Einflüsse des deutschen und des österreichischen Rechts in Polen: Vortrag gehalten vor der Juristischen Gesellschaft zu Berlin am 13. Februar 1985 9783110874969, 9783110105827


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Einflüsse des deutschen und des österreichischen Rechts in Polen: Vortrag gehalten vor der Juristischen Gesellschaft zu Berlin am 13. Februar 1985
 9783110874969, 9783110105827

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Roman Schnur Einflüsse des deutschen und des österreichischen Rechts in Polen

Schriftenreihe der Juristischen Gesellschaft zu Berlin Heft 95

W DE G 1985 Walter de Gruyter · Berlin · New York

Einflüsse des deutschen und des österreichischen Rechts in Polen

Von Roman Schnur

Vortrag gehalten vor der Juristischen Gesellschaft zu Berlin am 13. Februar 1985

w DE

G 1985

Walter de Gruyter · Berlin · New York

Dr.jur. Roman Schnur o. Professor für öffentliches Recht an der Universität Tübingen

CIP-Kurztitelaufnahme

der Deutschen Bibliothek

Schnur, Roman: Einflüsse des deutschen und des österreichischen Rechts in Polen : Vortrag gehalten vor d. Jurist. Ges. zu Berlin am 13. Februar 1985 / von Roman Schnur. Berlin ; New York : de Gruyter, 1985. (Schriftenreihe der Juristischen Gesellschaft zu Berlin ; H. 95) ISBN 3-11-010582-9 NE: Juristische Gesellschaft (Berlin, West): Schriften= reihe der Juristischen Gesellschaft e. V. Berlin

© Copyright 1985 by Walter de Gruyter Sc. C o . 1000 Berlin 30 Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Printed in Germany Satz und Druck: Saladmck, Berlin 36 Bindearbeiten: Verlagsbuchbinderei Dieter Mikolai, Berlin 10

Einflüsse des deutschen und des österreichischen Rechts in Polen Wir stehen vor der überraschenden Tatsache, daß seit fünfzehn Jahren auffallend enge Beziehungen zwischen deutschen, d. h. bundesdeutschen, und polnischen Juristen bestehen, vornehmlich und verständlicherweise zwischen Rechtslehrern. Es gibt regelmäßig stattfindende wissenschaftliche Kolloquien. Sie begannen mit den Treffen der Völkerrechtler, dann kamen Kolloquien der Verwaltungsrechtler, der Zivilrechtler, der Strafrechtler und nun auch der Verfassungsrechtler1. Etliche deutsche Rechtslehrer reisen zu Vorträgen nach Polen; viele Polen kommen hierher, vor allem jüngere Rechtswissenschaftler (als unsere Stipendiaten), aber auch Gastprofessoren. Es gibt Veröffentlichungen wissenschaftlicher Arbeiten in Ubersetzung, hüben wie drüben2. Das Ganze spielt sich nicht primär zwischen Ostexperten und Westexperten ab; denn kaum einer der deutschen Rechtslehrer beherrscht die polnische Sprache. Es gibt derzeit wohl keine Beziehungen zwischen deutschen und ausländischen Juristen, die intensiver wären als diejenigen zwischen deutschen und polnischen Juristen, wenn wir von Osterreich und von der Schweiz absehen. Erwähnen wir noch, daß in mehreren Partnerschaften zwischen deutschen und polnischen Universitäten die Rechtsfakultäten eine maßgebliche, wenn nicht sogar die führende Rolle spielen. Die Ereignisse in Polen ab etwa Herbst 1980 bis zum Frühsommer 1982, als die Beziehungen wieder „normal" wurden, haben diese Kontakte kaum beeinträchtigen können. Sie sind nun intensiver denn je. Die Zahl der Anträge von polnischen

1 Diese durchwegs regelmäßig stattfindenden Kolloquien werden auf deutscher Seite meistens von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanziell unterstützt. Die Kosten werden von beiden Seiten gleichmäßig getragen. 2 Für das Öffentliche Recht vgl. etwa: Adam Lopatka und Andere, Probleme der Gesetzlichkeit im Staatsapparat der Volksrepublik Polen, Berlin 1977, einerseits und andererseits der vom Institut für Staat und Recht der Polnischen Akademie der Wissenschaften im Jahre 1983 herausgebrachte Band mit 9 Aufsätzen deutscher Verwaltungsrechtler: Administracja Republiki Federalnej Niemiec. (Die Auflage von 1000 Exemplaren war in kurzer Zeit vergriffen). Neueste gemeinsame Veröffentlichung: Winfried Brohm (Hrsg.), 3. deutsch-polnisches Verwaltungssymposium: Das Innenrecht der Verwaltung/Hochschulverfassung und Hochschulverwaltung, Baden-Baden 1983.

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Juristen bei der Humboldt-Stiftung und beim Deutschen Akademischen Austauschdienst steigt unaufhörlich. Auf den ersten Blick muß diese Entwicklung der Kontakte zwischen polnischen und deutschen Juristen Erstaunen auslösen, erst recht dann, wenn man bedenkt, daß der Reichsjuristenführer und Präsident der Akademie für Deutsches Recht, Reichsminister Dr. Hans Frank, Generalgouverneur im übrig gebliebenen Polen gewesen war. Mit dem Hinweis auf den „besonderen Charakter" der deutsch-polnischen Beziehungen nach 1945 läßt sich dies alles nicht hinreichend erklären. Erst der Blick auf die Geschichte der Beziehungen zwischen dem deutschen und dem polnischen Recht, zwischen der deutschen und der polnischen Rechtswissenschaft vermag eine Erklärung zu geben. Im folgenden soll deshalb eine solche Erklärung versucht werden. Dieser Versuch bewegt sich aut wissenschaftlich noch unsicheren Grundlagen, und zwar nicht nur deshalb, weil der Verfasser kaum ein Wort der polnischen Sprache kennt, sondern auch und vor allem deshalb, weil es auf beiden Seiten erst sehr wenige gründliche Studien in dieser Richtung gibt3. Hier ist, insbesondere was die agierenden Personen angeht, noch intensive Feldforschung vonnöten.

I. Die Entwicklung vom Untergang des alten Polen bis zum Entstehen des neuen Polen 1. Die drei Teilungen Polens unter den Mächten Preußen, Rußland und der Habsburger Monarchie haben letztlich im Jahre 1795 zum Untergang des alten polnischen Gemeinwesens geführt4. In den jeweiligen Gebieten haben die Annektionsmächte sogleich die Rechtsangleichung an ihr nationales Recht betrieben, zumal es bei ihnen erste größere Kodifikationen gab (z.B. in Preußen das ALR von 1794). Das unter Napoleon entstandene Großherzogtum Warschau war ein kurzes Zwischenspiel,

3 Der Verfasser kennt die Bedenken, die gegenüber einem Vorhaben eines nicht Sprachenkundigen bestehen. Ihm wäre es lieber gewesen, wenn sich Sprachenkundige dieses Themas bereits umfassend angenommen hätten. 4 Übersichtlich: Michael G. Müller, Die Teilungen Polens 1772/1793/1795, München 1984. Maßgebliche Gesamtdarstellung: Gotthold Rhode, Geschichte Polens. Ein Überblick, 3. Aufl., Darmstadt 1980, und jetzt das nützliche Buch von Manfred Hellmann, Daten der polnischen Geschichte, München 1985. In englischer Sprache: Piotr S. Wandycz, The Lands of Partitioned Poland, 1795-1918, Seattle 1974, einerseits und andererseits Aleksander Gieysztor et al., History of Poland, 2nd ed., Warschau 1979, sowie Wadaw W. Soroka, The Law in the Polish Lands during the Partition Period, in: Wenceslaw J. Wagner, ed., Polish Law throughout the Ages, Stanford 1970, S. 119 ff.

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mit einer Hochschule für Rechts- und Verwaltungswissenschaften in Warschau, deren Professoren z u m Teil auch im deutschen Rechtsdenken geschult waren 5 . Allerdings wurden in ganz Kongreßpolen der

1808

eingeführte französische C o d e Civil und der französische C o d e de C o m merce übernommen, wenngleich es später beachtliche Änderungen gab 6 . Preußen hat nach 1815 im G r o ß h e r z o g t u m Posen dort geltendes französisches Recht durch das A L R ersetzt. In den von Preußen annektierten Gebieten, in denen das A L R galt, gab es keine Universitäten. Erst wenige Jahre vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges brachen sich diesbezügliche Bemühungen in Posen Bahn. Aber es war kein Plan für eine Universität, die dem polnischen Element entgegenkommen sollte, eher m u ß man v o m Gegenteil ausgehen 7 . Die im Jahre 1816 gegründete Universität zu Warschau im russisch beherrschten Kongreßpolen hatte zunächst starke polnische Elemente. Sie wurde aber bereits 1832 geschlossen, und als später, im Jahre 1869, die Warschauer Universität wieder eröffnet wurde, galt sie mehr oder weniger als russifi-

5 Darüber Boguslaw Leinodorski, «L'École de Droit et des Sciences administratives» dans le Duché de Varsovie, Annali della Fondazione italiana per la storia amministrativa 2 (1965), S. 459 ff., sowie Andrzej Ajnenkiel, Science administrative et droit administratif dans les grandes écoles polonaises 1795-1830/31, in: Erk Volkmar Heyen (Hrsg.), Wissenschaft und Recht der Verwaltung seit dem Ancien Régime, Frankfurt 1984, S. 233 ff. 6 Im Jahre 1915 ließ der Verwaltungschef bei dem Generalgouvernement Warschau sogleich in deutscher Ubersetzung herausgeben: Bürgerliches Gesetzbuch für das Königreich Polen nebst den ergänzenden Gesetzen und einem Anhang, Berlin 1915. 7 Im Jahre 1903 wurde die Königliche Akademie zu Posen eröffnet. Siehe: Die Eröffnungsfeier am 4. November 1903, Bericht mit sämtlichen Ansprachen und Reden, Posen 1903, sowie: Festschrift zur Einweihung des Neubaues am 18. Januar 1910, Posen 1910. Die Akademie verlieh keine Abschluß-Diplome. Im Jahre 1941 wurde in Posen eine Reichsuniversität gegründet, dazu : Die Gründung der Reichsuniversität Posen. Am Geburtstag des Führers 1941. Reden bei dem Staatsakt zur Eröffnung am 27. April 1941, Posen 1941. Über die Akademie und über die Reichsuniversität siehe die Beiträge von Eugen Kühnemann und Walter Geisler, in: Gerhard Scheffler (Hrsg.), Ein Posener Buch, Posen 1944, S. 267 ff. Zur Vorgeschichte der 1919 gegründeten polnischen Universität Posen der Sammelband: Die Universität Poznan 1919-1969, Posen 1971.

Aus der Sicht der D D R : Johannes Kalisch/Gerd Voigt, „Reichsuniversität Posen", in: Juni 1941. Beiträge zur Geschichte des hitlerfaschistischen Uberfalls auf die Sowjetunion, Berlin 1961, S. 188 ff.

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zierende Hochschule 8 . Gleiches gilt für die im Jahre 1578 gegründete Universität Wilna. Lediglich das Kaiserreich Osterreich nahm auf das polnische Element Rücksicht. Die im Jahre 1784 zu Lemberg gegründete Universität jedoch war anfangs eine überwiegend österreichische Angelegenheit: Die Lehrveranstaltungen wurden zunächst in lateinischer, dann in deutscher Sprache abgehalten. Mit der bereits 1364 gegründeten Universität zu Krakau sah es für die Polen besser aus. Zwar war sie im Jahre 1805 geschlossen worden, aber sie wurde nach dem Wiener Kongreß wieder eröffnet. Krakau erhielt inmitten Galiziens den rechtlichen Status einer freien Stadt unter der Aufsicht der drei Teilungsmächte, bis Osterreich im Jahre 1846 diesem Rechtszustand einseitig ein Ende bereitete'. Zunächst war in der Krakauer Universität das polnische Element nur wenig zurückgedrängt, doch waren seit 1846 Vorlesungen in deutscher Sprache zugelassen. Immerhin konnte man sagen, daß es damals in Krakau ein Reservat des Polentums gab, das einzige Zentrum dieser Art auf dem Gebiet des ehemaligen polnischen Gemeinwesens. Deshalb auch wurde es der Krakauer Universität bereits im Jahre 1822 untersagt, Studenten aus dem russischen Kongreßpolen aufzunehmen10. 2. Die Lage änderte sich zugunsten der Polen erheblich, als bald nach der Einführung des österreichisch-ungarischen Dualismus im Jahre 1867 das Königreich Galizien und Lodomerien einschließlich des Großherzogtums Krakau - kurz Galizien genannt - weitreichende sprachliche Autonomie erhielt, nachdem bereits das Februarpatent von 1861 in allen Ländern der Monarchie die rechtliche Autonomie beträchtlich ausgeweitet hatte". Das galt im Hinblick auf die Rechtssetzungsbefugnis des Landtages in Lemberg nicht weniger als für die galizische Administration.

8 Im Jahre 1862 war in Warschau die sog. Hauptschule gegründet worden, welcher die Russen zunächst die Bezeichnung „Universität" verweigerten. Es war eine recht autonome polnische Einrichtung. Siehe B. Lesnodorski, Les Problèmes de la Formation des Cadres en Pologne dans la deuxième moitié du XIXe siècle (L'exemple de l'Ecole supérieure de Varsovie), in: Pour un droit juste et une gestion moderne. Mélanges Georges Langrod, Paris 1969, S. 138 ff. Einer ihrer Rechtslehrer besorgte 1864 eine polnische Ubersetzung von Mohls Enzyclopädie der Staatswissenschaften. ' Siehe vor allem: Arnon Gill, Die Polnische Revolution von 1846, München 1974. 10 Leszek Hajdukiewicz/Mieczyslaw Karas, Die Jagiellonen-Universität. Tradition-Gegenwart-Perspektiven, Krakau 1977, S. 57. 11 Dazu Ernst C. Hellbling, Die Landesverwaltung in Cisleithanien, in dem großen Sammelwerk: Die Habsburgermonarchie 1848—1918, Bd. II: Verwaltung und Rechtswesen, Wien 1975, S. 190 ff.

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Das Polnische wurde Amtssprache und in den Universitäten Krakau und Lemberg die einzige Vorlesungssprache. Auch ist darauf hinzuweisen, daß nunmehr Polen in den gemeinsamen Reichsministerien zu Wien Minister wurden. Noch mehr gilt das für die sog. cisleithanische, also österreichische Reichshälfte. In diesen Ministerien haben Polen des öfteren eine bedeutsame Rolle gespielt, sogar mehrere Male den Ministerpräsidenten gestellt, und stets gehörte ein Pole als sog. Landsmannminister, d. h. rechtlich als Minister ohne Geschäftsbereich, dem Kabinett in Wien an (niemals freilich ein Ukrainer), so wie der Statthalter im galizischen Lemberg stets ein polnischer Grande zu sein pflegte'2. Im Jahre 1908 wurde der Statthalter Andreas Graf Potocki von einem Ruthenen, sprich: einem Ukrainer, ermordet: Wien hatte den Polen in Galizien den nahezu absoluten Vorrang eingeräumt, zu Lasten der ukrainischen und der galiziendeutschen Bürger Galiziens, wenngleich im Schulwesen in sprachlicher Hinsicht auf sie Bedacht genommen wurde. Seit dem Jahre 1870 haben die zum Reich der Habsburger gehörenden Rechtsfakultäten in Krakau sowie in Lemberg ganz überwiegend Polen in polnischer Sprache in das geltende, d. h. das Recht der Monarchie eingewiesen. Auf diese Weise ist der Anteil der Polen an Richtern, Anwälten und höheren Verwaltungsbeamten rasch gestiegen, sodaß man sagen könnte, die Polen in Galizien seien ganz überwiegend von Polen regiert und verwaltet worden. Unter diesen Umständen konnte es nicht ausbleiben, daß im öffentlichen Dienst mancher Ukrainer und Galiziendeutscher oder Deutscher anderer räumlicher Herkunft polonisiert wurde. Die Wiener Monarchie war seit dem Jahre 1869 dem Polentum in Galizien so weit entgegengekommen, wie das möglich war, ohne Galizien die gleiche Stellung einräumen zu müssen, wie das 1867 gegenüber den Ungarn geschehen war. (Aber dies erschien Wien im Hinblick auf die anderen im Reichsverband lebenden Slawen unmöglich13.) Das galt zunächst für die Wiener Ministerien, wo freilich das Deutsche Amtssprache war, ebenso wie im Verkehr zwischen den galizischen Behörden und den Zentralbehörden in Wien. In den Ministerien war die

12 Vgl. Hellbling, aaO., S. 249 ff. Eine vorzügliche Arbeit über einen polnischen Juristen und Politiker in Wien: Joanna Radzyner, Stanislaw Madeyski, 1841-1910. Ein austro-polnischer Staatsmann im Spannungsfeld der Nationalitätenfrage in der Habsburgermonarchie, Wien 1983. Madeyski war Zivilrechtler in Krakau, auch Rektor dort, ferner Unterrichtsminister in Wien. 15 Grundlegend Gerald Stourzh, Die Gleichberechtigung der Volksstämme als Verfassungsprinzip 1848-1918, in: Die Habsburgermonarchie, Bd. III: Die Völker des Reiches, 2. Teilband, Wien 1980, S. 975 ff.

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Zahl der hohen Beamten polnischer Herkunft beachtlich groß". Aber auch in den obersten Gerichten

zu Wien konnte sich der Anteil an Polen

sehen lassen, sowohl im Obersten Gerichts- und Kassationshof als auch im Verwaltungsgerichtshof. Gemäß dem Schematismus von 1914, dem Staatshandbuch, gab es beim Obersten Gerichtshof in Wien 2 polnische Senatspräsidenten, 18 polnische Richter und (mindestens) 16 polnische Hilfsarbeiter, am Verwaltungsgerichtshof

1 Senatspräsidenten und 5

Richter 15 . Auch im Wiener Obersten Rechnungshof waren die Polen angemessen vertreten, ein Pole amtierte sogar als dessen Präsident ( E u g e n Julius Hauenschield-Bauer

von

Przerab).

Darin eben unterschied sich die Lage in Galizien ganz wesentlich von derjenigen in Kongreßpolen und in denjenigen Teilen Polens, die zu Preußen gekommen waren. Meistens blieb dort nur der Weg der Russifizierung oder der Eindeutschung, wenn ein Bürger polnischer Nationalität in höhere Ränge von Justiz oder Verwaltung aufsteigen wollte. 3. In Galizien hingegen gab es polnische Juristen, die ihrerseits zur Entwicklung des österreichischen Rechts maßgeblich beizutragen vermochten". Zu der Kommission, welche ab 1904 das A B G B von 1812 novellieren sollte, gehörte ein Pole; in der Kommission für das internationale Privatrecht wirkte der Krakauer Rechtslehrer Friedrich Zoll, dessen Vater Friedrich

Ritter

von

Zoll Römischrechtler in Krakau (und Mitglied

des Herrenhauses in Wien) war". (Der Enkel lehrt heute in Krakau Strafrecht). An der Ausgestaltung des österreichischen Beamtenrechts war maßgeblich der Wiener Sektionschef und spätere Minister der Finanzen Kniaziolucki

beteiligt. Man könnte eine solche Liste beträchtlich erwei-

tern". Erwähnt sei noch, daß etliche Monographien und Lehrbücher des österreichischen Rechts von Gewicht, sei es in deutscher, sei es in

14 Siehe vor allem: Walter Goldinger, Das polnische Element in der Wiener Hochbürokratie (1848-1918), in: Studia Austro-Polonica, Bd. 1, Krakau 1978, S. 63 ff. 15 Gewissermaßen parallel zur eben zitierten Studie Goldingers: Stanislaw Grodziski/Andrzej Partyka, Die Polen in der österreichischen Rechtspflege (1772-1914), ebenda, S. 85 ff. Die Arbeiten von Goldinger und von Grodziski sind von jener Qualität, die Vorbild für weitere Studien sein sollte. 16 Dazu vor allem: Helmut Slapnicka, Österreichs Recht außerhalb Österreichs. Der Untergang des österreichischen Rechtsraums, München 1973, S. 47 ff. Es ist eine grundlegende Arbeit. 17 Kurzbiographie von Fryderyk Zoll, Jr. (1865-1948) in: Wagner, Polish Law throughout the Ages, aaO., S.43Iff. Leider sind die Lebenserinnerungen von F. Zoll, in die mir sein Enkel Einblick gewährte, noch immer nicht veröffentlicht. 18 Siehe Slapnicka, aaO.

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polnischer Sprache, von polnischen Juristen veröffentlicht wurden. Der Herausgeber der amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse des Verwaltungsgerichtshofs in Wien war der dortige polnische Richter und spätere Senatspräsident Adam Budwinski". Überdies wirkten polnische Rechtslehrer in der Habsburger Monarchie auch außerhalb von Krakau und von Lemberg. So lehrte in Innsbruck und später in Prag der Pole Zielonacki, in Graz der heute noch sehr geschätzte Ludwik Gumplowicz, in Czernowitz (Bukowina) Alfred Ritter v. Halbart, der 1905 in Lemberg Ordinarius wurde20. Allerdings gab es damals auch bedeutende polnische Juristen, die mit dem deutschen Recht bzw. mit der deutschen Rechtswissenschaft vertraut waren und dieses ihr Wissen in polnischen Veröffentlichungen auswerteten. Uberwiegend jedoch handelte es sich dabei um Polen, die nicht in Galizien, sondern an der mehr oder weniger russischen Universität zu Warschau in Kongreßpolen lehrten. Der Verwaltungsrechtler Oczapowski hatte in Heidelberg bei Mohl und Rau promoviert, sein Fachkollege Okolski in Jena21. Doch blieben die Bemühungen dieser in Kongreßpolen lehrenden polnischen Juristen im Rahmen der Rechtsvergleichung, während für die sog. Galizier das österreichische Recht das eigene Recht war. Von besonderer Bedeutung für die polnische Rechts- und Verfassungsgeschichte war das Wirken von Oswald Balzer (1858-1933) 22 . Er gilt als Vater der polnischen rechtsgeschichtlichen Forschung, und das weist ihm

" Über ihn Goldinger, aaO., S. 79. Budwinski gab seit 1878 die „Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofs" allein heraus, bis zum Jahre 1900, als mehrere Herausgeber dieses Werk als „Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse des Verwaltungsgerichtshofs" edierten. Hier sei auch hingewiesen auf: Josef Schenk, Der alte k. u. k. Verwaltungsgerichtshof, in: 60 Jahre österreichische Verwaltungsgerichtsbarkeit, Wien 1936, S. 6 ff. 20 Vgl. Georges Langrod, L'œuvre de Lorenz von Stein vue par ses successeurs, in: Roman Schnur (Hrsg.), Staat und Gesellschaft. Studien über Lorenz von Stein, Berlin 1978, S. 465 ff. 21 Dazu der Bericht von Eugeniusz Ochendowski über Polen in: Erk Volkmar Heyen (Hrsg.), Geschichte der Verwaltungsrechtswissenschaft in Europa, Frankfurt 1982, S. 149 ff. Siehe auch Ochendowski, Die Zusammenhänge der Lehre Lorenz von Steins mit der polnischen Verwaltungswissenschaft und Verwaltungsrechtswissenschaft, in: Schnur, aaO., S. 515ff. 22 Über ihn etwa: Heinrich Felix Schmid, Das Lebenswerk Oswald Balzers und die Entwicklung der polnischen rechtshistorischen Forschung seit 1919, Zeitschrift für osteuropäische Geschichte 8 (1934), S. 321 ff., und Zygmunt Wojciechowski, Oswald Balzer et les problèmes de l'histoire du droit polonais, Revue historique de droit français et étranger 12 (1933), S. 291 ff., sowie die Kurzbiographie bei Wagner, aaO., S. 418 ff.

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angesichts der Bedeutung einer eigenen Rechtsgeschichte für ein Volk ohne Staat große politische Wirkung zu. Sein Vater war Bezirkshauptmann (d.h. Landrat) in Galizien; doch neigte er, anders als die Mutter, zur Polonisierung. Hier gibt es nun eine Verbindung mit Preußen: Balzer lernte beim Lemberger Historiker Xawery Liske, der aus der Provinz Posen stammte, sich als Pole fühlte und deshalb nach Lemberg gegangen war. Liske hatte vor allem bei Droysen in Berlin studiert und war zum Bahnbrecher quellenkritischer Forschung in der polnischen Geschichtswissenschaft geworden. Balzer promovierte in Krakau zum Doctor iuris und ging für ein Jahr nach Berlin zu BrunnerBresslau, Droysen, Hinschius und Schmoller. Nach der Habilitation in Lemberg und nach der Berufung auf den Lemberger Lehrstuhl hat Balzer dann Bahnbrechendes geleistet24. Dieses Beispiel zeigt, daß man den deutschen Rechtskreis und den österreichischen Rechtskreis nicht gänzlich scheiden kann. Nach einer gewissen Distanz zwischen diesen Rechtskreisen im Vormärz entstand bald nach der Jahrhundertmitte ein engerer Kontakt". Er führte zum Austausch von Ideen auf wichtigen Rechtsgebieten, vor allem im Rahmen des Deutschen Juristentages, ab der Gründung im Jahre 1922 auch in der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, der übrigens auch fast alle Offentlichrechtler der deutschsprachigen Schweiz angehören.

II. Die Zeit der Kodifikationen im neuen Polen 1. Das nach dem Ende des Ersten Weltkrieges wiedererstandene Polen konnte zunächst nichts anderes tun, als die Rechtsbestände seiner Territorien zu übernehmen, wobei es gewisse sofortige Außerkraftsetzungen gab, vornehmlich im Hinblick auf Vorschriften, die früher die Polen benachteiligt hatten. Im einzelnen soll darauf nicht weiter eingegangen

23

Der gebürtige Wiener Heinrich Brunner war 1868 selbst Professor in Lemberg gewesen. 24 Balzer hat auch in die politische Diskussion eingegriffen mit der Schrift: Aus Problemen der Verfassungsgeschichte Polens, Krakau 1916. Jedoch hat er später politische Amter abgelehnt. 25 Dazu allgemein: Werner Ogris, Der Entwicklungsgang der österreichischen Privatrechtswissenschaft im 19. Jahrhundert, Berlin 1968, speziell: Wilhelm Brauneder, Formen und Tragweite des deutschen Einflusses auf die österreichische Verwaltungsrechtswissenschaft 1850-1914, in: Heyen, Wissenschaft und Recht der Verwaltung seit dem Ancien Régime, aaO., S. 249 ff.

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werden 2 '. Erwähnt sei deshalb nur kurz, daß Polen im Osten Gebiete erworben hatte, die nicht zu Kongreßpolen gehört und deshalb auch nicht französisches, sondern russisches Recht besessen hatten, und daß auf kleinen Gebieten bei der Hohen Tatra und in der nördlichen Zips ungarisches Recht gegolten hatte27. In den Wojewodschaften Posen und Pommerellen, die im neuen Polen zunächst ein einheitliches Rechtsgebiet bildeten, wurde das deutsche Recht (mit wenigen Ausnahmen) übernommen. Durch Änderungen der Wojewodschaftsgrenzen im Westen Polens jedoch, die am 1 . 4 . 1 9 3 8 in Kraft traten, wurde diese Rechtseinheit aufgehoben. Doch änderte das nichts an der Fortgeltung des deutschen Rechts in den betreffenden Gebieten. Für den polnisch gewordenen Teil Oberschlesiens sowie für den zu Polen gekommenen Teil Österreich-Schlesiens (Polnisch-Teschen sowie Bielitz/Saybusch) gilt Gleiches. Die polnische Wojewodschaft Schlesien (mit Sitz in Kattowitz) jedoch erhielt für den Schlesischen Sejm eine beachtliche Autonomie in der Rechtsetzung, überwiegend auf dem Gebiet des Öffentlichen Rechts 28 . Ebenso wurde in Galizien das österreichische Recht übernommen. Damit also galten in großen Teilen Polens vorerst deutsche und österreichische Rechtsvorschriften fort. (Im ehemaligen Kongreßpolen in bedeutenden Teilen französisches Recht.) 2. Für die Anwendung des dermaßen übernommenen Rechtes im neuen Polen hing viel davon ab, wieviele Juristen mit entsprechender Ausbildung in den Dienst des polnischen Staates traten und wer in der

26 Aus dem umfangreichen Schrifttum seien neben den Ausführungen von Slapnicka, aaO., hier erwähnt: Heinrich Freund, 15 Jahre polnischer Rechtsentwicklung, Osteuropa 8 (1932/33), S. 530 ff. ; Friedrich Korkisch, Das Privatrecht im ehemals polnischen Staatsgebiet, Rabeis Zeitschrift 12 (1938/39), S. 850ff.; Georg Geilke, Zur polnischen Rechtsgeographie, Jahrbuch für Ostrecht 4 (1963), S. 105 ff. (sehr umfassend); Zbigniew Radwañski, Die Entwicklung des Zivilrechts in Polen, in: Andor Csizmadia und Kálmán Kovács (Hrsg.), Die Entwicklung des Zivilrechts in Mitteleuropa (1848-1944), Budapest 1970, S. 121 ff.; Bronisiaw Helczynski, The Law in the Reborn State, in: Wagner, Polish Law throughout the Ages, aaO., S. 139 ff. Dieser Autor war von 1934 bis 1939 Präsident des Obersten Verwaltungsgerichtshofes. Übrigens waren von den Präsidenten dieses Gerichts nicht weniger als drei früher Richter am Wiener VGH (Rudolf Sawicki, Rudolf Rózycki und Wlodzimierz Orski).

Siehe Geilke, aaO., S. 114 ff. Vgl. Friedrich-Constans Seifarth, Die Autonomie der Wojewodschaft Schlesien und ihre Garantie nach der polnischen Verfassung, Diss, jur., Breslau 1930, und Josef Ciagwa, L'Autonomie de la Voivodie de Silésie (1922-1939), in: Entwicklung der städtischen und regionalen Verwaltung in den letzten 100 Jahren in Mittel- und Osteuropa, Bd. III, Budapest 1979, S. 67 ff. Weniger ergiebig: André Tranchand, Le Statut Administratif de la Silésie Polonaise, Thèse Droit Paris 1938. 27 28

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Lage war, die jungen Juristen im nun polnischen Recht angemessen auszubilden. a) Was das damalige Westpolen betrifft, so konnte der neue polnische Staat nicht auf viele Juristen zurückgreifen, die im Deutschen Reich studiert hatten. Die folgenden Hinweise beruhen vornehmlich auf Angaben, die der emeritierte Posener Öffentlichrechtler Karol Marian Pospieszalski übermittelte, dessen persönliches Geschick übrigens kennzeichnend ist für die deutsch-polnischen Beziehungen; denn er wurde in Berlin 1910 geboren, wo sein Vater, ein Posener, preußischer Regierungsbaurat war, der dann 1919 mit der Familie zurück nach Posen ging und 1939 sofort ins Generalgouvernement ausgewiesen wurde. Polen aus diesem Teil Preußens studierten vorwiegend in Breslau, Leipzig, Berlin und Greifswald. Pospieszalski schätzt, daß es im Jahre 1919 in der Wojewodschaft Posen nicht mehr als 50 Juristen dieser Ausbildung gab, im gesamten Westpolen sollen es nicht mehr als 150-200 gewesen sein. Es waren auch nicht viele Juristen aus dem ehemals russischen Kongreßpolen dort tätig. Hingegen kamen nach Westpolen etliche Juristen aus dem österreichischen Galizien, von denen die allermeisten in Krakau und in Lemberg studiert hatten. Auch sie beherrschten die deutsche Sprache, so daß es ihnen nicht allzu schwer fiel, sich in das hier geltende ehemals deutsche Recht einzuarbeiten. b) Ein ähnliches Problem ergab sich für die neu errichteten Rechtsfakultäten in Warschau und in Posen2'. Auch hier mußte man in großem Maße auf Rechtslehrer zurückgreifen, die im österreichischen Galizien studiert hatten. In den zwanziger Jahren gab es in der Fakultät für Rechtsund Wirtschaftswissenschaft zu Posen insgesamt nur 4 Professoren, die aus dem ehemals preußischen Teil Polens stammten, 2 Juristen und 2 Ökonomen. Ein Privatdozent der Rechtsgeschichte hatte in München studiert und war im Kriege noch deutscher Soldat geworden. Aber nicht weniger als 12 Professoren dieser Fakultät, überwiegend Juristen, hatten hauptsächlich an den galizischen Universitäten studiert (zeitweise auch im Deutschen Reich, seltener in Frankreich, in Italien oder in der Schweiz). Interessanterweise stammten 4 dieser österreichisch geschulten Professoren aus Kongreßpolen - die Universität zu Warschau in Kongreßpolen galt als die schlechteste aller russischen Universitäten. Zwei weitere Professoren der Posener Fakultät, die aus Kongreßpolen stammten, hatten ausschließlich im Westen studiert, der international bekannt gewordene Rechtsphilosoph Znamierowski in Leipzig, Berlin, München und 29 Dazu die Ausführungen im Sammelband: Die Universität Poznan 1919—1969, aaO., S. 90 ff.

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Basel, der Nationalökonom Zaleski in Genf und in Paris. Der Posener Strafrechtler Bossowski (Ritter von Bossowski) überdies war als Ministerial-Vizesekretär bis 1920 im Wiener Justizministerium tätig30. Am Beispiel der Posener Juristenfakultät, das durch genauere Studien betreffend die Praktiker in Westpolen und im ehemaligen Kongreßpolen zu ergänzen wäre, zeigt sich deutlich, daß aufgrund der bisherigen Verhältnisse Juristen mit einer Ausbildung im österreichischen Recht zahlreicher waren als jene, die im deutschen Recht geschult waren. Gleichwohl bleibt festzuhalten, daß der neue polnische Staat anfangs weithin auf Juristen angewiesen war, die ihre Ausbildung entweder im österreichischen oder im deutschen Recht genossen hatten. Das gilt sowohl für die Ministerialbürokratie als auch für die hohen Ränge der Gerichtsbarkeit. In diesem Zusammenhang ist auch die Tatsache bedeutsam, daß man im neuen Polen noch nicht über Ausdrücke für viele moderne Rechtsfiguren verfügte. Zwar hatte man neuere Rechtsfiguren des Rechtes der Annektionsmächte ins Polnische übersetzt, doch waren das in der Regel individuelle, kaum koordinierte Vorgänge. Darauf konnten sich die Kodifikationen im neuen polnischen Staat nur wenig stützen. Die gewissermaßen amtliche Prägung von neuen Rechtsbegriffen in der polnischen Sprache war deshalb unumgänglich. Diese schwierige Aufgabe wurde gelöst, indem man sich vornehmlich an der deutschen Rechtssprache orientierte, sei es an der des deutschen, sei es an derjenigen des österreichischen Rechts bzw. des schweizerischen 31 . c) Es versteht sich nahezu von selbst, daß die Universitäten Krakau und Lemberg keine Mühe hatten, den Rechtsunterricht im neuen Polen auf hohem Niveau fortzuführen und Nachwuchs nicht nur für die Posener, sondern auch für die Warschauer Rechtsfakultät abzustellen. Einige dieser ehedem österreichischen Rechtslehrer haben für das Rechtsleben des neuen Polen besonders große Leistungen erbracht 32 . Hier sei wiederum Fryderyk Zoll erwähnt. Er hat den Entwurf eines polnischen Gesetzes über das internationale und über das für das neue Polen überaus wichtige interlokale Privatrecht ausgearbeitet, wobei er an seine vorhin erwähnten Arbeiten für das Wiener Justizministerium anknüpfen konnte. Im Jahre 1926 entwarf Zoll das Gesetz zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs, das sogleich erlassen wurde; 1935 verfaßte er den Entwurf eines einheitlichen polnischen Sachenrechts, worüber er in der Zeitschrift

30

Dieser ist nicht zu verwechseln mit dem Zivilrechtler Franz von der in Wilna lehrte. 31 Siehe Freund, aaO., S. 461. 32 Dazu etwa Slapnicka, aaO., S. 55 ff.

Bossowski,

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der Akademie für Deutsches Recht berichtete. Der Krakauer Zivilprozeßrechtler Fierich war von 1919 bis 1928 Präsident der Kodifikationskommission der Republik Polen, von deren Arbeit alsbald die Rede sein soll. Die neue polnische Zivilprozeßordnung ist weithin sein Werk. Ahnlich bedeutsam war die Arbeit der Krakauer Handelsrechtler Górski und Wróblewski für das neue Handelsgesetzbuch. Der Krakauer Zivilrechtler Jaworski und der Lemberger Kollege Till, beides Verfasser großer Werke über das österreichische Zivilrecht, waren maßgebend am Entwurf des neuen polnischen Obligationenrechts beteiligt". Zwei galizische Juristen wurden im neuen Polen sogar Minister, nämlich der Krakauer Verwaltungsrechtler Kumaniecki sowie Leon Bilmski, der schon Finanzminister für die Gesamt-Monarchie in Wien gewesen war. Biliúski allerdings kehrte vom neuen Polen enttäuscht nach Wien zurück, wo er im Jahre 1923 als Präsident der Austro-Polnischen Bank gestorben ist. 3. Der neue polnische Staat begann alsbald das Werk einer Vereinheitlichung des Rechts. Bereits im Juni 1919 wurde durch Gesetz die Kodifikationskommission eingesetzt. Sie bestand bis zum Kriegsausbruch im September 1939. In ihr wirkten namhafte Rechtslehrer und Praktiker. a) Die polnische Verfassung von 1921 beendete das verfassungsrechtliche Provisorium. Die ständigen Regierungskrisen veranlaßten jedoch Pilsudski im Jahre 1926 zum Staatsstreich. Er selbst wird Ministerpräsident. Durch Änderung der Verfassung erhält die Regierung die Befugnis, auf dem Verordnungswege Gesetze zu erlassen («décrets-lois»)34. Erst nun kann die Rechtsvereinheitlichung in Polen zügig vorankommen. Man muß festhalten, daß fast keine der zahlreichen und umfangreichen Kodifikationen als parlamentarisches Gesetz ergangen ist - auch Polen gehörte zu jenen Staaten Europas, in denen der eben erst eingeführte Parlamentarismus in schwere Krisen geriet35. Jetzt aber kamen die neuen, vereinheitlichenden Gesetze zügig voran. Dabei lehnte sich Polen zwar an ausländische Vorbilder an, weil man kein eigenes Recht fortentwickeln konnte. Aber es kamen Gesetze zustande, die im internationalen Vergleich als beachtliche gesetzgeberische Leistungen gewürdigt wurden36.

33 Kurzbiographie von Stanislaw 'Wróblewski (1868-1938), bei Wagner, aaO., S. 439 ff., von Wladyslaw Jaworski (1865-1939) ebenda, S. 436 ff. 34 Siehe Siegmund Cybichowski, Die Entwicklung des polnischen Staatsrechts in den Jahren 1921-1934, Jb.ÖffR 22 (1935), S. 527 ff. 55 Vgl. Freund, aaO., S. 532. " Siehe nur Freund, aaO., S. 531. Friedrich Korkisch, Der deutsche Einfluß auf die polnische Gesetzgebung in den Jahren 1919-1939, Die Burg 1 (1940/41), S. 28 ff. (S.31), hielt es für angebracht, von Abhängigkeit (vom deutschen Recht) zu reden.

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b) Auf dem Gebiet der Strafrechtspflege wurden die legislatorischen Arbeiten im Jahre 1932 abgeschlossen. Das neue Strafgesetzbuch war vornehmlich am schweizerischen Strafrecht orientiert. Das UWG vom August 1926 fand auch im Ausland besondere Beachtung. Die Zivilprozeßordnung von 1930 sowie die Exekutionsordnung von 1932 lehnten sich eng an die berühmte österreichische ZPO an, während das Anwaltsgesetz von 1932 und die Notariatsordnung von 1933, das Aktiengesetz von 1928 sowie das Handelsgesetzbuch und das Konkursrecht von 1934 stärker am deutschen Recht orientiert waren. Das bürgerliche Recht wurde nicht insgesamt kodifiziert, jedoch im Jahre 1933 vorab das Obligationenrecht vereinheitlicht, wobei notwendigerweise auch gewisse Regelungen aus dem Allgemeinen Teil getroffen werden mußten37. Was die Anlehnung an ausländisches Recht angeht, so ist hier vor allem an die Schweiz zu denken. Bezüglich der anderen Teile des bürgerlichen Rechts blieb es also beim alten Recht. Das war im Rahmen der belassenen Zuständigkeit grundsätzlich auch während der Okkupationszeit so3S - erst im Jahre 1947 begann in Polen die Vereinheitlichung des Zivilrechts. c) Für die Vereinheitlichung auf dem Gebiet des Verwaltungsrechts gilt ähnliches. Hier allerdings ist der Einfluß des österreichischen Rechts erheblich größer als der des deutschen Rechts". Das erklärt sich teilweise durch die Personallage; denn im neuen polnischen Staat waren nur wenige Juristen tätig, die sich im deutschen Verwaltungsrecht auskannten: Die meisten polnischen Juristen aus Posen und Westpreußen waren als Richter oder als Anwälte tätig. (Von den polnischen Verwaltungsjuristen hingegen hat 1919 vermutlich mancher für das Deutsche Reich optiert, wie übrigens auch einige polnische Juristen nach dem Jahre 1939.) Teilweise erklärt es sich durch die große Wertschätzung, die das österreichische Verwaltungsrecht in allen sog. Nachfolgestaaten genoß. Überdies war im Deutschen Reich das allgemeine Verwaltungsverfahrensrecht noch nicht kodifiziert und gab es dort, im Gegensatz zur Habsburger-Monarchie (cisleithanische Reichshälfte), keine allgemeine Äezc/wverwaltungsgerichtsbarkeit. Der Einfluß des österreichischen öffentlichen Rechts läßt sich schon an der polnischen Gewerbeordnung von 1927 erkennen, noch mehr aber am

37

Dazu Udo Rukser, Das neue polnische Obligationenrecht, Rabeis Zeitschrift 8 (1934), S. 342 ff. 38 Dazu etwa Geilke, aaO., S. 144 ff. 39 Vgl. Helczynski, aaO., S. 155. D o n auch die wichtige Aussage: "It would be rather difficult to find in Polish administrative law any corresponding French influence, and still more difficult to find evidence of Russian law, which was completely inadequate to the needs of the new republic."

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Verwaltungsverfahrensrecht

und

an

der

Verwaltungsgerichtsbarkeit.

Bereits im Jahre 1922 wurde nach österreichischem Vorbild das Oberste Verwaltungsgericht zu Warschau geschaffen 40 . N a c h d e m die Republik Osterreich im Jahre 1925 das Verwaltungsverfahrensrecht

kodifiziert

hatte, trat am 1. Juli 1928 das polnische Verwaltungsverfahrensgesetz in Kraft, am gleichen Tage übrigens ein solches Gesetz in der Tschechoslowakei und zwei Jahre später in Jugoslawien 4 1 . Diese Gesetze weisen eine weitgehende, z u m Teil wörtliche Ubereinstimmung mit dem österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetz auf - wohl das bedeutsamste rechtliche Erbe, das Alt-Österreich hinterlassen hat 42 . (Darauf ist zurückzukommen, wenn von der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg die Rede sein soll.) Die gesetzgeberischen Leistungen des neuen Polen galten als so bedeutend, daß es dazu im Jahre 1934 ausgerechnet in der Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht hieß: „Uberblicken wir das gesetzgeberische Schaffen Polens in den letzten Jahren, so müssen wir stolze und gewaltige Erfolge verzeichnen" 4 3 . d) W o auch hinfort deutsches Recht galt, befaßten sich die polnischen Juristen auch mit seiner Fortentwicklung. Eine Ubersetzung des B G B erlebte zwei Auflagen, systematische Darstellungen des deutschen Rechts

40 Siehe Leslaw Pauli, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit in Polen zwischen den beiden Weltkriegen. (Rechtsvergleichende Bemerkungen über ihre Entstehung und ihr Organisationsmodell), in: Entwicklungsfragen der Verwaltung in Mitteleuropa, Pees (Fünfkirchen) 1972, S. 203 ff. (Vgl. damit Friedrich Lehne, Rechtsschutz im Öffentlichen Recht: Staatsgerichtshof, Reichsgericht, Verwaltungsgerichtshof, in: Die Habsburgermonarchie, aaO.TBd. n , S. 692 ff.). Obgleich die Verfassung von 1921 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit Verwaltungsgerichte auf mehreren Stufen vorgesehen hatte, blieb es beim Verwaltungsgerichtshof in Warschau. Hingegen wurden in den Wojewodschaften Posen, Pommerellen und Kattowitz gemäß der früheren preußischen Regelung Verwaltungsgerichte eingerichtet, siehe dazu die aufschlußreiche Studie von Witold Maisei, Die Rechtsprechung der Wojewodschafts-Verwaltungsgerichte in Polen in den Jahren 1919-1939, in: Entwicklungsfragen der Verwaltung in Mitteleuropa, aaO., S. 149 ff. 41 Text in Zeitschrift für Ostrecht 2 (1928), S. 1365 ff., mit Vorbemerkung von Hilarowicz. Dazu auch Franz Becker, Das allgemeine Verwaltungsverfahren in Theorie und Gesetzgebung. Eine rechtvergleichende Untersuchung, Stuttgart 1960, S. 79 ff. 42 Vgl. Slapnicka, aaO., S. 36 f., ferner Wolfgang Jungwirt h, Das österreichische Verwaltungsverfahrens-Gesetz als Element der Stabilisierung in Mitteleuropa, Öst.Zeitschr.f.öff. Recht 1 (1948), S. 497 ff. Vgl. auch das Buch mit dem kennzeichnenden Untertitel: Rudolf Herrnritt, Das Verwaltungsverfahren. Systematische Darstellung auf Grund der neuen österreichischen und ausländischen Gesetzgebung, Wien 1932. 43 ZAkdR 1 (1934), S.200.

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wurden ebenfalls veröffentlicht. Die einschlägigen großen deutschen Kommentare wie Staudinger und Jaeckel-Güthe wurden häufig zu Rate gezogen. Auch nach 1930 wurde, wie Pospieszalski mitteilt, den Referendaren am OLG Posen empfohlen, den „Daubenspeck" zu studieren, und noch im Jahre 1939 wurde in einer Krakauer Magisterprüfung eine wichtige Stelle in Fleiners „Institutionen des deutschen Verwaltungsechts" zur Erörterung gestellt: NS-Verwaltungsrecht war nicht gefragt44. (Fleiner war ein Schweizer, der in Tübingen und in Heidelberg gelehrt hatte). Daß die Juristenausbildung im neuen Polen, so meinen ältere polnische Juristen, nicht schlecht gewesen sein könne, zeige sich wohl auch an der Tatsache, daß ein Deutscher aus Lodz, der in Warschau studiert hatte, später nicht nur Honorarprofessor in Tübingen, sondern sogar Präsident des Bundessozialgerichts wurde, nämlich Georg Wannagat. (Er war einer der ersten deutschen Juristen, die in der Volksrepublik Polen Vorträge hielten). 4. Ein besonderes Kapitel in der Geschichte der Beziehungen zwischen deutschen und polnischen Juristen stellt die Zeit von 1934 bis Anfang 1939 dar: Im Zuge der neuen Polen-Politik der Reichsregierung ab Herbst 1933 drängte Hans Frank auf die Anknüpfung von Kontakten zwischen deutschen und polnischen Juristen. Frank war zwar nicht Reichsminister der Justiz, doch bot ihm die Akademie für Deutsches Recht für die Verwirklichung dieser Absicht ein geeignetes Instrument45. Bereits ab Sommer 1935 kam es zum Austausch von jungen Juristen, im Februar 1936 reiste Frank nach Warschau; im Mai 1937 hielt der polnische Justizminister Grabowski in der Akademie für Deutsches Recht einen sehr beachteten Vortrag, und gleichzeitig wurde im Rahmen von Franks Akademie die „Arbeitsgemeinschaft für die deutsch-polnische Rechtsbeziehungen" gegründet, in welcher sich auch der Außenminister der Weimarer Republik, der frühere Präsident des Reichsgerichts und des Staatsgerichtshofs für das Deutsche Reich, also Walther Simons, betätigte. Der Deutsche Akademische Austausch-Dienst stellte jungen polnischen Juristen Stipendien zur Verfügung. So kam Dr. Jerzy Starosciak im Jahre 1938 nach Breslau. Nach 1945 wurde er Ordinarius in Warschau (auch Mitglied des Sejm) und auf dem Gebiete des Verwaltungsrechts die maßgebliche Figur für die Kontakte zwischen deutschen und polnischen Juristen.

44 Mündliche Mitteilung von Herrn Prof. Dr. hab. Jan Jendroska, Universität Breslau. 45 Zum Folgenden Roman Schnur, Beziehungen zwischen deutschen und polnischen Juristen in den Jahren 1934-1939, Die Verwaltung 15 (1982), S. 240 ff.

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Es ist schwer zu erklären, weshalb der Badener Hans Frank sich dieser Aufgabe so sehr widmete. Doch ist es wenig wahrscheinlich, daß Frank die Polen mit politischer Absicht täuschen wollte. (Es ist nicht einmal sicher, ob Hitler anfangs gegenüber Polen bereits diejenigen Absichten hatte, die er später verwirklichte). Andererseits läßt sich nicht bestreiten, daß die polnischen Juristen eine beachtliche Reserve gegenüber den im NS-Regime tätigen deutschen Juristen wahrten. Gleichwohl hat das neue politische Regime im Deutschen Reich keineswegs zum Abbruch der Beziehungen zwischen deutschen und polnischen Juristen geführt, das Gegenteil war der Fall. Bezeichnend dafür ist auch die Tatsache, daß der Krakauer Privatdozent des Verwaltungsrechts Jerzy Langrod, aus einer renommierten jüdischen Anwaltsfamilie, im Jahre 1935 in der Zeitschrift von Hans Franks Akademie für Deutsches Recht über die neue polnische - recht autoritäre - Verfassung berichtet hat46. Die Geschichtsschreibung hat leider noch nicht zu klären vermocht, weshalb Hitler ausgerechnet Hans Frank zum Generalgouverneur in Polen gemacht hat. Die Vermutung ist nicht von der Hand zu weisen, daß es eine Art Strafversetzung war, weil Frank sich früher so sehr für die Kontakte mit Polen eingesetzt hatte. Zur gleichen Zeit überlebte Langrod in einem Kriegsgefangenenlager für Offiziere gemeinsam mit französischen Offizieren, zu denen später namhaft gewordene Öffentlichrechtler gehörten wie Jean Rivero und Georges Vedel, aber auch der damalige Straßburger Professor Charles Eisenmann, dessen Familie zum großen Teil ermordet wurde. Da die polnischen Universitäten geschlossen worden waren, boten allein solche Lager-Universitäten die Möglichkeit, polnisches Recht sozusagen offiziell zu unterrichten. Das geschah nicht nur im Oflag XVII A zu Edelsheim in Osterreich, wo Langrod dozierte47, sondern auch im Oflag zu Murnau, wo u. a. der Lemberger Verwaltungsrechtler Franciczek Longchamps de Bérier lehrte48, der nach dem Krieg als Heimatvertriebener einen Lehrstuhl in Breslau erhielt und dessen Bruder Roman, namhafter Zivilrechtler, 1941 in Lemberg mit seinen drei Söhnen von Deutschen umgebracht wurde49. Zwar war den polnischen Juristen in den deutschen Lagern die Rechtsliteratur des NS-Regimes zugänglich, aber auch älteres deutsches Schrifttum (z. B. Max Weber), das die polnischen Dozenten und Studenten bevorzugten. Offizielle Diplome für ein Z A k d R 2 (1935), Auslandssondernummer. Zygmunt Kosior, Les Etudes de Droit à l'Oflag XVII A, in : Mélanges Georges Langrod, aaO., S . 5 7 f f . 48 Ochendowski, in: Geschichte der Verwaltungsrechtswissenschaft in Europa, aaO., S. 156. 49 Über ihn die Kurzbiographie bei Wagner, aaO., S. 469. Er war der Berichterstatter für das Obligationenrecht in der Kodifikationskommission gewesen. 46

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erfolgreiches Rechtsstudium gab es außer in diesen deutschen Lagern nur noch im englischen Oxford, wo man eine polnische Rechtsfakultät eingerichtet hatte. An ihr lehrte der angesehene Verwaltungsrechtler Jaroczynski, dessen Sohn heute an den deutsch-polnischen Verwaltungskolloquien teilnimmt50. Allerdings gab es im Generalgouvernement, vor allem in Krakau, illegale Kurse und erschien im Untergrund von Warschau im Jahre 1943 ein Lehrbuch des polnischen Verwaltungsrechts51. Die meisten Teilnehmer dieser Kurse hörten Jus. Freilich wird man kaum sagen können, daß diejenigen polnischen Juristen, die im Generalgouvernement polnische Gerichtsbarkeit ausübten oder in der eigenen Verwaltung tätig waren, jetzt das Recht der Deutschen sonderlich geschätzt hätten". Immerhin bleibt festzuhalten, daß zu den maßgeblichen Initiatoren der deutsch-polnischen Juristenkontakte nach dem Zweiten Weltkrieg Jerzy (nunmehr: Georges) Langrod gehörte, der im Jahre 1948 von Krakau nach Paris emigrierte und später bis Ende der 50er Jahre an der Universität des Saarlandes lehrte.

III. Die Zeit nach dem Jahre 1945 1. Es wäre verfehlt, wollte man annehmen, engere Verbindungen zwischen polnischen und deutschen Juristen (in der Bundesrepublik) habe es erst nach dem Abschluß der sog. Ost-Verträge gegeben. Bereits vorher bestanden etliche Verbindungen dieser Art. Doch versteht es sich von selbst, daß solche Verbindungen mit den „Ost-Verträgen" eine festere politische Grundlage erhalten haben. Das Interesse von deutschen und von polnischen Juristen an einer Intensivierung der Kontakte geht zunächst von einer allgemeinen Neugierde aus: Man möchte sich über den Partner besser informieren, will erfahren, wie sich die Verhältnisse nach 1945 entwickelt haben. Bereits dies mag man als einen Vorteil betrachten; denn solche allgemeinen Kontakte können dazu beitragen, Vorurteile abzubauen. Bei den Kontakten zwischen deutschen und polnischen Juristen geht es aber auch um mehr, nämlich um die Gewinnung fachlicher Kenntnisse,

Ochendowski, aaO., S. 156. Dazu Christoph Kleßmann, Die Selbstbehauptung einer Nation. NS-Kulturpolitik und polnische Widerstandsbewegung, Düsseldorf 1971, S. 132 ff., und Józef Mù}SO, Der Geheimunterricht in Polen, in : Gemeinsame deutsch-polnische Schulbuchkommission: Widerstandsbewegungen in Deutschland und in Polen während des Zweiten Weltkrieges, Braunschweig 1979, S. 67 ff. 52 Vgl. Albert Weh, Übersicht über das Recht des Generalgouvernements, Stand: 1. Januar 1943, Krakau 1943. 50 51

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und zwar keineswegs nur um Kenntnisse für Ost- bzw. West-Experten. Der Umstand, daß nur wenige deutsche Juristen die polnische Sprache kennen, bildet kein ernsthaftes Hindernis. Aus der vorhin erwähnten Entwicklung der Beziehungen resultiert die Tatsache, daß viele polnische Juristen die deutsche Sprache kennen, um nicht zu sagen: beherrschen, ganz davon abgesehen, daß seit einigen Jahren die in Polen an meisten freiwillig gewählte Fremdsprache das Deutsche ist (noch vor dem Englischen und vor dem Französischen), wobei man die Beziehungen Polens zur D D R nicht übersehen sollte, zumals unsere (sehr spärlichen) Kontakte zu Juristen in der D D R bisweilen über Polen oder über Ungarn laufen (müssen). 2. Die fachliche Verständigung mit polnischen Juristen fällt vor allem deshalb nicht schwer, weil das polnische Recht auch heute viele Elemente des sozusagen gemeineuropäischen Rechts enthält, welche Gemeinsamkeiten mit den sog. sozialistischen Staaten wohl doch umfangreicher sind, als man gemeinhin annehmen möchte". Man tritt, hoffentlich, der Führung der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei mit der These nicht zu nahe, daß nirgendwo sonst im Osten als in Polen so viele gesamteuropäische Gemeinsamkeiten bestehen, es sei nur an das Thorner Strafverfahren erinnert. Das Interesse der polnischen Juristen an solchen Kontakten hat vornehmlich Themen zum Gegenstand, die im polnischen Rechtsleben als besonders wichtig und aktuell erscheinen, in erster Linie im Hinblick auf Reformvorhaben. Den Polen geht es darum, die Erfahrungen der ihnen nicht unvertrauten Rechtssysteme auszuwerten. Das bedeutet natürlich nicht bedenkenlose Übernahme von Rechtsfiguren der sog. kapitalistischen Staaten. Wo beim Vergleichen die unabänderbaren Grundlagen der Systeme tangiert werden, muß man sich auf die Feststellung der fundamentalen Unvereinbarkeiten beschränken. Im übrigen aber hat man Spielraum, sich an Erfahrungen anderer Rechtssysteme zu orientieren. Wenn die These richtig ist, daß Polen die am wenigsten totalitäre Volksrepublik ist, dann besteht dort auch der größte Spielraum für den Gedankenaustausch mit den Juristen in anderen politischen Systemen, und der Ertrag eines solchen Austausches ist um so größer, je sorgsamer die fundamentalen Unvereinbarkeiten der politischen Systeme bedacht werden. Für das Zivilrecht (einschließlich des Wirtschaftsrechts) bedeutet

53 Siehe die interessanten Ausführungen bei Andrzej Wçsek,Auslandsstrafrechtskunde und Strafrechtsvergleichung in Polen, Jahrbuch für Ostrecht 24 (1983), S. 61 ff., mit dem wichtigen Zitat des Staatsrechtlers Andrzej Burda. Ferner Franz Mayer, Vergleichende Verwaltungswissenschaft in Polen, Die Verwaltung 7 (1974), 243 ff.

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das polnische Interesse an der rechtlichen Regelung des Marktes deshalb nicht den Versuch, auf dem Schleichweg die „kapitalistische Wirtschaftsweise" einzuführen; denn man hat in Polen, wie schon vorher in Ungarn, erkannt, daß der „Markt" nicht prinzipiell an die „privatkapitalistische" Wirtschaftsweise gebunden ist54. Aus fachlichen Gründen soll hier jedoch das Interesse des deutsch-polnischen Gedankenaustausches am Beispiel des Öffentlichen Rechts erläutert werden. 3. Die fundamentale Unterschiedlichkeit der beiden Rechtssysteme begrenzt auf dem Gebiet des Stadisrechts das Interesse weithin auf die bloße Kenntnisnahme. Das gilt jedenfalls für das Staatsorganisationsrecht und für das Verständnis der Grundrechte 55 . Für die Frage der Verfassungsgerichtsbarkeit trifft diese Feststellung aber schon nicht mehr zu: Polen hat die Absicht, eine Verfassungsgerichtsbarkeit in Gestalt eines Gerichtes einzuführen. Geradezu folgerichtig befaßte sich im vorigen Jahr das erste Kolloquium von deutschen und polnischen Verfassungsjuristen in Köln mit diesem Thema. Das Zentralkomitee der PVAP hat auf seiner letzten Sitzung den Gesetzentwurf der Regierung betreffend das Verfassungsgericht gebilligt, welche Tatsache den meisten bundesdeutschen Massenmedien entgangen ist. Allerdings betrachten polnische Experten die Rolle, die sich das Bundesverfassungsgericht zugewiesen hat, mit merklicher Distanz (wie auch andere ausländische Juristen, etwa die österreichischen). 4. Verständlicherweise ist der Gedankenaustausch zwischen deutschen und polnischen Juristen auf dem Gebiet des Verwaltttngsrechts intensiver, weil hier viel mehr systemindifferentes Gelände betreten wird. Freilich vermochte die bundesdeutsche Seite auf dem Gebiet des Verwaltungsverfahrensrechts den Polen nichts Neues anzubieten 56 . Sie haben ihr stark am österreichischen Recht orientiertes Verwaltungsverfahrensrecht bereits im Jahre 1960 durch eine Novellierung weiterentwickelt 57 . Da die polnischen Juristen, im Gegensatz zu manchem deutschen Juristen, strikt zwischen 54 Dazu etwa Ryszard Maknowski, Verwaltungsrechtliche Probleme der polnischen Wirtschaftsreform, Die Verwaltung 16 (1983), S. 379 ff. 55 Das schließt partielle Vergleiche nicht aus, etwa beim Petitionsrecht oder bei den sog. sozialen Grundrechten. Dazu die einschlägigen Referate in: Józef Kokot und Krzysztof Skubiszewski (Hrsg.), Staatsangehörigkeit/Soziale Grundrechte/ Wirtschaftliche Zusammenarbeit nach dem Recht der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen, Berlin 1976. 56 Es ist jedoch kein Zufall, daß sich im Jahre 1961 der Exilpole Georges Langrod mit dem deutschen Verwaltungsverfahrensrecht eingehend befaßt hat in seiner Schrift: La doctrine allemande et la procedure administrative non contentieuse, Brüssel 1961. 57 Der Text in Carl Hermann Ule (Hrsg.), Verwaltungsverfahrensgesetze des Auslandes, Bd. 1, Berlin 1967, S. 508 ff., mit einer Einleitung von Joseph Litwin.

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Staatsform und Rechtsstaat zu unterscheiden wissen, war die gesetzliche Regelung des Verwaltungsverfahrens in Polen vor allem deswegen besonders wichtig, weil es dort bis zum Jahre 1980 keine Verwaltungsgerichtsbarkeit gab. Die Forderungen des Rechtsstaatsprinzips an die Verwaltung mußten sich in Polen daher auf die Ausgestaltung des Verwaltungsverfahrens konzentrieren. Man kann allerdings verstehen, daß die Polen die bundesdeutsche Kodifikation des Verwaltungsverfahrensrechts nicht als europäisches Jahrhundert-Werk bewundern. Die von maßgeblichen Kreisen der polnischen Rechtswissenschaft und auch von der Verwaltungspraxis erhobene Forderung nach der Einführung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit (ohne Generalklausel) wurde von den politischen Instanzen anerkannt5'. Seit 1980 gibt es aufgrund des Gesetzes über den Verwaltungsgerichtshof und einer Änderung des Verwaltungsverfahrensgesetzes in Warschau den Obersten Verwaltungsgerichtshof, mit Senaten in der Provinz59. Die Rechtsprechung dieses Gerichts, dessen Präsident ein Warschauer Professor des Zivilprozeßrechts ist, der vorher eine Abteilung des Justizministeriums geleitet hatte und der sich als Freund des ermordeten Generalbundesanwalts Buback bezeichnet, hat bereits Aufsehen erregt, vermutlich nicht nur in Polen. Es ist bezeichnend, daß der Verwaltungsgerichtshof öfter Rechtsfehler von Verwaltungsentscheidungen an Mängeln des Verwaltungsverfahrens denn an inhaltlichen Mängeln festmacht. Gewiß haben die polnischen Juristen vor der Schaffung dieses Verwaltungsgerichtshofes die österreichische Tradition der Verwaltungsgerichtsbarkeit bedacht, an welcher das im Jahre 1922 geschaffene polnische Oberste Verwaltungsgericht orientiert war. Man darf jedoch sagen, daß das intensive Studium auch der Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Bundesrepublik Deutschland für die erneute Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit in Polen (1980) nicht ohne Belang war. (In Lublin wird eine Habilitationsarbeit über das Thema „Die Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit in Preußen und die Idee der Selbstverwaltung" vorbereitet.

58 Vgl. für diese Entwicklung die Bemerkungen von Janusz Lçtowski in: Adam Lopatka et al., Probleme der Gesetzlichkeit usw., aaO., S. 108 f. 5 ' In Siegfried Lammich (Hrsg.), Die Staats- und Verwaltungsordnung der Volksrepublik Polen, 2. Aufl., Berlin 1982, S. 315 ff., der Text des geänderten Verwaltungsverfahrensgesetzes; der Text des VGH-Gesetzes bei Miroslaw Wyrzykowski, Die Problematik der Verwaltungsgerichtsbarkeit nach der Novellierung des Verwaltungsverfahrensgesetzbuches in der Volksrepublik Polen, A Ö R 106 (1981), S. 93 ff. Ferner Zbigniew Janowicz, Die Novellierung des Verwaltungsverfahrensgesetzbuches in Polen, Die Verwaltung 14 (1981), S. 59 ff., sowie Eugeniusz Ochendowski, Allgemeine Verwaltungsgerichtsbarkeit und ein neues Verwaltungsverfahren in Polen, D Ö V 34 (1981), S. 167ff.

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Das Max-Planck-Institut für Europäische Rechtsgeschichte in Frankfurt wird dem Verfasser behilflich sein. Ihm ist der Name Rudolf von Gneist nicht unbekannt...).

IV. Schlußbemerkung Das anhaltende Interesse deutscher und polnischer Juristen an der gemeinsamen Erörterung wichtiger Themen könnte man noch durch andere Beispiele belegen. Aber das würde hier zu weit führen. Deshalb soll abschließend kurz dies bemerkt werden: Man darf das Wort des Wiener Rechtshistorikers Brauneder, wonach vor dem Jahre 1918 im Spiegel der literarischen Produktion eine gesamtdeutsche Verwaltungsrechtswissenschaft faßbar werde, auf weitere wichtige Bereiche des Rechtes ausdehnen60. So muß es sich damals auch den polnischen Juristen gezeigt haben. Diese Verbindungen sind auch nach dem Jahre 1918 trotz der großen politischen Spannungen zwischen dem Deutschen Reich und dem neuen Polen nicht ernsthaft beeinträchtigt worden. Sie haben sogar die späteren schlimmen Zeiten weithin überdauert. Das gilt auch in personeller Hinsicht. Die Tatsache nämlich, daß es in Polen zwischen 1939 und 1945 so gut wie keine Kollaboration gab und daß bis etwa zum Jahre 1949 die innerpolitische Lage noch einigermaßen offen war, hat auch in Justiz und Verwaltung eine beachtliche personelle Kontinuität gewahrt. Zumal man die Tradition der einstmals so angesehenen, nunmehr verlorenen Universitäten Lemberg und Wilna auch durch die Wiederverwendung der dortigen Rechtslehrer in den Universitäten Volkspolens (Breslau bzw. Thorn) fortzuführen gewillt war. Auf dieser Uberlieferung - wenn auch gewiß nicht allein - wurden die jungen Juristen Volkspolens ausgebildet und wurde der wissenschaftliche Nachwuchs herangezogen. Selbst die sog. stalinistische Zeit in Polen hat daran nicht viel geändert. Die dann einsetzenden Rechtsreformen in Polen einerseits und die Gewährleistung intensiverer Kontakte von Juristen mit der deutschen und mit der österreichischen Rechtswelt andererseits haben zu der eingangs erwähnten, in der Tat erstaunlichen Situation geführt. Es zeugt von außerordentlicher Lebenskraft des ius europaeum, daß es sich trotz großer Umbrüche und sehr weit reichender Änderungen bis heute zu erhalten vermochte. Solche Gemeinsamkeiten von Juristen in Europa sind - unbeschadet der fundamentalen Unterschiede der politischen Systeme - für Polen, wo die Juristen ein Ansehen genießen wie kaum anderswo, nicht ohne politische Relevanz.

Brauneder in: Wissenschaft und Recht der Verwaltung seit dem Ancien Régime, aaO., S. 282. 60