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German Pages 346 [345] Year 2022
HUBERTUS
STOLZ
Einführung in die Vielelektronentheorie der Kristalle
EINFÜHRUNG IN DIE VIELELEKTRONENTHEORIE DER KRISTALLE Dr. rer. nat. habil. Hubertus Stolz Zentralinstitut für Elektronenphysik der Akademie der Wissenschaften der D D R
Mit 44 Abbildungen
A K A D E M I E - V E R L A G 1974
•
B E R L I N
Erschienen im Akademie-Verlag, 108 Berlin, Leipziger Str. 3—4 © Akademie-Verlag, Berlin, 1974 Lizenz-Nr. 202 • 100/431/74 Einband und Schutzumschlag: Rolf Kunze Gesamtherstellung: V E B Druckhaus „Maxim Gorki", 74 Altenburg Bestellnummer: 761503 7(5890) • LSV 1175 Printed in GDR EVP 6 3 , -
Alles ist einjacher als man denken kann, zugleich verschränkter als zu begreifen ist. Goethe
Vorwort Seit im Jahre 1928 durch die fundamentalen Arbeiten von Sommerfeld und Bloch die moderne Festkörperphysik begründet wurde, hat es lange Zeit dem Verständnis der elektronischen Eigenschaften der festen Körper keine wesentlichen Schwierigkeiten bereitet, daß es sich bei den Kristallelektronen um ein Vielkörpersystem wechselwirkender Teilchen handelt. Die auf Drude zurückgehende Idee, diese Elektronen als ideales Gas zu behandeln, erwies sich vielmehr durch die Ableitung eines entsprechenden Hamilton-Operators nach Hartree, Fock und Slater als begründbar und als so tragfähig, daß der aus ihr hervorgegangenen „Einelektronentheorie" der Kristalle faszinierende Erfolge beschieden waren. Indessen hat die zunehmende Verfeinerung der Experimentierkunst und die mit ihr einhergehende Vertiefung der theoretischen Fragestellung in den zurückliegenden zwanzig Jahren dazu geführt, daß dem Vielteilchencharakter fast aller Probleme der Elektronentheorie der Festkörper in einem ständig wachsenden Teil der erscheinenden Publikationen Rechnung getragen wird und eine entsprechende Vertrautheit mit den Begriffen und den formalen Methoden der Quantentheorie der Vielteilchensysteme für den Festkörperphysiker zu einem Erfordernis von zunehmender Dringlichkeit wird. Mit der Anwendung der ursprünglich in der Quantenfeldtheorie entwickelten mathematischen Methoden auf die Probleme der Quantenstatistik wurde dieselbe außerordentlich gefördert. So liegt heute z. B. im Formalismus der thermodynamischen Greenschen Funktionen ein mathematischer Apparat von großer Allgemeinheit und Geschlossenheit vor, der die Strukturen der physikalischen Qualitäten von Vielteilchensystemen in systematischer, überschaubarer Weise widerspiegelt. I n seiner Anwendung auf das Vielelektronenproblem der Kristalle bietet er die Möglichkeit zu einer genaueren Definition der in der traditionellen Festkörperphysik gängigen Begriffe und zu einer Vereinheitlichung und Erweiterung der formalen Sprache, in der ihre physikalischen Inhalte ihren Ausdruck finden. Es erscheint daher vertretbar, den zahlreichen Darstellungen der Quantentheorie der Vielteilchensysteme ein Buch hinzuzufügen, das sich nicht auf translationsinvariante Systeme konzentriert, sondern bemüht ist, die der Kristallstruktur entsprechende geringere Symmetrie des Vielelektronensystems ständig im Blick zu behalten. Es ist für Festkörperphysiker geschrieben und für Studen-
VIII Vorwort ten mit den Kenntnissen, die die Vorlesungen über theoretische Physik und die Einführungskurse in die Festkörperphysik an den Hochschulen vermitteln. Seine Entstehung geht auf Vorlesungen zurück, die der Verfasser seit 1965 an der Berliner Humboldt-Universität für diesen Interessentenkreis gehalten hat. Es entwickelt die quantenfeldtheoretische Formulierung des Vielteilchenproblems der Kristallelektronen von den allgemeinen Grundlagen her und führt in den Formalismus der Greenschen Funktionen bzw. Propagatoren und der Korrelationsfunktionen ein. Angesichts der notwendigen Beschränkung in der Darstellung von Anwendungsbeispielen dieser allgemeinen Theorie fiel die Wahl auf eine Einführung in die Exzitonentheorie und die Ableitung der Landau-Theorie der Metallelektronen aus den mikroskopischen Grundlagen. Die Theorie der Exzitonen ist ein instruktives Beispiel für das Versagen der „Einelektronentheorie", und die Landau-Theorie der Metallelektronen erklärt, warum diese für das Verständnis der Metalle so erfolgreich sein konnte. Auf das homogene Elektronengas wird fast überhaupt nicht eingegangen, weil dieses in der vorliegenden Literatur vielfach und ausführlich behandelt wird. Ebenso fehlt eine Darstellung der Theorie der Supraleitung, wie auch alle anderen Phänomene, bei denen Gitterschwingungen eine Rolle spielen, beiseite gelassen wurden, um den Umfang des Buches nicht über Gebühr anwachsen zu lassen. Es wurde darauf verzichtet, anhand einer extensiven Kompilation entsprechender Beispiele umfassend über die Bedeutung der Vielteilchentheorie für das quantitative Verständnis spezieller Phänomene zu informieren, zugunsten einer intensiven Darstellung der Grundbegriffe und ihrer Strukturen, in denen die Vielelektronentheorie der Kristalle formuliert werden kann. Dabei wurde eine Darstellungsform angestrebt, die den Leser in den Stand setzen soll, auch alle wesentlichen formalen Schritte bei der Entwicklung der Theorie nachvollziehen zu können und so eine Vertrautheit mit dem Formalismus zu gewinnen, die ihm die Mühen des Zugangs zu den Originalarbeiten und anderen zusammenfassenden Darstellungen erleichtern kann. Rein formale Beweise und Ausführungen, die an ihrem Ort zunächst von geringerer Wichtigkeit sind, wurden zur Erleichterung der Lesbarkeit des Ganzen in Kleindruck gehalten. Die am Schluß zusammengestellte Literatur umfaßt die wesentlichen benutzten Quellen sowie weiterführende zusammenfassende Darstellungen und einige aktuelle Originalarbeiten, an die der Leser durch dieses Buch herangeführt wird und die den Anschluß an gegenwärtig interessante Probleme herstellen sollen. Die entsprechende Auswahl ist naturgemäß stark durch subjektive Faktoren bestimmt und auch im Hinblick auf die engere Thematik durchaus unvollständig. Mein herzlicher Dank gilt den Herren Dr. habil. H. J . Fischbeck, Dr. habil. J . Mertsching, Dr. habil. H. Puff, Dr. M. Rösler, Dr. habil. H.-W. Streitwolf und Dr. R. Zimmermann für ihre zahlreichen fruchtbaren Anregungen und ihre hilfreiche Kritik. Besonders verpflichtet bin ich Herrn Dr. R. Zimmermann für seine Unterstützung bei der Formulierung der Exzitonentheorie, in die wesentliche seinerzeit noch unveröffentlichte Ergebnisse seiner Dissertation Eingang gefunden haben. Herrn Professor Dr. W. Brauer danke ich für sein allzeit reges
Vorwort
IX
Interesse und seine ständige Ermutigung, durch die der Fortgang des Projektes entscheidend gefördert wurde. Schließlich gebührt mein herzlicher Dank Frau H. Egorow, die mit großer Geduld und Sorgfalt die Mühe der Reinschrift des Manuskripts auf sich nahm. Potsdam-Babelsberg, im März 1972 H . STOLZ
Inhaltsverzeichnis 1.
Elektronen im idealen Kristall
1
1.1. 1.2. 1.3.
Definition des idealen Kristalls Hamilton-Operator der Kristallelektronen Statistische Beschreibung des Kristallelektronensystems
1 4 6
2.
Feldtheoretische Beschreibung eines VieleleJctronensystems
8
2.1. 2.2.
Feldoperatoren und Fock-Raum Dynamische Charakterisierung des Vielelektronensystems in feldtheoretischer Beschreibung Statistische Charakterisierung des Vielelektronensystems in feldtheoretischer Beschreibung
8 12
3.
Oreensche Funktionen
20
3.1. 3.2. 3.3. 3.4. 3.5.
Mathematische Grundlagen Spektraldarstellungen Bewegungsgleichungen der Greenschen Funktion Die Methode der Variationsableitungen Selbstenergie
20 25 30 33 38
4.
Das Kristallelektronensystem in Hartree-Fock-Näherung
44
4.1. 4.2. 4.3.
Bloch-Funktionen und Bloch-Energien Metalle und Nichtmetalle Kritik der Hartree-Fock-Näherung
44 49 57
5.
Abgeschirmte Coulomb-Wechselunrkung
61
5.1. 5.2. 5.3.
Das fundamentale Gleichungssystem Dichtekorrelationsfunktion und Polarisationsfunktion Dielektrische Funktion
61 68 78
6.
Elektron-Loch-Propagatoren und Bethe-Salpeter-Oleichung
83
6.1. 6.2. 6.3.
Elektron-Loch-Propagatoren Bethe-Salpeter-Gleichung Bethe-Salpeter-Gleichung in der statischen Vs-Approximation
83 88 96
2.3.
13
Inhaltsverzeichnis
XI
7.
Das Quasiteilchenbild der Kristallelektronen
107
7.1. 7.2. 7.3. 7.4. 7.5.
Blochsche Quasiteilchen Bloch-Landau-Quasiteilchen in Metallen Bloch-Quasiteilchen in Nichtmetallen Elektronen und Löcher Angeregte Zustände des Systems der Kristallelektronen
107 113 121 122 143
8.
Wechselwirkung mit einem, elektromagnetischen Feld I
147
8.1. 8.2. 8.2.1. 8.2.2. 8.2.3. 8.3. 8.4. 8.4.1. 8.4.2. 8.5. 8.5.1. 8.5.2.
Quasi-Leitfähigkeitstensor Informationsinhalt des Quasi-Leitfähigkeitstensors Energiebilanz und Dissipationsrate Inelastische Elektronenstreuung Elementaranregungen des Kristallelektronensystems Spindichtewellen Elektrodynamik und Maxwellsche Gleichungen Mikroskopische Elektrodynamik Makroskopische Elektrodynamik, Lokalfeldkorrekturen Der Leitfähigkeitstensor und sein Informationsinhalt Energiebilanz und Dissipationsrate Optische Eigenschaften
147 156 156 160 165 171 173 173 182 186 186 193
9.
Wechselwirkung mit einem elektromagnetischen Feld II
201
9.1. 9.2. 9.3.
Leitfähigkeitstensor und Polarisationsfunktion Folgerungen aus Eichinvarianz und Teilchenerhaltung Der makroskopische Leitfähigkeitstensor
201 205 214
10.
Grundlagen der Exzitonentheorie
218
10.1. 10.2. 10.3. 10.4. 10.4.1. 10.4.2. 10.4.3. 10.5.
Elementaranregungen in der RPA Wannier-Mott-Exziton Frenkel-Exziton Optische Eigenschaften der Exzitonen Reflexionsvermögen Absorptionskoeffizient Optische Auswahlregeln Probleme der Exzitonentheorie
218 223 234 241 241 247 252 254
11.
Grundlagen der Landau-Silin-Theorie
258
11.1. 11.2.
Landau-Silin-Gleichung 258 Der Zusammenhang zwischen Teilchendichte, Quasiteilchendichte und FermiFläche 278 Die Berechnungsvorschrift für die Stromdichte 282 Diskussion der Landau-Silin-Gleichung 285 Abschirmung einer statischen Punktladung 285 Dielektrische Funktion 288 Leitfähigkeitstensor 289 Spindichtewellen und paramagnetische Suszeptibilität 293 Die Parameter der Landau-Silin-Theorie 295
11.3. 11.4. 11.4.1. 11.4.2. 11.4.3. 11.4.4. 11.5.
der Metallelektronen
XII
Inhaltsverzeichnis
12.
Das effektive Kristallpotential
306
12.1. 12.2. 12.3. 12.4.
Einleitende Betrachtungen Pseudopotential Berechnung eines Pseudopotentials Austausch und Korrelation
306 308 313 317
Literatur
319
Zusammenfassende Darstellungen
319
Originalarbeiten
320
Verzeichnis der wichtigsten Symbole
322
Sachverzeichnis
326
1.
Elektronen im idealen Kristall
1.1.
Definition des idealen Kristalls
Vielfach tritt die in fester Form vorkommende Materie unter geeigneten Bedingungen in Gestalt makroskopischer Einkristalle auf, die wegen der relativen Einfachheit ihres Aufbaus als Ausgangspunkt für die physikalische Untersuchung fester Körper besonders geeignet sind. Dazu ist es zweckmäßig, zunächst von den im realen Kristall immer vorhandenen Unregelmäßigkeiten in der Struktur und der Zusammensetzung und insbesondere auch von seiner endlichen Ausdehnung abzusehen und den idealen Kristall einzuführen als eine unendlich ausgedehnte regelmäßige Anordnung von Atomen. Die Regelmäßigkeit der Anordnung der Atome im idealen Kristall findet mathematisch ihren Ausdruck in der Existenz der sogenannten Raumgruppe von Deckoperationen, die ihn in sich selbst überführen. Diese Raumgruppe enthält als Untergruppe die primitiven Translationen, deren Vektoren R auf drei Basisvektoren au a 2 , a3 zurückgeführt werden können gemäß 3
R = y n^i, ¿=i
(«,• ganze Zahlen)
die die Elementarzelle des Kristalls aufspannen. Die Elementarzelle mit dem Volumen Q0 — (a,, a2 X a3) umfaßt genau eine vollständige Gesamtheit nichtäquivalenter Punkte, die dadurch charakterisiert sind, daß für jedes beliebige Paar r und r' gilt r — r'
R.
Von dieser mathematischen Konstruktion des Kristallgitters kommen wir nun zum idealen Kristall durch Zuordnung einer sogenannten Basis zu jedem Gitterpunkt R, d. h. einer bestimmten — sich natürlich für jeden Gitterpunkt gleichenden — Anordnung von r gegebenenfalls verschiedenen Atomen. Für r = 1 kann der Ursprung des Gitters so gewählt werden, daß die Atome in den Gitterpunkten lokalisiert sind. Betrachtet man, etwa vom Punkt R = 0 ausgehend, die Verbindungslinien dieses Punktes mit seinen Nachbarn R und konstruiert die auf diesen Linien senkrechten Halbierungsebenen gemäß der Vorschrift
2
1- Elektronen im, idealen
Kristall
so umschließen derartige Ebenen den geometrischen Ort aller nichtäquivalenten Punkte mit minimalem Abstand von R = 0, welchen man als Wigner-SeitzZelle bezeichnet. Sie hat das Volumen Q0, und ihre Gestalt spiegelt die Kristallsymmetrie im allgemeinen anschaulicher wider als die durch die Vektoren a ; aufgespannte Elementarzelle. Vom mathematischen Standpunkt ist es zweckmäßig, neben dem Gitter der Punkte R das reziproke Gitter aus den Punkten 3
K = JJ niibi ¿=i
(m,- ganze Zahlen)
einzuführen, dessen Basisvektoren b, mit den Basisvektoren a { in der Beziehung («¡, bj) =
2ndij
stehen bzw. explizit durch i = TT (a> X ak)
b
iJ o
(i, j, k = 1, 2, 3 zykl.)
gegeben sind. Wiederholt man die im Gitter R zur Wigner-Seitz-Zelle führende Konstruktion und betrachtet die auf den Verbindungslinien etwa des Punktes K = 0 mit seinen Nachbarn K mittelsenkrechten Ebenen
so umschließen derartige Ebenen den geometrischen Ort aller kleinsten nichtäquivalenten Vektoren im reziproken (oder k-) Raum, welchen man als (erste)
Brillcmin-Zoine
bezeichnet.
Als einen weiteren vielfach vorteilhaften Schritt vollziehen wir die Einführung folgender Periodizitätsbedingung für alle vom Ortsvektor r im Kristall abhängenden Funktionen 0. Dadurch entstehen im Kristall Periodizitätsgebiete, oft auch als Grundgebiete bezeichnet, mit dem Volumen ü = G 3 ß 0 , in denen sich das physikalische Geschehen jeweils genau in gleicher Weise abspielt. Wählen wir die Zahl O3 in der Größenordnung der Anzahl der in einem makroskopischen Kristall vorkommenden Atome, so wird die Periodizitätsbedingung praktisch ohne Einfluß auf die zu berechnenden Meßgrößen sein und besitzt daher nur die Bedeutung einer nützlichen Rechenhilfe bei der Behandlung des unendlich ausgedehnten idealen Kristalls.
Den Gittervektoren R zugeordnet sind die Translationsoperatoren ^
= eRF
(V = grad =
1.1. Definition des idealen Kristalls
3
Ihre Wirkung auf eine Funktion &(r) ergibt sich aus
TR0(r) = 0(r + R). Die Translationsoperatoren bilden eine Abelsche Gruppe mit einem vollständigen simultanen Eigenfunktionssystem ipk(f), dessen Funktionen mittels der Eigenwerte k des Operators —i — indiziert werden können. Es ist also *
dr
TRy>k(r) = eikRfk(r) --
Vk(r
+ R).
(1.2)
Da e i ( f c + K , H ) = eikr ist, erhalten wir bereits alle Eigenwerte von TR, wenn wir fe auf die erste Brillouin-Zone (1. BZ) beschränken. Führen wir die Funktionen
uh(r) = e~ikryik{r) ein, so gilt mit (1.2)
uk(r + R) = uk(r). Die Eigenfunktionen des Translationsoperators haben also die allgemeine Gestalt
Vk(r) ~ uh(r)eikr, wobei uk(r) eine gitterperiodische Funktion ist. Unterwerfen wir y k (r) der Periodizitätsbedingung (1.1.), so muß eiG(fc,k(r) = _ L « fc (r)e