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German Pages 338 Year 2014
SCHRIFTENREIHE FINANZIERUNG UND BANKEN Herausgeber: Prof. Dr. Detlev Hummel
Robert Mülhaupt
Informationsefſzienz von Aktienmärkten Analysen in den CEE-3
Verlag Wissenschaft & Praxis
Einflussfaktoren der Informationseffizienz von Aktienmärkten
SCHRIFTENREIHE FINANZIERUNG UND BANKEN
herausgegeben von Prof. Dr. Detlev Hummel
Band 22
Robert Mülhaupt
Einflussfaktoren der Informationseffizienz von Aktienmärkten Eine Analyse der Rolle von Transparenzanforderungen und Aktien-Analysten in den CEE-3
Verlag Wissenschaft & Praxis
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. ISBN 978-3-89673-658-1 © Verlag Wissenschaft & Praxis Dr. Brauner GmbH 2014 D-75447 Sternenfels, Nußbaumweg 6 Tel. +49 7045 93 00 93 Fax +49 7045 93 00 94 [email protected] www.verlagwp.de Druck und Bindung: Esser Druck GmbH, Bretten Alle Rechte vorbehalten Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
v
Geleitwort Es geht in der Kapitalmarktforschung, bei finanzwirtschaftlichen Kalkülen wie in der Diskussion um die Regulierung der Finanzmärkte weiterhin um die Frage, ob Kapitalmarktpreise verfügbare Informationen ausreichend widerspiegeln. Geben Börsenkurse angemessene Anreize für Investoren oder initiieren die Märkte „Fehlallokation“ von Kapital? Obgleich auf den ersten Blick auch die Krise 2008 die Effizienzmarkthypothese (EMH) widerlegt zu haben scheint, mehr noch, die „EMH als treibende Kraft der Deregulierung“ als Krisenursache verstanden werden kann, plädieren andere Wissenschaftler in diesem Kontext für eine Verbesserung der Informationseffizienz und suchen neue Wege dafür. Die vorliegende Arbeit vertieft und differenziert die klassischen Ansätze der Effizienzhypothese und verknüpft diese mit neuen Fragestellungen und empirischen Untersuchungen. Herr Mülhaupt definiert seinen Untersuchungsgegenstand als „Informationsumfeld von Kapitalmärkten“, welches zwar teilweise von den Unternehmen und Investoren selbst beeinflusst wird, allerdings in starkem Maße von den Regeln und Institutionen der jeweiligen Märkte abhängt. Mit der Rolle und Wirkung von Transparenzvorschriften und dem Beitrag von Aktienanalysen zur Informationseffizienz der Märkte trifft der Autor den Kern der gegenwärtigen Kontroverse über Regulierungs- und Kontrollnotwendigkeiten globalisierter Finanzmärkte. Insbesondere Aktienmärkte sollten Informationsasymmetrien zumindest verringern, indem der Informationsstand der Marktteilnehmer (insbesondere den der Investoren) gezielt verbessert wird. Es geht nun um die Frage, ob Informationseffizienz regulatorisch hergestellt werden kann, oder ob dies eher im Prozess der Märkte (als Selbstregulierung) erreicht wird. Die neuen, kleineren Kapitalmärkte Polen, Tschechien und Ungarn (CEE-3) bieten sich dabei (vor und nach dem EU-Beitritt) als interessantes Untersuchungsfeld an. Die im vorliegenden Band der Schriftenreihe erstmalig veröffentlichte Forschungsarbeit entstand an der Universität Potsdam und leistet zu der angesprochenen Thematik einen theoretischen und empirischen Beitrag. Grundsätzliche und aktuelle Fragen der internationalen Kapitalmärkte werden aufgegriffen und weisen in künftige Forschungsfelder. Der Herausgeber wünscht dem geneigten Leser eine interessante und anregende Lektüre und ist für Hinweise und Diskussionsbeiträge für die weitere Arbeit am Lehrstuhl Finanzierung und Banken an der Universität Potsdam dankbar. Prof. Dr. Detlev Hummel
vii
Vorwort des Verfassers Die vorliegende Arbeit entstand während meiner Zeit als Doktorand an der Professur für Betriebswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Finanzierung und Banken an der Universität Potsdam. Im Folgenden möchte ich mich bei einigen Menschen bedanken, die mich während dieser Zeit unterstützt haben. Meinen besonderen Dank möchte ich meinem Doktorvater Professor Detlev Hummel für die langjährige Unterstützung von der ersten vagen Idee bis zur fertigen Dissertation aussprechen. Durch die zahlreichen Gespräche und Diskussionen habe ich wichtige Anregungen erhalten, die unverzichtbar für das Gelingen dieser Arbeit waren. Ebenfalls bedanken möchte ich mich bei Professor Ulfert Gronewold für das Zweitgutachten und viele hilfreiche Hinweise. Im Verlauf der Arbeit habe ich von der Kritik und den Anregungen zahlreicher Seminarteilnehmer profitiert. Auszüge dieser Arbeit wurden auf dem internationalen Doktorandenseminar an der Financial University under the Government of the Russian Federation (Moskau), dem HVB Doktorandenseminar an der Universität Magdeburg, dem internationalen Doktorandenseminar an der Universität Liechtenstein, dem Seminar on Banking and Finance an der Saint Petersburg State University of Economics and Finance, am Center for Corporate Governance der University of Technology Sydney und in mehreren internen Doktorandenseminaren an der Universität Potsdam vorgestellt. Maßgeblich zum Gelingen dieser Arbeit hat auch mein Aufenthalt als Gastforscher am Sonderforschungsbereich 649 (Ökonomisches Risiko) der HumboldtUniversität Berlin beigetragen. Ohne die Nutzung der dort verfügbaren Ressourcen und Daten wäre der empirische Teil der Arbeit nicht möglich gewesen. Ebenso unverzichtbar beim Aufbau der Datenbasis war Michael Schubert von der Landesbank Berlin. Bedanken möchte ich mich auch beim Center for Corporate Governance der University of Technology Sydney, insbesondere Professor Thomas Clarke und Marie dela Rama, für die Möglichkeit als Visiting Researcher die hervorragenden Ressourcen des Instituts zu nutzen, Kontakte zu anderen Forschern aufzubauen und meine Arbeit im Rahmen eines Seminars präsentieren zu können. Diesbezüglich möchte ich mich auch bei Julian Dragendorf bedanken, der mir bei der Organisation des Aufenthaltes behilflich war. Ein weiterer Dank geht an meine Lehrstuhlkollegen Alexander Uhlig, Nick Dimler, Boris Karcher, Manuel Effenberg, Marco Pedrotti, Nicolas Seibert und Tim Wazynski für die tolle Zeit am Lehrstuhl. Die Aussicht auf entspannende und lustige Unterhaltungen (und umkämpfte Kickerturniere) in den Pausen hat ohne Zweifel dazu beigetragen den morgendlichen Kampf gegen die Trägheit beim
viii
Schreiben (meist) zu gewinnen. Ein besonderer Dank geht auch an Sibylle dafür, dass sie ihre Ringbahnfahrten mit geduldigem Korrekturlesen verbracht hat und die Unterstützung. Mein größter Dank gilt jedoch meinen Eltern, die mich jederzeit bedingungslos unterstützt haben. Ohne ihr Vertrauen in mich und die Freiheiten, die sie mir bei meinem Werdegang gewährt und ermöglicht haben, wäre diese Arbeit nicht möglich gewesen. Berlin, August 2013 Robert Mülhaupt
ix
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis ...................................................................................... xii Tabellenverzeichnis.......................................................................................... xiv Anhangsverzeichnis ........................................................................................ xvii Abkürzungsverzeichnis ................................................................................... xix
1
Einleitung ................................................................................................. 1
1.1
Problemstellung ........................................................................................ 1
1.2
Aufbau der Arbeit ..................................................................................... 5
2
Grundlagen der Informationseffizienz ................................................. 9
2.1
Einordnung der Informationseffizienz...................................................... 9
2.1.1
Der Begriff der Effizienz in der ökonomischen Theorie ............................................. 9
2.1.2
Verbale Definition eines informationseffizienten Marktes ........................................ 14
2.1.3
Volkswirtschaftliche Bedeutung informationseffizienter Aktienmärkte ................... 17
2.2
Die Ideengeschichte der Informationseffizienzhypothese...................... 25
2.2.1
Frühe Forschungsergebnisse (bis ca. 1965) ............................................................... 27
2.2.2
Hochphase der Akzeptanz (ca. 1965 bis 1978) .......................................................... 31
2.2.3
Phase aufkommender Kritik (ab Ende der 1970er) .................................................... 35
2.2.4
Aktueller Forschungsstand......................................................................................... 38
2.2.5
Einfluss der Finanzkrise ............................................................................................. 41
x
2.3
Theoretische Fundierung der Informationseffizienzhypothese und ihre Kritik......................................................................................... 44
2.3.1
Die Argumentation zugunsten informationseffizienter Märkte ................................. 44
2.3.2
Implikationen von informationseffizienten Märkten ................................................. 46
2.3.3
Kritikpunkte an der Argumentation: Behavioral Finance und Limits of Arbitrage Theorie ....................................................................................... 49
2.4
Methoden zur Messung von Informationseffizienz................................ 59
2.4.1
Preisbildungsmodelle auf informationseffizienten Märkten ...................................... 59
2.4.2
Klassifizierung der Methoden .................................................................................... 70
2.4.3
Methodische Problemstellungen und Auswahl der Methodik ................................... 74
3
Informationsökonomische Betrachtung von Aktienmärkten........... 83
3.1
Modelltheoretische Analyse des Informationsumfeldes ........................ 83
3.1.1
Informationsökonomik im Überblick ........................................................................ 83
3.1.2
Modelle des Informationsumfeldes und Zusammenhang zur Informationseffizienz ................................................................................................. 89
3.1.3
Modelle zur Erklärung von Aktienmarktanomalien .................................................. 99
3.2
Determinanten des Informationsumfeldes ............................................ 106
3.2.1
Transparenzanforderungen, Regulierung und Aktienmarktentwicklung ................. 107
3.2.2
Aktien-Analysten ..................................................................................................... 116
4
Entwicklung und Struktur der Aktienmärkte in den CEE-3......... 123
4.1
Wirtschaftsliberalisierung und Entwicklung der Aktienmärkte ........... 123
4.1.1
Privatisierungs- und Transformationsprozess .......................................................... 123
4.1.2
Entwicklung der Aktienmärkte und traditionelle Erfolgsindikatoren ...................... 128
4.2
Struktur und institutionelles Umfeld der Aktienmärkte ....................... 143
4.2.1
Börsensegmente ....................................................................................................... 143
4.2.2
Marktindizes und Unternehmenscharakteristika ...................................................... 146
4.2.3
Liquidität und Transaktionskosten ........................................................................... 153
4.2.4
Handelssysteme........................................................................................................ 156
4.2.5
Investorenstruktur .................................................................................................... 159
4.2.6
Zweitlistings und Hinterlegungsscheine .................................................................. 163
xi
5
Empirische Untersuchungen zum Einfluss von Transparenzanforderungen auf die schwache Informationseffizienz ................. 169
5.1
Entwicklung der Transparenzanforderungen in den CEE-3................. 169
5.1.1
Liberalisierungsphase .............................................................................................. 171
5.1.2
Reformphase ............................................................................................................ 178
5.1.3
EU-Beitrittsphase ..................................................................................................... 184
5.2
Bisherige Literatur ................................................................................ 195
5.2.1
Schwache Informationseffizienz in Schwellenländern ............................................ 195
5.2.2
Zusammenhang von Transparenzanforderungen und Informationseffizienz .......... 198
5.3
Methodik ............................................................................................... 200
5.4
Daten ..................................................................................................... 204
5.5
Empirische Ergebnisse.......................................................................... 205
5.6
Interpretation der Ergebnisse ................................................................ 212
6
Empirische Untersuchungen zum Einfluss von Aktien-Analysten auf die halbstrenge Informationseffizienz......... 215
6.1
Der Post-Earnings-Announcement Drift: Bisherige Literatur.............. 215
6.2
Methodik ............................................................................................... 219
6.3
Daten ..................................................................................................... 222
6.4
Empirische Ergebnisse.......................................................................... 223
6.5
Interpretation der Ergebnisse ................................................................ 237
7
Zusammenfassung und Einordnung der Ergebnisse ...................... 241
Anhang ............................................................................................................. 255 Literaturverzeichnis........................................................................................ 287 Internet-Datenquellen..................................................................................... 313
xii
Abbildungsverzeichnis Abbildung 3.1:
Themengebiete der Informationsökonomik ...............................86
Abbildung 3.2:
Verhältnis des erwarteten Nutzens informierter und uninformierter Investoren ....................................................94
Abbildung 3.3:
Durchschnittlicher Preis im Modell von Daniel, Hirshleifer und Subrahmanyam (1998) ....................................103
Abbildung 4.1:
Anteil des privaten Sektors am BIP .........................................125
Abbildung 4.2:
Wachstumsraten des realen BIP ...............................................128
Abbildung 4.3:
Marktkapitalisierung heimischer Unternehmen (in % des BIP) ..........................................................................132
Abbildung 4.4:
Finanzsysteme in Osteuropa und Deutschland (in % des BIP, Durchschnitt von 2005-2010) ..........................134
Abbildung 4.5:
Finanzsysteme in Osteuropa und Deutschland (% des Gesamtwertes, Durchschnitt von 2005-2010) ..............135
Abbildung 4.6:
Aufnahme von Kapital über die Börse (in Mrd. Euro, 2007-2011) .......................................................138
Abbildung 4.7:
Entwicklung der Aktienindizes in lokaler Währung (Dez. 1994=100) .......................................................................140
Abbildung 4.8:
Entwicklung der Aktienindizes in US-Dollar (Dez. 1994=100) .......................................................................141
Abbildung 4.9:
Entwicklung der Aktienindizes in heimischer Währung (Okt. 2007=100) .......................................................................143
Abbildung 4.10: Umschlagshäufigkeit in den CEE-3 und Deutschland .............155 Abbildung 4.11: Aktienbestand ausländischer Investoren (%) ...........................162 Abbildung 5.1:
EBRD Index of Reform of Securities Markets and Non-Bank Financial Institutions ..............................................170
Abbildung 5.2:
LLSV Investor-Protection-Index..............................................175
Abbildung 5.3:
Einhaltung der Veröffentlichungsfristen im Jahr 2008 ............ 194
Abbildung 5.4:
Autokorrelationen erster Ordnung............................................211
Abbildung 6.1:
Zeitliche Einteilung einer Event Studie ...................................221
xiii
Abbildung 6.2:
Zusammenhang zwischen dem PEAD (+1,+60) und der Anzahl an Analysten.................................................................228
Abbildung 6.3:
Zusammenhang zwischen dem PEAD (+1,+60) und der Anzahl an Analysten in Abhängigkeit des Vorzeichens des Drifts...................................................................................229
xiv
Tabellenverzeichnis Tabelle 2.1:
Definitionen eines informationseffizienten Marktes nach Fama ... 15
Tabelle 2.2:
Zusammenhang von Banken, Aktienmärkten und volkswirtschaftlichen Variablen .....................................................23
Tabelle 2.3:
Empirische Studien zu den Auswirkungen von Aktienmarktliberalisierungen .........................................................24
Tabelle 2.4:
Kritikpunkte an der Argumentation zugunsten informationseffizienter Märkte.......................................................50
Tabelle 2.5:
Klassische Kapitalmarkttheorie und Behavioral Finance im Vergleich ...................................................................................51
Tabelle 2.6:
Arbitrage-Risiken in Abhängigkeit der Eigenschaften der Substitute ..................................................................................55
Tabelle 2.7:
Formale Darstellung von Martingal- und Random WalkProzessen ........................................................................................63
Tabelle 2.8:
Klassifizierung ausgewählter Informationseffizienztests...............71
Tabelle 2.9:
Methodische Probleme von Informationseffizienztests .................81
Tabelle 3.1:
Researchaktivitäten beeinflussende Faktoren ................................96
Tabelle 3.2:
Wichtige Institutionen bei der Etablierung eines Wertpapiermarktes........................................................................112
Tabelle 3.3:
Zusammenhang von Veröffentlichungspflichten und Aktienmarktentwicklung .......................................................113
Tabelle 3.4:
Arten von American Depository Receipts....................................115
Tabelle 3.5:
Funktionen von Finanzanalysten und Vorteile für die Kapitalmarktakteure ...............................................................121
Tabelle 4.1:
Volkswirtschaftliche Statistiken der CEE-3 .................................124
Tabelle 4.2:
Privatisierungsmethoden in den CEE-3 .......................................126
Tabelle 4.3:
Ursprünge der Aktienmärkte in Transformationsökonomien ...... 129
Tabelle 4.4:
Marktkapitalisierung und Anzahl heimischer Unternehmen ....... 130
Tabelle 4.5:
Marktkapitalisierung und Anzahl gelisteter heimischer Unternehmen in 2011.................................................133
xv
Tabelle 4.6:
Ausstehende Anleihen und Geldmarktpapiere (in Mrd. US-Dollar, Juni 2011) ....................................................136
Tabelle 4.7:
Anzahl neu gelisteter Unternehmen in den CEE-3. .....................137
Tabelle 4.8:
Korrelationen der Monatsrenditen der MSCI-Indizes in lokaler Währung und US-Dollar ..................................................142
Tabelle 4.9:
Börsensegmentierung in den CEE-3 ............................................144
Tabelle 4.10: Eigenschaften der Indizes in den CEE-3 ......................................147 Tabelle 4.11: Zusammensetzung des WIG-20, PX und BUX ............................150 Tabelle 4.12: Konzentrationsmaße der Indizes der CEE-3 und des DAX ......... 151 Tabelle 4.13: Sektorzusammensetzung der Indizes der CEE-3 .........................152 Tabelle 4.14: Umschlagshäufigkeit (in 2011) und Anteil der 5 am häufigsten gehandelten Aktien .....................................................156 Tabelle 4.15: Aktienbestand institutioneller Anleger (Mrd. US-Dollar) ........... 161 Tabelle 4.16: Weitere Listings tschechischer Aktien .........................................164 Tabelle 4.17: Weitere Listings polnischer Aktien ..............................................165 Tabelle 4.18: Weitere Listings ungarischer Aktien ............................................166 Tabelle 5.1:
Chronologie der gesetzlichen Reformen und der Privatisierung ................................................................................172
Tabelle 5.2:
Transparenzanforderungen in den CEE-3 in der Liberalisierungsphase ...................................................................174
Tabelle 5.3:
Reformmaßnahmen am tschechischen Kapitalmarkt ...................179
Tabelle 5.4:
Kapitalmarktregulierung in den CEE-3 im Jahr 1998..................183
Tabelle 5.5:
Indikatoren zur Gesetzgebung und Regulierung im Jahr 1998 .... 184
Tabelle 5.6:
Ausgewählte Artikel der EU Transparenzrichtlinie .....................189
Tabelle 5.7:
Zulassungsvoraussetzungen und -folgepflichten an den Börsen der CEE-3 und Frankfurt..................................................192
Tabelle 5.8:
Autokorrelationen (in %) und Q-Statistiken ................................206
Tabelle 5.9:
Variance Ratio Tests (gesamter Zeitraum) basierend auf Tagesrenditen................................................................................207
Tabelle 5.10: Variance Ratio Tests (gesamter Zeitraum) basierend auf Wochenrenditen ............................................................................208
xvi
Tabelle 5.11: Variance Ratio Tests (nach Perioden) basierend auf Tagesrenditen................................................................................209 Tabelle 5.12: Variance Ratio Tests (nach Perioden) basierend auf Wochenrenditen ............................................................................210 Tabelle 6.1:
Übersicht der zur Verfügung stehenden Daten ............................223
Tabelle 6.2:
Analysten Coverage im Jahr 2011................................................224
Tabelle 6.3:
Einflussfaktoren der Analysten Coverage ....................................225
Tabelle 6.4:
Qualität der Analysten-Prognosen (Median für das Geschäftsjahr 2010 in %) .............................................................226
Tabelle 6.5:
Querschnittsanalyse des PEAD (+1,+60) .....................................230
Tabelle 6.6:
Querschnittsanalyse des PEAD für weitere Drifts .......................231
Tabelle 6.7:
Querschnittsanalyse des PEAD (+1,+60) in Abhängigkeit des Vorzeichens des Drifts ...........................................................233
Tabelle 6.8:
Querschnittsanalyse für PEAD (+1,+60) nach Ländern ..............235
Tabelle 6.9:
Durchschnittliche Betas und Post-Betas.......................................236
Tabelle 6.10: Querschnittsanalyse für PEAD (+1,+60) unter Verwendung des Post-Betas ...............................................................................237
xvii
Anhangsverzeichnis Anhang 1:
Arbeitslosenquote in den CEE-3 ..................................................255
Anhang 2:
Inflationsraten in den CEE-3 (Consumer Price Index) ................256
Anhang 3:
Wechselkursentwicklung der CEE-3 Währungen (1. Mai 2004=100) ........................................................................257
Anhang 4:
IPOs nach Börsen im 1. Halbjahr 2011 ........................................258
Anhang 5:
Anzahl gelisteter Unternehmen an der Börse Warschau nach Marktsegment.......................................................................259
Anhang 6:
Anzahl gelisteter Unternehmen an der Börse Prag nach Marktsegment ...............................................................................260
Anhang 7:
Anzahl gelisteter Unternehmen an der Börse Budapest nach Marktsegment.......................................................................261
Anhang 8:
Zusammensetzung des WIG-20-Index .........................................262
Anhang 9:
Zusammensetzung des PX-Index .................................................263
Anhang 10:
Zusammensetzung des BUX-Index ..............................................264
Anhang 11:
Sektoreinteilung der Unternehmen ...............................................265
Anhang 12:
Turnover Ratio (Umschlagshäufigkeit) an europäischen Börsen ...........................................................................................266
Anhang 13:
Anteil der 5 am häufigsten gehandelten Aktien (% des gesamten Turnover) ..........................................................267
Anhang 14:
Börsensegmentierung an weiteren Börsen ...................................268
Anhang 15:
EBRD Transition Indicators Methodology: Securities Markets and Non-Bank Financial Institutions .............................269
Anhang 16:
EBRD Index of Banking Reform and Interest Rate Liberalization ................................................................................270
Anhang 17:
EBRD Transition Indicators Methodology: Banking Reform and Interest Rate Liberalization...................................................271
Anhang 18:
Beschreibung der Variablen des LLSV-Indikators ......................272
Anhang 19:
Indizes des Investorenschutzes in den CEE-3 ..............................273
Anhang 20:
EBRD Methodology: The extensiveness of legal rules on banking and securities activities ...................................................274
xviii
Anhang 21:
EBRD Methodology: The effectiveness of legal rules on banking and securities activities ...................................................275
Anhang 22:
Variance Ratios basierend auf Tagesrenditen ..............................276
Anhang 23:
Variance Ratios basierend auf Wochenrenditen ..........................277
Anhang 24:
Querschnittsanalyse für PEAD (+1,+60) unter Verwendung heteroskedastizitäts-konsistenter Standardfehler .........................278
Anhang 25:
Querschnittsanalyse des PEAD für weitere Drifts unter Verwendung heteroskedastizitäts-konsistenter Standardfehler.... 279
Anhang 26:
Querschnittsanalyse bei positivem Drift ......................................280
Anhang 27:
Querschnittsanalyse bei negativem Drift .....................................281
Anhang 28:
Querschnittsanalyse weiterer Drifts für Tschechien ....................282
Anhang 29:
Querschnittsanalyse weiterer Drifts für Polen .............................283
Anhang 30:
Querschnittsanalyse weiterer Drifts für Ungarn...........................284
Anhang 31:
Querschnittsanalyse weiterer Drifts unter Verwendung des Post-Beta .......................................................................................285
xix
Abkürzungsverzeichnis ADR
American Depositary Receipts
AktG
Aktiengesetz
AMEX
American Stock Exchange
APT
Arbitrage Pricing Theory
ARCH
Autoregressive Conditional Heteroskedasticity
AT
Österreich
BAMOSZ
Association of Hungarian Investment Funds and Asset Managers
BG
Bulgarien
BIP
Bruttoinlandsprodukt
BIS
Bank for International Settlements
BSE
Budapest Stock Exchange
BUMIX
Budapest Stock Exchange Mid- and SmallCap Share Index
BUX
Budapest Stock Index
BVI
Bundesverband Investment und Asset Management
CAPM
Capital Asset Pricing Model
CAR
Cumulative Abnormal Return
CEE-3
Central and Eastern Europe-3 (Tschechien, Ungarn und Polen)
CEESEG
Central and Eastern Europe Stock Exchange Group
CETOP20
Central European Blue Chip Index
CZ
Tschechische Republik
CZK
Tschechische Krone
DAX
Deutscher Aktien Index
DCGK
Deutscher Corporate Governance Index
DE
Deutschland
DIW
Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung
DVFA
Deutsche Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management
EBITDA
Earnings before interest, taxes, depreciation and amortization
xx
EBRD
European Bank for Reconstruction and Development
EG
Europäische Gemeinschaft
EMH
Efficient Market Hypothesis (Informationseffizienzhypothese)
EPS
Earnings per Share
ETF
Exchange Traded Funds
EU
Europäische Union
EUR
Euro
FESE
Federation of European Stock Exchanges
FSA
Financial Services Authority
GAAP
Generally Accepted Accounting Principles
GDR
Global Depositary Receipt
HML
High minus Low
HU
Ungarn
HUF
Ungarischer Forint
IAS
International Accounting Standards
I/B/E/S
Institutional Brokers' Estimate System
ICAPM
Intertemporal Capital Asset Pricing Model
IFC
International Finance Corporation
IOSCO
International Organization of Securities Commissions
IPO
Initial Public Offering
IWF
Internationaler Währungsfonds
LLSV
LaPorta, Lopez-de-Silanes, Shleifer und Vishny
LSE
London Stock Exchange
LTCM
Long-Term Capital Management
M-DAX
Mid-Cap Deutscher Aktienindex
MIDWIG
Mid-Cap Warschauer Aktienindex
MMTS
MultiMarket Trading System
MSCI
Morgan Stanley Capital International
MTF
Multilateral Trading Facility
mWIG
Mid-Cap Warschauer Aktienindex
xxi
NASDAQ
National Association of Securities Dealers Automated Quotations
NC-Index
New Connect Aktienindex
NEWEX
New Europe Exchange
NYSE
New York Stock Exchange
OECD
Organisation for Economic Cooperation and Development
OLS
Ordinary Least Squares
OTC
Over-the-counter
PEAD
Post Earnings Announcement Drift
PL
Polen
PLN
Polnische Zloty
PSE
Prague Stock Exchange
PWC
Pricewaterhouse Coopers
PX
Prague Stock Index
RM
Handelssystem in Tschechien
RO
Rumänien
RU
Russland
RW
Random Walk
S-DAX
Small-Cap Deutscher Aktienindex
SEAQ
Stock Exchange Automated Quotation
SEC
Securities and Exchange Commission
SI
Slowenien
SK
Slowakei
SMB
Small minus Big
SMM
Studentized Maximum Modulus
SPAD
Handelssystem an der Börse Prag
sWIG
Small Cap Warschauer Aktienindex
US/USA
United States/United States of America
VR
Variance Ratio
WARSET
Warsaw Stock Exchange Trading System
WFE
World Federation of Exchanges
xxii
WIG
Warszawski Indeks Gieldowy (Warschauer Aktienindex)
WIRR
Small Cap Warschauer Aktienindex
WpHG
Wertpapierhandelsgesetz
XETRA
Exchange Electronic Trading
EINLEITUNG
1
1 Einleitung 1.1 Problemstellung Über wohl kaum ein anderes Themengebiet der Kapitalmarktforschung gibt es so viele wissenschaftliche Untersuchungen, wie zur Informationseffizienzhypothese (EMH). 1 In ihrer einfachsten Form besagt diese, dass Kapitalmarktpreise alle verfügbaren Informationen jederzeit korrekt widerspiegeln. Auf einem informationseffizienten Kapitalmarkt geben Preise daher Kapitalanbietern und -nachfragern die richtigen Signale und führen dadurch zu einer effizienten Kapitalallokation. Trotz der zahlreichen empirischen Tests ist die Hypothese jedoch höchst umstritten. Nicht zuletzt durch die Finanzkrise sehen sich Kritiker darin bestätigt, dass Finanzmärkte zu Übertreibungen neigen, die hohe volkswirtschaftliche Schäden anrichten können. Einige Wissenschaftler sind nicht nur der Meinung, dass die Finanzkrise die Gültigkeit der EMH widerlegt hat, sondern argumentieren, dass diese gar die Finanzkrise (mit-) verursacht habe. Demnach wird die Hypothese als treibende Kraft für die Deregulierung und Liberalisierung von Kapitalmärkten in den letzten Jahrzehnten gesehen. Andere Stimmen halten dies zwar für eine Übertreibung und Fehlinterpretation der Hypothese, dennoch steht die gesamte Kapitalmarktforschung durch die Finanzkrise vor einer Zäsur. Die Kapitalmarktforschung hat jedoch bereits in den Jahren vor der Finanzkrise zahlreiche sogenannte Anomalien aufgedeckt, die scheinbar im Widerspruch zur traditionellen Kapitalmarkttheorie (und der EMH) stehen. Anhänger der Behavioral Finance führen diese auf Irrationalitäten der Investoren zurück und verweisen auf Forschungen der Psychologie, die ein solches Verhalten nachweisen. Anhänger der EMH haben dagegen, z.B. auf die empirisch dokumentierte kurzfristige Unter- und langfristige Überreaktion von Aktienpreisen, mit der Entwicklung neuer Asset-Pricing-Modelle reagiert, die diese Preismuster mit einem rationalen Verhalten in Einklang bringen. Die Erkenntnis, dass bei einer Anomalie praktisch nicht zwischen irrationalem Anlegerverhalten und einem unzureichenden Asset-Pricing-Modell unterschieden werden kann (das sogenannte Joint-hypothesis-Problem), führt zu der Vermutung, dass die
1
Im Folgenden soll für den Ausdruck Informationseffizienzhypothese die im Englischen häufig verwendete Abkürzung EMH genutzt werden, die sich mittlerweile auch in der deutschen Literatur als gängige Bezeichnung durchgesetzt hat. Am englischen Sprachgebrauch lässt sich zudem die zentrale Stellung der Hypothese in der Kapitalmarkttheorie ablesen. Während im Deutschen sprachlich fast immer zwischen den unterschiedlichen Formen der Effizienz unterschieden wird, steht die Efficient Market Hypothesis im Englischen synonym für die Informationseffizienzhypothese.
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EINLEITUNG
Debatte EMH vs. Behavioral Finance auch durch zukünftige Forschung nicht endgültig zugunsten der einen oder anderen Partei entschieden werden kann. In den letzten Jahren hat aber auch ein neuer Forschungsansatz wachsende Aufmerksamkeit erhalten, der sich weniger auf die dogmatische Einordnung der Ergebnisse und mehr auf die Determinanten des Grades der Informationseffizienz konzentriert. Statt die Informationseffizienz zu „testen“, wird dabei eher von „messen“ gesprochen. 2 Bei diesem eher pragmatisch orientierten Ansatz stehen insbesondere die Einflussfaktoren der Effizienz und die Politikimplikationen (wie z.B. unterschiedliche regulatorische Anforderungen), die zu einer Erhöhung der Effizienz führen, im Vordergrund. Dabei liegt die Vermutung nahe, dass das Informationsumfeld einen erheblichen Einfluss auf die Informationseffizienz der Märkte hat. Je mehr Informationen den Marktakteuren frühzeitig und in zuverlässiger und verständlicher Weise zur Verfügung stehen, desto besser können sie diese nutzen, um sich eine Meinung über den fundamentalen Wert eines Unternehmens zu bilden. Anfangs wurde die Rolle des Informationsumfeldes der Aktienmärkte in der Forschung jedoch stark vereinfachend behandelt. Dies zeigte sich beispielsweise bei der in jedem Lehrbuch zu findenden Einteilung der Informationseffizienz in die drei Formen schwach, halbstreng und streng in Abhängigkeit der Informationsmenge, die viele Fragen offen lässt. Mit der zunehmenden Beachtung der Informationsökonomik wurde das Thema aber auch in der Kapitalmarktforschung aufgegriffen. Theoretische Modelle und empirische Untersuchungen haben sich beispielsweise mit dem Unterschied zwischen öffentlichen und privaten Informationen, asymmetrischen Informationen oder dem Einfluss von Informationskosten beschäftigt.3 Das Informationsumfeld wird zwar teilweise von den Unternehmen und den Investoren selbst beeinflusst, hängt aber auch von den Regeln und Institutionen der jeweiligen Märkte ab. Besonders stark wird dieses durch Transparenzvorschriften und Aktien-Analysten bestimmt. Erstere beeinflussen insbesondere die Verfügbarkeit von Unternehmensinformationen und spielen eine zentrale Rolle bei der Verringerung von Informationsasymmetrien. Letztere liefern durch die Generie-
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Im Laufe der Arbeit wird bei der Methodik nicht immer einheitlich von Informationsmessung gesprochen, da die unterschiedlichen Ansätze eher in der Interpretation der Ergebnisse als in der Methodik eine Relevanz besitzen. Auch in der aktuellen empirischen Forschung wird eine stärkere Berücksichtigung des Informationsumfeldes bei Informationseffizienztests, insbesondere für Schwellenländer, gefordert: „the typical empirical investigation of weak- and semi-strong form market efficiency implicitly ignores the cost and quantity of information (...) Although measuring the extent of public and private information production is a daunting task, our findings suggest that one may need to focus on measuring the informational aspects of efficiency before making meaningful statements about relative efficiency, especially for settings with large disparities in the information environment.” Griffin, Kelly und Nardari (2010), S. 3228-3229.
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rung, Analyse und Distribution von Informationen einen wichtigen Beitrag zum Informationsstand anderer Marktteilnehmer. In der vorliegenden Arbeit sollen diese Zusammenhänge auf Basis theoretischer Modelle empirisch für die Länder Polen, Tschechien und Ungarn (CEE-3)4 untersucht werden. Die zentrale Hypothese lautet dabei: Länder mit einem höher entwickelten Informationsumfeld, in Form strengerer Transparenzvorschriften und einer höheren Analysten-Abdeckung der Unternehmen, haben einen informationseffizienteren Markt als Länder mit weniger strengen Vorschriften und einer niedrigeren Abdeckung. Zudem soll die Informationseffizienz im Zusammenhang mit der allgemeinen Entwicklung dieser Aktienmärkte betrachtet werden. Während der Großteil der empirischen Kapitalmarktforschung noch immer Daten entwickelter Kapitalmärkte (meist der USA) nutzt, eignen sich diese drei Länder besser zur Untersuchung der Fragestellung. Die meisten etablierten Kapitalmärkte verfügen auch über ein hoch entwickeltes Informationsumfeld mit umfassenden Transparenzvorschriften, einer funktionierenden Kapitalmarktaufsicht, zahlreichen Informationsdienstleistern, internationalen Rechnungslegungsstandards und einer hohen Zahl an Aktien-Analysten. Die osteuropäischen Transformationsländer mussten dagegen mit der Einführung der Marktwirtschaft ein völlig neues Finanzsystem aufbauen. Für die Forschung interessant sind dabei die unterschiedlichen Ansätze, die die Länder beim Aufbau der Aktienmärkte verfolgten. Während einige auf Massenprivatisierungen mit obligatorischen Listings und niedrigen Transparenzanforderungen setzten, entschieden sich andere Länder für direkte Verkäufe der Staatsunternehmen und setzten auf freiwillige IPOs mit strengen Anforderungen an den Aktienmärkten. Da sich die CEE-3 in diesen Aspekten stark unterscheiden, können ihre Erfahrungen genutzt werden, um die Auswirkungen dieser unterschiedlichen Strategien auf die Informationseffizienz zu untersuchen. Dabei ist auch hilfreich, dass die drei Länder (insbesondere durch den EU-Beitritt im Jahr 2004) starke Veränderungen und eine gewisse Harmonisierung ihres Informationsumfeldes erfuhren. Dies ermöglicht (im Gegensatz zu anderen Transformationsländern wie Russland, die diesen Prozess nicht durchliefen) neben dem Ländervergleich auch eine Analyse der Entwicklung der Informationseffizienz im Zeitverlauf. Zudem ist weder die Rolle von Aktien-Analysten noch die halbstrenge Informationseffizienz in Transformationsländern ausreichend wissenschaftlich erforscht. Der Nachteil der Untersuchung von osteuropäischen Aktienmärkten liegt dabei eindeutig in der eingeschränkten Datenverfügbarkeit im Vergleich zu höher entwi4
Auch hier wird die im Englischen gängige Abkürzung für die drei Länder CEE-3 (Central and Eastern Europe) verwendet.
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ckelten Märkten mit einer längeren Datenhistorie und einer deutlich größeren Zahl an gelisteten Unternehmen. Zudem weisen diese Märkte (auch heute noch) weitere strukturelle Defizite auf, die Schlussfolgerungen über den Zusammenhang zwischen dem Informationsumfeld und der Effizienz erschweren. Daher wird mit drei Ländern auch nur eine relativ geringe Anzahl untersucht, um die diversen Spezifika der Märkte ausreichend analysieren und bei der Interpretation der Ergebnisse berücksichtigen zu können. Die Identifikation der Einflussfaktoren der Informationseffizienz hat jedoch eine hohe Relevanz für Transformationsökonomien. Durch die nötigen Veränderungen der Wirtschaftsstruktur, insbesondere zu Beginn der Liberalisierungsphase, kommt dem Kapitalmarkt eine wichtige Rolle bei der Reallokation von Kapital zu. Ein informationseffizienter Markt, der Investoren und Unternehmern über Preise kommuniziert, welche Unternehmen gute Zukunftsperspektiven haben und deshalb weiteres Kapital benötigen, kann deshalb diesen Prozess beschleunigen und die volkswirtschaftliche Entwicklung positiv beeinflussen. Die große Bedeutung des Informationsumfeldes von Kapitalmärkten wurde innerhalb der Europäischen Union auch durch die Politik erkannt und führte u.a. zur Transparenzrichtlinie im Jahr 2004. Als expliziten Grund für diese Richtlinie wurden dabei das Ziel der Erhöhung der Markteffizienz durch bessere Informationen und ein damit verbundenes höheres Wirtschaftswachstum genannt. 5 Die vorliegende Arbeit soll daher auch einer Überprüfung dienen, ob diese und andere Kapitalmarktrichtlinien, wie die Prospekt- oder die Marktmissbrauchsrichtlinie, ihr Ziel, die Erhöhung der Informationseffizienz dieser Märkte, erreicht haben. Eine Bestätigung der Hypothese eines Zusammenhanges zwischen den Transparenzanforderungen und der Informationseffizienz mag zunächst kaum erwähnenswert erscheinen, da eine Verbindung der beiden nahe liegt. Allerdings gibt es eine akademische Debatte (die im Rahmen der Arbeit auch erläutert wird), die sich mit der Notwendigkeit der staatlichen Regulierung von Kapitalmärkten auseinandersetzt. Manche Wissenschaftler vertreten dabei die Meinung, dass Gesetze und Vorschriften nicht nötig seien und der Marktprozess selbst zu geeigneten Regeln führe. Die unterschiedlichen Ansätze der CEE-3 sind dabei wiederum sehr wertvoll, um diese Argumente zu bewerten. Zudem sind Transparenzvorschriften meist auch mit Kosten verbunden. Auch wenn eine Kosten-Nutzen Analyse dieser Vor5
„Effiziente, transparente und integrierte Wertpapiermärkte tragen zu einem echten Binnenmarkt bei, ermöglichen eine bessere Kapitalallokation und eine Senkung der Kosten und begünstigen so das Wachstum und die Schaffung von Arbeitsplätzen. Die rechtzeitige Bekanntgabe zuverlässiger und umfassender Informationen über Wertpapieremittenten stärkt das Vertrauen der Anleger nachhaltig und ermöglicht eine fundierte Beurteilung ihres Geschäftsergebnisses und ihrer Vermögenslage. Dies erhöht sowohl den Anlegerschutz als auch die Markteffizienz.“ Richtlinie 2004/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember 2004, L390/38.
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schriften illusorisch ist, geben die negativen Erfahrungen der Länder mit schwacher Regulierung Hinweise auf die damit verbundenen volkswirtschaftlichen Schäden. Bei Aktien-Analysten kommt hinzu, dass deren Nutzen durch manche Wissenschaftler gänzlich in Frage gestellt wird, z.B. durch Studien, die darlegen, dass deren Empfehlungen an Investoren keine Überrenditen einbringen. Der Nachweis eines Beitrags von Aktien-Analysten zur Informationseffizienz (und damit einer volkswirtschaftlich nützlichen Funktion) würde ihre Akzeptanz daher nachdrücklich stärken.
1.2 Aufbau der Arbeit Im Anschluss an diese Einführung folgt ein Theorieteil (Kapitel 2 und 3), der die Basis für die empirischen Untersuchungen (Kapitel 4, 5 und 6) legt. Ziel des Theorieteils ist es, die traditionelle Herangehensweise von Informationseffizienzuntersuchungen darzustellen und neue Ansätze zu diskutieren. Der Fokus liegt dabei auf der Analyse der Rolle des Informationsumfeldes und den Implikationen der häufig unzureichenden Berücksichtigung bei Effizienztests. Im Empirieteil wird anschließend der Vorteil neuer theoretischer Ansätze bei der Interpretation und Einordnung der Ergebnisse deutlich. Kapitel 2 präsentiert zunächst die Grundlagen der Informationseffizienz. Im Zuge der Einordnung des Begriffs werden der Zusammenhang zu anderen Effizienzformen erläutert, unterschiedliche Definitionen vorgestellt und die volkswirtschaftliche Bedeutung informationseffizienter Märkte betont. Anschließend wird die Ideengeschichte der Informationseffizienzhypothese behandelt. Nachdem die EMH in den 1960ern und 1970ern eine Hochphase mit einer breiten Akzeptanz und Bestätigung durch zahlreiche empirische Studien erfuhr, kam Ende der 1970er/Anfang der 1980er Kritik an der theoretischen Fundierung, insbesondere durch die Behavioral Finance Theorie auf. Zudem wurden in empirischen Untersuchungen zahlreiche Anomalien festgestellt, die nicht mit der EMH (und dem CAPM) im Einklang standen. Durch die Darstellung des aktuellen Forschungsstandes wird gezeigt werden, welche unterschiedliche Interpretationen und Theorien die Anhänger der EMH und der Behavioral Finance jeweils zur Erklärung dieser Anomalien entwickelt haben und welchen Einfluss die Finanzkrise auf das Verständnis der Hypothese hatte. In der folgenden Erläuterung der theoretischen Fundierung wird die Rolle der Arbitrage für die EMH betont. Diese Argumentation wird durch die Limits-of-Arbitrage-Theorie kritisiert. Abschließend werden die Methoden zur Messung der Informationseffizienz vorgestellt. Auf Basis der Preisbildungsmodelle auf einem informationseffizienten Markt wird erörtert, welche Tests in Anbetracht der methodischen Problemstellungen (insbesondere durch die eingeschränkte Datenverfügbarkeit in den drei Ländern) zur Untersuchung der vorliegenden
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Fragestellung geeignet sind. Die identifizierten Methoden werden in den empirischen Kapiteln 5 und 6 angewendet. Die in Kapitel 2 aufgezeigte mangelnde Berücksichtigung des Informationsumfeldes von Aktienmärkten bei EMH-Tests wird in Kapitel 3 durch eine informationsökonomische Betrachtung von Aktienmärkten aufgegriffen. Dabei werden nach einer kurzen Einführung in das Forschungsfeld der Informationsökonomik, Modelle zur Untersuchung des Einflusses heterogener Informationen und Informationskosten vorgestellt sowie der Unterschied zwischen dem sozialen und dem privaten Wert von Informationen und die Implikationen für die Informationsproduktion diskutiert. Aus den danach vorgestellten Modellen zur Erklärung von Aktienmarktanomalien lassen sich Schlussfolgerungen für die empirische Analyse in Kapitel 6 ziehen. Anschließend werden die beiden wichtigen Determinanten des Informationsumfeldes, Transparenzanforderungen und Aktien-Analysten, näher vorgestellt. Dabei wird auch der allgemeinere Zusammenhang von Regulierung und Aktienmarktentwicklung erläutert. In Kapitel 4 werden die Aktienmärkte der CEE-3 deskriptiv analysiert. Die Erkenntnisse über die Entwicklungen und Strukturen der Märkte sind hilfreich bei der Einordnung der späteren empirischen Ergebnisse. Da die frühe Entwicklung der Aktienmärkte in den osteuropäischen Transformationsländern stark durch die unterschiedlichen Privatisierungsprogramme (Coupon-Massenprivatisierung vs. direkte Verkäufe) beeinflusst wurde, werden zunächst die Programme und die jeweiligen Auswirkungen auf die Aktienmärkte diskutiert. Anschließend werden traditionelle Erfolgsindikatoren von Aktienmärkten (wie die Marktkapitalisierung, die Anzahl gelisteter Unternehmen oder die Unternehmensfinanzierung) vorgestellt. Dabei schneidet der polnische Aktienmarkt relativ gut im Vergleich zu den anderen beiden Märkten ab. Des Weiteren werden die Strukturen der drei Aktienmärkte (Börsensegmentierung, Indexeigenschaften, Unternehmenscharakteristika, Liquidität, Handelssysteme, Investorenstruktur und Zweitlistings) ausführlich analysiert. Da die Strukturen ebenfalls potenzielle Einflussfaktoren auf die Informationseffizienz darstellen, dienen diese daher als Kontrollvariablen bei den empirischen Analysen. Kapitel 5 widmet sich der empirischen Untersuchung des Zusammenhanges zwischen Transparenzanforderungen und der schwachen Informationseffizienz. Dafür werden zunächst ausführlich die unterschiedlichen Entwicklungen der Anforderungen in den drei Ländern beschrieben. Die polnische Regulierung war dabei in der Liberalisierungsphase am strengsten. In Tschechien gab es dagegen im Anschluss an das Massenprivatisierungsprogramm kaum gesetzliche Anforderungen. Der Umfang der ungarischen Regulierung lag zwischen diesen beiden. Bereits im Vorfeld des EU-Beitritts waren die Länder Ende der 1990er bemüht, ihre Regulie-
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rungen an die in der EU gängigen Vorschriften anzugleichen. Insbesondere in Tschechien wurden zahlreiche Reformen zur Verbesserung der Transparenz durchgeführt und eine unabhängige Wertpapieraufsicht gegründet. Die Umsetzung von EU-Richtlinien sorgte nach dem EU-Beitritt für eine weitere Harmonisierung der Vorschriften. Die empirische Untersuchung zeigt daraufhin, unter Verwendung von Variance Ratio Tests, dass Polen anfangs die höchste und Tschechien die niedrigste Informationseffizienz aufwies. Die zahlreichen Reformen zur Erhöhung der Transparenz in Tschechien führten zu einem signifikanten Anstieg der Effizienz. Seit dem EU-Beitritt weisen alle drei Märkte die Eigenschaften eines schwach informationseffizienten Marktes auf. Die Ergebnisse stützen damit die Hypothese, dass Transparenzanforderungen (sowohl der Umfang als auch die Strenge der Überwachung) den Grad der Informationseffizienz erhöhen. Der Einfluss anderer Faktoren kann zwar nicht gänzlich ausgeschlossen werden, das Informationsumfeld kann aber als wichtigste Determinante identifiziert werden. Nachdem die schwache Effizienz der drei Märkte nachgewiesen wurde, wird in Kapitel 6 die halbstrenge Informationseffizienz untersucht. Dabei steht wiederum der Zusammenhang zum Informationsumfeld, in Form der Aktien-Analysten, im Vordergrund. Als Maß für die Effizienz dient dabei der Post-EarningsAnnouncement Drift (PEAD). Bei dieser empirisch häufig nachgewiesenen Anomalie erzielen Aktien von Unternehmen, die einen Gewinn veröffentlicht haben, der besser (schlechter) als erwartet ausfiel, auch in der Folgezeit positive (negative) Überrenditen. Während sich die akademische Debatte meist damit beschäftigt, ob der PEAD auf ein irrationales Verhalten der Investoren zurückgeführt werden kann, wird hier der Zusammenhang zur Analysten Coverage hergestellt. Nach der Untersuchung der Einflussfaktoren der Analysten Coverage und der Qualität der Analysten-Prognosen bestätigt die Event-Studie den Beitrag von Aktien-Analysten zu einem halbstreng informationseffizienten Markt weitestgehend (auch wenn dabei nur in einigen Spezifikationen ein statistisch signifikanter Zusammenhang nachgewiesen werden kann): Je höher die Analysten Coverage einer Aktie, desto niedriger ist der nachfolgende Drift. Dabei muss allerdings erwähnt werden, dass die eingeschränkte Datenverfügbarkeit detaillierte Schlussfolgerungen (z.B. über die unterschiedlichen Einflüsse der Analysten in den drei Ländern) nicht zulässt. Die Arbeit schließt mit einer Zusammenfassung und Einordnung der Ergebnisse in Kapitel 7.
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2 Grundlagen der Informationseffizienz In diesem Kapitel werden grundlegende Aspekte der Informationseffizienz von Aktienmärkten und der Informationseffizienzhypothese erläutert. In Kapitel 2.1 werden zunächst Definitionen der Begriffe Effizienz und Informationseffizienz vorgestellt. Dabei wird aufgezeigt werden, dass subtile Unterschiede in der Definition bedeutende Auswirkungen auf das Verständnis der EMH haben können. Zudem zeigt sich, dass die Thematik des Informationsumfeldes in der EMH-Literatur häufig nur sehr unzureichend behandelt wird. Anschließend wird die volkswirtschaftliche Bedeutung informationseffizienter Aktienmärkte und damit die Relevanz der Thematik für die Realwirtschaft aufgezeigt. Die Ideengeschichte der EMH von der Frühphase über die Hochphase der Akzeptanz, der Phase aufkommender Kritik bis hin zum aktuellen Forschungsstand wird in Kapitel 2.2 vorgestellt. Dabei wird auch der Einfluss der Finanzkrise auf die Diskussion über die empirische Haltbarkeit der EMH thematisiert. In Kapitel 2.3 wird die theoretische Fundierung der EMH erläutert. Nach der traditionellen Argumentation zugunsten informationseffizienter Märkte und den weitreichenden Implikationen wird auch die Kritik an dieser Argumentation durch die Behavioral Finance und die Limits of Arbitrage-Theorie dargestellt. Kapitel 2.4 beschäftigt sich mit der Messung der Informationseffizienz. Als Grundlage dazu dienen die Preisbildungsmodelle auf informationseffizienten Märkten. Anschließend werden eine Übersicht über EMHTests gegeben und auf Basis der erläuterten Probleme der Datenverfügbarkeit geeignete Methoden zur empirischen Untersuchung der Fragestellung identifiziert.
2.1 Einordnung der Informationseffizienz 2.1.1 Der Begriff der Effizienz in der ökonomischen Theorie Der Begriff der Effizienz findet im wissenschaftlichen Kontext in unterschiedlichen Disziplinen Verwendung. Er wird außer in der Ökonomie u.a. auch in der Physik, Statistik und Informatik genutzt.6 Meist wird mit dem Begriff assoziiert, dass mit verfügbaren Ressourcen nicht verschwenderisch umgegangen wird, sondern das „Beste“ erreicht werden soll.7 Als Maß für die Effizienz wird in einigen Fällen ein Verhältnis zwischen einem definierten Aufwand und einem definierten Nutzen verwendet. Selbst innerhalb der ökonomischen Theorie, insbesondere der Mikroökonomie, gibt es aber zahlreiche unterschiedliche Arten der Effizienz. Ross
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Vgl. Kapitel 2.2.4 für einen Vergleich der Informationseffizienz mit dem physikalischen Effizienzbegriff. Vgl. Lockwood (2008), S. 292.
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führt dies auf die Nützlichkeit des Begriffs zurück: „The word efficient is too useful to be monopolized by a single meaning in economics.” 8 Basierend auf dem ökonomischen Ausgangsproblem, der Befriedigung von menschlichen Bedürfnissen durch die Produktion von Gütern und Dienstleistungen mithilfe knapper Ressourcen, steht häufig die Allokationseffizienz dieser Ressourcen im Vordergrund.9 Als Kriterium, um alternative Allokationen zu bewerten, werden unterschiedliche Effizienzkonzepte genutzt. Häufige Anwendung findet dabei die Pareto-Effizienz.10 Demnach ist eine Allokation effizient, wenn es nicht möglich ist, durch eine alternative Allokation mindestens eine Person besser zu stellen, ohne dabei eine andere Person schlechter zu stellen. 11 Der Vorteil dieser Effizienzdefinition liegt in der Vermeidung des für viele Ökonomen als wissenschaftlich problematisch eingestuften interpersonellen Nutzenvergleichs, der bei einer Schlechterstellung einer Person, bei gleichzeitiger Besserstellung einer anderen, nötig ist. 12 Die Kaldor-Hicks-Effizienz legt dagegen weniger strenge Kriterien an. Demnach ist ein Zustand im Vergleich zu einem anderen effizienter, wenn eine Pareto-optimale Allokation durch ausreichende Kompensation des Schlechtergestellten durch den Bessergestellten erreicht werden kann, so dass niemand letztlich schlechter gestellt wäre. 13 Eine notwendige Bedingung für eine Pareto-effiziente Allokation ist die Produktionseffizienz. Diese ist gegeben, wenn es nicht möglich ist, mehr von einem Gut zu produzieren, ohne gleichzeitig die Produktion von einem anderen Gut zu verringern. 14 Um eine Pareto-optimale Allokation zu erreichen, muss zudem die Effizienz im Produkt-Mix (Berücksichtigung der Nachfrageseite) gegeben sein. 15 Die X-(In-)Effizienz nach Leibenstein beschreibt dagegen Gründe für Ineffizienzen im Produktionsprozess von Unternehmen, verursacht durch fehlendenden Wettbewerb, unvollständige Arbeitsverträge oder die Unbekanntheit der Produktionsfunktion. 16
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Ross (2008), S. 315. Vgl. Reiter (2008). Benannt nach dem italienischen Ökonomen Vilfredo Pareto. Ursprünglich nutze Pareto den Begriff Optimalität. Aufgrund der Möglichkeit, dass dieser Zustand auch auf eine extrem ungleiche Verteilung zutreffen kann, hat sich aber der Begriff Pareto-Effizienz im Laufe der Zeit durchgesetzt. Vgl. Lockwood (2008), S. 292. Bei unvollständiger Information kann zusätzlich zwischen ex-ante (erwarteter Nutzen bevor Individuen private Informationen erhalten), interim (erwarteter Nutzen nachdem Individuen private Informationen erhalten haben) und ex-post (erwarteter Nutzen nachdem alle Informationen bekannt sind) Allokationseffizienz unterschieden werden. Vgl. Brunnermeier (2001), S. 22-24 und Birchler und Bütler (2007), S. 130-131. Vgl. Robbins (1938). Vgl. Kaldor (1939) und Hicks (1939). Dabei kann weiter unterschieden werden zwischen der Input-Effizienz einer einzelnen Firma, der Ressourcenallokationseffizienz unter Firmen und der Output-Effizienz von Firmen. Vgl. Nicholson (2002), S. 456-469. Vgl. Leibenstein (1966).
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Der Effizienzbegriff findet zudem Verwendung in der Wohlfahrtsökonomik. Diese stellt eine Verbindung zwischen der Ressourcenallokation und der wirtschaftlichen Wohlfahrt her. Als effizient wird eine Ressourcenallokation dann bezeichnet, wenn sie eine vorab definierte Wohlfahrtsfunktion maximiert. Häufig wird als Maß die Summe aus Konsumenten- und Produzentenrente verwendet, die in einer Marktwirtschaft unter bestimmten Voraussetzungen maximiert wird und daher zu einer effizienten Allokation führt. Das erste Wohlfahrtstheorem beschreibt zudem Voraussetzungen, unter denen Marktgleichgewichte immer Pareto-effizient sind. Das zweite Wohlfahrtstheorem besagt, dass unter bestimmten Voraussetzungen jedes Pareto-effiziente Marktgleichgewicht durch eine anfängliche Umverteilung erreicht werden kann.17 Auch in der Makroökonomie findet der Effizienzbegriff Verwendung. In der Wachstumstheorie führt in einer dynamisch effizienten Ökonomie ein vorübergehender Konsumverzicht zu einem höheren steady-state Konsumlevel. 18 In der Arbeitsmarkttheorie zahlen Unternehmen Effizienzlöhne oberhalb des Marktgleichgewichts, um die Arbeitsproduktivität zu erhöhen.19 In der Betriebswirtschaftslehre orientiert sich die Verwendung des Effizienzbegriffs eng an dem der Produktionseffizienz der Mikroökonomik. Wöhe und Döring definieren Effizienz als „das Verhältnis von wertmäßigem Output zu wertmäßigem Input.“ 20 Dieses steht in enger Verbindung zum Wirtschaftlichkeitsprinzip (auch: ökonomisches Prinzip). Dabei wird zwischen dem Maximumprinzip (mit gegebenem Aufwand einen maximalen Ertrag erreichen), dem Minimumprinzip (einen gegebenen Ertrag mit einem minimalen Aufwand erreichen) und dem Optimumprinzip (ein optimales Verhältnis zwischen Aufwand und Ertrag erreichen) unterschieden. 21 Bei der Analyse von Finanzkennzahlen wird zudem die CostIncome-Ratio häufig als Effizienzmaß (meist in Bezug auf Banken) bezeichnet. Der Effizienzbegriff im Kontext von Kapitalmärkten Auch in der Kapitalmarkttheorie steht häufig die Allokationseffizienz des auf diesem Markt gehandelten Gutes, dem Kapital, im Fokus. In sehr abstrakter Form kann dieser Markt durch Kapitalnachfrager (z.B. Unternehmen) und Kapitalanbieter (z.B. Haushalte) modelliert werden, auf dem der Zins als Preis für die Überlassung des Kapitals fungiert. Unter den Annahmen eines vollkommenen Kapitalmarktes stellt das Marktgleichgewicht, der Schnittpunkt von Angebot und Nachfrage, eine effiziente Allokation im Sinne der Maximierung der Gesamtrente dar, 17 18 19 20 21
Vgl. Mas-Colell, Whinston und Green (1995), S. 326-327. Vgl. Burda und Wyplosz (2009), S. 66-67. Vgl. Krueger und Summers (1988). Wöhe und Döring (2010), S. 8. Vgl. Wöhe und Döring (2010), S. 33-34.
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da die Kapitalnachfrager mit der höchsten Zahlungsbereitschaft (und daher der produktivsten Verwendung des Kapitals) und die Kapitalanbieter mit den niedrigsten (Opportunitäts)-Kosten zum Zuge kommen. Ein solcher Markt ist auch Paretoeffizient. Aufgrund der zahlreichen Annahmen eines vollkommenen Marktes, die sich stark von den in der Realität beobachtbaren Markteigenschaften unterscheiden, ist ein derartig hoher Effizienzgrad unwahrscheinlich. Inwieweit der reale Grad der Effizienz aber wirklich von der Pareto-Effizienz abweicht, ist Gegenstand zahlreicher empirischer Untersuchungen und Debatten. 22 Neben der Allokations- und der im nächsten Abschnitt ausführlich erläuterten Informationseffizienz, finden auch weitere Effizienzbegriffe, wie die Handels-, Transaktions- oder Marktzugangseffizienz in Bezug auf Kapitalmärkte Verwendung. 23 Diese sollen unter dem Begriff Marktorganisationseffizienz subsumiert werden. 24 Dabei spielen insbesondere institutionelle Einflüsse und die Höhe der auf dem Kapitalmarkt anfallenden Transaktionskosten eine bedeutende Rolle. 25 Der Begriff ist allerdings nicht so genau definiert wie die anderen beiden und wird daher mit zahlreichen unterschiedlichen, teilweise kaum messbaren Aspekten in Verbindung gebracht. Als wichtigste Faktoren sollen hier aber die Höhe der Liquidität und Transaktionskosten, die Qualität der Handelssysteme, gesetzliche Rahmenbedingungen, Aufsicht und Transparenz genannt werden. 26 Aus wissenschaftlicher Perspektive werden viele dieser Aspekte in der Marktmikrostrukturtheorie untersucht. 27 Zusammenhang der drei Effizienzformen Häufig wird davon ausgegangen, dass die Marktorganisationseffizienz eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für die Informationseffizienz darstellt.28 Dabei sollte allerdings spezifiziert werden, welcher Aspekt der Marktorganisation damit gemeint ist. So kann eine höhere Marktorganisationseffizienz in Form einer Senkung der Transaktionskosten dazu führen, dass ein Ausnutzen von gewissen Informationsineffizienzen profitabel wird und entsprechende Arbitrage22 23 24 25
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Vgl. Kapitel 2.1.3. Vgl. Sapusek (1998), S. 14-15. Vgl. Breuer (2012). Wildmann (2011), S. 65-67 unterteilt die Marktorganisationseffizienz in die institutionelle und die operationale Effizienz. Einige der Aspekte werden in Kapitel 4 für die CEE-3 analysiert und lassen daher Rückschlüsse über den Zusammenhang zwischen der Marktorganisations- und der Informationseffizienz zu. Vgl. O’Hara (1997) für einen Überblick. Zudem taucht der Effizienzbegriff auch in der Portfoliotherie auf. Ein effizientes Randportfolio (auch „Markowitzeffizienz“) in einem Erwartungswert-Varianz-Diagramm liegt dann vor, wenn kein anderes Portfolio a) bei gleichem Erwartungswert der Rendite ein geringeres Risiko b) bei gleichem Risiko einen höheren Erwartungswert der Rendite c) sowohl einen höheren Erwartungswert der Rendite als auch ein geringeres Risiko besitzt. Vgl. Albrecht und Maurer (2008), S. 210-213. Vgl. Breuer (2012).
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geschäfte zu einer höheren Informationseffizienz führen. Allerdings muss ein illiquider Markt nicht per se informationsineffizient sein (auch wenn Liquidität und Transaktionskosten meist zusammenhängen). Nur weil weniger Transaktionen durchgeführt werden, kann nicht davon ausgegangen werden, dass Investoren nicht alle Informationen bei der Preisbildung akkurat berücksichtigen.29 Die Informationseffizienz wird zudem als notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für die Kapitalallokationseffizienz betrachtet. 30 Ein solcher Zusammenhang liegt nahe, da eine effiziente Kapitalallokation ohne Preise, die die relevanten Informationen widerspiegeln, kaum vorstellbar ist. 31 Dieser Zusammenhang muss jedoch durch zwei Anmerkungen ergänzt werden. 32 Zum einen kann eine effiziente Kapitalallokation auch durch Kapitalintermediäre erfolgen. Zudem ist eine Unterscheidung zwischen der Effizienz des Primär- und des Sekundärmarktes nötig. Die Kapitalallokation an Unternehmen findet auf dem Primärmarkt statt. Die Preisentwicklung auf dem Sekundärmarkt spielt allerdings eine bedeutende Rolle für zukünftige Kapitalallokationen. 33 Unternehmen, deren Aktien in der Zwischenzeit aufgrund positiver Erwartungen über die zukünftige Profitabilität gestiegen sind, werden es leichter haben neues Kapital aufzunehmen. 34 Dies kann daher als Rechtfertigung für die gängige Vorgehensweise interpretiert werden, aus der Untersuchung der Informationseffizienz der Preise auf dem Sekundärmarkt Implikationen über die Kapitalallokationseffizienz des Marktes zu ziehen. Allerdings sollte dabei bedacht werden, dass Informationsineffizienzen von kleinem Ausmaß bei Betrachtung kurzer Perioden (z.B. bei leichter Autokorrelation von Tagesrenditen) nicht zwingend signifikant negative Auswirkungen auf die Kapitalallokationseffizienz haben werden. Hohe Ineffizienzen können dagegen eher bei langfristigen und hohen Abweichungen vom Fundamentalwert über Monate oder Jahre entstehen. Ein Beispiel dafür sind die hohen Kapitalzuflüsse an Internet-Unternehmen Ende der 1990er Jahre („dot-com-Blase“), die kurze Zeit später häufig insolvent waren.35
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Vgl. Kapitel 4.2.3. Vgl. Ross (2008), S. 315. Vgl. Brunnermeier (2001), S. 26 für eine Erläuterung des Zusammenhangs in Bezug auf die ex-ante, interim und ex-post Effizienz. Vgl. Kapitel 2.1.3 für eine Übersicht zu empirischen Studien zu diesem Zusammenhang. Vgl. Dow und Gorton (1997) für eine detaillierte theoretische Modellierung des Zusammenhanges. Eine genauere Erläuterung erfordert die Unterscheidung zwischen Real- und Finanzkapital. In den meisten Fällen nutzen Unternehmen das auf dem Primärmarkt aufgenommene Finanzkapital um Realkapital zu erwerben. Die volkswirtschaftliche Entwicklung hängt letztlich von der Produktivität dieses Realkapitals ab. Allerdings kann auch von einer Kapitalallokation auf dem Sekundärmarkt gesprochen werden, da dabei Finanzkapital zwischen Anbietern und Nachfragern gehandelt wird. Daher ist die Informationseffizienz auf dem Sekundärmarkt nicht nur indirekt über den Einfluss zukünftiger Kapitalaufnahmen am Primärmarkt bedeutend, sondern auch direkt über den Einfluss auf die Effizienz der Allokation des Finanzkapitals. Vgl. Bodie, Kane und Marcus (2009), S. 5. Vgl. Shiller (2005), S. 1-10.
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2.1.2 Verbale Definition eines informationseffizienten Marktes Auch wenn es bereits Anfang des 20. Jahrhunderts empirische Untersuchungen zu Kapitalmarktpreisen gab und die Nichtvorhersagbarkeit der Preise später auch mit einem „idealen“ Markt assoziiert wurde, tauchten die Begriffe „effizienter Markt“ und „Informationseffizienzhypothese“ erst deutlich später auf. 36 Als Erster hat wohl Eugene Fama von der University of Chicago diese Begriffe verwendet. 37 Die am häufigsten gebrauchten Definitionen gehen auch heute noch fast alle auf die Ausführungen von Fama zurück. Im Folgenden soll ein Überblick über Famas exakte verbale Definitionen eines informationseffizienten Marktes gegeben werden. Auch wenn diese alle recht ähnlich klingen, bestehen doch subtile, aber bedeutende Unterschiede in der genauen Formulierung und Erläuterung. Es soll argumentiert werden, dass sich ein Teil der hitzigen Diskussionen über die EMH auf die Nichtberücksichtigung dieser Feinheiten zurückführen lässt. Durch diese Diskussion wird auch aufgezeigt, dass verbale Definitionen zu allgemein sind, um daraus empirisch überprüfbare Hypothesen abzuleiten. Dazu ist eine Spezifizierung des unterstellten Preisbildungsprozesses nötig. Dies wird ausführlich in Kapitel 2.4.1 erfolgen. Definitionen eines informationseffizienten Marktes nach Fama Die wohl am häufigsten verwendete Definition eines informationseffizienten Marktes geht auf Fama (1970) zurück: „A market in which prices always „fully reflect“ available information is called „efficient“.“ 38 (Tabelle 2.1 gibt eine Übersicht über die unterschiedlichen Definitionen). Eine ähnliche Definition findet sich bereits in Fama (1965b). Ein subtiler, aber entscheidender Unterschied zwischen den beiden Definitionen liegt in der Umschreibung der Genauigkeit des Preisbildungsprozesses. Während die Definitionen aus Fama (1965a,b) („good estimates“, „very good estimates“ bzw. “best estimates of intrinsic values“) Spielraum für etwaige Ungenauigkeiten lassen, erweckt die Definition aus Fama (1970) („fully reflect“) den Eindruck, als ob der Preisbildungsprozess einer gewissen Unfehlbarkeit unterliegt.
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Vgl. Kapitel 2.2. Der Begriff effizienter Markt (mit Bezug auf die Informationseffizienz) findet sich erstmals in Fama (1965b). Der Begriff Informationseffizienzhypothese wurde von Harry Roberts (ebenfalls von der University of Chicago) im Jahr 1967 verwendet. Da sein Manuskript, indem er auch erstmals die Unterscheidung zwischen den verschiedenen Effizienzformen (schwach, halbstreng, streng) trifft, nicht veröffentlicht wurde, wird auch dieser Begriff häufig Eugene Fama zugeschrieben. Vgl. Fox (2009c), S. 100-101. Fama (1970), S. 383.
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Aufsatz
Definition
Fama (1965b), S. 90
A situation where successive price changes are independent is consistent with the existence of an „efficient“ market for securities, that is, a market where, given the available information, actual prices at every point in time represent very good estimates of intrinsic values. Independence of successive price changes is consistent with an “efficient” market, that is, a market where prices at every point in time represent best estimates of intrinsic values. An “efficient” market is defined as a market where there are large numbers of rational, profit-maximizers actively competing, with each trying to predict future market values of individual securities, and where important current information is almost freely available to all participants (…) in an efficient market at any point in time the actual price of a security will be a good estimate of its intrinsic value. A market in which prices always “fully reflect” available information is called “efficient.” An efficient capital market is a market that is efficient in processing information. The prices of securities observed at any time are based on “correct” evaluation of all information available at that time. In an efficient market, prices “fully reflect” available information. I take the market efficiency hypothesis to be the simple statement that security prices fully reflect all available information. A precondition for this strong version of the hypothesis is that information and trading costs, the costs of getting prices to reflect information are always 0 (Grossman and Stiglitz (1980)). A weaker and economically more sensible version of the efficiency hypothesis says that prices reflect information to the point where the marginal benefits of acting on information (the profits to be made) do not exceed the marginal costs (Jensen (1978)). The hypothesis that prices fully reflect available information.
Fama (1965b), S. 94
Fama (1965a), S. 56
Fama (1970), S. 383 Fama (1976), S. 133
Fama (1991), S. 1575
Fama (1998), S. 284
Tabelle 2.1: Definitionen eines informationseffizienten Marktes nach Fama
Auf die Assoziierung eines informationseffizienten Marktes mit einem immer alle Informationen perfekt verarbeitenden Markt lässt sich sicherlich auch eine Vielzahl der teils scharfen Debatten über die empirische Gültigkeit der EMH zwischen den beiden Denkschulen (EMH und Behavioral Finance) zurückführen. Ein Teil der missverständlichen Interpretationen dieser Definition hängt dabei mit der Nichtberücksichtigung der weiteren Ausführungen Famas zur Fehlbarkeit von Aktienmärkten bei der Informationsverarbeitung zusammen. Fama schreibt, zwar mit explizitem Bezug auf wichtige, große Preissprünge auslösende Informationen, aber allgemeiner interpretierbar: „It may be that when important new information comes into the market it cannot always be immediately evaluated precisely. Thus, sometimes the initial price will overadjust to the information, and other times it
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will underadjust.” 39 Damit ist es möglich, dass Preise in der ex-post Betrachtung für eine bestimmte Zeit von ihrem Fundamentalwert abweichen. 40 Die Definition eines informationseffizienten Marktes bezieht sich damit weniger auf die jederzeitige Unfehlbarkeit des Aktienmarktes in der Informationsverarbeitung, als darauf, dass es Investoren niemals ex-ante möglich ist zu bestimmen, ob eine Über- oder Unterbewertung vorliegt.41 Eine ähnliche Ausführung dazu findet sich bereits in Fama (1965b).42 Die laut Fama selbst sauberste Definition des Effizienzbegriffs lieferte er in seinem 1976 erschienen Buch Foundations of Finance.43 Allerdings bezieht sich dies wohl hauptsächlich auf die genaue formale Darstellung des Preisbildungsprozesses. Die verbale Definition ist zwar etwas ausführlicher und noch expliziter auf die Informationsverarbeitungsfunktion der Märkte bezogen, ähnelt aber der vorhergehenden Definition aus Fama (1970). In der Definition von Fama (1965a) wird auch ein wichtiger Aspekt deutlich, der bei der theoretischen Fundierung der EMH zum Tragen kommt und sich in den anderen Definitionen so explizit nicht wiederfindet. Dort wird die Existenz eines effizienten Marktes auf den Wettbewerb zwischen rationalen gewinnmaximierenden Investoren zurückgeführt. Diese Argumentation wurde später durch die Limits-of-Arbitrage-Theorie in Frage gestellt. 44 Insbesondere durch die 1965er Definitionen wird zudem deutlich, dass eine empirische Überprüfung der EMH lediglich auf Basis einer verbalen Definition nicht möglich ist. Dabei wird darauf verwiesen, dass die Preise Schätzungen des intrinsischen Wertes darstellen. Ohne eine Erläuterung, wie ein solcher intrinsischer Wert (bzw. die entsprechenden Renditen) bestimmt wird, ist ein Test der Hypothe-
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41
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43 44
Fama (1970), S. 396. Krugman (2009) dagegen definiert die EMH in seiner Kritik der Rolle von Ökonomen während der Finanzkrise folgendermaßen: „the „efficient-market hypothesis“ (...) claims that financial markets price assets precisely at their intrinsic worth given all publicly available information.” Diese Definition unterscheidet sich daher von den Ausführungen von Fama, die eine temporäre Abweichung vom intrinsischen Wert in der ex-post Betrachtung zulassen. Fama schreibt dazu weiter: “But since the evidence indicates that the price changes on days following the initial large change are random in sign, the initial large change at least represents an unbiased adjustment to the ultimate price effects of the information, and this is sufficient for the expected return efficient markets model.” Fama (1970), S. 396. “In fact however, because there is vagueness or uncertainty surrounding new information, “instantaneous adjustment” really has two implications. First, actual prices will initially overadjust to the new intrinsic value as often as they will underadjust.” Fama (1965b), S. 39. “This implies in turn that, when an intrinsic value changes, the actual price will adjust “instantaneously,” where instantaneously means, among other things, that the actual price will initially overshoot the new intrinsic value as often as it will undershoot it.” Fama (1965b), S. 94. Ausführungen zur EMH finden sich insbesondere in Kapitel 5. Vgl. Kapitel 2.3.3.
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se daher nicht möglich. Dies ist die zentrale Einsicht des Joint-hypothesis Problems, das die Überprüfung der EMH erschwert.45 Zudem erfordert der immer wieder verwendete Begriff „available information“ eine genauere Spezifizierung. Dies erfolgte durch die auch heute noch gängige Unterscheidung in drei Informationsmengen, die mit den drei Effizienzformen schwach, halbstreng (auch: mittelstark) und streng (auch: stark) korrespondieren: • Bei der schwachen Informationseffizienz umfasst die Informationsmenge alle vergangenen Preise. Ein Kapitalmarkt ist daher schwach informationseffizient, wenn alle Informationen aus vergangenen Preisen bei der aktuellen Preisbildung berücksichtigt werden. • Bei der halbstrengen Informationseffizienz umfasst die Informationsmenge alle öffentlich verfügbaren Informationen. Ein Kapitalmarkt ist daher halbstreng informationseffizient, wenn alle öffentlichen Informationen bei der aktuellen Preisbildung berücksichtigt werden. Da dazu auch die vergangenen Preise gehören, umfasst die halbstrenge die schwache Informationseffizienz. • Bei der strengen Informationseffizienz umfasst die Informationsmenge alle Informationen, d.h. auch private Informationen. Ein Kapitalmarkt ist daher streng informationseffizient, wenn alle Informationen bei der aktuellen Preisbildung berücksichtigt werden. Da dazu auch vergangene Preise und öffentliche Informationen gehören, umfasst die strenge die halbstrenge und schwache Informationseffizienz. Diese Einteilung ist für zahlreiche Aspekte sehr hilfreich. So lassen sich für die einzelnen Effizienzformen unterschiedliche Implikationen ableiten.46 Zudem können die zahlreichen empirischen Tests jeweils einer der drei Formen zugeordnet werden. 47 Allerdings ist diese Einteilung auch sehr grob und lässt viele Aspekte offen. Insbesondere der genaue Umfang des Begriffs „öffentlich verfügbare Informationen“ lässt Interpretationsspielräume. In der Erläuterung der Definition in Fama (1991) wird bereits auf das Problem der Informationskosten eingegangen. Eine ausführliche Analyse des Einflusses weiterer Aspekte des Informationsumfeldes steht im Mittelpunkt dieser Arbeit und wird in Kapitel 3 vorgenommen. 2.1.3 Volkswirtschaftliche Bedeutung informationseffizienter Aktienmärkte Nachdem bereits die Wichtigkeit informationseffizienter Kapitalmärkte für die Kapitalallokation betont wurde, werden nun weitere volkswirtschaftliche Funktio-
45 46 47
Vgl. Kapitel 2.4.3 für eine ausführliche Erläuterung des Joint-hypothesis Problems. Vgl. Kapitel 2.3.2. Die Zuteilung ist jedoch nicht immer eindeutig möglich. Vgl. Kapitel 2.4.2.
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nen aus theoretischer Perspektive genannt. Es wird argumentiert werden, dass auch dabei der Grad der Informationseffizienz einen entscheidenden Erfolgsfaktor bei der Erfüllung dieser Funktionen darstellt.48 Auch wenn einige dieser Erläuterungen für Kapitalmärkte im Allgemeinen gelten, soll der Fokus auf Aktienmärkten liegen. Anschließend wird ein Überblick über empirische Untersuchungen zu diesen Zusammenhängen gegeben. Funktionen von Aktienmärkten Um die Rolle von Aktienmärkten bewerten zu können, muss zunächst die Funktion des gesamten Finanzsystems (d.h. von Finanzmärkten und Finanzintermediären) betrachtet werden. Dessen Existenz wird auf Transaktionskosten wie z.B. Informationsbeschaffungs- oder Kontrollkosten zurückgeführt, die durch das Finanzsystem abgebaut werden. Die Hauptfunktion des Finanzsystems ist nach Merton und Bodie: „to facilitate the allocation and deployment of economic resources, both across borders and across time, in an uncertain environment.” 49 Basierend auf dieser sehr allgemeinen Formulierung leitet Levine die folgenden fünf konkreten Funktionen ab: 50 1. Ex-ante Produktion von Informationen über mögliche Investitionen und Kapitalallokation 2. Überwachung von Investitionen und Ausübung von Corporate Governance im Anschluss an die Finanzierung 3. Erleichterung des Handels, der Diversifikation und des Management von Risiken 4. Mobilisierung und Pooling von Ersparnissen 5. Förderung des Austausches von Gütern und Dienstleistungen Diese Funktionen beeinflussen Spar- und Investitionsentscheidungen und damit das ökonomische Wachstum über die Kanäle Kapitalakkumulation und technologische Innovationen, die in ökonomischen Wachstumsmodellen eine zentrale Rolle spielen.51 Wie sieht die Übernahme dieser Funktionen durch den Aktienmarkt in der Praxis aus? 52 Die Produktion von ex-ante Informationen (Funktion 1) wird beispielsweise
48
49 50
51 52
In Kapitel 3.1.2 wird zudem der Vergleich der volkswirtschaftlichen Vorteile informationseffizienter Märkte mit den volkswirtschaftlichen Kosten, die zur Erreichung informationseffizienter Märkte nötig sind, thematisiert. Merton und Bodie (1995), S. 12. Vgl. Levine (2005), S. 869. Auch in Merton und Bodie (1995) werden konkretere Funktionen des Finanzsystems abgeleitet, die diesen ähneln. Vgl. Levine (1997), S. 691. Im Folgenden sollen jeweils nur Beispiele gegeben werden, eine ausführliche Erläuterung findet sich beispielsweise bei Levine (2005).
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durch die Bereitstellung von öffentlich verfügbaren Aktienpreisen erfüllt. Dadurch erhalten Investoren Informationen über die Einschätzung des Unternehmenswertes durch andere Marktteilnehmer. Eine Verbesserung der Corporate Governance (Funktion 2) kann z.B. durch die Knüpfung der Managergehälter an die Aktienperformance erfolgen, da Manager dadurch höhere Anreize haben, den Aktienkurs des Unternehmens und damit den Shareholder-value zu erhöhen. Zudem erhöht ein liquider Aktienmarkt die Wahrscheinlichkeit, dass schlecht performende Unternehmen übernommen werden. Dies führt wiederum dazu, dass Manager einen stärkeren Anreiz haben den Unternehmenswert zu steigern. Über den Aktienmarkt haben Investoren auch die Möglichkeit, zu relativ niedrigen Transaktionskosten, ein diversifiziertes Portfolio zu konstruieren und damit idiosynkratische Risiken zu vermeiden (Funktion 3). Ein liquider Aktienmarkt ermöglicht Investoren außerdem in langfristige Projekte zu investieren, bei Liquiditätsbedarf Aktien aber kurzfristig auf dem Sekundärmarkt zu verkaufen. Dies erhöht die Bereitschaft Einlagen in eine Aktiengesellschaft einzubringen. Dadurch werden viele kleine Beträge über eine Aktiengesellschaft in langfristige Projekte investiert und damit Ersparnisse mobilisiert und gepoolt (Funktion 4). Lediglich der Austausch von Gütern und Dienstleistungen (Funktion 5) wird hauptsächlich durch Geld gefördert und steht in keinem direkten Zusammenhang zum Aktienmarkt. Viele dieser Funktionen können grundsätzlich sowohl durch Finanzintermediäre als auch durch Kapitalmärkte erfüllt werden. Zu der Frage, ob sich ein bankenoder kapitalmarktbasiertes Finanzsystem dazu besser eignet, gibt es zahlreiche theoretische Argumentationen und empirische Untersuchungen. 53 Statt einer Aufzählung der Argumente für und wider der beiden Systeme soll aufgezeigt werden, dass die Informationseffizienz ein entscheidender Faktor bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit von Aktienmärkten in der Erfüllung dieser Funktionen ist.54 Nur wenn Aktienpreise alle Informationen korrekt widerspiegeln, können dadurch die Anreize von Managern, über eine Knüpfung der Gehälter an die Aktienperformance, akkurat gesteuert werden (Funktion 2). Wenn Marktteilnehmer beispielsweise die Risiken, die zur Erreichung eines hohen Jahresüberschusses nötig waren, unterschätzen und auf Basis kurzfristig hoher Gewinne den Unternehmenswert überbewerten, haben Manager einen Anreiz hohe Risiken einzugehen, da sich dadurch ihr Gehalt in Form von Aktienoptionen erhöht. Eine entsprechende Kritik gibt es insbesondere an Bankmanagern. Dies führte dazu, dass die Vergütung von Bankangestellten in Deutschland über die Instituts-Vergütungsverordnung gesetzlich geregelt wurde. So muss beispielsweise ein Teil der variablen Vergütung bei bedeutenden Instituten über einen Zurückbehaltungszeitraum 53 54
Vgl. beispielsweise Beck und Levine (2002). Die Bedeutung der Informationseffizienz für die Kapitalallokation wurde bereits in Kapitel 2.1.1 erläutert.
20
GRUNDLAGEN DER INFORMATIONSEFFIZIENZ
von 3-5 Jahren gestreckt werden. Auf einem informationseffizienten Markt wäre dieses Problem nicht so gravierend, da der Aktienpreis sowohl die langfristig erwarteten Gewinne als auch das Risiko korrekt widerspiegeln würde.55 Nur auf einem informationseffizienten Markt kann sich ein Investor zudem sicher sein, dass er ein Portfolio zu einem fairen Preis erhält, das seinen Risiko-RenditePräferenzen entspricht (Funktion 3).56 Auf einem ineffizienten Markt besteht dagegen die Gefahr ein Portfolio mit überbewerteten Wertpapieren zu erwerben oder bei Liquiditätsengpässen Wertpapiere zu einem unterbewerteten Preis verkaufen zu müssen. Ebenso kann ein ineffizienter Aktienmarkt (oder zumindest ein in der Öffentlichkeit so wahrgenommener) dazu führen, dass die Investitionsbereitschaft in Aktien abnimmt und darunter die Mobilisierung der Ersparnisse und Investitionen in risikoreiche langfristige Projekte leidet (Funktion 4). So ging zum Beispiel in Deutschland im Anschluss an das Platzen der Dotcom Blase der Anteil der Aktionäre und Fondsbesitzer in der Bevölkerung von 12,9 Millionen im Jahr 2001 auf 8,4 Millionen im Jahr 2010 zurück.57 Die ökonomische Theorie schreibt informationseffizienten Aktienmärkten also zahlreiche wohlfahrtsstiftende Funktionen zu. Zur empirischen Haltbarkeit jeder dieser Funktionen gibt es wiederum zahlreiche Untersuchungen. Im Folgenden soll ein kurzer Überblick zu Studien über den Zusammenhang zur Kapitalallokation und dem Wirtschaftswachstum gegeben werden. Studien zum Zusammenhang zwischen Informations- und Kapitalallokationseffizienz Um die Verbindung zwischen der Informationseffizienz der Aktienmärkte und der Kapitalallokation herzustellen werden häufig Maße für die Synchronität von Aktienpreisen genutzt. Dahinter steht die Hypothese, dass eine niedrigere Synchronität auf einen höheren Anteil firmen-spezifischer Informationen zurückzuführen ist. 58 Dies kann daher auch als ein Maß für den Grad der Informationseffizienz interpretiert werden. Je spezifischer sich Aktienpreise entwickeln, desto eindeutiger sind die Signale an Investoren, welchen Unternehmen der Markt eine hohe Profitabilität in der Zukunft zuschreibt und welchen nicht.
55
56
57 58
Ein informationseffizienter Markt ist allerdings keine hinreichende Bedingung für eine Vermeidung falscher Anreize. Dies liegt beispielsweise daran, dass Manager zwar bei hohen Gewinnen über ihre Aktienoptionen profitieren, aber häufig nur unzureichend an einem Verlust beteiligt werden. Außerdem reflektieren Aktienpreise auch die impliziten Staatsgarantien bei systemrelevanten Banken. Zudem bestehen Informationsasymmetrien zwischen Managern und Investoren. Bei der Argumentation wird angenommen, dass der Investor nicht in der Lage ist unterbewertete Aktien zu identifizieren. Quelle: Deutsches Aktieninstitut. Vgl. Roll (1988).
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Wurgler (2000) untersucht in einer Querschnittsuntersuchung über 65 Länder den Zusammenhang zwischen der Finanzmarktentwicklung (gemessen anhand der Aktienmarktkapitalisierung und Krediten im Verhältnis zum BIP) und der Kapitalallokation. Er findet dabei, dass Länder mit stärker entwickelten Finanzmärkten mehr in wachsende und weniger in schrumpfende Industrien investieren und schließt daraus auf einen positiven Effekt auf die Kapitalallokationseffizienz. Dabei besteht eine positive Korrelation zwischen der Kapitalallokationseffizienz und dem Grad firmen-spezifischer Informationen in Aktienpreisen. Beck und Levine (2002) zeigen ebenfalls, dass entwickelte Finanzsysteme zu einer höheren Kapitalallokationseffizienz führen, es aber keinen signifikant unterschiedlichen Einfluss hat, ob ein Land über ein banken- oder marktbasiertes Finanzsystem verfügt. Für die USA nutzen Durnev, Morck und Yeung (2004) ein anderes Maß für die Effizienz von Investitionen (die Abweichungen von Tobins marginaler q-ratio von seinem optimalen Wert), zeigen aber, dass auch dieses positiv mit firmenspezifischen Informationen in Aktienpreisen korreliert und schlussfolgern daraus, dass eine höhere Informations- zu einer höheren Investitionseffizienz von Unternehmen führt. Zum gleichen Ergebnis kommen Chun und Kim (2011) unter Verwendung des Zusammenhanges von Wachstum des Realkapitals und Faktorproduktiviät als alternatives Maß für die Allokationseffizienz. Morck, Yeung und Yu (2000) zeigen, dass die niedrigere Synchronität von Aktienpreisen in armen Ländern (mit niedrigem BIP pro Kopf) durch Unterschiede in den Eigentumsrechten erklärt werden kann. Die Autoren argumentieren, dass stärkere Eigentumsrechte dazu führen, dass informierte Investoren eher Arbitragepositionen einnehmen (da sie nicht befürchten müssen ihre erzielten Gewinne nicht behalten zu dürfen) und dies zu einer niedrigeren Synchronität führt. Durnev et al. (2004) leiten aus diesen Forschungsergebnissen Politikimplikationen für Transformationsländer ab. Die Autoren empfehlen eine Stärkung der Eigentumsrechte, Aktionärsrechte und Transparenz in diesen Ländern, um eine höhere Kapitalallokationseffizienz durch den Aktienmarkt zu erreichen. Studien zum Zusammenhang von Aktienmarktentwicklung und Wirtschaftswachstum Da die oben genannten Studien nahe legen, dass Aktienmärkte zu einer Verbesserung der Kapitalallokation beitragen, sollte sich dies (in Kombination mit den anderen oben erläuterten Funktionen) langfristig positiv auf das Wirtschaftswachstum auswirken. Während Untersuchungen über den Einfluss von Finanzintermediären auf volkswirtschaftliche Variablen bereits mit Goldsmith (1969) begannen,
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GRUNDLAGEN DER INFORMATIONSEFFIZIENZ
wurde die Rolle von Aktienmärkten erst deutlich später untersucht. 59 In einer Querschnittsbetrachtung von 47 Ländern analysieren Levine und Zervos (1998b) den Einfluss unterschiedlicher Maße der Aktienmarktentwicklung auf das Wirtschaftswachstum, die Kapitalakkumulation und das Produktivitätswachstum. 60 Dazu werden die Veränderungen dieser makroökonomischen Variablen in der Periode (1976-1993) auf das Level von Aktienmarkt-, Bank- und zahlreicher Kontrollvariablen aus dem Jahr 1976 regressiert. Dabei zeigt sich, dass sowohl die Aktienmarktliquidität (Turnover) als auch Bankkredite positiv mit den drei Variablen korreliert sind (s. die Koeffizienten und Standardabweichungen in Tabelle 2.2). Die Autoren interpretieren dies als eine Bestätigung der These, dass Banken und Kapitalmärkte unabhängig voneinander wichtige Funktionen übernehmen und die Diskussion, ob ein bank- oder kapitalmarktbasiertes Finanzsystem besser funktioniert, daher verfehlt ist. Das zweite Modell zeigt, dass die Höhe der Aktienmarktkapitalisierung zwar ebenfalls einen positiven Effekt auf die zukünftige Entwicklung der drei Variablen hat, dieses Ergebnis allerdings stark von einigen wenigen Länder abhängt, dessen Herausnahme dazu führt, dass kein signifikanter Einfluss mehr nachgewiesen werden kann. Daraus schlussfolgern die Autoren, dass ein Listing (bzw. die Größe des Aktienmarktes) alleine noch keinen Einfluss auf das ökonomische Wachstum hat, sondern dies eher mit dem tatsächlichen Handel der Aktien zusammenhängt.61 In der Folge gab es zahlreiche weitere Studien, die dabei auch erweiterte ökonometrische Verfahren zur Untersuchung des Zusammenhanges angewendet haben, z.B. die Nutzung von Instrument-Variablen, Panels, Zeitreihen (Granger Kausalitäts-Tests und Vektor-Autoregressive Modelle) und Case studies sowie Tests auf Industrie- und Unternehmensebene. Die überwiegende Mehrheit dieser Studien bestätigt den positiven Zusammenhang zwischen dem Entwicklungsstand des Finanzsystems im Allgemeinen und häufig von Aktienmärkten im Speziellen mit ökonomischem Wachstum. 62
59
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62
Ein umfassender Literaturüberblick findet sich in Levine (1997, 2005). EBRD (2006), S. 44-53 erläutert den Zusammenhang für osteuropäische Transformationsländer. Die Analyse basiert auf King und Levine (1993), die gezeigt haben, dass der Grad der Finanzintermediation die Entwicklung dieser drei Variablen vorhersagt. Dieser Befund ist insbesondere für Transformationsökonomien bedeutend, da Länder mit einem Massenprivatisierungsprogramm häufig eine hohe Marktkapitalisierung, aber eine sehr niedrige Liquidität aufwiesen. Darauf wird im folgenden empirischen Teil in Kapitel 4 und 5 mehrmals eingegangen. Vgl. beispielsweise Rajan und Zingales (1998) und Levine, Loayaza und Beck (2000). Ein umfassender Überblick findet sich in Levine (2005).
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Modell 1
Unabhängige Variable Bankkredite
Aktien-Turnover R2 Beobachtungen 2
Bankkredite
Aktienmarktkap. R2 Beobachtungen
23
Abhängige Variable OutputWachstum
KapitalstockWachstum
Produktivitätswachstum
Ersparnisse
0,0131
0,0148
0,0111
3,8376
(0,0055)
(0,0063)
(0,0046)
(2,3069)
0,0269
0,0222
0,0201
7,7643
(0,0090)
(0,0094)
(0,0088)
(5,5664)
0,5038
0,5075
0,4027
0,4429
42
41
41
29
0,0089
0,0090
0,0094
5,1226
(0,0061)
(0,0078)
(0,0050)
(2,0927)
0,0230
0,0207
0,0135
-0,7291
(0,0065)
(0,0081)
(0,0055)
(7,1411)
0,4577
0,3754
0,3423
0,3189
45
44
44
31
Tabelle 2.2: Zusammenhang von Banken, Aktienmärkten und volkswirtschaftlichen Variablen Quelle: Levine und Zervos (1998b). Eigene Darstellung
Da die meisten Studien also zu dem Ergebnis kommen, dass entwickelte Aktienmärkte, insbesondere solche mit einer hohen Liquidität und Informationseffizienz, positiv zum langfristigen Wirtschaftswachstum eines Landes beitragen, kann geschlussfolgert werden, dass die Abläufe auf dem Aktienmarkt nicht nur einen Nebenschauplatz volkswirtschaftlicher Entwicklungen darstellen, sondern diese auch Auswirkungen (in den meisten Fällen positive) auf die Realwirtschaft haben. Diese Erkenntnis kann daher als Rechtfertigung für die hohe wissenschaftliche Aufmerksamkeit der Informationseffizienzforschung gewertet werden. Insbesondere in Transformationsländern kann ein informationseffizienter Aktienmarkt wichtige Preissignale für die im Zuge der Transformation zu einem marktwirtschaftlichen System immensen Kapitalreallokationen geben. Allerdings muss bei der Analyse dieser Länder berücksichtigt werden, dass sie meist innerhalb sehr kurzer Zeit ihr Wirtschafts- und Finanzsystem liberalisiert haben. Dadurch waren diverse Institutionen, die bei weiter entwickelten Kapitalmärkten als gegeben angesehen werden, nicht immer oder nur unzureichend vorhanden. Insbesondere die zahlreichen negativen Bewertungen von Kapitalmarktliberalisierungen durch prominente Ökonomen verdeutlichen, dass unter diesen Umständen nicht automa-
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24
tisch von volkswirtschaftlich positiven Wirkungen des Kapitalmarktes ausgegangen werden kann. 63 Während viele empirische Studien zu Kapitalmarktliberalisierungen häufig keinen eindeutig positiven Zusammenhang zum Wirtschaftswachstum finden, ist dieser bei Studien, die sich auf Aktienmarktliberalisierungen konzentrieren, aber überwiegend positiv (s. Tabelle 2.3). Dies gilt sowohl für unterschiedliche volkswirtschaftliche Variablen als auch auf Industrie- und Unternehmensebene. Bekaert, Harvey und Lundblad (2005) finden beispielsweise, dass Länder im Anschluss an Aktienmarktliberalisierungen im Durchschnitt um 1% schneller wachsen.
Studie
Anzahl der Länder/Periode
Abhängige Variable
Henry (2000)
11/1977-1994
Δ ln Investitionen
Bekaert, Harvey und Lundblad (2001) Bekaert, Harvey und Lundblad (2005) Mitton (2006)
30/1980-1997
Δ reales BIP pro Kopf
Maß für die finanzielle Offenheit Datum der Liberalisierung Datum der Liberalisierung
95/1980-1997
Δ reales BIP pro Kopf
Datum der Liberalisierung
Positiv
28/1980-2000
Firmenspezifisches Datum der Liberalisierung
Positiv
Gupta und Yuan (2009)
31/1981-1998
Unternehmensebene: z.B. Δlog(Umsatz), EBITDA/Total Assets, log(Umsatz/ Beschäftigter) Industrieebene: z.B. Δ reale Wertschöpfung, Anzahl Unternehmen
Datum der Liberalisierung
Positiv/ Uneinheitlich
Zusammenhang Positiv Positiv
Tabelle 2.3: Empirische Studien zu den Auswirkungen von Aktienmarktliberalisierungen Quelle: Kose et al. (2006) 64
Ein wichtiger Aspekt, den viele dieser Studien auch empirisch nachweisen, ist die Bedeutung des institutionellen Umfeldes für eine erfolgreiche Liberalisierung. In der Studie von Bekaert, Harvey und Lundblad (2005) beispielsweise sind die positiven Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum für Länder am höchsten, die zu 63 64
Vgl. Stiglitz (2004) und Rodrik und Subramanian (2009). In der Tabelle wurden einige der in Kose et al. (2006) genannte Studien weggelassen, die nicht in Zeitschriften veröffentlicht wurden und nicht verfügbar waren. Die Studie von Gupta und Yuan (2009) wurde in Kose et al. (2006) als Working Paper aus dem Jahr 2005 geführt.
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25
Beginn der Liberalisierung u.a. über einen großen Bankensektor, eine hohe Aktienmarktliquidität, ein effizientes Justizsystem, starke Aktionärs- und Gläubigerrechte und gute Rechnungslegungsstandards verfügen. Kose et al. (2006) erläutern die Notwendigkeit bestimmter Schwellenwerte bei der Qualität der Institutionen, die nötig sind, um die positiven Auswirkungen einer Liberalisierung zu erreichen und betonen zudem die Bedeutung der Verbesserungen dieses institutionellen Umfeldes im Anschluss an die Liberalisierung. 65 Bekaert, Harvey und Lundblad (2011) bestätigen diese beiden Aspekte empirisch. Die vorliegende Arbeit kann daher auch in die bestehende Literatur zur Bedeutung des institutionellen Umfeldes bei Aktienmarktliberalisierungen eingeordnet werden.
2.2 Die Ideengeschichte der Informationseffizienzhypothese Ein Überblick über die Ideengeschichte der EMH soll hier nicht nur aus rein informativen Gründen gegeben werden, sondern hilft auch die historische Wandlung des Verständnisses eines effizienten Marktes und die Berücksichtigung des Informationsumfeldes in der Effizienzforschung nachzuvollziehen. 66 Durch die Vermittlung eines historischen Hintergrundes können zudem Rückschlüsse über frühere Interpretationen empirischer Ergebnisse und der späteren Kritik daran gezogen werden. Der Großteil der im Folgenden genannten Arbeiten stammt von Forschern US-amerikanischer Universitäten. Aufgrund der bedeutenden Implikationen für die Finanzbranche haben auch vereinzelt „Praktiker“ oder Wissenschaftler, die in die Praxis gewechselt sind, Beiträge zur wissenschaftlichen Diskussion geliefert.67 Entgegen der sonst üblichen wissenschaftlichen Praxis begann die Effizienzmarktforschung mit empirischen Untersuchungen. Die theoretische Fundierung wurde dagegen anfangs nur sehr unzureichend behandelt und erst in 65
66
67
In Bezug auf die Strukturen am Aktienmarkt zeigen Levine und Zervos (1998a), dass diese größer, liquider, volatiler und integrierter im Anschluss an eine Liberalisierung von Kapitalkontrollen werden. Dabei zeigen sie auch, dass Länder, in denen Unternehmen umfangreiche Informationen veröffentlichen, größere, liquidere und stärker integrierte Aktienmärkte haben. Es gibt eine Vielzahl von Arbeiten, die einen Überblick über die Entwicklung der EMH geben. Eine Zusammenstellung der wichtigsten Studien der Frühphase findet sich in Cootner (1964). Fama (1970, 1991) gibt jeweils einen umfassenden Überblick über die wichtigsten theoretischen und empirischen Forschungen. Fama (1998) liefert einen Überblick über die Behavioral Finance Literatur zu langfristigen Renditeanomalien und der Rolle der EMH dabei. Bernstein (2007) beschreibt die Entwicklung der Kapitalmarkttheorie und geht dabei auch intensiv auf die EMH ein. Sewell (2011) listet die bedeutendsten Aufsätze in chronologischer Reihenfolge auf. Einen eher populärwissenschaftlichen Überblick mit vielen Hintergrundgeschichten zur EMH gibt Fox (2009c). Lo (2008) gibt einen umfassenden Überblick auch über neuere Forschungen. Einige zentrale Aufsätze, z.B. die informationsökonomischen Modelle, werden hier nur kurz angesprochen, um dann im späteren Verlauf der Arbeit ausführlich erläutert zu werden. Ein Beispiel ist Fischer Black, der im Anschluss an seine Universitätslaufbahn für eine Investmentbank arbeitete, aber weiterhin Forschungen zur EMH veröffentlichte.
26
GRUNDLAGEN DER INFORMATIONSEFFIZIENZ
späteren Arbeiten ausführlich thematisiert.68 Dies lässt sich auf die für die damalige Zeit relativ gute Verfügbarkeit empirischer Daten, vor allem aber auf ein Unterschätzen der Relevanz der theoretischen Fundierung zurückführen. 69 Da die EMH eine zentrale Rolle in der Kapitalmarkttheorie einnimmt, ist ihre Ideengeschichte stark mit der Entwicklung der allgemeinen Theorie der Kapitalmarktpreise verbunden. Das Verständnis der Ideengeschichte einer der beiden Theorien ist daher ohne die Kenntnis der anderen nicht möglich. 70 Eine strenge Abgrenzung der relevanten Forschungen ist nicht immer möglich, da in der Vergangenheit auch Forschungsergebnisse aus anderen Wissenschaftsdisziplinen eingeflossen sind. In der Frühphase der EMH-Forschung (Anfang/Mitte des 20. Jahrhunderts) waren dies beispielsweise Erkenntnisse aus der Mathematik und den Naturwissenschaften. Seit den 1980ern wurden auch verstärkt weiterführende Methoden der Statistik zur Analyse empirischer Daten angewendet. 71 Mit dem Aufkommen der Verhaltensökonomik wurde zudem auf psychologische und soziologische Forschungsarbeiten zurückgegriffen. Auch wenn häufig die Arbeiten von Samuelson (1965) oder Fama (1965b, 1970) als Startpunkt der EMH genannt werden, können in Kapitel 2.2.1 die frühen Einflüsse noch deutlich weiter zurückverfolgt werden.72 Die meisten dieser Arbeiten vor 1965 konzentrierten sich auf die Überprüfung, ob Kapitalmarktpreise einem Random Walk entsprechen. In der heute gängigen Terminologie ausgedrückt, untersuchten diese Studien, ob eine Informationseffizienz der schwachen Form vorlag. Kapitel 2.2.2 beschäftigt sich mit der Zeit zwischen 1965 und 1978, die auch als die Hochphase der EMH bezeichnet wird, da die überwältigende Mehrheit der damaligen empirischen Untersuchungen, darunter auch Tests auf halbstrenge Effizienz, die Hypothese stützte. Außerdem breitete sich die EMH zu dieser Zeit in der akademischen Welt, nicht nur in den USA, rapide aus. Zudem fanden auch ihre weitreichenden Implikationen für die Praxis zunehmende Beachtung. Zwar hatte die EMH auch in der Folgezeit großen Einfluss, Ende der 1970er/Anfang der 1980er kam aber erste Kritik, insbesondere durch die aufstrebende Behavioral Finance Literatur, sowohl an der theoretischen Fundierung als auch an der empirischen Haltbarkeit der Hypothese, auf. Diese und folgende Forschungsarbeiten werden in Kapitel 2.2.3 erläutert. In Kapitel 2.2.4 sollen jüngere Forschungser68 69 70 71
72
Vgl. Fama (1970), S. 383. Vgl. Shleifer (2000), S. 10. Besonders deutlich wird dies beim sogenannten Joint-hypothesis Problem. Vgl. Kap 2.4.3. Forschungen zu statistischen Modellierungen und empirischen Untersuchungen der Verteilungseigenschaften von Aktienrenditen werden im Folgenden nur kurz angesprochen. Auch wenn diesen in der Kapitalmarktforschung eine bedeutende Rolle zukommt, haben sie für die EMH nur eine untergeordnete Bedeutung. Vgl. Andreou, Pittis und Spanos (2001) für einen Überblick über die historische Entwicklung der statistischen Modellierung von Kapitalmarktpreisen und ihren Erfolg in der Erklärung empirischer Befunde. Die Einteilung der Kapitel orientiert sich grob an Fox (2009c).
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gebnisse und der aktuelle Stand der Debatte vorgestellt werden. Dabei werden insbesondere Ansätze, die versuchen die EMH mit der Behavioral Finance Theorie in Einklang zu bringen, erläutert. Kapitel 2.2.5 diskutiert anschließend den Einfluss der Finanzkrise auf die EMH. 2.2.1 Frühe Forschungsergebnisse (bis ca. 1965) Je nach Definition und Auslegung kann der Start der Ideengeschichte der EMH zu unterschiedlichen Zeitpunkten zurückverfolgt werden. Sewell (2011) beginnt in einer chronologischen Auflistung der wichtigsten Literatur zur EMH mit dem italienischen Mathematiker Girolamo Cardano und seinen Ausführungen über Chancengleichheiten bei Wetten aus dem Jahr 1565. Robert Shiller nennt als erste ihm auffindbare konkrete Erwähnung des Konzepts der EMH ein Buch des Börsenmaklers George Gibson mit dem Titel „The stock markets of London, Paris and New York” aus dem Jahr 1889. 73 Gibson schrieb darin: „[when] shares become publicly known in an open market, the value which they acquire may be regarded as the judgment of the best intelligence concerning them.” 74 Die ersten bedeutenden Forschungen zu Kapitalmarktpreisen in dieser Frühphase stammten von dem Franzosen Louis Bachelier und seiner „Theorie de la spéculation“ aus dem Jahr 1900.75 Da die Arbeit aber auf Französisch erschien und fast ausschließlich unter Mathematikern bekannt war, blieben Bacheliers Ausführungen US-amerikanischen Ökonomen eine lange Zeit unbekannt. Erst durch die Veröffentlichung einer englischen Version in einem Buch des Statistikers Savage im Jahr 1955 wurde das Werk von Bachelier auch in den USA bekannt und gewürdigt. 76 Bacheliers Dissertation brachte einige für die damalige Zeit bahnbrechende Aspekte hervor. 77 Zum einen entwickelte er die Mathematik und Statistik der sogenannten Brownschen Bewegung und damit die Grundlage für die Modellierung von Aktienkursen als stochastischen Prozess. 78 Bachelier leitete damals bereits ab, dass die mathematische Erwartung eines Spekulanten gleich null ist. Dies bezeichnete er als „fundamentales Prinzip“ der Preisbewegungen. Er argumentiert dabei, dass eine Abweichung des Preises vom zukünftigen Erwartungswert entweder den Käufer oder den Verkäufer schlechter stellen und der Handel
73 74 75 76
77
78
Vgl. Shiller (2005), S.178. Gibson (1889), S. 11. Vgl. Bachelier (1900). Vgl. Fox (2009c), S. 65-66. Eine weitere englische Übersetzung mit Erläuterungen findet sich in Bachelier, Davis und Etheridge (2006). Bachelier entwickelte dabei auch eine Formel für Optionspreise, die der heute gängigen Black-Scholes-Formel sehr nahe kommt. Vgl. Bachelier, Davis und Etheridge (2006), S. 3. Die Brownsche Bewegung beschreibt die von dem Botaniker Brown 1827 beobachteten unregelmäßigen Bewegungen von Pollen in Wasser.
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dadurch nicht zustande kommen würde.79 Dies ist die Eigenschaft von MartingalProzessen, die Bachelier ausführlich beschreibt. 80 Damit war er wohl der Erste, der implizit mittels modellhafter Ausführungen die Nichtvorhersagbarkeit von Aktienkursen ableitete. Der von Bachelier beschriebene Martingal- ist dem Random Walk-Prozess sehr ähnlich. 81 Letzterer wurde bereits vor Bachelier beschrieben, obwohl der Begriff des Random Walk in einem nur wenige Zeilen umfassenden Umschreibung von Karl Pearson in der Zeitschrift Nature erst im Jahr 1905 eingeführt wurde.82 Louis Bachelier war der Erste, der dieses Konzept zur Beschreibung von Aktienkursen anwendete.83 Mit der Arbeit von Williams (1938) setzte sich das heute zentrale Verständnis von Aktienpreisen als Barwerte diskontierter Dividenden durch. Dadurch gab es erstmals eine wissenschaftlich fundierte Theorie zur Bestimmung eines Fundamentalwertes von Aktien. Allerdings fehlte damals noch eine geschlossene Theorie zur Bestimmung des Diskontierungsfaktors, die erst mittels der später entwickelten Asset-Pricing-Modelle möglich war. Zudem ist das Dividenden-Diskontierungsmodell, durch die hohe Sensitivität bezüglich kleiner Änderungen in den Erwartungen über die Wachstumsraten der Dividenden oder des Diskontierungssatzes, nur schwer mittels empirischer Daten überprüfbar. Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts gab es zudem einige Forschungen, die aufzeigten, dass die Renditen von Wertpapieren nicht denen einer Normalverteilung entsprechen. 84 Allerdings ist dies auch keine Voraussetzung oder Implikation von informationseffizienten Märkten. 85 Eine der Implikationen informationseffizienter Märkte ist es aber, dass es auch professionellen Analysten nicht möglich ist Aktienkurse vorherzusagen, da bereits alle Informationen bei der Preisbildung berücksichtigt wurden. 86 Die erste Studie, die diese Implikation empirisch überprüfte, stammte von Cowles (1933). In seinem Aufsatz „Can stock market forecasters forecast?“ untersuchte er, wie erfolgreich professionelle Analysten bei der Empfehlung einzelner Aktien oder der Vorhersage des gesamten Aktienmarktes sind. In beiden Fällen kam Cowles dabei zu dem Ergebnis, dass eine Aktienstrategie, basierend auf Vorhersagen der Analysten, im Durchschnitt nicht erfolgreicher (meist sogar schlechter) als der Ertrag ei-
79 80 81 82 83
84 85 86
Vgl. Bachelier (1900), S. 31-34. Vgl. Bachelier, Davis und Etheridge (2006), S. 12. Vgl. Kapitel 2.4.1. Sewell (2011) nennt Arbeiten aus dem 19. Jahrhundert, die das Konzept des Random Walk beschreiben. Der amerikanische Physiker Osborne (1959) leitete unabhängig von Bachelier die Modellierung von Aktienpreisen als Brownsche Bewegung ab. Vgl. Fama (1965b), S. 41. Vgl. Sewell (2011). Vgl. Kapitel 2.4.1. Vgl. Kapitel 2.3.2.
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ner durchschnittlichen Aktie oder einer zufälligen Aktienauswahl war.87 Zum damaligen Zeitpunkt wurde dieses Ergebnis allerdings noch nicht als eine Eigenschaft eines informationseffizienten Marktes interpretiert. Cowles schrieb dazu: „It seemed a plausible assumption that if we could demonstrate the existence in individuals or organizations of the ability to foretell the elusive fluctuations, either of particular stocks, or of stocks in general, this might lead to the identification of economic theories or statistical practices whose soundness had been established by successful prediction.” 88 Die Nichtvorhersagbarkeit von Aktienkursen wurde damals also eher auf das Fehlen einer ökonomischen Theorie zur Erklärung von Kapitalmarktpreisen als auf eine Eigenschaft informationseffizienter Märkte zurückgeführt. In einer Folgestudie kam Cowles (1944) auch mit Daten über einen längeren Zeitraum zu dem Ergebnis, dass Vorhersagen von Aktienkursen nicht möglich seien. Kendall fand 1953 in einer Zeitreihenanalyse von Weizen-, Aktienindex- und Baumwollpreisen, dass es fast keine serielle Korrelation zwischen den Preisen gibt und eine Vorhersage basierend auf früheren Preisen daher praktisch unmöglich ist. 89 Er verglich die Zeitreihen dabei mit einem Zufallsdämon, der wöchentlich zufällig eine Zahl zieht, um den Preis der nächsten Woche zu bestimmen. 90 Allerdings brachte auch Kendall die Nichtvorhersagbarkeit der Preise nicht mit effizienten Märkten in Verbindung. Der erste Wissenschaftler, der die Nichtvorhersagbarkeit von Aktienkursen mit der Eigenschaft eines idealen informationseffizienten Marktes verband, war der Agrarökonom Holbrook Working von der Stanford University. 91 Mit Bezug auf die oben angesprochene Studie von Cowles (1933) betont er, dass er das Ergebnis der Nichtvorhersagbarkeit nicht als schlechte Eigenschaft der Analysten auslege. In seiner Analyse von Weizen-Future-Preisen erläutert er, welche Faktoren für eine Abweichung von einem informationseffizienten Preis verantwortlich sein können (z.B. eine zu langsame Anpassung an neue Informationen, durch inadäquate Informationen oder eine exzessive Volatilität). 92 Entscheidender ist aber seine Beschreibung von perfekten Erwartungen und deren Verbindung zur Vorhersage von Aktienkursen: „The most perfect expectations possible in economic affairs must 87
88 89
90 91 92
Cowles versuchte dabei weder die Renditen in ein Verhältnis zum Risiko zu setzen noch bezog er die anfallenden Handelskosten ein. Cowles (1933), S. 309. Vgl. Kendall (1953), S. 11. Lediglich bei Baumwollpreisen findet Kendall eine gewisse serielle Korrelation. Allerdings zeigt Working (1960), dass dies auf die Verwendung von Durchschnittswerten zurückgeführt werden kann. Selbst wenn eine Serie einem Random Walk folgt, können statistische Tests, bei denen Monatswerte mittels durchschnittlicher Wochenwerte berechnet werden, eine serielle Korrelation aufweisen. Vgl. Kendall (1953), S. 13. Vgl. Fox (2009c), S. 39-44. Vgl. Working (1949), S. 153-156.
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be subject to substantial error because the outcome depends on unpredictable future events.“93 Er unterscheidet dabei auch weiter eine notwendige Ungenauigkeit von Markterwartungen, die sich durch unvorhersehbare Änderungen in Angebot und Nachfrage ergeben und einer zu beanstandenden Ungenauigkeit, die über die notwendige Ungenauigkeit hinausgeht. 94 Weiterhin führt er zu der Verbindung zwischen perfekten Markterwartungen, der Nichtvorhersagbarkeit und seinen Vorstellungen eines idealen Marktes aus: „An interesting consequence of this proposition is that, given an ideal futures market in which market expectations exhibited only necessary error, it would be impossible for any professional forecaster to predict price changes successfully. Apparent imperfection of professional forecasting, therefore, may be evidence of perfection of the market. The failures of stock market forecasters, to which we referred earlier, reflect credit on the market.” 95 Auf dieser erstmaligen Verbindung zwischen einem idealen Markt und der Nichtvorhersagbarkeit basieren viele der später entwickelten Tests auf Informationseffizienz. In dieser Phase gab es auch zahlreiche weitere einflussreiche Aufsätze, die zwar nicht in direktem Zusammenhang mit der EMH standen, aber das Denken über die Effizienz von Finanzmärkten beeinflussten. Zu nennen ist dabei John Maynard Keynes vielzitierter Vergleich des Aktienmarktes mit einem Schönheitswettbewerb und seine Ausführungen zum Einfluss von „Animal Spirits“ auf Investitionsentscheidungen.96 Damit kann Keynes als einer der ersten Wissenschaftler interpretiert werden, der die Bedeutung von psychologischen Faktoren für die Ökonomie im Allgemeinen und für Finanzmärkte im Speziellen beschrieben hat. 97 Milton Friedman nahm nicht nur in der Makroökonomie eine Gegenposition zu Keynes ein, sondern war auch von der Effizienz der Finanz- und Devisenmärkte überzeugt und plädierte deshalb schon 1953 für die Einführung von flexiblen Wechselkursen.98 Sidney Alexander führte mit der Analyse der Vorteilhaftigkeit von Handelsstrategien einen weiteren Test auf schwache Informationseffizienz ein. In einer Studie aus dem Jahr 1961 fand er zwar, dass Aktienrenditen einem Random Walk ähneln, durch die Verwendung von Filterregeln konnten jedoch Überrenditen erzielt werden. 99 Allerdings beging er dabei einen methodischen Fehler, den er in einer Fol93 94 95 96 97 98
99
Working (1949), S. 158-159. Vgl. Working (1949), S. 159. Working (1949), S. 160. Vgl. Keynes (1936). Vgl. Akerlof und Shiller (2009), S. 10. Vgl. Friedman (1953b). Friedman argumentierte dabei, dass gut-informierte Anleger einen effizienten Markt garantieren. Dies wird in der Erläuterung der theoretischen Fundierung informationseffizienter Märkte in Kapitel 2.3.1 aufgegriffen. Vgl. Alexander (1961).
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gestudie 1964 korrigierte. Dies führte dazu, dass keine Überrenditen mehr durch Handelsstrategien zu erzielen waren. 100 Es gab in dieser Frühphase noch eine Fülle weiterer Studien, die untersuchten, ob empirische Aktienmarktpreise einem Random Walk entsprachen. Auch wenn diese teilweise zu abweichenden Ergebnissen kamen, stützten doch die meisten die Random Walk Theorie. 101 Die Studie von Cowles und Jones (1937) gilt als die einzige vor 1960 veröffentlichte, die signifikante Ineffizienzen in Form von serieller Korrelation konstatierte. 102 2.2.2 Hochphase der Akzeptanz (ca. 1965 bis 1978) Wie bereits erläutert, ist die Entwicklung der EMH stark mit der allgemeinen Kapitalmarkttheorie verknüpft. Die 1950-1970er Jahre werden oft als die goldenen Jahrzehnte der Finance-Theorie bezeichnet. Die Entwicklung der Portfoliotheorie von Harry Markowitz im Jahr 1952 war der Startschuss für eine Fülle von teilweise aufeinander aufbauenden Modellen, die Finance erst zu einer anerkannten Wissenschaft machten. 103 Eine zentrale Rolle für die Kapitalmarkttheorie im Allgemeinen und die EMH im Speziellen hatte die Entwicklung des Capital-AssetPricing Modells durch Sharpe, Lintner und Mossin Mitte der 1960er Jahre.104 Mithilfe des CAPM war erstmals eine wissenschaftlich fundierte Quantifizierung des Zusammenhangs von Risiko und Rendite möglich. Da man zur empirischen Überprüfung der EMH häufig einen Referenzwert benötigt, der als „faire“ Entlohnung für das eingegangene Risiko angesehen werden kann, ermöglichte die Berechnung der erwarteten Rendite über das CAPM eine signifikante methodische Verbesserung der empirischen Tests. Allerdings impliziert die Verwendung des CAPM auch das Joint-hypothesis-Problem, welches Schlussfolgerungen aus Tests der EMH erschwert.105 Fama (1965b) lieferte die bis dahin wohl umfassendste Analyse und Interpretation von Aktienmarktdaten. Er unterteilte das Random Walk Modell dabei in zwei separate Hypothesen über die Unabhängigkeit der Renditen und deren Verteilung.106 Bezüglich der Verteilung zeigte Fama, dass empirische Renditen nicht einer Normalverteilung entsprechen, sondern „fat tails“ aufweisen und eine Verwendung der allgemeineren von Benoit Mandelbrot vorgeschlagenen Stable Paretian Vertei-
100 101 102
103 104 105 106
Vgl. Alexander (1964). Vgl. Fama (1970), S. 389-404. Vgl. Lo (2008). Dabei wurden allerdings Durchschnittswerte verwendet, die zu einer Fehlinterpretation der Ergebnisse führen können. Vgl. Cowles (1960). Vgl. Bernstein (2007), S. xii-xiv. Vgl. Sharpe (1964), Lintner (1965) und Mossin (1966). Vgl. Kapitel 2.4.3. Vgl. Fama (1965b), S. 35.
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lung daher vorzuziehen sei.107 Relevanter für die EMH waren aber die Untersuchungen zur Unabhängigkeit der Renditen. Bei seinen Tests auf serielle Korrelation fand Fama zwar kleine Abhängigkeiten, diese waren aber statistisch nicht signifikant und als Handelsstrategie nicht nutzbar. 108 Des Weiteren nutzte er Runs Tests, verwies auf Studien zur Nutzung von Filtertechniken und untersuchte Renditeverteilungen nach großen Preisbewegungen, um letztendlich zu schlussfolgern, dass empirisch beobachtbare Renditen denen eines Random Walk Modells entsprechen.109 Paul Samuelson veröffentlichte ebenfalls 1965 einen Artikel, in dem er mittels eines Modells eine der Implikationen der EMH ableitete. 110 Er bewies dabei, wie auch schon der Titel seines Aufsatzes besagt, dass richtig antizipierte Preise zufällig schwanken.111 Damit stellte er die Verbindung, genau wie Working, zwischen zufälligen Schwankungen und perfekt funktionierenden Märkten her. Auch wenn die Erkenntnisse aus dem Modell dabei nicht neu waren, trug die Untermauerung der Hypothese mittels eines Modells bedeutend zur Akzeptanz bei.112 Im Gegensatz zu Famas Aufsatz aus dem gleichen Jahr zeigte Samuelson, dass die Renditen auf informationseffizienten Märkten einem Martingal-Prozess (und nicht einem Random Walk) entsprechen.113 Die empirische Forschung hatte sich bis 1965 fast ausschließlich auf Effizienztests der schwachen Form konzentriert. Nach der Entwicklung des CAPM und der damit verbundenen Möglichkeit der Performancemessung mittels risikoadjustierter Renditen wurden einige Studien zur Performance von Investmentfonds veröffentlicht, die als Tests auf halbstrenge oder strenge Informationseffizienz interpretiert werden können. 114 Die Studie zur Performance von Investmentfonds von Michael Jensen aus dem Jahr 1968 gilt dabei als die umfangreichste der damaligen Zeit.115 Für 115 Investmentfonds fand er für die Periode zwischen 1945 und 1964, dass diese im Durchschnitt keine bessere Performance erzielten als eine passive Anlagestrategie. Selbst eine Vernachlässigung der Gebühren der Fonds änderte dabei 107 108 109 110 111 112 113 114 115
Vgl. Mandelbrot (1963). Vgl. Fama (1965b), S. 69-74. Vgl. Fama (1965b), S. 74-90. Vgl. Samuelson (1965). Der Titel des Aufsatzes lautet: Proof that properly anticipated prices fluctuate randomly. Vgl. Fox (2009c), S. 72-74. Vgl. Samuelson (1965), S. 42. Vgl. Kapitel 2.4.2 zur Klassifizierung der Tests. Vgl. Jensen (1968). Fama (1965b) und Sharpe (1966) untersuchten schon vorher die Performance von Investmentfonds. Fama schlussfolgerte, dass diese im Durchschnitt nicht besser als ein Marktportfolio abschneiden und auch keine Persistenz in ihrer Performance aufweisen. Allerdings verglich er dabei immer nur die einfachen Renditen und verwendete damit keine Performancemaße zur Risikoadjustierung. Sharpe nutzte bereits einige der Performancemaße und zeigte, dass es eine gewisse Persistenz in der Performance der Fonds gibt. Die Studie von Jensen gilt aber, unter anderem aufgrund des längeren Untersuchungszeitraums, als die umfassendste der damaligen Zeit.
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nichts an diesem Ergebnis. Des Weiteren zeigte Jensen, dass es kaum Anzeichen dafür gab, dass einzelne Fonds signifikant besser abschneiden als bei einem reinen Zufallsprozess. 116 Ende der 1960er wurde mit den Event-Studien eine weitere Form von Effizienztests entwickelt. Die erste veröffentlichte Event-Studie stammte von Ball und Brown aus dem Jahr 1968. 117 Dabei untersuchten die Autoren wie sich Aktienkurse vor und nach der Veröffentlichung von Unternehmenszahlen entwickeln. Im Einklang mit der EMH antizipieren Investoren relativ schlechte Ergebnisse bereits vor der Veröffentlichung.118 Allerdings identifizierten die Autoren auch erstmals den sogenannten Post-Earnings-Announcement Drift, d.h. ein weiteres Absinken der Preise in den Monaten nach der Veröffentlichung schlechter Ergebnisse.119 Da ein Ausnutzen dieses Drifts aber nur bei sehr kleinen Transaktionskosten möglich wäre, schlussfolgerten die Autoren, dass die Marktreaktion auf die Informationen ohne Verzerrung erfolgt. 120 Zur gleichen Schlussfolgerung kommen Fama et al. (1969) in ihrer Event-Studie zu Aktien-Splits. Da fast alle Asset Pricing Modelle implizit einen informationseffizienten Markt unterstellen, können auch Tests, beispielsweise des CAPM, als Test auf halbstrenge Informationseffizienz interpretiert werden, auch wenn dabei das JointHypothesis-Problem Schlussfolgerungen erschwert.121 Der wohl bedeutendste Test des CAPM der damaligen Zeit stammt von Fama und MacBeth aus dem Jahr 1973. 122 Dabei schlussfolgern die beiden Autoren, dass die Implikationen des CAPM, der lineare Zusammenhang zwischen Rendite und Risiko und die Irrelevanz weiterer Risikofaktoren zur Erklärung von Renditen, durch empirische Daten weitestgehend gestützt werden und daher für einen effizienten Markt sprechen.123 Zwar war die empirisch gefundene Wertpapierkenngerade flacher als vom CAPM impliziert, dies konnte jedoch durch die Erweiterung des CAPM um Restriktionen bei der Kreditvergabe durch Fischer Black erklärt werden. 124 Die zum damaligen Zeitpunkt scheinbare empirische Haltbarkeit eines Modells zur Erklärung des fundamentalen Zusammenhangs zwischen Risiko und Rendite trug zur allgemeinen 116 117
118 119 120 121
122 123
124
Vgl. Jensen (1968), S. 396-415. Die Studie von Fama et al. (1969) entstand zwar früher, wurde aber erst nach der Studie von Ball und Brown (1968) veröffentlicht. Vgl. Ball und Brown (1968), S. 168-171. Vgl. Kapitel 6.1 für eine ausführliche Erläuterung des PEAD. Vgl. Ball und Brown (1968), S. 173-174. Ein umfassender Überblick über empirische Tests und theoretische Erweiterungen des CAPM sind an dieser Stelle aufgrund des Umfangs der Literatur nicht möglich. Vgl. dazu beispielsweise Fama und French (2004). Vgl. Fama und MacBeth (1973). Die Autoren finden zwar einige stochastische Nichtlinearitäten im Zusammenhang zwischen Rendite und Risiko, da diese aber im Durchschnitt null und nicht vorhersagbar sind, sollte ein Investor einen linearen Zusammenhang unterstellen. Vgl. Fama und MacBeth (1973), S. 633-634. Vgl. Fama und French (2004), S. 30-33 und Black (1972).
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Anerkennung der beiden unterstellten Hypothesen EMH und CAPM bei. 125 Erst die ab den 1980ern aufgezeigten Anomalien des CAPM ließen Zweifel daran aufkommen. Abgesehen von den Investmentfonds-Performancetests (bei denen die Zuordnung zu halbstrenger oder strenger Form nicht eindeutig ist), gab es noch eine weitere Studie, die die Informationseffizienz der strengen Form testete. Niederhoffer und Osborne zeigten bereits 1966, dass Specialists126 an der New York Stock Exchange ihren Informationsvorsprung in Form von Wissen über vorliegende Limit orders 127 nutzten, um Profite zu erzielen.128 Da dies bei einem streng informationseffizienten Markt nicht möglich wäre, sprach dies gegen ein Vorliegen der höchsten Effizienzform. Die Schlussfolgerung, dass Märkte nicht streng informationseffizient sind, hat sich bis heute gehalten. Der Übersichtsaufsatz von Fama aus dem Jahr 1970 gilt als der bedeutendste Aufsatz dieser Zeit zur EMH. Dies ist darauf zurückzuführen, dass Fama darin nicht nur eine Vielzahl der empirischen Forschungen zusammenfasst und interpretiert, sondern auch mit den theoretischen Grundlagen in Verbindung setzt. Wie bereits erwähnt, kamen viele der empirischen Untersuchungen vor der Entwicklung einer Theorie effizienter Märkte und litten daher oft unter einer mangelnden Verknüpfung der beiden. 129 In der Folge wurde die Gültigkeit der EMH auch im Rahmen neoklassischer Finanzmarktmodelle untersucht, bei denen rationale Individuen ihren Nutzen maximieren. 130 Durch die Einführung von Risikoaversion zeigen diese Modelle, dass die Martingal-Eigenschaft von Renditen auf einem informationseffizienten Markt nicht gelten muss. Aufgrund z.B. einer sich über die Zeit verändernden Marktrisikoprämie kann es zu Abweichungen kommen. Bei Vorliegen von serieller Korrelation kann daher die EMH nicht automatisch abgelehnt werden. Die Fülle der damaligen Forschungsergebnisse, die die EMH bestätigten, führte im Jahr 1978 zur Aussage von Michael Jensen, die stellvertretend für die Akzeptanz der EMH in dieser Phase betrachtet werden kann: 131 „I believe there is no other proposition in economics which has more solid empirical evidence support-
125 126
127
128 129 130 131
Vgl. Fama und French (2004), S. 35. Ein Specialist ist Mitglied der Börse und hat die Aufgabe einen geordneten Markt für eine Aktie zu garantieren, indem er Bid- und Ask-Preise bekanntgibt, Limit Orders managt und die Order ausführt. Außerdem müssen sie auf ihr eigenes Konto handeln, wenn es Liquiditätsengpässe gibt. Bei Limit orders wird der Makler beauftragt die Order bei einem Kauf oder Verkauf zu einem bestimmten Preis oder tiefer bzw. höher auszuführen. Vgl. Niederhoffer und Osborne (1966), S. 904. Vgl. Niederhoffer und Osborne (1966), S. 908. Vgl. Fama (1970), S. 383. Vgl. LeRoy (1973) und Lucas (1978). Vgl. Shleifer (2000), S. 10.
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ing it than the Efficient Market Hypothesis.“132 Allerdings beschreibt Jensen auch im selben Aufsatz einige empirische Anomalien, die nicht mit der EMH vereinbar sind, u.a. den auch nach einer Risikoadjustierung vorliegenden PEAD. 133 Die im Anschluss verstärkt aufkommenden Zweifel an der theoretischen Fundierung und der empirischen Haltbarkeit der EMH werden im folgenden Abschnitt näher erläutert. 2.2.3 Phase aufkommender Kritik (ab Ende der 1970er) Auch wenn es bereits in der Hochphase vereinzelte Kritik an der EMH gab, 134 begann die erste große Kritikwelle erst Ende der 1970er/Anfang der 1980er. Einteilen kann man diese in eine Kritik an der unterstellten Rationalität der Individuen, der Annahme einer Arbitrage-Möglichkeit durch gut-informierte Investoren und der verwendeten Methodik sowie der fehlenden Interdisziplinarität und der Vernachlässigung einer genaueren Berücksichtigung des Informationsumfeldes. 135 Aufgrund der Literaturfülle sollen hier nur einige der einflussreichsten Aufsätze und ihr Bezug zur EMH erläutert werden. 136 Eine Kritik an der Annahme rationaler Erwartungen kam vor allem durch die aufstrebende Behavioral Economics Theorie auf. Auch wenn sich diese nicht nur auf die EMH, sondern auf die Anwendung des Konzepts rationaler Erwartungen in der Ökonomie im Allgemeinen bezog, hatte die Behavioral Finance den wohl größten Einfluss. Der Beginn der Behavioral Economics Theorie wird durch die Forschungen von Amos Tversky und Daniel Kahneman markiert. Die beiden veröffentlichten bereits 1974 einen Aufsatz zur Rolle von Heuristiken und Verzerrungen bei Entscheidungen unter Unsicherheit.137 Erst durch die Veröffentlichung ihrer Kritik der gängigen Erwartungsnutzentheorie und der Entwicklung der Prospect Theorie als Alternative im Econometrica Journal im Jahr 1979 wurden ihre Forschungen einer Vielzahl von Ökonomen bekannt.138 Die Bedeutung ihrer Forschungen wurde nicht zuletzt durch die Verleihung des Ökonomie-Nobelpreises an Kahneman 2002 gewürdigt. In der Folge hat die Behavioral Finance eine Vielzahl von Veröffentlichungen zur Anwendung psychologischer Erkenntnisse auf Kapitalmärkte hervorgebracht und
132 133 134 135 136
137 138
Jensen (1978), S. 95. Vgl. Jensen (1978), S. 98. LeRoy (1976) beispielsweise beschreibt die von Fama angeführten Preisbildungsprozesse als tautologisch. Vgl. Kapitel 2.3.3. Eine ausführlichere Diskussion dieser Aspekte erfolgt teilweise in den folgenden Kapiteln. Die Kritik an der postulierten Rationalität und der Arbitrage-Möglichkeit wird in Kapitel 2.3.3, der Einfluss des Informationsumfeldes in Kapitel 3 behandelt. Vgl. Tversky und Kahneman (1974). Vgl. Kahneman und Tversky (1979).
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wird häufig auch als Antithese zur EMH bezeichnet. 139 Auch wenn die Behavioral Finance mittlerweile als wissenschaftliche Teildisziplin anerkannt ist, wird sie von Anhängern der EMH häufig als reine Ansammlung von Kapitalmarktkuriositäten und eine auf spezifische Einzelfälle maßgeschneiderte Theorie abgetan.140 Besonders deutlich wird dies bei der Literatur zur langfristigen Über- bzw. Unterreaktion von Aktienkursen. Die Behavioral Finance Literatur hat eine Fülle von Erklärungsansätzen für diese Anomalien hervorgebracht.141 Fama sieht diese allerdings nicht als unvereinbar mit der EMH, sondern weist darauf hin, dass Überreaktionen ungefähr so häufig festgestellt wurden wie Unterreaktionen und diese damit als Zufallsereignisse angesehen werden können. 142 Außerdem zeigt er auf, dass viele der scheinbaren Anomalien unter Verwendung einer alternativen Methodik verschwinden. Die Erkenntnisse der Behavioral Finance über irrationales Verhalten von einigen Marktteilnehmern wurden von Anhängern der EMH auch aus einem weiteren Grund für wenig relevant erachtet. Die theoretische Fundierung der EMH unterstellt nämlich, dass die Auswirkungen irrationalen Verhaltens einzelner Investoren durch die Arbitragegeschäfte von „gut-informierten“ Investoren ausgeglichen werden und ein informationseffizienter Markt daher nicht die Rationalität aller Individuen voraussetzt. 143 Diese Argumentation findet sich bereits in Famas Aufsatz aus dem Jahr 1965.144 Kritik daran kam erst in den 1990er Jahren durch die sogenannte Limits of Arbitrage-Literatur auf. Die unterstellte ArbitrageMöglichkeit ist demnach entweder gar nicht möglich (aufgrund z.B. gesetzlicher Verbote von Leerverkäufen) oder mit einem Risiko verbunden, das risiko-averse Investoren davon abhält diese einzugehen. Damit gab es eine theoretisch fundierte Gegenthese zum Arbitrage-Argument der EMH, die als Basis für eine dauerhafte Abweichung des Preises von seinem Fundamentalwert, verursacht durch irrationale Marktteilnehmer, dient. Die Erkenntnisse der Limits-of-Arbitrage-Theorie werden auch von Anhängern der EMH in neueren Forschungen berücksichtigt. Fama und French (2007) beispielsweise entwickeln ein Modell, bei dem risiko-averse gut-informierte Investoren aufgrund des Risikos die Preiseffekte von schlechtinformierten Investoren nicht vollständig ausgleichen. Die Notwendigkeit einer genaueren Modellierung des Informationsumfeldes als die gängige Einteilung in die drei Effizienzformen wurde insbesondere durch das Modell von Grossman und Stiglitz (1980) betont. Dabei zeigten die beiden Auto139 140 141 142 143 144
Vgl. Barberis und Thaler (2003) für einen Literaturüberblick. Vgl. Ball (2009), S. 14-16 und Fama (1998). Vgl. Kapitel 3.1.3. Vgl. Fama (1998). Vgl. Shleifer und Vishny (1997). Vgl. Fama (1965b), S. 39-40.
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ren, dass ein vollständig informationseffizienter Markt nicht erreicht werden kann, da kein Anreiz zur Akquisition von Informationen besteht, wenn diese nicht profitabel genutzt werden können, wie dies bei einem informationseffizienten Markt unterstellt wird („Informationsparadoxon“). Daher muss es ein Gleichgewicht geben, bei dem informierte und uninformierte Investoren den gleichen Erwartungswert aufweisen. Auf Basis der Erkenntnisse von Grossman und Stiglitz wurden in der Folgezeit zahlreiche weitere Modelle des Informationsumfeldes entwickelt und die jeweiligen Auswirkungen auf die Informationseffizienz untersucht.145 Auch wenn die Behavioral Finance- und die Limits of Arbitrage-Theorie sowie die Modellierungen des Informationsumfeldes die Debatte zur EMH befruchteten, lag der Fokus der Forschungen meist auf den empirischen Tests der Hypothese. Eine einflussreiche Kritik an der EMH kam von der Literatur zur Excess-volatility von Aktienkursen, die Anfang der 1980er aufkam. Robert Shiller zeigte in einem vielbeachteten Aufsatz, dass die Schwankungen von Aktienkursen zu stark ausfallen, um durch nachfolgende Änderungen von Dividenden gerechtfertigt zu werden.146 Auch wenn seine verwendete Methodik von anderen Autoren kritisiert wurde,147 fühlten sich die Kritiker der EMH darin bestätigt, dass Aktienkurse nicht durch reine Fundamentaldaten erklärt werden können, sondern temporären Abweichungen unterliegen. 148 Ende der 1970er kamen zudem Zweifel an der empirischen Haltbarkeit des CAPM auf. Einige Studien zeigten Anomalien auf, bei denen Unternehmenskennzahlen in Relation zu den Renditen gesetzt wurden. Laut dem CAPM sollte dabei der BetaFaktor eines Unternehmens ausreichen, um die Rendite zu erklären. Basu dokumentierte allerdings bereits 1977, dass Aktien mit hohem Gewinn-Kurs-Verhältnis eine höhere Rendite erzielten als durch das CAPM vorhergesagt.149 Banz zeigte 1981, dass Unternehmen mit niedriger Marktkapitalisierung besser abschnitten als vom CAPM impliziert. 150 Zu diesen Anomalien gibt es zwei unterschiedliche Erklärungsansätze, die wieder den beiden Denkschulen der EMH und der Behavioral Finance zugeordnet werden können. 151 Verhaltensökonomen interpretierten diese als irrationale Überreaktion von Investoren: Unternehmen mit niedrigem Buch/Marktwert-Verhältnis (sogenannte Wachstumsunternehmen) haben einen „zu hohen“ Aktienpreis, da Investoren die Wachstumsraten zu lange in die Zukunft extrapolieren. Nachdem die Investoren ihre Fehlbewertung realisiert haben, korrigie145 146 147
148 149 150 151
Vgl. Kapitel 3.1.2. Vgl. Shiller (1981). Marsh und Merton (1986) beispielsweise analysieren Shillers Variance Bounds Methodik und kommen zu dem Ergebnis, dass diese nicht genutzt werden kann, um die EMH zu testen. Vgl. Fox (2009c), S. 191-210. Vgl. Basu (1977). Vgl. Banz (1981). Vgl. Fama und French (2004), S. 37.
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ren sie ihre Bewertungen. Dies führt zu niedrigeren Renditen von Wachstumsunternehmen (growth stocks) und höheren Renditen von Wertunternehmen (value stocks).152 EMH-Anhänger sehen in den Anomalien dagegen eher eine Missspezifikation des CAPM als eine Verletzung der EMH. Da das Standard-CAPM viele vereinfachende Annahmen trifft, sollte man daher auch keine exakte Bestätigung in empirischen Tests erwarten. Das Modell wurde daraufhin in zahlreichen Bereichen erweitert. Beispiele für solche Erweiterungen sind das intertemporale CAPM (ICAPM) nach Merton und das 3-Faktor-Modell von Fama und French. 153 Entscheidender Aspekt bei diesen Modellen ist, dass die zusätzlichen Risikofaktoren eine rationale Begründung für die höheren Renditen von kleinen Unternehmen und solchen mit hohem Buch-/Marktwert-Verhältnis darstellen. 154 Eine ähnliche Diskussion hat sich bei vielen weiteren scheinbaren Anomalien entwickelt. Wenn immer Forscher der Behavioral Finance eine Anomalie auf Irrationalitäten zurückführen, entwickeln Anhänger der EMH Modelle, die diese Anomalien mit einem rationalen Verhalten in Einklang bringen. Kritik gab es auch an der gängigen Vorgehensweise aus der Nichtvorhersagbarkeit der Aktienpreise auf die Informationseffizienz der Märkte zu schließen. Zwar impliziert ein informationseffizienter Markt die Nichtvorhersagbarkeit, der umgekehrte Schluss sei dagegen nicht zulässig. 155 2.2.4 Aktueller Forschungsstand Trotz der zahlreichen empirischen Tests über die letzten Jahrzehnte gibt es noch immer keinen endgültigen Konsens unter Ökonomen, ob Kapitalmärkte informationseffizient sind oder nicht. Dabei hat sich auch die Einsicht durchgesetzt, dass das Joint-hypothesis Problem eine endgültige Beantwortung der Frage nahezu unmöglich macht. Trotzdem lassen sich Schlussfolgerungen bezüglich der Haltbarkeit der einzelnen Effizienzformen identifizieren, die durch die Mehrheit der Studien gedeckt werden. Am klarsten ist dies bei der strengen Informationseffizienz, die von praktisch allen Studien abgelehnt wird. Dies führte auch dazu, dass diese Effizienzform in den letzten Jahren kaum noch erforscht wurde. Bei der Abhängigkeit zukünftiger von früheren Renditen wurde nachgewiesen, dass diese kurzfristig (in einem Zeitraum von 3-12 Monaten) positive und langfristig (in einem Zeitraum von 3-5 Jahren) negative Abhängigkeiten aufweisen.156 Unter Be152 153 154
155 156
Vgl. DeBondt und Thaler (1985, 1987). Vgl. Merton (1973) und Fama und French (1993, 1996). Die Diskussion, ob diese Modelle auf rationalen Risikofaktoren oder verhaltensökonomisch begründeten Anomalien basieren, hält jedoch weiterhin an. Vgl. Kapitel 2.4.3. Vgl. Kapitel 2.4.3 für eine ausführliche Erläuterung. Vgl. Jegadeesh und Titman (1993) für kurzfristige und Fama und French (1988) für langfristige Abhängigkeiten. Die Ergebnisse wurden durch die meisten Folgestudien bestätigt. Schiereck, DeBondt und Weber (1999) zeigen, dass diese Abhängigkeiten auch auf dem deutschen Aktienmarkt bestehen.
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rücksichtigung von Transaktionskosten und Risiko sind diese mittels Momentumbzw. Contrarian-Strategien auch häufig profitabel nutzbar. Die Implikationen dieser Befunde für die schwache Informationseffizienz sind allerdings weiterhin umstritten. Die Debatte dreht sich dabei (wie oben erläutert) meist um die Risikoadjustierung durch die verwendeten Asset-Pricing-Modelle und ob die verwendeten Faktoren eine rationale Risikoprämie darstellen oder nicht.157 In Bezug auf die halbstrenge Informationseffizienz ist es besonders schwierig einen Konsens zu identifizieren. Zwar kommen beispielsweise die meisten Studien zu Investmentfonds zu dem Ergebnis, dass diese keine Persistenz in der Performance erreichen. 158 Allerdings lässt der Begriff „öffentliche Informationen“ erheblichen Interpretationsspielraum, da dabei u.a. Informationskosten häufig unberücksichtigt bleiben. Die in Kapitel 3 vorgestellten Modellierungen des Informationsumfeldes geben einen Überblick über neuere Forschungen. Dabei spielen Informationskosten, Informationsasymmetrien und uninformierte Investoren eine bedeutende Rolle. In den letzten Jahren haben sich aber auch neue interdisziplinäre Forschungsrichtungen entwickelt, die die Informationseffizienz aus anderer Perspektive betrachten. Zu nennen sind dabei neben den psychologischen Erkenntnissen über das Risikoverhalten von Investoren die evolutionäre Spieltheorie, Agenten-basierte Modelle von Finanzmärkten und die Anwendung evolutionär-psychologischer Prinzipien.159 Auf letztere soll im Folgenden näher eingegangen werden, da diese versuchen, die EMH mit der Behavioral Finance Theorie in Einklang zu bringen. Ausgangspunkt dabei ist die Unterscheidung zwischen der absoluten und der relativen Effizienz. Da bereits das theoretische Modell von Grossman und Stiglitz (1980) nahe legt, dass ein perfekt informationseffizienter Markt bei Informationskosten unmöglich ist, sollte die EMH eher als eine Benchmark betrachtet werden, die zwar niemals zu 100% erreicht wird, zu der aber die relativen Abweichungen verglichen werden können. Campbell, Lo und MacKinlay verweisen zur Erläuterung der relativen Effizienz auf den in der Physik verwendeten Effizienzbegriff: “Physical systems are often given an efficiency rating based on the relative proportion of energy or fuel converted to useful work. Therefore, a piston engine may be rated at 60% efficiency, meaning that on average 60% of the energy contained in the engine’s fuel is used to turn the crankshaft, with the remaining 40% lost to other forms of work such as heat, light, or noise. Few engineers would ever con157
158 159
Die Überreaktions-Hypothese wurde beispielsweise versucht, durch das gestiegene Risiko der Loser Portfolios (Chan 1988) oder die Verbindung zum Size-Effekt zu erklären (Zarowin 1990). Der Momentum-Effekt wird dagegen als nur sehr schwer erklärbare Anomalie betrachtet. Dies führte auch zur Aufnahme des Effektes als Risikofaktor im 4-Faktor-Modell von Carhart (1997). Vgl. Kapitel 2.4.1. Vgl. die Erläuterungen in Kapitel 2.3.2. Vgl. Lo (2008).
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sider performing a statistical test to determine whether or not a given engine is perfectly efficient – such an engine exists only in the idealized frictionless world of the imagination. But measuring relative efficiency – relative to the frictionless – ideal is commonplace. Indeed, we have come to expect such measurements for many household products: air conditioners, hot water heaters, refrigerators, etc. Similarly, market efficiency is an idealization, that is economically unrealizable, but that serves as a useful benchmark for measuring relative efficiency.” 160 Die Autoren schlagen daher auch vor, nicht von „Tests“, sondern von „Messung“ der Informationseffizienz zu sprechen. 161 Die Adaptive Market Hypothesis versucht die EMH mit der Behavioral Finance in Einklang zu bringen. 162 Diese basiert auf Erkenntnissen der Biologie und evolutionär-psychologischer Prinzipien, die auf Wilson (1975) zurückgehen. Dabei werden Prinzipien des Wettbewerbs, der Reproduktion und der natürlichen Selektion auf soziale Interaktionen angewendet. Zur theoretischen Modellierung eines individuellen Konsumenten werden nicht die Maximierung eines erwarteten Nutzens und rationale Erwartungen angenommen, sondern Individuen werden als Organismen betrachtet, die sich am Überleben ihres Genmaterials orientieren. Verhalten ist daher nicht immer intrinsisch und exogen, sondern entwickelt sich durch natürliche Selektion und hängt von der Umwelt ab.163 Dabei spielen Veränderungen dieser Umwelt eine bedeutende Rolle, da früher verwendete Heuristiken in einer neuen Umwelt nicht immer geeignet sein müssen. Die Anwendung dieser ungeeigneten Heuristiken führt dann zu einem Verhalten, das in Bezug zur neuen Umwelt unpassend und irrational wirkt. Bei Anwendung dieser Erkenntnisse auf Kapitalmärkte, kann beispielsweise der Grad an Informationen, der in Preisen reflektiert wird, als abhängig von der jeweiligen Umwelt sowie der Anzahl und den Eigenschaften der Marktteilnehmer betrachtet werden. Die Markteffizienz ist daher vom jeweiligen Kontext abhängig und verändert sich ständig. So können beispielsweise Arbitrage-Möglichkeiten für eine bestimmte Zeit bestehen, durch Ausnutzung wieder verschwinden und sich anschließend neue Möglichkeiten ergeben, wenn alte Marktteilnehmer austreten oder sich das institutionelle Umfeld ändert. Effiziente Märkte können daher als stationärer Grenzwert einer Grundgesamtheit mit konstanten Umweltbedingungen gesehen werden. Abweichungen von effizienten Märkten stellen dagegen spezifi160 161 162 163
Campbell, Lo und MacKinlay (1997), S. 24-25. Bereits Fama (1970), S. 388 spricht von einer Messung der Informationseffizienz. Die Erläuterungen zur Adaptive Market Hypothesis folgen Lo (2004, 2005, 2008). Die Theorie kann in Bezug zur Idee der begrenzten Rationalität nach Simon (1955) gesetzt werden. Dabei optimieren Individuen nicht, sondern treffen eine Entscheidung, wenn sie eine „befriedigende“ Lösung gefunden haben. Aus einer evolutionär-psychologischen Perspektive beendet das Individuum seine Suche nach einer Lösung nicht nach rationalen Kosten-Nutzen-Abwägungen, sondern durch Trial and Error und natürliche Selektion. Vgl. Lo (2008).
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sche Anpassungen bestimmter Gruppen in Abhängigkeit des evolutionären Pfads der Ökonomie dar.164 Auch wenn die Adaptive Market Hypothesis eine für Ökonomen ungewohnte Abstraktion darstellt und schwer zu operationalisieren ist, können die Untersuchungen im empirischen Teil dieser Arbeit auch im Sinne einer Überprüfung dieser Hypothese interpretiert werden. Die in Kapitel 5 ausführlich dargestellten Änderung der Strukturen und Regulierungen an den Aktienmärkten der CEE-3 können als Änderungen der Umwelt interpretiert werden, dessen Einfluss auf die Informationseffizienz daraufhin untersucht wird. 2.2.5 Einfluss der Finanzkrise Im Zuge der Finanzkrise wurde die Rolle der EMH kontrovers diskutiert.165 Zahlreiche Wissenschaftler haben argumentiert, dass a) die Finanzkrise die Gültigkeit der EMH widerlegt habe und/oder dass b) die EMH gar die Finanzkrise (mit-) verursacht habe. Quiggin (2010) widmet in seinem Buch “Zombie Economics: How dead ideas still walk among us” ein Kapitel der EMH und erklärt sie im Zuge der Finanzkrise für tot. Krugman (2009) macht die EMH mitverantwortlich für die Blase am US-amerikanischen Immobilienmarkt und fordert eine stärkere Berücksichtigung der Behavioral Finance. Cooper (2008) sieht in der EMH ebenfalls einen Grund für die Krise. Fox (2009a,b) kommt in einer Diskussion der Verantwortung von Kapitalmarktforschern für die Finanzkrise zu dem Ergebnis, dass die EMH in ihrer ursprünglichen Definition zwar nicht verantwortlich gemacht werden kann, kritisiert aber, dass viele der führenden Kapitalmarktforscher in der Vergangenheit nicht auf falsche Schlussfolgerungen aus der EMH hingewiesen haben. Ball (2009) verteidigt hingegen die EMH und argumentiert, dass diese, wie jede Theorie, zwar bedeutenden Einschränkungen unterliege, aber eine Verantwortung für die Krise deutlich übertrieben sei. Er weist dabei u.a. darauf hin, dass es bereits vor der EMH zahlreiche Finanzkrisen gegeben habe und die Verluste von Banken zum großen Teil aus dem aktiven Handel stammten und daher von Akteuren zu verantworten seien, die offensichtlich nicht an die EMH glaubten. Im Folgenden wird diskutiert werden, worauf diese unterschiedlichen Standpunkte zurückzuführen sind. Es wird argumentiert werden, dass die meisten Vorwürfe nicht haltbar sind und auf falschen Assoziationen mit der Hypothese beruhen. Die unterschiedlichen Standpunkte lassen sich u.a. auf die vage Definition der EMH und eine häufige Missachtung der weiteren Erläuterungen zurückführen. Wie bereits in Kapitel 2.1.2 aufgezeigt wurde, besagt die Hypothese (im Sinne von 164 165
Vgl. Lo (2008). Kritik an der EMH kam bereits im Anschluss an vorherige Krisen auf, z.B. nach dem Platzen der dot-comBlase. Vgl. Shiller (2005).
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Fama) nicht, dass Kapitalmarktpreise aus einer ex-post Betrachtung immer dem Fundamentalwert entsprechen, sondern es lediglich ex-ante nicht möglich ist zu bestimmen, ob der Preis zu hoch oder zu niedrig ist. Siegel (2009) weist in einer Verteidigung der EMH gegen die Angriffe im Zuge der Finanzkrise auf diesen Unterschied hin: „The hypothesis does not claim that the market price is always right. On the contrary, it implies that the prices in the market are mostly wrong, but at any given moment it is not at all easy to say whether they are too high or too low.”166 In konkretem Bezug zur Finanzkrise wird zum Beispiel diskutiert (genau wie nach dem Platzen vorheriger Blasen), ob den Preissteigerungen am US-amerikanischen Immobilienmarkt nicht früher, z.B. durch Eingriffe der Zentralbank, hätte entgegengewirkt werden müssen. Kritiker werfen der EMH vor, dass diese staatliche Eingriffe dieser Art als unnötig ablehne, da der Marktpreis immer die beste Schätzung des Fundamentalwertes darstelle. 167 Verteidiger der EMH fügen dagegen an, dass Blasen immer erst in der ex-post Betrachtung offensichtlich sind.168 Ökonomen, die in der Vergangenheit bereits vor dem Platzen auf eine Preisblase hingewiesen haben, 169 wird meist vorgeworfen, dass diese entweder nur Glück hatten oder ununterbrochen vor Finanzkrisen warnen. Diesen Standpunkt vertritt auch Eugene Fama in einem Interview zum Zusammenhang zwischen der Finanzkrise und der EMH.170 Zudem werden der EMH von einigen Autoren Implikationen zugeschrieben, die weit über den ursprünglichen Gedanken der Hypothese hinausgehen. Cooper schreibt beispielsweise: „The Efficient Market Hypothesis describes our financial system as a docile animal that, left to its own devices, will settle into a steady optimal equilibrium.” 171 Die britische Finanzaufsichtsbehörde FSA geht noch einen Schritt weiter und macht die EMH dafür verantwortlich, dass Regulatoren in Verbriefungen einen Beitrag zur Finanzstabilität und mathematische Modelle als robuste quantitative Risikomaße gesehen haben. Die EMH wird daher als treibende Kraft für die Deregulierung der Finanzmärkte und das Vertrauen in das quantitative Risikomanagement der Banken dargestellt. 172 Zu letzterem muss angemerkt werden, dass die EMH keine Implikationen in Bezug auf die Verteilungseigen-
166 167 168 169
170 171 172
Siegel (2009). Vgl. Krugman (2009). Vgl. Ball (2009), S. 10. Häufig genannt wird dabei zum Beispiel Robert Shiller, der auf dem Höhepunkt der dot-com-Blase im Jahr 2000 vor einem Einbruch des Aktienmarktes warnte (Shiller 2000) und später in einer Neuauflage seines Buchs bereits im Jahr 2005 auf die Probleme am Immobilienmarkt hinwies (Shiller 2005). Vgl. Fama (2010). Cooper (2008), S. vii. Vgl. FSA (2009), S. 39.
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schaften von Renditen hat.173 Die häufig kritisierte Annahme einer Normalverteilung von Renditen im Risikomanagement kann daher nicht in Verbindung mit der EMH gebracht werden. Gleiches gilt für die Verwendung von historischen Renditen (bzw. Verteilungen) zur Schätzung zukünftiger Renditen im Risikomanagement. Die schwache Form der EMH besagt hingegen genau das Gegenteil: Vergangene Preise können nicht genutzt werden, um zukünftige vorherzusagen. Um wiederum einen konkreten Bezug zur Finanzkrise herzustellen, sollte bei der Kritik zudem genau erläutert werden, welche Art von Ineffizienzen auf welchen Märkten gemeint sind. Neben dem Markt für Asset-Backed-Securities steht häufig die Effizienz des Immobilienmarktes in der Kritik. Dabei muss allerdings hinterfragt werden, ob sich die EMH überhaupt auf den Immobilienmarkt bezieht oder lediglich auf Kapitalmärkte beschränkt. Die theoretische Fundierung der EMH betont z.B. die Rolle von Arbitrageuren, die durch ihr Streben nach Profiten für einen effizienten Markt sorgen.174 Immobilienmärkte sind allerdings viel heterogener als Aktienmärkte und daher auch mit deutlich höheren Transaktionskosten verbunden. Diese Limits of Arbitrage sind daher weniger ein Argument gegen die EMH als ein Argument, dass die EMH Immobilienmärkte nicht einschließt. Zudem wurde der US-amerikanische Immobilienmarkt auch durch staatliche Eingriffe (z.B. die staatlich geförderten Immobilienfinanzierer Fannie Mae und Freddie Mac) beeinflusst. Fama (2010) schreibt diesen staatlichen Eingriffen und weniger den Banken und Finanzmärkten eine Verantwortung für die Krise zu. 175 Die Finanzkrise kann also nur sehr bedingt als Argument gegen die EMH angebracht werden. Vielmehr hat die Finanzkrise deutlich gemacht, dass das Informationsumfeld von Kapitalmärkten deutlich komplexer ist als dies durch die drei Informationsmengen schwach, halbstreng und streng beschrieben wird. 176 In der Praxis spielen dabei beispielsweise fehlgeleitete Anreize für Ratingagenturen oder Analysten (die, in der Hoffnung auf zukünftige Aufträge, einen Anreiz haben, positive Ratings bzw. Empfehlungen zu vergeben) eine bedeutende Rolle. Durch die hohe Zahl an Akteuren am Kapitalmarkt bestehen an zahlreichen Stellen Informationsasymmetrien und Prinzipal-Agenten-Probleme, die bei der Modellierung des Informationsumfeldes berücksichtigt werden müssen.
173 174 175
176
Vgl. Ball (2009), S. 11. Vgl. Kapitel 2.3.1. Zudem ist Fama der Meinung, dass die Krise nicht durch das Finanzsystem versursacht wurde, sondern eine ökonomische Krise dazu führte, dass Immobilienkredite nicht mehr bedient werden konnten und sich dies lediglich auf den Finanzmärkten widerspiegelte. Vgl. Ball (2009), S. 12-13.
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2.3 Theoretische Fundierung der Informationseffizienzhypothese und ihre Kritik 2.3.1 Die Argumentation zugunsten informationseffizienter Märkte Wie bereits erläutert, litten viele der frühen Aufsätze unter einer mangelnden theoretischen Fundierung der Informationseffizienzhypothese. Zwar finden sich meist Verweise zum Rationalitätsprinzip und der Rolle von Arbitrage, eine systematische Argumentation erfolgte aber erst in späteren Aufsätzen. Selbst Fama (1970) geht darauf nur kurz ein. Er subsumiert unter der Überschrift „The Theory of Efficient Markets“ hauptsächlich Preisbildungsmodelle, die auf einem effizienten Markt gelten.177 Lediglich in dem Unterkapitel „Market conditions consistent with efficiency“ geht er näher auf die Bedingungen für einen effizienten Markt ein. Dabei nennt er als hinreichende Bedingungen einen Markt auf dem a) es keine Transaktionskosten beim Handel gibt b) alle Informationen allen kostenlos zur Verfügung stehen und c) alle Marktteilnehmer in der Bewertung der Implikationen von Informationen für den Preis übereinstimmen. Da diese Annahmen auf Kapitalmärkten in der Realität nicht zutreffen, führt Fama aus: „the market may be efficient if „sufficient numbers“ of investors have ready access to available information.“178 Dabei spricht er nicht explizit von gut-informierten Arbitrageuren, die einen effizienten Markt garantieren. In Fama (1965b) diskutiert er allerdings intensiv den Einfluss von „sophisticated traders“, die verhindern, dass Abweichungen vom intrinsischen Wert zustande kommen. 179 Die theoretische Fundierung basiert nach Shleifer auf drei Argumenten, die schrittweise schwächer werdende Annahmen besitzen. Der Vorteil dieser Argumentation liegt darin, dass diese jeweils mit den im Anschluss erläuterten Kritikpunkten korrespondieren und daher eine strukturierte Debatte über die Theorie der EMH ermöglichen: 1. Investoren sind rational und bewerten Wertpapiere daher rational. 2. Sollten einige Investoren sich nicht rational verhalten, sind die Abweichungen unabhängig voneinander und heben sich gegenseitig auf.
177
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179
Vgl. Fama (1970), S. 384-388. Fama nennt dabei das Fair Game-, das Submartingal- und das Random WalkModell. Fama (1970), S. 388. Im Anschluss nennt er Transaktionskosten, nicht-öffentliche Informationen und unterschiedliche Einschätzungen von Investoren als potentielle Quellen für Ineffizienzen. Vgl. Fama (1965b), S. 37-39. Vgl. auch die Definition der Informationseffizienz von Fama (1965b) in Kapitel 2.1.2.
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3. Sollten die irrationalen Handlungen einiger Investoren nicht zufällig, sondern abhängig voneinander sein, wird ihr Einfluss auf die Preise von rationalen Arbitrageuren eliminiert.180 Das erste Argument ist sicherlich das komplexeste, da dabei der Begriff der Rationalität, der selbst unter Ökonomen umstritten ist, konkretisiert werden muss. 181 Meist wird in Bezug auf Kapitalmärkte aber darunter verstanden, dass Investoren Wertpapiere zu ihrem Fundamentalwert bewerten, der dem Barwert zukünftiger Cash flows unter Verwendung eines adäquaten risikoadjustierten Zinssatzes entspricht.182 Dabei kann zwischen zwei Versionen mit unterschiedlich strengen Annahmen differenziert werden. Bei der ersten wird angenommen, dass alle Investoren das gleiche Modell zur Bewertung nutzen und zur gleichen Einschätzung neuer Informationen gelangen. In der weniger restriktiven zweiten Version ist es dagegen möglich, dass alle Investoren sich noch immer rational verhalten, aber zu unterschiedlichen Einschätzungen der Informationen gelangen. Für den Fall des CAPM zeigt eine Modellierung der zweiten Version von Lintner (1969), dass Wertpapierpreise von den gewichteten Durchschnitten der Erwartungen abhängen. 183 In beiden Versionen führt die ständige Anpassung der Bewertung dazu, dass lediglich neue (nicht vorhersagbare) Informationen einen Effekt auf den Preis haben. Die EMH kann deshalb auch als Anwendung des Rationalitätsprinzips auf Kapitalmärkte betrachtet werden. Selbst wenn einige der Marktteilnehmer ein irrationales Bewertungsmodell für Wertpapiere nutzen, folgt daraus nicht automatisch, dass der Markt informationsineffizient sein muss. Wenn es eine ähnliche Zahl an irrationalen „Optimisten“ (die bereit sind, einen Preis für Wertpapiere zu bezahlen, der über dem rationalen Fundamentalwert liegt) und „Pessimisten“ (die bereit sind, einen Preis für Wertpapiere zu bezahlen, der unter dem rationalen Fundamentalwert liegt) im Markt gibt, heben sich die Einflüsse auf den durchschnittlichen Marktpreis gegenseitig auf. Allerdings erscheint die Annahme, dass es jederzeit eine ähnlich hohe Zahl an Optimisten und Pessimisten gibt, fragwürdig. Selbst wenn es Phasen gibt, in denen hauptsächlich irrationale Optimisten oder Pessimisten den Markt dominieren, kann die Informationseffizienz aber immer noch durch rationale Arbitrageure herbeigeführt werden. Arbitrage ist ein zentrales Konzept in der Kapitalmarkttheorie und wird nicht nur in der theoretischen Fundierung der EMH, sondern auch in der Finanzierungstheorie nach Modigliani und Miller oder der Arbitrage Pricing Theory
180 181 182 183
Vgl. Shleifer (2000), S. 2. Vgl. Blume und Easley (2008). Vgl. Shleifer (2000), S. 2 und die Ausführungen zu Preisbildungsmodellen in Kapitel 2.4. Vgl. Kapitel 3.1.2 für Modelle mit heterogenen Informationen.
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nach Ross verwendet. 184 Eine Arbitrage-Möglichkeit besteht, wenn ein Investor einen Gewinn erzielen kann, ohne dazu ein Risiko einzugehen und eine Nettoinvestition zu tätigen. 185 Rationale Arbitrageure würden bei einer Überbewertung eines Wertpapieres (d.h. wenn der Preis über dem Fundamentalwert liegt) dieses verkaufen oder leerverkaufen und zur Absicherung des Risikos dieser Strategie ein Substitut-Wertpapier kaufen. Bei einer Unterbewertung würden die Arbitrageure ein solches Wertpapier kaufen und sich durch Leerverkauf eines SubstitutWertpapieres absichern. Der Arbitrage-Prozess führt dazu, dass sich der Preis dem Fundamentalwert wieder annähert oder (unter der Annahme einer hohen Konkurrenz unter Arbitrageuren und einer ausreichenden Verfügbarkeit an SubstitutPapieren) diesen gar nicht erst verlässt.186 Das Arbitrage-Argument wird noch bestärkt durch die Überlegung, dass irrationale Investoren langfristig gegenüber den rationalen Arbitrageuren Geld verlieren. Die Verluste der irrationalen Investoren führen langfristig dazu, dass diese aus dem Markt ausscheiden, die rationalen Arbitrageure an Einfluss gewinnen und der Markt informationseffizienter wird.187 Die theoretische Fundierung der EMH beruht daher nicht, wie teilweise missverständlich behauptet, auf der Annahme der Rationalität aller Investoren. Allerdings werden auch bei der Arbitrage-Argumentation gewisse Annahmen getroffen, insbesondere die Verfügbarkeit eines Substitut-Wertpapieres, deren Gültigkeit in der Realität nicht immer gegeben sein müssen. Diese Aspekte werden, nach der Vorstellung der Implikationen informationseffizienter Märkte, in Kapitel 2.3.3 ausführlich erläutert. 2.3.2 Implikationen von informationseffizienten Märkten Die Informationseffizienz von Kapitalmärkten hat weitreichende Implikationen für private und professionelle Investoren, Investitions- und Finanzierungsentscheidungen von Unternehmen und die volkswirtschaftliche Entwicklung.188 Diese stehen meist im Zusammenhang zu den drei Effizienzformen schwach, halbstreng und streng. Bei der technischen Analyse wird versucht auf Basis von vergangenen Kursverläufen auf die zukünftige Preisentwicklung zu schließen. Diese steht damit im krassen Gegensatz zur schwachen Informationseffizienz, die besagt, dass die aktuellen Marktpreise bereits alle Informationen aus vergangenen Preisen berücksichtigen und diese daher nicht zur Vorhersage von zukünftigen Preisen genutzt werden können. Die schwache Informationseffizienz impliziert daher, dass die techni184 185 186 187 188
Vgl. Modigliani und Miller (1958) und Ross (1976). Vgl. Bodie, Kane und Marcus (2009), S. 325. Vgl. Shleifer (2000), S. 3-5. Diese Argumentation findet sich bereits in Friedman (1953b). In Kapitel 2.1 wurde bereits der Einfluss der Informationseffizienz auf die Kapitalallokationseffizienz erläutert.
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sche Analyse nicht nutzbar ist, um risikoadjustierte Überrenditen zu erzielen. Einige Studien der Frühphase haben die Profitabilität von Strategien der technischen Analyse überprüft, z.B. mittels Filterregeln, um daraus Schlussfolgerungen über die schwache Informationseffizienz zu ziehen. Diese kamen fast ausnahmslos zu dem Ergebnis, dass diese Strategien nicht in der Lage sind langfristige Überrenditen zu generieren. 189 Allerdings können auch Momentum- bzw. ContrarianStrategien basierend auf den empirisch belegten kurzfristigen positiven und langfristigen negativen Zusammenhängen zwischen zukünftigen und früheren Renditen entwickelt werden, deren Profitabilität bereits nachgewiesen wurde. 190 Schlussfolgerungen bezüglich der Implikationen für die schwache Informationseffizienz werden dabei allerdings durch das Joint-hypothesis Problem erschwert.191 Neuere Ansätze der technischen Analyse nutzen auch Erkenntnisse der Verhaltensökonomik, z.B. der Theorie der Loss Aversion. Allerdings impliziert ein informationseffizienter Markt, dass auch diese Strategien nicht profitabel nutzbar sind. 192 Bei der fundamentalen Analyse wird versucht den intrinsischen Wert eines Wertpapieres z.B. mithilfe des Barwertkonzepts zu bestimmen. Da dabei lediglich öffentlich verfügbare Informationen genutzt werden, steht diese im Gegensatz zur halbstrengen Informationseffizienz, die besagt, dass der aktuelle Marktpreis bereits alle öffentlichen Informationen beinhaltet.193 Die halbstrenge Informationseffizienz impliziert daher, dass die Fundamentalanalyse nicht nutzbar ist, um risikoadjustierte Überrenditen zu erzielen. Dabei handelt es sich um die wohl kontroverseste Implikation der EMH, da damit indirekt den zahlreichen Analysten unterstellt wird, dass ihre Analysen keine Hilfe bei der Wertpapierauswahl für Investoren darstellt.194
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Vgl. Kapitel 2.2.1. Vgl. Jegadeesh und Titman (1993) und DeBondt und Thaler (1985). Vgl. Kapitel 2.4.3. Basierend auf der Theorie der Loss Aversion lässt sich folgende Strategie ableiten: Aktien, die lange auf einem bestimmten Preisniveau lagen, dann im Preis fielen und sich dem Ausgangsniveau wieder annähern, sollten leerverkauft werden, da viele Investoren, die zum Ausgangspreis gekauft haben, ihre Aktien mit Erreichen dieses Preises wieder verkaufen möchten. Eine solche Strategie ist auf einem informationseffizienten Markt allerdings nicht profitabel nutzbar, da in diesem Falle niemand bereit wäre, Aktien zu einem Preis knapp unter dem Ausgangsniveau zu halten. Daher muss es zu diesem Preis Investoren geben, die an einen Anstieg des Preises über das Ausgangsniveau glauben. Vgl. Bodie, Kane und Marcus (2009), S. 350. Dabei wird angenommen, dass den Analysten auch keine privaten Informationen zur Verfügung stehen. Diese Annahme muss nicht immer gelten, da Analysten beispielsweise durch direkte Gespräche mit Unternehmensvertretern an private Informationen gelangen können. Vgl. Kapitel 2.4.2. Direkte Tests der Nutzbarkeit der fundamentalen Analyse sind schwierig, da der Fundamentalwert von der subjektiven Annahme über zukünftige Zahlungsströme abhängt und zudem sehr sensitiv gegenüber kleinen Änderungen in den Annahmen reagiert. Meist wird aus den im Anschluss erläuterten Vergleichen von aktiven und passiven Anlagestrategien dieser Zusammenhang untersucht.
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Die gleiche Argumentation bei halbstreng informationseffizienten Märkten hat auch Implikationen für die Wahl der Anlagestrategie von Investoren. Diese können grundsätzlich in passive und aktive eingeteilt werden. Bei einer passiven Anlagestrategie wird lediglich ein breit diversifiziertes Portfolio gehalten und im Gegensatz zur aktiven Anlagestrategie kein Versuch unternommen, unterbewertete Wertpapiere zu identifizieren.195 Wenn Wertpapierpreise bereits alle öffentlichen Informationen berücksichtigen, ist es vorteilhaft eine passive Anlagestrategie zu verfolgen. Dazu tragen auch die meist deutlich niedrigeren Gebühren von passiven Anlageinstrumenten (wie z.B. bei ETFs) im Vergleich zu aktiv gemanagten Fonds bei.196 Die meisten Anhänger der EMH plädieren daher auch für eine solche Strategie.197 Für Investmentfonds mit einer aktiven Anlagestrategie zeigen die meisten Studien, dass diese weder in der Lage sind eine passive Anlagestrategie langfristig zu schlagen noch eine Persistenz in der Performance aufweisen. 198 Selbst ein halbstreng informationseffizienter Markt impliziert allerdings nicht, dass ein Investor seine Wertpapierauswahl komplett zufällig treffen sollte. Bei einer zufälligen Auswahl würden zum Beispiel die Diversifikationseigenschaften des Portfolios nicht berücksichtigt werden. Eine Portfolioanalyse mit Berücksichtigung der individuellen Risiko-Rendite-Präferenz ist daher auch im Falle effizienter Märkte gerechtfertigt. 199 Die Informationseffizienz von Kapitalmärkten hat zudem Implikationen für die Investitions- und Finanzierungsentscheidungen von Unternehmen. Zum einen folgt aus der halbstrengen Effizienz, dass Bilanzierungsmethoden keinen Einfluss auf den Unternehmenswert haben (unter der Voraussetzung, dass Investoren ge-
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Vgl. Bruns und Meyer-Bullerdiek (2008), S. 99-115. Vgl. Hummel und Mülhaupt (2011) für eine Diskussion über die Implikationen der Informationseffizienz für die Ratings von ETFs. Bereits Fama (1965b), S. 40 erläutert, dass sich der durchschnittliche Investor auf die Portfolio- und nicht die Wertpapieranalyse konzentrieren sollte. Malkiel (1995) zeigt, dass aktiv gemanagte Aktienfonds zwischen 1982 und 1991 (selbst ohne Berücksichtigung der Kosten), im Durchschnitt eine schlechtere Performance erzielten als der S&P 500 Index. Während es in den 1970er Jahren noch Anzeichen für eine Persistenz in der Performance gab, lag die Wahrscheinlichkeit in den 1980er Jahren eine überdurchschnittliche Performance zu erzielen, indem man einen in der Vergangenheit erfolgreichen Fonds wählt, bei nur knapp über 50% und damit nicht höher als bei einer zufälligen Auswahl der Fonds. Zwar gibt es auch einige Studien, die eine Persistenz der Fondsperformance belegen (Hendricks, Patel und Zeckhauser 1993, Goetzmann und Ibbotson 1994), allerdings zeigt Carhart (1997), dass diese durch Faktoren wie dem Momentum-Effekt und nicht die Fähigkeit der Fondsmanager in der Wertpapierauswahl erklärt werden. Shiller (2005) kritisiert die Schlussfolgerung, dass einige Investoren den Markt nicht systematisch schlagen können und weist auf methodische Probleme der Studien zur Persistenz der Performance hin. So ist beispielsweise eine Zurechenbarkeit der Fonds (oder gar einzelner Transaktionen) zu individuellen Fondsmanagern oftmals nicht möglich. Dabei weist er auch auf einige neuere Studien hin, die über Daten mit einer genauen Zurechenbarkeit einzelner Transaktionen zu individuellen Anlegern verfügen. Diese zeigen, dass es sehr wohl einige wenige Investoren gibt, die eine hohe Persistenz in ihrer Performance erreichen. Zudem rechtfertigen weitere Praxisaspekte, wie z.B. Steuern, eine individuelle Portfolioanalyse selbst bei Informationseffizienz.
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nügend Informationen über die verwendeten Methoden zur Verfügung stehen).200 Zudem ist es Unternehmen nicht möglich einen Zeitpunkt zur Ausgabe neuen Eigenkapitals zu wählen, an dem der Preis der neuen Aktien über dem Fundamentalwert liegt. 201 Außerdem sollten Unternehmen Zins- und Fremdwährungsgeschäfte nicht auf Basis von Spekulationen über zukünftige Marktentwicklungen tätigen. Informationen in Marktpreisen, z.B. im Anschluss an eine Fusionsankündigung, können zudem als Einschätzung der Auswirkung auf den Unternehmenswert genutzt werden. 2.3.3 Kritikpunkte an der Argumentation: Behavioral Finance und Limits of Arbitrage Theorie Die theoretische Fundierung der EMH wurde in mehreren Bereichen kritisiert. Tabelle 2.4 gibt eine Übersicht über die hervorgebrachte Kritik, die Autoren, auf die diese unter anderem zurückzuführen ist, und welches Forschungsfeld sich daraus entwickelt hat. Am meisten Beachtung hat die Behavioral Finance gefunden, die insbesondere die unterstellte Rationalität kritisiert. Diese bezieht sich somit auf die ersten beiden Argumente der in Kapitel 2.3.1 erläuterten theoretischen Fundierung der EMH. Erst später hat sich die Limits-of-Arbitrage-Theorie entwickelt, die am dritten Argument zugunsten der EMH ansetzt und der eine ebenso große Bedeutung zukommt wie der Behavioral Finance. 202 Des Weiteren wurden die fehlende Interdisziplinarität bei der Betrachtung der EMH und die unzureichende Modellierung des Informationsumfeldes kritisiert.203 Im Folgenden soll ein Überblick über die Behavioral Finance und die Limits-of-Arbitrage-Theorie gegeben werden.204 Die in Kapitel 3.1 vorgestellten informationsökonomischen Modelle können teilweise ebenfalls der Behavioral Finance Theorie zugeordnet werden.
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202 203
204
Vgl. für diese und die weiteren Implikationen Ross, Westerfield und Jaffe (2005), S. 371-378 und die darin genannten Quellen zu empirischen Untersuchungen dieser Implikationen. Diese Implikation muss allerdings eingeschränkt werden, da Unternehmen meist über nicht-öffentliche Informationen verfügen. Diese Schlussfolgerung gilt daher nur auf einem streng informationseffizienten Markt. Teilweise wird die Limits-of-Arbitrage Theorie auch der Behavioral Finance Theorie zugeordnet. Kritik gab es zudem an der verwendeten Methodik zur empirischen Untersuchung der EMH. Diese geht z.B. auf Shiller (1984) und Summers (1985) zurück und wird in Kapitel 2.4.3 erläutert. Aufgrund der großen Literaturfülle der Behavioral Finance Forschung wird hier nur ein allgemeiner Überblick gegeben. Die Limits-of-Arbitrage Theorie ist dagegen noch nicht so weit verbreitet und wird daher ausführlicher beschrieben.
GRUNDLAGEN DER INFORMATIONSEFFIZIENZ
50
Kritik
Autoren (u.a.)
Forschungsfeld
Kapitel
Unterstellte Rationalität
Tversky und Kahneman (1974)
Behavioral Finance
2.3.3
Unterstellte Arbitrage-Möglichkeit
DeLong et al. (1990), Shleifer und Vishny (1997)
Limits-of-ArbitrageTheorie
2.3.3
Fehlende Interdisziplinarität
Lo (2004, 2005)
Adaptive Market Hypothesis (u.a.)
2.2.4
Unzureichende Berücksichtigung des Informationsumfeldes
Grossman und Stiglitz (1980)
Informationsökonomische Modelle
3.1.2/3.1.3
Tabelle 2.4: Kritikpunkte an der Argumentation zugunsten informationseffizienter Märkte
Behavioral Finance Viele Erkenntnisse der Behavioral Finance stammen aus psychologischen Forschungen. Die Methodik der Psychologie unterscheidet sich dabei wesentlich von der in der Ökonomie angewendeten. Erstere setzt beispielsweise häufiger auf Beobachtungen und Experimente und weniger auf Theorie und Abstraktion. Zudem leiten sich neue Theorien eher aus empirischen Analysen ab und nicht umgekehrt.205 Gewisse Verhaltensmuster von Anlegern, die nur schwer mit einem rationalen Verhalten in Einklang zu bringen sind, lassen sich nicht nur in Experimenten, sondern auch in der Realität beobachten. 206 So beschränken sich einige Anleger auf sehr wenige Anlageklassen mit wenigen Wertpapieren und profitieren daher nicht von den positiven Eigenschaften eines diversifizierten Portfolios. 207 In Deutschland hielten laut Daten des Sozio-ökonomischen Panels des DIW Berlin beispielsweise 21% der Haushalte lediglich eine Assetklasse (15% besaßen gar keine). 208 Des Weiteren zeigen Studien, dass viele Privatanleger zu häufig handeln, obwohl sie dabei (brutto) nicht erfolgreicher sind als passive Anleger und die anfallenden Transaktionskosten damit die Netto-Rendite schmälern. 209 Weitere empirisch dokumentierte, nur schwer mit einem rationalen Modell erklärbare Anlegerpraktiken sind u.a. der Home Bias (die überproportionale Konzentration der Wertpapieranlagen auf den heimischen Kapitalmarkt) oder der Dispositionseffekt 205 206 207
208
209
Vgl. Lo (2004). Vgl. Bundesbank (2011) für einen Überblick zu Studien zum Anlegerverhalten. Vgl. Campbell (2006) für einen Überblick zu den USA. Zwar sind viele Haushalte ausreichend diversifiziert über indirekte Wertpapieranlagen wie Fonds, in ihren direkten Aktienanlagen konzentrieren sich viele Haushalte aber auf sehr wenige Aktien. Einige Haushalte begehen zudem erhebliche Fehler in ihrer Vermögensaufteilung. Vgl. Barasinska, Schäfer und Stephan (2008), S. 10. Die sechs Assetklassen sind Spareinlagen, Bausparpläne, Lebensversicherungen, Anleihen, Aktien und Anteile an nicht börsengelisteten Unternehmen. Vgl. Barber und Odean (2000).
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(die Tendenz, Aktien mit positiver Wertentwicklung eher zu verkaufen als solche mit negativer Wertentwicklung). Die Behavioral Finance Theorie versucht Erklärungsansätze für diese Verhaltensmuster zu liefern. Nach Barberis und Thaler (2003) kann die Behavioral Finance eingeteilt werden in Erklärungsansätze für Fehler in der Bildung von Erwartungen (Beliefs) und in den Präferenzen von Individuen.210 Während die klassische Kapitalmarkttheorie davon ausgeht, dass sich Individuen rational verhalten, indem sie ihre Erwartungen an neue Informationen korrekt anpassen (im Sinne des BayesTheorem) und, basierend auf ihren Erwartungen, Entscheidungen treffen, die konsistent mit der Maximierung einer (subjektiven) Nutzenfunktion sind, trifft die Behavioral Finance Theorie alternative Annahmen, mit denen sich das in der Realität beobachtbare Verhalten von Menschen besser beschreiben lassen soll.211 Tabelle 2.5 zeigt die Hauptunterschiede in den zugrundeliegenden Annahmen der beiden Theorien. Klassische Kapitalmarkttheorie
Behavioral Finance
Erwartungsbildung
Rationale Erwartungen
Präferenzen
Erwartungswert einer Nutzenfunktion
Irrationale Erwartungen/ Non-Bayesian Expectation Formation (z.B. Verwendung von Heuristiken) Non-Expected Utility Theories (z.B. Prospect Theory)
Tabelle 2.5: Klassische Kapitalmarkttheorie und Behavioral Finance im Vergleich
Die meisten Modelle der klassischen Kapitalmarkttheorie treffen die Annahme, dass Individuen über rationale Erwartungen verfügen. Dies impliziert nicht nur, dass Individuen neue Informationen rational nutzen, sondern auch, dass diese bei der Vorhersage von Variablen die tatsächliche Verteilung kennen und nutzen.212 Fehler in der Erwartungsbildung führen dagegen zu falschen Einschätzungen über die wahren Wahrscheinlichkeiten eines zukünftigen Ereignisses. In einigen Fällen kann dies überprüft werden, indem subjektiv eingeschätzte Wahrscheinlichkeiten mit denen durch das Bayes-Theorem implizierten Wahrscheinlichkeiten vergli210
211 212
In der Literatur finden sich auch andere, leicht abgewandelte Einteilungsmöglichkeiten, die sich aber meist nur durch die Umschreibung der Überbegriffe unterscheiden. Shleifer (2000), S. 10 unterscheidet zwischen Verzerrungen in den Einstellungen zum Risiko, der Erwartungsbildung und dem Framing-Effekt. Shefrin (2002) unterscheidet zwischen heuristischen Verzerrungen, Framing und den Auswirkungen auf die Effizienz der Märkte. Ein sehr umfassender Überblick zum Einfluss von Psychologie auf Kapitalmärkte findet sich auch in Hirshleifer (2001). Vgl. Barberis und Thaler (2003), S. 1053. Die Behavioral Finance löst meist die Annahme, dass Individuen Informationen rational nutzen. Vgl. Kapitel 3.1.3 zur ausführlichen Erläuterung der zweiten Annahme und der damit verbundenen Rational Structural Uncertainty Theorie.
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chen werden.213 Daher wird diese Art der Erwartungsbildung teilweise auch „NonBayesian Expectation Formation“ genannt.214 Kahneman und Tversky haben bereits 1974 gezeigt, dass viele der Fehler in der Erwartungsbildung auf die Verwendung von Heuristiken zurückgeführt werden können. Diese sind zwar grundsätzlich nützlich, führen aber oftmals zu systematischen Fehleinschätzungen (Biases). 215 Beispiele für diese von Forschern in Experimenten und Beobachtungen dokumentierten Verzerrungen sind der Availability, Representativeness, Overconfidence und Anchoring and Adjustment Bias.216 Als Beschreibung von Modellen, bei denen Individuen ihre Erwartungen nicht rational, sondern basierend auf Heuristiken bilden, hat sich der Begriff „Investor Sentiment“ etabliert. 217 Investoren, die sich nicht rational verhalten, werden teilweise auch als „Noise trader“ bezeichnet.218 Die klassische ökonomische Theorie beruht zudem auf dem Erwartungsnutzenmodell, bei dem die Präferenzen von Individuen mittels einer Nutzenfunktion beschrieben werden.219 Bei der Bewertung von unsicheren Zuständen wird der Erwartungswert einer Nutzenfunktion maximiert. 220 In der klassischen Theorie wird dabei meist eine konkave Nutzenfunktion unterstellt (die damit Risikoaversion impliziert) und bei der der Nutzen vom Endvermögen des Individuums abhängt. In Experimenten wurde allerdings gezeigt, dass sich Individuen häufig nicht entsprechend dem Erwartungsnutzenmodell verhalten. Daher wurden alternative Theorien wie die Prospect Theory, die Weighted-Utility Theory, die Implicit Expected Utility Theory oder die Regret Theory entwickelt.221 Am ehesten im Einklang mit den Ergebnissen aus Experimenten steht dabei die Prospect Theory, die auf Kahneman und Tversky (1979) zurückgeht. Die postulierte Nutzenfunktion der Prospect Theory unterscheidet sich in mehreren Aspek213
214 215 216 217
218 219 220
221
Vgl. Kahneman und Tversky (1973). Das Bayes-Theorem beschreibt, wie ein Individuum seine Informationen im Anschluss an ein Signal anpassen sollte. Formal kann gezeigt werden, dass dabei gilt: P(A) × P(B | A) P(A | B) = . Vgl. Birchler und Bütler (2007), S. 22-23. P(B) Vgl. Shleifer (2000), S. 10. Vgl. Tversky und Kahneman (1974). Vgl. Shefrin (2002), S. 13-22 für eine Erläuterung dieser Verzerrungen. Vgl. Shleifer (2000), S. 11-12. In Kapitel 3.1.3 wird das Investor Sentiment Modell von Barberis, Shleifer und Vishny (1998) vorgestellt. Vgl. Black (1986). Vgl. Blume und Easley (2008). Eine Kritik am Erwartungsnutzenmodell bezieht sich auf die Annahme einer objektiven Wahrscheinlichkeitsverteilung. Die Realität zeichnet sich dagegen häufig durch Ungewissheit aus, in der eine objektiv bewertbare Wahrscheinlichkeitsverteilung nicht zur Verfügung steht. Darauf basierend hat Savage (1954) die subjektive Nutzentheorie entwickelt, bei der Individuen Wahrscheinlichkeiten subjektiv bewerten. Die Theorie ist aber u.a. nicht im Stande, die in Experimenten nachgewiesene Ungewissheitsaversion zu erklären. Vgl. Barberis und Thaler (2003), S. 1072-1073. Vgl. Barberis und Thaler (2003), S. 1067.
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ten von der klassischen Nutzenfunktion. Der Nutzen hängt nicht mehr vom Endvermögen, sondern von den Gewinnen und Verlusten im Verhältnis zu einem Referenzwert (meist dem Anfangsvermögen oder dem Kaufpreis eines Wertpapiers) ab. Da damit Entscheidungen von der Darstellung der Zustände abhängen können (handelt es sich um Gewinne oder Verluste), kann die Theorie auch das empirisch häufig beobachtete Phänomen des Framing erklären. 222 Im Gegensatz zur durchgängig konkaven Nutzenfunktion der klassischen Theorie ist diese in der Prospect Theory nur im Gewinnbereich konkav (Risikoaversion) und im Verlustbereich konvex (Risikofreude). Außerdem hat die Funktion an der Nullstelle einen Knick, da die Funktion steiler für Verluste als für Gewinne ist, wodurch sich das Phänomen der Verlustaversion erklären lässt.223 Des Weiteren wird die Annahme getroffen, dass die Transformation der Wahrscheinlichkeiten in Entscheidungsgewichte nicht-linear erfolgt. Dies führt zu einer Überbewertung von kleinen Wahrscheinlichkeiten und einer höheren Sensitivität bezüglich Wahrscheinlichkeitsdifferenzen im hohen Wahrscheinlichkeitsbereich. Die Erkenntnisse der Behavioral Finance widersprechen nicht nur dem ersten Argument (rationale Bewertung von Wertpapieren), sondern auch dem zweiten Argument zugunsten informationseffizienter Märkte, das besagt, dass Abweichungen der Rationalität unkorreliert sind und sich damit gegenseitig aufheben. Da viele Individuen aber der gleichen Art von Biases unterliegen, kann nicht immer von einer gegenseitigen Neutralisierung ausgegangen werden. Durch die soziale Interaktion von irrationalen Investoren (Gerüchte, Spekulationen) können sich zudem gemeinsame Fehlbewertungen verstärken, die den ganzen Markt beeinflussen können. Dies gilt nicht nur für private, sondern auch für institutionelle Investoren, die zudem gewissen Anreizen unterliegen, das Anlageverhalten anderer Investoren zu imitieren, um z.B. nicht schlechter als die Konkurrenz abzuschneiden und damit ihren Ruf zu gefährden.224 Umstritten ist allerdings die Frage nach den Auswirkungen dieser Irrationalitäten auf Kapitalmarktpreise in der Praxis. Kritiker der Behavioral Finance halten die Erkenntnisse als nur bedingt relevant, da Investoren aus ihren früheren Fehlern lernen, spezialisierte und erfahrene Wertpapierhändler weniger Fehler begehen und diese Verzerrungen auf Kapitalmärkten aufgrund der hohen Anreize sie zu vermeiden nicht vorkommen. 225 Durch diese Argumentation wird allerdings auch die potentielle Rolle der Adaptive Market Hypothesis bei der Erklärung von Ano222 223 224
225
Vgl. Tversky und Kahneman (1981). Vgl. Odean (1998). Vgl. Shleifer (2000), S. 12-13. Scharfstein und Stein (1990) entwickeln ein Modell, in dem es für Investment Manager rational sein kann, private Informationen zu ignorieren und das Verhalten anderer Manager zu imitieren, um ihren Ruf nicht zu gefährden. Vgl. Barberis und Thaler (2003), S. 1066.
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malien deutlich.226 Wenn Investoren aus ihren Fehlern lernen, müssen sie vorab Fehler begangen haben; Erfahrungen sammeln Händler erst im Laufe der Zeit; neue unerfahrene Händler treten in den Markt ein; Anreize zur Vermeidung von Fehlern können manchmal verzerrt sein. Daher kann es, wie die Adaptive Market Hypothesis impliziert, vorübergehend zu Anomalien kommen, die im weiteren Verlauf wieder verschwinden.227 Limits of Arbitrage Da viele Forschungserkenntnisse dafür sprechen, dass Investoren Wertpapiere nicht immer rational bewerten, hängt die Informationseffizienz der Märkte stark von der Effektivität der Arbitrage durch rationale Investoren ab. In den meisten der frühen Aufsätze zur EMH finden sich, abgesehen von einigen wenigen Ausnahmen, kaum Theorien oder Erläuterungen zum Arbitrage-Prozess, wie er sich auf realen Kapitalmärkten abspielt. Arbitrage wird häufig definiert als gleichzeitiger Kauf und Verkauf von gleichen (oder annähernd gleichen) Wertpapieren zu unterschiedlichen Preisen.228 Damit wird der Prozess als risikofrei und ohne Kapitaleinsatz erzielbarer Free Lunch beschrieben. 229 Erst die Limits of Arbitrage Literatur betonte, dass der Arbitrage-Prozess in der Realität häufig mit Risiken und Kosten verbunden ist, die bei risikoaversen Arbitrageuren dazu führen können, dass Abweichungen vom Fundamentalwert nicht immer vollständig eliminiert werden. Außerdem ergeben sich durch die Agency-Problematik bei institutionellen Investoren (die das Kapital Fremder managen) weitere Hemmnisse, die die Effektivität von Arbitrage zusätzlich verringern. Da bei einem Arbitrage-Prozess ein Substitut-Wertpapier/-Portfolio erforderlich ist, hängen die einhergehenden Kosten und Risiken und damit die Effektivität des Prozesses stark von der Verfügbarkeit und den Eigenschaften dieses SubstitutWertpapieres ab (s. Tabelle 2.6). Dabei können drei Fälle unterschieden werden:230 1. Es steht ein perfektes Substitut zur Verfügung, das in allen Fällen die exakt gleichen Zahlungsströme aufweist. 2. Es steht lediglich ein nicht-perfektes Substitut zur Verfügung, das ähnliche, aber nicht die exakt gleichen Zahlungsströme aufweist. In der Praxis kann
226 227
228 229 230
Vgl. Kapitel 2.2.4. Vgl. auch Shiller (2005), S. 179, der argumentiert, dass es nicht möglich ist, dass „smart money“ den Markt vor 100 Jahren übernommen hat und seither den Markt dominiert, weil die „smart trader“ von damals heute tot sind. Vgl. Shleifer (2000), S. 3. Vgl. Shleifer und Vishny (1997), S. 35. Die Unterteilung basiert auf einer Verknüpfung der Ausführungen in Shleifer (2000), S. 13-16 und Barberis und Thaler (2003), S. 1058-1059.
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dies beispielsweise die Aktie eines anderen Unternehmens aus der gleichen Branche sein. 3. Es steht kein annähernd ähnliches Substitut zur Verfügung.
Perfekte Substitute
Nicht-perfekte Substitute
Noise Trader Risiko Ja
Fundamentales Risiko Nein
Implementierungskosten Ja (meist niedrig)
Ja
Ja
Ja
Bedingungen für beschränkte Arbitrage • Risikoaverse Arbitrageure mit kurzem Anlagehorizont • Systematisches Noise Trader Risiko • Risikoaverse Arbitrageure • Systematisches Fundamentalrisiko
Tabelle 2.6: Arbitrage-Risiken in Abhängigkeit der Eigenschaften der Substitute
Selbst bei der Nutzung eines perfekten Substituts zur Absicherung der ArbitragePosition ist diese nicht ohne Risiko, da sich die Fehlbewertung kurzfristig noch verstärken kann. DeLong, Shleifer, Summers und Waldmann haben dies als Noise Trader Risk bezeichnet und modelliert. 231 Wenn man grundsätzlich eine Abweichung eines Wertpapieres von seinem Fundamentalwert als möglich erachtet, kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass diese kurzfristig noch weiter zunimmt. 232 Kritisch ist dabei die Annahme, dass Investoren einen kurzen Anlagehorizont haben, da bei einer langfristigen Betrachtung die Arbitrageure davon ausgehen können, dass die Preise irgendwann konvergieren und der Arbitrage-Prozess in diesem Fall risikolos wäre.233 Daher ist es entscheidend, Situationen zu identifizieren, in denen ein kurzer Anlagehorizont eine Rolle spielt. Shleifer und Vishny (1997) argumentieren, dass dies insbesondere bei professionellen Asset Managern aufgrund der Prinzipal-Agenten-Problematik der Fall ist. Wenn die Prinzipale (die Investoren) nicht in der Lage sind, die Fehlbewertung nachzuvollziehen, die die Agenten (die Asset Manager) identifiziert haben, dann werden sie die Manager anhand ihrer (meist kurzfristigen) Performance bewerten. Wenn die Fehlbewertung durch Noise Trader kurzfristig noch zunimmt, entziehen die Investoren den Managern ihre Assets, da sie diese für inkompetent halten. Durch die frühzeitige Liquidierung der Assets kann die Arbitrage-Position nicht aufrechterhalten werden und die Fehlbewertung bleibt bestehen. Da die Asset Ma231 232 233
Vgl. DeLong et al. (1990). Vgl. Barberis und Thaler (2003), S. 1056. Im Modell von DeLong et al. (1990) resultiert der kurzfristige Anlagehorizont aus der Verwendung eines Overlapping Generation Models.
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GRUNDLAGEN DER INFORMATIONSEFFIZIENZ
nager sich dieses Risikos bewusst sind, gehen sie Arbitrage Positionen seltener ein. Diese Agency-Problematik ist besonders relevant, da es eher die professionellen Asset-Manager als die privaten Anleger sind, die mit ihren Kompetenzen und Ressourcen Fehlbewertungen identifizieren können. Eine frühzeitige Liquidierung der Arbitrage-Position ist zudem am wahrscheinlichsten, wenn die Fehlbewertung am größten ist und der Arbitrage-Prozess am nötigsten wäre. Diese Problematik wird noch verstärkt, wenn Kreditgeber aufgrund der Verschlechterung der Arbitrage-Position und der damit einhergehenden Verringerung der Sicherheiten ihre Kredite nicht verlängern. In diesem Fall kann es dazu kommen, dass Arbitrageure ihre Positionen frühzeitig liquidieren müssen. 234 Diese Konstellation führt unter zwei Bedingungen zu einer unvollständigen Arbitrage: Arbitrageure sind risiko-avers und verfügen über einen kurzfristigen Anlagehorizont. Dies hat zur Folge hat, dass nicht ein einzelner großer Arbitrageur die Fehlbewertung eliminieren wird. Außerdem muss das Noise Trader Risiko ein systematisches Risiko sein, d.h. es kann nicht diversifiziert werden durch Eingehen vieler solcher Positionen. Dadurch wird ausgeschlossen, dass dies viele kleine Arbitrageure tun.235 In der klassischen Literatur wird dagegen implizit angenommen, dass viele Arbitrageure jeweils einen kleinen Teil zur Arbitrage beitragen, daher kein Risiko tragen und nur wenig Kapital einsetzen müssen.236 Die beiden genannten Bedingungen führen hingegen dazu, dass der Arbitrage-Prozess ineffektiv ausfällt oder ganz unterbleibt. Wenn der Arbitrageur ein nicht-perfektes Substitut nutzt, treten neben dem auch hier relevanten Noise Trader Risiko, noch weitere Risiken und Kosten auf, die den Arbitrage-Prozess noch ineffektiver machen können. Unter dem fundamentalem Risiko versteht man dabei, dass das Substitut-Wertpapier einem idiosynkratischen Risiko unterliegt. Dies führt dazu, dass die Zahlungsströme deutlich von denen des Arbitrage-Wertpapiers abweichen können. Konkret bedeutet dies, dass bei Leerverkauf des Wertpapiers A zur Absicherung der Arbitrage-Position auf Wertpapier B sehr gute firmenspezifische Nachrichten den Kurs des Wertpapiers A relativ zu B deutlich steigern können und der Investor dadurch Verluste erleidet.237 Ein weiteres mögliches Hemmnis für den Arbitrage-Prozess stellen Implementierungskosten dar. Darunter versteht man alle Transaktionskosten, die im Laufe des Prozesses anfallen, z.B. Handelsgebühren, Suchkosten zur Identifizierung von Arbitragemöglichkeiten oder Kosten für Leerverkäufe. Verbote bzw. Einschränkun-
234
235 236 237
Die Relevanz dieses Aspekts wurde insbesondere durch die Probleme des Hedge-Fonds LTCM im Zuge der Russland-Krise 1998 verdeutlicht. Vgl. Shleifer (2000), S. 107-111 für eine Erläuterung des Zusammenhanges. Vgl. Barberis und Thaler (2003) S. 1058. Vgl. Shleifer und Vishny (1997), S. 36. Vgl. Shleifer (2000), S. 14.
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gen von Leerverkäufen, wie sie in der Praxis teilweise für institutionelle Investoren gelten, können dabei als unendlich hohe Transaktionskosten interpretiert werden. 238 Auch im Fall von nicht-perfekten Substituten können Bedingungen für eine beschränkte Arbitrage identifiziert werden. Arbitrageure müssen noch immer risikoavers sein, jedoch nicht mehr zwingend über einen kurzen Anlagehorizont verfügen, da das Fundamentalrisiko langfristig besteht. Außerdem muss das Fundamentalrisiko systematisch sein.239 Zudem gibt es noch zwei weitere, in der Literatur weniger beachtete Risiken, denen Arbitrageure ausgesetzt sind. Unter dem Modellrisiko versteht man die Möglichkeit, dass die vermutete Fehlbewertung auf ein falsches Bewertungsmodell zurückzuführen ist und daher gar nicht existiert. Selbst erfahrene, kompetente und gut informierte Investoren müssen immer befürchten, dass sie sich in ihrer Analyse geirrt haben und sich die Fehlbewertung als falsch herausstellt. 240 Außerdem kann auch das Substitut-Wertpapier selbst einer Fehlbewertung unterliegen und daher nicht den gewünschten Arbitrage-Effekt erzielen.241 In einigen Fällen gibt es kein geeignetes Substitut für Wertpapiere. Ein solches Beispiel liegt vor, wenn das absolute Preisniveau des gesamten Aktienmarktes zu hoch ist. Da für diesen Markt kein Substitut-Portfolio verfügbar ist, gibt es keine Möglichkeit diese Fehlbewertung über den gängigen Arbitrage-Prozess (Leerverkauf von Aktien und Kauf eines Substitut-Portfolios) auszunutzen. Zwar kann ein Arbitrageur ohne Substitut-Papier durch Verkauf oder Leerverkauf von Aktien auf eine Korrektur spekulieren, aufgrund des Noise Trader Risikos besteht aber die Möglichkeit, dass diese Korrektur erst langfristig eintritt.242 Noch problematischer ist der Arbitrageprozess dagegen beim Immobilienmarkt. Da es hier nicht möglich ist Leerverkäufe einzugehen, ist es Investoren praktisch unmöglich (auf direktem Weg) auf einen Wertverlust der Immobilien zu setzen und damit die Fehlbewertung zu korrigieren. Die Erkenntnisse der Limits of Arbitrage Literatur haben auch zur Folge, dass das Arbitrage-Argument von Friedman (1953b) bezweifelt werden muss. Demnach scheiden irrationale Investoren aus dem Markt aus, da diese mit ihren Positionen langfristig Geld verlieren. Durch das Risiko des Arbitrageprozesses kann es allerdings dazu kommen, dass die rationalen Arbitrageure ihre Positionen nicht langfristig aufrechterhalten können und daher vorher aus dem Markt ausscheiden.243
238 239 240 241 242 243
Vgl. Lamont und Thaler (2003), S. 229. Vgl. Barberis und Thaler (2003), S. 1058. Vgl. Bodie, Kane und Marcus (2009), S. 391. Vgl. Barberis und Thaler (2003), S. 1056. Vgl. Shleifer (2000), S. 13-14. Vgl. Shleifer und Summers (1990), S. 24-25.
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GRUNDLAGEN DER INFORMATIONSEFFIZIENZ
Durch die Limits of Arbitrage Theorie kann zudem erklärt werden, warum einige empirisch beobachtbare Arbitragemöglichkeiten nicht ausgenutzt wurden. Froot und Dabora (1999) zeigen, dass zwischen den Aktienpreisen von „Zwillings“Unternehmen (die ihre Cash Flows gepoolt haben und sich der relative Aktienkurs daher in einem entsprechenden Verhältnis zueinander bewegen müsste) langjährige preisliche Missverhältnisse und daher Arbitragemöglichkeiten mit einem nahezu perfekten Substitut bestanden. Das Noise Trader Risiko könnte ein Ausnutzen jedoch verhindert haben. 244 Lee, Shleifer und Thaler (1991) argumentieren, dass das Noise Trader Risiko auch für die empirisch häufig beobachtbaren Abschläge von Anteilen geschlossener Fonds gegenüber ihrem Nettoinventarwert (Closedend fund puzzle) verantwortlich sein könnte. Des Weiteren wurde nachgewiesen, dass Aktien im Anschluss an die Aufnahme in einen Index häufig einen permanenten Preisanstieg verzeichnen. 245 Da zu einzelnen Aktien jedoch häufig keine geeigneten Substitute zur Verfügung stehen, könnte das fundamentale Risiko verhindern, dass Arbitrageure dies vorab ausnutzen. Lamont und Thaler (2003) zeigen, dass sich im Anschluss an Equity Carve-outs mit angekündigtem Spin-off häufig Arbitragemöglichkeiten ergaben, bei denen weder ein fundamentales noch ein Noise Trader Risiko bestand, Implementierungskosten (wie hohe Gebühren für Leerverkäufe) aber dafür sorgten, dass lange ein preisliches Missverhältnis bestand. 246 Analog zur Diskussion in Bezug auf die Behavioral Finance, gibt es auch bei der Limits of Arbitrage Theorie eine Debatte über die empirische Relevanz der Ergebnisse. Die genannten Fälle, in denen ein Missverhältnis in den Preisen bestand, sind im Verhältnis zum gesamten Aktien- bzw. Kapitalmarkt eher unbedeutend. Allerdings kann argumentiert werden, dass bereits durch das Noise Trader Risiko eine hohe und dauerhafte Abweichung verursacht werden kann. Wenn weitere Risiken hinzukommen, können diese daher noch gravierender ausfallen.247 Schon vor der ausführlichen Erläuterung der Rolle des Informationsumfeldes in Kapitel 3 (in dem weitere Schwächen der EMH aufgezeigt werden), kann daher geschlussfolgert werden, dass die theoretische Fundierung der EMH erhebliche Lücken aufweist. Dies kann jedoch als weitere Motivation für den Ansatz der Messung des Grades der Informationseffizienz betrachtet werden. Methoden, die
244
245 246
247
Froot und Dabora (1999) testen weitere Erklärungsmöglichkeiten für diese Abweichungen (wie Unterschiede in Aktienstimmrechten oder Währungsschwankungen). Keiner dieser Aspekte kann die Abweichungen jedoch vollständig erklären. Vgl. Shleifer (1986). Bei einem Equity Carve-out werden Aktienanteile einer Tochtergesellschaft über ein IPO an der Börse verkauft. Bei dem anschließenden Spin-off erhalten Aktionäre der Muttergesellschaft eine bestimmte Zahl an Aktien der Tochtergesellschaft. Vgl. Barberis und Thaler (2003), S. 1062-1063.
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sich zur Messung des Effizienzgrades eignen, werden im folgenden Abschnitt erläutert.
2.4 Methoden zur Messung von Informationseffizienz In Kapitel 2.1.2 wurden bereits verbale Definitionen eines informationseffizienten Marktes vorgestellt. Allerdings sind diese Definitionen zu allgemeingültig, um daraus testbare Implikationen abzuleiten. 248 In Kapitel 2.4.1 werden daher aus der Theorie abgeleitete Preisbildungsmodelle erläutert, die auf einem informationseffizienten Markt gelten. Kapitel 2.4.2 beschäftigt sich mit den unterschiedlichen Ansätzen zur Klassifizierung der Tests und gibt eine Übersicht. In Kapitel 2.4.3 werden einige der zahlreichen methodischen Probleme erörtert, die bei der praktischen Durchführung der Tests auftreten können. Dabei werden auch die Probleme, die durch die eingeschränkte Datenverfügbarkeit in Transformationsländern entstehen, diskutiert. Darauf basierend werden anschließend geeignete Methoden zur Untersuchung der vorliegenden Fragestellung identifiziert. Diese Ausführungen dienen daher auch als Begründung für die Wahl der in Kapitel 5 und 6 angewendeten Verfahren. Die Details der beiden Methoden (Variance Ratio Tests und Event Studie) werden in den jeweiligen Kapiteln erläutert. 2.4.1 Preisbildungsmodelle auf informationseffizienten Märkten Ausgangspunkt aller Überlegungen zur Modellierung eines informationseffizienten Aktienpreises ist der Fundamentalwert einer Aktie und das damit verbundene Dividenden-Diskontierungsmodell. 249 Dieses Modell ist aber nur schwer empirisch testbar. Bereits aus dem Dividenden-Diskontierungsmodell lässt sich aber die Nichtvorhersagbarkeit von Aktienkursen auf informationseffizienten Märkten ableiten und legt daher die Modellierung von Aktienpreisen in Form stochastischer Prozesse, insbesondere Martingalen und Random Walks, nahe. Ein Nachteil dieser Prozesse ist allerdings die Vernachlässigung des in der Kapitalmarkttheorie zentralen Rendite-Risiko-Trade-offs bei Wertpapieren, das durch die AssetPricing-Modelle aufgegriffen wird. Der Fundamentalwert einer Aktie und das Dividenden-Diskontierungsmodell Das Konzept des Fundamentalwertes einer Aktie beschäftigt sich mit den Einflussfaktoren der absoluten Höhe des Aktienpreises. Das Verständnis des Fundamentalwertes (oder intrinsischen Wertes) einer Aktie als Gegenwartswert aller zukünftig erwarteten diskontierten Cash Flows geht zurück auf Williams (1938).250 248 249 250
Vgl. Fama (1970), S. 384. Vgl. Summers (1986), S. 592-593. Vgl. LeRoy (1989), S. 1586.
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Demnach ist es Aufgabe des Analysten Wertpapiere zu identifizieren, deren aktuelle Preise unter dem Fundamentalwert liegen, daher unterbewertet sind und hohe Renditen in der Zukunft erwarten lassen. In der Theorie zur Unternehmensbewertung finden sich unterschiedliche Ansätze zur Ermittlung des Fundamentalwertes.251 Grundlage ist die Definition des Fundamentalwertes einer Aktie als Summe aller zukünftig erwarteten diskontierten Dividenden. In einer sehr allgemeinen Form kann dies geschrieben werden als: 252 ∞ D Pt = Et ∑ t +i i i =1 (1 + r )
Auf einem informationseffizienten Markt muss diese Gleichung immer gelten, der aktuelle Aktienpreis also zu jeder Zeit den mit einem risiko-adjustierten Zins diskontierten zukünftig erwarteten Dividenden entsprechen.253 Eine Ableitung von Informationseffizienztests aus dieser Theorie gestaltet sich aber als schwierig, da die dadurch erhaltenen Fundamentalwerte sehr stark von den zugrundeliegenden, objektiv kaum bewertbaren Annahmen abhängen und zudem sehr sensitiv auf kleine Änderungen dieser Annahmen reagieren. 254 Daher finden sich nur relativ wenige Forschungsarbeiten zu den fundamentalen Einflussfaktoren auf Aktienpreise in der EMH-Literatur.255 Die wichtigsten daraus abgeleiteten Tests können in drei Klassen eingeteilt werden.256 Die erste Klasse testet, 251 252
Vgl. Drukarczyk und Schüler (2009) für eine Übersicht. Vgl. Campbell, Lo und MacKinlay (1997), S. 256. Diese Formel gilt allerdings nur bei Annahme einer konstanten erwarteten Rendite. Bei Annahme einer zeitvarianten erwarteten Rendite wird der Zusammenhang zwischen Preisen und Renditen nicht-linear. Eine log-lineare Approximation ermöglicht es auch unter dieser Annahme das Verhalten von Aktienpreisen zu untersuchen. Dabei gelangt man zu einer dynamischen Verallgemeinerung der Gordon-Formel, bei der die Höhe des Aktienpreises nun davon abhängt, wie lange die Erwartung über die ∞ k pt + E t ρ j (1 − ρ)d t +1+ j − rt +1+ j . Hohe Preise hängen jeweiligen Dividenden und Renditen anhält:= 1− ρ j=0 mit hohen erwarteten zukünftigen Dividenden, niedrigen Renditen oder einer Kombination der beiden zusammen (k und ρ stellen Parameter der Linearisierung dar). Außerdem kann gezeigt werden, dass unerwartete Aktienrenditen mit Änderungen von zukünftig erwarteten Dividenden oder Renditen zusammenhängen: ∞ ∞ ∞ ∞ rt +1 − E= rt +1 E t +1 ρ j ∆d t +1+ j − E t ρ j ∆d t +1+ j − E t +1 ρ j rt +1+ j − E t ρ j rt +1+ j . Höhere zut j 0 = j 0 j 1 = j 1 = = künftig erwartete Dividenden führen heute zu einem Kursanstieg. Höhere zukünftig erwartete Renditen führen dagegen zu einem heutigen Kursrückgang, da bei fixen zukünftigen Dividendenzahlungen höhere Renditen nur von einem niedrigeren Preis aus erreicht werden können. Vgl. Campbell, Lo und MacKinlay (1997), S. 260264; diese Ansätze gehen auf Campbell und Shiller (1988a,b) und Campbell (1991) zurück. Vgl. Shiller (1989), S. 21. Vgl. Bodie, Kane und Marcus (2009), S. 599-603 für eine Beispielaufgabe, die zeigt, wie eine kleine Änderung der zukünftig erwarteten Wachstumsrate zu einer signifikanten Änderung des Fundamentalwertes führt. Vgl. Kapitel 2.4.3 zur Kritik an der Vernachlässigung dieser Tests. Vgl. Campbell, Lo und MacKinlay (1997), S. 267-287 für eine Übersicht zu diesen Tests.
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253 254
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ob bestimmte Variablen (z.B. das Dividenden-Preis-Verhältnis) langfristig zur Vorhersage von Aktienrenditen beitragen. Die sogenannten Volatilitätstests (z.B. Variance bounds Tests) untersuchen, ob langfristige Preisbewegungen „zu volatil“ sind, um durch einen rationalen Preisbildungsprozess erklärt werden zu können.257 Schlussfolgerungen über die Effizienz der Märkte, basierend auf diesen Tests, sind allerdings schwierig, da eine Unterscheidung zwischen irrationaler Preisbildung und rationalen zeitvarianten erwarteten Renditen kaum möglich ist. 258 Schließlich gibt es noch Tests, die mittels Zeitreihenmodellen die langfristigen Implikationen von kurzfristigen Preisbewegungen untersuchen. Eine Herausforderung für die EMH und ihren Zusammenhang zum DividendenDiskontierungsmodell stellt die Theorie der Rational-Bubbles dar. 259 Entgegen der Intuition, dass starke Abweichungen der Wertpapierpreise von ihrem Fundamentalwert immer mit irrationalem Verhalten in Verbindung gebracht werden können, liefert diese Theorie Modelle, bei der solche Abweichungen auftreten können, obwohl sich die Investoren rational verhalten. Dabei wird das DividendenDiskontierungsmodell um einen Bubble-Term erweitert, der positiv sein kann, wenn Marktteilnehmer einen weiteren Anstieg des Bubble-Term in der nächsten Periode erwarten. Obwohl sich der Investor bewusst ist, dass sich die Blasenbildung langfristig auflösen wird, kann es rational sein, das Wertpapier dennoch zu kaufen, wenn der Investor davon ausgeht, dass die Blasenbildung in der nächsten Periode anhält. Neben der Limits of Arbitrage Theorie liefert daher auch die Rational Bubbles Theorie Argumente für langfristige und hohe Abweichungen des Preises vom Fundamentalwert.260 Modellierung mittels stochastischer Prozesse Aufgrund der methodischen Probleme der oben genannten Tests wird häufig auf vereinfachende Modelle zurückgegriffen, die die Preisbildung als stochastischen Prozess darstellen. Diese stehen allerdings in engem Zusammenhang zum Dividenden-Diskontierungsmodell. Intuitiv ergibt sich dieser Zusammenhang aus der Überlegung, dass ein informationseffizienter Preis per Definition bereits alle relevanten Informationen berücksichtigt. Der Erwartungswert des Einflusses neuer Informationen ist damit gleich null. Der unerwartete Teil neuer Informationen und dessen Einfluss auf Aktienpreise ist daher zufällig und Preisänderungen sind damit nicht vorhersagbar.
257 258 259 260
Vgl. LeRoy und Porter (1981) und Shiller (1981). Vgl. Marsh und Merton (1986) zur Kritik an dieser Methodik. Vgl. Fama (1991), S. 1581 und die folgenden Erläuterungen zu mehrperiodigen Asset-Pricing-Modellen. Vgl. Blanchard und Watson (1982). Vgl. Kapitel 2.3.3.
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Dieser Zusammenhang kann auch formal mithilfe des Gesetzes der iterierten Erwartungen dargestellt werden. 261 Gegeben seien eine Zufallsvariable X und die beiden Informationsmengen It und Jt, bei der Jt superior gegenüber It ist (d.h. mehr Informationen als It enthält). Das Gesetz der iterierten Erwartungen besagt, dass eine optimale Erwartung der Variable X bei beschränkter Information gleich der erwarteten Erwartung ist, die man annehmen würde, wenn man die Information Jt besitzt: E [ X | I t ] = E E [ X | J t ] | I t
Durch Umschreiben kann gezeigt werden, dass es nicht möglich ist auf Basis der beschränkten Informationsmenge It den Fehler in der Erwartungsbildung vorherzusagen: 0 E X − E [ X | J t ] | I t =
Wenn der Wertpapierpreis P die rationale Erwartung des Fundamentalwertes V widerspiegelt (in Abhängigkeit der Informationsmenge It), gilt: 262 = Pt E= [V | It ] EtV
bzw. für Periode t+1: Pt +1 E= = [V | It +1 ] Et +1V
Die Erwartung der Preisänderung in der nächsten Periode ist daher, unter Anwendung des Gesetzes der iterierten Erwartungen, gleich null: Et [ Pt +1 − Pt= ] Et Et +1 [V ] − Et [V ]= Et [V ] − Et [V=] 0
Damit sind Preisänderungen auf einem informationseffizienten Markt für Wertpapiere nicht vorhersagbar.263
261
262 263
Die Argumentation geht auf den Aufsatz von Samuelson (1965) zurück. Die folgende stark vereinfachende Darstellung orientiert sich an Campbell, Lo und MacKinlay (1997), S. 23-24. Der Fundamentalwert stellt dabei die Summe aller zukünftig erwarteten diskontierten Dividenden dar. Diese Aussage wird später durch die Einführung von Risikoaversion relativiert.
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Martingale und Random Walk Die Modellierung der Preisbildung an Wertpapiermärkten als Martingal- oder Random Walk-Prozess stellt ein grundlegendes Konzept dar und hat eine lange Tradition in der EMH-Literatur. Auch wenn die Prozesse stark vereinfachend sind, lässt sich ein erheblicher Teil der in der EMH-Forschung verwendeten Tests auf schwache Informationseffizienz darauf zurückführen. 264 Diese Prozesse besitzen alle die Eigenschaft der Nichtvorhersagbarkeit von zukünftigen Preisen unter Verwendung vergangener Preise und erfüllen somit die Definition eines schwach informationseffizienten Marktes. Die Unterschiede der einzelnen Prozesse liegen in der Verwendung unterschiedlich strenger Annahmen in Bezug auf die Abhängigkeiten der Renditen. Tabelle 2.7 gibt einen Überblick über die formale Darstellung der Martingal- und Random Walk-Prozesse, die im Folgenden näher erläutert werden sollen. Prozess
Formale Darstellung
Martingal-Prozess
E [ Pt +1 | Pt , Pt −1 ,...] = Pt
Submartingal-Prozess
E [ Pt +1 | Pt , Pt −1 ,...] ≥ Pt
Random Walk I
Pt = µ + Pt −1 + ε t ε t ~ IID(0, σ2 )
Random Walk II
Pt = µ + Pt −1 + ε t ε t ~ INID(0, σ2 )
Random Walk III
Pt = µ + Pt −1 + ε t mit Cov(= ε t , ε t − k ) 0 für alle k ≠ 0 aber Cov(ε 2t , ε 2t − k ) ≠ 0 für manche k ≠ 0
Tabelle 2.7: Formale Darstellung von Martingal- und Random Walk-Prozessen Quelle: Eigene Darstellung basierend auf Campbell, Lo und MacKinlay (1997), S. 28-33
Der Martingal-Prozess 265 wird aufgrund seiner Verbindung zu „fairen“ Glücksspielen auch als „Fair Game“ Bedingung bezeichnet. Ein solches Spiel hat die Eigenschaft, dass dabei keiner der Spieler durch die Regeln bevorzugt wird.266 Für den Preisbildungsprozess von Wertpapieren impliziert dies, dass der in der nächsten Periode erwartete Preis dem heutigen Preis entspricht: E [ Pt +1 | Pt , Pt −1 ,...] = Pt 264 265
266
Auch die in Kapitel 5 verwendeten Variance Ratio Tests lassen sich aus Random Walk Prozessen ableiten. Die Bezeichnung Martingale hat mehrere Bedeutungen außerhalb der Statistik. Hauptsächlich wird es im Reitsport genutzt und beschreibt ein Band, das einem Pferd erlaubt, seinen Kopf lediglich in eine Richtung zu bewegen. Vgl. Bachelier, Davis und Etheridge (2006), S. 11. Diese Bezeichnung findet sich auch bei Fama (1970), S. 384-385.
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Die Verbindung dieses Prozesses zur EMH findet sich bereits in Bachelier (1900). Er begründete die Verwendung damit, dass bei einer Abweichung von diesem Prinzip Marktakteure unter Konkurrenzdruck das Wertpapier sofort kaufen bzw. verkaufen würden, bis die Relation wieder gilt.267 Durch Umformen kann gezeigt werden, dass der Prozess eine erwartete Änderung des Preises (und daher auch eine erwartete Rendite) von null impliziert. Dies bedeutet damit auch, dass die optimale Vorhersage für den zukünftigen Preis immer dem aktuellen Preis entspricht. Außerdem impliziert der Prozess, dass die beobachtbaren Preisbewegungen bei einem perfekt effizienten Markt komplett zufällig sein sollten. E [ Pt +1 − Pt | Pt , Pt −1 ,...] = 0
In einigen der frühen Aufsätze zur EMH wurde der Martingal-Prozess als notwendige Eigenschaft für einen effizienten Markt betrachtet, da die Implikationen des Prozesses mit denen eines schwach effizienten Marktes korrespondierten. Allerdings werden dabei die Risikoeigenschaften eines Wertpapieres und damit der zentrale Risiko-Rendite-Zusammenhang vernachlässigt. 268 Der Notwendigkeit einer Prämie für die Übernahme des Risikos eines Wertpapieres wird im Submartingal-Prozess Rechnung getragen. Dabei wird der Zusammenhang allerdings nicht quantifiziert. Bei einem Submartingal-Prozess wird daher lediglich angenommen, dass der erwartete zukünftige Preis größer oder gleich dem heutigen Preis ist: E [ Pt +1 | Pt , Pt −1 ,...] ≥ Pt
Im Gegensatz zum Martingal-Prozess wird bei einem Random Walk der stochastische Preisbildungsprozess explizit formuliert und kann daher als Erweiterung des allgemeineren Martingal-Modells aufgefasst werden. 269 Je nach Strenge der Annahme über die Verteilungseigenschaften der Renditen kann zwischen drei unterschiedlichen Random Walk-Modellen unterschieden werden.270
267 268
269 270
Vgl. Kapitel 2.2.1. Vgl. Campbell, Lo und MacKinlay (1997), S. 30-31. In dem unten diskutierten Modell von Lucas (1978) zeigt sich, dass bei einer rationalen Berücksichtigung des Risikos die Martingal-Eigenschaft weder eine notwendige noch eine ausreichende Bedingung für einen effizienten Markt darstellt. Erst nach Anpassung der Renditen an das Risiko folgen die Preise einem Martingal-Prozess. Vgl. Fama (1970), S. 387. Die folgende Darstellung der Random Walk-Prozesse folgt Andreou, Pittis und Spanos (2001) und Campbell, Lo und MacKinlay (1997), S. 31-33.
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Bei einem Random Walk I wird angenommen, dass der stochastische Störterm ε, der die Preisbildung beeinflusst, unabhängig und identisch verteilt ist: Pt =µ + Pt −1 + ε t ε t ~ IID(0, σ 2 )
μ stellt dabei die erwartete Preisänderung (den drift) dar. Um statistische Analysen zu erleichtern, wird häufig angenommen, dass der Störterm normalverteilt ist und der Prozess damit einer arithmetischen Brownschen Bewegung folgt. Um das Problem der beschränkten Haftung bei Wertpapieren zu vermeiden, werden zudem häufig logarithmierte Werte verwendet: 271 µ + pt −1 + ε t ε t ~ IID N(0, σ 2 ) pt =
Für die Renditen impliziert dies das Lognormal-Modell: = rt ( pt − pt −1 ) ~ IID N( µ , σ 2 )
Da die Annahme eines über viele Jahre hinweg identisch verteilten Störterms unrealistisch erscheint, wird diese Annahme bei einem Random Walk II fallen gelassen und der Störterm nur noch als unabhängig, aber nicht identisch verteilt modelliert: Pt =µ + Pt −1 + ε t ε t ~ INID(0, σ 2 )
Diese Annahme eröffnet insbesondere die Möglichkeit der Einbeziehung von Modellen zur Beschreibung von zeitvarianter Volatilität, die sich häufig in empirischen Wertpapierrenditen zeigt. Das Random Walk III Modell stellt die schwächsten Annahmen an die Verteilungseigenschaften durch die zusätzliche Aufhebung der Unabhängigkeitsannahme. ε ist dabei abhängig, aber unkorreliert. Ein Beispiel für einen Prozess, der den Annahmen des Random Walk III genügt (aber nicht denen eines RW I oder II), ist ein Prozess mit Cov(ε t , ε t −k ) = 0 für alle k ≠ 0 , aber Cov(ε t2 , ε t2−k ) ≠ 0 für manche k ≠ 0 . Eine spezifische Modellierung eines solchen Prozesses erfolgt bei den sogenannten ARCH-Modellen (und deren zahlreichen Erweiterungen). 272
271
272
Die Annahme normalverteilter Renditen führt zu dem Problem, dass auch Ausprägungen, bei denen der Preis unter null sinkt, eine positive Wahrscheinlichkeit erhalten, obwohl dies in der Realität nicht möglich ist. Um dies zu verhindern, wird daher häufig der logarithmierte Wert der Preise verwendet. Vgl. Engle (1982). Die Erkenntnis, dass empirisch beobachtbare Renditen sogenannte Volatilitäts-Cluster aufweisen, findet sich bereits bei Fama (1965b), S. 85-87. Die Modellierung über ARCH-Modelle fand allerdings erst deutlich später statt.
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Auch bei Random Walk Modellen wird, wie bei Martingalen, der Zusammenhang zwischen Rendite und Risiko nicht explizit modelliert. Dies führt zu Problemen bei der Unterscheidung zwischen irrationalen Anomalien und rationalen Risikoprämien. Bei Renditen über ein kurzes Intervall (z.B. Tages- oder Wochenrenditen) sind diese aber zu vernachlässigen, da die erwarteten Renditen unabhängig vom Risiko nahe null sind. Die aus dem Random Walk Modell abgeleiteten Tests werden daher auch meist nur zur Analyse solch kurzfristiger Renditen eingesetzt. Risikoaversion, Risiko-Rendite Trade-off und Asset-Pricing Modelle Die Einführung von Risikoaversion und der damit verbundenen Notwendigkeit der Quantifizierung eines Risiko-Rendite Trade-offs mittels Asset-Pricing-Modellen hat weitreichende Implikationen für viele EMH-Tests. Einerseits ermöglichen diese Modelle eine Beurteilung, ob scheinbare Anomalien tatsächlich auf Irrationalitäten oder eine faire Risikoprämie zurückgeführt werden können. Andererseits führt die Verwendung immer zum sogenannten Joint-hypothesis Problem, d.h. es ist keine objektive Unterscheidung möglich, ob abnormale Renditen durch ein Versagen der EMH oder ein unzureichendes Asset-Pricing-Modell verursacht werden. 273 Basis der Modellierung des Risiko-Rendite Zusammenhanges ist noch immer das Capital-Asset-Pricing-Modell nach Sharpe (1964), Lintner (1965) und Mossin (1966). Dieses baut auf den Erkenntnissen der Portfoliotheorie nach Markowitz (1952) auf. Dabei bemisst sich das Risiko eines Wertpapieres i, das Beta, nach seinem Risikobeitrag zu einem diversifizierten Portfolio: βi =
cov(ri , rM ) σ M2
Die erwartete Rendite eines Wertpapieres steht in linearem Zusammenhang mit dem Risiko des Wertpapieres multipliziert mit der Marktrisikoprämie: E [ ri ] = rf + βi × E ( rM ) − rf
In Form der sogenannten abnormalen Rendite kann die Abweichung der empirisch beobachteten von der erwarteten Rendite berechnet werden: AR i = ri − E [ ri ] =ri − rf + βi × E (rM ) − rf
273
Vgl. Kapitel 2.4.3 für eine ausführliche Erläuterung des Joint-hypothesis Problems.
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Abnormale Renditen werden in zahlreichen EMH-Tests verwendet. Dadurch kann beurteilt werden, ob die beobachteten Renditen durch eine rationale Risikoprämie gerechtfertigt sind (und daher im Einklang mit der EMH stehen) oder diese systematisch über bzw. unter der erwarteten Rendite liegen (und daher für eine Anomalie und gegen die EMH sprechen). Auch bei Event Studien kommt dieser Methodik eine große Bedeutung zu.274 Problematisch bei der Verwendung des CAPM ist, neben dem Joint-hypothesis Problem, dass das Modell auf sehr strengen Annahmen beruht und zudem nur bedingt empirisch beobachtbare Renditen erklären kann. Daher wurden in der Kapitalmarktforschung zahlreiche Erweiterungen des CAPM entwickelt. Diese zeichnen sich sowohl durch Lockerungen der Annahmen (theoretisch motiviert) als auch durch Einbindung weiterer Risikofaktoren (theoretisch bzw. empirisch motiviert) aus. Im Folgenden sollen einige dieser Erweiterungen, insbesondere die für die vorliegende Fragestellung relevanten, vorgestellt werden. Eine der ersten Erweiterungen des CAPM war die Lockerung der Annahme homogener Erwartungen. Lintner (1969) untersuchte dabei in einem Modell die Auswirkungen heterogener Erwartungen und Präferenzen. 275 Dabei bleiben die Grundaussagen des CAPM zwar erhalten, die Erwartungen des repräsentativen Investors werden allerdings durch den gewichteten Durchschnitt der Erwartungen aller Investoren ersetzt. Damit betont das Modell die Rolle individueller Investoren und deren Fähigkeit Informationen effizient zu verarbeiten. Insbesondere bei kleinen Märkten mit wenigen Investoren können daher die Fähigkeiten einzelner Investoren einen erheblichen Einfluss auf die Effizienz dieser Märkte haben.276 Amihud und Mendelson (1986) führen Liquidität in das CAPM ein. In ihrem Modell gibt es einen positiven Zusammenhang zwischen Illiquidität (gemessen anhand des Bid-Ask Spread) und der erwarteten Rendite. Im Anschluss zeigen die Autoren, unter Verwendung von Daten für den US-amerikanischen Markt, dass dieser Effekt auch empirisch nachweisbar ist. Die Autoren betonen allerdings, dass diese Ergebnisse nicht für eine Anomalie, sondern eine rationale Anpassung der Investoren in einem effizienten Markt sprechen.277 Durch das Modell wird die Berücksichtigung von Liquidität bei Effizienzuntersuchungen hervorgehoben. Dies gilt insbesondere für Märkte, die sich durch relativ (zu etablierten Märkten)
274 275 276
277
Vgl. Kapitel 6. Vgl. Kapitel 2.3.1. Vgl. Kapitel 4.2.5 für eine Erläuterung des Einflusses der Investorenstruktur auf die Informationseffizienz in den CEE-3. Vgl. Amihud und Mendelson (1986), S. 246.
68
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große Liquiditätsunterschiede, sowohl im Zeitverlauf als auch im Querschnittsvergleich, auszeichnen.278 In der modernen Kapitalmarktforschung wird sehr häufig das Fama-French 3Faktor-Modell zur Erklärung von Querschnittsrenditen verwendet.279 Das Modell setzt an zwei empirisch beobachtbaren Anomalien an, dem Kleinfirmeneffekt und dem Buch-/Marktwert-Effekt.280 Die erwartete Rendite eines Wertpapieres hängt in diesem Modell nicht nur vom gewöhnlichen Beta-Faktor, sondern auch von zwei weiteren Koeffizienten ab, die die Sensitivität der Rendite eines Wertpapieres in Relation zur Rendite eines Portfolios von kleinen im Verhältnis zu großen Unternehmen (SMB: Small minus Big) und zur Rendite eines Portfolios von Unternehmen mit hohem im Verhältnis zu niedrigem Buch-/Marktwert (HML: High minus Low) messen: E [ ri= ] − rf bi E ( rM ) − rf + si E ( SMB ) + hi E ( HML)
Das Modell wurde von Carhart (1997) um einen Momentum-Faktor zum sogenannten 4-Faktor-Modell erweitert. Damit wird der empirisch nachgewiesene positive Zusammenhang von Renditen über 3 bis 12 Monate berücksichtigt.281 Carhart nutzt das Modell, um die Performance von Investmentfonds und damit die halbstrenge Informationseffizienz zu untersuchen.282 Ein Problem bei der Anwendung dieser Modelle ist die hohe Anzahl an benötigten Aktien, um Portfolios mit einer sinnvollen Größe zu bilden. Dies ist insbesondere bei Märkten in Schwellenländern mit wenigen Aktien problematisch. 283 Interpretationen des 3-Faktor- und des 4-Faktor-Modells stehen stellvertretend für die Debatte, ob die verwendeten Faktoren für eine rationale Risikoprämie oder eine Anomalie stehen. 284 Die bereits früher entwickelten mehrperiodigen Erweiterungen des CAPM sind zwar nur von bedingtem praktischem Nutzen, haben aber wichtige Implikationen für die Interpretation der EMH-Tests.285 Während das einperiodige CAPM implizit annimmt, dass Investoren ihr gesamtes Vermögen am Ende der ersten Periode konsumieren, erlauben die mehrperiodigen Erweiterungen eine Einbeziehung von Konsum- und Sparentscheidungen der Investoren. Dadurch können auch die Be278 279 280
281 282 283 284 285
Vgl. Kapitel 4.2.3 zur ausführlichen Erläuterung der Rolle der Liquidität in den CEE-3. Vgl. Fama und French (1993, 1996). Vgl. Banz (1981) für den Kleinfirmeneffekt und Fama und French (1993) für einen allgemeinen Überblick über die Eigenschaften von Querschnittsrenditen inklusive dem Buch-/Marktwerteffekt. Vgl. Jegadeesh und Titman (1993). Vgl. Kapitel 2.4.2. Vgl. Kapitel 2.4.3. Vgl. Kapitel 2.4.3. Fama (1971) zeigte, dass das CAPM auch als mehrperiodiges Modell interpretiert werden kann, allerdings nur unter restriktiven Bedingungen, wie z.B. der Annahme konstanter Präferenzen und Investitionsmöglichkeiten.
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stimmungsfaktoren des risikolosen Zinses und die Marktrisikoprämie erklärt werden, die beim CAPM lediglich exogen gegeben sind. 286 Dabei wird meist ein geschlossener Modellrahmen verwendet, in dem ein repräsentatives Individuum seinen erwarteten Nutzen (meist alleine durch den Konsum beeinflusst) über seine Lebenszeit maximiert. Diese Modelle stellen damit eine Verbindung zwischen der Kapitalmarkttheorie und der Makroökonomie her. 287 Merton (1973) hat mittels des Intertemporal CAPM die Auswirkungen einer mehrperiodigen Betrachtung untersucht. Die Nachfrage nach Wertpapieren wird dabei auch durch das Risiko einer möglichen Änderung der Investitionsmöglichkeiten in der Zukunft beeinflusst. Lucas (1978) setzt in einem allgemeinem Gleichgewichtsmodell, dem Consumption-CAPM, alle Risiken in Bezug zum Konsumwachstum. Wertpapiere, dessen Renditen eine hohe Kovarianz zum Konsumwachstum aufweisen, werden demnach als risikoreicher eingestuft und erfordern daher eine höhere Risikoprämie. In Bezug zur EMH führen diese Modelle zu zwei wichtigen Schlussfolgerungen. Sie zeigen formal, dass Wertpapierpreise bei Risikoaversion nicht die MartingalEigenschaft besitzen. 288 Eine Abweichung von der Martingal-Eigenschaft kann daher auch nicht als Ineffizienz interpretiert werden. Die Annahme eines Martingal-Prozesses ignoriert, dass risikoaverse Investoren eine Rendite für die Risikoübernahme fordern und zudem zukünftiges Einkommen diskontieren. Erst nach einer Risikoadjustierung der Renditen gilt die Martingal-Eigenschaft. 289 Außerdem zeigen diese Modelle, dass zeitvariante Renditen mit rationalem Investorenverhalten vereinbar sind. 290 Dies lässt sich auf zeitvariante Risikoprämien oder Risikoaversion zurückführen. Die Vorhersagbarkeit langfristiger Renditen (beispielsweise mittels des Dividenden-Preis-Verhältnisses) stellt daher nicht zwingend eine Anomalie dar. Vielmehr erklärt sich die Vorhersagbarkeit von Renditen durch die Vorhersagbarkeit von Risikoprämien und nicht durch die Vorhersagbarkeit von abnormalen Renditen. 291
286 287
288
289
290
291
Vgl. Campbell, Lo, MacKinlay (1997), S. 291. Vgl. Lucas (1978), S. 1444. Vgl. auch Kapitel 2.4.3 für eine Erläuterung der Unterschiede zwischen der Finance- und der ökonomischen Perspektive auf Wertpapierpreise. Vgl. Lucas (1978), S. 1443. Lucas zeigt, dass die Martingal-Eigenschaft annähernd gelten würde, wenn Investoren risikoneutral sind oder es nur ein geringes aggregiertes Risiko zwischen den Wertpapieren gibt. Diese Schlussfolgerung wurde bereits durch das Modell von LeRoy (1973) bewiesen. Im Gegensatz zu Lucas (1978) ist dies jedoch kein allgemeines Gleichgewichtsmodell. So ist bei LeRoy (1973) beispielsweise der risikolose Zins exogen gegeben. Vgl. LeRoy (1989), S. 1604. Beim ein-periodigen CAPM wird dagegen eine konstante erwartete Rendite unterstellt. Die Unterschiede zwischen einer konstanten und einer zeitvarianten erwarteten Rendite in Bezug auf das Dividenden-Diskontierungsmodell wurden bereits diskutiert. Vgl. Bodie, Kane und Marcus (2009), S. 361.
70
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2.4.2 Klassifizierung der Methoden Zur Überprüfung der EMH gibt es zahlreiche Methoden. Grundsätzlich kann unterschieden werden zwischen statistischen Analysen von Wertpapierpreisen und Handelsstrategien 292 zur Ausnutzung von Ineffizienzen (im Sinne einer Erzielung risiko-adjustierter Überrenditen). Erstere untersuchen eher die statistischen Eigenschaften informationseffizienter Preise. Letztere testen streng genommen eine der Implikationen der EMH. 293 Jensen jedoch definiert die EMH in Bezug auf Handelsstrategien: „A market is efficient with respect to information set θt if it is impossible to make economic profits by trading on the basis of information set θt. By economic profits, we mean the risk adjusted returns net of all costs.”294 Die beiden Varianten stehen in einem engen Verhältnis, da eine Handelsstrategie nur erfolgreich funktionieren kann, wenn es eine statistisch nachweisbare Abweichung von einem informationseffizienten Preis gibt. Die umgekehrte Schlussfolgerung gilt dagegen nicht zwingend, da die Überprüfung einer Handelsstrategie einige praxisrelevante Aspekte berücksichtigt (insbesondere Transaktionskosten), die bei rein statistischen Analysen häufig ignoriert werden. 295 Daher wird im Gegensatz zur statistischen Signifikanz in diesem Bezug auch von ökonomischer Signifikanz gesprochen, wenn eine Ineffizienz profitabel nutzbar ist. Naturgemäß liegt der Fokus akademisch ausgerichteter Forscher tendenziell eher auf Analysen statistischer Eigenschaften von Renditen. Praktiker aus der Finanzbranche interessieren sich eher für die Profitabilität von Handelsstrategien. Die traditionelle Einteilung der EMH-Tests nach Fama (1970) orientiert sich an den drei Effizienzformen schwach, halbstreng und streng. Diese Einteilung ist nicht immer eindeutig, da u.a. die Abgrenzung zwischen öffentlichen und privaten Informationen teilweise schwierig ist. Der Vorteil liegt aber in der Möglichkeit, Rückschlüsse über die Gültigkeit der drei Effizienzformen ziehen zu können. Fama (1991) modifizierte diese Einteilung leicht. Die erste Kategorie bezog sich nicht mehr nur auf Tests der schwachen Effizienz, die nur Untersuchungen zur Vorhersagbarkeit von Renditen unter Verwendung früherer Renditen umfassten,
292
293 294 295
Der Begriff der Handelsstrategie (engl. Trading rules) wird in der EMH-Forschung nicht immer konsistent verwendet. In der traditionellen Literatur wurden darunter sehr einfache regelbasierte Handelsanweisungen auf Basis vergangener Preisbewegungen, beispielsweise in Form von Filter-Regeln, verstanden. Mittlerweile wird der Begriff weiter gefasst und beinhaltet alle denkbaren praxisbezogenen Strategien zur Ausnutzung von Ineffizienzen. So können beispielsweise auch auf Basis von Ineffizienzen, die mittels Event-Studien identifiziert wurden, Handelsstrategien entwickelt werden. Vgl. Kapitel 2.3.2. Jensen (1978), S. 96. Vgl. Kapitel 2.4.3.
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sondern wurde allgemeiner Renditevorhersagbarkeit genannt und schloss damit z.B. auch andere Vorhersagevariablen ein.296 In Tabelle 2.8 findet sich eine modifizierte und erweiterte Klassifizierung von Informationseffizienztests. Dabei wurde nicht versucht alle verfügbaren Methoden, die auch im weiteren Sinne zur EMH-Forschung gehören, aufzulisten, sondern lediglich die am häufigsten verwendeten und für die vorliegende Fragestellung grundsätzlich in Frage kommenden Methoden einzuordnen. Auch bei dieser Einteilung ist die Zuordnung jedoch nicht immer eindeutig. Art der Effizienz
Weitere Unterscheidung
Methodik Autokorrelationen Variance Ratio Tests
Vergangene Renditen
Runs Tests/Sequences and Reversals Handelsstrategien CAPM
Rendite-Vorhersagbarkeit/ Schwache Informationseffizienz
Weitere Asset Pricing Modelle Querschnittsrenditen
Weitere Tests
Halbstrenge Informationseffizienz Strenge Informationseffizienz
Anomalien basierend auf Firmencharakteristika Momentum-/Contrarian Strategien Vorhersagevariablen für den Gesamtmarkt Volatilitäts-/Present Value/Bubble-Tests Saisonalitäten Event Studien Persistenz in der Performance von Fonds/Investoren Insider Trading
Tabelle 2.8: Klassifizierung ausgewählter Informationseffizienztests
Die erste Kategorie wird auch hier weiter gefasst und beinhaltet Tests der schwachen Informationseffizienz und Tests auf Rendite-Vorhersagbarkeit. Diese werden in drei weitere Kategorien unterteilt. Die erste Klasse der traditionellen Tests auf schwache Informationseffizienz beinhaltet Methoden, die Abhängigkeiten zwi296
Zudem benannte Fama (1991) die Tests der halbstrengen Form in Event Studies und die Tests der strengen Form in Tests auf private Informationen um, ohne dabei inhaltliche Änderungen vorzunehmen.
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schen vergangenen und zukünftigen Renditen einzelner Aktien oder Portfolios untersuchen. Diese können noch weiter unterteilt werden in kurzfristige und langfristige Abhängigkeiten. Die Tests auf Autokorrelation und die daraus abgeleiteten Variance Ratio Tests werden ausführlich in Kapitel 5.3 behandelt. Bei den RunsTests wird untersucht, wie häufig positive oder negative Renditen auf Renditen mit dem gleichen Vorzeichen folgen. Daraus wird die Anzahl der sogenannten Runs (Folgen) berechnet. Die Gesamtzahl der Runs wird daraufhin mit der erwarteten Zahl an Runs bei Vorlage eines Random Walk verglichen. 297 Dem Runs Test sehr ähnlich sind die Sequences und Reversal Tests. Dabei wird untersucht, wie häufig Renditen mit gleichem (Sequence) bzw. unterschiedlichem (Reversal) Vorzeichen aufeinander folgen. Das Verhältnis der beiden wird dann wiederum mit dem theoretisch erwarteten Wert bei einem Random Walk verglichen. Bei beiden Tests ist die Annahme über den Drift des Random Walk entscheidend für die richtige Interpretation der Ergebnisse. 298 Ein Beispiel für eine einfache regelbasierte Handelsstrategie ist die Filterregel. Eine 5%-Filterregel beispielsweise besagt, dass der Investor eine Aktie kaufen sollte, wenn diese um 5% steigt und sie so lange halten sollte, bis diese um mindestens 5% von ihrem darauffolgenden Höchststand fällt. Danach sollte er die Aktie leerverkaufen, bis diese wieder um 5% vom Tiefststand gestiegen ist. Bewegungen unter 5% werden ignoriert. 299 Die zweite Kategorie der Rendite-Vorhersehbarkeit-Tests beinhaltet die Querschnittsanalysen von Renditen. Darunter fallen insbesondere die Tests von AssetPricing-Modellen. Dazu können auch Anomalien basierend auf Firmencharakteristika wie Größe oder Buch-/Marktwert gezählt werden. Bei diesen Tests ist die Zuordnung jedoch nicht eindeutig. Zwar lassen sich diese Erkenntnisse zur Vorhersagbarkeit von Renditen nutzen, da diese Informationen aber meist öffentlich verfügbar sind, können diese Tests auch der halbstrengen Informationseffizienz zugeordnet werden. Momentum- und Contrarian-Strategien sollen ebenfalls zu den Querschnittsanalysen gezählt werden, da dabei meist in der Vergangenheit relativ gut bzw. schlecht performende Aktien gekauft werden. Bei Tests zur Vorhersage der Entwicklung des Gesamtmarktes wurden hauptsächlich die Variablen Dividenden-Preis-Verhältnis, Gewinn-Preis-Verhältnis oder die Zinsstruktur untersucht.300 Volatilitätstests, wie z.B. Variance Bounds Tests, leiten sich meist aus dem Dividenden-Diskontierungsmodell ab. Diese beiden Arten von Tests haben das Problem, dass Schlussfolgerungen, aufgrund der kaum möglichen Unterscheidung zwischen zeitvarianten Risikoprämien und Ineffizienzen, schwie-
297 298 299 300
Vgl. Fama (1965b), S. 74-81. Vgl. Campbell, Lo und MacKinlay (1997), S. 34-38. Vgl. Alexander (1961), S. 22. Vgl. Fama (1991), S. 1582-1586.
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rig sind. 301 Tests auf Saisonalitäten untersuchen periodisch auftretende RenditeMuster. Am bekanntesten dabei ist der Januar-Effekt. Bei den Tests der halbstrengen Informationseffizienz können grundsätzlich zwei Arten unterschieden werden. Während fast alle Tests prüfen, ob der Preis eines Wertpapieres in Folge einer Nachricht schnell und richtig reagiert, impliziert die EMH auch, dass sich Preise in Abwesenheit von Neuigkeiten nicht bewegen sollten.302 Auch wenn ein gewisser Teil solcher Kursbewegungen auf einem informationseffizienten Markt beispielsweise durch den Eintritt neuer Investoren mit heterogenen Erwartungen erklärt werden kann, werden große Kursbewegungen ohne zuordenbare Nachrichten in der Öffentlichkeit teilweise als Zeichen irrationalen Verhaltens interpretiert. Lediglich einige wenige Studien haben diese zweite Art von Tests, sogenannte Non-Event-Studien, durchgeführt. Dabei wurde beispielsweise gezeigt, wie sich der Kurs eines Unternehmens nach Berichten über den medizinischen Erfolg eines Krebsmedikamentes vervielfachte, obwohl über dieses Forschungsergebnis bereits zuvor in anderen Zeitschriften berichtet wurde. 303 Deutlich häufiger werden jedoch klassische Event Studien durchgeführt. Deren Methodik wird in Kapitel 6.2 erläutert. Des Weiteren können Untersuchungen zur Persistenz der Performance von Investoren in diese Kategorie eingeordnet werden. Meist wird dabei die Performance von Investmentfonds betrachtet, die Methodik ist grundsätzlich aber auf alle Investoren (also auch Einzelinvestoren oder Hedge Fonds) übertragbar. Die Zuordnung dieser Tests ist dabei wiederum nicht eindeutig. Fama (1970, 1991) ordnete diese Tests der strengen Effizienz zu. Dabei erläuterte er aber, dass die Zuordnung davon abhängt, ob die speziellen Informationen, die die Investoren nutzen, auf einem besseren Verständnis öffentlich zugänglicher Informationen (und damit einem Test auf halbstrenge Effizienz) oder auf einem monopolistischen Zugang zu spezifischen Informationen beruhen (und damit einem Test auf strenge Effizienz entsprechen). So haben institutionelle Investoren, beispielsweise durch Gespräche mit Unternehmensvorständen, häufig Zugang zu mehr Informationen als private Anleger. Durch die Verbesserung der Datenverfügbarkeit über das Internet oder private Informationsdienstleister hat sich der Nachteil bei der Beschaffung von Informationen für Privatinvestoren in den letzten Jahren aber tendenziell verringert. Daher sollen, im Einklang mit anderen Autoren, diese Art von Tests der halbstrengen Form zugeordnet werden. 304 Außerdem sollen lediglich Untersu-
301 302 303 304
Vgl. Kapitel 2.4.1. Vgl. Shleifer (2000), S. 5. Vgl. Huberman und Regev (2001). Vgl. beispielsweise Copeland, Weston und Shastri (2008), S. 497-499 oder Ross, Westerfield und Jaffe (2005), S. 362-363.
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chungen zur Persistenz der Performance von Investoren als EMH-Tests interpretiert werden. 305 Tests zur Prüfung der strengen Informationseffizienz gestalten sich als besonders schwierig, da die dabei verwendeten Informationen per Definition nicht öffentlich und für akademische Zwecke daher fast nie zugänglich sind. Außerdem haben die wenigen bisher durchgeführten Studien gezeigt, dass die strenge Informationseffizienz empirisch nicht gilt und ihre Ablehnung daher weitestgehend unstrittig ist. 306 2.4.3 Methodische Problemstellungen und Auswahl der Methodik Im Folgenden werden einige methodische Aspekte diskutiert, die bei Tests der EMH berücksichtigt werden müssen. Dabei wird auch erläutert, welche zusätzlichen Probleme bei der Analyse von Transformationsländern entstehen. Diese lassen sich auf die unterschiedlichen Strukturen der Märkte und die mangelnde Datenverfügbarkeit zurückführen. Dies hat eine erhebliche Einschränkung der bisher genannten Methoden zur Untersuchung der vorliegenden Fragestellung zur Folge. Daher dienen die Erläuterungen auch als Basis für die Auswahl der später verwendeten Methoden. Die Shiller/Summers-Kritik Häufig wird bei der Überprüfung der EMH untersucht, ob es möglich ist, beispielsweise auf Basis vergangener Renditen oder öffentlicher Informationen, risiko-adjustierte Überrenditen zu erzielen. Dabei muss bedacht werden, dass dabei lediglich Implikationen der EMH getestet werden.307 Wenn die EMH gilt, ist es nicht möglich ein „free lunch“ (d.h. Überrenditen) zu erzielen. Shiller (1984) und Summers (1985, 1986) haben allerdings darauf hingewiesen, dass die umgekehrte Schlussfolgerung nicht gilt, d.h. nur weil es nicht möglich ist eine Überrendite zu erzielen, impliziert dies nicht zwingend einen informationseffizient Markt.308 Barberis und Thaler (2003) fassen dies folgendermaßen zusammen: “Prices are right” = “No free lunch” “No free lunch” ≠ “Prices are right”
305
306 307 308
Es wurde bereits nachgewiesen, dass offene Investmentfonds im Durchschnitt meist keine bessere Performance erzielen als ein breiter Index (Malkiel 1995). Dies kann allerdings nur sehr bedingt als Nachweis eines informationseffizienten Marktes gewertet werden, da die Gesamtheit aller Fonds einen beträchtlichen Teil des Marktes darstellt und diesen daher im Durchschnitt auch nur schwer schlagen kann. Relevanter für die EMH sind daher die Erkenntnisse über die Persistenz der Performance der Fonds. Vgl. die Erläuterungen in Kapitel 2.3.2. Vgl. Kapitel 2.2.4. Vgl. Kapitel 2.4.2 zum Unterschied zwischen statistischen Analysen von Renditen und Handelsstrategien. Die Relevanz dieser Unterscheidung hängt auch mit der volkswirtschaftlichen Implikation der Informationseffizienz zusammen. Nur wenn die Preise auch wirklich die korrekten Informationen reflektieren, kann auch von einer effizienten Kapitalallokation ausgegangen werden. Vgl. Barberis und Thaler (2003), S. 1056.
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Shiller (1984) bezeichnet die gängige Vorgehensweise gar als einen der größten Fehler in der Geschichte des ökonomischen Denkens: „Returns on speculative assets are nearly unforecastable; this fact is the basis of the most important argument in the oral tradition against a role for mass psychology in speculative markets. One form of this argument claims that because real returns are nearly unforecastable, the real price of stocks is close to the intrinsic value, that is, the present value with constant discount rate of optimally forecasted future real dividends. This argument for the efficient markets hypothesis represents one of the most remarkable errors in the history of economic thought.”309 Summers (1985) kritisiert in einer Diskussion über das fiktive Forschungsfeld „Ketchup Economics“, das er später mit der Situation in der Kapitalmarktforschung gleichsetzt, die unterschiedlichen Herangehensweisen in der Forschung durch breiter ausgerichtete Ökonomen und auf Finance spezialisierte Forscher. Laut Summers konzentrieren sich erstere auf die Untersuchung der generellen Einflussfaktoren des Ketchuppreises wie Kosten, Gehälter, Einkommen oder Substitute (also dem absoluten Preisniveau). Letztere untersuchen dagegen lediglich beobachtbare Preisbewegungen. Dies führt laut Summers dazu, dass FinanceForscher häufig aus der Tatsache, dass es keine Arbitragemöglichkeiten gibt, auf die Effizienz des Marktes schließen.310 Diese gängige Vorgehensweise ist bereits aus wissenschaftstheoretischer Sicht unzulässig, da ein Ablehnen der Verwerfung einer Hypothese nicht zwingend als Bestätigung der Hypothese ausgelegt werden kann. Vielmehr sollten die empirischen Befunde auch mit denen einer alternativen Hypothese verglichen werden.311 Summers (1986) hat diese Problematik in einem Aufsatz formal untersucht und dazu als Alternative zur EMH einen Preisbildungsprozess modelliert, bei dem der Preis von seinem Fundamentalwert (definiert als Wert der zukünftig erwarteten diskontierten Dividenden) um einen Fehlerterm abweicht, der einem autoregressiven Prozess erster Ordnung folgt. Für gängige Parameter kann gezeigt werden, 309 310
311
Shiller (1984), S. 458-459. „They have shown that two quarter bottles of ketchup invariably sell for twice as much as one quart bottles of ketchup except for deviations traceable to transaction costs, and that one cannot get a bargain on ketchup by buying and combining ingredients once one takes account of transaction costs. Nor are there gains to be had from storing ketchup, or mixing together different quality ketchups and selling the resulting product. Indeed, most ketchup economists regard the efficiency of the ketchup market as the best established fact in empirical economics”. Summers (1985), S. 634. Vgl. Summers (1986), S. 593-594. Auch Fama (1998) kritisiert, dass nur selten eine alternative Hypothese zur EMH getestet wird. Allerdings kritisiert er dabei eher die Ablehnung der EMH aufgrund von nachgewiesenen Anomalien: “A problem in developing an overall perspective on long-term return studies is that they rarely test a specific alternative to market efficiency. Instead, the alternative hypothesis is vague, market inefficiency. This is unacceptable. Like all models, market efficiency (the hypothesis that prices fully reflect available information) is a faulty description of price formation. Following the standard scientific rule, however, market efficiency can only be replaced by a better specific model of price formation, itself potentially rejectable by empirical tests.” Fama (1998), S. 284.
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dass eine Ablehnung der EMH auf Basis des statistischen Nachweises der Vorhersagbarkeit, trotz der Abweichung vom Fundamentalwert, nur bei extrem langen Zeitreihen möglich ist. Dies gilt auch für Tests auf halbstrenge Effizienz, bei der die Performance von Fonds analysiert wird, da Fondsmanagern, selbst wenn diese den wahren Preisbildungsprozess kennen, eine Überperformance nur schwer innerhalb einer kurzen Zeitperiode nachgewiesen werden kann. 312 Aus vielen empirischen Tests lassen sich zwar auch keine Belege für einen nicht rationalen Preisbildungsprozess ableiten, die Kritik von Summers und Shiller betont aber die Schwäche einiger gängiger Methoden bei der Unterscheidung zwischen rationalen und nicht rationalen Preisbildungsmodellen. Das Joint-hypothesis Problem Die Notwendigkeit der Einbeziehung eines Asset Pricing Modells zur Quantifizierung einer fairen Risikoprämie führt immer zum sogenannten Joint-hypothesis Problem. 313 Dieses besagt, dass die EMH keinem eigenständigen Test unterzogen werden kann, sondern immer nur in Kombination mit einem Asset Pricing Modell, da nur mittels der Quantifizierung einer erwarteten Rendite beurteilt werden kann, ob es sich um eine Anomalie oder eine rational gerechtfertigte Risikoprämie handelt.314 Sollte beispielsweise eine Überprüfung der EMH unter Berechnung einer erwarteten Rendite über das CAPM zu dem Ergebnis kommen, dass eine systematische Abweichung vorliegt, kann die EMH nicht eindeutig abgelehnt werden, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass die EMH gültig ist, das CAPM aber keine korrekte Beschreibung des Risiko-Rendite-Zusammenhangs darstellt. Es ist daher bei der Interpretation dieser Tests unmöglich zu entscheiden, welche der beiden Hypothesen zutreffend ist und welche nicht.315 Dieses Problem gewinnt an Relevanz, da das CAPM und andere Asset-Pricing-Modelle empirisch beobachtbare Renditen nur sehr ungenügend erklären können. Aus wissenschaftstheoretischer Sicht lässt dies Zweifel aufkommen, ob man die EMH überhaupt als eine Hypothese bezeichnen kann, da eine solche durch empirische Tests immer falsifizierbar sein sollte. Statt die EMH in Anbetracht der zahlreichen nachgewiesen Anomalien abzulehnen, tendieren die meisten EMH-Anhänger dazu, das CAPM als unzureichendes Modell dem Erhalt der EMH zu opfern und alternative Asset-Pricing-Modelle zu entwickeln. Shiller kritisiert, dass es eine Tendenz der Anhänger der EMH gibt, 312 313 314 315
Vgl. Summers (1986), S. 597-598. Auf dieses Problem hat erstmals Fama (1970) hingewiesen. Vgl. Fama (1991), S. 1575-1576. Während das Joint hypothesis Problem bei Tests der EMH häufig diskutiert wird, wird oftmals übersehen, dass das Problem auch für die Tests der Asset Pricing Modelle gilt. Diese unterstellen implizit (mit Ausnahme einiger weniger Modelle) einen informationseffizienten Markt.
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zu jeder auf öffentlichen Informationen basierenden profitablen Handelsstrategie ein Modell zu entwickeln, das diesen Profit auf die Existenz einer fairen Risikoprämie zurückführt. 316 Besonders deutlich werden diese unterschiedlichen Standpunkte bei der Einordnung des Fama-French 3-Faktor-Modells.317 Fama und French (1993) interpretieren die beiden Faktoren Größe und Buch-/Marktwert zwar nicht als Risikofaktoren an sich, wohl aber als proxy für ein Risiko, das nicht durch das CAPM-Beta abgebildet wird.318 Laut Fama und French (1996) kann das Modell als Intertemporal CAPM (oder APT-Modell) aufgefasst werden, bei dem die beiden Faktoren als Risikofaktoren interpretiert werden und damit ein Hedgingbedürfnis bei Investoren auslösen. Einige Studien versuchen diese Interpretation zu untermauern, indem sie nachweisen, dass sich die beiden Faktoren zur Vorhersage der Konjunktur eignen und daher als Risikofaktoren begriffen werden können. Anhänger der Behavioral Finance interpretieren die Faktoren eher als Korrektur systematischer Fehler auf einem ineffizienten Markt. Die beiden Anomalien können demnach auf eine übermäßige Extrapolation vergangener Performance in die Zukunft zurückgeführt werden. Dies hat zur Folge, dass kleine Firmen mit hohem Buch-/Marktwert eine vergleichsweise gute zukünftige Performance aufweisen, nachdem sich die Investoren der Fehlbewertung bewusst geworden sind.319 Ein weiteres Problem, das bei der Verwendung von Asset-Pricing-Modellen bei EMH-Tests beachtet werden muss, ist die mögliche Instabilität der Koeffizienten. So kann sich beispielsweise der Risiko-Rendite Zusammenhang im Laufe der Zeit ändern. Da Unternehmen ständig neue Projekte mit unterschiedlichem Risikoprofil beginnen, kann nicht davon ausgegangen werden, dass diese Beziehung stabil bleibt.320 Methodische Probleme der Effizienzmessung in Schwellenländern Aktienmärkte von Schwellenländern unterscheiden sich in zahlreichen Dimensionen von entwickelten Märkten und stellen daher besondere Anforderungen an die Methodik der Effizienzforschung. Diese Unterschiede äußern sich in Form von gravierenden Datenproblemen und der Notwendigkeit einer besonderen Berücksichtigung struktureller Defizite. Neben dem hier im Detail analysierten unterentwickelten Informationsumfeld, das als eine solche strukturelle Schwäche aufge316 317 318
319 320
Vgl. Shiller (2000), S. 6. Vgl. Kapitel 2.4.1. Vgl. Fama und French (2004), S. 37-41 für eine Übersicht über die unterschiedlichen Interpretationen des Fama-French 3-Faktor Modells. Vgl. Bodie, Kane und Marcus (2009), S. 336, 366-368, 423-429. Diese Problematik wird in der Event-Studie in Kapitel 6 aufgegriffen. Dabei wird untersucht, ob sich das beta einer Aktie nach der Veröffentlichung der Unternehmenszahlen verändert hat.
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fasst werden kann, müssen auch andere Defizite (im Optimalfall in quantifizierter Form) berücksichtigt werden, um den Effekt des Informationsumfeldes auf die Effizienz von anderen Faktoren unterscheiden zu können. Ein gravierendes Problem liegt in der mangelnden Datenverfügbarkeit bzw. -verlässlichkeit. Die Verfügbarkeit wird schon durch die relativ kurze Existenz der Aktienmärkte in vielen Schwellenländern eingeschränkt und macht somit Analysen von Zeitreihen über mehrere Jahrzehnte wie bei entwickelten Märkten unmöglich. Neben der zeitlichen Dimension schränkt zudem die häufig sehr geringe Zahl an Aktien die Möglichkeit von Querschnittsanalysen ein. Die Verlässlichkeit der Daten leidet darunter, dass es für Schwellenländer meist keine für akademische Zwecke aufbereitete Datenbank gibt. Zwar berufen sich auch kommerzielle Anbieter auf die Verlässlichkeit ihrer Daten durch eine entsprechende Bereinigung und Überprüfung, da diese aber meist mangelhaft dokumentiert sind, wird eine Nutzung dieser Daten für akademische Zwecke häufig kritisch betrachtet. Ein weiteres Problem liegt in der Nutzung von Aktienindizes bei Informationseffizienztests. Die Verwendung von Indizes hat grundsätzlich Vorteile, da einzelne Aktien eine hohe firmen-spezifische Volatilität aufweisen. Durch die Portfoliobildung (und den damit verbundenen Diversifikationseffekt) sinkt das unsystematische Risiko und eventuell vorliegende Muster in den Renditezeitreihen lassen sich einfacher identifizieren. 321 Allerdings kann die Verwendung von Indizes zu Problemen führen, wenn diese (wie in den CEE-3) stark von einigen wenigen Aktien abhängen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Indizes über die Jahre nicht immer mit der gleichen Methodik berechnet wurden und ausländische Unternehmen mit einem Zweitlisting in einigen Fällen ein relativ hohes Gewicht im Index erhalten.322 Ein generelles Problem bei der Risikoadjustierung der Renditen liegt in der Wahl des proxy für das Marktportfolio. In empirischen Studien zum US-amerikanischen Markt wird meist ein breiter Aktienindex (z.B. der S&P500) verwendet, obwohl auch eine Berücksichtigung weiterer Assetklassen angebracht wäre. 323 Bei Studien zu anderen Ländern steht man zudem vor der Wahl zwischen einem lokalen Index und einem Weltportfolio-Index (wie z.B. dem MSCI World) als Marktproxy. Außerdem kann durch entsprechende Berücksichtigung der Wechselkurse zwischen 321
322
323
Vgl. Lo und MacKinlay (1988), S. 56. Fama und MacBeth (1973) betonen die Vorteile der Portfoliobildung bei Tests des CAPM. Vgl. Kapitel 4.2.2 zur Erläuterung der Indizes in den CEE-3 und den damit verbunden Problemen für die Effizienzmessung. Die ursprüngliche Kritik an einem unzureichenden proxy für das Marktportfolio stammt von Roll (1977). Das Marktportfolio müsste beispielsweise auch Renditen von Investitionen in nicht öffentlich gehandelte Unternehmen oder in Humankapital beinhalten. Da es darüber aber kaum verlässliche Daten gibt, werden diese meist nicht berücksichtigt. Auch andere Assetklassen wie Anleihen oder Rohstoffe werden meist vernachlässigt.
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einer Bewertung der Effizienz aus Sicht eines heimischen und eines ausländischen Investors unterschieden werden.324 Dabei sollten eventuelle Restriktionen für ausländische Investoren beim Erwerb und Handel von Wertpapieren berücksichtigt werden. Die Überprüfung von Handelsstrategien erfordert die Beachtung einiger praxisrelevanter Aspekte, die bei der Analyse der statistischen Eigenschaften oft ignoriert werden. Dies gilt insbesondere für die angemessene Berücksichtigung aller Transaktionskosten, die bei der Durchführung der Handelsstrategie anfallen. Dazu zählen z.B. Maklerprovisionen, Marktgebühren, Abwicklungskosten, der Bid-Ask Spread und Market Impact-Kosten. 325 Die Berücksichtigung dieser Aspekte ist für Aktienmärkte von Schwellenländern wiederum besonders schwierig, da diese häufig eine relativ niedrige Liquidität aufweisen und kaum verlässliche Daten über einen längeren Zeitraum zur Verfügung stehen. Dies gilt insbesondere für kleinere Unternehmen, die zudem nicht an einer weiteren Börse im Ausland gelistet sind. Hinzu kommt, dass beispielsweise in den CEE-3 in den ersten Jahren nach der Liberalisierung nicht an jedem Werktag gehandelt wurde. 326 Der „nicht-synchrone Handel“ und der „Bid-Ask-bounce“ (d.h. der beobachtbare Preis wechselt zwischen Bid- und Ask-Preis) haben Folgen für die statistische Analyse von Renditen und Tests von Handelsstrategien. Diese Effekte können zu scheinbaren Autokorrelationen oder Kreuz-Autokorrelationen und damit falschen Schlussfolgerungen über die Vorhersagbarkeit der Renditen von Wertpapieren führen. 327 Allerdings stehen die erforderlichen Daten nicht immer für jede Aktie einzeln zur Verfügung. Zudem wird dabei das Risiko einer vorübergehenden Illiquidität häufig vernachlässigt. Bei der Überprüfung von Handelsstrategien sollten außerdem rechtliche Beschränkungen des Wertpapierhandels, wie z.B. ein Verbot von Leerverkäufen, beachtet werden. Zwei generelle Probleme der EMH-Forschung sollten zudem unabhängig vom betrachteten Markt beachtet werden. Zum einen besteht bei vielen Tests die Gefahr eines Survivorship Bias. Die Wahl der zu untersuchenden Wertpapiere wird oftmals von der Datenverfügbarkeit bestimmt. Ein Beispiel dafür sind die Untersuchungen zur Performance von Investmentfonds. Da in der Vergangenheit erfolglose Fonds häufig geschlossen werden, wird bei einem Vergleich der aktuell verfügbaren Fonds deren Performance tendenziell überschätzt.328 Gleiches gilt für Ak324 325 326 327
328
Unterschiedliche steuerliche Regelungen werden in der EMH-Literatur meist nicht berücksichtigt. Vgl. Kapitel 4.2.3 für eine Erläuterung der Transaktionskosten in den CEE-3. Vgl. Kapitel 4.2.4. Vgl. Lo und MacKinlay (1990) zu den Auswirkungen des nicht-synchronen Handels. Die Autoren zeigen dabei auch, dass der nicht-synchrone Handel nur einen kleinen Teil der empirisch beobachtbaren Autokorrelationen am US-amerikanischen Markt erklären kann. Vgl. Campbell, Lo und MacKinlay (1997), S. 99-107 zu den Auswirkungen des bid-ask spread. Vgl. Carhart (1997).
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tien. Da in der Vergangenheit erfolglose Unternehmen einem größeren Übernahmerisiko unterliegen, können Analysen unter Verwendung aktuell verfügbarer Aktien verzerrt sein. Ein weiteres generelles Problem der Kapitalmarktforschung sind die Anreize für Forscher, spektakuläre Ergebnisse, beispielsweise in Form einer neuen Anomalie, zu veröffentlichen.329 Dadurch besteht die Gefahr, dass Datensätze so lange untersucht werden, bis ein gewünschtes Muster nachgewiesen werden kann.330 Zur Erklärung der scheinbaren Anomalie wird dann ex-post ein theoretisches Modell mit irrationalen Akteuren entwickelt. Dieses Problem besteht sowohl bei der statistischen Analyse von Renditen als auch bei der Suche nach profitablen Handelsstrategien. Zur Vermeidung des Problems sollte daher mittels Robustness-Checks die Sensitivität der Ergebnisse auf Änderungen der Methodik untersucht werden.331 Auswahl der Methodik Die genannten methodischen Probleme schränken die Auswahl der sinnvoll anwendbaren EMH-Tests für die vorliegende Fragestellung erheblich ein. Tabelle 2.9 gibt eine Übersicht über die Konsequenzen für die jeweiligen Tests. Konkrete Handelsstrategien sind beispielsweise aufgrund der mangelnden Daten über Transaktionskosten, die das Ergebnis erheblich beeinflussen können, nur unzureichend durchführbar. Querschnittsanalysen mittels Asset Pricing Modellen sind aufgrund der geringen Anzahl der gelisteten Unternehmen für die CEE-3 ebenfalls kaum sinnvoll anwendbar. Da es zudem keine Marktdaten über mehrere Jahrzehnte für Transformationsländer gibt, scheiden Tests aus, die sehr lange Zeitreihen erfordern (z.B. die Volatilitätstests). Eine Analyse der Performance von Investmentfonds scheitert an der mangelnden Datenbasis für Fonds mit Anlageschwerpunkt in diesen Ländern. In Kapitel 5 und 6 werden Variance Ratio Tests bzw. eine Event-Studie angewendet. Allerdings sind auch diese Tests nicht frei von methodischen Problemen. Diese werden in den jeweiligen Kapiteln ausführlich erläutert. Die relative geringe Ausprägung der methodischen Probleme bei diesen Tests rechtfertigt aber die Auswahl dieser Methoden. Zudem ermöglicht die Wahl sowohl die schwache als auch die halbstrenge Informationseffizienz zu untersuchen. Um den Einfluss weiterer Faktoren (wie Liquidität oder Transaktionskosten) zu berücksichtigen, werden diese in Kapitel 4 für die CEE-3 analysiert. Die Erkenntnisse werden bei der Interpretation der Ergebnisse in Kapitel 5 und 6 genutzt.
329 330 331
Vgl. Fama (1998), S. 287. Vgl. Copeland, Weston und Shastri (2008), S. 486. Fama (1998) zeigt, dass viele Anomalien zu langfristigen Zusammenhängen von Renditen unter Verwendung einer alternativen Methodik verschwinden.
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Art der Effizienz
Weitere Unterscheidung
Methodik
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Methodische Probleme
Autokorrelationen Variance Ratio Tests Vergangene Renditen
Runs Tests/Sequences and Reversals Handelsstrategien CAPM
RenditeVorhersagbarkeit/ Schwache Informationseffizienz
Querschnittsrenditen
Weitere Tests
Weitere Asset Pricing Modelle Anomalien basierend auf Firmencharakteristika Momentum-/Contrarian Strategien Vorhersagevariablen für den Gesamtmarkt Volatilitäts-/Present Value-/Bubble-Tests Saisonalitäten
Mangelnde Daten zu Transaktionskosten Keine ausreichende Zahl an Aktien Keine ausreichende Zahl an Aktien Keine ausreichende Zahl an Aktien Keine ausreichende Zahl an Aktien Keine ausreichend langen Zeitreihen Keine ausreichend langen Zeitreihen Keine ausreichend langen Zeitreihen
Event Studien Halbstrenge Informationseffizienz Strenge Informationseffizienz
Persistenz in der Performance von Fonds/Investoren
Mangelnde Datenbasis
Insider Trading
Mangelnde Datenbasis
Tabelle 2.9: Methodische Probleme von Informationseffizienztests
INFORMATIONSÖKONOMISCHE BETRACHTUNG VON AKTIENMÄRKTEN
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3 Informationsökonomische Betrachtung von Aktienmärkten Wie bereits erläutert, wird die Rolle des Informationsumfeldes von Aktienmärkten in der EMH-Literatur meist nur sehr unzureichend behandelt. Dies zeigte sich z.B. in der Vernachlässigung von Informationskosten, der nicht eindeutigen Unterscheidung der drei Effizienzformen schwach, halbstreng und streng sowie der Annahme, dass „gut-informierte“ Investoren durch Arbitrage einen effizienten Markt garantieren. In diesem Kapitel werden unterschiedliche Aspekte des Informationsumfeldes sowohl aus modelltheoretischer (Kapitel 3.1) als auch aus praktischer Perspektive (Kapitel 3.2) genauer beleuchtet und die Implikationen für die EMH im Allgemeinen und die Fragestellung im Speziellen erörtert. In Kapitel 3.1.1 wird zunächst ein Überblick über das stark wachsende Forschungsfeld der Informationsökonomik gegeben. Anschließend werden in Kapitel 3.1.2 einige informationsökonomische Modelle und deren Zusammenhang zur EMH dargestellt. In Kapitel 3.1.3 werden spezifische Modelle präsentiert, die zur Erklärung von Aktienmarktanomalien entwickelt wurden. Dabei kann wiederum unterschieden werden zwischen Modellen mit rationalen und irrationalen Investoren. In Kapitel 3.2 werden daraufhin die wichtigsten Determinanten des Informationsumfeldes diskutiert. Der Fokus liegt dabei auf der Rolle von Transparenzanforderungen und Aktien-Analysten.
3.1 Modelltheoretische Analyse des Informationsumfeldes 3.1.1 Informationsökonomik im Überblick Die Informationsökonomik kann als Erweiterung der Entscheidungstheorie unter Unsicherheit (bzw. Ungewissheit) betrachtet werden. 332 Während die Entscheidungstheorie unter Unsicherheit eine eher statische Perspektive einnimmt, analysiert die Informationsökonomik beispielsweise, wie sich das Bemühen der Individuen zur Überwindung ihrer Unwissenheit durch Generierung oder Akquisition von Informationen auswirkt.333 Einige der im Folgenden genannten Bereiche der Informationsökonomik werden auch innerhalb der Neuen Institutionenökonomik
332
333
Auf eine Einbeziehung der Spieltheorie soll im Folgenden verzichtet werden. Diese kann als strategische Entscheidungstheorie bei Unsicherheit betrachtet werden, hat aber nur sehr bedingt Implikationen für die EMH. Vgl. Hirshleifer und Riley (1992), S. 2.
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und den Teilbereichen Transaktionskosten-, Prinzipal-Agenten- bzw. Verfügungsrechtetheorie behandelt. Die Berücksichtigung von Informationen in der ökonomischen Analyse hat sich in den letzten Jahrzehnten fundamental verändert. In der frühen Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts wurde das Problem unvollständiger Informationen zwar nicht übersehen, allerdings stand die Diskussion über die daraus resultierenden Implikationen nicht im Zentrum, sondern folgte im Anschluss an die formale Analyse.334 Bei der Analyse selbst wurden dagegen meist perfekte Informationen angenommen oder der Prozess der Informationsakquisition wurde nicht explizit modelliert. Auch in den Standardmodellen der ökonomischen Theorie zum allgemeinen Konkurrenzgleichgewicht (Arrow und Debreu 1954) wurden die Annahmen über Informationen einfach ignoriert. Diese weitgehende Nichtberücksichtigung des Informationsumfeldes in den frühen Forschungen findet sich auch in der Ideengeschichte der EMH wieder.335 Als zentrales Grundproblem wurde lange Zeit die Aggregation von Informationen und Wissen im Wirtschaftsprozess betrachtet. Dabei wurde debattiert, ob ein dezentrales marktwirtschaftliches System oder eine zentrale Planungsbehörde diese Funktion besser ausfüllen kann. Hayek (1945) argumentiert, dass verstreute Informationen über relative Knappheiten in einer Marktwirtschaft sehr effizient über das Preissystem reflektiert werden. Dabei müssen einzelne Individuen nicht zwingend die Gründe (d.h. die Informationen) für z.B. den Anstieg eines Rohstoffpreises kennen. Der Preisanstieg kommuniziert unabhängig davon die gestiegene Knappheit des Gutes. Abweichend von der Grundannahme perfekter Informationen, wurden Informationen teilweise auch mit den gleichen ökonomischen Analysewerkzeugen wie normale Güter betrachtet. Demnach verhalten sich Individuen rational, wenn sie solange Informationen akquirieren, bis der erwartete Grenznutzen der Information den Grenzkosten entspricht.336 Stigler (1961) zeigt in seinem Aufsatz „The economics of information“, wie sich der erzielbare minimale Preis, den ein Käufer bezahlen muss, in Abhängigkeit der Anzahl der aufgesuchten Verkäufer entwickelt. Die zusätzliche erwartete Ersparnis wird von einem rationalen Käufer in Relation zu den Suchkosten gesetzt. Diese Suchkosten führen dazu, dass in der Realität unterschiedliche Preise für identische (oder zumindest ähnliche) Güter, wie z.B. ein Automobil des gleichen Modells, beobachtet werden können.
334 335 336
Vgl. Stiglitz (2000, 2002) für einen Überblick zur historischen Entwicklung. Vgl. Kapitel 2.2. Vgl. Blankart (2003), S. 12-14.
INFORMATIONSÖKONOMISCHE BETRACHTUNG VON AKTIENMÄRKTEN
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Stiglitz (2000) argumentiert allerdings, dass diese Betrachtung häufig ungenügend sei, da bereits kleine Informationsasymmetrien oder -kosten erhebliche Auswirkungen auf das Marktgeschehen haben können. Dies wurde theoretisch, ebenfalls am Beispiel des Automobilmarktes, durch den einflussreichen Aufsatz von Akerlof (1970) gezeigt. Informationsasymmetrien zwischen Käufern und Verkäufern über die Qualität gebrauchter Automobile führen dazu, dass lediglich Autos schlechter Qualität („Lemons“) gehandelt werden und der Markt für gebrauchte Autos dadurch letztlich zusammenbrechen kann. Dieses Problem der Adverse Selection (auch Negativauslese) spielt auch auf zahlreichen weiteren Märkten, wie dem Versicherungs-, aber auch dem Kapitalmarkt, eine Rolle. In den letzten Jahrzehnten hat die Informationsökonomik eine immer größere Bedeutung erlangt. Dies zeigte sich auch an der Verleihung der ÖkonomieNobelpreise an George Akerlof, Michael Spence und Joseph Stiglitz für ihre Analyse von Märkten mit asymmetrischen Informationen im Jahr 2001 und an James Mirrlees und William Vickrey für ihre Theorie über Anreize bei asymmetrischen Informationen im Jahr 1996. Abbildung 3.1 gibt eine Übersicht über die zahlreichen Aspekte, die im Rahmen der Informationsökonomik behandelt werden. 337 Die erste Säule beinhaltet Themen, die insbesondere bei Betrachtung eines einzelnen Individuums relevant sind.338 Der Wert einer Information wird auf Grundlage des Prinzips „Information as a guide to action“ meist in Form des erwarteten Nutzenanstiegs eines Individuums, das die Information erhält und optimal darauf reagiert, gemessen. Dieser Wert hängt u.a. vom Einsatz (dem pay-off), der vorherigen Unsicherheit, der Präzision der Information und der Risikoaversion ab.339 In der gängigen ökonomischen Theorie wird häufig angenommen, dass Informationen kostenlos zur Verfügung stehen. Diese Kosten sollten aber insbesondere bei der empirischen Überprüfung der EMH einbezogen werden. Die Auswirkungen der Einführung von Informationskosten werden daher im Rahmen eines Modells in Kapitel 3.1.2 ausführlich diskutiert. Die Theorie zur optimalen Menge an Informationen beruht, wie bereits oben erläutert, auf dem Prinzip der rationalen Abwägung zwischen dem erwarteten Nutzen und den Kosten einer zusätzlichen Information. Bei der Theorie zur Produktion von Informationen wird die Einzelperspektive verlassen und strategische Aspekte müssen berücksichtigt werden. So kann beispielsweise zwischen einem „privaten“ und einem „sozialen“ Wert (und damit der optimal produzierten Menge) von Informationen unterschieden werden. Dies lässt sich u.a. darauf zurückführen, dass Informationen positive Externalitä337 338
339
Die Abbildung orientiert sich an der Gliederung des Buchs von Birchler und Bütler (2007). Vgl. Brunnermeier (2001), S. 2-14 und Samuelson (2004) für die Grundlagen der Modellierung von Informationen und Wissen. Vgl. Birchler und Bütler (2007), S. 31-56. Es bestehen zahlreiche weitere Konzepte zur Ermittlung des ökonomischen Wertes von Informationen. Vgl. Lawrence (1999) für eine ausführliche Analyse.
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ten aufweisen können. Dies spielt auch eine bedeutende Rolle für die Einordnung der EMH und wird daher ebenfalls im nächsten Kapitel ausführlich diskutiert. Informationsökonomik
Information als ökonomisches Gut
Aggregation von Informationen auf einem Markt
• Definition und Modellierung von Informationen • Wert von Informationen • Kosten von Informationen • Optimale Menge an Informationen • Produktion von Informationen
• Informationen und Preisbildung • Informationen höherer Ordnung • Koordinierungsprobleme • Informationskaskaden
Asymmetrische Informationen • Winner’s Curse • Information und Selektion (Adverse Selection) • Optimale Verträge (Screening, Signaling) • Enthüllungsprinzip (Revelation) • Anreize (Prinzipal-Agenten Theorie, Moral Hazard)
Self-Knowledge • Erwartungsbildung • Präferenzen
Abbildung 3.1: Themengebiete der Informationsökonomik Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Birchler und Bütler (2007)
Die zweite Säule beinhaltet Aspekte, die bei der Aggregation von Informationen auf einem Markt und damit beim Zusammenwirken mehrerer Individuen mit unterschiedlichen Informationen und Handlungen zum Tragen kommen. Eine sehr umfangreiche Literatur besteht dabei zum Zusammenhang zwischen individuellen privaten Informationen und der Preisbildung auf Märkten. Dazu gehören auch die Modelle der Marktmikrostrukturtheorie. 340 Eines dieser grundlegenden Modelle wird im nächsten Kapitel präsentiert. Im Gegensatz zum fundamentalen Wissen beschreiben Informationen höherer Ordnung das Wissen über das Wissen anderer bzw. eines selbst. Bei einigen ökonomischen Problemstellungen mit strategischer Unsicherheit sollten rationale Entscheider ihr Wissen über das Wissen anderer berücksichtigen. Dabei muss jedoch 340
Vgl. O’Hara (1997) für einen Überblick.
INFORMATIONSÖKONOMISCHE BETRACHTUNG VON AKTIENMÄRKTEN
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beachtet werden, dass andere sich ebenfalls rational verhalten und berücksichtigen, dass andere ihr Wissen kennen usw. 341 Dies führt zum Begriff des Common Knowledge. Ein Ereignis ist Common Knowledge, wenn jeder das Ereignis kennt; jeder weiß, dass es jeder kennt; jeder weiß, dass jeder weiß, dass es jeder kennt usw.342 Die Implikationen der Informationen höherer Ordnung für Aktienmärkte wurden bereits durch Keynes Vergleich des Aktienmarktes mit einem Schönheitswettbewerb deutlich. 343 Demnach sollten Investoren bei der Aktienauswahl auch berücksichtigen, welche Informationen andere Investoren besitzen und welche Aktien ihnen daher am besten gefallen. Da jeder Investor dies berücksichtigen sollte, handelt es sich hierbei um ein Problem der Informationen höherer Ordnung. Koordinierungsprobleme im Kontext der Informationsökonomik lassen sich auf (positive bzw. negative) Externalitäten der Handlungen von Individuen zurückführen. Dies kann dazu führen, dass ein Modell mehrere Gleichgewichte besitzt.344 Ein relevantes Beispiel ist das Bank Run-Modell von Diamond und Dybvig (1983), das die Rolle von staatlichen Einlagensicherungssystemen hervorhebt. Neben solchen Modellen mit pay-off-Externalität können auch Modelle mit einer Informations-Externalität ein Herden-Verhalten erklären. 345 Bei letzteren versuchen Individuen aus der Beobachtung des Handelns anderer Personen auf deren private Informationen zu schließen. Eine sogenannte Informationskaskade kommt zustande, wenn es für ein Individuum optimal ist, sich (unabhängig von seinen eigenen Informationen) dem Verhalten anderer anzuschließen. 346 Während in der Kapitalmarkttheorie also meist davon ausgegangen wird, dass neue Informationen zu Änderungen von Preisen führen, versuchen in diesen Modellen Individuen aus den Preisbewegungen auf Informationen zu schließen. In Bezug auf die Informationseffizienz lässt sich aus diesen Modellen auch eine bedeutende Rolle für Experten (wie z.B. Aktien-Analysten) und nicht konformistische Marktteilnehmer ableiten, da diese unabhängig vom Handeln anderer ihre eigenen Informationen und Analysen nutzen und daher Informationskaskaden (und das damit verbundene Herden-Verhalten) beenden können. 347 In der dritten Säule werden Theorien genannt, die insbesondere im Zusammenhang mit asymmetrischen Informationen entwickelt wurden. Auch diese haben jeweils eine hohe Relevanz für Kapitalmärkte. Der Winner’s Curse beschreibt die häufig beobachtbare Überbewertung eines Gegenstandes durch den Höchstbieter, 341 342 343 344 345 346 347
Vgl. Birchler und Bütler (2007), S. 145-171. Vgl. Aumann (1976) und Samuelson (2004). Vgl. Keynes (1936) und Kapitel 2.2.1. Vgl. Birchler und Bütler (2007), S. 173-180. Vgl. Brunnermeier (2001), S. 147-157. Vgl. Bikhchandani, Hirshleifer und Welch (1992). Vgl. Birchler und Bütler (2007), S. 217-218. Inwiefern Aktien-Analysten wirklich Anreizen unterliegen nicht konformistisch zu handeln wird in Kapitel 3.2.2 diskutiert.
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z.B. bei einer Auktion. Da sich rationale Investoren diesem Problem bewusst sind, bieten sie tendenziell weniger. Rock (1986) entwickelt ein Modell, das das empirisch nachweisbare Underpricing von IPOs mit dem Winner’s Curse in Verbindung bringt. 348 Demnach müssen Unternehmen die Aktien mit einem Abschlag bewerten, um zu garantieren, dass auch uninformierte Investoren diese kaufen. Entspräche der Ausgabepreis dem Erwartungswert, würden informierte Investoren nur bieten, wenn es sich dabei um Aktien guter Qualität handelt. Schlecht informierte Investoren kämen dagegen bei Aktien schlechter Qualität zum Zuge. 349 Dadurch zeigt sich auch der Zusammenhang des Winner’s Curse mit der Adverse Selection. 350 Screening und Signaling bezeichnen Maßnahmen zum Abbau von Informationsasymmetrien. Beim Screening geht dabei die Initiative von der uninformierten, beim Signaling von der informierten Person aus.351 Beim Enthüllungsprinzip sollen Anreize so gesetzt werden, dass Individuen ihre wahren Präferenzen offenbaren. 352 Erkenntnisse über Informationsasymmetrien zwischen Prinzipalen und Agenten und die daraus resultierende Anreizproblematik wurden in Bezug auf die EMH bereits im Rahmen der Limits of Arbitrage Theorie genutzt. 353 In der vierten Säule finden sich Aspekte, die sich mit dem Self-Knowledge der Individuen beschäftigen. 354 Diese stehen in engem Bezug zur Behavioral Finance, die sich in Theorien zur Erwartungsbildung und den Präferenzen von Individuen unterteilen lässt. Im Gegensatz zur klassischen Kapitalmarkttheorie werden dabei keine rationalen Erwartungen oder traditionelle Nutzenfunktionen, sondern irrationale Erwartungen und verhaltensökonomisch motivierte Nutzenfunktionen unterstellt.355 Durch die Darstellung in Abbildung 3.1 wird deutlich, dass die Behavioral Finance Theorie nur einen kleinen Bereich der Themen abdeckt, die im Rahmen der Informationsökonomik behandelt werden, und von denen viele einen potentiellen Einfluss auf die Informationseffizienz von Aktienmärkten haben.
348 349
350
351 352 353 354
355
Vgl. Ritter (1984) für empirische Untersuchungen zum Underpricing von IPOs. In Kapitel 3.2.1 wird die Rolle der Regulierung von Kapitalmärkten beim Abbau von Informationsasymmetrien mit dem Erfolg von Aktienmärkten (im Sinne einer Nutzung des Marktes zur Finanzierung der Unternehmen) in Verbindung gebracht. Während beim Winner’s Curse der erfolgreiche Bieter andere Käufer überbietet, bezieht sich das Adverse Selection Problem meist darauf, dass der Käufer den Wert des Gegenstandes höher als der Verkäufer einschätzt. Vgl. Molho (1997), S. 61. Vgl. Birchler und Bütler (2007), S. 342. Vgl. Kapitel 2.3.3. Die Unterteilung der Self-Knowledge in Theorien zur Erwartungsbildung und den Präferenzen weicht von der Gliederung in Birchler und Bütler (2007) ab und bezieht sich auf die in Kapitel 2.3.3 getroffene Unterteilung der Behavioral Finance Theorie. Vgl. Kapitel 2.3.3.
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3.1.2 Modelle des Informationsumfeldes und Zusammenhang zur Informationseffizienz Im Folgenden sollen grundlegende Modelle vorgestellt werden, die unterschiedliche Aspekte untersuchen, aber jeweils wichtige Implikationen für die EMH und die vorliegende Fragestellung beinhalten.356 Zunächst wird ein Modell präsentiert, das die Aggregation heterogener Informationen auf Märkten untersucht. Das Modell zeigt, dass Märkte diese verstreuten Informationen unter bestimmten Annahmen perfekt aggregieren. Dadurch ergibt sich allerdings das Problem, dass Investoren keine Anreize mehr haben sich zu informieren. Basierend darauf werden anschließend die Konsequenzen der Einführung von Informationskosten für die Informationseffizienz dargestellt. Dabei zeigt sich, dass in diesem Fall perfekt informationseffiziente Märkte unmöglich sind. Abschließend werden der Unterschied zwischen privatem und sozialem Nutzen von Informationen und die Implikationen für die Produktion von Informationen diskutiert. Aggregation heterogener Informationen auf dem Aktienmarkt Die Preisbildung auf Aktienmärkten ist in der Realität bedeutend komplizierter, als dies durch die Preisbildungsmodelle in Kapitel 2.4 dargestellt wurde. Dabei wurde stark vereinfachend angenommen, dass auf einem informationseffizienten Markt der Preis der Erwartung des Fundamentalwertes entspricht. Diese Darstellung vernachlässigt zahlreiche Aspekte. Insbesondere die Marktmikrostrukturtheorie hat eine Vielzahl an Modellen hervorgebracht, die sich mit dem Einfluss von Informationen auf die Preisbildung und die Effizienz von Märkten beschäftigen. Diese können grundsätzlich klassifiziert werden nach dem Ordertyp (Market order, Limit order oder Stop (loss) order), der Reihenfolge der Handlungen (Quote driven oder Order driven), der Preissetzung (uniform oder diskriminierend) und dem Modelltyp (Wettbewerbsmodelle, bei denen der Preis als gegeben angesehen wird oder strategische Modelle, bei denen der Einfluss auf die Preise berücksichtigt wird). 357 Das Modell von Grossman (1976) untersucht formal, ob die Aggregation von Informationen auf Märkten unter Betrachtung der Mikrostruktur so perfekt funktioniert, wie dies von Hayek (1945) postuliert wurde. Dabei werden sehr strenge Annahmen, z.B. über die Nutzenfunktion der Händler getroffen, die die formale Analyse vereinfachen. Es wird zudem angenommen, dass der Preis durch die Händler als gegeben betrachtet wird und die Nachfrage simultan stattfindet und vom be356
357
Dabei liegt der Fokus auf der Darstellung der Grundzüge und der Intuition der Modelle. Auf eine ausführliche formale Darstellung wird verzichtet. Des Weiteren gibt es noch dynamische Modelle, bei denen Händler über mehrere Perioden agieren. Vgl. Brunnermeier (2001), S. 60-61.
90
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obachtbaren Preis abhängt (Simultaneous demand schedule model with competitive rational expectations equilibrium). 358 In dem Modell verfügt ein Händler i zum Zeitpunkt 0 über ein Vermögen W0i. Dieses kann er in ein risikofreies und ein risikobehaftetes Wertpapier investieren. Sein Vermögen zum Zeitpunkt 1 ergibt sich daher zu: W1i = (1 + r ) X Fi + P1 X i
XFi ist dabei der Wert des risikofreien Wertpapiers, Xi die Anzahl der in Periode 0 gekauften Einheiten des risikobehafteten Wertpapiers, r ist der exogene Zins des risikofreien Wertpapiers und P1 die exogene Auszahlung pro Einheit des risikobehafteten Wertpapiers (~ markiert, dass es sich dabei um eine unbekannte Größe handelt). Substituiert man in diese Gleichung die Budgetbeschränkung, erhält man: W1i = (1 + r )W0i + P1 − (1 + r ) P0 X i
Händler i kennt zum Zeitpunkt 0 den Preis des risikobehafteten Wertpapiers in Periode 1 nicht, beobachtet aber: y= P1 + ε i i
Der Händler beobachtet also P1 nicht direkt, sondern ein um den Noise-Term ε vermischtes Signal. Die Nutzenfunktion des Händlers ist definiert als: U i (W1i ) = − exp(−aiW1i )
ai ist dabei der Koeffizient der absoluten Risikoaversion. Jeder Händler maximiert seinen erwarteten Nutzen unter Kenntnis der zur Verfügung stehenden Information I: a E U i (W1i ) | I i = − exp −ai E W1i | I i − i var W1i | I i 2
Nach Einsetzen kann das Maximierungsproblem eines Händlers geschrieben werden als:
{
}
a (1 + r )W0i + E P1 | I i − (1 + r ) P0 X i − i X i2 var P1 | I i 2 358
Dies gilt auch für das im Anschluss erläuterte Modell von Grossman und Stiglitz (1980). Vgl. Brunnermeier (2001), S. 65-68.
INFORMATIONSÖKONOMISCHE BETRACHTUNG VON AKTIENMÄRKTEN
91
Nach Ableitung ergibt sich die optimale Nachfrage des Investors nach dem risikobehafteten Wertpapier Xid zu: X id =
E P1 | I i − (1 + r ) P0 ai var P1 | I i
Die Nachfrage nach dem risikobehafteten Wertpapier hängt damit vom erwarteten Preisanstieg und der Varianz ab. Die zur Verfügung stehende Information I setzt sich zusammen aus dem beobachtbaren yi und dem Preis des risikobehaften Wertpapiers zum Zeitpunkt 0, P0, der von den einzelnen y1, y2, ... , yn = y abhängt. Dadurch kann die Nachfragefunktion des Händlers i zum Gleichgewichtspreis P0*(y) geschrieben werden als: X id P0∗ , yi =
E P1 | yi , P0∗ ( y ) − (1 + r ) P0∗ a1 var P1 | yi , P0∗ ( y )
Unter bestimmten Annahmen kann gezeigt werden, dass für den Gleichgewichtspreis P0* gilt: P0∗ ( y= ) α 0 + α1 y
mit n
y ≡∑ i =1
n
α0 ≡
P1 ∑ i =1
yi n
1 −σ 2 X ai n
(1 + nσ 2 )(1 + r )∑ 1=i
α1 ≡
1 ai
nσ 2 (1 + nσ 2 )(1 + r )
Daher zeigt sich, dass der Gleichgewichtspreis vom arithmetischen Mittel der Informationen y abhängt. Der Markt aggregiert die Informationen der Händler optimal. 359 Die zweite wichtige Schlussfolgerung bezieht sich auf die Möglichkeit der Händler durch Beobachtung des Wertes P0*(y) auf y̅ zu schließen. y̅ ist dabei eine präzisere Schätzung von P1 als yi.
359
Optimal bezieht sich hierbei auf die statistische Suffizienz. Vgl. Grossman (1976), S. 578.
92
INFORMATIONSÖKONOMISCHE BETRACHTUNG VON AKTIENMÄRKTEN
Im Ergebnis zeigt das Modell, dass der Preis Informationen enthüllt, die eine höhere Qualität besitzen als die privaten Informationen, die jedem Händler zur Verfügung stehen. Ein Händler, der nicht in Informationen investiert und nur den Preis beobachtet, erzielt daher den gleichen Nutzen, wie ein Händler, der in Informationen investiert (unter Vernachlässigung der Kosten). Ein Händler, der Informationen erhalten hat, stellt fest, dass seine erworbenen Informationen überflüssig sind. Ein informationseffizientes Preissystem aggregiert daher unterschiedliche Informationen perfekt, dabei verschwindet allerdings auch der Anreiz in Informationen zu investieren. Intuitiv wird dadurch bereits deutlich, dass Händler nicht in Informationen investieren, wenn diese mit Kosten verbunden sind. In Grossman (1976) finden sich zu den Implikationen von Informationskosten und der Rolle von Noise bereits einige Erläuterungen. Explizit wurde dieses Problem aber in Grossman und Stiglitz (1980) thematisiert. Dieses Modell soll nun vorgestellt werden. Der Einfluss von Informationskosten auf die Informationseffizienz An dem Titel des Aufsatzes von Grossman und Stiglitz (1980) („On the Impossibility of Informationally Efficient Markets“) zeigt sich bereits die Hauptaussage des Modells. Bei Informationskosten ist es unmöglich, dass Märkte vollständig informationseffizient sind. Intuitiv lässt sich dies bereits aus dem Modell von Grossman (1976) ableiten, da in diesem Modell die Informationen, die über das Preissystem kommuniziert werden, besser sind als die jeweiligen privaten Informationen. Das Modell von Grossman und Stiglitz (1980) vernachlässigt die Informationsaggregationsfunktion der Preise (da die Informationen nicht wie im obigen Modell verstreut sind), untersucht jedoch explizit den erwarteten Nutzen informierter und uninformierter Investoren. Auch in diesem Modell gibt es ein risikofreies (mit Zins r) und ein risikobehaftetes Wertpapier (mit variablem Zins u). Der Zins u setzt sich zusammen aus einem zu den Kosten c beobachtbaren Teil θ und einem unbeobachtbaren Teil ε: u= θ + ε
Informierte Händler beobachten θ, uninformierte Händler beobachten nur den Preis. Im Gegensatz zum Modell von Grossman (1976) können uninformierte Investoren durch Beobachtung des Preises nicht auf θ schließen. Dies liegt daran, dass der Preis nicht nur von θ, sondern auch vom Angebot x abhängt und uninformierte Investoren nicht zwischen Preisänderungen aufgrund von Änderungen der Informationen von informierten Investoren und Änderungen des Angebots (Noise) unterscheiden können. Beobachtbare Preise enthüllen Informationen daher nur teilweise.
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Es wird die gleiche Nutzenfunktion wie im obigen Modell unterstellt: V (W1i ) = − exp(−aW1i )
Der erwartete Nutzen des informierten Händlers (unter Kenntnis von θ) ist: a E (V (W1∗i ) | θ ) = − exp −a E W1∗i | θ − var W1∗i | θ 2
Nach Ableitung ergibt sich die Nachfrage XI eines informierten Händlers nach dem risikobehafteten Wertpapier zu: X I ( P, θ ) =
θ − RP aσ ε2
R ist dabei der Geldbetrag, den jede Einheit des risikofreien Wertpapiers am Ende der Periode einbringt, P der aktuelle Preis des risikobehafteten Wertpapiers. Die Nachfrage XU des uninformierten Händlers (unter Kenntnis von P*) ist: X U ( P, P ∗ ) =
) P − RP E u ∗ | P∗ (θ , x= ∗ ∗ a var u | P (θ , x) = P
Das Vermögen eines informierten bzw. uninformierten Investors am Ende der Periode 1 ergibt sich daraufhin zu: WIλ1 ≡ R (W0 − c) + [u − RPλ (θ , x) ] X I ( Pλ (θ , x), θ ) WUλ1 ≡ RW0 + [u − RPλ (θ , x) ] X U ( Pλ (θ , x), Pλ∗ )
λ steht dabei für den Anteil informierter Investoren. Im Gleichgewicht muss der erwartete Nutzen der beiden Endvermögen gleich sein: EV (WIλ ) =1 EV (WUλ )
Wäre der erwartete Nutzen informierter Investoren höher (niedriger), so würden sich mehr (weniger) Investoren informieren. Je mehr Investoren informiert sind, desto niedriger fällt der Nutzen der informierten relativ zu den uninformierten Investoren aus, da a) das Preissystem in diesem Fall informativer wird und Uninformierte durch Beobachtung des Preises besser auf θ schließen können; dies führt auch dazu, dass informierte Investoren weniger beim Handel mit uninformierten durch den Kauf unterbewerteter Wertpapiere profitieren und b) die Vorteile des Handels der informierten mit den uninformierten Investoren pro Kopf geringer
94
INFORMATIONSÖKONOMISCHE BETRACHTUNG VON AKTIENMÄRKTEN
sind. Abbildung 3.2 zeigt den Zusammenhang zwischen dem relativen Nutzen und dem Anteil informierter Investoren.360 Ein Gleichgewicht ist erreicht, wenn beide den gleichen erwarteten Nutzen haben.
1
0
λe
1
λ
Abbildung 3.2: Verhältnis des erwarteten Nutzens informierter und uninformierter Investoren Quelle: Grossman und Stiglitz (1980)
Grossman und Stiglitz leiten aus dem Modell noch weitere Ergebnisse ab (u.a.): 1. Ein Anstieg der Informationsqualität erhöht den Informationsgrad des Preissystems. 2. Ein Rückgang der Informationskosten erhöht den Informationsgrad des Preissystems. 3. Ein Rückgang in der Risikoaversion führt dazu, dass informierte Investoren größere Positionen einnehmen und dies erhöht den Informationsgrad des Preissystems. 4. Ein Anstieg der Noise (σx2) erhöht den Anteil informierter Investoren. Bei einer gegebenen Anzahl informierter Investoren reduziert ein Anstieg der Noise den Informationsgrad des Preissystems. Die beiden Effekte heben sich gegenseitig auf. 5. Ein Anstieg der Informationskosten verringert den Anteil informierter Investoren. Die Hauptaussage des Modells liegt jedoch in der Unmöglichkeit perfekt informationseffizienter Märkte. Wenn Preise alle Informationen reflektieren, würden alle Informationen der informierten Händler über das Preissystem an uninformierte 360
Die Kurve ist in der Abbildung entgegen der Intuition der Erläuterung ansteigend. Dies lässt sich auf das negative Vorzeichen bei der Definition des Nutzens zurückführen. Vgl. Grossman und Stiglitz (1980), S. 398.
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Händler übermittelt werden. Daher würde sich niemand informieren. Wenn allerdings niemand informiert ist, kann das Preissystem auch keine Informationen reflektieren und Händler hätten dann wiederum einen Anreiz sich zu informieren. Dies ist das sogenannte „Informationsparadoxon“ (auch „Grossman-StiglitzParadox“). Wenn Arbitrageure nicht von ihren gegen Kosten erworbenen Informationen profitieren, wie dies auf einem informationseffizienten Markt unterstellt wird, würden sie diese Kosten nicht auf sich nehmen. Ein Gleichgewicht besteht daher nur, wenn Preise Informationen nur teilweise reflektieren und Investoren für die Übernahme der Informationskosten kompensiert werden.361 Kostenlose Informationen sind daher nicht nur eine hinreichende Bedingung für informationseffiziente Märkte, wie dies von Fama (1970) erläutert wurde, sondern auch eine notwendige Bedingung.362 Diese Einsicht hat dazu geführt, dass die Informationskosten bei der Definition der Informationseffizienz berücksichtigt wurden. 363 Bei empirischen Untersuchungen gestaltet sich dies jedoch schwierig. Während Handelskosten (zumindest teilweise) quantifizierbar sind, ist eine objektive monetäre Bewertung der Informationskosten kaum möglich. Neben der Einsicht der Notwendigkeit einer Berücksichtigung der Informationskosten stellt das Modell aber auch eine gute Grundlage zur Formalisierung weiterer relevanter Zusammenhänge dar. So legt der positive Zusammenhang zwischen der Informationsqualität und dem Informationsgrad des Preissystems eine Berücksichtigung der Qualität und Verständlichkeit der Informationen (zusätzlich zu den gesetzlichen Transparenzanforderungen) nahe. Privater und sozialer Wert von Informationen und Produktion von Informationen Grossman und Stiglitz weisen bereits in der Analyse ihres Modells darauf hin, dass sich dieses lediglich mit dem privaten Wert der Informationen für die Investoren beschäftigt und der Wert dieser Informationen (und informationseffizienter
361
362 363
In der Folge wurden zahlreiche Erweiterungen dieser Modelle entwickelt. Vgl. Brunnermeier (2001), S. 21-29, 65-79 für eine Übersicht. Vgl. Grossman und Stiglitz (1980), S. 404. Jensen (1978), S. 96 definiert: “A market is efficient with respect to information set θt if it impossible to make economic profits by trading on the basis of information set θt. By economic profits, we mean the risk adjusted return net of all costs.” Fama (1991), S. 1575 definiert: “I take the market efficiency hypothesis to be the simple statement that security prices fully reflect all available information. A precondition for this strong version of the hypothesis is that information and trading costs, the costs of getting prices to reflect information, are always 0 (Grossman and Stiglitz (1980)). A weaker and economically more sensible version of the efficiency hypothesis says that prices reflect information to the point where the marginal benefit of acting on information (the profits to be made) do not exceed the marginal costs (Jensen (1978)). Since there are surely positive information and trading costs, the extreme version of the market efficiency hypothesis is surely false. Its advantage, however, is that it is a clean benchmark that allows me to sidestep the messy problem of deciding what are reasonable information and trading costs.”
96
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Märkte im Allgemeinen) aus gesellschaftlicher Perspektive nicht berücksichtigt wird. 364 Bei der wohlfahrtsökonomischen Betrachtung des Informationsumfeldes gibt es zwei unterschiedliche Ansätze. Einerseits können die Marktstruktur und die Informationsübermittlung als gegeben betrachtet werden. In diesem Fall bezieht sich die Analyse hauptsächlich auf die Frage, ob es zu viele oder zu wenige informierte Individuen gibt. Andererseits kann auch die Marktstruktur hinterfragt werden und die Vorteilhaftigkeit eines dezentralen Marktsystems mit einem zentralen Planungssystem verglichen werden.365 Die folgenden Erläuterungen beziehen sich auf den ersten Ansatz. Der Unterschied zwischen dem sozialen und dem privaten Wert von Informationen und Forschung wird insbesondere im Zusammenhang mit technologischen Erfindungen analysiert. Die dabei genutzte Systematik lässt sich aber (bedingt) auch auf das Informationsumfeld von Aktienmärkten anwenden. Dabei werden auch Elemente der finanzwissenschaftlichen Marktversagenstheorie genutzt. Eine Abweichung der optimalen Produktion oder Nutzung eines Gutes aus einer privaten im Vergleich zu einer sozialen Perspektive kann dabei als Rechtfertigung für einen Staatseingriff dienen.366 In Bezug auf Kapitalmärkte soll unter dem Produkt Information, in Anlehnung an die oben erläuterten Modelle, ein Signal verstanden werden, das einen Hinweis auf die zukünftige Rendite gibt.367 Ob es zu Über- oder Unter-Investitionen in Informationen auf einem Kapitalmarkt kommt, wird durch unterschiedliche Faktoren beeinflusst, die in Tabelle 3.1 systematisiert sind. 368 Unter-Investition
Über-Investition
Öffentliches Gut: Free Rider können Nutzen abgreifen
Allmende-Gut: Markteintritt bringt Durchschnittsprodukt (> Grenzprodukt) der Researchaktivität Spekulationseffekt: Privater Nutzen des Research ist (zum Teil) lediglich eine Umverteilung
Positive Externalität: Uninformierte Investoren profitieren von informativem Preissystem
Tabelle 3.1: Researchaktivitäten beeinflussende Faktoren Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Hirshleifer und Riley (1992), S. 260
364 365 366 367
368
Vgl. Grossman und Stiglitz (1980), S. 405. Vgl. Grossman und Stiglitz (1976), S. 251-252. Vgl. Blankart (2003), S. 56-57. Das Produkt Information entstammt hierbei also einer privaten Aktivität und bezieht sich nicht auf veröffentlichte Informationen von Unternehmen. Die Abbildung aus Hirshleifer und Riley (1992) wurde um den auf Kapitalmärkten relevanten Aspekt der positiven Externalität von Informationen erweitert.
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97
Die beiden in der Tabelle oben genannten Effekte leiten sich aus der NichtAusschließbarkeit zahlungsunwilliger Individuen ab. Um zu erläutern, warum dies sowohl zu Unter- als auch Über-Investitionen führen kann, muss zwischen dem Recht an dem eigentlichen Produkt (der Information) und dem Recht sich in der Produktion zu betätigen (der Forschung) unterschieden werden. 369 In einigen Fällen kann es schwierig sein, bereits produzierte Informationen geheim zu halten.370 Dieses Problem besteht insbesondere bei technologischen Erfindungen. Aus gesellschaftlicher Perspektive ist es meist wünschenswert, wenn bereits bestehende Informationen von möglichst vielen Personen genutzt werden. Da allerdings Erfinder befürchten müssen, dass sogenannte Free-Rider ihre Erfindungen kopieren, haben sie weniger Anreize sich in der Forschung zu betätigen. Dies kann daher zu einer Unter-Investition führen. Um dies zu verhindern gibt es u.a. Patente und das Urheberrecht. Dabei steht der Gesetzgeber vor dem Problem, die Rechte so ausgestalten zu müssen, dass einerseits genügend Anreize zur Produktion bestehen, andererseits die Produkte von anderen aber möglichst früh und zu geringen Kosten genutzt werden können.371 Dieser Aspekt spielt auf Kapitalmärkten jedoch eine eher untergeordnete Rolle, da diese Informationen in den meisten Fällen geheim gehalten werden können. 372 Wenn ein Investor beispielsweise Ressourcen aufwendet, um die zukünftige Profitabilität eines Unternehmens zu analysieren, kann er diese Informationen privat nutzen. Aus sozialer Perspektive wäre eine Veröffentlichung und Nutzung dieser Informationen durch andere Investoren zwar wünschenswert, 373 es bestehen jedoch (in Bezug auf diesen Aspekt) keine Fehlanreize bei der Produktion von Informationen. Ein Allmende-Gut zeichnet sich durch eine Nicht-Ausschließbarkeit und eine Rivalität im Konsum aus. Das Problem der Allmende-Güter taucht meist bei natürlichen Ressourcen auf. Wenn jeder das Recht hat eine Ressource zu nutzen, orientiert sich jeder am Durchschnitts- und nicht wie im sozialen Optimum am Grenzertrag. Dies führt zu einer Übernutzung der Ressource. Die damit verbundenen Probleme beruhen also auf unzureichend definierten Eigentumsrechten. In diesem Fall bezieht sich die Problematik nicht auf das eigentliche Produkt (die Informati-
369 370
371 372
373
Vgl. Hirshleifer und Riley (1992), S. 260. In der Finanzwissenschaft zeichnet sich ein öffentliches Gut dadurch aus, dass das Ausschlussprinzip nicht anwendbar ist und keine Rivalität im Konsum herrscht. Vgl. Blankart (2003), S. 57-59. Die Annahme einer Nicht-Rivalität im Konsum ist in Bezug auf Informationen jedoch nicht eindeutig. Zwar kann eine Information auch verwendet werden, wenn eine andere Person diese verwendet, dabei besteht jedoch eine Rivalität, da der Wert der Information häufig davon abhängt, wie viele andere Personen diese nutzen. Daher ist die Verwendung des Begriffs Öffentliches Gut in diesem Fall etwas ungenau. Vgl. Shavell (2004), S. 137-176 für eine ausführliche Analyse. Das Problem, dass Informationen über das Preissystem an uninformierte Investoren kommuniziert werden, wird im Anschluss erläutert. Teilweise werden diese Informationen durch die Produzenten auch verkauft.
98
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on), sondern das Recht zu forschen. Die Relevanz in Bezug auf den Kapitalmarkt ist jedoch wiederum begrenzt. Zum einen ist Forschung zu Kapitalmärkten keine endliche Ressource. Zudem ist der Nutzen der Forschung aus sozialer Perspektive (wie unten erläutert) nicht so eindeutig, wie dies bei der Nutzung natürlicher Ressourcen der Fall ist (u.a. da nicht jeder automatisch den Durchschnittsertrag erhält). Die Verläufe der Grenz- und Durchschnittserträge sind daher unklar. Die beiden in der Tabelle unten genannten Aspekte haben eine höhere Relevanz auf Kapitalmärkten. Diese stehen dabei auch im Zusammenhang zu den oben vorgestellten Modellen von Grossman (1976) und Grossman und Stiglitz (1980). Das Preissystem reflektiert in diesen Modellen (vollständig bzw. teilweise) die privaten Informationen der Investoren. Da auch uninformierte Investoren aus der Beobachtung des Preises auf die Informationen schließen können, profitieren sie von den Informationen der informierten Investoren. Dieser Effekt ist dem oben erläuterten Öffentlichen-Gut-Effekt sehr ähnlich. Während bei einem öffentlichen Gut allerdings informierte Investoren die eigentlichen Informationen nicht geheim halten können, wird die Information in diesem Fall lediglich indirekt über das Preissystem kommuniziert. Der Erwerb der Informationen durch einige Investoren hat daher eine positive Externalität auf die uninformierten Investoren. Da Investoren aber lediglich den privaten Nutzen der Information den Kosten gegenüberstellen, werden tendenziell zu wenige Informationen erworben. Teilweise wird dieses Argument auch im Zusammenhang mit den in den letzten Jahren immer populäreren passiven Anlageinstrumenten (wie z.B. ETFs) hervorgebracht. Passive Anleger profitieren davon, dass aktive Anleger Informationen erwerben und sich diese im Preissystem niederschlagen. 374 Kritiker sehen darin ein Free-Rider Verhalten durch passive Investoren auf Kosten aktiver Investoren. Angesichts des noch immer sehr hohen Anteils aktiver Anlageformen erscheint ein negativer Effekt auf die Informationseffizienz aber unwahrscheinlich. 375 Ein Effekt, der tendenziell zu einer Über-Investition in Informationen auf Kapitalmärkten führt, ist der Spekulationseffekt. Erwirbt ein informierter Investor beim Handel ein „unterbewertetes“ Wertpapier von einem uninformierten Investor, so sind die Gewinne des informierten die Verluste des uninformierten Investors. Der Handel ist aus gesellschaftlicher Perspektive somit annähernd ein Nullsummenspiel. 376 Der soziale Wert der Informationen ist deshalb deutlich niedriger als der 374
375
376
Passive Anleger profitieren davon, dass sie einen (annähernd) fairen (d.h. informationseffizienten) Preis für ihre Wertpapiere bezahlen bzw. erhalten. Laut Bundesverband Investment und Asset Management (BVI) lag der Anteil von ETFs am gesamten Publikumsfondsvermögen in Deutschland im April 2011 bei lediglich 10,0%. Aktien-ETFs kamen auf einen Anteil von 21,3% des Aktien-Publikumsfondsvermögens. Unter bestimmten Annahmen kann der Handel aber auch für den uninformierten Investor vorteilhaft sein. Vgl. Birchler und Bütler (2007), S. 282-283.
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private. Auf Kapitalmärkten kommt ein weiterer Effekt hinzu, der den Spekulationseffekt noch verstärkt. Da lediglich Investoren, die Informationen etwas früher als andere erhalten, sehr stark davon profitieren können, führt dies dazu, dass Investoren sehr hohe Anstrengungen unternehmen, um Informationen minimal früher als andere zu erhalten. Die Gewinne aus diesem Zeitvorsprung sind fast ausschließlich privat und umverteilend. Ein höherer sozialer Wert, beispielsweise in Form einer besseren Kapitalallokation, wird dadurch meist nicht erreicht. Auf Kapitalmärkten gibt es daher unterschiedliche Effekte, die jeweils zu einer zu hohen bzw. zu niedrigen Investitionstätigkeit in Informationen aus gesellschaftlicher Perspektive führen können. Ob diese in der Summe zu einer Über- oder Unter-Investition führen, ist objektiv nicht bewertbar. Trotzdem ist es wichtig die Unterscheidung zwischen privatem und sozialem Nutzen bei der Diskussion zur Rolle von Informationen und deren Wert zu berücksichtigen. Betrachtet man das Problem aus einer breiteren Perspektive, kann nicht nur die Optimalität der Informationsproduktion unter sozialen Gesichtspunkten gesehen werden, sondern auch die Informationseffizienz von Aktienmärkten im Allgemeinen. Auch dabei sollte der gesellschaftliche Nutzen der Informationseffizienz der Aktienpreise den Kosten gegenübergestellt werden. Aus volkswirtschaftlicher Perspektive steht bei den Vorteilen der Informationseffizienz von Aktienmärkten insbesondere der Zusammenhang zur Kapitalallokationseffizienz (und deren Zusammenhang zu volkswirtschaftlichen Erfolgsgrößen) im Vordergrund.377 Auch wenn eine Quantifizierung der gesellschaftlichen Kosten und Vorteile kaum objektiv möglich ist, sollte auch hier berücksichtigt werden, dass das soziale Optimum im Schnittpunkt der sozialen Grenzkosten und des Grenznutzens liegt und ein perfekt informationseffizienter Markt daher nicht zwingend volkswirtschaftlich wünschenswert ist. So können zusätzliche Transparenzanforderungen zwar zu einer höheren Informationseffizienz beitragen, dabei aber zusätzliche Kosten verursachen, die über den Nutzen hinausgehen. Betrachtet man die EMH aus dieser Perspektive, sollte zudem weniger die Forschung zu kurzfristigen, durch Handelsstrategien ausnutzbaren Anomalien, als vielmehr die Analyse hoher und langfristiger Abweichungen der Aktienkurse von ihrem Fundamentalwert, die hohe volkswirtschaftliche Kosten verursachen, im Vordergrund stehen. 378 3.1.3 Modelle zur Erklärung von Aktienmarktanomalien Im Folgenden werden einige Modelle vorgestellt, die meist zur Erklärung spezifischer Aktienmarktanomalien entwickelt wurden. Dabei werden informationsökonomische Aspekte (wie uninformierte Investoren oder Informationsunsicherheit) 377 378
Vgl. Kapitel 2.1.1. Vgl. Kapitel 2.1.1.
100
INFORMATIONSÖKONOMISCHE BETRACHTUNG VON AKTIENMÄRKTEN
häufig mit Erkenntnissen der Behavioral Finance kombiniert. Einige dieser Modelle sind zudem in der Lage den PEAD zu erklären und dienen daher als Grundlage für die später folgenden empirischen Untersuchungen. Neben diesen verhaltensökonomisch motivierten Modellen wird abschließend auch die Rational Structural Uncertainty Theorie vorgestellt, die rationale Investoren unterstellt und eine alternative Erklärung für den PEAD hervorbringt. Verhaltensökonomische Modelle Der Aufsatz von DeBondt und Thaler (1985) war einer der ersten, der verhaltensökonomische Erkenntnisse zur Erklärung von Aktienmarktanomalien anwendete. Basierend auf der Overreaction-Hypothese, zeigten die Autoren, dass in der Vergangenheit erfolglose Aktien (Loser-Portfolios) in der Zukunft eine deutlich höhere Performance erzielten als erfolgreiche Aktien (Winner-Portfolios).379 Die Autoren basierten ihre Hypothese dabei lediglich auf den Ergebnissen psychologischer Forschungen, ohne ein spezifisches Kapitalmarktmodell zu entwickeln. Die Overreaction-Hypothese wurde u.a. durch Lakonishok, Shleifer und Vishny (1994) konkretisiert, die zeigten, dass die tatsächlichen zukünftigen Wachstumsraten von „Glamour“- im Verhältnis zu „Value“-Stocks deutlich niedriger waren als in der Vergangenheit und niedriger als der Markt erwartete. Die Autoren nennen als Erklärung für diesen Befund die übermäßige Extrapolation vergangener Wachstumsraten in die Zukunft. Neben dieser Überreaktion haben empirische Forschungen aber auch Unterreaktionen von Kapitalmarktpreisen nachgewiesen. Neben dem Momentum-Effekt von Jegadeesh und Titman (1993) kann u.a. auch der PEAD dazu gezählt werden.380 Daraufhin wurden Modelle entwickelt, die sowohl eine Unter- als auch eine Überreaktion erklären können. Ein solches Modell, das sogenannte „Investor Sentiment Model“, stammt von Barberis, Shleifer und Vishny (1998). Dieses basiert auf zwei durch psychologische Forschungen nachgewiesenen Verzerrungen: Conservatism und Representativeness Heuristic. Conservatism beschreibt die unzureichende Anpassung von Erwartungen an neue Informationen. 381 Intuitiv kann dies bereits mit der Unterreaktion auf Unternehmensergebnisse in Verbindung gebracht werden. Da Individuen nicht den gesamten Informationsgehalt der Veröffentlichung berücksichtigen, sondern sich noch zu stark an ihren vorherigen Erwartungen orientieren, reagiert ihre Bewertung der Aktie auch nur teilweise auf die Veröffentlichung. Die Representativeness Heuristic kann dagegen mit der Überreaktion in Verbindung ge379
380 381
Dieser Aufsatz löste eine Welle an Forschungen mit alternativen Erklärungsansätzen aus. Vgl. Kapitel 2.4.3 zur Erläuterung der unterschiedlichen Interpretationen des Fama-French-3-Faktor-Modells. Vgl. Fama (1998) für eine ausführliche Übersicht zu Studien, die Über- bzw. Unterreaktionen nachweisen. Die tatsächliche Anpassung kann dabei mit der rationalen Anpassung unter Verwendung des Bayes-Theorems verglichen werden. Vgl. Kapitel 2.3.3.
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bracht werden. Dabei glauben Individuen Muster in komplett zufälligen Abfolgen zu erkennen. Investoren könnten daher glauben, dass ein in der Vergangenheit hohes Gewinnwachstum repräsentativ für das Wachstumspotential eines Unternehmens ist, obwohl dies möglicherweise lediglich ein glücklicher Zufall war. Die folgende Überbewertung des Unternehmens führt zu relativ niedrigen zukünftigen Renditen. In dem Modell folgen die Gewinne der Unternehmen einem Random Walk. Investoren denken jedoch, dass diese entweder durch Modell 1, einem zum Durchschnitt zurückkehrenden Prozess (Mean-reverting), oder durch Modell 2, einem trendfolgenden Prozess, bestimmt werden. Modell 1 entspricht dem Conservatism-Effekt und Modell 2 der Representativeness Heuristic. Das Modell kann eine Unterreaktion (wie z.B. den PEAD) erklären, wenn Investoren im Durchschnitt eher Modell 1 als Modell 2 nutzen. Ein überraschend gutes Unternehmensergebnis führt unter Modell 1 dazu, dass Investoren in der nächsten Periode eine Umkehrung erwarten. Wenn die folgende Veröffentlichung negativ ist, reagiert die Rendite der Aktie nur leicht, da dies erwartet wurde. Wenn die Veröffentlichung positiv ist, reagiert die Rendite der Aktie dagegen stark positiv. Da bei einem Random Walk eine positive und eine negative Überraschung die gleiche Wahrscheinlichkeit haben, ist die Reaktion im Durchschnitt positiv. Die durchschnittliche Rendite im Anschluss an eine negative Überraschung ist im Durchschnitt entsprechend negativ. Die Rendite im Anschluss an eine positive Überraschung ist daher größer als im Anschluss an eine negative Überraschung und daher konsistent mit dem PEAD. Die Überreaktion kommt hingegen zustande, da der Investor nach einer Reihe von positiven Überraschungen das Modell 2 für wahrscheinlich hält. Das Modell von Daniel, Hirshleifer und Subrahmanyam (1998) basiert ebenfalls auf zwei Erkenntnissen der psychologischen Forschung (jedoch anderen als in Barberis, Shleifer und Vishny 1998). Overconfidence bezeichnet die Vermessenheit über die Genauigkeit privater Signale. Biased self-attribution beschreibt eine Verzerrung in der Selbstzuschreibung. Investoren an Aktienmärkten haben die Möglichkeit, z.B. durch Interviews oder Analysen von Geschäftsberichten, eigene private Informationen zu generieren. Ein sich selbst übermäßig vertrauenden Investor überschätzt die Genauigkeit seiner eigens generierten (jedoch nicht die der öffentlich verfügbaren) Informationen. Dies führt daher zu einer Überreaktion des Marktes auf private und einer Unterreaktion auf öffentliche Signale. 382 Der Verlauf des Preises in Abhängigkeit des Signals und im Vergleich zu einer rationalen
382
Dies erklärt daher den empirisch beobachtbaren langfristig negativen, jedoch nicht den kurzfristig positiven Zusammenhang von Renditen. Letzterer kann jedoch durch Einführung der biased self-attribution erklärt werden (s.u.).
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Bewertung ist in Abbildung 3.3 durch die durchgehende Linie dargestellt.383 Eine verzerrte Selbstzuschreibung führt darüber hinaus dazu, dass Investoren Ereignisse, die die eigenen Handlungen bestätigen, den eigenen Fähigkeiten zuschreiben; Ereignisse, die die eigenen Handlungen widerlegen, jedoch auf externe Faktoren (Noise) zurückführen. Ein später veröffentlichtes Signal, das die private Information des Investors bestätigt, führt daher zu einem Anstieg des Vertrauens des Investors in sein privates Signal. Ein widersprüchliches Signal führt jedoch nicht zu einem (bzw. nur zu einem leichten) Rückgang im Vertrauen. Im Durchschnitt werden öffentliche Signale also als Bestätigung der privaten Signale gesehen. Ein öffentliches Signal kann daher zu einer Verstärkung der Überreaktion und so zu einem Momentum in Aktienpreisen führen. Langfristig kehren die Preise jedoch durch weitere öffentliche Informationen zu ihrem Fundamentalwert zurück. Dies ist in Abbildung 3.3 durch die gestrichelte Linie dargestellt. Der kurzfristige Momentum-Effekt im Anschluss an die Veröffentlichung einer Information ist konsistent mit dem PEAD. In diesem Modell stellt der PEAD jedoch keine Unterreaktion des Preises, sondern eine anhaltende Überreaktion dar. 384 Das Modell impliziert zudem eine höhere Vorhersagbarkeit der Renditen von Unternehmen mit einer hohen Informationsasymmetrie. 385
383
384
385
In dem Modell erhalten die Investoren in der Periode 1 ein gemeinsames privates Signal, bei dem die informierten Investoren die Genauigkeit überschätzen. In Periode 2 erfolgt ein öffentliches Signal, das jedoch nicht eindeutig ist (noisy signal). In Periode 3 erfolgt ein abschließendes eindeutiges Signal. Der PEAD kann jedoch auch in diesem Modell eine Unterreaktion darstellen, wenn Manager die Geschäftszahlen in Abhängigkeit der Über- oder Unterbewertung des Marktes anpassen. Vgl. Daniel, Hirshleifer und Subrahmanyam (1998), S. 1865. Vgl. die Erläuterungen zu dem folgenden Modell von Hong und Stein (1999) und die dabei genannten Implikationen für die empirischen Untersuchungen in Kapitel 6.
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Positives privates Signal
Erwarteter Preis
Rational erwarteter Wert 1
2
3‘
3 Zeit
Rational erwarteter Wert
Negatives privates Signal Abbildung 3.3: Durchschnittlicher Preis im Modell von Daniel, Hirshleifer und Subrahmanyam (1998) Quelle: Daniel, Hirshleifer und Subrahmanyam (1998)
Hong und Stein (1999) entwickeln ebenfalls ein Modell, das Über- und Unterreaktionen von Kapitalmarktpreisen erklären kann. In dem Modell gibt es zwei unterschiedliche Investorengruppen, die sich beide nicht vollständig rational verhalten, sondern jeweils nur eine Teilmenge der verfügbaren Informationen nutzen. „Newswatcher“ prognostizieren den Fundamentalwert auf Basis privater Signale. Dabei lassen sie allerdings aktuelle und vergangene Preise außer Acht. 386 „Momentum Traders“ orientieren sich dagegen lediglich an früheren Preisen. Allerdings können sie nur sehr simple (univariate) Strategien in Abhängigkeit früherer Preise anwenden. 387 Eine weitere Annahme besagt, dass sich private Informationen lediglich schrittweise unter den Newswatchern verbreiten. Diese Annahme führt dazu, dass sich Preise nur langsam an neue Informationen anpassen und da-
386
387
Die Autoren begründen dies damit, dass die Newswatcher zu beschäftigt mit der Bewertung der Auswirkungen privater Signale sind, um aufwendigere Analysen unter Verwendung früherer und aktueller Preise durchzuführen. Vgl. Hong und Stein (1999), S. 2149. Durch die Vernachlässigung aktueller Preise schließen die Investoren nicht auf die Informationen anderer Newswatcher, wie im obigen Modell von Grossman (1976). DeLong et al. (1990) entwickeln ein ähnliches Modell. Sogenannte „Positive Feedback Trader“ kaufen (verkaufen) Aktien, nachdem diese im Preis gestiegen (gefallen) sind. Rationale Arbitrageure, die die Strategie der Positive Feedback Trader kennen, treiben den Preis von Aktien im Anschluss an eine positive Nachricht über den Fundamentalwert, da sie die nachfolgenden Käufe der Positive Feedback Trader antizipieren. Diese nachfolgenden Käufe sorgen dafür, dass der Preis weiterhin über dem Fundamentalwert bleibt, obwohl die Arbitrageure ihre Aktien verkaufen und so den Preis stabilisieren.
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her eine Unterreaktion aufweisen. Eine positive Nachricht führt beispielsweise dazu, dass der Preis steigt, jedoch nicht stark genug. Auf Basis des Preisanstiegs steigen Momentum Trader ein und treiben den Preis weiter nach oben. Dies führt zu weiteren Käufen durch Momentum Trader in den darauffolgenden Perioden. Da Momentum Trader nicht wissen, in welcher Phase des Zyklus sie sich befinden, führen ihre weiteren Käufe über den Fundamentalwert hinaus zu einer Überreaktion. Neben der Modellierung einer Über- und Unterreaktion, liefert das Modell auch weitere empirische Implikationen, die für die Fragestellung relevant sind. Zum einen sollten Momentum-Strategien am profitabelsten bei Aktien sein, deren Informationen sich nur langsam ausbreiten. Ein möglicher proxy für die Geschwindigkeit der Ausbreitung von Informationen ist die Analysten Coverage. Spätere empirische Studien haben diese Implikation bestätigt. 388 Basierend auf dieser Erkenntnis wird in Kapitel 6 der PEAD in Abhängigkeit der Analysten Coverage untersucht. Eine Problematik ist dabei jedoch, dass die Geschäftsergebnisse gleichzeitig an alle öffentlich herausgegeben werden. Das Modell von Hong und Stein basiert hingegen auf privaten Informationen. Die Autoren argumentieren allerdings, dass man zur Interpretation öffentlicher Informationen zusätzliche private Informationen benötigt, um die Auswirkungen auf den Unternehmenswert korrekt einschätzen zu können. Da die Momentum-Trader durch die öffentliche Information wissen in welcher Phase des Zyklus sie sich befinden, muss zudem keine langfristige Überreaktion erfolgen. Rational Structural Uncertainty Theorie Neben den verhaltensökonomischen Modellen zur Erklärung von Aktienmarktanomalien, wie dem PEAD, gibt es noch eine alternative Theorie, die ein rationales Verhalten der Akteure unterstellt. In Kapitel 2.3.3 wurde bereits erläutert, dass die traditionelle Kapitalmarkttheorie meist die Annahme rationaler Erwartungen von Individuen trifft. 389 Diese impliziert, dass a) Individuen neue Informationen rational nutzen und b) Individuen die für die Vorhersage von Variablen nötige tatsächliche Verteilung kennen und nutzen. Entsprechend kann unterschieden werden zwischen der schwachen und der strengen Form der Hypothese rationaler Erwartungen. Die schwache Form besagt, dass Individuen alle Informationen bei der Bildung von Vorhersagen effizient nutzen. Formal kann dies geschrieben werden als: E= E ( X t +1 | Ω ) t ( X t +1 )
388 389
Vgl. Hong, Lim und Stein (2000). Vgl. auch Kapitel 6.1 zur Einordnung dieser Studie. Das Konzept der rationalen Erwartungen geht auf Muth (1961) zurück.
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Ω steht dabei für die verfügbaren Informationen. Die strenge Form nimmt zusätzlich an, dass Individuen die korrekte Form des relevanten ökonomischen Modells kennen und zur Vorhersage nutzen: Et ( X = X t +1 + ε t +1 t +1 )
ε stellt einen Fehlerterm mit einem Erwartungswert von null dar, der unkorreliert mit der Informationsmenge zum Zeitpunkt t ist. 390 Die Behavioral Finance löst meist die Annahme, dass Individuen Informationen rational nutzen. Alternativ kann aber auch die Rationalitätsannahme beibehalten werden und die Annahme, dass Individuen die tatsächliche Verteilung kennen, gelöst werden. 391 Der Unterschied zwischen Rationalität und rationalen Erwartungen entspricht daher dem Unterschied zwischen Informationsnutzung und Informationsverfügbarkeit. 392 Brav und Heaton (2002) entwickeln ein einfaches Modell, das einen Vergleich verhaltensökonomischer Erklärungsansätze mit der Rational Structural Uncertainty Theorie ermöglicht. Bei struktureller Unsicherheit über die Stabilität des Modells weiß ein Investor nicht, ob die erwartete Auszahlung eines Wertpapiers konstant über die Zeit ist. Der Investor berücksichtigt diese Unsicherheit jedoch rational bei der Erwartungsbildung. Das Modell kann ebenfalls die empirisch nachweisbare Über- und Unterreaktion von Preisen erklären. Wenn es keine strukturelle Änderung gegeben hat, der rationale Investor diese jedoch für möglich hält, verwendet er eine zu hohe Gewichtung bei jüngeren Beobachtungen. Dies führt zu einer Überreaktion. Wenn es eine strukturelle Änderung gegeben hat, der Investor diese jedoch nicht mit Sicherheit kennt, verwendet er eine zu hohe Gewichtung bei älteren Beobachtungen. Dies führt zu einer Unterreaktion. Mathematisch lässt sich das Rational Structural Uncertainty Modell daher kaum von verhaltensökonomischen Modellen unterscheiden. Die Autoren zeigen dies durch einen Vergleich mit einem Modell, das den Conservatism Bias und die Representativeness Heuristic berücksichtigt (in Anlehnung an das oben vorgestellte Modell von Barberis, Shleifer und Vishny 1998). Das Modell hat auch Implikationen für den PEAD. Nach Vega (2006) impliziert die Rational Structural Uncertainty Theorie, dass eine hohe (niedrige) Ankunftsrate informierter Investoren mit einer niedrigen (hohen) strukturellen Unsicherheit und damit einem niedrigen (hohen) Drift verbunden ist.393 Die Unterscheidung zwischen rationalem Verhalten bei struktureller Unsicherheit und irrationalem Verhalten hat auch Implikationen für die Regulierung von Kapi390 391 392 393
Vgl. Birchler und Bütler (2007), S. 230-232. Vgl. Barberis und Thaler (2003), S. 1053. Vgl. Brav und Heaton (2002), S. 576. Vgl. Kapitel 6.1 zur weiteren Erläuterung.
106
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talmärkten. In ersterem Fall sollte der Staat die Informationsbereitstellung von Unternehmen durch entsprechende Regulierungen sicherstellen, da dadurch die strukturelle Unsicherheit tendenziell abgebaut werden kann. Bei irrationalem Verhalten kann der Staat durch paternalistisches Verhalten Investoren vor Fehlern bewahren.394
3.2 Determinanten des Informationsumfeldes Die Struktur und Qualität des Informationsumfeldes von Aktienmärkten aus praktischer Perspektive hängt von zahlreichen Faktoren ab. So sorgen Informationsdienstleister dafür, dass den Marktakteuren (u.a. auch Analysten) Informationen in standardisierter Form schnell und zuverlässig zur Verfügung stehen. Die Unternehmen selbst besitzen einen erheblichen Spielraum bei der Umsetzung der gesetzlichen Transparenzvorschriften und entscheiden über die Ressourcen, die sie für die Investor Relations, d.h. die Kommunikation mit Aktionären, Analysten und Medien, aufwenden. Für Privatinvestoren, die keinen Zugang zu Informationsdienstleistern haben, spielt das Internet eine bedeutende Rolle. Durch die Veröffentlichung von Jahresabschlüssen (und zusätzlichen aktuellen Informationen) auf der Unternehmens-Homepage haben auch Privatinvestoren die Möglichkeit sich umfassend zu informieren. Internationale Rechnungslegungsstandards und Veröffentlichungen in englischer Sprache erleichtern es ausländischen Investoren und Analysten Informationen verwerten zu können. Auch wenn es daher zahlreiche Faktoren gibt, die alle einen Einfluss auf das Informationsumfeld von Unternehmen haben (die teilweise nur schwer objektiv bewertbar sind), soll argumentiert werden, dass Transparenzanforderungen und Aktien-Analysten eine herausragende Rolle einnehmen. Durch Betrachtung dieser Aspekte mithilfe gewisser Kriterien (z.B.: Muss eine vierteljährliche Veröffentlichung von Unternehmenszahlen erfolgen? Wie viele Analysten decken ein Unternehmen ab?) können diese auch objektiv bewertet und wissenschaftlich untersucht werden. Daher wird im Folgenden näher auf die Rolle von Transparenzanforderungen und Aktien-Analysten, sowohl aus theoretischer als auch aus praktischer Perspektive, eingegangen. In Kapitel 3.2.1 wird dabei zunächst das Problem asymmetrischer Informationen auf dem Kapitalmarkt beschrieben. Danach wird eine breitere Sichtweise eingenommen und erläutert, welche Institutionen nötig sind, um die Entwicklung eines Aktienmarktes zu befördern. Dabei zeigt sich, dass Transparenzanforderungen eine zentrale Rolle bei der Verringerung der Informationsasymmetrieprobleme spielen und damit einen positiven Einfluss auf traditionelle 394
Vgl. Brav und Heaton (2002), S. 598.
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Erfolgsindikatoren von Aktienmärkten haben. Im Anschluss wird kurz auf den Zusammenhang von Zweitlistings, Hinterlegungsscheinen und Corporate Governance Regeln zu Transparenzanforderungen eingegangen. In Kapitel 3.2.2 werden daraufhin die Tätigkeit von Aktien-Analysten dargestellt, deren Rolle als Informationsintermediäre diskutiert und abschließend der Zusammenhang von AktienAnalysten und Informationseffizienz beschrieben. 3.2.1 Transparenzanforderungen, Regulierung und Aktienmarktentwicklung Die Relevanz des Problems asymmetrisch verteilter Informationen auf dem Kapitalmarkt leitet sich aus der „Theory of the Firm“ nach Jensen und Meckling (1976) ab. Dabei werden Unternehmen mithilfe der Agency- und der Verfügungsrechtetheorie analysiert und die Bedeutung von Eigentumsrechten für die Finanzierung betont. Im Folgenden soll insbesondere die Informationsasymmetrie zwischen Emittenten von Aktien und Investoren beschrieben werden. 395 Zwischen diesen beiden herrscht eine Informationsasymmetrie in Bezug auf die zukünftigen Investitionen, Gewinne und damit den Wert der Unternehmensanteile. Diese ist besonders hoch bei Unternehmen, die zum ersten Mal Aktien emittieren. In Kapitel 3.1.1 wurde bereits auf das Problem des Winner’s Curse bei IPOs hingewiesen. Dieser steht auch in engem Zusammenhang zur Adverse Selection. Black (2001) argumentiert, dass Wertpapiermärkte ein besseres Beispiel für einen „Market for Lemons“ sind als gebrauchte Automobile: 396 Während Automobile betrachtet werden können und eine Testfahrt oder Inspektion durch einen Mechaniker möglich sind, wissen Investoren dagegen bei Unternehmen, die erstmals Aktien emittieren, nicht, ob sie sich auf die Informationen des Unternehmens verlassen können. Zudem haben die Investoren auch nur wenige Möglichkeiten diese Asymmetrien abzubauen. Da Investoren daher nicht wissen, ob es sich um ein Unternehmen mit guten oder schlechten Zukunftsperspektiven handelt, bewerten sie die Anteile mit einem Abschlag. Gute Unternehmen erhalten daher nicht den fairen Wert für ihre Anteile und werden den Markt nicht zur Finanzierung nutzen. Dies kann letztendlich dazu führen, dass der Aktienmarkt überhaupt nicht zur Ausgabe von Unternehmensanteilen genutzt wird. 397 Bevor die Verbindung zwischen Transparenzanforderungen und der Aktienmarktentwicklung diskutiert wird, soll ein Überblick über andere institutionelle Fakto395
396 397
Der Fokus auf diesen Aspekt lässt sich aus der Betrachtung osteuropäischer Transformationsländer ableiten. Bei der Etablierung von Aktienmärkten steht häufig die Nutzung des Marktes zur erstmaligen Ausgabe von Eigenkapital durch Unternehmen im Vordergrund. Aus der Theorie von Jensen und Meckling (1976) lassen sich jedoch zahlreiche weitere Implikationen für Unternehmen im Allgemeinen und die Finanzierung im Speziellen ableiten. Akerlof (1970) illustrierte sein Argument am Beispiel des Automobilmarktes. Vgl. Black (2001), S. 786-787.
108
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ren gegeben werden, die ebenfalls einen potentiellen Einfluss haben. Die als Law and Finance Literatur bezeichnete Forschungsrichtung, die durch einige Aufsätze der vier Wissenschaftler La Porta, Lopez-de-Silanes, Shleifer und Vishny (allgemeinhin LLSV abgekürzt) Ende der 1990er große Aufmerksamkeit erhielt, untersucht generell den Zusammenhang zwischen dem gesetzlichen Umfeld und Kapitalmarktentwicklungen, betont aber insbesondere die Rolle des Investorenschutzes. 398 Bei der Klassifizierung der gesetzlichen Systeme kann zwischen dem Common Law (das stark auf früheren richterlichen Urteilen basiert) und dem Civil Law (das eher auf der Ausformulierung der Gesetze durch Rechtsgelehrte beruht) unterschieden werden. Bei letzterem wird darüber hinaus häufig zwischen einem Rechtssystem mit französischer, deutscher oder skandinavischer Tradition differenziert. 399 La Porta et al. (1997) zeigten, dass der Investorenschutz für Aktionäre und Gläubiger in Common Law Ländern am höchsten und in Civil Law Ländern mit französischer Tradition am niedrigsten ist. 400 Anschließend untersuchten die Autoren die Hypothese, dass die Gesetzgebung einen Einfluss auf die externe Finanzierung von Unternehmen hat. Dabei wiesen sie nach, dass Länder mit schlechtem Investorenschutz über relativ kleine Kapitalmärkte (sowohl Aktien- als auch Anleihemärkte) verfügen.401 La Porta et al. (1998) wiesen zusätzlich nach, dass die Konzentration der Eigentümeranteile negativ mit dem Investorenschutz zusammenhängt. Dies führen die Autoren darauf zurück, dass Investoren mit hohen Anteilen Manager besser überwachen können als Investoren mit niedrigen Anteilen, die insbesondere bei schwachem Investorenschutz kaum Einfluss nehmen können.402 Black (2001) argumentiert ebenfalls, dass der Investorenschutz eine bedeutende Rolle bei der Etablierung von Kapitalmärkten spielt, betont aber zusätzlich die Rolle von Informationen und Transparenzanforderungen: „I argue here that there are two essential prerequisites for strong public securities markets: A country’s law and related institutions must give minority shareholders: (1) good information about the value of a company’s business; and (2) confidence that the company’s insiders (its managers and controlling shareholders) won’t cheat investors out of most or all of the value of their investment through “self-dealing” transactions
398 399 400
401
402
Vgl. La Porta, Lopez-de-Silanes und Shleifer (2008) für einen Literaturüberblick. Vgl. La Porta et al. (1998), S. 1118-1119. Zusätzlich zeigten die Autoren, dass auch die Durchsetzung dieser Gesetze in Civil Law Ländern mit französischer Tradition am niedrigsten ist. Vgl. Kapitel 5.1.1 zur Erläuterung des verwendeten Index zur Quantifizierung des Investorenschutzes und Ergebnissen für die CEE-3. La Porta, Lopez-de-Silanes und Shleifer (1999) zeigen ebenfalls, dass Unternehmen nur in Ländern mit einem hohen Anlegerschutz eine niedrige Konzentration aufweisen.
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(transactions between a company and its insiders or another firm that the insiders control) or even outright theft.”403 Die oben erläuterten Informationsasymmetrieprobleme werden in Ländern mit entwickelten Kapitalmärkten durch zahlreiche Gesetze und Institutionen verringert. Tabelle 3.2 gibt dazu einen Überblick und zeigt an, welche Institutionen für eine Informationsoffenlegung bzw. die Verhinderung von Insichgeschäften („selfdealing“) nötig sind. 404 Dabei wird beispielsweise die Rolle einer Wertpapieraufsichtsbehörde für die Durchsetzung der bestehenden Gesetze betont. 405 Investmentbanken (als „Reputationsintermediäre“) können z.B. bei IPOs zum Abbau von Problemen der Informationsasymmetrie beitragen. Durch ihre Beteiligung garantieren sie mit ihrem Ruf für die Qualität der emittierten Aktien. Die nachträgliche Offenlegung gehandelter Preise und Mengen gibt Investoren Hinweise darauf, wie andere Investoren den Wert einer Aktie einschätzen. 406 Eine entscheidende Rolle beim Abbau von Informationsasymmetrien nehmen aber Transparenzanforderungen („Disclosure Rules“) ein. Durch die Offenlegung von Jahresabschlüssen und Zwischenberichten erhalten Investoren Einblicke in die aktuelle Situation eines Unternehmens. Rechnungslegungsstandards führen dazu, dass Unternehmen die wirtschaftliche Lage in einer einheitlichen Form darstellen. Die Prüfung der Jahresabschlüsse durch Wirtschaftsprüfungsunternehmen soll garantieren, dass die veröffentlichten Informationen der tatsächlichen Lage des Unternehmens entsprechen. In der Tabelle findet sich auch ein (ebenfalls subjektiver) Wert zur Möglichkeit (sowohl eines Unternehmens als auch eines gesamten Landes) Institutionen eines anderen Landes zu übernehmen bzw. zu nutzen („Piggybacking“). Ein Wert von 1 bedeutet dabei, dass eine solche Übernahme kaum möglich ist; ein Wert von 5 steht für eine relativ einfache Übernahmemöglichkeit (vergleichbar mit der Situation eines Unternehmens aus diesem Land). Für Unternehmen ist der Wert dabei in fast allen Fällen höher als für Länder. Dies hängt hauptsächlich mit der Möglichkeit eines Zweitlistings in einem Land mit etablierten Institutionen zusammen. Aus dem gleichen Grund sind auch die Werte für Transparenzanforderungen relativ hoch. Durch ein Listing an einer anderen Börse verpflichtet sich ein Unternehmen, die dort geltenden Anforderungen zu erfüllen.407 Allerdings zeigt die Tabelle auch, dass eine Übernahme der Institutionen in anderen Bereichen schwieriger ist, 403 404 405
406
407
Black (2001), S. 783. Die in der Tabelle genannten Institutionen beziehen sich auf eine subjektive Einschätzung. Insbesondere in der Stellung der Wertaufsichtsbehörden gab es in den CEE-3 erhebliche Unterschiede. Vgl. Kapitel 5.1. In der Tabelle werden auch Wertpapieranalysten genannt. Deren Rolle beim Abbau von Informationsasymmetrien wird im nächsten Kapitel ausführlich erläutert. Die Rolle von Zweitlistings und Hinterlegungsscheinen wird weiter unten ausführlich analysiert.
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insbesondere bei der lokalen Durchsetzung und der Kultur. Durch diese Auflistung wird auch deutlich, dass Transparenzanforderungen nicht isoliert vom weiteren institutionellen Umfeld betrachtet werden können. Vielmehr entfalten diese erst zusammen mit weiteren Regeln und Gesetzen ihre positive Wirkung. 408 Eine besondere Rolle kommt dabei den Institutionen zu, die eine Einhaltung und Durchsetzung der gesetzlichen Vorschriften garantieren. Dass diese Institutionen eine notwendige Voraussetzung für die Entwicklung von Aktienmärkten sind, ist jedoch umstritten. Andere Autoren argumentieren, dass solche Märkte auch ohne staatliche Vorschriften entstehen können. Dabei wird häufig auf die historischen Erfahrungen der ersten Aktienmärkte in Westeuropa verwiesen. Stringham (2003) analysiert dazu die Entwicklung des niederländischen Aktienmarktes im frühen 17. Jahrhundert. Nach Gründung der ersten Aktiengesellschaft, der Dutch East India Company im Jahr 1602, begann der Aktienhandel an der Börse Amsterdam. Obwohl die Durchsetzbarkeit vieler Finanzkontrakte durch den Staat nicht garantiert war (bzw. diese gar verboten waren), entwickelten sich in der Folge zahlreiche Handelsinstrumente, z.B. Optionen, Forwards oder Leerverkäufe. Laut Stringham führten die wiederholte Interaktion und Reputation beim Handel zu Anreizen diese Finanzkontrakte einzuhalten, ohne dass dazu staatliche Gesetze nötig waren. Neal und Davis (2005) beschreiben die Entwicklung der Börsen London, New York und Paris seit 1792. Demnach gab es auch in diesen drei Ländern anfangs kaum staatliche Regulierungen. Vielmehr hatten die ursprünglichen Regeln, die sich die ersten Mitglieder gaben, einen starken Einfluss auf die folgende Entwicklung.
408
Dieser Erkenntnis wird u.a. in Kapitel 5 durch die Berücksichtigung weiterer gesetzlicher Regeln (wie dem Investorenschutz) Rechnung getragen.
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Needed for
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Piggybacking Ease
Information disclosure
Selfdealing
for a Company
for a Country
An honest, sophisticated securities agency (and prosecutors for criminal cases) Honest, sophisticated, well-functioning courts
X
X
1
1
X
X
1
1
Good civil discovery rules and a class action or similar procedure A culture of compliance with disclosure and self-dealing rules by insiders, reputational intermediaries, and independent directors Disclosure Rules
X
X
1
2
X
2
1
Rules requiring full disclosure of financial results and selfdealing transactions Good accounting and auditing rules
X
X
4
3
X
X
4
3
Requirements for audited financial statements
X
X
4
3
X
4
3
X
4
2
4
2
Core Institutions
Local enforcement and Culture
Ownership disclosure rules Reputational intermediaries and independent directors A sophisticated accounting profession
X
A sophisticated investment banking profession
X
Sophisticated securities lawyers
X
X
4
2
A stock exchange with meaningful listing standards and an active insider trading surveillance operation Inclusion of independent directors on company boards
X
X
5
3
X
3
2
Liability Civil liability for insiders who violate the disclosure and selfdealing rules Criminal liability for insiders who intentionally violate the disclosure and self-dealing rules Civil liability risk for accountants
X
X
2
1
X
X
1
1
X
X
3
2
Civil liability risk for investment bankers
X
3
2
X
2
1
Civil liability risk for independent directors who approve gross self-dealing Market transparency Transparency of trading prices
X
X
4
3
An enforced ban on market manipulation
X
X
3
2
112
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Needed for Core Institutions
Information disclosure
Piggybacking Ease
Selfdealing
for a Company
for a Country
X
4
3
X
4
2
X
3
2
Self-dealing rules Procedural controls on self-dealing transactions (review by independent directors, noninterested shareholders, or both) Accountant review of the disclosure of self-dealing transactions Enforced securities or other rules banning insider trading Other institutions An active financial press and security analysis profession
X
X
3
2
A good organization to write accounting rules
X
X
5
3
Tabelle 3.2: Wichtige Institutionen bei der Etablierung eines Wertpapiermarktes Quelle: Black (2001), S. 817-819
Nach La Porta, Lopez-de-Silanes und Shleifer (2006) gibt es drei Hypothesen in Bezug auf die optimale gesetzliche Regelung von Wertpapiermärkten: Basierend auf den Theorien von Coase (1960) und Stigler (1964) besagt die erste, dass diese Märkte ohne staatliche Regulierung auskommen. 409 Demnach haben Wertpapieremittenten immer einen Anreiz alle Informationen offenzulegen, da Investoren ansonsten immer vom schlechtesten Zustand ausgehen. Investoren können sich auf die veröffentlichten Informationen verlassen, wenn z.B. Reputationsverluste drohen, vertragliche oder rechtliche Strafen für falsche Informationen bestehen oder die Nachprüfung kostenlos ist. Die beiden anderen Hypothesen besagen, dass Wertpapiergesetze einen Einfluss haben, da Reputationsverluste und das Vertragsund Deliktsrecht unzureichend sind, um falsche Informationen zu verhindern. Unter der zweiten Hypothese sollte der Staat den privaten Vertragsrahmen standardisieren, insbesondere die Veröffentlichung bestimmter Informationen im Wertpapierprospekt und Haftungsregeln bei Nichtveröffentlichung bedeutender Informationen. Die dritte Hypothese geht davon aus, dass auch dies unzureichend ist, um Emittenten zur Veröffentlichung ehrlicher Informationen zu bewegen und zusätzlich eine staatliche Durchsetzungsbehörde (z.B. eine Wertpapieraufsicht) nötig ist. 410 Basierend auf einer Umfrage in 49 Ländern untersuchen die Autoren daraufhin, welchen Einfluss Veröffentlichungspflichten und Haftungsstandards (pri-
409
410
Dies bezieht sich auf ein spezielles Wertpapierrecht. Allgemeine Gesetzgebungen, wie z.B. ein Vertragsrecht werden weiterhin unterstellt. Vgl. La Porta, Lopez-de-Silanes und Shleifer (2006), S. 1-3.
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vate Durchsetzung) und eine staatliche Durchsetzung auf die Entwicklung von Aktienmärkten haben (z.B. die Aktienmarktkapitalisierung, die Anzahl gelisteter Unternehmen oder den Wert der IPOs). Dabei zeigt sich, dass sowohl Veröffentlichungspflichten als auch Haftungsstandards positiv mit allen Variablen des Aktienmarktentwicklungsstandes korreliert sind (s. Tabelle 3.3 für Veröffentlichungspflichten),411 der Index der staatlichen Durchsetzung hat dagegen nur eine eingeschränkte Auswirkung. Die Bedeutung von Transparenzanforderungen für die Entwicklung von Aktienmärkten hat daher durch die Literatur schon erhebliche Aufmerksamkeit erhalten. Dabei werden meist traditionelle Erfolgsindikatoren (wie die Marktkapitalisierung) verwendet. Weniger untersucht wurde bisher allerdings der Zusammenhang zur Informationseffizienz. In Kapitel 5.2.2 wird ein Überblick zur bestehenden Literatur gegeben und aufgezeigt, welche Lücke die vorliegende Arbeit füllen kann. Anzahl heimischer Unternehmen 1,1103**
4,6983***
(0,1377)
(0,4127)
(1,4395)
0,0420
0,1195
0,1371
(0,0308)
(0,0946)
(0,2772)
0,0957***
0,2789**
1,1393**
(0,0229)
(0,1075)
(0,2439)
0,0386*
0,2302***
-0,0843
(0,0204)
(0,0664)
(0,2106)
-1,2056***
-2,6758***
-9,5765***
(0,2037)
(0,6693)
(1,8551)
49
49
49
54%
69%
38%
Marktkapitalisierung Veröffentlichungspflichten Anti-Director-Rights Ln BIP per capita Effizienz des Rechtssystems Konstante Beobachtungen Adj. R2
0,5813
***
IPOs
Tabelle 3.3: Zusammenhang von Veröffentlichungspflichten und Aktienmarktentwicklung Quelle: La Porta, Lopez-de-Silanes und Shleifer (2006)
Zweitlistings, Hinterlegungsscheine und Corporate Governance Kodizes Im Folgenden sollen noch einige Aspekte erläutert werden, die indirekt die relevanten Transparenzanforderungen von Unternehmen am Aktienmarkt beeinflussen. Am bedeutendsten ist dabei das Zweitlisting, bei dem die Aktien des Unter411
Ein, zwei und drei Sterne stehen für eine Signifikanz auf dem 10%, 5% bzw. 1%-Niveau.
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nehmens an einer weiteren Börse zum Handel zugelassen werden. Insbesondere bei einem Zweitlisting an einer ausländischen Börse kann dies erhebliche zusätzliche Transparenzanforderungen nach sich ziehen. Die Motive für ein Zweitlisting von einem Unternehmen können vielfältig sein: Neben der Erweiterung der Investorenbasis (und der damit verbundenen Hoffnung auf eine höhere Marktkapitalisierung durch eine höhere Nachfrage) können u.a. auch eine höhere Liquidität, Marketing- und Reputationsaspekte oder der Schutz vor feindlichen Übernahmen durch eine internationale Investorenbasis ausschlaggebend sein. 412 Für Unternehmen aus Ländern mit unterentwickelten Kapitalmärkten kann ein Zweitlisting zwei weitere bedeutende Vorteile bringen: Zum einen ist die Möglichkeit der Kapitalaufnahme an entwickelten Kapitalmärkten im Zuge eines Zweitlistings bedeutend einfacher. Coffee (2002) argumentiert zudem, dass die positive Signalwirkung einer freiwilligen Einhaltung von höheren Transparenzanforderungen und einer strengeren Durchsetzung bestehender Gesetze ein weiteres wichtiges Motiv von Unternehmen aus einer Jurisdiktion mit schwachem Schutz der Rechte von Minderheitsaktionären und einer unzureichenden Durchsetzung darstellt. Doidge, Karolyi und Stulz (2004) führen den höheren Wert von Unternehmen, die ein Listing an US-Börsen besitzen, ebenfalls auf den stärkeren Investorenschutz zurück. Die Autoren zeigen dabei auch empirisch, dass insbesondere bei Unternehmen aus Ländern mit schwachem Investorenschutz die Wachstumspotentiale höher bewertet werden. Die Hypothese, dass Unternehmen aus Ländern mit schwacher Kapitalmarktregulierung (und Durchsetzung) und Corporate Governance Defiziten eher ein Zweitlisting an einer weiteren Börse eingehen, wird für die CEE-3 in Kapitel 4.2.6 diskutiert.413 Als Alternative zu einem direkten Handel der Aktien an einer ausländischen Börse (im Falle des Zweitlistings) können diese auch indirekt in Form von Hinterlegungsscheinen (engl. Depository Receipts) gehandelt werden. Die Relevanz von Hinterlegungsscheinen für die Transparenzanforderungen soll am Beispiel der USA dargestellt werden. Bei diesen American Depository Receipts (ADRs) werden ausländische Aktien bei einer US-Bank hinterlegt, die dann wiederum ADRs im Namen des Unternehmens herausgibt, die eine bestimmte Anzahl an Aktien des ausländischen Unternehmens repräsentieren. 414 Eine Übersicht über unterschiedliche Varianten findet sich in Tabelle 3.4. Dabei wird aufgezeigt, ob zusätzliche Transparenzanforderungen und Registrierungen bei den einzelnen Programmen nötig sind. Während für die Programme Level I-III 412 413
414
Vgl. Eun und Resnick (2009), S. 317-319. In den empirischen Untersuchungen in Kapitel 5 und 6 werden jeweils die Erkenntnisse zu den Zweitlistings von CEE-3 Unternehmen berücksichtigt. Vgl. Solnik und McLeavey (2009), S. 186-189 für eine ausführliche Darstellung.
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eine SEC-Registrierung verpflichtend ist, kann darauf bei einem Handel unter Rule 144A verzichtet werden. Die Level II und III-Programme verlangen zusätzlich Abschlüsse in Übereinstimmung mit US-GAAP. Bei Level I und Rule 144A müssen dagegen lediglich die heimischen Anforderungen erfüllt werden.415 Level I
Level II
Level III
Rule 144A
Beschreibung
Ungelistetes Programm
Listing an einer US-Börse
Aktienemission und Listing an einer US-Börse
Handel
OTC
SEC Registrierung Zusätzliche Transparenzanforderungen
Ja
NASDAQ, AMEX, NYSE Ja
NASDAQ, AMEX, NYSE Ja
Private Platzierung an qualifizierte institutionelle Investoren Private Platzierung Nein
Übereinstimmung mit US-GAAP
Übereinstimmung mit US-GAAP
Keine
Keine
Tabelle 3.4: Arten von American Depository Receipts Quelle: Eun und Resnick (2009), S. 321
Corporate Governance Regeln stehen ebenfalls im Zusammenhang mit Transparenzanforderungen. Entscheidend ist dabei, inwieweit die Kodizes rechtlich bindend sind bzw. die tatsächliche Veröffentlichungspraxis beeinflussen. Dies soll hier kurz am deutschen Regelwerk illustriert werden. Bei den Empfehlungen der „Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex“ (DCGK) handelt es sich zwar nicht um geltendes Recht, börsennotierte Unternehmen müssen allerdings eine Erklärung abgeben, ob diesen entsprochen wurde. Werden diese nicht angewendet, muss dies begründet werden (§161 AktG). Einige der Regeln sind allerdings auch im deutschen Recht verankert und daher bindend. Der Kodex verwendet den Ausdruck „soll“, wenn Unternehmen von der Empfehlung abweichen können, dies aber begründen müssen. Der Begriff „sollte“ bezieht sich auf Anregungen, von denen auch ohne Offenlegung abgewichen werden kann. Alle anderen Teile beziehen sich auf geltendes Gesetzesrecht. Die Empfehlungen zur Transparenz und der Rechnungslegung finden sich in den Abschnitten 6 bzw. 7.1 des DCGK. Neben den im Wertpapierhandelsgesetz umgesetzten Regeln zu Insiderinformationen (6.1) und bedeutenden Stimmrechtsanteilen (6.2) finden sich in dem Kodex auch „soll“-Empfehlungen zur informationellen Gleichbehandlung der Aktionäre (6.3) und der Nutzung von geeigneten Kom415
Die Rolle von Hinterlegungsscheinen für Aktien der CEE-3 wird in Kapitel 4.2.6 aufgegriffen.
116
INFORMATIONSÖKONOMISCHE BETRACHTUNG VON AKTIENMÄRKTEN
munikationsmedien (6.4). In Überschneidung mit Anforderungen für das Premium-Segment an manchen Börsen sollen auch die Termine für die Veröffentlichungen von Unternehmenszahlen und der Hauptversammlung („Finanzkalender“) veröffentlicht werden (6.7). 416 Lediglich als „sollte“-Empfehlung ist die Veröffentlichung von Informationen in englischer Sprache aufgeführt (6.8). Bei der Rechnungslegung wird u.a. Bezug genommen zum Konzernabschluss, dem Halbjahresfinanzbericht, den Zwischenmitteilungen (bzw. Quartalsfinanzberichten) und internationalen Rechnungslegungsstandards (7.1.1) sowie (als sollEmpfehlung) Veröffentlichungsfristen zu Konzernabschluss und Zwischenberichten (7.1.2). 3.2.2 Aktien-Analysten Zur Rolle von Aktien-Analysten auf Kapitalmärkten gibt es bereits zahlreiche wissenschaftliche Studien, die sich über die unterschiedlichsten Gebiete erstrecken. So wurden beispielsweise die Bestimmungsfaktoren der Analysten-Coverage, 417 die Genauigkeit der Gewinn-Prognosen (und Erklärungsansätze für systematische Fehler) oder Interessenkonflikte von Analysten bei der Erstellung ihrer Prognosen untersucht. 418 Eine hohe Aufmerksamkeit erhalten häufig Arbeiten, die sich mit der Profitabilität der Befolgung von Analysten-Empfehlungen beschäftigen. Auch wenn diese insgesamt zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen kommen, legen einige dieser Studien nahe, dass Analysten-Empfehlungen für Investoren nicht hilfreich sind. 419 Nicht zuletzt aufgrund dieser Kritik hätte der Nachweis eines Zusammenhanges zwischen der Anzahl an Analysten und der Informationseffizienz eine positive Wirkung für die Akzeptanz von Analysten. In Kapitel 3.1.3 wurde bereits ein Modell vorgestellt, das eine solche (positive) Beziehung nahe legt. Um diese Zusammenhänge näher zu untersuchen, wird zunächst die Tätigkeit von Analysten beschrieben, anschließend wird die Verbindung zum Informationsumfeld und der -effizienz hergestellt.
416 417
418 419
Vgl. dazu auch Kapitel 5.1.3. Vgl. Pietzsch (2004). Die Bestimmungsfaktoren der Analysten-Coverage werden auch in Kapitel 6 für die CEE3 untersucht. Diese beiden Aspekte und entsprechende Studien werden weiter unten kurz erläutert. In Kapitel 2.2.1 wurde bereits auf die sehr frühe Studie von Cowles (1933) hingewiesen, die zeigte, dass eine Aktienstrategie, basierend auf Vorhersagen von Analysten, im Durchschnitt nicht erfolgreicher (meist sogar schlechter) als der Ertrag einer durchschnittlichen Aktie oder einer zufälligen Aktienauswahl war. Barber et al. (2001) weisen nach, dass Investoren durch Befolgung von Analysten-Empfehlungen zwar eine Überrendite erzielen können, die dafür nötigen zahlreichen Transaktionen führen allerdings dazu, dass die Überrendite unter Berücksichtigung der Transaktionskosten nicht immer signifikant größer null ist. In einer Folgestudie (Barber et al. 2003) zeigen die Autoren zudem, dass von Analysten empfohlene Aktien in den Jahren 2000 und 2001 (während des Platzens der dot-com-Blase) sehr schlecht abschnitten.
INFORMATIONSÖKONOMISCHE BETRACHTUNG VON AKTIENMÄRKTEN
117
Tätigkeit von Aktien-Analysten Grundsätzlich können drei Typen von Analysten unterschieden werden. 420 SellSide-Analysten arbeiten meist für Brokerhäuser, Investment- oder Universalbanken. Ihre Research Reports werden genutzt, um beispielsweise den Sales-Bereich zu unterstützen. Unter der Voraussetzung, dass Kunden (meist institutionelle Investoren), denen die Analysen zur Verfügung gestellt werden, ihre Aufträge über die Bank (bzw. den Broker) des Analysten abwickeln, tragen die Sell-SideAnalysten indirekt zum Gewinn bei. Buy-Side-Analysten hingegen veröffentlichen ihre Analysen nicht, sondern unterstützen Fondsmanager bei der Anlageentscheidung. Sell-Side-Analysten sind meist deutlich spezialisierter in der Branchenund Unternehmensabdeckung als Buy-Side-Analysten. Unabhängige Analysten arbeiten hingegen nicht für Banken oder Broker, sondern verkaufen ihre Analysen an Investoren. 421 Da über Sell-Side-Analysten und ihre Prognosen mehr Informationen (z.B. in Form von Datenbanken) zur Verfügung stehen, beziehen sich die meisten wissenschaftlichen Studien auf deren Tätigkeit. Auch die in Kapitel 6 genutzte Datenbank zur Untersuchung des Einflusses von Aktien-Analysten beinhaltet Daten zu Sell-Side-Analysten. Die Tätigkeit von Analysten wird meist in die drei Bereiche Informationsbeschaffung (-generierung), Informationsverarbeitung und Informationsdistribution eingeteilt. 422 Bei der Informationsbeschaffung wird zwischen den Primär- und den Sekundärinformationen unterschieden. Erstere beziehen sich auf Informationen, die von dem Unternehmen selbst stammen. Dabei werden in erster Linie Geschäftsund Zwischenberichte, aber auch Ad-hoc-Meldungen und direkte Kontakte zu den Unternehmen (z.B. bei Analystenkonferenzen) genutzt. Sekundärinformationen umfassen beispielsweise Artikel in Wirtschaftszeitungen und Berichte von anderen Analysten. 423 Die Informationsverarbeitung stellt den zentralen Bereich der Tätigkeit von Analysten dar. Dabei kann zunächst zwischen fundamentalen und technischen Analysen unterschieden werden. Basis der Fundamentalanalyse sind meist Prognosen über die zukünftigen Gewinne der Unternehmen. 424 Zur Ermittlung des Unternehmenswertes stehen wiederum unterschiedliche Methoden (wie die Multiplikatormethode oder die Discounted Cash Flow Methoden) zur Verfügung. Die Informationsdistribution findet meist in Form von Research Reports statt, die auch
420 421 422 423
424
Vgl. hierzu Wichels (2002), S. 31-33 und Achleitner, Bassen und Pietzsch (2001), S. 47. Vgl. Oberdörster (2009), S. 59. Vgl. hierzu Wichels (2002), S. 28-29 und Hax (1998), S. 11-21. Vgl. Oberdörster (2009), S. 63-70 zur relativen Wichtigkeit der einzelnen Informationsquellen für die Analysten. Vgl. Hax (1998), S. 18-19.
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INFORMATIONSÖKONOMISCHE BETRACHTUNG VON AKTIENMÄRKTEN
Kauf- bzw. Verkaufsempfehlungen enthalten.425 Häufig werden die Research Reports Kunden zu unterschiedlichen Zeitpunkten zur Verfügung gestellt. Spezielle Kunden, wie z.B. institutionelle Investoren, erhalten die Informationen vorab, bevor diese weiteren Kunden zugänglich gemacht werden. Teilweise werden die Empfehlungen anschließend auch an die Öffentlichkeit weitergegeben. Die Arbeit von Aktien-Analysten unterliegt gewissen gesetzlichen Regelungen. In Deutschland ist dabei insbesondere §34b des Wertpapierhandelsgesetzes (WpHG) relevant. 426 Dabei werden Finanzanalysten „zu der erforderlichen Sachkenntnis, Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit verpflichtet“. Darüber hinaus müssen eventuelle Interessenkonflikte, die bei der Erstellung der Finanzanalyse eine Rolle spielen könnten, offen gelegt werden. Außerdem müssen Unternehmen, die Finanzanalysen erstellen, „so organisiert sein, dass Interessenkonflikte (...) möglichst gering sind.“ Verbände von Finanzanalysten geben zudem häufig einen Verhaltenskodex heraus, zu deren Einhaltung sich die Mitglieder verpflichten. Der Kodex der Deutschen Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management (DVFA) besagt beispielsweise, dass Analysen „mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns unter Wahrung von Integrität, Objektivität und Unbefangenheit kompetent und sorgfältig zu erbringen“ sind. 427 Der Fokus der Regulierung liegt daher auf der Beseitigung bzw. Offenlegung eventueller Interessenkonflikte von Analysten. Diese Konflikte lassen sich meist auf die Beschäftigung der Analysten durch Banken zurückführen, die in einigen Fällen ein Interesse an einer positiven oder negativen Entwicklung des Börsenkurses (bzw. der allgemeinen öffentlichen Darstellung) eines Unternehmens haben. Dies kann zum Beispiel der Fall sein, wenn eine Bank am IPO eines Unternehmens beteiligt ist und daher von einer positiven Darstellung des Unternehmens profitiert. Auch wenn Banken gesetzlich verpflichtet sind die Unabhängigkeit der Analysten, z.B. durch sogenannte Chinese Walls, die einen Informationsaustausch zwischen einzelnen Abteilungen verhindern sollen, zu wahren (bzw. eventuelle Interessenkonflikte offenzulegen oder erst gar keine Empfehlungen abzugeben), ist die strikte Einhaltung in der Praxis schwierig. 428 Dies lässt Zweifel aufkommen, ob Analysten ihre Empfehlungen immer vollständig unabhängig abgeben können. 429
425
426
427 428 429
Dabei gibt es erhebliche Unterschiede in der Art der Empfehlungen. Während in wenigen Fällen nur „Kauf“ und „Verkauf“ als Empfehlung genutzt wird, werden häufig auch Abstufungen (z.B. Buy vs. Strong buy) verwendet. In einigen Fällen wird auch ein konkretes Kursziel für die Aktie genannt. Vgl. Pietzsch (2004), S. 69. Auf EU-Ebene finden sich Regelungen z.B. zur Offenlegung von Interessenkonflikten in der Marktmissbrauchsrichtlinie. Vgl. Kapitel 5.1.3. Deutsche Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management (2007). Vgl. Päßler (2007) für eine ausführliche Analyse von Interessenkonflikten in der Informationsintermediation. Vgl. Wichels (2002), S. 35.
INFORMATIONSÖKONOMISCHE BETRACHTUNG VON AKTIENMÄRKTEN
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Aktien-Analysten und Informationseffizienz Auf einem vollkommenen Kapitalmarkt, bei dem alle Marktteilnehmer über vollständige Informationen verfügen, homogene Erwartungen besitzen und keine Transaktionskosten anfallen, gibt es keinen Bedarf an Finanzanalysten. Wie bereits erläutert, sind diese Annahmen für die Informationseffizienz nicht zwingend erforderlich.430 Allerdings lässt sich nur eine unzureichende Verbindung zwischen der klassischen Betrachtung des Informationsumfeldes mithilfe der drei Effizienzformen (schwach, halbstreng und streng) und der Rolle von Analysten herstellen. Bei dieser vereinfachenden Analyse des Informationsumfeldes wird nur der Informationsgehalt der Preise, nicht aber Informationsasymmetrien und der Aspekt der Informationsintermediation berücksichtigt. Die Informationsintermediation ist eine wichtige Funktion von Finanzanalysten. Dabei steht die Lösung des Problems asymmetrischer Informationen zwischen Kapitalgebern und -nehmern im Vordergrund.431 Sowohl aus der Problematik von Informationsasymmetrien vor als auch nach Vertragsabschluss lassen sich theoretische Erklärungsansätze für die Existenz von Finanzanalysten ableiten. 432 In der Rolle als Informationsintermediär ist es die Aufgabe des Finanzanalysten (u.a.) öffentliche Daten in entscheidungsrelevante Informationen für Investoren zu transformieren. 433 Des Weiteren kommt Finanzanalysten auch eine Monitoring- und Marketing-Funktion zu. Eine Übersicht über die Vorteile für Unternehmen, Investoren und Banken/Broker durch die Tätigkeit von Analysten findet sich in Tabelle 3.5. Durch die Informationsintermediationsfunktion von Analysten erhöht sich tendenziell der Informationsstand anderer Marktteilnehmer. Dies könnte zu einer höheren Informationseffizienz des Marktes beitragen. Allerdings hängt der Grad dieses Beitrages wiederum von der Qualität der Informationen ab, die die Analysten übermitteln. Aufgrund deren Ausbildung in der Unternehmensbewertung und der Spezialisierung auf wenige Unternehmen liegt es nahe, von einer hohen Qualität der Analysen auszugehen. Anhänger der EMH vertreten daher häufig die Meinung, dass professionelle Aktien-Händler oder Analysten nicht im gleichen Ausmaß den psychologischen Verzerrungen unterliegen wie durchschnittliche Individuen. 434 Diese Annahme wird allerdings durch einige Forschungsergebnisse in Frage gestellt. DeBondt und Thaler (1990) wiesen nach, dass die Vorhersagen von Aktien-Analysten die gleichen Anzeichen von Überreaktion aufweisen, wie bei-
430 431 432 433 434
Vgl. Kapitel 2.3. Vgl. Kapitel 3.2.1. Vgl. Pietzsch (2004), S. 31-35, Päßler (2007), S. 12-35 und Wichels (2002), S. 43-52 für eine Übersicht. Vgl. Achleitner, Bassen und Pietzsch (2001), S. 47-48. Vgl. Barberis und Thaler (2003), S. 1066-1067.
120
INFORMATIONSÖKONOMISCHE BETRACHTUNG VON AKTIENMÄRKTEN
spielsweise die von zufällig ausgewählten Individuen in Experimenten. Dazu untersuchten die Autoren die Earnings-per-Share (EPS) Prognosen (und deren Änderungen) der Analysten mithilfe der I/B/E/S-Datenbank und verglichen diese mit den tatsächlichen Zahlen.435 Dabei zeigte sich u.a., dass die Vorhersagen zu optimistisch und Änderungen in den Vorhersagen zu extrem (im Vergleich zu einem rationalen Verhalten) waren. 436 Allerdings zeigen auch andere Studien, dass Analysten neue Informationen zu wenig berücksichtigen. Easterwood und Nutt (1999) versuchen diese beiden Erkenntnisse in Einklang zu bringen und weisen nach, dass Analysten auf negative Informationen unter- und auf positive überreagieren.437 Lim (2001) argumentiert hingegen, dass zu optimistische Prognosen kein Anzeichen für Irrationalität sind. Da Analysten, die negative Bewertungen zu Unternehmen abgeben, häufig weniger Informationen von Unternehmensmanagern erhalten, wägen Analysten rational zwischen einer akkuraten Vorhersage und Zugang zu Managementinformationen ab. Analog zur Argumentation in Kapitel 2.3.3 (der Kritik am Arbitrage-Argument zum Ausscheiden irrationaler Marktakteure durch die Limits-of-ArbitrageTheorie) kann auch in Bezug auf Analysten kritisch hinterfragt werden, ob der Ausleseprozess dazu führt, dass hauptsächlich „gute“ Analysten im Markt verbleiben. Die theoretische Fundierung der EMH hat gezeigt, dass Abweichungen vom Fundamentalwert lange bestehen können, bevor diese eliminiert werden. Wenn Aktien-Analysten auf Basis ihrer kurzfristigen Prognosen bewertet werden, kann es daher dazu kommen, dass Analysten, deren Prognosen sich erst langfristig als richtig erweisen, vorher aus dem Markt ausscheiden. Die Beurteilung von Aktien-Analysten anhand kurzfristiger Prognosen kann auch dazu führen, dass diese sich bei ihren Vorhersagen stark an anderen Analysten orientieren. Wenn ein Analyst mit seiner Prognose von anderen Analysten deutlich abweicht und diese sich nicht (kurzfristig) bewahrheitet, würde dieser Analyst Gefahr laufen seine Stelle zu verlieren. Dies kann daher zu einem Herden-Verhalten bei Analysten-Prognosen führen. 438 Ein solches Verhalten wird auch durch empirische Studien nahegelegt.439
435 436
437
438
439
Die gleiche Datenbank wird auch in den empirischen Untersuchungen in Kapitel 6 verwendet. Vgl. Kapitel 3.1.3 zu Studien, die diese Überreaktion mit empirisch beobachtbaren Kapitalmarktpreisen in Verbindung bringen. Das gleichzeitige Auftreten von Unter- und Überreaktionen auf Informationen durch Analysten kann analog zur allgemeinen Diskussion dieses Phänomens in Kapitel 3.1.3 betrachtet werden. Vgl. auch Kapitel 6.1 zur Erläuterung in Bezug auf den PEAD. Scharfstein und Stein (1990) entwickeln ein Modell, bei dem ein solches Verhalten für einzelne rational sein kann. Vgl. dazu auch die Diskussion in Kapitel 2.3.3. Vgl. Hong, Kubik und Solomon (2000) und Clement und Tse (2005).
INFORMATIONSÖKONOMISCHE BETRACHTUNG VON AKTIENMÄRKTEN
121
Kapitalmarktakteure Informationsintermediär
Unternehmen
Investoren
Investmentbank/Broker
• Visibilität • Bekanntheitsgrad • Meinungsbildung • Aktienkurseffekte
• Entscheidungsunterstützung • Informationsvorsprung • Komplexitätsreduktion • Aktienkurseffekte
• Einnahmen durch Informationsverkauf • Informationsbasis für andere Geschäftsbereiche • Know-How-Träger (Aktienkurseffekte)
• Wiederverwendung der Informationen durch den Intermediär • Spezialisierung des Intermediärs • Multiplikationswirkung des Intermediärs • Erhöhte Liquidität • Informations- und Bewertungseffizienz auf dem Kapitalmarkt Monitoring
• Feedback vom Markt • Anregung von strategischen/operativen Änderungen
• Kontrolle der Unternehmensperformance und des Managementverhaltens
Marketing
• Visibilität • Erhöhtes Handelsvolumen • Liquidität
• Angebot von „HighQuality Stocks“
• Unterstützung SalesBereich • Reputationsträger
Tabelle 3.5: Funktionen von Finanzanalysten und Vorteile für die Kapitalmarktakteure Quelle: Achleitner, Bassen und Pietzsch (2001), S. 51
Zur empirischen Beurteilung dieses Phänomens wird häufig die Streuung der Analysten-Prognosen berechnet. 440 Je niedriger die individuellen Abweichungen von der Median-Vorhersage, desto eher könnte ein Herden-Verhalten vorliegen. Allerdings kann auch argumentiert werden, dass die niedrige Abweichung auf die hohe Qualität des Informationsumfeldes zurückzuführen ist, die dazu führt, dass viele Analysten zu einer ähnlichen (akkuraten) Meinung kommen. Eine hohe Abweichung kann analog dazu als ein positives Anzeichen für eine große Meinungsvielfalt (und daher kein Herden-Verhalten) oder als ein Indiz für ein schlechtes Informationsumfeld interpretiert werden. Allerdings gibt es für Analysten auch andere Beurteilungskriterien als die reine Orientierung an der Vorhersage des Aktienkurses. Diese Kriterien beziehen sich auf die Prognosen über die Gewinne der Unternehmen. Dabei wird neben der reinen Abweichung der Prognose vom tatsächlichen Wert auch die Überlegenheit der 440
Vgl. Kapitel 6.4 zur Streuung der Analysten-Prognosen in den CEE-3.
122
INFORMATIONSÖKONOMISCHE BETRACHTUNG VON AKTIENMÄRKTEN
Analystenprognosen im Vergleich zur Vorhersage eines einfachen Zeitreihenmodells bewertet. Diese Maße werden in Kapitel 6.4 ausführlicher vorgestellt und für die Analysten-Prognosen in den CEE-3 berechnet. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass ein Beitrag von Finanzanalysten zur Informationseffizienz aufgrund der Informationsintermediation zwar nahe liegt, dieser aber durch eventuelle psychologische Verzerrungen, Fehlanreize und Interessenkonflikte der Analysten in Frage gestellt wird. Letztendlich können Schlussfolgerungen über den Zusammenhang zwischen Analysten und der Effizienz daher nur durch empirische Untersuchungen gezogen werden.
ENTWICKLUNG UND STRUKTUR DER AKTIENMÄRKTE IN DEN CEE-3
123
4 Entwicklung und Struktur der Aktienmärkte in den CEE-3 Die Struktur der Aktienmärkte in den CEE-3 wurde insbesondere in den ersten Jahren der Liberalisierung stark durch die unterschiedlichen Privatisierungsprogramme beeinflusst. Daher werden in Kapitel 4.1 der Liberalisierungsprozess und die Rolle der Aktienmärkte dabei erläutert. Außerdem zeigen traditionelle Erfolgsindikatoren (wie die Marktkapitalisierung oder die Anzahl gelisteter Unternehmen), wie sich die Märkte in den drei Ländern anschließend entwickelt haben. In Kapitel 4.2 werden daraufhin die Struktur und das institutionelle Umfeld dieser Märkte betrachtet. Die Erkenntnisse daraus sind auch für die in Kapitel 5 folgenden empirischen Untersuchungen relevant, da einige dieser Strukturen (wie die Liquidität oder die Investorenstruktur) ebenfalls die Informationseffizienz beeinflussen können und daher bei der Interpretation der Effizienztests berücksichtigt werden müssen.
4.1 Wirtschaftsliberalisierung und Entwicklung der Aktienmärkte 4.1.1 Privatisierungs- und Transformationsprozess Auch wenn es bereits Anfang der 1980er erste Reformen (insbesondere in Ungarn) gab, die Unternehmen eine gewisse Autonomie verliehen, begannen Polen, Ungarn und Tschechien (bzw. bis zum 1. Januar 1993 die Tschechoslowakei) ihre Transformation von einem kommunistisch geprägten zu einem marktwirtschaftlichen Wirtschaftssystem Ende der 1980er bzw. Anfang der 1990er. 441 Tabelle 4.1 zeigt einige volkswirtschaftliche Statistiken der CEE-3 aus der Frühphase des Transformationsprozesses.442 In US-Dollar gemessen hatte Ungarn im Jahr 1993 das höchste Bruttoinlandsprodukt pro Kopf; in internationalen Dollar nach Kaufkraftparität lag Tschechien (im Jahr 1995) dagegen vorne. Auch im Jahr 2011 hatte Tschechien (unabhängig von der Methode) noch immer ein deutlich höheres BIP pro Kopf als Polen und Ungarn, die nach Kaufkraftparität ungefähr gleichauf liegen. Durch die fast vier Mal größere Bevölkerungszahl stellt Polen aber die größte Volkswirtschaft der osteuropäischen EU-Beitrittsländer dar.
441 442
Vgl. Kapitel 5.1 für eine Übersicht zu den Daten der Einführung wichtiger Reformen und Gesetze. Die Statistiken der EBRD stehen zwar bereits ab 1989 zur Verfügung, diese schwankten aber aufgrund der hohen Inflationsraten und der starken Wechselkursveränderungen erheblich zwischen den einzelnen Jahren. Die Statistiken des IWF für Tschechien stehen erst ab dem Jahr 1995 zur Verfügung.
124
ENTWICKLUNG UND STRUKTUR DER AKTIENMÄRKTE IN DEN CEE-3
Land
Bevölkerung (Millionen)
BIP pro Kopf (US-Dollar)
BIP pro Kopf (Kaufkraftp., int. Dollar)
1993
2011
1993
2011
1995
2011
Polen
38,5
38,0
2.233
13.540
7.260
20.334
Ungarn
10,4
10,0
3.720
14.050
9.452
19.591
Tschechien
10,3
10,5
3.390
20.443
12.906
27.062
Tabelle 4.1: Volkswirtschaftliche Statistiken der CEE-3 Quelle: EBRD, IWF
Privatisierungsprogramme im Vergleich Auch wenn die drei Länder ähnliche Strukturen aufwiesen, unterschieden sie sich erheblich bei der Wahl des Transformationsprozesses. Aus Sicht der vorliegenden Fragestellung spielten diese eine bedeutende Rolle, da sie einen erheblichen Einfluss auf die Strukturen am Aktienmarkt und indirekt auch auf die Transparenzvorschriften hatten.443 Zudem führten diese auch zu unterschiedlichen Investorenstrukturen in Bezug auf deren Konzentration und den Anteil ausländischer Investoren. Dies hatte wiederum Auswirkungen auf die Anreize in der Überwachung der Unternehmensführung und die damit verbundene Corporate Governance Problematik. 444 Die Unterschiede in der Privatisierung von Staatsunternehmen manifestierten sich insbesondere in der Geschwindigkeit, dem Umfang und den verwendeten Methoden. Abbildung 4.1 illustriert dies anhand der unterschiedlichen Verläufe des Anteils des privaten Sektors am BIP. In Tschechien stieg dieser Anteil (von einem niedrigen Niveau aus) sehr schnell in Folge eines Massenprivatisierungsprogramms, bei dem Bürger Coupons gegen Wertpapiere von staatlichen Unternehmen eintauschen konnten. 445 Das Programm wurde in zwei Wellen durchgeführt. Während der ersten Welle von Oktober 1992 bis Juni 1993 wurden 988 Unternehmen, hauptsächlich aus der verarbeitenden Industrie, privatisiert. Einige Unternehmen, die erst nach einer Aufspaltung privatisiert werden konnten, sowie einige Banken und Energieversorger (insgesamt 861 Unternehmen) folgten in der zweiten Welle, die von Januar bis Oktober 1994 dauerte. Durch dieses Programm wurde der Großteil der tschechischen Wirtschaft sehr schnell privatisiert; lediglich 442 hauptsächlich kleinere Unternehmen wurden direkt verkauft. Jeder erwachsene Tscheche erhielt dabei einen Coupon, der einen Wert von 1.000 Punkten hatte, und konnte diesen nutzen, um damit für Ak443
444 445
Vgl. EBRD (1998), S. 97. Vgl. auch Kapitel 4.1.2 für die Auswirkungen auf die Aktienmarktstrukturen und Kapitel 5.1 für die Auswirkungen auf die Transparenzvorschriften. Vgl. Kapitel 4.2.5. Vgl. Claessens und Djankov (1999), Rudlovcak (2001), Filer und Hanousek (2001) und Schotman und Zalewska (2006) für eine ausführliche Erläuterung des tschechischen Privatisierungsprozesses.
ENTWICKLUNG UND STRUKTUR DER AKTIENMÄRKTE IN DEN CEE-3
125
tien zu bieten oder diese an Investmentfonds (Privatisation Investment Funds) gegen Fondsanteile weiterzugeben. Nach den Bieterrunden wurden die Punkte gegen Aktien eingetauscht und diese konnten fortan an der Börse gehandelt werden. Die Mehrzahl der Tschechen nutzte dabei die Möglichkeit die Coupons an Investmentfonds abzugeben (72% in der ersten Welle und 64% in der zweiten Welle). Jeder Investmentfonds durfte dabei jedoch maximal 20% der Aktien eines Unternehmens (später 11%) halten. Allerdings stellten sich die Erwartungen an eine zügige und erfolgreiche Restrukturierung der privatisierten Unternehmen durch den Einfluss von Banken und Investmentfonds als überzogen heraus. Stattdessen kam es zu einer Insolvenz von zahlreichen Unternehmen und staatlichen Stützungsmaßnahmen für Banken Mitte der 1990er.
100
80
60
Polen Tschechien
40
Ungarn
20
0 1990
1991
1992
1993
1994
1995
1996
1997
1998
Abbildung 4.1: Anteil des privaten Sektors am BIP Quelle: EBRD (1999)
In Polen wurden umfangreiche Privatisierungen bereits im Jahr 1991 eingeleitet, der weitere Fortschritt zog sich aber über die gesamten 1990er relativ langsam hin. 446 Die Unternehmen wurden dabei meist direkt verkauft oder durch Management and Employee Buy-outs privatisiert. Des Weiteren gab es auch ein Privatisierungsprogramm, bei dem Investmentfonds als Intermediäre dienten, das aber deutlich kleiner als das tschechische war. Dabei wurden 15 Investmentfonds gegründet, die 60% der Anteile von 512 mittleren und großen polnischen Unternehmen erhielten (15% gingen an die Beschäftigten und 25% verblieben beim Staat). Die Anteile an den Investmentfonds selbst (sogenannte Universal share certifica446
Vgl. Hashi (2000) für eine ausführliche Erläuterung des polnischen Privatisierungsprozesses.
126
ENTWICKLUNG UND STRUKTUR DER AKTIENMÄRKTE IN DEN CEE-3
tes) wurden daraufhin zwischen November 1995 und November 1996 an die polnische Bevölkerung verteilt. Ein Anteil entsprach dabei dem Anrecht auf jeweils eine Aktie der 15 Fonds. Das Einlösen der Zertifikate (die bereits vorher an der Börse gehandelt werden konnten) war nach dem Listing der Investmentfonds an der Börse ab Mai 1997 möglich. Der Vorteil der Nutzung von Investmentfonds als Intermediäre, im Gegensatz zu einer direkten und breiten Streuung der Anteile, wurde in der besseren Kontrolle der Unternehmen durch die Fonds gesehen. Die Anteile der Fonds an den Unternehmen (60%) wurden dabei jeweils immer zu 33% an einen Fonds und zu jeweils 1,93% an die übrigen 14 Fonds aufgeteilt. Durch den hohen Anteil eines der Fonds sollte dafür gesorgt werden, dass sich dieser intensiv um die Überwachung des Unternehmens kümmerte. Bei der Präsenz von vielen jeweils nur kleinen Investoren hätte dagegen keiner der Investoren einen Anreiz gehabt die Unternehmensführung zu überwachen. Die Beurteilung des Erfolgs des polnischen Programms ist umstritten. Dabei wird der Einfluss der Investmentfonds auf die Strukturen und die Überwachung der Unternehmen meist positiv beurteilt, die Performance der Fonds und die Überwachung der Fondsmanager selbst jedoch meist kritisch betrachtet. 447 Land
Häufigste Privatisierungsmethode
Zweithäufigste Privatisierungsmethode
Polen
Direkte Verkäufe
Management and Employee Buy-out
Tschechien
Coupons
Direkte Verkäufe
Ungarn
Direkte Verkäufe
Management and Employee Buy-out
Tabelle 4.2: Privatisierungsmethoden in den CEE-3 Quelle: EBRD (2004)
In Ungarn begann die Liberalisierung am frühesten, Unternehmen erhielten schon im Jahr 1984 eine gewisse Autonomie. 448 Ende der 1980er begann die sogenannte „spontane Privatisierung“, bei der Unternehmen selbst ihre Umstrukturierung initiierten. Im März 1990 wurde die State Privatization Agency gegründet, die die Privatisierung von 2.200 Unternehmen übernahm. Diese wurde aber im Gegensatz zu Tschechien nicht schlagartig, sondern durch mehrere Programme und fallspezifische Entscheidungen vorangetrieben. Dadurch stieg der Privatanteil an der Wirtschaft ab 1990, mit Unterbrechung rund um die Wahlen 1994, stetig an. Dabei wurden meist direkte Verkäufe oder Auktionen genutzt, aber auch zahlreiche andere Methoden, wie z.B. die Ausgabe von Compensation Notes an Opfer von früheren Enteignungen oder subventionierte Kredite an Angestellte für den Kauf 447 448
Vgl. Hashi (2000), S. 88. Vgl. IFC (2008) und Voszka (1999) für eine ausführliche Erläuterung des ungarischen Privatisierungsprozesses.
ENTWICKLUNG UND STRUKTUR DER AKTIENMÄRKTE IN DEN CEE-3
127
von Staatsunternehmen. Bis 1994 wurden hauptsächlich kleine und mittlere Unternehmen und Landwirtschaftsbetriebe privatisiert. Zwischen 1995 und 1996 wurden dann zahlreiche Gas- und Elektrizitätswerke sowie Banken an strategische Investoren verkauft. Dabei wurden Unternehmensanteile relativ häufig an ausländische Unternehmen oder Investoren verkauft und eine hohe Konzentration der Aktionäre erreicht.449 Makroökonomische Entwicklung Abbildung 4.2 zeigt die makroökonomische Entwicklung der CEE-3 seit Beginn der Transformation anhand des realen Wachstums des BIP. Alle drei Länder litten unter einem starken Einbruch ihrer Volkswirtschaften in Folge der Transformation. Der Einbruch in Polen erfolgte bereits ein Jahr früher in 1990. In den Folgejahren erzielte Polen die höchsten Wachstumsraten. Tschechien erlebte eine Rezession in den Jahren 1997 und 1998 in Folge einer Währungskrise im Mai 1997, die häufig auf das hohe Leistungsbilanzdefizit, schlechte Wachstumsaussichten und politische Instabilität zurückgeführt wird. 450 In Kapitel 5.1.2 werden diese Probleme zudem mit der mangelnden Transparenz am Kapitalmarkt und den damit verbundenen Corporate Governance Defiziten in Verbindung gebracht. In den letzten Jahren entwickelte sich insbesondere die ungarische Wirtschaft relativ schlecht und wurde ebenso wie Tschechien stark von der Finanzkrise getroffen. Die polnische Volkswirtschaft war dagegen die einzige innerhalb der EU, die keine Rezession zu verzeichnen hatte. Während Polen über Jahre die höchste Arbeitslosenquote der drei Länder hatte, konnte diese durch die guten Wachstumsraten seit 2003 deutlich auf 9,6% im Jahr 2011 verringert werden.451 In Ungarn lassen sich dagegen ein umgekehrter Trend und ein Anstieg auf 11,0% feststellen. In Tschechien lag die Arbeitslosenquote mit 6,7% am niedrigsten. Insbesondere Polen litt zu Beginn der Wirtschaftstransformation unter einer extrem hohen Inflation (über 500% im Jahr 1990), aber auch in Tschechien und Ungarn stiegen die Inflationsraten auf 52% bzw. 35% im Jahr 1991. 452 Diese konnten aber schrittweise in allen drei Ländern, in Tschechien etwas schneller als in den anderen beiden Ländern, gesenkt werden und lagen im Jahr 2011 überall unter 5%. Die Wechselkurssysteme der drei Länder haben sich
449
450 451 452
Vgl. Pistor, Raiser und Gelfer (2000), S. 331. Vgl. Kapitel 4.2.5 für eine Übersicht über die Anteile von ausländischen Investoren. Vgl. Horvath (1999), S. 277-278. Anhang 1 gibt eine Übersicht über die Entwicklung der Arbeitslosenquoten in den CEE-3. Anhang 2 gibt einen Überblick über die Entwicklung der Inflationsraten in den CEE-3.
128
ENTWICKLUNG UND STRUKTUR DER AKTIENMÄRKTE IN DEN CEE-3
im Laufe der Zeit immer wieder geändert, 453 heute haben alle einen flexiblen Wechselkurs gegenüber dem Euro. 454
10
5
0
Polen Tschechien
-5
Ungarn
-10
-15 1989 1991 1993 1995 1997 1999 2001 2003 2005 2007 2009 2011
Abbildung 4.2: Wachstumsraten des realen BIP Quelle: EBRD, IWF
4.1.2 Entwicklung der Aktienmärkte und traditionelle Erfolgsindikatoren Die Ursprünge der Aktienmärkte in den osteuropäischen Transformationsländern können in drei Kategorien eingeteilt werden (s. Tabelle 4.3). In Ländern mit einem obligatorischen Listing der Aktien nach einer Massenprivatisierung wie in Tschechien dienten diese als Plattform für den frühzeitigen (aber oftmals illiquiden) Handel der Unternehmensanteile. In Ungarn und Polen, die auf freiwillige IPOs setzten, war die Anzahl der Aktien deutlich niedriger, die Liquidität aber meist höher.455 In eine weitere Gruppe können Länder eingeordnet werden, in denen der Handel von Coupons nach einer Massenprivatisierung anfangs außerhalb der Börse stattfand und ein obligatorisches Listing nur für einige Unternehmen bestand.456 Diese unterschiedlichen Ursprünge müssen bei der Beurteilung des Erfolgs der Aktienmärkte in den CEE-3 berücksichtigt werden. Im Folgenden soll dieser Erfolg anhand traditioneller Indikatoren wie der Marktkapitalisierung, der Anzahl
453
454 455
456
Polen beispielsweise hatte im Jahr 1990 noch einen festen Wechselkurs, übernahm im Mai 1991 einen Crawling Peg und ab Mai 1995 einen Managed Float mit Fluktuationsband. Vgl. EBRD (1999), S. 250. Anhang 3 gibt einen Überblick über die Wechselkursentwicklung der drei Währungen. Polen wird in der zweiten und dritten Kategorie geführt, da es neben freiwilligen IPOs auch ein Privatisierungsprogramm mittels Coupons gab. Vgl. Kapitel 4.1.1. Vgl. Claessens, Djankov und Klingebiel (2000), S. 1.
ENTWICKLUNG UND STRUKTUR DER AKTIENMÄRKTE IN DEN CEE-3
129
gelisteter Unternehmen, der Rolle der Börse bei der Finanzierung von Unternehmen und der Performance der Aktien beurteilt werden.457 Partielles obligatorisches Listing während der Privatisierung
Obligatorisches Listing nach Massenprivatisierung
Freiwillige IPOs
Tschechien
Ungarn
Polen
Bulgarien
Polen
Russland
Litauen
Estland
Armenien
Mazedonien
Kroatien
Aserbaidschan
Moldawien
Lettland
Kirgisistan
Rumänien
Slowenien
Kasachstan
Slowakei
Usbekistan Ukraine
Tabelle 4.3: Ursprünge der Aktienmärkte in Transformationsökonomien Quelle: Claessens, Djankov und Klingebiel (2000)
Marktkapitalisierung und Anzahl gelisteter Unternehmen Die Auswirkungen der unterschiedlichen Privatisierungsprogramme lassen sich auch an der Entwicklung der Marktkapitalisierung und der Anzahl gelisteter Unternehmen ablesen (s. Tabelle 4.4). Die Börse Prag, deren Geschichte bis ins Jahr 1871 zurückreicht, die aber nach dem zweiten Weltkrieg geschlossen wurde, öffnete am 24. November 1992 wieder. 458 Der Handel begann am 6. April 1993 mit 7 Aktien und damit später als in Warschau und Budapest. In den Jahren 1993 und 1995 wurden im Rahmen der Coupon-Privatisierungen zahlreiche Aktien an der Börse gelistet (622 Aktien am 22. Juni 1993 und 333 Aktien am 13. Juli 1993 im Zuge der ersten Welle und 674 Aktien am 1. März 1995 im Zuge der zweiten Welle). Der Großteil dieser Aktien war im Free Market gelistet und wurde kaum gehandelt. Im Jahr 1997 entschied die Börse 1.301 illiquide Aktien vom Markt zu nehmen. 459 Die Marktkapitalisierung war zwar in den Jahren nach der Liberalisierung sehr hoch, ging aber bis zum Jahr 2001 trotz der guten globalen Kursentwicklung zurück. Ab dem Jahr 2001 entwickelte sich diese dann sehr positiv bis zum Ausbruch der globalen Finanzkrise im Jahr 2008. Die Anzahl der gelisteten Aktien sank kontinuierlich und lag im Jahr 2011 bei lediglich 15. Im Dezember 2008 übernahm die Börse Wien 92,7% der Aktien der Börse Prag. Seit dem 457 458 459
Als weiterer Erfolgsindikator wird teilweise die Liquidität angesehen. Diese wird in Kapitel 4.2.3 untersucht. Vgl. PSE (1999), S. 3 und PSE (2000), S. 2 für eine Übersicht zur historischen Entwicklung der Börse Prag. Vgl. dazu auch die Erläuterungen in Kapitel 5.1.2.
130
ENTWICKLUNG UND STRUKTUR DER AKTIENMÄRKTE IN DEN CEE-3
14. Januar 2010 sind die Börsen in Wien, Budapest, Ljubljana und Prag Tochtergesellschaften der zentralen Holding, der CEESEG AG. 460 Marktkapitalisierung (Mrd. US-Dollar)
Jahr
Tschechien
Anzahl gelisteter Unternehmen
Polen
Ungarn
Polen
Ungarn
1991
0,1
0,5
Tschechien
9
21
1992
0,2
0,6
16
23
1993
2,7
0,8
22
28
1994
5,9
3,1
1,6
1.024
44
40
1995
15,7
4,6
2,4
1.635
65
42
1996
18,1
8,4
5,3
1.588
83
45
1997
12,8
12,1
15,0
276
143
49
1998
12,0
20,5
14,0
261
198
55
1999
11,8
29,6
16,3
164
221
66
2000
11,0
31,3
12,0
131
225
60
2001
9,3
26,0
10,4
94
230
57
2002
15,9
28,7
13,1
78
216
48
2003
17,7
37,2
16,7
63
203
49
2004
30,9
71,1
28,7
54
225
47
2005
38,3
93,9
32,6
36
248
44
2006
48,6
149,1
41,9
29
267
41
2007
73,4
207,3
47,7
32
328
41
2008
48,9
90,2
18,6
28
349
41
2009
52,7
135,3
28,3
16
354
43
2010
43,1
190,2
27,7
16
569
48
2011
38,4
138,3
18,8
15
757 461
52
Tabelle 4.4: Marktkapitalisierung und Anzahl heimischer Unternehmen Quelle: S&P Global Stock Markets Factbook
In Warschau wurde bereits 1817 eine Börse eröffnet, die Warsaw Mercantile Exchange, die aber mit der Machtübernahme der Kommunisten ebenfalls geschlossen wurde und erst am 12. April 1991, mit Unterstützung französischer Experten, neu gegründet wurde. Am ersten Handelstag, dem 16. April 1991, wurden lediglich 5 Unternehmen (alles privatisierte Staatsunternehmen: Tonsil, Prochnik,
460 461
Vgl. Wiener Börse (2012). Diese Zahl beinhaltet die Aktien des New Connect Segments. Vgl. Kapitel 4.2.1.
ENTWICKLUNG UND STRUKTUR DER AKTIENMÄRKTE IN DEN CEE-3
131
Krosno, Kable und Exbud) an der Börse gehandelt. 462 Die Liquidität war schon in den ersten Jahren sehr hoch und die Aktienkurse stiegen insbesondere im Jahr 1993 stark an, bevor die Kurse im Anschluss an das bis dahin größte IPO der Bank Slaski alleine im März und April 1994 um 50% fielen. Der polnische Aktienmarkt verzeichnete einen kontinuierlichen Anstieg bei der Zahl der gelisteten Unternehmen, unterbrochen lediglich durch einen kleinen Rückgang während der globalen Börsen-Baisse von 2000 bis 2003. Insbesondere durch die Berücksichtigung der am neuen börsenregulierten Segment New Connect gelisteten Unternehmen stieg die Zahl in den letzten Jahren deutlich.463 Die Marktkapitalisierung war in den ersten Jahren im Vergleich zur Börse Prag niedrig, stieg aber ebenfalls, u.a. aufgrund der höheren Anzahl gelisteter Unternehmen, ab 2003 stark an, bevor sie sich während der globalen Finanzkrise mehr als halbierte.464 In Ungarn gab es bereits im Jahr 1864 eine Börse, die aber im Anschluss an die Verstaatlichungen nach dem zweiten Weltkrieg geschlossen wurde. Der Handel wurde am 21. Juni 1990 mit nur einer einzigen Aktie (Ibusz) wieder aufgenommen. 465 Insbesondere in den ersten Jahren war der Handelsumschlag sehr niedrig. So lag die durchschnittliche tägliche Zahl an Transaktionen im Jahr 1992 bei lediglich 27. 466 Die Zahl der gelisteten Unternehmen erhöhte sich aufgrund der schrittweisen Privatisierung nur langsam und hatte ihren Höhepunkt im Jahr 1999 mit 66 Unternehmen. Der Rückgang an gelisteten Unternehmen fiel dann aber nicht so stark wie in Tschechien aus. Seit drei Jahren ist zudem wieder ein leichter Aufwärtstrend zu verzeichnen. Die sehr niedrige Marktkapitalisierung zu Beginn lässt sich darauf zurückführen, dass anfangs hauptsächlich kleine Unternehmen privatisiert wurden. 467 Erst mit der Privatisierung von zahlreichen Pharmazie-, Chemie- und Maschinenbauunternehmen und deren Listings an der Börse in der zweiten Hälfte der 1990er stieg diese an.468 Ein ähnliches Bild zeigt sich, wenn die Marktkapitalisierungen ins Verhältnis zum BIP gesetzt werden (Abbildung 4.3). Nachdem die Quote in Tschechien anfangs aufgrund des Massenprivatisierungsprogramms höher war, lagen diese in allen drei Ländern ab dem Jahr 2000 auf einem ähnlichen Niveau. Der aktuelle Vor-
462
463 464
465 466 467 468
Vgl. WSE (1992, 1993) und Nivet (1997) für eine Übersicht zur Entwicklung der Börse Warschau in den ersten Jahren der Liberalisierung. Vgl. Kapitel 4.2.1 für eine ausführliche Übersicht zur Bedeutung der einzelnen Marktsegmente. In der Tabelle wird der Einbruch der Marktkapitalisierung durch die Umrechnung in US-Dollar aufgrund der relativ starken Abwertung der polnischen Währung verstärkt, ermöglicht somit aber einen direkten Vergleich mit den beiden anderen Börsen. Vgl. BSE (2012) für eine Übersicht zur historischen Entwicklung der Börse Budapest. Vgl. Schotman und Zalewska (2006), S. 10. Vgl. Kapitel 4.1.1. Vgl. Voszka (1999), S. 15.
ENTWICKLUNG UND STRUKTUR DER AKTIENMÄRKTE IN DEN CEE-3
132
sprung der Börse Warschau basiert hauptsächlich auf der Steigerung der Anzahl gelisteter Unternehmen in den letzten Jahren. 469
60 50 40 Tschechien 30
Ungarn Polen
20 10 0 1991
1993
1995
1997
1999
2001
2003
2005
2007
2009
2011
Abbildung 4.3: Marktkapitalisierung heimischer Unternehmen (in % des BIP) Quelle: S&P Global Stock Markets Factbook
Im Vergleich zu weiteren osteuropäischen Transformationsländern (Tabelle 4.5) zeigt sich, dass die drei Börsen in Warschau, Budapest und Prag nach Kapitalisierung die größten Märkte aller osteuropäischen EU-Beitrittsländer darstellen.470 Die Börse Warschau ist dabei eindeutiger Spitzenreiter und hat beispielsweise die Börse Wien bereits hinter sich gelassen. Im Vergleich zu anderen etablierten Märkten, wie z.B. Deutschland, sind diese allerdings immer noch sehr klein. Die Marktkapitalisierung im Verhältnis zum BIP ist in den drei Ländern ebenfalls niedriger. Allerdings sind die Unterschiede von Polen zu Deutschland dabei nicht mehr besonders hoch. Bei der Anzahl der gelisteten Unternehmen zeigt sich, dass die Werte für Prag und Budapest selbst bei diesem Vergleich sehr niedrig sind.
469
470
Der folgende Abschnitt zur Performance der Aktienmärkte wird aufzeigen, dass dafür nicht eine höhere Performance der polnischen Aktien in den letzten Jahren verantwortlich war. Die Marktkapitalisierung in Rumänien in US-Dollar ist zwar etwas höher als in Ungarn, jedoch werden in dieser Statistik nicht nur Aktien der Börse Bukarest berücksichtigt. Vgl. die Erläuterungen zur Tabelle.
ENTWICKLUNG UND STRUKTUR DER AKTIENMÄRKTE IN DEN CEE-3
Land
Marktkapitalisierung (in Mrd. US-Dollar)
Marktkapitalisierung (in % des BIP)
Anzahl gelisteter Unternehmen
Polen
138,2
26,9
757
Tschechien
38,4
17,8
15
Ungarn
18,8
13,4
52
Russland
796,4
42,9
327
Rumänien 471
21,2
11,8
1.267
Slowenien
6,3
12,8
66
Bulgarien
8,3
15,4
393
Slowakei Deutschland Österreich
4,7
4,9
81
1.184,5
33,2
670
82,4
19,7
73
133
Tabelle 4.5: Marktkapitalisierung und Anzahl gelisteter heimischer Unternehmen in 2011 Quelle: S&P Global Stock Markets Factbook
Börse und Unternehmensfinanzierung Im Zuge der Liberalisierung standen die osteuropäischen Transformationsländer vor der Aufgabe ein marktwirtschaftlich orientiertes Finanzsystem neu aufzubauen. Abbildung 4.4 stellt neben der Aktienmarktkapitalisierung auch die Höhe der heimischen Kredite des Bankensektors im Verhältnis zum BIP dar. 472 Von den osteuropäischen Ländern weisen dabei Russland, Ungarn und Slowenien die höchsten aggregierten Werte von ca. 100% des BIP auf. Diese sind allerdings immer noch deutlich niedriger als die des deutschen Marktes. Danach folgt eine Gruppe mit Polen, Tschechien und Bulgarien, die alle einen Wert von knapp über 80% ihres BIP aufweisen. Das slowakische und das rumänische Finanzsystem sind dagegen auch relativ betrachtet sehr klein.
471
472
Dabei werden auch Aktien einbezogen, die ursprünglich am RASDAQ-Markt, dem OTC-Markt zum Handel der Aktien nach der Massenprivatisierung, gelistet waren. An der Börse Bukarest waren im März 2012 lediglich 79 Aktien gelistet (Quelle: Börse Bukarest). Der Anleihemarkt wird anschließend gesondert betrachtet, da dabei Daten von einer anderen Quelle mit unterschiedlichen Definitionen und Umfang genutzt werden.
134
ENTWICKLUNG UND STRUKTUR DER AKTIENMÄRKTE IN DEN CEE-3
200 175 150 125
Heimische Kredite des Bankensektors
100 75 50
Aktienmarktkapitalisierung
25 0
Abbildung 4.4: Finanzsysteme in Osteuropa und Deutschland (in % des BIP, Durchschnitt von 2005-2010) 473 Quelle: S&P Global Stock Markets Factbook
Die Daten zeigen auch, dass es erhebliche Unterschiede in der relativen Bedeutung der Kreditfinanzierung über Banken und der Aktienmärkte gibt.474 Dies wird noch einmal grafisch durch Abbildung 4.5 verdeutlicht, bei der die Länder nach der Bedeutung ihrer Aktienmärkte relativ zur Kreditvergabe sortiert sind. Auch hierbei können Gruppen von Ländern mit ähnlichen Strukturen identifiziert werden. Russland ist das einzige Land, in dem die Aktienmarktkapitalisierung den Anteil der Kredite übersteigt. In den restlichen Ländern haben Aktienmärkte überall einen relativ ähnlichen Anteil zwischen 41% in Polen und 26% in Ungarn. In der Slowakei ist der Aktienmarkt auch relativ zum Bankenmarkt unbedeutend.
473 474
2005-2009 für die Slowakei. Inwieweit die Aktienmärkte überhaupt zur Finanzierung der Unternehmen genutzt werden, wird im Anschluss betrachtet.
ENTWICKLUNG UND STRUKTUR DER AKTIENMÄRKTE IN DEN CEE-3
135
100% 80% 60%
Heimische Kredite des Bankensektors
40%
Aktienmarktkapitalisierung
20% 0%
Abbildung 4.5: Finanzsysteme in Osteuropa und Deutschland (% des Gesamtwertes, Durchschnitt von 2005-2010) 475 Quelle: S&P Global Stock Markets Factbook
Die Märkte für Anleihen und Geldmarktpapiere sind in Osteuropa im internationalen Vergleich ebenfalls deutlich unterentwickelt (s. Tabelle 4.6). 476 Die heimischen Märkte sind in den CEE-3 stark durch Staatsanleihen dominiert, die Ausgabe durch Finanzinstitute und Industrieunternehmen ist dagegen sehr niedrig. Dabei muss allerdings berücksichtigt werden, dass die Daten nicht für alle Länder vollständig vorlagen und daher etwas verzerrt sind. 477 Auch bei internationalen Anleihen und Geldmarktpapieren gibt es in den CEE-3 nur einige wenige private Unternehmen, die diese erfolgreich emittiert haben. Des Weiteren muss berücksichtigt werden, dass die Aktienmarktkapitalisierung ein nur sehr unzureichender Indikator für die Höhe der externen Finanzierung über die Börse ist. Dies gilt insbesondere für die Transformationsländer, in denen ein obligatorisches Listing bestand, durch das Unternehmen kein frisches Kapital zugeführt wurde.478 Daher wird in der Folge, neben der Zahl der IPOs, insbesondere die Höhe, des über die Börse neu aufgenommenen Kapitals (sowohl bei IPOs als auch bei Kapitalerhöhungen durch bereits gelistete Unternehmen) untersucht.
475 476 477
478
2005-2009 für die Slowakei. Vgl. BIS (2007) für eine ausführliche Übersicht zu Anleihemärkten u.a. in Osteuropa. In der Datenbank gibt es keine Angaben zur Höhe der ausstehenden heimischen Anleihen durch Finanzinstitute in Russland und durch Industrieunternehmen in Polen, Russland und der Slowakei. Vgl. EBRD (2006), S. 45-46.
136
ENTWICKLUNG UND STRUKTUR DER AKTIENMÄRKTE IN DEN CEE-3
Land
Heimische Anleihen und Geldmarktpapiere
Internationale Anleihen und Geldmarktpapiere StaatsInsgesamt papiere
Insgesamt
Staatspapiere
Finanzinstitute
Unternehmen
Polen
242,3
230,5
11,8
k.A.
70,7
63,9
Ungarn
86,9
75,9
10,5
0,5
41,7
28,8
Tschechien
90,5
61,6
18,7
10,2
27,6
13,1
Slowakei
23,7
18,6
5,1
k.A.
15,9
15,5
Slowenien
8,6
4,6
3,3
0,7
22,6
16,6
Russland
88,4
88,4
k.A.
k.A.
169,3
33,4
2.854,1
1.918,9
520,7
414,6
2.958,4
342,4
Deutschland
Tabelle 4.6: Ausstehende Anleihen und Geldmarktpapiere (in Mrd. US-Dollar, Juni 2011) 479 Quelle: BIS
Tabelle 4.7 zeigt die Anzahl der neu gelisteten Unternehmen an den drei Börsen seit 1995. In Budapest lag die Zahl der neuen Notierungen fast durchgehend auf einem sehr niedrigen Niveau. Die Börse Prag verzeichnete zwar in den Anfangsjahren durch die umfangreichen Privatisierungen einen Anstieg, zwischen 2000 und 2010 hat sich allerdings kein tschechisches Unternehmen neu listen lassen.480 Die Börse Warschau dagegen konnte auch in den letzten Jahren einen starken Anstieg der gelisteten Unternehmen durch IPOs verzeichnen. Im ersten Halbjahr 2011 erreichte die Börse Warschau die höchste Zahl an IPOs in Europa (s. Anhang 4). 481 Da es sich dabei meist um relativ kleine Unternehmen im börsenregulierten New Connect Segment handelte, fällt die Börse Warschau bei der Beurteilung der Größe der Börsengänge allerdings hinter die Deutsche Börse und die LSE Group zurück. Eine Beurteilung der Höhe der Kapitalaufnahme durch Unternehmen über die Börsen ist für die ersten Jahre nach der Liberalisierung, aufgrund fehlender konsistenter Daten über einen längeren Zeitraum, schwierig. 482 Dennoch lassen sich 479
480
481 482
Statistiken zu den heimischen Anleihen beziehen sich auf den Sitz des Emittenten, Statistiken zu den internationalen Anleihen auf die Nationalität des Emittenten. Dies bezieht sich allerdings nur auf den Sitz der Muttergesellschaft. Von den ausländischen Unternehmen, die sich an der Börse Prag haben listen lassen, hatten fast alle eine tschechische Tochtergesellschaft oder zumindest eine starke Ausrichtung ihrer Geschäftstätigkeit auf den tschechischen Markt. Vgl. PSE (2012) für eine Übersicht der neu gelisteten Unternehmen. Der Report enthält keine Statistiken zu den Börsen in Prag und Budapest. Dies gilt insbesondere aufgrund von Problemen bei den Daten zur Börse Prag, da es dazu stark divergierende oder gar keine Daten gibt. Die WFE gibt beispielsweise für das Jahr 1996 einen Wert von 2,5 Milliarden USDollar an, das als neues Kapital durch neu zugelassene heimische Firmen aufgenommen wurde. Glaeser, Johnson und Shleifer (2001, S. 891) geben (mit Verweis auf die WFE als Quelle) die Beträge neu aufgenommenen Kapitals für die Jahre 1996-1998 mit null an. Daten zu einigen der folgenden Jahre sind über die WFE nicht verfügbar. Zudem treten einige Inkonsistenzen durch Änderungen der Methodik im Laufe der Zeit auf. Außerdem
ENTWICKLUNG UND STRUKTUR DER AKTIENMÄRKTE IN DEN CEE-3
137
aus den vorhandenen Daten einige Rückschlüsse ziehen. Die Börse Prag wurde speziell in den Anfangsjahren fast ausschließlich zum Handel von Unternehmensanteilen der vielen nach der Coupon-Privatisierung obligatorisch gelisteten Unternehmen genutzt und weniger zur Kapitalaufnahme. 483 Der erste Börsengang an der Börse Prag, bei dem neues Kapital aufgenommen wurde (Primary Shares), fand erst im Juni 2004 durch das Pharmaunternehmen Zentiva statt.484 Dies wurde auch von der Börse Prag selbst auf die schlechte Reputation und die Ineffizienz in Folge der Coupon-Privatisierungen zurückgeführt.485 Die Börse Warschau wurde dagegen schon in den Anfangsjahren zur Kapitalaufnahme genutzt. Im Jahr 1994 beispielsweise erhöhten 35 der 44 Unternehmen ihr Kapital durch die Ausgabe junger Aktien und nahmen damit geschätzte 600 Millionen US-Dollar auf. 486 Periode
Warschau
Prag
Budapest
Heim.
Ausl.
Total
Heim.
Ausl.
Total
Heim.
Ausl.
Total
1995-1998
158
0
158
70
0
70
26
1
27
1999-2002
55
0
55
1
1
2
14
1
15
2003-2006
97
13
110
0
5
5
7
0
7
2007-2010
329
16
345
0
4
4
14
3
17
Tabelle 4.7: Anzahl neu gelisteter Unternehmen in den CEE-3 Quelle: WFE, FESE 487
In Abbildung 4.6 ist die aggregierte Kapitalaufnahme durch bereits gelistete Unternehmen und bei IPOs für den Zeitraum 2007 bis 2011 für einige osteuropäische Börsen dargestellt. Auch in diesem Bereich weist die Börse Warschau mit insgesamt 28 Milliarden Euro den erfolgreichsten Wert auf, der sich zudem gleichmäßig auf IPOs und bereits gelistete Unternehmen verteilt. An allen anderen Börsen ist die Kapitalaufnahme dagegen sehr niedrig. Der Wert der Börse Prag setzt sich
483
484 485
486 487
unterscheiden sich die Unterteilungen des neu aufgenommenen Kapitals abhängig davon, ob es sich dabei um Vollmitglieder der WFE handelt oder nicht. Bei der europäischen FESE sind Daten über die Kapitalaufnahme der Börse Prag nicht vorhanden und auch von der Börse Prag selbst gibt es aus dieser Zeit dazu keine Informationen. Daten aus Glaeser, Johnson und Shleifer (2001), S. 890-891, zeigen, dass zwischen 1996 und 1998 auch von bereits gelisteten Unternehmen kein neues Kapital aufgenommen wurde. Vgl. PSE (2004), S. 48. In den darauf folgenden Jahren gab es noch einige weitere IPOs. Vgl. PSE (2012). “The main reasons for the delay were the poor reputation and inefficiency of the Czech capital market following coupon privatization. The capital market was not a place for raising or investing money, but rather for exchanging large blocks of shares. Until today, not a single primary issue was placed on the PSE.” PSE (1999), S. 24. Vgl. WSE (1994), S. 2. Von der FESE stammen die Zahlen aus den Jahren 2009 und 2010 für Prag, die bei der WFE nicht verfügbar waren. Bei den von der WFE stammenden Daten gibt es kleine Abweichungen zu den Daten, die von den Börsenbetreibern direkt stammen.
138
ENTWICKLUNG UND STRUKTUR DER AKTIENMÄRKTE IN DEN CEE-3
fast vollständig aus einem einzigen IPO im Jahr 2008 zusammen. 488 Die Börse Budapest schneidet dabei selbst im Vergleich zu anderen osteuropäischen Börsen schlecht ab. Mit Ausnahme der Börse Warschau spielen die Aktienmärkte in den genannten Transformationsländern daher eine nur sehr untergeordnete Rolle bei der externen Finanzierung von Unternehmen.
30 25 20
Bereits gelistete Unternehmen
15
IPO
10 5 0 Warschau
Wien
Prag
Ljubljana Bukarest Bratislava
Sofia
Budapest
Abbildung 4.6: Aufnahme von Kapital über die Börse (in Mrd. Euro, 2007-2011) Quelle: FESE, PSE
Die Finanzsysteme in den CEE-3 sind daher überwiegend bankenorientiert. Dafür gibt es zahlreiche Erklärungsansätze. Zum einen waren alle marktwirtschaftlichen Wirtschaftssysteme anfangs bankenorientiert und der Aufbau eines funktionierenden Kapitalmarktes hat erst deutlich später stattgefunden. 489 In Kapitel 5.1 wird aufgezeigt werden, dass grundlegende institutionelle Strukturen, wie eine funktionierende Aufsicht und ein effektiver Investorenschutz, anfangs in den CEE-3 noch nicht vorhanden waren. Dazu kommt, dass die Rechtssysteme in den CEE-3 auf dem deutschen und dem französischen System mit einem relativ zum Investorenschutz starken Gläubigerschutz basieren, was die Entwicklung des Bankensektors gegenüber Kapitalmärkten begünstigte.490 Zudem könnte die geographische Nähe zu den bankenorientierten Systemen in Westeuropa einen Einfluss gehabt haben. 491 Außerdem konnte das Know-how der Kreditvergabe schneller, u.a. durch
488 489 490 491
Vgl. PSE (2012). Vgl. Kapitel 3.2.1. Vgl. Pistor, Raiser und Gelfer (2000), S. 336, La Porta et al. (1998) und Kapitel 3.2.1 und 5.1. Vgl. EBRD (1998), S. 92.
ENTWICKLUNG UND STRUKTUR DER AKTIENMÄRKTE IN DEN CEE-3
139
die Zulassung ausländischer Banken, importiert werden. 492 Insbesondere Ungarn verfolgte frühzeitig eine solche Strategie. Heute dominieren in allen drei Ländern ausländische Banken den Markt: Deren Anteil an den gesamten Vermögenswerten liegt in Tschechien bei 84,7%, in Ungarn bei 81,3% und in Polen bei 72,3%. 493 In Bezug auf die vorliegende Fragestellung kann die Bankenorientierung auch dahingehend interpretiert werden, dass Banken, aufgrund der mangelnden Verfügbarkeit von Informationen über Unternehmen, besser als Kapitalmärkte in der Lage waren diese Asymmetrien zu überwinden und für eine bessere Allokation der Ressourcen zu sorgen. 494 Performance der Aktienmärkte Die Abbildungen 4.7 und 4.8 zeigen die Aktienmarktentwicklungen der Indizes von Ungarn, Tschechien, Polen und Deutschland seit Dezember 1994 aus Sicht eines heimischen Investors in lokaler Währung bzw. eines internationalen Investors in US-Dollar. Aufgrund der Unterschiede in der Konstruktion der gängigen Aktienindizes der jeweiligen Länder495 wurden Indizes von MSCI Barra verwendet, um einen Vergleich von Indizes mit einer einheitlichen Methodik zu garantieren.496 Daten des MSCI Poland stehen bereits ab Dezember 1992 zur Verfügung, wurden aber neu indexiert, um einen Vergleich der Märkte über einen einheitlichen Zeitraum abzubilden. Dies führt allerdings zu einer gewissen Verzerrung der Ergebnisse, da der polnische Aktienindex insbesondere in den ersten beiden Jahren sehr hohe Renditen erzielte.497 Die höchste nominale Rendite hat ein heimischer Investor mit einer Anlage in den ungarischen Aktienmarkt erzielt, gefolgt vom tschechischen und dem polnischen Markt. Die Renditen waren dabei in allen drei Märkten höher als auf dem deutschen Markt. Dabei ist allerdings zu beachten, dass die reale Rendite aufgrund der höheren Inflation in Polen und Ungarn im Vergleich zu Tschechien niedriger aus492 493
494
495
496
497
Vgl. IWF (2009), S. 14 und EBRD (1998), S. 92, 97. Quelle: EBRD. Stand 2009 für Ungarn und Polen, 2008 für Tschechien. Vgl. EBRD (2006) S. 58-67 für einen Überblick zur früheren Entwicklung des Bankensektors in Osteuropa. Allerdings kam es auch in osteuropäischen Transformationsländern zu zahlreichen Bankenkrisen. Vgl. EBRD (1998), S. 101. So handelt es sich beispielsweise bei dem tschechischen PX-Index um einen Preisindex. Der ungarische BUX ist dagegen ein Performance-Index. Vgl. Kapitel 4.2.2. Die Zeitreihe beginnt im Dezember 1994, da ab diesem Zeitpunkt erstmals Daten für Ungarn und Tschechien vorlagen. Es handelt sich bei diesem Index um einen Performanceindex, der Dividendenzahlungen mitberücksichtigt. Dabei werden keine steuerlichen Abzüge berücksichtigt (Gross Dividends). MSCI Barra bietet auch Daten unter Berücksichtigung steuerlicher Abzüge für Dividenden (Net Dividends) an, da diese Daten aber nur für einen kürzeren Zeitraum verfügbar sind, wurden diese vernachlässigt. Vgl. MSCI Barra (2011). Der MSCI Poland hatte sich von einem Indexwert von 100 im Dezember 1992 auf einen Wert von 386 (in USDollar) im Dezember 1994 erhöht. Zwischenzeitlich stand der Index gar bei 1.280 (im Februar 1994). Würde man diese Entwicklung einbeziehen, hätte der polnische Aktienmarkt sowohl in lokaler Währung als auch in US-Dollar die höchste Rendite erzielt.
ENTWICKLUNG UND STRUKTUR DER AKTIENMÄRKTE IN DEN CEE-3
140
fällt.498 Dies wird auch durch die Umrechnung der Renditen in US-Dollar deutlich. 499 Die Rendite des tschechischen Index liegt demnach mit der Rendite des ungarischen gleichauf und deutlich höher als die des polnischen Index, die wiederum gleichauf mit der des deutschen liegt.
10.000
MSCI Hungary 1.000 MSCI Czech Republic MSCI Poland 100 MSCI Germany
10 1994
1998
2002
2006
2010
Abbildung 4.7: Entwicklung der Aktienindizes in lokaler Währung (Dez. 1994=100) Quelle: MSCI Barra
Die Indizes weisen dabei allerdings eine sehr unterschiedliche Entwicklung im Zeitverlauf auf. Während sich der ungarische Index bis März 2000 fast vervierfacht hatte (in US-Dollar), brachte der tschechische Index im gleichen Zeitraum nahezu keine Erträge ein. Gleiches gilt für den polnischen Index, der sich nach den hohen Renditen der ersten beiden Jahre (1992-Februar 1994) in der Folgezeit nur mäßig entwickelte. Die Russlandkrise im August 1998 führte auch in den CEE-3 (insbesondere in Ungarn) zu hohen Kursverlusten, die erst nach einigen Monaten wieder ausgeglichen wurden. Der starke Einbruch in Ungarn kann durch die relative hohe Präsenz internationaler Investoren erklärt werden,500 die in Krisenzeiten häufig ihre Auslandsinvestitionen auflösen. 501 Die Verkündung des EU-Beitritts der CEE-3 im November 2001 löste (insbesondere in Tschechien) einen Kursanstieg aus, obwohl die Aktienkurse in etablierten Märkten in dieser Zeit weiter fie498 499
500 501
Inflationsraten für die CEE-3 finden sich in Anhang 2. Bei Gültigkeit der relativen Kaufkraftparität würde die Wechselkursentwicklung die unterschiedlichen relativen Inflationsraten ausgleichen. Allerdings gibt es auch weitere Einflussfaktoren des Wechselkurses, die eine Abweichung der relativen Kaufkraftparität zur Folge haben können. Vgl. Kapitel 4.2.5. Vgl. Boyer, Kumagai und Yuan (2006).
ENTWICKLUNG UND STRUKTUR DER AKTIENMÄRKTE IN DEN CEE-3
141
len (der MSCI Germany erreichte erst im März 2003 seinen Tiefpunkt). Dieser Kursanstieg ist konsistent mit Kapitalmarkttheorien, die durch eine Öffnung der Märkte ein niedrigeres systematisches Risiko (durch Bepreisung mittels des Weltmarkt-Betas statt des lokalen Betas) und damit einen höheren Preis und niedrigere Kapitalkosten vorhersagen. 502
10.000
MSCI Hungary 1.000 MSCI Czech Republic MSCI Poland 100
10 1994
MSCI Germany
1998
2002
2006
2010
Abbildung 4.8: Entwicklung der Aktienindizes in US-Dollar (Dez. 1994=100) Quelle: MSCI Barra
Aus den Abbildungen wird auch ersichtlich, dass die vier Märkte im Zeitverlauf sehr unterschiedliche Abhängigkeiten aufweisen. Während man in den Anfangsjahren noch stark länderspezifische Entwicklungen beobachten konnte, konvergierte die Entwicklung in den letzten Jahren deutlich. Zur genaueren Überprüfung wurden dazu die Korrelationen zwischen den Monatsrenditen der MSCI-Indizes in zwei unterschiedlichen Zeitperioden untersucht. Tabelle 4.8 zeigt die Korrelationen für die Zeiträume 1994-2001 und 2002-2011 (d.h. nach der Ankündigung des EU-Beitritts) in heimischer Währung bzw. US-Dollar. Die Zahlen bestätigen, dass sich die Korrelationen in den letzten Jahren deutlich erhöht haben, sowohl zwischen den CEE-3 untereinander als auch zwischen den CEE-3 und Deutschland (mit Ausnahme der Korrelation zwischen Deutschland und Ungarn in lokaler Währung). Tendenziell sind die Korrelationen zwischen den Renditen höher, wenn diese in der gleichen Währung berechnet werden (wie in diesem Fall in US502
Dvorak und Podpiera (2006) untersuchen diese Hypothese für osteuropäische EU-Beitrittsländer empirisch und zeigen, dass Kursanstiege auf Unternehmensebene durch die Änderung des jeweiligen Betas erklärt werden können.
142
ENTWICKLUNG UND STRUKTUR DER AKTIENMÄRKTE IN DEN CEE-3
Dollar). Höhere Korrelationen machen Finanzinvestitionen von internationalen Anlegern in diese Länder tendenziell unattraktiver, da dadurch die Diversifikationsvorteile eines international gestreuten Portfolios geringer ausfallen. 503 Dieser auch für andere Länder häufig beobachtbare Anstieg der Korrelationen wird in der Literatur mit einer höheren internationalen Integration der Schwellenländer, sowohl im Güterhandel als auch in Bezug auf Finanzmärkte, in Verbindung gebracht. Durch diese Integration hat sich die Abhängigkeit der Länder von den gleichen Risikofaktoren erhöht, was zu einem Anstieg der Korrelationen der Renditen geführt hat.504 Periode 1994-2001
Land PL
CZ
Periode HU
DE
2002-2011
Land PL
CZ
HU
DE
in lokaler Währung PL
1,00
CZ
0,52
1,00
HU
0,67
0,60
1,00
DE
0,46
0,43
0,59
1,00
PL
1,00
CZ
0,72
1,00
HU
0,77
0,75
1,00
DE
0,65
0,50
0,59
1,00
in US-Dollar PL
1,00
CZ
0,58
1,00
HU
0,69
0,62
1,00
DE
0,49
0,41
0,56
1,00
PL
1,00
CZ
0,78
1,00
HU
0,84
0,82
1,00
DE
0,74
0,65
0,69
1,00
Tabelle 4.8: Korrelationen der Monatsrenditen der MSCI-Indizes in lokaler Währung und USDollar Quelle: MSCI Barra
Da die Diversifikationseigenschaften für Anleger insbesondere in schlechten Marktphasen von Bedeutung sind, werden in Abbildung 4.9 die Verläufe der Aktienindizes während und im Anschluss an die Finanzkrise (2007-2009) noch einmal gesondert dargestellt. Im Gegensatz zu der Entwicklung in den Jahren 2000-2003 zeigt sich, dass die Kurse im Verlauf der Finanzkrise in Polen und Ungarn stärker fielen als in Deutschland. Der starke Kursrückgang wird meist auf die verheerenden Auswirkungen der Finanzkrise auf osteuropäische Länder durch die hohe Abhängigkeit von Krediten westeuropäischer Banken und den daraus folgenden makroökonomischen Problemen zurückgeführt. 505 Der Rückgang fiel dabei in Ungarn 503 504 505
Vgl. Longin und Solnik (1995). Vgl. Solnik und McLeavey (2009), S. 385-425. Vgl. IWF (2009), S. 10-16.
ENTWICKLUNG UND STRUKTUR DER AKTIENMÄRKTE IN DEN CEE-3
143
am stärksten und in Tschechien am schwächsten aus. Zwei Jahre nach Erreichen des Tiefpunktes der Kurse im März 2009 befanden sich die Indexstände wieder auf sehr ähnlichem Niveau zueinander, allerdings noch immer unter den Höchstständen vor der Krise.
125
MSCI Czech Republic
100
MSCI Hungary
75
MSCI Poland 50 MSCI Germany 25
0 Okt. 07
Jun. 08
Feb. 09
Okt. 09
Jun. 10
Feb. 11
Abbildung 4.9: Entwicklung der Aktienindizes in heimischer Währung (Okt. 2007=100) Quelle: MSCI Barra
4.2 Struktur und institutionelles Umfeld der Aktienmärkte 4.2.1 Börsensegmente Mit der Umsetzung der EU-Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente (2004/39/EG) wurde auch in den CEE-3 die Unterscheidung zwischen einem geregelten Markt und (börsenregulierten) multilateralen Handelssystemen (MTF) eingeführt. Dabei haben Börsenbetreiber die Möglichkeit den geregelten Markt weiter zu segmentieren und für einzelne Bereiche strengere Vorschriften zu erlassen. Die Unternehmen stehen dabei vor der Wahl, sich entweder für ein streng reguliertes Marktsegment zu entscheiden, das mit hohen Kosten verbunden ist, dem insbesondere internationale Investoren aber eine hohe Qualität in Form von Sicherheit und Liquidität zuschreiben, oder ein weniger streng reguliertes Segment zu wählen, das aber von einigen Investoren als zu riskant oder intransparent eingestuft wird.
144
ENTWICKLUNG UND STRUKTUR DER AKTIENMÄRKTE IN DEN CEE-3
Tabelle 4.9 zeigt die heute geltende Einteilung der drei Börsen mit der jeweiligen weiteren Segmentierung innerhalb des regulierten Marktes in Bereiche mit unterschiedlichen (Transparenz-) Anforderungen. Im Folgenden sollen die einzelnen Segmente näher beschrieben werden. Die damit verbundenen Implikationen für die Publikationspflichten werden in Kapitel 5.1.3 erläutert.
Börse Warschau Prag Budapest
Regulierter Markt Premium Segment
Standard Segment
Börsenregulierter Markt
Main List
Parallel Market
New Connect
Main Market
Free Market
MTF Market
Category A
Category B
Free Market
Tabelle 4.9: Börsensegmentierung in den CEE-3 Quelle: PSE, WSE, BSE
Der regulierte Markt an der Börse Warschau teilt sich in die seit 1991 bestehende Main List und den seit 1993 bestehenden Parallel Market. 506 Der Parallel Market spielt heute nur noch eine untergeordnete Rolle (Anhang 5 zeigt die Entwicklung der Anzahl gelisteter Unternehmen nach Börsensegment und Herkunft). Von den 420 Aktien des regulierten Marktes sind 363 im Main Market und nur 57 im Parallel Market gelistet. Die Marktkapitalisierung der Unternehmen des Parallel Market macht dabei (im Juli 2011) weniger als 1% der Kapitalisierung des Gesamtmarktes aus.507 Die hier nicht in der Statistik beinhalteten ausländischen Unternehmen kamen auf eine Marktkapitalisierung von 67 Milliarden Euro. Die seit dem 30. August 2007 bestehende börsenregulierte Handelsplattform New Connect richtet sich an kleine und mittlere Wachstumsunternehmen. Dabei gelten im Vergleich zum regulierten Markt geringere Listinganforderungen. Des Weiteren gibt es seit April 2007 eine Segmentierung in Abhängigkeit der Größe der Unternehmen. Die Segmente 5PLUS, 50PLUS, und 250PLUS beziehen sich auf Unternehmen mit einer Kapitalisierung unter 50, zwischen 50 und 250 bzw. über 250 Millionen Euro. Auf der Main List können neben Aktien auch Anleihen, Zertifikate, strukturierte Produkte, ETFs, Bezugsrechte und Derivate gelistet werden. Außerdem gibt es an der Börse in Warschau einen auf Anleihen (Catalyst) und auf Energie (Poee) spezialisierten Markt. Der regulierte Markt der Börse Prag unterteilt sich heute in den Main Market und den Free Market. 508 Der Free Market hat zwar mit 12 Aktien nur 3 Aktien weniger 506 507 508
Die folgenden Informationen stammen von der Homepage der Börse Warschau. Quelle: WSE. Die folgenden Informationen stammen von der Homepage der Börse Prag.
ENTWICKLUNG UND STRUKTUR DER AKTIENMÄRKTE IN DEN CEE-3
145
als der Main Market, die Kapitalisierung des Free Market macht aber ebenfalls weniger als 1% des Gesamtmarktes aus. 509 Des Weiteren gibt es noch einen börsenregulierten Markt (MTF Markt). Zwischen 1995 und 2006 existierte zudem der Secondary Market, der aber 2007 mit dem Main Market zusammengelegt wurde. 510 Der Secondary Market unterschied sich dabei nicht in Bezug auf die Anforderungen für die Zulassung und die Informationspflichten, sondern lediglich in der erforderlichen Liquidität. Ein durchschnittlicher täglicher Handelswert von 1 Million CZK war für die Zulassung zum Main Market erforderlich. 511 Diese Bedingung erfüllten für viele Jahre nur sehr wenige Unternehmen (Anhang 6 zeigt die Entwicklung der einzelnen Börsensegmente im Zeitverlauf). Anfang 1998 wurden 35 Unternehmen vom Main in den Secondary Market überführt, da sie zu illiquide waren.512 Zwischen 2000 und 2003 gab es lediglich 5 Aktien in diesem Segment. Im Jahr 1999 versuchte die Börse Prag mit dem sogenannten New Market ein Segment innerhalb des Secondary Markets für kleine wachstumsstarke Unternehmen zu etablieren, mit der Hoffnung, dass die Börse auch zur Kapitalaufnahme und nicht nur als Sekundärmarkt genutzt würde. 513 Dieses Segment wurde aber aufgrund des ausbleibenden Erfolges wieder geschlossen. Neben Aktien werden an der Börse in Prag auch Anleihen, Zertifikate und Derivate gehandelt. Darüber hinaus findet in Tschechien außer an der Börse Prag noch ein Handel über das RM-System statt, bei dem es sich ebenfalls um einen regulierten Markt handelt (s. Kapitel 5.1 für eine Erläuterung der Rolle des RM-Systems). An der Börse in Budapest gibt es insgesamt vier unterschiedliche Märkte für Equity, Debt, Derivate und Rohstoffe sowie einen unregulierten Markt. 514 Auf dem Equity Markt können neben Aktien auch Fondsanteile, ETFs, Zertifikate und Compensation Notes gehandelt werden. Der Aktienhandel wird dabei in die beiden Segmente Category A und Category B unterteilt, wobei ersteres strengere Listinganforderungen beinhaltet und letzteres sich eher an kleine und mittlere Unternehmen richtet. Bis zum Jahr 2000 gab es zudem mit der Category C ein weiteres Segment, das ebenfalls für kleine und mittlere Unternehmen gedacht war und noch geringere Anforderungen nach sich zog. Während die Anzahl der Aktien in Category A in den letzten Jahren relativ konstant war (Anhang 7 zeigt die Entwicklung der einzelnen Börsensegmente im Zeitverlauf), lässt sich der leichte Anstieg seit 2008 auf neue Listings im Category B Segment zurückführen. Im Juli 2011 waren 18 Unternehmen in Category A und 37 in Category B gelistet. Die Kapitalisierung 509 510
511 512 513 514
Quelle: PSE. Am 1. September 1995 wurde der Listed Market in den Main und den Secondary Market unterteilt. Der Free Market hieß zuvor Unlisted Market. Vgl. PSE (1999), S. 3. Vgl. PSE (2000), S. 21. Vgl. PSE (1999), S. 3. Vgl. PSE (1999), S. 16, 26. Die folgenden Informationen stammen von der Homepage der Börse Budapest.
146
ENTWICKLUNG UND STRUKTUR DER AKTIENMÄRKTE IN DEN CEE-3
der Aktien in Category B machte dabei über 6% der Gesamtmarktkapitalisierung aus. Zusammen mit der Börse Wien hatte die Börse Frankfurt im November 2000 einen Versuch unternommen ein spezielles Börsensegment (die New Europe Exchange, kurz: NEWEX) innerhalb des Freiverkehrs für mittel- und osteuropäische Aktien und Hinterlegungsscheine zu etablieren. Aufgrund des mangelnden Erfolgs wurde das Segment aber bereits Mitte 2002 wieder eingestellt. 4.2.2 Marktindizes und Unternehmenscharakteristika Bei vielen Informationseffizienztests werden die Renditen der Indizes der jeweiligen Märkte verwendet. Da diese Indizes aber speziell in Schwellenländern häufig einige wichtige länderspezifische Charakteristika aufweisen, die sich auf die Interpretation der Informationseffizienztests auswirken können, wird im Folgenden ein Überblick über die Indizes in den CEE-3 gegeben. Neben der Zusammensetzung können auch aus der Anzahl der abgebildeten Aktien und dem Konzentrationsgrad Implikationen für die empirischen Tests abgeleitet werden. Während es für den polnischen Aktienmarkt aufgrund seiner Größe mittlerweile eine Vielzahl von Sub- und Sektor-Indizes gibt, hatten die anderen Börsen aufgrund der geringen Anzahl gelisteter Unternehmen zwischenzeitlich Probleme einen konsistenten Index mit einer ausreichenden Zahl an beinhaltenden Aktien zu konstruieren. 515 Dies führte dazu, dass die Anzahl der im Index enthaltenen Unternehmen im Laufe der Zeit verringert wurde oder ausländische Aktien mit einem Zweitlisting ein relativ starkes Gewicht erhielten. Tabelle 4.10 gibt eine Übersicht über die Eigenschaften der wichtigsten Indizes in den CEE-3. 516
515
516
Auch für den tschechischen Markt gab es früher Sektorindizes. Am 6. April 1995 wurde mit der Berechnung von 19 Sektorindizes begonnen. Aufgrund des Rückzugs vieler Unternehmen vom Aktienmarkt wurde die Berechnung aber später eingestellt. Vgl. PSE (1999), S. 3. In Bezug auf die Tabelle kann die tatsächliche Gewichtung aufgrund diverser Anpassungen von der hier genannten Maßgabe abweichen. Die maximale Gewichtung wird meist am Tag der Indexanpassung berücksichtigt. Dies bedeutet, dass die maximale Gewichtung einer Aktie in der Zwischenzeit in Abhängigkeit der Preisentwicklung auch über diese Grenze hinausgehen kann.
1.000
Preisindex
Laspeyeres
14 (grundsätzlich variabel)
CZK
Vierteljährlich
Marktkapitalisierung (adjustiert)
20%
Größte Unternehmen
Basiswert
Indexart
Indexberechnung
Anzahl der Aktien
Währung
Anapssung
Gewichtung nach
Max. Gewichtung (am Stichtag)
Abdeckung
Gesamter Markt
20%
Marktkapitalisierung (adjustiert)
Vierteljährlich
CZK
27 (grundsätzlich variabel)
Laspeyeres
Preisindex
1.000
PX-Glob 30. Sept. 1994
Quelle: FESE, BSE, PSE, WSE (Stand: Juli 2011)
Tabelle 4.10: Eigenschaften der Indizes in den CEE-3
PX 5. April 1994
Basis
Prag
Größte Unternehmen
Keine (aber Degression der Gewichtung großer Aktien)
Free-float
Halbjährlich
HUF
13 (maximal 25)
Laspeyeres
Performance
1.000
BUX 2. Jan. 1991
Mittlere und kleine Unternehmen
Keine (aber Degression der Gewichtung großer Aktien)
Free-float
Halbjährlich
HUF
17 (maximal 25)
Laspeyeres
Performance
1.000
BUMIX 5. Jan. 2004
Budapest
Größte Unternehmen
15%
Free-float
Vierteljährlich
PLN
20
Laspeyeres
Preisindex
1.000
WIG20 16. April 1994
Unternehmen mit Free float > 10% und Kapitalisierung > 1 Mio. EUR
10%
Free-float
Vierteljährlich
PLN
361
Laspeyeres
Performance
1.000
WIG 16. April 1991
Warschau
ENTWICKLUNG UND STRUKTUR DER AKTIENMÄRKTE IN DEN CEE-3 147
148
ENTWICKLUNG UND STRUKTUR DER AKTIENMÄRKTE IN DEN CEE-3
In Polen haben der WIG-20 Index mit den 20 größten Unternehmen und der fast alle Aktien der Börse Warschau umfassende WIG-Index die größte Bedeutung.517 Analog zum deutschen M-DAX und S-DAX gibt es zudem den mWIG (früher MIDWIG), der 40 mittelgroße Unternehmen abdeckt und den sWIG (früher: WIRR), der 80 kleine Unternehmen abdeckt. Aufgrund der gestiegenen Zahl ausländischer Unternehmen an der Börse Warschau gibt es mittlerweile mit dem WIG-PL auch einen Index, der nur polnische Unternehmen berücksichtigt.518 Zudem existiert auch eine Vielzahl von Sektor-Indizes, die die wichtigsten Aktien einzelner Branchen enthalten. 519 Mit dem WIG20short (der eine Short-Strategie auf den WIG20 abbildet) und dem WIG20lev (der eine Leverage-Strategie abbildet) gibt es auch zwei Indizes, die für den wachsenden Derivatemarkt eine Rolle spielen. Weitere Indizes sind der WIG Div, der die 30 Unternehmen mit den höchsten Dividendenzahlungen beinhaltet, der NC-Index für Aktien des neuen New Connect Börsensegments sowie der Respect Index für Unternehmen, die sich durch besonders gute Corporate Governance und Corporate Social Responsibility auszeichnen. 520 Der mittlerweile 14 Aktien umfassende tschechische PX-Index wird seit dem 20. März 2006 berechnet und hat dabei die alten Werte des Vorgänger-Index PX50 übernommen, der ursprünglich 50 Werte enthielt. 521 Seit Dezember 2001 wurde die Zahl der Aktien aufgrund des allgemeinen Rückgangs der Listings an der Prager Börse variabel gehalten. So sank insbesondere im Jahr 2002 die Zahl der Aktien im PX50-Index auf 37 und im Jahr 2003 auf 18.522 Des Weiteren gibt es für den tschechischen Markt lediglich noch den alle 27 Aktien umfassenden PX-Glob Index. Für den Budapester Markt gibt es drei relevante Aktienindizes.523 Der bekannteste ist der BUX-Index, der aktuell die 13 größten Unternehmen abbildet. Im Jahr 1996 bestand der Index noch aus der maximal zulässigen Anzahl von 25 Unternehmen. Diese Zahl fiel in den folgenden Jahren (u.a. aufgrund der Einführung strengerer Anforderungen) allerdings kontinuierlich. Im Jahr 2000 waren noch 20 Werte Bestandteil des Index, im Jahr 2002 nur noch 13. Mit dem BUMIX gibt es zwar auch
517 518
519
520
521 522 523
Die folgenden Informationen stammen von der Homepage der Börse Warschau. Mit dem WIG-Ukraine gibt es zudem einen Index, der Aktien von Unternehmen enthält, die ihren Sitz in der Ukraine haben oder dessen Geschäftstätigkeit hauptsächlich auf die Ukraine konzentriert ist. Dieser enthielt im Juli 2011 neun Aktien. Diese Indizes gibt es für folgende Sektoren: Bank, Construction, Chemical, Developers, Energy, IT, Media, Oil & Gas, Basic Materials und Telecom. Zwischen 1999 und 2007 gab es zudem den TechWIG Index für innovative Technologieunternehmen, der aber nach Einführung des New Connect Segmentes eingestellt wurde. Die folgenden Informationen stammen von der Homepage der Börse Prag. Vgl. PSE (2002), S. 17. Die folgenden Informationen stammen von der Homepage der Börse Budapest.
ENTWICKLUNG UND STRUKTUR DER AKTIENMÄRKTE IN DEN CEE-3
149
einen Index für kleine und mittlere Unternehmen, dieser enthält jedoch auch einige Aktien, die bereits Bestandteil des BUX sind. Der von der Börse Budapest und der Association of Hungarian Investment Fund and Asset Management Companies (BAMOSZ) herausgegebene RAX-Index dient als Benchmark-Index für ungarische Investmentfonds. 524 Zudem gibt die Börse Budapest mit dem CETOP20 einen Index für Zentraleuropa heraus, der die 20 Unternehmen mit dem höchsten Marktwert und Turnover der Börsen Budapest, Warschau, Prag, Bratislava, Ljubljana und Zagreb enthält. Die Tabelle 4.11 zeigt die Zusammensetzung der Blue-Chip-Indizes der CEE-3 für Aktien mit einer Gewichtung von mehr als 2% des Index (die vollständige Liste findet sich in Anhang 8, Anhang 9 und Anhang 10). Bei der Betrachtung der Zeitpunkte der jeweiligen Listings in den drei Ländern fällt auf, dass einige der großen Unternehmen in Polen erst in den letzten Jahren an der Börse gelistet wurden. Dies lässt sich teilweise auf die relativ späte Privatisierung einiger großer Staatsunternehmen in Polen zurückführen, zeigt aber auch, dass die Börse Warschau auch in den letzten Jahren als attraktiver Weg zur Privatisierung erachtet wurde. Alle Unternehmen mit einem großen Anteil an den Aktienindizes in Ungarn und Tschechien wurden dagegen bereits in den 1990ern an der Börse gelistet. Einzige Ausnahme ist dabei das IPO des Unternehmens New World Resources im Jahr 2008, das größte in der Geschichte der Börse Prag.525 Allerdings handelt es sich dabei um keine Erstnotierung. Gleiches gilt für die beiden Aktien der österreichischen Erste Group und der Vienna Insurance Group.526
524
525 526
Der Index berücksichtigt dabei die gesetzlichen Restriktionen, denen Investmentfonds unterliegen, und soll unter anderem durch eine feste Gewichtung der Aktien einfach nachzubilden sein. Vgl. PSE (2012). Vgl. Kapitel 4.2.6.
150
ENTWICKLUNG UND STRUKTUR DER AKTIENMÄRKTE IN DEN CEE-3
Anteil am Index
Marktkapitalisierung (Mio. Euro)
An der Börse seit
Unternehmen
Branche
KGHM
Rohstoffe
15,0%
9.263
Juli 1997
PKO Bank
Bank
14,0%
12.374
Nov. 2004
PZU Group
Versicherung
12,1%
7.847
Mai 2010
Pekao
Bank
10,0%
10.337
Juni 1998
PKN Orlen
Öl & Gas
8,5%
4.927
Nov. 1999
PGE
Energie
7,8%
10.657
Nov. 2009
Telekomunikacja
Telekommunikation
5,9%
5.488
Nov.1998
PGNIG
Öl & Gas
4,0%
6.082
Sept. 2005
Tauron
Energie
3,8%
2.710
Juni 2010
BRE Bank
Bank
2,3%
3.213
Okt. 1992
Getin Holding
Bank
2,2%
2.121
Mai 2001
Bogdanka
Rohstoffe
2,0%
947
Juni 2009
Asseco
IT
2,0%
917
Juni 1998 März 1994
WIG-20 (Polen)
PX (Tschechien) Komercni Bank
Bank
20,8%
6.278
Erste Group
Bank
20,0%
12.437
Okt. 2002
CEZ
Elektrizität
18,9%
18.541
Nov. 1993
Telefonica O2 C.R.
Telekommunikation
18,3%
5.537
März 1995
New World Resources
Rohstoffe
8,4%
2.568
Mai 2008
Unipetrol
Öl/Chemie
4,3%
1.285
Sept. 1997
Philip Morris CR Vienna Insurance Group CETV
Tabak
2,6%
776
Nov. 1993
Versicherung
2,5%
4.555
Feb. 2008
2,3%
687
Juni 2005
Medien
BUX (Ungarn) OTP Bank
Bank
29,9%
5.419
Aug. 1995
MOL
Öl & Gas
29,1%
7.818
Nov. 1995
Gedeon Richter
Pharmazie
19,1%
2.551
Nov. 1994
Magyar Telekom
Telekommunikation
13,4%
2.060
Nov. 1997
Egis
Pharmazie
3,4%
536
Juli 1994
Tabelle 4.11: Zusammensetzung des WIG-20, PX und BUX Quelle: WSE, PSE, BSE (Stand: Juli 2011)
Zur Bewertung der Konzentration der Indizes wurden unterschiedliche Maße berechnet, die in Tabelle 4.12 aufgeführt sind. Zur besseren Einordnung wurden die
ENTWICKLUNG UND STRUKTUR DER AKTIENMÄRKTE IN DEN CEE-3
151
Werte auch für den DAX berechnet. Für die Interpretation der Informationseffizienztests von Aktienindizes am wichtigsten sind die Anteile der größten Aktien am gesamten Index. Wenn sich der Index zu einem Großteil aus einigen wenigen Aktien zusammensetzt, ist die Effizienz des Index stark von der Effizienz dieser wenigen Aktien abhängig. Der Herfindahl-Index und der normalisierte HerfindahlIndex wurden ebenfalls berechnet, dienen aber nur bedingt zur Beurteilung der Eignung der Indizes für Informationseffizienztests, da sich diese nur bedingt für einen Vergleich von Indizes mit einer unterschiedlichen Anzahl an Aktien eignen. 527
Index
Herfindahl-Index
Normalisierter Herfindahl-Index
59,6%
8,9%
4,2%
86,4%
16,3%
9,9%
78,1%
94,9%
23,0%
16,6%
26,8%
40,9%
5,5%
2,2%
Anteil der Top 3
Anteil der Top 5
WIG-20
41,1%
PX
59,7%
BUX DAX
Tabelle 4.12: Konzentrationsmaße der Indizes der CEE-3 und des DAX
Der polnische WIG-20-Index ist der ausgeglichenste der drei Indizes. Der Anteil der 5 größten Aktien ist mit knapp 60% deutlich niedriger als bei den anderen beiden Indizes. Allerdings ist dieser Anteil noch deutlich größer als beim DAX. An der Börse Warschau gibt es alleine 7 Unternehmen mit einer Marktkapitalisierung von über 5 Milliarden Euro. Der Anteil des tschechischen Unternehmens CEZ am polnischen Index ist trotz der hohen Marktkapitalisierung durch eine spezielle Anpassung für ausländische Unternehmen mit 1,6% relativ klein.528 Der tschechische PX-Index ist dagegen sehr stark durch die 4 größten Unternehmen geprägt. Das Energieunternehmen CEZ, die österreichische Erste Group, die Komercni Bank und die tschechische Tochtergesellschaft der Telefonica bilden jeweils ca. ein Fünftel des Gesamtindex. Im Gegensatz zur Methodik des polnischen Index erhält
N
527
Der Herfindahl-Index wird berechnet als die Summe der quadrierten relativen Anteile r: H =
∑r
2 i
. Der Index
i =1
528
nimmt dabei einen Wert zwischen 1/N und 1 an, wobei ein Wert von 1/N der niedrigsten und ein Wert von 1 der höchsten Konzentration entsprechen. Der normalisierte Herfindahl-Index wird folgendermaßen berechnet: 1 H− * N . Er nimmt Werte zwischen 0 und 1 an. Vgl. Kohn (2005) S. 93-97. H = 1 1− N Bei ausländischen Firmen wird zur Berechnung des Indexgewichts der Turnover an der Börse Warschau ins Verhältnis zum Turnover an der ausländischen Börse (in diesem Fall der Börse Prag) gesetzt.
152
ENTWICKLUNG UND STRUKTUR DER AKTIENMÄRKTE IN DEN CEE-3
dabei die Erste Group auch als ausländisches Unternehmen, das lediglich eine Zweitnotierung in Prag besitzt, ein relativ hohes Gewicht im Index. Noch ausgeprägter ist die Konzentration beim ungarischen BUX-Index, bei dem bereits die drei größten Unternehmen, die OTP Bank, der Mineralölkonzern MOL und das Pharmazieunternehmen Richter Gedeon 78% des Gesamtindex ausmachen. Dies lässt sich darauf zurückführen, dass zwar eine Degression der Gewichtung großer Aktien für den ungarischen Index vorgenommen wird, jedoch im Gegensatz zu den beiden anderen Indizes keine formale Höchstgrenze besteht. 529 Beim Herfindahl-Index zeigt sich ein ähnliches Bild. Der WIG-20-Index weist auch hier die niedrigste, der BUX die höchste Konzentration auf. In Tabelle 4.13 findet sich zusätzlich eine Übersicht über die Konzentration der Indizes auf die Sektoren Dienstleistungen, Industrie und Finanzwirtschaft.530 Relativ zur volkswirtschaftlichen Bedeutung haben Unternehmen aus der Finanzwirtschaft insgesamt einen hohen Anteil, dies zeigt sich aber auch häufig bei Indizes entwickelter Kapitalmärkte. Auffällig ist dabei der große Unterschied in der Bedeutung von Industrieunternehmen zwischen dem tschechischen und dem ungarischen Index. Während der Anteil von Industrieunternehmen in Tschechien sehr niedrig und der Anteil der Dienstleistungsunternehmen entsprechend höher ist, zeigt sich in Ungarn ein umgekehrtes Bild. 531 Index
Dienstleistungen
Industrie
Finanzwirtschaft
WIG-20
22,5%
33,6%
43,7%
PX
40,6%
15,9%
43,7%
BUX
14,7%
52,0%
33,2%
Tabelle 4.13: Sektorzusammensetzung der Indizes der CEE-3
Die Sektorabhängigkeit der Indizes sollte sich allerdings nicht auf die Einordnung der Effizienztests auswirken, da das Konzept der Informationseffizienz branchenunabhängig ist. Zwar ist es möglich, dass die Interpretation kursrelevanter Informationen in einem Sektor schwieriger als in einem anderen ist und Marktakteure daher die Informationen von Unternehmen aus einer bestimmten Branche mit einer höheren Wahrscheinlichkeit falsch bewerten. Dies bedeutet allerdings nicht, 529 530
531
Vgl. Tabelle 4.10. Die Einteilung in die Sektoren Dienstleistungen, Industrie und Finanzwirtschaft orientiert sich an der Einteilung, die für den polnischen Markt von der Börse Warschau vorgenommen wurde. Für die anderen drei Märkte wurde eine entsprechende Einordnung vorgenommen (s. Anhang 11). Allerdings lässt sich ein Teil der hohen Dienstleistungsquote durch die Einordnung des größten Unternehmens CEZ als Dienstleistungsunternehmen durch die Börse Warschau erklären. Aufgrund der Geschäftstätigkeit als Energieunternehmen wäre auch eine Einordung als Industrieunternehmen möglich gewesen.
ENTWICKLUNG UND STRUKTUR DER AKTIENMÄRKTE IN DEN CEE-3
153
dass Marktakteure solche Informationen in Abhängigkeit der Branche systematisch falsch (d.h. immer zu positiv oder immer zu negativ) einschätzen sollten.532 Es kann zusammengefasst werden, dass Effizienztests mittels Indizes der CEE-3 stark von der Effizienz relativ weniger Aktien beeinflusst werden, allerdings in unterschiedlichem Ausmaß, was zu einer Verzerrung bei der Interpretation der Tests führen kann. Während der ungarische und der tschechische Markt schon bei schwacher Informationseffizienz sehr weniger Aktien als effizient gelten würden, ist dies beim polnischen Markt nicht zwingend der Fall. Für die empirischen Tests in Kapitel 5 werden der WIG-20, der PX und der BUX verwendet. Die Erkenntnisse über die hohe Konzentration werden bei der Einordnung der Ergebnisse berücksichtigt. 4.2.3 Liquidität und Transaktionskosten In Kapitel 2.4.3 wurde bereits erläutert, dass gewisse Friktionen in der Marktmikrostruktur, wie z.B. eine mangelnde Liquidität, Auswirkungen auf die Interpretationen der Effizienztests haben können. Daher soll in diesem Abschnitt ein Überblick über die Entwicklung der Liquidität und der Transaktionskosten an den drei Börsen im Zeitverlauf gegeben werden. Transaktionskosten auf Aktienmärkten werden häufig in explizite und implizite Kosten unterteilt. Zu ersteren gehören Maklerprovisionen, Marktgebühren, Abwicklungskosten (Clearing und Settlement) und steuerliche Abgaben. Zu den impliziten Kosten gehören der Bid-Ask Spread, Market Impact-Kosten und Opportunitätskosten. Liquidität auf Kapitalmärkten hat vier Dimensionen: Die Markttiefe steht für die Anzahl der Aktien, die zu einem gegebenen Bid-Ask Spread absorbiert werden können. Die Marktbreite bezieht sich auf die Höhe des Bid-Ask Spreads für eine bestimmte Ordergröße. Die Unmittelbarkeit gibt die benötigte Zeit an, die für die Ausführung einer bestimmten Order benötigt wird. Die Erneuerungskraft des Marktes (Resiliency) bezieht sich auf die Zeit bis zur Rückkehr zum vorherigen Preisniveau, nachdem durch eine große Order ein Ungleichgewicht ausgelöst wurde. 533 Zur empirischen Messung der Liquidität eines Aktienmarktes gibt es grundsätzlich drei Ansätze.534 Beim ersten werden die Kosten, wie z.B. der Bid-Ask Spread, direkt gemessen. Nachteil dieser Methode ist, dass mit den Gebühren teilweise weitere Serviceleistungen verbunden sind, unterschiedliche Gebührenstrukturen für private und institutionelle Anleger gelten, der Bid-Ask Spread und der Market532
533 534
Denkbar wäre allerdings, dass das Informationsumfeld in einer bestimmten Branche signifikant besser als in einer anderen ist. Da das Informationsumfeld aber stark von den Transparenzanforderungen und den anderen in dieser Arbeit analysierten Aspekten beeinflusst wird, soll auf eine Analyse der Effizienzunterschiede in Abhängigkeit der Branchen verzichtet werden. Vgl. D’Hondt und Giraud (2008), S. 13-25. Vgl. Lesmond (2005).
154
ENTWICKLUNG UND STRUKTUR DER AKTIENMÄRKTE IN DEN CEE-3
Impact stark von der jeweiligen Marktphase abhängen und (für Transformationsländer) kaum konsistente Daten über einen längeren Zeitraum vorliegen. Der zweite Ansatz basiert auf dem gehandelten Volumen der Aktien. Neben der sehr häufig genutzten Umschlagshäufigkeit (dem Wert aller gehandelten Aktien in einem Jahr im Verhältnis zur durchschnittlichen Marktkapitalisierung), definiert Amihud (2002) ein weiteres Liquiditätsmaß als das Verhältnis von absoluter Tages-Rendite zum Wert des Handelsvolumens. Der Nachteil dieses Ansatzes besteht darin, dass Transaktionskosten dabei nicht direkt gemessen werden, sondern lediglich Schlussfolgerungen aus dem Zusammenhang mit dem Volumen gezogen werden können. Beim dritten Ansatz wird auf Basis der Renditen auf die Liquidität und die Transaktionskosten geschlossen. Roll (1984) schlägt vor, den Bid-Ask Spread mit Hilfe der durch ihn verursachten negativen Autokorrelationen der Renditen zu messen.535 Lesmond, Ogden und Trzcinka (1999) nutzen die Anzahl der Null-Renditen als Maß, da informierte Händler erst dann handeln werden, wenn der Wert ihrer Informationen den der akkumulierten Handelskosten übersteigt. Allerdings tritt auch hier das Problem auf, dass dazu Daten zu einzelnen Aktien über einen sehr langen Zeitraum zur Verfügung stehen müssen. Dies ist in Transformationsländern häufig für nur sehr wenige Aktien der Fall. Zudem könnte dabei ein Survivorship bias auftreten, da illiquide und ineffiziente Aktien eher aus dem Markt ausscheiden und daher das Ergebnis verzerren. Eine umfassende Studie zur Höhe und den Einflussfaktoren der Transaktionskosten in einem breiten Ländervergleich mittels Daten eines privaten Beratungsunternehmens stammt von Domowitz, Glen und Madhavan (2001). Die Autoren zeigen dabei, dass länderübergreifend ca. zwei Drittel der Gesamtkosten explizite Kosten sind und die Gesamtkosten in Schwellenländern deutlich höher liegen als in entwickelten Märkten. Die Gesamtkosten korrelieren dabei positiv mit der Volatilität und negativ mit der Marktkapitalisierung und dem Turnover. Auf Basis des empirisch belegten Zusammenhanges zwischen dem Handelsvolumen und den Transaktionskosten und in Anbetracht der methodischen Probleme in Transformationsländern bei der Berechnung von Liquiditätsmaßen für einzelne Aktien wird im Folgenden die Umschlagshäufigkeit für den gesamten Markt als Maß zur Beurteilung der Liquidität der Börsen verwendet.536 Diese ist in Abbildung 4.10 für die CEE-3 und Deutschland dargestellt.
535 536
Vgl. die Ausführungen zum Bid-Ask Spread in Kapitel 2.4.3. In Kapitel 6 werden zudem die Handelsvolumen für einzelne Aktien als Maß für deren Liquidität verwendet.
ENTWICKLUNG UND STRUKTUR DER AKTIENMÄRKTE IN DEN CEE-3
155
200
150 Deutschland Ungarn
100
Polen Tschechien 50
0 1992
1994
1996
1998
2000
2002
2004
2006
2008
2010
Abbildung 4.10: Umschlagshäufigkeit in den CEE-3 und Deutschland Quelle: S&P Global Stock Markets Factbook
Die Verläufe der Umschlagshäufigkeiten weisen stark länderspezifische Muster auf. In Polen fand in den ersten Jahren nach der Börseneröffnung ein sehr reger Handel statt. Mit dem Einbruch der Aktienmärkte im Laufe des Jahres 1994 und der anschließenden mäßigen Performance ging auch die Umschlagshäufigkeit in Polen auf einen sehr niedrigen Wert zurück. 537 Erst nach der Ankündigung des EU-Beitritts im Jahr 2001 stieg dieser Wert wieder langsam an, lag aber auch im Jahr 2011 noch deutlich unter vergleichbaren Werten von entwickelten Kapitalmärkten. Die Umschlagshäufigkeit in Tschechien lag in Folge des umfangreichen Coupon-Programms anfangs auf einem niedrigen Niveau, das sich auch bis 2003 nicht erhöhte.538 In Folge des EU-Beitritts stieg der Wert vorübergehend stark an, fiel dann aber wieder und lag im Jahr 2011 auf dem niedrigsten Niveau der CEE-3 Länder. Die Umschlagshäufigkeit in Ungarn befand sich anfangs ebenfalls auf einem sehr niedrigen Niveau, stieg aber in Folge der verstärkten Nutzung der Börse zur Privatisierung von großen Unternehmen bereits 1998 auf einen Wert über 100%. Trotz des Rückgangs in den folgenden Jahren lag der Wert im Jahr 2010 auf einem ähnlichen Niveau wie in Deutschland. Ein Anstieg der Informationseffizienz in den CEE-3 im Verlauf der 1990er Jahre könnte daher, mit Ausnahme Ungarns, nicht auf einen Anstieg der Liquidität zurückgeführt werden. 539
537 538 539
Vgl. Kapitel 4.1.2 zur Performance der Aktienmärkte. Daten zu Tschechien standen erst ab dem Jahr 1995 zur Verfügung. Vgl. Kapitel 5.6.
156
ENTWICKLUNG UND STRUKTUR DER AKTIENMÄRKTE IN DEN CEE-3
Im Vergleich zu anderen osteuropäischen EU-Beitrittsländern sind die Umschlagshäufigkeiten in den CEE-3 deutlich höher (s. Tabelle 4.14).540 Die im vorhergehenden Kapitel aufgezeigte starke Konzentration der Indizes der Börsen Budapest und Prag auf einige wenige Aktien spiegelt sich auch am Anteil der fünf meistgehandelten Aktien am gesamten Umschlag wider. Während der Handel in Budapest und Prag fast vollständig von den fünf größten Unternehmen bestimmt wird, ist das Verhältnis in Warschau deutlich ausgeglichener, allerdings noch immer deutlich konzentrierter als in Deutschland. 541 Land
Umschlagshäufigkeit (%)
Anteil der Top 5 (%)
Ungarn
83,9
97,0
Tschechien
38,0
93,5
Polen
58,4
51,3
Russland
127,3
k.A.
Rumänien
12,0
69,4
Slowakei
10,2
98,6
Bulgarien
3,4
48,3
Slowenien
6,5
86,8
Österreich
51,6
53,9
Deutschland
134,5
25,5
Tabelle 4.14: Umschlagshäufigkeit (in 2011) und Anteil der 5 am häufigsten gehandelten Aktien Quelle: S&P Global Stock Markets Factbook, FESE
4.2.4 Handelssysteme Neben der Liquidität stellen auch unterschiedliche Handelssysteme einen potentiellen Einflussfaktor auf die Informationseffizienz von Märkten dar.542 Zudem besteht eine Relation zwischen der Ausgestaltung der Handelssysteme und der Liquidität der Märkte. Daher werden in diesem Abschnitt, nach einer kurzen Systematisierung, die Handelssysteme in den CEE-3 beschrieben und mögliche Auswirkungen auf die Effizienztests diskutiert. Handelssysteme in idealisierter Form können in drei Grundtypen eingeteilt werden: 543 Bei einem Auktionssystem (auch: order driven markets) handeln die Marktteilnehmer direkt miteinander und werden von der Börse lediglich unter540 541 542
543
Anhang 12 zeigt die Entwicklung aller Länder im Zeitverlauf. In Anhang 13 wird eine detaillierte Übersicht über die 5 meist gehandelten Aktien der CEE-3 gegeben. Vgl. Lückerath (2003) für eine Untersuchung des Zusammenhangs zwischen der Elektronisierung des Wertpapierhandels und der Informationseffizienz des deutschen Aktienmarktes. Vgl. Kaul (2001) für eine ausführliche Erläuterung.
ENTWICKLUNG UND STRUKTUR DER AKTIENMÄRKTE IN DEN CEE-3
157
stützt. Dabei kann weiter zwischen einem zeitdiskreten (call auction) und einem zeitstetigen System (continous auction/trading) unterschieden werden. Bei ersterem werden die Order gesammelt und zu einem bestimmten Zeitpunkt ausgeführt; bei letzterem werden die Order sofort ausgeführt, sobald sich zwei entsprechende Aufträge gegenüberstehen. Bei einem Market-Maker-System (auch: quote driven markets) handeln Investoren dagegen nicht direkt miteinander, sondern immer mit dem Market-Maker, der verbindliche Bid- und Ask-Preise bekannt gibt. In der Praxis handelt es sich bei den meisten Handelssystemen um ein Hybridsystem, bei dem die Vorteile aus beiden Systemen kombiniert werden sollen und der Market Maker mit dem Orderbuch konkurriert. Zeitdiskrete Auktionen haben aus modelltheoretischer Sicht einen höheren Informationsgehalt als zeitstetige, da dabei die Informationen (in Form von Kauf- und Verkaufsorder) von vielen Investoren gleichzeitig berücksichtigt werden. Dieser Unterschied wirkt sich allerdings nicht auf die Informationseffizienztests aus, da dabei fast immer die Tagesschlusskurse verwendet werden. 544 Diese Kurse, die sich auch in den Datenbanken finden, werden meist mittels einer (diskreten) Schlussauktion bestimmt. Handelssysteme haben zudem eine Auswirkung auf die Liquidität und damit die Transaktionskosten von Märkten. Da viele Investoren einer hohen Liquidität in Form von unmittelbarer Ausführbarkeit eine große Bedeutung beimessen, können zeitstetige Auktionssysteme (in Kombination mit Elementen eines Market Makers, der in Abwesenheit entsprechender Order Liquidität bereitstellt) zu einer stärkeren Nutzung und damit wiederum zu einer höheren Liquidität dieser Märkte führen.545 An der Börse Warschau fand ein Handel anfangs lediglich einmal in der Woche statt. 546 Die Anzahl der Handelstage wurde anschließend schrittweise erhöht. Ab dem 3. Oktober 1994 war ein Handel an jedem Werktag möglich. 547 In den ersten Jahren wurde der Preis lediglich ein Mal pro Handelstag bestimmt (call auction), es gab aber zusätzlich bereits ab 1991 sogenannte specialists (die Market-Maker ähnliche Funktionen erfüllten), über die in der Zeit nach der Auktion ein Handel möglich war. Ein zeitstetiger Handel (continuous trading) wurde für die ersten fünf Aktien zwar bereits im Jahr 1996 eingeführt, standardmäßig wurde dies aber erst mit der Einführung des Handelssystems WARSET im November 2000 etab-
544 545
546 547
Lediglich bei der Nutzung von Intra-Day-Preisen könnte dieses Problem Auswirkungen haben. Ein weiterer Literaturstrang beschäftigt sich (mittels Modellen und empirischen Untersuchungen) mit den Auswirkungen gewisser Transparenzunterschiede der Handelssysteme (z.B. die nachträgliche Veröffentlichung von Käufern und Verkäufern) auf den Informationsstand der Marktteilnehmer. Vgl. Madhavan (2002), S. 37-38 für einen Überblick. Die folgenden Informationen stammen von der Homepage der Börse Warschau. Die Erhöhung auf 2 Handelstage fand am 9. Januar 1992, auf 3 Tage am 4. Januar 1993 und auf 4 Tage am 1. Juli 1994 statt.
158
ENTWICKLUNG UND STRUKTUR DER AKTIENMÄRKTE IN DEN CEE-3
liert.548 Zusätzlich besteht noch immer ein System mit zeitdiskretem Handel für einige Wertpapiere, bei dem meist zwei Mal täglich eine Auktion durchgeführt wird. Mittlerweile ist ein durchgehender Handel für die bedeutendsten Aktien zwischen 8:30 und 17:30 Uhr möglich. Der Schlusskurs wird anschließend auf Basis einer Schlussauktion bestimmt. In Prag wurde im Zuge der Massenprivatisierungen ein (von der Börse unabhängiges) elektronisches zeitstetiges Handelssystem (RM-System) geschaffen, das ursprünglich für die Coupon-Auktionen bestimmt war, das aber anschließend auch für den Sekundärhandel der Aktien genutzt wurde. 549 Nach der Eröffnung der Börse Prag wurden die meisten Aktien sowohl über das RM-System als auch über die Börse gehandelt.550 Zudem war ein Handel außerhalb dieser beiden Systeme overthe-counter möglich, was insbesondere für den Blockhandel genutzt wurde und so anfangs zu einem dezentralisierten und intransparenten Markt führte. 551 An der Börse wurde zu Beginn lediglich drei Mal pro Woche gehandelt. Der Handel an jedem Werktag wurde im September 1994 eingeführt. Dabei wurde an jedem Handelstag zudem nur einmal ein Preis ermittelt. Ein zeitstetiger Handel begann im März 1996 mit der Einführung des KOBOS Handelssystems. Anfangs wurden über dieses System zwar lediglich fünf Aktien (und zwei Anleihen) gehandelt, dies waren jedoch die größten Unternehmen, die den Großteil des Marktes abdeckten.552 Im Mai 1998 wurde das SPAD-Handelssystem (Support of Share and Bond Market System) eingeführt. Dabei handelt es sich um ein Market-MakerSystem, das einen permanenten Handel sicherstellt. Aktuell kann zwischen 9:15 und 16:20 Uhr gehandelt werden, mit einer anschließenden Schlussauktion. Gleichzeitig besteht weiterhin ein Auktionssystem (zeitstetig und zeitdiskret). Alle aktuell im PX-Index gelisteten Aktien sind sowohl über das SPAD-System als auch über das Auktionssystem handelbar. An der Börse in Budapest gab es zwischen 1990 und 1995 lediglich einen Präsenzhandel (mit elektronischer Unterstützung) mit einer sehr niedrigen Liquidität.553 Mit der Einführung eines elektronischen Handelssystems und Fortschritten bei der Privatisierung stieg in den darauffolgenden Jahren auch die Liquidität deutlich an. 554 Im November 1998 wurde mit dem MultiMarket Trading System (MMTS) ein neues Handelssystem eingeführt, das als zeitstetiges Auktionssystem funktioniert. Der Präsenzhandel wurde endgültig im September 1999 eingestellt. 548
549 550 551 552 553 554
Dabei handelte es sich um die 5 liquidesten Unternehmen. Anfang 1997 wurden bereits alle 20 Aktien des WIG20-Index zeitstetig gehandelt. Vgl. Rudlovcak (2001), S. 154-160. Die folgenden Informationen stammen, falls nicht anders angegeben, von der Homepage der Börse Prag. Vgl. Brenneman (2004), S. 33-34. Vgl. Schotman und Zalewska (2006), S. 20-22. Die folgenden Informationen stammen von der Homepage der Börse Budapest. Vgl. Kapitel 4.2.3.
ENTWICKLUNG UND STRUKTUR DER AKTIENMÄRKTE IN DEN CEE-3
159
Ein Handel ist momentan zwischen 9:00 und 17:00 Uhr möglich. Anschließend folgt auch hier eine Schlussauktion. Zukünftig soll an der Börse Budapest, ebenso wie in Prag, das Handelssystem XETRA eingeführt werden. 555 Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Handelssysteme die Informationseffizienz von Aktienkursen nicht zwingend beeinflussen, da auch eine einmalige Preisfeststellung pro Tag zu einem informationseffizienten Markt führen sollte. Allerdings können diese die Liquidität des Marktes beeinflussen und damit auch den Handel für unterschiedliche Investorengruppen interessant machen, z.B. für ausländische Investoren, die auf eine schnelle Ausführbarkeit Wert legen. Diese beiden Aspekte (die Liquidität im vorherigen und die Investorenstruktur im nachfolgenden Abschnitt) werden allerdings bereits explizit als mögliche Einflussfaktoren untersucht. 4.2.5 Investorenstruktur Der Grad der Informationseffizienz von Aktienmärkten hängt u.a. von der Fähigkeit der Investoren ab, Auswirkungen von neuen Informationen auf den Fundamentalwert einer Aktie möglichst exakt zu bewerten. Bestimmte Investorengruppen haben dabei häufig Zugang zu mehr Informationen und potentiell bessere Fähigkeiten bei der Bewertung dieser Informationen. So liegt die Hypothese nahe, dass institutionelle Investoren mit Zugang zu Daten von privaten Informationsdienstleistern, der Möglichkeit direkter Gespräche mit Unternehmensvorständen und in der Unternehmensbewertung ausgebildeten Analysten eher für einen informationseffizienten Markt sorgen als private Investoren mit eingeschränktem Informationszugang und meist wenig Erfahrung in der Aktienbewertung. 556 Speziell für den Fall der Transformationsländer könnte hinzukommen, dass heimische Investoren aufgrund mangelnder theoretischer Ausbildung und praktischer Erfahrung, insbesondere in den ersten Jahren nach der Wiedereröffnung der Börsen, weniger zu einem informationseffizienten Markt beitragen konnten als ausländische Investoren. 557 Daher wird im folgenden Abschnitt die Struktur der Investoren in den CEE-3 in Bezug auf den Anteil institutioneller und ausländischer Investoren untersucht. Dabei wird auf eine Darstellung weiterer Maße für den Grad der de jure und der de facto Liberalisierung und Integration verzichtet, da für die Infor555
556
557
XETRA wird bereits an der Börse in Wien verwendet und soll an allen zu der CEESEG-Gruppe gehörenden Börsen eingeführt werden. Ein weiterer potentieller Einflussfaktor liegt im Konzentrationsgrad der Investoren. Je niedriger der Anteil eines Investors, desto geringer ist sein Anreiz sich selbst in der Überwachung der Unternehmensführung zu engagieren. Die spezifischen Privatisierungsprogramme führten dabei zu unterschiedlichen Konzentrationsgraden in der Investorenstruktur. Vgl. Claessens und Djankov (1999). Zudem könnten Unterschiede in den Kenntnissen über Finanzmärkte („Financial Literacy“) von Privatinvestoren die Informationseffizienz der Märkte beeinflussen. Da darüber jedoch keine einheitlichen Daten über einen längeren Zeitraum für die CEE-3 zur Verfügung stehen, wird dieser Aspekt vernachlässigt.
160
ENTWICKLUNG UND STRUKTUR DER AKTIENMÄRKTE IN DEN CEE-3
mationseffizienz lediglich der Anteil institutioneller oder ausländischer Investoren relevant ist. 558 Zur Beurteilung des Anteils institutioneller Investoren in den CEE-3 wurde die Institutional Investor Statistics Datenbank der OECD genutzt. Diese enthält Daten über die Bestände von Investmentfonds, Versicherungen und Pensionsfonds an diversen Vermögensklassen, darunter auch Aktien.559 Tabelle 4.15 zeigt die Entwicklung der absoluten Aktienbestände institutioneller Investoren im Zeitverlauf. Nachdem die Werte für Polen und Ungarn Mitte der 1990er sehr niedrig waren, wiesen sie im Anschluss einen klaren Aufwärtstrend auf. In Tschechien zeigt sich dagegen ein anderer Trend. Der relativ hohe Wert im Jahr 1995 lässt sich auf das umfangreiche Privatisierungsprogramm zurückführen, bei dem viele Tschechen ihre Aktien-Coupons an Investmentfonds transferiert hatten. In den Folgejahren fielen die Bestände institutioneller Investoren und lagen auch 2007, trotz des Aufwärtstrends seit 2002, noch immer relativ niedrig. Bei der Betrachtung der einzelnen Investorengruppen zeigt sich, dass ein erheblicher Teil dieser unterschiedlichen Entwicklung auf den deutlich höheren Anteil von Pensionsfonds in Polen und Ungarn im Vergleich zu Tschechien zurückgeführt werden kann. Dies lässt sich durch die in Polen (seit 1999) und Ungarn (seit 1997) für viele Arbeitnehmer obligatorische zusätzliche private Altersvorsorge erklären. 560 In Tschechien ist diese hingegen freiwillig. 561 Aufgrund staatlicher Schuldenprobleme wurden in Ungarn allerdings im Jahr 2011 private Altersvorsorgefonds verstaatlicht und die Anteile der Pensionsfonds damit massiv gemindert. Bei den Aktienbeständen der Investmentfonds zeigt sich, dass auch diese in Tschechien im Verhältnis zu den anderen beiden Ländern niedrig sind.
558
559
560
561
Vgl. Wildmann (2011), S. 103-140, 235-326 für eine ausführliche Diskussion und eine Darstellung der Situation auf osteuropäischen Kapitalmärkten. Die ursprünglichen Daten stammen von den nationalen Statistikämtern bzw. Zentralbanken. Die weiteren Assetklassen sind Geld- und Sichteinlagen, Wertpapiere (ohne Aktien), Kredite, weitere finanzielle Vermögensgegenstände und nicht-finanzielle Vermögensgegenstände. Vgl. Gonnard, Kim und Ynesta (2008) für eine Erläuterung der Datenbank. In Polen ist dies verpflichtend für alle Arbeitnehmer, die vor 1969 geboren wurden. Für alle, die zwischen 1949 und 1968 geboren wurden, war die Beteiligung freiwillig. Vgl. OECD (2011c). In Ungarn war dies verpflichtend für alle Arbeitnehmer, die zum Zeitpunkt der Reform jünger als 42 waren. Für ältere war diese freiwillig. Vgl. OECD (2011b). Vgl. OECD (2011a).
0,7
1,3
1,5
1,3
2,4
2,8
4,1
6,7
11,2
17,5
31,6
55,2
37,6
1997
1998
1999
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
2008
13,0
25,0
14,1
5,4
2,6
1,3
0,7
0,3
0,4
0,3
0,2
0,3
0,2
0,1
11,9
12,1
4,2
3,6
2,8
1,7
1,3
1,1
1,3
0,8
1,3
1,0
0,5
0,3
Versicherungen
Polen
Investmentfonds
12,7
18,1
13,3
8,5
5,8
3,7
2,1
1,3
0,7
0,2
/
/
/
/
Pensionsfonds
10,3
11,8
7,5
4,3
2,5
1,6
1,1
0,7
0,8
0,5
0,5
0,5
/
/
Institut. Anleger
2,8
4,2
3,0
1,5
0,6
0,4
0,3
0,2
0,3
0,2
0,2
0,2
/
/
Quelle: OECD Institutional Investor Statistics
2,4
3,1
2,0
1,3
0,8
0,5
0,3
0,3
0,3
0,2
0,2
0,2
/
/
Versicherungen
Ungarn Investmentfonds
Tabelle 4.15: Aktienbestand institutioneller Anleger (Mrd. US-Dollar)
0,4
1996
Institut. Anleger
1995
Jahr
5,1
4,5
2,5
1,6
1,1
0,7
0,4
0,3
0,3
0,1
0,1
0,1
/
/
Pensionsfonds
4,7
4,8
3,5
3,5
2,7
1,6
1,1
1,2
1,5
1,7
1,9
3,5
4,7
4,4
Institut. Anleger
1,8
2,7
1,8
1,2
1,0
0,5
0,4
0,6
1,2
1,2
1,4
2,8
3,7
3,9
2,2
1,3
1,3
1,9
1,5
1,0
0,5
Versicherungen
Tschechien Investmentfonds
0,5
0,3
0,5
0,6
0,7
1,0
0,6
0,7
0,9
0,4
0,4
0,2
0,1
0,1
Pensionsfonds
ENTWICKLUNG UND STRUKTUR DER AKTIENMÄRKTE IN DEN CEE-3 161
162
ENTWICKLUNG UND STRUKTUR DER AKTIENMÄRKTE IN DEN CEE-3
Die Bewertung des Einflusses von ausländischen Investoren ist aufgrund diverser Datenprobleme schwierig. Zum einen wird häufig unterschieden zwischen ausländischen Direktinvestitionen und Portfolioinvestitionen. 562 Dies wirft allgemein die Frage auf, ob eine höhere Informationseffizienz durch ausländische Investoren alleine durch das Halten der Anteile verursacht wird (z.B. weil ausländische Investoren eine bessere Informationsbereitstellung der Unternehmen durchsetzen) oder erst durch die aktive Beteiligung am Handel (z.B. durch Identifizieren unterbewerteter Aktien). Zudem ist fraglich, ob die ausgewiesenen Statistiken der Bestände ausländischer Investoren immer an die aktuellen Marktpreise angepasst sind und daher in Beziehung zur aktuellen Aktienmarktkapitalisierung gesetzt werden können. Außerdem ist es aufgrund der zunehmenden Verflechtung der Kapitalmärkte (z.B. Unternehmen, die sich an ausländischen Märkten listen lassen und dort Aktien emittieren; Aktienfonds deren Anteile teilweise von Ausländern gehalten werden) zunehmend schwierig die nationale Identität den Investoren und Emittenten zuzuordnen. 100 80 60
Ungarn Polen
40
Deutschland
20 0 1997
1999
2001
2003
2005
2007
Abbildung 4.11: Aktienbestand ausländischer Investoren (%) Quelle: FESE
Die Eigentümerstrukturen von Aktienbeständen innerhalb Europas wurden in einer Studie der Federation of European Securities Exchanges letztmals im Jahr 2008 verglichen (FESE 2008). Die Studie beinhaltet jedoch keine Statistiken zu Tschechien. 563 Ein Vergleich des Anteils zwischen Ungarn, Polen und Deutschland (Abbildung 4.11) zeigt, dass es dabei erhebliche Unterschiede zwischen den 562
563
Vgl. EBRD (1998), S. 82 für eine Erläuterung der Probleme bei der Bewertung ausländischer Direktinvestitionen in Transformationsländern in der Frühphase der Liberalisierung. Die Zahlen zu Polen standen zudem erst ab dem Jahr 1999 zur Verfügung.
ENTWICKLUNG UND STRUKTUR DER AKTIENMÄRKTE IN DEN CEE-3
163
Ländern gibt. Trotz des Anstiegs in den letzten Jahren ist der Anteil ausländischer Investoren in Deutschland deutlich niedriger als in den beiden osteuropäischen Ländern. Dieser ist insbesondere in Ungarn mit über 70% sehr hoch (der zweithöchste Wert der 27 verglichenen europäischen Länder in der Studie nach der Slowakei). Dies lässt sich auf die Ausrichtung des Privatisierungsprogramms Anfang der 1990er zurückführen, bei dem häufig das Ziel verfolgt wurde, Unternehmen an ausländische Investoren zu verkaufen. 564 Für die vorliegende Fragestellung ist wiederum bedeutend, dass es in den beiden Ländern keinen systematischen Trend zu einem höheren Anteil ausländischer Investoren im Zeitverlauf gegeben hat. 565 Dieser Anteil befand sich auf einem relativ konstanten Niveau in Ungarn. Der Anstieg in Polen im Jahr 2000 wurde durch den Rückgang ab 2003 wieder ausgeglichen, so dass der Wert im Jahr 2007 wieder ungefähr auf dem Niveau von 1999 lag. 4.2.6 Zweitlistings und Hinterlegungsscheine Unternehmen, die neben ihrem Listing an einer der CEE-3-Börsen noch an weiteren Börsen gehandelt werden, unterliegen eventuell strengeren Transparenzanforderungen. 566 Durch die weitgehende Harmonisierung innerhalb der Europäischen Union sind die Unterschiede mittlerweile nicht mehr sehr ausgeprägt.567 Deshalb wird in der folgenden Analyse auch der Zeitpunkt der jeweiligen Börsennotierungen berücksichtigt, da die Divergenzen in früheren Jahren noch deutlich größer waren. Für die Beurteilung der Effizienz der Börse ist es dabei nicht entscheidend, ob es sich um ein ausländisches oder inländisches Unternehmen handelt, sondern an welcher Börse das Erstlisting besteht und in welchem Börsensegment die Aktie an der ausländischen Börse gelistet ist (auch wenn die Herkunft des Unternehmens natürlich bei der Beurteilung, z.B. der Finanzierungsfunktion der Börse für die heimischen Unternehmen, berücksichtigt werden muss).568 Im Folgenden werden die weiteren Listings der bereits in Kapitel 4.2.2 vorgestellten Unternehmen mit dem größten Anteil am jeweiligen Index beschrieben, da diese wiederum für die vorliegende Fragestellung die größte Relevanz haben.569
564 565 566 567
568
569
Vgl. Kapitel 4.1.1. Vgl. Kapitel 5.6. Vgl. Kapitel 3.2.1. Die Unterschiede zu den Anforderungen in den USA sind zwar deutlich größer (z.B. bei den Rechnungslegungsstandards), im Gegensatz zu den in Kapitel 5.1.1 aufgezeigten Unterschieden in den Anforderungen zwischen den CEE-3 in der Liberalisierungsphase sind diese allerdings weniger signifikant. Anhang 14 gibt eine Übersicht über die Marktsegmentierung an Börsen, an denen Aktien der CEE-3 notiert sind. Dabei werden lediglich Unternehmen berücksichtigt, die aktuell den größten Anteil am Index haben. Eine ausführliche Analyse müsste auch die mittlerweile nicht mehr gelisteten Unternehmen und frühere Indexgewichtungen berücksichtigen. Allerdings ist die Informationsverfügbarkeit über deren Listings häufig eingeschränkt. Zudem wurde in Kapitel 4.2.2 aufgezeigt, dass insbesondere in Ungarn und Tschechien die Aktien mit den
164
ENTWICKLUNG UND STRUKTUR DER AKTIENMÄRKTE IN DEN CEE-3
Unternehmenssitz
Erstlisting
Börse
Segment
Komercni Bank
Tschechien
Prag
Erste Group
Österreich
Wien
CEZ
Tschechien
Prag
Telefonica O2 C.R.
Tschechien
Prag
New World Resources
Niederlande
London
Unipetrol
Tschechien
Prag
Philip Morris Vienna Insurance Group
Tschechien Österreich
Prag Wien
CETV
Bermudas
NASDAQ
Prag Frankfurt (XETRA) Frankfurt (XETRA) NASDAQ London Wien Prag Bukarest Frankfurt (XETRA) Prag Warschau Frankfurt (XETRA) Prag Frankfurt (XETRA) London NASDAQ Berlin London Prag Warschau Frankfurt (XETRA) NASDAQ Prag Frankfurt (XETRA) Prag Wien Prag Frankfurt NASDAQ NASDAQ Prag Frankfurt (XETRA) New York
Main Market Open Market GDR: Open Market GDR: Other OTC GDR: SEAQ Prime Market Main Market BSE Open Market Main Market Main List Open Market Main Market Open Market GDR: SEAQ GDR: Other OTC GDR: Freiverkehr Premium Listing Main Market Main List Open Market Other OTC Main Market Open Market Free Market Prime Market Main Market Open Market Other OTC Global Select Main Market Open Market NYSE Arca
Unternehmen
Jahre an der Börse 17 12 (8) 14 (9) 13 13 13 8 2 13 (2) 17 4 16 (10) 16 14 (7) 11 12 12 2 2 2 2 (2) 2 13 13 (4) 17 16 3 6 2 16 5 13 (8) 5
Tabelle 4.16: Weitere Listings tschechischer Aktien Quelle: Thomson Reuters, Börsenhomepages, Unternehmenshomepages 570
570
größten Anteilen bereits sehr lange an der Börse gelistet sind. Außerdem wird die eigene Analyse durch Erkenntnisse aus früherer Literatur ergänzt. Die Daten basieren hauptsächlich auf der Datenbank von Thomson Reuters Datastream und wurden durch die Informationen auf den Börsen- und Unternehmenshomepages verifiziert. Dabei kam es teilweise zu leichten Divergenzen, hauptsächlich in Bezug auf die Listings von Hinterlegungsscheinen. Zudem sind die Aktien teilweise auch über den Freihandel an weiteren Börsen handelbar. So sind zum Beispiel über die Börse Berlin mehr
ENTWICKLUNG UND STRUKTUR DER AKTIENMÄRKTE IN DEN CEE-3
KGHM PKO Bank PZU Group Pekao
Unternehmenssitz Polen Polen Polen Polen
PKN Orlen
Polen
Warschau
PGE Telekomunikacja
Polen Polen
Warschau Warschau
PGNIG Tauron BRE Bank Getin Holding
Polen Polen Polen Polen
Warschau Warschau Warschau Warschau
Bogdanka Asseco
Polen Polen
Warschau Warschau
Unternehmen
Erstlisting
Börse
Segment
Warschau Warschau Warschau Warschau
Warschau Warschau Warschau Warschau London Berlin Warschau Frankfurt Warschau Warschau NASDAQ Warschau Warschau Warschau Warschau NASDAQ Warschau Warschau NASDAQ (auch ADR)
Main List Main List Main List Main List GDR: OTC GDR: Freiverkehr Main List GDR: Open market Main List Main List GDR: Other OTC Main List Main List Main List Main List Other OTC Main List Main List Other OTC
165
Jahre an der Börse 14 7 1 13 10 7 12 11 1 13 13 6 1 15 10 1 2 13 2 (1)
Tabelle 4.17: Weitere Listings polnischer Aktien Quelle: Thomson Reuters, Börsenhomepages, Unternehmenshomepages
Bei Betrachtung der weiteren Listings (Tabelle 4.16 bis 4.18) fällt auf, dass vier der Aktien des tschechischen Index ihre Erstnotierung nicht in Prag haben, sondern an der Börse des Landes, in dem sich ihr Unternehmenssitz befindet (bzw. an der NASDAQ für CETV und London für New World Resources). Dennoch haben diese Aktien einen bedeutenden Anteil am PX-Index.571 Dies kann zu Problemen bei der Interpretation von Informationseffizienztests bei Verwendung des tschechischen Index führen. 572 In Polen und Ungarn ist dies nicht der Fall.573 Das Listing dieser ausländischen Unternehmen an der Börse Prag lässt sich jeweils durch eine starke Geschäftsausrichtung auf den tschechischen bzw. osteuropäischen
571 572 573
tschechische Aktien handelbar als in der Tabelle angegeben. Da das Handelsvolumen dabei allerdings häufig sehr niedrig ist, wurde auf eine Berücksichtigung dieser Angaben verzichtet. Die Zahl der Jahre an der Börse bezieht sich auf das Jahr 2011. Vgl. Kapitel 4.2.2. Vgl. die Diskussion in Kapitel 5.6. Das tschechische Unternehmen CEZ, das auch in Warschau gelistet ist, erhält durch eine spezielle Anpassung einen relativ zur Marktkapitalisierung niedrigeren Anteil am Index. Vgl. Kapitel 4.2.2.
166
ENTWICKLUNG UND STRUKTUR DER AKTIENMÄRKTE IN DEN CEE-3
Markt (teilweise verfügen diese über ein tschechisches Tochterunternehmen) erklären.
Unternehmen OTP Bank
MOL
Gedeon Richter
Unternehmenssitz Ungarn
Ungarn
Ungarn
Erstlisting
Börse
Segment
Budapest
Budapest Frankfurt (auch GDR) NASDAQ (auch GDR) Luxemburg London Budapest Warschau Frankfurt (auch GDR) NASDAQ Luxemburg London Budapest NASDAQ (auch GDR) Frankfurt Luxemburg Budapest Frankfurt Budapest NASDAQ Frankfurt
Category A Open market
Budapest
Budapest
Magyar Telekom
Ungarn
Budapest
Egis
Ungarn
Budapest
Other OTC
Jahre an der Börse 16 15 (4) 6 (8)
GDR GDR: OTC Category A Main List Open market
12 12 16 6 15 (10)
ADR: Other OTC GDR GDR: OTC Category A Other OTC
13 12 14 17 3 (15)
Open market GDR Category A Open market Category A Other OTC Open market
15 12 14 13 17 3 15
Tabelle 4.18: Weitere Listings ungarischer Aktien Quelle: Thomson Reuters, Börsenhomepages, Unternehmenshomepages
Tschechische und ungarische Unternehmen sind zudem deutlich häufiger als polnische an weiteren Börsen (wenn auch häufig nur über den Freiverkehr) handelbar. Dies könnte als eine Bestätigung der Hypothese gewertet werden, dass sich Unternehmen aus Ländern mit unzureichender Kapitalmarktregulierung (und deren Durchsetzung) oder Defiziten in der Corporate Governance an anderen Börsen listen lassen, um durch die Selbstauferlegung strengerer Regeln das Vertrauen von Investoren zu erlangen. 574 Allerdings sind lediglich die Unternehmen CEZ und 574
Vgl. Kapitel 3.2.1.
ENTWICKLUNG UND STRUKTUR DER AKTIENMÄRKTE IN DEN CEE-3
167
MOL an einem weiteren regulierten Markt (in Warschau) gelistet. Auch bei den von tschechischen und ungarischen Unternehmen relativ häufig genutzten Hinterlegungsscheinen (meist an der NASDAQ) werden diese lediglich im Level 1Programm am OTC-Markt gehandelt, bei dem keine Registrierung bei der Aufsichtsbehörde SEC nötig ist und lediglich die heimischen Anforderungen erfüllt werden müssen. 575 Die häufige Notierung von tschechischen und ungarischen Aktien im Freiverkehr anderer Börsen könnte daher auch dafür sprechen, dass diese, unabhängig von der Regulierung, beispielsweise aufgrund eines früher als nicht zuverlässig erachteten Handelssystems, nicht an den Heimatbörsen gehandelt wurden. Zudem könnte dafür auch ein höheres Interesse von ausländischen Investoren am Handel dieser Aktien verantwortlich sein. Dies könnte insbesondere für ungarische Aktien aufgrund des hohen Anteils internationaler Investoren zutreffen. Bei Berücksichtigung der Zeitpunkte der jeweiligen Listings an ausländischen Börsen, insbesondere denen der Hinterlegungsscheine in den USA oder London, zeigt sich, dass die meisten dieser Programme während der globalen BörsenHausse zwischen 1997 und 2000 begonnen wurden. Dies muss daher nicht zwingendermaßen als Flucht vor den Problemen auf dem heimischen Kapitalmarkt gewertet werden, sondern kann auch auf den damaligen allgemeinen Trend zum Listing in den USA zurückgeführt werden. Dagegen spricht jedoch, dass polnische Unternehmen diese Option kaum genutzt haben. Allerdings ist die Zahl der hier betrachteten Aktien deutlich zu klein, um daraus Hypothesen zu den möglichen Motiven weiterer Listings abzuleiten. Zudem ist der staatliche Einfluss bei einigen dieser Unternehmen noch sehr hoch und die Entscheidung des Listings daher nicht immer nur auf betriebswirtschaftliche Faktoren zurückzuführen. Auch unter Berücksichtigung aller früheren gelisteten Unternehmen zeigt sich, dass auch Ende der 1990er deutlich mehr Aktien aus Tschechien und Ungarn als aus Polen an den deutschen Börsen (insbesondere der Börse Berlin) handelbar waren.576 Im August 1998 waren es 16 aus Tschechien (5% aller tschechischen Aktien), 17 aus Ungarn (32%) und 4 aus Polen (2%). Die (nominale) Zahl der gelisteten Unternehmen aus allen drei Ländern verdoppelte sich zudem sprunghaft um ca. 50% im Anschluss an die Zuspitzung der Russlandkrise im August 1998. Für die Fragestellung ist aber wiederum bedeutend, dass diese Aktien hauptsächlich im Freihandel der Börsen gelistet wurden und daher keine strengeren Anforderungen zu erfüllen hatten. 577 In den damaligen Anforderungen der Börse Berlin für
575 576 577
Vgl. Kapitel 3.2.1. Die in diesem Abschnitt verwendeten Daten stammen von Pistor (2001), S. 275-282. Vgl. auch Glaeser, Johnson und Shleifer (2001), S. 894.
168
ENTWICKLUNG UND STRUKTUR DER AKTIENMÄRKTE IN DEN CEE-3
eine Notierung im Freihandel fanden sich keine Regeln, die über die der Börse Prag zum damaligen Zeitpunkt hinausgingen. 578
578
Vgl. Pistor (2001), S. 275.
TRANSPARENZANFORDERUNGEN UND SCHWACHE EFFIZIENZ
169
5 Empirische Untersuchungen zum Einfluss von Transparenzanforderungen auf die schwache Informationseffizienz In diesem Kapitel soll der Zusammenhang zwischen dem Informationsumfeld, insbesondere den Transparenzanforderungen, und der schwachen Informationseffizienz in den CEE-3 untersucht werden. In Kapitel 5.1 wird daher ein ausführlicher Überblick über die unterschiedlichen Entwicklungen der gesetzlichen Anforderungen in den drei Ländern gegeben. Der Literaturüberblick in Kapitel 5.2 wird aufzeigen, dass empirische Erkenntnisse zu einem Zusammenhang zwischen Transparenzanforderungen und Effizienz bisher nur sehr begrenzt zur Verfügung stehen. In Kapitel 5.3 wird die Methodik der Variance Ratios vorgestellt, die als Maß für die schwache Informationseffizienz der Märkte dienen. Die verwendeten Daten werden in Kapitel 5.4 erläutert. Die Erkenntnisse über die Unterschiede in den Transparenzanforderungen (im Zeitverlauf und im Ländervergleich) dienen als Grundlage für die in Kapitel 5.5 folgende empirische Überprüfung der Hypothese, dass diese einen empirisch messbaren positiven Einfluss auf die Informationseffizienz der Märkte hatten. Die Interpretation der Ergebnisse folgt in Kapitel 5.6. Dabei werden auch die Erkenntnisse aus Kapitel 4 genutzt, um den Einfluss weiterer potentieller Determinanten der Effizienz zu diskutieren.
5.1 Entwicklung der Transparenzanforderungen in den CEE-3 Als Indikator für den Fortschritt bei der Etablierung und Regulierung von Kapitalmärkten wird häufig der in Abbildung 5.1 dargestellte Index of Reform of Securities Markets and Non-Bank Financial Institutions der EBRD verwendet. Demnach gab es in der Liberalisierungsphase keine signifikanten Unterschiede zwischen den CEE-3. Der Wert für Tschechien lag zwar aufgrund der späteren Wiedereröffnung des Aktienmarktes anfangs niedriger als in Polen und Ungarn, im Jahr 1996 lagen aber alle drei Märkte gleichauf mit einem Indexwert von 3, der u.a. eine substanzielle Ausgabe von Wertpapieren durch private Unternehmen und einen gewissen Schutz von Minderheitsaktionären signalisiert (die ausführliche Beschreibung der jeweiligen Indexwerte findet sich in Anhang 15). Während sich der tschechische Indexstand bis 2003 nicht verbessern konnte, zeigen die Werte für Ungarn und Polen, dass die Wertpapiergesetze und -regulierungen dieser Märkte bereits im Jahr 2000 annähernd IOSCO-Standards erreichten und über
TRANSPARENZANFORDERUNGEN UND SCHWACHE EFFIZIENZ
170
substanzielle Liquidität und Kapitalisierung verfügten.579 Die Werte für den tschechischen Markt (die nur bis zum Jahr 2007) vorliegen, stiegen erst im Anschluss an den EU-Beitritt auf dieses Niveau an. Bei der Bewertung der Reformen des Bankensektors durch die EBRD (s. Anhang 16) zeichnete sich insbesondere Ungarn durch eine frühzeitige Anpassung (ab 1998) der Bankenregulierung und -aufsicht an BIS-Standards aus, während Polen und Tschechien erst nach dem EUBeitritt ein ähnliches Niveau erreichten.
4
3 Ungarn Polen
2
Tschechien 1
0 1991
1993
1995
1997
1999
2001
2003
2005
2007
2009
Abbildung 5.1: EBRD Index of Reform of Securities Markets and Non-Bank Financial Institutions Quelle: EBRD
Allerdings sind diese Indikatoren für die vorliegende Fragestellung zu unspezifisch, da neben der Regulierung der Transparenzanforderungen noch zahlreiche weitere Aspekte berücksichtigt werden. Außerdem bezieht sich der Indikator nicht nur auf den Aktienmarkt, sondern auf Kapitalmärkte im Allgemeinen. Im Folgenden wird aufgezeigt werden, dass es insbesondere Anfang der 1990er erhebliche Unterschiede in den Transparenzanforderungen der drei Länder gegeben hat. Die Beschreibung der Entwicklung erfolgt dabei chronologisch. Zwar wurden viele der relevanten Gesetzestexte sehr häufig geändert, dennoch lassen sich drei Phasen identifizieren, die sich jeweils durch wesentliche Änderungen im Informationsumfeld voneinander abgrenzen lassen. Die „Liberalisierungsphase“ beschäftigt sich 579
Der IOSCO ist ein internationaler Verband von Wertpapieraufsichtsbehörden. In der aktuellen Fassung der Objectives and Principles of Securities Regulation werden in Bezug auf die Transparenzanforderungen u.a. eine vollständige, akkurate und zeitnahe Veröffentlichung aller Unternehmensergebnisse, Risiken und weiterer Informationen, die für die Entscheidungen von Investoren relevant sind, sowie die Anwendung internationaler Rechnungslegungsstandards gefordert. Vgl. IOSCO (2010).
TRANSPARENZANFORDERUNGEN UND SCHWACHE EFFIZIENZ
171
mit der Ausgestaltung dieser Regeln nach der Eröffnung der Börsen Anfang der 1990er. In der „Reformphase“, die Mitte bzw. Ende der 1990er begann, wurden erste wesentliche Änderungen vorgenommen. In allen drei Ländern wurden dabei bereits im Vorfeld des EU-Beitritts einige in der EU gängige Regulierungen übernommen. Abschließend werden in der „EU-Beitrittsphase“ der Einfluss der Umsetzung weiterer EU-Richtlinien und die heute gültigen Regelungen vorgestellt. Dabei werden neben den konkreten Transparenzanforderungen auch weitere Aspekte diskutiert, die einen indirekten Einfluss auf das Informationsumfeld der Märkte hatten, wie die Überwachung der Vorschriften durch die Kapitalmarktaufsicht und der Investorenschutz. 5.1.1 Liberalisierungsphase Eine detaillierte Darstellung der kapitalmarktrechtlichen Regulierungen bezüglich der Transparenzanforderungen im weiteren Sinne wird häufig dadurch erschwert, dass diese auf zahlreiche Gesetzesbücher verteilt sind. Auch im deutschen Recht gibt es heute kein allumfassendes Kapitalmarktgesetzbuch, sondern angrenzende Gebiete wie das Börsengesetz, Aktiengesetz, Handelsgesetz, Wertpapiererwerbsund Übernahmegesetz und insbesondere das Wertpapierhandelsgesetz können zum Kapitalmarktrecht gezählt werden.580 Das Kapitalmarktrecht kann auch nicht isoliert, sondern sollte immer in Beziehung zu anderen Gesetzestexten betrachtet werden. Das Rechtssystem wurde in den drei Ländern stark durch das deutsche, aber auch das französische Recht beeinflusst. 581 Tabelle 5.1 gibt einen Überblick über die Einführung wichtiger Gesetzestexte und Reformen. In Ungarn finden sich die zu dieser Zeit relevanten Vorschriften im bereits im Jahr 1990 erlassenen Act on the Offering and Trading in Securities on the Stock Exchange. Das polnische Law on Public Trading in Securities and Trust Funds stammt aus dem Jahr 1991. Der tschechische Securities Act wurde im Jahr 1992 verabschiedet. Tabelle 5.2 gibt eine Übersicht über die wichtigsten Regelungen dieser Gesetzbücher in Bezug auf die Transparenzanforderungen.
580 581
Vgl. Brinckmann (2009), S. 21-22. Vgl. Pistor (2001), S. 266-267 für eine ausführliche Beschreibung des weiteren gesetzlichen Umfeldes in den CEE-3.
172
TRANSPARENZANFORDERUNGEN UND SCHWACHE EFFIZIENZ
Jahr
Ungarn
1988
Gesellschaftsrecht
1990
Wertpapier- und Börsenrecht Eröffnung der Börse Budapest
1991
1992
Gründung einer unabhängigen Wertpapieraufsicht Start der Privatisierung
Polen
Wiedereinführung (nach Reform) des Gesellschaftsrechts von 1934 Wertpapier- und Börsenrecht Eröffnung der Börse Warschau Gründung einer unabhängigen Wertpapieraufsicht
1993
Gesellschaftsrecht Start der Massenprivatisierung Wertpapier- und Börsenrecht Eröffnung der Börse Prag
1995
Start der Massenprivatisierung
1996 1997 1998
Tschechien
Ende der Massenprivatisierung Reform des Gesellschaftsrechts
Ende der Massenprivatisierung Reform des Gesellschaftsrechts
Gründung einer unabhängigen Wertpapieraufsicht
Tabelle 5.1: Chronologie der gesetzlichen Reformen und der Privatisierung Quelle: Pistor (2001)
Ein signifikanter Unterschied in den Anforderungen lag damals bereits bei der Zulassung der Wertpapiere zum Handel vor. Während an den Börsen Warschau und Budapest eine Zulassung durch die Aufsichtsbehörde und ein Prospekt verpflichtend waren, galt keine dieser beiden Regelungen an der Börse in Prag.582 In Ungarn musste das Prospekt neben Basisinformationen eine Einschätzung zur Lage des Unternehmens (zur Produktion, Vertrieb, Forschung und Entwicklung etc.), einen testierten Jahresabschluss und Details zur Emission beinhalten (§26). 583 Diese Unterschiede lassen sich zum Teil auf die spezifischen Privatisierungsansätze in den drei Ländern zurückführen. Im Zuge der schnellen Massenprivatisierungen in Tschechien wurden Aktien häufig außerhalb der Börse (über das RM-System oder
582
583
Zwar wurde im tschechischen Securities Act bereits erläutert, welche Informationen in einem Prospekt enthalten sein müssen (§74), dieses war aber nicht zwingend notwendig. Die Regulierungsbehörde hatte zudem kaum die Möglichkeit eine angemessene Aktualisierung der Informationen durchzusetzen. Vgl. Rudlovcak (2001), S. 155. Im polnischen Law on Public Trading in Securities and Trust Funds findet sich keine Erläuterung zu den notwendigen Informationen des Wertpapierprospekts.
TRANSPARENZANFORDERUNGEN UND SCHWACHE EFFIZIENZ
173
over-the-counter) gehandelt. 584 Um im Wettbewerb mit diesen beiden Systemen attraktiv für Listings zu sein, verzichtete die Börse Prag daher auf strenge Listinganforderungen.585 Da der Privatisierungsprozess in Polen und Ungarn langsamer ablief und Unternehmen häufig direkt an Investoren verkauft wurden, bestand kein obligatorisches Listing an den Börsen. 586 In Polen wurde zudem vorgeschrieben, dass der Aktienhandel an der Börse stattfinden musste (Artikel 54, § 1). Die Zulassung zur Börse war daher mit strengeren Anforderungen verbunden. Bei der Regulierung der periodischen Berichterstattung zeigt sich zudem, dass die polnische Gesetzgebung strenger als die ungarische war, da erstere neben der jährlichen damals schon eine halb- und vierteljährliche Berichterstattung vorschrieb.587 In Tschechien musste wie in Ungarn lediglich der Jahresabschluss veröffentlicht werden. Bei der Pflicht zur Veröffentlichung kursrelevanter Informationen zwischen den periodischen Berichten waren die Unterschiede zwischen den drei Ländern nicht so groß, da dies überall vorgeschrieben war. Allerdings zeigen sich auch hier bei einer detaillierten Betrachtung einige Abweichungen. Während diese Regelung in der polnischen Gesetzgebung für alle Informationen galt, war dies in der tschechischen und ungarischen hauptsächlich für Informationen mit negativen Auswirkungen auf den Unternehmenswert gültig.588 Bedeutend größer waren damals aber die Unterschiede in der Stellung der jeweiligen Kapitalmarktaufsichtsbehörden. Im polnischen Gesetz wurden die Aufgaben der Aufsicht in einem eigenen Kapitel explizit aufgeführt. Dazu gehörten neben einer aktiven Rolle bei der Einhaltung der Regeln des fairen Handels und des Wettbewerbs auch die Sicherstellung eines universellen Zugangs zu verlässlichen Informationen und der Schutz von Investoren (Artikel 7, §1). 589 Während die polnische Aufsichtsbehörde nach dem Vorbild der amerikanischen SEC aufgebaut wurde und unabhängig war, gab es in Tschechien anfangs keine eigenständige Aufsichtsbehörde. Die Aufgaben übernahm eine beim Finanzministerium angesiedelte Abteilung. 590 In Ungarn gab es zwar eine eigenständige Aufsicht, diese wurde aber durch das Finanzministerium überwacht (§6, (1)).
584 585 586 587
588
589
590
Vgl. Kapitel 4.2.4. Vgl. Rudlovcak (2001), S. 155-156, und Brenneman (2004), S. 33. Vgl. Kapitel 4.1. Im polnischen Law on Public Trading in Securities and Trust Funds ist in Artikel 52, §2 lediglich eine allgemeine Pflicht zur Veröffentlichung regelmäßiger Berichte zu finden. Die genaue Festlegung findet sich in der Regulierung der Aufsichtsbehörde und der Börse. Vgl. Glaeser, Johnson und Shleifer (2001), S. 882. Im tschechischen Securities Act galt die Veröffentlichungspflicht u.a. für den Fall des Bankrotts, der Reduzierung der Vermögensgegenstände um 10% oder mehr oder bei einem Rechtsstreit (§80 (4)). Eine ähnliche Formulierung findet sich im ungarischen Gesetz (§34). In Kapitel 9 des Gesetzbuches sind zudem ausführlich die Strafen bei Verstößen gegen das Kapitalmarktrecht aufgeführt. Vgl. Barysch, Heinemann und Steiger (2001), S. 182-185.
174
TRANSPARENZANFORDERUNGEN UND SCHWACHE EFFIZIENZ
Polen
Ungarn
Tschechien -
Zulassung zum Handel erfordert die Erlaubnis der Aufsicht
+
+
(Artikel 49)
(§10)
Zulassung zum Handel erfordert ein Prospekt
+
+
(Artikel 50)
(§23)
+
-
-
(Reg. of Sec. Comm. and Stock Exchg.) +
-
-
Vierteljährliche Berichterstattung Halbjährliche Berichterstattung Jährliche Berichterstattung Pflicht zur Veröffentlichung aller kursrelevanter Informationen Überwachung der Börsenregeln durch die Kapitalmarktaufsicht
(Reg. of Sec. Comm. and Stock Exchg.) +
-
+
+
(Reg. of Sec. Comm. and Stock Exchg.) +
(§33)
(§80)
+/-
+/-
(Reg. of Sec. Comm. and Stock Exchg.)/ (Artikel 52, §1) +
(§34)
(§80)
+
-
(Artikel 7)
(§§15,16)
+
-
-
-
-
-
-
Kapitalmarktaufsicht soll universelle Informationsveröffentlichung garantieren Bekanntgabe bei Erreichen bestimmter Anteilsschwellen
(Artikel 72, 73)
Pflichtgebot bei Überschreiten bestimmter Anteilsschwellen
(Artikel 87)
(Artikel 7) + +
Tabelle 5.2: Transparenzanforderungen in den CEE-3 in der Liberalisierungsphase Quelle: Law on Public Trading in Securities and Trust Funds (Polen), Securities Act (Tschechien), Act on the Offering and Trading in Securities on the stock exchange (Ungarn), Glaeser, Johnson und Shleifer (2001)
Die Regulierung zur Bekanntgabe bei Erreichen bestimmter Anteilsschwellen hat eher einen indirekten Einfluss auf die Möglichkeit der Bewertung neuer Informationen durch Investoren. Die Corporate Governance Literatur hat theoretisch und empirisch aufgezeigt, dass die Investorenstruktur häufig den Unternehmenswert beeinflusst. 591 Die erhöhte Transparenz erleichtert Anlegern die Auswirkungen einer Veränderung der Investorenstruktur auf den Unternehmenswert und daher den informationseffizienten Preis bewerten zu können. Zudem trägt die Vorschrift 591
Lins (2003) beispielsweise zeigt, dass sich die Präsenz von Investoren mit großen Anteilen und Kontrollrechten positiv auf den Unternehmenswert in Schwellenländern auswirkt.
TRANSPARENZANFORDERUNGEN UND SCHWACHE EFFIZIENZ
175
zum Pflichtgebot beim Überschreiten bestimmter Anteilsschwellen zum Investorenschutz bei. Beide Regelungen fanden sich anfangs lediglich in der polnischen Regulierung wieder. Zur genaueren Beurteilung des Investorenschutzes wird häufig der Antidirector Rights Index von La Porta, Lopez-de-Silanes, Shleifer und Vishny (LLSV-Index) betrachtet.592 Dabei wird mittels 6 Indikatoren (z.B. wie viele Stimmen sind nötig um eine außerordentliche Hauptversammlung einzuberufen) beurteilt, wie gut Investoren durch das Gesetz geschützt sind. 593 Allerdings bezieht sich der Index hauptsächlich auf den Schutz von Minderheitsaktionären. Zudem wurden in der empirischen Analyse von La Porta et al. (1998) keine Transformationsländer berücksichtigt. Pistor, Raiser und Gelfer (2000) schließen diese Lücke, indem sie den LLSV-Index und weitere Indikatoren und deren Veränderungen für die Transformationsländer untersuchten (Abbildung 5.2). Insgesamt wurden 27 Indikatoren berechnet und daraus 6 Indizes konstruiert. 594
3,5 3 2,5 Tschechien
2
Ungarn
1,5
Polen 1 0,5 0 1992
1994
1996
1998
Abbildung 5.2: LLSV Investor-Protection-Index Quelle: Pistor, Raiser und Gelfer (2000)
592
593 594
Vgl. La Porta et al. (1998). Des Weiteren gibt es noch den Investor-Protection Index des Doing Business Projekts der Weltbank. Allerdings wird der Index erst seit 2003 berechnet und ist deshalb ungeeignet um die Entwicklung in der Liberalisierungsphase zu beschreiben. Eine ausführliche Übersicht über die Methodik des Index findet sich in Anhang 18. Neben dem LLSV-Index konstruierten die Autoren den VOICE-Index, der sich auf interne Kontrollmechanismen durch Stimm- und Informationsrechte bezieht, den EXIT-Index, der sich auf die Möglichkeit des Verkaufs der Anteile bezieht, den ANTIMANAGE- und den ANTIBLOCK-Index, die sich auf die relative Stellung bei Konflikten zwischen Aktionären und dem Management bzw. zwischen Minderheits- und Großaktionären beziehen, und den SMTINTGR-Index, der sich auf die Integrität des Marktes (z.B. in Form einer Kapitalmarktaufsicht und Gesetzen zum Insiderhandel) bezieht. Vgl. Pistor, Raiser und Gelfer (2000), S. 332-336.
176
TRANSPARENZANFORDERUNGEN UND SCHWACHE EFFIZIENZ
Der LLSV-Index zeigt, dass auch im Bereich des Investorenschutzes, ähnlich wie bei der Regulierung der Transparenzanforderungen, der polnische Markt in der Liberalisierungsphase die strengste und der tschechische Markt die schwächste Regulierung aufwiesen. Mit Beginn der Reformphase näherten sich die gesetzlichen Regelungen einem ähnlichen Niveau an. Bemerkenswert ist, dass die CEE-3 relativ zu anderen Ländern im Jahr 1998 bereits einen LLSV-Index-Wert erreicht hatten, der genau dem Durchschnitt von 49 betrachteten Ländern entsprach und die CEE-3 dabei auch einige Länder mit etablierten Aktienmärkten hinter sich gelassen hatten. 595 Auch bei den weiteren Indizes (s. Anhang 19) zeigt sich, dass insbesondere Tschechien seinen Anlegerschutz, von einem niedrigen Niveau aus, ab dem Jahr 1996 verbesserte. In einigen Bereichen lag der tschechische Investorenschutz aber auch 1998 noch unter dem Niveau von Polen und Ungarn. Neben der Betrachtung der formalen gesetzlichen Ausgestaltung („law on the books“), hat auch die Durchsetzbarkeit dieser Gesetze („law in action“) einen starken Einfluss auf die Kapitalmarktentwicklung.596 Deren wissenschaftliche Beurteilung ist schwierig, meist werden dazu Indizes beruhend auf Umfragen an Rechtsexperten oder Unternehmer verwendet. In Bezug auf die vorliegende Fragestellung gibt es aber keinen Index, der bereits in der Liberalisierungsphase erhoben wurde. 597 Basierend auf Experteninterviews vertreten aber einige Forscher die Meinung, dass insbesondere in Tschechien die Durchsetzbarkeit von Gesetzen (sowohl durch Richter als auch durch Regulatoren) in der Liberalisierungsphase relativ zu den anderen beiden Ländern unzureichend war. 598 Die Zurückhaltung der tschechischen Kapitalmarktaufsicht bei der Überwachung wird dabei u.a. auf deren Anbindung an das Finanzministerium zurückgeführt, das aufgrund der wirtschaftspolitisch sehr liberalen Ausrichtung dieser Aufgabe keine große Bedeutung beimaß. 599 Als eine Folge der unzureichenden Transparenz und des mangelnden Anlegerschutzes kam es Mitte der 1990er am tschechischen Kapitalmarkt zu zahlreichen Betrugsfällen, bei denen Minderheitsaktionäre faktisch enteignet wurden. Zur Beschreibung dieser Vorgänge hat sich in der Corporate Governance Literatur der 595
596
597
598 599
Vgl. Pistor, Raiser und Gelfer (2000), S. 337. Deutschland und Italien beispielsweise erhielten lediglich einen Indexwert von eins. Vgl. La Porta et al. (1998), S. 1131. Pistor, Raiser und Gelfer (2000) zeigen, dass die Effektivität der gesetzlichen Institutionen einen deutlich stärkeren Einfluss auf die externe Finanzierung in Transformationsländern hat als die formale Gesetzgebung. In Kapitel 5.1.2 wird der Indikator der EBRD aus dem Jahr 1998 zum Umfang und der Effektivität der Gesetzgebung und Regulierung von Wertpapiermärkten vorgestellt. Vgl. Stringham, Boettke und Clark (2008), S. 557-560 und Glaeser, Johnson und Shleifer (2001), S. 875. Die unterschiedlichen Transformationsprozesse in den drei Ländern hingen stark mit dem politischen Umfeld zusammen. Die tschechische Wirtschaftspolitik wurde dabei allgemeinhin als sehr liberal eingestuft; die ungarische und insbesondere die polnische wurden als restriktiver wahrgenommen. Die Heritage Foundation bewertete mit Hilfe des Index of Economic Freedom Tschechien im Jahr 1995 mit einem Wert von 67,8, Ungarn erhielt 55,2 und Polen 50,7 Punkte. Vgl. auch Glaeser, Johnson und Shleifer (2001), S. 874, 895-896.
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Begriff „Tunneling“ etabliert. Johnson, La Porta, Lopez-de-Silanes und Shleifer definieren Tunneling als „the transfer of resources out of a company to its controlling shareholder (who is typically also a topmanager).”600 Dabei kann unterschieden werden zwischen Fällen, bei denen diese Ressourcen durch legale oder illegale Transaktionen zum Vorteil des Mehrheitsaktionärs transferiert werden und Fällen, bei denen der Mehrheitsaktionär seinen Aktienanteil zu Lasten der Minderheitsaktionäre durch Insiderhandel oder verwässernde Kapitalerhöhungen steigert. 601 Speziell erstere Form wurde in Tschechien häufig angewendet, indem Vermögen eines Unternehmens durch Beschlüsse der Hauptversammlung unter dem Marktpreis an andere Unternehmen verkauft oder langfristige Verträge geschlossen wurden, bei denen die Produktion zu unvorteilhaften Konditionen an ein Unternehmen des gleichen Aktionärs verkauft wurde. Insbesondere die mangelnde Haftung der Vorstände, eine niedrige beschlussfähige Mehrheit von 30% bei Aktionärsversammlungen und das unzuverlässige Justizsystem werden dafür verantwortlich gemacht, dass diese Fälle in Tschechien besonders häufig auftraten. 602 Zusammenfassend kann über die Transparenzanforderungen in der Liberalisierungsphase gesagt werden, dass Polen die strengste Regulierung mit den meisten Vorschriften eingeführt hatte, während es insbesondere in Tschechien nur sehr wenige Anforderungen an gelistete Unternehmen und eine unzureichende Aufsicht gab. Der Umfang der ungarischen Regulierung kann zwischen diesen beiden eingeordnet werden. Dieses Muster zeigt sich auch in einigen anderen relevanten Bereichen der Kapitalmarktregulierung. Neben dem Investorenschutz galt dies auch für die Regulierung von Kapitalmarktintermediären wie Brokern, Investmentberatern, Investmentfonds oder Depotbanken, die in Polen deutlich strengeren Regeln unterlagen als in Tschechien und Ungarn.603 Die Unterschiede in der Einführung international gängiger Vorschriften führten auch dazu, dass die Börse Warschau bereits 1994 und die Börse Budapest ab 2001 Vollmitglied in der International Federation of Stock Exchanges (heute: World Federation of Exchanges) wurden, die Börse Prag aber bis zuletzt nur einen Correspondent-Status erhielt.604
600 601 602 603
604
Johnson et al. (2000), S. 22. Vgl. Johnson et al. (2000), S. 22-23. Vgl. Coffee (1999), S. 23-25. So waren z.B. bei Brokern die Lizenzierungsanforderungen in Polen deutlich höher als in Tschechien. Im Gegensatz zu Tschechien und Ungarn bestand zudem die „Honest Trading“ Anforderung an Broker, die verhindern soll, dass diese entgegen der Interessen ihrer Klienten handeln. Vgl. Glaeser, Johnson und Shleifer (2001), S. 876-881. Die World Federation of Exchanges ist ein Weltverband von Börsen, der sich für die Förderung von Standards einsetzt.
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5.1.2 Reformphase Erste Reformen als Reaktion auf die Betrugsfälle wurden in Tschechien bereits im Jahr 1996 eingeleitet. Dabei wurde neben der Verschärfung der Regulierung von Investmentfonds und der Einführung von Restriktionen beim außerbörslichen Handel auch die Offenlegung von Blockholdings geregelt. 605 Demnach musste bei Erreichen bestimmter Anteilsschwellen eine öffentliche Bekanntmachung erfolgen; ein Pflichtgebot bestand bei Erreichen von 50% der Anteile.606 Da es auch danach zu weiteren Betrugsfällen kam, führte dies in Kombination mit der schlechten Performance des Aktienmarktes, der Währungskrise, einem Regierungswechsel und dem Rückzug ausländischer Investoren dazu, dass insbesondere der tschechische Kapitalmarkt in der Folge stark reformiert wurde. 607 Aber auch in Ungarn und Polen wurden im Vorfeld des Beitritts zur Europäischen Union Reformen durchgeführt, die im folgenden Abschnitt vorgestellt werden. Obwohl die CEE-3 erst im Mai 2004 der EU beitraten, waren diese bereits einige Jahre zuvor bemüht, zahlreiche Regulierungen an EU-Standards anzugleichen. Dieser Prozess begann bereits im Jahr 1995 mit dem „Weißbuch“ (engl. „White paper“) der Europäischen Kommission, das die wichtigsten EU-Gesetzgebungen nannte, die von den Beitrittsstaaten in nationales Recht übernommen werden sollten.608 Die Europäische Kommission gab ihre Einschätzung über die Fortschritte u.a. bei der Umsetzung der EU-Gesetzgebung durch die Beitrittskandidatenländer in der „Agenda 2000“ im Jahr 1997 ab. Dabei gab es zahlreiche Kritikpunkte an der Regulierung des tschechischen Aktienmarktes, insbesondere die mangelnde Transparenz, die ausbleibende Nutzung der Börse zur Finanzierung von Unternehmen und die zahlreichen Betrugsfälle. Daher wurde neben der Etablierung einer unabhängigen Kapitalmarktaufsicht auch eine Verschärfung der Transparenzvorschriften empfohlen. 609 Die in der Agenda 2000 geäußerten Meinungen der Europäischen Kommission zu den Börsen in Warschau und Budapest waren dagegen relativ neutral, ohne konkrete Empfehlungen bezüglich Änderungen der Regulierung.610 In den Folgejahren veröffentlichte die Europäische Kommission jährlich eine Beurteilung der Reformfortschritte in den Beitrittskandidatenländern. Auch in diesen Berichten wurden weitere Kritikpunkte an der Regulierung des tschechischen Kapitalmarktes hervorgebracht. Tabelle 5.3 gibt eine Übersicht über die
605 606 607 608
609 610
Vgl. Glaeser, Johnson und Shleifer (2001), S. 892. Vgl. Pistor (2001), S. 270. Vgl. EBRD (1998), S. 115. Vgl. Brenneman (2004) für eine Darstellung des Integrationsprozesses in Bezug auf die Kapitalmarktregulierung im Vorfeld des EU-Beitritts. Vgl. Europäische Kommission (1997a), S. 26. Vgl. Europäische Kommission (1997c), S. 28 für Polen und Europäische Kommission (1997b), S. 31 für Ungarn.
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durch die Europäische Kommission identifizierten Probleme und die daraufhin eingeleiteten Reformen. Identifizierte Probleme der Europ. Kommission
Verabschiedete Maßnahmen
Keine unabhängige Wertpapieraufsicht
Gründung einer unabhängigen Aufsicht
Zweistufige regulatorische Struktur zwischen Finanzministerium und Wertpapieraufsichtsbehörde Finanzielle Abhängigkeit der Wertpapieraufsichtsbehörde vom Staatshaushalt Illiquidität im Sekundärmarkt
Wertpapieraufsicht erhält das Recht bindende Regulierung zu verabschieden
Fehlende Transparenz
Marktfragmentierung
Keine Delisting von Aktien der Börse Prag und dem RM-System Einführung des SPAD-Handelssystems Strengere Listinganforderungen Strengere Anforderungen bei Vergabe von Broker-Lizenzen Regulatorische Gleichstellung des RM-Systems mit der Börse Pflicht zur Veröffentlichung aller nicht börslichen Transaktionen
Tabelle 5.3: Reformmaßnahmen am tschechischen Kapitalmarkt Quelle: Brenneman (2004)
Als Reaktion auf die Kritik der Europäischen Kommission wurde als erste wichtige Reformmaßnahme in Tschechien die Gründung einer unabhängigen Kapitalmarktaufsicht im November 1997 beschlossen (die Behörde nahm ihre Arbeit im April 1998 auf), deren Aufgaben im Act on Supervision in the Capital Market geregelt wurden. Die Unabhängigkeit der Behörde war dabei anfangs noch zum Teil eingeschränkt, da sie weiterhin über den Staatshaushalt finanziert wurde und neue Regulierungen über das Finanzministerium an die Regierung geleitet wurden.611 Erst im Juli 2002 bekam die Behörde das Recht eine bindende Regulierung zu verabschieden. Die Aufsichtsbehörde erhielt jedoch von Anfang an mehr Vollstreckungsmacht, insbesondere da fortan eine Erlaubnis durch die Behörde für ein Listing nötig war und diese mit der Möglichkeit der Verhängung hoher Strafen die Einhaltung der Gesetze besser durchsetzen konnte.612 Die Überprüfung der Einhaltung der Offenlegungspflichten der Emittenten durch die Aufsichtsbehörde begann im November 1998. Dabei wurden im ersten Jahr
611 612
Vgl. Europäische Kommission (1998), S. 15. Vgl. Brenneman (2004), S. 42.
180
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bereits Strafen über 23,5 Millionen Euro ausgesprochen.613 Des Weiteren wurden im Jahr 1999 durch die Börse Prag 16 Sanktionen gegen Unternehmen verhängt, die ihre Informationen nicht rechtzeitig oder nicht im vorgeschriebenen Umfang bereitgestellt hatten. Dies hatte in zwei Fällen den Ausschluss aus dem Secondary Markets Segment zur Folge.614 Im Jahr 2001 gab es dagegen nur noch zwei Sanktionen durch die Börse diesbezüglich. Dies wurde als Indiz für eine bessere Einhaltung der Informationspflichten durch die Emittenten gewertet. 615 Da die meisten der am Free Market gelisteten Aktien nicht oder nur sehr wenig gehandelt wurden, beschloss die Börse Prag im Jahr 1997 1.301 illiquide Aktien nicht mehr länger zu listen.616 Für die verbliebenen Unternehmen wurden strengere Listinganforderungen beschlossen. Die Anpassung dieser Regeln an EUStandards erfolgte schrittweise, insbesondere zwischen 1999 und 2002.617 Im Jahr 2000 mussten Emittenten des Main und Secondary Market Segments laut Börsenregulierung (Exchange Regulations) u.a. vierteljährliche Finanzberichte, einen testierten Jahresabschluss und Hauptversammlungsbeschlüsse publizieren. Zudem mussten laufend alle Informationen, die den Unternehmenswert beeinflussen können, veröffentlicht werden. 618 Diese Regulierung ging dabei über die Gesetze des Securities Act hinaus, der auch im Jahr 2001 noch lediglich eine halbjährliche Berichterstattung vorschrieb. 619 Ab dem Jahr 2000 mussten Unternehmen, die im Main Market Segment gelistet waren, zudem ihre Abschlüsse nach den International Accounting Standards (IAS) bilanzieren.620 Auch die zuvor sehr liberale Regulierung von Kapitalmarktintermediären wurde im Jahr 1999 deutlich verschärft. So wurden beispielsweise durch ein neues Vergabeverfahren 50% der Lizenzen von Brokern, Dealern und Fondsmanagern entzogen. 621 Um die starke Marktfragmentierung durch den parallelen Handel von Aktien über das RM-System, over-the-counter und die Börse Prag einzudämmen, wurde ab Januar 2001 das RM-System regulatorisch der Börse Prag gleichgestellt (zuvor hatte dieses den Status eines Brokers). Zudem mussten alle nichtbörslichen Transaktionen veröffentlicht werden. Dadurch ging der Anteil der über
613 614
615 616 617 618 619
620 621
Vgl. Europäische Kommission (1999), S. 32. In 11 dieser Fälle kam es zu nicht-öffentlichen Verwarnungen, in 2 Fällen zu öffentlichen Verwarnungen, in einem Fall wurde eine Geldstrafe von 50.000 CZK verhängt. Vgl. PSE (1999), S. 17. Vgl. PSE (2001), S. 16. Vgl. PSE (2000), S. 2. Vgl. PSE (1999), S. 7,17 und Brenneman (2004), S. 49-50. Vgl. PSE (2000), S. 22. Für Unternehmen am Free Market galten lediglich die Gesetze des Securities Act. Für Unternehmen des Main, Secondary und New Market galten dagegen zusätzlich die Exchange Regulations. Vgl. PSE (2001), S. 15. Vgl. PSE (2001), S. 15. Vgl. Europäische Kommission (1999), S. 32.
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das RM-System gehandelten Aktien deutlich zurück und führte so zu einer Erhöhung der Preistransparenz.622 Zusammenfassend lässt sich über die Regulierung des tschechischen Kapitalmarktes in der Reformphase sagen, dass die im Vergleich zu Ungarn und Polen sehr liberale Gesetzgebung schrittweise ab dem Jahr 1996 verschärft wurde. Die Gründung einer unabhängigen Aufsicht führte zudem zu einer Verbesserung der Einhaltung und Durchsetzung dieser Gesetze. Allerdings zog sich der Prozess über mehrere Jahre hin. Noch im Jahr 2000 kritisierte die Europäische Kommission Defizite in der Struktur der Aufsichtsbehörde und die Marktfragmentierung.623 Im Vergleich zu Tschechien gab es in Polen deutlich weniger bedeutende Änderungen der Transparenzanforderungen in der Reformphase. Dies lässt sich auf die bereits Anfang der 1990er eingeführten relativ strengen Anforderungen zurückführen, die den Reformbedarf zur Anpassung an die in der EU üblichen Vorschriften in Grenzen hielten. Im Jahr 1997 wurde zwar ein neues Kapitalmarktgesetz, das Law on Public Trading in Securities, verabschiedet (das im Januar 1998 in Kraft trat), dabei wurden aber, im Vergleich zum vorher gültigen Law on Public Trading in Securities and Trust Funds, hauptsächlich die Gesetze in Bezug auf Wertpapierfonds in das neue Law on Investment Funds ausgegliedert, um dieses an die EU-Fondsrichtlinie anzupassen. 624 Die in Kapitel 5.1.1 dargestellten Transparenzvorschriften blieben dabei weitestgehend unverändert. 625 Die Europäische Kommission stellte bereits im Jahr 1997 fest, dass die polnischen Gesetze die fundamentalen Prinzipien bezüglich der Regulierung des Wertpapierhandels, des Insider Handels, des Erwerbs und der Veräußerung großer Anteile und der Organisation gemeinsamer Wertpapieranlagen (z.B. Investmentfonds) erfüllten.626 Am ungarischen Kapitalmarkt wurden zahlreiche Transparenzvorschriften bereits im Jahr 1996 durch die Verabschiedung eines neuen Kapitalmarktgesetzes, dem Act CXI on Securities Offerings, Investment Services and the Stock Exchange reformiert. Dieses schrieb vor, dass ein Wertpapierprospekt, im Vergleich zu dem Gesetzbuch aus dem Jahr 1990, deutlich mehr Informationen beinhalten musste. Beispielsweise musste ein Prospekt nach der neuen Regelung auch eine Einschätzung über die zukünftige Entwicklung der ökonomischen und finanziellen Lage
622 623 624
625
626
Vgl. Brenneman (2004), S. 50-51. Vgl. Europäische Kommission (2000), S. 48. Eine ähnliche Kritik findet sich in EBRD (1999), S. 211. Zudem wurden einige Gesetze an neue Anforderungen durch den OECD-Beitritt angepasst. Vgl. Europäische Kommission (1998), S. 23. Einige kleinere Änderungen wurden jedoch vorgenommen. So mussten Investoren beispielsweise bei Überschreiten gewisser Anteilsschwellen die Aufsichtsbehörde nicht mehr erst nach 7, sondern nach 4 Tagen benachrichtigen (Artikel 141). Vgl. Europäische Kommission (1997c), S. 45.
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des Unternehmens beinhalten.627 In Bezug auf die Veröffentlichung des Jahresabschlusses wurde eingeführt, dass bis zum 15. Februar eines jeden Jahres ein sogenannter Annual Flash Report veröffentlicht werden musste, der bereits die wichtigsten Informationen enthielt (der Jahresabschluss musste bis zum 30. April eingereicht werden). Dies sollte die Gefahr des Insider Trading reduzieren.628 Die an der Börse Budapest im Segment Category A gelisteten Unternehmen unterlagen zudem den Vorschriften der Börse (Rules of the Exchange), die eine vierteljährliche Berichterstattung und eine Bekanntgabe außergewöhnlicher Ereignisse innerhalb eines Tages enthielten. 629 In Bezug auf letztere wurde zudem der Umfang der durch das Gesetz abgedeckten Ereignisse ausgeweitet. So mussten fortan alle Informationen, die direkt oder indirekt den Unternehmenswert beeinflussen konnten, innerhalb von zwei Tagen bekannt gegeben werden (§50).630 Das Verbot von Insider Trading bestand zwar bereits seit 1990 in Ungarn, durch das neue Gesetz aus dem Jahr 1996 wurde die Definition eines Insiders und einer Insider-Information aber deutlich ausgeweitet (§§144-150). Ebenfalls erweitert wurde das Verbot von Preismanipulation. Demnach waren auch das vorsätzliche Zurückhalten von Informationen und die Verbreitung falscher Informationen verboten (§151). Zusätzlich wurde eingeführt, dass vor dem Erwerb von Aktien, mit denen ein Investor eine bestimmte Anteilsschwelle (15%, 33%, 50%, 75%) erreichen würde, eine Erlaubnis eingeholt werden musste (§18). Außerdem wurde ein Investor, der einen Aktienanteil von 33% erreicht hatte, verpflichtet ein Angebot zum Erwerb weiterer Anteile zu unterbreiten, bei dem der Preis mindestens dem Durchschnittskurs der letzten 90 Tage entsprach. 631 Ebenfalls im Jahr 1996 wurde die Struktur der Kapitalmarktaufsichtsbehörden in Ungarn reformiert. Die ungarische Wertpapieraufsichtsbehörde hatte anfangs trotz ihrer Unabhängigkeit nicht die Befugnis eigene Regulierungsvorschriften herauszugeben. Dieses Recht war dem Finanzministerium vorbehalten. 632 Durch den Act CXIV on the State Financial and Capital Market Supervisory Commission schuf Ungarn als eines der ersten osteuropäischen Länder eine konsolidierte Aufsicht, die sowohl Banken als auch Wertpapiermärkte überwachte, die Hungarian Banking and Capital Market Supervision. Diese erhielt im Vergleich zur vorherigen Aufsicht stärkere Rechte bei der Überwachung und Durchsetzung. 633 Im Jahr 2000 627 628 629 630
631
632 633
Die im Prospekt vorgeschriebenen Informationen finden sich in den Paragraphen 25-29. Vgl. Vörös (1998), S. 138-139. Vgl. BSE (1999), S. 35. In der Gesetzgebung aus dem Jahr 1990 bezog sich die Pflicht hauptsächlich auf negative Unternehmensentwicklungen. Vgl. Kapitel 5.1.1. Wenn die Aktie nur over-the-counter gehandelt wurde, musste der Preis mindestens dem Durchschnitt der letzten 180 Tage entsprechen. Vgl. Vörös (1998), S. 146-147. Vgl. Brenneman (2004), S. 57. Vgl. Vörös (1998), S. 133.
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wurde durch die Fusion mit der Versicherungs- und Pensionsaufsichtsbehörde eine Allfinanzaufsichtsbehörde, die Hungarian Financial Supervisory Authority geschaffen. 634 Im Jahr 2001 wurde das ungarische Kapitalmarktrecht durch den Act CXX on the Capital Market abgelöst. Dadurch wurden weitere Änderungen in Bezug auf die Regulierung des Informationsumfeldes eingeführt, wie die Verpflichtung zur unmittelbaren Veröffentlichung außergewöhnlicher Ereignisse (Section 54). Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Ungarn bereits zu Beginn der Reformphase die Regulierung des Informationsumfeldes des Aktienmarktes durch umfassende Gesetze und eine weitreichende Überwachung zu erheblichen Teilen an gängige Vorschriften in der EU angepasst hatte. Dies lässt sich auch an der Einschätzung der Europäischen Kommission in der Agenda 2000 aus dem Jahr 1997 ablesen: “Regarding the financial market, the legislative framework is now largely in compliance with EU criteria concerning official stock exchange listing, public offers of transferable securities, insider dealing, disposal of major holdings, and investment services in the securities field.”635
Vierteljährliche Veröffentlichung Bekanntgabe bei Erreichen eines Anteils von 10% Pflichtgebot bei Überschreiten bestimmter Anteilsschwellen Unabhängige Kapitalmarktaufsicht Quantitative Listinganforderungen Insider-Trading Gesetze
Polen
Ungarn
Tschechien
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
Tabelle 5.4: Kapitalmarktregulierung in den CEE-3 im Jahr 1998 Quelle: Pistor (2001)
Tabelle 5.4 verdeutlicht noch einmal, dass die zentralen Bestandteile der gängigen Kapitalmarktregulierung in den CEE-3 bereits im Jahr 1998 eingeführt waren. Die Regulierung in Tschechien wies allerdings, wie erläutert, noch einige Schwächen, insbesondere in der Überwachung und Aufsicht dieser Regeln, auf. Diese analysierten Unterschiede in den Gesetzgebungen der CEE-3 spiegeln sich auch in den 634 635
Vgl. EBRD (2010). Europäische Kommission (1997b), S. 49.
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TRANSPARENZANFORDERUNGEN UND SCHWACHE EFFIZIENZ
Indikatoren der EBRD zum Umfang (Extensiveness) und der Effektivität (Effectiveness) der Gesetzgebung und Regulierung von Wertpapiermärkten aus dem Jahr 1998 wider. 636 Diese auf Expertenumfragen basierenden Indikatoren zeigen auf einer Skala von 1 bis 4+, inwieweit die durch das IOSCO vertretenen Prinzipien erfüllt sind.637 Der Umfang der Regulierung in Tschechien blieb demnach im Jahr 1998 hinter der in Polen und Ungarn zurück. Der Abstand war aber durch die eingeleiteten Reformen relativ klein. Allerdings zeigt sich, dass u.a. aufgrund der erst kurz zuvor etablierten unabhängigen Aufsicht noch Defizite in der Durchsetzung und damit der Effektivität dieser Gesetze bestanden. Im Vergleich zu anderen osteuropäischen Transformationsländern erreichten die CEE-3 bei diesem Indikator die höchsten Werte.
Land
Wertpapiermärkte
Banken
Extensiveness
Effectiveness
Extensiveness
Polen
4
4
4
Effectiveness 3
Tschechien
4-
3
3
3-
Ungarn
4
4
4
4
Rumänien
3
3
3
2+
Slowenien
3+
2+
4
3
Bulgarien
4
3
4
4-
Slowakei
3
2
3
2
Russland
3
2
3-
2+
Tabelle 5.5: Indikatoren zur Gesetzgebung und Regulierung im Jahr 1998 Quelle: EBRD (1998)
5.1.3 EU-Beitrittsphase Wie im vorherigen Abschnitt erläutert wurde, hatten die CEE-3 bereits im Vorfeld ihres EU-Beitritts begonnen ihre Kapitalmarktgesetze an EU-Regelungen anzugleichen. In den Jahren 2003 und 2004 wurden weitere EU-Richtlinien erlassen, deren Umsetzung, nach dem EU-Beitritt der CEE-3, das Informationsumfeld der Aktienmärkte beeinflusste. Ausgangspunkt dieser EU-Kapitalmarktrichtlinien war der Aktionsplan zur Umsetzung des Finanzmarktrahmens („Financial Services Action Plan“) aus dem Jahr 1999 mit dem Ziel einen funktionierenden Binnenmarkt 636
637
Die EBRD hatte bereits im Jahr 1995 damit begonnen gesetzliche Rahmenbedingungen in Transformationsländern zu untersuchen. Banken und Kapitalmärkte wurden aber erstmals im Jahr 1998 berücksichtigt. Vgl. Ramasastry (2002), S. 18. Eine Erläuterung der einzelnen Werte findet sich in Anhang 20 und Anhang 21. Vgl. Ramasastry (2002), S. 1430 und EBRD (1998), S. 110-112 für eine Beschreibung der Methodik der Indikatoren.
TRANSPARENZANFORDERUNGEN UND SCHWACHE EFFIZIENZ
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für Finanzdienstleistungen zu schaffen. Um das Ziel der Erlassung von Richtlinien bis Ende 2004 zu erreichen, wurde zur Beschleunigung des EU-Gesetzgebungsverfahrens das sogenannte Lamfalussy-Verfahren angewendet. Dieses zielt darauf ab, dass durch das Europäische Parlament und den Rat lediglich der Kern der Richtlinien beschlossen wird, während die spezifische Ausarbeitung in spezialisierten Ausschüssen und durch Regulatoren geschieht. 638 Die in Bezug auf die vorliegende Fragestellung wichtigsten im Rahmen des Aktionsplans erlassenen Richtlinien waren die • Prospektrichtlinie (2003/71/EG), • die Marktmissbrauchsrichtlinie (2003/6/EG) • und insbesondere die Transparenzrichtlinie (2004/109/EG). Zudem hatten auch weitere EU-Gesetzgebungen, wie die Verordnung betreffend der Anwendung internationaler Rechnungslegungsgrundsätze 639 und im weiteren Sinne auch die Richtlinien über Märkte für Finanzinstrumente, zur Corporate Governance, betreffend Übernahmeangebote und über Aktionärsrechte, einen Einfluss auf das Informationsumfeld dieser Märkte. 640 Die drei oben genannten Richtlinien sollen im Folgenden kurz vorgestellt werden. Der Fokus liegt dabei auf der Erläuterung der Transparenzrichtlinie. Die Prospektrichtlinie hatte das Ziel eine weitere Harmonisierung der Bedingungen für die Erstellung, die Billigung und die Verbreitung eines Wertpapierprospekts zu erreichen.641 Durch die Einführung des europäischen Passes sollte zudem die EU-weite Emission von Wertpapieren erleichtert werden. Aus Sicht der vorliegenden Fragestellung sind dabei insbesondere die Regeln zur Erstellung des Prospekts und der beinhaltenden Informationen relevant (Kapitel II). 642 Allgemein sollte das Prospekt „sämtliche Angaben, die (...) erforderlich sind, damit die Anleger sich ein fundiertes Urteil über die Vermögenswerte und Verbindlichkeiten, die Finanzlage, die Gewinne und Verluste, die Zukunftsaussichten des Emittenten und jedes Garantiegebers sowie über die mit diesen Wertpapieren verbundenen Rechte
638 639
640 641 642
Vgl. Europäische Kommission (2004) für eine ausführliche Darstellung des Prozesses. In der Verordnung betreffend der Anwendung internationaler Rechnungslegungsgrundsätze wurde festgelegt, dass kapitalmarktorientierte Gesellschaften, die an einem geregelten Markt zugelassen sind, ihren konsolidierten Abschluss nach internationalen Rechnungslegungsstandards aufstellen müssen (Artikel 4). Für (nicht konsolidierte) Jahresabschlüsse von kapitalmarktorientierten Gesellschaften sowie für konsolidierte und nicht konsolidierte Abschlüsse bzw. Jahresabschlüsse von nicht kapitalmarktorientierten Gesellschaften können Mitgliedsstaaten die Anwendung internationaler Rechnungslegungsstandards gestatten oder vorschreiben (Artikel 5). Vgl. Bundesverband öffentlicher Banken (2010) für einen Überblick. Artikel 1 (1). Des Weiteren werden in der Richtlinie die Billigung und Veröffentlichung des Prospekts, grenzüberschreitende Angebote und die Zulassung zum Handel, die Sprache, die zuständige Behörde und die Durchführungsmaßnahmen geregelt.
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bilden können”, beinhalten. 643 Zudem wird gefordert, dass diese Informationen leicht zu analysieren sind und in verständlicher Form vorliegen. 644 Im Speziellen muss das Prospekt dabei u.a. finanzielle Informationen über die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage, die Risikofaktoren, einen Geschäftsüberblick, die Organisationsstruktur, Angaben zur Geschäfts- und Finanzlage und die Identität der Hauptaktionäre beinhalten.645 Die Marktmissbrauchsrichtlinie wurde mit dem Ziel formuliert, durch die Schaffung von Marktintegrität zu einem integrierten und effizienten Markt beizutragen. Sie bezieht sich hauptsächlich auf die Verhinderung von Insider-Handel und Marktmanipulation. Insider-Informationen werden dabei definiert als eine „nicht öffentlich bekannte präzise Information, die (…), wenn sie öffentlich bekannt würde, geeignet wäre, den Kurs (…) erheblich zu beeinflussen.“ 646 Unter Marktmanipulation fallen u.a. Geschäfte, „die falsche oder irreführende Signale für das Angebot (…), die Nachfrage danach oder ihren Kurs geben“; „Geschäfte oder Kauf- bzw. Verkaufsaufträge unter Vorspiegelung falscher Tatsachen“ und „die Verbreitung von Informationen (…), die falsche oder irreführende Signale in Bezug auf Finanzinstrumente geben oder geben könnten, u.a. durch Verbreitung von Gerüchten sowie falscher oder irreführender Nachrichten“. 647 Nach der Formulierung des Verbots von Insider-Geschäften (Artikel 2-4) und der Marktmanipulation (Artikel 5) wird in Artikel 6 geregelt, dass Emittenten Insider-Informationen so bald wie möglich der Öffentlichkeit bekannt geben müssen. 648 Zudem wird für Personen in Führungsaufgaben vorgeschrieben, dass diese die zuständige Behörde über ihre Eigengeschäfte informieren müssen („Director Dealings“). 649 Außerdem müssen Analysten dafür Sorge tragen, dass Informationen sachgerecht dargeboten und etwaige Interessen oder Interessenkonflikte offen gelegt werden. 650 Die Transparenzrichtlinie regelt Anforderungen an die Veröffentlichung regelmäßiger und laufender Informationen über Emittenten an einem geregelten Markt.651 Im Gegensatz zur Prospektrichtlinie setzt die Transparenzrichtlinie lediglich minimale Standards und erlaubt es den Herkunftsmitgliedsstaaten strengere Anforderungen aufzuerlegen. 652 Aufnahmemitgliedsstaaten ist es allerdings nicht erlaubt 643 644 645
646 647 648 649 650 651 652
Artikel 5 (1). Artikel 5 (1). Dies wurde nicht in der Richtlinie selbst, sondern in der Verordnung zur Umsetzung der Richtlinie 2003/71/EG betreffend die in Prospekten enthaltenen Informationen sowie das Format, die Aufnahme von Informationen mittels Verweis und die Veröffentlichung solcher Prospekte und die Verbreitung von Werbung geregelt. Artikel 1 (1). Artikel 1 (2). Artikel 6 (1). Artikel 6 (4). Artikel 6 (5) und Kapitel 3.2.2. Artikel 1(1). Artikel 3(1).
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strengere Veröffentlichungspflichten für den Zugang zum geregelten Markt zu erlassen. 653 Bei den regelmäßigen Informationen wurden minimale Standards in Bezug auf Umfang und Veröffentlichungszeitpunkt für den Jahresfinanzbericht, den Halbjahresfinanzbericht und die Zwischenmitteilung der Geschäftsführung gesetzt. Außerdem wurden Standards für die Bekanntgabe bei Erreichen von bedeutenden Stimmrechtsanteilen gesetzt sowie die Dissemination, die Veröffentlichungssprache und die zentrale Aufbewahrung von Informationen geregelt. Tabelle 5.6 gibt einen Überblick zu den wesentlichen Regelungen und ihrer Ausgestaltung. Trotz des Anspruchs der Richtlinie lediglich minimale Standards zu setzen, stellten beispielsweise die Fristen für die Veröffentlichung der Jahres- und Halbjahresfinanzberichte selbst für den deutschen und den britischen Kapitalmarkt eine Verschärfung dar. Gleiches gilt für die Zwischenmitteilung der Geschäftsführung, die vorher z.B. in Großbritannien nicht verpflichtend war. 654 Eine Beurteilung der Auswirkungen der Transparenzrichtlinie fand durch den Transparency Directive Assessment Report statt (Mazars 2010). Demnach waren 65% der befragten Stakeholder der Meinung, dass die Richtlinie angemessen sei, um dem Markt akkurate, umfassende und zeitgerechte Informationen bereitzustellen. Kritik gab es dagegen u.a. an der Möglichkeit zusätzliche strengere Anforderungen erlassen zu können und an der mangelnden Flexibilität der Regeln für kleinere und mittlere Unternehmen. 655 Speziell in Bezug auf die regelmäßigen Informationen betrachteten 82% diese als hilfreich bei der Investitionsentscheidung.
653 654
655
Artikel 3(2). Die Einführung einer Zwischenmitteilung war lange Zeit umstritten und stellte einen Kompromiss zum vollständigen vierteljährlichen Bericht dar. Vgl. Fischer-Appelt (2007), S. 135-143. Dabei wurde hauptsächlich die Frist für die Veröffentlichung der halbjährlichen Reports kritisiert. Vgl. Mazars (2010), S. vi-vii.
Laufende Information
Regelmäßige Information
Kapitel
Informationen der Inhaber von zum Handel an einem geregelten Markt zugelassenen Wertpapieren (Art. 17-18)
Informationen über bedeutende Beteiligungen (Art. 9-16)
Zwischenmitteilung der Geschäftsführung (Art. 6)
Halbjahresfinanzberichte (Art. 5)
Artikel Jahresfinanzberichte (Art. 4)
Gleichbehandlung von Aktionären Sicherstellung, dass alle Einrichtungen und Informationen, die die Aktionäre zur Ausübung ihrer Rechte benötigen, zur Verfügung stehen und dass die Integrität der Daten gewahrt wird
Wesentliche Regelung Veröffentlichung spätestens 4 Monate nach Ablauf des Geschäftsjahres Umfasst den a) geprüften Abschluss (Financial Statement) b) Lagebericht (Management Report) c) Erklärung zum Einklang des Abschlusses und des Lageberichts mit den tatsächlichen Verhältnissen (Responsibility statement) d) Prüfbestätigung Falls nötig: Konsolidierter Abschluss Veröffentlichung spätestens 2 Monate nach Ablauf des Berichtszeitraums Umfasst den a) verkürzten Abschluss b) Zwischenlagebericht (Interim Management Report) c) Erklärung zum Einklang des verkürzten Abschlusses und des Zwischenlagebericht mit den tatsächlichen Verhältnissen d) Falls der Halbjahresfinanzbericht geprüft wurde, ist der Bestätigungsvermerk anzugeben Falls nötig: Konsolidierter verkürzter Abschluss Veröffentlichung zwischen 10 Wochen nach Beginn und 6 Wochen vor Ende des Sechsmonatszeitraums Umfasst a) Erläuterungen der wesentlichen Ereignisse und Transaktionen und ihre Auswirkungen b) eine allgemeine Beschreibung der Finanzlage und des Geschäftsergebnisses Gilt nicht für Emittenten, die nach den Vorschriften des nationalen Rechts oder den Regeln des geregelten Marktes oder von sich aus Quartalsfinanzberichte erstellen Ein Aktionär muss dem Emittenten mitteilen, welchen Anteil er hält, wenn er durch Erwerb oder Veräußerung von Aktien (an die Stimmrechte geknüpft sind) an einem geregelten Markt die Schwelle von 5%, 10%, 15%, 20%, 25%, 30%, 50% oder 75% erreicht, über- oder unterschreitet
188 TRANSPARENZANFORDERUNGEN UND SCHWACHE EFFIZIENZ
Wenn das Wertpapier nur am geregelten Markt im Herkunftsmitgliedsstaat zugelassen ist: Veröffentlichung in einer von der Behörde akzeptierten Sprache Wenn das Wertpapier sowohl am geregelten Markt des Herkunftsmitgliedsstaats als auch in einem oder mehreren Aufnahmemitgliedsstaaten zugelassen ist: Veröffentlichung in einer von der zuständigen Behörde des Herkunftsmitgliedsstaates akzeptierten Sprache und je nach Wahl in einer im Aufnahmemitgliedsstaat akzeptierten oder einer in internationalen Finanzkreisen gebräuchlichen Sprache Wenn das Wertpapier nur in einem oder mehreren Aufnahmemitgliedsstaaten zugelassen ist: In einer im Aufnahmemitgliedsstaat akzeptierten oder in einer in internationalen Finanzkreisen gebräuchlichen Sprache Zurverfügungstellung der vorgeschriebenen Informationen in nicht diskriminierender Weise mit schnellem Zugang Amtlich bestelltes System für die zentrale Speicherung vorgeschriebener Informationen Befindet sich der Sitz des Emittenten in einem Drittland, kann die zuständige Behörde des Herkunftsmitgliedsstaats einige der Anforderungen ausnehmen, sofern das Recht des betreffenden Drittlandes zumindest gleichwertige Anforderungen vorsieht
Sprachregelung (Art. 20)
Zugang zu vorgeschriebenen Informationen (Art. 21)
Drittländer (Art. 23)
Wesentliche Regelung Hinterlegung von vorgeschriebenen Informationen bei der zuständigen Behörde des Herkunftsmitgliedsstaates
Artikel Kontrolle durch den Herkunftsmitgliedsstaat (Art. 19)
Tabelle 5.6: Ausgewählte Artikel der EU Transparenzrichtlinie
Allgemeine Verpflichtungen
Kapitel
TRANSPARENZANFORDERUNGEN UND SCHWACHE EFFIZIENZ 189
190
TRANSPARENZANFORDERUNGEN UND SCHWACHE EFFIZIENZ
Mit der Umsetzung der genannten EU-Richtlinien wurde daher ein starkes Maß an Harmonisierung der Informationsumfelder in den EU-Mitgliedsstaaten erreicht.656 Insbesondere die Gesetze zur Ausgestaltung der Wertpapierprospekte und zum Marktmissbrauch unterscheiden sich daher kaum noch innerhalb der EU. 657 Die Transparenzrichtlinie erlaubt dagegen die Auferlegung weiterer Vorschriften. Zudem haben die Börsen die Möglichkeit strengere Regelungen für einzelne Segmente des regulierten Marktes festzulegen. So gibt es beispielsweise noch gewisse Unterschiede zwischen den Mitgliedsstaaten bei den Anforderungen an den Umfang der unterjährigen Finanzberichte (verkürzte Zwischenmitteilung vs. umfassender Quartalsfinanzbericht), bei zusätzlichen meldepflichtigen Anteilsschwellen (z.B. bereits bei 3%), bei quantitativen Listinganforderungen beim Zugang zu bestimmten Marktsegmenten (z.B. der Marktkapitalisierung oder des Streubesitzes) und einigen weiteren Vorschriften, wie die Durchführung einer jährlichen Analystenkonferenz. Auch wenn diese Unterschiede eine wichtige Rolle in der Praxis spielen, ist jedoch kaum davon auszugehen, dass diese für einen signifikanten Unterschied in der schwachen Informationseffizienz verantwortlich sind. Trotzdem soll im Folgenden ein Überblick über den aktuellen rechtlichen Rahmen an den Börsen der CEE-3 gegeben werden. Die aktuelle Kapitalmarktregulierung in Polen basiert hauptsächlich auf drei Gesetzen aus dem Jahr 2005, die sich jeweils auf den Primärmarkt (Act on Public Offering, Conditions Governing the Introduction of Financial Instruments to Organised Trading, and on Public Companies), den Sekundärmarkt (Act on Trading in Financial Instruments) und die Marktaufsicht beziehen (Act on Capital Market Supervision). Die WSE Rules und die Detailed Exchange Rules beinhalten zudem die Regeln zur Organisation des Handels, der Orderplatzierung und der Transaktionsausführung an der Börse Warschau. In Polen wurde im Jahr 2006 eine Allfinanzaufsicht, die Polish Financial Supervision Authority, gegründet, die die Überwachung von Versicherungen, Kapitalanlagegesellschaften, Pensionsfonds, Banken und des Wertpapierhandels vereint. 658 Die tschechische Kapitalmarktregulierung findet sich größtenteils im Capital Market Undertaking Act aus dem Jahr 2004, dem Securities Act und den Prague Stock Exchange Rules and Regulations. 659 Mit Wirkung zum 1. April 2006 übernahm die tschechische Nationalbank die Überwachung des Kapitalmarktes. Die aktuelle ungarische Kapitalmarktregulierung findet sich im Act CXX on the Capital Market aus dem Jahr 2001. Die 656
657 658
659
Alle drei CEE-3 Länder setzten die Transparenzrichtlinie erst mit Verspätung um (diese hätte eigentlich bereits Anfang 2007 erfolgt sein sollen). Auf eine weitere Erläuterung dieser Aspekte wird daher im Folgenden verzichtet. Die Fusion mit der Bankenaufsicht fand erst im Jahr 2008 statt. Die Regulierung basiert auf dem Act on Financial Market Supervision (vom 21. Juli 2006), der sich mit der Organisation, dem Aufgabenbereich und den Zielen der Finanzmarktaufsicht befasst. Der Capital Market Undertakings Act ist auch als Act on Business Activities on the Capital Market bekannt.
TRANSPARENZANFORDERUNGEN UND SCHWACHE EFFIZIENZ
191
Aufgaben der Hungarian Financial Supervisory Authority sind im Act CXXXV aus dem Jahr 2007 festgelegt.660 In Tabelle 5.7 werden die aktuellen Börsenzulassungsvoraussetzungen und -folgepflichten, die in den jeweiligen Gesetzestexten bzw. Börsenregulierungen festgelegt sind, verglichen. Die Tabelle bezieht sich dabei nur auf Aspekte, die nicht durch EU-Richtlinien wie oben erläutert für alle Märkte harmonisiert wurden, sondern bei denen die Regierungen bzw. Börsenbetreiber Gestaltungsspielräume hatten. 661 Der Vergleich bezieht sich dabei auf die Premium Segmente mit den strengsten Anforderungen. Eine Erläuterung der weiteren Segmente wird aufgrund ihrer begrenzten ökonomischen Relevanz nicht vorgenommen. 662 Auch wenn die Anforderung an die Marktkapitalisierung an der Börse Warschau relativ höher ist als an den anderen Börsen, so stellt diese mit mindestens 15 Millionen Euro höchstens für sehr junge Unternehmen (für die auch das New Connect Segment besteht) eine Hürde dar. Die Regelungen zum Streubesitz und dem Mindestbestehen der Unternehmen sind an allen Börsen (bis auf wenige Details) identisch. Lediglich bei der Mindestzahl an Aktien besteht im Prime Standard an der Börse Frankfurt eine strengere Vorschrift als an den Börsen der CEE-3. Bei den Zulassungsfolgepflichten zeigen sich ebenfalls keine großen Unterschiede. Lediglich an der Börse Prag gibt es die Pflicht zur Bereitstellung eines Kalenders mit den Daten der Termine für die Veröffentlichung, beispielsweise der Finanzberichte. Die Informationen über diese Termine sind aber für die Unternehmen der anderen beiden Länder zum Beispiel über private Informationsdienstleister einfach zu beschaffen. Im Prime Standard der Börse Frankfurt gibt es jedoch noch einige Vorschriften, die so nicht an den Börsen der CEE-3 zu finden sind. Neben der hier genannten obligatorischen jährlichen Analystenkonferenz müssen auch die Quartalsfinanzberichterstattung und die Ad-hoc-Mitteilungen in englischer Sprache veröffentlicht werden.
660 661
662
Vgl. EBRD (2011). Kleine Unterschiede kann es zudem bei weiteren meldepflichtigen Anteilsschwellen geben. So ist beispielsweise in Tschechien bereits bei einem Anteil von 3% eine Offenlegung nötig (Artikel 122), in Polen dagegen erst bei 5% (Artikel 24 des Act on Trading in Financial Instruments). Vgl. Kapitel 4.2.1.
192
TRANSPARENZANFORDERUNGEN UND SCHWACHE EFFIZIENZ
Zulassungsvoraussetzungen
Zulassungsfolgepflichten
Frankfurt – Prime Standard
Warschau – Main List
Prag – Main Market
Budapest – Category A
Marktkapitalisierung
15 Mio. EUR 663
1 Mio. EUR
2,5 Mrd. HUF (ca. 8,6 Mio. EUR) 664
1,25 Mio. EUR
Streubesitz (Free Float)
25% 665
25%
25%
Mindestzahl an Aktien/Aktionäre
/ 667
/
25% (oder mind. 2 Mrd. HUF) 666 100 Aktionäre
10.000 Aktien
Mindestbestehen
3 Jahre
3 Jahre 668
3 Jahre
3 Jahre
Veröffentlichungsintervall
Vierteljährlich
Vierteljährlich
Vierteljährlich
Vierteljährlich
Analystenkonferenz
Nein
Nein
Nein
Ja
Publikationskalender
Nein
Ja
Nein
Ja
Tabelle 5.7: Zulassungsvoraussetzungen und -folgepflichten an den Börsen der CEE-3 und Frankfurt Quelle: Homepages der Börsenbetreiber
663
664 665
666
667
668
Für Aktien, die an einem anderen regulierten Markt oder an der New Connect für mindestens 6 Monate gelistet waren, gilt eine Marktkapitalisierung von 12 Millionen Euro. Unter Verwendung eines Wechselkurses von 1EUR = 290 HUF (am 27. 2. 2012). Alternativ ist es ausreichend, wenn Aktionäre mit einem Anteil von unter 5% mindestens 500.000 Aktien mit einem Wert von mindestens 17 Millionen EUR halten. Auch ohne diese Bedingung können Aktien zugelassen werden, wenn das Exchange Management Board von einer ausreichenden Liquidität ausgeht. Wenn keine dieser beiden Bedingungen erfüllt ist, gilt es auch als ausreichend, wenn mindestens 500 Anteilseigner zum Zeitpunkt des Listings nachgewiesen werden können (Art. 6.3.2.3 der Börsenregulierung). Es muss eine gewisse Zahl an Aktionären geben, um von einer ausreichenden Liquidität ausgehen zu können. Eine genaue Zahl wird dabei nicht spezifiziert. Art. 2 (5e) besagt, dass Unternehmen, die weniger als 3 Jahre existieren, alle Jahresabschlüsse seit der Gründung einreichen müssen. Inwiefern die Nichterfüllung der Mindestexistenz von 3 Jahren die Chancen auf ein Listing verringert, ist aus den Regeln nicht ersichtlich.
TRANSPARENZANFORDERUNGEN UND SCHWACHE EFFIZIENZ
193
Eine Bewertung des gesetzlichen Rahmens in den Transformationsländern wurde auch durch die EBRD im Zuge des Assessment of Laws and Practice Programm durchgeführt. Dabei wurden mittels des Securities Market Assessment Programms der Umfang und mittels eines Indikators basierend auf einer Umfrage zu einer Fallstudie (Securities Market Legal Indicator) die Effektivität der Regulierung der Wertpapiermärkte bewertet.669 Dies wurde letztmalig im Jahr 2007 durchgeführt. Bei der Interpretation der Ergebnisse des Legal Indicators muss bedacht werden, dass diese sich auf eine spezielle Fallstudie beziehen und daher nicht repräsentativ für das Informationsumfeld sein müssen.670 Bei der Effektivität der Offenlegungspflichten des Prospekts erreichte Polen den besten Wert aller Transformationsländer. Aber auch Tschechien und Ungarn auf dem dritten bzw. sechsten Platz verzeichneten dabei relativ zu den anderen Ländern hohe Werte. Eine umgekehrte Reihenfolge ergab sich dagegen bei der Bewertung der Effektivität der Aufsicht, bei der alle drei Länder relativ gesehen nur durchschnittliche Bewertungen erhielten.671 Wie bereits im vorherigen Abschnitt erläutert, ist neben der rechtlichen Ausgestaltung auch die Einhaltung und Durchsetzung dieser Regeln von Bedeutung für das Informationsumfeld. Dies wird in Abbildung 5.3 anhand einer Analyse der fristgerechten Veröffentlichung der regelmäßigen Informationen im Jahr 2008 beurteilt. Dabei zeigt sich, dass einige der betrachteten Unternehmen in den CEE-3 diese für den Jahresfinanzbericht nicht einhielten. Bei den Halbjahres- und Quartalsberichten trat dies jedoch nicht auf und die Einhaltungsquote lag höher als im Durchschnitt der gesamten EU.
669
670
671
Im Jahr 2003 änderte die EBRD ihre Methodik bei der Bewertung der gesetzlichen Rahmenbedingungen. Im Gegensatz zum (im vorherigen Abschnitt gezeigten) Indikator zur Extensiveness und Effectiveness, der auf Umfragen basierte, wurden anstelle des Extensiveness-Indikators Sector Assessment Programme aufgelegt, die durch die EBRD selbst mit Unterstützung durch Experten erstellt wurden. Die Effectiveness (der Securities Market Legal Indicator) basiert auf Umfragen an Anwaltskanzleien, die Fragen in Bezug auf eine Fallstudie beinhalteten. Bei der Fallstudie sollte die Perspektive eines Investors eingenommen werden, der aufgrund von falschen Informationen im Prospekt Verluste erlitten hatte und dagegen juristisch vorgehen möchte. Vgl. EBRD (2007).
194
TRANSPARENZANFORDERUNGEN UND SCHWACHE EFFIZIENZ
Jahresfinanzbericht
Halbjahresfinanzbericht Vierteljährlicher Bericht
100% 80% Nicht betrachtet/Keine Informationen Nicht fristgerecht
60% 40%
Fristgerecht 20% 0% CZ HU PL EU
CZ HU PL EU
CZ HU PL EU
Abbildung 5.3: Einhaltung der Veröffentlichungsfristen im Jahr 2008 Quelle: Mazars (2010)
Zusammenfassend lässt sich über die Regulierung des Informationsumfeldes von Aktienmärkten in der EU-Beitrittsphase sagen, dass die erlassenen EURichtlinien, insbesondere die Transparenz- (aber auch die Marktmissbrauchs- und Prospektrichtlinie) zu einer weiteren Harmonisierung in den CEE-3 geführt haben. Die aufgezeigten Unterschiede zwischen den Ländern sind im Vergleich zu den signifikanten Differenzen in der Liberalisierungsphase nur noch gering. Es wurde aber auch erläutert, dass viele der grundlegenden Regelungen dieser EURichtlinien bereits in der Reformphase in den CEE-3 verankert und durch diese lediglich verschärft wurden (z.B. durch eine kürzere Veröffentlichungsfrist). Zudem lösten die oben genannten Richtlinien teilweise ältere, bestehende Richtlinien ab, die ähnliche Regelungen enthielten.672 Bei Gültigkeit der Hypothese eines positiven Einflusses des Informationsumfeldes auf die schwache Informationseffizienz lassen sich daher die folgenden Implikationen für die empirische Überprüfung ableiten: Im Zeitverlauf sollten die drei Länder aufgrund der Verschärfung der Regulierung des Informationsumfeldes generell einen Trend zu einer höheren Informationseffizienz aufweisen. Die größte Effizienzsteigerung sollte dabei in der Reformphase nachgewiesen werden können. Für den Ländervergleich kann erwartet werden, dass in der Liberalisierungsphase der polnische der effizienteste und der tschechische der ineffizienteste Markt waren. In den beiden folgenden Phasen sollte die Effizienz in den drei Ländern konvergieren.
672
Dies gilt zum Beispiel für die Prospektrichtlinie, die die Börsenzulassungsprospektrichtlinie und die Emissionsprospektrichtlinie ablöste.
TRANSPARENZANFORDERUNGEN UND SCHWACHE EFFIZIENZ
195
5.2 Bisherige Literatur Bei der bisherigen Literatur zu diesem Thema kann unterschieden werden zwischen Forschungsarbeiten, die sich allgemein mit der schwachen Informationseffizienz in Schwellenländern beschäftigen und Studien, die explizit den Zusammenhang zwischen Transparenzanforderungen und Effizienz untersuchen. Dabei ist eine strikte Abgrenzung nicht immer möglich, da empirisch nachgewiesene Ineffizienzen meist auf Defizite in den Strukturen der Aktienmärkte zurückgeführt werden, jedoch ohne dabei die genauen Zusammenhänge zu testen. 5.2.1 Schwache Informationseffizienz in Schwellenländern Während der Fokus der frühen empirischen Kapitalmarktforschung auf der Analyse entwickelter Märkte lag, stieg mit der wachsenden Bedeutung der Kapitalmärkte der Schwellenländer in Folge der Liberalisierung und dem Anstieg der Portfolioinvestitionen internationaler Investoren das Interesse an Forschungsarbeiten zu diesen Märkten. 673 Eine der ersten ausführlichen Untersuchungen zu den Renditeeigenschaften in Schwellenländern stammt von Claessens, Dasgupta und Glen (1995), 674 die die Monatsrenditen (in US-Dollar) von 20 Ländern der Emerging Markets Datenbank der International Finance Corporation auswerteten. 675 Die meisten dieser Länder wiesen dabei im Vergleich zu entwickelten Märkten eine höhere durchschnittliche Rendite, aber auch eine deutlich höhere Volatilität, bei einer ähnlichen Sharpe-Ratio auf. Während es in Schwellenländern kaum Anzeichen für den Januar- oder den Klein-Firmen-Effekt gab, wurde auf Basis von Autokorrelations- und Variance Ratio-Tests die Hypothese eines Random Walk für viele dieser Märkte abgelehnt. In dieser frühen Phase konnte die schwache Effizienz für die meisten Schwellenländer also nicht bestätigt werden. 676 Zu den Gründen für dieses Ergebnis geben die Autoren aber lediglich Vermutungen zum Einfluss von Transparenzvorschriften, Rechnungslegungsstandards und dem Handelssystem an. 677 Karemera, Ojah und Cole (1999) nutzen Indizes von Morgan Stanley 673
674 675
676
677
Eine Übersicht zur empirischen Kapitalmarktforschung in Schwellenländern findet sich in Bekaert und Harvey (2002). Eine ähnliche Untersuchung mit der gleichen Datenbank findet sich in Harvey (1995). Dabei wurden keine osteuropäischen Länder untersucht, da diese Märkte erst Anfang der 1990er wiedereröffnet wurden. Die untersuchten Märkte waren: Argentinien, Brasilien, Chile, Kolumbien, Griechenland, Indien, Indonesien, Jordan, Korea, Malaysia, Mexiko, Nigeria, Pakistan, Philippinen, Portugal, Taiwan, Thailand, Türkei, Venezuela und Zimbabwe. Die Autoren weisen dabei allerdings auch auf das Joint-hypothesis Problem bei der Interpretation dieser Ergebnisse aufgrund der Verwendung von Monatsrenditen hin. Vgl. Claessens, Dasgupta und Glen (1995), S. 142143. “Nevertheless, the relatively high degree of predictability could arise because these markets may not be a level playing field (…) Facilitating better stock market behavior – for example, through improved disclosure requirements, accounting standards, and settlement procedures – may then be called for.” Claessens, Dasgupta und Glen (1995), S. 150.
196
TRANSPARENZANFORDERUNGEN UND SCHWACHE EFFIZIENZ
und wenden Multiple Variance Ratio- und Runs Tests an, um die Effizienz in Schwellenländern zu untersuchen. Die Random Walk Hypothese kann dabei für 10 von 15 untersuchten Märkten nicht abgelehnt werden (auch in dieser Studie wurden keine osteuropäischen Märkte betrachtet). Während viele der früheren Studien schlussfolgerten, dass Märkte in Schwellenländern relativ zu etablierten Märkten ineffizient sind, kommen neuere Studien zu einem differenzierteren Ergebnis. Griffin, Kelly und Nardari (2010) beispielsweise zeigen, dass die erzielten Renditen auf Basis von Momentum-Strategien in Schwellenländern niedriger sind.678 Reversal-Strategien liefern ohne Berücksichtigung der höheren Transaktionskosten in Schwellenländern lediglich etwas höhere Renditen und Variance Ratio-Tests weisen dabei keine größeren Abweichungen von einem Random Walk in Schwellenländern nach. 679 Die Autoren kritisieren dabei die gängige Meinung einer höheren Ineffizienz und der Möglichkeit der Erzielung von Profiten mittels Handelsstrategien in Schwellenländern, die insbesondere unter Berücksichtigung des schlechteren Informationsumfeldes nicht haltbar seien. Neben diesen Studien, die eine Vielzahl von Schwellenländern aus unterschiedlichen Regionen gleichzeitig untersuchen, konzentrieren sich andere Forscher auf bestimmte Regionen und deren Besonderheiten. Smith und Ryoo (2003) nutzen Multiple Variance Ratio Tests, um die Informationseffizienz von wöchentlichen Renditen der Indizes in Griechenland, Ungarn, Polen, Portugal und der Türkei zu untersuchen. Bis auf letzteren Markt wird dabei die Random Walk Hypothese aufgrund positiver Autokorrelationen abgelehnt. Allerdings wurden bei dieser Studie lediglich Daten bis in das Jahr 1998 verwendet und einzig Liquidität als mögliche erklärende Variable betrachtet. Urrutia (1995) untersucht lateinamerikanische Länder, Füss (2005) konzentriert sich auf asiatische Schwellenländer und die Auswirkungen der Liberalisierung auf die Informationseffizienz. Bei beiden Studien unterscheiden sich die Ergebnisse je nach verwendeter Methodik und betrachtetem Land und lassen daher keine eindeutigen Schlüsse zu. Bisher gibt es lediglich einige wenige Studien mit einem speziellen Fokus auf die osteuropäischen Transformationsländer. Mateus (2004) zeigt, dass die Autokorrelationen in den CEE-3 deutlich niedriger sind als in den meisten anderen EUBeitrittsländern und führt dies auf die relative gute Aufsicht, Transparenz und einen gerechten Informationszugang zurück. Cajueiro und Tabak (2006) führen Variance Ratio Tests für 9 Transformationsländer (inkl. der CEE-3) durch. Auf Basis
678
679
In der Studie werden Wochenrenditen von 28 Schwellenländern mit 28 entwickelten Ländern seit 1994 verglichen. Die Ergebnisse dieser Studie zum PEAD werden in Kapitel 6.1 erläutert.
TRANSPARENZANFORDERUNGEN UND SCHWACHE EFFIZIENZ
197
der Ergebnisse lehnen die Autoren die Hypothese eines Random Walk für alle Länder mit Ausnahme Bulgariens und der Ukraine ab. Zu den bisher genannten Studien ist kritisch anzumerken, dass in fast allen Fällen die Veränderung der Effizienz im Laufe der Zeit unberücksichtigt blieb. Einige Forscher untersuchten dagegen, ob sich die Informationseffizienz nach der Liberalisierung verbessert hat. Kim und Singal (2000) wenden Variance Ratio Tests auf Wochen- und Monatsrenditen von 27 Schwellenländern an und stellen tendenziell einen Rückgang in der Vorhersagbarkeit der Kurse fest. Dabei schließen die Autoren auch aus, dass sich dieses Ergebnis auf die erhöhte Handelsfrequenz nach der Liberalisierung zurückführen lässt. Kawakatsu und Morey (1999) kommen dagegen unter Verwendung weiterer Methoden zu einem anderen Ergebnis und schlussfolgern, dass eine Erhöhung der Effizienz in Folge der Liberalisierung nicht nachweisbar sei. Die meisten der untersuchten Märkte hätten bereits zuvor die schwache Informationseffizienz erreicht. Bei dieser Methodik wird allerdings lediglich ein Vorher-Nachher-Vergleich durchgeführt. Die Determinanten der Informationseffizienz (wie das Informationsumfeld, das sich im Zuge der Liberalisierung verändert) wurden dagegen nicht explizit berücksichtigt.680 Da der Liberalisierungs- und insbesondere der Integrationsprozess allerdings meist sukzessive verläuft, 681 wurden in weiteren Studien Methoden verwendet, die eine schrittweise Veränderung der Effizienz identifizieren können. Rockinger und Urga (2000) untersuchen mittels eines Modells mit zeitvarianten Parametern die Veränderungen der Autokorrelationen von Tagesrenditen der Märkte in Polen, Tschechien, Ungarn und Russland zwischen 1994 und 1999. Die Ergebnisse lassen darauf schließen, dass der ungarische Markt über den gesamten betrachteten Zeitraum schwach informationseffizient war. Der polnische und der tschechische wurden erst im Laufe der Zeit effizienter. Der russische Markt zeichnet sich dagegen durch eine konstant hohe Vorhersagbarkeit aus. Als Erklärungsansätze für diese Ergebnisse werden die Liquidität der Märkte und die Regulierung genannt. Zalewska-Mitura und Hall (2000) konzentrieren sich auf die Veränderung der Effizienz des ungarischen Marktes. Dabei weisen sie (für einzelne Aktien und den Index) nach, dass der ungarische Markt im Laufe der Zeit effizienter geworden ist. Der Prozess läuft allerdings sehr langsam ab. Schotman und Zalewska (2006) fokussieren auf die Messung der Integration der CEE-3 mit entwickelten Märkten, zeigen dabei aber auch, dass sich die Autokorrelationen der täglichen Renditen der Marktindizes im Laufe der Zeit verringert haben. Insbe680
681
Kawakatsu und Morey unterstellen zwar, dass sich das Informationsumfeld im Zuge der Liberalisierung verbessert hat, untersuchen dies aber nicht explizit („The efficient market hypothesis in finance suggests that as equity markets are liberalized and made more open to the public, equity prices should reflect the increased availability of information and be more efficiently priced.” Kawakatsu und Morey 1999, S. 385). Vgl. Bekaert und Harvey (2002), S. 432-433.
198
TRANSPARENZANFORDERUNGEN UND SCHWACHE EFFIZIENZ
sondere der tschechische Index wies dabei in den Anfangsjahren eine hohe positive Autokorrelation auf. Bezüglich der Gründe für dieses Ergebnis werden allerdings nur Vermutungen über den Einfluss der Regulierung, des Schutzes von Minderheitsaktionären und des Handelssystems angestellt.682 5.2.2 Zusammenhang von Transparenzanforderungen und Informationseffizienz Ausführliche Analysen zum Einfluss von Transparenzanforderungen in Schwellenländern sind in der bisherigen Literatur noch sehr rar. Eine Ausnahme bildet die Studie von Glaeser, Johnson und Shleifer (2001), die die unterschiedlichen Entwicklungen in Polen und Tschechien vergleichen. Auf Basis eines theoretischen Modells argumentieren die Autoren, dass Regulatoren besser als Richter geeignet seien, um die Einhaltung und Durchsetzung von Verträgen auf Wertpapiermärkten zu garantieren, da diese einfacher über Anreize motiviert werden können. Außerdem zeigt ihr Modell, dass die Reduzierung der Kosten bei Investitionen für eine höhere Effizienz sorgt. Im Anschluss argumentieren sie, dass die bessere Kapitalmarktentwicklung in Polen relativ zu Tschechien auf die strengere Aufsicht und die strengeren Transparenzanforderungen zurückgeführt werden könne. Diese Interpretation wurde später von Stringham, Boettke und Clark (2008) kritisiert. Auf Basis von Interviews kommen sie zu dem Ergebnis, dass der tschechische Markt durch Regierungseingriffe behindert wurde und tschechische Regulatoren aufgrund mangelnder Qualifikation und fehlender Anreize nicht in der Lage gewesen wären, zu einer besseren Entwicklung des Marktes beizutragen.683 Bei den oben genannten Studien wurde die Regulierung allerdings nur mit der allgemeinen Marktentwicklung (z.B. Marktkapitalisierung, Anzahl gelisteter Unternehmen oder aufgenommenes Kapital) in Verbindung gebracht, nicht jedoch mit einem Maß für die Informationseffizienz dieser Märkte. 684 Dagegen gibt es einen Literaturstrang, der sich mit der Informationseffizienz von Aktien mit einer Zweitnotierung bzw. einem Hinterlegungsschein (insbesondere ADRs) an einer anderen Börse auseinandersetzt. Dabei wird meist die These untersucht, ob die bessere institutionelle Struktur an etablierten Aktienmärkten einen positiven Effekt auf die Effizienz von Aktien aus Ländern mit unterentwickelten Kapitalmärk682
683
684
In Bezug zu Tschechien: „The low level of regulation of the market and weak protection of minority shareholders that the PSE offered its new clients during and after the mass privatization program may be responsible for the situation.” Schotman und Zalewska (2006), S. 486. In Bezug zu Polen: „This result may reflect the fact, that, although in July 1996 continuous trading of selected shares took place after the fixed-price session results were announced, the WIG index closing values were based on the fixed-price session results only.” Schotman und Zalewska (2006), S. 488. Vgl. Kapitel 3.2.1 für einen Literaturüberblick zur akademischen Debatte über die nötige Regulierung eines Aktienmarktes. Vgl. Kapitel 3.2.1.
TRANSPARENZANFORDERUNGEN UND SCHWACHE EFFIZIENZ
199
ten hat. Rosenthal (1983) zeigte, dass bereits während des Zeitraums 1974-1978 in den USA gehandelte Hinterlegungsscheine (ADRs) überwiegend schwach informationseffiziente Preise aufwiesen. Jayaraman, Shastri und Tandon (1993) weisen nach, dass die Volatilität von Aktien nach Aufnahme eines ADR-Programmes höher ist, die Autokorrelationen sich aber nur geringfügig ändern. Die Autoren interpretieren dies als ein Anzeichen für eine Zunahme informierter Händler. Liu (2007) konzentriert sich auf die Analyse der Veränderung der Informationseffizienz von Aktien an ihrer Heimatbörse in Folge eines Zweitlisting in den USA. Die Ergebnisse von Runs-Tests belegen dabei, dass sich die Effizienz in der Folge signifikant um 41% erhöht hat. 685 Außerdem wird gezeigt, dass die Resultate weder auf einen allgemeinen (den ganzen Markt betreffenden) Effizienzanstieg noch auf eine höhere Liquidität in Folge des Zweitlistings zurückgeführt werden können. Die Effizienzgewinne sind zudem (wenn auch nicht statistisch signifikant) höher bei einem Listing an der NYSE als an der NASDAQ. Dies stützt die These, dass das verbesserte Informationsumfeld für diesen Anstieg verantwortlich ist, da die Transparenzanforderungen an der NYSE höher sind. Korczak und Bohl (2005) beschäftigen sich speziell mit dem Einfluss von Zweitlistings von 33 Unternehmen aus den CEE. 686 Dabei weisen die Autoren einen permanenten Anstieg des Unternehmenswertes um 26% und eine Erhöhung der Liquidität an der Heimatbörse in Folge des Zweitlistings nach. Außerdem weisen signifikant sinkende Autokorrelationen auf eine Verbesserung der schwachen Informationseffizienz hin. Damit unterscheiden sich diese Ergebnisse bezüglich der Effizienz für die CEE von der oben genannten breiter ausgelegten Studie von Jayaraman, Shastri und Tandon (1993). 687 Mögliche Gründe für die Effizienzsteigerung sehen die Autoren u.a. in einem höheren Anlegerschutz an der Börse, an der das Zweitlisting stattfindet. Ein weiterer Literaturstrang beschäftigt sich mit den Auswirkungen unterschiedlicher Rechnungslegungsstandards auf die Informationseffizienz von Aktien. 688 Besonders häufig wurde dabei die Übernahme quartalsweiser Finanzberichterstattung oder internationaler Rechnungslegungsstandards analysiert. Dabei wird aber meist mittels Event-Studien der Nutzen der Informationen aus der Rechnungslegung für
685 686
687
688
Zusätzlich wurden in Liu (2007) noch Autokorrelationstests durchgeführt mit ähnlichen Ergebnissen. Dabei werden neben Unternehmen aus den CEE-3 auch slowakische, slowenische und russische Aktien betrachtet. Dabei wird allerdings im Gegensatz zu der Studie von Liu (2007) die allgemeine Effizienzentwicklung an der Heimatbörse nicht berücksichtigt. Kothari (2001) gibt einen sehr ausführlichen Überblick über Forschungsarbeiten zum Zusammenhang zwischen Kapitalmärkten und Rechnungslegung.
200
TRANSPARENZANFORDERUNGEN UND SCHWACHE EFFIZIENZ
die fundamentale Bewertung von Unternehmen und damit die halbstrenge Informationseffizienz untersucht. 689 Die bisherige Literatur hat damit bereits viele Aspekte bezüglich des Zusammenhanges zwischen dem Informationsumfeld und der Effizienz von Aktienmärkten untersucht. Es gibt jedoch keine Studien, die eine explizite Verknüpfung zwischen unterschiedlichen Transparenzanforderungen (sowohl im Zeitverlauf als auch im Querschnittsvergleich) und deren Einfluss auf die Effizienz der Börsen in Transformationsländern untersuchen. Zudem ist die empirische Kapitalmarktforschung bezüglich der CEE im Verhältnis zu ihrem steigenden ökonomischen Einfluss noch unterrepräsentiert. Im Gegensatz zu den meisten vergleichenden Studien mit einer Vielzahl von betrachteten Märkten erlaubt der Fokus auf einige wenige Länder zudem eine genaue Berücksichtigung der zahlreichen unterschiedlichen Rahmenbedingungen dieser Märkte.
5.3 Methodik Die schwache Informationseffizienz impliziert, dass es nicht möglich ist, vergangene Preise zur Vorhersage zukünftiger Preise zu nutzen. Aktienpreise sollten sich daher wie ein Random Walk verhalten. 690 In diesem Kapitel werden Variance Ratio Tests genutzt, um die Vorhersagbarkeit von Renditen in den CEE-3 zu messen. Diese können in die Klasse der Autokorrelationstests eingeordnet werden. Bei diesen wird untersucht, ob die serielle Korrelation der Renditen von Wertpapieren null ist. Dabei kann unterschieden werden zwischen Analysen des Autokorrelationskoeffizienten selbst, Tests basierend auf der Summe der quadrierten Autokorrelationen (Portmanteau-Statistik) und linearen Kombinationen der Autokorrelationen (Variance Ratio Tests).691
689 690 691
Vgl. Kapitel 6.1. Vgl. Kapitel 2.4.1. Die Erläuterungen der Methoden in diesem Kapitel folgen der Darstellung von Lo und MacKinlay (1988), S. 41-50, und Campbell, Lo und MacKinlay (1997), S. 44-55. Die Vorteilhaftigkeit von Variance Ratio Tests zur Überprüfung der Random Walk Hypothese im Vergleich zu anderen Methoden wurde in Lo und MacKinlay (1989) dargelegt.
TRANSPARENZANFORDERUNGEN UND SCHWACHE EFFIZIENZ
201
Autokorrelationskoeffizienten Die Autokovarianz γ(k) und der Autokorrelationskoeffizient ρ(k) der k-ten Ordnung sind folgendermaßen definiert: γ (k ) = Cov [ rt , rt + k ]
ρ (k ) =
Cov [ rt , rt + k ] Cov [ rt , rt + k ] γ (k ) = = γ (0) Var [ rt ] Var (rt ) Var (rt + k )
Zur empirischen Schätzung werden die entsprechenden empirischen Momente verwendet: γˆ ( k ) =
1 T −k ∑ rt − rT rt +k − rT T t =1
(
)(
ρˆ (k ) = rT =
)
γˆ (k ) γˆ (0)
1 T ∑rt T t =1
Unter bestimmten Bedingungen folgen die Autokorrelationskoeffizienten asymptotisch folgender Verteilung: 692 a
T ρˆ ( k ) ~ Ν (0,1)
Portmanteau Statistik Da der Random Walk I-Prozess impliziert, dass alle Autokorrelationen gleich null sind, kann ein Test basierend auf der Summe der empirisch geschätzten quadrierten Autokorrelationskoeffizienten konstruiert werden. Mit dieser sogenannten QStatistik nach Box und Pierce (1970) kann daher die Signifikanz mehrerer Autokorrelationen gleichzeitig untersucht werden: m
a
= Qˆ m T ∑ρˆ 2 ( k ) ~ Χ m2 k =1
692
Vgl. Campbell, Lo und MacKinlay (1997), S. 45-47 für eine ausführliche Diskussion der Verteilungseigenschaften von Autokorrelationskoeffizienten.
202
TRANSPARENZANFORDERUNGEN UND SCHWACHE EFFIZIENZ
Ljung und Box (1978) zeigen, dass sich für kleine Stichproben durch folgende Korrektur eine bessere Anpassung an die Verteilung ergibt: m ˆ2 ρ (k ) a 2 Qˆ m' = T (T + 2 ) ∑ ~ Χm k =1 T − k
Variance Ratio Tests Variance Ratio Tests beziehen sich dagegen auf eine spezifische Länge des Zeitintervalls, über das die Rendite berechnet wird. Diese Tests nutzen die statistische Eigenschaft eines Random Walk, dass die Varianz der Renditen eine lineare Funktion dieses Zeitintervalls ist. So ist beispielsweise die Varianz der logarithmierten Renditen über 2 Perioden rt (2) = rt + rt-1 doppelt so groß wie die Varianz über eine Periode rt. Variance Ratio Tests setzen die beiden Varianzen so ins Verhältnis, dass dieses, bei Vorlage eines Random Walk, statistisch nicht unterscheidbar von eins sein sollte. Die Variance Ratio für den 2-Perioden-Fall ergibt sich somit zu: VR ( 2 ) =
Var rt ( 2 ) 2Var [ rt ]
=
Var [ rt + rt −1 ] 2Var [ rt ]
=
2Var [ rt ] + 2Cov [ rt , rt −1 ] 2Var [ rt ]
= 1 + ρ (1)
Durch diese Darstellung wird auch der Zusammenhang zu der Autokorrelation erster Ordnung ρ (1) der Renditezeitreihen klar: Bei positiver (negativer) Autokorrelation ist die Varianz der Summe der beiden 1-Perioden Renditen größer (kleiner) als die Summe der Varianzen der beiden 1-Perioden Renditen und die Variance Ratio damit größer (kleiner) als 1. Zur Untersuchung höherer Ordnungen kann die allgemeine q-periodige VarianceRatio Statistik verwendet werden. Diese stellt eine lineare Kombination der Autokorrelationskoeffizienten mit abnehmenden Gewichten dar: q −1 Var [ r (q ) ] k = 1 + 2∑ 1 − ρ ( k ) VR ( q ) = t q Var [ rt ] q k =1
Nach Anwendung zweier Verfeinerungen (durch Verwendung überlappender Perioden und einer Korrektur der Verzerrung des Varianzschätzers) ergibt sich der Schätzer für die Variance Ratio zu: 693 2
VR (q ) =
693
σ c (q) 2
σa
Vgl. Lo und MacKinlay (1988), S. 44-48 für eine detaillierte Ableitung der Schätzer.
TRANSPARENZANFORDERUNGEN UND SCHWACHE EFFIZIENZ
203
mit 2
σa = 2
σ = c
1 nq ∑ ( pk − pk −1 − µˆ )2 nq − 1 k =1 1 nq ∑ ( pk − pk −q − qµˆ )2 m k =q
m = q(nq − q + 1)(1 −
q ) nq
Dabei ist nq+1 die Anzahl der Beobachtungen und µˆ der Schätzer für das arithmetische Mittel der Renditen. Die Teststatistik der Variance Ratio hängt dabei von der genauen Annahme über den Random Walk Prozess ab. 694 Wenn die Nullhypothese das Vorliegen eines Random Walk I Prozesses ist, ergibt sich diese zu: 2(2q − 1)(q − 1) 3q
−1/2
nq (VR(q ) 1) ψ (q) =−
a
~ Ν (0,1)
Heteroskedastizität kann allerdings dazu führen, dass die Hypothese eines Random Walk ungerechtfertigter Weise abgelehnt wird. Die Variance Ratio wäre zwar immer noch eins im Falle eines Random Walk, die Heteroskedastizität beeinflusst aber die asymptotische Varianz der Variance Ratios. Daher wird häufig ein Random Walk III Prozess unterstellt und ein heteroskedastizitäts-konsistenter Schätzer der Varianz verwendet. Die standardisierte Teststatistik ergibt sich in diesem Fall zu: ψ * (q) =
(
) ~ Ν(0,1)
nq VR (q ) − 1
θˆ
a
mit 2
q −1 k = θˆ 4∑ 1 − δˆk q k =1
694
Vgl. Kapitel 2.4.1 für eine Erläuterung der unterschiedlichen Arten des Random Walk.
204
TRANSPARENZANFORDERUNGEN UND SCHWACHE EFFIZIENZ
nq
δˆk =
nq ∑ ( p j − p j −1 − µˆ ) 2 ( p j − k − p j − k −1 − µˆ ) 2 j= k +1
nq 2 ∑ ( p j − p j −1 − µˆ ) j =1
2
Im Falle eines Random Walk sollten die VR(q) für alle q statistisch nicht signifikant ungleich eins sein. Bei der Berechnung mehrerer Variance Ratios muss aber die gemeinsame Testgröße berücksichtigt werden, um keine falschen Schlussfolgerungen aus einzelnen Werten zu ziehen. Chow und Denning (1993) haben dazu den Multiple Variance Ratio Test entwickelt, bei dem lediglich der maximale Wert der geschätzten Variance Ratios betrachtet wird und mit den kritischen Werten der Studentized Maximum Modulus Verteilung verglichen wird. Dies führt dazu, dass die Nullhypothese eines Random Walk seltener abgelehnt werden kann.695 Da insbesondere die Veränderung der Effizienz im Zeitverlauf im Vordergrund der Analyse steht, wurden diese Tests auch für mehrere Teilperioden durchgeführt. Die Abgrenzung der einzelnen Perioden orientiert sich dabei an den in Kapitel 5.1 identifizierten Daten, an denen ein signifikanter Wechsel im Informationsumfeld der Märkte festgestellt werden konnte. Zur Kontrolle, ob andere Einflüsse für die Veränderungen der Effizienz verantwortlich sind, werden die Erkenntnisse aus Kapitel 4 genutzt. Auf die Anwendung statistischer Methoden zur Untersuchung eines Zusammenhanges zwischen diesen Kontrollvariablen (wie z.B. der Liquidität) und der Effizienz wird aufgrund der geringen Anzahl der betrachteten Länder verzichtet. Dies wird stattdessen lediglich qualitativ diskutiert. 696
5.4 Daten Der betrachtete Zeitraum der Analyse orientiert sich an der Verfügbarkeit der Zeitreihen. Zwar stehen die Indizes für den polnischen und den ungarischen Markt bereits ab 1991 zur Verfügung, der tschechische Aktienindex allerdings erst ab dem 5. April 1994. 697 Um einen konsistenten Vergleich zu ermöglichen wurden die jeweiligen Blue-Chip-Indizes verwendet, d.h. der PX für Tschechien, der BUX für Ungarn und der WIG-20 für Polen. Da der WIG-20-Index erst seit dem 16. April 695
696
697
Chow und Denning (1993) zeigen beispielsweise, dass einige der Ablehnungen des Random Walk in den Ergebnissen von Lo und MacKinlay (1988) bei Berücksichtigung der kritischen Werte des Multiple Variance Ratio Test nicht haltbar sind. Vgl. Boehmer und Kelley (2009) für eine Methodik, bei der die Einflussfaktoren der relativen Effizienz, in Form der Abweichung von einem Random Walk, mittels Regressionen untersucht werden. Diese Methodik wird dabei allerdings auf ein breites Panel von Einzelaktien angewendet. Dies ist aufgrund der in Kapitel 2.4.3 erläuterten Datenproblematik für die CEE-3 nicht möglich. Vgl. Kapitel 4.2.2 für die Basisdaten der Indizes.
TRANSPARENZANFORDERUNGEN UND SCHWACHE EFFIZIENZ
205
1994 berechnet wird, startet der betrachtete Zeitraum, wenn nicht anders angegeben, am (Montag, den) 18. April 1994 und endet am 15. Juni 2011. Als Quelle wurde Thomson Reuters Datastream genutzt. Zur Einordnung der Ergebnisse wurden die Tests zusätzlich für den DAX durchgeführt. Es wurden lediglich Indizes bei der Durchführung der Variance Ratio Tests verwendet, da der Nachweis von Vorhersagbarkeit bei einzelnen Aktien aufgrund der hohen idiosynkratischen Volatilität (die bei Portfoliobildung abgeschwächt wird) erschwert wird und dies daher falsche Schlussfolgerungen zur Folge haben kann.698 Die Ergebnisse werden auf Basis der Tages- und Wochenrenditen in heimischer Währung berechnet. Die Verwendung von Tagesrenditen hat dabei den Vorteil als kleinste verfügbare Intervalleinheit den größtmöglichen Datensatz zu nutzen und damit auch bei einer Betrachtung von Teilperioden noch eine hohe Zahl an Beobachtungen zu garantieren. Der Nachteil von Tagesrenditen liegt in der Möglichkeit falscher Schlussfolgerungen aufgrund des nicht synchronen Handels. 699 Zu Verzerrungen könnte es kommen, da anfangs an den Börsen in Prag und Warschau noch nicht an jedem Werktag gehandelt wurde und aufgrund landesspezifischer Feiertage. Um dieses Problem abzumildern wurden Beobachtungen mit einer Tagesrendite von null (d.h. Tage an denen kein Handel stattfand) ausgeschlossen. Die Verwendung von Wochenrenditen ermöglicht einen guten Kompromiss, um die Probleme bei der Risiko-Adjustierung der Renditen und des nicht synchronen Handels vernachlässigen zu können und dabei gleichzeitig eine ausreichend hohe Zahl an Beobachtungen beizubehalten. Bei der Berechnung der Wochenrenditen wurden die jeweiligen Mittwochs-Kurse genutzt. Wenn dieser nicht verfügbar war, wurde der letzte vorher verfügbare Kurs verwendet.
5.5 Empirische Ergebnisse Wie bereits in der Methodik erläutert, stehen Variance Ratios in enger Beziehung zu Autokorrelationen und Q-Statistiken. Um einen ersten Überblick über die Abhängigkeiten der Renditen zu bekommen, werden daher in Tabelle 5.8 die Autokorrelationen der ersten bis zur vierten Ordnung und die Box-Ljung Q-Statistiken (bis zu einem lag von 5 bzw. 10 Perioden) für die Indizes der CEE-3 und Deutschland dargestellt. Diese beziehen sich auf den gesamten Analysezeitraum (19942011) und werden getrennt nach Tages- und Wochenrenditen aufgeführt. Die Standardabweichungen der Autokorrelationen liegen bei ca. 1,5% für Tages- und bei ca. 3,3% für Wochenrenditen.700 Die mit Sternchen gekennzeichneten Auto698 699 700
Vgl. Campbell, Lo und MacKinlay (1997), S. 72-74. Vgl. Kapitel 2.4.3. Die genaue Standardabweichung hängt von der Anzahl der Beobachtungen ab ( 1/ T ) und variiert daher leicht zwischen den Ländern. Vgl. Kapitel 5.3.
206
TRANSPARENZANFORDERUNGEN UND SCHWACHE EFFIZIENZ
korrelationen sind bei einem 5%-Niveau statistisch signifikant ungleich null und signalisieren daher eine Ablehnung der Random Walk Hypothese (gleiches gilt für die Q-Statistiken). Index
Beob.
ρ1
ρ2
ρ3
ρ4
Q5
Q10
Tagesrenditen BUX PX WIG-20
4.281
6,5* *
4.217
10,6
4.261
*
6,0
-1,2 -1,3
-3,9*
3,3*
30,7*
58,5*
-1,8
3,4
*
55,1
*
67,8*
3,7
*
23,2
*
42,6*
3.7
*
16.9
*
26.9*
0,4
1,3
DAX
4.341
-1.9
-2.9
-1.5
BUX
893
2,8
6,0
13,4*
0,7
26,6*
44,8*
PX
887
1,3
4,0
15,8*
-3,5
28,7*
52,4*
WIG-20
894
3,0
1,3
-0,8
-8,7*
9,8
13,6
DAX
894
-9,2*
3,2
6,3
-4,9
14,9*
26,7*
Wochenrenditen
Tabelle 5.8: Autokorrelationen (in %) und Q-Statistiken
Die Autokorrelationen erster Ordnung unter Verwendung von Tagesrenditen sind signifikant positiv für alle CEE-3 Indizes, insbesondere für den tschechischen PX. Der Koeffizient für den DAX ist dagegen negativ und statistisch nicht signifikant ungleich null (allerdings ist der Koeffizient vierter Ordnung positiv signifikant). Die Autokorrelationen höherer Ordnungen sind niedriger in den CEE-3, einige davon aber immer noch signifikant. Die Q-Statistiken signalisieren eindeutig eine Ablehnung der Random Walk Hypothese für alle Indizes. Tests basierend auf Wochenrenditen weisen dagegen ein etwas anderes Muster auf. Die Autokorrelationen erster Ordnung in den CEE-3 sind immer noch positiv, aber deutlich kleiner. Die Abweichungen von null sind gar geringer als der relativ stark negative Koeffizient für Deutschland. Es gibt jedoch immer noch signifikante Koeffizienten höherer Ordnung für alle drei Indizes. Basierend auf den Q-Statistiken würde man die Random Walk Hypothese für alle Indizes, mit Ausnahme des polnischen, ablehnen. Auf Basis dieser Ergebnisse lassen sich bereits erste Schlussfolgerungen über die schwache Informationseffizienz in den drei Märkten ziehen. Der polnische Index weist demnach die höchste, der tschechische Index die niedrigste Effizienz auf (diese Reihenfolge lässt sich mittels der Q-Statistiken bilden). Insbesondere bei Betrachtung von Tagesrenditen sind diese Unterschiede aber nicht sehr groß und lassen daher kaum Rückschlüsse über eklatante Effizienzunterschiede zwischen den CEE-3 zu.
TRANSPARENZANFORDERUNGEN UND SCHWACHE EFFIZIENZ
207
Die Tabellen 5.9 und 5.10 zeigen die Variance Ratios und die heteroskedastizitätskonsistenten Teststatistiken für die vier Indizes über den gesamten Zeitraum basierend auf Tages- bzw. Wochenrenditen. Unter Verwendung der konventionellen Methodik würde die Hypothese eines Random Walk bei einem Wert der Teststatistik über 1,96 abgelehnt werden. Die Anwendung der Multiple Variance Ratio Methodik nach Chow und Denning (1993) impliziert dagegen eine Ablehnung, wenn der größte Wert der Teststatistik über dem kritischen Wert der SMM Verteilung liegt.701 Die mit einem Sternchen versehenen Zahlen symbolisieren eine Signifikanz nach ersterer, die mit zwei Sternchen versehenen Zahlen nach letzterer Methodik (in diesem Fall ist lediglich der höchste Wert markiert).
Index
Anzahl der Beobachtungen
BUX
4.282
ψ* PX
4.218
ψ* WIG-20 ψ
4.262
*
DAX ψ*
4.342
q: Anzahl der aggregierten Beobachtungen zur Berechnung von VR(q) 2
4
8
16
1,06
1,07
1,07
1,16
(1,90)
(1,11)
(0,79)
(1,32)
1,11**
1,14
1,17
1,25
(2,83)
(1,95)
(1,59)
(1,67)
1,06*
1,08
1,11
1,10
(2,12)
(1,67)
(1,40)
(0,92)
0,98
0,94
0,90
0,89
(-0,85)
(-1,47)
(-1,40)
(-1,04)
Tabelle 5.9: Variance Ratio Tests (gesamter Zeitraum) basierend auf Tagesrenditen
Variance Ratios über zwei Perioden liefern aufgrund ihrer Verbindung zu den bereits analysierten Autokorrelationen erster Ordnung kaum neue Einsichten. Die Betrachtung über längere Zeiträume bringt dagegen aufschlussreiche Ergebnisse. Bei Verwendung täglicher Renditen weisen der polnische und der ungarische Index Ratios auf, die deutlich näher bei eins liegen (und damit eine höhere Effizienz signalisieren) als die des tschechischen. Die Hypothese eines effizienten Marktes unter Verwendung der konventionellen Methodik würde lediglich für den deutschen und den ungarischen Markt nicht abgelehnt werden. Unter Anwendung des Multiple Variance Ratio Test würde auch der polnische Markt als effizient gelten. Selbst bei Betrachtung des gesamten Zeitraums lässt sich daher wiederum das erwartete Ergebnis ablesen: der tschechische Markt ist der ineffizienteste der CEE-3.
701
Vgl. Kapitel 5.3.
208
TRANSPARENZANFORDERUNGEN UND SCHWACHE EFFIZIENZ
Die Ergebnisse variieren leicht bei Verwendung von Wochenrenditen. Der polnische Markt ist hierbei einem Random Walk noch näher bei Betrachtung längerer Perioden. Die Abweichungen des ungarischen und des tschechischen Marktes sind größer. Beide würden (zumindest bei der konventionellen Methodik) als nicht effizient gelten. Der Multiple Variance Ratio Test würde die Random Walk Hypothese dagegen für keinen der Märkte ablehnen. Für den deutschen Markt lassen sich keine eindeutigen Unterschiede feststellen. Im Gegensatz zu den Ergebnissen der Autokorrelationstests signalisieren die Ergebnisse nicht immer eine höhere Effizienz unter Verwendung wöchentlicher Renditen.
Index
Anzahl der Beobachtungen
BUX
894
ψ* PX
888
ψ* WIG-20
895
ψ* DAX ψ*
895
q: Anzahl der aggregierten Beobachtungen zur Berechnung von VR(q) 2
4
8
16
1,03
1,17
1,33*
1,34
(0,56)
(1,78)
(2,11)
(1,56)
1,01
1,14
1,29*
1,34
(0,26)
(1,51)
(1,96)
(1,64)
1,03
1,06
1,01
0,95
(0,69)
(0,73)
(0,06)
(-0,24)
0,91
0,93
0,96
1,06
(-1,81)
(-0,79)
(-0,29)
(0,30)
Tabelle 5.10: Variance Ratio Tests (gesamter Zeitraum) basierend auf Wochenrenditen
Obwohl also bereits einige Schlussfolgerungen bei Betrachtung des gesamten Analysezeitraums gezogen werden können, liegt der Fokus der Untersuchung auf dem Effizienzvergleich einzelner Teilperioden. Diese Ergebnisse werden in den Tabellen 5.11 und 5.12 für Tages- bzw. Wochenrenditen dargestellt. Um die Übersichtlichkeit der Tabellen zu wahren, wurden die Werte der Teststatistiken weggelassen (diese finden sich in Anhang 22 und Anhang 23) und der Wert, der am weitesten von eins entfernt ist fett markiert (dieser muss jedoch nicht zwingendermaßen der Wert sein, der auch die höchste Teststatistik aufweist). Bei Betrachtung von Tagesrenditen zeigt sich, dass der tschechische Index während der Liberalisierungsphase sehr ineffizient war. Die Variance Ratios sind teilweise größer als zwei und signalisieren daher eine stark positive Autokorrelation. Der polnische Index weist dagegen in dieser Periode Werte auf, die deutlich näher bei eins liegen (auch wenn die Effizienz für VR(2) abgelehnt wird). Die Werte für den ungarischen Index liegen auf einem ähnlichen Niveau, signalisieren aber eine höhere Ineffizienz für VR(16). Dies ist sicherlich das bedeutendste Ergebnis der
TRANSPARENZANFORDERUNGEN UND SCHWACHE EFFIZIENZ
209
Untersuchung, da dies die Hypothese bestätigt, dass die strenge Regulierung des polnischen Marktes in der Liberalisierungsphase zu einer höheren Informationseffizienz führte als die schwache Regulierung des tschechischen.
Index
Anzahl der Beobachtungen
q: Anzahl der aggregierten Beobachtungen zur Berechnung von VR(q) 2
4
8
16
April 1994 – Dezember 1997 BUX
914
1.11
1.19
1.21
1.52
PX
849
1.48
1.95**
2.04
2.28
WIG-20
887
1.15*
1.21
1.31
1.26
DAX
927
0.95
0.93
0.85
0.90
Januar 1998 - April 2004 BUX
1578
1.03
1.05
1.04
1.15
PX
1581
1.07
1.15**
1.23
1.35
WIG-20
1584
0.99
1.02
1.01
1.09
DAX
1601
0.99
0.95
0.91
0.92
Mai 2004-Juni 2011 BUX
1790
1.07
1.01
1.03
1.01
PX
1788
1.06
0.98
0.97
1.01
WIG-20
1791
1.04
1.02
0.99
0.96
DAX
1816
0.97
0.90
0.89
0.85
Tabelle 5.11: Variance Ratio Tests (nach Perioden) basierend auf Tagesrenditen
Die Zahlen für die Reformphase (1998-2004) bestätigen den zweiten wichtigen Aspekt der Analyse. Es kann nachgewiesen werden, dass die erläuterten Einführungen von strengeren Transparenzvorschriften die Effizienz der Börse Prag deutlich verbessert haben. Die Variance Ratios sind nun deutlich näher bei eins, auch wenn die Random Walk Hypothese in dieser Periode immer noch abgelehnt wird. Auch für die anderen beiden Märkte kann in dieser Phase eine Verbesserung der Effizienz nachgewiesen werden (der polnische und der ungarische Index weisen bereits annähernd perfekt die Eigenschaften eines Random Walk auf). Dies lässt sich auf die beschriebene Angleichung der Regulierung an EU-Standards in dieser Phase zurückführen. Die Variance Ratios für die EU-Beitrittsphase (2004-2011) zeigen, dass sich die Effizienz in allen drei Ländern danach weiter erhöht hat. Auch der tschechische Markt weist nun die Eigenschaften eines schwach informationseffizienten Marktes auf und es lassen sich keine Unterschiede mehr zwischen den CEE-3 feststellen.
210
TRANSPARENZANFORDERUNGEN UND SCHWACHE EFFIZIENZ
Dies gilt auch im Vergleich zum deutschen Markt, der unter Verwendung dieses Effizienzmaßes von den CEE-3 gar leicht übertroffen wird.
Index
Anzahl der Beobachtungen
q: Anzahl der aggregierten Beobachtungen zur Berechnung von VR(q) 2
4
8
16
April 1994 – Dezember 1997 BUX
194
1.08
1.41**
1.62
1.79
PX
187
1.07
1.19
1.47
1.68
WIG-20
194
1.15
1.17
1.02
0.81
DAX
194
0.90
1.05
0.92
0.93
BUX
329
1.02
1.23
1.42
1.18
PX
330
1.00
1.15
1.27
1.22
WIG-20
330
0.99
1.09
1.14
1.21
DAX
330
0.89
0.94
1.01
1.13
Januar 1998 - April 2004
Mai 2004-Juni 2011 BUX
371
1.00
1.01
1.11
1.25
PX
371
0.98
1.11
1.28
1.43
WIG-20
371
0.92
0.92
0.91
0.96
DAX
371
0.93
0.88
0.90
0.95
Tabelle 5.12: Variance Ratio Tests (nach Perioden) basierend auf Wochenrenditen
Die Ergebnisse der Variance Ratio Tests für wöchentliche Renditen sind ähnlich, stimmen aber nicht ganz so gut wie die vorherigen mit der Hypothese eines engen Zusammenhanges zwischen dem Informationsumfeld und der Effizienz überein. Der polnische Markt ist auch hierbei der effizienteste der drei Märkte in der Liberalisierungsperiode; der tschechische ist aber etwas effizienter als der ungarische. Die Random Walk Hypothese wird hier nur für den BUX abgelehnt, nicht jedoch für die beiden anderen Indizes. Generell weisen die Variance Ratios in der Reform- und EU-Beitrittsphase Werte auf, die weiter von eins entfernt sind als bei Verwendung von Tagesrenditen. Die Teststatistiken zeigen jedoch, dass alle drei Märkte die schwache Informationseffizienz bereits in der Reformphase erreicht hatten. Allerdings lässt sich kein eindeutiger Trend zu einer höheren Effizienz im Laufe der Zeit nachweisen. So lassen sich beispielsweise für den polnischen und den tschechischen Markt kaum noch Effizienzsteigerungen in der EU-Beitrittsphase feststellen.
TRANSPARENZANFORDERUNGEN UND SCHWACHE EFFIZIENZ
211
Auch wenn die Autokorrelationen aller Ordnungen eine Rolle bei der Bewertung der Informationseffizienz von Aktienmärkten spielen, werden die der ersten Ordnung (wohl aufgrund ihrer einfachen intuitiven Vermittelbarkeit) häufig gesondert untersucht. Um einen Eindruck über die Entwicklung der Autokorrelationen erster Ordnung (für Tagesrenditen) über die Zeit für die CEE-3 zu bekommen, wurden diese jeweils mittels eines 200-Tage-Fensters berechnet.702 Die Ergebnisse in Abbildung 5.4 bestätigen die vorherigen, lassen aber darüber hinaus weitere Schlussfolgerungen in Form einer genaueren Bestimmung des Zeitpunktes der Effizienzsteigerung zu. In der Phase zwischen 1994 und 1997 zeigt sich wiederum, dass der tschechische der ineffizienteste Markt war, mit einer sehr hohen Autokorrelation von bis zu 60% im Jahr 1994. Die Ergebnisse bestätigen ebenfalls, dass der polnische Markt der effizienteste in dieser Phase war und der ungarische (die meiste Zeit) zwischen diesen beiden lag. Das 95% Konfidenzintervall für den Autokorrelationskoeffizienten erster Ordnung liegt bei ca. ±14%. Dies bedeutet, dass die Hypothese einer signifikanten Autokorrelation erster Ordnung für den polnischen und ungarischen Markt ab ca. Ende 1996 bzw. Mitte 1997 abgelehnt werden kann. Für den tschechischen Markt war dies erst ab Ende 1998 der Fall. Am bedeutendsten ist dabei die Übereinstimmung dieses Zeitpunktes der Erreichung der Effizienz des tschechischen Marktes mit der in Kapitel 5.1.2 beschriebenen Gründung einer unabhängigen Kapitalmarktaufsicht und Reformen der Transparenzvorschriften. Die Autokorrelationskoeffizienten blieben anschließend fast die gesamte Zeit über innerhalb dieses Konfidenzintervalls und weisen keine bedeutenden Unterschiede in der Effizienz der drei Märkte nach. 0,7 0,6 0,5 0,4 0,3 PX (Prag)
0,2
WIG-20 (Warschau)
0,1
BUX (Budapest)
0,0 -0,1 -0,2
Abbildung 5.4: Autokorrelationen erster Ordnung
702
Vgl. Lo (2004) für eine ähnliche Methodik.
2010
2009
2008
2007
2006
2005
2004
2003
2002
2001
2000
1999
1998
1997
1996
1995
1994
-0,3
212
TRANSPARENZANFORDERUNGEN UND SCHWACHE EFFIZIENZ
5.6 Interpretation der Ergebnisse Ziel dieses Kapitels war der empirische Nachweis eines Zusammenhanges zwischen den Transparenzanforderungen und der schwachen Informationseffizienz. Auch wenn theoretische Modelle eine solche Beziehung nahe legen, sind empirische Untersuchungen dazu noch rar. Die CEE-3 mit ihren stark unterschiedlichen Ansätzen bei der Regulierung des Informationsumfeldes von Aktienmärkten in der Liberalisierungsphase dienten dabei als Untersuchungsgegenstand. Abweichungen von einem Random Walk in Form von Variance Ratio Tests wurden genutzt, um die Effizienz zwischen den Märkten und über die Zeit zu messen. Die Resultate stützen weitestgehend die Hypothese, dass ein Markt mit strengen Offenlegungspflichten eine höhere Effizienz aufweist. Während die schwache Regulierung in Tschechien zu hohen positiven Autokorrelationen führte, lässt sich eine effizientere Preisbildung am strenger regulierten polnischen Aktienmarkt nachweisen. Der ungarische Markt lag sowohl in der Regulierung als auch in der Effizienz zwischen diesen beiden Märkten. Es wurde auch gezeigt, dass die regulatorischen Reformen, die in Tschechien Ende der 1990er ergriffen wurden, insbesondere die Gründung einer unabhängigen Kapitalmarktaufsicht und strengere Transparenzvorschriften, mit einem Anstieg der Effizienz zusammenfallen. Die anderen beiden Länder erlebten in dieser Phase ebenfalls eine Verbesserung der Effizienz, nachdem diese EU-Regulierungen im Vorfeld des EU-Beitritts implementierten. Alle drei Märkte sind mittlerweile schwach informationseffizient. Vergangene Renditen können daher nicht genutzt werden, um zukünftige vorherzusagen. In Kapitel 4 wurden bereits weitere potentielle Determinanten der Informationseffizienz vorgestellt, deren möglicher Einfluss hier diskutiert werden soll. Dabei geht es insbesondere darum, ob andere Faktoren die höhere Informationseffizienz in Polen und Ungarn in der Liberalisierungsphase begünstigt haben und ob diese auch den Effizienzanstieg des tschechischen Marktes in der Reformphase erklären können. Aus der Diskussion in Kapitel 4.2.2 wurde abgeleitet, dass eine Effizienzsteigerung auch auf eine Verringerung der Zahl der beinhaltenden Aktien eines Index zurückgeführt werden könnte, da der Ausschluss von zuvor illiquiden Aktien zu niedrigeren Autokorrelationen beitragen kann. So wurden an der Börse Prag im Jahr 1997 zwar hunderte Aktien von der Börse genommen, die Zahl der Aktien des PX-Index (der die Werte des alten PX-50 übernahm) wurde aber erst in den Jahren 2002 und 2003 verringert. Die Zahl der Aktien des BUX sank zwar bereits ab 1997, die größte Verringerung fand aber auch dort nach dem Effizienzanstieg statt. Die erste Notierung eines ausländischen Unternehmens mit einem bedeutenden Anteil am Prager PX-Index fand ebenfalls später statt. Im Ländervergleich
TRANSPARENZANFORDERUNGEN UND SCHWACHE EFFIZIENZ
213
könnte zudem die Konzentration des tschechischen und ungarischen Index auf sehr wenige Aktien dazu beitragen, dass sich heute kaum noch Effizienzunterschiede zum polnischen Markt nachweisen lassen. In Kapitel 4.2.3 wurde gezeigt, dass die Liquidität in der Liberalisierungsphase zwar in Polen über dem Niveau der anderen beiden Länder lag, allerdings fiel diese im Anschluss daran deutlich ab (obwohl sich die Informationseffizienz in Polen weiter verbesserte). Zudem hat sich die Liquidität in Tschechien auch in der Reformphase nicht erhöht und kann daher den Effizienzanstieg nicht erklären. Einzig in Ungarn hat die Liquidität in der Reformphase deutlich zugenommen. Daten von Domowitz, Glen und Madhavan (2001) zeigen zudem, dass sich in den Jahren 1996 bis 1998 (in denen Effizienzverbesserungen festgestellt wurden) die Transaktionskosten in Ungarn und Tschechien nicht verringert haben.703 Der Anteil institutioneller Anleger war in Tschechien anfangs höher als in Ungarn und Polen, wo dieser sich erst sehr langsam im Anschluss an die Etablierung von privaten Pensionsfonds erhöhte (s. Kapitel 4.2.5). Bis zum Jahr 2002 fiel dieser Anteil in Tschechien gar ab und kann daher den Effizienzanstieg ebenfalls nicht erklären. Gleiches gilt für den Anteil ausländischer Investoren. In Ungarn ist dieser traditionell höher als in Polen; zudem gab es keinen einheitlichen Trend zu einem höheren Anteil im Zeitverlauf. In Kapitel 4.2.6 wurde dargelegt, dass sich einige tschechische und ungarische Unternehmen an weiteren Börsen haben listen lassen. Allerdings erfolgte dies in den meisten Fällen nur im Freihandel oder in einem ADR-Programm, bei dem keine strengeren Anforderungen als an der Heimatbörse erfüllt werden mussten. Man könnte argumentieren, dass andere Faktoren an diesen Börsen, wie z.B. ein effizienteres Handelssystem, auch einen Anstieg der Informationseffizienz zur Folge hatten. Allerdings wurde auch gezeigt, dass polnische Unternehmen diesen Weg kaum gewählt haben, der polnische Markt aber trotzdem schon frühzeitig ein hohes Maß an Informationseffizienz erreicht hatte. Daher lässt sich zusammenfassen, dass ein gewisser Einfluss anderer Faktoren nicht ausgeschlossen werden kann, diese aber wohl nicht so stark zur Erhöhung der schwachen Informationseffizienz beigetragen haben, wie die Verschärfung der Transparenzanforderungen. Dabei kann sicherlich kritisiert werden, dass das verwendete Maß für diese weiteren Determinanten nicht immer geeignet ist, um daraus Rückschlüsse auf deren Einfluss auf die Effizienz zu ziehen. Dies ist aller-
703
Die Ergebnisse werden nur für die gesamte Region Osteuropa genannt. Tschechien und Ungarn sind allerdings die einzigen beiden osteuropäischen Länder in der Studie. Veränderungen über einen längeren Zeitraum werden nicht beschrieben. Vgl. Domowitz, Glen und Madhavan (2001), S. 230-231.
214
TRANSPARENZANFORDERUNGEN UND SCHWACHE EFFIZIENZ
dings (wie in den jeweiligen Abschnitten in Kapitel 4 erläutert) der häufig mangelnden Datenverfügbarkeit für die CEE-3 geschuldet. Des Weiteren kann man kritisieren, dass die schwache Informationseffizienz, wie der Name bereits suggeriert, nur ein schwacher Nachweis für die Effizienz eines Aktienmarktes ist. Die Berücksichtigung vergangener Renditen bei der aktuellen Preisbildung ist nur eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung dafür, dass der Aktienmarkt Investoren und Unternehmern korrekte Signale bezüglich des Fundamentalwertes einer Aktie und damit eines Unternehmens liefert. Die schwache Informationseffizienz ist jedoch eine Voraussetzung für die halbstrenge Informationseffizienz. Zudem erreichen nicht einmal die Aktienpreise von entwickelten Märkten immer die schwache Effizienz. Der Nachweis des Erreichens dieser Form in den CEE-3 kann daher als ein erster wichtiger Schritt bei der Etablierung eines Aktienmarktes mit positiven volkswirtschaftlichen Auswirkungen betrachtet werden. Der nächste logische Schritt liegt nun in der Messung der halbstrengen Informationseffizienz, der im folgenden Kapitel erfolgen soll. Dadurch kann besser beurteilt werden, ob Aktienmärkte in diesen Ländern korrekte Preissignale für eine effiziente Kapitallokation geben.
AKTIEN-ANALYSTEN UND HALBSTRENGE EFFIZIENZ
215
6 Empirische Untersuchungen zum Einfluss von Aktien-Analysten auf die halbstrenge Informationseffizienz Nachdem im vorherigen Kapitel aufgezeigt wurde, dass die Aktienmärkte in den CEE-3 mittlerweile schwach informationseffizient sind, wird nun die halbstrenge Informationseffizienz untersucht. Dabei wird wiederum der Zusammenhang zwischen der Effizienz und dem Informationsumfeld der Märkte im Mittelpunkt stehen. Der Fokus liegt dabei auf der Messung des Beitrags von Aktien-Analysten zu einem halbstreng informationseffizienten Markt. Dazu eignet sich eine Analyse des Post-Earnings-Announcement-Drift (PEAD), der sowohl eine Herausforderung für die EMH als auch für die Rolle von Aktien-Analysten darstellt. Der PEAD und die bisherige Literatur werden in Kapitel 6.1 vorgestellt. 704 Die EventStudien-Methodik wird in Kapitel 6.2 dargestellt. Die verwendeten Daten und die Probleme bei der Datenverfügbarkeit werden in Kapitel 6.3 erläutert. Einige deskriptive Statistiken und die Ergebnisse der Event-Studie finden sich in Kapitel 6.4. In Kapitel 6.5 werden die Ergebnisse zusammengefasst und interpretiert.
6.1 Der Post-Earnings-Announcement Drift: Bisherige Literatur Ein PEAD liegt vor, wenn sich abnormale Renditen im Anschluss an die Veröffentlichung von Unternehmenszahlen ergeben: Aktien von Unternehmen, die einen Gewinn veröffentlicht haben, der besser (schlechter) als erwartet ausfiel, erzielen auch in der Folgezeit positive (negative) Überrenditen. Der PEAD wurde erstmals in der ersten veröffentlichten Event-Studie durch Ball und Brown (1968) dokumentiert. 705 Ursprünglich sollte die Studie den allgemeinen Zusammenhang zwischen Erfolgsgrößen der Rechnungslegung und Aktienkursbewegungen untersuchen. Allerdings interpretierten die Autoren ihre Untersuchung auch damals schon als Test der EMH. 706 Auch wenn die Event-Studien-Methodik später verfeinert wurde, entsprach die damals angewandte Methodik in den Grundzügen bereits der heute gängigen. Da es damals allerdings noch keine Daten über die erwarteten Gewinne von Aktienanalysten gab, wurden diese auf Basis einer Regression im Verhältnis zu den durchschnittlichen Gewinnen aller Unternehmen geschätzt und 704 705 706
Vgl. Kapitel 3.2.2 zur Rolle von Aktien-Analysten. Vgl. Kapitel 2.2.2. Vgl. Ball und Brown (1968), S. 160-161.
216
AKTIEN-ANALYSTEN UND HALBSTRENGE EFFIZIENZ
anschließend der unerwartete Teil der Veröffentlichung berechnet. 707 Auf Basis des kurz zuvor erforschten Risiko-Rendite-Zusammenhangs wurde eine risikoadjustierte erwartete Rendite mittels eines Marktmodells ermittelt. Die abnormale Rendite (die Differenz zwischen der tatsächlichen und der erwarteten Rendite) entwickelte sich bereits in den 12 Monaten vor der Veröffentlichung negativ (positiv) für Unternehmen, die einen Gewinn bekannt gaben, der schlechter (besser) als der durch das Vorhersagemodell erwartete ausfiel. Dies lässt auf eine im Durchschnitt korrekte Antizipation der Marktteilnehmer schließen. Überraschenderweise wiesen Aktien auch in den Folgemonaten (die genaue Länge des Drifts variierte je nach verwendeter Methodik) eine Bewegung in die gleiche Richtung auf, d.h. die abnormalen Aktienrenditen von Unternehmen, die mit ihrem Gewinn negativ (positiv) überraschten, entwickelten sich auch in den Folgemonaten negativ (positiv). Dies sollte auf einem halbstreng informationseffizienten Markt nicht der Fall sein, da dies impliziert, dass nicht alle öffentlich verfügbaren Informationen bereits im Aktienkurs berücksichtigt sind und der Preis daher auf die Information „unterreagiert“. Darauf basierend kann auch eine Momentum-Strategie entwickelt werden, bei der in der Vergangenheit gut performende Aktien gekauft und schlecht performende Aktien (leer-) verkauft werden. Im weiteren Verlauf wurde der PEAD durch zahlreiche Folgestudien bestätigt.708 Das Besondere am PEAD, im Vergleich zu anderen empirisch aufgezeigten Anomalien, ist seine Persistenz über viele Jahrzehnte. Während gewisse Anomalien einige Zeit nach ihrer wissenschaftlichen Erforschung verschwanden, wurde der PEAD auch in aktuellen Studien nachgewiesen. 709 Fama (1998) nennt in seiner Behavioral Finance Kritik den PEAD als eine von zwei Anomalien, die auch einer Verwendung unterschiedlicher Methoden und Daten standhalten und damit eine ernsthafte Herausforderung für die EMH darstellen. 710 Der Fokus der Kapitalmarktforschung lag dabei wiederum auf entwickelten Kapitalmärkten. Griffin, Kelly und Nardari (2010) zeigen in einer der wenigen Ausnahmen, dass die abnormalen Renditen des PEAD in Schwellenländern nicht größer sind als in entwickelten Märkten.
707
708
709 710
Darüber hinaus wurde eine naive Schätzung verwendet, bei der der erwartete Gewinn dem Gewinn des Vorjahres entsprach. Vgl. beispielsweise Jones und Litzenberger (1970), Joy, Litzenberger und McEnally (1977), Foster, Olsen und Shevlin (1984), Bernard und Thomas (1989, 1990) und Bartov, Radhakrishnan und Krinsky (2000). Vgl. Vega (2006) und Griffin, Kelly und Nardari (2010). Die zweite Anomalie ist der kurzfristige Momentum-Effekt (Jegadeesh und Titman 1993). Analog zum 4-Faktor-Modell von Carhart (1997), bei dem der Momentum-Effekt in ein Asset-Pricing-Modell integriert wird, entwickeln Kim und Kim (2003) ein Modell, bei dem ein zusätzlicher Risikofaktor für den Earnings surprise steht. Dadurch sind die kumulierten abnormalen Renditen 60 Tage nach Bekanntgabe ökonomisch und statistisch nicht signifikant. Dabei muss allerdings wieder beurteilt werden, ob dieser Faktor eine rationale Risikoprämie darstellt oder lediglich eine empirisch beobachtbare Anomalie beschreibt. Vgl. Kapitel 2.4.3.
AKTIEN-ANALYSTEN UND HALBSTRENGE EFFIZIENZ
217
Während die Dokumentation des PEAD also weitestgehend unstrittig ist, existieren stark divergierende Erklärungsansätze. Wie fast immer bei der Interpretation von (scheinbaren) Anomalien können diese grundsätzlich in zwei Klassen eingeteilt werden. Die „EMH-Sicht“ sieht im PEAD keine Anomalie, sondern führt diesen u.a. auf methodische Probleme bei der Berechnung der risiko-adjustierten Renditen zurück oder hält diesen aufgrund von Transaktionskosten für nicht profitabel nutzbar. Die „Behavioral-Finance-Sicht“ sieht im PEAD tatsächlich eine Anomalie, die durch irrationales Verhalten der Investoren (z.B. beim Umgang mit Informationen) hervorgerufen wird. Beide Sichtweisen sollen im Folgenden vorgestellt werden. Erklärungen basierend auf der EMH-Sicht haben kritisiert, dass eine Missspezifikation des verwendeten Asset-Pricing-Modells den PEAD verursachen kann, z.B. bei Vorliegen eines nicht zeit-konstanten Betas. 711 Wenn Unternehmen mit einem unerwartet hohen (niedrigen) Gewinn in der Folge risikoreicher (risikoärmer) sind, dann würde der Drift keine Anomalie mehr darstellen, sondern lediglich eine faire Risikoprämie widerspiegeln. Empirische Tests dieses Erklärungsansatzes kommen zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen, die Mehrheit der Studien lehnt diesen aber ab.712 Gegen eine solche Argumentation spricht auch, dass ein Großteil des Drifts häufig konzentriert innerhalb eines kurzen Zeitraums auftritt. Die genaue Länge und Konzentration des Drifts variieren zwischen den unterschiedlichen Studien. Bernard und Thomas (1989) beispielsweise finden, dass der Großteil des Drifts innerhalb der ersten drei Monate nach Veröffentlichung der Ergebnisse auftritt. Zudem steht man wiederum vor dem Problem beurteilen zu müssen, ob ein Asset-Pricing-Modell neben dem Beta noch weitere rationale Risikofaktoren beinhalten sollte. Des Weiteren wurde kritisiert, dass bei Handelsstrategien, die ein Ausnutzen des PEAD zum Ziel haben, entsprechende Transaktionskosten berücksichtigt werden müssen und ein profitables Ausnutzen des PEAD damit eventuell nicht mehr möglich sei (Limits of Arbitrage).713 Während in einigen Studien die Profitabilität einer solchen Strategie tatsächlich nicht mehr gegeben ist, kommen die meisten Untersuchungen wiederum zu dem Ergebnis, dass Transaktionskosten den PEAD nicht vollständig erklären können. 714
711 712
713
714
Vgl. Ball (1978). Ball, Kothari und Watts (1993) verwenden einen Ansatz, bei dem sich das Beta einer Aktie jährlich ändern kann. Der Drift ist in diesem Fall schwächer. Watts (1978) und Bernard und Thomas (1989) (u.a.) finden dagegen, dass das erhöhte Risiko den PEAD nicht erklären kann. Bereits Ball und Brown (1968) haben darauf hingewiesen, dass ein Ausnutzen des PEAD unter Berücksichtigung von Transaktionskosten in ihrer Studie nicht möglich ist. Bhushan (1994) zeigt, dass die Größe des Drifts positiv mit den direkten und indirekten Transaktionskosten zusammenhängt. In der Studie von Korajczyk und Sadka (2004) können Transaktionskosten den entsprechenden Momentum-Effekt nicht vollständig erklären.
218
AKTIEN-ANALYSTEN UND HALBSTRENGE EFFIZIENZ
Andere Studien haben den PEAD dagegen mit Erkenntnissen der BehavioralFinance-Forschung in Verbindung gebracht. Dabei wurde untersucht, ob der Drift mit anderen Anomalien verknüpft werden kann. Dahinter stand die Vermutung, dass der Drift eventuell keine eigenständige Anomalie sein könnte, sondern durch andere Anomalien verursacht wird. Getestet wurde dabei beispielsweise ein Zusammenhang zur Size- oder Buch-zu-Marktwert-Anomalie. 715 Die Mehrheit der Studien kam dabei zu dem Ergebnis, dass der PEAD nicht durch andere Anomalien erklärt werden kann.716 Ein Großteil der neueren Forschung rückt dagegen die Rolle des Informationsumfeldes in den Vordergrund. Insbesondere die in Kapitel 3.1.3 vorgestellten informationsökonomischen Modelle werden dabei verwendet, um den PEAD zu erklären. Im Investor-Sentiment-Modell von Barberis, Shleifer und Vishny (1998) wird der PEAD mit dem Conservatism-Effekt in Verbindung gebracht. Das Modell von Daniel, Hirshleifer und Subrahmanyam (1998) führt diesen auf das Zusammenspiel von Overconfidence und biased self-attribution zurück. Im Modell von Hong und Stein (1999) hängt dieser insbesondere mit der Annahme einer langsamen Informationsverbreitung zusammen. Im Gegensatz zu diesen verhaltensökonomischen Ansätzen, führen Brav und Heaton (2002) den PEAD auf die strukturelle Unsicherheit über die Konstanz der Auszahlung eines Wertpapiers zurück. Diese Modelle wurden auch empirisch getestet. Chan (2003) kommt zu dem Ergebnis, dass Aktien auf öffentliche Nachrichten (insbesondere negative) unterreagieren und weist einen Drift von bis zu 12 Monaten nach. Aktien, die starke Preisbewegungen ohne zuordenbare Nachrichten aufweisen, reagieren dagegen über. Dies wird als Bestätigung des Modells von Daniel, Hirshleifer und Subrahmanyam (1998) interpretiert. Anknüpfend an diese Ergebnisse zeigt Vega (2006), dass nicht der Unterschied zwischen privaten und öffentlichen Informationen entscheidend für die Höhe des Drifts ist, sondern, ob damit das Eintreten von informierten oder uninformierten Marktteilnehmern verbunden ist. Dies interpretiert die Autorin als Bestätigung des Rational Structural Uncertainty Modells. Hong, Lim und Stein (2000) finden, dass die Profitabilität von Momentum-Strategien am höchsten bei Aktien ausfällt, die von wenigen Analysten abgedeckt werden und sehen dadurch bestätigt, dass Aktien-Analysten zu einer Verbreitung von Informationen beitragen. Die Ergebnisse sind konsistent mit dem Modell von Hong und Stein (1999). Francis et al. (2007) zeigen, dass der PEAD durch die Höhe der Informationsunsicherheit eines Unternehmens, gemessen in Form eines proxy für die Qualität der Rechnungslegung, erklärt werden kann. Laut den Autoren spricht dies daher für eine rationale Reaktion der Investoren auf die Unsicherheit. 715 716
Vgl. Chan, Jegadeesh und Lakonishok (1996). Vgl. Kothari (2001), S. 195-196 für eine Literaturübersicht.
AKTIEN-ANALYSTEN UND HALBSTRENGE EFFIZIENZ
219
Im Folgenden soll nicht versucht werden eine Aussage zu treffen, ob der PEAD durch rationales oder irrationales Investorenverhalten zustande kommt (dies wäre aufgrund der im Anschluss erläuterten eingeschränkten Datenverfügbarkeit auch nicht möglich). Stattdessen soll der Einfluss des Informationsumfeldes, in Form der Analysten Coverage, auf die Höhe des Drifts untersucht werden. Dieser Zusammenhang wird sowohl durch verhaltensökonomisch motivierte als auch durch Modelle mit rationalen Investoren impliziert. Bei einer hohen Analysten Coverage sollte die Unsicherheit über die Genauigkeit der Konsenserwartung niedriger und der Informationsstand der Marktteilnehmer höher sein. Dies sollte einen niedrigeren Drift zur Folge haben.
6.2 Methodik Event Studien sind eine sehr häufig eingesetzte Methode in der empirischen Kapitalmarktforschung. 717 Neben den Tests auf halbstrenge Informationseffizienz werden diese genutzt, um beispielsweise die Auswirkungen von Investitions- und Finanzierungsentscheidungen oder Ankündigungen von Fusionen und Übernahmen auf den Unternehmenswert zu analysieren. 718 Bei der Bewertung der Informationseffizienz steht dabei insbesondere die Analyse der Renditebewegungen im Anschluss an das Event im Vordergrund. Auf einem halbstreng informationseffizienten Markt sollten Investoren die veröffentlichten Informationen nicht systematisch falsch einschätzen. Daher sollten sich die kumulierten abnormalen Renditen im Anschluss an die Veröffentlichung weder systematisch nach unten noch nach oben bewegen, da dies für eine anfängliche Über- bzw. Unterreaktion des Preises sprechen würde. In einigen Studien wird dabei auch die Profitabilität einer Handelsstrategie getestet, bei der Aktien mit einer positiven Überraschung gekauft und Aktien mit einer negativen Überraschung leerverkauft werden.719 Ziel der Methode ist es, eine über viele Wertpapiere aggregierte und über die Zeit kumulierte abnormale Rendite zur Untersuchung der Auswirkungen eines bestimmten Events zu nutzen. Die abnormale Rendite eines einzelnen Wertpapieres i zum Zeitpunkt t ist dabei die Abweichung der empirisch beobachteten Rendite von der erwarteten Rendite: AR it =Rit − E [ Rit ]
717
718 719
Die Grundlagen der Methode gehen auf Ball und Brown (1968) und Fama et al. (1969) zurück. Die im Folgenden erläuterte Vorgehensweise kann unabhängig von dem zu untersuchenden Event angewendet werden. Der Fokus auf den PEAD erfordert aber einige zusätzliche Erläuterungen. Vgl. Fama (1991), S. 1599-1602. Alternativ kann eine Strategie entwickelt werden, bei der Aktien, die sich vor der Veröffentlichung gut (schlecht) entwickelt haben, gekauft (verkauft) werden.
220
AKTIEN-ANALYSTEN UND HALBSTRENGE EFFIZIENZ
Zur Berechnung der erwarteten Renditen können grundsätzlich unterschiedliche Modelle genutzt werden. Beim Constant-mean return Model wird eine konstante erwartete Rendite, beispielsweise in Höhe des historischen Durchschnittes, verwendet. Das Market Model setzt die beobachtete Rendite der Aktie in Relation zur Rendite des Marktportfolios: 720 Rit =+ α i βi Rmt + ε it
Unter Verwendung der geschätzten Parameter des Markmodells ergibt sich die abnormale Rendite zu: ˆ = R − αˆ + βˆ R AR it it i mt i
Grundsätzlich ist die Berechnung der erwarteten Renditen auch über anspruchsvollere Modelle wie das CAPM oder Multi-Faktormodelle möglich. Da sich die Testgüte aber im Vergleich zur Verwendung eines Marktmodells nicht signifikant verbessert, wird bei Event Studien in den meisten Fällen das Marktmodell verwendet.721 Abbildung 6.1 illustriert die zeitliche Einteilung bei der Berechnung der abnormalen Renditen. Die Phase des Estimation Window wird genutzt, um die Parameter des Marktmodells zu schätzen und damit die erwarteten Renditen zu berechnen. Das Event Window ist der Zeitraum, in dem das Event stattfindet. Häufig startet die Berechnung der kumulierten abnormalen Renditen bereits einige Perioden vor dem Event, um eventuelle außergewöhnliche Kursbewegungen im Vorfeld zu identifizieren.722 Die Phasen des Estimation Window und des Event Window sollten sich dabei nicht überschneiden, um einen Einfluss des Events auf die Parameter zur Berechnung der erwarteten Renditen zu vermeiden. Dem Post Event Window kommt bei einigen Analysen (insbesondere bei der Betrachtung des PostEarnings-Announcement Drift) eine wichtige Rolle zu, da sich in dieser Phase eine eventuelle Korrektur der Unter- bzw. Überreaktion ablesen lässt.
720 721
722
Vgl. Campbell, Lo und MacKinlay (1997), S. 153-157. Vgl. Brown und Warner (1980), S. 223-224 bei Verwendung von Monatsrenditen und Brown und Warner (1985), S. 12-13 bei Verwendung von Tagesrenditen. Vgl. Brown und Warner (1980), S. 224. Dies ist sinnvoll, da das Event-Datum nicht immer eindeutig bestimmbar ist. Außerdem können so Preisbewegungen analysiert werden, die auf eine Antizipation des Events hinweisen.
AKTIEN-ANALYSTEN UND HALBSTRENGE EFFIZIENZ
Pre-Event Window
Estimation Window
T0
T1
221
Post-Event
0
T2
Abbildung 6.1: Zeitliche Einteilung einer Event Studie
Im Anschluss an die Berechnung der abnormalen Renditen der einzelnen Wertpapiere kann der Durchschnitt der abnormalen Renditen für alle N Wertpapiere betrachtet werden. Dabei ist auch eine Unterteilung in unterschiedliche Gruppen möglich, so wird z.B. bei der Analyse des PEAD häufig zwischen Unternehmen mit positiven und negativen Überraschungen unterschieden. ARt =
1 N ˆ ∑ ARi N i =1
Dieser kann daraufhin über die Zeit kumuliert werden. Die Kumulierung startet üblicherweise bereits einige Tage vor dem Event (zum Zeitpunkt T1) und wird bis zum Ende des Post-Event Windows (Zeitpunkt T2) berechnet: T2
CAR = ∑ ARt t =T1
Im Anschluss kann in einer Querschnittsbetrachtung der Einfluss spezifischer Unternehmenscharakteristika auf die jeweilige abnormale Rendite mittels einer Regression untersucht werden. Dabei sollten gegebenenfalls heteroskedastizitätskonsistente Schätzer verwendet werden. 723 Die Verwendung von Tagesrenditen zur Durchführung der statistischen Tests ist weitestgehend unproblematisch. 724 Alternative Methoden zur Kleinste-QuadrateSchätzung des Marktmodells aufgrund von nicht synchronem Handel bringen kei-
723 724
Vgl. Campbell, Lo und MacKinlay (1997), S. 173-175. Allerdings ist die Aggregation über viele Wertpapiere und die Zeit aus statistischer Sicht problematisch, da sich die Event Windows der Unternehmen bei der Bekanntgabe ihrer Unternehmenszahlen häufig überschneiden und daher nicht unabhängig voneinander sind. Vgl. Bernard (1987). Brown und Warner (1985) zeigen allerdings, dass Tests, die diese Abhängigkeit ignorieren, häufig eine höhere Testgüte besitzen als solche, die diese Abhängigkeit berücksichtigen.
222
AKTIEN-ANALYSTEN UND HALBSTRENGE EFFIZIENZ
ne eindeutigen Vorteile. 725 Bei der vorliegenden Fragestellung muss jedoch insbesondere eine mögliche Änderung des Risikos der Wertpapiere in Folge des Events analysiert werden. Dies ist nötig, um unterscheiden zu können, ob die Renditebewegungen im Anschluss an das Event durch eine Änderung des Risikos beeinflusst werden. So kann beispielsweise der positive Drift in Folge der Veröffentlichung eines deutlich höher als erwarteten Gewinns als ein gestiegenes Risiko interpretiert werden. Der Drift wäre demzufolge lediglich eine faire Risikoprämie für das höhere Risiko. Um dies zu berücksichtigen, sollte die Veränderung des Beta-Parameters des Marktmodells über die Zeit untersucht werden. Je länger der betrachtete Zeitraum des Drifts, desto gravierender wird dabei wiederum das Joint-hypothesis Problem, da eine abnormale Rendite auch durch ein mangelhaftes Asset-Pricing-Modell verursacht werden könnte. 726
6.3 Daten Für die Analyse wurden unterschiedliche Datenquellen genutzt. Eine gewisse Einschränkung des Analysezeitraums resultierte aus der Nutzung der Analystendatenbank I/B/E/S. Dabei standen Daten zu den jährlichen Unternehmenszahlen für die Geschäftsjahre 2009 und 2010 zur Verfügung (Tabelle 6.1 gibt eine Übersicht über die verfügbaren Daten). In den meisten Studien zu höher entwickelten Kapitalmärkten werden dagegen vierteljährliche Daten über einen längeren Zeitraum genutzt. Grundsätzlich wurden Aktien aus den Blue-Chip-Indizes der drei Länder (d.h. der WIG-20 für Polen, der BUX für Ungarn und der PX für Tschechien) betrachtet. Die für die Analyse entscheidenden Variablen sind die Analysten Coverage, der tatsächliche Earnings-per-share (EPS) und der Median der EPS Vorhersage (die weiteren Variablen der I/B/E/S Datenbank wurden lediglich für deskriptive Statistiken genutzt). Die Verfügbarkeit der Daten für das Geschäftsjahr 2010 war dabei deutlich besser als für 2009; zu fast allen Aktien standen die Daten in diesem Jahr zur Verfügung. 727 Für das Geschäftsjahr 2009 (und in einem Fall für das Geschäftsjahr 2010) fehlten die Daten zu den tatsächlichen EPS. In diesen Fällen wurden die entsprechenden Daten von Thomson Reuters Datastream genutzt. Zwei Aktien konnten nicht einbezogen werden, da diese noch nicht lange genug an der Börse notiert waren, um die Parameter des Marktmodells zu schätzen.728 Damit standen insgesamt 55 Beobachtungen für die Analyse zur Verfügung. 725 726 727
728
Vgl. Brown und Warner (1985), S. 25-27. Vgl. Fama (1998), S. 291-296. Beim polnischen WIG-20 fehlt beispielsweise nur das tschechische Unternehmen CEZ, das auch ein Zweitlisting in Warschau besitzt und daher dem tschechischen Markt zugeordnet wurde. In zwei Fällen war der Zeitraum zur Schätzung des Marktmodells um einige wenige Tage verkürzt.
AKTIEN-ANALYSTEN UND HALBSTRENGE EFFIZIENZ
Variablen
Geschäftsjahr 2010
223
Geschäftsjahr 2009
Total
PL
CZ
HU
PL
CZ
HU
Analysten Coverage
19
12
11
6
6
4
58
EPS Tatsächlich
19
12
11
6
6
4
58
EPS Median Prognose
19
12
10
6
6
4
57
Aktienkurse über ausreichenden Zeitraum
19
11
10
5
6
4
55
Tabelle 6.1: Übersicht der zur Verfügung stehenden Daten
Die Analysten Coverage und die Variablen zu deren Prognosen über den EPS beziehen sich auf den Monat vor der Veröffentlichung des EPS. Das Datum der Veröffentlichung der Unternehmenszahlen stammt von Compustat und stand für fast alle Aktien zur Verfügung (lediglich in einem Fall wurde das Datum aus im Internet veröffentlichten Presseberichten entnommen). Die Aktienkurse stammen von Datastream. Als Marktportfolios wurden die Blue-Chip Indizes des jeweiligen Landes genutzt. Bei der Analyse des PEAD wurden als kontrollierende Variablen die Marktkapitalisierung, der Turnover der Aktien und Zweitlistings an anderen Börsen verwendet. Da beispielsweise der Gewinn des Geschäftsjahres 2010 im Jahr 2011 veröffentlicht wurde und der Drift sich damit auf das Jahr 2011 bezieht, wurden für die Marktkapitalisierung und den Turnover in diesem Fall die entsprechenden Werte für das Jahr 2011 verwendet. Der Turnover ist definiert als der Wert aller gehandelten Aktien dividiert durch die Marktkapitalisierung. Diese Daten stammen von den jeweiligen Börsenbetreibern. Zusätzlich wurde eine Dummy-Variable konstruiert, die signalisiert, ob Aktien des Unternehmens noch an weiteren Börsen gelistet sind (jedoch nicht, wenn diese lediglich im Freiverkehr gehandelt werden) oder ein ADR- oder GDR-Programm besteht.729
6.4 Empirische Ergebnisse Vergleiche der deskriptiven Statistiken zur Analysten-Coverage zwischen den drei Ländern (Tabelle 6.2) können aufgrund der unterschiedlichen Zahl der betrachteten Aktien etwas verzerrt sein. Trotzdem lassen sich einige Schlussfolgerungen ziehen. In Polen ist die Analysten Coverage am höchsten. Sowohl das arithmetische Mittel als auch der Median sind höher als in den anderen beiden Ländern, obwohl dabei mehr polnische Aktien (und damit auch relativ kleinere Unternehmen) betrachtet werden. Das arithmetische Mittel ist in Tschechien höher als in 729
Vgl. Kapitel 4.2.6. Nicht als ein weiteres Listing wurde gewertet, wenn eine Aktie an einer der beiden anderen Börsen der CEE-3 gehandelt wurde.
224
AKTIEN-ANALYSTEN UND HALBSTRENGE EFFIZIENZ
Ungarn, für den Median gilt das Gegenteil. Die höchste Coverage für eine einzelne Aktie ist in allen drei Ländern ähnlich. In Tschechien und Polen ist dies mit dem Unternehmen CEZ bzw. der PKO Bank jeweils die Aktie mit der höchsten, in Ungarn mit der OTP Bank die mit der zweithöchsten Marktkapitalisierung. In Polen wird zudem die Aktie mit der niedrigsten Coverage noch von 4 Analysten bewertet. In den beiden anderen Ländern gibt es Aktien, die nur von einem Analysten abgedeckt werden.
Land
Arithmetisches Mittel
Median
Max.
Min.
Polen
11,6
10
24
4
Tschechien
9,7
4
23
1
Ungarn
7,9
5
21
1
Tabelle 6.2: Analysten Coverage im Jahr 2011
Zu den Bestimmungsfaktoren der Analysten-Coverage gibt es zahlreiche Studien. Pietzsch (2004) beispielsweise zeigt für den deutschen Markt, dass diese positiv u.a. mit der Marktkapitalisierung, dem Handelsvolumen, der Indexzugehörigkeit, dem Anteil institutioneller Investoren, der Aktienkursentwicklung, den Zweitlistings und negativ mit der Volatilität und dem Verschuldungsgrad zusammenhängt. Hong, Lim und Stein (2000) legen allerdings dar, dass die Marktkapitalisierung der dominante Faktor bei der Erklärung der Analysten Coverage ist. Weitere Variablen, wie der Buch-zu-Marktwert, der Turnover oder die Transaktionskosten sind zwar ebenfalls statistisch signifikant in der Erklärung der Analysten Coverage, erhöhen das Bestimmtheitsmaß aber nur geringfügig. Dies lässt sich auch für die Analysten Coverage der CEE-3 nachweisen (Tabelle 6.3). Dabei wurden die Einflussfaktoren mittels einer OLS-Schätzung untersucht. 730 Auch hier zeigt sich, dass die Anzahl der Analysten stark mit der Größe des Unternehmens zusammenhängt (der hohe Wert für das Bestimmtheitsmaß signalisiert, dass ein großer Teil durch die Marktkapitalisierung erklärt wird). Während die Berücksichtigung des absoluten Handelswertes der Aktien zu keiner großen Verbesserung des Modells führt, hat der Turnover einer Aktie einen signifikant positiven Einfluss auf die Coverage. Gleiches gilt (zumindest bei einem 10%Signifikanz-Niveau) für ein Zweitlisting. Liquide Aktien von großen Unternehmen
730
Die Tabelle bezieht sich auf die Situation im Jahr 2011 bei Veröffentlichung der Ergebnisse des Geschäftsjahres 2010. In Klammern sind die jeweiligen Standardfehler angegeben. Ein bis drei Sternchen signalisieren eine Signifikanz auf dem 10%-, 5%- bzw. 1%-Niveau.
AKTIEN-ANALYSTEN UND HALBSTRENGE EFFIZIENZ
225
mit einem Listing an einer weiteren Börse haben daher tendenziell eine höhere Analysten Coverage.
Modell 1
Marktkap.
Handelswert
Turnover
Dummy: Zweitlisting
1,81***
R2 0,80
(0,15) 2 3 4
1,45***
8,85*
(0,25)
(5,20)
0,81
1,45***
0,80***
(0,14)
(0,18)
1,39*** (0,23)
-1,16 (5,31)
0,72*** (0,22)
0,87 2,65* (1,47)
0,88
Tabelle 6.3: Einflussfaktoren der Analysten Coverage
Qualität der Analysten Prognosen Zur Beurteilung der Güte der Prognosen von Analysten wurden unterschiedliche Maße berechnet:731 a) Der Consensus Forecast Error ist die Differenz zwischen dem tatsächlichen EPS und dem Median der Prognosen und stellt somit ein Maß für die Genauigkeit der Analysten-Prognosen dar. b) Der Time-Series Forecast Error ist definiert als die Differenz zwischen dem tatsächlichen EPS und dem durch ein Zeitreihenmodell vorhergesagten Wert. Häufig wird dabei ein naives Vorhersagemodell genutzt, bei dem der vorhergesagte Wert dem tatsächlichen Wert des letzten Jahres entspricht. 732 c) Der Analyst Information Advantage ist die Differenz zwischen dem TimeSeries Forecast Error und dem Consensus Forecast Error und gibt daher an, wie viel besser die Vorhersage der Analysten im Vergleich zu einer naiven Prognose ist. d) Die Forecast Dispersion ist definiert als die Standardabweichung der einzelnen Prognosen für eine Aktie und misst damit den Dissens zwischen den Analysten.
731 732
Vgl. Bae, Bailey und Mao (2006), S. 411 und Kapitel 3.2.2. Hierbei wurden die EPS des Vorjahres von Thomson Reuters Datastream genutzt. Einige Aktien, für die diese Daten nicht zur Verfügung standen, wurden nicht einbezogen.
226
AKTIEN-ANALYSTEN UND HALBSTRENGE EFFIZIENZ
Bei der Standardisierung dieser Werte wird in der Literatur abweichend der tatsächliche EPS, der Median der Vorhersagen oder der Aktienpreis verwendet.733 In Tabelle 6.4 sind die Werte der CEE-3 für das Geschäftsjahr 2010 unter Verwendung der ersten beiden Deflatoren angegeben. Die Abweichungen bei unterschiedlicher Methodik sind relativ gering und ändern nicht die jeweilige Reihenfolge. In der Tabelle wird jeweils der Median der einzelnen Werte dargestellt, da das arithmetische Mittel durch einzelne Ausreißer stark verzerrt wird.
verwendeter EPS-Deflator
Consensus Forecast Error TatsächliMedian cher
Analyst Information Advantage TatsächliMedian cher
Forecast Dispersion TatsächliMedian cher
Polen
3,81
3,67
30,90
26,70
6,59
6,38
Tschechien
5,83
6,19
8,25
8,42
12,46
10,26
Ungarn
12,80
11,35
12,31
11,50
17,26
16,06
Tabelle 6.4: Qualität der Analysten-Prognosen (Median für das Geschäftsjahr 2010 in %)
Bei Betrachtung des Consensus Forecast Error zeigt sich, dass die AktienAnalysten in diesem Zeitraum die besten Prognosen für polnische Aktien abgegeben haben. Die Abweichung der Median-Prognose von dem tatsächlichen Ergebnis ist dagegen in Ungarn am höchsten. Auch der Analyst Information Advantage bescheinigt den Analysten für den polnischen Markt den besten Wert, da deren Prognosen im Vergleich zu einer einfachen Verwendung des Vorjahreswertes relativ besser abschneiden als in den beiden anderen Ländern. Da der Time Series Forecast Error in Ungarn deutlich höher als in Tschechien ist, liegen die AktienAnalysten für den ungarischen Markt bei der Beurteilung des Information Advantage noch vor denen für den tschechischen Markt. Eine Bewertung der Forecast Dispersion ist dagegen nicht eindeutig möglich. Ein niedriger Wert kann hierbei positiv interpretiert werden, in dem Sinne, dass das Informationsumfeld des Aktienmarktes eine so hohe Qualität besitzt, dass die Analysten zu relativ ähnlichen Einschätzungen kommen. Es kann aber auch als Herdenverhalten der Analysten bei der Prognose ausgelegt werden. Ein hoher Wert kann daher auch positiv als Anzeichen für eine Vielfalt an unterschiedlichen Meinungen interpretiert werden. 734 Die Abweichungen sind dabei in Polen am niedrigsten und in Ungarn am höchsten. 733
734
Brown und Kim (1991) verwenden den tatsächlichen EPS und den Aktienpreis als Deflator. Bae, Bailey und Mao (2006) nutzen den Median der Vorhersage und den Aktienpreis. Vgl. auch Tamura (2002), S. 35 für eine Diskussion der unterschiedlichen Deflatoren. Vgl. Kapitel 3.2.2.
AKTIEN-ANALYSTEN UND HALBSTRENGE EFFIZIENZ
227
Aufschlussreich ist dabei auch der Zusammenhang zwischen dem Consensus Forecast Error und der Anzahl der Analysten. Werden alle drei Länder zusammen betrachtet, ergibt sich eine negative Korrelation zwischen diesen beiden Größen (-0,23).735 Für Aktien, die von vielen Analysten bewertet werden, ist die MedianVorhersage daher relativ näher am tatsächlichen EPS. Dabei ist allerdings anzumerken, dass dieser Zusammenhang in Tschechien (-0,62) und Ungarn (-0,45) deutlich stärker als in Polen (-0,08) ist. Dies könnte darauf zurückgeführt werden, dass die Analysten Coverage in Polen allgemein höher als in den anderen beiden Ländern ist und der (Grenz-) Beitrag eines weiteren Analysten zur Verbesserung der Median-Prognose bei einem hohen Niveau niedriger als bei einem niedrigen ist. Allerdings sollte bei der Interpretation dieser Zahlen berücksichtigt werden, dass dabei nur sehr wenige Beobachtungen genutzt werden und Rückschlüsse auf den allgemeinen Einfluss und die Performance von Aktien-Analysten in diesen drei Ländern daher mit einer hohen Unsicherheit belegt sind. Event Studie Zur Untersuchung der eigentlichen Hypothese eines Beitrages von AktienAnalysten zu einem halb-streng informationseffizienten Markt wurde der PEAD im Anschluss an die Veröffentlichung der Jahresabschlüsse von 2009 und 2010 untersucht. Dabei wurde ein Zeitintervall von t = -220 bis -21 Tage genutzt, um die Parameter des Marktmodells zu schätzen und damit anschließend die abnormalen Renditen einzelner Aktien während des Pre- und Post-Event Windows (t = -20 bis +60) berechnet. 736 Als maximaler Zeitraum für die Betrachtung des Drifts wurden 60 Handelstage gewählt. Eine Analyse über einen längeren Zeitraum war aufgrund der mangelnden Verfügbarkeit längerer Zeitreihen von Aktienpreisen zum Zeitpunkt der Durchführung der Event-Studie nicht möglich. Auch wenn die Länge des Drifts in vorherigen Studien variiert und teilweise auch über einen längeren Zeitraum nachgewiesen werden kann, zeigen die meisten Studien, dass dieser hauptsächlich innerhalb der ersten 3 Monate (ca. 60 Handelstage) auftritt.737 Um einen ersten Überblick über den Zusammenhang zwischen der Anzahl der Analysten und dem PEAD zu bekommen, wurde in Abbildung 6.2 der Betrag der kumulierten abnormalen Renditen über das Intervall (t = +1, +60) in Abhängigkeit der Analysten Coverage dargestellt. Dabei zeigt sich, dass es einen leicht negativen Zusammenhang gibt. Je mehr Analysten eine Aktie bewerten, desto geringer fällt der PEAD tendenziell aus. Insbesondere einige Aktien mit einer sehr niedrigen Coverage von einem oder zwei Analysten weisen einen hohen Drift auf. Al735
736 737
Unter Verwendung der Median-Prognose des EPS als Deflator. Die Ergebnisse bei Verwendung des tatsächlichen EPS sind qualitativ gleich. Vgl. Kapitel 6.2. Vgl. beispielsweise Bernard und Thomas (1989). Vega (2006) untersucht den Drift über 70 Handelstage.
AKTIEN-ANALYSTEN UND HALBSTRENGE EFFIZIENZ
228
lerdings gibt es in derselben Gruppe auch zahlreiche Aktien mit einem relativ niedrigen Drift.
50
PEAD
40 y = 12,02 - 0,307x R² = 0,057
30 20 10 0 0
5
10
15 Anzahl Analysten
20
25
30
Abbildung 6.2: Zusammenhang zwischen dem PEAD (+1,+60) und der Anzahl an Analysten
Anschließend wurde dieser Zusammenhang separat für Aktien mit einem positiven und einem negativen Drift untersucht. In Abbildung 6.3 zeigt sich, dass bei einem negativen Drift weiterhin eine Relation zur Anzahl der Analysten besteht, diese bei einem positiven Drift aber extrem schwach ist.738 Um ausschließen zu können, dass Unterschiede in der Größe der Unternehmen mit einer positiven oder negativen Überraschung das Ergebnis beeinflussen (d.h., dass z.B. nicht hauptsächlich große Unternehmen positiv überraschten), wurde die jeweilige durchschnittliche Marktkapitalisierung verglichen. Der Unterschied war dabei nur sehr gering. Für erstere ergab sich ein Durchschnittswert von 3,19, für letztere von 3,07 Milliarden Euro.739 Die Marktkapitalisierung der Unternehmen wurde zudem bei der Querschnittsbetrachtung der Einflussfaktoren des PEAD einbezogen.
738
739
Bei Gültigkeit der Hypothese, dass Aktien mit einer höheren Analysten-Coverage einen niedrigeren PEAD haben, muss in der Abbildung für Aktien mit einem positiven Drift ein negativer Zusammenhang und für Aktien mit einem negativen Drift ein positiver Zusammenhang gelten. Eine Analyse der statistischen Signifikanz der Koeffizienten findet mithilfe der im Anschluss folgenden Regressionen statt. In einigen Studien wird zur Berücksichtigung des Size-Effekts ein entsprechender Faktor in das Asset-PricingModell integriert und die abnormalen Renditen dadurch adjustiert. Wie bereits in Kapitel 6.2 erläutert wurde, führt eine solche Erweiterung aber meist zu keiner signifikanten Verbesserung der Testgüte.
AKTIEN-ANALYSTEN UND HALBSTRENGE EFFIZIENZ
229
50
40
PEAD
30 y = 7,905 - 0,057x R² = 0,003
20
10
0 0 0
5
10
15
20
25
-10
-20 y = - 14,63 + 0,461x R² = 0,104 -30
-40
-50
Anzahl Analysten
Abbildung 6.3: Zusammenhang zwischen dem PEAD (+1,+60) und der Anzahl an Analysten in Abhängigkeit des Vorzeichens des Drifts
Um die genauen Zusammenhänge der unterschiedlichen Einflussfaktoren des Drifts zu untersuchen, wurde dieser auf die Anzahl der Analysten und weitere Kontrollvariablen regressiert. Zur Quantifizierung der abhängigen Variablen (des Drifts) gibt es unterschiedliche Ansätze. So können das betrachtete Zeitintervall variiert (z.B. die kumulierte abnormale Rendite im Intervall t = +1 bis +10, +30 oder +60) oder der jeweilige Maximalwert der kumulierten abnormalen Rendite (zu einem beliebigen Zeitpunkt) in einem Intervall verwendet werden. In der folgenden Analyse werden mehrere dieser Ansätze verwendet, um damit auch die Robustheit der Ergebnisse zu garantieren. Als Kontrollvariablen dienen die Marktkapitalisierung, der Turnover der Aktie und eine Dummyvariable, die signa-
230
AKTIEN-ANALYSTEN UND HALBSTRENGE EFFIZIENZ
lisiert, ob ein Unternehmen ein Zweitlisting besitzt. In drei Modellen wurde jeweils der Einfluss einer einzelnen Variable und in einem weiteren Modell der Einfluss aller Variablen getestet. Die Ergebnisse der Regressionen für den Betrag des Drifts (+1,+60) sind in Tabelle 6.5 aufgeführt, für die weiteren Drifts in Tabelle 6.6.740
Modell
Konstante
Anzahl Analysten
1
12,022***
-0,307*
(1,829)
(0,171)
2 3 4
Marktkap.
Turnover
Dummy: Zweitlistings
R2 0,057
10,631***
-0,380
(1,432)
(0,276)
0,034
9,728***
-0,075
(1,922)
(0,390)
0,001
11,752***
-0,395
0,109
0,021
1,782
(2,367)
(0,327)
(0,511)
(0,397)
(2,526)
0,067
Tabelle 6.5: Querschnittsanalyse des PEAD (+1,+60)
740
In den Klammern finden sich wiederum die Standardfehler. Ein bis drei Sternchen signalisieren eine Signifikanz auf dem 10%-, 5%- bzw. 1%-Niveau.
4
3
2
1
4
3
2
1
4
3
2
1
Modell
-0,596 (2,459)
0,184 (0,385) 0,308 (0,386)
-0,086 (0,497)
-0,335 (0,318)
12,348*** (1,899) 15,150*** (2,304)
(0,269)
(1,392)
(0,167)
(1,785)
-0,532*
-0,369**
16,184*** 14,749***
-1,326 (1,257)
0,150 (0,197)
-0,102 (0,254)
-0,097 (0,163)
(1,178)
(0,706)
-0,139
Zweitlistings
7,091***
0,092 (0,197)
(0,970)
(0,111)
5,743***
(0,138)
(0,714)
(0,922) -0,252*
(0,086)
7,476*** 6,901***
-0,162*
(0,662)
-0,036
-0,127 (0,143)
0,021 (0,091)
3,512***
-0,040 (0,107)
(0,528)
Turnover
3,253***
-0,104 (0,076)
Marktkap.
(0,394)
(0,048)
-0,051
Analysten
3,424***
(0,513)
3,523
***
Konstante
Tabelle 6.6: Querschnittsanalyse des PEAD für weitere Drifts
CAR (+1, max)
CAR (+1,+30)
CAR (+1,+10)
Drift
0,098
0,004
0,069
0,084
0,096
0,004
0,059
0,063
0,037
0,003
0,034
0,021
R2
AKTIEN-ANALYSTEN UND HALBSTRENGE EFFIZIENZ 231
232
AKTIEN-ANALYSTEN UND HALBSTRENGE EFFIZIENZ
Für den Drift (1,60) zeigt ein Vergleich der Modelle 1 und 2, dass sowohl die Anzahl der Analysten als auch die Marktkapitalisierung einen negativen Koeffizienten aufweisen, aber lediglich erstere statistisch signifikant ist. 741 Auch unter Verwendung der drei anderen Drifts ist die Signifikanz für die Anzahl der Analysten meist höher (z.B. für den Drift (1,max) auf dem 5%-Niveau). Bemerkenswert dabei ist, dass alle Modelle den erwarteten negativen Zusammenhang dieser beiden Variablen mit dem PEAD bestätigen. Für den Einfluss des Turnovers in Modell 3 können keine eindeutigen Rückschlüsse gezogen werden. Der Koeffizient ist zwei Mal positiv und zwei Mal negativ und in keinem Fall statistisch signifikant. Verwendung von Modell 4 zeigt, dass ein weiterer Analyst in den meisten Fällen eine stärkere Auswirkung auf den PEAD hat als eine um eine Milliarde höhere Marktkapitalisierung. Unter Verwendung von Drift (1,60) und (1,max) ist der Koeffizient für erstere Variable deutlich höher (der Koeffizient für die Marktkapitalisierung hat für den Drift (1,60) gar ein positives Vorzeichen). Für den Drift (1,30) liegen diese etwa gleich auf (bei einer geringeren Standardabweichung für die Anzahl an Analysten). Lediglich für den Drift (1,10) hat der Koeffizient für die Analysten nicht das erwartete Vorzeichen. Der Einfluss des Turnovers ist in den meisten Fällen sehr gering. Lediglich für den Drift (1,max) weist dieser einen hohen (jedoch positiven) Koeffizienten auf. Für den Einfluss von Zweitlistings können keine eindeutigen Rückschlüsse gezogen werden. Überraschend ist der relativ hohe positive Koeffizient für den Drift (1,60) bei jedoch einer relativ hohen Standardabweichung. Insgesamt kann für Modell 4 für keine Variable eine statistische Signifikanz festgestellt werden. Die Signifikanz der Koeffizienten wurde auch unter Verwendung von heteroskedastizitäts-konsistenten Standardfehlern durchgeführt (siehe Anhang 24 und Anhang 25). 742 Die Standardfehler sind dabei in den meisten Fällen etwas größer. Dadurch ist die statistische Signifikanz für den Einfluss der Analysten in Modell 1 für den Drift (1,60) und für die Marktkapitalisierung in Modell 2 für den Drift (1,30) und (1,max) nicht mehr gegeben. Daher ist die Anzahl der Analysten die einzig verbleibende signifikante Variable. Abbildung 6.3 legte nahe, dass sich die Einflüsse in Abhängigkeit des Drifts (positiv oder negativ) unterscheiden. Um dies genauer zu analysieren wurden weitere Regressionen durchgeführt, bei der die Koeffizienten für alle Variablen in Abhängigkeit des Vorzeichens des Drifts variieren können.743
741 742 743
Das Modell 1 für den Drift (1,60) ist auch grafisch in Abbildung 6.2 dargestellt. Vgl. Hayes und Cai (2007) zur verwendeten Methodik. Vgl. Vega (2006) für eine ähnliche Methodik.
AKTIEN-ANALYSTEN UND HALBSTRENGE EFFIZIENZ
233
Für Modell 4 ergibt sich daher folgende Spezifikation: Drift i = α + + β1+ Analyst i + β+2 Marktkapi + β3+ TOi + β4+ Zweit i +α − + β1− Analyst i + β2− Marktkapi + β3− TOi + β4− Zweit i + εi
Tabelle 6.7 zeigt die entsprechenden Ergebnisse für den Drift (1,60). In Anhang 26 und Anhang 27 sind diese für die weiteren Drifts aufgeführt. 744 Bei Gültigkeit der Hypothese, dass Aktien mit einer höheren Analysten Coverage (bzw. einer höheren Marktkapitalisierung, einem höheren Turnover oder einem Zweitlisting) einen niedrigeren PEAD aufweisen, sollten die Koeffizienten im Falle eines positiven Drifts ein negatives Vorzeichen und im Falle eines negativen Drifts ein positives Vorzeichen haben.
Modell
Konstante
Anzahl Analysten
7,906***
-0,057
(2,882)
(0,253)
Marktkap.
Turnover
Dummy: Zweitlistings
R2
Positiver Drift 1 2 3 4
0,609
7,237***
0,037
(2,189)
(0,374)
0,604
4,582
0,611
(2,799)
(0,489)
0,604
5,494
-0,450
0,635
0,775
0,457
(3,703)
(0,514)
(0,703)
(0,559)
(4,779)
-14,630***
0,461**
(2,317)
(0,229)
0,637
Negativer Drift 1 2 3 4
0,609
-13,047***
0,748*
(1,833)
(0,399)
0,604
-13,982***
0,856
(2,584)
(0,613)
0,604
-16,217***
0,364
0,116
0,627
-0,368
(3,860)
(0,497)
(0,910)
(0,672)
(3,529)
0,637
Tabelle 6.7: Querschnittsanalyse des PEAD (+1,+60) in Abhängigkeit des Vorzeichens des Drifts
744
Dabei erfolgte die Einteilung für die Drifts (1,10) und (1,30) in positiver und negativer Drift nicht in Abhängigkeit des Vorzeichens nach 60, sondern nach 10 bzw. 30 Handelstagen. Beim Drift (1,max) hing die Einteilung vom Vorzeichen des maximalen Wertes und nicht dem Vorzeichen des Drifts nach 60 Handelstagen ab.
234
AKTIEN-ANALYSTEN UND HALBSTRENGE EFFIZIENZ
Modell 1 zeigt, dass die Koeffizienten für die Anzahl der Analysten immer das erwartete Vorzeichen aufweisen. Gleiches gilt in Modell 2 für die Marktkapitalisierung, allerdings mit Ausnahme des positiven Drifts (1,60). Die Koeffizienten sind für die beiden Variablen bei positivem Drift nur in einem Fall (Drift (1,30) für Analysten) statistisch signifikant von null unterscheidbar (auf dem 10%Niveau). Speziell für den Drift (1,60) lässt sich für die beiden Variablen kein Zusammenhang zum PEAD feststellen. Bei negativem Drift sind die Zusammenhänge sowohl für Analysten als auch die Marktkapitalisierung meist stärker. Zwar ist die Signifikanz für Analysten bei einem Drift (1,60) höher, im Gegensatz zu den Ergebnissen ohne Unterscheidung zwischen positivem und negativem Drift ist dies allerdings bei den anderen Drifts nicht der Fall. So sind die Marktkapitalisierung beim Drift (1,max) auf dem 5%-Niveau, die Analysten dagegen nicht mal auf dem 10%-Niveau signifikant. Die Unterschiede im Bestimmtheitsmaß sind meist nur geringfügig. 745 Modell 3 zeigt, dass der Turnover fast immer ein positives und damit in der Hälfte der Fälle das falsche Vorzeichen besitzt. Bei Analyse der Ergebnisse für Modell 4 ist hervorzuheben, dass im Falle eines positiven Drifts der Koeffizient für Analysten immer das erwartete negative Vorzeichen hat und damit die Abweichung von einem halbstreng-effizienten Markt für Aktien mit hoher Coverage kleiner ausfällt, während für die Marktkapitalisierung in drei Fällen das Gegenteil zutrifft. Gleiches gilt für die Anzahl der Analysten auch bei negativem Drift (1,60). Allerdings ist dies bei den anderen drei Drifts nicht der Fall. Das Vorzeichen für Analysten ist immer negativ und der Koeffizient weist keine Signifikanz auf. Über den Einfluss von Zweitlistings können auch in dieser Betrachtung keine eindeutigen Rückschlüsse gezogen werden. Zudem kann auch bei Unterscheidung positiver und negativer Drifts keine statistische Signifikanz in Modell 4 festgestellt werden (mit Ausnahme des Turnovers in zwei Fällen, jedoch mit einem positiven Vorzeichen bei positivem Drift). Um zu untersuchen, ob diese Zusammenhänge in den drei Ländern unterschiedlich stark ausfallen, wurden die Regressionen für jedes Land einzeln durchgeführt. Allerdings verschärft sich dadurch das Problem der relativ kleinen Anzahl an verwendeten Beobachtungen. So standen für den polnischen Markt 25, für den tschechischen 16 und für den ungarischen lediglich 14 Aktien zur Verfügung. 746 Die statistische Aussagekraft ist bei einer solch kleinen Zahl an Beobachtungen stark
745
746
Das in der Tabelle angegebene Bestimmtheitsmaß bezieht sich jeweils auf die gesamte Regression, d.h. sowohl für positive als auch für negative Drifts des jeweiligen Modells. Vgl. Kapitel 6.3.
AKTIEN-ANALYSTEN UND HALBSTRENGE EFFIZIENZ
235
eingeschränkt.747 Die Ergebnisse der Regression für den Drift (1,60) finden sich in Tabelle 6.8, für die weiteren Drifts in Anhang 28-30.
Modell
Konstante
Anzahl Analysten
7,709**
-0,108
(2,999)
(0,254)
Marktkap.
Turnover
Dummy: Zweitlistings
R2
Polen 1 2 3 4
0,008
8,384***
-0,450
(1,791)
(0,327)
0,079
6,229**
0,076
(2,396)
(0,480)
0,001
5,438
0,409
-0,836
0,223
-3,960
(3,408)
(0,396)
(0,516)
(0,496)
(3,145)
15,550***
-0,388
(3,760)
(0,364)
0,186
Tschechien 1 2 3 4
0,070
13,518***
-0,226
(3,309)
(0,541)
0,012
12,092**
0,257
(5,140)
(1,585)
0,002
17,969**
-1,919
2,274
-0,205
3,603
(6,107)
(1,095)
(1,509)
(1,821)
(7,184)
10,607***
-0,051
(2,652)
(0,297)
0,220
Ungarn 1 2 3 4
0,002
10,711***
-0,280
(2,244)
(0,771)
0,011
9,906***
0,080
(3,061)
(0,482)
0,002
7,651*
0,049
-1,342
0,312
7,807
(3,845)
(0,543)
(1,511)
(0,532)
(5,422)
0,202
Tabelle 6.8: Querschnittsanalyse für PEAD (+1,+60) nach Ländern
747
Auf eine gesonderte Analyse in Abhängigkeit des Vorzeichens des Drifts wurde verzichtet, da dies die Zahl an Beobachtungen pro Regression weiter verringert hätte.
236
AKTIEN-ANALYSTEN UND HALBSTRENGE EFFIZIENZ
Unabhängig von den Determinanten ist der PEAD in Tschechien am größten (im Durchschnitt ein Betrag von 12,79 für den Drift (1,60)), gefolgt von Ungarn (10,30) und am niedrigsten in Polen (6,55). Diese Unterschiede zeigen sich auch an der Höhe der Konstanten der Regressionen. Modell 1 deutet an, dass mehr Analysten in allen drei Ländern mit einem niedrigeren PEAD zusammenhängen. Dabei gibt es allerdings bedeutende Unterschiede in der Höhe des Einflusses. In Tschechien ist der Koeffizient höher (bei allerdings auch höherer Standardabweichung) als in Polen und Ungarn. Die Modelle 2 und 4 zeigen, dass insbesondere in Polen ein stärkerer negativer Zusammenhang zwischen der Marktkapitalisierung und dem PEAD besteht (und der Koeffizient in Modell 4 für die Analysten positiv ist). In Modell 4 für Tschechien hat dagegen der Koeffizient für die Anzahl der Analysten ein negatives Vorzeichen. Dieses Ergebnis zeigt sich auch bei den meisten der weiteren betrachteten Drifts. So ist der Einfluss der Anzahl der Analysten in Tschechien für den Drift (1,max) statistisch signifikant negativ (10%Niveau), in Polen lässt sich dies für den gleichen Drift dagegen für die Marktkapitalisierung feststellen (5%- und 10%-Niveau in Modell 2 bzw. 4). In Ungarn weist dagegen lediglich der Turnover für den Drift (1,30) eine positive Signifikanz auf. Abschließend soll analysiert werden, ob eine Änderung des Risikos im Anschluss an die Veröffentlichung des Jahresabschlusses einen Einfluss auf die Ergebnisse hatte. Eine Änderung des Betas einer Aktie über die Zeit wirkt sich über die erwarteten Renditen auch auf den PEAD aus. In Tabelle 6.9 wurden die bisher verwendeten durchschnittlichen Betas, die über das Marktmodell im Estimation Window geschätzt wurden, mit den durchschnittlichen Post-Betas verglichen, die sich bei einer Schätzung des Marktmodells über die 60 Handelstage nach Bekanntgabe des Jahresergebnisses ergaben. Dabei zeigt sich, dass positiv überraschende Unternehmen einen leichten Rückgang und negativ überraschende einen leichten Anstieg des Betas verzeichneten. Anzahl Aktien
Beta
Post-Beta
Alle Aktien
55
0,742
0,720
Positive Überraschung
37
0,799
0,748
Negative Überraschung
18
0,627
0,662
Tabelle 6.9: Durchschnittliche Betas und Post-Betas
Daher wurde untersucht, ob dies Auswirkungen auf die Ergebnisse bezüglich der Determinanten des Drifts hatte. In Tabelle 6.10 zeigt sich allerdings, dass sich die Ergebnisse unter Verwendung des Post-Betas von den vorherigen kaum unterscheiden. Für den Drift (1,60) ist die Anzahl der Analysten noch immer die einzig
AKTIEN-ANALYSTEN UND HALBSTRENGE EFFIZIENZ
237
signifikant erklärende Variable. Dies gilt weitestgehend auch für die weiteren Drifts (s. Anhang 31). Lediglich für den Drift (1,30) ist die Anzahl der Analysten unter dieser Spezifikation nicht mehr signifikant.
Modell
Konstante
Anzahl Analysten
1
11,966***
-0,313*
(1,804)
(0,169)
2 3 4
Marktkap.
Turnover
Dummy: Zweitlistings
R2 0,061
10,484***
-0,367
(1,415)
(0,273)
0,033
9,785***
-0,116
(1,898)
(0,385)
0,002
11,831***
-0,438
0,174
-0,015
2,158
(2,326)
(0,321)
(0,502)
(0,390)
(2,482)
0,077
Tabelle 6.10: Querschnittsanalyse für PEAD (+1,+60) unter Verwendung des Post-Betas
6.5 Interpretation der Ergebnisse Nachdem der polnische Aktienmarkt bereits bei den traditionellen Erfolgsindikatoren, wie der Marktkapitalisierung oder der Anzahl gelisteter Unternehmen (Kapitel 4) und dem frühzeitigen Erreichen der schwachen Informationseffizienz (Kapitel 5) am besten abschnitt, erzielte dieser auch bei der Analyse der Analysten Coverage in diesem Kapitel die besten Werte. Polnische Unternehmen werden im Durchschnitt von mehr Analysten abgedeckt als tschechische und ungarische. Da die Marktkapitalisierung als der dominante Einflussfaktor der Analysten Coverage identifiziert wurde, ist es nicht überraschend, dass der polnische Markt mit der höchsten Zahl an großen Unternehmen (7 Unternehmen mit einer Marktkapitalisierung über 5 Mrd. Euro im Gegensatz zu 4 in Tschechien und 2 in Ungarn) 748 auch die größte Aufmerksamkeit von Aktien-Analysten genießt. Des Weiteren wurden frühere Studien bestätigt, indem empirisch nachgewiesen wurde, dass auch eine höhere Liquidität und ein Zweitlisting zu einer höheren Zahl an Analysten führen. Unternehmen, die ein Zweitlisting an einer weiteren Börse erwägen, sollten daher diesen positiven Effekt in ihr Kosten-Nutzen-Kalkül einbeziehen. Zudem gibt es nicht nur mehr Analysten, die polnische Aktien abdecken, auch die Qualität der Prognosen erwies sich als höher (niedrigster Consensus Forecast Er748
Vgl. Kapitel 4.2.2.
238
AKTIEN-ANALYSTEN UND HALBSTRENGE EFFIZIENZ
ror, höchster Analyst Information Advantage) als in Tschechien und Ungarn. Dafür gibt es unterschiedliche Erklärungsansätze. Analog zur Beziehung zur Informationseffizienz könnte hierbei auch das Informationsumfeld eine Rolle spielen. In Kapitel 5 wurde allerdings aufgezeigt, dass die Unterschiede in den regulatorischen Anforderungen nur noch sehr gering sind und ein Einfluss auf die Effizienz daher unwahrscheinlich ist. Allerdings könnten auch andere Aspekte des Informationsumfeldes (die schwerer zu vergleichen sind) dafür mitverantwortlich sein, z.B. die Finanzkommunikation zwischen Unternehmen, Aktionären und Analysten (Investor Relations), die bei großen Unternehmen potentiell besser ist als bei kleinen. Alternativ könnten auch positive Netzwerkeffekte bei Aktien-Analysten dazu führen, dass die höhere Anzahl an Analysten in Polen eine höhere Qualität der Prognosen zur Folge hat. Dafür spricht auch, dass die Spanne an unterschiedlichen Vorhersagen zum EPS (Forecast dispersion) in Polen am kleinsten ist. Im Vordergrund der Analyse standen jedoch die Einflussfaktoren des PEAD. Es wurde untersucht, ob es einen empirischen Zusammenhang zwischen der Anzahl an Aktien-Analysten und der halbstrengen Informationseffizienz der Aktienmärkte in den CEE-3 gibt. Dabei sollte nicht versucht werden den PEAD mit einem rationalen oder irrationalen Investorenverhalten in Verbindung zu bringen, sondern lediglich der Beitrag der Aktien-Analysten zu einem effizienten Markt aufgezeigt werden. Dabei sind zwei Ergebnisse hervorzuheben. Der (teilweise signifikant) negative Zusammenhang zwischen dem PEAD und der Anzahl der Analysten und die (in den meisten Fällen) höhere Signifikanz des Zusammenhangs zu Analysten im Vergleich zur Marktkapitalisierung. Dies spricht für eine eingeschränkte Bestätigung der Hypothese, dass Aktien-Analysten zu einem effizienten Markt beitragen. Aus modelltheoretischer Sicht liegt die Hypothese nahe, dass die Informationsgenerierung und -distribution durch Analysten eher einen empirisch messbaren Einfluss auf die Effizienz eines Marktes hat als die Größe des Unternehmens. Dennoch nutzen viele Studien bei Effizienztests eher die Marktkapitalisierung als kontrollierende Variable als die Anzahl der Analysten (vermutlich auch aufgrund der einfacheren Verfügbarkeit). 749 Wie bereits erläutert besteht zwischen diesen beiden auch eine starke positive Korrelation. Bei Verwendung von Modell 4 (bei dem alle Variablen gleichzeitig getestet werden) zeigt sich allerdings, dass eher die Aktien-Analysten und nicht die Größe des Unternehmens mit einem effizienten Markt in Verbindung gebracht werden können. Dies spricht daher für die übergeordnete Hypothese eines Zusammenhanges zwischen dem Informationsumfeld und der Effizienz von Aktienmärkten. Allerdings muss dabei auch einschränkend 749
Zudem wird in der Marktkapitalisierung auch ein allgemeiner proxy für andere relevante Einflussfaktoren wie die Transaktionskosten gesehen.
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erwähnt werden, dass für keine der Variablen in Modell 4 eine statistische Signifikanz festgestellt werden kann. Das Fehlen eines eindeutigen Zusammenhanges zwischen Zweitlistings und der Informationseffizienz von Aktien kann mit den harmonisierten Transparenzanforderungen in Verbindung gebracht werden. Während ein Zweitlisting also zu einer höheren Anzahl an Analysten (und eventuell weiteren positiven Effekten wie einer höheren Liquidität) führen kann, darf nicht zwangsläufig von einem zusätzlichen positiven Effekt auf die Informationseffizienz ausgegangen werden. Die Ergebnisse wurden unter Anwendung weiterer Spezifikationen auf ihre Robustheit getestet. Auch unter Verwendung anderer Drifts werden die beiden oben genannten Ergebnisse in den meisten (jedoch nicht in allen) Fällen bestätigt. Die höchste Signifikanz der Koeffizienten ergab sich zumeist bei Verwendung des maximalen Wertes des Drifts zu einem beliebigen Zeitpunkt (Drift (1,max)). Die höhere Signifikanz im Vergleich zum Drift (1,60) kann in dem Sinne interpretiert werden, dass die Ineffizienzen im Verlauf der 60 Tage häufig bereits wieder zurückgehen und eine Identifikation des Zusammenhangs zur Anzahl an Analysten daher unter Verwendung der maximalen Abweichung am besten möglich ist. Die Robustheit der Ergebnisse bei Verwendung des Post-Betas zeigt außerdem, dass eine Änderung des Risikos der Aktien im Anschluss an die Veröffentlichung zu keiner Fehlinterpretation der Determinanten des Drifts führt. Beim Ländervergleich bestätigt sich wiederum der Zusammenhang zwischen der Analystenzahl und dem PEAD. Im Land mit der höchsten Coverage (Polen) ist der Drift am niedrigsten. Der stärkste Zusammenhang zwischen Aktien-Analysten und dem Drift besteht in Tschechien. Schlussfolgerungen aus diesem Befund sind allerdings kaum möglich, da jeweils nur sehr wenige Beobachtungen pro Land zur Verfügung stehen. Außerdem stellt die unterschiedliche Zahl an Analysten in den drei Ländern ein Problem dar. Tabelle 6.2 zeigte, dass es mindestens 4 Analysten pro Aktie auf dem polnischen Markt gibt, in Tschechien und Ungarn gibt es jedoch Aktien mit nur einem Analysten. Bei einem nicht-linearen Zusammenhang zwischen der Anzahl der Analysten und dem PEAD kann dies daher die Ergebnisse verzerren.
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7 Zusammenfassung und Einordnung der Ergebnisse Ziel dieser Arbeit war es, einen Beitrag zur Identifizierung der Einflussfaktoren der Informationseffizienz zu leisten. Der Fokus lag dabei auf der Analyse der Rolle des Informationsumfeldes, insbesondere der Transparenzanforderungen und der Aktien-Analysten. Die empirisch zu überprüfende Hypothese lautete: Länder mit einem höher entwickelten Informationsumfeld, in Form strengerer Transparenzvorschriften und einer höheren Analysten-Abdeckung der Unternehmen, haben einen informationseffizienteren Markt als Länder mit weniger strengen Vorschriften und einer niedrigeren Abdeckung. Diese Vorgehensweise orientiert sich an einem neuen Forschungsansatz, der weniger versucht das Kapitalmarktgeschehen auf ein rationales bzw. irrationales Verhalten der Marktteilnehmer zurückzuführen, sondern vielmehr die Einflussfaktoren auf den Grad der Effizienz und die Politikmaßnahmen, die zu einer Erhöhung der Effizienz beitragen, in den Vordergrund zu stellen. Diese Zusammenhänge wurden am Beispiel der drei Transformationsländer Polen, Tschechien und Ungarn untersucht. Auch wenn man geneigt ist, in Anbetracht der noch immer relativ kleinen Aktienmärkte dieser Länder, deren ökonomische Relevanz für vernachlässigbar zu halten, lassen sich aus den empirischen Untersuchungen dennoch wichtige Rückschlüsse ziehen, die für zahlreiche weitere Länder, die beim Aufbau ihrer Aktienmärkte noch nicht so weit fortgeschritten sind, sehr wertvoll sein können. Dabei muss allerdings in Kauf genommen werden, dass die mangelnde Datenverfügbarkeit und die weiteren strukturellen Defizite der Märkte Einschränkungen bei den in Frage kommenden Methoden zur Folge haben und detaillierte Interpretationen der Ergebnisse nicht immer möglich sind. In Kapitel 2 wurden die Grundlagen der Informationseffizienz behandelt. Dabei wurden anfangs die unterschiedlichen Effizienzformen eines Kapitalmarktes und deren Zusammenhänge beschrieben. Die hohe Relevanz der Informationseffizienz leitet sich aus der Beziehung zur Kapitalallokationseffizienz ab (auch wenn die Relevanz in bankenorientierten Finanzsystemen geringer als in kapitalmarktorientierten ist). Die Marktorganisationseffizienz wird häufig als eine notwendige Bedingung für die Informationseffizienz betrachtet. Da erstere aber häufig etwas unspezifisch definiert ist, sind die genauen Zusammenhänge nicht immer eindeutig. Viele der Aspekte, die mit der Marktorganisationseffizienz assoziiert werden, wurden aber in Kapitel 4 untersucht und lassen daher Rückschlüsse über deren Einfluss auf die Informationseffizienz zu. Die Auflistung der Definitionen der Informationseffizienz nach Fama zeigte auf, dass die Beachtung subtiler Unterschie-
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de in der weiteren Erläuterung der EMH einige Missverständnisse vermeiden würde. Während es in der ex-post Betrachtung häufig einfach ist Abweichungen vom Fundamentalwert zu identifizieren, betont Fama die Gültigkeit der EMH aus einer ex-ante Perspektive. Dagegen ist die Einteilung der Effizienz in die drei Formen schwach, halbstreng und streng in Abhängigkeit der Informationsmenge auch in den Ausführungen von Fama unzureichend (dies wurde durch die ausführliche Erläuterung der Rolle des Informationsumfeldes in Kapitel 3 aufgegriffen). Das Kapitel zur volkswirtschaftlichen Bedeutung legte dar, dass informationseffiziente Aktienmärkte, neben dem Einfluss auf die Kapitalallokationseffizienz, noch weitere positive Funktionen erfüllen. In den meisten empirischen Analysen kann auch ein positiver Zusammenhang zwischen der Aktienmarktentwicklung und dem Wirtschaftswachstum identifiziert werden. 750 Gleiches gilt auch für Aktienmarktliberalisierungen. Dabei betonen einige Studien die Rolle von Institutionen, die einen erheblichen Einfluss auf den Erfolg der Liberalisierung haben können. Die anschließende Erläuterung der Ideengeschichte zeigte den Wandel in der Akzeptanz der EMH im Laufe der Zeit auf. Außerdem wurde dargelegt, welche unterschiedlichen Interpretationen die Anhänger der EMH und der Behavioral Finance auf die empirisch dokumentierten Anomalien hervorgebracht haben. Besonders umstritten ist dies bei der kurzfristigen Unter- und der langfristigen Überreaktion der Aktienpreise, die durch Momentum- bzw. Contrarian-Strategien ausgenutzt werden können. Die Einsicht, dass bei einer möglichen Anomalie kaum zwischen einem unzureichenden Asset-Pricing-Modell und irrationalem Verhalten unterschieden werden kann, lässt allerdings Zweifel daran aufkommen, dass die Debatte durch weitere Forschungen eindeutig entschieden werden kann. Neben dem oben genannten Ansatz der Fokussierung auf die Einflussfaktoren der Effizienz wurde auch die Adaptive Market Hypothesis vorgestellt, die versucht die EMH mit der Behavioral Finance in Einklang zu bringen. Diese basiert auf Erkenntnissen der Biologie und evolutionär-psychologischen Prinzipien. Auch wenn die Übertragung dieser Erkenntnisse auf Kapitalmärkte eine etwas ungewohnte Abstraktion darstellt, wurde argumentiert, dass die vorliegende Arbeit auch in Bezug zu dieser Forschungsrichtung gesetzt werden kann. Die Hauptaussagen der Adaptive Market Hypothesis, die Abhängigkeit des Effizienzgrades vom institutionellen Umfeld und eine sich über die Zeit verändernde Effizienz, wurden durch die empirischen Untersuchungen in Kapitel 5 und 6 bestätigt. Abschließend wurde die Kritik an der EMH im Zuge der Finanzkrise dargestellt. Es wurde argumentiert, dass die Behauptung, die Finanzkrise habe die EMH widerlegt bzw. die EMH habe die Finanzkrise gar (mit-) verursacht, weitestgehend ungerechtfertigt ist und auf falschen Assoziationen bzw. Implikationen der Hypothese beruht. 750
Dieser Zusammenhang wird für die CEE-3 weiter unten ausführlich diskutiert.
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Stattdessen kann die Finanzkrise als ein weiteres Argument für eine stärkere Berücksichtigung des Informationsumfeldes von Kapitalmärkten gesehen werden. Die Ausführungen zur theoretischen Fundierung betonten, dass die Annahme der Rationalität aller Individuen nicht, wie teilweise behauptet, eine notwendige Voraussetzung für die EMH ist. Stattdessen spielen bei der Argumentation die Annahmen zum Arbitrage-Prozess eine bedeutende Rolle. Während die unterstellte Rationalität der Investoren durch die Behavioral Finance kritisiert wurde, legt die Limits-of-Arbitrage-Theorie dar, dass der Arbitrage-Prozess in der Realität weitaus komplizierter ist als in der gängigen Theorie angenommen. Teilweise ist dieser durch gesetzliche Restriktionen eingeschränkt oder ein perfektes Substitut steht nicht zur Verfügung. Dadurch ist der Arbitrage-Prozess nicht mehr risikofrei. Dies kann dazu führen, dass risikoaverse Investoren Arbitrage-Positionen nicht eingehen. Daraus wurde geschlussfolgert, dass die Argumentation zugunsten der EMH bedeutende Schwächen aufweist. Dies kann daher als zusätzliche Motivation für den Ansatz der Messung des Grades der Informationseffizienz betrachtet werden. Als Basis der Methoden zur Messung der Informationseffizienz wurden die Preisbildungsmodelle auf einem informationseffizienten Markt vorgestellt. Dabei wurde auch der Zusammenhang zwischen dem Dividenden-Diskontierungsmodell und weiteren Modellen wie dem Random Walk oder dem CAPM aufgezeigt. Die genannten methodischen Probleme, insbesondere die mangelnde Datenverfügbarkeit für die CEE-3, führten zu einer erheblichen Einschränkung der anwendbaren Methoden. Da sowohl die schwache als auch die halbstrenge Informationseffizienz untersucht und diese jeweils in Beziehung zu Transparenzanforderungen und Aktien-Analysten gesetzt werden sollten, fiel die Wahl auf Variance Ratio Tests und eine Event-Studie zur Analyse des Post-Earnings-Announcement Drift. In Kapitel 3 wurden Forschungsergebnisse der Informationsökonomik von Aktienmärkten erläutert und Schlussfolgerungen für die Fragestellung gezogen. Dieser Ansatz resultierte aus der in Kapitel 2 dargelegten (anfänglich) unzureichenden Behandlung der Rolle des Informationsumfeldes in der Kapitalmarktforschung. Im modelltheoretischen Teil wurde dabei zunächst die zunehmende Beachtung der Informationsökonomik, begründet durch den Erfolg in der Erklärung empirischer Befunde, diskutiert. Dabei wurde auch aufgezeigt, wie sich diese Erkenntnisse auf kapitalmarkttheoretische Phänomene anwenden lassen. So wurde beispielsweise gezeigt, wie Modelle mit einer Informations-Externalität (bei denen Individuen aus der Beobachtung des Handelns anderer Personen auf deren private Informationen schließen) ein Herden-Verhalten erklären können oder wie das empirisch nachweisbare Underpricing von IPOs durch den Winner‘s Curse begründet werden kann. Durch diesen Themenüberblick wurde auch verdeutlicht, dass die As-
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pekte, die im Rahmen der Behavioral Finance Theorie behandelt werden, nur einen kleinen Bereich der übergeordneten Informationsökonomik abdecken. Von den zahlreichen Themen, die im Rahmen der Informationsökonomik behandelt werden, wurden anschließend drei ausführlich dargestellt, die jeweils Implikationen für die EMH und die vorliegende Fragestellung beinhalteten. Das vorgestellte Modell von Grossman (1976) untersucht die Aggregation heterogener Informationen auf Märkten. In dem Modell werden verstreute Informationen unter bestimmten Annahmen perfekt aggregiert, dadurch haben Investoren jedoch keine Anreize mehr sich zu informieren. Das Modell hat aufgrund der strengen Annahmen nur eine begrenzte praktische Relevanz, diente aber als Grundlage für das Modell von Grossman und Stiglitz (1980), in dem die Konsequenzen der Einführung von Informationskosten untersucht werden. Die Hauptaussage des Modells ist die Unmöglichkeit perfekt informationseffizienter Märkte. Auch wenn die Intuition dieser Überlegungen simpel ist, führte erst die Modellierung dieser Zusammenhänge zu einer stärkeren Berücksichtigung der Informationskosten (und anderer Aspekte des Informationsumfeldes) bei EMH-Tests. Abschließend wurden der Unterschied zwischen dem privaten und dem sozialen Nutzen von Informationen und deren Implikationen für die Produktion von Informationen diskutiert. Dabei stand die Frage, ob es zu viele oder zu wenige informierte Individuen auf einem Kapitalmarkt gibt, im Vordergrund. Einerseits weisen Preise eine positive Externalität auf, da auch uninformierte Investoren aus der Beobachtung des Preises (zumindest teilweise) auf die Informationen schließen können. Andererseits besagt der Spekulationseffekt, dass der Handel auf Kapitalmärkten in einigen Fällen annähernd ein Nullsummenspiel und damit hauptsächlich umverteilend ist. Eine abschließende Bewertung, ob es zu einer Über- oder Unterinvestition in Informationen kommt, ist zwar nicht möglich, dennoch ist die Unterscheidung des privaten und des sozialen Wertes von Informationen häufig hilfreich. Dies zeigte sich beispielsweise bei einer breiteren Betrachtung der vorliegenden Fragestellung. Demnach kann auch die Informationseffizienz unter sozialen Gesichtspunkten betrachtet werden, bei der der gesellschaftliche Nutzen den Kosten gegenübergestellt wird. Der Nachweis eines Zusammenhanges zwischen strengeren Transparenzanforderungen und einer höheren Informationseffizienz sollte demnach mit den höheren Kosten durch die Anforderungen in Verbindung gebracht werden. Auch wenn eine Quantifizierung dabei schwer möglich ist, bedarf es beispielsweise eines Nachweises, dass laxe Anforderungen signifikante negative ökonomische Auswirkungen haben. Anschließend wurden einige Modelle vorgestellt, die zur Erklärung spezifischer Aktienmarktanomalien entwickelt wurden. Dabei wurden nur Modelle betrachtet, die sowohl eine Unter- als auch eine Überreaktion von Aktienpreisen erklären können. Auch hierbei konnte unterschieden werden zwischen verhaltensökono-
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misch motivierten Modellen und der Rational Structural Uncertainty Theorie, die rationale Investoren unterstellt. Jedes dieser Modelle liefert auch einen Erklärungsansatz für den PEAD und diente daher als Grundlage für die empirische Untersuchung in Kapitel 6. Das „Investor Sentiment Model“ von Barberis, Shleifer und Vishny (1998) basiert auf dem Conservatism und dem Representativeness Heuristic-Bias. Diesem sehr ähnlich ist das Modell von Daniel, Hirshleifer und Subrahmanyam (1998), das auf der Overconfidence (in Bezug auf die Genauigkeit privater Signale) und Biased Self-attribution beruht. Im Modell von Hong und Stein (1999) gibt es zwei Investorengruppen, die beide jeweils nur eine Teilmenge der verfügbaren Informationen nutzen. Insbesondere das letzte Modell stellte eine Motivation für die Untersuchung des Zusammenhanges zwischen der Informationseffizienz und der Analysten Coverage in Kapitel 6 dar. Da sich private Informationen in dem Modell nur schrittweise verbreiten, impliziert das Modell, dass Momentum-Strategien am profitabelsten bei Aktien sein sollten, die nur von wenigen Analysten betreut werden. Dies bedeutet jedoch nicht, dass durch die Untersuchung in Kapitel 6 ein irrationales Verhalten der Investoren belegt werden sollte. Auch das Rational Structural Uncertainty Modell von Brav und Heaton (2002) legt eine Verbindung zwischen der Informationsverfügbarkeit und dem Effizienzgrad nahe. Dabei führt die Unsicherheit über die Stabilität der erwarteten Auszahlung eines Wertpapiers zu einer Unter- bzw. Überreaktion von Preisen, die sich kaum von der Reaktion in verhaltensökonomischen Modellen unterscheiden lassen. Da sich der Begriff des Informationsumfeldes mit zahlreichen Aspekten in Verbindung bringen lässt, wurden anschließend zwei wichtige Determinanten des Informationsumfeldes, Transparenzanforderungen und Aktien-Analysten, näher betrachtet. Bei der Erläuterung der Rolle der Transparenzanforderungen wurde zunächst eine breite Perspektive gewählt und diskutiert, welche Institutionen bei der Etablierung eines Aktienmarktes nötig sind. Dabei wurden unterschiedliche Meinungen zur Rolle von Regeln und staatlichem Einfluss vorgestellt. Neuere Forschungsergebnisse (La Porta, Lopez-de-Silanes und Shleifer 2006) weisen nach, dass Veröffentlichungspflichten und Haftungsstandards positiv mit Variablen des Aktienmarktentwicklungsstandes korrelieren. Allerdings werden dabei lediglich traditionelle Erfolgsfaktoren (wie die Marktkapitalisierung) betrachtet und keine Verbindung zur Informationseffizienz hergestellt. Anschließend wurde der Zusammenhang von Zweitlistings, Hinterlegungsscheinen und Corporate Governance Kodizes zu Transparenzanforderungen beschrieben. Dabei wurde deutlich, dass diese Aspekte (zumindest die ersten beiden) im Zuge der Fragestellung berücksichtigt werden mussten. Während Transparenzanforderungen die Verfügbarkeit von Unternehmensinformationen beeinflussen und zum Investorenschutz beitragen, wurde in Bezug auf Aktien-Analysten deren Rolle als Informationsinter-
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mediäre betont. Demnach liegt es nahe von einem positiven Beitrag der Analysten zu einer effizienten Preisfindung auszugehen. Allerdings wurden auch wissenschaftliche Studien erläutert, die diesen Beitrag anzweifeln, da Analysten ebenfalls psychologischen Verzerrungen unterliegen und Interessenkonflikte die Unabhängigkeit der Analysen in Frage stellen. In Kapitel 4 wurden die Entwicklungen und Strukturen an den Aktienmärkten in den CEE-3 analysiert. Dies diente nicht nur deskriptiven Zwecken, sondern ermöglichte später auch die Diskussion der möglichen Einflüsse dieser Strukturen auf die Informationseffizienz. Zunächst wurde dazu der Zusammenhang zwischen den unterschiedlichen Privatisierungsprozessen und der Aktienmarktentwicklung aufgezeigt. Einige Länder, wie Tschechien, setzten auf Coupon-Massenprivatisierungen und obligatorische Listings der Aktien. Die Börse diente dabei als Plattform zum frühzeitigen Handel der Unternehmensanteile. In diesen Ländern war die Marktkapitalisierung anfangs relativ hoch, die Liquidität jedoch meist sehr niedrig. Ungarn und Polen setzten dagegen hauptsächlich auf direkte Verkäufe und freiwillige IPOs am Aktienmarkt. Dadurch war die Kapitalisierung anfangs niedriger, die Liquidität dafür meist höher. Dieser Hintergrund sollte immer berücksichtigt werden bei der Beurteilung des Erfolgs von Aktienmärkten (in Kapitel 5 wurde auch dargelegt, wie sich diese unterschiedlichen Ansätze auf die Transparenzanforderungen ausgewirkt haben). Anschließend wurde die Entwicklung der drei Märkte anhand traditioneller Erfolgsindikatoren beurteilt. Nachdem sich die Marktkapitalisierungen (in % des BIP) Ende der 1990er angeglichen hatten, stieg diese in den letzten Jahren in Polen relativ stark an. Dies kann auf die gestiegene Zahl gelisteter Unternehmen zurückgeführt werden. Insbesondere durch die Etablierung eines neuen Börsensegments für kleine und mittlere Unternehmen hat sich diese deutlich erhöht. Die Entwicklung der Zahl gelisteter Unternehmen war dagegen in Ungarn und besonders in Tschechien enttäuschend. Gleiches gilt auch für die Rolle der Börsen bei der Finanzierung der Unternehmen. Während die Börse Warschau in den letzten Jahren auch verstärkt zur Kapitalaufnahme genutzt wurde, spielen die Börsen Prag und Budapest eine sehr untergeordnete Rolle bei der Finanzierung.751 Bei der weiteren Beurteilung der Strukturen und des institutionellen Umfeldes der Aktienmärkte wurden die Rolle der Börsensegmente, Marktindizes, Unternehmenscharakteristika, Liquidität, Transaktionskosten, Handelssysteme, Investorenstrukturen und Zweitlistings diskutiert. Dabei lag der Fokus jeweils auf den Implikationen für die anschließenden empirischen Untersuchungen. So zeigte sich beispielsweise, dass die Indizes des tschechischen und ungarischen Marktes relativ 751
Die Gründe hierzu werden unten ausführlich diskutiert.
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zum polnischen eine sehr hohe Konzentration aufweisen. Dies führt dazu, dass die Effizienz des Marktes (unter Verwendung der Marktindizes) von der Effizienz sehr weniger Aktien abhängt. Die Liquidität in den drei Ländern hat sich im Verlauf der Zeit sehr unterschiedlich entwickelt. Im Vergleich zu anderen osteuropäischen Aktienmärkten ist die heutige Umschlagshäufigkeit in den CEE-3 jedoch deutlich höher. Die extrem niedrige Liquidität in anderen Märkten (und die damit verbundenen Probleme bei der Interpretation von Effizienztests) waren ein weiterer Grund für die Beschränkung auf diese drei Länder. Der Anteil institutioneller Investoren hing in den Anfangsjahren stark vom Privatisierungsprozess (und den involvierten Investmentfonds) und im späteren Verlauf von den Strukturen der privaten Altersvorsorge (und den involvierten Pensionsfonds) ab. Der Anteil ausländischer Investoren ist dagegen aufgrund mangelnder Informationen nur schwer einzuschätzen. Es wurde auch gezeigt, dass tschechische und ungarische Aktien deutlich häufiger als polnische an weiteren Börsen handelbar sind. Dabei wurde allerdings argumentiert, dass dies nicht zwingendermaßen für die Hypothese sprechen muss, dass sich Unternehmen aus Ländern mit unzureichender Kapitalmarktregulierung (und deren Durchsetzung) oder Defiziten in der Corporate Governance an anderen Börsen listen lassen, um durch die Selbstauferlegung strengerer Regeln das Vertrauen von Investoren zu erlangen. In Kapitel 5 wurde der Zusammenhang zwischen den Transparenzanforderungen und der schwachen Informationseffizienz empirisch untersucht. Da es keinen zufriedenstellenden Index gibt, der die Entwicklung der gesetzlichen Anforderungen widerspiegelt, wurden diese qualitativ beschrieben. Dabei wurden drei Phasen identifiziert, die sich durch wesentliche Änderungen im Informationsumfeld voneinander abgrenzen lassen. In der Liberalisierungsphase zeichnete sich der polnische Markt durch eine relativ strenge Regulierung aus. Auf dem tschechischen Markt gab es hingegen kaum gesetzliche Anforderungen. So waren beispielsweise keine Erlaubnis und kein Prospekt für die Zulassung zum Handel nötig, die regelmäßige Berichterstattung musste nur jährlich erfolgen und es gab keine unabhängige Wertpapieraufsicht. Die Strenge der Regulierung des ungarischen Marktes lag zwischen diesen beiden. In Reaktion auf diverse Probleme und Betrugsfälle am tschechischen Kapitalmarkt wurden ab Mitte der 1990er zahlreiche Reformen durchgeführt. So begann im Jahr 1998 eine unabhängige Wertpapieraufsicht ihre Arbeit, strengere Listinganforderungen wurden eingeführt und hunderte illiquide Aktien vom Markt genommen, um die Transparenz zu erhöhen. Ein weiterer wichtiger Faktor, der auch in den anderen beiden Ländern zu weiteren Reformen führte, war der angestrebte EUBeitritt. Dafür mussten bereits im Vorfeld Regulierungen an EU-Standards angepasst werden. Dies führte dazu, dass die CEE-3 bereits im Jahr 1998 die zentralen
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Bestandteile der gängigen Kapitalmarktregulierung eingeführt hatten, auch wenn noch gewisse Defizite in der Durchsetzung dieser Regeln bestanden. Der EU-Beitritt im Jahr 2004 und die folgende Umsetzung von EU-Richtlinien (u.a. die Marktmissbrauchs-, die Prospekt- und insbesondere die Transparenzrichtlinie) sorgten für eine weitere Harmonisierung der Transparenzanforderungen in den drei Ländern. Auch wenn es heute noch gewisse Unterschiede in den Anforderungen gibt (z.B. bei meldepflichtigen Anteilsschwellen), wurde davon ausgegangen, dass diese nicht für einen signifikanten Unterschied in der schwachen Informationseffizienz verantwortlich sind. Bei Gültigkeit der Hypothese eines positiven Einflusses des Informationsumfeldes auf die schwache Informationseffizienz konnte daher für die empirischen Ergebnisse erwartet werden, dass sich die Effizienz in den drei Ländern im Zeitverlauf erhöht und die größte Effizienzsteigerung dabei in der Reformphase nachgewiesen werden kann. Polen sollte in der Liberalisierungsphase zudem den effizientesten und Tschechien den ineffizientesten Markt aufweisen. Der Überblick über die bisherige Literatur offenbarte, dass bereits viele Aspekte bezüglich des Zusammenhanges zwischen dem Informationsumfeld und der Effizienz von Aktienmärkten analysiert wurden. Es gibt jedoch kaum Studien, die explizit eine Verknüpfung zwischen unterschiedlichen Transparenzanforderungen (sowohl im Zeitverlauf als auch im Querschnittsvergleich) und deren Einfluss auf die Effizienz der Börsen in Transformationsländern untersuchen. Zur Überprüfung der Hypothese wurden Variance Ratios verwendet, die testen, ob die empirischen Renditezeitreihen die statistischen Eigenschaften eines Random Walk aufweisen. Abweichungen davon wurden als Ineffizienzen interpretiert. Die Ergebnisse der empirischen Tests stehen weitestgehend im Einklang mit der Hypothese. Bereits bei Betrachtung der Variance Ratios über den gesamten Analysezeitraum von 1994-2011 zeigte sich, dass der tschechische Index die niedrigste Effizienz aufwies. Besonders in der Liberalisierungsphase sind die Abweichungen von einem Random Walk sehr hoch und signalisieren eine stark positive Autokorrelation. Der polnische Index ist in dieser Phase dagegen deutlich effizienter. Dies bestätigt daher, dass die strenge Regulierung des polnischen Marktes in der Liberalisierungsphase zu einer höheren Informationseffizienz führte als die schwache Regulierung des tschechischen. Auch die zweite wichtige Implikation wird durch die Tests bestätigt. Die in Tschechien durchgeführten Reformen zur Erhöhung der Transparenz haben zu einem deutlichen Anstieg der Effizienz geführt. Die anderen beiden Märkte haben in dieser Phase ebenfalls ihre Effizienz gesteigert und weisen bereits annähernd perfekt die Eigenschaften eines Random Walk auf. Dies wurde auf die Angleichung der Regulierung an EU-Standards zurückgeführt. Die Ergebnisse zeigten, dass sich die Effizienz in der EU-Beitrittsphase in allen drei Ländern
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weiter erhöht (und angeglichen hat) und alle mittlerweile als schwach informationseffizient gelten. Eine detaillierte Analyse des Verlaufs der Autokorrelationen erster Ordnung zeigte zudem, dass der Effizienzanstieg des tschechischen Marktes mit dem Zeitpunkt der Gründung einer unabhängigen Kapitalmarktaufsicht und Reformen der Transparenzvorschriften übereinstimmten. Anschließend wurde gezeigt, dass ein gewisser Einfluss der in Kapitel 4 analysierten Veränderungen in den Strukturen der Märkte (z.B. Veränderungen der Liquidität oder der Indexzusammensetzung) auf die Effizienz nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Informationsumfeld, in Form der Transparenzanforderungen, aber den größten Einfluss hatte. Des Weiteren wurde erläutert, dass der Nachweis der schwachen Informationseffizienz zwar nur eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung dafür ist, dass der Aktienmarkt Investoren und Unternehmern korrekte Signale bezüglich des Fundamentalwertes eines Unternehmens liefert. Das Ergebnis ist jedoch bemerkenswert, da nicht einmal etablierte Aktienmärkte diese Eigenschaft jederzeit aufweisen. Nach dem Nachweis der schwachen Informationseffizienz in den drei Ländern wurde die Überprüfung der halbstrengen Effizienz als nächster logischer Schritt betrachtet. Auch dabei stand der Einfluss des Informationsumfeldes im Vordergrund. Da Aktien-Analysten häufig einen Beitrag zum Informationsstand anderer Marktteilnehmer zugeschrieben wird, wurde in Kapitel 6 der Zusammenhang zur Analysten Coverage untersucht. Als Maß für den Grad der Effizienz wurde der Post-Earnings-Announcement-Drift interpretiert. Ein solcher Drift liegt vor, wenn sich abnormale Renditen im Anschluss an die Veröffentlichung von Unternehmenszahlen ergeben. Zahlreiche Studien haben belegt, dass Aktien von Unternehmen, die einen Gewinn veröffentlicht haben, der besser (schlechter) als erwartet ausfiel, auch in der Folgezeit positive (negative) Überrenditen erzielen. Der Aktienpreis weist demnach eine Unterreaktion auf die Information auf. Dies steht damit im Widerspruch zu einem halbstreng informationseffizienten Markt, da dies impliziert, dass öffentlich verfügbare Informationen genutzt werden können, um eine Überrendite zu erzielen. Die in der Literatur hervorgebrachten Erklärungsansätze lassen sich wieder einer EMH- oder einer Behavioral-Finance-Perspektive zuordnen. Erstere erklärt den Drift mit einem gestiegenen Risiko oder Transaktionskosten, die ein Ausnutzen der Anomalie unmöglich machen. Letztere führt den PEAD auf irrationales Verhalten der Investoren zurück. Auch die in Kapitel 3 erläuterten informationsökonomischen Modelle liefern eine Erklärung für den PEAD und lassen sich einer dieser beiden Sichtweisen zuordnen. Empirische Tests der divergierenden Erklärungsansätze kommen wiederum zu keinem eindeutigen Ergebnis.
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Bei der Analyse der deskriptiven Statistiken zur Analysten Coverage zeigte sich, dass diese für polnische Aktien am höchsten ist. Dies war jedoch nicht besonders überraschend, da bei der Untersuchung der Bestimmungsfaktoren der Coverage frühere Studien bestätigt wurden, die zeigten, dass diese stark mit der Marktkapitalisierung der Unternehmen zusammenhängt. Da es in Polen deutlich mehr große Unternehmen an der Börse gibt, ist die Anzahl an Analysten dort entsprechend höher als in Tschechien und Ungarn. Des Weiteren wurde gezeigt, dass auch die Liquidität und ein Zweitlisting an einer weiteren Börse die Zahl der Analysten positiv beeinflusst. Auch bei der Qualität der Analysten Prognosen wurden die besten Werte für polnische Aktien erzielt. Zur Untersuchung des PEAD wurde eine Event-Studie durchgeführt. Dabei wurden die abnormalen Renditen im Anschluss an die Veröffentlichung von Unternehmenszahlen berechnet und anschließend eine Querschnittsanalyse vollzogen. Neben der Analysten Coverage wurden die Marktkapitalisierung, die Liquidität und Zweitlistings als Kontrollvariablen verwendet. Die verfügbare Datenbasis stellte dabei eine erhebliche Einschränkung dar. Da lediglich Daten zu zwei Geschäftsjahren zur Verfügung standen, wurden deutlich weniger Beobachtungen genutzt als in vergleichbaren Studien zu etablierten Kapitalmärkten. Wenn lediglich der Zusammenhang zwischen der Anzahl der Analysten und dem Drift betrachtet wurde (ohne Berücksichtigung der Kontrollvariablen), zeigte sich bereits der erwartete Zusammenhang: Je mehr Analysten eine Aktie bewerten, desto geringer fällt der PEAD tendenziell aus. Dieser Zusammenhang war bei einem negativen Drift deutlich stärker als bei einem positiven. Außerdem wurde nachgewiesen, dass die Signifikanz des Zusammenhanges zwischen der Analysten Coverage und der Effizienz in den meisten Fällen höher ist als zwischen der Marktkapitalisierung und der Effizienz. Dies spricht daher für eine Bestätigung der Hypothese, dass Aktien-Analysten zu einem effizienten Markt beitragen. Allerdings muss dabei auch einschränkend erwähnt werden, dass bei Verwendung aller Kontrollvariablen keine statistische Signifikanz festgestellt werden konnte. Um die Ergebnisse auf Robustheit zu testen, wurden die Drifts über unterschiedliche Intervalle berechnet, eine Änderung des Betas im Anschluss an die Veröffentlichung zugelassen und heteroskedastizitäts-konsistente Schätzer verwendet. Die Ergebnisse blieben dabei für die meisten Spezifikationen qualitativ gleich. Bei der nach Ländern getrennten Analyse dieser Zusammenhänge verschärfte sich das Problem der relativ geringen Beobachtungen; dies machte belastbare Schlussfolgerungen nahezu unmöglich. Der Drift war jedoch in Tschechien am größten und in Polen am niedrigsten. In allen drei Ländern zeigte sich wiederum ein positiver Zusammenhang zwischen der Anzahl an Analysten und der Effizienz. Damit bestätigen die Ergebnisse insgesamt (im zweiten Teil jedoch nur eingeschränkt) die übergeordnete Hypothese eines Einflusses des Informationsumfeldes
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auf die Informationseffizienz. Im Folgenden sollen die Ergebnisse weiter eingeordnet und Schlussfolgerungen dieser Arbeit für bestehende wissenschaftliche Diskussionen gezogen werden. Besonders relevant für Transformationsländer sind die Erkenntnisse zum Einfluss der Privatisierungsstrategie auf die langfristige Entwicklung der Aktienmärkte. Dabei steht meist die Rolle des Marktes bei der Finanzierung von Unternehmen im Vordergrund. Zu den Gründen für den Misserfolg der Börse Prag bei diesem Indikator könnte gehören, dass der tschechische Aktienmarkt durch die negativen Erfahrungen Mitte der 1990er noch immer ein schlechtes Image besitzt. Der mangelnde Anlegerschutz und die unzureichende Transparenz führten damals zu zahlreichen Betrugsfällen und faktischen Enteignungen von Minderheitsaktionären („Tunneling“). Die zahlreichen bei IPOs bestehenden Informationsasymmetrien zwischen den Marktteilnehmern werden auf etablierten Kapitalmärkten durch diverse Institutionen abgebaut (z.B. Wertpapierprospekte oder an der Emission beteiligte Investmentbanken) und dadurch Vertrauen bei Investoren geschaffen. Durch das negative Image könnte es jedoch schwierig sein, Vertrauen zu gewinnen und damit die regelmäßige Emission von Aktien zu etablieren. Dies sollte bei der Bewertung der unterschiedlichen Privatisierungsprozesse bedacht werden. Die Intransparenz und Illiquidität der Börse Prag in den Anfangsjahren wurde teilweise als ein notwendiges Übel im Zuge der CouponMassenprivatisierungen dargestellt. Allerdings kann dies dazu geführt haben, dass die illegalen Aktivitäten, die durch die Intransparenz befördert wurden, ein negatives Image des Kapitalmarktes zur Folge hatten, das sich auch langfristig auf den Markt auswirkte. Auch wenn es andere (wichtigere) Gründe für die Bankenorientierung der Finanzsysteme dieser Länder gibt (Rechtssysteme, geografische Nähe zu Westeuropa, Einfluss ausländischer Banken), haben die genannten Probleme sicherlich dazu beigetragen, dass die Kapitalmärkte in diesen Ländern noch immer relativ klein sind. Während der Zusammenhang zwischen der mangelnden Regulierung und der schlechten Aktienmarktentwicklung (anhand traditioneller Erfolgsindikatoren) bereits in früheren Studien untersucht wurde, hat die vorliegende Arbeit einen weiteren Kanal identifiziert, der zu dieser Entwicklung beigetragen hat. Die niedrige Informationseffizienz der zunächst unregulierten Märkte könnte das Image und das Vertrauen der Investoren in die Märkte dieser Länder zusätzlich negativ beeinflusst haben. In der Arbeit wurde auch die Relevanz der Informationseffizienz für die volkwirtschaftliche Entwicklung betont. Eine Bewertung dieser Zusammenhänge auf Basis der Ergebnisse dieser Arbeit ist aber nur bedingt möglich. Die Kapitalallokationseffizienz der Aktienmärkte in den CEE-3 wurde nicht explizit untersucht. Dies ist für die Märkte in Tschechien und Ungarn auch nur schwer möglich, da über die Börsen kaum frisches Kapital aufgenommen wird. In den Finanzsystemen der ost-
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ZUSAMMENFASSUNG UND EINORDNUNG DER ERGEBNISSE
europäischen Transformationsländer wird die Kapitalallokation hauptsächlich von den Banken übernommen. Neben dem Einfluss auf die Kapitalallokationseffizienz wurde im Theorieteil herausgearbeitet, wie die Informationseffizienz auch die weiteren Funktionen eines Aktienmarktes beeinflusst und sich dies auf das Wirtschaftswachstum auswirken kann. Die Überwachung von Investitionen und Ausübung von Corporate Governance im Anschluss an die Finanzierung beispielsweise ist auf einem intransparenten und ineffizienten Markt kaum möglich. Die Analyse des Zusammenhangs zwischen der Informationseffizienz der Aktienmärkte und dem Wirtschaftswachstum ist aber aufgrund der kleinen Zahl an betrachteten Ländern und den weiteren zahlreichen Einflussfaktoren kaum möglich. Tschechien hat trotz der schlechten Entwicklung des Kapitalmarktes das höchste BIP pro Kopf der drei Länder und gilt als das wirtschaftlich weitest entwickelte osteuropäische Transformationsland. Daher ist auch eine breitere Beurteilung der Privatisierungsstrategien nötig. Letztlich ist der Einfluss des Massenprivatisierungsprogramms auf die Aktienmarktentwicklung nur einer von zahlreichen Aspekten, der zu den weiteren Einflüssen in Beziehung gesetzt werden sollte. Auch wenn dies verdeutlicht, dass Volkswirtschaften sich mittelfristig auch ohne prosperierende Aktienmärkte wirtschaftlich gut entwickeln können, ist die ökonomische Relevanz der Fragestellung nicht zu vernachlässigen. So wurde beispielsweise die Rezession in den Jahren 1997 und 1998 in Tschechien u.a. auf die Probleme am Kapitalmarkt und die damit verbundenen Corporate Governance Defizite zurückgeführt. Langfristig wird sich auch zeigen, ob die gute Entwicklung des polnischen Aktienmarktes (insbesondere die zunehmende Finanzierung kleiner und mittlerer Unternehmen) die zuletzt gute makroökonomische Entwicklung zusätzlich fördern kann. Wichtige Implikationen lassen sich aus den Ergebnissen der Arbeit auch für die Diskussion zur Regulierung von Kapitalmärkten ableiten. In Kapitel 3.2.1 wurde die Diskussion zur Notwendigkeit einer staatlichen Regulierung vorgestellt. Während einige Wissenschaftler dabei die Meinung vertreten, dass sich solche Regeln auf Aktienmärkten selbstständig herausbilden, argumentieren andere, dass ein spezielles Wertpapierrecht bzw. eine staatliche Wertpapieraufsichtsbehörde nötig für die Entwicklung der Märkte seien. Mit Bezug auf die Informationseffizienz zeigten die Ergebnisse, dass deren Grad stark von der Einführung von Transparenzvorschriften und der Stellung der Wertpapieraufsichtsbehörde abhing. Dabei könnte man einwenden, dass diese Märkte vielleicht langfristig ähnliche Regeln hervorgebracht hätten. Allerdings hat die Periode, in der die Märkte frei von staatlicher Regulierung waren, zu einem Vertrauensverlust geführt, der sich auch langfristig negativ auswirken kann. Dieses Ergebnis ordnet sich damit in andere aktuelle Forschungsergebnisse ein, die die Bedeutung von Institutionen bei der Liberalisierung von Aktienmärkten betonen (Kapitel 2.1.3).
ZUSAMMENFASSUNG UND EINORDNUNG DER ERGEBNISSE
253
Die Ergebnisse in Kapitel 5 haben auch gezeigt, dass die Einführungen von EURichtlinien (insbesondere die Transparenzrichtlinie) zu einer weiteren Erhöhung der schwachen Informationseffizienz in den CEE-3 geführt haben. Wie in der Einleitung erläutert, war die Erhöhung der Effizienz ein explizit formuliertes Ziel dieser Richtlinien (allerdings wurde dabei nicht speziell auf die Informationseffizienz verwiesen). Der größte Effizienzanstieg ließ sich allerdings bereits in der Reformphase feststellen, in der die CEE-3 bereits vor ihrem EU-Beitritt gängige Kapitalmarktgesetze einführten. Dies kann daher allgemein als Indiz für die Attraktivität der Übernahme von etablierten Gesetzen und Regulierungen aus anderen Jurisdiktionen betrachtet werden. Allerdings wurde in der Arbeit auch die notwendige Abwägung zwischen den Vorteilen und den Kosten von Regulierungen angesprochen, die hier nicht vollzogen werden konnte. Die Arbeit sollte zudem die Diskussion über das grundsätzliche Verständnis der EMH und die verwendeten Methoden bereichern. Bei der Vorstellung der bisherigen Literatur wurde an einigen Stellen aufgezeigt, wie festgefahren die Situation bei der Interpretation der empirischen Ergebnisse zwischen Anhängern der EMH und der Behavioral Finance ist. Das Joint-hypothesis Problem verhindert dabei häufig eine eindeutige Schlussfolgerung zugunsten einer der beiden Denkrichtungen. Der in der Arbeit verfolgte Ansatz konzentriert sich dagegen mehr auf eine Untersuchung der Einflussfaktoren und mögliche Politikmaßnahmen zur Verbesserung der Effizienz. Wie die vorherigen Erläuterungen gezeigt haben, lassen sich aus diesem Ansatz wichtige Erkenntnisse gewinnen.
ANHANG
255
Anhang 25
20
15
Polen Tschechien
10
Ungarn
5
0 1990
1992
1994
1996
1998
2000
Anhang 1: Arbeitslosenquote in den CEE-3 Quelle: EBRD, IWF
2002
2004
2006
2008
2010
ANHANG
256
Jahr
Polen
Tschechien
Ungarn
1989
251,1
1,4
17,0
1990
585,8
9,7
28,9
1991
70,3
52,0
35,0
1992
43,0
11,1
23,0
1993
35,3
20,8
22,5
1994
32,2
9,9
18,8
1995
27,8
9,6
28,2
1996
19,9
8,9
23,6
1997
14,9
8,4
18,3
1998
11,8
10,6
14,3
1999
7,3
2,1
10,0
2000
10,1
4,0
9,8
2001
5,5
4,7
9,2
2002
1,9
1,8
5,3
2003
0,8
0,2
4,7
2004
3,5
2,8
6,8
2005
2,2
1,9
3,6
2006
1,2
2,6
3,9
2007
2,4
3,0
8,0
2008
4,3
6,3
6,1
2009
3,8
7,3
4,2
2010
2,4
1,0
4,5
Anhang 2: Inflationsraten in den CEE-3 (Consumer Price Index) Quelle: EBRD
ANHANG
257
130 120 110 100
EUR/HUF EUR/PLN
90
EUR/CZK 80 70 60 Mai. 04
Mai. 05
Mai. 06
Mai. 07
Mai. 08
Mai. 09
Mai. 10
Mai. 11
Anhang 3: Wechselkursentwicklung der CEE-3 Währungen (1. Mai 2004=100) Quelle: Eurostat
ANHANG
258
1. Quartal 2011 Börse
2. Quartal 2011
Anzahl
Wert (Mio. Euro)
Anzahl
Wert (Mio. Euro)
Warschau LSE Group (London + Borsa Italiana) Luxemburg
45
121
55
600
25
1.971
36
10.661
7
110
8
205
NYSE Euronext
6
43
10
34
Deutsche Börse
4
244
6
659
NASDAQ OMX
3
3
12
198
Wien
0
0
1
366
Anhang 4: IPOs nach Börsen im 1. Halbjahr 2011 Quelle: PWC
ANHANG
Main List und Parallel Market
Jahr
259
New Connect
Insgesamt
Insgesamt
ausländische
Insgesamt
ausländische
1991
9
0
/
/
9
1992
16
0
/
/
16
1993
22
0
/
/
22
1994
44
0
/
/
44
1995
65
0
/
/
65
1996
83
0
/
/
83
1997
143
0
/
/
143
1998
198
0
/
/
198
1999
221
0
/
/
221
2000
225
0
/
/
225
2001
230
0
/
/
230
2002
217
0
/
/
217
2003
203
1
/
/
203
2004
230
5
/
/
230
2005
255
7
/
/
255
2006
284
12
/
/
284
2007
351
23
24
0
375
2008
374
25
84
1
458
2009
379
25
107
2
486
2010
400
27
185
3
585
2011
416
35
279
7
695
Anhang 5: Anzahl gelisteter Unternehmen an der Börse Warschau nach Marktsegment Quelle: WSE
ANHANG
260
Main und Secondary Market
Free Market
/
3
968
971
/
34
994
1.028
62
6
68
1.648
1.716
44
52
96
1.574
1.670
1997
45
58
103
217
320
1998
10
96
106
198
304
1999
8
81
89
106
195
2000
5
60
65
86
151
2001
5
48
53
49
102
2002
5
41
46
33
79
2003
5
34
39
26
65
2004
6
29
35
20
55
2005
8
19
27
12
39
2006
10
11
21
11
32
2007
21
/
21
11
32
2008
17
/
17
11
28
2009
13
/
13
12
25
2010
15
/
15
12
27
2011
15
/
15
12
27
Main Market
Secondary Market
1993
3
1994
34
1995 1996
Jahr
Anhang 6: Anzahl gelisteter Unternehmen an der Börse Prag nach Marktsegment Quelle: PSE
Insgesamt
ANHANG
261
Jahr
Category A
Category B
1990
/
/
Insgesamt 6
1991
/
/
20
1992
/
/
23
1993
/
/
28
1994
/
/
40
1995
/
/
42
1996
/
/
45
1997
/
/
49
1998
/
/
55
1999
/
/
66
2000
/
/
60
2001
/
/
56
2002
/
/
49
2003
/
/
53
2004
22
26
48
2005
22
25
47
2006
22
25
47
2007
22
23
45
2008
22
23
45
2009
21
26
47
2010
21
32
53
2011
18
37
55
Anhang 7: Anzahl gelisteter Unternehmen an der Börse Budapest nach Marktsegment Quelle: BSE
ANHANG
262
Anteil am Index
Marktkapitalisierung (Mio. Euro)
An der Börse seit
Unternehmen
Branche
KGHM
Rohstoffe
15,0%
9.263
Juli 1997
PKO Bank
Bank
14,0%
12.374
Nov. 2004
PZU Group
Versicherung
12,1%
7.847
Mai 2010
Pekao
Bank
10,0%
10.337
Juni 1998
PKN Orlen
Öl & Gas
8,5%
4.927
Nov. 1999
PGE
Energie
7,8%
10.657
Nov. 2009
Telekomunikacja
Telekommunikation
5,9%
5.488
Nov.1998
PGNIG
Öl & Gas
4,0%
6.082
Sept. 2005
Tauron
Energie
3,8%
2.710
Juni 2010
BRE Bank
Bank
2,3%
3.213
Okt. 1992
Getin Holding
Bank
2,2%
2.121
Mai 2001
Bogdanka
Rohstoffe
2,0%
947
Juni 2009
Asseco
IT
2,0%
917
Juni 1998
Kernel Holding
Lebensmittel
1,8%
1.289
Nov. 2007
Handlowy
Bank
1,6%
2.731
Juni 1997
CEZ
Energie
1,6%
18.530
Okt. 2006
GTC
Bau/Entwicklung
1,5%
874
Mai 2004
TVN
Medien
1,4%
1.345
Dez. 2004
Lotos
Öl & Gas
1,4%
1.242
Juni 2005
PBG
Bau
0,9%
524
Juli 2004
Anhang 8: Zusammensetzung des WIG-20-Index Quelle: WSE
ANHANG
263
Marktkapitalisierung (Mio. Euro)
An der Börse seit
20,8%
6.278
März 1994
20,0%
12.437
Okt. 2002
Elektrizität
18,9%
18.541
Nov. 1993
Telefonica O2 C.R.
Telekommunikation
18,3%
5.537
März 1995
New World Resources
Rohstoffe
8,4%
2.568
Mai 2008
Unipetrol
Öl/Chemie
4,3%
1.285
Sept. 1997
Philip Morris CR
Tabak
2,6%
776
Nov. 1993
Vienna Insurance Group
Versicherung
2,5%
4.555
Feb. 2008
CETV
Medien
2,3%
687
Juni 2005
Fortuna
Wetten
0,8%
253
Okt. 2010
Pegas Nonwovens
Textilien
0,6%
172
Dez. 2006
Orco
Immobilien
0,4%
105
Feb. 2005
AAA
Automobilhandel
0,2%
67
Sept. 2007
KITD
IT
0,1%
118
Jan. 2010
Unternehmen
Branche
Komercni Bank
Bank
Erste Group
Bank
CEZ
Anhang 9: Zusammensetzung des PX-Index Quelle: PSE
Anteil am Index
ANHANG
264
Anteil am Index
Marktkapitalisierung (Mio. Euro)
An der Börse seit
Bank
29,9%
5.419
Aug. 1995
Öl & Gas
29,1%
7.818
Nov. 1995
Gedeon Richter
Pharmazie
19,1%
2.551
Nov. 1994
Magyar Telekom
Telekommunikation
13,4%
2.060
Nov. 1997
Egis
Pharmazie
3,4%
536
Juli 1994
CIG Pannonia
Versicherung
1,5%
200
Nov. 2010
FHB
Bank
1,2%
215
Nov. 2003
E-Star
Energie
0,6%
95
Mai 2007
PannErgy
Energie
0,6%
62
Juni 1994
Fotex
Asset Management
0,5%
96
Nov. 1990
Rába
Automobil
0,4%
38
Dez. 1997
Orco Property Group
Immobilien Medien und Telekommunikation
0,1%
106
Juni 2007
0,1%
10
Feb. 1999
Unternehmen
Branche
OTP Bank MOL
EST Media
Anhang 10: Zusammensetzung des BUX-Index Quelle: BSE
ANHANG
265
Dienstleistungen
Industrie
Telekommunikation
Rohstoffe
Finanzwirtschaft Bank
Energie
Öl & Gas
Versicherung Bauentwicklung
IT
Lebensmittel
Medien
Bau
Immobilien
Wetten
Chemie
Asset Management
Automobilhandel
Tabak Textilien Pharmazie Automobil
Anhang 11: Sektoreinteilung der Unternehmen
ANHANG
266
Jahr
AT
BG
CZ
DE
HU
PL
RO
RU
SK
SI
1992
33,4
/
/
120,4
7,1
91,3
/
/
/
/
1993
26,1
/
/
74,7
14,4
148,0
/
/
/
/
1994
55,8
/
/
98,6
22,4
178,0
n/a
317,2
n/a
n/a
1995
82,1
/
33,6
109,5
17,8
72,7
1,3
5,8
71,6
76,2
1996
61,8
0,1
50,0
123,2
42,8
85,5
7,6
11,1
135,9
82,3
1997
34,9
0,0
45,8
71,6
73,8
77,5
78,4
19,6
107,5
30,7
1998
50,4
2,4
38,7
79,4
110,6
54,7
72,6
14,1
74,0
34,5
1999
34,8
6,3
34,6
64,5
94,9
44,6
33,5
6,1
46,8
31,7
2000
29,8
8,7
57,7
79,1
85,8
48,1
24,3
36,6
78,7
19,7
2001
26,6
12,5
32,9
121,2
43,0
25,9
16,0
39,8
69,6
29,5
2002
20,6
27,9
48,2
139,9
50,6
21,3
12,1
36,1
45,6
27,0
2003
24,9
15,8
52,4
129,6
55,6
25,8
8,7
45,6
28,4
12,5
2004
33,7
22,4
72,8
123,7
57,3
30,6
10,9
52,5
18,2
13,9
2005
43,6
35,2
118,6
146,0
78,0
36,3
21,0
39,0
1,6
9,0
2006
50,4
19,6
75,6
173,9
83,7
45,3
16,0
64,1
1,8
8,8
2007
57,8
34,2
68,7
179,7
106,0
47,5
20,8
58,9
0,5
12,3
2008
69,4
10,8
70,4
193,3
93,0
45,7
11,3
59,2
0,4
6,9
2009
40,6
5,0
40,6
107,2
110,7
49,5
7,5
108,5
3,6
8,7
2010
79,4
2,8
29,4
103,0
94,5
47,6
5,4
85,7
3,9
2,6
2011
51,6
3,4
38,0
134,5
83,9
58,4
12,0
127,3
10,2
6,5
Anhang 12: Turnover Ratio (Umschlagshäufigkeit) an europäischen Börsen Quelle: S&P Global Stock Markets Factbook
ANHANG
Polen Unternehmen
267
Tschechien
Anteil am GesamtTurnover (%)
KGHM
16,93
PKO Bank
11,47
Pekao Bank
Unternehmen
Ungarn
Anteil am GesamtTurnover (%)
Unternehmen
Anteil am GesamtTurnover (%)
CEZ Komercni Bank
46,71
OTP Bank
58,26
21,89
MOL
20,81
8,07
Erste Group
12,10
PKN Orlen
7,58
NWR
6,58
PZU
7,22
Telefonica O2 C.R.
6,21
Magyar Telekom Gedeon Richter EGIS
Anhang 13: Anteil der 5 am häufigsten gehandelten Aktien (% des gesamten Turnover) Quelle: FESE
8,11 7,37 2,48
ANHANG
268
Börse Frankfurt London NYSE Euronext
Wien NASDAQ
Strenge der Transparenzanforderungen Hoch
Mittel
Standard
Prime Standard
General Standard
Premium (früher: Primary) Listing
Standard (früher Secondary) Listing
Keine Segmentierung (Es besteht lediglich eine Einteilung in Compartments in Abhängigkeit der Marktkapitalisierung: Compartment A: > 1 Mrd. Euro Compartment B: > 150 Mio. Euro Compartment C: