Friede durch Recht?: Vortrag gehalten vor der Juristischen Gesellschaft zu Berlin am 23. Januar 1985 9783110874952, 9783110105810


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German Pages 30 [32] Year 1985

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Table of contents :
I. Friedenssicherung in der europäischen Geistesgeschichte und im Völkerrecht
II. Friedensverträge als Instrumente der Friedenssicherung
III. Das Völkerbundmodell: Kriegsverhütung als Kombination von kollektiver Sicherheit, Schiedsgerichtsbarkeit und Abrüstung
IV. Kriegsverhütung in der Ära der Vereinten Nationen
V. Friedenssicherung als Aufgabe der Politik
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Friede durch Recht?: Vortrag gehalten vor der Juristischen Gesellschaft zu Berlin am 23. Januar 1985
 9783110874952, 9783110105810

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Wilhelm G. Grewe Friede durch Recht?

Schriftenreihe der Juristischen Gesellschaft zu Berlin Heft 94

W DE _G 1985

Walter de Gruyter · Berlin · New York

Friede durch Recht? Von Wilhelm G. Grewe

Vortrag gehalten vor der Juristischen Gesellschaft zu Berlin am 23. Januar 1985

w DE

G 1985

Walter de Gruyter · Berlin · N e w York

Prof. Dr.jur. Wilhelm G. Grewe

Botschafter a. D.

CIP-Kurztitelaufnahme

der Deutschen Bibliothek

Grewe, Wilhelm G.: Friede durch Recht? : Vortrag gehalten vor d. Jurist. Ges. zu Berlin am 23. Januar 1985 / von Wilhelm G. Grewe. - Berlin ; New York : de Gruyter, 1985. (Schriftenreihe der Juristischen Gesellschaft zu Berlin ; H. 94) ISBN 3-11-010581-0 NE: Juristische Gesellschaft (Berlin, West): Schriften= reihe der Juristischen Gesellschaft e. V. Berlin

© Copyright 1985 by Walter de Gruyter & C o . 1000 Berlin 30 Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner F o r m (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Printed in Germany Satz und D r u c k : Saladruck, Berlin 36 Bindearbeiten: Verlagsbuchbinderei Dieter Mikolai, Berlin 10

I. Friedenssicherung in der europäischen Geistesgeschichte und im Völkerrecht In einer Studie über „Modelle der Friedenssicherung" hat der bekannte Marxismus-Forscher und Soziologe Iring Fetscher sieben gleichsam klassische Modelle der Friedenssicherung beschrieben 1 , die im Laufe der abendländischen Geschichte entworfen und jeweils von höchst prominenten Figuren der Geistesgeschichte vertreten worden sind - angefangen von Dantes Weltstaatsgedanken bis hin zu Toynbees Plädoyer f ü r eine Weltregierung, David H u m e s und Friedr. v. Gentz' Ideen über die "balance of p o w e r " als Instrument der Friedenssicherung, von Bentham's und Adam Smith' Vorstellungen von einer durch Freihandel befriedeten Welt bis zu Rousseaus Bild einer auf der Grundlage der Autarkie friedlich koexistierenden Staatengesellschaft (Fichtes „Geschlossenem Handelsstaat"), von Kants Entwurf f ü r einen auf republikanische Verfassungen gegründeten „ewigen Frieden" bis z u m „Weltfrieden durch Sozialismus" in einer staatenlosen Welt klassenloser Gesellschaften, wie sie Karl Marx im Kommunistischen Manifest propagiert hatte, schließlich bis hin zum Weltfrieden durch den Abbau individueller Aggressivität - ein Konzept, das der Autor bei Konrad Lorenz, Sigmund Freud und Herbert Marcuse verfolgt, wobei er in Marcuses Theorie der „repressionsfreien Zukunftskultur" eine Weiterbildung der Lehre von der klassenlosen Gesellschaft sieht. U n t e r diesen sieben Modellen befindet sich keines, das sich in erster Linie des Rechts als eines Instruments der Friedenssicherung hätte bedienen sollen. Gibt es überhaupt solche Modelle und hätten sie mehr Beachtung verdient? H a t die Völkerrechtswissenschaft ihre Aufgabe verfehlt und verabsäumt, geeignete rechtliche Instrumente der Friedenssicherung zu entwickeln? (Dieser Vorwurf ist ihr häufig genug, besonders aus den Reihen der Politikwissenschaftler, gemacht worden). O d e r hätte man ihr damit eine Aufgabe zugemutet, die sie überfordert und ihren wahren Auftrag verfälscht hätte? Ein Blick auf die Geschichte des Völkerrechts zeigt, daß Friede und Friedenssicherung, anders und negativer ausgedrückt: Verhütung und Bändigung des Krieges, von jeher das Zentralproblem des Völkerrechts überhaupt waren. Es ist bezeichnend, daß die erste umfassende und systematische Darstellung des neuzeitlichen Völkerrechts, das viel zitierte

' Iring Fetscher, Modelle der Friedenssicherung. 3. Aufl. München 1972.

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und viel mißdeutete H a u p t w e r k des H u g o Grotius von 1625, den Titel « D e jure belli ac pacis» trug. Grotius stand damit durchaus in der geistigen Tradition des christlichen Mittelalters, das seit Augustinus und T h o m a s von A q u i n in immer neuen Variationen das Problem des «bellum j u s t u m » , des gerechten Krieges, aber auch seines notwendigen K o m p l e mentärbegriffes, des gerechten Friedens, durchdacht hatte. A u c h die Lehre v o m «bellum j u s t u m » zielte ja nicht darauf ab, den Krieg als Mittel der Politik z u rechtfertigen oder gar zu glorifizieren, wenngleich sie von Machthabern aller Arten immer wieder dazu mißbraucht worden ist - sie wollte ihm vielmehr Schranken setzen und ihn insoweit, als man ihn nicht verhüten konnte, wenigstens bändigen, seine Schrecken vermindern, die Mittel und Methoden der Kriegsführung humanisieren und die Wiederherstellung des Friedens erleichtern. Zwei Wege hat man dabei vor allem beschritten, die zu dem gleichen Ziele - der Sicherung des Friedens - führen sollten, die sich also nicht ausschlossen, sondern ergänzten: 1. die Festigung des nach beendetem Kriege wiedergewonnenen Friedens durch Friedensverträge, die seine Bewahrung soweit wie m ö g lich gewährleisteten, in dem sie die künftigen Beziehungen der Vertragspartner auf eine stabile Grundlage stellten, keinen neuen Konfliktstoff schufen und ein K l i m a der Verständigung und Versöhnung förderten; 2. Vorkehrungen, u m im Falle des A u f k o m m e n s neuer Konflikte ihre gewaltsame A u s t r a g u n g zu verhüten.

II. Friedensverträge als Instrumente der Friedenssicherung Friedensverträge gehören zu den ältesten Institutionen des Völkerrechts überhaupt 2 . Was aber „ F r i e d e " ist und was ein Friedensvertrag leisten kann und leisten sollte - darüber hat sich in 3000 Jahren keine übereinstimmende Vorstellung herausgebildet, und das gilt, trotz aller Bemühungen der Friedensforscher, bis auf den heutigen T a g . In dem unter dem Patronat der U n i o n Academique Internationale veröffentlichten «Dictionnaire de la terminologie du droit internationale» findet man die lapidare Definition, Frieden sei «absence de guerre»:

«situation,

existant entre deux ou plusieurs Etats qui ne sont pas ou ne sont plus en

2 Jörg Fisch, Krieg und Frieden im Friedensvertrag. Eine universalgeschichtliche Studie über Grundlagen und Formelemente des Friedensschlusses, Stuttgart 1979eine Arbeit, die trotz einiger von völkerrechtswissenschaftlicher Seite kritisierter Mängel eine hilfreiche Erschließung des Quellenmaterials erbringt.

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guerre»'. Frieden also als „Nichtkrieg" - ein „negativer" Friedensbegriff, den die moderne Friedensforschung entrüstet als unzulänglich kritisiert und dem sie einen „positiven" Friedensbegriff gegenüberzustellen sich bemüht. Das ist ihr bis heute nicht überzeugend gelungen - worauf ich noch zurückkommen werde. Die Wurzeln dieser Auseinandersetzung über das Doppelgesicht des Friedens reichen jedoch, was den meisten heutigen Friedensforschern kaum noch bewußt ist, weit zurück, über die großen Naturrechtslehrer der frühen Neuzeit bis weit ins christliche Mittelalter: für Augustinus wie auch für Thomas von Aquin bis hin zu den Denkern der spanischen Spätscholastik war der Friede nicht nur ein Zustand des Nichtkriegs, sondern unlösbar verbunden mit der Gerechtigkeit: pax et iustitia gehörten zusammen. Die iustitia des irdischen Friedens darf allerdings nicht mit dem himmlischen, dem „wahren Frieden" (vera pax) des Gottesreiches verwechselt und vermischt werden, wie es die heutigen Verkünder eines eschatologischen Friedens unbekümmert zu tun pflegen (Dolf Sternberger hat sie in einem beachtenswerten Vortrag „über die verschiedenen Begriffe des Friedens" zu belehren versucht) 4 . - Der Zusammenhang von pax und iustitia löste sich mit der Reformation. Die konfessionell gespaltene Christenheit konnte sich über die iustitia als fundamentum pacis nicht mehr einigen. Thomas Hobbes markiert am deutlichsten den großen geistesgeschichtlichen Wendepunkt: sein für den innerstaatlichen Frieden, die pax civilis, geprägter Kernsatz «Auctoritas non Veritas facit legem» gilt auch für den zwischenstaatlichen Bereich und läßt sich abwandeln zu dem Satz: «Securitas non iustitia facit pacem». Sicherheit erhält den Vorrang vor Gerechtigkeit, denn ohne sie kann es gar keine Gerechtigkeit geben. Zwei Folgerungen ergeben sich daraus: Auch Hobbes konnte den Frieden als absentia belli, als Nicht-Krieg definieren: " T h e time, which is not war, is peace" 5 . Zum anderen ist ihm der Friede nur vorstellbar als Folge eines friedenstiftenden Aktes, einer alle Streitigkeiten beendenden autoritativen Entscheidung; die aber kann im Verhältnis der Staaten zueinander nur durch einen Vertrag herbeigeführt werden. Status pacis und pactum pacis wurden identisch, der Friedensvertrag begründete den Friedenszustand. In beiden Punkten folgten dem auch jene Denker des rationalistischen Naturrechts, die im

3 Dictionnaire de la terminologie du droit internationale. Publie sous le nage de l'Union Academique Internationale. Paris 1960. p.435. 4 Über die verschiedenen Begriffe des Friedens (Sitzungsberichte der Gesellschaft a. d. Joh. Wolfg. Goethe-Universität Frankfurt a.M. XXI/1,) gart 1984. 5 De corpore, 1,11. Über den einschlägigen Passus im „Leviathan" vgl.

berger, a. a. O., Anm. 10, S. 25 f.

patroWiss. StuttStern-

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übrigen mit Hobbes nicht übereinstimmten (ζ. B . nicht mit seiner grundlegenden Annahme vom «bellum omnium contra omnes» als dem vorstaatlichen und vorgesellschaftlichen Naturzustand des menschlichen Zusammenlebens). Ihnen allen erschien - im Inneren sowohl wie im Außenverhältnis der Staaten zueinander - eine Friedensordnung, die Gewaltanwendung ausschloß oder beschränkte, die Sicherheit, berechenbares Recht und eine funktionierende Justiz verbürgte, ein so hohes Gut, daß man nicht bereit war, sie um einer zwar strengeren Normen der Gerechtigkeit genügenden, aber ungewissen Ordnung willen aufs Spiel zu setzen. Dies bedeutete jedoch nicht, daß der Friede - sei es in der Theorie vor oder nach Hobbes, sei es in der Praxis der großen europäischen Friedensverträge - auf die bloße Beendigung der Gewaltanwendung reduziert worden wäre. Bis in unser Jahrhundert hinein blieb vielmehr im Völkerrecht der Gedanke lebendig, daß der Friedensvertrag, wenn er Bestand haben solle, mehr leisten müsse: daß er einen Schlußstrich unter Gewalttaten und begangenes Unrecht setzen und den Weg zur Versöhnung der vormaligen Gegner öffnen müsse, daß er keine Seite demütigen und niemandem unerträgliche Bedingungen auferlegen dürfe; und daß dadurch die Grundlage für einen künftigen friedlich-freundschaftlichen Verkehr gelegt werden müsse. Diesem Zwecke dienten die in allen Friedensverträgen ausnahmslos enthaltenen Amnestie-Klauseln 6 . «In amnestia consistit substantia pacis» - so hatte 1625 ein Zeitgenosse des Hugo Grotius (namens Gudelinus; Verfasser eines Traktats «de iure pacis») geschrieben. Zu dem für einen echten Friedensschluß grundlegenden Gedanken der Amnestie im weitesten Sinne gehört auch, daß die Frage der Kriegsschuld nicht aufgeworfen und Forderungen nach Kriegsentschädigungen nicht gestellt oder doch eng begrenzt werden. Alberico Gentiii, der in England lebende italienische Emigrant, der zu den frühen Klassikern des Völkerrechts gerechnet wird, schrieb 1588: „Der Sieger darf nicht Kriegs-Entschädigungstribute und territoriale Abtretungen in solchem Ausmaß verlangen, daß dadurch die Errichtung eines dauerhaften Friedens gefährdet wird." Der Sieger, der einen Frieden anbietet, der sich seinem materiellen Inhalt nach über solche Schranken hinwegsetzt, ist im Unrecht 7 . Grotius selbst bezeichnet es als das beste Ende der Kriege, wenn unter gegenseitiger Verzeihung ein Vergleich zustande komme (III, 20, L, 2).

' Zahlreiche Belege bei Fisch, a.a.O., Kap. 1. 7 Grewe, Epochen der Völkerrechtsgeschichte, Baden-Baden 1984, S. 250.

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E r zitiert antike Schriftsteller, die jene Verträge preisen, welche den H a ß und das Andenken an das erlittene Unrecht tilgen (III, 20, X V I I ) . Was die Kriegsschäden anlangt, so muß nach seiner Meinung angenommen werden, daß in Ermangelung besonderer Vereinbarungen kein Anspruch erhoben werden kann. Im Zweifel müsse man annehmen, daß der Wille der kriegführenden Teile dahingeht, keinen von beiden als den im Unrecht Befindlichen zu bezeichnen (III, 20, X V ) . Diese Sätze sind bei Grotius um so bemerkenswerter, als er ja im übrigen meist als ein dezidierter Vertreter der Lehre vom bellum justum gilt und von den modernen Vertretern der den Angriffskrieg diskriminierenden Lehren als geistiger Ahnherr betrachtet wird - wobei allerdings viele Mißverständnisse und Fehldeutungen zu berichtigen sind". Ich kann hier keine vollständige Geschichte der Idee des in solchem Sinne „gerechten" Friedens geben; es mag genügen, besonders noch auf Kant zu verweisen, der zu diesem Thema einen wesentlichen Beitrag geliefert hat, der sich mit einigen Stichworten wie folgt kennzeichnen läßt: Kein Staat darf sich im Kriege mit einem anderen solche Feindseligkeiten erlauben, welche das wechselseitige Zutrauen im künftigen Frieden unmöglich machen müssen . . . Irgendein Vertrauen auf die Denkungsart des Feindes muß mitten im Kriege noch übrig bleiben, weil sonst auch kein Frieden abgeschlossen werden könnte und die Feindseligkeiten in einen Ausrottungskrieg ausschlagen würden. Keiner von beiden Teilen kann für einen ungerechten Feind erklärt werden, weil das schon einen Richterspruch voraussetzt. Zwischen Staaten läßt sich kein Bestrafungskrieg denken. Es soll kein Friedensschluß für einen solchen gelten, der mit dem geheimen Vorbehalt des Stoffs zu einem künftigen Krieg gemacht worden. D e r Frieden muß seinem Wesen nach einen neuen Anfang in den gegenseitigen Beziehungen der Kriegsgegner setzen. Auf Zurückliegendes sollte nicht zurückgegriffen werden . . . Dieses alles steht in Kants Traktat „Zum ewigen Frieden", der allerdings auch einige illusionäre Vorstellungen darüber enthielt, wie man den Frieden sichern könne: „republikanische Verfassungen", meinte er, seien die beste Garantie für ewigen Frieden (wobei er unter „republikanisch" eine auf Freiheit, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und demokratische Mitbestimmung aller Bürger gegründete Verfassung versteht). Viele unserer heutigen Friedensforscher huldigen dieser Illusion und glauben, daß demokratische

oder

demokratisch-sozialistische

Gesellschaften

ihrer

Natur nach friedliebend seien. Aber in bezug auf die Friedensliebe der

» Grewe, Grotius - Vater des Völkerrechts? Der Staat, 23. Bd. 1984, H.2, 161 ff.

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Demokratien hatte sich schon Kant geirrt. Als er im Jahr des Basler Friedens (1795) seinen Traktat veröffentlichte, hätte ihn schon ein Blick auf die ideologisch verbrämtem Eroberungskriege der französischen Revolutionsheere eines Besseren belehren können. Die im 19. Jahrhundert ausgetragenen Kriege, vom Opiumkrieg über den Krimkrieg, die nationalen Einigungskriege Italiens und Deutschlands, bis zum Burenkrieg, waren weder von absolutistischen Monarchen noch von totalitären Diktatoren entfesselt worden. Die bürgerlichen Gesellschaften, ihre Parlamente und ihre Presse haben sie stets mitgetragen. Was die Staaten mit sozialistischer Gesellschaftsordnung anlangt, so haben sie uns in den vergangenen Jahrzehnten mehrfach demonstriert, daß ihre Friedensliebe selbst im Verhältnis sozialistischer „Bruderstaaten" zueinander höchst zweifelhaft ist: China hat gegen Vietnam, Vietnam gegen Kambodscha Krieg geführt. Mit der kommunistischen C S S R kam es 1968 nur deswegen nicht zum Kriege, weil diese einem bewaffneten Überfall keinen Widerstand leistete; mit Polen 1981 deswegen nicht, weil die an den polnischen Grenzen angeblich zu Manövern zusammengezogenen Sowjettruppen genügten, um die polnische Regierung zur Verhängung des Kriegszustandes und zur Unterdrückung der oppositionellen Gewerkschaftsbewegung zu veranlassen. Der Hauptteil der Kantischen Philosophie des Friedens jedoch, der auf den Gedanken der Amnestie, der Versöhnung, der Mäßigung und des Ausgleichs beruht und die von Gentiii und Grotius überkommene Tradition fortsetzt, spiegelt sich in den großen Friedensverträgen dieser Jahrhunderte: Die Friedensverträge von Münster und Osnabrück beginnen mit dem beiderseitigen Gelöbnis, daß nunmehr ein christlicher, allgemeiner und dauernder Friede, eine wahre und aufrichtige Freundschaft zwischen den bisherigen Feinden herrschen solle; daß gegenseitig Vergebung und Amnestie (perpetua oblivio et amnestia) für alles gewährt werden solle, was man sich angetan. Bis zum Ende des 1. Weltkrieges (genauer gesagt bis zu den deutschen Ost-Friedensverträgen von 1918) liegt das Prinzip der Amnestie den Friedensverträgen zugrunde, ausdrücklich oder stillschweigend, und wenn es nicht im Friedensvertrag selbst verankert wird, dann in voraufgehenden Waffenstillstands- oder Präliminarverträgen. Eine Durchbrechung dieser Kontinuität läßt sich nur in der Zeit der Französischen Revolution feststellen - deren völkerrechtspolitische Ideen überhaupt vieles vorweggenommen haben, was sich nach 1919 durchsetzte, bis hin zu den Leitgedanken der Nürnberger Prozesse. Der Westfälische Friede legte zugleich die Grundlage für den konfessionellen Frieden in Europa und beendete das ideologische Zeitalter der Religionskriege. Seine Bestimmungen über den Schutz religiöser Minder-

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heiten fanden später ihre Fortsetzung in friedensvertraglichen Garantien zum Schutze nationaler Minderheiten, die noch in den Pariser Vorortverträgen von 1919 eine bedeutende Rolle spielten. Abgesehen von diesen Prinzipien der Amnestie, der Zurückhaltung gegenüber Schuldzuschreibungen und drückenden Kriegsentschädigungen, der Bemühung um Wiederherstellung freundschaftlicher Beziehungen kommt bei den großen multilateralen, das ganze europäische Staatensystem berührenden Friedensverträgen ein anderes, wichtiges Element hinzu: Es lag ihnen stets, ausdrücklich oder stillschweigend, die Vorstellung zugrunde, daß es darauf ankomme, eine neue stabile und tragfähige politische Ordnung zu schaffen, wobei einerseits der Gedanke eines Gleichgewichts der Kräfte und der Verhütung eines hegemonialen Ubergewichts einer einzelnen Macht im Vordergrund stand, andererseits die Uberzeugung zugrunde lag, daß sich die neuzubegründende politische Ordnung um einen für alle tragbaren Ausgleich bemühen müsse, um Ausgewogenheit und Mäßigung, um die Vermeidung von machtpolitischen Exzessen der Siegermächte. Das «justum potentiae aequilibrium», das europäische Gleichgewicht, ist im Frieden von Utrecht 1713 ausdrücklich als maßgebliches Ordnungsprinzip verankert worden. Ohne ausdrücklich erwähnt zu werden, lag es nicht minder dem Westfälischen Frieden und dem Vertragswerk des Wiener Kongresses zugrunde' - ebenso wie das Prinzip der Mäßigung, zu dem schon Machiavelli geraten hat. In seinen «Discorsi» findet sich ein Kapitel, das die Überschrift trägt: „Weisen Fürsten und Republiken muß es genug sein, zu siegen; denn größtenteils verliert man, wenn man sich nicht damit begnügt." (II, 27) Den Staatsmännern, die auf dem Wiener Kongreß eine stabile politische Ordnung Europas zu rekonstruieren suchten, war dieser Erfahrungssatz geläufig; sie verwirklichten ihn, indem sie dem besiegten Frankreich sofort wieder eine bedeutende Rolle im europäischen Mächtekonzert einräumten. Bismarck war sich seiner bewußt und hat danach zu handeln versucht, mit Erfolg in Nikolsburg 1867, weniger in Frankfurt 1871. Auch Präsident Wilson hat noch im Januar 1917 solchen Einsichten nicht ferne gestanden. Noch zu diesem Zeitpunkt wandte er sich gegen alle Bestrebungen, die auf einen „totalen" Sieg gerichtet waren: „Ein Friede, der dem Verlierenden aufgezwungen wird, Bedingungen, die dem Besiegten vom Sieger auferlegt werden, werden als eine Demütigung empfunden werden, als Zwang, als unerträg-

' Hierzu wie zum Gesamtzusammenhang Ulrich Scheuner, Die großen Friedensschlüsse als Grundlage der europäischen Staatenordnung zwischen 1648 und 1815. Festgabe für Max Braubach, Münster 1964, S. 220-250.

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liches Opfer, sie werden Ressentiment und bittere Gefühle erzeugen, auf denen dann die Friedensbedingungen ruhen - wie auf Flugsand." In einer Analyse des 1. Weltkriegs hat George Kennan ("American Diplomacy") an diese Worte Wilsons erinnert 10 und darauf hingewiesen, daß sie nach dem Kriegseintritt der U S A sofort durch die machtvollen Wogen der Kriegspsychose hinweggeschwemmt wurden. Entgegen den überlieferten Prinzipien des Mächtegleichgewichts sei ein Vernichtungskrieg geführt worden und sein Ergebnis sei mit tödlicher Logik auf das hinausgelaufen, was Wilson prophezeit habe: ein aufgezwungener, demütigender Frieden, der nur H a ß und Erbitterung geschaffen habe und wie auf Flugsand gebaut gewesen sei; jener Friede, von dem der französische Historiker Bainville gesagt habe, er sei zu milde gewesen für die Härten, die er enthielt - wozu wiederum schon Machiavelli, überspitzt, wie häufig, das Entscheidende gesagt hat: „Wenn man über das Schicksal mächtiger Staaten zu entscheiden hat, die an politische Freiheit gewöhnt sind, so muß man sie entweder vernichten oder besonders gut behandeln. Jede andere Entscheidung ist Unsinn." Die politische Ordnungsaufgabe, der sich die großen Friedensverträge bis zum 1. Weltkrieg verpflichtet fühlten, drückte sich auch darin aus, daß zu ihrer Aushandlung und Unterzeichnung auch solche Mächte herangezogen wurden, die gar nicht zu den Kriegführenden gehört hatten; oder auch darin, daß zusammen mit dem Friedensvertrag einzelne regelungsbedürftige Fragen des allgemeinen Völkerrechts in ergänzenden Vertragsinstrumenten kodifiziert wurden. U m zusammenzufassen: Wenngleich man sich in dieser Epoche nicht berufen fühlte, im Friedensvertrag ein allgemeines Gerechtigkeitsprinzip zu verwirklichen, so gab es doch einen Komplex von Rechtsnormen, sittlichen Geboten, Anstandsregeln, Forderungen der Billigkeit, Regeln der Vernunft und Maximen der praktischen Staatskunst, denen die inhaltliche Gestaltung des Friedensvertrages unterworfen war, denen sich die Vertragschließenden verpflichtet fühlten und an denen ihr Werk gemessen wurde. Seit dem Ende des 1. Weltkrieges haben wir einen ständigen Niedergang dieser großen europäischen Tradition des Friedensschlusses - die man mit Recht eine „verlorene Kunst" genannt hat" - erlebt. Die Friedensverträge von 1919 wurden nicht wirklich verhandelt, sondern praktisch dem Besiegten einseitig auferlegt. Statt Amnestie enthielten sie Kriegsschuldartikel, Bestimmungen über die Auslieferung und Bestrafung American Diplomacy 1900-1950, Chicago, 111., 1951, S. 66 f. 69. " Hans von Η entig, Der Friedensschluß. Geist und Technik einer verlorenen Kunst. München. 1965. 10

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von Kriegsverbrechern, drückende Reparationslasten. Aus der Zerschlagung der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie und der Fortexistenz eines einheitlichen, aber isolierten, diskriminierten und entmilitarisierten Deutschlands zwischen Ost und West ging kein stabiles neues Gleichgewichtssystem hervor. Der Genfer Völkerbund erwies sich als unfähig, die ihm zugedachte Aufgabe der Friedenssicherung zu erfüllen. Nach dem Ende des 2. Weltkrieges konnten sich die Siegermächte auf keine Friedensverträge mehr einigen. Zwar Schloß man 1947 mit Italien, Finnland und den Balkanstaaten sogenannte „Friedensverträge" ab - diese waren jedoch ihrem Rechtscharakter nach mehr einseitige Deklarationen als Verträge. Der für die Neuordnung Europas entscheidende Friedensvertrag mit Deutschland kam nicht zustande. Der Friedensvertrag mit Japan mußte ohne Beteiligung der Sowjetunion geschlossen werden. Alle kriegerischen Konflikte der letzten Jahrzehnte wurden ohne Friedensvertrag beendet. Der einzige bedeutsame Friedensvertrag der letzten Jahre, der in Camp David vereinbarte ägyptisch-israelische Vertrag, war gewiß ein Dokument, das zu Hoffnungen ermutigte - aber seine eigentliche Bewährungsprobe liegt immer noch vor ihm. Ich schließe daher diesen 1. Teil meiner Betrachtungen, der sich mit der Friedenssicherung durch Friedensverträge befaßte, mit der Feststellung, daß diese verlorene Kunst erst wieder erlernt werden muß.

III. Das Völkerbundmodell: Kriegsverhütung als Kombination von kollektiver Sicherheit, Schiedsgerichtsbarkeit und Abrüstung Der andere große Aspekt der Friedenssicherung betrifft die Kriegsverhütung. In den Lehrbüchern der Völkerrechtsgeschichte sind eine Reihe von Projekten verzeichnet, mit denen im Verlaufe der Jahrhunderte der Versuch unternommen wurde, eine Organisation der Staatenwelt zu entwerfen, die den kriegerischen Austrag von Streitigkeiten verhüten sollte. Die bekanntesten Autoren solcher Projekte waren der normannische Advokat Pierre Dubois, der 1308 für Philipp den Schönen von Frankreich einen Plan entwarf, den man nach dem 1. Weltkrieg gelegentlich als einen frühen Vorläufer des Völkerbunds bezeichnete. Andere Projekte ähnlicher Zielrichtung stammten von dem Böhmenkönig Georg von Podiebrad (1462), von Maximilien de Bethune, Due de Sully, dem Minister Heinrichs IV. (um 1635), von Abbe de St. Pierre, einem Sekretär des französischen Bevollmächtigten bei den Utrechtern Friedensverhandlungen (1712). Alle diese Projekte sind ein Gemisch aus utopischen Vorstellungen von der Organisation eines „ewigen Friedens" und sehr

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konkreten Überlegungen, ihn in föderativen F o r m e n mit Hilfe einer Hegemonialmacht zu etablieren 12 . D i e meisten von ihnen bezogen Institutionen zur friedlichen Streitschlichtung, vorwiegend schiedsgerichtlicher Art, in ihre Pläne ein, ohne jedoch damit das politische Kräftespiel durch rechts- und gerichtsförmige Verfahren ersetzen zu wollen. Praktische Bedeutung haben alle diese Projekte nicht erlangt. Dies war erst dem Genfer Völkerbund von 1919 beschieden - der gleichwohl im Mißerfolg endete. D i e G r ü n d e seines Scheiterns müssen uns beschäftigen, weil sie für das Problem der Kriegsverhütung von bleibender Bedeutung sind. D e r A u s d r u c k „Kriegsverhütung" in einem ganz spezifischen und präzisen Sinne ist damals als Oberbegriff für das v o m

Völkerbund

erstrebte und weitgehend realisierte System der Friedenssicherung geprägt worden' 3 , das sich aus drei K o m p o n e n t e n zusammensetzte: Kollektive Sicherheit, A b r ü s t u n g , Schiedsgerichtsbarkeit. Kollektive Sicherheit bedeutete die Verpflichtung der VölkerbundMitglieder, sich gegenseitig gegen jede bewaffnete Aggression beizustehen und sich gegebenenfalls an den in Art. 16 der Satzung vorgesehenen Sanktionen gegen den Angreifer zu beteiligen. Zur A b r ü s t u n g enthielt der Art. 8 den ziemlich verklausulierten und auslegungsfähigen G r u n d s a t z , daß „die Aufrechterhaltung des Friedens eine H e r a b s e t z u n g der nationalen Rüstungen auf das Mindestmaß erfordert, das mit der nationalen Sicherheit und mit der Erzwingung internationaler Verpflichtungen durch gemeinschaftliches Vorgehen vereinbar ist". Er bildete die Grundlage von Verhandlungen, in denen man in Genf unter den Auspizien des Völkerbundes viele Jahre eine Abrüstungskonferenz vorbereitete, die schließlich 1932 zusammentrat und schon ein J a h r später scheiterte. D i e friedliche Beilegung von Streitigkeiten durch ein Schiedsverfahren endlich war in Art. 12 V B S als eine von drei den Völkerbundmitgliedern zur Wahl überlassenen Möglichkeiten vorgeschrieben. D i e beiden anderen Wege waren die Befassung des 1920 durch den Völkerbund errichteten Ständigen Internationalen Gerichtshofes (des Vorläufers des heutigen Internationalen Gerichtshofes der Vereinten Nationen im H a a g ) oder aber des Völkerbundrates. Dieses System der friedlichen Streiterledigung blieb lückenhaft und unvollkommen. Eine schiedsgerichtliche Entschei-

12 Texte in Auswahl bei H.J. Schlochauer, Die Idee des ewigen Friedens. Bonn 1963. 13 Aus der ausgedehnten Literatur seien hier nur genannt: Barandon, Das Kriegsverhütungsrecht des Völkerbundes, Berlin 1933; O. Göppert, Der Völkerbund. Organisation und Tätigkeit, Handbuch des VR IV Bd. I Abt. B, Stuttgart 1933.

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dung setzt stets voraus, daß sich beide Streitteile ihm freiwillig unterwerfen, daß sie sich über die Person der Schiedsrichter, über das Verfahren und das anzuwendende Recht einigen - was bei politisch brisanten Streitfragen meist mißlingt. Auch der Ständige Internationale Gerichtshof konnte nur entscheiden, wenn sich beide Seiten in jedem Einzelfall seiner Jurisdiktion unterwarfen, soweit sie das nicht generell im voraus durch Unterzeichnung einer sogenannten „Fakultativ-Klausel" getan hatten. Der Völkerbundrat selbst konnte letztlich nur Empfehlungen aussprechen, die eine kriegerische Austragung des Streits allenfalls um drei Monate aufschieben, aber nicht verhindern konnten. Angesichts dieser Schwächen des Völkerbundsystems hat man dieses in den zwanziger Jahren unausgesetzt auszubauen und zu perfektionieren versucht. Ein Kulminationspunkt dieser Bestrebungen war das Genfer Protokoll von 1924. Ein ganzes Bündel von Problemen sollte im Rahmen dieses Protokolls angepackt werden: Das Verbot des Angriffskrieges, die Definition des Angreifers, die Organisation einer wirksamen militärischen Hilfeleistung durch jeden Staat, der das Opfer eines Angreifers geworden war und schließlich der Aufbau eines umfassenden Systems der Streitschlichtung, das über die Vorschriften der Völkerbundsatzung hinaus die obligatorische Unterwerfung der Staaten unter ein mehrstufiges Vermittlungs-, Vergleichs- und Schiedsverfahren forderte. Ein in seiner Weise höchst imposantes Vertragsgebäude war hier entworfen worden, dem auch seine Kritiker nicht bestreiten konnten, daß es gewisse Grundgedanken der Satzung mit unerbittlicher logischer und juristischer Konsequenz zu Ende gedacht und vervollständigt hatte. Das Genfer Protokoll ist praktisch gescheitert. Es wurde nur von wenigen Staaten ratifiziert. Spätere Bemühungen um die Nutzung der Schiedsgerichtsbarkeit im Rahmen der Locarno-Verträge, der Genfer Generalakte von 1928 und zahlloser bilateraler Verträge ändern nichts an der Gesamtbilanz, daß sich dieses Element der Kriegsverhütung in den zwanziger Jahren als Fehlschlag erwiesen hat: Kein einziger der den Frieden bedrohenden Konflikte konnte durch Schiedsspruch, durch Urteil des Ständigen Internationalen Gerichtshofes oder durch den Völkerbundrat beigelegt werden. N u r sekundäre Streitfälle konnten entschärft oder beigelegt werden. Nicht viel besser bewährten sich die beiden anderen Komponenten des Kriegsverhütungssystems des Völkerbundes: kollektive Sicherheit und Abrüstung. Das Sicherheitssystem des Völkerbundes verhinderte weder Japans Eroberung der Mandschurei und die Besetzung Süd-Chinas noch Mussolinis Überfall auf Äthiopien noch Hitlers Angriff auf Polen oder Stalins Invasion in Finnland. In den späten zwanziger und frühen dreißiger Jahren kehrten daher immer mehr Völkerbundmitglieder zu dem

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traditionellen System des Schutzes ihrer Sicherheit durch bilaterale Bündnisverträge zurück. Die Abrüstungsverhandlungen waren 1933 am Ende einer Sackgasse angelangt. Hitlers Aufrüstung versetzte ihnen 1935 den Todesstoß. Aus diesen Erfahrungen der Zwischenkriegszeit lassen sich einige Lehren für jede gegenwärtige oder zukünftige Bemühung um ein System der Kriegsverhütung ableiten - und dieses ist der Grund, weshalb ich etwas ausführlicher darauf eingegangen bin. Versuchen wir, diese Lehren zu verdichten und sie mit dem heutigen Stand des Problems und seinen Perspektiven für die Zukunft zu verknüpfen.

IV. Kriegsverhütung in der Ära der Vereinten Nationen Systeme „kollektiver Sicherheit" sind nichts anderes als organisatorische und verfahrensmäßige Konkretisierungen eines Gewaltverbots. Ihre Bewertung ist daher abhängig von und kann nur im Zusammenhang mit der Beurteilung der friedenssichernden Funktion eines solchen erfolgen. Schon an diesem Punkte stößt man an die Grenzen der Möglichkeiten einer nur auf das Völkerrecht gegründeten Friedenssicherung. Eine Studientagung der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht über das Thema „Völkerrechtliches Gewaltverbot und Friedenssicherung" kam 1970 einhellig zu der Feststellung, daß das völkerrechtliche Gewaltverbot für sich allein zur Sicherung des internationalen Friedens nicht ausreiche. Einer der Referenten auf dieser Tagung, Michael Bothe, hat sich in einer neuerlichen Studie zum gleichen Thema noch präziser ausgedrückt: es sei „unter den gegebenen Verhältnissen schon fast ein Musterbeispiel einer ineffektiven Norm" 14 . Weshalb ist es unwirksam? Die hohe moralische Akzeptanz, die das Verbot genießt, genügt nicht, um seine Wirksamkeit zu sichern. Es hindert die Inhaber der Macht in aller Welt nicht, nationalen Interessen den Vorrang zu geben - vollends wenn sie glauben oder vorgeben können, daß es sich um Fragen der nationalen Selbsterhaltung oder um den Bestand ihres politischen Systems gehe. Meist bewirkt das Gewaltverbot nur eine Veränderung der Rechtfertigungsstrategie für eine geplante Gewaltanwendung. Das ist es dann, wonach die Juristen gefragt werden nicht, ob die Gewaltanwendung erlaubt ist, sondern wie sie am besten gerechtfertigt werden kann. Selbst einhellige Verurteilung eines geplanten

14 Beiträge des Völkerrechts zur Friedenssicherung? DGFK-Informationen, 2/ 1983, S. 52. - Bericht über die Tagung von 1970: Wilfried Schaumann (Hsg.), Völkerrechtliches Gewaltverbot und Friedenssicherung. Baden-Baden 1971.

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oder schon begonnenen Gewaltaktes durch die Weltöffentlichkeit oder die Vereinten Nationen hat in den meisten Fällen einen zur Gewaltanwendung entschlossenen Angreifer nicht ausreichend beeindruckt, um ihn von der Ausführung oder Vollendung seines Vorhabens abzuhalten. Seit der völkerrechtlichen Statuierung des Gewaltverbots (also seit dem Inkrafttreten der Charter der Vereinten Nationen, 1945, oder, wenn Sie wollen, seit dem Briand-Kellogg-Pakt von 1927) mag die Hemmschwelle etwas höher liegen als früher, mag das Risiko und mögen die in Kauf zu nehmenden Nachteile größer geworden sein. Aber selbst bei einer im Sinne des wohlverstandenen Eigeninteresses angestellten Kosten-NutzenAnalyse werden rationale Abwägungen immer wieder durch Risikobereitschaft überspielt. Es mag Fälle geben - nachweisen lassen sie sich nicht - in denen Rechtsgründe für einen Verzicht auf Gewaltanwendung eine Rolle gespielt haben. Groß ist jedenfalls die Zahl der nachweisbaren Fälle, in denen Gewalt ohne Rücksicht auf entgegenstehende Völkerrechtsverbote angewandt worden ist. Wenn also das Gewaltverbot als bloße Rechtsnorm unwirksam ist, dann stellt sich die Frage, ob es nicht durch geeignete Rahmenbedingungen wirksam gemacht werden kann - ζ. B. durch ein System kollektiver Sicherheit. Ein solches könnte jedoch das Gewaltverbot allenfalls dann effektiv machen, wenn in ihm die Bestimmung des Angreifers und der Eintritt des Beistandsfalles von einem entscheidungsfähigen Zentralorgan mit verbindlicher Wirkung festgestellt werden kann. Im System des Völkerbundes hatte jeder Mitgliedstaat letztlich selbst über das Vorliegen dieses Falles sowie über das ob und wieweit seiner Beteiligung an Sanktionen gegen den Angreifer zu entscheiden. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat zwar, anders als der Völkerbundrat, die Aufgabe, Bedrohungen oder Verletzungen der Friedens- oder Angriffshandlungen festzustellen und entsprechende Maßnahmen anzuordnen - indessen macht das den Großmächten zustehende Vetorecht diese Kompetenz praktisch illusorisch. In der bisherigen Geschichte der Vereinten Nationen ist ein Sicherheitsratbeschluß solchen Inhalts nur ein einziges Mal in einer Ausnahmesituation (weil nämlich damals die Sowjetunion den Sicherheitsrat boykottierte und seinen Sitzungen fernblieb - Korea 1950) zustandegekommen. Er wird sich kaum wiederholen, weil die Großmächte von ihrem Vetorecht nicht nur zu ihrem eigenen Schutz Gebrauch machen, sondern auch schon dann, wenn einer ihrer Schützlinge betroffen ist. Je weiträumiger der Kreis der am Sicherheitssystem Beteiligten, desto geringer ist die Aussicht auf allgemeine oder überwiegende Beteiligung an Sanktionsmaßnahmen. Die meisten Staaten haben keine Neigung, sich in

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Konflikte hineinziehen zu lassen, bei denen ihre eigenen vitalen Interessen nicht unmittelbar betroffen sind. Ist aber das Sicherheitssystem enger begrenzt, so fehlt ihm ein anderes Wirksamkeitserfordernis: es wird dann zweifelhaft, ob der potentielle Angreifer durch die kollektive Beistandsaktion der übrigen Mitglieder des Systems in eine solche Position sicherer Unterlegenheit gerät, daß er abgeschreckt wird, während alle anderen noch bereit sind, das Risiko der Teilnahme an der kollektiven Aktion einzugehen. Die von Moskau vorgeschlagenen Systeme kollektiver Sicherheit zeichnen sich alle dadurch aus, daß sie die Amerikaner eliminieren und dadurch zu Organisationen gelangen, in denen das Ubergewicht der Sowjetunion über alle anderen Partner so erdrückend ist, daß eine kollektive Aktion gegen sie selbst irreal wird15. Kollektive Sicherheit, das lehrt die Geschichte des Völkerbundes ebenso wie die der Vereinten Nationen, kann es nur auf regionaler Basis in einer Bündnis- oder bündnisähnlichen Staatengemeinschaft geben, deren Organe auf der Grundlage ausreichender Interessenhomogenität entschluß- und handlungsfähig sind; in denen die Bedrohung kalkulierbar bleibt und der durch die Partner gewährte Schutz in einem angemessenen Verhältnis zum Ausmaß dieser Bedrohung steht. Aus diesem Grunde waren in den letzten drei Jahrzehnten N A T O und der Warschauer Pakt wirksamere Instrumente der Kriegsverhütung als die Vereinten Nationen. Ihre Auflösung würde beim heutigen Stande nicht der Friedenssicherung dienen, sondern eine gefährliche Destabilisierung in den Ost-West-Beziehungen zur Folge haben. In seiner Studie über „Modelle der zwischenstaatlichen Sicherheit" hat Gerhard Wettig neben dem Gewaltverbot und den Systemen kollektiver Sicherheit zwei heute besonders häufig diskutierte Abwandlungen dieser Systeme untersucht: das Verbot des nuklearen Ersteinsatzes und die Errichtung von kernwaffenfreien Zonen. Das erste läuft auf eine Begrenzung des Krieges und auf eine Relativierung des allgemeinen Gewaltverbots hinaus, die für einen potentiellen Angreifer, der - wie die Sowjetunion auf dem europäischen Schauplatz - über eine konventionell-militärische Überlegenheit verfügt, das Kriegsrisiko auf ein akzeptables Maß herunterdrückt. Das Konzept der kernwaffenfreien Zonen reduziert die Sicherheit der betroffenen Gebiete auf das Vertrauen in ein gegebenes Versprechen, keine Kernwaffen gegen diese Gebiete einzusetzen. Das Ziel ist die Abkoppelung der europäischen Verbündeten von der amerikanischen Nuklearmacht und die Errichtung eines regionalen sowjetischen 15 Hierzu sehr treffend Gerbard Wettig, Modelle der zwischenstaatlichen Sicherheit, Teil I: Sicherheit durch Rechtsetzung. Berichte des Bundesinstituts für ostwiss. und internationale Studien, 39/1984, S. 24 ff.

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Kernwaffenmonopols auf dem europäischen Schauplatz. Ich kann hier nicht näher auf die militärstrategischen Implikationen der beiden Vorschläge eingehen, die von Wettig überzeugend beschrieben werden". Um solche Vorschläge ernst zu nehmen, bedarf es eines Maßes von Naivität, das man den Befürwortern dieser Vorschläge auf westlicher Seite kaum zutrauen mag. Als seriöse Beiträge zur Frage der Friedenssicherung können sie jedenfalls nicht gelten. Abrüstungsverhandlungen, die darauf abzielen, einer Seite diskriminierende Rüstungsbeschränkungen aufzuerlegen oder bestehende Beschränkungen festzuschreiben, haben sich in den dreißiger Jahren als aussichtslos erwiesen; es gibt keine Anhaltspunkte dafür, daß das in Zukunft anders sein würde. Darüber hinaus ist es wenig wahrscheinlich, daß es in einem Klima politischer Spannungen, scharfer machtpolitischer Rivalitäten und tiefer ideologischer Gegensätze zu substantiellen Abrüstungsvereinbarungen kommen kann. Abrüstung kann eine Folge von Entspannung, sie kann nicht deren Ausgangspunkt sein. Die Anfang der sechziger Jahre von den beiden Supermächten lautstark verkündeten Verhandlungspläne für eine „allgemeine und vollständige Abrüstung" waren nicht mehr als zynische Propagandainstrumente, die niemals eine ernsthafte Chance hatten, auch nur annähernd verwirklicht zu werden. Realistischer war es, Priorität der Rüstungskontrolle zu geben. Auch in der Zwischenkriegszeit war es möglich, darüber gewisse Einigungen zu erzielen, wie ζ. B. im Flottenabkommen von Washington 1922, das die Flottenstärken der Hauptseemächte für eine Reihe von Jahren nach bestimmten Verhältniszahlen einfror (5 :5 :3 :1, 75 :1,75 für die Großkampfschiffe der USA, Großbritanniens, Japans, Frankreichs, Italiens). Raymond Aron meinte allerdings, der Flottenvertrag von Washington oder der, den Großbritannien 1935 mit Hitler schloß, hätten nach der wohlwollendsten Interpretation keinerlei Einfluß auf den Gang der Ereignisse gehabt, weder einen günstigen noch einen ungünstigen17. Ein zu negatives Urteil? Tatsache ist, daß der Vertrag von Washington genau die gleichen Mängel aufwies, wie manche heutigen Rüstungskontrollabkommen: Er führte dazu, daß sich die Rüstungsschwerpunkte verlagerten (wie man das auch bei SALT I erlebt hat). An Stelle von Schlachtschiffen wurden Kreuzer, Zerstörer und U-Boote gebaut. Hinzu kam, daß sich das relative Gewicht der Waffensysteme zunehmend veränderte. Mitte der zwanziger Jahre hatte Mussolini noch konstatiert: „In der " Ebd. S. 16-24. Paix et guerre entre les nations. Paris 1962. Dt. Ausgabe: Frieden und Krieg. Eine Theorie der Staatenwelt. Frankfurt 1963, S. 745. 17

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gegenwärtigen Geschichtsperiode bestimmen die Größenmaße der Seestreitkräfte zugleich die Rangordnung der Nationen." Schon zu dieser Zeit wurden unter den Seestreitkräften die Schlachtschiffe nicht mehr als die kriegsentscheidende Waffe angesehen. Anfang und Mitte der dreißiger Jahre nahm die Bedeutung der Luftwaffe rapide zu. Nichts ist bezeichnender, als die durchgängige Weigerung der Vertragsmächte von 1922, irgendwelche Beschränkungen ihrer Luftstreitkräfte ins Auge zu fassen: Alle ahnten, daß diese Waffe in naher Zukunft entscheidend sein würde. Immerhin, die einzigen Teilerfolge, die in den letzten zwanzig Jahren in Genf und New York erzielt werden konnten, liegen sämtlich auf diesem Gebiete: der Teststop-Vertrag von 1963, der Weltraum-Vertrag von 1967, der Kernwaffen-Sperrvertrag von 1968, der MeeresbodenVertrag von 1971, SALT 1 und der ABM-Vertrag von 1972, der Vertrag über bakteriologische und Toxin-Waffen von 1972 (dieser letztere ist der einzige, der ein echtes Stück Abrüstung enthält, weil er die Vernichtung von existierenden Waffenbeständen verlangt - allerdings ohne Kontrolle und in bezug auf Waffen von militärisch zweifelhaftem Wert). Wenn man praktisch erfolgversprechende Friedenssicherung auf dem Gebiete der Rüstungen erstrebt, wird man daher auch in Zukunft seine Bemühungen auf Rüstungskontrollvereinbarungen konzentrieren müssen - wobei man sich allerdings nicht darüber täuschen darf, daß solche Vereinbarungen im Laufe der letzten Jahre infolge des rapiden technologischen Fortschritts immer schwieriger geworden sind und wahrscheinlich von Jahr zu Jahr schwieriger werden; wir nähern uns ζ. B. rasch einem Punkte, an dem die gegenseitige Verifikation von Waffensystemen unmöglich wird. Das letzte Bauelement in dem dreigliedrigen Gebäude des Genfer Kriegsverhütungssystems - die Schiedsgerichtsbarkeit - war für den Geist und die Gesamtkonzeption der damaligen Friedenspolitik besonders bezeichnend: seine Schöpfer huldigten einem Gedanken, der am kürzesten und prägnantesten in dem damals geprägten Schlagwort „Frieden durch Recht" zum Ausdruck kommt. Der Friede, so glaubte man, könne am wirksamsten durch ein umfassendes, juristisch sorgfältig durchkonstruiertes Kriegsverhütungsrecht gesichert werden, in dem die zwangsweise Durchsetzung der grundlegenden Rechtsprinzipien der kollektiven Sicherheit, Kriegsverbot und gegenseitiger Beistand gegen den Angreifer mit obligatorischen Streitschlichtungsverfahren schiedsgerichtlicher oder gar gerichtlicher Art verbunden sein müßten. Das war die dem Genfer Protokoll zugrundeliegende Konzeption. Aus dem Schicksal dieses Projekts und dem Mißerfolg der schiedsgerichtlichen Streitschlichtung hätte man lernen können, daß die Möglichkeiten des Rechts überschätzt werden, wenn man glaubt, das machtpolitische Kräftespiel der Staaten lasse

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sich juridifizieren, in ein System verbindlicher Rechtsnormen einfangen und durch gerichtsförmige Verfahren zum Austrag bringen. Das ist ein Irrglaube, durch den sich manche Juristen, aber noch mehr rfealitätsblinde, idealistische Friedensfreunde haben verführen lassen. Ungerührt durch die Erfahrungen der Zwischenkriegszeit hat einer unserer bekanntesten Staatsrechtslehrer, der nach den Vereinigten Staaten emigrierte, in Berkeley lehrende H a n s Kelsen in einer Schrift von 1944 die Parole "Peace through Law" wiederbelebt. Er wurde noch überboten durch das 1960 erschienene Buch der beiden Harvard-Professoren Clark und Sohn mit dem Titel "World Peace through World Law", das die Vereinten Nationen auf der Basis allgemeiner und vollständiger Abrüstung und „garantiert wirksamer Institutionen" zur Verhinderung des Krieges umzugestalten vorschlug. Grundlegend f ü r diesen Plan sollten mit den Worten der Verfasser - „eindeutige verfassungsmäßige und gesetzesartige N o r m e n gegen zwischenstaatliche Gewaltanwendung mit Androhung geeigneter Strafen" sein, Weltgerichtshöfe zur Auslegung und Anwendung dieser N o r m e n , eine ständige Polizeistreitmacht zu ihrer Durchsetzung, Vermittlungs- und Schlichtungsorgane zur friedlichen Streiterledigung - schließlich sogar „ein wirksames Weltsystem, um die gewaltigen Unterschiede in den wirtschaftlichen Zuständen der verschiedenen Gebiete der Welt zu vermindern"". Utopische Entwürfe dieser Art gehören zu einer besonderen Spielart des Pazifismus, die Max Scheler in einem 1927 gehaltenen Vortrag den „juristischen Pazifismus" genannt hat". Es wird in solchen Entwürfen zweierlei verkannt: daß die Staaten nicht im Traume daran denken, sich einem solchen Regime zu unterwerfen; und zum anderen, daß es, würden sie es akzeptieren, auch niemals funktionieren könnte. „Recht", so hat es ein bekannter englischer Völkerrechtler und Rechtsphilosoph ausgedrückt, „ist unter günstigen Umständen die Folge, nie aber das Instrument zur Schaffung gesicherter Ordnung" 2 0 . Tatsächlich haben sich die Vereinten Nationen nach 1945 in ihrer Satzung und noch mehr in ihrer Praxis von solchen Illusionen über die Wirksamkeit des Rechts und die Möglichkeiten gerichtlicher oder

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G. Clark u. L.B. Sohn, World Peace through World Law. 1960. Deutsche Ausgabe: Frieden durch ein neues Weltrecht. Die notwendige Umgestaltung der Vereinten Nationen. Hrsg. von der Forschungsstelle für Völkerrecht und ausländ, öffentl. Recht der Universität Hamburg. 1961. S. 14 f. " M. Scheler, Die Idee des Friedens und des Pazifismus. 1931. 20 ]. L. Brierly, The Outlook for International Law. Deutsche Ausgabe: Die Zukunft des Völkerrechts. 1947, S. 103.

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schiedsgerichtlicher Streiterledigung ferngehalten. Eher ist man in das extreme Gegenteil verfallen: Die Respektierung der unparteiischen Entscheidung eines internationalen Richters oder Schiedsrichters ist in dieser Periode auf einen beklagenswerten Tiefstand gesunken. Die Entscheidung des Internationalen Gerichtshofes in der Teheraner Geiselaffäre ist völlig unbeachtet und unwirksam geblieben. Seit dem Ende des 2. Weltkrieges gibt es nur einen einzigen Fall, in dem eine Gebietsstreitigkeit erfolgreich durch schiedsgerichtliche Entscheidung geregelt werden konnte (im Streit zwischen Indien und Pakistan über den "Rann of Kutsch", 1968). Der Schiedsspruch der englischen Königin von 1977 im chilenisch-argentinischen Streitfall über den Beagle-Kanal scheiterte daran, daß Argentinien seine Annahme ablehnte. Die jetzt Ende letzten Jahres erzielte Lösung des Streitfalls, die durch die Unterzeichnung eines Vertrages im Vatikan ihren Abschluß fand, war nicht das Ergebnis eines Schieds-, sondern eines vom Vatikan mit diplomatischem Geschick betriebenen Vermittlungsverfahrens. Ich vermute, daß ein Fall wie dieser M. Bothe vorschwebte, als er schrieb, eine „attraktive, akzeptable, interessengerechte Streitregelung zwischen Staaten" müsse in der heutigen Staatenwelt einen „Mittelweg zwischen Streitregelung durch Dritte und Verhandlung" suchen. Schiedsgerichtsbarkeit und Vermittlungsverfahren seien daher die Streitregelungsverfahren mit Zukunft, wobei der I G H mit der in seiner neuen Verfahrensordnung vorgesehenen Möglichkeit der Bildung von Kammern nach Vorstellung der Parteien (ein „Gerichtshof a la carte") diesem Trend gerecht werde und auch die neue Seerechtskonvention Fortschritte in dieser Richtung gebracht habe. Ich stimme dem darin zu, daß es eine wichtige Aufgabe der Völkerrechtswissenschaft wäre, solchen Ansätzen weiter nachzugehen. Was sie leisten kann, ist ja in der Tat, daß sie „den Entscheidungsträgern ein Arsenal von Lösungsmöglichkeiten, auch in politisch schwierigen Fragen, unterbreiten" könnte, - auch wenn sie den politischen Willen zur Problemlösung nie ersetzen kann. Mit Recht spricht Bothe von der „friedenstiftenden Wirkung guter Geschäftsordnungen internationaler Konferenzen" und deutet an, in welcher Richtung man sich bemühen müßte: um eine bessere Kanalisierung des verwirrenden multilateralen Verhandlungsprozesses durch Gruppenbildung, Reduktion der Sprachenvielfalt, vereinfachte Zustimmungsverfahren, vorläufige Anwendung nicht-ratifizierter Verträge, Abkürzung der nationalen Zustimmungsverfahren. Solche Bemühungen könnten durchaus auch über den „klassischen" Bereich der dem Juristen geläufigen Verfahrensordnungen hinaus gehen und ζ. B. auf dem Gebiet der Rüstungskontrolle Kontrollmechanismen und Verifikationsmethoden einschließen, die einen Ausgleich zwischen legitimen Geheimhaltungs- und ebenso legiti-

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men

Aufklärungsinteressen

zu

erreichen

suchen,

ohne

die

keine

Rüstungskontrollvereinbarung denkbar ist21. Man sollte sich auch nicht durch den Einwand entmutigen lassen, daß alles dieses im Bereiche des Prozeduralen stecken bleibe. Jeder erfahrene Jurist weiß, in welchem Maße eine materiell richtige Entscheidung durch sachgerechte Verfahrensordnungen präjudiziert wird. Wie weit es möglich ist, in den großen, friedensbedrohenden, existenziellen Streitfragen auf gerichtsförmige oder schiedsgerichtliche F o r m e n der Streitregelung zurückzugreifen, bleibt eine andere Frage, in der ich etwas skeptischer bin als Bothe. Vermittlung gewiß, aber sie bleibt ein diplomatisches Verfahren und ist nichts N e u e s ; sie hat sich auch in unserer Zeit bewährt, z . B . im Falle des indisch-pakistanischen Konflikts durch die Vermittlung K o s s y g i n s in Taschkent im Jahre 1960. Im ganzen glaube ich, daß die Völkerrechtswissenschaft mit Überlegungen dieser Art auf dem richtigen Wege ist und einen realistischen Z u g a n g zu den Fragen der Friedenssicherung gefunden hat. D a s spiegelt sich auch in einem S y m p o s i u m wider, das v o m Kieler Institut für Internationales Recht über das T h e m a „Völkerrecht und Friedenssicherung" 1978 veranstaltet worden ist22 und zu dem auch H e r r Randelzhofer einen grundlegenden Beitrag geliefert hat. Im letzten Teil meiner Überlegungen möchte ich mich daher noch einer Frage zuwenden, die im Mittelpunkt dieser Kieler D i s k u s s i o n gestanden hat.

V. Friedenssicherung als Aufgabe der Politik A u s dem mißglückten Experiment juridifizierter Kriegsverhütungsformen muß m. E . die Lehre gezogen werden, daß dieses kein erfolgversprechender Weg der Friedenssicherung ist. Geschichtliche Erfahrung und gesunder Menschenverstand

sprechen

dafür, daß das

Hauptgewicht

immer nur auf außer-rechtlichen, vorwiegend politischen Mitteln und Wegen der Friedenssicherung liegen kann. Daher sind Völkerrechtsjuristen in der T a t überfordert, wenn von ihnen eine L ö s u n g des Problems der Friedenssicherung erwartet wird, und diejenigen unter ihnen, die solchen Erwartungen zu genügen suchen, leisten weder ihrer Wissenschaft noch dem Frieden einen guten Dienst. D a s Völkerrecht kann zur L ö s u n g dieses Problems manches beitragen, indem es passende Rechtsfor-

A . a . O . (Anm. 14) S. 52 ff. Jost Delbrück (Hsg.), Völkerrecht und Kriegsverhütung. Zur Entwicklung des Völkerrechts als Recht friedenssichernden Wandels (Veröffentl. d. Instituts f. internat. Recht a. d. Universität Kiel, Bd. 82), Berlin 1979. 21

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men anbietet, derer sich die Politik bedienen kann. Primär aber handelt es sich um Probleme des politischen Willens, der Einschätzung und des Einsatzes politischer Kräfte, nicht um eine Frage der Rechtsordnung und ihrer gerichtsförmigen Durchsetzung. Wer effektive Friedenssicherung will, muß sich zuvörderst um Antworten auf einige vorwiegend politische Fragen bemühen: Antworten auf die Frage der Uberwindung friedensgefährdenden Machtgefälles - sei es durch Stabilisierung eines Gleichgewichts der Weltmächte, durch gegenseitige Abschreckung, durch Rüstungskontrolle oder andere politische oder militärische Mittel; er muß Konzepte der Entspannung oder Eindämmung, Strategien der Entschärfung von Konflikten und der Ausräumung von Konfliktursachen prüfen; er muß für den Fall akuter Krisen Methoden des crisis management studieren. E r muß vor allem der Frage des friedlichen Wandels ("peaceful change") friedensbedrohender Situationen 23 nachgehen. Zu allen diesen Fragen kann das Völkerrecht wichtige Beiträge leisten, sobald oder sofern ein politisches Konzept zu ihrer Lösung vorliegt. Für die Frage des „friedlichen Wandels" hat dies die Kieler Diskussion deutlich gezeigt. U m bei dem Beispiel des friedlichen Wandels zu bleiben, möchte ich noch einmal auf das Experiment des Völkerbundes zurückgreifen: Eine der entscheidenden Schwächen dieses Systems, die wesentlich zu seinem Untergang beigetragen haben, lag darin, daß es ein System zur Konservierung des status quo von 1919 war. In der Sprache des Zivilrechts würde man sagen: Es bot einen mehr oder minder perfekten Besitzschutz. Aber keine Rechtsordnung kann sich damit begnügen, den jeweiligen Besitzer eines Gegenstandes gegen Störungen und Beeinträchtigungen zu schützen, ohne irgendwann die Frage nach der Rechtmäßigkeit des Besitzes einer Prüfung zu unterwerfen und einen Weg zu öffnen, auf dem ein Rechtsanspruch gegen einen bloß faktischen Besitzstand durchgesetzt werden kann. In der Völkerbundsatzung gab es einen Art. 19, nachdem die Völkerbundversammlung von Zeit zu Zeit die Bundesmitglieder zu einer Nachprüfung der unanwendbar gewordenen Verträge und solcher internationalen Verhältnisse auffordern konnte, deren Aufrechterhaltung den Weltfrieden gefährden könnte. Dieser Artikel war so schwach und unbestimmt, daß er praktisch nie zur Anwendung gelangt ist. Er konnte das Verlangen der durch die Friedensverträge von 1919 diskriminierten und benachteiligten Nationen nach einer Revision der Verträge nicht befriedigen. In den dreißiger Jahren entwickelte sich auf diesem Hinter-

Grewe, Spiel der Kräfte in der Weltpolitik, Düsseldorf-Wien 1970. 20. Kapt. (Friedliche Wandlung). - ders., Peaceful Change, in R. Bernhardt (Hsg.), Encyclop. of Public International Law, Vol. 7. Amsterdam-New York-Oxford 1985. 23

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grund eine internationale Diskussion über die Notwendigkeit und die Möglichkeiten eines „friedlichen Wandels" - peaceful change. Hitlers unfriedliche und einseitige Revisionen des Versailler Vertrags führten zum Abbruch dieser Diskussion. Die Lehre, die man hieraus wohl ziehen muß, besteht darin, daß ein Friedenssicherungssystem, das sich auf ein lediglich dem Besitzschutz dienendes Kriegsverhütungssystem beschränkt, unzulänglich ist und unwirksam bleiben muß. Wenn man die Frage prüft, ob diese Lehre nach 1945 beherzigt worden ist, darf man sich nicht zu sehr an den Art. 14 der Charter klammern, der im System der Vereinten Nationen in etwa den Platz einnimmt, den der frühere Art. 19 in der Völkerbundsatzung ausfüllte. Nach dieser neuen Bestimmung kann die Generalversammlung Maßnahmen für die friedliche Bereinigung von Verhältnissen empfehlen, die geeignet sind, die allgemeine Wohlfahrt oder die guten Beziehungen zwischen den Staaten zu beeinträchtigen. Wiederum keine sehr starke Klausel, wenngleich ihre Anwendung nicht mehr wie in der Völkerbundzeit an das Vorliegen von Bedingungen geknüpft ist, „deren Fortdauer den Weltfrieden gefährdet". Wenn man auf die Praxis der Vereinten Nationen insgesamt, d. h. innerhalb und außerhalb des Rahmens von Art. 14 blickt, so ergibt sich ein größeres Maß von friedlichen Veränderungen als unter dem Völkerbund - mit der Einschränkung jedoch, daß diese immer dann an die Grenzen des Möglichen stießen, wenn gewichtige Interessen der Großmächte oder ihrer Schützlinge im Spiele waren. Im Laufe der Zeit und insbesondere im letzten Jahrzehnt hat sich jedoch eine neue Problemlage und ein neues Problembewußtsein entwikkelt. Friedlicher Wandel ist heute nicht mehr ausschließlich und keineswegs in erster Linie eine Forderung der Besiegten des 2. Weltkrieges; es ist vielmehr die Parole der Benachteiligten im neuen globalen Nord-SüdKonflikt; es ist die Parole von unterdrückten Minderheiten aller Art, denen fundamentale Menschenrechte vorenthalten werden. Ohne Zweifel ist die Dekolonisierung, soweit sie friedlich verlief, der bedeutendste Prozeß friedlichen Wandels, den die Völkerrechtsgeschichte kennt. Im Zusammenhang mit diesem neuen, verstärkten Widerhall, den die Forderung nach friedlichem Wandel gefunden hat, gewinnt auch die Idee des Friedens eine neue Dimension: Friedenserhaltend oder -fördernd ist der Wandel nur, wenn er ein besseres, d. h. gerechteres Ergebnis erbringt 24 . Das Konzept des peaceful change wirft daher erneut die Frage nach der Gerechtigkeit als einem „positiven" Inhalt des Friedensbegriffes auf. Ich sage „erneut", weil ja, wie ich ganz zu Anfang bemerkt habe, pax und

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Randelzhofer

in Völkerrecht und Kriegsverhütung (Anm. 22) S. 25.

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justitia schon im christlich-mittelalterlichen Denken untrennbar verbunden waren. Und wenn ich von einem „positiven" Inhalt des Friedens spreche, so sind wir damit wieder bei dem Problem des „positiven Friedens" angelangt, den die sogenannte „kritische" Schule der Friedensforschung so nachdrücklich in den Vordergrund rückt und dem „bloß negativen" Inhalt des Kriegsverhütungsrechts und dem Begriff des Friedens als „Nicht-Krieg" gegenüberstellt. Sie kann sich dabei darauf stützen, daß die Charter der Vereinten Nationen in der Tat einige positive Kriterien des Friedens nennt: Gerechtigkeit, sozialen Fortschritt, Achtung der Menschenrechte und der Freiheit für alle ohne Unterschiede der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion, freundschaftliche Beziehungen unter den Nationen auf der Basis gleicher Rechte aller Völker und ihres Selbstbestimmungsrechtes (Präambel und Art. 1). Das Dilemma, in das ein hierauf aufbauender „positiver Friedensbegriff" führt, besteht darin, daß der unbestimmte und bestimmungsbedürftige Wertbegriff des Friedens damit nur durch andere nicht minder bestimmungsbedürftige Wertbegriffe umschrieben wird. In den Schriften der Friedensforscher wird uns gesagt, der Frieden müsse „innerhalb einer Weltgesellschaft in den Kategorien der sozialen Gerechtigkeit beschrieben werden" 25 , er müsse mit den Begriffen Gerechtigkeit, Freiheit, Entwicklung und Solidarität vermittelt werden" 26 ; andere fügen Gleichheit und Selbstbestimmung des Menschen hinzu27. Der norwegische Friedensforscher Galtung hat den Begriff der „strukturellen Gewalt" eingeführt, deren Abwesenheit für ihn das Kriterium des „positiven Friedens" ist; dieser ist schon dann nicht gegeben, wenn infolge „struktureller Gewalt" Ungleichheiten der Einkommensverteilung oder der Bildungschancen bestehen, wenn es Gebiete ohne Gesundheitsdienst gibt und Menschen an Tuberkulose sterben28. Im Grunde stehen wir mit diesem Friedensbegriff nur vor neuen, noch schwierigeren Problemen: Was ist soziale Gerechtigkeit? Was ist Gleichheit, Entwicklung, Solidarität, Selbstbestimmung? Die Entwicklung seit Helsinki hat erneut gezeigt, daß auch der Begriff der Menschenrechte ganz verschieden ausgelegt werden kann - von Selbstbestimmung ganz zu schweigen. Wohin dieser Weg führt, verrät eine andere

25 G. Picht in: Georg Picht/ Wolfgang Huber, Was heißt Friedensforschung? Stuttgart 1971, S.27. 26 Wolfgang Η über in: Frieden als Problem der Theologie, in: Jörg Boppe / Hans Bosse / Wolfgang Huber (Hrsg.), Die Angst vor dem Frieden, 1970, 114. 27 Werner Link, Zur gegenwärtigen Friedensforschung. Ein Überblick, in: Heide Streiter-Buscher (Hrsg.), Der geplante Frieden, 1972, 11. 28 Violence, Peace and Peace Research, Journal of Peace Research, 1969, 167 ff.; deutsch: Gewalt, Frieden und Friedensforschung, in: Manfred Funke (Hsg.), Friedensforschung - Entscheidungshilfe gegen Gewalt, 1975. S. 102, 106.

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Definition des „positiven Friedens" als „Mündigkeit des Menschen in einer sozialistischen Gesellschaft" 29 . Eine solche Definition, die nur gläubigen Sozialisten einleuchten kann, muß jedenfalls dazu führen, internationale Konflikte mit ideologisch-gesellschaftspolitischen zu verquicken und sie damit zu verschärfen und zu vertiefen. Die Verbindung von pax und justitia stößt nun einmal in der heutigen Welt auf die fundamentale Schwierigkeit, daß es in ihr keine gemeinsame, von allen anerkannte Wertordnung mehr gibt. Die Folge ist eine Vielzahl von ideologisch aufgeladenenen Friedensbegriffen. Wenn diesen auch noch der Vorrang vor dem negativen Friedensbegriff, der Kriegsverhütung, oder, in der Sprache der Charter der Vereinten Nationen, dem Gewaltverbot, eingeräumt wird, dann wird damit sogar der Weg frei, um Waffengewalt als Mittel zur Verwirklichung des positiven Friedens zu legitimieren. Auch diese Konsequenz wird bei einigen Friedensforschern sichtbar: richtig verstandene Friedensforschung müsse „Revolutionsforschung" sein, heißt es bei einigen. Andere, die solche Konsequenzen erkennen und sie vermeiden möchten, empfehlen uns den „positiven Frieden" nicht als einen anzustrebenden Zustand totaler Gerechtigkeit sondern als einen dynamischen Prozeß zu begreifen, in dem es darum gehe, „die Gewalt zu vermindern und die Gerechtigkeit zu erhöhen" 30 . Das ist gewiß ein ebenso richtiger wie wichtiger Gedanke. Aber auch damit, so scheint mir, finden wir keinen Ausweg aus den Verwirrungen der heutigen Friedensdiskussion. Ich sehe diesen Ausweg nur in einem anderen, mehr pragmatischen Ansatz. U m keinen Preis darf das Gewaltverbot, so problematisch seine Wirksamkeit sein mag, relativiert und geschwächt werden. Nichts ist verhängnisvoller und verderblicher, als die Geringschätzung, die viele ideologisch inspirierte Friedensforscher dem negativen Frieden, dem Nicht-Krieg, entgegenbringen. Wer das Ende des 2. Weltkrieges miterlebt hat, wird den Wert des Nicht-Krieges richtig einzuschätzen wissen - als eine „elementare Wohltat", wie Dolf Sternberger treffend gesagt hat31. Gewiß kann sich Friedenssicherung in unserer Zeit damit nicht begnügen. Es gibt in der Welt konfliktsträchtige Spannungsherde und voraussehbare Friedensbedrohungen, denen man entgegentreten muß: Wettrüsten, ideologische Konfrontationen, Armut und Verelendung in Teilen der Dritten Welt, Monopolisierung von Rohstoffvorkommen, Streit um die Schätze des Meeres, Flüchtlingsströme - um nur einige Stichworte zu nennen.

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Horst Holzer, Soziologie und Friedensforschung, Politische Studien, Heft 189, 1970, 51 f. 30 Ernst-Otto Czempiel, Schwerpunkte und Ziele der Friedensforschung, München 1972, S. 80. 31 A . a . O . (Anm.4), S.8.

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VI. Pragmatische Friedenspolitik Wer sich der Vorstellung hingibt, die Vereinten Nationen oder irgendeine andere Autorität könnten diese Probleme nach einem universellen Gerechtigkeitsprinzip ordnen, jagt einer gefährlichen Illusion nach. Im Bereiche des Möglichen liegt nur eine bescheidenere Zielsetzung: nicht ein Friede, der eine hochgespannte Gerechtigkeitsidee verwirklicht; aber ein friedlicher Wandel zu einem Friedenszustand hin, der niemandem das Gefühl gibt, in seiner Existenz bedroht, in unerträglichem Maße belastet, benachteiligt, gedemütigt zu sein und nur in gewaltsamer Auflehnung einen Ausweg finden zu können. Nur viele kleine Schritte, mit denen man sich jeweils in konkreten Fragen um ausgewogene Kompromisse bemüht, werden diesen Wandel bewirken können. Statt in zahlreichen Mammutkonferenzen nach einer neuen Weltwirtschaftsordnung zu streben, sollte man sich besser darüber verständigen, wie einige Völker vor dem Hungertode gerettet werden können. Ein neues SALT-Abkommen ist für die Friedenssicherung aussichtsreicher als das Streben nach allgemeiner und vollständiger Abrüstung. O b es sinnvoll und friedensfördernd war, auf einer viele Jahre währenden Seerechts-Konferenz eine umfassende universelle Seerechtskonvention zu erstreben, ist umstritten und fraglich. Sicher ist bisher nur, daß die Konferenz uns ein Seerecht bescheren wird, das unter dem Deckmantel allgemeiner Rechtsprinzipien - wie z . B . dem des "Common heritage of mankind" (der Idee, ein menschheitswichtiges Gebiet oder Rohstoffvorkommen der gemeinsamen Nutzung aller Staaten zuzuführen) - dem konkreten Vorteil der Langküstenstaaten und einer Gruppe von Entwicklungsländern (nicht einmal allen) dienlich sein wird. Erinnern wir uns an das, was oben über den Geist der großen Friedensschlüsse vom 16. bis zum 19.Jahrhundert gesagt wurde: daß sie kein allgemeines Gerechtigkeitsprinzip verwirklichen wollten, aber sich an eine Reihe von Rechtsnormen, sittlichen Geboten, Anstandsregeln, Forderungen der Billigkeit und der Vernunft und Maximen der praktischen Staatskunst hielten - womit der effektiven Friedenssicherung am besten gedient war. Dieser Geist pragmatischer Friedenskunst wäre auch heute vonnöten. Damit soll nicht einer Friedensordnung das Wort geredet werden, deren Völkerrecht wiederum auf Besitzschutz und Konservierung des status quo angelegt ist, wie die der Völkerbundepoche nach dem 1. Weltkrieg. Es gibt in der heutigen Weltordnung stärkere Impulse sowohl wie auch verstärkte Möglichkeiten friedlichen Wandels, die weiterer Entfaltung bedürfen. Solche Wandlungsprozesse haben sich in der Praxis der Vereinten Nationen wie der Weltstaatengemeinschaft überhaupt in der jüngsten Vergangenheit immerhin auf einigen Gebieten abgezeichnet, denen die Referenten des Kieler Symposiums besondere

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Aufmerksamkeit geschenkt haben: auf dem Gebiete der Entwicklungspolitik und der Ausgestaltung eines Entwicklungs-Völkerrechts, im Bereiche des Schutzes der Menschenrechte und im internationalen Umweltschutz32. Fortschritte auf allen diesen Gebieten kann man sich weniger von einem Verfahren versprechen, das in großen Kodifikationen ein allgemeines Gerechtigkeitsprinzip mit universalem Geltungsanspruch durchzusetzen sucht - als vielmehr in begrenzten, schrittweisen Interessenausgleichen, die sich darum bemühen, solche Situationen und Verhältnisse zu bereinigen, die von allen als friedensgefährdend beurteilt werden, weil sie einigen Betroffenen als unerträgliche Ungerechtigkeit erscheinen. Wenn es schon nicht möglich ist, von einer allen gemeinsamen Gerechtigkeitsidee auszugehen, so muß wenigstens der kleinste gemeinsame Nenner für einen Konsens darüber, was von den meisten für gerecht gehalten wird, gesucht werden. Es ist zumeist leichter, einen Konsens darüber zu erzielen, was auf keinen Fall sein sollte, als darüber, was positiv geschehen sollte, um der Gerechtigkeit Genüge zu tun. Es besteht selbst in unserer heutigen zerrissenen und zerklüfteten Welt wenigstens prinzipielle Ubereinstimmung darüber, daß keine Rassendiskriminierung sein darf; daß nicht gefoltert werden darf; daß nicht Millionen von Menschen verhungern dürfen; daß die Weltmeere nicht unbegrenzt verschmutzt oder radioaktiv verseucht werden dürfen. Unendlich viel schwieriger ist es, Ubereinstimmung darüber zu erzielen, welchen ethnischen Gruppen das Selbstbestimmungsrecht zuzuerkennen ist; welches Maß von Menschen- und Bürgerrechten dem Einzelnen zustehen und welche Vorkehrungen zu ihrem Schutze getroffen sein müssen; wie eine neue Weltwirtschaftsordnung aussehen müßte, die zu einer gerechteren Vermögensverteilung unter den Nationen führen würde; wie ein neues Seerecht aussehen sollte, das die künftige Verteilung der noch ungehobenen Schätze des Meeres ordnet. Die Schwierigkeit dieser Probleme ist keine Rechtfertigung für Passivität und Resignation; viele von ihnen können eines Tages einer ernste Friedensbedrohung bedeuten. Es gibt jedoch in der heutigen Welt keine allgemein-verbindlichen positiven Gerechtigkeitsprinzipien, die einer Lösung dieser Probleme zugrundegelegt werden könnten. Die größte Gefährdung des Friedens geht gerade von jenen aus, die anderen ihre Vorstellung von wahrer Gerechtigkeit aufzuzwingen suchen. Gesicherter Friede läßt sich nur erhoffen im Zuge eines kontinuierlichen Wandlungsprozesses, in dem immer wieder der Ausgleich zwischen gegensätzlichen Interessen und Wertvorstellungen gesucht wird und

" Hierzu die Beiträge von A. Randelzhofer und W. Graf Vitzthum recht und Kriegsverhütung, (Anm. 22) S.27ff., 123 ff.

in: Völker-

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Gewaltanwendung auch dann verboten bleibt, wenn sie einer angeblich höheren Gerechtigkeit zum Durchbruch verhelfen soll. Wenn Sie eine zusammenfassende Schlußformel wollen - die naturgemäß so unvollkommen bleiben muß, wie alle Generalisierungen solcher Art - so würde ich sagen: Die Verhütung von Krieg und Gewalt muß stets das oberste Ziel aller Friedenssicherung bleiben. „Friede" sollte verstanden werden als ein gewaltfreier und auf die Verhütung von Gewaltanwendung gerichteter internationaler Prozeß, in dem durch Verständigungen und Kompromisse solche Bedingungen des Zusammenlebens der Staaten und Völker geschaffen werden, die nicht ihre Existenz gefährden und nicht das Gerechtigkeitsempfinden oder die Lebensinteressen einzelner oder mehrerer von ihnen so schwerwiegend verletzen, daß sie nach Erschöpfung aller friedlichen Abhilfeverfahren Gewalt anwenden zu müssen glauben. Dieser Prozeß muß darauf gerichtet sein, eine internationale Ordnung hervorzubringen, die Sicherheit und Stabilität gewährleistet, ohne die Möglichkeit friedlichen Wandels auszuschließen.