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German Pages 186 [183] Year 2021
Philosophische Bibliothek
Aristoxenos Elemente der Rhythmik Theorie der musikalischen Zeit Griechisch – Deutsch
AR ISTOX ENOS
Elemente der Rhythmik Theorie der musikalischen Zeit
Griechisch – Deutsch
Griechischer Text nach Paul Marquard Übersetzt, mit einer Einleitung und einem Kommentar herausgegeben von
Wolfgang Detel
FELIX MEINER VERLAG HAMBURG
PH I LOS OPH I S CHE BIBL IOTH EK BAN D 751
Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über abrufbar. ISBN 978-3-7873-4040-8 ISBN eBook 978-3-7873-4041-5
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I N HA LT
Einleitung. Von Wolfgang Detel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII 1. Aristoxenos und Aristoteles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII 2. Zur Forschung über die Rhythmik des Aristoxenos . . . . . . . . . XIV 3. Zur vorliegenden Edition der Elementa Rhythmica . . . . . . . . . XXVI 4. Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXXI Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXXIII 1. Editionen, Übersetzungen, Kommentare . . . . . . . . . . . . . . . . XXXIII 2. Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXXIV
ARISTOXENOS
Rhythmik Elementa rhythmica Buch II , §§ 1–36 (Text, Griechisch – Deutsch) . . . . . . . . . . . . . 2 Kommentar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 1. Metaphysik, Zeit und Rhythmus (ER 2–7) . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 2. Analytische Elemente des Rhythmus (ER 8–15) . . . . . . . . . . . . 46 3. Versfüße als Bausteine des Rhythmus (ER 16–21) . . . . . . . . . . . 65 4. Synthesis des Rhythmus: die Rhythmus-Produktion (Einschub) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 5. Arten und Größen von Versfüßen (ER 22–36) . . . . . . . . . . . . . 92 6. Die Logik der aristoxenischen Rhythmik (Anhang) . . . . . . . . . 101
Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 1. Aristoxenos und die Theorie des musikalischen Rhythmus . . . 117 2. Aristoxenische Rhythmik und aristotelische Philosophie . . . . 125 Index Verborum Graecorum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 Index Verborum Germanicorum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141
EINLEITUNG
musicus idemque philosophus Cicero über Aristoxenos1
1. Aristoxenos und Aristoteles Aristoxenos gilt als einer der einflussreichsten Musiktheoretiker der europäischen Geschichte.2 Er hat nach verbreiteter Auffassung die traditionelle Musiktheorie der Pythagoreer3 abgelehnt4 und die empirische Musikwissenschaft begründet.5 Aristoxenos, Sohn des Mnesias und Spintharus, war ein Musiker aus Tarent. Nachdem er einige Zeit in Mantineia zugebracht hatte, wurde er ein Philosoph und versäumte nicht, sich der Musik zu widmen. Er war ein Schüler seines Vaters und des Lampros von Eurythäa, später des Pythagoreers Xenophilos und schließlich des Aristoteles. Letzteren klagte er an, weil er Theophrast die Schulleitung übergab, obgleich er (Aristoxenos) großes Ansehen unter den Schülern des Aristoteles genoss. Er lebte in der Zeit, in der Alexander der Große lebte, und danach, das heißt von der 11ten Olympiade an. Er schrieb über Musik und Philosophie und Geschichte und Erziehung, und die Zahl seiner Bücher beläuft sich auf 453.6 1 Cicero Frg. Ia-1–05. Kaiser 2010, 3. 2 Siehe Barker 2015. 3 Ein genaueres Bild der pythagoreischen Musiktheorie vermittelt die Sectio Canonis, vgl. Barker 1981. 4 Auch Theophrast, Nachfolger von Aristoteles als Schulhaupt der peripatetischen Schule, hat die pythagoreische Musiktheorie kritisiert, vgl. dazu Barker 1977 und Anderson 1980. 5 Vgl. genauer Bühler 2017, Zhmud 2012. 6 Suda s. v. Aristoxenos, Frg. 1.
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Einleitung
Viel mehr als die Suda in diesen Zeilen berichtet, wissen wir über das Leben des Aristoxenos nicht. Sein Vater wird auf den ersten Blick merkwürdig beschrieben. Er hieß tatsächlich Spintharus und wurde später zusätzlich auch Mnesias genannt. Zusätzliche Namen mit der Wurzel Mne wurden renommierten Pythagoreern zugesprochen. Aristoxenos wuchs also in einem pythagoreischen Umfeld auf. In Mantinea wurde die Musikerziehung gefördert. Bei Xenophilos lernte er zweifellos die mathematische Harmonik der Pythagoreer kennen. Er hatte breite Interessen, doch von seinen zahlreichen Büchern sind nur zwei musiktheoretische Schriften erhalten, allerdings nicht vollständig. Von seiner Harmonik (im Folgenden abgekürzt durch EH [Elementa Harmonica]) sind immerhin zweieinhalb von drei Büchern überliefert worden, von seiner Rhythmik (also der Theorie des musikalischen Rhythmus, im Folgenden abgekürzt durch ER [Elementa Rhythmica]) dagegen nur elf Seiten aus dem Beginn des zweiten Buches dieser Schrift. Aristoxenos war jedoch nicht nur ein empirischer Musiktheoretiker, sondern auch ein Philosoph. Darauf weist die Suda ausdrücklich hin. Er schrieb über Philosophie (zum Beispiel über Platon und die pythagoreische Ethik) und wurde Schüler des Aristoteles. Er genoss sogar so großes Ansehen, nicht zuletzt bei Aristoteles selbst, dass er offenbar für die Nachfolge des Aristoteles in dessen peripatetischer Schule in Frage kam. Ob Aristoxenos wirklich verärgert darüber war, dass schließlich doch Theophrast zum Schulhaupt ernannt wurde, bleibt zweifelhaft, denn in den überlieferten Fragmenten spricht Aristoxenos stets voller Hochachtung von seinem philosophischen Lehrer.7 Wir können also davon ausgehen, dass Aristoxenos die zeitgenössische Philosophie und insbesondere die aristotelische Philosophie bestens kannte und sich selbst nicht nur als Musikwissenschaftler, sondern auch als Philosoph verstand. Der überragende historische Einfluss, der vom musiktheoretischen Werk des Aristoxenos ausging, führte dazu, dass sich – so 7 Vgl. z. B. EH (Elementa Harmonica) 2.30–31.
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das vorherrschende Bild – im Verlauf der europäischen Musik geschichte zwei große Traditionen der antiken Musiktheorie entwickelt haben, deren eine auf Pythagoras zurückgeht, während die andere von Aristoxenos begründet wurde. Die pythagoreische Harmonik ist diesem Bild zufolge mathematisch und nicht empirisch, die aristoxenische Harmonik ist empirisch und nicht mathematisch. Aristoteles hat die Musikwissenschaft noch als mathematische Disziplin betrachtet. Sein Schüler Aristoxenos dagegen artikuliert bereits explizit und selbstbewusst seine eigene historische Leistung: die Begründung der empirischen Musikwissenschaft als autonomer wissenschaftlicher Disziplin. Wie Andrew Barker sehr zu Recht herausstreicht, sieht Aristoxenos selbst den Kern seiner musikwissenschaftlichen Innovation in seinem methodologischen Vorgehen und seiner an Aristoteles angelehnten wissenschaftstheoretischen Position, die er auf die Analyse der Musik anwendet. Erst dadurch erhebt er diese Analyse zu einer genuinen Wissenschaft.8 Zugleich kritisiert er die rein mathematische Musiktheorie der Pythagoreer auf das heftigste, betont die empirischen Grundlagen jeder seriösen Theorie der Musik und scheint in den ersten beiden Büchern seiner – fast vollständig erhaltenen – EH empirische Prinzipien der Musiktheorie darzustellen und im erhaltenen Teil von Buch III eine Reihe von Beweisen weiterer Theoreme zu präsentieren.9 So schreibt Aristoxenos an einer vielzitierten Stelle: 8 »Very few of his withering outbursts are concerned with points of musicological detail. Their regular focus is on deficiencies of a larger sort, on other people’s failure to understand the conditions which harmonics, as a genuine science, must meet … The unique achievement that raises him (in his own opinion) above all his predecessors and competitors is that he has grasped completely, as no one else has done, what the pursuit of the science involves« (Barker 2007, 136). Barker widmet diesem Thema ein ganzes Buchkapitel, vgl. Barker 2007, Kap. 4. Siehe auch Barker 1984 und 1991. 9 Vgl. z. B. Gibson 2005, Barker 2007, Barker 1991, Long 1970, Litchfield 1988. Bélis 1986. Barker 1991 bemerkt zum Beispiel zur »general adequacy of fit between the EH elem. and the framework that Aristotle proposes: That there is some sort of rough correlation is reasonably clear.« (195). Barker
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Einleitung Wir … versuchen, erstens Prinzipien anzunehmen, die sämtlich Phänomene (phainomena) und für erfahrene Musikhörer evident sind, und zweitens zu demonstrieren, was aus ihnen folgt … Da jede Wissenschaft, die aus mehreren Theoremen besteht, erste Prinzipien postulieren sollte, mit deren Hilfe die von den Prinzipien abhängigen Dinge demonstriert werden können, müssen auch wir (sc. in der Harmonik) solche Prinzipien postulieren.10
Es ist vor allem diese logische Struktur, die unmittelbar an die aristotelische Wissenschaftstheorie erinnert, wie Aristoteles sie vor allem in seinen Analytica Posteriora umrissen hat. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die bisherige Forschung die wissenschaftliche Beziehung zwischen Aristoxenos und seinem philosophischen Lehrer Aristoteles ausschließlich auf wissenschaftstheoretischer Ebene untersucht hat. So bemerkt zum Beispiel Sophie Gibson: Speculation on the structure of music had its origin in a Pythagorean environment. Its focus was on the numerical relationship between n otes and, at its furthest stretch, developed into a comparison between musical, mathematical, and cosmological structures. Aristoxenus eventually rejected this mathematical approach to the study of music and attempted to establish an empirical science of harmonics. This empirical emphasis may have been owing to the third major influence on Aristoxenus mentioned in the Suda passage: Aristotle … Aristoxenus can be seen as the founder of this science and as the person who established music theory as an independent subject … as the founder of musicology. 11
weist explizit darauf hin, dass Buch II der Harmonik der Einführung der Axiome und Definitionen gewidmet ist und Buch III die logischen Demonstrationen enthält (ibid.). 10 EH 44. 4–7. 11 Gibson 2005, 2–4. Die Bemerkung über die Suda bezieht sich auf den Suda-Artikel über Aristoxenos. Zum speziellen Status der empirischen Musiktheorie bei Aristoxenos vgl. Litchfield 1988.
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Nach Gibson besteht also die entscheidende theoretische Leistung des Aristoxenos darin, das Nachdenken und Spekulieren über Musik allererst in den Stand der Wissenschaft erhoben zu haben. Und diese Leistung wurde vor allem dadurch möglich, dass Aristoxenos die aristotelische Wissenschaftstheorie, wie sie in den Analytica Priora (Logik) und den Analytica Posteriora (Theorie empirischer Wissenschaften) umrissen wird, gekannt und auf die empirische Musikwissenschaft angewendet hat. So sieht es, wie bereits bemerkt, auch Aristoxenos selbst. Die Textevidenz für diese Einschätzung stammt allerdings bisher ausschließlich aus seiner Harmonik (= EH ). Aristoxenos hat jedoch aller Wahrscheinlichkeit nach den Anspruch erhoben, auch die Theorie des Rhythmus zum ersten Mal als empirische Wissenschaft etabliert zu haben. Vor Aristoxenos werden Metrik und Rhythmus meist von der Melodie unterschieden, aber nicht voneinander. Einer der Gründe dafür ist, dass Metrik und Rhythmus primär im Blick auf ihre sprachlichen Instanzen beschrieben wurden. Es war vor allem Platon, der den Primat der Sprache gegenüber der Musik betont und daher reine Instrumentalmusik verdammt hat. Musik soll allein der Unterstützung des sprachlichen Ausdrucks dienen.12 Platons Auffassung vom Primat der Sprache gegenüber der Musik und insbesondere auch dem Rhythmus bereitet offenbar den Reduktionismus des musikalischen Rhythmus auf die sprachliche Metrik vor. Auch bei Aristoteles bleibt die Differenz von Rhythmus und Metrik nebulös. Als Beispiele für Rhythmen nennt er den heroischen, iambischen, trochäischen und paeonischen Rhythmus.13 Die Diskussion über die erzieherische Wirkung der Musik in der Politik stellt Harmonik und Rhythmik gegenüber, jedoch ohne Er12 Plat. Rep. 398 d ff., Nom. 669 d ff. An zwei Stellen (Philebos 17 d, Gorgias 502 c) scheint Platon allerdings Rhythmik und Metrik zu trennen, unter anderem, weil er dem Tanz Rhythmen zuschreibt, obwohl Tanzschritte nicht metrisch sind – so dass es Rhythmen unabhängig von der sprachlichen Metrik geben muss. 13 Arist. Rhet. 1408b21 ff.
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wähnung der Metrik.14 Das scheint zu bedeuten: Platon und Aristoteles reflektieren über den paradigmatischen Fall von Musik, nämlich als Melodie oder Begleitung einer Singstimme, die e inen sprachlichen Text artikuliert. Die Rhythmik der Musik als Begleitung eines gesungenen Textes ist nichts anderes als die Metrik der Sprache dieses Textes. So wird zum Beispiel der Term »Rhythmus« auf Sequenzen sprachlicher Silben angewendet.15 Aristoteles definiert den Rhythmus als »Zahl der Form des Wortes«, wobei zwei kurze Silben als gleichwertig mit einer langen Silbe gerechnet werden.16 Die Versfüße in den metrischen Formen sind Einheiten, in denen Rhythmen gemessen werden können, so dass sich metrische Formen als Teile von Rhythmen betrachten lassen.17 Gewisse Rhythmen machen die Rede wohlgeordnet (Rhetorik III 8, 1409a23). Beispielsweise sind Jambus oder Trochäus, allgemein gesprochen, bestimmte Rhythmen der Sprache, zum Beispiel als Tetrameter, also vier Iamben und Trochäen hintereinander, deren einzelne Sektionen (also ein einzelner Jambus oder Trochäus) jeweils Metren sind. Das Metrum ist also das kleinste Einheitsmaß, aus dem sich Rhythmen zusammensetzen. In diesem Zusammenhang korreliert Aristoteles den Rhythmus der Sprache mit Zahlen und numerischen Abgrenzungen: Die numerische Abgrenzung der Form eines zusammengesetzten Textes konstituiert den Rhythmus des Textes, denn es ist die Zahl, die alle Dinge begrenzt (Rhetorik III 8, 1408b21–29). In Problemata V 16 (882b1–13) dagegen wird das rhythmische Atmen diskutiert, das sich bei schnellem Laufen einstellt. Das schnelle Laufen ist eine Bewegung, an der sich reguläre Inter valle abzeichnen, die wir beobachten können (Bewegung des linken – rechten Beines …). Entsprechend wird eine Atmung generiert, die ebenfalls bestimmte reguläre Intervalle involviert (Aus 14 Arist. Polit. 1340b20 ff. 15 Plat. Kratylos 424c1–2. 16 Arist. Rhet. 1408b28–29. 17 Arist. Rhet. 1408b21–25, Poetik 1448b20–22.
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atmen – Einatmen – Ausatmen – Einatmen – …). Damit wird auch ein Rhythmus generiert, den wir beobachten können (ist die Bewegung zu langsam oder zu schnell, so können wir an ihr keine regulären Intervalle beobachten). Der Rhythmus ist dann das Maß der Bewegung. In diesem Kontext scheint der Rhythmus nicht an Sprache gebunden zu sein. In seiner Politik, Buch VIII , Kapitel 5–6, beschäftigt sich Aristo teles vor allem mit den positiven pädagogischen Wirkungen von Melodie und Rhythmus auf den menschlichen Charakter – Effekte des Hörens von Musik, aber auch des aktiven Musizierens.18 Dabei gehört zum Beispiel das Spielen von Aulos und Lyra zu den mimetischen Künsten, und ihre Mittel sind Harmonie plus Rhythmus. Die künstlerische Imitation von Musik mit dem Rhythmus allein ist die Tanzkunst. Musizieren und Tanzen sind also Formen der künstlerischen Imitation (Poetik 1, 1447a14–28). Aristoteles betont, dass die Wahrnehmung von Rhythmus und Harmonie für Menschen natürlich ist (kata physin) (Poetik 4, 1448b21). Die pseudo-aristotelischen Problemata (Buch XIX ) 19 liefern unter anderem kurze Erklärungen für einige der oben bereits genannten Thesen: Warum ähneln Rhythmen und Melodien den ethischen Charakteren, im Gegensatz zu Geschmack, Farben und Duft? Weil Rhythmen und Melodien auf Handlungen beruhen und Handlungen eng mit Charakteren verbunden sind (Probl. XIX 28). Und alle Menschen freuen sich über Rhythmen und Melodie, weil sie sich über natürliche und geordnete Bewegungen freuen; insbesondere der Rhythmus enthält eine vertraute Zahl und bewegt uns in einer regulären Weise (Probl. XIX 38, 920b29). Die ethische Bewertung von Melodie und Rhythmus spiegelt nach Aristoteles die Wertschätzung wider, die sowohl Melodien 18 Vgl. dazu genauer Fleischer 1949, Brüllmann 2013, Woerther 2008, Fieconni 2016. 19 Die Problemata stammen wahrscheinlich nicht von Aristoteles selbst, sondern von seinen engsten Schülern und repräsentieren daher originelles aristotelisches Gedankengut.
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als auch Rhythmen unter Menschen genießen oder zumindest genießen sollten. Diese Wertschätzung gehörte vermutlich für Aristoxenos zu den stärksten Motiven, die Theorien der Melodien und Rhythmen auf eine empirische und zugleich wissenschaftliche Grundlage zu stellen. Doch auf der theoretischen Ebene herrschte offenbar im Nachdenken über Metrik und Rhythmik vor Aristoxenos eine weitgehende Verwirrung vor. Man wird Sophie Gibson grundsätzlich zustimmen können, wenn sie feststellt: There is evidence for some theoretical discussion of rhythm well before the appearance of Aristoxenus’ treatise,20 although from the evidence of Aristophanes, Plato and Aristotle it appears that a clear distinction between metrics and rhythmics is seldom made, and in fact there is barely any difference in their use.21
Die theoretischen Überlegungen von Platon und Aristoteles zum Rhythmus waren also für Aristoxenos nicht hilfreich. Er muss sich darüber im Klaren gewesen sein, dass er im antiken Kontext auch mit der Etablierung einer autonomen, empirischen und wissenschaftlichen Rhythmik Neuland betrat.
2. Zur Forschung über die Rhythmik des Aristoxenos Das aristoxenische Rhythmik-Fragment beginnt nach einhelliger Meinung der Forschung mit Buch II der ursprünglichen Schrift und weist darauf hin, dass in Buch I über Rhythmen allgemein gesprochen wurde und nun, mit Buch II , die Erörterung des musikalischen Rhythmus beginnt. Der erhaltene Text bricht nach 11 Seiten mitten in Buch II ab, enthält also nur einen recht kleinen Teil der 20 Einige Passagen bei Platon und Aristophanes spielen auf einige technische Termini und deren Kenntnis bei ihren Lesern bzw. Hörern an, vgl. Gibson 2005, 80 f. 21 Gibson 2005, 81.
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Theorie des musikalischen Rhythmus von Aristoxenos. Allerdings wird der erhaltene Teil als grundlegend eingeschätzt. Überdies gibt es fünf spätere Quellen (im Folgenden 5Q genannt), in denen teilweise substantielle Informationen über die aristoxenische Rhythmik enthalten sind: – Psellus: Einführung in das Studium des Rhythmus. – FN : Fragmenta Napolitana. – Aristides (Quintilianus): De Musica.22 – AXPZ : Fragment Über die primäre Zeit (protos chronos), zitiert bei Porphyrios 78.21–79.28 – PO xy9/2687 (Fragment).23 Diese Quellen sind recht vertrauenswürdig. Psellus und FN enthalten Zusammenfassungen von ER , aber auch von EH . Da – wie bereits bemerkt – von EH ein substantieller Teil überliefert ist, lässt sich feststellen, dass die in Psellus und FN präsentierten Zusammenfassungen alles in allem korrekt sind, so dass eben dies auch von den Zusammenfassungen von ER angenommen werden kann. Aristides ist besonders wichtig, weil seine Zusammenfassung sehr ausführlich und detailliert ist und im Übrigen aus exakt demselben Grund als vertrauenswürdig angesehen werden kann wie Psellus und FN . Quelle AXPZ besteht aus wörtlichen Zitaten einer Schrift von Aristoxenos, und Quelle PO xy9/2687 verwendet das aristoxenische Vokabular so extensiv und genau, dass der Text wenn nicht von Aristoxenos selbst, so doch von einem sehr guten antiken Kenner seiner Rhythmik stammen muss.24 22 Zu dieser wichtigen Quelle vgl. Winnington-Ingram 1963, Caesar 1861, Barker 1982. 23 Die Quellen Psellus, FN, sowie AXPZ und POxy9/2687 sind enthalten und ediert in Pearson 1990 (dort finden sich auch die vollen bibliographischen Angaben zu den fünf oben genannten Quellen). Vgl. neuerdings auch Marchetti 2009. Im Kommentar dieser Edition der Rhythmik wird vor allem die Terminologie, die Aristoxenos in seiner Theorie des musikalischen Rhythmus entwickelt, ausführlich erörtert. 24 Vgl. Gibson 2005, 82–84.
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Die Rhythmik-Theorie des Aristoxenos wurde in der Antike über mehrere Jahrhunderte hinweg intensiv diskutiert und im Mittelalter gelegentlich erwähnt, geriet aber von der frühen Neuzeit an in Vergessenheit. Erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts machte Jacobo Morelli der modernen Welt die erhaltenen Fragmente der aristoxenischen Rhythmik bekannt.25 Einige der größten Altertumsforscher des 19. Jahrhunderts, namentlich Boeckh und Westphal, haben sich rund ein Jahrhundert später auf der Grundlage dieser Edition erstmals wissenschaftlich mit ER beschäftigt – augenscheinlich mit wachsender Begeisterung. Einige von ihnen gelangten zu der Überzeugung, dass die Theorie des Rhythmus, die Aristoxenos vorgelegt hat, weit mehr ist als die historisch früheste wissenschaftliche Darstellung des musikalischen Rhythmus, sondern vielmehr Gesetzte des Rhythmus aufstellt, die »in der Natur des Rhythmus selbst begründet sind und hierdurch für ewige Zeiten ihre Geltung behalten werden«.26 Insbesondere stellten sie die strenge Systematik der aristoxenischen Rhythmustheorie dem wirren Chaos der Überlegungen des 19. Jahrhunderts zum musikalischen Rhythmus genussvoll gegenüber. Und sie gingen wie die antiken Musiktheoretiker nach Aristoxenos davon aus, dass erst Aristoxenos eine klare Unterscheidung zwischen Metrik und Rhythmik getroffen hat. Es ist daher hilfreich, sich in aller Kürze zu vergegenwärtigen, wie diese Interpreten die Rhythmustheorie von Aristoxenos zusammenfassen.27 Zentral für Aristoxenos ist demnach zunächst die Differenz des gesprochenen Rhythmus und des musikalischen Rhythmus. Grundsätzlich weisen beide Rhythmen dieselben Versfüße und Versmaße auf, insbesondere die Differenz zwischen langen und 25 Cf. Morelli 1785. 26 Vgl. So die Bemerkung von Franz Saran in Aristoxenos von Tarent (1883), ND 1965, CXLVI. 27 Dafür scheint mir die Einführung von Franz Saran Aristoxenos von Tarent (1883), ND 1965, CXLV–CLXXIII gut geeignet zu sein, die ich daher im Folgenden zugrunde lege.
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kurzen Silben sowie die Akzente,28 aber der sprachliche Rhythmus ist kontinuierlich und weist kein stabiles isochrones Verhältnis zwischen kurzen und langen Silben (»Zeiten«) auf; insbesondere sind die gesprochenen Kürzen oft nur etwa 1/10 so lang wie die gesprochenen Längen. Der musikalische Rhythmus ist diskontinuierlich, weil er auf die Bewegung von Melodien in Intervallen zugeschnitten ist; vor allem aber ist der musikalische Rhythmus isochron und unterstellt stets (unabhängig vom Tempo) ein quantitatives Verhältnis zwischen kurzen und langen Silben von 1 : 2. Für die Herstellung von Isochronie muss eine Primärzeit (chronos protos, wörtl. erste Zeit) als kleinste Einheit des musikalischen Rhythmus ausgezeichnet werden. Genauer ist die Primärzeit eines gegebenen musikalischen Rhythmus der einzelne Beat (Schlag) (Symbol ◡). Wenn wir heute vom 3/4-Takt, vom 4/4-Takt, vom 3/8-Takt, vom 6/8-Takt, vom 6/4-Takt etc. reden, dann geben die Zähler dieser Brüche die Anzahl der Primärzeiten der verschiedenen Takte an. Das Zeichen für die lange rhythmische Einheit (doppelte Primärzeit) ist — . Der musikalische Rhythmus ist im Kern die von einem Musikstück ausgefüllte Zeit, die durch die Bestandteile des Melos (der Melodie) gesetzmäßig und hörbar in bestimmte Abschnitte zerfällt (»rhythmische Zeiten«, »rhythmische Systeme«). Es gibt vier rhythmische Systeme: Versfuß (einfacher Takt), eingliedriger Vers (Kolon, zusammengesetzter Takt), Periode (mehrgliedriger Vers, z. B. in zwei oder drei Zeilen) und System im engeren Sinn (Strophe, bestehend aus mehreren Perioden). Versfüße können einfach und zusammengesetzt sein. Einfache Versfüße (»Takte«) sind Daktylos und Anapäst (vierzeitig),29 Iambus und Trochäus (dreizeitig), Molossos und Ionikos (sechszeitig) sowie Päon und Bacchius (fünfzeitig). 28 Akzente gingen in die Rhythmik nur insofern ein, als akzentuierte Teile hoch, nicht-akzentuierte Teile tief gesprochen (und gesungen) wurden. Auf die Quantitäten der Rhythmen und ihrer Teile hatte die Akzentuierung keinerlei Einfluss. 29 Der Ausdruck »x-zeitig« bedeutet: bestehend aus x Primärzeiten.
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Der wichtigste Grundsatz der Rhythmik besagt: Jeder musikalische Rhythmus muss Teile aufweisen, die ein Verhältnis von 1 : 1, 1 : 2 oder 2 : 3 der jeweils auftretenden kurzen und langen Silben in den verwendeten Versfüßen darstellen. Die aus den einfachen Versfüßen zusammengesetzten Versfüße können nicht beliebig lang sein. Wie lang die Kombinationen sein dürfen, entscheidet das empirische Hören, das die Kombination noch als rhythmische Einheit empfinden können muss. Die philologische Rhythmik-Interpretation des 19. Jahrhunderts verwendet die Termini Monopodie, Dipodie, Tripodie, Tetrapodie, Pentapodie, Hexapodie für Kombinationen von jeweils 1, 2, 3, 4, 5, 6 einfachen Versfüßen (also für zusammengesetzte Versfüße) und behauptet, dass nach Aristoxenos folgende zusammengesetzten Versfüße musikästhetisch zulässig seien: Dipodie und Tripodie von allen einfachen Versfüßen; Tetrapodie, Pentapodie, Hexapodie von Jambus und Trochäus; Tetrapodie und Pentapodie von Daktylos und Anapäst; sowie Pentapodie von Päon und Bacchius. Die Rhythmus-Produktion verbindet Versfüße zu Kola. Gegebe nenfalls müssen zur Wahrung der Isochronie metrische Formen gekürzt oder verlängert werden. Dieses von führenden Philologen des 19. Jahrhunderts gezeichnete Bild enthält zweifellos einige Komponenten der aristoxenischen Rhythmik, verfehlt aber viele ihrer entscheidenden Aspekte. Das Bild ist rein strukturell und berücksichtigt weder die motorische Verankerung noch die Dynamik des musikalischen Rhythmus, wie Aristoxenos sie auszeichnet, noch verliert sie ein Wort über den Bezug der aristoxenischen Rhythmik auf die Metaphysik und Zeittheorie des Aristoteles. Insbesondere sind die Kennzeichnung des musikalischen Rhythmus allein durch Diskontinuität und Isochronie sowie die Beschreibung der Rhythmusproduktion viel zu dünn. Demgegenüber wird die theoretisch uninteressante Systematik der Versfüße überbetont.30 Die Beschreibung von mu30 Richard Westphal übersetzt und erläutert zum Beispiel ER 1–36 auf 42 Seiten, rekonstruiert und erläutert dann aber 25 zusätzliche Paragraphen
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sikalischen Rhythmen in Begriffen von Beats in Takten übersieht, dass Rhythmen bei Aristoxenos stets in Begriffen ganzer Zeitintervalle gedacht werden. Letztlich ist dieses Bild von der Rhythmik des Aristoxenos noch zu sehr einer metrischen Analyse verhaftet. Diese Orientierung wurde durch die metrische Analyse klassisch-griechischer Poesie, wie sie vor allem von der klassischen Philologie um die Wende zum 20. Jahrhundert betrieben31 und bis heute gepflegt wird,32 auf verhängnisvolle Weise radikalisiert. Diese Analyse begnügt sich damit, in griechischer Dichtung metrische Strukturen, das heißt bestimmte Perioden von sprachlichen Kürzen und Längen, zu identifizieren, die sich in einem poetischen Text wiederholen. Die metrische Analyse verfährt rein quantitativ und folgt damit einer expliziten Methodologie. Die bewusste Quantifizierung soll die unbestechliche Objektivität und Wissenschaftlichkeit der metrischen Analyse sichern. Das Metrum wird dabei als reine mathematische Struktur betrachtet. Dieses Vorgehen beruht auf der Prosodie der altgriechischen Sprache, insbesondere auf der Prosodie von Buchstaben und Silben. Es gibt in der altgriechischen Sprache eine Unterscheidung (37–61), die nicht aus einer antiken Quelle stammen, sondern seine eigene Fortsetzung der Systematik des erhaltenen Rhythmik-Fragments darstellen – auf weiteren 135 Seiten in Begriffen reiner metrischer Strukturen (vgl. Westphal 1883, 5–47 und 47–162). 31 Vgl. z. B. das Buch eines der gelehrtesten Altphilologen aller Zeiten: Wilamowitz-Moellendorff, 1921. 32 Vgl. z. B. Maas 1929 und das Buch, nach dem fast alle Studierenden der Altphilologie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts griechische Metrik lernten: Snell 1982. Ich selbst erinnere mich an eine Vorlesung des einflussreichen klassischen Philologen Wolfgang Schadewaldt, über die Chorlyrik Pindars, die die komplizierte Metrik dieser Poesie ausführlich analysierte, aber nicht ein einziges Mal die Musik erwähnte, obgleich Pindars Chorlyrik natürlich stets gesungen und meist auch getanzt wurde. August Boeckh hat demgegenüber ein Jahrhundert zuvor sein Buch über Pindar durch Analysen des Rhythmik-Fragments von Aristoxenos bereichert (vgl. Boeckh 1811). Für den angelsächsischen Sprachraum vgl. Rosenmayer, Oswald, Halporn 1963, Dale 1968, 1971, West 1988.
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zwischen kurzen und langen Silben, die zum Teil auf einer Unterscheidung zwischen langen und kurzen Buchstaben beruht. Aller dings sind beide Unterscheidungen extrem kompliziert. So gibt es zum Beispiel Buchstaben und Silben, die ambivalent sind und teils als lang, teils als kurz gelten. Silben, die kurze Vokale enthalten, aber mit zwei Konsonanten enden, werden als lang gewertet.33 In der modernen Metrik wurde darüber hinaus die Auffassung vertreten, dass auch der klassisch-griechische Sinn für Rhythmen rein quantitativ war. Damit wurde die Rhythmik auf Metrik, der Rhythmus auf das Metrum reduziert. Aus dieser Sicht galten die Schriften der antiken Musiktheoretiker und insbesondere die Überlegungen von Aristoxenos zum Rhythmus nicht nur als wenig hilfreich, um zu verstehen, wie die alten Griechen über den Rhythmus dachten, sondern sogar als irreführend. Die Vertreter dieser Auffassung haben jedes Verständnis für die von Aristoxenos entwickelte Theorie des musikalischen Rhythmus verloren.34 Diese metrische Reduktion des griechischen Rhythmus hat die Forschung zum griechischen musikalischen Rhythmus im 20. Jahrhundert für lange Zeit weitgehend blockiert. Dies gilt insbesondere auch für 33 Es gibt viele ähnliche Regeln für die vielen verschiedenen Fälle, die prosodisch auftreten können. Bereits die antiken Grammatiker haben diese Unterscheidungen präzisiert. Das Ergebnis sind Listen von verschiedenartigen Fällen von langen, kurzen und ambivalenten Silben, die jedoch keineswegs immer gleich lang oder kurz klingen. Um ein Lautbeispiel aus dem Deutschen anzuführen, »Baal« und »Bart« sind prosodisch (vom Klang her) unterschiedlich lang, würden aber in der metrischen Analyse als mathematisch gleich lang gewertet, weil »Bart« zwar ein kurzes a enthält, aber auf zwei Konsonanten endet. Außerdem bleibt unberücksichtigt, dass – wie bereits antike Grammatiker ausgeführt haben – in der altgriechischen sprachlichen Prosodie oft ähnliche Silben unterschiedliche Längen bzw. Kürzen aufweisen. Zum Beispiel enthalten die ersten Silben von (i) »strophos«, (ii) »tropos«, und (iii) »odos« dasselbe kurze o, sind metrisch aber unterschiedlich lang: (ii) ist länger als (iii) und (i) ist länger als (ii). Die moderne metrische Analyse muss solche Unterschiede bereinigen und würde in diesen drei Fällen stets von einer kurzen Silbe ausgehen. 34 Vgl. Pearson 1990, V–VI.
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die Rhythmik des Aristoxenos. Allerdings muss eingeräumt werden, dass der metrische Reduktionismus sich historisch betrachtet darauf berufen konnte, dass viele antike Autoren außerhalb der von Aristoxenos etablierten Musikwissenschaft den Rhythmus von der Metrik der Sprache – wie oben gezeigt – nicht klar abgegrenzt haben. Erst in den letzten Jahrzehnten hat sich die Forschung zum Rhythmus-Fragment von Aristoxenos aus dem Würgegriff des metrischen Reduktionismus befreien können. Im Rahmen von zwei neuen Editionen des Textes mit englischen Übersetzungen und kommentierenden Anmerkungen haben Lionel Pearson und Christopher Marchetti wertvolle Arbeit für eine philologische und historische Erschließung der aristoxenischen Rhythmik geleistet, die mit dem metrischen Reduktionismus aufräumt und sich für die dynamischen Aspekte der Idee von musikalischen Rhythmen bei Aristoxenos öffnet.35 Sie machen geltend, dass der metrische Reduktionismus den Klang der sprachlichen Prosodie nicht berücksichtigt und das spezifische Phänomen des Rhythmus, wie es von Aristoxenos und seinen Anhängern beschrieben wurde, vollständig ausblendet. Ansonsten haben sich in den letzten Jahrzehnten weiterhin nur sehr wenige Gelehrte mit der Rhythmustheorie von Aristoxenos beschäftigt. Dazu gehören Mathiesen, der einige aufschlussreiche Analysen zum Rhythmus-Begriff bei Aristoxenos vorgelegt hat, sowie Sophie Gibson, die in ihrem Buch über die Geburt der Musikwissenschaft bei Aristoxenos auch seiner Rhythmik einige Paragraphen widmet.36 Der wichtigste neuere Beitrag zum 35 Siehe Pearson 1990, Marchetti 2009. 36 Siehe Mathiesen 1985 und Gibson 2005. Mathiesen beschäftigt sich allerdings nicht speziell mit Aristoxenos, sondern generell mit der antiken Rhythmustheorie und unter anderem auch mit Aristoxenos, ist aber extrem genau und hilfreich. Er konsultiert eine Vielzahl antiker Quellen und analysiert im letzten Teil seines Artikels einige der überlieferten, voll notierten antiken Musikstücke. Neumaier 1985 akzeptiert die Interpretation von Westphal (1883), und Pighi 1959 bietet einen griechischen Text, eine italienische Übersetzung und eine kurze Zusammenfassung des Rhythmik-Frag-
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Verständnis der aristoxenischen Rhythmik ist die umfassende Untersuchung zu den Begriffen »Arsis« und »Thesis« bei Aristoxenos und anderen antiken Musik-Theoretikern von Tosca Lynch.37 Allerdings ist eine explizite terminologische Unterscheidung zwischen Metrik und Rhythmik (insbesondere auch musikalischer Rhythmik) auch im überlieferten Rhythmik-Fragment von Aristoxenos nicht enthalten. Wie Aristoxenos über diese Unterscheidung dachte, müssen wir aus Überlegungen und Thesen im überlieferten Fragment und aus antiken Berichten erschließen – ähnlich wie zwei weitere Voraussetzungen für seine Rhythmus-Auffassung, die ebenfalls nicht in ER oder EH enthalten sind. Zum einen fassen Aristoxenos und die spätere antike Tradition die Einheiten des Rhythmus, grob formuliert, als Zeitintervalle auf. Für jedes Musikstück gibt es ein kürzestes, je nach dem Tempo mehr oder weniger langes primäres Zeitintervall (protos chronos, »ursprüngliche Zeit«), das ein Maß für größere Zeitintervalle ist. Für den musikalischen Rhythmus wird Isochronie in folgendem Sinn vorausgesetzt: In jedem einzelnen Musikstück sind längere musikalische Zeitintervalle (mathematische) Vielfache des primären Zeitintervalls. Wie oben bemerkt, ist diese Bedingung für sprachliche Prosodie und Metrik nicht erfüllt. Eine zweite Bedingung ist die erhebliche Freiheit in der Rhythmus-Produktion, die bereits in der Freiheit der metrischen Gestaltung alt-griechischer Dichtung vorbereitet wird. Die skizzierte schematische Skizze der aristoxenischen Rhythmustheorie aus dem 19. Jahrhundert vermittelt den Eindruck, dass die normale Zusammensetzung des Rhythmus in einer sukzessiven Folge derselben Versfüße besteht. Die Epik Homers oder Dialoge klassischer Tragödien scheinen diesen Eindruck zu bestätigten: Homer reiht in schier unendlicher Folge einen daktylischen Hexameter an den ments. Ansonsten gibt es noch einige kurze Übersichten zur Rhythmik von Aristoxenos, vgl. z. B. Georgiades 1949 und van Raalte 2013. 37 Vgl. Lynch 2016, siehe auch Lynch 2020 sowie unten, Kommentar zu ER 17–18.
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anderen, und die Dialoge in Tragödien des Euripides bestehen meist aus ununterbrochenen Folgen von Jamben (die der gesprochenen Sprache rhythmisch am nächsten kommen). Doch dieser Eindruck täuscht. Die vollständig überlieferte musikalische und rhythmische Struktur eines gesungenen Chorliedes aus dem »Orest« des Euripides lässt sich nicht in Folgen eines einzigen Versfußes zerlegen.38 Doch auch die klassische griechische Dichtung ist voll von Kombinationen verschiedener Versfüße. Die ersten vier Zeilen der frühesten vollständig überlieferten Tragödie, »Die Perser« von Aischylos, haben zum Beispiel folgende metrische Struktur: (a) ◡ ◡ — | — — | — — | ◡ ◡ — | (b) — ◡ ◡ | — — | — ◡ ◡ | — — | (c) — — |◡ ◡ — | — ◡ ◡ | — — | (d) ◡ ◡ — | ◡ ◡ — | ◡ ◡ — |— — | Diese Zeilen enthalten sowohl daktylische als auch anapästische Versfüße, und alle Zeilen weisen unterschiedliche Kombinationen auf. Oder in einer Ode Pindars (Ol. 6.22–24) tauchen folgende Zeilen auf: (e) — | — ◡ — — | — ◡ — — | — ◡ ◡ | — ◡ ◡ | (f) — — ◡ ◡ ◡ ◡ | — — | — — ◡ ◡ | Hier kommt zunächst ein langer »Auftakt« (»Oh | Phintis …«) vor, dann zweimal ein 7-zeitiger Versfuß, der buchstäblich genommen (das heißt ohne rhythmische Veränderung) nicht zulässig ist, ferner daktylische Versfüße im Wechsel mit einem 6-zeitigen Ionikos – eine wahrhaft bunte rhythmische Mischung. In gesungener Poesie und Musik hatten die Komponisten und Interpreten also enorme Freiheiten und konnten immer wieder andere und neue Rhythmen entwerfen. Der Kommentar zu der vorliegenden Edition bemüht sich vor allem darum, die theoretischen und philosophiehistorischen Aspekte des Rhythmik-Fragments freizulegen. Auf der einen Seite geht es um eine genauere Rekonstruktion der Unterscheidung von 38 Siehe Mathiesen 1985.
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Metrik und Rhythmik, also um nichts weniger als die Etablierung einer autonomen empirischen Rhythmustheorie. Dazu gehört das reichere Bild vom Rhythmus, das sich bei Aristoxenos findet, das heißt vor allem die Verkörperung (das Embodiment), die Dynamik und die ästhetische Dimension des musikalischen Rhythmus sowie seine Bindung an Melodien. Lautstärke, Tonhöhe sowie seelische Spannung und Entspannung sind Parameter, die für die Metrik irrelevant sind, für den musikalischen Rhythmus jedoch eine große Rolle spielen. Zum anderen geht es um die Beziehung des Rhythmus-Fragments zu verschiedenen Teilen der aristotelischen Philosophie, die in der bisherigen Forschung vollständig übersehen worden sind: die Beziehung zur reifen Metaphysik (Metaph. VII –VIII ), zur Zeittheorie (Phys. IV , 10–14) und zu einer weichen Methode des Beweises (Top. I, 17–18). Diesem Befund zufolge hat Aristoxenos seine empirische Theorie des musikalischen Rhythmus in die avanciertesten einschlägigen philosophischen Theorien seiner Zeit eingebettet und damit auf exemplarische Weise die Möglichkeiten und Vorteile einer Kooperation empirischer Musikwissenschaft und Philosophie ausgelotet.39 Dieses Vorgehen ist nicht nur historisch bemerkenswert, sondern auch bis heute systematisch vorbildlich, scheint aber in der modernen Musikwissenschaft weitgehend in Vergessenheit geraten zu sein. Das neue Handbook of Western Music and Philosophy40 etwa hat sich, wie viele andere Werke auch, zum Ziel gesetzt, die Beziehungen zwischen Philosophie und Musik (einschließlich Musiktheorie) umfassend zu erkunden. Dabei handelt es sich einerseits um die etablierte Philosophie der Musik, andererseits aber auch um den Blick von MusikerInnen und Musiktheorie auf die Philosophie. Aber dieser Blick wird in einem 39 Generell zum Verhältnis von Musiktheorie und Philosophie vgl. Rehding 2020. Rehding erwähnt zu Beginn seines Artikels im Oxford Handbook of Western Music and Philosophy auch Aristoxenos, allerdings nur seinen Feldzug gegen die Pythagoreer. 40 Vgl. McAuley et al. (Hrsg.) 2020.
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sehr weiten, fast vagen Sinn beschrieben: MusikerInnen wenden sich der Philosophie zu, um daraus Inspiration und Ermutigung zu ziehen, und moderne Theorien der Musik widmen sich der Philosophie, um die Beziehungen zwischen Musik und den kulturellen Bedingungen, die sie unterstützen, zu erkunden. Zweifellos lässt sich dieser Blick der Musik auf Philosophie vielfältig belegen. Aber es ist nicht, oder zumindest nicht nur, der Blick, den Aristoxenos auf Aristoteles wirft. Denn – so die These des vorliegenden Buches – in diesem speziellen Fall wendet sich der Musik-Theoretiker Aristoxenos seinem eigenen philosophischen Selbst sowie dem Philosophen Aristoteles zu, um seine empirische Theorie der musikalischen Rhythmen terminologisch präzise in die Wissenschaftstheorie, Metaphysik und Zeittheorie seines Lehrers zu integrieren. Und dies scheint in der modernen Geschichte der Rhythmustheorie nur selten, wenn überhaupt, wiederholt worden zu sein. Rhythmus ist beispielsweise auch nach heutiger Auffassung unter anderem ein zeitliches Phänomen. Doch weder moderne musikwissenschaftliche Rhythmustheorien noch die moderne Philosophie der Musik scheinen sich auf gegenwärtige Theorien der Zeit zu beziehen, sondern eher von einem alltäglichen Zeitbegriff auszugehen.41 41 Vgl. z. B. Alperson 1980, Morgan 1980, Clarke 1987, Barry 1990, Clarke, Krumhansel 1990, Jones 1990, Kramer 1996, Jones 2011, London 2012. Mehr noch, zuweilen werden Rhythmus und Metrum identifiziert, so etwa wenn Huss et al. (2011) (s. o.) schreiben: »Rhythm organises musical events into patterns and forms, and rhythm perception in music is usually studied by using metrical tasks … Metrical perception is important for both speech and music. Both music and speech unfold in time, and the rhythm or periodicity with which strong and weak beats recur is central to the sequential organization of sounds in both domains. This is referred to as meter in music and as syllable stress in speech. In music the place and role of different notes in the overall sequential pattern are important, with both rhythm and pitch acting as ›musical syntax‹ (Thaut, 2005). This is analogous to prosodic structure in language, which has been described as a ›phonological grammar‹ (Port, 2003)« (p. 674–675). Gegen diese Gleichsetzung hat London (2012) zu Recht protestiert und – ganz im Sinne von, aber ohne expliziten Bezug auf Aristoxenos – den dynamischen Charakter des Rhythmus hervorgehoben.
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3. Zur vorliegenden Edition der Elementa Rhythmica (ER) Die musiktheoretischen Werke des Aristoxenos haben in Antike und Mittelalter erhebliche Beachtung gefunden. Davon zeugt neuerdings die verdienstvolle Zusammenstellung aller Testimonia zu Aristoxenos zwischen dem zweiten vorchristlichen und dem 15. nachchristlichen Jahrhundert, die von Ikarius Kaiser vorgelegt worden ist.42 Einige antiken Autoren hatten offensichtlich auch zum Text der Rhythmik von Aristoxenos Zugang. Dies gilt zum Beispiel für Aristides Quintilianus und seine überlieferte Schrift De Musica (2. oder 3. Jahrhundert n. Chr.).43 Aristides ist von modernen Gelehrten unterschiedlich beurteilt worden. Doch wir wissen, dass er gründliche Quellenstudien betrieben und die ihm vorliegenden Quellen, wie bereits bemerkt, ihrem Inhalt nach angemessen und zuverlässig paraphrasiert hat. Es gibt drei frühe Handschriften von ER : (1) Codex M (12. Jahrhundert): im Venetus Marcianus gr. app. cl. VI /3. Dieser Text enthält mehrere antike Schriften über Musik, darunter auch EH und ER von Aristoxenos. Es lassen sich drei verschiedene Kopisten Ma, Mb und Mc identifizieren. Ma und Mb liegen zeitlich nahe beieinander und folgen derselben Vorlage. Mc dagegen stammt aus dem 14. oder 15. Jahrhundert und folgt einer anderen Vorlage (von Marquard Codex δ genannt). (2) Codex R (13. Jahrhundert): im Vaticanus gr. 191. Dieser große Text mit vielen Werken aus Astronomie, Arithmetik und Musik enthält auch Codex M, ist also eine Kopie von M, und zwar nach den Korrekturen von Mb, aber vor den Korrekturen von Mc. R enthält mehr Material als M, aber wo immer M wie auch 42 Siehe Kaiser 2010. In dieser Ausgabe sind die erhaltenen musikwissenschaftlichen Texte von Aristoxenos, die Harmonik und die Rhythmik, nicht enthalten. Die wichtigsten dieser Fragmente finden sich auch bei Wehrli 1967. 43 Siehe Barker 1982.
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R als Quelle für Lesarten verfügbar sind, ist M vorzuziehen, weil die Unterschiede zwischen M und R auf Kopierfehler des Schreibers von R zurückgehen. (3) Codex RK (16. Jahrhundert): im Vaticanus Urbinas gr. 77. RK ist eine direkte Kopie von R, reproduziert die Schreibfehler von R gegenüber M und enthält gegenüber R viele zusätzliche Schreibfehler. RK ist daher von begrenztem Wert. Ferner wird meist noch aufgeführt (4) Psel.: Michael Psellus, Προσλαμβανόμενα εἰς τὴν ῥυθμικὴν ἐπιστήμην (Pearson 1990: 20–27) Die erste moderne Edition des Rhythmus-Fragments von Aristoxenos wurde im Jahre 1785, in der Blüte der Aufklärung, von Jacobo Morelli besorgt. Das gesteigerte Interesse an der griechischen Metrik und Rhythmik im Verlauf des 19. Jahrhunderts, wie oben in Abschnitt 2 dieser Einleitung skizziert, führte zu einer Reihe von verdienstvollen neuen Editionen: Feussner 1840, Bartels 1854, Marquard 1868 und Westphal 1893. Von diesen Editionen bietet Feussner die wichtigsten philologischen Vorschläge, während Marquard die erste kritische Edition publizierte – als Anhang zu seiner Edition und Kommentierung der Elementa Harmonica von Aristoxenos. Erst mehr als ein Jahrhundert später wurden zwei neue Editionen mit Übersetzung und ausführlichen philologischen Kommentaren veröffentlicht: Pearson 1990 und Marchetti 2009. Der Text der vorliegenden Edition geht von der ersten kritischen Edition der ER von Paul Marquard (in Marquard 1868) aus, trifft aber an einigen Stellen andere Entscheidungen. Der kritische Apparat beruht nicht auf einer neuen Kollationierung der wichtigsten Handschriften, sondern legt den kritischen Apparat von Marquard zugrunde, konsultiert aber auch spätere Editionen, insbesondere von Marchetti (2009). Dabei werden folgende Kürzel benutzt: Mor.: Morelli 1785 Feu.: Feussner 1840 Bar.: Bartels 1854 Pear.: Pearson 1990 March.: Marchetti 2009
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Es gibt bisher drei deutsche Übersetzungen des Rhythmik-Fragments. Zwei dieser Übersetzungen erschienen im 19. Jahrhundert (von Heinrich Feussner 1840 und Rudolf Westphal 1883), eine weitere mehr als ein Jahrhundert später (von Ikarius Kaiser 2009). Alle drei Autoren sind ausgewiesene Philologen. Im 19. Jahrhundert nahm man sich allerdings in Übersetzungen zuweilen einige Freiheiten heraus, die man heute eher vermeiden möchte. Westphal lässt, um einige Beispiele zu nennen, einige griechische Termini unübersetzt (rhythmizomenon, lexis). Den Schlüsselbegriff chronos (»Zeit«) übersetzt er zunächst mit »Zeitgrösse«, später mit »Zeitabschnitt« (wobei die zweite Übersetzung in die richtige Richtung geht, die erste jedoch falsch ist, da es um Zeitintervalle geht, die aber nicht Metra sind; im Übrigen sollte ein Schlüsselbegriff keinesfalls unterschiedlich übersetzt werden). Den Begriff arche gibt er mit »Ausgangspunkt« wieder, es handelt sich jedoch um einen wissenschaftstheoretischen Begriff im aristotelischen Sinne (»Prinzip«). Sind diese Übersetzungen unterbestimmt, so gibt es auch überbestimmte, allzu interpretierende Übersetzungen, etwa »Materie« für »Körper« (soma), »Substrat« für »Zugrundeliegendes« oder »Analogie« für »einander gleichen«. Die bislang jüngste deutsche Übersetzung von Kaiser arbeitet mit einer Methode, die sicherlich unterschiedlich bewertet werden kann, auf die in der vorliegenden Ausgabe jedoch verzichtet wird: Die Übersetzung enthält sehr viele (klar markierte) Ergänzungen. Der Text ohne Ergänzungen soll die möglichst wortgetreue Übersetzung darstellen, der Text mit Ergänzungen die flüssige deutsche Version. Zudem werden Termini an den Stellen, an denen sie definiert werden, in doppelte Anführungszeichen gesetzt, während sie im griechischen Text nicht näher ausgezeichnet sind. Diese Textgestaltung impliziert ein unruhiges Lesen, und der Text ohne Ergänzung ist im Deutschen nicht immer grammatisch wohlgeformt. Ansonsten ist die Übersetzung von Kaiser terminologisch und grammatisch erfreulich genau, abgesehen von einigen extravaganten Entscheidungen (zum Beispiel »Wahrnehmungskraft« statt »Wahrnehmung« (aisthesis), »rhythmisches Gefüge« statt
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»das Rhythmisierte« (rhythmizomenon), »Lehrsatz« statt »Argument« (logos), »Klang« statt »Ton« (tonos), »Wort« statt »Rede« (lexis) – und abgesehen von der falschen und irreführenden Übersetzung von chronos durch »Zeiteinheit« statt durch »Zeitintervall« (ähnlich wie die ebenso falsche Übersetzung »Zeitgrösse« bei Westphal). Die neue deutsche Übersetzung des Rhythmus-Fragments in der vorliegenden Ausgabe zielt auf eine möglichst wortgetreue Wiedergabe des griechischen Textes ab, verzichtet auf Ergänzungen und bleibt trotzdem im Deutschen grammatisch stets wohlgeformt. Das heißt insbesondere, dass die Interpretation, die unvermeidlich in Übersetzungen kulturferner Texte eingeht, auf ein Minimum beschränkt werden soll. Die LeserInnen der Übersetzung sollen so weit wie möglich vor dieselben Probleme gestellt werden wie die LeserInnen des griechischen Textes. Der griechische Terminus ῥυθμιζόμενον wird zum Beispiel wortgetreu durch »(das) Rhythmisierte« oder im Plural durch »die rhythmisierten Dinge« übersetzt. Doch scheint es, wie im Kommentar nachgewiesen, sehr gute Evidenz dafür zugeben, dass Aristoxenos zum Teil zwar in der Tat das Rhythmisierte im Blick hat, zum Teil aber auch das Rhythmisierbare. Und ferner wird das Rhythmisierte von Aristoxenos aristotelisch verstanden, also als rhythmisierte oder rhythmisierbare Materie. Diese interpretatorischen Differenzierungen werden jedoch nicht in die Übersetzung aufgenommen, denn sie werden von Aristoxenos selbst terminologisch nicht explizit gemacht. In anderen Fällen sind auch Fragen der Emendation berührt. So kennzeichnet Aristoxenos beispielsweise einen musikalischen Rhythmus zum Teil als ἔῤῥυθμος (»zum Rhythmus gehörend«) und zum Teil als εὔρυθμος (»rhythmisch wohlgeordnet«). Die letztere Kennzeichnung ist ästhetisch evaluativ, die erstere Kennzeichnung ist dagegen ästhetisch neutral. In einigen Editionen sind daher Textkorrekturen vorgeschlagen worden, zum Beispiel alle Vorkommnisse von ἔῤῥυθμος in εὔρυθμος zu transformieren oder umgekehrt und die Übersetzungen an diese Emendationen anzupassen. Nun ist aber klar, dass alle Vorkommnisse von ἔῤῥυθμος
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im Rhythmik-Fragment in Kontexten auftauchen, in denen es eindeutig um die ästhetische Auszeichnung von Rhythmen geht, also um die Frage, welche Rhythmen musikalisch angemessen und zulässig sind. Aristoxenos versteht also auch das Wort ἔῤῥυθμος als ästhetische Evaluierung, das heißt er gebraucht die Wortkomponente ῥυθμος bereits im ästhetischen Sinn eines »angemessenen Rhythmus«. Die im Folgenden vorgelegte Übersetzung spiegelt diese Interpretation jedoch nicht wider und widersetzt sich auch den vorgeschlagenen Emendationen, sondern bleibt vielmehr bei der im griechischen Text enthaltenen buchstäblichen Unterscheidung zwischen »zum Rhythmus gehörend« und »rhythmisch wohlgeordnet sein«. Der Schlüsselbegriff chronos schließlich wird konsistent mit »Zeitintervall« übersetzt. Damit soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass Aristoxenos sich an der aristotelischen Zeittheorie orientiert, in der chronos mit Zeitintervall übersetzt werden muss. Auch in der Rhythmustheorie von Aristoxenos werden rhythmische Zeitintervalle, ähnlich wie bei Aristoteles, erst durch zusätzliche Bedingungen, zum Beispiel die Herstellung von Isochronie und andere Manöver der Rhythmus-Produktion (rhythmopoiia) zu Größen oder Einheiten. Daher darf chronos nicht durch »Zeiteinheit« oder »Zeitgröße« übersetzt werden. Der musikalische Rhythmus muss ferner auch terminologisch klar von der Metrik unterschieden werden. Die zweisprachigen Ausgaben der Philosophischen Bibliothek des Meiner Verlags enthalten üblicherweise mehr oder weniger kurze Anmerkungen des Herausgebers zum edierten Text. Die vorliegende Edition und Übersetzung des Rhythmik-Fragments wird dagegen durch einen fortlaufenden Kommentar ergänzt, der besser geeignet zu sein scheint, den oben erwähnten theoretischen und philosophiehistorischen Fokus auf den Text zu artikulieren. Dieser Kommentar soll jedoch von seinem Umfang her die üblichen Anmerkungen nicht signifikant überschreiten und kann daher nicht beanspruchen, alle Details oder philologischen Probleme zu behandeln. Dies gilt auch für die Auseinandersetzung mit alternativen Interpretationen. Zur Ergänzung sei daher auf die philolo-
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gisch präzisen Kommentare in Pearson 1990 und Marchetti 2009 verwiesen. 4. Danksagung Die Idee zu dieser zweisprachigen Ausgabe des überlieferten Rhyth mik-Fragments von Aristoxenos entstand im Jahre 2019 während meines Fellowships im Berliner Forschungsprojekt Einstein Center Chronoi, das der Erforschung antiker Zeitvorstellungen gewidmet ist.44 Meine Aufgabe war es, die Zeittheorie des Aristoteles und die Rhythmik des Aristoxenos aufzuarbeiten,45 die meine Projektleiterin Jin Hyun Kim und ich als Theorie der musikalischen Zeit betrachten. Ich bedanke mich bei dem Vorstand des Einstein-Center-Chronoi-Projekts für die großzügige Unterstützung meiner Arbeit. Mein Dank gilt ferner Jin Hyun Kim für viele hilfreiche und inspirierende Kommentare zu meiner Arbeit über Aristoxenos aus Sicht moderner musikwissenschaftlicher Rhythmusforschung. Ferner bin ich HörerInnen zweier Vorträge an der Humboldt-Universität Berlin und der Universität Erlangen über die aristoxenische Rhythmik für weiterführende Kommentare zu Dank verpflichtet. Schließlich danke ich dem Meiner Verlag und insbesondere Marcel Simon-Gadhof für die Bereitschaft, meine Untersuchung der Rhythmustheorie des Aristoxenos in Gestalt einer zweisprachigen Ausgabe mit Einleitung und Kommentar in die Philosophische Bibliothek aufzunehmen.
44 Zum weitgespannten Forschungsbereich dieses Projekts, dass von der Humboldt Universität Berlin und der Freien Universität unterstützt wird, vgl. https://www.ec-chronoi.de/. 45 Zum Resultat dieser Beschäftigung mit Aristoteles siehe Detel 2021.
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46 Bei diesem Werk handelt es sich um die große Aristoxenos-Ausgabe von Richard Westphal, die posthum von Franz Saran herausgegeben wurde.
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A R I S T OX E N O S Rhythmik Elementa rhythmica
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266–270
Α ΡΙ Σ ΤΟ Ξ Ε Ν ΟΥ Ρ ΥΘΜ Ι Κ Ω Ν Σ ΤΟΙ Χ Ε Ι Ω Ν Β ΄1
1. Ὅτι μὲν τοῦ ῥυθμοῦ πλείους εἰσὶ φύσεις καὶ ποία τις αὐτῶν ἑκάστη καὶ διὰ τίνας αἰτίας τῆς αὐτῆς ἔτυχον προσηγορίας καὶ τί αὐτῶν ἐκάστῃ ὑπόκειται, ἐν τοῖς ἔμπροσθεν εἰρημένον. | νῦν δὲ ἡμῖν περὶ αὐτοῦ λεκτέον τοῦ ἐν μουσικῇ ταττομένου ῥυθμοῦ.2 2. Ὅτι μὲν οὖν περὶ τοὺς χρόνους ἐστὶ καὶ τὴν τούτων αἴσθησιν, εἴρηται μὲν καὶ ἐν τοῖς ἔμπροσθεν, λεκτέον δὲ καὶ πάλιν νῦν, ἀρχὴ γὰρ τρόπον τινὰ τῆς περὶ τοὺς ῥυθμοὺς ἐπιστήμης αὕτη. 3. Νοητέον δὲ δύο τινὰς φύσεις ταύτας, τήν τε τοῦ ῥυθμοῦ καὶ τὴν τοῦ ῥυθμιζομένου, παραπλησίως ἐχούσας πρὸς ἀλλήλας ὥσπερ ἔχει τὸ σχῆμα καὶ τὸ σχηματιζόμενον πρὸς αὑτά.3 4. Ὥσπερ γὰρ τὸ σῶμα πλείους ἰδέας λαμβάνει σχημάτων, ἐὰν αὐτοῦ τὰ μέρη τεθῇ διαφερόντως, ἤτοι πάντα ἤ τινα αὐτῶν, οὕτω καὶ τῶν ῥυθμιζομένων ἕκαστον πλείους λαμβάνει μορφάς, οὐ κατὰ τὴν αὐτοῦ φύσιν, |ἀλλὰ κατὰ τὴν τοῦ ῥυθμοῦ. ἡ γὰρ αὐτὴ λέξις εἰς χρόνους τεθεῖσα διαφέροντας ἀλλήλων λαμβάνει τινὰς διαφορὰς τοιαύτας, αἵ εἰσιν ἴσαι αὐταῖς ταῖς τοῦ ῥυθμοῦ φύσεως διαφοραῖς. ὁ αὐτὸς δὲ λόγος καὶ ἐπὶ τοῦ μέλους καὶ εἴ τι ἄλλο πέφυκε ῥυθμί ζεσθαι τῷ τοιούτῳ ῥυθμῷ ὅς ἐστιν ἐκ χρόνων συνεστηκώς.4 5. Ἐπάγειν δὲ δεῖ τὴν αἴσθησιν ἐνθένδε περὶ τῆς εἰρημένης ὁμοιότητος, πειρωμένους συνορᾶν καὶ περὶ ἑκατέρου τῶν εἰρημένων, 1 Paginierung nach Morelli (1785). Die Zahlen im kritischen Apparat bezeichnen die Zeilen in den jeweiligen Paragraphen. 2 3 εἰρημένον Μ] εἰρημένοις R, RK. ῥυθμοῦ om. RK. 3 1 ῥυθμοῦ MR] ῥηθμοῦ RK. 3 αὑτά March. αὐτὰ R, RK; αὐτό M. 4 2 αὐτοῦ MR. March.] ῥηθμοῦ RK, αὑτοῦ Marq. 4 ἡ] εἰ R, RK; 6 ταῖς codd.] τῆς ad. Marq. ῥυθμοῦ MR] ῥηθμοῦ RK; διαφοραῖς March.] διαφοραὶ R, RK; καὶ ἐπὶ Feu.] κατὰ codd. 7–8 ῥυθμίζεσθαι] ῥυθμήζεσθαι RK.
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R H Y T H M I K - F R AG M E N T AU S BU C H B
1. Dass es mehrere natürliche Arten des Rhythmus gibt, von welcher Art jede von ihnen ist und aus welchen Gründen sie denselben Namen erhalten haben und was jeder von ihnen zugrunde liegt, ist im Vorhergehenden ausgeführt worden. Jetzt aber müssen wir von dem in der Musik geordneten Rhythmus selbst sprechen. 2. Dass es um die Zeitintervalle und die Wahrnehmung dieser Zeitintervalle geht, ist auch schon im Vorhergehenden ausgeführt worden, muss aber nun ein weiteres Mal betont werden. Denn auf eine gewisse Weise ist diese These ein Prinzip der Wissenschaft von den Rhythmen. 3. Man muss die folgenden beiden natürlichen Arten beachten: diejenige des Rhythmus und diejenige des Rhythmisierten, die sich ähnlich zueinander verhalten, wie sich die Form und das Geformte zueinander verhalten. 4. Denn so wie der Körper viele Arten von Gestalten annimmt, wenn seine Teile unterschiedlich angeordnet sind – entweder alle Teile oder einige von ihnen –, so nimmt auch von den rhythmisierten Dingen ein jedes viele Formen an, nicht gemäß seiner natürlichen Art, sondern gemäß der des Rhythmus. Dieselbe Rede, in voneinander verschiedenen Zeitintervalle angeordnet, nimmt solche Unterschiede an, die gerade den Unterschieden der natürlichen Art des Rhythmus entsprechen. Dasselbe Argument trifft auf die Melodie zu und wenn etwas anderes von Natur aus dazu disponiert ist, durch einen solchen Rhythmus rhythmisiert zu werden, der aus Zeitintervallen zusammengefügt ist. 5. Von hier aus muss man die Wahrnehmung in Hinsicht auf die genannte Ähnlichkeit anführen und versuchen, sie auch im Falle
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Aristoxenos
270–274
οἷον τοῦ τε ῥυθμοῦ καὶ τοῦ ῥυθμιζομένου. τῶν τε γὰρ πεφυκότων σχηματίζεσθαι σωμάτων οὐδενὶ οὐδέν ἐστι τῶν σχημάτων τὸ αὐτό, ἀλλὰ διάθεσίς τίς ἐστι τῶν τοῦ σώματος μερῶν τὸ σχῆμα, γινόμενον ἐκ τοῦ σχεῖν πως ἕκαστον αὐτῶν, ὅθεν δὴ καὶ σχῆμα ἐκλήθη· ὅ τε ῥυθμὸς ὡσαύτως οὐδενὶ τῶν ῥυθμιζομένων ἐστὶ τὸ αὐτό, ἀλλὰ τῶν διατιθέντων πως τὸ ῥυθμιζόμενον καὶ ποιούντων κατὰ τοὺς χρόνους τοιόνδε ἢ τοιόνδε.5 6. Προσέοικε δὲ ἀλλήλοις τὰ εἰρημένα | καὶ τῷ μὴ γίνεσθαι καθ΄ αὑτά. τό τε γὰρ σχῆμα μὴ ὑπάρχοντος τοῦ δεξομένου αὐτό, δῆλον ὡς ἀδυνατεῖ γενέσθαι· ὅ τε ῥυθμὸς ὡσαύτως χωρὶς τοῦ ῥυθμισθησομένου καὶ τέμνοντος τὸν χρόνον ού δύναται γίνεσθαι, ἐπειδὴ ὁ μὲν χρόνος αὐτὸς αὑτὸν οὐ τέμνει, καθάπερ ἐν τοῖς ἔμπροσθεν εἴπομεν, ἑτέρου δέ τινος δεῖ τοῦ διαιρήσοντος αὐτόν. ἀναγκαῖον (οὖν) ἂν εἴη μεριστὸν εἶναι τὸ ῥυθμιζόμενον γνωρίμοις μέρεσιν, οἷς διαιρήσει τὸν χρόνον.6 7. Ἀκόλουθον δέ ἐστι τοῖς εἰρημένοις καὶ αὐτῷ τῷ φαινομένῳ τὸ λέγειν, τὸν ῥυθμὸν γίνεσθαι, ὅταν ἡ τῶν χρόνων διαίρεσις τάξιν τινὰ λάβῃ ἀφωρισμένην, οὐ γὰρ πᾶσα χρόνων τάξις ἐν ῥυθμοῖς.7 8. | Πιθανὸν μὲν οὖν καὶ χωρὶς λόγου, τὸ μὴ πᾶσαν χρόνων τάξιν εὔρυθμον εἶναι· δεῖ δὲ καὶ διὰ τῶν ὁμοιοτήτων ἐπάγειν τὴν διάνοιαν καὶ πειρᾶσθαι κατανοεῖν ἐξ ἐκείνων, ἕως ἂν παραγένηται ἡ ἐξ αὐτοῦ τοῦ πράγματος πίστις. Ἔστι δὲ ἡμῖν γνώριμα τὰ περὶ τὴν τῶν γραμμάτων σύνθεσιν καὶ τὰ περὶ τῶν διαστημάτων, ὅτι οὔτ΄
5 3 διάθεσις Feu.] διάδεσις codd. 6 1 καὶ τῷ Bar.] καὶ τὸ codd.; κατὰ τὸ March Pear. 2 σχῆμα M] σχήμα τος R, RK] 3 ῥυθμισθησομένου Μ] ῥυθμισομένου R] ῥυθμησομένου RK. 6 ἀναγκαῖον codd.] οὖν add. Mor.; Marq. 7 3 ἐν ῥυθμοῖς codd. March.] εὔρυθμος Psel., Pear.] ἔνρυθμος vel ἔρρυθμος Bar., ἔνρυθμος] Marq.
Rhythmik
5
eines jeden der genannten Dinge zu erkennen, wie zum Beispiel im Falle des Rhythmus und des Rhythmisierten. Denn von den Körpern, die von Natur aus dazu disponiert sind, geformt zu werden, ist keiner mit irgendeiner der Formen identisch. Vielmehr ist die Form eine gewisse Einrichtung der Teile des Körpers, die dadurch entsteht, dass eine jede von ihnen gewissermaßen beständig ist, woher sie auch Form genannt worden ist. Ebenso ist auch der Rhythmus mit keinem der rhythmisierten Dinge identisch, sondern ist eine Angelegenheit von Menschen, die das Rhythmisierte auf gewisse Weise einrichten und es in Bezug auf die Zeitintervalle als ein solches oder solches produzieren. 6. Die genannten Dinge gleichen einander auch dadurch, dass sie nicht an sich auftreten. Denn die Form kann, wenn nichts vorhanden ist, das sie aufnimmt, offensichtlich nicht auftreten. Ebenso kann der Rhythmus ohne dass etwas rhythmisiert worden ist und ohne dass etwas die Zeit zerschneidet nicht auftreten. Denn die Zeit zerschneidet sich nicht selbst, wie wir im Vorhergehenden gesagt haben. Vielmehr ist es Sache von etwas Anderem, sie zu teilen. Daher ist es notwendig, dass das Rhythmisierte in erkennbare Teile geteilt ist, vermöge derer es die Zeit teilt. 7. Es folgt aus dem Gesagten und dem Phänomen selbst zu sagen, dass der Rhythmus immer dann auftritt, wenn die Unterteilung der Zeitintervalle eine gewisse genau bestimmte Ordnung annimmt, denn nicht jede Ordnung von Zeitintervallen gehört zu Rhythmen. 8. Glaubhaft ist es nun zwar auch ohne Begründung, dass nicht jede Ordnung von Zeitintervallen rhythmisch wohlgeordnet ist. Aber man muss sowohl durch Ähnlichkeiten das Denken anleiten als auch versuchen, aus ihnen Einsichten zu gewinnen, bis sich eine Überzeugung aus der Sache selbst ergeben kann. So sind uns die Verhältnisse bezüglich der Zusammenfügung von Buchstaben sowie die Verhältnisse bezüglich der Zusammenfügung von musikalischen Intervallen insofern bekannt, als dass wir weder im
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Aristoxenos
274–280
ἐν τῷ διαλέγεσθαι πάντα τρόπον τὰ γράμματα συντίθεμεν, οὔτ΄ ἐν τῷ μελῳδεῖν τὰ διαστήματα, ἀλλ΄ ὀλίγοι μέν τινές | εἰσιν οἱ τρόποι καθ΄ οὓς συντίθεται τὰ εἰρημένα πρὸς ἄλληλα, πολλοὶ δὲ καθ΄ οὓς οὔτε ἡ φωνὴ δύναται συντιθέναι φθεγγομένη, οὔτε ἡ αἴσθησις προσδέχεται, ἀλλ΄ ἀποδοκιμάζει. διὰ ταύτην γὰρ τὴν αἰτίαν τὸ μὲν ἡρμοσμένον εἰς πολὺ ἐλάττους ἰδέας τίθεται, τὸ δὲ ἀνάρμοστον εἰς πολὺ πλείους. Οὕτω δὲ καὶ τὰ περὶ τοὺς χρόνους ἔχοντα φανήσεται· πολλαὶ μὲν γὰρ αὐτῶν συμμετρίαι τε καὶ τάξεις ἀλλότριαι φαίνονται τῆς αἰσθήσεως οὖσαι, ὀλίγαι δέ τινες οἰκεῖαί τε καὶ δυναταὶ ταχθῆναι εἰς τὴν τοῦ ῥυθμοῦ φύσιν. Τὸ δὲ ῥυθμιζόμενόν ἐστι μὲν κοινόν πως ἀρρυθμίας τε καὶ ῥυθμοῦ· ἀμφότερα γὰρ πέφυκεν ἐπιδέχεσθαι τὸ ῥυθμιζόμενον τὰ συστήματα, τό τε εὔρυθμον καὶ τὸ ἄρρυθμον. καλῶς δ΄ εἰπεῖν | τοιοῦτον νοητέον τὸ ῥυθμιζόμενον, οἷον δύνασθαι μετατίθεσθαι εἰς χρόνων μεγέθη παντοδαπὰ καὶ εἰς ξυνθέσεις παντοδαπάς.8 9. Διαιρεῖται δὲ ὁ χρόνος ὑπὸ τῶν ῥυθμιζομένων τοῖς ἑκάστου αὐτῶν μέρεσιν. ἔστι δὲ τὰ ῥυθμιζόμενα τρία· λέξις, μέλος, κίνησις σωματική. ὥστε διαιρήσει τὸν χρόνον ἡ μὲν λέξις τοῖς αὑτῆς μέρεσιν, οἷον γράμμασι καὶ συλλαβαῖς καὶ ῥήμασι καὶ πᾶσι τοῖς τοιούτοις· τὸ δὲ μέλος τοῖς ἑαυτοῦ φθόγγοις τε καὶ διαστήμασι καὶ συστήμασιν· ἡ δὲ κίνησις σημείοις τε καὶ σχήμασι καὶ εἴ τι τοιοῦτόν ἐστι κινήσεως μέρος.9 10. Καλείσθω δὲ | πρῶτος μὲν τῶν χρόνων ὁ ὑπὸ μηδενὸς τῶν ῥυθμιζομένων δυνατὸς ὢν διαιρεθῆναι, δίσημος δὲ ὁ δὶς τοῦτο
8 1 χρόνων Feu., Marq., March.] λόγου codd.; εὔρυθμον ΜR, March., εὔρυθμον; ἔῤῥρυθμ. RK, Mor., ἔνρυθμον Marq. 4 πίστις MR] πίστιν RK. 8 συντίθεται ΜR, συντίθενται RK. 9 συντιθέναι codd. March.] συντίθεσθαι Marq.] 17 εὔρυθμον] ἔῤῥρυθμον Mor.; καὶ τὸ ἄρρυθμον in marg. add. Mc., om. R, RK; καλῶς Mc.] καλοῦ R, RK. 9 3 αὑτῆς (March.)] αὐτῆς R, RK.
Rhythmik
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eden die Buchstaben auf jede Weise zusammenfügen noch in R den Melodien die musikalischen Intervalle, sondern es vielmehr nur wenige Weisen gibt, auf welche die genannten Dinge zueinander zusammengefügt werden, und viele Weisen, auf welche weder die tönende Stimme sie zusammenfügen kann noch die Wahrnehmung sie akzeptieren kann, sondern sie zurückweist. Aus demselben Grund wird die melodische Konstruktion in viel weniger Gestalten umgeordnet, die unmelodische Konstruktion dagegen in viel mehr Gestalten. So werden sich auch die Verhältnisse manifestieren, die sich auf die Zeitintervalle beziehen. Viele ihrer Proportionen und Ordnungen scheinen nämlich der Wahrnehmung unpassend zu sein, wenige dagegen sind angemessen und können in die natürliche Art des Rhythmus eingeordnet werden. Das Rhythmisierte ist allerdings in gewisser Weise sowohl der Arrhythmie als auch dem Rhythmus gemeinsam. Denn das Rhythmisierte ist von Natur aus dazu disponiert, beide geordneten Verbindungen aufzunehmen: das rhythmisch Wohlgeordnete und das Unrhythmische. Mag es genügen zu sagen, dass das Rhythmisierte so betrachtet werden muss, dass es dazu disponiert ist, in alle möglichen Größen von Zeitintervallen und in alle möglichen Kombinationen umgeordnet zu werden. 9. Die Zeit wird von den rhythmisierten Dingen vermöge der Teile eines jeden von ihnen geteilt. Es gibt nun aber drei rhythmisierte Dinge: Rede, Melodie, körperliche Bewegung. Daher wird die Rede die Zeit vermöge ihrer eigenen Teile teilen, wie zum Beispiel vermöge von Buchstaben und Silben und Wörtern und allen derartigen Dingen, die Melodie jedoch vermöge ihrer eigenen Töne und Intervalle und geordneten Verbindungen, und die körperliche Bewegung durch Zeichen und Figuren und wenn es irgendeinen anderen derartigen Teil einer Bewegung gibt. 10. Primäres Zeitintervall sei dasjenige genannt, welches von keinem der rhythmisierten Dinge geteilt werden kann, Diseme das zweimal dieses gemessene, Triseme das dreimal, Tetraseme das
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Aristoxenos
280–284
καταμετρούμενος, τρίσημος δὲ ὁ τρίς, τετράσημος δὲ ὁ τετράκις. κατὰ ταὐτὰ δὲ καὶ ἐπὶ τῶν λοιπῶν μεγεθῶν τὰ ὀνόματα ἕξει.10 11. Τὴν δὲ τοῦ πρώτου δύναμιν πειρᾶσθαι δεῖ καταμανθάνειν τόνδε τὸν τρόπον. τῶν σφόδρα φαινομένων ἐστὶ τῇ αἰσθήσει τὸ μὴ λαμβάνειν εἰς ἄπειρον ἐπίτασιν τὰς τῶν κινήσεων ταχυτῆτας, | ἀλλ΄ ἵστασθαί που συναγομένους τοὺς χρόνους, ἐν οἷς τίθεται τὰ μέρη τῶν κινουμένων· λέγω δὲ τῶν οὕτω κινουμένων, ὡς ἥ τε φωνὴ κινεῖται λέγουσά τε καὶ μελῳδοῦσα καὶ τὸ (σῶμα) σῆμα σημαῖνόν τε καὶ ὀρχούμενον καὶ τὰς λοιπὰς τῶν τοιούτων κινήσεων κινούμενον. Τούτων δὲ οὕτως ἔχειν φαινομένων, δῆλον ὅτι ἀναγκαῖόν ἐστιν εἶναί τινας ἐλαχίστους τῶν χρόνων, ἐν οἷς ὁ μελῳδῶν θήσει τῶν φθόγγων ἕκαστον. ὁ αὐτὸς δὲ λόγος καὶ περὶ τῶν ξυλλαβῶν δῆλον ὅτι καὶ περὶ τῶν σημείων.11 12. Ἐν ᾧ δὴ χρόνῳ μήτε δύο φθόγγοι δύνανται τεθῆναι κατὰ μηδένα τρόπον, μήτε δύο ξυλλαβαί, μήτε δύο σημεῖα, τοῦτον πρῶτον ἐροῦμεν χρόνον. ὃν δὲ τρόπον λήψεται τοῦτον ἡ αἴσθησις, φανερὸν ἔσται ἐπὶ τῶν ποδικῶν σχημάτων.12 13. Λέγομεν δέ τινα καὶ ἀσύνθετον χρόνον πρὸς τὴν τῆς ῥυθμοποιΐας χρῆσιν ἀναφέροντες. ὅτι δ΄ ἐστὶν οὐ τὸ αὐτὸ ῥυθμοποιΐα τε καὶ ῥυθμός, σαφὲς μὲν οὔπω ῥᾴδιόν ἐστι ποιῆσαι, πιστευέσθω δὲ διὰ τῆς ῥηθησομένης ὁμοιότητος. ὥσπερ γὰρ ἐν τῇ τοῦ μέλους φύσει τεθεωρήκαμεν, ὅτι οὐ τὸ αὐτὸ σύστημά τε καὶ μελοποιΐα, | οὐδὲ τόνος, οὐδὲ γένος, {οὔτε μελοποιΐα}, οὕτως ὑποληπτέον ἔχειν
10 2 διαιρεθῆναι] post διαιρεθῆναι in marg. M add. σχῆμα corr. ex σχηματα; τοῦτο March.] τούτων an τούτου an τούτῳ M, τούτων R, vel τοῦτο Pear., τούτῳ Marq. 4 ταὐτὰ (March.).] ταῦτα codd. 11 6 σῶμα σῆμα σημαῖνόν] σῆμα σημαῖνόν codd.; σῶμα ἐμβαῖνόν Feu., March. 9 χρόνους] τῶν χρόνων codd. March. 12 1 μήτε] μὴ δὲ codd., μηδὲ Pear., March. φθόγγοι Feu. March.] χρόνοι codd.
Rhythmik
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viermal gemessene. Genauso verhält es sich auch mit den Namen der übrigen Größen. 11. Die Funktion des primären Zeitintervalls muss man auf die folgende Weise zu begreifen versuchen. Für die Phänomene, die sich der Wahrnehmung lebhaft aufdrängen, ist es kennzeichnend, dass sie die Geschwindigkeiten der Bewegungen nicht bis hin zu einer unendlichen Intensivierung annehmen, sondern gewissermaßen zum Stehen kommen und die Zeitintervalle komprimieren, in denen die Teile der bewegten Dinge angeordnet werden. Ich spreche so von den bewegten Dingen, wie etwa die Stimme bewegt wird, wenn sie spricht und eine Melodie singt, oder ein Körper, wenn er ein Zeichen anzeigt und tanzt und die übrigen solcher Bewegungen vollführt. Wenn es sich nun aber mit diesen Phänomenen so verhält, dann ist es offenbar notwendig, dass es gewisse kleinste unter den Zeitintervalle gibt, in denen der Sänger jeden der Töne anordnen wird. Dasselbe Argument trifft offenbar auch auf die Silben und körperlichen Zeichen zu. 12. In welchem Zeitintervall also auf keine Weise zwei Töne angeordnet werden können, und auch nicht zwei Silben oder zwei körperliche Zeichen, das nennen wir das primäre Zeitintervall. Auf welche Weise jedoch die Wahrnehmung dieses Zeitintervall erfasst, wird deutlich anhand der Versfüße. 13. Wir sprechen auch von einem gewissen nicht-zusammengesetzten Zeitintervall, wenn wir zum Gebrauch übergehen, der mit der Rhythmus-Produktion zusammenhängt. Dass Rhythmus-Produktion und Rhythmus nicht dasselbe ist, lässt sich zwar nicht ohne Weiteres deutlich machen, soll aber durch die im Folgenden beschriebene Ähnlichkeit glaubhaft gemacht werden. Wie wir nämlich in Hinsicht auf die natürliche Art der Melodie gesehen haben, dass die Melodie-Produktion nicht dasselbe ist wie die melodische Skala und auch nicht wie die Tonart oder die Gattung, so muss angenommen werden, dass es sich ähnlich auch mit den
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Aristoxenos
284–288
καὶ περὶ τοὺς ῥυθμούς τε καὶ ῥυθμοποιΐας, ἐπειδήπερ τοῦ μέλους χρῆσίν τινα τὴν μελοποιΐαν εὕρομεν οὖσαν, ἐπί τε τῆς ῥυθμικῆς πραγματείας τὴν ῥυθμοποιΐαν ὡσαύτως χρῆσίν τινά φαμεν εἶναι. σαφέστερον δὲ τοῦτο εἰσόμεθα προελθούσης τῆς πραγματείας.13 14. Ἀσύνθετον δὲ χρόνον πρὸς τὴν τῆς ῥυθμοποιΐας χρῆσιν βλέποντες ἐροῦμεν· οἷον τόδε τι χρόνου μέγεθος (ἐἄν) ὑπὸ μιᾶς συλλαβῆς ἢ ὑπὸ φθόγγου ἑνὸς ἢ σημείου καταληφθῇ, (ἀσύνθετον) τοῦτον ἐροῦμεν τὸν χρόνον· ἐὰν δὲ τὸ αὐτὸ τοῦτο μέγεθος ὑπὸ πλειόνων φθόγγων ἢ συλλαβῶν ἢ σημείων καταληφθῇ, σύνθετος ὁ χρόνος οὗτος ῥηθήσεται. Λάβοι δ΄ ἄν τις παράδειγμα ἐκ τῆς περὶ τὸ ἡρμοσμένον πραγματείας· καὶ γὰρ ἐκεῖ | τὸ αὐτὸ μέγεθος ἡ μὲν ἁρμονία σύνθετον, τὸ δὲ χρῶμα ἀσύνθετον, καὶ πάλιν τὸ μὲν διάτονον ἀσύνθετον, τὸ δὲ χρῶμα σύνθετον, ἐνίοτε δὲ καὶ τὸ αὐτὸ γένος τὸ αὐτὸ μέγεθος ἀσύνθετόν τε καὶ σύνθετον ποιεῖ, οὐ μέντοι ἐν τῷ αὐτῷ τόπῳ τοῦ συστήματος. Διαφέρει γὰρ τὸ παράδειγμα τοῦ προβλήματος τῷ τὸν μὲν χρόνον ὑπὸ τῆς ῥυθμοποιΐας ἀσύνθετόν τε καὶ σύνθετον γίνεσθαι, τὸ δὲ διάστημα ὑπ΄ αὐτῶν τῶν γενῶν ἢ τῆς τοῦ συστήματος τάξεως. περὶ μὲν οὖν ἀσυνθέτου καὶ συνθέτου χρόνου καθόλου τοῦτον τὸν τρόπον διωρίσθω.14 15. Μερισθέντος δὲ τοῦ προβλήματος ὡδί, ἁπλῶς μὲν ἀσύνθετος λεγέσθω ὁ ὑπὸ μηδενὸς τῶν ῥυθμιζομένων διῃρημένος· ὡσαύτως δὲ | καὶ σύνθετος ὁ ὑπὸ πάντων τῶν ῥυθμιζομένων διῃρημένος·
13 6 {οὔτε μελοποιΐα}R, RK] secl. Pear., March.; αὖ καὶ μελοποιΐα Feu.; οὐδὲ μεταβολὴ Marq. 14 1 Ἀσύνθετον δὲ codd.] καὶ συνθετον add. Marq. 1–2 oἷον τόδε τι χρόνου μέγεθος ] oἷον τόδε τι codd.; ἐἄν post μέγεθος add. Pear., March.; οἷον ὅταν τι Feu.; οἷον τοιόνδε˙ ὅταν τι Bar.: οἷον τόδε τι. ἐἄν τι Marq. 3 ἀσύνθετον add. Bar., Marq.] om. codd. 5 σημείων Μb] σημεῖον R, Rk. 9 τὸ δὲ χρῶμα] om. δὲ RK.
Rhythmik
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Rhythmen und den Rhythmus-Produktionen verhält, da wir ja in der Tat finden, dass die Melodie-Produktion ein gewisser Gebrauch der Melodie ist. In der Untersuchung des Rhythmus behaupten wir in derselben Weise, dass die Rhythmus-Produktion ein gewisser Gebrauch ist. Dies werden wir deutlicher erkennen, wenn die Untersuchung fortschreitet. 14. Vom nicht-zusammengesetzten Zeitintervall sprechen wir im Blick auf den Gebrauch, der mit der Rhythmus-Produktion zusammenhängt. Zum Beispiel wird diese Größe eines Zeitintervalls hier von einer Silbe oder von einem Ton oder Zeichen eingenommen: dann nennen wir das Zeitintervall nicht-zusammengesetzt. Wenn dasselbe Zeitintervall jedoch von mehreren Tönen oder Silben oder Zeichen eingenommen wird, so wird dieses Zeitintervall zusammengesetzt genannt. Man könnte ein Beispiel aus der Untersuchung über die melodische Konstruktion hernehmen. Denn dort macht die enharmonische Gattung dieselbe Größe zusammengesetzt, die chromatische Gattung dagegen nicht-zusammengesetzt, und wiederum macht die diatonische Gattung dieselbe Größe nicht-zusammengesetzt, die chromatische Gattung dagegen zusammengesetzt. Manchmal macht auch dieselbe Gattung dieselbe Größe nicht-zusammengesetzt und zusammengesetzt, allerdings nicht am selben Ort der Skala. Denn es gibt einen Unterschied zwischen den Fällen, dass das Zeitintervall aufgrund der Rhythmus-Produktion und dass das musikalische Intervall aufgrund der Gattungen oder der Ordnung der Skala nicht-zusammengesetzt und zusammengesetzt wird. In Hinsicht auf das nicht-zusammengesetzte und zusammengesetzte Zeitintervall allgemein mag auf diese Weise definiert werden. 15. Nachdem das Problem auf diese Weise auseinandergesetzt worden ist, mag das von keinem der rhythmisierten Dinge geteilte Zeitintervall schlechthin nicht-zusammengesetzt genannt werden und das von allen rhythmisierten Dingen geteilte schlechthin zusammengesetzt, partiell zusammengesetzt und partiell nicht-zu-
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Aristoxenos
288–290
πὴ δὲ σύνθετος καί πη ἀσύνθετος ὁ ὑπὸ μέν τινος διῃρημένος, ὑπὸ δέ τινος ἀδιαίρετος ὤν. ὁ μὲν οὖν ἁπλῶς ἀσύνθετος τοιοῦτος ἄν τις εἴη, οἷος μήθ΄ ὑπὸ ξυλλαβῶν πλειόνων, μήθ΄ ὑπὸ φθόγγων, μήθ΄ ὑπὸ σημείων κατέχεσθαι· ὁ δ΄ ἁπλῶς σύνθετος, ὁ ὑπὸ πάντων καὶ πλειόνων ἢ ἑνὸς κατεχόμενoς· ὁ δὲ μικτός, ᾧ συμβέβηκεν ὑπὸ φθόγγου μὲν ἑνός, ὑπὸ ξυλλαβῶν δὲ πλειόνων καταληφθῆναι, ἢ ἀνάπαλιν ὑπὸ ξυλλαβῆς μὲν μιᾶς, ὑπὸ φθόγγων δὲ πλειόνων.15 16. ᾯ δὲ σημαινόμεθα τὸν ῥυθμὸν καὶ γνώριμον ποιοῦμεν τῇ αἰσθήσει, πούς ἐστιν εἷς ἢ πλείους ἑνός. 17. Τῶν δὲ ποδῶν οἱ μὲν ἐκ δύο χρόνων σύγκεινται τοῦ τε ἄνω καὶ τοῦ κάτω, οἱ δὲ ἐκ τριῶν, δύο μὲν τῶν ἄνω, ἑνὸς δὲ τοῦ κάτω, ἢ ἐξ ἑνὸς μὲν τοῦ ἄνω, δύο δὲ τῶν κάτω, (οἱ δὲ ἐκ τεττάρων, δύο μὲν τῶν ἄνω, δύο δὲ τῶν κάτω).16 18. Ὅτι μὲν οὖν ἐξ ἑνὸς χρόνου ποὺς οὐκ ἂν εἴη φανερόν, ἐπειδήπερ ἓν σημεῖον | οὐ ποιεῖ διαίρεσιν χρόνου· ἄνευ γὰρ διαιρέσεως χρόνου ποὺς οὐ δοκεῖ γίνεσθαι. Τοῦ δὲ λαμβάνειν τὸν πόδα πλείω τῶν δύο σημεῖα τὰ μεγέθη τῶν ποδῶν αἰτιατέον. οἱ γὰρ ἐλάττους τῶν ποδῶν, εὐπερίληπτον τῇ αἰσθήσει τὸ μέγεθος ἔχοντες, εὐσύνοπτοί εἰσι καὶ διὰ τῶν δύο σημείων· οἱ δὲ μεγάλοι τοὐναντίον πεπόνθασι, δυσπερίληπτον γὰρ τῇ αἰσθήσει τὸ μέγεθος ἔχοντες, πλειόνων δέονται σημείων, ὅπως εἰς πλείω μέρη διαιρεθὲν τὸ τοῦ ὅλου ποδὸς μέγεθος εὐσυνοπτότερον γίνηται. διὰ τί δὲ οὐ γίνεται πλείω σημεῖα τῶν τεττάρων, οἷς ὁ ποὺς χρῆται κατὰ τὴν αὑτοῦ δύναμιν, ὕστερον δειχθήσεται.17
15 6 οἷος Μοr.; Marq.] οἷος ὁ codd. 16 2–3 (οἱ δὲ ἐκ τεττάρων, δύο μὲν τῶν ἄνω, δύο δὲ τῶν κάτω) add. Mor.; Marq., March.] om. codd. 17 8 δέονται Feu., Marq., March.] δὲ ὄντες R. διαιρεθὲν τὸ Feu., Marq., March.] διαιρεθέν M; διαιρεθέντος R; 7 γίνηται Feu. Marq. March.] γίνεται codd.
Rhythmik
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sammengesetzt dagegen das von einem der rhythmisierten Dinge geteilte und von einem der rhythmisierten Dinge nicht geteilte. Das schlechthin nicht-zusammengesetzte ist dann von der Art, dass es nicht von mehreren Silben oder Tönen oder Zeichen eingenommen wird, das schlechthin zusammengesetzte dagegen ist das Zeitintervall, das von allen und mehr als einem der rhythmisierten Dinge eingenommen wird; dem gemischten schließlich kommt es zu, von einem Ton und mehreren Silben oder wiederum von einer Silbe und mehreren Tönen eingenommen zu werden. 16. Dasjenige, womit wir für uns den Rhythmus markieren und der Wahrnehmung kenntlich machen, ist der Versfuß, einer oder mehr als einer. 17. Unter den Versfüßen bestehen die einen aus zwei Zeitintervallen, dem Aufwärts-Intervall und dem Abwärts-Intervall, die anderen aus dreien, entweder aus zwei Aufwärts-Intervallen und einem Abwärts-Intervall oder aus einem Aufwärts-Intervall und zwei Abwärts-Intervallen, andere aber aus vieren, zwei Aufwärts-Intervallen und zwei Abwärts-Intervallen. 18. Dass es keinen Versfuß geben dürfte, der aus einem Zeitinter vall besteht, ist klar, wenn denn wirklich ein einziges Zeichen keine Teilung eines Zeitintervalls produziert. Ohne Teilung eines Zeitintervalls scheint es nämlich keinen Versfuß zu geben. Dafür, dass ein Versfuß mehr als zwei Zeichen umfasst, sind die Größen der Versfüße verantwortlich. Denn kleinere Versfüße haben eine Größe, die für die Wahrnehmung gut fasslich ist, und sind anhand von zwei Zeichen gut sichtbar. Den großen Versfüßen widerfährt das Gegenteil, denn sie haben eine Größe, die für die Wahrnehmung schlecht fasslich ist, und erfordern daher mehr Zeichen, damit die Größe des ganzen Versfußes, geteilt in mehrere Teile, besser sichtbar wird. Warum es jedoch nicht mehr als vier Zeichen gibt, deren sich ein Versfuß aufgrund seiner eigenen Funktion bedient, wird später gezeigt werden.
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Aristoxenos
290–294
19. Δεὶ δὲ μὴ διαμαρτεῖν ἐν τοῖς νῦν εἰρημένοις, ὑπολαμβάνοντας, μὴ μερίζεσθαι πόδα εἰς πλείω τῶν τεττάρων ἀριθμῶν. μερίζονται γὰρ ἔνιοι τῶν ποδῶν εἰς διπλάσιον τοῦ εἰρημένου πλήθους ἀριθμὸν καὶ εἰς πολυπλάσιον. ἀλλ΄ οὐ καθ΄ αὑτὸν ὁ ποὺς εἰς τὀ πλέον τοῦ | εἰρημένου πλήθους μερίζεται, ἀλλ΄ ὑπὸ τῆς ῥυθμοποιίας διαιρεῖται τὰς τοιαύτας διαιρέσεις. νοητέον δὲ χωρὶς τά τε τὴν τοῦ ποδὸς δύναμιν φυλάσσαντα σημεῖα καὶ τὰς ὑπὸ τῆς ῥυθμοποιίας γινομένας διαιρέσεις· καὶ προσθετέον δὲ τοῖς εἰρημένοις, ὅτι τὰ μὲν ἑκάστου ποδὸς σημεῖα διαμένει ἴσα ὄντα καὶ τῷ ἀριθμῷ καὶ τῷ μεγέθει, αἱ δ΄ ὑπὸ τῆς ῥυθμοποιΐας γινόμεναι διαιρέσεις πολλὴν λαμβάνουσι ποικιλίαν. ἔσται δὲ τοῦτο καὶ ἐν τοῖς ἔπειτα φανερόν. 20. Ὥρισται δὲ τῶν ποδῶν ἕκαστος ἤτοι λόγῳ τινὶ ἢ ἀλογίᾳ τοιαύτῃ, ἥτις δύο λόγων γνωρίμων τῇ αἰσθήσει ἀνὰ μέσον ἔσται. γένοιτο δ΄ ἂν τὸ εἰρημένον ὧδε καταφανές· εἰ ληφθείησαν δύο πόδες, ὁ μὲν ἴσον τὸ ἄνω τῷ κάτῳ ἔχων καὶ δίσημον ἑκάτερον, ὁ δὲ τὸ μὲν κάτω δίσημον, τὸ δὲ ἄνω ἥμισυ, τρίτος δέ τις ληφθείη ποὺς παρὰ τούτους, τὴν μὲν βάσιν ἴσην αὖ τοῖς ἀμφοτέροις ἔχων, τὴν δὲ ἄρσιν μέσον μέγεθος ἔχουσαν | τῶν ἄρσεων. ὁ γὰρ τοιοῦτος ποὺς ἄλογον μὲν ἕξει τὸ ἄνω πρὸς τὸ κάτω· ἔσται δ΄ ἡ ἀλογία μεταξὺ δύο λόγων γνωρίμων τῇ αἰσθησει, τοῦ τε ἴσου καὶ τοῦ διπλασίου. καλεῖται δ΄οὗτος χορεῖος ἄλογος.18 21. Δεῖ δὲ μηδ΄ ἐνταῦθα διαμαρτεῖν, ἀγνοηθέντος τοῦ τε ῥητοῦ καὶ τοῦ ἀλόγου, τίνα τρόπον ἐν τοῖς περὶ τοὺς ῥυθμοὺς λαμβάνεται.
18 6 αὖ τοῖς Marq.] αὐτοῖς codd., March. δὲ ἄρσιν Marq.; March.] διαίρεσιν R, τὴν δὲ διαίρεσιν Μor.
Rhythmik
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19. Man darf jedoch keinen Fehler in Hinsicht auf das gerade Gesagte begehen und annehmen, dass Versfüße nicht in mehr als vier Zahlen unterteilt werden können. Denn einige Versfüße werden in die doppelte und sogar in die vielfache Zahl der erwähnten Menge unterteilt. Allerdings wird der Versfuß nicht an sich in eine größere als die erwähnte Menge unterteilt, sondern durch die Rhythmus-Produktion in solche Teilungen geteilt. Es muss bedacht werden, dass die Zeichen, welche die Funktion des Versfußes bewahren, verschieden sind von den Teilungen, die aus der Rhythmus-Produktion hervorgehen. Und es muss dem Gesagten hinzugefügt werden, dass die Zeichen eines jeden Versfußes gleich bleiben, und zwar nach Anzahl und Größe, dass jedoch die Teilungen, die aus der Rhythmus-Produktion hervorgehen, eine große Mannigfaltigkeit annehmen. Dies wird auch im Folgenden klar. 20. Jeder der Versfüße ist entweder durch ein gewisses rationales Verhältnis bestimmt oder durch eine Art von irrationalem Verhältnis, das sich zwischen zwei rationalen Verhältnissen befindet, die für die Wahrnehmung erkennbar sind. Das Gesagte dürfte auf folgende Weise klar werden. Es seien zwei Versfüße angenommen; der eine enthält ein Aufwärts-Intervall, das dem Abwärts-Intervall gleich ist (beide sind eine Diseme), der andere ein Abwärts-Intervall, das eine Diseme ist, und ein Aufwärts-Intervall, das halb so groß ist. Ferner sei ein dritter Versfuß neben diesen angenommen, der eine Thesis enthält, die den anderen beiden gleich ist, aber eine Arsis, die eine Größe in der Mitte der anderen Arsen aufweist. Dieser Versfuß enthält tatsächlich ein Aufwärts-Intervall, das im Verhältnis zu seinem Abwärts-Intervall irrational ist. Diese Irrationalität befindet sich mitten zwischen zwei rationalen Verhältnissen, die für die Wahrnehmung erkennbar sind, nämlich dem Gleichen und dem Doppelten. Dies wird ein irrationaler Choreus genannt. 21. Man darf hier keinen Fehler machen und verkennen, auf welche Weise das Legitime und das Irrationale in den Angelegenhei-
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Aristoxenos
294–298
ὥσπερ οὖν ἐν τοῖς διαστηματικοῖς στοιχείοις τὸ μὲν κατὰ μέλος ῥητὸν ἐλήφθη, ὃ πρῶτον μέν ἐστι μελῳδούμενον, ἔπειτα γνώριμον κατὰ μέγεθος, ἤτοι ὡς τά τε σύμφωνα καὶ ὁ τόνος ἢ ὡς τὰ τούτοις σύμμετρα, τὸ δὲ κατὰ τοὺς τῶν ἀριθμῶν μόνον λόγους ῥητόν, ᾧ συνέβαινεν ἀμελῳδήτῳ εἶναι· οὕτω καὶ ἐν τοῖς ῥυθμοῖς ὑποληπτέον ἔχειν τό τε ῥητὸν καὶ τὸ ἄλογον. τὸ μὲν γὰρ κατὰ τὴν τοῦ ῥυθμοῦ φύσιν λαμβάνεται ῥητόν, τὸ δὲ κατὰ τοὺς τῶν ἀριθμῶν μόνον λόγους. Τὸ μὲν οὖν ἐν | ῥυθμῷ λαμβανόμενον ῥητὸν χρόνου μέγεθος πρῶτον μὲν δεῖ τῶν πιπτόντων εἰς τὴν ῥυθμοποιΐαν εἶναι, ἔπειτα τοῦ ποδὸς ἐν ᾧ τέτακται μέρος εἶναι ῥητόν· τὸ δὲ κατὰ τοὺς τῶν ἀριθμῶν λόγους λαμβανόμενον ῥητὸν τοιοῦτόν τι δεῖ νοεῖν οἷον ἐν τοῖς διαστηματικοῖς τὸ δωδεκατημόριον τοῦ τόνου καὶ εἴ τι τοιοῦτον ἄλλο ἐν ταῖς τῶν διαστημάτων παραλλαγαῖς λαμβάνεται. Φανερὸν δὲ διὰ τῶν εἰρημένων, ὅτι ἡ μέση ληφθεῖσα τῶν ἄρσεων οὐκ ἔσται σύμμετρος τῇ βάσει· οὐδὲν γὰρ αὐτῶν μέτρον ἐστὶ κοινὸν εὔρυθμον.19 22. Τῶν δὲ ποδικῶν διαφορῶν ἐκκείσθωσαν αἱ ἑπτά· πρώτη μέν, καθ΄ ἣν μεγέθει διαφέρουσιν ἀλλήλων· δευτέρα δέ, καθ΄ ἣν γένει· τρίτη δέ, καθ΄ ἣν οἱ μὲν ῥητοί, οἱ δ΄ ἄλογοι τῶν ποδῶν εἰσι· τετάρτη δέ, καθ΄ ἣν οἱ μὲν ἀσύνθετοι, οἱ δὲ σύνθετοι· πέμπτη δέ, καθ΄ ἣν | διαιρέσει διαφέρουσιν ἀλλήλων· ἕκτη δέ, καθ΄ ἣν σχήματι διαφέρουσιν ἀλλήλων· ἑβδόμη δέ, καθ΄ ἣν ἀντιθέσει.
19 3 μέλος Marq., March.] μέρος R; 6–7 τοὺς τῶν ἀριθμῶν μόνον λόγους Marq., March.] τοῦτον ἀριθμῶ μόνους λόγω R; 17 ἄρσεων] εἰρημένων R; 18 εὔρυθμον R, March.] ἔνρυθμον vel ἔῤῥυθμον Mor.; ἔνρυθμον Marq.
Rhythmik
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ten der Rhythmen erfasst werden. So wie in den mit Intervallen befassten Elementen der Melodie das Legitime in Hinsicht auf die Melodie erfasst wird, welches zuallererst das Gesungene ist, dann aber auch erkennbar hinsichtlich der Größe – zum Beispiel die Konsonanzen und der Ton oder zum Beispiel die Dinge, die mit diesen kommensurabel sind – und schließlich das Legitime, das nur auf den rationalen Verhältnissen der Zahlen beruht, dem es jedoch zukommt, unmelodisch zu sein; so sind auch in den Rhythmen das Legitime und Irrationale anzunehmen. Das eine ist nämlich gemäß der natürlichen Art des Rhythmus legitim, das andere nur gemäß den rationalen Verhältnissen von Zahlen. Die Größe des Zeitintervalls, die im Rhythmus als legitim angenommen wird, muss erstens zu denjenigen Dingen gehören, die unter die Rhythmus-Produktion fallen, und ferner ein legitimer Teil des Versfußes sein, in den sie eingeordnet ist. Dasjenige jedoch, welches nur gemäß den rationalen Verhältnissen von Zahlen als legitim angenommen wird, muss man als ein solches Ding betrachten wie den Zwölftelton in den Intervallen und wenn anderes Derartiges in den Vergleichen der Intervalle angenommen wird. Es ist also aufgrund des Gesagten klar, dass die Arsis, die als mittlere der anderen Arsen angenommen wurde, nicht mit der Thesis kommensurabel ist. Denn ihnen ist kein rhythmisch wohlgeordnetes Maß gemeinsam. 22. Von den zu Versfüßen gehörenden Unterschieden seien diese sieben herausgehoben: erstens, demzufolge sich die Versfüße der Größe nach voneinander unterscheiden; zweitens, demzufolge sie sich der Gattung nach voneinander unterscheiden; drittens, demzufolge einige der Versfüße legitim, andere irrational sind; viertens, demzufolge einige nicht-zusammengesetzt, andere zusammengesetzt sind; fünftens, demzufolge sie sich durch Teilung voneinander unterscheiden; sechstens, demzufolge sie sich durch Schemata voneinander unterscheiden: siebtens, demzufolge sie sich durch eine Antithese voneinander unterscheiden.
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Aristoxenos
298–300
23. Μεγέθει μὲν οὖν διαφέρει ποὺς ποδός, ὅταν τὰ μεγέθη τῶν ποδῶν, ἃ κατέχουσιν οἱ πόδες, ἄνισα ᾖ. 24. Γένει δὲ ὅταν οἱ λόγοι διαφέρωσιν ἀλλήλων οἱ τῶν ποδῶν, οἷον ὅταν ὁ μὲν τὸν τοῦ ἴσου λόγον ἔχῃ, ὁ δὲ τὸν τοῦ διπλασίου, ὁ δ΄ ἄλλον τινὰ τῶν ἐυρύθμων χρόνων. 20 25. Οἱ δ΄ ἄλογοι διαφέρουσι τῶν ῥητῶν τῷ τὸν ἄνω χρόνον πρὸς τὸν κάτω μὴ εἶναι ῥητόν.21 26. Οἱ δ΄ ἀσύνθετοι τῶν συνθέτων διαφέρουσι τῷ μὴ διαιρεῖσθαι εἰς πόδας, τῶν συνθέτων διαιρουμένων. 27. Διαιρέσει δὲ διαφέρουσιν ἀλλήλων, ὅταν τὸ αὐτὸ μέγεθος εἰς ἄνισα μέρη διαιρεθῇ, ἤτοι κατὰ ἀμφότερα, κατά τε τὸν ἀριθμὸν καὶ κατὰ τὰ μεγέθη, ἢ κατὰ θἄτερα. 28. Σχήματι δὲ διαφέρουσιν ἀλλήλων, ὄταν τὰ αὐτὰ μέρη τοῦ αὐτοῦ μεγέθους μὴ | ὡσαύτως ᾖ (διῃρημένα).22 29. Ἀντιθέσει δὲ διαφέρουσιν ἀλλήλων οἱ τὸν ἄνω χρόνον πρὸς τὸν κάτω ἀντικείμενον ἔχοντες. ἔσται δὲ ἡ διαφορὰ αὕτη ἐν τοῖς ἴσοις μέν, ἄνισον δὲ ἔχουσι τῷ ἄνω χρόνῷ τὸν κάτω.23 30. Τῶν δὲ ποδῶν (τῶν) καὶ συνεχῆ ῥυθμοποιΐαν δεχομένων τρία γένη ἐστί· τό τε δακτυλικὸν καὶ τὸ ἰαμβικὸν καὶ τὸ παιωνικόν.
20 3 εὐρύθμων R, March.] ἐνρύθμων Marq. χρόνων codd.] λόγων March. 21 1 διαφέρουσι τῶν ῥητῶν Marq.] τῶν ῥητῶν διαφέρουσι codd., March. 22 2 ᾖ διῃρημένα Marq.] ᾖ codd.; ᾖ τεταγμένα Psel, March. 23 3 ἄνισον δὲ ἔχουσι τῷ ἄνω χρόνῷ τὸν κάτω March.] (τάξιν) ἔχουσι τῶν ἄνω χρόνων (καὶ) τῶν κάτω Marq.
Rhythmik
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23. Der Größe nach unterscheidet sich ein Versfuß von einem anderen Versfuß, wenn die Größen der Versfüße, welche die Versfüße enthalten, ungleich sind; 24. und der Gattung nach, wenn sich die rationalen Verhältnisse der Versfüße voneinander unterscheiden, wie wenn zum Beispiel der eine ein rationales Verhältnis des Gleichen enthält, der andere eines des Doppelten und ein weiterer ein anderes der rhythmisch wohlgeordneten Verhältnisse. 25. Die irrationalen Verhältnisse unterscheiden sich von den legitimen Verhältnissen dadurch, dass das Aufwärts-Intervall relativ auf das Abwärts-Intervall nicht legitim ist. 26. Die nicht-zusammengesetzten Versfüße unterscheiden sich von den zusammengesetzten Versfüßen dadurch, dass sie nicht wieder in Versfüße geteilt werden, während die zusammengesetzten geteilt sind. 27. Sie unterscheiden sich voneinander durch Teilung, wenn dieselbe Größe in ungleiche Teile geteilt ist, und zwar in Hinsicht auf beide Fälle: in Hinsicht auf die Anzahl und die Größe oder in Hinsicht auf beides. 28. Durch Schema unterscheiden sie sich voneinander, wenn dieselben Teile derselben Größe nicht auf dieselbe Weise geordnet sind. 29. Durch Antithese unterscheiden sich diejenigen voneinander, die ein Aufwärts-Intervall enthalten, das dem Abwärts-Intervall gegenüber entgegengesetzt ist. Dieser Unterschied tritt in miteinander gleichen Versfüßen auf, die jedoch ein Abwärts-Intervall enthalten, das dem Aufwärts-Intervall ungleich ist. 30. Von den Versfüßen, die eine kontinuierliche Rhythmus-Produktion zulassen, gibt es drei Gattungen, die daktylische und die
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Aristoxenos
300–304
δ ακτυλικὸν μὲν οὖν ἐστι τὸ ἐν (τῷ) ἴσῳ λόγῳ, ἰαμβικὸν δὲ τὸ ἐν τῷ διπλασίῳ, παιωνικὸν δὲ τὸ ἐν τῷ ἡμιολίῳ.24 31. Τῶν δὲ ποδῶν ἐλάχιστοι μέν | εἰσιν οἱ ἐν τῷ τρισήμῳ μεγέθει· τὸ γὰρ δίσημον μέγεθος παντελῶς ἂν ἔχοι πυκνὴν τὴν ποδικὴν σημασίαν. γίνονται δὲ ἰαμβικοὶ τῷ γένει οἱ ἐν τῷ τρισήμῳ μεγέθει· ἐν γὰρ τοῖς τρισὶν ὁ τοῦ διπλασίου μόνος ἔσται λόγος.25 32. Δεύτεροι δ΄ εἰσὶν οἱ ἐν τῷ τετρασήμῳ μεγέθει· εἰσὶ δ΄ οὗτοι δακτυλικοὶ τῷ γένει· ἐν γὰρ τοῖς τέτρασι δύο λαμβάνονται λόγοι, ὅ τε τοῦ ἴσου καὶ ὁ τοῦ τριπλασίου· ὧν ὁ μὲν τοῦ τριπλασίου οὐκ ἔρρυθμός ἐστιν, ὁ δὲ τοῦ ἴσου εἰς τὸ δακτυλικὸν πίπτει γένος. 33. Τρίτοι δέ εἰσι κατὰ τὸ μέγεθος οἱ ἐν πεντασήμῳ μεγέθει· ἐν γὰρ τοῖς πέντε δύο λαμβάνονται λόγοι, ὅ τε τοῦ τετραπλασίου καὶ ὁ τοῦ ἡμιολίου· ὧν ὁ μὲν τοῦ τετραπλασίου οὐκ ἔρρυθμός ἐστιν, ὁ δὲ τοῦ ἡμιολίου τὸ παιωνικὸν ποιήσει γένος. 34. Τέταρτοι δέ εἰσιν οἱ ἐν ἑξασήμῳ μεγέθει· ἔστι δὲ τὸ μέγεθος τοῦτο δύο γενῶν κοινόν, τοῦ τε ἰαμβικοῦ καὶ τοῦ δακτυλικοῦ, ἐν γὰρ τοῖς ἓξ τριῶν λαμβανομένων | λόγων, τοῦ τε ἴσου καὶ τοῦ διπλασίου καὶ τοῦ πενταπλασίου, ὁ μὲν τελευταῖος ῥηθεὶς οὐκ ἔρρυθμός ἐστι, τῶν δὲ λοιπῶν ὁ μὲν τοῦ ἴσου λόγος εἰς τὸ δακτυλικὸν γένος ἐμπεσεῖται, ὁ δὲ τοῦ διπλασίου εἰς τὸ ἰαμβικόν.26 35. Τὸ δὲ ἑπτάσημον μέγεθος οὐκ ἔχει διαίρεσιν ποδικήν· τριῶν γὰρ λαμβανομένων λόγων ἐν τοῖς ἑπτὰ οὐδείς ἐστιν ἔρρυθμος· ὧν
24 1 (τῶν) add. Marq., March.] om. codd. δεχομένων codd. March.] ἐπιδεχομένων. Marq. ἐν (τῷ) Marq.] ἐν codd. 25 2 δίσημον Feu., March.] διάσημον codd. 2–3 οἱ ἐν τῷ scripsi] οἷον ἐν RK, March., οὗτοι ἐν Mor., Feu., οὗτοι οἱ Marq. 26 1 οἱ codd.] ἐν add. Feu., Marq., March. 3 λαμβανομένων Marq., March.] λαμβανομένοις codd.; 5 λοιπῶν Marq., March.] λεγομένων codd.
Rhythmik
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iambische und die päonische Gattung. Daktylisch ist die im gleichen, iambisch die im doppelten, päonisch die im eins-zu-anderthalb rationalen Verhältnis. 31. Die kleinsten der Versfüße sind die in der trisemischen Größe, denn die disemische Größe dürfte wohl eine ausgesprochen komprimierte mit Versfüßen verbundene Markierung enthalten. 32. Die zweiten sind die in der tetrasemischen Größe. Diese sind der Gattung nach daktylisch. Denn in die Vieren sind zwei ratio nale Verhältnisse aufgenommen, das des Gleichen und das des Dreifachen, von denen das des Dreifachen nicht zum Rhythmus gehört. Das des Gleichen fällt jedoch unter die daktylische Gattung. 33. Die dritten in Hinsicht auf die Größe sind die in der pentasemischen Größe. Denn in die Fünfen sind zwei rationale Verhältnisse aufgenommen, das des Vierfachen und das des Einen zum Anderthalbfachen, von denen das des Vierfachen nicht zum Rhythmus gehört. Das des Einen zum Anderthalbfachen fällt jedoch unter die päonische Gattung. 34. Die vierten sind die in der hexasemischen Größe. Diese Größe ist zwei Gattungen gemeinsam, der iambischen und der daktylischen. Da in die Sechsen drei rationale Verhältnisse aufgenommen sind, das des Gleichen und das des Doppelten und das des Fünffachen, so gehört das zuletzt genannte nicht zum Rhythmus, von den übrigen aber fällt das rationale Verhältnis des Gleichen unter die daktylische Gattung, das des Doppelten jedoch unter die iambische Gattung. 35. Die heptasemische Größe enthält keine Teilung in Versfüße. Denn da drei rationale Verhältnisse in die Siebenen aufgenommen sind, gehört keines von ihnen zum Rhythmus, von denen eines das
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Aristoxenos
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εἷς μέν ἐστιν ὁ τοῦ ἐπιτρίτου, δεύτερος δὲ ὁ τῶν πέντε πρὸς τὰ δύο, τρίτος δὲ ὁ τοῦ ἑξαπλασίου.27 36. Ὥστε πέμπτοι ἂν εἴησαν οἱ ἐν ὀκτασήμῳ μεγέθει. ἔσονται δ΄ οὗτοι δακτυλικοὶ τῷ γένει, ἐπειδήπερ …
27 2 οὐδείς Marq.] οὔθ’ εἵς codd., οὐθείς Bar., March. 3 ἐπιτρίτου Feu., Marq., March.] ἐπὶ τρίτου codd.
Rhythmik
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des Vier zu Drei, ein zweites das der Fünf zu den Zwei, ein drittes das des Sechsfachen ist. 36. Daher dürften wohl die fünften die in der oktosemischen Gattung sein. Diese werden aber der Gattung nach daktylisch sein, da in der Tat …
KOM M E N TA R
ER 11 Aus dem einleitenden Paragraphen geht hervor: (1) In Buch I der ER sind folgende Themen behandelt worden: (i) Die verschiedenen Arten von Rhythmus. (ii) Was den Arten von Rhythmus zugrunde liegt. (iii) Was jede Art von Rhythmus gemein hat und sie auszeichnet.2 Zu (i) wird in Aristides 1.13 bemerkt: Sowohl (a) nicht bewegte Dinge (z. B. Statuen) als auch (b) bewegte Dinge und (c) Töne können einen Rhythmus aufweisen. Fall (c) ist ein Spezialfall von (b), denn in Fall (c) handelt es sich um die Bewegungen der singenden Stimme, die vor allem in der Harmonik untersucht werden. Das Wort φύσις wird im Folgenden mit »natürliche Art« übersetzt – also mit einem technischen Terminus der modernen essentialistischen Philosophie, der auf eine Struktur verweist, die metaphysisch notwendige Eigenschaften aufweist. Genauso verwendet auch Aristoteles den Ausdruck φύσις an vielen Stellen,3 und Aristoxenos übernimmt diese Verwendungsweise. Mit (ii) wird auf die Medien verwiesen, die den verschiedenen Arten von Rhythmus zugrunde liegen. In ER 9 wird Aristoxenos den Fall (b) genauer spezifizieren.4
1 Die Abkürzung ER bedeutet: Rhythmus-Fragment (= Elementa Rhyth mica) Paragraph. ER 8 bedeutet also zum Beispiel: Rhythmus-Fragment, Paragraph 8. 2 Vgl. Gibson 2005, 85–88. 3 Vgl. z. B. Metaph. V, 1014b36–1015a11, wo die φύσις einer Sache ihre Substanz genannt wird. 4 Die Genera der Theorie musikalischer Rhythmen sind nach Aristides primäre Zeiteinheiten, Arten der Versfüße, rhythmisches Tempo, rhythmische Veränderung und rhythmische Komposition (Aristides, 32.8–10).
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Kommentar
Was mit Hinweis (iii) gemeint ist, scheint unsicher zu sein. Man könnte vermuten, dass Aristoxenos hier (a) das Prinzip im Auge hat, das er in ER 2 spezifiziert und als Wiederholung aus Buch I bezeichnet. Aber vielleicht hat er in Buch I auch (b) eine allgemeine Bestimmung von »Rhythmus« angegeben. Im Fall (b) könnte Rhythmus zum Beispiel eine Struktur oder ein Schema sein – eine durchaus übliche Verwendungsweise im Altgriechischen5 und insbesondere bei den Atomisten Leukipp und Demokrit.6 Einige Interpreten weisen darauf hin, dass »Rhythmus« im Griechischen auch Fließen (flow) bedeuten kann.7 Eine weitere Möglichkeit ist, dass Aristoxenos (c) eine allgemeine Bestimmung des musikalischen Rhythmus im Sinn hat – als musikalisch geordnete Bewegungen der singenden Stimme, wie Aristides 31.6 bemerkt.8 Die Angaben (i)–(iii) sollen zunächst in einer sehr allgemeinen Form den spezifischen Gegenstandsbereich einer Theorie über den Rhythmus umreißen – die übliche aristotelische Art und Weise, die Autonomie einer speziellen Wissenschaft zu sichern.9 Wenn wir prüfen, genau welchen Rhythmusbegriff Aristoxenos verteidigt, dann ist dies nicht nur eine musikwissenschaftlich interessante Frage, sondern sichert aus aristotelischer Sicht der Theorie des Rhythmus allererst einen wissenschaftlichen Status. Das erhaltene Rhythmus-Fragment von Aristoxenos ist beklagenswert kurz. Dieser Umstand hat, wie bereits bemerkt, dazu geführt, dass die bisherige Forschung eine genauere formale und logische Analyse des Textes als hoffnungslos betrachtet hat. Es ist daher insbesondere auch zu wenig beachtet worden, dass der erhaltene Text einen wohlüberlegten und interessanten Aufbau erkennen lässt: 5 Belege bei Marchetti 2009, ad ER 1. Zur Etymologie des Wortes ῥυθμός, die zeigt, dass dieses Wort eine umfassendere Bedeutung hat als das deutsche Wort Rhythmus, vgl. z. B. Sauvanet 1999, Wolf 1955. 6 Vgl. Leukipp Frg. 6 DK und Demokrit Frg. 38 DK. 7 Pearson 1990, 47. 8 Vgl. Lynch 2020, 279. 9 Vgl. z. B. Arist. Post. An. I 28.
Kommentar
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1. Metaphysik, Zeit und Rhythmus (ER 2–7) 1.1 Rhythmus und metaphysische Form-Materie-Analyse 1.2 Rhythmus, Zeit und Wahrnehmung 2. Analytische Elemente des Rhythmus (ER 8–15) 2.1 Zeitintervalle in Rhythmen 2.2 Musikalischer Rhythmus 3. Versfüße als Bausteine des wohlgeordneten Rhythmus (ER 16–21) 3.1 Zusammensetzung und Bausteine von Versfüßen 3.2 Rationalität als ästhetische Legitimität von Versfüßen 4. Synthesis des wohlgeordneten Rhythmus: die Rhythmus-Produktion (passim erwähnt) 4.1 Elementare Rhythmusproduktion 4.2 Artifizielle Rhythmusproduktion 5. Arten und Größen von Versfüßen (ER 22–36) 5.1 Klassifikation von Versfüßen 5.2 Ästhetische Größen von Versfüßen Die Teile 4 und 5 werden allerdings im erhaltenen Text bis auf 5.1 nur angedeutet. Doch kennen wir aus Aristides die wichtigsten Themen, die im Rest von Buch II und in Buch III abgehandelt wurden: Zulässige Kombinationen von rhythmischen Versfüßen, Genaueres zum daktylischen, iambischen und paeonischen Genus des Rhythmus, Kombinationen von Rhythmen aus den drei verschiedenen Genera, rhythmische Progression, rhythmische Modulation, rhythmische Komposition, und Ethos des Rhythmus.10 Hier ging es also in der Tat hauptsächlich um die ästhetisch zulässigen Synthesen von Versfüßen zu größeren legitimen Rhythmen, in denen die Rhythmus-Produktion eine maßgebliche Rolle spielte. Dieser Aufbau demonstriert einen wissenschaftstheoretischen Aspekt der aristoxenischen Rhythmik, der bisher übersehen wurde: Aristoxenos hält sich auch in seiner Rhythmik an das von Aristoteles empfohlene und praktizierte analytisch-synthetische Verfahren, 10 Vgl. auch Rowell 1979, 66.
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Kommentar
dem zufolge die wissenschaftliche Behandlung eines Gegenstandsbereiches G im Wesentlichen darin besteht zu zeigen, aus welchen Elementen G zusammengesetzt ist (Analyse) und auf welche Weise G aus diesen Elementen zusammengesetzt ist (Synthese).11 Die beiden Besonderheiten der Analyse und Synthese in der Musikwissenschaft gegenüber der allgemeinen Form, die von Aristoteles präsentiert wird, bestehen darin, dass die Elemente und ihre Synthesen von Melodien und Rhythmen von Musikwissenschaftlern und Künstlern erstens allererst produziert werden müssen und zweitens ästhetischen Kriterien unterliegen. Denn Musikwissenschaft ist nach Aristoxenos nicht nur eine empirische, sondern zugleich auch produktive und ästhetische Wissenschaft.
1. Metaphysik, Zeit und Rhythmus (ER 2–7) ER 2 In diesem kurzen Paragraphen wird das »Prinzip« der Theorie des Rhythmus angegeben. Die bereits in Buch I formulierte These erhält erst jetzt und im Folgenden den Status eines wissenschaftlichen Prinzips: ein weiteres Indiz für den Anspruch, auch die Rhythmik als aristotelische Wissenschaft zu organisieren. (1) Grundlegendes Prinzip der Rhythmik: Rhythmus bezieht sich auf die Zeitintervalle (chronoi) und deren Wahrnehmung. Der Umstand, dass das Wort »Zeit« (chronos) hier wie auch sonst in ER im Plural verwendet wird, ist ein starkes Indiz dafür, dass Aristoxenos sich auf abgegrenzte Zeitintervalle bezieht und nicht etwa auf die kontinuierliche Zeit im Ganzen.12 Damit wird eine erste theoriestrategische Verbindung zur aristotelischen Zeittheo 11 Vgl. z. B. Detel 2006, 245 f. und Detel 2011, XIII–XVIII. 12 Vgl. Pearson 1990, ad. ER 2, 48; Marchetti 2009, ad ER 2, 82.
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rie deutlich, denn auch Aristoteles beginnt seine Überlegungen über die Zeit mit der Definition von Zeitintervallen: Aber auch die Zeit erkennen wir, wenn wir die Bewegung abgrenzen, indem wir sie durch das Vorher und Nachher abgrenzen … Wir vollziehen die Abgrenzung aber dadurch, dass wir sie als Eines und ein Anderes sowie ein davon Verschiedenes in der Mitte betrachten. Denn wenn wir die äußeren Grenzen des Mittleren als verschieden erkennen und die Seele sie als zwei Jetzt-Momente bezeichnet, dann nennen wir dies eine Zeit. Zeit scheint nämlich das durch das Jetzt Abgegrenzte zu sein. Und dies sei nunmehr vorausgesetzt (Phys. 219a22–30).13
Mehr noch, für Aristoteles ist auch die Zeit allgemein eine Folge von Zeitintervallen, nicht von Zeitpunkten. Diese Idee liegt letztlich seiner bekannten und berüchtigten Definition der Zeit als einer Art von Zahl zugrunde: Dies nämlich ist die Zeit: Zahl einer Bewegung in Hinsicht auf das Vorher und Nachher. Die Zeit ist demnach nicht Bewegung, sondern Bewegung, insofern sie eine Zahl aufweist … Daher ist Zeit eine Art von Zahl (Phys. 219b1–5).
Endliche und potentiell unendliche Zeiträume sind demnach für Aristoteles endliche und potentiell unendliche Mengen von Zeit intervallen relativ auf Phasen bewegter Dinge, die durch Ordinalzahlen gezählt und eins zu eins auf Teilmengen bzw. die gesamte Menge der natürlichen Zahlen abgebildet werden können.14 Demnach besagt Grundsatz (1), dass der Rhythmus bewegter Dinge die endliche Menge von Zeitintervallen relativ auf die Phasen dieser bewegten Dinge ist und durch Ordinalzahlen gezählt werden kann. 13 Vgl. Detel 2021, 24. 14 Zur vieldiskutierten aristotelischen Zeittheorie vgl. Böhme 1974, Bos tock 1980, Bowin 2009, Broadie 1984, Coope 2008, Roark 2011, Detel 2021, bes. 26–29.
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Was es mit der Wahrnehmung der Zeitintervalle auf sich hat, bleibt an dieser Stelle unklar. Eine Möglichkeit ist, dass Aristoxenos auf seine oft artikulierte These anspielt, dass jede Art von Musiktheorie, und daher auch die Theorie des musikalischen Rhythmus, auf sorgfältiger und genauer Wahrnehmung und Beobachtung beruhen muss.15 Eine andere Möglichkeit ist, dass Aristoxenos darauf hinweisen will, dass das rhythmische Singen und Tanzen die genaue Wahrnehmung der rhythmischen Zeitintervalle erfordert.16 17 Eine dritte Möglichkeit ist, dass Aristoteles hier andeutet, was er später in ER 8 genauer erläutert: dass die musikalische Wahrnehmung jene kognitive Fähigkeit ist, die es uns erlaubt, zwischen ästhetisch akzeptablen und inakzeptablen Rhythmen zu unterscheiden.18 Es gibt ein einzigartiges Dokument, an dem wir viele Aspekte der Theorie des Rhythmus illustrieren können, die von Aristoxenos vorgeschlagen worden ist. Es handelt sich um das überlieferte Lied des Seilikos – das einzige antike Musikstück, das vollständig und mit voller Notation überliefert ist. Wir werden im Folgenden mehrmals auf dieses Dokument zurückkommen. Die Notation besteht aus drei Ebenen: Die unterste Ebene stellt den Text einschließlich seiner Metrik dar. Die mittlere Ebene mit den großen griechischen Buchstaben enthält Bezeichnungen für die Noten. Und die oberste Ebene (Striche und Punkte) skizziert den Rhythmus.19 Die musikalischen Zeitintervalle, von denen Aristoxenos spricht, lassen sich im Blick auf dieses Lied in einem ersten Zugriff folgendermaßen erläutern. Betrachten wir zum Beispiel den ersten »Takt«. Hier kommen drei Noten vor, die gesungen werden. Die15 So Marchetti 2009, ad ER 2, 82 (vgl. z. B. EH 2.33). 16 So Pearson 1990, ad. ER 2, 48. 17 Platon betrachtet die Wahrnehmung von Rhythmen in Gestalt von Ordnungen von Bewegungen als humanspezifisch (Nom. 653e3–5). 18 So z. B. Lynch 2020, 279. 19 Vgl. Palisca (2001), 1.
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ser Gesang ist eine Bewegung (der singenden Stimme), die drei Phasen aufweist, die gerade durch die drei Noten markiert werden. Diese Bewegungsphasen weisen zusätzlich bestimmte Längen auf: die erste hat eine Länge von einer Kürze, die zweite eine Länge von zwei Kürzen und die dritte eine Länge von drei Kürzen. Diese Längen weichen von der metrischen Struktur des Textes ab, denn die griechischen Worte hoson zees enthalten zwar auch drei Silben, doch die ersten beiden Silben haben metrisch gesehen eine Länge von einer Kürze, die dritte Silbe hat eine metrische Länge von zwei Kürzen. Zusätzlich bezeichnet der Punkt über der letzten Note, dass hier eine Arsis vorliegt – eine Art von Akzentuierung (die im folgenden Kommentar später genauer erläutert wird). Durch die Rhythmisierung der Bewegungsphasen der singenden Stimme werden diese Bewegungsphasen zu Zeitintervallen, in deren Beschreibung ihre Zählung in ordinaler, nicht in kardinaler Ordnung
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eingeht (»das erste, zweite, dritte Zeitintervall«). Diese theoretische Perspektive auf den musikalischen Rhythmus ist in erheblichem Ausmaß eine spezielle Form der aristotelischen Zeittheorie.20 Es genügt daher nicht, an dieser Stelle mit Marchetti lediglich darauf hinzuweisen, dass auch Aristoteles in Phys. 237b28–30 den Plural chronoi im Sinne von Zeitintervallen verwendet. ER 3–5 Die nächsten drei Paragraphen (ER 3–5) sind der Unterscheidung zwischen dem Rhythmus als Form und dem Rhythmus als Geformtes gewidmet. Diese Unterscheidung wird oft als Anspielung auf die aristotelische Unterscheidung zwischen Form und Materie interpretiert (vgl. z. B. Marchetti ad ER 3). Aristoxenos benutzt hier für Formen den griechischen Ausdruck »Schema« (schema) statt, wie bei Platon und Aristoteles üblich, »Form« (eidos). Doch verwendet Aristoteles gelegentlich auch schema, um auf Formen hinzuweisen (z. B. Cat. 11a5–14, Phys. 245b9–246a4). Im Hintergrund dieser Terminologie schwingt auch die allgemeine Bedeutung von rhythmos als Struktur mit (s. o.). So setzt Aristoteles zum Beispiel an einer Stelle das Rhythmisierte mit dem Schematisierten gleich, das heißt behandelt rhythmos und schema als Synonyma für Formen (Phys. 245b9). Aristides (1.19) nennt das dem Rhythmus Zugrundeliegende auch die Materie (»Hyle«) des Rhythmus und bezeichnet Töne und Bewegungen (also (b) und (c)) als Materie der Musik (hyle mousikes). Man hat vermutet, dass sich Aristoxenos im verlorenen Buch I ebenfalls so ausgedrückt hat.21 Mit ER 3 scheint Aristoxenos also die aristotelische Unterscheidung von Form und Materie (die Form-Materie-Analyse) auf das Verhältnis von Rhythmus und seiner Materie anzuwenden, wie auch die meisten Kommentatoren betonen. Die Theorie des Rhythmus wird damit offensichtlich in den Rahmen der aristotelischen Metaphysik ge20 Vgl. Aristoteles Physik IV, 10–14 und Detel 2021, Teil I. 21 Pearson 1990, 47.
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stellt. Diese metaphysische Einbettung wird sich als grundlegend für Aristoxenos’ Vorstellungen über den Rhythmus und die Abgrenzung von der Metrik erweisen. Allerdings muss dem Wortlaut von ER 3 zufolge die Unterscheidung zwischen Form und Materie des Rhythmus differenzierter formuliert werden: (2) Der Rhythmus muss von der rhythmisierten Materie unterschieden werden. Rhythmus und rhythmisierte Materie stellen verschiedene natürliche Arten des Rhythmus dar. In (2) handelt es sich genau genommen um die Unterscheidung zwischen Form und Form-Materie-Kompositum im aristotelischen Sinn, also zum Beispiel nicht um die Unterscheidung zwischen der Form des Menschen und dem Fleisch, dem Blut, den Knochen usw. von Sokrates, sondern um die Unterscheidung zwischen der Form des Menschen und dem Menschen Sokrates. Auch das Rhythmisierte, also die rhythmisierte Materie, ist ein Form-Materie-Kompositum, dessen Form ein bestimmter Rhythmus ist. Die Essenz (also die natürliche Art) des Rhythmus als Form besteht darin, eine reine Form zu sein. Die Essenz (also die natürliche Art) des Rhythmus als rhythmisierte Materie besteht darin, die konkrete Realisierung einer Form zu sein.22 Es ist also vorschnell und ungenau, in These (2) die aristotelische Unterscheidung zwischen Form und Materie zu identifizieren.23 Legt man die aristotelische Form-Materie-Analyse zugrunde, so muss vielmehr eine dreifache Unterscheidung vorgenommen werden (vgl. z. B. Metaph. VII 3, 1029a2–6): (a) Die Materie, für sich genommen (rhythmisierbare Materie, für sich genommen). 22 Marchetti 2009, 53 interpretiert das »Rhythmisierte« (rhythmizomenon) explizit als rhythmisierbare Materie und ihre »Natur« (physis) als ihre Form. Diese Deutung gibt der Wortlaut von These (2) jedoch keineswegs her. 23 So etwa Marchetti 2009, 51.
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(b) Die Form, für sich genommen (Rhythmen in verschiedenen Zeitintervallen, als reine Strukturen betrachtet). (c) Form-Materie-Komposita (von Rhythmen geprägte rhythmisierbare Materie, also rhythmisierte Materie). Form-Materie-Komposita sind Instanziierungen, Exemplifizierungen oder Realisierungen von Formen in einer Materie. Daraus folgt, dass »Rhythmus« zweierlei bedeuten kann: eine allgemeine reine Form oder ein Form-Materie-Kompositum, also zum Beispiel die rhythmische Struktur eines Musikstückes oder das rhythmisierte Musikstück. Aristoxenos scheint in ER 3 (also mit These (2)) auf die Unterscheidung zwischen (b) und (c), nicht zwischen (a) und (c) hinzuweisen. In ER 4 spricht er zunächst weiterhin von rhythmisierten Dingen, also von Form-Materie-Komposita. Es mag irritierend wirken, dass er in diesem Kontext sagt, dass die rhythmisierte Materie verschiedene Formen »annimmt«. Denn dies scheint eher auf rhythmisierbare Materie zuzutreffen. Es dürfte daher Folgendes gemeint sein: (3) Angenommen, eine rhythmisierte Materie enthalte die Form eines bestimmten Rhythmus, so könnte sie auch eine andere rhythmische Form enthalten, also ein anderes rhythmisches Form-Materie-Kompositum sein. Allerdings ist klar, dass in (3) implizit bereits auf die Idee Bezug genommen wird, dass dieselbe rhythmisierbare Materie verschiedene rhythmische Formen annehmen kann. Im weiteren Verlauf von ER 4 weist Aristoxenos dann auch explizit auf dieselbe Rede hin, die unterschiedliche rhythmische Formen annehmen kann. Relativ auf diese unterschiedlichen Formen muss es sich dabei in der Tat um eine rhythmisierbare Materie handeln. Die rhythmisierbare Materie kann verschiedene rhythmische Formen annehmen, das heißt ist dazu disponiert, und zwar von Natur aus (wie der griechische Ausdruck pephykota ausdrückt). Genau das wird mit dem letzten Satz von ER 4 behauptet:
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(4) Sei FM ein Form-Materie-Kompositum, dann ist M eine Materie, die von Natur aus dazu disponiert ist, die Form M anzunehmen, also eine durch F formbare Materie, die ebenfalls verschieden von F ist. (5) Dies gilt insbesondere auch dann, wenn (i) F eine rhythmische Form und M eine rhythmisierbare Materie ist, und noch spezieller, wenn (ii) F eine musikalische rhythmische Form und M eine Melodie ist. Damit macht Aristoxenos die oben genannte dreifache Unterscheidung (a)–(c) der aristotelischen Form-Materie-Analyse für seine Rhythmustheorie fruchtbar. Tatsächlich spricht zum Beispiel Aristides explizit von der rhythmisierbaren Materie, während Psellus durchgehend von »rhythmisierter Materie« redet, auch wenn er Materie meint, die erst noch einen Rhythmus annehmen soll. In ER 5 reformuliert Aristoxenos These (4) in Begriffen von Identität und Verschiedenheit. Erneut drückt er sich ambivalent aus. Zunächst behauptet er, dass der Rhythmus nicht mit der rhythmisierten Materie identisch ist, und dann, dass der Rhythmus auch nicht mit Körpern, die von Natur aus rhythmisierbar sind, identisch ist. Beides trifft auch im Rahmen der aristotelischen Form-Materie-Analyse zu. Im Fall der Musik werden diese beiden Nicht-Identitäten jedoch dadurch untermauert, dass der musikalische Rhythmus stets erst hergestellt werden muss. Damit spielt Aristoxenos auf die Rhythmus-Produktion an, die später noch genauer behandelt wird: (6) Der musikalische Rhythmus als Form (a) ist weder mit der rhythmisierten noch mit der rhythmisierbaren musikalischen Materie identisch und (b) muss stets im Zuge der Rhythmus-Produktion an rhythmisierbarer Materie allererst realisiert werden. (c) Dies gilt für Reden, Melodien und alle anderen Dinge, die von jener Art von Rhythmus rhythmisiert werden können, der in Gestalt von Zeitintervallen organisiert ist.
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(7) Die Form ist ein bestimmtes Arrangement der Teile des Körpers, das darauf beruht, dass jedes dieser Teile auf bestimmte Weise positioniert ist. Daher wird die Form auch Schema genannt.24 These (7) wird dann logisch allspezialisiert auf den Fall des Rhythmus: (8) Daher ist es die Aufgabe von bestimmten Wesen, ein bestimmtes Arrangement der Teile der rhythmisierbaren Materie herzustellen, und dieses Arrangement verleiht der rhythmisierbaren Materie in Hinsicht auf die Zeitintervalle bestimmte Qualitäten. Die Thesen (7)–(8) sind bemerkenswert. Das (rhythmische) Schema (Rhythmus als Form) ist ein Arrangement (diathesis) der Teile der rhythmisierten Materie.25 Aber darüber hinaus wird behauptet, dass das Arrangieren der Teile des Rhythmus Sache (Aufgabe, Angelegenheit …) von bestimmten Wesen ist, die die rhythmisierbare Materie auf bestimmte Weise arrangieren. Marchetti übersetzt: »the rhythm … is something arranging the rhythmized object in a certain way«. Diese Übersetzung macht den Rhythmus selbst zum arrangierenden Faktor, und entsprechend bemerkt Marchetti in seinem Kommentar zu dieser Stelle auch: »These active participles emphasize that the form exercises a determining power upon its material.« Doch seine Übersetzung ist grammatisch falsch, weil im Griechischen von arrangierenden Elementen im Plural die Rede ist. Pearson übersetzt: »Rhythm … is the creation of persons who arrange the rhythmizomenon.«26 Diese Übersetzung ist grammatisch korrekt, aber ein wenig zu pointiert, weil von einer 24 Zum Ausdruck »Schema« vgl. oben, S. 32. 25 In Physik 14, 477b18 verwendet Aristoteles »diathesis« exakt in diesem Sinne und stellt sie der »hyle« (der Materie) gegenüber. 26 Pearson 1990, 5.
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creation und von persons die Rede ist, während Aristoxenos sich neutraler ausdrückt – grammatisch durch »ist X« mit »X« im Genitiv (es ist Sache, Aufgabe von X) und einem geschlechtsneutra len Partizip Präsens im Plural. Doch kann es wohl keine andere sinnvolle Interpretation geben, als dass es bestimmte Menschen oder Personen sind, die das Arrangement der Teile rhythmisierter Materie zustande bringen (wie es Pearson in seiner pointierten Übersetzung zum Ausdruck bringt). Das bedeutet: Der Rhythmus ist nicht nur abhängig von einer Materie (vgl. unten, Thesen (9)– (10)), sondern tritt auch nicht unabhängig von menschlichen Aktivitäten auf, vielmehr wird er durch bestimmte menschliche Aktivitäten allererst konstituiert. In (5) wird deutlicher, was rhythmisierbare Materie ist: zum Beispiel Reden (das heißt gesprochene Reden) oder Melodien (das heißt gesungene oder gespielte Melodien). Die »anderen Dinge«, die in (5) erwähnt werden, sind – wie Aristoxenos später ausführt – Körperbewegungen der Organe (also Beine, Arme, Kopf, Rumpf, wie sie z. B. bei Tänzen aktiviert werden). Nach Aristoxenos gibt es drei Arten von rhythmisierbarer bzw. rhythmisierter Materie: Reden, Melodien und organische Körperbewegungen (vgl. auch den Beginn von ER 9). Folgt aus den Thesen (2)–(5), dass die rhythmisierbare Materie gänzlich unbestimmt ist? Diese Frage wird von Aristoxenos in ER nicht explizit diskutiert. Auch die Quellen 5Q bieten keine Hilfe. In den praktischen Beispielen allerdings, die in PO xy9/2687 diskutiert werden, ist es stets die Rede (lexis), die musikalisch rhythmisiert wird, die also von einer rhythmisierbaren Materie in eine rhythmisierte Materie (ein Form-Materie-Kompositum) übergeht. Dabei ist die Rede als rhythmisierbare Materie nicht gänzlich formlos, sondern enthält Buchstaben und Silben, die, wie oben angemerkt, mehr oder weniger lang bzw. kurz sind. Rhythmisierbare Materie weist also von sich selbst her bereits eine bestimmte Struktur auf – nur (noch) nicht eine rhythmische Struktur. Die griechischen Wörter Alkinoe kreion (Odyssee Buch IX , Beginn der Rede des Odysseus) stellen zum Beispiel eine rhythmisierbare Materie
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dar, die unterschiedliche Rhythmen annehmen kann. Diese Wörter enthalten bereits von sich her lange und kurze Silben (etwa Alk und krei sind lang, in und o sind kurz).27 Aber ein Rhythmus wird daraus erst, wenn wir eine isochrone Folge von Längen und Kürzen angeben können, die wir etwa nachtanzen oder singen können. Eine solche Folge könnte verschiedene Rhythmen annehmen. Homer wählt den hexametrischen Rhythmus | — ◡ ◡ | — — | — ^^ |. Aber die letzten beiden Längen könnten auch um jeweils eine Kürze verlängert werden. Schreiben wir —ˡ für eine solche Länge (wie es in der Antike üblich war), so könnten die beiden griechischen Wörter auch so rhythmisiert werden: | — ◡ ◡ — | —ˡ —ˡ |. Diese beiden Rhythmisierungen sind sehr unterschiedlich, denn der erste Rhythmus ist gerade (wir könnten z. B. einen Quickstep danach tanzen), der zweite ist ungerade (wir könnten einen Walzer danach tanzen). In diesem Sinn muss die rhythmisierbare Materie des Rhythmus sehr wohl bereits von sich aus eine Struktur mitbringen. Diese Struktur ist eine der Bedingungen für Rhythmisierbarkeit.28 Dieser wichtige Punkt lässt sich auch am Seilikos-Lied erkennen. Die rhythmisierbare Materie involviert hier die metrische Struktur der lexis, also des griechischen Textes, der dem Lied zugrunde liegt. Diese Struktur sieht für die vier Zeilen folgendermaßen aus: (1) | ◡ — — — — | (2) | — ◡ ◡ — ◡ — — | (3) | ◡ ◡ ◡ ◡ — ◡ — — | (4) | ◡ ◡ ◡ ◡◡ ◡ ◡ — — | 27 Vgl. Pearson 1990, XXX zu diesem Beispiel. Aristides I, 20–21, also Aristides Quintilianus, gibt eine nützliche Übersicht über die (ungenaue) metrische Struktur, die eine lexis, also eine Rede, von sich aus immer schon mitbringt. Er bezieht sich dabei auf Theorien früherer »Grammatiker«. 28 Pearson bemerkt dazu mit Recht: »Aristoxenus … tells us that a mere succession of shorter and longer notes was not recognized as providing a rhythm to which one could respond. The succession had to be arranged in such a way as to be rhythmic.« (Pearson 1990, xxiii).
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Doch nach Auffassung von Aristoxenos handelt es sich in (1)–(4) keinesfalls bereits um einen Rhythmus. Sein Lehrer Aristoteles hatte dagegen den Tanzschritt bzw. die (lange oder kurze) Silbe als Maßeinheit für den Rhythmus angesehen.29 Der Rhythmus der lexis (der Rede) besteht für Aristoteles also aus der metrischen Struktur der Rede. Aus Psellus § 1 wissen wir, dass Aristoxenos diese Auffassung entschieden zurückgewiesen hat. Erst seine Theorie des Rhythmus vermag klar zwischen Metrik und Rhythmus zu unterscheiden. Die Metrik ist die Struktur der rhythmisierbaren Materie, der Rhythmus dagegen ist die Struktur der (musikalisch) rhythmisierten Materie.30 Diese Sichtweise ist ebenfalls der aristotelischen Metaphysik entlehnt. Oft wird bei Aristoteles die Materie metaphysisch als dasjenige bestimmt, das potentiell, aber noch nicht aktuell formgeprägt ist. Und daher entsteht nicht selten der Eindruck, dass Materie für Aristoteles von sich aus überhaupt nicht formgeprägt ist. Diese Sichtweise wird auch auf Aristoxenos übertragen,31 stellt jedoch bei Aristoteles eine abgekürzte Redeweise dar. Aristoteles ist keineswegs der Auffassung, dass beliebige Materie verschiedene Formen annehmen kann. Pudding ist nicht eine Materie, die die Form einer Statue annehmen kann, und zwar aufgrund der Form, die ein Pudding bereits von sich her mitbringt.32 Aristoxenos greift 29 Vgl. Aristoteles Metaph. 14. 1087b36; Pol. 2. 1263b35. 30 Wie die Struktur des musikalischen Rhythmus in diesem Fall aussieht, dazu vgl. unten, Kommentar zu ER 14–15. 31 So betont zum Beispiel Marchetti 2009, 56 zur Erläuterung von These (2) bei Aristoxenos; »Aristotle characteristically considers material in a state of formlessness receiving form.« 32 Wichtige Stellen zu Form und Materie in der Metaphysik des Aristo teles: 1029a6, 29–31, 1034a5–8, b12–13, 1035a1–2, 25–26, b32–33, 1043b32, 1044b33, 1045a23–29, b18. Vgl. auch Detel 2009, Kommentare zu den genannten Stellen, insbesondere zu VIII 4–5. Aristoteles weist insbesondere auf hierarchisierte komplexe Stufen hin, die in der Natur häufig vorkommen: Eine Materie M mag von sich aus die Form F haben, was wir durch F(M) notieren können. Aufgrund dieser Formprägung ist das F-M-Kompositum oft fähig, eine weitere Form F* anzunehmen, ist also formbare
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hier auf das aristotelische Konzept der hypothetischen Notwendigkeit zurück.33 So ist es auch nur eine bestimmte, bereits von sich aus strukturierte Materie, die zusätzlich die Form eines Rhythmus, der in Gestalt von Zeitintervallen organisiert ist, annehmen kann, und zwar gerade aufgrund der Struktur, die diese rhythmisierbare Materie von sich aus bereits mitbringt.34 Es mag unnötig penibel erscheinen, diese verwickelten metaphysischen Verhältnisse zu explizieren, zumal sie in ER nur angedeutet, aber nicht präzise artikuliert werden.35 Aber zum einen kannte Aristoxenos mit Sicherheit Buch VIII der Metaphysik von Aristoteles, wo diese Verhältnisse – nicht zuletzt anhand vieler Beispiele – noch viel detaillierter dargestellt werden, so dass er, wenn er in ER ausdrücklich die aristotelische Form-Materie-Analyse als Hintergrundtheorie für seine Theorie des Rhythmus anführt, sehr wahrscheinlich auch ihre komplexe Form im Auge hatte, wie sie nicht in der aristotelischen Physik, sondern in Metaphysik VII – VIII präsentiert wird. Und zum anderen erweist sich gerade diese komplexere Form der Form-Materie-Analyse als grundlegend für Materie in Bezug auf F*. Ist die Prägung durch F* tatsächlich erfolgt, so entsteht das F*-M-Kompositum F*(F(M)). Diese Prozedur kann sich wiederholen, und dann entsteht ein weiteres F**-M-Kompositum in der Form F**(F*(F(M))), usw. 33 Siehe Machetti 2009 ad ER 6. 34 Wenn Lynch 2020, 280 schreibt: »Aristoxenus builds on a notion that featured already in Aristotle’s Physics (7.245b): just as the shape (schēma) of a statue does not depend on the specific material it is made of (schēmatizomenon, lit. ›what is shaped‹), so also the ›form‹ of a given rhythm does not depend on the features of the ›matters‹ it organizes (Rhythm. §§ 3–6)«, so ist diese Darstellung eine metaphysische Simplifizierung, strikt genommen sogar falsch. Denn die Form eines Rhythmus hängt sehr wohl davon ab, welche Formen seine Materie (Reden, Melodien, Tänze) bereits von sich selbst her mitbringen. 35 In der bisherigen Forschung zur Rhythmustheorie von Aristoxenos lässt sich diese penible Interpretation nicht finden (bis auf Marchettis oben zitierten Hinweis auf die hypothetische Notwendigkeit, der aber recht abstrakt bleibt).
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ein angemessenes Verständnis des Rhythmus bei Aristoxenos, insofern dadurch verständlich wird, wie sich Metrik und Rhythmik voneinander unterscheiden und inwiefern insbesondere der musikalische Rhythmus nicht wie im Rahmen der Metrik eine formale Struktur ist, sondern eine inhärente motorische Dynamik enthält.36 Die Metrik ist nämlich jene Form, die die Lexis als rhythmisierbare Materie bereits von sich her mitbringt. Erst mit dieser Abgrenzung erhält, wie bereits bemerkt, die Theorie des musikalischen Rhythmus der aristotelischen Wissenschaftstheorie zufolge einen spezifischen Gegenstandsbereich und damit einen wissenschaftlichen Status. Dieser zentrale Punkt wird vollständig verschleiert, wenn man die Thesen (2)–(4) im Sinne der Unterscheidung zwischen Form und formloser Materie interpretiert. ER 6–7 An die Thesen (6)–(8) werden in ER 6 unmittelbar weitere folgenreiche metaphysische Thesen zum Rhythmus angeschlossen, erneut deutlich im allgemeineren Rahmen der aristotelischen Meta physik: (9) Form und Rhythmus existieren nicht an sich (kath’ hauta). (10) Denn eine Form kann nicht existieren ohne eine Materie, die die Form annehmen kann, und ähnlich kann Rhythmus nicht existieren ohne eine rhythmisierbare Materie, die den Rhythmus annehmen kann, und ohne ein bestimmtes Wesen, das die Zeit teilt. 36 Pearson weist darauf hin, dass diese Auffassung bis heute erhalten geblieben ist: »Rhythm, as we understand it, demands some repetition or regularity of movement … some logic of movement that we can understand, before we feel invited to respond to a series of sounds by making some movement ourselves with feet, hands, or head.« (Pearson 1990, xxiii). Vgl. dazu auch Pseudo-Aristoteles, Problemata 19.38: »Wir haben Freude am Rhythmus, weil er eine erkennbare und reguläre Anzahl enthält und uns zu geordneter Bewegung anregt.«
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(11) Denn die Zeit teilt sich nicht selbst, sondern benötigt ein bestimmtes Wesen, das die Zeit teilt. (12) Daher muss die rhythmisierte Materie eingeteilt werden vermöge erkennbarer Teile, vermöge derer sie (sc. die rhythmisierte Materie) die Zeit teilt. In These (9) benutzt Aristoxenos den aristotelischen Kunstausdruck »an sich« (zuweilen auch übersetzt durch »von sich selbst her« (kath’ hauta)), mit dem Aristoteles im Kontext der Metaphysik (die er »Erste Philosophie« nennt) autonome Existenz beschreibt, das heißt eine Existenz von Dingen (namentlich von sogenannten Substanzen, die Form-Materie-Komposita sind), deren Existenz nicht von der Existenz anderer Dinge abhängt. Mit (9) und entsprechend auch (10) wird folglich artikuliert, dass der Rhythmus nur als Komponente eines Form-Materie-Kompositums, also nur realisiert oder instanziiert (»angenommen«), in einer rhythmisierbaren Materie in unserer Welt vorkommt. Um in einem modernen Jargon zu reden, ist der Rhythmus für Aristoxenos nur in verkörperter Form ein Gegenstand der Rhythmik, das heißt ein Objekt der wissenschaftlichen Theorie des rhythmos. Andernfalls wäre diese Theorie nicht eine empirische Wissenschaft. Nur auf dieser Grundlage macht die Forderung in (12) Sinn, dass die Einteilung in kleinere Zeitintervalle »erkennbar« sein soll – nämlich erkennbar im empirischen Sinn. Darüber hinaus ist in (10)–(12) von einer Teilung der Zeit die Rede. Damit wird These (8) spezifiziert. Die Herstellung des Rhythmus als einer Ordnung von Teilen der rhythmisierten Materie besteht genauer darin, dass eine Zeiteinteilung vorgenommen wird. Da – wie wir schon wissen – die Zeit hier wie bei Aristoteles in Begriffen von Zeitintervallen beschrieben wird, kann insbesondere (11) nur besagen, dass eine rhythmisierte Materie unter anderem durch ein Zeitintervall begrenzt ist und ihr Rhythmus eine weitere Teilung dieses Zeitintervalls in kleinere Zeitintervalle involviert:
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(13) Dass die rhythmisierbare Materie die Zeit in Teile teilt, heißt genauer: (a) Die rhythmisierbare Materie ist jeweils ein einzelnes Vorkommnis mit einem Anfang A und einem Ende E, derart dass [A, E] das Zeitintervall ist, das von der rhythmisierbaren Materie ausgefüllt ist. (b) Die rhythmisierbare Materie weist von sich her Teile von [A, E] auf, die kleinere Zeitintervalle darstellen, aus denen [A, E] besteht. (c) Aufgrund ihrer laut (a) und (b) gegebenen zeitlichen Struktur kann die rhythmisierbare Materie in zusätzlichen Schritten rhythmisiert werden. Was insbesondere (13)(c) genauer bedeutet, wird erst in den Ausführungen zur Rhythmus-Produktion deutlicher (vgl. ER 13–15). Die Thesen (13)(a)–(b) enthalten einen wichtigen theoretischen Schritt, der in den Formulierungen in ER 6 nicht explizit zum Ausdruck kommt. Dieser Schritt wird deutlicher, wenn wir bedenken, dass die rhythmisierbare Materie für Aristoxenos stets eine Bewegung ist, und zwar primär eine Bewegung der Stimme. Diese stimmliche Bewegung bringt von sich aus bereits, wie wir gesehen haben, eine metrische Struktur mit sich. Aristoxenos geht von dem Standardfall eines Liedes aus, also einer Melodie mit sprachlichem Text, der eine Metrik enthält. Es handelt sich also um eine metrisch strukturierte Bewegung der Stimme, deren Metrik zunächst einmal Bewegungsphasen definiert. Diese Bewegungsphasen können dann in einem zusätzlichen Schritt auch als Zeitintervalle bestimmt werden. Diese genauere Fassung von (13)(a)–(b) wird in der aristotelischen Zeittheorie explizit beschrieben. Gegeben sind auch hier Bewegungsphasen, die durch eine menschliche Aktivität zu Zeit intervallen gemacht werden. Genauer betrachtet sind es nach Aristoteles sogar zwei Aktivitäten, die ein Zeitintervall festlegen: die aktive Bestimmung von Bewegungsphasen und die Identifizierung des Anfangs und Endes der Bewegungsphasen mit Jetzt-Momen-
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ten.37 Wie bereits des Öfteren betont, müssen wir davon ausgehen, dass Aristoxenos die aristotelische Zeittheorie in Buch IV der Physik kannte. Die Thesen (13)(a)–(b) sind offenbar eine Anspielung auf die aristotelische Zeittheorie. Es gibt ein Übersetzungs- und Interpretationsproblem mit These (12) (in ER 6). Pearson übersetzt: »The rhythmizomenon must be divided into recognizable parts, into which it will divide the time.«38 Und Marchetti übersetzt: »It is necessary that the rhythmized object be divisible into recognizable parts, with which it will divide the time.«39 Diese Übersetzungen klingen so, als würde die rhythmisierte Materie selbst es sein, die ihre eigene Zeiteinteilung vornimmt. Beide Übersetzungen gehen in ihrem ersten Teil davon aus, dass das rhythmisierte Objekt in bestimmte Teile eingeteilt ist, unterscheiden sich aber dadurch, dass Pearson sagt, dass das rhythmisierte Objekt eine Einteilung in (»into which …«) Zeitteile vornimmt, während Marchetti sagt, dass das rhythmisierte Objekt die Einteilung mit (Hilfe) (»with which …«) der Zeitteile vornimmt. Pearsons Übersetzung ist grammatisch in ihren beiden Teilen falsch, Marchettis Übersetzung nur in ihrem ersten Teil. Denn Aristoxenos benutzt an beiden Stellen den griechischen Dativ, sagt also wörtlich übersetzt, dass die rhythmisierte Materie durch Teile eingeteilt ist, durch die sie die Zeit teilt. Grammatisch betrachtet handelt es sich um einen typischen instrumentalen Dativ ohne Präposition, der durch die Phrase »durch, oder vermöge, von X« wiedergegeben werden kann. Dieser Dativ kann insbesondere auch den Stoff oder die Bestandteile bezeichnen, aus denen etwas besteht.40 Genau dieser spezielle instrumentale Dativ wird von Aristoxenos an dieser Stelle benutzt. Er will folglich sagen, dass die rhythmisierte Materie eine Zeiteinteilung involviert einfach insofern, als sie kleinere Zeitintervalle enthält. Sie stellt eine Einteilung in Zeitintervalle dar, sie besteht aus Zeitintervallen. Der Vorgang 37 Vgl. z. B. Aristoteles Phys. 219a22–30, dazu Detel 2021, 22–25. 38 Pearson 1990, 5. 39 Marchetti 2009, 65. 40 Vgl. Kühner, Gehrt 1966, 438.
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eines aktiven Einteilens in Zeitintervalle kann demgegenüber nicht mit dem instrumentalen Dativ im Griechischen (und auch sonst mit keinem anderen Dativ) ausgedrückt werden. Die These, dass die rhythmisierte Materie selbst die Zeit einteilt, wäre weder im Rahmen der aristotelischen Zeittheorie noch im Rahmen von ER sachlich nachvollziehbar. Insgesamt lässt sich feststellen, dass Aristoxenos in den Thesen (1)–(13) die Metaphysik des Rhythmus mit der zeittheoretischen Dimension des Rhythmus elegant zusammenführt: die Ordnung der Zeitintervalle, die Metaphysik dieser Ordnung als Form an Materie sowie die Herstellung dieser Ordnung durch menschliche Aktivität. Im Übrigen fällt auf, dass die Thesen (10)–(12) sehr allgemein und abstrakt formuliert sind. Welches sind genauer die Teile der Zeit, also die Zeitintervalle, die durch die Teilung der Zeit zustande kommen, und was ist die Zeit, die dabei geteilt wird? Eine Antwort auf die erste dieser Fragen liefert ER 9. Die zweite Frage wird sich erst im Zuge einer Diagnose zum gesamten Text von ER beantworten lassen. In ER 7 resümiert Aristoxenos: (14) Rhythmus und Zeitintervalle: (a) Jeder Rhythmus involviert eine Einteilung in Zeitinter valle, die eine gewisse Ordnung aufweist. (b) Diese Ordnung ist nicht beliebig, sondern muss ganz bestimmte Formen aufweisen. Während (14)(a) tatsächlich eine Folgerung aus (1)–(13) ist, lässt sich (14)(b) als Vorgriff auf die Theorie der ästhetisch zulässigen Rhythmen lesen, die später behandelt wird. Doch die Formulierung einer solchen Theorie setzt voraus, dass – wie in (14)(b) betont – die entsprechende rhythmische Ordnung formal genau bestimmt wird. Eine solche Bestimmung setzt ihrerseits voraus, dass die Bausteine von Rhythmen ermittelt werden. Genau dieser Voraussetzung widmet sich der nächste Teil von ER .
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2. Analytische Elemente des Rhythmus (ER 8–15) ER 8 In ER 8 führt Aristoxenos eine theoretische Restriktion seiner bisherigen Thesen über den Rhythmus ein, die als Ergänzung zu (14) betrachtet werden kann. Die allgemeine Aussage, die Aristoxenos in ER 8 trifft, kann in folgender These zusammengefasst werden: (14) (c) Nicht jede beliebige Einteilung einer rhythmisierbaren Materie in Zeitintervalle stellt bereits einen Rhythmus dar (vgl. (14)(b), weil nicht jede Ordnung von Zeitintervallen rhythmisch wohlgeordnet ist.41 Mit dieser These wird zum ersten Mal explizit eine ästhetische Dimension in die Rhythmik eingeführt. Die musikalischen Rhythmen, die in der Rhythmik ausgezeichnet werden, sollen wohlgeordnet sein. Damit ist ein enger Begriff von Rhythmen eingeführt, dem gegenüber andere Ordnungen von Zeitintervallen auch im Rahmen von Melodien unrhythmisch sind. Aus diesem Grund ist die handschriftliche Lesart »in Rhythmen« (ἐν ῥυθμοῖς) bezweifelt worden, denn diese Formulierung scheint einen neutralen Rhythmus-Begriff zu verwenden (wie auch in Platon, Nomoi 660a7, Aristoteles’ Metaphysik 1087b36 und in den pseudo-aristotelischen Problemata 919b33). Zu Beginn von ER 8 wie auch später in ER 21 und ER 24 verwendet Aristoteles denn auch den Ausdruck »rhythmisch wohlgeordnet« (εὔρυθμος), ebenso wie Psellus 3 (= 20.21–22 Pearson): οὐ γὰρ πᾶσα χρόνων σύνθεσις εὔρυθμος (»denn nicht jede Kombination von Zeitintervallen ist rhythmisch wohlgeordnet«). Darum wurde in ER 7 die Emendation von ἐν ῥυθμοῖς zu
41 Diese These wird auch terminologisch unterstrichen. Die Struktur, die rhythmisierbare Dinge bereits von sich selbst aufweisen, wurde bisher diathesis (Einrichtung) genannt. Die zusätzliche rhythmische Struktur wird nun aber als taxis (Ordnung) bezeichnet.
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εὔρυθμος vorgeschlagen.42 Andererseits verwendet Aristoxenos in einem ähnlichen Kontext auch das Adjektiv »zum Rhythmus gehörend« (ἔρρυθμός) (vgl. ER 32–35). Darum wurde in ER 7 auch die Emendation von ἐν ῥυθμοῖς zu ἔρρυθμός vorgeschlagen.43 Diese Emendationen sind jedoch nicht überzeugend. In ER 32–35 geht es unbestreitbar um ästhetisch zulässige musikalische Rhythmen, und ebenso unbestreitbar verwendet Aristoxenos das Wort »zum Rhythmus gehörend« (ἔρρυθμός) exklusiv für ästhetisch zulässige Rhythmen, also für rhythmisch wohlgeordnete Zeitintervalle. Folglich verwendet er die Ausdrücke »rhythmisch wohlgeordnet« (εὔρυθμος) und »zum Rhythmus gehörend« (ἔρρυθμός) in ER synonym. Nun ist aber ἔνρυθμος die normale griechische Buchstabierung von ἔρρυθμός, und ἐν ῥυθμοῖς besagt dasselbe wie ἔρρυθμός und damit auch wie εὔρυθμος. Wir können also die Lesarten der Handschriften halten, sollten aber trotz der angeführten synonymen Relationen die – buchstäblich genommen ästhetisch neutralen – Ausdrücke textgetreu übersetzen. Wir dürfen jedoch unterstellen, dass Aristoxenos auch diese äußerlich neutralen Ausdrücke in einem ästhetischen Sinn versteht. Im Übrigen spricht Aristoxenos hier durchgehend von dem Rhythmisierten, also von rhythmisierter Materie, obgleich diese Materie dadurch gekennzeichnet wird, dass sie alle möglichen rhythmische Formen annehmen kann. Es ist also der Sache nach eindeutig von rhythmisierbarer Materie die Rede. Aristoxenos macht nicht immer terminologisch klar, ob er von einem weiten oder engen Rhythmusbegriff ausgeht und ob er von rhythmisierter oder rhythmisierbarer Materie redet. Wir müssen im Text von ER dem Kontext entnehmen, was jeweils gemeint ist. Aristoxenos bemerkt in ER 8, dass These (14) so überzeugend ist, dass sie keines weiteren Argumentes bedarf. Dennoch scheint er diese These mittels einer Art von Analogie stützen zu wollen, die auf schon etablierte Erkenntnisse zurückgreift. Es ist zu wenig 42 Vgl. Pearson 1990, 4 und Marchetti ad ER 8. 43 Vgl. Marquard in seiner Edition Marquard 1868.
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beachtet worden, dass er dabei zunächst einen allgemeinen Typus von Argument beschreibt: (15) In der Rhythmik können wir zum Teil argumentativ folgendermaßen vorgehen: (a) Wir müssen unser Denken über eine Sache von Ähnlichkeiten anleiten lassen. (b) Aus diesen Ähnlichkeiten müssen wir Schlussfolgerungen über diese Sache ziehen, die glaubhaft und überzeugend sind. These (15) ist bemerkenswert, weil sie andeutet, dass in der Rhythmik zum Teil eine bestimmte formale Art von Argumentation benutzt werden kann. Marchetti 2009, 70 notiert an dieser Stelle: »Aristoxenus will use analogy with melodic theory to illustrate rhythmic concepts at par. 14.4–5 and 21.2–4, but here the point of similarity is a much more general claim about the presence of order in rhythm.« Das ist der – in der bisherigen Forschung übliche – vage Hinweis auf die Verwendung von Analogien, der in keiner Weise erfasst, dass Aristoxenos in seiner Rhythmik durchgehend eine bestimmte Form rhetorischer Beweise verwendet, die von Aristoteles in seiner Topik analysiert worden waren, wie unten in Abschnitt 6 ausführlich gezeigt wird. Aristoxenos führt in ER 8 auch sogleich ein konkretes Beispiel für diese Art von Argumentation an: (16) Ein hilfreiches Argument zur Plausibilität von (15) ist: (a) Wir wissen, dass nicht jede beliebige Kombination von Buchstaben in der Sprache und von musikalischen Intervallen im Gesang möglich ist. (b) Denn viele solcher Kombinationen werden nicht verwendet, können nicht reproduziert werden und werden im Hören zurückgewiesen. (c) Ähnliches gilt auch für Zeitintervalle und ihre Kombinationen. Viele scheinen der Wahrnehmung unpassend zu
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sein, nur wenige angemessen und im Einklang mit der Natur des Rhythmus.44 In (16) werden verschiedene Kriterien für angemessene Rhythmen angedeutet: empirische Kriterien wie die eingespielte Wahrnehmung,45 ästhetische Kriterien (rhythmische Wohlordnung), aber auch ein theoretisches Kriterium, nämlich Konsistenz mit der »Natur« des Rhythmus, die wohl nur im Rahmen einer Theorie des Rhythmus bestimmt werden kann. Notieren wir diesen Punkt in einer speziellen These: (17) Einteilungen einer rhythmisierten Materie in rhythmische Zeitintervalle weisen empirische, ästhetische und theoretische Angemessenheitsbedingungen auf. ER 9 Auf den ersten Blick präsentiert Aristoxenos in ER 9 eine krude und einfache Klassifikation: (18) Es gibt drei Arten von rhythmisierbaren Dingen46: Texte, Melodien und Körperbewegungen.
44 Ganz ähnlich benutzt Aristoxenos in EH 2.37 die Analogie zwischen dem Sprechen von Texten und dem noch zu erforschenden Singen von Melodien, um aus dem bekannten und vertrauten Sprechen von Texten etwas Analoges über das Singen von Melodien zu lernen. Nachdem aber in der Harmonik das Singen von Melodien wissenschaftlich erforscht worden ist (von Aristoxenos selber), kann er in der Rhythmik aus Grammatik und Harmonik Analoges für die Rhythmik ableiten. 45 Zur Rolle der Wahrnehmung in der aristoxenischen Musiktheorie vgl. genauer Barker 1978. 46 Erneut spricht Aristoxenos hier von rhythmisierten Dingen, obgleich rhythmisierbare Materie gemeint sein muss.
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(19) Zeit wird vermöge der zeitlichen Teile der rhythmisierten Materie geteilt, und zwar jeweils in Gestalt ihrer spezifischen Teile: (a) Reden teilen die Zeit vermöge ihrer spezifischen Teile, nämlich Buchstaben, Silben, Wörter und Ähnlichem;47 (b) Melodien teilen die Zeit vermöge ihrer spezifischen Teile, nämlich Noten,48 Intervalle und geordneter Gruppen von Noten; (c) Körperbewegungen teilen die Zeit vermöge ihrer spezifischen Teile, nämlich Signale,49 Positionen und sonstiger Teile von Körperbewegungen. Doch genauer betrachtet enthalten die Thesen (18)–(19) einen theo retisch entscheidenden Aspekt, der, wie wir gesehen haben, implizit bereits in (13)(a)–(b) enthalten ist. Denn die These, dass Reden, Melodien und Körperbewegungen die drei Arten von rhythmisierbarer Materie ausmachen, erlaubt es nicht nur festzulegen, dass der Rhythmus von Melodien und Tanzbewegungen der musikalische Rhythmus ist, sondern bindet den Rhythmus auch generell an eine motorische Bewegung. Dieser Punkt kann auch so formuliert werden, dass nach (18) und (19) die musikalisch rhythmisierbare Materie eine motorisch bewegte Materie ist. Für den Fall der körperlichen Tanzbewegungen ist dies offensichtlich. Doch gilt dies auch für Melodien. Das wird zwar in ER 9 nicht explizit gesagt, geht jedoch aus Harm. I 8–9 eindeutig hervor: Melodien beruhen auf Bewegungen der singenden Stimme. Aristoxenos bezieht sich in ER mehrmals auf EH als Hintergrundwissen, und daher können 47 In seiner Poetik (1456b20–21) zählt Aristoteles folgende Redeteile auf: Buchstaben, Silben, Konjunktionen, Nomen, Verben, Artikel, Fälle, Äußerungen. 48 »Note« ist hier ein Ausdruck für Töne, aber gefasst als Bewegung der singenden Stimme, die auf einer bestimmten Tonhöhe (mehr oder weniger kurz) zum Halten kommt (vgl. EH 1.15). 49 Zeichen (semeia) sind nach Aristides 1.13 Markierungen, die gewisse Tanzeinheiten auszeichnen.
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wir in ER den Bezug der Melodien auf Bewegungen der singenden Stimme problemlos unterstellen.50 Die gesamte bisher entwickelte Metaphysik des Rhythmus kulminiert in diesem grundlegenden Punkt, denn diese Metaphysik verortet den empirisch erforschbaren Rhythmus als Form-Materie-Kompositum, als realisiert in rhythmisierbarer Materie, die nunmehr als bewegt klassifiziert wird. Dieses Embodiment des Rhythmus ist genauer eine Kinematisierung. Wir können diesen Punkt als These folgendermaßen artikulieren: (20) Der musikalische Rhythmus ist eine Ordnung von Zeitintervallen, die in motorischen Bewegungen realisiert sind. Der musikalische Rhythmus ist daher nicht nur mit einer Verkörperung, sondern auch mit einer motorischen Dynamik (Kinematisierung) der singenden Stimme korreliert. Mit These (20) lässt sich bereits ein Aspekt geltend machen, der die Rhythmik von der Metrik, den Rhythmus vom Metrum unterscheidet und somit dazu beiträgt, die umstrittene Unterscheidung zwischen Metrik und Rhythmik zu klären. Die Anbindung an die aristotelische Zeittheorie, die in (13)(a)–(b) implizit enthalten ist, wird in (18)–(20) manifest. Denn auch Aristoteles bindet in seiner Theorie der Zeit die Zeitintervalle grundlegend an Bewegungsintervalle und damit an eine Kinematik. Grob formuliert sind Zeitintervalle jene Bewegungsintervalle, deren Anfang und Ende durch Zuweisung von Jetzt-Momenten spezifiziert werden.51 Für Aristoteles ist Bewegung (kinesis) der Grundbegriff der Physik, und folglich ist die Theorie der Bewegung, die Kinematik, die grundlegende Theorie der Physik. Der Text ER 2–9 beruft sich demnach nicht nur auf eine raffinierte Version der aristotelischen 50 Vgl. ER 4, 8, 11, 13, 14, 21. In ER 11 ist dann auch explizit nicht nur von Tanzbewegungen, sondern auch von Bewegungen der singenden Stimme die Rede. 51 Vgl. dazu genauer Detel 2021.
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Form-Materie-Analyse, sondern auch auf die aristotelische Kinematik und die Zeittheorie in Physik IV 10–14.52 Diese erstmalige Abgrenzung der Rhythmik von der Metrik im Rahmen der klassisch-griechischen Musiktheorie ist zwar in sich wertvoll und wünschenswert, hat aber darüber hinaus, wie bereits bemerkt, aus aristotelischer Sicht auch eine zentrale wissenschaftstheoretische Funktion. Denn nach Aristoteles ist jede Wissenschaft durch einen spezifischen Gegenstandsbereich gekennzeichnet.53 Eine bestimmte Wissenschaft zu etablieren heißt also unter anderem, ihren spezifischen Gegenstandsbereich (auch Gattung oder Genos genannt) möglichst präzise anzugeben und zu zeigen, dass dieser Gegenstandsbereich metaphysisch betrachtet auch existiert. Die Thesen (13) und (18)–(20) umreißen die spezifische Gattung der empirischen Wissenschaft vom Rhythmus genau im aristotelischen Sinn. Allerdings tragen viele der folgenden Paragraphen (ER 10 ff.) zur weiteren Präzisierung dieser Gattung bei. Das volle Bild erhalten wir erst, wenn die Rhythmus-Produktion, also die Transformation der rhythmisierbaren Materie in die rhythmisierte Materie, detailliert beschrieben worden ist (vgl. unten, Abschnitt 4). Das bedeutet auch, dass die Gattung des Rhythmus ontologisch nicht einfach gegeben ist, sondern von Menschen produziert und in die Existenz gebracht werden muss. Die wissenschaftliche Rhythmik erfordert eine konstruktive Metaphysik. Aristoteles unterscheidet theoretische, praktische und poietische (herstellende, produktive) Wissenschaften oder Wissensformen.54 Zu den poietischen Wissenschaften gehört zum Beispiel die Dichtkunst, aber auch die erst von Aristoxenos geschaffene empirische Theorie des musikalischen Rhythmus. Alle poietischen Wissenschaften setzen nach Aristoteles eine konstruktive Metaphysik voraus. Diese Auffassung wird offensichtlich von Aristoxenos geteilt. 52 Zu dieser Theorie vgl. z. B. Böhme 1974, Bostock 1980, Coope 2008, Bowin 2019, Detel 2021. 53 Vgl. Aristoteles Post. An. I 7, Metaph. X 4, 1055a6–7. 54 Vgl. Aristoteles, Metaph. VI 1.
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In den folgenden Paragraphen beginnt Aristoxenos mit Darlegungen zu inneren Strukturen und Ordnungen des Rhythmus, das heißt der Beschreibung von Zeitintervallen, aus denen der Rhythmus zusammengesetzt ist. Zunächst beschäftigt er sich mit der Theorie primärer Zeitintervalle, der kleinsten rhythmischen Einheit. Diese Theorie ist erforderlich, um eine Maßeinheit für den Rhythmus zu etablieren, da – wie bereits bemerkt – die metrische Unterscheidung zwischen kurzen und langen Silben dafür nicht herhalten kann – unter anderem deshalb, weil in der gesprochenen Sprache die Längen und die quantitativen Verhältnisse von kurzen und langen Silben höchst unterschiedlich sind.55 ER 10 In ER 10 werden zunächst die zentralen Thesen vorgestellt: (21) Primäre Zeitintervalle und isochrone Zeitintervalle (a) Das primäre Zeitintervall (protos chronos) ist dadurch definiert, dass es keine Zeitintervalle gibt, vermöge derer rhythmisierbare Materie geteilt werden kann und die das primäre Zeitintervall unterteilen. (b) Ein Zeitintervall, das doppelt so lang ist wie das primäre Zeitintervall, heißt Diseme, ein Zeitintervall, das dreimal so lang ist wie das primäre Zeitintervall, heißt Triseme, ein Zeitintervall, das viermal so lang ist wie das primäre Zeitintervall, heißt Tetraseme, und so weiter. (c) Diseme, Triseme, Tetraseme usw. werden durch das primäre Zeitintervall gemessen und sind ganzzahlige Vielfache des primären Zeitintervalls (Isochronie-Bedingung).56 55 Vgl. Riethmüller 1989a, Lynch 2020, 280. 56 In diesen griechischen Termini ist das Wort semeion (Zeichen) enthalten. Nach Aristides 1.14 ist semeion ein anderer Name für die rhythmische Kürze.
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Das Messen nicht-primärer Zeitintervalle mit Hilfe des primären Zeitintervalls besteht nach (21) im Zählen der Anzahl primärer Zeitintervalle, die den zu messenden nicht-primären Zeitintervallen gleich sind. Das primäre Zeitintervall ist – in jeder gegebenen künstlerischen Einheit (Rede, Musikstück, Tanz) – die kurze Silbe, Note oder Tanzbewegung und wird durch das Zeichen ◡ symbolisiert. Die Diseme ist exakt zweimal so lang wie das primäre Zeitintervall und wird durch das Zeichen — symbolisiert. Für Triseme (= 3 primäre Zeitintervalle) und Tetraseme (= 4 primäre Zeit intervalle) gab es ebenfalls spezifische Symbole: —ˡ für die Triseme und ˡ—ˡ für die Tetraseme. Diese Hierarchie ist offenbar invers zur modernen Notation aufgebaut, die von einer ganzen Note ausgeht und Teile der ganzen Note angibt, zum Beispiel die halbe, viertel und achtel Note. Im musikalischen Rhythmus wie in der Melodie wurden in der klassischen Antike bis auf wenige Ausnahmen in der Spätantike niemals zwei Beats, Noten oder Tanzschritte in ein einziges primäres Zeitintervall eingefügt. Das primäre Zeitintervall galt daher als technisch und praktisch unteilbar.57 Mit der Einführung des primären Zeitintervalls werden drei zentrale Elemente in die Rhythmustheorie eingefügt, die über bloße Metrik hinausgehen. Zum einen ist das primäre Zeitintervall das einfachste Element von Rhythmen, das im Rahmen des analytisch-synthetischen Verfahrens gefunden werden kann. Zweitens ist das primäre Zeitintervall zwar ein Maß – aber nicht ein absolutes Maß für alle Reden oder Musikstücke oder Tänze mit stets derselben Zeitdauer, sondern die kleinste Zeitdauer für jeweils einzelne Reden, Musikstücke und Tänze. Ein musikalischer Rhythmus ist stets der Rhythmus einer einzelnen individuellen Melodie oder Tanzbewegung. Da verschiedene einzelne Musikstücke in unterschiedlichen Tempi performiert wurden, gab es offensichtlich keine absolute zeitliche Länge für das primäre musikalische Zeit
57 Vgl. Pearson 1990, 54–55. Zu den späteren Ausnahmen vgl. Marchetti 2009, 119–120. Zum primären Zeitintervall vgl. genauer Riethmüller 1989a.
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intervall.58 Dies gilt auch für Reden und Tänze. Und drittens enthält das primäre Zeitintervall eine grundlegende Komponente der inneren rhythmischen Isochronie, insofern die längeren rhythmischen Einheiten in der Performation mathematische Vielfache des primären Zeitintervalls darstellen. Derartige isochrone Strukturen können wir leichter erkennen und nachvollziehen. Sie erleichtern die Synchronisation. Der Begriff des primären Zeitintervalls betrifft also nicht die abstrakte metrische Struktur des Rhythmus, sondern die Struktur des performierten, verkörperten und dynamischen Rhythmus.59 Wie bereits bemerkt, weist jede rhythmisierbare Materie bereits von sich aus eine metrische Struktur auf, die aus Kürzen und Längen besteht. Dabei handelt es sich aber nicht um Kürzen und Längen, die jeweils durch primäre Zeitintervalle zusammengesetzt und gemessen werden können. Denn die metrischen Strukturen, die die rhythmisierbare Materie bereits von sich aus aufweist, ent58 Vgl. z. B. Lynch 2020, 281. In AXPZ, einem kurzen Fragment aus einer Schrift von Aristoxenos speziell über das primäre Zeitintervall, bemerkt Aristoxenos daher, dass das primäre Zeitintervall (potentiell) unendlich verschiedene Längen annehmen kann. Er setzt sich dann mit einem Einwand auseinander, der ihm von Leuten mit »Mündern voller Durst nach Meckern« entgegengehalten wurde – dass nämlich die Rhythmik auf einer unendlichen und daher undefinierbaren Einheit aufgebaut und somit überhaupt keine wissenschaftliche Theorie sei. Demgegenüber stellt Aristoxenos klar, dass das primäre Zeitintervall natürlich relativ auf bestimmte Reden, Musikstücke oder Tanzeinheiten mit vorgegebenem Tempo mathematisch eindeutig definiert ist (vgl. Pearson 1990, 33–34 sowie 76). 59 So bereits Rowell 1979, 68: »Rhythm is a dynamic species of form, signifying the external structure of a moving thing – ordered movement, movement in accordance with certain principles of structure.« Es ist aber wichtig, dass Aristoxenos dieser Idee eine substantielle theoretische Grundlage verleiht, die wesentlich darin besteht, (i) den Rhythmus als Folge von Zeitintervallen zu begreifen, (ii) den Rhythmus als Form-Materie-Kompositum zu betrachten und (iii) Zeitintervalle und Materie an Bewegung zu binden. Diese drei Komponenten werden von der aristotelischen Metaphysik, Kinematik und Zeittheorie übernommen.
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halten entsprechend der Alltagssprache ungenaue Kürzen und Längen und erfüllen daher nicht die Isochronie-Bedingung (21) (b)–(c). Tatsächlich scheinen, wie oben in der Einleitung bemerkt, in natürlichen Sprachen die mathematischen Verhältnisse zwischen kurzen und langen Silben meist im Bereich von 1 : 8 bis 1 : 20 zu liegen. Dass es sich hier nunmehr um den musikalischen Rhythmus handelt, wird im überlieferten Text nicht explizit gesagt. Der musikalische Rhythmus ist jedoch nach (21) gerade dadurch vom »normalen« Rhythmus der Reden unterschieden, dass er primäre Zeitintervalle und innere Isochronie aufweist. Wir müssen (21) demnach ergänzen: (21) (d) Der Rhythmus im Sinne von (21)(a)–(c) ist der musikalische Rhythmus. Damit ist natürlich nicht ausgeschlossen, dass auch Reden musikalisch rhythmisiert werden können. Sie müssen sogar musikalisch rhythmisiert werden, wenn es um Vokalmusik geht, die in der Antike ebenso wie heute weit verbreitet war. Das Seilikos-Lied ist die beste konkrete Illustration dafür. In der ersten Zeile dieses Liedes hat zum Beispiel der griechische Text die metrische Struktur ◡◡ — — — . Die rhythmische Struktur ist jedoch ◡ — —ˡ ◡◡◡ —ˡ Wenn gesungene Melodien oder Tanzbewegungen, zu denen auch gesprochen wird, musikalisch rhythmisiert werden, müssen die gesprochenen Texte dem musikalischen Rhythmus angepasst werden. In krassem Gegensatz zu Platons Forderung, Musik und Rhythmus auf die Metrik der Rede zuzuschneiden, muss nach Aristoxenos in diesem Fall der musikalische Rhythmus die Metrik der begleitenden Rede bestimmen.60 Der Status des musi60 Ganz in diesem Sinne schreibt zum Beispiel der antike Autor Dionysios von Halikarnass in seinem Werk De compositione verborum 11: »Die Zeitintervalle werden nicht durch die Silben reguliert, sondern die Silben durch die Zeitintervalle.«
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kalischen Rhythmus entspricht in der aristotelischen Zeittheorie in etwa dem Status lokaler Uhren, die durch Markierungen und Einteilungen von Bewegungsphasen geprägt sind, die nur in bestimmten Kontexten gelten.61 ER 11–12 Inwiefern ist die primäre Zeiteinheit »primär«, und warum muss es für Musik und Tanz jeweils eine primäre Zeiteinheit geben? In Begriffen abstrakter Metrik gibt es keine Antwort auf diese Fragen. Doch wenn wir, wie Aristoxenos ausführt, konkrete Bewegungen der singenden Stimme oder des Tanzens betrachten, kann die Schnelligkeit der Tonwechsel oder der Tanzschritte nicht ins Unendliche wachsen. Dieser Befund ist, wie Aristoxenos in ER 11 hinzusetzt, durch das Zeugnis unserer Sinne gesichert. Aristoteles geht in seiner Zeittheorie davon aus, dass jedes gegebene Zeitintervall ein Kontinuum darstellt, also potenziell unendlich teilbar ist und daher nicht aus letzten finiten Elementen, also »primären« Zeitintervallen, besteht (Phys. 220a27–32). Doch weist er zugleich darauf hin, dass wir, wenn wir Bewegungs- und Zeitintervalle ordinal zählen und messen, stets von bestimmten Einheiten ausgehen müssen – wenn wir zum Beispiel Schafe zählen, vom einzelnen Schaf als Einheit (ibid. 220b5–14). Wie Harm. I, 8–15 zeigt, ist Aristoxenos sich des Problems der Kontinuität durchaus bewusst. Er betont, dass in der Musikwissenschaft von diskreten Elementen ausgegangen werden muss. Denn die bewegte, singende Stimme schreitet in diskreten Tonfolgen und Intervallen voran. Offensichtlich will Aristoxenos in ER 11–12 zeigen, dass sich dieses Problem auch in der Rhythmik stellt und auf ähnliche Weise gelöst werden muss wie in der Harmonik. In einer empirischen Theorie des musikalischen Rhythmus müssen wir von zählbaren, diskreten rhythmischen Grundeinheiten ausgehen, die sich durch unsere Wahrnehmung erfassen lassen. Wir befinden uns also in 61 Vgl. dazu Detel 2021, 24–25, 30.
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der Musikwissenschaft, aristotelisch gesprochen, bereits auf der Ebene des Zählens und Messens, auf der wir Einheiten benötigen. Zeittheoretisch betrachtet stimmt Aristoxenos also auch in diesem Punkt mit Aristoteles überein. Allerdings wird ER 11 oft so interpretiert, dass wir, empirisch betrachtet, nicht in der Lage sind, infinitesimal kleine Zeitinter valle als Teile eines musikalischen Rhythmus zu postulieren und es daher endliche kleinste Zeitintervalle geben muss. Diese kleinsten Zeitintervalle sollen gerade die primären Zeitintervalle sein – primär in dem Sinn, dass sie die kleinsten Zeitintervalle sind, in die eine Melodie oder ein Tanz unterteilt werden können.62 Doch aus dieser Interpretation scheint zu folgen, dass es eine absolute primäre Zeiteinheit geben muss, deren Länge für alle Melodien und Tänze stets dieselbe ist. Diese Folgerung ist offensichtlich logisch inkonsistent mit These (21). Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass Aristoxenos in diesem Kontext auf die musikalische Praxis hinweisen möchte und insbesondere das Zeugnis der Sinne auf die Nachvollziehbarkeit des musikalischen Rhythmus bezieht. In jedem einzelnen Musikstück müssen wir empirisch kleinste diskrete Zeitintervalle identifizieren und abzählen können, aus denen der Rhythmus dieses Musikstücks besteht: (22) Die Wahrnehmung von Melodien und Tänzen erfordert in allen Einzelfällen die Festlegung der Kürze ◡ als Maß für die notierte Rhythmisierung sowie das rhythmische Singen und Tanzen.63 Die Festlegung der Kürze impliziert, dass keine zwei oder mehr Noten einer Melodie und keine zwei oder mehr Tanzschritte eines Tanzes in diese Kürze hineinfallen 62 So zum Beispiel Marchetti 2009, 121–126. 63 Immer wieder weist Aristoxenos auch auf den Fall der »Silben«, also den Rhythmus der Reden, hin, so auch in ER 11. Aber hier handelt es sich um den musikalischen Rhythmus, der den Reden zukommen kann, wenn diese Reden eben in einem gesonderten Akt musikalisch rhythmisiert werden (wie etwa durchgehend in den Chorlidern der klassischen Tragödien oder in der Chorlyrik von Pindar).
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dürfen. In diesem Sinne ist die Kürze als Zeiteinheit »primär«. Die Kürze darf in keinem Fall so kurz sein, dass wir sie nicht mehr hören, singen oder tanzen können, doch im Übrigen wird sie nach absoluten Maßstäben mehr oder weniger lang sein, je nachdem wie das Tempo festgelegt wird.64 Diese Interpretation wird durch ER 12 bestätigt. Denn dort wird die primäre Zeiteinheit gerade dadurch definiert, dass sie keine zwei Noten oder Silben oder Tanzschritte enthält.65 Aristoxenos operiert mit dieser These offensichtlich erneut auf der motorischen Ebene. ER 11 ist innerhalb von ER die erste Passage, aus der hervorgeht, dass Bewegungen generell (und nicht nur in Tänzen) die Grundlage des Rhythmus als Folge von Zeitinter vallen sind. Damit reproduziert Aristoxenos offenbar explizit die kinematische Bindung von Zeit als Folge von Zeitintervallen an Bewegungsprozesse und Bewegungsphasen, die von Aristoteles geltend gemacht und detailliert diskutiert wurde. Wie bereits bemerkt, weist Aristoteles darauf hin, dass dieser Prozess Markierungen von Bewegungsphasen und Identifikationen der Grenzen dieser Phasen mit Jetzt-Momenten involviert. Wenn Aristoxenos in ER 11 formuliert, dass »Teile der bewegten Dinge (also Bewegungsphasen) in Zeitintervallen angeordnet werden«, so wird damit die aristotelische Auffassung zur Beziehung zwischen Bewegungsphasen und Zeitintervallen recht genau wiedergegeben. Aristoxenos teilt daher auch mit Aristoteles die steile These, dass Bewegungsphasen unabhängig vom Zeitparameter festgelegt werden können.66 Auch für Aristoxenos besteht der Rhythmus aus Zeitintervallen, die ihrer64 Diese Lesart wird von Pearson 1990, 55–56 überzeugend verteidigt. Auch Marchetti resümiert Aristoxenos’ Auffassung in dieser Weise: »There is a limit to brevity of motions that we can perceive and distinguish from one another« (Marchetti 2009, 84). 65 Vgl. Pearson 1990, 56 sowie Marchetti 2009 ad ER 12, der bemerkt, dass dieser Paragraph »reiterates Aristoxenus’s position that the duration of the primary time interval is based on a limit of perceptual ability.« 66 Vgl. Aristoteles Phys. 219a22–30 und Detel 2021, 22–26.
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seits auf einer Festlegung von Bewegungsintervallen der sprechenden und singenden Stimme sowie der Tanzbewegungen beruhen. ER 13 In ER 13–15 geht es um weitere elementare Komponenten des Rhythmus neben den primären Zeitintervallen, nämlich um nicht- zusammengesetzte Zeitintervalle (asynthetoi chronoi). In diesem Kontext muss auch die Rhythmus-Produktion thematisiert und vom Rhythmus selbst unterschieden werden, wie ER 13 betont. Der Rhythmus ist das Produkt einer aktiven Rhythmus-Produktion, ebenso wie die Melodie das Produkt einer aktiven Melodie-Produktion ist. Damit wird These (8) spezifiziert: Der Rhythmus wird produktiv hergestellt, und die Rhythmik, also die Theorie des Rhythmus, ist – aristotelisch formuliert – eine produktive Wissenschaft.67 Der Wortlaut von ER 13 lässt allerdings offen, was es ist, von dem die Rhythmus-Produktion Gebrauch macht. Aristoxenos redet nur von einem »gewissen Gebrauch« und beschränkt sich darauf, die Analogie zur Melodie-Produktion zu mobilisieren: Die Melodie-Produktion ist ein gewisser Gebrauch der Melodie.68 Diese Analogie ist jedoch ungenau und daher irreführend. Denn die Melodie ist das künstlerische Produkt der Melodie-Produktion, kann also nicht in einem gewissen Gebrauch dieses Produkts bestehen, sondern zum Beispiel in einem gewissen Gebrauch von Skalen. Aus denselben Gründen kann auch die Rhythmus-Produktion nicht in einem Gebrauch des Rhythmus bestehen. Vielmehr könnte es um einen Gebrauch rhythmisierbarer Materie gehen, 67 Zur Unterscheidung zwischen theoretischen, praktischen und »poietischen« (produktiven) Wissenschaften siehe Aristoteles, Metaph. VI 1 und oben, Kommentar zu ER 9. 68 Vgl. dazu EH 2.38. In Zeile 5 ist die Streichung von οὔτε μελοποιΐα, wie sie von Pearson vorgeschlagen wird, mehr als sinnvoll, da diese Phrase eine überflüssige Wiederholung darstellt.
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aus der, wie wir bereits wissen, der Rhythmus hergestellt wird.69 Insbesondere könnten auch Versfüße zur rhythmisierbaren Materie gehören, so dass die Rhythmusproduktion auf einem gewissen Gebrauch der Versfüße beruht.70 Möglicherweise ist auch an die Unterscheidung von elementarer und artifizieller Rhythmus-Produktion gedacht (vgl. unten, Kommentar zu ER 20–21). Dann würde die artifizielle Rhythmus-Produktion die elementare Rhythmus-Produktion zur weiteren Bearbeitung »gebrauchen«. Was Aristoxenos genauer im Sinn hat, hängt von der Konzeption und Praktik der Rhythmus-Produktion ab (vgl. dazu genauer den Kommentar zu ER 20–21). ER 14–15 In ER 14–15 wird genauer erläutert, wie sich die nicht-zusammengesetzten Zeitintervalle von den zusammengesetzten Zeitinter vallen unterscheiden lassen. Wir können diese Unterscheidung folgendermaßen zusammenfassen: (23) Nicht-zusammengesetzte und zusammengesetzte Zeitintervalle (a) Ein Zeitintervall in einem gegebenen Rhythmus ist nicht- zusammengesetzt (asynthetos chronos), wenn es sich auf ein einziges rhythmisches Element bezieht (z. B. auf eine einzige Silbe, einen einzigen Ton, einen einzigen Schritt), andernfalls ist es zusammengesetzt (synthetos chronos). (b) Ob ein Zeitintervall in einem Rhythmus zusammengesetzt oder nicht-zusammengesetzt ist, hängt von der Art und Weise ab, wie der Rhythmus produziert wurde. 69 So auch Pearson 1990, 56–57. Marchetti 2009 hat in seinem Kommentar zu ER 13 zu dem Problem, worauf sich der »Gebrauch«, der mit der Rhythmus-Produktion korreliert ist, bezieht, nichts zu sagen. Er nimmt nicht einmal diese Fragestellung wahr. 70 So Marchetti 2009, 92.
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(c) Ein musikalisches Zeitintervall ist schlechthin zusammengesetzt, wenn es in jeder Rhythmus-Produktion zusammengesetzt ist, und es ist schlechthin nicht-zusammengesetzt, wenn es in keiner Rhythmus-Produktion zusammengesetzt ist. Ein musikalisches Zeitintervall ist partiell zusammengesetzt und partiell nicht-zusammengesetzt, wenn es in einigen Rhythmus-Produktionen zusammengesetzt bzw. nicht-zusammengesetzt ist und in anderen Rhythmus-Produktionen nicht.71 Aristoxenos erläutert diese Unterscheidung durch Verweis auf seine Harmonik. Eine genauere Erläuterung dieses Verweises muss auf viele Details der drei melodischen Gattungen eingehen,72 ist aber für ein Verständnis von (23) nicht sonderlich hilfreich. Wir können These (23) auch direkt, und aufschlussreicher, anhand von rhythmischen Beispielen illustrieren. Wichtig ist zunächst, dass nicht-zusammengesetzte Zeitintervalle nicht mit primären Zeit intervallen (protoi chronoi) verwechselt werden dürfen. Primäre Zeitintervalle haben relativ auf einen gegebenen Rhythmus stets die Länge einer Kürze, nicht-zusammengesetzte Zeitintervalle dagegen nicht. Wir können diesen Unterschied anhand einer metrischen Struktur erläutern, die aus zwei daktylischen Versfüßen besteht (oder aus entsprechenden Tanzschritten, Tönen etc.): (*) — ◡ ◡ — ◡ ◡ In (*) ist jedes Vorkommen von — und jedes Vorkommen von ◡ ein nicht-zusammengesetztes Zeitintervall. (*) besteht also aus 6 nicht-zusammengesetzten Zeitintervallen, die jedoch nicht alle gleich lang sind, sondern das Element — ist doppelt so lang wie das Element ◡. Das kurze Element ◡ ist zugleich das primäre Zeit 71 Diese Definition ist komplexer als die Definition, die sich bei Aristides 1.14 findet. Nach Aristides ist ein Zeitintervall genau dann zusammengesetzt, wenn es mehr als ein primäres Zeitintervall enthält. Das ist nach Aristoxenos falsch. 72 Vgl. dazu Pearson 1990 und Marchetti 2009 ad ER 14.
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intervall von (*). Das lange nicht-zusammengesetzte Element — besteht folglich aus zwei primären Zeitintervallen, und (*) besteht daher aus 8 primären Zeitintervallen. Die Teilelemente ◡ ◡ oder ◡ — oder ◡ — ◡ oder ◡ ◡ — von (*) sind Beispiele für zusammengesetzte Zeitintervalle in (*). Ein iambischer Versfuß (◡ —) enthält demnach zwei nicht-zusammengesetzte Zeitintervalle (◡ und —), drei primäre Zeitintervalle (◡ sowie — = ◡◡) und stellt insgesamt ein zusammengesetztes Zeitintervall dar. Wie soeben erwähnt, enthält der Rhythmus (*) 8 primäre Zeit intervalle, und zwar arrangiert in einem disemischen Daktylos. Aber statt (*) könnte aus 8 primären Zeitintervallen auch ein etwas anderer daktylischer Rhythmus hergestellt werden: (**) — ◡ ◡ — — Rhythmus (**) besteht nur aus 5 nicht-zusammengesetzten Zeit intervallen, die ebenfalls nicht alle gleich lang sind. Und in (**) sind die Teilelemente ◡ ◡ oder ◡ — oder — ◡ oder ◡ ◡ — Beispiele für zusammengesetzte Zeitintervalle in (*). In einem musikalischen Rhythmus kann es aber zum Beispiel auch vorkommen, dass die langen Elemente dreimal so lang sind wie das kurze Element, also eine Triseme bilden (notiert durch —ˡ) – so könnte es ein Komponist einrichten, wenn er einen Rhythmus generiert. Dann wäre das Element ◡ — —ˡ weiterhin zusammengesetzt und enthielte 3 nicht-zusammengesetzte sowie 6 primäre Zeitintervalle. Im Ganzen gibt es hier große kompositorische Freiheit. Betrachten wir als Beispiel noch den Rhythmus (***) ◡ ◡ — —ˡ ◡ ◡ — —ˡ ◡ ◡ — —ˡ In (***) ist ◡ das primäre Zeitintervall, ◡, — und —ˡ sind die drei nicht-zusammengesetzten Zeitintervalle und der gesamte Rhythmus besteht aus 12 nicht-zusammengesetzten und 21 primären Zeitintervallen. Das Teilelement ◡ — —ˡ ist zusammengesetzt (aus allen verschiedenen nicht-zusammengesetzten Zeitintervallen), jedoch das Teilelement — ◡ ist teils zusammengesetzt, teils nicht (weil nicht auch aus —ˡ zusammengesetzt). Nun könnte jedoch ein Komponist oder ein Tänzer in (***) das erste Vorkommnis von —ˡ durch das gleichlange ◡ — und das
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letzte Vorkommnis von ◡ ◡ durch das gleichlange — ersetzen und so den Rhythmus partiell neu produzieren. Wir hätten dann den Rhythmus (****) ◡ ◡ — ◡ — ◡ ◡ — —ˡ — — —ˡ Dann macht die erste Ersetzung aus einem nicht-zusammengesetzten Zeitintervall ein zusammengesetztes Zeitintervall, und die zweite Ersetzung macht umgekehrt aus einem zusammengesetzten Zeitintervall ein nicht-zusammengesetztes Zeitintervall. In diesem Sinn ist (23)(b) zu verstehen. Wir sehen damit auch, warum Aristoxenos den Unterschied zwischen dem Rhythmus und seiner Produktion klarstellen und zeigen möchte, dass die Rhythmus-Produktion auch eine Art des Gebrauchs eines (gegebenen) Rhythmus sein kann.73 Werfen wir noch einen Blick auf das Seilikos-Lied. Wir hatten bereits festgestellt, dass die rein metrische Struktur dieses Liedes so aussieht: (1) ◡ — — — — (2) — ◡ ◡ — ◡ — — (3) ◡ ◡ ◡ ◡ — ◡ — — (4) ◡ ◡ ◡ ◡◡ ◡ ◡ — — Aber die rhythmische Struktur ist die folgende: (1)* ◡ — —ˡ —ˡ —ˡ (2)* — ◡ ◡ — ◡ — —ˡ (3)* ◡ ◡ ◡ ◡ ◡ ◡ ◡ — —ˡ (4)* ◡ ◡ ◡ ◡ ◡ ◡ ◡ — —ˡ Der Rhythmus (1)*–(4)* unterscheidet sich von der Metrik (1)–(4) dadurch, dass alle vier Zeilen 12-zeitig und insofern gleich lang sind. In (1)*, (3)* und (4)* ist das Teilelement ◡ — —ˡ ein perfektes Beispiel für ein nicht-zusammengesetztes Zeitintervall, während das Teilelement —ˡ —ˡ in (1)* zusammengesetzt ist. Und in (4)* ist das Teilelement ◡ ◡ ◡ ◡ ◡ ◡ vollkommen in die primären Zeit intervalle aufgelöst und daher nicht-zusammengesetzt im absolu73 Vgl. Pearson 1990, 56. Siehe auch unten zu ER 26.
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ten Sinn. Und schließlich sind in der ersten Zeile des Seilikos-Liedes die letzten Noten der beiden Takte partiell nicht-zusammengesetzt und partiell zusammengesetzt, weil sie von einer Silbe, aber zugleich von drei Tönen eingenommen werden.74
3. Versfüße als Bausteine des Rhythmus (ER 16–21) ER 16 Dieser Paragraph besteht aus einem einzigen pointierten Satz, mit dem Aristoxenos den nächsten Abschnitt von ER eröffnet. Demnach ist ein Versfuß, und nicht etwa eine bestimmte Sequenz aus Kürzen und Längen, diejenige rhythmische Einheit, die den Rhythmus maßgeblich bestimmt. Der entscheidende Grund dafür scheint zu sein, dass musikalische Rhythmen fast immer aus mehreren, stets erneut wiederholten Komponenten bestehen. Der Versfuß ist die kleinste wiederholbare rhythmische Einheit einer Melodie.75 Die Wiederholung derselben rhythmischen Einheit über eine ganze Melodie hinweg macht den rhythmischen Nachvollzug (das synchrone Nachsingen oder Nachtanzen) leicht und angenehm. Dieses Merkmal des Versfußes wird in ER nicht erwähnt, weil die spätere Erörterung zusammengesetzter Rhythmen nicht erhalten ist (vgl. dazu unten zu ER 30–36, insbesondere These (36)).
74 Vgl. auch Lynch 2020, 289, und Marchetti 2009, 113 f. Marchetti schlägt daher – nicht ganz zu Unrecht – vor, diese Teilung als Verteilung (distribution) aufzufassen und »diaresis« auch so zu übersetzen. 75 Vgl. Gibson 2005, 78–82.
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(24) Rhythmus und Versfüße: Wir markieren den Rhythmus mit einem oder mehreren Versfüßen.76 Versfüße sind die kleinsten repetierbaren rhythmischen Einheiten. Daher machen wir den Rhythmus der Wahrnehmung mit Hilfe der Versfüße zugänglich. Die Formulierung in (24) zeigt, wie grundlegend die Struktur des Versfußes für die Organisation des Rhythmus nach Auffassung von Aristoxenos ist. Die Bedingung der Repetierbarkeit wird weder in ER 16 noch anderswo in ER explizit erwähnt. Aus PO xy 2687 wissen wir jedoch, dass diese Bedingung im Begriff der kontinuierlichen Rhythmus-Produktion enthalten ist, den Aristoxenos in ER 30 verwendet (jedoch nicht erklärt). Der Ausdruck »markieren« gibt den griechischen Ausdruck »bezeichnen« oder »Zeichen setzen« (semainein) wieder. In der Geometrie ist das Zeichen (semeion) ein ausdehnungsloser Punkt. Aristides (1.13) nennt die Zeichen »teilende Punkte zwischen Positionen«,77 und so wurde das Zeichen im Rhythmus später auch als Beat (»Schlag«) aufgefasst, der theoretisch keine Zeitdauer aufweist, sondern die Übergänge zwischen Zeitintervallen darstellt, etwa beim Marschieren die Befehle »eins, zwei (drei, vier)« oder heutzutage die Luftschläge, die der Dirigent mit dem »Schlagstock« vollführt.78 Die rhythmischen Zeichen markieren nach dieser Auffassung die Teilung der Zeit in Zeitintervalle, und zwar aus Sicht der aristotelischen Zeittheorie in Gestalt von Jetzt-Momenten.79 Doch diese Deutung ist unvereinbar mit den Definitionen von Disemen, Trisemen, Tetrasemen 76 Es ist nicht ganz klar, was es heißt, dass der Rhythmus »durch ein oder mehrere Versfüße« markiert wird. Zu den Alternativen vgl. Pearson 1990, 59. In EH 2.34 formuliert Aristoxenos: »Es sind die Versfüße, durch die wir die Rhythmen markieren.« Hier benutzt er also nur den Plural, so dass diese Parallele die Ausdrucksweise in ER 16 nicht näher erklären kann. 77 Siehe auch Pearson 1990, 60. 78 Vgl. Gibson 2005, 93–95. Zu anderen Interpretationen siehe Marchetti 2009 ad ER 16. 79 Vgl. Aristoteles Phys. IV 11 und Detel 2021, 25.
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usw. in ER 10 (siehe These (21). In diesen Termini steckt das griechische Wort für Zeichen (sema), und nach (21) ist eine Diseme ein doppeltes primäres Zeitintervall, eine Triseme ein dreifaches primäres Zeitintervall usw. Kurz, ein rhythmisches Zeichen wird von Aristoxenos in Begriffen eines Zeitintervalls beschrieben, nicht in Begriffen eines Beats.80 Wenn Aristoxenos später in ER 31 die Diseme als wohlgeordneten Rhythmus zurückweist, will er nicht sagen, dass zwei Beats keinen akzeptablen Rhythmus bilden, sondern dass dies für zwei Kürzen (zwei primäre Zeitintervalle) gilt. Die kleinsten wohlgeordneten Rhythmen sind einfache Versfüße, die eine Triseme darstellen und aus zwei Zeitintervallen bestehen, nämlich einem kurzen und einem langen Zeitintervall, die zusammen drei primäre Zeitintervalle ausmachen, wie etwa, metrisch formuliert, in Falle von Iamben oder Trochäen. Rhythmus wird also verstanden in Begriffen ausgefüllter Zeitintervalle, die einander folgen.81 Bedenkt man, dass die Zeit im Ganzen von Aristoteles als irreversible Folge von ausgefüllten Zeitintervallen beschrieben wird, so folgt, dass der Rhythmus eines Musikstückes M für Aristoxenos die endliche, intern geordnete musikalische Zeit von M (genau im aristotelischen Sinn) ist, das heißt die Zeit, die es dauert, M zu performieren, auf bestimmte Weise unterteilt in kleinere Zeitintervalle bis hin zum primären Zeitintervall, also eine endliche Folge von Zeichen.
80 Siehe auch Marchetti 2009, 113, der die wichtigsten alternativen Interpretationen von »Zeichen« diskutiert. 81 Wenn in der modernen Musiktheorie von »Takten« die Rede ist, so werden darunter normalerweise Abschnitte verstanden, die meist mehrere Noten enthalten und durch senkrechte Striche voneinander getrennt sind. Takte in diesem Sinne sind musikalische Phasen, nicht einzelne Noten und auch nicht Beats. Insofern könnten rhythmische Zeichen im Sinne von ER tatsächlich Takte im modernen Sinn genannt werden.
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ER 17–18 Aristoxenos bringt in diesen Paragraphen mehrere Termini ins Spiel, die ein kleines semantisches Netzwerk bilden: neben Zeichen auch Versfuß, Zeitintervall sowie Arsis – »das Aufwärts-Intervall«, wie Aristoxenos sagt – und Thesis – »das Abwärts-Intervall«, wie er ebenfalls sagt. Die Paragraphen ER 20 und ER 21 beweisen, dass Aristoxenos Arsis und Aufwärts-Intervall sowie Thesis und Abwärts-Intervall als Synonyme betrachtet. Wir werden daher im Folgenden generell von Arsen und Thesen reden. Dabei unterstellt Aristoxenos zwei elementare Bedingungen für Versfüße: (25) Zwei Bedingungen für Versfüße: (a) Bedingung der Zeit-Teilung: Versfüße enthalten Teile, also kleinere Zeitintervalle, die aus Kürzen oder Längen bestehen. (b) Isochronie-Bedingung: Das Verhältnis der zeitlichen Dauer von Kürzen und Längen als Teilen von Versfüßen beträgt stets genau 1 : 2.82 Die Zeitintervalle, aus denen Versfüße nach (25) bestehen, sind nicht ausschließlich die primären Zeitintervalle. Ein Iambus besteht zum Beispiel aus einem kurzen und einem langen Zeitintervall – aus zwei Zeitintervallen, die aber drei primäre Zeitintervalle umfassen. Tatsächlich muss mindestens ein Zeitintervall eines jeden Versfußes eine Länge sein.83 Die Teile oder Komponenten von Versfüßen werden über (24) hinaus im Einklang mit der klassisch-griechischen Dichtung und Musik auf eine spezifische und aufschlussreiche Weise gekennzeichnet (ER 17):
82 Bedingung (a) wird in ER 18 angedeutet, Bedingung (b) wird im erhaltenen Fragment nicht explizit artikuliert, kann aber als unterstellt gelten (vgl. z. B. Pearson 1990, xxiii sowie oben, These (21)(b)–(c)). 83 Siehe Pearson 1990 und Marchetti 2009 ad ER 17.
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(26) Komponenten (Teile) von Versfüßen (a) Versfüße bestehen aus Arsen und Thesen. (b) Jede Arsis und jede Thesis ist ein Zeitintervall.84 Bis heute verbinden wir mit einer prosodischen Aufwärtsbewegung der singenden oder sprechenden Stimme eine Spannung, mit der prosodischen Abwärtsbewegung eine Entspannung. Das heißt, wir betrachten diese beiden Bewegungen als Anzeichen für eine angespannte bzw. entspannte emotionale Stimmung der sprechenden oder singenden Person. In seiner Theorie der musikalischen Melodie (Harmonik) beschäftigt sich auch Aristoxenos mit diesem Sachverhalt.85 Arsis und Thesis werden von ihm offensichtlich als die beiden fundamentalen Komponenten des rhythmischen Versfußes betrachtet. Sie markieren, wie Aristoxenos sagt, den musikalischen Rhythmus und machen ihn für die Wahrnehmung zugänglich. Denn er beschreibt in ER 17 die innere Struktur des Rhythmus ausschließlich in Begriffen der Arsis und Thesis. Mathiesen präsentiert ein instruktives Beispiel dafür, dass Arsis und Thesis die Essenz des Rhythmus ausmachen (dabei fügt er zur Illustration auch eine moderne Notierung an (das Apostroph gibt die Arsis an))86: (1) Größerer Anapäst: — | ◡ ◡ ’ | ’ ’ Thesis Arsis (2) Kleinerer Anapäst’ ◡ ◡ | — ’ |’ Arsis Thesis 84 Aristoxenos verwendet hier wie auch an späteren Stellen von ER für die Auf- und Abwärtsbewegung die anschaulichere Redeweise das Auf (to ano) und das Ab (to kato). In ER 20 verwendet er dann aber auch die formaleren Ausdrücke arsis und basis (Letzteres statt des zu seiner Zeit und auch später üblichen thesis). 85 Vgl. EH I, 10–13. 86 Vgl. Mathiesen 1985.
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(3) Iambischer Choreus’ — | ◡ ◡ ’ | ’ ’ Arsis 2 Thesen (4) Trochäischer Choreus ◡ ◡ | — ’ ’ | 2 Arsen Thesis In diesem Beispiel ist die Metrik von (1) und (3) sowie von (2) und (4) identisch, und doch handelt es sich definitionsgemäß um verschiedene rhythmische Versfüße. Ihre Verschiedenheit wird einzig durch die unterschiedliche Verteilung von Arsis und Thesis definiert. Arsis und Thesis tragen auf diese Weise zur Definition der einzelnen Versfüße bei – aristotelisch formuliert sind sie Teil der Essenz der Versfüße. Entsprechend bemerkt später Aristides: »Wesentlich für den Rhythmus sind Arsis und Thesis, für das Metrum dagegen Silben und ihre Verschiedenartigkeit.«87 Seit langem haben gelehrte Interpreten erhebliche Schwierigkeiten gehabt, die Bedeutung dieser beiden technischen Termini zu klären, umso mehr, als in den überlieferten Quellen zur antiken Musiktheorie nur wenige und sehr komprimierte Aussagen über Arsis und Thesis zu finden sind.88 So wird zum Beispiel die Konnotation des Auf (Arsis) und Ab (Thesis) nicht selten in der folgenden Weise beschrieben: »Was meinen wir mit arsis? Wenn unser Fuß in der Luft ist … Und was meinen wir mit thesis? Wenn unser Fuß am Boden ist.«89 Alle Menschen, in welchen Kulturen sie auch immer leben, scheinen sich, wenn sie aus irgendeinem Grund nicht tanzen oder marschieren können, durch einen erkennbaren Rhythmus eingeladen zu fühlen, zumindest mit dem Fuß rhythmisch auf den Boden zu tippen. So hat 87 Aristides, I 23. 88 Zu einer Diskussion der verschiedenen Interpretationen vgl. Marchetti 2009, 102–107. 89 Bacchius, Isagoge 98 (von Jan, K. (Hrsg.) 1895, 314. Vgl. Pearson 1990, Fn 5).
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man in der modernen Forschung lange angenommen, dass die alten Griechen und insbesondere auch Aristoxenos den Rhythmus in motorischen Begriffen erläuterten. Ihr Ausdruck (Vers-)Fuß für das, was wir heute zuweilen Takt nennen, ist demnach wörtlich zu verstehen.90 Man dachte dabei an das Auf und Ab, die Arsis und Thesis der Fußwipper, Handklopfer, Handklatscher, Tänzer und Marschierer. Dabei lag es nahe anzunehmen, dass der Rhythmus durch Betonung und Lautstärke punktueller Beats wahrnehmbar gemacht wird. Eine zweite verbreitete Annahme über den Rhythmus stammt aus der Metrik. Hier wurde angenommen, dass lange Silben allein schon aufgrund ihrer Länge eine Betonung gegenüber den kurzen Silben mit sich bringen. Lange Silben wurden als Thesen, nicht als Arsen interpretiert, ebenso wie das Stampfen der Füße auf den Boden. In der neusten Forschung zu Arsis und Thesis gerät dieses Bild jedoch ins Wanken. Zwei unbestreitbare Fakten bilden den Ausgangspunkt einer neuen Sichtweise.91 Zum einen sind Arsis und Thesis nach Aristoxenos nicht punktuelle Ereignisse, sondern Zeitintervalle. Dies geht klar aus ER 25 und ER 29 hervor, wo Aristoxenos den Ausdruck chronos hinzufügt (z. B. κάτω χρόνος). Genauer handelt es sich also bei Arsen und Thesen um Aufwärts- bzw. Abwärts-Zeit intervalle. Im Falle des Tanzens oder Fußwippens ist die Thesis nicht das Aufkommen des Fußes auf den Boden, sondern das Zeit intervall der gesamten Abwärtsbewegung, die ihrerseits eine Bewegungsphase ist. Ebenso ist die Arsis eine Aufwärtsbewegung, ver90 Marchetti 2009, 103 ist der Auffassung, dass Aristoxenos in ER 20 Arsen und Thesen durch ihre zeitliche Dauer unterscheidet: Kürzen sind Arsen, und die Längen sind Thesen. Das wäre eine rein metrische Kennzeichnung von Arsen und Thesen, die impliziert, dass Rhythmik auf Metrik reduzierbar ist – eine Implikation, die Aristoxenos strikt ablehnt. In ER 20 spricht Aristoxenos zwar von der Dauer von Arsen und Thesen, erwähnt aber unter anderem, dass eine Arsis aus einem oder zwei Zeitintervallen bestehen kann. Das Seilikos-Lied zeigt, dass Arsen aus einer, zwei oder sogar drei Kürzen (= primären Zeitintervallen) bestehen können. 91 Zu diesem neuen Bild vgl. vor allem Lynch 2016 und Lynch 2020.
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standen als Bewegungsphase, die ein Zeitintervall ausfüllt. Dies gilt auch für die singende Stimme. Genau diese Vorstellung wird durch die Kunstausdrücke τὸ ἄνω καὶ τὸ κάτω deutlich zum Ausdruck gebracht, die Aristoxenos meist (wenn auch nicht immer) für Arsen und Thesen verwendet. Zum anderen wurde in der Antike die Arsis mit einem Punkt über der entsprechenden Note markiert, die Thesis blieb dagegen unmarkiert. Das heißt, dass die Arsis dynamisch und rhythmisch gesehen gegenüber der Thesis als wichtiger betrachtet wurde. Nimmt man beides zusammen, dann scheint sich folgendes Bild zu ergeben: Sind N1 und N2 zwei Noten, und ist N1 unmarkiert, N2 dagegen mit einem Punkt markiert, dann sollte der Übergang von N1 zu N2 eine Aufwärtsbewegung (Arsis) sein. Ist dagegen N1 markiert und N2 nicht, so sollte der Übergang von N1 zu N2 eine Abwärtsbewegung (Thesis) sein. Dieses Szenario scheint zu besagen, dass Arsis und Thesis primär in Begriffen von Tonhöhen und Melodieentwicklung zu erläutern sind – und folglich auch in Begriffen von seelischer Spannung und Entspannung, ganz so wie auch in EH beschrieben. In einem der wichtigsten Zeugnisse beschreibt Aristides Quintilianus den musikalischen Rhythmus ähnlich wie Aristoxenos als Bewegung der Stimme und als Kombination aus Zeitintervallen, die eine bestimmte Ordnung aufweist. Arsis und Thesis sind Modifikationen dieser Zeitintervalle, nämlich Lärm (psophos) und Ruhe (eremia). Für diese Bestimmung des musikalischen Rhythmus liefert Aristides eine Begründung: Ohne diese rhythmische Differenzierung der stimmlichen Bewegung würde die Melodie sinnlos sein und unseren Geist in Konfusion stürzen. Es sind daher die Teile des Rhythmus, welche die Funktion der Melodie klar machen und unsere Wahrnehmung der Melodie ordnen. Denn tatsächlich ist, wie Aristides abschließend bemerkt, die Arsis allgemein die Aufwärtsbewegung eines Körpers und die Thesis die Abwärtsbewegung eines Körpers.92 An einer anderen Stelle weist 92 Aristides, 31.8–17.
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Aristides darauf hin, dass diejenigen Rhythmen, die mit einer Thesis beginnen und gleich zu Beginn den Geist beruhigen, ruhiger sind, während die Rhythmen, die mit der Arsis beginnen und die Stimme mit Lärm ausstatten, aufgeregt sind.93 In den pseudo-aristotelischen Problemata schließlich heißt es, dass tiefe Noten und Töne sanft und ruhig sind, während hohe Noten und Töne rau und bewegend sind.94 Diese Zeugnisse präsentieren ein übereinstimmendes Bild vom musikalischen Rhythmus. Sie beschreiben den musikalischen Rhythmus nicht als ein reines Beat-Schema. Ein Schlagzeug-Solo im modernen Sinn mag einen Rhythmus involvieren, nicht aber einen musikalischen Rhythmus im aristoxenischen Sinn. Denn Musik ist an Melodien gebunden, wie Aristoxenos sie in EH beschreibt und erklärt. Das bedeutet, dass wir These (26) ergänzen müssen um die Bestimmung (26) (c) Der musikalische Rhythmus ist ein Rhythmus von Melodien, ordnet Melodien mit Hilfe von Arsen und Thesen und enthält daher (i) lautere, höhere und erregendere Töne (Arsen),95 (ii) leisere, tiefere und entspannendere Töne (Thesen) und (iii) ist daher an die melodische Dynamik gebunden. Kurz, der musikalische Rhythmus ist an Melodien, und damit insbesondere an einen Wechsel der Lautstärke, Tonhöhe und seelischen Spannung gebunden. Die komparative Formulierung in (26) (c)(i)–(ii) ist mit Bedacht gewählt. Es gibt nach dieser Bestimmung natürlich keine absoluten Tonhöhen, Lautstärken oder seelischen 93 Aristides, 82.4–6. 94 Ps.-Arist. Probl. 19.49, 922b28–34. 95 Tatsächlich beschränkt Aristides den Wechsel von Arsen und Thesen explizit auf die Musik, genauer auf die Melodie. Es gibt daher zum Beispiel keine Arsen und Thesen in Tänzen, im Widerspruch zu der traditionellen Auffassung, dass das Heben und Senken der Füße oder das Klatschen die Paradigmen eines Wechsels von Arsen und Thesen sind.
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Spannungszustände, welche die Grenze zwischen einer Arsis und einer Thesis markieren könnten. Vielmehr ist ein Ton eine Arsis oder Thesis im Vergleich zu seinen benachbarten Tönen. Eine Arsis ist eine Zunahme von Lautstärke, Tonhöhe und seelischer Spannung im Vergleich zu den benachbarten Tönen der Melodie, eine Thesis ist die entsprechende Abnahme. Diese Interpretation entspricht genau der Kennzeichnung von Arsen und Thesen als Bewegungen (nicht als einfache Zustände oder Beats) innerhalb eines bestimmten Zeitintervalls. Insofern ist der musikalische Rhythmus eng mit der melodischen Dynamik korreliert. Genau genommen konstituiert der musikalische Rhythmus allererst eine musikalische Dynamik. Blicken wir von hier aus auf das Lied des Seilikos. Wir hatten oben im Kommentar zu ER 14–15 bereits die metrische und rhythmische Struktur dieses Liedes notiert, allerdings die rhythmische Struktur (1)*–(4)* noch ohne die im überlieferten Dokument notierten Arsen: (1)* ◡ — —ˡ —ˡ —ˡ (2)* — ◡ ◡ — ◡ — —ˡ (3)* ◡ ◡ ◡ ◡ ◡ ◡ ◡ — —ˡ (4)* ◡ ◡ ◡ ◡ ◡ ◡ ◡ — —ˡ Wir müssen die notierten Arsen also noch hinzufügen. Dabei notieren wir die Arsen mit Apostroph: (a) für nur eine Silbe: vor der Silbe, also ’◡ oder ’— (ii) für zwei oder mehr Silben: in der Mitte, also ◡’ ◡ —— ’—— etc. Dann sieht die vollständige rhythmische Struktur des Seilikos-Liedes so aus: (1)** ◡ — ’—ˡ —ˡ ’—ˡ (2)** — ◡ ◡ ’— ◡ — ’—ˡ (3)** ◡ ◡ ◡’◡ ’◡’◡ ◡ — ’—ˡ (4)** ◡ ◡ ◡ ’◡ ’◡ ’◡ ◡ — ’—ˡ Wenn wir nun die moderne Notation des Liedes mit dem Rhythmus (1)**–(4)** vergleichen, dann zeigt sich, dass die mittleren
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Arsen ihrem tonalen Zentrum nach höhere Töne sind als die benachbarten Thesen. Ausnahmen bilden allerdings alle Trisemen am Schluss der vier Verse (1)**–(4)**. Aber hier liegt der besondere Fall vor, dass die tieferen Töne als Abschluss der Verse betont werden. Insbesondere schließt die letzte Triseme in (4)** das gesamte Lied mit dem tiefsten aller Töne des Liedes ab.96 In diesem besonderen Fall erhält der tiefe Abschluss der Melodie zugleich einen dynamischen Nachdruck, ist also eine Arsis, die noch einmal ein wenig Spannung aufbaut. Im Anschluss an (26) macht Aristoxenos in ER 18 einige Angaben über die Länge der Versfüße: (27) Zur Länge der Versfüße: (a) Ein einziges Zeitintervall macht noch keinen Rhythmus aus.97 (b) Einige Versfüße bestehen aus zwei Zeitintervallen98, nämlich aus einer Arsis und einer Thesis (Diseme); einige Versfüße bestehen aus drei Zeitintervallen, nämlich aus zwei Arsen und einer Thesis oder aus einer Arsis und zwei Thesen (Triseme); und einige Versfüße bestehen aus vier Zeitintervallen, nämlich aus zwei Arsen und zwei Thesen (Tetraseme). (c) Kürzere Versfüße benötigen nur wenige (mindestens zwei) Zeitintervalle, um leicht wahrgenommen werden zu können. 96 Vgl. dazu genauer Lynch 2020, 288. 97 Ein einziger Schritt, ein einziger Schrei, ein einziges Zeichen stellen noch keinen Versfuß dar, wie kurz oder lang sie auch sein mögen. 98 Einige Interpreten sind der Auffassung, es handele sich um primäre Zeitintervalle, so dass in (27) auch eine Diseme als Versfuß in Frage kommt, doch in ER 31 weist Aristoxenos dies zurück. Die Diseme stellt noch keinen rhythmischen Versfuß dar, wohl aber die Triseme — . Die Zeit intervalle, die in (27) erwähnt werden, sind folglich von unbestimmter Länge (so auch Pearson und Marchetti). Zur Diskussion über den Begriff »chronos« in (27) vgl. Marchetti 2009 ad ER 17.
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(d) Längere Versfüße benötigen mehr Zeitintervalle, weil sie ansonsten nicht wahrgenommen werden können. These (a) wird dadurch begründet, dass ein einzelnes Zeitintervall die Bedingung der Zeit-Teilung (vgl. (24)(a)) nicht erfüllt. Versfüße mit zwei, drei oder vier Zeitintervallen scheinen das Übliche gewesen zu sein,99 doch hat Aristoxenos auch eine musiktheoretische Begründung im Auge, die angekündigt wird (ER 18), aber im erhaltenen Fragment nicht auftaucht. Die Thesen (a) und (b) sind bemerkenswert, weil sie klarstellen, dass eine Arsis und eine Thesis Zeichen im rhythmustheoretischen Sinne sind. Die Zeichen sind daher in der Tat, wie bereits bemerkt, nicht lediglich punktuelle Schläge oder Beats, sondern Zeitintervalle. Genauer formuliert handelt es sich um Zeitintervalle, die wahrnehmbar abgegrenzt sind, das heißt deren Anfang und Ende empirisch identifiziert werden können – also um markierte Zeit intervalle, die als Marker für Anfang und Ende Beats enthalten mögen, aber nicht Folgen reiner Beats sind. In dieser Weise drückt Aristoxenos sich auch am Ende des Rhythmik-Fragments aus (vgl. ER 30–36). Bemerkenswert sind aber auch die Thesen (c) und (d). Denn diese Thesen involvieren eine Art von Nachvollzugsbedingung für zulässige Rhythmen, die besagt, dass Rhythmen nur jene inneren Strukturen aufweisen dürfen, die empirisch wahrnehmbar sind, wenn wir die Rhythmen identifizieren und dann auch performieren wollen. Dasselbe gilt für das Postulat des primären Zeit intervalls (vgl. (22)) und augenscheinlich die Isochronie-Bedingung (vgl. (21)(b)–(c), (25) (b)), obgleich Letzteres von Aristoxenos im erhaltenen Fragment nicht artikuliert wird. Der entscheidende Punkt ist hier, dass die Nachvollzugsbedingung eine Abhängigkeit des Rhythmus von menschlicher Aktivität involviert, die grund legender ist als die Abhängigkeit des Rhythmus von der artifiziellen Rhythmus-Produktion. 99 »Common«, wie Pearson 1990, 59 bemerkt.
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ER 19 Aristoxenos warnt uns in ER 19 vor einem Missverständnis von (27)(a)–(b): (28) Nach (27) enthält ein Versfuß meist zwei, drei oder vier Teile (d. h. Zeitintervalle). Doch damit ist nicht ausgeschlossen (wie man vielleicht denken könnte), dass jeder dieser Teile im Rahmen der Rhythmisierung durch Rhythmus-Produktion auf unterschiedliche Weise weiter geteilt werden kann, ohne dass dadurch der ursprüngliche Rhythmus verloren geht. Die Teile der Versfüße werden in ER 19 mehrmals auch »Zahlen« (arithmoi) genannt.100 Diese Ausdrucksweise wird nicht näher erläutert oder begründet, so als könne man voraussetzen, dass sie den damaligen Lesern vertraut war. Die beste Erklärung dafür ist, dass Aristoxenos hier Zahlen ebenso mit Zeitintervallen korreliert wie Aristoteles in seiner grundlegenden Definition der Zeit in seiner Physik.101 Auch dies ist eine Bestätigung für die Hypothese, dass der Rhythmus als Struktur, als aristotelische Form, nach Aristoxenos die aristotelische Zeit der musikalischen gerichteten Bewegungen (der sprechenden sowie singenden Stimme und der Extremitäten des Körpers) ist. Nach (28) müssen grundlegende Teile der Versfüße (das heißt, die zwei, drei oder vier Basis-Teile im Sinne von (27)) von den weiteren, durch zusätzliche Rhythmus-Produktion entstehenden Teilen (nennen wir sie »Subteile«) unterschieden werden. Aristoxenos behauptet im Blick auf diese Unterscheidung: (29) Die Basis-Teile eines Versfußes bleiben in jedem Rhythmus an Zahl und Größe gleich, die Subteile können dagegen im Rahmen der Rhythmus-Produktion eine vielfältige Anzahl, Größe und Struktur annehmen. 100 Vgl. auch ER 27. 101 Vgl. Aristoteles, Phys. 219b1–8 und Detel 2021, 26–30.
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Nehmen wir zum Beispiel eine Tetraseme vor, in moderner Notation (ohne Arsis und Thesis) ausgedrückt: |—|—|—|—| Diese Rhythmus-Struktur kann durch weitere Unterteilung unterschiedlich ausgestaltet werden, etwa durch (1) | ◡ ◡ — | — ◡ ◡ | ◡ ◡ ◡ ◡ | — — | oder durch (2) | — — | ◡ ◡ ◡ ◡ | — — | ◡ ◡ — | und so weiter. Die Formen (1) und (2) können durch Rhythmus-Produktion hergestellt werden, aber beide Formen bleiben eine Tetraseme.102 Ein konkretes Beispiel liefert das Seilikos-Lied. Bereits in der Antike wurde seine grundlegende rhythmische Struktur als iambisch angesehen, und zwar im Sinne von These (35) unten, das heißt, dass die Teile des iambischen Versfußes ihrer Länge nach das Verhältnis 2 : 1 aufweisen, also aus einer kurzen und einer langen Silbe bestehen. Der iambische Versfuß (wie Aristoxenos ihn beschreibt) umfasst demnach sowohl den Versfuß ◡ — (Iambus im heutigen engeren Sinn) als auch den Versfuß — ◡ (Trochäus im heutigen engeren Sinn), denn beide Versfüßen weisen das Längenverhältnis 2 : 1 auf. Wie oben gezeigt, ist die rhythmische Struktur des Seilikos-Liedes die folgende: (1)** ◡ — ’—ˡ —ˡ ’—ˡ (2)** — ◡ ◡ ’— ◡ — ’—ˡ (3)** ◡ ◡ ◡’◡ ’◡’◡ ◡ — ’—ˡ (4)** ◡ ◡ ◡ ’◡ ’◡ ’◡ ◡ — ’—ˡ Diese Struktur kann so gedeutet werden, dass jede Zeile aus vier iambischen Versfüßen besteht. Eine basale iambische Form haben offenbar der erste Versfuß in (1)**, die ersten drei Versfüße in (2)** sowie der jeweils dritte Versfuß in (3)** und (4)**. Der zweite, dritte und vierte Versfuß in (1)** sowie die jeweils letzten Versfüße in (2)**–(4)** sind Trisemen, in denen die dreizeitige Struktur des iambischen Versfußes in eine einzige Länge transformiert wird, 102 Vgl. Pearson 1990, 60.
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und die ersten beiden Versfüße in (3)** und (4)** sind Iamben, in denen die Länge des Iambus in zwei Kürzen aufgelöst worden ist. Dadurch entstehen in der ersten Hälfte von (3)** und (4)** jeweils sechs Kürzen hintereinander. Dass es sich in beiden Fällen um zwei Iamben handelt, wird dadurch geklärt, dass die jeweils zweiten drei Kürzen mit Arsen belegt werden, während die jeweils ersten drei Kürzen Thesen sind. Trotz dieser Abänderungen bleibt die gesamte rhythmische Struktur des Liedes jedoch durchgehend iambisch. Sie muss allerdings auch als solche erkennbar bleiben (ihre Funktion wahren).103 Wie Marchetti richtig formuliert: This is the structure Aristoxenus has been setting forth: feet are made of markers; the markers are chronoi ›time intervals‹ that have been assigned a status as arsis or thesis; the chronoi can be either uncompounded chronoi, filled by a single rhythmic event, or compound chronoi, filled by sequences of rhythmic events.104
ER 20–21 Zum Abschluss seiner einleitenden Bemerkungen zu Versfüßen als Kern des Rhythmus widmet Aristoxenos sich in ER 20–21 der Rationalität und Irrationalität von Versfüßen – einem theoretisch, praktisch und ästhetisch grundlegenden Aspekt des Rhythmus.105 Unter »Rationalität« bzw. »Irrationalität« ist in diesem Kontext nicht ein mentaler Zustand zu verstehen, sondern ein Zahlenverhältnis (meist durch das griechische Wort logos ausgedrückt). Genau dieses mathematische Verständnis von Rationalität und 103 Siehe auch Marchetti 2009, 116. 104 Marchetti 2009, 182. 105 In den folgenden kommentierenden Bemerkungen verzichten wir auf eine notgedrungen aufwendige Erläuterung der Begründung einiger in ER 20 vorgebrachter Thesen zur Rhythmik durch Verweis auf Teile von EH, das heißt der Harmonik, also der Theorie der Melodie. Die Thesen in ER lassen sich anhand von Beispielen auch direkt erläutern. Vgl. zu den Verweisen auf EH Pearson 1990 und Marchetti ad loc.
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Irrationalität ist in der modernen Rede von rationalen Zahlen bewahrt. Eine Zahl ist demnach rational, wenn sie ein Verhältnis von (einen »Bruch« aus) ganzen Zahlen darstellt. Und eine Zahl ist irrational, wenn sie nicht rational ist. Der Beweis der Existenz irrationaler Zahlen (z. B. der reellen Zahl √2) zu Platons Zeiten galt als sensationell. Aristoxenos definiert vor diesem Hintergrund in ER 20: (30) Die Rationalität von Versfüßen (a) Seien T1 und T2 Teile eines Versfußes, dann ist das Verhältnis T1 : T2 rational, wenn es auditorisch leicht erkannt werden kann. (b) T1 : T2 kann auditorisch leicht erkannt werden, wenn T1 = T2 oder T1 : T2 = 1 : 2 (bzw.) 2 : 1 gilt. Es folgt (c) Das Verhältnis T1 : T2 ist rational, wenn T1 = T2 oder T1 : T2 = 1 : 2 (bzw. 2 : 1) gilt. (d) Sei T3 eine Zahl, so dass gilt T1 : T2 = 1 : 2 oder 2 : 1 sowie T1 < T3 < T2 oder T1 < T2 < T3, dann ist T1 : T3 irrational. Die Rationalität von Versfuß-Teilen ist demnach nicht einfach eine mathematische Rationalität von Zahlen im oben beschriebenen Sinn, sondern eine spezielle restriktive Form dieser mathematischen Rationalität. Denn beispielsweise 3 : 7 oder 5 : 8 sind rationale Brüche, doch wenn T1 und T2 in diesen Verhältnissen von Zähler und Nenner zueinander stehen, können die Rhythmen nur sehr schwer auditorisch identifiziert, gesungen oder getanzt werden, verletzen also Bedingungen (30) (a) und (b) und sind nicht rational im Sinne von (30). An dieser Stelle wird endgültig klar, dass das Erkennen oder Wahrnehmen oder Nachvollziehen des musikalischen Rhythmus für Aristoxenos eine intrinsische musikalische Kognition ist.106 106 Zu verschiedenen weiteren Interpretationen der Irrationalität von Versfüßen siehe Marchetti 2009, 123–125.
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Betrachten wir zum Beispiel die Rhythmen mit 2 Versfüßen (i) ◡ | — — ◡ — — || ◡ — |— ◡ — — (Versfuß-Teile-Verhältnis 3 : 7) (ii) — ◡ — | ◡ — — ◡ — || — ◡ — | ◡ — — ◡ — (Versfuß- Teile-Verhältnis 5 : 8). In Fall (i) gilt T1 < T2 (e) R (1 : 3) e R4, also (f) R (1 : 3) a R4 ist falsch, daher nach (b) (g) R (2 : 2) a R4148 also D a R (2 : 2) (vgl. (a)), R (2 : 2) a R4 (vgl. (g)) (h) D a R4 (das ist das Theorem). Alles in allem können wir feststellen, dass ER keineswegs nur Definitionen (Prinzipien) oder sonstige Thesen enthält, sondern in einem bemerkenswerten Ausmaß auch Begründungen für aufgestellte Theoreme. Die erste Hälfte des Rhythmik-Fragments (ab ER 3) ist sogar lückenlos durchargumentiert. Sie besteht aus Definitionen, also aus Prinzipien der musikalischen Rhythmustheorie, sowie aus einer Reihe von Theoremen, die nach bestimmten argumentationstheoretischen Formen begründet, also »weich bewiesen« werden, wie es von Aristoteles in Top. I 17–18 im Detail beschrieben und empfohlen wird. Selbst in der zweiten Hälfte des Rhythmik-Fragments gibt es eine Reihe von (zum Teil nur angekündigten) Begründungen für aufgestellte Theoreme, darunter auch drei syllogistisch rekonstruierbare Beweise. Aristoxenos befolgt also auch in diesem Teil seiner Rhythmik das aristotelische Wissenschaftsprogramm, nur dass die Beweise, wie Aristoxenos selbst deutlich macht, meist nicht auf gültigen 147 Diese Gleichheit gilt wegen X e Y = Y e X, für alle X und Y (syllogistisch gültig, wie Aristoteles beweist). 148 In diesem Schritt wird, genau genommen, das aussagenlogische Theorem p oder q, nicht q p benutzt, das nicht Teil der Syllogistik ist (die Aussagenlogik wurde erst von dem Stoiker Chrysipp entwickelt).
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Syllogismen, sondern auf Sim-Argumenten beruhen, wie sie von Aristoteles in der Topik beschrieben werden.149 Sim-Argumente lassen sich als Plausibilisierungen vorgebrachter Behauptungen verstehen. Aristoxenos bedient sich in seinen Begründungen von Theoremen der Rhythmik überwiegend einer rhetorischen Argumentationsform.
149 Dieser Befund lässt sich in der bisherigen Aristoxenos-Forschung nicht finden.
Z U S A M M E N FA S SU N G
Der vorstehende Kommentar zum Rhythmik-Fragment des Aristoxenos konzentriert sich auf zwei Schwerpunkte: die Idee eines kinematisierten, dynamischen und verkörperten musikalischen Rhythmus und die Einbettung der Theorie dieses Rhythmus in Teile der aristotelischen Philosophie. Aristoxenos hat sich selbst als Erfinder der empirischen Musikwissenschaft gesehen und wird bis heute dafür gefeiert. Dies gilt sowohl für seine Harmonik, die fast vollständig überliefert ist, als auch für seine Rhythmik, von der nur ein kurzes Fragment erhalten ist. Die beiden genannten Schwerpunkte stellen die beiden wichtigsten Grundlagen für diese musikhistorische Innovation dar. Denn erst die Idee eines kinematisierten, dynamischen und verkörperten musikalischen Rhythmus ermöglicht eine klare Unterscheidung zwischen Metrik und Rhythmik und gewährleistet damit die Autonomie der Rhythmik als empirischer Wissenschaft. Und die Anbindung an die aristotelische Philosophie sichert unter anderem den wissenschaftlichen Status der Rhythmik.
1. Aristoxenos und die Theorie des musikalischen Rhythmus Die traditionelle Forschung zur Rhythmik des Aristoxenos hat die antiken Vorstellungen zum Rhythmus weitgehend in Begriffen der Metrik interpretiert – wie auch antike Autoren vor Aristoxenos, einschließlich seines Lehrers Aristoteles. Damit sitzt die traditionelle Forschung genau jener Konfusion auf, die Aristoxenos unter allen Umständen vermeiden wollte. Die klare Unterscheidung zwischen Metrik und Rhythmik ist seiner Auffassung nach eine notwendige Bedingung für die Etablierung einer musikwissenschaftlichen Rhythmik.
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1.1 Allgemeiner Rhythmus und musikalischer Rhythmus Im ersten Teil des Rhythmik-Fragments spricht Aristoxenos meist vom Rhythmus allgemein. Der Grund dafür scheint zu sein, dass der musikalische Rhythmus eine Anzahl grundlegender Merkmale mit dem Rhythmus im allgemeinen Sinn teilt. Der Rhythmus, allgemein betrachtet, ist jene Ordnung, die dem Rhythmus der Rede, der Melodie und des Tanzes gemein ist. In ER 2 bezeichnet Aristoxenos die These, dass es im Falle des Rhythmus um »Zeiten« (chronoi) geht, als Prinzip der empirischen Rhythmus-Theorie. Der Plural »Zeiten« weist darauf hin, dass es sich genauer um Zeit intervalle handelt. Jeder Rhythmus besteht notwendigerweise aus abgrenzbaren Zeitintervallen. Die rhythmische Ordnung ist eine Ordnung von Zeitintervallen. Allerdings ist nicht jede Ordnung von Zeitintervallen auch eine rhythmische Ordnung. Die rhythmische Ordnung kann als reine Struktur oder Form beschrieben werden, doch als Gegenstand einer empirischen Wissenschaft muss diese Ordnung in materiellen Grundlagen – der rhythmisierbaren Materie – realisiert sein. Diese Grundlagen sind genauer Bewegungen der redenden Stimme, der singenden Stimme oder des tanzenden Körpers, die ihrerseits wahrnehmbar sind. Jeder Rhythmus stellt eine Verkörperung (ein Embodiment) von Bewegungsphasen dar. Diese Kinematisierung ermöglicht auch eine Dynamisierung des Rhythmus, die sich in Begriffen von Lautstärke, Auf- und Abwärtsbewegungen sowie im Wechsel zwischen seelischer Spannung und Entspannung geltend macht. All dies gilt auch für die spezielle Theorie des musikalischen Rhythmus. Wie bereits bemerkt, ist der musikalische Rhythmus in Bewegungen singender Stimmen (und spielender Instrumente, vor allem der Lyra und der Oboe (aulos)) verkörpert. Doch Gesang und instrumentale Darbietung sind ihrerseits musikalische Phänomene, deren Form die ästhetisch zulässige Melodie ist. Die aristoxenische Theorie ästhetisch zulässiger Melodien ist die Harmonik. Theorie-strategisch betrachtet schließt die Rhythmik an die Harmonik an und setzt sie voraus. Der ästhetisch zulässige musi-
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kalische Rhythmus ist nach Aristoxenos in ästhetisch zulässigen Melodien, wie sie in der Harmonik analysiert werden, realisiert und verkörpert. Eine der Konsequenzen aus dieser Sicht ist die Abgrenzung der empirischen Wissenschaft des Rhythmus nicht nur von der Metrik, sondern auch von der rein mathematischen Musiktheorie der Pythagoreer, von denen die Musikwissenschaft als eine spezielle mathematische Disziplin aufgefasst wurde, die somit keinen autonomen wissenschaftlichen Status besaß. Die wichtigsten Komponenten, die nach Auffassung von Aristoxenos die empirische Wissenschaft des musikalischen Rhythmus auszeichnen, sind die Rhythmus-Produktion und die ästhetischen Kriterien für rhythmisch wohlgeordnete Melodien. Diese Komponenten setzen voraus, dass der musikalische Rhythmus auch identifizierbar und wahrnehmbar ist.
1.2 Die Wahrnehmbarkeit des musikalischen Rhythmus Die Wahrnehmbarkeit des Rhythmus wird bereits in ER 2 erwähnt. Sie ist nicht nur ein Merkmal des musikalischen Rhythmus, sondern eine seiner essenziellen Eigenschaften und somit für den musikalischen Rhythmus konstitutiv. Im Fall des musikalischen Rhythmus ist die einschlägige Wahrnehmungsform naheliegenderweise das Hören. Aber worin besteht die Wahrnehmung des Rhythmus nach Aristoxenos genauer? Der musikalische Rhythmus kann nur deshalb wahrgenommen werden, weil er verkörpert, kinematisiert und dynamisiert ist sowie jeweils ein konkretes, an Melodien gebundenes einzelnes musikalisches Ereignis ist. Der Inhalt, genauer der semantische Gehalt der Wahrnehmung des musikalischen Rhythmus involviert daher zunächst einmal die Bewegung irgendeiner Substanz (primär der Stimme, die eine Melodie singt), so aber, dass diese Bewegung durch diskontinuierliche Phasen und Abgrenzungen gekennzeichnet ist, die vor allem durch die Struktur ästhetisch zulässiger Melodien bedingt sind. Der musikalische Rhythmus ist gegenüber
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bloßen Zeitintervallen unter anderem dadurch ausgezeichnet, dass er auch die Abgrenzungen der Zeitintervalle wahrnehmbar macht und gerade dadurch zum Nachvollzug einladen kann. Aber die Wahrnehmbarkeit ist auch ein ästhetisches Kriterium für den wohlgeordneten Rhythmus. Nach Aristoxenos sind nur jene Rhythmen wohlgeordnet und ästhetisch zulässig, die wir bequem identifizieren, erkennen und nachvollziehen können. Dies gilt auch für den musikalischen Rhythmus. Ein sieben-neuntel- Rhythmus einer Melodie könnte zwar theoretisch konstruiert werden, aber niemand würde an einem solchen Rhythmus Gefallen finden. Es wäre mehr als mühsam, ihn zu erkennen, hörbar zu machen und zu singen.
1.3 Die elementare innere Struktur des musikalischen Rhythmus Der musikalische Rhythmus einer Melodie besteht aus Sicht von Aristoxenos aus endlich vielen Zeitintervallen, die ihrerseits aus Kürzen und Längen bestehen. In jeder einzelnen Melodie ist jede Kürze gleich lang und stellt das primäre Zeitintervall, also die grundlegende Zeiteinheit dieser Melodie dar, als Maß für alle längeren Zeitintervalle, die in dieser Melodie vorkommen. Dieses Maß ist nicht für alle Melodien gleich, sondern hängt von dem Tempo ab, in dem die Melodie gesungen oder gespielt wird. In jeder Melodie ist das lange Zeitintervall (die Länge, Diseme) doppelt so lang wie das kurze Zeitintervall (die Kürze). Darüber hinaus kann es in Melodien noch längere Zeitintervalle geben, zum Beispiel die Triseme (dreifache Länge des primären Zeitintervalls), die Tetraseme (vierfache Länge des primären Zeitintervalls), und so weiter. Alle Zeitintervalle von Melodien sind ganzzahlige Vielfache des primären Zeitintervalls (Isochronie-Bedingung für den musikalischen Rhythmus). Zeitintervalle von Melodien können nicht-zusammengesetzt oder zusammengesetzt sein. Ein Zeit intervall ist nicht-zusammengesetzt, wenn es in einer Melodie ein
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einziges Intervall darstellt. In einer Melodie zum Beispiel, in der es Kürzen, Disemen und Trisemen gibt, ist jede einzelne Kürze, jede einzelne Diseme und jede einzeln Triseme ein nicht-zusammengesetztes Zeitintervall. Zusammengesetzte Zeitintervalle sind Kombinationen aus nicht-zusammengesetzten Zeitintervallen, zum Beispiel iambische Zeitintervalle, die aus einer Kürze und einer Länge (Diseme) bestehen. Musikalische Zeitintervalle weisen ferner innere Strukturen auf, die aus Versfüßen bestehen. Versfüße sind zusammengesetzte Zeitintervalle, die ihrerseits Kürzen und Längen enthalten und aus zwei, drei oder vier Zeitintervallen bestehen können. Die ästhetisch zulässigen rationalen Verhältnisse zwischen den Teilen von Versfüßen sind 1 : 1, 1 : 2 und 1 : 1,5. Entsprechend gibt es drei Gattungen von Versfüßen: die daktylische Gattung (mit der Ratio 1 : 1), die iambische Gattung (mit der Ratio 1 : 2) und die paeonische Gattung (mit der Ratio 1 : 1,5). Es ist vor allem diese innere, von Versfüßen geprägte Struktur, die die Wohlordnung des Rhythmus und damit seine ästhetische Dimension bestimmt. Die Begründung gerade für die genannten inneren Strukturen muss sich Aristoxenos zufolge auf die Wahrnehmung berufen: rationale Verhältnisse innerhalb von Versfüßen in den Formen 1 : 1, 1 : 2 und 1 : 1,5 sind besonders leicht und angenehm zu identifizieren und nachzuvollziehen.
1.4 Die Produktion des musikalischen Rhythmus Die Rhythmik-Produktion ist nach Aristoxenos und der späteren antiken Rhythmustheorie ein äußerst komplexes Phänomen und hat unter anderem das Ziel, auch längeren Rhythmen von Melodien eine ästhetische Form zu verleihen. Aristoxenos geht vom Paradigma des Liedes aus, also von einer Melodie mit sprachlichem Text. Wir haben demnach drei verschiedene Ebenen vor uns: den Text, die Melodie und den Rhythmus der Melodie. Ein Blick auf das überlieferte Seilikos-Lied illustriert diese Unterscheidung,
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weil es die seit Aristoxenos übliche dreifache Notation enthält: den griechischen Text, die Noten als Symbole für die Teile der Melodie und die Symbole für den Rhythmus, die im Wesentlichen aus Symbolen für die Arsen besteht (Noten ohne Symbole für Arsen sind dann rhythmisch als Thesen zu bewerten). Daran wird die überragende Bedeutung der Arsen und Thesen für die musikalische Rhythmisierung deutlich. Tatsächlich sind Arsen und Thesen speziell für den musikalischen Rhythmus kennzeichnend. Lange Zeit über hat man die Verteilung von Arsen und Thesen an der modernen Vorstellung des punktuellen Beats orientiert. Neuerdings ist zu Recht geltend gemacht worden, dass diese Interpretation zu stark auf metrische und strukturelle Merkmale zugeschnitten ist. Sie berücksichtigt nicht die Kinematisierung, Dynamisierung und melodische Bindung des musikalischen Rhythmus, die für Aristoxenos so überaus zentral sind. Zum einen sind Arsis und Thesis nach Aristoxenos nicht punktuelle Ereignisse, sondern Zeitintervalle. In ER 18 identifiziert er sogar den musikalischen Rhythmus mit der Distribution von Arsen und Thesen über die Melodieteile, in völligem Einklang mit der Notation im Seilikos-Lied. Im Falle des Tanzens oder Fußwippens ist die Thesis nicht das Aufkommen des Fußes auf den Boden, sondern das Zeitintervall der gesamten Abwärtsbewegung. Ebenso ist die Arsis eine Aufwärtsbewegung. Zum anderen wurde in der Antike die Arsis mit einem Punkt über der entsprechenden Note markiert, die Thesis blieb dagegen unmarkiert. Das heißt, dass die Arsis dynamisch und rhythmisch gesehen als wichtiger betrachtet wurde als die Thesis. Daraus ergibt sich in der neueren Forschung ein neues Bild von Arsen und Thesen. Unter anderem ist die Arsis mit einer seelischen Spannung korreliert, die Thesis dagegen mit einer seelischen Entspannung. Vergleicht man die Bemerkungen von Aristoxenos zu Arsen und Thesen mit den Ausführungen der späteren Schrift De Musica von Aristides Quintilianus, so wird bestätigt, dass der musikalische Rhythmus nicht nur allgemein an die Melodie gebunden ist, sondern genauer an einen Wechsel der Lautstärke, Tonhöhe
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und seelischen Spannung in Melodien, verteilt über die musikalischen Zeitintervalle. Wir müssen die Begriffe von Arsen und Thesen im komparativen Sinn verstehen. Es gibt keine absoluten Tonhöhen, Lautstärken oder seelischen Spannungszustände, welche die Grenze zwischen einer Arsis und einer Thesis markieren könnten, sondern eine Arsis ist ein Ton oder eine kurze Tonsequenz, die gegenüber ihren benachbarten Tönen lauter, höher und spannungsvoller sind, und eine Thesis ist ein Ton oder eine kurze Tonsequenz, die gegenüber ihren benachbarten Tönen leiser, tiefer und entspannender sind. Diese Interpretation ist perfekt auf die zeittheoretische, kinematische und dynamische Struktur des musikalischen Rhythmus zugeschnitten. Die Theorie der Rhythmus-Produktion geht von der These aus, dass ein musikalischer Rhythmus nicht einfach gegeben ist, sondern stets von Menschen produziert werden muss, also nicht unabhängig von menschlicher Tätigkeit existiert. Rhythmik, also die Theorie des Rhythmus, ist daher nach Aristoxenos – in aristotelischen Kategorien formuliert – weder eine theoretische noch eine praktische, sondern eine produktive Wissenschaft, ähnlich wie die Dichtkunst oder die Medizin. Aristoxenos scheint allerdings zwischen einer elementaren und artifiziellen Rhythmus-Produktion zu unterscheiden. Die Distribution von Arsen und Thesen gehört zur elementaren Rhythmus-Produktion, die außerdem noch die Etablierung eines primären Zeitintervalls für jedes gegebene Musikstück, die Herstellung der rhythmischen Isochronie sowie die Rationalisierung der verwendeten Versfüße umfasst. Die Isochronie stellt sicher, dass in jeder einzelnen ästhetisch akzeptablen Melodie alle auftretenden rhythmischen Kürzen und Längen gleichlang sind. Nur so können wir den Rhythmus einer Melodie ohne rhythmischen Wechsel durchgehend nachvollziehen. Die artifizielle Rhythmus-Produktion fügt der elementaren Rhythmus-Produktion weitere Prozeduren hinzu: eine Zerteilung der rhythmisierbaren Materie in bekannte Versfüße, eine freie und flexible Kombination dieser Versfüße, die Integration von Pausen
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sowie eine Arbeit an den Kürzen und Längen dieser komplexen Rhythmen, die sicherstellt, dass die komplexen Rhythmen in Teile geteilt werden, die ihrerseits Repetitionen ermöglichen, aus denen sich die komplexen musikalischen Rhythmen zusammensetzen. Gegebenenfalls ist auch eine neue Verteilung von Arsen und Thesen erforderlich. Diese Einteilung und innere Strukturierung einer rhythmisierbaren Materie durch einen musikalischen Rhythmus ist demnach kein natürlicher Vorgang, sondern hängt von kognitiven und motorischen Aktivitäten von Menschen ab: von motorischen Aktivitäten, weil der empirisch zugängliche Rhythmus stets motorisch instanziiert ist, und von kognitiven Aktivitäten, zu denen eine strukturelle Wahrnehmung (pattern recognition), aber auch Denken und Erinnerung, also rhythmische Erfahrung gehören. All diese vielfältigen Anforderungen werden, wie Aristoxenos betont, keineswegs von beliebigen oder auch nur den meisten Rhythmen erfüllt, sondern im Gegenteil nur von wenigen Rhythmen und stellen daher echte Restriktionen für ästhetisch zulässige Rhythmen dar – Restriktionen auf der Ebene humanspezifischer motorischer und kognitiver Fähigkeiten und Beschränkungen. Der Begriff des instanziierten, motorischen und dynamischen musikalischen Rhythmus ist nicht nur eine deskriptive, sondern auch eine evaluative Kategorie mit normativen Konnotationen. Die musikalische Rhythmik, also die Theorie des musikalischen Rhythmus, möchte nicht beliebige rhythmische Formationen, sondern nur isochrone, repetierbare und somit leicht wahrnehmbare sowie performierbare zeitliche Strukturen rhythmisierbarer Materie auszeichnen – Strukturen, die in ihrer Wahrnehmung, Erfahrung und Performation als angemessen und angenehm empfunden werden. Die musikalische Rhythmik ist eine ästhetische Theorie der rhythmisierten Melodien. Der musikalische Rhythmus ist, insgesamt gesehen, für Aristoxenos das musikalische Embodiment von Zeit und gewährleistet eine besonders dichte und intensive Wahrnehmbarkeit der musikalischen Zeit – allerdings nur in einer wohlgeordneten und
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ästhetisch zulässigen Form. Und darum hören wir rhythmisch wohlgeordnete Melodien mit dem höchsten Vergnügen, das unsere Glückseligkeit insbesondere dadurch steigert, dass wir dieses Vergnügen ohne Missgunst mit anderen HörerInnen teilen können.
2. Aristoxenische Rhythmik und aristotelische Philosophie Die Forschung des 19. Jahrhunderts hat den theoretischen Bezügen der empirischen Musikwissenschaft des Aristoteles-Schülers Aristoxenos zur Philosophie seines Lehrers kaum Beachtung geschenkt. Richard Westphal erwähnt zum Beispiel Aristoteles in seinem großen und einflussreichen Buch von 1883 über die Melik und Rhythmik des Aristoxenos kein einziges Mal. In der neueren Aristoxenos-Forschung wurde dieses Defizit gemildert. Allerdings beschränken sich die genaueren Untersuchungen zu Aristoxenos und Aristoteles bislang zum einen auf die – von Aristoxenos in seiner Harmonik selbst artikulierte – wissenschaftstheoretische Dimension. Wenn Aristoxenos von der Wissenschaft der Musik redet, dann im Sinne der Wissenschaftstheorie, die Aristoteles in seinen Analytica Posteriora ausgearbeitet hatte. Zum anderen wurde dieser wissenschaftstheoretische Hintergrund nur in der aristoxenischen Harmonik gesehen. Das Rhythmik-Fragment ist dagegen bislang nicht systematisch oder historisch auf Aristoteles bezogen worden, abgesehen von kurzen, eher philologischen Hinweisen zum Sprachgebrauch des Rhythmik-Fragments – nicht zuletzt weil sich Aristoxenos selbst an keiner Stelle dieses Fragments auf Aristoteles beruft. Eines der wichtigsten Resultate der vorliegenden Kommentierung der aristoxenischen Rhythmik ist die musikhistorische Einsicht, dass nicht nur die Harmonik, sondern auch die Rhythmik des Aristoxenos deutlich in Teilgebiete der aristotelischen Philosophie eingebettet ist. Mehr noch, diese Einbettung scheint in der Rhythmik noch stärker zu sein als in der Harmonik.
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2.1 Metaphysik Aristoxenos präsentiert zu Beginn von ER Überlegungen zum metaphysischen Status des Rhythmus. Er betont, dass die Unterscheidung zwischen dem Rhythmus und den rhythmisierten Dingen grundlegend für die Theorie des Rhythmus ist. Geht man von dieser Unterscheidung aus, so müssen die rhythmisierten Dinge als etwas Geformtes und der Rhythmus selbst als die Form des Geformten betrachtet werden. Der Rhythmus als Form besteht genauer in einer bestimmten Ordnung der Teile eines rhythmisierten Dinges. Doch gibt es keine Eins-zu-eins-Abbildung zwischen rhythmischen Formen und Rhythmen. Rhythmisierte Dinge können vielmehr verschiedene Rhythmen annehmen. In dieser Idee steckt genau genommen die Annahme, dass es rhythmisierbare Dinge gibt, die aufgrund ihrer Natur dazu disponiert sind, Rhythmen als Formen anzunehmen. Dieser Prozess generiert dann rhythmisierte Dinge. Nach Aristoxenos müssen also in einer adäquaten Theorie des Rhythmus die rhythmisierbare Materie, die rhythmisierte Materie und der Rhythmus als Form der rhythmisierten Materie sorgfältig voneinander unterschieden werden. Die Natur der rhythmisierbaren Materie, aufgrund derer sie dazu disponiert ist, Rhythmen als Formen anzunehmen und in eine rhythmisierte Materie transformiert zu werden, besteht in bestimmten Formen, die die rhythmisierbare Materie bereits von sich selbst her mitbringt. Häufig bestehen diese Formen in metrischen Strukturen, die bereits in der Sprache vorkommen. Grundsätzlich sind Reden, Melodien und Ganzkörperbewegungen die drei Formen rhythmisierbarer bzw. rhythmisierter Materie. Der musikalische Rhythmus, um den es in der Rhythmik als einer Theorie der Musik gehen muss, ist der Rhythmus von – meist gesungenen und von einem Text begleiteten – Melodien. Drei weitere Thesen schließen die Metaphysik des Rhythmus ab. Erstens, der Rhythmus als Form existiert nicht an sich, also nicht von sich selbst her und in autonomer Weise, sondern nur in der rhythmisierten Materie. Nur wenn der Rhythmus in einer rhyth-
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misierten Materie realisiert und verkörpert ist, kann er Gegenstand einer empirischen Theorie der Musik sein. Genau genommen ist der Ausdruck Rhythmus daher ambivalent. Er kann den Rhythmus als abstrakte Form, aber auch den materiell realisierten Rhythmus bedeuten. Zweitens, zwar ist jeder Rhythmus als Form eine Ordnung der rhythmisierten Materie, aber nicht jede Ordnung der rhythmisierten Materie ist ein Rhythmus. Denn einige Ordnungen und Formen der rhythmisierten Materie sind rhythmisch wohlgeordnet, andere dagegen nicht. Der Rhythmus als Gegenstand der Musiktheorie ist auch eine ästhetische Kategorie. Und drittens, die Rhythmisierung einer rhythmisierbaren Materie ist kein natürlicher, sondern ein artifizieller Prozess, der von Menschen vollzogen wird. Rhythmisierte Materie ist das Resultat einer menschlichen Konstruktion, also, wie Aristoxenos formuliert, einer Rhythmus-Produktion. Die Metaphysik des Rhythmus ist eine konstruktive Metaphysik. In der bisherigen Forschung ist durchaus bemerkt w orden, dass diese Metaphysik des Rhythmus auf die aristotelische Form- Materie-Analyse bezogen ist, wie sie erstmals in der Physik des Aristoteles präsentiert wird. Aber die traditionelle Interpretation beschränkt sich auf den Hinweis, dass der Rhythmus bei Aristoxenos so auf die rhythmisierte Materie bezogen ist wie bei Aristoteles die Form auf die Materie. Dieser Hinweis ist jedoch ungenau und oberflächlich. Denn er übergeht die genauere Unterscheidung zwischen Form, Materie und Form-Materie-Kompositum, und damit die sprachliche Ambivalenz von Form und Form-Materie-Kompositum, die von Aristoteles herausgestrichen wird: »Mensch« zum Beispiel kann als reine Form betrachtet werden, die sich wissenschaftlich definieren lässt, aber zum Beispiel auch als Kennzeichen von Sokrates, Platon und anderen menschlichen Individuen, in denen die Mensch-Form realisiert ist. Und insbesondere muss, wie Aristoteles in seiner reifen Metaphysik klarstellt, stets angenommen werden, dass die Materie – etwa Blut und Knochen bei Menschen als Form-Materie-Komposita – stets von sich aus bereits spezifische Formen mitbringen muss, die sie
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dazu disponieren, bestimmte weitere Formen anzunehmen. Aus Wachs kann man keine Säge herstellten. Für Aristoteles genießen die Form-Materie-Komposita als Substanzen ontologische Priorität und sind zugleich, im Gegensatz zu reinen Strukturen, der empirischen Forschung zugänglich. Es ist diese differenziertere Form der aristotelischen Metaphysik und ihr Bezug zur empirischen Wissenschaft, die Aristoxenos offensichtlich übernimmt und die er sehr zu Recht als notwendige theoretische Grundlage für seine größte Leistung betrachtet hat – die Etablierung einer empirischen Musikwissenschaft.
2.2 Theorie der Zeit Mit dem ersten Satz des erhaltenen Rhythmik-Fragments betont Aristoxenos, dass es in der Theorie des Rhythmus um Zeiten (chronoi) geht. Und er unterstreicht die Relevanz dieser These mit der Bemerkung, dass sie so etwas wie ein Prinzip (arche) der Theorie des musikalischen Rhythmus ist. Genauer betrachtet versteht Aristoxenos unter den »Zeiten« als essentiellen Komponenten des Rhythmus Zeitintervalle. Diese Zeitintervalle können ordinal gezählt werden, und sie müssen sogar ordinal gezählt werden, wenn die inneren Strukturen von Rhythmen angemessen beschrieben werden sollen. Die rhythmischen Zeitintervalle werden daher von Aristoxenos auch »Zahlen«, besser »Anzahlen« (arithmoi) genannt. Jeder Rhythmus ist, wie wir bereits wissen, an eine rhythmisierbare Materie gebunden. Genauer formuliert handelt es sich dabei stets um konkrete Bewegungen und insbesondere um Bewegungsphasen der sprechenden oder singenden oder instrumentellen Stimme oder des tanzenden Körpers (also konkrete Reden, Melodien oder Tänze). Es gibt keinen Rhythmus und keine rhythmischen Zeit intervalle ohne Bewegungsphasen. Der Rhythmus als endliche Menge von Zeitintervallen kann weiter in kleinere Zeitintervalle geteilt und in deren sukzessiven Folgen organisiert werden. Zwar bewegt sich der Rhythmus als reine Form nicht selbst, doch als
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Komponente einzelner Form-Materie-Komposita nimmt er eine dynamisierte Gestalt an. Und schließlich beruht, wie bereits bemerkt, die Konstruktion rhythmischer Zeitintervalle auf menschlicher Aktivität. Jeder Rhythmus erfordert nach Aristoxenos eine Unterteilung in kleinere Zeitintervalle und die Festlegung eines unteilbaren primären Zeitintervalls (der kleinsten Kürze) für jede individuelle rhythmische Strukturierung. Primäre Zeitintervalle erlauben die präzise Angabe der Länge der größeren rhythmischen Einheiten in Begriffen der ihnen äquivalenten Anzahl der primärem Zeitintervalle. Die Auszeichnung primärer Zeitintervalle liegt daher jeder rhythmischen Strukturierung zugrunde. Die Einteilung gegebener Rhythmen in kleinere Zeitintervalle führt allerdings nicht bis zur Angabe aller und nur der unterliegenden primären Zeitintervalle. Insoweit bestehen Rhythmen letztlich nicht aus einer charakteristischen Anzahl von primären Zeitintervallen. Die kleinsten Einheiten, zu denen die rhythmische Zeiteinteilung führt, sind vielmehr Teile von Versfüßen. In der bisherigen Forschung wird der historische Bezug der aristoxenischen Rhythmustheorie auf die allgemeine Theorie der Zeit, die Aristoteles im vierten Buch seiner Physik entwickelt, nur selten erwähnt, geschweige denn genauer untersucht. Dabei scheint dieser Bezug bereits zu Beginn des Rhythmik-Fragments unmissverständlich hergestellt zu werden. Es ist für ein historisches Verständnis von ER wichtig sich klarzumachen, inwieweit sich Aristoxenos in seiner Rhythmik an die allgemeine Zeittheorie von Aristoteles anlehnt, aber auch inwieweit er von ihr abweicht. Zeit muss nach Aristoteles in Begriffen von Zeitintervallen beschrieben werden. Zeitintervalle beruhen ihrerseits auf Bewegungsintervallen, die durch Beobachtungen bewegter Dinge abgegrenzt werden. Es gibt keine Zeit ohne kontinuierliche Bewegung. Wenn, und dadurch dass, die Grenzen von Bewegungsinterval len mit Jetzt-Momenten identifiziert werden, entstehen aus Bewegungsintervallen Zeitintervalle. Genauso wie Bewegungsinter valle können auch Zeitintervalle weiter geteilt und in sukzessiven
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Folgen organisiert werden. Zeit im Ganzen ist eine potentiell unendlich fortsetzbare Reihe von Zeitintervallen, die irreversibel gerichtet ist und nummeriert, das heißt durch Ordinalzahlen gezählt werden kann. Die Struktur von Zeit in diesem Sinn realisiert eine allgemeine Form des Vorher und Nachher, die auch durch Räume, Bewegungen und die Reihe der natürlichen Zahlen realisiert ist, so dass auf dieser Ebene von einer Strukturerhaltung gesprochen werden kann. Zeit und Zeitintervalle existieren daher nach Aristoteles nicht unabhängig von menschlichen Aktivitäten. Es sind stets Personen, die beobachtete Bewegungen in bestimmte Bewegungsphasen unterteilen, ihnen damit eine Struktur verleihen und aus diesen Phasen durch Zuschreibung von Jetzt-Momenten Zeitintervalle produzieren. Durch weitere, zusätzliche Maßnahmen können Zeit intervalle isochron gemacht werden und über eine Korrelation mit gleichförmigen periodischen Bewegungen zur Konstruktion lokaler Uhren und zur Konstitution einer objektiven Zeit beitragen. Aus dieser Perspektive fließt oder bewegt sich die Zeit selbst nicht, sondern stellt eine Struktur dar, die in viele Bewegungen, genauer in Bewegungsphasen eingepasst werden kann. Unterteilungen von Bewegungsphasen wie auch von Zeitintervallen sind Strukturen oder Formen, die als Bestandteile von Form-Materie- Komposita auftreten können. Dadurch wird Zeit dynamisiert und kinematisiert. Bereits anhand dieser kurzen Skizze der aristotelischen Zeit theorie wird klar, dass Aristoxenos seine Theorie des musikalischen Rhythmus in die grundlegendsten Komponenten der aristotelischen Zeittheorie einbettet. Die zu Beginn dieses Abschnittes skizzierten Elemente der Rhythmik von Aristoxenos finden sich zum größten Teil in der aristotelischen Theorie der Zeit wieder. Insoweit ist die Rhythmik von Aristoxenos eine Spezialisierung der allgemeinen philosophischen Theorie der Zeit, die von seinem philosophischen Lehrer ausgearbeitet worden war. In seiner Ausarbeitung der Rhythmik bedient sich Aristoxenos der zu seiner Zeit avanciertesten allgemeinen Theorie der Zeit. Daher ist es gerecht-
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fertigt, die Rhythmustheorie der Aristoxenos als empirische Theorie der musikalischen Zeit aufzufassen. Dass diese philosophische Einbettung von Aristoxenos mit voller Absicht und in Kenntnis der aristotelischen Zeittheorie vorgenommen worden ist, zeigt sich auch daran, dass und wie er die Abweichungen von dieser Theorie beschreibt, die in der Rhythmik erforderlich sind. Aristoxenos schenkt dem Problem der Zeitrichtung, um das sich Aristoteles ausdrücklich kümmert, keine Beachtung. Eine Vorher-nachher-Struktur ist zwar der Sache nach offenbar in jedem Rhythmus enthalten, wird aber ebenso wenig erwähnt wie a ndere Vorher-nachher-Varianten (zum Beispiel in der Bewegung). Doch da der Rhythmus stets in einzelnen, individuellen Reden, Musikstücken und Tänzen realisiert ist, die bestimmte Bewegungen vollziehen und einen Anfang und ein Ende haben, also Bewegungsphasen darstellen, wie Aristoxenos explizit bemerkt, so wird vermutlich von ihm unterstellt, dass Reden, Melodien und Tänze einen Anfang und ein Ende haben, die nicht vertauscht werden können und in diesem Sinne gerichtet sind. Ausdrücklich bemerkt Aristoxenos jedoch, dass die dem Rhythmus zugrundeliegende Bewegung nicht, wie bei Aristoteles, kontinuierlich, sondern diskontinuierlich ist. Dies gilt auch für die dem Rhythmus zugrundeliegenden Bewegungen sowie ihre Folgen und internen Unterteilungen. Denn der Rhythmus ist stets die wahrnehmbare Form einer einzelnen Melodie, eines einzelnen Tanzes oder einer einzelnen Rede. Zwar beruhen ferner Rhythmen ebenso wie Zeitintervalle allgemein auf menschlichen Aktivitäten. Doch im Falle der Rhythmen muss die Produktion des Rhythmus nach Aristoxenos viel genauer beschrieben werden als bei Aristoteles. Nach Aristoteles beruht die Konstitution der Zeit im Wesentlichen auf der Zuschreibung von Jetzt-Momenten zu Bewegungsphasen, der Auszeichnung der Zeitrichtung und der Festlegung eines allgemeinen Standards für die Messbarkeit der Zeit. Für die Konstitution und Produktion des Rhythmus sind dagegen viele zusätzliche und spezifische Aktivitä-
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ten erforderlich, die zwar mit der aristotelischen Zeittheorie vereinbar sind, aber nicht aus ihr folgen.
2.3 Wissenschaftstheorie Die Beziehung zwischen Aristoxenos und Aristoteles ist in der Forschung bisher ausschließlich auf wissenschaftstheoretischer Ebene registriert worden. Tatsächlich macht Aristoxenos an mehreren Stellen seiner Harmonik klar, dass er das aristotelische Programm der Wissenschaftstheorie auf die empirische Musiktheorie übertragen und auf diese Weise den wissenschaftlichen Status der Musiktheorie gewährleisten wollte. Das Rhythmik-Fragment gibt jedoch nach bisheriger Auffassung im Gegensatz zur Harmonik für die wissenschaftstheoretische Einbettung in das aristotelische Programm in den Analytica Posteriora nichts her. Andererseits betrachtete Aristoxenos offenbar die Rhythmik ähnlich wie die Harmonik als eine Komponente seiner neuen empirischen Musiktheorie. Es ist daher naheliegend, ernsthaft zu prüfen, ob sich nicht – entgegen der bisherigen Interpretation – auch im Rhythmik-Fragment Anhaltspunkte für eine Anknüpfung an die aristotelische Wissenschaftstheorie ausfindig machen lassen. Ein erster Hinweis ist die Verwendung des Ausdrucks »Prinzip« (arche) für einen der wichtigsten Grundsätze der Rhythmik in ER 2 – eines Ausdrucks, der in der aristotelischen Wissenschaftstheorie stets im Rahmen der logischen Axiomatisierung wissenschaftlicher Theorien verwendet wird. Ein zweiter Hinweis ist die Betonung der Rhythmus-Produktion in der aristoxenischen Rhythmik. Die Rhythmik beschreibt die Entstehung des Rhythmus als diffizile und weitgehend professionelle Konstruktion. Damit knüpft Aristoxenos offenbar an die aristotelische Unterscheidung in theoretische, praktische und produktive Wissenschaften an. Professionelle Dichtkunst ist zum Beispiel eine professionelle produktive Wissenschaft, die zusätzlich gewisse ästhetische Kriterien zu erfüllen hat. Ebenso betrachtet Aristoxenos die empirische
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Theorie der Musik als professionelle produktive Wissenschaft, die zusätzlich gewissen ästhetische Kriterien genügt. Im Rahmen der Forschung über antike Literatur und Musik dominiert, wie bereits erwähnt, die Analyse der Metrik als rein quantitativer Analyse gegebener Sequenzen von Längen und Kürzen, unter anderem auch unter Verwendung von Versfüßen als reiner Strukturen. Darüber hinaus hat die pythagoreische Tradition musikalische Intervalle in Begriffen rein numerischer rationaler Verhältnisse (also rationaler Zahlen) klassifiziert. Auch rationale Versfüße beruhen auf rationalen Zahlenverhältnissen. Eine Einbettung der musikwissenschaftlichen Rhythmik in diese beiden allgemeineren Hintergrundtheorien hätte diese Rhythmik zu e iner Spezialform anderer formaler Wissenschaften gemacht. Aus Sicht der aristotelischen Wissenschaftstheorie wäre die Rhythmik daher keine eigenständige musikwissenschaftliche Theorie. Das erhaltene Rhythmik-Fragment ist jedoch darum bemüht zu zeigen, dass der musikalische Rhythmus nicht auf Metrik und mathematische Zahlenverhältnisse zurückgeführt werden kann. Eine solche Reduktion würde vielmehr die entscheidenden Aspekte des musikalischen Rhythmus verfehlen: seine Motorik und Dynamik, seine empirische Zugänglichkeit, seine Bindung an die Melodie, seine Abhängigkeit von menschlicher Aktivität und insbesondere von auditorischer Erfahrung und künstlerischer Rhythmus-Produktion sowie seine evaluative und ästhetische Dimension. Es sind genau diese Aspekte, die den musikalischen Rhythmus essentiell von Metrik und Mathematik unterscheiden. Damit erfüllt die musikalische Rhythmik – im Einklang mit der aristotelischen Wissenschaftstheorie – eine der wichtigsten Bedingungen für einen eigenständigen wissenschaftlichen Status. Der wichtigste Grundsatz der aristotelischen Wissenschaftstheorie ist jedoch die These, dass Wissenschaften Begründungen, Erklärungen und Beweise für ihre Theoreme zu liefern haben – im Idealfall in strikter, syllogistischer Form, wie in den Analytica Posteriora erläutert. Allerdings lässt sich dieser Idealfall oft nur schwer befolgen. Aristoteles’ eigene Schriften sind voller Begründungen
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für vorgebrachte Thesen, ohne dass diese Begründungen immer eine strikte syllogistische Form aufwiesen. Und die Harmonik von Aristoxenos bietet zwar sogenannte Beweise, aber auch – wie es scheint – kaum in syllogistischer Form.150 Im letzten Abschnitt des vorstehenden Kommentars wurde gezeigt, dass das aristoxenische Rhythmik-Fragment entgegen der bisherigen Interpretationen geradezu durchschossen ist von mehr oder weniger trivialen, mehr oder weniger ausführlichen Begründungen. Mehr noch, die Begründungen weisen in einigen Fällen sogar eine syllogistische Struktur auf, sind aber meist eine Art von Ähnlichkeitsargumenten, die mit Analogien arbeiten. Auf einige dieser Analogien ist in der bisherigen Forschung auch – allerdings eher nebenbei – hingewiesen worden. Doch ist übersehen worden, dass die Ähnlichkeitsargumente von Aristoteles in seiner Topik I, Kap. 17–18 detailliert und formal dargestellt worden sind. Aristoteles bezeichnet hier die Ähnlichkeitsargumente als eine Art von weichen Beweisen, wie sie in der Rhetorik üblich sind. Es ist offensichtlich, dass Aristoxenos an diese aristotelische Form der Argumentation und Begründung anknüpft. Belege dafür sind zum einen die vielen Begründungen im Rhythmik-Fragment, die diese Argumentationsform aufweisen, zum anderen aber auch eine allgemeine Bemerkung, die Aristoxenos unmittelbar vor der Präsentation des ersten Ähnlichkeitsarguments im Rhythmik-Fragment macht: »Aber man muss sowohl durch Ähnlichkeiten das Denken anleiten als auch versuchen, aus ihnen Einsichten zu gewinnen, bis sich eine Überzeugung aus der Sache selbst ergeben kann« (ER 8). Die Ähnlichkeiten, ihre induktive Basis und ihre Form der Folgerung sind hier ganz im Einklang mit der aristotelischen Topik gekennzeichnet. Das Rhythmik-Fragment weist, alles in allem betrachtet, eine vielfältige theoretische Beziehung zur aristotelischen Philosophie 150 Vgl. aber Detel 2020, wo gezeigt wird, dass sich viele dieser Beweise syllogistisch rekonstruieren lassen, obwohl dies im Text selbst nicht geschieht.
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auf, die über die Beziehungen der Harmonik zur aristotelischen Wissenschaftstheorie weit hinausgeht. Auch die Rhythmik schließt sich in wissenschaftstheoretischer Hinsicht an die aristotelische Philosophie an, aber darüber hinaus auch an die raffinierte Form der aristotelischen Metaphysik und die aristotelische Theorie der Zeit. Es ist bemerkenswert und vorbildlich, dass und wie Aristoxenos seine neue Konzeption einer empirischen Musikwissenschaft in die avanciertesten allgemeinen und einschlägigen philosophischen Hintergrundtheorien einbettet. Dies gilt zweifellos für seine Harmonik, aber mehr noch für seine Rhythmik.
I N D E X V E R B O RUM G R A E C O RUM 1
ἀδιαίρετος nicht geteilt 15 αἴσθησις Wahrnehmung 2, 8, 11, 12, 16, 18, 20 ἀλογία irrationales Verhältnis 20, 25 ἄλογος irrational 20, 21, 22, 25 ἀντίθεσις Antithese 20, 25 ἄνω Aufwärts-Intervall 17, 20, 25, 29 ἀριθμός Zahl 19, 21, 27 ἁρμονία melodische Konstruktion 14 ἄρρυθμος unrhythmisch 8 ἄρσις Arsis 20, 21 ἀρχή Prinzip 2 ἀσύνθετος χρόνος nicht-zusammengesetztes Zeitintervall 13, 14, 15, 22, 26 βάσις Thesis 20, 21 γένος Gattung 13, 14, 22, 24, 30 γνώριμος erkennbar 13, 14, 22, 24, 30, 32, 33, 34, 36 γράμμα Buchstabe 8, 9 δακτυλικὸν γένος daktylische Gattung 30, 32, 34, 36 διάθεσις Einrichtung 5 διαίρειν teilen 6, 9, 12, 15, 18 διαίρεσις Teilung 7, 18, 19, 22, 35 διαμαρτεῖν Fehler begehen 19, 21 διάστημα musikalisches Intervall 8, 14 διατιθέναι einrichten 5 διαφέριν sich unterscheiden 22, 24–29 1 Die Zahlen in den folgenden beiden Indizes beziehen sich ausschließlich auf die Paragraphen des Rhythmik-Fragments (ohne Zeilenangabe). Der griechische Wortindex gibt darüber hinaus Auskunft über die Übersetzung der aufgelisteten Wörter, die auch in die Übersetzung des Rhythmik- Fragments insgesamt eingeht.
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Index verborum graecorum
διαφορά Unterschied 4, 14, 22, 29 διάτονος diatonisch 14 δίσημος χρόνος Diseme 10, 20 δύναμις Funktion 11, 18, 19 ἐπάγειν anführen (als Beispiel) 5 ἐπιστήμη Wissenschaft 2 ἔρρυθμός zum Rhythmus gehörend 7, 32, 34, 35 εὔρυθμος rhythmisch wohlgeordnet 8, 21, 24 ἰαμβικὸν γένος iambische Gattung 30, 34 ἰδέα Gestalt 4, 8 καθ’ αὑτά an sich 6, 19 κατανοεῖν Einsichten gewinnen 8 κάτω Abwärts-Intervall 17, 20, 25, 29 κίνησις σωματική körperliche Bewegung 9 κοινός gemeinsam 8, 21, 34 λέξις Rede 4, 9 λόγος Argument 4, 11 rationales Verhältnis 20, 21, 24, 30, 32–35 μέγεθος Größe 8, 10, 14, 18, 19–23, 27, 28, 31–35 μέλος Melodie 4, 8, 9, 11, 13, 21 μερίζειν unterteilen 19 μέρος Teil 11, 21, 27 μετατιθέναι umordnen 8 μέτρον Maß 21 νοεῖν betrachten 8, 21 ὁμοιότης Ähnlichkeit 5, 8, 13 ὁρίζειν bestimmen 7, 20 παιωνικὸν γένος päonische Gattung 30, 33 πεφυκέναι von Natur aus dazu disponiert sein 4, 5, 8 πίπτειν fallen 21, 32–34 πίστις Überzeugung 8 ποιεῖν produzieren 5, 18 πούς Versfuß 12, 16–24, 26, 29–31, 35 πραγματεία Untersuchung 13, 14 πρῶτος χρόνος primäres Zeitintervall 10
Index verborum graecorum
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ῥητός legitim 21, 22, 25 ῥυθμίζειν rhythmisieren 6 ῥυθμιζόμενον (das) Rhythmisierte, pl. die rhythmisierten Dinge 3–6, 8, 9, 10, 15 ῥυθμοποιΐα Rhythmus-Produktion 13, 14, 19, 21, 30 ῥυθμός Rhythmus passim σημεῖον Zeichen 9, 11, 12, 14, 15, 18, 19 συλλαβή Silbe 9, 11, 12, 14, 15 συμμετρία Proportion 8 σύμμετρος kommensurabel 21 σύμφωνος konsonant 21 συντιθέναι zusammenfügen 8 σύνθεσις Zusammenfügung 8 σύνθετος χρόνος zusammengesetztes Zeitintervall (Versfuß) 14, 15, 22, 26 σύστημα geordnete Verbindung 8, 9 Skala 13, 14 σχῆμα Form 3–6 σχηματιζόμενον Geformtes 3, 5 σῶμα Körper 4, 5, 11 τάττειν ordnen 1, 8, 9, 28 τάξις Ordnung 7, 8, 14 τέμνειν zerschneiden 6 τίθέναι anordnen 4, 11, 12 τετράσημος χρόνος Tetraseme 10 τρίσημος χρόνος Triseme 10 ὑπολαμβάνειν annehmen 11, 19 φαινομένον Phänomen 7, 11 φθόγγος Ton 11, 12, 14, 15, 21 φύσις natürliche Art 1, 3, 4, 8, 13, 21 φωνή Stimme 8, 11 χρόνος Zeitintervall 2, 4, 5, 7, 8, 11–15, 18, 19 χρῆσις Gebrauch 13, 14 χρῶμα chromatische Gattung 14
I N D E X V E R B O RUM G E R M A N IC O RUM
Abwärts-Intervall 17, 20, 25, 29 Ähnlichkeit 5, 8, 13 an sich 6, 19 anführen (als Beispiel) 5 annehmen 11, 19 anordnen 4, 11, 12 Antithese 20, 25 Argument 4, 11, Arsis 20, 21 Aufwärts-Intervall 17, 20, 25, 29 bestimmen 7, 20 betrachten 8, 21 Buchstabe 8, 9 diatonisch 14 Diseme 10, 20 einrichten 5 Einrichtung 5 Einsichten gewinnen 8 erkennbar 13, 14, 22, 24, 30, 32, 33, 34, 36 fallen 21, 32–34 Fehler begehen 19, 21 Form 3–6 Funktion 11, 18, 19 Gattung 13, 14, 22, 24 – chromatische Gattung 14 – daktylische Gattung 30, 32, 34, 36 – iambische Gattung 30, 34 – päonische Gattung 30, 33 Gebrauch 13,14
Geformtes 3, 5 gemeinsam 8, 21, 34 geordnete Verbindung 8, 9 Gestalt 4, 8 Größe 8, 10, 14, 18, 19–23, 27, 28, 31–35 irrational 20, 21, 22, 25 irrationales Verhältnis 20, 25 kommensurabel 21 konsonant 21 Körper 4, 5, 11 körperliche Bewegung 9 legitim 21, 22, 25 Maß 21 Melodie 4, 8, 9, 11, 13, 21 melodische Konstruktion 14 musikalisches Intervall 8, 14 natürliche Art 1, 3, 4, 8,13, 21 nicht geteilt 15 ordnen 1, 8, 9, 28 Ordnung 7, 8, 14 Phänomen 7, 11 Prinzip 2 produzieren 5, 18 Proportion 8 rationales Verhältnis 20, 21, 24, 30, 32–35 Rede 4, 9 rhythmisch wohlgeordnet 8, 21, 24 rhythmisieren 6
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Index verborum germanicorum
Rhythmisiertes, pl. die rhyth misierten Dinge 3–6, 8, 9, 10, 15 Rhythmus passim Rhythmus-Produktion 13, 14, 19, 21, 30 sich unterscheiden 22, 24–29 Silbe 9, 11, 12, 14, 15 Skala 13, 14 Stimme 8, 11 Teil 11, 21, 27 teilen 6, 9, 12, 15, 18 Teilung 7, 18, 19, 22, 35 Tetraseme 10 Thesis 20, 21 Ton 11, 12, 14, 15, 21 Triseme 10 Überzeugung 8 umordnen 8 unrhythmisch 8 Unterschied 4, 14, 22, 29 Untersuchung 13, 14
unterteilen 19 Versfuß 12, 16–24, 26, 29–31, 35 von Natur aus dazu disponiert sein 4, 5, 8 Wahrnehmung 2, 8, 11, 12, 16, 18, 20 Wissenschaft 2 Zahl 19, 21, 27 Zeichen 9, 11, 12, 14, 15, 18, 19 Zeitintervall 2, 4, 5, 7, 8, 11–15, 18, 19 – nicht-zusammengesetztes Zeitintervall 13, 14, 15, 22, 26 – primäres Zeitintervall 10 – zusammengesetztes Zeitintervall (Versfuß) 14, 15, 22, 26 zerschneiden 6 zum Rhythmus gehörend 7, 32, 34, 35 zusammenfügen 8 Zusammenfügung 8