obduktion.

Reaktion des Muskels verschwindet, um der alkalischen Fäulnißreaktion Platz zu machen. Die Todtenstarre kann sehr verschieden stark entwickelt sein oder auch ganz fehlen. Bei Tod durch narkotische Gifte ist sie sehr gering und kurz dauernd; bei Tod durch Blitzschlag soll sie ebenfalls fehlen. Bei unreifen Früchten tritt sie nie­ mals ein. Bei plötzlichen Todesarten sehr kräftiger und gesunder Individuen ist sie meist am stärksten entwickelt. Bei lang andauernder Leichenstarre trifft sie mit den ersten Verwesungserscheinungen zeitlich noch zusammen. Zeigt ein Leichnam nur die bisher geschilderten Leichenerscheinungen, so kann er als der eines Menschen bezeichnet werden, welcher längstens vorzwei bis drei Tagen verstorben ist. Im weiteren Verlause entwickeln sich an den Leichen Erscheinungen, welche sämmtlich jenem Zerfetzungsprozesse angehören, dem jeder Leichnam verfällt, und dessen Endresultat die gänzliche Auflösung und Zerstörung des Körpers ist. Wir bezeichnen daher diese weiteren Erscheinungen als Verwesungserscheinungen, und wollen zuerst die Bedingungen der Verwesung besprechen, da die Fortschritte derselben wesentlich modifizirt werden durch eine Reihe äußerer und innerer Einflüsse. Indi­ viduell modifiziren die Fortschritte der Verwesung: das Alter, die Leib es beschaffe nh eit und die Tod es art. Bezüglich des Alters fei nur erwähnt, daß Neugeborene unter allen Umständen schneller verwesen; hochbejahrte dagegen ceteris paribus viel langsamer. — Menschen von fetter, schwammiger und plethorischer Leibesbeschaffenheit sind einer rascheren Zersetzung unterworfen als magere Indi­ viduen. — Sehr wesentlich ist die Modifikation der Verwesung durch die Todesart. Sie tritt spät ein nach plötzlichem Tode Gesunder, rascher bei an Erschöpfung ge­ storbenen Individuen, besonders rasch nach Typhus, Wassersucht und allen Krank­ heiten, die mit Säfteentmischungverlaufen oder nach putriden Fiebern; darunter sind besonders zu erwähnen: Pyämie, Septicämie, Urämie, Puerperalfieber re.; ebenso tritt bei vielfach Verstümmelten, bei Verschütteten, bei in Rauch, Kohlenoxydgas, Leuchtgas Erstickten rasche Fäulniß ein; sie ist dagegen entschieden verzögert bei im Rausche apoplektisch verstorbenen Trunkenbolden und bei Vergiftungen durch Schwefel­ säure. Von weit größerer Bedeutung sind die äußeren Verwesungsbedin­ gungen: Luft, Feuchtigkeit und Wärme. Sie sind nothwendig zur Ein­ leitung und Unterhaltung der Verwesung, sie modifiziren dieselbe je nach dem Vor­ walten eines dieser Momente über die anderen. Wichtig vor allem ist der un­ gehinderte Zutritt der Luft. Alles, was denselben hemmt, wirkt verzögernd auf die Verwesung ein. Sie geht daher in der Luft am raschesten vor sich, besonders wenn dieselbe eine entsprechende Temperatur besitzt. Eine genügende Menge von Feuchtig­ keit ist fast stets im Körper selbst vorhanden. Schon daraus geht hervor, daß das Begraben eine Verzögerung der Zersetzung mit sich bringt. Wie bedeutend diese sei, hängt wieder von der größeren oder geringeren Porosität des Bodens, sowie vom Feuchtigkeitsgrade desselben ab. Schon aus diesen Andeutungen ist ersichtlich, daß die Schwankungen im Verlaufe des Verwesungsprozesses außerordentlich groß und mannigfach sind, und daß nur sehr schwer allgemein gültige Gesetze abgeleitet werden können. Ueber den Einfluß der Medien auf den Gang des Verwesungsprozesses sei demnach nur folgendes im Allgemeinen bemerkt: die Fäulniß geht am raschesten in freier Luft vor sich, weniger rasch im Wasser, beträchtlich langsamer in der Erde, und zwar bei annähernd gleicher Temperatur in der Weise, daß eine Woche (Monat) Aufenthalt der Leiche in freier Luft zweien Wochen (Monaten) Aufent­ halt derselben in Wasser und acht Wochen (Monaten) Lagerung in der Erde in Bezug auf das Fortschreiten des Zersetzungsprozesses gleichkommt. Die Fäulniß schreitet im geraden Verhältnisse zur Höhe der Temperatur fort, so daß diese wesentlich in Betracht zu ziehen ist bei der Beurtheilung von Fäulnißerscheinungen.

Ohduktto«.

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Ueber den Gang und die Zeitfolge der Berwesungserfcheinungen läßt sich Folgendes mit einiger Bestimmtheit sagen: Aeußerlich durchläuft das Bild eine ganze Skala von Erscheinungen, deren Werthfchätzung für die Zeit­ bestimmung nur dem Geübten möglich ist, wobei sich einzelne Momente schwer oder fast gar nicht fixiren lassen. Diese Skala beginnt mit der grünlichen Verfärbung der Bauchdecken, die sich immer weiter verbreitet, bis sie den ganzen Körper erfaßt hat. Der erst geringe Fäulnißgeruch wird dem um sich greifenden Prozeffe entfprechmd gesteigert, die Oberhaut wird endlich in Blasen abgehoben, die bersten und so das Integument zerstören, endlich gehen die Nägel ab, Haut und Muskeln erweichen, zerfließen schließlich und in Folge dessen werden Bauch- und Brusthöhle eröffnet und das letzte Stadium, das der putriden Kolliquation beginnt. Bon äußeren Geschlechts­ theilen ist außer Resten von Schamhaaren nichts mehr vorhanden, die Brüste find zerflossen, die Kopfschwarte größtenteils abgegangen, die Schädelknochen zerfallen,

das Gehirn fließt als stinkender Brei aus. Während sich aus dem Gange der äußeren Fäulnißerscheinungen wenig bestimmte Anhaltspunkte für die Zeitbestimmung gewinnen lassen, ist dies mehr der Fall durch den Gang des Berwesungsprozesses der inneren Organe, wobei sich eine gewisse Gesetzmäßigkeit geltend macht. Rach Casper ist die Chronologie der Verwesung der Jnnenorgane folgende: 1) die Luftröhre mit Einschluß des Kehlkopfes; 2) das Gehirn Neugeborener und Kinder; 3) der Magen; 4) die Gedärme; 5) die Milz; 6) Netz und Gekröse; 7) Leber; 8) das Gehirn Erwachsener; 9) das Herz; 10) die Lungen; wobei jedoch zu bemerken ist, daß ausnahmsweise manchesmal frühzeitige Verwesung der Lungen statt hat, was wegen der durch die Fäulniß bedingten Gasentwickelung in den Alveolen für die Beurtheilung stattgehabter Athmung eines Neugeborenen zu verderblichen Irrthümern Veranlassung geben kann; 11) die Nieren; 12) die Harnblase; 13) die Speiseröhre; 14) die Bauchspeicheldrüse, bezüglich welcher der Satz gilt, daß man eine schon ganz und gar verweste Leiche vor sich haben muß, um auch dieses Organ bereits vom Fäulnißprozeß ergriffen zu sehen; 15) das Zwerchfell; 16) die kleineren Blutgefäße, während die großen Hauptschlagadern mit zu den refistentesten Geweben gehören; 17) zuletzt von allen Organen wird der Uterus zerstört. Schließlich sei noch erwähnt, daß durch ein besonderes Verhältniß der für die Fäulniß nothwendigen Medien zu einander zwei eigenartige Abweichungen von der normalen Zersetzung statthaben können, von denen die eine als Fettwachsbildung (Adipocire, Leichenfett, Leichenwachs), die andere als Mumifikation bezeichnet wird. Erstere besteht in der Umwandlung der Weichtheile in eine käseähnliche, fettige Maffe und kommt durch Ausschluß von Lust bei Wasserleichen oder in feuchter Erde liegendm Kadavern zu Stande; die Mumifikation dagegen kommt unter reichlichem Luftzutritt bei ziemlich hoher Temperatur durch rasche Abgabe der Körperfeuchtigkeit zu Stande. Sowol der saponifizirte wie der mumifizirte Leichnam ändert sich nicht weiter und kann als solcher wol ungezählte Zeiträume erhalten bleiben. (Wüsten­ mumien, Klostermumien, Leichname griechischer Gräber rc.) II. Feststellung der Todesursache. Zur richtigen Erfüllung dieses O.zweckes ist vor allem nöthig, sich den richterlichen Zweck einer gerichtlichen Leichenschau vor Augen zu halten. Don diesem Standpunkte ist zuerst die Frage zu beantworten, ob das betreffende Individuum eines natürlichen Todes gestorben ist, oder aber ob es auf naturwidrige und straffällige Weise ums Lebm ge­ kommen. Die Eruirung dieser Frage ist von fundamentaler Wichttgkeit, weil davon das weitere Handeln des Richters abhängt; also abgesehen davon, was die unmittel­ bare Todesursache war, ist festzustellen, ob der Tod auf natürliche oder gewaltsame Weise erfolgte. Da die erstere gerichtsärztlich gar nicht in Betracht kommt, be­ sprechen wir nur die gewaltsamen Todesarten und folgen hierbei der Casper Äschen Eintheilung:

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Obduktion.

1) Der mechanische Tod. Er entsteht meist urplötzlich durch die Zerstörung (gewaltsame Zertrümmerung) eines lebenswichtigen Organes. Es geschieht dies bei knwirkung großer Gewalten, z. B. durch Einstürzen von Häusern, Mauern, durch Uebersahren mit Wagen und Eisenbahnzügen, durch Pulverexplofionen und durch Schußwunden, welche Gehirn, Rückenmark, Herz oder Lunge zertrümmern. 2) Der neuroparalytische Tod. Diese Todesärt ist der direkteste Gegensatz zum mechanischen Tode. Bei demselben treten gar keine sinnlich wahrnehmbaren Veränderungen im Körper ein. Die Sektionsbefunde find völlig negativ; man schließt auf diesen Tod, ohne ihn pofitiv beweisen zu können. (Hirnerschütterung ohne mechanische Störung; Rervenfchlag, Apoplexia nervosa.) 3) Der inflammatorische Tod. Hier wird dem Leben ein Ziel gesetzt durch entzündliche Prozeffe irgend eines verletzten Organes. Diese Todesart ist eine sehr häufige nach dm allerverschiedensten Verletzungm, sowie nach Vergiftungen mit ätzendm Substanzen und nach ausgedehnten und tiefgreifenden Verbrennungm. 4) Der hyperämische Tod, d. i. der durch übermäßige Blutstauung in edlm Centralorganen hervorgerufene Tod. So der blutige Gehirnschlag (Apoplexia sanguinea), wo der tödtliche Druck aufs Gehirn entweder blos durch hyperämische An­ füllung der Gefäße oder durch wirklichen Blutaustritt aus denselben (Haemorrhagia cerebri) erzeugt wird; dann die durch Blutstauung in den Lungen, dem Herzen und dm großm Gefäßm erzeugtm Todesarten: Blutschlagfluß, Stickfluß oder Erstickung (Lungmschlag, Herzschlag). Bei Erhängen, Erwürgen, Erdroffeln, nach Vergiftungen mit narkotischen Giften, beim Erfrieren erfolgt größtenteils der Tod durch Gehirnschlag; beim Ertrinkm, Ersticken durch Verstopfung der Luftwege mit Fremdkörpem oder Ersticken im Rauche oder durch Einathmung irrespirabler Gase entsteht Blut­ schlagfluß und Stickfluß. 5) Der anämische Tod tritt ein durch so erhebliche Verminderung des Blutgehaltes des Körpers, daß dadurch das Funktioniren der Organe unmöglich wird. Hierher gehören alle inneren und äußeren Verblutungen, jene häufige Folge von Hieb-, Stich-, Schnitt- und auch Schußwunden. 6) Der dysämische Tod entsteht durch Zersetzung des Blutes in Folge der Aufnahme von Eiter, jauchigen Stoffen, Ham (Pyämie, Septicämie, Urämie). Ebenso tödten viele Gifte nur durch Vergiftung des Blutes, so die chronische Arsen­ vergiftung, die Blausäure, der Alkohol, der Phosphor und andere Gifte. Dies im Allgemeinen über die gewaltsamen Todesarten, deren jeweilige Feststellung dem Sach­ verständigen obliegt, und der vermöge seiner Spezialkenntniffe auf Gmnd des aufgenommmen Befundes meist wol nicht unschwer in der Lage ist, die richtige Todes­ art zu bestimmen. Nun giebt es aber nicht allzu selten Fälle in der forensischen Praxis, wo die Bestimmung der Todesart eine sehr schwierige, oft fast unlösliche Aufgabe des Ob­ duzenten ist. Es sind dies jene Fälle, wo mehrere Verletzungen gleichzeitig sich vor­ finden, oder aber sogar mehrere Todesarten gleichzeitig vorhanden sind, von denen jede geeignet gewesen wäre, für sich allein den Tod zu bewirken. Es kann nun in der That von höchster Wichtigkeit mr den Richter sein, welcher einzelnen von einer Reihe von Verletzungen Jemand erlegen oder welchen Todes er wirklich gestorben ist. Diese Frage bezeichnet Casper mit „Priorität der Todesart", Skrzeczka als „konkurrirende Todesursachen". Beispielsweise wurde ein Mensch von mehreren überfallen, mißhandelt und getödtet. Welche Verletzung von mehreren tödtlichen, die er erhalten, hat dem Leben wirklich ein Ende gemacht? welche hat ihn zuerst getödtet? kann hier die Frage des Richters sein. In anderen Fällen fand man gleichzeitig Erstickung durch Herz- und Lungenhyperämie und eine tödtliche Kopfverletzung vor, oder eine tödtliche Schußwunde bei einem Erhängten, oder Halsschnittwunde neben Blausäurevergiftung und Strangulationssurchen. Hier ergiebt sich meist die schwierige Frage nach der eigenen oder fremden

vrdimro«.

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Schuld, die Frage ob Zufall, Selbstmord oder Mord. Zur richtigen Beantwortung oder Lösung dieser Fragen find besonders folgende Mommte genau zu erwägm: a) die Beschaffenheit der Vorgefundenen Verletzungen hauptsächlich in Bezug auf ihre Reaktionserscheinungen; b) die Art der Verletzungen insofern aus derselben ein Rückschluß auf die angewandtm Werkzeuge möglich ist; c) die Ermittlung der wirk­ lichen Tod es art, die der Zeitfolge nach vor den übrigen das Leben endete, z. B. Verblutung und Erhängung, Erhängung und Vergiftung, Erhängen und Schuß­ wunde ic. d) Schließlich ist in diesen Fällen von großer Wichtigkeit die Beachtung der äußeren Umstände des zweiselhaften Falles. B. Zeit d er O. Diesbezüglich bestimmt das neue Preußische Regulativ für das Verfahren der Gerichtsärzte bei den gerichtlichen Untersuchungen menschlicher Leichen vom 6. Januar /13. Februar 1875" int § 3 Folgendes: „C. dürfen in der Regel nicht vor Ablauf von 24 Stunden nach dem Tode vorgenommen werden. Die bloße Befichtigung einer Leiche kann früher geschehen." In Oesterreich ist nach der noch gülügen Ministerialverordnung vom 28. Januar 1855 im § 2 derselben

kein Zeitraum bestimmt, sondern nur im Allgemeinen gesagt, daß „die gerichtliche Todtmbefchau vor der Beerdigung eines Verstorbenen vorzunehmen ist". Da aber nach der provisorischen Instruktion für Leichenbeschauer (Ministerialerlaß vom 6. März 1861) die Beerdigung in der Regel erst nach Ablauf von 48 Stunden nach Eintritt des Todes gestattet ist, so dürste es richtig sein anzunehmen, daß die gerichtliche Leichenöffnung gewöhnlich im Laufe des zweiten Tages nach dem Tode vor­ zunehmen sei. Objektiv dürste fich die Zeit von 24—36 Stunden nach dem Tode als die geeignetste erweism, weil zu dieser Zeit einerseits die Zeichen des Todes bereits völlig und unzweifelhaft entwickelt find, während andererseits die Fäulniß meistentheils noch nicht zu weit vorgeschrittm ist. Dieser angegebene Zeitpunkt kann daher als die passende O.zeit bezeichnet werden. In der That werden aber die O. meist später ausgeführt, was wol oft begründet erscheint durch die nothwendig zu erfüllenden Formalitäten, oder durch den Transport einer Leiche an den zur O. bestimmten und geeigneten Ort oder dadurch, daß das Gericht verspätet Kenntniß verlangt von einem Todesfälle. Aber der Gerichtsarzt ist auch zur Vornahme von späten O. verpflichtet durch die gesetzlichen Bestimmungen, welche dieselbe auch bei vorgeschrittener Fäulniß und selbst bei längst Begrabenen fordern; und es ist dies in der That auch völlig zu billigen, da wir in der Lage find, auch bei oft sehr spät vorgenommenen Leichen­ öffnungen noch eine Reihe wichtiger Umstände zu konstatiren. Das Preuß. Regulativ bestimmt hierüber im § 4: „Wegen vorhandener Fäulniß dürstn O. in der Regel nicht Unterlasten und von den gerichtlichen Aerzten nicht abgelehnt werden. Denn selbst bei einem hohen Grade von Fäulniß können Abnormitäten und Verletzungen der Knochen noch ermittelt, manche, die noch zweifelhaft gebliebene Identität der Leiche betreffende Momente, z. B. Farbe und Beschaffenheit der Haare, Mangel von Gliedmaßen u. s. w. festgestellt, eingedrungene stemde Körper aufgefunden, Schwanger­ schaften entdeckt und Vergiftungen noch nachgewiesen werden. Es habm deshalb auch die Aerzte, wenn es fich zur Ermittlung derartiger Mommte um die Wieder­ ausgrabung einer Leiche handelt, für dieselbe zu stimmen, ohne Rückficht auf die seit dem Tode verstrichene Zeit." In wahrhaft präziser und vollkommener Form ist hier Alles das gesagt, was von späten O. zu erwarten steht, und wir werden dem im Ganzen nur Weniges hinzuzufügen haben. Die Oesterr. obgenannte Verordnung bestimmt § 2 al. 2 nur, daß in dem Falle eine Ausgrabung vorzunehmm sei, „wenn nach den Umständen noch ein erhebliches Ergebniß davon erwartet werden kann." Gerichtliche O. zur unpaffenden Zeit, also sogenannte verspätete O. werden ausgeführt werden müsten in folgenden Fällen: 1) bei bereits vorgefchrittener Fäulniß; 2) nachdem bereits eine privatärztliche O. vorangegangen; 3) bei wieder ausgegrabenen Leichen und Leichenftagmenten. Der Zweck verspäteter Leichen-

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ObdrrMon.

Öffnungen kann, wie der aller anderm fein, die Art und die Zeit des Todes und die Identität des betreffenden Leichnams mit einer bestimmten fraglichen Person festzustellen. Die Zeit wird sich bald leichter, bald mehr unbestimmt nach dem Grade der Verwesung feststellen lassen. Die Todesart kann in Fällen von Knochen­ verletzungen, Luxationen, Schußwunden, Vergiftung mit metallischen Giften, oft noch spät mit voller Sicherheit ermittelt werden. Daffelbe gilt selbst von der Konstatirung des zweifelhaften Lebens Neugeborener. Für die Frage der Identität der Leiche ist die Entwickelung des Knochensystems von größter Wichtigkeit und kann aus einer genauen Untersuchung von Knochenresten häufig mit ziemlicher Sicherheit Alter und Geschlecht des Individuums bestimmt werden, dem sie angehörten. Es sei hier nur noch erwähnt, daß für Jdentitätsbestimmungen auch die Haare von großer Wichtig­ keit find. Dieselben werden aber bei begrabenen Leichen durch den Einfluß der in der Erde vorhandenen Humussäuren zum Theile verändert, ein Umstand, der bei Exhumirungen wol zu beachten ist, und zwar werden die Haare heller und bekommen einen Stich ins Röthliche. Durch Ammoniak kann die ursprüngliche Haarfarbe wieder hergestellt werden. C. Art der O. Jede O. zerfällt in zwei gesonderte Akte: 1) die äußere Besichtigung oder Inspektion; 2) die innere Besichtigung oder Sektion. Dazu kommt noch als dritter Akt die Abfasiung des Protokolls und die Abgabe des Gutachtens, und eventuell auf Verlangen die Abgabe eines O.berichtes. Wir werden daher eine Betrachtung des O.verfahrens nach diesen drei Richtungen vornehmen. 1) Die äußere Besichtigung (Inspektion). Hierbei ist die äußere Be­ schaffenheit des Körpers int Allgemeinen und die seiner einzelnen Abschnitte zu unter­ suchen. In präziser Weise bestimmt hierüber das genannte Regulativ im § 13 Folgendes: „Demgemäß sind, betreffend den Körper im Allgemeinen, soweit die Besichtigung solches ermöglicht, zu ermitteln und anzugeben: a) Alter, Geschlecht, Größe, Körperbau, allgemeiner Ernährungszustand, etwa vorhandene Krankheits­ residuen, z. B. sogenannte Fußgeschwüre, besondere Abnormitäten (z. B. Mäler, Narben, Tättowirungen, Ueberzahl oder Mangel an Gliedmaßen); b) die Zeichen des Todes und die der etwa schon eingetretenen Verwesung." Hierzu sei nur noch Folgendes bemerkt: Es giebt mancherlei Krankheitsprodukte und Krankheits­ residuen bei gerichtlichen Leichen, deren Beachtung in vielen Fragen von Wichtigkeit werden kann, wie Hernien, Defekte von Organen, Geschwülste der verschiedensten Art, Verkrümmungen, Fußgeschwüre, Decubitus, hydropische Anschwellungen rc. Sie alle müssen beachtet und kurz angegeben werden; bei unbekannten Leichen dürfte es sogar sehr zu empfehlen sein, derartige Vorkommnisse genau zu beschreiben. Eine nicht geringe Wichtigkeit kommt unter den Krankheitsrefiduen den Narben zu, insonder­ heit in Bezug auf zwei richterliche Fragen: a) wie alt ist eine Narbe und b) können Narben ganz und gar verschwinden? Bezüglich der Altersbestimmung einer Narbe wird das Urtheil des Gerichtsarztes immer nur ein sehr unbestimmtes sein können, bezüglich der zweiten Frage gilt unbedingt der Sah: „Narben mit Substanzverlust und Narben von granulirenden Wunden und Geschwüren verschwinden niemals und sind noch an der Leiche sichtbar. Narben von Blutegelstichen, Aderlaß- und Schröpf­ wunden können in einer nicht näher zu bestimmenden Zeit verschwinden und nicht mehr am Leichnam wahrnehmbar sein" (Liman). Nicht das Gleiche gilt von den Tättowirungen. Auch hier entsteht die Frage, ob eine Tättowirungsmarke ver­ schwinden könne oder nicht, und diese Frage muß nach den Erfahrungen hervorragender Forscher, wie Casper, Tardieu, Meckel u. A., entschieden bejaht werden. In manchen Fällen kann der Farbstoff dann noch in den benachbarten Drüsen (Achsel­ drüsen) aufgefunden werden. Es gilt diesbezüglich demnach der Sah, „daß Tättowirungsmarken im Leben verschwinden können, in nicht wenigen Fällen wirklich verschwinden, so daß sie in demselben todten Körper völlig unsichtbar sind, bei welchen sie von Zeugen im Leben gesehen worden waren und daß ihr früheres Vorhanden-

Obduttion.

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gewesensein möglicherweise noch in den Lymphdrüsen der Achseln nachgewiesen werden kann." Betreffend die einzelnen Theile ist Folgendes festzustellen: a) bei Leichen unbekannter Personen die Farbe und sonstige Beschaffenheit der Haare (Kopf und Bart), sowie die Farbe der Augen; b) das etwaige Vorhandensein von fremden Gegenständen in den natürlichen Oeffnungen des Kopfes, die Beschaffenheit der Zahnreihen und die Beschaffenheit und Lage der Zunge; c) demnächst sind zu untersuchen: der Hals, dann die Brust, der Unterleib, die Rückenfläche, der After, die äußeren Geschlechtstheile und endlich die Glieder. Insbesondere ist auf eine etwa vorhandene Verletzung zu achten. Dieselbe muß nach jeder Richtung genau untersucht werden, als nach Lage, Größe, Form, Beschaffenheit der Wundränder, vitale Reaktion rc. (vgl. d. Art. Körperverletzung, med.-for.). Bei Verletzungen und Beschädigungen der Leiche, die unzweifelhaft einen nicht mit dem Tode im Zusammenhang stehenden Ursprung haben, z. B. bei Merkmalen von Rettungsversuchen, Zernagungen von Thieren und dergleichen, genügt eine sum­ marische Beschreibung dieser Befunde. Hierbei sei nur noch bemerkt, daß es keines­ wegs in allen Fällen leicht ist, Verletzungen, die dem Lebenden zugefügt wurden, von Verletzungen des Todten zu unterscheiden. Sehr häufig sind an der Leiche Vor­ gefundene Verletzungen künstliche von Blutegelstichen, frischen Schröpfnarben und Aderlaßwunden, dann von Rettungsversuchen, chirurgischen Nähten, Schnitten und Amputationswunden herrührend. In allen diesen Fällen genügt ebenfalls eine sum­ marische Beschreibung, außer wenn ein ärztliches Kunstverfahren Gegenstand der An­ klage oder Leichenuntersuchung ist. 2) Die innere Besichtigung (Sektion). Hauptaufgabe derselben ist die kunstgerechte Eröffnung und fachmännische Untersuchung der drei Haupthöhlen des Körpers, der Kopf-, Brust- und Bauchhöhle. Die Eröffnung der Wirbelsäule oder­ einzelner Gelenkshöhlen ist nur dann erforderlich, wenn hiervon irgend erhebliche Be­ funde erwartet werden können. In der Regel geschieht die Eröffnung dieser Körper­ höhlen in der genannten Reihenfolge von oben nach unten. Besteht jedoch ein bestimmter Verdacht in Bezug aus die Ursache des Todes, so ist mit derjenigen Höhle zu beginnen, in welcher sich die hauptsächlichen Veränderungen vermuthen lassen. In jeder der genannten Höhlen sind zuerst die Lage der in ihr befindlichen Organe, sodann die Farbe und Beschaffenheit der Oberflächen, ferner ein etwa vorhandener ungehöriger Inhalt, namentlich fremde Körper, Gas, Flüssigkeiten oder Gerinnsel u.s.w. in den letzten beiden Fällen nach Maß bzw. Gewicht zu bestimmen, und endlich ist jedes Organ äußerlich und innerlich zu untersuchen. (Regulativ § 14.) Wichtig ist die genaue Beachtung der Bestimmungen bei Verdacht einer Ver­ giftung, weil in diesem Falle von der Art der Vornahme der Eröffnung der Baucheingeweide und der Auffangung und Aufbewahrung des für die spätere chemische Untersuchung zu reservirenden Inhaltes das Resultat dieser beeinflußt, bzw. in Frage gestellt werden kann. Die innere Besichtigung beginnt hierbei mit der Eröffnung der Bauchhöhle (Regulativ § 22), eine Bestimmung, welche in der Oesterr. Verordnung nicht enthalten ist, die aber durchaus nicht unwesentlich ist. Gleich bei der Eröffnung ist auf den etwa bemerkbaren Geruch zu achten. Dann werden um den untersten Theil der Speiseröhre, dicht über dem Magenmunde, sowie um den Zwölffingerdarm unterhalb der Einmündung des Gallenganges doppelte Ligaturen gelegt und beide Organe zwischen denselben durchschnitten. Hierauf wird der Magen mit dem Zwölf­ fingerdarm im Zusammenhänge herausgeschnitten, wobei jede Verletzung desselben sorgfältig zu vermeiden ist. Nach kunstgerechter Oeffnung desselben wird der Inhalt sofort nach Menge, Konsistenz, Farbe, Zusammensetzung, Reaktion und Geruch be­ stimmt und in ein reines Gefäß von Porzellan oder Glas gethan. Hierauf erst

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ObduMmt.

wird die abgefpülte Magenschleimhaut genau untersucht. Der Magen wird dann in das Glas mit dem Mageninhalte gegeben. Außerdem find noch andere Substanzen und Organtheile, wie Blut, Harn, Stücke der Leber, Nieren k. aus der Leiche zu entnehmen und abgesondert in sorgfältig gereinigten Gläsern zur weiteren Unter­ suchung aufzubewahren. Jedes Gesäß wird verschlossen, verfiegelt und bezeichnet. Besondere Bestimmungen enthalten sowol das Preußische, wie das Oesterreichifche Regulativ bezüglich der O. Neugeborener. Dieselben beziehen fich namentlich auf die Zeichen der Reife und der Entwickelungszeit des Kindes und aus die genaue Bornahme der Athemprobe zur Konstatirung stattgehabten Lebens. (S. hierüber d. Art. Kindesmord, med.-for.) Zu erwähnen ist noch, daß zur O. stets zwei Aerzte beigegeben werden müssen, wovon der eine ein Phyfikus (Gerichtsarzt), der zweite ein Gerichts-(Kreis-) Wund­ arzt ist und daß der Richter resp, die Gerichtskommisfion bei der Vornahme der O. anwesend sein muß. Die Oesterreichische Verordnung enthält (§ 5) eine Be­ stimmung, wo die O. auch von einer Sanitätsperson vorgenommen werden kann, wobei die Unterlafiung der Beiziehung der zweiten im Protokoll jedesmal besonders angeführt und begründet werden muß. Der zweite zugezogene Arzt hat die Ver­ pflichtung, nach beendeter O. die kunstgerechte Schließung der geöffneten Körperhöhlen zu bewirten. 3) Das O.protokoll und das Gutachten. Ueber alles die O. Be­ treffende wird vom Richter an Ort und Stelle ein Protokoll ausgenommen (O.protokoll). Der Gerichtsarzt hat dafür zu sorgen, daß der technische Befund in allm seinen Thellen wörtlich in das Protokoll ausgenommen werde. Dieser Befund muß vom Phyfikus (Gerichtsarzt) deutlich, bestimmt und auch dem Nichtarzt ver­ ständlich angegeben werden. Zu letzterem Zwecke sind in der Bezeichnung der einzelnen Befunde fremde Kunstausdrücke, soweit es unbeschadet der Deutlichkeit möglich ist, zu vermeiden. Die 6eiben Hauptabtheilungen Inspektion und Sektion sind mit A. und B., die Abschnitte über die Eröffnung der einzelnen Körperhöhlen mit Röm. I. II. rc., die Befunde der Untersuchung jedes einzelnen Theiles mit arabischen Ziffern fort­ laufend zu bezeichnen. Die Befunde müssen überall in genauen Angaben des that­ sächlich Beobachteten, nicht in der Form von bloßen Urtheilen zu Protokoll gegeben werden. Am Schluffe einer O. haben die Obduzenten ihr vorläufiges Gutachten über den Fall summarisch und ohne Angabe der Gründe zu Protokoll zu geben. Sind ihnen aus den Akten oder sonst besondere, den Fall betreffende Thatsachen be­ kannt, welche auf das abgegebene Gutachten Einfluß ausüben, so müssen auch diese kurz erwähnt werden. Dasselbe ist der Fall, wenn ihnen der Richter besondere Fragen zur Beantwortung vorlegt. Stets ist das Gutachten zuerst aus die Todes­ ursache und nächstdem auf die verbrecherische Veranlassung zu richten. Ist die Todes­ ursache nicht aufgefunden worden, so muß dies ausdrücklich angegeben werden. In allen Fällen, wo weitere technische Untersuchungen nöthig sind, oder wo zweifelhafte Verhältniffe vorliegen, ist ein besonderes Gutachten mit Motiven ausdrücklich vor­ zubehalten (Regulativ § 29). Wmn sich an der Leiche Verletzungen zeigen, welche muthmaßlich die Ursache des Todes gewesen, so haben sich die Obduzenten über Aufforderung des Richters auch darüber zu äußern, ob und welche Verletzungen mit einem vorliegenden Werk­ zeuge bewirkt werden konnten und ob und welche Schlüsse aus die Art, wie der Thäter und aus die Kraft, mit der er verfahren, zu ziehen seien (Regulativ § 30). Werden bestimmte Werkzeuge nicht vorgelegt, so haben sie sich, soweit es aus dem Befunde noch möglich ist, über die Art der Entstehung der Verletzungen, bzw. über die Beschaffenheit der dabei in Anwendung gekommenen Werkzeuge zu äußern. In nicht seltenen Fällen wird von den Obduzenten ein O.bericht (motivirtes Gutachten, besonderes Gutachten, nach Lesterreichischer Bezeichnung) gefordert. Das-

ObedtenzeW — vverei-enthum.

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selbe ist in folgender Form zu erstatten: Es wird mit einer gedrängtm aber genaum Geschichtserzählung des Falles unter Angabe der zur Kenntniß genommenen Aktensolien begonnen. Sodann wird das O.protokoll auszugsweise, soweit als sein In­ halt für die Beurtheilung der Sache wesentlich ist, wörtlich und mit den Nummern des Protokolls ausgenommen. Die Faflung des O.berichtes muß bündig und deutlich sein und die Begründung des Gutachtens so entwickelt werden, daß sie auch für den Nichtarzt verständlich und überzeugend ist. Es haben sich die Obduzmtm daher möglichst Deutscher Ausdrücke und allgemein faßlicher Wendungen zu bedienen. Besondere Beziehungen auf literarische Quellen find in der Regel zu unterlaffen. Besonders gestellte Fragen müssen möglichst wörtlich beantwortet, und, wenn die Beantwortung unmöglich, die Gründe hierfür angeführt werden. Beide Obduzenten unterschreiben den O.bericht, der Phyfikus versteht dmselben außerdem mit seinem Amtsfiegel. Jeder O.bericht muß spätestens innerhalb vier Wochm eingereicht werdm. Lit.: Casper-Liman, Handbuch der gerichtlichen Medizin, 6. Lust. 1878, Bd. II. — Virchow, Die SektionStechuik im Leichenhause des Eharitö-KrankenhauseS mit besonderer Rückficht auf gerichtsärztliche Praxis, Berlin 1876. — Mittenzweig, Leitfaden für gericht­ liche O., Berlin 1878. - Gesetzliche Bestimmungen. Preußen: Regulativ für lmS Verfahren der GerichtSärzte der gerichtlichen Untersuchungen menschlicher Leichen vom 6. Jan./ 13. Februar 1875. — Oesterreich: Verordnung der Minist. deS Innern und der Justiz vom 28. Januar 1855 über die Vornahme der gerichtlichen Todtenbeschau. — Erlaß deS Staatsministeriums vom 6. März 1861 Z. 817. Provisorische Instruktion f. Leichenbeschauer. Kratter.

Obedieuzeid (juramentum obedientiae), d. h. der in der katholischen Kirche von den Inhabern bestimmter Stellungen abzulegende, auf Beobachtung der kirch­ lichen Borschristen und des Gehorsams gegen den Papst gerichtete Eid. Verpflichtet zur Ableistung eines solchen (die Formel giebt das Pontificale Romanum in dem Titel: de consecratione electi in episcopum) sind die Erzbischöfe und Bischöfe, welche ihn entweder in die Hände des Papstes oder des von letzterem mit der Voll­ ziehung der Bischofsweihe beauftragten Bischofs ablegen. Außerdem haben die­ jenigen Geistlichen, welche nicht ein sog. beneficium Simplex, sondern ein mit der Ausübung der Seelsorge oder mit regimentlicher Befugniß verbundenes Amt (bene­ ficium duplex) erhalten, die Pflicht, dem Bischof die Obedienz eidlich anzugeloben. Dagegen ist der im Mittelalter von den Bischöfen ihrm Metropoliten abzuleistende O. feit dem 15. Jahrhundert außer Gebrauch gekommen. Lit.: Dgl. P. HinschiuS, Kirchenrecht, Bd. 3 S. 193 ff. — Eine besondere Behandlung des Gegenstandes fehlt. P. Hinschius.

Obereigeuthum m»h N»tzeige»th>«. An einer Sache ist nur ein Eigenthum möglich; insbesondere ist eine Theilung in der Art, daß gewiffe auS dem Eigentumsrecht fließende Befugniffe dem einen —, andere Befugniffe dem anderen Eigenthümer ausschließlich zustehen sollen, mit dem Begriff des Eigenthums unvereinbar. Bon entgegengesetzter Anschauung geht die dem Mittelalter angehörige Unterscheidung von dominium directum (OE.) und dominium utile (NE.) aus; die Bezeichnung lehnt sich an die Römisch-rechtliche Form der actio in rem utilie, welche — nach Analogie der dem Eigenthümer zustehenden actio directa — gewissen dinglich Berechtigten gegeben war; irrthümlich aber wurde in Deutschland (vgl. Eichhorn, D. Rechtsgesch., IV. § 565 n. d.) utilis im Sinne von nützlich, nutzbar genommen und so dem dominium directum, OE., das dominium utile, NE. gegenübergestellt, Währmd es sich in den Fällen des sog. NE. in Wahrheit nur um ein weitgehmdeS Recht an fremder — unbeweglicher — Sache handelt; Anwendung hiervon aus die partikularrechüich (z. B. Preuß. Allg. LR. I. 9 §§ 94 ff., 18 § 7; Cod. Maxim. Bav. II. 3, 4; Oesterr. BGB. § 899) verschieden beant­ wortete Frage, ob der gesetzlich dem Eigenthümer zufallende Theil des Schatzes dem Obereigmthümer oder dem Nutzeigenthümer gebühre, sowie aus die Frage, ob der Obereigenthümer eine Dienstbarkeit an dem im NE. eines Anderen stehenden Grundstücke

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Obereigenthum.

erwerben kann. — Der Hauptfall von NE. ist das Recht des Vasallen am Lehngut; NE. wird auch zugeschrieben dem Inhaber des Bauernguts, wenn das Eigenthum daran nicht dem Bauer, sondern einem Gutsherrn zusteht; partikularrechtlich (so ins­ besondere vom Preuß. Allg. LR. II. 4 §§ 72, 73; Oesterr. BGB. § 629) wird auch das Recht des jeweiligen Inhabers eines Familienfideikommisses als NE. be­ zeichnet, dem alsdann das OE. der Familie gegenübersteht; vgl. hierüber d. Art. Familiensideikommiß. — Das NE. konnte ursprünglich — in Folge des zugleich persönlichen Verhältnisses zwischen Lehnsherrn und Vasallen — nur durch Vertrag — Belehnung, Verleihung — entstehen; Besitzübergabe ist, ins­ besondere nach neuerem Lehnrecht, zum Erwerb des NE. nicht erforderlich, nach älterem Recht dagegen von Bedeutung für das Recht der „Folge" (vgl. Stobbe in Jhering^s Jahrb. XII. 200; Heusler. Gewere, S. 65 ff.); auch für den Erwerb des NE. an Meiergütern wird die Nothwendigkeit der Tradition verneint vom OApp.Ger. Lübeck (bei Seuffert, Arch. V. Nr. 46); bald wurde aber, zuerst vom Langob. Recht (II. F. 26 § 5), dann auch vom Deutschen Recht Erwerb sowol des OE. als des NE. durch dreißigjährige (und unvordenkliche) Verjährung zugelassen; zehnjährige Verjährung bei justus titulus? (s. Weber, Handb. des Lehnrechts, IV. S. 252; Unterholzner, Verjährung, II. § 243; Beseler, D. Privatrecht, § 156; — Pätz, Lehnrecht, § 66; Gerb er, Deutsches Priv.R., § 118).— Inhalt des OE. und des NE.: der Obereigenthümer ist zwar alleiniger Eigen­ thümer, allein der Ausübung nach sind die meisten Rechte des Eigenthümers auf den Nutzeigenthümer übertragen; selbst im Recht der Veräußerung seines (beschränkten) Rechts ist er insofern beschränkt, als dadurch der Vasall einen niedrigeren Herrn er­ halten würde (II. F. 34; Preuß. Allg. LR. I. 18 § 182; Bad. Lehnsedikt von 1807 § 24). Das wichtigste Recht des OE. ist die Konsolidation, der Rückfall der vasallitischen Rechte im Fall des Aussterbens der Familie des Vasallen bei Nicht­ vorhandensein anderer Lehenfolgeberechtigter (Mit- oder Eventualbelehnter); blos temporäre Konsolidation, d. h. mit Vorbehalt der Rechte der Agnaten und Mit­ belehnten, partikularrechtlich sogar der Descendenten, tritt ein bei Verwirkung des Lehns durch Felonie des Vasallen, insbesondere bei (dolos? Weber, Lehnrecht, IV. S. 210; Eichhorn, D. Priv.R., § 216 N. q. r.) unterlassener Lehnserneuerung. Partikularrechtlich hat der Obereigenthümer im Fall der Lehnserneuerung das Recht auf eine Abgabe, laudemium, insbesondere als Vergütung für die Einwilligung in eine Veräußerung des NE. (Seuffert, Arch. XVII. 268). - Das Recht des Nutzeigenthümers ist ein weitgehendes, nicht blos Nutzungs- sondern auch Verfügungs­ recht; er erwirbt die Früchte, wie der Emphyteuta, schon durch die Separation; er kann Veränderungen in der Substanz vornehmen, wofern sie keine Deteriorationen sind; er ist für dingliche Klagen der rechte Kläger und Beklagte mit der Wirkung, daß das im Prozeß ergangene Urtheil und sogar der von ihm abgeschlossene Ver­ gleich für den Obereigenthümer (und die Lehnsfolger) verbindlich sind (II. F. 43; anders Preuß. Allg. LR. I. 18 § 258). — Vererblichkeit des NE. ist zwar die Regel, aber nicht nothwendig; über die Art der Vererbung s. d. Art. Lehnssuccession. In der Veräußerung, und entsprechend in der Verpfändung, über­ haupt der dinglichen Belastung ist der Nutzeigenthümer mehrfach beschränkt mit Rücksicht theils auf das Recht des Obereigenthümers, theils auf dasjenige der Lehnsfolgeberechtigten; eine Verpfändung der Lehnsfrüchte, sowie andere dingliche Be­ lastungen sind nur gegen den Verpfänder und seine Descendenten wirksam; Ver­ pfändung der Substanz und Veräußerung des NE. bedarf der Zustimmung des Obereigenthümers und der Lehnfolgeberechtigten; letztere sind, wenn für sie der Fall der Lehnfolge eintritt, berechtigt, den dritten Erwerber das Gut mit der Revokations­ klage abzufordern; den Descendenten des Veräußerers steht diese Klage gemeinrechtlich nicht —, partikularrechtlich vielfach nur gegen Erstattung des Kaufpreises an den Erwerber zu. Ueber die Belastung des NE. mit Schulden vgl. auch den Art.

OberNrchenrath.

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Lehnsschulden. — Die Beschränkung der Veräußerungsfähigkeit ist im heutigen Recht das in der Lehre vom OE. und NE. saft allein noch Praktische, sofern durch die neuere Partikulargesetzgebung fast überall das OE. gegen Entschädigung des Lehnsherrn beseitigt oder doch seine Beseitigung angebahnt und der Inhaber des NE. zum Eigenthümer gemacht oder ihm der Erwerb des Eigenthums ermöglicht ist, dabei aber vielfach die Succesfions- und damit auch die sonstigen Rechte der Lehnfolgeberechtigten gewahrt find, in der Art, daß ein Familienfideikommiß-ähnliches Verhältniß entstand. — Aufgehoben ist das OE. (zum Theil mit Statuirung von Ausnahmen für die auf zwei oder vier Augen stehenden Lehen) in Preußen: Gesetze vom 2. März 1850, 5. Juni 1852, 4. März 1867, 23. Juli 1875 (für Hannover: Gesetze vom 13. April 1836, 19. Juli 1848, 24. Jan. 1851; Kur­ hessen : Gesetz vom 26. Juni 1848); in Sachsen (für die vom König ausgehenden Lehen): Deklar. vom 22. Mai 1872; in Württemberg: Gesetz vom 8. Okt. 1874; im Großherzogthum Hessen: Gesetz vom 2. Mai 1849; in Oldenburg: Gesetz vom 28. März 1852; in Braunschweig: Gesetz vom 13. Dezember 1849. Die Modifikation auf Antrag des Vasallen gestatten Bayern (Gesetz vom 4. Juni 1848) und Baden (Gesetz vom 9. August 1862). Die Rechte der Agnaten und sonstiger Lehnsfolger find (im Wesentlichen) ohne Entschädigung aufgehoben durch die an­ geführten Gesetze von Hannover, Kurheffen, Großherzogthum Heffen, Braunschweig, Oldenburg; in Preußen, Bayern, Württemberg, Baden find ihre Succeffionsrechte mehr oder weniger vollständig Vorbehalten, zum Theil aber auch die Möglichkeit der Begründung von freiem Eigenthum, sei es durch Uebereinkommm des Inhabers mit den Berechtigten oder durch Entschädigung der letzteren gewahrt. Pfizer.

Oberkircheurath ist die Bezeichnung für die in einzelnen evangelischen Landes­ kirchen Deutschlands zur Ausübung des landesherrlichen Kirchenregiments bestehenden Behörden, deren Stellung allerdings im Einzelnen eine verschiedene ist. In Preußen bildet der im Jahre 1850 eingesetzte evangelische O. die oberste Leitungsbehvrde für die evangelische Kirche der acht älteren Provinzen. Er steht unmittelbar unter dem König und berichtet direkt an ihn, auch tritt er mit den übrigen Behördm in unmittelbaren Verkehr. Er ist aus geistlichen und weltlichen Mitgliedern (letztere aus den Verwaltungs- und richterlichen Beamten genommen) unter einem weltlichen Präfidenten zusammengesetzt. Der letztere, sowie die Mitglieder werden vom König nach Anhörung des Kultusministers und unter Gegenzeichnung desselben, die Mit­ glieder auch, nachdem zuvor der Präsident seine Anträge gestellt hat, ernannt. Nach­ dem mit dem 1. Okt. 1877 die frühere Scheidung der kirchlichen Verwaltung in sog. Interna und Externa (letztere umfaffend die Aufsicht und obere Verwaltung des kirch­ lichen Vermögens, die Aufsicht über die Kirchenbücher und die Sorge für Anlegung und Unterhaltung der Kirchhöfe) und die Zuständigkeit der Staatsbehörden, des Kultus­ ministeriums und der Provinzialregierungen in Betreff der sog. Externa in der alt­ preußischen Landeskirche beseitigt worden ist, läßt sich die Kompetenz des O. dahin bestimmen, daß ihm die gestimmte kirchliche Verwaltung in oberster Instanz zusteht. Den Staatsbehörden, insbesondere dem Kultusminister, ist außer der Ausübung und Wahrung des staatlichen Kirchmhoheitsrechtes nur die Mitwirkung bei der Besetzung kirchenregimentlicher Aemter (der Superintendenturen, Generalsuperintendenturm und der Stellen in den Konsistorien und im O.), sowie das Aufsichts- und Derwaltungsrecht hinsichtlich des Vermögens der Kirchen landesherrlichen Patronats verblieben. Der O. bearbeitet die ihm zugewiesenen Sachen in kollegialischer Beschlußfaffung. Die Amtsthätigkeit des O. unterliegt insoweit der Kontrole der Generalsynode, als diese auf die Innehaltung der bestehenden Kirchenordnungen bei der Verwaltung zu achten hat, ferner über die vom O. verwalteten und seiner Ver­ fügung unterstellten kirchlichen Fonds und kirchlichen Einnahmen die Aufsicht führt,

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sowie die Jahresrechnungen über diese Fonds prüft und die Entlastung der Rechnungen ertheilt. Auch sind mit ihr die leitenden Grundsätze über die Verwendung der ge­ dachten Mittel zu vereinbaren. Als Organ der Generalshnode ist ferner der Synodal­ rath jährlich vom O. einzuberufen, um mit demselben die Feststellung leitender Grundsätze für die kirchliche Verwaltung für solche Angelegenheiten zu berathen, hinsichtlich deren der O. dies für nothwendig erachtet. Endlich haben die Mitglieder des Synodalvorstandes dem O. als außerordentliche Mitglieder mit vollem Stimm­ recht hinzuzutreten, wenn eine Entscheidung abzugeben ist in einer gegen einen Geist­ lichen wegen Irrlehren geführten Disziplinaruntersuchung oder in der Rekursinstanz über Einwendungen der Gemeinde gegen die Lehre eines zum Pfarramte Designirten und über die wegen Mangels an Uebereinstimmung mit dem kirchlichen Bekenntniß angefochtene Berufung eines Anstellungsfähigen zu einem geistlichen Amte, ferner bei der Feststellung der von der Kirchenregierung, der Generalsynode vorzulegenden Ge­ setzentwürfe und den Ausführungsinstruktionen kirchlicher Gesetze, bei den an den König zu machenden Vorschlägen wegen der Besetzung der Generalsuperintendenturen, bei der Vertretung der gesammten Landeskirche in ihren vermögensrechtlichen An­ gelegenheiten und endlich in anderen Angelegenheiten der kirchlichen Centralverwaltung von hervorragender Wichtigkeit, falls der O. die Zuziehung für angemessen erachtet. Bei der Ausfertigung der unter Mitwirkung des Shnodalvorstandes gefaßten Be­ schlüsse ist dieser Erwähnung zu thun. Die kirchenregimentlichen Befugnisse des O. beruhen auf Delegation des Landes­ herrn. Vorbehalten ist dem König selbst die Beschlußfassung über kirchliche gesetz­ geberische Maßnahmen, insbesondere die Sanktion der kirchlichen Gesetzentwürfe, die Besetzung der kirchenregimentlichen Aemter, die Entscheidung in solchen Fällen, in denen ein Einverständniß zwischen dem O. und dem Minister der geistlichen An­ gelegenheiten nicht zu erreichen ist, sowie endlich die Entscheidung in wichtigen Angelegenheiten, welche an ihn gebracht werden. Die Delegation der kirchenregiment­ lichen Geschäfte an den O. ist durch Kirchen- und Staatsgesetz festgestellt, es ist daher ohne eine Abänderung beider eine Rücknahme der demselben übertragenen Funktionen oder eine Ausschließung von der Wahrnehmung der letzteren unstatthaft. In Baden, Oldenburg und Mecklenburg-Schwerin heißt die für die Ausübung des landesherrlichen Kirchenregiments in unmittelbarer Unterordnung unter dem Landesherrn stehende Behörde ebenfalls O. Wenn dieselbe auch in den beiden erstgedachten Ländern kirchenverfassungsmäßig sanktionirt ist, also hier die erfolgte Delegation ebenso wie in Preußen durch kirchliches Gesetz festgestellt ist, so ist in den drei erwähnten Staaten doch die O. die einzige regimentliche Behörde, während in Preußen dem O. für die laufende Verwaltung erster Instanz die in Baden, Oldenburg und Württemberg fehlenden Provinzialkonsistorien untergeordnet sind. Ueber die Ernennung der Mitglieder gilt das für Preußen Bemerkte, und ebenso ist das dem Landesherrn zukommende Recht der eigenen Entscheidung seinem Umfange nach wesentlich gleich bemessen. In Baden sind die Mitglieder des General­ synodalausschusses ebenfalls außerordentliche Mitglieder des O., welche bei wichtigen Angelegenheiten zur Beschlußfassung zugezogen werden müssen. In anderen Ländern ist für die kirchenregimentliche Behörde, deren Stellung hier eine verschiedene ist, die Bezeichnung Konsistorium oder auch Ober- und Landes­ konsistorium üblich. Der Ausdruck Konsistorium kommt meistens in den kleineren Staaten (z. B. Braunschweig, Mecklenburg-Strelitz, Waldeck) vor. Sog. Landeskonsistorien bestehen für die evangelisch-lutherischen Kirchen Hannovers und des Königreichs Sachsens. Das erstere mit subordinirten Provinzialkonsistorien ist dem Kultusminister untergeordnet, und hat demselben allgemeine Anordnungen vor ihrem Erlaß vorzulegen, auch kann der Minister die Verfügungen desselben suspendiren und die Entscheidung des Königs einholen, seinerseits aber ohne das Einverständniß des Landeskonsistoriums keine Anordnung treffen. Das Sächsische

Oberlandesgerichle.

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Landeskonsistorium übt das landesherrliche Kirchenregiment unter den sog. in Evangelicis beauftragten Staatsministern (d. h. dem Kultusminister, welcher stets der evangelischen Konfession angehören muß, und mindestens zwei anderen Ministern evangelischer Konfession) aus, da die landesherrliche Kirchengewalt diesen zur völlig selbständigen Verwaltung ohne Mitwirkung des Königs und nur beschränkt durch die Landes­ synode übertragen ist. Für Bayern bildet ein sog. Oberkonsistorium die oberste kirchliche Behörde der evangelischen Kirche, welchem die Konsistorien in Ansbach und Bayreuth subordinirt sind. Sein Ressort ist die Leitung der inneren Kirchen­ angelegenheiten, es ist aber dem Kultusministerium untergeordnet und hat durch dasselbe für eine Reihe wichtiger Angelegenheiten die königliche Entscheidung ein­ zuholen. Endlich wird auch in Hessen das landesherrliche Kirchenregiment durch ein Oberkonsistorium, welches aber direkt unter dem Landesherrn steht, ausgeübt. Demselben treten, wie in Preußen und Baden, für bestimmte Fälle die Mitglieder des Landessynodalausschusses als außerordentliche Mitglieder hinzu. Gfgb.: Preußen: Allerh. Erlaß vom 29. Juni 1850. — General--Synodal-Ordn. vom 20. Januar 1876 §§ 5, 6, 11 ff., 36, 37. — Gesetz betr. die evangel. Kirchenverwaltung vom 3. Juni 1876, Art. 19, 21—24. — Verordnung betr. den Uebergang der Verwaltung der An­ gelegenheiten der evangelischen Landeskirche auf den evangelischen O. vom 5. Sept. 1877 (alle diese und die weiteren Ausführungsbestimmungen abgedruckt in Koch, Kommentar zum Allg. LR. zu Th. II. Tit. 11 §§ 144, 156, 6. Aufl. besorgt von P. Hinschius, Berlin 1879, Bd. 4 S. 276 ff., 341 ff.). — Baden: Kirchenverfaffung vom 5. September 1861 §§ 87, 108 ff., u. A. bei Dove, Sammlung der neueren Kirchenordnungen, Tübingen 1865 S. 148. — Oldenburg: Rev. Verfaffungsgesetz vom 11. April 1853 Art. 106 ff., u. A. bei Dove a. a. O. S. 236. — Mecklenburg-Schwerin: Verordn, vom 19. Dez. 1849. — Han­ nover: Verordn, die Errichtung eines evangel.-luther. Landeskonststoriums betr. vom 17. April 1866 und Bekanntm. vom 5. Mai 1866, u. A. bei Lohmann, Kirchengesetze des vormaligen Königr. Hannover, Hannover 1871, I. 179. — Königr. Sachsen: Kirchengesetz vom 15. April 1873 betr. die Errichtung eines evangel.-luther. Landeskonsistoriums. — Staats­ gesetz vom 16. April 1873 zur Publikation des Kirchengesetzes wegen Errichtung eines evangluther. Landeskonsistoriums. — Verordn, vom 26. Aug. 1874 (Dove und Friedberg, Ztschr. für Kirchenrecht Bd. XII. S. 97 ff. und Allgem. Kirchenblatt f. d. evangel. Deutschland, Jahrg. 1874 S. 19 ff., Jahrg. 1875 S. 157). — Bayern: Edikt über die inneren kirchlichen Angelegenheiten der protestantischen Gesammtgemeinde vom 26. Mai 1818 (Anh. Nr. II. zu § 103 der II. Verfaffungsbeilage). — Hessen: Verfassung der evangel. Kirche vom 6. Jan. 1874, §§ 129 ff., Allgem. Kirchenbl. Jahrg. 1874, S. 137.

Lit.: Thudichum, Deutsches Kirchenrecht, Leipz. 1872, I. 233, 333, 363, 420, 435; II. 91 ff. — Richter-Dove, Kirchenrecht, 7. Aufl. § 152 (S. 419 Nr. 4). P. Hinschius.

Oberlandesgerichte (vgl. den Art. Gerichtsverfassung). „Die O. werden mit einem Präsidenten und der erforderlichen Anzahl von Senatspräsidenten und Räthen besetzt" (GVG. § 119). Bei dem O. werden Civil- und Straffenate in der von der Landesjustizverwaltung zu bestimmenden Zahl gebildet. Ueber die Vertheilung des Vor­ sitzes bei den einzelnen Senaten, die Geschäftsvertheilung unter denselben, die Bestimmung der einzelnen Mitglieder, sowie deren ständiger Vertreter für die Senate gelten die gleichen Grundsätze wie für die Landgerichte (vgl. diesen Art.) mit der Modifikation, daß das Präsidium des O. außer dem Präsidenten nicht blos das älteste, sondern die beiden ältesten Mitglieder des Gerichts mit umfaßt (GVG. §§ 120, 121). Hülssrichter können an die O. berufen werden, aber nur solche, welche ständig an­ gestellte Richter sind (GVG. § 122). Die Senate entscheiden in einer Besetzung von fünf Mitgliedern einschließlich des Vorsitzenden (GVG. § 124). Die O. sind Gerichte zweiter und dritter Instanz, beides sowol in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten wie auch in Straffachen. I. Zuständigkeit der O. in zweiter Instanz: a) In bürgerlichen Rechtsstreitig­ keiten sind die O. Beschwerdegerichte und Berufungsgerichte, wenn gegen einen Beschluß oder eine Verfügung des Landgerichts das Rechtsmittel der Beschwerde, oder gegen Urtheile des Landgerichts das Rechtsmittel der Berufung in Anwendung

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gebracht wird (GVG. § 123 Nr. 1 und Nr. 4). b) In Strafsachen sind die O. Beschwerdegerichte in Bezug auf diejenigen Beschwerden, welche gegen Beschlüsse und Verfügungen der Landgerichte gerichtet sind. Die O. sind als Gerichtshöfe zweiter Instanz auch Revisionsgerichte unter folgenden beiden Voraussetzungen. Das mit dem Rechtsmittel der Revision angegriffene Urtheil muß in erster Instanz von einem Landgericht gesprochen sein; und es müssen die Revisionsanträge (StrafPO. § 384) ausschließlich die Verletzung solcher Rechtsnormen rügen, welche in den neben den Reichsgesetzen bestehenden Landesstrafgesetzen enthalten sind (EG. zum StrafGB. § 2 Abs. 2; GVG. § 123 Nr. 3). Der § 9 des EG. zum GVG. bestimmt, daß durch die Gesetzgebung eines Bundesstaates, in welchem mehrere O. errichtet werden, die Verhandlung und Ent­ scheidung der zur Zuständigkeit der O. gehörenden Revisionen und Beschwerden in Straffachen ausschließlich einem der mehreren O. zugewiesen werden kann. In Folge hiervon ist in Preußen durch Gesetz vom 24. April 1878 § 50 bestimmt worden, daß 1) für die nicht zur Zuständigkeit des Reichsgerichts gehörenden Revisionen gegen Urtheile der Strafkammern in erster Instanz und 2) für die Revisionen gegen die Urtheile der Strafkammern in der Berufungsinstanz und über alle Beschwerden gegen Entscheidungen der Strafkammern, sofern eine nach Landesrecht strafbare Handlung den Gegenstand der Untersuchung bildet, das O. (Kammergericht) zu Berlin für Verhandlung und Entscheidung ausschließlich zuständig sein solle. II. Zuständigkeit der O. in dritter.Instanz: a) In bürgerlichen Rechtsstreitig­ keiten kann das O. als Beschwerdegericht in dritter Instanz zuständig werden, falls gegen einen Beschluß oder eine Verfügung des Amtsgerichts Beschwerde erhoben wurde, und in der Entscheidung des Landgerichts, als Beschwerdegericht, ein neuer selbständiger Beschwerdegrund enthalten ist (CPO. § 531 Abs. 2). b) In Straf­ sachen sind die O. in dritter Instanz Beschwerdegerichte, wenn ein von dem Landgerichte in der Beschwerdeinstanz erlassener, eine Verhaftung betreffender Be­ schluß mittels Beschwerde angefochten wird (StrafPO. § 352; GVG. § 123 Nr. 5). Die O. sind außerdem in Strafsachen als dritte Instanz Revisionsgerichte, wenn das von den Landgerichten in der Berufungsinstanz ergangene Urtheil durch das Rechtsmittel der Revision angefochten wird (vgl. StrafPO. § 380). Da die Be­ rufung (vgl. die nähere Begründung in dem Art. Landgerichte) ihrem Inhalte nach auch Revision sein kann, so kann sich die bei den O. durchzuführende Revision thatsächlich zu einer Oberrevision gestalten (vgl. übrigens die oben bereits angeführte Bestimmung des § 50 des Preuß. Gesetzes vom 24. April 1878). Quellen sind im Text angeführt. Lit.: Vgl. den Art. Gerichtsverfassung. John.

Oberrechnungskammer. I. Geschichte. Die O. ist durch die Kab.Ordre Friedrich Wilhelms I. vom 16. Juni 1717 begründet, durch die Kab.Ordre Friedrich Wilhelms II. vom 4. November 1796 in ihre ursprüngliche Selbständigkeit wieder eingesetzt, durch die Reformgesetzgebung, insbesondere durch das Publikandum vom 16. Dezember 1808 und durch die Verordnung vom 24. Oktober 1810, nur un­ wesentlich berührt worden, und hat dann durch die Königliche Instruktion vom 18. Dezbr. 1824, die zwar in der Ges.Samml. nicht publizirt, aber mehrfach gedruckt ist (im Auszuge in v. Kamptz^ Annalen IX. 2 ff.; in Bergius, Ergänzungen S. 99 ff., vollständig in Folio bei Decker, und neuerdings in der Anlage A zu Nr. 148 der Drucksachen des Abg.-Hauses Session 1871—1872), diejenige Gestalt erhalten, in welcher sie ein halbes Jahrhundert hindurch ihre Wirksamkeit entfaltet hat. Die Instruktion vom 18. Dezbr. 1824 ist dann zwar in Folge der Instruktion an den Präsidenten der O. vom 16. März 1831 (zum ersten Male auszugsweise abgedruckt als Anlage B zu Nr. 148 der erwähnten Drucksachen des Abg.-Hauses) durch Erweiterung der Machtbefugnisse des Präsidenten und Vereinfachung des

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kollegialischen Charakters in Etwas abgeschwächt worden, aber immerhin bot die Einrichtung der Rechnungskontrole im absoluten Staatswesen Garantien für die Ordnung des Finanzwesens dar, wie solche in keinem anderen Staate be­ standen. Es handelte sich jedoch darum, diese Institution dem konstitutionellen Staate einzufügen; die nur für die absolute Monarchie berechnete Instruktion von 1824 bedurfte selbstverständlich in dieser Richtung tiefgehender Aenderungen; denn die Prüfung der Rechnungen war durch die Verfassungsurkunde als selbständiges Recht aus den Landtag übergegangen; die Verfassung hatte demgemäß auch auf ein Gesetz über die Einrichtung und Befugniffe der O. ausdrücklich hingewiesen (Art. 104 Abs. 3). Der Erlaß eines solchen Gesetzes ist dann 1855—1861 alljährlich vom Abg.-Hause und auch mehrfach vom Herrenhause urgirt worden, die von der Regierung in der ersten Session von 1862 gemachte Vorlage wurde zwar in der Kommission des Abg.-Hauses berathen und zugleich stark amendirt, gelangte aber wegen der alsbald erfolgenden Auflösung nicht mehr zur Berathung an das Plenum. Erst auf Grund des in der Session 1871—1872 dem Landtage vorgelegten Gesetzmtwurfs ist eine Einigung zwischen den drei Faktoren erreicht worden. Das gegenwärtig geltende Recht beruht daher auf dem Gesetze, betreffend die Einrichtung und die Befugniffe der O. vom 27. März 1872, sowie aus dem Regulative über den Geschäftsgang bei der O., welches auf Grund des § 7 jenes Gesetzes auf Vorschlag der O. und des Staats­ ministeriums durch Königliche Verordn, vom 22. Sept. 1873 erlassen und dem Landtage zur Kenntnißnahme mitgetheilt ist. (Vgl. Stenogr. Ber. des Abg.-Hauses Anl. Bd. I. 1875; Beschluß des Abg.-Hauses vom 11. Mai 1875.) Dieses Regulativ ist jedoch durch die Allerhöchsten Erlasse vom 27. Febr. 1874 und vom 11. Mai 1877 in Bezug aus § 6 resp. § 5 Abs. 1—3 abgeändert worden. Endlich ist auch der § 5 des Gesetzes vom 27. März 1872 durch das Gesetz vom 7. April 1879, betr. die Abänderung von Bestimmungen der Disziplinargesetze, modifizirt worden. Das Gesetz vom 27. März 1872 behandelt übrigens die materiellen Normen, deren Befolgung die D. bei der Prüfung der Rechnungen zu kontrolliren hat (sog. Etats­ recht), nur insoweit, als es sich dabei um die Befugniffe des Landtags handelt (§§ 18, 19); im Uebrigen bleiben bis zum Zustandekommen eines umfassenden Etats­ gesetzes die einschlägigen Bestimmungen der Instruktion vom 18. Dezbr. 1824 in Kraft. II. Das geltende Recht. A. $)ie Organisation. Die O. ist eine dem Könige unmittelbar untergeordnete, den Ministern gegenüber selbständige Behörde, welche die Kontrole des gesammten Staatshaushalts durch Prüfung und Feststellung der Rechnungen über Einnahmen und Ausgaben von Staatsgeldern, über Zugang und Abgang von Staatseigenthum und über die Verwaltung der Staatsschulden zu führen hat. Sie besteht aus einem Präsidenten und der erforderlichen Zahl von Direktorm und Räthen. Dieselben werden von dem Könige ernannt, der Präsident auf den Vorschlag des Staatsministeriums, die Direktoren und Räthe auf den Vor­ schlag des Präsidenten der O., unter Gegenzeichnung des Vorsitzenden des Staats­ ministeriums. Vater und Sohn, Schwiegervater und Schwiegersohn, Bruder und Schwager dürfen nicht zugleich Mitglieder der O. sein. Nebenämter oder mit Remuneration verbundene Nebenbeschäftigungen dürfen dem Präsidenten oder dm Mitgliedern weder übertragen, noch von ihnen übernommen werden. Ebensowmig können die gedachten Beamten Mitglieder eines der Häuser des Landtags sein (vgl. Gesetz, betr. eine Zusatzbestimmung zum Art. 74 der Verf.Urk. rc., vom 27. Mai 1872). Die Mitglieder der O. unterliegen, mit einigen in § 5 des Gesetzes an­ gegebenen Modifikationen, den Vorschristm der Gesetze über die Dienstvergehen der Richter vom 7. Mai 1851 und vom 26. März 1856. Die danach begründete Kompetenz des OTrib. als Disziplinargericht über Präsidenten, Direktoren und Räthe der O. ist nach § 8 des Gesetzes vom 8. April 1879 auf den beim Ober­ landesgericht zu Berlin gebildeten großen Tisziplinarsenat, der in Besetzung von 15 v. Holtzendorif. Eric II. Rechtslexikon II. 3. Aufl.

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Mitgliedern mtscheidet, übergegangen. Eine sog. Mahnung wird dem Präsidenten der O. überhaupt nicht mehr zu Theil. Die übrigen Beamten der O. mit Ausschluß der Mitglieder ernennt der Präfidmt, und übt über dieselben die Disziplin mit dm Befugniffm aus, welche den Ministem rückfichtlich der ihnm untergeordnetm Beamtm zustehm. Die Disziplinarbehörde Hit diese Beamtm ist die O. selbst, welche nach dem für das OTrib. gültigen Disziplinarversahrm, in der Sache aber nach dm Vorschriften des Gesetzes über die Dimstvergehen der nichtrichterlichen Beamten entscheidet. B. Die Wirksamkeit. Die O. hat im Allgemeinm die Aufgabe, eine Garantie dafür zu gewährm, daß der Staatshaushaltsetat von der Verwaltung auch wirklich beobachtet werde. Die O. ist in dieser Hinsicht zunächst, wie in vorverfaffungsmäßiger Zeit, so auch noch gegmwärtig ein Organ der Krone. Ihre Wirksamkeit in dieser Beziehung erstreckt sich nach drei Richtungm. Zunächst auf die Feststellung der kalkulatorischen Richtigkeit der Rechnungen und der Ordnungs­ mäßigkeit der Belege, die sog. Justifikation zur Verhütung von Unterschleifen und Defekten, so daß also aus den diesfallfigen Bemerkungen der O. sich ergeben muß, ob die in der Rechnung aufgeführtm Beträge mit denjmigen übereinstimmm, welche in den von der O. revidirtm Kaffenrechnungen in Einnahme und Ausgabe nach­ gewiesen find. Sodann auf die Gesetz- und Etatmäßigkeit der Rechnungm, ob und inwieweit also bei der Vereinnahmung und Erhebung, bei der Verausgabung und Verwmdung von Staatsgeldem oder bei der Erwerbung, Benutzung und Veräußerung von Staatseigenthum Abweichungen von den Bestimmungm des gesetzlich festgestellten Staatshaushaltsetats, oder von den Bestimmungm der auf die Staatseinnahmen und Staatsausgaben oder auf die Erwerbung, Benutzung und Veräußemng von Staatseigenthum bezüglichen Gesetze stattgefunden haben. Endlich auf die Feststellung von Mangeln in der Verwaltung, welche bei Prüfung der Rechnungen bemerkbar geworden find, also darauf, ob die bestehenden Verwaltungsgmndsätze mit Umsicht und Sachkenntniß angewandt, ob und inwieweit nach den aus den Rechnungen fich ergebenden Resultaten der Verwaltung zur Beförderung von Staatszwecken im Wege der Gesetzgebung oder Verordnung zu treffende Bestimmungen nothwendig oder rathsam erscheinen. — Die O. ist nun aber gleichzeitig auch Organ des Landtags, insofern derselbe berechtigt ist, der Staatsregierung die Entlastung zu gewähren oder zu vetweigem. Von den drei Richtungen, in denen sich die Wirksamkeit der O. bewegt, kommen aber für diesen Zweck nur die beiden ersten in Betracht. Es müssen also dem Landtage nicht blos, wie seit der Emanation der Berfassungsurkunde bereits geschehen war, diejenigen Bemerkungen des O. vorgelegt werden, die sich auf die kalkulatorische Richtigkeit der einzelnen Kaffenrechnungen beziehen, die aber weniger Bemerkungen als Atteste, und für die eigentliche Aufgabe des Landtags ohne großen Werth sind, sondem auch diejenigen Bemerkungen, welche sich auf die Etatsmäßigkeit und Gesetzlichkeit der einzelnen Einnahmen und Ausgaben, auf ihre Uebereinstimmung mit dem Etatsgesehe und sonstigen Gesetzen beziehen, und zwar müssen die Bemerkungen der letzteren Art nicht blos, wie schon seit dem Allerh. Erlaß Dom 21. Juni 1862 nachgegeben war, auf die vorgekommenen Abweichungen von den einzelnen Kapiteln und Titeln des Staatshaushaltsetats, sondern, wie in dem neuen Gesetze ausdrücklich bestimmt wurde, auch auf diejenigen Titel der Spezialetats, welche im Landtage und namentlich im Abgeordnetenhause einer selbständigen Beschlußfaffung unterlegen haben und als Gegenstand einer solchen im Etat erkennbar gemacht worden sind, endlich auch auf die mit den einzelnen Positionen des Etats verbundenen Bemerkungen fich erstrecken. Dagegen werden die Bemerkungen der dritten Kategorie, welche auf Mängel in der Verwaltung aufmerksam machen, und deren Vorlage an den Landtag in früherer Zeit von beiden Häusern gleichfalls zu verschiedenen Malen beantragt war, auch gegenwärtig nicht vorgelegt, da diese auf die Ertheilung der Decharge, über­ haupt auf die Rechnungskontrole ohne allen Einfluß sind, und lediglich die Ver-

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waltung selbst berühren, deren öffentliche Bekanntmachung auch dem Staatswohl leicht nachtheilig fein kann. 0. Das Verfahren. Jede Rechnung muß vor deren Einsendung an die O. seitens der einsendenden Verwaltungsbehörde sowot kalkulatorisch als auch meritorisch geprüft und attestirt werden. Die kalkulatorische Prüfung der rechnunglegenden Behörde muß in dem vom Kalkulator zu vollziehenden Kalkulaturprotokoll voll­ ständig erledigt sein. Die von der O. zu jeder einzelnen Rechnung gemachten Notaten werden von derselben in einem Revifionsprotokoll zusammengefaßt; die rechnunglegendc Behörde hat solches nebst dem Abnahme- und Kalkulaturprotokolle dem Rendanten zur ungesäumten Erledigung zuzufertigen, und wegen derjenigen Gegenstände, die der Rendant nicht selbst erledigen kann, das Nöthige sofort zu veranlaffen. Hiernächst hat dieselbe die Beantwortung des Revifions- und Abnahme­ protokolls mit ihrem Gutachten an die O. einzusenden. Die O. ist berechtigt, die Einsendung der bezüglichen Bücher, Schriftstücke und Akten zu verlangm; der Präsident ist befugt, zur Jnformationseinziehung über die Einzelheiten der Ver­ waltung Kommiffarien abzuordnen. Die Provinzial- und die ihnen gleichstehenden Behörden find der O. in allen Angelegenheiten des Refforts derselben untergeordnet; die O. ist befugt, ihren Verfügungen nöthigenfalls durch Strafbefehle die schuldige Folgeleistuug zu sichern. Den rechnungführenden Beamten, wenn sie ihren Ver­ bindlichkeiten vollständig genügt haben, wird seitens der O. eine Decharge mit dm in den §§ 146—153 Th. I. Tit. 14 Allg. LR. einer Quittung beigelegten Wirkungen ertheilt. Stellen sich Vertretungen des Rechnungsführers bei der Revision heraus, deren Deckung durch die Notatenbeantwortung nicht nachgewiesm wird, so hat die O. die weitere Verfolgung anzuordnm. — Das Geschäftsjahr der O. begann nach dem Regulativ vom 22. September 1873 mit dem 1. Mai des einen und schloß mit dem 30. April des folgenden Jahres; in Folge der durch Gesetz vom 29. Juni 1876 herbeigeführten Verlegung des Äatsjahres ist jedoch durch den Allerhüchstm

Erlaß vom 11. Mai 1877 eine Aenderung des Regulativs dahin bewirkt worden, daß — abgesehen von einer vorübergehenden Gestaltung des Etatsjahres vom 1. Mai 1877 bis 30. Sept. 1878 — der Beginn desselben auf den 1. Oktober des einen, der Schluß auf den 30. September des folgenden Jahres festgesetzt wurde. Im Laufe eines jeden Geschäftsjahres ist das Revisionsgeschäft in Ansehung sämmtlicher Rechnungen für das vorangegangene Etatsjahr zu beendigen. Die O. ist verpflichtet, für die Erledigung der gezogenm Erinnerungen dergestalt zu sorgen, daß der Abschluß des Revisionsverfahrens spätestens im Laufe des folgenden Geschäftsjahrs erfolgt. — Die Geschäfte der O. werden zunächst in Revifionsbureaus bearbeitet, die unter der Leitung eines Mitgliedes des Kollegiums (des Departementsraths) aus der erforderlichen Zahl von Revifionsbeamten bestehen; die Geschäftskreise der einzelnen Departementsräthe sollen nach dm verschiedenm Verwaltungsrefforts, und diejenigen der Revifionsbeamten nach Provinzen und Bezirken oder nach Materien abgegrenzt werden. Die Revifionsbeamten, welche der Regel nach aus den für diesm Beruf sich vorzugsweise eignenden Beamten der Provinzialbehörden entnommen sverden, habm vorzugsweise die Aufgabe, die spezielle Borrevifion der Rechnungen unter Vergleichung mit den Rechnungsbelegen, sowie die Bearbeitung der Notatenbeantwortungen bis zum Abschluß des Revifionsgeschäfts zu bewirken, wobei dieselben dafür verantwortlich sind, daß nichts Erhebliches weder in der Materie, noch in der Form unerinnert bleibe. Die Departementsräthe, die unmittelbaren Vorstände der ihnen zugetheiltm Revifionsbureaus, find wiederum für die Geschäftsführung in ihren Bureaus verantwortlich und haben sich zu diesem Zwecke über die Thätigkeit der Revisionsbeamten in fortdauernder Kenntniß zu erhalten; zu ihren Obliegenheiten gehört insbesondere die Prüfung und Vollziehung aller in ihren Revisionsbureaus aufgestellten Revifionsprotokolle ic., insbesondere also auch die Prüfung der Richtigkeit der in denselben enthaltenm thatsächlichen Angaben; es liegt ihnen aber auch außerdem ob, sich durch selbständiges Eindringen in die

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Oberrechnungskammer.

einzelnen Etats, Rechnungen und Beläge von der Vollständigkeit der vorgelegten Arbeiten Ueberzeugung zu verschaffen; sie können selbstverständlich Abänderungen der ihnen vorgelegten Konzepte in materieller und formeller Beziehung nach selbständigem Ermessen vornehmen, unrichtige oder unerhebliche Monita streichen, neue hinzufügen. Eine geeignete Anzahl solcher Bureaus bildet eine Abtheilung, welcher ein Direktor vorsteht; die Direktoren leiten und beaufsichtigen wieder sämmtliche Geschäfte der ihnen überwiesenen Abtheilung; zu ihren Obliegenheiten gehört insbesondere die Superrevision und Zeichnung aller von den Departementsräthen der Abtheilung an sie gelangenden Revisionsprotokolle re. im Konzept und in der Reinschrift, soweit die Vollziehung der letzteren nicht dem Präsidenten zusteht; sie haben namentlich auch auf Uebereinstimmung mit den in anderen Revisionsbureaus befolgten Grundsätzen, sowie auf die Form des Ausdrucks zu halten. Dem Präsidenten endlich steht die oberste Leitung des gesammten Geschäftsbetriebes der O. zu. Sein Wirkungskreis ist theils ein materieller, theils ein formeller. Zu seinem materiellen Wirkungskreise gehört die Sorge dafür, daß die bestehenden Gesetze, Verordnungen und maßgebenden Verwaltungsvorschriften überall zu gleichmäßiger Anwendung in den verschiedenen Abtheilungen gelangen, insbesondere auch die Superrevision und Vollziehung aller derjenigen Konzepte und Verfügungen, deren Prüfung und Mitzeichnung er sich durch allgemeine Anordnung oder durch die besondere Bezeichnung der einzelnen Sachen bei ihrem Eingänge Vorbehalten hat; bei dieser Superrevision dürfen jedoch materielle Aenderungen ohne Einverständniß mit den betreffenden Direktoren und Departements­ räthen nicht vorgenommen werden; Fälle, in denen ein solches Einverständniß nicht erreicht wird, sind zum Vortrag zu verweisen, und nach dem Beschlusse des Kollegiums zu erledigen. Zu dem formellen oder persönlichen Wirkungskreise des Präsidenten gehören alle diejenigen Diensteinrichtungen und Anordnungen, welche die materiellen Geschäfte der O. nicht berühren, sowie die Sorge für prompte Erledigung der Ge­ schäfte (Personalien, Disziplin, Verwaltung der Dienstgebäude und Grundstücke). Eine kollegialische Berathung und Beschlußfassung ist unter allen Umständen erforderlich, wenn an den König Bericht erstattet, die für den Landtag bestimmten Bemerkungen festgestellt, allgemeine Grundsätze aufgestellt, oder bestehende abgeändert, allgemeine Instruktionen erlassen, und über Anordnungen der obersten Verwaltungsbehörden Gutachten abgegeben werden sollen (Gesetz vom 27. März 1872 § 8); sie soll aber außerdem auch noch stattfinden, wenn Zweifel über Anwendung und Auslegung von Gesetzen rc. der Erledigung bedürfen, wenn anderweitige Gegenstände von dem Präsidenten oder den Direktoren zur Beschlußfassung verwiesen werden, wenn von dem betreffenden Departementsrath der Vortrag resp, die Beschlußfassung des Kollegiums für erforderlich erachtet wird und noch in einigen anderen Fällen (Regulativ vom 22. Sept. 1873 S. 7). Die O. faßt ihre Beschlüsse nach Stimmenmehrheit der Mitglieder, einschließlich des Vorsitzenden, welcher bei gleicher Theilung der Stimmen den Ausschlag giebt. III. Die O. und das Deutsche Reich. Der Art. 72 der RVerf. schreibt, in Uebereinstimmung mit dem gleichnamigen Art. der Norddeutschen BundesVerf., vor, daß über die Verwendung aller Einnahmen des Reiches dem Bundesrathe und dem Reichstage durch den Reichskanzler jährlich zur Entlastung Rechnung zu legen ist. In welcher Form diese Rechnungslegung erfolgen, und ob ihr eine Prüfung und Feststellung durch eine eigens bestellte Behörde vorhergehen solle, ist in der Ver­ fassung nicht vorgeschrieben. Die Ueberzeugung, daß eine solche Behörde nicht wol zu entbehren sei, führte in der zweiten Session des Norddeutschen Reichstags zu der Vereinbarung über das Gesetz vom 4. Juli 1868, welches die Kontrole des ge­ sammten Bundeshaushalts durch Prüfung und Feststellung der Rechnungen über Einnahmen und Ausgaben von Bundesgeldern, über Zugang und Abgang von Bundeseigenthum, und über die Verwaltung der Bundesschulden, der Preußischen O. unter der Benennung „Rechnungshof des Norddeutschen Bundes" und zwar nach

OberrechuungSkummer.

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Maßgabe derjenigen Vorschriften übertrug, welche damals für ihre Wirksamkeit als Preußische RevifionSbehörde galtm. Die Preußische O. wurde demgemäß durch eine Anzahl vom BundeSrathe gewählter, vom Bundespräsidium angestellter Mitglieder vermehrt. Die Wirksamkeit dieses Gesetzes wurde jedoch aus die Rechnungsjahre 1867—1869 beschränkt, besonders deshalb, weil eine anderweite Regelung des Preuß. Rechts in Aussicht stand. Auch wurde seitens deS Bundeskanzlers im Einvernehmen mit dem BundeSrathe, unter Mittheilung an den Reichstag, unterm 28. Mai 1869 eine Instruktion für dm RechnungShos erlasien (Koller, Archiv, II. 589; Hirth, Annalen, III. 158; Stenogr. Ber. d. Reichstags 1869, III. 760 ff.; Aktenst. Nr. 250), an deren Stelle seitdem die Instruktion vom 5. März 1875 (Cmtralbl. S. 157 ff., Hirth, Annalen, VIII. 1253) getreten ist. Die Geltung des Gesetzes vom 4. Juli 1868 wurde nun zunächst durch Gesetz vom 10. Mai 1870 aus das Rechnungsjahr 1870, und durch Gesetz vom 28. Okt. 1871 auf das Rechnungsjahr 1871 einfach ausgedehnt. Nachdem dann in Preußen daS neue Gesetz über die O. zu Stande gekommm war, so wurde unterm 8. April 1872 dem Reichstage ein Gesetzentwurf über Einrichtung und Befugniffe deS Rechnungshofes vorgelegt, über dm jedoch eine Uebereinstimmung zwischen Bundesrath und Reichstag nicht hat herbeigeführt werdm könnm. Es ist deshalb die Geltung des 1868er Gesetzes durch die Gesetze vom 5. Juli 1872 und 22. Juni 1873 aus die Rechnungsjahre 1872 und 1873 wiederum aus­ gedehnt. In der Session 1874/75 und ebmso in der Session 1875/76, sowie in der ersten Session von 1877 find dann zwar zwei Gefetzesvorlagm gemacht, beten eine die Einrichtung und Befugniffe des Rechnungshofes zu regeln bestimmt war, während die andere die Verwaltung der Einnahmen und Ausgabm des Reichs ordnen sollte; beide Gesetzentwürfe find jedoch unerledigt geblieben. Das Gesetz vom 11. Februar 1875 (für das Jahr 1874) hat dann einerseits die Kontrole des Rechnungshofes auf den Landeshaushalt von Elfaß-Lothringm aus­ gedehnt, andererseits aber an Stelle bet in § 3 des Gesetzes vom 4. Juli 1868 aufgeführten Vorschriften die für die Preußische O. geltmden Bestimmungen, ins­ besondere die des Gesetzes vom 27. März 1872 gesetzt. Die Gesetze vom 14. Februar 1876, 22. Mai 1877, 1. Juni 1878, 5. Juli 1879, 30. Mai 1880 mthalten demgemäß übereinstimmend die folgmde Faffung: „Die Kontrole deS gesammtm Haushalts des Deutschm Reichs, sowie des LandeShaushalts von Elfaß-Lothringm wird ic. von der Preuß. £)., unter der Bezeichnung „Rechnungshof des Deutschm Reichs", nach Maßgabe der in dem Gesetze v. 11. Febr. 1875 ic. enthaltenen Vorschriften geführt." Das Gesetz vom 22. Mai 1877 und die folgenden enthalten außerdem dm Zusatz: „Ebenso hat die Preußische O. in Bezug aus die Rechnungen der Reichs­ bank ic. die gemäß § 29 des Bankgesehes vom 14. März 1875 dem Rechnungshöfe des Deutschen Reiches obliegenden Geschäfte wahrzunehmm." Lit.: Ueber die Geschichte der O.: v. Basse Witz, Die Kurmark Brandenburg, L (1847) @.50 ff.; III. (1860)@. 120. — v. Wolzoaen, Preußen- Staatsverwaltung (1858), S. 17. — Riedel, Der Brandenburg-Preuß. Staatshaushalt in den beiden letztm Jahrhunderten (1866), S. 58, 142 ff., 202. - Droysen, Geschichte der Preuß. Politik, Th. IV. Abth. 2 Bd. I. (1869), S. 24, 352. — Ueber daS geltende Preußische Recht: v. Rinne, DaS Staat-recht der Preuß. Monarchie, 3. Aufl. (1869), Bd. I Abth 1 S. 427 ff. —Labaud, Da- Budget­ recht nach den Bestimmungen d. Preuß.Verfassungsurkunde, Bert. 1871. — V.EzudnochowSki, Steuerreform, Finanzpolitik u. StaatSrechnungSIegungin Preußen, Berlin 1873. —Meißner, Die gegenwärtig gültigen, daS Rechnungswesen deS Preußischen Staates umfassenden Gesetze und Verordnungen, betr. die Einrichtung und die Befugniffe der O. und die Verwaltung der Einnahmen und Ausgaben. Aus legislatorischen und amtlichen Materialien ergänzt und aus­ führlich erläutert, 2 Bde., Berlin 1878, 1879. —Ueber daS Deutsche Reichsrecht: v. Rinne, Das Staatsrecht des Deutschen Reichs, 2. Aufl. Bd. I. (1876) E. 331 ff.; Bd. II. Abth. 1 (1877) S. 179 ff. — Laband, Das Finanzrecht deS Deutschm Reichs (Hirth, Annalm 1873, S. 552 ff.); Derselbe, Das StaatSrecht des Deutschm Reich-, Bd. I. (1876) S. 355 ff. — Ueber England: Gneist, Engi. Verwaltungsrecht, 2.Aufl. 1867, Bd. II. S. 832—858; Der-

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O-erftemtt — ObertuS.

selbe, Justiz, Verwaltung, Rechtsweg (1869), S. 825 ff. — Ueber Frankreich: Laferrifere, Coun de (droit public et administrativ 5. 6dit (18601 I. 182 ss. — Duero cq, Cours de droit adm., 4. 6d. 1874, I. 326 ss. — Aucoc, Conferences, 2. Id. 1878, I. 566 ss. — JonaS, Studien, Berlin 1870, S. 427 ff. — Vergleichende Darstellungen: v. Czörnig, Darstellurm der Einrichtungen über Budget, StaatSrechnuna und Äonttole in Oesterreich, Preußen, Sachsen, Bayern, Württemberg, Baden, Frankreich u. Belgien, Wien 1866. — V.Stein, Lehrbuch der FiuanLwiffeuschaft, 4. Aust. 1878, Bd. I. S. 113 ff. (Frankreich, Preußen, Ruß­ land, England). — ueber den Rechnungshof mit besonderer Rücksicht auf daS Deutsche Reich (Zeitschrift für die gesummte Staatswiffenschast, Bd. 32 (1876) S. 479 ff.; Bd. 33 (1877) S. 23 ff.), eine der Redaktion „von guter Hand, aber mit dem Wunsche, den Namen des Verfassers nicht zu nennen", zugegangene ausführliche Abhandlung, die sich sehr eingehend über die Grnndzüge der RechnungSkontrole, über die Preußische O., Über das Deutsche ReuhSrecht und über die Gesetzgebung Frankreichs, Oesterreichs, Bayerns, Englands und Belgiens ver­ breitet. Ernst Meier.

Oberseeamt. Diese, ebenso wie das Seeamt durch das RGes. vom 27. Juli 1877 in Deutschland eingeführte Behörde bildet für die Untersuchungen von Seeunfällen die zweite Instanz gegenüber den Entscheidungen der Seeämter. Das O. ist ein aus sieben Mitgliedern bestehendes Kollegium, das nach Stimmenmehrheit seine Beschlüffe saßt. Der Borfitzende, welcher die Fähigkeit zum Richteramt befitzen muß, wird vom Kaiser ernannt, und zwar für die Dauer des zur Zeit seiner Ernennung von ihm bekleideten Amts, oder falls er zu dieser Zeit ein solches nicht bekleidet, auf Lebenszeit. In gleicher Weise wird ein schiffahrtskundiger Beifitzer, welcher ständiges Mitglied der Behörde ist, vom Kaiser ernannt. Die übrigen fünf Beifitzer, von betten noch zwei der Schiffahrt kundig sein müffen, werden für jeden einzelnen Fall vom Borfitzenden aus der Zahl der dazu von dm Regierungen der Bundes-Seestaaten vorgeschlagenen Personm gewählt. Bon jeder Regierung werden je drei sachkundige Personen in Vorschlag gebracht, und zwar immer auf drei Jahre. Die Entscheidung des O. kann sowol seitens des Schiffers resp. Stmermanns, als seitens des Reichkommiffars angerufm werdm durch Einlegung des (des Suspensiv­ effekts entbehrenden) Rechtsmittels der Beschwerde gegm die Entscheidung des See­ amts, doch nur wenn diese auf Entziehung des Schiffer- oder Steuermannspatents lautete, oder wmn das Seeamt einen hieraus gerichteten Antrag des Reichskommiffars zurückgewiesm hat. Das Verfahren vor dem O., wobei nicht nur der Beschwerde­ führer, fonbem auch sein Gegner zu hören ist, untersteht denselben Regeln, wie das bei den Seeämtern. Die früheren Berhandlungen und Ermittelungen können durch ein Mitglied des Kollegiums dargestellt werden, das damit durch den Vorsitzenden betraut wird. Das O. ist bei seiner Entscheidung nicht an die Feststellung des Seeamts gebunden, sondern kann eine Ergänzung oder Wiederholung der Beweis­ aufnahme selbst vornehmm oder vornehmen lasten. Die Verhandlungen des O. sind öffentlich. Die Entscheidung, welche in Ausfertigung beiden Theilen zuzustellen ist, muß mit Gründen versehen sein. Abweichend von dem Verfahrm vor dem Seeamte ist es noch, daß, während die Kosten eben dieses niemals von dem Schiffer oder Steuermann zu tragen sind, zwar nicht die gesummten Kosten, wol aber die baaren Auslagen des Beschwerdeverfahrens vom O. dem Beschwerde führenden Schiffer oder Steuermann auserlegt werden können. Gsgb.: RGesetz, betr. die Untersuchung von Seeunsällen vom 27 Juli 1877, §§ 27 —33. Lewis.

DbertttS ab Orto oder Horto, war 1142 zu Mailand Konsul, öfters Geschäftsträger, erschim 1154 und 1158 auf den Roncalischen Feldern, t 1175. Sein Sohn Anselminus schrieb: De instrumento actionum und Summa super contractibus emphyteuseos et precarii et libelli atque Investiturae (herausgeg. v. Jacobi in seiner dissertatio, Wim. 1854).

ObeworMmrdschaftSbehSrde.

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Lit.: Stobbe, Rechtsquellen, I. 594, 600 ff. — Tieck, Literärgeschichte d. Lang. LehnrechtS, Halle 1828, S. 90, 115. — LaSpeyreS. Ueber die Entstehung und älteste Bearbeitung der libn feudorum, Berl. 1830, S. 200 ff. — Savigny, V. 169—172. — Zöpfl, Deutsche Rechtsgeschichte, 4. Aust. 1871, 1.131 ff. — Bethmann-Hollw eg, VI. 26. - De Wal, 11. Teichmann.

OberVormu«dschaftKbeh8rde ist die staatliche, mit der Fürsorge über das Bormundschaftswesen betraute Behörde. I. Geschichtliche Entwickelung. Die Sorge für die Waisen gilt allen Kulturvölkern als eine heilige Pflicht (2. Mos. 22, 21—24; 5. Mos. 27, 19), und wo sich ein geordnetes Staats­ wesen ausgebildet hatte, da wird diese Sorge bald den oberen Behörden über­ tragen. So war schon nach Attischem Recht der Archon die oberste Instanz für die Waisen (Demosth. c. Macartat. 1076, 14). Auch die Römer erklärten das Bormundschastswesen für eine cura publica (1. 2 § 2 D. 26, 6) und schon seit dm ältesten Zeiten findet sich ein Eingreifen in die Verwaltung der Vormünder seitms der staatlichm Behördm (Cie. in Verr. I. 56). Bereits in den 12 Tafeln und in den 1.1. Attilia, Plaetoria, Julia et Titia find die Grundlagen einer O. zu suchm, welche in der Kaiserzeit, abgesehen von der Gewalt des Kaisers und der höchsten Magistrate, durch besondere Behördm gebildet wurde, so durch die Konsuln, dm praefectus urbi, die Prätoren, bes. dm praetor tutelaris, die juridici, Provinzialund Stadtmagistrate und zwar letzteren Falls in Gemeinschaft mit dm Bischöfen. In Dmtschland bildet der Königsschutz die Grundlage der Obervormundschaft, besonders seit durch Karl den Großen die königliche Gewalt eine größere Ausdehnung bekam. Dieser Königsschutz hatte zunächst nur eine Sorge in negativer Richtung im Auge, indem eine Verletzung von Waisen als Bruch des Königsfriedens geahndet toutbe (Cap. 805 c. 24; 813 c. 8; 802 c. 20). Später erweitert sich der Schutz zu einer positiven Fürsorge (Cap. c. 823 c. 6), welche sogar bei der Krönung noch besonders angelobt wurde. So findet sich bereits in den Rechtsbüchem eine Ober­ vormundschaft in den Händen des Richters (Sachsensp. I. 41, 44; Schwabensp. 54, 55; Kl. Kaiferr. 2, 32). Die amtlichen Befugnisse der kaiserlichen Beamten wurdm mit Ausbildung der Landeshoheit Bestandtheile der landesherrlichen Souveränes und gingen in den Städten auf den Rath über. Die O. war demnach eine politische Behörde und von dieser Voraussetzung gehen auch die RPoliz.O. von 1548 und 1577 aus, indem sie (lit 32 [31] § 3) „allen und jeden Churfürsten, Fürstm, Prälaten, Grafen und Herrn von Adel und Communen" befehlen, daß den Pupillen und minderjährigen Kindem Vormünder gegeben werden und „daß alle und jede Obrigkeitm kraft göttlichm und unseres Kayserlichen Gebott sonders fleißiges Auffehn zu thun aus tragendem Ampt sich schuldig bekennen" sollen. In dm einzelnm Territorien ist meistentheils den Gerichten dieses Amt seitens des Landesherm übertragm, in anderen find besondere Behörden geschaffen (Pupillenkollegim, Waisen­ gerichte, Oberpflegämter, Tutelarräthe), in noch anderm ist die Aufsicht den Ge­ meindebehörden übertragen (s. d. Art. Waisenrath). Als herrschenden Grundsatz kann man jedoch für Dmtschland annehmen, daß die O. von den Gerichtm und zwar in ihrer Eigenschaft als Träger der fteiwilligen Gerichtsbarkeit gebildet wird, indem hauptsächlich — so nach der Preuß. Borm.Ordn. vom 5. Juli 1875 — dem Einzelrichter die Funktion der O. unter Bildung eines Jnstanzenzuges über­ tragen wird. Zuweilen — im Gebiete des Franz. Rechts — findet sich eine Be­ theiligung der Staatsanwaltschaft. II. Geltendes Recht. Zuständig ist nach Gem. Recht diejenige O., unter welcher der Bevormundete seinen ordentlichen persönlichen Gerichtsstand hat; in der Regel wird dies der letzte Wohnsitz seines Vaters sein. Rach der Preuß. Borm.Ordn. ist für die Vormundschaft über einen Minderjährigen das Gericht am Wohnsitze bzw. Aufenthalt des Vaters (§ 2), über ein uneheliches Kind das Gericht am Wohnsitze bzw. Aufenthalt der Mutter zur Zeit der Geburt (§ 3), über einen Groß-

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Obervormundschaftsbehörde.

jährigen das Gericht an dessen Wohnsitze bzw. Aufenthalt zuständig (§ 4). In Ermangelung eines solchen Gerichtsstandes wird derselbe durch den letzten Wohnsitz, erforderlichen Falles durch Verfügung des Justizministers bestimmt (§ 5). Nach denselben Grundsätzen bestimmt sich die O. für einen Nichtpreußen, welcher nur durch seinen Wohnsitz Preußen angehört (§ 6). Findlinge unterstehen dem Gericht des Ortes, wo sie gefunden werden (§ 7). Die O. kann von dem bisherigen Gericht an ein anderes abgegeben werden, wenn dies im Interesse des Mündels, z. B. bei Wechsel des Wohnsitzes, angezeigt ist (§ 9). Die Befugnisse der O. nach dem Gem. Recht sind mannigfache und haben bereits anderweitig ihre Erörterung gefunden (s. die Art. Vormundschaft, Tutorium, Mündelgut). Hier sollen sie nur kurz zusammengefaßt werden. 1) Bei der Anstellung der Vormünder: Die tutoris datio, sowie die confirmatio (ex jure Romano), sofern eine testamentarische Bestellung nicht gehörig erfolgt ist, die Prüfung der Fähigkeit und der Ablehnungsgründe (s. d. Art. Ablehnungs­ gründe des Vormundes), die Verpflichtung und Aushändigung einer Bestallung (sog. confirmatio ex jure Germanico, s. d. Art. Tutorium). 2) Bei der Verwaltung: Die Inventarisation des Vermögens, die Bestimmung und Verkeilung der Administration, die Anordnung über Erziehung und Alimen­ tation, die Prüfung und Genehmigung bei Veräußerungen (s. d. Art. Mündel gut), endlich die mindestens jährliche Rechnungsabnahme. 3) Bei der Beendigung: Die Untersuchung über die Verdachtsgründe und die Absetzung des Vormundes (s. d. Art. Remotion), die actiones aus der vormund­ schaftlichen Verwaltung, die Abnahme der Schlußrechnung. In den Partikulargesetzen wurde einerseits die obervormundschaftliche Thätigkeit so sehr gesteigert, daß die O. die ganze Verwaltung in ihren Händen hatte und der Vormund lediglich als Maschine betrachtet wurde (Preuß. Allg. LR.), andererseits der Vormund so selbständig gestellt, daß die O. nicht vollständig die ihr gebührenden Aufgaben lösen konnte (Frankreich). Vgl. den Art. Vormundschaft. Die Preuß. Vorm.Ordn. vom 5. Juli 1875 sucht diese entgegenstehenden Prinzipien zu ver­ einigen. Danach hat der Vormundschaftsrichter bei Nichtvorhandensein und Ab­ wesenheit des Vormundes das Mündelvermögen sicher zu stellen, über die Einleitung der Vormundschaft zu befinden und die Vormünder zu berufen, über deren Ablehnungs­ gründe zu entscheiden und erforderlichenfalls einen Familienrath zu bilden. Bei der Verwaltung und Erziehung hat das Vormundschaftsgericht nur die Oberaufsicht, der Vormund ist selbständig, und so lange er sich in den gesetzlichen Grenzen bewegt, dem Einfluß des Richters entzogen, blos bei mehreren Vormündern entscheidet dieser im Falle von Stimmengleichheit (§ 30). Nur gewisse Handlungen unterliegen der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts (§ 42, s. d. Art. Gegen Vormund), niemals kann das Gericht den Pflegebefohlenen nach Außen vertreten. Das Vor­ mundschaftsgericht befindet endlich über Entlassung und Entsetzung des Vormundes, sowie über die Großjährigkeitserklärung des Mündels und Hauskindes. Zur Durch­ führung feiner Aufgaben hat das Vormundschaftsgericht die Befugniß, Exekutiv­ strafen gegen den Vormund auszusprechen, zunächst wenn der Berufene sich zur Uebernahme des vormundschaftlichen Amtes weigert (§ 20), sodann, wenn während der Verwaltung der Vormund den im Aufsichtswege erlassenen Anordnungen nicht nach­ kommt (§ 51). Die Höhe der einmaligen Strafe soll 300 Mark nicht übersteigen. Die Haftung der O. Die ursprüngliche Unverantwortlichkeit der Römischen Magistrate wurde durch einen Senatsschluß unter Trajan (1. 5 C. 7, 75) durch­ brochen und den Mündeln, falls sie ihre Ansprüche gegen den Vormund und die neben ihm haftbaren Personen nicht durchsetzen konnten, eine Klage gegen den städtischen Magistrat (actio subsidiaria) gegeben. Gegen die höheren Magistrate fand ein Rechtsweg nicht statt und auch gegen die Ersteren war die Klage nur gegeben, wenn sie entweder gar keinen Vormund bestellt, oder dem höheren Magistrat unrichtig über

Oblatton.

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ihn berichtet, oder die Sicherheitsbestellung Unterlasten hatten. Seit den RPoliz.O. von 1548 und 1577 gab die gemeinrechtliche Praxis die Klage auch wegen sonstiger Bernachläsfigung des obervormundschaftlichen Amtes. Das Preuß. Allg. LR., welches eingehende Vorschriften über die Haftpflicht der Beamten und der Mitglieder von Kollegien gab, machte die Bormundschaftsrichter in der Regel nur für mäßiges Ver­ sehen haftbar (I. 18 § 301, 170), während seine Erben nur wegen seines Dolus oder grober Versehen in Anspruch genommen werden konnten. Das Franz. Recht kennt eine besondere Klage gegen die Vormundschaftsbehörde nicht, sondern stellt die­ selbe unter die Regeln der prise ä partie, wonach eine Haftpflicht des Richters nur wegen Vorsatzes und grober Versehen mit erschwerenden Förmlichkeiten und einer Sukkumbenzsttafe eintritt (Code proc. civ. art. 505). Die Preuß. Bonn.Ordn, vom 5. Juli 1875 setzt die bestehenden Vorschriften außer Kraft, führt aber neue nicht ein, so daß also der Preußische Vormundschastsrichter in allen Gebieten der Monarchie dm für die Haftung der Richter überhaupt gegebmm Vorschriftm unter­ worfen wird (s. d. Art. Shndikatsklage).

Quellen: Tit. D. 26. 3. — Tit C. 5, 39. — Tit C. 5, 62—69. — Tit I. 1, 26. — Tit D. 26, 10. - Tit.C. 5, 43. — 1. 38 D. 3, 5. — 1.33 § 3 D 26, 7. — 1. 1 § 6 D. 27, 3 — 1. 1 § 24, 1. 4 pr.; 1. 9 vr., §§ 4, 5 D. 27, 3; 1. 3; 1. 2 §1 D. 27, 2. 1. 2 C. 5, 50. - Tit. D. 27, 9. — Tit. C. 5, 71-74. - 1. 2 C. 5, 52. - 1. 3 D. 26, 7. Tit. D. 27, 8; C. 5, 75. — RPoliz.Ordn. Tit. 32 (31). — Preuß. Dorm.Ordn. v. 5. Juli 1875 §§ 1-10, 42, 51 ff. Lit.: Außer den Lehrbüchern und den zu den einzelnen im Text erwähnten Artikeln auaegebenen Citaten noch: Rudorfs, Recht der Vormundschaft, I. E. 11—17; M. 153—176. — Kraut, Vormundschaft nach Deutschem Recht, I. S. 77—99. — Dernburg, Das Dormund­ schaftsrecht, 2. Aufl, S. 36—59. Kayser.

Oblation im Pfandrecht. Soweit die Gesetze im Falle der Verpfändung derselben Sache an mehrere Gläubiger dem einen derselben das Recht gebm, gegen den Willen des anderen und gegm den Mllen des Schuldners durch vollständige Zahlung der Pfandforderung gleichwie durch eine Cession in die Forderung und das Pfandrecht des abgefundenm Gläubigers einzutteten, spricht man von einem jus offerendi, jus offerendi et succedendi, einem Eintrittsrecht, Eintretungs- oder Ablösungsrecht. Wie der Inhaber der Pfandsache, der mit der Pfandklage in Anspruch genommen wird, die Klage durch Zahlung der Pfandforderung von fich abwenden kann, so wird hier dem nicht besitzenden Pfandgläubiger daS Recht gegeben, fich durch Abfindung des befitzmdm oder zum Pfandverkauf schreitmden Gläubigers den Besitz und die Entscheidung darüber zu verschaffen, ob das Pfandobjett disttahirt werden oder der Verkauf verschoben werden soll. Zugleich wird dem befitzmdm Pfandgläubiger das Recht entzogen, die Pfandsache auch wegen chirographarischer Ansprüche zu rettniren. — Streitig ist, ob dies O.recht nur dem fpäterm Pfarckgläubiger gegen den früheren zusteht, der sonst die Pfandsache mit der Wirkung ver­ äußern könnte, daß das spätere Recht untergeht, oder ob auch der frühere Pfand­ gläubiger fich jenes Rechts gegm den späteren bedienen darf. Der letzterm ftckher fast allgemein herrfchmden Ansicht ist mit Schmid, v. Vangerow, Dernburg gegen Zimmern, Bachofen, Windscheid, Arndts beizustimmen. Regel­ mäßig wird freilich der frühere Pfandgläubiger kein Jntereffe daran haben, das jus offerendi auszuüben, und so ist der umgekehtte Fall gewiß der gewöhnliche. Die Praxis neigt dazu, die O. nur dann zuzulaffm, wmn dadurch, daß die Pfand­ forderung geltend gemacht ist, eine Gefährdung der Pfandforderung des offerirmdm Gläubigers wirklich eingetreten ist. (Vgl. Heuser, Annalm Bd. 14 S. 507; Seuffert, Archiv Bd. 21 Nr. 109.) Das Recht kann übrigms auch gegm dmjenigen geltend gemacht werden, der als Gläubiger oder die Pfandschuld einlösender Bürge zur Befriedigung wegen seines Anspruchs die Pfandsache gekauft oder an Zahlungsstatt erhaltm hat, gleich als ob er noch immer Psandgläubiger wäre. Wird die Annahme der Zahlung verweigett, so wird die Pfandschuld deponirt.

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OHN«s.

In das BGB. für das Königreich Sachfen find diese Bestimmungen im Wesent­ lichen übergegangen. Im Zusammenhang damit, daß der spätere Pfandgläubiger ebenfowol wie der frühere die Zwangsversteigerung des Pfandes beantragen sann, wird jedem Pfandgläubiger das Recht gegeben, den Berkaus dadurch abzuwenden, daß h die Forderung des auf dm Berkaus dringendm Gläubigers durch besten Be­ friedigung ablüst und dadurch nebst dem Recht auf Umschreibung im Hypotheken­ buche für fich erwirbt. ES muß aber der ganze Schuldbetrag, auch soweit er noch nicht fällig ist, offerirt werdm und bei terminlichm Leistungm cesfirt die Ablösung vor dem letztm Termine dann, wenn die allmähliche Löschung der einzelnen be­ zahlten Terminsratm ausdrücklich bedungm ist. Wollm Mehrere von dem Ab­ lösungsrecht Gebrauch machm, so geht der nachstehende Gläubiger dem voranstehendm darin vor. Das Franz. Recht läßt jeden Gläubiger, der einen Anderen bester als er selbst berechtigtm Gläubiger befriedigt, auch wenn er selbst nur ein chirographarischer Gläubiger ist, in das Recht des Befriedigten durch Subrogation eintreten, bei theilweiser Befriedigung so, daß dem alten Gläubiger wegen seiner Restforderung das Vorzugsrecht verbleibt. Zahlung anzunehmen, ist der Gläubiger verpflichtet von jedem, der dabei ein Jntereffe hat. Nach dem Preuß. Recht ist der Fall der Konkurrenz mehrerer Pfandgläubiger derselben Sache kaum anders als bei der Hypothek und Grundschuld und im Falle der Verpfändung von Schiffen denkbar. Der Gläubiger war nach LR. verpflichtet, von jedem anderm dinglich an der Sache Berechtigten und vom Bürgen seines SchuÜmers Zahlung der fälligen Schuld gegen Cesfion der hypothekarischen Rechte anzunehmen. Freilich ist es im Preuß. Recht überhaupt Regel, daß jeder Dritte, der für einen Anderen Zahlung leistet, durch nothwendige Cesfion in die Rechte des Bezahlten eintritt, zum Enverb der Vorrechte bedarf er aber ausdrücklicher Cesfion. Die Grundbuchgesetzgebung vom 5. Mai 1872 erwähnt die O. nicht, bestimmt also nichts Abweichmdes. Nach Oesterr. Recht ist jedem eingetragenen Pfandgläubiger gestattet, eine Forderung einzulösen, wegen welcher die Feilbietung des verpfändeten Gutes er­ folgen soll.

Quellen u. Lit.: Dernburg, Pfandrecht, II. § 165. — Schmid, Cefsion, I. S. 308 ff. - D. 20. 4; C. 8, 19. - Süchs. BGB. §§ 435, 446 ff. - Code civ. art. 1251 1252. - Preuß. Allg. LR. I. 20 §§ 36 ff., 16 §§ 47, 48. - Oesterr. BGB. § 462. Eccius.

Obligo heißt im Allgemeinen Haftung, Verbindlichkeit, Gewähr. Die Haftung, welche Jemand durch das Geben seines O. übernimmt, oder dadurch von sich ab­ lehnt, daß er eine Handlung ausdrücklich „ohne O." vornimmt, kann sehr ver­ schiedener juristischer Natur sein. So schließt die Klausel „ohne O." alle Rechts­ folgen aus, welche an sich aus der Abnahme und dem bei sich Liegenlassen von fremden Waaren fließen könnten, ferner die Haftung wegen Eviktion, wenn jene Klausel beim Kaufabschluste besonders ausgedrückt wurde, sowie die Haftung aus Offerten, welche ohne diese Klausel sofort durch Annahme der Offerte rechtsverbindlich wären, die Haftung aus einer kaufmännischen Empfehlung oder einem Rathe, sofern eine solche ohne Hinzufügung jener Klausel entstände. Namentlich wird sehr häufig die Klausel „ohne O." vom Indossanten eines Wechsels oder eines anderen Ordre­ papiers mit der Absicht und Wirkung der Unterschrift beigefügt, das betreffmde Papier weiter zu begeben, ohne selbst (selbständiger) Schuldner zu werden, mit anderen Worten, um die Transportfunktion des Jndoffamentes mit Ausschluß der Garantiefunktion deffelben zu erreichen (s. d. Art. Indossament und Art. 14 der WO.). Auch der Aussteller eines gezogenen Wechsels kann sich durch Beifügung der Worte: „ohne O." oder gleichbedeutende der Regreßpflicht entziehen (nicht aber durch die Beifügung der bloßen Abbreviatur „o. Vertr." oder „S. O.u). Jedoch

Obmann — Oeram.

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wird durch die von dem Aussteller eines Wechsels an eigene Ordre einem Indossament beigefügte Klausel: „ohne £).", besten Haftung als Aussteller nicht ausgeschloffen (Erk. deS ROHG. vom 8. Nov. 1870). Die Jndosfirung „ohne O." ist dem kauf­ männischen Kommissionär, welcher beit Ankauf eines Wechsels übernommen hat und den Wechsel alsdann indosfirt, untersagt (HGB. Art. 373). Cit: Thöl, H.R. (6. Aust.) § 236; W.R. (4. Aufl.) § 119, 10. — Sndemann, H«. (3. aufl.), § 94 I. A. 1, § 115 I. a. § 148 a. E. - Borchardt, WO. (7. Aufl.), 3. 118 ff. — O. Wächter, Encykl. deS W.R, 1879, S. 505-508. GareiS.

Obmann heißt derjenige unter den Geschworenen, welcher die Berathung und Abstimmung leitet und die Jury behufs Kundgebung von Zweifeln, sowie deS Wahrspruchs nach Außen vertritt. Sobald die Geschworenen in ihr Zimmer ein­ getreten, wird er nach einfacher Stimmenmehrheit erwählt; bei Stimmengleichheit ist in Oesterreich fortzuwählen, in Deutschland entscheidet der Borzug höheren Alters; die Wahl soll nach Deutschem Recht schriftlich vor sich gehen, in Oesterreich besteht diese Vorschrift nicht. Wenn dieselbe Bank zufolge der Zulassung des § 286 der RStrafPO. für weitere Straffälle bleibt, so ist doch die Wahl des O. jeweils zu erneuern, da der O. kein ständiges Amt bekleidet und am besten mit Be­ ziehung auf den einzelnen Gegenstand (z. B. ein Rechnungsverständiger bei Rechnersuntreue) erlesen wird. Der Wiederwahl derselbm Person steht nichts entgegen und empfiehlt es sich wegen der Geschäftsgewandtheit dm gleichm O. öfters und namentlich auS solchm Männem, die schon in früherm Quartal­ sitzungen mitwirkten, zu nehmm. Die Berathung hat in Abwesenheit Dritter zu erfolgen und sich lediglich an die richterliche Fragestellung und beten Reihenfolge zu halten, ist aber im klebrigen ungebunden; in Oesterreich wird sie durch eine vom O. vorzulefende Darlegung der Pflichten der Jury eröffnet. Der O. wird seine Meinung meist zuerst äußem, stimmt aber zuletzt ab, übrigens ohne Besitz einer Stichstimme. Ihm fällt die Sorge zu, daß die besonderen Regeln über die Ab­ stimmung und deren Beurkundung beachtet werden; insbesondere schreibt er neben jede Frage den Spruch (in Oesterreich mit Angabe deS Stimmenverhältniffes, in Deutschland nur mit der Angabe, daß die Versagung mildersider Umstände mit mehr als sechs, eine sonstige dem Angeklagten nachtheilige Entscheidung mit mehr als sieben Stimmen beschloffm sei) und unterzeichnet das Ganze, sowie etwaige Aus­ streichungen, Randbemerkungen oder Einschaltungen. Die DeAesung des Spruchs durch den O. in öffentlicher Sitzung wird mit einer vorgeschriebenen feierlichm Formel eingeleitet und erstreckt sich je auf Frage und Antwort. Im Fall deS Berichtigungsverfahrens nimmt der O. seine leitende Funktion wieder auf. Quellen: RGBS. §§ 198-200. — RStrafPO. §§ 286, 304—311. — Oesterr. StrafPO. (1873) §§ 326 - 331. 8it: Planck, System, S. 426 ff. — Löwe, Komment., 1. c. — Ullmann, Oesterr. StrafPrz.R., §§ 129—133. v. Jagemann. ©Ctam, Wilhelm von, aus dem Flecken Ockam (Grastchaft Surrey), Schüler des Duns Scotus, Franziskaner, lehrte in Pans, lebte seit 1328 am Hofe Ludwig's Von Bayern, f zu München 1347. „Doctor Singularis et invincibilis“; er war Stifter der Schule der Occamisten und Anhänger des Nominalismus. Schriften: Defensorium contra errores Joannis XXII. papae, in Brown, Fasciculus rerum expetendarum et fugiendarum, Lond. 1690, Fol. II. 439—464. — Comp. errorum Joannis XxlI. papae bei Goldast, II. 957—976. — Opus nonaginta dierum a. a. O. 983—1236. — Tract de jurisd. imperiali in causis matrimonialibus XXII. bei Goldast, I. 21—24. — Super potestate summt pontificia octo quaestionum decisiones 1496 (in Goldast, Monarchia, II. 313—391). — Dialogus (in Goldast, IL 399—739). — Tract. de electione Caroli IV. Lit.: Stobbe, Rechtsquellen, I. 454, 455. — Lechler, Wiclif, Leipz. 1873, I. 98 ff., 107, 116, 121 ff.. 460, 473, 476, 479, 499, 742; II. 608, 610.— Rirzler, Die literarischen Widersacher rc., Leipz. 1874, S. 70 ff., 241 ff. —Friedberg in seiner Ztschr. VIII. 79. —

Odier — Offeuharvu-Setd.

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Laboulave in Revue de ldgisl. XL (1840), p. 6. — Tbeol. Studien und Kritiken, 1839, S. 69—186. — Schreiber, Die politischen und religiösen Doktrinen unter Ludwig dem Baier, Landshut 1858. — Laurent, L’öglise et l’ötat, 2. &L, Par. 1865, I. 421—426. — Schulze, Einleitung in das Deutsche Staatsrecht, 1867, S. 46. — Ueberwea, Grundriß der Geschichte der Philosophie, 4. Aufl. 1873, II. 219—223. — Weingarten, Zeittafeln zur Kircbengeschichte, 2. Aufl. 1874, S. 82, 88. — Prantl in den Sitzungsberichten der phnosophrschen Klafle der Münchener Akademie, 1864, II. 1 58—67 und Geschichte der Logik, III. 327—420. — Ott, Beiträge, 49. — Schulte, Geschichte, II. 371. Teichmann.

Odier,

Pierre, $ 1803 zu Gern, Prof, des Civilrechts daselbst, t 1859.

Er schrieb: Dissertation sur l’application des lois ötrang&res qui reglent la capacite de contracter, Gen&ve 1827. — Des Systemes hypothäcaires, Genfcve 1840. — Traite du contrat de manage, Paris 1847, ein vortreffliches, vou Rodiöre und Pont in ihrem Buche über denselben Gegenstand stark benutztes Werk. — O. war auch einer der Bersaffer des vor­ zugsweise nach dem tüchtigen Prof. Bel lot (f 1836) genannten Genfer Civ.Prz Ges. von 1827. Rivier.

Ob* Senonensis (de Senonis), 6 zu Sens in der Champagne, Pros, zu Paris, Advokat, lebte im Anfänge des 14. Jahrhunderts. Er schrieb: Summa de judidis possessoriis (1301), Mogunt. 1536 (vor Otto Papiensis, De ord. judidorum). Lit.: Savigny, VI. 46—48. — Wetzell, System des ordentlichen Civ.Prz., § 3 Note 10. — Rivier, 479. Teichmann.

OdofreduK, z zu Bologna, Schüler des Jac. Balduini, Hugolinus und Accurfius, lebte als Advokat einige Zeit in Frankreich, dann in Italien, wo er auch in richterlichen und politischen Geschäften verwandt wurde, t 1265. Schriften: Vorlesungen über die Digesten und den Codex, Gloffe zum Costnitzer Frieden. — Zusätze zu Azo's Summa. — Summa zum Lehnrecht. — Summa de libellis iormandis, Argent. 1510: Venet. 1584 (in Tract. univ. jur. III. p. 2 fol. 79). — De percussionibus (Tract Luga. 1549, Vol. 10 f. 34). — Quaestiones. — Consilia — (verloren: De ordine judiciario s. opus artis notariae, de positionibus, de confessionibus). Lit.: Sav ignh, V. 356—380. — Wetzell, System des ordentlichen Civ.Prz., 83 Note 7. — Rivier, 474. — Bethmann-Hollweg, Civ.Prz. des Gem. Rechts, Bd. VI. (1874), S. 8, 49—51, 76, 194. Teichmann.

Offeubaruugseid (Manifestationseid; — v. Bar, Th. I. Suppl. S.52). Im Anschluß an eine Verordnung Justinians in 1. 22 § 10 C. de jure delib. 6, 30, welche den Erbschastsgläubigern, Legatarien und Fideikommiffarien gestattet, von dem Erben zur Feststellung des Erbschaftsbestandes einen Eid über den letzteren zu ver­ langen, wenn sie vermuthen, daß der Erblaffer mehr Vermögen, als im In­ ventar verzeichnet, hinterlassen habe und im Anschluß an andere singuläre Fälle des Röm. Rechts hat zunächst die Italien. Jurisprudenz und dann die Deutsche Prozeß­ doktrin diesen Eid auf alle Fälle ausgedehnt, in welchen Jemand fremdes Vermögen (z. B. als Tutor, Kurator, Verwalter) in Händen gehabt, und damit ein Mittel geschaffen, die Vervollständigung eines von diesen Personen aufgestellten Vermögensverzeichnifses zu erlangen; ferner aber hat man den Eid auch da angewendet, wo Jemand verpflichtet ist, die zu einem Vermögensganzen gehörigen Objekte, wie z. B. der mit der hereditatis petitio oder der actio familiae herciscundae belangte Be­ klagte, der Schuldner im Exekutions- oder Konkursverfahren, herauszugeben. Freilich war diese Ausdehnung des Eides nicht unbestritten. Weiter verlangte die gemein­ rechtliche Theorie für seine Anwendbarkeit das Vorliegen eines Verdachtes der Unter­ schlagung oder Verheimlichung. Der Inhalt des Eides ging dahin, daß der Eides­ pflichtige andere als die von ihm genannten Gegenstände nicht an sich genommen oder abhanden gebracht habe. Bei der Verweigerung des Manifestationseides war der Antragsteller nach der Annahme der Praxis berechtigt, sein Interesse durch das juramentum in litem zu erhärten. Im umgekehrten Fall blieb dem Antragsteller nach der überwiegenden Ansicht der Beweis vollkommen frei, daß trotz des Eides Gegenstände verheimlicht worden seien, während Einzelne den Eid bis zur Anfechtung durch den Weg der Restitution als beweisend gelten ließen. —Nach der Deutschen

Offenkundigkeit — Oeffentlichkeit.

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CPO. hat der Schuldner auf Antrag des Gläubigers den O. zu leisten, wenn eine bestimmte bewegliche Sache herauszugeben ist und dieselbe bei der Zwangsvollstreckung nicht vorgefunden wird, ferner wenn die Pfändung nicht zur vollständigen Befriedigung des Gläubigers geführt hat oder dieser glaubhaft macht, daß er eine solche durch Pfändung nicht erlangen könne. Im ersten Fall geht der O. dahin, daß der Schuldner die Sache nicht besitze, auch nicht wiffe, wo sie sich befinde, im anderen Falle, in welchem der Schuldner gleichzeitig ein Verzeichniß seines Vermögens, mit Angabe des Grundes seiner dazu gehörigen Forderungm und der Beweismittel für diese vorzulegen hat, dahin, daß der Schuldner sein Vermögen vollständig angegeben und wissentlich nichts verwiegen habe. Endlich kann im Konkurse nach Anfertigung des Inventars sowol der Verwalter wie auch jeder Konkursgläubiger die Ableistung des O. vom Gemeinfchuldner fordern. Die Abnahme des Eides erfolgt durch das Amtsgericht als Vollstreckungs- bzw. Konkursgericht. Vor daffelbe ist der Schuldner zu laden und auf seinen Widerspruch, nöthigenfalls über seine Pflicht zur Ableistung des Eides zu erkennen. Bei ungegründeter Weigerung wird die Leistung auf Antrag durch Hast, welche indessen niemals länger als sechs Monate dauern darf, erzwungen. Neben diesen Vorschriften der Reichsgesetzgebung find aber die in den einzelnen Ländern geltmden civilrechtlichen Bestimmungen über die Verpflichtung zur Leistung des Manifestationseides (vgl. z. B. die oben cit. 1. 22 C. 6, 30) in Kraft geblieben. Gsgb.: Deutsche EPO. 8§ 711, 769, 780 ff.; SG. dazu § 16 N. 3. — RKO. § 114. Lit.: Rüdiger, Versuch einer Entwickelung der Lehre vom ManisestationSeide, Leipz. 1831. — O. A. Walther, Genetische Entwickelung der Lehre vom Manifestationseide, Maro. 1859. — Renaud im Arch. für prakt. Rechtswissensch. 8, 110 ff. — Wach in der Zeitschr. für RechtSgesch. 7, 439. P. Hinschius.

Offenkundigkeit, s. Notorietät. Oeffentlichkeit alS Thatbestand-moment. Der Begriff des Oeffmtlichm kommt an zahlreichen Stellen und in den verschiedensten Verbindungm im RStrafGB. vor, für die es geradezu unmöglich ist, eine allgemein gültige Begriffsbestimmung aufzustellen; vgl. bes. Entsch. des Reichsgerichts vom 12. April 1880 (Entfch. I. S. 357 ff.). Aus den Gegensätzen wird sich vielfach leicht ergeben, in welchem Sinne die O. zu nehmen ist, z. B. wenn von öffentlichen Plätzen, Wegen, An­ gelegenheiten, Zusammenrottungen, Kaffen, Zwecken, Sammlungen, Urkunden, Armmmitteln, Lotteriem u. s. w. gesprochen wird. Schwieriger ist es dagegen, den Begriff für die Fälle zu bestimmen, in welchen von der O. der Begehung die Bestrafung der betreffenden Handlungen abhängig gemacht ist, sei es, daß die O. die Strafbar­ keit begründet oder erhöht. Hierhin gehören die folgendm Paragraphen des StrafGB.: 85, 110, 111, 130, 130 a, 131, 166, 183, 186, 187, 360, 3. Es ist hierbei jedoch zu beachten, daß in dm §§ 85, 110, 111 und 130a die O. allein nicht genügt, die Handlung vielmehr noch vor einer Menschenmmge begangm fein muß. Auch für alle diese Fälle findet sich keine gesetzliche Begriffsbestimmung. Nach dem Sächs. StrafGB. wurde eine Mittheilung dann für eine öffmtliche angesehm, „wenn sie nicht an eine einzelne, durch geschäftliche, häusliche oder fteundschaftliche Verhältnisse verbundene Person gerichtet ist und sich nicht mit Hinsicht auf diese Verhältniffe, sowie auf Ort, Zeit und Art und Weise der Mittheilung als eine vertrauliche und private darstellt." Es wird, wie es in dm Motiven zum RStrafGB. heißt, bei dem Begriffe der O. davon auszugehen sein, daß, dem Sprachgebrauche gemäß, eine Handlung nur dann als öffentlich geschehm zu betrachten ist, wmn sie in einer Art und Weise vorgenommm wurde, daß sie, unbestimmt von welchen oder wie vielen Personen, wahrgenommm werden konnte. Wurde dagegen die Handlung so vorgenommen, daß sie nur für die Wahmehmung gewiffer Personen bestimmt war, auch nur von diesen bemerkt werden konnte, so wird keine O. anzunehmm sein. Ter Gegensatz zu öffentlich ist nicht etwa nur „geheim", sondem „privat", d. h.

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Oeffeutttchkett.

individuell begrenzt und beschränkt. Der Ort der Begehung der Handlung ist daher nicht mehr entscheidend; eine Handlung kann an einem öffentlichen Orte nicht üffmtlich und an einem nicht öffentlichen Orte üffmtlich begangm werdm. Die Gegenwart mehrerer Personm ist ebenfalls nicht ausreichend. Auch die bedingungslose allgemeine Zugänglichkeit wird nicht zu fordem sein. Lit.: Ueber den Begriff der O. vgl. die Kommentare zu deu betr. Bestimmungen des REtrafGB, besonders Oppenhoff'S und v. Schwärze'- Ausführungen zu § 85 deS StrafGB — Außerdem Ab egg in Golt dammer'S Archiv Bd. VIII. S. 577 ff.; Bd. IX. 6. 3 ff., 80 ff. Dochow.

Oeffentlichkeit des Verfahrens. Im Gemeinm Prozeß (so auch in der Allg. Ger.O. Josesis II. von 1781) herrschte die Schriftlichkeit und riir Straffachen zudem das Jnquifitionsprinzip. Naturgemäß mußte das Verfahren (abgesehen etwa von dem rein formellm „mdlichen Rechtstag" der CCC) ein geheimes sein. Im Laufe dieses Jahrhunderts drangen die Vorbilder des Franzöfischm und des Englischen Prozeffes mit O., Mündlichkeit und Anklageprinzip in die „Deutschen Grundrechte" (88 178/179) und in unsere modernen Prozeß-Ordnungen ein; in Oesterreich wurden diese Prinzipien durch das Staatsgrundgesetz vom 21. Dezbr. 1867 angenommen. Die O. d. V., welche auch in die Reichsjustizgefetze überging, dient zur Sicherung einer würdigen Geschäftsbehandlung wie des Ansehens der Justiz, und es überwiegen diese Vortheile den Mißstand, daß die Gelegenheit zur Erlernung von Verbrechen und abgefeimten Vertheidigungsweisen in Ausnahmefällen ansteckt. Der Grundsatz geht dahin, daß die Verhandlung vor dem erkennenden Gerichte ein­ schließlich der Verkündung der Urtheile und Beschlüße (also nicht etwa auch die Be­ rathung) öffentlich erfolgt, d. h. daß außer den Betheiligten auch sonst nach Maßgabe des Raumes (erwachsene) Personen, deren Erscheinm nicht die Würde des Gerichtes verletzt, Zutritt haben; dieser kann auch zur Regelung an den Besitz unmtgeltlich und allgemein erhältlicher Karten geknüpft werdm. Die O. wird jedoch nach Ermeffen des Gerichtes von Amtswegen oder auf Antrag für die ganze Ver­ handlung oder für einen Theil derselben, insoweit eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder der Sittlichkeit sich besorgen läßt, ausgeschloffen; jedoch muß das die O. ausschließende Erkenntniß, sowie das Urtheil öffentlich verkündet und können dann (abgesehen von gewißen, stets zum Eintritt berechtigten Justizpersonen) vom Vor­ sitzenden einzelne Zuhörer zugelaffen werden. Die Ausschließung der O. ist im RCiv.Prz. ferner in Entmündigungssachen theils geboten, theils erlaubt und erfolgt auch, wenn eine Partei es begehrt, in Ehesachen, weil hier die Zuhörung durch das Publikum berechtigte Interessen der Familie verletzen kann. Im Uebrigen muß die O. bei Vermeidung der Nichtigkeit der geheim vorgenommenen Prozeßhandlung Platz greifm. Da die Voruntersuchung keine Verhandlung vor dem erkennenden Richter ist, findet die O. auf sie keine Anwendung. Anders allerdings in England; allein dort dient dieses Prozeßstadium nicht prinzipiell der Sammlung der Beweise für die Hauptverhandlung, sondern hauptsächlich nur der Vorbereitung des Erkenntnisses darüber, ob der Beschuldigte bis dahin unbedingt oder gegen Bürgschaft auf freiem Fuß fein dürfe oder im Gefängniß bleiben müße. Die Einführung der O. würde nach unseren Verhältnißen hier zweifellos in vielen Fällen den Untersuchungszweck gefährden. Man hat daher in Deutschland wie in Oesterreich es bei der Geheimheit der Voruntersuchung belaßen und nur für solche Akte derselben, deren Reproduktion im Hauptverfahren nicht stattfindm wird (als Augenschein und Haussuchung, in Dmtschland auch für Vernehmung von Zeugen, deren Erscheinen in der Haupt­ verhandlung ein Hinderniß entgegensteht oder wegen großer Entfernung besonders erschwert wäre), die sog. Parteiöffentlichkeit angeordnet, d. h. daß Staats-(Amts-) Anwalt, Beschuldigter, Vertheidiger, Privat- und Nebenkläger und deren Anwälte der Handlung beiwohnen dürfen und daher thunlich vor der Vornahme benachrichtigt

Offerte.

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werden sollen; dem Verhafteten steht jedoch ein Recht auf Verbringung an einen anderen Ort nicht zu. Insofern man die Publikation der Gerichtsverhandlungen in der Preffe als „mittelbare O. d. V." bezeichnet, ist zu bemerken, daß nach preßpolizeilichen Be­ stimmungen, um Beeinflusiungen zu verhütm und den Charakter der O. erst der Verhandlung selbst zu gewähren, die Veröffentlichung von Anklageschriften und anderen amtlichen Schriftstücken eines Strafprozeffes vor der Kundgebung in der Verhandlung oder vor dem Ende des Verfahrens verboten ist. Quellen: RGDG. §§ 45—91, 170-177, 195. — RStrafPO. §8 102, 106, 190—192, 272. 5, 369, 377. 6. - Oesterr. StrafPQ. (1873) §§ 97, 162, 228—231, 281. 3. — DeutschePreßGes. § 17. Lit.: Feuerbach, Betr. über O. und Mündl., I. S. 19 ff. — Mittermaier, Münd­ lichkeit, S. 233 ff. — v. Zagemann, Die O. de- Strafverfahren-. — Zachariä, Strafverf., I. S. 50 ff. — Renaud, Civ.Prz., § 80. - Endemann, Lehrb. de- Eiv.Prz., § 96. — llllmann, Oesterr. StrafPrz.R., §§ 19, 20. — Gneist, Bier Fragen zur StrafPO., S. 83 ff. — H. Meyer, Mitwirkung der Parteien im EtrafPrz. — Glaser, Dochow und Fuchs in d. Holtzendorff'- StrafPrz.R., I. S. 6, 18, 22, 39, 54, 73, 132, 467. v. Jagemann.

Offerte ist das Anerbieten zur Vertragsschließung, bei obligatorischen Verträgen also die einem Anderen gegenüber erfolgte Erklärung des Willms, Schuldner oder Gläubiger deffelben oder beides zugleich zu werden. Kommt au der O. die Annahme, so ist der Vertrag perfekt. Dieser Grundsatz ist anscheinend einfach; indeffen in Ermangelung einer Vertragsform wie die Römische Stipulation, welche über das Vorhandensein und den Zeitpunkt der Mllenseinigung in concreto kaum einen Zweifel aufkommen ließ, ist die vorliegende Lehre heutzutage besonders reich an Streitfragen. — Zunächst fragt sich, welche Erklärung als wirkliche (verbindliche) O. gilt. In dieser Beziehung läßt sich der Grundsatz aufstellen, daß die Absicht, einen konkreten Vertrag (deflen Effentialien also darin enthalten sein müssen) einzugehen, erkennbar sein muß; mit anderen Worten ein bindendes Anerbieten muß ernstlich und bestimmt sein. Eine O. an mehrere bestimmte Personen in der Weise, daß nur mit dem ersten Acceptanten ein Vertrag zu Stande kommen soll, ist voll­ kommen bindend, und ebensowenig ist nach der richtigen Meinung die Wirksamkeit einer richtigen O. an incertae personac schlechthin ausgeschloffen. Weitere, namentlich für Verträge unter Abwesenden (Distanzgeschäfte) wichtige Fragen find: Bis zu welchem Zeitpunkte kann die O. zurückgenommen werden? Wann muß die Annahme geschehen, um den Offerenten zu binden? Wodurch geschieht die Annahme? — Die gemeinrechtlich hierüber bestehenden Kontroversen find zum Theil durch die neueren Gesetzbücher entschieden. Das Preuß. Allg. LR., das Oesterr. BGB. und das HGB. gehen davon aus, daß dem Anerbieten eine gewiffe, während einer durch den Offerenten oder durch Gesetz bestimmten Zeit verpflichtende Kraft innewohnt, dergestalt, daß erst nach fruchtlosem Ablauf dieser Zeit der Offerent frei wird und ein vorher er­ klärter Widerruf nur dann wirksam ist, wenn er bereits vor oder mit der O. dem Anderen zugeht. Ein Gegenwärtiger hat sich sofort („ohne Verzug") zu erklärm; ein Abwesender hat im Allgemeinen soviel Zeit, als zur Beantwortung mit ordentlicher Gelegenheit, d. h. mit den gewöhnlichen Korrespondenzmitteln (nicht Telegraph) — nach Oesterr. BGB. zur zweimaligen Beantwortung — erforderlich ist; jedoch geben das Preuß. Allg. LR. und das Oesterr. BGB., wenn beide Theile sich an demselben Orte befinden, 24 Stunden Frist. Rach dem HGB. muß indeffen der Offerent, wenn nach Ablauf der Frist die rechtzeitig abgesandte Annahme eintrifft, unverzüglich (sofern dies nicht schon vorher geschehen ist) seinen Rücktritt notifiziren, widrigenfalls der Vertrag besteht. Eine verspätete Annahmeerklärung kann unter Umständm als neue O. gelten. Das Sächs. BGB. steht mehr auf dem Standpunkte des Gemeinen Rechts. Es läßt den Widerruf, falls Offerent keine Bedenkzeit bestimmt hat, bis zur er­ klärten Annahme zu; bei verzögerter Annahme verliert das Anerbieten von selbst seine

944

OsftziLl.

Kmst. —

Wann ist nun aber die Annahme erklärt? Dies ist bei Verträgen unter Abwesenden der Gegenstand einer alten, bis in die Gegenwart lebhaft verhandelten Kontroverse. Nach der einen Meinung genügt das einfache Ja ohne Rücksicht auf die Kenntniß des Offerenten (Baldus, Lauterbach, Pufendorf, Hommel, Thöl, v. Wening, Puchta, jetzt Sohm; von Preußischen Juristen: Borne­ mann, Gruchot u. A.). Die andere Ansicht (Vernehmungstheorie im Gegensatz zur Aeußerungstheorie) hält die Annahme erst für vollendet, sobald auch der Uebermittelungsakt beendigt, dieselbe also zur Kenntniß des Offerenten gebracht ist (Hasse, v. Wächter, v. Dangerow, Brinz, Dernburg, Bekker, Arndts, Regelsberger, Förster, Siebenhaar u. A.). Mitteltheorien sind aufgestellt von Mühlenbruch, Bluhme, v. Scheurl, Keller, neuestens Emminghaus, Hauser, Windscheid (sog. Empfangstheorie), Schott u. A. — Nach dem HGB. gilt als Zeitpunkt des Vertragsabschluffes derjenige, in welchem die An­ nahme-Erklärung behufs der Absendung abgegeben ist (d. h. in natür­ lichem Sinne). — Der Code civil enthält keine positive Bestimmung. Die Frage, ob Kmntniß von der Annahme zur Perfektion gehört, ist auch in Frankreich kontro­ vers. Für die bejahende Ansicht (Toullon, VI. 29) wird eine Vorschrift über die Annahme von Schenkungen angeführt. (Vgl. dagegen MarcadS, Zachariä rc.) Die Rücknahme der O. ist bis zur Annahme ftei, falls nicht Offerent sich aus­ drücklich eine gewiffe Zeit hindurch gebunden hat (T o u l l o n, VI. 30 ; Zachariä rc.). — Nach Englisch em Recht und in Nordamerika wird eine bindende Kraft der bloßen O. nicht anerkannt. Aber der Vertrag ist perfekt, sobald die Annahme ab gesandt ist. — Wenn vor der Perfektion der Offerent verpflichtungsunfähig wird, kann durch die Annahme ein Vertrag nicht mehr zu Stande kommen. Ob das Anerbieten durch den Tod des Offerenten erlösche, ist streitig. Nach dem Preuß. Allgem. LR. und dem Sachs. BGB., auch nach dem HGB. geht die Verpflichtung aus der O. auf die Erben des Antragenden in der Regel über (soweit nicht das Gegentheil aus der Erklärung oder aus den Umständen erhellt). Nach Französischem Recht wird das Gegentheil angenommen. Gsgb. u. Lit.: Allg. Deutsches HGB. Art. 318-321, 337, 297. — Preuß. A. LR. I. 5 6§ 78—108; 11 §§ 340 ff., 988 ff. - Sächs. BGB. §§ 770-772, 782, 783, 814-819. — Oesterr. Allg. BGB. §§ 861, 862. — Code civ. art. 932, 1108. — v. Wening-Jugenheim, v. Wächter, Mittermaier im Archiv für die civ. Prax. Bd. 2 S. 267 ff.; Bd. 19 S. 116; Bd. 46 S. 9 ff. — v. Scheurl, Beitr. XII. S. 301 ff. u. in den Jahrbb. für Dogmatik II. S. 248 ff. — Bekker, Jahrb. des gem. Deutschen Rechts, II. S. 342 ff.; ni. S. 116 ff., 295 ff. — Regelsberger, Crvilrechtl. Erörterungen (1868), (f. Schletter, Jahrbb. XIII. S. 89 ff.). — Emminghaus im Arch. f. prakt. Rechtswissenschaft, N. F. VI. S. 113. — Dahn bei Goldschmidt und Laband, Ztschr. für das ges. H.R., IX. S. 503 ff. — Hauser, das. XII. S. 34—126. — Sohm, das. XVII. S. 16, 373. Kindervater und Jhering in den Jahrbb. für Dogm. VII..S. 1 ff. — Unger, das. VIII. S. 134 ff. — Köppen, das. XI. S. 139. — Schott, Ter obl. Vertrag unter Ab­ wesenden (1873). — Schütze in den Jahrbb. für Gem. Recht V. S. 33 ff. — R. Koch bei Löhr, Centralorg. N. F. III. S. 40 ff. und bei Busch, Archiv für H.R. IV. S. 261 ff. — Erk. des ROHG. bei Stegemann, Rspr. III. S. 256, 261, 323: IV. S. 178, 1; V. S. 256, 286; VI. S. 82, 264; VII. S. 254, 268. — Entsch. d. ROHG. VI. 241; VIII. 396; XIII. 162: XIV. 298; XV. 43; XXII. 130. — Entsch. d. Reichsger. in Civilsachen II. 46. — Für Preuß. Recht besonders: Förster, Theorie und Praxis des Preuß. Priv.R., I. § 77. — Dernburg, Preuß Priv.R., I. 8 107; II. 8 12. — Für Franz. Recht: Zachari ä (Anschütz), Handb. des Franz. Civ.R., 5. Aust. II. S. 340, 341. — Pardessus, Cours de droit commercial, I. Nr. 269 etc. — Leone Levi, Intern, comm. law., 2th. ed. p. 270. — Kent, Comm. on Amer. law., 12th. ed. vol. II. p. 477 (Part. V. Lect. XXXIX. 4 [41). R. Koch.

Offizial, officialis, heißt im katholischen Kirchenrecht soviel wie Stell­ vertreter des Bischofs bei der Verwaltung der demselben zustehenden kirchlichen Regierung. Officiales foranei nannte man diejenigen, welche in den einzelnen Theilen der bischöflichen Diözese, also außerhalb der bischöflichen Residenz, die Jurisdiktion in erster Instanz ausüblen, während die officiales oder vicarii generales dieselbe am

Ottupation.

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Bischofssitz, namentlich in den vom Bischof selbst vorbehaltenen Fällen, zu verwalten hatten. Heute find noch theilweise, z. B. in einzelnen romanischen Ländern, die beiden letztgedachten Ausdrücke gleichbedeutend und bezeichnen dann den Stellvertreter für die Handhabung der bischöflichen Regierungs- und Gerichtsgewalt, welcher freilich kraft Gemeinen Rechts gewiffe aus dieser herfließende Befugnisse nur vermittelst be­ sonderer Spezialvollmacht vornehmen kann, und desien Rechte mit dem Tode des Bischofs erlöschen. In anderen Ländern, so z. B. in den Deutschen Diözesen, ist aber eine Trennung in der Stellvertretung des Bischofs in der Weise hergebracht, daß der Generalvikar nur die Verwaltungsgeschäfte im eigentlichen Sinne führt, der O. dagegen die Gerichtsbarkeit auszuüben hat. Die officiales foranei kommen heute nicht mehr vor. Tie sich jetzt vereinzelt findenden Offizialate (so das des Bischofs von Münster in Vechta für Oldenburg) oder Kommisiariate (z. B. des Erzbischofs von Prag für die Preußische Graflchaft Glah) sind daher entstanden, daß hier Diözesen eines Landes in den Bereich eines anderen übergreifen und deshalb besonders organifirte Vertretungen für die Ausübung der bischöflichen Gerechtsame haben ge­ schaffen werden müssen. 8it.: A. Hieron. Andreucci, De triplici vicario, generali, capitulari et foraneo (Hierarchia ecclesiast. in var. part. snas distrib.), 3 Tom. Rom. 1766, T. L p. 272 sa. — Moy in seinem Archiv für kathol. Kirchenrecht, IV. 402 ff. — Friedle, a. a. O. XV. 337 ff. — P. Hinschius, Kirchenrecht, II. 205 ff. P. Hinschius.

Okkupation ist die einseitige Besitzergreifung einer eigenthumsfähigen Sache mit dem Willen und mit der Wirkung des Eigenthumserwerbes. Die Sache muß herrenlos sein, d. h. zur Zeit in Niemandes Eigenthum stehen, oder doch wenigstens dafür gelten, wie die Sachen des Feindes. Im ersten Falle ist unwesentlich, ob die Sache noch nie einen Eigenthümer gehabt hat, oder ob sie einen solchen nicht mehr hat. I. Das Römische Recht zählt die O. zu den Erwerbsarten nad) jus naturale, d. h. zu den überall anerkannten. Nicht dem Wortlaute, aber dem Sinne nach ist den Quellen der Satz entnommen: Res nullius cedit primo cuique occupanti. Die Hauptanwendungsfälle im Römischen Recht — nach den einzelnen herrenlosen Sachen geordnet — sind: 1) Die O. von Thieren in ihrer natürlichen Freiheit (bzw. wenn sie dieselbe wiedergewonnen haben). Das Thier gehört demjenigen, welcher zuerst wirklich Besitz davon ergreift — einerlei, ob aus ftemdem oder eigenem Boden; der Eigenthümer des Grund und Bodens ist nur berechtigt, den Nichteigenthümer am Betreten des­ selben zu hindern, und kann eventuell die actio iniuriarum und die Besitzinterdikte gegen ihn anstellen. Der Wilderer (d. h. der trotz eines Verbotes Okkupirende) er­ wirbt nach Römischem Recht Eigenthum; ein eigentliches Jagdrecht kannte das Römische Recht sicher noch nicht (anderer Meinung: v. Wächter, Das Jagdrecht und die Jagdvergehen, Leipz. 1869; vgl. Windscheid, § 184 Note 5). Der Besitz des Thieres ist sogar schon dann erworben, wenn man auf eigenem Boden oder auf ftemdem, consentiente domino, Schlingen oder Fallen gestellt hat, und ein Thier sich so gefangen hat, daß es sich allein nicht wieder befreien kann (1. 55 D. de A. R. D. 41, 1). S. die Art. Jagd-, Fischerei-, Bienenrecht. 2) Ebenso sind okkupationsfähig die im Meere auftauchenden Inseln, die Fluß­ inseln bei limitirten Aeckern und die res omnium communes, an denen man durch Ausscheidung Eigenthum erwerben kann. 3) Tie occupatio bellica. Nach antikem Völkerrecht wird die Person und die Sache des feindlichen Bürgers als res nullius behandelt und ist deshalb Gegenstand der O. mit der Maßgabe, daß das eroberte Land und das vom Römischen Soldaten Erbeutete Eigenthum des Römischen Staates wird. Dies ließen die Römer für und gegen sich gelten, nur trat im letzteren Falle bei Grundstücken, Dienstpferden u. Last­ schiffen das ius postliminii (Heimkehrrecht) ein. S. die Art. Beute u. Prifenrecht. v. Holtzendorff, Gnc. II. Rechtslexikon II. 3. Aufl. 60

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Okkupation.

4) Die O. von res derelictae, d. h. von solchen Sachen, an welchen der bisherige Eigenthümer den Besitz absichtlich aufgegeben hatte mit dem Willen, das Eigenthum aufzugeben. Waren die Sachen nur verloren, also war der Besitz daran eingebüßt ohne eine hierauf gerichtete Thätigkeit und ohne Aufgabe des Eigenthums, so erwarb der Okkupant (Finder) kein Eigenthum, sondern höchstens Ersitzungsbesitz, wenn er nämlich die Sache für derelinquirt hielt und in gutem Glauben war. Be­ hielt er sonst die gefundene Sache, so machte er sich eines furtum schuldig (1. 43 § 4 D. de furtis 47, 2). Auch wenn sich kein Eigenthümer meldete, war ja noch nicht erwiesen, daß überhaupt keiner vorhanden sei, der Finder wurde lediglich negotiorum gestor des Eigenthümers. Abgesehen von einer antiquirten Bestimmung des Codex über O. von unbebauten steuerpflichtigen Grundstücken, die der Bebauer nach zwei Jahren erwerben sollte, ist noch zu erwähnen 5) der Schatz. Dieser ist nach der Definition des Paulus in 1. 31 § 1 D. de A. R. D. 41, 1 eine werthvolle bewegliche Sache, welche so lange verborgen gewesen, daß der wahre Eigenthümer nicht mehr ermittelt werden kann. An sich ändert zwar das Moment des Alters das Eigenthumsverhältniß nicht, aber die Auffindung des Eigenthümers und die Legitimation der Erben wird mit der Zeit so schwierig, daß es praktisch so ist, als ob die Sache herrenlos wäre. Die Zeit­ bestimmung ist relativ, es kommt nur auf die Unmöglichkeit der Ermittelung des Eigenthums an. Gleichgültig ist, ob der Schatz absichtlich oder zufällig an seinen Ort gebracht ist, ob er in einer unbeweglichen oder beweglichen Sache gefunden ist. Wenn nun Jemand in seiner eigenen Sache oder in loco sacro einen Schatz findet, so gehört ihm der ganze Schatz. Der in einem locus religiosus (sepulcrum) gefundene Schatz gehört zur Hälfte dem Finder, zur Hälfte dem Fiskus. Geschah die Hebung durch Zauberkünste, so fällt er ganz an den Fiskus. Wer in fremder Sache einen Schatz findet, muß, wenn er absichtlich danach gesucht hat, Alles dem Eigenthümer der Sache lassen; wenn er ihn zufällig gefunden hat, so erhält er die Hälfte iure occupationis, der Eigenthümer die andere Hälfte iure accessionis (dieser hat nicht nur einen Anspruch darauf). Uebrigens ist, wie Bruns bemerkt, nicht eigentlich eine O. (Besitzergreifung) erforderlich, sondern nur ein Finden, Entdecken. S. Th. I. S. 386 ff. Ueber Fossilien s. den Art. Finder recht. II. Nach Deutschem Recht ist die O. wesentlich beschränkt dadurch, daß sie viel­ fach Regal ist, d. h. nur dem Staate zusteht, oder dadurch, daß sie doch nur einzelnen Privaten freisteht. So bei herrenlosen Sachen überhaupt, oder nur bei gewissen, als gefundenen Sachen, erblosem Gut, Bernstein, Salpetererde, Fossilien (Salz), Schätzen; ferner die Jagd und die Fischerei. Bei gefundenen Sachen gilt gemeinrechtlich eine Anzeigepflicht des Finders, damit nicht eine Fundverhehlung oder der Verdacht einer solchen entstehe. Die Obrigkeit erläßt sodann eine öffentliche Bekanntmachung. Meldet sich der Verlierer binnen der bestimmten Frist, so erhält der Finder seine Auslagen (z. B. Fütterungs­ kosten) und bisweilen noch einen Finderlohn (s. d. Art. Finderrecht). Erhebt da­ gegen Niemand einen Anspruch, so erhält entweder die Obrigkeit (der Richter, die Kirche) oder der Finder die Sache, bzw. nur die Nutzung derselben und nach Ablauf der Verjährungszeit das Eigenthum. Ersteres wird von Delbrück als gemeinrechtlich behauptet und auf die O. zurückgeführt („Die Lehre vom Funde ist eine selbständige Schöpfung des modernen Geistes"); für das Gemeine Recht erscheint mir die letztere von Gimmerthal vertretene Ansicht richtig. Der Eigenthumserwerb erfolgt im ersten Falle meines Erachtens kraft Rechtssatzes. Den Schatz betreffend ist die Bedeutung der bekannten Stelle des Sachsen­ spiegels (I. 35) bestritten, wonach der königlichen Gewalt zugesprochen wird aller Schatz unter der Erde tiefer, denn ein Pflug geht, ob darunter nämlich thesaurus

Okkupation.

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ober Erz ober beides zu verstehen sei. Eine Sachs. Constitatio von 1572 hat bie Stelle authentisch auf bad Bergregal gebeutet. Zu erwähnen ist auch bas Grunbruherecht, b. h. bas Recht, Sachen, welche einen bestimmten Grunb unb Boben berühren, eben beshalb zu okkupiren. Ein Aus­ fluß bavon ist bas Stranbrecht. Beibe finb wieberholt aufgehoben. S. bett Art. Stranbrecht. Enblich gehört hierher auch bas Uebersallsrecht, wonach ber Eigenthümer eines Grunbstücks bie aus bem Nachbargrundstück herübersallmben Früchte okkupiren kann („Wer ben bösen Tropfen genießet, genießet auch ben guten"). III. Unter ben Partikularrechten kennt bas Preußische Recht ein privilegirtes O.recht bes Staates an herrenlosen Grunbstücken unb Bernstein, von Privaten als Jagb- unb Fischereirecht. Der freien O. unterliegen bie nicht jagbbaren Thiere, bie Fische im Meere unb sonstige herrenlose unb berelinquirte Sachen. Ueber bie Besitznehmung verlorener Sachen hat bas Allgem. LR. sehr ausführliche Bestimmungen. Der Finber muß ben Funb ber nächsten Obrigkeit anzeigen; an bie Stelle bes früher eintretenben Aufgebotes unb richterlichen Zuschlages an ben Finber, wenn sich Riemanb melbet, ist nach bem Ausführungsgesetz zur Deutschen CPO. (§ 23) bas Aufgebot gemäß ben Vorschriften bes neunten Buches ber CPO. getreten. Das Ausschlußurtheil ist dahin zu erlassen, baß bem un­ bekannten Verlierer ober Eigenthümer, welcher sich nicht gemeldet hat, nur ber An­ spruch auf Herausgabe bes durch ben Funb erlangten unb zur Zeit ber Erhebung bes Anspruches noch vorhanbenen Vortheils Vorbehalten wirb. Uebrigms hat ber Finber von bem über 300 Mark betragenben Werth ber Funbsache bie Hälfte an bie Armenkasse herauszugeben. S. auch ben Art. Finderrecht. Auch beim Schah, sofern er augenscheinlich nicht bereits seit mehr als 100 Jahren verborgen war, soll ein Aufgebot eintreten. Nach Oesterreichischem Recht giebt es ebenfalls ein beschränktes unb ein unbeschränktes O.recht. Der Finber erlangt Eigenthum erst nach Ablauf ber Ver­ jährungszeit, vorher nur bas Recht, bie Sache zu nutzen. Vom Schah fällt ein Drittel an ben Staat, ein Drittel an ben Eigenthümer bes Grunb unb Bodens, eins an ben Finber. Das Französische Recht stellt ben Sah auf: „Les diene, qui n’ont pas de mattre, appartiennent ä l’Etat“, scheint also bie O. prinzipiell zu verwerfen. „Allein es giebt eine O. in bem Sinne, baß bas Gesetz bem Einzelnen verstattet, gewisse Sachen, welche kraft Gesetzes bem Staate gehören, burch bloße Besitzergreifung sich zuzueignen." Betreffs bes Schatzes gilt im Wesentlichen bad Gemeine Recht, nur ist bie Definition bes art. 2279 eine engere. Das Sächsische BGB. giebt im Ganzen bas Gemeine Recht wieder: nur kann herrenlose Sachen, bei welchen ein ausschließliches Recht ber Zueignung in Bezirken ober auf einzelnen Grunbstücken besteht, nur ber Berechtigte burch Besitz­ ergreifung eigenthümlich erwerben. Detaillirte Bestimmungen finb gegeben für ben Schatz unb für bie Fundsache. IV. Reichsgesetzliche Vorschriften über bie O. finben sich in ber StranbungSorbnung vom 17. Mai 1874. Stranbtriftige Güter verfallen bem Staate, feetriftige können bem Berger obrigkeitlich zugewiesen werben. S. b. Art. Stranbrecht. Quellen: Tit Dig. de A. R. D. XLI. 1. — I. de R. D. U. 1 §811-19. — Cod. de thesauris X. 15, de omni agro deeerto XI. 59. — Für das Deutsche Recht dal.: Kraut, Grundriß, § 77. - Allgem. LR. I. 9 §§ 7—219, §§ 343-349. — AS. zur Deutschen «PO. vom 24. MSrz 1879 § 23. — Oesterr. Allg. BGB. §§ 880-402. - Code civil art 713-717, 2279. — Sächs. BGB. §§ 227—243. — Strandungsordnung für das Deutsche Reich vom 17. Mai 1874 (R.G.Bl. 6. 73 ff.). Lit.: Tie Werke über Eigenthum von Gesterding (6. 68—120) unb Pagenstecher (II. S. 57-93). - Schmidt, Handbuch, S. 51-71. — Sinteuis, Bd. I. § 50. — 60*

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Oldekopp — Oelrichs.

Arndts, § 154. — Windscheid, I. § 184. - Stobbe, Deutsches Privatrecht, Bd. II. §§ 91, 149 ff. — Gerber, §§ 90 ff. — Ueber verlorene Sachen: Delbrück in den Jahrbb. für Dogmatik, Bd. III. S. 1 ff. (vgl. auch Bd. X. S. 472). — Gimmerthal im Archiv für cito Praxis Bd. 52 S. 523 ff. — Ueber den Schah: Köchy, Civilist. Erörterungen, S. 158—275. — Schwach in Haimerl's V.J.Schr. XII. Nr. 4. — ©rti, Versuche, I. 3 und 4. Keil.

Oldekopp, Just, 8 1597 zu Hildesheim, wurde Advokat zu Hildesheim, Beisitzer des Konsistoriums in Hannover, dann in Halberstadt, 1660 in Braunschweig, wo er 1662 ausgewiesen wurde, ging nach Wolsenbüttel, f 19. II. 1667. Schriften: Cautel. crim. sylloge practica, Brunsv. 1633, 1639, 1654 (Obs. crim. practicae, Francos. 1698). — Tract. de appell. in causis crim., Halb. 1655; Colon. 1722. — Diss. de jurej. in alt. animam, Brunsv. 1662. — Wahrh. Beschreibung eines nie erhörten Prozesses der Stadt Braunschweig wider eine arme unschuldige Bauertochter wegen fälschlich zugemessenen Kindermordes, 1663, Wolfenb. 1664. — Contra * Carpzovium tract. duo, Brem. 1659, 1664, 1691. Bit: Jugler, IV. 117—125. — Biener, Beitr., 167, 168. — Nypels, Bibliothäque, 119. — Geib, Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, 1861, I. 295. Teichmann. Oldendorp, Johann, 6 1480 zu Hamburg, studirte in Rostock, Köln, Bologna (wo er 1515 Licentiat wurde), 1518 Doctor legum in Greifswald, kurze Zeit in Frankfurt a. O., dann bis 1526 Legum Ordinarius in Greifswald, Syndikus und Professor in Rostock, ging heimlich nach Lübeck als Syndikus, in diplomatischen Sendungen glücklich, kurze Zeit in Frankfurt Professor, dann in Köln, 1540 in Marburg, 1543 wieder in Köln, jedoch entlassen nach Marburg zurückkehrend, von Landgraf Philipp hoch ausgezeichnet, f 3. VI. 1567. Schriften: Rationes s. argumenta quibus in jure utimur, Rost. 1516. — De emtione et venditione redituum, Frcf. 1525. — Omnium fere temp. praescript. ex aequo et bono brevis enarratio, 1531. — Von radtslagende wo man gude Politik und ordenunge ynn Steden u. landen erhalden möghe, 1530 (hochdeutsch Rostock 1579). — Warhaftige entschuldinge Do et. I. Old. wedder de mordgirigen uprorschen schandtdichter und falschen klegern, 1533. — Formula investigandae actionis, Colon. 1538. — Actiorfum jur. civ. loci communes, Colon. 1539, 1605; Lugd. 1546; Genev. 1595. — Variarum lectionum libri ad jur civ. Interpret., Colon. 1540 (darunter Eldaytayr) juris naturalis s. element. introd. jur. nat. gentium et civil., Colon. 1539; Lugd. Gall. 1546; Viennae 1759, auch in Tract. tract., Lugd. 1549 fol. Vol. I. f. 46). — Actionum forensium pract. absolutissima, Colon. 1540 (Act. for. progymnasmata, Colon. 1543). — Collatio jur. civ. et can., Colon. 1541. — De jure et aequitate forensi disp., Colon. 1541. — Topica legalia, Marp. 1545, 1551; Lugd. 1545; Argent. 1600. — Enchiridion exceptionum, 2. ed. 1552. — Adsertiones ex jure et aequitate, Marp. 1553. — Ueberarbeitung der Loci juris communis, Marp. 1545, und Lexicon juris, Francs. 1546, 1553. - 0., Basil. 1559. — 0. min. ed. Roesener, 1592. Lit.: De Wal, Beiträge, 52, 53; Derselbe, in Bijdragen XV. 618, 619. — Hin­ richs, Geschichte der Rechts- und Staatsprinzipien, I. 19-27. — Kaltenborn, Vorläufer des Grotius, Leipz. 1848, S. 233 —236 und Abth. I. 1—25. — v. Stintzing, Geschichte der Deutschen Rechtswissenschaft, (1880) I. 311—338. — Strieder, X. 110—139. — Krabbe, Univ. Rostock, S. 374 ff., 402 ff., 416. - Kosegarten, Univ. Greifswald, S. 172 ff. — Stölzel, Entwickl. des gel. Richterthums, I. 50, 108, 415, 419; II. 185. — Koch, Vorrede zur PGO. § 4. — Harder, Ztschr. d. Vereins f. Hamb. Gesch., IV. 462. Teichmann.

Oldradus (de Ponte oder de Laude), z zu Lodi, war Assessor in Bologna 1302, lehrte 1307—10 zu Padua, Siena, Montpellier, advocatus consistorialis zu Avignon, f 1335. Schriften: Quaestiones. — 333 Concilia, Rom. 1472. — De legitimatione. Lit.: Savigny, VI. 55-59. - Rivier, 475. - Schulte, II. 232. Teichmann. Oelrichs, Gerhard, 8 8. I. 1727 zu Bremen, Rath und Resident in Frankfurt, dann Syndikus in Bremen, t 6. IV. 1789. Schriften: Gloss. ad stat. Bremensia antiqua, Francos. 1767. — Gesetzbücher, Bremen 1771. — Gesetze der Stadt Riga, Bremen 1773, 2. Aufl. 1780. — Thesaurus dissert. jurid. select, Brem. 1768—70. — Novus thes., 1771—82. — Coll. diss. jur. nat. et gent. in acad. Belg, habitarum, 1777. Lit.: Weidlich, II. 512. — Michaud. — Rivier, 542. Teichmann.

Lmpteda — Operie novi mtiatie.

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Omptebn, Dietrich Heinrich Ludwig von, 8 5. V. 1746 zu WelmSvon, wurde 1767 Assessor in Hannover, Gesandter in Regensburg 1788, t 1803. Schriften: Lit. bei gelammten natürlichen und positiven Völkerrecht-, Reaensb. 1785 (boju v. Kamptz, Neue Lit. bei Völkerrechts, Berl. 1817). — Gesch. bet RKG.Aifitationen,

Lit.: Nour. Biogr. generale univera., Par. 1862. — Ersch u. Gruber. — Bulmerincq, Praxis, Theorie unb Kodifikation bei Völkerrechts, Leipz. 1874, S. 91. — Mahl, I. 280. Teichmann.

Oosterga, vyprian Regner van, z 1614 zu Wollin, lehrte seit 1641 zu Leyden, f 1687. Schriften: De injustitia legum quarundam Romanarum, L. B. 1640, 2. ed. 1647. — Censur» Belgien in 1. 4 Institutionum, Traj. 1648, in 25 priores LL Pandectarum, Ultra). 1661, 65, in 12 1.1. Codicia Ultraj. 1666, in jus canon., Ultrqj. 1669, in Novellas, Ultra). 1669. Lit: de Wal, Oratio de Claris Frisiae jureconsultis, Leov. 1825, p. 43, 193—199, 443. — Rivier, 529. — Angler, II. 331 ff. Leichmann.

Operi» novi nuntiatio ist die außergerichtliche Ankündigung, daß man sich der Fortsetzung einer begonnenen Bauthätigkeit widersetze. Die BorauSsetzungen und Wirkungen dieses dem Römischen Stadtrechte entlehnten Rechtsmittels find heut­ zutage außerordentlich bestritten. Folgendes find die Ergebnisse der .Theorie und Praxis: I. Erfordernisse. A. Hinsichtlich deS Werkes. ES muß mit Grund und Boden Zusam­ menhängen (1. 1 § 12 h. t.), gleichgültig aber ist es, ob bje Errichtung, Ver­ änderung oder Riederreißung besserten in Rede steht. ES darf ferner noch nicht vollendet („futura opera“, 1. 1 § 1 h. t.) und es muß durch seine Fortsetzung ent­ weder ein öffentliches Interesse oder das des Nnntianten benachtheiligt sein. B. Hinsichtlich der Person des Nuntianten. L. 1 § 16 h. t: Nuntiatio fit aut Juris nostri conservandi causa aut damni depellendi aut publici Juris tuendi gratia. Die beidm ersten Fälle werden durch Ulpian in 1. 1 § 19 h. L dahin erklärt, daß nur derjenige nuntiirm könne „ad quem res pertinet“. Daher sind zur 0. n. n. berechtigt: 1) Der Eigenthümer eines Grundstücks „quia jus aliquifi prohibendi habet“. Dieses kann sich nach 1. 5 § 9 h. t. entweder stützen aus eitle causa natnralis, wenn durch die Anlage auf die Substanz deS Grundstücks eingevirkt wird, oder auf eine c. publica, wenn ein aus allgemein gesetzliche Bestimmungen, wie z. B. auf Baugesetze, begründetes Recht gesährdet wird, oder endlich auf eine imposititia, toenn eine aus Privatdisposition hergeleitete Befugniß verletzt wird. (Hierbei ist nammllich bestritten, ob die 0. n. n. zum Schutz aller Servituten gebraucht toerben kann; nach richtiger Meinung ist sie bei serv. praed. rustic. ausgeschloffen.) — Steht daS gefährdete Grundstück im Miteigenthum, so steht jedem Genossen die 0. n. n. für sich gegen einen Dritten, nicht aber gegen einander zu (1. 5 § 6; 1. 8 §§ 1, 2 h. t). 2) Jeder, welchem die utilis vindicatio eingeräumt ist, also der Superfiziar, Psandgläubiger (welche mit Unrecht von Stölzel auf die causa imposititia be­ schränkt werden), der Emphyteuta; nach richtiger Meinung wol auch der bon fid. poss. 3) Jeder, welchem durch den Bau eine solche Gefahr droht, daß er cautio damni infecti iordern könnte (1. 1 § 17 h. t.j. 4) Jeder mündige Bürger, wenn in loco sacro, religiöse, publico Etwas baulich verändert wird (1. 1 § 17; 1. 3 § 4; 1. 4; 1. 5 h. t.). Richt dagegen steht, wie z. B. Bachoien (Psandrecht, I. S. 104 ff.) will, die 0. n. n. einem Servitutberechtigten zu, welcher nicht Ggenthümer ist; auch der Nießbraucher kann nur int Namen des Eigcnthümers, also nur für biefen gegen Tritte die N. anitcllcn (1. 1 § 20; 1. 2 h. t.) und dem blos obligatorisch Be­ rechtigten wird ste stets versagt.

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Operis novl mintiatio.

C. Hinsichtlich deS Verfahrens. Sie kann sowol von dem Berech­ tigten selbst, als auch von einem Stellvertreter vorgmommm werden, der jedoch cautio de rato zu stellen hat (1. 5 § 18 h. t.; über die sehr bestrittme 1. 13 h. t vgl. Stölzel, S. 247). Die 0. n. n. hat nach 1. 5 § 4; 1.1. 10, 23 h. t, da sie »in rem fit, non in personam“ in der Nähe des Werkes selbst zu geschehen und die Erklärung muß, wenn sie sich nur aus einzelne Theile des Baues bezieht, dies genau bezeichnen (1. 5 § 15 h. t). Dabei ist ferner vorausgesetzt, daß der Einspruch gegenüber dem Bauherrn selbst vorgenommen werde oder in Gegenwart Eines seiner Leute, durch dm er Kenntniß bekommen kann, ohne daß ihm jedoch wirklich Mit­ theilung gemacht werden muß (1. 5 §§ 2—4; 1. 1 § 5; 1.1. 10, 11 h. t), niemals findet sie aber vor dem Prätor statt, wie z. B. Hesse, S. 587, u. A. wollen (1. 1 § 2 h. t). Weitere Förmlichkeiten werden nicht erfordert. (Ueber dm „jactus lapilli“ siehe 1. 5 § 10 h. L; 1. 20 pr. v. 43, 24.) II. Wirkungen. Jede Fortsetzung des Baue» nach erfolgter 0. n. n. ist widerrechtlich und berechttgt mittels des von den Neueren sog. interdictum de demoliendo zur Wiederherstellung des früheren Zustandes (1. 20 pr. § 4 h. t.) jedoch nach richtiger Meinung nur den Nunttanten selbst, nicht auch seine Universal- oder Singularsuccefiorm (1. 8 § 6 h. t.) außer nach verletzter N. (1. 20 § 6 h. t.). Passiv dagegen (abweichende Meinung bei Stölzel |S. 223 ff.], Baron sS. 530 ff.]) geht das int. de demoliendo auch gegen alle Succefforen des Nuntiaten, jedoch mit der Maßgabe, daß nur der Thäter selbst auf den vollen Ersatz des Schadens, seine Erben aus die Bereicherung, wie bei den Deliktsklagen und der sonstige Besitzer ad patientiam destruendi operis (1. 22 h. t.) haften (1. 8 § 7; 1. 23; 1. 20 §§ 7, 8 h. t.; 1. 3 § 3 D. 4, 7). Ganz gleichgültig bei dem interd. ist es, ob Nunttat ein Recht zu der ftaglichen Bauanlage hat oder nicht, da selbst, wenn ein solches vorliegt, bei verletzter Nuntiation Wiederherstellung des früheren Zustandes verlangt werden kann. Kläger hat nur die gehörige N. und die Fortsetzung des Werkes trotz derselben zu beweisen; streitig ist, ob er auch seine persönliche Nuntiationsbefugniß zu erhätten hat, was z. B. Stölzel, Windscheid u. A. leugnen. III. Aufhebungsgründe der 0. n. n.: 1) durch Verzicht, außer wo sie im öffentlichen Jntereffe geschehen ist (1. 1 § 10 h. t.; 1. 7 § 14 v. 2, 14). 2) Tod des Mntianten (1. 8 § 6 h. t). 3) Verlust des Grundstückes, wegen deffen der Nunttant Einspruch erhob (1. 8 § 6 eit). 4) durch Kaution des Nuntiaten (stipulatio ex 0. n. n., sog. cautio de de­ moliendo), wenn er Bürgen stellt, für den Fall, daß die richterliche Entscheidung zu seinen Ungunsten ausschlägt, auf eigene Kosten den früheren Zustand wieder her­ zurichten (1. 5 § 17 h. t. u. a. m.). Dieselbe Wirkung tritt ein, wenn Nuntiant die gehörig geleistete Kaution zurückweist (1. 5 § 17; 1. 20 §§ 9, 13 h. t). Streitig ist hierbei die Auslegung der 1. un. C. 8, 11. Nach vorjustinianischem Recht verlor die 0. n. n. ihre Kraft ohne Weiteres, wenn der Nuntiant nicht binnen Jahresfrist die Unrechtmäßigkeit des Baues nachwies; dies hob Justinian in der vorgedachten Kodexstelle auf; aber es fragt sich besonders, ob dadurch (wie auch durch c. 3, 4 X. 5, 32 bestätigt ist) dem Bauherrn das Recht der sofortigen Kautionsstellung ge­ nommen sei und er erst dann Kaution stellen und weiterbaucn dürfe, wenn ihm in jener Frist die Unrechtmäßigkeit seines Werkes nicht nachgewicscn (V a n g e r o w, III. S. 539), oder ob er sofort weiter bauen könne und ihm der Nuntiant binnen 3 Monaten sein jus prohibendi nachweisen müsse, nach deren ftuchtlosem Verlauf erst bei zu fürchtender Hinschleppung des Prozesses Kaution zu stellen sei (Hasse, Rhein. Mus., III. S. 619—625). — Darf der Nuntiat weiterbauen, so ist er gegen weitere Angriffe des Nuntianten durch das sog. interd. ne vis fiat aedificanti (1. 20 § 9 sqq. D. h. t.) geschützt. Bei der 0. n. n. im öffentlichen Interesse fiel dieses Inter-

Operis Bovi niintiatio.

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bist und die Kaution weg, doch mußte der Bauherr repromissio leisten, dem Nun­ tianten die Kosten der Zerstörung zu ersetzen (1. 20 § 13 h. t). 5) durch Remission. Nuntiant kann beim Richter (int Röm. Recht extra ordinem, 1. 1 § 9 b. t.) Gestattung zum Weiterbau beantragen, welche ihm auch ertheilt wird, wenn eine der Voraussetzungen zur 0. n. n. fehlt, oder ein gültiger Verzicht vorliegt oder das öffentliche Wohl (1. 5 § 12 h. t), bzw. die Natur des Werkes keinen Auffchub dulden (1. 5 § 12 h. t.). Einige meinen sogar, daß dieses Gesuch um Remission nur nützlich, aber nicht nothwendig sei, und lassen die Fun­ damente derselben auch als Einreden gegen das interd. de demol. gelten. (Die übrigen gerade über die Remission auseinandergehenden Ansichten bei Wind scheid, § 466, Anm. 9.) Uebrigens wird weder bei dem interd. de demoliendo, noch bei der Remission über das jus prohibendi des Nuntianten oder über das jus aedificandi des Nuntiaten entschieden; die Erörterungen hierüber bleiben, mag das Werk fort­ gesetzt werden oder nicht, einem besonderen petitorischen Verfahren Vorbehalten. Jene Entscheidungen wirken nur so weit, als der Nuntiant, wenn Nuntiat weiter bauen darf, im sämtlichen Prozeß die schwierige Rolle des Klägers hat (daher die War­

nung Ulpian's in 1. 5 § 10 h. t). Allein auf jene Parteirolle, den Verlust der Selbsthülfe und poffefforischen Rechtsmittel wollen Einige die Worte in 1. 1 § 6; 1. 5 § 10 h. t.: Jn operis novi nuntiatione possessorem adversarium facimus“ beziehen, wahrend fie^durch Andere dahin ausgelegt werden, daß her juristische Besitz

aus den Nuntiaten übergehe. Heutzutage ist selbstverständlich die Popularklage bei der 0. n. n. publici juris tuendi gratia weggefallen, auch pflegt in der Regel sogleich vom Nuntianten ein Antrag auf gerichtliches Verbot gestellt zu werden (so auch nach Französisch­ rechtlicher Praxis). Die Anwendung der 0. n. n. ist im heutigen Gemeinen Recht bestritten; sie wird besonders von Stölzel (S. 353, 527, 550) wegen des an­ geblichen Gebrauchs einer bestimmten Formel im Röm. Recht, die jetzt nicht vor­ handen sei, geleugnet. Allein abgesehen davon, daß in den Quellen von dieser feierlichen Formel nirgends die Rede ist, ist auch das Bauverbot von dem Gebrauch einer solchen nicht abhängig, und die Praxis hat die 0. n. n. in vielen Entschei­ dungen als bestehendes Institut anerkannt. Nach der Deutschen CPO. § 814 kann die 0. n. n. durch Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung offenbar eingeleitet werden. Jn den neueren Partikularrechten ist meistens durch baupolizeiliche An­ ordnungen, wie z. B. in Württemberg (Rehscher, Privatrecht' I. § 136 Nr. 4) jedem Rechtsstreit vorgebeugt. Besonders ist dies im Allg. LR. geschehen. Jn der Regel muß die Anlage eines neuen Baues der Obrigkeit angezeigt werden, die auch die Befugniß hat, einen Bau, der ohne Anzeige erfolgte, niederzureißen. Ebmso entscheidet bei Mühlen und bei den Verhältnissen der Nachbargrundstücke in Bezug auf Vorfluth die Polizeibehörde ohne Gestattung des Rechtsweges (Mühlenedikt vom 28. Oktober 1810, §§ 7, 8. Vorfluthsedikt vom 15. November 1811, §§ 5, 15). Jn einzelnen Fällen findet zwar ein Widerspruchsrecht des Privaten Anwendung; dies muß jedoch, so beim Bauen auf fremdem Boden, dem Bauunternehmer gericht­ lich zugestellt werden (I. 9, 332. Gruchot, Beiträge, VII. 291. Weitere Streit­ fragen bei Förster, Privatrecht, III. S. 199, Anm. 39). Ein Anklang an die oben erwähnte Kontroverse des Gem. Rechts ist endlich in der Bestimmung zu finden, daß gegen eine neue Anlage bei allen Servituten ein Widerspruch gestattet wird (1. 22 §§ 43, 45). Quellen: Tit D. 39, 1 de operis novi nuntiatione. — Tit D. 43, 25 de remissionibus. — Tit C. 8, 11 de operis novi nuntiatione. Bit.: S. übrigens Weiske'S Rechtslexikon VII. S. 580. —Schmidt in der Gießener Ztfchr. N. F. 8 S. 17. — Zimmermann im civ. Arch. XXXVII. S. 218. — Stölzel, Die Lehre von der O. n. n. und dem interd. quod vi aut clam. — Baron, Rec. der Stölzel'schen Schrift in der Krit. D.J.Schr. VN. S. 483-489, 511-530. — Hesse, Die Rechtsverhältnisse zwischen Grundstücksnachbarn, II. S. 79—102. — Karlowa, Beitr. zur

952

Oppenheim — Oppenhoff.

Geschichte des Röm. Eiv.Prz., S. 59—89. — Wiederhold,. Das int. ut poss. und die op. nov. nunt., Hanau 1831. — Reinhard, Erl. des Pand.-Tit. de op. nov. nunt., Stuttgart 1820. — Hasse im Rhein. Museum III. 579 ff. — Polis. De oper. nov. nunt. Traj. ad Rhen., 1853. — Hesse, Das Einspruchsrecht gegen Bauunternehmungen und andere Ver­ änderungen an Grundstücken, Leipz. 1866. — Franke im Arch. für civ. Prax. XXII. S. 376. — Burkhard, Die qneris novi nuntiatio 1871 (Krit. V.J.Schr. XVII. S. 242 ff.). — Heinzerling, Arch. f. civ. Praxis Bd. 53 S. 7 (1870). —Weitere Lit. bei Vangerow, III. § 676. — Koch, Preuß. Privatrecht, § 603. — Förster, Theorie und Praxis, I. S. 530 Anm. 3; II. S. 467 Anm. 3; III. S. 147, 199 Anm. 39, S. 320 Anm. 57. Kayser.

Oppenheim, Heinrich Bernhard, 8 27. VII. 1819 zu Frankfurt a/M., studirte in Göttingen, Heidelberg und Berlin, habilitirte sich für kurze Zeit in Heidel­ berg, leitete mit Rüge 1848 die „Reform", entzog sich drohender Verfolgung durch Flucht ins Ausland, übernahm 1860 zurückgekehrt die Redaktion der „Deutschen Jahrbücher", in welchen er mit Lasker und Twesten den Kampf für Verfassung und Freiheit fortführte, 1874—76 im Reichstag, f 29. III. 1880. Schriften: Der freie deutsche Rhein, Stuttg. Tüb. 1842. — Ueber das Verbot gegen Verlagsfirmen, 1844. — Betrachtungen über die Regierungsfähigkeit und die Regentschaft, mit besonderer Beziehung auf die hannoversche Thronfolge, Stuttg. 1844. — Syst. des Völker­ rechts, Franks. 1845, 2. Aufl. Stuttg. 1866. — Philosophie des Rechts und der Gesellschaft und das öffentliche Recht Deutschlands, Stuttg. 1850. — Prakt. Handb. der Konsulate aller Länder, Erl. 1854. — Vermischte Schriften aus bewegter Zeit, 1866. — Vor und nach dem Krieg, 1869. — Ueber Armenpflege und Heimathsrecht, Berl. 1870. — Friedensglossen zum Kriegsjahr, Leipz. 1871. — B. F. L. Waldeck, der Führer der preuß. Demokratie, Berl. 1873. — Der Katheder-Sozialismus (2), Berl. 1873. — Gewerbegericht und Kontraktbruch, Berl. 1874. — Die Hülfs- und Versicherungskassen der arbeitenden Klassen (Zeit- und Streit­ fragen 56), Berl. 1875. — Aus der Geschichte der englischen Kornzölle (Volkswirthsch. Zeit­ fragen Heft 3), Berl. 1879. — Die Gewerbefreiheit und der Arbeitsvertrag (Deutsche Volks­ schriften, Bd. 5), Bresl. 1879. Lit.: Rational-Ztg. 1880 Nr. 148. — Gegenwart 1880 Nr. 15. — Oppermann, Hundert Jahre, Leipz. 1870. — Deutsche Revue IV. (1880) S. 350—366. — Jllustr. Leipz. Ztg. Nr. 1922. — Augsb. Allg. Ztg. 1880 S. 1351, 1384. — Revue de droit international XII. 336. — Mohl, I. 395, 409, 433; II. 369. — Kaltenborn, Kritik, 220—226. — Gubernatis, Dizion. Biografico, 1880 p. 777. Teichmann.

Oppenhoff, Friedrich Christian, aus einer bekannten Rheinisch-West­ fälischen Juristenfamilie. Der Großvater von väterlicher Seite, Theodor, war Prokurator und Notar zu Bonn, legte aber später Amt und Würden nieder, weil er es verschmähte, der Französischen Republik zu dienen. Der älteste Sohn, Karl Joseph Maria, wurde Advokat, dann Richter in Recklinghausen, dann Staats­ anwalt in Mülheim a/RH., zuletzt 1820 Landgerichtspräsident für Cleve u. t 15. II. 1843. Der ältere Sohn des Letzteren, Friedrich Christian, z 28. XII. 1811 zu Recklinghausen, studirte in Göttingen, Bonn und Berlin, wurde 1841 Assessor in Aachen, kurze Zeit in Köln, dann Staatsprokurator in Aachen, entwarf die von den Ständen fast unverändert angenommene Hannov. StrafPO. von 1850, die Grundzüge der von Leonhardt ausgearbeiteten CPO., vertrat 1849—50 den mit legislatorischen Arbeiten betrauten Dr. Heimsoeth (jetzt Oberlandesgerichtspräsident zu Köln), kurze Zeit Oberprokurator in Trier, 1853 Oberstaatsanwalt am Königl. Obertribunale in Berlin, in welcher Stellung er in Straf-, wie in Civilsachen Her­ vorragendes leistete. Im Jahre 1861 wurde er zum Mitglied der Kommission zur Ausarbeitung einer Preuß. CPO., 1865 zum Mitglieds der Justizprüfungs­ Kommission ernannt, 1868 von der Universität Bonn zum Ehrendoktor kreirt. Als Reichstagsmitglied nahm er noch an der dritten Lesung des Strafgesetzbuchs Theil und war unter der nach Versailles im Dezember 1870 abgesandten Deputation, f 14. XII. 1875 zu Berlin. Schriften: Das StrafGB. f. d. Preußischen Staaten, Berlin 1856 (6. Aufl. 1869), für den Norddeutschen Bund, Berl. 1871, für das Deutsche Reich 1872 (6. und 7. Aufl. besorgt von seinem jüngeren Bruder, jetzigem Ersten Staatsanwalt beim Landgericht Aachen, dem Verfasser des Komment, zu dem Preuß. Gesetze über die Ressortverhältnisse, Berl. 1863, und

Opportunitätsprinzip.

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eines Komment, zum Preuß. Berggesetz, Berl. 1870). — Die Preuß. Gesetze über das mündliche und öffentliche Verfahren in Strafsachen, Berl. 1860. — Gr gab die ersten 16 Bünde der Rechtsprechung des Kgl. OTrib. in Strafsachen, Berl. 1861—1875, heraus, (weitere vier [bi$ 1880] die GeneralstaatSanwaltschast). — Einzelne feiner trefflichen Konklusionen stehen in Striethorst, Archiv, Bd. 38 S. 16ff. und Brassert-Achenbach, Zeitschr. für Bergrecht Bd. 12 S. 182-184. Lit.: Berner, Strafgesetzgebung, Leipz. 1867, S. 271, 272; Derselbe, Strafrecht, (11) 1881, S. 109. — Meyer, Lehrb. des Deutschen Strafrechts, (2) 1877 S. 94. — Sonnenschmidt, Geschichte deS Kgl. OTrib., Berl. 1879, S. 310, 366. — Preuß. Staatsanzeiger Nr. 296 vom 16. Dez. 1875. — Germania 1875 Nr. 287. Teichmann.

Opportunitätsprinzip. Der herkömmliche Gegensatz zwischen absoluten und relativen Straftheorien ergreift den Strafprozeß und die Organisation der Straf­ verfolgungsbehörden insoweit, als den Nützlichkeitstheorien das sog. O. den absoluten Theorien das sog. Legalitätsprinzip in der Strafverfolgung entspricht. Seit der nach Französischem Muster geschehenen Einführung der Staatsanwaltschaft ist insbesondere in Deutschland die Frage erörtert worden, ob bei der Erhebung von Anklagen die Pflicht, den Verbrecher zur Rechenschaft zu ziehen, allein maßgebend fein soll, oder außerdem — in Gemäßheit des O. auch der öffentliche Nutzen oder das öffentliche Jntereffe zu Rathe zu ziehen sei. Der Französische Prozeß, der dem Beschädigten gestattet, in selbständiger Weise seine Entschädigungsansprüche vor dem Strafrichter geltend zu machen, unterscheidet mit der action civile und der action publique auch das Privatinteresse im Gegensatz zum öffentlichen Interesse, deffen Repräsentant das ministere public sein soll. Grundsätzlich ist außerdem zu untersuchen, ob bie' Strafverfolgung ihrer Natur nach als verwaltungsrechtliche Angelegenheit (Gneist, Glaser) oder straftechtliche Funktion (v. Schwarze, v. Holtzendorff) zu üben ist. Es dürfte fehlerhaft sein, deswegen, weil die Staatsanwaltschaft als Verwaltungsbehörde fungirt, anzunehmen, daß die Straf­ verfolgung als Zweckmäßigkeitsangelegenheit zu betreiben sei. Begriffsmäßig verletzt jedes Verbrechen, als Angriff auf die Gesammtordnung der Gesellschaft, auch das sog. öffentliche Jntereffe. Wo durch Bestrafung im einzelnen Fall Nachtheile entstehen, mag Begnadigung, Antragsberechtigung, bedingte Strafloserklärung den ordentlichen Lauf des Rechtes hemmen, und es wäre eine schwere, das Rechtslebm schädigende Inkonsequenz, die abolitio specialis dem Souverän zu verbietm, andererseits aber vermöge des O. der Staatsanwaltschaft die Befugniß einzuräumen, aus Nützlich­ keitserwägungen die Strafverfolgung zu unterlassen. Was öffentliches Jntereffe fei, läßt sich nicht einmal mit Bestimmtheit sagen oder definiren, so daß nicht nur die Anwendung, sondern selbst die Feststellung dieses Begriffes dem Ermessen abhängiger Verwaltungsbeamten zu überlassen wäre. Nur in negativer Richtung ließe sich sagen, daß das öffentliche Jntereffe gleichzeitig den Gegensatz gegm den Privatvortheil und andererseits auch gegen das bloße Parteiinteresie politischer Art oder gegen lokale, gesellschaftliche Interessen, zur Voraussetzung habe. Die Anhänger der O. gehen in doppelter Richtung auseinander, insofern sie entweder Alles dem Ermeffen der Staats­ anwaltschaft ausschließlich überlaffen wollen (sog. Anklagemonopol) oder den der öffentlichen Ordnung schädlichen Unterlassungen der Behörde eine Korrektur durch subsidiäre Pinvatanklage int weitesten Umfange zur Seite stellen wollen (Gneist). Nach der Deutschen StrafPO. ist das Legalitätsprinzip als Regel aufgestellt; die Staatsanwaltschaft ist, wo die gesetzlichen Bedingungen der Strafbarkeit (nach ihrer Ansicht) vorliegen, zum Einschreiten gegen die Schuldigen verpflichtet (§ 152). Aus­ nahmsweise kommt aber auch das O. zur Geltung: nach der Bestimmung des 8 416 der RStrafPO. und vorzugsweise nach 8 4 des RStrafGB. bezüglich der int Aus­ lande begangenen Reate, wobei namentlich die Verhältnißmäßigkeit des erhöhten Kostenaufwandes zu einer voraussichtlich nur geringen Strafe zur Erwägung steht. Da der § 152 der RStrafPO. lediglich der Staatsanwaltschaft gedenkt, so kann bezweifelt werden, ob auch die Amtsanwaltschaft gehalten ist, dem Grundsätze

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Option.

der Legalität zu folgen. In Bergehensfällen wird ohne Rücksicht auf prozessualische Kompetenzbestimmungen das O. als Regel ausgeschloffen bleiben; dagegen laßt sich nicht verkennen, daß bei Polizeistrafgesetzen und Polizeiverordnungen nach der Natur der Sache der öffentliche Nutzen vorwiegend berücksichtigt werden sollte, zumal auch bei Zuwiderhandlungen gegen die Vorschriften über die Erhebung öffentlicher Ab­ gaben und Gefälle (RStrasPO. § 464) die Anklagebehörde ein freies Ermeffen übt. Ob auch die Landesgesetzgebung in Deutschland unter Berufung auf § 3 des EG. zur RStrasPO. Abs. 2 und 3 das LegalitätSprinzip außer Wirksamkeit setzen kann, erscheint nicht unzweifelhaft (bejaht von Geher). Lit.: S. d. Art.StaatSauwaltschast n. Privatanklaae. Außerdem: v. Schwarze in v. Holtzendorff'S Handbuch deS EtrafPrz.R., II. S. 582 ff. — Dochow, RStraMrz., § 29; Derselbe, Zur Reform bei EtrafPr^.R., in v. Holtzenoorff'i Jahrbuch f. Gesetzaebung 1875 S. 462 ff. — Glaser, Prinzip der Strafverfolgung. — Mittermaier im Gerichtisaal Bd. X. E. 292. - Ullmann, StrafPrz., E. 248. — Geyer, Lehrbuch bei gemeinen Deutschen StrafPrz.R., 1880, S. 406. v. Holtzendorff.

Option (Staatswahl). Die Einverleibung eines Staates oder Staats­ theiles in einen anderen Staat ist nach Völkerrecht hinsichtlich ihrer Rechtskraft nicht bedingt von der Zustimmung der jenes Gebiet bewohnenden Menschen. Die Plebis­ cittheorie Romanischer Schriftsteller ist, wenn auch neuerdings mehrfach durch die Praxis Romanischer Staaten bekräftigt, keineswegs allgemein anerkannter internatio­ naler Grundsatz geworden. Sie entbehrt für monarchische Staaten völlig jeder inneren Begründung, während sie allerdings als Konsequenz des republikanischen Staatsgedankens vielleicht gerechtfertigt werden kann. (Aus dem Deutschen Recht kann für die Plebiscittheorie nur der jetzt beseitigte Art. V des Prager Friedens von 1866, Nordschleswig betr., citirt werden. Die Literatur über das Plebiscit citirt Störk, S. 50, vgl. ebenda S. 47 ff. über die Stellung von Hugo Grotius zu der Frage, S. 63 ff., gegen Bluntschli.) Die internationale Praxis hat vielmehr zum Schuhe der Individuen bei Wechsel der Staatsgewalt das Institut der O. ausgebildet, welches jetzt feit Jahrhunderten eine wenig unterbrochene (Französische Revolution, Napoleon I.) Uebung für sich hat. Kraft des Rechtes der O. wird bei Wechsel der Staats­ gewalt den Bewohnern des betreffenden Gebietes die Möglichkeit gewährt, dem früheren Staatsverbande treu zu bleiben, obwol an dessen Stelle ipso jure durch die Eroberung die neue Staatsgewalt über Land und Menschen getreten ist. Die O. besteht in einer ausdrücklichen Erklärung des Individuums zu Gunsten des bisherigen Staatsverbandes; dieser Erklärung hat die Ueberwanderung in das dem alten Staate verbliebene Gebiet nachzusolgen; für Abgabe der Erklärung, sowie Verlegung des Wohnsitzes werden bestimmte Fristen gesetzt. Die frühesten Bestimmungen dieser Art finden sich im Reichsabschied von 1530 (§ 62), definitiv fixirt im Westfälischen Frieden (§ 36, Art. V, — beneficium emigrandi für diejenigen, welche die Staatsreligion nicht annehmen wollen), sodann im Rhswicker Frieden von 1697, seitdem in allen Friedensschlüssen, welche Gebiets­ abtretungen enthielten, ausgenommen die meisten Französischen v. 1790—1813 (keine O. im Preßburger und Tilsiter Frieden, 1806, 1807); besonders wichtig für die Technik des O.wesens ist der Züricher Friede von 1859 geworden; die sämmtlichen Großmächte haben den Grundsatz der O. sanktionirt im Grenzregulirungsvertrag vom 20. Nov. 1815, Art. VII. — Die Anerkennung der neuen Staatsgewalt wird bei allen denjenigen Personen, welche in dem abgetretenen Gebiete 1) geboren sind („originaires“) oder 2) ihr Domizil haben („ domicilids“) präsumirt, falls sie nicht binnen der gesetzten Frist die O.erklärung abgegeben linb die Ueberwanderung vollzogen haben; wird letztere unterlassen, so wird auch erstere wirkungslos; nur scheinbare Aus-

Option.

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Wanderung (z. B. toenn nach kurzer Zeit wieder die Rückkehr in das frühere Do­ mizil erfolgt) wird juristisch nicht als solche anerkannt (vgl. über diesen im Deutschen Reichstag theilweise mit kaum zu rechtfertigender Sentimentalität behandelten Punkt, Stork, 35, vgl. auch ebenda 85, 167 über den animus non revertendi; Stork empfiehlt ein ausdrückliches Rückkehrverbot um Auswanderungen in fraudem legis auszuschließen); die Ueberwanderung ist zu gestatten ohne Beschwerung mit beson­ deren Abgaben; hinfichtlich der Immobilien der Optirmden kann Fortsetzung des Eigenthums gestattet oder Veräußerung vorgeschrieben werden. Die Fristen werden entweder nach Jahren, Monaten, Tagen (meist wurde die O.frist auf 2 Jahre be­ stimmt, im Breslauer Friedensvertrage von 1742 fünf Jahre, in neueren Friedmsschlüffen auf sechs Jahre, so Wien 1864) oder kalendarisch fixirt (so im Frankfurter Frieden vom 10. Mai 1871, bezw. dem O.formular auf 1. Oft. 1872). O.berechtigt find alle zur Abgabe einer rechtswirksamen Willenserklämng fähigen Per­ sonen, also auch selbständige Frauen. Ob und in welcher Weise Minderjährige und andere willensunfähige Personen optiren können, hängt von den civilrechtlichen Be­ stimmungen des betr. Staates ab. Jrn Allgemeinen wird man annehmen dürfen, daß für solche Personen die O. durch den gesetzlichen Vertreter zu erfolgen habe. (Rach Französ. Civilrecht müssen Minderjährige, einerlei ob emanzipirt oder nicht, überhaupt als optionsunfähig erachtet werden. Der andere Satz des Französ. Civil­ rechtes [Code civil art. 9], daß Minderjährige bis ein Jahr nach erreichter Groß­ jährigkeit die Franzöfische Staatsangehörigkeit reklamirm dürfen, falls fie durch eine Gebietsabtretung faktisch unter die Botmäßigkeit einer anderm Staatsgewalt kamen, wurde von Deutscher Seite entschieden abgewiesen, da die Konsequenz deffelben wäre, daß auf Jahrzehnte hinaus keine feste Ordnung der Staatsangehörigkeit der Be­ völkerung gewonnen werden könnte. S. hierüber die Verhandlungen des Reichstages, 1878, Sten. Ber. 356 [Abg. Ressels 358 [Unterst.Sekr. Herzogs Deutscher­ seits nahm man an, jeder Minderjährige unter väterlicher Gewalt theile die Staats­ angehörigkeit des Vaters; im Uebrigen ließ die Verwaltung eine O. der emanzipirten Minderjährigen zu, während das ROHG. als KaffationShof für Elsaß-Loth­ ringen dieselbe für ungiltig erklärte.) Bei völligem Untergang des alten Staates wird eine O. bis jetzt nicht an­ erkannt (vgl. die praktischen Fälle, welche Störk, 150 ff., erzählt). Im Einzelnen ist die Praxis des O.wesens bis jetzt leider eine höchst un­ geordnete; fast bei allen neueren Friedensschlüffen haben sich viele und große Schwierigkeiten ergeben; in ganz besonders hohem Grade war dies der Fall bezüglich des Frankfurter Friedens vom 10. Mai 1871, theils aus allgemeinen durch die bis­ herige Praxis nicht ficher entschiedenen Gründen, theils speziell wegen der Wortfaffung des Friedensinstrumentes, Art. II. („originales domicili6su statt wie z. B. im Züricher Frieden von 1859: „originales ou domiciliös“, Deutsch: „den aus den abgetretenen Gebieten herstammenden, gegenwärtig in diesem Gebiete wohn­ haften Französischen Unterthanen": danach mußten, um Franzosen zu bleiben, optiren 1) alle Personen, welche im Reichsland geboren und domizilirt waren; 2) alle diejenigen, welche im Reichsland geboren waren, aber nicht ihr Do­ mizil hatten; dagegen vernlochte man sich nicht zu einigen hinfichtlich einer britten Kategorie, nämlich derjenigen Personen, welche nicht im Reichsland geboren, aber daselbst domizilirt waren; man erachtete diese Kategorie Franzöfischerseits für Franzosen, Deutscherseits für Deutsche, sofern nicht innerhalb der gesetzten Frist die O.erklärung und Ueberwanderung erfolgt war. Lüning und Mitscher wollen nur dem Domizil bei der O. Rechnung getragen wiffen, die Originität aber völlig unberücksichtigt laffen, s. darüber und dagegen Störk, 165 ff.). Die O.frage wurde mehrfach verhandelt im Elsaß-Lothringischen Landesausschuß, die betreffenden Verhandlungen bieten aber wenig mehr als Wünsche und Klagen.

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OralsiveltoMmtß — Orden.

Dagegen find die Verhandlungen deS Deutschen Reichstages vom 6. März 1878 (Sten. Ber. S. 352—371, auch als Broschüre gesondert publizirt unter dem Titel: Die Optantenfrage vor dem Deutschen rechtliche Beurtheilung der Frage von

Reichstag, Berlin 1878) für die staats­ Mchtigkeit (speziell die Reden der Abg.

Grad, Ressel und v. Stausfenberg, sowie besonders deS Staatssekretärs Herzog). Die neuerdings auf Grund Kaiserlicher Ordre niedergefetztc Spezialkommisfion zu Straßburg wird für die praktische Erledigung der einzelnen Äon« troversen unzweifelhaft ein reiches Material zu Tage fördern, deffen zweckmäßige Publikation erwünscht wäre. Bit: Stört, Option und Plebiscit (1879) (hier auch S. 35 N. 22, Da- offizielle Option-formular für Elfaß-Lothringea auf Grund von Art. II. des Frankfurter FriedensVerträge- vom 10. Mai 1871). — Löning, Dir Derwaltung des Generalgouvernements im «faß (1874) 6. 197—230. — Lafson, Prinzip und Zukunft M Völkerrechtes. S. 83. — v. Holhendorsf, Eroberungen und Eroberungsrecht. — Hepp, Da droit äOption des Alsaciens* Lorraine. — Miischer in Preuß. Jahrbb. Bd. 33 S. 401 ff. — Zeller ebenda, Bd. 26 S. 627 ff. — Zorn im Reuen Reich, 1881, L 55—63. Zorn.

Ornlsideikommiß (Th. I. S. 460) oder fideic. heredi (onerato) praesenti injuDctom nennt ungenau die neuere Schulsprache daS eigenthümliche Rechtsinstitut, in welchem Justinian das alte formlose Fideikommiß des Augustischen Zeitalters wiederzubeleben suchte: ein Bermächtniß, spezielles oder universales, welches vom Erblaffer durch formlose aber direkte Mittheilung an den Onerirten diesen, auserlegt worden, und besten Existenz der angeblich Honorirte, bereit zu vorgängigem Kalumnirneide, dem angeblich Onerirten zur Eideshand verstellt. Voraussetzung ist also nicht die Behauptung mündlicher, oder in Gegenwart des Onerirten erfolgter Auflage, sondern die Behauptung 1) der vom Erblaffer an den Onerirten selbst, gleichviel ob mündlich, schriftlich oder wie sonst immer geschehenen Auslage, 2) des nach Inhalt und Gegenstand bestimmten oder doch bestimmbaren, dem Petenten zu­ gewendeten Vermächtnistes. Die bloße Behauptung der Existenz eines Vermächtnistes genügt nicht, da die Inhaltsbestimmung weder dem Onerirten zugemuthet, noch vom Richter ermessen werden kann. Die Verstellung zum Wahrheitseide ist das einzig zuläsfige Beweismittel; der Onerirte kann den Eid weder zurückschicben, noch sein Gewissen mit Beweis vertreten. Schwört er, so ist die Wahrheit seiner Ableugnung festgestellt, das Bermächtniß nicht vorhanden; weigert er den Eid oder gar die Er­ klärung über das Petitum, so muß er das Verlangte entrichten, soweit es seine Honorirung nicht übersteigt. — Diese Mißgeburt, obgleich kaum lebensfähig, wurde vom Gem. Recht zwar rezipirt, und in Doktrin und Praxis verschieden gedeutet, in Partikularrechten aber vielfach umgebildet, wobei immer einzelne der gemeinrecht­ lichen Mißdeutungen sich forterbten. Das Preuß. LR. kennt ein vom Erblasser dem gegenwärtigen Erben (oder einem der Miterben) mündlich ausgetragenes, indeß durch jedes zulässige Mittel beweisbares Bermächtniß, jedoch beschränkt aus den zwanzigsten Theil der Erbportion bez. des Nachlasses. In Sachsen war die Be­ schränkung auf den Eidesantrag bereits früher gesetzlich beseitigt; das BGB. läßt daher die Beweisfrage unerwähnt, und verfügt: der Erblasser könne auch ohne alle Form in Gegenwart seiner Erben oder Vermächtnißnehmcr denselben mündlich oder in über­ gebener Schrift Vermächtniste auslegen; bei Onerirung Mehrerer mit Einem Vermächtniffe genüge schon die Erklärung an einen derselben. Den übrigen neueren Gesetzbüchern, so dem Oesterr. und dem Code civ., blieb das sog. O. fremd. Lit. u. Quellen: Arndts in Glück'- Komm.Bd.47 S.341 ff. —Windscheid, Lehrb-, ID. § 629. -1. ult. C. 6, 42. — § 12 Inst. 2, 23. — Preuß. Allg. LR. I. 12 172 ff. — Sächf. BGB. §§ 2384 ff. — Vgl Decis. 11 v. I. 1746. — Mommsen, Erbr-Entwurf, S- 361. Schütze.

Orden, geistliche (Jesuiten, Brüderschaften, Th. I. S. 669). I. O. 1) Geschichtliche Uebersicht. Der Drang nach Askese ries zunächst in Aegypten im vierten Jahrhundert das Mönchsthum hervor. Nachdem es bald

Orden.

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daraus durch den hl. Martin in Gallien, Ambrosius in Italien und Augustin in Afrika heimisch geworden war, wurden die verschiedenen, für das gemeinschaftliche Leben der Mönche bestehenden Einrichtungen durch die von dem Stifter des Klosters Monte Cassino (bei S. Germano in Campanien) Benedikt von Nursia verfaßte Regel (um 529) verdrängt, weil sich diese durch ihre Verbindung der Askese mit mannigfachen praktischen Beschäftigungen und durch Versöhnung der ersteren mit den Anforderungen des Lebens als besonders brauchbar erwies. So hat der O. der Benediktiner für die Urbarmachung unkultivirter Länder, für Erziehung und Unter­ richt, sowie für die Wiffenschaft (durch Abschreiben alter Manuskripte, Nieder­ schreiben von Chroniken und Annalen, später durch selbständige kritische Ausgaben und historische Werke) sich unvergängliche Verdienste um die Bildung der Mensch­ heit erwerben können. Nach dem Vorgänge Augustinas wurde im achten Jahrhundert die asketische Lebensweise auch auf den Weltklerus, besonders auf die Domkapitel (daher die sog. monasteria canonicorum) übertragen, aber mit der der Regel Bmedikt's widersprechenden Festhaltung des Privateigentums und des Rangunterschiedes war der Keim zu dem Verfall dieser Einrichtung schon von selbst gegeben. Ja dieses Vorbild führte dann in Verbindung mit dem Umstande, daß die von den Fürsten imb Bischöfen gestifteten Klöster als deren Eigenthum galten, zu der Locke­ rung der Klosterdisziplin. Erst im 10. Jahrhundert treten wieder Reformbestre­ bungen auf und das Mönchsthum erlangte dadurch einen bedeutenden Einfluß auf die kirchlichen und geistigen Bewegungen, daß sich eine Reihe von Benediktinerklöstern zu einem freien selbständigen Verbände (sog. Kongregation) behufs Beobachtung einer sich an die alte Regel anschließenden, verschärften Disziplin unter gemeinschaftlicher Oberleitung durch einen Abt eines Klosters zusammenthaten. Die erste und be­ rühmteste dieser Kongregationen, die des Klosters Clugny, hat noch im Laufe des 10. Jahrhunderts die gesammte Klostergeistlichkeit Frankreichs und Burgunds be­ herrscht, einen weitgreifenden Einfluß auch auf Italien ausgeübt und sogar ihre Reformbestrebungen schon im Bunde mit der päpstlichen Gewalt auf die Weltgeist­ lichkeit erstreckt. Im Gegensatz zu der im 11. Jahrhundert in Folge der Erwer­ bung unermeßlicher Reichthümer und der Exemtion von der bischöflichen Gewalt auch bei den Clugniacensern eintretenden Zuchtlosigkeit entstanden dem asketischen Drange der Zeit entsprechend unter völliger Loslösung von den Benediktinern eine Reihe anderer O., die Camaldolenser (von Romuald gestiftet), die O. von Vallombrosa, von Fönte Avellana, die der Karthäuser und Cistercienser. Namentlich der letztere, welcher sich im strengen Gegensatze zu den üppigen Clugniacensern hielt, er­ langte im 12. Jahrhundert die hervorragendste Bedeutung, zugleich wurden seine auf Cmtralisirung der Leitung sämmtlicher Klöster unter einem Generalkapitel als oberster gesetzgebenden und leitenden Behörde gerichteten Einrichtungen (geregelt durch die sog. Charta charitatis von 1119) das Vorbild für die spätere O.versaflung. Dem kriegerisch-religiösen Zuge der damaligen Zeit verdankten ferner die zur Be­ kämpfung der Ungläubigen bestimmten, Ritter- und Mönchsthum vereinigenden Ge­ nossenschaften, die Templer, Johanniter und später die Deutschritter ihre Entstehung. Das 13. Jahrhundert weist endlich eine neue Richtung des Mönchslebens in den Bettel-O. am, welche zum ersten Male die au? die große und ungebildete Masse wirkende Mission durch Seelsorge und Predigt als ihren Hauptberuf hinstellten, und gegenüber den alten üppigen O., in denen der Einzelne des Eigenthums und Ver­ mögens unfähig, das Gelübde der Armuth auch auf die Klöster und den ganzen O. ausdehnten, die einzelnen Glieder aber für ihre Existenz aus Gaben der Liebe an­ wiesen. Es sind dies der von Franz von Assisi um 1210 gestiftete, 1223 päpstlich bestätigte Franziskaner-O. (fratres minores, d. h. demüthige Brüder) und der 1216 päpstlich bestätigte Dominikaner-O., dessen erster Stifter Dominikus das von Franz aufgestellte Prinzip der evangelischen Armuth auch auf seine wesentlich für die Predigt des Evangeliums bestimmte Genossenschaft (fratres praedicatores) übertrug. In

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Folge ihrer Centralisation und der Betonung des Gehorsams gegen die Oberen, so­ wie ihres Verkehres mit dem Volke, erwiesen sich diese beiden O., welche im Lause der Zeit mit den weitgehendsten Privilegien ausgestattet wurden, als gefügige und brauchbare Werkzeuge sür die weltbeherrschenden Tendenzen des Papstthums. Im direkten Verkehr mit dem Volke blieben freilich allein die Franziskaner, wahrend die Dominikaner die Vertheidigung der kirchlichen Lehre von der Kanzel, vom Katheder und durch theologische Werke als ihre Hauptaufgabe betrachteten und aus demselben Grunde auch die thätigsten Werkzeuge der Inquisition geworden sind. Wie die Dominikanermönche später das Prinzip der absoluten Besitzlosigkeit aufgegeben und Grundbesitz und andere Reichthümer erworben haben, so trat gerade deswegen später im Franziskaner-O. eine Spaltung ein, nämlich in die Observanten (fratres de observantia), welche die alte Strenge festhielten, und die Konventualen, welche den Grundsatz von der Entsagung von allem Besitzthum für den O. als solchen fallen ließen. Mit dem 13. Jahrhundert hatte das Mönchthum seinen Höhepunkt erreicht, den nunmehr eintretenden Verfall hielten die Reformbestrebungen der Konzilien des 15. Jahrhunderts (von Kostnitz und Basel) nicht auf, und in Folge der Refor­ mation des 16. Jahrhunderts wurden sowol in protestantischen, wie auch in katho­ lischen Ländern eine Reihe von Klöstern beseitigt. Das Tridentinum verlieh eben­ falls aus reformatorischem Interesse den Bischöfen als päpstlichen Delegaten wieder eine Reihe von Aufsichtsrechten über die eximirten K l ö st e r (s. diesen Art.) und ver­ langte, daß sich die bis dahin unabhängigen Klöster zu Kongregationen behuss Ermöglichung einer ständigen Aufsicht zusammenthun sollten. Zu dem 1528 ent­ standenen Kapuziner-O., welcher die Regel des Franziskus in alter Schärfe an­ genommen hat, dessen Typus die vollkommene Beschränkung in Genuß und Bildung und die absichtliche Verwahrlosung von Geist und Körper ist, welcher aber wegen seiner Homogenität mit dem gemeinen Volke einen bedeutenden Einfluß auf das letztere auszuüben vermochte, bildete den absoluten Gegensatz, aber doch wegen seiner Fähigkeit auf die besseren Klassen der Gesellschaft den größten Einfluß auszuüben, wieder ein Komplement, der O. der Jesuiten, gestiftet von Inigo (Ignaz) von Loyola 1540, dazu bestimmt, die Ausbreitung des wahren Glaubens namentlich gegenüber den inneren Feinden der Kirche durch Predigt, Werkthätigkeit, Beein­ flussung des Jugendunterrichts und Benutzung des Beichtstuhls -zu fördern. Seine Organisation bezweckt die vollkommenste Beherrschung der menschlichen Gemüther. Zu diesem Behufe besteht die Verpflichtung des unbedingtesten Gehorsams gegen die O.gesetze und das Recht des Generals, jedes Mitglied in der ihm passend erscheinen­ den Weise zu den O.zwecken zu verwenden. Hiermit aber nicht genug, soll auch, um den O. zu vollkommen einheitlichem Handeln zu befähigen, den Angehörigen die Uniformität im Denken eingeimpft werden. Dazu dienen die von Ignaz selbst er­ fundenen geistlichen Uebungen (exercitia spiritualia). Diese enthalten eine metho­ dische Anweisung zur eigenen Meditation über die verschiedenen Gegenstände der kirchlichen Lehre und die christliche Heiligung und werden vier Wochen hindurch unter Leitung eines Dirigenten vorgenomnren. Sie sind so eingerichtet, daß sie den Betrachtenden durch alle möglichen Stufen des Gefühls führen, alle Seiten der Em­ pfindungen anschlagen und unter Erregung der Phantasie und Umstrickung der Ver­ nunft die wirkliche Frömmigkeit, wie den schwärmerischsten Fanatismus in Bewegung setzen, um schließlich den Meditirenden willenlos, aber anscheinend freiwillig zu der Unterwerfung unter die Autorität der Kirche und der Oberen zu führen. Die Mit­ glieder des Jesuiten-O. zerfallen in vier Klassen: 1) Die Novizen, deren Auf­ nahme eine Prüfung ihrer Verhältnisse und Intentionen, sowie die Vornahme der Exerzitien vorausgeht, leben in einem Novizenhause nach einer Tagesordnung, die theilweise bis zu den Viertelstunden die Beschäftigung genau vorschreibt. Nach zweijährigem Noviziat kann der Novize in die zweite Klasse 2) der Scholastiker treten, indem er gleichzeitig die drei Gelübde der Armuth, der Keuschheit und des

Gehorsams als vota simplicia (s. unten) ablegt und dabei verspricht, sich genau nach den Konstitutionen der Gesellschaft zu richten. Während dieses Stadiums hat er allgemeine wissenschaftliche Studien durchzumachen und demnächst selbst in den betreffenden Fächern zu unterrichten, um erst dann an das eigentliche theologische Studium heranzutreten. Der ganze Studiengang ist durch einen besonderen Plan, die ratio studiorum, ebenfalls genau geregelt und sein Prinzip ist das einer mecha­ nischen Abrichtung in Verbindung mit Unterdrückung jeglicher wissenschaftlichen Selbständigkeit, Nach vollendeten Studien kann der Scholastiker 3) als coadjutor spiritualis oder 4) als Professe (professus quatuor votorum) zugelassen werden, d. h. nach abermaliger Wiederholung eines Probejahrs, der geistlichen Uebungen und der Lebensweise des Noviziats erhält er die Priesterweihe und leistet nun als coadjutor spiritualis nochmals die drei Mönchsgelübde in die Hände des Generals ab, indem er noch besondere Hingebung an den Jugendunterricht verspricht, während er als Professe noch ein viertes Gelübde, nämlich sich jeder Mission des Papstes unbedingt zu unterziehen, feierlich ablegt. Die Professen sind allein die vollberech­ tigten Glieder der Gesellschaft und der kleinste Theil derselben. An der Spitze steht mit beinahe absoluter Machtvollkommenheit der General (praepositus generalis), welcher lebenslänglich gewählt wird und für den O. das ist, was der Papst für die Kirche (daher von den Italienern auch papa nero — schwarzer Papst — genannt). Ihm zur Seite steht ein Rath, die Assistenten, welche ihn aber auch kontroliren, da er sie wol suspendiren, aber nicht ohne Beistimmung der Generalkongregation absetzen kann. Jeder der Assistenten vertritt einen größeren Kreis von Provinzen (eine sog. assistentia). An der Spitze der einzelnen Verwaltungsbezirke (provinciae) steht ein gewöhnlich auf drei Jahre vom General ernannter Provinzial (praepositus provincialis) und diesem sind die Lokaloberen, die superiores, untergeben, nämlich die praepositi der einzelnen Proießhäuser, die magistri novitiorum der Novizenhäuser, die rectores der Kollegien, der Bildungsanstalten. Alle diese werden noch durch Gehülfen unterstützt und auch kontrolirt Jedem Oberen der Jesuiten, den General mit eingeschloffen, steht ein besonderer admonitor, der Professe sein muß, zur Seite, um ihn an seine Pflichten zu erinnern. Die Generalkongregation, der als ordentliche Mitglieder sämmtliche Professen der vier Gelübde angehören, muß in bestimmten Fällen, so namentlich behufs Wahl des Generals oder Absetzung desselben wegen bestimmter Vergehen, zusammentreten. Ferner giebt es auch Provinzialkongregationen, zu welchen für die Erledigung gewisser Geschäfte in den Provinzen sich die Professen und die Lokaloberen versammeln. Wie die absolute Pflicht des Gehorsams gegen den Oberen (mit Ausnahme der eine offenbare Sünde enthaltenden Besehle) und die absolute Gewalt des Generals, deren Beschränkung nur zur Verhütung ihres Miß­ brauchs gegen den O. selbst statuirt ist, das Verhältniß der Glieder zum ganzen O. bestimmt, so ist das, das Verhältniß der einzelnen Mitglieder regelnde Prinzip das des Mißtrauens, welches seinen praktischen Ausdruck in einem bis in das Ge­ naueste hinein ausgebildeten System der Berichterstattung, der Personallisten und in der Anzeige- und Denunziationspflicht jedes einzelnen Mitgliedes gegen die anderen findet. Gerade jene Einrichtung befähigt die Oberen, die rechten Kräfte an der rechten Stelle zu verwenden. Die enorme Thätigkeit, welche der nicht an einzelne Klöster gebundene O. mit der für seine Zwecke musterhaft gestalteten Verfassung auf den drei verschiedenen Gebieten seines Arbeitsfeldes: der äußeren Mission unter den Heiden, der inneren Mission (d. h. Befestigung der Herrschaft der Römischen Kirche unter den Katholiken) und der Gegenmission gegenüber den anderen Religionsgemein­ schaften, namentlich der protestantischen Kirche, sowie überhaupt gegenüber der mo­ dernen Bildung und Weltanschauung entwickelt hat, kann hier nicht näher dargelegt, ebensowenig auf die Darstellung der von ihm entwickelten laxen und bequemen Mo­ ral eingegangen werden, als deren Hauptgrundsatz die zwar nicht in den Konstitu­ tionen des O. enthaltene, aber doch von seinen einzelnen Gliedern gelehrte Regel:

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„der Zweck heiligt die Mittel" oft genug hervorgehoben worden ist. Der allgemeine Unwille, welchen die Jesuiten durch ihre Ränke, ihr Eindringen in alle Angelegen­ heiten, ihre Handelsunternehmungen und ihre Handelspolitik sich zugezogen hatten, führte im Jahre 1773 zur Aufhebung des O. durch Papst Klemens XIV. Nur in Rußland erhielten sie . sich. Schon Pius VII. restituirte den O. aber im Jahre 1814. Seitdem haben sie sich wieder in den meisten Staaten seßhaft gemacht und nament­ lich hat der O. seit der Reaktion gegen die Bewegungen des Jahres 1848 einen großen Aufschwung, so auch im protestantischen Norden, genommen. Daß er das Papstthum jetzt wieder beherrscht, dafür hat das vatikanische Konzil von 1869/70 und die auf demselben hervorgetretene Tendenz, alle moderne Bildung und alle mo­ dernen Kulturerrungenschaften zu verdammen, dagegen dem Papst die Unfehlbarkeit beizulegen, den entsprechenden Beweis geliefert. In Folge der von ihnen beein­ flußten kurialen Politik und ihrer Staatsgefährlichkeit hat sich das Deutsche Reich im Jahre 1872 genöthigt gesehen, den O. von seinem Gebiete auszuschließen. — Gleichzeitig mit der Bildung von Mönchs-O. im Morgenlande sind auch weibliche O. entstanden. Im Abendlande haben dieselben später die Regel Benediktas mit den nöthigen Veränderungen angenommen und nachmals sind noch eine Reihe neuer Nonnen-O., größtentheils den männlichen nachgebildet (so z. B. Franziskanerinnen, Dominikanerinnen re.) gestiftet worden. 2) Die rechtlichen Verhältnisse der O. werden zunächst durch ihre besonderen Statuten, welche der päpstlichen Genehmigung bedürfen, geregelt. Die Mitgliedschaft wird nach dem Gem. Recht, vorbehaltlich weiterer statutarifcher Fest­ setzung, durch Ablegung der sog. professio religiosa, d. h. der drei ewig bindenden Gelübde der Keuschheit, der Armuth und des Gehorsams (des sog. voti solemnis), erworben. Dieser muß vorhergehen der novitiatus, d. h. ein Probejahr von min­ destens einem Jahre, ferner nach diesem bei Manns-O. die Ablegung der vorhin gedachten Gelübde als vota simplicia’, d. h. in der Art, daß diese für den Geloben­ den ewig bindend sind, der O. ihn aber aus guten Gründen unter vollständiger Aufhebung der Wirkung der Gelübde entlassen kann, sowie Ablauf von drei Jahren seit diesem Akte; endlich ist bei Manns-O. das vollendete 19., bei Frauen-O., für welche die Ablegung der vota simplicia nicht vorgeschrieben ist, das 16. Lebensjahr erforderlich. Die hauptsächlichsten Wirkungen der Profeßleistung sind: 1) Erwerbung der geistlichen Standesrechte, 2) Unfähigkeit, eine kirchenrechtlich gültige Ehe einzu­ gehen, 3) Unfähigkeit, für sich Vermögen zu erwerben und es als Eigenthum zu be­ sitzen, d. h. was der Professe erwirbt, erwirbt er seinem Kloster. Der Austritt aus einem O. kann erlaubter Weise nur stattfinden: 1) in Folge der Nichtigkeitserklärung des Gelübdes, welche bei Nichterfüllung einer nach Gem. Recht oder nach den be­ sonderen Statuten wesentlichen Voraussetzung das Kloster, der Professe oder dessen Eltern innerhalb fünf Jahren vom Tage der Profeßleistung ab nachsuchen können, und mit der alle Wirkungen der letzteren zusammen fallen; 2) in Folge von Dis­ pensation durch den Papst; 3) in Folge Uebertritts in einen anderen O., welcher, sofern der letztere nicht eine strengere Regel hat, nur mit päpstlicher Erlaubniß ge­ stattet ist; 4) in Folge der Säkularisation, d. h. der vom Papst zu gewährenden Bewilligung, außerhalb des Klosters, also in der Welt zu leben, welche aber die Zugehörigkeit des Professen zum O. nicht aufhebt, vielmehr seine Verpflichtung, die drei Gelübde auch außerhalb des Klosters zu halten, bestehen läßt. 5) Kann endlich ein unverbesserlicher Professe beim Vorliegen der statutenmäßig dazu berechtigenden Gründe aus dem O. ausgestoßen werden, er wird aber damit ebenfalls von seiner Verbindlichkeit, die Gelübde zu beobachten, nicht frei. Ein sonstiger Austritt bildet nach Kan. Recht das mit vielfachen Strafen bedrohte Verbrechen der sog. apostasia a regula oder a monachatu. Was die Verfassung der O. betrifft, so richtet sich diese zunächst nach den O.statuten. Die allgemeinen, wiederkehrenden Grundzüge sind folgende: Die einzelnen Häuser oder Klöster werden durch Lokalobere (Aebte,

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Prioren, Rektoren, Pröpste, Guardiane) geleitet, welche die Disziplin über die Mit­ glieder auszuüben und die Rechte des Klosters zu verwalten haben. Diese werden vielfach von der Gesammtheit der Professen, aber nur den zum Chordienst verpflich­ teten und häufig sogar nur von den mit der Subdiakonatsweihe versehenen (nicht von den für die gemeinen Hausdienste bestimmten, nicht zum Chordienste verpflich­ teten, nicht ordinirten, sog. Laienbrüdern, fratres conversi) gewählt. Die Gesammt­ heit der Wahlberechtigten (sog. conventus) muß auch bei wichtigen Angelegenheiten von den Lokaloberen zu Rathe gezogen werden. In einer Reihe von O. (so z. B. bei den Mendikanten-O.) findet sich aber zwischen diesen Lokaloberen und dem Papste eine mehrgliederige Organisation. Die innerhalb eines bestimmten Sprengels belegenen Klöster sind zu einer sog. provincia vereinigt. Die Angelegenheiten dieser leitet der Provinzialobere, welchem ein aus den Lokaloberen der Provinz nebst einem durch die Statuten bestimmten Ausschüsse von Professen gebildetes, sog. Provinzial­ kapitel zur Seite steht. Letzteres wählt auch gewöhnlich den Provinzial. Ueber den Provinzialoberen bildet endlich der magister oder praepositus generalis, der General, die höchste Instanz. Er wird für die Regel von dem Generalkapitel, d. h. sämmtlichen Provinzialoberen und einer Reihe von als Ausschuß deputirten Pro­ fessen, gewählt und hat dieses bei der ihm obliegenden Leitung des gesammten O. in wichtigen Fällen zuzuziehen. Ueber die Stellung der Klöster und O. zu der bischöflichen Gewalt s. den Art. Klöster. II. Die Kongregationen und Quasi-Regularen. Außer den O., deren Mitglieder durch die feierlichen Gelübde gebunden sind, giebt es auf dem Ge­ biete der katholischen Kirche noch eine Reihe von Vereinigungen zur Verfolgung kirchlicher und religiöser Zwecke, sog. congregationes, deren Mitglieder zwar auch nach einer bestimmten Regel leben, aber keine vota solemnia ablegen, weshalb sie eben quasi reguläres genannt werden. Bald leisten sie gar keine besonderen Ge­ lübde, wie die Oratorianer (die Mitglieder der von Philipp Neri gestifteten, 1575 approbirten Kongregation der Väter des Oratoriums) oder sie legen die drei oben gedachten Gelübde, als vota simplicia, und oft noch einen sog. Perseveranzeid, d. h. das eidliche Gelübde, in der Kongregation zu bleiben, ab, so z. B. die 1749 appro­ birten, von Alphons von Liguori gestifteten Priester des heiligen Erlösers oder Re­ demptoristen. Vor Allem gehören aber zu dieser letzteren Klasse die in den letzten Jahrhunderten, namentlich in neuerer Zeit entstandenen zahlreichen weiblichen Ge­ nossenschaften, wie z. B. die vom hl. Franz von Paula im 17. Jahrhundert ge­ stifteten barmherzigen Schwestern, die Englischen Fräulein, die Dames du sacrö coeur de Jäsus, oft im gewöhnlichen Leben auch inkorrekter Weise Frauen- oder Nonnen-O. genannt, welche sich der Kranken- und Armenpflege, dem Unterrichte und ähnlichen Zwecken widmen. Da diese die für den O. (die sog. religio im eigentlichen Sinne) erforderliche Klausur wegen ihrer Bestimmung nicht innehalten können, so ist für sie die Ablegung der vota solemnia nicht möglich, höchstens der vota simplicia als perpetua. Durch diese wird zwar die eintretende Schwester auf ewig, sofern der Papst nicht Dispensation gewährt, gebunden, aber das Keuschheitsgelübde kann, da es Simplex ist, nur als ehehindernd, nicht als ehevernichtend wirken und das Gelübde der Armuth bedeutet nur soviel, daß das Mitglied der Kongregation gegenüber un­ fähig ist, sein Vermögen zu benutzen und ohne Erlaubniß darüber zu verfügen, während ihm das Eigenthum (das sog. dominium radicale) verbleibt. Im Uebrigen sind vielfach die Grundsätze des Gem. R. über die eigentlichen Nonnen-O. auf diese Frauenkongregationen zur Anwendung gebracht, während ihre Verfassung der des Jesuiten-O. nachgebildet ist; so werden die einzelnen Häuser durch eine Oberin (superiorissa), die Kongregation als Ganzes durch eine Generaloberin (Moderatrix generalis) geleitet, welcher Generalassistentinnen zur Seite stehen. Von der bischöf­ lichen Gewalt endlich sind diese Kongregationen nicht eximirt. v. Holtzendorff, Enc. II. Rechtslexikon II. 3. Aufl.

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in. Die ferner in der katholischen Kirche vorkommendm Brüderschaften (sodaliutes, confraternitates), Vereine zu kirchlichm und religiösen Zwecken und Uebungen (Armen-, Krankenpflege, Unterstützung deS MisfionSwesens, Verrichtung gewisser Gebete ic.), welche bald nur aus Laien, bald aber auch aus Geistlichen bestehen, unterscheiden sich dadurch von den £). und Kongregationen, daß sich das ganze Leben derselben nicht nach einer bestimmten Regel richtet, sie keine vita com­ munis führen, also nicht zusammenleben, keine Gelübde bei ihnen vorkommen, daS Recht zum Austritt frei ist und der Eintritt in eine solche Konfraternität den Ein­ zelnen in seiner sonstigen Stellung nicht berührt. Diese Vereine find in kirchlichm Beziehungm dem Bischof vollkommen unterworfen, und dieser kann fie sogar, wmn kein mtgegenstehendes Privileg vorliegt, aufheben. IV. Tertiarier find diejenigen Personen männlichen oder weiblichen Ge­ schlechts, welche, ohne dem Regularmstande anzugehören, einem wirklichen Manns-O. durch die Annahme einer kirchlich dafür approbirten Lebensregel afioziirt find. Die erste Einrichtung dieser Art rührt von Franziskus von Asfifi her, und nach diesem Vorbild sind fie auch bei anderm O. (z. B. bei Dominikanern) eingeführt wordm. Sie bleiben in ihren gewöhnlichen Verhältnissen, verpflichten sich aber, ein von weltlichen Vergnügungm zurückgezogenes Leben zu führen, gewisse Liebeswerke zu verrichten, öfters die Sakramente zu empfangm, die O.feste mitzufeiern rc. Einzelne dieser Tertiarier haben sich aber zu gemeinsamem Lebm mit Gelübden verbundm und find dadurch theils in die Klaffe der eigentlichen O., theils der Kongregationen getreten. V. Die Stellung der Deutschen Staatsgesetzgebungen zu den religiösen Instituten. Frei entfalten können sich die £)., Kongregationen und geistlichen Genoffmschaften in Oesterreich, nur sollte sich der Bischof nach dem Konkordat bei Zulassung von Instituten der beiden ersten Arten mit der Re­ gierung ins Einvernehmen setzen. 6in weitergehender, staatliche Aussichtsrechte fest­ setzender Gesetzentwurf, welcher im Jahre 1874 in der Gesammtvertretung des Reiches berathen worden ist, hat bisher die kaiserliche Sanktion nicht erhalten. In Bayern (Relig.Edikt von 1818 §§ 76, 77) wird für die „Errichtung geistlicher Gesellschaften und sonstiger Institute und Bestimmungen ihrer Gelübde" die Mit­ wirkung der weltlichen Obrigkeit verlangt. Nach dem Württembergischen Ges. vom 30. Januar 1862, Art. 15, können nur mit staatlicher Genehmigung, welche jeder Zeit widerruflich ist, neue O. und Kongregationen eingeführt oder neue Niederlaffungen schon vorhandener gegründet werden. — Durch das Deutsche Reichsges. vom 4. Juli 1872 sind der Jesuiten-O., sowie die ihm verwandten O. und ordens­ ähnlichen Kongregationen von dem Gebiete des Deusschen Reiches ausgeschlossen, auch ist ihnen die Errichtung neuer Niederlassungen unter gleichzeitiger Anordnung der Auflösung der bestehenden untersagt worden. In Ausführung des Gesetzes hat der Bundesrath noch im Jahre 1872 ein Verbot der Ausübung jeder O.thätigkeit, insbesondere in Kirche und Schule, sowie der Abhaltung von Missionen durch Je­ suiten erlassen und im Jahre 1873 die Vorschriften des Gesetzes auf die als den letzteren verwandt erachteten Redemptoristen, Lazaristen oder Vinzentiner, Priester vom hl. Geiste und die Schwestern vom hl. Herzen Jesu ausgedehnt. Kriterien, nach welchen die Verwandtschaft mit dem Jesuiten-O. zu beurtheilen wäre, hat das Gesetz nicht aufgestellt, aus dem Zwecke desselben folgt aber, daß diese bei allen denjenigen geistlichen Genossenschaften anzunehmen ist, welche nach ihrer Organisation, ihren Zielen und ihrer Wirksamkeit entweder auf gleicher Stufe der Staatsgefähr­ lichkeit stehen oder doch in hervorragendem Maße als Helfer der Jesuiten anzusehen sind. Nach dem Vorbilde der Reichsgesehgebung hat das Preußische Gesetz alle übrigen O. und ordensähnlichen Kongregationen vom Gebiete der Preußsschen Mo­ narchie vom 31. Müi 1875 ausgeschlossen, und damit zugleich das Verbot jeder O.thätigkeit in Kirche und Schule ausgesprochen. Widerruflich bestehen geblieben sind nur diejenigen Niederlassungen, welche ihre Thätigkeit ausschließlich auf Kranken-

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pflege beschränkm. Jedoch hat daS Gesetz vom 14. Juli 1880 Art. 6 gestattet, daß dm geistlichen Genossenschaften, welche noch bei seinem Inkrafttreten der Krankenpflege gewidmete Mederlassungm in Preußen besaßm, die Errichtung nmrr Mederlaffungen für die Krankenpflege, sowie die Pflege und Unterweisung von Blinden, Taubm, Stummen, Idioten und gefallmen Frauenspersonen regierungsseitig erlaubt, auch solchen weiblichen Genossenschaften widerruflich die Befugniß gewährt werdm darf, die Pflege und Unterweisung von noch nicht schulpflichtigen Kindern als Rebenthätigkeit zu übernehmen. Für Baden hatte schon das Gesetz vom 9. Oktober 1860, § 11, bestimmt, daß „ohne Genehmigung der Staatsregierung kein religiöser O. eingeführt und keine einzelne Anstalt eines eingesührten O. errichtet werdm kann", eine Genehmigung, welche stets widerruflich ist. Durch die Gesetze vom 2. April 1872 ist ferner einmal die Abhaltung von Missionen und die Aushülfe in der Seel­ sorge den Mitgliedem nicht staatlich rezipirter O. und weiter den Mitgliedem jedes O. und jeder Kongregation die Ausübung der Lehrthätigkeit an Lehr- und Erziehungsanstaltm verbotm worden. Im Königreich Sachsen hat schon die Bers.ürk. von 1831, § 56, die Zulassung von O. und O.niederlaffungm verboten, und daS Gesetz vom 23. August 1876, § 30, hat auch die Ausübung der O.thätigkeit dm Mitgliedern der O. und Kongregationen untersagt, indeflm zu Gunstm der Mit­ glieder solcher Fraumkongregationm, welche sich allein der Kranken- und Kinderpflege widmen, eine staatliche Dispensation gestattet. Das Hessische Ges. vom 23. Apnl 1873 schließt neue O. und Kongregationen im Gebiete des GroßherzogthumS aus, und verbietet dm bestehenden Mederlassungm neue Mitglieder auszunehmm, indeffm kann von dem zuletztgedachten Verbote staatlicherseits unter Umständen dispenfirt, auch die Errichtung neuer Mederlaffungm zur Krankenpflege den schon bestehenden Genoffenschaftm gestattet werden. Abgesehen von Oesterreich ist da, wo nme O. überhaupt entstehen sönnen, noch die Verleihung der juristischen Persönlichkeit be­ sonders nothwendig, damit sie Vermögen erwerben könnm, und selbstverständlich ist der Erwerb deffelben an die Gesetze über die Todte Hand (f. diesen Art.) ge­ bunden. Die Staatsgesetzgebungm haben femer den Termin für die Ablegung der feierlichen Gelübde oft erhöht, so wird in Oesterreich erfordert für die Regel daS vollendete 25. Jahr, in Preußen (Allg. LR. a. a. O. §§ 1162 ff.) bei Männern dieselbe Altersgrenze, bei Fraumspersonm daS vollmdete 21. Jahr, in Bayern für Männer das letztere, für Fraum daS vollmdete 33. Lebensjahr — jedoch find vom 21. Jahr ab zeitliche, von drei zu drei Jahren zu wiederholende Gelübde erlaubt. Ebenso erklären sie die vota eolemnia nicht für ewig verbindlich (z. B. Preußen, Württemberg) oder sie verweigern der Kirche ihrm Arm ?ut Vollstreckung der für die apostasia a regnla verhängten Strafen (so neuerdings Oesterreich). WaS endlich das Gelübde der Armuth betrifft, so gilt in Bayern ter kanonische Gmndsatz, daß alles Vermögen, das der Eintretende besitzt oder erwirbt, dem O. zufällt; in Oesterreich ist dagegen der einzelne Profeffe unfähig, Vermögen zu erwerbm, auch hat er keinen Anspruch auf den Pflichttheil und erbt ebersowenig ab intestato noch ex testamento (Allg. BGB. §§ 538, 539, 573); auf b'm]eiben Standpunkte steht das Preußische Allg. LR. Th. II. Tit. 11 §§ 11*9 ff., welches jedoch den Proseflen, bezüglich ihrem Kloster, eine beschränkte Fähigkeit, aus Testammtm zu erben, beilegt. Die protestantische Kirche hat die O.gelübde als umützen Werkdienst ver­ worfen, Klöster oder Kongregationen im katholischen Sinne gebt es demnach unter dm Protestanten nicht. Die hin und wieder in protestantisch!» Ländern, z. B. in Schleswig-Holstein, vorkommenden adligm Klöster find nichts als Derforgungsanstalten für adlige Fräulein. Wenn endlich neuerdings auch auf dem Boden der Protestantischen Kirche Gemeinschaften zur Verrichtung christlcher Liebeswerke ent­ standen sind, so die Diakoniffen und Brüder des rauhen HausS, und hier auch von den Mitgliedem ein Angelöbniß der Erfüllung ihrer Pflickten verlangt wird, so 61*

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Orderpapiere.

stehen diese Genossenschaften doch nicht mit der Kirche in einer organischen Beziehung, auch dürfen sie, wenn sie noch innerhalb der evangelischen Grenzen bleiben wollen, diese Gelübde nicht auf Lebenszeit fordern. Lit.: Bouix, Tractat. de regularibus, Par. 1857, 2 Vol., deutsch im Auszuge unter dem Titel: Kan. Recht der Regularen von Bouix. . von R. Mittermüller, Landshut 1861. — Die Lit. über die Geschichte der einzelnen Orden theilweise bei Schulte, Lehrbuch deS kathol. Kirchenrechts, 2. Aust. S. 454; vgl. ferner Herzog's Real-Encyklopädie der Theologie zu den Artikeln über die einzelnen Orden; eine kurze Uebersicht über die Geschichte von Dove in Bluntschli's StaatsWört.B. VII. 387. — Huber, Der Jesuiten-Orden, Berl. 1873. — Für das neuere Recht vgl.: v. Schulte, Die Stifte der alten Orden in Oester­ reich , Gießen 1869: Derselbe, Die neueren katholischen Orden und Kongregationen besonders in Deutschland, Berl. 1872. — P. Hinschius, Die Orden und Kongregationen der katholischen Kirche in Preußen,' Berl. 1874. — Moy's Archiv für katholisches Kirchen­ recht, XL 275; XIV. 170, 344; XV. 58; XVI. 241, 332, 353; XVII. 30, 43; XIX. 444, 452; XXIII. 143, 370. — Methodus, quae a s. Congreg. episcopor. et religiosor. servatur in approbandis novis institutiß votorum simplicium (vom Kardinal Biz zarri), Romae 1863; dazu Moh's Archiv XV. 412. — Schels, Die neuen religiösen Frauengenossenschaften, Schaffhausen 1857. — Schuppe, Das Wesen und die Rechtsverhältnisse der neueren religiösen Frauengenossenschaften, Mainz 1868. — Vgl. ferner Moy's Archiv XII. 205; XIV. 167; XIX. 353; XXIII. 386. — Dürrschmidt, Die klösterlichen Genossenschaften in Bayern, Nördl. 1875. — F. Hellmann, Das gem. Erbrecht der Religiösen, München 1874. — H. Singer, Die Behebung der für Ordenspersonen bestehenden Beschränkungen im com­ mercium mortis causa für daS Kanon, und Oesterr. Recht, Innsbruck 1880. P. Hi nschius.

Orderpapiere (Th. I. S. 537, 526 ff.) sind Kreditpapiere (Werthpapiere, Effekten), in welchen ein bestimmter Gläubiger als solcher genannt, zugleich aber durch einen besonderen Zusatz (die Orderklausel) befugt ist, das Papier in einer bestimmten Form (Indossament) einer anderen Person zu vollem Rechte als neuem Gläubiger zu übertragen. Durch die Hinzufügung der Orderklausel, d. h. durch die schriftliche Bemerkung: „an die Order" des ersten (oder späteren) Gläubigers, „an diesen oder an dessen Order", leisten zu wollen, verpflichtet sich der Aussteller eines Kreditpapiers nicht nur dem ersten Nehmer gegenüber, sondern auch allen künftigen ordnungsmäßig legitimirten Nehmem dieses Papiers zur Zahlung, bzw. Lieferung des Versprochenen; das Papier wird dadurch indossabel, girirbar, negoziabel, begebbar, und dies ist bei dem gebräuchlichster. O., dem Wechsel, selbst dann der Fall, wenn der Wechsel die Orderklausel nicht enthält, aber auch nicht ausdrücklich die Jndossirung durch das Wort: „nicht an Order" oder einen gleichbedeutenden Ausdruck untersagt ist, mit anderen Worten: 6tim Wechsel wird die Orderklausel, wenn nicht das Gegentheil aus dem Wechsel er'ichtlich ist, subintelligirt. Anweisungen und Verpflichtungsscheine der Kaufleute sind O., wenn sie über Leistrngen von Geld oder eine Quantität von vertretbaren Sachen oder von Werthpapüren.ausgestellt sind, an Order lauten und die Verpflichtung zur Leistung nicht vm einer Gegenleistung abhängig gemacht ist. O. sind ferner die Konnossemente der Seeschiffer, die Ladescheine der Frachtführer, Auslieferungsscheine (Lagerscheine, warrants) über Waaren oder andere bewegliche Sachen, welche von einer zur Aufbewahrung solcher Sachen staatlich ermächtigten Anstalt ausgestellt sind, ferner Bödmereibriefe und Seeassekurarzpolicen, — sämmtlich unter der Voraussetzung, daß sie an Order lauten. (Leber O., Konnossemente rc. s. Thöl, a. a. O. 8 271.) Endlich können rach Landesgesetzen noch andere Papiere, z. B. Verpflichtungs­ scheine über Leistunger, die von einer Gegenleistung abhängig sind, anerkannt sein. Für alle O. galten bezüglich der Form des Indossaments, bezüglich der Legitimation des Inhabers und der Prüfung dieser Legitimation, in Betreff der Verpflichtung des Beftzers zur Herausgabe, dann bezüglich der Quittirung, endlich, sofern es sich um Arweisungen und einfache Verpflichtungsscheine von Kaufleuten

Ordination.

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handelt, auch bezüglich der Amortifirung dieser Papiere, die Bestimmungen der Deutschen WO. (Art. 11—13, 36, 39 Abs. 1, 73 und 74), im Uebrigen die Landesgesehe. Durch das einem Indossamente beigefügte Verbot der Weiterbegebung: „nicht an Order" oder bergt (Rektaindossament) wird das O. nicht in ein Rekta­ papier umgewandelt, sondern nur bewirkt, daß spätere Jndoffatare kein Regreßrecht gegen den das Verbot setzenden Indossanten haben. Der aus einem O. Verpflichtete kann sich nur solcher Einreden bedienen, welche ihm nach Maßgabe der Urkunde selbst oder unmittelbar gegen den jedesmaligen Klager zustehen, denn jeder neueintretende Gläubiger erwirkt aus der schuldnerischen Erklärung mit wirklicher oder zu subintelligirender Orderklausel, aus dem Geben und Nehmen des ordnungsmäßig beschriebenen Papiers, welches mit dem Willen, Schuldner, bzw. Gläubiger zu werden, geschieht, ein neues, selbständiges Recht. Doch wird über die Natur der Verpflichtung aus dem O., insbesondere darüber, ob diese einseitig (durch Kreation seitens des Ausstellers, wie namentlich Kuntze annimmt) oder durch Vertrag (bestehend im Schreiben, Geben und Nehmen des Papiers in der Abficht, dadurch verpflichtet, resp, berechtigt zu werden, wie Thöl, Ladenburg u. A. wol mit Recht behaupten), viel gestritten, eine Kontroverse, welche gewöhnlich auf dem Gebiet des Wechselrechts behandelt toirb. — Auch aus dem Accept einer an Order lautenden kaufmännischen Anweisung wird der Jndofiatar derselben berechtigt. — Dgl. überhaupt den Art Indossament. Quellen: Art. 301-305 des Allg. Deutschen HGB. - Art. 11-18, 36, 39, 73-74 der Allg. Deutschen WO. — Ueber Amortisation der O. s. CPO. §§ 837 fj. — Franz. Recht: Code de comm. art. 136—140, 187, 188. — (Dgl. Zeitschr. für daS ges. H.R. Bd. XXII. S. 267 bis 258.) — Franz. Gesetz über Cheques vom 23. Mar 1865 und vom 19. Febr. 1874. Lit.: Brinkmann, H.R., 88 125, 125a. — Dahn in Bluntschli's Deutschem Sriv.R., §§ 163, 168. - Endemann, H.R., 8 85. - Gad, H.R., §§ 52, 74, 145. oldschmrdt, H.R., 88 70, 71, 75, 76 (über Negoziabilität der Konnossemente S. 664 ff., der Lagerpapiere S. 773 ff.). — v. Hahn, Komment, zum HGB., Ü. S. 92—102. — Aolly in der Ztschr. für H.R., Bd. I. S. 175, 332. — Kuntze, Obligation und Sinaularsuccession, 88 34 ff. - Ztschr. für H.R. Bd. II. S. 570; Bd. V. S. 198. — Laden» bürg, Die Anweisung und die gezogenen Wechsel, 1858, § 13. — Makower, Alla. Deutsches HGB., 8. Aufl. S. 316 ff. und die dort angegebenen Entscheidlglgen. — Thöl, H.R., Bd. I. 6. Aufl. 88 218-221, 211—213, 325; Bd. H. (W.R.) 4. Aufl. 88 H5, 121-124, und die dort eit. Lit. (sehr ausführlich). — Ercole Vidari, La lettera di cainbio, Firenze 1869, 88 158. 159; Derselbe, Dialcuniprogetti di legge sulli cambiali, Bologna 1871, p. 19 88. — Ueber Geschichte der O.: Bi en er, Hist. Abhandlungen über den Urtzrung des Wechsels, 1846; Derselbe, Wechselrechtl. Abhandlungen, 1859, S. 1—302. — Götz, Art. Giro in Ersch u. Gruber, Enc. d. Wiffensch. u. Künste, 1859, I. 68 6.1—136. — Kuntze, W.R., I. Z8 15—19 u. die angef. Lit. — H. Brunner, Beiträge zur Geschichte der Werthpapiere, in der Zeitschr. für das ges. H.R. Bd. XXII. S. 1, 59, 505; Bd. XXIII. S. 225, inSbes. von S. 232 an. — Stobbe, Deutsches Privatrecht, 8 178 und die doyt angeführte Lit. — O. Wächter, Encyklop. des W.R., 1879, S. 692 ff. und die übrige wechselrechtl. Lit. — Ueber Ch&ques: Louis Nouguier, Commentaire des lois de 1865 et 1874 conc. les chfeques, Par. 1874. — Die Lit. hinter d. Art. Chek. -- Ueber die Frage, ob Kreation oder Vertrag s.: Gareis, Die Kreationstheorie, eine wechselrechtttche Kritik, Amberg 1868. und die dort namentlich S. 9 angegebene Lit.; auch Derselbe, Kurzgef. Lehrb. des H.R, §§ 76—80. — Ferner: de Fontenay, Die Wechselforderung hat ihren Grund in einem Vertrage, in der Zeitschr. für das ges. H.R., Bd. XVIII. S. 33 ff. — Adolf Stein, Skizze einer Theorie der Inhaber- und Orderpapiere, Wien 1871. — Hierüber: Ladenburg int Centralorgan für H.u. W.R. N. F. Bd. Vni. S. 378 ff. (1872). — Ueber daS Warraurindoffament: GareiS im eit. Centralorgan für H.- u. W.R. N. F. Bd. VIII. S. 301 ff. GareiS.

Ordination (Th. I. S. 647, 673), in der katholischen Kirche die Uebertragung der Fähigkeit, die der Kirche anvertrauten Gnadenmittel und Heilsgüter auszuspenden oder wenigstens — so bei den niederen ordines — bei den darauf gerichteten gottesdienstlichen Handlungen als Asfistenten mitzuwirken, Nach der katholischen Lehre ist die O. eines der sieben Sakramente jener Kirche, Der Er­ theilung derselben — über ihre Voraussetzungen s. a. a. O. — gehen sog. scrutinia, d. h. besondere Prüfungen und Untersuchungen über die Tauglichkeit des Kandidaten vorher, auch muß sich der letztere vor dem Empfang der höheren Weihen durch sog.

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Ordnungs- und Disziplinarstrafen.

exercitia spiritualia, d. h. in einem geistlichen Institut unter Leitung eines be­ währten Geistlichen durch Gebete, fromme Betrachtungen und Fasten vorbereiten. Die niederen ordines sollen an den Sonntagen und an den gebotenen Festtagen, und zwar an einem passenden Ort ertheilt werden. Die O. für die höheren ordines, vom Presbyterat bis zum Subdiakonat inclusive, darf dagegen für die Regel nur an den Samstagen der vierteljährlichen, sog. Ouatemberfasten, sowie an dem Samstag vor Judica (ante dominicam passionis) und dem Ostersamstag, in der Kathedralkirche unter Hinzuziehung der Domherren, eventuell in einer anderen hervorragenden Kirche der Diözese unter Assistenz des Ortsklerus während der Messe erfolgen. Die Bischofsweihe wird endlich nach einem Jahrhunderte lang feststehenden Usus an einem Sonntage oder einem Aposteltage ertheilt. Der Ort dafür ist die zukünftige Kathedrale des Kandidaten oder eine Kirche derselben erzbischöflichen Provinz. Die Ertheilung selbst erfolgt in der von dem Pontificale Romanum für die verschiedenen Grade vorgeschriebenen Form unter Gebeten, Handauflegung und Ueberreichung der symbolischen Zeichen der einzelnen Ordines. Daß in der evangelischen Kirche die O., welche nach der Auffassung der letzteren kein Sakrament ist, nur als Zeugniß der ordnungsmäßigen Berufung und der Fähigkeit zur Ausübung des Amtes gilt, ist gleichfalls schon Th. I. a. a. O. be­ merkt. Die Verschiedenheit der Auffassung der katholischen und protestantischen Lehre zeigt sich weiter darin, daß die protestantische O. weder verschiedene Stufen hat, noch eine unverlöschliche und besondere geistige Befähigung verleiht; ferner wird letztere nur in wenigen Ausnahmefällen absolut ertheilt und endlich ist sie nicht Voraussetzung der Betheiligung an dem leitenden Regiment der Kirche. Sind doch gerade die Inhaber der obersten Kirchengewalt in den protestantischen Landeskirchen Deutschlands, die Regenten — Laien. Während aber die O. in den frühesten Zeiten der Reformation mit der Einführung in das erste Amt zusammenfiel, also das in ihr liegende Zeugniß eine spezielle Beziehung auf die betreffende Gemeinde erhielt, ist sie seit dem Ende des 16. Jahrh, ein davon getrennter Akt geworden, so daß jetzt die dadurch ertheilte Beglaubigung für die ganze Landeskirche bis zur Zurücknahme durch Absetzung gilt und nach der heutigen Praxis auch als ausreichend für eine andere Landeskirche betrachtet wird. Die Ertheilung selbst erfolgt während eines feierlichen Gottesdienstes durch Handauflegung und zwar steht dieselbe in Alt­ preußen und Schleswig-Holstein den Generalsuperintendenten, in Rheinland und Westfalen, sowie in den meisten anderen Deutschen Landeskirchen den Superintendenten zu. (S. dazu auch a. a. O. S. 682.) Lit.: Hallier, De sacris electionibus et ordinationibus, Lutet. Par. 1636. — Morinus, Comm. de sacris ecclesiae ordinationibus, Par. 1655. — Laspeyres in der allgem. Encyklopädie von Ersch und Gruber, Sect. III. Bd. V. — Kliefoth, Liturg. Abhandl., Rostock 1864, I. 341 ff. — Hauber in Herzoa's Real-Encyklopädie für Protest. Theologie, X. 681 ff. — Jacobson, Ueber die Begriffe der Dotation und Ordination, Theolog. Stud. und Kritiken, Jahrg. 1867, S. 244 ff. P. Hinschius.

Ordnungs- und Disziplinarstrafen. I. Ordnungsstrafen. Der Be­ griff der O. ist in der Reichsgesetzgebung noch nicht zur Klärung gelangt. Innerlich wesentlich von einander abweichende Rechtsinstitute werden mit demselben Ausdrucke „O." bezeichnet; gleichartiges wird verschieden behandelt, und überall fließen die Grenz­ linien zusammen. Auch in der Literatur fehlt es an zusammenfassender, systematischer Behandlung der O., die von den einzelnen positiv-rechtlichen Erscheinungen ausgehend, die leitenden Grundsätze sestzustellen hätte; und eben darum ist die Beurtheilung der Einzelfälle eine durchaus schwankende und kontroversenreiche. Wir können im Allgemeinen innerhalb der sog. O. zwei größere Gruppen unterscheiden: 1) Die O. als Zwangsstrafe bestimmt, den trotzig dem Recht widerstrebenden Willen zu brechen und den Gehorsam zu erzwingen, indem sie den Ungehorsam in seinen einzelnen bereits vorliegenden Aeußerungen trifft. Sie ist von dem direkten Zwang (wie er in der Zwangshaft gegen den das Zeugniß verweigernden Zeugen in

OrdmmUS- und Disztpltnnrstrafrn.

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CPO. § 355, StrafPO. § 69, gegen den ungehorsamen Editionspflichtigm in StrafPO. § 95, gegm den den OffenbarungSeid verweigemden Schuldner in CPO. § 752, gegen den ungehorsamen Schiffsmann in § 29 der Seemannsordn. u. s. w. uns ent­ gegentritt) verschieden durch den indirekten Weg, den sie einschlägt. Sie wendet sich gegen die Vergangenheit, um die Zukunft zu sichern; sie ist darum verwirkt, sobald der Ungehorsam zu Tage getreten ist, und entfällt nicht wie das Zwangs­ mittel im engerm Sinne mit der Bmgung des Trotzes. Währmd der Zwang an sich unbeschränkter Dauer bis zur Erreichung des Zieles fähig ist, gestattet dir Zwangsstrafe an sich unbeschränkte Häufung der Einzelstrafm bis zum gleichm Zeitpunkte, und es bedarf positiv-rechtlicher Anordnung, um dort die Dauer, hier die Häufung zu beschränkm, wmn Mittel und Zweck nicht mehr im richtigm Berhältniffe stehm würden. Aber häufig verschwimmt die Grenzlinie zwischen direktem Zwang und Zwangsstrafe. So ist nach der CPO. § 774 der Schuldner zur Vomahme der ihm obliegenden Handlung „durch Geldstrafen bis zum Gesammtbetrage von 1500 Mark oder durch Haft anzuhalten"; die Geldstrafe ist hier sicher als Zwangsstrafe, die Haft wol als direktes Zwangsmittel aufzufaffm, und daher nach dm Bestimmungm der CPO. §§ 785 ff. zu vollstrecken, Währmd auf die Hast als Zwangsstrafe diese Paragraphm nie angewendet werdm tonnen. Von der eigentlichen Strafe aber unterscheidet sich die Zwangsstrafe durch das Ziel, das sie anstrebt. Sie bezweckt nicht wie jene Verhütung strafbarer Handlungm, sondern die Erzwingung einer konkretm Leistung. Eben darum find die Grundsätze des StraftechtS und Strafprozeßrechts nicht ohne Weiteres auf sie anzuwendm. Insbesondere gilt dies von der Umwandlung der uneinbringlichen Geld­ strafe in Freiheitsstrafe; sie ist dm O. gegenüber nur dann zulässig, wmn aus­ drücklich angeordnet oder durch Prinzipale Altemativdrohung von Geld - und Freiheitsstrafen stillschweigmd gestattet, durch das Maximum der altemativ angedrohtm Freiheitsstrafe begrenzt und von dem Umwandlungsmaßstab des StrafGB. unabhängig. Ms Beispiele Hk diese Gruppe der O. seien erwähnt: die O. zur Erzwingung der handelsrechtlichm Anmeldungspflicht (HGB. Art.^ 26, 45, 89, 129, 135, 154 ff., 179, 212 u. s. w.); die O., durch welche der Vorstand und die Liquidatorm der Erwerbs- und WirthschastSgmoffenschaftm zur Befolgung gewiffer Vor­ schriften deS Genoffmschastsgesetzes vom 4. Juni 1868 „anzuhalten" find (§ 66 daselbst); die O. in § 33 des Hülfskaffenges. vom 7. April 1876; die „exekutivischen Geldstrafen" in § 40 des Tabaksteuerges. vom 16. Juli 1879 u. s. w. 2) Zur zweitm Gruppe der O. gehört eine Reihe von Strafen für gering­ fügige Rechtsverletzungen, welche nach ausdrücklicher oder stillschweigender gesetzlicher Anordnung nicht als kriminelle Delikte betrachtet werden sollen, obwol sie be­ grifflich mit diesen zusammensallm. Der gesetzlichen Behandlung dieser Fälle kann der Vorwurf der Inkonsequenz umsoweniger erspart werdm, als reichsrechtlich kein Unterschied zwischen Polizeidelikt und Verbrechen besteht, und die mit O. belegten Handlungen vielfach an Strafwürdigkeit die „Uebertretungm" des StrafGB. weit überragen, wie ja auch die „O." in manchen Fällen "die Schwere einer Vergehens­ strafe im Sinne des StrafGB. § 1 erreicht (z. B. Braustmerges. vom 31. Mai 1872 § 35 u. a.). Die Grenzlinie zwischen beiden Gruppm der O. ist nicht immer leicht zu ziehm. Je mehr die Zulässigkeit gehäufter Zwangsstrafm gesetzlich beschränkt ist, desto mehr tritt an Stelle der zu erzwingenden Leistung die Ahndung der bereits vorliegenden Pflichtverletzung für den Gesetzgeber wie für den Betrachter in dm Vordergmnd, desto mehr also nähert sich die Zwangsstrafe der reinen Strafe, um mdlich in derselbm aufzugehm. So ist es äußerst zweifelhaft, ob die Maßregelung des ungehor­ samen Zmgm oder Sachverständigen, des pflichtweigemdm Schöffen oder Geschwormen (GVG. §§ 56 und 96), die Verurtheilung des renitenten Schuldners nach CPO.

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Orvmm-S- mW Diszchltmttftr«fra.

§ 775 „au einer Geldstrafe bis zu 1500 Mark oder zur Strafe der Hast bis zu sechs Monaten", ob die „£)." in den Art. 233, 243, 247, 251 deS HGB. u. f. w. der einen oder der anderen Gruppe angehörm. Daß aber die Unterscheidung beider Gruppen dem Gesetzgeber selbst geläufig ist, beweist § 40 deS TabakSsteuerges. vom 16. Juli 1879, der sie beide nebeneinander nennt: „unbeschadet der verwirkten O. kann die Steuerbehörde die Beobachtung der Vorschriften durch Androhung und Einziehung von exekutivischen Geldstrafen bis zu 300 Mark erzwingen"; also Strafe für Nichtbeachtung und mit ihr kumulirt Zwangssträfe zur Herbeiführung der Beachtung derselbm gesetzlichen Vorschrift. Unter den in diese Gruppe gehörmden O., deren Aufzählung an dieser Stelle leinen Werth hätte, find zwei Erscheinungsformen von besonderem Jntereffe. — Be­ kanntlich find die Zoll- und Steuergesetze des Reichs der Sitz der sonst aufgegebenen Schuldpräsumtionen (vgl. LiSzt, RStrafR., § 27); sie legen dem Angeschuldigten den Beweis auf, daß ihm der erforderliche Vorsatz gefehlt habe. Führt er diesen Beweis, so tritt nicht etwa Straflofigkeit, sondern — O. ein. So nach Salzsteuerges. vom 12. Okt. 1867 § 13; Zuckersteuerges. von 1869 § 4; VereinSzollges. § 151 (nur nachgewiesener „unverschuldeter Zufall" entschuldigt auch von der O.); Rübenzuckersteuerges. vom 2. Mai 1870 (Verordn, von 1846 § 17); Brausteuerges. vom 31. Mai 1872 § 32; Spielkartenstempelges. vom 3. Juli 1878 § 11; Tabaksteuerges. vom 16. Juli 1879 § 34. — In zahlreichen anderen Fällen erscheint die O. als Ergänzung der kriminellen Strafe. So die O. für Bestechung und Widersetzlichkeit, soweit diese nicht schon nach dem StrafGB. strafbar sind, in §§ 160, 161 des VereinSzollges., Brausteuerges. von 1872 § 36, Tabaksteuerges. § 41. Hierher gehört die häufig in den strafrechtlichen Nebengesetzen wiederkehrende Fafiung: „Zu­ widerhandlungen, welche mit keiner besonderen Strafe in diesem Gesetze belegt sind, ziehm eine O. von. . . nach sich". Auch bezüglich der zweiten Gruppe der O. gilt das oben über die Umwandlung der uneinbringlichen Geldstrafe in Freiheitsstrafe Gesagte; doch finden sich auch aus­ drückliche entgegengesetzte Bestimmungen (so z. B. Brausteuerges. § 39; Spielkarten­ stempelges. § 17; Tabaksteuerges. § 44). — Strafrechtliche Ahndung nebm der O. wegen derselbm Haridlung muß im Allgemeinen als ausgeschloffen betrachtet toerben, da zwischen beiden Arten der Strafe ein begrifflicher Unterschieb nicht besteht; das Gegentheil ordnen ausdrücklich an Straf.GB. § 138, GVG. § 180, während § 35 des Brausteuerges. den richtigen Standpunkt vertritt. — Dagegen können O. und D., weil ihrem Wesen nach verschieden, kumulirt werden (anerkannt im GVG. § 180). — Das Verfahren bei Ausspruch der O. ist vielfach besonders geregelt, ebenso die Voll­ streckung derselben (vgl. z. B. GVG. § 181 ff.); im Uebrigen muß analoge An­ wendung der Prozeßgesetze für zulässig erachtet werden (so ist die dem verurtheilten Zeugen zu Gebote stehende Beschwerde die der CPO. oder der StrafPO., je nachdem die Derurtheilung im Civil- oder Strafverfahren erfolgt ist). II. Disziplinarstrafen. Im weiteren Sinne ist D. jede Strafe, die einem anderen Zwecke dient als dem Schutze der öffentlichen Rechtsordnung. Sie muß als Art die Merkmale der Gattung an sich tragen, und nicht durch ihren Inhalt, son­ dern durch die Verschiedenheit des von ihr geschützten Interesses unterscheidet sich die D. von der kriminellen und O.; nicht Angriffs- sondem Schutzobjekt der Strafe sind hier und dort verschieden. Das Recht aber, D. zu verhängen (jus puniendi) ist, sobald überhaupt die erstarkende Staatsgewalt alle Lebenskreise zu durchdringen beginnt, durch deren zutheilende oder gestattende Anerkennung in Existenz und In­ halt bedingt; ja, in den wichtigeren Fällen nimmt die Staatsgewalt selbst auch die Disziplinarstrafgewalt an sich, weil sie die in Frage stehenden Jntereffen für zu werth­ voll hält, um ihren Schuh den interesfirten Kreism zu überlaffen. Danach können wir innerhalb der Di-ziplinarstrafgewalt die vom Staate anerkannte und die vom Staate übernommene unterscheiden:

Dttninft* mm vujiinuqtnnnk

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1) Die Fälle der staallich nur anerkannten, wenngleich vielleicht durch Bestimmung ihres Inhaltes und durch Bestrafung ihrer Ueberschreitung geregelten Dis­ ziplinargewalt find, entsprechend der Mannigfaltigkeit der ihrem Schutze unterstehenden Jntereffen, so reich an Zahl und Erscheinungsformen, daß eine Uebersicht unmöglich ist. Wissenschaftliche Untersuchung, die sehr dankbar wäre, fehlt bisher. In diese Klaffe gehört das Züchtigungsrecht deS Hausvaters, des Ehegatten (wenn ein solches besteht: vgl. Wind scheid, § 490 Note 11; Bahr. Kaffat.Entsch. vom 17. April 1875; Oesterr. Kaffat.Entsch. vom 8. Dez. 1877 Nr. 167 der Samm­ lung) , des Schullehrers (vgl. Erk. des Reichsgerichts vom 14. April 1880; Rechtspr. I. S. 593, Entsch. II S. 10), des Lehrherrn und der ihn vertretenden Gesellen und Gehülsm (RGew.O. § 127); die Disziplinarstrafgewalt des Dienst­ herrn (Vgl. ReichSgerichts-Erk. vom 12. April 1880; Rechtspr. I. S. 578, Entsch. H. S. 7), des Schissers gegenüber der Schiffsmannschaft (Seemannsordn. vom27. Dez. 1872, §§ 72 ff.) u. s. w. Es gehört hierher das Strafrecht, welches die verschirdmsten Jndividuengruppen gegen ihre Mitglieder auSübm; von den unbedeutendsten geselligen Vereinigungen angesangen bis zu den großen politischen Ver­ tretungskörpern (vgl. den Art. Geschästsordnung); von dem Börsen­ vorstand bis zu den Universitätsbehörden (soweit diese als autonome und nicht als staatliche Organe fungiren); von dm Häusern der regierenden Fürsten (hausgesetzliche Strafgewalt des Familimhauptes) bis zu dm herrschendm Religionsgesellschaften. Je umfaffender und tiefgreifmder der Wirkungskreis einer solchen Jndividumgruppe, desto schärfer muß die staaüiche Ueberwachung deS Disziplinarstrafrechtes derselbm sein; die partikularrechtliche Beschränkung (Preuß. Gesetz vom 12. u. 13. Mai 1873; Bad. Gesetz vom 14. Febr. 1874; Hess. Gesetz vom 23. April 1876; Sachs. Gesetz vom 23. Aug. 1876) der kirchlichen Disziplinar­ gewalt kann als Beispiel dimm (vgl. die Art. Censuren, Kirchenbann, Kirchenzucht). 2) Das vom Staate übernommene Disziplinarrecht. Auch hier tritt eine überraschmde Fülle von Einzelerscheinungen bei genauer Betrachtung zu Tage; reichs­ rechtliche und parttkularrechtlichr Satzungen beherrschm nebeneinander das Gebiet. Wmn einerseits die D. in dm Strafanstalten (vgl. Ekert in v. Holtzendorsf's Handbuch deS Straftechts Bd. IV. S. 200) der früher besprochenen Grupp« am nächsten steht, nimmt andererseits die D. gegen Beamte die höchste Stuft innerhalb der zweiten Gruppe ein (reichsrechtlich geregelt durch Gesetz vom 81. März 1878, betreffend die Rechtsverhältnisse der ReichSbmmtm. 1) £>.: a) Warnung, b) Verweis, c) Geldstrafe bei besoldeten Beamten bis zum Betrage deS etnmonatlichm DimsteinkommmS, bei unbesoldetm bis zu 90 Mark. 2) Entfernung aus dem Amte: a) Strafversetzung, b) Dienstentlassung). Ihre innere Natur ist Ion» troverS. Die herrschende kriminalistische Anficht (begründet von He ff ter), der sich von dm Staatsrechtslehren neuerdings Meyer und Zorn angeschloffm haben, lmgnet die prinzipielle Verschiedenheit zwischm dm Disziplinarvergehen und dm öffmllich strafbaren Vergehen im Amte, daher auch zwischm D. und krimineller Sttaft. Eine eigmthümliche Mittelstellung nehmm H. Meyer (Lehrbuch des SttaftechtS) und Schütze (s. d. Art. Amtsverbrechen) ein. Ersterer ftrmulirt ausS. 2 einen prinzipiellen Unterschied und erklätt auf S. 695 die Grenzfinie für eine lediglich pofittv-rechtliche; letzterer leugnet die prinzipielle Derfchiedmheit, stellt aber Unter­ scheidungsmerkmale auf, welche nicht anders dmn als prinzchielle betrachtet werdm können. Die herrschende Anficht wurde in neuester Zeit angegriffen von La band und Binding. Laband (Staatsrecht, I. S. 447 ff.) faßt die D. auf als Mittel die Erfilllung der Dimstpflicht zu erzwingen, als Aequivalmt der KonttattSllage auf Leistung. Nach Binding (Grundriß zur Vorlesung über Straftecht S. 112) ist sie pädagogisches Zuchtmittel im prinzipiellen Gegensatz zur kriminellm Sttaft, die Sühne des Bruchs der Rechtsordnung ist. — Nach dem obm Gesagtm kann keiner

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Orfila — Oersted.

dieser Ansichten beigetreten werden. Die D. gegen Beamte bezweckt Schutz des staatlichen Interesses an getreuer Pslichtersüllung und standes­ gemäßem Verhalten seiner Organe; darin und nicht in ihrem Inhalte liegt ihr Unterschied von der kriminellen Strafe. Das Disziplinarvergehen ist Verletzung der Dienstpflicht, nicht nothwendig Verletzung der öffentlichen Rechts­ ordnung; das Amtsdelikt ist begrifflich, also nothwendig, letzteres. Verletzt eine und dieselbe Handlung zugleich die öffentliche Rechtsordnung und jenes staatliche Interesse, so sind zwei innerlich verschiedene Rechtskreise verletzt, und die D. muß daher mit der öffentlichen Strafe kumulirt werden (ausdrücklich anerkannt in § 78 des Gesetzes vom 31. März 1873). Die Staatsgewalt schreitet in diesem Falle eben in doppelter Weise gegen den Schuldigen ein, und darin kann ebensowenig eine Verletzung des Satzes ne bis in idem gefunden werden, als wenn auf die Verurtheilung zu öffentlicher Strafe die disziplinarische Maßregelung des Verurtheilten durch irgend einen Verein, dessen Mitglied er ist, folgt. — Von demselben Gesichts­ punkte aus ist die D. gegen Rechtsanwälte und Notare, gegen Handels­ mäkler und Feldmesser u. s. w. zu beurtheilen (vgl. reichsgesetzlich die Rechts­ anwaltsordnung vom 1. Juli 1878; „Ehrengerichtliche Strafen": Warnung, Ver­ weis, Geldstrafe bis 3000 Mark, Ausschließung von der Rechtsanwaltschaft). Daraus folgt, daß, wenn Jemand zugleich mehreren Berufskreisen angehört, dieselbe Hand­ lung mehrfache D. nach sich ziehen kann (vgl. Urtheil des Ehrengerichtshofes gegen Norden vom 18. Nov. 1880 in.Rechtspr. des Reichsger. II. S. 535). — Auch die militärischen D., geregelt durch die Disziplinarstrafordn. für das Heer vom 31. Okt. 1872, für die Marine vom 23. Nov. 1873, gehören in die gleiche Kategorie. Interessant § 3 des EG. zum Mil.StrafGB. vom 20. Juni 1872, nach welchem gewisse öffentlich strafbare Militärdelikte „in leichteren Fällen im Disziplinarwege geahndet werden können" ; wie die Motive betonen, handelt es sich hier (und das ist wol auch die theoretisch richtige Ansicht) um eine Delegation der Strafgerichtsbarkeit an die Organe der Disziplinargewalt, nicht aber um eine Aenderung des Charakters der betreffenden Delikte. — Ganz unrichtig ist es dagegen, die gegen Zeugen und Sachverständige, gegen Geschworene und Schöffen wegen Ver­ letzung der Dienstpflicht, gegen die im Termine Anwesenden wegen Ungebühr u. s. w. zu verhängenden Strafen als D. zu bezeichnen. Die hier in Frage stehenden Delikte gefährden die öffentliche Rechtsordnung; die Strafe ist daher O. in dem oben unter I. 2) entwickelten Sinne.

Lit. u. Quellen sind im Texte mit angeführt; weitere Lit. über die D. bei La band und Bind in g a. a. O. — Bgl. auch v. Liszt, RStrafR., § 1 und § 42 IV. v. Liszt.

Orfila, Matthieu Joseph Bonaventura, 5 24. IV. 1787 zu Mahon auf Minorca, stud. ir. Valencia, Barcelona, Madrid, Paris, wurde 1819 Prof, der gerichtlichen Medizin in Paris, 1832 Dekan der medizinischen Fakultät und Präsident des Jurys mödicinaux bis zum Ausbruch der Februarrevolution, wo er entlassen wurde, t 12. III. 1853. Bekannt sind seine Untersuchungen über Arsen in der Affaire Lafarge, Raspail, Bocarms. Schriften: Trails des poisons ou toxicologie generale 1813, (5) 1852; deutsch Hermbstädt (3) 1826; Kühn (5) 1852; Krup p 1852. — Traite de medecine legale 1823, (4) 1848; deutsch von Krupp, 1848—50. — Traitö des exhumations juridiques (mit Lesueur), 1847. — Vorl. über Arsmikvergistung mit Bez. auf Fall Lafarge, von He noch, Leipz. 1843. Lit.: Annales d’hygtene et de inädecine legale, 1853. — Henke's Ztschr. 1853 Heft 3 S. 126. — Buchner, Lehrb. der gerichtl. Medizin, (2) 1872 S. 368, 375, 395. Kornfeld.

Oersted, Anders Sandöe, 6 21. XII. 1778 in Rudköbing auf Langeland, 1794 Student in Kopenhagen, 1801 Assessor des Hof- und Stadtgerichts, 1810 des höchsten Gerichts, 1815 gleichzeitig Doctor Juris honorarius der Universitäten in Kopenhagen und Kiel, 1825—1848 Generalprokureur, 1828 Konferenzrath, 1841

Orttteb — Ortolan.

971

Geheimer Staatsminister, bis er 1848 seinen Abschied erhielt. 1853—1854 Premier­ minister , Minister des Innern und des Kirchen- und Unterrichtswesens und Mit­ glied des Geheimen Staatsraths und eine Zeit lang als Justizminister fungirend. Neben den anderen Ministern wurde er 1855 vor dem Reichsgericht belangt, 1856 aber freigesprochen, f 1. V. 1860. Gründer der neuerm Dänisch-Norwegischen Rechtswissenschaft. Er schrieb Systematisk udviklingaf Begrabet Tyveri og denne Forbrydelses jnridia|ce Fölger samt andre denned forbundne Retsmaterier, Kbh. 1809. — Eunomia eller Sämling af Afhandlinger henhörende til Moralphilosophien , Statsphilosophien og den Dansk» Norske Lovkyndighed 1—4, Kbh. 1815—22. Theilweise übersetzt als: Abhandl. aus dem Gebiete der Moral- und Gesetzgeb.-Philos. 1—3, Kopenh. 1818—26. — Haandbog over den danske og norske Lovkyndighed med stadigt Hensyn til Hurtigkarls Lserelog 1—6, Kbh. 1822—35. — Af mit Livs og min Tids Histone 1—4, Kbh. 1851—57. — Er war Herausgeber folgender juristischer Zeitschriften, darin er eine Mmge Abhandlungen über alle Gebiete der Rechtswissenschaft publizirte, so auch viele Schriften ftemder Juristen und Gesetzmtwürfe fremder Lauder recmfirte: Joridisk Archiv 3 —30. Bd., Kbh. 1804—12. Seine Abhand­ lungen in dieser Zeitschr. gab er später heraus in einer neuen Ausgabe unter dem Namen: Archiv for Betsvidenskaben og dens Anvendelse, 1.—6. Bd. 1824—31. — Nyt joridisk Archiv, 1.-30. Bd. Kbh. 1812—20. — Juridisk Tidsskrift, 1.—6. Bd., Kbh. 1820—30. — Er war Mitausgeber von: Juridisk Maanedstidende, 1802 1.—2. Bd. und 1803 1.—2. Bd. B. A. Secher. Ortlied, Jules, 6 1848, stud. in Straßburg, wurde 1871 docteur in Nancy, 1878 Professor, t 28. VI. 1879. Er schrieb: Des effets de la poesession mobiliöre 1871. Lit.: Nouv. Revue historique, 1879 p. 421. — Allocutions et discours, Nancy 1879. Teichmauu. Ortloff, Friedrich, 8 10. X. 1797 zu Erlangen, stud. in Jma, Göttingm und Erlangen, wurde 1816 Dr. philos. und Hofadvokat in Koburg, 1817 Prof. am Gymn. Casimirianum, 1818 Dr. jur., 1819 Prof, in Jena, von 1819 bis 1825 im Schöppenstuhle, 1826 Rath und Honorarprofessor, 1844 Präsident des OApp.Ger., später der Kommission zur Ausarbeitung einer StrafPO. und eines StrafGB., 1858—1863 Mitglied der Kommission zur Abfassung eines bürgerlichen Gesetzbuchs und einer Prozeßordnung, f 10. X. 1868. Schriften: Justinian'S neue Verordnung über die Jntestaterbfolge, Cob. 1816. — Don dem Papstthum über der Kirche und den Staaten und von der Reformation, nebst Luther'95 Sätzen, Cob. 1817. — Ueber die Erziehung zum Bürger, Cob. 1818. — Comm. jur. rom. de thesauris, Erl. 1818. — Bon dm Handschriften und Ausgaben drS falischen Gesetze-, Cob. 1L Leipz. 1819. — Grundzüge eine- System- des Deutschen Privatrechts mit Einschluß deS Lehnrechts, Jena 1828. — Da- RechtSbuch nach Distinktioum nebst eitern Eisenachischen Recht-buch, Jena 1836 (Sammlung Deutscher RechtSquellen, Bd. L). — Alla. Deutsche WO. mit Erläut., Jena 1848. — Die Agitation in Jena im April 1848. — Hit Heimbach, Gudet, Schüler und Vermehren jurist. Abhandl. und Recht-fülle mit besonderer Rückficht auf die Lehre deS Sächs. Rechts und Entsch. deS OAG. zu Jma, Bd. I. 1647 ; Bd. IL 1857. — DaRechtSbuch Joh. Purgoldt'S (Sammlung Deutscher Rechtsquellen, Bd. II.), Jena 1860. — Geschichte der Grumbach'schen Händel, Jena 1868. Sein Bater Joh. Andreas O., aus einer Schuhuacherfamilie stammend, hatte sich in Erlangen zum Prof, der Philosophie emporgrschwunaen und f 1828. Er schrieb: Recht der Handwerker, Erl. 1803. — Corp. ur. opinciarii, Erl. 1804; 2. Aust. 1820. Lit.: Blätter für Rechtspflege in Thüringen und Anhalt, B). XVI. Heft 1 (als Nekrolog Jena 1869 erschienen). — Günther, LebenSstizzen, 1858, E. 89, 90. Teich mann.

Drtolait, Joseph Louis Elz 4ar, S 21. VIII. 18(2 zu Toulon, wurde 1826 Advokat, 1827 Unterbibliothekar beim Kassationshofe, 1810 Generalsekretär, las in der Sorbonne über Geschichte des konstitutionellen Rechts, an Athenäum über Handels­ recht, 1837 Prof, des Kriminalrechts, 1848 — 1851 Mitgled des oberm Erziehungs­ rathes, 1870 zum Mitglied der Gesetzrevifionskommisfion enannt, t 27. III. 1873. — Sein Bruder Jean F6licit6 Theodore, 6 1808, bt bis 1868 Schiffskapitän war, f 5. XII. 1874 zu Toulon, ist Verfasser von Rfcgles internationales et diplomatie de la mer (1844), 4. 6d. 1864.

972

Ortsstatuten.

Schriften: Explication hist, des Institutes de Justinien, Par. 1827; 10. ed. 1876. — De Penseignement du droit en France et specialement du droit romain et de Pancienne legislation frangaise, 1828. — Hist, de la legislation romaine, 1828; 10. öd. 1876; beides vereint von Labbe (11. ed. 1879). — Mit Ledeau: Le ministäre public en France, 1831. — Cours public d’histoire du droit politique et constit. en Europe pendant le moyen-äge, 1832. — Contre-paroles d’un croyant, 1834. — Introd. philos. et hist, au cours de lägisl. penale comparäe, 1839, 41. — Notice biogr. sur Dupin, 1840. — Enfantines 1845, 2. ed. 1860. — De la spuverainetd du peuple et des principes du gouvernement republicain mo­ derne, 1848. — Elements de droit penal, 1856; 4. öd. 1875. — Resumö des elements de droit penal, 1867 und 1874. — Les penalites de Penfer de Dante, 1873; spanisch von Vicente y Caravantes, Madrid 1873. — Revue de legisl. ancienne.et moderne 1872, p. 71.— Revue Foelix t. II., V., VII.. XIII. — Revue Wolowski t. XL, XIV., XV., XVII., XVIII., XXII., XXIV., XXV., XXVIII., XXXI. — Revue critique t. IV. — Revue pratique t. I, XVII. Lit.: Roulliet, Notice sur M. Ortolan, Paris 1878. — Academie de lögislation de Toulouse XXVI. p. XXXI—XXXV. — Revue de legislation 1873, p. 186—198. — Le tribunal et la Cour de cassation, 1879 p. 462—464. Teichmann.

Ortsstatuten sind Satzungen, welche eine Ortsgemeinde auf Grund ihrer Autonomie (vgl. diesen Art.) erläßt. Sie sind gleich allen autonomischen Satzungen Quellen objektiven, nicht subjektiven Rechts. Das von ihnen erzeugte Recht aber ist nicht nur in seiner Geltung auf das Gemeindegebiet beschränkt, sondern hat auch lediglich im Bereiche derjenigen Angelegenheiten, deren Regelung vom allgemeinen Staatsgesetz dem Belieben der Gemeinde überlassen wird, verbindliche Kraft. Im Mittelalter war die Gemeindeautonomie eine der wichtigsten und am reichlichsten fließenden Rechtsquellen. Durch O. wurde nicht nur das Verfassungs- und Verwaltungsrecht der einzelnen Gemeinden zum großen Theil begründet und fortgebildet, sondern auch ein besonderes Privatrecht für jeden Gemeindebezirk geschaffen. Auch nach der Rezeption des Röm. Rechts blieb ein jus statuendi der Gemeinden anerkannt, welches namentlich den Landstädten trotz der fortschreitenden Unterwerfung unter das mehr und mehr sich ausbildende ausschließliche landesherr­ liche Gesetzgebungsrecht in bedeutendem Umfange zugestanden wurde. Mit der Ent­ wickelung des modernen Staatsabsolutismus aber wurde das Recht der Selbstsatzung theoretisch bestritten and praktisch in immer engere Grenzen gebannt, so daß die Autonomie der Gemeinden theils ganz unterging, theils nur in den beiden Formen einer unter Mitwirkung der Gemeindeorgane ausgeübten staatlichen Lokalgesetzgebung einerseits, und eines übet gewisse Punkte mit erweiterter Kraft zugelassenen vertrags­ mäßigen Uebereinkomrrens andererseits sich erhielt. Erst die Gemeindegesetzgebung der neuesten Zeit hat, je mehr sie den Gemeinden wieder den Charakter selbständiger Gemeinwesen verlieh, desto entschiedener auch die Autonomie derselben im Prinzip von Neuem anerkannt, rnd eine Reihe von Angelegenheiten ausdrücklich der Regelung durch O. überwiesen. Cleichwol ist im Verhältniß zu dem ehemaligen jus statuendi das Machtgebiet der O. im , heutigen Recht eng begrenzt geblieben. Nach allgemeinen Grundsätzen versteht es sch aber von selbst, daß die O. älterer Herkunft auch hin­ sichtlich derjenigen durch sie erzeugten Rechtssätze, welche heute durch O. nicht gültig gesetzt werden könnten, insoweit ihre Geltung behalten haben, als sie nicht durch Gesetz oder Gewohnheit rufgehoben sind. In der That ist sowol in den Gebieten des Gemeinen Rechts al; in den Gebieten des Preuß. LR. in erheblichem Maße lokales Recht auf Grund fortbestehender alter Statutarrechte in Kraft. Nach dem heute n Deutschland geltenden Recht ist zunächst und vor Allem das Gemeine Privatreht der örtlichen Selbstsatzung im Prinzip entzogen. Nur ausnahmsweise hat sich ruf Grund der Fortdauer älterer Zustände eine mehr oder minder umfassende Befugnß zur Erzeugung eigener Privatrechtsnormen als Vorrecht einzelner Städte erhalten. So namentlich in Mecklenburg (vgl. Bühlau, Mecklenb. LR., I. S. 362 ff.). Dock hat mitunter auch die moderne Gesetzgebung in einzelnen Fragen von lokalrechtlicher Bedeutung den O. einen Einfluß auf die Erzeugung von

Orisstatnteu.

978

Privatrechtssätzen verstattet, wie z. B. in Hannover in den Jahren 1857—1862 mehrfach durch königlich sanktionirte Gemeindebeschlüffe Näherrechte aufgehoben und die Ziehzeiten bei der WohnungSmiethe abgeändert find (vgl. Kraut, Grundriß, 5. Aufl. § 19 Nr. 1—3). Ebenso greisen die nach der Reichsgewerbegesetzgebung zulässigen O. (vgl. unten) zum Theil in das bürgerliche Recht ein. Jedenfalls endlich können nach den neueren Gemeindegefehm die Gemeindm hinsichtlich der mit der Gemeindemitgliedschast verknüpften besonderen Privatrechte (z. B. Gemeindenutzungs­ rechte) statutarische Anordnungen treffen, welche insoweit, als sie die Bedingungen des Erwerbes und der Ausübung von jora smgulorum in universitate regeln, sich als eigenthümliche Privatrechtsnormm für einen korporativen Kreis darstellen (vgl. z. B. Prmß. Gesetz vom 14. Mai 1860; Großh. Hessische Städteordn. von 1874 Art. 9 und 114 ff.). Aus dem Gebiete des öffentlichen Rechts ist das eigene Verfassungs­ und Verwaltungsrecht, welches bei anderen Korporationen dm Hauptgegen­ stand der Autonomie bildet, durch die uniformirende Gemeindegesetzgebung unserer Zeit in seinem wesentlichen Inhalt dem Selbstsatzungsrecht der Ortsgemeinden ent­ rückt. Nur da, wo es an durchgreifendm generellen Gemeindeordnungen fehlt, wie dies in Prmßm hinsichtlich der Städte Rmvorpommems und hinsichtlich der Landgemeindm der östlichm Provinzen und Schleswig-Holsteins der Fall ist, beruht die innere Set» saffung der Gemeindm noch hauptsächlich auf besonderem Ortsrecht. Dabei ist dann aber die Um- und Fortbildung des Ortsherkommens oder des bisherigen geschriebmm Ortsrechtes durch organische O. an gewiffe vom Staate vorgezeichnete Grundzüge gebunden, und es ist der Staatsbehörde nicht nur die freie Gmehmigung oder Ver­ werfung eines von der Gemeinde zu Stande gebrachtm neuen VerfaffungSgesetzes, sondern erforderlichen Falls auch die selbständige Einrichtung der Ortsversaffung überlaffen. Indeß haben auch die uniformirmdm Gemeindeordnungen in neuerer Zeit wieder mehr und mehr innerhalb des von ihnen aufgestellten Rahmens der Gemeinde­ autonomie einen gewiffen Spielraum gewährt. Vielfach werden verschiedene Versaffungsformen, namentlich die Verfaffung mit getrennten und mit vereinigtm Verwaltungs- und Vertretungsorganen, derart zur Wahl gestellt, daß durch O. der Uebergang, von der einen zur anderen Form vollzogen »erben kann (vgl. z. B. König!. Sächs. Städteordn. von 1873 § 37 ff.). Ueberall aber werden statutarische Anordnungen über solche Punkte des inneren Körperschaftsrechts zugelaffm, über welche das Gesetz keine Bestimmungen enthält oder bei welchen es ausdrücklich Verschisdmheiten gestattet. Letzteres ist z. B. nach dm Preuß. Städteordn. für die östlichm Provinzm und für Westfalm von 1853 und 185$ bezüglich der Zahl der Stadtverordneten und Stadträthe, der Bildung ständiger Vmvaltungsdeputationm, der Ertheilung eines Bürgerbriefs, des Bürgerrechtsgeldes, des SchätzungSmoduS nach Steuerfähigkeit oder Einkommen, der Ordnungsstrafm gegen Steuerkonkavmimten, des Kämmereramts und der Wahltermine der Fall. Eine weitergehende Kompetenz räumen dagegen z. B. die Hannov. Städteordn. von 1851 und 1858 dm O. ein (vgl. §§ 1—3 nebst den Verweisungen auf O. in §§ 27, 32, 36, 38—42, 44, 45, 47, 83 ff., 134-136). Was das mit der Korporationsverfaffung nicht zusammenhängende gemeine ösfentliche Recht betrifft, so kann in dieser Hinsicht dis Recht der Gemeinde­ behörden zum Erlaß örtlicher Polizeiordnungen überall da wo (wie in Preußen) die Ortspolizei nur krast staatlichen Auftrags von Gemeindeorganen geübt wird, nicht als Bestandtheil der Gemeindeautonomie gelten. Wo dagegen die Ortspolizei (wie in Württemberg, Braunschweig, Weimar und Oesterreich) der Gemeinde als eigenes Recht zusteht, übt die Gemeindebehörde auch beim Erlaß örtlicher Polizei­ verordnungen ein kommunales Satzungsrecht aus. Hiervor abgesehen, werdm in sehr verschiedenem Umfange durch die Deutschen Landesgcsche Materien des öffent­ lichen Rechts der Regelung durch O. überlaffen. Vor Allan aber hat die Deutsche

974 Reichsgesetzgebung dm O. auf dem Gebiete des Gewerberechts eine gemeinrechtliche Kompetenz verliehm. Nach der RGew.O. von 1869 § 142 können O. die ihnm durch das Gesetz überwiesenen gewerblichm Gegenstände mit verbindlicher Kraft ordnen. DaS RGes. vom 3. April 1876 Art. 1 §§ 141 —141 c verstattet dm O., die Bildung von Hülfskaffen anzuordnen, den Gesellen, Gehülfm und Fabrikarbeitern die Beipflichtung zum Eintritt in eine eingeschriebene HülsSkaffe aufzuerlegen, und die Arbeitgeber mit Borschuß- und Anmeldepflicht, die Fabrikinhaber Lbeckies mit Beitragspflicht zu belasten. Durch das RGes. vom 17. Juli 1878 § 120 a ist die Einführung von Schiedsgerichtm zur Entscheidung gewisser Streitig­ keiten zwischen selbständigen Gewerbtreibenden und ihrm Arbeitern dm O. anheim­ gestellt. Welches Gemeindeorgan zum Erlaß von O. kompetent ist, richtet sich nach der Gemeindeverfaffung. Jnsofem nicht dm gemeindeobrigkeitlichen Kollegien oder Einzelvorstehern in gewissem Umfange eine BerordnungsgeWalt eingeräumt ist, bedarf es regelmäßig einer Mitwirkung der Gemeindeversammlung oder des dieselbe er« setzenden Repräsentativorgans. O. über gewerbliche Gegenstände sollen laut RGew.O. § 142 immer am Grund eines derartigen Gemeindebeschluffes, nach vorangegangener Anhörung betheiligter Gewerbtreibenden, abgefaßt werden. Nach den neueren Gemeindegesetzen find alle O. mit geringfügigen Ausnahmen an staatliche Bestätigung gebunden. Damit verändem sie an fich keineswegs ihre Natur: das bestätigte O. wird nicht zu einem Gesetzes- oder Berordnungsakt des Staates, sondern bleibt ein von der Auffichtsbehörde geprüfter und gutgeheißener Satzungsakt der Gemeinde. Wo fteilich die Staatsbehörde das ihr vorgelegte O. nicht blos genehmigen oder verwerfen, sondern inhaltlich abändern kann, finkt die Autonomie zu einem bloßen Vorschlagsrecht herab. O. über gewerbliche Gegen­ stände bedürfen nach der RGew.O. § 142 der Genehmigung der höheren Berwaltungsbehörde. Die Aufhebung von O. erfolgt durch anderweite Satzung, derogatorisches Gewohnheitsrecht uud staatliche Gesetzgebung. In der Regel aber ist überdies der staatlichen Auffichtsbehörde das Recht verliehen, O., welche mit den Gesetzen in Widerspruch stehen, außer Kraft zu setzen. Allgemein wird durch die RGew.O. § 142 hinfichtlich der O. über gewerbliche Gegenstände diese Befugniß den Central­ behörden der Deutschen Einzelstaaten beigelegt. Gsab.: Die Gemeindeordnungen (vgl. den Art. Gemeinde, Gemeindeordnung) und die im Text angeführter Reichsgewerbegesetze. Lit.: Die Mit. über das Gemeindewesen (vgl. hinter dem Art. Gemeindehaushalt; dazu seitdem H. Schulze, Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts, S. 410 ff., hier speziell S. 413-414). O. Gierke.

Oserrbrüggen, Eduard, 6 24. XII. 1809 zu Uetersen in Holstein, stud. in Kiel und Lnpzig, habilitirte sich in Kiel, 1843—1851 Prof, in Dorpat, dann in Zürich, f 9. VI. 1379. Schriften: De jun belli et pacis Romanorum über Singularis, Lips. 1836. — Das altrömifche Paricidium, Kel 1841. — Cicero's Rede f. T. Annius Milo, Hamb. 1841. — Zur Interpret, des Corp. Jur civ., Kiel 1842. — Cicero'- Rede f. S. Roscius, Braunschw. 1844. — Der Rechtsunterricht auf den Universitäten, Dorpat 1844. — Theorie und Praxis des Livländ., Efthländ. urt Kurland. Kriminalrechts, Dorpat 1846, 47. — Bericht über ein Practicum criminale, Dorpat 1848. — Die Brandstiftung in den Strafgesetzbüchern Deutsch­ lands und der Deutschen Schweiz, Leipz. 1854. — Kasuistik des Kriminalrechts, Schaffh. 1854. — Ter Hausfrieden Erl. 1857. — Abhandl. aus dem Deutschen Strafrecht, Erl. 1857. — Beitrag zur Strafrechtsaeschichte der Schweiz, Zürich 1859. — Das Alamannische Strafrecht im Deutschen Mittel alt er, Schaffh. 1863. — Das Strafrecht der Langobarden, Schaffh. 1863. — Rechtsaltirthümer aus Oesterr. Pantaidingen, Wien 1863. — Bemerkungen über den Entwurf eines StcafGB. für Oesterreich, Wien 1867. — Studien zur Deutschen und Schweiz. RechtSgeschichte, Shaffh. 1868. — Die Ehre im Spiegel der Zeit, Berl. 1872. — Die Deutschen Rechtssprichwörter Basel 1876. — Die Schweiz in den Wandlungen der Neuzeit,

OeSfeld — Otto.

975

Berl. 1876. — Eine Metamorphose im Deutschen Strafrecht, Berl. 1878. — Er gab den 3. Bd. von Kriegel'S Corp. jur. civ., Lips. 1840 und Dossier juristische Studien heraus, Dorpat 1849. — Diele Abhandl. in Zeitschritten und sonstige Schriften (vgl. Nekrologe). Lit.: Teichmann im Gerichtssaal XXXI. 321—326. — Krit. V.J.Schr. XXII. 321 bis 326. Teichmann.

OeSfeld. Hermann von, schrieb um die Mitte des 14. Jahrh, ein Register über das Sächsische LR., die Cautela und die Promis. Lit.: Stobbe, Rechtsauellen, I. 398, 397 Note 23, 393 Note 3. — Bruns, Beitr. zu den Deutschen Rechten des Mittelalters, Helmst. 1799, S. 138 ff. Deichmann.

Osia, Melchior von, S 1506, eine Zeit lang Prof. des Röm. Rechts in Leipzig, dann Herzogl. Rath bei Georg d. Bärtigen, feit 1542 Rath, später Kanzler Kurfürst Johann Friedrichs, 1550 Kaiser!. Rath, 1553 Hofrichter zu Leipzig, zu Gesandtschaften verwendet, t 1557. Sein (über alle Zweige der Staatsverwaltung fich aussprechendes) Testammt gab mit Kommentar Chr. Thomasius 1717 hnaus. Lit.: v. Langenn, Doktor M. von Osta, Leipz. 1858. — v. Stintzing, Geschichte der Teutscheu Rechtswissenschaft, (1880) I. 74 u. ö. Teich manu.

Otto, Carl Eduard v., 8 24. VIII. 1795 zu Dresden, stud. zu Leipzig, wurde Magister und Doctor philos. am 20. II. 1818, absolvirte das rigorosum bei der juristischen Fakultät am 18. Mai d. I., ging nach Güttingen, wo er Hugo näher trat, dann kurze Zeit nach Hamburg und Berlin, doktorirte 1820 in Leipzig, wurde 1822 außerordentl., 1826 ordentl. Prof., ging 1832 nach Dorpat, wo er 25 Jahre erfolgreich wirkte, kehrte dann als wirklicher Staatsrath nach Dresden zurück, f da­ selbst 20. IV. 1869. Schriften: Dies, de Atheniensium actionibus forensibns comm. grammatica et historica, Lips. 1820. — De Atheniensium actionibus forensibns, Lips. 1826. — Gedächtniß» stier der 1300jährigen Dauer der Gesetzeskraft der Institutionen und Pandekten des Römischen Rechts, Dorpat 1833. — De Atheniensium actionibus forensibus publicis, Dorpat 1852. — Er besorgte die 3. Ausgabe von Eisenhartes Grundsätze der Deutschen Rechte in Sprüchwöktern, Leipz. 1823, Haubold’3 Instit. jur. Rom. pnvati hist, dogmat. lineamenta, Lips. 1826: Auswahl aus dem handschriftlichen Nachlasse semes Vaters, Leipz. 1827, und arbeitete mit Schilling und SinteniS an der Verdeutschung des corp. jur. civilis (Buch 2, 3, 12, 13, 15, 16, 21-27). 8tt: A. Bulmerincq, Carl Eduard Otto. Eine biographische Skizze, Dorpat 1858. Teichmann. Otto, Everardus, 8 1685 zu Hamm, lehrte 1714—39 zu Duisburg und Utrecht, t als Syndikus in Bremen 1756. Schriften: De aedilibus coloniarum. 1713; Lips. 1732. — Thesaurus jur. Rom. tom. I —IV. Lugd. Bat. 1725—29, tom. I —V. Trag. 1733— 35; Basil. 1741—45. — Dissertationum jur. publ. et privati pars L, Traj. 1723. — De jurisprndentia symbolica, Ultng. 1730. — Ad Justiniani institut s. elementorum libb. 4 a Ctgacio emendatos notae et Comment, Thu. 1729, cura Iselii, Basil. 1760. — De tutela viarum publicarum, 1731. — De vita, studiis, scriptis et honoribus Servii Sulpicii, Tny. 1737. — Papinianus, s. de vita etc. Papiniani, Brem. 1743. Lit.: Jugler, I. 151—175; VI. 318—320. — Rivier, p. 540. Teichmann.

Otto Papiensis, 8 zu Pavia, lehrte wahrscheinlich in Bologna in der zweiten Hälfte des 12. Jahrh. Sigle Ot. ©driften: Glossae. — De ordine judiciorum, 1536, Venet 1567. — Distinctiones. Lit.: Savigny, IV. 377—384. — Steffenhagen, Beitr. zu Savigny's Gesch. des Römischen Rechtes im Mittelalter, 1859 ; 2. Aust. KönigSb. 1861. — Bethmann-Holl» weg, Der Civ.Prz. deS Gem. Rechts, Bd. VI. 1874 S. 67 ff., 198. Teichmann.

Pierer'fche Hofdnchdruckerei.

Steph« Gerde! * Lo. in AUenburg.