Ein 'Medium zum Frieden': Die Normaljahrsregel und die Beendigung des Dreißigjährigen Krieges 9783486719277, 9783486587890

Die Normaljahrsregel, die auf dem Westfälischen Friedenskongress ausgehandelt wurde, um den Streit der Religionsparteien

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German Pages 437 [440] Year 2009

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Ein 'Medium zum Frieden': Die Normaljahrsregel und die Beendigung des Dreißigjährigen Krieges
 9783486719277, 9783486587890

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Fuchs

Ein .Medium zum Frieden'

bibliothek altes Reich

baR herausgegeben von Anette Baumann, Stephan Wendehorst und Siegrid Westphal Band 4

R. Oldenbourg Verlag München 2010

Ralf-Peter Fuchs

Ein ,Medium zum 1 Frieden Die Normaljahrsregel und die Beendigung des Dreißigjährigen Krieges

R. Oldenbourg Verlag München 2010

Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (SFB 573) und der jenacon foundation gGmbH

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. © 2010 Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH, München Rosenheimer Straße 145, D-81671 München Internet: oldenbourg.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Dieter Vollendorf Umschlagbild: Die Abbildung stellt vermutlich die kaiserlichen Gesandten Isaak Volmar und Johann Crane sowie die schwedischen Gesandten Alexander Erskein und Bengt Oxenstierna bei der Unterschreibung des kaiserlich-schwedischen Hauptrezesses auf dem Nürnberger Exekutionstag am 16./26. Juni 1650 dar. Quelle: Abelinus, Johann Philipp; Merian, Matthaeus : Theatrum Europaeum [...], Bd. 6, Frankfurt/M. 1663, Abb. nach S. 1052. Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier (chlorfrei gebleicht). Gesamtherstellung: Druckhaus »Thomas Müntzer« GmbH, Bad Langensalza ISBN: 978-3-486-58789-0

Inhalt

Inhalt

Vorbemerkung

IX

1.

Einleitung und Fragestellungen

2.

Religion und Politik im frühneuzeitlichen Alten Reich

11

2.1 2.2

Konfessionelle Pluralisierung und Religionskonflikt Religionsparteien und das politische Operieren mit dem Faktor Zeit Politische Polarisierung nach dem Augsburger Religionsfrieden Ehre - kumulativer Wertehorizont von Fürsten und Räten Restitutio, Uti-possidetis und die Verknüpfung von Recht und Ehre im Kirchengüterstreit

11 18 27 35

3. 3.1 3.2

Der große Krieg böhmische Unruhen' - Kämpfe im Reich: ein Religionskrieg? Restitution als Vertrauensbruch

57 57 67

4.

Friedenssuche: Der Kurfürstentag zu Regensburg 1630 und die ,Hessischen Punkte' Hessen-Darmstadt und der Reichsfrieden Die Ungunst der Stunde für den Frieden Ein »privater' Normaljahrsvorschlag Die kurmainzische Reaktion Die Perspektiven nach der hessen-darmstädtischen Initiative

77 77 81 85 93 95

2.3 2.4 2.5

4.1 4.2 4.3 4.4 4.5 5.

5.1 5.2 5.3 6. 6.1 6.2 6.3 6.4

Ein »Medium' oder ein ,Extremum'? Der protestantische Normaljahrs Vorschlag auf dem Frankfurter Kompositionstag 1631 Ein neues oder ein altes »Medium' zum Frieden? Protestantische Bedenken Pro und Kontra Die Folgen des Vorschlags Die Entwicklung der Normaljahrsvorstellungen bis zum Abschluss des Prager Friedens Bewegung am Kaiserhof Weitergehende Forderungen Kursachsens: Das Jahr 1612 Verhandlungen zum Prager Frieden - Wie lässt sich über Normaljahre diskutieren? Verhandlungen zum Prager Frieden - Von der Feinabstimmung zum Ergebnis

1

49

99 99 108 113

119 119 122 127 135

V

VI

Inhalt

7.

8.

9. 9.1 9.2 9.3 9.4 9.5 9.6

Kaiser Ferdinand IL, Johann Georg I. von Sachsen und die Bedeutung ihrer Normaljahrspositionen

144

Bis zu den Westfälischen Friedensverhandlungen: Die zunehmende Bedeutung des Amnestiejahrs

150

Normaljahre und andere ,Termini' auf dem Westfälischen Friedenskongress Die Fortführung des Amnestiestreits Das neue Normaljahr 1624 Der Weg des Jahres 1624 vom ,Extremum' zum,Medium' Die Bedeutung der Termine auf dem Westfälischen Friedenskongress Die Stichtermine in den Westfälischen Friedensverträgen Wer restituiert wen? Der Ausklang des Westfälischen Friedenskongresses

159 159 170 175 185 191 201

10. 10.1 10.2

Blick ins Reich: Das Normaljahr 1624 ,vor Orf Schwierigkeiten bei der Restitution im Fürstbistum Osnabrück Die protestantische Restitution in der Reichsstadt Augsburg

213 213 219

11.

Zwei Friedensagenturen - Reichshofrat und Nürnberger Exekutionstag

226

Der Reichshofrat und die ersten Restitutionskommissionen Ingangsetzung der Restitutionen Schutzmaßnahmen Überwachung der Restitutionen

236 236 246 251

12. 12.1 12.2 12.3 13. 13.1 13.2 13.3 13.4 13.5 13.6 13.7 13.8 13.9

Die Restitutionsfrage auf dem Nürnberger Exekutionstag 255 Listenspiele 255 Die Restitutionsdeputation 257 Die Restitutionsforderungen im Überblick 258 Listen und Realpolitik' im Spannungsfeld 268 Neue Probleme bei der Auslegung der Normaljahrsregel 278 Gravierende politische Streitfälle: Eger und die Oberpfalz 281 Die abschließenden Verhandlungen über das Hochstift Osnabrück 291 Der Ausklang des Nürnberger Exekutionstages - Letzte Bemühungen und Ernüchterung 297 Die Wiederherstellung der Vergangenheit als Ordnungsprogramm Erfolg oder Misserfolg? 306

Inhalt

14. 14.1

317

14.2

Der Normaljahrskrieg Das Normaljahr 1624 im Zentrum des jülich-klevischen Erbfolgestreites Der Weg zur Beilegung des bewaffneten Konfliktes

15. 15.1 15.2 15.3

Restitutionsfragen vor dem Reichshofrat seit 1650 Die Suche nach der eigenen Rolle Wachsendes Misstrauen auf protestantischer Seite Vertretung katholischer Interessen?

333 333 338 343

16.

Das Normaljahr 1624 als Reichsgesetz: Regensburger

317 325

Reichstag und Reichsdeputationstag

358

17.

Ausblick: Das Fortbestehen der Restitutionsforderungen

366

18.

Resümee

382

19.

Quellen- und Literaturverzeichnis

390

19.1 Ungedruckte Quellen 19.2 Gedruckte Quellen 19.3 Fachliteratur Ortsregister

390 391 397 418

Personenregister

423

VII

Vorbemerkung

Vorbemerkung Grundsteinlegend für das Zustandekommen dieses 2008 als Habilitationsschrift an der Ludwig-Maximilians-Universität eingereichten Buchs war eine großzügige Förderung seitens der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Ich möchte meinen herzlichen Dank dafür aussprechen, daß ich meinen Normaljahrsstudien im Rahmen des Münchner Sonderforschungsbereichs „Pluralisierung und Autorität in der Frühen Neuzeit. 15.-17. Jahrhundert" nachgehen konnte. Die Ergebnisse sind wesentlich von Diskussionen geprägt, die auf den vom SFB organisierten Veranstaltungen geführt wurden. Meinen Dank für diese gedankliche Bereicherung möchte ich stellvertretend an seine Sprecher richten: Herrn Prof. Dr. Jan-Dirk Müller, Herrn Prof. Dr. Wulf Oesterreicher und Herrn Prof. Dr. Andreas Höfele. Von Seiten des SFB sind überdies noch zuletzt Druckkostenzuschüsse für das „Normaljahrsbuch" gewährt worden. Auch hierfür vielen Dank. Den Mitarbeitern des Projekts C 8: „Normaljahre, Kalendernorm. Verarbeitung konfessioneller Pluralisierung im Alltag", aus dem die Arbeit hervorgegangen ist, bin ich natürlich ebenfalls besonders verpflichtet. Edith Koller und Peter Brachwitz haben längst eigene Forschungsbeiträge zum Problem der konfessionellen Pluralisierung veröffentlicht und wichtige Anregungen gegeben. Letzteres gilt auch für zahlreiche studentische Mitarbeiter, von denen hier Anke Kattner und Eva Jacobi stellvertretend erwähnt sein sollen. Dem Leiter dieses mittlerweile ausgelaufenen Projektes, Herrn Prof. Dr. Winfried Schulze, meinem akademischen Lehrer, gebührt ein besonderer Dank für sein langjähriges Engagement und seine Hilfen in verschiedensten Bereichen, sei es organisatorischer oder wissenschaftlicher Art. Darüber hinaus war sein Lehrstuhl jederzeit ein fruchtbares Arbeitsumfeld. Der Gedankenaustausch über Probleme der Frühen Neuzeit mit PD Dr. Arndt Brendecke, Prof. Dr. Cornel Zwierlein, PD Dr. Wolfgang Burgdorf, Dr. Markus Friedrich, Dr. Alexander Schunka, Dr. Eric-Oliver Mader, Dr. Benjamin Steiner, Dr. Thomas Ott, Dr. Susanne Friedrich und vielen anderen war unentbehrlich. Winfried Schulze ist zudem als Mitglied des Habilitationsmentorats noch einmal herzlich zu danken, ebenso Frau Prof. Dr. Sigrid Jahns, Herrn Prof. Dr. Dres. h.c. Peter Landau und dem externen Gutachter der Habilitationsschrift, Prof. Dr. Wolfgang Behringer (Univ. Saarbrücken). Daneben habe ich bei meinen Studien wichtige Hilfen von Herrn Hofrat Prof. Dr. Leopold Auer und Frau Dr. Eva Ortlieb (Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien) erhalten. Das gleiche gilt für Frau Dr. Kathrin Bierther als Expertin für Friedensgespräche im Dreißigjährigen Krieg und, besonders wichtig, meine Lebensgefährtin, Dr. Margarete Wittke, deren kritisches Urteil als Historikerin für mich stets unverzichtbar war. Schließlich ist Frau Prof. Dr. Siegrid Westphal, Frau Dr. Anette Baumann und Herrn Dr. Stephan Wendehorst als Herausgebern für die Übernahme der Arbeit in die Reihe „Bibliothek Altes Reich"

X

Vorbemerkung

zu danken, ebenso Vera Babilon als Betreuerin der Publikation im Oldenbourg Wissenschaftsverlag. München im April 2009 Ralf-Peter Fuchs

1. Einleitung

und

Fragestellungen

1. Einleitung und Fragestellungen Die Hauptfigur dieses Buches ist eigentlich eine Idee. Es geht um die Verständigung in einem schwerwiegenden, kriegerischen Konflikt und um eine gerechte Weise, ihn dauerhaft beizulegen. Die Menschen, die sich über diese Idee verständigten, hatten lange Zeit Schwierigkeiten, sie auf einen Begriff zu bringen. Oft sprachen sie unbestimmt von einem ,Medium'. Von ,Medien' (media) bzw.,Mitteln' und ,Wegen' war allerdings sehr oft und allgemein die Rede, wenn politische Maßnahmen und Strategien formuliert wurden. Daneben verwendeten sie die Begriffe terminus bzw. terminus a quo oder auch regula und norma, was aber auch kaum mehr war als ein Behelf. Seit etwa 1700 bemühten sich Juristen, der Sache einen eindeutigen Namen zu geben. Vor allem an den Universitäten protestantischer Territorien erschienen Schriften, in denen nun der Begriff annus decretorius im Titel geführt wurde. 1705 wurde eine Dissertation mit dem Versuch, diesen Begriff genauer zu definieren, publiziert:1 Es handele sich, wie der Autor meinte, um einen Termin, der quasi wie ein Dekret wirke.2 Mit diesem Termin hätten die Gesandten auf dem Westfälischen Friedenskongress im Jahre 1648 festgelegt, welcher kirchliche Besitz den Ständen und Untertanen der unterschiedlichen Religionen im Reich, katholisch, lutherisch und reformiert, jeweils zustehe. Alles, was die Mitglieder der drei Konfessionen für den 1. Januar dieses DekretJahres' für sich an Besitz nachweisen könnten, habe ihnen zugeteilt werden und auch künftig ohne Beeinträchtigung überlassen bleiben sollen.3 Dazu benannte der Autor konkret das Jahr, dem er diese rechtliche Eigenschaft zusprach. Es handelte sich für ihn einzig und allein um das Jahr 1624.4 Der Begriff annus decretorius blieb in der Jurisprudenz vorherrschend,5 wenngleich andere Bezeichnungen hinzukamen. Etwa 1725 fiel der Begriff annus 1 Henricus Hildebrandus [Praeses]: Annus decretorius 1624 in Instrument! Pacis Caesareo-Svecici Articulo V. [...] [Respondent: Johann Christopher Fürer] Altorf 1705. 2 Ebd., S. 11. 3 „Est terminus a summis Dnn. Pacificatoribus in Instrumentio Pacis Westphalicae Caesareo-Svecico institutus, secundum quem omnes Imperii Status & Membra tarn Immediata quam mediata, Romano-Catholicae, Augustanae Evangelicae Reformataeque Religioni addicta, cum quoad Bona Ecclesiastica die primo Januarii illius anni possessa, tum quoad religionem & jura eidem annexa, non modo restituí, sed & inposterum in tali possessione minime turbali jubentur". Ebd., S. 12. 4 Im Gegensatz dazu ging der Staatsrechtler Johann Jacob Moser später von der Existenz mehrerer „Entscheid-Jahre" aus. Siehe Johann Jacob Moser: Von der Landeshoheit im Geistlichen, nach denen Reichs-Gesetzen und dem Reichs-Herkommen, wie auch aus denen Teutschen Staats-Rechts-Lehrem und eigener Erfahrung [...]. Frankfurt/M./Leipzig 1773, S. 531ff. 5 Iustus Christopherus Dithmarus: Dissertatio de Anno Decretorio Exercitii Utriusque Religionis in Germania. (Respondent Io. Steinhauser [1719]), in: Ders.: Dissertationum Academicarum atque Exercitationum Vani ex Iure Publico, Naturali et Historia Desumti Argumenti. Leipzig 1737; Godofredus Daniel Hoffmannus: Commentatio Iuris Publici Ecclesiastici de Die Decretorio Kalendis Ianuarii Anni 1624 Omnique ex Pace Westphalica Restitutione. Ulm 1750; Io. Ernestus Floerke: Programma de eo quod extre-

2

1. Einleitung und Fragestellungen normalis in einem Rechtsstreit. 6 Seit den 1750er Jahren wurde häufiger von diesem Terminus Gebrauch gemacht. 7 Auch sprach ein katholischer Autor u m 1750 bereits auf Deutsch von einem „Normaljahr". Doch wollte gerade dieser Schreiber gar nichts davon wissen und bestritt schlichtweg die Existenz eines von protestantischen Zeitgenossen immer wieder angeführten „, Entscheid'oder,Normaljahres'". 8 Die kirchliche Normaljahrsbestimmung des Westfälischen Friedens sorgte somit im 18. Jahrhundert für Streit unter den Konfessionen. Einer der frühesten Versuche innerhalb der protestantischen Rechtswissenschaften, sie als ein aus der Historie erklärbares Gesetz auszuweisen, wurde 1687 unternommen, 9 zwei Jahre, nachdem in der Unterpfalz der Katholizismus entgegen der Normaljahrsregel obrigkeitlich zugelassen worden war. Angesichts der Tatsache, dass bedeutende Fürstenkonversionen

seit der zweiten Hälfte

des

17. Jahrhunderts den Katholizismus im Reich immer mehr stärkten, 10 bemühten sich protestantische Rechtsgelehrte noch häufig, sorgfältig herauszuarbeiten, was die verhandelnden Parteien zu Münster und Osnabrück im Sinn gehabt haben mochten, als sie sie einführten. 11 Vor diesem bedrohlichen Hintergrund ging es für sie u m die Aufhellung und Untermauerung „eines", wie mum est in Defensione Status Evangelicae Religionis qui fuit in Anno decretorio. Halle/Magdeburg 1755; Franciscus Haus: De anno decretorio M.DC.XXIIII. Opificum Collega non concernente (Resp. Franciscus J. de Albini). Würzburg 1771; Ioannes Carolus von der Becke: Dissertatio Inauguralis de Die Decretorio Pace Westphalia Posito Maxime ad Paragraphos XXV. et XXVI. Art. V. Instrumenti Osnabrugensis [...]. Göttingen 1776. 6 Anmaßliche Turbationes bey dem, denen Freyherren von Knöringen [etc.] zuständigund dem Fränckischen Ritter-Orth Altmühl incorporirten Ritter-Guth Lustenau [ca. 1725], unpag. 7 Verdrähung des nudi facti possessionis anni normalis 1624. Ungrund der sogenannten Selbst-Hülff. Gesprächs-Weiss zwischen einem Catholischen und zwischen einem Protestanten. Regensburg 1758; Unterthänigste Replicae iuncto petita legali in Sachen des regierenden Herrn Marggraven zu Baden Hochfürstlichen Durchleucht contra angemaßte Aebtißin, Priorin und Convent des in dem Jahre 1631 contra statum anni normalis neugestifteten Klosters Frauenalb. Karlsruhe 1772; Nachtrag ad Replicas in Sachen des regierenden Herrn Marggraven zu Baden Hochfürstlichen Durchleucht entgegen die angemaßte Aebtißin, Priorin und Convent des im Jahr 1631 contra statum anni normalis neugestifteten Klosters Frauenalb. [s. 1.] 1773. 8 Compendium Historiae Gravaminum de Subdiorum Religionis Exercitio Publico eorumque Conscientiae Liberiate et horum Gravaminum Compositione. Kurzer Auszug der Geschichten von Vergleichung der Beschwärden wegen den Religions-Exercitium deren Unterthanen und derselben Gewissens-Freyheit. [s. 1.] [ca. 1750], 9 Siehe: Disquisitio Juris Publici de Bonis Ecclesiasticis eorumque ex Alieno Territorio Debitis, Reditibus inter Protestantes Imperii Status Controversis [...]. Frankfurt/M. 1687, mit dem Versuch, die Normaljahrsregel über den historischen Blick auf die Verhandlungen zu entschlüsseln. Zur „lex nostra Pragmatica" siehe ebenfalls die Disquisitio Juris Publici de Bonis Ecclesiasticis 1687, S. 9. 10 Eine Aufreihung solcher Konversionen in: Abhandlung von dem Hof-Gottesdienst eines Landes-Herrns, so einer anderen Religion ist als sein Land. [s. 1.] 1765, S. 13ff. 11 „[...] eo diligentius expendenda sunt, quod non modo Transigentes mentem suam [...] in genere iisdem exposuerint". Disquisitio Juris Publici de Bonis Ecclesiasticis 1687, S. 17.

1. Einleitung und Fragestellungen

der Jurist Johann Friedrich Vetter betonte, „der wichtigsten, dabey aber auch der allerdunckelsten Grund-Gesetze des Heiligen Römisch-Teutschen Reichs". 12 Johann Jacob Moser, einer der führenden Staatsrechtslehrer des 18. Jahrhunderts, teilte diese hohe Einschätzung und sprach von der Normaljahrsregel als „Seele des Westphälischen Friedens in Religions-Sachen". 13 In der historischen Forschung ist die hohe Bedeutung der Normaljahre und der Verhandlungen, die zu ihnen führten, für den Westfälischen Friedensschluss ebenfalls anerkannt worden.14 Die Normaljahrsproblematik wurde jedoch stets in einen größeren Rahmen gestellt, um den allgemeinen Hintergründen des Dreißigjährigen Krieges und der damit verbundenen großen Schwierigkeiten bei der Konfliktlösung gerecht werden zu können. Dabei traten wesentliche Fragen in den Hintergrund. Welche Vorstellungen die historischen Akteure mit den erörterten Stichjahren verbanden und welche Gründe sie überhaupt dazu bewogen, sich auf ein Verhandeln darüber einzulassen, wurde allenfalls sporadisch und lückenhaft erörtert. Das auf dem Westfälischen Friedenskongress kreierte Normaljahr 1624 wurde im Endeffekt als ein ,krudes säkulares Kriterium' 15 gedeutet, das aus der bitteren Einsicht der im Religionsstreit befindlichen Parteien resultiert habe, konfessionelle Beweggründe dem Recht unterordnen zu müssen. Es erscheint dabei, bei allen Verweisen auf allgemeine Verrechtlichungstendenzen,16 als aus der Not der Stunde geborene Erfindung und allgemein als etwas der Frühen Neuzeit im Grunde noch Fremdartiges. Eine Untersuchung der Zusammenhänge der verschiedenen im Krieg unternommenen Bemühungen, sich auf der Basis eines solchen ,Mediums' zu einigen, gibt es bislang noch nicht. Kaum belichtet blieb bislang die eigentliche Bedeutung und Funktion dieser Diskussion innerhalb der Kommunikation politischer Entscheidungsträger verschiedener Glaubensgemeinschaften:17 Die

12 Johann Friedrich Vetter: Rechtliches Bedencken über drey wichtige, die ReligionsFreyheit in dem Heiligen Römisch-Teutschen Reiche betreffende Fragen; aus dem Instrumento Pads Westphalicae, und zwar dessen V. und VII. Articul, erwiesen und abgefasset. Wetzlar 1752. Das Zitat stammt aus dem nicht paginierten Vorbericht. 13 Moser 1773, S. 539. 14 Siehe vor allem Fritz Dickmann: Der Westfälische Frieden. 7. Aufl. Münster 1998, S. 348ff. Zuletzt ist die Bedeutung des Normaljahres auch besonders hervorgehoben worden von Johannes Burkhardt: Das größte Friedenswerk der Neuzeit. Der Westfälische Frieden in neuer Perspektive, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 9 (1998), S. 592-612, hier S. 606. 15 Siehe Martin Heckel·. Die Reformationsprozesse im Spannungsfeld des Reichskirchensystems, in: Diestelkamp, Bernhard (Hg.): Die politische Funktion des Reichskammergerichts. Köln etc. 1993, S. 9-40, hier S. 40. 16 Siehe Johannes Burkhardt·. Der Dreißigjährige Krieg, Frankfurt/M. 1992, S. 177. 17 Siehe jetzt zur politischen Kommunikation unter mehrkonfessionellen Vorzeichen auch die Untersuchungen von Daniela Hacke zur Schweiz: Daniela Hacke: Zwischen Konflikt und Konsens. Zur politisch-konfessionellen Kultur in der Alten Eidgenossenschaft des 16. und 17. Jahrhunderts, in: Zeitschrift für historische Forschung 33 (2005), S. 575-604.

4

1. Einleitung und Fragestellungen

Frage, worüber eigentlich in den Gesprächen über Normaljahre kommuniziert wurde, welche Sinngehalte den Positionen zugrunde lagen, ist weitgehend unbeantwortet geblieben.18 Letztlich fehlt es an einem Überblick über die unmittelbaren Folgen der Normaljahrsregel. Erst vor gar nicht langer Zeit ist konstatiert worden, dass sie im westfälischen Raum eigentlich kaum zur Anwendimg gelangte.19 Die hier dargelegten Forschungen sollen dazu beitragen, ein besseres Verständnis von jenem ,Medium' zum Frieden zu gewinnen, für das die Zeitgenossen noch keine eindeutige Bezeichnung kannten. Gebraucht wird dabei der erst später spezifizierte Begriff ,Normaljahr'. In Anlehnung an die in der frühneuzeitlichen Jurisprudenz zumeist gebrauchte Bedeutung wird unter einem Normaljahr in der Regel ein kirchliches Normaljahr, ein Stichjahr zur langfristigen Bestimmimg konfessioneller Besitzstände, verstanden.20 Obwohl die in den Friedensverhandlungen ebenfalls erörterten Optionen für ein Amnestiejahr, wie sich noch zeigen wird, zeitweilig ebenfalls diesem Problem gewidmet waren, sprechen die beiden unterschiedlichen rechtlichen Wurzeln und Auswirkungen von Amnestiejahr und kirchlichem Normaljahr für eine strikte begriffliche Trennung. Darüber hinaus werden in dieser Abhandlung ebenfalls entsprechend den Ausführungen in der frühneuzeitlichen Rechtswissenschaft - einseitig durch eine der beiden Religionsparteien verordnete Stichtermine nicht als Normaljahre bezeichnet. Unter einem Normaljahr wird vielmehr ein Stichdatum verstanden, das auf der Verhandlungskommunikation zwischen den Mitgliedern der beiden Religionsparteien im Reich beruht. Ausgangspunkt der folgenden Studie ist die Überlegung, dass die innerhalb der Religionsparteien agierenden Personen sich als Vertreter konkurrierender Glaubensgemeinschaften verstanden und sich von daher unterschiedlichen Gruppenidentitäten zugehörig fühlten. Anderseits setzte die Kommunikation mit dem Gegenüber jedoch eine Grundlage gemeinsamer Werte voraus. In der Tat belegen die benutzten Quellen - in der Hauptsache Verhandlungsakten und Instruktionen für die auf den Konferenzen operierenden Gesandten eine Auseinandersetzung über Werte. Obwohl es immer um parteigebundene

18 Hier soll daher, entsprechend der Anregung von Rudolf Schlögl, der sozialwissenschaftliche Kommunikationsbegriff für die Forschung nutzbar gemacht werden. Grundlegende Thesen zu einer Nutzbarmachung dieses Kommunikationsbegriffes hinsichtlich einer Analyse der „Hervorbringung von Bedeutungen" durch die historischen Akteure sind zu finden bei Rudolf Schlögl: Interaktion und Herrschaft. Probleme der politischen Kommunikation in der Stadt, in: Stollberg-Rilinger, Barbara (Hg.): Was heißt Kulturgeschichte des Politischen? Berlin 2005, S. 115-128, S. 116ff. 19 Siehe Wilhelm Neuser: Die Auswirkung des Normaljahrs 1624 auf den kirchlichen Besitzstand und die Religionsfreiheit in Westfalen, in: Hey, Bernd (Hg.): Der Westfälische Frieden und der deutsche Protestantismus. Bielefeld 1998, S. 13-40, S. 39f. 20 So sprach auch Moser in seiner Definition von einem Jahr, dass dazu bestimmt worden war, „nach demselbigen gewisse Gerechtsamen in Religions-Kirchen- und dahin einschlagenden Sachen zwischen denen Evangelischen und Catholischen" zu beurteilen. Moser 1773, S. 531.

1. Einleitung und Fragestellungen

Interessen ging, die gegenüber dem jeweiligen Gegner möglichst weit reichend zur Geltung gebracht werden sollten, gestalteten sich die politischen Verhandlungen vielfach als moralische Diskurse,21 in denen der Frieden ebenso als gemeinsamer Grundwert22 beschworen wurde wie das Reich23 und, als abstrakter Grundwert, die Ehre. Konferieren und Verhandeln lässt sich als ein Kommunizieren über Werte und Normen deuten, wobei insbesondere die gemeinsamen Ehrvorstellungen der politischen Führungsschichten zur Autorisierung von Argumenten in Anspruch genommen wurden.24 Dieser EhrdisDieser Diskurs wurde oft mit der Sprache des Rechts, juristischen Argumenten, geführt. Eine klare Unterscheidung von Recht und Moral wurde jedoch vor dem 18. Jahrhundert nicht vollzogen. Siehe hierzu auch Antje Oschmann·. Der metus iustus in der deutschen Kriegsrechtslehre des 17. Jahrhunderts, in: Bosbach, Franz (Hg.): Angst und Politik in der europäischen Geschichte. Dettelbach, S. 101-131, hier S. 124. Habermas sieht in der Vormodeme ein undifferenziertes Gewebe von „Recht, Moral und Sittlichkeit": Jürgen Habermas: Faktizität und Geltung. Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaats. Frankfurt/M. 1998, S. 137. Für die Rechtssprechung der Moderne sei dagegen eine Differenzierung von juristischen und moralischen Diskursen kennzeichnend. Siehe ebd., 285ff. Der Begriff des moralischen Diskurses scheint gerade hinsichtlich des Aushandelns von Gerechtigkeit zur Festlegung neuer Rechtsgrundsätze angemessen. Zum Typus des moralisch-praktischen Diskurses, „die Form der Argumentation, in der Ansprüche auf normative Richtigkeit zum Thema gemacht werden", siehe auch Jürgen Habermas: Theorie des kommunikativen Handelns. Bd. 1: Handlungsrationalität und gesellschaftliche Rationalisierung. Frankfurt/M. 1995, S. 39. 22 Zur Problematik der Grundwerte der frühneuzeitlichen Gesellschaft siehe Paul Münch: Grundwerte der frühneuzeitlichen Ständegesellschaft? Aufriß einer vernachlässigten Thematik, in: Schulze, Winfried (Hg.): Ständische Gesellschaft und soziale Mobilität. München, S. 53-72. 23 Die Deutung dieser Tatsache als Hinweis auf eine „nationale Bewegung", die breite Volksschichten umfaßt hätte, halte ich nichtsdestoweniger für überzogen. Vgl. Adam Wandruszka: Vom Begriff des „Vaterlands" in der Politik des Dreißigjährigen Krieges, in: Rudolf, Hans Ulrich (Hg.): Der Dreißigjährige Krieg. Perspektiven und Strukturen. Darmstadt 1977, S. 175-184, insbes. S. 182. Vgl. ebenso ders.: Reichspatriotismus und Reichspolitik zur Zeit des Prager Friedens von 1635. Eine Studie zur Geschichte des deutschen Nationalbewußtseins. Köln etc. 1955, hier etwa S. 9. Vielmehr hat Wandruszka in seinen Studien lediglich einen spezifischen Diskurs, insbesondere die Gespräche von Kaiser Ferdinand II. und Kurfürst Johann Georg I. von Sachsen anläßlich des Prager Friedens, im Auge gehabt. Seine Erkenntnisse lassen sich nicht auf die Bauern und Handwerker im Reich übertragen, bei denen andere Wissens- und Denkstrukturen vorherrschten. Zum noch intensiver zu erforschenden Raum-Wissen frühneuzeitlicher Untertanen und ihren Raum-Identitäten allgemein siehe Ralf-Peter Fuchs: „Ob Zeuge wisse, was das Burggraftum Nürnberg sei?". Raumkenntnisse frühneuzeitlicher Untertanen, in: Landwehr, Achim (Hg.): Geschichte(n) der Wirklichkeit. Beiträge zur Sozialund Kulturgeschichte des Wissens". Augsburg, 2002, S. 93-114, wie auch Sabine Ullmann: Landesherr und Kaiser im Spiegel eines Zeugenverhörs des Reichshofrats aus den Jahren 1575-1579, in: Fuchs, Ralf-Peter/Schulze, Winfried (Hg.): Wahrheit, Wissen, Erinnerung. Zeugenverhörprotokolle als Quelle für soziale Wissensbestände der Frühen Neuzeit. Münster etc. 2002, S. 257-290. 24 Zur Autorisierung und der damit verbundenen Bedeutung der Rhetorik siehe Gerhard Regn: Autorisierung, in: Oesterreicher, Wulf/Regn, Gerhard/Schulze, Winfried (Hg.): Autorität der Form - Autorisierung - Institutionelle Autorität. Münster 2003, S. 119-122, hier S. 122. Zur Bedeutung der Form im Rahmen dieser Kommunikation bereits im Spätmittelalter siehe Petra Ehm-Schnocks: Praxis, Form und Inhalt. Diplomatie 21

6

1. Einleitung und Fragestellungen

kurs diente der Verständigung untereinander, über die Konfessionsgrenzen hinweg. Außerdem diente er, wie die Quellen ebenfalls zeigen, der Selbstinszenierung gegenüber der ,Posteritäf. Die politischen Akteure - so meine hier vertretene These zum Zustandekommen des untersuchten Aktenmaterials versuchten den urteilenden Menschen der Nachwelt dringend nahe zu legen, dass sie selbst aus guten Motiven heraus gehandelt hatten. Sie stilisierten sich damit als historische Akteure von Ehre. Neben der Ehre war ein weiterer, eng damit zusammenhängender Begriff zentral für die Kommunikation: Vertrauen.25 Dass viel über Vertrauen geredet wurde, führt die Suche der Akteure nach einer gemeinschaftlichen Klammer und deren Bemühung um ,Reduzierung von Komplexität' 26 besonders klar vor Augen. Die Schwierigkeit bei dieser Suche ergab sich daraus, dass die konferierenden Parteien bei aller Verständigungsbereitschaft jeweils Trennendes, ihre Identität und damit grundlegende Differenzen auf dem Feld der Religion, bewahren wollten. Das gesuchte Vertrauen sollte ein Nebeneinander in Unterschiedlichkeit stabilisieren. Legt man die in der soziologischen Forschung gemachte Beobachtung, dass eine zunehmende Vertrauensrelevanz mit Phänomenen der Pluralisierung einhergeht,27 zugrunde, verweist der Vertrauensdiskurs innerhalb der Friedensverhandlungen auf einen weit fortgeschrittenen Prozess der konfessionellen Pluralisierung. Vertrauen und überkonfessionell vertretbare Ehrvorstellungen waren demnach notwendig zur Etablierung und zum Ausbau eines politischen Systems, das die Unterschiedlichkeit im Glauben integrierte. Die religiöse Pluralisierung war in der Frühen Neuzeit nicht das einzige Phänomen, das sich als Prozess der Herausbildung „kompetitiver Teilwirklichkeiten" 28 beschreiben lässt. Prägend für diese Epoche waren Pluralisierungstendenzen in zahlreichen gesellschaftlichen Bereichen. Sie führten auch dort und Völkerrecht im Spätmittelalter, in: Oesterreicher, Wulf/Regn, Gerhard/Schulze, Winfried (Hg.): Autorität der Form - Autorisierung - Institutionelle Autorität. Münster 2003, S. 257-276, hier S. 261ff. 25 Die Begriffe Ehre und Vertrauen erscheinen im untersuchten ,Friedensdiskurs' als eng verwandt. Auf Überschneidungen verweisen auch neuere Untersuchungen zum Vertrauen als historischer Kategorie. Dabei wird auf das Begriffsinstrumentarium von Pierre Bourdieu zurückgegriffen. Ute Frevert spricht vom Vertrauen als,sozialem Kapital' der Politiker und Geschäftsleute, siehe Ute Frevert: Vertrauen - Eine historische Spurensuche, in: Dies. (Hg.): Vertrauen. Historische Annäherungen. Göttingen 2003, S. 7-66, S. 9. Franz Mauelshagen charakterisiert Vertrauen als Grundlage einer „Ökonomie des wissenschaftlichen Austauschs" unter frühneuzeitlichen Gelehrten. Siehe Franz Mauelshagen: Netzwerke des Vertrauens. Gelehrtenkorrespondenzen und wissenschaftlicher Austausch in der Frühen Neuzeit, in: Frevert, Ute (Hg.): Vertrauen. Historische Annäherungen. Göttingen 2003, S. 119-151, hier S. 145. 26 Niklas Luhmann: Vertrauen. Ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität. Stuttgart 2000. 2 7 Siehe Martin Endress: Vertrauen. Bielefeld 2002, S. 52. 2 8 So formuliert in der Präambel des SFB 573 „Pluralisierung und Autorität in der Frühen Neuzeit (15.-17. Jahrhundert)". Siehe den Finanzierungsantrag für den zweiten Förderungszeitraum (1. Januar 2004-31. Dezember 2007), S. 7.

1. Einleitung und Fragestellungen

zu Konflikten und zur Entwicklung neuer Problemlösungsstrategien. Angesichts der hohen Relevanz, die Religion in dieser Epoche für Führungsschichten und Untertanen besaß, erscheint der Prozess der Stabilisierung eines friedlichen konfessionellen Nebeneinanders jedoch als ein besonders schwieriger und gravierender. Die hier beleuchtete Suche nach ,Frieden' lässt sich vor diesem Hintergrund in vielerlei Hinsicht als eine Suche nach Autorität jenseits des Konfessionellen beschreiben. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass in den Gesprächen zwischen den Parteien oftmals verdeckt argumentiert wurde, um im Rahmen der geläufigen Praxis des Dissimulierens 29 ,Interessen' bzw. parteigebundene Motive zu verschleiern. Den gegenseitig präsentierten Friedensvorschlägen lagen vielschichtige Bedeutungen und Intentionen zugrunde, die zum Teil in internen Gesandteninstruktionen konkret benannt wurden, zum Teil aber selbst dort nur in Andeutungen vermittelt wurden. Kommunikation über Normaljahre kam zum großen Teil einer symbolischen Kommunikation gleich.30 So sollten die Stichtermine z.B. oftmals nicht nur zur faktischen, sondern auch zu einer symbolischen Grundlegung von Ordnung dienen. Mit Blick auf die Ehre und die Interessenlagen der Akteure soll im Folgenden versucht werden, einige dieser Sinngehalte bzw. die komplexe „Intersymbolizität" 31 offen zu legen. Die vorliegende Arbeit nimmt mit den Gesprächen, die zur Beendigung des ,Streites wegen der Religion' geführt wurden, eine phasenweise sehr intensiv betriebene Friedenssuche in den Fokus, wobei sie eine Reihe von fraglos ebenfalls wichtigen und davon unabhängigen, sich im Dreißigjährigen Krieg überlagernden Konflikten ausblendet. Im Rahmen dieser Beschränkung leistet sie insofern einen Beitrag zur Erweiterung der Kenntnisse der Geschichte des Westfälischen Friedens, als sie einen Teilbereich stärker als bisher ausleuchtet und versucht, die Logik der Verhandlungen auf der Ebene von Ehrvorstellungen und der Notwendigkeit der Vertrauensbildung genauer zu entschlüsZur Praxis des Dissimulierens und zur Herstellung der doppelseitig interpretierbaren Norm im frühneuzeitlichen Kirchenrecht siehe Martin Heckel: Autonomia und Pacis Compositio. Der Augsburger Religionsfriede in der Deutung der Gegenreformation, in: Heckel, Martin: Gesammelte Schriften. Staat - Kirche - Recht - Geschichte. 5 Bde., 19892004, hrsg. v. Schiaich, Klaus, Bd. 1. Tübingen 1989, S. 1-82, hier S. 33ff. 30 Die Arbeit wird insofern auch als ein Beitrag zu einer Kulturgeschichte des Politischen verstanden, die, entwickelt u.a. im Rahmen des SFB 469, „Symbolsysteme" zu entschlüsseln versucht. Hierzu Barbara Stollberg-Rilinger. Einleitung: Was heißt Kulturgeschichte des Politischen?, in: Stollberg-Rilinger, Barbara (Hg.): Was heißt Kulturgeschichte des Politischen? Berlin 2005, S. 9-24, insbes. S. 11. Allerdings stehen in der vorliegenden Arbeit nicht Rituale, sondern Diskurse im Vordergrund. Zur symbolischen Dimension verbaler Kommunikation siehe auch Barbara Stollberg-Rilinger: Symbolische Kommunikation in der Vormodeme. Begriffe - Thesen - Forschungsperspektiven, in: Zeitschrift für historische Forschung 31 (2004), S. 489-527, S. 499f. Zu den geschichtswissenschaftlichen Traditionen der Erforschung symbolischer Kommunikation siehe Jacoba van Leeuwen: Introduction, in: Dies. (Ed.): Symbolic Communication in Late Medieval Towns. Löwen 2006, S. VII-XX, S. Vllf. 31 Stollberg-Rilinger 2004, S. 500. 29

8

1. Einleitung und Fragestellungen

sein. Diese Geschichte endet nicht mit dem Jahr 1648. Vielmehr werden auch die Anstrengungen der ersten Jahre nach dem Krieg, den Frieden bzw. die kirchliche Normaljahrsregelung zum Vollzug zu bringen, erforscht. Den Hintergrund und die langfristige Genese der Normaljahrsidee aufzeigen soll ein größeres einleitendes Kapitel, in dem einige Gedanken zum Verhältnis von Religion und Politik im Alten Reich ausgeführt werden. Beschrieben wird die konfessionelle Pluralisierung als ein Langzeitprozess mit gravierenden Auswirkungen auf das Selbstverständnis der Menschen, insbesondere der politischen Eliten. Die Entstehung verschiedener Konfessionen führte zu grundlegenden Differenzen auf den Feldern Recht und Politik, die über verschiedene Ansätze des Krisenmanagements auf der Basis von zeitlichen Regelungen entschärft wurden. Die Auseinandersetzung um Glauben und Eigentum, die sich im Streit um die Kirchengüter manifestierte, wurde jedoch zu einer Ehrensache der politischen Führungsgruppen. Aus der Tatsache, dass dem Streit ,wegen der Religion' ein elementarer Ehrkonflikt innewohnte, ergab sich eine Dynamisierung. Allerdings wird sich auch zeigen, dass die rechtlichen Mittel zur Beilegung des Konflikts in Grundzügen bereits vor Kriegsausbruch bekannt waren. Nach einer kurzen Darstellung der Anfänge des Dreißigjährigen Krieges soll die Bedeutung des kaiserlichen Restitutionsedikts von 1629 für den Streit der Religionsparteien aufgezeigt werden. In diesem Rahmen wird seine Wirkung auf die konzessionsbereiten, zum Frieden neigenden protestantischen Stände, insbesondere Kursachsen, thematisiert. Bei der Ausweitung und Intensivierung des Konfliktes spielten, wie zu zeigen ist, ebenfalls Ehrvorstellungen und ein empfundener Vertrauensverlust eine erhebliche Rolle.32 Die eigentliche Darstellung der Friedenssuche über Normaljahrserörterungen beginnt mit einem Kapitel zum Regensburger Kurfürstentag von 1630. Das Treffen war insoweit ein Markstein, als zum ersten Mal von protestantischer Seite ein konkretes, für beide Religionsparteien verbindliches Restitutionsdatum vorgeschlagen wurde. Die Weiterentwicklung und Konkretisierung dieses ,Mediums' wird in Kapiteln zum Frankfurter Kompositionstag und zum Prager Frieden nachvollzogen, in welchen den genaueren Beweggründen für Normaljahrsverhandlungen und der ihnen innewohnenden Logik nachgespürt wird. Im Anschluss an die Einigungsversuche während der Jahre, die dem Prager Frieden unmittelbar folgten, werden dann ausführlich die Normaljahrsverhandlungen auf dem Westfälischen Friedenskongress untersucht, wobei auch hier der symbolischen Bedeutung der verschiedenen Positionen nachgegangen werden soll. Zudem soll das politische Ringen um Ziffern und Zeitvorstellungen im Zusammenhang mit der Frage, wie lange die Bestimmungen für einen künftigen Frieden überhaupt gelten sollten, der terminus-

Zum Vertrauensverlust als allgemeinem Topos im Dreißigjährigen Krieg siehe auch Mauelshagen 2003, S. 121ff. 32

1. Einleitung und Fragestellungen

ad-quem-ÎTiLge, genauer erläutert werden. Letztlich geht es darum, das Normaljahr 1624 als Resultat eines Kommunikationsprozesses zu verstehen, der keineswegs mit der Unterzeichnung des Westfälischen Friedens abgeschlossen war. Die darauf folgenden Kapitel sind der Problematik der Restitutionen gewidmet. Nach der Erörterung der Funktion von Normaljahrsverhandlungen für die Friedensverhandlungen auf Reichsebene geht es hierbei um die Frage der Durchsetzung des terminus a quo und das Echo aus den Lokalitäten. Auf der Grundlage der Verhandlungsakten des Nürnberger Exekutionstages33 und der Resolutionsprotokolle des Reichshofrates34 wird der Tätigkeit zweier Restitutionsagenturen nachgegangen. Nachgezeichnet werden die durch ein zähes Ringen geprägten Restitutionsverhandlungen auf dem Nürnberger Exekutionstag, auf dem sich der moralische Diskurs über Gerechtigkeit fortsetzte. Dabei stellt sich die Frage, inwieweit die kirchliche Normaljahrsregel im Zuge der ersten sich bei der Durchsetzung einstellenden Erfahrungen an die rechtlichen und politischen Verhältnisse im Reich angepasst werden musste. Diese Frage stellt sich zugleich im Hinblick auf die parallele Tätigkeit des Reichshofrates zu Wien, dessen Aufgabe darin bestand, dem Westfälischen Frieden mithilfe der kaiserlichen Autorität Geltung zu verschaffen. Angesichts der notorischen Infragestellung seiner Vertrauenswürdigkeit innerhalb der protestantischen Stände auf dem Gebiet der Religionskonflikte35 ist dabei auch zu thematisieren, inwieweit seine Entscheidungen und Maßnahmen von konfessionellen Präferenzen bestimmt waren. Aus der Beobachtung der Tätigkeit der Restitutionsagenturen ergeben sich noch einmal besondere Fragen nach der politischen Kommunikation. Sie stellen sich zum einen insofern, als unmittelbar nach dem Abschluss des Westfälischen Friedens seine Auslegung zum Gegenstand der Auseinandersetzung Benutzt wurden die im HHStA zu Wien befindlichen Akten aus den Beständen des Mainzer Reichserzkanzler-Archivs (MEA Friedensakten), die zum großen Teil nicht foliiert sind, zudem vor allem Meiern, Johann Gottfried von [Hg.]): Acta p a d s execution s publica oder Nürnbergische Friedens-Executions-Handlungen und Geschichte. 2 Teile. Hannover, Tübingen 1736/37. Zum Werk von Meierns, insbes. zur Edition der münsterisch-osnabrückischen Friedensakten siehe Antje Oschmann: Johann Gottfried von Meiern und die Acta Paris Westphalicae Publica, in: Duchhardt, Heinz (Hg.): Der Westfälische Friede. Diplomatie - politische Zäsur - kulturelles Umfeld - Rezeptionsgeschichte (= Historische Zeitschrift Beiheft, 26). München 1998, S. 779-805. Zum Nürnberger Exekutionstag grundlegend: Antje Oschmann: Der Nürnberger Exekutionstag 16491650. Das Ende des Dreißigjährigen Kieges in Deutschland. Münster 1991. Die Problematik der Normaljahrsrestitutionen spielt nichtsdestoweniger in Oschmanns Arbeit eine untergeordnete Rolle. 34 Die Wiedergabe von Reichshofratsentscheidungen bei Johann Jacob Moser: Erläuterung des Westphälischen Friedens aus reichshofräthlichen Handlungen. Tl. 1. Erlangen 1775 u. 1776, ist selektiv. Die Arbeit mit den Beständen im Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien war daher unumgänglich. 35 Hierzu nun, die Zeit Kaiser Rudolfs II. betreffend: Stefan Ehrenpreis: Kaiserliche Gerichtsbarkeit und Konfessionskonflikt. Der Reichshofrat unter Rudolf II. (1576-1612). Göttingen 2006. 33

1. Einleitung und Fragestellungen

unter den Friedensmächten wurde. Zum anderen gerät die Autorität eines auf den Konferenzen zu Münster und Osnabrück mühsam ermittelten Kompromisses gegenüber den Menschen im Reich ins Blickfeld. Letztlich geht es dabei um die rechtskulturellen36 Bedingungen und Möglichkeiten der Durchsetzimg einer Norm, die im Rahmen eines langfristigen und komplexen Verhandlungsprozesses entwickelt worden war, um einen Konflikt auf der Ebene von Kaiser und Reichsständen, der mit einem internationalen Krieg verknüpft gewesen war, beizulegen. Die kirchlichen Normaljahrsrestitutionen werden bis zum Jahr 1654, dem Jahr, in dem die Bestimmungen des Westfälischen Friedens auf dem Regensburger Reichstag in die Reichsverfassung aufgenommen wurden, genauer untersucht. Kurz wird zudem auf den Reichsdeputationstag von 1655 bis 1663 eingegangen. Darüber hinaus wird ein kursorischer Uberblick über die Geschichte der kirchlichen Normaljahrsregel in späterer Zeit gegeben. Eine eingehende Untersuchung ihrer Bedeutung im späten 17. und im 18. Jahrhundert bleibt jedoch weitgehend ein Forschungsdesiderat.37 Die Untersuchung beschränkt sich im Wesentlichen auf die Genese und die unmittelbaren Wirkungen des ,Mediums zum Frieden'. Auf beiden Ebenen geht es um grundlegende Bedingungen für die Entstehung, Dynamisierung und Verarbeitung bzw. Lösung schwerwiegender Konflikte in der Frühen Neuzeit. Dass die Normaljahrsformel, die eine friedliche Ordnung im Reich herstellen sollte, selbst zum Streitobjekt wurde, deutet bereits darauf hin, dass ,einfache' Lösungen im Alten Reich nicht unbedingt zum Erfolg führten. Andererseits lässt sich Erfolg offensichtlich nicht immer daran messen, wie strikt sich ein Vorhaben in die Tat umsetzen lässt.

Zu Problemen und Chancen, die der Begriff der Rechtskultur bietet, siehe Harnet Rudolph: Rechtskultur in der Frühen Neuzeit. Perspektiven und Erkenntnispotentiale eines modischen Begriffs, in: Historische Zeitschrift 278 (2004), S. 347-374. Hier soll unter Rechtskultur auch jener Bereich verstanden werden, der als ein ,externer' die gesellschaftlichen Normen einschließt, auf deren Basis sich Rechtssetzung und Rechtsauslegung vollzieht. 3 7 Siehe allerdings den Überblick bei Anton Schindling·. Andersgläubige Nachbarn. Mehrkonfessionalität und Parität in Territorien und Städten des Reichs, in: Bußmann, Klaus/Schilling, Heinz (Hg.): 1648 - Krieg und Frieden in Europa. Textbd. 1: Politik, Religion, Recht und Gesellschaft. [Katalog z. Ausst. Münster/Osnabrück v. 24.10.199817.1.1999], Münster 1998, S. 465-473. Siehe zudem die Beispiele für Normaljahrskonflikte bei Jürgen Lüh: Unheiliges Römisches Reich. Der konfessionelle Gegensatz 1648 bis 1806. Potsdam 1995, insbes. S. 17ff. Darüber hinaus ist im Rahmen des SFB 573 „Pluralisierung und Autorität" über Normaljahrsprozesse vor dem Reichskammergericht gearbeitet worden. Siehe Edith Koller: Fränkische Prozesse zur Geltung des „Normaljahres" 1624 des Westfälischen Friedens im späten 17. Jahrhundert. München 2002 (unveröffentl. Magisterarbeit), und Edith Koller: Die Rolle des Normaljahrs in Konfessionsprozessen des späten 17. Jahrhunderts vor dem Reichskammergericht, in: zeitenblicke 3 (2004). Zudem forscht Peter Brachwitz im gleichen SFB über Religionskonflikte im 18. Jahrhundert und beschäftigt sich in diesem Rahmen mit Normaljahrsstreitigkeiten. 36

2.1 Konfessionelle Pluralisierung und Religionskonflikt

2. Religion und Politik im frühneuzeitlichen Alten Reich „Arme Wahrheit! Vergaß ich fast doch, dass es so viel Kirchen Als Kirchenräume gibt und - Kirchhof gräber." (Kaiser Rudolf II. nach Grillparzer: Bruderzwist im Hause Habsburg)

2.1 Konfessionelle Pluralisierung und Religionskonflikt Es ist wohl eine nicht ganz richtige Vorstellung, die Geschichtswissenschaftler oftmals verbreiten, wenn sie davon sprechen, dass die Menschen bestimmter Epochen ein entsprechendes Weltbild gehabt hätten. Auch das vielbeschworene ,Weltbild des Mittelalters' lässt sich angesichts zahlreicher damals herrschender Konflikte und begrenzter kommunikativer Möglichkeiten, zentrale Ordnungskonzepte überhaupt durchgehend zu verbreiten und durchzusetzen, hinterfragen. Und doch ist es unbestreitbar, dass die politischen Eliten des 16. und frühen 17. Jahrhunderts sehr häufig einen Einheitsverlust als grundlegendes Problem ihrer eigenen Zeit definierten. Dies galt vor allem auf dem Gebiet der Religion. Im Heiligen Römischen Reich war die Vorstellung stark verbreitet, dass mit der ,Spaltung' des Glaubens für Zwietracht und Chaos der Weg bereitet worden war.1 Die Worte, die Franz Grillparzer einem verstörten Kaiser Rudolf II. in den Mund legte, scheinen somit eine mentale Grundstimmung, die durch Untergangsängste geprägt war, in treffender Weise aufzufangen. Es mag manches dafür sprechen, die Frühe Neuzeit als eine von Religionszweifel, von elementarer Unsicherheit geprägte Ära zu charakterisieren, in der das Defizitäre ein Strukturmerkmal bildet. Hans Blumenberg hat einen „Ordnungsschwund"2 konstatiert, der seit dem ausgehenden Mittelalter zu beobachten sei. Diesen Gedanken aufgreifend und weiterführend, hat Bernhard Waldenfels von einer „Mobilisierung und Pluralisierung von Ordnung" 3 seit Renaissance und Reformation gesprochen. Einer als „klassisch" bezeichneten Ordnung stellt er eine „moderne" Ordnung gegenüber, die durch die Herausbildung von Teilordnungen gekennzeichnet sei.4 Bezogen auf die reliSiehe auch die Formulierung im Text des Augsburger Religionsfriedens: „[...] der Articul der spaltigen Religion, daraus nunmehr ein gute Zeit allerhand Unrath, Unfall und Widerwertigkeit im Reich Teutscher Nation erfolgt [...]"· Abschied der Römisch königlichen Majestät und gemeiner Stände auff dem Reichs-Tag zu Augsburg auffgericht, im Jahr 1555, in: Buschmann, Arno (Hg.): Klassische Texte zur Verfassungsgeschichte des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation vom Beginn des 12. Jahrhunderts bis zum Jahre 1806. München 1984, S. 215-283, hier S. 221 (§ 7). 2 Hans Blumenberg: Die Legitimität der Neuzeit. Frankfurt/M. 1972, S. 90ff. Zum „Ordnungsschwund" als „Zerfall des mittelalterlichen Systems" im Besonderen siehe ebd., S. 92. 3 Bernhard Waldenfels·. Der Stachel des Fremden. Frankfurt/M. 1990, S. 19. 4 Ebd., S. 17f. 1

2. Religion und Politik im frühneuzeitlichen Alten Reich

giösen Verhältnisse im Reich und Europa scheint dieses Konzept insofern zu greifen, als sich das Nebeneinander verschiedener Glaubensrichtungen und Kirchen als überdauerungsfähig erwies. Die damit verbundenen Konflikte, die diese Zeit zu einer kriegerischen Zeit werden ließen, könnte man, durchaus in Anlehnung an Waidenfels, als Versuche der Bewältigung des Verlustes einer früheren Gesamtordnung durch „Totalisierung",5 einer Art Ordnungsersatz, erklären. Demgegenüber ist allerdings festzuhalten, dass die Geschichtswissenschaft der Frühen Neuzeit zugleich auch ein Mehr an Ordnung attestiert hat, das sich nicht einfach als Surrogat deuten lassen will. Der Ausbau der Staatlichkeit, die Hierarchisierung und Zentralisierung von Herrschaft, das regulierende Vordringen des Staates in die Lebenswelten der Untertanen lassen Tendenzen der Vereinheitlichung in Bereichen erkennen, in denen es zuvor offensichtlich mehr Vielfalt gab. Auch auf dem Gebiet der Religion manifestierte sich der Anspruch des Staates auf die Beseitigung von Differenz. Mit der konfessionellen Gegnerschaft einher gingen beachtlich erfolgreiche Anstrengungen zur Setzung von Standards innerhalb der jeweiligen Kirchen und Kirchengemeinden, ein Prozess, der mit dem Begriff Konfessionalisierung6 gekennzeichnet worden ist.7 Die Ordnungsmächte der Frühen Neuzeit waren sichtlich bestrebt, religiöse Vielheit zu beseitigen, zumindest innerhalb der ihnen unmittelbar zustehenden Machtbereiche. Das Phänomen einer allgemeinen religiösen Pluralisierung, die Entstehung zahlreicher neuer religiöser Gemeinschaften im 16. und 17. Jahrhundert,8 und die Konfessionalisierung waren somit einerseits gegenläufige Prozesse. AndeEbd., S. 20f. Reinhard beschreibt die religiöse Pluralisierung in der Frühen Neuzeit als eine der „Ursachen" der Konfessionalisierung. Siehe Wolf gang Reinhard: Was ist katholische Konfessionalisierung?, in: Ders./Schilling, Heinz (Hg.): Die katholische Konfessionalisierung. Wissenschaftliches Symposion der Gesellschaft zur Herausgabe des Corpus Catholicorum und des Vereins für Reformationsgeschichte 1993. Heidelberg 1995, S. 419-452, hier S. 426. Pluralisierung und Konfessionalisierung stehen somit nicht im Widerspruch. Allgemein zur Konfessionalisierung: Heinz Schilling: Die Konfessionalisierung von Kirche, Staat und Gesellschaft - Profil, Leistung, Defizite und Perspektiven eines geschichtswissenschaftlichen Paradigmas, in: Die katholische Konfessionalisierung. Wissenschaftliches Symposion der Gesellschaft zur Herausgabe des Corpus Catholicorum und des Vereins für Reformationsgeschichte 1993, hrsg. v. Wolfgang Reinhard u. Heinz Schilling. Heidelberg 1995, S. 1-49. 7 Zum Begriff der Konfessionalisierung siehe etwa Schilling 1995 und Reinhard 1995. Einen Rückblick auf die Ausbildung und Entwicklung des Konzeptes bietet Harm Klueting: Zweite Reformation - Konfessionsbildung - Konfessionalisierung. Zwanzig Jahre Kontroversen und Ergebnisse nach zwanzig Jahren, in: Historische Zeitschrift 277 (2003), S. 309-341. 8 Einen Überblick über religiöse Gemeinschaften jenseits der großen Konfessionen liefert etwa der Band von Vogler, Günter (Hg.): Wegscheiden der Reformation. Alternatives Denken vom 16. bis zum 18. Jahrhundert. Weimar 1994. Die von Schilling als Schwachstelle des Konfessionalisierungsparadigmas bezeichnete Konzentration auf die großen Konfessionen der Frühen Neuzeit - siehe hierzu Schilling 1995, S. 21 - könnte mit dem Begriff der religiösen Pluralisierung aufgefangen werden. 5 6

2.1 Konfessionelle Pluralisierung und Religionskonflikt

rerseits lief die Konfessionalisierung selbst darauf hinaus, die Unterschiede zwischen den großen Konfessionen zu verfestigen, ein Vorgang, der sich als eine Sonderform der religiösen Pluralisierung, als konfessionelle Pluralisierung beschreiben lässt: Zum einen differenzierten sich im Verlaufe des 16. Jahrhunderts verschiedene Kirchen aus, die sich langfristig als römisch-katholisch, lutherisch und reformiert bzw. calvinistisch etablieren konnten. Dabei wurde religiöse Pluralität zu einem Element von Ordnimg und pflanzte sich in andere Teilordnungssysteme wie die politische und die rechtliche Ordnung des Reiches ein. Zum anderen wurde der kirchliche Anspruch auf einheitliche Autorität jedoch keineswegs aufgegeben. Er verlagerte sich in die drei Konfessionen hinein,9 wurde darüber hinaus aber auch, nicht selten in Drohmanier, nach außen gewendet, um gegenüber den jeweiligen konkurrierenden Glaubensgemeinschaften erhoben zu werden und diese zu delegitimieren. Einheitsansprüche und Differenzierung erzeugten auf diese Weise ein Spannungsfeld, das viele Zeitgenossen dazu verleitete, religiöse ,Spaltung' und Konflikt gleichzusetzen. Beschreibt aber der Begriff der Spaltung den Vorgang religiöser bzw. konfessioneller Pluralisierung in zutreffender Weise? Wenn wir, wohl zu Recht, davon ausgehen, dass Spaltung eine Form von Pluralisierung ist, läge es nahe, direkt an den von Historikern lange Zeit gebrauchten Begriff der Kirchenspaltung anzuknüpfen. Der Begriff der Kirchen- bzw. Glaubensspaltung ist indessen bereits seit längerem in die Kritik geraten10 und wird, wohl ebenfalls zu Recht, in der neueren Forschung kaum noch gebraucht. Kritik an diesem Begriff lässt sich zum einen wegen seiner eindeutig negativen Konnotation anbringen: Etwas ursprünglich Einheitliches erscheint zerstört und Schäden werden als eine unausweichliche Folge gezeichnet. Für Siehe etwa den in diesem Kontext verwendeten Begriff der „konfessionellen Uniformierung" bei Harm Klueting: Das konfessionelle Zeitalter 1525-1648. Stuttgart 1989, S. 145ff. Andererseits lässt sich feststellen, dass sich, trotz aller Vereinheitlichungsbestrebungen, auch innerhalb der Konfessionen durchaus Ausdifferenzierungen vollzogen, die heftige Kontroversen und neue Gruppen hervorbrachten. Innerkonfessionelle Pluralisierung war insbesondere im Luthertum eine auffällige Erscheinung. Siehe hierzu Anne-Charlott Trepp: Zur Pluralisierung im Luthertum des 17. Jahrhunderts und ihrer Bedeutung für die Deutungen von ,Natur' in: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 26 (2003), S. 183-197. Zur innerlutherischen Pluralisierung siehe ebenso Thomas Kaufmann: Dreißigjähriger Krieg und Westfälischer Friede. Kirchengeschichtliche Studien zur lutherischen Konfessionskultur. Tübingen 1998, S. 140ff. Zum Phänomen der binnenkonfessionellen Pluralität allgemein siehe ders.: Einleitung : Transkonfessionalität, Interkonfessionalität, binnenkonfessionelle Pluralität - Neue Forschungen zur Konfessionalisierungsthese, in: Greyerz, Kaspar von/fakubowski-Thiessen, Manfred/Kaufmann, Thomas/Lehmann, Hartmut (Hg.): Interkonfessionalität, Transkonfessionalität, binnenkonfessionelle Pluralität. Neue Forschungen zur Konfessionalisierungsthese. Heidelberg 2003, S. 9-15, hier S. 15. 10 Siehe z.B. die Kritik an der Verwendung des Begriffs ,Glaubensspaltung' durch Joseph Lortz bei Klueting 1989, S. 23. Lortz sprach ebenso von einer „Sprengung der Christenheit". Siehe Joseph Lortz: Die Reformation in Deutschland. 2 Bde., 5. Aufl. Freiburg etc. 1962, Bd. 1, S. 12. 9

2. Religion und Politik im frühneuzeitlichen Alten Reich

viele Historiker des 19. Jahrhunderts war der große Krieg, der 1618 ausbrach, bereits im Begriff der Kirchenspaltung angelegt. Leopold von Ranke koppelte ihn überdies an die Vorstellung von einer Spaltung der deutschen Nation.11 Er sprach ausdrücklich von zwei parallelen „Spaltungen" 12 , die der nationalen Fortentwicklung,13 zumindest phasenweise, im Wege gestanden hätten. Gegen den Begriff der Spaltung lässt sich zudem ein weiterer grundlegender Kritikpunkt anführen: Er evoziert das Bild des Aufbrechens eines monolithischen Blocks Katholizismus, der, lediglich im Umfang verringert, in der Substanz unverändert bestehen geblieben sei, während sich ihm ein neuer Block, das Luthertum, später dann noch ein weiterer Block, der Calvinismus, gegenübergestellt habe. Der Prozesshaftigkeit der Ausbildung von Konfessionskirchen im Reich und den damit verbundenen Notwendigkeiten, sich stets selbst im Angesicht des Gegners zu finden bzw. zu definieren, wird der Begriff der Spaltung dagegen kaum gerecht. Sämtliche Kirchen waren gezwungen, in der Auseinandersetzung mit den Kontrahenten eigene Positionen zu überdenken und sich selbst zu verändern. Man war dabei gezwungen, kontinuierlich zu reagieren und unter Umständen sogar vom Feind zu lernen. Zudem nahm der Prozess der konfessionellen Ausdifferenzierung mit Blick auf die Lebenswelten der Frühen Neuzeit viel Zeit in Anspruch. Dass im 16. Jahrhundert in vielen katholischen Kirchen, die zu den österreichischen Gebieten der Habsburger gehörten, das Abendmahl sub utraque specie ausgeteilt wurde, ist nur ein Beleg dafür.14



Zwar wurde, wie dargelegt, bereits in der Frühen Neuzeit sowohl von Katholiken als auch Protestanten häufiger von der „spaltigen Religion" 15 und ihren schädlichen Auswirkungen gesprochen, der Begriff der konfessionellen Pluralisierung bietet jedoch demgegenüber den Vorteil, dass sich mit ihm der Prozesscharakter der Ausformung religiöser Separatheiten und Gegensätze im Leopold von Ranke: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1, hrsg. v. Horst Michael. Wien etc. [ca. 1930], S. 118. 12 Ebd., S. 337. « Ebd., S. 338. 14 Siehe Arno Herzig: Der Zwang zum wahren Glauben. Rekatholisierung vom 16. bis zum 18. Jahrhundert. Göttingen 2000, S. 95. Zu religiösen Mischformen siehe auch Ernst Walter Zeeden: Grundlagen und Wege der Konfessionsbildung in Deutschland im Zeitalter der Glaubenskämpfe, in: Zeeden, Emst Walter: Konfessionsbildung. Studien zur Reformation, Gegenreformation und katholischen Reform. Stuttgart 1985, S. 67-112, S. 91ff. Zur grundsätzlichen Problematik einer Übertragung des Begriffs der Konfession auf die Verhältnisse im Reich in der Mitte des 16. Jahrhunderts siehe Jörg Haustein: Das Verhältnis der Konfessionen um die Mitte des 16. Jahrhunderts. Ein europäischer Vergleich, in: Becker, Winfried (Hg.): Der Passauer Vertrag von 1552. Politische Entstehung, reichsrechtliche Bedeutung und konfessionsgeschichtliche Bewertung. Neustadt a.d. Aisch 2003, S. 151-165, S. 151ff. 15 Siehe etwa das den protestantischen Reichsständen vorgelegte kursächsische Konzept für eine Resolution auf dem Augsburger Reichstag von 1566, in der der Hoffnung auf eine „Aufhebung" der „spaltigen religion" Ausdruck verliehen wurde: Lanzinner, Maximilian/Heil, Dietmar (Hg.): Deutsche Reichstagsakten. Reichsversammlungen 1556-1662. Der Reichstag zu Augsburg 1566. 2. Tlbde. München 2002, Nr. 296. 11

2.1 Konfessionelle Pluralisierung und Religionskonflikt

Reich wie auch die Erfordernis, stetig auf neue Herausforderungen zu reagieren, besser herausstellen lässt. Mit ihm lässt sich die frühneuzeitliche Konfessionsbildung16 bzw. Konfessionalisierung als ein Nebeneinander von Menschen verschiedener Religionszugehörigkeit und deren Auseinandersetzung beschreiben. Er schärft dabei den Blick für Interkonfessionalität,17 vor allem für die Entwicklung von Mustern und Strategien zur Verarbeitung und Lösung der sich aus Ausdifferenzierung und Abgrenzung ergebenden Probleme, jener Konfliktlösungsmuster, die im folgenden genauer betrachtet werden sollen. Pluralisierung lässt sich in diesem Rahmen als ein Langzeitprozess verstehen, in dem sich zunächst erste Formen und Strukturen konfessioneller Pluralität ausbildeten, die sich anschließend jedoch veränderten. Die konfessionelle Pluralisierung, ein schmerzlicher historischer Prozess der „Demonopolisierung" 18 religiösen Wahrheitsanspruchs, stellte sich im Alten Reich als ein zentrales ungelöstes Problem dar, das in weiten Kreisen als unheilvoll angesehen wurde. 19 Dabei hatte sich die Koexistenz mehrerer religiöser Bekenntnisse im Verlauf des 16. Jahrhunderts, basierend auf politischen Strukturen, die die Zentralgewalt stark einschränkten,20 faktisch durchgesetzt: Als wichtige Marksteine lassen sich zum einen die Entscheidungen bedeutender Reichsfürsten gegen die Lehre Luthers und seine Anhänger seit etwa 152221 und auf der anderen Seite die Ausformulierung und Verabschiedung der Confessio Augustana (1530) benennen.22 Von ähnlicher Bedeutung war später der Beginn einer praktischen Duldung des Calvinismus auf Reichs-

Zum Begriff der Konfessionsbildung siehe Ernst Walter Zeeden: Die Entstehung der Konfessionen. Grundlagen und Formen der Konfessionsbildung im Zeitalter der Glaubenskämpfe. München, Wien 1965, S. 7ff. Zu den Unterschieden der Begriffe Konfessionsbildung und Konfessionalisierung siehe etwa Stefan Ehrenpreis/Ute Lotz-Heumann (2002): Reformation und konfessionelles Zeitalter. Darmstadt, S. 63ff. 17 Hierzu Kaufmann 2003, S. 15. 18 So die Formulierung bei Peter L. Berger/Thomas Luckmann: Secularization and Pluralism, in: International Yearbook for the Sociology of Religion 2 (1966), S. 73-86, hier S. 73. 19 Zur Deutung von Pluralisierung als Bedrohung siehe Winfried Schulze: Pluralisierung als Bedrohung: Toleranz als Lösung, in: Duchhardt, Heinz (Hg.): Der Westfälische Friede. Diplomatie - politische Zäsur - kulturelles Umfeld - Rezeptionsgeschichte (= Historische Zeitschrift Beiheft, 26). München 1998, S. 115-140. 20 Brady sieht den ,Partikularismus' im Reich als bedeutende Grundlage für den Erfolg der Reformation. Siehe Thomas Brady: Zwischen Gott und Mammon. Protestantische Politik und deutsche Reformation. Berlin 1996, S. 23. 21 Dickmann nennt 1524. Siehe Fritz Dickmann: Das Problem der Gleichberechtigung der Konfessionen im Reich im 16. und 17. Jahrhundert, in: Ders.: Friedensrecht und Friedenssicherung. Studien zum Friedensproblem in der neueren Geschichte. Göttingen 1971, S. 7-35, hier S. 8f. Der Zeitrahmen wird ausgedehnt auf 1522 bis 1524 bei Eike Wolgast: Die deutschen Territorialfürsten und die frühe Reformation, in: Moeller, Bernd (Hg.): Die frühe Reformation in Deutschland als Umbruch. Wissenschaftliches Symposion des Vereins für Reformationsgeschichte 1996. Heidelberg 1998, S. 407-434, S. 416ff. 22 So Dickmann 1971a, 8f. 16

2. Religion und Politik im frühneuzeitlichen Alten Reich

ebene seit dem Augsburger Reichstag von 1566.23 Zwar schlug das dadurch entstandene Nebeneinander Wurzeln im Machtgefüge des Reiches. So versammelten sich etwa auf den Reichstagen regelmäßig Fürsten unterschiedlichen Glaubens und stimmten über wichtige politische Angelegenheiten ab. Es gelang den Anhängern der verschiedenen Bekenntnisse dabei durchaus, miteinander zu einer Verständigung in wichtigen Fragen zu gelangen. Ein basales Problem ergab sich jedoch daraus, dass religiöse Wahrheitsansprüche auf allen Seiten und der dadurch bedingte Aufruf, sich gegenüber den konkurrierenden Glaubenssystemen durchzusetzen, eine uneingeschränkte Etablierung der Pluralität verhinderten. Die Formen, in denen sich Pluralität in dieser Zeit manifestierte, erschienen in den Augen vieler Zeitgenossen allenfalls als vorläufig. Vor diesem Hintergrund ist aber diese für das konfessionelle Zeitalter24 charakteristische Infragestellung der Pluralität als ein fester Bestandteil des Prozesses der Pluralisierung zu begreifen. Pluralisierung ist dabei klar von Pluralismus zu unterscheiden.25 Religiöser Pluralismus im Sinne einer breit akzeptierten oder sogar positiv konnotierten Vielheit, die nicht jeweils als grundsätzliche Bedrohung des eigenen kirchlichen Einheitsanspruchs und Bekenntnisses26 wahrgenommen wurde, existierte in der Frühen Neuzeit nicht. Selbst im Rahmen von Gedankenspielen sind pluralistische Vorstellungen selten greifbar.27 Der Prozess der konfessionellen Pluralisierung war vielmehr geprägt von einer grundlegenden Skepsis der historischen Akteure und von immer wieder aufs Neue aufflammenden Ermahnungen zur Rückkehr zur Kircheneinheit. Andererseits wurde die Infragestellung von Pluralität wiederum als existentielle Gefahr aufgefasst. Die Angst vor einem Triumph der Gegenseite erscheint als ein besonders gravierendes Problem, da sie die kom-

Siehe Winfried Schulze: Deutsche Geschichte im 16. Jahrhundert. 1500-1618. Frankfurt/M. 1987, S. 171f. 2 4 Zu diesem Epochenbegriff siehe Klueting 1989, S. 13ff. 25 Siehe Richard van Dülmen: Religion und Gesellschaft. Beiträge zu einer Religionsgeschichte der Neuzeit. Frankfurt/Main 1989, S. 12; der Begriff des „konfessionellen Pluralismus" in Europa wird etwa verwendet in: Erwin Iserlohn Geschichte und Theologie der Reformation im Grundriß. 3. Aufl. Paderborn 1985, S. 161ff. Von einem „konfessionellen Pluralismus als Folge der Reformation" spricht Christoph Schwöbel. Siehe Christoph Schwöbel: Art. „Pluralismus II", in: Müller, Gerhard (Hg.): Theologische Realenzyklopädie, Bd. 26. Berlin etc. 1996, S. 724-739, hier S. 725. 26 Kreiner 1999, S. 362f. Pluralismus kann aber allenfalls als ein Resultat eines historischen Prozesses der Demonopolisierung verstanden werden: „pluralism ist the consequence of a historical process of de-monopolisation". Siehe Berger/Luckmann 1966, S. 73. Zudem wird Pluralismus allenfalls in modernen Industriegesellschaften verortet, in denen sich bereits starke Tendenzen der Säkularisierung zeigen: ebd., S. 74. 2 7 Hierzu etwa Ralf-Peter Fuchs: From Pluralization to True Belief? An Austrian Treatise on Freedom of Religion (1624), in: Höfele, Andreas/Laqué, Stefan/Ruge, Enno Ruge/Schmidt, Gabriela (Hg.): Representing Religious Pluralization in Early Modern Europe Berlin 2008, S. 113-131. 23

2.1 Konfessionelle Pluralisierung und Religionskonflikt

promissbereiten und gemäßigten Kräfte verunsichern und die Lagerbildung vorantreiben konnte. Lässt sich somit davon ausgehen, dass man im Alten Reich durchaus in der Lage war, die Koexistenz verschiedener Konfessionen als momentane Gegebenheit, als gegenwärtige Realität, zu akzeptieren, so bestand ein Kernproblem im Charakter der Pluralisierung als offener Prozess und insbesondere in einer sich verstetigenden prinzipiellen Uneinigkeit darüber, welche Gestalt Pluralität langfristig annehmen sollte. Von den Polen aus betrachtet, ließ sich der Konflikt dabei als ein Nullsummenkonflikt um Räume und Ressourcen verstehen, in dem die Konfessionsgruppen versuchen mussten, ihre Ausgangspositionen für den vertagten Moment der Entscheidung zu verbessern. Die drei großen Glaubensgemeinschaften im Reich gestatteten sich gegenseitig keinen sicheren Boden unter den Füßen. Es mangelte an einer langfristigen Absicherung konfessioneller Pluralität.28 Zudem vollzog sich der Vorgang der Demonopolisierung religiösen Wahrheitsanspruchs im Rahmen kultureller Praktiken, die eine besondere Konfliktdynamik hervorbrachten: So wurde die Auseinandersetzung der Konfessionen mit neuen, publikumswirksamen Medien zur Verbreitung des eigenen Glaubens geführt. Im Kampf um die Seelen, der zum großen Teil über gedruckte volkssprachliche und illustrierte29 Streitschriften ausgetragen wurde,30 manifestierte sich vielfach eine ruppige, ,grobianische' Fundamentalopposition31 gegenüber dem jeweiligen Gegner. Der Streit erhielt allgemein dadurch eine besondere Dynamik, außerdem zeigte sich darin der Unwille auf breiterer Basis, das Faktum der Pluralität zu akzeptieren und hinreichend zu stabilisieren. Zwar bestand der Hauptzweck vieler Pamphlete, mit denen die Anhänger anderen Glaubens verteufelt und entsprechend als Antichrist oder Ketzer be-

Zu diesem Mangel auf verfassungsrechtlicher Basis siehe Martin Heckel: Die Krise der Religionsverfassung des Reiches und die Anfänge des Dreißigjährigen Krieges, in: Heckel, Martin: Gesammelte Schriften. Staat - Kirche - Recht - Geschichte. 5 Bde., 19892004, hrsg. v. Klaus Schiaich, Bd. 2. Tübingen, S. 970-998, S. 976. 29 Hierzu etwa Hans-Jürgen Goertz: „Bannwerfer des Antichrist" und „Hetzhunde des Teufels". Die antiklerikale Spitze der Bildpropaganda in der Reformation, in: Archiv für Reformationsgeschichte 82 (1991), S. 5-38. 3 0 Zur Verbreitung religiöser Wissensbestände innerhalb der nicht lesefähigen Schichten über die Praxis des Vorlesens siehe Robert W. Scribner: Flugblatt und Analphabetentum. Wie kam der gemeine Mann zu reformatorischen Ideen?, in: Flugschriften als Massenmedium der Reformationszeit. Beiträge zum Tübinger Symposion 1980. Stuttgart 1981, S. 65-76, S. 67f. Zu den Illustrationen im reformatorischen Flugblatt siehe Robert W. Scribner: For the Sake of Simple Folk. Popular Propaganda for the German Reformation. Oxford 1981, und Franz-Heinrich Beyer: Eigenart und Wirkung des reformatorisch-polemischen Flugblatts im Zusammenhang der Publizistik der Reformationszeit. Frankfurt/M. etc. 1994. 31 Siehe Kai Bremer: Religionsstreitigkeiten. Volkssprachliche Kontroversen zwischen altgläubigen und evangelischen Theologen im 16. Jahrhundert. Tübingen 2005, S. 219. 28

2. Religion und Politik im frühneuzeitlichen Alten Reich

zeichnet und dargestellt wurden,32 in der Festigung der eigenen Gruppenkohäsion.33 Sie wurden dennoch vom Feind wahrgenommen, und, wie viele Streitschriftenduelle zeigen, als Beleg für die Unfriedsamkeit der konkurrierenden Glaubensgemeinschaften dargestellt. Die Bestrebungen zur Konstruktion konfessioneller Identität über Diffamierung und Abgrenzung trugen offensichtlich vielfach nicht unerheblich dazu bei, die Furcht vor Gewalt zu nähren. Es drohte somit ständig eine Ausweitung des kirchlichen Streites. Dennoch ist noch einmal hervorzuheben, dass die Existenz „mehrerer Kirchen mit Absolutheitsanspruch"34 im Reich nicht notwendigerweise zu Gewalt führte. Aufrufe zur Mäßigung und Maßnahmen zur Unterbindung des Schmähens auf Reichsebene zeigen, dass unablässig Wege zur Konfliktregulierung im Nebeneinander gesucht und beschritten wurden. 2.2 Religionsparteien und das politische Operieren mit dem Faktor Zeit Eine besondere Dimension erhielt der Prozess der konfessionellen Pluralisierung im Reich dadurch, dass er keineswegs nur von Kontroversen auf religiöser Ebene getragen wurde. Vielmehr reichte er in andere Bereiche hinein, wo der Konflikt spezifische Ausprägungen erhielt.35 Martin Heckel hat von einer ,Spaltung des Rechts', konkret einer katholischen und einer protestantischen Auslegung des Religionsrechts gesprochen.36 Darüber hinaus ist in der historischen Forschung der Tatbestand hervorgehoben worden, dass sich auf den Reichstagen zwei Religionsparteien mit antagonistischen Programmen ausbildeten.37 Diese Religionsparteien betrachtete Fritz Dickmann als die eigentlichen „Träger des Kampfes", 38 eines politischen und phasenweise auch kriegerischen Verteilungskampfes um Räume innerhalb des Reiches. Innerhalb dieser beiden Religionsparteien wurden seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts die religionspolitischen Ansprüche dreier Konfessionen gebündelt. Obwohl gerade jüngste Forschungen sehr differente

Zur reformatorischen Propaganda siehe Scribner 1981a. Zur „kollektivierenden Wirkung des Streites" siehe Bremer 2005, S. 220f. Zur „Ausformulierung der konfessionellen Differenz" siehe ebd., S. 132ff. 34 Reinhard 1995, S. 426. 35 Wolgast konstatiert eine „Theologisierung aller Lebensbereiche". Siehe Eike Wolgast: Konfessionalisierung und Religionskrieg, in: Assmann, Jan/Harth, Dietrich (Hg.): Kultur und Konflikt. Frankfurt 1990, S. 180-214, S. 186. 36 Heckel 1989a, insbesondere S. llff. und S. 20ff. Bereits Heinrich Mitteis sprach von einer rechtlichen Spaltung: Heinrich Mitteis: Deutsche Rechtsgeschichte. Ein Studienbuch. 3. Aufl. München/Berlin 1954, S. 159. 37 Von zwei politischen Parteien bzw. Religionsparteien spricht bereits Moriz Ritter. Siehe etwa Moriz Ritter: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Gegenreformation und des Dreissigjährigen Krieges (1555-1648). Bd. 2 (1555-1618). Darmstadt 1962 (Neudr. d. Ausg. 1895), u.a. S. 209, S. 227 und S. 379. 38 Dickmann 1971a, S. 9. 32

33

2.2 Religionspartäen

und das politische Operieren mit dem Faktor Zeit

politische Konzepte einzelner Reichsstände nachgewiesen haben,39 auf die noch genauer einzugehen sein wird, lassen sich dennoch Pole ausmachen, die Erwartungshaltungen wie auch entsprechende Zwänge zum Zusammenhalt und zur Gruppendisziplin generierten: Prägend für das katholische Programm, belegbar über eine langjährig verfolgte Politik, war der Versuch, eine Ausbreitung protestantischer Lehren über die Erlangung rechtlicher Besitzstandsgarantien zu verhindern. Die possessio wurde damit zu einem zentralen Begriff des Reichskirchenrechts.40 Darüber hinaus beharrte man katholischerseits auf einem reichsrechtlichen Verbot des Calvinismus.41 Auf protestantischer Seite42 versuchte man dagegen, den Katholiken eine unbefristete Existenzgarantie abzuringen und die eigene Stellung über den Kampf um Parität,43 die reichsrechtliche Anerkennung als Gruppe mit gleichen Rechten wie die Katholiken, zu festigen. Zudem bestanden die Protestanten aber auch auf der rechtlichen Möglichkeit einer weiteren Ausbreitung der evangelischen Lehre im Reich. Diese sollte durch die Erlaubnis der friedlichen Erlangung katholischen Besitzes und die Freistellung' der Religion gewährleistet werden.44 Dem Bewusstsein der Zeitgenossen, sich in einem offenen Prozess zu befinden, entsprechen spezifische Formen des politischen Operierens mit Zeit. Mit Blick auf die Einigungsmöglichkeiten der Religionsparteien im Reich lassen sich vor allem zwei Typen des Umgehens mit interkonfessionellen Problemen

Siehe die Beiträge in: Schulze, Winfried (Hg.): Friedliche Intentionen - Kriegerische Effekte. War der Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges unvermeidlich? St. Katharinen 2002. 40 Heckel 1995, S. 200. 41 Michael Frisch: Das Restitutionsedikt Kaiser Ferdinands II. vom 6. März 1629. Eine rechtsgeschichtliche Untersuchung. Tübingen 1993, S. 53ff. 42 Zur Formierung einer protestantischen Identität, verstanden als vorgestellte Gemeinschaff bzw. ,imagined community', in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts: Barbara Staudinger: Sprache, Handlung und Identität. Methodische Überlegungen zur politischen und religiösen Identität der evangelischen Reichsfürsten in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, in: Frühneuzeit-Info 10 (1999), S. 95-107, insbes. S. 103f. 43 Hierzu Heckel 1989a und ders.: Parität (I), in: Ders.: Gesammelte Schriften. Staat Kirche - Recht - Geschichte. 5 Bde., 1989 - 2004, hrsg. v. Klaus Schiaich, Bd. 1, Tübingen, S. 106-226. 44 Zum lutherischen Begriff der Freistellung' siehe Nikolaus Paulus: Religionsfreiheit und Augsburger Religionsfriede, in: Lutz, Heinrich (Hg.): Zur Geschichte der Toleranz und Religionsfreiheit. Darmstadt 1977, S. 17-41; zum calvinistischen Projekt der Freistellung' unter Johann Kasimir von der Pfalz in den 1580er Jahren siehe Heinz Duchhardt: Protestantisches Kaisertum und altes Reich. Die Diskussion über die Konfession des Kaisers in Politik, Publizistik und Staatsrecht. Wiesbaden 1977, S. 105. Der katholische Reichshofrat Erstenberger verwies in seiner Streitschrift darauf, dass der Begriff im Fürstenaufstand erfunden worden war, der dem Passauer Vertrag vorausging. Siehe Andreas Erstenberger [Pseudonym: Franciscus Burgkard]: De Avtonomia, Das ist, von Freystellung mehrerlay Religion vnd Glauben. Was vnd wie mancherlay die sey, was derhalben biß daher im Reich Teutscher Nation fürgangen, Vnnd ob dieselb von der Christenlichen Obrigkeit möge bewilliget vnnd gestattet werden. 3 Teile. München 1586, Tl. 1, S. 1. 39

2. Religion und Politik im frühneuzeitlichen Alten Reich

erkennen: zum einen die Schaffung von Provisorien und zum anderen der Versuch, Zustände zu fixieren bzw. festzufrieren. Das Provisorium gehört allgemein zu den Kernelementen frühneuzeitlicher Rechtskultur, in welcher endgültige Entscheidungen oftmals nicht durchzusetzen waren.45 Im Rahmen des Religionskonfliktes gehörte es zu den bedeutendsten Mustern der Problemeingrenzung - eben nicht der Problemlösung als dieses, im Gegensatz zu etwaigen endgültigen Zugeständnissen, mit dem religiösen Wahrheitsanspruch der Konfessionen vereinbart werden konnte. Mit dem Provisorium verbunden war die Hoffnung auf bessere Zeiten: Der katholische Reichshofrat Andreas Erstenberger sprach, sich allerdings selbst davon schroff distanzierend, von einer Politik des ,Temporisierens/46 und meinte damit das vorläufige Eingehen auf Kompromisse mit dem Gegner, um zu einem günstigeren späteren Zeitpunkt wieder zu den Prinzipien einer konsequenten Glaubenspolitik zurückkehren zu können.47 Vor allem die Katholiken, an ihrer Spitze oftmals die kaiserlichen Reichsoberhäupter, beharrten häufig auf der provisorischen Geltung von Kompromissen, weil sie ihre Rechte als die älteren betrachteten und von daher unter keinen Umständen dazu bereit waren, sie für immer preiszugeben. Auch wollten sie das Ziel einer Rückführung der Protestanten in ihre Kirche nicht aus den Augen verlieren. Allenfalls waren sie zur Suspension bereit: Sie verzichteten dabei vorläufig auf eine Inanspruchnahme von Rechten und eine Verwirklichung der für sie maßgeblichen religionspolitischen Leitvorstellungen. Ein frühes Beispiel dafür stellt die so genannte Verantwortungsklausel des Speyerer Reichsabschiedes von 1526 dar, die es den Reichsständen gestattete, es in jenen Sachen, die das Wormser Edikt betrafen, so zu halten, wie sie es Gott und dem Kaiser gegenüber zu verantworten glaubten. Diese Regelung sollte allerdings nur solange gelten, bis ein binnen spätestens 18 Monaten einzuberufendes Konzil die Religionsfrage entscheiden würde.48 Als ein weiteres Beispiel für ein Provisorium ist das Interim von 1548 anzusehen,49 mit dem Kaiser Karl V. eine vorläufige Kirchenordnung im Alten Reich schaffen wollte,

Siehe hierzu, mit Blick auf die Spruchtätigkeit des Reichskammergerichts, den grundlegenden Aufsatz von Bernhard Diestelkamp: Das Reichskammergericht im Rechtsleben des 16. Jahrhunderts, in: Becker, H.-J. u.a. (Hg.): Rechtsgeschichte als Kulturgeschichte. Fs. für Adalbert Erler zum 70. Geburtstag. Aalen 1976, S. 435-480. 46 Zu Erstenberger siehe Heckel 1989a, S. 3ff. Zum Konzept des Temporisierens siehe Winfried Schulze: Zeit und Konfession oder die Erfindung des,Temporisierens', in: Brendecke, Arndt/Fuchs, Ralf-Peter/Koller, Edith (Hg.): Die Autorität der Zeit in der Frühen Neuzeit. Berlin 2007, S. 333-352. 4 7 Erstenberger 1586, Ή. 3, S. 246ff. 48 Eike Wolgast: Die Religionsfrage auf den Reichstagen 1521 bis 1550/51, in: Becker, Winfried (Hg.): Der Passauer Vertrag von 1552. Politische Entstehung, reichsrechtliche Bedeutung und konfessionsgeschichtliche Bewertung. Neustadt a.d. Aisch 2003, S. 9-27, S. 16. 4 9 Siehe die Beiträge in: Schorn-Schütte, Luise (Hg.): Das Interim 1548/50. Herrschaftskrise und Glaubenskonflikt. Heidelberg 2005. 45

2.2 Religionsparteien und das politische Operieren mit dem Faktor Zeit

um sein eigentliches Ziel, die Herstellung der Kircheneinheit über ein Generalkonzil, vorzubereiten.50 Auch den Augsburger Religionsfrieden, der von päpstlicher Seite als nichtig erklärt wurde, konnten die Katholiken nur als provisorische Lösung akzeptieren.51 Die Protestanten waren im Gegensatz dazu zwar bestrebt, den Religionsfrieden als ein unbefristetes Reichsgrundgesetz zu interpretieren.52 Ihre eigene Heilslehre lief jedoch ebenfalls darauf hinaus, ihren Glauben als den einzigen, allgemeingültigen durchzusetzen,53 wodurch auch sie zwangsläufig die mit dem Gegner ausgehandelten Regelungen als aufhebbar betrachteten. Die im Text des Augsburger Religionsfriedens auftauchende Aufforderung, zu einem späteren Zeitpunkt, über ein künftiges Unionskonzil, die religiösen Differenzen beizulegen,54 hielt die Frage nach der endgültigen Entscheidung in der Schwebe. Nachdem es den Protestanten 1566 gelang, die fortdauernde Geltung des Religionsfriedens von 1555 auch nach dem Trienter Konzil durchzusetzen,55 wurde die Aussicht auf eine künftige Einigung der Religionsparteien weit in die Zukunft verlegt. Dieser Entscheidungsaufschub auf unbestimmte Zeit bildete im Folgenden die Grundlage für die Existenz des Protestantismus im Reich. Gleichzeitig entwickelte sich der Protestantismus zu einem Bündnis von Fürsten zweier Konfessionen, Luthertum und Calvinismus. Immerhin schuf diese Entscheidungsverlagerung eine behelfsmäßige Plattform für religiöse Pluralität.56 Der zweite häufiger auszumachende Typus politischen Agierens, basierend auf dem Konzept des ,freezing' 57 , lässt sich zunächst vorrangig auf Seiten der Katholiken beobachten, während die Protestanten eher das Ziel verfolgten, die „Dynamik der reformatorischen Bewegung" 58 zu sichern. Für die Katholiken stellte das Vordringen der Protestanten und die Entstehung einer gemischtkonfessionellen Landkarte im 16. Jahrhundert einen Verlust hergebrachter Eigentumsrechte der katholischen Kirche dar. Folglich beinhaltete ihr Programm die Forderung nach Rückgabe verloren gegangenen Terrains. Sie Siehe Horst Rabe: Reichsbund u. Interim. Die Verfassungs- u. Religionspolitik Kaiser Karls V. u. der Reichstag von Augsburg 1547/48. Köln 1971, und ders.: Zur Interimspolitik Karls V., in: Schorn-Schütte, Luise (Hg.): Das Interim 1548/50. Herrschaftskrise und Glaubenskonflikt. Heidelberg 2005, S. 127-146. si Heckel 1995, S. 198ff. 52 Siehe Martin Heckel: Religionsbann und Landesherrliches Kirchenregiment, in: Die lutherische Konfessionalisierung in Deutschland. Wissenschaftliches Symposion des Vereins für Reformationsgeschichte 1988. Heidelberg 1992, S. 130-162, hier S. 149. 53 Siehe Albrecht Pius Luttenberger: Glaubenseinheit und Reichsfriede. Konzeptionen und Wege konfessionsneutraler Reichspolitik 1530-1552 (Kurpfalz, Jülich, Kurbrandenburg). Göttingen 1982, S. 173. 54 Heckel 1992, S. 151f. 55 Heckel 1995, S. 210f. 56 Zur Vertagung von Entscheidungen zum Zwecke der Zukunftskontrolle siehe Luhmann 2000, S. 19. 5 7 Bezogen auf das spätere Normaljahr 1624: „freeze", siehe Burkhardt 1992, S. 176. 58 Luttenberger 1982, S. 173. 50

2. Religion und Politik im frühneuzeitlichen Alten Reich wurde unter dem Schlagwort Restitution' erhoben. 59 Vor allem ging es dabei u m die so genannten Kirchengüter, d.h. Klöster, Stifter und geistliche Territorien, die durch die zur Reformation übergetretenen Obrigkeiten säkularisiert worden waren. Erste Einigungsansätze, die die Frage der Kirchengüter berührten, wurden im so genannten Nürnberger Anstand von 1532 und dem Frankfurter Anstand von 1538/39 erreicht: 60 In Nürnberg wurde eine Suspendierung der am Reichskammergericht anhängigen Prozesse 61 u m das Kirchengut verabschiedet. 62 In Frankfurt wurden die Protestanten dazu gebracht, den Verzicht auf eine Säkularisation weiterer Kirchengüter zu erklären. 63 Martin Heckel hat darin erste Festlegungen von kirchlichen Normaltagen gesehen. 6 4 In der Tat stellen diese Regelungen bereits, zumindest partiell, Vorläufer jener termini a quo, die im 17. Jahrhundert zur Lösung der Religionsfrage ins Auge gefasst werden sollten, dar. Jedoch ist zu betonen, dass sich das Konzept der Festschreibung des Status quo in den Verhandlungen, die z u m Nürnberger Anstand führten, eben nicht durchsetzte 6 5 und dass die den Frankfurter Anstand unterzeichnenden Protestanten sich lediglich dazu verpflichtet sahen, für eine sehr kurze Dauer auf die Forderung der Katholiken einzugehen. 66 Siehe im Hinblick auf die 1540er Jahre: Brady 1996, S. 248 u. S. 258. Eine genauere Beschäftigung mit diesen Einigungsverträgen muss hier unterbleiben. Verwiesen werden soll lediglich auf die ausführlicheren Arbeiten von Rosemarie Aulinger. Die Verhandlungen zum Nürnberger Anstand 1531/32 in der Vorgeschichte des Augsburger Religionsfriedens, in: Lutz, Heinrich/Kohler, Alfred (Hg.), Aus der Arbeit an den Reichstagen unter Kaiser Karl V. Sieben Beiträge zu Fragen der Forschung und Edition. Göttingen 1986 (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 26), S. 194-227, und Paul Fuchtel: Der Frankfurter Anstand vom Jahre 1539, in: Archiv für Reformationsgeschichte 28 (1931), S. 145-206. 61 Zur Bedeutung des Landfriedensrechts für diese Prozesse siehe Dietmar Willoiveit: Religionsrecht im Heiligen Römischen Reich zwischen Mittelalter und Aufklärung, in: Hoffmann, Carl A. (Hg.): Als Frieden möglich war. 450 Jahre Augsburger Religionsfrieden. Begleitband zur Ausstellung im Maximilianmuseum Augsburg. Regensburg 2005, S. 35-50, S. 40. 62 Hierzu Helmut Neuhaus: Der Passauer Vertrag und die Entwicklung des Reichsreligionsrechts: Vom Nürnberger Anstand zum Augsburger Religionsfrieden, in: Becker, Winfried (Hg.): Der Passauer Vertrag von 1552. Politische Entstehung, reichsrechtliche Bedeutung und konfessionsgeschichtliche Bewertung. Neustadt a.d. Aisch 2003, S. 139150, hier S. 144; ebenso: Gabriele Haug-Moritz: Der Schmalkaldische Bund 1530-1541/42. Eine Studie zu den genossenschaftlichen Strukturelementen der politischen Ordnung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Leinfelden-Echterdingen 2002, S. 53. 63 Fuchtel 1931, S. 184f. Zum Frankfurter Anstand ebenso Wolgast 2003, S. 20 und Neuhaus 2003, S. 145f. 64 Heckel 1989a, S. 39, Anm. 311: Konstatiert wird ein Wechsel des Normaltages von 1531 auf 1539, dann auf 1541 (Reichsabschied). Siehe ebenso Michael Frisch: Die Normaltagsregelung im Prager Frieden, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Kanonistische Abteilung 87 (2001), S. 442-454, hier S. 443. 65 „Es war nicht gelungen, in der allseitigen Übereinstimmung in der Respektierung und Duldung des Status quo einen politisch definierten Ersatzkonsens zu finden, der bis zur Wiederherstellung der religiösen Einheit als Stabilisator hätte fungieren können." Luttenberger 1982, S. 183. 66 Im Hinblick auf den Frankfurter Anstand: Fuchtel 1931, S. 184f. 59 60

2.2 Religionsparteien und das politische Operieren mit dem Faktor Zeit

Auch sie griffen auf das Provisorium als politisches Konzept zurück: Eine Besitzgarantie gegenüber den Katholiken war nur für einige Monate geplant und der langfristige Kampf um weitere Verbreitung des evangelischen Glaubens durch Säkularisationen geistlicher Güter für sie prinzipiell davon unberührt.67 Auf katholischer Seite bestanden ebenfalls starke Vorbehalte gegen die Abmachungen. 68 Insbesondere von kaiserlicher Seite wurde die Wiederherstellung der Kircheneiriheit auf einem kurzfristig anzuberaumenden Konzil ins Auge gefasst, über das die katholischen Zugeständnisse zwangsläufig wieder rückgängig gemacht würden. Auch die Kirchengutsregelungen im Reichsabschied zu Speyer von 1541, in dem der Nürnberger Anstand bekräftigt wurde, wurden als kurzfristige Lösungen betrachtet. Erneut wurden die am Reichskammergericht anhängigen Prozesse suspendiert, bis ein Konzil oder eine Reichsversammlung die Voraussetzungen für eine Einigung geschaffen hatte.69 Innerhalb eines Jahres sollten zudem kaiserliche Kommissare versuchen, strittige Parteien im Reich zu einem gütlichen Vergleich zu bringen.70 Die Kirchengutsbestimmungen des 1555 besiegelten Augsburger Religionsfriedens sollten schließlich zu einem Hauptgegenstand des Streits der Religionsparteien im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert werden. Im Zentrum dieses Streits sollte der so genannte Geistliche Vorbehalt stehen. Dieser beinhaltete, dass diejenigen Kirchenfürsten und Vorsteher anderer reichsunmittelbarer geistlicher Einrichtungen, die zukünftig zum protestantischen Glauben übertraten, abdanken und Territorium wie auch andere Kirchengüter einem katholischen Anwärter überlassen sollten.71 Er beinhaltete damit den Versuch, den reichsunmittelbaren Kirchenbesitz der Katholiken als ewiges Eigentum festzufrieren.72 Ein weiterer Effekt sollte in der Wahrung der Verhältnisse auf

Zur Verfechtung des Programms der ungehinderten Ausbreitung der evangelischen Lehre durch den Schmalkaldischen Bund in den 1530er Jahren siehe Haug-Moritz 2002, S. 49. Eine genauere Ausformulierung der Begründung des protestantischen ius reformandi im Hinblick auf die Kirchengüter wurde 1537 vorgenommen. Die Abschaffung des „unser Confession widerwertigen Gottesdienstes]" wurde zur Gewissensfrage erklärt. Zit. nach Haug-Moritz 2002, S. 519. 68 1539 war der Widerstand in den Reihen der Katholiken gegen eine solche Vereinbarung noch groß, da immerhin die protestantischen Stände ebenfalls eine befristete Besitzschutzgarantie erhielten; siehe dazu Heckel 1989a, S. 39. Der Frankfurter Anstand wurde überdies von Kaiser Karl V. nicht ratifiziert. Siehe Haug-Moritz 2002, S. 66, und Wolgast 2003, S. 20. 69 Abschied des Reichs-Tags zu Regenspurg/ Anno 1541 aufgericht, in: Schmauss, Johann Jacob/Senckenberg, Heinrich Christian (Hg.): Neue und vollständigere Sammlung der Reichsabschiede. Osnabrück 1967, Bd. 1, S. 428-444, hier S. 435 (§ 29). Zur Politik Karls V. in diesem Kontext siehe Rabe 2005, S. 130. 70 Schmauss/Senckenberg 1967 [1747]), Bd. 1, S. 428-444, hier S. 435 (§ 29). 71 Abschied der Römisch königlichen Majestät 1984, S. 225f. (§ 18). 72 Siehe M. Daur.: Art. „Geistlicher Vorbehalt", in: Erler, Adalbert/Kaufmann, Ekkehard (Hg.): Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte. Bd. 1. Berlin 1971, Sp. 14531455, hier Sp. 1453. 67

2. Religion und Politik im frühneuzeitlichen Alten Reich

den Reichstagen bestehen, wo die Katholiken gegenüber den Protestanten die Mehrheit bildeten. Der Geistliche Vorbehalt enthält den Hinweis, dass er durch König Ferdinand, der in Vollmacht von Kaiser Karl V. agierte, nachträglich verordnet worden war, nachdem bei den Verhandlungen keine Einigung über diesen Punkt zustandegekommen war.73 Diese Erklärung, über den der Dissens der protestantischen Stände festgehalten wurde, war von ihnen offensichtlich zunächst als ausreichend betrachtet worden. Ihre Bereitschaft zum Einlenken und zur Ratifizierung des Reichsabschieds war offensichtlich durch die separat ergangene Declaratio Ferdinandea, die den protestantischen Landständen innerhalb der geistlichen Territorien Glaubensfreiheit zusicherte, gefördert worden. Entscheidend war und blieb jedoch, dass die Protestanten den Geistlichen Vorbehalt auch in der Folgezeit nicht anerkannten, ihn vielmehr als existenzbedrohend empfanden, da sie eine langfristige Erhaltung des Protestantismus im Reich nur über den Zugewinn von Kirchengütern zu erreichen glaubten. Das von ihnen vertretene Prinzip der Freistellung' verbot darüber hinaus, den Katholiken längerfristig diese Güter zu überlassen, zu denen beträchtliche Gebiete gehörten, in denen zahlreiche Menschen als Untertanen lebten. Jeglichem Bekehrungsstreben, vor allem der Verbreitung ihres Glaubens innerhalb dieser Güter über das landesherrliche ius reformandi, wären damit rechtliche Schranken gesetzt worden. So bedeutend der Augsburger Religionsfrieden für die Protestanten auch war, da sie in ihm die reichsrechtliche Anerkennung ihres Glaubens sahen und das landesherrliche ius reformandi dadurch verankert wurde, so entschieden wandten sie sich doch dagegen, den Geistlichen Vorbehalt als einen Bestandteil dieses Friedens zu betrachten. Allerdings erhoben die Protestanten keinen Widerspruch gegen eine weitere Bestimmung 74 des Augsburger Religionsfriedens, die ihnen den Besitz an Kirchengütern einräumte, die kein katholischer Geistlicher zur Zeit des Passauer Vertrages (1552)75 „oder seithero" mehr in Besitz gehabt hatte.76 Dies war auf „[...] welches sich aber beeder Religions-Stände nit haben vergleichen können, demnach haben Wir Krafft hochgedachter Rom. Kays. Majest. Uns gegebenen Vollmacht und Heimstellung erklärt und gesetzt, thun auch solches hiemit wissentlich also:" Abschied der Römisch königlichen Majestät 1984, S. 225 (§ 18). Dietmar Willoweit sieht den Geistlichen Vorbehalt als einen Vorschlag, dem die Protestanten nicht zustimmen mussten. Dadurch seien sie in die Lage versetzt worden, den Religionsfrieden mit zu verabschieden. Willoweit 2005, S. 44. Siehe zu den Verhandlungen ebenso Axel Gotthard: Der Augsburger Religionsfrieden. Münster 2004, S. 150f. 74 Abschied der Römisch königlichen Majestät 1984, S. 226 (§ 19). Zu den Regelungen der Kirchengüterfrage im Reichsabschied von Speyer von 1544 und deren Verhältnis zu den Bestimmungen im Religionsfrieden siehe Anton Schindling: Der Passauer Vertrag und die Kirchengüterfrage, in: Becker, Winfried (Hg.): Der Passauer Vertrag von 1552. Politische Entstehung, reichsrechtliche Bedeutung und konfessionsgeschichtliche Bewertung. Neustadt a.d. Aisch 2003, S. 105-123, hier S. 108ff. 75 Zum Zustandekommen des Passauer Vertrages in den Verhandlungen siehe Volker Henning Drecoll: Verhandlungen in Passau am 6. Juni 1552: Eine Einigung in der Frage 73

2.2 Religionsparteien und das politische Operieren mit dem Faktor Zeit

den ersten Blick ein Zugeständnis, indem ihnen die Möglichkeit gegeben wurde, sich auf ein Stichjahr 1552 zu berufen. Mit der Regelung verbunden war ein Befehl an das Reichskammergericht, keine Prozesse mehr um jene Güter führen zu lassen, die bereits zuvor von protestantischen Fürsten eingezogen und säkularisiert worden waren.77 Über die Frage, um welches Kirchengut es in diesem Artikel konkret ging, sollte sich jedoch ein elementarer Streit erheben. Von katholischer Seite wurde die Bestimmung nämlich dahingehend gedeutet, dass es nur um reichsmittelbares Kirchengut ging, während sie die Frage des reichsunmittelbaren Kirchenguts über den Geistlichen Vorbehalt als geklärt betrachteten. Sie folgerten zudem, dass es den Protestanten verboten war, nach 1552 weitere, reichsmittelbare wie reichsunmittelbare Kirchengüter in Besitz zu nehmen.78 Wenn somit das Jahr 1552 des Öfteren als ein kirchliches ,Normaljahr' bezeichnet wird,79 ist dazu zu bemerken, dass einem solchen von den beiden Religionsparteien eine völlig unterschiedliche Bedeutung zugemessen wurde.80 Die Regelung wurde nämlich von den Protestanten und den Katholiken gleichermaßen in Gebrauch genommen, um eigene Ansprüche zu begründen.81 Die Katholiken interpretierten sie als Instrument zur Festschreibimg ihres Besitzes, um damit den Protestantismus möglichst klein zu halten. Diese Deutung fügte sich nahtlos in ihr Konzept ein, jenen Folgen der konfessionellen Pluralisierung, die sie als bedrohlich empfanden, über eine rechtliche Absicherung der noch in ihrem Besitz befindlichen kirchlichen Besitztümer entgegenzuarbeiten. Ihr Ziel war es, einen Prozess zum Stillstand zu bringen. Die Protestanten bestritten dagegen fest, dass ein Stichjahr 1552 sie daran hindern sollte, ihren Besitz zu mehren und ihren Glauben ungehindert auf der Religion?, in: Becker, Winfried (Hg.): Der Passauer Vertrag von 1552. Politische Entstehung, reichsrechtliche Bedeutung und konfessionsgeschichtliche Bewertung. Neustadt a.d. Aisch 2003, S. 29-44. 76 „[...] so sollen auch solche eingezogene Güter, welche denjenigen, so dem Reich ohn Mittel unterworffen und Reichsstände sind, nicht zugehörig und dero possession die Geistlichen zur Zeit des Passauischen Vertrags oder seithero nicht gehabt, in diesem Friedstand mit begriffen und eingezogen seyn und bey der Verordnung, wie es ein jeder Stand mit obberührten eingezognen und allbereit verwendeten Gütern gemacht, gelassen werden und dieselbe Stände derenthalb weder inn- noch ausserhalb Rechtens zu Erhaltung eines beständigen, ewigen Friedens nicht besprochen noch angefochten werden". Abschied der Römisch königlichen Majestät 1984, S. 226 (§ 19). 7 7 Ebd., 226 (§ 19). 78 Hierzu Frisch 1993, S. 27ff. 79 Heckel 1989a, S. 40 u. Schindling 2003, S. 120ff. Frisch 2001, S. 442ff., unterscheidet zwischen in Anführungen gesetzten „Normaljahren" (1532, 1539, 1541 und 1552) und einem nicht in Anführungen gesetzten Normaltag des Westfälischen Friedens. Bereits für Moser war 1552 „gewisser massen zu einem Entscheid-Jahr bestimmet" worden. Siehe Moser 1773, S. 531. 80 Zur protestantischen Interpretation siehe Frisch 1993, S. 30ff. 81 Die Regelung mag, wie Frisch behauptet, als weltliche Norm „unkonfessionelles Recht" repräsentieren. Siehe Frisch 1993, S. 26. Die Regelung wurde jedenfalls festes Element im Rahmen der Argumentation beider Religionsparteien, um ihre Auslegung des Religionsfriedens zu begründen.

2. Religion und Politik im frühneuzeitlichen Alten Reich

friedliche Weise zu verbreiten.82 Ihrer Interpretation zufolge sicherte der Artikel das unbegrenzte Recht zur Säkularisierung von mittelbarem Kirchengut und darüber hinaus ihren vor dem Passauer Vertrag erworbenen Besitz an reichsunmittelbarem Kirchengut.83 Um ihrer Auslegung des Augsburger Religionsfriedens in der höchsten Justiz Geltung zu verschaffen und, ganz allgemein, der Verfassung des Reiches die Koexistenz zweier Glaubensrichtungen einzuschreiben, verstärkten sie ihre Bemühungen, Strukturen numerischer Parität zu schaffen, so etwa über den Versuch gleiche Anteile von katholischen und protestantischen Richterstellen beim Reichskammergericht festzulegen. Lassen sich somit die unterschiedlichen religionspolitischen Konzepte der beiden Konfessionsparteien insofern voneinander abgrenzen, als die eine Partei, die katholische, Pluralität ablehnte, während die andere, die protestantische, sich für sie einsetzte? Dafür mag zunächst sprechen, dass der protestantische Kampf um Freistellung' und Parität sich in der Tat als ein Kampf für die Verankerung religiöser Pluralität im Reich interpretieren lässt, während die Verweigerung durch die katholische Religionspartei sich als Versuch, eben dies zu blockieren, verstehen lässt. Andererseits lagen die Dinge komplizierter: Auf katholischer Seite war immerhin eine bedingte und befristete Bereitschaft, sich mit der Existenz zweier Religionen im Reich abzufinden, vorhanden. Das Beharren der katholischen Reichsstände auf dem Programm der Paritätsverweigerung beinhaltete, zumindest auf einer mittelfristigen Ebene, nicht die Abschaffung von Pluralität, sondern war eher auf eine Form der Pluralität hin ausgerichtet, bei welcher den Gegenspielern der Status einer Religion mit minderen Rechten zugewiesen wurde. Die Protestanten sollten sich lediglich auf die Duldung durch die Katholiken berufen können und über Kontrollgesetze im Zaum gehalten werden.



Auf der anderen Seite waren auch die Protestanten selbst keine unbedingten Anhänger des Prinzips der religiösen Pluralität. Ihnen ging es, auf einer langfristigen Ebene, wie im übrigen den Katholiken auch, letztlich um die Herstellung von Kircheneinheit zu einem späteren Zeitpunkt.84 Ihr Programm der Freistellung' wurde hier weitgehend von der Überzeugung getragen, dass die Verbriefung von Gewissensfreiheit der eigenen Konfession als wahre Lehre zum durchschlagenden Erfolg verhelfen würde. Auf der katholischen Gegenseite wurde daher erbittert dagegen agitiert. Man glaubte den Wunsch des Gegners darin zu erkennen, dass sich immer mehr Untertanen vom katholischen Glauben lösen und „die Catholisch Religion/ auch allein durch dieses Diesem Missionsauftrag stand auch nicht die im Augsburger Religionsfrieden für die bikonfessionellen Reichsstädte getroffene Regelung entgegen, derzufolge den Anhängern beider Konfessionen ihr Existenz- und Exerzitiumsrecht künftig garantiert wurde. Die Bedingung für den Schutz war, dass beide Konfessionen „ein zeithero im Gang und Gebrauch gewesen". Es handelte sich somit nicht um ein / Normaljahr / 1555. Siehe: Abschied der Römisch königlichen Majestät 1984, S. 229 (§ 27). »3 Frisch 1993, S. 31ff. 84 Luttenberger 1982, S. 174. 82

2.3 Politische Polarisierung

nach dem Augsburger

Religionsfrieden

mittel/ in kurtzen Jaren selbst fallen/ und in Teutschland gar erlöschen würde."85 Den Protestanten gelang es ebenso wenig, ihr Existenzrecht als ein ewiges Recht zu verstetigen, wie es den Katholiken gelang, ihr räumliches Terrain zu bewahren. Zwar bestanden in beiden Lagern Wünsche nach Sicherung und Befriedung. Zwar konnten sich die Religionsparteien über die Praxis des Dissimulierens86 im Verlaufe des 16. Jahrhunderts immer wieder auf Formeln einigen, die beiden Seiten ihre jeweiligen Interpretationsmöglichkeiten gestattete. Diese auf „Verzicht auf die Entscheidung" 87 beruhenden Kompromisse verdeutlichten jedoch zugleich, dass die Ansprüche beider Seiten sich nicht gleichzeitig erhalten und miteinander vereinbaren ließen. Zugeständnisse gegenüber dem Gegner wurden mit der Gefahr einer eigenen Schwächung verbunden. So ist zu beobachten, dass der Streit um die Kirchengüter nach 1555 zum Kernpunkt der Auseinandersetzung unter den Religionsparteien wurde, u.a. da weitere Territorien im Reich, entgegen dem Geistlichen Vorbehalt, in den Besitz des Protestantismus gerieten. In katholischen Traktaten geißelte man es später als Bruch des Religionsfriedens, dass die Protestanten Magdeburg, Bremen, Halberstadt, Verden, Osnabrück, Minden, Lübeck, Brandenburg, Maulbronn, Quedlinburg, Herford und andere geistliche Einrichtungen als „treffliche Klöster und Gottshäuser" bzw. ganze Bistümer widerrechtlich „an sich gegriffen und zu sich gezogen" hätten.88 Während sich das Reich veränderte, wurden katholischerseits umso vehementer die Zustände eingefordert, wie sie 1552 einmal geherrscht hatten. 2.3 Politische Polarisierung nach dem Augsburger Religionsfrieden Während der politische Konflikt unter der Herrschaft der beiden Kaiser Ferdinand I. und Maximilian II. noch in gemäßigten Bahnen verlief,89 vollzog sich in den letzten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts eine Polarisierung, die als eine der Ursachen für den Dreißigjährigen Krieg anzusehen ist.90 Es handelte sich dabei eigentlich nicht um eine „konfessionelle Polarisie-

85

Erstenberger 1586, Ή. 1, S. 119. Heckel 1989a, S. 33ff. Ebd., S. 33. 88 Aufgezählt wurden etwa „Magdeburg/ Bremen/ Halberstadt [...] Verden/ Osnabrück/ Minden/ Lübeck/ Utrecht/ Camin/ Schwerin/ Dantzig/ Brandenburg/ Ratzenburg/ Schleßwick/ Hamelburg" sowie „Hirschfeld/ Walckenwindt/ Maulbrunn/ Rittershausen/ zum Stein/ Waldsachsen/ zu S. Gilgen/ Königsbrunn/ Quedlinburg/ Herforden/ Wernigerode". Kurze doch griindtliche Anzieg und Unterricht woher die Uneinigkeiten so heutige tags im Römischen Reich schweben/ entsprungen/ und wem die Zerrüttung desselben zuzumessen sey. [s.l.] 1615, C. 89 Zu den ,Gravaminalisten' seit 1559 siehe Gotthard 2004a, S. 355ff. 90 Hierzu Axel Gotthard: Der deutsche Konfessionskrieg seit 1619. Ein Resultat gestörter politischer Kommunikation, in: Historisches Jahrbuch 122 (2002), S. 141-172. 86 87

2. Religion und Politik im frühneuzeitlichen Alten Reich

rung". 91 Dieser Begriff ist von daher problematisch, als zu dieser Zeit die Reichsstände nicht zwei, sondern bereits drei großen Konfessionen, Katholizismus, Luthertum und Calvinismus, zuzuordnen sind.92 Vielmehr waren es die differenten reichspolitischen Konzepte der beiden Religionsparteien, der katholischen und der protestantischen Partei im Reich, die in einen scharfen Antagonismus mündeten. Vor allem die unterschiedliche Rechtsauslegung des Augsburger Religionsfriedens markierte die Positionen. Nicht zuletzt die Ernüchterung und der Unmut darüber, dass die 1555 getroffenen Vereinbarungen und Entscheidungen nicht zu einem Ende des Konflikts geführt hatten, sondern nun gewaltige Auslegungsstreitigkeiten nach sich zogen,93 trug erheblich dazu bei, die Atmosphäre zu vergiften und die Erwartung eines Krieges zu verbreiten. In der Errichtung militärischer Bündnisse, wie sie die protestantische Union seit 1608 und die katholische Liga seit 1609 darstellten, spiegelte sich der verschärfte Antagonismus der beiden Religionsparteien im Reich.94 Der konfessionelle Faktor floss vor diesem Hintergrund auf verschiedene Weise in die Politik der Religionsparteien ein. Die katholische Partei bildete die homogenere, geschlossenere Gruppe, während die protestantische Partei zwei Konfessionen zu vertreten hatte, die untereinander konfligierten. Zwar operierten die lutherischen und calvinistischen Reichsfürsten auf den Reichstagen in der Regel gemeinsam. Dies bedeutet jedoch nicht, dass es innerhalb der Partei der Protestanten keine gewaltigen religiösen wie auch rechtlichen Meinungsverschiedenheiten gab.95 Die Calvinisten beanspruchten, der im Reich über den Religionsfrieden legitimierten Augsburgischen Konfession anzugehören, während viele lutherische Fürsten dem Calvinismus diese Anerkennung verweigern, sie bestenfalls offen halten wollten.96 Gegensätze traten zudem, seit dem späten 16. Jahrhundert, im Hinblick auf die reichspolitischen Zielrichtungen zutage. Die Politik verschiedener Exponenten des Calvinismus innerhalb der protestantischen Union, unter ihnen die der pfälzi-

• Vgl. demgegenüber ebd., S. 161. Mir ist es in diesem Zusammenhang zudem wichtig, darauf hinzuweisen, dass Konfession als Glaubenspraxis und die politische Praxis der Religionsparteien nicht unbedingt identisch waren. 92 Wenn die Protestanten ihrerseits von e i n e r Konfession sprachen, der sie angehörten, so entspricht dies eher einer dissimulatorischen Sprachregelung als den Tatsachen. 93 Zur konfliktualen Wirkungsgeschichte des Augsburger Religionsfriedens siehe zusammenfassend Carl Albin Hoffmann: Der Augsburger Religionsfriede. Inhalte und Aspekte seiner Wirkungsgeschichte 1555-1648, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 56 (2005), S. 220-240, insbes. S. 227ff. 9 i Andererseits wurde in beiden Bündnissen grundsätzlich die Offenheit gegenüber Ständen im anderen Lager betont. Zur Union siehe diesbezüglich Winfried Schulze: Kaiserliches Amt, Reichsverfassung und protestantische Union, in: Duchhardt, Heinz/Schnettger, Matthias (Hg.) (1999): Reichsständische Libertät und habsburgisches Kaisertum. Mainz 1999, S. 195-209, S. 207. 95 Zur lutherisch-calvinistischen Kontroverse etwa Geoffrey Parker: Der Dreißigjährige Krieg. Frankfurt/New York 1987, S. 83. 96 Siehe etwa Ritter 1962a [1895], S. 289.

91

2.3 Politische Polarisierung nach dem Augsburger

Religionsfrieden

sehen Kurfürsten und der Landgrafen von Hessen-Kassel, ist mit dem Begriff der ,Aktionspartei' umschrieben worden.97 Ihr lag der Glaube daran zugrunde, dass der Krieg unmittelbar bevorstand und infolgedessen Aufrüstung und eine Politik der Verteidigungsbündnisse mit Mächten außerhalb des Reiches98 geboten waren, um im entsprechenden Moment gewappnet zu sein. Die ,Aktionisten' vertraten eine offensive Politik gegen Kaisertum und Katholizismus.99 Ihre Gegner innerhalb der Union setzten dagegen auf die Einigung, die ,Komposition', mit den Katholiken über gütliche Gespräche.100 Diese vorsichtigere, auf Ausgleich zielende Richtung wurde zuweilen einfach als die lutherische definiert.101 Eine trennscharfe Aufteilung von ,Aktion' versus ,Komposition' auf die beiden protestantischen Konfessionen lässt sich zwar nicht durchgehend vornehmen. So gab es sowohl vorsichtiger agierende calvinistische wie auch konfliktträchtigere lutherische Reichsstände innerhalb des protestantischen Lagers.102 Dennoch bildete der Calvinismus die radikalere Komponente. Dies lag nicht zuletzt darin begründet, dass die Reformierten in besonderer Weise angefeindet wurden und ihre Stellung im Reich eine erheblich unsichere war. Ihre Politik lief von daher in stärkerem Maße auf eine Veränderung der Reichsverfassung hinaus als bei den Lutheranern. Vor allem die Kurfürsten von der Pfalz waren es, die von einem protestantischen Kaisertum träumten 103 und ihre Stellung als Reichsvikare, die ihnen während der Zeit eines Interregnums große verfassungspolitische Spielräume zu schaffen versprach,104 für diesen

Hierzu Axel Gotthard: „Wer sich salviren könd, solts thun". Warum der deutsche Protestantismus in der Zeit der konfessionellen Polarisierung zu keiner gemeinsamen Politik fand, in: Historisches Jahrbuch 71 (2001), S. 64-96, S. 73f. Ritter sprach auch von der ,,thatkräftigste[n] Gruppe innerhalb der protestantischen Partei." Siehe Moriz Ritter: Der Ursprung des Restitutionsediktes, in: Historische Zeitschrift 76 (1896), S. 62-102, hier S. 63. 98 Schilling hat seinen Befund einer katholischen und calvinistischen Internationalisierung erläutert. Siehe Heinz Schilling: Konfessionalisierung und Formierung eines internationalen Systems während der Frühen Neuzeit, in: Guggisberg, Hans/Krodel, Gottfried G. (Hg.): Die Reformation in Deutschland und Europa: Interpretationen und Debatten. Beiträge zur gemeinsamen Konferenz der Society for Reformation Research und des Vereins für Reformationsgeschichte, 25.-30. Sept. 1990, im Deutschen Historischen Institut, Washington D.C. Heidelberg 1993, S. 591-613, insbesondere S. 607ff. Schilling begreift die Konfessionalisierung als treibende Kraft dieser Internationalisierung, konstatiert jedoch zugleich, dass eine „Konfessionalisierung der internationalen Beziehungen [...] nie total" gewesen sei, da eine „totale Konfessionalisierung [...] die Existenz von Einzelstaaten und Staatengemeinschaften in Frage gestellt" hätte. Ebd., S. 612. 99 Gotthard 2001, S. 82ff. 100 Ebd., S. 72. 101 Ebd., S. 66. 102 Ebd., S. 87. 103 Duchhardt 1977, S. 103ff. u. S. 131ff. 104 Zu den Reichsvikariaten der Kurfürsten der Pfalz und Sachsens siehe: W. Lammers: „Reichsvikariat", in: Erler, Adalbert/Kaufmann, Ekkehard (Hg.): Handwörterbuch zur 97

2. Religion und Politik im frühneuzeitlichen Alten Reich

Zweck ausnutzen wollten.105 Ihre Gegenspieler unter den Protestanten waren die Kurfürsten von Sachsen, die dagegen auf Treue zum Kaiser setzten, gute Beziehungen zu Habsburg pflegten und nicht der protestantischen Union beitraten. Der Historiker Moriz Ritter sprach vor diesem Hintergrund des Öfteren von einer pfälzischen und einer sächsischen Partei unter den Protestanten.106 Kursachsen sollte künftig, ähnlich wie Kurmainz auf katholischer Seite, häufig eine Schlüsselrolle bei der Suche nach einer Beilegung des Streites zufallen. Nachdem sich jedoch die Krise im Reich durch die Besetzung von Donauwörth 1607/08 zuspitzte, verloren die Vertreter einer ausgleichenden Politik im protestantischen Lager merklich an Gehör. Maximilian I., Herzog von Bayern, hatte die in die Reichsacht erklärte Stadt mit Soldaten als kaiserlicher Kommissar eingenommen, nachdem eine katholische Prozession in der Stadt durch die protestantischen Einwohner verhöhnt, gestört und schließlich abgebrochen worden war.107 Die Gründung der Militärbündnisse Union108 und Liga waren die Folge. Darüber hinaus kam es, bereits zuvor, zum Scheitern des Versuchs, die Religionsstreitigkeiten auf dem Reichstag beizulegen. Die zu Regensburg seit Januar 1608 stattfindenden Gespräche wurden ergebnislos beendet, nachdem die Gegensätze über die Auslegung des Religionsfriedens erneut eskaliert waren. Von protestantischer Seite war eine Bestätigung des Religionsfriedens zur Voraussetzung für einen Reichsabschied erhoben worden. Den Hintergrund hierfür hatten bereits länger zurückliegende Streitigkeiten über seine Geltungsdauer gebildet. Seit den 1570er Jahren kursierten katholische Pamphlete, in denen die Ansicht verbreitet wurde, dass der Religionsfrieden lediglich als deutschen Rechtsgeschichte. Bd. 4: Pronotarius Apostolicus-Strafprozeßordnung. Berlin 1990, Sp. 807-810. >05 Duchhardt 1977, S. 105; Gotthard 2001, S. 82ff. 106 Z.B. Ritter 1962a [1895], S. 121 u. 383. 107 Siehe Parker 1987, S. 84ff.; Robert Bireley: The Thirty Years' War as Germany's Religious War, in: Repgen, Konrad (Hg.): Krieg und Politik 1618-1648. Europäische Probleme und Perspektiven. München 1988, S. 85-106, S. 88f.; Georg Schmidt: Geschichte des Alten Reiches. Staat und Nation in der Frühen Neuzeit. München 1999, S. 129. Siehe zu diesem Konflikt vor Ort auch die allgemeinen Überlegungen zu Konfessionskonflikten unter den frühneuzeitlichen Untertanen von Frauke Volkland: Konfessionelle Grenzen zwischen Auflösung und Verhärtung. Bikonfessionelle Gemeinden in der Gemeinen Vogtei Thurgau des 17. Jahrhunderts, in: Historische Anthropologie 5 (1997), S. 370-387, insbes. S. 383ff., wie auch dies.: Konfession und Selbstverständnis. Reformierte Rituale in der gemischtkonfessinellen Kleinstadt Bischofszell im 17. Jahrhundert. Göttingen 2005. 108 Zum Verlust der Glaubwürdigkeit des Kaisers im protestantischen Lager durch die Vorgänge in Donauwörth und zur Bedeutung für die Gründung der Union siehe etwa Schulze 1999, S. 200f., und Gregor Horstkemper: Die protestantische Union und der Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges. Konfliktverschärfung als Auswirkung der gescheiterten Integration von Bündniszielen und Partikularinteressen, in: Schulze, Winfried (Hg.): Friedliche Intentionen - Kriegerische Effekte. War der Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges unvermeidlich? St. Katharinen 2002, S. 21-51, S. 22.

2.3 Politische Polarisierung nach dem Augsburger

Religionsfrieden

befristet, „temporal" aufzufassen sei.109 Nachdem die Protestanten zu Regensburg die Katholiken aufgefordert hatten, sich vorbehaltlos zum Religionsfrieden zu bekennen, hatten jene eine solche Bestätigung davon abhängig gemacht, dass zugleich eine Restitution all jener Güter, die seit seinem Bestehen widerrechtlich enteignet worden seien, zu beschließen sei.110 Für die Protestanten kam dies einer Infragestellung des Religionsfriedens gleich. Am 27. Februar 1608 erklärten ihre Gesandten, eine Überstimmung per Mehrheitsentscheid fürchtend, dass sie weiteren Verhandlungen fernbleiben mussten.111 Im kurz darauf ausbrechenden jülich-klevischen Erbfolgestreit sollte sich dann zeigen, dass sich größere territoriale Veränderungen im Reich zwangsläufig auf den Konflikt der Religionsparteien auswirkten. Ebenso wurde deutlich, dass dieser Konflikt weitere Mächte in Europa auf den Plan zu rufen drohte. Das Ringen um die Nachfolge des letzten Herzogs von Jülich, Kleve und Berg, der im Jahre 1609 verstorben war, brachte zunächst zwei den Erbanspruch stellende lutherische Fürsten, den Kurfürsten von Brandenburg und den Pfalzgrafen von Neuburg, in Gegensatz zum Kaiser, der eine Übernahme der Territorien als Treuhänder plante. Dies veranlasste den Beitritt des brandenburgischen Kurfürsten Johann Sigismund zur protestantischen Union, die ein Bündnis mit dem französischen König anstrebte. Heinrich IV. von Frankreich, dem Unterstützung von Seiten Englands und der Generalstaaten zugesagt worden war, war bereits im Begriff, militärisch gegen Habsburg vorzugehen, wurde jedoch 1610 ermordet. Damit war der Krieg zunächst abgewendet. Durch die Konversionen des Pfalzgrafen Wolfgang Wilhelm zum Katholizismus und des Kurfürsten von Brandenburg Johann Sigismund zum Calvinismus blieb die Frage nach dem Verbleib der jülich-klevischen Erbmasse allerdings religionspolitisch von besonderer Relevanz, auch wenn es gelang, beide Fürsten zu einem vorübergehenden Teilungsvertrag zu bewegen.112 Immerhin gelang es nach dieser Zuspitzung der Lage, einen weiteren Reichstag im Jahre 1613 einzuberufen. Dort kam die Zukunft von Donauwörth erneut auf die Tagesordnung. Mit ihrer Forderung des Abzugs der militärischen Besatzung aus der Stadt hatten die Protestanten nun ihren eige-

Stieve, Felix (Bearb.): Die Politik Baierns 1591-1607. Erste Hälfte. München 1878, S. 149ff. 110 Ritter 1962a [1895], S. 226; Frisch 1993, S. 18. 111 Ritter 1962a [1895], S. 227. Siehe auch hierzu das Protokoll über die Reichstagsverhandlungen in: Stieve, Felix (Bearb.): Vom Reichstag 1608 bis zur Gründung der Liga. München 1895, S. 229f. 112 Siehe die Darstellungen des jülich-klevischen Erbfolgestreits bei Heinrich Lutz·. Reformation und Gegenreformation. München/Wien 1979, S. lOlf.; zudem bei Gerhard Schormann: Der Dreißigjährige Krieg. Göttingen 1993, S. 22f., und bei Gunnar Teske: Bürger, Bauern, Söldner und Gesandte. Der Dreißigjährige Krieg und der Westfälische Frieden in Westfalen. Münster 1997. 109

2. Religion und Politik im frühneuzeitlichen Alten Reich

nen Restitutionspunkt, den sie gegenüber den katholischen Restitutionsbegehren ins Spiel brachten.113 Demgegenüber beharrten die Katholiken auf dem Geistlichen Vorbehalt und forderten konkret die Exekution von Urteilen, die das Reichskammergericht in vier Aufsehen erregenden Prozessen gefällt hatte. Es handelte sich dabei sämtlich um Verfahren, in denen die zentrale politische Frage nach der Restitution von Klostergut auf die Tagesordnung gekommen war.114 Im so genannten Vierklosterstreit sahen die Katholiken ihre Interpretation des Religionsfriedens durch die Urteile des Reichskammergerichts bestätigt. Die Protestanten sahen dagegen ihren Standpunkt gefährdet und waren bestrebt, die Urteilsexekution zu blockieren.115 Im Vorfeld des Reichstages, unter dem Eindruck des jülich-klevischen Erbfolgestreites und der drohenden Gefahr der Intervention durch ausländische Mächte,116 hatte Kaiser Matthias seine Vertrauten aufgefordert, Konzepte für eine Lösung der strittigen Fragen auszuarbeiten. Gegenüber dem kaiserlichen Rat Zacharias Geizkofler hatte der Herzog von Württemberg im Oktober 1612 deutlich gemacht, dass die evangelischen Stände nur dann auf dem Reichstag in Verhandlungen treten würden, wenn man sie im Besitz des Klostergutes belasse.117 Geizkofler hatte Kaiser Matthias daraufhin förmlich bekniet, eine Vermittlung (Interposition) zwischen den Parteien herbeizuführen118 und dabei das in jener Zeit oftmals verwendete Bild vom sinkenden Schiff verwendet: Man müsse etliche Waren dem Ungestüm des Meeres opfern, damit es nicht mit der übrigen Ladung und der Besatzung ganz untergehe.119 Um die Jahreswende 1612/13 wurden am kaiserlichen Hof, solcherlei Untergangsszenarien vor Augen, die Überlegungen intensiviert, wie man den Pro"3 Ritter 1962a [1895], S. 386. 114 Zu den Klosterprozessen des ausgehenden 16. Jahrhunderts siehe Dietrich Kratsch: Justiz - Religion - Politik. Das Reichskammergericht und die Klosterprozesse im ausgehenden 16. Jahrhundert. Tübingen 1990. Zur Zunahme von Klosterprozessen vor dem Reichshofrat seit etwa 1580 siehe Ehrenpreis 2006, S. 127ff. 115 Zur Reichskammergerichtsvistitation und den Religionsprozessen siehe auch Bernhard Ruthmann: Die Religionsprozesse am Reichskammergericht (1555-1648). Eine Analyse anhand ausgewählter Prozesse. Köln etc. 1996, S. 553ff. 116 Zu den Beziehungen zwischen der protestantischen Union und dem König von England, Jakob I., siehe Simon Adams: England und die protestantischen Reichsfürsten, in: Beiderbeck, Fredrich/Horstkemper, Gregor/Schulze, Winfried (Hg.): Dimensionen der europäischen Außenpolitik zur Zeit der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert. Berlin 2003, S. 61-84; zu den Verbindungen mit den niederländischen Generalstaaten siehe Johannes Arndt: Die Niederlande und die protestantischen Fürsten im Reich 1566 bis 1621 - Hoffnungen und Hilfeleistungen, in: Beiderbeck, Friedrich/Horstkemper, Gregor/Schulze, Winfried (Hg.): Dimensionen der europäischen Außenpolitik zur Zeit der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert. Berlin 2003, S. 85-128. 117 Chroust, Anton (Bearb.): Der Ausgang der Regierung Rudolfs II. und die Anfänge des Kaisers Matthias. München 1906. (= Briefe und Akten zur Geschichte des Dreißigjährigen Krieges 10), S. 67, Anm. 2. 118 Siehe zu Geizkoflers Bemühungen um eine compositio: Axel Gotthard: Konfession und Staatsräson. Die Außenpolitik Württembergs unter Herzog Johann Friedrich (16081628). Stuttgart 1992, S. 124ff. 119 So im Brief Geizkoflers an Matthias vom 26. Oktober 1612: Chroust 1906, S. 720.

2.3 Politische Polarisierung nach dem Augsburger

Religionsfrieden

testanten entgegenkommen konnte. Gedacht wurde u.a. daran, die protestantischen Inhaber der Klöster und Stifte über päpstliche Indulte, die alle zwei bis drei Jahre zu bestätigen seien, als Administratoren zu legitimieren.120 Dies zielte somit auf eine interimistische Lösung, die gleichzeitig die Möglichkeit zur kurzfristigen Aufkündigung wie zur langfristigen Überlassung der Güter in sich trug. Auch wenn dies für die evangelischen Stände, die sich auf keinen Fall der Rechtssprechung des Papstes unterwerfen konnten, indiskutabel war, wurde doch die Bereitschaft zum Kompromiss durchaus im protestantischen Lager wahrgenommen. Hier war ebenfalls das Interesse für einen Vergleich vorhanden: Im Februar 1613 trafen sich Gesandte der beiden protestantischen Reichsstädte Nürnberg und Ulm zu Nördlingen, wo die Ulmer die Auffassung vertraten, dass man den Vierklosterstreit darüber beenden könne, indem man das Uti-Possidetis-Prmzip zur Anwendung bringe und beiden Parteien das gegenseitige Versprechen auferlege, „nicht weiter zu greifen". 121 Das UtiPossidetis-Prinzip, das noch genauer erläutert werden soll, beinhaltet nichts anderes, als eine vorläufige Zusicherung des gegenwärtigen Besitzstandes unter Ausklammerung von länger zurückliegenden Rechtsansprüchen. Man dachte also darüber nach, die Bestätigung der seit 1552 vorgenommenen Säkularisationen zu erhalten und im Gegenzug auf das Recht, zukünftig weitere Säkularisationen vornehmen zu dürfen, zu verzichten. Bereits anlässlich des Reichstages von 1608 hatte es vorsichtige Überlegungen in dieser Richtung gegeben.122 Nun waren offensichtlich von Geizkofler erneute Überlegungen angestellt worden, einen entsprechenden Ausgleich herbeizuführen.123 Ob die von den Ulmer Gesandten bekundete Bereitschaft zu diesem Kompromiss unter den Protestanten viele Anhänger hatte, ist allerdings zweifelhaft, obwohl man sich 18 Jahre später, auf dem Frankfurter Kompositionstag, daran erinnerte, den Katholiken diesen Vorschlag unterbreitet zu haben.124 Der Reichstag von 1613 trat ebenso wie der vorherige auseinander, ohne dass ein Abschied verfasst worden wäre.125 Obwohl auch in den Folgejahren Ansätze zur Lösung des Kirchengutstreits über die Festlegung des Status quo vorhanden waren,126 wurde keine entspre120 Siehe den Brief von Kaiser Matthias an Papst Paul V. [Januar 1613; nicht genauer datiert], in: Chroust, Anton (Bearb.): Der Reichstag von 1613. München 1909. (= Briefe und Akten zur Geschichte des Dreißigjährigen Krieges 11), S. 55-57. 121 Bericht der nürnbergischen Abgesandten Ernst Haller, Wolf Löffelholz und Dr. Wolf Burckhard über ihre Unterredung mit den Ulmern zu Nördlingen, ebd., S. 158-165, hier S. 161. Den Ulmern war Geizkoflers Versuch vom Oktober 1612, Kaiser Matthias von einem Kompromiss zu überzeugen, bekannt. 122 Stieve 1895, S. 147f.: Ritter 1896, S. 74. 123 Gotthard 1992, S. 157. 124 Siehe Kap. 5.1. 125 Ritter 1962a [1895], S. 387. 126 A m 12. Oktober 1614 regten die geistlichen Kurfürsten einen Vergleich an. Kurmainz stellte Kursachsen überdies 1615 eine Assekuration der eingezogenen Güter in Aussicht. Ebd., S. 434. Zum Bemühen des Unionsdirektoriums, auch nach dem Reichstag von

2. Religion und Politik im frühneuzeitlichen

Alten Reich

chende Vereinbarung getroffen. Zwar war auf beiden Seiten zumindest ein partielles Bewusstsein vorhanden, dass es bei allen Gegensätzen so etwas wie gemeinsame Sicherheitsinteressen' 127 gab. Die durchaus vorhandenen Chancen, einen Ausweg aus der Polarisierung zu finden, wurden jedoch vertan. Dies hängt damit zusammen, dass die Kirchengüterfrage mit weiteren grundlegenden politischen Problemen zusammenhing, die allesamt als Kernprobleme einer mangelnden verfassungsrechtlichen Abstiitzung konfessioneller Pluralität anzusehen sind: Die Calvinisten waren nach wie vor nicht de jure als legitime Religionsgemeinschaft anerkannt. Höchst umstritten war, welche Rolle dem Kaiser als Reichsoberhaupt im Konflikt zufallen sollte. Kaiser Rudolf II. und Matthias hatten bei verschiedenen Gelegenheiten die ihnen auferlegte Unparteilichkeit gegenüber sämtlichen Reichsständen beschworen, sich jedoch immer wieder de facto als Stützen des Katholizismus erwiesen. Insbesondere sahen die Inhaber dieses höchsten Amts im Reich sich aufgefordert, als ,Vögte der Kirche' (advocati ecclesiae)m für den Schutz der Klöster im Reich einzutreten. Die Parteinahme der Reichsoberhäupter im Kirchengüterstreit trug erheblich dazu bei, dass sich die Protestanten in der Reichsverfassung unterrepräsentiert sahen. Dies galt auch hinsichtlich der Reichsjustiz, was sie dazu bewog, numerische Parität innerhalb der beiden höchsten Gerichte im Reich, des Reichshofrats und des Reichskammergerichts, einzufordern. Ihrem Verlangen nach einer tiefergreifenden Paritätisierung der Reichsverfassung verweigerte sich die katholische Partei dagegen konsequent. Die daraus erwachsende Blockierung der Reichsgerichtsbarkeit ließ wiederum keine umfassenden rechtlichen Konfliktlösungsmöglichkeiten zu.

1613 in Verhandlungen einzutreten, siehe ebenso Horstkemper 2002, S. 44. Z u r , K o m p o s i tionspolitik' des leitenden Ministers Melchior Khlesl unter Kaiser Matthias im Dienste des Katholizismus siehe Rona Johnston Gordon: Melchior Khlesl und der konfessionelle Hintergrund der kaiserlichen Politik im Reich nach 1610, in: Beiderbeck, Friedrich/Horstkemper, Gregor/Schulze, Winfried (Hg.): Dimensionen der europäischen Außenpolitik zur Zeit der Wende v o m 16. z u m 17. Jahrhundert. Berlin 2003, S. 199-222. Z u den Verhandlungen zwischen der Union und Kaiser Matthias siehe auch Theodor Tupetz: Der Streit u m die geistlichen Güter und das Restitutionsedict (1629), in: Sitzungsberichte der phil.-hist. Classe der kais. Akademie der Wissenschaften 102 (1883), S. 3 1 5 - 5 6 6 , Wer S. 338f. 127 Z u m psychologischen Konzept der C o m m o n Security in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts siehe Rita M. Rogers: C o m m o n Security: A Psychological Concept, in: Volkan, Vamik D./Julius, Demetrios A./ Montville, Joseph V. (Ed.): The Psychodynamics of International Relationships. Vol. 1: Concepts and Theories. Lexington/Toronto 1990, S. 1 5 5 - 1 6 2 ; ebenso Alada Assmann/JanAssmann: Kultur und Konflikt. Aspekte einer Theorie des unkommunikativen Handelns, in: Assmann, Jan/Harth, Dietrich (Hg.): Kultur u n d Konflikt. Frankfurt 1990, S. 1 1 - 4 8 , hier S. 36. 1 2 8 Z u diesem kaiserlichen Selbstverständnis siehe auch Duchhardt 1977, S. 50. Z u r vorübergehenden Zurückdrängimg dieses Moments in der Politik unter Maximilian II. siehe Andreas Edel: Der Kaiser und Kurpfalz. Eine Studie z u den Grundelementen politischen Handelns bei Maximilian II. (1564-1576). Göttingen 1997, S. 445.

2.4 Ehre - kumulativer Wertehorizont von Fürsten und Räten

Dem entsprachen weitere Defizite im politischen Verfahrensgang. Die Protestanten verweigerten sich der Mehrheitsabstimmung auf dem Reichstag, um nicht ständig von der katholischen Majorität überstimmt zu werden. Das Scheitern der Reichstage von 1608 und 1613 lag nicht zuletzt auch darin begründet, dass die Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich einer einschlägigen Reform in die politischen Programme eingeflossen waren.129 Schließlich stellte die Frage nach der geistlichen Jurisdiktion im Reich, die die Katholiken für ihre Bischöfe in Anspruch nahmen, ein nach wie vor ungelöstes Problem dar. Es war somit eine tiefe Krise der Reichsverfassung, die in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts in mehreren Situationen offen zutage trat. In ihrem Rahmen hatte man keine passende, beide Seiten zufrieden stellende Antwort auf die grundlegende Frage gefunden, wie man auf die Herausforderungen der konfessionellen Pluralisierung reagieren konnte. Die Kräfte, die eine Verständigung anstrebten, versuchten, den herkömmlichen Strategien der Krisenbewältigung nachzugehen: dem Dissimulieren, der Suche nach provisorischen Lösungen und der Festschreibung des Status quo. Auf der anderen Seite traten im Konflikt gerade die Unsicherheiten, die durch diese in der Vergangenheit beschrittenen Wege entstanden waren, hervor: Auslegungsfragen erzeugten eine unüberbrückbar erscheinende Kluft. Und das Stichjahr 1552 hatte sich für die eine Partei zu einem Horrorszenario entwickelt, während die andere es in der politischen Auseinandersetzung nach wie vor unerbittlich als ihre zentrale Forderung präsentierte. Die katholische Religionspartei definierte sich damit wesentlich über einen politischen Anspruch, der sich gar nicht mit den Grundsätzen ihres Kirchenoberhauptes vereinbaren ließ. Schließlich implizierte er die Regelung des Konflikts über ein rechtliches Instrument, dem von päpstlicher Seite - bei allen Vorteilen, die die katholische Partei im Reich damit für ihre Konfession verbunden sah - gar nicht zugestimmt werden konnte, da es zugleich einen Verlust der Kirche zu besiegeln drohte, da sie den Verzicht auf die vor 1552 besessenen Güter implizierte. In dieser innerhalb des Katholizismus offenen Frage zeigt sich letztlich recht deutlich, dass sich das religionspolitische Feld gegenüber dem Faktor konfessioneller Autorität mittlerweile beträchtlich verselbständigt hatte. 2.4 Ehre - kumulativer Wertehorizont von Fürsten und Räten Näher zu den Akteuren: Wie konnten die Fürsten des konfessionellen Zeitalters überhaupt Religionspolitik im Reich betreiben, ohne ständig vom Gefühl geplagt zu sein, gegen ihren Glauben zu verstoßen? Wie ist es überhaupt erklärbar, dass es neben einer unbestreitbaren Ten-

Siehe Klaus Schiaich: Die Mehrheitsabstimmung im Reichstag zwischen 1495 und 1613, in: Zeitschrift für historische Forschung 10 (1983), S. 299-340, hier S. 333. 129

2. Religion und Politik im frühneuzeitlichen

Alten Reich

denz zur Einbindung von Politik in die Programme der Religionsparteien dennoch differente politische Stile gab? Richten wir den Blick zunächst auf eine der entscheidenden Figuren im Konflikt der Religionsparteien in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts: Johann Georg I. von Sachsen verstand sich, obwohl lutherischen Glaubens, als ein kaisertreuer Reichs- und Kurfürst. Diesen Schluss lässt jedenfalls eine Vielzahl der in seinem Namen getroffenen Entscheidungen zu. Inwieweit er an diesen Entscheidungen persönlich beteiligt war, ist nicht immer zu belegen. Zeitgenossen mokierten sich zuweilen darüber, dass sich der Kurfürst ausgiebig dem Alkohol und der Jagd zuwendete und dabei die Politik vernachlässigte.130 In solchen Aussagen wurde allerdings zugleich verschwiegen, dass mit Alkoholkonsum und der Jagd auch Politik gemacht wurde, indem man wichtige Gäste einbezog und Verbindungen knüpfte. Und selbst wenn der Fürst seinen Vertrauten am Dresdner Hof, seinen Räten, des Öfteren das politische Tagesgeschäft überließ, agierten diese doch als seine Vertreter und leisteten Mitarbeit an der Konstruktion einer politischen Linie, die im Endeffekt dem Fürsten als Individuum zugeschrieben wurde. Auf diese Weise vollzog sich ein kollektives politisches ,fashioning of identity',131 über das die Maßnahmen des Hofes mit dem Namen Johann Georgs etikettiert wurden. Zu den obersten Prinzipien gehörte es, dass diese Handlungen als eines hohen Reichsstandes würdig erschienen: Es ging um Ehre, die sich in diesem Rahmen direkt über die administrativen Vorgänge konstituierte. Nach außen wurden dabei zugleich Signale von Geradlinigkeit und Berechenbarkeit ausgesandt. Die politische Stilisierung des Fürsten erfolgte zu Dresden in starker Anlehnung an die Vorfahren Johann Georgs. Dass der Streit um die Religion im Reich nicht nur Ängste, sondern auch Chancen hervorbrachte, zeigt sich darin, wie diese die Kurwürde erlangt hatten. Im 1546 ausgebrochenen Krieg, den Kaiser Karl V. und ihm treu gesonnene Reichsstände gegen die Mitglieder des Schmalkaldischen Bundes geführt hatte, war Johann Friedrich von Sachsen als eines der Häupter der protestantischen Allianz in die Acht erklärt und entmachtet worden. Sein Nachfolger als Kurfürst war der mit dem Kaiser 130 Siehe Axel Gotthard: „Johann Georg I.", in: Kroll, Frank-Lothar (Hg.): Markgrafen, Fürsten, Könige. München 2004, S. 137-147, S. 147. 131 Ich bin mir über den Unterschied gegenüber Greenblatts Konzept des ,self fashioning' im Klaren, der darin besteht, dass die fürstlichen Räte ihre eigene Identität in einer anderen Identität, der Identität des Fürsten, aufgehen lassen. Der Tatbestand einer kunstvollen Generierung von Identität scheint mir jedoch nichtsdestoweniger im Rahmen des Regierens an den frühneuzeitlichen Fürstenhöfen gegeben. Zum wachsenden Bewußtsein seit dem 16. Jahrhundert, dass menschliche Identität der Kunst des „fashioning" („fashioning as a manipulable, artful process") unterliegt, siehe Stephen Greenblatt: Renaissance Self-Fashioning. From More to Shakespeare. Chicago/London 1980, S. 2. Greenblatt selbst spricht, unter Einbeziehung der für das ,self fashioning' notwendigen Gegenfiguren der Akteure darüber hinaus allgemeiner von einem „fashioning of human identity", ebd.

2.4 Ehre - kumulativer Wertehorizont von Fürsten und Räten

verbündete Herzog Moritz von Sachsen geworden.132 Damit war die sächsische Kurwürde von der emestinischen auf die albertinische Linie übergegangen.133 Für den Dresdner Hof sollte dieses Ereignis eine Tradition begründen. Johann Georg und seine Räte, unter ihnen insbesondere der Direktor des Geheimen Rates, Kaspar von Schönberg,134 waren der festen Überzeugung, dass jene Politik der Kaiser- und Reichstreue, die der Familie des Kurfürsten in der Mitte des 16. Jahrhunderts eine Vermehrung von Ruhm und Gütern eingebracht hatte, auch in der Zukunft einen Garanten für die Wohlfahrt des Hauses, Staat und Territorium abgab. Wie stand es nun mit der Konfession? Johann Georg berief 1613 eine Person in das Amt des ersten Hofpredigers, die sich als orthodox-lutherisch und in dieser Eigenschaft als erbitterter Feind des Calvinismus profilierte:135 Matthias Hoë von Hoënegg. Zwar ist dessen politischer Einfluss auf den Fürsten und die Räte zuweilen überschätzt worden.136 Er ist, wie seine Ratschläge zu verschiedenen bedeutenden Entscheidungen belegen, jedoch auch nicht von der Hand zu weisen. Zuweilen wurde er von seinem Fürsten zu wichtigen politischen Treffen mitgenommen. 137 Dieser verstand sich, ebenso wie sein erster Hofprediger, als guter Anhänger der Augsburgischen Konfession, die er dezidiert mit dem Luthertum gleichsetzte. In seine lange Herrscherzeit fiel das Reformationsjubiläum von 1617, das in Kursachsen mit einer landesweiten Feier begangen wurde. Es war eine Feier des Sieges der Rechtgläubigen über die ,widergöttliche Macht des Papsttums'.138 Der kurfürstliche Hof engagierte sich stark in der Vorbereitung, um die Festlichkeiten im Land zu homogenisieren.139 Die Dresdner Räte hatten noch unter Johann Georgs Vorgänger Christian II. zeitweilig mit einem Beitritt zur Liga geliebäugelt und dabei die erstaunliche Überlegung untereinander ausgetauscht, dass sie, politisch betrachtet, als „bäpstisch" 140 einzuordnen seien. Dies darf eben jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass dem offensichtlich eine scharfe Unterscheidung von Konfession und Religionspolitik zugrunde lag. Dresden wollte den ReligionsLutz 1979, S. 54. Siehe Frank Müller: Kursachsen und der böhmische Aufstand 1618-1622. Münster 1997, S. 13. Allerdings schwenkte Moritz von Sachsen direkt nach dem Sieg über die Schmalkaldener noch einmal politisch um. Siehe ebd., S. 16f. 134 Axel Gotthard:,Politice seint wir Bäpstisch'. Kursachsen und der deutsche Protestantismus im frühen 17. Jahrhundert, in: Zeitschrift für historische Forschung 20 (1993), S. 275-319, S. 280. 135 Vgl. Adolf Brecher: „Hoë von Hoënegg, Matthias", in: Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 12. Leipzig 1880, S. 541-549, hier S. 542f. Zu seiner versöhnlicheren Haltung gegenüber dem Calvinismus seit 1631 siehe Erich Beyreuther: „Hoë von Hoënegg, Matthias", in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 9. Berlin 1972, S. 300f., hier S. 301. 136 Hierzu Müller 1997, S. 120. 137 So auf den Mühlhausener Konvent von 1620, siehe ebd., S. 339. 138 Siehe Katrin Keller: Landesgeschichte Sachsens. Stuttgart 2002, S. 173. 139 Burkhardt 1992, S. 142. 140 Zit. nach Gotthard 1993, S. 286. 132

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2. Religion und Politik im frühneuzeitlichen

Alten Reich

frieden stützen und richtete sich gegen eine vermeintliche Destabilisierung durch die Auhausener Union protestantischer Stände. Vom Papst, den Jesuiten und dem Katholizismus an sich grenzte man sich dagegen ab.141 Auch vertrat man in der Religionspolitik nicht den Standpunkt der katholischen Partei, dass der Geistliche Vorbehalt berücksichtigt werden sollte. Kursachsens Haltung war somit keineswegs „prokatholisch".142 Vielmehr suchte man eine religionspolitische Zwischenposition der Neutralität, durch die sich besondere Optionen ergaben, dem Reichsfrieden und dem eigenen Territorium zugleich dienlich zu sein. Freilich war man sich darüber im Klaren, dass dies die eigene Politik zugleich in Misskredit bei vielen anderen protestantischen Reichsständen brachte. Um die Frage zu beantworten, warum für die Akteure zu Dresden, unter ihnen Fürst Johann Georg persönlich, konfessionelle Verantwortung, Kaisertreue und territoriale Wohlfahrt offenbar nicht im Widerspruch zueinander standen, soll im Folgenden noch einmal intensiver auf den eingangs erwähnten Begriff der Ehre eingegangen werden. Das diplomatische Schrifttum der Frühen Neuzeit rekurrierte auf mehreren Ebenen, sowohl über allgemein gebräuchliche Formeln wie auch über die konkrete Beschreibung politischer Zielvorgaben, stark auf die Ehrsemantik. Eine nähere Erläuterung bietet sich bereits von daher an: Unter Ehre soll zunächst nichts weiter zu verstehen sein als eine Zuschreibung von Identität auf der Basis gesellschaftlicher Normen, entspricht dies doch der allgemeinen Grundbedeutung, die sich sprachwissenschaftlich festlegen lässt.143 Ehre bzw. ,ere' bezeichnet demzufolge zum einen die Anerkennung eines Individuums oder einer Gruppe durch andere Personen, seit dem 18. Jahrhundert auch als ,äußere Ehre' bezeichnet,144 zum andern das Streben von Individuen oder Gruppen danach, dieser Anerkennung gerecht zu werden. Diese zweite Form von Ehre, die ,innere Ehre', manifestiert sich somit als soziale Identität eines Individuums, das zum Ausdruck bringt, im Einklang mit gesellschaftlichen Normen zu leben. Sie fungiert auf diese Weise als soziales Regulativ.145 In der Frühneuzeitforschung ist in den letzten Jahren die hohe Relevanz des Prinzips Ehre für das Zusammenleben in den frühneuzeitlichen Gesellschaften hervorgehoben worden.146 Seine Bedeutung für poli-

• 141

Ebd., S. 287. i« Vgl. ebd., S. 275. 143 Siehe Hans Wellmann: Der historische Begriff der ,Ehre' - sprachwissenschaftlich untersucht, in: Backmann, Sibylle/Künast, Hans-Jörg/Ullmann, Sabine/Tlusty, B. Ann (Hg.): Ehrkonzepte in der Frühen Neuzeit. Identitäten und Abgrenzungen. Berlin 1998, S. 27-39, hier S. 38. 144 Krünitz 1777, Bd. 10, S. 186f.: „Vorzug im Aeußern; aeußeres Ansehen". 145

146

Wellmann 1998, S. 38.

Siehe hierzu die Sammelbände von Schreiner, Klaus/Schwerhoff, Gerd (Hg.): Verletzte Ehre. Ehrkonflikte in Gesellschaften des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Köln, Weimar. Wien 1995, und von Backmann, Sibylle/Künast, Hans-Jörg/Ullmann, Sabine/Tlusty, B. Ann (Hg.): Ehrkonzepte in der Frühen Neuzeit. Identitäten und Ab-

2.4 Ehre - kumulativer Wertehorizont von Fürsten und Räten tische Handlungsweisen gesellschaftlicher Führungsgruppen hat dabei in den letzten Jahren weniger im Blickpunkt gestanden als in der Mediävistik, 1 4 7 ist jedoch ebenfalls zur Sprache gekommen. 1 4 8 Eine wesentliche Grundlage der Ausbildung eines spezifischen Ehrbewusstseins der Fürsten bildete die höfische Erziehung. 1 4 9 Der Begriff der Ehre kann insofern helfen, Handlungsweisen, unter ihnen auch politische Handlungsweisen, zu erklären, als es sich u m einen gesellschaftlichen Code handelt, in d e m sich, unter Rückgriff auf gesellschaftliche Normen, Paradoxien auf eine bestimmte Art und Weise verarbeiten lassen. Diese N o r m e n erscheinen dabei nicht als systematische, gestaffelte Grundsätze, die Handlungen rigide bis ins Detail vorschreiben, sondern als ein Reservoir an Handlungsmaximen, in d e m differente, zuweilen auch widersprüchliche Werte koexistieren: Friedfertigkeit u n d Bereitschaft zur Versöhnung waren in der Frühen Neuzeit ebenso positiv besetzt wie Macht, Stärke und Wehrhaftigkeit. Der Impetus der Reichstreue fand neben d e m Aufruf an einen Fürsten, sich d e m Wohl seiner Dynastie u n d seines Territoriums zu widmen, eine gleichermaßen hohe gesellschaftliche Akzeptanz. Ein allgemeines Charakteristikum des Ehrverhaltens in der Frühen Neuzeit ist darin zu sehen, dass das Auftauchen von Widersprüchen, die sich im Bestreben, sämtlichen

grenzungen. Berlin 1998, zudem meine Monographie: Ralf-Peter Fuchs: Um die Ehre. Westfälische Beleidigungsprozesse vor dem Reichskammergericht (1525-1805). Paderborn 1999. 147 Siehe zu Friedrich Barbarossa: Knut Görich·. Die Ehre Friedrich Barbarossas. Kommunikation, Konflikt und politisches Handeln im 12. Jahrhundert. Darmstadt 2001, sowie auch, zu Richard Löwenherz: Knut Görich: Verletzte Ehre. König Richard Löwenherz als Gefangener Kaiser Heinrichs VI., in: Historisches Jahrbuch 123 (2003), S. 65-91. Zur Einwirkung von Ehraspekten auf Befriedungsstrategien im Mittelalter siehe Gerd Althoff·. Wiederherstellung verletzter Ehre im Rahmen gütlicher Konfliktbeilegung, in: Schreiner, Klaus/Schwerhoff, Gerd (Hg.): Verletzte Ehre. Ehrkonflikte in Gesellschaften des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Köln, Weimar, Wien 1995, S. 63-76, insbes. S. 64ff. 148 Zu Ehrkonflikten im Adel: Claudia Garnier: Zum Stellenwert rituellen Handelns in Ehrkonflikten des spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Adels, in: Zeitschrift für historische Forschung 29 (2002), S. 525-560, und, bezogen auf die Formen und Inhalte des Regierens: Wolf gang Weber: Honor, fama, gloria. Wahrnehmungen und Funktionszuschreibungen der Ehre in der Herrschaftslehre des 17. Jahrhunderts, in: Backmarvn, Sibylle/Künast, Hans-Jörg/Ullmann, Sabine/Tlusty, B. Ann (Hg.): Ehrkonzepte in der Frühen Neuzeit. Identitäten und Abgrenzungen. Berlin 1998, S. 70-98. 149 Siehe hierzu etwa Susanne Claudine Pils: Identität und Kontinuität - Erziehung für den Hofdienst am Beispiel der Familie Harrach im 17. Jahrhundert, in: Paravicini, Werner/Wettlaufer, Jörg (Hg.): Erziehung und Bildung bei Hofe. 7. Symposium der Residenzen-Kommission der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. Veranstaltet in Zusammenarbeit mit dem Stadtarchiv Celle und dem Deutschen Historischen Institut Paris (Celle, 23.-26.9.2000) Stuttgart 2002, S. 89-106, u. Antje Stannek: Exempla & Imitatio. Medien und Methoden höfischer Standeserziehung im 17. Jahrhundert, in: Paravicini, Werner/Wettlaufer, Jörg (Hg.): Erziehung und Bildung bei Hofe. 7. Symposium der Residenzen-Kommission der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. Veranstaltet in Zusammenarbeit mit dem Stadtarchiv Celle und dem Deutschen Historischen Institut Paris (Celle, 23.-26.9.2000) Stuttgart 2002, S. 107-123.

2. Religion und Politik im frühneuzeitlichen Alten Reich

dieser Grundwerte gerecht zu werden, auftun konnten, uneingestanden blieb. Das Nebeneinander kontradiktorischer Handlungsleitlinien führte in der Regel nicht zu Reflexionen über Verhaltensnormen oder gar zu bewussten Brüchen gesellschaftlicher Konventionen.150 Vielmehr zeigt sich, auch am Beispiel des sächsischen Kurfürsten, dass sie sämtlich als gute Eigenschaften in Anspruch genommen wurden. Innerhalb jenes Bildes von Identität, das er und sein Hof vermittelten, wurde allerdings dem Grundwert der Friedfertigkeit über weite Phasen ein schärferes Profil verliehen als der Eigenschaft der Wehrhaftigkeit: Johann Georg I. war, so seine Botschaft, ein Friedenspolitiker. Und er gefiel sich offensichtlich nicht schlecht darin, dass diese selbst gewählte Rolle gegenüber denen, die andere Fürsten für sich gewählt hatten, einen Kontrast bildete. Das Prinzip Ehre befähigte ihn somit, wie andere Fürsten auch, sich auf eine spezifische Weise auf gesellschaftliche Grundwerte zu berufen und sich auf der Basis dieser politischen Form des ,fashioning of identity' 151 gleichermaßen zu integrieren wie auch abzugrenzen. Ein weiterer wichtiger Aspekt, der im Konflikt der Religionsparteien im Reich von hoher Bedeutung war, besteht darin, dass die fürstliche Ehre in der Frühen Neuzeit auf einem gesellschaftlichen Wertebestand basierte, der zum großen Teil unabhängig von den Konfessionen Gültigkeit hatte. Vor allem ist dabei auf jene Normen und Werte, die innerhalb der Adelskultur verbindlich waren, hinzuweisen. Zentral war die Sorge um das Wohlergehen und die Uberdauerungsfähigkeit der eigenen Dynastie, des eigenen Besitzes bzw. Territoriums,152 aber auch um das Reich und letztlich der Aufruf zur Wahrung und Mehrung der Ehre. Das Bewusstsein der Fürsten, dass mit ihrem hohen gesellschaftlichen Rang eine entsprechende Standesehre verbunden war, die sie für die Einhaltung dieser Normen in die Pflicht nahm, 153 bildete eine wesentliche Grundlage ihrer Kommunikation. Sie griffen regelmäßig auf ihr symbolisches Kapital154 zurück, da es ihnen Autorität verlieh. Zudem wurde mit der gemeinsamen Fürstenehre Vertrautheit und Nähe trotz unterschiedlichen Glaubens heraufbeschworen. Darauf gründete wiederum die oftmalig geäußerte gegenseitige Aufforderung, Vertrauen aufzubauen.155 Der von Ak-

Fuchs 1999, S. 287. Zum Rückgriff auf Autoritäten im Rahmen der Praxis des „self-fashioning" siehe auch Greenblatt 1980, S. 9. 152 Ein Uberblick über die politischen Normen von Fürsten und Ständen im 17. Jahrhundert in Kleve-Mark bei Volker Seresse : Politische Normen in Kleve-Mark während des 17. Jahrhunderts. Argumentationsgeschichtliche und herrschaftstheoretische Zugänge zur politischen Kultur der frühen Neuzeit. Epfendorf/Neckar 2005, S. 101. 153 „Ehre bringt Ich-Ideale ganz unmittelbar zum Vorschein, und sie zwingt die Person, ihr Ich-Ideal öffentlich darzustellen." Görich 2003, S. 90. 154 Hierzu Pierre Bourdieu: Entwurf einer Theorie der Praxis auf der ethnologischen Grundlage der kabylischen Gesellschaft. Frankfurt/M. 1979. 155 Zur Unterscheidung der retrospektiven Vertrautheit und des prospektiven Vertrauens siehe Luhmann 2000, S. 20ff. Zum Vertrauen als politischer Norm im Rahmen landesfürstlicher und landständischer Kommunikation siehe Seresse 2005, S. 101. 150

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2.4 Ehre - kumulativer Wertehorizont von Fürsten und Räten

teuren aus beiden Lagern bekundete Wunsch nach einer Rückkehr zum ,alten Teutschen Vertrauen' mag situationsbedingt auf sehr unterschiedlichen Vorstellungen und Erwartungen beruht haben. Immerhin ließ er sich jedoch auf einer mittelfristigen Ebene als ,Angebot einer gemeinsamen Zukunft' deuten.156 Dass sich Ehre als symbolisches Kapital im Eifer des Religionsstreits verspielen ließ, zeigt sich wiederum am Fall des ernestinischen sächsischen Kurfürsten Johann Friedrich in der Mitte des 16. Jahrhunderts. Der Ehrcode barg, wie auch am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges deutlich wurde, in sich die Gefahr der Konfliktverschärfung. Wurde auf den Reichstagen von 1608 und 1612 noch versucht, die fürstliche Ehre als umspannendes Band für eine gemeinsame Reichspolitik in Anspruch zu nehmen, so lässt sich auf der anderen Seite beobachten, dass der Diskurs in eine andere, gefährliche Richtung zu entgleiten drohte, sobald sich die Akteure gegenseitig mangelnde Vertrauenswürdigkeit vorwarfen. Eine Tendenz zur gegenseitigen Infragestellung von Ehre und Glaubwürdigkeit konnte aber die Situation nur verschlimmern. Ehrkonflikte waren fundamentale Konflikte. Einmal auf dieser Ebene angelangt, war es nur noch ein kurzer Weg zur Gewalt. Wenn der Aspekt Ehre zum einen die Handlungen von Fürsten und Höfen autorisierte und auf integrative157 wie desintegrative Weise in den interkonfessionellen Diskurs eingebracht wurde, ist zum dritten noch einmal festzuhalten, dass er im Rahmen der Handlungsmotivation ein Eigengewicht besaß: Es wurde bereits erwähnt, dass sich die Ehre des jeweiligen Fürsten über die Politik der Höfe konstituieren und vermehren sollte. Dies zielte auf die Außere Ehre', die Wahrnehmung durch andere. Es ging dabei darum, Ehrwürdigkeit gegenüber der Außenwelt direkt über die politischen Entscheidungen zu vermitteln. Adressaten dieser Botschaft waren zum einen die Fürstenhöfe, mit denen man korrespondierte, zum anderen die Untertanen, über die man Herrschaft über Erlasse, Policeyordnungen etc. ausübte. Darüber hinaus fällt insbesondere im Dresdner Schrifttum auf, dass man sich nicht nur gegenüber den Zeitgenossen, sondern auch gegenüber der Nachwelt, der ,Posteritäf, zu verantworten suchte. Die ,Posterität' stellte für Johann Georg I. und seinen Hof eine fiktive Öffentlichkeit dar, auf die regelmäßig hingewiesen wurde, um Entscheidungen zu begründen. Im engeren Sinn war damit die Nachkommenschaft des Fürsten gemeint, im weiteren Sinn wurde die gesamte Nachwelt darunter verstanden. Auch Mitglieder der anderen Konfessionen

!» Luhmann 2000, S. 24. 157 In der historischen Literatur überwiegt die Erforschung von Konflikten, die auf dem Ehrverständnis der Akteure beruhen. Dass Ehre auch „Konsensgenerator" sein konnte, konstatiert etwa Ludgera Vogt: Zur Logik der Ehre in der Gegenwartsgesellschaft. Differenzierung, Macht, Integration. Frankfurt/M. 1997, S. 36.

2. Religion und Politik im frühneuzeitlichen Alten Reich

argumentierten mit diesem Begriff,158 dem innerhalb der Erinnerungskultur des Adels eine zentrale Bedeutung zukam.159 Die häufige Nennung der Posterität' von Seiten des sächsischen Kurfürsten und seiner Räte zeigt, dass der Wunsch, Ruhm und Ehre bei zukünftigen Generationen zu erwerben,160 hier besonders stark ausgeprägt war. Grundlage dieses Nachruhmes sollte die Friedenspolitik Johann Georgs I. werden. Es wirkt wie eine Ironie der Geschichte, dass die zu Dresden beschlossenen politischen Maßnahmen eher auf das Gegenteil hinauslaufen sollten.161 Unterstrichen wird die Bedeutung der Ehre für fürstliches Handeln auch dadurch, dass in politischen Traktaten der Frühen Neuzeit, aufbauend auf Machiavelli,162 oftmals von der staatstragenden Funktion der Reputation die Rede war.163 Auf dieser Ebene der Reflexion und dem Versuch, Handlungsleitlinien für die Entscheidungsträger in der Politik zu entwerfen, konnte Reputation nicht nur als Ziel, sondern auch als Mittel zum Zweck verstanden werden. Ein positives Außenbild wurde als gute Voraussetzung für finanzielle und andere Vorteile betrachtet.164 Dass Johann Georg sich persönlich innerhalb der Gattung der Discorsi durchaus auskannte, legen seine Bücherkäufe nahe, die er bei seiner Reise durch Italien im Jahre 1601 tätigte. In der Bibliothek des Kurfürsten befanden sich die Werke geschichtsverständiger Autoren wie Cesare Campana und Paolo Paruta.165 Das politische Agieren zu Dresden muss, wie an anderen größeren Höfen auch, generell von dieser Form der ,Methodisierung der Empirie' 166 stark beeinflusst gewesen sein.167 Man wuss-

Zu Maximilian I. von Bayern siehe Robert Bireley: Maximilian von Bayern, Adam Contzen S.J. und die Gegenreformation in Deutschland 1624-1635. Göttingen 1975, S. 223. Burkhardt sieht dieses Phänomen als kriegstreibendes Moment und definiert es als „memoriales Stützmittel". Johannes Burkhardt: Die Friedlosigkeit der Frühen Neuzeit. Grundlegung einer Theorie der Bellizität Europas, in: Zeitschrift für historische Forschung 24 (1997), S. 509-574, S. 561ff. 159 Zur Aufgabe des frühneuzeitlichen Fürsten, „Gedechtnus" und damit zugleich Ehre zu produzieren, siehe Jan-Dirk Müller: Gedechtnus. Literatur und Hofgesellschaft um Maximilian I. München 1982, S. 80ff. Zum Streben der Stände, Privilegien für die Nachgeborenen zu retten, siehe Seresse 2005, S. 399. 160 Zum Diskurs über die weltliche memoria als Adelsprivileg und die Versuche einer Abgrenzung gegenüber der gloria Dei im Rahmen der burgundischen Adelsliteratur des 15. und frühen 16. Jahrhunderts siehe Bernhard Sterchi: Über den Umgang mit Lob und Tadel. Normative Adelsliteratur und politische Kommunikation im burgundischen Hofadel, 1430-1506. Turnhout 2005, insbes. S. 283ff. 161 So auch Wedgwood in ihrer klassischen Darstellung, in der bereits versucht wird, das negative Bild von Johann Georg I. zu hinterfragen: Cicely Veronica Wedgwood: Der Dreißigjährige Krieg. München 1990, S. 57. 162 Weber 1998, S. 80. 163 Siehe Cornel Zwierlein·. Discorso und Lex Dei. Die Entstehung neuer Denkrahmen im 16. Jahrhundert und die Wahrnehmung der französischen Religionskriege in Italien und Deutschland. Göttingen 2006, S. 163. 164 Ebd., S. 315. 165 Siehe Helen Watanabe-O'Kelly: Court Culture in Dresden. From Renaissance to Baroque. Houndmills, Basingstoke 2002, S. 61. 166 Zwierlein 2006a, S. 324ff. 158

2.4 Ehre - kumulativer Wertehorizont von Fürsten und Räten

te somit um die Möglichkeiten, die eigene Ehre bzw. Reputation zielgerichtet einzusetzen. Insbesondere zur Schaffung und Aufrechterhaltung fürstlicher Autorität erschien sie unentbehrlich.168 Andererseits deuten die zahlreichen Dresdner Beteuerungen, die Posterität' im Auge behalten zu wollen, darauf hin, dass man eben keineswegs nur funktionale Aspekte mit der Ehre verbunden sah. Dass bei einer ständigen Suche nach Ehre und Ruhm bei Zeitgenossen und Nachwelt der eigenen Konfession ein hoher Stellenwert zukommen musste, liegt auf der Hand. In Dresden fühlte man sich strikt gegenüber jenen,Vorfahren' verpflichtet, die über den Augsburger Religionsfrieden die Zulassung der Confessio Augustana im Reich erkämpft hatten.169 Dem versuchte man einerseits über eine Stabilisierung der lutherischen Konfession im eigenen Territorium gerecht zu werden. Dass man andererseits auf der Reichsebene versuchte, sich der religionspolitischen Lagerbildung möglichst zu entziehen, betrachtete man offensichtlich nicht als mangelndes Engagement in Glaubensfragen. Für die calvinistischen Interessen sah man sich ohnehin nicht zuständig. Vielmehr versuchte Dresden, das eigene Terrain über eine kluge Politik der Verständigung mit dem Kaiser zu wahren und damit Friedens- und Glaubenspolitik zugleich zu betreiben. Reichspatriotismus, Konfession, Territorialinteresse170 und Familienwohl sahen Johann Georg und seine Räte durch solcherlei Handlungen stets unter einen Hut gebracht. Obwohl die katholischen Reichsoberhäupter grundsätzlich auf ähnlichen Leitbildern aufzubauten171 wie die Fürsten, sah die Integration von konfessionell geprägten politischen Ansprüchen in Ehrkonzepte bereits wegen ihres umfassenderen Führungsanspruchs anders aus als in Dresden. Im Vergleich betrachtet, entwickelten die Kaiser des späten 16. und des frühen 17. Jahrhunderts dabei sehr unterschiedliche politische Stile. Sowohl Rudolf II. als auch Matthias versuchten, sich im Kampf gegen das Osmanische Reich als Führer

167 Nicht nur für die Räte, sondern auch für die Fürsten sind Kenntnisse der Staatstheorie vorauszusetzen, da diese zum Kanon der Unterweisung in der fürstlichen Erziehung gehörte. Siehe Stannek 2002, S. 111. 168 U m so mehr versuchte man, Einfluss auf die fürstliche Lebensweise zu nehmen. Siehe Weber 1998, S. 86f. 169 Der Begriff der ,Vorfahren' verweist hier keineswegs auf einen überkonfessionellen nationalen Patriotismus, den Wandruszka damit verbindet. Vgl. Wandruszka 1955, S. 27. Ebensowenig lässt sich Johann Georg als Anhänger einer im Grunde noch „mittelalterlichen Staatsauffassung" charakterisieren, die dem Idealbild eines monokonfessionellen Reiches verpflichtet gewesen sei. Vgl. hierzu Wandruszka 1955, S. 44. 170 Siehe die ausführliche Darstellung der Bestimmungsfaktoren der Dresdner Politik bei Müller 1997, S. 65. 171 Siehe etwa zu Ferdinand III. und den ihn beeinflussenden Fürstenlehren: Konrad Repgen: Ferdinand III. (1637-1657), in: Ders.: Dreißigjähriger Krieg und Westfälischer Friede. Studien und Quellen, hrsg. v. Franz Bosbach und Christoph Kampmann. Paderborn etc. 1998, S. 319-343.

2. Religion und Politik im frühneuzeitlichen Alten Reich

der Christenheit zu profilieren und verfolgten als Katholiken172 grundsätzlich eine antiprotestantische Politik in ihren eigenen Ländern.173 Beide wahrten jedoch Distanz gegenüber den Jesuiten,174 jenen Ordensleuten, die sich die Rückeroberung der an Luthertum und Calvinismus verloren gegangenen Seelen auf ihre Fahnen geschrieben hatten und aktiv in die politischen Prozesse einzugreifen versuchten. Obwohl Parteigänger der Katholiken an ihren Höfen zeitweise stark in Erscheinung traten, ließen sich beide nie vollends durch diese einnehmen. Beide sahen sich zeitweilig zu einer Kompromisspolitik gegenüber den Protestanten, sowohl auf territorialer als auch auf Reichsebene, veranlasst und versuchten, einem Gesichtsverlust dadurch zu entgehen, indem sie auf die besondere Friedensverantwortung hinwiesen, die ihnen als Reichsoberhäuptern wie auch als Territorialfürsten zukam. Rudolf II. versuchte, der Würde seines kaiserlichen Amtes zudem darüber gerecht zu werden, indem er seinen Hof den Gelehrten öffnete. Auch als belesener, viele Sprachen beherrschender und gegenüber dem Humanismus aufgeschlossener Monarch 175 schuf er sich beachtliche Freiräume gegenüber den Erwartungen, die die katholische Geistlichkeit mit der Rolle des Kaisers verband.176 Der die erste Hälfte des Dreißigjährigen Krieges prägende Kaiser Ferdinand II. war im Vergleich zu seinen Vorgängern weitaus stärker dem Frömmigkeitsideal verpflichtet, das von den katholischen Geistlichen eingefordert wurde. Der Jesuitenschüler ging z.B. auf Wallfahrten.177 Darüber hinaus widmete er einen großen Teil seines Alltags der frommen Meditation, dem Gottesdienst und anderen religiösen Handlungen. Allmorgendlich soll er fünfmal den Boden im Gedenken an die fünf Wunden Christi geküsst haben. Zudem soll er seine Gläubigkeit oftmals bei langen Prozessionen, eine Kerze tragend, auch bei Regen barhäuptig, demonstriert haben.178 Ihm kam es darauf ein, sich als frommer, eifriger Katholik zu zeigen. Für die Verbreitung dieses Bildes

Zu Rudolf II.: Robert}. W. Evans: Art. „Rudolf Π., Kaiser", in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 22. Berlin 2005, S. 169-171, insbes. S. 169; zu Matthias: Volker Press: „Matthias", in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 16: Maly - Melanchthon. Berlin 1990, S. 403-405, insbes. S. 403. 173 Hierzu Robert ]. W. Evans: Das Werden der Habsburgermonarchie 1550-1700. Gesellschaft, Kultur, Institutionen. Wien etc. 1986, S. 55. 174 Ebd., S. 61. 175 Siehe Robert J. W. Evans: Rudolf II. and his World. A Study in Intellectual History 1576-1612. 2. Aufl. Oxford 1997, S. 51. 176 Seine der Nachwelt besonders in Erinnerung verbliebene Hinwendung zum Okkulten war wiederum keineswegs zwangsläufig eine Abwendung von der katholischen Erudität, da diese sich zu dieser Zeit keineswegs gegenüber den Bereichen der Alchemie, Hermetik etc. verschloß. Ebd., S. 196ff; Evans 1986, S. 249ff. Andererseits wurde sie durchaus von Zeitgenossen auch als mangelnde Frömmigkeit kritisiert. Siehe das Gutachten der bayerischen Geheimen Räte, was Herzog Maximilian dem Kaiser zu Prag vorhalten und raten müßte (März 1608), in: Stieve 1895, S. 296-301, hier S. 296. 177 Siehe Karl Eder: „Ferdinand II., Kaiser", in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 5: FalckFyner. Berlin 1961, S. 403-405. 178 Evans 1986, S. 68. 172

2.4 Ehre - kumulativer Wertehorizont von Fürsten und Räten

sorgte u.a. sein seit 1624 amtierender Beichtvater Guillaume Lamormaini, der über die persönlichen Tugenden des Kaisers ein Buch publizierte.179 Die demonstrative Frömmigkeit Ferdinands II. hat den Historiker Günther Franz dazu bewogen, ihn als einen Menschen zu charakterisieren, der keine persönliche Ehre, sondern nur die „Ehre Gottes" gekannt habe.180 Dies sieht freilich völlig darüber hinweg, dass sich über Religiosität als Habitus und die öffentliche Bekundung einer weitgehenden Konformität mit der offiziellen Glaubenslehre und dem Klerus ebenfalls eine Selbstinszenierung vollzieht. Das Weltbild Ferdinands II. war von Misstrauen und Feindschaft gegenüber den Protestanten geprägt. Im vehementen und kämpferischen Einsatz für den Katholizismus im Reich wie in den Territorien erkannte er seine historische Rolle. Er ließ sich dabei von seinem ersten Minister Ulrich von Eggenberg und von seinem Beichtvater beraten.181 Ahnlich wie der bayerische Herzog Maximilian I., bei welchem der Jesuit Adam Contzen seit 1624 als Beichtvater wirkte,182 ließ er damit eine sehr weitgehende Einwirkung einer Instanz theologischer Kontrolle ins alltägliche politische Geschäft zu. Eine entschlossene Politik für den eigenen Glauben lief unter der Beratung Lamormainis darauf hinaus, dass Ferdinand II. sich für die katholische Geistlichkeit und deren Besitz stark machte. Einem Kompromiss in der Kirchengüterfrage, der unter seinen Vorgängern noch gesucht wurde, stand dies starr entgegen. Allerdings sollte Ferdinand II. seinem Beichtvater nicht in jeder Hinsicht Folge leisten. Im politischen Denkrahmen Ferdinands II. hatte konfessionelle Pluralität eigentlich keinen Platz.183 Im Gefühl, für die Zurückdrängung des Protestantismus ausersehen zu sein, machte er die Sache der Religion zu seinem primären Anliegen.184 Auch ihm, der sich bemühte, eine dezidiert andere Politik zu betreiben als seine Vorgänger, war das Urteil der Nachwelt wichtig. Seine 179 Ebd., S. 69. Darüber hinaus existiert ein Bericht des päpstlichen Nuntius Carlo Caraffa über die Lebensweise Ferdinands II. Siehe Friedrich von Hurter: Friedensbestrebungen Kaiser Ferdinands II. Nebst des apostolischen Nuntius Carl Carafa Bericht über Ferdinand's Lebensweise, Familie, Hof, Räthe, Politik. Wien 1860, S. 212ff. Zu diesem Bericht siehe Hans Sturmberger: Kaiser Ferdinand II. und das Problem des Absolutismus. München 1957, S. 12ff. 180 „Gleich einem echten Jesuiten suchte Ferdinand nicht seine eigene, sondern allein ,die göttliche Ehre und Glorie'." Vgl. Günther Franz: Glaube und Recht im politischen Denken Kaiser Ferdinands II., in: Rudolf, Hans Ulrich (Hg.): Der Dreißigjährige Krieg. Perspektiven und Strukturen. Darmstadt 1977, S. 413-427, hier S. 415. 181 Siehe Konrad Repgen: Papst, Kaiser und Reich 1521-1644. 1. Teil: Darstellung. Tübingen (= Konrad Repgen: Die Römische Kurie und der Westfälische Friede. Idee und Wirklichkeit des Papsttums im 16. und 17. Jahrhundert. Bd. 1 , 1 . Teil), S. 170. 182 Zur Person Contzens und seinen politischen Auffassungen siehe Ernst-Albert Seils·. Die Staatslehre des Jesuiten Adam Contzen, Beichtvater Kurfürst Maximilians I. von Bayern. Lübeck, Hamburg 1968, u. Bireley 1975. 183 Evans charakterisiert seine politische Idealvorstellungen als theokratisch: Evans 1986, S. 66. 184 Robert Bireley: Ferdinand II: Founder of the Habsburg Monarchy, in: Crown, Church and Estates. Central European Politics in the Sixteenth and Seventeenth Centuries, hrsg. v. Robert W. J. Evans u. T. V. Thomas 1991. New York, S. 226-244, hier S. 229.

2. Religion und Politik im frühneuzeitlichen Alten Reich

testamentarischen Erklärungen gegenüber der ,Posterität', tausenden von Seelen in seinen Ländern zum Heil verholfen zu haben, lassen erkennen, wie wichtig ihm dieses Ziel war.185 Als Territorialfürst leitete er eine Serie von Maßnahmen zur Stärkung des Katholizismus und zur Vereinheitlichung der Religion in Ober- und Niederösterreich sowie in Böhmen ein.186 Nachdem er den Kaiserthron erlangt hatte, sollte er sich darauf konzentrieren, der Sache der katholischen Religion auch im Reich gerecht zu werden. Der vor allem die Calvinisten zutiefst verabscheuende Kaiser sah sich jedoch auch in den für ihn günstig verlaufenden ersten Kriegsjahren stets gezwungen, sich mit protestantischen Ständen, vor allem mit dem Kurfürsten von Sachsen, zu verständigen. Darüber hinaus bemühte er sich, seine Ziele unter Einhaltung der Legalität durchzusetzen.187 Seinem Glaubenseifer setzte er hiermit Grenzen, obwohl er sich bemühte, die Rechtsauslegung mit ihm in Einklang zu bringen. Trotz einer Dominanz konfessioneller Gesichtspunkte waren seine Ehrvorstellungen somit keineswegs allein davon bestimmt. Insbesondere ging es ihm im großen Krieg von daher um seine persönliche Ehre, als nach seiner Wahl zum König von Böhmen Aufständische auf den Plan getreten waren, um ihm diese Würde abzuerkennen und sie einem Gegenspieler zuzusprechen. Friedrich V., Kurfürst von der Pfalz, sollte nur für einen kleinen Zeitraum diese Rolle des Gegenspielers einnehmen. Aber eine kurze Skizzierung der kurpfälzischen Linie mag einmal mehr die Bandbreite an Möglichkeiten der Selbstverortung politischer Führungspersönlichkeiten im Reich des frühen 17. Jahrhunderts veranschaulichen: Obwohl der Kurfürst, der 1614 volljährig wurde und die Regierung übernahm, den reformierten Glauben praktizierte und der Calvinismus in seinem Umfeld zu Heidelberg dominant war, bezeichnete er sich offensichtlich selbst nie als Calvinist und allenfalls selten als reformiert.188 Das Hauptziel Friedrichs V. bestand in der Einigung des Protestantismus im Reich und in Europa, womit er und seine Ratgeber Christian von Anhalt und Ludwig Camerarius an die Politik seines Vaters anknüpften.189 Religionspolitisches Engagement war für den kurpfälzischen Hof stark auf das Feld der Außenpolitik hin ausgerichtet. Im Bemühen um die Errichtung eines antikatholischen und antihabsburgischen Bündnissystems in ganz Europa mussten konfessionelle Differenzen gegenüber Lutheranern und An-

Bireley 1991, S. 237. «« Ebd., S. 236ff. 187 Ebd., S. 231. 188 Brennan C. Purseil: The Winter King. Frederick V of the Palatinate and the Coming of the Thirty Years' War. Aldershot 2003, S. 19. Allgemein zur Person des Kurfürsten: Peter Bilhöfer: „Außer Zweifel ein hoch verständiger Herr und tapferer Kavallier". Friedrich V. von der Pfalz - eine biographische Skizze, in: Wolf, Peter u.a. (Hg.): Der Winterkönig. Friedrich von der Pfalz. Bayern und Europa im Zeichen des Dreißigjährigen Krieges. Stuttgart 2003, S. 19-32. 189 Weiter zurückgehende Wurzeln der kurpfälzischen religionspolitischen Konzepte bei Zwierlein 2006a, S. 636ff. 185

2.4 Ehre - kumulativer Wertehorizont von Fürsten und Räten

hängern evangelischer Glaubenslehren in anderen Ländern zwangsläufig zurücktreten.190 Andererseits gehörte der Aufruf zur unbedingten Verteidigungsbereitschaft gegenüber den Katholiken als konfessionellen Hauptfeinden zu den Kernelementen des Calvinismus.191 Die Ehre des Hauses manifestierte sich vor diesem Hintergrund über den Versuch der Schaffung einer geschlossenen Front und einer damit einhergehenden Stärkung der protestantischen Religionspartei im Reich. In Anbetracht eines von traditioneller Gegnerschaft geprägten Wettbewerbs mit Kursachsen192 um die Rolle als protestantische Führungsmacht ließ sich dabei die Erlangung des Direktoriums in der Union als ein großer Erfolg werten.193 Trotz der Bedeutung des protestantischen Lagers für die selbsterwählte Rolle im Spiel der Mächte erschienen Friedrich V. und seinen Beratern weniger der Katholizismus an sich als vielmehr die Jesuiten als Hauptgegner.194 Hinter diesen erblickten sie das spanische Königtum als Strippenzieher. Darüber hinaus suchten sie die Chance zur Abschaffung des habsburgischen Kaisertums. Dabei schreckte der heidelbergische Hof auch nicht davor zurück, den katholischen Herzog von Bayern zur Kandidatur um die Nachfolge von Kaiser Matthias zu bewegen.195 Man beabsichtigte, die katholische Front zu brechen, um der Verwirklichung eines protestantischen Kaisertums im Reich als langfristigem Ziel näher zu kommen. Freilich blieb die Herstellung einer geschlossenen protestantischen Front ein kurpfälzischer Traum, da viele protestantische Reichsstände nicht dazu bereit waren, der Union beizutreten. Zudem existierten innerhalb dieses Militärbündnisses kaum zu verbergende Spannungen.196 Diese wurden just in jenem Moment zum Höhepunkt getrieben, als sich Friedrich V. anschickte, die böhmische Königskrone anzunehmen. Nun verstärkte sich der ohnehin schon länger bestehende Verdacht, die Kurpfalz wolle die Union für eigennützige, dynastische Zwecke missbrauchen.197 In der Tat lässt sich für das kurpfälzische Engagement in Böhmen, das den Dreißig-

Im Hinblick auf die protestantische Union ist der „Ausschluß der Konfessionsthematik" als Voraussetzung für das Zustandekommen betont worden bei Zwierlein 2006a, S. 785. 191 Zur diesbezüglichen Beeinflussung Calvins durch Martin Bucer siehe Cornel Zwierlein: La loi de Dieu et l'obligation à la défense : De Florence à Magdeburg 1494-1550, in : Mellet, Paul-Alexis (Hg.) : Et de sa bouche sortait un glaive. Les monarchomaques à XVIe siècle. Genf, S. 31-75, hier S. 61ff. 192 Hierzu Duchhardt 1977, S. lOlf. 193 Horstkemper 2002, S. 51. 194 Zur jesuitischen Einflußnahme auf die Politik siehe Robert Bireley: The Jesuites and the Thirty Years War. Kings, Courts and Confessors. Cambridge 2003. Allerdings wäre es verfehlt, die Jesuiten als monolithische Organisation zu verstehen. Es bestanden Differenzen unter den Jesuiten hinsichtlich ihrer Auffassungen von ihrer politischen Mission. Siehe ebd., S. 267. 195 Duchhardt 1977, S. 109. Zur Reise Friedrichs V. nach München im Jahre 1618 siehe Horstkemper 2002, S. 46. 196 Ebd., S. 30ff. 197 Ebd., S. 50f. 190

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2. Religion und Politik im frühneuzeitlichen

Alten Reich

jährigen Krieg einleitete, eine Reihe von Motiven benennen, die den religionspolitischen Rahmen sprengten. Der Zugewinn an Ehre für das Haus durch den Erwerb einer Königskrone und wirtschaftliche Aspekte198 fielen erheblich ins Gewicht. - Und dennoch konnte Friedrich V. vor dem Hintergrund der religiösen Aspekte des Verfassungskonfliktes in Böhmen darauf verweisen, für den Glauben einzutreten. Im Vergleich der hier sehr knapp skizzierten politischen Grundlinien verschiedener Kaiser, Fürsten und ihrer Räte lassen sich somit sehr unterschiedliche Rollenkonzepte vor dem Hintergrund der konfessionellen Pluralisierung und einer Polarisierung im Streit der Religionsparteien feststellen. Sie stellen lediglich Beispiele dar und verweisen auf eine noch breitere Vielfalt von Vorstellungen, die an anderen Fürstenhöfen des Reiches und bei weiteren politischen Entscheidungsträgern anzutreffen waren. Keineswegs war es so, dass sich, entsprechend der jeweiligen Konfession, zwangsläufig ein festgelegter religionspolitischer Kurs ergeben hätte. Ehre, hier begriffen als Selbstzuschreibung von Identität, ließ sich für die Akteure auf sehr differenzierte Weise konstituieren. Die Sorge um die Ehre selbst, um Staats- und Reichswohlfahrt, um die Wahrung des Rechts, um die eigene Dynastie und letztlich um den rechten Glauben wurde überall betont. Trotz der Wichtigkeit des konfessionellen Moments vollzog sich die Erarbeitung von Handlungsleitlinien aber alles andere als schematisch. Das religiöse Bekenntnis wurde auf verschiedene Weise in die Ehrkonzepte integriert. Zu betonen ist, dass dabei gegenüber den nichtkonfessionellen Normen und Werten kaum eine Abwägung im eigentlichen Sinn stattfinden konnte, da dies auf eine Hierarchisierung von Grundwerten hinausgelaufen wäre. Eine solche Hierarchisierung ließ eine vom Prinzip der Ehre geprägte Urteilsweise gerade nicht zu. Die oftmals gestellte Frage, ob die politischen Handlungen der Entscheidungsträger dieser Zeit eher von weltlichen, , säkularen' oder eher von konfessionellen Motiven bestimmt gewesen sein mögen, erscheint von daher wenig sinnvoll. In der Konfessionalisierungsforschung ist der unlösbare Zusammenhang von Staatsinteresse und Religion in der Frühen Neuzeit betont worden.199 Für eine gute Staatsführung war es erforderlich, sämtlichen Anforderungen, die für die Wahrung der Ehre von Ämtern und Herrscherhäusern relevant waren, gerecht zu werden. Zu diesen Anforderungen gehörte fraglos der unbedingte Einsatz für den Glauben. Die Obrigkeiten der Frühen Neuzeit fühlten sich für das Seelenheil der Menschen in Gegenwart und Zukunft zuständig. Aber welche Mittel und Wege die Nachwelt einmal als die richtigen beurteilen würde, war höchst ungewiss und strittig. Keine aus der Konfession herrührende Zwangsläufigkeit bestimmte die Politik, sondern eigenständige 198 Hierzu Peter Wolf. Eisen aus der Oberpfalz, Zinn aus Böhmen und die goldene böhmische Krone, in: Ders. u.a. (Hg.): Der Winterkönig. Friedrich von der Pfalz. Bayern und Europa im Zeichen des Dreißigjährigen Krieges. Stuttgart 2003, S. 65-74. 199 Darauf verweist auch Burkhardt 1992, S. 139f.

2.5 Restitutio, Uti-possidetis und die Verknüpfung von Recht und Ehre im Kirchengüterstreit

Entscheidungen, die den Anforderungen der Ehre auf unterschiedliche Weise gerecht werden sollten. Diese Entscheidungen fußten auf Selbstverortungen, in welche jeweils differierende Traditionen, Wirklichkeitsdeutungen

und

Interessen einbezogen waren. Neben dem theologischen Einfluss auf die politische Entscheidungsfindung 2 0 0 war schließlich das Recht ein als maßgeblich betrachteter Faktor der Autorisierung. Allein die starke Rekrutierung der Hofräte aus den Reihen der Juristen sorgte dafür, dass die politische Sprache dadurch geprägt wurde. In den 1630er Jahren sollte Johann Georg bei gravierenden Entscheidungen sowohl theologische als auch juristische Gutachten einfordern, u m letztendlich M a ß n a h m e n zu ergreifen, die dem Rat der Theologen zuwider liefen. 201 Die Polarisierung der Lager im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert war, so lässt sich aus all dem folgern, keineswegs eine notwendige Folge der konfessionellen Pluralisierung. Die Verschärfung des Konfliktes ergab sich, wie im Folgenden dargelegt werden soll, vielmehr aus der Verknüpfung der Religionsfrage mit den eigentumsrechtlichen Fragen im Kirchengüterstreit, die nach dem Augsburger Religionsfrieden erneut aufgeworfen wurden. Gerade diese Verknüpfung war es, die für viele Reichsstände ebenfalls auf eine fundamentale Frage der Ehre hinauslief.

2.5 Restitutio,

Uti-possidetis

und die Verknüpfung von Recht

und Ehre im Kirchengüterstreit

Die zentrale Bedeutung der possessio

im Konflikt unter den Religionsparteien im Alten Reich zeigt sich im vielfach verwendeten Begriff der Restitution. Unter restitutio wurde in der Frühen Neuzeit die Wiedererstattung einer unrechtmäßig abgenommenen

Sache

verstanden. Obwohl z.B. auch die Ehre zu den restituierbaren Dingen gehörte - man sprach in diesem Z u s a m m e n h a n g von einer restitutio fatnam202 - wurde mit dem Begriff im engeren Sinne die Rückgabe widerrechtlich entzogenen materiellen Gutes an den rechtmäßigen Eigentümer bezeichnet. 2 0 3 Nicht damit identisch, aber zumindest eng damit verwandt war, wie in einer theologischen Dissertation, die 1589 zu Ingolstadt erschien, erläutert wurde, der Begriff der satisfaction

Eine restitutio sollte demnach auch dazu beitragen, erlittenes

Unrecht wiedergutzumachen. 2 0 5 Wie gezeigt, machte die Partei der Katholiken Im Hinblick auf katholische Obrigkeiten siehe Bireley 1975; ders.: Religion and Politics in the Age of the Counterreformation. Emperor Ferdinand II., William Lamormaini, S.J., and the Formation of Imperial Policy, o . 0 1 9 8 1 , und Bireley 2003. 201 Siehe hierzu Kap. 5. 202 Zum Aspekt der Wiedergutmachung im Injurienprozess siehe Fuchs 1999, S. 52ff. 203 Hierzu Theodor Metzger [Praes.]: Die iniuste acquisitorum restitutione. Assertiones in quatuor distributae partes. Freiburg/Brsg. 1594 (Resp.: Matthias Thanner). 204 Siehe Matthias Mairhofer [Praes.]: Disputa tío Theologica de restitutione, hoc est, ea iusticiae parte cuius officium in reddendis rebus iniuste ablatis versatur. [Resp.: Keller, Caspar]. Ingolstadt 1589, S. 1. 205 Auf einschlägige Facetten des heute angewandten Restitutionsbegriffs weisen etwa Studien zur Restitution jüdischen Besitzes nach den Enteignungen in der NS-Zeit hin. 200

2. Religion und Politik im frühneuzeitlichen Alten Reich in der Kirchengutsfrage an diesem rechtlichen und moralischen Anspruch ihre Forderung nach einer Rückführung der von Protestanten säkularisierten geistlichen Einrichtungen, einschließlich der zugehörigen Untertanen, fest. Der politischen Verlagerung der Glaubensfrage auf den Aspekt der possessio entsprach seitens der Katholiken bereits vor dem Augsburger Religionsfrieden das Verlangen nach einer umfassenden Restitution. Die Restitutionsansprüche wurden dann im Verlaufe des 16. Jahrhunderts über diverse Vereinbarungen mit den Protestanten suspendiert. Als Gegenleistung wurde seitens der Katholiken jeweils die Respektierung des jeweils aktuellen Besitzstandes durch die Protestanten eingefordert. Im Wesentlichen liefen auch die 1555 im Augsburger Religionsfrieden formulierten Bestimmungen z u m Kirchengut darauf hinaus. Wie ließ sich ein solches Vorgehen rechtlich begründen? Eine fundierte Beantwortung dieser Frage im Hinblick auf das 16. Jahrhundert muss hier unterbleiben. 206 Es mag hier einmal mehr der Hinweis auf die Vorläufigkeit genügen, die katholische Juristen mit diesen Vereinbarungen verbanden. Der Reichshofrat Georg Eder definierte den Augsburger Religionsfrieden, ähnlich wie den Nürnberger und den Frankfurter Anstand, einfach als einen befristeten Waffenstillstand. 207 Seit dem frühen 17. Jahrhundert lässt sich dann der Versuch einer genaueren begrifflichen Einordnung beobachten, indem auf ein rechtliches Prinzip verwiesen wurde, das gegen den Anspruch der restitutio ins Spiel gebracht werden konnte: das

Uti-possidei¡s-Prinzip.

Das vor allem im internationalen Recht 208 geläufige Prinzip geht auf die Regel „uti possidetis, ita possidentis" zurück, die im antiken römischen Privatrecht zur

Siehe etwa Goschler, Constantin/Lillteicher, Jürgen (Hg.): Arisierung und Restitution. Die Rückerstattung jüdischen Eigentums in Deutschland und Österreich nach 1945 und 1989. Göttingen 2002. 206 Hierfür wäre eine eigene Untersuchung erforderlich, die andere Gebiete Europas, in denen ähnliche rechtliche Lösungen zur Verarbeitung konfessioneller Pluralisierung entwickelt wurden, einbezöge. So enthält z.B. das Edikt von Nantes Bestimmungen, die an die Uti-possidetis-Regel erinnern, insbesondere Abschnitt 9: „Nous permettons aussy à ceulx de lad. Religion faire et continuer l'exercice d'icelle en toutes les villes et lieux de nostre obeïssance où il estoit par eulx estably et faicte publiquement par plusieurs et diverses fois en l'année mil cinq cens IIIIXX seize et en l'année mil cinq cens IIIIXX dixsept, jusques à la fin du mois d'aoust, nonobstant tous arrestz et jugemens à ce contraires." Exerzitiumsrechte der Hugenotten waren an Daten gebunden, die auf die Vorläuferregelungen des Edikts verwiesen. Siehe: Barbiche, Bernard (ed.) : L'édit de Nantes et ses antécédents (1562-1598), [http://elec.enc.sorbonne.fr/ editsdepacification/ editl2/] . 207 Dieser sei als ein „Moratorium, eine Dilation oder Tolerantz, das ist einen Anstand [Waffenstillstand] und Aufschub bis zu endlicher Vergleichung als für eine allgemeine Decision oder Declaration" zu verstehen. Siehe Stieve 1878, S. 148. 208 Zur aktuellen Bedeutung siehe den Sammelband von Corten, Olivier u.a. (Hg.): Démembrements d'états et délimitations territoriales. L'uti possidetis en question(s). Brüssel 1999, zudem Christiane Simmler. Das uti possidetis Prinzip. Zur Grenzziehung zwischen neu entstandenen Staaten. Berlin 1999, und Michael Weber: „Uti possidetis iuris" als allgemeines Rechtsprinzip im Völkerrecht. Überlegungen zum Verhältnis von

2.5 Restitutio, Uti-possidetis und die Verknüpfung von Recht und Ehre im Kirchengüterstreit

Vermeidung von gewaltsamer Inbesitznahme strittigen Eigentums während eines Rechtsstreites angewandt wurde.209 Vorläufig wurde der Besitz nach der Formel „So wie ihr besitzt, sollt ihr weiterhin besitzen" zuerkannt.210 Wie die italienische Rechtshistorikerin Alessandra Bignardi herausgearbeitet hat, liegen die Wurzeln dieses römischrechtlichen Prinzips aber bereits in Rechtsgrundsätzen, die in der griechischen Antike zur Regelung von Grenzkonflikten unter Stadtstaaten in Friedensverträge einflossen.211 So führt der griechische Geschichtsschreiber Thukydides in seiner Darstellung des Peloponnesischen Krieges mehrfach Friedensschlüsse und Waffenbündnisse auf der Grundlage einer befristeten Festfrierung der Besitzverhältnisse auf.212 Die protestantischen Gesandten aus Ulm, die, wie gesehen, 1613 die Anwendung des Uti-possidetis-Prmzips zur Beilegung des Vierklösterstreites vorschlugen, verbanden damit die Sicherung des Besitzes der Protestanten an Kirchengut bei gleichzeitiger Bereitschaft, auf weitere Aneignungen bzw. Säkularisierungen zu verzichten.213 Dass sie dies lediglich als eine vorläufige Regelung ansahen, liegt von daher nahe, als das Uti-possidetis-Prmzip im juristischen Schrifttum dieser Zeit ausnahmslos als eine Übergangslösung betrachtet wurde.214 Immerhin lässt sich erkennen, dass man das rechtliche Instrumentarium besaß, um in der Kirchengüterfrage zu einer Annäherung zu kommen. Das Uti-possidetis-Ptinzip sollte in den 1630er Jahren und während der Westfälischen Friedensverhandlungen noch eingehender zur Sprache kommen. 215 Dass man in den Jahren vor dem Dreißigjährigen Krieg nicht auf diese Formel zurückgriff, um den Streit um die Kirchengüter zu entschärfen, lag offensichtlich weniger am mangelnden Bekanntheitsgrad dieses Konzeptes als vielmehr an der mangelnden Bereitschaft vieler politischer Entscheidimgsträger, es wirksam werden zu lassen. Die Widerstände auf der katholischen Seite wer„uti possidetis", Selbstbestimmungsrecht der Völker und Effektivitätsprinzip. Göttingen 1999. 209 Simmler 1999, S. 34. 210 Weber 1999, S. 3. 211 Alessandra Bignardi: „Controversiae agrorum" e arbitrari internationale Alle origini dell'interdetto ,uti possidetis'. Milano 1984. 212 Thucydides: 4 Bde. London etc. 1957-1964, Bd. 1, S. 41 (1.140.2); Bd. 2, S. 411 (4.118.4-8); Bd. 3, S. 147 (5.79.1-4). Siehe hierzu Bignardi 1984, die „clausola dello status quo" betreffend: S. 85ff. 2 1 3 Chroust 1909, S. 161; siehe auch Kap. 2.5. 214 Verginius de Boccatius: Tractatus de interdicto uti possidetis sive de manutenentione in possessionem. Macerata 1581; Matthaeus Entzlin: Theses de interdicto uti possidetis. Tübingen 1586 (Resp.: Kellenbenz, Bartolomaeus); Christopherus Osterwaldt: Conclusiones de interdictis uti possidetis et unde vi. [s. 1.] 1591. Boccatius verwies darauf, dass das interdictum uti possidetis in Spanien auch interim genannt werde. Boccatius 1581, S. 10. 215 Zur späteren Rezeption im spanisch-niederländischen Friedensvertrag von 1648 siehe Laurens Winkel: The Peace Treaties of Westphalia as an instance of the reception of the Roman law, in: Lesaffer, Randall (Hg.): Peace Treaties and International Law in European History. From the Late Middle Ages to World War One. Cambridge 2005, S. 222-237, hier S. 229-236.

2. Religion und Politik im frühneuzeitlichen Alten Reich

den in einer kurmainzischen Gesandteninstruktion aus dem Jahre 1607 recht gut verdeutlicht.216 Obwohl der Kurfürst von Mainz seine grundsätzliche Bereitschaft dazu erklärte, auf dem anstehenden Reichstag über eine Überlassung der nach 1552 eingezogenen Kirchengüter an die Protestanten zu verhandeln, brachte er zum Ausdruck, sich nur äußerst schwer dazu überwinden zu können. Er betrachtete es als eine schwere Belastung, die den katholischen und insbesondere den geistlichen Ständen geraubten Erzstifter und -klöster als „gottselige" Fundationen in fremde Hand kommen zu lassen.217 Der Aspekt der religiösen Stiftung und der Aspekt des Eigentums stehen hier gleichgewichtig nebeneinander. Als Eigentum wird dabei eine den katholischen Ständen in ihrer Gesamtheit zustehende Besitzmasse definiert. Das entschlossene Eintreten für das Eigentum gehörte in der Frühen Neuzeit jedoch zu den Grundwerten der Gesellschaft und damit zu den Geboten der Ehre.218 Gerade die adeligen Reichsfürsten hatten sich im Hinblick auf die ,Posterität' dafür einzusetzen, dieses zu mehren, nicht aber Verluste hinzunehmen. Die Vorstellung beider Religionsparteien von einem ihrer Religion zustehenden Eigentum entfaltete innerhalb der Lager eine höchst integrative Wirkung. Dies gilt für die katholischen Stände auf der einen Seite wie auch für die auf religiöser Ebene zerstrittenen Lutheraner und Calvinisten auf der anderen. Zugleich trieb sie die Blöcke auseinander. Selbst die gemäßigten Kräfte unter den Katholiken betrachteten die Kirchengüter im Grunde als „spoliirt". 219 Jenen Kräften, die den Konflikt schürten, war es ein Leichtes, die Säkularisierungen mit Blick auf die päpstlichen Eigentumsansprüche220 unverhohlen als Raub bzw. ,Kirchenraub' darzustellen.221 Als nach dem gescheiterten Reichstag von 1613 erneute Versuche der Annäherung unter den Parteien ins Auge gefasst wurden, formierte sich eine entschiedene Gegnerschaft innerhalb des katholischen Lagers. Sie stellte die Protestanten mit Blick auf den Augsburger Religionsfrieden als Wort- und Friedensbrecher an den Pran-

Instruktion des Churfiirsten von Mainz an seine Reichstagsgesandten. Ungenau datiert auf Dezember 1607, in: Stieve 1895, S. 142-200. 217 „Wurden nun sie vor gut ansehen, zum fall sich die protestierende stende bei itziger reichsversamblung widerumb so weit biosgeben, dass sie den abzug desjenigen, so sie schon in handen oder possession hetten, [verlangten,] ob es wol ein überaus grosser last were, die ansehnliche erz- und Stifter, deren die cath. und sonderlich gaistl. Stende spoliirt sein, zuwider den gottseligen fundationen in fremden gewalt komen zu lassen, dass denen sachen doch nachgedacht [werde]". Ebd., S. 147. 218 Fuchs 1999, S. 91. ™ Stieve 1895, S. 147. 220 Zur Eigentumsfrage innerhalb des kanonistischen Rechts siehe Kratzsch 1990, S. 13ff. 221 Insbesondere die Calvinisten hätten „vil Clöster kirchenrauberischer weiß eingezogen": Lermen, Blasen auch Ursachen und Ausschlag/ deß besorgten innerlichen Kriegs zwischen den Catholischen und Calvinisten in Teutschlandt. Das ist: Kurtze und gründtliche anzeig unnd erleuterung/ welchem theil der Krieg lieber sey alß der Friedt: was ein jeder für tringende Ursachen zum Krieg hab: und was der ein oder ander für einen Außschlag zugewarten. [s.l.] 1616, S. 35. 216

2.5 Restitutio, Uti-possidetis und die Verknüpfung von Recht und Ehre im Kirchengüterstreit

ger.222 In einer Streitschrift aus dem Jahr 1615 wurde das 1555 von der katholischen Seite gemachte Zugeständnis der Überlassung der Kirchengüter an die Protestanten nach dem Stichjahr 1552 als ein schwerwiegender Fehler beschrieben. Eine erneute Einigung durch derartige Zugeständnisse wurde als eine wiederholte Beschreitung des ,Weges nach Passau'223 bezeichnet, wo seinerzeit bereits einmal ein verhängnisvolles „generalnachlaß jar" 224 beschlossen worden sei. Die damalige Weigerung auf der Gegenseite, die Nachgiebigkeit der Katholiken anzuerkennen und sich an die Regelung zu halten, wurde nun als Beleg für eine von Beginn an feindselige,,unehrliche' Absicht betrachtet. Im Mittelpunkt derartiger, den Krieg schürender Schriften stand der Vorwurf des Vertrauensbruchs. Verhandlungen wurden nicht nur als nutzlos, sondern als schädlich bezeichnet.225 Auf der Seite der Protestanten wurde der Kirchengüterstreit vor allem deswegen als ein Streit um das ihnen gehörende Eigentum betrachtet, weil sich die mittelbaren Klöster und Stifte innerhalb ihrer Territorien befanden. Zudem kämpften sie um das Recht, weiterhin Besitz im Reich über die Einziehung von Kirchengütem erwerben zu dürfen. In einem 1613 verfassten Gutachten württembergischer Räte wurde beschworen, dass die Existenz der evangelischen Stände damit verbunden sei. Würde ihnen dieses Recht entzogen werden, würden ihre ansehnlichen Häuser und Geschlechter zugrunde gerichtet.226 Nur wenig später wurde auf dem Unionstag zu Rothenburg ob der Tauber227 noch einmal intensiv dieser Frage nachgegangen. Die Protestanten hoben ihr ius reformandi als Herrschafts- wie Besitzrecht hervor: Wenn man nicht reformieren' dürfe, müsse man katholische Kleriker als seine Feinde in seinen eigenen Ländern dulden und ernähren.228 Uber eine Sicherung des bis dahin erlangten Besitzes durch die Uti-possidetisFormel war man nichtsdestoweniger 1613 zu Rothenburg geteilter Meinung.

Ebd. „Das ist nun der Weg, der gen Passaw gehet". Warhaffter kurtzer bericht/ wie/ wann/ und durch wen das H. Römische Reich/ Teutscher Nation in jetzigen Zustandt und gefahrliches Mißtrawen zwischen desselben Ständen gebracht worden, [s.l.] 1615, S. 44. 224 Ebd. 225 Lermen, Blasen auch Ursachen 1616, S. 40. 226 „und haftet daran der evangelischen Stände Wohlfahrt und Untergang, da ihnen dadurch der Zutritt zu den Stiftern und geistlichen Kompetenzen gänzlich entzogen und ihre ansehnlichen Häuser und Geschlecher bei der vielfältigen Verteilung zu gründe gerichtet, die Papisten dagegen merklich bereichert werden." Gutachten der württembergischen Räte für Herzog Johann Friedrich zum Rotenburger Unionstag, in: Chroust 1906, S. 209-226, hier S. 219. 227 Zum Unionstag siehe Gotthard 1992, S. 142ff. 228 „müste man dergestalt unsere eigne Verräter als münch und normen in seinen eignen landen gestatten und nutrirn". Protokoll des Unionstages zu Rotenburg ob der Tauber, in: Chroust 1906, S. 233-272, Her S. 270. 222

223

2. Religion und Politik im frühneuzeitlichen Alten Reich

Einige Gesandte betrachteten grundsätzlich die Ehre darüber als gewahrt,229 während andere den schwerwiegenden Nachteil sahen, Reichsgüter dem Gegner für immer zu überlassen. Neben den Eigentumsaspekten wurde das religiöse Prinzip der Freistellung' gegen die Uti-possidetis-Regel vorgebracht. Die Vertreter Kurbrandenburgs schlossen eine Anwendung konsequent aus Gewissensgründen aus.230 Obwohl man sich über die Bedeutung des Utipossidetis-Prinzips für Krieg und Frieden im Klaren war und es 1613 als ein mögliches Mittel zur Beilegung eines gefährlichen Streites diskutiert wurde, wurde es blockiert. An eine Erfüllung der Forderung der Katholiken, die seit 1552 säkularisierten Güter zu restituieren, dachten die Protestanten ohnehin noch weniger. Auch die von einer solchen Restitution nicht direkt betroffenen protestantischen Reichsstände hegten große Furcht gegen eine solche Maßnahme, die in ihren Augen eine bedeutende Schwächung der eigenen Partei, „Abgang und Zerrüttung" zur Folge gehabt hätte.231 Die Notwendigkeit zur Wahrung von Eigentum und Besitz wie auch die Verantwortlichkeit für den eigenen Glauben ließen sich für beide Seiten als entscheidende Handlungsnormen in Anspruch nehmen. Für beide Lager stand damit die Ehre in zweifacher Hinsicht auf dem Spiel. Es ging zentral um die Sicherung von Ressourcen, die dynastische Interessen berührten. Die Kirchengüter stellten für die katholischen Herrscherhäuser insofern bedeutende Objekte der Besitzvermehrung dar, als sich ihre Familienmitglieder um geistliche Ämter und Pfründen bewerben und diese für ihre Familien längerfristig sichern konnten.232 Die protestantischen Dynastien beanspruchten für sich den friedlichen Erwerb dieser Besitztümer über das ius reformandi als eine adäquate Möglichkeit der Familienpolitik.233 Zugleich ging es aber auch in religiöser Hinsicht um eine materielle Absicherung. Die Angst, von den Protestanten im Nullsummenspiel um Güter und Territorien überflügelt zu werden, um letztlich chancenlos als Verlierer im Religionsstreit dazustehen, schweißte die katholischen Stände als Glaubensgemeinschaft zusammen. Die Vorstellung, dass die Katholiken sich durch den Geistlichen Vorbehalt auf ewig die Mehrheit im Reich sicherten, brachte wiederum die lutherischen und calvinistischen Reichsstände dazu, miteinander zu operieren, um gegen ihn vorzugehen und das Prinzip der Freistellung' als religiöse Maxime zu verfechten. Die im Zusammenhang mit diesem Streit geforderte Solidarität ließ sich für beide Seiten

Siehe den anhaltischen Kommentar, dass das Uti-possidetís-Prínzip „nicht verächtlich" sei. Ebd., S. 271. 230 Ebd., S. 270. 231 Instruktion für die Abgesandten der Stadt Nürnberg zum rotenburger Unionstag, ebd., S. 185-194, hier S. 189. 232 Hierzu, im Hinblick auf Habsburg und Wittelsbach: Heribert Raab: Die oberdeutschen Hochstifte zwischen Habsburg und Wittelsbach in der Frühen Neuzeit, in: Blätter für Deutsche Landesgeschichte 109 (1973), S. 69-101. 233 Zur Kirchengüterpolitik als Dynastiepolitik seitens protestantischer Häuser siehe Tupetz 1883, S. 343f. 229

2.5 Restitutio, Uti-possidetis und die Verknüpfung von Recht und Ehre im Kirchengiiterstreit

letztlich als Einsatz für die ,Ehre Gottes' deuten. Die Sorge um die Konfession erzeugte damit neben der Sorge um das Eigentum jenes Maß an „moralischer Selbstgerechtigkeit",234 das am Ende eine wesentliche Voraussetzung für den kriegerischen Konflikt bilden sollte. Der Konflikt wurde von beiden Parteien als ein Konflikt von historischer Tragweite betrachtet, was ihn umso schwerer lösbar erscheinen ließ. Der Ausweg auf der Basis eines Rechtsstreites war angesichts einer unüberbrückbaren Kluft zwischen zwei Rechtsauffassungen kaum möglich. Für einen gütlichen Vergleich, der beiden Seiten trotz schmerzlicher Kompromisse die Wahrung der Ehre zugesichert hätte, mangelte es offensichtlich an Vertrauen. War der Augsburger Religionsfrieden als Versuch deklariert worden, ein durch den Religionsstreit entstandenes Vertrauensdefizit zu beheben, so argumentierten die kompromissfeindlichen Kräfte nun, dass sich die Gegenseite im Nachhinein nicht als vertrauenswürdig erwiesen hatte. Dies zeigt die Schwächen des Religionsfriedens von 1555 deutlich auf. Er hatte es nicht vermocht, der de facto bestehenden konfessionellen Pluralität im Reich ein hinreichendes Fundament zu geben. In der so überaus wichtigen Kirchengüterfrage sahen sich die Protestanten in einem entscheidenden Punkt nicht in ihm repräsentiert. Im Gegenteil: Sie sahen sich durch den Geistlichen Vorbehalt, eine für sie fremde Bestimmung, übervorteilt. Für die Katholiken stellte deren Nichtanerkennung und -befolgung seitens der Protestanten dagegen einen Bruch des Friedens dar. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts war der Weg zum gütlichen Vergleich über die Aushandlung einer beiderseitigen Besitzstandsgarantie zwar bekannt und rechtlich abstützbar. In beiden Lagern bestanden jedoch vor dem Hintergrund der Entwicklung seit 1555 massive Vorbehalte gegen einen solchen Schritt. So konnten die Scharfmacher den Krieg als eine logische Konsequenz ausmalen. Als letztes Mittel, das Seinige zu erlangen, beschwor ihn eine katholische Kampfschrift aus dem Jahr 1616 herauf.235 Sie entwarf eine prospektive Skizze der militärischen Auseinandersetzung zwischen den hier als Hauptgegnern gezeichneten Katholiken und den Calvinisten im Reich und führte die jeweiligen Bündnispartner, die dabei erwartungsgemäß auf den Plan treten würden, auf: Die lutherischen Reichsstände, so wurde verkündet, würden nach reiflicher Überlegung nicht den Calvinisten beispringen, sondern den Katholiken.236 Letztere würden zudem mit der Unterstützung des Papstes und des spanischen Königs rechnen können.237 Die calvinistische Hoffnung auf BündHierzu Ernst Tugendhat: Partikularismus und Universalismus, in: Senghaas, Dieter (Hg.): Frieden machen. Frankfurt/M. 1997, S. 324-333, S. 331. 2 3 5 „Wer das seinig weder durch ordentlichen weg Rechtens/ noch durch Composition/ das ist gütliche vergleichung/ erlangen kann/ der wird zum krieg genötigt/ Dann es seindt nur drey mittel das seinig zu erlangen/ Recht/ Composition und Krieg." Lermen, Blasen auch Ursachen 1616, S. 36. 236 Ebd., S. 52-57. 237 Ebd., S. 64ff. 234

2. Religion und Politik im frühneuzeitlichen Alten Reich

nisse mit verschiedenen Mächten in Europa würde sich dagegen als trügerisch erweisen. Weder der König von Frankreich, noch die Könige von England und Dänemark würden sich zu einer solchen Allianz hinreißen lassen.238 Ebenso wenig würde den calvinistischen Feinden Hilfe von Seiten der Eidgenossenschaft und aus Venedig239 zuteil werden. Und obwohl die Generalstaaten ihnen nur zu gern Hilfe leisten würden, würden auch diese aus Unvermögen davon ablassen.240 Die europäische Dimension241 eines im Reich entstehenden Krieges wurde somit durchaus erkannt, die daraus erwachsenden Gefahren wurden letztlich aber doch kleingerechnet.

Ebd., S. 57ff. Venedig führte seit 1615 Krieg gegen Habsburg (Krieg von Gradisca). Siehe Lutz 1979, S. 103. 240 Lermen, Blasen auch Ursachen 1616, S. 60. 241 Zu diesem Aspekt zuletzt: Christoph Kampmann·. Europa und das Reich im Dreißigjährigen Krieg. Geschichte eines europäischen Konflikts, Stuttgart/Berlin/Köln 2008. 238

239

3.1,Böhmische

Unruhen' - Kämpfe im Reich: ein Religionskrieg?

3. Der große Krieg 3.1 ,Böhmische Unruhen' - Kämpfe im Reich: ein Religionskrieg? Als die kaiserlichen Statthalter Wilhelm von Slavata und Jaroslav Martinitz samt einem Schreiber am 23. Mai 1618 in Prag von Aufständischen ergriffen und aus einem Fenster des Hradschin geworfen wurden, dachte sicherlich kaum jemand der Beteiligten an den Kirchengüterstreit im Reich. Das Königreich Böhmen, einerseits Teil des riesigen Herrschaftsgebietes der katholischen Habsburger, andererseits von nichtkatholischen Führungsschichten dominiert, war ein Konfliktherd mit eigenen Gesetzen.1 Die Grundlage des religionspolitischen Selbstverständnisses der dortigen Stände bildete der Begriff der Confessici Bohémica, auf den man sich 1575 geeinigt hatte. Er umfasste nicht nur Lutheraner, sondern auch die ,böhmischen Brüder' und die aus dem Hussitismus hervorgegangenen ,Utraquisten'.2 Mit Confessio Bohémica wurde somit ein politisches Bündnis verschiedener Glaubensrichtungen bezeichnet.3 Für die Führer der böhmischen Ständeopposition waren, Friedrich von der Pfalz nicht unähnlich, Kriterien der religiösen Orthodoxie nachrangig gegenüber der Schlagkraft eines antikatholischen Bündnisses. Für die böhmischen Stände war ihr Kampf um Religionsfreiheit zugleich ein Kampf um ihre politische Stellung gegenüber dem Landesherrn.4 Im Zuge des militärischen Konfliktes zwischen Kaiser Rudolf II. und seinem Bruder Matthias war es ihnen gelungen, ihre Position zu festigen und auszubauen.5 Am Beginn des 17. Jahrhunderts befanden sie sich bereits, wie Johannes Burkhardt herausgestellt hat, an der Schwelle zu einer ständischen Staatsgründung.6 Nachdem sie im Juni 1617 dazu bewogen worden waren, Erzherzog Ferdinand von der steirischen Linie der Habsburger als künftigen König von Böhmen anzuerkennen, sollte sich recht schnell herausstellen, dass dieser ver-

Das umstrittene verfassungsrechtliche Verhältnis Böhmens zum Alten Reich wird in seiner historischen Entwicklung beleuchtet bei Alexander Begert: Böhmen, die böhmische Kur und das Reich vom Hochmittelalter bis zum Ende des Alten Reiches. Studien zur Kurwürde und staatsrechtlichen Stellung Böhmens. Husum 2003. Zu den religiösen Gruppierungen in Böhmen siehe Winfried Eberhard: Monarchie und Widerstand. Zur ständischen Oppositionsbildung im Herrschaftssystem Ferdinands I. in Böhmen. München 1985, insbes. S. 81ff. 2 Burkhardt 1992, S. 77. 3 Zur Religionspluralität in Böhmen und zu Phänomenen der Uber- und Transkonfessionalität siehe etwa den Aufsatz von Petr Mat'a: Vorkonfessionelles, überkonfessionelles, transkonfessionelles Christentum. Prolegomena zu einer Untersuchung der Konfessionalität des böhmischen und mährischen Hochadels zwischen Hussitismus und Zwangskatholisierung, in: Bahlcke, Joachim/Lambrecht, Karen/Maner, Hans-Christian (Hg.): Konfessionelle Pluralität als Herausforderung. Koexistenz und Konflikt in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Winfried Eberhard zum 65. Geburtstag. Leipzig 2006, S. 307-331. 4 Burkhardt 1992, S. 76. 5 Schormann 1993, S. 21. 6 Burkhardt 1992, S. 74ff., insbesondere S. 77. 1

3. Der große Krieg

suchte, das Ruder zu ihren Ungunsten herumzureißen. Obwohl Ferdinand sich verpflichtet hatte, sich zu Lebzeiten von Kaiser Matthias einer Einmischung in Böhmen zu enthalten, trugen die nun einsetzenden Repressionen gegenüber Nichtkatholiken die Handschrift des Jesuitenschülers. Die von den böhmischen Ständen bei Kaiser Matthias deshalb eingereichten Proteste liefen ins Leere. Dies gab den Ausschlag für die Aggression gegen die beiden kaiserlich-königlichen Vertreter zu Prag.7 Zwar überlebten beide außerplanmäßig den Sturz aus dem Fenster. Die Botschaft, die zu Wien ankam, war nichtsdestoweniger eindeutig: Die Stände hatten dem Kaiser wie auch dem künftigen böhmischen König die Regierung in Prag gewaltsam entrissen und demonstriert, wie sie deren Autorität einschätzen. Sie bildeten unverzüglich eine Direktorialregierung und trafen militärische Vorkehrungen, um die Machtübernahme zu sichern. Matthias wies am 30. Juni 1618 die Erklärung der Aufständischen, dies alles sei zum Besten des Landes geschehen und eine Verletzung seiner Ehre und Reputation nicht beabsichtigt gewesen, zurück.8 Der Krieg entwickelte sich erst langsam, da sich beide Seiten um politische und militärische Unterstützung zu bemühen hatten. Der Direktorialregierung in Prag gelang es, sich über Verbindungen mit der Kurpfalz die Unterstützung durch Söldnertruppen unter dem Grafen Ernst von Mansfeld zu sichern. Den entscheidenden Ausschlag auf der Gegenseite für die unnachgiebige Niederschlagung des Prager Aufstandes gab eine Palastrevolution' zu Wien, in dessen Zuge der Hauptberater von Kaiser Matthias, Kardinal Khlesl, arrestiert wurde.9 Drahtzieher war Ferdinand, der um die Böhmische Krone kämpfte und sich anschickte, einem gesundheitlich geschwächten Kaiser das Heft aus der Hand zu nehmen. Im Sommer 1619 kam es zwar zunächst zu einer für die habsburgische Seite bedrohlichen Situation, da das Heer des böhmischen Heeresführers Graf Thum vor die Stadt Wien zog. Nur kurze Zeit später gelang es jedoch dem Heerführer in Diensten Habsburgs, Charles de Longueval, Graf von Bucquoy, den mansfeldischen Truppen eine Niederlage zuzufügen. Daraufhin wurde Graf Thum mit seinem Heer wieder nach Böhmen zurückgerufen.10 Man mag darüber spekulieren, ob unter bestimmten Bedingungen eine Begrenzung des Krieges auf den Raum Böhmen möglich gewesen wäre. Maßgeblich für die Ausweitung des Konfliktes waren jedenfalls zwei gravierende personelle Entscheidungen, die ebenfalls in den Sommer 1619 fielen: Die eine Schormann 1993, S. 25. Offener Brief des Kaisers Matthias aus Anlaß der böhmischen Unruhen, in: Lorenz, Gottfried (Hg.): Quellen zur Vorgeschichte und zu den Anfängen des Dreißigjährigen Krieges. Darmstadt 1991, S. 260-264, hier S. 264. „Ob nun dieses alles uns selbsten und dem Land (wie sie fürgeben) zum besten/ und nicht vielmehr unsere Käyserliche und Königliche Hoheit und Reputation, auch dem gantzen Königreich zum höchsten Verderb und Schaden sey/ geben wir einem jeden verniinfftig zu erkennen." 9 Schormann 1993, S. 26. >° Ebd., S. 27. 7 8

3.1,Böhmische

Unruhen' - Kämpfe im Reich: ein Religionskrieg?

betraf die Kaiserfrage, die sich nach dem Tod von Matthias im März 1619 akut stellte und am 28. August gelöst wurde: Sein Nachfolger wurde der ursprünglich für den böhmischen Thron ausersehene und nun durch die Vorgänge in Prag ins Hintertreffen geratene Ferdinand. Die andere folgenreiche Entscheidung war bereits zwei Tage zuvor in Prag ergangen. Die Stände, die eine Böhmen, Mähren, Schlesien und die Lausitzen umschließende Konföderation geschlossen hatten, hatten Friedrich V. von der Pfalz, den Führer der protestantischen Union im Reich, zu ihrem König gewählt.11 Aus „sonderbarer Eingebung Gottes", 12 so die Begründung, habe man den mit besonderen Tugenden ausgestatteten und mit vielen Potentaten befreundeten Fürsten zum König von Böhmen proklamiert. Einige Tage zuvor war der bereits gekrönte Ferdinand förmlich abgesetzt worden.13 Die Verflechtung des Krieges mit dem Konflikt der Religionsparteien im Reich vollzog sich in mehreren Schritten: Der erste bestand darin, dass der neue Kaiser Ferdinand II. die militärische Hilfe der kurz zuvor erneuerten katholischen Liga in Anspruch nahm. Auch wenn es weitgehend gelang, die protestantische Union von einem Eingreifen in die Auseinandersetzung abzuhalten14 und den sächsischen Kurfürsten als Verbündeten gegen die böhmische Konföderation zu gewinnen, konnte dies nicht ohne Folgen für das Verhältnis unter den Religionsparteien bleiben. Die Ligaführung achtete zwar darauf, sich als kaiserliche Exekutive bei der Niederschlagung einer Rebellion,15 die inzwischen auf Oberösterreich übergegriffen hatte, zu legitimieren.16 Das Misstrauen auf Seiten der protestantischen Reichsfürsten, denen es an einem Konzept für eine gemeinsame Politik mangelte,17 musste jedoch zwangsläufig wachsen. Das Gewicht des politisch organisierten Katholizismus nahm durch die Einbeziehung seines militärischen Arms in den böhmischen Konflikt unweigerlich zu. Das Gewicht des Protestantismus drohte hingegen gewaltig abzunehmen, da sich der Führer der Liga, Herzog Maximilian I. von Bayern, für sein Engagement bedeutende Zusagen eingeholt hatte. Als Entschädigung für die Kriegskosten war ihm von Ferdinand II. der Pfandbesitz sämtlicher Eroberungen zugesagt worden. Darüber hinaus war vereinbart worden, den Pfalzgrafen zu ächten und dessen Kurwürde dem Burkhardt 1992, S. 81. Begründung für die Wahl Friedrichs, in: Lorenz 1991, S. 370f„ hier S. 371. 13 Begründung der Absetzung des Königs, ebd., S. 368-370. 14 Schormann 1993, S. 31. 15 Zum Prinzip der Exekution als Legitimierung militärischer Gewalt, insbesondere der Liga, siehe Michael Kaiser. Politik und Kriegführung. Maximilian von Bayern, Tilly und die Katholische Liga im Dreißigjährigen Krieg. Münster 1999, S. 236ff. 16 Laut einem Schreiben Maximilians I. von Bayern, betrachtete Ferdinand II. Oberösterreich sogar als „ein rechts nest und quell allen unheils". Siehe das Schreiben Maximilians an Kursachsen vom 7. Juni 1620, in: Mayr-Deisinger, Karl: Die Politik Maximilians I. von Bayern und seiner Verbündeten 1618-1651. Tl. 1, Bd. 1: Januar 1618-Dezember 1620. München/Wien 1966, S. 360-364, hier S. 362. 17 Gotthard 2001, S. 91ff. 11

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3. Der große Krieg

bayerischen Herzog zu übertragen.18 1623 sollte Ferdinand II. sein Versprechen einlösen.19 Zuvor war ein triumphaler Sieg über die Ständekonföderation auf dem Weißen Berg bei Prag (1620) errungen worden, und der Kurfürst der Pfalz und ,Winterkönig' hatte die Flucht aus dem Reich ergriffen. Im Anschluss an die militärischen Erfolge der Liga in Böhmen waren Rekatholisierungsmassnahmen 20 in den eroberten Gebieten eingeleitet worden.21 Auch waren die österreichischen Länder Habsburgs nun von einer rigiden Politik zur Ausrottung des Protestantismus betroffen. 22 Ein zweiter Schritt, der die religionspolitische Bedeutung des militärischen Konfliktes erhöhte, war die Annexion der Unterpfalz durch spanische Truppen, in deren Folge es auch zu vereinzelten Kämpfen mit Soldaten der Union kam.23 Bereits längerfristig geplant, drangen seit dem September 1620 spanische Militäreinheiten als Verbündete von Kaiser und Liga in das von seinem Landesherrn verlassene Territorium vor, u.a. um Drahtzieher der böhmischen Verschwörung zu bestrafen und die Feinde mit einem Ablenkungsangriff (Diversion) zu verwirren.24 Die Achterklärung Friedrichs V. wegen Landfriedensbruch und Majestätsverbrechen (crimen laesae maiestatis) am 22. Januar 1621 wurde zum Anlass genommen, das Land in Besitz zu nehmen. Mit der neuen Herrschaft kamen neue religiöse Verhältnisse. Wurden bei der rege betriebenen Auswechslung der Geistlichen in der Unterpfalz zu Beginn noch die Lutheraner weitgehend geschont, so leiteten die Spanier seit März 1625 konsequentere Maßnahmen der Rekatholisierung ein. Ferdinand II. hatte die spanische Infantin Clara Eugenia, der er die Verfügungsgewalt über das Territorium übertragen hatte, selbst dazu aufgerufen. Erfolge der Rekatholisierung in den anderen Gebieten des Reiches, die von der Liga besetzt waren, hatten ihn zu dieser Ermunterung bewogen. 25 Die Protestanten standen zu diesem Zeitpunkt bereits länger ohne eigenes militärisches Bündnis da. Die Union war im April 1621 aufgelöst worden.26 Muss das fast ungehinderte militärische Operieren spanischer und ligistischer Truppen im Reich, die zu Schutzverbänden der katholischen Religion erklärt Schormann 1993, S. 30. Siehe Georg Schmidt·. Der Dreißigjährige Krieg. München 1995, S. 34. 20 Arno Herzig hat die Problematik des Begiffs Rekatholisierung herausgestellt. So waren z.B. Gebiete bzw. Bereiche davon betroffen, die „im engeren Sinne vorher nicht katholisch waren". Siehe Arno Herzig: Die Rekatholisierung in deutschen Territorien im 16. und 17. Jahrhundert, in: Geschichte und Gesellschaft 26 (2000), S. 76-104, S. 77, Anm. 3. Dennoch wird der Begriff, wie bei ihm, auch hier verwendet. 21 Tupetz 1883, S. 342; siehe auch Heike Ströler-Bühler: Das Restitutionsedikt von 1629 im Spannungsfeld zwischen Augsburger Religionsfrieden 1555 und dem Westfälischen Frieden. Regensburg 1991, S. 14. 22 Herzig 2000a, S. 68ff. 23 Hierzu Anna Egler: Die Spanier in der linksrheinischen Pfalz. Invasion, Verwaltung, Rekatholisierung. Mainz 1971, S. 58f. 24 Ebd., S. 24. 25 Ebd., S. 124. 26 Schormann 1993, S. 33. 18

19

3.1,Böhmische

Unruhen' - Kämpfe im Reich: ein

Religionskrieg?

wurden, 27 ohnehin sämtlichen protestantischen Ständen als ein besonders beängstigendes Faktum erschienen sein, so stellte sich - dritter Schritt - das militärische Engagement Spaniens für den katholischen Pfalzgrafen von Neuburg, Wolfgang Wilhelm, im jülich-klevischen Erbfolgestreit als eine weitere katholische Aggression gegen einen evangelischen Reichsfürsten, den Kurfürsten von Brandenburg, dar. Die Aktionen der Spanier in den jülich-klevischen Ländern sind, wie die in der Unterpfalz auch, im Zusammenhang mit dem 1621 auslaufenden spanisch-niederländischen Waffenstillstand zu sehen. Prompt mit dem Verstreichen des Termins begannen Kampfhandlungen und Einquartierungen auf dem Boden der niederrheinischen und westfälischen Territorien. Damit verzahnte sich der spanisch-niederländische Konflikt mit dem Krieg im Reich. Der Kurfürst von Brandenburg und die Generalstaaten, die mit der Union verbündet waren,28 agierten nun gemeinsam gegen die Verbündeten des Kaisers. Auch in diesem Konflikt ließen die Invasoren religiösen Eifer erkennen. Die spanischen Soldaten, die sich seit 1622 zahlreicher Orte in der Grafschaft Mark bemächtigten, verjagten oftmals die evangelischen Pfarrer und setzten Katholiken an deren Stelle.29 Der vierte und wohl bedeutendste Schritt ist in der Verlagerung der LigaAktionen in den Nordwesten und Norden des Reiches zu sehen, entsprechend der Truppenbewegungen der Verbündeten des pfälzischen Kurfürsten. Nachdem die Ligatruppen unter Tilly die Verbände des Heerführers Christian von Braunschweig und Halberstadt 1623 bei Stadtlohn entscheidend geschlagen hatten und keine Anstalten zur Auflösung des Heeres getroffen wurden, verstärkte sich die Sorge der protestantischen Fürsten um die über Jahrzehnte umstrittenen Kirchengüter.30 Vor allem im niedersächsischen Reichskreis fühlten sie sich belauert, so dass sich dort Widerstand mobilisierte. Christian IV., König von Dänemark, zugleich Herzog von Holstein, schickte sich an, dem Protestantismus im Reich aufzuhelfen. Die diesbezügliche Konkurrenz mit dem Königreich Schweden,31 aber auch das Streben nach den für seine Dynas-

27

Maximilian I. bezeichnete die Liga als katholisches Verteidigungsbündnis wie auch Spanien als „protector religionis". Siehe Mayr-Deisinger 1966, S. 260, Anm. 1. Siehe Hans-Joachim Behr:„...XJns aber Fried gnedig verleihen...", in: Sodman, Timothy (Hg.): 1568-1648. Zu den Auswirkungen des Achtigjährigen Krieges auf die östlichen Niederlande und das Westmünsterland. Vreden 2002, S. 13-27, hier S. 15. 29 Hierzu Ralf-Peter Fuchs: Der Dreißigjährige Krieg und die Grafschaft Mark, in: Jahrbuch für märkische Geschichte 100 (2000), S. 103-138, hier S. 117f. Zu den Kriegsjahren siehe auch Stefan Ehrenpreis: Brandenburgische Herrschaft und Kriegsalltag in der Grafschaft Mark 1618-1648, in: Thier, Dietrich (Hg.): Das Amt Wetter im Dreißigjährigen Krieg. Wetter 1998, S. 7-25. 30 Behr 2002, S. 15. Schmidt sieht in der Nichtauflösung des Heeres bereits das Indiz, die Kirchengüter in Norddeutschland in die Hand zu bekommen. Schmidt 1995, S. 34. 31 Siehe Jorgen Hein: Der „Dänische Krieg" und die weitere Rolle Dänemarks, in: Bußmann, Klaus u. Schilling, Heinz (Hg.): 1648 - Krieg und Frieden in Europa. Textbd. 1: Politik, Religion, Recht und Gesellschaft. [Katalog z. Ausst. Münster/Osnabrück v. 24.10. 1998-17.1.1999], Münster 1998, S. 103-110, S. 106. 28

3. Der große Krieg

tie wichtigen Bistümern Bremen, Verden und Osnabrück 32 veranlassten ihn schließlich, sich als Verteidiger des Glaubens und der fürstlichen ,Libertät' zu inszenieren.33 Christian IV. ließ sich 1625 zum Obristen des niedersächsischen Reichskreises wählen und leitete zur ,Defensión' 34 den Krieg gegen Kaiser und Liga ein, der allerdings mit seiner Niederlage und dem Frieden von Lübeck im Jahre 1629 endete. Für die protestantische Partei im Reich insgesamt war der ,niedersächsisch-dänische Krieg' ein Desaster, da ihr im Norden des Reiches immer weitere Gebiete entrissen wurden. Zudem wurde in diesem Konflikt eine zweite, riesige Armee unter dem Heerführer Wallenstein für den Kaiser aufgebaut, was zwar zu Spannungen mit der Liga führte, das militärische Gewicht des Protestantismus jedoch weiter entscheidend verringerte. Bereits im November 1627, auf dem Reichstag zu Mühlhausen, sahen die Vertreter der katholischen Partei angesichts der Kriegslage den Zeitpunkt für gekommen, die Restitution aller ihnen nach dem Passauer Vertrag von 1552 entzogenen Kirchengüter durchzuführen. Für die Protestanten war damit jener Fall eingetreten, den sie immer befürchtet hatten. Durch den Krieg wurde die zentrale Frage im Religionsstreit neu aufgeworfen. Spätestens angesichts dieser Tatsache erhebt sich die Frage nach der Bedeutung dieses Krieges, der sich in den 1620er Jahren im Reich ausgedehnt hatte. Angesichts eines militärischen Konfliktes, der von Beginn an religiöse Aspekte aufwies und angesichts seiner Einmündung in den Streit, der die Religionsparteien seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts bewegt hatte, mag man versucht sein, den Glaubenskampf als die entscheidende Komponente zu betrachten. Gegen Johannes Burkhardts Einschätzung, der Dreißigjährige Krieg sei in erster Linie ein „Staatsbildungskrieg" 35 gewesen, in dem sich das für die Frühe Neuzeit so markante Ringen um Hegemonie und politische Ordnung in Europa spiegele, ist daher von Axel Gotthard der Begriff des ,Konfessionskrieges' ins Feld geführt worden.36 Der Krieg sei von Beginn an ein religiös motivierter „Glaubenskrieg" 37 gewesen. Die bereits in der Zeit zuvor entwickelten Feindbilder und die „Lagermentalität" hätten das Reich in die Katastrophe gestürzt.38 Nun sind Konfession und Lagermentalität, wie hier einleitend ausgeführt wurde, nicht das gleiche. Uberhaupt stellt sich die Frage nach dem KonfessiSchormann 1993, S. 34; Michael Bregnsbo: Denmark and the Westphalian Peace, in: Duchhardt, Heinz (Hg.): Der Westfälische Friede. Diplomatie - politische Zäsur - kulturelles Umfeld - Rezeptionsgeschichte (= Historische Zeitschrift, Beiheft 26). München 1998, S. 361-367, S. 362. 33 Siehe die Darstellung der publizistischen Auseinandersetzung mit dem Kaiser bei Karl Noldett: Die Reichspolitik Kaiser Ferdinands II. in der Publizistik bis zum Lübecker Frieden 1629. Köln 1957 (Diss.), S. 131. 34 Zur „Kreisdefension" Kaiser 1999, S. 199. 35 Burkhardt 1992, S. 26. 36 Gotthard 2002, hier insbes. S. 168ff. 37 Ebd., S. 168. 38 Ebd., S. 169. 32

3.1,Böhmische

Unruhen' - Kämpfe im Reich: ein Religionskrieg?

onsbegriff, der einem solchen ,Konfessionskrieg' zugrunde gelegt werden könnte. Das ,bikonfessionelle', auf der Repräsentation im Reich basierende Schema, auf das Gotthard zurückgreift, um die Auseinandersetzungen seit 1619 als einen Krieg zwischen Katholizismus und Protestantismus zu deuten, entstammt bei genauerem Hinsehen der Praxis des Dissimulierens: Auch wenn die Calvinisten danach strebten, reichsrechtlich unter dem Begriff der Confessio Augustana verortet zu werden, so verdeckt dies doch gerade die konfessionellen Unterschiede zwischen ihnen und den Lutheranern. Der Konfessionalisierungsforschung39 wird die Verwendung eines Begriffes, der Protestantismus als Konfession auffasst, nicht gerecht, stellte dieser doch ein politisches Bündnis dar, das konfessionelle Differenzen letztendlich ausklammerte. Überdies lässt er die besonderen kirchlichen Glaubensverhältnisse, die dem böhmischen Konflikt zugrunde lagen, völlig außer Acht. Letztlich verliefen die Frontlinien des Krieges insgesamt weniger klar, als es der Begriff des Konfessionskrieges nahe legen würde. Über weite Phasen galt es im katholischen Lager, die Haltung von protestantischen Reichsständen zu berücksichtigen, die zum Frieden tendierten. Legt man dem Begriff der Konfession dagegen Frömmigkeitsstreben und praxis auf Seiten der Führungsschichten zugrunde,40 um die Bedeutung dieses Faktors für deren Mentalität aufzuzeigen, stellt man wiederum fest, dass die an den Fürstenhöfen vielfach praktizierten Andachtsübungen41 nicht notwendigerweise auf Lagermentalität schließen lassen. Frömmigkeit und das Suchen des politischen Ausgleichs mit Andersgläubigen zum eigenen Vorteil standen, wie zum einen das Beispiel Kursachsen veranschaulicht und weitere Beispiele noch deutlicher zeigen werden, keineswegs notgedrungen im Widerspruch zueinander. Zweifellos wurden über die Einflussnahme von Beichtvätern häufig konfessionelle Feindbilder vertieft. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass etwa das Feindbild Calvinismus auf Seiten der Katholiken wesentlich auch auf ordnungspolitischen Denkmustern beruhte. Die Calvinisten galten als Unruhestifter, die an den Fundamenten des Staatswesens rüttelten. Das katholische Kriegsengagement wurde von daher auch als Einsatz für die Monarchie in Europa verstanden.42 Siehe hierzu die drei bilanzierenden Sammelbände von Schilling, Heinz (Hg.): Die reformierte Konfessionalisierung in Deutschland - Das Problem der „Zweiten Reformation". Wissenschaftliches Symposion des Vereins für Reformationsgeschichte. Gütersloh 1986, Rublack 1992 und Reinhard/Schilling 1995. « Gotthard 2002, S. 171. « Ebd. 42 Für den kaiserlichen Gesandten in Madrid, Franz Christoph von Khevenhüller, waren 1620 nicht nur der Kaiser durch die böhmischen Rebellen, sondern auch das Königshaus von England durch die Puritaner und der französische König durch die Hugenotten bedroht. Mayr-Deisinger 1966, S. 375f., Anm. 1. Zu den monarchomachischen Denkstrukturen innerhalb des Calvinismus siehe etwa Stefan Bildheim: Calvinistische Staatstheorien. Historische Fallstudien zur Präsenz monarchomachischer Denkstrukturen im Mitteleuropa der Frühen Neuzeit. Frankfurt/M. 2001, u. Zwierlein 2006b. 39

3. Der große Krieg

Der Begriff eines Konfessionskrieges bildet somit die religiöse Pluralität im Reich kaum angemessen ab und berücksichtigt nicht, dass die Konfessionen sehr unterschiedliche politische Deutungsmuster zuließen. Andererseits entwickelte sich unbestreitbar ein Krieg, der aus religiösen Motiven als ein bellum iustum gedeutet wurde 43 und von Beginn an die Interessen der beiden religionspolitischen Lager immer wieder empfindlich berührte. War dieser daher ein Religionskrieg? Konrad Repgen hat vor geraumer Zeit ein Plädoyer dafür gehalten, diesen Begriff zur Typisierung und zum Vergleich von Kriegen der Frühen Neuzeit, insbesondere des 16. Jahrhunderts, einzusetzen, dabei jedoch betont, dass eine Zuschreibung nicht auf Aspekten der Motivation, sondern allenfalls auf dem Aspekt der Legitimierung beruhen kann.44 Im Hinblick auf den Dreißigjährigen Krieg ist bei dieser Gelegenheit angemerkt worden, dass die kaiserlichen Erklärungen zur Einleitung militärischer Aktionen, 1618 gegen die Böhmischen Stände, 1619 gegen die Kurpfalz und 1625 gegen Christian IV. von Dänemark, auf dem crimen laesae maiestatis, keineswegs aber auf religiösen Argumenten gründeten.45 Aber auch aus anderen Gründen erscheint es eher verfehlt, den langen Krieg, der sich in mehreren Schüben ausdehnte und jeweils nach verschiedenen Anlässen fortsetzte, auf den Aspekt der Religion zu verengen. Das Bündnis Sachsens mit dem Kaiser in der Anfangsphase und das spätere Eingreifen Frankreichs zugunsten der protestantischen Stände sind häufig als die eindrücklichsten Belege für die Durchbrechung religiösen Parteidenkens angeführt worden.46 Die Tatsache, dass sich der Krieg im Reich durch die direkte Beteiligung wie auch die indirekte Einflussnahme zahlreicher europäischer Staaten stetig verlängerte, lässt sich kaum überzeugend und hinreichend damit erklären, dass überall und jederzeit blinder religiöser Eifer vorgeherrscht hätte. Die vielfältigen Interessen, die sich in den langjährigen militärischen Auseinandersetzungen niederschlugen - Hegemoniestreben, Sicherheitsinteressen, Ausbau bzw. Zurückdrängung reichsständischen Einflusses, Hausmachtinteressen, Bedürfnisse der Konstituierung von Autorität und Nachruhm - würden über eine bloße Etikettierung als Religionskrieg unterschlagen, auch wenn man einräumen muss, dass den Zeitgenossen die Kategorie keineswegs fremd war47 und häufiger darüber diskutiert wurde.48 So

Zu Maximilian I. von Bayern: Michael Kaiser: Maximilian I. von Bayern und der Krieg. Zu einem wichtigen Aspekt seines fürstlichen Selbstverständnisses, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 65 (2002), S. 69-99, S. 83. 44 Konrad Repgen: Was ist ein Religionskrieg?, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 97 (1986), S. 334-438. « Ebd., S. 345. 4 6 Das Fehlen „konfessioneller Folgerichtigkeit" konstatiert Burkhardt 1992, S. 138f. 4 7 So unterrichtete man 1619 den bayerischen Herzog darüber, dass die Generalstaaten die Gefahr sahen, dass sich der böhmische Konflikt zu einem „religionskrieg" ausweitete. Kurkölnisches Schreiben an Maximilian I. v. 29. September 1619, in: Mayr-Deisinger 1966, S. 227-230, S. 229. Ebenso warnte der kaiserliche General Rambaldo Graf von Collalto in einem Brief vom 14. Dez. 1628 den Kaiser vor einem „religionkrieg", der 43

3.1,Böhmische

Unruhen' - Kämpfe im Reich: ein Religionskrieg?

wurde der Begriff „religions Krieg" etwa in einer Schrift aus dem Jahre 164049 gebraucht, hier allerdings, um jene Phase zu kennzeichnen, die nach dem berüchtigten Restitutionsedikt, das Ferdinand II. 1629 verordnete, begann.50 Bezeichnenderweise führte der Verfasser den Begriff selbst ad absurdum, indem er schrieb, man habe den „religions Krieg gantz irreligiose geführt".51 Nun handelt es sich bei dieser Schrift augenscheinlich um eine protestantische Kampfschrift, in der dem Jesuiten Laurentius Forer Worte in den Mund gelegt wurden, über die dieser noch in Rage geraten sollte.52 Nichtsdestoweniger veranschaulicht das angeführte Paradoxon recht gut, dass der Verweis auf die Religion als Kriegsmotiv eine nicht vorhandene Geradlinigkeit suggeriert.53 Innerhalb der Kriegsparteien wurde nicht einmal selten das Bedauern darüber geäußert, dass das Blut zahlreicher Christen vergossen wurde. Auch dies war immerhin ein nicht von der Hand zu weisender religiöser Aspekt. Unter den lutherischen Theologen gab es auch noch nach 1630 entschiedene Kriegsgegner,54 und mit Blick auf den Kirchenstaat und das katholische Kirchenoberhaupt lässt sich feststellen, dass man hier keineswegs dazu neigte, sich anstandslos in das Lager der kaiserlich-katholischen Kriegspartei ziehen zu lassen.55 In den 1630er Jahren sollte sich noch herausstellen, dass der antihabsburgischen Politik des päpstlichen Hofes protestantische Kriegserfolge unter durch die Restitutionen entstehen würde. Siehe Albrecht, Dieter (Bearb.): Die Politik Maximilians von Bayern und seiner Verbündeten 1618-1651. 2. Tl. Bd. 5: Juli 1629Dezember 1630. München/Wien 1964 (Briefe und Akten zur Geschichte des Dreißigjährigen Krieges N. F. 2,5), S. 202f., hier S. 202. 48 Belege bei Kaufmann 1998, S. 50ff. Zu den den ,Religionskrieg' ablehnenden Stimmen siehe ebd., S. 66ff. 49 Rathliches Bedencken Warum die Rom. Kays. Mayst. weder den Frieden im Heil. Römischen Reich noch die General Amnestiam belieben solle. Höchstgedachter Kays. Mayst. Ferdinando Tertio in Regensurg uberreichet unterm Namen R Foreri der Societet Jesu Priesters. [s.l.J 1640. 50 Ebd., Β II. Das „zu frühe außgelassene edict" habe den Einfall der Schweden und den leipziger Schluß' bewirkt. 51 Ebd., Β II. 52 Als Autor wird „P. Forer" angegeben. Der Jesuit Laurentius Forer distanzierte sich im Anhang einer Schrift aus dem Jahre 1641 entschieden davon und gab an, nicht der Verfasser zu sein: Siehe Zeittung aus Constantinopel. Das ist: Urtheil der Orientalischen Kirchen/ welches/ vor zweyen Jahren in einem zu Constantinopel gehaltenen Concilio über den Cyrillum Lucarim, gewesten Constantinopolitanischen Patriarchen gefeilt und publicirt. Dillingen 1641, AIV. Siehe zu dieser Schrift auch Ludwig Steinberger: Die Jesuiten und die Friedensfrage in der Zeit vom Prager Frieden bis zum Nürnberger Friedensexekutionshauptrezeß 1635-1650. Freiburg/Brsg. 1906, S. 33ff. 53 Zur Uneindeutigkeit der Verhaltensmaßregeln der Theologie siehe Philip Benedict: Religions and Politics in Europe, 1500-1700, in: Greyerz, Kaspar/Siebenhüner, Kim (Hg.): Religion und Gewalt. Konflikte, Rituale, Deutungen (1500-1800). Göttingen 2006, S. 155-174, hier S. 163f. 54 Siehe Kaufmann 1998, S. 77: „Eine Deutungsperspektive, die den Anteil der konfessionellen Religion lediglich auf der Seite der kriegsfördernden Momente verbucht, den Frieden hingegen als Emanzipation der politischen Vernunft gegen die Logik des Konfessionellen wertet, simplifiziert die Sachlage". 55 Repgen 1962a, S. 160ff.

3. Der große Krieg

Umständen recht gelegen kommen konnten. Dies hat Johannes Burkhardt dazu veranlasst, von einer „Absage des konfessionellen Religionskrieges" 56 zu sprechen. Der Kampf um die innerkatholische Führung zwischen Habsburg und Frankreich, der unter diesen Bedingungen ausgetragen wurde, wird in diesem Zusammenhang wiederum als ein „Religionskrieg der zweiten Art" 5 7 gedeutet.58 Fraglich ist jedoch, ob derartig differenzierte Interpretationen über den Begriff des Religionskrieges, über den Gewaltmotive doch eher grob vereinfacht werden, noch vermittelbar sind. Fazit: Zweifellos wurde der Krieg dadurch, dass sich für die Katholiken im Reich die Chance ergeben hatte, die Kirchengüterfrage in ihrem Sinne zu regeln, immer mehr religiös aufgeladen. Dass sie den Kaiser dabei unterstützten, diese Chance zu ergreifen, sollte eine protestantische Front auf den Plan rufen. Vor diesem Hintergrund wurde der Religionsstreit auch von Zeitgenossen als zentrales Element der Auseinandersetzungen angesehen. Einige von ihnen sahen sich gar als Kämpfer in einem Heiligen Krieg.59 Darüber hinaus sollten die Religionsbeschwerden der Reichsstände im Westfälischen Frieden als eine seiner bedeutendsten Ursachen bezeichnet werden.60 Noch einmal ist jedoch darauf hinzuweisen, dass diese ,Religionsbeschwerden', insbesondere die Kirchengüterfrage, eigentlich nicht auf religiöse Aspekte zu reduzieren sind, sondern für die Akteure eine Frage der Ehre darstellten,61 in der sich religions-, dynastiepolitische und weitere Motive vermengten. Das Restitutionsedikt, mit dem über diese Beschwerden der beiden Religionsparteien im einseitigen Interesse entschieden wurde, drohte letztlich die politische Ordnung, in der die protestantischen Stände ihren Platz beanspruchten, zu zersprengen und entriss ihnen einen gewaltigen Teil ihres Eigentums. Noch ein weiteres psychologisches Moment kam verschärfend hinzu: Gerade die Kriegsunwilligen und die Kaisertreuen unter ihnen fühlten sich in besonde-

• 56 Burkhardt 1992, S. 147. 5 7 Ebd. 5 8 Zur Begründung des französisch-schwedischen Bündnisses im Rahmen eines geheiligten' Staatskrieges in den Memoiren von Claude de Mesmes, Graf d'Avaux, siehe Hermann Weber. Friede und Gewissen, in: Forschungen und Studien zur Geschichte des Westfälischen Friedens. Vorträge bei dem Colloquium französischer und deutscher Historiker vom 28. April-30. April 1963 in Münster. Münster 1965, S. 85-108, insbes. S. 106f. 59 Zur Unterscheidung von „Holy War" und „Religious War" siehe Bireley 1988. 60 „[...] bello magnam partem gravamina, quae inter utriusque religionis electores, principes et status Imperii vertebantur, causam et occasionem dederint." Oschmann, Antje (Bearb.): Die Friedensverträge mit Frankreich und Schweden. Bd. 1: Urkunden. Münster 1998, Nr. 18, Einführende Bemerkung zu Art. V. 61 Zur hohen Bedeutung der iniuria im Rahmen der Lehre von der causa belli iusti siehe Norbert Brieskorn: Luis de Molinas Weiterentwicklung der Kriegsethik und des Kriegsrechts in der Scholastik, in: Brieskorn, Norbert/Riedenauer, Markus (Hg.): Suche nach Frieden: Politische Ethik in der Frühen Neuzeit I. Stuttgart, Berlin, Köln 2000, S. 1 6 7 190, und Juan Belda Plans: Melchor Cano über Krieg und Frieden, in: Brieskorn, Norbert/Riedenauer, Markus (Hg.): Suche nach Frieden: Politische Ethik in der Frühen Neuzeit I. Stuttgart/Berlin/Köln 2000, S. 139-166.

3.2 Restitution als Vertrauensbruch

rem Maße brüskiert, da ihre Zurückhaltung und Loyalität ausgenutzt, ihr Vertrauen in Kaiser und Reich gebrochen erschien. 3.2 Restitution als Vertrauensbruch Die Bedeutung des ausgebrochenen Krieges für die Kirchengüterfrage war bereits 1620 intensiv thematisiert worden. Im März dieses Jahres war es bei Gesprächen auf dem Mühlhausener Konvent um die Beteiligung Kursachsens am Krieg gegen die böhmischen Konföderierten gegangen. Hatten Johann Georg von Sachsen und seine Räte zu Beginn des böhmischen Aufstandes noch versucht, das Konzept einer vermittelnden Politik zu verfolgen, so war um die Jahreswende 1619/20 zu Dresden der Entschluss gereift, Partei für den Kaiser zu ergreifen.62 Eine wesentliche Grundlage dieses Entschlusses hatte die Einschätzung gebildet, die Protestanten in Norddeutschland unter kursächsischer Führung zusammenschließen zu können, um der in Süddeutschland verwurzelten Union das Wasser abzugraben.63 Zu diesem Zwecke hatte der kursächsische Hof um die Unterstützung im niedersächsischen und im obersächsischen Reichskreis geworben und gemeinsam mit dem Administrator von Magdeburg, Christian Wilhelm von Brandenburg, über eine Absicherung des protestantischen Besitzes an Kirchengütern nachgedacht.64 Der Mühlhausener Konvent von 1620 war geplant als eine außerordentliche Zusammenkunft von Kurfürsten zur Vorbereitung eines Kompositionstages.65 Vertreten waren letztendlich Kurmainz, Kurköln, Bayern, Hessen-Darmstadt und Kursachsen. Johann Georg war persönlich anwesend. Die Rückendeckung durch den niedersächsischen und den obersächsischen Kreis für Verhandlungen im Sinne Dresdens war allerdings ausgeblieben.66 Kursachsens Forderungen - umfassende Besitzstandsgarantien für die protestantischen Inhaber von Stiftern und Klöstern, die Verleihung von Sitz- und Stimmrechten auf den Reichstagen für die Administratoren und deren Zulassung zur Visitationskommission des Reichskammergerichts67 - hatten von Beginn an nicht den Hauch einer Chance gehabt. Stattdessen hatten sich die katholischen Fürsten lediglich zu einer Zusicherungserklärung bewegen lassen, die als Mühlhausener Assekuration bekannt werden sollte: Die drei katholischen Fürsten hatten den Ständen im obersächsischen und im niedersächsischen Kreis versichert, dass die Katholiken sie nicht angreifen würden. Damit waren in der Tat die dortigen strittigen Kirchengüter zunächst gegen einen militärischen Zugriff abgesichert worden. Zur Bedingung war allerdings erhoben worden, dass diese Stände dem Kaiser gegen seine Feinde

Müller 1997, S. 302. « Ebd., S. 333ff. 64 Ebd., S. 291. 65 Ebd., S. 299. Zur Legitimitätsgrundlage siehe ebd., S. 341. 66 Ebd., S. 340. 6 7 Ebd., S. 343. 62

3. Der große Krieg gegenwärtig u n d künftig die H a n d bieten und keine weiteren Kirchengüter einziehen würden. 6 8 Die Möglichkeit, auf d e m Rechtsweg wieder an die Bistümer, Klöster u n d Stifte zu gelangen, war den Katholiken damit keineswegs benommen worden. 6 9 Als sieben Jahre später, 1627, die Kirchengüter erneut zu Mühlhausen auf die Tagesordnung einer wichtigen Versammlung, den Kurfürstentag, gerieten, hatten sich sowohl die militärischen als auch die politischen Bedingungen bereits erheblich verändert. Die Assekuration war insofern hinfällig geworden, als die katholischen bzw. kaiserlichen Heere sich längst im Krieg mit den niedersächsischen Ständen unter der Führung des dänischen Königs befanden. 7 0 Die kursächsische Politik der Schaffung eines breiten Bündnisses von norddeutschen Protestanten und d e m Kaiser war insofern gescheitert. Auf der anderen Seite hatte Johann Georgs H a u s durch die kursächsische Beteiligung a m Krieg gegen die Aufständischen erhebliche Gebietsgewinne erzielt. Die Lausitzen

waren Kursachsen

als Entschädigung

für die

aufgewendeten

Kriegskosten zugefallen. 7 1 Für Schlesien hatte Johann Georg immerhin die Freistellung' des lutherischen Glaubens und anderer Ständeprivilegien bewirken können und 1621 über den Dresdner Akkord abgesichert. 7 2 Dies dürfte

„[...] assecuriren und versichern für uns/ Unsere Nachkommen/ und alle andere Catholische Stände/ solche weltliche Innhabere der Ertz- und Stiffter sambt darzu gehörigen Güthern/ hiemit und in bester Form und Maaß es geschehen soll und kann/ wofeme sie es mit Ihrer Käyserl. Majestät/ so wohl bey jetzigem Böhmischen Unwesen/ als zukiinfftigen Fällen/ so den Rechten und Reichs-Constitutionen zu wieder lauffen möchten/ treulich halten/ und wieder alle derselben widerwärtige gebührende Assistenz leisten/ und gegen dieselbe weder directe noch oblique ichtwas widriges thun/ rathen oder fürnehmen/ den Catholischen keine Ertz-Stiffte/ Stiffte/ Clöster und geistliche Güter/ es sey mit Gewalt oder andern Mittel mehr entziehen/ sondern dieselbe vielmehr bey denselben/ und was sie bei obvermeldten in weltlichen Händeln begriffenen Ertz- und Stifftern für gerechtsam noch haben/ geruhig lassen/ auch gegen männiglichen schützen helffen werden/ daß dieselbe nun noch künfftig/ weder von den Catholischen selbst/ noch auff ihre Verschaffung/ durch andere mit der That angegriffen/ beleidiget und überzogen/ vergewaltiget/ noch davon de facto ausser Rechtens verdrungen werden sollen. [...] jedoch wollen wir durch diese Assecuration und etwa erfolgende Käyserl. Indulta oder Protectoría wegen der Stände Session auf ReichsVisitation- Deputation- und anderen dergleichen gemeinen und particularZusammenkunfften/ ihnen ein Mehrere nicht/ dann sie bishero gehabt/ eingeraumet/ und nachgegeben haben." Mühlhausener Erklärung katholischer Fürsten, in: Lorenz 1991, S. 451-453, S. 453. Siehe ebenso Anton Gindely: Geschichte des böhmischen Aufstandes von 1618. Bd. 3. Prag 1878, S. 448. 69 Der Geistliche Vorbehalt wurde in der Mühlhausener Erklärung ausdrücklich bestätigt. Siehe Lorenz 1991, S. 453. 70 Zu den Beschlüssen des Kreistages zu Lübeck siehe etwa Schormann 1993, S. 36. 71 Dies zunächst vorläufig, 1635 im Prager Frieden dann endgültig. Siehe Herzig 2000a, S. 73, und Ralf Thomas: Kursächsische Religionspolitik gegenüber den Lausitzen, in: Hey, Bemd (Hg.): Der Westfälische Frieden 1648 und der deutsche Protestantismus. Bielefeld 1998, S. 81-98, S. 89ff. 72 Ksl. Ratifikation der zwischen Kursachsen und den schlesischen Ständen getroffenen Vereinbarung, in: Lorenz 1991, S. 539-542. Siehe hierzu auch Herzig 2000a, S. 68. 68

3.2 Restitution als Vertrauensbruch

sein Gewissen mit Blick auf seine Glaubensgenossen im Reich erheblich beruhigt haben. Die persönliche Teilnahme des sächsischen Kurfürsten am Mühlhausener Kurfürstentag im Jahr 1627 zeigt,73 dass man sich in Dresden der Wichtigkeit der Versammlung bewusst war. Die politische Dominanz der Katholiken war allein auf numerischer Basis erheblich gewachsen. Die Vertretung des Protestantismus auf dieser Ebene der Reichsrepräsentation war mittlerweile auf Kurbrandenburg und Kursachsen begrenzt, während die Katholiken Kurbayern hinzugewonnen hatten. Den beiden protestantischen Kurfürsten war allerdings vor diesem Hintergrund zugesichert worden, dass sie nicht durch Mehrheitsbeschlüsse überstimmt werden würden.74 Über die Beratungsgegenstände herrschten bei ihnen nur vage Vorstellungen.75 Die katholischen Kurfürsten waren dagegen auf Beratungen über die Kirchengüter eingestellt.76 Dass diese Frage unter den neuen für die Katholiken günstigen politischen und militärischen Vorzeichen inzwischen akut geworden war, hatte sich bereits durch eine Zunahme an Kloster- und anderen Kirchengutsprozessen, die von katholischen Ständen initiiert waren, angedeutet. Im Mittelpunkt standen einige Reichshofratsprozesse gegen den Herzog von Württemberg.77 Die Klage des Bischofs von Konstanz wegen des Klosters Reichenbach hatte bereits einen Restitutionsbefehl veranlasst.78 Zwei weitere Klagen, vom Bischof von Augsburg und dem Abt von Kaisheim wegen diverser Klöster, u.a. Lorch, Maulbronn und Heilsbronn,79 waren vom Reichshofrat und vom Geheimen Rat zu Wien aus politischen Rücksichten zunächst dem Herzog von Württemberg zugeleitet worden, um sich zu erklären. Neben dieser Entscheidung, ein »Schreiben um Bericht' ausgehen zu lassen, war aber in der Hofburg eine weitere, weitaus folgenreichere Maßnahme getroffen worden. Die katholischen Kurfürsten waren ersucht worden, ein Gutachten zu dieser und weiteren vergleichbaren Klagen abzugeben.80 In diesem daraufhin gemeinsam erstellten und auf den 20. September datierten Gutachten war das Recht des Kaisers hervorgehoben worden, eine Restitution sämtlicher

Johann Georg hatte selbst um Mühlhausen als Ort der Versammlung gebeten. Siehe Karl Breuer: Der Kurfürstentag zu Mühlhausen. Bonn 1904 (Diss.), S. 36. 74 Ebd., S. 36. 75 Zu den in den Ausschreiben genannten Beratungspunkten siehe ebd., S. 42f. 76 Ebd., S. 44ff. 7 7 Hierzu Heinrich Günter: Das Restitutionsedikt von 1629 und die katholische Restauration Altwirtembergs. Stuttgart 1901, S. 9ff, und Stefan Zizelmann: U m Land und Konfession. Die Außen- und Reichspolitik Württembergs (1628-1638). Frankfurt/M. etc. 2002, S. 28ff. 7 8 Nicht nur religionsrechtliche, sondern auch vogteirechtliche Aspekte waren allerdings dabei berücksichtigt worden. Siehe Günter 1901, S. 9ff., und Frisch 1993, S. 70, Anm. 10. 79 Die Klage wegen Heilsbronn betraf auch den Markgrafen von Ansbach. 80 Frisch 1993, S. 72. 73

3. Der große Krieg

ehemaliger katholischer Klöster und Stifte, die nach dem Passauer Vertrag von Protestanten in Besitz genommen worden waren, anzuordnen.81 Die katholischen Kurfürsten instruierten ihre Gesandten82 auf der Versammlung zu Mühlhausen, genau auf dieses langjährig gehegte Vorhaben, die Restitution aller nach 1552 säkularisierten Kirchengüter, hinzuarbeiten. Dieses Ziel verfolgte auch Ferdinand II., der sich allerdings über den Weg noch im Unklaren war und insbesondere die geistlichen Kurfürsten aufgefordert hatte, einen Modus zu finden.83 Letztlich entschieden sich die katholischen Kurfürsten dafür, den Kaiser in seiner Rolle als Richter ins Spiel zu bringen. Ansatzpunkt waren die zuvor auf den Reichstagen eingebrachten Religionsbeschwerden der Stände. Ferdinand II. sollte seinen Befehl zur Restitution als Entscheidung bzw. Urteil über diese Gravamina ausgehen lassen. Ohne eine Vielzahl von Prozessen anstrengen zu müssen, sollte damit den Katholiken die Möglichkeit eröffnet werden, mit einem Schlage in den Besitz des begehrten Gutes zu gelangen.84 Die Verhandlungen zu Mühlhausen waren zunächst durch den Versuch geprägt, die beiden protestantischen Kurfürsten zu ihrem Einverständnis dafür zu bewegen, dass der Kaiser zu einer Entscheidung über die Gravamina aufgefordert wurde.85 Diese erkannten jedoch recht schnell, welches Projekt dahinter stand und forderten eine Ergänzung: Die Voraussetzung für eine kaiserliche Entscheidung sollte darin bestehen, dass die Stände des Reiches ihre Einwände genügend zu Gehör gebracht hatten. Nachdem die katholischen Kurfürsten auf einer Streichung dieser Ergänzung bestanden hatten, wurde am 4. November 1627 zwar eine gemeinsame Erklärung verfasst, in der der Kaiser zur Entscheidung über die Gravamina aufgerufen wurde. Kursachsen und Kurbrandenburg war es jedoch immerhin gelungen, ihre Bedingung als Submissionsklausel darin zu verankern: Nur wenn die Stände submittiert hatten, d.h. zu verstehen gegeben hatten, dass sie ausreichend gehört worden und mit einem Urteil einverstanden waren, sollte die Entscheidung getroffen werden.



Die katholischen Kurfürsten erklärten schließlich am 12. November in einem Sondergutachten, das ohne die Beteiligung von Kursachsen und Kurbrandenburg erstellt wurde, dass diese Submission längst erfolgt sei.86 Hierbei distanEbd., S. 77. Lediglich der Kurfürst von Mainz war persönlich angereist. Für Kurköln war u.a. Franz Wilhelm von Wartenberg vertreten. Siehe Breuer 1904, S. 51ff. 83 Frisch 1993, S. 81. 84 Dies ist herausgearbeitet worden von Frisch 1993, siehe insbesondere S. 81. 85 Hierzu auch Tupetz 1883, S. 360ff. 86 Als Abschrift ist das Sondergutachten überliefert in: BayHStA München, Kurbayem, Äußeres Archiv 3263, fol. 446-450. Die Kirchengüterfrage betraf folgender Passus auf fol. 448ff: „Bey dem siebenden puncten, die erledigung der gravaminum betreffende werde zwar Euer Kayserliche Mayestät gantz underthenigst gebetten, berürten gravaminibus allergnedigist abzuhelffen, darunder wir dan unsers theyls vornehmblich die restitution undt redintegration aller nach dem Passawischen vertrag und auffgerichtem 81

82

3.2 Restitution als Vertrauensbruch zierten sie sich ausdrücklich von den Vorbehalten der beiden protestantischen Kurfürsten u n d argumentierten, dass gerade die protestantischen Reichsstände immer wieder ihre Gravamina auf den Reichstagen und bei anderen Gelegenheiten vorgebracht hätten. Insofern hätten sie zur Genüge ihre Einw ä n d e formuliert und einer kaiserlichen Entscheidung stünde nichts im Wege. Kaiser Ferdinand solle also die Gelegenheit nutzen u n d eine Restitution aller den geistlichen Ständen entzogener Kirchengüter anordnen, u m die Ehre Gottes, das Heil vieler verführter Seelen und zu guter Letzt auch das Vertrauen im Reich zu befördern. 8 7 Mit diesem Sondergutachten versuchten die katholischen Kurfürsten, den Widerstand 8 8 der beiden protestantischen Kurfürsten trickreich aus der Welt zu schaffen. Auf kaiserlicher Seite war m a n dagegen allenfalls bedingt zufrieden mit d e m Mühlhausener Ergebnis. Der Reichshofrat ließ in einer Stellungn a h m e Bedenken gegen die Aussage anklingen, dass eine Submission bereits erfolgt sei. 89 A u c h der Kurfürst von Bayern als treibende Kraft des Restituti-

hochverpöntem Religionsfriden den Catholischen entzogener und prophanirter Ertzund Stiffter, Clöster und claussen, fortstellung der ordentlichen Visitationen und revisionen und waß in die catholischen stendten beschwerunghsschrifften sich mehrers befindet, intendiren, aber diese wortt (so weit und viel darinnen submittirt) haben uff einstendiges begehren beyder deß Churfursten zu Sachßens Liebden und Churfürstlicher Durchlaucht unndt der Chur Brandenburgischen gesandten (welche vorgeben, ob wehren noch nit alle stende darüber zu gnügen gehört, sich auch bey ablesung deß conceptee Euer Kayserliche Mayestät deßwegen ad partem zuberichten, außtrucklich vorbehaltten) hinzugesetzt werden müssen: Es ist aber Euer Kayserliche Mayestät allergnedigst wissendt, wie offt und vielmahls nit allein die catholische, sonder auch der Augspurgischen Confession zugethane stendte selbsten umb die erörtterung der gravamina angehaltten, wie betrohlich sie auch noch im jähr 1619 dieselbe urgirt mit dem ausstrucklichen anhang, daß sy der geistlichen stiffter und clöster halben auch keine handtlung leyden könten noch wollten, daßgleichen daß die catholische stände hierüber gnugsamb gehört wehren und also ahn der submission deßfalls kein zweifei." 87 „Derhalben dan Eüre Kayserliche Mayestät wir gantz underthenigst pitten, sy wollen ohne lengem Verzug, zumahl sy yetztmahls die erwünschte gelegenheit darzu in handen haben, die allergnedigste gerechte Verfügung thun, damit alle solche dem geistlichen standt entzogene stiffter und clöster samt darzu gehörige güttem und gefeilen unserm vom 20. Septembris iüngsthien wegen etlicher vom Hertzogen zu Württemberg und Marggraffen zu Anspach eingezogener clöster bey Euer Kayserliche Mayestät eingewanthen gehorsambsten suchen unndt bilichmessigen begehren nach wider restituiren, dieselbe mit catholischen Vorstehern gebührlich versehen, dardurch die Ehr Gottes unnd vieler unzahlbarer verführten armen seelen heyl befördert, undt also ein bestendiges gutes vertrawen under den ständten im Reich wider auffgerichtet, zugleich aber auch bey verhoffter kunfftiger bestellung berürter Ertz- und stiffter, die yenige Chur- unnd Fürsten, welche in Euer Kayserliche Mayestät trewen devotion so standthafftig verplieben und daher grosse persecutiones, trangsalen und Schäden erlitten, vor andern in pillichmessiger consideration gehaltten werden mögen." BayHStA München, Kurbayern, Äußeres Archiv 3263, fol. 448f. Teilweise ist der Text auch wiedergegeben in: Goetz, Walter (Bearb.): Die Politik Maximilians I. von Baiern und seiner Verbündeten 1618-1651. Tl. 2, Bd. 3:1626,1627. Leipzig 1942, S. 697f, Anm. 1. 88 Dieser Widerstand war immerhin konsequent und somit nicht unbedingt ein „schwacher Widerstand". Vgl. Ströle-Bühler 1991, S. 17. 89 Frisch 1993, S. 93.

3. Der große Krieg

onsprojektes,90 sah sich im Folgenden veranlasst, über neue Wege nachzudenken. Hatten die Kurfürsten beider Seiten zu Mühlhausen noch darauf geachtet, ein Mitwirkungsrecht der Reichsstände an der Entscheidung über die Kirchengüter vorauszusetzen, so neigte Maximilian I. nun dazu, dem Kaiser in der Religionsfrage eine Gesetzgebungskompetenz zuzusprechen, auf die er notfalls auch ohne die Zustimmung sämtlicher Stände zurückgreifen konnte. Hintergrund war das Bestreben des bayerischen Kurfürsten, ein Verbot des Calvinismus durchzusetzen. Ferdinand II. sollte dieses Verbot im Rahmen einer »authentischen Auslegung' 91 des Religionsfriedens und des Begriffes der Confessio Augustana aussprechen.92 Am 6. März 1629 erging schließlich das Restitutionsedikt als ein kaiserliches Gesetz.93 Das ausdrückliche Verbot des Calvinismus war in ihm enthalten, daneben eine Erklärung, dass die Declaratio Ferdinandea für rechtsungültig zu betrachten sei.94 Darüber hinaus wurde, entsprechend der Auslegung in der Publizistik katholischer Juristen, das Reformationsrecht am mittelbaren Kirchengut für die Zeit nach 1552 definitiv verneint.95 Dies lief auf eine Restitution der danach von den Protestanten erworbenen Güter hinaus. Zudem wurde der Geistliche Vorbehalt zum rechtsgültigen Bestandteil des Augsburger Religionsfriedens erklärt. Aus der katholischen Rechtsauslegung hätte sich damit sogar eine Restitution sämtlicher reichsunmittelbarer Kirchengüter, eingeschlossen derjenigen, die vor 1552 protestantisch geworden waren, ergeben. Aus politischen Erwägungen heraus beschränkte man sich jedoch darauf, nur eine Restitution der nach dem Passauer Vertrag an die Protestanten gefallenen reichsunmittelbaren Kirchengüter anzuordnen. Zunächst wollte man abwarten, wie erfolgreich die Umsetzung der Bestimmungen verlaufen würde. Für die Zukunft waren weitergehende Restitutionen auf der Basis des Geistlichen Vorbehaltes nicht ausgeschlossen.96 Nachdem am 22. Mai 1629 auch noch der Friede von Lübeck geschlossen werden konnte, über den der dänische König erklärte, zumindest in eigener Per-

Kaiser 2002, S. 85f. Siehe auch, bezüglich des Restitutionsedikts, Ströle-Bühler 1991, S. 15, sowie Frisch 1993, S. 98. 9 2 Ebd., S. 88ff. 93 Hierzu ebd., S. 105ff. Dass es sich bei dem Edikt nicht um einen Rechtsbruch durch den Kaiser handelte, betont Heckel: Siehe Martin Hecke!: Das Restitutionsedikt Kaiser Ferdinands II. vom 6. März 1629 - eine verlorene Alternative der Reichskirchenverfassung, in: Köbler, Gerhard/Nehlsen, Hermann (Hg.): Wirkungen europäischer Rechtskultur. Festschrift für Karl Kroeschell zum 70. Geburtstag. München 1997, S. 3 5 1 376. Zur Anknüpfung an die katholische Reichs- und Kirchenidee siehe ebd., insbes. S. 374. 9 4 Siehe das Edikt im Urkundenanhang bei Frisch 1993, S. 183-194. 95 Frisch 1993, S. 33; Ströle-Bühler 1991, S. 18ff. 96 Frisch 1993, S. 66f. 90

91

3.2 Restitution als Vertrauensbruch

son keine Ansprüche mehr auf geistliche Gebiete im Reich zu erheben,97 schienen die Voraussetzungen für ein groß angelegtes Reichsprojekt gegeben: Die langjährigen Forderungen der katholischen Religionspartei sollten erfüllt werden, indem eine Vielzahl an Klöstern, Stiften und anderen Besitztümern in katholische Hände überführt wurden. Zum ersten Mal sollten Untertanen und Stände im Reich damit die Erfahrung machen, dass man in großem Stil die Verhältnisse der Vergangenheit einzuführen versuchte. Kaiserliche Kommissare, begleitet von Soldaten, tauchten vor den Pforten zahlreicher ehemaliger Klöster, Stifte und auch an Gemeindekirchen auf, um eine Besitzübergabe zu fordern und zu vollziehen. Es ist erstaunlich, was die kaiserlichen Exekutionsorgane angesichts der ansonsten eher begrenzten Möglichkeiten, zentrale Beschlüsse umzusetzen, in kurzer Zeit vollbrachten. Die im Reich stationierten Truppen bildeten hierfür die Voraussetzung. Zwar kam es mancherorts zu offenem Widerstand. Einige protestantische Fürsten ließen die bedrohten Kirchengebäude mit Soldaten sichern. Die Kommissare kehrten dann jedoch zumeist mit größerer Truppenbegleitung zurück, um letztlich die Kirchengebäude einnehmen zu lassen.98 Protestantischer Widerstand manifestierte sich zudem auf rechtlicher Grundlage. Besonders schnell gelangte das Problem der Bedeutung des 1548 verhängten Interims auf die Tagesordnung. Dieses war von daher relevant, als der auf dem Interim beruhende Gottesdienst 1552 noch in vielen Kirchen, insbesondere in Württemberg, praktiziert worden war.99 Der Gefahr, dass die Katholiken darauf aufbauend Restitutionen einfordern könnten, versuchte man von württembergischer Seite über die Einholung protestantischer Gutachten zu begegnen. Diese liefen zumeist auf eine Widerlegung katholischer Ansprüche hinaus.100 Die theologischen Fakultäten von Altorf und Jena, das württembergische Konsistorium zu Stuttgart wie auch die Juristen zu Straßburg erklärten, dass es sich beim Interim um einen Übergangszustand und eine Mischreligion gehandelt habe, die keine Rechtswirkung nach sich ziehen könne.101 Darüber hinaus gingen die Gutachter der Frage nach, ob und auf welche Weise die Rechtmäßigkeit des Besitzes im Jahr 1552 bei den Restitutionen zu berücksichtigen sei und welche Art des Besitzes maßgeblich sein sollte. Dabei versuchten sie ebenfalls, zu einer für die Protestanten günstigen Rechtsauslegung zu kommen.102

Zu den Bestimmungen Gottfried Lorenz: Das Erzstift Bremen und der Administrator Friedrich während des Westfälischen Friedenskongresses. Ein Beitrag zur Geschichte des schwedisch-dänischen Machtkampfes im 17. Jahrhundert. Münster 1969, S. 17. 98 Tupetz 1883, S. 415. 99 Tupetz 1883, S. 395; Repgen 1962a, S. 178; Frisch 1993, S. 33ff. 100 Eine Ausnahme stellte das Gutachten der Jursitenfakultät zu Tübingen dar. Siehe Günter 1901, S. 63ff. 101 Ebd., S. 60ff. 102 Frisch 1993, S. 38ff. 97

3. Der große Krieg

Unabhängig von einer durchgängigen Klärung solcher Rechtsfragen wurden jedoch die Restitutionen intensiv vorangetrieben.103 Dabei wurde das Stichjahr 1552 offensichtlich häufiger umgangen. So versuchte etwa die Äbtissin von Herford, den Kommissaren vergeblich plausibel zu machen, dass das Stift bereits 1532 zur Confessio Augustana übergetreten sei.104 Es gelangte ebenso wie die Reichsabtei Hersfeld in katholischen Besitz. Das gleiche gilt für die beiden Erzbistümer Bremen und Magdeburg, die fünf Bistümer Verden, Minden, Halberstadt, Hildesheim und Osnabrück und zahlreiche Kirchen, Klöster und Pfarreien, sofern sie nicht schon vorher von kaiserlichen oder ligistischen Truppen eingenommen worden waren.105 Im ganzen Reich wurden zwangsweise Güter- und Konfessionswechsel vorgenommen.106 Vor allem in Norddeutschland fand eine tief greifende territoriale Umgestaltung statt.107 Zahlreiche weitere Exekutionen wurden geplant,108 ein Ende schien kaum absehbar, so dass sich bei den protestantischen Reichsständen zwangsläufig ein elementares Bedrohungsgefühl einstellen musste. Zielte das Restitutionsedikt auf eine Abschaffung der konfessionellen Pluralität im Reich? Nicht nur das Verbot des Calvinismus zeigt deutlich, dass es neue Strukturen schaffen sollte. Es war darauf angelegt, den Protestantismus als politische Kraft im Reich bedeutend zu schwächen und darüber hinaus dem katholischen Glauben eine beträchtlich breitere Basis zu schaffen. Eine Rückkehr zur Einheit des Glaubens beinhaltete es zwar nicht. Aber diese war für viele katholische Kurfürsten und Fürsten ein erträumtes Ziel, und nicht wenige unter ihnen glaubten, sich diesem gehörig angenähert zu haben. Giovanni Battista Palotto, päpstlicher Gesandter am Kaiserhof, unterrichtete einige Wochen nach der Publikation des Edikts das Kirchenoberhaupt und seine Berater darüber, dass man am Wiener Hof auf eine Freudenbezeugung seitens des Papstes warte.109 Eine solche blieb allerdings aus.110 Das Edikt und die Art und Weise seines Zustandekommens stellten darüber hinaus die Mitwirkungsrechte der Reichsstände an gewichtigen politischen Entscheidungen in Frage. Dies aber führte insofern wieder zur Frage der konfessionellen Pluralität zurück, als die Existenz der Confessio Augustana nur über eine angemessene reichsständische Repräsentation gewährleistet erscheinen konnte. Die Ignorierung der Mühlhausener Einwände und die Bedeu103 Hierzu auch Moriz Ritter: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Gegenreformation und des Dreissigjährigen Krieges (1555-1648). Bd. 3: Geschichte des Dreissigjährigen Krieges. Darmstadt Neudr. d. Ausg. 1908), S. 429ff. BayHStA München, Kurbayern, Äußeres Archiv, 3264. Siehe die Schätzungen bei Tupetz 1883, S. 420. Eine neuere Untersuchung über die Exekutionen wäre allerdings ein Desiderat der Forschung. 106 Siehe das Verzeichnis der geplanten und durchgeführten Restitutionen bei Tupetz 1883, S. 523ff. ™ Lutz 1979, S. 106. "» Tupetz 1883, S. 420f. 109 Repgen 1962a, S. 181. »o Ebd., S. 181ff. 104

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3.2 Restitution als Vertrauensbruch

tungslosigkeit der Submissionsklausel führten den Kurfürsten von Sachsen und Brandenburg gleichermaßen vor Augen, dass sie in einem mittlerweile verwandelten Reich nicht mehr sicher waren. Sowohl für die bis dahin kaisertreuen als auch die neutralen protestantischen Stände konnten die Voraussetzungen für Vertrauen nicht mehr als gegeben erscheinen. Die katholischen Kurfürsten, die auf die Restitutionen gedrängt hatten, waren sich bereits zuvor darüber im Klaren gewesen, dass sie erbitterte Feindschaft auf breiter Front zur Folge haben würden. Sie hatten diese allerdings in Kauf genommen, um die günstige Gelegenheit, die der Krieg ihnen auf eine unverhoffte Weise verschafft hatte, nicht verstreichen zu lassen.111 Nun, nach dem Edikt, versuchten sie, unerachtet ihrer langfristigen Ziele in der Religionspolitik, zunächst auf Ruhe hinzuwirken. Diese Bemühungen verhinderten jedoch nicht, dass sich in Dresden eine Änderung der politischen Ausrichtung anbahnte. Eine erste Reaktion auf das Edikt bestand darin, dagegen zu protestieren. Johann Georg von Sachsen legte Widerspruch gegen die vom Kaiser einseitig getroffene Entscheidung ein.112 Die Versicherung, dass das Edikt ihn zunächst wegen der Mühlhausener Assekuration nicht betreffe,113 konnte die Distanz, die sich zwischen ihm und dem Kaiser aufgetan hatte, jedoch aus nachvollziehbaren Gründen nicht mehr überbrücken: Die Mühlhausener Assekuration von 1620 schützte Kursachsen allenfalls vor einem Kirchenguteinzug „ausser Rechtens", 114 d.h. ohne ein gerichtliches Verfahren. Reichsgerichtliche Urteile waren angesichts der sich vollziehenden politischen Veränderungen jedoch nunmehr durchaus in den Bereich des Wahrscheinlichen gerückt worden. Die zuvor von den Protestanten verfolgte Strategie der Sicherung ihres Besitzes über die Blockierung der Reichsjustiz war unter den gegenwärtigen Bedingungen zum Scheitern verurteilt. Dies ist ein weiterer Beleg dafür, dass ein ohnehin fragiles System der Koexistenz durch den Krieg gewaltig erschüttert worden war. Über Okkupation als militärisches , Gesetz' und einen kaiserlichen Machtspruch waren neue Tatsachen geschaffen worden. Die gesamten protestantischen Stände erschienen nun als Verlierer. Johann Georg von Sachsen sollte, wie sich bald zeigen sollte,115 als ein übertölpelter Kurfürst ins Visier protestantischer Mitstände geraten und wesentlich für die missliche Situation verantwortlich gemacht werden. Seine Reputation litt erheblich unter der politischen Entscheidung des Kaisers, auf den er bislang das Vertrauen gesetzt hatte, nicht an den Grundfesten des Protestantismus zu rütteln. Die Grundlagen der kursächsischen Selbstinszenierung als Reichsstand, der um des Reiches willen Vertrauen schenkt, das konfessionelle Grenzen überschreitet, waren damit ins Zu Kurbayem in dieser Situation siehe Bireley 1975, S. 78. Ebd., S. 123. "3 Ritter 1962b [1908], S. 437. 114 Lorenz 1991, S. 453. 115 Siehe hierzu Kap 4.1. 111

112

3. Der große Krieg Wanken geraten. 116 Für Johann Georg sollte es in der Folge darum gehen, diesen Schaden vergessen zu machen. Das Gesetz des Handelns sollten allerdings zunächst andere Personen an sich reißen, die ebenfalls bestrebt waren, Ruhm und Ehre zu erwerben. Einer von ihnen sollte als Suecorum, Gothorum et Vandalorum Rex117 die Rettung des Protestantismus im Reich auf seine Fahne schreiben und den Katholiken eine Lehre erteilen, wie schnell Kriegsglück sich ins Gegenteil verkehren kann. Zunächst aber bemühte sich Ferdinand II., den Reichsalltag in einer von ihm erheblich neu gestalteten Friedensordnung neu zu beleben, indem er zum Kurfürstentag zu Regensburg lud. Dieser begann am 3. Juli 1630.

116 Zu den Konsequenzen von Vertrauensbrüchen hinsichtlich der Selbstdarstellung der vertrauenden Personen siehe Luhmann 2000, S. 108ff. Interessante Überlegungen zur Verknüpfung von Vertrauen und Gesichtswahrung im übertragenen wie konkreten Sinne bietet auch der Aufsatz von Claudia Schmölders: Das Gesicht als Bürgschaft. Zur Physiognomik des Vertrauens, in: Frevert, Ute (Hg.): Vertrauen. Historische Annäherungen. Göttingen 2003, S. 213-244. 117 Zum Gotizimus des schwedischen Königs Gustav II. Adolfs siehe Burkhardt 1992, S. 57ff., und Andreas Zellhuber: Der gotische Weg in den deutschen Krieg. Gustav Adolf und der schwedische Gotizismus. Augsburg 2002, wie auch Inken Schmidt-Voges: De clara antiquitate et antiqua claritate Gothorum. Gotizismus als Identitätsmodell im frühneuzeitlichen Schweden (Imaginatio borealis. Bilder des Nordens 4), Frankfurt/M. 2004.

4.1 Hessen-Darmstadt und der Reichsfrieden

4. Friedenssuche: Der Kurfürstentag zu Regensburg 1630 und d i e , H e s s i s c h e n Punkte' 4.1 Hessen-Darmstadt und der ReichsfriedenBDer hessen-darmstädtische Kanzler Dr. Anton Wolff von Todenwarth gab seinem Fürsten als Gesandter sehr anschauliche Berichte von seinen Begegnungen auf dem Regensburger Kurfürstenkonvent.1 Dass Religion2 für ihn wie für viele seiner Zeitgenossen eine sehr konkrete, lebensweltliche Bedeutung hatte, zeigt sich in einer Äußerung, die er anlässlich seiner persönlichen Begegnung mit dem Kaiser abgab. Er schilderte zunächst in vielen Einzelheiten, dass er sich äußerst geschickt verhalten hatte. Anschließend erklärte er dies damit, dass er zuvor Gott inniglich auf den Knien angerufen hatte, um ihm Mut, Gedächtnis und die rechten Worte für die Audienz zu verleihen.3 Einen unmittelbaren Erfolg seiner Gebete sah er nach eigenem Bekunden darin, dass Ferdinand II. seine Worte überaus aufmerksam und genau wahrgenommen und ihn während seines längeren Vortrags keinen Moment aus den Augen gelassen hatte.4 Anton Wolff von Todenwarth sollte zu Regensburg noch eine Schlüsselstellung bei der Friedenssuche zukommen. Dabei lag seine eigentliche Mission überhaupt nicht auf religiösem Gebiet. Seine Hauptaufgabe bestand darin, die Ansprüche des lutherischen Landgrafen von Hessen-Darmstadt auf einige vormals gräflich-isenburgische Gebiete, die ,Isenburgische Sache',5 vor dem Kaiser und dessen Umfeld zu vertreten. Wie stark die Religionsfrage die Gedanken der Anwesenden angesichts der Situation im Reich bestimmte, zeigte sich jedoch immer wieder bei planmäßigen wie zufälligen Begegnungen:6 Eines Tages wurde Wolff vom pfalz-neuburgischen Vizekanzler Dr. Simon

Zum Regensburger Kurfürstentag siehe Repgen 1962a, S. 191ff.; Bireley 1975, S. 130ff.; Bireley 1981, S. 113ff; Axel Gotthard: Säulen des Reiches. Die Kurfürsten im frühneuzeitlichen Reichsverband. Teilbd. 1: Der Kurverein, Kurfürstentage und Reichspolitik. Husum 1999, Tlbd. 1, S. 370ff.; Zizelmann 2002, S. 83ff. Siehe auch die Edition wichtiger Verhandlungsakten in: Albrecht 1964. 2 Wolff war Anhänger des Luthertums und hatte sich gegenüber Vorhaltungen von reformierter Seite, er sei heimlich zum Katholizismus übergetreten, zu verteidigen. Siehe Wilhelm Martin Becker: Die religiöse Stellung des hessischen Kanzlers Anton Wolff von Todenwarth, in: Mitteilungen des oberhessischen Geschichtsvereins N.F. 11 (1902), S. 89-93, insbes. S. 92f. 3 StA Darmstadt E l C 26/8: Regensburger Kurfürstentag, fol. 140: „[...] wie mir dann Gott, den ich zuvor auf meinen knien inniglich darumb angeruffen, gedächtnus, wort und muht, solches alles glücklich zu thun, verlihen hatt." 4 StA Darmstadt El C 26/8: Regensburger Kurfürstentag, fol. 140: „Alß ich nun in reden verspührt, das Ihre Mayt. aller meiner wort überaus genaw, scharpf und eigentlich wahrgenommen, und fast keinen augenblick aus ihrem gesicht mich gelassen haben, so bin ich weiter fortgefahren [...]." 5 Hierzu: Karl-Heinz Frohnweiler: Die Friedenspolitik Landgraf Georg II. von HessenDarmstadt in den lahren 1630/35, in: Archiv für hessische Geschichte und Altertumskunde, N.F. 29 (1965/66), S. 1-186, insbes. S. 172 (Anm. 7). 6 StA Darmstadt, E l C 26/8: Regensburger Kurfürstentag, fol. 239ff. 1

4. Friedenssuche: Der Kurfiirstentag zu Regensburg 1630 und die,Hessischen

Punkte'

Labrique7 in dem Haus, in dem er sich zu Regensburg aufhielt, aufgesucht. Labrique hielt Wolff, wie dieser vermutete, irrtümlicherweise für einen katholischen Gesandten und wollte mit ihm darüber diskutieren, ob das beneficium emigrationis, das Emigrationsrecht aus Glaubensgründen, in konfessionellen Mischehen Bestand haben und in letzter Konsequenz eine Trennung von Eheleuten bewirken könne.8 Wolff berichtete seinem Fürsten, er habe sich bei seinem Gegenüber entschuldigt, dass diese Frage äußerst kompliziert und für ihn zurzeit nicht zu entscheiden sei, da er verschiedenste andere Dinge zu erledigen habe. Seine Versuche, das Gespräch auf ein anderes Thema zu lenken, hatten jedoch zunächst kaum gefruchtet. Plötzlich sei der kaiserliche Gesandte Graf Maximilian von Trauttmansdorff zufällig vor dem Hause aufgetaucht und habe mit einem Lächeln gesprochen: „In diesem Fenster steht der Religionsfrieden, katholisch und protestantisch beieinander!" Der pfalzneuburgische Vizekanzler habe auf diese ironische Bemerkung hin seinen Fehler erkannt und davon abgelassen, weiter über konfessionspolitische Fragen zu sprechen.9 Es gehörte wohl aus nahe liegenden Gründen nicht zu den Gepflogenheiten, dass sich katholische und protestantische Gesandte im privaten Rahmen über religiöse Fragen und damit zusammenhängende rechtliche Kernprobleme austauschten. Ganz anders konnte dagegen eine Begegnung unter Protestanten verlaufen. So bekam Wolff eines Tages bei einem Besuch des braunschweigischen Gesandten offene Worte über den sächsischen Kurfürsten Johann Georg zu hören, die einen Eindruck von der Diskussion über die Religionspolitik des Kurfürsten in den Reihen der Protestanten geben: Der Deputierte hatte angeblich Informationen darüber erhalten, dass Kurfürst Johann Georg seit neuestem von Theologen seine Politik begutachten ließ, um überprüfen zu lassen, ob er sie weiterhin mit,gutem Gewissen' verantworten

Labrique war mit der Gegenreformation in Pfalz-Sulzbach beauftragt gewesen, die 1629 dort weitgehend durchgesetzt worden war. Siehe Franziska Nadvornicek: PfalzNeuburg, in: Schindling, Anton/Ziegler, Walter (Hg.): Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500-1650. Bd. 1: Der Südosten. Münster 1989, S. 44-55, hier S. 54. 8 Labrique habe über einen speziellen Fall sprechen wollen: In seinem Land sei ein Mann katholisch geworden, der im Land bleiben und sich redlich ernähren wolle. Seine Frau aber wolle nicht katholisch werden und begehre das „beneficium emigrationis, welches absque differentia sexus in religionssachen befindlich sei." Vorher hätten Mann und Frau friedlich miteinander gelebt, jetzt, „da man die kath. Religion amplektiert habe, begehre sie, daß ihr man mit ihr ziehen solle oder daß man sie allein wollte ziehen lassen". StA Darmstadt, E l C 26/8: Regensburger Kurfürstentag, fol. 239. 9 „Ich hab mich entschuldigt, das es eine schwere und ins gewissen laufende frag sey, könte mich ex tempore nicht resolviren, hette auch underschidene occupationes, das mir nicht wohl müglich sey nachzudencken, und hab ihn auf andere gespräch geführt, biß das endlich der von Trautmansdorf vorüber gangen und Iächlend zu D. Labriquen gesagt, in disem fenster steht der religionsfride, catholisch und protestirnd beisammen, darauf es D. Labrique mag gemerckt und desto ehender von disen fragen nachgelassen haben." StA Darmstadt, E l C 26/8: Regensburger Kurfürstentag, fol. 239f. 7

4.1 Hessen-Darmstadt

und der Reichsfrieden

könne.10 Der Besucher bekundete Wolff zufolge sein Erschrecken über die bis dahin von Sachsen verfolgte Bündnis- und Ausgleichspolitik und benannte die Folgen, die seiner Meinung nach drohten: Gottes Strafrute würde Kursachsen treffen und das Land leiden lassen, da nicht das „gemeine kirchliche beste", sondern territoriale Interessen, „privatnutz", im Mittelpunkt des politischen Handelns gestanden hätten. Freunden und Glaubensgenossen habe Kursachsen schlecht beigestanden und ihren Niedergang mit verursacht. Bei den Verhandlungen habe man im Hinblick auf die gemeinsame Sache der Protestanten nur „kalt gebohrt" und sich auf dem Mühlhausener Konvent im Jahre 1620 trotz aller gegebenen Versicherungen durch die Katholiken sogar in eigener Sache übervorteilen lassen.11 Dass Wolff auf die Politik Kursachsens angesprochen wurde, hatte für ihn insofern eine besondere Bedeutung, als der Landgraf von Hessen-Darmstadt einer der treuesten Anhänger des sächsischen Kurfürsten war: Johann Georg I. von Sachsen war der Schwiegervater Georgs II. von Hessen-Darmstadt. Bei häufigen persönlichen Zusammenkünften und im Rahmen regelmäßiger politischer Korrespondenz hatten die beiden lutherischen Fürstenhäuser an einer gemeinsamen politischen Linie in Reichs- und Religionsfragen gefeilt. Ahnlich wie Sachsen hatte Hessen-Darmstadt in den ersten Jahren des Dreißigjährigen Krieges von einer pro-kaiserlichen Haltung und Bündnispolitik in territorialer Hinsicht profitiert. Der Vater und Vorgänger Georgs II. als Landesherr, Ludwig V., hatte gemeinsam mit Johann Georg von Sachsen auf dem Mühlhausener Konvent von 1620 mit den anwesenden katholischen Reichsständen verhandelt.12 Nachdem protestantische Heerführer, unter ihnen Christian von Braunschweig und Halberstadt, zeitweilig sein Territorium bedroht und im Mai 1622 sogar Darmstadt vorübergehend eingenommen hatten, hatte sich Ludwig V. unter die Protektion Maximilians I. von Bayern begeben und seine Truppen mit denen des Herzogs vereinigt.13 Letztlich war es dem

Nach den Worten des nicht namentlich genannten Gesandten: Ob der Kurfürst „mit guthem gewissen länger still sitzen und die vorgehende schwere Verfolgungen otiose anschawen könten?" StA Darmstadt, E l C 26/8: Regensburger Kurfürstentag, fol. 240. 11 „Er, der braunschweigische abgesandte vernehme es mit schrecken, förchte, es werde Gott Chursachsen fallen und ein hartes leiden lassen, (1) wegen der Strafruthe, welche m a n sowohl in Sachsen als anderstwo mit sünden verdient, (2) weil aus den bisherigen cunctationes fast scheine, als ob Chursachsen mehr auf den ertzstift Magdeburg und seinen privatnutz als auf das gemeine kirchliche beste sein absehen führe, (3) weil m a n fast alle freunde und glaubensgenossen sincken und verschmachten lassen und denselben schlechtlich beigestanden, dörfte poena rationis folgen, (4) hab Chursachsen viel herrliche versicherungs mittel sonderlich anno 1620 z u Mülhausen negligirt und mit den gemeinen sachen sehr kalt gebohret, ia in seines aigenen sachen sich damahls genug nicht vorgesehen, so schlecht, das es auch schon anno 1620 die stände nidersächsischen crays vor insufficient gehalten". StA Darmstadt, E l C 26/8: Regensburger Kurfürstentag, fol. 240. 12 Hierzu Volker Press·. Hessen im Zeitalter der Landesteilung (1567-1655), in: Heinemeyer, Walter (Hg.): Das Werden Hessens. Marburg 1986, S. 2 6 7 - 3 3 2 , S. 301. » Ebd., S. 301. 10

4. Friedenssuche: Der Kurfürstentag zu Regensburg 1630 und die,Hessischen

Punkte'

es dem Landgrafen gelungen, im engen Schulterschluss mit und Liga beträchtliche Gebietserweiterungen auf Kosten des konkurrierenden calvinistischen Fürstenhauses Hessen-Kassel zu erzielen.14 Wenn der braunschweigische Gesandte somit in Kursachsens Politik eine skrupellose Vernachlässigung der protestantischen Sache bekundete, dürfte für Wolff der Schluss nahe gelegen haben, dass sein Urteil im Hinblick auf die hessendarmstädtische Politik nur zu ähnlich ausfallen musste. Landgraf Georg II. von Hessen-Darmstadt hatte bereits in den ersten Jahren seiner Regentschaft an die Tradition seines Vorgängers angeknüpft und sollte auf dem Regensburger Konvent einmal mehr versuchen, sich als Friedenspolitiker zu profilieren. Mit einer auf Ausgleich in Religionsfragen bedachten Haltung konnte er trotz aller Angriffsflächen, die er seinen im Krieg in existentielle Nöte geratenen Glaubensgenossen bot, offensichtlich recht gut leben. Reichsfriedens- und Religionsfriedenspolitik ließ sich in seinem Fall, ähnlich wie in Dresden, mit einer Fürstenethik, die das Streben zum Ausbau familiärer und territorialer Macht beinhaltete, vereinbaren. Als Privatperson versuchte der Landgraf, sich dem Ideal eines frommen Lebenswandels, das ihn zum fleißigen Studieren der Bibel antrieb,15 weitgehend zu unterwerfen. Auch auf seinen Aufgabenfeldern als Landesfürst verfolgte er sehr konsequent das Ziel, den Prinzipien der lutherischen Kirche und deren Förderung unmittelbar gerecht zu werden. In außenpolitischen Fragen war seine Linie hingegen durch den Gedanken bestimmt, dass es erforderlich sein konnte, Geduld und Bereitschaft zu Zugeständnissen hinsichtlich der religiösen Belange an den Tag zu legen, wenngleich auch er sich in besonders schwierigen Situationen bei Theologen rückversicherte.16 Auf der Grundlage einer solchen Haltung hatte sich die reichspolitische Bedeutung Hessen-Darmstadts zu seinen Gunsten verschoben. Mochten gute Beziehungen zu Kaiser und anderen katholischen Fürsten, unter ihnen dem Herzog von Bayern,17 Argwohn unter vielen Protestanten erregen, so taten sich doch hierbei besondere Spielräume und ein Zuwachs an Einflussmöglichkeiten auf, von dem sogar andere protestantische Stände zu profitieren ver-

14 Hierzu und zu den Gegensätzen gegenüber Hessen-Darmstadt: Gerhard Menk: Absolutistisches Wollen und verfremdete Wirklichkeit - der calvinistische Sonderweg Hessen-Kassels, in: Schaab, Meinrad (Hg.): Territorialstaat und Calvinismus. Stuttgart 1993, S. 164-238, S. 216ff. 15 Von Georg II. von Hessen-Darmstadt ist überliefert, dass er sich, wie viele Zeitgenossen, damit rühmte, die Bibel mehrfach (46mal) gelesen zu haben. Press 1986, S. 306. 16 An einem Fallbeispiel ist die Verknüpfung von politischem und religiösem Gedankentum sehr gut nachvollziehbar: Siehe Kurt Beck: Die Neutralitätspolitik Landgraf Georgs II. von Hessen-Darmstadt. Versuche und Möglichkeiten einer Politik aus christlichen Grundsätzen (nachgewiesen an einem Gutachten Marburger Theologen vom 5. Juni 1632), in: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte 22 (1972), S. 162-228. 17 Wolff berichtete am 14. Juli 1630 von seiner Audienz beim Kurfürsten v. Bayern, bei deren Gelegenheit er die „Isenburgische Sache" angesprochen hatte. StA Darmstadt E l C 26/8, Regensburger Kurfürstentag, fol. 154.

4.2 Die Ungunst der Stundeßr

den Frieden

suchten: Georg II. empfing Beschwerden unterdrückter Protestanten im Reich, die sich erhofften, über dessen gemeinsame Politik mit Kursachsen Milderungen ihrer Situation zu erwirken.18 Der Landgraf beteiligte sich indessen rege am Auf- und Ausbau einer Friedensachse, die von Kursachsen und Kurmainz gebildet wurde.19 Darauf gegründet, sollte Hessen-Darmstadt sich gegen Ende des Kurfürstentages massiv mit Vorschlägen zur Befriedung des Religionswesens einbringen.20 Die Herstellung eines umfassenden Friedens erschien Landgraf Georg, wie er persönlich in einem Brief an seine Mutter zum Ausdruck gebracht hatte, als ein Gebot der Stunde, um einer weiteren Erosion der Grundfesten des Reiches entgegenzuwirken.21 4.2 Die Ungunst der Stunde für den FriedenBTrotz ihrer aktuellen Bedeutung bildeten reichsrechtliche Religionsfragen zunächst nicht mehr als einen markanten Hintergrund der ersten rudimentär besetzten Reichsversammlung nach der Verkündung des Restitutionsedikts. Vom Kaiser war das Edikt als unantastbar erklärt worden und auch die katholischen Kurfürsten zeigten wenig Interesse, darüber zu verhandeln. Im Vordergrund standen zunächst Probleme außerhalb des Bereiches der Religionspolitik: An erster Stelle sind die militärischen Auseinandersetzungen zwischen Kaiser und der französischen Krone im mantuaischen Erbfolgekrieg, in die auch die spanischen Habsburger verwickelt waren, zu erwähnen.22 Die Einnahme der strategisch wichtigen piemontesischen Festung Pinerolo durch französische Truppen im März 1630 war ein Schlag gegen Kaiser und Reich,23 da sie die oberita-

Siehe StA Darmstadt El B13. Nach dem Tode des Kurfürsten Georg Friedrich von Mainz tauschte sich Georg II. mit Johann Georg von Sachsen darüber aus, ob unter seinem Nachfolger eine Fortführung der Verständigungspolitik zu erwarten sei: „[...] wünschen, daß an dessen stelle wieder ein friedfertiges und solches subjectum erwöhlet werde, so mit uns, gleich denen vorigen gewesenen Churfürsten, gute vertreuligkeit pflegen müge." StA Darmstadt 180/1: Landgraf Georg II., Politische Korrespondenz mit Kursachsen (1629) (nicht foliiert). Zum Verhältnis zu Kurmainz siehe Frohnweiler 1965/66, S. 13. 20 Gustav Adolf von Schweden soll ihn als ,Reichsfriedensmacher' bezeichnet haben. Siehe Wandruszka 1955, S. 42. 21 Brief vom 15. Sept. 1629 an Magdalena von Brandenburg: „whann die betrangnussen, zusetzungen und gefährlichkeiten dergestalt über hand, das im fall nicht bald erfolgenden fridens eine allgemeine erschötterung aller grundfesten zu besorgen und gleichsam vor äugen ist. Ich an meinem ort sitze zwar noch zur zeit vor andern Fürsten zimlich ruhig, besorge mich aber, der brand in meines nachbam haus werde in die harre mir auch nichts gutes bringen". StA Darmstadt 180/1: Landgraf Georg II., Politische Korrespondenz mit Kursachsen (1629). 22 Ein neuerer kurzer Überblick über die Interessenlagen bei Anja Victorine Hartmann: Von Regensburg nach Hamburg. Die diplomatischen Beziehungen zwischen dem französischen König und dem Kaiser vom Regensburger Vertrag (13. Oktober 1630) bis zum Hamburger Präliminarfrieden (25. Dezember 1641). Münster 1998, S. 16ff. Siehe allgemein zum habsburgisch-französischen Konflikt in Italien auch Geoffrey Parker: Europe in Crisis 1598-1648. Glasgow 1982, insbes. S. 197ff. 23 Ritter 1962b [1908], S. 450f. 18

19

4. Friedenssuche: Der Kurfürstentag zu Regensburg 1630 und die,Hessischen

Punkte'

lienischen Gebiete, die unter der Oberlehnshoheit des Kaisers standen, in Gefahr brachte. Auch wenn sich dieser Krieg in den folgenden Monaten zugunsten kaiserlicher Truppen entwickelte, war die Präsenz des französischen Gesandten Brulart de Léon und des Ratgebers Richelieus, der , grauen Eminenz' Pére Joseph, zu Regensburg zum Zwecke der Friedensverhandlungen24 ein Störfaktor für die Reichspolitik Ferdinands II. Die Gesandten verhandelten in der mantuaischen Sache offiziell lediglich mit den kaiserlichen Räten. Sie betrieben aber mit dem bayerischen Herzog eigene Bündnisverhandlungen25 und suchten die Verbindung mit weiteren katholischen Kurfürsten.26 Diese bestärkten sie mit wachsendem Erfolg in ihrer bereits seit geraumer Zeit betriebenen Opposition gegen die kaiserliche Militärpolitik.27 Das getrübte Verhältnis zwischen den katholischen Fürsten und Ferdinand II. lag zum Teil in den schädlichen Auswirkungen der Heereszüge auf ihre eigenen Territorien begründet. Zum anderen hatte der in den letzten Jahren erzielte kaiserliche Machtzuwachs im Reich, der durch die ungeheure Größe des kaiserlichenHeeres sichtbar geworden war, das Gewicht zu Ungunsten der Reichsstände verschoben und vor allem den bayerischen Herzog zum Gegenspieler gemacht. Eines seiner wichtigsten Ziele, die Absetzung des kaiserlichen Heerführers Wallenstein, sollte er auf dem Konvent durchsetzen.28 Die französisch-bayerischen Verhandlungen, die bereits im März 1629 begonnen hatten,29 werfen ein bezeichnendes Licht auf die erheblichen Gegensätze an Interessen, die man mittlerweile innerhalb des katholischen Lagers verfolgte. Die politischen Aversionen Papst Urbans VIII. gegen die spanischen Habsburger bewegten diesen dazu, das entstehende Bündnis zwischen Bayern und Frankreich zu unterstützen und damit das Kaisertum zu schwächen. Damit agierte er gegen den entschiedensten politischen Verfechter des Restitutionsedikts. Die theologische Haltung Roms war in dieser Frage ohnehin höchst kompliziert, da eine vorbehaltlose Befürwortung auf eine päpstliche Hierzu Rainer Babel: Deutschland und Frankreich im Zeichen der habsburgischen Universalmonarchie 1500-1648. Darmstadt 2005, S. 83ff. 25 Siehe die Korrespondenzen in: Albrecht 1964, S. 711-730. 26 Siehe Onno Klopp: Der dreißigjährige Krieg bis zum Tode Gustav Adolfs 1632. Bd. 3: Die Jahre 1628 bis Ende 1630. Paderborn 1895, S. 544. Siehe insbesondere die Ausführungen von Pére Joseph zur Mitarbeit der Kurfürsten gegenüber Maximilian I. in: Albrecht 1964, S. 694f. 27 Ernst Walter Zeeden: Deutschland von der Mitte des 15. Jahrhunderts bis zum Westfälischen Frieden, in: Schieder, Theodor (Hg.): Handbuch der europäischen Geschichte. Bd. 3: Die Entstehung des neuzeitlichen Europa. Stuttgart 1971, S. 449-585, hier S. 565. Siehe auch Ritter 1962b [1908], S. 450f. 28 Zu den Gründen und zu den Vorgängen im einzelnen siehe Dieter Albrecht: Der Regensburger Kurfürstentag 1630 und die Entlassung Wallensteins, in: ders. (Hg.): Regensburg. Stadt der Reichstage. Regensburg 1994, S. 88-108. 29 Siehe Franz Xaver Seppelt: Geschichte der Päpste. Bd. 5: Das Papsttum im Kampf mit Staatsabsolutismus und Aufklärung. Von Paul ΠΙ. bis zur Französischen Revolution. München 1959, S. 289; Ritter 1962b [1908], S. 408ff. 24

4.2 Die Ungunst der Stunde fiir den Frieden

Anerkennung des Augsburger Religionsfriedens im Reich hinausgelaufen wäre, die man unter allen Umständen zu vermeiden suchte.30 Bereits die erste Stellungnahme des Papstes gegenüber der Publikation des Edikts im Mai 1629 war sehr zurückhaltend gewesen. Zu einer gemeinsamen Religionspolitik im Reich war Urban VIII. jedoch auch aus territorialpolitischen Gründen31 nicht bereit. Die Anweisungen die der päpstliche Nuntius am Wiener Hof, Kardinal Ciriaco Rocci, während des Kurfürstentags aus Rom erhielt, liefen auf eine formelle Verteidigung von Grundsatzpositionen hinaus, wobei sogar unter Umständen eine Durchlöcherung des Restitutionsedikts in Kauf genommen werden sollte.32 Andererseits hatte man Sorge, dass bei etwaigen Verhandlungen über das Edikt Zugeständnisse gemacht wurden, die die rechtlichen Ansprüche der katholischen Kirche weiter aushöhlten. Auf jeden Fall prägte die Existenz einer starken katholischen Partei, die es aus unterschiedlichen Gründen auf eine Machtminderung des Kaisers abgesehen hatte, den Fortgang der Gespräche zu Regensburg.33 Zu einem Zeitpunkt, als der Kaiser sich über das Restitutionsedikt zumindest gegenüber den katholischen Reichsfürsten recht glaubhaft als höchster ,Vogt der Kirche' in Positur stellen konnte, wurde bereits wieder mit nicht geringem Erfolg am Abbau seiner Macht gearbeitet. Noch eine weitere bedeutende Niederlage sollte er nämlich erfahren, als die Kurfürsten seinem Wunsch nicht nachkamen, seinen Sohn zum Römischen König zu wählen. Wesentlich stärker destabilisierte aber ein kriegerisches Ereignis das politische Gefüge, selbst wenn man davon ausgehen kann, dass das Ausmaß der Gefahr von katholischer Seite noch nicht in vollem Umfang erkannt wurde. Es handelt sich um den Einfall des schwedischen Königs Gustav Adolf ins Reich zugunsten des Protestantismus am 6. Juli 1630. Zu Regensburg war man sich schnell darüber im Klaren, dass die Religionsfrage damit wieder aktuell geworden war. So nahm man sicherlich nicht ohne Entrüstung zur Kenntnis, dass auf den Fahnen der vordringenden Soldaten der Spruch „Gott hilft fechten wider die Ungerechten" zu lesen war.34 Dass das Misstrauen der Katholiken auch gegen die bis dahin kooperativen protestantischen Reichsstände vor diesem Hintergrund wuchs, gab der hessen-darmstädtische Kanzler Wolff in einem Brief deutlich zu verstehen: Man sei zu Regensburg sehr verbittert und spreche sogar öffentlich aus, dass Kursachsen und Hessen-Darmstadt abfallen würden.35 Wolff berichtete Georg II., er versichere den Zweiflern stets, dass 30

Hierzu Seppelt 1956, S. 452f. Bereits bei Ritter ist die reservierte Haltung von Papst Urban VIII. gegenüber dem Restitutionsedikt damit erklärt, dass auch das Restitutionsedikt letztlich auf dem für die Kirche unannehmbaren Fundament des Augsburgischen Religionsfriedens stand. Siehe hierzu auch Repgen 1962a, S. 183ff. Hierzu ebd., S. 186f. 32 Ebd., S. 221 f. 33 Zur antihabsburgischen päpstlichen Position siehe auch Bireley 1981, S. 127f. 34 StA Darmstadt El C 26/8: Regensburger Kurfürstentag, fol. 218. 's Bericht Wolffs ν. 14. Aug.1630: StA Darmstadt El C 26/8, fol. 208ff.

4. Friedenssuche: Der Kurfiirstentag zu Regensburg 1630 und die,Hessischen

Punkte'

sein Fürst von der ,schwedischen Sache' nichts wüsste.36 Dies entsprach sicherlich der Wahrheit. Allerdings begann sich beim Seniorpartner HessenDarmstadts, Kursachsen, eine Veränderung der politischen Direktiven bereits abzuzeichnen.37 Johann Georg hatte ein persönliches Erscheinen auf dem Konvent verweigert und, wie auch Georg Wilhelm von Brandenburg, lediglich einige Gesandte nach Regensburg geschickt. Zwar entschuldigte sich der brandenburgische Kurfürst beim Erzbischof von Mainz und weiteren Fürsten für das Fernbleiben. 38 Unverkennbar war jedoch der Protest beider Fürsten gegen das Restitutionsedikt mit ihrer Absenz verbunden, ein Protest, der auch auf dem Konvent unmittelbar zum Ausdruck gebracht wurde.39 Bereits in den ersten Sitzungen über die geeigneten ,Medien' zum Frieden traten die scharfen Gegensätze zwischen Kursachsen und Kurbrandenburg einerseits und der katholischen Fürsten andererseits hervor. Das Ergebnis des ersten Meinungsaustauschs wurde in eine Formulierung gekleidet, die eher euphemistisch klingt: „In studio conservando libertatis Germanicae omnes conveniunt, in modo autem discrepantes sunt."40 Gegen eine Diskussion über das Edikt bei den Verhandlungen verwehrten sich die beiden protestantischen Kurfürsten, da man hierfür den Rahmen einer größeren Reichsversammlung, die weiteren protestantischen Ständen Gelegenheit gab, ihre Beschwerden vorzutragen und eine Einigung auszuhandeln, für geeigneter hielt.41 Sie erkannten die Legitimation des Konvents als eines Organs zur Erzielung tragfähiger Beschlüsse in Religionssachen nicht an. Für die zu Regensburg tagenden katholischen Reichsstände ließ sich zudem die seit Oktober 1629 vollzogene Annäherung von Kursachsen und Kurbrandenburg als untrügliches Zeichen einer neuen Politik deuten. Auslöser der Kontakte waren das Restitutionsedikt und die damit verbundenen

StA Darmstadt E l C 26/8, fol. 210. Kaiser Ferdinand II. versuchte, Johann Georg am 23. August dazu zu bewegen, Gustav Adolf wegen seines Uberfalls abzumahnen, erhielt aber wegen der Differenzen um das Restitutionsedikt eine sehr zurückhaltende Antwort: Copia Jhr Röm[isch] Käyserlich[er] Mäy[e]st[ät] Schreibens An Jhr Churf[ürstliche] Durchl[aucht] zu Sachsen, Betreffend 1. Deß Schweden Fürbruchs abstellung, 2. Der Kriegsbeschwerung abhelffung, 3. Auffhebung deß Käyserl. Edicts, Vnterm dato Regenspurg, den 23. Augusti 1630. Wie auch: Copia Churf. Sächsischen Schreibens An Die Herrn Chrufürsten, Meintz, [et]c. Tryer, [et]c. Cölln, [et]c. vnd Bayern, [et]c. de dato 24. Augusti 1630. Jtem Jhr Rom. Kays. Mayt: Patent, so zue Augspurg wegen fernerer Reformation publiciret. [S.I.] 1630, ΑΙΠ. 38 Siehe das Schreiben Maximilians von Bayern an den Kaiser vom 4. Juni 1630, in dem starke Einquartierungen und Furcht vor einem Krieg gegen Schweden angeführt werden: Albrecht 1964, Nr. 164. 3 9 Bereits im Juli 1629 hatte Kursachsen seine Ablehnung des Edikts gegenüber dem Kaiser zu verstehen gegeben. Siehe Frisch 1993, S. 148. 4 0 StA Darmstadt E l C 26/8, fol. 183. 41 Frisch 1993, S. 150. 36

37

4.3 Ein ,privater'

Normaljahrswrschlag

Exekutionen gewesen.42 Die Idee einer Versammlung der protestantischen Reichsstände zur Absprache einer gemeinsamen Haltung gegenüber dem Edikt war aufgekommen.43 Auch über das Eindringen des schwedischen Heeres tauschten Fürsten und Regierungsbeamte ihre Meinungen aus.44 Letztlich versuchten sie, eine einheitliche Linie gegenüber Gustav Adolf zu verfolgen, indem sie Neutralität bekundeten, die allerdings vom schwedischen König nicht akzeptiert wurde. Noch während des Regensburger Konvents fand ein Gedankenaustausch über Möglichkeiten, gemeinsam zwischen Ferdinand II. und Gustav Adolf zu vermitteln, statt. Einige der katholischen Stände zu Regensburg hatten offensichtlich von derartigen Bestrebungen erfahren, was sie allerdings in ihrem Misstrauen eher bestärkte. Vor allem gegen Kurbrandenburg wurden Verdächtigungen und Drohungen laut.45 An ihnen wird deutlich, dass die kursächsische und kurbrandenburgische Protesthaltung durch die schwedischen Kriegshandlungen noch einmal eine neue Dimension erhalten hatte.46 Obwohl einige protestantische Reichsstände ihre Hoffnung auf den Konvent setzten, durch Verhandlungen etwas gegen das Restitutionsedikt und Kriegsbeschwernisse unternehmen zu können,47 waren damit die Voraussetzungen für entscheidende Annäherungen in Religionsfragen äußerst ungünstig, wenn nicht gar aussichtslos. Zwar versuchte der sächsische Kurfürst durchaus, Einfluss aus der Ferne zu nehmen, indem er in einem Schreiben einige der versammelten Kurfürsten um Abstellung von Kriegsbeschwernissen, um die Aufhebung des Restitutionsedikts und die Einstellung gegenreformatorischer Maßnahmen in Württemberg, Augsburg und gegen den Grafen von Hohenlohe bat.48 Aus den Antworten wird jedoch deutlich, dass man auf katholischer Seite kompromisslos und geschlossen am Edikt festzuhalten gedachte und dieses als unerschütterliche Basis des,Friedens' betrachtete.49 4.3 Ein ,privater* Normaljahrsvorschlag Die Gravamina, die Kursachsen dem Kaiser übermitteln ließ, sprachen jedenfalls in Form und Inhalt für eine Radikalisierung der Position. In wenigen Worten wurden die Aufhebung des Edikts und die daraus folgende Wiedereinsetzung Augsburgs in den vorigen Stand, d.h. eine Wiederherstellung der religiösen Verhältnisse,

Siehe Johannes H. Gebauer: Kurbrandenburg und das Restitutionsedikt von 1629. Halle 1899, S. 70. 43 Ebd., S. 77. 44 Ebd., S. 94. 4 5 Ebd., S. 101. 4 6 Hierzu auch Frisch 1993, S. 151. 4 7 Zu den Gesandten Württembergs und des schwäbischen Reichskreises siehe Zizelmann 2002, S. 86ff. 4 8 Eine ähnliche Aufforderung wurde von bayerischer Seite laut. Zu dieser Korrespondenz siehe Albrecht 1964, S. 677, Anm. 2. 4 9 Ebd., S. 677ff. 42

4. Friedenssuche: Der Kurfürstentag zu Regensburg 1630 und die,Hessischen

Punkte'

erbeten.50 Ein noch weiter gehendes Gravamen stellte jedoch alles bis dahin Formulierte in den Schatten: Der Kurfürst forderte nämlich, „alles in Religion und Prophan-Sachen in den Stand zu stellen/ wie es vor dem Böhmischen Krieg gewesen" war.51 Damit proklamierte der Kurfürst eine Position, die später noch über einen langen Zeitraum von den gesamten protestantischen Reichsständen vertreten werden sollte. Allerdings wurde von ihm in diesem Schreiben noch kein konkretes Normaljahr genannt. Inwieweit der Beginn des Böhmischen Aufstands im Jahre 1618 bei einer solchen Maßnahme bereits berücksichtigt werden sollte, blieb grundsätzlich offen. Darüber hinaus kann man aus den wenigen Worten nicht ersehen, ob Johann Georg eine langfristige Regelung oder ein nur kurzfristiges Provisorium vorschwebte, das lediglich auf die akute Schaffung einer Verhandlungsbasis abzielte, um den Krieg zu beenden. Dass die Politik Kursachsens für die Besucher des Konvents zunehmend irritierend und undurchschaubar erschien, wirkte sich zwangsläufig auf die Bedingungen des hessen-darmstädtischen Agierens aus. Der bisherige Seniorpartner war in den Augen des Kanzlers Wolff nur unzureichend in Regensburg präsent und zu inaktiv. Wolff hatte bereits im Juli 1630 die abwartende und unbewegliche Verhandlungsführung der sächsischen Gesandten kritisiert und der Gefahr einer völligen Destabilisierung der Situation Ausdruck verliehen.52 Zur Fortführung der zuvor gemeinsam mit Kursachsen betriebenen Politik des Ausgleichs war Georg II. aber weiterhin unbedingt entschlossen. Allerdings drohte dieser, gerade weil er zuvor stets im Schulterschluss mit Kursachsen aufgetreten war, nun an Glaubwürdigkeit als protestantische Friedensmacht gegenüber den katholischen Ständen zu verlieren. Dass die ,Isenburgische Sache' ins Stocken geriet, lag in diesen Irritationen sicherlich mit begründet und mag mit dazu beigetragen haben, dass Georg II. am 6. September persönlich anreiste, um ein Zeichen zu setzen, an seinen Grundsätzen festhalten zu wollen.53 Er war der einzige zu Regensburg anwesende protestantische Reichsfürst. Nach dem Ausfall Kursachsens ist es vielleicht nicht einmal erstaunlich, dass sich das kleine Fürstentum Hessen-Darmstadt gegen Ende des Septembers 163054 mit einem eigenen Konzept zum gütlichen Vergleich der Religionsstrei-

Lundorp, Michael Caspar (Hg.): Der Römischen Kayserlichen Majestät Und Deß Heiligen Römischen Reichs Geist- und Weltlicher Stände, Chur- und Fürsten, Grafen, Herren und Städte Acta Publica Und Schrifftliche Handlungen, Außschreiben, Sendbrieff, Bericht, Unterricht [...] so in Friedens- und Kriegeszeiten gegeneinander ergangen und gewechselt. Teil 4. Frankfurt/M., S. 73. Lundorp 1668b, S. 73. 52 Siehe den Brief Wolffs an Georg II. vom 24. Juli in: Albrecht 1964, S. 673f. „Sachsen warte von einer occasion zur andern, bis endlich alles werde in eußerster ruin stehn, dise zeit gestatte nicht, dass man so gar wolle punctual sein." 53 Frohnweiler 1965/66, S. 12. 54 Frohnweiler terminiert die Übergabe auf den 1. Oktober. Ebd., S. 13. 50

4.3 Ein ,privater' Normaljahrsvorschlag

tigkeiten im Reich hervortat.55 Angesichts der allgemeinen Unsicherheit über die künftigen Bündniskonstellationen ging es um die Demonstration eines unbeirrbaren Willens zur Kontinuität der bisherigen Verständigungspolitik. Zu diesem Schritt ermutigt wurden Georg II. und Wolff offensichtlich von einigen Gesandten protestantischer Reichsstände, die zu Regensburg vertreten waren, unter ihnen diejenigen des Herzogs von Württemberg.56 Sie versprachen sich über eine gütliche Intervention Georgs II. beim Kaiser und bei den katholischen Ständen Mäßigungen beim Vollzug des Restitutionsedikts.57 Wolff war zunächst unentschlossen, entschied sich jedoch, wie er später bekundete, nachdem er „manche nacht schlaflos zugebracht" 58 und verschiedene Positionen sondiert hatte, dazu, diesem Wunsch entgegenzukommen. Es ist nicht im Einzelnen nachvollziehbar, wie das Papier zustandekam, das zu Regensburg präsentiert wurde. Als hessen-darmstädtische Deputierte waren auch Christian von Liebenthal und Johann Jacob Wolff, ein Bruder des Kanzlers,59 sowie weitere Personen zu Regensburg anwesend.60 Der alleinige Autor dürfte aber Anton Wolff gewesen sein,61 wobei wohl von der grundsätzlichen Kenntnis und Einwilligung Georgs II. auszugehen ist. Darüber hinaus könnten Ideen von jenen protestantischen Gesandten eingeflossen sein, die besonders auf eine Friedensinitiative gedrängt hatten.62 Die Vorschläge wurden zunächst Kurmainz zur Begutachtung ,privat' übergeben. Man bediente sich somit der gemeinsam mit Kursachsen aufgebauten informellen Strukturen zur Verständigung in Religionsfragen. Die ,Hessischen Punkte' stellten in erster Linie eine Grundlage für weitere Gespräche katholischer wie protestantischer Reichsstände dar. Ziel war es vorrangig, den Charakter des Restitutionsedikts umzuwandeln.63 Eine als

Siehe StA Darmstadt E l Β 22/2 (Restitution der geistlichen Güter 1629/30): Überschrieben ist der Text mit den Worten: „Einige Neben Puncta und verhandelte acta auf den Reichstag zu Regenspurg wegen der religion absonderlich das eingeführte interim betr. 1630". Siehe die Edition des Textes bei Albrecht 1964, S. 680-685. Siehe dort auch die Datierung. 56 Albrecht 1964, S. 699ff. (Bericht des hessen-darmstädtischen Kanzlers A. Wolff). Das Schreiben wurde wahrscheinlich im November 1630 nach dem Konvent verfasst, siehe Albrecht 1964, S. 700. 5 7 Wolff berichtete über die an ihn gerichtete Hoffnung, „daß doch ich, als seiner frn. Gnaden abgesandter, an enden und orten, wo es zu paß komme, wolte underbauen helfen, darmit die executio edicti nicht gar so stark fortgetrieben, sondern vielmehr alle strittigkeit zu gütlicher handlung gebracht und dardurch der edle fride restaurirt werden möchte." Albrecht 1964, S. 700. 58 Ebd. 59 Frohnweiler 1965/66, S. 11 (Anm. 7). 60 StA Darmstadt E l C 26/8, fol. 161ff. 61 Frohnweiler 1965/66, S. 13. « Ebd. 63 Die „Kernaussagen des Restitutionsedikts zum Kirchengut" wurden nicht umgestoßen laut Frisch 1993, S. 154. 55

4. Friedenssuche: Der Kurfiirstentag zu Regensburg 1630 und die,Hessischen

Punkte'

diktatorisch verstandene Maßnahme 64 sollte soweit verändert und abgemildert werden, dass man von einem Vertrag sprechen konnte, der auf der Mitwirkung beider Konfessionsparteien basierte. Entsprechend begann der Text mit einer Bitte, die Restitutionen sofort einzustellen, um Vertrauen im Reich wiederherzustellen und den gütlichen Ausgleich zu suchen.65 Andererseits wurde im Kern die Rechtmäßigkeit von Restitutionen anerkannt. Der Begriff der Restitution war dabei weitestgehend auf die katholischen Forderungen und das Edikt bezogen, wobei einige Punkte allerdings bereits die Möglichkeit einer Umkehrung von Restitutionsmaßnahmen, etwa in den Reichsstädten,66 nahe legten. Drei wichtige Bereiche, für die die Restitutionen geregelt werden sollten, wurden behandelt: die mediaten Klöster und Stifter, die reichsunmittelbaren Klöster und Stifter und die Reichsstädte. Daneben tauchen einige Regelungsvorschläge hinsichtlich landsässiger Ämter und Dörfer auf.67 In den Vorschlägen zu den mediaten Klöstern und Stiftern wurde der katholischen Seite grundsätzlich zugestanden, dass man sie restituierte, sofern sie nach dem Religionsfrieden eingezogen worden waren. Eine daran geknüpfte Bedingung war, dass die katholische Religion zu dieser Zeit noch alleinig in Ausübung gewesen oder doch ausdrücklich und in öffentlicher Weise neben der protestantischen Religion geduldet worden war.68 Ähnlich sahen die Vorschläge aus, wie mit den reichsunmittelbaren Stiftern und Klöstern zu verfahren sei. Sie wurden ebenfalls in die grundsätzliche Restitutionspflicht einbezogen.69 Besonders herauszustellen ist jedoch, dass die hessen-darmstädtischen Vorschläge einen neuen Stichtermin als Fundament der Restituierung ins Gespräch brachten: Nicht das Jahr des Passauer Vertrages 1552, sondern das Jahr des Augsburger Religionsfriedens 1555 sollte das Jahr sein, nach dem der Besitz zu bestimmen war. Klöster und Stifter, die zwischen 1552 und 1555 protestantisch geworden waren, sollten protestantisch bleiben.70 Die Hauptmotive für die Verschiebung des Datums lagen offensichtlich darin, dass der Augsburger Religionsfrieden und die damit verbundene Aufhebung des Inte-

Auf kurbrandenburgischer Seite hatte man zunächst über eine Teilnahme am Kurfürstenkonvent nachgedacht. In diesem Zusammenhang war mehrfach vom „Dictator Imperii" - gemeint waren die feindlich gesonnenen Politiker am kaiserlichen Hof - die Rede. Siehe StA Darmstadt E l C 26/8: Regensburger Kurfürstentag, fol. 33-40. Ebenso Frohnweiler 1965/66, S. 13. 65 „Es würdt gebeten, jezt sobald alle executiones in clöster- und kirchensachen einzustellen, damit um sovil besser die güetliche vermitlung kündte befördert und weitere verbiterung der gemüter verhütet werden." Albrecht 1964, S. 680. 66 Punkt 20 etwa garantierte ausdrücklich beiden Konfessionen den Bekenntnisstand nach dem Jahr des Religionsfriedens. Siehe ebd., S. 682. 67 Punkt 29 und 30; letzterer beinhaltete Patronatsrechte innerhalb der Territorien. Ebd., S. 683. 68 So meine Interpretation des 5. Punktes. Ebd., S. 681. 69 Punkt 11: Ebd., S. 681f. 70 Punkt 6: Ebd., S. 681. 64

4.3 Ein ,privater' Normaljahrsvorschlag

rims in den Vordergrund gerückt werden sollte. Die Berufung auf 1555 lag in den konkreten Erfahrungen begründet, dass bei den Exekutionen des Edikts das Interim oft zugunsten der Katholiken berücksichtigt worden war.71 So waren nicht nur in Württemberg, sondern auch in Franken und Schwaben bereits Restitutionen zugunsten der Katholiken damit verbunden gewesen.72 Dabei ist zu festzuhalten, dass das Alternativjahr 1555 eine reelle Chance darstellte, die zementierte katholische Position aufzuweichen und Gespräche überhaupt zu ermöglichen: Einerseits beinhaltete der Vorschlag insofern ein verlockendes Entgegenkommen, als der Zeitpunkt des Religionsfriedens auch gelegentlich in katholischen Kreisen als allgemeines Stichdatum für die Restitutionen gehandelt worden war.73 Die katholischen Restitutionsforderungen, die die Reichsstädte betrafen, basierten ebenfalls darauf.74 Den Katholiken wurde mit diesem Vorschlag also eine nah an ihren Positionen orientierte Beendigimg des Religionszwistes in Aussicht gestellt. Andererseits kam das Einbringen eines neuen Stichtermins durchaus der Formulierung einer eigenen protestantischen Position gleich, die den Eckpfeiler für Verhandlungen unter gleichberechtigten Parteien darstellen konnte. Immerhin wurde versucht, auch dem Protestantismus im Reich eine langfristige Sicherungsgrundlage unter Berufung auf den Augsburger Religionsfrieden und das Jahr seiner Verabschiedung zu schaffen. Es ging somit um das Prinzip der Parität zweier Religionen. Die Vorschläge liefen darauf hinaus, katholische Träume von einer unmittelbar bevorstehenden Rückgewinnung des ganzen Reiches75 zu beenden. Dies war nach dem Triumph der Verkündung des Restitutionsedikts und der militärischen Dominanz der katholischen Kräfte eine nicht zu unterschätzende Position. Mit dem Jahr 1555 als Verhandlungsoption hatte sich zugleich eine wesentliche Neuerung der Grundlagen für den Streit der Religionsparteien ergeben. Zum ersten Mal wurde von protestantischer Seite ein Angebot für ein Stichdatum gemacht, um konfessionelle Ansprüche zu fixieren. Das Jahr 1555 erfüllt insofern die Voraussetzung eines ersten potentiellen paritätischen Normaljahres,

Lundorp, Michael Caspar (Hg.): Der Römischen Kayserlichen Majestät Und Deß Heiligen Römischen Reichs Geist- und Weltlicher Stände, Chur- und Fürsten, Grafen, Herren und Städte Acta Publica Und Schrifftliche Handlungen, Ausschreiben, Sendbrieff, Bericht, Unterricht [...] so in Friedens- und Kriegeszeiten gegeneinander ergangen und gewechselt. Teil 4. Frankfurt/M., S. 1063-1069. Siehe auch Kap. 3.2. 72 Tupetz 1883, S. 471. 73 So etwa in einem Gutachten bayerischer Reichstagsdeputierter von 1608. Siehe den Brief an Maximilian I. vom 17. Februar 1608, in: Stieve 1895, S. 211-213, hier S. 212. 74 Ritter 1896, S. 76f. Hinzuweisen ist auch auf die bayerischen Vorschläge, die 1627 dem Kaiser zwecks Vorbereitung des Restitutionsedikts übergeben wurden. Hier wurde eine Restitution der religiösen Verhältnisse in den Reichsstädten angeregt, wie sie zur Zeit des Religionsfriedens bestanden hatten. Bireley 1975, S. 88. Sogar in der Pads Compositio des Jesuiten Paul Laymann war für die Reichsstädte 1555 zugestanden worden. Ritter 1896, S. 100. 75 Siehe hierzu auch Ritter 1896, S. 101. 71

4. Friedenssuche: Der Kurfürstentag zu Regensburg 1630 und die,Hessischen

Punkte'

als zur Lösung der Religionsprobleme im gesamten Reich ein Datum veranschlagt wurde, das als Grundlage eines umfassenden Einigungsvertrages, in dem sich die beiden Religionsparteien wieder finden konnten, anvisiert wurde. Geplant war ein von beiden Seiten legitimierter Stichtermin, der die Verteilung des konfessionellen Besitzes festschrieb und damit konfessionelle Pluralität im Reich zugleich untermauerte. Das Jahr 1555 nahm innerhalb der , Hessischen Punkte' einen Großteil der katholischen Restitutionsansprüche auf, blockierte jedoch weitergehende Forderungen. Es sollte den Protestanten Schutz vor jeglichen katholischen Versuchen, sich auf das Interim zu berufen, garantieren.76 Darüber hinaus sollten mit dem Termin die pluralen Strukturen innerhalb der bikonfessionellen Reichsstädte gesichert werden, indem den Einwohnern ihr für dieses Jahr nachweisbares Religionsexerzitium zugestanden werden sollte.77 Georg II. und sein Kanzler Wolff hatten konkrete Beschwerden der Augsburger evangelischen Bürgerschaft78 bei der Formulierung dieser Punkte im Auge, die bereits seit September 1629 an beide gerichtet worden waren. Im Zuge der Ausführung des Restitutionsediktes war die evangelische Religion zu Augsburg „abgeschafft" 79 und den Einwohnern befohlen worden, katholische Gottesdienste zu besuchen. Ein kirchliches Normaljahr 1555 sollte zudem ermöglichen, dass mediate Klöster und Stifter, die den protestantischen Reichsständen nach diesem Termin verloren gegangen waren, wieder zurückgegeben wurden, sofern sie in einem protestantischen Territorium lagen.80 Obwohl in diesem Punkt zugestanden wurde, dass diese bei einem erneuten Konfessionswechsel eines Lan-

Albrecht 1964, S. 680 (Punkt 3). Ebd., S. 682 (Punkt 22 und 24). 78 StA Darmstadt El B13 (Ergangene Schreiben und Handlungen der Stadt Augsburg, Religion Sachen betr. 1628/29) (nicht foliiert.) Enthalten ist ein Schriftwechsel zwischen Wolff und dem Augsburger Ratsverwandten Otto Lauginger (d. J.). Lauginger bat, die Sache dahin zu „dirigiern", dass Georg II. sich beim sächsischen Kurfürsten für die Augsburger Lutheraner einsetzte: „daß förderlich von Ir. Fl. Gn. an dero geliebten H. schwerbatten, die Churfl. Dhl. zur Sachsen geschriben". Die Lutheraner in Augsburg bemühten sich während des Kurfürstentages, den Nachweis zu erbringen, im Stichjahr 1552 ihre Konfession öffentlich ausgeübt zu haben. Siehe: Augspurgische GewissensAngst der evangelischen Burgerschafft daselbsten/ Das ist: An die Römjisch] Kay[serlich] zu H u n g a m unnd Behaim/ etc. Königliche] May[estät] unsem allergnädigsten Herrn/ Allerunterthänigstes/ gehorsamistes/ und hochflehentliches bitten der Augspurgischen Confession zugethanen Rahtsverwandten zu Augspurg/ fur sich und im Namen der gantzen Evangelischen Burgerschafft daselbsten/ Ihrer Kayserl[ichen] etc. auff dem werendem Collegial-Tag zu Regenspurg/ den 10. Septemb[er] dieses 1630. Jahrs allerunterthänigist übergeben, [s. 1.] 1630, S. 17. 7 9 So die Formulierung in einem Schreiben des Kanzlers Antoninus Wolff vom 24. August (3. September st. n.) 1629 an Otto Lauginger. StA Darmstadt E l B13. so Albrecht 1964, S. 681 (Punkt 7). 76

77

4.3 Ein privater'

Normaljahrsvorschlag

des zukünftig auch wieder dem Katholizismus zufallen könnten,81 steckte diese Forderung immerhin das Ziel ab, dem Protestantismus einige der bereits verlorenen Güter zurückzuführen. Daneben zeigt sich, dass mit den hessen-darmstädtischen Vorschlägen versucht wurde, protestantische Landesherren zu stützen, die bestrebt waren, eine einheitliche Konfession in ihren Territorien durchzusetzen. Zugunsten des Katholizismus restituierte Stifter und Klöster innerhalb protestantischer Territorien sollten von den Landesherren grundsätzlich abgekauft werden können.82 Dort, wo sie dennoch im Besitz katholischer Orden verblieben, sollten innerhalb der kirchlichen Einrichtungen evangelische Personen die kirchendienstlichen Tätigkeiten ausüben, während die Einkünfte an die außerhalb der Territorien befindlichen katholischen Orden geliefert werden sollten.83 In das hessen-darmstädtische Konzept für einen künftigen Frieden wurde schließlich noch ein anderer Regelungstermin eingebracht. Auch hierbei kann von einem Normaljahrsvorschlag gesprochen werden: Alle geistlichen Güter, die den Protestanten ohne Beschluss durch Reichshofrat, Kaiserliche Kommissare oder Reichsstände abgenommen worden waren, sollten in den Stand des Jahres 1621 gesetzt werden.84 Mit Blick auf die militärischen Eroberungen der Liga und kaiserlicher Truppen versprach eine solche Maßnahme eine noch nicht im Detail absehbare, aber dennoch beträchtliche Anzahl von Gebietsrückführungen an die Protestanten. In einem weiteren wichtigen Punkt wurde das gleiche Jahr zum Bestandteil einer Absicherungsklausel für die beiden Kurfürstentümer Sachsen und Brandenburg. Ohne Ausnahme sollten jegliche innerhalb der Territorien gelegene Stifter und Klöster für 50 Jahre unangefochten im Besitz der Kurfürsten bleiben. Anschließend sollte beiden Landesherren der Besitz aller Kirchengüter, die sie im Jahre 1621 und zuvor besessen hatten, garantiert werden, wobei ausdrücklich erwähnt - alle etwaigen auf dem Restitutionsedikt von 1629 beruhenden katholischen Forderungen irrelevant sein sollten. Für den Fall, dass trotzdem noch irgendwelche rechtlichen Forderungen bestünden, wurde eine Entscheidung vom Reichskammergericht vorgeschlagen, für die dann allerdings eine paritätische Besetzung der Assessorenstühle zur Bedingung gemacht wurde. 85 Offensichtlich um Kurbrandenburg und Kursachsen die Unwahrscheinlichkeit zu verdeutlichen, dass sie auf diesem Wege dieser

Solche Klöster und Stifter sollten „so oft sich enderung mit der religion im land, darin es gelegen ist, zuträgt, mit den übrigen kirchen des landes, die keine klöster oder Stifter seindt, eiusdem conditionis parique mutationi underworfen sein" (Punkt 34). Ebd. 82 Ebd. (Punkt 10). 83 Ebd. (Punkt 9). 84 Ebd., S. 683. «s Ebd., S. 684 (Nebenpunkte).

81

4. Friedenssuche: Der Kurfiirstentag zu Regensburg 1630 und die,Hessischen

Punkte'

Güter doch noch verlustig gehen konnten, wurde auf das Revisionsrecht beider Fürsten gegen ein solches Reichskammergerichtsurteil hingewiesen.86 Kursachsen und Kurbrandenburg wurden damit aus der allgemeinen Normaljahrsregel ausgeklammert. Um die Besitzungen der beiden wichtigen protestantischen Kurfürstentümer effektiver zu schützen, wurde eine Mischung aus Provisorium und Festschreibungsvertrag, der auf einem eigenen kirchlichen Normaljahr basierte, entworfen. Dass die ,Hessischen Punkte' hierbei das Jahr 1621 als Normaljahr anvisierten, dürfte, trotz der Abweichung um ein Jahr, auf die Mühlhausener Assekuration von 1620 zurückgehen. Einer der Punkte, der die Wiederherausgabe sämtlicher nach 1621 gewaltsam eingenommenen Güter beinhaltete, ist wohl hauptsächlich auf die im niedersächsisch-dänischen Krieg verloren gegangenen Kirchengüter im niedersächsischen und im obersächsischen Reichskreis bezogen. 87 Möglicherweise hatte zusätzlich die Überlegung, den Dresdner Akkord von 1621 zu sichern, eine Rolle bei der Festlegung des auf Kursachsen zugeschnittenen Stichjahres gespielt. All dies ist allerdings nicht mit Sicherheit festzustellen. Für eine Bezugnahme auf die Mühlhausener Verhandlungen von 1620 spricht auch, dass Johann Georg, der sächsische Kurfürst, der diese ausgehandelt hatte, sich in besonderer Weise darauf stützen konnte. Das gleiche galt grundsätzlich für den ebenfalls an den Verhandlungen beteiligten Landgrafen von Hessen-Darmstadt, so dass einer der Nebenpunkte für den Fall katholischer Restitutionsansprüche eine Gleichbehandlung mit Kursachsen, d.h. ebenfalls eine Sicherung auf der Basis des Jahres 1621, vorsah.88 Dass Kurbrandenburg ausdrücklich in diese Sonderregelungen einbezogen werden sollte, lässt sich ebenfalls mit der Mühlhausener Assekuration und dem damit verbundenen Schutz des protestantischen Besitzes im obersächsischen Reichskreis erklären. Sogar von Seiten bayerischer Theologen, unter ihnen federführend Adam Contzen, hatte man für die Regensburger Verhandlungen intern eine grundsätzliche Bereitschaft zugrunde gelegt, Kurbrandenburg in die Mühlhausener Garantien einzubeziehen.89 Allerdings waren die ,Hessischen Punkte', obwohl kurbrandenburgische Territorialinteressen einbezogen waren, eindeutig lutherisch geprägt.90 Die Entscheidung darüber, wer zur Augsburgischen Konfession überhaupt zugehörte, wurde allein den protestantischen Reichsständen, die sich zur Konkor-

„[...] und doch auch iren Churfl. Durchleuchtigkeiten das beneficium revisionis unbenommen sein". Ebd. 8 7 Ebd., S. 683 (Punkt 34). » Ebd., S. 684. 89 Das Gutachten der bayerischen Theologen zum Regensburger Kurfürstentag beinhaltete die Position, man solle Sachsen die Mühlhausener Garantien bestätigen und könne im äußersten Notfall Brandenburg mit einbeziehen. Beiden protestantischen Fürsten sollte aber kein gemeinsames rechtliches Vorgehen ermöglicht werden. Bireley 1975, S. 131. » Gebauer 1899, S. 115f. 86

4.4 Die kurmainzische Reaktion

dienformel bekannten, zugestanden.91 Dies war einer kurbrandenburgischen Zustimmung keineswegs förderlich, wo calvinistische Landesherren bereits im Vorfeld des Dreißigjährigen Krieges eine aktive Rolle im Protestantismus, wenngleich im Schatten der Kurpfalz, eingenommen hatten.92 Der Kampf um Parität, der sich in den ,Hessischen Punkten' manifestierte, klammerte den Calvinismus hingegen aus. Georg II. von Hessen-Darmstadt folgte nicht nur weitestgehend der religiösen Linie seines Schwiegervaters, sondern befand sich zu dieser Zeit auch in scharfen religiösen Auseinandersetzungen mit seinem calvinistischen Gegenspieler in Hessen, Landgraf Wilhelm V. von Hessen-Kassel, der ihm keinesfalls unbegründet93 vorwarf, die Reformierten aus der Confessio Augustana und damit auch aus dem Religionsfrieden ausschließen zu wollen.94 Auf der anderen Seite wurde für die Zukunft grundsätzlich offen gehalten, welche Reichsstände in die Confessio Augustana einzubeziehen waren und welche Verhandlungen unter den Protestanten dafür den Ausschlag geben sollten. Hierbei wurde wiederum rigoros darauf bestanden, dass die Katholiken und der Kaiser in dieser Frage kein Mitspracherecht erhielten.95 4.4 Die kurmainzische Reaktion Dass die Vorschläge von den gemäßigten katholischen Reichsständen zumindest als verhandlungsfähig betrachtet werden konnten, zeigt die erste Reaktion. Wolff wurde am 19. Oktober vom kurmainzischen Kanzler wegen der eingereichten „privat gedancken"96 angesprochen. Gleichzeitig wurde ihm eine Gegenerklärung überreicht, in der fast jeder einzelne der ,Hessischen Punkte' mit eine alternativen kurmainzischen Position bedacht worden war.97 Eine große Differenz tat sich noch in der Frage nach dem Recht zur Bestimmung der Reichsstände auf, welche die der Albrecht 1964, S. 680 (Punkt 1). Siehe Peter-Michael Hahn: Calvinismus und Staatsbildung: Brandenburg-Preußen im 17. Jahrhundert, in: Schaab, Meinrad (Hg.): Territorialstaat und Calvinismus. Stuttgart 1993, S. 239-269, S. 251. Siehe Frohnweiler 1965/66, S. 15ff. 9 4 Siehe die Wechsel-Schrifften/ uff das im Jahr 1629. wegen der Geistlichen Güter außgelassene Kayserliche Edict ergangen ( zwischen dem Durchleuchtigen und Hochgebornen Fürsten und Herrn/ Herrn Wilhelmen/ Landgraven zu Hessen [...] und denen auch Durchleuchtigen und Hochgebornen Fürsten und Herrn/ Herrn Georgen/ Herrn Philipsen/ und Herrn Friederichen/ Landgraven zu Hessen [...] etc. Darmbstadischer Linien: Darinn gehandelt wird/ Was vor eine Religion von weiland dem Durchleuchtigen und Hochgebornen Fürsten und Herrn Philipsen/ dem altem/ Landgraven zu Hessen [...] etc. zur Zeit deß Fiirstenthumbs Hessen Reformation/ so in Anno 1526. geschehen/ eingeführt/ und darin biß zu Ihrer Fürstl. Gnaden abieben erhalten/ auch ob davon Casselischen Theils nach der handt abgewichen sey/ und im NiederFürstenthumb Hessen eine andere Lehr geführt worden/ oder noch werde/ weder bey Lebzeiten hochgedachtes Herrn Landgraff Philipsen/ öffentlich in Kirchen und Schulen gelehrt oder getrieben worden. Kassel 1632, hier S. 375. «5 Albrecht 1964, S. 680 (Punkt 1). 96 StA Darmstadt, E l Β 22/2 Restitution der geistlichen Güter 1629/30 (unfol.). 9 7 Ediert bei Albrecht 1964, S. 685-690. 91

92

4. Friedenssuche:



Der Kurfürstentag zu Regensburg 1630 und die,Hessischen

Punkte'

Augsburgischen Konfession zugestandenen Privilegien genießen durften, da dieses lediglich dem Kaiser zugestanden wurde.98 Die Normaljahrsvorschläge waren jedoch hier nicht einmal auf schroffe Ablehnung gestoßen. Zwar wurde in der Gegenerklärung99 auf dem Passauer Vertrag und damit dem Jahr 1552 als grundsätzlichem Orientierungsdatum bestanden. Bei einigen Punkten wurde jedoch eingeräumt, dass die Zeit bis zur Unterzeichnung des Religionsfriedens zur Fundierung konfessioneller Besitzansprüche einbezogen werden konnte. Dies gilt für die reichsunmittelbaren Klöster und Stifter.100 Für die Reichsstädte wurden Regelungen vorgeschlagen, die sich einzig und allein am Zustand zur Zeit der Publikation des Religionsfriedens ausrichten sollten.101 Das zweite von Hessen-Darmstadt eingeführte Richtdatum 1621, das vornehmlich auf die Verhältnisse in Kursachsen und Kurbrandenburg abzielte, taucht in den kurmainzischen Gegenvorschlägen102 ebenfalls auf, ist allerdings noch als ein offeneres Datum zu betrachten. Die provisorische Besitzstandsgarantie für beide Kurfürstentümer, die den , Hessischen Punkten' zufolge auf dem Jahr 1621 basieren sollte, wurde um 10 Jahre verkürzt.103 Noch bedeutender war, dass - nach dem Verstreichen von 40 Jahren - sowohl dem Reichskammergericht als auch dem Reichshofrat eine rechtliche Entscheidungsbefugnis über strittige Kirchengüter in beiden Territorien zuerkannt wurde.104 Von einer paritätischen Besetzung der Richterstellen war im kurmainzischen Konzept keine Rede mehr. Daher beinhaltete es gegenüber den ,Hessischen Punkten' eine weitaus größere Gefahr für Kursachsen und Ebd., S. 685 (Punkt 1). Die kurmainzischen Punkte sind überschrieben als „Gegenerclerung uf die proponirte mittel zur gütlichen vergleichung der religionsstrittigkeiten". Ebd., S. 685. Die Ansicht, dass die ,Kurmainzischen Punkte' einer starren Zurückweisung der ,Hessischen Punkte' gleichkamen, teile ich nicht. Vgl. Frohnwäler 1965/66, S. 14. 100 Albrecht 1964, S. 685f. (Punkt 4): Die Interpretation von Tupetz 1883, S. 474, die reichsunmittelbaren Klöster und Stifter seien in der Gegenerklärung unabhängig vom Richtdatum 1552 durchgängig für die katholische Seite beansprucht worden, beruht auf einem Mißverständnis. Mit Blick auf § 19 des ARF gestand der Punkt den Protestanten den Besitz der immediaten Klöster und Stifter ausdrücklich zu, sofern sie „zur zeit des Passauischen vertrage oder bis auf den religionfrieden" in protestantischem Besitz gewesen waren. Es wurde aber seitens Kurmainz daraus gefolgert, dass andererseits mediate Klöster und Stifter, sofern sie „zur Zeit des Passauischen Vertrags oder hernach, doch vor publicirung des religionsfridens" in geistlichem Besitz gewesen waren, den Katholiken zu restituieren seien. 98 99

Die katholische Religion sollte künftig die alleinige Religion in jenen Reichsstädten sein, in denen sie dies bereits „zur zeit des publicirten religionsfridens" war: Albrecht 1964, S. 687 (Punkt 18). Siehe ebenso die folgenden Punkte, in denen die Zeit „ufgerichten religionsfridens" als Richtzeit genannt wurde. 102 Im Gegensatz zu den ,Hessischen Punkten' beschränkt sich das Richtdatum 1621 innerhalb der kurmainzischen Vorschläge auf die Regelung der Verhältnisse in Kursachsen und Kurbrandenburg. 103 „[...] sollen Chursachsen und Brandenburg [...] bei allen und jeden inhabenden Stiftern und clöstern [...] noch 40 jähr verbleiben [...]". Albrecht 1964, S. 690 (Punkt 34). κ* Ebd. 101

4.5 Die Perspektiven nach der hessen-darmstädtischen Initiative Kurbrandenburg, den Besitz an Stiftern und Klöstern innerhalb der eigenen Territoriumsgrenzen letztlich doch noch zu verlieren. Das Restitutionsedikt sollte zwar auch nach dem kurmainzischen Konzept über die Garantie des Besitzstandes nach d e m Jahr 1621 zunächst außer Kraft treten. O b es bei späteren Entscheidungen durch die Reichsgerichte nicht doch noch in Betracht gezogen werden konnte, blieb jedoch ungeklärt. Beim Vergleich der ,Hessischen Punkte' und der ,Kurmainzischen Punkte' sind in der Forschung bislang vor allem die Unterschiede und Gegensätze hervorgehoben worden. 1 0 5 Das Bild einer „weiten Kluft" 1 0 6 dominiert die Einschätzungen. Es ist jedoch bei der Interpretation dieser Texte zu berücksichtigen, dass die Positionen jeweils mit dem Wunsch auf Verhandlungen ausgetauscht und an weitere Reichsstände weitergeleitet worden waren. Wie Kurmainz war sich auch Hessen-Darmstadt keineswegs sicher, dass das jeweilige Konzept im eigenen Lager unterstützt werden würde. Beide Seiten müssen daher von vornherein bereit gewesen sein, erhebliche Modifizierungen hinzunehmen. In diesem Z u s a m m e n h a n g entsprach es durchaus den Gepflogenheiten des friedlichen Konfliktaustrags, die Positionen der im Streit befindlichen Parteien zunächst etwas schärfer zu fassen, u m sie im Verfahren der compositio

aufeinander zuzubewegen. Von einer zwangsläufigen

Unüber-

brückbarkeit ist daher keineswegs auszugehen. Wie Wolff berichtete, hatte der kurmainzische Kanzler die übergebenen Positionen ihm gegenüber mit aufmunternden Worten kommentiert. Für den Fall, dass Wolff seinerseits eine erneute Gegenerklärung abzufassen wünsche, hatte z u d e m er darum gebeten, diese noch vor Abreise seines Kurfürsten zuzustellen: Die katholischen Fürsten seien zur gütlichen Verhandlung nicht abgeneigt und würden sich wohl baldigst mit den evangelischen Ständen einigen können. 1 0 7 Einen Tag später schlug er vor, Kursachsen die beiden Friedenskonzepte zu übermitteln und eine Zusammenkunft zur Beilegung der Religionsstreitigkeiten für den Februar nächsten Jahres in Frankfurt anzuberaumen. 1 0 8

4.5 Die Perspektiven nach der hessen-darmstädtischen Initiative

Die offizielle Resolution der z u Regensburg versammelten Kurfürsten

auf die übergebenen Schriften war allerdings zunächst sehr ernüchternd. In diesem am 12. November ratifizierten Papier wurde das Restitutionsedikt erneut als alleinige „norma und richtschnur" 1 0 9 der Religionsverhältnisse Bireley 1975, S. 141-143. Tupetz 1883, S. 477, Frisch 1993, S. 158. 107 StA Darmstadt El Β 22/2 (Restitution der geistlichen Güter 1629/30) (unfol.). Zu den Erörterungen im katholischen Lager siehe Bireley 1981, S. 125ff. 108 „[...] zur gütlichen tagfahrt vorgeschlagen, die statt Franckfurth daselbst auff lichtmeß ein zu kommen." StA Darmstadt El Β 22/2 (Restitution der geistlichen Güter 1629/30) (unfol.). 109 Kurfürstliche Resolution: StA Darmstadt El Β 22/2. 105 106

4. Friedenssuche: Der Kurfìirstentag zu Regensburg 1630 und die,Hessischen

Punkte'

bezeichnet. Hinsichtlich einer Abänderung wollten sich die katholischen Kurfürsten auf keinerlei „disputation" 110 einlassen. Damit untermauerten sie die rigide Position des Kaisers und seines Ratgebers Lamormaini.111 Ein Erfolg der Initiative Wolffs lag aber darin, dass man in Religionsverhandlungen, die im Februar zu Frankfurt stattfinden sollten, einwilligte. In Aussicht gestellt wurde immerhin, dass man dort über die von protestantischer Seite beklagten Exzesse bei Ausführung des Edikts verhandelte. Unter den katholischen Reichsständen sollte ein Ausschuss gebildet werden, um Gesandte nach Frankfurt zu delegieren.112 Als einen weiteren Erfolg dürfte es Wolff auch für sich verbucht haben, dass die katholischen Teilnehmer des Kurfürstenkonvents den Beschluss fassten, mit der Exekution des Restitutionsedikts einzuhalten. Bis zum Februar nächsten Jahres, dem abzuhaltenden Kompositionstag, sollte das Moratorium Bestand haben. Zudem wurden alle Maßnahmen für ungültig erklärt, die „in puncto executionis" und in „modo executionis" dem Religionsfrieden und dem Edikt selbst zuwider gelaufen waren.113 Der religionspolitische Vorstoß scheint sich darüber hinaus bei den hauspolitischen Angelegenheiten HessenDarmstadts ausgezahlt zu haben, da Wolff letztlich auch die langen Verhandlungen in der ,Isenburgischen Sache' als im Endeffekt erfolgreich darstellen konnte.114 Anderseits ließ nicht zuletzt diese Verquickung von Haus- und Religionspolitik den Gedanken aufkeimen, dass die Wölfische Initiative in Regensburg der gemeinsamen Sache des Protestantismus eher abträglich gewesen war. Spontane Distanzierungen wurden zunächst sowohl aus dem Kurfürstentum Sachsen wie auch aus dem Kurfürstentum Brandenburg laut. Wie die katholischen Reichsstände auch wollten sich die beiden Kurfürsten auf keine Normaljahrsdiskussion einlassen.115 Seitens des brandenburgischen Deputierten erging eine ausdrückliche Warnung an den Auftraggeber Wolffs, den hessen-darmstädtischen Landgrafen, mit dem Hinweis auf die Gefahr für die reine Glaubenslehre. Zudem war das Konzept mit dem Verdacht behaftet, langfristig auf einen Ausschluss der Reformierten aus dem Religionsfrieden hinzuwirken.116 Auf dem Weg zu einem umfassenden Frieden im Reich stellten die h e s s i schen Punkte' dennoch eine bislang weitgehend unterschätzte Markierung dar. Das Wölfische Konzept zeigte einen Ausweg aus der starren gegenseitigen Konfrontation unvereinbarer Grundpositionen auf. Durch die Idee, den Protestanten ein eigenes zentrales Richtdatum, in das sie ihre politischen

StA Darmstadt El Β 22/2. Hierzu Bireley 1981, S. 124. 112 StA Darmstadt El Β 22/2. 113 StA Darmstadt El Β 22/2. " " Albrecht 1964, S. 699f. »5 Tupetz 1883, S. 479; Gebauer 1899, S. 117f. 116 Ebd. 110 111

4.5 Die Perspektiven nach der hessen-darmstädtischen Initiative

Forderungen einbringen konnten, zu verschaffen, wurde eine neue Form des Gegengewichts ins Auge gefasst. Das Richtjahr 1555, das den Augsburger Religionsfrieden als entscheidende Basis hervorhob, beinhaltete unter dem Eindruck der katholischen Restitutionen im Reich einen neuen Ansatz zur Fundierung und Sicherung des eigenen Terrains, darüber hinaus gewisse Chancen auf einen friedlichen Wiedergewinn einiger der bereits verloren gegangenen Kirchengüter. 1555 erschien aber nicht als ein absoluter Richtwert, da ein weiteres Datum zur Sicherung spezieller rechtlicher Ansprüche einbezogen wurde: Mit dem Jahr 1621 wurde die ein Jahr zuvor abgegebene Mühlhausener Assekuration als Rechtsfundament, das immerhin auf einer Übereinkunft einiger bedeutender katholischer wie protestantischer Ständen basierte, einbezogen. Auch die Bezugnahme auf die Mühlhausener Assekuration sollte Vertrauen rekonstruieren, auf dessen Basis später einmal endgültige gerichtliche Klärungen erfolgen sollten. Insgesamt waren die hessischen Vorschläge dem Grundsatz untergeordnet, eine Suche nach tragfähigen rechtlichen und politischen Fundamenten einer friedlichen Ordnung zu ermöglichen, die der katholischen gleichermaßen wie der protestantischen Religion das Existenzrecht gewährte. Dass die ,Hessischen Punkte' dabei zweifellos sehr weit den bislang formulierten katholischen Restitutionsforderungen entgegenkamen, entsprach einem militärischen Übergewicht von Kaiser und Liga, dessen Ende 1630 noch nicht absehbar war. Die Ablehnung der hessen-darmstädtischen wie auch der kurmairizischen Vorschläge seitens der maßgeblichen Kräfte in beiden konfessionellen Lagern lässt zwar noch den starken Willen erkennen, die alten Grundpositionen zu bewahren. Die Initiatoren setzten dennoch eine - wie sich noch herausstellen sollte - nicht unberechtigte Hoffnung darauf, dass zu Dresden die Vorschläge noch genauer begutachtet werden würden.117 Bei den katholischen Kurfürsten waren die Friedenskonzepte immerhin als Gesprächssignale verstanden worden und hatten als solche offensichtlich mit dazu beigetragen, dass mit dem Kompositionstag ein Termin zu Verhandlungen auf höchster Ebene anberaumt wurde. Die Bereitschaft der katholischen Kurfürsten, wieder zu einem Dialog in der Religionsfrage mit den gemäßigten Protestanten zu kommen, war freilich auch wesentlich durch den schwedischen Einfall und die kursächsische Initiative, zu Leipzig eine eigene Versammlung der protestantischen Reichstände einzuberufen, um gegen das Restitutionsedikt vorzugehen, bedingt.118 Trotz der Blockade gegen eine Diskussion über kirchliche Normaljahre markiert der Regensburger Kurfürstenkonvent einen Neuansatz für Verhandlun117 Dass von sächsischer Seite bereits eigene Überlegungen angestellt worden waren, um ein neues Terminierungkonzept zur Beendigung des Krieges auszuarbeiten, war allerdings zu Regensburg kaum bewusst geworden, »e Bireley 1975, S. 134.

4. Friedenssuche: Der Kurfürstentag zu Regensburg 1630 und die,Hessischen

Punkte'

gen unter den Konfessionsparteien. Neben den Restitutionsansprüchen auf katholischer Seite stand nun ein alternatives Terminierungskonzept. Darüber hinaus war mit der Forderung Kursachsens, den Zustand vor den b ö h m i schen Unruhen' wiederherzustellen, ein weiteres Terminierungskonzept eingebracht worden, das allerdings, wohl auch wegen der demonstrativen Zurückhaltung des Kurfürsten, zunächst überhaupt keine Resonanz fand. Dass man sich auf protestantischer Seite dazu durchgerungen hatte, neue Positionen in Erwägung zu ziehen, ist offenbar in erster Linie auf die Schockwirkung der begonnenen Restituierungen im Reich zurückzuführen. Eine Suche nach neuen Lösungskonzepten erschien den auf Ausgleich bedachten Ständen angesichts der militärischen und politischen Schwächung des Protestantismus im Reich offensichtlich dringend geboten. Dies zeigen auch die eher spöttisch gehaltenen Bemerkungen eines weiteren protestantischen Teilnehmers des Regensburger Konvents, die 1630 im Theatrum Europaeum veröffentlicht wurden. 1 1 9 Der Kanzler des Markgraftums Brandenburg-KulmbachBayreuth, Caspar Urban von Feilitzsch, 120 hatte sich über katholische Restitutionen, die im Gebiet der Grafen von Hohenlohe vorgenommen worden waren, beschwert. Um das juristische Argumentieren mit Terminen auf Seiten der Katholiken ad absurdum zu führen, hatte er lakonisch verlauten lassen, da die Protestanten bereits 80 Jahre und länger im Besitz der strittigen Kirchengüter gewesen seien, könne man diese nun für weitere 80 Jahre den Katholiken übertragen, um sie wiederum anschließend den Protestanten zu geben. Dass Regeln, die Alternationen beinhalteten, später tatsächlich einmal zu wichtigen Bestandteilen des Friedens im Reich werden würden, war zu diesem Zeitpunkt noch nicht absehbar. Die Anekdote kann aber wohl als eines von mehreren Indizien dafür gewertet werden, dass die Dinge zu Regensburg gedanklich in Fluss geraten waren.

Theatrum Europaeum (Bd. 2): Das ist: Historische Chronick Oder Warhaffter Beschreibung aller fümehmen und denckwürdigen Geschichten, so sich hin und wider in der Welt, meisten theils aber in Europa von Anno Christi 1629. biß auff das Jahr 1633. zugetragen: Insonderheit was auff das im Reich publicierte Keyserliche die Restitution der Geistlichen von den Protestierenden eingezogenen Gueter betreffende Edict, so wol in Kriegs- als Politischen und andern Sachen zwischen den Catholischen eines: So dann den Evangelischen mit Assistenz deß Koenigs in Schweden andern Theils erfolget: Der Ander [2.] Theil. Frankfurt/M. 1646, S. 213. 120 Feilitzsch gehörte im September 1630 zu den Personen, die sich in Regensburg besonders für einen Friedensplan engagierten. Siehe Frohnweiler 1965/66, S. 12. 119

5.1 Ein neues oder ein altes Medium'

zum Frieden?

5. Ein ,Medium' oder ein ,Extremum'? Der protestantische Normaljahrsvorschlag auf dem Frankfurter Kompositionstag 1631 5.1 Ein neues oder ein altes ,Medium' zum Frieden? Für den Frankfurter Kompositionstag gab Georg Wilhelm, Kurfürst von Brandenburg, am 25. August 1631 seinen Gesandten eine Instruktion mit auf den Weg, in der drei mögliche Fundamente für Friedensverhandlungen mit den Katholiken aufgezeigt wurden: 1 Zum einen stellte er die Möglichkeit in Betracht, dass Gespräche auf die Erarbeitung vorläufiger Lösungen hinausliefen: So könne man etwa für eine begrenzte Zeit jene Verhältnisse wieder in Kraft treten lassen, wie sie zum Zeitpunkt vor den letzten größeren Kriegshandlungen bestanden hatten. 2 Eine weitere Möglichkeit sah der Kurfürst darin, einen Vergleich zu erzielen, indem alles so wiederhergestellt werden würde, wie es etwa im Jahre 1620 gewesen war, um es schließlich in Ewigkeit dabei zu belassen. In diesem Falle verfahre man nach dem Grundsatz „Uti possidetis, ita possideatis." 3 Die dritte Möglichkeit bestand für ihn in der partikularen Erörterung der einzelnen Streitpunkte, um Schritt für Schritt eine Vielzahl von Vergleichen zu erarbeiten. Diesen Weg favorisierte Georg Wilhelm nach eigenem Bekunden, allerdings nicht ohne zugleich darauf hinzuweisen, dass ihm die Instruktion Johann Georgs von Sachsen vorlag, die dieser seinen Deputierten mitgegeben hatte. Letzterer hatte sich demnach für die beiden anderen Optionen ausgesprochen. Insbesondere hatte er sich für den zweiten Weg stark gemacht.4 Kursachsens Befürwortung einer pauschalen Normaljahrsregelung, mit der die Absicht verfolgt wurde, mit einem Schlage zu einer Beseitigung der Religionsstreitigkeiten zu kommen, hatte sich bereits einige Monate zuvor angedeutet. Dass der Frankfurter Kompositionstag, der zu Regensburg ursprünglich für den Februar 1631 angesetzt worden war, erst mit erheblicher 1

Bei den brandenburgischen Deputierten handelte es sich um die Hof- und Kammergerichtsräte Balthasar von Brunne, Dr. Adam Nössler, Gerhard Rumilian von Leuchtmar und Dr. Matthias Polenius. Siehe: GehStA Berlin, I. Rep. 12 (Kaiserwahlen, Kollegialtage, Friedens- und Allianztraktate), 81b, 1 (Frankfurter Kompositionstag 1631), fol. 4ff. 2 GehStA Berlin, I. Rep. 12 (Kaiserwahlen, Kollegialtage, Friedens- und Allianztraktate), 81b, 1 (Frankfurter Kompositionstag 1631), fol. 20: „Entweder die erörterung der sachen auf andere zeiten zue rejiciren und es interim in dehn standt wiederumb zu setzen, worin es vor den letzten vorgegangenen unruhen gewesen". 3 „[...] oder aber die Streitigkeiten vor itzo zue vergleichen, und solches entweder uberhaupt: das es blooß auf den weg wieder gestellet werde, wie es etwa anno 1620 gewesen, und hinfuro ewiglich dabey bleibe und heiße: uti possidetis, ita possideatis". GehStA Berlin, I. Rep. 12 (Kaiserwahlen, Kollegialtage, Friedens- und Allianztraktate), 81b, 1 (Frankfurter Kompositionstag 1631), fol. 20. Auch hier war man sich also der Möglichkeiten des ,Ufi-Possidefis-Grundsatzes' bewusst, sah diesen jedoch gerade nicht als Grundlage provisorischer Entscheidungen an. 4 GehStA Berlin, I. Rep. 12 (Kaiserwahlen, Kollegialtage, Friedens- und Allianztraktate), 81b, 1 (Frankfurter Kompositionstag 1631), fol. 20f.

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5. Ein Medium ' oder ein , Extremum ' ? Der protestantische Normaljahrsvorschlag 1631

Verzögerung zustande kam, hatte seinen Grund darin, dass die evangelischen Reichsstände sich zunächst in Leipzig zu internen Gesprächen versammelt hatten. Vom Februar bis in den April 1631 hatte der vom sächsischen Kurfürsten einberufene Leipziger Konvent getagt, auf dem hauptsächlich über eine Defensionsverfassung bzw. eine gemeinsame Armee der evangelischen Stände beratschlagt worden war.5 Zur Sprache gekommen waren aber auch Wege und Mittel, um zu einem umfassenden Frieden im Reich zu gelangen. Über eine Ablehnung der hessischen und der kurmainzischen Punkte hatte zu Leipzig weitgehender Konsens geherrscht. Landgraf Georg, der die Vorschläge seines Kanzlers Wolff mit Nachdruck hätte vertreten können, hatte sich zwar noch am 12. und 13. Februar zu Besuch beim sächsischen Kurfürsten befunden. Seinen Aufenthalt in Sachsen hatte er jedoch abrupt beendet, nachdem seine Bemühungen, den Leipziger Konvent von militärischen Beratungen freizuhalten, gescheitert waren.6 Trotz der vehementen Vorbehalte gegen die hessische Friedensinitiative, die unter den evangelischen Reichsständen, insbesondere dem reformierten Kurfürsten von Brandenburg bestanden, lässt sich jedoch erkennen, dass man unter Zugzwang geraten war, Alternativen zu bedenken. Nachvollziehbar ist auch, dass die dort geführten Debatten über die rechten Mittel zum Frieden häufiger bei Reflexionen über die Entstehung und Ausbreitung des Krieges angesetzt hatten. Am 4. März 1631 war in einem kurbrandenburgischen Votum vermerkt worden, dass man sich 1620, nach der Schlacht am Weißen Berg, noch leicht mit den Katholiken zu einem Frieden hätte verständigen können. 7 Erst danach sei das Feuer, das es zu löschen gälte, entfacht worden, indem die evangelischen Stände mit Gewalt in den Krieg hineingezogen worden seien.8 Auch in einem ausführlichen Gutachten über mögliche Wege zum Ausgleich und Frieden, das in einem Deputationsrat des Konvents zur Vorbereitung des Kompositionstages verfasst worden war,9 war des Kriegsbeginns gedacht worden. Zumindest als eine vage Chance zur Beendigung der Religionsstreitigkeiten war erwogen worden, „alles" vorläufig in den Vorkriegszustand zu versetzen,10 um in anschließenden Verhandlungen endgültige Entscheidungen zu treffen. Vor allem angesichts Hierzu SächHStA Dresden, Geh. Archiv 8096/3. Tupetz 1883, S. 489. 7 „Daß man aber auch, als in anno 1620 die Schlacht vor Praag geschehen, gaar leichtlich hinwiderumb zu einem friede im Reich hette gelangen können, daran sey woll kein zweiffell." SächHStA Dresden, Geh. Archiv 8097/1, fol. 146. » SächHStA Dresden, Geh. Archiv 8097/1, fol. 147. 9 Der Deputationsrat, ein Ausschuß, der auf Beschluß des Plenums zu Leipzig zusammengesetzt worden war, hatte unter Vorsitz des brandenburgischen Gesandten Knesebeck getagt. Die Formulierungen dieses Gutachtens vom 14. März 1631 sollen wesentlich von diesem geprägt gewesen sein. Siehe Gebauer 1899, S. 161f. 10 Bedacht wurde „die Suspension dieser Streitigkeiten auf gewiße jhaar mitler welcher zeit alles bey den stände, worin es vor anfang dieser letzter in Böhmen und Teutschland geführter kriege gewesen, verbleiben solte." SächHStA Dresden, Geh. Archiv 8095/4, fol. 528. 5 6

5.1 Ein neues oder ein altes Medium' zum Frieden?

handlangen endgültige Entscheidungen zu treffen. Vor allem angesichts einer zu erwartenden Ablehnung eines solchen Vorschlags durch die katholische Seite, hatte man sich jedoch auf komplizierte Überlegungen eingelassen, wie man sich gegebenenfalls über die Kirchengüter mittels einer Unterscheidung von Immediatstiftern, Mediatstiftern und exemten Stiftern verständigen konnte.11 Dass der Kurfürst von Sachsen und seine Räte bereits auf dem Leipziger Konvent eifrig darauf hingearbeitet hatten, das Programm einer Restituierung des protestantischen Besitzes auf der Basis des Vorkriegszustandes durchzusetzen, 12 lässt sich angesichts solcher Debatten nachvollziehen. Immerhin war eine solche Forderung bereits grundsätzlich auf dem Regensburger Kurfürstentag in seinem Namen laut geworden. 13 Eine konkrete Nennung des Jahres 1620 als Restitutionsdatum taucht jedoch im Abschied des Leipziger Konvents noch nicht auf. 14 Vielmehr wurde dort die Einstellung der auf das kaiserliche Restitutionsedikt zurückgehenden Maßnahmen (executiones) und, etwas ungenau, eine Zurückführung der Verhältnisse „ad pristinum statum" 15 als Bedingung für eine Beilegung der Streitigkeiten erwähnt. Ein ausgereifteres und auf ein konkret benanntes Stichjahr zugeschnittenes Konzept lässt sich erst in der Instruktion Johann Georgs I. erkennen, die er seinen Gesandten am 7. August 1631 für den Frankfurter Komposititonstag ausstellte. In diesem Schriftstück kennzeichnete der Kurfürst eine ausnahmslose Rückgabe von allem, was die Protestanten 1620 innegehabt hatten, als den „allerbesten undt sichersten weg" zum Frieden. 16 Es lohnt sich von daher eine genauere Betrachtung dieses Textes, als sich neben dem Normaljahrsvorschlag weitere Anweisungen finden, die ein Licht

SächHStA Dresden, Geh. Archiv 8095/4, fol. 530. Allerdings habe ich keine direkten Belege finden können. Vgl. hierzu Tupetz 1883, S. 510, Anm. 2, der davon ausgeht, dass zu Leipzig bereits 1620 als Normaljahr vorgeschlagen worden war. 13 Siehe Kap. 4.3. 14 Abschied/ Deß zu Leipzig/ von den Evangelischen Protestirenten Chur-Fürsten/ Ständten und Herrn Abgesandten/ gehaltenen/ und den 2. Aprilis dieses 1631. Jahrs/ geschlossenen Convent-Tags, [s.l.] 1631, unpag. 15 Abschied deß zu Leipzig 1631: Es wurde argumentiert, dass die angestrebte Komposition am besten vorbeireitet werde, indem „die Höchstbeschwerlichen Executiones gäntzlich eingestellet und alles und jedes inn pristinum Statum gesetzet" werden würden. 16 „So hielte mann dahero nochmals vor den allerbesten undt sichersten weg, daß solches anitzo noch practiciret undt an die handt genommen, undt den evangelischen und protestirenden ständen alle dasienige, nichts ausgeschlossen, wie es auch genennet werden möchte, geruhig undt ohn einige ansprach, unter was praetext, schein undt vorwenden auch solche köndte oder geschehen, möchte gelassen [werden], was sie anno 1620 inngehabt, beseßen, genoßen undt gebraucht [haben]." SächHStA Dresden, Geh. Archiv 8098/1, fol. 80. 11

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5. Ein,Medium'

oder ein ,Extremum'?

Der protestantische

Normaljahrsvorschlag

1631

auf die kurfürstlichen politischen Grundsätze zu diesem Zeitpunkt werfen.17 So wurden die Gesandten instruiert, unmittelbar nach ihrer Ankunft Verbindung zu Kurmainz aufzunehmen, um sich direkt anschließend um Kontakt mit Kurtrier, Kurköln und Kurbayern zu bemühen. Gegenüber Kurmainz und Bayern sollten sich die Deputierten auf die langjährige Freundschaft und das gegenseitige Vertrauen berufen und sowohl den daraus erwachsenen Nutzen für das Reich wie auch den damit verbundenen Ruhm herausstellen. Daran anknüpfend sollten die Deputierten der Notwendigkeit zur Verständigung Ausdruck verleihen, wobei sie auf die verderblichen Folgen der gegenwärtigen Zerrüttung für beide Seiten hinweisen sollten: Insbesondere bei der Posterität' würden ewige Vorwürfe angesichts einer mangelnden Fähigkeit zur Verständigung hervorgerufen werden.18 Mag ein solcher Text nicht unbedingt in jedem Punkt die inneren Uberzeugungen des sächsischen Kurfürsten offenbaren, so macht er doch die wesentlichen Verständigungsgrundlagen, die dieser und seine Räte in die angestrebten Verhandlungen einbringen wollten, deutlich. Die Präferenz, die bedeutenden katholischen Fürsten zuteil wurde, sollte den Wunsch zur Anknüpfung an die Ausgleichspolitik vergangener Jahre demonstrieren.19 Als Gesprächsbasis wurden gemeinsame Wertvorstellungen betrachtet, die für hohe Reichsfürsten elementar waren. Die allgemeine Wohlfahrt des Reiches sollte ebenso betont werden wie Ruhm und Ehre der hohen Häuser in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Dass auch die Sicht der Nachwelt zu berücksichtigen war, ergab sich offensichtlich aus dem Selbstverständnis eines Kurfürsten als Person, dessen Entscheidungen historisches Gewicht zukam. Der Blick auf die Posterität' sollte angesichts der Bedeutung, die man sich von den Friedensverhandlungen für die Zukunft erwartete, von verschiedenen Akteuren noch häufiger beschworen werden. Wiederum erscheint der Begriff dabei zuweilen in einer engeren Bedeutung, indem er die Nachfolger der Reichsfürsten bezeichnet, an anderer Stelle in einer umfassenderen Bedeutung, die sämtliche Menschen der Nachwelt einschließt, für deren Glaubensangelegenheiten die Weichen gestellt werden sollten.20

17 SächHStA Dresden, Geh. Archiv 8098/1, fol. 69ff.: Instruktion Kursachsens für die Gesandten Friedrich von Metzsch-Reichenbach; Dr. jur. Gabriel Tüntzel, Dr. Caspar v. Ponickau zu Groitzsch und Dr. Johann Georg Opel. 18 Diese Unfähigkeit würde „auch bey der werthen posteritet zu ewigem verweiß und auffruck gereichen". Siehe SächHStA Dresden, Geh. Archiv 8098/1, fol. 73. 19 Die kurbrandenburgischen Gesandten wurden dagegen instruiert, zuerst Kontakt zu den kursächsischen Gesandten aufzunehmen. Siehe GehStABerlin, I. Rep. 12 (Kaiserwahlen, Kollegialtage, Friedens- und Allianztraktate), 81b, 1 (Frankfurter Kompositionstag 1631), fol. 11. 20 So in einem theologischen Gutachten, das Johann Georg am 10. Februar 1631 anlässlich des Leipziger Konvents ausgestellt worden war. Dabei ging es um die Folgen des hessischen Vorschlags, 1555 zum Normaljahr zu machen, der den Verfassern zufolge „vil 100000 kinder itzt und bey der posteritet" betraf. SächHStA Dresden, Geh. Archiv 8095/1, fol. 270.

5.1 Ein neues oder ein altes Medium' zum Frieden?

Während Johann Georg das Reich und die gemeinsame Fürstenehre als zentrale Punkte gemeinsamer Gespräche mit den katholischen Reichsfürsten betrachtete, leitete er seine Gesandten an, sich mit dem Landgrafen von Hessen vertraulich auf der Basis der gemeinsamen kirchlichen Ziele zu verständigen. Die gemeinsame Sache beträfe Gottes Ehre und Lehre, darüber hinaus gehe es um Trost und „erquickung" der Kirche,21 um das ewige Heil vieler tausend Seelen in Gegenwart und Zukunft, schließlich auch um die Wohlfahrt von Land und Leuten sowie Ruhe und Frieden. Hinsichtlich der vorangegangenen Friedensbemühungen des Landgrafen sollten lobende Worte ausgesprochen werden. Insbesondere sollten die guten Vorbereitungen für einen möglichen Vergleich betont werden.22 Dabei sollten auch die hessischen Vermittlungsversuche zu Regensburg angesprochen werden.23 Dass Johann Georg die ,Hessischen Punkte' mittlerweile durchaus emst nahm, zeigt sich darin, dass er eine Verhandlung mit den Katholiken darüber nicht vollends ausschloss. Sie bildeten eine dritte Option im Falle des völligen Scheiterns der anderen beiden Konzepte, wobei sich der Kurfürst noch Änderungen, insbesondere hinsichtlich der reichsunmittelbaren Stifter und Klöster vorbehielt.24 Er wies seine Gesandten auf einschlägige Gespräche mit seinen geistlichen und weltlichen Ratgebern hin, die dann das Maß des Aushandelbaren vorgeben sollten.25 Immerhin setzte er sich dabei über die strikte und schroffe Ablehnung von Theologen hinweg, deren Meinung hierzu er anlässlich des Leipziger Konvents eingeholt hatte. Ein kirchliches Normaljahr 1555 war hier als Verderben für tausende von Menschen bezeichnet worden, so dass demzufolge kein gewissenhafter Christ die Verantwortung für eine solche Regelung übernehmen könne.26 Eine Befürwortung sei gegen den Grundsatz, dass Regenten dazu verpflichtet seien, die „Tore dem Herrn weit zu öffnen". 27 Die Anzahl der Rechtgläubigen sowohl auf Erden als auch im Himmel würde sich um Millionen verringern und in tausenden von Kirchen

„ [...] der betrübten kirchen trost und erquickung, vieler tausendt und aber tausendt natorum et nascentium ewiges heil und Seligkeit, sowol land und leute wolfarth wie auch fried und ruhe". SächHStA Dresden, Geh. Archiv 8098/1, fol. 73f. 22 SächHStA Dresden, Geh. Archiv 8098/1, fol. 73. 23 SächHStA Dresden, Geh. Archiv 8098/1, fol. 74. 24 Siehe auch Tupetz 1883, S. 511. 25 „[...] iedoch auf maß, wie wir dieselbe nach vorhergehender christlicher reiffer wohlerwogener deliberation unserer geistlichen und weltlichen räthe undt dann unserm selbst eigenen sorfeltig undt wohl bedachtem willen undt befelch nach gefasset". SächHStA Dresden, Geh. Archiv 8098/1, fol. 83. 26 „[...] dann da hafften vieler tausent menschen einiges verderben drauff, deßen sich kein gewißenhaffter Evangelischer Christ theillhafftig machen undt mit einer solchen schweren verandtwortung sein gewißen beladen kan". SächHStA Dresden, Geh. Archiv 8095/2, fol. 257. 27 SächHStA Dresden, Geh. Archiv 8095/2, fol. 270. 21

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5. Ein,Medium'

oder ein ,Extremum'?

Der protestantische Normaljahrsvorschlag 1631

würden die päpstlichen und menschlichen Irrtümer wieder in Umlauf kommen.28 Dennoch: Obwohl in diesem Gutachten angeklungen war, dass jede einzelne dem Protestantismus verloren gehende Seele gegen den Willen Gottes verstieß,29 ließ es sich doch auch so interpretieren, dass vor allem die Menge an Verlusten ein abzuwägendes Problem darstellte. Die Überlegung, auf diese Weise möglichst viele Seelen retten zu können, muss daher wesentlich dazu beigetragen haben, dass Johann Georg sich auf jenen anderen Stichtermin festlegte, der für ihn mit dem Kriegsbeginn festzumachen war. Zu Leipzig war bereits im Endvotum des Deputationsrates festgehalten worden, dass ein solches Mittel, gemessen an der Zahl der Kirchengüter, den evangelischen Ständen kaum Nachteile bringen würde. 30 Der sächsische Kurfürst konnte sich damit nun gerade gegenüber dem hessischen Landgrafen als geschickterer Vertreter protestantischer Interessen profilieren. Es mag mit dieser Konkurrenz der beiden engagierten Friedenspolitiker zusammenhängen, dass die hessischen Räte sich den sächsischen Normaljahrs Vorschlag später „mit etwas alterirtem gemüth" 31 anhören sollten. Andererseits entsprang das hessische Unbehagen auch der Einschätzung, dass der Kompositionstag dadurch schlichtweg gesprengt zu werden drohte. Sie hatten einem Brief Johann Georgs an seine Gesandten zufolge vorausgesagt, dass die Katholiken über diesen weit reichenden Vorschlag lachen würden.32 In der Tat wirkt das Angebot Johann Georgs recht kühn. Andererseits war diese Kühnheit offensichtlich eine Reaktion darauf, dass er sich als langjähriger Verbündeter des Kaisers durch das Restitutionsedikt überrumpelt fühlte

Das Gutachten verwies darauf „[...] daß die eventualrestitutio und abtretung der geistlichen güther zu uberaus großen abbruch gereichen würde dem Reich der Gnaden undt dem Reich der Ehren, dann beedes die anzahl der rechtgleubigen hie auff erden undt der außerwehlten dort im Himmel auff viel millionen weniger und geringer sein, anstatt deß reinen seeligmachenden göttlichen worts würden in vil 100 ia vil 1000 kirchen die Bäpstischen greuel und menschensatzungen wiederum in den schwang kommen [...]". SächHStA Dresden, Geh. Archiv 8095/2, fol. 270. 29 SächHStA Dresden, Geh. Archiv 8095/2, fol. 270. 30 Es ist die Einschätzung protokolliert, dass „[...] sintemall außer der beeden Fürstlichen heuser Osterreich unndt Beyern unter den weltlichen ständen woll wennig mheer zu finden sein möchte, die die irige clöster nicht albereits reformiret urrnd eingezogen." SächHStA Dresden, Geh. Archiv 8095/4, fol. 530. 31 Brief Johann Georgs an seine Gesandten vom 29. September 1631: SächHStA Dresden, Geh. Archiv 8098/1, fol. 810. 32 SächHStA Dresden, Geh. Archiv 8098/1, fol. 810.: „Sonsten stellen wir dahin, daß Herrn Landgraff Georgens zu Heßen L[iebden] Rathen das erste von uns christlich, reifflich und wohl erwogene metium compositionis, welches ir ihnen vertrewlich entdeckt, nicht gefallen wollen, sondern mit etwas alterirtem gemüth angehört, auch darbey vermeldet, sie köndten wol mit gutem gewissen das juramentum credulitatis leisten, daß die Catholischen über diesem vorschlagk lachen, und wann ir keine andere und beßere mittel hettet, der tag sich gewiß zerschlagen würde." Es war also entgegen der Darstellung von Tupetz nicht der Landgraf selbst, der diese Äußerung von sich gab. Vgl. Tupetz 1883, S. 510. 28

5.1 Ein neues oder ein altes Medium' zum Frieden?

und seinerseits einen Vertrauensverlust als Vertreter protestantischer Interessen bei den übrigen evangelischen Reichsständen hatte hinnehmen müssen. Die schwindenden Einflussmöglichkeiten Kursachsens hatten wiederum negative Folgen für Kaiser und Katholiken mit sich gebracht, die deutlich zu Tage getreten waren: Kurbrandenburg und weitere Stände hatten bereits im Juni 1631 Bündnisse mit Schweden geschlossen.33 Die Hoffnung, auf katholischer Seite könnten sich Fürsprecher für Kompromisse finden, um Kursachsen im protestantischen Lager wieder zu stärken, war damit durchaus nicht abwegig. Gerade vor diesem Hintergrund spielte das vorgeschlagene Jahr 1620 umso deutlicher auf die Verhandlungen zu Mühlhausen an, welche zur Assekuration geführt hatten.34 Den Zeitpunkt dieser Verhandlungen konnte der Kurfürst von daher als günstigen Ansatz für einen Neuanfang betrachten, als er geeignet erschien, die Katholiken an diese Assekuration und weitere Versprechen, die Kursachsen gegeben worden waren, zu gemahnen. Ein Normaljahr 1620 gab zudem Kaiser Ferdinand II. gleichsam die Chance, seinen in den Augen des Kurfürsten danach vollzogenen Vertrauensbruch aus der Welt zu schaffen. Schließlich konnte das Stichjahr den Protestanten vermitteln, dass man auf den damaligen Ausgleichsbemühungen Johann Georgs durchaus aufbauen konnte. Waren ihm 1620 die meisten protestantischen Stände nicht in seiner Politik gefolgt, so wurde ihnen nun die Gelegenheit gegeben, ihre Position angesichts ihrer bedrängten Lage zu überdenken und ihm im nachhinein Recht zu geben.35 Obwohl Johann Georg versuchte aufzuzeigen, dass sein favorisiertes ,Medium' schon mehrfach vor dem Krieg auf Reichsebene zur Sprache gekommen war,36 stellte 1620 für ihn somit ein in verschiedener

Gebauer 1899, S. 177. Die direkte Verbindung wird in einem brandenburg-kulmbachischen Gutachten vom 17. Sept. 1631 nachvollzogen: Man begrüßte prinzipiell das .Medium' und erinnere sich daran, „daß zu Mühlhausen dergleichen schon vorgeschlagen worden ist, und ζ wart zue solcher zeit, do die beede herrn Churfürsten sachßen undt Brandenburgk in mehrern respect und consideration bey den catholischen auch die leufften weit nicht so gefehrlich alß an itzo gewesen." SächHStA Dresden, Geh. Archiv, Friedensschlüsse 8098/2, fol. 505. 35 In seiner Instruktion spielte Johann Georg auf die Weigerung der Protestanten an, sich ihm zu Mühlhausen anzuschließen: „es weisen auch die protocolla, wie fleißig und sorgfeltig man eben der mißvorstände halben, so sich in puncto der Geistlichen Giitter enthalten, auff dem domaligen angestalten tag zu Mühlhaußenn tractirt, allein sie haben zu diesem itzigen medio gar nicht verstehen wollen, sondern vielmehr, allermaßen die Protestirende eurem unterthenogsten bericht nach selbsten bekennen, sich deßen iederzeit höchlichen verweigert". SächHStA Dresden, Geh. Archiv 8098/1, fol. 813. 36 Brief Johann Georgs an seine Gesandten vom 29. September 1631: „Wer in den reichshändeln bekandt, wirdt sich leicht erinnern, wie offt es [= das Mittel] wohl ehe in vorschlagk gewesen, aber niemahls, ob es gleich damahlig auf der protestirenden Seiten viel beßer als leider itzo gestanden, und sie sich noch bey guten krefften befunden, ia auch nicht über die Erz- und Stiffter protectoría, wir geschweigen, daß sie sich derohal33

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5. Ein Medium' oder ein ,Extremum'? Der protestantische Normaljahrsvorschlag 1631 Hinsicht bedeutsames Richtjahr zur Beseitigung des Religionsstreites dar. Andererseits sollte das Jahr seinem Wunsch zufolge nicht das einzige Kriterium für Restitutionen darstellen. Nach seinen Vorstellungen sollten protestantische Fürsten, die nach 1620 auf friedliche Art und Weise, etwa im Rahmen rechtlich unanfechtbarer Postulationen, Besitzrechte erworben hatten, diese auch künftig beanspruchen können. 37 Ein weiteres gewichtiges Element in Johann Georgs Normaljahrskonzept war die Koppelung von konfessionellen Besitzstandsansprüchen und Exerzitiumsrechten. Überall dort, wo für 1620 die freie Ausübung der Augsburgischen Konfession nachweisbar war, sollte diese auch künftig, und zwar „in ewigkeit", 38 gewährleistet sein. Dort, wo seitdem von katholischer Seite Änderungen durchgesetzt worden waren, sollten die kirchlichen Verhältnisse „völlig und plenarie" 39 in den vorigen Stand gesetzt werden. Als besonders dringlichen Wunsch schärfte der sächsische Kurfürst seinen Gesandten evangelische Restitutionen in Augsburg ein. Der dortigen Bürgerschaft sei ihr hergebrachtes freies Exerzitium der umgeänderten Augsburgischen Konfession zu gewähren, ihr Besitz an Kirchengütern wieder herzustellen. 40 Im Gegensatz zu den , Hessischen Punkten' verfolgte der sächsische Kurfürst mit all dem ein Restitutionsprogramm, das das kaiserliche Restitutionsedikt vollends aus den Angeln heben sollte. Wie Johann Georg und seine Räte später formulierten, sollten die Gesandten dieses ,Medium' als Gegenkonzept zum Restitutionsedikt einbringen. 41 Mit der entschlossenen Präsentation seines konträren Modells sollte insbesondere verhindert werden, dass die katholischen Restitutionen, die zunächst nach dem Regensburger Kurfürstentag ausgesetzt worden waren und nach der Verschiebung des Kompositionstages fortgeführt zu werden drohten, 42 als Präjudiz, eine rechtlich bindende Vorentscheidung, angesehen werden konnten. 43 Eine Durchsetzung des Normaljahrs Vorschlags bei Verhandlungen sah der sächsische Kurfürst durchaus als reelle Möglichkeit. Johann Georg wies seine Deputierten an, zunächst nicht die geringsten Änderungen in Betracht zu ziehen und fest darauf zu beharren. Erst wenn sich absolute Unbeweglichkeit bei den Katholiken zeigen würde, sollte ein zweiter Vorschlag unterbreitet werden, der 1620 als provisorisches Normaljahr beinhaltete: Zunächst sollte eine ben aller aussprach in ewigkeit gentzlichen begeben solten, zu wege gebracht werden können." SächHStA Dresden, Geh. Archiv 8098/1, fol. 814. 37 „[...] und folgende zeiten durch postulationen oder sonsten erlangt [...]". SächHStA Dresden, Geh. Archiv 8098/1, fol. 80. 38 SächHStA Dresden, Geh. Archiv 8098/1, fol. 83. 39 SächHStA Dresden, Geh. Archiv 8098/1, fol. 83. « SächHStA Dresden, Geh. Archiv 8098/1, fol. 83. 41 Brief vom 29. September 1631: SächHStA Dresden, Geh. Archiv 8098/1, fol. 811. 42 Die Katholiken wandten gegenüber Protesten ein, dass das zu Regensburg beschlossene Moratorium nur bis zum Februar 1631, dem ursprünglich anberaumten Termin, gültig gewesen sei. SächHStA Dresden, Geh. Archiv 8098/1, fol. 286. 43 SächHStA Dresden, Geh. Archiv 8098/1, fol. 811.

5.1 Ein neues oder ein altes,Medium'

zum Frieden?

Restitution nach 1620 erfolgen, um das Reich 50 Jahre lang in diesem Status verbleiben zu lassen.44 Anschließend sollte die Möglichkeit des Prozessierens um strittige Besitztümer vor dem Reichskammergericht eingeräumt werden. Offensichtlich hatte sich Johann Georg bei seiner Forderung, in diesen Fällen eine numerisch-paritätische Assessorenschaft und ein anschließendes Revisionsrecht vorauszusetzen, mit dem endgültige Entscheidungen unabsehbar weit hinausgeschoben werden konnten, von den ,Hessischen Punkten' inspirieren lassen.45 Diese Alternative war allerdings, wie auch die dritte Variante, eventuell doch auf die ,Hessischen Punkte' zurückzugreifen, als nachrangig eingestuft. Der sächsische Kurfürst stattete seine Gesandten mit Argumenten aus, mit denen auf die Katholiken eingewirkt werden sollte, um das eigentliche ,Medium' durchzusetzen:46 Zum ersten: Die protestantische Seite könne ausreichende rechtliche Beweise gegen den Geistlichen Vorbehalt anführen. Zweitens: In den strittigen Klöstern sei die Reformation vielfach von innen heraus erfolgt und seinerzeit hätten die friedliebenden „vorfahren" sich ungern in solche strittigen Angelegenheiten eingemischt. Drittens: Auf unzählbare Einzelfälle ließen sich gewohnheitsrechtliche Besitzansprüche seitens der Protestanten gründen.47 Viertens: Die lange Zeit, in der die Kirchengüter im Besitz der Protestanten gewesen waren, gäbe ihnen Recht. Zum fünften und letzten: Zwietracht sei in der „res publica" für alle Seiten schädlich und oftmals habe sich erwiesen, dass eine Partei den Schaden zu spät erkenne. Nach der Lehre des Augustinus sei daher auf gütliche Mittel des Vergleichs zurückzugreifen.48 Bevor das ,Medium' eines Normaljahres 1620 in den Vergleichsverhandlungen vertreten werden konnte, hatte Johann Georg allerdings zunächst noch 44 „[...] daß man alle protestirende stände, so graviret, wieder in den standt, wie dieselbe anno 1620 gewesen omnímodo setzen undt fürder so dann alle protestirende stende ingesambt und einen ieden insonderheit bey seiner gewehr und poßeß von dato an noch 50 jähr gantz ruhig, ohn einige güttliche undt rechtliche zusprüch bleiben lassen." SächHStA Dresden, Geh. Archiv 8098/1, fol. 83. 45 „Pendente causa" sollte jeder bei seiner „posseß und perception" verbleiben. Das Restitutionsedikt sollte hingegen bei einer Entscheidungsfindung gänzlich unberücksichtigt bleiben: SächHStA Dresden, Geh. Archiv 8098/1, fol. 83. « Zum folgenden siehe SächHStA Dresden, Geh. Archiv 8098/1, fol. 81. 47 Die „kundbare Observanz" hätte solches alles in „innumerabiles actus bekräfftigt". SächHStA Dresden, Geh. Archiv 8098/1, fol. 81. 48 „Daher auch billich ob publicum tranquillitatem des Augustini lehr nach die gütlichen mittel zu ergreiffen undt das werck nicht zu hart zu spannen". SächHStA Dresden, Geh. Archiv 8098/1, fol. 81. Die sechs von sächsischer Seite vorgeschlagenen Argumente sind auch in den brandenburgischen Unterlagen, wenngleich leicht verkürzt angeführt. Hier heißt es: „Und könte hierbey angezogen werden 1. das die Protestirende viel statliche fundamenta wiedder der Geistlichen vorbehält hetten; 2. das es mit den streitigen Erz- und Stifftern viel anders beschaffen, wan sie sich selbst reformiren; 3. hette solches die kundbare Observanz per innumerabiles actus approbiret, 4. keme die langwierige zeitt hierzu; 5. were woll zuerwegen, was ex distractione animorum entstehen wurde." GehStABerlin, I. Rep. 12 (Kaiserwahlen, Kollegialtage, Friedens- und Allianztraktate), 81b, 2 (Frankfurter Kompositionstag 1631), fol. 18ff.

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5. Ein Medium' oder ein ,Extremum'?

Der protestantische Normaljahrsvorschlag 1631

die evangelischen Mitstände von dem Vorhaben zu überzeugen. Seine Anweisungen lassen erkennen, dass er eng mit Hessen-Darmstadt zusammenarbeiten wollte.49 Vor einem intensiveren Kontakt mit Vertretern des reformierten Protestantismus warnte er hingegen. Vor allem sollten sich seine Deputierten nicht auf Verbindlichkeiten einlassen.50 Hinter dieser Bemerkung steckte offensichtlich die Überlegung, dass Friedrich V. von der Pfalz seine Wiedereinsetzung in Amt und Würden beanspruchte, eine Forderung, die Kursachsen keinesfalls unterstützte.51 Die Interessen Kurbrandenburgs wurden dagegen insoweit in der Instruktion berücksichtigt, als Johann Georg noch einmal auf die hessischen Vorschläge zu einer speziellen Absicherung des kursächsischen und kurbrandenburgischen Klosterbesitzes verwies. Dass er einen solchen ,Speziai-Vergleich' befürwortete, weist auf die Absicht hin, Kurbrandenburg als mächtigen evangelischen Reichsstand ins Boot zu holen. Zum anderen verlieh es seinem Einsatz für ein allgemeines kirchliches Normaljahr mehr Glaubwürdigkeit, wenn er seine eigenen landesfürstliche Interessen davon trennte. 5.2 Protestantische Bedenken Pro und Kontra Über die internen Beratungen der zu Frankfurt versammelten evangelischen Reichsstände wurde Protokoll geführt, so dass sich einzelne Positionen wiedergeben lassen:52 Wie in den Berliner Gesandteninstruktionen festgelegt, plädierten die kurbrandenburgischen Gesandten als Interessenvertreter des Calvinismus zunächst gegen das von Kursachsen vorgeschlagene ,Medium'. Argumentiert wurde mit der Beeinträchtigung der, Libertàt' der evangelischen Religion und der Gewissensfrage. Zwar sei es als Vorteil anzusehen, dass die evangelischen Stände sich ihre bereits eingezogenen Güter sichern könnten und nicht mehr zu befürchten hätten, dass man ihren bereits bekehrten Untertanen, solange sie selbst evangelisch blieben, das Papsttum wieder aufdrängen werde. Aber in vielen Ländern des Reiches würde das Papsttum „fort und fort continuiren", 53 so dass den Untertanen der Zutritt zur evangelischen Wahrheit in Ewigkeit versperrt werde. Letztlich würden auch die Nachfolger der jetzigen katholischen Fürsten durch eine solche Regelung vom Übertritt zum wahren Bekenntnis abgehalten.

SächHStA Dresden, Geh. Archiv 8098/1, fol. 85. s» SächHStA Dresden, Geh. Archiv 8098/1, fol. 84. 51 Andererseits betrachtete der Kurfürst von Brandenburg, Georg Wilhelm, Johann II. von Pfalz-Zweibrücken als aktuellen Vertreter kurpfälzischer Interessen und setzte sich dafür, ein, das die Vertreter dieses Territoriums zu Verhandlungen im kleineren Kreise einbezogen würden. Siehe GehStABerlin, I. Rep. 12 (Kaiserwahlen, Kollegialtage, Friedens- und Allianztraktate), 81b, 1 (Frankfurter Kompositionstag 1631), fol. 13. 52 Überliefert sind das Protokoll der internen Beratungen der evangelischen Stände vom 17. September 1631, SächHStA Dresden, Geh. Archiv 8098/1, fol. 492ff., und die Protokolle weiterer Sitzungen auf fol. 584ff. und 619ff. 53 SächHStA Dresden, Geh. Archiv 8098/1, fol. 494. 49

5.2 Protestantische Bedenken Pro und Kontra Die ,Posterität spielte somit auch hier eine erhebliche Rolle. Es wurde sogar intensiv über die Folgen eines kirchlichen Normaljahres 1620 für zukünftige Generationen nachgedacht. Die Gesandten Württembergs sprachen den Geistlichen Vorbehalt an, der rigoros abzulehnen sei, da ein Zugeständnis hunderttausenden und sogar Millionen Seelen den Weg zur ewigen Seligkeit verschließe. Die Aussage, dass die evangelischen Stände mit schwerer Verantwortung beladen seien, 5 4 lässt sich als Wink mit dem Zaunpfahl verstehen, dass auch ein Normaljahr 1620 diesen Nachteil mit sich bringen konnte. Die Straßburger Gesandten befürworteten hingegen den sächsischen Vorschlag, äußerten aber pauschal die Meinung, dass jegliche Kompromisse im Hinblick auf den Geistlichen Vorbehalt bei den N a c h k o m m e n keine genügende Autorität besitzen würden: In späteren Zeiten w ü r d e man sich nach genauerer Untersuchung des Zustandekommens solcher Entscheidungen wohl auf andere Mittel festlegen. 5 5 Hessen-Darmstadts Gesandte, die mit Braunschweig-Lüneburg

votierten,

verglichen den Normaljahrs Vorschlag ebenfalls mit dem Geistlichen Vorbehalt: Es sei von hoher Bedeutung, 5 6 wenn sich die evangelischen Stände des dem Augsburger Religionsfrieden widersprechenden Geistlichen Vorbehalts annähmen, indem sie den Katholiken den Stand von 1620 garantierten. Ein gewaltiges Entgegenkommen beinhalte unter anderem das Zugeständnis, dass man bei der Besitzzuteilung jene Fälle von Klosterreformationen nicht berücksichtige, in denen sich ein Kapitel aus eigener Entscheidung heraus ein evangelisches Haupt erwählt habe oder gemeinschaftlich der Übertritt zur Reformation beschlossen worden sei. 57 A n diese Bedenken schloss sich zwar eine Beteuerung an, den sächsischen Vorschlag „von gantzer seele" 5 8 zu befürworten, da sich damit viele Probleme, unter ihnen etwa die Frage nach der Declaratio

Ferdinandea

und die schwierige

Unterscheidung von Médiat- und Immediatstiftern, auf einmal lösen ließen. M a n dankte sogar Gott und dem Kurfürsten von Sachsen für die Erfindung dieses ,Mediums' und bezog in dieses Lob den Kaiser und die katholischen Stände ein, indem man auf frühere Einigungsversuche anspielte, bei denen Anstrengungen zur Festschreibimg der konfessionellen Besitzstände erörtert worden waren. Insbesondere wurde an Diskussionen anlässlich des Reichstages von 1613 erinnert, die durch die Initiative von Kaiser und Kurmainz aus-

SächHStA Dresden, Geh. Archiv 8098/1, fol. 520. „Eß würden auch besorgentlich die posteri kunfftiger zeit diese vorgeloffene procedum examiniren, zu hertzenn nehmen und qua vis arrepta occasione auff ander mittell sich entschliessen". SächHStA Dresden, Geh. Archiv 8098/1, fol. 548. 56 Wörtlich: Es sei „ein namhafftes". SächHStA Dresden, Geh. Archiv 8098/1, fol. 511. 57 SächHStA Dresden, Geh. Archiv 8098/1, fol. 511f. Man verzichte „auff die fälle, wann ein capiteli wißentlich und vorsetzlich ein evangelisches haupt erwehlt, item wann bischoffe, capittell und landschafft unanimiter miteinander die reformation decretirt [...], welche fälle im Geistlichen Vorbehalt [...] nicht gar begriffen were." 58 SächHStA Dresden, Geh. Archiv 8098/1, fol. 511. 54

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5. Ein Medium' oder ein ,Extremum'? Oer protestantische Normaljahrsvorschlag

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gelöst worden waren, die Protestanten zu einem Verzicht auf weitere Einziehungen von Klöstern und Stiftern zu bewegen.59 Das Scheitern der Ausgleichsbemühungen zu jenem Zeitpunkt wurde jedoch zum Anlass genommen, die eigentliche Entscheidung zu begründen: HessenDarmstadt und Braunschweig-Lüneburg wollten den Normaljahrsvorschlag letztlich fallen lassen. 1613 hätten sich die Protestanten in einer weitaus besseren Position befunden und doch erfahren müssen, dass die Katholiken dieses Vorhaben abgelehnt hätten. Kurz nach dem Beginn der ,Böhmischen Unruhen' habe man erneut versucht, sich über dieses ,Medium' zu verständigen. Schon damals habe es den protestantischen Gesamtbesitz nicht schützen und nicht einmal auf den Niedersächsischen Reichskreis ausgedehnt werden können.60 Diese Bemerkungen lassen unschwer erkennen, dass sich die Votierenden hiermit auf die Mühlhausener Verhandlungen von 1620 bezogen. Als weitere gescheiterte Gelegenheiten, den sächsischen Vorschlag zur Anwendung zu bringen, wurden Verhandlungen zu Aschaffenburg und Mainz genannt.61 Offensichtlich waren hiermit Gespräche gemeint, die der Auflösung der Union vorausgegangen waren und zum Aschaffenburger Vertrag vom 23. Januar 1621 sowie zum Vertrag zu Mainz vom 12. April 1621 geführt hatten.62 Gegner wie Befürworter des Normaljahrs Vorschlages sahen also grundsätzlich nichts Neues in diesem ,Medium'. Andererseits waren sich die protestantischen Stände, insbesondere Hessen-Darmstadt, über die besondere Sprengkraft im Klaren, die sich aus dem Zeitpunkt ergab, zu dem es nun der gegnerischen Seite präsentiert werden sollte. Mit Blick auf die bereits erfolgten und noch anstehenden katholischen Restitutionen, die zum Zweck hatten, die Protestanten vor vollendete Tatsachen zu stellen, kam der sächsische Vorschlag quasi einem Versuch gleich, die Zeit wieder zurückzudrehen: War es in den Jahren 1620 und 1621 darum gegangen, für beide Seiten aktuelle Besitzstände zu sichern und festzuschreiben, hätten nun eine Vielzahl der den Katholiken restitutierten Gebiete und Besitztümer wiederum den Protestanten restituiert werden müssen. Die Vertreter von Braunschweig-Lüneburg und Hessen-Darmstadt äußerten daher die Vermutung, dass nur eine schroffe Ablehnung die Folge sein könnte63 und vertraten die Ansicht, dass es nicht Hierzu Ritter 1896, S. 155f. Der sächsische Normaljahrsvorschlag wurde somit mit dieser Initiative geradezu gleichgesetzt. 60 Das ,Medium' habe auf „das universum aller evangelischen, ja auch nur auff den Niedersächsischen Kreis [...] nicht impetriret werden können". SächHStA Dresden, Geh. Archiv 8098/1, fol. 512. 61 Zu Aschaffenburg und Mainz sei ebenfalls seitens etlicher Stände daraufhin sollizitiert worden, und dennoch habe man es nicht erlangt. SächHStA Dresden, Geh. Archiv 8098/1, fol. 512. 62 Hierzu etwa Ritter 1962b [1908], S. 135f. 63 Man befürchte, „daß, weill es allen Catholischen wehe thue und keiner übrig sey, der nicht immediate damit hart berührt, ihres theils gar kurze antwort folgen werde." SächHStA Dresden, Geh. Archiv 8098/1, fol. 513. 59

5.2 Protestantische Bedenken Pro und Kontra

darum gehe, das vorzuschlagen, was die Protestanten gerne hätten, sondern das, was man erlangen könne. Daher solle man den Vorschlag etwas „mildern" und etwas aus den beiden Alternativvorschlägen einfließen lassen. Allerdings solle man für den Fall, dass Kursachsen unbedingt auf dem Vorschlag bestünde, versuchen, Zeit zu gewinnen und, während die Katholiken darüber berieten, über neue ,Medien' nachdenken.64 Auch auf das gemeinsame Votum, das für die Territorien Sachsen-Altenburg, Sachsen-Weimar, Sachsen-Coburg und Sachsen-Eisenach abgegeben wurde, soll noch eingegangen werden:65 Die mit Johann Georg verwandten Fürsten unterstützten dessen Vorhaben. Es begann mit der Einschätzung, dass man ein Entgegenkommen seitens der gemäßigten Katholiken für realistisch hielt.66 Daher solle man darauf hinwirken, dass den Protestanten alles, was ihnen in den letzten zwölf Jahren abgenommen worden sei, zurückgegeben werde.67 Im Gegenzug sollten die Protestanten darauf verzichten, weitere Klöster einzuziehen. Die Katholiken hätten dadurch im Wesentlichen erlangt, was sie lange gefordert hätten und der Religionsfrieden würde dahingehend ausgedehnt werden, dass sie dadurch etwas mehr Vorteile erlangen würden.68 Für die evangelischen Stände würde dies andererseits keine Nachteile bringen, da man auf die Stifte und Klöster außerhalb ihrer eigenen Territorien ohnehin keine Ansprüche habe, und diejenigen, die sich innerhalb ihrer Länder befänden, zum größten Teil bereits reformiert' seien. Als kritischer Punkt erscheint auch in diesem Votum die Gewissensfrage,69 da eine Normaljahrsregelung der von den ,Vorfahren' geforderten Freistellung' der Religion nicht entsprach. Man sah deutlich, dass man im Begriff war, gegen eine ungehinderte Verbreitung des ,göttlichen Wortes' Schranken aufzubauen. Angesichts der Notwendigkeit des Friedens und der aktuellen Gefahr für die evangelische Lehre wurde dennoch entschieden für dieses Modell plädiert. Der Gedanke, dass auch die ,Vorfahren', d.h. jene evangelischen Stände, die in früheren Jahren mit den Katholiken verhandelt hatten, Kompromisse eingegangen waren, erleichterte die Hinwegsetzung über diese

SächHStA Dresden, Geh. Archiv 8098/1, fol. 513. SächHStA Dresden, Geh. Archiv 8098/1, fol. 499f. 66 Man habe von vielen Kath. gehört, „das sie gerne das ienige, was wegk, vor verloren halten wolten, so feme sie nur wegen des iirigen gesichert weren". SächHStA Dresden, Geh. Archiv 8098/1, fol. 499f. 67 Man solle erwirken, dass alle den „Protestierenden in den nechsten zwölff iahren abgenommene Erz- und stiffter und andere Geistliche gütter, unerachtet, ob dieselbe vor oder nach dem Religionnfrieden reformiret, ihnen wieder eingehändiget würden." SächHStA Dresden, Geh. Archiv 8098/1, fol. 499f. 68 Der Religionsfriede würde ihnen zum besten „um ein merckliches extendiret". SächHStA Dresden, Geh. Archiv 8098/1, fol. 499f. 69 „Allein lege uns noch dieses im wege, daß vielleicht hiedurch den gewißen nicht vollkömlich gerathen, wann vermittelst solcher renuntiation der lauff Gottliches wortts solte gehindert und gesperret werden." SächHStA Dresden, Geh. Archiv 8098/1, fol. 499f. 64

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5. Ein Medium' oder ein,Extremum'?

Der protestantische Normaljahrsvorschlag 1631

Glaubensbedenken. Darüber hinaus äußerten die Votierenden die Zuversicht, dass man das Schicksal aller derjenigen, die dem Joch des Antichristen noch unterworfen seien, der göttlichen Allmacht befehlen könne. Die protestantischen Stände könnten sich, um ihr Gewissen zu bereinigen, jedenfalls dahingehend erklären, dass man über eine solche Regelung keineswegs der Verbreitung des rechten Glaubens Einhalt gebieten wolle.70 In der protestantischen Diskussion zu Frankfurt wurde mit diesem Hinweis auf den Antichristen zum einzigen Mal nachweislich auf apokalyptische Gedankenmuster verwiesen. Zweifellos schwang auch in der von anderen Ständen bekundeten Sorge um das Seelenheil der Menschen der Gedanke an das Ende der Welt und das Jüngste Gericht mit. Von einer Erwartung einer nahen Endzeit ist hingegen in all diesen Texten nichts zu spüren. Die oftmalige Nennung der ,Posterität' zeigt vielmehr deutlich, dass man mit einer Nachwelt rechnete, von deren Urteil die eigene Ehre betroffen war.71 Dies gilt vor allem für den sächsischen Kurfürsten, der auch noch nach dem am 11. September 1631 abgeschlossenen Bündnis mit Schweden,72 durch das er sich de facto im Krieg gegen den Kaiser befand, seine Gesandten mit geradezu flammenden Worten ermunterte, den Normaljahrsvorschlag durchzufechten.73 Der für die Protestanten überaus günstige Ausgang der Schlacht bei Breitenfeld am 17. September 1631, über den die Deputierten recht schnell informiert wurden,74 schien die Chancen dafür sogar noch einmal zu erhöhen. Auch Johann Georg war nach eigenem Bekunden vom Wunsch beseelt, Besitz und Mitgliederzahl der ,wahren Kirche' zu erhalten und zu vergrößern.75 Mit Blick auf die gegenwärtige Lage, die die Bewahrung des ebenfalls von Gott

„Befeldt es den getreuen Gott, daß dieienige, so denn Anti Christlichen joch im Reiche noch unterworffen zum erkentnus urtßers Christlichen Glaubens bekehret werden sollen, so mangelt es seiner gottlichen allmacht an mittein nicht und könte ers auch ohne mentschen hülffe und zuethun wohl zu wergke richten." Die Protestanten könnten sich zur „ salvierung" ihres Gewissens dahingehend erklären, dass sie hierdurch die „doraus erfolgende Verhinderung des heyligen Evangelii keines weges approbiret noch sich mit einiger verantworttung disfals beladen laßen wolten." SächHStA Dresden, Geh. Archiv 8098/1, fol. 499f. 71 Dieser Befund lässt Thomas Kaufmanns Vorschlag, die Apokalyptik als einen „kulturellen Code" zu verstehen, um so sinnvoller erscheinen. Trotz seiner „ubiquitären Präsenz" existierten offensichtlich Bereiche, die nicht oder allenfalls kaum von ihm berührt wurden. Siehe hierzu Thomas Kaufmann: Apokalyptische Deutung und politisches Denken im lutherischen Protestantismus in der Mitte des 16. Jahrhunderts, in: Brendecke, Arndt/Fuchs, Ralf-Peter/Koller, Edith (Hg.): Die Autorität der Zeit in der Frühen Neuzeit. Berlin 2007, S. 411-454. 72 Bireley 1975, S. 159; Müller 1997, S. 472. 73 Brief vom 29. September 1631: SächHStA Dresden, Geh. Archiv 8098/1, fol. 806ff. 74 SächHStA Dresden, Geh. Archiv 8098/1, fol. 807f. 75 [...] und möchten wir zwarvon grund unseres herzens wünschen, daß der Christlichen kirchen zum besten und dero erweiterung noch ein viel mehrers erhalten werden möchte. Es soltte und auch gewißlich keine mühe, sorge, arbeit noch kosten tewren und nichts höhers noch liebers begegnen mögen. SächHStA Dresden, Geh. Archiv 8098/1, fol. 814f.

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5.3 Die Folgen des Vorschlags

gebotenen Religionsfriedens erfordere, sei dies jedoch Gott selbst anheim zu stellen.76 Keineswegs würde nämlich durch das ,Medium' die „heilige Hand des allmächtigen Gottes" daran gehindert werden, die Kirche zu erweitern und die Verführten zu bekehren.77 Auch in ihrer Beharrlichkeit sollten die Gesandten auf Gott vertrauen. Mit der vorgeschlagenen Lösung erspare man sich weitläufiges Disputieren, ohne den Geistlichen Vorbehalt anzuerkennen. Es gehe nicht um einen Verzicht auf die durch die neue Regelung betroffenen Kirchengüter, sondern lediglich darum, nicht weiter um sie zu kämpfen. 78 Der Kurfürst gab sich zuversichtlich, dass die übrigen protestantischen Stände ihm zustimmen würden. Darüber, ob das vorgeschlagene Jahr 1620 nicht noch zu ändern sei, könne man sich mit ihnen austauschen. Eine Verschiebung des Datums mit dem Ziel, Donauwörth zurückgewinnen, sei aber wohl wenig sinnvoll, da ein solches Unterfangen keine Aussichten verspreche. Bei einer etwaigen Veränderung des Stichdatums sollten die Gesandten jedenfalls an die „christliche intention" des Kurfürsten denken.79 5.3 Die Folgen des Vorschlags Die große Hoffnung, die Johann Georg in seinen Normaljahrsvorschlag setzte, sollte schließlich nur in einer Hinsicht erfüllt werden, während sie sich in anderer Hinsicht als verfrüht herausstellte: Zum einen schlossen sich die zu Frankfurt versammelten protestantischen Stände seinem Konzept an, um es den Katholiken zu unterbreiten. Auch Kurbrandenburg votierte80 letztlich klar dafür, dass man darauf hinarbeiten solle, den Protestanten alle Stifter und Klöster zuzuteilen, in denen 1620 die evangelische Religion ausgeübt worden war. Alles, was ihnen nach den b ö h mischen Unruhen' gewaltsam abgenommen worden sei, solle restituiert wer76

„Allein wann es nicht zuerhebenn, so wirdt es Gott zu befehlen sein und man muß auch gleichwohl solche mittel fürschlagen, die da dem sotheuer beschworenen religionsfrieden, welcher als eydlich bethewret, Göttlichem wort und befelch nach, sánete zu observiren nicht zuwider lauffen thun, undt man hat hierüber iederzeit mehr nicht gesuchet, dann daß die sachen auf miltere und ertregliche mittel und wege möchten gerichtet werden." SächHStA Dresden, Geh. Archiv 8098/1, fol. 815. 77 „Des heiligen Gottes allmechtige hand seine Christliche kirche zu erweitern, und die verführten zu der wahren erkendtnüs seines alleinseligmachenden wortts zu bringen, ist darumb nicht verkürzet, noch hirdurch der weg zur Seligkeit einem und anderm versperret". SächHStA Dresden, Geh. Archiv 8098/1, fol. 815. 78 Er habe lediglich aufgetragen, wegen der übrigen Kirchengüter nicht zu „fechten" oder zu „impugniren". SächHStA Dresden, Geh. Archiv 8098/1, fol. 815. 79 SächHStA Dresden, Geh. Archiv 8098/1, fol. 820. Zuvor war offensichtlich Kritik geäußert worden, dass die zeit von anno 1620 „zu enge sein solte". Donauwörth könne jedoch nicht in die Verhandlungen einbezogen werden: „Wie hoch dieser Paß vor dessen auf Churfürstentägen und sonsten, sonderlich aber auff dem reichstage ao. 1613 ventiliret und worbey es endlichen bestanden, ist unverborgen." - „Solte aber dennoch der Christlichen kirchen und den protestirenden ständen zum besten eine bequemere zeit zu setzen sein, ist es uns gar nicht zuwieder. Jedoch wollet ir euch hirbey wol und trewlich fürsehen, damit unserer christlichen intention zuwieder nichts vorgehe." 80 Ein genaues Datum ist für diese Sitzung nicht überliefert. Den anschließenden Sitzungsdaten zufolge muss sie vor dem 22. September stattgefunden haben.

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5. Ein Medium' oder ein .Extremum'? Oer protestantische Normaljahrsvorschlag

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den.81 Die Gesandten hielten sich damit an den Befehl ihres Fürsten Georg Wilhelm, darauf zu achten, dass protestantische Einmütigkeit zu Frankfurt Vorrang vor Differenzen haben sollte.82 Andere evangelische Stände gaben ebenfalls zu verstehen, dass ihre zuvor geäußerten Bedenken keineswegs einer Ablehnung gleichgekommen seien.83 So konnte Johann Georg befriedigt zur Kenntnis nehmen, dass er sich mit seiner Initiative im protestantischen Lager durchgesetzt hatte. Zum anderen wurde der Vorschlag jedoch von katholischer Seite schroff abgelehnt. Nach der am 14. September erfolgten Eingabe durch die Protestanten wurde am 21. September eine Antwort überreicht, in der das medium compositionis - exakt so wie es einige der protestantischen Stände bereits befürchtet hatten als , Extremum' 85 bezeichnet wurde. Der Vorschlag sei mit dem Passauer Vertrag und dem Religionsfrieden unvereinbar. Die von Johann Georg prinzipiell gewünschte Kontrastierung von Normaljahrsvorschlag und Geistlichem Vorbehalt wurde hier vollzogen. Letzterer wurde jedoch zur unantastbaren Substanz und unveränderlichen Basis des Religionsfriedens86 erklärt. Von Johann Georg angeregte Argumente, die das gemeinsame Christentum beschworen und die vormalige Einigungsfähigkeit beider Konfessionen bei der Abwehr der Türken hervorhoben, wurden abgeschmettert. Vor der Glaubensspaltung sei das Reich einig im Widerstand gegen den ,Erzfeind der Christenheit' gewesen, während insbesondere die Einziehung der Kirchengüter durch die Protestanten zu Zwistigkeiten und zur Schwächung des Reichs gegenüber auswärtigen Gegnern geführt habe. Die Voraussetzung für eine erneute Stärkung und Einigung sei daher in der konsequenten Durchsetzung des Geistlichen Vorbehalts zu erblicken. Ahnlich wie schon auf dem Regensburger Kurfürstentag wurde lediglich eingeräumt, dass man über etwaige Exzesse bei der Exekution des Restitutionsedikts sprechen könne.87

„[...] daß vollige restitution geschehe, alles deßen, was nach der Böhmischen unruhe durch gewaldt eingenohmen undt geendert worden." SächHStA Dresden, Geh. Archiv 8098/1, fol. 585. 82 GehStABerlin, I. Rep. 12 (Kaiserwahlen, Kollegialtage, Friedens- und Allianztraktate), 81b, 1 (Frankfurter Kompositionstag 1631), fol. 13, ebenso fol. 21. 83 So ist von Braunschweig (offenbar Braunschweig-Wolfenbüttel) die Erklärung überliefert, dass man nicht gemeint habe, das ,Medium' zu verwerfen, „sondern nur zuerwünschen, das der effectue respondiren möchte". SächHStA Dresden, Geh. Archiv 8098/1, fol. 591. 84 Brandenburg-Kulmbach hatte dieser Befürchtung am 17. September direkt Ausdruck verliehen. SächHStA Dresden, Geh. Archiv 8098/1, fol. 506. 85 „[...] daß solches vielmehr einem Extremo alß Friedens-Mittel gleich seye". Siehe die hier im folgenden verwendete Textausgabe bei Lundorp 1668b, S. 229. Die Erklärung ist ebenfalls in verschiedenen eingesehenen Aktenbeständen überliefert, so auch in: SächHStA Dresden, Geh. Archiv 8098/1, fol. 887ff. (Erklärung der kath. Stände). 86 Dieser sei als „eyne vornehme Substantial-pertinentz deß Religions-Friedens" zu betrachten. Lundorp 1668b, S. 230. 87 Ebd. 81

5.3 Die Folgen des Vorschlags

Die evangelischen Stände scheinen durch diese Ablehnung zunächst nicht wesentlich verunsichert gewesen zu sein. In den ersten Diskussionen über die katholische Stellungnahme wurde eher positiv über die Einbringung des ,Mediums' reflektiert. Sie dachten sogar darüber nach, die Normaljahrsregel noch in einigen Punkten zugunsten der Protestanten zu überarbeiten. So bemerkten etwa die braunschweigischen Gesandten, dass eine allzu präzise Rückführung des Zustandes von 1620 nicht unbedingt wünschenswert sei. Unabhängig von den Zuständen im kirchlichen Normaljahr solle man sich beim Kaiser dafür einsetzen, dass den Protestanten nach einer Zusprechung der vormals strittigen Besitztümer auch die damit verbundenen Sitze und Stimmen auf den Reichstagen zugestanden würden.88 Ebenso wurde dafür plädiert, die bischöfliche Jurisdiktion über die gewonnenen Gebiete, auch wenn sie 1620 noch bestanden hatte, auf jeden Fall abzuschaffen.89 Am 10. Oktober 1631 erneuerten die Protestanten ihren Vorschlag zum gütlichen Vergleich mit den Katholiken.90 Bei dieser Gelegenheit äußerten sie ihr Befremden darüber, dass man ihr ,Medium' für ein ,Extremum' halten wolle.91 Begründet wurde dies damit, dass man sich im Jahr 1620 bereits in einem Zustand befunden habe, der ihnen Anlass zu einer Vielzahl von Beschwerden gegen die Katholiken auf den Reichstagen gegeben habe. Es sei daher nicht gering zu achten, dass sie um des Friedens willen die Bereitschaft erklärt hätten, diese auf sich beruhen zu lassen.92 Als Fundament ihres Handelns wurde die bereits in der Vergangenheit verfolgten Bestrebungen der Stände beider Konfessionen dargestellt, sich über die strittigen Probleme nicht in eine Vielzahl von Prozessen etc. einzulassen, sondern den Vergleich anzustreben. Mit Blick auf die Geschichte könne man feststellen, dass man im Interesse des

Siehe die Session der evangelischen Stände vom 7. Oktober 1631 in: SächHStA Dresden, Geh. Archiv 8098/1, fol. 619ff.: Als braunschweigisches Votum ist überliefert: „Daß medium compositionis were wohl ausgeführt, erinnert allein, ob man sich auch so praecise dohin astringiren solte, das es bey dem zustande, wie es anno 1620 gewesenn, zuelaßen unndt ob nicht auch der Erz- und anderen Bistummer halben an Kayserl. hofe induit zuerlangenn, das sie votum undt session uff Reichstägen haben, undt vor Reichsstände gehalten werdenn möchtenn, domit mann also nicht blos bey dem stände, wie es anno 1620 gewesenn, do dieses alles abgeschlagen worden, vorblieben." SächHStA Dresden, Geh. Archiv 8098/1, fol. 623. Auch das Votum der Grafen von (Dettingen lief darauf hinaus, es mit dem Jahr 1620 nicht zu genau zu nehmen. SächHStA Dresden, Geh. Archiv 8098/1, fol. 624. 89 SächHStA Dresden, Geh. Archiv 8098/1, fol. 633. 90 Lundorp 1668b, S. 259ff. 91 Ebd., S. 262. 92 „Daß nun die Evangelische/ ob sie wol ante annum 1620 schon in viel Wegen über hoch gravirt gewesen/ dannoch den Religion-Stand/ in solcher Gestalt/ darinnen er sich damals befunden/ wieder annehmen/ und sich an blosser Abschaffung der bisherigen Gravaminum mit einem wenigem Zusatz contentiren lassen wollen/ ist vor kein geringes zu achten/ und wären sie wol/ da ihnen ein friedlicher Zustand im Reiche nicht so hoch beliebig/ hierzu nach den Exempeln/ der höchsthochlöblichen Vorfahren nicht zu vergnügen gewesen." Ebd. 88

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5. Ein Medium' oder ein ,Extremum'?

Der protestantische Normaljahrsvorschlag 1631

allgemeinen Wohls93 bereits bei zahlreichen Gelegenheiten auf ,Medien' zurückgegriffen habe.94 Unter dem Begriff ,Medium' verstanden die protestantischen Stände in dem hier vorgebrachten Kontext allgemein Vorschläge und Maßnahmen, die auf Kompromissen beruhten. Im Gegensatz dazu wurde das katholische Beharren auf dem Geistlichen Vorbehalt als Versuch charakterisiert, eine Forderung durchzusetzen, der die Protestanten stets die Zustimmung verweigert hatten.95 Hiermit war für sie ein entscheidender Kontrast der beiden Konzepte hergestellt. Ihre eigene Festlegung auf das Jahr 1620 begründeten sie nicht näher. Sie achteten jedoch darauf, ihren Zuwachs an Gebieten seit dem Passauer Vertrag und dem Religionsfrieden als Resultat friedlicher und rechtmäßiger Inbesitznahme darzustellen.96 Auf den direkten Hinweis, dass sie dagegen den Verlust jener Gebiete, die seit 1620 in katholischen Besitz übergegangen waren, auf kriegerische und gewaltsame Annexionen zurückführten, verzichteten sie jedoch in ihrer Stellungnahme. Der Text schloss mit einem Aufruf an die Katholiken, dem Normaljahr 1620 zuzustimmen. Damit könnten diese eine beständige Sicherheit erlangen, all jenes, was sie in diesem Jahr besessen hatten, zu behalten. Dies sei ein Angebot, welches über das, was ihre eigenen Vorfahren seit 1555 erreicht hätten, hinausgehe: 97 Alle protestantischen Stände seien ihrerseits bereit, die Geistlichen Güter98 sowie die Religionsausübungsrechte mitsamt anhängenden Gerechtigkeiten' in den Stand von 1620 zu setzen.99 Die Antwort der katholischen Gesandten darauf war schließlich sehr kurz gehalten, weil diese durch die Furcht vor den nach ihrem Sieg bei Breitenfeld herannahenden Truppen der Schweden dazu bewogen wurden, ihre Zelte in Frankfurt abzubrechen.100 Es wurden darin nicht die geringsten Zugeständnisse formuliert, immerhin aber die Bereitschaft zu weiteren Verhandlungen zu einem späteren Zeitpunkt.101 Im Gegenzug richteten die protestantischen Gesandten am 23. Oktober 1631 jeweils ein Schreiben an den Kaiser und den Kurfürsten von Mainz, indem sie ihr Erstaunen über die überstürzte Abreise „[...] dem bono publico & tranquillitati alles condonirt und nachgesehen". Ebd. Konkret hingewiesen wurde auf Einigungen in den Jahren 1521, 1526, 1529, 1530, 1532, 1534, 1539, 1540, 1541, 1542, 1544, den Passauer Vertrag und den Augsburger Religionsfrieden. Ebd. «5 Ebd., S. 263. " Ebd. 97 „[...] und also ihnen zu diesem mal ein mehrers offerirt und angebotten wird/ als ihre Catholische H e m Vorfahren und Vor-Eltem von den Hern Evang. ab anno 1555 und also in etlich und siebentzig Jahren erlangen mögen." Ebd., S. 264. 98 Zugestanden wurde dabei, entgegen der Absichten des sächsischen Kurfürsten, auch die Restitution jener Güter, die durch „postulationes" in protestantischen Besitz geraten waren. Ebd., S. 265. 99 Erwähnt wurde zu guter Letzt die Notwendigkeit einer Restitution Augsburgs. Ebd. 100 o e r Abzug der Katholiken war aus Furcht um die Gefährdung ihrer Rückreise am 14. Oktober 1631 erfolgt. Siehe Tupetz 1883, S. 517. ra Lundorp 1668b, S. 265. 93 94

5.3 Die Folgen des Vorschlags

der Katholiken ausdrückten. Auch sie äußerten jedoch die Hoffnung auf weitere Verhandlungen, nicht ohne darüber hinaus um eine Einstellung der katholischen Restitutionen zu bitten, die während der Friedensgespräche kontinuierlich weiterhin vonstatten gegangen waren.102 Dass der Frankfurter Kompositionstag, ungeachtet der Hoffnung vieler Beteiligter, im Grunde von Anfang an ein Unterfangen ohne Aussicht auf einen unmittelbaren Erfolg war, ist wohl unbestreitbar.103 Betrachtet man die mäßige Kompromissbereitschaft katholischer Stände, wie sich etwa in den Instruktionen des Herzogs von Bayern widerspiegelt,104 setzte der Normaljahrsvorschlag der protestantischen Stände zuviel an Beweglichkeit voraus.105 Skeptiker im eigenen Lager hatten sogar befürchtet, dass allein die Unterbreitung ernsthafte Verhandlungen unmöglich machen würde, da sie Entrüstung provozieren würde. Lange hatten die Protestanten daher darüber diskutiert, wann man die Katze aus dem Sack lassen sollte. Für die katholische Seite hatte sich das Friedenskonzept indessen bereits über den Abschied des Leipziger Konvents zumindest angedeutet. Kurfürst Johann Georg ging davon aus, dass Kaiser Ferdinand II. dadurch bereits zumindest in groben Zügen über sein ,Medium' unterrichtet worden war.106 In der Tat äußerten kaiserliche Gesandte im Oktober 1631, dass sie bereits im Leipziger Schluss die erste Erwähnung des Normaljahrs 1620 sahen, das sie allerdings von daher entschieden ablehnten, als sie eine Restitution des pfälzischen Kurfürsten damit verbunden wähnten.107 Auch die kurbayerischen Gesandten mögen von dem in Frankfurt auf den Tisch gebrachten Vorschlag nicht überrascht gewesen sein.108 Sie selbst hatten sich dagegen an Instruktionen ihres Fürsten Maximilian I. zu orientieren gehabt, in denen der Geistliche Vorbehalt noch einmal einschärfend als absolut unverletzlich gekennzeichnet worden war. Unter Einwirkung von Theologen wie Paul Laymann und Adam Contzen war zu-

Ebd., S. 266f. Bireley 1975, S. 164. 104 Ebd., S. 156ff. Siehe hierzu auch den Gesandtenbericht an Johann Georg vom 29. August 1631: SächHStA Dresden, Geh. Archiv 8098/1, fol. 280ff. Zu den Vorstellungen im Umfeld des Papstes siehe Repgen 1962a, S. 266ff. 105 Die protestantischen Vorstellungen kamen Bireley zufolge einem neuen Religionsfrieden gleich. Bireley 1981, S. 166. 106 Schreiben Johann Georgs an seine Gesandten vom 29. September 1631. SächHStA Dresden, Geh. Archiv 8098/1, fol. 811. Allerdings spielte der sächsische Normaljahrsvorschlag in einer Konferenz zu Religionsfragen am Kaiserhof, die am 6. Oktober stattfand, noch keine Rolle. Bireley 1981, S. 170f. 107 Siehe das Gutachten kaiserlich deputierter Räte vom 18. Oktober 1631, überliefert bei Hallwich, Hermann (Hg.): Briefe und Akten zur Geschichte Wallensteins. 4 Bde. Wien 1912, Bd. 1, S. 565, Nr. 393: „syntemahl Sachssen ohne Zweiffei, wenigst den Leipzigen Schluß gemeß, sein E. Mayt. Publicirtes rechtmessiges Edict zu cassirn und aufzuheben, auch alles, waß in Religions- und politischen weesen exequiert, in den Stanndt widerumb zu sezen begem und darvon nicht abweichen wirdt wollen, in welchen es in anno 1620 gewest". 108 Bireley 1975, S. 161f. 102 103

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5. Ein Medium' oder ein ,Extremum'? Der protestantische Normaljahrsvorschlag

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dem in den Instruktionen der Einstellung Ausdruck verliehen worden, dass den Calvinisten unter keinen Umständen ehemals kirchlicher Besitz zugesprochen werden könne.109 Die Frage danach, ob Reformierte überhaupt als Verhandlungspartner in Betracht kamen, hatte bereits zu Beginn der Gespräche gedroht, die Verhandlungen zu sprengen.110 Auch die militärischen Ereignisse hatten sich letztlich negativ auf den Verlauf der Unterhandlungen ausgewirkt. Zwar war sowohl für die Fürsten als auch für die Gesandten die Bedeutung der Schlacht bei Breitenfeld noch nicht in seiner ganzen Tragweite erkennbar. Dass Kursachsen jedoch während der Frankfurter Friedensverhandlungen unvermittelt zur Kriegspartei geworden war, hatte für sämtliche Beteiligten die Verhandlungsgrundlagen zunächst entscheidend ins Wanken gebracht. Daran änderte auch Johann Georgs Beharren auf seinen Verhandlungsdispositionen, das er seinen Deputierten vermittelte,111 nichts. Sein Normaljahrsvorschlag sollte erst später eine Resonanz beim Gegner als ernsthaftes Friedenskonzept finden. Wie gezeigt, hatte sich innerhalb des protestantischen Lagers jedoch die Normaljahrsidee bereits gegen Widerstände durchgesetzt. Im Rahmen der Bedenken waren Gesichtspunkte aus verschiedenen Bereichen, insbesondere konfessioneller Art, zum Tragen gekommen; nach vorsichtigen Abwägungen war man zu Entscheidungen gelangt. Gegen die Überlegung, dass die Ausbreitung der ,reinen Lehre' durch einen politischen Kompromiss wie er über das Normaljahr anvisiert wurde, gefährdet sein könnte, waren stichhaltige Argumente wirksam geworden: Auf religiöser Ebene war der Gedanke entscheidend, dass der Protestantismus angesichts der prekären Lage zunächst über Verhandlungen zu sichern sei. Auch in den Aufruf, den Frieden im Reich unbeirrt zu suchen, floss religiöses Denken ein, da sich dieses Ziel ebenfalls als Gottes Gebot formulieren ließ. Dieser Beweggrund war darüber hinaus politisch fundiert und Ausdruck des Rollenverständnisses gewichtiger Reichsfürsten, die sich über den Frieden im Reich nicht zuletzt eine Verbesserung der Situation ihrer Territorien versprechen konnten. Bei all diesen ineinander greifenden Aspekten ging es letztlich also auch immer um die Ehre dieser Fürsten. Insbesondere Johann Georg von Sachsen vermittelte diese Sicht in seinen Gesandteninstruktionen, wobei noch einmal hervorzuheben ist, dass er den Einsatz für den Frieden als Basis für seinen Nachruhm betrachtete. Sowohl mit Blick auf die ,Posterität' als auch mit Blick auf die „vorfahren" versuchte er, sich als verantwortungsbewusster Entscheidungsträger in einer schwierigen Zeit zu positionieren.

Ebd., S. 157f. Gebauer 1899, S. 190. 111 Schreiben Johann Georgs an seine Gesandten vom 29. September 1631. SächHStA Dresden, Geh. Archiv 8098/1, fol. 806ff. 109 110

6.1 Bewegung am Kaiserhof

6. Die Entwicklung der Normaljahrsvorstellungen bis zum Abschluss des Prager Friedens 6.1 Bewegung am Kaiserhof Das Scheitern des Kompositionstages zu Frankfurt verstellt leicht den Blick darauf, dass sich im katholischen Lager schon während der Gespräche die Abkehr von einer bis dato unverrückbaren Haltung andeutete und im Anschluss daran vollzog. Mochte der protestantische Normaljahrsvorschlag in der offiziellen Beurteilung der Katholiken als ein Affront angesehen werden, so lässt sich doch erkennen, dass er keineswegs, wie zunächst befürchtet, zu einem Wegbrechen der Kommunikationsbasis führte. Vielmehr scheint er auf katholischer Seite einen nicht unbedeutenden Impuls zur Erörterung von Lösungskonzepten, die den bisherigen Rahmen des politisch Vertretbaren sprengten, abgegeben zu haben. Bereits für Oktober 1631 lassen sich erste Beratungen am Kaiserhof nachweisen, in denen über eine Suspendierung des Restitutionsedikts nachgedacht wurde. Dabei wurde auch erwogen, den Tag der Proklamation des Edikts zum Stichtermin der Festlegung des katholischen und des protestantischen Besitzes zu erklären.1 Dies ergab insofern Sinn, als man die auf dem Leipziger Konvent erhobene Forderung der Protestanten nach Aufhebung des Restitutionsedikts damit konsequent erfüllt hätte. Die kaiserlichen Räte sahen insbesondere Kursachsens eigentliche Wünsche damit zufrieden gestellt. Am Kaiserhof arbeitete man somit an einem Orientierungsdatum, das eine Antwort auf den protestantischen Vorschlag bilden konnte, der zu Frankfurt abgegeben worden war. Dieses neue Datum sollte für die eigenen Belange günstiger als 1620 sein und sich doch als ein Datum ansehen lassen, das für die Gegenseite empfänglich war. Auslösend für das Umdenken zu Wien war die veränderte militärische Lage im Reich nach der Schlacht bei Breitenfeld. Angesichts der Bedrohung des Gesamtbesitzes der Katholiken durch den Siegesmarsch der schwedischen Truppen galt es nun zu signalisieren, dass man den protestantischen Ständen, allen voran den beiden führenden Mächten Kursachsen und Kurbrandenburg, entgegenkommen wollte. Es ging dabei vor allem darum, die Front des Gegners aufzuweichen.2 Im Zuge militärischer Erwägungen geriet somit die rigide Politik eines Beharrens auf dem Restitutionsedikt, der der Kaiser zu Regensburg und zu Frankfurt gefolgt war, ins Wanken. Den mit solcherlei Kompromisserwägungen verknüpften religiösen Bedenken versuchte man zu Wien gerecht zu werden, indem man ein Gutachten bei Theologen einholte. Anlässlich angestrebter Friedensverhandlungen mit den Bireley 1981, S. 170f. Bierther, Kathrin (Bearb.): Die Politik Maximilians von Bayern und seiner Verbündeten 1618-1651. 2. Tl., Bd. 10: Der Prager Frieden von 1635. 4 Teilbde. München/Wien 1997 (= Briefe und Akten zur Geschichte des Dreißigjährigen Krieges N. F. 2,10), Teilbd. 1, S. *28f. 1 2

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6. Die Entwicklung der Normaljahrsvorstellungen bis zum Abschluss des Prager Friedens

protestantischen Ständen zu Mühlhausen, die von Georg II. von HessenDarmstadt geplant und vorbereitet wurden, wurde am 13. November 1631 ein Gremium von sechs Ordensmännern, einem Dominikaner, einem Franziskaner, zwei Jesuiten und zwei Karmelitern, damit beauftragt, drängende Fragen des Kaisers zu beantworten.3 Konkret wurde gefragt, ob dieser aus kirchlicher Sicht vier Punkten zustimmen könne; erstens: der Suspendierung der Exekution des Restitutionsedikts, zweitens: der Rückgabe bereits restituierten Kirchengutes an die Protestanten, insbesondere der Bistümer Magdeburg, Osnabrück, Minden und Verden, drittens: einer befristeten Zusprechung vormals kirchlichen Besitzes an Kursachsen und Kurbrandenburg und, zuletzt, der Rücknahme der nach dem Edikt ergangenen religionspolitischen Bestimmungen, die die Stadt Augsburg betrafen. Für diese Entscheidungen wurde vorausgesetzt, dass es keine anderen Mittel gäbe, um dem Ruin von Reich und katholischer Religion vorzubeugen.4 Nur eines dieser Gutachten ist überliefert. Zu diesem Gutachten sollte der päpstliche Nuntius am Kaiserhof, Ciriaco Rocci, jedoch immerhin gegenüber Papst Urban VIII. die Bemerkung abgeben, dass es der Ansicht der meisten Theologen entspräche:5 Der Franziskaner Ottaviano von Ravenna, Universitätsprofessor zu Wien, hatte den Standpunkt vertreten, dass der Kaiser eine Suspendierung und sogar eine Kassation des Restitutionsedikts uneingeschränkt beschließen könne. Für die anderen drei anstehenden Entscheidungen hatte er allerdings die Zustimmung des Papstes zur unabdingbaren Voraussetzung gemacht. Der Kaiser könne, wie sämtliche anderen weltlichen Obrigkeiten auch, aus eigener Vollmacht den Protestanten kein Kirchengut übertragen. Der Papst würde jedoch einen entsprechenden Dispens zweifellos erteilen, sofern Reich und Katholizismus in Gefahr wären und der Untergang dadurch abgewendet werden könne.6 Durch das Gutachten Ottavianos wurde Rocci alarmiert, da er voraussehen konnte, dass wichtige Entscheidungen des Kaisers zum Nachteil des katholischen Kirchenguts anstanden. Er drängte daher auf eine Instruktion aus Rom, die er am 13. Dezember 1631 auch erhielt. Sie entsprach der bis dahin von päpstlicher Seite praktizierten Politik, auf der formellen Wahrung kirchlicher Glaubens- und Rechtsgrundsätze zu bestehen, andererseits auf eine konkrete Einmischung in die Reichspolitik zu verzichten. Rocci sollte sich, falls es zu den Verhandlungen kommen sollte, zurückhalten, mehr noch: so tun, als

Ausführlich dargestellt in: Repgen 1962a, S. 276ff. Die Quellen sind ediert bei Repgen, Konrad: Papst, Kaiser und Reich 1521-1644, 2. Teil, Analekten und Register. Tübingen 1962, S. 96-102. 4 „[...] ad praecavendam omnimodam imperii et religionis ruinam". Repgen 1962a, S. 277. 5 Ebd., S. 281. ^ Ebd., S. 280. 3

6.1 Bewegung am Kaiserhof

wüsste er nichts von den anstehenden Entscheidungen.7 Wenn in seiner Gegenwart allerdings davon gesprochen würde, Kirchengut abzutreten, sollte er widersprechen und seine Missbilligung im Namen des Papstes äußern. Auch wenn entsprechende Entscheidungen von kaiserlicher Seite gefällt würden, sollte er deutlich machen, dass der Papst nicht damit übereinstimme. Wenn allerdings vom Vorbehalt einer päpstlichen Zustimmung die Rede sei, sollte er zu verstehen geben, dass der Papst gar nicht amtlich um einen Dispens ersucht zu werden brauche, da er seinen Konsens nicht geben könne.8 Die von Urban VIII. praktizierte Politik einer reinen Wahrung der Form9 lässt sich in diesem Kontext somit recht klar als eine weitgehende Befreiung des Kaisertums von päpstlichen Fesseln interpretieren. Keineswegs nutzte, wie Konrad Repgen herausgearbeitet hat,10 der Papst angesichts der Notlage des Kaisers die sich ihm bietende Chance einer Neuordnung des Verhältnisses von Kirche und Staat im Reich. Durch die offenkundige Zurückhaltung Urbans dürfte man sich in Wien einerseits dazu um so mehr bewogen gefühlt haben, religiöse Belange zurückzustellen, um in den Verhandlungen neue Wege zu gehen. Künftig wurden demzufolge auch die religionspolitischen Verhältnisse im Reich geregelt, ohne dass eine päpstliche Zustimmung eingeholt wurde. Andererseits wurde die Haltung des Papstes am Wiener Hof und anderenorts im Reich als schädliches Desinteresse ausgelegt. Urban VIII. sah sich daher genötigt, dem Kaiser und der Liga entgegen seinen bisherigen Prinzipien monatliche Geldzahlungen für den Kampf gegen den Gegner zuzugestehen und auszuzahlen.11 Auch über diese zu Zwecken der Demonstration von Loyalität bewilligten Summen erhob sich jedoch Enttäuschung im Reich.12 All dies bedeutet wiederum nicht, dass der kirchliche Druck auf Ferdinand II. und seine Unterhändler weggefallen wäre. Das Gutachten des Ottaviano von Ravenna war mit Gewissensfragen, die den Adressaten auferlegt wurden, abgeschlossen worden. Mein solle genauestens prüfen, ob die Situation tatsächlich so prekär sei, dass man das Heil so vieler Seelen aufs Spiel setzen müsse.13 Der Blick auf das nach dem schwedischen Einfall in kürzester Zeit zusammengebrochene katholische Terrain, das sich bis dahin noch zuletzt durch die Exekutionen des Restitutionsedikts permanent ausgedehnt hatte, zwang jedoch zu einer Erweiterung der politischen Spielräume in Verhandlungen. Im Oktober 1631 wurde der auf dem Regensburger Kurfürstentag zu„Quanto a quello che in simili caso ella ha da fare, sarà mostrar di non lo sapere". Zit. nach Repgen 1962a, S. 284, Anm. 333. 8 Ebd., S. 285. » Ebd., S. 285. 10 Ebd., S. 287. 11 Dieter Albrecht·. Zur Finanzierung des Dreißigjährigen Krieges. Die Subsidien der Kurie für Kaiser und Liga 1618-1635, in: Z B G L 1 9 (1956), S. 534-567, hier S. 554f. 12 Albrecht 1956. 13 Repgen 1962b, S. 101; Bireley 1981, S. 173. 7

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6. Die Entwicklung der Normaljahrsvorstellungen bis zum Abschluss des Prager Friedens

nächst entlassene und nun wieder eingesetzte Generalissimus der kaiserlichen Armee, Albrecht von Wallenstein, bevollmächtigt, Kontakt mit dem Kurfürsten von Sachsen aufzunehmen.14 Die Verhandlungsfähigkeiten Wallensteins, der sich als Gegner des Restitutionsedikts ausgewiesen hatte, sollten an Bedeutung noch zunehmen, da sich der geplante Friedenskonvent zu Mühlhausen, an dem der Kaiser und weitere katholische und protestantische Kurfürsten und Fürsten teilnehmen sollten, zerschlug. Bei diesem Versuch, Gustav Adolf bei Friedensgesprächen schlechterdings zu umgehen, war die Position, die der schwedische König mittlerweile im Reich errungen hatte, unterschätzt worden. Dass dieser in Anbetracht seiner Erfolge keinerlei Neigung dazu verspürte, seinen Heereszug abzubrechen, kommentierte Rocci in einem Brief an den Papst mit der vielsagenden Bemerkung, man müsse nun zumindest nicht mehr befürchten, dass der Kaiser sich auf einen Frieden einlasse, der der katholischen Religion rechtlich abträglich sei.15 6.2 Weitergehende Forderungen Kursachsens: Das Jahr 1612 Doch auch im protestantischen Lager traten nun wieder unterschiedliche Vorstellungen und Interessen zutage und machten in der Folgezeit weitere Abstimmungen über die Friedensbedingungen nötig. Das Normaljahr 1620, das man zu Frankfurt vertreten hatte, wurde wieder in Frage gestellt. In einem Gespräch, das im Februar 1632 zwischen dem sächsischen und dem brandenburgischen Kurfürsten zu Torgau abgehalten wurde, schlug letzterer vor, die private Religionsfreiheit für alle Untertanen, unabhängig von der Konfession der Landesfürsten, durchzufechten.16 Die völlig neue Situation, die durch die schwedischen Eroberungen nach Breitenfeld geschaffen worden war, veranlasste Georg Wilhelm von Brandenburg zudem, über weitergehende Verfassungsreformpläne nachzudenken. Die Möglichkeit eines protestantischen Kaisertums17 wurde ebenso erneut erwogen wie eine dauerhafte Einverleibimg eroberter katholischer Gebiete, um den zu erwartenden schwedischen Entschädigungsforderungen gegenüber dem Reich nachzukommen.18 Kursachsen gab sich demgegenüber reserviert und hielt insbesondere am ius reformandi des Landesfürsten fest.19 Kurfürst Johann Georg vertrat nach wie vor seine Idee einer Neuordnung des Reiches anhand eines Stichdatums. Bei

Bierther 1997, Teilbd. 1, S. *29. Repgen 1962a, S. 288, Anm. 338: „[...] onde viene a cessare il timore, che probabilmente si poteva havere, che l'imperatore potesse esser indotto a far una pace vergognosa, e pregiutitale alla religion cattolica". 16 Gebauer 1899, S. 222. 17 Ebd., S. 224. « Ebd., S. 232. « Ebd., S. 229. 14 15

6.2 Weitergehende Forderungen Kursachsens: Das Jahr 1612

Verhandlungen mit dem schwedischen König im Juni und Juli des Jahres 1632 in Dresden brachte Johann Georg wieder das Jahr 1620 ins Gespräch.20 Kursachsen hielt auch bei den folgenden Verhandlungen an der Idee fest, einen Stichtermin einzuführen, wenngleich nun eine weitere Variante vorgelegt wurde. Im Februar 1633 wurde in Gesprächen mit Kurbrandenburg, wiederum zu Dresden, der 1. Januar 1612 als von protestantischer Seite einzuforderndes Restitutionsdatum beschlossen.21 Damit wurde auf die Zeit unter Kaiser Rudolf II. angespielt, der im Jahr 1612 gestorben war. Eine Wiederherstellung der damaligen politischen und rechtlichen Grundlagen konnte vielen protestantischen, insbesondere den reformierten Ständen als erstrebenswert erscheinen. Zweifellos waren Georg Wilhelm von Brandenburg und Johann Georg von Sachsen zu derartigen Gedankenspielen durch die auch nach dem Tode Gustav Adolfs von Schweden weiterhin erzielten militärischen Fortschritte zugunsten der Protestanten bewogen worden. Kursachsen schreckte daher auch nicht davor zurück, diese Forderung selbstbewusst in Verhandlungen mit dem Kaiser einzubringen. Das Jahr 1612 wurde schon im März 1633 bei Gesprächen zu Leitmeritz von Landgraf Georg II. von HessenDarmstadt als Forderung der protestantischen Stände vorgeschlagen.22 Ein kaiserliches Schreiben unterrichtete den bayerischen Kurfürsten Maximilian I. davon, dass diese nicht nur wünschten, die Kirchengüter in den Stand, wie er 1612, zur Zeit der Regierung Rudolfs II., geherrscht hatte, zu stellen. Auch die Religionsausübung der Reichsritter sowie der Reichsstädte und ihrer Untertanen sollte an dieses Datum gebunden werden.23 Bei der Vorbereitung des Breslauer Friedenskongresses im August 1633 stand das Jahr 1612 dann wieder auf der Tagesordnung. Dabei zeigt sich deutlich, dass beide Seiten mittlerweile darin Übung gewonnen hatten, mit unterschiedlichen Stichdaten zu operieren. Die Instruktion Ferdinands II. an seine Gesandten lässt immerhin den Wandel von einer unbeweglichen zu einer bedingt kompromissbereiten kaiserlichen Verhandlungsführung erkennen.24 Dies gilt selbst, wenn man berücksichtigt,

Ritter 1962b [1908], S. 514. Siehe hierzu: Johannes Kretzschmar: Der Heilbronner Bund 1632-1635. Bd. 1. Lübeck 1922, S. 176f. Aufgelistet sind die einzelnen Forderungen, die ,Dresdner Punkte', bei Hans Knapp: Matthias Hoë von Hoënegg und sein Eingreifen in die Politik und Publizistik des Dreißigjährigen Krieges. Halle 1902, S. 52-55. 22 Georg II. und Johann Georg von Sachsen hatten sich im Januar 1633 über die Friedensbedingungen verständigt, siehe Bierther 1997, Teilbd. 1, S. *lllff. 23 „Den freien Reichsritterschaften und ihren underthanen, reichsstätten und deren angehörigen burgern und schuzverwandten in Stedten und aufm lande das exercitium religionis, wie sie anno 1612 gehabt, zu restituiren, zu lassen und zu versichern." Bierther, Kathrin (Bearb.): Die Politik Maximilians von Bayern und seiner Verbündeten 1618-1651. 2. Tl., Bd. 8: Januar 1633-Mai 1634. München/Wien 1982 (Briefe und Akten zur Geschichte des Dreißigjährigen Krieges N. F. 2, 8), Nr. 92, S. 153. 24 Gedruckt in: Lorenz, Gottfried (Hg.): Quellen zur Geschichte Wallensteins. Darmstadt 1987, S. 300-327. 2(1 21

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6. Die Entwicklung der Normaljahrsvorstellungen

bis zum Abschluss des Prager Friedens

dass er seine Deputierten mit einer Vielzahl von Argumenten versah, um eine Aufhebung des Restitutionsedikts doch noch zu vermeiden.25 Eine solche Aufhebung begriff Ferdinand II. ohnehin nicht als eine Kassation, sondern als eine Suspension bzw. Aussetzung der Exekution des Edikts, freilich mit der Konsequenz der Rückgabe der bereits restituierten Güter.26 Für den Fall, dass seine Gesandten dies nicht abwenden könnten und dass in Absprache mit den übrigen katholischen Ständen ein entsprechender Beschluss gefasst würde, wurde ihnen aufgetragen, darauf zu achten, dass der Zeitpunkt der Publikation des Restitutionsedikts, der 6. März 1629, zugrunde gelegt würde.27 Damit versuchte sich Ferdinand II. als Kaiser zu präsentieren, der über den Verzicht auf die akute Durchführung eines von ihm selbst ergangenen Erlasses ermöglichte, dass sich die Reichsstände untereinander einigten: Großzügiger Verzicht auf Durchsetzungsmacht28 zugunsten des Prinzips der gütlichen Einigung im Reich lautete die Botschaft. Zudem stellte der Kaiser aber auch klar, dass er keineswegs vom Augsburger Religionsfrieden, den Geistlichen Vorbehalt Inbegriffen,29 weichen wollte. Wie lange die Aussetzung der Exekution des Restitutionsedikts Bestand haben sollte, blieb offen. Gegenüber dem protestantischen Vorschlag eines kirchlichen Normaljahrs 1612 vertrat Ferdinand II. dagegen die Ansicht, dass eine solche Regelung gegen den Religionsfrieden verstoße.30 Es stünde nicht in seiner Macht, in der geforderten Weise über die Güter der Kirche zu verfügen. Seine Deputierten sollten sich folglich auf keine Verhandlungen darüber einlassen. Seinen Kompromissvorschlag wiederholte er noch einmal im Anschluss an diese Ermahnung: Wohl sei er bereit, es zu jenem Stand kommen zu lassen, wie er zur Zeit der Publikation des Edikts geherrscht hatte.31 Damit wurde der 6. März 1629 zum Gegentermin von 1612 erklärt. Das bislang von den Katholiken vertretene Orientierungsjahr 1552 war nicht vollends aus den Augen verloren. Die kaiserliche Position war aber um eine Alternative bereichert worden, die vorübergehend Geltung beanspruchen konnte. Bei all dem ist zu bemerken, dass die Frage nach dem Stichtermin für den Frieden den Kriegsparteien, die die Verhandlungen zu Breslau anstrebten, Ebd., S. 301-306. Im Hinblick auf die bereits von protestantischer Seite zurückeroberten Gebiete sollte es bei deren Besitz verbleiben. Ebd., S. 306. 27 Ebd. 28 Zur Durchsetzungsmacht als Element von Autorität siehe Horst Rabe: Autorität - Elemente einer Begriffsgeschichte. Konstanz 1972 (= Konstanzer Universitätsreden 21). 29 Er verwies nämlich darauf, dass 1555 die Stände jene Punkte, in denen sie sich nicht vergleichen konnten, einer kaiserlichen Erklärung „vollends heimgestellt" hätten, Lorenz 1987, S. 306. Mit dieser kaiserlichen Erklärung muss aber der Geistliche Vorbehalt gemeint sein. 30 Entsprechende Einzelverordnungen würden bedeuten, dass sie „schnuerstracks wider den Religionsfried liefen". Ebd., S. 313. 31 „Aber wohl wolten wir es zu demjenigen standt khomen lassen, do es allen tempore publicati Edicti gewest". Ebd. 25

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6.2 Weitergehende Forderungen Kursachsens: Das Jahr 1612

nicht als alleinig entscheidend erschien. Keineswegs gingen die Akteure davon aus, dass sich sämtliche für Krieg und Frieden wichtige Fragen anhand von Stichterminen abhandeln ließen. Die kaiserliche Instruktion zeigt, dass Ferdinand II. Sonderregelungen für Stifter und Gebiete beanspruchte, die seinen Haus- und Familienbesitz betrafen. Darüber hinaus stellte er besondere Bestimmungen für die kirchlichen Verhältnisse in Kursachsen und Kurbrandenburg in Aussicht. Auch die Frage nach einer Wiedereinsetzung der Kinder des in die Acht gesprochenen Pfalzgrafen Friedrich V. in Besitz und Würden wurde erörtert: Eine solche Restitution kollidierte mit den Ansprüchen des bayerischen Herzogs,32 der als Bundesoberst der Liga die Erstattung der von ihm aufgewendeten Kriegskosten einforderte. Die Frage nach Umfang, Art und Weise einer Entschädigung betraf wiederum auch die in die Kriegshandlungen verwickelten externen Mächte, insbesondere Spanien und Schweden, wobei Ferdinand II. eine Entschädigung Spaniens befürwortete, während er eine solche gegenüber Schweden verhindern wollte. Innerhalb dieses umfangreichen Katalogs an Problemen lassen sich die Erörterungen des rechten Stichdatums für den Frieden aber immerhin als Versuche bezeichnen, die Grundzüge einer Ordnung im Reich vorstellbar zu machen, die das Kernproblem der Koexistenz von Katholizismus und Protestantismus auch längerfristig löste. Zudem sollte zu Breslau neben dem Termin zur Herstellung des Friedens ein weiteres Datum erörtert werden, das für einen Friedensschluss bedeutend war: der Zeitpunkt der Amnestie. Es ging dabei vor allem darum festzulegen, unter welchen Voraussetzungen man den am Krieg beteiligten Reichsständen und anderen Personen und Institutionen „friedewirkendes Vergessen" 33 zugestehen oder aber die Ausübung kriegerischer Gewalt ahnden, d.h. die Täter nach Friedensrecht zur Rechenschaft ziehen wollte. Für diese Frage hielt man es für wesentlich zu definieren, ab welchem Zeitpunkt der Krieg begonnen hatte, den es zu beenden galt. Die kaiserliche Position war hier recht deutlich. Verhandlungen um eine Amnestie sollten erst „beim letzten Krieg" ansetzen, der - so die Argumentation 1631 dadurch entstanden war, dass Kursachsen und weitere Reichsstände, die sich auf dem Leipziger Konvent verbündet hatten, militärisch gegen Kaiser und Liga vorgegangen waren. Ferdinand II. wollte sich Schritte gegen Reichsstände und Personen vorbehalten, die sich danach noch tiefer als Kursachsen in die Verstrickung mit Schweden eingelassen hatten. Insbesondere war er nicht ohne weiteres bereit, Personen, denen er bereits einmal verziehen hatte und die nach seinen Worten erneut gegen ihn „gesündigt" hatten, die AmHierzu zuletzt: Michael Kaiser: Gegen den „proscribirten Pfalzgrafen": Die negative Pfalzpolitik Maximilians I. von Bayern im Dreißigjährigen Krieg, in: Wolf, Peter u.a. (Hg.): Der Winterkönig. Friedrich von der Pfalz. Bayern und Europa im Zeichen des Dreißigjährigen Krieges. Stuttgart 2003, S. 122-130. 33 Dickmann 1998, S. 6. 32

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6. Die Entwicklung der Normaljahrsvorstellungen bis zum Abschluss des Prager Friedens

nestie zuzugestehen. Insbesondere Personen, die ihm zu Diensten verpflichtet gewesen und nach Aufkündigung ihrer Treue zum Feind übergelaufen waren, sollten nicht unbeschadet davonkommen.34 Die Frage nach dem Stichtermin für die Amnestie wurde künftig zu einem eigenen Verhandlungspunkt, der neben dem Stichtermin für die kirchlichen Normaljahrsrestitutionen regelmäßig abgehandelt wurde; zukünftig sollten sich beide Probleme auch hin und wieder überlagern. Damit hatten sich im Vorfeld der letztendlich auch nicht zu Stande kommenden Breslauer Konferenz die wesentlichen Verhandlungselemente herauskristallisiert, die in der Folge die Suche nach dem Frieden maßgeblich bestimmten. Die dort gemachten Vorschläge flössen schließlich in die Verhandlungen ein, die 1635 zum Prager Frieden führten. Nachzutragen ist noch, dass bereits vor den Vorbereitungen für Breslau, seit September 1632, auch Wallenstein als Generalissimus des kaiserlichen Heeres Kontakte zu verschiedenen Kriegsparteien, unter anderem Gustav Adolf aufgebaut hatte. Geraume Zeit nach dessen Tod, seit Juni 1633, sprach Wallenstein dann mit dem kursächsischen Generalleutnant Hans Georg Arnim von Boitzenburg intensiv über Möglichkeiten des Friedens im Rahmen von Verhandlungen mit Kursachsen und Kurbrandenburg. Dabei soll Arnim laut einem Bericht an den bayerischen Kurfürsten das Jahr 1618 als kirchliches Normaljahr zur Sprache gebracht haben.35 Auch am päpstlichen Hof ging man im Juni 1633 davon aus.36 In weiteren Berichten über diese Verhandlungen wurde dann wieder 1612 erwähnt.37 Andere Formulierungen, die im Zusammenhang mit den Gesprächen kursierten, waren eher ungenau gehalten.38 So waren im November 1633 die Zustände zur Zeit der beiden Kaiser Rudolf und Matthias und zu Beginn der Zeit Kaiser Ferdinands im Gespräch.39 Da die

Lorenz 1987, S. 324: „[...] insonderheit [dass] aber denenjenigen fürsstlichen, greflichen und anderen Standts-Persohnen, welche ihre Revers von sich geben, daß sie wider Unß und unser hauß, auch die Unß assistierende Chur-, Fürssten undt Stendt nicht weiter dienen wolten (welche Revers sie dann in copia mitnemmen sollen), nicht so leicht wider perdón versprochen werde". 3 5 In einem Schreiben des bayerischen Kanzlers Joachim von Donnersberg an Herzog Maximilian vom 15. Juni 1633 hieß es: „Er, von Arnhaim, vermain, wan die reichssachen in den stand, wie sie anno 1618, zu zeit kaiser Mathias seliger gedechtnus, gewesen, reduciert, der sachen bait geholfen sein wurd." Siehe Bierther 1982, S. 99f. 36 „Che si restituischino li stati, e beni a quelli, che ne sono stati privati dall'anno 1618 in qua." Siehe Repgen 1962b, S. 104. 37 Siehe Bierther 1982, S. 277, Anm. 3. 38 Eine wohl auf Ende August zu datierende Instruktion des sächsischen Kurfürsten für Arnim gibt Wallensteins Bemühungen um einen Ausgleich wieder. Demnach sollte Wallenstein über das im Krieg vergossene Christenblut geklagt und in Aussicht gestellt haben, dass alles wieder „im vorigen Stande gesetzet und darbey erhalten werden mochte". Siehe den Druck dieser Quelle bei Arnold Gaedecke: Wallensteins Verhandlungen mit den Schweden und Sachsen 1631-1634. Mit Akten und Urkunden aus dem sächsischen Hauptstaatsarchiv zu Dresden. Frankfurt 1885, S. 189-191, insbes. S. 190. 39 So in einem Schreiben des Meisters des Deutschen Ordens, Johann Caspar von Stadion. Siehe ebd., S. 415. 34

6.3 Verhandlungen zum Prager Frieden - Wie lässt sich über Normaljahre diskutieren ?

Verhandlungen spätestens mit der Tötung Wallensteins40 im Februar 1634 gegenstandslos wurden, ist die Frage, ob Wallenstein tatsächlich dazu geneigt hatte, einem Normaljahr 1618 zuzustimmen, nicht von großem Belang.41 Er selbst hatte jedenfalls noch im Juni 1633 dementiert, auf diesen Vorschlag eingegangen zu sein.42 6.3 Verhandlungen zum Prager Frieden - Wie lässt sich über Normaljahre diskutieren? Kaiser Ferdinand II., der sich darauf eingelassen hatte, ein provisorisches neues Stichdatum zur Restitution der konfessionellen Besitzstände festzulegen, und Kurfürst Johann Georg I. von Sachsen waren in der Folge die entscheidenden politischen Kräfte, die der Idee eines kirchlichen Normaljahrs bzw. -termins nachgingen. Zwar wurde auch bei den im Heilbronner Bund unter der Führung Schwedens vereinigten protestantischen Ständen zeitweise erwogen, auf ähnliche Weise eine konfessionelle Besitzzuteilung auszuhandeln. Im September 1633 kam der Vorschlag auf, die aktuellen durch das Militär geschaffenen Tatsachen - man dachte hier insbesondere an die Erfolge der schwedischen Truppen - als Grundlage für eine Festlegung zu betrachten.43 Der schwedische Reichskanzler Axel Gustafsson Oxenstierna, der nach dem Tod Gustav Adolfs im November 1632 die Armeeführung übernommen hatte, war jedoch gegen ein solches Vorhaben.44 Sein Ziel war es, die Position Schwedens im Reich zu festigen, bevor ernsthafte Friedensverhandlungen stattfanden.45 Auch beim reformierten Landgrafen Wilhelm V. von Hessen-Kassel, der sich im Reich zum bedeutsamen militärischen Machtfaktor aufschwingen konnte, fand diese Idee keine Resonanz. Dieser vertrat in seinen Friedensplänen eher das Prinzip der Freistellung' der Religion, Inbegriffen der Glaubensfreiheit für Protestanten innerhalb katholischer Territorien. Darüber hinaus strebte er an, den protestantischen Fürsten eine ewige Besitzgarantie für Kirchengüter zu verschaffen, die sie vor oder nach dem Passauer Vertrag erworben hatten.46

Hierzu Christoph Kampmann: Reichsrebellion und kaiserliche Acht. Politische Strafjustiz im Dreißigjährigen Krieg und das Verfahren gegen Wallenstein 1634. Münster 1993. 41 So Ritter 1962b [1908], S. 561f. 42 Bierther 1997, Teilbd. 1, S. *66. 43 Kretzschmar 1922, Bd. 1, S. 448. 44 Ebd., S. 448. 45 Siehe Walter Struck: Johann Georg und Oxenstierna. Von dem Tode Gustav Adolfs (November 1632) bis zum Schluß des ersten Frankfurter Konvents (Herbst 1633). Ein Beitrag zur Geschichte des Dreißigjährigen Krieges. Stralsund 1899, hier insbes. S. 1 4 5 149. Prinzipiell berief sich Oxenstierna jedoch auf Gustav Adolfs Kriegsziel einer „restitution rerum ecclesiasticarum und politicarum, was einer Aufhebung des kaiserlichen Restitutionsediktes gleichkam. Siehe ebd., S. 45, Anm. 1. Zur Politik Oxenstiernas siehe auch Sigmund Goetze: Die Politik des schwedischen Reichskanzlers Axel Oxenstierna gegenüber Kaiser und Reich. Kiel 1971, hier insbes. S. 94ff. 4 6 Siehe das Gutachten Wilhelms V. für die Errichtung eines Universalfriedens vom 5. März 1632, in: Georg lrmer: Die Verhandlungen Schwedens und seiner Verbündeten

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6. Die Entwicklung

der Normaljahrsvorstellungen

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Friedens

Ausgangspunkte der neuerlichen Verhandlungen von Kaiser und Kursachsen über den Frieden, die im Juni 1634 in Leitmeritz begannen, bildeten jene zwei Stichtermine, die bereits rund ein Jahr zuvor als Ausgangspositionen formuliert worden waren.47 Während Ferdinand II. zunächst entschlossen war, nicht vom Termin der Publikation des Restitutionsedikts, dem 6. März 1629, zu weichen, ließ Johann Georg, sich als Vertreter des Protestantismus im Reich positionierend, über eine erste Proposition der kursächsischen Friedensbedingungen noch einmal den 1. Januar 1612 einbringen.48 Damit sollte zunächst hauptsächlich das Problem der Kirchengüter sowie der Religions- und Machtverhältnisse in den Reichsstädten gelöst werden. In einem weiteren Punkt wurde das allgemeine Recht der Religionsausübung damit verbunden, wobei die Wiederherstellung der Religionsverhältnisse in den böhmischen kaiserlichen Erbländern nicht ausdrücklich impliziert war, aber dennoch angestrebt wurde.49 Darüber hinaus wurde die vorübergehende Restitution des Stifts Hildesheim zugunsten des Herzogs von Braunschweig-Wolfenbüttel vorgeschlagen: Sämtliche 1612 in dessen Besitz befindlichen Kirchen und Schulen sollten in den damaligen Stand gesetzt werden, bis eine endgültige Entscheidung des Reichskammergerichts auf der Grundlage numerischer Parität erfolgt war.50 Erläutert wurde der Stichtermin mit dem Hinweis, dass zu jener Zeit Kaiser Rudolf II. noch gelebt hatte.51 Der angestrebte terminus a quo wurde gleichsam mit kaiserlicher Autorität ausgestattet. Kaiser Ferdinand sollte offenbar an eine Verpflichtung zur Tradition mit Blick auf seinen Vorläufer erinnert werden. Bereits in einer der ersten Begegnungen der Gesandten beider Seiten, bei der die kursächsischen Deputierten aufgefordert wurden, ihre Vorschläge genauer zu erläutern, brach heftiger Widerstand gegen das Stichjahr 1612 hervor, zunächst allerdings nur, insoweit es mit Böhmen in Verbindung gebracht wurde. Einem der Protokolle der kaiserlichen Deputierten zufolge hatte sich der kursächsische Gesandte Nickol Gebhardt von Miltitz zur Äußerung hinreißen lassen, dass eine böhmische Restitution unabdingbar für den Frieden mit Wallenstein und dem Kaiser von 1631 bis 1634. 1. Tl. Leipzig 1888, S. 125-133, insbes. S. 127f. 47 Siehe hierzu auch die Instruktion Johann Georgs an seine Gesandten vom 9. Juni 1634, in: Bierther 1997, Teilbd. 2, S. 423ff. Die Ziele, die in Anknüpfung an den Frankfurter Kompositionstag weiterentwickelt worden waren, waren gestaffelt: Primäres Ziel war eine ewige Zusicherung des protestantischen Besitzes, wie dieser im Jahr 1612 bestanden hatte. Sollte sich dies als nicht durchsetzbar herausstellen, sollte eine 100-jährige Zusicherung dieses Besitzstandes ausgehandelt werden. Im schlechtesten Fall sollten die Wölfischen Vorschläge des Kurfürstenkonvents von 1630 noch einmal auf den Tisch gebracht werden. Ebd., S. 433f. 48 Ebd., S. 1018ff. 49 Punkt 3, ebd., S. 1019. Zur Erläuterung dieses Punktes durch die kursächsischen Gesandten gegenüber den kaiserlichen Deputierten siehe ebd., S. 1013. 50 Ebd., S. 1021 f. 51 „[...] also vor dem tödtlichen hin[tritt] kaisers Rudolphi secundi glorwürdigsten andenkenß". Ebd., S. 1018.

6.3 Verhandlungen zum Prager Frieden - Wie lässt sich über Normaljahre diskutieren? sei, da ansonsten die Emigranten stets für neue Kriegsunruhen sorgen würden. 52 Der führende kaiserliche Gesandte Trauttmansdorff 53 hatte dem jedoch dezidiert entgegengehalten, dass gerade die damaligen böhmischen Religionsprivilegien zum Aufflammen des Krieges geführt hätten. 54 Eine Wiederherstellung dieser Verhältnisse würde ärgere Unruhen als zuvor mit sich bringen und der Kaiser würde sich niemals auf eine solche Regelung einlassen. 55 Aus dieser spontanen Auseinandersetzung ist gut zu ersehen, dass beide Seiten eine friedenspolitische Fundierung der Vorschläge voneinander erwarteten. Sie sahen sich daher dazu aufgefordert zu erklären, wie mit Hilfe der Stichtermine eine dauerhafte Sicherung des Friedens im Reich gewährleistet werden konnte. Wie gezeigt, traten in diesem Kontext wesentliche Unterschiede zutage. Das Jahr 1612 erschien auf kursächsischer Seite als ein Friedensjahr, in dem große Ubereinkunft zwischen Kaiser und Ständen geherrscht hatte. Auf katholischer Seite assoziierte man dagegen mit dem Termin eine Zeit, in der sich der Krieg bereits abgezeichnet hatte. Vor dem Hintergrund, dass man bereits die Zeit vor 1618 als instabil betrachtete, mögen die in der Folgezeit unternommenen Anstrengungen der kaiserlichen Unterhändler, eine Thematisierung der ,Böhmischen Unruhen' weitgehend zu vermeiden, paradox erscheinen. Aber sie machten schnell deutlich, dass es ihnen eigentlich um die Beendigung eines Krieges ging, dessen Entstehung sie mit den Jahren 1630 und 1631 verbanden: Ihnen ging es um die schwedische Intervention und die Teilnahme Kursachsens, Kurbrandenburgs und weiterer Fürsten am Krieg gegen den Kaiser. Am 24. Juni 1634 forderten sie die unbedingte Restitution der seitdem den Katholiken verloren gegangenen Güter und Gebiete, sofern sie durch Krieg oder andere Arten von Gewalt abhanden gekommen waren. 56 Insbesondere das Jahr 1630 wurde damit vom Kaiser als ein angestrebtes Restitutionsjahr in weltlichen Angelegenheiten anvisiert. 57 Interpretiert man die kaiserliche Politik mit Blick auf die Zäsur 1630, lässt sie sich als Versuch beschreiben, in einem ersten Schritt den Zustand des Reiches vor dem Einfall des schwedischen Königs herzustellen. Im zweiten Schritt war der Kaiser dann bereit zu der Konzession, den Restitutionsbefehl, den er ein Ebd., S. 1013. Zur Bedeutung Maximilian Graf von Trauttmansdorffs siehe Michael Kaiser: Der Prager Frieden von 1635. Anmerkungen zu einer Aktenedition, in: Zeitschrift für Historische Forschung 28 (2001), S. 277-297, hier S. 294. 54 Bierther 1997, Teilbd. 2, S. 1013. 55 „Solte mans ihnen ietzt widergeben, wurden sie newe rebelliones erwecken, erger alß zuvor. Und: Ihre Ksl. Mt. wurden sich auf ein solches nimmermehr einlassen." Ebd., S. 1013. 56 Erklärung der kaiserlichen Gesandten auf die von Kursachsen proponierten Friedensbedingungen: Ebd., S. 1040-1042, insbes. S. 1042. 57 Siehe hierzu auch Bierther 1997, Teilbd. 1, S. *88. Allerdings beinhaltete diese Position auch die Rückgabe geistlicher Güter, die seit Gustav Adolfs Invasion abhanden gekommen waren. 52

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6. Die Entwicklung der NormaljahrsvorsteUungen bis zum Abschluss des Prager Friedens

Jahr zuvor erteilt hatte, auszusetzen. Damit klang zwar an, dass das Edikt als eine Ursache für die erfolgte Empörung im Reich anzusehen war.58 Bei anderen Anlässen war von kaiserlicher Seite jedoch bereits mehrfach betont worden, dass man die eigentliche Verantwortung für die damit verbundenen Unruhen den mit der Restitution beauftragten Kommissaren, die dabei gelegentlich zu weit gegangen seien, zuwies. Eine intensivere Diskussion über die Friedenstauglichkeit von Normaljahren entstand noch einmal, nachdem sich Kursachsen angesichts der strikt ablehnenden kaiserlichen Haltung entschlossen hatte, das Jahr 1612 fallen zu lassen und statt dessen auf das bereits auf dem Frankfurter Kompositionstag vorgeschlagene Jahr 1620 zur Regelung der Kirchengüterfrage zurückzugreifen. Am 2. Juli 1634 stellten die kursächsischen Unterhändler dieses Jahr als Kompromiss zum ersten Mal in Aussicht, wobei sie signalisierten, dass man mit ihnen auch über 1622 als Jahr, von dem an die meisten gewaltsamen Veränderungen stattgefunden hätten, reden könne.59 Am 29. Juli kamen die kaiserlichen Gesandten ihnen dann mit einem weiteren Vorschlag entgegen, indem sie als Stichtermin jenes Jahr anboten, in dem - ihrer Meinung zufolge - das Restitutionsedikt von fürstlicher Seite, Kursachsen einbezogen, beschlossen worden war: 1627 als Jahr, in dem der Kurfürstenkonvent zu Mühlhausen stattgefunden hatte.60 Erste Erwägungen am kaiserlichen Hof in dieser Richtung hatte es bereits im Oktober 1633 gegeben, als Trauttmansdorff dort über die Wallensteinschen Verhandlungen berichtet und diese begutachtet hatte.61 Damit war die Normaljahrsdiskussion noch einmal auf eine neue Plattform gestellt worden: In der Verhandlungssitzung vom 30. August 1634 brachten die kaiserlichen Gesandten als Argument gegen 1620 vor, dass gerade dieses Jahr durch besondere Unruhe geprägt gewesen sei, die sogar den sächsischen Kurfürsten selbst damals bewogen habe, den katholischen Ständen kriegerisch beizustehen, um ihr Recht gewaltsam durchzusetzen.62 Es sei daher nicht

Eine stillschweigende kaiserliche Anerkennung dieser Schuldzuweisung, insbesondere durch die im Prager Frieden gewährte Amnestie, konstatiert auch Wandruszka 1955, S. 59. 59 Kaiserliches Protokoll vom 2. Juli 1634, Bierther 1997, Teilbd. 3, S. 1074-1080, hier 1077: „Item sie vermeinten, wan ia nicht könte die restitution zuruck auffs 1612. jähr erhalten werden, ob dan nit etwo ein terminus intermedius andern jahrs zu finden. Zu Franckfurt am Mayn hetten die stend vor der Leipziger Schlacht anno 1620 haben wollen. Darnach hette man ungefehr auff anno 1622 gezilet, von welcher zeit an die maiste turbationes, wie sie es nannten, ergangen weren." 60 Kaiserliches Protokoll vom 29. Juli 1634, Bierther 1997, Teilbd. 3, S. 1125-1131, hier S. 1130f. " Bierther 1997, Teilbd. 1, S. *163f. 62 „[...] so ist bewust, was für eine confusion im Reich anno 1620 gewesen, also das Ihre Kfl. Dt. selbst bewogen worden, in ansehung der justiz und billigkeit, so auf Ihrer Ksl. Mt. und der catholischen Seiten gestanden, denselben öffentlich beizufahlen und zu ihrem unsterblichen lob und rühm wider die andern die waffen zu ergreiffen." Kaiserliches Protokoll vom 20. August 1634, Bierther 1997, Teilbd. 3, S. 1174-1185, hier S. 1177. 58

6.3 Verhandlungen zum Prager Frieden - Wie lässt sich über Normaljahre diskutieren? einsichtig, dass man den Termin zum Aufbau des Friedens aus dieser „bösen zeit" 63 nehme. Daneben wurden rechtliche Gesichtspunkte vorgebracht: Niemals zuvor hätten sich die katholischen Stände auf den Termin 1620 eingelassen. Die in jenem Jahr erteilte Mühlhausener Assekuration sei von der katholischen Seite nur zum Schutz vor militärischen An- und Eingriffen gewährt worden, während dem Kurfürsten nun eine Assekuration angeboten werde, die ihm zumindest vorübergehend eine breitere, rechtlich fundierte Sicherheit verspräche. 64 Ein weiterer Komplex von Argumenten der kaiserlichen Gesandten führte zum Problem, dass mit einem Stichjahr 1620 bereits der Beginn der Regierungszeit Ferdinands II. berührt wurde und es mit seiner Ehre nicht zu vereinbaren sei, dass damit quasi sämtliche von ihm getroffenen Entscheidungen und Maßnahmen auf dieser Grundlage angefochten werden könnten. Da zu erwarten sei, dass nicht nur geistliche, sondern auf indirektem Wege auch weltliche Ansprüche geltend gemacht würden, sei zudem eine gravierende Destabilisierung im Reich zu erwarten. Konkret zeichneten die kaiserlichen Gesandten anhand ausgewählter Beispiele ein Szenario von neu auftretenden Konflikten im Reich, die bereits als mit kaiserlicher Hilfe gelöst zu betrachten seien, auf. 65 Zur Bekräftigung ihres Terminangebots gestanden die kaiserlichen Gesandten noch einmal deutlich zu, dass die Ursachen des währenden Krieges in der Zeit nach dem Restitutionsedikt zu suchen seien. Der Krieg sei nach den auf dem Mühlhausener Kurfürstenkonvent im Jahre 1627 getroffenen Entscheidungen, die zum Restitutionsedikt von 1629 und zu dessen Exekution geführt hätten, angefacht worden und nicht durch die Ereignisse von 1620. 66 Es ist in diesem Zusammenhang immerhin bemerkenswert, dass sich, nachdem sich Kaiser und Kursachsen einmal zu Verhandlungen über kirchliche Normaljahre entschlossen hatten, relativ bald veränderte Positionen ausbildeten. Hierbei zeigt sich, dass in den Diskurs über die Normaljahre noch ein weiterer Gesichtspunkt einfloss: die Möglichkeit des Entgegenkommens über numerische Verschiebungen, um sich in der Mitte zu treffen. In der Verhandlungssession vom 2. Juli hatten die kursächsischen Gesandten bereits ange-

« Ebd., S. 1178. 64 Man habe „nur assecurationem contra viam facti zuegesagt. Jezt aber wirdt ihnen auch umb friedens willen contra viam juris auf vil jähr lang Sicherheit gemacht." Ebd., S. 1177. 65 „Es würden neben der Pfälzischen die Marpurgische, Badische, Isenburgische und andere mit urtheil und recht wohl erörterte sachen alle miteinander sub praetextu pacis et armorum und das sonst khein fried im Reich entstehen khönte, angefochten werden, welches Ihrer Ksl. Mt. zum höchsten despectirlich were." Ebd., S. 1179. 66 Ebd., S. 1179: „Zudem ist viertens dieser krieg ia nicht derienigen sachen halben, welche von anno 1620 fürgegangen, sondern dessen, was seiter arvno 1627 von dem Mülhaußischen convent mit dem edict und kriegswesen [...] fürgelauffen, erregt worden."

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6. Die Entwicklung der Normaljahrsvorstellungen bis zum Abschluss des Prager Friedens

regt, einen solchen mittleren Termin67 zwischen 1612 und 1629 zu suchen. Ebenso hatte Kaiser Ferdinand II. etwas später in einem Schreiben an den Kurfürsten von Mainz erwogen, die Mitte anzuvisieren und hier vertraulich das Jahr 1623, in dem ein Kurfürstentag zu Regensburg stattgefunden hatte, benannt.68 Von Kurmainz, Kurköln und Bayern erfolgte allerdings eine kategorische Ablehnung dieses Vorschlags.69 Grundsätzlich war dieses vorsichtige Aufeinanderzubewegen mit numerischen Operationen nur möglich, weil beide Seiten grundsätzlich dazu bereit waren, eine Reduktion an Komplexität bei der Aushandlung der Streitpunkte in Kauf zu nehmen: Zwar verband jede Seite mit den Normaljahrsvorschlägen bestimmte Vorstellungen von Besitzmassen. Immer wieder wurden einzelne strittige Erzbistümer, für die die Stichjahre eine entscheidende Bedeutung hatten, direkt erwähnt.70 Beide Seiten waren sich aber auch darüber im Klaren, dass sie mit ihren Vorschlägen für den terminus a quo nur sehr unvollkommen die gesamten Konsequenzen für die realen Besitzverhältnisse im Reich abschätzen konnten. Uber längere Zeit sollte es wohl nicht zuletzt aufgrund dieser Unsicherheiten bei den Jahren 1620 und 1627, die sich für beide Seiten jeweils als eigene Kompromisspositionen darstellten, bleiben. Die kaiserlichen Gesandten verloren denn auch nie das ursprünglich eingebrachte Eckdatum 1629, das für sie eine günstigere Lösung als 1627 darstellte, aus den Augen. Umgekehrt beharrte Kursachsen zunächst umso mehr auf 1620, nachdem man das Jahr 1612 bei den Verhandlungen geopfert hatte. 1620 stellte man zudem von daher als einzig mögliche Kompromisslösung dar, als nur dieses Jahr bereits die Zustimmung anderer protestantischer Fürsten auf dem Frankfurter Kompositionstag erhalten hatte. Kursachsen rekurrierte somit auf den Legitimierungsbedarf durch die übrigen evangelischen Reichsstände: Zwar sei man, wie man zu verstehen gab, selbst mit den Jahren 1628 oder 1629 zufrieden, die anderen Stände würden sich jedoch mit keinem anderen Termin zufrieden geben.71 Damit wurde allerdings überspielt, dass unter den protestantischen Ständen nach wie vor Skepsis gegenüber einem kirchlichen Normaljahr 1620 vorherrschte und welche Schwierigkeiten Kursachsen 1631 selbst dabei gehabt hatte, sie zur Annahme des Normaljahrs 1620 zu bringen.72 Offensichtlich ging man jedoch davon aus, dass die Uber-

„Terminus intermedius": Siehe ebd., S. 1077. Brief vom 12. Juli 1634: Bierther 1997, Teilbd. 2, S. 66-70, hier S. 68. 6 9 Zu den näheren Gründen siehe Bireley 1975, S. 207. 70 So wurde häufig über Magdeburg, Halberstadt, Hersfeld und Osnabrück im Zusammenhang mit Normaljahren gesprochen, siehe etwa Bierther 1997, Teilbd. 3, S. 1057. 71 Kaiserliches Protokoll über die Verhandlungen mit Kursachsen vom 25. u. 26. August 1634: Ebd., S. 1142. „Sie wolten wohl ihrestheils gar mit anno 1628 und 1629 zuefrieden sein, aber es were umb die anderen stendt zue thuen, die von anno 1620 nicht weichen noch sich anderß alß mit disem termino zue dem vergleich verstehen würden." 72 Siehe Kap. 5.2. 67 68

6.3 Verhandlungen zum Präger Frieden - Wie lässt sich über Normaljahre diskutieren?

zeugungsarbeit hierzu ein weiteres Mal gelingen konnte, sofern man sich mit dem Kaiser geeinigt hatte. Der Komplexität der religionspolitisch relevanten Einzelprobleme im Reich versuchten beide Verhandlungsparteien dadurch gerecht zu werden, dass sie für besonders verwickelte Probleme Sonderregelungen in Aussicht stellten, die von dem einmal gefundenen Stichdatum abweichen konnten. 73 Dementsprechend wurden in den Verhandlungen zahlreiche Einzelprobleme erörtert. Besonders heikel war z.B. das Ringen beider Seiten um

das

Erzstift

Magdeburg, das der sächsische Kurfürst für seinen Sohn August sichern wollte, der dort als Koadjutor und Administrator herrschte. Johann Georg hatte bereits während des Frankfurter Kompositionstages seine Gesandten darauf aufmerksam gemacht, dass durch ein Nachgeben in dieser Sache dem Fürstenhaus „ein schlechter rühm und ehre zuwachßen" 7 4 würde und das Stichjahr 1620 daher in diesem Falle zu umgehen sei. Vor diesem Hintergrund relativierte sich die Bedeutung der Stichdaten immer wieder. Andererseits waren offensichtlich beide Seiten mittlerweile an einem Punkt angelangt, an dem sie sich die Rückkehr zu einer friedlichen Ordnung ohne eine kirchliche Normaljahrsgrundregel, die als pauschale Orientierungsbasis fungierte, kaum vorstellen konnten. Relativiert wurde das Normaljahrskonzept auch über die kaiserliche Weigerung, ihm auf unbegrenzte Dauer Gültigkeit zu verschaffen. Die kaiserlichen Deputierten bestanden von Anfang an auf einem terminus ad quem, bis zu dem die auszuhandelnde Güteraufteilung Geltung beanspruchen sollte. Hinsichtlich der Garantien für die Protestanten strebten sie zunächst eine Begrenzung auf 15 Jahre an, wobei sie für Angelegenheiten, die Kursachsen und Kurbrandenburg betrafen, in Anlehnung an die auf dem Regensburger Kurfürstentag gemachten katholischen Zugeständnisse, 40 Jahre in Aussicht stellten. 75 Im Gegensatz dazu wollte Kursachsen ursprünglich eine Normaljahrsgarantie für sämtliche protestantischen Stände auf „ewig" durchsetzen. 76 Die sächsischen Gesandten brachten allerdings ihre Kompromissbereitschaft in diesem Punkt recht schnell zum Ausdruck. Eine 40jährige Geltungsdauer wollten sie akzeptieren, sofern diese von allen Ständen in Anspruch genommen werden könne. Nur auf diese Weise könne man auf Zustimmung im protestantischen Lager hoffen. Zusätzlich könne man die 40jährigen Zusicherungen für Kursachsen

Von kaiserlicher Seite forderte man, die Stifter Osnabrück, Halberstadt und Hersfeld auszunehmen. Siehe Kaiserliches Protokoll v. 2. Juli 1634: Bierther 1997, Teilbd. 3, S. 1074-1080, hier S. 1076. 74 SächHStADresden, Geh. Archiv, Friedensschlüsse 8098/1 (Frankfurter Kompositionstag), fol. 88. 7 5 Siehe Kaiserliches Protokoll v. 2. Juli 1634: Bierther 1997, Teilbd. 3, S. 1074-1080, hier S. 1076. 76 Von Kursachsen proponierte Friedensbedingungen, präsent. 17. Juni 1634: Ebd., S. 1018: Die Besitzstände am Stichtag des 1. Januars 1612 sollten den protestantischen Ständen „ewig und rühig verbleiben". 73

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6. Die Entwicklung der Normaljahrsvorstellungen bis zum Abschluss des Prager Friedens

und Kurbrandenburg noch einmal besonders in einem Nebenabschied hervorheben.77 Später versuchten die kursächsischen Gesandten, für die im eigenen Territorium befindlichen Kirchengüter eine hundertjährige Vertragsdauer durchzusetzen.78 Dieser Vorschlag ging bereits auf die Einschätzung zurück, dass man sich insbesondere hinsichtlich der eigenen Interessen auf Sonderregelungen verständigen müsse, da man diese nicht angemessen bei der Aushandlung der allgemeinen Friedensbedingungen verfolgen könne.79 In diesem Zusammenhang flössen auch weitere termini a quo zur Regelung von Religionsangelegenheiten ein. Für Konfessionsregelungen im Erzstift Magdeburg sollte z.B. der Zeitpunkt der Amtsübernahme des Sohnes von Johann Georg als Stichtermin berücksichtigt werden.80 Längst nicht in jedem Fall waren die verhandelnden Parteien also bereit und auch nicht in der Lage, Komplexität über die Ermittlung eines verbindlichen Generaltermins zu reduzieren. In den Friedensgesprächen wurde eine Fülle an Detailproblemen erörtert, die nicht ansatzweise damit gelöst werden konnten.81 Andererseits zeigt die gelegentliche Einbringung neuer Zahlen bzw. Zeitpunkte für schwierige Sonderfälle, dass eine solchermaßen gefundene Positionierung von beiden Seiten als ein kluges und Erfolg versprechendes Mittel gesehen wurde, um zu einer Einigung zu gelangen. In den Verhandlungen zum Prager Frieden hielt man somit am Konzept des kirchlichen Normaljahrs bis zum Ende fest. Hinter dieser Präsentation von Zahlen und Zeitpunkten stand jedoch noch etwas anderes als Verhandlungspragmatik: Beide Seiten waren im Grunde bestrebt, bestimmte Ereignisse des Krieges samt deren Folgen quasi ungeschehen zu machen und eine ,bessere' Vergangenheit neu aufleben zu lassen. Dabei bestanden allerdings Unterschiede hinsichtlich der Ausrichtung: Kursachsen wollte zu der in den ersten beiden Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts praktizierten prokaiserlichen Politik zurückkehren, die eigenen Einschätzungen zufolge eine nicht zuletzt für das eigene Herrscherhaus erfolgreiche Politik gewesen war. Es ging um die Rückkehr zum ,alten Vertrauen', um dieses, wie Johann Georg im Juni 1634 übermitteln ließ, den nachkommenden Generationen, der ,Posterität', wieder einzupflanzen.82 Als unbeEbd., S. 1078. Kursächsisches Vertragsprojekt betr. die kursächsischen Belange: ebd., S. 1193-1204, hier S. 1195. ™ Siehe Bierther 1997, Teilbd. 1, S. *240. 80 „[...] wie es zur zeit hochgedachter ihrer Ihrer Fstl. Gn. postulation gewest". Kursächsisches Vertragsprojekt betr. die kursächsischen Belange: Bierther 1997, Teilbd. 3, S. 1193-1204, hier S. 1195Í. 81 Siehe hierzu Bierther 1997, Teilbd. 1, S. *237-*241. 82 Kaiserliches Protokoll v. 28. Juni 1634: Bierther 1997, Teilbd. 2, S. 1046f. Die Gesandten übermittelten demzufolge, dass „Ihre Kfl. Dt. nichts mehr wünschten, alß daß das alte vertrawen, dabei beide heußer florirt und gegrünt, wieder zuewege gebracht und auff die posteritet gepflanzt werden möchte". 77

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6.4 Verhandlungen zum Prager Frieden - Von der Feinabstimmung zum Ergebnis

dingte Voraussetzung dafür musste das Restitutionsedikt, das für Kursachsen einem Vertrauensbruch gleichgekommen war, aufgehoben werden. Eine Problemlösung ergab sich, dieser Logik folgend, daher über eine Rückkehr zu den Zuständen, wie sie vor dem Jahr 1629 geherrscht hatten. Bezieht man eine Reihe von Restitutionen ein, die vor dem Edikt durchgeführt waren,83 war darüber hinaus auf eine Einbeziehung der Jahre 1628 und 1627 hinzuwirken. Für Kaiser Ferdinand II. war dagegen das Jahr 1630, genauer: das Ereignis des schwedischen Einfalls ins Reich, die entscheidende Grenzmarke für eine vorstellbare künftige Ordnung. Die Dinge, die beide Parteien vorrangig aus der Welt schaffen wollten, um Frieden zu erzielen, waren somit durchaus sehr verschieden, während die Differenz der Positionen auf der Ebene der reinen Zahlen eher gering war. Nach den ersten Formulierungen der Optimalvorstellungen hatte man sich auf dieser Basis ein gehöriges Stück aufeinanderzubewegen können. Bei den weiteren Erörterungen sollte sich allerdings die kaiserliche Partei erneut als recht starr erweisen. Nach dem schmerzlichen Zugeständnis einer Rückführung der Exekutionen des Restitutionsedikts war man umso weniger gewillt, weiteres Terrain verloren gehen zu lassen. Dazu war es nötig, darauf hinzuwirken, dass durch das Stichjahr möglichst wenige der im Krieg erworbenen Zugewinne der Katholiken berührt wurden. Ein früheres Jahr als 1627 kam auch von daher für den Kaiser kaum in Betracht. 6.4 Verhandlungen zum Prager Frieden - Von der Feinabstimmung zum Ergebnis Die Verfestigung der kaiserlichen Stichjahrsposition lag wesentlich auch in einer Verschiebung des militärischen Kräfteverhältnisses begründet, die während der langwierigen Gespräche eintrat. Die Schlacht bei Nördlingen am 6. September 1634 war eine erneute schwerwiegende Zäsur in der Geschichte des Dreißigjährigen Krieges, da die schwedische Machtstellung im Reich erhebliche Einbußen erlitt, während die kaiserliche deutlich gestärkt wurde.84 Die schwedischen Truppen wurden danach aus Süddeutschland verdrängt. Vor diesem Hintergrund, der die kursächsische Stellung in den Verhandlungen nachhaltig erschütterte,85 wurde seit Oktober 1634 hauptsächlich an einer genaueren Festlegung des Termins für die kirchlichen Restitutionen innerhalb des Jahres 1627 gefeilt. Dabei bediente sich Kursachsen wieder hessen-darmstädtischer Hilfe.86 Zu Pirna und später auch Prag agierten hessische Räte, unter ihnen auch maßgeblich Dr. Anton Wolff von Todenwarth, als Vermittler.

Siehe den Überblick bei Tupetz 1883, S. 523-566. Hierzu etwa Schmidt 1999, S. 166. 85 Dickmann 1998, S. 71; Bireley 1975, S. 201. 8 6 Zur Berufung des Landgrafen von Hessen-Darmstadt nach Dresden als Berater von Mai bis September 1634 siehe Bierther 1997, Teilbd. 1, S. *225-*227. 83 84

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Auf kaiserlicher Seite kreisten, nachdem man sich bereits vorher auf die Orientierung am Mühlhausener Kürfürstenkonvent festgelegt hatte,87 die Überlegungen zunächst noch etwas unbestimmt um einen passenden Termin im Jahr 1627, wobei z.T. das Ende des Jahres, z.T. jener Zeitpunkt, an dem der Mühlhausener Konvent geendet hatte, anvisiert wurde, ohne dass das Datum konkret benannt wurde.88 Die protestantischen Unterhändler verlegten sich dagegen nach einem letzten gescheiterten Versuch, 1623 als ein plausibles Normaljahr, weil es die ,Mitte' zwischen 1620 und 1627 darstellte, zu vertreten,89 darauf, einen möglichst frühen Termin im Jahr 1627 zu erreichen. In internen Beratungen unter Kursachsen und Hessen-Darmstadt hatte Landgraf Georg den 1. Januar als Verhandlungsziel vorbringen lassen. Wenn dies nicht zu erreichen sei, sollte man versuchen, den 1. Juli 1627 durchzusetzen.90 Die kaiserlichen Gesandten ließen sich jedoch nicht von ihrem Ziel abbringen, den Stichtermin in den November zu verlegen. Zwischenzeitlich wurde der letzte Tag des Monats November 1627 ins Auge gefasst.91 Der 30. November sollte in zahlreichen Protokolltexten und Vertragsentwürfen seinen Niederschlag finden. Auch die Protestanten operierten mit dem Termin. Allerdings weisen die überlieferten Schriftstücke darauf hin, dass viele Daten zunächst provisorisch notiert wurden. Ebenso wurden Lücken gelassen, um Zahlen später einzufügen.92 In dieser Verhandlungsphase, seit Oktober 1634, gehörten die eingebrachten Stichdaten, unter ihnen auch einige variierende terminus-adqwem-Vorstellungen, die Dr. Anton Wolff einbrachte,93 zweifellos zu den hauptsächlichen Verhandlungsgegenständen. Insgesamt ging es dabei nur noch um geringere Abweichungen im Text, wobei aber zu bedenken ist, dass mit der Auseinandersetzimg um die genauen Daten immer wieder folgenrei-

Hierzu oben sowie auch Frisch 2001, S. 449. Im kaiserlichen Hauptvertragsprojekt, das am 7. Oktober 1634 präsentiert wurde, hieß es im Hinblick auf die Reichsritterschaft „zu außgang deß 1627. jahrs"; im Hinblick auf die Reichsstädte „anno 1627 zue außgang deß Mülhaußischen convents" und im Hinblick auf die reichsstädtischen Gebiete außerhalb der Stadtmauern „zue endt deß 1627. jahrs". Bierther 1997, Teilbd. 3, S. 1246 u. S. 1247. Im Hinblick auf die Kirchengüter sah das Projekt vor, dem Protestanten den Besitz zuzugestehen, den sie „anno 1627 zu endt deß Mülhaußischen convents" besessen hatten. Ebd., S. 1249. 89 Landgraf Georg versuchte hier, seine Vermittlerposition zugunsten protestantischer Ziele zu nutzen. Hessen-darmstädtisches Protokoll vom 12. Oktober 1634: ebd., S. 1 2 8 1 1285, hier S. 1282: „Illustrissimus Hessen Darmstadt schlägt mittelweg vor: Biß end deß Regenspurgischen tages anno 1623." 90 Hessen-darmstädtisches Protokoll vom 8. Oktober 1634.: Bierther 1997, Teilbd. 2, S. 542-548, insbes. S. 544. 91 Bierther 1997, Teilbd. 3, S. 1294, Anm. 5. 92 In diesem Kontext kann nur pauschal auf die von Bierther edierten Texte, die seit dem Oktober 1634 entstanden, verwiesen werden. Zahlreiche spätere Einfügungen und Auslassungen sind von Bierther editorisch kenntlich gemacht worden. 93 Wolff versuchte, den allgemeinen terminus ad quem zur Restitution der Kirchengüter von vierzig Jahren auf siebzig heraufzusetzen und die Garantie für Kursachsen, die die im eigenen Besitz befindlichen Kirchengüter betraf, von fünfzig Jahren auf achtzig Jahre zu verlängern. Siehe Bierther 1997, Teilbd. 3, S. 1228, Anm. 6, und S. 1229, Anm. 14. 87 88

6.4 Verhandlungen zum Prager Frieden - Von der Feinabstimmung zum Ergebnis

che Entscheidungen verbunden waren. In den Diskussionen, die die beiden Parteien miteinander führten, wurde daher auch noch einmal intensiv über die konkrete Bedeutung, die der 30. November 1627 für einzelne Gebiete, Hochstifte, Städte etc. haben würde, nachgedacht.94 Aus einer Bemerkung des hessen-darmstädtischen Gesandten Wolff95 wird deutlich, dass die hessen-darmstädtischen und die kursächsischen Unterhändler den kaiserlichen Wunsch durchschauten, die Beschlüsse zu Mühlhausen, die zum Restitutionsedikt geführt hatten, zu sichern. Wolff vermutete zunächst offensichtlich, dass der 4. November 1627 für die Kaiserlichen das Fixdatum darstellte.96 An diesem Tag war das Gutachten des Gesamtkollegs der Kurfürsten an den Kaiser ausgegangen,97 in dem dieser gebeten worden war, in der Frage der Kirchengüter zu einer Entscheidung zu kommen. Dabei war, wie bereits dargestellt, allerdings auf Betreiben Kursachsens und Kurbrandenburgs noch die wichtige Einschränkung formuliert worden, dass die Frage der Kirchengüter nur unter der Bedingung entschieden werden könne, dass die protestantischen Reichsstände förmlich erklärt hatten, dass sie ausreichend gehört worden waren und mit der Fällung eines Urteils einverstanden waren (Submission).98 In der letzten Verhandlungsphase wurde dann das Datum schließlich fixiert, womit sich die kaiserliche Politik, die Mühlhausener Beschlüsse, die zum Restitutionsedikt geführt hatten, langfristig zu sichern, endgültig durchsetzte.99 Stichtermin wurde der 12. November 1627. An diesem Tag war der Mühlhausener Kurfürstenkonvent offiziell beendet worden. Dies war aber sicherlich nicht der einzige Grund für die Wahl dieses Datums. Für die Protestanten besonders unvorteilhaft war es nämlich, dass sich damit der Bezug auf das Sondergutachten100 der katholischen Kurfürsten herstellen ließ, in der die am 4. November 1627 noch eingeflossene Submissionsklausel für unerheblich

Hessen-Darmstädtisches Protokoll v. 19. Oktober 1634, ebd., S. 1309-1311, das einschlägige Diskussionen über Minden beinhaltet. Siehe ebd., S. 1310f. Ein weiteres Beispiel stellt die Diskussion über das Stift Hersfeld dar. Siehe: Hessen-Darmstädtisches Protokoll v. 28. Oktober 1634, ebd., S. 1339-1346, hier S. 1342f. 95 Überliefert im Rahmen des Protokolles des kursächsischen Gesandten Johannes Timäus vom 6. November 1634: „Den terminum a quo lassen [die kaiserlichen Gesandten] leichtlich setzen uf den 4. Novembris [...] Worumb sie es aber nicht weiter wollen zurück extendirn lassen geschichet darumb, damit nicht dzjenige caßirt werde, wz uf dem churfurstentag decidirt und geschlossen". Zit. nach Bierther 1997, Teilbd. 2, S. 582, Anm. 8. 96 So ist wohl die Bemerkung „Den terminum a quo lassen [die kaiserlichen Gesandten] leichtlich setzen uf den 4. Novembris" zu interpretieren. 97 Bierther 1997, Teilbd. 1, S. *163f, insbes. Anm. 674. 98 „[...] so weit und viel darinnen submittirt". Siehe BayHStA München, Kurbayem, Äußeres Archiv 3263, fol. 448. Zu den Vorgängen auf dem Mühlhausener Konvent siehe auch Tupetz 1883, S. 360ff. 99 Hierzu: Frisch 2001. 100 BayHStA München, Kurbayern, Äußeres Archiv 3263, fol. 446-450, fol. 448ff. Siehe auch Kap. 3.2. 94

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erklärt worden war. Der Kaiser war am 12. November 1627 definitiv, ohne Einschränkungen, aufgerufen worden, unverzüglich ein Urteil in der Kirchengiiterfrage zu fällen. Das sehr konsequent und unnachgiebig verfolgte Ziel Ferdinands II., seine Jurisdiktionskompetenz in der Kirchengiiterfrage über eine Bezugnahme auf den Mühlhausener Konvent zu bekräftigen,101 war mit dem neuen Stichtermin erreicht. So kam es schließlich zur Festlegung eines ersten mit Vertretern des Protestantismus ausgehandelten Normaltages, der längerfristige Gültigkeit für das Reich beanspruchte. Der Prager Frieden, der die Verhandlungen am 30. Mai 1635 abschloß, brachte diesen als Hauptergebnis hervor: Reichsunmittelbare Stifter und Klöster, die vor dem Passauer Vertrag den Protestanten zugefallen waren, wie auch die mittelbaren Stifter und Klöster, die sie nach dem Passauer Vertrag erhalten hatten, wurden ihnen jeweils zugesprochen, sofern sie sie noch am 12. November 1627 im Besitz gehabt hatten.102 Die in den geistlichen Einrichtungen praktizierte Religion sollte sich ebenfalls nach diesem Termin richten.103 Obwohl in diesem Kontext nur von katholischen Gebräuchen die Rede war, die es abzusichern galt, bedeutete dies auch, dass die Protestanten damit Rückführungen an Besitz zu erwarten hatten und einschlägige Garantien erhielten. Diese aus dem Normaltag resultierenden Besitzgarantien an Kirchengütern für die Protestanten erhielten allerdings eine wesentliche Einschränkung über den terminus ad quem. Lediglich vierzig Jahre sollte die Regel Gültigkeit haben.104 Lediglich die mittelbaren vor dem Passauer Vertrag von den Protestanten erworbenen Kirchengüter, deren Besitz durch den Augsburger Religionsfrieden geregelt war, waren von der Befristung ausgenommen. 105 Der Friedenshauptvertrag beinhaltete auf dieser Grundlage Perspektiven auf drei zeitlichen Ebenen. Es ging akut um Vertrauensbildung unter Berufung

Schon zu Beginn der Unterhandlungen mit Hessen-Darmstadt war dies deutlich geworden. Die Formulierung des zunächst noch ungeklärten genauen Stichtermins, die im kaiserlichen Hauptvertragsprojekt vom 7. Oktober 1634 zur Kennzeichnung dieses Ziels gebaucht wurde, lautete „1627 zue außgang deß Mülhaußischen kfl. Convents". Bierther 1997, Teilbd. 3, S. 1245 u. S. 1246. Siehe auch Frisch 2001, S. 451: „Die Rechtsposition des Kaisers, insbesondere seine Iurisdiktionskompetenz, wie sie in der Konzeption des Mühlhausener Kurfürstentags, nämlich eine Gravaminaentscheidung durch Urteil herbeizuführen, entsprach, sollte keinesfalls durch den Friedensschluß beeinträchtigt werden." Allerdings herrschte darüber, ob das Restitutionsedikt ein Urteil oder ein Gesetz war, Uneinigkeit im katholischen Lager, wie Frisch selbst darstellt. Siehe Frisch 1993, S. lOOff. 102 Der Prager Frieden zwischen dem Kaiser und Kursachsen. Hauptvertrag, in: Bierther 1997, Teilbd. 4, S. 1606-1631, S. 1607 (Passus 2). 103 Ebd., S. 1608 (Passus 5). 104 Die Formulierung „auf vierzig jähr" wurde im Vertrag häufiger verwendet, insbesondere auch im wichtigen 2. Passus: Ebd., S. 1607. 105 Ebd. (Passus 1). 101

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auf frühere, versöhnlichere Zeiten106 und die Demonstration einer grundsätzlichen Kompromissbereitschaft. Diese sollte zunächst zum Abbruch der Kampfhandlungen im Reich führen. Auf mittelfristiger Ebene sollten dann nach der Phase einer ersten Befriedung und Beruhigung gütliche Vergleiche zustandegebracht werden. Innerhalb der nächsten zehn Jahre sollten, soweit möglich, mithilfe „friedliebender" Reichsstände beider Konfessionen Lösungen ausgearbeitet werden.107 Für die noch nicht gelösten Probleme sollten schließlich rechtliche Entscheidungen ins Auge gefasst werden, die in der Zeit nach Ablauf der vierzig Jahre getroffen werden sollten. Die Jurisdiktion darüber wurde dem Kaiser und seinen Nachkommen zugesprochen, wobei die Entscheidungsfindung allerdings über die beiden höchsten Gerichte, den Reichshofrat und das Reichskammergericht, erfolgen sollte.108 Immerhin war für Reichshofratsprozesse in solchen Angelegenheiten eine paritätische Besetzung des Spruchgremiums durch Hinzuziehung von Gesandten protestantischer Territorialfürsten geplant. Eine entsprechende Verfügung blieb im Hinblick auf das Reichskammergericht aus,109 offensichtlich aus dem Grunde, da für Religionsprozesse ohnehin paritätische Spruchkammern vorgesehen waren.110 Die kursächsische Forderung nach einer durchgängigen paritätischen Besetzung der Assessorenstellen, die für sämtliche Prozessarten gelten sollte, wurde dagegen auf den nächsten Reichstag verschoben.111 Inwieweit das Restitutionsedikt bei den späteren Entscheidungen der Reichsgerichte einmal zu berücksichtigen war, blieb grundsätzlich offen. Allerdings sollte sich jede Partei einmal auf den Rechtsstand des Normaltages berufen können. Immerhin möglich war somit eine Vielzahl von Einzelentscheidungen, die auf katholische Restitutionen hinausgelaufen wären. In einer Ferdinand II. zugeschriebenen schriftlichen Erklärung über die Bedeutung des Prager Friedens wurde die kaiserliche Entscheidungsgewalt für den Fall der Stimmengleichheit in den Spruchgremien betont.112 Über die zeitliche Beschränkung hinaus wurde der Normaltag auch für den Fall außer Kraft gesetzt, dass das Reichskammergericht oder der Reichshofrat Es ging laut Vertragstext um das „alte, gute, aufrechte Teutsche vertrawen" unter Katholiken und Protestanten. Ebd., S. 1627 (Passus 85). 107 Ebd.,, S. 1609 (Passus 8 und Passus 9). >°8 Ebd., S. 1609f. (Passus 11). Siehe auch Frisch 2001, S. 451f. "» Bierther 1997, Teilbd. 4, S. 1609f. 110 Dies galt seit 1560. Siehe Ruthmann 1996, S. 11. 111 Bierther 1997, Teilbd. 4, S. 1613 (Passus 26). Siehe auch Sigrid Jahns: Das Ringen um die Reichsjustiz im Konfessionellen Zeitalter - ein Kampf um die Forma Reipublicae (1555-1648), in: Boockmann, Hartmut/Grenzmann, Ludger u.a. (Hg.): Recht und Verfassung im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit, Teil 2, Göttingen 2001, S. 407-472, hier S. 453. 112 Bewegliche Motiv und allgemeine Nutzbarkeiten/ deß Allerdurchleuchtigsten Ferdinands des Andern/ Römisch. Kaserl. Majestet/ etc. deß zwischen Ihrer Churf. Durchlauchtigkeit zu Sachsen getroffenen Friedens. Wie solche auß Kayserl. Befehl an eine Hohe Person/ abgeschickt/ und aus dem Lateinischen Exemplar ins Deutsche versetzet worden, [s. 1.] 1635, AHI. 106

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Urteile über die Kirchengüter zugunsten der Katholiken gefällt hatten und jene zur Zeit des Mühlhausener Kurfürstentages von 1627 noch nicht zur Exekution gekommen waren.113 Für diese gerichtlichen Entscheidungen wurde ausdrücklich vorausgesetzt, dass katholische und protestantische Fürsten ihre „submiszion" erteilt hatten. Darüber hinaus wurden die Problematiken der Reichsritter und der Reichsstädte aus der Regel ausgeklammert und der Augsburger Religionsfrieden zur Rechtsgrundlage der damit verknüpften Exerzitiumsrechte erklärt.114 Für andere Gebiete, unter ihnen das Erzstift Magdeburg115 und die kursächsischen Besitztümer wurden ebenfalls Sonderregelungen getroffen. Dem sächsischen Kurfürsten wurde für die Kirchengüter in seinem Herrschaftsgebiet das kirchliche Normaljahr 1620 in einem besonderen Vertrag eingeräumt.116 Zur Begründung wurden die großen Verdienste Johann Georgs für Kaiser und Reich in der ersten Kriegsphase angeführt. Daneben wurden seine Bemühungen für ein allgemeines kirchliches Normaljahr 1620 im Reich erwähnt,117 womit offensichtlich auf eine höhere Akzeptanz des Kurfürsten in den Reihen der übrigen protestantischen Reichsstände hingewirkt werden sollte. Das gleiche gilt für die Erwähnung seines Einsatzes für ein kirchliches Normaljahr 1612 in Böhmen.118 Somit flössen die kursächsischen Normaljahrspositionen, wenngleich nur zur Demonstration und ohne rechtliche Folgen, doch noch in die Verträge ein. Aber auch dem kaiserlichen Wunsch, den Anspruch auf eine Restitution der im Siegeszug Gustav Adolfs von Schweden durch das Reich verloren gegangenen Gebiete zu erheben, wurde Rechnung getragen. Auf dieser Grundlage fand ein weltliches Restitutionsjahr Niederschlag im Hauptvertrag. Kurfürstentümer, Fürstentümer, und andere Herrschaften samt Untertanen sowie Schlösser, Pässe, Festungen und dergleichen, die den Katholiken seit dem schwedischen Einfall von 1630 abgenommen worden waren, sollten ihren Besitzern zurückgegeben werden.119 Umgekehrt sollten auch protestantische Stände, sofern sie unter die Amnestie fielen, von Katholiken okkupierte Besitztümer auf der Grundlage dieses für weltliche Angelegenheiten verbindlichen Restitutionsjahrs zurückbekommen. 120 Ausdrücklich nicht in diesen Punkt aufgenommen waren allerdings jene Gebiete und Besitztümer, für die der in geistlichen Belangen geltende Normaltag, der 12. November 1627, die Regelungsgrundlage darstellte.121

Bierther 1997, Teilbd. 4, S. 1608, (Passus 4). Ebd., S. 1612 (Passus 22 und Passus 23). 115 Ebd., S. 1610f. (Passus 15ff.), und: Rezeß betr. das Erzstift Magdeburg, ebd., S. 1644. 116 Rezeß betr. das kursächsische Kirchengut, ebd., S. 1640-1643, hier S. 1642 (Passus 4). Der terminus ad quem betrug hier 50 Jahre. 117 Ebd., S. 1641 (Passus 1). 118 Hauptvertrag, ebd., S. 1606-1631, ebenso S. 1612 (Passus 25). 119 Ebd., S. 1616 (Passus 36). 120 Ebd., S. 1617 (Passus 39). 121 Ebd., S. 1616 (Passus 38). 113 114

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Letztlich wurde auch das Problem der Amnestie grundlegend über das Jahr 1630 bzw. über den Zeitpunkt des schwedischen Einfalls ins Reich geregelt. Grundsätzlich wurde sämtlichen Reichsständen und deren Verbündeten, die seitdem in Kriegshandlungen verstrickt gewesen waren, Straffreiheit zugesagt; etwaige Entschädigungsansprüche wurden für ungültig erklärt.122 Die Amnestie erstreckte sich dagegen nicht auf Schadensfälle, die durch die ,Böhmischen und Pfälzischen Händel' entstanden waren.123 Darüber hinaus wurden Personen, die von der Amnestieregelung vorläufig ausgenommen wurden, in einem besonderen Schriftstück aufgeführt. Darunter fielen z.B. alle diejenigen, die unaufgekündigt aus kaiserlichen Diensten ausgetreten waren. Andere Stände aus den vier oberen Reichskreisen, denen die Amnestie seitens des Kaisers verweigert wurde, wurden namentlich genannt, unter ihnen auch der Herzog von Württemberg und andere ehemalige Mitglieder des Heilbronner Bundes.124 Letztlich wurde auch der Wegfall jeglicher Ansprüche der Verwandten des inzwischen verstorbenen Pfalzgrafen Friedrich V., der als hauptsächlicher Kriegsverursacher im Vertrag benannt wurde, besiegelt. Lediglich auf dem Gnadenweg noch zu bewirkende Unterhaltsleistungen wurden in Aussicht gestellt.125 Insgesamt entsprach der Prager Frieden, der militärischen Situation entsprechend, eindeutig mehr den Zielen des Kaisers als denen der Protestanten. Andererseits ist unverkennbar, dass die schwedischen Eroberungen seit dem Sommer des Jahres 1630 traumatische Spuren am Kaiserhof hinterlassen hatten. Eine grundlegende Verunsicherung darüber, ob es zu jenem Zeitpunkt richtig gewesen war, sämtliche protestantische Reichsstände mit einem kaiserlichen Machtspruch gegen sich aufzubringen, ist spürbar. In der Religionsfrage beinhaltete die kaiserliche Politik nunmehr eine demonstrative Fähigkeit zur Verhandlungs- und Gesprächsbereitschaft mit protestantischen Ständen, auch wenn es nach wie vor um jeden Preis vermieden wurde, im Kern der Religionsfrage endgültige Zugeständnisse zu machen. Die kaiserliche Politik löste sich zunehmend vom Anspruch einer katholischen Interessenvertretungspolitik, wie sie im Edikt noch zum Ausdruck gekommen war. Ferdinand II. befand sich zwar während der Verhandlungen stets in Tuchfühlung mit katholischen Theologen, vor allem mit seinem Beichtvater Lamormaini,126 ließ sich von diesem jedoch nicht grundsätzlich von seinen einmal gefassten Normaljahrsplänen abbringen. Ebenso setzte er die Konzessionen des Prager Friedens gegen die Ermahnungen katholischer Reichsstände durch, die darin eine Versündigimg an Gott und Tausenden von Ebd., S. 1620 (Passus 58). Hierzu auch ebd., S. 1621 (Passus 61). 124 Mitteilung der kaiserlichen Gesandten betr. die Ausnahmen von der Amnestie, ebd., S. 1667-1671. 125 Hauptvertrag, ebd., S. 1606-1631, ebenso S. 1615 (Passus 32). 126 Bireley 1975, S. 211. 122

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6. Die Entwicklung der Normaljahrsvorstellungen bis zum Abschluss des Prager Friedens

Seelen erblickten, und sich während der Verhandlungen zu Wort meldeten.127 Freilich war der Kaiser von Beginn der Verhandlungen an entschlossen gewesen, eine Kassation des Restitutionsedikts unter allen Umständen zu vermeiden. Durch den ausgehandelten Normaltag und den terminus ad quem wurde deutlich gemacht, dass das Edikt nur suspendiert, nicht aber aufgehoben worden war.128 Johann Georg von Sachsen erreichte viel für sein Herrscherhaus, darunter die erbliche Überlassung des Besitzes der Ober- und Niederlausitz129 und ein besonderes kirchliches Normaljahr für seine kursächsischen Besitzungen. Inwieweit dies auf Kosten der übrigen Protestanten im Reich geschehen war, deutet sich etwa in der böhmischen Frage an, in der dem Kaiser weitestgehende Unabhängigkeit verbrieft wurde. Ebenso waren die Verhandlungen über die protestantische Reichsritterschaft und die Reichsstädte ungünstig für die Protestanten verlaufen. Die Verweigerung des Normaltages für die Reichsstädte ging auf eine Intervention des bayerischen Herzogs Maximilian I. zurück. Zugunsten des Protestantismus im Reich war aber zu verbuchen, dass das Restitutionsedikt für vierzig Jahre suspendiert worden war und die Exekutionen zurückgenommen werden mussten. Dass paritätische Richterspruchkammern zur endgültigen Lösung der Kirchengüterfrage in Aussicht gestellt wurden,130 lässt sich ebenfalls als beachtliches kaiserliches Zugeständnis werten. Nicht zuletzt dürfte ein weiterer zentraler Punkt - die im Vertrag besiegelte Aufhebung der katholischen Liga - ebenfalls von vielen Protestanten als vertrauensbildende Maßnahme bewertet worden sein.131 Das protestantische Ziel einer Paritätisierung spiegelt sich zudem in der Normaltagsregel selbst, wenngleich hierbei immer die zeitliche Beschränkung in Betracht zu ziehen ist. Zum ersten Mal war immerhin eine längerfristige Lösung in der Kirchengüterfrage auf der Basis von Verhandlungen, die im Namen der Katholiken und Protestanten im Reich durchgeführt wurden, von Vertretern beider Religionsparteien entwickelt worden. Stände beider Religionen sollten sich der Intention des Friedenswerks zufolge zumindest in absehbarer Zukunft auf diese Einigung berufen können. Insbesondere die Erprobung des Aushandelns von Normaljahren selbst sollte einen wichtigen Schritt zur interkonfessionellen Verständigung darstellen.132 Der anschließende Beitritt der meisten Reichsstände zum Frieden133 deutet, bei allen Unzulänglichkeiten, somit das Potential des Prager Friedens an. Dass dieses nicht zur Geltung kam, lag zwar wohl auch in der mangelnden Beteiligung der Zu diesen von Kurköln vorgetragenen Argumenten: ebd. Frisch 2001, S. 454. ™ Müller 1997, S. 462. 130 Bierther 1997, Teilbd. 4, S. 1610 (Passus 11). 131 Zur geschwundenen Stellung der Liga zur Zeit der Friedensverhandlungen siehe: Kaiser 2001, S. 283. 132 Hierzu auch Dickmann 1998, S. 74. 133 Bireley 1975, S. 219f. 127 128

6.4 Verhandlungen zum Prager Frieden - Von der Feinabstimmung zum Ergebnis

Stände im Reich an den Gesprächen begründet. Wesentlicher war jedoch, wie sich noch zeigen sollte, dass die Interessen Schwedens nicht berücksichtigt worden waren und dass das Königreich Frankreich sich anschickte, in den Krieg einzugreifen,134 womit die Religionsfrage für die folgenden Jahre des „europäischen Krieges" 135 in den Hintergrund gedrängt wurde.

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Dickmann 1998, S. 74.

135

Kaiser 2001, S. 277.

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7. Kaiser Ferdinand II., Johann Georg I. von Sachsen und die Bedeutung ihrer

Normaljahrspositionen

7. K a i s e r Ferdinand II., J o h a n n G e o r g I. von S a c h s e n und die B e d e u t u n g ihrer N o r m a l j a h r s p o s i t i o n e n Eine bereits allgemein erörterte Frage soll hier noch einmal mit Blick auf die Friedenspolitik in den 1630er Jahren aufgegriffen werden: Wer waren die entscheidenden Akteure in der Politik? Wer war maßgeblich an der Erfindung' und Spezifizierung des ,Mediums' zur Beendigung des Krieges beteiligt? Der Blick in die Quellen lehrt, dass viele rechtsverständige Räte daran mitwirkten, die konkreten Lösungen auszuarbeiten. Als prominenteste Figur auf kaiserlicher Seite hatte z.B. Graf Maximilian von Trauttmansdorff maßgeblichen Anteil an der Diskussion über das ,richtige' Normaljahr. 1 Ebenso versuchte auf protestantischer Seite Anton Wolff von Todenwarth neben anderen Gesandten, Vorschläge für Stichjahre zu interpretieren und Alternativen zu entwerfen. Juristische Aspekte spielten für diese Akteure eine entscheidende Rolle bei der Ausfertigung ihrer Konzepte und in der Kommunikation miteinander. Zwar bestanden je nach Religion unterschiedliche Auslegungen im Hinblick auf das Kirchenrecht. Eine gemeinsame Basis bildete jedoch etwa das Wissen über die Bedeutung von Befristungsregelungen und Terminsetzungen im Rechtsleben. Die Deputierten standen in engem Kontakt mit ihren Höfen und agierten auf der Basis von Instruktionen, die dort ausgearbeitet worden waren. An diesen Höfen gruppierten sich wiederum wichtige Personen um Kaiser und Kurfürst. Zwar hatten diese als Hofräte bzw. Geheime Räte oder Beichtväter unter diesen Bedingungen durchaus erheblichen Einfluss. Letztlich waren es aber Ferdinand II. und Johann Georg I. selbst, die nach ausgiebiger Beratung und Überzeugung durch ihre Experten auf politischem, juristischem und theologischem Gebiet die Entscheidungen zu tragen hatten. Es ist nahe liegend, dass sie als Entscheidungsträger auch auf ihre eigenen persönlichen Erfahrungen zurückgriffen. Dazu gehörten nicht zuletzt langjährige Erfahrungen, die sie im Mit- und Gegeneinander gesammelt hatten und aus denen gegenseitige Einschätzungen resultierten. Im Rahmen der indirekten Kommunikation über ihre Gesandten ging es um die Fortführung guter Beziehungen auf der Basis gemeinsamer Wertvorstellungen. In der Betonung, Vertrauen auf einer persönlichen Ebene herstellen zu wollen, erlangten Signale, die Gemeinsamkeiten vermittelten, an Bedeutung. Mit der persönlichen Ebene waren rechtliche und politische Konsequenzen verbunden. Es ging um das Recht der Konfessionen, darüber hinaus immer auch um das Reich. Der Kaiser und der sächsische Kurfürst wie auch dessen Gesandte verhandelten über dessen Zukunft und arbeiteten damit zugleich daran, dieses Reich symbolisch zu stabilisieren. Das gegenseitige Abringen von Zugeständnissen vollzog sich dabei im Rahmen einer Praxis, die an die 1

Siehe z.B. Bierther 1997, Teilbd. 1, S. 163*f.

7. Kaiser Ferdinand II., Johann Georg I. von Sachsen und die Bedeutung ihrer Normaljahrspositionen

Ökonomie des Gabentausches erinnert.2 Auf der Bereitschaft zum Tausch gründeten die Verhandlungen, die die persönlichen und politischen Bindungen wieder aufleben lassen sollten. Im Rahmen einer Ökonomie der Gerechtigkeit ergab sich die grundsätzliche Verpflichtung beider Seiten,,etwas nachzugeben', 3 um den guten Willen, das Reich aus der Misere zu führen, zu demonstrieren und Vertrauen einzubringen. Das Verhandeln über Normaljahre sollte gerade hierfür besondere Möglichkeiten eines schrittweisen gegenseitigen Entgegenkommens eröffnen. Johann Georg von Sachsen und seine Räte betrachteten sich als die ersten, die die Aushandlung eines kirchlichen Normaljahrs vorgeschlagen hatten, um den langen Krieg zu beenden. Auf dem Regensburger Kurfürstenkonvent zunächst noch ungenau formuliert, hatte sich die Idee beim sächsischen Kurfürsten und in seinem Umfeld während des Leipziger Konvents und des Frankfurter Kompositionstags konkretisiert. Johann Georg, der keineswegs stets passiv im Hintergrund blieb, sondern auch in eigener Person für die Friedensverhandlungen eintrat,4 sah sich selbst vielleicht nicht unbedingt als Erfinder eines grundlegend neuen Lösungskonzepts. Zumindest verstand er sich aber als Initiator einer Diskussion um ein originelles ,Medium', das zur Herstellung des Friedens tauglich erschien. Der terminus a quo war daher auch ein wesentliches Mittel, um Johann Georg als Friedenspolitiker darzustellen und ihn auf diese Weise gegenüber der Posterität' zu profilieren: Der sächsische Kurfürst wollte angesichts der ruinösen Auswirkungen des Krieges im Reich Nachruhm über seine Friedensinitiative erwerben. Dabei agierte er, wie sowohl der häufige Gebrauch des Begriffes der,Posterität' als auch die Bezugnahmen auf die ,Vorfahren' erkennen lässt, vor dem Hintergrund einer adeligen Erinnerungskultur, in der individuelles Verantwortungsbewusstsein gegenüber Ahnen und Nachkommen als wesentlicher Maßstab von Entscheidungen galt.5 Hier lag offensichtlich ein sehr persönlicher Grund für ihn, die Normaljahrsverhandlungen gemeinsam mit seinen Räten zu forcieren. Zur Gemeinschaft konstituierenden Funktion des Gabentausches im Rahmen einer Kommunikation über Herausforderung und Erwiderung siehe Marcel Mauss: Die Gabe. Form und Funktion des Austausche in archaischen Gesellschaften. Frankfurt/M. 1990, insbes. S. 181. Zur Logik des,Schenkens' siehe auch Vogt 1997, S. 109f. 3 Siehe z.B. die an die kaiserlichen Gesandten gerichtete gleichlautende Aufforderung seitens des sächsischen Kurfürsten, die ihnen durch die hessen-darmstädtischen Gesandten übermittelt wurde. Kaiserliches Protokoll vom 5. April 1635, in: Bierther 1997, Teilbd. 3, S. 1420. 4 Siehe hierzu z.B. den Bericht des hessen-darmstädtischen Gesandten Dominikus Porss vom 16. Mai 1634, in: Bierther 1997, Teilbd. 2, S. 417. 5 Hierzu Graf mit seinen Überlegungen zur retrospektiven und prospektiven adeligen Erinnerungskultur: Klaus Graf. Fürstliche Erinnerungskultur. Eine Skizze zum neuen Modell des Gedenkens in Deutschland im 15. und 16. Jahrhundert, in: Grell, Chantal/Paravicini, Wemer/Voss, Jürgen Hg.): Les princes et l'histoire du XlVe au XVIIIe siècle. Actes du colloque organisé par l'Université de Versailles - Saint-Quentin et l'Institut Historique Allemand, Paris/Versailles, 13-16 mars 1996. Bonn 1998, S. 1-11. Verbindungen von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft wurden auch im Rahmen 2

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7. Kaiser Ferdinand II., Johann Georg I. von Sachsen und die Bedeutung ihrer Normaljahrspositionen

Johann Georg war aus diesem Grunde auch grundsätzlich bereit, Zahlenvarianten zu akzeptieren. Aber seine bevorzugten Jahre waren 1620 und 1612. Diese Termine hatten, wie auch die von der Gegenseite präsentierten Termine, eine Indexfunktion,6 mit der rechtliche Ansprüche zum Ausdruck gebracht wurden. Diese Indexfunktion manifestierte sich im Rahmen eines moralischen Diskurses, in dem über die Vergangenheit reflektiert wurde. Nicht sämtliche den Positionen innewohnenden Aspekte kamen allerdings in diesen Diskussionen direkt zum Vorschein. Uber die Normaljahre wurden sie, zumindest partiell, in verschleierter Form vorgetragen, um Eigen- bzw. Gruppeninteressen nicht gegenüber dem beschworenen Gesamtinteresse auszuspielen. 1620 verwies auf die Mühlhausener Assekuration und weitere bei den damit zusammenhängenden Verhandlungen erzielten Ergebnisse, die dem Haus des sächsischen Kurfürsten Vorteile gebracht hatten. Diese bedurften der langfristigen Sicherung. Zugleich war dieses Jahr insofern ein bedeutendes Jahr für Johann Georg und seine Räte, als sie sich in dieser Zeit - zum Missfallen und Entsetzen anderer protestantischer Reichsstände - nach Ausbrechen des bewaffneten Konflikts im Reich militärisch für den Kaiser entschieden hatten. Ein kirchliches Normaljahr 1620, das das Restitutionsedikt ausgehebelt und eine Vielzahl an Zugewinnen der Katholiken rückgängig gemacht hätte, hätte für den Kurfürsten die Chance mit sich gebracht, Kritiker aus den eigenen Reihen auf eine schlagende Weise zum verstummen zu bringen. Mit der Aufwertung dieses Jahres als terminus a quo wäre auch eine Aufwertung der seinerzeit getroffenen Entscheidungen des Fürsten verbunden gewesen. Während das Jahr 1620 auf ein Ereignis, Johann Georgs militärische Intervention zugunsten des Kaisers, verwies, deutete das Stichjahr 1612, das aus Vorverhandlungen zwischen Kursachsen und Kurbrandenburg hervorgegangen war, auf eine Ära. Es zielte auf eine Wiederherstellung der Zustände im Reich unter Kaiser Rudolf II., der in diesem Jahr gestorben war. Dieses Jahr stand nicht in direkter Beziehung zum sächsischen Kurfürsten und ging wohl eher auf den Kurfürsten von Brandenburg zurück, der in Vorgesprächen die calvinistischen Interessen vertreten hatte. Es hätte aber für Johann Georg den Vorteil mit sich gebracht, dass er sich bei konsequenter Umsetzung zum Retter

der spätmittelalterlichen hochadeligen Begräbniskultur hergestellt. Siehe etwa Carola Fey: Spätmittelalterliche Adelsbegräbnisse im Zeichen von Individualisierung und Institutionalisierung, in: Rösener, Werner (Hg.): Tradition und Erinnerung in Adelsherrschaft und bäuerlicher Gesellschaft. Göttingen 2003, S. 81-106, hier S. 90ff. Das Bedürfnis, Konfession und Tradition zu verbinden, wird auch im Testament, das Herzog Wilhelm IV. von Bayern kurz vor seinem Tod, 1550, verfaßte, deutlich: Dieser betrieb ,Zukunftsvorsorge', indem er seinen Erbfolger Albrecht V. unter Androhung göttlicher Strafe dazu ermahnte, dem katholischen Glauben treu zu bleiben und keine andere Religion einzuführen. Siehe Helga Czerny·. Der Tod der bayerischen Herzöge im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit 1347-1579. Vorbereitungen - Sterben - Trauerfeierlichkeiten - Grablegen - Memoria. München 2005, S. 281. 6 Man könnte sie daher auch als „Verweisungs- oder Repräsentanzzeichen" im Rahmen symbolischer Kommunikation verstehen. Hierzu Stollberg-Rilinger 2004, S. 525.

7. Kaiser Ferdinand II., Johann Georg I. von Sachsen und die Bedeutung ihrer Normaljahrspositionen des Protestantismus in den habsburgischen Ländern und in Böhmen aufgeschwungen hätte. Der unter Rudolf II. ausgestellte b ö h m i s c h e Majestätsbrief' von 1609 hatte den dortigen Ständen Gewissensfreiheit und weitere religiöse Zugeständnisse zugesichert. 7 Ein kirchliches Normaljahr 1612 wäre somit ein der gesamten protestantischen Sache noch dienlicheres Datum als 1620 gewesen, indem es direkt an,bessere Zeiten' angeknüpft hätte. In kaiserlicher Sicht erschien 1612 jedoch als völlig inakzeptabel. Ferdinand II. betrachtete die protestantischen Adeligen Böhmens als Aufständische und Majestätsverbrecher und war nicht einmal bereit, ihnen Amnestie zu gewähren. Angesichts seiner Fähigkeit zu Zugeständnissen in anderen religiösen Fragen deutet dieser Punkt darauf hin, dass hier seine persönliche Ehre, die des Öfteren in den Verhandlungen zur Sprache gebracht wurde, in besonderer Weise berührt war. Eine Wiederherstellung der ständischen Religionsfreiheiten lag für ihn völlig außer Betracht. Auch ein Stichjahr 1620 hatte er bereits zusammen mit katholischen Reichsständen als ein ,Extremum' apostrophiert. Als ein generelles Ausrichtungsjahr für Restitutionen bedrohte es den Geistlichen Vorbehalt, dessen Sicherung die Katholiken und auch der Kaiser selbst als Protektor der katholischen Kirche nicht aus den Augen verlieren wollten. Lediglich im begrenzten Bereich des kursächsischen Territorialbesitzes war für Ferdinand II. ein solcher Termin zur befristeten Gewährung von Ansprüchen denkbar. Unter dieser Bedingung konnte das Jahr für ihn sogar an positiver symbolischer Bedeutung gewinnen, da es das traditionell gute Einvernehmen zwischen Kursachsen und Kaisertum als Jahr der Bewährung, überzeugend zu repräsentieren vermochte: Johann Georg erhielt es gleichsam als Geschenk für seine Verständigungsbereitschaft und die Rückkehr zur Vertrauenspolitik. Aus Ferdinands unbedingtem Wunsch, am Geistlichen Vorbehalt festzuhalten, ergaben sich grundlegende Bedenken gegenüber einem Verhandeln über kirchliche Normaljahre, die nur über die Einführung eines terminus ad quem abgemildert werden konnten. Auf dieser Basis rang er sich nach dem Frankfurter Kompositionstag zur Bereitschaft durch, einem generellen Normaljahr, das vom Datum des Passauer Vertrages abwich, als Richtdatum für eine provisorische Ordnung zuzustimmen. Damit verbunden war die Aussetzung der Exekution des Restitutionsedikts, mehr noch: die konkrete Rückführung von Restitutionen, wobei allerdings zu bedenken ist, dass durch die schwedischen Kriegserfolge viele dieser Restitutionen de facto bereits aufgehoben worden waren. Immerhin war der Kaiser nun aber im Rahmen eines vorläufigen Friedensvertrages bereit, sämtliche in seinem Namen durchgeführten Exekutionen zurückzunehmen, sofern sie nicht durch ein reichsgerichtliches Urteil untermauert waren. Im Zuge der Verhandlungen ließen er und seine Gesandten sich abringen, dass auch jene Restitutionen einbezogen 7

Lutz 1979, S. 99.

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7. Kaiser Ferdinand II., Johann Georg I. von Sachsen und die Bedeutung ihrer Normaljahrspositionen wurden, die bereits vor der Publikation des Edikts durchgeführt worden waren. Diese Haltung unterschied sich bereits wesentlich vom starren Festhalten am Edikt zur Zeit des Regensburger Kurfürstentags von 1630. Als Schnittpunkt wurde jedoch der 12. November 1627, der auf den Mühlhausener Kurfürstentag dieses Jahres verwies, gesetzt. Neben dem generellen Verweis auf den Konvent, der an diesem Tag zu Ende gegangen war, war, wie bereits bemerkt, der Verweis auf das ebenfalls an diesem Tag erstellte Gutachten der katholischen Kurfürsten Inbegriffen, in dem der Kaiser um die Einleitung von Restitutionen auf der Grundlage des Geistlichen Vorbehaltes gebeten worden war. Dass der Faden nach Ablauf von vierzig Jahren einmal genau an dieser Stelle wieder aufgenommen werden sollte, stellte sich, wie sich noch zeigte, für die Protestanten im Reich alles andere als beruhigend dar. Andererseits war nicht zwangsläufig über die Wahl des Normaltages vorgeschrieben, dass es zu einer Aktualisierung des Restitutionsedikts kommen würde. Die Entscheidung über die Kirchengüter sollte vielmehr dem Vertragstext zufolge, wenn möglich, über gütliche Vergleiche, oder aber von Fall zu Fall auf reichsgerichtlicher Basis fallen. Dass hierbei das Restitutionsedikt als logische Konsequenz des Mühlhausener Kurfürstentages im Rahmen der gerichtlichen Erörterung noch einmal eingebracht wurde, war freilich auch nicht ausgeschlossen. 8 Der sächsische Versuch im Rahmen der so genannten Pirnaer Notein, eine Schutzklausel für die Protestanten in das Friedenswerk zu inserieren, um sie auch langfristig vor einer Geltendmachung des Restitutionsedikts zu bewahren, war gescheitert. So lässt sich festhalten, dass die endgültigen Entscheidungen über die Religions- und Kirchengüterfrage auf später vertagt wurden. Ein charakteristisches Merkmal des Prager Friedens ist seine Offenheit, in der sich die Traditionen des Dissimulierens und der Suspension fortsetzten. 9 Angesichts des Alters der vertragsschließenden Personen - der Kaiser war 56, Johann Georg 50 Jahre alt - ist es wohl kaum verfehlt, davon auszugehen, dass sie die wichtigen Entscheidungen späteren Generationen vorbehielten. Beide Seiten versuchten hierfür, ihren Nachkommen günstige Ausgangspositionen zu schaffen und darauf hinzuwirken, dass die wesentlichen über den Zeitraum von Jahrzehnten verfolgten Ziele ihrer Religionsparteien nicht endgültig aufgegeben wurden. Es ist beachtlich, dass ein lutherischer Kurfürst in den Verhandlungen bestrebt war, ein noch größeres Zeitfenster zu öffnen als sein katholischer Gegenspieler. Von einer im Luthertum stark verbreiteten Naherwartung der

Frisch 2001, S. 454. So auch das Urteil von Repgen: Konrad Repgen: Dreißigjähriger Krieg, in: Ders.: Dreißigjähriger Krieg und Westfälischer Friede. Studien und Quellen, hrsg. v. Franz Bosbach und Christoph Kampmann. Paderborn etc., S. 291-318, hier S. 309.

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7. Kaiser Ferdinand II., Johann Georg I. von Sachsen und die Bedeutung ihrer Normaljahrspositionen letzten Tage der Welt10 ließ Johann Georg auch bei den Verhandlungen zum Prager Frieden nichts spüren. Apokalyptische Gedankenmuster, so sehr sie bei anderen Gelegenheiten von Lutheranern heraufbeschworen wurden, wurden offensichtlich weitgehend aus den Konzepten der politischen Entscheidungsträger verdrängt. Sowohl Johann Georg als auch der Kaiser sahen eine längerfristige Zukunft vor sich, in der die Koexistenz zweier Religionen im Reich weiterhin Bestand haben würde. Auf der Ebene des Glaubens war dabei beiden Akteuren die Vorstellung nicht fremd, dass auch provisorische Entscheidungen ihre schwerwiegenden Konsequenzen hatten, da eine Vielzahl von Seelen im Reich von ihnen betroffen war. Angesichts der katastrophalen Lage, in die der Krieg das Reich geführt hatte, und angesichts der Unabsehbarkeit der militärischen Entwicklung waren sie jedoch nicht die einzigen Herrschaftsträger, die diese Bedenken zugunsten einer größere Sicherheit versprechenden Ausgleichspolitik zurückstellten. 11

10 Zu dieser Naherwartung Matthias Pohlig: Konfessionskulturelle Deutungsmuster internationaler Konflikte um 1600 - Kreuzzug, Antichrist, Tausendjähriges Reich, in: Archiv für Reformationsgeschichte 93 (2002), S. 278-316, S. 314. Zur Deutung des Krieges im Rahmen apokalyptischer Vorstellungen des Luthertums: Kaufmann 1998, S. 46ff. u. 67ff. Eine ältere Darstellung, die von der Omnipräsenz der Apokalyptik im Dreißigjährigen Krieg ausgeht bei Roland Haase: Das Problem des Chiliasmus und der Dreißigjährige Krieg. Leipzig 1933. In der Deutung der Apokalyptik als „kultureller Code" löst sich dieser Widerspruch auf. Siehe hierzu Kaufmann 2007. 11 Auch Maximilian I. von Bayern problematisierte nach 1637 diesen Zwiespalt, entschied sich dabei aber zugunsten einer Friedenspolitik mit Kompromissen, da diese verantwortlicher gegenüber der Posterität' sei. Siehe Bireley 1975, S. 223. Zu Maximilians Stellung zum Frieden während der Zeit des Prager Friedens siehe auch: Kaiser 2002, S. 69-99, hier S. 86.

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8. Bis zu den Westfälischen Friedensverhandlungen:

Die zunehmende Bedeutung des Amnestiejahrs

8. Bis zu den Westfälischen Friedensverhandlungen: Die zunehmende Bedeutung des Amnestiejahrs In der „zweiten Hälfte des Dreißigjährigen Krieges",1 die nach dem Prager Frieden und mit der Kriegserklärung Frankreichs gegen den Kaiser begann, traten die Religionsstreitigkeiten der Reichsstände in den Hintergrund. Darüber, ob der Friedensvertrag wirklich langfristig zur Beendigung des Krieges und zur Beseitigung seiner Ursachen geführt hätte, wenn sich das Gewicht der einzelnen Konfliktfelder nicht noch einmal durch die französische Intervention maßgeblich verschoben hätte, lässt sich nur mutmaßen. Dafür spricht vielleicht, dass sich alle bedeutenderen Reichsfürsten bis auf wenige, unter diesen Wilhelm V. von Hessen-Kassel,2 dem Frieden anschlossen und bereits kurze Zeit nach der Unterzeichnung mit der Organisierung der Restitutionen im Sinne der Vertragsregelungen begonnen wurde.3 Dagegen spricht allerdings, dass Schweden als Reichsfeind ausgegrenzt wurde.4 Zudem hatte ein heftiges Misstrauen im protestantischen Lager der Reichsfürsten gegen Kursachsen und den Kaiser nach wie vor Bestand. Unverhohlene Kritik wurde an einzelnen Regelungen laut. Im Zentrum dieser Kritik stand zum einen der ausgehandelte terminus a quo, dessen indirekter Verweis auf das Restitutionsedikt den protestantischen Reichsständen keinesfalls verborgen blieb. Durch seine häufige Nennung im Friedenstext versprach man sich in ihren Reihen Ungutes für die ,werthe Posterität' 5 in der Zeit nach dem Verstreichen der gesetzten Frist.6 Die die kursächsische Politik rechtfertigenden Befürworter des Friedens bemühten sich im Rahmen der politischen Publizistik umso mehr, das Vorteilhafte dieses Termins im Hinblick auf die Besitzstände der Protestanten herauszustreichen. Den Kritikern hielt man eine Aufreihung zahlreicher Gebiete, Ortschaften und

ι Hierzu Kaiser 2001, S. 277. Siehe zur Politik Wilhelms V. und seiner Gemahlin und seit 1637 Nachfolgerin, Landgräfin Amalie Elisabeth, den Aufsatz von Dieter Albrecht: Die Kriegs- und Friedensziele der deutschen Reichsstände, in: Repgen, Konrad (Hg.): Krieg und Politik 1618-1648. Europäische Probleme und Perspektiven. München 1988, S. 241-273, insbesondere S. 242-255. 3 Zu den Restitutionen im Erzstift Magdeburg: Franz Schräder: Magdeburg, in: Schindling, Anton/Ziegler, Walter (Hg.): Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500-1650. Bd. 2: Der Nordosten. Münster 1993, S. 68-86, hier S. 83; zu den Restitutionen in Erfurt: Franz Schauerte: Gustav Adolf und die Katholiken in Erfurt. Ein Beitrag zur Geschichte des Dreißigjährigen Krieges. Köln 1887, S. 76ff. " Schmidt 1999, S. 170. 5 Gegründete Ablehnung etlicher wider den Pragischen Frieden-Schluß movirter dubiorum, Worbey zugleich befindlich, was in wärender Tractation, bey einem vnd dem andern Punct, auff beyden Seiten angeführet, so wol bey Schliessung in Consideration gehalten worden, [s. 1.] 1636, S. 14. s Ebd., S. 2f. 2

8. Bis zu den Westfälischen Friedensverhandlungen:

Die zunehmende Bedeutung des Amnestiejahrs

Güter entgegen, die durch den Stichtermin als gerettet erschienen.7 Dass Kursachsen seinerzeit dem katholischen Aufruf zum Erlass des Edikts nicht zugestimmt hatte, wurde ebenfalls angeführt, um nachzuweisen, dass in dem Datum für die Evangelischen im Reich „nichts verdeckts oder gefährlichs" stecke.8 Die dissimulatorischen Bestandteile im Prager Frieden wurden somit schlichtweg abgestritten. Von Grund auf überzeugend konnten solche Argumente nicht zuletzt angesichts des ebenfalls massiv kritisierten terminus ad quem9 jedoch kaum wirken. Darüber hinaus musste sich Kursachsen mit einer Bemängelung der Amnestieklauseln auseinandersetzen. Dass diese die Religionsproblematik direkt beeinflussen konnten, sollte sich zuerst auf dem Regensburger Kurfürstentag von 1636/37 zeigen.10 Dort stellte sich die Frage nach der Amnestie sowohl für den Kaiser als auch für Kursachsen als eine Prestigefrage dar. Auf kaiserlicher Seite beanspruchte man das unbedingte Recht, Personen, die sich zum Feind des Reichsoberhaupts gemacht hatten, zu bestrafen. Auf kursächsischer Seite galt eine Lösung, die sich zugunsten jener Protestanten auswirkte, denen die Amnestie vorerst verwehrt worden war, dagegen als wichtiges Fundament für die eigene Reputation im protestantischen Lager. Darüber war man sich zu Wien durchaus im Klaren.11 Ferdinand II. versuchte jedoch zu Regensburg sehr radikal, seine eigene Auslegung des Prager Friedens entgegen den Vorstellungen Johann Georgs durchzusetzen: Der Kaiser vertrat, unterstützt von den katholischen Kurfürsten, den Standpunkt, dass ihm völlige Handlungsfreiheit in der Amnestiefrage zukam. Es gelang ihm, die kursächsischen Gesandten zu isolieren und von den wichtigsten Verhandlungen darüber fernzuhalten.12 Der Kurfürst konnte dagegen nicht einmal den Umstand, dass die Wahl des kaiserlichen Sohnes zum römischen König stattfinden sollte, für sich ausnutzen. Johann Georg musste sich im Endeffekt mit der Einschätzung begnügen, dass ihm von der, Posterität* nicht nachgesagt werden konnte, keine ausreichenden Anstrengungen in dieser Sache unternommen zu haben.13 Als schwerwiegendstes Amnestieproblem wurde auf dem Regensburger Konvent der Fall Württemberg betrachtet.14 Der in kaiserliche Ungnade gefallene Herzog Eberhard III. versuchte, in den Besitz der Güter zu gelangen, die ihm aufgrund der Verweigerung der Amnestie bislang vorenthalten worden waren. Ein Viertel davon bestand aus Kirchengütern. Unter den Reichshofräten bildeten sich zwei Gruppen, von denen die eine dem Kaiser dazu riet, die Ebd., S. 35f. Ebd., S. 37. « Ebd., S. 14. 10 Dazu Heiner Haan: Der Regensburger Kurfürstentag von 1636/1637. Münster 1967. 11 Ebd., S. 176. 12 Ebd., S. 176-208. 13 Ebd., S. 199. "Hierzu auch Rosimtha Philippe: Württemberg und der Westfälische Friede. Münster 1976, S. 25ff. 7 8

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8. Bis zu den Westfälischen Friedensverhandlungen:

Die zunehmende Bedeutung des Amnestiejahrs

Klöster und Stifter auf keinen Fall dem Herzog zu überlassen.15 Der Kaiser habe das Territorium auf kriegsrechtlicher Grundlage in Besitz genommen. Eine Herausgabe der teils vor und teils nach dem Prager Frieden restituierten Kirchengüter schade der katholischen Sache und mache ihn beim Papst und den anderen Katholiken unglaubwürdig. Über die Konsequenzen, die die Anwendung der Normaltagsregel mit sich gebracht hätte, wurde offensichtlich gar nicht erst nachgedacht. Obwohl sich im Reichshofrat auch Mitglieder für eine Versöhnung mit Herzog Eberhard aussprachen und für die Abtretung der Güter plädierten, kam man im Kurfürstenrat zu dem Schluss, dass der Kaiser dazu auch zukünftig nicht verpflichtet sei.16 Der Streit um Württemberg machte deutlich, dass das Kirchengüterproblem keineswegs vollständig durch die Normaltagsregel gelöst war. Die kirchliche Normaljahrsfrage wurde jedoch in den Jahren nach dem Prager Frieden nicht nur von der Amnestiefrage verdrängt. Für die beiden größten Kriegsmächte, mit denen der Kaiser konfrontiert war, Schweden und Frankreich, spielte die Beilegung des alten Streites der Religionsparteien im Reich nur noch eine untergeordnete Rolle. Für Schweden war eine Entschädigung für die Intervention zugunsten der protestantischen Reichsstände der wichtigste Punkt, von dem eine Verständigung und die Einstellung der Kampfhandlungen abhing. Bereits kurz nach dem Prager Frieden, im Oktober und November 1635, war es nach mecklenburgischer Vermittlung zu Verhandlungen zwischen Schweden und dem Kaiser, den ,Schönebeckschen Traktaten', gekommen, 17 bei denen der schwedische Reichskanzler, Graf Axel von Oxenstierna, versucht hatte, eine Abfindung der schwedischen Armee, die Erstattung von Kriegskosten und einige territoriale Zugeständnisse zugunsten der Krone durchzusetzen.18 Darüber hinaus waren von schwedischer Seite aber auch zum ersten Mal durchgreifende Restitutionen im Reich zugunsten der Protestanten nach einem Amnestiejahr 1618 eingefordert worden.19 Auch nach dem Scheitern der Schönebeckschen Verhandlungen sollte die Forderung in den schwedischen Propositionen auftauchen. Im Memorial, das der schwedische Reichsrat im April 1636 dem Gesandten Johan Adler Salvius für seine Friedensverhandlungen mit auf den Weg gab, wurde sie ebenfalls mit dem Jahr 1618 verknüpft.20 Dieses Jahr stellte nun immer deutlicher die

15 Haan 1967, S. 179ff. 16 Ebd., S. 183. 17 Unmittelbar vorausgegangen waren ebenfalls Verhandlungen zwischen Kursachsen und Schweden, siehe die Erläuterungen in: Wagner, Hans (Bearb.): Die kaiserlichen Instruktionen (1637-1645), in: Acta Pacis Westphalicae, Serie 1: Instruktionen, Bd. 1: Frankreich, Schweden, Kaiser, bearb. v. Fritz Dickmann etc. Münster 1962, S. 325-458, hier S. 329. «> Dickmann 1998, S. 76f. 19 Hierzu Hoffmannus 1750, S. 71. 20 Wermter, Emst Manfred (Bearb.): Die schwedischen Instruktionen (1636-1641), in: Acta Pacis Westphalicae, Serie 1: Instruktionen, Bd. 1: Frankreich, Schweden, Kaiser,

8. Bis zu den Westfälischen Friedensverhandlungen:

Die zunehmende Bedeutung des Amnestiejahrs

Gegenposition gegenüber dem kaiserlichen Amnestiejahr 1630 dar. Eindeutig wurde damit versucht, Schweden als Schutzmacht der gesamten protestantischen Reichsstände zu profilieren. Andererseits lassen die Instruktionen für Salvius auch erkennen, dass man ein Amnestiejahr 1618 nicht um jeden Preis durchsetzen wollte. Vielmehr war man bereit, bei entschlossenem Beharren der Gegenseite auch das Jahr 1630 zu akzeptieren und immerhin damit die Einbeziehung jener militärischen Verbündeten in die Amnestie zu erreichen, die Schweden im Krieg tatkräftig unterstützt hatten.21 Für Frankreich als katholische Macht, die gegen den Kaiser kriegerisch interveniert war, stellte sich die Frage nach dem Amnestiejahr dagegen zunächst gar nicht. In den Instruktionen für die französischen Gesandten der angesetzten Friedenskonferenz zu Köln, die 1636/37 stattfinden sollte, aber dann doch nicht zustandekam, taucht sie nicht auf.22 Richelieus Kriegsziele, die auf die Errichtung eines europäisches Sicherheitssystems hinausliefen,23 in dem der Faktor Habsburg entmachtet wurde, beinhalteten zwar, neben der militärischen Annexion strategischer Stützpunkte und Räume, die als bedrohlich für Frankreich betrachtet wurden,24 eine allgemeine Stärkung der reichsständischen Position gegenüber dem Kaiser. Inwiefern man in diesem Zusammenhang die vergangenen Kriegsjahre im Reich bei einer Friedenslösung in Betracht zu ziehen hatte, wurde aber offensichtlich zunächst noch nicht als dringliche Frage betrachtet. Erst im Hamburger Vertrag von 1638, mit dem das Bündnis mit Schweden erneuert wurde, schloss man sich der Forderung eines Amnestiejahrs 1618 an.25 Auch wenn diese Forderung für beide Mächte nicht zentral war: Durch die gemeinsame Formulierung dieses Kriegszieles wurde es immer unwahrscheinlicher, dass den Religionsbestimmungen im Prager Frieden noch zum Durchbruch verholfen werden konnte. Allein durch die französische Intervention veränderten sich zwangsläufig die Möglichkeiten und Bedingungen der kaiserlichen Friedenspolitik. Zudem vollzog sich 1637 ein wichtiger personeller Wechsel im Amt des Kaisers. Ferdinand II., der Kaiser des Restitutionsedikts, starb kurz nach dem Regensburger Konvent. Sein Nachfolger, Ferdinand III.,26 griff zwar auf den Haupt-

bearb. v. Fritz Dickmann etc. Münster 1962, S. 190-266, hier S. 205-209. Siehe auch die Ubersetzung der schwedischen Texte von Emil Schieche ebd., S. 267-322. 21 Wermter 1962, S. 206. 22 Dickmann, Fritz; Goronzy, Kriemhild (Bearb.): Die französischen Instruktionen (1636-1643), in: Acta Paris Westphalicae, Serie 1: Instruktionen, Bd. 1: Instruktionen Frankreich, Schweden, Kaiser, bearb. v. Fritz Dickmann etc. Münster 1962, S. 1-198, hier S. 38-55. 23 Siehe Fritz Dickmann: Rechtsgedanke und Machtpolitik bei Richelieu. Studien an neuentdeckten Quellen, in: Ders.: Friedensrecht und Friedenssicherung. Studien zum Friedensproblem in der Geschichte. Göttingen 1971, S. 36-78. 2 4 Ebd., S. 48. Hierzu auch Burkhardt 1992, S. 45. 2 5 Siehe Kathrin Bierther: Der Regensburger Reichstag von 1640/1641. Kallmünz 1971, S. 21. 26 Zur den Grundlinien der Politik dieses Kaisers siehe Repgen 1998b.

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berater seines Vorgängers, Maximilian Graf Trauttmansdorff zurück und knüpfte damit an die Politik seines Vaters an.27 Die komplexe Situation gebot den Kaiserlichen jedoch, auf neue gegnerische Forderungen und Konzepte zu reagieren. Außerdem versuchte man aus durchsichtigen Gründen, zu einem separaten Friedensabschluss mit einem der miteinander verbündeten Gegner zu kommen. Das Ziel, die feindliche Front aufzubrechen, misslang jedoch. Es entwickelte sich in diesem Zusammenhang immerhin die - allerdings noch nicht nach außen vermittelte - Bereitschaft, Schweden soweit entgegenzukommen, dass ein Amnestiejahr 1630 ohne Ausnahmen Geltung beanspruchen sollte.28 Von noch höherer Bedeutung für die Friedensgespräche war es jedoch, dass man seit 1639 auf kaiserlicher Seite in Erwägung zog, über eine Abtretung Pommerns an Schweden zu verhandeln.29 Der französische und schwedische Kriegseinsatz für die deutsche Fürstenlibertät sollte bereits mittelfristig beachtliche Erfolge zeitigen. Die Reichsstände erlangten ein ernsthaftes Gegengewicht gegenüber dem Kaisertum. Fritz Dickmann hat ihren Aufschwung in den frühen 1640er Jahren, der sich in ihrer Beteiligung an den Westfälischen Friedensverhandlungen manifestieren sollte, an drei Stationen festgemacht: dem Nürnberger Kurfürstentag von 1640,30 dem Reichstag von Regensburg (1640/41)31 und dem Frankfurter Deputationstag, der 1642 eröffnet wurde.32 Bereits zu Nürnberg wurde der Punkt der Ausdehnung der Amnestie auf die im Prager Frieden ausgeschlossenen Reichsstände erörtert. Zudem wurden Überlegungen zu den Beschwerden jener Reichsstände angestellt, die 1635 zunächst von der Amnestie ausgeschlossen worden waren, sich danach aber mit dem Kaiser auf Gebietsabtretungen geeinigt hatten,33 unter ihnen der Herzog von Württemberg. Zu Regensburg wurde die Amnestiefrage dann noch breiter verhandelt, wobei sich erneut herauskristallisierte, dass das Problem der kirchlichen Normaljahre eng damit verbunden war. Ferdinand III. war zwar bereit, Zugeständnisse in der Amnestiefrage zu machen, band diese jedoch grundsätzlich an den Prager Frieden. Das dort festgelegte Amnestiejahr sollte auch auf die 1635 zunächst ausgeschlossenen Stände der vier oberen Reichskreise angewandt werden können. Allerdings war der Kaiser bestrebt, sich die mittlerweile errungenen Zugeständnisse der auf der Auf der anderen Seite war am Wiener Hof auch der Einfluss einer spanisch orientierten Partei, zu der die Kaiserin gehörte, wirksam. Siehe Wagner 1962, S. 328. 28 Wagner 1962, S. 329 und S. 335. 29 Bierther 1971, S. 23. 30 Hierzu Heinrich Brockhaus·. Der Kurfürstentag zu Nürnberg im Jahre 1640. Ein Beitrag zur Geschichte des Dreißigjährigen Krieges. Leipzig 1883. Zur dort ebenfalls behandelten Amnestiefrage siehe ebd., S. 110-124 u. S. 241-257. 31 Hierzu ausführlich Bierther 1971. 32 Dickmann 1998, S. 98f.; ausführlich: Roswitha von Kietzeil: Der Frankfurter Deputationstag von 1642-1645. Eine Untersuchung der staatsrechtlichen Bedeutung dieser Reichsversammlung, in: Nassauische Annalen 83 (1972), S. 99-119. 33 Bierther 1971, S. 45.

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Basis eigener Verhandlungen in die Amnestie aufgenommenen Reichsstände, vor allem Württemberg, zu sichern.34 Auch der Herzog von Bayern, Maximilian I., war mittlerweile zu größeren Kompromissen, die Terrainverluste des Katholizismus einschlossen, bereit, um zum Frieden zu kommen. In diesem Zusammenhang war er auch mit einer Kassation der kaiserlichen Nebenbestimmungen zum Prager Frieden einverstanden, in denen die Ausnahmen von der Amnestie benannt worden waren, und versuchte sogar, die endgültige Durchsetzung einer Amnestie nach dem Jahr 1630 persönlich voranzutreiben.35 Für ihn war ausdrücklich auch eine Restitution sämtlicher betroffener Stände nach den im Prager Frieden beschlossenen Normaljahren 1627 und 1630 damit verbunden.36 In der Frage der Kirchengüter war nun der bayerische Kurfürst sogar kompromissbereiter als der Kaiser.37 Beide zeigten sich dagegen kompromisslos, sobald ihre eigenen fundamentalen Interessen als Territorialherren berührt wurden. Auch Johann Georg von Sachsen versuchte, am Prager Frieden festzuhalten und befand sich prinzipiell auf einer Linie mit dem katholischen Kurbayern. Für eine Verständigung war er u.a. bereit, darauf zu verzichten, dem württembergischen Herzog zur völligen Restitution zu verhelfen. Obwohl er von den zu Regensburg anwesenden protestantischen Reichsständen mehrfach dazu gedrängt wurde, das Directorium Evangelicorum und damit die Führungsrolle bei der Vertretung ihrer Interessen zu übernehmen, lehnte er ab.38 Der Grund lag darin, dass er die Politik des Ausgleichs, die er fortsetzen wollte, nur schwer damit in Einklang hätte bringen können. Innerhalb der protestantischen Stände hegte man nämlich zum großen Teil andere Erwartungen an den Reichstag. Einige dieser Stände blickten auf Hessen-Kassel und Braunschweig-Lüneburg sowie Braunschweig-Wolfenbüttel. Diese Territorien befanden sich im Bündnis mit den großen Kriegsgegnern des Kaisers, Frankreich und Schweden, und versagten ihm die Eingliederung ihrer Soldaten in die Reichsarmee. Ferdinand III. wollte den Reichstag dazu nutzen, um diese Reichsstände zurückzugewinnen, sah sich jedoch mit Forderungen konfrontiert, die die Amnestie- und die Religionsfrage wieder in den Mittelpunkt treten ließen. Die Vertreter der Landgräfin von Hessen-Kassel und der beiden braunschweigischen Herzöge legten eine Proposition vor, die auf das Jahr 1618 als Amnestiejahr und die Erledigung der allgemeinen protestantischen Religionsbeschwerden hinausliefen.39 Mit den Gravamina bezog man sich auf die letzten

Ebd., S. 66f. Ebd., S. 88. 3« Ebd., S. 85 u. 162f. 37 Zum Wechsel des Beichtvaters und dem wohl mäßigenden Einfluss des Johann Vervaux siehe Bireley 1975, S. 220f. 38 Bierther 1971, S. 112f. 39 Ebd., S. 160. 34

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abgehaltenen allgemeinen Reichstage von 1608 und 1613, auf denen eine Vielzahl an Konfliktpunkten angesprochen worden waren, u.a. die Nichtanerkennung der Declaratio Ferdinandea durch die Katholiken und deren Verweigerung einer paritätischen Besetzung der Reichsgerichte.40 Auch die kurbrandenburgischen Gesandten plädierten für ein Amnestiejahr 1618, nachdem Kurbayern die Verhandlungen über die Generalamnestie in Gang gesetzt hatte. Der seit dem 1. Dezember 1640 amtierende neue Kurfürst Friedrich Wilhelm billigte seit April 1641 diese Linie.41 Bereits zuvor, im Oktober 1640, hatten die kurbrandenburgischen Voten im Kurfürstenrat42 erkennen lassen, dass man eine Reihe von Änderungen des Prager Friedensvertrages anstrebte. Insbesondere hatten sich die Gesandten für die endgültige Kassation des Restitutionsedikts eingesetzt.43 Das Eintreten dafür war mit territorialen Interessen verbunden, da sich abzeichnete, dass eine Entschädigung Schwedens, die die Vorbedingung für einen künftigen Frieden war, nur mit der Abtretung Pommerns erreicht werden konnte. Die Verzichtsleistungen, die dem brandenburgischen Kurfürsten drohten, hoffte dieser über Ersatz kompensieren zu können. Insbesondere der Besitz der Bistümer Magdeburg und Halberstadt wurde anvisiert. Die Möglichkeit einer katholischen Restitution auf der Basis des Geistlichen Vorbehaltes stand einem solchen Plan aber im Weg.44 Obwohl sich weitere protestantische Reichsstände noch deutlicher vom Prager Frieden abgrenzten und sowohl das Amnestiejahr 1630 wie auch die Normaljahre 1630 und 1627 in Frage stellten,45 scheiterten sie mit der Amnestiejahrsposition 1618 am entschiedenen Widerstand der katholischen Reichsstände. Das Ergebnis der Verhandlungen bestand in der Erstellung eines Gutachtens zur Generalamnestie, das weitgehend auf den kurbayerischen Vermittlungsvorschlägen basierte. Das Gutachten beruhte daneben auf der Kompromissbereitschaft der gemäßigten Protestanten, insbesondere der kursächsischen Vertreter, die immerhin damit die Aufhebung des einschlägigen Nebenrezesses des Prager Friedens erzielten. Von kaiserlicher Seite wurden die im Gutachten formulierten Bedingungen der Generalamnestie nach längerer Verzögerung schließlich bestätigt und als Edikt publiziert.46

Jahns 2001, S. 440. Siehe eine Ubersicht über die protestantischen Gravamina in: Helmut Urban: Das Restitutionsedikt. Versuch einer Interpretation. München 1968, S. 143f. 41 Bierther 1971, S. 106. 42 Zur Rolle des Kurfürstenrates in den Friedensgesprächen nach dem Prager Frieden und während der Westfälischen Friedensverhandlungen siehe Winfried Becker. Der Kurfürstenrat. Grundzüge seiner Entwicklung in der Reichsverfassung und seine Stellung auf dem Westfälischen Friedenskongreß. Münster 1973, S. 133ff. 43 Bierther 1971, S. 163. 44 Ebd., S. 103. 45 Ebd., S. 164. 46 Ebd., S. 183. 40

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Der Kompromiss darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich auf dem Regensburger Reichstag von 1640/41 erneut tiefe Gräben zwischen Katholiken und Protestanten aufgetan hatten. Insbesondere waren gravierende Zweifel an der Tragfähigkeit des Prager Friedens auf katholischer wie protestantischer Seite ans Licht gekommen. Wenn über konkrete Restitutionen von Kirchengütern nach dem Normaljahr 1627 verhandelt worden war, hatte sich bei den geistlichen Fürsten erbitterter Widerstand aufgetan.47 Zudem hatten viele Protestanten die Prager Bestimmungen zu den Kirchengütern zu ihrem Hauptangriffsziel gemacht. Von brandenburgischer Seite war bei den Beratungen über die Religionsgravamina der Wunsch nach einer ausführlicheren Erörterung der Fixtermine zum Ausdruck gebracht worden, wobei auch eine Rückverlegung der Normaljahre nicht ausgeschlossen worden war.48 Ursprünglich waren die kurbrandenburgischen Gesandten mit der Absicht in die Verhandlungen eingestiegen, ein Normaljahr 1608 auszuhandeln 4 9 Ihre Kritik am Prager Frieden setzte aber insbesondere am Provisoriumscharakter der Regelungen an,50 womit sie zum Ausdruck brachten, dass sie eine Aktualisierung des Restitutionsedikts nach dem Verstreichen der Frist befürchteten. Der Regensburger Reichstag von 1640/41 war eine erste Gelegenheit, bei der die kirchlichen Normaljahrsregelungen des Prager Friedens auf breiterer Plattform erörtert wurden. Es zeigte sich dabei, dass beide Religionsparteien dazu neigten, deren Verbindlichkeit in Frage zu stellen. Dass man nur mit Ausnahmen von diesen Regeln zu einem Frieden kommen konnte, stand ohnehin außer Frage. Der Kaiser behielt sich in unmissverständlicher und starrer Weise Sonderregelungen für seine Territorien vor. Ebenso wurde noch einmal deutlich, dass sich das Problem Kurpfalz nicht damit lösen ließ. Zudem stand die Entschädigung der beiden Hauptgegner des Kaisers, Frankreich und Schweden noch aus, wobei unklar war, wie sich dies einmal auf die konfessionellen Besitzstände auswirken würde. Darüber hinaus wurde die Lösung des Restitutionsproblems dem Amnestieproblem nachgeordnet. Anders formuliert: Auf der Grundlage der Amnestiefrage wurde nun eine primäre Terminebene, die den kirchlichen Normaljahren vorgelagert wurde, aufgebaut. Hinter diesem Vorgang, der längst geklärte Sachverhalte wieder komplizierter machte, steckte das Bemühen in beiden Lagern, die Religionsfrage erneut zu öffnen, um sich damit etwaige Vorteile zu sichern. Besonders deutlich wird dies im Amnestiefall des Herzogs von Württemberg, dessen interne Einigung mit dem Kaiser die Verfechtung der Gesamtanliegen der protestantische Partei erschwerte. Bei den Protestanten konnten solcherlei Schachzüge nur das Misstrauen vertiefen. Strittig war 47 48 49 50

Im Hinblick auf Kurmainz und Kurköln siehe ebd., S. 130. Ebd., S. 187. Ebd. Ebd.

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außerdem, wann die Amnestie in Kraft treten sollte. Das kurbayerische Programm sah einen effectus suspensivus amnestiae vor, bis eine reichsständische Einheitsfront gegen Frankreich und Schweden unter Einbeziehung HessenKassels und der braunschweigischen Herzöge geschaffen worden war.51 Auch dies lehnten viele protestantische Stände ab.52 Obwohl Kurbayern das Projekt einer Generalamnestie nach dem Stichjahr 1630 mitsamt dem erwünschten Suspensionseffekt durchsetzte, war der Erfolg der Katholiken und des Kaisers sehr begrenzt. Die militärische Stärkung gegenüber ihren Hauptfeinden Schweden und Frankreich, die das Ziel der Verhandlungen gebildet hatten, blieb aus. Die gemäßigten Protestanten waren zwar für das Vorhaben gewonnen worden und der Widerstand gegenüber dem Amnestiegutachten war halbherzig bzw. erfolglos geblieben. Als Gegenmodell zum kaiserlich-katholischen Amnestieprogramm nahm das Stichjahr 1618 bzw. der status quo ante bellum jedoch immer deutlichere Konturen an. Insgesamt zeigte sich auf dem Reichstag, dass beide Religionsparteien die militärische und die politische Situation noch für offen hielten. Viele protestantische Stände wie Kurbrandenburg richteten ihre Hoffnungen, dass sie ihre religionspolitischen Ziele eventuell doch noch in größerem Umfang durchsetzen konnten, auf die Unterstützung durch Schweden.53 Nur ein großer Friedenskongress, der sämtliche Kriegsmächte einbezog, schien für sie endgültige Lösungen in der Frage der Religionsstreitigkeiten hervorbringen zu können. Diese Haltung wurde von den Protestanten auch auf dem Reichsdeputationstag zu Frankfurt vertreten, der zur Beratung über Landfrieden und Justiz einberufen worden war.54 Zwar wurde hier erneut über die Streitpunkte der Amnestie und der Religionsgravamina verhandelt. Die dort versammelten Stände empfahlen dem Kaiser sogar eine Aufhebung des effectus suspensivus der Regensburger Amnestie.55 Bereits am 30. Juni 1641 hatten sich Ferdinand III. und seine Hauptkriegsgegner Schweden und Frankreich jedoch über die Einleitung von Friedensverhandlungen verständigt, die in Münster und Osnabrück stattfinden sollten.56 Aus protestantischer Perspektive versprachen die dort zu erwartenden Gespräche mehr Gewinn als diejenigen, bei denen der Kaiser und die Reichsstände bzw. deren Gesandte unter sich blieben.

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Ebd., S.

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Ebd., S. 169. Ebd., S. 197. Dickmann 1998, S. 113ff. Ebd., S. 116. Ebd., S. 103.

9.1 Die Fortßhrung des Amnestiestreits

9. Normaljahre und andere ,Termini' auf dem Westfälischen Friedenskongress 9.1 Die Fortführung des Amnestiestreits Dass dieser große Friedenskongress erst im Juli 1643 begann, ist auf politische Verzögerungstaktiken und den zähen Kampf um die Positionierung wichtiger Eckpunkte der Verhandlungen zurückzuführen.1 In diesem Zusammenhang hatten bereits seit 1636 Fragen, die auf den ersten Blick als einfach zu lösen bzw. marginal erscheinen, so z.B. nach der Zuteilung von Pässen für Deputierte und den darin genannten Funktionen ihrer Inhaber immer wieder zum Aufschub von Friedensgesprächen geführt.2 Auch nach dem Eintreffen der Gesandten in Münster und Osnabrück sollte noch viel Zeit über die Auseinandersetzung um diese Präliminarien vergehen, bevor die konkreten Friedensziele ins Blickfeld kamen. Es ging zunächst wesentlich um Titulaturen und Fragen des Vorrangs. Die Erörterung dieser Probleme - einerseits ein typisches Merkmal frühneuzeitlicher Kommunikation,3 andererseits ein Novum im Rahmen einer derartig großen internationalen Friedenskonferenz - war wiederum grundlegend für die Ausgangspositionen der in die Gespräche verwickelten Interessenparteien.4 Ebenso wichtig und damit verbunden war die Frage, wer an dem Kongress überhaupt als Teilnehmer auftreten durfte. Frankreich und Schweden, die so genannten beiden königlichen Kronen setzten sich gegen den kaiserlichen Widerstand für die Beteiligung der Reichsstände ein. Sie erreichten ihr Ziel erst im August 1645.5 Damit war ein wichtiger nachhaltiger Schritt zur Auf-

Hierzu Konrad Repgen: Die westfälischen Friedensverhandlungen. Überblick und Hauptprobleme, in: Bußmann, Klaus u. Schilling, Heinz (Hg.): 1648 - Krieg und Frieden in Europa. Textbd. 1: Politik, Religion, Recht und Gesellschaft. [Katalog z. Ausst. Münster/Osnabrück v. 24.10.1998-17.1.1999]. Münster 1998, S. 355-372, S. 356. 2 Ebd., S. 356. 3 Zu Rangstreitigkeiten und zur Bedeutung des Zeremoniells siehe Barbara StollbergRilinger: Zeremoniell als politisches Verfahren. Rangordnung und Rangstreit als Strukturmerkmale des frühneuzeitlichen Reichstags, in: Klinisch, Johannes (Hg.): Neue Studien zur frühneuzeitlichen Reichsgeschichte. Berlin 1997, S. 91-132. Zur darauf basierenden Konstituierung von Ehre siehe ebenso Andreas Pecar. Die Ökonomie der Ehre. Höfischer Adel am Kaiserhof Karls VI. (1711-1740). Darmstadt 2003, S. 141ff. Zu den sprachlichen Problemen auf dem Kongreß siehe jetzt Guido Braun: Une tour de Babel? Les langues de la négociation et les problèmes de traduction au Congrès de la paix de Westphalie (1643-1649), in: Babel, Rainer (Hg.): Le diplomate au travail. Entscheidungsprozesse, Information und Kommunikation im Umkreis des Westfälischen Friedenskongresses. München 2005, S. 139-172. 4 Hierzu etwa: Anna Stiglia Zeremoniell und Rangordnung auf der europäischen diplomatischen Bühne am Beispiel der Gesandteneinzüge in die Kongreß-Stadt Münster, in: Bußmann, Klaus u. Schilling, Heinz (Hg.): 1648 - Krieg und Frieden in Europa. Textbd. 1: Politik, Religion, Recht und Gesellschaft. [Katalog z. Ausst. Münster/ Osnabrück v. 24.10.1998-17.1.1999], Münster 1998, S. 391-396. 5 Siehe Karsten Ruppert: Die kaiserliche Politik auf dem Westfälischen Friedenskongreß (1643-1648). Münster 1979, S. 93. 1

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Wertung der Fürsten innerhalb der Reichsverfassung vollzogen.6 Das Kaisertum befand sich dagegen zu diesem Zeitpunkt bereits in sehr geschwächter Position, da den Truppen Ferdinands III. im März 1645 bei Jankau in Böhmen eine bedeutende militärische Niederlage zugefügt worden war. Andererseits sollte der direkte Einfluss der zahlreichen kleineren Reichsstände auf den Fortgang der Verhandlungen des Kongresses begrenzt bleiben.7 Sie blieben auf die Unterstützung durch Schweden und Frankreich angewiesen. Bereits vor der endgültigen Entscheidung über die Zulassung der Reichsstände waren die kaiserlichen Unterhändler mit den Hauptfriedenspropositionen Schwedens, Frankreichs und der Reichsstände konfrontiert worden.8 Am 11. Juni 1645 war der schwedische Legationssekretarius Mylonius, begleitet von zwei Hofjunkern, in einer mit sechs Pferden bespannten Kutsche zur kaiserlichen Gesandtschaft gefahren und hatte den schwedischen Forderungskatalog feierlich überreicht.9 Die schwedische Proposition,10 die im Namen der Reichsstände übergeben worden war, enthielt einen Einleitungstext, der Gründe für den schwedischen Kriegseintritt anführte und die Wiederherstellung friedlicher Eintracht im Reich als Ziel der Verhandlungen benannte. Ebenso wurde der schwedische Anspruch auf Entschädigungen mit Hinweisen auf die durch den Krieg bedingten Opfer und Verluste begründet.11 Die Auflistung der Friedensmittel beginnt mit der Forderung nach einer allgemeinen Amnestie, insbesondere der mit Schweden und Frankreich verbündeten Reichsstände. Genannt werden u.a. die böhmischen Stände und das Haus der pfälzischen Kurfürsten.12 In Verbindung damit steht der Aufruf, das Übel des Krieges an den Wurzeln zu packen. Die Ursachen, die zu beiden Teilen den Kriegsanlass gegeben hätten, seien aus dem Wege zu räumen. Da im Reich vor den im Jahre 1618 eingebrochenen Unruhen - gemeint sind wieder die ,Böhmischen Unruhen' - Frieden geherrscht habe, sei es wieder in diesen Stand zu setzen. Sämtliche seitdem ergangenen Achterklärungen, Urteile, Konfiskationen und Verträge, insbesondere der Prager Frieden, seien für ungültig zu erklären.13 Hier erscheint somit als Amnestiejahr das Jahr 1618, wobei aus nahe liegenden Gründen der Zustand vor dem Beginn der Böhmischen Unruhen positiv « Ebd., S. 97. 7 Ebd. 8 Zum Austausch erster Propositionen war es bereits am 4. Dezember 1645 gekommen, siehe Leopold Auer: Die Ziele der kaiserlichen Politik bei den Westfälischen Friedensverhandlungen und ihre Umsetzung, in: Duchhardt, Heinz (Hg.): Der Westfälische Friede. Diplomatie - politische Zäsur - kulturelles Umfeld - Rezeptionsgeschichte München 1998, S. 143-174, hier S. 151. 9 Meiern, Johann Gottfried von [Hg.]: Acta Pacis Westphalica Publica oder Westphälische Friedens-Handlungen und Geschichte. 6 Teile. Hannover 1734-1736, Tl. 1, S. 433. w Ebd., S. 435-442. 11 Ebd., S. 439. 12 Ebd., S. 440 (Art. 3). 13 Ebd. (Art. 3).

9.1 Die Fortführung des Amnestiestreits

überzeichnet wird. Die Wiederherstellung eines „glücklichen" und „grünenden" 14 Reiches, in dem vor 1618 u.a. ein blühendes Handelswesen verortet wird,15 wird als Intention des schwedischen Engagements angegeben. Ahnlich wie die zuvor immer auf den Religionszustand bezogenen Normaljahre, über die bei den Verhandlungen zwischen Kaiser und protestantischen Interessenvertretern gesprochen worden war, wurde nun also ein friedlicher Idealzustand auf der Basis eines Restitutionsdatums anvisiert. Diesem lag nun jedoch eindeutig die Amnestie als „friedewirkendes Vergessen" 16 zugrunde. Das Amnestiedatum ging in seiner Reichweite bereits weit über den konfessionellen Konflikt hinaus, denn auch der mit Frankreich verbündete und noch bis April 1645 in kaiserlicher Gefangenschaft befindliche katholische Kurfürst von Trier war z.B. davon betroffen.17 Darüber hinaus hatte es eine andere rechtliche Wurzel und entstammte einem anderen Begründungszusammenhang. Der alte Religionsstreit um die Kirchengüter sollte damit eigentlich nicht geklärt werden. Die damit verbundenen Fragen waren laut der schwedischen Proposition noch in besonderen Verhandlungen anzusprechen und auf gütlicher Grundlage zu lösen.18 Vielmehr kam über den Vorschlag der Gedanke zum Ausdruck, dass mein die unübersichtlichen Folgen eines langwierigen Krieges zu beseitigen hatte und damit die Chance zu einem friedlichen Neuanfang erhielt. Man knüpfte dabei an den noch zu Lebzeiten Gustav Adolfs formulierten Gedanken an, dass Schweden vor allem eine Sicherung des Friedens und eine ehrenvolle Beendigung des Krieges erreichen müsse.19 Dass konfessionspolitische Interessenlagen in entscheidender Weise damit berührt wurden, war auf der anderen Seite für alle Beteiligten völlig klar: Natürlich ging es auch darum, die in die kaiserliche Acht erklärten böhmischen Stände wieder in ihre Rechte samt Religionsfreiheiten einzusetzen. Die schwedische Proposition griff damit die seit den 1630er Jahren immer wieder erhobene protestantische Forderung auf. Die Begründung zielte aber wesentlich deutlicher als zuvor darauf ab, 1618 als klare Zäsur zwischen einem blühenden Frieden und einem großen, langen Krieg zu setzen. Dass dieser Krieg nunmehr als 27jähriger Krieg20 bezeichnet wurde, lässt sich als Versuch interpretieren, die schwedische Intervention im Jahre 1630 noch einmal als ergangene Hilfeleistung für das Reich plausibel zu machen und die bislang vertre-

Ebd., S. 441 (Art. 3). Ebd., S. 442 (Art. 15). 16 Dickmann 1998, S. 6. 17 Karlies Abmeier: Der Trierer Kurfürst Philipp Christoph von Sötern und der Westfälische Friede. Münster 1986., S. 14f. 18 Meiern 1734-1736, Tl. 1, S. 441 (Art. 7). 19 Siehe Sven Lundkvist: Die schwedischen Friedenskonzeptionen und ihre Umsetzung in Osnabrück, in: Duchhardt, Heinz (Hg.): Der Westfälische Friede. Diplomatie - politische Zäsur - kulturelles Umfeld - Rezeptionsgeschichte (= Historische Zeitschrift, Beiheft 26). München 1998, S. 349-359, hier S. 349f. 20 Meiem 1734-1736, Tl. 1, S. 441 (Art. 8): „[...] dieses 27. jährigen Krieges halben [...]". 14

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tene kaiserliche Position, in eben diesem Jahr den Beginn eines neuen Krieges anzusetzen, ad absurdum zu führen. Das schwedische Amnestiekonzept trug damit mehreren Erfordernissen Rechnung. Es untermauerte die eigenen Satisfaktionsansprüche, nahm reichsprotestantische Forderungen auf und wahrte darüber hinaus auch überkonfessionelle Standpunkte. Dies war sicherlich einer der Gründe dafür, dass die schwedische Amnestieforderung Rückenwind durch die französische Krone erhielt. Das Amnestiejahr 1618 wurde nämlich auch als französische Forderung präsentiert, und in der französischen Friedensproposition wurde, ähnlich wie in der schwedischen, der zu beseitigende Ursprung der Kriegsunruhen in dieses Jahr versetzt.21 Sämtliche schwedische Forderungen zugunsten der Protestanten bezogen zudem die reformierten Stände ausdrücklich mit ein.22 Insbesondere die angestrebten Restitutionen auf der Basis des Amnestiejahrs 1618 sollten den reformierten Reichsständen ausnahmslos zu Gute kommen.23 Mit ihnen war somit einerseits die Wiedereinsetzung konkreter reformierter Besitzstände vor dem Großen Krieg, wie Kirchengüter und Religionsfreiheiten, verbunden. Andererseits gingen die Konsequenzen noch darüber hinaus. Die auch vor 1618 kaiserlicherseits nie anerkannte Legitimität ihrer Konfession war quasi mit der gleichberechtigten Inanspruchnahme des Amnestierechts verbunden. Sie kam einer vollständigen Integration des Calvinismus im Rahmen der Parität der Konfessionen gleich.24 Klar wurde dies im Text der Proposition auch über die Forderung formuliert, dass seine Anhänger wie die lutherischen Protestanten definitiv unter den Schutz des Augsburger Religionsfriedens fallen sollten.25 Das schwedische Vorhaben, ein Amnestiejahr 1618 durchzusetzen, wurde in den folgenden Verhandlungen zwischen den Konfessionsparteien,26 die in Meiern 1734-1736, Tl. 1, S. 443-^48, hier S. 444, Art. 6: »Qu'en conséquence de la dite Amnestie, toutes choses seront restablies & restituées dans l'Empire au mesmes estât, qu'elles estaient avant l'origine des présents mouvements, qui a esté année 1618. & ce non obstant toutes Repressailles, Confiscation, Proscriptions, Jugements, Transactions & autres actes passez depuis le dit temps». Der französische Normaljahrspassus war also mit Einschränkungen formuliert worden. Siehe auch Leopold Auer. Die Reaktion der kaiserlichen Politik auf die französische Friedensmission vom 11. Juni 1645, in: Babel, Rainer (Hg.): Le diplomate au travail. Entscheidungsprozesse, Information und Kommunikation im Umkreis des Westfälischen Friedenskongresses. München 2005, S. 43-58, hier S. 47. 22 Schwedische Friedensproposition, in: Meiern 1734-1736, Tl. 1, hier S. 441 (Art. 4). 23 Der darüber hinausgehende Anspruch auf eine Satisfaktion Hessen-Kassels wurde in einem besonderen Artikel erhoben. Ebd., S. 442 (Art. 12). 24 „[...] und jedem nach des Reichs Satzungen und Grund-Gesetze, bevorab den Religions-Frieden (worunter auch die Reformirte mit einzuschliessen, und alles dessen, was oben und unten von den Evangelischen handelt, in gleichem Stand mit gemessen sollen) gleiches Recht ertheilet werde". Ebd. (Art. 12). 2 5 Ebd. (Art. 12). 26 Zu den unterschiedlichen politischen Vorstellungen innerhalb der Lager siehe Gerhard Schmid: Konfessionspolitik und Staatsräson bei den Verhandlungen des Westfäli21

9.1 Die Fortführung des Amnestiestreits

zwei getrennten Ständekorpora darüber berieten,27 immer wieder von Seiten der protestantischen Reichsstände aufgegriffen.28 Ebenso wurde die Forderung mit Argumenten untermauert. Dies wurde von daher als notwendig erachtet, als die kaiserliche Antwort darauf hinauslief, unverbrüchlich am Amnestiejahr 1630 festhalten zu wollen.29 In ihrer Antwort auf die schwedische Proposition hatten die kaiserlichen Deputierten darauf verwiesen, dass es darum gehe, den Krieg zwischen Schweden und dem Kaiser zu beenden, und dass zu diesem Zweck bereits die Generalamnestie anlässlich des Reichstags zu Regensburg erlassen worden war.30 Die zu Osnabrück versammelten evangelischen Stände31 versuchten nun, über eine Begutachtung der verschiedenen Propositionen ihren Standpunkt dazu zu formulieren: In einem ersten Entwurf32 begründeten sie ihre Unterstützung der schwedischen Forderung damit, dass der derzeitig währende Krieg seinen „wirklichen" Anfang im Jahr 1618 genommen habe. Von Böhmen aus habe dieser das Reich ergriffen, so dass fast alle Gebiete, Städte, Flecken und Dörfer kontinuierlich bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt davon erfasst worden seien.33 Zwar seien die ,Böhmischen Unruhen' 1620 nach der Schlacht auf dem Weißen Berg zunächst beendet worden. Von dieser Zeit an seien jedoch die Reichsstände von der Einlagerung der Kriegsvölker betroffen gewesen und vom Krieg überschwemmt worden. Nachdem die Bitten über ein Abstellen dieses Übels keinen Erfolg gehabt hätten, seien die evangelischen Reichsschen Friedenskongresses über die Gravamina Ecclesiastica, in: Archiv für Reformationsgeschichte 44 (1953), S. 203-223, hier S. 207ff„ und Georg May: Die Entstehung der hauptsächlichen Bestimmungen über das ius emigrandi (Art. V §§ 30-43 IPO) auf dem Westfälischen Friedenskongreß, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Kanonistische Abteilung 74 (1988), S. 436-494, hier S. 438ff. 27 Siehe Fritz Wolff. Corpus Evangelicorum und Corpus Catholicorum auf dem Westfälischen Friedenskongreß. Die Einfügung der konfessionellen Ständeverbindungen in die Reichsverfassung. Münster 1966, S. 47ff. Siehe ebenso Ruppert 1979, S. 251 f. Allgemein zur kaiserlichen Politik auf dem Kongress auch Auer 1998. 28 Kurbrandenburg und das Herzogtum Württemberg waren allerdings bereit, von 1618 abzuweichen. Siehe Dickmann 1998, S. 351. 29 Dessen unerachtet hatte Trauttmansdorff schon in der kaiserlichen Geheiminstruktion vom 16. Oktober 1645 die Erlaubnis erteilt bekommen, eventuell einem Amnestiejahr 1627 oder sogar 1618 zuzustimmen. Siehe Dickmann/Goronzy 1962, Nr. 29, S. 441. 30 „Kaiserliche Proposition an die Reichs-Stände über der Cronen Friedens-Propositiones", in: Meiern 1734-1736, S. 615-649, hier Punkt 3, S. 619. 31 Bis in die Mitte des Jahres 1646 war Osnabrück der alleinige Tagungsort der protestantischen Reichsstände, siehe hierzu Wolff 1966, S. 94. Zu den im Rahmen des evangelischen Fürstenrats tagenden Ständen im einzelnen siehe ebd., S. 76ff. Zu den unterschiedlichen religionspolitischen Konzepten innerhalb der Protestanten siehe Albrecht Pius Luttenberger: Ratio conscientiae - ratio politica. Konzeptionen der kaiserlichen und ständischen Verhandlungsführung auf dem westfälischen Friedenskongress 1645/461648, in: Brieskorn, Norbert/Riedenauer, Markus (Hg.): Suche nach Frieden: Politische Ethik in der Frühen Neuzeit II. Stuttgart 2002, S. 271-319, S. 277ff. 32 „Erster Entwurf der Evangelischen Stände zu Osnabrück Gutachtens auf der beyden Cronen Propositiones und die darauf ertheilten Kayserlichen Responsiones", in: Meiern 1734-1736, Tl. 1, S. 740-765, hier datiert auf Oktober 1645. 33 Ebd., S. 741.

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stände 1631 zu Leipzig dazu bewogen worden, die Waffen zu ihrer Verteidigung zu ergreifen.34 Es wurde somit versucht, die eigenen Vorstellungen mit der Geschichte des Krieges zu fundieren und diesen zu einem großen Gesamtereignis zu erklären. All dies diente dazu, das Eingreifen Schwedens und Frankreichs als Versuch der Beseitigung einer Misere zu deuten. Diese Auffassung sollte einmal mehr der von den kaiserlichen Gesandten vertretenen Interpretation gegenübergestellt werden, dass der Krieg, über dessen Beendigung hier verhandelt wurde, erst 1630 durch ausländische Intervention in Gang gekommen war.35 Die protestantischen Reichsstände formulierten darüber hinaus ein Konzept, wie die geforderte Amnestie konkret umgesetzt werden sollte. Dabei gingen sie von der durchaus realistischen Überlegung aus, dass man mit einer auf ihr aufbauenden Restitution nicht alle Schäden, die seit 1618 durch den Krieg entstanden waren, erfassen konnte. Aus diesem Grunde unterschieden sie zwischen mobilen und immobilen Gütern, um zunächst zu konstatieren, dass die Verluste an den beweglichen Gütern so hoch seien, dass man sie gar nicht bezahlen könne. Daher solle man, auch mit Blick darauf, dass ein Verhandeln darüber nur den Frieden hinauszögern würde, auf sämtliche Erstattungen von Schäden in diesem Bereich verzichten.36 Eine Begleichung der Schäden, die seit 1618 an Gebäuden - genannt wurden Kirchen und Klöster - entstanden waren, wurde ebenfalls als unmögliches Unterfangen beschrieben. Offenbar wollten die protestantischen Reichsstände mit diesem Punkt möglichen Entschädigungsansprüchen, die Mitgliedern aus ihren eigenen Reihen für Säkularisierungen etc. drohten, entgegenwirken. Die Rede war aber nicht nur von sakralen Bauten, sondern allgemein von Gebäuden, die an vielen Örtern aus Sicherheitsgründen beschädigt oder abgerissen worden waren. Ihrer Argumentation zufolge war es zur Erhaltung eines künftigen Friedens jedenfalls sinnvoll, diese Schäden nicht auszugleichen.37 Den Protestanten kam es vielmehr auf eine vollständige Restituierung jener unbeweglichen Güter an, die ihnen seit 1618 entzogen worden waren. Hier standen wiederum kirchliche bzw. konfessionelle Besitztümer im Blickpunkt. Sämtliche in kirchlichen Angelegenheiten seit 1618 ergangenen Auflassungen und Vereinbarungen38 sollten für nichtig erklärt werden. Das gleiche gilt für das seitdem über Ausschreibungen veräußerte und konfiszierte Eigentum

Ebd., S. 742. „Die Herren Kayserliche Kommissarii haben den Anfang des langwierigen Krieges auf annum 1630 restringiret: Es redet aber die untrügliche Erfahrung, daß der Zunder des jetzigen Krieges An. 1618 angezündet, und biß jetzo gantz Deutschland für und für inflammiret, und einen Krieg aus dem andern erwecket habe." Ebd. 36 Ebd., S. 744. 37 So meine Interpretation der Forderung nach „Remittierung": „Und müssen demnach alle solche Beschädigungen zu Erhaltung des hochdesiderirten Friedens in Vergessenheit gestellet und durchaus remittiret werden." Ebd. 38 Der Passus lautet: „alle in Ecclesiasticis ergangene Transactiones und Accorde". Ebd. 34

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9.1 Die Fortführung des Amnestiestreits

und letztlich auch die Urteile, die in Besitzstreitigkeiten zwischen Katholiken und Protestanten ergangen waren. Konkret wurde die Wiedereinsetzung des Hauses Württemberg,39 der Markgrafschaft Baden und der Stadt Augsburg und anderer Reichsstädte in den rechtlichen Stand von 1618 gefordert.40 Hier zeigt sich besonders deutlich, dass das Amnestiejahr 1618 eben jene Funktion weitgehend übernommen hatte, die den seit 1630 hauptsächlich von Kursachsen in die Friedensverhandlungen eingebrachten Normaljahren zugedacht gewesen war: Es zielte auf die Sicherung des protestantischen Besitzstandes und die Annullierung des Restitutionsedikts. Die Entwicklung dahin hatte sich schon auf dem Regensburger Reichstag von 1640/41 abgezeichnet. Sie war mit der zunehmenden Erkenntnis auf protestantischer Seite verbunden, dass der Prager Frieden durch neue Verhandlungen unwirksam werden würde. Die darin enthaltenen unbeliebten Terminregelungen, sowohl den prekären terminus a quo, den 12. November 1627, als auch die Befristung des Vertrages auf vierzig Jahre, hoffte man nun über die Amnestiefrage endgültig aus den Angeln heben zu können. Die an die Überlegungen zur Amnestiefrage immittelbar anschließenden Beschwerden der protestantischen Stände, auch die Gravamina Ecclesiastica, enthalten daher überhaupt keine Hinweise mehr auf die von der katholischen Seite gesetzten Normaljahre oder Normaltage, wenn man den Geistlichen Vorbehalt davon ausnimmt, dessen Legitimität noch einmal ausdrücklich bestritten wurde.41 In ähnlicher Weise fand auch das Restitutionsedikt von 1629 Erwähnung. Seine Ungültigkeit wurde damit begründet, dass es sich um eine einseitige, ohne vorherige Anhörung ausgegangene „Declaration" gehandelt hätte.42 Ansonsten wurden Positionen zu anderen langjährigen strittigen Religionsfragen im Zusammenhang mit dem ius reformandi, der geistlichen Jurisdiktion und der Religionsfreiheit formuliert.43 Die Amnestievorstellungen, die die Protestanten in ihrem ersten Gutachtensentwurf zu den Propositionen der Kriegsparteien zum Ausdruck brachten, sollten sich in späteren Entwürfen des Jahres 1645 nicht mehr wesentlich verändern. Allerdings feilten die Gesandten daran, ihrer Darstellung von einem nunmehr fast dreißig Jahre dauernden Krieg noch mehr Überzeugungskraft zu verleihen. Auffällig ist, dass in ihrem „Vollständigen Gutachten", 44 das im November aufgesetzt wurde, nicht mehr von einem vorübergehenden Ende des Krieges nach der Schlacht am Weißen Berg die Rede Zu den Verhandlungen über Württemberg auf dem Westfälischen Friedenskongreß siehe Philippe 1976, S. 50ff. 40 Meiern 1734-1736, Tl. 1, S. 744. 41 Ebd., S. 744 u. S. 751f. 42 Ebd., S. 758. 43 Siehe ebd., S. 751-759. 44 „Vollständiges Gutachten der Evangelischen Stände zu Oßnabriick, wie solches auf beyder Cronen Propositiones und die Kayserliche Responsiones ist ausgeliefert worden", ebd., S. 801-831, datiert auf den 5. November 1645. 39

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war. Vielmehr wurde nun behauptet, dass damals eine Chance bestanden hätte, dieses Ende zu erreichen und daraus gefolgert, dass die anschließende Ausbreitung der Kampfhandlungen nicht zwangsläufig vonnöten gewesen wäre.45 Darüber hinaus bestand eine wichtige Ergänzung gegenüber dem Vorgutachten darin, dass nun auch für den Pfalzgrafen bei Rhein der Anspruch auf die Amnestie ausdrücklich erhoben wurde.46 Diese Forderung stand im Zusammenhang mit zunehmenden Überlegungen von Seiten lutherischer Reichsstände, einen besonderen Passus zum Schutz des Besitzstandes der Reformierten in den künftigen Friedensvertrag aufzunehmen.47 Der Gesandte von Sachsen-Altenburg,48 Wolfgang Konrad von Thumbshirn, hatte im Oktober 1645 Bedingungen für eine gemeinsame Absicherung lutherischer und reformierter Rechte im Rahmen der Verhandlungen formuliert.49 Dabei hatte er die Durchsetzung reformierter Gottesdienste und anderer Rechte auf der Basis des Jahres 1618 als Ziel benannt.50 In dem Gutachten hatte er jedoch auch auf dem prinzipiellen Recht lutherischer Religionsausübung in der Kurpfalz bestanden.51 Darüber hinaus hatte er der Hoffnung auf eine künftige Verschmelzung von Luthertum und Calvinismus zu einer Glaubenseinheit Ausdruck verliehen.52 In seinem Schreiben zeigt sich somit zum einen, dass in dem Stichdatum 1618 die Möglichkeit zur unbefristeten Sicherung einer trikonfessionellen Pluralität im Reich erblickt wurde. Zum anderen schimmert in ihm immer wieder die Vorstellung durch, dass die Reformierten sich noch zu einem späteren Zeitpunkt zur Annahme des ,wahren Glaubens' im lutherischen Sinne bewegen lassen würden. Der Wunsch, dass die über Verhandlungen zunächst zu festigende religiöse Pluralität künftig einmal aufgehoben werden würde, wurde also aus den Reihen des Luthertums durchaus geäußert. Die katholischen Reichsstände,53 die zunächst wenig Kompromissbereitschaft in den Kongress einbrachten,54 rangen sich erst am 2. Januar 1646 dazu durch,

„Und obwol die Böhmische Unruhe Anno 1620 durch das bewuste Treffen auf dem weissen Berge seine Endschafft [...] hätte erreichen können, und so vieler Waffen deshalben ferner nicht wären von nöthen gewesen [—]". Ebd., S. 803. 46 Ebd., S. 806. 4 7 Zu den zeitweise sehr kontroversen Verhandlungen zwischen den Lutheranern und den Reformierten siehe Meiern 1734-1736, Tl. 6, S. 239-286. 48 Zum Direktorium Sachsen-Altenburgs und zu den politischen Bestrebungen Herzog Friedrich Wilhelms, den Protestantismus auszubreiten, siehe Schmid 1953. 4 9 „Conditiones, so den Reformierten vorgeleget worden, um in den Frieden mit eingeschlossen zu werden", in: Meiern 1734-1736, Tl. 2, S. 9-11. so Ebd., S. 10. Ebd. 52 Ebd., S. 9. 53 Zu den Ständen im einzelnen Wolff 1966, S. 50ff. Die politischen Konzepte der unbeweglichen, „entschieden" katholischen Reichsstände werden beleuchtet von Luttenberger 2002, S. 279ff. Zu den flexibleren katholischen Reichsständen siehe ebd., S. 292ff. 45

9.1 Die Fortführung des Amnestiestreits

direkte Religionsverhandlungen mit den Protestanten aufzunehmen.55 Bei dem in den folgenden Monaten entstehenden wechselseitigen Austausch von Argumenten der protestantischen und katholischen Reichsstände wurde dann aber recht schnell deutlich, dass die Anerkennung der reformierten Kirche kein hoffnungsloses Unterfangen war.56 Im März 1646 stellten die Katholiken den Protestanten Gespräche darüber in Aussicht.57 Dass sie dabei neue Grenzen einer künftigen religiösen Pluralität im Reich zogen, indem sie ihre Entschlossenheit, Wiedertäufer, „Schwenckfelder" und andere vergleichbare religiöse Gruppen keinesfalls zu dulden, bekundeten, lässt sich eher als Signal für eine wohlwollende Verhandlungsführung in Sachen der Reformierten interpretieren. Dagegen wurden die gegensätzlichen Meinungen über die terminlichen Bedingungen, die den Frieden fundieren sollten, umso heftiger ausgetragen. Der protestantischen Forderung nach einem kirchlichen Normaljahr 1618, das in evangelischen Reihen von der Uti-possidetis-Regei abgeleitet wurde,58 setzten die Katholiken einerseits den Normaltag des Prager Friedens entgegen.59 Zudem bestanden sie erneut auf einem „Temporal-Vergleich" für den Zeitraum von 40 Jahren, 60 während die Protestanten wiederum darauf beharrten, dass nur ein „ewiger", perpetuierlicher Frieden geschlossen werden könne. Damit war die Terminierungsdiskussion in vollem Umfang, sowohl hinsichtlich des terminus a quo als auch des terminus ad quem, erneut ausgebrochen. In den Schriftwechseln, die darüber entstanden, lässt sich erkennen, dass das katholische Konzept eines „Temporal-Vergleichs" mit dem Festhalten am Geistlichen Vorbehalt verbunden war und die Protestanten schon allein aus diesem Grunde nicht darauf eingehen wollten. Dass aber auch sie nicht etwa die ewige Pluralität der Religionen im Reich anstrebten, lässt sich einer ErläuteSiehe Schmid 1953, S. 214; Ruppert 1979, S. 249. Zur anfänglichen Weigerung der katholischen Stände, überhaupt über die Religionsbeschwerden zu Verhandeln siehe May 1988, S. 439. 55 Dickmann 1998, S. 344. 5 6 Zu den theologischen Bedingungen einer solchen Anerkennung siehe Luttenberger 2002, S. 294. 5 7 „Unvorgreifliche Gegen-Vorschläge der Herren Catholischen aif der Herren Augspurgischen Confessions-Verwandten in puncto Gravaminum eingegebene vermeinte Media Compositionis", in: Meiem 1734-1736, Tl. 2, S. 579-584, hier S. 583. 5 8 Betont wurde, dass die „weisen Vorfahren" der evangelischen Stände beim Passauer Vertrag und beim Augsburger Religionsfrieden das Uti-possidetis-Prinzip zur Geltung gebracht hätten. Ebenso hätten die Protestanten auf dem Frankfurter Kompositionstag für dieses Prinzip plädiert. „Derer zu Münster anwesenden Evangelischen Gesandten Gutachten und Bedencken auf deren Osnabrückischen Evangelischen Gesandten Vorschlag in puncto Gravaminum Ecclesiasticorum", ebd., S. 575-578, hier S. 577. 59 Ebd., S. 580f. Ebenso Bernd Christian Schneider. lus Reformandi. Die Entwicklung eines Staatskirchenrechts von seinen Anfängen bis zum Ende des Alten Reiches. Tübingen 2001, S. 341. 60 So die Bezeichnung seitens der Protestanten, neben „Temporal-Werck": Siehe „Concessus Dominorum Deputatorum III" v. 4. April 1646, in: Meiern 1734-1736, Tl. 2, S. 596-599, hier 599. 54

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9. Normaljahre und andere,Termini' auf dem Westfälischen Friedenskongress rung ihres Begriffs von einem immerwährenden Frieden entnehmen, die sie im April 1646 abgaben: 61 Hierin räumten die Protestanten, unter ihnen ihr Spezialist in den Amnestiefragen, Christian Lampadius, nämlich durchaus ein, dass die einzelnen Bestimmungen des künftigen Friedens später einmal, bei Herstellung der endlichen Religions- und Glaubenseinigkeit durch Gottes Gnade, zwangsläufig ihre Rechtskraft verlieren würden. Dennoch sei ein bis zu dieser Zeit geschlossener Friede als ein immerwährender zu verstehen. Ein solcher Friede sei, wie auch der Passauer Vertrag und der Augsburger Religionsfrieden, grundsätzlich unbefristet gültig, indem er von keiner Seite angefochten werden könne. Mit Blick auf das Not leidende Reich sei auf die „Perpetuität" des künftigen Friedenswerks zu achten, um Missverständnisse und Misstrauen zwischen den Religionsparteien nachhaltig zu beseitigen. Man könne insbesondere gegenüber der Posterität' schwerlich einen befristeten Frieden verantworten. 62 Es ist aber keineswegs so, als ob die Katholiken ihrerseits überhaupt keine langfristige Perspektive mit ihrem Provisoriumsvorschlag verfolgt hätten. Im Gegenteil: Ihnen ging es gerade darum, die Ansprüche der katholischen Kirche und des Papstes auf die Kirchengüter unbefristet zu erhalten. Eben dies führte sie zu dem Standpunkt, dass unter keinen denkbaren Umständen die Möglichkeit einer immerwährenden Übertragung von Kirchenbesitz an die Protestanten bestünde. Der Zwang zur Rigidität, dem sich die katholischen Unterhändler verschrieben, erschien einem der bedeutendsten französischen Gesandten, dem Herzog von Longueville, durchaus plausibel. Als Vertreter der Protestanten mit ihm im Zuge der Religionsverhandlungen zusammentrafen, 63 versuchte er ihnen in dolmetscherischer Weise zu erklären, warum die Katholiken bereits aus Gewissensgründen hierbei fest bleiben mussten. 64 Es gehöre zu den Prinzipien der katholischen Religion, dass man die geistlichen Güter niemals der Kirche entziehen dürfe, um sie zu säkularisieren, sofern der Papst keine Zustimmung dazu gäbe. Dieses aber würde niemals geschehen, so dass ein solcher Vertrag null und nichtig sei. Bei nächster Gelegenheit würden die Katholiken ihn missachten und die Protestanten aufs Neue gefährden. Er rate daher den Protestanten, nicht auf der Ewigkeit des Vertrages zu beste-

„Concessus Dominorum Deputatorum IV" v. 9. April 1646, siehe ebd., S. 600-604, hier S. 601f. 62 „So sehe man auch Evangelischen theils nicht, wann man anders als auf eine Perpetuität tractiere, wie es gegen die Posterität zu verantworten seyn werde." Ebd., S. 602. 63 Siehe hierzu das „Antwort-Schreiben der Evangelischen Reichs-Ständischen Gesandten zu Münster an die zu Osnabrück über die mit den frantzösischen Plenipotentiariis gehaltenen Conferentz, die Gravamina Ecclesiastica und sonderlich das Reservatum Ecclesiaticum betreffend", ebd., S. 635-638. 64 Ebd., S. 636f. 61

9.1 Die Fortführung des Amnestiestreits

hen, sondern eine längere Dauer des Provisoriums auszuhandeln, wobei er 70 oder 80 Jahre für möglich halte.65 Natürlich erheben sich Zweifel daran, ob die Protestanten einer solchen Belehrung über die Gewissensnöte der katholischen Unterhändler bedurften.66 Offensichtlich blieb der Versuch, sie in die Grundlagen des politischen Denkens der Katholiken einzuführen, jedoch nicht ohne Wirkung, wie sich in späteren Beratungen zeigte. Symptomatisch ist, dass die protestantischen Gesandten nach dem Gespräch mit Longueville eine Erweiterung ihres Sprachschatzes konstatierten. In ihrem Bericht gaben sie zu verstehen, dass sie zum ersten Mal mit dem Begriff „säkularisieren" konfrontiert worden waren.67 Der Chronist Johann Gottfried von Meiern sollte 1734 daraus den Schluss ziehen, dass der deutsche Gebrauch dieses Terminus seinen Ursprung in diesem Gespräch und damit bei den Franzosen habe.68 Unabhängig von diesem Lernzuwachs erschien die Situation bei den Verhandlungen jedoch so verfahren wie eh und je, da alle neuen Friedensvorschläge an Prinzipien gemessen wurden, die bereits über Jahrzehnte eine Annäherung beider Seiten verhindert hatten. Angesichts der Bewegung, die sich mittlerweile auf kaiserlicher Seite in diesen Fragen eingestellt hatte, wirkt dies geradezu anachronistisch. Ferdinand III. verfolgte nämlich keineswegs eine kompromisslose Durchsetzung des Geistlichen Vorbehaltes, sondern war inzwischen, unter Berücksichtigung des Prager Friedens, zur Herausgabe der reichsunmittelbaren Stifter an die Protestanten bereit, sofern sie diese am 12. November 1627 innegehabt hatten. In einem Gutachten seiner Räte vom 18. April 1646 war die Möglichkeit einer Übertragung dieser Güter auf „ein perpetuum oder indefinitum tempus" 69 bejaht und dieser Schluss ausführlich begründet worden: Zur Erhaltung des Reichs und der übrigen katholischen Ebd., S. 637. Siehe auch Dickmann 1998, S. 353. Zum oftmals von katholischer Seite erhobenen Vorwurf, Kirchengüter zu verweltlichen', siehe ebd., S. 351. 67 Sie verliehen der Fremdheit des Begriffs Ausdruck, indem sie formulierten: „[...] und, wie er redete, secularisiret würden." Meiern 1734-1736, Tl. 2, S. 637. 68 Die Glosse beinhaltet die Worte: „Das Wort secularisatio hat seinen Ursprung von den Franzosen.". Im kommentierenden Text von Meierns heißt es: „wie dazumal das Wort: Secularisiren als ein vorhin unbekannter Terminus von den Frantzosen gebraucht worden sey." Ebd., S. 635. Zu dieser mittlerweile berühmten Begriffsherleitung siehe z.B. auch Martin Heckel·. Das Säkularisierungsproblem in der Entwicklung des deutschen Staatskirchenrechts, in: Dilcher, Gerhard/Staff, Ilse (Hg.): Christentum und modernes Recht. Beiträge zum Problem der Säkularisierung. Frankfurt/M. 1984, S. 35-95, S. 35, ebenso Marramao, der von einem Irrtum von Meierns ausgeht und die Wurzeln des Begriffes im Frankreich des späten 16. Jahrhunderts verortet: Giacomo Marramao: Die Säkularisierung der westlichen Welt. Frankfurt/M. 1999, S. 21. Seine Beobachtung, das dieser Begriff zu dieser Zeit in der französischen Jurisprudenz gebraucht worden sei, um die Rückführung von Ordensgeistlichen in den weltlichen Stand zu benennen, widerspricht von Meierns Ansicht jedoch keineswegs. 69 Siehe Salm, Hubert, Wübbeke-Pflüger, Brigitte (Bearb.): Die kaiserlichen Korrespondenzen 1646, Bd. 4, Münster 2001, Nr. 14, hier S. 33-46, insbes. 36. Siehe auch die Einleitung zur Edition, S. LXVIII. 65 66

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Erzstifter und -klöster sei diese Maßnahme durchaus vollziehbar. Für eine solche unbefristete Überlassung wurden historische Beispiele angeführt: Sowohl die kaiserliche Übertragung von Kirchenbesitz an die Arianer in der Antike als auch an die Hussiten im 15. Jahrhundert hätten der katholischen Kirche langfristig nicht geschadet.70 Dies zeigt deutlich, dass man mittlerweile an einer Autorisierung eines solchen weit reichenden Zugeständnisses gearbeitet hatte, um sich gegenüber den katholischen Ständen und dem päpstlichen Stuhl verantworten zu können: Am Kaiserhof arbeitete man an einer Neuorientierung der Religionsfriedenspolitik. Zu ihrer Durchsetzung fiel, während die katholischen und protestantischen Reichsstände noch heftig miteinander disputierten, dem Gesandten Trauttmansdorff, der sich seit Ende November 1645 zu Münster aufhielt,71 eine wesentliche aktive Vermittlerrolle zu. 9.2 Das neue Normaljahr 1624 Schweden handle nicht nach Kaufmannsart, und wenn die Krone einmal ihre Bedingungen formuliert habe, beharre sie auch darauf.72 - Eine solche Äußerung bekamen die beiden kaiserlichen Gesandten Johann Maximilian Graf von Lamberg und Johann Baptist Krane am 1. Juli 1646 in Osnabrück zu hören, als der schwedische Gesandte Johann Axelson Graf Qxenstierna mit ihnen über die neuesten Friedensvorschläge sprach. Diese etwas abschätzig wirkende Bemerkung war die Reaktion auf eine beträchtliche Bewegung der Positionen im Religionsstreit, die sich unmittelbar zuvor im Rahmen kaiserlich-kursächsischer Vermittlungsgespräche abgezeichnet hatte. Zwar hatten sich die reichsständischen Konfessionsparteien bei ihren eigenen direkten Verhandlungen festgefahren und der Konfessionskonflikt hatte erneut die Gestalt eines Gordischen Knotens angenommen. Inzwischen war aber Trauttmansdorff vom Kaiserhof mit weitgehenden Vollmachten ausgestattet worden, um einen Religionsvergleich herbeizuführen.73 Ferdinand III. hatte seinem Unterhändler bereits im Mai 1646 die geheime Erlaubnis erteilt, den Protestanten unter Umständen Kirchengüter unbefristet abzutreten.74 Auf der Grundlage der zu diesem Zweck erstellten Gutachten hatte er weitgehende Unterstützung hierfür bei den Kurfürsten von Bayern75 und Mainz gefunden.76

Ebd., Nr. 14, S. 37. Auer 1998, S. 158. 72 „Die cron Schweden handle nit auf kaufmans art, daß man dringen und handien solle, die habe es also hergebracht, waß sie einmahl setze, daß sie darbey beharre, also haben sie es in Polen, auch iüngsthin in Dennemarck gemacht". Salm/WübbeckePflüger 2001, Nr. 229, S. 385. 73 Zur kaiserlichen Position siehe Ruppert 1979. 74 Dickmann 1998, S. 354. 75 Zur Politik Bayerns auf dem Friedenskongress siehe Günter Hebert: Hoffnung auf Frieden. Die bayerische Gesandtschaft auf dem Friedenskongreß in Münster und Osna70 71

9.2 Das neue Normaljahr 1624

Darüber hinaus hatte der Kaiser einmal mehr darauf gesetzt, den Konflikt mit den protestantischen Ständen über eine Einigung auf Stichtermine schlagartig zu beenden. Von den Schweden war als Alternative ein Verhandeln über sämtliche strittigen Einzelfälle im Reich angeboten worden. Genau dies zu verhindern war eine der dringlichsten Aufgaben der kaiserlichen Unterhändler. Zu Wien war man nicht zuletzt wegen der einmal mehr prekären militärischen Lage an einem schnell zu erzielenden Waffenstillstand mitsamt einem damit verbundenen Friedensvertrag interessiert.77 Als Ausgangspositionen für einen schnellen Ausgleich mit den Protestanten waren die beiden Restitutionsjahre 1627 und 1630, die im Prager Frieden festgesetzt worden waren, benannt worden. Der Versuch des Kaisers, seine Verhandlungsposition gegenüber Frankreich und Schweden zu stärken, indem er eine Einigung mit den protestantischen Reichsständen herbeiführte, hatte darüber hinaus zu einem neuen Provisoriumsvorschlag geführt: Hundert, nicht mehr nur sechzig Jahre Laufzeit des Friedensvertrags hatte Trauttmansdorff den Schweden, die als Vertreter der evangelischen Reichsstände auftraten, in Aussicht gestellt. Eine völlig neue Dynamik hatten die Gespräche dann aber durch die Beteiligung Kursachsens an der Vermittlung erhalten.78 Ohne Rücksprache mit den Schweden hatten die sächsischen Unterhändler Johannes Ernst Pistoris und Dr. Johann Leuber, die als Unparteiische zum Kongress gereist waren,79 eine Preisgabe des protestantischen Stichjahrs 1618 für die Restitutionen ins Gespräch gebracht. Rund hundert Jahre später sollte der Jurist Gottfried Daniel Hoffmann diesen Vorgang als Geburtsstunde des Normaljahrs 1624 feiern.80 Bei der eingehenderen Betrachtung der „Privat-Vorschläge"81 der kursächsischen Gesandten vom 23. Juni 164682 fällt auf, dass der Punkt der strittigen Amnestie ausdrücklich zurückgestellt wird.83 Der kursächsische Normaljahrsvorschlag 1624 kollidierte also nicht direkt mit dem schwedisch-probrück nach der Schlacht von Alerheim bis zum April 1646, in: Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte 68 (2005), S. 627-640. Zu Kurbayern und Kurmainz siehe Luttenberger 2002, S. 301 ff. 76 Dickmann 1998, S. 354. 7 7 Diese kaiserliche Position wurde in einem Schreiben der Unterhändler Nassau und Volmar an Trauttmansdorff vom 14. Juni 1646 erörtert. Salm/Wübbecke-Pfliiger 2001, Nr. 186, S. 324. 78 Hierzu Dickmann 1998, S. 354ff. 79 Zur Rolle Kursachsens auf dem Friedenskongreß siehe ebd., S. 344 u. S. 358. 8 0 Hoffmannus 1750, S. 93. Der Termin sei in einer geheimen Besprechung zwischen den Trauttmannsdorffischen Unterhändlern und denen Kursachsens sowie SachsenAltenburgs, die er auf den 20. Juni 1646 datiert, zum ersten Mal erwähnt worden. Siehe ebenso hierzu Dickmann 1998, S. 358f. 81 „Der Churfürstlichen Sächsischen Abgesandten privat-Vorschläge, den 13ten Junii Anno 1646", in: Meiern 1734-1736, Tl. 3, S. 188f. 82 Zur genaueren Datierung in Abweichung zu Meiern 1734-1736, Tl. 3, S. 188f., siehe Salm/Wübbecke-Pflüger 2001, Nr. 220, S. 371f. 83 „Wir hielten dafür, der Punctus Amnestiae sey bey seinem Puncto zu tractiren." Meiern 1734-1736, Tl. 3, S. 188.

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9. Normaljahre und andere,Termini' auf dem Westfälischen Friedenskongress testantischen Amnestiejahr 1618. Vielmehr beinhaltete er zunächst nicht mehr und nicht weniger, als dass dem strittigen Amnestiejahr wieder ein besonderes Stichjahr an die Seite gestellt werden sollte, um eigens das Problem der kirchlichen Restitutionen zu lösen. Dies knüpft deutlich an den Prager Frieden an, wenngleich das dort ausgehandelte Normaljahr 1627 nun verändert wurde: Das neue tempus restitutionis 1624 wird lapidar damit begründet, dass dadurch fast alle Reichsstände in den Genuss der Restitution kämen. Dahinter steckte also offensichtlich immer noch der Vorsatz, den Zustand des Reiches vor dem Krieg so weit wie möglich wieder herzustellen. Für jene Stände, die keine Restitution auf der Basis dieses Termins zu erwarten hätten, so die kursächsischen Gesandten weiter, solle diese nach Lage der Dinge 84 befördert werden. Besondere Erwähnung finden in diesem Zusammenhang Böhmen und Mähren sowie die habsburgischen Erblande in Österreich. Diese Ausklammerung zeigt, dass offensichtlich kein diesbezüglicher Verhandlungskompromiss von kaiserlicher Seite mehr erwartet wurde. Ein Restitutionsjahr 1618 war bislang vor allem wegen dieser Gebiete am kaiserlichen Widerstand gescheitert. Auch eine Restitution der habsburgischen Länder nach dem Stichjahr 1624 wurde von kursächsischer Seite offensichtlich nicht ernsthaft in Aussicht gefasst. Der Kaiser wurde in dem Kompromissvorschlag lediglich darum gebeten, die Ausübung der Confessio Augustana dort zuzulassen. 85 Diese weitgehende Konzessionsbereitschaft, die einer Opferung wesentlicher religionspolitischer Ziele der protestantischen Reichsstände gleichkam, wird andererseits von Forderungen flankiert, die den katholischen Reichsständen bittere Zugeständnisse abverlangte. Zu ihnen gehört die Forderung nach einem durch das kirchliche Normaljahr 1624 garantierten evangelischen Exerzitiumsrecht in katholischen Territorien, 86 nach der Anerkennung der Declaratio Ferdinandea und nach der Überlassung der Kirchengüter nicht nur für hundert, sondern für zweihundert Jahre, sofern zwischenzeitlich keine gütliche Einigung zu erzielen sei. 87 Im Hinblick auf den Geistlichen Vorbehalt wird darüber hinaus darauf bestanden, dass dieser nicht als substantieller Bestandteil des Religionsfriedens zu gelten habe. Schließlich werden auch kursächsische Hausinteressen geltend gemacht, indem eine Ausklammerung der Ober- und Niederlausitz vom Restitutionstermin 1624 gefordert wird. Diese Gebiete seien im gegenwärtigen Stand zu belassen. 88 Wie die beiden kursächsischen Gesandten darauf gekommen waren, ausgerechnet das Jahr 1624 als Normaljahr vorzuschlagen, entzieht sich unserer

„[...] deren Restitution gestallten Sachen nach zu befördern." Ebd., S. 188. „Daß in Böhmen, Mähren und Oesterreich das Exercitium Religionis Augustanae Confessionis verstattet werde wie vorhin, darum seyn Ihro Kayserliche Majestät zu bitten." Ebd. 86 Hierzu May 1988, S. 457. 87 Meiern 1734-1736, Tl. 3, S. 188. 88 Ebd. 84

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9.2 Das neue Normaljahr 1624

Kenntnis. Sie gaben später zu verstehen, dass sie ohne Absprache mit ihrem Fürsten gehandelt hatten,89 als sie die Gespräche auf eine neue Grundlage stellten. Ihre eigenen Äußerungen dazu lassen, wie bereits erwähnt, lediglich erkennen, dass sie über dieses Jahr eine umfassende Restitution erzielen wollten. Die von Juristen des 18. Jahrhunderts aufgestellte Behauptung, die Errechnung der Mitte zwischen den beiden konträren Amnestiepositionen 1618 und 163090 habe zu diesem Ergebnis geführt, liegt zwar durchaus nahe, lässt sich jedoch für diese Phase der Gespräche nicht belegen. Leuber und Pistoris waren die Ideengeber für den neuen Stichtermin 1624. Wesentlich ausgestaltet zu einem neuen Normaljahrsvorschlag wurde dieser jedoch von den kaiserlichen Gesandten Trauttmansdorff, Volmar und Nassau, wobei offensichtlich einige wichtige katholische Stände einbezogen wurden. Die am 12. Juli 164691 verfassten Vergleichsvorschläge, die einige Tage später als „catholische declaration" 92 überreicht wurden, waren von Vertretern der Kurfürstentümer Mainz, Trier, Köln, Bayern und der Bistümer Salzburg, Bamberg und Konstanz, in welcher Form auch immer, abgesegnet worden.93 Die drei kaiserlichen Vermittler hatten diese zu Artikeln ausformuliert und damit zur Ubergabe an die Protestanten vorbereitet.94 Sie enthalten bereits recht präzise Problemlösungskonzepte für mehrere strittige Felder: Auch in diesen Vorschlägen wurde zunächst das kaiserliche Amnestiedatum 1630 nicht angetastet. Dies wurde mit der öffentlich erfolgten Festlegung seitens des Kaisers und der Reichsstände begründet. Entgegen der protestantischen Interpretation wurde das Amnestiejahr also auf einen Reichstagsbeschluss zurückgeführt. Unabhängig davon wurde jedoch nicht das Amnestiejahr, sondern das Jahr 162495 für die kirchliche Restitution von daher befürwortet, als sich damit, ähnlich wie dies auch das Schreiben der kursächsischen Vermittler zu erkennen gibt, eine weitgehende Zufriedenstellung der Restitutionswünsche innerhalb der Reichsstände verbinden ließ. Im Hinblick auf die katholischen Reichsstände wurde darüber hinaus die über Generationen betriebene Politik der Besitzsicherung geistlicher Institutionen damit nahtlos fortgeführt. Alle geistlichen Güter, die 1624 in katholischen Händen gewesen waren, sollten ihnen verbleiben. Eingefordert wurden hierSalm/Wübbecke-Pfliiger 2001, Nr. 220, S. 371. Hoffmannus 1750, S. 104: 1624 habe den „Mittel-Punckt" zwischen 1618 und 1630 gebildet und sei von daher vorgeschlagen worden. 91 „Weitere und endliche Compositions-Vorschläge in puncto Gravaminum, in: Meiern 1734-1736, Tl. 3, S. 193-199. Zur genaueren Datierung siehe Salm/Wübbecke-Pflüger 2001, S. LXXII. 92 Ebd., Nr. 261, S. 444. 93 Ebd., Nr. 257 (Brief von Trauttmansdorff, Nassau und Volmar an Ferdinand III., Münster, d. 13. Juli 1646), S. 436f. 94 Weitere und endliche Compositions-Vorschläge in puncto Gravaminum, in: Meiern 1734-1736, Tl. 3, S. 192. 95 Die Darstellung von Ruppert, die Katholiken hätten erst am 24. November 1646 den Stichtermin 1624 angenommen, trifft somit nicht zu. Vgl. Ruppert 1979, S. 264, Anm. 564. 89 90

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9. Normaljahre und andere,Termini' auf dem Westfälischen Friedenskongress für ,Schutz und Schirm' seitens der Reichsobrigkeit. 96 Das Jahr 1624 sollte zudem nach der Vorstellung der katholischen Stände noch weitere päpstliche Rechte sichern, wobei es etwa auch um Präsentationsrechte für reichsunmittelbare Konvente ging, die dieser gegenüber dem Kaiser geltend zu machen hatte. Die dem Papst in den ungeraden Monaten des Jahres, den menses papales, zufallenden Präsentationen sollten ihm weiterhin zustehen, sofern er sie für das Jahr 1624 noch nachweisen konnte. 97 Zum großen Teil erscheint das Normaljahr 1624 jedoch auch als eine den Protestanten zugestandene neue Zeitgrenze, die sich in Abänderung der zuvor von den Katholiken gezogenen Zeitgrenzen, dem Datum des Passauer Vertrags, und dem Normaltag des Prager Friedens, noch einmal zugunsten ihres Besitzes auswirkte. Die reichsunmittelbaren Klöster und Stifter sollten den Protestanten ausnahmslos, sofern für dieses Jahr belegbar, verbleiben. 98 Das gleiche gilt für die mittelbaren Stifter und Klöster, sofern diese in protestantischen Territorien gelegen waren. 99 Die Reichsritter sollten ihr Exerzitiumsrecht auf das Jahr stützen können, 100 und auch in den Reichsstädten sollten konfessionelle Rechte künftig damit eingefordert werden dürfen. 101 In diesem Zusammenhang ist es überdies bemerkenswert, dass auch mischkonfessionelle Verhältnisse, sofern sie in Reichsstädten bereits im Normaljahr bestanden hatten, weiterhin bestehen bleiben sollten. 102 Ein Haken bei diesem Angebot war wiederum, dass das neue kirchliche Normaljahr, wie schon der Normaltag des Prager Friedens, nur provisorisch gelten sollte, nun allerdings hundert Jahre. Zwar war für die Zeit nach dem Verstreichen dieser Frist vorgesehen, dass nur über einen gütlichen Vergleich zwischen den beiden Religionsparteien definitive Entscheidungen hinsichtlich der Zuteilungen vorgenommen wurden. Keine gerichtlichen Prozesse sollten in diesen Fragen zugelassen werden, sofern sich beide Seiten nicht zuvor auf eine Rechtsgrundlage geeinigt hatten. Von den Protestanten wurde jedoch erwartet, dass der Geistliche Vorbehalt bestätigt wurde. 103 Wie sich noch zeigen sollte, war dies ein wesentlicher Punkt, der Widerstand bei ihnen auslösen sollte. Obwohl die schwedischen Unterhändler nicht lange bei ihrer schroffen Ablehnung verblieben, die sie direkt nach der kursächsischen Vermittlungsaktion zum Ausdruck gebracht hatten, führten die Bemühungen Trauttmansdorffs, den neuen Normaljahrsvorschlag zur Einigungsgrundlage zu machen, somit 96 Weitere und endliche Compositions-Vorschläge in puncto Gravaminum, in: Meiern 1734-1736, Tl. 3, S. 192.

Ebd., S. 193-199, hier S. 194. Ebd., S. 193, Punkt 3. 99 Ebd., S. 196, Punkt 9. 100 Ebd., S. 197, Punkt 14. 101 Ebd., Punkt 15. "ß Ebd. ™ Ebd., S. 194, Punkt 3. 97 98

9.3 Der Weg des Jahres 1624 vom ,Extremum' zum Medium'

keineswegs zum unmittelbaren Erfolg. Die bald erfolgenden günstigen Signale der schwedischen Gesandten, dass man sich mit ihnen in der Religionsfrage auf eine Befristung der Regelungen von hundert Jahren einigen könne104 und sie ein Normaljahr 1624 akzeptieren würden,105 erwiesen sich vorerst als trügerisch. Die Verhandlungen gestalteten sich in den folgenden Monaten zäh. Dies mag einerseits auf die militärischen Erfolge, die französische und schwedische Truppen in diesem Zeitraum aufwiesen, zurückzuführen sein,106 durch welche die kaiserliche und die katholische Verhandlungsposition geschwächt wurde. Ein wesentlicher Grund war jedoch auch, dass das neue Normaljahr bei den protestantischen Reichsständen, und wie sich später zeigte, auch bei vielen katholischen Reichsständen auf wenig Gegenliebe stieß. 9.3 Der Weg des Jahres 1624 vom ,Extremum' zum Medium' Für die Protestanten galten die vorgeschlagenen Stichtermine als Mittel, mit denen sämtliche Reichsstände, die im Verlaufe des Kriegs ihres Besitzes beraubt oder auf andere Weise beschwert worden waren, ihre berechtigte Restitution erlangen sollten. Es ging ihnen gleichsam darum, Kriegsverluste, hier verstanden als vom Gegner gewaltsam begangene Ungerechtigkeiten, umfassend und ohne Ausnahme zu beseitigen. Auf die Möglichkeit eines zukünftigen Erwerbs geistlicher Güter der Katholiken wollten sie nach wie vor nicht verzichten, obwohl sie seit April diese Forderung nicht mehr ausdrücklich erhoben.107 Für den Kaiser handelte es sich bei den präsentierten Jahreszahlen dagegen um notgedrungene Zugeständnisse, die eine Einigung über die schon lange vor dem Krieg für sie virulente Kirchengüterfrage ermöglichten. Sein vorrangiges Ziel war es, darüber zu einem schnellen Frieden zu kommen. Über eine weitere Frage, welches Datum man schematisch für die Bereitschaft, kriegerische Handlungen zu vergessen und zu verzeihen, setzen sollte, d.h. die eigentliche Frage nach der Amnestie, wollten er und seine Gesandten gar nicht erst diskutieren. Dass alle diese Probleme miteinander verschränkt waren, war einerseits erschwerend. Andererseits gelangte man über eine kombinatorische Behandlung der unterschiedlichen Problembereiche zu verschiedenen Modellen, die wiederum weiter führen konnten. Beweglichkeit ergab sich zudem, wie schon zuvor bei den Verhandlungen zum Prager Frieden, über das numerische Manövrieren mit Jahreszahlen, wobei sich allerdings bestimmte Eckdaten, wie die vorgeschlagenen Amnestiejahre 1618 und 1630, bereits zu gegensätzlichen ^ Salm/Wübbecke-Pflüger 2001, Nr. 51, S. 109. ios Foerster, Joachim/Philippe, Roswitha (Bearb.): Diarium Volmar. 1. Teil: 1643-1647. Münster 1984 (Acta Pacis Westphalicae. Serie III, Abt. C , Bd. 2), S. 660, Eintrag vom 7. Juli 1646: Oxenstierna machte die kaiserlichen Gesandten zuversichtlich, dass man ihnen in den Fragen des terminus ad quem und des terminus a quo 1624 entgegenkommen würde. 106 Siehe die Einleitung in: Salm/Wübbecke-Pflüger 2001, S. XLV. 107 Dickmann 1998, S. 351f.

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9. Normaljahre und andere,Termini' auf dem Westfälischen Friedenskongress

Positionen verfestigt hatten, die nicht leicht wieder aufgegeben werden konnten, ohne dass ein Gesichtsverlust im Raum stand. Das neue von den kursächsischen Gesandten vorgeschlagene Normaljahr 1624 bedurfte dagegen noch der intensiven Diskussion. Bei vielen Protestanten rief es Skepsis hervor. In einer ihrer ersten Sitzungen nach den katholischen Vorschlägen versuchten sich jene protestantischen Gesandten, die zu dieser Zeit in Münster tagten, dahingehend zu verständigen, ob nicht das von ihnen bereits zuvor abgesegnete und den Katholiken vorgelegte Normaljahr 1620 diesem Termin vorzuziehen sei.108 Dieser vom brandenburg-kulmbachischen Gesandten vorgebrachte Vorschlag wurde von den meisten der versammelten protestantischen Vertreter begrüßt und aufgenommen. Lediglich die Vertreter der Reichsstadt Nürnberg ließen Bereitschaft erkennen, gegebenenfalls auf 1624 einzugehen.109 Eine Rolle dabei spielte offensichtlich die entschlossene Ablehnung des Amnestiejahrs 1618 seitens des Kaisers.110 Andere Stände wie Hessen-Kassel und der Vertreter Pommerns setzten sich dagegen für ein Beharren auf dem von den Schweden noch offiziell vertretenen Amnestiejahr 1618 ein. Diejenigen Stände, die sich für ein kirchliches Normaljahr 1620 stark machten, beriefen sich zum einen auf die auf dem Frankfurter Kompositionstag untereinander erzielte Einigung. Noch entscheidender war aber, dass große Unsicherheiten hinsichtlich der Verhältnisse im Jahr 1624 bestanden, d.h. es war unklar, welche protestantischen Reichsstände dadurch unter Umständen völlig auf eine Restitution verzichten mussten. Der Gesandte BraunschweigLüneburgs stellte fest, dass der Krieg in diesem Jahr schon wesentliche Veränderungen mit sich gebracht hatte, während die evangelischen Stände 1620 noch nicht wesentlich davon betroffen gewesen seien.111 Ein weiteres Argument bestand für ihn auch darin, dass ein Eingehen auf diesen Termin den Anschein erwecken würde, als ob die Protestanten sich fürchteten. Das Jahr 1624 sei allein von daher nicht vertretbar, als es einem Nachgeben der evangelischen Seite um sechs Jahre gleichkomme, während die Katholiken nur drei Jahre von ihrem eigenen Vorschlag abweichen müssten.112 Eine solche Einigimg müsse die Kriegslust bei den Katholiken aufs Neue entfachen.113 In dieser Argumentation erschien somit 1624 keineswegs, wie später in der protestantischen Jurisprudenz betont wurde, als ein rein rechnerisches Mittel zur gütlichen Einigung, sondern, mit Blick auf 1618 und die katholische Nor„Sessio Evangelicorum Monasterii in punto Gravaminum d. 10. Julii", in: Meiern 1734-1736, Tl. 3, S. 210-215. 109 Ebd., S. 214f. 110 Ebd., S. 212. Ebd. 112 „Wäre es dem modo agendi zuwieder und gewünne das Ansehen, als ob die Evangelischen sich fürchteten, wann sie alsobald 6, hingegen die Catholischen nur 3 Jahre nachließen." Ebd. »3 Ebd. 108

9.3 Der Weg des Jahres 1624 vom ,Extremum' zum,Medium' maljahrsposition in kirchlichen Dingen 1627, als drohende Gefahr einer für jedermann sichtbaren Übervorteilung der protestantischen Seite. Dies lässt die Bedeutung des Ehrgedankens für die Verhandlungen erkennen, darüber hinaus aber auch die Spielräume, mit denen sich in den Verhandlungen jeweils die rechnerische Mitte zwischen den Stichterminen wie auch ihr Gegenteil konstruieren ließ. Immerhin wurde der Aufruf, eine solche Mitte zu suchen, vom braunschweig-lüneburgischen Gesandten recht deutlich artikuliert. Auch seitens der Vertreter der Markgrafschaft Brandenburg-Kulmbach, jenes Territoriums, welches das Direktorium für die Beratungen der evangelischen Stände in Münster innehatte, wurde die Bedeutung eines rechnerischen Aufeinanderzugehens für den Weg zum Frieden unterstrichen: In dieser Stellungnahme wurde der angestrebte Termin 1620 als Mitte zwischen den beiden Stichterminpositionen 1618 und 1624 bezeichnet. 114 Diese nicht leicht nachzuvollziehende Rechnung mag mit der auf dieser Sitzung ebenfalls geäußerten Vorstellung zusammenhängen, dass die Verabschiedung eines Normaljahrs 1620 de facto auf eine Restitution jener Zustände hinausgelaufen wäre, die zu Beginn des darauf folgenden Jahres 1621 geherrscht hatten. 115 Während sich neue heftige Streitigkeiten über den terminus a quo abzeichneten, zeigte sich in den Gesprächen der protestantischen Stände aber auch recht schnell, dass von ihrer Seite die Chancen auf eine Einigung hinsichtlich des terminus ad quem als gut eingeschätzt wurden. Brandenburg-Kulmbach plädierte mit Rücksicht auf die notorische Unbeweglichkeit, mit der die Katholiken auf dem Geistlichen Vorbehalt beharrten, dafür, auf die von ihnen gemachten Vorschläge einzugehen, da sie de facto bzw. „in effectu" auf eine immerwährende Sicherheit des evangelischen Besitzes der Kirchengüter hinausliefen. 116 Es müsse allerdings darauf geachtet werden, dass nach dem Verstreichen der hundert Jahre nicht wieder eine kriegerische „Tragödie" 117 entstehe. Umso wichtiger sei es, auf eine klare rechtliche Absicherung des katholischen Vorschlags zu achten, etwaige Besitzänderungen nach dem Verstreichen der Frist lediglich über eine gütliche Einigung zu ermöglichen. 118 Obwohl in den Voten anderer Stände zu diesem Problem zum Ausdruck gebracht wurde, dass die Katholiken später einmal alle erdenklichen Schliche unternehmen würden, um diese Zusagen auszuhebeln, einigte man sich darauf, eine „Perpetuität in effectu" 119 anzustreben. Bei den Verhandlungen sei allerdings darauf zu achten, dass gleiche Rechte für beide Religionen im Hinblick auf die Kirchenbesitztümer erzielt würden und den Katholiken keine „[...] miiste man einen terminum intermedium suchen." Ebd., S. 211. So der braunschweig-liineburgische Gesandte: „Man hätte Anno 1631 auf dem Deputations-Tage zu Frankfurt das Absehen gehabt, auf Annum 20 exclusive, und also in effectu auf den Anfang des 1621 Jahrs." Ebd., S. 212. 116 „Sessio Evangelicorum publica d. 11. Julii 1646". Ebd., S. 218-221, hier S. 218. 117 Ebd. 118 Ebd. 119 Ebd., S. 221. 114

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9. Normaljahre und andere, Termini' auf dem Westfälischen Friedenskongress

Möglichkeit eingeräumt würde, den Protestanten ihren Besitz auf indirektem Wege streitig zu machen.120 Die Frage danach, wie sich konfessionelle Gleichberechtigung in einem künftigen Friedensvertrag widerspiegeln könnte, hing wiederum damit zusammen, auf welche Weise der Geistliche Vorbehalt darin einfließen würde. Für die Protestanten war es wesentlich, dass dieser nicht als substantielle Norm darin auftauchte.121 In diesem Kontext wurde darauf aufmerksam gemacht, dass mit den Katholiken noch zu erörtern sei, welche Folgen ein etwaiger Ubertritt eines protestantischen Bischofs zum Katholizismus haben sollte. Ein paritätisches Friedenswerk müsse sich daran messen lassen, dass in solchen Fällen ein Amtsverzicht auch dieser Personen zu leisten sei.122 Die Aushandlung eines eigenen protestantischen Geistlichen Vorbehalts wurde vor diesem Hintergrund als Forderung laut.123 In den folgenden Wochen sollte sich die protestantische Diskussion über die Termine, die zum Frieden führen sollten, noch verstärken. Als kontroverse Eckdaten für den terminus a quo lassen sich 1624, unterstützt durch den sächsischen Kurfürsten Johann Georg,124 und 1618, eingefordert von dem brandenburgischen Kurfürsten Friedrich Wilhelm,125 benennen. Beide Fürsten versuchten, durch Signale von außen auf die Entscheidungsfindung einzuwirken, während sie und ihre Gesandten aus unterschiedlichen Gründen den Beratungen der evangelischen Stände fernblieben.126 Weitere Differenzen traten darüber hinaus zwischen jenen protestantischen Gesandten, die sich zu Münster aufhielten, und jenen, die zu Osnabrück tagten, auf. Letztere waren in ihren Beratungen zu dem Schluss gekommen, dass man einem Normaljahr 1624 zustimmen könne.127 Die münsterischen Gesandten bestanden dagegen auf den Jahren 1621 oder 1618.128 Auf einem Treffen dieser beiden Gesandtengruppen zu Lengerich im August wurde dann 1621 als protestantische Nor-

Ebd. Siehe die Beratungen auf der „Sessio [...] die 10. Julii Anno 1646", ebd., S. 215-218. 122 So das brandenburg-kulmbachische Votum auf der „Sessio Evangelicorum publica d. 11. Julii 1646". Ebd., S. 221. 123 Votum Pommern-Stettin und Wolgast auf der „Sessio [...] d. 13. Julii", ebd., S. 223. 124 „Protocoll über die zwischen Chur- und Fürstlichen Legaten gehaltene Conferenz in puncto Gravaminum", datiert auf den 21. Juli. Ebd., S. 234-236, hier S. 235. 125 Ebd. Zur kurbrandenburgische Position in der Religions- und Normaljahrsfrage siehe Martin Lackner: Die Kirchenpolitik des Großen Kurfürsten. Witten 1973, S. 71ff. 126 Kursachsen hielt sich wegen seiner traditionell kaiserfreundlichen Politik und als Macht, die den Prager Frieden ausgehandelt hatte, von den konfessionellen Beratungen fern. Kurbrandenburg war wegen des calvinistischen Bekenntnisses des Landesfürsten und der besonderen Interessenlage bezüglich Pommern nicht vertreten. Siehe Ruppert 1979, S. 252. Kursachsen hatte nach der schlechten Resonanz des Normaljahrsvorschlags bei den Protestanten zudem unmittelbar die Vermittlung aufgegeben. Ebd., S. 258. Siehe ebenso Wolff 1966, S. 78ff. zu Kursachsen und S. 80f. zu Kurbrandenburg. 127 „Der Evangelischen Stände zu Osnabrück Erklärung auf der Herren Catholischen letztgethane Vorschläge in puncto Gravaminum", in: Meiern 1734-1736, ΤΊ. 3, S. 2 9 4 296. 128 „Protocollum im Evangelischen Fürsten-Rath zu Münster, die Conciliation beyder Evangelischen Aufsätze in puncto Gravaminum betreffend." Ebd., S. 301-306. 120 121

9.3 Der Weg des Jahres 1624 vom ,Extremum' zum,Medium'

maljahrsposition im Rahmen einer Gegenerklärung an die Katholiken festgelegt, wobei der 1. Januar dieses Jahres zum definitiven Stichtag für die meisten Konfessionsregelungen erklärt wurde.129 Allerdings beinhalteten die zu Lengerich gefassten Beschlüsse auch das Signal an die kaiserliche Verhandlungsführung, mit einem Normaljahr 1621 einen Verzicht auf die Restitution evangelischer Religionsrechte in den kaiserlichen Erblanden zuzugestehen.130 Die Reaktion der katholischen Reichsstände auf die Beschlüsse von Lengerich wirkt erbost. Am 12. September wurde darüber konferiert, wobei auch von den Vertretern der gemäßigten Stände Enttäuschung über mangelndes Entgegenkommen geäußert wurde. Die Katholiken seien in vielen Hauptpunkten gewichen, so von 1627 auf 1624, von 40 Jahren auf Hundert Jahre.131 Andererseits wird aber auch deutlich, dass das kirchliche Normaljahr 1624 keineswegs einhellig als gemeinsame katholische Position getragen wurde. Der kompromissfeindliche Franz Wilhelm von Wartenberg brachte als Vertreter des Hochstifts Osnabrück vor, dass er sich selbst nicht erinnere, ihm zugestimmt zu haben.132 Er forderte vielmehr, auf dem Jahr 1627 bzw. auf dem Normaltag des Prager Friedens, dem 12. November 1627, zu bestehen. Den Protestanten könne man dies darüber erklären, dass man sich grundsätzlich das Recht, den Stichtermin etwas zu verändern, vorbehielte.133 Eine ähnliche Position vertraten auch die Gesandten anderer Stände wie des Deutschen Ordens. 134 Eine mittlere Position vertrat der Vertreter des Hochstifts Bamberg: Das Stichjahr 1624 sei zwar in den katholischen Gutachten vertreten worden. Dies sei aber unter der Bedingung geschehen, dass man diesen Termin erst nach der Einholung der mehrheitlichen Zustimmung seitens der Katholiken und genauerer Erkundigung über etwaige nachteilige Folgen für verbindlich erklären wollte.135 Insgesamt stand damit das Normaljahr 1624 auch auf katholischer Seite wieder zur Disposition.136 Betrachtet man die gleichzeitige Diskussion über 129 „Der Evangelischen Schluß zu Längerich oder Gegen-Erklärung in puncto Gravaminum", ebd., S. 330-340. Publiziert wurde diese Erklärung zum ersten am 24. August in Osnabrück, siehe Ruppert 1979, S. 259. 130 Ebd., S. 259. 131 So die kurtrierische Stellungnahme, siehe: Wolff, Fritz (Bearb.): Die Beratungen der katholischen Stände. Bd. 1.1645-1647. Münster 1970, Nr. 57, S. 336. 132 „Können sonsten nicht begreiffen, daß die protestierende den terminum anni 1624 tanquam a catholicis concessum anzihen dürfen; Ihre Fürstliche Gnaden wißen sich der bewilligungh nicht zu erinneren, dan obwol etwas davon von etlichen anregung gethaen, so seye doch ad annum 1627 geschloßen und dergestalt dießeitigen gutachten eingerucket." Ebd., S. 344f. 133 „Damit ia dasienige, so a Caesareanis vom 1624. iahr vermeldet, zu salvirn, könnte die erclärung dahin beschehen, daß man dießeits ius addendi minuendique vorbehalten, allemaßen es von den protestirenden auch practicirt wurde." Ebd., S. 346. 134 Ebd., S. 348. 135 Ebd. 136 Siehe hierzu auch den Brief der kaiserlichen Gesandten Trauttmansdorff, Krane und Volmar an Ferdinand III vom 20. November 1646, in: Oschmann, Antje (Bearb.): Die kaiserlichen Korrespondenzen. Bd. 5: 1646-1647. Münster 1993, Nr. 127, S. 225. Ebenso Dickmann 1998, S. 361.

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9. Normaljahre und andere,Termini' auf dem Westfälischen Friedenskongress den terminus ad quem und dessen Folgen, lässt sich erkennen, wie festgefahren die Situation wieder war: Nicht nur Osnabrück versuchte, nach dem Verstreichen der Frist die Option auf gerichtliche Lösungsmöglichkeiten erneut zu eröffnen. 137 Auch das moderate Kurbayern sprach sich dagegen aus, lediglich den gütlichen Vergleich als Entscheidungsgrundlage zuzulassen. 138 Bis in den November des Jahres 1646 hinein galten nichtsdestoweniger, wie eine Liste der Differenzen zwischen den beiden Religionsparteien aus evangelischer Hand ausweist, 139 1621 als protestantische und 1624 als katholische Position. Als die wesentlichen Streitpunkte wurden hierin neben dem kirchlichen Normaljahr das Amnestiejahr und das unterschiedliche Paritätsverständnis betrachtet. Darüber hinaus ist unübersehbar, dass von protestantischer Seite ein Bestreben bestand, konfessionelle Ansprüche auf konkrete Territorien und Institutionen anhand von Ausnahmeregelungen geltend zu machen: Die Protestanten wollten immer noch auch jene Stände zur Restitution bringen, die durch einen terminus a quo 1624 nicht erfasst wurden. Zu diesen antegravatis gehörten etwa die Pfalzgrafen bei Rhein. Wie sich aus den Beratungen der Katholiken ersehen lässt, versuchten aber auch diese, sich bestimmter Territorien und Institutionen über eine Ausklammerung aus der Normaljahrsregel zu versichern. Im Gespräch waren insbesondere die Hochstifter Osnabrück, Minden und Halberstadt. 140 In eine entscheidende Phase gelangten die Gespräche dann in der zweiten Hälfte des Novembers 1646. Nachdem unter den Katholiken massive Zweifel an einem Normaljahr 1624 geäußert und Überlegungen angestellt worden waren, ob es nicht sinnvoller sei, auf einen Stichtermin zu verzichten und statt dessen über konkrete Gebiete und kirchliche Einrichtungen auf der Basis von Listen zu verhandeln, wurde am 19. November eine Konferenz der katholischen Stände zur Klärung dieser Fragen anberaumt. Auf dieser wurden nun konkrete Voten zum Normaljahr 1624 eingeholt. 141 Das Ergebnis war ziemlich eindeutig. Die Mehrheit, unter ihnen die wichtigen Stände Kurmainz, Kurtrier, Kurbayern und Österreich, sprach sich dafür aus. Die ablehnenden Stände, unter ihnen Osnabrück, der Deutsche Orden und Eichstätt, befanden sich dagegen in der Minderheit. Dazwischen lassen sich vorsichtigere Voten ausmachen, die eine Zustimmung an die Bedingung knüpften, grundsätzlich keinem katholischen Reichsstand seine Rechte damit abzusprechen. 142 Andere

Wolff 1970, Nr. 57, S. 347. Ebd., S. 339. Zur Politik Bayerns auf dem Westfälischen Friedenskongreß siehe Gerhard Immler: Kurfürst Maximilian I. und der Westfälische Friedenskongreß. Die bayerische auswärtige Politik von 1644 bis zum Ulmer Waffenstillstand. Münster 1992. Zu den Religionsverhandlungen siehe insbes. S. 279ff. 139 „Die zwischen den Evangelicis und Catholicis noch obschwebende PrincipalDifferentien in puncto Gravaminum", Meiem 1734-1736, Tl. 3, S. 419-422. 140 Wolff 1970, Nr. 57, S. 339. 141 Ebd., S. 408-419. 142 So das Votum des Hochstiftes Konstanz, ebd., S. 415. 137 138

9.3 Der Weg des Jahres 1624 vom ,Extremum' zum Medium' Stände gaben ihr Placet für den Fall, dass die Mehrheit sich zugunsten 1624 entscheiden würde. 143 Insgesamt wurde damit der bereits seit Monaten als katholischer Vorschlag geltende terminus a quo nunmehr bestätigt. Es wurde jedoch auch eine Auflistung der von den Restitutionen betroffenen Gebiete und Kirchengüter beschlossen. 144 Darüber hinaus bestärkten sich die katholischen Stände darin, den Protestanten keine leichtfertigen Zugeständnisse zu machen, welche Norm nach dem Ablauf der Vertragsfrist für die Entscheidung in der Kirchengüterfrage zugrunde gelegt werden sollte. In den Verhandlungen sollte auf den Prager Frieden verwiesen werden. 145 Dies kam wiederum einem Rückzieher gleich, da in den katholischen Vorschlägen vom 12. Juli erneute Kirchengüterprozesse ausgeschlossen worden waren. Mit diesen Auflagen begaben sich bereits am Tag darauf, am 20. November 1646, Deputierte der katholischen Reichsstände in den Bischofshof zu Münster, um direkt mit den Protestanten zu verhandeln. Die Gespräche führten allein die Gesandten von Kurmainz und Sachsen-Altenburg, die sich, sofern es für notwendig erachtet wurde, immer wieder zurückzogen, um sich jeweils mit den anderen Gesandten der eigenen Partei zu beraten. Bei allen Umständlichkeiten, die eine solche Verhandlungsführung mit sich gebracht haben muss, ist es umso erstaunlicher, wie schnell sich nun eine grundlegende Einigung über den Termin einstellte. Zwar wurden einige halbherzige Versuche zu feilschen unternommen: Sachsen-Altenburg brachte einen mittleren Termin zwischen 1621 und 1624, nämlich 1622V£, zur Sprache, während Kurmainz mit einem mittleren Termin zwischen 1624 und 1627, nämlich 1625% konterte. 146 Daraufhin erklärte sich Sachsen-Altenburg für die protestantischen Stände jedoch letztendlich dazu bereit, zum Beweis der friedlichen Intention den 1. Januar alten Kalenderstils 1624 als terminus a quo „in Gottes Namen" zu akzeptieren. 147 Die rein numerische Einigung war damit in dieser Frage erreicht. Bei der Fortsetzung der Gespräche am nächsten Tag gab definitiv auch Kurmainz zu verstehen, dass man sich auf Seiten der Altgläubigen bereit erkläre, das Normaljahr 1624 festzulegen. 148 Die direkten Gespräche zwischen Katholiken und Protestanten vom November 1646 scheiterten allerdings trotz der Einigung auf einen terminus a quo 1624 auf der ganzen Linie. Dies hängt wesentlich damit zusammen, dass nun die Differenzen darüber zu Tage traten, welche Auswirkungen dieses Normaljahr konkret haben sollte. Sachsen-Altenburg hatte ausdrücklich nur unter der

So Salzburg: Ebd., S. 412. Ebd., S. 419. 145 Ebd., S. 419. 146 Ebd., Nr. 64, S. 423: Sachsen-Altenburg: „uff 1622 Vi iahr"; Kurmainz: „ad annum 1625 Vi". 147 Ebd., S. 423f. 148 Ebd., S. 425. 143 144

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Bedingung zugestimmt, dass auch jene evangelischen Reichsstände, die bereits vor diesem Jahr um Rechte und Besitz gebracht worden waren, in den Genuss der Restitution kommen sollten.149 Ludwig Philipp von Pfalz-Simmern, Bruder des ,Winterkönigs' und vorübergehender Administrator der Kurpfalz, war dabei eine Schlüsselstellung zugeteilt worden.150 Kurmainz hatte demgegenüber verlauten lassen, dass die Festlegung auf einen terminus a quo vor diesem Hintergrund unnütz sei und den Katholiken schade.151 Jedoch wollten auch die Katholiken bedeutende Ausnahmeregeln einführen. Schon am 21. November wurden die Protestanten damit konfrontiert. Reichsgerichtliche Urteile, die vor 1624 in Kirchengüterfragen gefällt worden waren, sollten nach katholischen Vorstellungen ihre Gültigkeit nicht verlieren.152 Die Stifter Osnabrück, Verden, Minden und Halberstadt sollten auf jeden Fall katholisch bleiben.153 Zudem wollten die Katholiken die Anwendung der Stichjahrsregel auf politische Belange, die mit den kirchlichen Fragen verbunden waren, nicht ausdehnen. Damit war, wie sich bei späteren Erörterungen zeigte, etwa die Entfernung von evangelischen Bürgern aus den Ratsstellen in den Städten gemeint, nachdem die Katholiken dort die Macht übernommen hatten.154 Überdies wurde die Restitution des Pfalzgrafen Ludwig Philipp strikt abgelehnt.155 Auch bei der Behandlung von Fragen nach der Behandlung mischkonfessioneller Stifter und den Repräsentationsrechten protestantischer Besitzer von Kirchengütern gerieten die Gespräche ins Stocken.156 Es hat den Anschein, als wenn es gerade der Durchbruch zur numerischen Einigung gewesen wäre, der zumindest vorübergehend zu einer beiderseitigen Erschöpfung hinsichtlich der Kompromissfähigkeit geführt habe. Nun stand die Erörterung der konkreten Folgen der Entscheidung unausweichlich an. Hierbei fühlten sich beide Parteien dazu aufgerufen, besonders wachsam zu sein und keine voreiligen Zugeständnisse zu machen. Erneut stand die Frage nach Ehre und Ruhm bei der Nachwelt im Mittelpunkt vieler Überlegungen der Gesandten und ihrer im Hintergrund operierender Herren.157 Die Furcht vor einem leichtfertigen Verschenken konfessioneller Besitztümer und Chancen führte zu einem Abbruch der Verhandlungen, bevor auch nur ansatzweise über den terminus ad quem und dessen Folgen debattiert worden war. Dass die Stände dazu übergingen, erneut äußere Hilfe in Anspruch zu

Ebd., S. 424. Ebd. 151 Ebd. 152 Ebd., Nr. 65, S. 425. 153 Ebd. 154 Ebd., S. 426. 155 Ebd., S. 425. Ebd., Nr. 66, S. 430-135. 157 Der Gesandte des Deutschmeisters äußerte in diesem Kontext etwa, wenn mit dem Normaljahr 1624 niemandem ein Präjudiz auferlegt werde, habe „es seinem gnädigsten herren principalen zu rühmen". Ebd., Nr. 68, S. 447. 149 150

9.3 Der Weg des Jahres 2624 vom ,Extremum' zum ,Medium' nehmen, war konsequent. In die neuen Verhandlungen wurden nun die schwedischen und die kaiserlichen Gesandten einbezogen. 158 Der besondere Ertrag dieser folgenden Gespräche bestand darin, dass das Normaljahr 1624 endgültig als Einigungsgrundlage durchgesetzt wurde. Dies ging auf die Beharrlichkeit Trauttmansdorffs zurück, der, ursprünglich vom Kaiser laut geheimer Instruktion befugt, sogar auf ein kirchliches Normaljahr 1618 einzugehen, 159 diese Errungenschaft nicht wieder aus der Hand gab. In der auf Trauttmansdorff und die anderen kaiserlichen Gesandten zurückgehenden „Endlichen Erklärung" der katholischen Stände vom 1. Dezember 1646 lässt sich der terminus a quo 1624 als wichtigste Grundregel der Restitutionen ausmachen. 160 Bereits kurz zuvor hatte sich Trauttmansdorff mit dem schwedischen Gesandten Salvius auf das Stichjahr geeinigt. 161 Uneinigkeit bestand aber nach wie vor dahingehend, wie umfassend die Regel angewendet werden sollte. Trauttmansdorff vertrat den Standpunkt, dass die Restitution der vor diesem Termin geschädigten Stände nicht sinnvoll sei. Vielmehr müssten beide Verhandlungspartner diesen bei strikter Anwendung der Regel „wohl und wehe tun lassen". 162 Salvius bestand hingegen darauf, auch die antegravatos zu restituieren. In einem Konzept zu den Religionsverhandlungen reklamierte er darüber hinaus das Hochstift Osnabrück für die Protestanten. Daneben wurde, wie bereits zuvor einige Male, versucht, die Restitution von Augsburg, Donauwörth, Dinkelsbühl, Biberach und Aachen als besondere Anliegen der Protestanten von der Regel auszunehmen. 163 Viele gravierende Konflikte, die an die kirchliche Normaljahrsregel geknüpft waren, sollten noch für längere Zeit die Verhandlungen prägen. 164 Mit der „Catholischen Endlichen Erklärung" 165 wurde jedoch noch ein weiterer Durchbruch erzielt: Die kaiserlichen Gesandten gestanden, basierend auf den Vorbereitungen, die schon im April 1646 166 dazu getroffen worden waren, den Protestanten im Namen der katholischen Stände die Kirchengüter definitiv bis zu einer gütlichen und christlichen Vergleichung zu. 167 Der terminus ad 158

Huppert 1979, S. 260f. Ebd., S. 262f. 160 Meiern 1734-1736, Tl. 3, S. 434-142. 161 Zur Einordnung des Stichtermins 1624 auf schwedischer Seite siehe Lundkvist 1998, S. 353. Zum Aufsatz des schwedischen Gesandten Salvius und der Annahme des 1. Januar 1624 als Normaltag siehe Schneider 2001, S. 357. 162 „Des Brandenburgisch-Culmbachischen Gesandten Relation über die Conferenz in puncto Gravaminum zwischen Trauttmansdorff und Sal vio, gehalten zu Münster." Meiern 1734-1736, Tl. 3, S. 424. 163 „Salvii Aufsatz über den punctum Gravaminum", ebd., S. 425-434. Zu diesen von den Protestanten erhobenen Forderungen siehe auch: Oschmann 1993, Nr. 138, S. 252f. 164 Siehe insbesondere die Verhandlungen über das ius emigrandi: May 1988, S. 462ff. 165 Diese wird auch, sachlich zutreffender, als kaiserliche „endliche" bzw. endgültige Erklärung bezeichnet. Siehe Schneider 2001, S. 358ff. Sie kursierte aber als katholische „endliche Erklärung". 166 Salm/Wübbecke-Pflüger 2001, Nr. 14. Oschmann 1993, S. 436. 159

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quem war gestrichen worden. Die Bestimmungen sollten immerwährend gültig sein. Nur durch eine endgültige friedliche Lösung in beiderseitigem Einvernehmen sollten sie ihre Rechtskraft verlieren.168 Dieses Zugeständnis wirkte sich auf die weiteren Verhandlungen recht günstig aus. Vor allem erwartete Trauttmansdorff ein Entgegenkommen der Protestanten hinsichtlich ihrer Forderung nach der Freistellung' des Glaubens in den habsburgischen Erbländern. Bei den katholischen Ständen wurden jedoch, ungeachtet einer partiellen Zustimmung,169 erbitterte Reaktionen hervorgerufen, die ihren Niederschlag auch in der theologischen Streitpublizistik fanden.170 Die Konkretisierung der kirchlichen Normaljahrsregel sollte die verhandelnden Parteien noch über Monate beschäftigen und immer wieder zu heftigen Auseinandersetzungen führen. Es folgte eine Phase, in der ängstliche Nachfragen und Beschwerden aus dem ganzen Reich ergingen. So meldeten sich etwa im Januar 1647 Abgesandte des Wetterauischen Grafenstandes: Sie teilten mit, dass sich der katholische Sohn des Grafen Johann zu Nassau-Siegen nach dessen Tode am 12. Januar 1624 mithilfe spanischer Truppen in den Besitz des Territoriums gebracht und die Huldigung der Untertanen zu Siegen erlangt habe.171 Erst geraume Zeit danach habe der rechtmäßige Besitzer die Nachfolge antreten können.172 Erste Fragen nach besonderen Härten, die die Normaljahrsregel mit sich bringen konnte, wurden damit evident.173 Darüber hinaus musste noch eine Einigimg etwa im schwierigen Fall Osnabrück oder auch mit Blick auf die Reichsstädte und Reichsritterschaft erzielt werden.174 Von besonderer politischer Tragweite war der Fall des pfälzischen Kurfürsten, dessen Restitution jedoch bald offiziell durch eine kaiserliche Erklärung im Februar 1647 eingeleitet werden sollte.175 Eine Vielzahl an weniger gravierenden, aber dennoch relevanten Einzelproblemen sorgte für weitere Konflikte.176 Nichtsdestoweniger war die Einigung auf den Stichtermin 168 „Der Catholischen Endliche Erklärung oder Declaration in puncto Gravaminum", ebd., S. 436. 169 Ruppert 1979, S. 263. 170 Ebd., S. 265. Zur Diskussion der Frage der zeitlich unbegrenzten Gewährung des Besitzes im katholischen Lager siehe auch Luttenberger 2002, S. 307f. 171 „Nassau-Siegensches Memorial, den restringirten Terminum Restitutionis ad Annum 1624 betreffend", in: Meiem 1734-1736, Tl. 5, S. 209f. Gemeint war der 12 Januar älteren Kalenderstils. 172 Meiern 1734-1736, Tl. 5, S. 209f. 173 Auch im Kloster Knechtsteden war im Jahr 1624, im Februar, ein Konfessionswechsel vor sich gegangen. Ein neuer katholischer Probst war eingesetzt worden und mit Hilfe von Soldaten in das Kloster eingelassen worden. Siehe HHStA Wien, MEA Friedensakten 48. 174 Zu diesen Konferenzen ist pauschal auf Meiern 1734-1736, Ή. 4 zu verweisen. 175 Ebd., S. 78-86. Zur kaiserlichen Politik in der Sache Kurpfalz, die phasenweise mit Kurbayern kollidierte, siehe Ruppert 1979, S. 109f. Zum offiziellen Einlenken in der pfälzischen Sache im Februar 1646 siehe ebd., S. 282ff. 176 Zum weiteren Verlauf der Verhandlungen über die Regelung der konfessionellen Verhältnisse in den Reichsstädten, insbesondere Augsburg, in den kaiserlichen Erblanden etc. siehe die Darstellung von Schneider 2001, S. 360ff.

9.4 Die Bedeutung der Termine auf dem Westfälischen Friedenskongress

1624 und im Hinblick auf den letztlich wegfallenden terminus ad quem einer entscheidenden Weichenstellung gleichgekommen. Die kaiserlichen und die schwedischen Gesandten konnten, darauf aufbauend, weitere Einigungsfortschritte bewirken. Insofern bewahrheitete sich durchaus die Einschätzung des kurmainzischen Gesandten vom 19. November 1646, dass die Fragen nach d e m terminus a quo u n d d e m terminus ad quem Schlüsselfragen z u m Frieden

darstellten.177 9.4 Die Bedeutung der Termine auf dem Westfälischen Friedenskongress Doch worin bestand die besondere Funktion dieser Termine auf dem Westfälischen Friedenskongress? Immerhin wurde von den beiden Konfliktparteien zwischenzeitlich immer wieder erwogen, eine Auflistung der strittigen Territorien und Kirchengüter zu erstellen, um mehr Klarheit zu schaffen, worüber man eigentlich verhandelte. Noch im Herbst 1646, kurz vor der Einigung, plädierte die Mehrheit der katholischen Stände für eine von den Protestanten einzureichende Liste, um den terminus a quo zu ersetzen und die Forderungen schrittweise abzuhandeln.178 Für den kaiserlichen Hauptgesandten Trauttmansdorff, der mehrfach die entscheidenden Initiativen zum Verhandeln über das kirchliche Normaljahr ergriff, war dieses ,Medium', wie bereits angeklungen, mit einer zügigen Friedenseinigung verbunden. Eine Auflistung sämtlicher strittiger Restitutionsfälle hätte viel Zeit in Anspruch genommen und einen aus kaiserlicher Sicht dringend notwendigen Waffenstillstand mit Schweden und Frankreich,179 für den der Frieden mit den gegnerischen Reichsständen eine Voraussetzung darstellte, weit hinausgeschoben. Am kaiserlichen Hof hatte man immerhin im Rahmen des Prager Friedensvertrages bereits Erfahrungen im Aushandeln von Normaljahren gemacht. Für die Unterhändler kam es darauf an, auf diesen aufbauend Verständigungsmöglichkeiten zu suchen. Das von den Schweden zugunsten der protestantischen Stände geforderte Amnestiejahr 1618 brachte dabei zunächst viel Konfliktstoff ein, da wesentliche weltlich-politische und konfessionelle Aspekte damit verbunden waren. Zwar war Trauttmansdorff bereits laut kaiserlicher Geheiminstruktion vom 16. Oktober 1645 grundsätzlich die Zustimmung zu einem Amnestiejahr 1618 und zu einer daran gekoppelten kirchlichen Restitution ermöglicht worden.180

177 „Finden in allen difficili teten daß vornembste obstaculum bey dem termino a quo, ob solcher auffs iahr 1621,1624 oder 1627 zu richten, und dem termino ad quem der 100 iahr, und wan dieser punct under den catholischen vergleichen werden könnte, wurde die handlung im übrigen sich wol schicken." Wolff 1970, Nr. 63, S. 409. 178 Dickmann 1998, S. 361. 179 Salm/Wiibbecke-Pflüger 2001, S. LXXI. 180 Geheiminstruktion Kaiser Ferdinands III. für Trauttmansdorff. Linz 1645, Okt. 16, in: Dickmann etc. 1962, Nr. 29.

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Eine solche Option war jedoch nur im Falle äußerster Not vorgesehen.181 Eine tiefe kaiserliche Abneigung gegen 1618 ergab sich aus der Furcht davor, als Verlierer in der böhmischen Frage dazustehen, zudem aus dem strikten Unwillen, eine erneute Umkehrung der kirchlichen Verhältnisse in den österreichisch-habsburgischen Erblanden zuzulassen.182 Diese Szenarien zu vermeiden war das zentrale Ziel kaiserlicher Politik.183 An dieses Ziel waren weitere politische Aspekte wie etwa das Schicksal der schlesischen Stände fest geknüpft.184 Auf anderen Gebieten, auf denen Ferdinand III. etwas kompromissbereiter war, hätte eine darauf basierende generelle Amnestie- und Restitutionsregel wiederum zu einem Verlust an Möglichkeiten des Manövrierens geführt. Zudem ist nicht zu unterschätzen, dass die Vergangenheit - konkret: die Verhandlungen zum Prager Frieden und auf dem Regensburger Reichstag von 1640/41 - in die Gegenwart hineinreichte. Ein bedingungsloses Eingehen auf ein Amnestiejahr 1618 hätte sich leicht als eine historische Kapitulation deuten lassen. Dies gilt umso mehr angesichts der über Jahre praktizierten Beharrlichkeit, mit der man dieses protestantische Projekt abgewehrt hatte. Die Loslösung der Kirchengüterfrage von der Amnestiefrage und die Einbringung eines neuen, noch unverbrauchten Termins durch die kursächsischen Gesandten hatte demgegenüber neue Möglichkeiten eröffnet, sich zu positionieren. Dass Trauttmansdorff nicht zögerte, den kursächsischen Vorschlag aufzugreifen und auszubauen, wird von daher verständlich. Es wäre allerdings verfehlt, Trauttmansdorff als alleinigen Verfechter der Normaljahrsidee zu betrachten. Vielmehr war der kaiserliche Gesandte, trotz aller Tricks, die er bei der Durchsetzung dieses Konzepts anwandte, abhängig von einer zumindest in Grundlinien bestehenden Übereinstimmung mit den wichtigsten katholischen Reichsständen.185 Darüber hinaus hatte sich gezeigt, dass auch auf protestantischer Seite ein Interesse bestand, dem Frieden auf diese Weise näher zu kommen. Für die Religionsparteien hatte die Normaljahrsfrage, unabhängig von der Skepsis und der unterschiedlichen religionspolitischen Konzeptionen einzelner Stände,186 eine sehr unterschiedliche Bedeutung. Es zeigte sich im Verlaufe Zum Hintergrund der Geheiminstruktion siehe Ruppert 1979, S. 129ff., insbesondere S. 133f. 182 Ebd., S. 276. 183 Auer 1998, S. 172. 184 Ruppert 1979, S. 262. 185 Trotz breiter Kritik an Trauttmansdorff gelang es ihm immer wieder, eine Bevollmächtigung für seine Religionsverhandlungen zu erreichen. Siehe hierzu, mit Blick auf die kurtrierische Position die Arbeit von Abmeier 1986, S. 167. 186 Hinzuweisen ist auf die Unterschiede zwischen ,Extremisten' und ,Gemäßigten' innerhalb des katholischen Lagers. Zu unterschiedlichen Konzeptionen innerhalb der protestantischen Stände siehe z.B. die Studie von Richard Dietrich: Landeskirchenrecht und Gewissensfreiheit in den Verhandlungen des Westfälischen Friedenskongresses, in: Historische Zeitschrift 196 (1963), S. 563-583. 181

9.4 Die Bedeutung der Termine auf dem Westfälischen Friedenskongress

der Religionsverhandlungen, dass die Protestanten in der Festlegung eines kirchlichen Normaljahres eine Chance erblickten, die von ihnen geforderte Parität der Bekenntnisse im Reich ein weiteres Stück zu verankern.187 Die umstrittene Frage nach der Legitimität des Geistlichen Vorbehalts und der Bedeutung des Stichjahres 1552 geriet angesichts der Diskussion um eine neuerliche Festlegung der Konfessionsgrenzen immer mehr in den Hintergrund. Konsequenterweise forderten die Protestanten, einhergehend mit der neu zu errichtenden Normaljahrsordnung, eine neue Ausdefinierung des Geistlichen Vorbehaltes. Dieser sollte von einer ursprünglich nur von katholischer Seite beanspruchten Besitzgarantieklausel zu einem von beiden Religionen beanspruchten Sicherungskodex umfunktioniert werden: Die Protestanten wollten quasi ihren eigenen Geistlichen Vorbehalt. Auch sie wollten vor dem Verlust von Kirchengütern geschützt werden, falls ein Bischof oder ein Abt ihrer Konfession konvertierte. In dieser Zusicherung erblickten sie eine Grundvoraussetzung einer zukünftigen auf Gleichberechtigung beruhenden Religionspluralität. Dies konnte bei vielen katholischen Ständen kaum auf Zustimmung stoßen. Die Verhandlungen führte aber, teilweise unter ihrem Protest,188 in ihrem Namen Trauttmansdorff,189 der den Protestanten sehr schnell signalisierte, dass er auf einer rein katholischen Auslegung des Geistlichen Vorbehalts nicht bestehen würde.190 Nur das erhebliche Gewicht der kompromissbereiten Stände Mainz, Köln,191 Bamberg, Würzburg und Bayern verhinderte, dass die Verhandlungen wieder auf den Ausgangspunkt zurückgeworfen wurden.192 Die Perpetuität des Friedens wurde von einigen Ständen innerhalb des katholischen Lagers immer noch genauso bekämpft wie das zugestandene kirchliche Normaljahr. Eine Besitzabsicherung des eigenen Terrains durch einen Fixtermin entsprach jedoch, im Gegensatz zu ihrem Kirchenoberhaupt,193 prinzipiell auch einem wichtigen politischen Grundbedürfnis auf Seiten der

Dies ist bereits von Diekmann hervorgehoben worden. Siehe Dickmann 1998, S. 349f. Zu den Beschwerden der Katholiken über die Verhandlungen im Sommer 1647 siehe Schneider 2001, S. 378ff. 189 Trauttmansdorff war allerdings nur bis in den Sommer 1647 in die Verhandlungen einbezogen. Seine Nachfolge als führender kaiserlicher Gesandter trat Isaac Volmar an. Schmid 1953, S. 205. 190 Dies lässt sich den Verhandlungen entnehmen, die im Januar und Februar 1647 stattfanden. Siehe etwa Meiern 1734-1736, Tl. 4, S. 38. 191 Kurfürst Ferdinand von Köln hatte Franz-Wilhelm von Wartenberg 1647 das kurkölnische Votum entzogen und damit eine kompromißbereitere Politik eingeleitet. Schmid 1953, S. 217. 192 Schnäder 2001, S. 383. 193 Zum päpstlichen Protest gegen die Religionsbestimmungen des Westfälischen Friedens über das Breve „Zelo domus Dei" siehe Konrad Repgen: Die Proteste Chigis und der päpstliche Protest gegen den Westfälischen Frieden (Ì648/50). Vier Kapitel über das Breve „Zelo Domus Dei", in: Ders.: Dreißigjähriger Krieg und Westfälischer Friede. Studien und Quellen, hrsg. v. Franz Bosbach und Christoph Kampmann. Paderborn etc., S. 539-561. 187 188

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katholischen Stände. Die Suche nach dem neuen Normaljahr fußte hier auf einer nicht zu übersehenden Tradition. Die Zugeständnisse, die man dabei machte, konnten immerhin mit einem Blick darauf aufgewogen werden, dass die Protestanten ihrerseits von der Grundforderung auf eine unbegrenzte Ausbreitung ihrer Konfession abrückten.194 Vor diesem Hintergrund eröffneten sich, trotz aller Parteigegensätze, neue Voraussetzungen des Interagierens jener Kräfte, die nach Wegen des Ausgleichs suchten. Die von beiden Seiten eingebrachten Stichtermine zur religiösen Neuordnung im Reich wirken wie Schutzschilde, die ein vorsichtiges Aufeinanderzubewegen erlaubten. War eine gewisse Nähe zum Gegner erreicht, so galt es jedoch, diese ,Schutzschilde' neu zu positionieren, sofern man Fortschritte erzielen wollte. Wie weit man dabei ging, war einerseits eine Frage der Bereitschaft, über Konzessionen zum ersehnten Frieden zu kommen. Es stellte sich für beide Seiten, wie viele formulierte Bedenken erkennen lassen, aber auch stets die Frage, inwieweit man dem Kontrahenten so weit vertrauen konnte, dass er ein Entgegenkommen nicht als Schwäche auslegte und das eigene Nachgeben nicht rücksichtslos zu seinem Vorteil ausnutzte. Dass Vertrauen sich als ein „Mechanismus zur Reduktion sozialer Komplexität" 195 deuten lässt, legt nicht nur eine Deutung der Normaljahrsverhandlungen zum Prager Frieden, sondern auch der Westfälischen Normaljahrsgespräche als Vertrauenssuche in mehrfacher Hinsicht nahe: Wiederum sollte über Normaljahre eine nahezu unübersehbare Komplexität reduziert werden: zum einen hinsichtlich eines sich im chaotischen Zustand befindlichen Reiches, das es zu befrieden und neu zu ordnen galt, zum anderen nun aber auch hinsichtlich einer Situation, in der die Fronten und Interessenlagen der Verhandelnden in vielen Teilbereichen undurchsichtig waren und sich stets neu verschieben konnten. Die Normaljahrsvorschläge ermöglichten dabei, wie schon zuvor, ein Beschreiten des Weges zu einer Ökonomie der Gerechtigkeit und ein schrittweises gegenseitiges Abtasten. Die Verhandelnden schufen sich damit ein System der Kommunikation, in dem es möglich war, um des Friedens willen auf einer relativ abstrakten Ebene Vorleistungen zu erbringen, die sich wiederum an die Bedingung knüpfen ließen, dass der Kontrahent in absehbarer Zeit mit entsprechenden Gegenleistungen aufwartete.196 Vertrauen wurde erneut über Tauschprozesse generiert.197 Beide Seiten konnten, einmal auf der numerischen Ebene eines Aushandelns von Jahreszahlen angelangt, sich ge-

194 Zu den letzten Verhandlungen über die Autonomiefrage und die Begrenzung durch das Normaljahr siehe Schneider 2001, S. 399. 195 Luhmann 2000. 196 Man könnte in diesem Kontext einen Vergleich zu den im ,Kalten Krieg' oftmals beschworenen ,vertrauensbildenden Maßnahmen' ziehen. Hierzu Gesa Bluhm: Vertrauensarbeit. Deutsch-französische Beziehungen nach 1945, in: Frevert, Ute (Hg.): Vertrauen. Historische Annäherungen. Göttingen 2003, S. 365-393, hier S. 368. 197 Hierzu James S. Coleman: Grundlagen der Sozialtheorie. Bd. 1: Handlungen und Handlungssysteme. München 1991.

9.4 Die Bedeutung der Termine auf dem Westfälischen Friedenskongress

genseitig abverlangen, klare, messbare Abstriche von ihren ursprünglich eingebrachten Forderungen zu machen. Im Verhandeln selbst erprobten sich damit in der Sicht beider Seiten recht deutlich der Friedenswille und die Aufrichtigkeit des jeweiligen Gegenübers. Die numerische Klarheit wurde in den Verhandlungen daher auch immer wieder als eine neue Gerechtigkeitsgrundlage in den Religionsverhandlungen konturiert: So vermittelte etwa Trauttmansdorff seinen Zweifel am Friedenswillen der Protestanten, als diese sich nicht der ausschließlichen Autorität des Stichjahrs unterwerfen und die Verhältnisse in der Stadt Aachen davon ausnehmen wollten.198 Andererseits lagen die Dinge komplizierter, als es die Zahlen Glauben machen wollten. Zum einen ließ sich das Prinzip des kirchlichen Normaljahres aus Gerechtigkeitserwägungen heraus auch immer wieder in Frage stellen. Der schwedische Unterhändler Salvius vertrat z.B. den Standpunkt, dass man das über hundert Jahre in protestantischer Hand befindliche Hochstift Osnabrück nicht wegen der alleinigen Tatsache, dass seit dem Jahr 1623 ein katholischer Bischof für relativ kurze Zeit regiert hatte, den Katholiken überlassen dürfe.199 Hierin deutete sich bereits an, welche Schwierigkeiten später die Durchsetzung der,Generalregel' bereiten sollte. Zum zweiten sollte noch um die Konsequenzen des kirchlichen Normaljahres im Rahmen der Verhandlungen über das ius emigrandi heftig gestritten werden. Diese Verhandlungen bewirkten, dass nicht mehr nur die Kirchengüterfrage im engeren Sinne zur Debatte stand, sondern dass auch die Exerzitiumsrechte der Untertanen zunehmend ins Blickfeld gerieten.200 Wenngleich die Protestanten einen wesentlichen Erfolg für sich darin verbuchen sollten, das Recht der öffentlichen und privaten Religionsausübung201 mit der Normaljahrsfrage zu verknüpfen, sollten doch auch von ihrer Seite schmerzliche Kompromisse eingefordert werden. In dieser Frage sollte der Friedensschluss letztlich einige Widersprüche beinhalten.202 Zum dritten verbarg sich hinter der vordergründigen Klarheit der Zahlen eine nicht unerhebliche Unklarheit hinsichtlich der Zustände, die damit verbunden waren. Niemand der Verhandelnden wusste genau, wie das Reich im Jahr 1621 oder 1624 ausgesehen hatte oder, um beim zuvor gebrauchten Bild zu bleiben, was der Gegner jeweils in seinem Schilde führen mochte. Zwar rief jeder Vorschlag akute Versuche einer Rasterung hervor. Die Bedeutung für die Meiem 1734-1736, Tl. 4, S. 40. Ebd., S. 41: „Das Stift Osnabrück, welches seit anno 1540 bis auf diese Zeit und des itzigen Bischofs antretende Regierung der Augspurgischen Religion beharrlich zugethan gewesen, könnte man wegen eines einigen Jahres nicht zurücke lassen, die Crone Schwede würde dieß Orts nicht weichen". Siehe May 1988, S. 472. 201 Zum Begriff des exercitium religionis privatum siehe Karl Schwarz: Ecercitium religionis privatum. Eine begriffsgeschichtliche Analyse, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Kanonistische Abteilung 74 (1988), S. 495-518. 202 May 1988, S. 494. 198 199

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9. Normaljahre und andere,Termini' auf dem Westfälischen Friedenskongress hochumstrittenen Gebiete Böhmen, die habsburgischen Erbländer etc. und für größere Territorien wurde recht schnell ermittelt. Eine Vielzahl von Reichsgebieten geriet dabei jedoch gar nicht in den Blick der Kongressteilnehmer. Einige Vertreter der katholischen Stände rieten deshalb um so mehr zur Vorsicht und machten ihre Zustimmung zum Stichtermin pauschal davon abhängig, dass keiner ihrer Mitstände unrechtmäßigerweise davon berührt werde. Andere Gesandte waren in höherem Maße bereit, sich auf ein Spiel der Verdeckung über Abstrahierung einzulassen. Das fehlende Wissen über die Konsequenzen der vorgeschlagenen Normaljahre barg in diesem Zusammenhang immerhin die Chance, den sich vollziehenden Vorgang der Wiederherstellung' von Vertrauen noch stärker zu akzentuieren: Die Verhandlungsteilnehmer sollten ihren unbedingten Willen zum Frieden mit ihrer Kompromissbereitschaft im Rahmen einer Praxis des fairen Aushandelns bekunden. Dabei ging es für alle Beteiligten um ein Bekenntnis zum Reich, dass bei allen trennenden Gesichtspunkten als unwidersprochene Interessenklammer in Anspruch genommen wurde. 203 Selbst die auswärtigen Mächte Frankreich und Schweden konnten sich diesem Reichsdiskurs nicht entziehen. Das kirchliche Normaljahr aber war einmal mehr ein eindeutiges Bekenntnis zu diesem Reich, das es in seiner Gesamtheit wieder aufzurichten galt, und dies in erster Linie zunächst einmal unabhängig von seiner konkreten konfessionellen und territorialen Gestalt. Erst in zweiter Linie kam diese Gestalt zum Tragen. Trotz des Diskurses um Frieden und das Reich waren die verhandelnden Parteien dabei sämtlich an ihre Interessen und an ihre politischen Programme gebunden. Die Vertrauenssuche über Normaljahrs Verhandlungen markierte daher nur eine von mehreren Verhandlungsphasen. Sie bildete, abgesehen von den Präliminarien, eine erste, allerdings intensive Phase der Kontaktaufnahme. Sie diente einer grundlegenden gegenseitigen Einschätzung und Verortung. Darüber hinaus diente sie der Eruierung eines gemeinsamen Nenners vor dem unausweichlichen Verhandeln über konkrete, schmerzhafte Einzelheiten. Eine solche Phase sollte sich noch anschließen. Zwar war die Festlegung auf das Normaljahr im November 1646 bereits eine wesentliche, für die Zukunft bedeutsame Entscheidung. Dass man sich über die Konkretisierung und die Ausnahmen noch intensiv auseinanderzusetzen hatte, hatte sich jedoch schon früh abgezeichnet. Immerhin konnten diese Verhandlungen bereits in dem Bewusstsein geführt werden, dass das erste Eis gebrochen war. Viele Ähnlichkeiten lassen sich hinsichtlich der Suche nach dem terminus ad quem feststellen, die dann durch die Bereitschaft Trauttmansdorffs, einen ewigen Frieden zu schließen, beendet wurde. Auch hierbei erfolgte von katholisch-kaiserlicher Seite ein Operieren mit Zahlen, mit dem Angebote erzeugt wurden. An diese Zahlen waren Optionen gekoppelt, wie es nach dem Ver-

Dieser Reichsbegriff ist wiederum nicht zwangsläufig mit dem Begriff der Nation gleichzusetzen. Vgl. hierzu die Thesen von Wandruszka 1955. 203

9.5 Die Stichtermine in den Westfälischen Friedensverträgen

streichen des Termins weiter gehen sollte. Auch diese Optionen wurden als Angebote präsentiert und, wie sich zeigte, von den Protestanten durchaus als Brücken verstanden. Das Eingehen auf einen ewigen Frieden war von kaiserlicher Seite bereits vor den Religionsverhandlungen vorbereitet worden. Nichtsdestoweniger erfolgte der Wegfall des terminus ad quem für viele Seiten überraschend. Die Protestanten wären im Prinzip mit einer hundertjährigen Dauer des Friedensvertrages zufrieden gewesen, der faktisch auf eine Perpetuität hinausgelaufen wäre. Die nun auch vertraglich zugestandene Perpetuität, mit der die alte Rechtsposition der katholischen Partei aufgegeben wurde, lässt sich als Vertrauenssignal Trauttmansdorffs deuten, mit dem die Gegenseite aufgefordert wurde, ihrerseits ebenfalls gravierende Kompromisse einzugehen. Der Wegfall des terminus ad quem und die Einigung auf das kirchliche Normaljahr waren daher entscheidende Schritte auf dem Weg zum angestrebten Religions vergleich, der am 23. März 1648 erzielt wurde.204 In den Verhandlungen darüber war den Parteien eine nicht unerhebliche Konzessionsbereitschaft abverlangt worden. Andererseits waren die Normaljahrsverhandlungen auch bereits durch die Auslotung von Freiräumen geprägt, die das Beharren auf Positionen ermöglichten. Es hatte sich gezeigt, dass man an die Normaljahrsfrage mehrere wichtige konfessionspolitische Fragen knüpfen konnte. Pauschale Stichjahrsdiskussion und einzelne wichtige Felder der Religionspolitik ließen sich bei Bedarf jedoch auch wieder voneinander lösen. Der Streit um einzelne Territorien wurde seit dem November 1646 noch erbittert fortgeführt. Darüber hinaus stand noch die Frage nach dem Amnestiejahr und den damit verbundenen Folgen im Raum. Auch in diesem Kontext wurde noch über Justierungen gestritten, die die Autorität des kirchlichen Normaljahres einschränken sollten. 9.5 Die Stichtermine in den Westfälischen Friedensverträgen Von der Zähigkeit der Verhandlungen, die noch nach der Normaljahrseinigung erfolgten, geben die Westfälischen Friedensverträge205 selbst einen Eindruck, handelt es sich doch um umfangreiche Texte, in denen viele Territorien des Reiches konkret behandelt werden. Zur Beilegung zahlreicher Konflikte im Reich wurden detaillierte Bestimmungen erlassen. Der Rahmen wurde dadurch gebildet, dass Kaiser Ferdinand III. Frieden mit den beiden Königreichen Frankreich und Schweden schloss,206 um den inneren Frieden

Schneider 2001, S. 403. Oschmann 1989a. 206 Darauf, dass diese Mächte es eigentlich zuvor vermieden hatten, sich gegenseitig den Krieg zu erklären, verweist Anuschka Tischer. Vom Kriegsgrund hin zum Friedensschluss: Der Einfluss unterschiedlicher Faktoren auf die Formulierung von Friedensverträgen am Beispiel des Westfälischen Friedens, in: Duchhardt, Heinz/Peters Martin (Hg.): Kalkül - Transfer - Symbol. Europäische Friedensverträge der Vormoderne, 204

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9. Normaljahre und andere, Termini' auf dem Westfälischen Friedenskongress im Reich darauf zu begründen. 2 0 7 Die Reichsstände wurden als Verbündete dieser Mächte einbezogen. 208 Zunächst: Zum Amnestiejahr wurde 1618 erklärt, dies allerdings nur indirekt über die Bezugnahme auf die , Böhmischen Unruhen' in jenem Artikel, 209 der die Grundlagen und Folgen der Amnestie genauer erläutert. 210 Die Zeit unmittelbar vor den ,Böhmischen Unruhen' wurde zudem als Basis für die Restitutionsansprüche des Markgrafen von Baden-Durlach 211 und des pfälzischen Kurfürsten in der Unterpfalz angeführt. 212 Darüber hinaus taucht der Beginn des Böhmischen Krieges als zeitliche Markierung für die Amnestie der Landgräfin von Hessen-Kassel auf. 213 Die Jahreszahl 1618 wurde nur einmal direkt im Zusammenhang mit Lehnsverträgen erwähnt, die zu erneuern waren. 214 Dies ist immerhin bemerkenswert angesichts der Tatsache, dass sich in den ersten Propositionen der Schweden und des Kaisers die beiden Jahre 1618 und 1630 noch schroff gegenübergestanden hatten. Der damals bestehende klare numerische Gegensatz war über zurückhaltende Formulierungen somit etwas entschärft worden. Nichtsdestoweniger hatte Schweden seine Stichjahrsforderung durchgesetzt. Eine Vielzahl von Restitutionen ließen sich von dieser Regelung ableiten. Der schwedische Erfolg relativierte sich wiederum

Mainz 2006 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Beihefte Online 1,2006), Abs. 4. 207 Im Hinblick auf die Ergebnisse des Westfälischen Friedens ist auf zum einen auf die klassische Studie von Dickmann zu verweisen, siehe Dickmann 1998, S. 456. Einen aktuelleren Überblick bietet Konrad Repgen: Die Hauptprobleme der Westfälischen Friedensverhandlungen von 1648 und ihre Lösungen, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 62 (1999), S. 399-438. Darüber hinaus ist auf die Ergebnisse hinsichtlich der hier weitgehend ausgeklammerten Reichsjustizverfassung hinzuweisen. Siehe hierzu Sigrid Jahns: Die Reichsjustiz als Spiegel der Reichs- und Religionsverfassung, in: Bußmann, Klaus/Schilling, Heinz (Hg.): 1648 - Krieg und Frieden in Europa. Textbd. 1: Politik, Religion, Recht und Gesellschaft. [Katalog z. Ausst. Münster/Osnabrück v. 24.10.199817.1.1999], Münster 1998, S. 455-463, Wer S. 461ff. Zu den allgemeineren verfassungsrechtlichen Aspekten siehe Heinhard Steiger: Konkreter Friede und allgemeine Ordnung - Zur rechtlichen Bedeutung der Verträge vom 24. Oktober 1648, in: Bußmann, Klaus u. Schilling, Heinz (Hg.): 1648 - Krieg und Frieden in Europa. Textbd. 1: Politik, Religion, Recht und Gesellschaft. [Katalog z. Ausst. Münster/Osnabrück v. 24.10.1998-17.1.1999]. Münster 1998, S. 437-446, sowie Georg Schmidt: Der Westfälische Frieden als Grundgesetz des komplementären Reichs-Staats, in: Bußmann, Klaus u. Schilling, Heinz (Hg.): 1648 - Krieg und Frieden in Europa. Textbd. 1: Politik, Religion, Recht und Gesellschaft. [Katalog z. Ausst. Münster/Osnabrück v. 24.10.1998-17.1.1999], Münster 1998, S. 447-454. Zu den religionspolitischen Ergebnissen siehe Schneider 2001, S. 403ff. 208 Zur Unterzeichnung durch die Stände siehe Oschmann 1998a, S. LXXVIIff. 209 Hier erfolgen die Angaben auf der Grundlage des osnabrückischen Friedensvertrages. Im Hinblick auf die Konkordanz mit dem münsterischen Vertrag ist allgemein auf die Edition von Oschmann 1998a zu verweisen. 210 Oschmann 1998a, Nr. 18, Art. III, 1: „[...] Bohemiae Germaniaeve motuum [...]". 211 Ebd., Art. IV, 26. 212 Ebd., Art. IV, 6. 213 „[...] ad initium belli Bohemici [...]". Ebd., Art. XV, 1. 214 Ebd., Art. IV, 50.

9.5 Die Stichtermine in den Westfälischen Friedensverträgen

sehr stark angesichts der Sonderklauseln, die für Böhmen und die österreichisch-habsburgischen Erblande festgelegt wurden. Das zentrale Stichjahr für die konfessionelle Ordnung im Reich war jedoch 1624. Die hohe Bedeutung lässt sich bereits daran ablesen, dass dieses Jahr oder, sofern präzisere Regelungen vorlagen, der 1. Januar 1624 insgesamt 47 Mal als Termine direkt im Friedensvertrag von Osnabrück erwähnt wurden. Dazu kommen noch acht indirekte Nennungen über Bezugnahmen auf diese Termine. Keine andere Zeitangabe taucht häufiger in den Westfälischen Friedensverträgen auf. Die wichtigsten, grundlegenden Artikel beinhalteten die Festlegung des 1. Januars 1624 als Stichtag für die Restitution der Reichsstände in geistlichen Angelegenheiten215 und die Garantie für sämtliche Reichsuntertanen, jene Religion weiterhin ausüben zu dürfen, die in ihren Wohnorten im Verlauf des Jahres 1624 ausgeübt worden war.216 Diese letzte Regelung, die eigentliche kirchliche Normaljahrsregel des Westfälischen Friedens, konnte somit das ius reformandi eines Landesherrn außer Kraft setzen.217 Die Untertanen sollten, unabhängig von einem etwaigen Konfessionswechsel ihres Territorialherm, im Besitz ihrer Kirchen und Schulen bleiben, die sie im Normaljahr besessen hatten, um ihre jeweilige Religion auch weiterhin zu praktizieren. Andererseits schloss die Regelung vom Wortlaut her auch nicht aus, dass ein Fürst, der einer anderen Konfession zugehörte als seine Untertanen, weitere Kirchen bauen ließ, um eventuell seine Religion in den Orten einzuführen. Hier lässt sich bereits erahnen, warum man bei späteren Konflikten häufig versuchte, den ,Geist' der Westfälischen Friedensregelungen zu erfassen bzw. die Intention der Verhandlungsparteien nachzuvollziehen. Die allgemeine kirchliche Normaltagsregel beinhaltete, dass die Restitutionen in geistlichen Angelegenheiten auf der Basis des 1. Januars 1624 erfolgen sollten. Weltlich-politische Restitutionen, die damit zusammenhingen, sollten auf die gleiche Weise durchgeführt werden. In der Konsequenz lief dies darauf hinaus, dass sämtliche Reichsstände, die nach diesem Termin aus religionspolitischen Gründen ihrer Herrschaftsrechte und ihres Besitzes verlustig gegangen waren, in den ,Genuss' der Restitution kamen. Sämtliche seitdem möglicherweise ergangenen Urteile oder Verträge etc., die etwas anderes besagten, sollten kassiert werden. ,Alles' sollte, wie es im Text hieß,218 auf den Stand dieses Tages zurückgeführt werden. Auch der Zankapfel, der als wesentliche Ursache des Krieges betrachtet wurde, sollte über die kirchliche Normaltagsregel beseitigt werden. Zwar wurden Ebd., Art. V, 2. Ebd., Art. V, 31 und 32. 217 Zur Einigung in den Verhandlungen siehe May 1988, S. 478ff. Siehe auch Ronald G. Asch: The Thirty Years War. The Holy Roman Empire and Europe, 1618-48. Houndmills etc. 1997, S. 145. Ebenso Schneider 2001, S. 407f. 218 Oschmann 1998a, Nr. 18, Art. V, 2. 215

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9. Normaljahre und andere,Termini'

auf dem Westfälischen Friedenskongress

der Passauer Vertrag von 1552 und der Augsburger Religionsfriede von 1555 vom Grundsatz her bestätigt.219 Für sämtliche reichsunmittelbaren Kirchengüter wurde jedoch der 1. Januar 1624 zum Stichtag für Restitutionen und zukünftige Besitz- und Religionsausübungsrechte.220 Das gleiche gilt für die mittelbaren Güter.221 In kirchlichen Einrichtungen, in denen am Stichtag gemischtkonfessionelle Verhältnisse geherrscht hatten, sollten diese Verhältnisse exakt wiederhergestellt werden: Die genaue Anzahl von Kanonikern zum Zeitpunkt des Normaltages wurde, je nach Konfession, festgeschrieben. Hier zeigt sich deutlich der Aspekt der Parität im Rahmen eines pluralen Reichskirchenwesens,222 das auch schon auf der Reichstagsebene verankert worden war,223 wenngleich dieser Pluralität stets nur zwei Religionen, Katholisch und Augsburgisch, zugrunde gelegt waren. Beide Religionen konnten gleichberechtigt auf den Normaltag verweisen, um ihren Besitz zu sichern. Der Geistliche Vorbehalt war somit entsprechend der protestantischen Forderung, ,paritätisiert' worden.224 In einem eigenen Abschnitt wurden die Folgen etwaiger Konversionen erörtert. Jeder Inhaber eines geistlichen Amtes, das sich aus den Kirchengütern herleitete, sollte diese Güter verlieren, sofern er den Glauben wechselte. Im Unterschied zum Geistlichen Vorbehalt von 1555 galt dies nunmehr auch für den Fall einer Konversion vom Protestantismus zum Katholizismus.225 Einen breiten Raum nahmen kirchliche Normaltags- und Normaljahrsregel auch hinsichtlich der Reichsstädte ein. Für die gemischtkonfessionellen Reichsstädte Augsburg, Dinkelsbühl, Ravensburg, Biberach226 und Kaufbeuren227 wurden genauere Regelungen getroffen, die in den politischen Alltag hineinreichten. Kirchenbesitz und Exerzitiumsrechte der Untertanen wurden nach dem Normaltag festgelegt. Darüber hinaus wurde für jene Reichsstädte, in denen sich die Stadtobrigkeit zu einer Konfession bekannt hatte, ein konfessioneller Minderheitenschutz vom Normaltag abgeleitet. Vor allem katho-

Hierzu auch Repgen 1999, S. 416f. Oschmann 1998a, Nr. 18, Art. V, 14. 221 Ebd., Art. V, 25. 222 Ausdruck fand diese Parität in der Ausformulierung der „aequalitas exacta mutuaque". Ebd., Nr. 18, Art. V, 1. Siehe auch Repgen 1999, S. 417. 2 2 3 Ebd., Art. V, 52. Der Artikel beinhaltete die Möglichkeit konfessionelle Fragen, getrennt nach Konfessionen („itio in partes") zu erörtern. Hierzu Martin Heckel: Itio in partes. Zur Religionsverfassung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Kanonistische Abteilung 64 (1978), S. 180-308, hier S. 192. 224 Schneider betrachtet ihn daher nun als einen „doppelkonfessionellen" Geistlichen Vorbehalt: Schneider 2001, S. 406. 225 Oschmann 1998a, Nr. 18, Art. V, 15. 226 Allgemein ebd., Art. V, 3. Zu den vier genannten Reichsstädten siehe auch Paul Warmbrunn: Zwei Konfessionen in einer Stadt. Das Zusammenleben von Katholiken und Protestanten in den paritätischen Reichsstädten Augsburg, Biberach, Ravensburg und Dinkelsbühl von 1548 bis 1648. Wiesbaden 1983. 227 Oschmann 1998a, Nr. 18, Art. V, 29. 219 220

9.5 Die Stichtermine in den Westfälischen Friedensverträgen lische Klöster und andere kirchliche Einrichtungen in protestantischen Reichsstädten waren davon betroffen. 228 Dies waren die wichtigsten kirchlichen Normaljahrs- bzw. Normaltagsregelungen. Darüber hinaus wurden die Stichtermine noch für eine Reihe weiterer Regelungsbereiche, wie etwa die Zuteilung besonderer kirchlicher Einkünfte 229 in Anspruch genommen. Zudem wurde die Normaljahrsregel als Provisoriumsregel für kirchliche Belange bei strittigen Landesherrschaften eingesetzt. 230 Insgesamt bildeten die termini a quo, das Normaljahr und der Normaltag, die man allerdings als einen einzigen terminus ansah, damit im Hinblick auf die wesentlichen Streitpunkte, an denen sich in der Vergangenheit Konflikte der Religionsparteien entzündet hatten, eine ,Generalregel /231 im Sinne der verhandelnden Parteien. Auch das umstrittene Fürstbistum Osnabrück, für das, einen schwedischen Vorschlag aufgreifend, 232 die zukünftige Alternation eines katholischen und eines protestantischen Landesfürsten festgelegt wurde, 233 sollte auf der Grundlage des Normaltags kirchlich restituiert werden, wenngleich Verhandlungen über die genauere Auslegung noch in Aussicht gestellt wurden. 234 Die Westfälischen Friedensverträge enthielten nichtsdestoweniger viele, unter ihnen gravierende Ausnahmen von der allgemeinen Regel. Auffälligerweise wurde die Amnestie der kirchlichen Restitution ausdrücklich übergeordnet: Niemandem, der aufgrund der Amnestie zu restituieren sei, solle der terminus a quo 1624 zum Nachteil ausgelegt werden können. 235 In diesem Punkt spiegelt sich die protestantische Forderung nach einem Restitutionsanrecht jener Stände wider, die vor 1624 ihres Besitzes verlustig gegangen waren. Das Amnestiejahr 1618 trat hierbei noch einmal gehörig in Konkurrenz zum kirchlichen Normaljahr. Es blieb vielfach den mit der Auslegung der Friedensverträge befassten Institutionen überlassen, wie dies zu deuten war und ob eine künftige Restitution nach dem Recht auf Amnestie durchgeführt wurde oder als kirchliche Restitution gelten sollte. Eine direkte Verknüpfung von Restitution nach Amnestierecht (ex capite amnestiae faciendum) und kirchlicher Restitution (ex capite gravaminum)736 wurde Ebd., Art. V, 29. Der Fall Donauwörth wurde allerdings nicht konkret geregelt. Siehe Repgen 1999, S. 418. 229 Dies betraf z.B. die sogenannten Papstmonate in gemischtkonfessionellen Stiftern, ebd., Art V, 20, oder andere Abgaben, ebd., Art. V, 46 u. 47. 230 Ebd., Art. V, 43. 231 Der Begriff „regula generalis" fand Niederschlag in den Verhandlungsakten, so etwa im Frühjahr 1648: „Schwedische animadversiones über die ex parte Capituli entworffene Capitulation", in: Meiern 1734-1736, Tl. 6, S. 501f. 232 Ebd., S. 406. 233 Oschmann 1998a, Nr. 18, Art. ΧΙΠ, 1. Die protestantische Landesherrschaft wurde dem Fürstenhaus Braunschweig-Lüneburg zugesprochen. 234 Ebd., Art. XIII, 4. 235 Ebd., Art. V, 13. 236 Zu dieser Unterscheidung siehe etwa Hoffmannus 1750, S. 58-60. 228

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9. Normaljahre und andere,Termini' auf dem Westfälischen

Friedenskongress

in zwei Fällen festgelegt. Die gesamte Unterpfalz sollte sowohl in weltlicher als auch in geistlicher Hinsicht so wiederhergestellt werden, wie sie dem pfälzischen Kurfürsten vor den Böhmischen Unruhen einmal zugestanden hatte.237 Ähnlich wurden die geistlichen und weltlichen Restitutionsanrechte des Markgrafen von Baden-Durlach umschrieben.238 Beide Bestimmungen kamen einem kirchlichen Normaljahr 1618 gleich. Dass in einem weiteren Artikel die Rechte der Angehörigen der Augsburgischen Religion in der Kurpfalz mit dem Jahr 1624 festgemacht wurden, 239 scheint auf den ersten Blick im Widerspruch dazu zu stehen. Diese Bestimmung wurde jedoch mit dem Hinweis auf die Stadt Oppenheim erläutert:240 Dort lebte eine lutherische Minderheit beträchtlichen Umfangs in einem calvinistischen Umfeld.241 Es ging somit um die Sicherung lutherischer Kirchenrechte in der Kurpfalz, die von einigen protestantischen Ständen als Bedingung für die Vertretung der Reformierten im Rahmen der Religionsverhandlungen zu Münster und Osnabrück formuliert worden waren.242 Dass sich der französische Gesandte Servient noch kurz vor der Ratifikation des Friedensvertrages für die Beibehaltung katholischer Rechte nach dem Jahr 1648 in der Unterpfalz stark gemacht hatte, schlug sich dagegen nicht darin nieder.243 Die allgemeine kirchenrechtliche Regelung des Verhältnisses von Lutheranern und Reformierten im Reich erfolgte jedoch über einen wichtigen Artikel, in dem Lutheraner und Reformierte als zwei Parteien innerhalb des Protestantismus bezeichnet werden.244 Damit war das plurale Kirchensystem des Reiches ausdefiniert worden: Drei Konfessionen hatten ihr Existenzrecht garantiert bekommen. Im paritätischen System der Reichskirchenverfassung wurden diese, entsprechend der langjährigen politischen Selbstorganisation im Rah-

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Oschmann 1998a, Nr. 18, Art. IV, 6. Ebd., Art. IV, 26. 239 Ebd., Art. IV, 19. 240 Ebd., Art. IV, 19: „Augustanae confessionis consortibus, qui in possessione tempiorum fuerant, interque eos civibus et incolis Oppenheimensibus, servetur status ecclesiasticus anni millesimi sexcentesimi vigesimi quarti, caeterisque id desideratums Augustanae confessionis exercitium tarn publice in templis ad statas horas quam privatim in aedibus propriis aut alienis ei rei destinatis per suos aut vicinos verbi divini ministros peragere liberum esto." Hier scheint der Begriff der Augsburgischen Konfession auf das Luthertum eingeschränkt zu sein. In anderen Formulierungen wurden jedoch die Reformierten ebenfalls als zur Augsburgischen Konfession zugehörig bezeichnet. Siehe Ebd., Art. VII, 1. 241 Peter Zschunke: Konfession und Alltag in Oppenheim. Beiträge zur Geschichte der Bevölkerung und Gesellschaft einer gemischtkonfessionellen Kleinstadt in der frühen Neuzeit. Wiesbaden 1984, S. 75 u. S. 77. Dass sich auch Franziskaner zu Oppenheim nach dem Friedensschluss um ihre Rechte bemühten, sollte sich später zeigen: Siehe HHStA Wien, MEA Friedensakten 46. 242 „Conditiones, so den Reformierten vorgeleget worden, um in den Frieden mit eingeschlossen zu werden", in: Meiern 1734-1736, Tl. 2, S. 9-11, hier S. 10. 243 Meiern 1734-1736, Tl. 6, S. 365ff. 244 Oschmann 1998a, Nr. 18, Art. VII, 1. 238

9.5 Die Stichtermine in den Westfälischen Friedensverträgen

men von Religionsparteien, als zwei Religionen betrachtet.245 Weitere Bekenntnisse sollten ausdrücklich nicht geduldet werden.246 Die zwischen den beiden protestantischen Konfessionsgruppen bestehenden Streitigkeiten wurden prinzipiell einer künftigen Einigung vorbehalten. Nichtsdestoweniger wurde im Westfälischen Frieden eine Bestimmung zum ius reformandi erlassen, die Gültigkeit für Konflikte zwischen Lutheranern und Reformierten beanspruchte: Bei einer zukünftigen Konversion eines lutherischen oder calvinistischen Fürsten sollten die Untertanen vor einem entsprechenden Konversionswechsel geschützt sein.247 Ebenso durften sämtliche territorialen Kirchenordnungen ihre Gültigkeit nicht verlieren. Dies mag man als ein Normaljahr 1648 interpretieren.248 Auf der anderen Seite wurde ausdrücklich auch nicht ausgeschlossen, dass sich einzelne Gemeinden freiwillig der Konversion des Fürsten anschlossen.249 Allerdings wurde für diesen Fall festgelegt, dass überörtliche Kirchenorgane und theologische Fakultäten an den Universitäten bei der bis dahin praktizierten Religion verblieben.250 Weitere Ausnahmen vom Stichjahr 1624 deuteten sich im Zusammenhang mit territorialen Sonderbestimmungen an. Hierzu gehörte, dass die Oberpfalz dem Herzog von Bayern neben der pfälzischen Kurwürde251 zugesprochen wurde.252 Auf die religiösen Verhältnisse wurde hierbei nicht näher eingegangen. Gerade dies sollte aber de facto darauf hinauslaufen, dass die Chancen auf eine dortige Restitution des Protestantismus stark gemindert wurden.253 Das gleiche lässt sich für die habsburgischen Erbländer feststellen. Zwar hatte Kaiser Ferdinand II. zum Zeitpunkt des Jahres 1624 bereits mit der Rekatholisierung in den österreichischen Ländern begonnen. Diese war in diesem Jahr jedoch noch keineswegs abgeschlossen gewesen, sondern hatte sich teilweise

„Die dritte Konfession wurde dem bikonfessionellen Reichsrecht eingepaßt, indem sie als Variante der zweiten anerkannt wurde." Burkhardt 1992, S. 167. 246 Oschmann 1998a, Nr. 18, Art. VII, 1. 2 4 7 Zu dene Verhandlungen zwischen Reformierten und den Lutheranern über diesen Punkt im Mai 1647 siehe Schnäder 2001, S. 347. 248 Schindling 1998, S. 465. 2 4 9 Diese Möglichkeit der Konversion widerspricht m.E. einem generellen Verbot, der geänderten Konfession das publicum exercitium einzuräumen. Vgl. hierzu Schneider 2001, S. 409. 25« Oschmann 1998a, Nr. 18, Art. VII, 1. 251 Hierzu etwa Dieter Albrecht: Bayern und die pfälzische Frage auf dem Westfälischen Friedenskongreß, in: Duchhardt, Heinz (Hg.): Der Westfälische Friede. Diplomatie politische Zäsur - kulturelles Umfeld - Rezeptionsgeschichte (= Historische Zeitschrift, Beiheft 26). München 1998, S. 461-168. 252 Oschmann 1998a, Nr. 18, Art. IV, 3. 2 5 3 Repgen 1999, S. 419, interpretiert dies als „rechtliche Möglichkeit der Rekatholisierung der Oberpfalz". Zu den Abstrichen Kurbayerns im Westfälischen Friedensvertrag siehe Helmut Neuhaus: Konfessionalisierung und Territorialstaat, in: Müller, Gerhard/Weigelt, Horst/Zom, Wolfgang (Hg.): Handbuch der Geschichte der evangelischen Kirche in Bayern. Bd. 1: Von den Anfängen des Christentums bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. St. Ottilien 2002, S. 343-361, hier S. 360. 245

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9. Normaljahre und andere, Termini' auf dem Westfälischen Friedenskongress über Jahrzehnte erstreckt. 254 Besonders im Lande ob der Erms, das bis 1628 bayerischer Pfandherrschaft unterworfen gewesen war, hatten sich blutige Aufstände gegen die obrigkeitlichen Rekatholisierungsmassnahmen entzündet. 255 Darüber hinaus war Böhmen erst 1627 über die „Verneuerte Landesordnung" in die habsburgischen Erblande förmlich einbezogen worden, bei welcher Gelegenheit der Katholizismus dort zur einzig zugelassenen Religion erklärt worden war.256 Eine Restauration der kirchlichen Verhältnisse von 1624 war offensichtlich aus diesen Gründen für Kaiser Ferdinand III. und seine Unterhändler nicht in Betracht gekommen. Dies schlug sich in den Friedensverträgen zum einen über besondere Amnestieregelungen nieder. Zwar wurde den österreichischen Erbuntertanen und Vasallen des Kaisers die Amnestie zugesagt. Eine Rückkehr der Exulanten in ihre Heimat war allerdings an die Bedingung geknüpft worden, dass sie den einheimischen Gesetzen Folge leisteten. 257 Dies ist wohl als direkter Hinweis auf den Zwang, zum Katholizismus überzutreten, zu verstehen. Auch konnten die Rückkehrer keine Wiedereinsetzung in ihren Besitz erhoffen, sofern ihnen dieser entzogen worden war, bevor sie an der Seite Schwedens oder Frankreichs am Krieg teilgenommen hatten. 258 Der Dissens, der in den Friedensverhandlungen darüber geherrscht hatte, schlug sich noch in der Bemerkung nieder, dass sich die schwedischen Gesandten beharrlich aber ohne Erfolg für eine Restitution dieser Gruppe eingesetzt hatten. 259 In diesem Punkt hatte Ferdinand III. jegliche Zugeständnisse abgelehnt. Zum anderen waren die Verhandlungen über die kirchenrechtlichen Grundlagen in den österreichischen Erbländern ebenfalls ohne Erfolg für die ProtesEin Überblick bei Grete Mecenseffy: Geschichte des Protestantismus in Österreich. Graz/Köln 1956, S. 161-174, ebenso 178ff. Neuere Überblicksdarstellungen liegen vor von Leeb, siehe Rudolf Leeb: Der Streit um den wahren Glauben - Reformation und Gegenreformation in Osterreich, in: Wolfram, Herwig (Hg.): Geschichte des Christentums in Österreich. Von der Spätantike bis zur Gegenwart. Wien 2003, S. 145-279, hier insbes. S. 262ff., und von Thomas Winkelbauer: Ständefreiheit und Fürstenmacht. Länder und Untertanen des Hauses Habsburg im konfessionellen Zeitalter. 2 Bde. Wien 2003, insbes. Bd. 1. Zu Böhmen siehe auch Herzig 2000b, S. 87. 255 Siehe Josef Wodka: Kirche in Österreich. Wegweiser durch ihre Geschichte. Wien 1959, S. 239f. 256 Karl Richter: Die böhmischen Länder von 1471-1740, in: Bosl, Karl (Hg.): Handbuch der Geschichte der böhmischen Länder. Bd. 2: Die böhmischen Länder von der Hochblüte der Ständeherrschaft bis zum Erwachen eines modernen Nationalbewußtseins. Stuttgart 1974, S. 99-414, hier S. 287-289. Wichtige kaiserliche Patente zur Durchsetzung des Katholizismus in Böhmen und Mähren waren allerdings schon im März und April 1624 erlassen worden: Richter 1974, S. 286. Zur „Vemeuerten Landesordnung" siehe ebenso: Miroslav Hroch/lvo Bartecek: Die böhmische Frage im Dreißigjährigen Krieg, in: Duchhardt, Heinz (Hg.): Der Westfälische Friede. Diplomatie - politische Zäsur - kulturelles Umfeld - Rezeptionsgeschichte (= Historische Zeitschrift, Beiheft 26). München 1998, S. 447-468, hier S. 457. 257 Oschmann 1998a, Nr. 18, Art. IV, 52. 258 Ebd., Art. IV, 53. 259 Ebd., Art. IV, 53. Zu den schwedischen Beweggründen, sich für die böhmischen Exulanten einzusetzen siehe Hroch/Bartecek 1998, S. 459f. 254

9.5 Die Stichtermine in den Westfälischen Friedensverträgen

tanten geblieben. Es wurde in einem besonderen Artikel darauf hingewiesen, dass es auch hierbei kein kaiserliches Entgegenkommen gegeben hatte. Das Königreich Schweden und die protestantischen Reichsstände behielten sich lediglich vor, auf den künftigen Reichstagen oder anderen Gelegenheiten Fürbitten für die österreichischen Protestanten einzulegen.260 Im Hinblick auf Schlesien waren von kaiserlicher Seite mehr Zugeständnisse erfolgt.261 Jedoch wurde auch dieses Gebiet in den Friedensverträgen von der kirchlichen Normaljahrsregel ausgenommen. 262 Als weiteres Gebiet, für das spezielle Regeln erlassen wurden, ist etwa Halberstadt zu nennen, das Kurbrandenburg zufiel. Dort sollten die konfessionellen Verhältnisse nach einem Vertrag, den der ehemalige Bischof Leopold Wilhelm erlassen hatte, geordnet werden.263 Darüber hinaus blieb auch etwa für die jülich-klevischen Länder noch grundsätzlich offen, welche Ordnung, sowohl weltlich-politisch wie kirchlich, hier herrschen sollte. Die Streitigkeiten zwischen den beiden Prätendenten auf die Landesherrschaft, dem neuburgischen Pfalzgrafen und dem Kurfürsten von Brandenburg, waren bislang über weite Strecken in eigenen Verhandlungen erörtert worden. Es wurde bestimmt, dass der jülichklevische Erbfolgestreit noch über ein kaiserliches Verfahren oder über einen gütlichen Vergleich beizulegen sei.264 Ebenso ist darauf hinzuweisen, dass die Zusammensetzung der Ratsmitglieder und anderer stadtobrigkeitlicher Funktionsträger in den mischkonfessionellen Reichsstädten nach streng paritätischen Grundlagen bestimmt wurde, was nicht immer mit dem Stichdatum vereinbar war.265 Bemerkenswert ist auch, dass das Recht auf private Religionsausübung von der Normaljahrsregel ausgenommen wurde.266 Vom Landesherrn abweichende Bekenntnisse sollten geduldet werden, sofern religiöse Handlungen auf das eigene Haus beschränkt blieben und Gottesdienste in anderen Territorien besucht wurden. In diesem Artikel schlug sich der protestantische Einsatz für individuelle Gewissensfreiheit und Freistellung' (autonomia) während der Friedensverhandlungen nieder.267 Der Passus bildete jedoch gegen-

Oschmann 1998a, Nr. 18, Art. V, 41. Ebd., Art. IV, 53, Art. V, 40. 262 Hierzu Schneider 2001, S. 409. 2 6 3 Oschmann 1998a, Nr. 18, Art. XI, 1. Die Regel stand im Zusammenhang mit der Entschädigung Kurbrandenburgs für den Wegfall von Pommern. 264 Ebd., Art. IV, 53; Art IV, 57. 2 6 5 Zu Augsburg siehe ebd., Art. IV, 53, Art. V, 4-9, zu Dinkelsbühl, Ravensburg und Biberach siehe ebd., Art. IV, 53, Art. V, 11. Während der Verhandlungen war die Anwendung des Normaljahrs umstritten. Die Protestanten setzten sich für Parität auch für den Fall ein, dass diese nicht für 1624 nachzuweisen gewesen wäre. Siehe Meiern 17341736, Tl. 6, S. 2 1 7 - 224. 266 Oschmann 1998a, Nr. 18, Art. V, 34. 267 Hierzu: May 1988; Ronald G Asch.: „Denn es sind ja die Deutschen... ein frey Volk". Die Glaubensfreiheit als Problem der westfälischen Friedensverhandlungen, in: Westfälische Zeitschrift 148 (1998), S. 113-137, und ders.: Das Problem des religiösen Pluralis260 261

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9. Normaljahre und andere,Termini' auf dem Westfälischen Friedenskongress über den Emigrationsbestimmungen des Westfälischen Friedens einen Kontrast. 268 In diesen von Trauttmansdorff durchgesetzten Bestimmungen war durchaus die Rede vom Auswanderungszwang. 269 Es standen sich somit, wie schon so oft, wenn es zu Verträgen in Religionsfragen gekommen war, zwei Möglichkeiten rechtlicher Interpretation und Gewichtung gegenüber. 270 Der immerwährende, allgemeine christliche Frieden, 271 von dem erwartet wurde, dass seine Bestimmungen, wie mehrfach im Text betont wurde, einmal hinfällig werden würden, wenn es mit Gottes Hilfe wieder zu einer Einheit beider christlicher Religionen 272 kommen würde, 273 blieb somit in vielen Belangen offen und seine Bestimmungen von der Auslegung und Durchsetzung politischer Kräfte abhängig. Dies betraf vor allem viele jener Gebiete und Sachfragen, die die strittigsten unter den Religionsparteien, einschließlich des Kaisers und der auswärtigen Kronen, gewesen waren. Hier beinhaltete das Friedenswerk noch eine Reihe von dissimulatorischen bzw. kontradiktorischen Passagen. 274 Zudem wurde in Aussicht gestellt, dass wichtige Regelungen in naher Zukunft getroffen sein würden. Auch einige wichtige Fragen nach der Funktion des kirchlichen Normaljahrs schwebten weiterhin im Raum. Nach dem Verständnis der protestantischen Stände enthielt das Normaljahrskonzept noch Spielräume für die Glaubensfreiheit, die autonomia, während die katholischen Stände es, im Sinne ihres tradierten Geistlichen Vorbehalts, als rigoroses Instrument zur Verhinderung von Veränderungen, einsetzen wollten. Zudem bestanden noch Unklarheiten, wie sich das ausgehandelte Normaljahr und das von den Protestanten favorisierte Amnestiejahr miteinander vereinbaren ließen. Darüber hinaus schufen die Friedensverträge jedoch auch den rechtlichen Anlass, gewaltige Veränderungen im Reich, die noch gar nicht vollständig abzusehen waren, einzuleiten. Sowohl eine Vielzahl von Restitutionen nach dem Amnestierecht als auch nach dem kirchlichen Normaljahr standen unmitmus im Zeitalter der „Konfessionalisierung", in: Blätter für Deutsche Landesgeschichte 134 (1998), S. 1-32, insbes. S. 21ff. Siehe hierzu auch Repgen 1999, S. 418. 268 Asch 1998b, S. 23. 269 Oschmann 1998a, Nr. 18, Art. V. 36 und 37. 270 May 1988, S. 494. Hierzu auch Schneider 2001, S. 489. 271 Oschmann 1998a, Nr. 18, Art. 1,1. 272 Zur Betonung der christlichen Einheit durch beide Konfessionsparteien siehe Heinrich Bornkamm: Die religiöse und politische Problematik im Verhältnis der Konfessionen im Reich, in: Archiv für Reformationsgeschichte 56 (1965), S. 209-218. Dass nichtsdestoweniger die noch im Augsburger Religionsfrieden verankerte Wiedervereinigungsidee maßgeblich an Bedeutung eingebüßt hatte, hebt Heckel hervor: Martin Heckel: Konfessionalisierung in Koexistenznöten. Zum Augsburger Religionsfrieden, Dreißigjährigen Krieg und Westfälischen Frieden in neuerer Sicht, in: Historische Zeitschrift 281 (2005), S. 647-690, Wer S. 680f. 273 Bornkamm 1965. Siehe ebenso Oschmann 1998a, Nr. 18, Art. III, 2, und Art. V, 48. 274 Im Hinblick auf das ius reformandi resümierend auch Schneider 2001, S. 412. Dieser sieht hier allerdings einen Ubergang von der dissimulatorischen Praxis zur offenen Festschreibung von Gegensätzen: Ebd., S. 413.

9.6 Wer restituiert wen ? Der Ausklang des Westfälischen Friedenskongresses

telbar bevor. Zudem ging es darum, weitere Restitutionen in die Wege zu leiten, die mit der Entmilitarisierung des Reiches einhergingen: Viele befestigte Plätze mussten noch von Soldaten geräumt werden. Auch zum Vollzug der anstehenden Restitutionen wurden genauere Bestimmungen erlassen. Zunächst sollte der Kaiser ein Edikt erlassen. Dieses sollte sich an sämtliche Reichsuntertanen, vor allem aber an die ausschreibenden Fürsten und die Obristen der Reichskreise wenden und den Befehl enthalten, dafür zu sorgen, dass die Restitutionen durchgeführt wurden.275 Im Falle, dass die Exekutivorgane selbst von Restitutionen betroffen waren, sollten die kreisausschreibenden Fürsten und Obristen der Nachbarkreise für diese Aufgabe eingesetzt werden. Darüber hinaus wurde es jedem, der Anspruch auf Restitutionen erhob, anheim gestellt, um kaiserliche Kommissare anzusuchen, die bei der Exekution Hilfe leisteten und deren Rechtmäßigkeit überwachten. Sowohl diese um Restitution ersuchenden Stände als auch ihre Gegner, jene Stände, denen Besitzverlust durch die Restitutionen drohte, bekamen das Recht zugesprochen, dem Kaiser zwei oder drei Personen als Kommissare vorzuschlagen. Diesem blieb es vorbehalten, jeweils einen der Vorgeschlagenen zum Kommissar zu ernennen, wobei er auf numerische Religionsparität zu achten hatte.276 Dies bedeutete, dass katholische und protestantische Kommissare in gleicher Anzahl gleichberechtigt nebeneinander zu agieren hatten. Das neue Reichsreligionsrecht, in dem die Konfessionspluralität eine wesentliche Stabilisierung ihrer Fundamente erhalten hatte,277 stand direkt vor seiner ersten großen Bewährungsprobe.278 9.6 Wer restituiert wen? Der Ausklang des Westfälischen Friedenskongresses Die Verhandlungen über Amnestie- und Normaljahre hatten während des Kongresses die wichtige Funktion gehabt, eine Vertrauensbasis zu schaffen. Bereits direkt nach der Publikation der Friedensverträge im Oktober 1648 stellte sich jedoch die unausweichliche Frage nach der konkreten Umsetzung. Diese Frage verband sich wiederum mit dem Problem der Demobilmachung.279 Zwar wurde der Vollzug des Waffenstillstandes relativ schnell erreicht. Die schwedische Führung knüpfte ihre Bereitschaft zum militärischen Abzug aus dem Reich jedoch an die Auszahlung von Satisfaktionsgeldern, die den schwedischen Truppen während der Friedensverhandlungen zugesichert worden waren.280 Darüber hinaus hatten die SchweOschmann 1998a, Nr. 18, Art. 16, 2. Ebd., Art. 16,2. 277 Hierzu etwa: Bernd Mathias Kremer: Die Interpretation des Westfälischen Friedens durch die „Schulen" des Jus Publicum, in: Duchhardt, Heinz (Hg.): Der Westfälische Friede. Diplomatie - politische Zäsur - kulturelles Umfeld - Rezeptionsgeschichte (= Historische Zeitschrift, Beiheft 26). München 1998, S. 757-778, inbes. S. 759. 278 Zur Theorie nach 1648 siehe Schneider 2001, S. 415ff. 2 7 9 Hierzu Oschmann 1991, S. lOOff. 280 Hierzu ebd., S. 141. Siehe auch Meiern 1734-1736, Tl. 6, S. 105f. 275 276

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9. Normaljahre und andere,Termini' auf dem Westfälischen

Friedenskongress

Schweden schon im Juni 1648 erklärt, dass die Exekution der Restitutionen ex capite Amnistiae et Gravaminum eine weitere Bedingung für den endgültigen Truppenabzug darstellte.281 Noch unmittelbar vor der Unterzeichnung der Friedensurkunden hatten sich schwedische und reichsprotestantische Gesandte für die Restitutionen in Augsburg stark gemacht, weil sich dort zäher Widerstand seitens des katholischen Stadtregiments abgezeichnet hatte. Die Gewährleistung dieser und weiterer Restitutionen sollte die Militärmacht Schweden künftig als wesentliche politische Begründung für den Verbleib im Reich anführen. Auf der Prager Konferenz, die seit Ende November 1648 stattfand, um über die Bedingungen des Truppenabzugs zu verhandeln, wurde diese Position bestätigt.282 Laut einem unmittelbar vor der Unterzeichnung der Friedensverträge verfassten Plan sollten die Restitutionen binnen zweier Monate ausgeführt werden.283 Diese Zeit hatten sich die Hauptunterzeichnenden auch für den gegenseitigen Austausch der zu ratifizierenden Urkunden zugestanden. Mitte Dezember 1648 monierten die schwedischen Gesandten jedoch, dass die ausgehandelten Restitutionen noch immer nicht zum Vollzug gebracht worden seien.284 Zwar war Ferdinand III. der ihm auferlegten Verpflichtung, diese über ein Edikt einzuleiten, nachgekommen. 285 Der unter dem Datum des 7. Novembers publizierte kaiserliche Erlass hatte exakt den Bestimmungen der Friedensverträge entsprochen.286 Ganz offensichtlich stand jedoch bereits die aus guten Gründen festgelegte Abwicklung in geordneten Bahnen, d.h. unter der Aufsicht der Kreisobristen und kreisausschreibenden Fürsten, unter Umständen auch von kaiserlichen Kommissaren,287 einer schnellen Exekution entgegen. Ein Aufforderungsschreiben der zu Münster und Osnabrück versammelten reichsständischen Abgeordneten, das die kreisausschreibenden Fürsten zur Restitu-

Ebd., S. 106-109. Oschmann 1991, S. 118. 283 „Ordo executionis pacis" (Diet. Monast. d. 16. Octob. Ao. 1648), Meiern 1734-1736, Tl. 6, S. 612. 284 Oschmann 1991, S. 118. 285 Meiern 1734-1736, Tl. 6, S. 622-664. Siehe auch Heinz Christian Hafke: Zuständigkeit in geistlichen Streitigkeiten und konfessionelle Besetzung der höchsten Reichsgesetze nach dem Westfälischen Friedensschluß. Frankfurt 1972 (Diss.), S. 119. 286 Einen Hinweis auf die hohe Bedeutung des Erlasses im Bewusstsein der belesenen Zeitgenossen liefert die Chronik des Adolff Wilhelm Moerbecke: „Einige weken hirna ist het plakat van den keiser, nopende die anmeldinge der restitutie, gelick solkes under anderen in die articulen bedungen wass, tot Munster ende sunsten't gehele Ryck door angekomen ende angeschlagen." Strothmann, Jürgen (Bearb.): Westfalen und Europa im 17. Jahrhundert. Die Chronik des Adolff Wilhelm Moerbecke zu Stevening 1633-1672. Münster 2000, S. 193. 287 Schmauss/Senckenberg (1967, [1747]), Bd. 2, S. 621-623. Zu den Exekutionskommissionen im Rahmen der Reichsverfassung allgemein siehe Raimund J. Weber. Reichspolitik und reichsgerichtliche Exekution. Vom Markgrafenkrieg (1552-1554) bis zum Lütticher Fall (1789/90). Erw. u. veränd. Fassung des Vortrage vom 30. März 2000 in der Aula, Amsbuger Gasse, Wetzlar. Wetzlar 2000. 281 282

9.6 Wer restituiert wen? Der Ausklang des Westfälischen Friedenskongresses tion innerhalb der Zeit bis zur Ratifizierung bewegen sollte, konnte von daher kaum etwas bewirken. 288 Mit welchen konkreten Problemen die kirchlichen Normaljahrsrestitutionen verbunden sein würden, sollte sich in den ersten Anfragen und Beschwerden abzeichnen, die an die Gesandten des westfälischen Friedenskongresses gerichtet wurden. Ende Oktober 1648 wurde ein Fall aus der Grafschaft Bentheim bei den Vertretern der protestantischen Stände erörtert: Es ging um ein Kloster, in dem am 1. Januar 1624 lediglich ein einziger Mönch befunden hatte, der später auf Drängen des Grafen überdies zur reformierten Religion übergetreten war. Da sich mittlerweile aber wieder katholische Mönche in diesem Kloster aufhielten, deren Zahl inzwischen auf sechs angestiegen war, stellte sich die Frage, in welchem Umfang das Normaljahr zu berücksichtigen war. Für die Ständevertreter war die rechtliche Situation eindeutig: Sie verwiesen in ihrer Antwort zunächst darauf, dass entsprechend dem Stichtermin lediglich ein katholischer Mönch in dem Kloster in der Grafschaft Bentheim zuzulassen sei. Sie äußerten aber zugleich die Überzeugung, dass die dort lebenden sechs Mönche sich weigern würden, unverrichteter Dinge abzuziehen. Der Graf habe deshalb unmittelbar die kreisausschreibenden Fürsten des westfälischen Kreises oder aber kaiserliche Kommissare um die Restitution zu ersuchen. Erscheint die Anwendungsvoraussetzung für die Stichdatumsregel in diesem Fall klar gegeben, so zeigt sich in dem Gutachten bereits, dass - meistens zu Recht - Widerstand bei den Exekutionen erwartet wurde. Dabei wurde ein weiteres wesentliches Hindernis für die Inanspruchnahme des Normaljahres in diesem konkreten Fall noch gar nicht in Betracht gezogen: Im westfälischen Reichskreis war die Frage, wer kreisausschreibender Fürst sein sollte, nicht entschieden. Durch den jülich-klevischen Erbfolgestreit blieb offen, ob als Nachfolger der Herzöge zu Jülich im Kreisdirektorium die Pfalzgrafen von Neuburg, die Kurfürsten von Brandenburg oder gar der Kurfürst von Sachsen zu betrachten waren. Letzterer wurde von Sachsen-Altenburg, das mit seinen Gesandten die Wortführer der protestantischen Stände stellte, zu diesem Zeitpunkt noch ausdrücklich favorisiert. 289 Wie nun weiter zu verfahren war, ob kaiserliche Kommissare zu bestimmen waren und auf welche Weise dies geschehen sollte, war letztlich völlig ungeklärt. In einer weiteren Anfrage des Grafen von Bentheim ging es um ein komplizierteres Problem der Rechtsauslegung. Der Graf ließ über seinen Informanten ausführen, dass viele evangelische Adelige im Fürstbistum Münster zwar 1624 keine Erlaubnis zur öffentlichen Ausübung ihrer Religion gehabt hätten, ihren Gottesdienst jedoch über eine heimliche Hinzuziehung evangelischer

288 Meiern 1734-1736, Tl. 6, S. 628f. 2 m Ebd., S. 630f.

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auf dem Westfälischen Friedenskongress

Priester verrichtet hätten.290 Offenbar war der Graf von den Adeligen aus seinem Nachbarterritorium gebeten worden, als ihr Fürsprecher in Sachen Religionsfreiheit aufzutreten. Die Ständevertreter äußerten, dass sie keine andere Möglichkeit sähen, als für die Adeligen, die sie nicht durch das Normaljahr abgesichert sahen, bei ihrem katholischen Landesherrn ein gutes Wort einzulegen.291 Daraufhin gab der bentheimische Gesandte zu überlegen, ob man nicht in diesem Falle vorsorglich androhen solle, die Katholiken in den protestantischen Territorien zum Glaubenswechsel zu zwingen, wenn man ihrer Bitte nicht nachkäme. Dieser Vorschlag wurde jedoch mit dem Hinweis darauf klar zurückgewiesen, dass sich ein solches Vorgehen als nachteilig für die protestantische Sache erweisen könnte, da viel mehr Protestanten unter katholischen Obrigkeiten leben würden als umgekehrt.292 Die Frage, in welchen Fällen das Recht auf ungehinderte Ausübung der eigenen Religion eingefordert werden konnte, erhob sich in vergleichbarer Weise angesichts der konfessionellen Situation in den Städten Köln293 und Aachen. Dort hatte es im Jahr 1624 privaten Gottesdienst für evangelische Einwohner gegeben.294 Ebenso waren Kindertaufen und Trauungen von evangelischen Geistlichen durchgeführt worden. Die evangelischen Einwohner zu Köln und Aachen waren aber von ihren Magistraten dafür mit Strafen belegt worden. Sollten sich die Protestanten vor diesem Hintergrund auf das Normaljahr berufen können? Die Gesandten der protestantischen Stände plädierten in ihrem Gutachten diesmal ausdrücklich dafür. Die gewohnheitsrechtliche Ausübung des Religionsrechts, die Observanz, nicht die etwaige obrigkeitliche Sanktionierung, sollte als Kriterium für die künftige Rechtslage in Betracht gezogen werden.295 Auf die „observantz" sollten sich die Religionsparteien in der Folgezeit noch oft berufen. Zum Jahreswechsel übergaben die schwedischen Gesandten eine erste Liste mit Restitutionsforderungen.296 Diese hatten sowohl reine Amnestie- als auch kirchliche Normaljahrsfälle zum Gegenstand. Darüber hinaus ging es um eine weitere Art von Forderungen, die ebenfalls mit dem Begriff „Restitutionen" umschrieben wurden: Gemeint war der Abzug von Militärbesatzungen aus

Ebd., S. 650f. „[...] wäre zu wünschen, daß wegen derer, die Anno 1624 1. Januarii in keiner gewissen Possession vel quasi des publici oder privati exercitii gestanden, etwas bessers, mit gutem Glimpff, bey Ihro Churfürstlichen Durchlaucht zu Cölln erhalten werden könnte." Ebd., S. 651. 292 Ebd. 2 9 3 Hierzu jetzt Hans-Wolfgang Bergerhausen: ,über den haubtspunctum der verfluchtten Autonomia.' Die Stadt Köln in den Religionsverhandlungen des westfälischen Friedenskongresses und des Nürnberger Exekutionstages, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 69 (2005), S. 212-241. 294 Meiern 1734-1736, Tl. 6, S. 699; Bergerhausen 2005, S. 216ff. 295 Meiern 1734-1736, Tl. 6, S. 699. 296 Ebd., S. 651, S. 750f. Dort datiert auf den 22. Dezember 1648. Diese Angabe entspricht wohl der alten Kaienderzählung. 290 291

9.6 Wer restituiert wen? Der Ausklang des Westfälischen Friedenskongresses

verschiedenen Festungsorten wie Frankenthal, Ehrenbreitstein, Homburg etc. Soweit nachvollziehbar, weisen die folgenden Forderungen religionspolitische Belange auf,297 wobei eine weitere Forderung, die Restitution im Hochstift Osnabrück, hier nicht auftaucht, da sie bereits an anderer Stelle erwähnt worden war. Religionspolitisch relevant waren auf dieser Liste folgende Forderungen:

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Restitution der ganzen Ober- und Unterpfalz Restitution der Kirchen etc. in der Grafschaft Veldenz Restitution der pfalz-sulzbachischen Länder Restitution verschiedener Graf- und Herrschaften im Herzogtum Württemberg Restitution der Grafschaft Nassau-Saarbrücken Restitution der Grafschaft Sayn Restitution der Grafschaft Hohenlohe Restitution der Grafschaft Birstein verschiedene Restitutionen in der Reichsstadt Augsburg (neun Kirchen sowie Schulen, Stiftungen etc.) Restitutionen in den Reichsstädten Dinkelsbühl, Biberach, Ravensburg, ebenso Herstellung paritätischer Verhältnisse im Rat etc. (unter ausdrücklicher Nennung des Normaljahres 1624) Restitutionen mit dem Zweck, einigen nürnbergischen Untertanen in kleineren auswärtigen Herrschaften und in der Oberpfalz den Status der Religionsfreiheit zu verschaffen Restitutionen in Regensburg Restitution der Stadt Lindau, Ausweisung der Jesuiten und Kapuziner (unter ausdrücklicher Nennung des Normaljahres 1624) Restitution des evangelischen Kirchenbesitzes im Stift Straßburg (unter ausdrücklicher Nennung des Normaljahres 1624) Restitution der böhmischen Exulanten Restitution des reichsfreien Adels

Es zeigt sich deutlich im ersten Punkt, dass die Oberpfalz zumindest von schwedischer Seite noch keineswegs als katholisches Territorium betrachtet wurde. Man befand sich darüber im Streit mit dem bayerischen Kurfürsten, dem das Gebiet nach dem Osnabrückischen Friedensvertrag zugesprochen worden war.298 Mit der ausdrücklichen Forderung nach einer Restitution der Oberpfalz wurde die Wiedereinführung der evangelischen Religionsfreiheit

297

Nicht wiedergegeben sind in der folgenden Aufzählung die über die Liste geforderten „Restitutionen" von Festungsplätzen sowie andere Angelegenheiten, die die Religionsfrage nicht berührt zu haben scheinen wie etwa die „Restitution" einiger Untertanen und der Reichspfandschaft an die Stadt Weißenburg. Zu Weißenburg im Nordgau siehe auch Moser 1775, S. 538ff. 298 Oschmann 1991, S. 151ff.

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angestrebt, die man durch das kirchliche Normaljahr zu sichern versuchte.299 Die Forderung nach Restitution der böhmischen Exulanten gründete sich dagegen auf das Amnestierecht,300 das den Wiedererwerb der Religionsfreiheit grundsätzlich einschloss. Hier war allerdings heftigster Widerstand des Kaisers zu erwarten, der die katholische Religion als Grundbedingimg für eine Niederlassung in den habsburgischen Ländern ansah. Für einige Restitutionsfälle wurde die kirchliche Normaljahrsregelung auf der Liste direkt aufgeführt. Sie spielte aber auch, wie spätere Präzisierungen ausweisen, etwa für die Grafschaft Veldenz301 oder für Augsburg eine bedeutende Rolle. Die Liste wurde von den schwedischen Gesandten noch keineswegs als abgeschlossen betrachtet. In den westfälischen Friedensverträgen war ausdrücklich auch von der Initiative jener Personen und Stände, die Restitutionen für sich selbst einforderten, die Rede. Weitere protestantische Gesuche aus dem Reich waren somit zu erwarten. Der letzte Punkt der Liste, der die Restitution des Reichsadels beinhaltete,302 ist daher sicherlich auch als ein Appell an protestantische Reichsritter etc. zu betrachten, sich schleunigst zu Wort zu melden. Ein weiterer wesentlicher Zweck der schwedischen Liste bestand darin, die Restitutionen zu forcieren. Die katholische Seite, von der man annahm, eine Verzögerungspolitik zu betreiben, sollte unter Zugzwang gesetzt werden. Die beiden Religionsparteien wurden damit erneut gegeneinander aufgestellt, wobei sich die unterschiedlichen Vorstellungen, die sie jeweils mit den kirchlichen Normaljahren verbanden, herauskristallisierten. Für die Protestanten bestand ihre Funktion darin, eine unverzügliche Restitution von Besitztümern und Rechten durchzusetzen, die ihnen im Krieg verloren gegangen waren. Amnestiejahrs- und kirchliche Normaljahrsforderungen wurden von daher in der Regel gemeinsam, oft auch undifferenziert, erhoben. Nicht zuletzt aus diesem Grund ist der schwedischen Liste nur in einzelnen Fällen direkt zu entnehmen, welche Forderung sich auf die Amnestie und welche sich auf das kirchliche Normaljahr bezog. Dagegen lag die Funktion der kirchlichen Normaljahre für die katholischen Stände allenfalls in einer langfristigen Zukunftssicherung im Sinne eines modifizierten Geistlichen Vorbehaltes. An einer beschleunigten Umsetzung der Regel war ihnen eher weniger gelegen. Sie sahen bei einer zu weiten Aus„[...] in libertatem Conscienciae & exercitii Religionis". Meiern 1734-1736, Tl. 6, S. 750. Zu den religiösen Verhältnissen in der Oberpfalz allgemein: Matthias Schöberl: Vom pfälzischen Teilstaat zum bayerischen Staatenteil. Landesherrliche Durchdringungs- und Religionspolitik kurpfälzischer und kurbayerischer Herrschaft in der Oberen Pfalz von 1595 bis 1648. Regensburg 2006 (Diss.). 300 Die Forderung gründete sich auf Art. IV § 51 des IPO. Siehe hierzu Oschmann 1998a, Nr. 18. 301 Siehe Meiern 1734-1736, Tl. 1, S. 103. 302 „Der Reichs-Freye Adel, davon man noch das geringste nicht gehört", sei zu restituieren. Meiern 1734-1736, Tl. 6, S. 752. 299

9.6 Wer restituiert wen? Der Ausklang des Westfälischen Friedenskongresses legung das landesherrliche Hoheitsrecht beeinträchtigt und tendierten dazu, eine genauere Prüfung der Rechtsansprüche von Fall zu Fall vornehmen zu lassen. 303 Allerdings waren sie nicht zuletzt durch den verzögerten Austausch der Ratifizierungsurkunden des Westfälischen Friedens und die Präsenz der schwedischen Truppen im Reich unter Druck gesetzt. Ihre Reaktion auf Verschleppungsvorwürfe bestand darin, dass sie ihrerseits die Schuld für die ausgebliebenen Restitutionen zurückwiesen. Sie gaben in einem Schreiben vom 16. Januar 1649, also bereits einen Monat, nachdem die Restitutionen eigentlich bereits hätten abgewickelt sein sollen, sogar zu, dass es bislang lediglich einige wenige katholische Reichsstände gewesen wären, die ihrer Restitutionsverpflichtung nachgekommen wären. 304 Die protestantischen Gesandten versuchten vor dem Hintergrund, dass sich Verweigerungen bzw. Verschleppungen der Restitutionen u.a. in Augsburg 305 und Straßburg 306 abzeichneten, nun eine schärfere Gangart, einen arctior modus exequendi beim Kaiser durchzusetzen. Erwogen wurde unter anderem, die Vollmachten der kreisausschreibenden Fürsten zu erweitern und schwedische Truppen bei den Restitutionen einzusetzen. 307 Angesichts der mangelnden Bereitschaft auf katholischer Seite, dem zuzustimmen, ergab sich ein Schlagabtausch von Argumenten. Hierbei sollte sich ein neuer Grundsatzstreit unter Katholiken und Protestanten über die Auslegung der kirchlichen Normaljahrsregel entzünden, in deren Zentrum der Begriff der possessio stand. Die Protestanten hatten den Kaiser gebeten, die kreisausschreibenden Fürsten anzuhalten, ohne Zeitverlust mit den noch ausstehenden Restitutionen zu beginnen und selbst in etwaigen zweifelhaften Fällen „summarissime", 308 d.h. ohne sich im Geringsten auf langwierige rechtliche Handlungen einzulassen, zu verfahren. Bei der Feststellung, wer sich auf das Stichjahr 1624 berufen könne, sollte ihrer Meinung zufolge nicht entscheidend sein, ob sich jemand zu dieser Zeit im Eigentum eines Religionsrechtes bzw. Kirchengutes befunden hatte, sondern vielmehr das „factum possessionis". 309 Es ging ihnen somit darum, die reine Nutznießung eines Rechtes im Normaljahr für die Restitutionen in Anspruch zu nehmen, wobei sie Streitfälle wie zu Aachen oder Köln im Auge gehabt haben dürften. Nachdem die Katholiken, die auf einem genaueren Nachweis von Eigentums- oder Besitztiteln beharren wollten, sich für eine

Siehe auch Oschmann 1991, S. 161. „Project Schreibens an die Römisch-Kayserliche Majestät, von gesamter ChrurFiirsten und Ständen Abgesandten, die Execution betreffend, von den Catholischen abgefasset und den Evangelischen communiciret, in: Meiern 1734-1736, Tl. 6, S. 794796, hier S. 795. 305 Ebd., S. 750ff. u. S. 793. 306 Ebd., S. 716f. 307 Oschmann 1991, S. 161. Meiern 1734-1736, Tl. 6, S. 783. 308 Ebd., S. 800. 309 Die zweifelhaften Fälle wurden als „dubia [...] super ipso facto possessionum" beschrieben. Ebd. 303 304

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9. Normaljahre und andere,Termini' auf dem Westfälischen Friedenskongress Streichung des Wortes „factum" eingesetzt hatten, 310 trat der Gegensatz offen zu Tage. Die Protestanten unter dem altenburgischen Gesandten Thumbshirn erneuerten und präzisierten ihren Standpunkt, dass sie das „blosse factum possessionis" als Fundament für die Restitutionen betrachteten. 311 Der Begriff des „nudum factum possessionis" 312 sollte in der Folgezeit noch eine bedeutende Rolle für den Fortgang der Exekutionen spielen. Die Protestanten verbanden mit ihm, ähnlich wie mit dem Begriff der „Observanz", die Möglichkeit, dem Recht zur Ausübung der evangelischen Religion möglichst weitgehende Geltung zu verschaffen. 313 Die politische Ausgangslage für eine Durchsetzung dieses Standpunktes erschien angesichts der vorhandenen Druckmittel recht gut. Trotz dieser Ansätze zur Ausbildung neuer gegensätzlicher religionspolitischer Programmatiken darf wiederum nicht übersehen werden, dass die Normaljahrsregel sich sehr unterschiedlich auswirken konnte. In einigen Fällen konnten sich die Vorteile für die jeweiligen Religionsparteien zu Nachteilen umkehren. Bereits recht früh machte sich nämlich der katholische Pfalzgraf von Neuburg, Wolfgang Wilhelm, für eine schnelle Normaljahrsrestitution in den jülich-klevischen Ländern stark. Das Jahr 1624 versprach, nicht zuletzt angesichts der damaligen Kriegsereignisse, einen Zugewinn an Gemeinden für die Katholiken. 314 Die Gegenposition vertrat der brandenburgische Kurfürst, Friedrich Wilhelm, mit dem Hinweis auf einen Provisionalvergleich, den er mit dem Pfalzgrafen 1647 getroffen hatte, nachdem sich die Stände zu Münster auf das Stichjahr 1624 geeinigt hatten. 315 Dieser seiner Ansicht nach aktuellere und damit allein gültige Vertrag, der die Aufteilung des jülichklevischen Erbes unter diesen beiden Fürsten regelte, beinhaltete, die Restitutionen nach den Stichjahren 1609 und 1612 durchzuführen. 316 Das brandenburgische Bemühen, damit eine Ausnahme vom Normaljahr 1624 durchzusetzen, stieß auf weitgehendes Missfallen bei den übrigen protestantischen Ständen, die ihre eigene politische Position dadurch gefährdet sahen. Insbesondere das brandenburgische Argument, der Vergleich mit Pfalz-NeuEbd., S. 801. Ebd., S. 803. 312 In dieser Form scheint der Begriff zum ersten Mal in einem Schreiben erwähnt worden zu sein, das von der Städtekurie im Mai 1649 formuliert wurde. Siehe ebd., S. 1012. 313 Andererseits zögerten protestantische Stände nicht, das Verbot des katholischen Religionsausübungsrechtes zu fordern, wenn sie dieses durch das Normaljahr bzw, den Normaltag bestätigt sahen. So forderte der Rat zu Nürnberg die Aufhebung des katholischen Religionsexercitiums in der Elisabethkapelle, das zur Zeit des Normaltages, dem 1. Januar 1624 keinen Bestand gehabt haben soll. Ebd., S. 185ff. 314 Siehe Ralf-Peter Fuchs\ Verschiedene Normaljahre und die gemeinschaftliche Autorität zweier Fürsten - Religionskonferenzen zur Institutionalisierung konfessioneller Ordnung im jülich-klevischen Kirchenstreit, in: Oesterreicher, Wulf/Regn, Gerhard/Schulze, Winfried (Hg.): Autorität der Form - Autorisierung - Institutionelle Autorität. Münster 2003, S. 309-322, insbes. S. 311ff. 315 Siehe Meiern 1734-1736, Tl. 6, S. 796. 316 Fuchs 2003, S. 313. 310 311

9.6 Wer restituiert wen? Der Ausklang des Westfälischen Friedenskongresses

bürg sei überhaupt nicht durch den Krieg beeinflusst gewesen,317 erschien in ihren Reihen als bedenklich. Man fürchtete, dass nun mächtige katholische Stände wie der Pfalzgraf von Neuburg oder der Herzog von Bayern ebenfalls dazu ermutigt werden würden, evangelischen Reichsständen, mit denen sie sich nicht im Krieg befunden hatten, die Restitution zu verweigern.318 Bei all diesen auf eine Verschärfung der Konfrontationen deutenden Konflikten muss es als eine ungeheuere Erleichterung erschienen sein, dass es am 18. Februar 1649 endlich zum Austausch der Ratifikationsurkunden der Westfälischen Friedensverträge kam.319 Der erste der vom Kongress verabschiedeten Beschlüsse zur Exekution war damit ausgeführt geworden. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Gefahr einer erneuten tiefen Vertrauenskrise damit aus der Welt geschafft war. Der Argwohn der Konfessionsparteien, beim Vollzug der Restitutionen übervorteilt zu werden, trug dazu bei, dass auch die schwedischen Gesandten an ihrer starren Politik festhielten. Zwar gab es durchaus Bestrebungen innerhalb der protestantischen Reichsstände, den Abzug der Truppen zu beschleunigen. Thumbshirn hatte daher die schwedischen Gesandten Johann von Oxenstierna und Johann Adler Salvius zwischenzeitlich davon zu überzeugen versucht, dass die gegenseitige Übergabe der unterzeichneten Verträge die Restitutionen vorantreiben würde.320 Ob die von den Protestanten geplante Verabschiedung eines arctior modus exequendi auf der anderen Seite ausreichen würde, um sie wirklich in Gang zu bringen, wurde sowohl von den schwedischen Bevollmächtigen in Westfalen wie auch der Truppenführung bezweifelt.321 Das Signal zum Truppenabzug war daher allerdings auch wegen der fälligen Entschädigungszahlungen von 1,8 Millionen Reichstalern322 - für sie noch nicht gekommen. Nach dem Austausch der Urkunden, mit dem die offizielle und endgültige Annahme der Verhandlungsergebnisse des Friedenskongresses demonstrativ zum Ausdruck gebracht wurde, reisten allmählich immer mehr Gesandte aus Münster und Osnabrück ab.323 Den noch verbliebenen sollte dagegen das Heft immer mehr aus der Hand genommen werden. Da die schwedische Truppenleitung auch von den Regierungsbehörden in Stockholm bedrängt wurde,324 das Reich zu verlassen, gingen von dieser Seite eigene Bemühungen, die Voraussetzungen für die Demobilmachung zu schaffen, aus.325 Der schwedische Generalissimus im Reich, Pfalzgraf Karl Gustav von Pfalz-Zweibrücken, lud Siehe Meiern 1734^1736, Tl. 6, S. 805. Ebd. Oschmann 1991, S. 165; Meiern 1734-1736, Ή. 6, S. 857. Ebd., S. 806. 321 Ebd., S. 805; Oschmann 1991, S. 181. 322 Meiern 1734-1736, Tl. 6, S. 77. 323 Ebd., S. 189. 324 Ebd., S. 166ff. 3 2 5 Zunächst beriet sich dieser mit den schwedischen Gesandten Oxenstierna und Salvius zu Minden. Siehe ebd., S. 176ff. und S. 914f. 318

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9. Normaljahre und andere,Termini'

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die Truppenführungen von Frankreich, Hessen-Kassel und Kurbayern zu einer Konferenz nach Nürnberg, um dort die ausstehenden Probleme, unter ihnen die ausstehenden Geldzahlungen und die Restitutionen, zu erörtern.326 Diese Nürnberger Konferenz, später Nürnberger Exekutionstag genannt,327 die im Mai 1649 begann, sollte die Aufgaben des Friedenskongresses faktisch übernehmen. Im allgemeinen Bewusstsein der Bedeutung dieser Gespräche fanden sich schnell auch kaiserliche und reichsständische Bevollmächtigte dort ein. Viele Gesandte des westfälischen Friedenskongresses setzten ihre Arbeit zu Nürnberg fort. Zu den letzten Handlungen des westfälischen Friedenskongresses gehörten kontroverse Diskussionen über die Anwendung der Normaljahrsregel in den pfalz-sulzbachischen Gebieten. Zwar waren für diese Angelegenheit immerhin bereits zwei Restitutionskommissare (commissari ad exequendum) nach paritätischem Prinzip eingesetzt worden:328 der Fürstbischof von Bamberg und der Markgraf von Brandenburg-Bayreuth. Im März 1649 gelangte jedoch die Nachricht nach Westfalen, dass es unter diesen beiden Kommissaren zu Meinungsverschiedenheiten gekommen war. Bamberg vertrat den Standpunkt, dass eine strikte Wiederherstellung der Religionsverhältnisse nach dem Normaljahr zugunsten der Protestanten nicht zu vertreten sei, da es auch darauf ankomme, wie groß die derzeitige Anzahl an Katholiken und Protestanten sei, und schließlich auch, welche Priester die Untertanen begehrten.329 Hingewiesen wurde auf eine katholische Mehrheit in Weiden-Parkstein.330 Unabhängig davon, ob diese Behauptung wirklich in vollem Umfang zutrifft, kann man ersehen, dass die katholische Religion, die Pfalzgraf Wolfgang Wilhelm von Neuburg als nomineller Landesherr 1629 durchgesetzt hatte,331 sich beträchtlich in der Untertanenschaft verwurzelt hatte. Gegen ein Normaljahr 1624, das eine rein protestantische Restitution beinhaltete, war Widerstand erwachsen, den der Bischof nicht brechen wollte, nicht zuletzt, da es sich bei den protestierenden Einwohnern um seine Glaubensgenossen handelte. Auch ein Schreiben der evangelischen Stände, dass nicht der Wille der Untertanen, sondern allein das Normaljahr als Richtschnur zu betrachten sei und das Fundament des Westfälischen Friedens anderenfalls über den Haufen geworden wäre,332 brachte ihn nicht dazu, mit der Restitution, mit der bereits im

Oschmann 1991, S. 182. Ebd., S. 7. 328 Die zunächst als Kommissare vorgesehenen ausschreibenden Fürsten des bayerischen Kreises, der Kurfürst von Bayern und der Erzbischof von Salzburg, hatten dies abgelehnt. Siehe Volker Wappmann: Durchbruch zur Toleranz. Die Religionspolitik des Pfalzgrafen Christian August von Sulzbach 1622-1708. Neustadt a.d. Aisch. 1995, S. 33. 329 Meiern 1734-1736, Tl. 6, S. 981. 330 Ebd. 331 Wappmann 1995, S. 28. 332 Meiern 1734-1736, Tl. 6, S. 981ff. 326

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9.6 Wer restituiert wen? Der Ausklang des Westfälischen Friedenskongresses

Februar begonnen worden war,333 fortzufahren. Vielmehr forderte der Bischof die Zulassung beider Religionen, ein Simultaneum.334 Im April konferierten die Stände wiederum über die Sache, wo der sachsen-altenburgische Wortführer der Protestanten, Thumbshirn, dem bambergischen Gesandten vorhielt, dass am Hof seines Fürsten die Sache zu „passioniert" betrachtet wer( J e 335

Der Gesandte entgegnete Thumbshirn, der Bischof habe vor der Einrichtung der Kommission nicht gewusst, dass sich in Pfalz-Sulzbach so viele Katholiken befänden. Zudem verwies er auf die Landesherrschaft des katholischen Pfalzgrafen von Neuburg und berichtete, dass die bischöflichen Räte den Kaiser gebeten hatten, eine Erklärung in dieser Sache abzugeben.336 Thumbshirn protestierte scharf und gab zu verstehen, dass dem Kaiser eine solche Erklärung zum Westfälischen Frieden keinesfalls zustünde. Daraufhin stellte man ihm die Frage, ob er etwa gedächte, die Katholiken zu vertreiben; schließlich sei es der Zweck des Westfälischen Friedens, ein Nebeneinander der Konfessionen zu ermöglichen.337 Thumbshirn nahm diese durchaus nicht ungeschickte Anspielung auf eine der Hauptforderungen der Protestanten, die Gewissensfreiheit,338 auf, und erklärte, dass die Katholiken den Friedensverträgen zufolge immerhin im Lande bleiben könnten, bis die Frage der Landesherrschaft entschieden sei.339 Alles in allem schien sich die Normaljahrsregel in diesem Fall in der Tat als eine Bedrohung der Gewissensfreiheit von Untertanen darzustellen. Dass nun ausgerechnet die Katholiken eine Freistellung' der Religion einforderten, lag einzig und allein in dem Vorteil begründet, den sie hier konkret daraus zu ziehen erhofften. Der Fall Pfalz-Sulzbach wirft aber auch ein Licht darauf, wie komplex die Gründe ausfallen konnten, die gegen den Vollzug der Friedensverträge eingewendet werden konnten, wenn man sich auf einen erneuten rechtlichen Diskurs einließ: Inwieweit Wolfgang Wilhelm von Pfalz-Neuburg landesherrliche Rechte in jenen Gebieten, die er nach seiner Konversion zum Katholizismus seinen Brüdern zugesprochen hatte,340 zugebilligt werden mussten,341 stellte sich als ein besonders verzwicktes juristisches Problem Wappmann 1995, S. 34. 334 Meiem 1734-1736, Tl. 6, S. 987: „simultaneum Exercitium Publicum". 355 Ebd., S. 986. 33« Ebd., S. 987. 337 „Ob man dann die Catholischen wolle austreiben? Da doch der Frieden-Schluß vermöchte, daß beyde Religions-Verwandte geruhig sollten neben einander leben?" Ebd. 338 Er benannte den Betreff in dieser Sache konkret: „quoad Libertatem Conscientiae". Ebd. 3 3 9 Siehe hierzu Oschmann 1998a, Nr. 18, Art. 5, S. 43. 340 Diese Übertragung war als Apanage erfolgt. Die landesherrlichen Ansprüche des Pfalzgrafen von Neuburg waren damit keineswegs erloschen. Siehe Klaus Jaitner: Die Konfessionspolitik des Pfalzgrafen Philipp Wilhelm von Neuburg in Jülich-Berg von 1647-1679. Münster 1973, S. 130. 341 Hierzu Wappmann 1995, S. 17ff. 333

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auf dem Westfälischen Friedenskongress

dar.342 Insbesondere die konfessionelle Frage war eine seit 1613 ungeklärte Frage geblieben.343 Es zeigt sich hier einmal mehr, dass verschiedene im Verlauf des Krieges außer Kraft gesetzte Herrschaftsansprüche im Frieden zwangsläufig wieder auf die Tagesordnung kommen mussten. Die protestantischen Gesandten hatten somit nicht unrecht, dass eine konsequente Berücksichtigung aller dieser offenen politisch-rechtlichen Fragen darauf hinauszulaufen drohte, Entscheidungen bis auf eine unabsehbare Zeit auszusetzen und das ,Medium' zum Frieden auszuhöhlen. Vor diesem Hintergrund zogen sie im April 1649 eine für sie bittere Bilanz des Westfälischen Friedenskongresses: „[...] dass biß diese Stunde das wenigste exequiret, liege vor Augen."344

1645 hatte der Sohn seines Bruders August, Pfalzgraf Christian August, die Regierung in Pfalz-Sulzbach angetreten. Siehe ebd., S. 31. 343 Siehe Klaus Jaitner: Politische Geschichte des Fürstentums Pfalz-Sulzbach von 16141790, in: Eisenerz und Morgenglanz. Geschichte der Stadt Sulzbach-Rosenberg, hrsg. v. d. Stadt Sulzbach-Rosenberg, Bd. 1. Amberg 1999, S. 129-152, S. 130. 344 Meiern 1734-1736, Tl. 6, S. 1004.

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10.1 Schwierigkeiten bei der Restitution im Fürstbistum Osnabrück

10. Blick ins Reich: Das Normaljahr 1624 ,vor Ort' 10.1 Schwierigkeiten bei der Restitution im Fürstbistum Osnabrück Richten wir den Fokus zunächst auf eines jener Gebiete, in denen unmittelbar Restitutionen anstanden: Im Gegensatz zu den pfalz-sulzbachischen Gebieten hatten die Gesandten des westfälischen Friedenskongresses das Fürstbistum Osnabrück in den Verträgen bereits zu einer Art territorialem Simultaneum1 erklärt: Es war bestimmt worden, dass Untertanen zweier Konfessionen, katholisch und lutherisch, nebeneinander in Frieden leben sollten.2 Darüber hinaus war - einzigartig für das Alte Reich - beschlossen worden, dass sich künftig stets ein katholischer und ein evangelischer Landesherr im Amt abwechseln sollten.3 Damit war der Weg zunächst frei für die Übernahme der Landesherrschaft durch Franz Wilhelm von Wartenberg, der schon einmal von 1627 bis 1633 dieses Amt bekleidet hatte. Geregelt war ebenfalls, dass ihm nach seinem Tod ein Landesherr aus dem protestantischen Haus Braunschweig-Lüneburg folgen sollte.4 Offen geblieben waren jedoch viele Einzelheiten, insbesondere Fragen nach der Verteilung der Kirchspiele und Kirchengüter.5 Wie in der Freien Reichsstadt Augsburg so waren auch hier vergleichsweise früh Überlegungen angestellt worden, wie das Territorium nach Anwendung der Normaljahrsregel aussehen würde. 6 Noch während der Verhandlungen versuchten die Konfessionsgruppen im Territorium die Gelegenheit zu nutzen, um die Normaljahrsregel für die eigene Sache in Anspruch zu nehmen.7 Das katholische Domkapitel zu Osnabrück verfocht das Projekt einer Capitulatio Perpetua, mit der die Grenzen der künftigen protestantischen Landesherren abgesteckt werden sollten. In einem Entwurf vom April 1648 wurde die erzbischöfliche Kirchenjurisdiktion auf der Grundlage des Jahres 1624 eingefordert. Davon ausgenommen bleiben

1 Siehe Wolfgang Seegrün·. In Münster und Nürnberg. Die Verteilung der Konfessionen im Fürstentum Osnabrück 1648/50, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 134 (1998), S. 59-93, hier S. 59. 2 Siehe Friedhelm Jürgensmeier: Bikonfessionalität in geistlichen Territorien. Verhältnisse um 1648 mit besonderer Berücksichtigung des Hochstifts Osnabrück, in: Garber, Klaus/Held, Jutta (Hg.): Der Frieden. Rekonstruktion einer europäischen Vision. Bd. 1: Erfahrung und Deutung von Krieg und Frieden. Religion - Geschlechter - Natur und Kultur, hrsg. v. Klaus Garber u.a. München 2001, S. 261-286. 3 Siehe Kap. 9.5. 4 Seegrün 1998, S. 59. 5 Hierzu neben Seegrün 1998 auch Gerd Steinwascher: Die konfessionellen Folgen des Westfälischen Friedens für das Fürstbistum Osnabrück, in: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte 71 (1999), S. 51-80. 6 Bereits im Juni 1647 war zu diesem Zweck etwa eine Liste der lutherischen Pfarren zu Osnabrück im Jahr 1624 erstellt worden. Siehe Meiem 1734-1736, Tl. 6, S. 438ff. 7 Zu den Verhandlungen: Seegrün 1998 sowie die ältere Darstellung bei Johannes Freckmann: Die capitulatio perpetua und ihre verfassungsgeschichtliche Bedeutung für das Hochstift Osnabrück, in: Osnabrücker Mitteilungen 31 (1906), S. 129-203.

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10. Blick ins Reich: Das Normaljahr 1624 ,vor Ort'

sollten allerdings reine Glaubensfragen der Augsburgischen Konfession.8 Dagegen verpflichtete sich das Domkapitel, Ritterschaft und Stadt Osnabrück bei jenen Privilegien und Rechten zu belassen und zu schützen, die sie am Normaltag, dem 1. Januar 1624, besessen hatten.9 Dieses Schreiben, indem u.a. auch eine konfessionell paritätische Besetzung der Ratsstellen in Osnabrück verlangt wurde,10 provozierte heftigen Widerspruch seitens Ritterschaft und Stadt. Der lutherische Rat zu Osnabrück betonte seinerseits, während des Jahres 1624 im vollen Besitz seiner herrschaftlichen Rechte gewesen zu sein und eine kirchliche Jurisdiktion von daher nicht über sich dulden zu müssen.11 Darüber hinaus wurde der städtische Anspruch auf den Besitz verschiedener Klöster erhoben, da dieser für 1624 nachzuweisen sei.12 Die neue Rechtslage war somit von beiden Seiten berücksichtigt worden. Andererseits ist den beiden Schreiben auch zu entnehmen, wie fremd es den Konfessionsparteien im Fürstbistum erschienen sein muss, ihre Ansprüche von einem Termin abzuleiten, mit dem sie kaum etwas verbinden konnten. Zur Bekräftigung wurde daher zuweilen betont, dass man nicht nur 1624, sondern bereits vorher im Besitz eines Rechtes oder eines Klosters gewesen sei.13 Das Normaljahrsargument wurde somit zu einem Traditionsargument umgeformt, zumindest, soweit dies möglich war.14 Die konfessionellen Interessengruppen wie deren Rechtsberater versprachen sich davon offensichtlich eine überzeugendere autoritative Grundlage. Nichtsdestoweniger trat offen zutage, dass die konfessionellen Verhältnisse im Hochstift gerade zur Zeit des Normaljahres sehr undurchsichtig waren, so dass genauere Erkundigungen notwendig wurden. Dies lag zum einen daran, dass seit Dezember 1623 unter Fürstbischof Eitel Friedrich von Hohenzollern gegenreformatorische Maßnahmen durchgeführt worden waren.15 Zum anderen sollte sich zeigen, dass der Gottesdienst in vielen Gemeinden sowohl ka„Des Dohm-Capituls zu Osnabrück Project einer Capitulationis perpetuae für die Evangelischen Bischöffe", Meiem 1734-1736, Tl. 6, S. 470-483, hier S. 474. « Ebd. 10 Ebd., S. 472. 11 „Declarationes, Notae & monenda, cum insertis contradictione, protestatione & reservatione, annexo paragraphe) desideria Civitatis Osnabrugensis comprehendente, ac perpetuae Capitulationi inserendo, an Seiten Bürgermeister und des Raths der Stadt Osnabrück, bey eines Ehrwürdigen Thum-Capituls einseitig exhibirter Capitulation zu consideriren und in Obacht zu setzen". Ebd., S. 492-499, hier S. 496. 12 Zusammenfassend hierzu: Ebd., S. 499. 13 Siehe etwa den Hinweis des Rates darauf, dass das Dominikanerkloster zu Osnabrück „ante und in anno 1624, 1. Jan." ein verschlossenes Kloster gewesen sei. Ebd., S. 498. Ahnlich wird das Verfahren einer nichtparitätischen Ratswahl damit begründet, da dieses „in solchem Termino, auch für hundert und mehr Jahren" auf diese Weise vollzogen worden sei. Ebd., S. 494. 14 Hierzu Ralf-Peter Fuchs: Die Autorität von ,Normaljahren' bei der kirchlichen Neuordnung nach dem Dreißigjährigen Krieg - Das Fürstbistum Osnabrück und die Grafschaft Mark im Vergleich, in: Brendecke, Arndt/Fuchs, Ralf-Peter/Koller, Edith (Hg.): Die Autorität der Zeit in der Frühen Neuzeit. Berlin 2007, S. 353-374. 15 Steinwascher 1999, S. 55. 8

10.1 Schwierigkeiten bei der Restitution im Fürstbistum Osnabrück

tholische wie evangelische Elemente enthalten hatte. Eine Zusprechung zu der einen oder anderen Konfession war daher sehr schwierig. Dies war wiederum eine äußerst ungünstige Voraussetzung für die Durchsetzung des Westfälischen Friedenschlusses in jenem Territorium, dem die Rolle eines Musterfalles zugedacht gewesen war.16 Im Grunde gingen zunächst beide Seiten, Lutheraner17 wie Katholiken, davon aus, dass das Hochstift Osnabrück im Normaljahr 1624 durchgängig ihrer eigenen Konfession zugetan gewesen war. Dem die protestantischen Interessen in Osnabrück zu Münster vertretenden braunschweigisch-lüneburgischen Kammerrat Heinrich Langenbeck wurde sogar eine historische Darstellung unterbreitet, die den Nachweis führen sollte, dass das Hochstift permanent, seit seinem Bestehen, den Katholiken gehört habe.18 Dies veranlasste Langenbeck seinerseits, die protestantischen Gemeinden im Territorium aufzufordern, ihm Informationen zukommen zu lassen, die diese Behauptungen entkräften konnten. Dies geschah zum Teil indirekt, über eine Liste jener evangelischen Prediger, die im Jahr 1625, unter Bischof Eitelfriedrich von Hohenzollern, und im Jahr 1628, unter Bischof Franz Wilhelm von Wartenberg, vertrieben worden waren.19 Über diese Liste ergab sich nach protestantischer Argumentation zugleich der Beweis, dass mindestens 18 Orte, u.a. Quakenbrück, Fürstenau, Lintorf, Essen, Bramsche und Melle, 1624 protestantisch gewesen waren. Darüber hinaus wurde am 20. Juli 1648 eine Liste herausgegeben, auf der lutherische Pastoren, die im Normaljahr im Amt gewesen waren, direkt verzeichnet worden waren. Zudem wurde, wie ein protestantisches Gutachten erkennen lässt,20 an der rechten Interpretation der Normaljahrsregel gefeilt: Nicht die Frage, von wem die Pastoren eingesetzt worden waren, dürfe den Ausschlag für die Restitution geben, sondern vielmehr die Frage, welche Lehre (doctrina) in den Kirchen verbreitet worden war. Ebenfalls seien die Riten, wie etwa die Austeilung des Abendmahls in beiderlei Gestalt, zu berücksichtigen. Lutherische Gesänge wie „Jesus Christus unser Heyland", „Es ist das Heyl uns kommen, Herr", „Aus tiefer Noth schrey ich zu dir", „Nun frewet euch lieben Christen gemein", „Erhaltt uns Herr bey Deinem wortt", „Wo Gott der herr nicht bey uns helt" und „O Herre Gott Dein Götlich wortt" seien ebenso in Betracht zu Siehe Anton Schindling'. Westfälischer Friede und Altes Reich - Zur reichspolitischen Stellung Osnabrücks in der Frühen Neuzeit, in: Osnabrücker Mitteilungen 90 (1985), 97120, hier S. 98. 17 Seegrün 1998, S. 65. 18 StA Osnabrück, Erw. F 100 Akz. 35/97, Nr. 16 - Akten des braunschweigischlüneburgischen Kammerrats Heinrich Langenbeck betr. die konfessionellen Verhältnisse im Hochstift Osnabrück seit 1624, hier fol. 8ff., insbes. fol 8: „Hunc Episcopatum semper a Catholicis fuisse in hodierna diem a prima sui fundatione possessum." 19 StA Osnabrück, Erw. F 100 Akz. 35/97, Nr. 16, fol. 33ff. 20 StA Osnabrück, Erw. F 100 Akz. 35/97, Nr. 16, fol. 15ff. 16

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ziehen wie lutherische Katechismen. Die Abschaffung der Salbung mit Chrisamöl (extrema unctio) bei den Taufen gäbe wie auch die Konfirmation verlässliche Nachweise für das Bestehen des Protestantismus. Schließlich sei zu prüfen, ob die Pastoren Ehefrauen und Kinder gehabt hätten.21 Über die Einschaltung des lutherischen Konsistoriums ergab sich eine Mobilisierung der protestantischen Gemeinden im Fürstbistum. Während die katholischen Gesandten in Münster auf die Visitationsprotokolle der 1620er Jahre zurückgriffen, versuchten die Lutheraner, anhand von Zeugenbefragungen den Nachweis über den Zustand der Religion zu führen, der 1624 geherrscht hatte.22 Im August 1648 begannen diese Zeugenverhöre an verschiedenen Orten des Territoriums. Dabei waren es die Gemeindepastoren, die sich an Notare wandten und diesen einen Fragenkatalog aushändigten. Die Notare wurden aufgefordert, ausgewählte Gemeindemitglieder ihren Amtspflichten gemäß zu vernehmen und Protokolle zu erstellen.23 Die Fragen waren auf die vorgezeichneten Kriterien zur Bestimmung der protestantischen Konfession zugeschnitten: die Austeilung des Abendmahls in beiderlei Gestalt, das Singen von Liedern aus lutherischen Gesangbüchern, die Taufe ohne Chrisamöl, den Einsatz lutherischer Katechismen in den Schulen und die Abschaffung des Zölibats. Außerdem sollten die Zeugen befragt werden, welche Worte in den Kirchen vor und bei dem Abendmahl ausgesprochen worden waren. Letztlich sollte der Beweis erbracht werden, dass niemals Bilder und Heilige angerufen worden waren, die Geistlichen keine Lehre vom Fegefeuer gepredigt hatten und der Papst auch nicht als Oberhaupt der Christenheit angesehen worden war.24 Unter den Zeugen befanden sich nicht selten die Pastoren in eigener Person. Der Rest der Befragten war offensichtlich ausgewählt worden weil man sich von ihnen versprach, dass sie sich gebührend für ihren Glauben einsetzen würden. Die Protokollführung war gestrafft. Zuweilen wurden die Aussagen dreier Zeugen zu einer einzigen zusammengefasst.25 In einigen Fällen liegen sogar Texte vor, die die Aussagen sämtlicher Mitglieder bestimmter Gemeinden, wie z.B. der lutherischen Gemeinde zu Quakenbrück, quasi als wären sie

StA Osnabrück, Erw. F 100 Akz. 35/97, Nr. 16, fol. 15ff. Diese wurden in der landeshistorischen Forschung untersucht, um den tatsächlichen konfessionellen Besitzstand im Jahr 1624 historisch zu ermitteln. Siehe W. Wöbking·. Der Konfessionsstand der Landgemeinden des Bistums Osnabrück am 1. Januar 1624, in: Osnabrücker Mitteilungen 23 (1898), S. 134-201. 23 StA Osnabrück, Rep. 100, Bd. 3, fol. 9. 2 4 Dies sind die Kemelemente der Fragenkataloge, die in einigen Orten identisch in anderen wiederum unterschiedlich waren. Zwei Befragungen sind abgedruckt in: Franz Flaskamp: Das Wiedenbrücker Verhör. Ein Beitrag zur Geschichte der Gegenreformation, in: Jahrbuch für westfälische Kirchengeschichte 45/46 (1952/53), S. 151-192. 25 Siehe etwa die gemeinschaftliche Aussage von Johann Achtermeyer, Jaspar Nieman, Johan Busman aus Buer, StA Osnabrück, Rep. 100, Abschnitt 367, Nr. 11, fol. 45ff. 21

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10.1 Schwierigkeiten bei der Restitution im Fürstbistum Osnabrück

aus einem Munde erfolgt, wiedergeben sollten.26 Auf eine Vereidigung der Befragten wurde zumeist verzichtet.27 Außerdem flössen häufig Argumente und Bewertungen, wie etwa die Bezeichnung des Luthertums als „lautere und reine" Lehre, in die Beweisartikel oder Fragen, die den Zeugen vorgelesen wurden, ein.28 Die Verhörprotokolle lassen sich somit kaum als Quellen lesen, die die allgemeine Stimmung in den Ortschaften des Fürstbistums wiedergeben. Sie lassen aber immerhin erkennen, mit welchen Argumenten die Zeugen ihren Wünschen auf Erhalt ihrer Gemeinden Nachdruck verliehen. Auch sie tendierten nämlich dazu, dem Normaljahrskriterium das Argument der Tradition an die Seite zu stellen. Viele Befragte im Hochstift Osnabrück versuchten, die lutherischen Gemeinderechte zu stärken, indem sie deren Existenz nicht nur für das Jahr 1624, sondern auch für andere Zeiten, sei es davor oder danach, bezeugten. Formulierungen wie „ad 1624 und vor der zeitt" 29 deuten darauf hin, dass sie den Normal) ahrstermin mit geläufigeren LegitimitätsVorstellungen zu verbinden versuchten. Neben der Identifikation der Zeugen mit der lutherischen Sache wird durch die Protokolle aber auch deutlich, dass man sich vor Ort mancher Unterschiede zwischen der katholischen und der protestantischen Lehre und Liturgie nicht bewusst war. So gab etwa der achtzigjährige lutherische ZeugeChristoph Wippermann am 20. März 1649 zu Protokoll, er habe vor vielen Jahren seinem Sohn den Katechismus des Petrus Canisius besorgt und darüber hinaus seien auch noch andere Katechismen in der Schule zu Wiedenbrück geduldet worden.30 Obwohl andere Zeugen durchaus überzeugend vermitteln konnten, dass um 1624 in ihren Kirchen immerhin wesentliche Elemente des Luthertums durchgesetzt waren, weist dies klar auf die Existenz religiöser Mischformen hin.31 So sehr die reine lutherische Lehre von den Zeugen auch beschworen wurde, hatte doch die Konfessionalisierung viele Gemeinden des Territoriums offensichtlich nicht durchgreifend erfasst. Einzelne Unterschiede zwischen kathoDer Pastor Vitus Büschems zu Quakenbrück, lud demzufolge nach der Messe am 16. Juli 1648 die gesamte Gemeinde ins Rathaus und stellte dort seine Fragen an die Gemeinde, um die Antworten zu notieren. StA Osnabrück, Rep. 100, Abschnitt 367, Nr. 11, fol. 54ff. 2 7 In einigen Protokollen wird darauf hingewiesen, dass eine Vereidigung nur bei einzelnen Fragen und Artikeln, sofern „nothig", vorgenommen wurde. Siehe StA Osnabrück, Rep. 100, Abschnitt 367, Nr. 11, fol. 17. 28 „Gleichfalß wahr, daß niemahlß der Pabst pro capite der kirchen undt Christenheit dero zeit alhie gehaltten, vielweiniger die H. Schlifft nach der Römischen kirchen oder Pabsts verstände, sondern lauter und rein nach den buchem des Alten und Newen Testaments außgelegt worden." StA Osnabrück, Rep. 100, Abschnitt 367, Nr. 11, fol. 18. 29 StA Osnabrück, Rep. 100, Abschnitt 367, Nr. 11, fol. 32 (Aussage des Zeugen Hermann Lührmann aus Neukirchen). 3» Siehe Flaskamp 1952/53, hier S. 179. 31 Auf das Nebeneinander des katholischen wie des lutherischen Katechismus weist auch die Zeugenaussage des Berend Leffers hin. Ebd., S. 181. 26

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10. Blick ins Reich: Das Normaljahr 1624 ,vor Ort'

lischer und protestantischer Lehre und Liturgie scheinen dabei von den Gemeindemitgliedern relativ leidenschaftslos betrachtet worden zu sein. Bedeutender war ihnen offensichtlich die Identifikation mit ihrer örtlichen Gemeinde, in der sie allerdings eine Tradition verwurzelt sahen, die sie mit dem Luthertum gleichsetzten. Dieses Bewusstsein von Tradition scheint gerade durch den zwischenzeitlichen Bruch, der Gegenreformation von oben, und dem anschließenden gemeinsamen Durchstehen dieser Zeit, gestärkt worden zu sein. Darüber hinaus dürfte sich, bedingt durch die wechselvolle Geschichte der Kirchspiele im Krieg, das Verhältnis zu den Katholiken auf eine besondere Weise abgekühlt haben. Von daher waren diese Zeugen bereit, für die Fortexistenz ihrer Gemeinden zu kämpfen. Einige reagierten empört, nachdem ihnen zugetragen worden war, dass man die Ausübung der reinen Lehre zur Zeit des Normaljahres in Frage stellte. So wandte sich am 3. März 1649 die gesamte Gemeinde des Kirchspiels Neukirchen im Amt Gronenberg an den Gesandten Langenbeck, um ihr Bekenntnis zur „alleinseligmachenden evangelischen Lehre" abzulegen und ihren Protest gegen das Gerücht auszudrücken, sie hätten 1624 zugleich die lutherische und katholische Religion ausgeübt. 32 Gerade in der Vorhaltung, einer „vermischten Wahnreligion" 33 zugetan gewesen zu sein, erblickten sie einen großen Makel. Andererseits wurde den Gesandten zu Münster das Problem der liturgischen Mischformen zunehmend bewusst. Die Zuordnung der Kirchspiele im Hochstift Osnabrück nach der Normaljahrsregel erschien undurchführbar. In dieser Situation machte der kaiserliche Deputierte Isaak Volmar schließlich den Vorschlag, von der ,Generalregel' abzusehen und die Kirchspiele und Gemeinden nach einem anderen Modus aufzuteilen: Die Gemeinden sollten den beiden Konfessionen paritätisch nach dem Prinzip ex aequo et bono zugeteilt werden. Dies bedeutete zum einen, dass der Gegenwartszeitpunkt zum Maßstab der Verteilung erklärt wurde." Zum anderen sollten dabei nicht die bloße Zahl der Gemeinden, sondern auch deren jeweilige Größe und Besitztümer berücksichtigt werden.35 Dieser später als ,Volmarscher Durchschlag' 36 bezeichnete Plan fand nach anfänglichem Zögern Zustimmung, 37 so dass die Verhandlungen, in StA Osnabrück, Erw. F 100 Akz. 35/97, Nr. 16, fol. 54. StA Osnabrück, Erw. F 100 Akz. 35/97, Nr. 16, fol. 54. Siehe allgemein zu den religiösen Verhältnissen im Hochstift Osnabrück auch Theodor Penners: Zur Konfessionsbildung im Fürstbistum Osnabrück. Die ländliche Bevölkerung im Wechsel der Reformationen des 17. Jahrhunderts, in: Jahrbuch der Gesellschaft für niedersächsische Kirchengeschichte 72 (1974), S. 25-50. 3 4 Es handelte sich im wesentlichen um eine 2:1-Aufteilung in katholische und evangelische Kirchspiele nach dem Zustand von 1647. Siehe Flaskamp 1952/53, S. 160, Anm. 49. 35 Seegrün 1998, S. 74ff. 3 6 Der sachsen-altenburgische Gesandte Thumbshim sprach in seinem Diarium, über die Fortsetzung der Verhandlungen zu Nürnberg im Juli 1650 berichtend, vom „Vollmarischen Durchschlag". Siehe Meiern 1736/37, Tl. 2, S. 529. 37 Zu dieser Einigung siehe Freckmann 1906, S. 151ff. 32

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10.2 Die protestantische Restitution in der Reichsstadt Augsburg

einem wichtigen Punkt bereits geklärt, nach Nürnberg verlegt werden konnten.38 10.2 Die protestantische Restitution in der Reichsstadt Augsburg Ahnlich wie die Zukunft des Fürstbistums Osnabrück war auch diejenige der Reichsstadt Augsburg als besonders schwerwiegendes Problem auf dem Westfälischen Friedenskongress angesehen worden. 39 Die mischkonfessionellen Verhältnisse in der Stadt hatten bereits während des Krieges Religionsparteien und Militärs zu umfangreichen Eingriffen veranlasst. 1629 waren umfassende Maßnahmen zur Rekatholisierung durchgeführt worden, die noch über den Stand zur Zeit des Passauer Vertrages hinausgegangen waren.40 So war über einen kaiserlichen Erlass der evangelische Gottesdienst verboten worden, 41 was zum Abriss der beiden protestantischen Kirchen St. Georg und Hl. Kreuz geführt hatte. Nach dem Einzug des schwedischen Königs Gustav Adolf am 24. April 1632 war das Restitutionsedikt dann aufgehoben worden. 42 Im Jahr 1635 waren über den „Leonberger Rezeß" wiederum die Verhältnisse von 1629, wenngleich mit einigen Abstrichen, wiederhergestellt worden. 43 Zur Zeit der Verkündigung des Westfälischen Friedens befand sich die durch Hungers- und Kriegsnöte über Jahre hinweg gebeutelte Stadt in einer ambivalenten Stimmimg.44 Die Präsenz bayerischer Truppen noch in den ersten Herbsttagen des Jahres 1648 hatte eher die Gegenwart des Krieges als des Friedens veranschaulicht.45 Die Aufnahme des Westfälischen Friedens in der Bürgerschaft war gespalten. Während die Katholiken die Ergebnisse als Niederlage ansahen, begrüßten sie die Protestanten umso mehr.46 Die paritätische Ratswahl sicherte den politischen Einfluss der evangelischen Bürger im Stadtregiment. Die Einführung der Normaljahrsregel stellte sich darüber hinaus für sie als endgültige Außer38

Zu den Verhandlungen über Osnabrück in Nürnberg siehe auch HHStA Wien, MEA Friedensakten 35. Hierzu Hermann Vogel: Der Kampf auf dem westfälischen Friedenskongreß u m die Einführung der Parität in Augsburg. Augsburg 1889. 40 Siehe Bernd Roeck: Als wollt die Welt schier brechen. Eine Stadt im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges. München 1991, S. 227ff. « Ebd., S. 231. 42 Peter Rummel/Wolfgang Zorn: Kirchengeschichte 1518-1650, in: Welt im Umbruch. Augsburg zwischen Renaissance u n d Barock. Bd. 1: Zeughaus. Augsburg 1980, S. 30-39, hier S. 38. 43 Roeck 1991, S. 278. 44 Hierzu Ciaire Gantet: Die ambivalente Wahrnehmung des Friedens. Erwartung, Furcht u n d Spannungen in Augsburg u m 1648, in: Medick, Hans/Krusenstjem, Benigna von (Hg.): Zwischen Alltag u n d Katastrophe. Der Dreißigjährige Krieg aus der Nähe. Göttingen 1999, S. 357-373, insbes. S. 373. 43 Roeck 1991, S. 315. 46 Ebd. Siehe auch Hans Otto Mühleisen: Augsburger Friedensgemälde als politische Lehrstücke, in: Burkhardt, Johannes/Haberer, Stephanie (Hg.): Das Friedensfest. Augsburg u n d die Entwicklung einer neuzeitlichen europäischen Toleranz-, Friedens- u n d Festkultur. Berlin 2000, S. 117-145, S. 120. 39

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10. Blick ins Reich: Das Normaljahr 1624 ,vor Ort' kraftsetzung des Restitutionsediktes dar. Die Friedensartikel, die die Verhältnisse in Augsburg regelten, waren somit gleichbedeutend mit einer langfristigen Zukunftssicherung der Protestanten. Allerdings gaben sie darüber hinaus Anlass zum schleunigen Handeln, war doch nun der Zeitpunkt für eine Restitution jener Kirchen gekommen, die ihnen in den Jahrzehnten zuvor verloren gegangen waren. Welche Strategien angewendet wurden, um eine durch kaiserlichen Erlass bekräftigte reichsverbindliche Entscheidung zu umgehen, veranschaulicht ein Blick auf die Katholiken in Augsburg. Zwar war relativ schnell eine bikonfessionelle Restitutionskommission mit den beiden ausschreibenden Fürsten des schwäbischen Reichskreises, dem Bischof von Konstanz und dem Herzog von Württemberg, gebildet worden. 47 Die Katholiken in Augsburg widersetzten sich jedoch zunächst konsequent den Bestrebungen der Protestanten, auf örtlicher Ebene in Verhandlungen zu treten. Einem zu diesem Zweck gebildeten protestantischen Ausschuss wurde entgegengehalten, dass man seine Legitimität nicht anerkannte. Das gleiche galt für den Herzog von Württemberg als protestantischem Kommissar. Zudem hielt der katholische Magistrat die Vertreter der beiden reichsfürstlichen Kommissare, die in Person die Restitutionen anleiten und überwachen sollten, über Wochen erfolgreich von einem Betreten des Stadtgebietes ab. Es handelte sich dabei um Kanzler Dr. Georg Köberlin und Kämmerer Wolff Christoph von Bennhausen, die für den Bischof von Konstanz auftraten, und Kanzler Dr. Andreas Burckardt sowie Hans Albrecht von Wöllwart, die im Auftrag des Herzogs von Württemberg unterwegs waren. Die sich zunächst auf dem Kreistag in Ulm aufhaltenden Bevollmächtigten wurden sowohl mit rechtlichen Einreden als auch Bemerkungen, die man durchaus als Drohungen auffassen konnte, 48 zum Abwarten veranlasst. Auch nachdem die subdelegierten Kommissare am 19. Dezember 1648 sämtlich in Augsburg eingezogen waren und Quartier in zwei unterschiedlichen Wirtshäusern bezogen hatten, änderte sich an der Blockadehaltung des Magistrats wenig. Er forderte eine spezielle kaiserliche Ermächtigung für die Maßnahmen, die in Augsburg durchgeführt werden sollten. 49 Am 8. Januar 1649 richtete dieser ein Schreiben an den Kaiser, in dem er seine Weigerung, die Exekution zuzulassen, ausführlich begründete. 50 Hinter dieser Verweigerungshaltung mag die Hoffnung gesteckt haben, die Protestanten zu Zugeständnissen zu bewegen, die die Friedensergebnisse für die Katholiken erträgNach anfänglichem Zögern willigte der Bischof von Konstanz ein, die Kommission zu übernehmen. Siehe zu den Exekutionen Hermann Vogel: Die Exekution der die Reichsstadt Augsburg betreffenden Bestimmungen des westfälischen Friedens. Augsburg 1890. 48 Es handelte sich hierbei um „Warnungen", dass man nicht für die Sicherheit der Kommissare sorgen könne. Ebd., S. 19f. 49 Ebd., S. 21. so Ebd., S. 25. 47

10.2 Die protestantische Restitution in der Reichsstadt Augsburg licher machten. Bereits vor der Einsetzung der Kommission war offenbar das Angebot an die Protestanten ergangen, freiwillig auf eine Restitution einzugehen, die den Zustand vor 1629, dem Jahr des Erlasses des Restitutionsediktes, berücksichtigte. 51 Dass man sie gerade auf diese Weise dazu hatte bewegen wollen, im Gegenzug auf eine paritätische Ratsordnung zu verzichten, 52 macht die Prioritäten des Magistrats deutlich. Es war weniger die bevorstehende Normaljahrsrestitution als vielmehr die zu erwartende Veränderung der Machtverhältnisse in der Stadt, die bekämpft wurde. Sowohl ein Schreiben des Bischofs von Konstanz, in dem dieser auf die Notwendigkeit und Autorität des Friedensvertrages hinwies als auch eine kaiserliche Aufforderung zum Gehorsam vom 8. Januar 1649 brachte den Rat nicht aus seiner Blockadehaltung. 53 Ergingen Ladungen, wurde diesen verzögert Folge geleistet. In Gesprächen mit den kommissarischen Vertretern wurde allenfalls eine schriftliche Auseinandersetzung zugestanden, die wiederum weitere Verschleppungen der Exekution hervorzurufen drohten. Auch der Versuch der subdelegierten Kommissare, die Ratsmitglieder einzeln zu zitieren und auf diese Weise mehr Kompromissbereitschaft zu erzielen, misslang. Sämtliche vorgeladenen Personen betonten vielmehr, ohne Einwilligung der anderen in nichts nachgeben zu können. An der strategischen Überlegung, über ein zähes Beharren auf den alten Positionen Zugeständnisse auf protestantischer Seite hervorrufen zu können, wurde festgehalten. Auch mag der Wunsch auf ein Eingreifen des bayerischen Kurfürsten zugunsten der Katholiken das Verhalten der Ratsmitglieder bestimmt haben. 54 Mit den Geistlichen in der Stadt Augsburg hatten die subdelegierten Kommissare dagegen weniger Probleme. Der Administrator des Stifts Augsburg, Johann Rudolf von Rechberg, und der Klerus erklärten, sich der Restitution nicht widersetzen zu wollen. Dies bedeutete, dass man den Protestanten gemäß dem Normaljahr 1624 u.a. 14 Pfarr- und Predigerstellen und den Gottesdienst an neun unterschiedlichen Orten zugestand: zu St. Anna, St. Ulrich, in der Barfüßerkirche, der Spitalkirche, zu St. Jacob, und an den Stätten, auf denen sich die niedergerissenen Kirchen Hl. Kreuz, St. Georg, St. Servatius und St. Wolfgang 55 befunden hatten. Strittig war allerdings die Kostenfrage für den Wiederaufbau dieser beiden Kirchen. Die katholischen Geistlichen waren nicht bereit, ihn zu finanzieren und sprachen sich auch dagegen aus, ihn über den allgemeinen Haushalt der Bürgerschaft bezahlen zu lassen. Vielmehr sollten die Protestanten in ihre eigenen Taschen greifen. 56

Ebd., S. 9. Ebd. 53 Siehe den Text bei Moser 1775, S. 469f. 54 Vogel 1890, S. 29. 55 St. Wolfgang und St. Servatius hatten sich außerhalb der Stadtmauern befunden und waren aus strategischen Gründen abgerissen worden. 56 Vogel 1890, S. 32. 51

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10. Blick ins Reich: Das Normaljahr 1624 ,vor Ort'

Darüber hinaus erklärte von Rechberg, dass der Verzicht auf Widerstand keineswegs eine Bereitschaft zur Zusammenarbeit beinhalte. Vielmehr sei darunter lediglich zu verstehen, dass man die Restitution passiv erdulde;57 ebenso behielten sich die Geistlichen unabhängig von der Exekution ihr Recht vor, das sie über Einwände gegen die Bestimmungen des Friedensschlusses deutlich zu machen versuchten.58 Diese Form des passiven Protestes gegen die Restitution wurde immerhin als ein Weg betrachtet, die eigenen Glaubensund Rechtsansprüche und nicht zuletzt die Ehre zu wahren, ohne sich schroff gegen die Autorität des Kaisers auflehnen zu müssen. In den folgenden Tagen lernten die von den Augsburger Protestanten mit dem Abholen der Schlüssel für die Kirchen beauftragten Notare diese Art des Protestes noch näher kennen. Die Schlüssel wurden nicht übergeben, sondern allenfalls zur Abholung deponiert.59 Hin und wieder waren Schlüssel unvollständig vorgelegt worden, so dass die Notare sich auf eine umständliche Suche begeben mussten.60 In solchen Fällen verblieb den katholischen Geistlichen immerhin der bescheidene Triumph, dem Gegner Schwierigkeiten bereitet und Verzögerungen verursacht zu haben. In der Sache gelangten die Restitutionen jedoch voran. Die Protestanten gelangten in den Besitz dreier der von ihnen geforderten Kirchen, von St. Ulrich, von St. Anna sowie der Barfüßerkirche. Am 21. Februar 1649 wurde in Anwesenheit der württembergischen Kommissare dort evangelischer Gottesdienst gehalten.61 Der Widerstand des Rates begann dagegen erst zu bröckeln, nachdem die Protestanten sich an zwei bedeutende Reichsfürsten, Kurmainz und Kurbayern, gewandt hatten. Von besonderer Bedeutung waren dabei die Signale aus München, die die Träume der Katholiken von einer Hilfeleistung des bayerischen Kurfürsten zerplatzen ließen. Dieser hatte den Rat vielmehr mehrfach dazu aufgefordert, den Anordnungen der Kommissare Folge zu leisten.62 Am 25. Februar verfasste der Magistrat schließlich ein Schreiben, in dem er er-

Siehe hierzu den Bericht der Subdelegierten Kommissare: „[...] und ob zwar ermeldter Herr Administrator sich allein dahin erklärt, daß er sich zwar hierinnen nicht würklichen widersetzen wollte, zu solcher Restitution aber nicht positivé sich verstehen; oder dabey etwas cooperiren köndte, sondern es passivò müsse geschehen lassen". Ausführlicher Bericht über die im Jahr 1649 durch die Kayserliche Subdelegirte Herren Commissarios bey deß H. Reichs-Stadt Augspurg vorgenommene Exemtion in Geistund Weltlichen Sachen nach Anleitung des Oßnabrüggischen Friedenschluß, in: Knipschildt, Philippus: De Iuribus et privilegiis civitatum imperialium tarn generalibus quam specialibus et de earundem magistratuum officio [...] Bd. 3. Straßburg 1740 [1657], S. 1 9 - 2 6 , hier S. 20. 58 Der Bericht der Kommissare enthält hierzu den Hinweis auf ein gegen das „Instrumentum Pacis lauf fende [s] Einwenden". Außführlicher Bericht (1740 [1657]), S. 20. 59 Vogel 1890, S. 33. 60 Ebd., S. 44. 61 Ebd., S. 34. 62 Ebd., S. 30f. und 35f. 57

10.2 Die protestantische Restitution in der Reichsstadt Augsburg

klärte, niemals gegen die Beschlüsse des Westfälischen Friedens opponiert zu haben. 63 Damit konnte zum einen das komplizierte Werk der kirchlichen Restitutionen unter Beteiligung des Rates fortgesetzt werden. Zum anderen konnte nun das noch gravierendere Problem, die Einführung einer paritätischen Ratsverfassung, angegangen werden. Trotz zwischenzeitlich immer wieder auftauchender Schwierigkeiten wurde vom 5. bis zum 8. März die Änderung der Verfassung unter Aufsicht der deputierten Kommissare erarbeitet. Unter anderem musste die Zahl der ratsfähigen Familien erhöht werden, um den Protestanten genügend Sitze im Magistrat zu verschaffen. Am 11. März wurde die erste Versammlung des paritätischen Rates abgehalten. 64 Die Normaljahrsrestitutionen wurden somit unter den Bedingungen einer tief greifenden Veränderung der Autoritätsstrukturen in der Stadt vollzogen. Damit war die Situation ähnlich wie in den gemischtkonfessionellen Reichsstädten Biberach, Dinkelsbühl und Ravensburg. Für alle diese Städte waren detaillierte Bestimmungen in das Westfälische Friedenswerk eingeflossen, um der komplexen Situation jeweils gerecht zu werden. Wie das Beispiel Augsburg deutlich macht, war jedoch eine Durchsetzung der Ratsparität nur möglich geworden, nachdem verschiedenste externe Autoritäten, vom Kaiser bis zu bedeutenden Reichsfürsten, ihre Entschlossenheit bekundet hatten, die Friedensbestimmungen zur Geltung zu bringen. 65 Nachdem dies gelungen war, scheint die Herstellung einer Ordnung auf der Grundlage von Parität und Normaljahr jedoch recht gut vorangekommen zu sein. Auch in Biberach 66 und Dinkelsbühl 67 kam es im März und April 1649 zu umfangreichen Vergleichen von Katholiken und Protestanten über die Restitution und in Ravensburg wurde immerhin im Juli 1649 der Exekutionsrezess abgeschlossen. 68 Die Augsburger Regelungen zeigen nichtsdestoweniger, dass die Anwendung des Normaljahrs Ausgleichsverhandlungen keineswegs überflüssig werden ließ. So musste z.B. die Frage geklärt werden, wer für die Schulden, die seit 1624 durch Bau- und Instandhaltungskosten von Gebäuden bei der Barfüßerkirche entstanden waren, aufkommen sollte. Der Vergleich lief darauf hinaus, dass die evangelischen Zechpfleger die Gelder in ihrer Gemeinde einsammeln sollten. 69 Darüber hinaus baten die Katholiken die Protestanten häufiger darum, von der Normaljahrsregel abzusehen und boten im Gegenzug finanzielle Leistungen an. Die katholischen Geistlichen waren etwa an der Kirche St. Jacob und an den Grundstücken von Hl. Kreuz und St. Georg interessiert und Ebd., S. 36. Ebd., S. 41 f. 65 Siehe auch das reichshofrätliche Gutachten zu den Beschwerden der Protestanten, abgedruckt bei Moser 1775, S. 469-476. 66 Siehe Ausführlicher Bericht (1740 [1657]), S. 35-38. 67 Ebd., S. 72-75. 68 Ebd., S. 230-235. 69 Ebd., S. 21. 63 64

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baten darum, sie kaufen zu dürfen. Darüber hinaus machten sie Angebote, Grundstücke zu tauschen.70 Die Reaktion der Protestanten darauf ist bemerkenswert: Sie beharrten zwar auf der Normaljahrsregel, betonten jedoch, dass sie sich lediglich „für dieses eine Mal"71 auf den Westfälischen Frieden festlegen wollten. Künftige Möglichkeiten, sich mit den Katholiken auf eine andere Art zu vergleichen, wollten sie somit nicht ausschließen. Daraus wird deutlich, dass die Augsburger Protestanten der Normaljahrsregel keineswegs ewige Gültigkeit zusprachen, sondern der Zukunft Änderungen auf der Basis von weiteren gütlichen Verhandlungen vorbehielten. In einem Punkt ließen sie sogar eine Ausnahme vom Normaljahr zu: Den Karmelitern wurde, obwohl sie 1624 noch nicht in der Stadt gewesen waren, das Verbleiben gewährt. Dieses Zugeständnis erfolgte nach längeren Verhandlungen ebenfalls, ohne ein formales Recht einzuräumen, nun von evangelischer Seite.72 Die Politik kleinerer Zugeständnisse aus dem betonten Bemühen heraus, auch hin und wieder Schmerzliches zu ertragen, ermöglichte es, dem Westfälischen Frieden erste Wurzeln auf lokaler Ebene zu verschaffen. Wie tragfähig diese künftig sein würden, war noch nicht sicher. Der Reichshofrat in Wien wie auch die Gesandten auf dem Nürnberger Exekutionstag sollten auch noch nach dieser Einigung mit mannigfachen Beschwerden aus Augsburg konfrontiert werden. Aber immerhin entstand eine neue Stadtverfassung in Absprache der beiden paritätischen Gruppen. Im Rahmen des Exekutionsrezesses gelang es, Gegensätze zu verschleiern oder aber, sie im Rahmen einer Rhetorik der gütlichen Auseinandersetzung zu entschärfen. Selbst eine rigide Bestimmung wie die Normaljahrsregel ließ sich so mit einer Kultur des Aushandelns von Kompromissen vereinbaren, die ein definitives, endgültiges Abrücken von eigenen Ansprüchen eigentlich kaum ermöglichte. Diese Integrationsleistung war sicherlich ein entscheidender Grund für den Erfolg der Normaljahrsbestimmung in Augsburg. Der Vergleich vom 3. April 1649 lässt sich andererseits zweifellos, gemessen an den Ansprüchen, die in der Vergangenheit aufeinander geprallt waren, vor allem als ein Erfolg der Protestanten deuten. Nach Jahrzehnten des Existenzkampfes wurden ihnen ihre Kirchen und eine Vielzahl von dazugehörigen Gütern, vom Pfarrhaus bis zur Orgel, zurückgegeben. Das Recht auf Gottesdienst nach evangelischer Lehre und auf Ausübung anderer Verhaltensformen zur Demonstration religiöser Zugehörigkeit wurde ihnen ebenfalls de facto zugestanden: So sollten sie etwa auch zugesichert bekommen, die Feiertage so, wie sie diese 1624 gehalten hatten, weiterhin zu halten.73 Das Normaljahr begründete bzw. bekräftigte aus ihrer Perspektive in all diesen Punkten ihr Recht auf ihre eigene Religionsausübung. Eine jener Autoritäten, die sie 70 71 72 73

Ebd., Ebd., Ebd., Ebd.,

S. 22. S. 22: „vor dißmal allein". S. 24. S. 22.

10.2 Die protestantische Restitution in der Reichsstadt Augsburg

als Basis für die künftige Rechtsordnung, in der sie nun einen festen Platz hatten, ansahen, sollten sie auf ihren eigenen Bannern verewigen: Eben nicht als advocatus der katholischen Kirche, sondern als Friedenskaiser wurde Ferdinand III., gemeinsam mit Ferdinand I., auf Gemälden dargestellt, die die Augsburger Protestanten als „politische Lehrstücke" anfertigen ließen.74 Mit diesen Gemälden feierten sie den Westfälischen Frieden und jenen Kaiser, den sie als den Friedensbringer ansahen, als Garanten konfessioneller Parität.

74 Mühleisen 2000, S. 126. Siehe ebenso Martin Brecht: Erinnerung an den Frieden. Vom bemerkenswerten Umgang mit einem hohen Gut in Augsburg, in: Burkhardt, Johannes/Haberer, Stephanie (Hg.): Das Friedensfest. Augsburg und die Entwicklung einer neuzeitlichen europäischen Toleranz-, Friedens- und Festkultur. Berlin 2000, S. 101-116.

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11. Zwei Friedensagenturen - Reichshofrat und Nürnberger

11. Zwei Friedensagenturen Exekutionstag

Exekutionstag

Reichshofrat und Nürnberger

Kehren wir im Anschluss an die beiden Fallbeispiele Osnabrück und Augsburg wieder zu den generellen Durchführungsbestimmungen des Westfälischen Friedens zurück: In den Verträgen war Kaiser Ferdinand III. als zentrale Figur für die Restitutionen benannt worden. Die Exekutionen sollten auf seinen Befehl hin von den ausschreibenden Fürsten der Reichskreise vorgenommen werden. Zudem stand es jedem im Reich, der eine Restitution beanspruchte, zu, kaiserliche Kommissare ernennen zu lassen. In Religionsfragen sollte dabei auf numerische Parität geachtet werden. Dass der kaiserliche Reichshofrat zu Wien vor diesem Hintergrund für sich eine bedeutende Rolle bei den anstehenden Restitutionen beanspruchte, ist verständlich. Als beratendem Organ des Kaisers in allen Reichsangelegenheiten1 waren ihm von jeher Aufgaben zur Begutachtimg zugefallen, die mit der Sicherung des Friedens zusammenhingen. Uber die Resolutionsprotokolle, in denen die Beschlüsse der mehrfach in der Woche anfallenden Sitzungen verzeichnet wurden, lässt sich folglich eine rege Tätigkeit des Reichshofrates in Restitutionsfragen dokumentieren.2 Dabei wurden besonders wichtige Angelegenheiten nach Beschlussfassung im Reichshofratskolleg zuweilen dem Kaiser weitergeleitet, der diese im engeren Kreis des Geheimen Rates erörterte.3 Die reichshofrätliche Zuständigkeit in Restitutionsfragen leitete sich vor allem aus seiner Funktion als Kommissionsagentur ab. Die Einsetzung kaiserlicher Untersuchungs- wie Schlichtungskommissionen war in der Frühen Neuzeit allgemein fester Bestandteil einer Politik der Friedenssicherung sowohl des Reichshofrats als auch des Reichskammergerichts.4 Die Errichtung solcher Siehe Oswald von Gschließer: Der Reichshofrat. Wien 1970 (Nachdr. d. Ausg 1942), S. 14. HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII. Zur Quellenüberlieferung des Reichshofrates allgemein und zu den Resolutionsprotkollen im besonderen siehe Barbara Staudinger: Die Reichshofratsakten als Quelle zur Geschichte der österreichischen und böhmischen Länder im 16. und 17. Jahrhundert, in: Pauser, Josef/Scheutz, Martin/Winkelbauer, Thomas (Hg.): Quellenkunde der Habsburgermonarchie ( 1 6 18. Jahrhundert). Ein exemplarisches Handbuch. Wien/München 2004, S. 327-336, insbes. S. 332f. Siehe ebenso die Quellenbeschreibung in: Eva Ortlieb: Im Auftrag des Kaisers. Die kaiserlichen Kommissionen des Reichshofrats und die Regelung von Konflikten im Alten Reich (1637-1657). Wien etc. 2001, S. 51ff. Teilweise sind die Protokolle auch wiedergegeben bei Moser 1775, S. 439ff. 3 Zum Geheimen Rat siehe Stefan Sienell: Die Protokolle zentralstaatlicher politischer Ratskollegien (1527-1742/60), in: Pauser, Josef/Scheutz, Martin/Winkelbauer, Thomas (Hg.): Quellenkunde der Habsburgermonarchie (16.-18. Jahrhundert). Ein exemplarisches Handbuch. Wien/München 2004, S. 120-127. 4 Zum Kommissionswesen des Reichskammergerichts: Raimund ]. Weber: Probleme und Perspektiven der Kommissionsforschung am Beispiel der Reichskammergerichtsakten im Staatsarchiv Sigmaringen. Mit einem Exkurs: Der württembergische Rat Dr. Christian Dolde und die Kartographie Philipp Renlins d.Ä., in: Baumann, Anette etc. (Hg.): Prozeßakten als Quelle. Neue Ansätze zur Erforschung der Höchsten Gerichtsbarkeit im 1

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Kommissionen 5 erfolgte in der Regel auf Antrag, wobei der Reichshofrat als Vertreter des Kaisers auftrat.6 In dessen Namen wurden hohe Reichsfürsten oder auch Juristen mit den Kommissionen als Streitschlichtungsinstanz betraut.7 Zuweilen machte sich der Reichshofrat dabei auch zum unmittelbaren Sprachrohr des Kaisers.8 Er verstand sich somit zwangsläufig als Schaltstelle für die Ingangsetzung all jener kaiserlichen Kommissionen, die nun laut den Westfälischen Friedensverträgen eingerichtet werden sollten. Im kaiserlichen Exekutionsedikt vom November 1648 war zudem ausdrücklich vermerkt worden, dass es all denjenigen, die Restitutionsansprüche stellten, freistehe, kaiserliche Kommissare dafür einsetzen zu lassen.9 Andererseits stand der Reichshofrat als eines der beiden höchsten Reichsgerichte seit langer Zeit im Zentrum protestantischer Invektiven. Mochten die evangelischen Gesandten des Westfälischen Friedenskongresses nicht gerade der radikalen Aufforderung des Schreibers Hyppolythus a Lapide10 gefolgt sein, auf eine komplette Abschaffung dieser Behörde hinzuwirken, so hatte die Reform der Reichsjustiz doch einen bedeutenden Streitpunkt der Konfessionsparteien während der Verhandlungen dargestellt. Mit der protestantischen Forderung nach einer umfassenden Reichsjustizreform hatten die Verhandlungen begonnen: Die Protestanten hatten zunächst die Einrichtung von vier gleichberechtigten Reichsgerichten mit unterschiedlicher räumlicher Zuständigkeit verlangt.11 Der Plan hätte eine Umwandlung des Reichshofrates zu einem von den Reichsständen kontrollierten Gericht mit sich gebracht, das lediglich für den österreichischen und den bayerischen Reichskreis zuständig gewesen wäre.12 Er war allerdings u.a. am zähen Widerstand Trauttmansdorffs gescheitert. Auch die später eingebrachte Variante, die auf drei anstatt vier Reichsgerichte abzielte,13 war chancenlos geblieben. Der Kern protestantischen Reformstrebens hatte, wie schon in den Jahrzehnten zuvor, im Versuch der Paritätisierung der Reichsjustiz gelegen. Dies hatte Alten Reich. Köln etc. 2001, S. 83-100; siehe zum Kommissionswesen des Reichshofrates zudem die Studie von Sabine Ulimann: Geschichte auf der langen Bank: Die Kommissionen des Reichshofrats unter Kaiser Maximilian II. (1564-1576). Mainz 2006, die hilfreiche Einführung von Ortlieb 2001, S. Iff, und den Überblick bei Ehrenpreis 2006, S. 53ff. 5 Z u m Kommissariat allgemein: R. Hoke: Art. „Kommissar", in: Erler, Adalbert/ Kaufmann, Ekkehard (Hg.): Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte. Bd. 2: Haustür-Lippe. Berlin 1978, Sp. 974-979. « Ortlieb 2001, S. 41 f. 1 Hierbei ging die Tätigkeit der Reichshofratskommissionen über die der Reichskammergerichtskommissionen hinaus: Ehrenpreis 2006, S. 53. « Ortlieb 2001, S. 36f. 9 Schmauss/Senckenberg 1967, [1747]), Bd. 2, S. 621. 10 Jahns 2001, S. 461. Zum antihabsburgischen Schrifttum des Hyppolythus a Lapide alias Bogislaw Philipp von Chemnitz siehe Wolfgang Burgdorf: Reichskonstitution und Nation. Verfassungsreformprojekte für das Heilige Römische Reich Deutscher Nation im politischen Schrifttum von 1648 bis 1806. Mainz 1998, S. 56ff. » Gschließer 1970 [1942], 55; Jahns 2001, S. 459. 12 Ebd. « Ebd., S. 463.

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11. Zwei Friedensagenturen - Reichshofrat und Nürnberger Exekutionstag beinhaltet, für die personelle Besetzung durchgängig die gleiche Anzahl von Protestanten und Katholiken zu fordern. Zu diesem Ziel wäre eine durchgreifende Veränderung des Systems der Präsentation von Richterstellen notwendig gewesen. Nicht zuletzt hätte der Einfluss des katholischen Kaiserhauses Habsburg auf die Reichsgerichtsbarkeit stark eingeschränkt werden müssen. Kaiser Ferdinand III. hatte jedoch persönlich mit allem gehörigen Ernst klar gemacht, eine derartige Entmachtung unter keinen Umständen hinzunehmen. 14 Im Endeffekt hatte das Projekt der Reichsjustizreform durchaus protestantische Erfolge bewirkt. Dies galt insbesondere mit Blick auf das Reichskammergericht, dessen Assessoren als Urteiler nunmehr nach Prinzipien numerischer Parität der beiden anerkannten Religionen, Katholisch und Augsburgisch, präsentiert und eingesetzt wurden. Auch wenn durch das Recht des Kaisers zur Präsentation zweier eigener Kandidaten und seine alleinige Entscheidungsgewalt bei der Einsetzung des Kammerrichters noch ein leichtes katholisches Übergewicht beim Reichskammergericht erhalten blieb, 15 spiegelte sich hier doch weitgehend das Prinzip einer rechtlichen Gleichheit von Katholizismus und Protestantismus (aequalitas exacta mutuaque).16 Der Dualismus der Reichsgerichtsverfassung, die Konkurrenz eines reichsständischen und eines kaiserlichen Höchstgerichtes, blieb jedoch erhalten. Auch konnten die Protestanten keine durchgehende Parität beim Reichshofrat durchsetzen. An dem Grundsatz, dass der Reichshofrat quasi der ,Mund' des Kaisers 17 sei, wurde nicht gerüttelt. Zwar versprach der Kaiser eine Berücksichtigung von Personen Augsburgischer Konfession bei der Berufung von Reichshofräten, die ihm auch weiterhin allein zustehen sollte. Eine exakte Zahl wurde jedoch nie genannt. Zwar wurde für gerichtliche Streitigkeiten unter Parteien verschiedener Konfession sogar eine paritätische Zusammensetzung der Urteiler zugesagt. 18 Allein die geringe Anzahl von protestantischen Reichshofräten zu Wien, wo lediglich katholischer Gottesdienst erlaubt war, 19 sollte de facto ein stetiger Hinderungsgrund für die Bildung solcher paritätischer Urteilergremien sein. 20 Obwohl mit dem Westfälischen Frieden zugleich auch die lange von den Protestanten bestrittene Zuständigkeit des Reichshofrates in Religionssachen 21 anerkannt wurde, war eine gewisse Skepsis der protestantischen Reichsstände gegenüber seiner Tätigkeit kaum fehl am Platze. Dies zeigt etwa ein Rückblick Ebd., S. 462. Oschmann 1998a, Nr. 18, Art. 5,53. " Jahns 2001, S. 486f. 17 Ebd., S. 470. 18 Oschmann 1998a, Nr. 18, Art. 5, 56. 19 Gschließer 1970 [1942], S. 58. 20 Jahns 2001, S. 471; Gschließer 1970 [1942], S. 258. 21 Ebd., S. 57. Zu den allgemeinen rechtlichen Bedenken, die Reichsgerichte in Religionssachen urteilen zu lassen, siehe Hafke 1972, S. 48ff. 14

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auf dessen Entscheidungen in Religionsfragen, die in den Jahrzehnten zuvor ergangen waren.22 Immerhin belegt die Korrespondenz, die sich unmittelbar an den Westfälischen Frieden anschloss, dass protestantische Reichsfürsten den Reichshofrat zur Kontaktaufnahme mit dem Kaiser einsetzten. So schrieb ihn der Herzog von Braunschweig-Lüneburg an, um dem Kaiser seinen Glückwunsch zum Frieden auszusprechen und bat darum, ihm nichts ermangeln zu lassen, was ihm zustehe. Der Reichshofrat entschied am 22. Dezember 1648, ihm zu antworten, dass der Kaiser das, was der Frieden vorschreibe, konsequent auszuführen gedenke.23 Einen ähnlichen Glückwunsch an den Kaiser hatte der Reichshofrat bereits im November 1648 vom Herzog von Württemberg erhalten.24 Erst einige Tage zuvor war ein Bericht über die Unterzeichnung und Publikation der Verträge in der Wiener Hofburg eingegangen.25 Der Herzog von Württemberg versuchte, die ihm zu Gute kommenden Restitutionen zu beschleunigen und wies darauf hin, dass er in seinem Territorium ein Edikt publiziert hatte, in dem all diejenigen Personen oder Institutionen, die ihm etwas zu restituieren hatten, aufgefordert wurden, dem binnen acht Wochen nachzukommen. Ein besonderes Schreiben mit seinen Restitutionsforderungen hatte er an Erzherzog Ferdinand Karl von Tirol (Innsbruck) ausgehen lassen. Zudem bat er um Einsetzung einer Restitutionskommission mit dem protestantischen Markgrafen zu Brandenburg-Kulmbach und dem Katholiken Hugo Graf zu Königsegg.26 Der Reichshofrat entschied in seiner Sitzung vom 19. November 1648, die Angelegenheit dem Kaiser weiterzuleiten. Zugleich nahm er die Gelegenheit wahr, dem Kaiser ebenfalls zum Westfälischen Frieden Glück zu wünschen27 und ihm zu versichern, die in ihm enthaltenen Bestimmungen einhalten zu wollen. Damit reagierte er unmittelbar auf einen entsprechenden Befehl, der ihm zusammen mit einem Abdruck des kaiserlich-französischen Vertrages zugeleitet worden war.28 Zum Edikt des Herzogs wurde bemerkt, dass dieses aufgrund des kaiserlichen Generaledikts gegenstandslos sei. Das Schreiben an den Erzherzog von Tirol hätte dagegen aus der kaiserlichen Reichshofratskanzlei ergehen sollen, da die Restitution allein dem Kaiser gebühre. Grundsätzlich äußerte der Reichshofrat keine Bedenken gegen die vom Herzog von Württemberg vorgeschlagenen Kommissare. Ergänzend wies er jedoch darauf hin, dass im FrieSiehe etwa Gschließer 1970 [1942], S. 52ff. HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 141, fol. 272f. 24 HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 141, fol. 226ff. 25 Der Gesandtenbericht wurde am 5. Novemberg erörtert. HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 141, fol. 220. 26 HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 141, fol. 226. 27 „[...] damit sie diesen lange zeit und jähr ruhig genießen mögen". HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 141, fol. 227. 28 HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 141, fol. 226. 22

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11. Zwei Friedensagenturen - Reichshofrat und Nürnberger Exekutionstag densschluss vorgesehen war, den Kaiser selbst einen Kommissar ernennen zu lassen, wenn bei den Restitutionen nur von einer der betroffenen Parteien Vorschläge gemacht werden würden. 29 Dabei sei numerische Parität einzuhalten. Da der Graf von Königsegg zwar katholisch sei, sich gegenüber dem Markgrafen jedoch als zu „schwach" 30 erweisen könne, empfahl der Reichshofrat dem Kaiser, an seiner Statt den Bischof von Bamberg einzusetzen. Allein aus diesem Beschlussprotokoll werden wichtige reichshofrätliche Prinzipien bei der Behandlung der Restitutionsfrage benannt: die grundsätzliche Anerkennung einer paritätischen Struktur der Kommissionen und, getreu allgemeiner Prinzipien der Kommissionsbildung, 31 eine ausgewogene Verteilung an Macht. Darüber hinaus wurde deutlich, dass man die herausragende kaiserliche Stellung innerhalb der Vorgänge zu sichern und zu vermitteln suchte. Die Vermeidung von Selbsthilfe durch die Parteien, statt dessen ein geregeltes Prozedere, gewährt durch das gemeinschaftliche Agieren katholischer und protestantischer Reichsfürsten auf der Basis kaiserlicher Autorität war ein wesentliches Ziel. Für sich selbst behielt sich der Reichshofrat die Ingangsetzung, die Überwachung und die rechtliche Beratung der Kommissionen vor, die er auf der Grundlage seiner Auslegung der westfälischen Friedensverträge durchführen wollte. Die Selbstbindung an die Friedensregelungen wurde durchaus auch gegenüber katholischen Parteien im Reich entschlossen zum Ausdruck gebracht. Der Protest der Kartäuser zu Christgarten (Diözese Augsburg) gegen den Westfälischen Frieden wurde vom Reichshofrat am 19. November abgeschmettert. Dem Prokurator des Klosters wurde bedeutet, dass Einreden dagegen nicht möglich seien und er sich danach zu richten wisse. 32 Auch auf die bekundete Enttäuschung der Augsburger Katholiken und ihre Beschwerde über die kaiserlichen Kongressabgeordneten, ihren Begehren zu wenig Gehör geschenkt zu haben, reagierte der Reichshofrat am 20. November mit der lapidaren Bemerkung, dass die Sache nunmehr abgehandelt und damit rechtskräftig sei.33 Aus den seit dem 5. November 1648 unter einer eigenen Rubrik ,Friedensschluß im Reich' 34 geführten Sitzungsprotokollen des Reichshofrats zu den Durchführungsbestimmungen des Westfälischen Friedens scheint somit hoher Respekt durch. Dies ergab sich bereits aus der Tatsache, dass es sich bei den Friedensverträgen um kaiserliche Verträge handelte. Die Reichshofratszugehörigkeit einiger am Zustandekommen des Westfälischen Friedens beteiligter Personen mag dazu beigetragen haben, das Ansehen der Ergebnisse des

Oschmann 1998a, Nr. 18, Art. 16,4. so HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum 31 Ortlieb 2001, S. 41f. 32 HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum 33 HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum 34 HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum 29

resolutarum XVII, Nr. 141, fol. 228. resolutarum XVII, Nr. 141, fol. 229. resolutarum XVII, Nr. 141, fol. 230. resolutarum XVII, Nr. 141, fol. 220.

11. Zwei Friedensagenturen - Reichshofrat und Nürnberger Exekutionstag Kongresses noch zu erhöhen. Unter den Reichshofräten befanden sich die ehemaligen Abgeordneten Johann Maximilian Freiherr von Lamberg 35 und Ferdinand Ernst Graf von Waldstein. 36 Ebenso gehörte Johann Friedrich Graf Trauttmansdorff als Sohn eines der entscheidenden Architekten der Verträge, Maximilian von Trauttmansdorff, dazu. 37 Außerdem konnten sich immerhin, allerdings erst seit Ende 1648, zwei Angehörige des Augsburger Bekenntnisses zu den Reichshofräten zählen: Johann Joachim von Sinzendorf und Wilhelm Bidenbach von Treuenfels. 38 Im April 1649 wurde dann Joachim Friedrich Freiherr von Blumenthal als weiterer Protestant eingeführt. Dieser sollte allerdings seine Funktion zu Wien niemals ausüben, da er kaiserliche Missionen, u.a. auf dem Nürnberger Exekutionstag, auszuführen hatte. 39 Überhaupt trat der Reichshofrat keineswegs regelmäßig geschlossen zusammen. Vielmehr waren es zumeist rund zehn Personen, deren Namen in den Protokollen der Sitzungen verzeichnet wurden, die etwa vier Mal in der Woche abgehalten wurden. 40 Eine katholische Mehrheit war bei der bestehenden Personalstruktur allerdings gesichert. Die bereits kurz nach dem Friedensschluss betriebene Restitutionstätigkeit des Reichshofrats erforderte nicht nur einen intensiven Kontakt mit dem Kaiser und seinem Geheimen Rat, sondern auch eine Abstimmung mit den Gesandten zu Münster und Osnabrück. Vor allem ging es darum, die dort anwesenden Deputierten des Kaisers über Gesuche aus dem Reich zu informieren, die an ihn herangetragen wurden. Unter Umständen wurden die Deputierten aufgefordert, diese Fälle in ihren Verhandlungen mit den schwedischen und protestantischen Gesandten zu erörtern. Nachdem der brandenburgische Kurfürst Friedrich Wilhelm seine Ausführungen an den Reichshofrat übersandt hatte, warum er das Normaljahr 1624 für die jülich-klevischen Länder ablehnte, wurde den kaiserlichen Gesandten zu Münster dieser Text zugeleitet, um sie zu einer Auseinandersetzung mit den Vertretern der protestantischen Stände darüber zu veranlassen. 41 In der gleichen Sache war kurz zuvor, am 10. Januar 1649, ein Schreiben des Kurfürsten von Köln an den Reichshofrat ergangen, in dem dieser gebeten wurde, den münsterischen Gesandten die Normaljahrsrestitution in den jülich-klevischen Ländern strikt anzubefehlen. 42 Dies hätte jedoch wenig Sinn gemacht, da sich allenfalls die 35 Hierzu Gschließer 1970 [1942], 239. 36 Ebd., S. 256. 37 Ebd., S. 252f. 38 Ebd., S. 258ff. 3« Ebd., S. 260f. 40 Zum Turnus der Ratssitzungen des Reichshofrates siehe ebd., 78f. 41 Siehe den Beschluß vom 16. Januar 1649: HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 143, fol. 33f. 42 HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 143, fol. 17 (Prot. v. 14. Januar 1649). Der Kurfürst von Köln Schloß sich der pfalzneuburgischen Petition um die Restitution an, und bat darum, den Befehl auszuteilen, „ihme Herrn Pfanzgraffen zu würkhlichem genuß des fridenschluß handtzuhaben."

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kaiserlichen Gesandten einem solchen Befehl gebeugt hätten, nicht aber die schwedischen, französischen und protestantischen Deputierten. Diese sahen ihre Aufgabe darin, eigene Vorstellungen in das Restitutionswerk einzubringen. In der noch währenden Konferenz stand der kaiserlichen Autorität somit diejenige seiner Vertragspartner nach wie vor direkt gegenüber. Katholische und protestantische Stände versuchten aus dieser Situation jeweils das Beste für sich zu machen. Die gleichen Bedingungen galten für den im Mai 1649 installierten Nürnberger Exekutionstag, der eine zweite Restitutionsagentur neben dem Reichshofrat bilden sollte. Hierbei handelte es sich ebenso wie beim Westfälischen Friedenskongress um eine Konferenz, auf der besondere Autoritätsstrukturen wirksam wurden: Sie besaß als Übergangsinstitution eine eigene Autorität,43 die auf der eingebrachten Autorität der teilnehmenden Mächte, aber auch auf ihrer Funktion als Friedenskonferenz beruhte. Die ehemaligen Kriegsmächte, der Kaiser und die Königreiche Schweden und Frankreich, waren repräsentiert. Darüber hinaus war de facto eine Reichsversammlung entstanden, da sich zahlreiche Reichsstände, Kurfürsten, Fürsten und Reichsstädte die Gelegenheit, an der Gestaltung des Friedens mitzuwirken, nicht nehmen ließen.44 Anfänglich zögerte man auf kaiserlicher Seite, der Versammlung zu Nürnberg eine vollständige Legitimation zuzugestehen. Die dringende Notwendigkeit einer Demobilmachung der Truppen, Hauptzweck der Zusammenkunft, zwang jedoch hier zum Einlenken. Zur Abwicklung der Restitutionen wurde in Nürnberg eigens eine paritätische Deputation gebildet, die die einzelnen Fälle erörterte und die Autorität der Konferenz auf kommissarische Exekutivorgane übertrug. In dieser Restitutionsdeputation45 saßen zu Beginn seiner Tätigkeit acht Personen, namentlich Vertreter von Kurmainz, Kurbrandenburg, der Bistümer Bamberg und Konstanz, des Markgrafen von Brandenburg-Kulmbach, des Herzogs von Württemberg und der Reichsstädte Nürnberg und Uberlingen.46 Da diese Restitutionsdeputation eigene Kommissionen einsetzte,47 wurden noch im Oktober 1649 kaiserliche Einreden dagegen laut.48 Durch die Begründung der Restitutionsdeputierten, auf diese Weise am besten einen Zeitgewinn zu erreichen, ließen sich die kaiserlichen Gesandten allerdings beschwichtigen. Man glaube, dass sich die Restitutionen über die höhere Autorität des Kaisers bes-

Zur Autorität von Konferenzen und zum Begriff der Übergangsinstitution siehe Fuchs 2003, S. 311 u. S. 319. 44 Siehe den Überblick über die Teilnehmer bei Meiem 1736/37, Tl. 1, S. 50ff. 45 Die Mitglieder werden als „Deputati ad punctum Restitutionis" bezeichnet, ebd., S. 453. Siehe ebenfalls die einführenden Bemerkungen ebd., S. VIII. 46 Ebd., S. 91. 47 Siehe auch Oschmann 1991, S. 311. « Meiern 1736/37, Tl. 1, S. 541f. 43

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sei befördern ließen.49 Wenn sie jedoch über die Deputation ebenfalls auf den Weg gebracht würden, wolle man sich nicht sperren.50 Dieses Einlenken hing wohl auch damit zusammen, dass auch die Hinzuziehung des Reichshofrates bei den Restitutionen nach dem Wortlaut der Friedensverträge keineswegs vorgeschrieben war. Vielmehr war lediglich als Möglichkeit in Aussicht gestellt worden, kaiserliche Kommissare dafür einzusetzen. Nach den ursprünglichen Vorstellungen sollten die kreisausschreibenden Fürsten und Kreisobristen, denen die Aufgabe zugeteilt worden war, jedes Restitutionsgesuch, das aus ihrem Kreis an sie gerichtet wurde, zu befördern,51 autonom handeln. Mit dieser Regelung hatten sich die Protestanten vorgestellt, die Restitutionen beschleunigen zu können. Es zeigte sich jedoch in vielen Fällen, dass die kreisausschreibenden Fürsten den Kontakt mit dem Reichshofrat oder der Nürnberger Restitutionsdeputation als übergeordneter Instanzen von sich aus suchten, um ihre Tätigkeit mit zusätzlicher Autorität auszustatten oder aber auch gegebenenfalls ihren Wunsch, das Amt abzulehnen, kundzutun.52 Am Wiener Hof hatte man sich letztlich notgedrungen damit abzufinden, dass die Nürnberger Restitutionsdeputierten zahlreiche Anweisungen an die kreisausschreibenden Fürsten ausgehen ließen und sich somit eine Konkurrenz mit dem Reichshofrat ergab. Darüber hinaus lässt sich für den Herbst 1649 nachweisen, dass sogar die schwäbische Kreisversammlung sich vorübergehend als eine Restitutionsagentur auf mittlerer Ebene betätigte.53 Im„Dahero auch wohl besser, wann majoris auctoritatis causa solche Commissiones von Ihro Kayserlichen Majestät angeordnet würden". Ebd., S. 542. Zu diesen Bedenken siehe ebenso Oschmann 1991, S. 265. 50 Meiern 1736/37, Tl. 1, S. 542. Zu den Vorhaltungen gegen die kaiserlichen Gesandten aus Wien, weil sie auf eine Beteiligung an den Restitutionsgesprächen verzichtet hatten, siehe Oschmann 1991, S. 306. 51 Siehe auch: Schmauss/Senckenberg (1967, [1747]), Bd. 2, hier S. 621. 52 Die Weigerung einiger kreisausschreibender Fürsten, die Kommission auf sich zu nehmen, wurde im Reichsgutachten vom 23. April 1649 als Grund für die Verzögerung der Restitutionen angegeben: Siehe Theatrum Europaeum (Bd. 6): Theatri Europaei Sechster und letzter Theil/ Das ist/ Außfuehrliche Beschreibving der Denckwuerdigsten Geschichten/ so sich hin und wieder durch Europam, als in Hoch- und NiederTeutschland/ Franckreich/ Hispanien/ Italien/ Groß-Britannien/ Dennemarck/ Schweden/ Polen/ Moscau/ Schlesien/ Boehmen/ Ober- und Nieder-Oesterreich/ Hungarn/ Siebenbuergen/ Wallachey/ Moldau/ Tuerckey und Barbarien/ so wohl im Weltlichen Regiment/ als Kriegs-Wesen. Bevorab bey denen zwischen mehremtheils kriegenden Partheyen nach Muenster und Osnabruock angesetzten/ biß auff das Jahr 1649. daselbst gepflogen/ auch geschlossen/ endlich aber durch Goettliche Verleyhung in des H. Reichs Statt Nuernberg Anno 1650. vollzogenen General Friedens-Tractaten/ vom Jahr Christi 1647. biß 1651. allerseits begeben und zugetragen. Frankfurt/M. 1663, S. 710-713, hier S. 713. Ebenso Meiem 1736/37, Tl. 1, S. 25-29, Her S. 28. 53 Die Deputierten diskutierten am 1. Dezember 1649 darüber: „Weil man die gewisse Nachrichtung, daß der Schwäbische Crays seithero sich zusammen gethan, die in solchem Crays noch ohnexequirte Gravamina selbst zu examiniren und darüber Gutachten zu ertheilen, massen darmit schon ein guter Anfang gemacht seyn solle, als wird derselben Relation zu erwarten seyn." Ebd., S. 651. Zur katholischen Mehrheit innerhalb 49

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merhin blieb dem Reichshofrat die Möglichkeit offen, die kaiserlichen Gesandten zu Nürnberg, die regelmäßig von den Mitgliedern der Restitutionsdeputation über ihre Gespräche informiert wurden,54 anzuweisen, indirekten Einfluss auf Entscheidungen zu nehmen. Zwei Reichshofräte, Georg Ludwig von Lindenspühr 55 und Joachim Friedrich Freiherr von Blumenthal waren neben weiteren kaiserlichen Abgeordneten wie Ottavio Piccolomini, Isaak Volmar56 und Johann Baptist Crane an den direkten Verhandlungen mit Schweden und Frankreich beteiligt. Mit der Bildung der Deputation waren die kaiserlichen Vertreter zu Nürnberg aus den unmittelbaren Restitutionsverhandlungen ausgeschlossen worden. Nicht der Kaiser, sondern die Reichsstände sollten hier über die Restitutionen entscheiden. Dies verlieh protestantischen Interessen noch einmal ein besonderes Gewicht, auch wenn zugestanden wurde, dass Fälle, mit denen sich die Reichshofratskommissionen bereits befassten, nicht vor die Deputation gezogen werden sollten.57 Die Protestanten hofften, den Nürnberger Exekutionstag für die von ihnen vehement geforderten schleunigen und umfassenden Restitutionen gezielt in Anspruch nehmen zu können. Für sie sollte er nicht zuletzt dazu dienen, eine paritätische Überwachung der Umsetzung der Friedensbeschlüsse herzustellen. Allerdings betrachteten sie das schwedische Engagement für die Restitutionen und deren ursprüngliche Forderung, an den Entscheidungen mitzuwirken,58 eher mit Zurückhaltung und Skepsis, da ihnen selbst an einer schnellen Demobilmachung viel gelegen war.59 Andererseits erhofften sie sich letztlich doch, von einer Parteinahme Schwedens für ihre Interessen, die bereits zu Münster und Osnabrück unter Beweis gestellt worden war, zu profitieren. Das Reich befand sich somit kurz nach dem Friedensschluss in einem Zustand, in dem es einerseits entscheidend auf die kaiserliche Autorität ankam, die laut Friedensverträgen für die Durchsetzung der Restitutionen in Anspruch genommen werden sollte. Andererseits kam es den Protestanten entgegen, dass ein drohendes katholisches Ubergewicht durch die Beteiligung der beiden externen Kriegsmächte, Frankreich und vor allem Schweden an den Nürnberger Verhandlungen, verhindert wurde. Die Erweiterung des Kreises der Autoritäten wurde genutzt, um die Stabilisierung der Pluralität der Religionen im Reich, die in den Westfälischen Friedensverhandlungen dieser Versammlung siehe James Allen Vann: The Swabian Kreis. Institutional Growth in the Holy Roman Empire, 1648-1715. Brüssel 1975, S. 100. 54 Die kaiserlichen Deputierten informierten ihrerseits regelmäßig den Wiener Hof über deren Verhandlungen. Siehe etwa die umfangreichen Berichte vom Jahr 1650 in: HHStA Wien, Reichskanzlei, Friedensakten 63a. ss Siehe auch Gschließer 1970 [1942], 246. 56 Volmar wurde im August 1649 von Münster nach Nürnberg beordert. Dort erhob Schweden zunächst Einspruch gegen seine Tätigkeit. Siehe Oschmann 1991, S. 262. 57 Meiern 1736/37, Tl. 1, S. 417. 58 Diese Forderung wurde jedoch bald aufgegeben. Siehe Oschmann 1991, S. 243. 59 Ebd., S. 241.

11. Zwei Friedensagenturen - Reichshofrat und Nürnberger Exekutionstag erfolgt war, abzusichern. Hatte man einerseits durch Normaljahr und weitere Beschlüsse des westfälischen Friedenskongresses entscheidende Durchbrüche bei der Paritätisierung der Reichsverfassung erzielt, galt es nun, die tatsächliche Durchführbarkeit in der Übergangsphase vom Krieg zum Frieden zu erproben. Dass man nicht nur den Kaiser, sondern auch eine Konferenz als Autoritätsgrundlage auswählte, deutet darauf hin, dass man sich vor allem auf protestantischer Seite der Vorteile, die eine solche Ubergangsinstitution bei der gegenseitigen Kontrolle bieten konnte, bewusst war. Der Verlagerung der Friedensexekution auf mehrere Schultern entsprach die paritätische Zusammensetzung der sowohl zu Nürnberg als auch zu Wien eingesetzten Kommissionen. Auch über die Struktur der Kommissionen sollte nämlich Pluralität innerhalb der für die Restitutionen notwendigen Autorität gewährleistet werden. Allerdings sollte sich schon bald zeigen, welche Schwierigkeiten sich bei den bikonfessionellen Kommissionen auftun konnten. Sie waren oft nicht in der Lage, Misstrauen zu zerstreuen, da man einerseits Ineffektivität, andererseits zu starke Parteinahme befürchtete. Beides zugleich zeigt sich etwa in einem Gesuch des Herzogs von Württemberg an den Reichshofrat, notfalls auf einen der beiden Kommissare zu verzichten. Der Herzog befürchtete konkret, dass der Bischof von Bamberg aus Gewissensgründen die ihm zustehenden Restitutionen verhindern könnte. Der Reichshofrat bestand aber auf dem bikonfessionellen System und gab den Fall mit einer entsprechenden Empfehlung an den Kaiser weiter. 60 Auch am Kaiserhof war man mittlerweile bereit, sich für das Prinzip der Parität stark zu machen.

HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 141, fol. 233. Entscheidung „per votum ad Caesarem" vom 24. November 1648.

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12. Der Reichshofrat und die ersten Restitutionskommissionen

12. Der Reichshofrat und die ersten Restitutionskommissionen 12.1 Ingangsetzung der Restitutionen Mit Restitutionsgesuchen war der Reichshofrat bereits vor dem Westfälischen Frieden konfrontiert worden. Am 12. Oktober 1648 hatte sich der Vorsteher der Bailei des Deutschen Ordens Alden Biesen über Eingriffe durch niederländische Soldaten beschwert und um Restitutionen gebeten, die er über kaiserliche Verhandlungen mit den Gesandten der Generalsstaaten auf dem Westfälischen Friedenskongress zu erreichen suchte.1 Auch waren Restitutionskommissionen offensichtlich schon vorher in Gang gesetzt worden. So befasste sich der Reichshofrat am 15. Oktober 1648 mit einer Beschwerde des Grafen Heinrich Friedrich von Hohenlohe. Dieser verdächtigte einige Delegierte der Kommission, die eingerichtet worden war, um die Herrschaft Langenburg abzuteilen, der Parteilichkeit. Gemeint waren offensichtlich nicht näher benannte subdelegierte Kommissare, die im Auftrag des Fürstbischofs von Würzburg und des Markgrafen von Brandenburg-Ansbach agierten. Der Reichshofrat entschied sich trotz der Einwände des Grafen für eine Beibehaltung der Kommission.2 Darüber hinaus erbat er vom Kaiser eine Anweisung und Auskunft, ob er künftig über alle derartigen Fälle referieren solle. Er erwartete zu Recht eine schleunige Zunahme solcher Anfragen. Allerdings lassen die Sitzungsprotokolle des Reichshofrats erkennen, dass Reichsangehörige, die um eine Restitution ansuchten (Restituendi) auch ohne den Reichshofrat agierten. Sie nahmen die ausschreibenden Fürsten und Obristen der Kreise oder auch der Nachbarkreise in die Pflicht, diejenigen Personen oder Stände, die ihnen etwas restituieren bzw. zurückzugeben hatten (Restituentes) dazu zu bringen, notfalls zu zwingen. Dieses Verfahren, das auf die Eigeninitiative der Stände im Reich setzte, ließ jedoch gerade bei Religionssachen viele Fragen offen. Zu diesen gehörte, wie sich eine paritätische Struktur herstellen ließ. Zwar boten einige Reichskreise3 insofern eine gute Voraussetzung dafür, als dort zwei kreisausschreibende Fürsten verschiedener Konfession ansprechbar waren, wie etwa im schwäbischen und fränkischen Reichskreis.4 Dies galt aber nicht für alle Kreise, und in einigen war

HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 141, fol. 196f. Es ging um den Flecken „Gennert" in der Meierei ,s Hertogenbosch, siehe HHStA Wien, MEA Friedensakten 47, Fasz. 1: Eingabe an die Nürnberger Restitutionsdeputation v. 14. Juni 1650. 2 HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 141, fol. 202. 3 Allgemein zu den Reichskreisen: Winfried Dotzauer. Die deutschen Reichskreise in der Verfassung des alten Reiches und ihr Eigenleben. 1500-1806. Darmstadt 1989, und Adolf Lauft: „Reichskreise", in: Erler, Adalbert/Kaufmann, Ekkehard (Hg.): Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte. Bd. 4: Pronotarius Apostolicus-Strafprozeßordnung. Berlin 1990, Sp. 681-687. 4 Diese Bikonfessionalität geht auf die kaiserliche Praxis des frühen 16. Jahrhunderts zurück, jeweils einen geistlichen und einen weltlichen Fürsten mit dem Amt zu beauf1

12.1 Ingangsetzung der Restitutionen sogar umstritten, wer das Amt des kreisausschreibenden Fürsten für sich beanspruchen konnte.5 Eine ausdrückliche Autorisierung solcher Kommissionen durch eine übergeordnete Instanz lag nicht nur in solchen Fällen nahe. Eine Inanspruchnahme der ausschreibenden Fürsten und Obristen der Nachbarkreise, die für bestimmte Sonderfälle vorgesehen war, 6 ließ sich ebenfalls kaum ohne Rückgriff auf höhere Autorität einleiten. Auch wenn die Reichshofratsprotokolle nicht in Vollständigkeit die Restitutionsvorgänge im Reich widerspiegeln, beleuchten sie doch in mannigfaltiger Weise, wie sich das Projekt der Neuordnung nach dem Großen Krieg gestaltete. Aus den Unterlagen wird eine Suche nach Autorität deutlich, die aus vielen unklaren Situationen im Reich erwuchs. Entsprechend der im Westfälischen Frieden und im kaiserlichen Exekutionsedikt aufgezeigten Möglichkeit, sich an kaiserliche Kommissare zu wenden, erging vom Oktober 1648 bis zum Ende des Jahres 1649 eine Reihe von Gesuchen an den Reichshofrat, um Kommissionen, die mit Religionsfragen zusammenhingen, einzurichten: Tab. 1: Beschlüsse zu Einrichtungen von Kommissionen durch den Reichshofrat 1648/1649 Antragsteller

Datum

Kommissare

Graf Friedrich Ludwig zu Löwenstein (kath.)

07.12.1648

Kurmainz; Landgraf zu HessenDarmstadt

Hieronymus Fridonicus (?)

17.12.1648

Kommentur Stadt Ulm

Rat zu Regensburg (prot.)

-

-

Reichsstadt Lindau (prot.)

14.01.1649

Bischof von Konstanz; Herzog von Württemberg

Prior und Konvent zu Frenswegen in Bentheim (kath.)

22.02.1649

Bischof zu Osnabrück; Graf zu Oldenburg

Jesuiten zu Paderborn wg. des Klosters Falkenhagen (kath.)

26.03.1649

Bischof v. Münster; Herzog von Braunschweig

Domdechant u. Domkapitel zu Straßburg (kath.)

26.03.1649

Kurfürst von Mainz und PfalzZweibrücken

zu Alschhausen;

tragen. Siehe Bernhard Sicken: Der Fränkische Reichskreis. Seine Ämter und Einrichtungen im 18. Jahrhundert. Würzburg 1970, S. 177f. 5 Dies traf nicht nur auf den rheinisch-westfälischen Reichskreis zu, wo der jülich-klevische Erbfolgestreit nachwirkte, sondern grundsätzlich auch auf den fränkischen Reichskreis, wo Präferenzstreitigkeiten zwischen den Häusern Brandenburg-Ansbach und Brandenburg-Kulmbach-Bayreuth das Wirken des Kreises jahrelang zum Erliegen brachten. Siehe Sicken 1970, S. 226. 6 Vorgesehen war dies in Fällen eines bestehenden eigenen Interesses dieser Fürsten oder ihrer Weigerung, die Aufgabe zu übernehmen. Siehe: Schmauss/Senckenberg 1967, [1747]), Bd. 2, S. 621.

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12. Der Reichshofrat und die ersten

Restitutionskommissionen

Antragsteller Ganerben des Hauses und der Herrschaft Rothenberg (prot.) Pfalz-Neuburg (kath.) wg. Jülich-Berg u. Kleve-MarkRavensberg Dompropstei Halberstadt (kath.) Protestantische Stände zu Münster wg. dem Markgrafen von Brandenburg-Ansbach (prot.) Pfalz-Veldenz (prot.) wg. Restitution gegen Kurtrier

Datum 15.04.1649

Kurmainz wg. Erfurt (kath.)

14.06.1649

Abt v. Corvey (kath.)

24.07.1649

Graf zu Nassau-Saarbrücken (prot.) Melchior Kammerlink, Pfarrer zu Mengede in der Grafschaft Mark (kath.)

02.09.1649

16.04.1649

Kommissare Bischof v. Würzburg; Mrkgr. zu Brandenburg-Kulmbach Kurköln; Herzog von Braunschweig

14.05.1649

Kursachsen; Bamberg

31.05.1649

Kurmainz/Hessen-Darmstadt

04.10.1649

Fürstbischof

von

Fürstbischof von Bamberg und Herzog von Württemberg Kurköln; Graf zu Leiningen oder Graf von Tecklenburg und Bentheim (Kommissare im Protokoll nicht genannt) (Kommissare im Protokoll nicht genannt)

Der Reichshofrat beschloss somit im Jahr des Friedensschlusses und im so wichtigen ersten Jahr danach, 14 Kommissionen zur Regelung von Konflikten einzusetzen, in die konfessionelle Belange hineinspielten oder gar den Hauptpunkt ausmachten. Ein Blick auf die Antragsteller zeigt, dass er keineswegs nur von Katholiken in Anspruch genommen wurde. Immerhin sechsmal war er von Protestanten um Hilfe bei der Auswahl oder schlichtweg um die Einsetzung und Autorisierung von Kommissaren gebeten worden. Dass ihn im April 1649 sogar die in Münster verbliebenen Vertreter der protestantischen Reichsstände zur Unterstützung des Markgrafen von Brandenburg-Ansbach kontaktierten,7 ist angesichts der politischen Skepsis, die in diesem Lager normalerweise vorherrschte, bemerkenswert. Es ging um mehrere unterfränkische Pfarreien und Orte, die laut Gesuch im Jahr 1624 in markgräflichem Besitz gewesen waren und nun vom Fürstbischof von Würzburg und dem Grafen von Schwarzenberg nicht zurückgegeben wurden.8 Etwas weniger erstaunlich ist wohl die Inanspruchnahme des kaiserlichen Organs durch die beiden Reichsstädte Regensburg9 und Lindau.10 Die Reichs-

7 Das eingegangene Gesuch war laut Praesentatum-Vermerk am 14. April beim Reichshofrat eingegangen: HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 143, fol. 205. 8 HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 143, fol. 205, eine Spezifikation der Ortschaften, u.a. den Markt Geiselwind, in: HHStA Wien, MEA Friedensakten 36. Siehe hierzu auch das folgende Kap 12c. 9 HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 141, fol. 279. Siehe auch Moser 1775, S. 588ff.

12.1 Ingangsetzung der Restitutionen

unmittelbarkeit allein könnte die Bereitschaft, den Kaiserhof zu kontaktieren, gefördert haben.11 Ob sich im Fall Lindau zusätzlich der Tatbestand ausgewirkt haben mag, dass sich im Jahr 1649 noch eine kaiserliche Garnison dort befand, mag dahingestellt bleiben. Daneben finden wir unter den Antragstellern immerhin auch den Grafen zu Nassau-Saarbrücken, der sich über die Vorenthaltung einiger Kirchengüter durch die Jesuiten zu Mainz beschwerte.12 Die Erbengemeinschaft (Ganerben) des Hauses und der Herrschaft Rothenberg bei Nürnberg kämpften dagegen um das Recht zur Ausübung der Confessici Augustana nach dem Normaljahr 1624.13 Die geforderten Restitutionen wurden von sämtlichen protestantischen Antragstellern mit der Normaljahrsregel des Westfälischen Friedens begründet. Dem Regensburger Rat,14 der sich darüber in der Auseinandersetzung mit dem Kurfürsten von Bayern befand,15 ging es insbesondere um die Wiederherstellung der Augsburgischen Konfession im Bürgerspital St. Catharina und die Bestallung evangelischer Spitalmeister.16 Die Reichsstadt Lindau verlangte eine komplette Wiedereinsetzung in den Stand von 1624 und insbesondere die Übergabe von vier Dörfern, die sie damals im Besitz gehabt hatte.17 Der Reichshofrat wurde somit auf die Verbindlichkeit des terminus a quo festgelegt und gebeten, Hilfe bei der Durchsetzung gegenüber katholischen Fürsten oder Institutionen zu leisten. Seine Entscheidungen in diesen fünf Fällen zeigen durchaus das Bestreben, dem ,Medium' des Friedens zum Durchbruch zu verhelfen. Zwar wurde der Befehl zur Einrichtung einer Kommission für die Restitution Regensburgs zunächst zurückgestellt. Dies hing jedoch damit zusammen, dass unter den 10 HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 143, fol. 17. Zum Antrag der Normaljahrsrestitution durch die Stadt Lindau siehe Moser 1775, S. 567f. 11 Andererseits war im Reichshofrat zur Zeit Rudolfs II. offensichtlich eine antistädtische Stimmung verbreitet. Siehe Ehrenpreis 2006, S. 244. 12 HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 145, fol. 161. 13 HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 143, fol. 139f. Die Antragsteller bezeichneten sich als Burggraf, Baumeister und sämtliche Ganerben des Hauses und der Herrschaft „Rottenburg". Zur Sache der Herrschaft Rothenberg vor dem Reichshofrat siehe auch Moser 1775, S. 440-447. 14 Die Stadt Regensburg begründete ihr Gesuch zunächst mit den beiden Punkten „Amnestiae et gravaminum". HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 141, fol. 279. Die genauere Begründung des Anspruchs mit dem Normaljahr und eine Präzisierung des Streitgegenstandes erfolgte später, am 15. Juni 1649. Siehe HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 143, fol. 275. 15 Neben geistlichen Einrichtungen hatte der bayerische Herzog hatte seinem Herzogshof Besitz im Stadtgebiet, siehe Jürgen Sydcrw: Die Konfessionen in Regensburg zwischen Reformation und Westfälischem Frieden (473-491), in: Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte 23 (1960), S. 473-490, hier S. 474. 16 HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 143, fol. 275. Zur positiven Bedeutung des Normaljahrs für die Protestanten in dieser Sache siehe Jürgen Nemitz: Bürgerrecht und Konfession. Zur Interpretation des Westfälischen Friedens in der Reichsstadt Regensburg im 18. Jahrhundert, in: Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte 55 (1992), S. 511-542, Wer S. 533. 17 HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 143, fol. 17 und 56.

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12. Der Reichshofrat und die ersten

Restitutionskommissionen

Räten Unklarheit darüber vorherrschte, ob dem bayerischen Kurfürsten das Recht zugesprochen werden sollte, einen eigenen Vorschlag für das Kommissariat einzureichen. Während ein Teil der Meinung war, dass dies nicht vonnöten sei, plädierte der andere Teil für eine Einbeziehung des Herzogs: Die Reichsstadt habe selbst die Bitte formuliert, ihm die Möglichkeit zur Benennung eines Kandidaten einzuräumen. Da diese Bitte kaum grundlos geäußert worden sei, solle man ihr besser nachkommen. 18 Eine Restitutionskommission in der Regensburger Sache kam dann später zustande, wobei allerdings unklar bleibt, von wem diese eingesetzt worden war.19 In den anderen Fällen installierte der Reichshofrat die Kommissionen direkt, wobei er den an ihn herangetragenen Vorschlägen entsprach. Mehr noch: Um die Restitution des Markgrafen von Brandenburg-Ansbach zu befördern, wurde die kursächsisch-bambergische Kommission ermahnt, nach verschärftem Modus (modus arctior exequendi) vorzugehen. Zudem wurde einer seiner Gegner, der Graf von Schwarzenberg, aufgefordert, seinen Untergebenen aufzutragen, sich dem Friedensschluss gemäß zu verhalten. Insbesondere dessen Rat Dr. Sengl, der den Untertanen etlicher Dörfer befohlen hatte, nicht zu evangelischen Pfarrern zu gehen und sich einer Einsetzung katholischer Pfarrer nicht zu widersetzen, sollte dieser Bescheid erteilt werden.20 Auch gegen die Mainzer Jesuiten ließ der Reichhofrat eine Kommission ausschreiben. Diese weigerten sich, Graf Johann zu Nassau-Saarbrücken zwei Klöster zurückzugeben, die sich 1624 in dessen Besitz befunden hatten.21 Folgt man den Schilderungen des Grafen, hatten deren Aktionen freilich den Reichsfrieden in Frage gestellt: Sie hatten sich nämlich an die spanische Besatzung von Frankenthal gewandt und mit deren Hilfe die Untertanen gezwungen, die Martinirenten zu entrichten. Der Graf von Nassau-Saarbrücken stellte die Jesuiten recht geschickt als Friedensbrecher dar und zeigte damit deren Ungehorsam auch gegenüber dem kaiserlichen Exekutionsedikt an.22 Der Reichshofrat beschloss, den Kurfürsten von Mainz zu veranlassen, den Jesuiten solche Aktivitäten streng zu verbieten.23 Wie sich recht schnell zeigte, scheute sich der Reichshofrat nicht, gegenüber Katholiken ebenfalls klarzustellen, dass er die Friedensbeschlüsse und insbesondere die Normaljahrsregel als Richtschnur für seine Entscheidungen ansah. Dies brachten auch die Jesuiten zu Paderborn, die die Hälfte des Klosters HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 141, fol. 279. Siehe HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 143, fol. 275 (Protokoll vom 22. 6.1649). 20 HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 143, fol. 205. Siehe auch Rudolf Herold: Zur Geschichte der Schwarzenberger Pfarreien (II), in: Zeitschrift für bayerische Kirchengeschichte 7 (1901), S. 97-125, S. 123. 21 Es handelte sich um die Klöster Rosental und Klarenthal: HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 145, fol. 161. 22 HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 145, fol. 161. 23 HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVH, Nr. 145, fol. 161. 18

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12.1 Ingangsetzung der Restitutionen

Falkenhagen in der Grafschaft Lippe für sich reklamierten, in Erfahrung.24 Zu Wien entschied man sich zunächst gegen die Jesuiten, da sie in einem zuvor eingegangenen Schreiben eingeräumt hatten, 1624 nicht in dessen Besitz gewesen zu sein: Sie sollten daher den Friedensschluss akzeptieren. Erst nach Vorlage weiterer Beweise25 wurde die Kommission eingerichtet. Die Reichshofräte befanden es dabei für notwendig, die beiden fürstlichen Kommissare ausdrücklich auf die Anwendung der Friedensbestimmungen zu verpflichten.26 Der Reichshofrat setzte eine Reihe von Kommissionen ein, um Restitutionsansprüchen von katholischer Seite Genüge zu leisten. Nachdem der Abt von Corvey berichtet hatte, dass seine evangelischen Untertanen den katholischen Untertanen zu Höxter die Parität und Besitztümer in Kirchen, Ratsstellen und Amtern, die ihnen nach dem Normaljahr zustünden, absprechen würden,27 bewilligte man zu Wien die vorgeschlagene Kommission. Die Leitung sollte dem Kurfürsten von Köln und einem evangelischen Vertreter zufallen, wobei allerdings noch offen blieb, ob der Graf zu Leiningen als gräflich-lippischer Vormund oder Graf Moritz zu Tecklenburg und Bentheim dafür in Frage kam.28 Die Normaljahrsregel wurde vom Reichshofrat also als eine umfassende und allgemeingültige Ordnungsrichtlinie betrachtet und als solche zur Steuerung von Konflikten eingebracht. Sie bot dabei eine gewisse Chance, kaiserliche Autorität unabhängig von konfessionellen Präferenzen zu vermitteln, wobei sich nicht nur in den Beschwerden des Abtes zu Höxter zeigt, dass das Prinzip der Parität nun auch von katholischer Seite konsequent eingefordert wurde. Dies schuf wiederum für den Reichshofrat als Gremium selbst ebenfalls Gelegenheit, sich als unparteiisch darzustellen. Dabei konnten die Räte zu Wien an ihre generelle reichsgerichtliche Funktion zur Herstellung und Beförderung des Friedens anknüpfen. Zumindest direkt nach den Einigungen in Münster und Osnabrück scheinen sie diese Gelegenheit erkannt und in einem gewissen Umfang genutzt zu haben. Aber es lassen sich auch Konflikte anführen, bei denen der Reichshofrat zögerte, in dieser Art und Weise tätig zu werden. Hierbei handelt es sich um Religionsfragen in zwei besonders bedeutenden Fällen. Offen war nach wie vor die Konfessionsfrage im Fürstbistum Osnabrück, weil sich die Ermittlung der Konfession der Untertanen im Normaljahr als schwierig herausgestellt hatte.29 Nachdem die Sache auf dem Nürnberger Exekutionstag weiter verHHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 143, fol. 29. Zu Falkenhagen siehe auch Moser 1775, S. 514-518. Zu Falkenhagen siehe auch die Überlieferung in HHStA Wien, MEA Friedensakten 38. 2 5 HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 143, fol. 112f. 26 HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 143, fol. 126. 27 Zu diesem Fall siehe auch Moser 1776, S. 7ff. 28 HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 143, fol. 346. 29 Siehe Kap. 9a. 24

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12. Der Reichshofrat und die ersten

Restitutionskommissionen

handelt wurde, verwies der Reichshofrat auf die dortigen Gespräche, entschied sich aber zugleich, eine vorläufige Restitution bis zur endgültigen Entscheidung anzuordnen.30 Auch im anderen Fall hatten sich schon während der westfälischen Friedensverhandlungen Komplikationen aufgetan: Die Normaljahrsregel drohte in Pfalz-Sulzbach zahlreiche katholische Untertanen ihrer Religionsrechte zu berauben. Wolfgang Wilhelm, der die Landesherrschaft beanspruchende Herzog von Pfalz-Neuburg, bat den Reichshofrat darum, auf keinen Fall eine Normaljahrskommission einzusetzen, bevor er nicht selbst darüber seine Stellungnahme abgegeben hatte.31 In der Tat entschieden die Räte zu Wien mehrfach, sich abwartend in der Sache zu verhalten.32 Am 15. April 1649 plädierten sie sogar dafür, allgemein zwei Konfessionen in den Ämtern Weiden und Parkstein zuzulassen.33 Am 30. April verurteilte der Reichshofrat dann einhellig Gewaltmaßnahmen der sulzbachischen Regierung unter Pfalzgraf Christian August gegenüber den katholischen Untertanen und bezeichnete diese als Verstöße gegen den Westfälischen Frieden.34 Die seit dem Februar 1649 von einer offensichtlich vom Reichshofrat unabhängigen kaiserlichen Kommission bereits begonnenen Restitutionen blieben damit zunächst stecken.35 Bei der Erörterung eines Falles, bei dem es um die Erlaubnis für einen Pfarrer in Sulzbach ging, Messen zu lesen, war die Meinung der Räte wiederum gespalten. Ein Teil sprach sich für eine Gewährung dieses Rechtes im privaten Rahmen aus. Der andere Teil war lediglich bereit, das Aufenthaltsrecht zu genehmigen. Letztlich wurde der Geheime Rat dazu befragt, welcher dem Reichshofrat auftrug, überhaupt keine Aussagen zum privaten Religionsausübungsrecht zu machen. Die Protestanten würden diesen Fall zum Anlass nehmen, um dieses Recht für alle Gebiete des Reiches, auch für die kaiserlichen Länder, einzufordern.36 Hier zeigen sich direkt die Auswirkungen der Tatsache, dass sich Regelungen innerhalb der westfälischen Friedensverträge widersprachen, war doch einerseits das Recht zur Ausübung beider Religio-

HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 145, fol. 225 (Entscheidung vom 11. Oktober 1649). 31 HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 143, fol. 11. 32 HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 143, fol. 11: „Ad acta" (Protokoll vom 11. Januar 1649). Ebenso wurde eine Entscheidung, ob die Normaljahrsregel umgesetzt werden sollte, auf späteren Sitzungen verschoben: „Differatur" hieß es etwa am 12. April 1649: HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 143, fol. 130ff. Siehe zu diesem Fall auch Moser 1776, S. 79ff. 33 HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 143, fol. 140. Siehe auch die Eingaben an die Nürnberger Deputation: HHStA Wien, MEA Friedensakten 34, Fasz. 14. 34 HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 143, fol. 178. Siehe auch Moser 1773, S. 616f. 35 Wappmann 1995, S. 33. Siehe auch Kap. 9.6. 36 HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 143, fol. 179. 30

12.1 Ingangsetzung der Restitutionen

nen im privaten Rahmen zugestanden,37 andererseits der Auswanderungszwang38 festschrieben worden.39 In einem weiteren bereits erwähnten politischen Streitfall schien wiederum weniger die Autorität des Kaisers und des Westfälischen Friedens als vielmehr Fingerspitzengefühl gefragt zu sein.40 Wie bereits mehrfach erörtert, focht einer der mächtigsten protestantischen Reichsfürsten, der Kurfürst von Brandenburg, vehement die Gültigkeit des Normaljahrs 1624 für die jülichklevischen Länder, deren Besitz seit Jahrzehnten umstritten war, an. Zwar war die Administration über die mischkonfessionellen Territorien über interne Verträge mit dem rivalisierenden Herrschaftshaus Pfalz-Neuburg geregelt worden. Dem Kurfürstentum Brandenburg war die Regierung über das Herzogtum Kleve sowie die Grafschaften Mark41 und Ravensberg und dem Herzog von Pfalz-Neuburg die Regierung über die Herzogtümer Jülich und Berg zugefallen.42 Diese Verträge hatten jedoch nur vorläufige Gültigkeit, da beide Fürsten nicht bereit waren, einen endgültigen Verzicht auf die Landesherrschaft zu leisten. Uber die Religionsfrage machten diese nun jeweils erneut ihre Autoritätsansprüche über die gesamten Länder geltend. Pfalz-Neuburg brachte seine Autorität für die Rechte der katholischen Untertanen in KleveMark und Ravensberg, Kurbrandenburg für die der protestantischen Untertanen in Jülich-Berg ein.43 Herzog Wolfgang Wilhelm von Pfalz-Neuburg trug am 28. Dezember 1648 zum ersten Mal seine Bitte vor, eine Kommission einzusetzen, um der Normaljahrsregel in den jülichschen Ländern Geltung zu verschaffen.44 Er selbst schlug den Erzbischof zu Salzburg und Erzherzog Leopold Wilhelm von Österreich, Bischof zu Passau, einen Bruder des Kaisers, vor. Die Kommissare sollten sich „beständig" informieren, wie „es in anno 1624 daselbst gehalten worden" 45 war. Dem Schreiben des Herzogs war eine Kopie des Vergleichs beigelegt, den er 1647 mit dem brandenburgischen Kurfürsten getroffen hatte. Oschmann 1998a, Nr. 18, Art. V, 34. Ebd., Art. V, 36: Hier war die Rede von Emigranten, die von ihren Landesherren zum Auswandern gezwungen wurden. 39 Siehe hierzu auch bereits Kap. 9.5. 40 Sehr umfassend ist die Reichshofratstätigkeit in diesem Fall dokumentiert bei Moser 1776, S. 80ff. 41 Für Kleve und Mark wurde 1647 Johann Moritz von Nassau-Siegen als Statthalter eingesetzt. Siehe Karl Heinz Tekath: Johann Moritz von Nassau-Siegen - Herkunft, Laufbahn und Beziehungsgeflecht. Ein Überblick, in: Hantsche, Irmgard (Hg.): Johann Moritz von Nassau-Siegen (1604-1679) als Vermittler. Politik und Kultur am Niederrhein im 17. Jahrhundert. Münster etc. 2005, S. 29-42, hier S. 41. 42 Jaitner 1973. 43 Fuchs 2003. Zur ,autonomen' Konfessionalisierung im Territorium jetzt: Oliver Becher: Herrschaft und autonome Konfessionalisierung. Politik, Religion und Modernisierung in der frühneuzeitlichen Grafschaft Mark. Essen 2006. 44 HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 143, fol. 9f. (PräsentatumVermerk). 45 HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 143, fol. 10. 37

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12. Der Reichshofrat und die ersten Restitutionskommissionen

Beigefügt war zudem ein brandenburgisches Edikt vom 26. November 1648, das sich gegen die Katholiken in Kleve-Mark richtete. Der Reichshofrat entschied zunächst, den Kurfürsten aufzufordern, seinerseits Kommissare vorzuschlagen, um den Kaiser nicht dazu zu zwingen, diese selbst ex officio zu benennen.46 Nachdem dies nicht fruchtete, entschied er sich am 16. April 1649, eine Kommission einzurichten, die aus dem Kurfürsten von Köln und dem Herzog von Braunschweig bestand. Dem Beschluss wurde ein Aufruf Ferdinands III. an den Kurfürsten hinzugefügt, die kaiserliche Verpflichtung zu diesem Rechtsakt einzuräumen.47 Der Kaiser bat den Reichsfürsten quasi um Verständnis für seine Entscheidung. Zudem stellte er ihm frei, seine Einwände gegen das Normaljahr weiterhin vorzutragen und seine eigenen Kandidaten für die Kommission zu nenen. 48 Kurbrandenburg präsentierte sich in der jülich-klevischen Sache dagegen als Verfechter der Religionsfreiheit. Ein Gutachten des brandenburgischen Oberkämmerers Konrad Alexander Magnus von Burgsdorf bezog sich dabei auf die im Jahre 1609 von Kurbrandenburg und Pfalz-Neuburg festgeschriebenen Reversalen, die das Versprechen der beiden possidierenden Fürsten beinhaltet hatten, neben der römisch-katholischen Religion grundsätzlich „auch andere christliche Religion" zuzulassen.49 Damit war zum ersten Mal in einem Territorium des Reiches die Koexistenz von Untertanen mehrerer Konfessionen rechtlich garantiert worden.50 Über die Interpretation dieser Reversalen herrschte allerdings Uneinigkeit. Herzog Wolfgang Wilhelm von Pfalz-Neuburg hatte sie vor dem Westfälischen Frieden allenfalls als Grundlage für ein territoriales kirchliches Normaljahr 1609 betrachtet, während Kurbrandenburg nun versuchte, für die Untertanen eine ungehinderte Freistellung' der Religion für die in den Ländern lebenden lutherischen, reformierten und katholischen Untertanen durchzusetzen.51

HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutanim XVII, Nr. 143, fol. 11. HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 143, fol. 145. 4 8 Dem Fürsten stehe es frei, seine „exceptiones" dagegen vorzubringen und „die ihrige zuschicken". HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 143, fol. 145. 4 9 Hierzu Otto Hollweg: Kurbrandenburgische Kirchenpolitik am Niederrhein von 1672 bis 1683, in: Zeitschrift des Bergischen Geschichtsvereins 48 (1915), S. 1-104 u. Zeitschrift des Bergischen Geschichtsvereins 49 (1916), S. 1-94, siehe insbesondere Teil 1, S. 11. Zu den Reversalen ebenso Johannes Arndt: Die Ergebnisse der Friedensverträge von Osnabrück und Münster für die rheinischen Territorien, in: Ehrenpreis, Stefan (Hg.): Der Dreißigjährige Krieg im Herzogtum Berg und in seinen Nachbarregionen. Neustadt an der Aisch 2002, S. 299-327, hier S. 323; Jaitner 1973, S. 70 u. Lehmann, Max (Hg.): Preußen und die katholische Kirche seit 1640. Nach den Acten des Geheimen Staatsarchivs. Tl. 1: Von 1640 bis 1740. Osnabrück 1965 [1878], S. 30. 50 Jaitner 1973, S. 70. 51 Burgsdorf formulierte gegenüber dem Reichshofrat den Wunsch, dass „sowohl die Evangel, als Pabstl. den reversalen gemeß in allen diesen landen daß exercitium religionis frey und ungehindert zu treiben geduldet und waß orth die evangel, oder pabstl. lehre hiebevor nicht in brauch gewest, daselbst nunmehr zugelassen würde". HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 143, fol. 142. 46

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12.1 Ingangsetzung der Restitutionen

Um der Forderung Nachdruck zu verleihen, rhob Kurbrandenburg eine Drohung, die noch häufiger von beiden Seiten in Religionsstreitigkeiten ausgesprochen werden sollte. Pfalzgraf Wolfgang Wilhelm wurde ersucht, die Protestanten in den ihm zugesprochenen Ländern nicht zu unterdrücken und ihnen keine Schwierigkeiten bei der Ausübung ihres Glaubens zu bereiten. Denn so wie er sich gegenüber den dortigen Protestanten verhielte, wolle es der Kurfürst mit den Katholiken auf seinem Gebiet halten.52 Diese gegenüber kaiserlichen Vertretern offen vertretene Entschlossenheit zum Einsatz von Macht oder gar Gewalt verhieß für die Zukunft nichts Gutes. Angesichts des pfalz-neuburgischen Beharrens auf dem Normaljahr 162453 entwickelte sich hier ein Grundsatzkonflikt, bei dem die Autorität des Westfälischen Friedens auf dem Spiel stand. Auch der Reichshofrat bestand allerdings auf Ausnahmen von der Normaljahrsregel. Nach seiner Lesart der Friedensverträge waren die kaiserlichen Länder nicht davon betroffen. Zumeist wurde er mit konfessionellen Fragen aus diesem Bereich auch nicht konfrontiert. Allerdings zwangen ihn die herrschaftlichen Ansprüche des Markgrafen von Brandenburg-Kulmbach auf die Stadt Marktredwitz und umliegende Dörfer, die Normaljahrsfrage in den habsburgischen Ländern zu erörtern. Marktredwitz gehörte nämlich zur Stadt Eger, in der während des Dreißigjährigen Krieges bereits umfassende Maßnahmen des Hauses Habsburg zur Rekatholisierung der Bevölkerung durchgeführt worden waren. Nachdem der Markgraf von Brandenburg-Kulmbach einige katholische Pfarrer unter Berufung auf das Normaljahr 1624 aus den Dörfern ausgewiesen hatte, standen sich im Reichshofrat zunächst eine Partei der Befürworter dieser Aktion und eine ablehnende Partei gegenüber.54 Am 18. Mai 1649 wurde letztlich entschieden, dem Markgrafen zu schreiben, dass der Kaiser als König von Böhmen die Landeshoheit über Marktredwitz beanspruche und die Vertreibung der katholischen Geistlichen deshalb nicht mit dem Westfälischen Frieden zu vereinbaren sei.55 So lässt sich erkennen, dass die Politik des Reichshofrats in der Restitutionsfrage neben dem Normaljahrsprinzip immer auch das Prinzip der Wahrung spezifischer kaiserlicher Interessen berücksichtigte. Dieses Prinzip schloss dessen Interessen als Landesherr ein. Angesichts der gestiegenen Bedeutung der territorialen Macht für das Haus Habsburg seit der Thronbesteigung Ferdinands III. wurde dieses vom Reichshofrat offensichtlich mehrheitlich als ein vorrangiges Prinzip betrachtet. Bei allem Bemühen, dem Westfälischen

52

„[...] er wolte die evangelische nicht trucken noch ihnen wider die gebiir beschwerlich sein, dan wie er es dort mit ihnen machte, also würde es der Churfiirst mit den Päbstisch. daselben etwa machen." HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 143, fol. 143. 53 HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVH, Nr. 143, fol. 143. 54 HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 143, fol. 161ff. 55 HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 143, fol. 217f.

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12. Der Reichshofrat und die ersten Restitutionskommissionen

Frieden als Religionsfrieden Geltung zu verschaffen lässt sich somit hier eine Gewichtung festhalten, die in vielen Fällen keineswegs dazu beitragen konnte, das Vertrauen auf protestantischer Seite zu stärken. 12.2 Schutzmaßnahmen Noch ein weiteres Feld der Tätigkeit des Reichshofrats war ausschließlich katholischen Interessen dienlich. Er wurde nämlich nicht nur wegen der Einrichtung und Überwachung von Kommissionen in Anspruch genommen, sondern auch, um Klöstern und Stiftern im Reich Schutz zu gewähren.56 Auf indirektem Wege wurde dabei der Kaiser als höchster advocatus ecclesiae angerufen. Als Reichsgericht stand dem Reichshofrat in diesen Fällen die Erteilung von Mandaten zu, um drohende Gewalthandlungen zu verhindern oder bereits vollzogene zu unterbinden. Darüber hinaus baten einige Äbte, Äbtissinnen und Konvente allgemein um Hilfe (Manutenenz) oder um die Erteilung von Briefen, in dem Kaiser und Reichshofrat die Unterschutzstellung förmlich erklärten. Ein solcher Protektionsbrief (Protectorium) wurde z.B. dem Konvent zu Frenswegen erteilt.57 Den Konventualen zufolge hatte ihr Gegner, der Graf von Bentheim, als Reaktion darauf zunächst den Befehl erteilt, diesen Brief mitsamt dem Symbol eines kaiserlichen Adlers von der Klosterpforte zu entfernen.58 Am 24. Mai 1649 hätten dann gräfliche Untergebene das Schreiben tatsächlich abgerissen. Dass diese Briefe nicht ganz wirkungslos waren, und auch Reichsstände zum Nachdenken und Zögern veranlasste, die zur Gewalt entschlossen waren, zeigt sich etwa daran, dass es fünf Tage später, nach dem Protest der Konventualen, wieder an der Pforte angeheftet wurde. Allerdings fand am 18. Juni dann doch ein Überfall auf das Kloster statt, bei dem sämtliche Diener in Haft genommen wurden, wonach der Reichshofrat eine Kommission einsetzte.59 Im Frühjahr 1649 meldeten Äbtissin und Konvent des Alten Klosters im ehemaligen Erzstift Bremen 60 ihren Schutzbedarf an. Seit 600 Jahren und auch während des Jahres 162461 hätten sie die katholische Religion praktiziert, um nun, nach geschlossenem Frieden von schwedischen Kommissaren mit der Abschaffung des Gottesdienstes bedroht zu werden. Es betrübe sie zum höchsten, dass sie in Friedenszeiten mehr als bei aller vorhergegangenen

Zur längerfristigen Tradition dieser Politik siehe Ehrenpreis 2006, S. 125ff. Siehe die auf den 22. Februar datierte Reichshofratsentscheidung nach der Beschwerde durch das Kloster, wiedergegeben bei Moser 1775, S. 506-508. 5 8 HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 143, fol. 315ff. 5 9 HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 143, fol. 315ff. 6 0 Zu den Erörterungen der Probleme um das Erzstift Bremen auf dem Westfälischen Friedenskongreß siehe Lorenz 1969. 61 Zu den religiösen Verhältnissen im Kloster vor dem Restitutionsedikt siehe Victor Stork: Die Ausführung des Restitutions-Edicts von 1629 im Erzbistum Bremen. Hannover 1906 (Diss. Münster), S. 49f. 56 57

12.2 Schutzmaßnahmen

Unruhe in ihren Rechten beeinträchtigt würden.62 Diesen Bemerkungen, aus denen Empörung spricht, folgte eine Bitte um kaiserliche Protektion und um Erteilung eines Mandats (mandatum sine clausula). Auch in diesem Fall zog der Reichshofrat jedoch eine politische Lösung vor. Er ließ den kaiserlichen Gesandten zu Münster und Nürnberg auftragen, bei den schwedischen Deputierten Protest anzumelden. Man solle diese darauf hinweisen, dass es dem Frieden schade, ihm durch solcherlei Gewalthandlungen „ein Loch" zu machen.63 Trotz dieser scharfen Äußerimg ging es offensichtlich darum, mangels anderer ausreichender Einflussmöglichkeiten mit den Schweden ins Gespräch zu kommen. Das Problem der bremischen Klöster und Stifter und eine weitere drohende gravierende Außerkraftsetzung der Normaljahrsregel sollten noch über einen längeren Zeitraum akut bleiben. 64 Ebenso wandten sich die Kapuziner zu Speyer65 an den Reichshofrat. In diesem Fall versuchte er, durch Anschreiben an den Gegner, den Rat zu Speyer, Hilfe zu leisten.66 Das Gesuch der Jesuiten zu Siegen, über ein reichshofrätliches Mandat gegen den Grafen zu Nassau-Siegen wieder in den Besitz des Stiftes Keppel zu gelangen, schlug er jedoch ab.67 Es bleibt unklar, ob die Räte sich der Tatsache bewusst waren, dass die Jesuiten 1626 dort auf gewaltsame Weise eingezogen waren. Der Beschluss entspricht aber inhaltlich durchaus der normalerweise von ihnen befolgten Richtlinie, derartige Entscheidungen vom Kriterium des Normaljahres abhängig zu machen. Die Jesuiten zu Worms und die Kapuziner zu Lindau konnten den Reichshofrat immerhin dazu bewegen, Schreiben ausgehen zu lassen, in denen protestantische Obrigkeiten freundlich darum gebeten wurden, nicht auf der

HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 143, fol. 182 (Präsentatum-Vermerk vom 24. April 1649). 63 HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 143, fol. 182. 64 Hierzu Beate-Christine Fiedler: Die Verwaltung der Herzogtümer Bremen und Verden in der Schwedenzeit 1652-1712. Organisation und Wesen der Verwaltung. Stade 1987, S. 43-48. 65 HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 143, fol. 33 (Protokoll vom 26. Januar 1649). 66 Die Kapuziner zu Speyer wurden am 24. Dezember 1649 durch kurpfälzische Soldaten mit Gewalt aus der Agidienkirche vertrieben. Siehe Albrecht Emst: Die reformierte Kirche der Kurpfalz nach dem Dreißigjährigen Krieg (1649-1685). Stuttgart 1996, S. 80. In Begleitung dieser Soldaten sollen etwa zwölf mit Beilen bewaffnete Bauern gewesen sein. Siehe hierzu den Bericht der Kapuziner vom 4. Januar 1650, in HHStA Wien, MEA Friedensakten 43, Fasz. 19. Zu Speyer nach dem Krieg allgemein siehe Marc Forster: The Counterreformation in the Villages. Religion and Reform in the Bishopric of Speyer, 1560-1720. Ithaca. London 1992, S. 226f. Der Reichshofrat versuchte anschließend, einen Vergleich mit dem das Patronatsrecht beanspruchenden Pfalzgrafen, in die Wege zu leiten. Siehe HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 147, fol. 57ff. (Protokoll vom 4. Februar 1649). Siehe auch Moser 1775, S. 606ff. 67 HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 143, fol. 64f. (Protokoll vom 22. Februar 1649). 62

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12. Der Reichshofrat und die ersten Restitutionskommissionen

Normaljahrsregel zu bestehen. Einer dieser Briefe (intercessionales)68 erging vor dem Hintergrund bedeutender und komplizierter politischer Verhandlungen. Die Jesuiten versuchten nämlich, Vorteil daraus zu ziehen, dass Pfalzgraf Karl Ludwig, dessen über lange Jahre kaum für möglich gehaltene Einsetzung als Landesherr in die Kurpfalz kurz bevorstand, im Begriff war, sich mit dem Kaiser auf den Frieden zu verständigen.69 Sie wollten die Besitzübertragung des Klosters Frankenthal und weiterer geistlicher Güter in der Unterpfalz im Zuge dieser Gespräche erreichen.70 Der Reichshofrat erklärte die kaiserliche Bereitschaft, sich für diese Sache zu verwenden, machte aber den Jesuiten keine großen Hoffnungen, da zu vermuten war, dass Pfalzgraf Karl Ludwig, der den Friedenschluss zu diesem Zeitpunkt noch nicht förmlich akzeptiert hatte, kaum oder allenfalls unter für den Kaiser unannehmbaren Bedingungen dazu zu bewegen war.71 Das kaiserliche Förderungsschreiben (intercessionales) für die Kapuziner zu Lindau scheint dagegen eher auf der Annahme zu beruhen, dass ein gutes Verhältnis zwischen Kaiser und Stadt sowie auch zwischen katholischen Geistlichen und Stadtrat zu einer einvernehmlichen Außerkraftsetzung der Normaljahrsregel führen könne. Der Orden hatte 1629 mit Zustimmung der Stadtobrigkeit das Kloster auf einer Insel erbauen dürfen. Nun, nachdem die Kapuziner ihre Sorge geäußert hatten, dass der Rat der Reichsstadt sich durch den Westfälischen Frieden veranlasst sehen könnte, auf einem Abriss zu bestehen, erhoffte man, ein weiteres Entgegenkommen durch eine kaiserliche Erklärung, über ein Fortbestehen des Klosters erfreut zu sein, zu erreichen.72 Diese Zuversicht dürfte jedoch in den darauf folgenden Wochen und Monaten getrübt worden sein, denn es zeichneten sich konfessionelle Konflikte ab. Zur Textform der „intercessionales" siehe Zedier, Johann Heinrich: Grosses vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschaften und Künste. 64 Bde. und 4 Supplementbde. Halle/Leipzig 1732-1754, Bd. 14, Sp. 770. 69 Siehe zu den Verhandlungen Oschmann 1991, S. 268ff. 70 HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 143, fol. 20f. (Protokoll vom 15. Januar 1649). Die Jesuiten baten darum, dass ihnen der „Ottenberger Hof", das kleine und große Kloster Frankenthal samt Zugehörigkeiten und das vorlängst niedergerissene Kloster „Kirichsgartten", „welche sonsten dem fridensschluß gemeß zur underen pfalz restituirt werden müssen, gegen ihrer Kays. May. anderwerttigen dem Pfalzgraffen beschehende gnad und ergötzlichkeit möchten gelassen werden." HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 143, fol. 20. 71 Der Reichshofrat wollte nach eigenem Bekunden „den Patribus zu erhaltung der Catholischen religion daselbst, weil sie schon vor ao. 1624 in der Statt gewesen und von Ihro und vorigen Rom. Kaysem ihnen die manutenenz versprochen worden, dergleichen intercession gar wol vergunnen". Es sei jedoch zu erwarten, dass der Pfalzgraf diese Klöster nicht ohne „sichere recompens" überlassen würde, „oder aber dergegen Ihrer Kayserl. May. solche sachen zumuthen würde, welche Ihre Kayserl. May. nicht leichtlich einzugehen. HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 143, fol. 21. 72 Es ergingen „intercessionales mit inclusione in optima forma" an den Rat. HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 143, fol. 72 (Protokoll vom 26. Februar 1649). 68

12.2 Schutzmaßnahmen

Lucia Christina, die Äbtissin zu Lindau, meldete am 28. August 1649 ihren Schutzbedarf an, weil sie sich vom Rat bedroht fühlte.73 Sie bat den Reichshofrat um die Ernennung von Schutzpersonen (conservatores), um Übergriffe und Beeinträchtigungen zu verhindern. Vorgeschlagen wurden der Bischof von Konstanz, die katholischen Reichsgrafen in Schwaben und der regierende Landkommentur des Deutschen Ordens von Alschhausen.74 Der Reichshofrat versuchte zunächst zu beschwichtigen. Am 24. Dezember sah er sich jedoch veranlasst, den Rat zu Lindau zu ermahnen, die Äbtissin nicht weiter in ihren Rechten einzuschränken, nachdem diese erklärt hatte, dass der Rat seit geraumer Zeit keinem Geistlichen mehr den Zugang zum Kloster erlaubt hatte.75 Der Reichshofrat befahl zudem dem Lindauer Rat, über die Vorgänge zu berichten.76 Der Schutz der katholischen Kirchengüter war somit nach wie vor ein nicht unbedeutendes politisches Ziel für Kaiser und Reichshofrat. Daraus ergab sich zwangsläufig eine pro-katholische Gewichtung,77 die auf der anderen Seite keineswegs zu einer Blockade der von den Protestanten geforderten Restitutionen führte. An der hohen Autorität, die dem Westfälischen Frieden und den Normaljahrsbestimmungen zugemessen wurde, wurde auch angesichts des Verständnisses für solche Hilfegesuche und des unverkennbar besonderen Wohlwollens nicht gerüttelt. Allenfalls versuchte man, über das Prinzip der gütlichen Einigung zu einer Erhaltung von Klöstern zu kommen, denen das rechtliche Fundament dafür verloren gegangen war. Aus dieser traditionellen Schutzrolle von Kaiser und Reichshofrat ergab sich insgesamt zwar auch eine stärkere Inanspruchnahme seitens katholischer Institutionen und Personen. Aber, wie gezeigt, griffen Protesteinten ebenfalls in nicht unbedeutendem Umfang auf diese Institution, insbesondere in ihrer Eigenschaft als Kommissionsagentur zurück.

HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 145, fol. 216 (Protokoll vom 5. Oktober 1649). Sie gründete ebenfalls ihre Rechte maßgeblich auf das Normaljahr 1624, siehe HHStA Wien, MEA Friedensakten 43, Fasz. 12. 74 HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 145, fol. 216. 75 Bürgermeister und Rat hatten dieser Darstellung zufolge am Festtag Simon ludae ein Dekret erlassen, keinen Kapuziner oder lesuiten mehr in die Stadt zu lassen, wenn diese nicht vorher angeloben würden, das Stift nicht zu betreten und darin kein „exercitium" haben zu wollen. HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 145, fol. 338. 76 HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 145, fol. 338. Siehe auch Moser 569f. 77 Andererseits versuchte der Reichshofrat, auch gegenüber katholischen Obrigkeiten, auf eine Wahrung der Rechte der Klöster zu dringen. Dies geschah konkret zugunsten des Klosters Frauenalb gegenüber dem Markgrafen von Baden-Baden: HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 143, fol. 377f. (Protokoll vom 6. August 1649). Zu den Herrschaftsverhältnissen siehe Hans-Joachim Köhler: Obrigkeitliche Konfessionsänderung in Kondominaten. Eine Fallstudie über ihre Bedingungen und Methoden am Beispiel der baden-badischen Religionspolitik unter der Regierung Markgraf Wilhelms (1622-1677). Münster 1975, S. 119ff. 73

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12. Der Reichshofrat und die ersten Restitutionskommissionen

In einem Fall lässt sich geradezu ein konkurrierendes Verhalten von Katholiken und Protestanten bei der Inanspruchnahme kaiserlicher Autorität feststellen: In Augsburg stand Ferdinand III. als Kaiser bei den Protestanten wegen der für sie günstigen Friedensregelungen in hohem Ansehen, während die enttäuschten Katholiken über die häufigere Einschaltung des Reichshofrats nun versuchten, die anstehenden Veränderungen auszuhebeln. Nachdem der Reichshofrat recht schnell deutlich gemacht hatte, dass er die Einführung der Parität und die bevorstehenden Restitutionen als rechtmäßig betrachtete,78 versuchten die Katholiken beharrlich, eine Umstimmung zu erreichen. Hinweise auf eine noch nicht durch die Reichsstände vollends bestätigte Friedensordnung79 und das Argument, dass es den Augsburger Katholiken für alle Ewigkeit aus Gewissensgründen unmöglich sei, der Parität zuzustimmen, 80 sollten den Reichshofrat zu einem Überdenken seiner unnachgiebigen Haltung bringen. Ebenso äußerte man die Erwartung, dass die Katholiken in den anderen gemischtkonfessionellen Reichsstädten Kaufbeuren, Dinkelsbühl, Biberach und Ravensburg mit ihnen einer Meinung sein würden.81 Der katholische Rat zu Augsburg verheimlichte nicht einmal, dass er den Westfälischen Frieden als ein Unglück betrachtete. Er konnte am Ende des Jahres 1648 noch nicht recht glauben, dass der Vollzug der umfangreichen die Stadt betreffenden Bestimmungen unmittelbar bevorstand und schätzte die Haltung am Wiener Hof falsch ein. Er erhoffte sich sogar, dem Schicksal der Einführung der Parität dadurch zu entgehen, dass die Ratifikationen der Verträge seitens Frankreich und Schweden verweigert würden,82 und malte die Gefahr aus, dass die Katholiken das Heft bei einer überstürzten Exekution unwiederbringlich aus der Hand gaben.83 Die Augsburger Protestanten gehörten dagegen zu den ersten, die dem Kaiser durch den Reichshofrat ihre Glückwünsche für den Frieden übermitteln ließen.84 In freudiger Erwartung baten sie überdies darum, Vorsorge zu treffen, dass die in der Stadt stationierten Soldaten die anstehenden Restitutionen nicht behinderten.85 Der Reichshofrat bestätigte in der Sitzung vom Der Reichshofrat wisse bei einer bereits abgehandelten und ratifizierte Sache „nichts weiter zu erinnern". HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 145, fol. 230 (Protokoll vom 20. November 1648). 79 HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 141, fol. 232 (Protokoll vom 23. November 1648). 80 HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 141, fol. 232. 81 HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 141, fol. 232. 82 HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 141, fol. 269ff. (Protokoll vom 19. Dezember 1648). 8 3 Es würde den Katholiken unverantwortlich erscheinen, „in daß vor äugen stehende exterminum ihrer religion sich vor der zeit zu stürtzen und das hefft inreparabiliter auß den handen zu geben". HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 141, fol. 270. 84 HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 141, fol. 229 (Protokoll vom 19. November 1648). 85 HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVD, Nr. 141, fol. 229. 78

12.3 Überwachung der Restitutionen

24. Dezember 1648, nach einem ausführlichen Rechtsgutachten, geschlossen, dass die Forderungen des protestantischen Ausschusses zu Augsburg durch den Westfälischen Frieden gestützt wurden und bezeichnete die Verweigerungshaltung des katholischen Rates als unzulässig und sogar gefährlich.86 In der Folgezeit behandelte er die Eingaben der Augsburger Katholiken und die der Protestanten zumeist jeweils auf den gleichen Sitzungen. Dabei versuchte er durchaus, beiden Seiten gerecht zu werden, indem er, den Bedürfnissen der Protestanten entgegenkommend, die mit den Exekutionen betrauten Kommissare unterstützte, diese zuweilen aber auch anwies, die Friedensverträge genau zu beachten und die Rechte, die sich für katholische Geistliche wie etwa die Barfüßer-Kapuziner daraus ergaben, nicht zu übersehen.87 Zwar erhob sich, als am Ende des Jahres 1648 die Situation in der Stadt eskalierte, kurzzeitig eine Meinungsverschiedenheit unter den Räten zu Wien darüber, ob man die Augsburger Kommission unter dem Herzog von Württemberg und dem Bischof von Konstanz kurzzeitig unterbrechen sollte.88 Die Gegner dieses Vorschlags mahnten jedoch die Notwendigkeit zu einem schnellen Vollzug der Restitutionen an, um die kaiserliche und die eigene Glaubwürdigkeit nicht aufs Spiel zu setzen.89 Diese Haltung war durchaus prägend für die Art und Weise der reichshofrätlichen Betreuung der Augsburger Kommission und stellte einen nicht unerheblichen Grund für deren Erfolg dar, der sich in den ersten Monaten des Jahres 1649 herauskristallisieren sollte.90 12.3 Überwachung der Restitutionen Unter der Betreuung einer Kommission ist hier konkret zu verstehen, dass der Reichshofrat sich über Fortschritte wie Widerstände bei den Restitutionen informieren ließ und gegebenenfalls intervenierte. Die Sitzungsprotokolle überliefern zuweilen den Eingang solcher Berichte, wobei er unter Umständen direkt um Anweisung gebeten wurde, wie in einer schwierigen Lage weiter zu verfahren war. Dies geschah im Juli 1649, nachdem Graf Ernst Wilhelm zu Bentheim eine vom Reichshofrat ausgeschriebene Kommission zur Restitution des Klosters Frenswegen wieder „abgeschrieben"91 hatte. Der Graf war mit seinen eigenen Vorschlägen zur Zusammensetzung in Verzug geraten und forderte nun, dass 86

HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 141, fol. 277. HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 143, fol. 96 (Protokoll vom 12. März 1649). Beschluß: Die Kapuziner sollen gegen den Friedenschluß nicht graviert werden (includatur commissariis cum recommendatione). 88 HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 141, fol. 280f. (Protokoll vom 29. Dezember 1648). 89 Es ging diesen Räten nach eigenem Bekunden darum, dass „es nit daß ansehen bey dem andern theyllen gewinnen möchte, alß wann man hier selbsten ahn dem friedenschluß und ahn dessen effectuierung zweifflen wolle." HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 141, fol. 281. » Siehe Kap 10.2. 91 HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 143, fol. 315ff. (Protokoll vom 13. Juli 1649). 87

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12. Der Reichshofrat und die ersten Restitutionskommissionen man bis zu seiner Entscheidung warten solle. Der Reichshofrat reagierte darauf mit einem Befehlsschreiben an den Grafen, sich der bereits eingesetzten Kommission zu fügen und wies die Kommissare an, Zeugenvernehmungen durchzuführen, um zu erfahren, welche kirchlichen Zustände im Jahr 1624 geherrscht hatten. 92 Das Verhalten des Grafen von Bentheim und das Eingreifen des Reichshofrats lassen durchscheinen, dass es den vor Ort agierenden Kommissaren oftmals an Autorität mangelte. Zwar konnten diese auf die Autorität des Kaisers und jener Landesherren verweisen, die sie ins Feld geschickt hatten. Nominell waren nämlich der Graf von Oldenburg und der Bischof von Osnabrück mit der kaiserlichen Kommission für Frenswegen betraut worden. 93 Die reichsfürstlichen Kommissare pflegten jedoch bei den Restitutionen im allgemeinen versierte Juristen, die sich in ihren Diensten befanden, darunter nicht selten auch hohe Regierungsbeamte, als subdelegierte Kommissare einzusetzen. Diese subdelegierten Kommissare hatten, wie auch etwa deren Bedrohung im Fall Augsburg zeigt, 94 vielfach vor Ort einen schweren Stand. Immerhin scheint die Unterstützung, die der Reichshofrat ihnen bei ihrer schwierigen Aufgabe über Ermächtigungs- und Bestätigungsschreiben, Mandate etc. 95 zukommen ließ, nicht wirkungslos gewesen zu sein. Allerdings versuchte der Graf zu Bentheim in der Folgezeit, die Auflösung des Klosters Frenswegen weiterhin dadurch zu betreiben, indem er sich an die schwedischen Gesandten zu Nürnberg wandte. 96 Gerade die Existenz einer zweiten Kommissionsagentur auf dem Nürnberger Exekutionstag hielt die Frage nach den Restitutionen vielfach offen. Viele betroffene Reichsstände erhofften sich Verhandlungsergebnisse, die ihnen zugute kamen. Dem Reichshofrat blieb notgedrungen nichts anderes übrig, als zu akzeptieren, dass in vielen Fällen die Würfel noch nicht gefallen waren. Er bemühte sich vor diesem Hintergrund um eine Abstimmung mit den zu Nürnberg anwesenden kaiserlichen Deputierten. Zuweilen setzte er sich dafür ein, dass eine von ihm eingesetzte Kommission ihre Arbeit fortsetzte, obwohl in Nürnberg über die Sache verhandelt wurde, so auch im Fall Frenswegen. 97

HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 143, fol. 315ff. HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 143, fol. 65 (Protokoll vom 22. Februar 1649). 94 Siehe Kap. 10.2. 95 So berichtete Kurmainz am 22. Oktober 1649 vom Widerstand gegen die Restitutionskommission, bestehend aus Subdelegierten des Bischofs zu Bamberg und des Herzogs von Württemberg zu Erfurt. Zu Wien wurde, dem kurmainzischen Wunsch nachkommend, ein kaiserlicher ,Continuation- und Manutenenz-Befehl' ausgestellt. Siehe HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 145, fol. 252 (Protokoll vom 29. Oktober 1649). 96 HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 147, fol. 40f. (Protokoll vom 24. Januar 1650). 97 HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 145, fol. 290f. (Protokoll vom 29. November 1649). 92

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12.3 Überwachung der Restitutionen In anderen Fällen sprach er der einen oder anderen Partei provisorisch den umstrittenen Besitz bis zur Entscheidung in Nürnberg zu. 98 Die zu Wien gelegentlich eingehenden Berichte, in denen der Abschluss einer Restitution vermeldet wurde, kann man keineswegs in jedem Fall als Indiz für eine endgültige Konfliktlösung werten. Der Herzog von Braunschweig vermeldete im Oktober 1649 den Vollzug der Restitutionen, die ihm im Falle des Klosters Falkenhagen in der Grafschaft Lippe aufgetragen worden waren. 99 Es sollte sich jedoch herausstellen, dass die Jesuiten zu Paderborn nicht im Geringsten damit einverstanden waren, dass die Hälfte des Klosters dabei dem Grafen von der Lippe zugesprochen worden war. Es stellte sich überdies später, im April 1650, heraus, dass anstelle des vom Reichshofrat als Kommissar eingesetzten Kurfürsten von Köln der Administrator zu Magdeburg in dieser Eigenschaft fungiert hatte. 100 Dabei handelte es sich um August von SachsenWeißenfels, der evangelischen Glaubens war. Der Reichshofrat erörterte diesen Verstoß gegen das Paritätsprinzip und kam im Januar 1651 zum Schluss, dass die Restitution nichtig war.101 Zeigt dieser Fall exemplarisch die Grenzen des Reichshofrats bei der Aufgabe auf, die Fäden für das ganze Reich in der Hand zu behalten, so kann man jedoch hin und wieder auch Erfolge feststellen. Kämmerer und Rat zu Regensburg informierten den Wiener Hof im Juni 1649 zufrieden über die von ihnen verlangte Einsetzung eines evangelischen Spitalmeisters zu St. Catharina. 102 Pfalzgraf Leopold Ludwig von Veldenz bedankte sich im September gleichen Jahres für die durch den Kurfürsten von Mainz und den Landgrafen von Hessen-Darmstadt vollzogene Restitution geistlicher wie weltlicher Güter in der Grafschaft Veldenz. 103 Zuvor war bereits ein entsprechender kommissarischer Bericht, verfasst im Namen des Kurfürsten von Mainz, eingegangen. 104 Ebenfalls im September 1649 berichteten die die kreisausschreibenden Fürsten des fränkischen Kreises Bamberg und Brandenburg-Kulmbach, dass sie die Untertanen der beiden Reichsdörfer Gochsheim und Sennfeld, die Kaiser Ferdinand II. im Jahre 1635 dem Stift Würzburg zu Lehen gegeben hatte, in jene FreiheiSo etwa den Kapuzinern zu Speyer den Besitz ihres Klosters: Siehe HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 145, fol. 281 (Protokoll vom 16. November 1649). 99 HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 145, fol. 246 (Protokoll vom 21. Oktober 1649). 100 HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 147, fol. 145 (Protokoll vom 4. April 1650). 101 HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 145, fol. 246 (Protokoll vom 16. Januar 1651). 102 HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 143, fol. 275 (Protokoll vom 22. Juni 1649). Siehe zu dieser Sache auch: Recess zwischen Chur-Bayern und der Stadt Regensburg, deren restitution betreffend, in: Meiem 1736/37, Tl. 1, S. 120-126. ">3 HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 145, fol. 202 (Protokoll vom 27. September 1649). 104 HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 143, fol. 417f. (Protokoll vom 31. August 1649). 98

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12. Der Reichshofrat und die ersten Restitutionskommissionen ten und Rechte, die sie am 1. Januar 1624 innegehabt hatten, wiedereingesetzt hatten. 105 Andererseits war den kaiserlichen Räten im Mai 1649 von den schwedischen und den protestantischen Gesandten unmissverständlich zu Nürnberg zu verstehen gegeben worden, dass sie in den überwiegenden Fällen das Ausbleiben der im Westfälischen Frieden versprochenen Restitutionen bemängelten. 106 Der politische Druck wurde unvermindert aufrechterhalten, indem der Abzug der Truppen aus den Stellungen nach wie vor vom Vollzug der Restitutionen abhängig gemacht wurde. Allenfalls ein Bruchteil der Probleme schien gelöst.

105 HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 145, fol. 195 (Protokoll vom 22. September 1649). Zu den Verhandlungen siehe HHStA Wien, MEA Friedensakten 36, unfol. Der Text der Restitutionsurkunde befindet sich in den Akten zweier Reichskammergerichtsprozesse. Siehe BayHStA München, RKG G 169 rot, Quadrangel 3, und RKG G 178 rot, Quadrangel 12. Siehe ebenfalls Moser 1775, S. 448. Zum 1635 eingetretenen Verlust der evangelischen Religionsfreiheit in Sennfeld unter dem Fürstbischof von Würzburg siehe Neuhaus 2002, S. 361. 106 HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 143, fol. 221f. (Protokoll vom 20. Mail649).

13.1 Listenspiele

13. Die Restitutionsfrage auf dem Nürnberger Exekutionstag 13.1 Listenspiele Während der Reichshofrat unmittelbar nach dem Westfälischen Frieden damit begonnen hatte, die Restitutionen zu organisieren, waren sich die meisten der zu Nürnberg versammelten Gesandten zu Beginn ihrer Tätigkeit noch nicht im Klaren darüber, ob die Restitutionen überhaupt Gegenstand des Exekutionstages sein sollten. Im Vordergrund stand die Regelung des Abzugs von Truppen. Die Verhandlungen mit Frankreich waren in diesem Zusammenhang von Fragen nach Sicherheitsgarantien geprägt. Obenan stand das Problem der von spanischen Soldaten besetzten Festung Frankenthal in der Unterpfalz.1 Da Spanien aus den Westfälischen Friedensverträgen ausgeschlossen worden war, zeigte man sich auf dieser Seite wenig geneigt, die Festung zu räumen. Die französischen Gesandten versuchten, den Kaiser dazu zu bewegen, bei seinen ehemaligen Kriegsverbündeten auf einen Sinneswandel hinzuwirken.2 In den Verhandlungen mit Schweden stand dagegen zunächst hauptsächlich die Frage im Raum, wie die riesige Geldsumme, die als Entschädigung für die schwedische Kriegsteilnahme eingefordert wurde, aufzubringen und zu übergeben war. Darüber hinaus ging es darum, einen Modus für die Abdankung der Truppen festzulegen, der allen Seiten gewisse Kontrollmöglichkeiten bot.3 Pfalzgraf Karl Gustav, der Generalissimus der schwedischen Truppen, unterbreitete zu diesem Zweck am 12. Mai 1649 eine Liste, auf denen die von kaiserlichen und schwedischen Soldaten besetzten Festungsorte verzeichnet waren.4 Er schlug vor, die Garnisonen in jedem dieser Orte zunächst jeweils um ein Drittel zu verringern. Sobald man gegenseitig Nachricht vom Abzug erhalten habe, könne man mit dem zweiten Drittel und schließlich später mit dem letzten Drittel fortfahren.5 Auf diese Weise könne man binnen drei Terminen zum Ziel gelangen.6 Neben dieser Evakuationsliste ließ Karl Gustav den kaiserlichen Unterhändlern aber noch eine weitere Liste aushändigen. Es handelte sich um eine Liste, in der die aus schwedischer Sicht noch ausstehenden Restitutionen knapp verzeichnet worden waren.7 Spätestens damit dürfte den kaiserlichen und katholischen Gesandten klar geworden sein, dass ihr Wunsch, die Frage der Restitutionen in Nürnberg außen vor zu lassen, nur schwer in Erfüllung gehen konnte. Überdies waren einige der genannten Fälle kaum dazu angetan, Frankenthal bildete der ersten und vorrangigen Punkt der französischen Proposition der Verhandlungen. Siehe Meiem 1736/37, Tl. 1, S. 37. 2 Hierzu Oschmann 1991, S. 233ff. 3 Allgemein: Oschmann 1991. * Meiern 1736/37, Tl. 1, S. 36f. 5 Ebd., S. 37f. 6 Der Abzug binnen drei Terminen war zuvor bereits von kaiserlicher Seite vorgeschlagen worden. Ebd., S. 32f. 7 Ebd., S. 34f. 1

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13. Die Restitutionsfrage auf dem Nürnberger Exekutionstag

Hoffnungen auf einen schnellen Erfolg der Verhandlungen zu nähren. Neben der Oberpfalz tauchte die Stadt Eger auf der Liste auf, für deren Bewohner die Religions- und Gewissensfreiheit gefordert wurde.8 Ebenso wurde auf Restitutionsbedarf hinsichtlich der böhmischen und österreichischen Exulanten hingewiesen.9 Obwohl die Protestanten eine schärfere Gangart bei den Restitutionen (arctior modus exequendi) durchgesetzt hatten, drohte die Umsetzung der Friedensbestimmungen, die zu diesem Zweck ausgehandelt worden waren, steckenzubleiben. Von der ursprünglichen Annahme, diese Pläne innerhalb von zwei Monaten nach der Publikation des Westfälischen Friedens, bis zum 24. Dezember 1648, vollständig verwirklichen zu können,10 war ohnehin keine Rede mehr. Auch auf schwedischer Seite hatte man erkennen müssen, dass derartige Vorstellungen zu optimistisch gewesen waren. Um so mehr verfestigte sich aber unter den schwedischen Gesandten die Anschauung, dass die Evakuationsverhandlungen unbedingt zur Durchsetzung der Restitutionen genutzt werden sollten. Der schwedische Kriegsrat Alexander von Erskein sollte in seinem abschließenden Bericht über die Nürnberger Verhandlungen die Ansicht mitteilen, dass dieses Projekt der Hauptgrund für den Kriegseintritt Gustav Adolfs und dessen Selbstopferung auf dem Schlachtfeld gewesen sei.11 In Verantwortung gegenüber der ,Posterität' und zur Vermeidung „üblen Nachruhmes"12 der schwedischen Krone sei bei den Gesprächen daher darauf gedrungen worden. Einmal mehr wurde der Blick auf die Nachkommenschaft und die Sorge um den guten Namen bei der Nachwelt als politisches Motiv benannt. Andererseits erhielten die schwedischen Gesandten bereits zu Beginn des Exekutionstages Signale aus Stockholm, dass hier andere Gesichtspunkte weitaus mehr wogen. Da man in der dortigen Regierungszentrale das Gefühl hatte, dass sich die Truppen im Ausland zunehmend der eigenen Kontrolle entzogen, war für sie und die Königin eine möglichst schnelle Demobilmachung bei gleichzeitiger Gewährung und Auszahlung der Entschädigungsgelder vorrangig.13 Dies setzte die Gesandten zu Nürnberg ihrerseits unter hohen Druck, Fortschritte bei den Verhandlungen zu erzielen. Über die propagandistische Wirkung wie auch eine mögliche taktische Funktion des Kampfes für die evangelische Sache herrschte jedoch Einvernehmen zwischen Christine von

β Ebd., S. 35. » Ebd. ν Oschmann 1991, S. 81f. 11 Meiern 1736/37, TL. 1, Beylagen zur Vorrede, S. 63f. 12 „[...] als der jetztregierenden Königlichen Mayestät zu Schweden etc. bey der werten posteritaet unverantwortlich seyn, und zu unauslöschendem üblen Nachruhm gereichen würde, wann mehr angeregte Restitution in voriger Ungewißheit gelassen". Ebd., S. 64. 13 Oschmann 1991, S. 212f.

13.2 Die Restitutionsdeputation

Schweden und ihrem Hauptgesandten zu Nürnberg, Karl Gustav von der Pfalz-Zweibrücken.14 1 3 . 2 Die Restitutionsdeputation In Betracht der Entschlossenheit, mit der das Restitutionsproblem zu Nürnberg von schwedischer Seite zur Sprache gebracht worden war, sahen sich die Reichsstände gezwungen, Überlegungen anzustellen, wie man in dieser Sache vorankommen konnte. Am 13. Juni 1649 wurde ein Papier verabschiedet, dass nach längeren Beratungen innerhalb der drei Kollegien der Reichsstände, Kurfürsten-, Reichsfürsten- und Reichsstädterat, erstellt worden war.15 Darin wurde die Einrichtung der paritätischen Deputation beschlossen, an die sich jene Parteien zu wenden hatten, die eine Restitution beanspruchten.16 Sitz sollte das Nürnberger Rathaus sein, wo immer abwechselnd über eine katholische und eine evangelische Restitutionsforderung verhandelt werden sollte. Die Restitutionsdeputation sollte strikt dem Westfälischen Frieden gemäß als alleiniger Gesetzesgrundlage entscheiden.17 Die schwedische Liste sollte hinzugezogen werden, um den protestantischen Forderungen rasch abzuhelfen. Zur Beschleunigung der Vorgänge wollte man mit den nicht anwesenden Parteien, die laut Liste etwas zu restituieren hatten, gar nicht erst kommunizieren, sondern unmittelbar zur Ausführung durch die kreisausschreibenden Fürsten schreiten. Für Parteien, die zu Nürnberg anwesend waren, wurde dagegen der Versuch einer Restitution auf der Basis gütlicher Einigungen in Aussicht gestellt. War diese nicht zu erzielen, sollte der jeweilige Fall den reichsständischen Kollegien zugeleitet werden.18 Damit hatten sich die Reichsstände als zentrale Restitutionsautorität gegenüber dem Kaiser formiert. Allerdings wurde den zu diesem Zeitpunkt bereits bestehenden kaiserlichen Kommissionen zugesichert, ihre Aufgabe ungehindert fortführen zu können.19 Dies zeigt, dass bei allen politischen Grundsatzfragen nach Autorität, die bei diesen Vorgängen zwangsläufig aufgeworfen wurden, das Ziel einer unverzüglichen Abwicklung im Vordergrund stand, da man sich nur davon eine schleunige Demobilmachung im Reich erhoffen konnte. Man bekundete zudem die Zuversicht, dass man viele derjenigen Personen oder Stände, die zu Ungehorsam neigten, von der Notwendigkeit der Restitutionen um des Friedens willen überzeugen könne, da anderenfalls

14 Ebd., S. 213f. Zu den Hoffnungen Karl Gustavs auf eine Ehe mit der schwedischen Königin siehe ebd., S. 47. 15 „Resolution oder Conclusum auf vorhergegangene Session, Deliberation, Re- & Correlation der 3 Reichs-Räthen circa Modum agendi in praesenti Noribergensi Tractatu de puncto Amnestiae et Gravaminum. Meiern 1736/37, Tl. 1, S. 93-95. 16 Siehe Kap. 11. 17 Ebd., S. 94: „Instrumentum Pacis Unica Lex". 18 Ebd. 19 Ebd., S. 95.

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13. Die Restitutionsfrage auf dem Nürnberger Exekutionstag

nichts weiter als der gemeinsame Untergang zu erwarten sei.20 Die Durchführung der Restitutionen erscheint hier als eine Art Notrecht, das alle anderen juristischen Belange in den Hintergrund schiebt. Eine ähnliche Einschätzung geht aus einem Gutachten der Vertreter der Reichsstädte hervor, in dem weitere Richtlinien für die Restitutionsdeputation aufgezeigt werden.21 Durch die alleinige Berücksichtigung der Restitutionstermine, des Amnestiejahres wie der kirchlichen Normaljahre 1618 und 1624, seien weitläufige rechtliche Erörterungen überflüssig. Wer trotzdem Zweifel an der Rechtmäßigkeit einer Restitution anbringe, müsse diese gegenüber sämtlichen Reichsständen vertreten.22 Nach wie vor wurde somit die Erwartung verkündet, dass die Stichjahrsregelungen des Westfälischen Friedens sich ohne Komplikationen umsetzen lassen würden, sofern man nur mit genügendem Ernst daran gehe. Die Restitutionsdeputation wurde am 25. Juni 1649 eingerichtet.23 Eine Anerkennung der Deputation blieb von schwedischer Seite allerdings zunächst aus.24 Sie sollte erst im Juli 1649 erfolgen.25 Auch mit den kaiserlichen Vertretern, die zunächst darauf beharren wollten, die Restitutionsfrage komplett aus den Verhandlungen auszuklammern, wurde noch im Oktober über Autorisierungsfragen debattiert.26 Gleichwohl kamen schnell weitere Listen zum Vorschein. So ließen die schwedischen Gesandten eine gegenüber ihren früheren Forderungen wesentlich erweiterte Liste von Restitutionsfällen überreichen.27 Darüber hinaus tauchte eine katholische Liste auf, die in Münster erstellt worden war.28 Damit standen sich nun zum ersten Mal die gesammelten Restitutionsansprüche beider Religionsparteien gegenüber. Beide Listen wurden allerdings keineswegs als vollständig betrachtet. 13.3 Die Restitutionsfforderungen im Überblick Beim Vergleich zeigen sich bemerkenswerte Unterschiede.29 Während die schwedische Liste ganz zentral auf die Förderung der gesamten evangelischen Sache im Reich zielte, wurden auf der katholischen Liste nicht selten Fälle angeführt, die den Konfessionsstreit gar nicht betrafen. Einen Schwerpunkt bilden die Restituti20

Ebd., S. 94. „Der Ehrbaren Frey- u n d Reichs-Städte Conclusum circa punctum Restitutionis ex capite Amnestiae et Gravaminum; abgelesen in loco der dreyen Reichs-Räthe, den 13. Junii, Anno 1649, ebd., S. 95-98. 22 Ebd., S. 97. 23 Oschmann 1991, S. 231. 24 Ebd., S. 230. 25 Ebd., S. 243. 26 Meiern 1736/37, Tl. 1, S. 541f. 27 Ebd., S. 98-107, mit verschiedenen Ergänzungen, S. 107-110. 28 „Münsterischer Catalogue derjenigen, so ex parte Catholicorum vermöge des allgemeinen getroffenen Friedens-Schlusses zu restituiren sind aber bißhero zur Restitution nicht haben gelangen können, salvo semper iure addendi." Ebd., S. 110-117, mit Ergänzungen auf S. 117f. Zur Liste siehe auch Oschmann 1991, S. 230. 29 Eine Sammlung von Restitutionslisten, die während des Exekutionstages kursierten und diskutiert wurden, befindet sich auch in: HHStA Wien, MEA Friedensakten 45. 21

13.3 Die Restitutionsforderungen im Überblick onsforderungen des Deutschen Ordens. Diese zielten jedoch wesentlich auf die Rückgabe von Gütern in den von französischen Truppen besetzten Gebieten. Verlangt wurde die Wiederherstellung der gesamten Balleien EisassBurgund und Lothringen. 30 Die Restitution sollte hier offensichtlich nach dem Amnestierecht vorgenommen werden. Das gleiche trifft wohl auf die Forderungen der Gebrüder Fugger nach Wiedereinsetzung in verschiedene elsässische Herrschaften wie Bollweiler und Masmünster zu. 31 Auch Leopold Wilhelm, Bischof von Straßburg, der u.a. die Restitution des Bistums Straßburg sowie der Stifter Murbach und Lüders verlangte, muss dabei das Amnestiejahr im Auge gehabt haben. 32 Die Liste der Katholiken enthält zudem eine Reihe von Forderungen, die zwar mit dem Normaljahr 1624 begründet wurden, jedoch kaum etwas mit Religion zu tun hatten. Der Kurfürst von Mainz, der um die Stadtherrschaft in Erfurt kämpfte, klagte z.B. darüber das Recht zur Verhängung von hoch- und niedergerichtlichen Strafen und verschiedene Gerechtsame auf und an den Gewässern ein. 33 Darüber hinaus berief er sich ausdrücklich auf die beiden termini a quo des Westfälischen Friedens, Amnestiejahr und kirchliches Normaljahr, um den Herzog von Sachsen-Weimar vom Holztrieb auf der Gera abzuhalten. 34 Dies mag darauf hindeuten, wie fremd die eigentliche Bedeutung dieser Stichdaten noch war. Daneben enthielten gerade die kurmainzischen Forderungen gegenüber der Stadt Erfurt aber auch eine stattliche Anzahl von Restitutionsbegehren mit religiösem Inhalt. So setzte man sich dafür ein, katholischen Gottesdienst binnen der Stadtmauern zu ermöglichen und die Existenz von Klöstern und Stiftern langfristig zu sichern. 35 Trotz aller Ungereimtheiten und Unsicherheiten spiegelt sich in der katholischen Liste insgesamt, ähnlich wie in den Protokollen des Reichshofrats, vor allem der Kampf um das Fortbestehen der Klöster und Stifter, darunter das Hochstift Osnabrück, wider. 36 Der über Jahrzehnte währende Einsatz für die kirchlichen Güter wurde unter neuen Vorzeichen fortgeführt. Es ging darum, religiöse Institutionen als Kirchenbesitz zu retten, nun mithilfe der Westfäli-

Meiem 1736/37, Tl. 1, S. l l l f . Einzelne Kommenden wie Straßburg, Andlau, Ruffach und Beuggen, wurden namentlich aufgeführt. Ebd., S. 116. 32 Ebd. 33 Ebd., S. 112f. „Die justification des wasser und wassergäng in Ober- und Under Erffurt, so weit sich der statt flur erstreckht, und was denselben anhängig, wie es das Ertzstifft ao. 1624 besessen". Siehe HHStA Wien, MEA Friedensakten 34, Münsterischer Katalogus, fol. 2. 34 Meiem 1736/37, Tl. 1, S. 115. 35 Ebd., S. 112-115. 36 Ebd., S. 110 und HHStA Wien, MEA Friedensakten 34, Münsterischer Katalogus, fol. 1. Sowohl die Restitution des katholischen Fürstbischofs Franz Wilhelm von Wartenberg in Amt und Würden als auch die kirchliche Restitution in den Ortschaften wurde eingefordert. 30

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13. Die Restitutionsfrage auf dem Nürnberger

Exekutionstag

sehen Friedensverträge.37 Vor diesem Hintergrund erscheint der Streit für die elsässischen und lothringischen Ordenskommenden gegen das katholische Frankreich im Rahmen der Nürnberger Verhandlungen gar nicht einmal besonders abwegig.38 Für den Deutschen Orden war er offenbar nahtlos mit dem Einsatz für andere Niederlassungen verknüpft, bei denen der konfessionelle Gegner bzw. Schweden zum Einlenken gebracht werden musste. Dies war etwa bei den Kommenden zu Rothenburg ob der Tauber,39 Griefstedt40 und Mainau41 der Fall. Dass man andererseits im Begriff war, vom Gegner zu lernen, zeigt sich im Einsatz für einen katholischen Untertanen, der in seinem Wohnort zur Augsburgischen Konfession gezwungen werden sollte.42 Dies war nicht die einzige katholische Forderung, die sich unter den Begriff Gewissens- bzw. Religionsfreiheit rubrizieren ließe. Auch für einige Bewohner der Dörfer um die Stadt Kronberg im Taunus wurde das Recht, katholischen Gottesdienst zu besuchen, eingefordert, nachdem diese offensichtlich daran gehindert worden waren.43 Diese Forderung stand im Zusammenhang mit der Ausweisung der Jesuiten aus der Stadt, die zuvor von einer Restitutionskommission angeordnet worden war. Im Rahmen der katholischen Liste wurde bemängelt, dass dies zu Unrecht und auf gewaltsame Weise geschehen sei. Die Restitution sei überdies von der protestantischen Reichsstadt Frankfurt44 „einseitig" als subdelegierter Kommissarin angeordnet worden. ,Einseitige' Entscheidungen wurden auch bei der Ausweisung der Jesuiten zu Kaufbeuren und der Kapuziner zu Biberach beklagt.45 Einmal mehr wurde nun fehlende Parität von katholischer Seite bemängelt. 46

Im Mainzer Erzkanzlerarchiv ist zudem der Versuch katholischer Einwohner zu Hersfeld überliefert, gegen die Landgrafen von Hessen-Kassel das Recht auf Ausübung ihrer Religion nach dem Normaljahrsrecht einzufordern. HHStA Wien, MEA Friedensakten 49. 38 So klagte der Deutsche Orden auch gegen den französischen Kommandanten zu Sierck, später Sierck-les-Baines: HHStA Wien, MEA Friedensakten 40. Meiern 1736/37, Tl. 1, S. 111. 40 Ebd., S. 112. „Griffstatt" lautete die Bezeichnung in HHStA Wien, MEA Friedensakten 34, Münsterischer Katalogus, fol. 2. 41 Meiern 1736/37, Tl. 1, S. 112. 42 Diese Klage richtete sich gegen die Gemeinde „ Detbach", ebd., S. 111, bzw. „Döttbach", siehe HHStA Wien, MEA Friedensakten 34, Münsterischer Katalogus, fol. 1. 43 Meiem 1736/37, Tl. 1, S. 118. Ebenso sollte die Nürnberger Deputation sich mit der Restitution des katholischen Gottesdienstes im badischen Eubigheim beschäftigen, siehe HHStA Wien, MEA Friedensakten 47. 44 Zu Frankfurt siehe Anton Schindling: Kommerz und Konfession. Die Reichs- und Messestadt Frankfurt am Main zwischen Reformation und paritätischem Altem Reich, in: Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte 68 (2005), S. 573-588. Frankfurt war rechtlich eine monokonfessionell lutherische Stadt, auch wenn Katholiken wie Reformierte ebenfalls dort lebten und sich so langfristig „eine Kultur des Umgehens mit andersgläubigen Minderheiten" entwickeln sollte. Ebd., S. 587. « Meiern 1736/37, Tl. 1, S. 117. 46 Ebd., S. 117f. 37

13.3 Die Restitutionsforderungen im Überblick

Die schwedische Liste, die etwa zur gleichen Zeit in erneuerter und ergänzter Form auf den Tisch kam,47 wirkt gegenüber der katholischen Liste konzeptionell geschlossener. Darüber hinaus ist sie umfangreicher und klarer gegliedert. Die genannten Territorien und Ortschaften waren den Reichskreisen zugeordnet worden. Ari erster Stelle stand die Restitution der Kurpfalz. Ihr folgte immittelbar die Wiedereinsetzung der böhmischen und österreichischen Exulanten in ihre vollen Rechte.48 Diese Forderung, die in der Hauptsache auf privatrechtliche Belange von Adelsfamilien aus den habsburgischen Ländern zugeschnitten war,49 wurde noch mit einer konkreten Normaljahrsforderung verknüpft: Den „armen Bergleuthen" der Stadt Joachimsthal, die sich von ihrem von Gott verliehenen „bergsegen" 50 Kirchen erbaut hätten, seien diese zurückzugeben. Zudem solle man jene evangelischen Priester, die man seit dem September 1624 gegen katholische Priester ausgewechselt habe, dort wiederum ihren Gottesdienst abhalten lassen.51 Diese Positionen dürften angesichts der für alle erkennbaren Prioritäten der kaiserlichen Verhandlungsführung, den habsburgischen Territorialbesitz als uneingeschränkten Herrschaftsraum Ferdinands ΠΙ. und seiner Nachfolger zu sichern, als Provokation empfunden worden sein. Eher schlecht stand es daher auch um den Versuch, den Kaiser zur freiwilligen Gewährung von Religionsrechten in seinen Erbländern zu bewegen. Die Restitution von Eger nach dem kirchlichen Normaljahr wurde auf dieser Liste dagegen nicht erwähnt. Möglicherweise war man auf schwedischer Seite zu diesem Zeitpunkt noch damit beschäftigt, Argumente zu sammeln, mit denen man eine solche Forderung vertreten konnte. Die Restitutionsgesuche, die den fränkischen Reichskreis betrafen, zielten auf die Gewährung evangelischen Gottesdienstes und die Rückgabe von Kirchen in Gebieten ab, für welche die beiden Markgrafen von Brandenburg-Ansbach und Brandenburg-Kulmbach Hoheitsrechte einforderten. Die für Franken typische Gemengelage unterschiedlicher Herrschaftsrechte52 hatte die Entstehung gemischtkonfessioneller Gebiete begünstigt.53 Gegenüber den Siehe HHStA Wien, MEA Friedensakten 34, Nr. 34: „Lista, der noch gar nicht oder nicht plenarie restituirteli Fürsten und Herren [...]". Ebenso Meiern 1736/37, Tl. 1, S. 9 8 110 (einschließlich der Ergänzungen). 4 8 Ebd., S. 98. 4 9 Sie basierte auf der entsprechenden Regelung des Westfälischen Friedens, dass die Protestanten nicht gegenüber den Katholiken zu benachteiligen seien. Siehe Oschmann 1998a, Art. IV, 55. 50 HHStA Wien, MEA Friedensakten 3 4 , , Nr. 34: „Lista, der noch gar nicht oder nicht plenarie restituirten Fürsten und Herren [...]", fol. 1. 51 Meiern 1736/37, Tl. 1, S. 98f. 52 Hierzu immer noch wichtig: Hanns Hubert Hofmann: Mittel- und Oberfranken am Ende des Alten Reiches. München 1954 (= Historischer Atlas von Bayern. Teil Franken. Reihe 2, Heft 1). 53 Siehe Walter Scherzer: Die Augsburger Konfessionsverwandten des Hochstifts Würzburg nach dem Westfälischen Frieden, in: Zeitschrift für bayerische Kirchengeschichte 49 (1980), S. 20-43. Zur Bedeutung des Augsburger Religionsfriedens für diese Entwick47

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13. Die Restitutionsfrage auf dem Nürnberger

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Fürstbischöfen zu Würzburg, Bamberg und Eichstätt sowie gegenüber dem Herzog von Pfalz-Neuburg und dem Grafen zu Schwarzenberg wurde das Normaljahr 1624 geltend gemacht, um die Pfarrherrschaft beider protestantischer Fürsten in mehreren Orten wiederherzustellen.54 Auf der Liste werden diese nicht im Einzelnen aufgeführt. Anhand weiterer Quellen lassen sich jedoch zumindest einige dieser Orte benennen. Hauptstreitpunkte zwischen Brandenburg-Ansbach und dem Hochstift Würzburg waren die Stadt sowie das Amt und Kloster Kitzingen. Die Markgrafen forderten Anteile daran und begründeten diese mit Amnestiebestimmungen des Westfälischen Friedens.55 Konfessionelle Belange spielten allerdings in den Kitzinger Streit hinein, so dass auf das Normaljahr 1624 verwiesen wurde. Es ging um das Recht der Untertanen, evangelische Religion auszuüben. Einbezogen in die Auseinandersetzimg waren die Bewohner der Vorstadt Etwashausen sowie der Gemeinden Neuses auf dem Berg, Willanzheim, Gülchsheim, Hemmersheim, Hohenfeld, Schernau, Mainstockheim, Rödelsee und Buchbrunn.56 Die brandenburgisch-ansbachischen Ansprüche gegenüber den Grafen von Schwarzenberg bezogen sich dagegen auf die Orte Dornheim, Hüttenheim, Herrnsheim, Bullenheim, Weigenheim und die Märkte Geiselwind, Scheinfeld und Seinsheim.57 Vom Fürstbistum Eichstätt verlangte der Markgraf wiederum die Restitution der Pfarreien Cronheim bei Günzenhausen und Göllersreuth. Er verwies in diesem Zusammenhang u.a. auf einen am 12. Januar 1624 getroffenen Vergleich zwischen Brandenburg-Ansbach und Eichstätt. Nach einem ersten gütlichen Ansuchen am 20. November 1648, die

lung siehe Axel Gotthard: Der Augsburger Religionsfrieden und Franken, in: Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte 68 (2005), S. 555-572, insbesondere S. 559ff. Zur Frage der Kirchenhoheit in Franken siehe ebenso Dieter J. Weiss·. Anspruch und Praxis von Pfarrei, Patronat und Kirchenhoheit in Franken. Diözese und Hochstift Bamberg, in: Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte 68 (2005), S. 589-604. 54 Meiern 1736/37, Tl. 1, S. 99. 55 Siehe HHStA Wien, RHR Decisa 895 (unfol.). Hier insbesondere die EventualProtestations- und Reservationsschrift von Brandenburg-Ansbach, vorgetragen am 12./22. November 1652. Argumentiert wurde damit, dass laut „Artikel 48" des Westfälischen Friedens Brandenburg-Ansbach ein dritter und ein 16tel-Teil an Burg, Stadt und Amt wie auch Kloster Kitzingen zufallen sollte. Hingegen enthielt der Kitzingen betreffende Artikel eine Aufforderung zur gütlichen Beilegung des Streites oder zur Entscheidung innerhalb eines binnen zwei Jahren abzuhaltenden Prozesses. Siehe Oschmann 1998a, Nr. 18, Art. IV § 28. Zu den länger zurückliegenden Besitzstreitigkeiten siehe auch die Nürnberger Restitutionsakten: HHStA Wien, MEA Friedensakten 38. 56 Siehe die Informatio cum Petitione, in Sachen Brandenburg-Onoitzbach contra Eichstätt, die Restitution der Pfarren Cronheim und Göllersreüth betreffend, o. O. [ca. 1653]. Es handelt sich dabei um den etwa 1725 hergestellten Nachdruck einer Druckschrift von 1653, erschienen in Regensburg. Genannt wurde auch der Ort „Alderhofen". Gemeint ist vielleicht Albertshofen. 57 Informatio cum Petitione, in Sachen Brandenburg-Onoitzbach contra Schwartzenberg, die Restitution aller in selbiger Grafftschafft gelegenen Pfarren in statum 1. Januarii 1624. betreffend, [ca. 1653]. Die Schrift wurde ebenfalls in den 1720er Jahren nachgedruckt und mit anderen kompiliert. Hierin genannt ist ebenso „Uffickheim" (wohl Iffigheim).

13.3 Die Restitutionsforderungen im Überblick

Orte dem Markgrafen zu überlassen, hatte sich dieser um den Fürstbischof von Bamberg als kreisausschreibenden Fürsten bemüht, um Hilfe bei der Besitzerlangung zu erhalten. Nachdem dieser nicht zu kooperieren bereit gewesen war, war die Sache nun dem Katalog der schwedischen Forderungen einverleibt worden. 58 Konfessionelle Ansprüche wurden auf der schwedischen Liste auch für die Grafen von Hohenlohe, 59 die Grafen zu Castell-Rüdenhausen,60 die Erbschenken von Limpurg und die protestantische Linie der Grafen von Löwenstein vertreten, wobei ausdrücklich, ähnlich wie im Fall Kitzingen, auch die Rückführung von Klöstern in den Besitz dieser Familien verlangt wurde. 61 So sollte Graf Friedrich Ludwig von Löwenstein im Zuge der Teilung der Grafschaft Wertheim die Kartause Grünau im Spessart zugesprochen werden. 62 Ebenso ging es um dessen Hoheitsrechte in den Dörfern Reichelsheim, Nassig und Dörlsberg,63 die zum Teil kirchlicher Art waren, und um die Abschaffung des gregorianischen Kalenders im gesamten Gebiet Wertheim einschließlich der Kanzlei.64 Die Grafen von Hanau sollten wiederum in den Besitz der Stadt Schlüchtern, einschließlich des Klosters und des Gymnasiums gebracht werden.65 Zuletzt sollte der fränkischen Reichsritterschaft die Herrschaft Rothenberg mitsamt den kirchlichen Rechten zugesichert werden. Gemeint ist die zur Festung Rothenberg bei Nürnberg gehörige Herrschaft, die während des Krieges von bayerischen Truppen besetzt worden war. Kurbayern wurde angehalten, die Rückgabe einzuleiten, um die Voraussetzung für die dortige Restitution in kirchlichen und weltlichen Dingen zu schaffen.66 Informatio cum Petitione, in Sachen Brandenburg-Onoltzbach contra Eichstätt. Zu den auf das Normaljahr 1624 gegründeten Ansprüchen gegenüber dem Prälaten von Schöntal siehe das am 15. Oktober 1649 eingereichte Gravamen in HHStA Wien, MEA Friedensakten 36. 60 Siehe hierzu die Überlieferung zum Streit mit den katholischen Adeligen Fuchs von Dornheim um die Normaljahrsrestitution des evangelische Dorfes Wiesentheid in HHStA Wien, MEA Friedensakten 42. In diesen Schriftwechseln wurde auf die Restitutionslisten Bezug genommen. « Meiern 1736/37, Tl. 1, S. 100. 62 Dies sollte gegen den katholischen Grafen Ferdinand Carl durchgesetzt werden. 63 „Reicholtzheim, Nassig und Dorlersberg": HHStA Wien, MEA Friedensakten 34: „Lista, der noch gar nicht oder nicht plenarie restituirten Fürsten und Herren [...]", fol. 2. Das Jahr 1624 als Restitutionsgrundlage in kirchlichen Sachen wird ausdrücklich in den Nürnberger Restitutionsverhandlungen erwähnt. Für 1624 konnten jedoch sowohl der katholische als auch der evangelische Graf gemeinschaftlichen Besitz, „in communione", an der Kartause und den Dörfern nachweisen: HHStA Wien, MEA Friedensakten 38. Der Prior zu Grünau hatte sich in der Folge gegen beide Grafen, die ihm seine Einkünfte streitig machten, zu wehren. 64 Meiern 1736/37, Tl. 1, S. 100. Zum Fall Rothenberg siehe auch ebd., S. 478-488. 65 „Statt, Closter und Gymnasii Schluchten": HHStA Wien, MEA Friedensakten 34, Nr. 34: „Lista, der noch gar nicht oder nicht plenarie restituirten Fürsten und Herren [...]", fol. 2. Siehe auch Meiern 1736/37, Tl. 1, S. 100. 66 Ebd., S. 101. In den Reichshofratsprotokollen ist der Fall der Herrschaft Rothenberg ebenfalls erwähnt. Burggraf, Baumeister und gräfliche Ganerben des Hauses und der Herrschaft Rothenberg beklagten am 25. Februar 1650, dass die Restitution noch nicht 58

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13. Die Restitutionsfrage auf dem Nürnberger

Exekutionstag

Im schwäbischen Reichskreis waren zwar bereits umfassende Restitutionen zugunsten des Herzogs von Württemberg vorgenommen worden.67 Es waren jedoch auch hier noch einige konfessionell motivierte Restitutionsgesuche offen geblieben. Die schwedische Liste führt etwa die Wiedereinführung des evangelischen Gottesdienstes in der Stiftskirche zu Grönenbach bei Memmingen an, die auf Verlangen des Marschalls von Pappenheim vollzogen werden sollte.68 Ebenso enthielt sie die Forderung des Markgrafen von Baden-Durlach, ihm die Ämter Pforzheim und Graben zurückzugeben und die Franziskaner und Dominikaner auszuweisen, die sich nach 1624 in der Stadt Pforzheim niedergelassen hatten.69 Auch die beanspruchte Wiedereinsetzung des Generalleutnants Christoph Martin von Degenfeld in die von ihm beanspruchten Güter ging mit konfessionellen Änderungen einher, die nach der Herausgabe durch den Fürstbischof von Eichstätt erfolgen sollten.70 Das gleiche gilt für die Restitution der lutherischen Grafen von Eberstein im Badischen zulasten der Grafen von Gronsfeld und Freiherren von Wolkenstein.71 Aus einer späteren Erörterung dieser Sache zu Nürnberg, im November 1649, geht hervor, dass die Restitutionsdeputierten das Gesuch sowohl auf der Amnestie- als auch der Normaljahrsregel gegründet sahen.72 Völlig sicher war man sich darüber zu diesem Zeitpunkt allerdings immer noch nicht. Dies zeigt, dass die vorgelegten Listen selbst denjenigen Gesandten, die sich in das komplizierte Restitutionsproblem eingearbeitet hatten, zahlreiche Rätsel aufgaben. Um keine Ansprüche verloren gehen zu lassen, hatten die schwedischen Gesandten wie auch die Katholiken viele Fälle stichpunktartig aufgeführt, ohne eine genaue Unterteilung in Amnestie- und kirchliche Normaljahrsfälle (casus restitutionis ex capite amnestiae et gravaminum) vorzunehmen. Mit den Forderungen im bayerischen Reichskreis setzten die schwedischen Gesandten zum einen erneut Kurbayern zu, indem sie die kirchliche Restitution der Oberpfalz und derGrafschaft Cham einklagten. Zum anderen wurde die ,Sulzbachische Sache', obwohl diese inzwischen große Fortschritte zugunsten der Protestanten gemacht hatte,73 erneut in den Katalog aufgenomvollzogen war, obwohl Kurmainz und Brandenburg-Kulmbach eine Kommission zur Restitution in weltlichen und geistlichen Sachen nach dem Normaljahr 1624 aufgetragen worden war. HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 147, fol. 195 (Protokoll vom 3. März 1650). 67 Zur weitgehenden Erfüllung der Restitutionsforderungen des Herzogs von Württemberg im Hinblick auf die Klöster und Stifter siehe Philippe 1976, S. 123ff. 68 Meiern 1736/37, Ή. 1, S. 101. 69 Ebd., S. 100. Die im gleichen Zuge genannte Restitution der Herrschaft Hohengeroldseck in der Ortenau beruhte dagegen auf der Einforderung der Amnestie. 70 Ebd., S. 101. 71 „[...] von dem hem grafen von Gronßfeld Wolckhenstein". HHStA Wien, MEA Friedensakten 34: „Lista, der noch gar nicht oder nicht plenarie restituirten Fürsten und Herren [...]", fol. 2. Siehe auch Meiern 1736/37, Tl. 1, S. 101. Hier: „von CransfeldWolckenstein". Zu diesem Konflikt siehe Köhler 1975, S. 85f. 72 Meiern 1736/37, Tl. 1, S. 640; HHStA Wien, MEA Friedensakten 38. 73 Wappmann 1995, S. 34.

13.3 Die Restitutionsforderungen im Überblick men. Es ging darum, die Vorgänge erfolgreich abzuschließen und letzten Widerstand zu brechen. Dieser verkörperte sich im neuburgischen Festungskommandanten von Parkstein, der angeblich die Bevölkerung mit Waffengewalt vom Übertritt zum evangelischen Glauben abgehalten und Restitutionen erfolgreich verhindert hatte. 74 Darüber hinaus war die Situation in den Städten Sulzbach und Weiden noch nicht geklärt, weil eine stattliche Minderheit beim katholischen Glauben verbleiben wollte. In einer weiteren Sache benannten die Schweden wiederum Kurbayern, nun die oberpfälzische Regierung zu Amberg, als Kontrahenten. 75 Pfalz-sulzbachischen Untertanen auf oberpfälzischem Gebiet sollte erlaubt werden, evangelischen Gottesdienst zu besuchen. Die Behinderungen seitens der Obrigkeiten sollten abgestellt werden. 76 Die gleiche Forderung wurde für die Städte Hilpoltstein, Heideck und den Markt Allersberg erhoben, wo Untertanen verschiedener Herrschaft wohnten. 77 Einen konfessionspolitisch relevanten Fall im oberrheinischen Reichskreis stellte zum einen die Grafschaft Veldenz dar, deren Restitution relativ kurz nach Veröffentlichung der Liste tatsächlich, u.a. mit der Hilfe des Reichshofrats, vollzogen werden sollte. 78 Zum anderen stritt der Graf von Nassau-Saarbrücken mit den Jesuiten zu Mainz um die Klöster Rosental und Klarenthal und mit den Augustinern zu Mainz um die Pfarrei zu Mosbach. 79 Obwohl die Konflikte in Nürnberg anhängig waren, reichte der Graf von Nassau-Saarbrücken sein Gesuch zusätzlich an den Reichshofrat weiter, 80 wohl auch, da der Fall Rosental durch die Einmischung der spanischen Garnisonen in der Festung Frankenthal zusätzliche Brisanz erhalten hatte. 81 Daneben verwies die Liste auf die Streitigkeiten der Grafen zu Waldeck um die Freigrafschaft Düdinghausen 82 und die bis dahin vergeblichen Anstrengungen der evangeli-

Ebd. Meiem 1736/37, Tl. 1, S. 102. 76 Ebd. 77 Ebd., wie auch HHStA Wien, MEA Friedensakten 48, Fasz. 14. Zu den Herrschaftsverhältnissen allgemein siehe Hermann Schreibmüller: Die ehemaligen pfalzneuburgischen Ämter Allersberg, Heideck und Hilpoltstein, in: Heider, Josef (Hg.): Neuburg. Die junge Pfalz und ihre Fürsten. Fs. zur 450-Jahr-Feier der Gründung des Fürstentums Neuburg. Neuburg 1955. Zu Hiltpoltstein als Residenz des evangelischen Pfalzgrafen Johann Friedrich siehe Wolfgang Wießner: Hilpoltstein. München 1978, S. 179. 78 Siehe Kap. 12.3. 79 Ebd., S. 102. 80 Die Sache wurde am 30. August 1649 zu Wien vorstellig gemacht. HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 145, fol. 161 (Protokoll vom 2. September 1649). 81 Siehe auch Meiern 1736/37, Tl. 1, S. 103. Auf der Liste war von „etlichen durch den Gouverneur zu Franckenthal manutenirten Nonnen" die Rede. 82 „Dittinghausen", ebd. „Dirlingshausen" in: HHStA Wien, MEA Friedensakten 34: „Lista, der noch gar nicht oder nicht plenarie restituirten Fürsten und Herren [...]", fol. 4. Die Herrschaft Düdinghausen sowie die Dörfer Nordemau, Lichtenscheid, Deifeld und Niederschleidern waren den Grafen direkt im Westfälischen Frieden zugesprochen worden. Siehe Oschmann 1998a, Nr. 18, Art. IV § 38. In der Freigrafschaft waren neben 74

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13. Die Restitutionsfrage auf dem Nürnberger Exekutionstag sehen Kapitularen des Straßburger Brüderhofes, das halbe Dorf Lampertheim 83 zugesprochen zu bekommen. Auch in diesen beiden Fällen basierten die Ansprüche auf dem Normaljahr 1624. Für den niederrheinisch-westfälischen Reichskreis wurden sämtlich Konflikte aufgeführt, die die Frage der Religion betrafen. Obenan auf der Liste stand als Gegenstück zur katholischen Forderung - die Capitolatici Perpetua Osnabrugensis.u Es folgte der Fall Falkenhagen 85 und der Anspruch der Gräfin Louisa Juliana von Sayn gegenüber dem Abt zu Laach auf das Dorf Bendorf, 86 das 1636 mit kurkölnischer Hilfe katholischerseits eingenommen worden war.87 Die evangelischen Untertanen warteten hier darauf, dass ihnen die Kirche zugesprochen wurde. 88 Des Weiteren forderten die adeligen Jungfrauen des Klosters Gnadenthal die Regierung des Grafen von Nassau-Dietz auf, das in ihrem Auftrag okkupierte Klostergebäude wieder freizugeben. 89 Ahnlich wie sie befand sich auch die Äbtissin der evangelischen Jungfrauen zu Keppel in der Grafschaft Nassau-Siegen im Kampf um ihr Klostergebäude. 90 Keppel hatte bereits seit dem Februar 1649 den Reichshofrat beschäftigt. 91 Die Auseinandersetzung wurde in die Streitigkeiten der beiden Häuser Nassau-Siegen hineingetragen, die im Westfälischen Frieden ermahnt worden waren, ihre Differenzen gütlich oder über einen Rechtsspruch beizulegen. 92 Da sich auch in der Stadt Siegen konfessionelle Streitigkeiten abzeichneten, die auf den Ergänzungen der Liste ebenfalls Erwähnung fanden, 93 drohte eine Eskalation. Der Uberblick über die Reichskreise wurde mit dem nieder- und dem obersächsischen Kreis abgeschlossen, wobei lediglich für den niedersächsischen Kreis ein Restitutionsgesuch aufgeführt worden war, welches das kirchliche Normaljahr betraf. Für Stadt und Stift Hildesheim wurde Gewissensfreiheit Düdinghausen die beiden Orte Deifeld und Eppe von der Normaljahrsregel betroffen. Siehe Antonie Finnemann: Düdinghausen. Geschichte eines Grenzdorfes. Düdinghausen 1992, S. 63. 83 „Lampertsheim" in: HHStA Wien, MEA Friedensakten 34: „Lista, der noch gar nicht oder nicht plenarie restituirten Fürsten und Herren [...]", fol. 4 und Meiern 1736/37, Tl. 1, S. 103. 84 Ebd. 85 Ebd. *> Ebd., S. 104. 87 Ebenso verlangte die Gräfin eine Restitution des Amts Altenkirchen. Kommissare waren der Kurfürst von Mainz und der Herzog von Braunschweig-Lüneburg, siehe HHStA Wien, MEA Friedensakten 35, unfol. Darin enthalten ist eine gedruckte Darlegung der Sayn-Wittgensteinschen Ansprüche auf die Gebiete aus dem Jahr 1647 gegenüber Kurtrier. Die Umstrittenheit der Gebiete hatte längere Wurzeln. 88 Siehe Horst Theisen: Familienbuch Bendorf von 1480 bis 1875. Ochtendung 2005, S. IX. 89 Meiern 1736/37, Tl. 1, S. 104; ebenso HHStA Wien, MEA Friedensakten 47, Fasz. 38. » Meiern 1736/37, Tl. 1, S. 104. 91 HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 143, fol. 64f. (Protokoll vom 22. Februar 1649). Die Beschwerden der Jesuiten gegen den Grafen von NassauSiegen waren am 9. Februar eingegangen. 92 Oschmann 1998a, Nr. 18, Art. IV § 29. 93 Meiern 1736/37, Tl. 1, S. 109.

13.3 Die Restitutionsforderungen im Überblick

und das Recht auf die Ausübung der Confessio Augustana reklamiert.94 Außerdem folgte noch eine längere Liste mit Beschwerden aus verschiedenen Reichsstädten.95 Als kirchliche Normaljahrsfälle aufgeführt wurden Ulm, Lindau, Aalen, Wetzlar, Aachen und Nürnberg, wo der evangelische Rat den kaiserlichen Postmeister unter Berufung auf das Jahr 1624 loszuwerden versuchte.96 Auch setzte dieser sich für die nürnbergischen Untertanen evangelischer Konfession in den pfalzneuburgischen Ämtern Hilpoltstein, Heideck und Allersberg ein.97 Aus der Auflistung der mischkonfessionellen Reichsstädte Dinkelsbühl, Biberach, Ravensburg, Kaufbeuren und Augsburg lässt sich leicht ersehen, dass trotz der Exekutionsverträge, die unter den Restitutionskommissionen dort vor Ort erwirkt worden waren, nach wie vor Streitigkeiten zwischen den Konfessionsgruppen an der Tagesordnung waren. Die im Kampf um ihre Sache so erfolgreichen evangelischen Einwohner von Augsburg bemängelten demnach, dass nach wie vor Restitutionen ausstünden. Es ging ihnen u.a. um die Schulaufsicht in der Stadt, Bestattungsrechte in verschiedenen katholischen Kirchen und die Abstellung von Predigen katholischer Geistlicher im Langhaus des Hospitals.98 Ein besonders schwieriger Punkt war die Restitution des Waisenhauses, da man viele Kinder wegen der noch nicht erlangten Religionsmündigkeit keiner Konfession zuordnen konnte.99 Außerdem wurde von den Augsburger Protestanten, ähnlich wie von ihren Glaubensbrüdern zu Dinkelsbühl,100 beklagt, dass die Parität trotz der ausgehandelten Rezesse noch nicht im vollen Umfang hergestellt war.101 Beanstandet wurde insbesondere eine nicht ausreichende Berücksichtigung des protestantischen Faktors im Rahmen der Wehrverfassung der Stadt.102 Ebenso beschwerten sich die Verfasser der Liste über mehrmalige rechtliche Interventionen durch den Kaiser in Augsburg,103 womit sicherlich auf den Reichshofrat angespielt wurde. Dieser hatte zwar, wie gesehen, die Einführung der Parität durchaus gefördert,104 war jedoch bestrebt, sich eine Position als Kontrollorgan, das die Vorgänge in der Stadt weiter beobachtete und auf Beschwerden reagierte, zu

Ebd., S. 104. Ebd., S. 105-107. Integriert in den Katalog wurden die beiden Reichsdörfer Gochsheim und Sennfeld. Siehe ebd., S. 107. 9 6 Eine ausführliche Darlegung der Argumente lieferten zwei Drucke, die der Deputation zugeleitet wurden. Siehe HHStA Wien, MEA Friedensakten 43. 97 Meiern 1736/37, Tl. 1, S. 105. 98 Ebd. 9 9 Siehe zu diesem Fall die Studie von Werner Roderfeld: Rechtsprobleme der religiösen Kindererziehung in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Paderborn etc. 1997, hier insbes. S. 44ff. 100 Meiern 1736/37,11.1, S. 109. μ Ebd., S. 105. 102 Ebd. 103 Es seien „Inhibitiones und andere Verordnungen" ergangen. Ebd. κ» Siehe Kap. 12.1. 94

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erhalten.105 Dies aber schloss unter Umständen auch Entscheidungen zugunsten der Katholiken nicht aus. Der protestantische Katalog schloss mit der Nennung einiger weiterer Städte, unter ihnen noch einmal nicht wenige Reichsstädte, in denen konfessionelle Regelungen zugunsten evangelischer Gemeinden getroffen werden sollten: So wurden für Erfurt, Eger, Köln, Speyer, Landau in der Pfalz, Siegen, Höxter, Memmingen und Schweinfurt Normaljahrsansprüche gestellt, die auf die Erlangung der freien evangelischen Religionsausübung, von Kirchenbesitz oder auch die erneute Zusicherung geistlicher und weltlicher Rechte abzielten.106 Ein Sonderpunkt war die Restitutionsforderung der Lutheraner zu Heidelberg gegenüber den reformierten Protestanten. Auf der Liste war vermerkt worden, dass sich der Generalissimus der schwedischen Armee, Pfalzgraf Carl Ludwig von Zweibrücken, bei Pfalzgraf Ludwig Philipp für die Sache der Lutheraner einsetzte. Es ging diesen darum, eine neue Kirche und eine neue Schule bauen zu dürfen. Sie beriefen sich dabei auf eine im Jahr 1633 bereits einmal von der Obrigkeit erteilte Erlaubnis. Eine Berücksichtigung dieser Genehmigung entsprach eindeutig nicht der Regelung des Westfälischen Friedens, die 1624 als Normaljahr für kirchliche Ansprüche der kurpfälzischen Lutheraner bestimmt hatte.107 Der Generalissimus erhoffte sich demnach, sein politisches Gewicht in die innerprotestantische Auseinandersetzung bei den Verhandlungen, die anlässlich der Restitution der Unterpfalz noch zu führen waren, auch gegen den Wortlaut der Verträge einbringen zu können. 13.4 Listen und Realpolitik' im Spannungsfeld Mit den beiden Listen vom Juni 1649 war zum ersten Mal zumindest im Groben abgeklärt worden, wie man sich das Gesamtunternehmen der Restitutionen in etwa vorzustellen hatte. Die schwedische Liste, die ohnehin mit der Hilfe evangelischer Stände entstanden sein muss, hatte den hauptsächlichen Zweck, ein protestantisches Programm für den Nürnberger Exekutionstag zu formulieren und Schweden dabei noch einmal eindeutig als Schutzmacht des Protestantismus darzustellen. Die katholische Liste wirkt demgegenüber manchmal wie eine etwas zaghafte, aus der Defensive erarbeitete Gegenposition, um den schwedischen Ansprüchen überhaupt etwas entgegenzusetzen, auch wenn die katholischen Forderungen in ihrer gelegentlichen Brisanz nicht unterschätzt werden dürfen.108 Inwieweit die einzelnen Posten auf beiden Listen als Verhandlungsmasse angesehen wurden, ist schwierig zu beurteilen. Die Posi-

105 Dies belegen zahlreiche Vorgänge und Entschlüsse: Siehe etwa HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 143, fol. 183ff. und fol. 188ff. 106 So im Fall Köln, siehe Meiern 1736/37, Tl. 1, S. 108. 107 Oschmann 1998a, Nr. 18, Art. IV, 19. Siehe ebenso Kap. 9.6. ios pig katholische Liste wurde in veränderter Form noch einmal später, im Juli, in die Verhandlungen eingebracht. Siehe Meiern 1736/37, Tl. 1, S. 430-436.

13.4 Listen und Realpolitik' im Spannungsfeld

tion der schwedischen Gesandten beinhaltete eigentlich, dass sämtliche Forderungen eingelöst werden mussten, um den Truppenabzug zu ermöglichen.109 Andererseits müssen sich die Gesandten darüber im Klaren gewesen sein, dass ihre Forderungen nach der Restitution der Oberpfalz und verschiedener Rechte evangelischer Personen und Institutionen auf habsburgischem Gebiet die Kooperationsbereitschaft des bayerischen Kurfürsten und des Kaisers stark gefährdete. Diese war aber unbedingte Voraussetzung für ein Fortkommen in der Sache. Es ist vor diesem Hintergrund recht gut zu verstehen, warum die Restitutionsdeputierten die schwedischen Forderungen nicht in jedem Punkt nachvollzogen. Stattdessen versuchten sie, über eine Erklärung zur schwedischen Liste Modifizierungen durchzusetzen.110 Am 23. Juli 1649 wurde dieses Dokument als reichsständisches Gutachten den Vertretern des kaiserlichen Hofes durch Gesandte von Kurmainz, Kurbrandenburg, des Fürstbistums Bamberg und des Herzogtums Braunschweig-Lüneburg überreicht.111 Diese sollten es anschließend den schwedischen Gesandten weiterleiten. Bereits der erste genannte Fall Eger sollte in der Folgezeit für erhebliches Aufsehen sorgen. Die Deputierten führten aus, dass sich die Reichsstände gegenüber dem Kaiser niemals in anderer Weise als mit gütlichen Gesuchen (intercedendo) der habsburgischen Erbländer angenommen hätten. Daher bliebe es den kaiserlichen Gesandten vorbehalten, sich in dieser Sache zu erklären.112 Dies kam einem Wegfall der Restitutionsansprüche gleich und veranlasste die schwedischen Deputierten zum Widerspruch, der einige Wochen später offiziell eingelegt wurde. Die am 22. August abgegebene „Endliche Erklärung" 113 zu den Restitutionen sollte bereits das zentrale Gegenargument aufführen: Die Stadt Eger gehöre nicht zu den kaiserlichen Erbländern, sondern liege außerhalb derer Grenzen.114 In den Erläuterungen der Deputierten zu den schwedischen Forderungen, die eigentlich der Erstellung einer alternativen Liste gleichkamen, wurde zudem die konfessionelle Restitution der Oberpfalz offen gehalten: Bis zur Entscheidung erwarte man die Ausführungen Kurbayerns zu diesem Problem.115 Eine solche Entscheidung behielt sich offensichtlich die Deputation selbst vor. Hier wurde somit ein Restitutionspunkt, der von schwedischer Seite als dringlich

Meiem 1736/37, Tl. 1, S. 426. „Der Reichs-Stände Declaration auf die letzte Schwedische Listam Restituendorum", in: Meiern 1736/37, Tl. 1, S. 453-457. 111 Ebd., S. 452. 112 „So hätte man erachtet, daß auch dieses Orts die Resolution denen Kayserlichen anheimzustellen." Ebd., S. 453. 113 Ebd., S. 458-466. Dort ist als Datierung der 13. August angegeben. Im späteren Gutachten der Deputierten zu dieser Erklärung wird diese jedoch auf den 12. August 1649 nach dem neuen Kalender datiert. Ebd., S. 542. 114 Ebd., S. 458f. 115 „Seye biß auf die Chur-Bayerische Deduction auszustellen." Ebd., S. 453. 109 110

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angesetzt worden war, in der Schwebe gehalten. Auch dies dürfte die Gesandten der Königin nicht unwesentlich verärgert haben. Andererseits stellten die Deputierten damit aber auch die kurbayerische Behauptung in Frage, das Religionsbestimmungsrecht über die Oberpfalz eindeutig zugesprochen bekommen zu haben. Nach bayerischer Sichtweise war die Entscheidung darüber bereits auf dem Westfälischen Friedenskongress gefallen, wo protestantische Unterhändler sich letztendlich dazu durchgerungen hätten, einer Ausklammerung der Oberpfalz aus der kirchlichen Normaljahrsregel zuzustimmen. Sogar eine schriftliche Bestätigung sei damals zugesagt worden, dann allerdings doch nicht abgegeben worden.116 Während der zu Nürnberg geführten Verhandlungen zur Restitution der Kurpfalz versuchten die kurbayerischen Gesandten dann noch einmal, die Religionsfrage in ihrem Sinne durchzusetzen und definitiv festlegen zu lassen. Dies gelang ihnen jedoch nicht. Im September 1649 wurden die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass Pfalzgraf Karl Ludwig, der Sohn des ,Winterkönigs', nach Jahrzehnten des Exils die Länder seines Vaters wieder in Besitz nehmen konnte. Eine wesentliche Grundlage dafür war, dass Kurbayern bei den Gesprächen, zumindest momentan,117 im Wesentlichen zufrieden gestellt werden konnte. Die oberpfälzische Religionssache blieb jedoch eine Angelegenheit der reichssständischen Restitutionsverhandlungen.118 Die Deputierten waren bereits recht früh an einem Punkt angelangt, an dem sie erkennen mussten, dass es unumgänglich war, Parteien zu hören, bevor sie zur Begutachtung und Abwicklung eines Restitutionsfalles gelangen konnten. Damit fiel ihnen de facto aber eine rechtssprechende, richterliche Funktion zu. Ursprünglichen Plänen und Absichten völlig zuwiderlaufend, drohten die Restitutionsfragen sich nun doch zu rechtlichen Verfahren zu entwickeln, in denen unter Umständen eine langwierige Beweisaufnahme vonstatten ging.119 In diese Verfahren waren zudem oftmals hochrangige Parteien verwickelt, deren politische Begehren nicht ohne weiteres vom Tisch gewischt werden konnten. Der Bischof von Würzburg, gleichzeitig Bischof von Kurmainz und damit Reichserzkanzler, ließ z.B. erklären, dass er gegenüber BrandenburgAnsbach zum Zugeständnis bereit sei, die Augsburgische Konfession in den strittigen Orten zuzulassen. Er bestand jedoch seinerseits darauf, dass BranEbd., S. 269. Unklarheiten über die gegenseitigen Abfindungen blieben nichtsdestoweniger bestehen und sollten bereits 1657 zum erbitterten verfassungsrechtlichen Streit über das rheinische Reichsvikariat führen, das der Kurpfalz traditionell zugestanden hatte. Siehe hierzu jetzt: Albrecht v. Arnswaldt: De Vicariatus controversia. Beiträge Hermann Conrings in der Diskussion um die Reichsverfassung im 17. Jahrhundert. Berlin 2004, insbes. S. 20ff. 118 Oschmann 1991, S. 274. 119 Eines unter vielen Beispielen stellt etwa die Verhandlung um den badischen Flecken Enzberg dar, in der es um das u.a. von der Normaljahrsregel abgeleitete Recht der adeligen Witwe Anna von Au ging, katholische Pfarrer einzusetzen. Hier kam es u.a. zur Befragung von Zeugen. Siehe HHStA Wien, MEA Friedensakten 47, Fasz. 14. 116 117

13.4 Listen und Realpolitik' im Spannungsfeld

denburg-Ansbach im Gegenzug endgültig auf das dort beanspruchte lus Episcopale verzichtete.120 Die Deputierten wurden damit als Vermittlungsinstanz angesprochen und ihre Position zugleich gestärkt. Ihr eigener Anspruch, zu schnellen Entscheidungen zu gelangen, erschien aber angesichts solcher Anliegen umso mehr gefährdet. Andererseits versuchten die Ständedeputierten, über ihre Liste zu verstehen zu geben, dass sie sich bemühten, zu zügigen Beschlüssen zu kommen, um die Durchführung der Restitutionen anschließend den kreisausschreibenden Fürsten oder anderen Kommissaren aufzutragen. In der Tat wurden Kommissionen etwa für den Streit zwischen der Stadt Höxter und dem Abt zu Corvey eingesetzt,121 ebenso für die konfessionellen Streitigkeiten innerhalb der Reichsstädte Köln, Aachen122 Landau123 und Wetzlar.124 Eine Reihe von Restitutionen, so etwa in Pforzheim,125 scheinen zum Zeitpunkt der Abfassung der Liste bereits vollzogen gewesen zu sein. Für andere Fälle wurde dagegen darauf hingewiesen, dass weitere Klärungen unabdingbar seien: Die darin verwickelten Parteien sollten den Deputierten ihre Stellungnahmen zukommen lassen. Anschließend sollten den Kommissaren vor Ort die wichtigsten in Betracht fallenden Gesichtspunkte zur rechtlichen Entscheidung aus Nürnberg übermittelt werden.126 Letztlich wurde deutlich gemacht, dass der wichtige Fall Osnabrück von den Deputierten nicht als die ihrige Angelegenheit betrachtet wurde. Hierüber sollte noch über einen längeren Zeitraum in parallel stattfindenden, zähen Verhandlungen gestritten werden.127 In der ,Endlichen Erklärung',128 die im Namen des schwedischen Generalissimus gegen die Liste der Deputierten eingebracht wurde, wurde angesichts der immer deutlicher auftauchenden Komplikationen noch einmal verlangt, die Restitutionen ohne Zeitaufschub zu vollziehen. In Anlehnung an eine Mitte Juli entstandene Restitutionsliste129 wurden hier zudem sämtliche Fälle mit den geplanten drei Terminen für den Truppenabzug in Verbindung gebracht. Dies lief im Klartext darauf hinaus, dass nur sichtbare Erfolge bei den Restitutionen die im Reich sehnlich erwarteten Evakuationen in Gang bringen konnten. Wie bei einem Geiselaustausch sollten die Kriegsparteien, sich dabei gegenseitig kontrollierend, Schritt für Schritt ihren zugesagten VerpflichtunMeiern 1736/37, Tl. 1, S. 453f. Es handelte sich um den Herzog von Braunschweig-Lüneburg und den Fürstbischof von Fulda. Ebd., S. 456. 122 Hierbei handelte es sich um Kurköln und Kurbrandenburg. Ebd. 123 Ebd. 124 Ebd., S. 455. 12= Ebd. 126 So im Falle Falkenhagen: „wären die partes gegeneinander zu hören und die merita Causae denen Herren Commissariis zu überschicken." Ebd. 127 Ebd., S. 456. ι » Ebd., S. 458-466. 129 Diese ist datiert auf den 18. Juli 1649. Ebd., S. 450-452. Gleichzeitig war auch eine kaiserliche Liste entstanden: Ebd., S. 449f. 120 121

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13. Die Restitutionsfrage auf dem Nürnberger

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gen nachkommen, wobei der Kaiser für die Restitutionsleistungen der katholischen und Schweden für die der protestantischen Stände einstehen sollten. Der Druck auf die Deputation wurde mit dieser neu ins Spiel gebrachten Forderung noch einmal erheblich verstärkt. Auf den nachfolgenden Listen wurde diese Form der Terminierung der Restitutionen beibehalten. Zur konkreten Bestimmung der drei Termine kam es jedoch vorläufig noch nicht. Allerdings gelang es den Kriegsmächten, am 21. September 1649 einen ersten Erfolg der Verhandlungen durch die Verabschiedung einer vorläufigen Einigung, den so genannten Interimsrezess, zu erzielen. Dieser bewirkte durchaus umfangreichere Truppenabzüge aus verschiedenen Plätzen und Orten des Reiches.130 Im Interimsrezess wurde noch einmal die Entschlossenheit der Vertragspartner bekräftigt, die über den Westfälischen Frieden beschlossenen Restitutionen ausnahmslos durchzuführen und bei der Stichjahrsfrage lediglich nach der Observanz und dem bloßen factum possessionis zu entscheiden.131 Nach wie vor schien der Glaube daran ungebrochen, dass sich die Amnestieregel und kirchliche Normaljahrsregel im Reich zügig durchsetzen lassen würden. Von immer größerer Bedeutung wurde jedoch die Unterscheidung von casus liquidi und casus illiquidi, die bereits im kaiserlichen Exekutionsedikt auftaucht.132 Die erste Kategorie umfasste die eindeutig und damit ohne weitere Erkundigungen, quasi aus dem Stand, nach den Stichjahrsregeln leicht entscheidbaren Fälle. Als illiquid wurden dagegen Fälle angesehen, bei denen Komplikationen auftauchten, die sich aus einer schwierigen Beweislage ergaben.133 Da sich diese nicht in kürzester Zeit abhandeln ließen, wurde etwas mehr Zeit eingeräumt. Spätestens drei Monate nach der Unterzeichnung des Interimsrezesses sollten nach dem Wunsch der Unterzeichnenden aber auch diese letzten Restitutionen vollzogen sein.134 Im Oktober 1649 übernahm die Nürnberger Ständedeputation das schwedische Konzept der Verknüpfung von Restitutions- und Evakuationsterminen. Die meisten Restitutionsfälle mit konfessionellem Belang wurden nun auch auf einer ihrer eigenen Listen, die als Ergebnis ihrer Beratungen präsentiert wurden, den drei Abzugsterminen für die Truppen zugeordnet.135 Eine Ausnahme bildete die Unterpfalz, die bereits vor den drei Terminen restituiert Oschmann 1991, S. 274ff. „ Interims-Recess derer bißhero zu Nürnberg zwischen den Herren Kaiserlichen, item den Herren Königlich-Schwedischen und den Herren Reichs-Ständen in puncto Restitutionis ex capite Amnistiae et Gravaminum, item Satisfactionis, Exauctoration und Evacuationis abgehandelter Tractaten [...], in: Meiem 1736/37, Tl. 1, S. 317-323. 132 Hierzu auch Hafke 1972, S. 120f. 133 „Die übrigen aber, weil propter multitudinem atque diversitatem casuum, difficultatem probationum & distatiam locorum, alles in so kurzen Terminen nicht möchte können expedirt werden [...]. Meiern 1736/37, Tl. 1, S. 318. 134 Ebd. 135 „Der Deputierten Gutachten über die Schwedische endliche Erklärung in puncto Restitutionis ex capite Amnistiae et Gravaminum", ebd., S. 542-550. 130

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23.4 Listen und,Realpolitik' im Spannungsfeld sein sollte. 136 Darüber hinaus wurden einige Fälle zu den illiquiden gerechnet und damit einer Restitution nach dem Truppenabzug vorbehalten. 137 Zu diesen gehörte z.B. ein Konflikt um den neuen Kalender zwischen der Reichsstadt Memmingen und dem Erzherzog von Tirol, über deren genaueren Inhalt nichts ersichtlich ist.138 Das Problem Eger wurde nicht genannt. Im Hinblick auf die Oberpfalz wurde eine salomonisch klingende Formulierung gewählt, die die Schweden allerdings nur schwerlich zufrieden stellen konnte: Dem Kurfürsten von Bayern stünde die freie Verfügung über das Religionsexerzitium der dortigen Untertanen zu; 139 man solle diesen jedoch ebenso wie den unterpfälzischen Untertanen lutherischer Konfession die private Ausübung ihrer Religion bzw. die Möglichkeit, öffentlichen Gottesdienst außerhalb des Landes zu besuchen, gewähren. 140 Ein Restitutionstermin wurde nicht angesetzt. 141 Mit der Übernahme der meisten Restitutionen in das Terminsystem für die Evakuationen hatten die Ständedeputierten nichtsdestoweniger bereits einer wesentlichen Forderung der schwedischen Bevollmächtigten Folge geleistet. Damit verbunden war die Aussicht auf einen Anschub der Restitutionen. Die Listen konnten nun zudem dafür verwendet werden, die aufgetretenen Differenzen gegeneinander zuhalten, um letzte Klarheit darüber zu gewinnen, über welche Probleme noch zu Nürnberg verhandelt werden musste. Für diese noch ausstehenden Verhandlungen blieb allerdings nicht mehr viel Zeit. Zwar war man noch nicht zu einer Konkretisierung der Abzugstermine für die Truppen gelangt. Im Interimsrezess waren jedoch nur drei Monate Frist für die allerletzten Restitutionen gewährt worden, die seit dem 21. September ablief. Im November 1649 kollationierten Deputierte von Kurbayern und Regensburg, Sachsen-Altenburg und Württemberg die unterschiedlichen Restitutionsvorstellungen von Ständedeputation und den kaiserlichen wie schwedischen Gesandten. Sie waren Mitglieder einer inzwischen gebildeten Subdeputation, die daran arbeitete, die Anerkennung der Vertreter Schwedens zu gewinnen. 142 Letztere arbeiteten nämlich bereits seit geraumer Zeit auf eine Entmachtung der Restitutionsdeputation hin. 143 Vor dem Hintergrund dieser Auseinandersetzungen entstand eine neue, dreispaltige Liste, die immerhin Übereinstimmungen in den weitaus meisten Fällen aufzeigte. 144 Dies mag bei einigen Teilnehmern des Kongresses die Hoffnung genährt ™ Ebd., S. 543. 137 Zumeist handelte es sich dabei aber um Amnestiefälle ohne religiöse Belange. 138 Meiem 1736/37, Tl. 1, S. 549. 139 „die libera dispositio quoad exerciüum Religionis". Ebd., S. 542. 140 Als Grundlage wurde der Absatz „Placuit porro..." des Westfälischen Friedens angegeben. Siehe Oschmann 1998a, Nr. 18, Art. V, 34. 141 Meiem 1736/37, Tl. 1, S. 542. 142 Ebd., S. XVinff. Siehe zu den Differenzen ebenso Oschmann 1991, S. 311. 143 Meiem 1736/37, Tl. 1, S. XIVff. 144 Ebd., S. 604-613.

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13. Die Restitutionsfrage auf dem Nürnberger Exekutionstag haben, die Restitutionsfrage tatsächlich termingerecht bis zum 21. Dezember klären zu können. Mit Blick auf das bis dahin zu Nürnberg Bewegte konnte dies jedoch nur als Zweckoptimismus erscheinen. Am 1. Dezember 1649 wurde ein Gutachten der Ständedeputation abgeschlossen, in dem die ausstehenden Restitutionen, über 100 Fälle, 145 erneut aufgelistet wurden. 146 Zu den einzelnen Punkten wurden diesmal ausführlichere Kommentare erstellt. Hierbei tauchten auch Fälle auf, die zwischenzeitlich von den Listen verschwunden waren, wie etwa die Bitte der Einwohner der Bergstadt Joachimsthal um Gewährung der Religionsfreiheit. Entsprechend ihrer bislang vertretenen Auffassung, lediglich mit Bittgesuchen für die Untertanen in den habsburgischen Ländern einzutreten, sahen die Deputierten hier keine rechtlich bindende Verpflichtung des Kaisers zur Restitution nach dem kirchlichen Normaljahr. 147 Erneut distanzierten sie sich damit von den ursprünglichen schwedischen Forderungen. Im Hinblick auf viele andere Fälle gaben die Deputierten wiederum zu verstehen, nicht ausreichend informiert zu sein, so etwa im Falle der geforderten Restitution der Güter Hohen- und Niedereibach, die an den Propst von Ellwangen gerichtet war. 148 Oftmals bestand Unklarheit darüber, ob die Restitution auf der Basis des Amnestierechts oder des kirchlichen Normaljahrs gesucht wurde. 149 Darüber hinaus zeigt ein Überblick über das lange Gutachten, dass die weitaus meisten der bislang zur Sprache gekommenen Restitutionen, sei es nach der Amnestie- oder der kirchlichen Normaljahrsregel, nach wie vor nicht durchgeführt worden waren. Allerdings scheinen die Deputierten auch über die bereits vollzogenen Restitutionen nicht ausreichend informiert gewesen zu sein. So forderten sie etwa die bereits zwei Monate zuvor durchgeführte Restitution der Grafschaft Veldenz ein. 150 Unsicheres Wissen ließ die Deputation auch im Hinblick auf die Ergebnisse der Verhandlungen über das Hochstift Osnabrück durchblicken. Sie konnte hier nur auf eine lang zurückliegende Nachricht verweisen, die im Juni aus Münster an sie gelangt war, demzufolge man dort zu einer Einigung über die Capitolatici gelangt war.151 Eine Reihe von Fällen wurde in diesem Gutachten spezifiziert, so dass sich weitere Normaljahrsgesuche genauer lokalisieren lassen. Wir finden die fränDie Anvnestiefälle sind hierin Inbegriffen. 146 Meiern 1736/37, Tl. 1, S. 633-660 (einschließlich der Ergänzungsliste). 147 Ebd., S. 634. 148 Ebd., S. 641. 149 Siehe etwa die Bemerkungen zum Fall Löwenstein-Wertheim: ebd., S. 638, ebenso zum Fall Eberstein./. Cronsfeld: ebd., S. 640. 150 Ebd., S. 649f. Wie erwähnt, war der Vollzug dem Reichshofrat im September gemeldet worden. Siehe Kap. 12.3 und HHStA Wien, RHR, Protocolla rerum resolutarum XVII, Nr. 145, fol. 202 (Protokoll vom 27. September 1649). 151 „Oßnabrückische Capitulation. Soll laut einkommender Schreiben aus Münster vom 29. Junii 1649 nunmehr geschlossen und richtig seyn." Meiem 1736/37, Tl. 1, S. 649. Über die „Pappenheimische Restitution" der schwäbischen Gemeinde Grünenbach waren die Deputirten hingegen informiert. 145

13.4 Listen und Realpolitik' im Spannungsfeld

kischen Ortsnamen Rugendorf, Döbra152 und Hausen unter den brandenburgisch-kulmbachischen Restitutionsforderungen.153 Der Kurfürst von Bayern wurde, wie das Gutachten ebenfalls erkennen lässt, u.a. mit einer Forderung konfrontiert, die die Herausgabe einer Kirche in der Hofmark der Burg Heimhof (Oberpfalz) beinhaltete.154 Die Gräfin von Sayn bemühte sich um die Restitution in der HerrschaftFreusburg.155 Dem Adeligen Georg Ludwig von Freyberg wurde gegen die Stadt Ehingen und dem Pfarrherrn zu Oepfingen eine Restitution nach dem kirchlichen Normaljahr definitiv zugesprochen.156 Zudem verwiesen die Deputierten auf einige kürzlich eingegangene Restitutionsgesuche, die zuvor noch nicht erörtert worden waren. Um konfessionelle Fragen ging es den Herren von Wolfstein, die die widerrechtliche Wegnahme zweier Kirchen durch den Herzog von Pfalz-Neuburg im Jahre 1627 beklagten.157 Die Hohe Schule zu Herborn verlangte die Rückgabe von Gefällen und Einkünften, die ihr im Krieg durch die Jesuiten entzogen worden waren.158 Der Rat zu Friedberg in der Wetterau forderte die Augustinermönche, die sich 1630 und 1631 in der Stadt befunden hatten, auf, die bei ihrem Auszug mitgenommenen Kirchenomate und weitere Wertsachen zurückzuerstatten.159 Eine Wiedereinsetzung in den Stand von 1624 verlangte auch Graf Ludwig Heinrich zu Nassau-Dillenburg, der sich darüber beschwerte, dass die vom Grafen Johann Ludwig zu Nassau-Hadamar abzuliefernden Gefalle für den Unterhalt der Hohen Schule zu Herborn über mehrere Jahre ausgeblieben waren.160 In nicht wenigen, den so genannten liquiden Fällen entschied die Ständedeputation einmal mehr, den Vollzug der Restitutionen unverzüglich einzuleiten und den jeweiligen kreisausschreibenden Fürsten eine entsprechende Verordnung zu erteilen. Angesichts der Tatsache, dass man schon seit längerem immer wieder so verfahren war, dürften die Deputierten allerdings bereits Zweifel an der Wirksamkeit dieser Maßnahmen empfunden haben. Außerdem ließen sie eine Reihe von Entscheidungen ausdrücklich offen. Viele Gesuche aus den Reichsstädten, aus Augsburg,161 Dinkelsbühl, Lindau, Biberach,

Zu Rugendorf und Döbra siehe auch Weiss 2005, S. 602. Meiern 1736/37, Tl. 1, S. 634ff. Siehe hierzu auch die Nürnberger Restitutionsakten, die weitere Ortsnamen überliefern: HHStA Wien, MEA Friedensakten 36. 154 Ebd., S. 644f. 155 Diese ist offensichtlich unter dem Haus „Freysperg" zu verstehen, das von Kurtrier samt vier zugehörigen Dörfern zurückgegeben werden sollte. Ebd., S. 649. Siehe hierzu auch R. Semmelroth: Die Gegenreformation in der Grafschaft Sayn, in: Monatshefte für rheinische Kirchengeschichte 26 (1935), S. 9-25, ebenso die Exekutionsakten: HHStA Wien, MEA, Friedensakten 35, unfol. 15« Meiern 1736/37, Tl. 1, S. 650f. 157 Ebd., S. 658. 158 Ebd., S. 659. 159 Ebd., S. 658. 160 Ebd., S. 659. HHStA Wien, MEA Friedensakten 35, unfol.: Faszikel, überschrieben mit: „Nassaw Hadamar c. Nassaw Dillenburg et vice versa wegen der schul Herborn." Meiern 1736/37, Tl. 1, S. 651. 152

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13. Die Restitutionsfrage auf dem Nürnberger Exekutionstag Kaufbeuren, 162 Memmingen 163 etc., wurden zurückgestellt, da der schwäbische Reichskreis, nicht zuletzt wegen der mangelnden Erfolge zu Nürnberg, eigene Anstrengungen unternahm, um die Restitutionen endlich durchzusetzen. 164 Die Deputierten erklärten hierzu, dass sie den Bericht der schwäbischen Kreisorgane abwarten wollten, bevor sie ihre eigenen Stellungnahmen formulierten. 165 So sah das Werk im Dezember 1649 immer noch sehr unfertig aus. Die Erfahrungen, die man mittlerweile mit den Restitutionen gewonnen hatte, ließen überdies kaum erwarten, dass sich sämtliche Probleme binnen kurzem lösen ließen. Dies gilt selbst hinsichtlich jener Fälle, in denen die Deputation und die schwedischen Bevollmächtigten vollkommen übereinstimmten. Um vieles mehr standen die größeren Konfliktfälle wie Eger und die Oberpfalz einem Fortkommen im Weg. Noch gar nicht über die Listen erörtert war der Streit um die jülich-klevischen Länder. Allgemein hatten sich die Deputierten bislang kaum mit den katholischen Restitutionsgesuchen beschäftigt, da das Druckmittel der Schweden, die Hinauszögerung der Evakuationen, die zugunsten der Protestanten gestellten Ansprüche zwangsläufig zum Schwerpunkt erhoben hatte. 166 Gerade mit Blick auf die schwedische Trumpfkarte der Evakuationen stellt sich jedoch einmal mehr die Frage, warum das Gesamtprojekt der Restitutionen zu Nürnberg im Ansatz stecken blieb. Immerhin wollten der Kaiser und die meisten katholischen Reichsstände dem Vollzug keineswegs im Wege stehen, trachtete man doch danach, die Besatzungsmacht so schnell wie möglich loszuwerden. Sogar innerhalb der protestantischen Reichsstände ergab sich aus dem Wunsch, die Länder von den Soldaten zu befreien, Bereitschaft zu Kompromiss und Versöhnlichkeit. Gerade dies führte jedoch zu einer wachsenden Distanz zwischen den protestantischen Ständen und den schwedischen Bevollmächtigten, die nur in der augenblicklichen und umfassenden Verwirklichung der Restitutionen den Sinn des militärischen Engagements der Krone im Reich überhaupt hergestellt sahen. Karl Gustav und die übrigen Vertreter Schwedens dachten noch sehr militärisch. Ihr Ordnungskonzept beruhte wesentlich auf der Vorstellung von der Autorität Schwedens als Kriegsmacht. So wie sich in den vergangenen Zeiten immer wieder vollendete Ebd., S. 652. ·« Ebd., S. 657. 164 Zum schwäbischen Kreistag als Restitutionsagentur siehe auch Kap. 11. 165 Siehe die Formulierung im Hinblick auf Augsburg: „Weil man die gewisse Nachrichtung, dai? der Schwäbische Crays seithero sich zusammen gethan, die in solchem Crays noch ohnexequirte Gravamina selbst zu examiniren und darüber Gutachten zu ertheilen, massen darmit schon ein guter Anfang gemacht seyn solle, als wird derselben Relation zu erwarten seyn." Meiern 1736/37, Tl. 1, S. 651. 166 Basierend auf dem „Münsterischen Catalogue" hatten die auch katholischen Stände im Juli 1649 ihre Restitutionsansprüche bei den Deputierten förmlich gestellt: „Gravamina unterschiedlicher Catholischer Städte und anderer, wegen derer in dem Restitutions-Werck beschehener Excessum oder einseitiger Execution." Siehe ebd., S. 430-436. 162

13.4 Listen und Realpolitik' im Spannungsfeld Tatsachen durch den Einsatz von Soldaten hatten schaffen lassen, so wollte man nun die Erträge des Westfälischen Friedens für die Protestanten zur Geltung bringen. Auf der Seite von Kaiser und Reichsständen, einbezogen die protestantischen, kristallisierten sich dagegen politische Konzepte heraus, in die Überlegungen zur längerfristigen Zukunft einflossen. Schließlich war es ja ihre Zukunft, die bei den Verhandlungen auf dem Spiel stand. Dies bedeutete wiederum, dass die Folgen von etwaigen Zugeständnissen genauer bedacht wurden und eher Vorsicht und Zurückhaltung gegenüber dem Anspruch auf Veränderungen geübt wurde. Es ging darum, Aspekte der überlieferten Rechtskultur bei den Restitutionen zur Geltung zu bringen. Entscheidungen mussten dieser Logik zufolge, entsprechend der über Jahrhunderte eingeschliffenen Formen des Krisenmanagements im Reich, wohl erwogen oder unter Umständen auch vertagt werden. Obwohl von kaiserlicher Seite zuweilen gefordert wurde, dass die Reichsstände um des Friedens Willen grundsätzlich dazu bereit sein mussten, bei den Verhandlungen einige ihrer Rechte aufzugeben, 167 hatte man sich im Grunde selbst bereits auf den Standpunkt zurückgezogen, dass dies, vor allem im Hinblick auf herrschaftsrechtliche Fragen, eine nicht in jedem Fall annehmbare Position war. Die sich zu Nürnberg verfestigenden Gegensätze zwischen den Vorstellungen der Besatzungsmacht Schweden und der Vertreter des Reiches - einerseits die Forderung nach Umsetzung von Kriegsrecht, andererseits der Anspruch auf eine Einbringung von Aspekten überlieferten Rechts - erwiesen sich als entscheidendes Grundproblem, das einer Einigung im Weg stand und damit durchschlagende Einigungen verhinderte. Überdies erhoben sich auch aus den kleineren Konfliktherden im Reich allerorts Stimmen, die, ähnlich wie die Großen im Reich, das Bedürfnis zur rechtlichen Erörterung der an sie gerichteten Forderungen artikulierten. Viele Herrschaftsträger, städtische Magistrate und Adelige, fühlten sich ebenso wie Kaiser und Fürsten dazu verpflichtet, die von ihnen selbst beanspruchten Rechte um keinen Preis aufzugeben und um sie zu streiten. Erneut wurde, wie etwa unter den Katholiken in Köln, intensiv über die Verantwortung gegenüber der Posterität' nachgedacht. 168 Obwohl die Restitutionskommissare zur Anwendung militärischer Gewalt ermächtigt waren und gelegentlich auch davon Gebrauch machten, wurden sie vor Ort mit zahlreichen Einreden konfrontiert. Wie sich bereits im Fall Pfalz-Sulzbach gezeigt hatte, konnte die paritätische Struktur der Kommissionen wesentlich dazu beitragen, dass Entscheidungen verzögert wurden. Anlässlich einer Mobilisierung konfessioneller Interessengruppen im Reich entwickelten sich Patronagebeziehungen zwischen Parteien und einzelnen Kommissaren, die die Projekte blockieren konnten. Als weitere Schwierigkeit

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Ebd., S. 551. Bergerhausen 2005, S. 221.

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13. Die Restitutionsfrage auf dem Nürnberger

Exekutionstag

taten sich letztendlich, wie die Gutachten der Deputierten zeigen, Kommunikationsprobleme auf: Die Übermittlung von Informationen nach Nürnberg und zurück gestaltete sich oftmals als schwerfällig. Vielfach entstanden Missverständnisse und Ratlosigkeit. Mit Blick auf die Frage, wer bei all dem letztendlich den längeren Atem aufweisen konnte, stellte sich die schwedische Position gar nicht mehr so mächtig dar, wie die Listen vorgeben. 13.5 Neue Probleme bei der Auslegung der Normaljahrsregel Das Bestreben der Reichsstände, trotz einer Regel, die zur Verhinderung von langwierigen Prozessen erdacht worden war, wieder Raum für rechtliche Erörterungen und Auseinandersetzungen zu gewinnen, wurde zu Nürnberg somit immer deutlicher. Neue Auslegungsprobleme der Normaljahrsbestimmung kamen auf den Tisch. Eines dieser Probleme stellte sich für die Deputierten als dermaßen diffizil dar, dass sie eine Entscheidung delegierten: Es ging um den fränkischen Ort Rugendorf, der auf bambergischem Gebiet lag. Dort war im Jahr 1624 ein vom Markgrafen von Brandenburg-Kulmbach169 ordinierter lutherischer Pfarrer in Amt und Würden gewesen. Gegen eine komplette Restitution der religiösen Verhältnisse wandte jedoch der Fürstbischof von Bamberg ein, dass die Einsetzung des Pfarrers damals keineswegs auf einem von bambergischer Seite zugestandenen Recht beruht habe. Vielmehr habe es sich um einen rein freiwilligen Akt, einen actus merae facultatis,170 gehandelt, aus dem niemand Ansprüche für die Zukunft herleiten könne. Mit dieser Argumentation gelangte die eigentlich bereits geklärte Frage, welche Art des Besitzes (possessio) ausschlaggebend für eine Restitution waren, erneut auf die Tagesordnung.171 Sie stellte sich folgendermaßen: War ein actus merae facultatis als eine Form des nudum factum possessionis zu betrachten und damit eine Restitutionsgrundlage?172 Die Deputierten wollten diese Frage nicht allein entscheiden, sondern ließen sie zur Erörterung in die drei reichsständischen Kollegien einbringen. Am 12. Juli 1649173 sprach sich das Reichsfürstenkolleg dafür aus,174 eine Entscheidung auf den nächsten Reichstag zu verlegen. Bis dahin sollten sämtliche

169 £> e r Vertreter des Markgrafen in der Deputation wurde bei der Erörterung dieses Falles durch einen braunschweig-lüneburgischen Gesandten ersetzt. Siehe Meiern 1736/37, Tl. 1, S. 412. Im Zedler-Lexikon wird unter dem Begriff res merae facultatis erläutert: „[...] sind solche Sachen, welche man ungehindert thun und lassen kan, ohne dessen, der es thut, Schaden und Nachtheil, und wodurch einem andern kein Recht zuwächst". Zedier 1732-1754, Bd. 31, Sp. 384. Zum actus merae facultatis im Zusammenhang mit dem Normaljahr 1624 siehe auch Moser 1773, S. 554f. 171 Siehe hierzu auch Oschmann 1991, S. 308f. 172 „An detur Possessio circa actus liberae facultatis?", Meiern 1736/37, Tl. 1, S. 413 u. S. 412. 173 A m 2. Juli nach altem Stil der Kalenderzählimg. Siehe ebd., S. 414. 174 Ebd., S. 414f. 170

13.5 Neue Probleme bei der Auslegung der Normaljahrsregel ähnlich gelagerten Fälle als »illiquid' betrachtet werden. 175 Dies war ein erneuter Hinweis für die schwedischen Gesandten, dass die Reichsstände ihre eigenen, längeren Wege bei wichtigen Restitutionsfragen einschreiten wollten. Als ein Versuch der Besänftigung mag es wiederum zu interpretieren sein, dass die Deputierten einige Tage später beschlossen, den von dieser Frage betroffenen evangelischen Untertanen auf jeden Fall zuzugestehen, bis zur endgültigen Entscheidung ihre Religion zu praktizieren: 176 Den Gemeinden sollte von demjenigen, der dazu das Recht besaß, auch wenn es sich dabei um eine katholische Obrigkeit handelte, ein Pfarrer präsentiert werden. Sie selbst sollten anschließend diese Person an einen evangelischen Ort schicken, wo diese nach vorhergehender Prüfung ihre Ordination empfangen sollte. 177 Für einige evangelische Gemeinden unter würzburgischer Obrigkeit wurde eine derartige provisorische Lösung konkret festgelegt. 178 Die grundsätzliche und endgültige Entscheidung wurde dagegen verschoben. Zusätzliche Brisanz erhielt die Frage nach der Bedeutung derartiger actus merae facultatis in Kirchenangelegenheiten noch durch eine Beschwerde der Reichsritterschaft, in der die Befürchtung zum Ausdruck kam, dass die Ordination von Pfarrern seitens auswärtiger Landesfürsten unter Umständen ihre Reichsunmittelbarkeit gefährden könne. 179 In einem Memorial protestierten sie gegen jegliche etwaigen Entscheidungen, die dazu beitragen konnten, ihre verfassungsrechtliche Stellung auszuhebeln und sie in die „Landsässerey" zu ziehen. 180 Dass das Recht zur Einsetzung von Pfarrern auch jenseits der Konfessionsfrage hohe Relevanz aufwies, tritt in einem Beschwerdeschreiben des Rates der Reichsstadt Schwäbisch Hall deutlich hervor. Die protestantische Stadtobrigkeit beanspruchte die Mitsprache bei der Einsetzung der Pfarrer im Dorf Gründelhart. Im Jahre 1630 war sie vom Markgrafen zu BrandenburgAnsbach dabei übergangen worden und forderte nun ihre Restitution entsprechend der Normaltagsregel. 181 Einmal mehr wurde damit versucht, diese als ein Regelungsinstrument unter Gegenspielern gleicher Konfession in Anspruch zu nehmen. Dem politischen Gesamtprojekt einer rechtlich klaren Umsetzung der Friedensbestimmungen war dies eher abträglich.

„Sollte nun bey fernerer Ausarbeitung ein oder anderer Casus sich finden, da das Factum Possessionis allein in actibus merae facultatis bestünde, würde dasselbe als ein illiquidum biß zu obiger Frage decision ausgesetzt". Ebd., S. 415. 176 Ebd. 177 Ebd. 178 Siehe das „Conclusum in Conventu Deputatorum 28. Juli/7. Aug. Anno 1649 in causa Ansbach contra Würtzburg". Ebd., S. 416. 179 Ebd., S. 445f. 180 „Reichs-Ritterschafftliches Memorial, derselben Gravamina, insonderheit die Actus merae Facultatis betreffend." Ebd., S. 446f. 181 „Gravamina des Heiligen Reichs-Stadt Schwäbisch-Hall, entgegen und wider Herrn Marggraffens zu Anspach Fürstliche Gnaden, das Mit-Confirmations-Recht eines Pfarres im Dorff Gründelhart betreffend." Ebd., S. 470f. 175

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13. Die Restitutionsfrage auf dem Nürnberger Exekutionstag

Dies gilt auch für Diskussionen, die sich in Nürnberg an der Frage entzündeten, ob das im Normaljahr nachweisbare grundsätzliche Recht einer Obrigkeit zur Einsetzung und Zulassung von Geistlichen nicht auch die Möglichkeit schaffen würde, an bestimmten Orten künftig neue kirchliche Einrichtungen zuzulassen. Die katholischen Stände versuchten mit dieser Argumentation die Zulassung von geistlichen Orden, insbesondere den Jesuiten, in Städten zu bewirken, in denen diese 1624 noch keinen Sitz gehabt hatten.182 Die Protestanten hielten nun dagegen, dass mit der Normaljahrsregel die Wiederherstellung der Religionsexerzitien, so wie sie 1624 Bestand gehabt hatten, intendiert worden sei und forderten in diesem Punkt, entgegen ihrer sonstigen Auslegung, deren konservatorische, mäßigende 183 Funktion ein. Zudem führten sie aus, dass die Katholiken den Protestanten ihrerseits nicht entgegen gekommen waren, wenn diese gelegentlich um Ausnahmen gebeten hatten. Zu Augsburg hätten sie die Zahl der evangelischen Pfarrstellen strikt an jener des Jahres 1624 festgemacht. Auch zu Dinkelsbühl hätten sie eine Erweiterung der evangelischen Kirche und Schule mit Blick auf den terminus a quo abgelehnt.184 Trotz derartiger religionspolitischer Kontroversen scheinen sich die meisten Ständevertreter und die Deputierten zu Nürnberg darüber einig gewesen zu sein, dass sie die Gestaltung der Normaljahrsrestitutionen unter allen Umständen gemeinsam vornehmen wollten.185 Da die dazu erforderlichen Gespräche und Entscheidungen jedoch Zeit beanspruchten, sprachen sie sich wiederholt gegen das schwedische Konzept aus, die Truppenabzüge mit den Restitutionen zu verknüpfen.186 Der Druck seitens des schwedischen Generalissimus wurde wiederum mit den Restitutionslisten aufrecht erhalten, die deutlich machen sollten, dass die Evakuationen nur durch Erfolge bei den Restitutionen in Gang gesetzt würden.187 Die Arbeit der Deputierten konnte durch solche Botschaften jedoch nicht wesentlich beeinflusst werden, da allein der interne Einigungsprozess eine komplizierte Abwägung von Rechts- und Gerechtigkeitsaspekten voraussetzte. Nur auf diese Weise waren tragfähige Lösungen denkbar. Die als Ziel anvisierten Kompromisse erforderten ein 182 Meiem vermutete, dass die Katholiken mit dieser Diskussion auf eine Zulassung der Karmeliter zu Augsburg und der Kapuziner zu Kaufbeuren hinsteuerten. Siehe ebd., S. 472. „Es sey aber der terminus Anni 1624 um deß willen hinzugesetzet, damit das exercitium ejusmodi jurium nach dem Zustand desselben Jahrs gemäßiget und restringirt würde, so, daß man nicht ad infinita hinaus fallen könne noch dörffte". Ebd., S. 472. 184 Ebd. 185 Am 5. Januar 1650 wurde den kaiserlichen Deputierten zu Nürnberg das kaiserliche Wohlgefallen darüber zum Ausdruck gebracht, dass Vertrauen zwischen den katholischen und protestantischen Gesandten eingekehrt sei und sie gemeinsam auf den Abzug der Schweden hinwirkten. HHStA Wien, Reichskanzlei, Friedensakten 63c. ι»6 Meiern 1736/37, Tl. 1, S. 448f. 187 „Endliche Erclärung des Durchlauchtigsten Fürsten und Herrn, Herrn Carl Gustavs, Pfaltz-Graffen bei Rhein [...]."Ebd„ S. 458-466. 183

13.6 Gravierende politische Streitfälle: Eger und die Oberpfalz

Ringen um die rechten Entscheidungen, die letztlich beide Seiten akzeptieren konnten. Dass aus dieser Auseinandersetzung allerdings theologische Aspekte konsequent ausgeblendet werden sollten, die Anlass für neuen religiösen Zank geben konnten, zeigt sich in der Behandlung eines Konfliktes, der sich zu Augsburg an einigen Formulierungen in den dort ausgehandelten Restitutionsverträgen entzündet hatte. Einige evangelische Prediger waren dagegen Sturm gelaufen, dass ihre Gegner, die sie als „Papisten" zu bezeichnen pflegten, dort mit dem ehrwürdigen Begriff „Alt-Catholisch" bezeichnet worden waren. Da die Deputierten mit Sorge vernahmen, dass damit begonnen worden war, die Kontroverse vor Ort über die Kanzeln auszutragen,188 entschloss man sich zum Handeln. Der protestantische Vertreter Thumbshirn formulierte ein Schreiben an die evangelischen Prediger, in dem er sie dazu aufforderte, ihren Widerstand gegen die Bezeichnung aufzugeben. In zahlreichen Verträgen und Rezessen wie auch im Religionsfrieden hätten die Vorfahren Augsburgischer Religion niemals Bedenken getragen, die „Papisten" als „Altglaubig", „Catholisch" oder „Alt-Catholisch" zu bezeichnen.189 Das gleiche gälte für erfahrene evangelische Theologen. Die Augsburger Prediger wurden daher aufgefordert, den „unnöthigen Wort-Streit" 190 zu beenden und ihren Widerstand gegen die vereinbarten Bestimmungen auf der Stelle zu beenden. Ziel dieser Maßnahme war es, die in der Stadt bereits erfolgreich vollzogenen Restitutionen zu sichern. 13.6 Gravierende politische Streitfälle: Eger und die Oberpfalz Demgegenüber erschienen die vielen rechtlichen und politischen Aspekte, die in die Arbeit der Deputierten einflossen, viel komplexer. Die nach wie vor bestehende Forderung der Stadt Eger nach einer kirchlichen Normaljahr srestitution gründete sich auf den beanspruchten Status der Reichsunmittelbarkeit.191 Die auf einer Verpfändung von Rechten im Jahre 1315 beruhende politische Anbindung an das Königreich Böhmen betrachteten die Stadtväter als einen Zustand, der diesen Status niemals außer Kraft gesetzt hätte. Einige kaiserliche Urkunden aus den Jahren 1623, 1625 und 1627 schienen diese Ansicht zu bekräftigen.192 Überhaupt versuchte der Rat zu Eger, ein enges, vertrauensvolles Verhältnis zum Kaisertum herauszustreichen: Es sei sogar Siehe hierzu ebd., S. 477. Ebd., S. 475. 190 Ebd. 191 „Unvorgreifliche Rationes, warum die Stadt Eger mit ihrem zugehörigen Crays und Gütern von dem Frieden-Schluß nicht auszuschließen seye, noch darvon ausgeschlossen werden könne". Ebd., S. 497-500, hier insbes. S. 497: „Fürs Andere, so ist zu bescheinigen, daß diese Stadt in matricula Imperii Anno 1450 oder wie etliche wollen, noch Anno 1514 als eine andere Reichs-Stadt begriffen gewesen, und zu den ReichsAnlagen contribuiret habe." 192 Ebd., S. 500-505. 188

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13. Die Restitutionsfrage auf dem Nürnberger Exekutionstag „dem Kind auf der Gassen bekannt", 193 dass sich die Stadt 1618 nicht am böhmischen Aufstand beteiligt habe. Darüber hinaus legte man kursächsische Briefe aus den Jahren 1620 und 1621 vor, in denen Schutz bei der Wahrung der städtischen Rechte, eingeschlossen der Privilegien in Religionssachen, versprochen worden war.194 In die Hoffnung auf Gewährung der freien Ausübung evangelischer Religion einbezogen waren insgesamt 110 Dörfer, 9 Rittersitze und 8 Kirchspiele, die sich in der Umgebung der Stadt befanden. 195 Außerdem wurde die Restitution von Marktredwitz als ebenfalls zugehöriges Gebiet mit etwa 200 Haushaltungen begehrt. 196 Den ganzen Krieg über bis zur Gegenwart sei Marktredwitz bei der evangelischen Religion verblieben. 197 Die kaiserlichen Gesandten vertraten dagegen den Standpunkt, dass Eger zur böhmischen Krone gehörte und daher auch nicht zu Osnabrück und Münster vertreten worden sei. Zudem seien die Stadt und das zugehörige Territorium während der Zeit der Pfandschaft katholisch gewesen. 198 Die von den schwedischen Gesandten dagegen eingebrachten Argumente unterstrichen wiederum noch einmal, dass eine Übertragung als Pfand keinerlei Ansprüche auf territorialherrschaftliche Rechte erzeugte. 199 Dass ein Ort oder Territorium nicht bei den Friedensverhandlungen zugelassen war und nicht in den Verträgen auftauche, bedeute nicht, dass die dort ausgehandelten Beschlüsse nicht darauf anzuwenden seien. Im Text des Westfälischen Friedens sei dies ausdrücklich hervorgehoben. 200 Letztlich sei Eger zwar in der Tat fast 200 Jahre katholisch gewesen. Ohne Einrede seitens des Königs von Böhmen habe die Stadt jedoch zu einer Zeit, als sich im ganzen Reich die Reformation verbreitet habe, die evangelische Religion angenommen. Erst 1627 sei die katholische Religion erneut eingeführt worden. 201 Der Einsatz Schwedens für die Augsburgische Konfession zu Eger und der zähe Widerstand dagegen seitens der kaiserlichen Unterhändler markierten die Positionen über mehrere Monate. Wie sich bereits nach Bekanntwerden der ersten schwedischen Liste erwiesen hatte, zeigten sich die evangelischen Reichsstände dagegen eher bereit, den Rechtsstandpunkt des Kaisers in dieser

„Beweiß, daß Eger eine unwiedersprechliche Freye Reichs-Stadt und nur ein zu dem Königreich Böhmen, jedoch mit außgemessener Bedingung, pfandweiß gehörig und versetzter, auch jederzeit und biß an das Ende der Welt ablöslicher Platz oder Ort sey". Ebd., S. 507-511, hier insbes. S. 510. 194 Ebd., S. 505f. u. S. 506f. 195 „Egerisches Territorium mit seinen Gränzen, Dörffern, Rittergütern und Filialen." Ebd., S. 514f. 196 Ebd., S. 515. 197 Ebd. 198 Ebd., S. 516. 199 Ebd. 200 Siehe Oschmann 1998a, Nr. 18, Art. IV § 1. 201 Meiern 1736/37, Tl. 1, S. 516. 193

23.6 Gravierende politische Streitfälle: Eger und die Oberpfalz Frage zu akzeptieren. 202 Sie versuchten daher, den Protestanten zu Eger über eine Bittschrift (Intercessions-Schreiben) 203 zu Hilfe zu kommen. Keineswegs verschwiegen sie dabei die rechtlichen Gesichtspunkte, die ihrer Ansicht nach eine Normaljahrsrestitution begründeten: Auch sie machten auf die Limitierung des Pfandrechts und die Bestätigung der Egerschen Privilegien durch die Vorgänger des Kaisers, insbesondere seinen Vater, aufmerksam. Sie appellierten jedoch vorrangig an die Mildtätigkeit, die einem Kaiser zukam. Angesichts der Härte, die ein Beharren auf einer Ausnahmeregelung für die „1000 arme[n] Evangelischefn] Christen" 2 0 4 darstelle, äußerten sie die Zuversicht, dass der Kaiser seinen Untergebenen die Restitution zu Eger anbefehle. In diesem Kontext verwiesen sie zudem auf die Zulassung katholischen Gottesdienstes im Jahre 1624 seitens der evangelischen Stadtobrigkeit. 205 Dies konnte nicht verhindern, dass die schwedisch-kaiserliche Kontroverse um Eger die Vorbereitungen zur Unterzeichnung ihres Hauptrezesses stark überschattete. Im November 1649 traten die Verhandlungen in eine wichtige Phase. Während die kaiserlichen Gesandten den Schweden bei der Restitution der Rechte einiger Adeliger - es ging u.a. um die Amnestiefälle Khevenhüller, Schöneich und Hoditz - in den Erblanden entgegenkamen, 206 sperrten sie sich gegen den Versuch Schwedens, eine Formulierung in eines der Verhandlungsprotokolle aufzunehmen, die Eger das ,Pfandrecht' vorbehalten sollte. Damit war gemeint, dass die Stadt lediglich als Pfand und nicht als Besitz zum böhmischen Königreich gelangt war. Nur zu leicht konnte man daraus ersehen, dass das ius reformandi

Ferdinands III., welches er als König von Böhmen

beanspruchte, damit vollends ins Wanken geraten wäre. In den darauf folgenden Diskussionen untermauerten die schwedischen Unterhändler ihre Entschlossenheit zur Auseinandersetzung noch mit dem Hinweis auf ihre Instruktion durch den Generalissimus ihrer Armee: Im Falle mangelnder Kompromissbereitschaft der Kaiserlichen sei darauf zu drängen, dass der Fall Eger in den Hauptrezess aufgenommen werde. 207 Diese für die kaiserlichen Vertreter beunruhigende Aussicht drohte nun weitere Verhandlungen zu blockieren, so dass die Reichsstände eifrig versuchten, einen Kompromiss für Eger zu finden. 208

Siehe Kap. 13.4. „Copia Ällerunterthänigsten Intercessions-Schreibens an die Römische Kayserliche Majestät, Unsern allergnädigsten Herrn, von der Evangelischen Chur-Fürsten und Stände Gesandtschafften auf dem Executions-Convent zu Nürnberg abgangen, den 4. Octobris, Anno 1649, des Stadt und Crays Eger Restitution betreffend." Meiern 1736/37, Tl. 1, S. 525f. 2M Ebd., S. 525. Ebd. 2